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Ace Kaiser Ace Kaiser ist männlich
Lieutenant General


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Themenstarter Thema begonnen von Ace Kaiser
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10.
16.06.2613
Winkler-System,
Planetare Hauptstadt Theben, Hauptplanet Porwal
Souveränität Nowgorod

„Was soll der Scheiß?“, fauchte Leonard Renski wütend und warf sein Datapad durch den halben Konferenzsaal. „Was glaubt Goldman, mit wem er es zu tun hat?“
„Mylord, bitte beruhigen Sie sich“, mahnte Renata Caprese ernst. Die alte Ministerin war wahrscheinlich der einzige Mensch in der gesamten Souveränität, die es mit dem Fürst strategisch, politisch und geistig aufnehmen konnte, und damit auch die einzige, von der sich Renski etwas sagen ließ.
„Ist doch wahr!“, fauchte der Herr über neunfünfzig besiedelte Planeten in dreiunddreißig Sonnensystemen. „Ich habe alles für ihn getan! Alles! Ich leihe ihm mein Agentennetz! Ich schicke meinen besten Mann zu seiner Verfügung! Ich decke seine schwachsinnige Aktion mit den Gryanen ab! Ich sorge sogar für eine heimliche Repatriierung der Gryanen aus republikanischer Haft! Und was kriege ich dafür?“
„Bisher Nachschubgüter und Ersatzteile für unsere Flotte im Wert von zweihundert Millionen Mark“, entgegnete die Ministerin trocken. „Es sind zwar allesamt ausgemusterte Bestände, aber im Anbetracht des Alters unserer Flotte können wir die gelieferten Waren mehr als gebrauchen.“
„Das weiß ich selbst!“, fauchte Leonard wütend und begann einen unruhigen Marsch in seinem Büro. „Die Frage war rhetorisch. Sie hätten nicht darauf antworten müssen, Ministerin Caprese!“
„Mylord, in den letzten acht Jahren unserer Zusammenarbeit habe ich gelernt, dass es einzig die rationalen Fakten sind, denen Ihr zugänglich seid. Was ich persönlich für eine sehr gute Eigenschaft halte.“ Die alte Frau räusperte sich amüsiert.
Wütend warf Leonard den Kopf herum und starrte die Frau nieder. Aber dieser Trick verfing bei der erfahrenen Politikerin nicht. Sie hatte keine Angst vor dem gescheitesten Kopf der Souveränität, und das irritierte den Fürst immer wieder. Andererseits brauchte er sie dringend, als Wetzstein für seine Fähigkeiten, als Diskussionspartner, als Faktotum. Ohne sie war er nur die Hälfte wert, und das hätte bedeutet, dass auch die Souveränität nur noch die Hälfte wert war.

Mühsam entkrampfte er seine Fäuste und verschränkte sie auf dem Rücken. „Wie weit sind wir?“
„Wie weit womit, Mylord?“
„Mit der Übernahme der Gryanen, Minister Caprese.“
„Wir haben damit begonnen. Ihr könnt euch sicherlich denken, dass es schwierig ist, dreitausend Menschen unbemerkt von A nach B zu bringen, wenn dreihundert Lichtjahre und vier Diadochenstaaten dazwischen liegen“, sagte sie mit einem gewissen Amusement in der Stimme. „Übrigens einer der Gründe, warum Admiral Goldman an uns heran getreten ist.“
„Ja, ja“, erwiderte der Fürst der Souveränität Nowgorod mürrisch. „Durch unsere geographische Lage jenseits der Diadochen-Republik-Grenze konnte er sich einigermaßen sicher sein, einen fähigen Partner innerhalb der Diadochen zu gewinnen, der garantiert noch nicht vom republikanischen Geheimdienst unterwandert wurde.“
Erstaunt sah Renski seine Ministerin an. „Sagten Sie dreitausend? Ist das nicht eine etwas geringe Zahl für die Schiffe, die sie bemannt haben? Wir reden hier von den Gryanen, und bei einem Leichten Kreuzer können wir allein ohne Infanterie von einer Stammbesatzung von dreitausend Soldaten und Offizieren ausgehen.“
„Es scheint so, als hätte unser guter Freund die Geschichte und damit die angebliche Gryanenflotte aufgebauscht. Tatsächlich sind die Gryanen illegal in den Raum der Republik eingedrungen“, erwiderte die Ministerin amüsiert, „und tatsächlich wurden sie dafür interniert. Aber sie waren nicht mit einer Kampfflotte unterwegs, sondern mit einem zum Passagierschiff umgebauten Frachter. Es sieht so aus, als wären sie einem Piratenschiff ausgewichen und wurden dabei eher zufällig von einer republikanischen Patrouille aufgebracht. Soweit stimmt die Geschichte. Ab hier hat dann der liebe Admiral Goldman eingegriffen und sich die Dinge so zurecht gebogen, wie er sie gebraucht hat. Dazu gehört auch die Internierung der Passagiere des Frachters, die, zugegeben zumindest gesetzlich fragwürdig ist.“
„Nicht mal Kampfschiffe“, murmelte Leonard bissig. „Das Eis, auf dem seine Gryanen wandeln, ist dünn, sehr dünn. Ich gehe davon aus, dass es sich bei dem Frachter um ein Schiff handelt, das Veteranen und Urlauber zu einer ihrer Siedlungswelten bringen sollte.“
„Das ist richtig, Mylord. Der Frachter hatte ursprünglich Kurs auf Hyrkania, bevor er gezwungen war, in der Republik Schutz zu suchen. Nun, die vielen Soldaten an Bord haben die Reppies wohl etwas irritiert, und heraus kam die Situation, die Goldman nun so gelegen kommt.“ Die Ministerin blätterte in ihren Akten und fügte hinzu: „Die gryanische Teilflotte, von der die Urlauber und Pensionäre stammen, befindet sich in diesem Moment siebenundzwanzigtausend Lichtjahre entfernt. Weitere Gryanen in direkter Nähe sind nicht bekannt.“
„Also zumindest in dieser Hinsicht kann Goldman noch auf ein paar ruhige Wochen hoffen, bevor die erste Protestnote oder sogar eine komplette Flotte ihrer Kameraden eintrifft“, stellte der Fürst grinsend fest. „Und unser Top-Agent ist noch eine ganze Zeitlang sicher. Haben wir neue Nachrichten von ihr, Ministerin Caprese?“
„In der Tat, und sie werden Ihnen nicht gefallen, Mylord.“
Renski kniff die Augenbrauen zusammen. „Warum werden sie mir nicht gefallen? Ist irgendetwas mit den falschen Gryanen? Haben wir Unstimmigkeiten in ihren Berichten gefunden, die darauf schließen lassen, dass wir mit Fälschungen versorgt werden? Ist ihr Leben in Gefahr? Sie kennen meine Anweisung, Ministerin Caprese. Ehe wir riskieren Juliet zu verlieren, ziehen wir sie ab. Kein Bündnis mit einem republikanischen Admiral kann so wertvoll wie dieser Agent sein.“
„Es erstaunt mich immer wieder, wie sehr Euer auf Logik getrimmter Verstand eine solch komplette Wende schafft und sich der reinen Sachlichkeit verschließt, sobald Captain Cochraine im Spiel ist, Mylord“, merkte die alte Frau milde an.
„Und wenn schon“, fauchte Renski. „Sie wurde angefordert, damit ihr Insiderwissen aus Coryn Griffin und seinen Soldaten halbwegs glaubwürde Diadocher machen kann. Das war an sich schon banal genug, aber sie ist nun mal die einzige Agentin mit ausreichenden Kontakten zur Nisos Elektron und den Tyrannen. Wenn es irgendwie geht will ich sie irgendwann wieder lebend vor mir sehen.“
„Ausreichende Kontakte würde ich es nicht nennen, wenn mein Kindheitsfreund Tyrann der Nisos Elektron ist, Mylord. Ein Mann, der übrigens auch mit euch im Sandkasten gespielt hat.“
Renski tat den Einwand mit einer Handbewegung ab. „Sentimentalitäten! Abgesehen davon hat mich Teddy bestimmt nicht in liebender Erinnerung, denn ich war zwei Jahre älter und habe immer seine Sandburgen zerstört.“
„Und Juliet hat ihm danach immer geholfen sie wieder aufzubauen“, warf die Ministerin schmunzelnd ein.
„Was uns wieder zu Ihrer Beunruhigung bringt, Ministerin Caprese. Also, wie schlimm steht es um mein kleines Mädchen? Welche Flotte muss ich losjagen, um sie rauszuhauen?“
„Die größte Flotte, die die Kommunalität zu bieten hat, am besten.“ Ihr Blick war so trocken wie ihre Stimme. „Wir haben in der Tat Unregelmäßigkeiten entdeckt, und die werden weder euch noch Theseus dem Dritten gefallen, glaube ich.“
„Was für Unregelmäßigkeiten? Hängt jemand im Übertragungsweg mit drin? Meldet sie eine besondere Überwachung durch die republikanische Abwehr? Wurde ein Killer auf sie angesetzt?“
„Ihre Berichte über Commodore Griffin sind, nun, tja...“
„Sind was?“
„Sie sind äußerst wohlwollend, sehr freundlich und sparen nicht mit Lob. Alleine für seine Aktion im Tunis-System hat sie eine neunseitige Lobeshymne geschrieben.“
„Lobeshymne? Reden wir hier beide von der gleichen Feldagentin?“
„Ich fürchte ja, Mylord“, sagte die alte Frau mit einem Seufzer.
„Lobeshymne. Das ist doch nicht Ihr Ernst. Immerhin reden wir hier über Juliet! Ist das vielleicht irgendeine Form von Code? Ein Anzeichen für eine beginnende Krankheit? Für etwas Ungewöhnliches?“
„Ja, ja, und ja, Mylord. Nach der Lektüre der letzten acht Berichte, und besonders des Berichts über Tunis sind die Analytiker und ich zum selben Schluss gekommen. Es ist ein Code, es ist ein Anzeichen für eine Krankheit und von etwas Ungewöhnlichem.“
Entsetzt verharrte der Fürst mitten im Schritt. „Bitte sagen Sie jetzt nicht, was ich glaube, das Sie gleich sagen werden, Ministerin Caprese.“
„Oh, ich denke das werde ich müssen, Mylord. Captain Cochraine ist...“
„Ich sollte besser mal auf der Tagseite des Planeten anrufen und fragen, ob besondere Aktivitäten festgestellt wurden“, sagte der Fürst mit kratziger Stimme. „Zum Beispiel explodierende Sonnen und Monde. Sie hat sich verliebt? In diesen Griffin? Wie sicher ist das?“
„Sicher ist gar nichts, Mylord, seid unbesorgt“, sagte die Ministerin lächelnd. „Aber die Wahrscheinlichkeit ist doch recht hoch.“
Renski schlug sich eine Hand vor die Stirn und ging zu seinem Sessel zurück. „Ich wusste, es war eine Schnapsidee, ihr diesen Auftrag zu geben. Ich wusste es! Oh, und wenn das Teddy erfährt, was wird dann aus der ganzen Aktion werden? Die wunderschöne Aktion, Arling zu stellen, wenn er enorme Schäden angerichtet hat und Griffin als Helden darzustellen, geht doch vollkommen in die Hose, wenn Teddy eifersüchtig wird.“ Leonard Renski bettete sein Gesicht auf beiden Händen und starrte dumpf ins Leere. „Wobei mir ohnehin schleierhaft war, wie Griffin das überhaupt schaffen will, wenn er sich Arling derart anbiedert und mit ihm Hand in Hand arbeitet.
Na, Arling wird sich freuen. Griffin wird ein paar verdammt schlechte Tage haben. Und Teddy... Ich kann ihn schon bis hierher schreien hören, warum ich nicht auf sie aufgepasst habe, und so.“
„Oh, darum macht euch keine Sorgen, Mylord. Ich bin sicher, es wird nur wenige Komplikationen mit seiner Majestät, Theseus dem Dritten geben“, warf die Ministerin mit einem Lächeln ein.
„Und warum glaubst du das, Renata, du große Ikone der Weisheit?“, fragte der Fürst in resignierendem Tonfall.
„Weil sie selbst nicht weiß, dass sie in ihn verliebt ist, natürlich.“
Leonard Renski starrte seine Ministerpräsidentin an, als hätte er sie gerade zum ersten Mal in seinem Leben gesehen. „Das sieht ihr wieder mal wunderbar ähnlich. Typisch Juliet.“
„Eure Befehle, Mylord? Sollen wir militärisch intervenieren?“
„Mobilisieren Sie eine Flotte, Ministerin, eine von den nachgerüsteten. Und dann schicken Sie sie rüber zur Bernsteininsel. Ich bin sicher, dort wird sie bald gebraucht werden.“
„Jawohl, Mylord. Wenn Sie mir glaubhaft versichern können, dass Sie das nicht nur für Ihre Sandkastenkameradin tun.“
Renski lächelte dünn. „Ich verlege die Flotte nicht für Juliet, Ministerin Caprese.“
„Dann bin ich beruhigt. Sentimentalitäten vertragen sich nicht mit diesem wichtigen Amt.“
„Ich tue es für Teddy.“
„Das habe ich befürchtet.“ Die alte Frau seufzte, aber es klang eher wehmütig als schmerzerfüllt. „Wie Ihr befehlt, Mylord.“


11.
16.06.2613
Arlings Geschwader
Termophylen-System
Nisos Elektron
Johann Arling unterdrückte ein Schmunzeln, während er auf einem nahen Bildschirm eine aufbereitete Grafik des Termophylen-Systems betrachtete. In Falschgrößen und unkorrekten Abständen waren die Sonne Termophyle und ihre fünf Planeten dargestellt. Natürlich trugen alle fünf Planeten griechische Namen, wie es für ein Hauptsystem einer diadochischen Nation nicht anders zu erwarten war, und die Hauptwelt trug den klangvollen Namen Leonidas, augenscheinlich benannt nach dem spartanischen König, der am gleichnamigen Termophylen-Pass im antiken Griechenland mit nur dreihundert Hopliten ein weit überlegenes gegnerisches Heer aufgehalten hatte. Allerdings waren er und alle anderen Spartaner bis auf einen Mann gefallen, weshalb Arling die Namensvergabe für nicht sonderlich gelungen hielt. Wenn ihn seine militärhistorischen Studien nicht im Stich ließen, wäre Lysander eine bessere Namensgebung gewesen, der antike Feldherr der vorstellaren Erde war wesentlich erfolgreicher und hatte weit mehr erreicht als Leonidas. Nur eben war sein Tod nicht annähernd so spektakulär gewesen.
Arling hatte jedenfalls nicht vor, lange in den Termophylen zu bleiben, im Gegenteil. Für ihn war dieses System ein willkommenes Sprungbrett, um mit seinen Schiffen überraschend – so überraschend wie ihm das mit Live-Presse an Bord möglich war – über Vesuv zu erscheinen und der Weltöffentlichkeit vor Augen zu führen, was der Europa-Pakt dort anrichtete, was er kaiserlichen Bürgern antat. Das war der Idealfall. Johann als Militär hatte jedoch nicht vor, die anderen Eventualitäten außer Acht zu lassen, unter anderem die Tatsache, dass man im Stabiae-System bereits wusste, dass seine Flotte kam.
Dennoch, sollte der Name etwas für Arling zu bedeuten haben? Würde Roberts Plan aufgehen, würde die Anwesenheit der Live-Presse ihn schützen? Das hatte schon bei Styx nicht geklappt. Im Gegenteil, er musste damit rechnen, dass er sich seinen Weg freizukämpfen hatte. Der Europa-Pakt war einer der kleineren Staaten der Diadochen, aber hoch industrialisiert und recht wohlhabend. Wohlhabend genug, um sowohl im Städtebund als auch im eigenen Reich eine beachtliche Flotte zu unterhalten. Die gut einhundert Kampfschiffe aller Klassen würden ihn und seine elf Schiffe nicht gerade nach dem Sprung ins Stabiae-System erwarten, aber es reichte ja schon ein gleich großer oder etwas größerer Verband, um ihnen Schwierigkeiten zu machen. Ganz einmal davon abgesehen, was sie hier erwarten würde, in der Nisos Elektron.
Unwillkürlich ging sein Blick zu Griffin, der den Sprung raus aus der Kommune Principe an Bord seines Schiffes mitgemacht hatte; der Söldnerführer der Gryanen musterte seinerseits argwöhnisch das Wesen, welches ihnen als Nymphe vorgestellt worden war. Dieses Wesen, das weiblich zu sein schien, war von der PHILIP auf die RHEINLAND gewechselt, ohne ein Fahrzeug in Anspruch zu nehmen. Genauer gesagt war sie in dem einen Moment noch auf der Brücke der PHILIP gewesen, und in der nächsten auf der Brücke der RHEINLAND.
Nyhartes Daiana Nissos war ihm mindestens ein ebenso großes Rätsel wie seine eigene Kontaktoffizierin Juliet Cochraine, zumindest wenn Johann einen Vergleich ziehen sollte.
Unwillkürlich griff sich der Kommodore an die Lippen. Hier hatte ihn das sphärische Wesen berührt, mit dem was als ihre eigenen Lippen erschienen waren. Das war relativ materiell gewesen. Was ihm auch Gedanken bereitete waren die Worte der Nymphe gewesen. Seine Taten waren nicht mit den Moralvorstellungen der Nymphen zu vereinbaren, aber er war mehr als viele seiner Mitmenschen. Johann wusste nicht, wie viel Wert er solch einer Aussage geben durfte, wenn sie von Wesen kam, die mit einem Menschen soviel gemein hatten wie ein Haifisch mit einem Delfin, wenn er mal die populäre Meeresfauna der Erde heranzog.
Sie bereitete auch ihm Probleme, wenn er ehrlich zu sich selbst war, aber auf einer anderen, nichtmilitärischen Ebene. Insgeheim befürchtete Arling, dass ihr Tadel gesessen hatte und er versuchte, fortan mehr wie eine Nymphe zu entscheiden und weniger wie ein Offizier des Kaisers.

„Wir haben Kontakt, Kommodore“, rief der Funkoffizier zu Arling herüber. „Es ist Theseus der Dritte.“
„Durchstellen.“ Arling richtete sich ein wenig auf. „Wir wollen unserem Wohltäter für den Begleitschutz danken.“
Der Hauptbildschirm veränderte sich und bildete nun einen jungen, hochgeschossenen und recht athletischen Mann mit kurzen schwarzen Haaren ab. Das Beeindruckendste war der sorgsam gepflegte Kinnbart, der sogar noch die stechend blaugrauen Augen dominierte. Das Gesicht mit dem breiten Kinn verzog sich zu einem Lächeln. „Kommodore Arling. Ich begrüße Sie und lade Sie ein in die wunderbare Nisos Elektron. Kommen Sie mit Ihrer Flottille nach Leonidas. Wir haben einiges zu besprechen.“ Sein Blick ging kurz über die Anwesenden, blieb bei Nyhartes Daiana hängen und ließ ihn kurz und warm lächeln. Dann wanderte der Blick weiter. „Ach, und halten Sie Ihre Presseleute in Bereitschaft, die Insel Bernstein freut sich auf die Gelegenheit, sich der unvoreingenommenen Weltpresse zu präsentieren.“
Arling nickte als Antwort. „Erwarten Sie uns im Laufe des Tages, Mylord.“
„Es freut mich, dass Sie so kooperativ sind, Mylord Arling. Aber etwas anderes hätte ich vom Mann, der die Kommune Principe ins Chaos gestürzt hat, auch nicht erwartet. Ich bin sicher, sie riechen, wo Ihre Freunde sind.“
Arling maß den Tyrannen mit einem freundlichen, aber intensiven Blick. Sein Magen sagte ihm, dass er diesem Mann vertrauen konnte. Aber sein Kopf fragte sich, was dieses Vertrauen wohl kosten würde. Denn eines war sicher: Politik hatte selten etwas mit Sympathie zu tun. „Manchmal“, erwiderte der Kommodore. „Arling Ende.“

Der Bildschirm erlosch, als die Verbindung unterbrochen wurde.
Griffin rieb sich den Nacken und meinte: „Bin ich eigentlich der einzige hier, der glaubt, dass das alles viel zu leicht geht? Ich dachte eigentlich, wir hätten jetzt gerade mal ein Drittel der Strecke geschafft und bereits ein paar Raumschlachten hinter uns.“
„Wir können Theseus vertrauen!“, ereiferte sich Cochraine. „Ich kenne ihn persönlich, und ich weiß, dass er unbedingt zu seinem Wort steht! Allein seine Erziehung durch die Nymphen bewirkt, dass...“
„Sie kennen Theseus den Dritten persönlich?“, hakte Arling nach.
Griffin runzelte überrascht die Stirn. „Wie persönlich?“
Cochraine sah verlegen zur Seite. „Wir... Sind zusammen aufgewachsen.“
„Okay, viel persönlicher geht es nicht.“ Arling nickte leicht. „Wir fliegen Leonidas an. Aber irgendwie bin ich mir sehr sicher, dass auf dieser Welt noch eine Überraschung auf uns wartet.“ Leise, mehr für sich fügte er hinzu: „Und zwar eine, die sich gewaschen hat.“
***
Als Kind adliger Eltern und entfernter Angehöriger der kaiserlichen Familie war Arling einiges gewohnt, auch Dinge, die unter „Großer Bahnhof“ fielen. Das was auf Leonidas´ größtem Raumhafen für sie abgehalten wurde, war weit mehr als das. Es war ein Festival mit hunderttausenden Zaungästen. Bemerkenswert dabei fand der junge Graf, das die Sicherheitsvorkehrungen sich auf einen simplen, überkletterbaren Zaun beschränkten, den ein gesunder Erwachsener mit Leichtigkeit überspringen konnte. Aber die einzige Bedrohung, die von dieser Menge ausging, war wohl ein Hörsturz in Folge des Jubels.
An der Spitze seiner Offiziere verließ Arling die Planetenfähre. Links waren seine kaiserlichen Offiziere vetreten, rechts die Gryanen. Rund um sie verteilt waren die internationalen Presseleute ausgeschwärmt, um diesen Moment so gut wie möglich zu erfassen. Zu Arlings Linker schwebte Nyhartes in beinahe menschlicher Form. Sie lächelte mit dem Gesicht eines jungen Menschen, aber der Güte einer Urgroßmutter. Dieses Lächeln wurde immer dann besonders strahlend, wenn sie Arling betrachtete.
„Es ist schwer für uns, auch für jemanden wie mich, der glaubt, sich mit der Sterblichkeit der Menschen abgefunden zu haben“, sagte sie unvermittelt, während der Transportteppich die versammelte Gruppe zur Haupttribüne mit Theseus und seinem Gefolge transportierte. „Es ist schwer einzusehen, das unser ewiges Leben nicht auch an unsere Kinder, die Menschen vergeben wurde. Es ist schwer, sie gehen zu lassen, aber es ist so unendlich leicht, sie ins Herz aufzunehmen. Es tut weh, über diese Menge zu schauen und zu denken, dass sie alle bald nicht mehr hier sein werden. Das sie dahin zurückkehren, wovon sie genommen wurden, in den Schoß der Erde. Meine Rasse geht auch dahin, woher sie gekommen ist, in das Magnetfeld des Sonnensystems, wussten Sie das, Han?“
„Nein, das war mir neu“, gestand der Kommodore.
„Die Menschen erscheinen uns deshalb auch immer sehr zerbrechlich. Sie kommen von der Erde und werden in der Erde ruhen, wo sie nach wenigen Jahren verschwinden. Das Echo unserer Existenzen aber hallt noch Jahrhunderte nach dem Tod im Magnetfeld nach. Selbst ihr Tod ist so kurzlebig. Das einzige, was an ihnen beständig ist, das ist ihr Erbe. Jene, die sie mit Liebe in die Welt setzen, und die wiederum andere mit Liebe in diese Existenz rufen.“ Beinahe zärtlich sah sie den kaiserlichen Offizier an. „Einige von uns, die schon zu alt sind, um wirklich mit der Kurzlebigkeit der Menschen zu leben, aber es noch nicht aufgegeben haben, sehen die Menschen, die wir einst geliebt haben, in ihren Kindern fort existieren. Wir liebten sie, dann ihre Kinder und danach deren Kinder. Solange diese Kette nicht unterbrochen ist, leben sie fort, sind für uns greifbar, wir erahnen ihre Vorfahren in ihnen, obwohl sie oftmals vollkommen anders sind. Aber ab und an sehen wir sie deutlich vor uns, so wie sie früher einmal waren. So wie ich in Ihnen, Han, den ersten Kaiser wiedererkenne, ebenso wie den ersten Herzog von Beijing.“
Arling lächelte beiläufig und wollte ein wenig geistesabwesend nicken, aber dann dämmerte ihm die Bedeutung dieser Worte. „Sie kannten den ersten Kaiser und meinen Vater?“
„Ich kannte den ersten Kaiser. Und ich kenne Ihren Vater. Gandolf Zacharias ist nicht tot. Noch nicht, obwohl sich sein Leben dem Ende zuneigt. Aber er wird uns nicht verlassen, ohne noch einmal die Galaxis zu erschüttern, das weiß ich.“ Ihre Miene wurde wehmütig. „Seit Robert der Erste aus einer Handvoll zerschlagener Agrarsiedlungswelten ein kleines Reich geformt hat, welches in direkter Nachbarschaft zum Herkulanischen Reich stand, haben sich viele Nymphen für dieses neue Menschenreich interessiert und es oft bereist. Wir waren sehr gespannt darauf, wie sich diese Welt entwickeln würde, und vor allem waren wir neugierig darauf, was die Menschen tun würden, wenn sie den anderen Spezies in ihrer Region begegnen würden. Wir wurden sehr angenehm von Robert überrascht. Und wir waren auch von der Expansionspolitik angenehm berührt. Robert war ein sehr guter Kaiser, und sein früher Tod, sein viel zu früher Tod hat damals eine gewaltige Lücke gerissen. Hätte der damalige Graf von Arling diese Lücke nicht gefüllt, wäre aus dem Hort der Sicherheit schnell das gleiche zerschlagene und wehrlose Land geworden, das es zuvor war.“
„Sie reden von meinem Vorfahren, einem der Söhne des ersten Herzogs von Beijing, nehme ich an.“
„Ich rede von seinem Erben, Frederic dem Ersten. Der Mann, dessen zweitältester Sohn der nächste Graf von Arling wurde, und dessen Sohn ihm als Gandolf Zacharias nachgefolgt ist. Wir alle waren sehr entsetzt darüber, dass Zak damals als einziger Mann das Massaker an den Beijings überlebt hatte, aber ich war stolz auf ihn, als er das Amt als Herzog annahm und mit soviel Leben erfüllt hatte. Helfen konnte ich ihm damals nicht, denn die Dynastie war damals zerschlagen und vernichtet, das Reich in die Diadochen zersprengt. Es waren schlimme Zeiten, in denen wir Nymphen nicht viel mehr tun konnten als zu existieren. In kaum einem Land fand unser Rat noch Gehör, und das tat mehr weh als das sterben selbst.“ Sie senkte den Kopf. „Es würde mich sehr freuen, Ihren Vater vor seinem Tod noch einmal sehen zu können, Han. Deshalb bitte ich Sie, mich auf der weiteren Fahrt mit zu nehmen.“
„Ich erfülle diesen Wunsch mit Freude, Nyhartes“, erwiderte Arling.
„Oh, und wenn wir schon mal dabei sind, vergessen Sie nicht, Zaks Linie fortzusetzen. Wie ich weiß, haben Sie sich dafür ja schon einen viel versprechenden Partner ausgesucht“, fügte die Nymphe hinzu und lächelte freundlich nach hinten.
Johann Arling brauchte sich nicht umzudrehen um zu wissen, dass seine Verlobte nun mit einer kräftigen Gesichtsröte zu kämpfen hatte. Er angelte mit der Linken nach ihrer Hand und drückte sie fest. Sie erwiderte den Druck, und Arling genoss die Wärme, die von ihrer Hand ausging. „Beizeiten werde ich meinen Partner darum bitten, dieses Problem aus der Welt zu schaffen, Nyhartes“, versprach er.

Bei seinen Worten verstärkte sich der Druck von Ellies Hand erheblich. Es war noch nicht allzu lange her, da hatte sie ihre weibliche Seite komplett unterdrückt gehalten. Dann war alles über ihr zusammengebrochen, sie hatte sich mit ihrem Vorgesetzten in eine wilde Liebesbeziehung gestürzt, sich verlobt und war nun auf dem besten Wege in eine herzogliche Familie einzuheiraten. Sicherlich hatte sie selbst auch schon daran gedacht, dass das nächste Problem nun sein würde, ein Kind in die Welt zu setzen. Doch selbst im Zeitalter von Invitro-Geburten endete das Problem nicht unbedingt beim, nun, machen, sondern begann ja erst ab dem Zeitpunkt der Geburt. Dann wurde aus einem Problem ein ganzer Stapel Sorgen und Nöte, und diese würden ja sicher niemals mehr enden, bis einer gestorben war, sie oder ihre Kinder, und sicherlich hoffte sie inständig, das sie zuvor an der Reihe war, denn die eigenen Kinder sterben zu sehen war in keinem Alter eine schöne Sache.
Und da stand sie nun, auf einem rollenden Ehrenteppich auf dem Weg zum Herrscher eines der größten Diadochenreiche, von einer Nymphe mit etwas konfrontiert, was sie Jahrelang erfolgreich verdrängt hatte, und war schlicht und einfach ratlos. Nur die Hand ihres Gefährten gab ihr die Sicherheit, sich nicht von all den neuen Gedanken, Emotionen, Sorgen und Nöten überrollen zu lassen. Deshalb war sie so dankbar dafür, dass dieser Mann, der auch nicht mehr Erfahrung haben konnte als sie, so gut zu ihr war und so sehr zu ihr stand. Am liebsten hätte sie ihn umarmt, aber das wäre in Front der Kameras des allgegenwärtigen Pressekorps und vor allem direkt vor Theseus dem Dritten nicht sehr angemessen gewesen. Es würde später noch Zeit dafür geben. Allerdings machte sie sich klar, das allein das Bild, wie Arling hinter seinem Rücken ihre Hand hielt, die sie wie eine Ertrinkende umklammert hielt, bereits jetzt um die Welt ging, wahrscheinlich durch die Galaxis. Aber das war weit weniger schlimm, als die Verantwortung für ein Kind zu übernehmen! Doch mit Han an ihrer Seite konnten die Probleme gar nicht groß genug sein. Zusammen würden sie alles schaffen. Einfach alles.

„Willkommen auf Leonidas“, erklang die überraschend tiefe Stimme des Tyrannen. Dies war der Moment, in dem Arling die Hand seiner Verlobten fahren ließ. Er trat vor und salutierte. „Im Namen des Kaisers bedanke ich mich für die Eskorte, die Freundlichkeit der Nisos Elektron und für Eure Einladung, Mylord.“
Theseus verzog sein Gesicht zu einem ehrlichen Lächeln. „Nicht Mylord, Mylord Arling. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich kein Adliger. Nennen Sie mich Theseus oder Tyrann. Dies entspricht eher meiner Position als Oberhaupt der Nisos Elektron, der Bernsteininsel.“ Theseus wandte sich zur Seite. „Darf ich Ihnen mein Kabinett sowie einige Nymphen, die meiner Regierung angehören?“
„Im Gegenzug erlauben Sie mir, meine Kapitäne vorzustellen, Tyrann.“
Belustigt zog Theseus eine Augenbraue hoch. „Das könnte etwas dauern. Warum verlegen wir nicht gleich ins Regierungszentrum? Wir haben dort einen kleinen Empfang mit Erfrischungen vorbereitet.“ Einladend deutete der Tyrann tiefer in die Loge, an die sich ein Gang in den Raumhafenterminal anschloss.
Arling folgte der Einladung, ebenso wie seine Offiziere. Als sie den Hofstaat passierten, klang erneut die Stimme des Tyrannen auf. „Schön, dich wieder zu sehen, Juliet.“
Arling sah kurz zur Seite, wo Cochraine neben Griffin ging. Sie lächelte den Herrscher der Bernsteininsel freundlich an. „Es ist auch schön, dich mal wieder zu sehen, Teddy.“
Das mit dem zusammen aufwachsen musste Arling wohl weit ernster nehmen als es geklungen hatte. Neben Theseus und Nyhartes Daiana Nisos setzte er seinen Weg fort.
***
Nach der Fahrt durch eine ausgelassene Menschenmenge, die ihre Ankunft feierte, erwartete sie der Empfang. Oder exakt ausgedrückt ein achtgängiges Menü, mehrere formvollendete Reden zur Begrüßung der seltenen Gäste und der Lobpreisung für Arlings unblutige Heldentaten sowie ein mittelschwerer Medienrummel. Mittelschwer natürlich vom Standpunkt eines kaiserlichen Offiziers gesehen, der es gewohnt war, von einem meistens live sendenden internationalen Pressekorps belagert zu werden.
Im Anschluss hielt der Tyrann selbst eine kurze Rede und betonte mehr als einmal, dass sich die Nisos Elektron als nur einer von drei Staaten des Städtebundes heftig dagegen ausgesprochen hatte, dem Kaiserreich Katalaun den Krieg zu erklären und auch der Flotte des Städtebundes sowohl ihre Schiffe als auch ihre Unterhaltungszahlungen entzogen hatte. In seiner Rede betont Theseus mehrfach, das er das Kaiserreich für einen friedlichen, zivilisierten und ethisch hochstehenden Nachbarn hielt, der im freien Handel und im Austausch von Gedanken und Philosophien viel von dem Glanz zurück bringen konnte, den die Herkulanische Dynastie einst ausgezeichnet hatte. Er sprach von einer Vision der Zusammenarbeit, von einem Ende des unsinnigen Krieges, der ohnehin nur von Nutznießern geführt wurde, während andere für sie den Kopf hin halten mussten – eine Anspielung auf die Grenzländer Charybdis und Leth, die ebenso wie Principe unfreiwillig den Schutzwall für das Abenteuerlustige Fürstentum Argos spielten, deren Schiffe kaiserliche Systeme ansprangen, um sich auf den Transitpunkten auf die Lauer für Frachter und schwache militärische Einheiten zu legen. Die Zeche bezahlten dann die Grenzländer, außer ein Kapitän wie Arling kreuzte ihren Weg und gab ihnen von der eigenen Kost zu schmecken.
In Anbetracht des allgegenwärtigen Gelächters kam Arling zu dem Schluss, dass die Argonauten in diesem Teil der Diadochen nicht sehr beliebt sein konnten.
Der Tyrann schloss seine Rede mit weiteren Hinweisen auf eine fruchtbare Zusammenarbeit und einen wertvollen Frieden für alle ab, bevor er mit der Erkenntnis schloss, dass lange Reden lediglich den guten Schlaf förderten.
Wieder wurde gelacht, und Theseus der Dritte verließ das Rednerpult unter Applaus der Anwesenden.

„Mylord Arling“, sagte der Tyrann sanft und legte eine Hand auf seine Schulter. „Oder ist Ihnen die Bezeichnung Kommodore lieber?“
„Meinetwegen nennen Sie mich Han, wie es alle meine Freunde tun.“
Der Tyrann lachte auf, und es klang weniger belustigt als befreit. „Dann müssen Sie mich aber Teddy nennen. So sprechen mich meine besten Freunde an, sowie alle Menschen die mir darüber hinaus nahe sind“, sagte er mit einem nachdenklichen Blick auf Cochraine, unter dem die Offizierin ein wenig errötete.
„Gerne. Teddy.“
„Han“, meinte der Tyrann und besiegelte damit den Austausch der Vornamen. „Haben Sie einen Augenblick für mich? Es gibt eines meiner Büros in der Nähe, und ich würde gerne mit Ihnen über etwas Wichtiges reden.“ Sein Blick ging weiter zu Griffin. Er fixierte den Mann, schüttelte dann aber den Kopf. „Nur Sie, Han.“
Der Graf erhob sich. „Natürlich, Teddy.“
Seine Offiziere sahen ihn besorgt an, aber unmerklich schüttelte Arling den Kopf. Hier, in der Nisos Elektron, unter der moralischen Ägide der Nymphen, konnte ihnen kein körperliches Leid geschehen. Auch konnten sie nicht inhaftiert werden wie in der Kommune Principe, ohne das die gesamte Regierung diskreditiert wurde.
Wohl bemerkte Arling, dass auch die Gryanen besorgt zu ihrem Anführer herüber sahen, doch der wiegelte mit einer knappen Handbewegung ab.
Cochraine erhob sich und folgte den beiden Männern ungefragt. Da der Tyrann nicht darauf reagierte, ging Arling davon aus, dass sie geduldet war.

In seinem Büro angekommen, ging Cochraine sofort an eine große Schrankwand, öffnete eine Tür und enthüllte eine Bar. „Schnaps oder Fruchtsaft, Teddy?“
„Fruchtsaft. Wir werden in den nächsten Minuten einen klaren Kopf benötigen.“ Der Tyrann wies auf eine bequeme Sitzlandschaft und nahm selbst darauf Platz. Arling setzte sich ihm gegenüber.
Derweil servierte Cochraine zwei Gläser mit einem orangen Saft, der stark süßlich roch.
„Mal abgesehen von der ganzen Bauchpinselei, den Nymphen, die mir im Nacken sitzen und all dem Ärger, den der Krieg Ihnen und Ihrem Volk beschert, Han, was denken Sie, was Sie hier eigentlich tun?“, blaffte Theseus der Dritte auf. „Denken Sie wirklich, Sie brauchen sich nur von der Internationalen Presse begleiten zu lassen, um immun gegen Waffenfeuer zu sein? Besteht Ihre Admiralität nur aus Idioten? Ist der Kaiser ein Idiot? Wissen Sie eigentlich, wie oft Sie – ja, Sie persönlich – schon hätten sterben können, seit Sie in den Diadochen sind?Wissen Sie eigentlich wie oft Sie schon hätten sterben müssen?“ Kopfschüttelnd sah der Herr der Bernsteininsel den Grafen an. „Sind kaiserliche Offiziere Selbstmörder? Alleine was die Gryanen angeht...“
„Teddy!“, rief Juliet Cochraine aufgeregt.
Arling winkte ab. „Beleidigen Sie ruhig mich, beleidigen Sie meinen Kaiser. Aber bitte niemanden, der in diesem Raum keinen Fürsprecher hat, der Sie widerlegen kann, Teddy. Das Sie kein Gryane sind, Juliet, habe ich sehr früh bemerkt.“
Die junge Frau sah betreten zur Seite.
„Die Gryanen haben Seite an Seite mit meinen Leuten gekämpft, und ich habe Coryn Griffin als hervorragenden, äußerst begabten und bei seinen Leuten beliebten Offizier kennen gelernt. Er hat meinen Respekt, und bis zu einem gewissen Punkt auch mein Vertrauen.
Was die anderen Dinge angeht, die Sie angesprochen haben, Teddy: So wie Sie es ausgedrückt haben, muss mein Auftrag wie die Tat eines Verrückten oder Verzweifelten wirken. Ich will ganz ehrlich zu Ihnen sein, ebenso ehrlich wie es eine Nymphe sein würde. Wir sind verzweifelt. Das Kaiserreich Katalaun ist an seinen Grenzen angelangt. Unsere Kapazitäten sind erschöpft. Vor uns steht der Flow, also genau jene Zeit zwischen der Öffnung unserer Depotwelten und dem Zeitpunkt, an dem neue Schiffe und neue Besatzugnen in Dienst gestellt werden können. Dies wird voraussichtlich ein halbes Jahr andauern.“
„Ein halbes Jahr?“ Theseus sah den Grafen mit hoch gezogener Augenbraue an. „Das ist nicht gut. Immerhin sind immer noch kaiserliche Welten besetzt zu einer Zeit, in der die kaiserliche Marine gerade mal ein Patt halten kann. Ohne Zuzug weiterer Schiffe und Mannschaften bekommen die Angreifer, unter anderem durch die Hilfe der Diadochen, das Übergewicht und drücken die Verteidiger Welt für Welt einfach vor sich her.“
„Ich sagte ja, wir sind verzweifelt. Zutiefst verzweifelt. Nicht nur, dass zwei Millionen mündige Untertanen des Kaisers gegen ihren Willen entführt wurden, nicht nur dass diese nun in der Kriegsindustrie gegen uns arbeiten, wir stehen auch am Ende all dessen, was wir in vierhundert Jahren aufgebaut haben. Wir werden ebenso zerschlagen werden wie die Diadochen. Aber ich schätze, uns wird man nicht erlauben, Teilstaaten zu bilden. Man wird uns absorbieren und eventuell einen Kernbereich verschonen, der sich eventuell selbst verteidigen kann, damit man ein Alibi für die internationale Öffentlichkeit hat.“
Theseus sah den Grafen ernst an. „Ich... Verstehe. Ihr Plan ist nicht die Rettung der Zivilisten. Das dürfte eher ein Teil der Mission sein, nicht das Ziel. Sie wollen die Öffentlichkeit auf Ihre Seite bringen und dadurch die Angreiferparteien an den Verhandlungstisch zwingen. Jeder Monat, an dem ein Waffenstillstand gehalten wird, bringt Katalaun durch den Flow, wie Sie sich ausgedrückt haben, Han.“
Arling nickte ernst. „Wobei die Sicherheit der Untertanen seiner Majestät natürlich Priorität genießt.“
Theseus faltete die Hände vor dem Mund ineinander und sah den kaiserlichen Offizier ernst an. „Ich verstehe. Ich will nun auch so ehrlich wie eine Nymphe zu Ihnen sein, Han: Wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist, bleiben Sie um Zeus´ Willen fort von Vesuv und dem Europa-Pakt. Wenn Ihnen Ihr Kaiser und Ihr Reich lieb ist, dann bleiben Sie fort von Vesuv. Packen Sie Ihre Schiffe ein und fliegen Sie heim. Helfen Sie dort die Grenze zu verteidigen, fallen Sie ein wenig zurück und richten Sie sich ein Kernreich ein. Für die Erhaltung des Reiches spielt der Verlust von ein paar Dutzend Eroberungen doch keine Rolle. In irgendeiner Generation kann man sie sich doch wieder holen.“
Arling schüttelte den Kopf. „Erstens habe ich einen klar definierten Auftrag, Teddy. Und zweitens gehen Sie von einem falschen Gedanken aus, den ich Ihnen nicht einmal verübeln kann. Die meisten Welten unseres Reichs sind keine Eroberungen, wenngleich unter der Herrschaft Frederics Schreckensberichte über grausame Eroberungen, Besetzungen und Unterdrückungen vorherrschten. Über fünfundneunzig Prozent des Reichs besteht aus assoziierten Kernwelten und deren Kolonien. Bei der Expansion des Kaiserreichs hat es sich die meisten Welten, die es besiedelt hat, überhaupt erst selbst erschaffen. Wir sind kein Kolonialreich, kein Land von Eroberern. Wir sind Ingenieure, Arbeiter, Soldaten, Landwirte. Wir erschaffen uns die Welten, auf denen wir leben wollen, anstatt sie anderen weg zu nehmen. Der gesamte Sternenbereich in dem Katalaun existiert, hatte vor der Ausrufung des ersten Kaisers siebenundzwanzig bewohnte Systeme, von denen drei von nichtmenschlichen Völkern bewohnt wurden. Heute sind es über einhundert, und viele sind erst durch Terraforming entstanden. Wir haben für diese Welten nicht nur Blut vergossen, sondern Schweiß und Tränen. Wir haben sie geschaffen, und jede Welt, die wir verlieren ist nicht nur der Verlust dieser Generation, sondern der Verlust all derer, die ihr Leben dem Aufbau dieser Welten gewidmet haben. Wir enttäuschen mit jeder Welt die wir verlieren unsere Vorfahren, die Menschen der Gegenwart und jene, die uns nachfolgen werden. Es kann kein Kernreich geben, ohne Katalaun ein für allemal zu zerschlagen. Wir werden zerrissener sein als die Diadochen. Und wir werden bestimmt keinen Städtebund haben, in dem wir grob mit einander arbeiten können, denn die neuen Herren stehen schon bereit, und sie werden eine Autonomie ihrer neuen Kolonien nicht dulden.“
Theseus musterte den Grafen aufmerksam. „Ich ändere meine Empfehlung. Gehen Sie nach Europa. Gehen Sie nach Vesuv. Handeln Sie. Aber seien Sie sich bewusst, Johann Arling, das die schwerste Zeit Ihres Lebens bevor steht. Und das ist keine Floskel.“
Der Tyrann erhob sich und wanderte unsicher durch den Raum. „Ich will Ihnen auch gerne sagen woher ich das weiß. Es ist allgemein bekannt, das die Nisos Elektron für sich in Anspruch nimmt, der Rechtsnachfolger der herkulanischen Dynastie zu sein und dass sie dank der Nymphen einen hohen moralischen Anspruch an sich selbst und die umgebenden Staaten stellt. Der einzige Grund, warum wir noch nicht überrannt wurden, warum wir quer schießen können und unsere Schiffe und unser Geld aus dem Städtebund zurückziehen konnten ist die Existenz der Nymphen. Früher einmal lebten sie überall im alten Reich. Nach der Zerschlagung der herkuleanischen Dynastie aber und aufgrund der harten Nachfolgekämpfe zogen sie sich nach und nach in die Bernsteininsel zurück. Den einzigen Hort des Friedens in dieser umkämpften Welt. Die Nymphen genießen immer noch höchstes Ansehen im alten Reich, und sie sind damit der Garant für unsere Sicherheit. Allerdings liegen wir nicht auf der faulen Haut rum und leisten auch unseren Teil, um die Existenz unserer Schutzbefohlenen zu sichern. Dieser, Hm, besondere Status, macht uns oftmals zum Mittler abseits des Städtebundes. Viele der Dinge, die nicht in der Öffentlichkeit vorgetragen werden können, werden über uns vermittelt. Deshalb habe ich in jedem Nachfolgestaat meine Leute sitzen, um diese Kontaktaufnahmen zu erleichtern.
Meine Agenten im Stabiae-System, dessen Hauptwelt die Industriewelt Vesuv ist, wurden neulich kontaktiert. Und zwar als Sie, Han, Ihre bewegende Rede auf Springe gehalten haben, bei der Sie den Europa-Pakt defacto der Sklaverei anklagten. Die Bitte, mit der die Offiziellen an meine Agenten heran getreten sind, war äußerst merkwürdig. Ich will sie Ihnen nicht vorenthalten. Man hat die Bitte ausgesprochen, Sie und Ihre Flotte passieren zu lassen. Außerdem wurde Ihnen freies Geleit zugesagt.“
Arling runzelte die Stirn. „Das riecht so sehr nach Falle, dass man es filetieren, in Tüten packen und verkaufen könnte“, murmelte er. „Wurden die Gefangenen auf eine andere Welt verlegt?“
„Definitiv nicht. Ein entsprechender Suchauftrag meinerseits hat sie eindeutig auf Vesuv lokalisiert“, sagte der Tyrann nachdenklich. „Sie wissen nun drei Dinge, Han. Erstens: Der Europa-Pakt lässt Sie in eine riesige Falle fliegen. Zweitens, die Falle ist so gut, dass nicht einmal das internationale Pressekorps etwas daran ändern kann. Im Gegenteil. Man wird es gegen Sie wenden, dessen bin ich mir sicher.“
„Und drittens?“
„Drittens: Sie können gar nicht anders als hin zu fliegen, Han. Ihre Leute sind dort, und wenn Ihr Gerede mehr ist als heiße Luft, dann brennt Ihnen schon die Zeit unter den Nägeln, die Sie hier auf Leonidas verbringen müssen, anstatt weiter in den Pakt zu springen.“
„Das war treffend analysiert, Teddy“, sagte Arling ernst. „Sie haben auch meine Antwort schon vorweg genommen.“
Der Tyrann schmunzelte leicht. „Ich kann Sie also nicht überreden, vernünftiger zu sein?“
„Ich bin vernünftig. Dies ist die einzige Möglichkeit, das Kaiserreich zu erhalten und die Bürger zu beschützen. Arling lächelte matt. „Und das gilt nur für den Fall, dass ich nicht versage.“
Theseus blieb stehen, fixierte Arling unwillig und nahm dann seine Wanderung wieder auf. „Bullshit. Han, Sie sind ein Wahnsinniger. Ich werde Ihnen alle Daten und Fakten zur Verfügung stellen, die ich gesammelt habe und sammeln kann, bevor Sie ins Verderben fliegen. Vielleicht komme ich dem Komplott ja auf die Spur. Mehr kann ich nicht für Sie tun.“
„Und das weiß ich zu schätzen, Teddy. Sie tun bereits weit mehr als Sie müssen. Ich kann Ihnen nicht einmal einen Gegenwert dafür anbieten.“
„Was denn, was denn, haben Sie es etwa noch nicht bemerkt? Sie sind der Gegenwert, Han. Dadurch, das ich Ihnen helfe, ist meine Popularität innerhalb der Nisos Elektron und in den umliegenden Staaten enorm gestiegen. Dieses zusätzliche Prestige werde ich in Zukunft nützen können. Und egal was mit dem Kaiserreich geschieht, Ihre Integrität steht außer Frage. Ihr Ruhm wird mein Ruhm, und das wird mir eine weitere Amtszeit einbringen.“ Der Tyrann ballte die Hände zu Fäusten. „Und die brauche ich wirklich dringend.“
„Aber wenn ich falle, fällt auch mein Ruhm“, gab Arling zu bedenken. „Bildlich gesprochen.“
Theseus lächelte verlegen. „Nein, das glaube ich nicht. Sie, Johann Arling, sind ein Heiliger. Niemand wird Sie je tadeln. Eher wird man Sie für missbraucht und verführt halten. Aber ich hoffe sehr, das es nicht so weit kommt.“
Nachdenklich nahm Theseus wieder Platz. „Trinken Sie Ihren Saft, Han. Ich importiere ihn von Terra. Der einzige Luxus, den ich mir gönne.“
Zögernd nahm Arling einen Schluck. „Orangensaft? Und dann von der Erde? Das ist wirklich Luxus. Ich baue auf meinem Land Orangenbäume an, aber ihr Saft schmeckt nie wirklich so wie dieser.“
„Das macht diesen hier auch so besonders.“ Der Tyrann beugte sich ein wenig vor. „Han, ich werde mein Bestes geben, um Sie abzusichern. Aber ich kann Ihnen nur militärische oder diplomatische Hilfe anbieten. Ich kann nicht das Universum retten. Und Sie können es auch nicht.“
„Es reicht mir schon, wenn ich Katalaun retten kann“, erwiderte der Graf und nahm einen weiteren Schluck.
***
An einem anderen Ort, mitten im leeren All zwischen den Sternensystemen, grob definiert durch die Existenz eines menschlichen Staatengebildes, das sich selbst als Republik Yura-Maynhaus definierte, erwachten auf einem ausgehöhlten Materiebrocken, hinter versiegelten Schotts Funkanlagen zum Leben. Extrem sensible Daten kamen herein, wurden abgeglichen, gegengecheckt und danach erst verarbeitet. Nach und nach aktivierten sich drei Hologrammprojektoren. Drei Gestalten entstanden. Doch im Gegensatz zu neulich, als wichtige militärische Führer und Politiker hier eine denkwürdige Konferenz abgehalten hatten, waren die Identitäten der drei Personen nicht zu erkennen.
Doch eines war deutlich: Zwei von ihnen hatten Macht. Der dritte hatte richtige Macht.
„Der Plan nimmt Formen an“, sprach die eine Gestalt mit wispernder Stimme, gerade so als könnte ein zu lautes Wort den Asteroiden und seine Position an alle existierenden Feinde verraten. „Wir sind auf einem guten Weg. Wenn Arling eintrifft, wird die Falle bereit sein.“
„Wird es Ärger mit dem Pressekorps geben?“, verlangte der Dritte zu wissen.
„Sie werden ehrlich bis zum bitteren Ende berichten. Es wird so aussehen als hätten wir nicht einen Funken Schuld. Wir legitimieren alles, den Krieg, die Industrie, ja, unsere Politik, und Arling gibt uns mit seiner Presse die Möglichkeit dazu“, sagte der Zweite. „Es ist schön, wenn die Verurteilten ihre eigenen Stricke mitbringen.“
Der Erste meldete sich wieder zu Wort. „Die anderen Maßnahmen sind...“
„Es läuft alles so wie es vorbereitet werden sollte. Wir warten nur noch auf Arlings Vernichtung, danach bereiten wir Katalaun ein für allemal ein Ende.“
Die drei vermummten Gestalten nickten einander zufrieden zu, danach schalteten sie einer nach dem anderen ab. Die Holoprojektoren beendeten ihre Arbeit, die Funkgeräte stellten die Funktion ein. Der Asteroid begab sich wieder in die Ruhephase. Doch eines war sicher: In diesen unruhigen Zeiten sicher nicht für lange.

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***
Wenn sie ehrlich war, dann machte die Situation Eleonor Rend reichlich nervös. Han alleine mit dem Tyrannen mitgehen zu lassen hielt sie für ein unverantwortbares Risiko. Selbst oder gerade weil dies die Welt der Nymphen war. Wie leicht konnte man diesen naiven Wesen wohl einen Mord als einen Unfall verkaufen? Nein, ihr gefiel die Sache gar nicht. Ganz und gar nicht. Wobei sie zugeben musste dass sie eventuell nur einfach nicht gerne von Han getrennt war und die Sache daher zu emotional sah.
Frustriert nahm sie einen tiefen Schluck von ihrem Getränk. Ja, so weit hatte die Situation sie schon getrieben, dass sie den lieblichen Wein die Kehle hinab schüttete, anstatt ihn zu genießen. Andererseits war dies die Welt der Nymphen, und wie ihr Studium der Geschichte ihr vermittelt hatte, war es gerade der moralische Einfluss der Nymphen, der dieses kleine Reich unangreifbar machte. Wer sich die Nymphen zum Feind machte, war politisch erledigt. Deshalb versuchten auch die einen oder anderen Reiche, die Nymphen nach Möglichkeit gar nicht erst ins Land zu lassen, um weiter tun und lassen zu können, was immer sie wollten.
Dennoch, sie fühlte sich sehr unwohl. Zum Beispiel diese Nyhartes Daiana Nissos, die Nymphe, die sie fortan begleiten wollte. Sollte sie nicht sphärisch sein? Absolut Körperlos? Vollkommen ohne Substanz? Warum besaß sie dann die Frechheit plötzlich wie ein normaler Mensch herum zu laufen und, um dem Fass die Krone aufzusetzen, auch noch ihren Han zu küssen? Zwar war ein Kuss heutzutage keine große Sache mehr. In den Zeiten, in denen ihr Vater in der Flotte gedient hatte, hätte sie die Nymphe wahrscheinlich zum Duell fordern müssen, aber Kuss war Kuss, egal ob es sich dabei um ein Ritual handelte oder nicht. Und Han gehörte ihr, und damit auch seine Küsse und... Himmel, war sie etwa eifersüchtig?
Lüding reichte ihr ein neues Glas und gesellte sich zu ihr, nachdem er das alte, geleerte Glas auf einem Tablett entsorgt hatte. Andreas war sozusagen best of the Rest, der letzte Offizier der ehrwürdigen RHEINLAND, der wirklich für die Schiffsführung exzellent geeignet war, nachdem Rössing und sie selbst eigene Schiffe bekommen und Schlüter das Schiff übernommen hatte. Zwar gab es in den einzelnen Sektionen ranghöhere Offiziere, aber niemand würde vom Stabsarzt, vom Personalchef oder vom Magazinmeister verlangen, das Schiff zu übernehmen.
„Danke“, murmelte sie frustriert.
„Es ist Fruchtsaft“, informierte Lüding sie.
Mürrisch sah sie ihn an. Es war noch nicht allzu lange her, da war dieser Mann ein gleichrangiger Offizierskollege mit gleichem Dienstplan auf der RHEINLAND gewesen. Nun hatte sie ein eigenes Schiff, und er nicht. Sie fragte sich nicht zum ersten Mal, ob Arling, wenn er nicht rasend vor Eifersucht gewesen wäre – was ihr im Nachhinein ein sehr wohliges Kribbeln im Bauch bescherte – wohl ihm die Prise anvertraut hätte, und nicht ihr. Aber das waren Zweifel, die der Vergangenheit angehörten. Sie hatte ihr Schiff und sie hatte ihren Auftrag vom Kaiser persönlich erhalten.
Das änderte nichts daran, dass dieser Mann sie ein wenig besser kannte als die anderen Offiziere und Unteroffiziere der RHEINLAND. Was er gerade bewiesen hatte. „Ich mache schon keine Szene“, murmelte sie betreten und trank einen Schluck.
„Ich weiß“, erwiderte Lüding schmunzelnd. „Aber ich möchte auch nicht, dass du nicht durch hältst und früh gehst. Das sage ich dir als gleichrangiger Kamerad.“
„Ach, richtig. Deine legendäre Beförderung dafür, dass du einen Sprung sauber ausgeführt hast.“
„Hm. Die einen kriegen ein Schiff und eine Beförderung, weil jemand in sie verliebt sind, die anderen für sicheres navigieren“, konterte Andreas Lüding.
„Treffer und versenkt“, erwiderte Eleonor Rend. „Ich habe ja auch nicht behauptet, dass du die Beförderung nicht verdient hast. Im Gegenteil. Es wundert mich nur, warum es mitten in der Mission geschah.“
Lüding lachte in sein Glas. „Sicherheitsgründe, Sicherheitsgründe, Ellie. Die liebliche Lenie meinte, wenn ich ihr Eins O bleiben soll, dann sollte ich auch ein wenig im Rang aufsteigen. Nicht das der Bordarzt mal das Kommando übernehmen will.“
„Das würde zu ihm passen“, murmelte Ellie und warf dem Stabsarzt der RHEINLAND, Roger Wilcox, einen schrägen Blick zu. Der Mediziner wandte sich um und prostete den beiden zu, gerade so als hätte er hinten Augen.
Die beiden erwiderten den Prost. „Sehr gute Idee von Lenie, definitiv sehr gute Idee“, murmelte die Kapitänleutnant.
„Und ansonsten, Ellie? Wie fühlt es sich so an, ein eigenes Schiff?“, fuhr der Erste Offizier der RHEINLAND im Plauderton fort.
„Du kommst schon noch schnell genug selbst dazu, ein eigenes Schiff zu kommandieren, warte die Zeit ab“, versetzte sie ihm mit einem dünnen Lächeln. „Die Offiziere in Arlings Flotte fallen immer nur in eine Richtung, und das sehr schnell – nämlich die Leiter rauf. Bevor du dich versiehst, kommandierst du die RHEINLAND.“
„Ich bin wohl etwas zu spät mit dem Fruchtsaft gekommen“, erwiderte Lüding mit säuerlicher Miene. „Du redest schon im Delirium.“
Eleonor knuffte den anderen ärgerlich gegen den Oberarm. „Du wirst es schon noch sehen, Eins O. Ich habe das im Gefühl.“
„Eher zieht der Graf Rössing wieder von der STONEWALL ab, als dass er mir das wichtigste Schiff des Geschwaders überlässt“, murmelte der Offizier in deprimiertem Tonfall.
„Dann kriegst du die STONEWALL“, bemerkte Ellie mit einem Schmunzeln.
„Du bist Dienstälter. Eher solltest du auf die STONEWALL wechseln.“
„Und meine wunderschöne REDWOOD aufgeben? Die republikanischen Schiffe haben einen großen Vorteil gegenüber den kaiserlichen. Die Kabinen sind wirklich, wirklich groß. Das ist Luxus pur, sage ich dir. Auch wenn es mich jucken würde, eine Fregatte gegen einen Zerstörer auszutauschen... Nein, ich denke nicht.“
Mit säuerlicher Miene musterte er seine Gesprächspartnerin. „Da gibt es noch ein paar Junioroffiziere, die ebenfalls für ein Kommando in Frage kämen. Dein Conrad Strater zum Beispiel. Ein sehr ergeiziger, aber fähiger Mann.“
„Wieso verwendest du ein aber? Schließt Ehrgeiz Fähigkeit aus?“
„Nicht in jedem Fall. Aber manchmal machen zu große Ambitionen aus einen guten Offizier einen schlechten Offizier, wenn du verstehst was ich meine.“
„Unter diesen Umständen kann sich Conrad ja über dein aber freuen, hm?“
„So war es gedacht“, erwiderte Lüding und nahm einen Schluck aus seinem Glas.
Er deutete in die Runde. „Hm. Findest du nicht, dass sich Lucky Charly ein wenig zu gut mit Commander Attainborough versteht? Okay, beide kommandieren Kampfroboter-Einheiten, aber die zwei benehmen sich wie dicke Kumpel. Obwohl...“
„Obwohl sie eine Gryane und er ein kaiserlicher Offizier ist?“, half Ellie aus.
„Obwohl Oberst Monterney ein Mädchen Zuhause hat, das auf ihn wartet.“
„Oh“, machte Ellie und verbarg ihr Lächeln hinter einem Schluck aus dem Glas, „ich bin sicher, das ist rein dienstlich. Ich für meinen Teil freue mich einfach darüber, das sich Gryanen und Kaiserliche so gut verstehen. Und solange sie sich nicht zu zweit verdrücken, sehe ich nicht, dass Elise die Felle davon schwimmen.“
„Ich bin da anderer Meinung“, erwiderte Lüding schroff. „Ihre Hoheit hat ihre Zuneigung zu Oberst Monterney offen gezeigt. Er sollte jede weibliche Gesellschaft, ja eigentlich schon seine Präsenz in der Nähe von jeder irgendwie weiblich zu nennenden Existenzform tunlichst vermeiden, um ihre Hoheit nicht zu brüskieren.“
„Nanu?“ Ellie musterte den anderen amüsiert. „Seit wann wurdest du zum Paladin der Prinzessin ernannt? Oder interessiert dich Daisy etwa selbst, und du...“
„Ich interessiere mich NICHT für sie“, erwiderte Lüding schroff.
„Andreas, Andreas, die Erwiderung war nun etwas zu schnell und etwas zu heftig. Verliert der Kaiser vielleicht bald einen guten Offizier, oder kann er einen weiteren in den Reihen seiner Gefolgsleute begrüßen?“
„Lass das, Ellie“, mahnte Lüding. „Es geht nicht um mich und Daisy, es geht um Lucky Charly und die beste Partie im ganzen Kaiserreich. Außerdem kenne ich sie überhaupt nicht, wenn man mal von zwei, drei Gelegenheiten bei Besprechungen absieht, die sie... Warum grinst du so, Ellie?“
„Ach, nichts, nichts. Kein besonderer Grund. Aber ich glaube wirklich, du solltest nicht soviel darauf geben, wenn sich ein Knight-Pilot und ein Rüster-Pilot miteinander unterhalten und sich gut verstehen. Im Gegenteil. Du solltest deinen Teil dazu beitragen, um das Verständnis füreinander zu vertiefen.“ Mit unnachgiebiger Kraft ergriff sie seinen Arm und zog den Ersten Offizier der RHEINLAND hinter sich her. „Charles.“
Der Angesprochene wandte sich um und lächelte die Neuankömmlinge an. „Ellie, Andi. Habe ich schon meine neue beste Freundin vorgestellt? Daisy Attainborough.“
„Du bist ein Spötter, Charles“, erwiderte die Gryanen-Offizierin. Okay, für Ellie war sie nicht hübsch. Zu klein, zu blond und für ihre Größe an anderen Körperpartien zu üppig proportioniert. Aber sie gestand sich ein, dass es Männer gab, die diesen Typ Frau mochten. Und immerhin empfand sie sich selbst nicht als hübsch, nicht mit der riesigen Nase, den Wischmop-Haaren und den bisschen Rundungen, die sie nur knapp vor der Silhouette eines Mannes rettete, also mochte es Männer geben, die bei Daisys zu vollen Lippen und den zu kräftigen Augenbrauen ein Auge zudrückten.
„Kapitän Rend von der REDWOOD, angenehm“, stellte sie sich vor und drückte der Rüster-Koordinatorin der Gryanen die Rechte.
Als Rend keine Anstalten machte ihn vorzustellen, verneigte sich Lüding leicht bevor er die Hand der Commander ergriff. „Andreas Lüding. Erster Offizier der RHEINLAND. Angenehm, Ma´am.“
„Miss“, sagte sie als Antwort, biss sich für dieses eine Wort aber auf die Unterlippe. „Entschuldigen Sie, aber die Zeit in der Republik färbt wohl immer noch ein wenig auf meinen Sprachstil ab. Daisy Attainborough, Chef der Rüster des Gryanen-Verbands. Es war mir bisher eine Freude, mit ihnen Seite an Seite zu kämpfen, Kapitän Rend, Kapitänleutnant Lüding.“
„Ma´am, ich...“ „Miss!“
„Commander.“ Lüding lächelte die Offizierin an. „Verzeihen Sie mir, wenn der Eindruck entstanden sein könnte, ich würde mich darüber ärgern. Im Gegenteil. Ich bin lediglich überrascht, dass Sie meine Existenz bemerkt haben.“
„Ihre... Existenz... Kapitänleutnant, Sie sind Erster Offizier von Arlings Flaggschiff! Natürlich kenne ich Sie! Entschuldigen Sie, das klang jetzt vielleicht etwas zu vehement, um wirklich ehrlich gemeint zu sein.“
„Entschuldigen Sie sich bitte nicht, Commander. Nicht für so eine Lappalie unter Offizierskollegen. Gryanen hin, Kaiserliche her, wir haben beide unsere Aufgaben, müssen beide einen Haufen Kleinkinder hüten und nebenbei auch noch militärische Erfolge aufweisen.“
Attainborough lachte auf. „Treffer und versenkt, Andreas. Sie haben es auf den Punkt gebracht. Ich darf Sie doch Andreas nennen?“
„Andi“, erwiderte Lüding. „Freunde nennen mich Andi.“
„Andi also. Nennen Sie mich Daisy. Das Wort bedeutet Gänseblümchen, wussten Sie das?“
„Gänseblümchen? Wäre Rose nicht ein besserer Name gewesen?“
Attainborough errötete. „Wie meinen Sie das, Andi?“
„So wie ich es sage. Rosen sind schön und haben ihre wehrhaften Dornen. Genau wie Sie Ihre Rüster haben, Ma´am... Ich meine Miss.“
„Wie dem auch sei“, mischte sich Ellie in das Gespräch. „Ich muss Ihnen Oberst Monterney für einen Moment entführen. Zugleich suche ich einen Babysitter für Kapitänleutnant Lüding. Kann ich Sie mit dieser heiklen Aufgabe betrauen, Daisy?“
„Natürlich, Ellie. Ich werde gut auf ihn acht geben.“
Der Erste Offizier räusperte sich vernehmlich.
„Dann entschuldigt uns für einen Moment.“

Gemeinsam traten sie zur Seite.
„Junge, Junge, wer hätte das gedacht?“, murmelte Charly amüsiert. „Da scheinen sich zwei sehr gut zu verstehen, was?“
„Dafür verstehen zwei andere sich nicht mehr so gut“, brummte Ellie ärgerlich. „Neue beste Freundin... Ich dachte immer, ich bin und bleibe deine beste Freundin.“
„Das war doch nur eine Worthülse. Ellie, du bist doch jetzt nicht etwa sauer auf mich? Komm schon, du bist und bleibst meine erste, beste und schönste Freundin.“
„Ich mach doch nur Spaß. Aber schön, dass du so denkst“, neckte sie Charles.
„Ellie, du bist unmöglich“, murmelte der Knight-Pilot. „Und, wo bringst du mich hin? Oder war das nur ein Ablenkungsmanöver für Andi?“
„Ich bringe dich zum Buffet. Und ja, es war eine kleine Amtshilfe meinerseits. Aber keine Sorge, du hast was wichtiges zu tun. Solange wir darauf warten, dass Han wiederkommt, hast du seine Verlobte mit deinem Leben zu verteidigen. Vor allem vor Carrie und ihren Kameras.“
„Nanu? Hängt der Haussegen schief? Hat sie dich in der letzten exklusiven Eleonor Rend-Sendung etwa schlecht aussehen lassen?“
„Witzbold. Als wenn ich die gucken würde.“ Sie schob Charles vor einen großen Tisch. „Ich weiß, dass du noch nichts gegessen hast. Und da Elise böse mit mir wird, wenn ich dich vom Fleisch fallen lasse, lang ordentlich zu.“
„Ach, darum geht es.“
„Richtig. Schützenhilfe nicht nur für Andi, sondern auch für Elisabeth.“
Nachdenklich nahm sich Charles einen kleinen Teller und begann ihn mit kleinen Happen und etwas Obst zu bestücken. Wenn er ehrlich war, hatte er wirklich Hunger. Und die Küche auf Leonidas sollte richtig gut sein, immerhin galt sie als legitimer Nachfolger der herkuleanischen Kochkunst. „Es trifft sich vielleicht ganz gut, dass wir zwei uns mal ein wenig unterhalten können. Mir liegt da nämlich etwas quer im Hals, und ich muss es dringend los werden.“ Er reichte den Teller an Ellie weiter und bestückte einen zweiten. Diesmal überwog Fleisch bei weitem. „Hast du dich schon mit Richard Campbell unterhalten?“
„Campbell? Du meinst den Junioroffizier, der die LYDIA übernommen hat, die argonautische Prise? Er scheint ein feiner Junge zu sein. Aber ich denke, das Schiff ist nur bedingt Kampfbereit. Immerhin konnten von Baadens Werften den Kahn nicht auf den gleichen Standard bringen, der unseren Schiffen auf Springe verpasst wurde.“
„Es macht dir keine Sorgen, dass uns Griffin jetzt an Feuerkraft überlegen ist?“
„Sorgen? Wegen Griffin? Der einzige der sich hier gerade Sorgen macht ist Griffin selbst, und zwar weil seine Diadochenfachfrau so lange weg bleibt“, erwiderte Ellie und deutete auf den sichtlich nervösen Commodore, der immer wieder in Richtung der Tür sah, durch die der Tyrann, Arling und Cochraine verschwunden waren. Nicht einmal Captain Stiles, die Kapitänin seines Flaggschiffs HOUSTON, konnte ihn von seiner Nervosität ablenken.
„Du glaubst doch nicht diese hanebüchene Geschichte mit der Flucht und der Gryanen-Flotte, oder?“
„Oh, es geht hier weniger um Glauben oder Worte. Es geht um Taten. Und der gute Griffin hat uns mit seiner Flotte zweimal unterstützt. Egal wie hanebüchen ihre Geschichte ist, egal was oder wer sie sein mögen, solange sie als die Gryanen handeln als die sie auftreten, habe ich keine Sorgen.“
„Du hast dir also auch darum Gedanken gemacht?“, hakte Monterney nach.
„Ich bitte dich, wer hat das nicht? Du bist nicht der Einzige, der an die Möglichkeit gedacht hat, dass wir es bei Griffin und seinen Schiffen mit einer sehr ungewöhnlichen Falle der republikanischen Admiralität zu tun haben. Und ehrlich gesagt spricht auch einiges dafür. Ich bin sicher, wenn wir ein wenig mehr Zeit hätten und unsere Agenten drüben in Yura-Maynhaus akkurat arbeiten, könnten wir schnell ermitteln, ob diese Gryanen echt sind, Offiziere der Republik oder gar Söldner. Aber es gibt einen Punkt, der das alles egalisiert, mein lieber Lucky Charly.“
„Und der wäre?“, brummte der Knight-Pilot mit vollem Mund.
„Er.“
„Er?“
Ellie deutete auf Griffin. „Er. Dieser Mann ist der Punkt, der alles egalisiert. Ich glaube, er... Nein, ich weiß, er wird uns nicht verraten.“
„Und wenn er ein republikanischer Commodore ist und den Befehl bekommt uns zu verraten?“, fragte Charles bitter.
„Nanu? Du denkst so über Griffin und freundest dich dann mit einer Frau an, die vielleicht dein Gegner war und wieder werden könnte?“, spottete Ellie.
„Das sind zwei vollkommen verschiedene Paar Schuhe, finde ich. Sie hat mich davor bewahrt, als Staubpartikelwolke über ein Sonnensystem verteilt zu werden“, erwiderte Charles trotzig und schob sich einen großen Bissen Fleisch in den Mund.
„Sie könnte auch den Befehl bekommen, dich zu verraten“, mahnte Ellie.
„Und warum tun wir so, als gäbe es diesen Verdacht nicht? Als wäre alles in bester Ordnung?“
„Zwei Gründe. Erstens brauchen wir die Feuerkraft seiner Flotte. Nur deshalb sind wir überhaupt so weit gekommen, Charles.“
„Und der zweite Grund?“
„Han vertraut ihm. Und das sollte uns allen reichen, um uns bei Spekulationen und Anschuldigungen zurück zu halten.“ Sie lächelte den Knight-Piloten offen an. „Findest du nicht?“
„Ich vertraue Hannes“, sagte Monterney fest, „aber sicher nicht Griffin.“
„Aber du vertraust Attainborough, oder?“
„Ihr zwei seid verrückt“, erklang eine bekannte Stimme hinter ihnen. Sie wandten sich um und sahen sich mit Carrie Rodriguez und ihrem Kameramann Spence konfrontiert. Auf ihren Kleidungsstücken prangte nirgends ein L, also war sie nicht live auf dem Stream. Tadelnd sah sie die beiden an, während Spence zwei seiner fliegenden Kameras zurückzog. „Ihr könnt doch nicht in dieser Phase des Geschehens solche Reden schwingen. Hätte ein anderer Reporter als ich das aufgenommen, dann wäre es schon live auf einem Sender in der Galaxis verbreitet worden, und die fragile Vertrauensbasis mit den Gryanen wäre dahin. Ebenso wie wahrscheinlich die ganze Mission. Und all das nur, weil ihr zwei auf einer Party, auf der ein internationales Pressekorps herum läuft, offen vor euch hin plaudert.“
„Oh, ich bin überrascht. Bedeuten deine Worte etwa, dass du unser Gespräch nicht aufgenommen hast?“, fragte Ellie.
„Doch, aufgenommen haben wir es“, sagte Spence. „Aber...“
„Aber wir haben es nicht live gesendet.“ Carrie Rodriguez lächelte dünn. „Wir archivieren es. Irgendwann wird es als zeitgenössisches Dokument ein Vermögen wert sein.“
„Und dann bringst du es?“
„Eventuell“, wich die Reporterin aus.


12.
18.06.2613
Kaiserreich Katalaun
Montillon-System, vierter Planet Sanssoucci
Planetare Hauptstadt Neu-Berlin

Wenn sich Gerrit Rend einer Sache sicher war, dann das es eine furchtbar dumme Idee gewesen war, Iesajah Cormick zur heutigen Präzeptorensitzung zu begleiten. Bereits als er eintrat. Zwar war die Gruppe um den Prediger Claymore Anasazi sein Ziel gewesen, aber kaum das er den Raum betreten hatte spürte er eine beträchtliche Anspannung im Raum. Anspannung, die sein Eintreten ausgelöst hatte.
„Ich habe ihn mitgebracht, Bruder Anasazi“, verkündete Iesajah fröhlich und führte den jungen Rend zu einem Platz zu Anasazis Rechter. Bei den Christen war dies ein herausragender Platz. Gerrit spürte, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten. Irgend etwas Gewaltiges war im Busch, und es drohte ihn zu überrennen. Mit gemischten Gefühlen und dem dringenden Bedürfnis zu fliehen nahm er Platz.
„Es freut mich, das du heute Zeit für uns gefunden hast, Bruder Rend“, sagte der Prediger freundlich. Wenn man ihn unvoreingenommen beobachtete, ohne zu wissen, mit welch markigen, einseitigen und an den Haaren herbei gezogenen Argumenten er arbeitete, hätte man ihn durchaus sympathisch finden können. Er war jung, gut aussehend und gehörte mit seiner braunschwarzen Haut außerdem der stärksten Minderheit im Kaiserreich an, den Afrikanern.
„Es ist nicht gerade so als hätte mir Bruder Cormick eine Wahl gelassen“, erwiderte Rend säuerlich.
„Von deinem Standpunkt mag das bedauerlich sein.“ Anzasi lächelte ihn mit strahlend weißen Zähnen an. „Doch du wirst schon merken welches Glück du hattest, als du Bruder Cormick nachgegeben hast.“
Ein Lächeln galt als die höflichste Art, jemanden die Zähne zu zeigen. Unwillkürlich zog Gerrit den Vergleich mit einem terranischen Raubtier, dem Hai. Dessen Gebiss war zu Recht gefürchtet und furchtbar effektiv.
„Ich bin gespannt, wofür ich eine Vorlesung in meinem Hauptfach habe ausfallen lassen müssen“, erwiderte er gereizt. Die Version von Gerrit Rend, die hier studierte, war eine zornige, auffahrende, Autoritäten nicht ernst nehmende Figur. Die musste er selbst im Angesicht der Gefahr spielen, in der er sich hier befand. Ansonsten hätte er gleich lauthals hinaus schreien können: Ich bin Geheimdienstoffizier! Tötet mich!
Anasazi lächelte ein wenig zweideutig. „Du wirst schon sehen, Bruder Rend. Bruder Cormick hat erwähnt, das deine Schwester in die kaiserliche Familie einheiratet.“
„Darf ich an dieser Stelle anmerken, das ich meine Schwester und meine Familie über alles liebe? Das bezieht sich auch auf die Familie ihres Verlobten.“
Anasazi wechselte einen amüsierten Blick mit den anderen Anwesenden. Ein leises Lachen ging durch den Raum.
„Du bist genau so wie Bruder Cormick es beschrieben hat. Sehr gut, Bruder Rend, sehr gut. Es geht uns nicht um deine Schwester und auch nicht um Graf Arling. Auch wenn sein Vater wieder einmal beweist, dass er ein Feind von Recht und Ordnung ist, wenn er Kaiser Frederecs Leichnam die ehrenvolle Beisetzung auf Sanssoussi verweigert.“
„Erstens war das sein letzter Wille und zweitens würde ich die Familie Beijing besser nicht in der Gegenwart eines B-Kingers kritisieren. Der alte Gandolf ist äußerst beliebt bei den Seinen.“
„Es GIBT keine Seinen!“, fuhr Anasazi für einen Moment auf. Dann aber sackte er sichtlich zusammen und griff sich kurz an die Schläfe. „Verzeih mir, Bruder Rend. Ich darf nicht so auffahren. Und ich darf dich nicht dafür tadeln, dass du, unwissend wie du bist, tatsächlich daran glaubst, was die einseitigen Medien über Gandolf Beijing berichten. Wenn ich dir sagen dürfte was ich weiß, würdest du anders denken. Verstehe mich nicht falsch, Graf Arling it kein schlechter Mann, wenngleich er auch nur eine Marionette des Kaisers und seines Vaters ist. Aber es gibt halt ein paar Dinge, die... Nun, die jeden Menschen, der sie in ehrlicher Empörung ausspricht, schnell in behördliche Obhut bringt. Aber auch der Herzog ist nicht Grund dieser Besprechung. Es gibt andere Dinge, die wir gerne wüssten. Sag, Bruder Rend, stimmt es, dass du Prinzessin Elisabeth regelmäßig besuchst?“
„Sie... Hat die Kinder meines Bruders während der Verlobungsfeier meiner Schwester kennen gelernt und kann gar nicht genug von ihnen kriegen. Ich besuche sie mit den beiden von Zeit zu Zeit. Jetzt, da sie ja quasi zur Familie gehört, sehe ich keinen Grund, der dagegen spricht.“
Anzasi sah sich triumphierend um. Aufgeregtes Raunen ging durch die Reihen der Anwesenden.
„Du hast also uneingeschränkten Zugang zu ihr, Bruder Rend?“, rief ein anderer Anwesender.
Ein weiterer fügte hinzu: „Kannst du mit einer Waffe umgehen?“
Gerrit reagierte instinktiv. Er sprang auf und stieß den Stuhl fort. Mit einem sicheren Blick schätzte er seine Chancen ab bis zur Tür zu kommen und bezifferte sie mit nahezu Null. Es sah nicht gut für ihn aus und wahrscheinlich würde er sterben müssen. Dann konnte er genauso gut seinen Ausweis zücken und den Anwesenden Kreuzbrüdern zeigen, wie dicht der Geheimdienst ihnen schon auf den Fersen war. Das würde seine Rache werden und sie verunsichern. Verunsicherte Verschwörer begingen Fehler. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche.
„Bruder Pax, du bekommst einen Verweis!“, donnerte Anzasi. „So zusammenhangslos wie du hier rein gerufen hast muss Bruder Rend doch denken, er soll die Prinzessin bedrohen oder sogar töten, anstatt sie zu beschützen!“
Verwirrt hielt Gerrit beim Griff nach seinem Ausweis inne. Das getarnte Dokument blieb für den Moment wo es war. „Beschützen?“, echote er.
„Beschützen. Wir haben Hinweise darauf, dass die bigotte Regierung Robert des Fünften kurz vor dem Kollaps steht. Zwar sind wir uns sicher, dass der Kaiser seinem eigen Fleisch und Blut nichts antun wird, aber das gilt sicher nicht für Subalterne, die versuchen werden, ihren Gott an seiner Position zu halten. Wenn er zu stürzen droht und Elisabeth getötet wird, könnte er es schaffen an der Macht zu bleiben. Aber genau das wollen wir nicht. Genau das darf nicht passieren. Denn nach Kaiser Frederecs Tod ist sie die einzige legitime Erbin auf den Thron. Und wir müssen zum Wohle aller mündigen Bürger Katalauns unseren Teil dazu beitragen, damit sie den Sturz ihres Onkels überlebt. Also, Bruder Rend, hast du jederzeit Zugang zu ihrer Hoheit und kannst du sie wenn es sein muss mit einer Waffe beschützen?“
Langsam richtete Gerrit seinen Stuhl wieder auf und setzte sich an den Tisch. „Ich habe an der Uni mal ein wenig Kleinkaliberschießen gemacht. Ich kann eine Waffe laden, entsichern und abfeuern. Und ich treffe auch leidlich gut. Aber ich denke nicht, dass ich eine Waffe einschmuggeln kann.“
„Das wird nicht nötig sein, Bruder Rend. Eine Waffe in den Palast zu bekommen ist nicht schwer. Aber jemanden in die Nähe ihrer Hoheit zu bekommen, der absolut loyal ist und sie mit seinem Leben verteidigt, das ist das Problem.“
„Ich werde nicht die Leben von meiner Nichte und meinem Neffen riskieren!“, fuhr Gerrit auf.
„Deshalb fragten wir, ob du unbegrenzten Zugang zu ihr hast. Wenn der Tag kommt, von dem ich spreche, werden wir dich informieren und dir ein Erkennungszeichen geben, mit dessen Hilfe du die Waffe findest. Du kannst an diesem Tag Max und Susu Zuhause lassen. Erzähl der Prinzessin einfach, die beiden wären krank und du wärst raus gekommen um es ihr persönlich zu sagen. Oder flirte mit ihr und... Eigentlich keine schlechte Idee. Ein Kreuzbruder, der ihr Leben mit dem seinen beschützt, der zudem auch noch über seine Schwester in die kaiserliche Linie eingeheiratet hat... Vielleicht werden wir dich eine sehr lange Zeit neben ihre Hoheit stellen, Bruder Rend. Oh, sollte ich nicht eigentlich Sergeant statt Bruder sagen?“
„Langsam, langsam. Das geht mir alles zu schnell. Für den Moment genügt es mir eines zu wissen: Ich soll Elise beschützen, wenn im Palast alles drunter und drüber geht?“
„Du hast die Essenz erfasst, Bruder... Sergeant Rend“, sagte Anasazi mit einem dünnen Lächeln. Gerrit kam es wölfisch vor.
„Junge, bei euch steigt man aber schnell auf“, murmelte er spöttisch.
„Mit Hilfe unseres Ordens kannst du noch viel weiter hinauf, Gerrit Rend. Höher als du je zu träumen wagtest“, raunte ihm Iesajah ins Ohr.
Gerrit hatte Angst, dass er die Wahrheit sagte.

13.
21.06.2613
Residenz des Herzogs von Beijing
Cipangu-System
Hauptwelt B-King

Jeremy Stahl betrat das Büro seines Vorgesetzten, Anführers und besten Freundes durch das Hauptportal. Dabei hielt der erfahrene Mann im Range eines Miliz-Obersten einen reich verzierten Säbel in der Rechten. Eine ähnliche, noch aufwändigere Waffe hing über seiner linken Schulter an einem Gurt.
„Ich habe mir erlaubt, die alten Dinger ab zu stauben. Ich bin sicher, wir werden sie bald brauchen.“ Jeremy deutete nach draußen auf einen Seitenhof, wo gut sichtbar ein Knight stand. „Außerdem habe ich eine Zwischenwartung für deinen Knight veranlasst, Zachary. Du hast ihn weiß Gott schon viel zu lange nicht benutzt.“
„Danke. Lege ihn bitte zu den anderen Dokumenten auf die Ablage“, murmelte der Herzog, während er über einen Stapel Dokumente brütete.
Als Jeremy irritiert zu ihm herüber sah, blickte Zachary auf und grinste. „Nur ein Witz.“
„Deine Witze werden und werden nicht besser. Überlasse so etwas lieber Hannes, der kann so was wenigstens.“
„Nanu, tadelst du mich etwa? Seit wann hat so ein kleiner Welpe wie du das Recht, einen alten Wolf wie mich in die Rute zu beißen?“
Der Chefdiener des herzöglichen Haushalts lächelte dünn. Es stimmte schon, seine Lordschaft war fast neunzig Jahre älter als er, aber mit mehr als hundert Jahren gehörte er nicht mehr zum ganz jungen Gemüse. Im Gegenteil. Außerdem stellte er einiges auf die Beine, um seine Fitness zu wahren. Zumindest seine Knight-Tauglichkeitsprüfung bestand er Jahr auf Jahr erneut.
Er legte die Klinge, die er über der Schulter getragen hatte, vor Zachary auf den Schreibtisch.
Der musterte die Waffe interessiert, bevor er sie beiseite schob. „Jetzt nicht, Jeremy.“
„Was ist wichtiger als die Waffe für deine Gala-Uniform?“
„Die Berichte über Hannes´ Besitztümer. Einer muss sich ja darum kümmern, solange er nicht da ist.“ Der Herzog atmete tief aus. „Oh mein Gott, ich hoffe wirklich, dass er mit Ellie zurückkommt. Ich könnte es nicht ertragen, noch einen Sohn zu verlieren.“
„Es wurde noch keine Waffe entwickelt, die ihn töten könnte“, beschwichtigte Jeremy seinen Dienstherren. „Und mit einer Kernwaffe hat man es oft genug probiert, wie du weißt.“
„Teufel, du hast Recht. Mit Kernwaffen beschossen zu werden ist das Täglich Brot des Marinesoldaten.“ Zachary musterte den Freund eine Zeit lang. „Genug gescherzt. Was willst du wirklich?“
Stahl deutete auf den Knight vor dem Büro. „Sie kommen. Deshalb lasse ich ihn in perfekten Zustand bringen.“
„Sie kommen also?“ Der Herzog seufzte und erhob sich. Dies tat er mit eine natürlichen Eleganz und Geschmeidigkeit, die man in diesem Alter nicht auf natürlichem Wege erhalten konnte. Man musste jeden einzelnen Tag dafür hart trainieren und nebenbei über beste medizinische Vorsorge verfügen. „Geplante Ankunftszeit?“
„In etwa acht Stunden erreichen sie B-King. Sie sind an Bord des Frachters MORGENRÖTE. Sie ist Teil der kaiserlichen Handelsflotte und sein persönliches Eigentum.“
„Nicht dumm, wirklich nicht dumm. Wer würde schon vermuten, ausgerechnet von einem solchen Schiff angegriffen zu werden? Zumal es noch Robert persönlich gehört.“
„Jemand der sich die Mühe machen kann, es aus der engen Überwachung des Geheimdienstes zu zerren und für diesen Überfall mit einem Kommando auszustatten.“
„Wie haben wir es heraus gefunden?“
Jeremy Stahl lächelte dünn. „Ein Freund von mir hat dabei zugesehen, wie es beladen wurde. Dabei wurde er neugierig und hat das Ziel des Schiffs ermittelt. Tja, dann kam sein Anruf.“
Zachary schmunzelte. „Der alte Freund hört nicht zufällig auf den Namen Patrekar und ist der übelste Schmerz im Arsch eines jeden Offiziers?“
„Welche Antwort möchtest du hören, Zak?“, erwiderte der Miliz-Oberst grinsend.
Das Schmunzeln erstarb. „Wie sicher ist die Information?“
„Patrekar ist nicht dumm. Er hat die Frachtbriefe kopiert. Sowohl die Offiziellen als auch die Richtigen. Es besteht kein Zweifel. Jemand bereitet ein Kommandounternehmen mit zehn Knights gegen B-King vor. Das passt auch dazu, dass die Infanterie-Söldner, die wir teilweise in der Stadt entdeckt haben, aus ihren Löchern zu kriechen scheinen.“
„Wie viele?“
„Vielleicht zwanzig. Ich vermute aber, das ihre Zahl gegen hundert geht. Viele sind sicherlich für Ablenkungsmanöver vorgesehen und vielleicht zehn bis zwanzig unternehmen den Versuch, Frederecs Leiche zu stehlen.“ Jeremy räusperte sich. „Sie sind schon ein Dutzend mal ausgerückt, und ohne das zeitgleiche Eintreffen des präparierten Frachters hätten wir uns nicht mobilisiert. Aber wir nehmen an, dass sie glauben, wir wüssten nichts von der MORGENRÖTE.“
Zachary erhob sich langsam. Bedächtig griff er nach dem Säbel. „Dies ist also der erste Zug der Gegenseite im Spiel, oder?“
Stahl verschränkte die Hände hinter dem Rücken. „Ihr Knight wartet, Mylord.“
„Danke, Oberst. Alarmieren Sie eine Kompanie der Miliz, nur für den Fall der Fälle.“
„Selbstverständlich, Mylord.“
***
Drei Stunden später stellte sich Herzog Gandolf Zachary von Beijing der Presse. Die hohe Zahl auswärtiger Korrespondenten wunderte ihn nicht. Immerhin war die Story von Frederecs Tod auch jetzt noch das heißeste Thema in ganz Katalaun, und kaum einen ließ der Streit um seine Leiche kalt.
Als der Herzog den Saal betrat, verging sämtliche Ordnung und die Reporter drängten nach vorne. Doch Miliz-Soldaten hielten sie vom Herzog fern.
„Wenn keine Ruhe einkehrt“, sagte Zachary über die Lautsprecher, „breche ich die Pressekonferenz an dieser Stelle ab.“
Trotz der unverhohlenen Drohung dauerte es mehrere Minuten, bis sich die Reporter wieder gesetzt und die Fernsehteams ihre automatischen Kameras wieder gebändigt hatten.
Als so etwas wie Ruhe eingekehrt war, begann der Herzog mit den Worten: „Ich bitte Sie, ein wenig Rücksicht auf einen alten Mann zu nehmen. Ich komme gerade von einem Gefecht im Orbit unserer wunderschönen Welt, in dem meine persönliche Garde zehn illegale Knights ohne Transponder vernichtet haben. Es war ein harter Kampf, und ich sehne mich nach ein wenig Ruhe, darum fassen sie sich bitte kurz.“
Diese Worte stachelten die Reporter erneut an, aber diesmal wagte es niemand auf zu springen. Ein Zufallsgenerator aktivierte das Mini-Mikrofon einer Fernsehreporterin. „Mylord Beijing, aus der Stadt wird von Unruhen berichtet. Bewaffnete Freischärler sollen Polizeistationen angegriffen haben, ist das richtig?“
„Sie vergessen bei ihrer Aufzählung den Angriff auf die städtische Kathedrale, die von Spezialeinheiten der Polizei abgewehrt wurde. Ziel dieser Angriffe war es zweifellos, den dort aufgebahrten Leichnam Frederecs zu entführen, seine Totenruhe zu stören, seinen Leib zu entweihen und seinen letzten Wunsch nicht in Erfüllung gehen zu lassen. Der Leichnam des letzten Kaisers Katalaun war zu keiner Sekunde gefährdet.“
Wieder wurde per Zufallsgenerator ein Mikrofon geöffnet. „Mylord, TVK. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen den illegalen Knights im Orbit und dem Kommandounternehmen an der Kathedrale? Und was sagen Sie zu dem Gerücht, das die Knights von einem Schiff aus dem persönlichen Eigentums Robert gestartet wurden?“
Gandolf runzelte die Stirn. „Der Angriff auf die Kathedrale erfolgte durch geübte, fähige Infanteristen mit Gefechtserfahrung und bemerkenswerter Skrupellosigkeit. Sie waren das Zweitbeste, was diese Welt bisher gesehen hat. Leider für sie waren die Verteidiger das Beste und haben sie abgewehrt, bevor die Situation die Trauernden, die dem Leichnam Lebewohl sagen und sich in die Kondolenzbücher eintragen wollten, gefährden konnte.
Die Aktion im Orbit hingegen war die Tat von größenwahnsinnigen, schlecht ausgebildeten und mäßig motivierten Piraten mit nicht erkennbarem Ziel. Die beiden Taten in Zusammenhang zu bringen hieße die hervorragenden Kommandos, von denen einige in der Stadt untertauchen konnten, zu diskreditieren.“
„Herzog Beijing, finden Sie es richtig, die Kommandos zu loben? Immerhin wollten sie die sterblichen Überreste des Kaisers entweihen.“
Diese Worte ließen Gandolf kurz lächeln. „Nun, entschuldigen Sie, ich bin ein alter Soldat. Und als dieser weiß ich eine gute Arbeit natürlich zu schätzen. Ja, schauen Sie nicht so entsetzt. Als Herzog von Beijing muss ich den Angriff auf ein Gotteshaus aufs Schärfste verurteilen und meine grenzenlose Erleichterung darüber ausdrücken, das von den gut dreitausend Kondolenten nur sieben leicht verletzt wurden – sie werden gerade im Städtischen Krankenhaus behandelt und sind außer Lebensgefahr – aber als Soldat kann ich Timing, Präzision und Kampfbereitschaft nur anerkennen. Sie waren mehr als ein würdiger Gegner für die Spezialeinheiten der Polizei. Was nicht heißt, das wir sie nicht jagen und fassen werden, Mann für Mann. Es heißt nur, das ich sehr bedaure, das diese Männer augenscheinlich einem sehr schlechten Zweck gedient haben, der sie zudem auch noch geopfert hat, als er sie gegen die beste Polizeieinheit Katalauns geschickt hat. Solch eine Verschwendung, solch eine Arroganz tut einem alten Soldaten und Offizier wie mir im Herzen weh.“
„Herzog Gandolf, was ist nun mit dem Schiff? Gehörte es Robert, oder nicht? Glauben Sie, er könnte versucht haben, Frederecs Leib zu stehlen und die Tat den Konservativen in die Schuhe zu schieben?“
„Nein, das glaube ich nicht. Tatsache ist, das die Knights von der MORGENRÖTE gestartet sind, die wirklich Robert gehört. Aber wenn er den Leib seines Onkels gewollt hätte, wenn er die Totenruhe des letzten Kaisers hätte stören wollen, hätte er nicht die Zweitbesten geschickt, sondern die Besten. Und dann wären da oben keine Amateure aufgetaucht, sondern Ninjas, und entschuldigen Sie, mit denen kann es meine Elite nicht aufnehmen. Außerdem hätte er dann niemals ein Schiff benutzt, das so eindeutig auf ihn zurück zu führen ist. Sehen Sie eher das Gegenteil als gegeben an. Jemand wollte die Schuld auf Robert lenken.“
„Sir, eine Frage noch. Wird sich dieser Anschlag auf die Mission von Graf Arling auswirken? Wird er nach Hause kommen, um seinem Vater in dieser schweren Zeit zur Seite stehen zu können?“
„Was reden Sie da für einen Unsinn? Johann Armin Graf zu Arling ist zuerst Offizier des Kaisers. Erst danach kommt seine Pflicht B-King gegenüber. Er wird seine Befehle ausführen und mich sehr stolz machen. Daran habe ich keine Zweifel. Für weitere Fragen steht Ihnen mein Stabschef Oberst Stahl zur Verfügung. Ich gehe schlafen.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich der weit über zweihundert Jahre alte Mann.
***
Robert deaktivierte den großen Bildschirm, der die Direktübertragung aus dem Konferenzraum von Schloss Beijing gezeigt hatte. „Was halten Sie davon, Direktorin Mannth?“
Die Chefin des Innengeheimdienstes sah von ihrem altmodischen Notizblock auf. „Der alte Kojote weiß ganz genau, wer in seinen Hinterhof zum spielen kommt. Er hat die räudigen Füchse gerochen und sie in der Luft zerfetzt. Er wusste in jeder Sekunde, was auf seiner Welt passiert. Seine Worte sind nicht übertrieben, denn B-King hat die beste Polizei im Kaiserreich. Der Planet ist eine unserer Kernwelten, und nicht umsonst versuchen sogar Zentralwelten wie Sanssoussi, Baaden und Kölln, Polizeioffiziere von B-King abzuwerben.“
„Sie sagen also, es gab einen klaren Zusammenhang zwischen der MORGENRÖTE und dem Kommandoeinsatz?“
„Einer bemerkenswerten Aktion, übrigens. Die meisten Angreifer wurden eliminiert, bevor sie Schaden anrichten konnten, der Rest schnell abgedrängt. Sollten Sie je gezwungen sein auf B-King zu intervenieren, bringen Sie zuerst die Paramilitärs auf Ihre Seite, Sir. Und ja, natürlich hängen beide Aktionen zusammen. Es sollte Aufgabe der Knights sein, Frederecs Leichnam ins All zu bringen.“ Die Direktorin des Inlandgeheimdienstes sah von ihren Notizen auf. „Majestät, was die Leiche Ihres Onkels angeht...“
„Ich habe einen persönlichen Boten nach B-King geschickt. Onkel Zak hat ihm gesagt, Frederec ist tot. Und wenn er das sagt, dann stimmt das auch“, erwiderte seine Majestät ernst.
„Das könnte man auch so interpretieren, das Frederec nur offiziell tot sein will. Es sollte für B-Kings Biolabors eine Frage von zwei, maximal drei Wochen sein, eine perfekte Kopie des ehemaligen Kaisers zu erstellen, die jeder Überprüfung stand hält“, warf Direktor Maier ein. „Und egal wie sicher sich Frederec ist, nie wieder ans Licht der Öffentlichkeit kommen zu wollen, er wurde auch aus seinem Exil heraus gezwungen.“
„Ich gehe davon aus, das mein Onkel tot ist“, erwiderte Robert. Aber dann nickte er dem Leiter des Militärischen Geheimdienstes zu. „Bereiten Sie sich trotzdem darauf vor, auf eine entsprechende Situation reagieren zu können.“
„Sehr wohl, Majestät.“
„Und, Rütli? Was denken Sie? Hat Zak uns gut getan oder geschadet?“
„Majestät, die Anzeichen stehen alle auf Sturm. Der Sturm äußert sich bisher als laues Lüftchen, aber er wird losbrechen mit Urgewalt, sobald jemand auf den Auslöser drückt. Und ich befürchte, das wird nicht mehr lange dauern. Was uns dann noch bleibt ist Schadensbegrenzung. Wir entwerfen verschiedene Szenarien, aber die meisten beinhalten Maßnahmen, die nicht sehr erfreulich sind. Vor allem nicht für ihre Hoheit Elisabeth.“
Bei diesen Worten ballte der Kaiser die Hände zu Fäusten. „Bei allem was mir heilig ist, verdammt, ich wollte sie aus dem ganzen Ärger immer raus halten. Ich wollte, das sie ein glückliches, zufriedenes Leben führt und... Und ich dachte, das mit Lucky Charly könnte was werden. Und jetzt stürze ich sie vielleicht in eine Aufgabe, der sie nicht gewachsen ist.“
„Majestät, seien Sie versichert, dass Elise sehr viel stärker ist, als Sie glauben. Und haben Sie Vertrauen in Ihren Cousin Johann. Wenn er Erfolg hat, wird dies alles für uns wenden.“
„WENN er Erfolg hat“, brummte der Kaiser, und bereute diese Worte sofort wieder.

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14.
22.06.2613
Arlings Geschwader
Heraklion-System
Nisos Elektron

Arlings Blick ging über die Brücke der RHEINLAND, seiner Majestät Leichten Kreuzer, den er einmal kommandiert hatte. Ein Anflug von Nostalgie überkam ihn, wenn er an diese Zeit zurück dachte. Aber jeder Schritt zurück hätte auch Degradierung bedeutet, und es hätte vielleicht bedeutet, einen schlechteren als ihn an seine Position zu lassen. Das schloss seine fähigen Kapitäne wie Rössing, Schlüter und Rend allerdings nicht ein. Jedem traute er zu, die kleine Flottille aus elf Schiffen zu führen. Und dann war da immer noch Griffin, den er schätzen gelernt hatte. Der Mann war fähig, aufmerksam, jung und hungrig. Er wollte noch etwas erleben, das war ihm anzusehen. Und er hungerte nach Bestätigung, Bestätigung, die Arling ihm bot. Hoffentlich bot.
Wenn alles weiterhin so gut ging, wie die Dinge für Arlings Flotte liefen, dann würde kein weiterer Kampf mehr auf sie warten. Dann gab es nur noch einen unglaublichen Triumph für sie, sobald sie in eine Umlaufbahn um Vesuv einschwenkten und den zwei Millionen kaiserlichen Bürgern, die hier als Zwangsarbeiter gehalten wurden, die Nachricht überbrachten, das ihre Rückkehr unmittelbar bevor stand. Wenn alles gelang. Wenn die internationale Presse wirklich ausreichte, um den Europa-Pakt an die Wand zu drücken. Wenn sich der Städtebund passiv verhielt. Wenn es nicht zum offenen Kampf kam. Wenn, wenn, wenn, wenn. Johann war sich durchaus bewusst, warum er in seinem jugendlichen Alter schon angegraute Koteletten hatte.
„Sir, wir wären dann bereit zum Sprung“, unterbrach die Stimme von Kapitänleutnant Lüding seine Gedanken. Seine Worte waren an Kapitän Schlüter gerichtet gewesen, und die große blonde Frau bestätigte seine Worte mit einem knappen Nicken. Sie wandte sich halb um und sagte: „RHEINLAND ist bereit zum Sprung.“
Johann nickte dazu. „Status der Flotte.“
„Flotte meldet bereit zum Sprung.“
„Sprungprozeduren ausführen“, befahl Arling und löste damit einen Wirbel der Geschäftigkeit aus. Die Alarmbereitschaft wurde kurzfristig angehoben und rief die Freiwache auf die Stationen. Kurz vor einem Sprung war die Situation für ein Raumschiff meistens ebenso sensibel wie in den Sekunden kurz nach dem Sprung.
Arling lächelte leicht, als er einen Blick in das Hologramm neben seinem Sessel warf. Deutlich, und mit verzerrten Maßstäben, war dort ihr schützender Engel zu sehen, das Schlachtschiff PHILLIP IV, welches sie zuerst in die Nisos Elektron eingeladen und nun bis an die Grenzen des drittgrößten Staates der Diadochen geleitet hatte. „Nachricht an Admiral Wickers und die PHILLIP IV. Das kaiserliche Geschwader Arling und die Gryanen bedanken sich für Schutz und Geleit des Schlachtschiffs und wünschen Kapitän und Mannschaft allzeit gute Fahrt.“
„Grüße sind raus. Rückmeldung des Schlachtkreuzers! Man wünscht uns Glück bei der Mission.“
Arling nickte. Nichts anderes hatte er erwartet. Und wenn alles so lief, wie es idealerweise laufen sollte, dann würden sie das Riesenschiff sehr bald wieder sehen, nämlich wenn die Flotte auf dem Rückweg die Nisos Elektron, die Bernsteininsel, erneut passierte. Hoffentlich dann in Begleitung einer ganzen Reihe ziviler Schiffe, welche ihre zwei Millionen Mitbürger transportierten und nach Hause brachten.
Kurz dachte er über die letzten Tage seit dem Start von Leonidas nach. Theseus der Dritte hatte sich großzügig gezeigt und die Vorräte der Flotte aufgestockt, ohne einen Gegenwert zu verlangen, außer dem, sich mit Arling und Griffin sowie deren Offizieren für diverse Fotoshootings, Pressekonferenzen und Talkshows in Szene zu setzen. Wenngleich nicht finanziell, so hatte er sicherlich politisch gewonnen. Auch das Ansehen der Nisos Elektron war enorm angestiegen, wenn man den Kommentaren ihres internationalen Pressekorps Glauben schenken konnte.
Allgemein war die Stimmung entspannt, beinahe zu entspannt. Niemand rechnete mehr mit einer großartigen Aufregung, sogar die Presse schien den Rest des Weges als Zuckerschlecken zu betrachten. Zwar hüteten sie sich davor, den Europa-Pakt vorzuverurteilen, aber kaum einer zweifelte am Wahrheitsgehalt der Geschichte, die sie überhaupt erst an Bord gelockt hatte.Lediglich Carrie Rodriguez und ihr Kameramann Spence schienen noch einen großen Wurf zu erwarten, aber ihre Story war ja von vorne herein eine ganz andere gewesen als die Mission an sich. Ihre Geschichte waren die Offiziere und Mannschaften, die diese Mission durch führten.
Und nun, am Rand des Heraklion-Systems, waren sie nur noch einen einzigen Gewaltsprung nach Stabiae und damit der Industriewelt Vesuv entfernt.
„Gehen Sie letzte Runde“, sagte Arling zur Kapitänin der RHEINLAND.
Arlene Schlüter nickte und ging ein letztes Mal vor dem Sprung alle Stationen und alle Anweisungen durch. Sie fragte die einzelnen Abteilungen ein letztes Mal ab und hielt dabei die linke Hand über dem Knopf, der die Sprungvorbereitungen der ganzen Flotte abbrechen würde, sollte auch nur eine von ihnen Probleme melden. „Runde beendet, Sir.“
„Gut.“ Johann Arling lächelte informell. „Bring unsere Kähne in den Europa-Pakt, Lenie.“
„Aye, Aye, Mylord“, erwiderte sie mit einem ebenso informellen Lächeln. „Lösen Sie den Sprungcountdown für die Flotte aus, Mr. Lüding.“
Der Erste Offizier des Giganten salutierte als Antwort und gab den entsprechenden Befehl. Zwanzig Sekunden später erzeugten die kräftigen Generatoren der elf Schiffe gemeinsam ein Wurmloch ins Stabiae-System und traten ungehindert ein.
***
Es klopfte an der Tür von Oberst Ganths Büro. Und das war ungewöhnlich, denn eigentlich sollte der schlecht gelaunte Hauptfeldwebel vor ihrer Tür entweder so etwas verhindern oder anmelden. Reflexartig ging ihr Griff zur Waffe, bevor sie sich klar machte, das sie die nicht brauchen würde. Nicht an Bord der RHEINLAND, nicht bei der derzeitigen Stimmung in Mannschaft und Infanterie. Außerdem klopften Meuterer und Mörder nicht an. Jedenfalls nicht, dass sie es wusste. „Herein.“
Die Tür öffnete sich, und ein bekanntes Gesicht erschien in einem schmalen Spalt. „Ist es wirklich in Ordnung?“
Ihr Gesicht entspannte sich zu einem Lächeln, als sie den Rangniedrigeren Mann erkannte. „Jaime!“ Sie sprang erfreut auf, bis sie sich bewusst machte, dass sie erstens im Dienst war und zweitens ein Mädchen sich nie einen Gefallen tat, wenn es zu begeistert auftrat. „Was kann ich für Sie tun, Major Madison?“
Der schlanke Knight-Krieger trat ein. Als er die Tür passiert hatte, zog er ein bunt eingepacktes Päckchen hinter seinem Rücken hervor. „Ich weiß, es ist nicht dienstlich, aber wenn es dich beruhigt... Wenn es SIE beruhigt, Ma´am, Sie hatten vor drei Minuten offiziell Dienstschluss.“
„Ein guter Kommandeur ist immer im Dienst“, konterte sie schroff, weit schroffer als sie eigentlich gewollt hatte. Ihre Augen blieben dabei allerdings auf das Päckchen gerichtet.
„Aber da wir beide Heeres-Offiziere im Stabsdienstrang sind, will ich es mal nicht so eng sehen. Wen wollen Sie denn damit erschlagen, Madison?“
Der Knight-Pilot registrierte erfreut, das sie seinen Rang weg gelassen hatte. Das war zwar weit von dem freudigen Jaime bei seinem Eintritt entfernt, aber es ging in die richtige Richtung. „Es ist für Sie, Ma´am.“
„Sie wollen mich damit erschlagen?“, fragte sie amüsiert.
„Nicht ganz. Ich hatte vor, es Ihnen zu schenken.“ Über seine eigene Unverfrorenheit erstaunt fühlte er, wie er errötete.
„Nanu? Womit habe ich das denn verdient?“, fragte sie ein wenig erstaunt und erhob sich aus ihrem Sessel.
Madison sah sie aus großen Augen an. „Ma´am, Sie haben Geburtstag.“
Konsterniert starrte sie auf das Päckchen und versuchte, die Aussage ihres Offizierskollegen zu verarbeiten. Das erklärte einiges: Den Kreis, den sie um den heutigen Tag im Kalender gemalt hatte, der Selbtgebackene Kuchen, den ihr ihr Hauptstabsfeldwebel Nachmittags serviert hatte, die besonders freundlichen Begrüßungen ihrer Soldaten und das halbe Dutzend Einladungen in die Messe, die sie allesamt von sich geschoben hatte, weil sie arbeiten musste. Vielleicht war ja in dem Brief von Graf Arling, den sie bisher nicht zu öffnen gewagt hatte, auch ein Geschenk drin... Okay, das vielleicht nicht. Eher ein weiterer Anschiss, denn sie war sich sehr wohl bewusst, das sie sein Vertrauen verspielt und noch nicht zurückgewonnen hatte. „Ach ja, da war doch noch was.“
„Herzlichen Glückwunsch.“ Mit einem strahlenden Lächeln hielt Madison ihr das Päckchen hin.
Automatisch griff sie zu und murmelte ein leises Danke. Wieder starrte sie das Päckchen an.
„Äh, man kann es öffnen. Man muss nur das Papier aufreißen“, informierte sie der Knight-Pilot nach einiger Zeit.
„Was? Ach so, ja.“ Irritiert, beinahe mechanisch machte sie sich an die Arbeit. Was tat sie hier überhaupt? Die Geste von Jaime war zwar süß, aber wohl auch nur wieder eine Variante der „In jeder Frau in Uniform steckt ein kleines Mädchen“-Geschichte.
„Ich weiß, ich habe mir nicht gerade viele Gedanken gemacht“, sagte Jaime Madison verlegen und sah mit verlegenem Lächeln beiseite, „aber mir ist einfach nichts besseres eingefallen. Was schenkt man auch einem Marine-Infanteristen?“
Unter dem Papier kam ein Pappkarton zum Vorschein, der bunt bedruckt war. Auch heutzutage war das eine kostengünstige Form der Verpackung. Der bunte Aufdruck wies jedenfalls eindeutig auf die Art des Geschenkes sowie dessen viele Funktionen hin. Erstaunt sah sie auf. „E-ein Kampfmesser?“
„Eher ein Kampfdolch. Auf Leonidas machen sie einen hervorragenden Stahl, der dreimal so lange im Vibrationsmodus bleiben kann wie herkömmliche Klingen. Die Vibrationszeit liegt bei fast siebzehn Sekunden. Eine Zeitspanne, die jeder gute Infanterist zu schätzen weiß...“
„Du schenkst mir eine Infanteriewaffe zum Geburtstag? Himmel hilf, Jaime, mit Frauen hast du wohl nicht besonders viel Erfahrung“, sagte sie mit spöttischem Ton in der Stimme.
In den Augen des Majors trat Entsetzen. „I-ich... Wenn ich dich beleidigt haben sollte, Cecilia, dann, entschuldige bitte.“
Andächtig legte sie den Karton auf den Tisch und kam um ihren Schreibtisch herum. „Von Frauen hast du wirklich nicht viel Ahnung. Aber du machst das was alle Knight-Piloten tun, wenn sie mit einer unbekannten Situation konfrontiert werden. Du greifst an und hoffst das Beste.“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte Jaime einen Kuss auf die Wange. „Wenngleich du den Geschmack der Frau nicht getroffen hast, Jaime, dem Infanterie-Offizier hast du eine Riesenfreude gemacht.“
Dem jungen Piloten schienen die Augen übergehen zu wollen. Er streckte beide Arme aus, verharrte aber, als Ganth ihm einen Zeigefinger auf die Stirn legte und ihn auf Abstand hielt. „Nichts da, Pilot. Keine leichten Siege mehr. Ich erinnere mich noch lebhaft daran, was du getan hast, als du deinen Abschuss auf Springe sicher geglaubt hast.“ Zugegeben, viel Widerstand hatte sie ihm nicht geleistet. Im Gegenteil. Hätte sie die Möglichkeit gesehen, sich von den anderen abzusetzen... Aber das stand auf einem anderen Blatt.
„Ich wollte dich lediglich umarmen“, erwiderte der Major hastig.
„Umarmen, und dabei vielleicht die eine oder andere Hand auf meinen perfekten Hintern legen, oder?“, fragte sie mit hochgezogener Augenbraue.
„N-NEIN! Wirklich nicht.“
Cecilia Ganth seufzte tief und nahm den Finger wieder fort. „Okay, aber nur ganz kurz.“ Einladend öffnete sie die Arme, und mehr aus Reflex heraus nahm der Pilot sie in den Arm. Sie legte ihre Hände um seine Taille und drückte den anderen an sich. Dann seufzte sie tief und schwer. „Jaime...“
„Meine Hände sind unter Kontrolle!“, beeilte sich der Knight-Pilot zu versichern.
„Genau das ist ja das Problem.“ Mit einem weiteren Seufzer griff sie nach seinen Knöcheln und legte seine Hände auf ihren Po. „Du musst wirklich noch einiges über Frauen lernen, mein großer, böser Knight-Pilot. Aber nicht länger als eine Minute, hörst du?“
„Jawohl, Ma´am.“
Aus der Minute wurden zehn, aber irgendwann erwachte die Pflicht in Jaime, und er brach die Zärtlichkeiten ab. „Ach, das hätte ich ja beinahe vergessen. Du wirst in der Messe erwartet. Die Leute wollen ihren Boss feiern, und Graf Arling hat schon gesagt, da wir im Sprung sind, dürfen wir ruhig ein oder zwei Biere leeren.“
„So, hat er das“, brummte sie. Damit hatte der Graf wohl diesmal ihr die Tour vermasselt. Andererseits, der Abend war noch lang. Und wenn sie ihn betrunken machte... Vielleicht war dann was drin für sie. Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihre hübschen Züge. Es wurde vielleicht Zeit für sie, auf die Jagd nach stattlichen Knight-Offizieren zu gehen.
„Können wir?“, fragte der Major und bot ihr seinen Arm.
„Wir können“, sagte sie und hakte sich ein.
***
Während eines Sprungs war nie besonders viel zu tun. Moderne Kapitäne nutzten diese Zeit entweder dazu, um ihren Mannschaften die notwendige Ruhe zukommen zu lassen, oder um sie beschäftigt zu halten, je nach Notwendigkeit. Captain Stiles nutzte die Gelegenheit für ein groß angelegtes Gefechtstraining. Zwar hatte sich die Mannschaft bewährt, aber sie ahnte, das das große Finale kurz bevor stand. Deshalb gellten die Alarmsirenen durch das Schiff und riefen die Freiwache auf die Stationen. Die letzten Tage waren sehr ruhig gewesen, sodass die Mannschaft für ein wenig Abwechslung dankbar sein musste, auch wenn sich ein guter Matrose lieber die Zunge abgebissen hätte als zu zu geben, das er sich langweilte.
Auch auf den anderen Schiffen der Flottille, vor allem aber auf dem Neuzugang LYDIA wurden die aus der ganzen Flottille zusammengewürfelten Offiziere und Mannschaften hart gedrillt. Lieutenant Commander Campbell war sich der Defizite des Schiffs und der Mannschaft sehr wohl bewusst, und tat nun sein Bestes, um die Truppe einerseits motiviert zu halten und andererseits den Ausbildungsstand nach und nach zu erhöhen. Dabei machte ihm durchaus zu schaffen, dass der argonautische Schiffsstandard erheblich unter dem der kaiserlichen und erst Recht den republikanischen Schiffen lag. Die Nachrüstarbeiten auf Granada waren marginär gewesen, aber ein guter Soldat kam mit dem zurecht was er hatte. Seine regelmäßigen Berichte ließen jedenfalls hoffen, dass er zumindest die hauchdünne Feder sein würde, die in einem offenen Kampf gegen Arlings Flotte die Waagschalen zu ihren Gunsten neigen würde.
„Guten Morgen, Lydia“, sagte Coryn Griffin, als er die Brücke betrat.
„Guten Morgen, Sir. Wie ist die Inspektion der MILFORD verlaufen?“
„Hans hat seinen Dunuesque im Griff. Die Mannschaft spurt und die Stimmung ist... Den Umständen entsprechend gut.“ Griffin seufzte, als er sich in seinen Sessel fallen ließ. „Die Leuten spüren wohl, dass es dem Ende zugeht. Außerdem geht ihnen die Heimlichtuerei auf die Nerven.“
Stiles wusste auch ohne ins Detail zu gehen, was der Commodore ihr sagen wollte. Alle Soldaten und Offiziere der Flottille hatten strikte Anweisungen, bei Kontakt mit Arlings Flotte die Gryanen zu spielen. Sie mussten dabei nicht gut sein, sie durften nur halt nicht mit rudernden Armen auf den nächsten katalaunischen Offizier zu rennen und rufen: „Die Gryanen sind in Wirklichkeit eine Einsatzflotte der Republik!“
Nun, abgesehen davon, dass Arling ein Idiot hätte sein müssen, um diese Möglichkeit nicht zumindest in Betracht zu ziehen, wäre es doch eine kalte Dusche für all jene Soldaten unter Griffins Kommando gewesen, die sich bis dato mustergültig verhalten hatten.
„Verstehe, Sir. Ich habe eine Gefechtsübung anberaumt. Haben Sie die auf der MILFORD noch mitbekommen?“
Griffin sah sie schräg von der Seite an. „Sie rechnen wohl auch damit, das die Heimlichtuerei bald ein Ende hat, oder?“
„Ich warte nur noch auf den großen Fehler von Graf Arling, der es uns erlaubt und zu demaskieren, ohne die Republik zu diskreditieren“, erwiderte Lydia ernst.
Griffin seufzte erneut und legte eine Hand an die Stirn, während rings um ihn Offiziere und Mannschaften der Republik Yura-Maynhaus ihr Bestes gaben, um eine erfolgreiche Schlacht gegen imaginäre Feinde zu führen. Nach und nach stellten die Anwesenden ihre Tätigkeiten ein und sahen zu ihrem obersten Anführer herüber.
„Wenn Arlings Plan gelingt, wenn er wirklich zwei Millionen kaiserliche Bürger, die gegen ihren Willen entführt wurden auf Vesuv aufspürt und die internationale Presse darüber berichtet, dann macht es für uns keinen Sinn uns zu demaskieren, geschweige denn ihn anzugreifen.“
Ein leises raunen ging durch die Soldaten der Brückencrew. Ob dieses raunen positiv Griffins Worte kommentierte, oder eher missbilligend, war nicht klar zu erkennen. Sicher war jedoch, dass nicht nur den Offizieren die Geheimniskrämerei mächtig auf die Nerven ging.
„Allerdings bin ich mir sicher, dass es da draußen noch einen Stolperstein für Graf Arling gibt, der uns erlaubt, unseren Auftrag zu erfüllen.“
„Verzeihen Sie mir, wenn ich so kontraproduktiv gegen den Wind schieße, Commodore, aber müsste nicht alles, was einen Graf Arling diskreditieren kann, eine wirklich groß aufgezogene, gefälschte Hausse sein?“
„Oh, nein, nein, ich denke nicht, das es etwas ist, was Arling persönlich angreift. Ich rechne eher damit, dass die derzeitigen Unruhen in Katalaun, die sich um Frederec von Versailles Tod drehen, sich selbst hier draußen auswirken werden.“ Griffin schnaubte trocken. „Damit haben sich die gemäßigten Kräfte nicht gerade einen Gefallen getan.“
„Aber uns hilft es, dieser Farce endlich ein Ende zu setzen“, ließ sich Capitaine Cochraine vernehmen, die gerade die Brücke betrat und zielstrebig zu Griffins Sessel trat. „Seien wir doch mal ehrlich: Unser Auftrag war, Arlings Flotte für den Affront zu vernichten, den er sich geleistet hat, als er die republikanische Flotte bei seiner Mission im Hinterland von Yura-Maynhaus so nachhaltig diskreditiert hat. Der Auftrag lautete, die Kaiserlichen hier in den Diadochen zu stellen, sobald sie sich unbeliebt gemacht haben. Wir hätten schon im Tunis-System zuschlagen müssen, nachdem das internationale Pressekorps evakuiert worden war. Stattdessen haben wir bei Arlings Befreiung geholfen.“ Ernst sah sich Griffin an. „Sie haben Ihre Pflichten vernachlässigt, und nur deshalb ist Johann Arling überhaupt so weit gekommen, Commodore Griffin.“
Überrascht sah Lydia Stiles die Verbindungsoffizierin aus den Diadochen an. So hatte sie die Geheimdienstfrau noch nie erlebt, vor allem nicht Griffin gegenüber.
Wieder erfüllte leises raunen den Raum, doch diesmal hatte er eine negative, feindselige Note. Diese richtete sich gegen die schöne Capitaine, die ihrem Commodore derart über den Mund fuhr.
„Sie haben Recht, Juliet, Sie haben ja Recht. Aber ich war neugierig. Ich wollte zu gerne wissen wie es weitergeht.“
„Ist es nicht eher so, dass Sie Arling geholfen haben, weil Sie die Falle von Direktor Styx als persönlichen Affront und Angriff auf Ihre eigene Ehre angesehen haben? Dass Sie Arling helfen wollten? Derartige Gefühle können wir uns aber nicht leisten.
Entschuldigen Sie, wenn ausgerechnet ich als Offizierin aus Nowgorod so etwas sage, aber im Moment handeln Sie nicht dem Auftrag gemäß, Commodore.“
„Der Commodore braucht Sie nicht, um sich an seine Pflicht zu erinnern“, zischte Lydia gefährlich leise.
„Der Commodore braucht im Moment jemanden, der ihm den Kopf zurecht rückt!“, versetzte Cochraine wütend. „Sich in Arling zu verlieben gefährdet nicht nur die Mission, sondern auch unser aller Leben sowie die Beziehungen zwischen Yura-Maynhaus und der Souveränität Nowgorod! Hier sind mehr, größere Sachen involviert als Sie, ich, oder Commodore Griffin! Ich habe meine Pflicht, Sie haben Ihre Pflicht. Nur Sie, Commodore, scheinen Ihre vergessen zu haben. Oder denken Sie, wir können unsere Tarnung als Gryanen ewig aufrecht erhalten? Denken Sie, Sie könnten wirklich Gryane werden? Was ist dann mit Ihren Leuten? Wer von ihnen würde Ihnen folgen, wer würde in die Republik zurück kehren? Wer hat daheim Familie und ist nicht besonders scharf darauf, fortan ein heimatloser Söldner zu sein? Wie lange kommandieren Sie diese Flottille, Sir? Ein halbes Jahr? Weniger? Und dann erwarten Sie vielleicht, dass Ihnen alle Offiziere und Mannschaften bedingungslos folgen? Das würde überdies aus allen hier Deserteure machen. Als wenn die Tatsache, die Schiffe eines verbündeten Staates angegriffen zu haben, nicht schon schlimm genug und kaum zu erklären wäre!“, sagte sie ernst und laut.
Stiles zuckte zusammen. In der Tat waren die Schiffe des Fürstentums Argos zumindest auf dem Papier ihre Verbündeten gewesen, da auch dieses Bruchstück des herkulanischen Reichs Mitglied im Städterat war, der im Krieg gegen Katalaun der Partner von Yura-Maynhaus war. „Was wollen Sie dem Commodore unterstellen? Meuterei? Aufruf zur Meuterei? Desertion?“
„Ich unterstelle ihm gar nichts, Captain Stiles!“, sagte sie vehement. „Noch nichts!“
Um einer harschen Erwiderung der Kapitänin der HOUSTON zuvor zu kommen, hob Griffin die rechte Hand. „Was wollen Sie mit dieser Gewissensprüfung erreichen, Capitaine Cochraine?“
Die junge Frau wirkte für einen Augenblick bedrückt. „Es sollte kein Test werden, Sir. Ich wollte nur sehen, wo Sie stehen.“
Die Geheimdienstoffizierin straffte sich. „Sir, ich habe gesicherte Informationen von Theseus dem Dritten, dass der Europa-Pakt für Arling eine große Falle vorbereitet hat. Sobald seine Grafschaft ins Stabiae-System kommt, schnappt sie zu. Er wird nachhaltig diskreditiert, und wir erhalten unsere Chance.“ Trotzig sah sie Griffin an. „SIE erhalten Ihre Chance, Commodore.“
„Und wie sieht diese Falle aus, Capitaine?“
Die junge Frau hob fahrig beide Hände. „Ich weiß es nicht, Sir. Aber mir wurde gesagt, dass ich sie erkennen würde, sobald ich sie sehe.“
Griffin legte nachdenklich beide Hände vor sein Kinn. Schließlich nickte er. „Also das Stabiae-System. Gut. Dort werden wir die Entscheidung suchen. Denn auch wenn Sie mir das nicht glauben werden, Capitaine Cochraine, ich habe nicht vor, Arling zuliebe meine Pflicht gegenüber Yura-Maynhaus zu vergessen.“
„Ich habe nichts anderes erwartet, Sir“, erwiderte sie fest, wenngleich ihre Augen ein wenig schwammen.
Stiles begriff, und die junge Frau tat ihr plötzlich Leid. Die eiskalte Geheimdienstfrau, die sie eigentlich sein sollte, gab es gar nicht. Da war nur jemand mit hervorragenden Kontakten und einer für die Diadochen guten Ausbildung, der auf einen Platz gesetzt wurde, den er bisher hatte ausfüllen können. Darunter aber gab es nicht viel Spiel, und nachdem sie den Advocato Diabolis gespielt hatte, kam darunter ein sensibler Mensch zum Vorschein, der sich bewusst war, wie weh er gerade einem anderen getan hatte, den er mochte, schätzte... Und vielleicht sogar liebte, wie sich Stiles mit einer gewissen, wohl dosierten Portion Eifersucht eingestand. Nun, nicht gerade die Eifersucht einer handfesten Rivalin um Coryn Griffins Herz. Aber sie wollte ihren Vorgesetzten schon so oft wie möglich und so gut es ging für sich haben, immerhin war er ihr ganz persönlicher Commodore.
„Wenn es das gewesen ist, Capitaine, dann verlassen Sie jetzt meine Brücke“, sagte Griffin ernst.
„Sir, wenn ich...“
„Sofort!“
„Jawohl, Sir. Entschuldigen Sie mich, Sir. Captain Stiles, Ma´am.“ Die Frau aus Nowgorod salutierte knapp, wandte sich um und ging auf das Schott zu, das sie von der Brücke führen würde. Als sich das schwere Sicherheitsschott hinter ihr geschlossen hatte, seufzte Griffin erneut. Ein dünnes Lächeln spielte um seine Lippen. „Himmel. Da braucht es einen Diadochen-Offizier, um einem republikanischen Offizier die Leviten zu lesen, damit er wieder seine Aufgabe sehen kann.“ Griffin lachte, aber es klang etwas gezwungen. „Sie hat wohl damit Recht, das ich mich in Arling verliebt habe. Ein wenig zumindest, und man tut den Menschen normalerweise nicht weh, die man liebt.“ Den letzten Satz sagte er mit vor dem Mund zusammengefalteten Händen, während seine Ellenbögen auf den Lehnen seines Sessels ruhten. Stiles verstand recht gut, was der Commodore gerade gesagt hatte, und es berührte sie merkwürdig, das sich Griffin ihr gegenüber derart geöffnet hatte.
„Falls es Sie beruhigt, Sir, ich denke, Capitaine Cochraine wird in spätestens einer Stunde ankommen, um Sie mit einem frisch aufgebrühten Kaffee zu bestechen.“
„Und warum, glauben Sie, sollte ich einen Bestechungskaffee annehmen, Lydia?“, fragte Griffin.
Die Erwiderung lag ihr auf die Zunge, aber es war nicht nur gegen die Dienstvorschrift, ihrem Vorgesetzten derart über den Mund zu fahren, deshalb beließ sie es mit einem Schnauben. „Sie ist ein guter Offizier. Und bisher hat sie nie etwas getan, was dieser Flottille und Ihnen speziell geschadet hat. Sie wird sich fangen und ihren Dienst verrichten.“
„Warum sollte sie sich fangen müssen?“, fragte der Commodore verständnislos.
Diese Frage konsternierte Lydia Stiles. Sie hatte in letzter Zeit Coryn Griffin sehr gut kennen gelernt und wusste ihn zu schätzen. Aber mittlerweile ahnte sie, warum dieser Mann weder verheiratet war, noch jemanden in Yura-Maynhaus hatte, der auf seine Rückkehr wartete. In einer bestimmten Beziehung war der Mann einfach blind.
„Weil sie in Sie verknallt ist, Sir“, murmelte sie so leise wie möglich.
„Haben Sie etwas gesagt, Stiles?“
„Nein, Sir, nur laut gedacht“, brummte sie und sah ins Rund. „Gibt es eigentlich noch jemanden auf dieser Brücke, der sich daran erinnert, das wir uns gerade mitten in einer Übung befinden?“
Diese Worte lösten erneut Geschäftigkeit aus. Aber Stiles war sich sicher, dass die Übung mittlerweile gescheitert war. Sie konnte es den Leuten zwar nicht verdenken, aber dennoch würde es ein paar harmlose, aber nachhaltige Strafschichten geben.
„Das Stabiae-System, Hm?“, murmelte Griffin neben ihr. „Eine Falle, Hm? Und wir fliegen mitten hinein.“
Nun hatte Stiles keinerlei Zweifel mehr daran, wie ihr Commodore wirklich dachte. Und das erfüllte sie mit Mitleid, einem in ihrer Brust mit sich selbst ringendem Ehrgefühl, sowie etwas Stolz auf diesen Mann. Auch wenn er vor kurzem noch Commander gewesen war, was sie eigentlich hätte ärgern müssen solch ein Greenhorn vor die Nase gesetzt zu bekommen, Griffin war ihr Commodore, und den gab sie nicht mehr her.


15.
28.06.2613
Arlings Geschwader
Stabiae-System
Europa-Pakt

Ein handfeste Unruhe hatte die Zentrale ergriffen, Sekunden bevor die ersten Schiffe der Flottille den Sprungbereich verließen und in den Raum des Europa-Paktes eintauchen würden. Auf allen Schiffen galt Gefechtsbereitschaft, und das internationale Pressekorps versuchte möglichst jedes Detail der kommenden Minuten und Stunden zu erfassen und mit der Galaxis zu teilen.
„Rücksturz!“, meldete Kapitänleutnant Lüding. „Ortung, erster Bericht?“
Statt einer Antwort schlug der Ortungsoffizier auf den großen roten Knopf, demman sich normalerweise nicht einmal in Gedanken nähern durfte, weil er den Großalarm für das Schiff und alle untergebenen Schiffe auslöste. Normalerweise war es der schlimmste der anzunehmenden Fälle, wenn dieser Knopf gedrückt wurde, und Andreas Lüding hatte Vertrauen in die Entscheidung des Zweiten Offiziers der RHEINLAND. „Konkretisieren Sie!“
Oberleutnant Mirko Raglund warf einen Blick zurück und präsentierte ein Schweißbedecktes Gesicht. „Multiple Kontakte rund um die Flottille! Wir zählen bereits siebenunddreißig, Zahl weiter steigend! Verschiedene Klassen: Fregatten, Korvetten, Zerstörer und Leichte Kreuzer! Keiner in Gefechtsreichweite!“
„Eingehende Transponder?“, warf Arling persönlich ein.
„Sir, es handelt sich ausnahmslos um Einheiten des Europa-Pakts. Alle Einheiten sind dem Archiv bekannt. Es handelt sich um Veteranenschiffe.“
„Es war klar, dass sie uns nicht einfach willkommen heißen, uns Blumenkränze um den Hals legen und uns anschließend nach Vesuv eskortieren“, brummte Arling. Er war beeindruckt von der guten Arbeit seiner Leute, und vor allem von der Entscheidungsbereitschaft, denn wer die Chuzpe hatte, den großen roten Knopf zu drücken, hatte Eier in der Hose.
Andreas Lüding registrierte, das die Einmischung des Kommodores vorbei war. „Funk, rufen wir die Schiffe an? Werden wir angerufen? Zwischenstand bei der Ortung? Zahl der Schiffe nah, mittel und fern!“
„Bisher kommen nur die Transponder rein. Wir selbst schicken automatisierte Grußbotschaften, mehr nicht.“
„Ortung nah: Sieben Schiffe aller Klassen. Mittel: Dreiundzwanzig Schiffe aller Klassen. Fern: vierundfünfzig Schiffe aller Klassen. Kurse bleiben unverändert. Man reagiert nicht auf uns.“
„Mal sehen, wie lange sie noch die Schüchternen spielen, wenn wir eine Ziellösung aufnehmen“, stellte Arlene Schlüter grimmig fest. „Waffenkontrolle, Torpedoerfassung auf nahestes Ziel ausrichten!“
„Bestätigt! Torpedoerfassung auf nahestes Ziel ausrichten! Ziellösung steht in elf Sekunden! Aktivortung fasst nach Ziel, Fregatte der Ares-Klasse WINFIELD.“
„Anruf von feindlichem Leichten Kreuzer der Cromwell-Klasse SIGURD“, meldete der Funk. „Adressiert an Kommodore Arling.“
„Auf den Hauptschirm“, befahl Schlüter.
Sekunden darauf blickte eine grimmige, grauhaarige Frau vom großen Bildschirm auf die Brückenbesatzung der RHEINLAND herab. Auf ihren Schultern waren die Admiralsabzeichen eines Flottenadmirals angebracht.
„Wenn ich könnte wie ich wollte, würde ich die Heimatflotte Stabiae zusammen ziehen und Ihren kleinen Plänklerverband ausradieren, Arling!“, zischte sie wütend. „Immerhin befinden wir uns im Krieg, oder? Aber da Sie ja internationale Presseleute als Schutzschilde an Bord haben, verzichte ich darauf. Vorausgesetzt, Sie geben die Ziellösung auf die WINFIELD auf.“
Arling hob eine Hand. „Aktive Zielortung einstellen. Admiral Toral, nehme ich an. Unter normalen Umständen wäre es mir eine Freude, einen direkten Nachkommen der herkulanischen Dynastie begrüßen zu können, aber leider sind die Umstände nicht die Besten.“
„Das sind sie in der Tat nicht“, erwiderte Admiral Jenna Toral noch immer wütend. „Ich habe Anweisung, Sie nach Vesuv zu eskortieren, Arling. Zu diesem Zweck werde ich lediglich einen gleich starken Verband zusammen ziehen. Sehen Sie das bitte als Zeichen dafür, dass wir keine Provokation wünschen. Außerdem hat der Europa-Rat ausdrücklich befohlen, die Arbeit der freien Presse nicht zu behindern. Darüber hinaus haben Sie freies Geleit Arling. Freuen Sie sich, für einen feindlichen Invasor ist das ein ganz schöner Persil-Schein.“ Ein falsches Lächeln huschte über das Gesicht der älteren Frau. „Aber bitte tun Sie mir den Gefallen und machen einen Fehler. Eine Aggression, ein abgefeuertes Geschütz, und es wird mir eine Freude und ein Vergnügen sein, Sie zu vernichten!“
„Wenn die Waffensysteme der SIGURD nur halb so effektiv sind wie Ihre Zunge scharf, Admiral, dürfte es ein kurzes Gefecht werden“, erwiderte Arling in einer Mischung aus Frechheit und Galanterie.
„In der Tat wäre es ein kurzes Gefecht. Jetzt gehen Sie mit Ihren Schiffen und den Gryanen nach Anweisung meiner Navigatoren in den Verbandsflug. Je eher wir Vesuv erreichen, desto eher erledigen Sie Ihre verdammten Geschäfte. Und desto eher kann ich Ihr Schiff so sehen wie ich es am liebsten sehe. Von hinten und auf dem Weg raus aus meinem Revier.“
Arling verbeugte sich leicht. „In diesem Fall stimmen Ihre Wünsche und meine Hoffnungen überein, Admiral.“ Bei diesen Worten verzog er nicht eine Miene.
„Man hat mich vor Ihnen gewarnt, Kommodore, bitter gewarnt. Es scheint, die Leute haben noch untertrieben“, erwiderte die Admirälin spöttisch. Ohne weiteren Gruß trennte sie die Verbindung.
„Na, das lief doch besser als erwartet“, sagte Arling zufrieden. „Wir beenden die Gefechtsbereitschaft.“
„Aye, Sir.“ Schlüter sah zu ihrem Ersten Offizier herüber. „Kapitänleutnant Lüding, die Freiwache kann wegtreten.“
„Aye, Skipper. Signalgast, Freiwache zum wegtreten blasen.“
Der Signalgast nickte und kurz darauf erschallte das Signal durch das ganze Schiff, das zumindest einen Teil der Spannung von den Männern und Frauen nahm. Es würde nicht sofort zu einem Gefecht kommen. Langsam trat die Freiwache ab und überall auf dem Schiff kehrte eine trügerische Ruhe ein.
„Kursdaten von der SIGURD, die Flotte betreffend, Skipper!“
„Zur Navigation weiter reichen. Na dann, wollen wir Admiral Toral einen schönen Nachmittag bescheren.“ Zufrieden ließ Annegret Lüding ihren Blick ins Rund gleiten und blieb an Arlings verstörter Miene hängen. „Sir?“
„Ich denke nur nach. Warum hat man uns ausgerechnet Toral geschickt? Nur weil sie eine Nachfahrin der Dynastie ist? Man sagt ihr im allgemeinen eine sehr schnelle Auffassungsgabe, ein kurz angebundenes Temperament und eine erschreckende Effizienz zu. Abgesehen davon, dass ich sie hier nicht erwartet habe. Nicht hier über Vesuv.“
„Wir haben uns laut und lange genug angekündigt. Man wird sie hierher befohlen haben, um uns in Empfang zu nehmen“, wandte Schlüter ein.
„Um sie, eine Vorzeigeoffizierin des Europa-Paktes, auf ewig mit der Entführung und Zwangsbeschäftigung von zwei Millionen kaiserlichen Bürgern in Zusammenhang zu bringen? Um ihren Ruf derart nachhaltig zu zerstören? Nein, Lenie, das ist eine Falle.“
„Eine sehr merkwürdige Falle, Han.“
„Man braucht eine merkwürdige Falle, um eine merkwürdige Beute zu fangen“, sinnierte der Kommodore. Er erhob sich. „Ich mache einen Rundgang durch das Schiff. Lass mich ausrufen, wenn etwas Unvorhergesehenes passieren sollte.“
„Aye, Aye, Sir.“

Der Weg des Kommodore führte ihn wie schon zu den Zeiten, in denen er die RHEINLAND noch selbst kommandiert hatte, tiefer in die Eingeweiden des Schiffs. Während der Bereich an der Außenhülle dem Waren- und Personentransfer, der Schiffsführung, den Waffencrews und dergleichen gehörte, so war der innere Bereich des Schiffs, der besser geschützte den Magazinen, den Quartieren der Besatzung und dergleichen vorbehalten. Auch der eigentliche Maschinenraum mit den acht Fusionsmeilern, welche die RHEINLAND am Leben hielten, fanden hier ihren Platz und nahmen fast ein Drittel des Hecks ein.
Doch so weit führte es Arling nicht. Er besuchte lediglich eine der öffentlichen Messen. Als Kommandeur und natürlich heutzutage als Kommodore hatte er das Vorrecht, in seiner Kabinenflucht zu speisen, was er auch ausgiebig tat, denn ein guter Kommandeur war so oft es ging in der Nähe seines Kommandos. Außerdem verschaffte es ihm die Möglichkeit, einige verdiente Offiziere und Mannschaften mit Einladungen zum Essen zu ehren. Aber ab und an neigte er doch dazu, sich unter seine Leute zu mischen, um ihnen zu zeigen, dass der Alte sie nicht vergessen hatte. Oh, er machte sich nicht die Illusion zu glauben, sie würden ihn als einen der ihren betrachten. Das wäre oberflächlich und töricht gewesen, denn selbst wenn die Zeiten der christlichen Seefahrt und der Allmachtsanspruch des Kapitäns eines Schiffs seinen Leuten gegenüber lange passé waren, so hatte der Skipper doch immer das letzte Wort, und alleine deshalb konnte und durfte er sich nicht mit seinen Leuten auf eine Stufe stellen – beruflich, zumindest. Außerdem war ein solches Bild äußerst kontraproduktiv und konnte dazu führen, dass Anweisungen nicht ausgeführt, Befehle hinterfragt und Suggestionen ignoriert wurden. Das konnte in einem Gefecht schnell tödlich für ein ganzes Schiff enden.
Arling beschritt einen Mittelweg. Er war nahe dran an seinen Jungs und Mädels, wann immer es ging und unterhielt mit vielen ein Verhältnis auf du und du, verlangte im Gegenzug aber unbedingten Gehorsam. Denn selbst heutzutage wäre es von einem einfachen Matrosen zuviel verlangt gewesen, die Gedanken und Taktiken seines Kommandeurs zu hinterfragen – als Matrose war er einfach nicht in Strategie und Taktik geschult, außerdem waren Naturtalente auf diesem Gebiet äußerst selten. Abgesehen davon das sie auffielen wie ein goldener Fisch in einem Schwarm schwarzer Fische und von einem wohlwollenden Kommandeur gefördert werden konnten, natürlich.

Als Arling diesmal in seine Lieblingsmesse kam, nämlich die, die sein persönlicher Koch betrieb, war sein Anblick kein Grund für die Leute aufzuspringen zu zu salutieren.
Dennoch taten sie es, und dem Grafen tat es Leid, das er mit seiner Entscheidung dem einen oder anderen das Essen vermiest hatte.
„Weitermachen“, sagte er mit seiner ruhigen, sonoren Stimme, und kurz darauf hätte man meinen können, dass der Alltag die Kantine wieder hatte, so als wäre der Kommodore nie eingetreten.
Kommodore, das auch noch, ging es Arling durch den Kopf. Der Skipper dieses Schiffs war nun Lenie, nicht länger er. Er hatte die Pflicht und das Recht, seine Flagge jederzeit auf einem anderen Schiff des Geschwaders zu hissen, sollte es die Gefechtslage erfordern. Tatsächlich hätte er dies schon ein paarmal tun können und vielleicht sogar müssen, um die Moral auf den anderen Schiffen zu stärken. Zumindest der STONEWALL hätte er längst einmal einen mehrwöchigen Besuch abstatten müssen, alleine schon um Gerry Rössing ordentlich auf die Finger zu schauen, denn im Gegensatz zu ihm neigte der große, breit gebaute Offizier dazu, heftigst mit den Untergebenen zu fraternisieren. Ein Umstand, der ihm schon oft zugetragen worden war, aber hoffentlich nie die Admiralität erreicht hatte. Mancher Vorgesetzte sah es gar nicht gerne, wenn ein Offizier bis tief in die Nacht mit einer wilden Mischung aus Offizieren und Mannschaften pokerte, soff und rauchte – und Gerry war mittlerweile sogar Kapitän geworden, was die Sache noch verschlimmerte. Nun, zumindest die Leistungsfähigkeit seiner Leute litt nicht darunter, und das war ihm ein Trost.
„Kommen Sie, Sir, setzen Sie sich hier her!“, rief Jonas aufgeregt. Der Chefkoch im Range eines Stabsbootsmanns wischte mit seiner Schürze über Stuhl und Tisch eines Platzes direkt neben der Essensausgabe – aber weit genug entfernt vom klappern der Geschirre, mit einer Wand im Rücken, wie Arling es mochte.
„Danke, Iolo.“ Mit einer gewissen Freude sah Arling, dass der Küchenchef ihm einen Platz zu wies, der an einem beinahe vollen Tisch war. Nichts hätte er mehr gehasst als alleine zu essen und seine Leute zu begaffen, während sie gleiches mit ihm taten.
Iolo Jonas rückte ihm den Stuhl zurecht. „Da nicht für, Sir.“
Der Mittfünfziger kam von B-King und fuhr mit Arling schon seit beinahe vierzehn Jahren. Es hieß, er war einer der ersten gewesen, die einen jungen Fähnrich namens Johann wegen ungebührlichem Verhalten scharf getadelt hatten. Dann war Arling immer weiter aufgestiegen, aber er hatte sich ein freundliches Verhältnis zu dem Unteroffizier bewahrt. Zu ihm und anderen Unteroffizieren, die nicht zwingend ebenfalls von B-King gekommen waren.
Kurz musterte Arling seine Tischnachbarn, die ehrfürchtig beim Essen innehielten, während er sich den Stuhl zurecht rückte. Schollz und Webber hatten schon vor ihrem Streifzug durch Yura-Maynhaus zur Mannschaft gehört, Elfriede Schollz war sogar schon vor seiner Kommandoübernahme an Bord gewesen. Shetland hingegen war auf Springe neu an Bord gekommen, als Teil des Ersatzes der Offiziere und Mannschaften, die mit ihren Offizieren die RHEINLAND verlassen hatte, damit Rössing und Rend wenigstens mit einem Mindestmaß an Rumpfmannschaft versorgt waren, um den sie mit den Neuankömmlingen eine passable Crew hatten basteln können. Damals hatte die Crew, abgesehen von ihren Verlusten im Gefecht mit den Schiffen die nun ihrem Geschwader angehörten und der CALAINCOURT, ein Drittel ihrer Sollstärke eingebüßt. Lenie hatte ihr Bestes gegeben, um aus diesem Mix aus alt und neu eine gute Crew zu schmieden, und Arling war heilfroh gewesen, von diesen Pflichten ein für allemal entbunden zu sein.
Der fünfte am Tisch war der Stabsarzt Roger Wilcox. Zwar war er damit im Range eines Kapitänleutnants, aber eigentlich war der alte Messerwetzer weder ein richtiger Offizier, noch ein ordentliches Mitglied der Mannschaftsränge. Man redete ihn im Allgemeinen mit Doktor an, was ihm einen Sonderstatus einbrachte ohne das er auf die Nähe zu seinen Patienten verzichten musste. Arling vermutete, dass er von allen Offizieren den besten Draht zu den Leuten hatte. Dies bewies er gleich in den nächsten Minuten, als sich Erine Shetland mit einer Entschuldigung erhob und ihre halb aufgegessene Mahlzeit entsorgen wollte.
„Setzen Sie sich wieder, Erine. Ich versichere Ihnen, Graf Arling beißt nicht. Und tut er es doch, werde ich das eine oder andere Mittel in meinem Medizinschränkchen haben, damit Sie nicht am Überarbeitungsvirus sterben müssen.“
Verlegen deutete die junge Frau im Range eines Bootsmanns auf ihren höchsten Vorgesetzten an Bord, was Schollz und Webber mit einem breiten Grinsen quittierten. Arling wusste, dass die erfahreneren Matrosen es als „Sonderdienst beim Grafen“ nannten, wenn sie mit ihm essen „mussten“. Dass die junge Unteroffizierin seine Anwesenheit an diesem Tisch derart reagieren ließ und sie fast zur Flucht trieb, augenscheinlich aus Nervosität, und nicht aus Antipathie, erinnerte Arling schmerzlich daran, dass er in letzter Zeit viel zu selten hier unten gewesen war.
„Essen Sie auf, Shetland“, sagte Arling. „Ich kann keine unausgeruhten und unterernährten Leute im Maschinenraum brauchen, wenn es hart auf hart geht.“
Die junge Frau überging die Tatsache, dass sie wusste wo er arbeitete, dass er ihren Namen wusste, obwohl auf ihrem Overall kein Namensschild war und stürzte sich stattdessen auf den letzten Halbsatz von Arlings Aussage, während sie sich wieder setzte. „Hart auf hart, Sir?“
Arling runzelte die Stirn, während Jonas ihm einen frischen Obstsalat vor die Nase stellte. Er kannte seinen Chef gut genug um zu wissen, dass er nicht zum essen hier war. Also konnte man auch gleich was für seine Gesundheit tun, fand er.
Der Kommodore ging über soviel Sorgsamkeit hinweg, obwohl ein Kaffee und ein paar Kekse eher nach seinem Gusto gewesen wären und stellte eine Gegenfrage: „Denken Sie nicht, dass der Europa-Pakt es zu leicht für uns macht, Shetland? Wie würden Sie sich denn verhalten, wenn wir in Yura-Maynhaus zwei Millionen Menschen entführt hätten und diese auf katalaunischen Planeten in die Zwangsarbeit pressen würden? Könnten Sie sich vorstellen, einem Feindverband freies Geleit bis zum Planeten zu geben, selbst wenn die internationale Presse an Bord ist?“
„Nun, Sir, Sie haben doch Lady Nissos an Ihrer Seite, oder nicht? Kann es nicht schlicht und einfach sein, dass die Paktler von ihrer puren Anwesenheit so ergriffen sind, dass sie gar nicht anders reagieren können?“, fragte die angehende Ingenieurin mit wenig Überzeugung in der Stimme. Sie winkte ab. „Ich nehme das wieder zurück, Sir. Ich mache mir gerade klar, was für ein Kostenfaktor es gewesen sein muss, Arbeitsplätze für zwei Millionen Menschen zu schaffen. Oder meinetwegen für sechshunderttausend und Wohnraum für zwei Millionen, da sicherlich nicht die ganze Familie arbeiten muss. Aber die aufgebauten Anlagen würden brach liegen, der Kostenfaktor wäre enorm, und eine neue Belegschaft zu finden, die zudem ebenso günstig arbeitet, dürfte Jahre dauern, ganz davon abgesehen, dass sie erst eingearbeitet werden müssten. Kurz und gut, Sir, jetzt finde ich es auch zu leicht. Was meinen Sie, ist es eine Falle?“
„Es ist eine Falle“, bestätigte der Schiffsarzt an Arlings statt. „Das sollte jeder mit ein wenig Verstand an Bord schon begriffen haben.“ Damit tat Wilcox einen nicht unwesentlichen Seitenhieb in die Richtung des Bootsmanns, was die junge Frau mit einem gequälten Lächeln erwiderte. „Es ist halt nur die Frage was sie planen. Der Überfall durch eine dritte Partei wäre denkbar. Man könnte versuchen, die Presse anzulügen. Oder man löscht die Zwangsarbeiter aus und schiebt es uns in die Schuhe.“
„Interessanter Ansatzpunkt. Ich werde das in meine Planung mit aufnehmen, Roger“, sagte Arling ernst. Teufel, an diese Möglichkeit hatte er wirklich noch nicht gedacht. Wenn sie die Arbeiterstadt einfach sprengten, verloren sie zwar viele Arbeiter und sehr viel Material, aber wenn sie dies dem Kaiserreich unterzuschieben vermochten, zu Beispiel dadurch, das eines seiner Schiffe dieses Bombardement durchführte, das vonnöten war um zwei Millionen Menschen zu töten, dann war das Chaos komplett. Am Ende würde die Versenkung oder Kaperung all seiner Schiffe stehen. Arling erhob sich und ging zum Eingang. Dort hing ein internes Telefon, von dem er sich per Überrangcode direkt mit Schlüter verbinden ließ.
„Lenie, Befehl an alle Schiffe: Infanterie mobilisieren und auf Infiltrationsversuche auf allen Schiffen achten. Außerdem gib Befehl, die uns begleitenden Pakt-Schiffe permanent zu scannen. Wenn sich dort etwas löst, was groß genug für einen Infanteristen sein könnte, will ich das untersucht haben. Vor allem aber den Kurs dieses Gegenstandes.“
„Verstanden. Paranoider Gedanke, Han. Sind wir wirklich so weit gekommen?“
„Wahrscheinlich wird es noch schlimmer, Lenie“, murmelte Arling, deaktivierte die Verbindung und setzte sich wieder. Während Ganth und Steyer auf Arlics Geheiß ihre Leute über den neuen Befehl brieften und in Position für eine mögliche Abwehr eines Infiltrierungsversuchs aufstellten, setzte sich Arling wieder an seinen Tisch.
Aufmerksam sah er in die Runde. „Kommen sie, Herrschaften, spekulieren wir etwas mehr“, sagte er halb scherzend, halb ernst.
Dabei konnte man deutlich erkennen, dass Bootsmann Shetland ein wenig von ihrer Angst vor dem Vorgesetzten ablegte und stattdessen ernsthaftes Interesse am weiteren Gespräch zeigte. Und das war vielleicht Arlings eigentliche Stärke im Umgang mit seinen Leuten. Er nahm sie schnell für sich ein und überzeugte sie von seinen Fähigkeiten.

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Wider Erwarten geschah der Flotte nichts Spektakuläres. Weder arbeiteten sich tollkühne Infanteristen in den Kurs der Flotte, um im Schutz des Vakuums die Schiffe Arlings und Griffins zu entern, noch liefen sie auf gut getarnte Minen auf. Die einzige Reaktion war eine äußerst giftige Präsentation in der Presse des Europa-Pakts und vor allem der Lokalpresse auf Vesuv. Arling war es gewohnt, unvorteilhaft bedacht zu werden, aber die vollkommen verzerrte Wiedergabe seiner Handlungen und Taten in Yura-Maynhaus konnte man beinahe lächerlich nennen. Man verglich ihn ganz offen mit den Argonauten, die mit einer kleinen Flotte im Granada-System unterlegenen Frachtern und Kampfschiffen aufgelauert hatten, um auf Kosten der diadochischen Grenzstaaten Ruhm und Beute zu erobern.
Seine Situation mit der RHEINLAND war eine ganz andere gewesen. Er hatte sich über siebzig Lichtjahre in Feindgebiet gewagt und dort die Nachschublinien gestört. Er hatte Frachter versenkt, aber den Mannschaften zuvor gestattet von Bord zu gehen. Und er hatte regulär Bug an Bug mit gegnerischen Kampfschiffen gefochten. Zwar war sein Leichter Kreuzer den Fregatten und Korvetten einzeln überlegen gewesen, aber es war nicht Arlings Schuld, das die republikanischen Kapitäne weder etwas aus ihrer Überzahl gemacht noch rechtzeitig Verstärkung gerufen hatten. Ihn mit dem Kommandeur des argonautischen Verbandes zu vergleichen war in etwa dasselbe wie Prometheus mit Xerxes in einen Hut zu werfen, also den Titanen, der den Göttern getrotzt hatte, um den Menschen das Feuer auf ewig zu bringen mit dem persischen Gottkönig, der es mit seinem Halbmillionenheer nicht über die Termophylen geschafft hatte. Dies war zumindest eine der Antworten, welche die Live-Reporter auf der RHEINLAND auf diese Art der negativen Berichterstattung fanden. Oder um es mit Carrie Rodriguez zu sagen: Es waren reine Verrisse, die der Wahrheit nicht einmal ansatzweise nahe kamen.
Wobei die Wahrheit, wie Arling nicht ohne Ironie und keinesfalls als Prometheus dachte, so unendlich kompliziert, schwierig und banal war, das man sie mit einem Logbucheintrag nicht erfassen konnte. Nicht annähernd zufriedenstellend für all jene, die in seinen Gefechten Angehörige verloren hatten. Auch nicht annähernd für jene, die meinten ihn deswegen verehren oder sogar hassen zu müssen.
Jedenfalls schafften sie es ohne gravierende Zwischenfälle in den Orbit des Industrieplaneten Vesuv. In früherer Zeit, als die herkulanische Dynastie ein wohlwollender Nachbar des jungen, aufstrebenden Kaiserreichs gewesen war, da hatten die Herrscher diese Welt aus dem Nichts erschaffen. Im ganzen Stabiae-System hatte es keine Welt gegeben, die Leben tragen konnte oder bereits trug, aber die Sonne war jung und stabil. Deshalb hatte der damalige Herrscher Heraklion der Siebte einen vermessenen, die Götter herausfordernden Plan entworfen. Er hatte eine Flotte aus fünftausend Kriegs- und Arbeitsschiffen aufgeboten, die im ganzen Sonnensystem auf die Jagd nach Materiebrocken gewesen waren. Damals hatte man sich nicht zugetraut, einen ganzen Planeten in jene Zone zu ziehen, die man als Biosphäre bezeichnete, jenen Gürtel um die Sonne, die es einer Welt erlaubte, ein stabiles, dem Menschen gefälliges Ökosystem zu etablieren. Also wurde sie gebaut, und mit jedem Kometen, jedem Planetoiden und jedem Meteor ein wenig größer. Schließlich und endlich, nach zehn langen Jahren, hatte der entstehende Planet genügend eigene Gravitation entwickelt, um die Brocken selbst anzuziehen, und die Flotte begann damit den neu entstehenden Planeten in Rotation zu versetzen und ihm einen Mond zu bauen, der fortan den Namen Oplontis trug. Über die Jahrzehnte war die Oberfläche geglättet worden und man brachte Eis. Dies wurde der Grundlieferant für zwei elementare Dinge des menschlichen Überlebens: Wasser und Sauerstoff. Nach vierzig Jahren harter Arbeit hatte die herkuleanische Dynastie eine eigene Welt erschaffen, mitten im Herzen des Reichs.
Doch Vesuv war nie dazu gedacht gewesen, ein blühender Garten Eden zu werden, obwohl dies durchaus möglich gewesen wäre. Stattdessen wurde sie ausgebaut als wichtigste Industriewelt des gesamten Großreichs der herkuleanischen Dynastie.
Selbst in diesen Tagen war Vesuv der Grundpfeiler der Industrie des Europa-Pakts und seit jeher heiß begehrt von den Nachbarn und ähnlichen Neidern. Aber mit den Kapazitäten einer herkuleanischen Kernwelt hatte sich der Pakt bisher halten können.
Sie schwenkten also in den Orbit um ein Wunder ein. Eine Welt zu bauen war nicht so schwer, auch wenn es ewiglich Zeit kostete. Das Innere aber in glutflüssigen Zustand, dazu in Rotation zu versetzen, um ein Magnetfeld zu initiieren, und ohne das die ganze neue Welt wieder auseinander flog, das war das Meisterstück gewesen. Auch Oplontis war dabei ein nicht zu unterschätzender Faktor gewesen. Der Mond, der in etwa ein Drittel der Masse seiner Mutterwelt hatte, bildete ein wohl berechnetes Gleichgewicht mit Vesuv. Aber in erster Linie diente er als Industrie- und Werftwelt, wo all das erbaut wurde, was unter der Schwerkraft Vesuvs nur schwerlich entstanden wäre. Zum Beispiel wurden hier die Schiffe montiert, deren Teile auf Vesuv entstanden waren. Und es waren nicht gerade wenige, die das Stabiae-System fertig montiert verließen.

„Sir? Ich denke, Sie sollten sich das mal anschauen“, sagte Oberleutnant Raglund mit ernster Miene.
Lüding trat interessiert hinter den Cheforter. Als er anerkennend pfiff, weckte er Arlene Schlüters Interesse. Sie verließ ihren Posten ebenfalls und sah sich die reinen, unbearbeiteten Ortungsdaten an. „Ist das verifiziert?“, fragte sie.
„Ich arbeite dran, Skipper.“
Arling fühlte einen leichten Stich, als er das hörte. Er hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt, das Lenie nun sein Schiff kommandierte, und das ihm außer der RHEINLAND noch vier weitere gehörten.
„Han, das glaubst du nur, wenn du es siehst“, sagte Lenie mit einer Mischung aus Lächeln und erfreutem Entsetzen.
Nun erhob sich auch der Kommodore und inspizierte an Raglunds Arbeitsplatz das Bild einer Oplontis-Werft. „Heiliger Bimbam!“
„Heiliger Bimbam trifft es wohl“, erwiderte Arlene Schlüter.
„Haben wir es vermessen, oder wurde es anhand der Archivdaten verifiziert?“, hakte Johann nach dem ersten Schreck nach.
„Ich habe es vorsichtig mit einem Laser vermessen, Sir. Ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass wir wirklich das sehen, was hier abgebildet ist. Dort unten liegt tatsächlich ein Schlachtkreuzer der Nemesis-Klasse, und laut unserer Borddaten handelt es sich um die HERCULES, das ehemalige Flaggschiff der herkuleanischen Dynastie.“
Arling pfiff anerkennend. „Ich hätte nie gedacht, das ich solch einen Riesen jemals wieder auf meinem Orterschirm haben würde. Lüding, was wissen Sie über die Schlachtschiffe der Nemesis-Klasse?“
„Nun, erstmal, das es außer der PHILLIP IV nur noch die HERCULES gibt. Die anderen wurden vernichtet oder verschrottet. Über die HERCULES hieß es auch, sie sei abgetakelt und würde nur noch als Schulschiff verwendet werden. Aber wenn ich mir das Baby so ansehe, dann scheint es mir, es bräuchte nur eine tatkräftige Crew und könnte sich in den Himmel schwingen.“
„Zweitausendachthundert Meter lang. Grob keilförmig wie alle Großkampfschiffe in der Region. Sechshundert Meter Maximalstärke am Bug, was acht Abschussrampen für Hydrae ermöglicht, bei einer Gesamtkapazität von sechshundert Rüstungen. Eintausendvierhundert Mann Besatzung, dazu Kapazitäten um viertausend oder mehr Infanteristen unterzubringen“, ratterte die Kapitänin der RHEINLAND die bekannten Daten herunter. „Eintausendundsieben Meter stark am Heck, maximale Breite eintausenddreihundert Meter hinten und eintausendeinhundert Meter vorn. Unsere RHEINLAND ist schon ein Riesenbrocken, aber in diesem Ding könnten wir sie zweimal parken. Das ist eine ungeheure fliegende Großstadt, Han.“
Arling nickte. „Allein die Kraftwerke der HERCULES würden ausreichen, um einen ganzen Kontinent von Springe mit allem Fabriken und Werften mit Energie zu versorgen.“ Arling rieb sich das Kinn. „Ich nehme an, die HERCULES wurde wieder aufgetakelt, nachdem die Nisos Elektron die PHILLIP IV offiziell in Dienst genommen hat. Was meinen Sie, Daiana?“
Die Nymphe ließ sich nicht anmerken, ob sie erstaunt darüber war, von Arling angesprochen zu werden. Immerhin hatte sie sich absolut lautlos genähert, und auch wenn sie ihren Körper fast materiell gemacht hatte, so verursachte sie jedoch kein Geräusch. „Ich denke, der Europa-Rat kann so oft und so viel versuchen wie er will, die HERCULES wieder in den Dienst zu stellen. Solange niemand die Zugriffsberechtigung hat, wird sie sich ohne fremde Hilfe nicht einen Meter weit kommen.“ Die Nymphe lächelte unergründlich. „Was das auftakeln angeht, so kommt es zeitlich durchaus hin. Theseus hat die Auftakelung der PHILLIP vor einem dreiviertel Jahr befohlen. Vor zwei Monaten war sie wieder voll aufgerüstet und die Mannschaft austrainiert. Wenn wir annehmen, dass der Rat einigermaßen zielstrebig reagiert hat, dann dürfte die HERCULES gerade in der Phase der Endaufrüstung sein. Bedenken sie, wie viel Material eine Nemesis verschlingt, wenn man alleine die Hydrae und die Beiboote berücksichtigt, ganz abgesehen von der erforderlichen Inneneinrichtung und anderen beweglichen Dingen, die man bei der Abtakelung von Bord geschafft hat.“
Arling warf der Nymphe einen überraschten Blick zu. „Danke, Nyhartes. Ein Punkt Ihrer Worte interessiert mich besonders: Diese Zugangsberechtigung, ist sie speziell? Ich meine, die Nisos Elektron konnte ihr Schlachtschiff reaktivieren, aber der Europa-Pakt nicht.“
„Sie haben vollkommen Recht, Kommodore. Es ist eine spezielle Berechtigung. Nur wir Nymphen können sie erteilen.“ Ihr Lächeln erstarb. „Wobei ich nicht so vermessen bin zu glauben, dass man nicht mit genügend Zeit selbst diese Barriere überwinden kann, ein paar fähige Techniker und Programmierer vorausgesetzt.“
„Interessant. Können Sie uns mehr darüber erzählen, Nyhartes Daiana Nissos?“, bat die Kapitänin der RHEINLAND freundlich.
Die Nymphe seufzte. „Es hängt mit der Vernichtung der herkuleanischen Dynastie zusammen. Die Schlachtschiffe waren ihre stärksten Einheiten. Zwar war das Herkuleanische Reich eine Insel des Friedens, des Wohlstands und der Nachbarschaftlichkeit, was vor allem das junge Katalaun zu nutzen wusste, aber seine Herrscher waren nie so vermessen zu glauben, das es ohne militärische Schlagkraft geschützt wäre. Dies mag für uns Nymphen gelten, aber nie für euch Körperliche. Und sie waren niemals so vermessen zu glauben, das diese Macht niemals in die falschen Hände fallen würde. Deshalb haben die Herrscher schon vor langer Zeit einen Schutzmechanismus integrieren lassen, der ihre stärkste Waffen davon abhalten sollte, jemals missbraucht zu werden. Es gab sieben Schiffe der Nemesis-Klasse. Als der Putsch losbrach, der das Reich in die Diadochen zerriss, hatte jedes einzelne eine eigene Aufgabe. Die PHILLIP IV beschützte die Hauptwelt, selbst nachdem die Königsfamilie ausgelöscht worden war, die HERCULES lag auf Vesuv auf Kiel, weil dringende Überholungen anstanden. Diese wurden lange Zeit nicht durchgeführt, weil kleinere, schnellere und leichter zu reparierende Schiffe diese Ressourcen in einer Zeit verschlangen, in der niemand sicher war, ob der Nachbar ein Feind, ein Freund oder wenigstens für kurze Zeit ein Verbündeter war. Die DAEDALUS kämpfte erbittert gegen die Ursupatoren und tötete dabei vier von sechs Rädelsführern des Aufstands. Dies war leider einer der Gründe, der zum Zerfall in die Diadochen führte, denn mit der Zerschlagung der Haupttäter gab es niemanden mehr, der das Reich zusammen halten konnte, wenngleich ihre Regentschaft weit mehr Leid über das Reich gebracht hätte als es die Aufteilung in die Diadochen ergeben hatte. Das Schiff wurde schwer beschädigt und später von seinem Kapitän gesprengt. Die IOLAOS floh nach heftigen Gefechten ins Sterngewirr außerhalb unserer Grenzen. Über ihr Schicksal ist nichts bekannt, aber wir nehmen an, das es schließlich stillgelegt und aufgegeben wurde. Die PERSEUS erlebte keinen Kampf, aber ihr Kapitän sprengte sie, um ihre Kampfkraft nicht in unberufene Hände gelangen zu lassen. Ähnlich widerfuhr es der ATHENE und der APOLLON, wobei beide Schiffe gesprengt wurden, als bereits Entermannschaften an Bord waren.“ Wieder seufzte das sphärische Wesen. „Es waren blutige Zeiten. Unruhige Zeiten. Schreckliche Zeiten.“
Arling fühlte einen kalten Schauder über seinen Rücken ziehen, als ihm bewusst wurde, das die Nymphe diese Zeiten erlebt hatte, das sie vielleicht sogar in diesen Kämpfen gewesen war. Nicht als Beteiligte, aber wohl als Beobachterin, die dabei hatte zusehen müssen, wie sich ihre Schutzbefohlenen in sinnlosen Kämpfen gegenseitig zerfleischt hatten. Er beschloss, die Stimmung die sich schwer und betrübt über den Ortungsbereich gelegt hatte, mit einem Scherz aufzulockern. „Das heißt dann also, wenn ich dieses Schiff haben will, können Sie es zum fliegen bringen, Nyhartes?“
Die Nymphe lächelte unergründlich. „Können ja. Ob ich es tun würde, steht auf einem anderen Blatt, Han.“ Mit diesen Worten schwebte sie davon.
„Keinen Kommentar“, warnte Johann Arling seine Freundin, bevor Kapitän Schlüter einen bissigen Kommentar hinzu fügen konnte, „ich bin ohnehin mit jeder Minute gereizter, in der uns nichts passiert.“
***
Es war ein ungewöhnlicher Anblick, Admiral Jenna Toral lächeln zu sehen. Allerdings war es kein freundliches Lächeln, es war hämisch, kalt und erwartungsvoll. Ihre Worte hingegen schienen den einen oder anderen erfreut aufhorchen zu lassen. „Es wird Sie freuen zu hören, Kommodore Arling, dass der Europa-Rat der Landung Ihrer Fähren zugestimmt hat. Außerdem erhalten Sie vollen und freien Zugang zu den katalaunischen Arbeitern, die unweit des König Drosd-Gedächtnisraumhafens die Großstadt Hephaistos bewohnen. Eine Delegation der Arbeiter sowie der Planetare Gouverneur Jost Villand sind bereits auf dem Weg zur Stadthalle, wo man Sie und eine Auswahl Ihrer Offiziere empfangen wird.“
„Ich bedanke mich beim Europa-Rat und beim Planetaren Gouverneur für das Entgegenkommen. Ich werde mit einer Delegation meiner Offiziere in einer halben Stunde mit dem Abstieg beginnen.“
„Selbstverständlich schicken wir Ihnen einen Leitstrahl“, versprach die alte Offizierin jovial, aber mit belustigt blitzenden Augen. „Und selbstverständlich erhält die Flottille freies Geleit bis zur Grenze, solange keinerlei Aggression von ihr ausgeht.“
„Auch dafür gebührt ihnen mein Dank und der meines Kaisers“, erwiderte der Graf.
„Ihres Kaisers, eh?“ Für einen Moment durchbrach die rechte Augenbraue der Admirälin die stoisch zur Schau getragene Ruhe, und die Geste drückte Widerwillen und Abscheu aus. „Ich wünsche Ihnen und Ihrem Kaiser Glück. Sie werden es beide brauchen, Arling. Toral Ende.“
Die Verbindung brach ab, und Johann Arling spürte, das der Akt seinem Ende zuging. Der Vorhang würde bald fallen, und er war sich nicht sicher, ob er sich über rauchende Trümmer senkte, oder über einen grandiosen Triumph.
Natürlich war es der Plan gewesen, mit Hilfe der permanent live berichtenden Presse einerseits die katalaunische Seite als die Guten hinzustellen, so gut dies zu bewerkstelligen war, und andererseits das Grauen, das Schreckliche an der Tat des diadochischen Teilstaats hervor zu heben, den er mit der Entführung von zwei Millionen Bürgern des Kaiserreichs begangen hatte. Aber ehrlich gesagt hatte der Kommodore durchaus mit ein paar Kämpfen gerechnet, wenigstens mit ein paar Scharmützeln, damit die Marine der Diadochen wenigstens das Gesicht wahren konnte. Aber er ahnte, er wusste, dass der Plan Roberts und Magic Mirandas so nicht aufgehen würde.
Aber genau aus diesem Grund hatte Robert immerhin ihn beauftragt, weil er sich hatte sicher sein können, das Arling auch in unerwarteten Situationen die Dinge zu seinem Vorteil zu drehen verstand. Auch diesmal hoffte Johann Armin Graf zu Arling, dass es ihm gelingen würde.
„Lüding, Sie begleiten mich als Adjutant. Dazu Oberst Ganth und Oberst Monterny. Außerdem such mir bitte fünf weitere Offiziere aus, Lenie. Sieh bitte zu, dass du mir Fähnrich Kensington für die Begleitung zuteilst. Er hat mir letztes Mal Glück gebracht. Ach, und Oberleutnant Russeau soll das Shuttle steuern, das uns runter bringt.“
„Irgendwann wird dein Aberglaube dich noch mal den Hals kosten, alter Raumwal“, tadelte Arlene Schlüter mit einem Lächeln.
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Exakt eine halbe Stunde später jagte eine Landefähre der RHEINLAND dem Erdboden entgegen. Da sie die Fähre, mit der sie damals auf Tripolis gelandet waren, bei der Evakuierung aus dem Militärgefängnis hatten zurück lassen müssen, war es eine andere als bei der Landung auf Tripolis. Aber es war wenigstens jene Fähre, mit der sie nach Systemdirektor Styx´ Verrat wieder in den Orbit geschafft worden waren. Manchmal setzte Arling auf solche Symbole. Wenn es auch nichts nützte, so beruhigte es wenigstens.
Insgesamt begleiteten Arling sieben Offiziere und Unteroffiziere, dazu kam eine Ehrengarde aus Matrosen und Infanteristen in Kompaniestärke. Des Weiteren begleitete sie natürlich das geschlossene internationale Pressekorps. Nicht einer von ihnen hätte sich die Chance entgehen lassen dabei zu sein, wenn ein Augenblick geschah, der vielleicht auf hundert oder mehr Jahre in den Geschichtsbüchern Erwähnung finden würde.
Der Empfang durch den Gouverneur war knapp und kalt, ebenso der Transport nach Hephaistos. Arling fragte sich, ob die Schwebebusse immer so unkomfortabel waren, oder ob man sie speziell für die Katalauner und die Presse extra unbequem gemacht hatte.
Nach kurzer Fahrt durch mehrere Stadtteile, deren Bewohner den Bussen Schimpfworte hinterher schickten, fuhren sie ihr Weg schließlich vor die Stadthalle von Hephaistos. In der Nähe der Stadt lagen fünf große Werftbetriebe, in denen die Teile für Leichte Kreuzer, Zerstörer und Fregatten vormontiert wurden. Auf dem Mond Oplontis, genauer gesagt in dessen Großwerften erfolgte dann die Endmontage. Bezeichnend dabei allerdings war, dass ein Großteil der Schiffe für den Export in die anderen Diadochenstaaten oder ins Ausland bestimmt war.
Der Platz vor der Stadthalle war menschenleer, wenn man einmal von einer Horde Funk-, Fernseh-, und Printreportern absah, welche die Ankunft der katalaunischen Offiziere mit Argus-Augen beobachtete und kommentierte.
Der Gouverneur hielt sich nicht lange mit ihnen auf und scheuchte seine katalaunischen Gäste mit allen Anzeichen der Vorfreude in die Stadthalle.
Dort, in einem kleinen isolierten Konferenzraum, erwarteten sie elf Männer und Frauen in Overalls, wie sie die hiesigen Arbeiter zu tragen pflegten. Über sie brach das Blitzlichtgewitter sowohl der internationalen als auch der nationalen Presse herein, das sie stoisch über sich ergehen ließen.
Der Mittlere der elf erhob sich. Er war Anfang sechzig, stand also noch mitten im Leben. Aber sein Haar war bereits ergraut. Seine blauen Augen funkelten zornig und sein schmales, asketisches Gesicht verlieh ihm etwas von einem Geier. Arling konnte sich nicht helfen, als er diesen Vergleich zog. Der Mann wirkte einfach so auf ihn.
„Kommodore Arling, nehme ich an?“
Arling erstarrte, als der Mann ihn ansprach. „Das bin ich. Johann Armin Arling, Kommodore seiner Majestät, Robert dem Fünften. Und ich habe die Ehre mit?“
„Kennard Willowby, ehemals Chefingenieur der Scottsdale-Werft, Munich-System, Planet Garching. Meine Beisitzer kommen von Laboe im Konot-System, Freedom im Liberty-System, Stockholm im Sunderbelt-System, Kairo im Theben-System und Loxley im Wales-System.“
Diese Worte, ein offenes Eingeständnis ihrer Identitäten löste ein Blitzlichgewitter der Presse aus.
Arling stockte für einen Moment, denn er hatte das Gefühl, jemand würde ihm einen Kübel Eis über den Rücken kippen. In seinem Innersten wusste er: Die Falle würde nun zuschnappen und ihn höchstwahrscheinlich zerquetschen.
Auch die Presse reagierte aufgekratzt wie ein Rudel nervöser Schafe, in deren Witterung ein Raubtier erschienen war. Wer sein Live-Symbol noch nicht aktiviert hatte, tat dies jetzt.
„Meine Damen, meine Herren, uns wurde vom Europa-Rat freies Geleit zugesagt. Ich bin sicher, es gelingt mir in kurzer Zeit, adäquate Kapazitäten und Vorräte zusammen zu führen, um die zwei Millionen katalaunischer Bürger-“ „Zwei Millionen, dreihunderttausendachthundertelf!“, korrigierte Willowby ihn.
„Zwei Millionen, dreihunderttausendachthundertelf katalaunische Bürger wieder zurück in die Heimat zu schaffen. Meine Flottille übernimmt den vollen Schutz.“
Diese Worte lösten einen erneuten Blitzlichtsturm aus.
Der Ingenieur lächelte für einen Moment. Es war ein kaltes, beinahe grausames Lächeln. „Warum, Mylord Arling, glauben Sie, wir würden mit Ihnen gehen wollen?“
Stoisch sah Arling den Mann an. „Nun kommt es also“, flüsterte er zu sich selbst.
Laut aber sagte er: „Warum sollten sie alle nicht nach Hause gehen wollen? Ich bin mit meiner Flotte einen weiten Weg gegangen, um das Unrecht ihrer Entführung wieder gut zu machen.“
Die Gesichtszüge des Ingenieurs entgleisten. Seine Wangenmuskeln zuckten unkontrolliert und offene Wut stand auf seinem Gesicht. „Sie irren sich, Mylord Arling. Wir wurden nicht entführt.“
Stille senkte sich über den Saal. Alle hielten den Atem an und Johann Arling war sich sicher, dass seine Leute an Bord der elf Schiffe dies ebenso taten wie ein paar Milliarden live hinzu geschaltete Fernsehsüchtige in der halben Galaxis.
Willowby atmete sichtlich aus. „Wir wurden verkauft.“
„Bitte, was?“, fragte Arling, noch immer die Maske stoischer Ruhe tragend. „Entschuldigen Sie, Sir, aber in meinen Ohren klang es so als hätten Sie gesagt, sie wären verkauft worden.“
Nun lächelte der Ingenieur wieder sein kaltes Lächeln. „Sie haben mich richtig verstanden, Mylord.“
„Nun, hätten Sie mir die Güte, mir die Namen derjenigen zu nennen, die Sie mit dieser schweren Anklage belegen, damit sich unsere Justiz darum kümmern kann?“
„Natürlich dürfen Sie die Namen der Täter erfahren. Ich nenne Ihnen sogar den Namen des Haupttäters sofort: Robert der Fünfte, Kaiser von Katalaun!“
Dies war der Moment, in dem alles drunter und drüber zu gehen schien. Für einen Moment hatte Johann das Gefühl, ihm würde der Boden unter den Füßen fort gezogen, während das internationale Pressekorps wild durcheinander brüllte und diese eine Aussage als ultimative Wahrheit bis auf alle Welten verbreitete, die in Reichweite einer Live-Verbindung waren.
Das also war die Falle gewesen. Das also hatte passieren sollen. Deshalb hatte Arling mit seiner Flotte freies Geleit erhalten. Und er ahnte, nein er wusste, das nun in Katalaun Dinge passieren würden, die er verhindert hätte, wenn er daheim geblieben wäre. So aber konnte er nur beten und hoffen, dass seiner Familie nichts passierte.
***
„Oh mein Gott!“, rief Griffin außer sich. Er sprang auf und starrte entsetzt auf den Fernsehschirm. „Das darf doch nicht wahr sein! Das ist doch erstunken und erlogen! Das...“
„SIR!“, riss ihn der scharfe Ruf von Stiles aus seinem persönlichen Horror. „Ist es Ihnen vielleicht lieber, wenn bewiesen wird, dass Offiziere aus Yura-Maynhaus bei der Verschleppung von zwei Millionen Zivilisten geholfen haben?“ Sie sah ihren Vorgesetzten an, und man sah, das sie enttäuscht, frustriert und besorgt war. „Ich weiß, ich sollte das nicht sagen, aber jetzt ist die Gelegenheit gekommen zu zu schlagen. Überraschen wir Arlings Flotte und kämpfen sie nieder, so lange sie im Schock ist. Das gibt uns wenigstens die Möglichkeit, das eine oder andere Schiff zu retten, denn ich glaube nicht daran, das sie sonst jemals wieder dieses System verlassen würden.“
Die Worte der Kapitänin der HOUSTON entbehrten nicht einer soliden Grundlage. Griffin befürchtete, das sie Recht behielt. Jetzt wo die Falle über Arling zugeschnappt war, mussten sie schon aus reinem Selbstschutz ihre Tarnung als Gryanen auffliegen lassen. Mehr noch, sie hatten dankbar sein müssen, das sie so lange stand gehalten hatte.
„Sie haben Recht, Lydia. Ich glaube, wir sollten nun das Beste aus der Situation machen. Jetzt wo Han als Verwandter eines Mannes gilt, der sein eigenes Volk in die Sklaverei verkauft hat, können die Flottenverbände Europas über ihn und seine Schiffe herfallen, und niemand würde es ihnen verübeln.“
Langsam setzte sich Coryn Griffin wieder auf seinen Sessel. Sinnierend legte er die Finger aneinander. Dann hob er eine Hand und betrachtete sie, wie sie zu zittern begann. Egal. Es war seine Pflicht, es war seine Berufung. Und hatte ihm Admiral of Sector Juri Goldman nicht diese Flausen ins Ohr gesetzt, er solle Arlings Rivale werden? Wenn er nun seine Schiffe ohne nennenswerte Gegenwehr nahm, dann würde die heimatliche Presse ihm sogar die Heimlichtuerei als Gryane verzeihen, nachdem er den gestrauchelten Arling vollends zu Boden geworfen hatte.
„Alarm für alle Schiffe. Alarm für alle Rüster. Einsatzbefehl an...“, befahl er, doch dann bemerkte er Capitaine Cochraine neben sich und brach ab. „Ja, was gibt es, Juliet?“
Die junge Offizierin hielt ihm einen elektronisch versiegelten Brief hin. „Direkte Order von Admiral Goldman, Sir. Nur von Ihnen persönlich zu öffnen, Sir. Akustisches Siegel. Das Codewort lautet Lazarus.“
„Befehle von Goldie?“ Erstaunt nahm er den Brief entgegen, und kurz wallte in ihm wilde Hoffnung auf. Doch dann schob er dieses Gefühl beiseite. Juri war der Mann gewesen, der ihn überhaupt erst auf diese Mission geschickt hatte. Resigniert brach er das Siegel. „Lazarus.“
Es klang für ihn wie die Stimme eines Fremden.


16.
28.06.2613
Kaiserreich Katalaun
Montillon-System, vierter Planet Sanssouci
Planetare Hauptstadt Neu-Berlin
Kaiserlicher Palast.

Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Gerrit Rend, der gerade seine Nichte Susu dazu überredete, auch mal ein Stück Apfel zu essen, ließ das teure Importobst auf den Teppich im Fond der Limousine fallen. Entsetzt tauschte er einen Blick mit dem Fahrer des Wagens aus. „Wir sind fast an der Residenz, Sir“, erwiderte dieser und deutete auf den Checkpoint.
„Fahren Sie durch, Herr Johnson, aber ich werde alleine aussteigen. Bringen Sie die Kinder zurück nach Hause.“
Der Limousinenfahrer runzelte die Stirn. „Sir?“
„Ich befürchte das Schlimmste.“
„Aber Sir, ich...“
„Hören Sie auf mich, Stabsfeldwebel. Muss ich erst meine Hauptmannsmarke hervor holen, damit Sie mir gehorchen?“, tadelte Gerrit milde.
„Das ist es nicht. Aber was immer Sie tun, ich kann es ebenfalls.“
„Ihre Aufgabe ist es, meine Nichte und meinen Neffen nach Hause zu bringen. Meine Aufgabe ist da drin im Palast.“ Er senkte seinen Blick. „Wer weiß was jetzt passieren wird. Es ist schon zu viel vorab geschehen. Sie werden diese Chance nicht verstreichen lassen.“ Missmutig fügte er in Gedanken hinzu: Wahrscheinlich haben sie die Chance erst selbst erschaffen.
„Sie, Sir?“
„Die gleichen, die schon einmal Elise...“ Er ließ den Rest des Satzes unbeendet, immerhin saß Susu vor ihm und spitzte die Ohren. Er streichelte seiner Nichte über das Haar und lächelte sie gezwungen an. „Hör mal, mein Schatz, du und Max könnt leider nicht mit rein. Ich muss...“
„Schon klar, Onkel Gerrit. Es ist so eine Geheimdienstsache, nicht? Keine Sorge, ich bin schon ein großes Mädchen“, versicherte sie ihm mit einer Ernsthaftigkeit, die den Agenten überraschte.
„Geheimdienstsache?“
„Na, du bist doch Geheimdienstoffizier. Mom hat gesagt ich soll dir nicht erzählen, das ich es weiß. Und ich sage es ja auch niemandem.“ Sie nickte gewichtig, so als wäre sie eine Erwachsene.
Gerrit tätschelte ihren Kopf. „Du bist schon so groß, Susu. Pass auf deinen Bruder auf, ja?“
„Natürlich“, versprach sie.
„Wir sind da, Sir. Innenhof des Kaiserpalasts.“
„Danke, Herr Johnson. Bringen Sie jetzt die Kinder heim. Danach machen Sie Feierabend. Es kann sein, dass Ihre Frau und Ihre Kinder Sie heute Zuhause brauchen werden.“
Der große Fahrer nickte ebenso gewichtig wie Susu. „Verstanden, Sir. Und alles Glück auf Erden, Hauptmann Rend.“
Rend atmete einmal tief durch, nickte schwer und gab Max und Susu einen Abschiedskuss auf die Wange. Der Junge wimmerte leise als Gerrit den Wagen verließ, aber seine Schwester bewahrte eine stoische, unwirkliche Ruhe, wie sie Kinder manchmal annehmen konnten.

Einer der Bediensteten nahm ihn in Empfang. Der Mann wirkte irritiert, beinahe schon desorientiert. „Das glaube ich nicht“, sagte er immer wieder vor sich hin, während er Rend tiefer in den Palast führte. „Das verstehe ich nicht.“
Der Mann bemerkte nicht einmal, das die Kinder ihn diesmal nicht begleiteten.
Die Wachen am Checkpoint waren dickfelliger, wenngleich beide kreidebleiche Gesichter hatten . Passend dazu erklang eine Explosion in der Altstadt von Neu-Berlin, die leise bis zu ihnen herüber hallte. „Es geht wohl los“, brummte Rend, und die beiden Elite-Soldaten nickten als Antwort.
Auf halbem Weg in die Gemächer von Elise verabschiedete sich der Bedienstete von Gerrit. Der nutzte die Gelegenheit, um im Sockel einer Statue nachzusehen, die ihm als Versteck für die Waffe versprochen worden war, mit der er Elise würde beschützen müssen. Tatsächlich enthielt der Hohlraum, nachdem er ihn entsiegelt hatte, zwei Thermopistolen. Eine nahm er an sich und steckte sie sich hinten in den Hosenbund. Die andere wurde von ihm inspiziert und neu eingestellt, bevor er sie wieder in den Sockel legte. Niemand hatte von zwei Waffen gesprochen. Aber es war augenscheinlich, das die Christen einen oder mehrere Sympathisanten im Palast hatten, wenn es ihnen gelang, in so einem sensiblen Bereich Waffen zu verstecken. Dann musste es auch möglich sein jemanden in den Palast zu schmuggeln, der die zweite Waffe benutzen würde.
Sofort eilte der Agent weiter. Es war durchaus möglich, das der Agent für den die zweite Waffe bestimmt war wusste, dass Rend ein Undercover-Agent war. Dass er der Feind war. Entweder er oder ein anderer konnten das längst herausgefunden haben, und dann wurde es eng für Gerrit.
Als er die Zimmerflucht der Prinzessin erreichte, trat er ohne anzuklopfen ein. Elisabeth Roxane von Versailles sah auf, aber in ihren Augen war keine Angst. Im Gegenteil, als sie Rend erkannte, huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. „Gerrit!“
Der junge Geheimdiensthauptmann zog die Waffe und präsentierte sie kurz der Prinzessin. Ihr Blick verdüsterte sich. „Es geht also los?“
„Es geht los. Ich habe es in den Nachrichten gesehen. Warum habt ihr Johann so ins Messer laufen lassen?“
„Es ist nicht wahr! Es ist einfach nicht wahr! Hätte Robert jemals einen solchen Befehl gegeben, dann hätte ich davon erfahren und...“ Ängstlich sah sie zu Boden. „Meinst du wir werden die Chance haben, diese Lüge richtig zu stellen?“
„Wie? Mit Worten? Sie haben es ausgesprochen, es ging durch die halbe Galaxis. Ich kenne nichts, was nun noch passieren könnte und auch noch den kleinsten Zweifel daran ausräumen könnte, dass Robert nicht doch sein eigenes Volk in die Sklaverei verkauft hat. Aber ich bin sicher, Johann wird es versuchen.“
„Ja. Er wird es versuchen. Er wird seine Pflicht tun, wie immer.“ Sie sah wieder auf. „Susu und Max?“
„Ich habe sie mit dem Kinderwagen wieder zurück geschickt. Das erschien mir sicherer. Gott, ich hoffe, sie geraten nicht in irgendwelche inszenierten Unruhen. Der Wagen ist zwar flugfähig, aber da oben bietet er auch eine grandiose Zielscheibe.“
„Inszenierte Unruhen? Glaubst du, sie kommen auch hierher?“ Angst sah er keine in ihrem Blick. Aber immerhin war die junge Frau auch gestandene Offizierin im Rang eines Oberleutnants.
„Ich denke nicht das es eine Macht in diesem Universum gibt, die es schaffen wird den Palast
von außen zu erobern, wenn er nicht mindestens mit fünf gut ausgebildeten Divisionen aufwarten kann. Nein, Elise, der entscheidende Schlag wird von innen geführt werden. Wahrscheinlich ein Attentäter. In der Geheimkammer in der ich die Waffe gefunden habe, mit der ich dich beschützen soll, war eine zweite. Und wer weiß wie viele Waffen es noch in Geheimverstecken in diesem Palast gibt.“
„Ich rufe Robert an und warne ihn“, sagte Elise entschlossen und trat zu ihrem Kommunikationspult.
„Tue das. Ich passe derweil auf dich auf“, erwiderte Rend und machte einen schnellen Rundgang durch das Zimmer. Die große Frage die ihn beschäftigt hielt war, wollten die Kreuzbrüder Elises Tod verhindern, oder wollten sie sie lebend haben? In der Klärung dieser Frage verbarg sich durchaus eine wichtige Antwort für ihn. Und irgendwie spürte er, das dies auch für sie, vielleicht für das ganze Kaiserreich galt.
„Er geht nicht ran! Das verstehe ich nicht! Ich habe meinen persönlichen Code benutzt und... Gerrit?“
Der junge Geheimdienstoffizier zog seine Waffe und entsicherte sie. „Bleib von den Fenstern weg“, sagte er mit brüchiger Stimme zur Prinzessin.
„Gerrit, was ist denn? Hast du einen Geist gesehen?“
„Ja, das habe ich.“ Er deutete nach draußen in den Garten, wo gerade eine Fähre der Admiralität gelandet war. Dutzende Marine-Soldaten verließen sie, und mitten unter ihnen ging eine Person, die er unter Tausenden sofort wieder erkannt hätte. „Magic Miranda macht sich gerade auf zu einem Coup d´État.“
Entgegen seiner Warnung stürzte sie ans Fenster und sah hinaus. „Aber sie ist tot! Außerdem würde sie so etwas niemals tun!“, rief Elise bestürzt.
„Das sehe ich auch so“, erwiderte Gerrit und schob die junge Frau wieder fort von den Fenstern.
„Was tun wir jetzt, Hauptmann Rend? Es sieht so aus als würden sie ihren Schlag tatsächlich von innen führen.“
„Was du tust werde ich dir sagen. Du bleibst schön in meiner Nähe, damit ich auf dich aufpassen kann. Charly würde mir den Hals umdrehen und den Kopf durch den Arsch raus reißen, wenn dir was passieren würde.“
Die Prinzessin errötete leicht als der Name des Obersten fiel. Gerrit sah das mit ein klein wenig Neid. Ob er auch mal eine Frau finden würde, die ihn so vorbehaltlos lieben konnte? Nun, es war zu hoffen. Falls er den heutigen Tag überlebte.
„Hauptmann Rend, ich weiß Sie sind ranghöher als ich. Dennoch gebe ich Ihnen jetzt einen Befehl in meiner Eigenschaft als Thronfolgerin.“
„Fang jetzt bitte nicht mit diesem Quatsch an, Elise! Mein Job ist es dein Leben zu retten!“
„Falsch!“, sagte sie scharf. „Gerrit Rend, dein Job ist es ab sofort, mein Leben zu beschützen und das deines Kaisers zu retten!“
Resignierend ließ Gerrit den Kopf hängen. „Hast du irgend eine Waffe hier? Wenigstens einen Stunner?“
„Umgehen ja, haben nein.“
„Gut, wir besorgen unterwegs was. Und jetzt bete.“
„Bete für was?“
„Bete, das wir bis zu Roberts Büro nur auf Wachen treffen, die nicht den dringenden Wunsch verspüren dich zu töten.“
„Gerrit Rend“, flötete sie, „ich wusste gar nicht, das du so romantische Worte finden kannst.“
„Ich kann auch romantisch schießen“, erwiderte er bissig. Vorsichtig öffnete er die Tür und beobachtete am Ende des Gangs die kaiserliche Wachen, die irritiert ihren neuen Instruktionen lauschten und anschließend die Kreuzung räumten. „Los jetzt!“ Er lief voran und die Prinzessin folgte ihm auf dem Fuß.
***
Man konnte nicht gerade sagen, das Robert das Politik-Geschäft von der Pike auf gelernt hatte. Im Gegenteil. Er hatte sein Lebensziel immer in der Flotte gesehen und von einem Nomadenleben als Kapitän geträumt, das ihn von Planet zu Planet führen sollte, eine ewige unendliche Reise der Einsamkeit, die ihm geziemte, nachdem er die einzige Frau, die er je geliebt hatte, auf Nimmerwiedersehen ins Nirgendwo hatte ziehen lassen.
Dennoch hatte er die Politik und all ihre schmutzigen Kniffe lernen müssen, nachdem die
Revolution der Herzen ihn in dieses schwierige Amt geschleudert hatte.
Zwar war mit seinem Thron eine Reihe weitreichender Privilegien verbunden, aber das Parlament konnte mitunter hart, ungerecht, intrigant, befehlshaberisch und eigensinnig sein. Und das galt für die guten Tage.
Robert war sich nie ganz sicher gewesen, ob die Vorteile diese Nachteile aufwogen. Heute entschied er sich spontan dafür, das sie es nicht taten.
Erst nach mehreren Minuten erwachte er aus seiner Starre und deutete auf das große Hologramm. „Hat irgendjemand eine Erklärung dafür?“ Er sah seine Berater an, sah Direktor Rütli an, Mannth und die anderen, schließlich Admiral Kress.
„Es ist eine Lüge, Sir“, sagte Rütli schließlich. „Abgesehen davon, das Sie niemals zwei Millionen kaiserlicher Untertanen verkauft haben, hat auch niemand in Ihrem Namen den Befehl dazu gegeben. Ich werde sofort meine Feldagenten darauf ansetzen. Binnen einer Stunde können wir eine Pressekonferenz geben, in der wir sämtliche Vorwürfe ad absurdum führen.“
Robert runzelte die Stirn. „Innerhalb einer Stunde? Ist das eine positive oder eine negative Schätzung?“
„Eine optimistische, Majestät. Allein die Fakten zusammen zu tragen wird fast eine Stunde dauern.“
Robert atmete tief aus. „Dann geben Sie bitte Alarm für die Sicherheit und lassen Sie die Milizen aktivieren. Wenn unsere Gegner von der religiösen Front einigermaßen informiert sind, dann werden sie in dieser Stunde zuschlagen, in einer Zeit, in der ich mich nicht wehren kann.“
„Ich glaube, das tun sie schon, Majestät“, meldete sich Kress zu Wort. Er deutete auf das Hologramm. Gezeigt wurden verschiedene Personen, die man auf der Straße fragte, ob ein Mann wie Robert unter diesen Umständen noch Kaiser bleiben sollte. Die Antworten waren alle sehr eindeutig und teilweise recht weit unter der Gürtellinie platziert.
„Das ist eine Inszenierung, Majestät“, stellte Mannth fest.
Direktor Maier fügte hinzu: „Wir sollten sofort eine Stellungnahme abgeben, in der wir Willowby der Lüge bezichtigen. Außerdem sollten wir so schnell es geht so viel wie möglich über ihn und die anderen zehn Vorsitzenden herausfinden. Ich bin sicher, sie sind allesamt keine unbeschriebenen Blätter und kollaborieren mit dem Europa-Pakt, weil sie dadurch weit reichende persönliche Vorteile haben.“
„Tun Sie das bitte, Direktor Maier“, bat Robert. Dennoch, die Zahl dieser einseitigen Interviews riss nicht ab. „Gibt es von irgendwo positive Meldungen?“
„Der Polizeipräfekt bittet um Anweisungen. Es gab Explosionen in der Innenstadt und der Altstadt, die aber wenig Schaden angerichtet haben. Er bittet um die Entsendung der Miliz.“
„Immerhin hört die Polizei noch auf uns“, murmelte der Kaiser. „Geben Sie entsprechende Anweisungen, Admiral Kress.“
„Sehr wohl, Mylord.“
Der zum Admiral konvertierte General trat an ein Arbeitspult. „Majestät, wir haben ein Problem. Das Computerprogramm hat mich herab gestuft.“
„Herab gestuft? Wurde das System übernommen?“
„Nein, Sir, aber innerhalb der Admiralität bin ich nur noch Überrangsberechtigter Nummer zwei.“
„Um Himmels Willen, wer ist dann Nummer eins?“
Aschfahl wandte sich der ehemalige Bodentruppengeneral seinem Herrscher zu. „Es ist Admiral Miranda von Hohenfels, Majestät.“
„Aber Miranda ist...“
„Majestät, soeben wird mir gemeldet, das eine Fähre im Garten gelandet ist. Sie kommt direkt von der Admiralität“, meldete Mannth, während sie konzentriert auf die Stimme in ihrem Ohrhörer lauschte. „Admiral von Hohenfels hat das Kommando über sie übernommen und befindet sich an der Spitze einer Kompanie auf dem Weg zu uns.“
„Binnen einer Stunde“, zischte Robert. Wenigstens wusste er jetzt, wie sie ihn angreifen wollten.

Als Magic Miranda in Begleitung einer Handvoll unbekannter Offiziere und Mannschaften in sein Büro gestürmt kam, geschah dies vor allem deshalb, weil Robert seiner Garde einen Kampf verboten hatte. Die Männer und Frauen wären durchaus in der Lage gewesen, die Admirälin und ihren Begleitschutz wieder aus dem Palast zu werfen, wahrscheinlich hätten sie die ganze Truppe aufreiben können. Aber das plötzliche Auftauchen von Miranda von Hohenfels hatte der Situation eine vollkommen eigene Dynamik gegeben.
Robert erhob sich, als die ältere Frau eintrat. Ihr Gesicht wirkte merkwürdig verzogen. Ihr rechtes Auge war durch ein Implantat ausgetauscht worden und auf ihrer rechten Stirn schimmerte eine metallische Prothese, über die die Haut gerade erst wieder zu wachsen begann. Ihr rechter Arm war bis zur Schulter durch eine Prothese ersetzt worden, wahrscheinlich züchtete ihr irgendein fähiges Biolabor gerade einen neuen Arm, der den Behelf irgendwann ersetzen würde.
„Sie brauchen nicht extra aufzustehen, nur weil ich eintrete“, scherzte sie. Kurz ging ihr Blick über die Berater und direkt zu Kress, bevor sie sich wieder Robert zu wandte. „Majestät, wie Sie sehen, lebe ich noch. Das verdanke ich aber nicht Ihnen. Im Gegenteil. Ich konnte die letzten Wochen nutzen, um Beweise dafür zu sammeln, das Sie den Mordanschlag auf mich, Krüse und von Schilling befohlen haben. Und ich habe auch eine Erklärung, warum Rütli und Mannth entkommen konnten, während Krüse und Schilling in ihren Bombenfallen starben.“
„Das ist ein starkes Stück“, sagte Robert ernst. „Erst verschweigen Sie mir wochenlang, das Sie noch leben. Die Flotte hätte Sie dringend gebraucht, Miranda. Und zweitens stürmen Sie mitten in mein Heiligstes und bezichtigen mich des Versuchten Mordes?“
„Anstiftung zum mehrfachen Mord, der in sechs Fällen gelang“, erwiderte die Herzogin ernst. „Wir wollen Admiral Crown, Kommodore Rundschau und Konteradmiral Sillient nicht vergessen.“
Admiral von Hohenfels seufzte schwer. „Majestät, ohne es zu wissen war ich Ihnen auf der Spur. Meine engsten Vertrauten hatten Beweise dafür gesammelt, das Sie tatsächlich jene zwei Millionen Facharbeiter, die nun auf Vesuv dienen, verkauft haben. Doch bevor ich mich mit meinen Untergebenen kurz schließen konnte, bevor ich mit Krüse und Schilling sprechen konnte, starben sie im Inferno der Bomben, die Sie befohlen haben. Ich kann einen Mann, der schlimmer ist als Frederec, nicht auf dem Thron lassen. Ich weiß, Sie verstehen das.“
Stoisch ließ Robert die Anklage über sich ergehen. Als Admiral von Hohenfels schwieg, wechselte er einen ernsten Blick mit Kress, der unwillig den Kopf schüttelte.
„Miranda, ich bin der Kaiser! Ich kann haben was immer ich will! Aus welchem Grund sollte ich zwei Millionen meiner Bürger in die Fremde verkaufen, dazu noch an eine Nation, die mit uns im Krieg liegt? Warum sollte ich mein eigenes Reich schwächen wollen?“
Die Admirälin lachte hässlich. „Mehrere Gründe. Ich bezweifle stark, das Ihr Euch für das Geld interessiert habt, Majestät. Aber die verschleppten Menschen, Männer wie Frauen, gehören religiösen Minderheiten an, die unter Eurer Regentschaft unterdrückt, ja sogar verfolgt wurden. Es war eine gute Gelegenheit, sie los zu werden. Bequem, beinahe spurlos und ohne Folgen für das Kernreich. Jeder in diesem Raum weiß, dass die Säkularisierung für Euch das höchste Ziel ist. Menschen die sich zu einer Religion bekennen straft Ihr mit Verachtung, Majestät. Ich hätte nie gedacht, das diese Verachtung so tief geht und so extrem enden wird. Und als wir anfingen, der Sache nach der Rückeroberung von Munich auf den Grund zu gehen, beschlosst Ihr, Euren Cousin Johann Arling los zu schicken, um die Spuren zu beseitigen, indem Ihr vorgeben konntet, Ihr hättet die verschleppten Bürger zurück holen wollen. Zweifellos hat Johann Arling Zusatzbefehle, die ihm erlauben die unerwünschten Zeugen notfalls auszuschalten, wenn nicht alle zwei Millionen zu töten.“
„Das ist solch ein Quatsch, solch ein hanebüchener Unsinn!“, rief Robert aufgebracht. „Diese Geschichte ist derart an den Haaren herbei gezogen, dass sie zum Himmel stinkt! Und was Sie angeht, Miranda, ich...“
Kress legte dem Kaiser kurz die Hand auf die Schulter, und seine Majestät verharrte im Versuch, seine Beherrschung zurück zu erlangen. Als es ihm gelungen war, starrte er die Admirälin böse an. „Verlassen Sie diesen Raum! Verlassen Sie diesen Palast! Und dann fliegen Sie zurück auf Ihre Heimatwelt! Ich entbinde Sie mit sofortiger Wirkung all Ihrer Pflichten!“
„Das kann ich leider nicht tun, Majestät.“
„Dann werde ich jemanden finden, der Sie und Ihre Begleiter entfernt. Die neuen Gesichter irritieren mich ohnehin.“
„Es war schwer ein paar zuverlässige Offiziere in meinem eigenen Stab zu finden, die nicht von Euch korrumpiert wurden, Majestät.“
Diese Worte ließen Robert böse knurren. „Direktor Rütli, rufen Sie die Garde. Lassen Sie Admiral von Hohenfels erst aus dem Palast und dann von diesem Planeten entfernen.“
„Sofort, Majestät.“
Die Admirälin zog ihre Dienstpistole, ebenso verfuhren die sie begleitenden Offiziere. Kress zog nun ebenfalls seine Dienstwaffe und trat auf einen unauffällig in den Boden eingelassenen Knopf. Ein leichtes Flimmern in der Luft zeigte an, das der Raum nun von einem Hochleistungsenergieschirm zweigeteilt war.
„Sie haben keine Möglichkeit, diesen Schirm zu durchdringen, Miranda. Also geben Sie diese Farce auf. In einer Stunde ist alles vorbei und die Galaxis kennt die Wahrheit.“
„Oh, die Galaxis kennt die Wahrheit bereits. Das heißt, eigentlich sollten wir dem Kaiserreich ersparen, seinen letzten Herrscher vor ein Gericht zu schaffen. Wir sollten Euch Exil gewähren, wie Ihr es mit Frederec getan habt.“
„Sie verkennen die Lage, Miranda! Ich habe die Trümpfe in der Hand!“, erwiderte Robert aufgebracht.
„Nein, nicht ganz. Ein Trumpf steckt noch in meinem Blatt.“ Das Zerrbild, das einmal die Admirälin von Hohenfels gewesen war, drückte einen Knopf auf ihrem Kombi-Armband. Sofort erklang das heftige Grollen einer Explosion zu ihnen herüber. Die Panzerglasscheiben klirrten in ihren Fassungen.
„Das war der Lander, mit dem wir gekommen sind. Wir haben noch mehr Bomben von ähnlicher Sprengkraft in Neu-Berlin verteilt. Sie befinden sich genau dort, wo in diesem Moment spontane Demonstrationen gegen Eure Regierung stattfinden, Majestät. Ich kann sie mit meinem Armband jederzeit zünden. Und niemand wird einen Zweifel daran hegen, dass Ihr diese Massaker befohlen habt, Majestät.“
„Sie bluffen“, sagte Robert tonlos.
Miranda schnaubte unwillig und gab eine Tastenkombination ein. In der Ferne erklang lautes Donnergrollen. „Ihr habt gerade ungefähr eintausend Mitglieder der Kreuzbruderschaft ins Jenseits geblasen. Und ich habe noch mehr dieser Bomben.“
„Elende falsche Schlange!“, knurrte Robert. „Dafür werden Sie büßen, das verspreche ich Ihnen!“
„Natürlich kann ich Euch nun nicht mehr leben lassen. Ihr habt immerhin eine Bombe auf den politischen Gegner werfen lassen.“ Mit einer gewissen Genugtuung, die ihr verzerrtes Gesicht wie eine schlecht gearbeitete Maske aussehen ließ, nickte sie.

Direktor Maier trat vor, griff in sein Jackett und zog einen Thermoblaster hervor. Bevor einer der anderen reagieren konnte, rammte er Robert die Waffe gegen den Kopf und drückte ab.
Als nichts geschah, zeichnete sich Verwunderung auf seinem Gesicht ab. Dies war der letzte Ausdruck in seinem Leben, denn nun zeigte sich unbegreifliches Erstaunen auf seinem Gesicht, während sich ein Teil seines Anzugs schwarz färbte und zu kokeln begann. Ein Strahlschuss aus Gerrit Rends Thermoblaster hatte ihn von hinten in den Rücken getroffen und die gesamte Thermalenergie in den Brustkorb entlassen. Dadurch waren das Herz, die Muskeln sowie neunzig Prozent der Lunge zu Asche zerblasen worden, und beinahe wäre ein Teil der Energie vorne wieder ausgetreten, doch die geschwächten Energien schafften es nur noch zwischen den Rippen hindurch seine Kleidung zu versengen. Er war bereits tot, während er neben dem Kaiser zu Boden stürzte. „Puh. Gut das ich die Waffe manipuliert habe“, murmelte Gerrit mehr zu sich selbst.
Hinter ihm betrat Elisabeth die kaiserliche Hälfte des Raums. „Admiral von Hohenfels, hören Sie auf!“, sagte sie ernst und gefasst. „Ich bin sicher, der Kaiser hat verstanden! Er wird abdanken, haben Sie gehört? Abdanken!“
Robert warf seiner Nichte einen überraschten Blick zu. Dann sah er aus dem Fenster, durch das man die Rauchwolke in der Innenstadt sehen konnte.
„Es besteht keinerlei Notwendigkeit, ihn zu töten! Im Gegenteil! Sein Tod würde nur seine Anhänger aufrütteln, und dann haben wir einen Bürgerkrieg!“
Langsam, mürrisch nahm von Hohenfels die Hand vom Armband. Dann gab sie ihren Begleitern den Befehl, die Waffen fort zu stecken.
„Also gut. Majestät, löscht den Energieschirm. Danach bitte ich um eine Unterschrift unter diese Urkunde, in der Ihr verkündet, zugunsten Eurer Nichte abzudanken.“ Einer ihrer Begleiter reichte ihr ein Pergament.
In Roberts Gesicht zuckte ein Wangenmuskel, als er mühsam um Beherrschung rang. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, seiner Garde den Angriff zu befehligen und diese Truppe Verräter, Kollaborateure, Erpresser und Menschenverächter ausschalten zu lassen, aber dafür würde Hohenfels seine Bürger töten. Bürger, die gegen ihn auf den Straßen demonstrierten, aber immer noch seine Bürger. „Sie sind ja für jede Eventualität vorbereitet, was?“, fragte Robert bitter.
„Ihr ahnt ja gar nicht für wie viele. Den Energieschirm, wenn ich bitten darf.“
Der Kaiser nickte Kress zu. Der General trat einen Schritt vor und deaktivierte den Schirm mit dem getarnten Schalter wieder.
Sofort zog einer der Begleiter der Admirälin seine Waffe, aber Elisabeth hatte sich bereits vor den Kaiser gestellt. „Ich werde es nicht zulassen, dass er getötet wird! Versteht ihr das? Robert wird leben, oder ich werde nicht mitspielen!“
Der Offizier, der die Waffe noch immer gezogen hielt, fiel wie eine gefällte Eiche zu Boden, als ihm ein weiterer Schuss aus einer Thermowaffe in den Brustkorb traf und auf der Stelle tötete.
„Verdammt, das Ding ist viel zu hoch eingestellt“, fluchte Gerrit Rend. „An dieser Stelle möchte ich anmerken, das ich jeden töten werde, der auch nur daran denkt, ihrer Hoheit... Nein, ihrer Majestät, der Kaiserin von Katalaun zu schaden!“ Mit stoischer Gelassenheit richtete Gerrit Rend die Waffe auf Miranda von Hohenfels. „Und glauben Sie mir, mich können Sie nicht mit dem Leben irgendwelcher Reaktionäre erpressen!“
„So schnell also hast du mich vom Thron gestoßen“, murmelte Robert mit einem beinahe erfreuten Grinsen. „Nun geben Sie diesen Wisch schon her, Hohenfels!“
Wenn sie über den Tonfall des Kaisers erbost war, zeigte sie es nicht. Sie übergab das Dokument einem ihrer Begleiter, der es seinerseits dem Kaiser reichte, bis er unterschrieben hatte. Danach trat er zurück und gab der Admirälin das Pergament zurück.

Von Hohenfels nahm es entgegen. Sie sank vor Elisabeth auf ein Knie und ihre Begleiter folgten hastig ihrem Beispiel. „Majestät. Ich erwarte Eure Befehle.“
„Übernehmen Sie wieder Ihre Aufgaben in der Flottenzentrale, Admiral von Hohenfels“, sagte sie mit fester Stimme. Sie lächelte ihren Onkel an und legte eine Hand auf seine Schulter. „Ich wurde dafür ausgebildet, damit ich dich eines Tages ersetzen kann, Robert.“
Der Kaiser tätschelte die Hand und erwiderte das Lächeln. Als er sich erhob und vor die Admirälin trat, war aber keinerlei Freundlichkeit in seiner Stimme. „Ich nehme an, ich kann den Palast verlassen, ohne getötet zu werden?“
„Seien Sie froh, Versailles, das Ihre Majestät wünscht, dass Sie leben“, zischte sie.
Robert verstand. Noch brauchte man Elises Wohlwollen, aber damit würde es auch bald vorbei sein, sobald ein paar Änderungen in der Regierungsstruktur vorgenommen worden waren. Er nickte und ging ohne Angst mitten durch die Flottenoffiziere hindurch. Kurz klangen freudige Rufe der Gardisten auf, die von den begleitenden Flottensoldaten daran gehindert worden waren das Büro zu betreten, aber als die Neuigkeit die Runde machte, wurde die Garde unwillig.
Durch die offene Tür hörten sie Robert mit ihnen reden und sie eindringlich darum bitten, fortan Elisabeths Leben zu beschützen, als wäre es seines.
Von Hohenfels, die diese Worte hörte, schnaubte wütend aus. „Was den Ersatz für Direktor Rütli, Direktor Mannth und Direktor Maier angeht, Majestät...“
„Das fällt nicht in Ihre Aufgaben, von Hohenfels“, tadelte Elisabeth ernst. „Außerdem wünsche ich nicht, dass Rütli und Mannth ersetzt werden. Aber ich bin sicher, man wird mir einen geeigneten Kandidaten für Direktor Maier vorschlagen. Vielleicht einen, der nicht so schießwütig ist.“
„Wie Majestät meinen“, brummte von Hohenfels. „Ich werde nun in die Flottenzentrale zurückkehren. Kress, Sie übernehmen wieder die Leitung der Bodentruppen. Außerdem habe ich einen Sonderauftrag für Sie.“
Der General zögerte, bis die Kaiserin ihm zunickte. „Ich stehe zu Ihrer Verfügung, Admiral. Was kann ich tun?“
„Schnappen Sie sich die PRAG und holen Sie Frederecs toten Körper endlich heim.“
Kress erstarrte. Das bedeutete nicht mehr und nicht weniger, als Herzog Beijing zum Kampf zu stellen. Außerdem wurde der Kaiserin ihr persönliches Schiff entzogen, für wer weiß wie lange. Wobei ein einziger Tag vielleicht schon reichte, um ihren Tod zu bedeuten. „Ich will einen offiziellen Befehl!“, schnarrte er wütend.
Ein triumphierendes Licht glimmte in den Augen der Admirälin. „Ich wusste, dass Sie ein guter Befehlsempfänger sind, Kress. Natürlich kriegen Sie Ihren Befehl.
Majestät, ein Teil der Mannschaften, die ich mitgebracht habe, werde ich zu Eurem Schutz da lassen, bis sich die Lage beruhigt hat. Ich bin sicher, die Nachricht von Roberts Rücktritt wird die Unruhen schnell abflauen lassen.“
„Das brauchen Sie nicht. Ich habe meine Garde“, erwiderte Elisabeth ernst.
„Wir KÖNNEN Roberts Garde nicht trauen!“, blaffte von Hohenfels.
Elisabeth zuckte zusammen. „Na gut. Für den Zeitraum der Krise ist nichts dagegen zu sagen.“
Wieder leuchteten die Augen der Admirälin triumphierend, und Gerrit Rend ahnte, das sie sich auf der Siegerseite sah. Er für seinen Teil nahm sich vor, Elises Seite für den Zeitraum der Krise auch nicht zu verlassen. Und die würde mit Roberts Abdankung erst beginnen. Denn nun würden die religiösen Gruppen wieder von der Leine gelassen werden, und das Spiel, das einst Frederec so übel mitgespielt hatte, würde von neuem beginnen. Niemand würde es stoppen können. Wirklich niemand. Verdammt, Gerrit wünschte sich, Han wäre jetzt hier und nicht irgendwo in den Diadochen.
***
„Hier ist Carrie Rodriguez live aus Hephaistos, der Arbeiterstadt auf dem künstlichen Planeten Vesuv im Stabiae-System für Terra News Channel. Geben sie mir fünf Minuten ihrer Zeit und ich gebe ihnen das Universum...“

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Corrand Lewis,
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Für den Kaiser!


Episode drei: Der Aufstand der Gerechten

Prolog: „Hier ist Carrie Rodriguez live aus Hephaistos, der Arbeiterstadt auf dem künstlichen Planeten Vesuv im Stabiae-System für Terra News Channel. Geben sie mir fünf Minuten ihrer Zeit und ich gebe ihnen das Universum.
Es ist noch keine vier Stunden her, dass der Sprecher der Arbeiter von Hephaistos Kommodore Arling ins Gesicht gesagt hat, dass Robert der Fünfte über zwei Millionen und dreihunderttausend seiner Bürger ins Ausland verkauft haben soll.
Nur wenige Stunden darauf trafen die Nachrichten von gravierenden Umwälzungen auf Sanssouci bei uns ein. Von spontanen Demonstrationen ist die Rede, sogar von mehreren Bombenanschlägen mit teilweise horrenden Opferzahlen auf eben diese Demonstrationen. Im Zuge der zunehmenden Unruhen erklärte der Kaiser seinen Rücktritt zugunsten seiner Nichte Elisabeth Roxane von Versailles, die bereits formell die Amtsgeschäfte übernommen hat. Als Roxane III. wird sie die fünfzehnte Kaiserin auf dem katalaunischen Thron sein.
Positiv zu vermerken ist, das dieser Schritt die Lage in Neu-Berlin und anderen großen Städten schlagartig beruhigt hat. Zugeständnisse an die Opposition und die schnelle Reaktion von Robert von Versailles sind die Gründe dafür. Aber es bleibt ein fader Nachgeschmack, denn bis zur Stunde hat Robert von Versailles keine Stellungnahme zu den Vorwürfen abgegeben. Zur Zeit ist er nicht auffindbar, und die Regierungspartei fordert zu Recht, das dem ehemaligen Kaiser das Recht gegeben werden muss, vor dem Parlament zu sprechen, alleine schon um seinen Anhängern zu beweisen, dass Robert noch am Leben ist.
Roxane III. bemüht sich ein erneutes Aufheizen der Atmosphäre zu verhindern, und das wundersame Auftauchen der tot geglaubten Admirälin Marina von Hohenfels scheint ihre so hastig übernommene Position zu stärken. Dennoch fragt sich eine ganze Nation: Wo ist Robert, und sind die Vorwürfe gegen ihn wahr?
Während die Opposition und viele den religiösen Gruppen zugeordnete Prominente Roberts Schweigen als Schuldeingeständnis werten, fragt sich der einfache Mann auf der Straße, ob dies der gleiche Robert ist, der nur wenige Jahre zuvor in der Revolution der Herzen sein Leben riskiert hat, um die Leben seiner Mitbürger zu schützen. Es bleibt ein schaler Nachgeschmack bei diesen Nachrichten, und lediglich die Gewissheit, das mit Roxane III. die Linie der Versailles und damit die zuverlässige, stabile Regierung Roberts fortgesetzt wird, da Roxane III. viele der alten Minister hat halten können, erleichtert den Menschen diesen radikalen Umschwung.
Dazu beigetragen hat sicherlich die Absetzung des republikanischen Admiral of Sector Juri Goldman, der vorerst unbefristet beurlaubt wurde, da man in Yura-Maynhaus in jedem Fall davon ausgeht, das er von der Entführung von über zwei Millionen kaiserlichen Bürgern gewusst hat und eventuell sogar daran beteiligt gewesen war. Zugleich hat Yura-Maynhaus der neuen Regierung Katalauns einen einseitigen Waffenstillstand verkündet und Friedensgespräche angeboten. Tatsächlich war es an der Frontlinie zwischen Katalaun und Yura-Maynhaus seit Kriegsausbruch noch nie so ruhig. Selbst auf der Kampflinie der Schwesternsysteme Eridani Sixtus und Septus ist ein brüchiger Frieden eingekehrt.
Die Republik hat derweil eine Untersuchung angekündigt und versprochen, all jene Offiziere, die an der Massenentführung beteiligt waren, vor ein Kriegsgericht zu stellen, mit Juri Goldman an der Spitze, den das Hauptquartier schon als Hauptschuldigen gefunden zu haben scheint.
Aber jedem mit ein wenig politischem Sachverstand muss klar sein, das diese Affäre, auf einen einzigen Admiral abgewälzt, Yura-Maynhaus bei Friedensverhandlungen eher stärken wird. Die Frage wird dann sein, wie viele Systeme des kaiserlichen Gebiets kann die Republik als Friedenspreis fordern... Und wie viel wird sie fordern?
Derweil ist bereits ein neuer Befehl für Kommodore Arling eingetroffen, unterschrieben von Marina von Hohenfels persönlich, der die Flottille alsbald zurück beordert. Dies hat Kommodore Arling aber nicht davon abgehalten, jedem Bürger Katalauns, der auf diese Welt gebracht wurde, anzubieten, mit der Flottille wieder in die Heimat zu fliegen. Drei Stunden nachdem diese Verlautbarung verbreitet wurde hat sich noch nicht ein einziger katalaunischer Zwangsarbeiter auf dem Raumhafen gemeldet. Dies ist der schwärzeste Tag für Johann Arling und sein gewitztes Geschwader.
Ich bin Carrie Rodriguez für TNC. Geben sie mir fünf Minuten ihrer Zeit, und ich gebe ihnen das Universum.“


1.
29.06.2613
Hephaistos, Nordkontinent Phebia
Industriewelt Vesuv
Stabiae-System
Europa-Pakt

Es schien als sei nichts geschehen für diese riesige Stadt. Während sie in ihr umher wanderte, hielt Madeleine Russel sie für steril und kalt, für ein in den Himmel hoch gezogenes künstliches Konstrukt ohne Charme, nur mit dem Ziel, einer maximalen Menschenmenge ein Minimum an Komfort zu bieten, aber sie hätte nicht gedacht, dass diese Kälte auch die Menschen erfasst hatte.
Vergeblich sah sie sich nach Parks, nach Zentren öffentlichen Lebens um. Lediglich ein paar spärlich ausgestattete Geschäfte, einige kleine Cafés und ein paar Bars konnte sie in den unteren Stockwerken einiger seelenlosen Wohnsilos erkennen. Diese waren sehr gut frequentiert, aber die Stimmung in ihnen hatte die gleiche Kälte wie sie die engen Straßen und die das Licht schluckenden Riesengebäude ausstrahlten.
Beinahe hätte sie sich in eine der wenigen Gaststätten gewagt, wenn sie nicht gesehen hätte wie ein junger Arbeiter seine Identitätsmarke am Eingang benutzte und abgewiesen wurde, weil – wie ihm eine gefühllose Computerstimme mitteilte – dies nicht sein Bezirk sei und ein Tadel auf seinem Chip gespeichert worden war.
Madeleine Russel begriff. Die Menschen hier waren an bestimmte Bereiche gebunden, in denen sie ihre Freizeit verbrachten. Ihnen war nicht erlaubt, diese Bereiche zu verlassen. Und um das gar nicht erst zu ermutigen durften sie nur die wenigen Geschäfte in ihrem Bezirk nutzen.
Nun, die Ninja hatte zwar einen nachgemachten Overall am Leib, hatte aber vor Beginn der Operation nichts von diesen Ausweisen und ihre rigorose Nutzung wissen können. Also hatte sie davon abgesehen ihr Glück auf die Probe zu stellen. Sie war weiter gegangen.
Leider ergab sich dadurch kein Gespräch mit einem der Einheimischen, was für die Aufklärungsmission elementar gewesen wäre. Alleine durch Beobachtungen konnte sie nicht mehr erfahren als das was sie sah, weitere Informationen aus erster Hand waren ihr vorerst verbaut. Und das war wenig genug.
Wäre sie an der Stelle des Paktes gewesen, hätte sie selbst versucht, zwei Millionen unfreiwilliger Arbeiter zu ghettoisieren, um sie besser unter Kontrolle zu halten. Wahrscheinlich durften die Katalauner die Stadt auch nur verlassen, wenn sie zu ihren Arbeitsplätzen mussten. Und danach mussten sie stantepede zurückkehren. Eine sehr effektive Form der Kontrolle, wie sie widerwillig zugeben musste. Und irgendeine Form von Kontrolle musste es geben, denn zwei Millionen Menschen waren ein beachtlicher Faktor, vor allem wenn sie für einen Aufstand bereit waren.Aber das war leider noch kein stichhaltiger Beweis dafür, das diese Menschen gegen ihren Willen hier gefangen gehalten wurden. Verschleppt sicherlich, aber vielleicht hatten sie sich mit ihrer Situation mittlerweile abgefunden und Lebensbedingungen vorgefunden, die besser waren als in Katalaun. Die Ghettoisierung konnte einfach nur die erste Form das Assimilation sein. Das war kein schöner Umstand für das Geschwader Arling.

Durch einen glücklichen Zufall gelang es ihr, eines der Wohnhäuser zu infiltrieren. Eine Tür war mit einem Fußabtreter verkeilt worden und hatte nicht richtig geschlossen, was es ihr erlaubte, das eigentlich hermetisch abgeriegelten Gebäude zu betreten. In der großen Lift-Halle, die ihre Bewohner in alle einhundertzwanzig Wohnstockwerke brachte, fand sie relativ leicht einen Weg in die Wartungsstockwerke im Keller, wo die Versorgung des gesamten Wohnblocks zusammen lief.
Dort stieß sie auf einen voll automatisierten zentralen Verteiler für das Medienangebot.
Sie klinkte sich ein und begann die vielen verschiedenen Kanäle durchzuschalten. Bereits nach der ersten Minute war sie irritiert. Nach der fünften gab sie konsterniert auf. Noch nie hatte sie so viel konzentrierte Propaganda gegen Katalaun auf einem Haufen gesehen. Schlimmer noch, in allen fünfzig Kanälen – zehn Fernsehprogramme und vierzig Radiokanäle – war Arlings Flotte und ihre Anwesenheit im Orbit um Vesuv nicht einmal ansatzweise erwähnt worden, geschweige denn das Rückführungsangebot des Grafen. Stattdessen wurden fiktive Siegesberichte der Yura-Maynhaus-Flotte lanciert, die nicht einmal annähernd der Wahrheit entsprachen. Für Madeleine Russel stand fest, das die Menschen hier bis zum Exzess manipuliert wurden.
Johanns Vorsichtsmaßnahme, die Ninjas bereits bei der ersten Landung für Aufklärungsmaßnahmen auf Hephaistos los zu lassen, hatte sich als goldrichtig erwiesen. Dies war der Jackpot. Nun, zumindest hielt sie die Erklärung für eine ganze Kette von offenen Fragen in der Hand.

„Das reicht jetzt, katalaunischer Spion!“, erklang eine harte Männerstimme hinter ihr. „Hände hoch und langsam umdrehen!“
Madeleine Russel erschrak. Hatten ihre Fähigkeiten nachgelassen? Waren ihre Sinne eingerostet? Wie hatte sie sich so schnell überrumpeln lassen können, sie, eine Ninja? Hatten fünf Minuten an diesem Terminal wirklich ausgereicht, um sie zu verraten und eine Polizeiaktion auszulösen?
Langsam hob sie die Arme und wandte sich halbherzig um, darauf bedacht, Zeit zu gewinnen und eine Möglichkeit entweder zur Flucht oder zum Angriff zu finden.
„Bei euch wird man aber schnell zum Spion“, antwortete eine etwas höhere, jugendliche Männerstimme. „Man muss also nur einer Freundin helfen etwas aus dem Keller zu holen, und schon ist man geliefert, Hm?“
Hastig nahm Madeleine die Arme ab, bevor sie sich vor sich selbst lächerlich machte. Dann trat sie vom Knotenpunkt zurück und drückte sich in die Sicherheit der nächsten Wand. Als drei von sechs potentiellen Angriffsrichtungen gedeckt waren - der Boden unter ihren Füßen, die Decke über ihr und die Wand in ihrem Rücken, was die linke und die rechte Seite sowie die Front offen ließ - bewegte sie sich näher auf die Stimmen zu.
Schnell erkannte sie auf dem Laufgang vor dem Raum der Verteilerstelle zwei breitschultrige Männer in dunklen Uniformen, die in jedem katalaunischen Historienstreifen sofort die Grundlage für jeden beliebigen bösen Militärgeheimdienst hätten geben können, die einen jungen Mann im typischen Arbeiteroverall bedrängten. Der junge Bursche hatte die Hände gehoben und sich ebenfalls mit dem Rücken zur Wand platziert. Für einfache Soldaten musste es so aussehen als hätten die Männer in schwarz ihn in die Enge gedrängt. Aber er nahm die Wand im Rücken als Sicherheit vor Angriffen aus dieser Richtung und als Abstoßpunkt für einen schnellen Angriff, wie Russel bemerkte, als sie sich die Gewichtsverteilung auf seinen Beinen genauer ansah. Sein Schwungbein stand gegen die Wand gepresst und der Widerstand würde es ihm ermöglichen sich schwungvoll abzustoßen.
„Den zugewiesenen Bereich verlassen, illegal versucht in eine Bar außerhalb des zugewiesenen Bereichs einzudringen, Infiltration eines fremden Wohnblocks, auch außerhalb des eigenen Bereichs, und Einbruch in den Versorgungssektor. Das reicht, um dich ein halbes Jahr zur Besserung zu schicken.“
Über das Gesicht des jungen Mannes ging ein merkwürdiger Glanz. „Besserung? Denkt ihr wirklich, ich gehe freiwillig in diese Gehirnwäscheanstalt? Ich kenne Leute, die dort waren. Gebrochen habt ihr sie. Geprügelt, gefoltert, terrorisiert, bis sie nur noch Hurrah zum Europa-Pakt schreien konnten! Aber ihr seid auch nur ein Haufen Verbrecher und Kriegsgewinnler, und wenn der Kaiser hiervon erfährt, dann wird er Truppen schicken!“
Bei den letzten Worten sah er an den Geheimpolizisten vorbei, aber nur für einen Augenblick. Ein Schauder ging über Russels Rücken. Der Mann hatte sie angesehen. Die Bar und der offene Wohnblock, all das hatte er für sie getan. Und als sie drohte entdeckt zu werden hatte er sich für sie geopfert, obwohl es ein Leichtes für ihn gewesen wäre zu verschwinden.
Russel galt für eine Ninja eigentlich als zu impulsiv. Oberst Norman hatte sie deshalb mehr als einmal getadelt und zu mehr logischen Denkens vor einer Aktion angehalten. Andererseits hielt sie Russels Fähigkeiten, blitzschnell die richtigen Entscheidungen zu treffen als nicht vollends verkehrt. Sie fürchtete halt nur das ihr Schützling eines Tages die falsche blitzschnelle Entscheidung treffen würde.
Nun, in diesem Fall hätte sie ihre volle Freude an ihrem Ziehkind gehabt, das sich dazu entschloss, die Chance auf eine sichere Nachrichtenquelle nicht aus der Hand zu geben. Nachdem sie sich vergewissert hatte, das sich zumindest auf dieser Etage keine weiteren Schlapphüte befanden, begann sie zu laufen. Als der erste Agent sich nach dem neuen Geräusch umdrehte, sprang sie und landete einen Tritt an seiner Kinnspitze, die seinen Kopf übel herum wirbelte und gegen seinen Kameraden krachen ließ. Ein unheilvolles Knacken ließ nichts gutes für seine Gesundheit vermuten.
Der Junge indes sprang vor, ergriff die Waffenhand des zweiten Mannes und überdrehte das Handgelenk mit sicherem Griff, sodass sein Gegner die Waffe fallen lassen musste.
Er drehte sich in den Körper des Agenten hinein und rammte seinen linken Ellenbogen auf den Solar Plexus. Als sich der große Mann vorne über beugte, ergriff er den Kopf des Größeren, nutzte seine Fallgeschwindigkeit und warf ihn über sich. Nachdem der Mann hart aufgekommen war, sprang der Junge vor und zertrümmerte die Kehle seines Gegners mit einem Karateschlag.
Schwer atmend erhob er sich, wischte sich den Schweiß von der Stirn und deutete auf Russels Gegner.
„Dem haben Sie das Genick gebrochen, nehme ich an“, sagte er und lächelte wild.
„Ich habe mich bemüht“, erwiderte Russel, hockte sich neben den Mann, der den Tritt gegen sein Kinn kassiert hatte und fühlte seinen Puls. „Tot.“
„Ist nicht schade um ihn. Die meisten von ihnen sind Idioten, die sich von der Macht, die sie über uns haben, berauschen lassen.“ Der Junge deutete tiefer in den Gang und gab Russel ein Zeichen ihr zu folgen. „Die Intelligenten sind aber weit gefährlicher. Alles Sadisten, die an uns auslassen, was sie selbst fürchten oder sich schon immer erträumt haben. Wir führen eine traurige Bilanz der Übergriffe, aber natürlich nur im geheimen. Der Pakt interessiert sich nicht dafür, solange wir arbeiten.“
Vor ihnen öffnete sich ein Wartungsschacht, dessen Eingang der Junge manipulierte und die Majorin anschließend hinein winkte. Er führte in ein anderes Gebäude, über dessen Versorgungsstockwerk sie wieder auf die Straße kamen, allerdings mehrere Blocks entfernt. In den engen Straßenschluchten heulten Sirenen auf. Mehrere Truppentransporter und leichte Schwebepanzer fuhren an ihnen vorbei auf den Block zu.
„Die Bewohner tun mir Leid“, gestand der Junge, wagte es aber nicht, die vesuvischen Polizeiwagen anzusehen. „Ihnen stehen ein paar wirklich üble Verhöre bevor. Aber es ist ja für einen guten Zweck, oder?“ Er lächelte unsicher und führte die Ninja in ein anderes Gebäude, erst durch eine Bar, dessen Rezeptionsterminal prompt in dem Moment ausfiel als er mit Russel eintrat und dann in das Versorgungsstockwerk des Gebäudes.
In einem getarnten Raum machte er Halt und deutete auf eine wacklige Sitzgelegenheit in der schlechten Beleuchtung. „Hier sind wir sicher, bis mein fehlen in der Fabrik bemerkt wird. Also, lohnt es sich länger zu bleiben und Ihnen zu zu hören, oder sollten wir das auf nach meiner Schicht verschieben?“
Russel hob beide Augenbrauen. „Das kommt drauf an. Was wäre für Sie denn erstrebenswert zu hören?“
„Ich würde wirklich gerne hören, das der alte Rütli Sie geschickt hat, um uns zu finden“, sagte der junge Mann seufzend.
„Dann glaube ich, sollten Sie Ihre Schicht zum Teufel jagen, junger Mann“, erwiderte Russel und nahm Platz. „Name, Rang, Einheit!“
Der junge Bursche reagierte automatisch. Er strich sich über die voll rasierte Schädeldecke und und grinste schief. „Keaton, Sören, Leutnant, 3. Reservemilizregiment Regionalverteidigung Munich. Und Sie, Ma´am?“
„Ja, es war recht offensichtlich“, murmelte die schlanke Asiatin mit einem wohlwollenden Lächeln in Keatons Richtung. „Nachrichten- und Gegenspionageabteilung, korrekt? Mein Name ist Major Russel. Ich bin direkt dem Kaiser unterstellt und in seinem Auftrag hier, um Sie und die anderen wieder zu finden.“
„Das ist verdammt nett vom Kaiser, aber besser wäre es gewesen, er hätte gleich eine verdammte Flotte au sgeschickt. Je eher wir diesen Drecksplaneten und seine Ausbeuter verlassen, desto besser. Und ja, ich bin in der Gegenspionage. Deshalb sind Sie mir ja aufgefallen, Ma´am. Und deshalb habe ich mich entschlossen, Sie davor zu bewahren, am Eingang der Bar verhaftet zu werden. Das war für mich der entscheidende Beweis, das Sie nicht einfach ein Widerstandskämpfer aus einer anderen Region von Hephaistos sind, und deshalb schien es mir die Sache wert zu sein.“
„Gute Analyse, junger Mann“, lobte Russel. „Wie stark ist Ihre Widerstandsbewegung? Wer führt sie an? Willowby?“
„WILLOWBY?“, rief Keaton höhnisch. „Ausgerechnet der? Der hat sich doch als erster gemeldet als einer gesucht wurde, der uns verrät und verkauft! Der hat seine Villa, sein Auskommen, seine leichten Mädchen! Und alles was er dafür tun muss ist uns zu verraten, zu verkaufen und zur Arbeit anzutreiben, um Schiffe zu bauen, die gegen Katalaun eingesetzt werden. Genau deshalb haben wir mittlerweile fast vierzigtausend in Zellen aufgeteilte Mitglieder, die wir teilweise bewaffnen können.“ Keaton lächelte tiefsinnig. „Es hat eben seine Vorteile, in der Rüstungsindustrie zu arbeiten.“
„Wie lange, denken Sie, hält die Widerstandsbewegung durch, wenn es hart auf hart geht? Wo befindet sich diese „Besserung“, die diese Agenten erwähnt haben, und wo werden die Menschen aus dem Wohnblock verhört werden?“
„Durchhalten werden wir bis zum letzten Mann, aber gegen eine ausgebildete Armee sind das wohl nur ein oder zwei Tage. Die Besserungsanstalt ist das Verhörgebäude, und bei uns sehr gefürchtet. Viele sind nicht mehr raus gekommen.“ Der Leutnant lächelte schief. „Junge, wenn ich Ihre Fragen analysiere, würde ich glatt meinen, Sie hätten eine Flotte in der Hinterhand, die uns heute noch weg bringen könnte.“
Russel beugte sich auf ihrer Sitzgelegenheit, die den Namen Stuhl nicht verdiente, etwas vor. Sie hatte sich entschlossen, dem Mann zu vertrauen, weil keine seiner Körperreaktionen darauf hindeutete, das er lügte. Außerdem war er gut trainiert. Sehr gut trainiert. Das machte Hoffnung auf die Fähigkeiten der restlichen vierzigtausend Widerständler. „Wer sagt, das ich keine Flotte habe?“
***
Dumpf brütete Kommodore Arling in seinem Büro vor sich hin. Die ganze Aktion war ein Schlag ins Kontor. Wenn Willowby wirklich die vorherrschende Meinung vertrat und die katalaunischen Bürger nicht zurückkehren wollten, dann hatte er die Expedition vollkommen umsonst unternommen. Zugegeben, er hatte einen argonautischen Kaperverband aufreiben können und an den verkauften Schiffen ein sattes Prisengeld verdient, das er beizeiten für einen guten Zweck zu verwenden gedachte. Aber der ganze Ärger, den er in der Kommune erlebt hatte und all das Wohlwollen des Tyrannen der Bernsteininsel erschienen ihm verschwendet.
Natürlich zog er in Betracht, das die katalaunische Bevölkerung gezwungen wurde, in Hephaistos zu bleiben anstatt sich am Raumhafen einzufinden, deshalb hatte er von vorne herein alle sechs Ninjas in die Stadt gejagt, kaum das sie gelandet waren und sich den drei Männern und drei Frauen eine Gelegenheit geboten hatte, sich unbemerkt abzusetzen. Aber deren Meldungen blieben noch aus. Willowby und seine zehn Mitstreiter schienen jedoch zu Recht entrüstet zu sein, und das machte ihre Version glaubwürdig. Zumindest vor der internationalen Presse, die nach all der guten Berichterstattung über Arlings Flottille nun kein gutes Haar mehr an ihr ließ. Wobei sie ihn persönlich nicht angriffen, wohl aber die politische und militärische Führung, die sie hierher befohlen hatte.
Und dann war da auch noch Roberts Rücktritt. Wie übel das Schicksal doch war, das ausgerechnet er zum Totengräber der Regentschaft seines Ziehbruders geworden war. Und wie geschickt die Verschwörer vorgegangen waren. Nicht eine Sekunde glaubte Arling daran, dass diese Marina von Hohenfels, die den aktuellen Befehl an ihm unterschrieben hatte, die echte Marina war. Im Gegenteil, Johann Arling vermutete eine nahe Verwandte, der man eine genetische Maske verpasst hatte. Dafür sprachen auch die Verletzungen im Gesicht und der verlorene rechte Arm, was die Gesichts- und Körpersymmetrie durcheinander gebracht und eine weitere wichtige Identifizierungsmethode, die Physiognomie unmöglich gemacht hatte.
Die Ersetzung von Robbie durch Elise war ein geschickter Schachzug. Die Kaisertreuen brauchten ihre Loyalität nur vom Onkel auf die Nichte zu übertragen, vielleicht ein paar Jahrzehnte früher als erwartet, und die Putschisten mussten nur die religiösen Unruhen absagen. Mit der falschen Marina hatten sie zudem eine Schneide an Elises Kehle und konnten nun nach und nach die Regierung infiltrieren. Zuerst würden die Minister und die Geheimdienstdirektoren dran kommen. Auch wenn Elise Rütli und Mannth verbissen verteidigte, ihre Gegner mussten nicht nachgeben, sie konnten es aber. Kleine politische Geschenke würden gemacht werden, um sie bei Laune zu halten und sie glauben zu machen, sie würde tatsächlich regieren, während an anderer Stelle die Infiltration durch religiöse Gruppen weiter fortgesetzt worden wäre.
Der einseitig ausgerufene Waffenstillstand mit Yura-Maynhaus, das sich untröstlich zeigte, weil ein gewissenloser Admiral zur persönlichen Bereicherung mit Robert dem Fünften paktiert hatte, um zwei Millionen Bürger als Sklaven zu verkaufen, würde weiterhin als politischer Vorteil gewertet werden und das gemäßigte Lager beruhigen. Wenn sie dann merkten was wirklich vor sich ging, war Elise entweder tot oder zwangsverheiratet und ruhig gestellt, während ihr Mann die Macht in Katalaun an sich gerissen hatte. Im Land änderte sich nicht allzu viel, im Gegenteil. Ein Friede mit Yura-Maynhaus würde bedeuten, das an dieser Front Ruhe herrschte. Als Friedensgeständnis würden ein paar unbewohnte Rohstoffsysteme aufgegeben werden, vielleicht noch die eine oder andere Grenzwelt, was deren kaiserliche Bewohner definitiv verkaufen würde. Aber es machte Truppen frei für die eigentliche große Ambition der konservativen Gruppen, zu denen Arling nicht nur die religiösen Fanatiker rechnete, sondern auch Teile der Großindustrie, das von einem Eroberungskrieg profitieren würde. Ein Eroberungskrieg, den Katalaun gegen Jemfeld und Zyrrtekk schlagen würde, um dort die Vorzüge ihres Glaubens zu verbreiten und nebenbei selbst billige Arbeitskräfte für die eigene Industrie erobern würde.
Yura-Maynhaus und die Diadochen, speziell der Städte-Rat, würden die Allianz mit den Aliens verlassen. Die Diadochen, weil sie ohne die Republik zu uneins waren um zu kämpfen, und die Republik, weil sie inoffiziell mit der friedlichen Übergabe kaiserlichen Welten bestens bezahlt werden würde und offiziell nicht gegen ein Land kämpfen konnte, dem es ein solches Unrecht wie die Entführung der Bürger angetan hatte. All das breitete sich klar ersichtlich vor Johann Arling aus, und als Gipfel des Geschehens erwies sich der Marschbefehl der Admiralität, unterzeichnet von Marina von Hohenfels: „Aktion einstellen und nach Springe zurückkehren. Gezeichnet: Admiral der Marine Marina von Hohenfels“.
Auch die Flotte und die Armee würden erst einmal erleichtert reagieren, weil die Nemesis eines Bürgerkriegs verschwinden würde und die Aussicht bestand, sich gegen die Aliens zu bewähren. Da waren immer noch ein paar kaiserliche Welten in ihrer Hand, und nichts würden junge, wagemutige kaiserliche Offiziere lieber tun, als diese zurückzuerobern. Viele würden darüber hinaus gerne noch ein, zwei Dutzend potentieller Siedlungswelten erobern, natürlich auf Kosten von Jemfelder Territorium. Und bevor die Flotte merkte was eigentlich geschah, war es sicherlich zu spät. Im Gegenteil, Marina von Hohenfels würde der gesamten Aktion einen legalen Anstrich geben, und wer waren sie schon, dass sie gegen ihre Befehle verstießen, die von der Chefin persönlich kamen?
Und was würde er selbst tun? Selbstverständlich verlangte die Rechtslage von ihm, dem Befehl Folge zu leisten, denn er war legitim erfolgt, Hochstaplerin hin, Hochstaplerin her. Er musste aber zugestehen, das er einen verdammt guten Freund in der Admiralität sitzen hatte, sonst wäre der Befehl nicht so schwammig aufgestellt worden, sondern hätte liebliche Adjektive wie unverzüglich, stantepede oder sofortig enthalten. Das ermöglichte es ihm, seinen Abflug um ein, zwei Tage hinaus zu zögern und zu hoffen, das entweder noch ein paar hundert katalaunischer Bürger zu ihm fanden oder seine Ninjas endlich das fanden, worauf er hoffte.

Als seine Gegensprechanlage aufsummte, schreckte Arling hoch. Er hatte sich sehr tief in seine Gedanken zurückgezogen gehabt und musste sich erst orientieren. „Was gibt es, Kress?“
„Sir, Kapitän Schlüter bittet Sie auf die Brücke zu kommen. Die Gryanen formieren sich um.“
„Ohne Befehl?“
„Ja, Sir. Ohne Befehl und ohne vorherige Ankündigung.“
„Lässt sich schon ahnen was sie vorhaben?“
„Sie verlassen die gemischten Parkorbits und bilden einen eigenen Pulk. Keine Anzeichen von Feindseligkeit zu erkennen.“
„Gut. Sagen Sie Kapitän Schlüter, ich komme sofort.“
Arling erhob sich, schloss seine Uniformjacke und verließ das Büro. Es hätte ihm gerade noch gefehlt, das auch noch die Gryanen zum Problem wurden.

„Bericht!“, schnarrte Arling, als er die Brücke betrat. Alles war in heller Aufregung, die Männer und Frauen liefen durcheinander, als wäre Gefechtsalarm. Der Kommodore ahnte Böses. Vor allem die Anwesenheit von Hauptmann Schmitt vom Marinegeheimdienst war beunruhigend, nachdem der Mann sich während der Mission rar gemacht hatte.
„Die Gryanen sammeln sich an einem eigenen Sammelpunkt. Bisher sind keine auffälligen Aktivitäten zu erkennen, außer eben dieser Absetzbewegung.“ Schlüter sah zu ihm herüber. „Daraus werde ich nicht schlau, Han.“
„Hat jemand die Idee gehabt, drüben mal nachzufragen, was dieses Manöver soll?“, fragte Arling.
„Haben wir, aber die Gryanen antworten nicht.“
„Alarm für die Flotte“, befahl der Kommodore ernst.
Jeremy Schmitt verließ seinen Sessel und gesellte sich zum Kommodore. „Ich habe alles vorbereiten lassen, Sir. Ein Wort von Ihnen, und wir vernichten Waffen, Antriebe und Schilde aller Schiffe außer der JULIET, die wir in den Springe-Werften nicht manipulieren konnten“, raunte er seinem Kommodore ins Ohr.
Arling nickte. „Halten Sie sich bereit, Jeremey.“
„Ja, Sir.“
„Einen Kanal öffnen. Kommodore zu Kommodore. Darauf werden sie ja wohl reagieren.“
„Kontakt, Sir. Ich lege es auf den großen Schirm.“
Sekunden darauf füllte das Antlitz von Coryn Griffin den Bildschirm aus. Hinter ihm standen Stiles und Cochraine. „Kommodore Arling.“
„Coryn. Haben Sie eine einleuchtende Erklärung für das Manöver Ihrer Gryanen?“
„Eine normale Absetzbewegung, Sir. Ich habe neue Informationen für Sie, aus denen ich sehr folgerichtig geschlussfolgert habe, das Sie nach Kenntnisnahme nicht mehr mit meinen Schiffen im Verband fliegen wollen.“
Arling erhob sich wieder, kaum das er gesessen hatte. „Was sind das für Informationen, Coryn?“
Der Commodore zwang sich zu einem Lächeln. „Zuerst einmal, Sir, sind wir keine Gryanen. Der einzige hier mit Wurzeln in den Diadochen ist Capitaine Cochraine, und sie ist uns nur als Beraterin zugeteilt.“
Arling ließ diese Eröffnung ohne sichtbare Überraschung an sich abgleiten. „Weiter.“
„In Wirklichkeit sind wir ein Verband von Yura-Maynhaus, und jeder einzelne meiner Leute ist vereidigter republikanischer Offizier oder Matrose. Mein ursprünglicher Auftrag war, Sie und Ihre Schiffe zu stellen und in offener Schlacht zu vernichten.“
„Weiter“, forderte Arling, noch immer nicht überrascht.
„Diverse Simulationen zeigten, das Ihre Flotte meine besiegen würde, weshalb ich auf die Idee verfiel, erst einmal nahe an Sie heran zu kommen um Sie zu studieren, und dann bei passender Gelegenheit zu zu schlagen.“
„Gut ausgedacht“, kommentierte Arling. „Weiter.“
„Diese Befehle habe ich von Admiral of Sector Juri Goldman, der vor wenigen Stunden abgesetzt und inhaftiert wurde. Das...“ Griffin stutzte. „Ich gebe zu, ich habe meinen Auftrag nicht konsequent befolgt. Sonst wäre ich Ihnen schon bei der Schlacht mit den Argonauten in den Rücken gefallen oder hätte Sie auf Tripolis im Knast gelassen. Aber es fällt einem schwer Sie nicht zu mögen, sobald man Sie kennt, Arling.
Jedenfalls erlaubt mir die Inhaftierung meines Admirals, seine Befehle zu ignorieren. Außerdem ist da noch der formelle Waffenstillstand, der bereits in Kraft getreten ist. Ich hoffe, Sie gestehen meinen, Hm, Gryanen einen ungestörten Abzug zu, der gemeinsamen Zeiten wegen.“
Arling runzelte die Stirn. „Kommen Sie, Coryn, das war doch noch nicht die Wahrheit. Sie erzählen mir doch nicht etwa, Sie würden als lauter Sentimentalität Ihren Rückzug antreten? Wem wollen Sie das erzählen? Ihrer Großmutter?“
„Es wird eine Untersuchung geben“, erwiderte der Commodore. „Mehrere. Die meisten laufen bereits. Sie bewegen sich vor allem um die Frage, wer schuldig ist bei der Verschleppung von übe zwei Millionen katalaunischer Bürger mitgeholfen zu haben, und ich als Sonderbeauftragter Goldmans stehe ganz oben auf der Liste. Vielleicht kann die Admiralität mir meine Mission und meinen getarnten Einsatz als Gryane verzeihen, vielleicht auch das ich meine Befehle nicht ausgeführt habe, aber sicherlich verzeihen sie mir nicht, dass ich nicht die geringste Ahnung von dieser Entführung hatte, bevor ich auf Springe in der Pressekonferenz gesessen habe. Ich weiß nicht ob es viel nützen wird, aber ich muss mich meinem eigenen Kriegsgericht stellen, um die Chance zu haben, meinen Namen rein zu waschen. Und wenn mir das nicht gelingt, dann wenigstens den meiner Offiziere.“
„Ein hehres Ansinnen, dass Ihrer würdig ist, Commodore Griffin“, sagte Arling ernst.
Er strich sich durch die Haare und machte dabei ein missmutiges Gesicht. „Das ist es also, Coryn? Nachdem wir so viel zusammen durch gemacht haben, verlässt du mich?“
Griffin, über diesen persönlichen Ton erstaunt, zückte ein Papierdokument. „Ich habe hier den letzten Befehl meines Admirals, den ich auszuführen gedenke. Darin befiehlt er mir, nach seiner Absetzung als Admiral of Sector nach eigenem Gewissen zu handeln. Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, nach Yura-Maynhaus zurück zu kehren.“
Arling hielt inne. „Von wann ist dieser Befehl?“
„Er wurde Cochraine anvertraut, bevor wir abflogen.“
Man hätte meinen können, ein Stirnrunzeln bedeckte lediglich die Stirn. Das von Arling jedoch schien das ganze Gesicht zu überziehen und zu einem einzigen Fragezeichen zu machen. „Er hat damals schon gewusst, das er abgesetzt und angeklagt werden würde?“
„So wie es aussieht ist das wohl der Fall“, gestand Griffin.
„Und dann hat er dir erlaubt, dich an meine Fersen zu heften, was uns beide letztendlich über Vesuv führen würde, wo wir auf genau die zwei Millionen entführter katalaunischer Bürger treffen würden, wegen denen er abgesetzt wurde?“
Arling verdrehte lachend die Augen. „Außerdem gibt er dir einen letzten Blanko-Befehl, und alles was dir einfällt ist nach Hause zu fliegen?“
„Das ist ja alles richtig, Han, aber was hat das...?“
„Denk doch mal nach! Ich mag ja im Arsch sein, wenn sich meine Landsleute nicht evakuieren lassen. Aber du als republikanischer Offizier kannst dich zu erkennen geben, da unten landen und die Menschen über die Entführung befragen. Du kannst die gesamte Operation von hier aus aufrollen! Goldman hat das gewusst! Er hat dich hier platziert, damit du im schlimmsten Fall seinen Hals rettest!“
„Wenn sie schon nicht mit dir nach Hause fliegen wollen, warum sollten sie dann mit mir reden wollen?“, wandte Griffin ein.
„Ma´am, Sie können jetzt nicht...“, klang hinter Arling eine nervöse Männerstimme auf.
„Das ist doch egal! Han! Han! Du musst mir helfen!“
Arling wandte sich in Richtung der vertrauten Stimme um. Tatsächlich stand dort Carrie Rodriguez an der Spitze einer gemischten Delegation Presseleute und versuchte an der Türwache vorbei zu kommen.
„Was gibt es denn, Carrie?“
„Han, es ist unglaublich! Du musst mit diesen Pakt-Betonköpfen reden! Sie lassen mich und meine Kollegen nicht nach Hephaistos rein, geschweige denn auf dem Planeten landen! Sie wollen ihre Privatsphäre wahren! Was für eine miese Ausrede! Wenn du mich fragst, stinkt die ganze Sache zum Himmel!“
Alarmiert sah Arling von Carrie zu Griffin herüber, der erstaunt in die Kamera starrte. Ein alter Witz wollte wissen, dass das Gehirn des Mannes noch mechanisch funktionierte, ein typischer Witz, den Frauen gerne mal machten. Aber in diesem speziellen Fall hätte man fast das Klicken hören können, mit dem Arling und Griffin verstanden hatten, in welcher Situation sie sich befanden.
„Gehorchen die Gryanen noch meinem Befehl, Coryn?“
Der republikanische Offizier nickte erfreut. „Das tun sie, Han.“
„Gut. Alarm für alle Einheiten, so dies noch nicht geschehen ist. Alarm für die Infanterie und die Knights und Rüster! Wenn mich nicht alles täuscht, dann...“
„Eingehendes Notsignal, Sir!“ Der Funkoffizier sah gehetzt von Bildschirm zu Arling und wieder zurück. „Es ist von Oberleutnant Kiriati, Sir! Sie verlangt sofortige Evakuierung!“
„Ein Ninja der Kaiserin ist in akuter Gefahr“, sagte Arling ernst, „und ich bin die nächste kaiserliche Instanz! Ich befehle hiermit die Evakuierung des Offiziers! Und um eine sichere Operation zu gewährleisten, lasse ich Stadt und Raumhafen weitläufig abriegeln. Einwände, Mr. Griffin?“
Der republikanische Offizier grinste breit. „Oh, verfügen Sie nur voll und ganz über meine Gryanen und mich, Sir.“
„Dann beginnen wir mit der Sicherung des Raumhafens. Alle Schiffe gehen auf Gefechtsbereitschaft. Wir deklarieren unsere derzeitige Position als absolut. Funkabteilung, Warnung an alle Pakt-Schiffe, das wir eine Penetration unserer Perimeter sowie Anflüge auf Hephaistos als Angriff betrachten und entsprechend ahnden werden.“
„Verstanden, Sir!“
„Ganth?“
Ein Hilfsbildschirm flammte auf und zeigte die junge Oberste. „Das wurde aber auch Zeit! Besondere Befehle für den Einsatz, Sir?“
Wenn Arling über diese dreiste Begrüßung erbost war, zeigte er es nicht. Stattdessen nickte er. „Sollten sich während der Operation der eine oder andere kaiserliche Bürger dazu entschließen mit uns zu kommen, ist dies zu gewähren. Ansonsten halten Sie Orbit und unterstützen mich dabei, den Hafen und die Stadt zu nehmen, verstanden?“
Ein grimmiges Lächeln huschte über das viel zu hübsche Gesicht. „Ich serviere sie auf einem Silbertablett, Kommodore.“
„Ortung!“ Oberleutnant Raglund sah zu Arling herüber. „Kommodore! Wir messen Feuergefechte in Hephaistos an!“
„Feuergefechte? Jetzt wird es interessant“, sagte Griffin. Anschließend stieß er eine Reihe Befehle aus, die seine Truppe ebenfalls ins Geschehen brachte.
„Du weißt schon, das Miranda dich dafür baumeln sehen wollen wird, oder?“, mahnte Schlüter ernst.
Arling erwiderte ihren Blick und nickte schließlich. „Ja. Und es ist mir scheißegal.“
„Schön, das du so vernünftig bist, Han“, erwiderte die Kapitänin der RHEINLAND grinsend.
***
Es gab in der Galaxis ein Sprichwort: Nur eines bewegte sich schneller als ein sprungfähiges Schiff, das mit mehrfacher Lichtgeschwindigkeit von Sonnensystem zu Sonnensystem springen konnte, und das war das Gerücht.
Ein recht renommierter terranischer Wissenschaftler hat mal eine nicht ganz ernst gemeinte Studie zur Verbreitung von Gerüchten verfasst, in der er festgestellt hatte, das Gerüchte nicht nur mit mehrfacher Lichtgeschwindigkeit ihre Ausbreitung fanden, sondern teilweise bereits anderswo weiter gegeben wurden, während sie am Ursprungsort noch formuliert wurden.
Damit ordnete er die Gerüchte als elementaren Bestandteil des galaxisweiten Gravitationsfeld zu, dessen synchrone Schwingung er erforscht und bewiesen hatte. Diese gravitatorische Netz war nicht nur in der Lage, eine überlichtschnelle Kommunikation zu gewährleisten, indem riesige, Lichtjahreweite Bereiche zeitgleich zu schwingen begannen, sobald man Einfluss auf sie nahm, sie dienten auch dem Gerücht als Basisträger.
Auf Vesuv bewies sich wieder einmal, das dieser Wissenschaftler durchaus Recht hatte. Zwar brauchte das Gerücht hier ein wenig, um den Planeten einmal zu umrunden, aber letztendlich entfaltete es seine ganze zerstörerische Kraft.
Natürlich wurden die kaiserlichen Bürger von neun verschiedenen Welten in Hephaistos extremst manipuliert. Man versuchte mit Indoktrination, mit Belohnung und mit harscher Bestrafung die Integration der Katalauner zu erreichen. Dazu gehörte selbstverständlich auch, sie von jeder neutralen Nachrichtenquelle fern zu halten.
Die Chancen dafür standen nicht schlecht. Hephaistos war eine isolierte, von Garnisonen umschlossene Ghetto-Stadt. Zwar arbeiteten die Katalauner teilweise in Betrieben, die fünfhundert und mehr Kilometer entfernt waren, aber auch dort waren sie isoliert. Die Nachrichten waren manipuliert und ein steter Propagandaregen ging auf sie nieder, der eines klar machen sollte: Sie hatten keine Heimat mehr, in die sie zurück kehren sollten. Natürlich verschwiegen die Behörden den kaiserlichen Untertanen die Ankunft Arlings und seinen Auftrag, die Menschen wieder ins Kaiserreich zu schaffen. Und natürlich hatten sie ihr Möglichstes getan, um schon seine Fahrt zur Stadthalle und sein Treffen mit dem elfköpfigen Rat zu verheimlichen.
Aber wie das Schicksal so spielte, kam eins ums andere zusammen. Hier fiel eine Bemerkung, dort sah jemand etwas mehr als er eigentlich sollte. Dort lag noch eine zusammengeknüllte unzensierte Zeitung und irgendwer hatte vergessen, nach Benutzung des Dienstterminal den Bildschirm zu löschen. Der eine oder andere mochte sich auch gewundert haben, warum direkt über der Stadt elf neue Sterne aufgegangen waren, und irgendein gewitzter Bursche mochte mit einem selbst gebastelten Fernstecher diese Sterne in Augenschein genommen haben.
Das Ergebnis war jedenfalls das Gerücht, das eine kaiserlich Flotte eingetroffen war, um die katalaunischen Bürger zurück zu bringen. Zugleich aber verbreitete sich auch die Nachricht, das der vesuvische Geheimdienst ein Verlassen der Stadt nicht dulden und scharf schießen würde. Doch im Anbetracht der Nachricht, das die katalaunische Flotte das System wieder verlassen würde, wenn sich niemand auf dem Raumhafen einfand, setzte die Dinge in Bewegung.

Keaton für seinen Teil verfluchte die Gerüchte. Er selbst war über sie informiert worden, gerade als er an die Mitglieder seiner Zelle die Neuigkeiten hatte weitergeben wollen, welche Major Russel ihm mitgeteilt hatte. Nun, auf diese Weise konnte er die Gerüchte wenigstens bestätigen. Außerdem erhielt er von seinem Führungsoffizier die Anweisung, mit Russel ins Hauptquartier zu wechseln.
„Es sieht schlecht aus“, sagte der junge Reserveoffizier zu der Ninja. „In der Stadt hat sich das Gerücht verbreitet, das Kommodore Arlings Flotte bald wieder abfliegen wird, wenn sich niemand am Raumhafen einfindet. Panische Menschen versuchen die Stadt zu verlassen. Auf sie wurde geschossen. Bisher nur über ihre Köpfe hinweg, aber das kann sich bald ändern. Es werden immer mehr. Und wenn die, die hinten sind, die anderen voran drücken, haben wir unser erstes Gemetzel.“
„Außerdem bedeutet es sicherlich den Auftritt der Spezialisten, welche Hephaistos im Griff haben, oder?“, fügte Russel hinzu.
„Das ist korrekt. Sie werden mit starken Einsatzkommandos in die Stadt einziehen, sich jene herausziehen, die sie für die Rädelsführer halten und in die Besserung werfen.“ Keaton erhob sich. „Kommen Sie, wir haben Befehl ins Hauptquartier zu wechseln. Man braucht sie dort, um unsere Aktionen mit Kommodore Arling abzusprechen. Wir haben immer noch vierzigtausend Mann in unserer Struktur, von denen knapp die Hälfte bewaffnet ist.“
„Das wird nicht gegen die Armee einer ganzen Welt helfen.“
„Das mag sein. Aber wir haben für diesen Tag trainiert, und sobald sich die Gelegenheit bietet erobern wir die Besserung und halten alle Hauptstraßen gegen die Vesuvier. Wir können provisorische Stellungen aufbauen, an denen wir bis zu einem Tag durchhalten können.“
„Mehr als genug Zeit“, murmelte Russel und erhob sich.
Bevor sie jedoch den geheimen Raum verlassen konnte, summte ihr Kommunikator. Das konnte nur zwei Dinge bedeuten. Entweder versuchte man sie von der RHEINLAND aus zu kontaktieren oder einer ihrer Leute ging das Risiko ein, sowohl sich selbst als auch Russel anpeilen zu lassen. „Sprechen Sie!“
„Kiriati hier. Ich befinde mich an der Ausfallstraße zum Raumhafen. Die Sicherheitskräfte schießen mit scharfen Waffen auf gut zwanzigtausend kaiserliche Bürger, die versuchen die Stadt zu verlassen. Es gibt Tote und Verletzte.“
Russel erstarrte. Das ging zu schnell, alles viel zu schnell.
„Kiriati, rufen Sie um Hilfe.“
Erleichterung klang in der Stimme der Ninja, als sie antwortete: „Jawohl, Ma´am!“
Russel sah zu Keaton herüber. „Und wir beide, junger Mann, sollten so schnell wie möglich in Ihr Hauptquartier umziehen. Wir werden bald eine enorme Arbeit haben, wenn wir Ihre vierzigtausend Freiwilligen mit sechshundert Knights und Rüstern sowie fünftausend gut ausgerüsteten Infanteristen koordinieren müssen.“
„Kommodore Arling kleckert wohl nicht gerne“, kommentierte Sören Keaton mit einem trockenen Grinsen.
„Selten. Wenn er etwas anpackt, dann richtig.“ Ein kurzes Lächeln huschte über das Gesicht der Gräfin zu Solms.
***
Das Manöver, das Charles Monterney gerade verwendete, war eines der gefährlichsten Knight-Manöver, die es gab. Er vollführte es mit zwanzig seiner besten Piloten, begleitet von zehn gryanischen – oder seinetwegen republikanischen – Rüstern, die zum Besten gehörten, was Commodore Griffin aufzubieten hatte. Es nannte sich „schneller Abstieg“ und beschrieb einen beinahe schon gewaltsamen Vorstoß der Kampfroboter durch eine Atmosphäre. Die Knights nahmen dabei eine geschlossene Formation ein, in der sich ihre Schutzschilde mehrfach überlappten, während die nicht mit Schilden ausgerüsteten Rüster direkt in ihrem Schatten flogen.
Es war nicht die Sache jedes Piloten, die Schirmbelastung auf einhundert Prozent und kurzfristig sogar mehr steigen zu sehen, während um einen herum nur die Glut der Reibungshitze herrschte. Es war schon nicht jedermanns Sache kontrolliert in eine Atmosphäre abzutauchen, wie es einhundert Knights und Rüster hinter ihm taten, die Infanteriegondeln eskortierten, die den Raumhafen nehmen sollten. Aber auf seine Begleiter konnte er sich verlassen. Jeder einzelne hatte dieses gewagte Manöver mehr als ein Dutzend Mal ausgeführt. Auch die Leute von Attainborough gehörten zum Besten was die Commander aufzubieten vermochte, mit ihr selbst an der Spitze.
Ziel des Gewaltaktes war es, als erste die Stadt zu erreichen und Feuerwehr zu spielen. Weitere einhundert Rüster und Knights würden mit fünf Infanteriegondeln folgen, um Hephaistos zu nehmen und die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten.
„Zwanzig Kilometer über Normalnull, Sir“, informierte die Künstliche Intelligenz den Oberst.
Lucky Charly warf einen amüsierten Blick auf den Notsitz seines Knights. „Ist dir schon schlecht? Vergiss nicht, wenn du kotzen musst, tue es in den Anzug.“
Carrie Rodriguez sah zwar schon reichlich bleich aus, aber sie hielt sich in ihrem geschlossenen Raumanzug dennoch tapfer. „Mir geht es gut“, ächzte sie. „Aber ich mache mir Sorgen um Spence. Er ist solche Gewaltritte nicht gewöhnt.“
„Hast du das gehört, Daisy?“, rief Charles gut gelaunt der gryanischen Kommandeurin zu. „Wie geht es deinem Passagier?“
Die Rüster-Pilotin antwortete mit einer Verwünschung. „Nur Probleme habe ich mit dem Kerl! Charly, kannst du ihm vielleicht erklären, das man bei einem schnelle Abstieg keine Schleifen oder Loopings drehen kann, wenn man nicht verglühen will?“
„Er will Schleifen und Loopings?“
„Der Abstieg durch die Reibungshitze ist ihm nicht spektakulär genug“, bestätigte Attainborough.
„Außerdem brauche ich noch ein paar ordentliche Aufnahmen! Dreißig Fackeln die vom Himmel fallen sind nur für ein paar Minuten spektakulär!“, rief der Kameramann.
„Du siehst es ja, nur Ärger mit dem Burschen. Zum Glück kann ich ihn ja bald raus lassen, sobald wir gelandet sind. Hast du schon Kontakt mit den Ninjas, Charly?“
„Ich kriege seit ein paar Minuten das Peilsignal von Kiriati rein. Das bedeutet, das sie auch von den Paktlern angemessen werden kann. Ab jetzt muss es schnell gehen.“
„Vor allem die Landung. Und dann kriege ich die beste Live-Berichterstattung, die ich je hatte“, schloss Carrie, war aber immer noch reichlich blass um die Nase.
Damit würde sie die erste Reporterin des internationalen Pressekorps sein, das seinen Fuß erneut auf Vesuv setzte. Und ihr persönlicher Wagemut würde sich in einer exklusiven Reportage niederschlagen.
„Zehn Kilometer. Ortung! Anfliegende Hydrae-Kompanie in dreihundert Kilometern Entfernung. Kurs auf Hephaistos, Geschwindigkeit Mach 2.“
„Da kommt ja schon unser Begrüßungskomitee“, brummte Charles erfreut. „Daisy, knall ihnen ein paar vor dem Bug, damit sie wissen, das sie nicht eingeladen sind.“
„Vor den Bug? Nicht mittendurch?“
„Bist du nun die beste Fernartilleristin der Flotte oder nicht?“, neckte Monterney.
„Ich liebe Herausforderungen“, erwiderte sie. Auf einem Hilfsbildschirm bekam Charles einen Aktivitätshinweis für die Waffen des Führungsrüsters. Kurz darauf wurde das Waffenfeuer in dreihundert Kilometern Entfernung knapp vor den Hydrae angemessen. Die leichten Kampfroboter spritzten in alle Richtungen auseinander, unterbrachen damit ihren Anflug auf Hephaistos.
„Guter Schuss. Dafür darfst du den nächsten auch durch den Bug setzen.“
„Du bist zu gnädig. Lass uns lieber hin machen, denn ich habe keine Lust, mich mit der Armee des ganzen Stabiae-Systems herum zu schlagen. Das sind nicht alles Hydrae, musst du wissen. Es sind auch noch ein paar ordentliche Kampfschiffe dabei. Und die Toral hat uns ohnehin schon gefressen.“
„Gutes Argument. Hergehört, Leute! Unser Auftrag lautet die Stadt zu sichern, falls das einer von euch schon wieder vergessen hat. Es hat bereits Tote gegeben, und ich will, das das aufhört! Und bei der Gelegenheit kann es nicht schaden zu erwähnen, das wir den einen oder anderen Anhalter mitnehmen. Verstanden?“
„Roger!“
Charles verzichtete auf den uralten Witz, seine Leute darüber zu informieren, das er nicht Roger hieß, aber dann ließ er es doch. Er hatte wirklich gute Laune, denn nach all den schlechten Nachrichten war dies die erste wirklich gute Aktion, an der er teil nahm. Und das verführte ihn schon dazu, faule Witze zu reißen.

„Fünf Kilometer.“
„Es wird ernst! Formation auflösen! Aufteilen nach Plan!“
„Roger!“
Die dreißig Kampfroboter katalaunischer und republikanischer Fertigung spritzten in Dreierteams auseinander. Charles bildete mit Daisy Attainborough und Jaime Madison ein absolutes Dream Team und hatte sich daher auch die schwerste Aufgabe zugeteilt. Nämlich die Zufahrtsstraße zum Raumhafen einzunehmen, die von vesuvischen Sicherheitskräften gehalten wurde.
Schon aus drei Kilometern Höhe bekam er sehr gute Bilder mit hoher Auflösung herein. Aber für einen Moment wünschte er sich, die Qualität wäre nicht so gut. „Ich hoffe, du bist schon live drauf auf deinem Sender“, sagte er mit tonloser Stimme in Carries Richtung.
„Schon seit wir gestartet sind. Himmel, was tun sie da?“
„Sie machen das einzige, was einen Mob aufhalten kann. Sie töten.“ Ein wütendes Knurren entfuhr dem Oberst aus Katalaun. Er nahm Maß und feuerte eine Salve mit seiner Partikelkanone auf die stehende Reihe quer gestellter gepanzerter Wagen, von denen aus Sicherheitsleute auf die Menschenmenge schoss, welche die Stadt in Richtung Raumhafen verlassen wollte.
Dutzende regungslose Gestalten lagen zwischen den Einsatzwagen und dem zurück drängenden Mob. Sekunden darauf explodierten zwei der Wagen und brachten Chaos in die Linie der Verteidiger.
Ein Kilometer. Die Teams bezogen Stellung. Vier Teams besetzten die höchsten Gebäude der Stadt im Osten, Norden, Westen und Süden, um die Stadt vor weiteren gegnerischen Truppen zu beschützen, während die restlichen fünf Teams innerhalb der Stadt auf die Jagd nach weiteren Einsatzfahrzeugen gingen.
„Russel hier! Schön Sie zu sehen, Jaime! Haben Sie ein paar Leute für eine Spezialmission zur Verfügung, oder muss ich auf Oberst Ganth warten?“
„Ich habe nur Rüster und Knights mitgebracht. Die sind in einem Gebäude wertlos, aber verfügen Sie über die, Ma´am. Oberst Ganth kommt übrigens gut zehn Minuten hinter mir.“
„Gut, dann fordere ich hiermit an was Sie entbehren können. Hephaistos hat eine starke Widerstandsbewegung von vierzigtausend Leuten, die teilweise Veteranen von Armee und Flotte sind oder der Miliz angehörten. Die Hälfte ist notdürftig bewaffnet. Sie versuchen die Stadt zu sichern so gut es geht und diese Ratte Willowby und seine Bande Halsabschneider einzufangen. Aber der wichtigste Auftrag ist wohl der Sturm auf die Besserung.“
„Das mit diesem Willowby nicht alles koscher ist, war mir schon klar. Aber was ist diese „Besserung“, von der Sie reden, Major?“
„Eine Indoktrinationsanstalt in der Innenstadt, in der schon viele Bürger verschwunden sind. Die Führung der Widerstandsbewegung befürchtet, das die dort gefangenen katalaunischen Bürger getötet werden, um Beweise zu vernichten, wenn wir nicht schnell reagieren!“
„Sie kriegen drei Teams!“, versprach Monterney, während sein Hawk auf dem harten Boden der Schnellstraße aufsetzte. Dabei feuerten er, Jaime und Daisy auf die restlichen Wagen. Vom Raumhafen näherte sich eine Abteilung leichter Kampfpanzer, welche auf Maximaldistanz das Feuer eröffneten, aber damit wurden die Schirme der Knights fertig. Noch.
„Ich will zu dieser Besserung, Charly. Kannst du das für mich und Spence organisieren?“
„Das wird gefährlich, Carrie. Und dein Live-Zeichen wird dort einen Dreck wert sein“, tadelte Charles.
„Du hast deinen Job, ich habe meinen.“
„Okay. Haben Sie gehört, Major Russel? Ich schicke Ihnen den besten Live-Reporter der Galaxis. Passen Sie gut auf unser Küken auf.“
„Ich will sehen was ich tun kann“, klang die amüsierte Antwort der Ninja auf.
„Wer ist hier ein Küken, Hä?“, murrte die Terranerin böse.
Charles überging ihren Protest mit einem lauten auflachen. „Gruppe Krüger, Spezialauftrag. Säubern Sie die Anmarschwege zur Besserung und kommen Sie anschließend auf meine Position, um Miss Rodriguez und ihren Kameramann abzuholen.“
„Verstanden, Sir.“
„Danke, Charly.“
„Sieh nur zu, das du mich immer von meiner Schokoladenseite filmst“, erwiderte der Knight-Pilot mit einem weiteren, mitreißendem Lachen. Doch das erstarb schnell. „Oberst Monterney hier. Ich brauche auf meine Position sofort ein Lazarettshuttle. Ich zähle hier siebenunddreißig Opfer.“
„Shuttle ist unterwegs, Sir.“
„Verstanden.“ Für eine Sekunde gestattete sich Charles den Luxus, einen Augenblick durchzuatmen und einen Blick auf die allgemeine Lage zu werfen. Aber ein merkwürdiges Rauschen lenkte ihn ab. War etwa wieder der Verteiler angeknackst? Aber der Chief hatte doch versprochen, das Problem in den Griff zu kriegen. „Charles!“, klang Jaimes Stimme auf. „Hörst du das auch?“
„Dieses merkwürdige Rauschen? Störfunk vermutlich, wenn du es auch hörst.“
„So kann man es auch nennen.“ Der Knight seines Freundes und Stellvertreters deutete nach Nordosten, die Stadt hinein.
Charles sah in die angegebene Richtung und erschrak. „Sie jubeln. Die Menschen jubeln!“
„Was erwartest du? Wir haben sie gerade gerettet! Natürlich jubeln sie!“ Daisy Attainborough atmete tief durch. „Okay, und wer erklärt ihnen jetzt, das sie wieder zurück in die Stadt müssen?“
„Ich wusste, an der Sache war ein Haken“, murrte der Oberst.
***

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„Arling, verdammt, was tun Sie da?“ Wütend starrte Admiral Toral den kaiserlichen Offizier nieder, ungeachtet der Tatsache, das sie sich nur über Bildfunk unterhielten und dreitausend Kilometer voneinander getrennt waren. „Was tun Sie da mit einer meiner Städte?“
„Was sollte ich wohl damit tun?“, erwiderte der Kommodore lapidar.
„Sie setzen Infanterie und Kampfroboter ein, um Hephaistos und den Raumhafen zu besetzen, so sieht das für mich aus! Dabei schießen Ihre Leute auf alles, was sich der Stadt nähert! Und bei der Eroberung des Raumhafens gehen sie auch nicht gerade zimperlich vor!“
„Oh, ich werde die Soldaten, die sich ergeben, rechtzeitig repatriieren“, versprach der Graf jovial.
„Sie wissen schon, das ich auf diesen Affront nur eine Antwort habe, oder? Machen Sie sich darauf gefasst, das ich Sie aus dem All putze. Allerdings sollten Sie vorher Ihr Pressekorps übergeben, damit keine Unschuldigen gefährdet werden. Wo befindet es sich?“
Nun zeigte Arling das erste Mal eine Regung. Es war Wut. „Da unten auf dem Raumhafen und in den Straßen von Hephaistos, um über die furchtbaren Übergriffe zu berichten, die Ihre Leute an meinen begehen! Schalten Sie mal TNC, ARV, Lothaer TV oder einen anderen Live berichtenden Sender an, und Sie werden sehr erstaunt sein! Außerdem leisten meine Soldaten meinen Leuten gerade in siebenundsechzig Fällen Erste Hilfe. Und dabei haben wir die „Besserung“ noch nicht einmal erobert.“
Die Admirälin hob eine Augenbraue. „Was bitte ist die Besserung?“
„Das kennen Sie nicht? Wie gut sind Sie eigentlich über die Dinge informiert, die direkt unter Ihrer Nase statt finden?“
Die Admirälin nahm den offenen Rüffel nicht ohne Gegenwehr hin. „Ich bin Soldat, und ich habe meine Befehle! Sie greifen eine meiner Städte an und attackieren mein Soldaten! Ihnen muss klar sein, dass mir nun nur noch ein Gegenschlag bleibt.“
„Es wundert mich ein wenig, das Sie darüber reden anstatt ihn zu befehlen. Was hält Sie ab, meine kleine Flotte zu vernichten?“
„Die Tatsache, das Ihre Wrackteile auf Hephaistos fallen werden, Kommodore Arling! Ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht, auch die katalaunischen Arbeiter gehören zu meinen Schutzbefohlenen, und solange ich keinen wirklich triftigen Grund habe, werde ich keine zehntausend oder mehr tote Zivilisten riskieren.“
Arling schluckte eine harte Erwiderung mit Hinweis auf die Toten in der Ausfallstraße runter, außerdem zwang er sich, nicht weiter auf die „Besserung“ einzugehen oder sie zu erklären. Wenn die Presseleute nach seinen Infanteristen in das Gebäude kamen, würde sich jedes intelligente Wesen im Umkreis von zwanzigtausend Lichtjahren ohnehin eine eigene Meinung über die Funktion dieser Einrichtung machen können.
„So? Was wäre denn ein triftiger Grund für Sie, dennoch anzugreifen?“
„Da wäre zum Beispiel die Verschleppung der ehemaligen katalaunischen Bürger, Arling. Das wäre ein Affront, den ich schon alleine im Interesse der Arbeiter niemals hinnehmen werde!“
„Sie können versichert sein, Admiral Toral, das ich niemanden zwingen werde, in das Kaiserreich zurückzukehren“, versprach Arling aufrichtig. „Darauf haben Sie mein Wort als Offizier des Kaisers.“
„Bah! Der Kaiser ist tot.“
„WAS?“, blaffte Johann entsetzt.
Jenna Toral zuckte sichtlich zusammen. „Äh... Ich meine, jetzt haben Sie eine Kaiserin weil der Kaiser abgedankt hat! Ein Versprecher meinerseits. Entschuldigung.“
Arling massierte sich die plötzlich erheblich schmerzenden Schläfen. „Machen Sie das bitte nicht noch mal mit mir. Robert ist wie ein Bruder für mich, und seinen Tod hätte ich wirklich nicht sehr gut aufgenommen, erst recht nicht in der jetzigen Situation.“
„Ich habe mich schon entschuldigt, oder?“, erwiderte die Admirälin mürrisch. „Also gut, ich nehme Ihr Eingreifen sowie die humanitäre Hilfe vorerst hin, solange Sie die Besetzung des Raumhafens binnen der nächsten Stunde und die Besetzung von Hephaistos binnen zweier Stunden beenden. Außerdem verlange ich die Überführung aller Verletzten und Toten in ein Pakt-Militärlazarett und danach den Abflug Ihrer Flotte. Wie ich hörte hat die Kaiserin Sie zurückgerufen. Und zufällig weiß ich, das sie für Sie so etwas wie eine Schwester ist, oder, Arling? Sie werden das junge Ding doch nicht enttäuschen wollen?“
„Nett formuliert. Aber ich muss meinen Worten noch etwas hinzu fügen, bevor wir uns mit taktischen Gegebenheiten beschäftigen können. Ich habe Ihnen geschworen, das ich keinen Katalauner gegen seinen Willen mitnehmen werde. Aber ich schwöre ebenso, das ich keinem Landsmann, der heimkehren will, meine Hilfe verweigern werde. Ich verlange zwei weitere Stunden, um Sammelstellen einzurichten, an denen sich die Bürger Hephaistos´ freiwillig melden können, wenn sie mich und meine Flotte zurück nach Katalaun begleiten wollen. Das sollten ja nicht allzu viele sein, wie Ihnen Ihr Willowby bestätigen wird, oder?“
„Wenn Sie nicht diese verdammte Presse dabei hätten und hier den edlen Ritter spielen würden, dann... Also gut. Vier Stunden, und weitere Zeit, um jene Katalauner mitzunehmen, die Sie begleiten wollen. Maximal ein halber Tag. Danach will ich nur noch den Abgasstrahl ihrer Schiffe im Orbit sehen, haben Sie verstanden? Ich tue das vor allem, weil Nyhartes Daiana Nissos für Sie persönlich bürgt und mir die halbe Nation nicht verzeihen würde, wenn ich mich gegen eine Nymphe stellen würde. Enttäuschen Sie mich nicht, Arling, und beeilen Sie sich. Halten Sie die Frist nicht ein, greife ich ohne Erbarmen an, haben Sie verstanden? Ihnen sollte in diesem Zusammenhang aufgefallen sein, dass ich bereits siebzehn Schiffe aller Klassen zusammen gezogen habe, die Ihren Verband aufwiegen. Weitere zwölf folgen noch in dieser Stunde. Sehen Sie das als sehr wohlgemeinten Rat. Admiral Toral Ende.“

Der Bildschirm erlosch, und Arling atmete tief aus. „Es scheint, das unsere wichtigste Waffe, nämlich die Wahrheit welche die Presse verbreitet, endlich wieder auf der richtigen Seite schneidet.“
„Ich glaube nicht, das die Presse hier eine wichtigere Waffe als Lady Nissos ist. Die Nymphen scheinen hier einen Einfluss zu haben, wie bei uns ein Fürst“, sagte Arlene Schlüter.
„Zum Glück neigen sie dazu, diesen Einfluss selten zu benutzen“, brummte Arling als Erwiderung. „Zum Glück oder zum Pech? Ich denke, der Einfluss der Nymphen könnte aus diesem zerrissenen Land wieder eine Hochkultur machen, die den Namen Herkuleanisches Reich verdient.“
„Du vergisst, dass die Menschen ihre Heiligen töten.“
„Dich hat noch niemand getötet, und es haben genügend Leute versucht“, entgegnete sie schmunzelnd.
„Ich bin ja auch kein Heiliger“, erwiderte Arling.
„Oh, es gab schon Heilige mit der Waffe in der Hand.“
„Viele können es nicht gewesen sein“, murmelte der Kommodore und erhob sich. Im Gehen rief er: „Leutnant Turnau, ich brauche eine Konferenzschaltung zu allen Kapitänen und zu den Obersten Ganth und Monterney sowie Major Russel unten auf dem Planeten. Abhörsicher in den Konferenzraum. Arlene, du begleitest mich.“
„Ja, Sir. Lüding, der Kahn gehört Ihnen.“
Der Erste Offizier bestätigte durch ein unmilitärisches Nicken.
Mit weiten Schritten folgte Schlüter ihrem Kommodore. Es wurde Zeit für den Kriegsrat.
„Und hätte jemand die Güte, Nihartes Daiana Nissos in den Konferenzraum zu bestellen?“, rief Arling über die Schulter, als er die Zentrale fast schon verlassen hatte.

„Die Nissos auch? Und ich habe schon geglaubt, wir würden gelangweilt nach Hause schleichen. Aber jetzt riecht die Luft nach neuer Aufregung“, murmelte Oberleutnant Raglund.
„Du hast doch nicht ernsthaft geglaubt, ein Unternehmen das der Alte leitet, würde in einem Fiasko enden, Mirko?“, tadelte Andreas Lüding mit einem manischen Grinsen im Gesicht. „Turnau, stehen die Verbindungen zu den anderen Schiffen schon?“
„Ich schalte sie eben zum Konferenzraum durch, Sir. Außerdem habe ich eine stabile Laserleitung runter nach Hephaistos aufgebaut.“
„Weiter so, Mädchen. Und beten Sie, das keine Wolken aufkommen.“
Die Offizierin der Funkabteilung lächelte dünn. „Ich verwende Infrarot.“
„Schlau.“ Lüding nickte ihr zu, dann ließ er sich nach langem Zögern in den Kapitänssessel sinken, nachdem er wirklich mit dem Gedanken gespielt hatte, den Admiralssitz zu benutzen. Aber so wagemutig war er dann doch nicht. „Haltet die Augen offen. Admiral Toral kann uns viel erzählen und trotzdem etwas anderes machen. Außerdem kann es da draußen Schiffe geben, die ihr nicht unterstehen, oder einen eindeutigen Befehl falsch interpretieren.“
„Ja, Sir!“
***
Als Arling nacheinander in die Augen seiner Kapitäne blickte, empfand er Stolz für sie. Vom Standpunkt des reinen Raumfahrers machte er dabei keine Unterschiede zwischen den als Gryanen getarnten republikanischen Offizieren und seinen eigenen. Sie hatten ihm alle bewiesen, das sie zum Kämpfen bereit waren und Befehlen folgen konnten.
Nun stellte sich Arling die Frage, wie weit diese Loyalität ging. Der Teilverband unter Coryn Griffin hätte sich längst in Richtung Republik abgesetzt, wenn sich der Commodore nicht eine Entwirrung des Chaos versprochen hätte, welches die Entführung der zwei Millionen Katalauner und die Verwicklung seines Admirals betraf. Zumindest band es die sechs Schiffe für den Moment an ihn, und Arling war dankbar dafür, wenngleich er wusste, das es keine Permanentlösung sein würde. Sie benutzten für diese Sitzung Hologrammtechnologie, lediglich die Bodentruppenoffiziere Ganth, Russel und Monterney waren per Bildschirm zugeschaltet.
Natürlich hatten sich wieder Lydia Stiles und Juliet Cochraine zu Coryn Griffin gesellt, Stiles neben ihm und Cochraine schattenhaft hinter seinem Hologramm als Abbildungsstörung zu erahnen. Der alte Veteran Hans Slodowsky von der MILFORD spielte nervös mit einem Kugelschreiber. Von allen Offizieren Griffins war er derjenige mit der geringsten Begeisterungsfähigkeit, und zweifellos würde er als erster für einen Rückzug plädieren, weil dies ein Verhalten war, von dem er annehmen würde, das dies von ihnen erwartet wurde. Bei Sharon Bigsby, der Kapitänin der JULIET, Sheldon Watts, dem Herr der OTHELLO, beide im Lieutenant Commander-Rang, war er sich nicht sicher. Die Wahrscheinlichkeit sprach dafür, das sie Griffins Entscheidungen folgen würden. Bei First Lieutenant Clive Haggart von der ROCKET und seinem gleichrangigen Kollegen Richard Campbell von der LYDIA hingegen war sich Arling sicher, dass die beiden Junior-Offiziere mit Griffin durch dick und dünn gehen würden, denn immerhin verdankten sie ihm das Kommando über Fregatten.
Bei seinen eigenen Leuten war er sich dreier Offiziere mehr als sicher. Natürlich wusste er, das Ellie alle Entscheidungen mittragen würde und ihre REDWOOD entsprechend führte. Auch bei Arlene Schlüter war er sich mehr als sicher, immerhin war sie nicht nur lange Jahre seine Eins O gewesen, sondern sie waren alte Freunde. Gerard Rössing war ebenfalls ein sicherer Kandidat. Der ehemalige Zweite Offizier der RHEINLAND hatte aufgrund von Arlings Aktionen das Kommando über einen Zerstörer erhalten, und das sollte ihn – neben seiner unverbrüchlichen Treue, Freundschaft und Kameradschaft – bei der Stange halten.
Im Zweifel war Arling etwas, Rowland T. Myrte von der RICHMOND sowie Loggan Harris, der die CALAINCOURT befehligte, betreffend. Normalerweise beurteilte der Graf seine Untergebenen nach Leistungen, nicht nach ihrer Vergangenheit. Aber Myrte war ein ehemaliger Pirat und konnte deshalb mehr als alle anderen Offiziere Arlings unter besonderen Druck geraten. Harris hingegen entstammte einem Außerirdischen Volk, deren wenige Unteroffiziere und Offiziere in der kaiserlichen Armee und Flotte als sehr loyal galten. Es konnte ein Problem geben, wenn diese Loyalität von Miranda von Hohenfels eingefordert wurde, während die Rettung der kaiserlichen Bürger noch nicht abgeschlossen war.
„Ich bringe es mal auf den Punkt. Die Lage ist ernst.“
„War sie das nicht schon, als wir in dieses System gesprungen sind? Und die ganze Zeit, in der wir uns bereits in den Diadochen bewegen, Han?“, bemerkte Griffin mit einem dünnen Lächeln.
„Im Moment sieht es etwas anders aus. Wir sind mit der Erwartung hier her gekommen, die kaiserlichen Bürger aus der Zwangsarbeit zu befreien. Stattdessen wurden wir vorgeführt.“
„Was sich mittlerweile wieder erledigt hat, wie der Einsatz unserer Truppen beweist“, merkte Captain Stiles an.
„Nicht unbedingt. Wir haben temporär eingegriffen, weil ein Ninja des Kaisers um Hilfe gebeten hat“, sagte Arling ernst. „Wären wir nach der Abfuhr durch Willowby abgeflogen, wäre dies in Schande erfolgt, aber wenigstens in Sicherheit. Nun aber werden sich vielleicht doch ein paar tausend Bürger dazu entschließen mit uns nach Hause zu fliegen, und das ist etwas was der Pakt nicht zulassen darf, wenn er sich nicht vor der internationalen Öffentlichkeit bloß stellen lassen will. Bereits ein einziger Bürger der einen unserer Lander besteigt, wäre ein Affront und der Gegenbeweis für ihre Geschichte.
Im Moment haben wir einen wackligen Frieden und eine mehrstündige Frist zur Räumung des Raumhafens. Außerdem haben wir die Erlaubnis, Evakuierungsstellen einzurichten, an denen sich die katalaunischen Bürger melden können, wenn sie zurück wollen. Dies gilt aber nur, bis eine Zivilverwaltungsstelle den Befehl von Admiral Toral aufhebt. Und dann sollten wir besser schon so gut wie fertig sein.“
„Fertig womit? Mit der Evakuierung? Oder mit unserer Recherche?“, wandte Slodowsky ein. „Wenn ich Sie daran erinnern darf, das wir noch bei Ihnen sind, weil wir die Hintergründe klären wollen, die zur Absetzung von Admiral of Sector Juri Goldman geführt haben...“
„Hans“, mahnte Griffin.
„Sir, das ist unsere erste Pflicht, die uns unter Kommodore Arlings Kommando hält“, entgegnete der Zerstörer-Kommandant.
Arling atmete innerlich auf. Slodowsky würde sich nicht quer stellen, zumindest vorerst nicht.
„Bei der Gelegenheit, Sir, mit wie vielen Bürgern rechen Sie eigentlich? Der ursprüngliche Plan sah doch vor, den Europa-Pakt für Schiffsraum und Beförderung sorgen zu lassen, richtig? Ich nehme an, das wir das unter diesen Bedingungen wohl schlecht verlangen können. Denn im ungünstigsten Fall haben wir den Pakt nicht nur der Entführung überführt, sondern auch der Lüge, und das kann bedeuten, dass man sich dazu entschließt, das man eine vernichtete Flotte in ein paar Jahren vergessen hat“, meldete sich Stiles zu Wort. „Und nebenbei bemerkt würde ich das Stabiae-System schon gerne lebend verlassen.“
„Wir wissen noch nicht, wie viele sich melden werden, Lydia“, sagte Arling ernst. „Aber bei dem Massaker auf der Ausfallstraße waren ein paar hundert, vielleicht tausend Bürger beteiligt. Viele sind getötet worden, weitere wurden zum Teil schwer verletzt, als sie versucht haben sich zu unseren Landern durch zu schlagen. Ich rechne mit eintausend, vielleicht dreitausend Bürgern, die sich zur Rückkehr entschließen, eventuell mehr.“
„Ihre Schiffe sind überladen, Commodore“, sagte Cochraine ernst und tauchte für ein paar Sekunden mit ihrem Kopf im Hologramm auf. „Sie haben ein Plus von vierzig Prozent an Besatzungen und Knights an Bord. Dort noch einmal tausend Zivilisten rein zu quetschen dürfte schwer fallen. Ich könnte ein paar Frachter besorgen, aber dafür brauche ich Zeit.“
„In dieser Zeitspanne werden wir die Bürger auf meine Flotte evakuieren. Das ist nur eine Zwischenlösung, zugegeben. Aber ein paar Tage werden wir es schon aushalten, wie die Sardinen zusammengepfercht zu sein“, wandte Griffin ein.
„Dafür danke ich dir, Coryn.“
„Reiner Selbstzweck. Wir können unsere Recherchen besser betreiben, wenn wir die Katalauner auf unsere Schiffe lassen.“
„Du bist ein verdammt schlechter Lügner, Coryn“, meinte Arling schmunzelnd.
„Den Gryanen hast du mir jedenfalls abgenommen, oder?“
„Eine Zeit lang.“
„Angeber.“
Die beiden tauschten ein Schmunzeln aus.
„Wie dem auch sei“, meldete sich Oberst Ganth zu Wort. „Ich fasse das als Befehl auf, sofort die entsprechenden Sammelstellen einzurichten, noch während wir den Sturm auf die Besserung und die Sicherung der Stadt und des Raumhafens durchführen.“
„Korrekt. Finden Sie so schnell wie möglich heraus, wie viele Katalauner mit uns zurück wollen. Wir werden derweil schon Lander bereit stellen, welche sie vom Raumhafen zu den Gryanen schaffen. Tschuldigung, Macht der Gewohnheit, Coryn.“
„Bleiben wir bei Gryanen. Das dürfte mir einiges erleichtern, wenn ich wieder daheim bin“, sagte der republikanische Offizier.
„Einverstanden. Ganth, beenden Sie die Geschichte schnell, aber exakt. Ich will nicht einen Menschen zurücklassen, der mit uns will. Sorgen Sie also dafür, dass Ihre Infanterie nicht nur die Sicherheit in der Stadt gewährleistet, sondern das auch jede Form der Bestechung, der Repressalien und der Erpressung unterbleibt. Verweisen Sie für den Zeitraum der Aktion die Pakt-Polizei und alle Zivilangestellten der Stadt.“
„Wenn dann von denen noch jemand lebt“, murmelte sie. „Mir liegen ein paar Berichte von Lynchjustiz vor. Ich habe hier mittlerweile achthundert Mann, aber ich kann nicht überall sein, und Monterney und Attainborough können mit ihren Kampfrobotern nicht in die Häuser.“
„Unterbinden Sie Lynchjustiz, vor allem in der Besserung“, befahl Arling.
„Ich schicke Ihnen dreihundert Mann meiner Infanterie runter, Cecilia“, versprach Griffin. „Das sollte die Belastung etwas ausgleichen, ohne den Schiffsschutz der katalaunischen Schiffe auszulaugen.“
„Danke, Sir. Bevor ich mich um diese Aufgaben kümmere habe ich noch eine Frage: Wie viel Zeit haben wir, bevor wir unter Feuer evakuieren müssen? Meine Leute sind für Raumkampf ausgerüstet, für Infiltration und für schnelle Vorstöße hinter feindliche Linien. Für den Stadtkampf und für eine Verteidigungsschlacht fehlen uns Panzer und Besatzungen.“
„Sir, wenn ich mich an dieser Stelle einmischen darf, aber die Katalauner, vor allem Milizionäre und Reservisten haben eine Widerstandsgruppe gebildet“, warf Russel ein. „Entschuldigen Sie, das ich das erst jetzt melde, aber es hat mich einige Mühe gekostet, mich bis zu Ganth durch zu schlagen. Die Straßen verstopfen zusehends mit Flüchtlingen.“
Arling runzelte die Stirn. „Madeleine, wie groß ist diese Widerstandsgruppe? Wie ist sie bewaffnet? Und wie groß schätzen Sie die Zahl der Flüchtlinge und wohin wenden sie sich?“
„Die Widerstandsgruppe beläuft sich auf vierzigtausend Männer und Frauen, die etwa zu fünfzig Prozent mit Energie- und Projektilwaffen ausgerüstet ist. Sie ist in Zellen zu fünfzig Mann strukturiert und wurde noch während des Massakers an der Ausfallstraße mobilisiert. Ihr Oberkommando führt den Sturm auf die Besserung durch und verstärkt als Militärpolizei die Posten von Oberst Ganth, soweit sie schon errichtet wurden. Die Zahl der Flüchtlinge schätze ich auf die ganze verdammte Stadt, Sir. Und ihre Richtung ist der Raumhafen. Wenn Sie mich fragen geht jeder der laufen kann in diese Richtung.“
Arling erbleichte. „Wollen Sie mir etwa sagen, dass zwei Millionen und dreihunderttausend katalaunische Bürger in die Heimat zurückkehren wollen?“
„Entweder das, oder auf dem Raumhafen spielt die tollste Band des Jahrtausends und alle wollen hin“, erwiderte sie sarkastisch.
Betretenes Schweigen folgte den Worten der Ninja. In den Gesichtern der Männer und Frauen arbeitete es sichtlich, als sie sich mit der vollkommen veränderten Situation konfrontiert sahen.
„Zwei Millionen Menschen zu evakuieren schaffen wir nie in der Zeit, die uns Admiral Toral zugestanden hat“, murrte Slodowsky.
„Ja, sollen wir sie hier lassen?“, blaffte Arling.
„Natürlich nicht! Aber wir sollten uns mit zwei Dingen anfreunden! Erstens, wir werden Tage brauchen, um Hephaistos zu evakuieren! In dieser Zeit wollen diese Leute beschützt und versorgt sein, vor allem aber untergebracht, und das auf unseren Schiffen! Und zweitens, sobald der Rat des Europa-Pakts sieht, wie Medienwirksam zwei Millionen Menschen auf katalaunische Fähren zulaufen, bleibt ihnen nur noch der Angriff, um ein absolutes Desaster und die absolute Blamage zu verhindern!“ Der Offizier hatte sich in Rage geredet und war aufgesprungen. Wütend sah er in die Runde. „Schiffe, sage ich! Schiffe! Wir brauchen viele Schiffe, und Sie, Kommodore, haben die Leute dafür! Da oben ist ein verdammter Mond, der Fregatten und Zerstörer baut! Holen wir uns ein paar von den fertigen Pötten und bemannen sie mit dem Überschuss an Soldaten auf den kaiserlichen Schiffen! Das schafft außerdem Platz für Flüchtlinge! Meine Meinung, Sir, meine Meinung.“ Mit einem mürrischen Räuspern setzte sich der Commander wieder.
Arling legte nachdenklich beide Hände an die Schläfen. „Oberstleutnant Steyer soll sofort zu mir kommen. Coryn, ich brauche Commander Ludwig auf meinem Schiff in zehn Minuten und eine genaue Angabe der Truppen, die du entbehren kannst.“
„Du willst meinen Infanterie-Commander? Du hast doch nicht etwa vor...“
„Commander Slodowsky hat vollkommen Recht: Wenn da unten wirklich die ganze Stadt in Bewegung ist, dann bleiben uns nur zwei Dinge. Nämlich ohne sie abfliegen, oder mit ihnen. Ich könnte meinem Vater nicht mehr in die Augen schauen, wenn ich ohne sie abfliegen würde.“
„Irgendwie habe ich das erwartet“, brummte Griffin mürrisch. „Also nehmen wir uns die Werften vor, richtig? Das bedeutet allerdings, das die Kämpfe mit Toral beginnen werden.“
„Niemand hat behauptet, das es leicht wird. Andererseits kannst du dich jetzt noch zurückziehen. In einer Stunde ist das nicht mehr möglich.“
„Ich und meine Offiziere stecken bis zum Hals mit drin, man wird uns auslachen wenn wir jetzt kneifen, und du bietest mir an, das Hasenpanier zu ergreifen?“ Griffin tat als würde er ernsthaft nachdenken. „Äh, nein.“
Das löste Gelächter am Tisch aus, das wie ein reinigendes Gewitter die drückende Atmosphäre im Raum reinigte.
„Also gut. Es kann sein, das einige von uns, vielleicht sogar alle morgen schon nicht mehr leben“, sagte Arling düster. „Aber lasst uns unser Bestes geben und unserem Gewissen gehorchen. Es ist mir eine Ehre, mit ihnen allen zu dienen. Sie alle sind hervorragende Raumfahrer und noch bessere Kameraden.“
Ehrfürchtige Stille antwortete Arling. „Und jetzt lasst es uns angehen!“
***
Nervös verknotete Admiral Jenna Toral ihre Finger ineinander, während sie in ihrer Flaggkabine saß. Sie war vielleicht nicht allein im Raum, denn Aurora Constantine, die Kapitänin des Leichten Kreuzers SIGURD, leistete ihr Gesellschaft und moralische Unterstützung. Die hatte sie auch bitter nötig, denn das was sie vorhatte, bedeutete definitiv das Ende ihrer Karriere in der Marine des Europa-Pakts. Was danach kam war ungewiss, aber zumindest hatte sie nicht vor, mehr Porzellan als nötig zu zerschlagen.
Als der Hauptbildschirm aufflammte und das Logo der Admiralität zeigte, zuckte die erfahrene Offizierin nicht einmal zusammen.
„Admiral Dencu hier. Jenna, was zum Henker machen Sie da in Stabiae? Oder besser, was unterlassen Sie?“ Der alte, ernst drein blickende Mann sah strafend auf sie herab. Vielleicht einer der Gründe, warum dieser Bildschirm höher angebracht war als der jeweilige Admiral saß. Es war eine Art programmierter Demut, hatte Jenna Toral einmal gesagt, nicht ohne hinzu zu fügen, das sie dafür nicht empfänglich war. Heute aber glaubte sie einen Schweißtropfen ihre Wange hinab fließen zu fühlen und musste der Versuchung widerstehen, ihn fort zu wischen.
„Was ich mache und was ich nicht mache ist meine Sache. Ich habe Autorität im Stabiae-System, Kiran.“
Der Ältere schnaubte wütend aus. „Wissen Sie, wie es hier auf Europa aussieht? Der Rat ist schon dreimal zusammen getreten! Anfangs waren sie ja zufrieden mit Ihrer Arbeit, aber nun will man Ihren Kopf, Jenna, Ihren Kopf! Sie zerstören gerade die internationale Reputation und blamieren uns nach innen!“
„Sie sind sich aber schon bewusst, das dies vollkommen zu Recht erfolgt, Kiran?“, fragte sie mit einem bitteren Ton in der Stimme. „Als ich diesen Posten hier übernommen hatte, hieß es zuerst, die zwei Millionen Katalauner wären Kriegsgefangene. Dann hieß es, sie wären Flüchtlinge. Schließlich bezeichnete man sie als Migranten, und mir hat man die Aufgabe übertragen, sie zu beschützen. Ein Job, den ich leider zu meiner persönlichen Schande nicht ausgeführt habe. Sie sind Zwangsarbeiter, Menschen die gegen ihren Willen einhundertsechzig Lichtjahre weit verschleppt wurden, Kiran!“
Der Admiral atmete heftig aus. „Jenna, es geht nicht um das sein, wenn Politik eine Rolle spielt. Es geht immer um den Schein. Der vorige Schein war, das wir verzweifelten katalaunischen Bürgern sicheres Obdach gewährt haben, vor einem tyrannischen Regime, das sie verkauft hat. Diesen Schein sollten Sie wahren.“
„Ist es so?“ Die Bitterkeit schlug nun vollends durch. „War ich die Idiotin, weil ich einem Willowby und seinen schönen Reden geglaubt habe? Weil ich glauben wollte, dass der Europa-Pakt die Ideale der herkuleanischen Dynastie hoch halten würde? Weil ich gehofft habe, es wären wirklich Migranten und keine Zwangsarbeiter? Wie tief haben wir sinken müssen, um so weit zu gehen?“
„Es geht nicht darum, wie weit wir gehen mussten, um irgend etwas zu erreichen. Es ging darum, der Welt vorzuspielen, was sie sehen sollte. Und das ist nicht geschehen. Im Gegenteil, die internationale Presse sendet tausende Aufnahmeminuten ins All hinaus, in denen gezeigt wird, das die Katalauner wieder in ihre Heimat zurückkehren wollen. Das ist politisches Gift für uns, denn es überführt uns der Lüge! Unserer Heimat wurde großer Schaden zugefügt. Sie haben der Heimat großen Schaden zugefügt, Jenna!“
„Und das Unrecht, was wir den Katalaunern angetan haben, das zählt nicht? Ein tapferer Mann wie Arling, der für sie alles gewagt hat, das zählt nicht? Die Wahrheit, sie zählt nicht? Kiran, das ist doch Mist!“
„Das ist Politik, Jenna. Und in der Politik hat ein Gewissen nichts zu suchen. In der Flotte übrigens auch nicht. Da werden Befehle ausgeführt. Und da Sie nicht imstande sind, die richtigen Befehle zu geben, werde ich das für Sie übernehmen.“ Der alte Admiral verzog die Mundwinkel zu einem mürrischen Lächeln. „Alles was hiernach kommt wird dann mir angelastet, weil Sie nach Befehl gehandelt haben, Jenna. Ihr Kopf ist damit aus der Schlinge.“
Admirälin Toral sah ihren Vorgesetzten lange an. „Angriff auf die Katalauner?“
„Richtig.“
„Unterbrechung der Verschiffungsaktion?“
„Korrekt.“
„Vernichtung aller kampffähigen Einheiten?“
„Ja. Schieben Sie ruhig alles auf mich, aber bitte, geben Sie nicht auf. Ich weiß, ich habe gesagt, in der Marine braucht man kein Gewissen, aber... Ein wenig Gewissen schadet nicht, damit nicht alles so unsagbar falsch gemacht wird. Enttäuschen Sie mich nicht, Jenna.“
„Admiral. Ich weigere mich.“
„Das nützt nichts. Es würde nur zwei Opfer bedeuten. Meines und Ihres. Ein anderer würde die Befehle ausführen, das wissen Sie.“
„Das ist mir egal. Jeder muss irgendwann für das gerade stehen, was er getan und befohlen hat. Und ich will mich weder an Ihnen noch an den Zwangsarbeitern versündigen. Ich habe ihnen nicht geholfen, nun will ich sie nicht töten.“
Die Miene des alten Admirals versteinerte. Aber einen Moment darauf huschte ein Lächeln über sein Gesicht. „Was meinen Sie, wie lange werden die Katalauner brauchen, um über zwei Millionen Mitbürger einzuschiffen? Zwei Tage? Mehr?“
„Sechzig Stunden, wenn sie überhaupt die Kapazitäten haben, so viele Menschen aufzunehmen.“
„Hm. Gut. Ich enthebe Sie hiermit Ihres Postens, Admiral Toral. Die Heimatflotte Stabiae-System bleibt ab sofort auf den jetzigen Positionen, bis der neue Befehlshaber eintrifft. Das wird allerdings etwas dauern. Sehen Sie zu, das die Heimatflotte bis dahin nicht im Chaos versinkt, Jenna.“
Der Admiral nickte ein letztes Mal, dann erlosch die Verbindung.
„Er gibt uns tatsächlich etwas Zeit“, murmelte Constantine erstaunt.
„Nein, nicht uns, sondern den Kaiserlichen. Weil er ganz genau weiß, dass zwar Köpfe rollen werden... Aber auch das es zu spät ist, um mit der Auslöschung der Zwangsarbeiter noch irgendetwas retten zu wollen. Sie haben mit der internationalen Presse gespielt, und sie haben verloren. Aber ich glaube nicht daran, das es so glatt geht. Bestimmt nicht, denn zu vielen Pakt-Einrichtungen wird mit unliebsamen Enthüllungen auf die Füße getreten. Es wird Chaos geben. Blut, Zerstörung, Tote und...“
Eine sanfte Hand legte sich auf die Schulter der Admirälin. Sie sah auf und lächelte die Nymphe an.
„Habe keine Angst vor der Zukunft, Kind. Im Gegenteil, sei zuversichtlich. Ihr Menschen seid eine merkwürdige Spezies, die viel zu leicht das Blut ihresgleichen vergießt, aber manchmal entsetht daraus etwas neues, interessantes, bedeutendes. Und von dir als Kind der herkuleanischen Dynastie erwarte ich dann, dass du deine Verantwortung annimmst.“
„Ich danke dir, Nihartes. Du bist wie immer meine Lehrmeisterin. Aber wärst du nur früher gekommen, dann wäre all das in Hephaistos nicht passiert.“
„Oh, ich denke, ich bin zur richtigen Zeit gekommen“, orakelte die Nymphe, wurde sphärisch und verschwand.
„Ist sie es wert? Ist sie deine ganze Karriere wert?“, fragte Aurora leise.
„Wer will schon eine Karriere in diesem politischen System?“, murrte Toral frustriert. „Mach uns eine Flasche auf, Schatz, und lass uns das Ende meiner Karriere begießen.“
„Du klingst nicht sehr frustriert.“
„Vielleicht, weil ein Teil von mir immer noch glaubt, das es hiernach weiter geht. Irgendwie.“
***
Für einen Moment war es ruhig. Ruhig in der Stadt, ruhig im Orbit um Vesuv und ruhig an jedem Ort auf dieser Welt, an dem sich kaiserliche Bürger und Truppen befanden. Zu ruhig, fand Arling, und er wusste, dass er wirklich Recht hatte.
In Gedanken zählte er die Fallen und Hinterhalte auf, die ihm bereits gestellt worden waren, und die, wären sie zugeschnappt, seine Expedition beendet hätten. Wobei die letzte Falle die schlimmste war, denn ihre Zangen begannen sich gerade erst zu schließen, und wenn er nicht aufpasste, würde sie zuschnappen und ihn und eine ganze kaiserliche Flottille zerquetschen. Robert hatte die Macht der internationalen Presse benutzen wollen, um seinem Ziehbruder Johann den Weg in das Stabiae-System freizuschaufeln. Dabei hatte er aber nicht daran gedacht, dass das Spiel auch anders herum ging, wie Willowbys offener Verrat bewiesen hatte. Es passte eigentlich gut zusammen. Die kaiserlichen Bürger auf dieser Welt waren größtenteils Angehörige religiöser christlicher und buddhistischer Gruppen, einige praktizierten, andere nicht. Aber die falsche Nachricht, sie wären verkauft worden, damit der säkulare Robert die religiösen Spinner los war, war wahrscheinlich genug gewesen um verbreitet zu werden. Zugleich war es für den Europa-Pakt die letzte Chance, nach der offensichtlichen Massenentführung ein vernichtendes Urteil der Öffentlichkeit abzuwenden, denn verfolgten religiösen Gruppen Asyl anzubieten war ein Pluspunkt.
Im Moment freilich machte der Europa-Pakt negative Schlagzeilen, weil sich Arlings Live-Reporter zu einem großen Teil in Hephaistos aufhielten und den Ansturm kaiserlicher Bürger aufnahmen, die mit nicht viel mehr als ihrer Kleidung am Leib an den eilig aufgebauten Registrierungsständen ihren Willen bekunden wollten, mit nach Hause genommen zu werden. Diese Zahlen schossen dramatisch in die Höhe, und die Quartiermeister der Flotte mussten ihre Berechnungen von Vorräten und Platz beinahe stündlich erheblich überarbeiten.
Letztendlich hatte Arling befohlen, mit vollen zwei Millionen und dreihunderttausend Menschen zu rechnen. Besser man war zu gut als zu schlecht vorbereitet, und man konnte nie wissen, wie viel Zeit noch blieb, bevor das Chaos losbrach. Im Moment war es ruhig, aber die ersten zaghaften Versuche von Gegenpropaganda liefen bereits auf den staatlichen Sendern, und ihre Sprecher wussten zu berichten, das die kaiserlichen Bürger gewaltsam gezwungen wurden, um am Exodus aus ihrer neuen Heimat teil zu nehmen. Dem widersprachen natürlich die internationalen Live-Bilder, aber dem hielt die einheimische Presse entgegen, dass keine Pakt-Presse in Hephaistos war, man also keine unvoreingenommene Berichterstattung hatte. So schnell war der Bock zum Gärtner gemacht. So wie das Pressekorps, das ihn begleitete, die Anklage von Willowby als ultimative Wahrheit verbreitet hatte, so war es diesmal das Pakt-Fernsehen, das seine Behauptungen verbreitete und diesmal nicht nur die kaiserlichen Truppen und den Kaiser selbst, sondern gleich dazu noch die internationale Presse vorzuführen versuchte.
Arling war sich darüber im klaren, das es nicht in diesem milden Ton weitergehen würde, denn er hatte die Stadt genommen, und genau das würde ihm nun zum Verhängnis werden, wenn er nicht aufpasste. Und der Pakt würde sich so schnell nicht brandmarken lassen und geschlagen geben, denn ein entehrter Europa-Pakt würde schnell zur leichten Beute der Nachbarn werden. Sie würden kämpfen, töten, vertuschen, und wenn Gras über die Sache gewachsen war, etwas vollkommen anderes behaupten.

„Sir?“
Arling sah auf. „Sprechen Sie, Lüding.“
„Der Quartiermeister hat die Flottenberechnungen fertig. Er empfiehlt, das wir keine Kampfschiffe, sondern Frachter konfiszieren. Wir brauchen, Nahrungsmittel und die Grundversorgung eingerechnet, entweder zwölf leichte Kreuzer oder acht Whale-Transportschiffe, falls es einigermaßen bequem sein soll. Und das auch nur, wenn wir unsere und Griffins Flottille bis zum bersten mit Menschen vollstopfen.“
Arling nickte. Diese Dinge waren ihm bekannt, aber die tatsächlichen Ausmaße zu sehen erschreckte ihn. Er hatte nicht die Leute, um zwölf Kreuzer zu bemannen, ganz davon abgesehen, dass es auf dem Mond von Vesuv keine zwölf fertig gestellte Kreuzer gab. Allerdings würde das bedeuten, die Kapazitäten mit Dünnschiffen wie Fregatten und Zerstörern auszugleichen, aber selbst mit Notbesatzungen ausgerüstet hatte Arling keine Kapazitäten frei um dreißig Fregatten oder zwanzig Zerstörer zu bemannen. Andererseits konnte er keine acht bis vierzehn Großraumfrachter beschützen. Von denen gab es ein paar auf dem Mond. An ihm lag es nun, die perfekte Mischung zu finden, wobei der Angriff, vorgetragen von Oberstleutnant Steyer, den brüchigen Frieden beenden würde. Dann würden sie kämpfen müssen. Und über zwei Millionen Menschen unter Feuer zu evakuieren würde die Hölle auf Erden werden.
Verdammt! Im ursprünglichen Plan hätten sie den Pakt gezwungen, die Menschen zurück zu transportieren, aber nach der Riesenlüge, dessen willfähriger Erfüllungsgehilfe Willowby und seine zehn Spießgesellen gewesen waren, gab es für den Pakt keine Möglichkeit mehr, sich noch weiter bloß zu stellen. Ein paar Großraumfrachter, die sie auch noch ausrüsten mussten und ein paar Kampfschiffe, das war die Lösung. Dazu würden sie die regulären Schiffe voll stopfen müssen, bis sie am platzen waren. Jedes Schiff, das der Gegner versenkte, würde nicht nur tapferen katalaunischen Soldaten den Tod bringen, sondern auch zehntausenden Zivilisten.
Ob ergeben eine Option war? Arling schüttelte unwillig den Kopf. Die zwei Millionen da unten wollten nach Hause. Und wenn er nicht dafür sorgte, würden sie sich jetzt, nachdem das Feuer einmal in ihnen loderte, den Weg mit Gewalt erkämpfen.
„Wurde Steyer entdeckt?“
„Bisher noch nicht. Keine erhöhte Funkaktivität auf Oplontis, und speziell von den Zielwerften nicht.“
Arling überschlug die Daten. Achthundert Mann waren zusammen mit einhundert Knights unten am Raumhafen und in Hephaistos. Dazu kam die gleiche Zahl Rüster und etwa dreihundert Gryanen.
Tausend hatte er zusammen mit noch einmal einhundert Rüstern gen Oplontis entsandt, zusammen mit der gleichen Anzahl an Gryanen und Rüstern. Eine zweite Welle, bestehend aus vierhundert kaiserlichen Matrosen und Offizieren warteten ein wenig in der Hinterhand auf ihren Augenblick, wenn die Prisen genommen waren und erfahrene Besatzungen sie zur Flotte schaffen mussten. Erbärmlich geringe Zahlen, aber sobald die Schiffe neben seinen Kampfschiffen anlegten und ihre Zahl feststand, konnte er ordentliche Prisenmannschaften zusammenstellen, die dann auch in der Lage waren, mit ihren Bordwaffen zu kämpfen. Ein Kampfschiff, das seine Waffen nicht einsetzte war harmloser als ein Raubtier ohne Zähne und Krallen. Aber die Wahrheit war nicht zu leugnen, Arling schwächte sich in jedem Fall. Entweder hütete er zu viele Schiffe, schwächte die Kampfkraft oder machte sie durch die vielen Menschen an Bord viel zu wertvoll, um auch nur eines zu verlieren. Aber leider brauchte er den Platz, und das dringend.
Oplontis war damit ein wichtiger Schritt im weiteren Verlauf der Schlacht, die nun kommen würde.
Wurde Steyer zu früh entdeckt – was bei einem alarmierten Gegner erschreckend wahrscheinlich war – bedeutete dies das Ende der Mission. Ein paar der Fregatten, die den Planeten bewachten, konnten dann Knights, Rüster und Fähren abschießen wie sitzende Enten, bevor sie sich im eigentlichen Einsatzgebiet entfalten konnten. Dann hatten sie nichts gewonnen und nur einen Haufen guter Leute verloren. Aber ein Zurück gab es auch dann nicht.
Einer seiner Junioroffiziere hatte ironisch vorgeschlagen, die Leute tief zu frieren und anschließend zu stapeln, und Arling befürchtete, dass die Menschen in Hephaistos dieser Idee notfalls zugestimmt hätten, und das war tragisch genug. Arling hatte davon abgesehen, den Mann zu tadeln.
Man konnte die Vorräte bis auf ein Mindestmaß reduzieren, halbe Rationen ausgeben und versichen, sich in der Nisos Elektron neu zu verpflegen und zudem weitere Schiffe aufzukaufen. Aber erst einmal mussten sie so weit kommen, und um das zu schaffen, waren die Schiffe auf Oplontis ein Muss. Im Moment hatten sie eine Verschnaufpause. Aber die würde nicht ewig währen.
Bald würden sich die staatlichen Medien eingeschossen haben. Bald würde die Flotte angreifen. Bald würde auch Nachricht aus der Heimat kommen und...
„Kommodore, Überlichtspruch von Admiral von Hohenfels. Direktkommunikation. Sie verlangt alle Kapitäne der Mission zu sprechen.“
Mit einem Seufzer erhob sich Arling. Die Dame hatte sich mehr Zeit gelassen als gedacht.
„Holo-Konferenz im Besprechungsraum“, befahl Arling in Richtung der Funkoffizierin.
Die bestätigte mit einem Kopfnicken.
***
„Arling, was machen Sie denn immer noch über Vesuv? Die Kaiserin hat Ihnen einen Rückzugsbefehl erteilt!“, blaffte Miranda von Hohenfels, kaum das sich ihr lebensgroßes Hologramm am Tischende des Konferenztischs gebildet hatte.
Seelenruhig wandte der Kommodore ein: „Ich habe ein Evakuierungssignal von einem Ninja aus Hephaistos erhalten, Admiral. Im Zuge der Evakuierungsmaßnahme stellte sich heraus, dass hunderte kaiserlicher Bürger dringend ärztliche Versorgung brauchten. Da die Evakuierung noch nicht abgeschlossen war, entschied ich mich, die Stadt zu nehmen, ebenso den König Dosd-Gedächtnisraumhafen, und meinen Ärztestab die Versorgung vornehmen zu lassen. Dabei stellte sich heraus, das etliche Zivilisten die Evakuierung in die Heimat wünschen.“
„Etliche ist ein dehnbarer Begriff! Wie viele sind es denn? Hundert? Tausend? Arling begreifen Sie nicht, dass Sie nur geduldet sind? Jede Stunde, die Sie länger im Herzen eines unserer Feinde verbringen, kann Ihr Ende sein! Die Republik mag mit uns einen Waffenstillstand geschlossen haben, die Diadochen aber nicht! Und da der Europa-Pakt etwas weit von uns entfernt ist, Sie aber so nahe sind, rücken Sie mehr und mehr ins Visier! Einmal ganz davon abgesehen, dass Sie eine kaiserliche Order nicht erfüllen!“
„Wir zählen noch, aber es sind zirka zwei Komma drei Millionen Katalauner, die die Rückführung wünschen“, erwiderte Arling stoisch. „Soll ich die alle hier lassen?“
Für einen Moment verschlug die bloße Zahl Admiral von Hohenfels die Sprache, aber dann fasste sie sich schnell. „Die Rückführung der evakuierungswilligen Zivilisten obliegt nun der Diplomatie, nicht länger dem Militär. Sie haben Ihre Aufgabe erfüllt, lassen Sie den Rest von den Politikern machen, wie es geplant war.“
„Ich riskiere harte Strafen für die Zivilisten, Ma´am“, wandte er ein.
„Der Europa-Pakt kann sich Strafen nicht leisten“, erwiderte sie.
„Mit Verlaub, aber darauf verlasse ich mich nicht.“
Das grotesk verzogene Gesicht der Admirälin verzerrte sich noch ein wenig mehr. „Arling, ich gebe Ihnen hiermit einen eindeutigen Befehl: Kehren Sie unverzüglich nach Katalaun zurück. Und beginnen Sie mit den Vorbereitungen sofort! In einer Stunde will ich keinen Ihrer Leute mehr auf dem Planeten wissen! Haben Sie mich verstanden?“
„Vierzehnter Mai Zweitausendsechshundertelf, Gesamtbefehl an die Marine, ausgegeben von Admiral der Marine Miranda Herzog von Hohenfels, fünf Tage nach Kriegsbeginn: Alle Schiffe und alle Truppen haben hiermit Befehl, jeder kaiserlichen Einheit im Gefecht Hilfe zu leisten, ungeachtet der Gefahren und anderslautender Befehle. Wir stehen zusammen oder fallen getrennt!“, zitierte Johann Arling, ohne mit der Wimper zu zucken. „Ihr ureigenster Befehl, Admiral. Und da unten sind kaiserliche Truppen, Ma´am. Sie stammen von Grenzplaneten, und auf Grenzplaneten gibt es immer noch einjährige Milizpflicht. Ich kann also mit Fug und Recht behaupten, das ein Großteil der Menschen da unten...“ Arling verstummte. Dann sah er überrascht in die Runde seiner Kapitäne. Sekunden später winkte er Oberleutnant Kress heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der wirkte zuerst erschrocken, dann überrascht und eilte schließlich hinaus.
„Da unten sind kaiserliche Truppen, und ich werde mich nicht entehren, indem ich sie zurücklasse.“
„So ist das also“, kommentierte Hohenfels mit düsterer Miene. Ihr Blick wanderte über die anwesenden und per Hologramm zugeschalteten Kapitäne. „Kommodore Schlüter. Ich befördere Sie mit sofortiger Wirkung zur Verbandskommandeurin. Verhaften Sie Ihren ehemaligen Vorgesetzten und arrestieren Sie ihn in seiner Kabine für die Dauer der Rückreise.“
Arlene Schlüter erwiderte den Blick der Admirälin fest. „Ich weigere mich, diesem Befehl nachzukommen, da ich ihn für unrechtmäßig halte.“
Hohenfels begann mit dem linken Auge zu zucken. „Rössing!“
Gerard Rössing machte sich nicht einmal die Mühe zu antworten. Er schüttelte nur den Kopf.
„Myrte! Harris! Rend! Ich lote die Beförderung auch Ihnen aus!“
Ohne zu zögern verneinten auch die drei Kapitäne. „Ich sehe es genauso wie Kommodore Arling, Ma´am“, erwiderte Rowland T. Myrte mit einem ernsten Blick. „Kameraden lässt man ebenso wenig im Stich wie Schutzbefohlene.“
Harris nickte dabei zustimmend.
„Monterney und Ganth brauche ich wohl gar nicht erst zu fragen“, knurrte Hohenfels gefährlich leise. „Kommodore Griffin, ich befehle Ihnen und Ihren Gryanen, gemäß des Kontrakts mit dem Kaiserreich Katalaun...“
„Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche, Admiral, aber wenn Sie Ihre Rechercheabteilung bemühen, werden Sie sehen, dass wir keinen Kontrakt mit dem Kaiserreich haben“, erwiderte Griffin kühl. „Wir sind von Graf Arling persönlich angeworben und bezahlt worden. Ich werde also auf niemanden hören als den Grafen Arling persönlich!“
Wieder zuckte das linke Auge, und ohnmächtige Wut stand in ihr verzerrtes Gesicht geschrieben. „Ich erkläre hiermit Kommodore Arling und seine Kapitäne für unter Arrest stehend. Jeder katalaunische Soldat ist verpflichtet, ihn und alle die ihn unterstützen unter Arrest zu stellen, die Ordnung an Bord seiner Schiffe wiederherzustellen und danach die Heimreise anzutreten. Beförderungen sind allen loyalen Soldaten sicher. Die Meuterer hingegen werden vor das Kriegsgericht gestellt.“
Arlings Lippen zuckten kaum merklich bei diesen Worten. Auch wenn diese Kommunikation nicht öffentlich zugänglich war, er war sich sicher, dass dieser Wortlaut entweder von Mund zu Mund im ganzen Schiff weitergegeben wurde, oder Hohenfels schlauerweise einen offenen Funkspruch an alle Schiffe der Flotte aufgegeben hatte. Außerdem hatte sie Arling und die Kapitäne der Meuterei beschuldigt, und alleine das war etwas, was einen geringeren Mann den Freitod hätte wählen lassen.
Ein Gutes hatte die Geschichte. Nun würde er bald wissen, wie sehr er sich wirklich auf seine Leute verlassen konnte, und das hatte etwas beruhigendes.
Als dann tatsächlich die Tür aufgerissen wurde, und eine Horde Bewaffneter herein stürmte, war Admiral Hohenfels zufrieden. „Verhaften sie Graf Arling und Frau Schlüter“, befahl sie ernst, „dann fahren sie auf den anderen Schiffen fort.“
„Mit Verlaub, Admiral!“, sagte der Anführer der Gruppe, Hauptmann Jeremy Schmitt vom Geheimdienst. „Wir sind nicht hier um den Kommodore zu inhaftieren. Wir sind hier um ihn zu schützen!“
Kurzer Tumult entstand in der Tür, als eine zweite Gruppe unter Oberleutnant Kress hinterher drängte, aber die beiden Gruppen hatten sich schnell verständigt und als einander zugehörig erkannt.
„Massenmeuterei!“, rief Admiral von Hohenfels erbost. „Ich werde ein internationales Kopfgeld auf sie alle aussetzen!“
„Nein, das werden Sie nicht, Admiral“, sagte nun Kapitänleutnant Harris. Der Außerirdische sah sie mit stechendem Blick an. „Im Gegenteil. Wir erkennen weder Ihre Autorität noch die der Kaiserin an. Im Gegenteil! Wir erklären uns noch immer loyal zu Kaiser Robert.“ Der Javare sah kurz zu Arling, aber der nickte nur auffordernd. „Solange Robert lebt, gehorchen wir unserem Eid, den wir ihm geleistet haben.“
Zustimmend applaudierten die anderen Kapitäne.
„Es tut mir außerordentlich Leid, ihnen allen mitteilen zu müssen, dass die Lage in Neu-Berlin gerade sehr angespannt ist. Robert von Versailles befindet sich nicht unter dem Schutz unserer Truppen, sondern ist auf eigenes Geheiß irgendwo in der Stadt unterwegs. Wenn aufgebrachte katalaunische Bürger ihn erkennen, kann er, leichtsinnig wie er ist, gelyncht werden. Ehrlich gesagt rechne ich mit dieser schrecklichen Nachricht in jeder Stunde.“
Um Arlings Fassung war es geschehen. Er war aufgesprungen. „Wenn Robert etwas passiert...“, sagte er mit düsterer Stimme.
„Was ist, wenn Robert etwas passiert, Arling?“
Der Graf lächelte düster. „Dann werde ich um seiner Willen meine Ansprüche auf den Thron geltend machen. Sie wissen, das ich als direkter Erbe die Inthronisierung von Elisabeth anfechten kann. Ich muss es sogar, weil sie ohne Zustimmung von Parlament und Herzögen erfolgte!“
„Verkennen Sie Ihren Platz nicht, Arling!“, blaffte Hohenfels. „Sie sind bestenfalls die fünfunddreißig auf der Liste und...“
Johann sah zufrieden dabei zu, wie die Admirälin erblasste. Sie begann nachzuzählen, und ihr Entsetzen stieg.
„Ich glaube, Sie haben es auch bemerkt, oder?“ Der Graf lächelte dünn. „Wenn ich Elisabeth als Nachfolgerin ablehne, dann gilt für mich die ganze von Versailles-Linie nicht. Robert und Frederic scheiden ebenfalls aus. Und wenn ich meinen Vater bitte offiziell auf den Thron zu verzichten, bin ich nicht länger die fünfunddreißig und bin in Konkurrenz zu drei Dutzend Herzogen, sondern bin als Blutsverwandter direkter Aspirant auf den Thron.“
„Herzog Beijing wird niemals abdanken! Und nur als Herzog haben Sie Thronrecht!“, rief sie wütend.
„Eine Bitte von mir, und er tritt als Herzog zurück.“ Arling lächelte eine winzige Spur kälter. „Also wünschen Sie Robert besser ein langes und gesundes Leben.“
„Ist es das, was Sie wollen? Einen Bürgerkrieg provozieren? Das Kaiserreich zerreißen?“, fragte sie bitter.
„Zwei Millionen Menschen sind ein guter Grund, um einen Bürgerkrieg anzufangen, oder etwa nicht?“, fragte Arling ernst.
„Damit kommen Sie nicht durch“, zischte von Hohenfels. „Wenn Sie Katalaun betreten, werde ich Sie und alle die Ihnen folgen, inhaftieren lassen!“
„Ich glaube, Sie verkennen die Lage. Ich habe soeben mein Anrecht auf den Thron eingefordert. Un das bedeutet eine Vollversammlung der Exekutive. Parlament, Rat der Herzöge, Wahlmänner. Bereiten Sie lieber schon mal alles vor. Denn ich werde bald da sein. Und bevor Sie glauben, irgend etwas manipulieren zu können, sobald unsere Verbindung erlöscht, werde ich meinen Vater kontaktieren und ihn um seinen Platz in der Thronfolge bitten.“
Die Erwähnung von Gandolf Zachary von Beijing schien eine Saite in ihr anzuschlagen. Ohne ein weiteres Wort schaltete sie ab.
„Ich kann nicht glauben, das du Magic Miranda so über den Mund gefahren bist, Han“, bemerkte Gerard Rössing amüsiert. „Noch kann ich glauben, das es irgendjemand jemals geschafft hat.“
„Was nur beweist, was wir alle vermuten: Sie ist nicht die echte Miranda.“ Arling sah zur Seite, wo noch immer die gemischte, von Kress und Schmitt zusammengetrommelte Truppe in der Tür stand, mit dem zwar hehren, aber in der Ausführung chaotischen Wunsch, ihn zu beschützen. „Jeremy, haben Sie meine Recherchen durchgeführt?“
„Eine Liste möglicher Direktverwandter von Herzogin von Hohenfels, die als präparierte Doppelgänger in Frage kommen und denen wir auch entsprechende politische oder religiöse Motive zuordnen können, wurde zusammengestellt und Ihrem Arbeitsterminal zugesendet.“ Der Geheimdienstmann grinste plötzlich von einem Ohr bis zum anderen. „Majestät“, adressierte er Arling.
Für einen Moment wirkte der Graf zu Arling schockiert. Er schnaubte amüsiert. „Ich habe mich doch nicht wirklich gerade zum Gegenkaiser ausgerufen, oder?“
„Ich hoffe doch nicht!“, rief Eleonor Rend erschrocken. „Du hast doch nur mit der Möglichkeit gedroht, falls Robert etwas passiert!“ Entsetzliche Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben, denn wenn das Universum verrückt genug war - und das es das war, bewies es jeden Tag aufs neue – dann würde ihr Han vielleicht wirklich zum Kaiser, als welchen Gründen auch immer. Und dann würde ihre Liebe ein trauriges Ende finden, denn ausgerechnet sie sollte einem Kaiser Katalauns würdig sein? Im Stillen verfluchte sie ihre militärisch geprägte Erziehung in der Kadettenschule, die sie zu solchen Gedanken trieb.
„Aber wir sollten mit dem Gedanken nicht nur spielen und bereit dafür sein, diese Drohung auch Wirklichkeit werden zu lassen. Immerhin habt Ihr eine Vollversammlung der Exekutive verlangt“, sagte Myrte mit ruhigem Ton, bevor er mit einem verschmitzten Lächeln hinzu fügte: „Majestät.“
Arling zerdrückte einen Fluch zwischen den Lippen. „Das erörtern wir, wenn ich mit dem Rücken zur Wand stehe. Und jetzt los, wir haben eine Stadt zu evakuieren.“ Argwöhnisch hob er eine Augenbraue. „Und der erste, der mich bei der Verabschiedung mit Majestät betitelt, bringt unseren Junioroffizieren die nächsten beiden Wochen Scatt bei.“
Stumm schalteten die Kapitäne einer nach dem anderen ab. Zweifellos das leiseste Konferenzende, das Arling jemals erlebt hatte.
„Majes...“, begann Oberleutnant Kress, aber Arlings böser Blick unterbrach ihn.
„Sie mögen Scatt wohl besonders gerne, Julian.“
„Kommodore“, verbesserte sich Arlings Adjutant.
„Schon besser.“
***

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Der Herzog von Beijing sah seinen Sohn ernst an. Stumm hörte er seinen Ausführungen zu und nickte an manchen Stellen. Zwischenfragen stellte er keine.
Als sein Sohn fertig war, sagte Gandolf Zachary schließlich: „Ich verstehe deine Motive, und ich billige sie, Hannes. Im Moment kann ich von meinem Amt als Herzog nicht zurücktreten, aber sobald du katalaunisches Raumgebiet erreichst, werde ich das mit Freuden tun.“ Sein Blick wurde stolz. „Enttäusche mich nicht, mein Sohn. Nicht nur wegen Elise und Robbie, sondern vor allem auch wegen deinem alten Herrn, der keine Lust hat auch seinen letzten Sohn zu überleben.“
Arling straffte sich. „Dad, ich habe nicht vor zu sterben. Und ich habe auch nicht vor, einen meiner Leute sterben zu lassen, weder im Gefecht, noch vor einem Kriegsgericht.“
„Hehre Ideen, junger Mann, aber du weißt doch selbst am besten, dass es immer Tote gibt, oder? Die Raumfahrt erlebt sie selbst in Friedenszeiten wieder und wieder. Außerdem haben deine Gegner die Zeit genutzt, in der sie noch gar nicht gewusst haben, dass du ihr Gegner sein wirst. General Kress wurde befohlen, Freddies Leichnam zu bergen und nach Katalaun zu bringen.“
Arling hoch eine Augenbraue. „Du hast doch nicht vor, seinen letzten Willen zu hintergehen?“
„Die PRAG marschiert mit Höchstfahrt, begleitet von einem Verband schneller Schiffe. Sie wird in vier Stunden im System sein, und in weiteren zehn steht sie über B-King. Bis dahin wurde sein Leichnam längst verbrannt.“
„Wenn alles nach Plan läuft. Ich befürchte eine Geheimdienstaktion, Dad.“
„Die hatten wir schon. Wir haben sie mustergültig scheitern lassen. Vergiss nicht, mein Junge, wir sind eine Zentralwelt, auch wenn unser Ambiente eher Kleinstädtlerisch ist.“
„Verstehe“, erwiderte Arling mit einem Lächeln. „Und, wie geht es weiter?“
„Ich werde mich mit dem alten Kress schon einigen. Und danach wird B-King deine kleine Festung direkt am Busen des Montillon-Systems. Gemeinsam kriegen wir die Lage schon wieder in den Griff.“ Gandolf Zachary schüttelte mit amüsierter Miene den Kopf. „Übertölpelt haben sie uns, wie blutige Anfänger übertölpelt. Sie blenden die Massen mit einem populären Anführer, während sie die Geheimdienste unterwandern und darauf hoffen, dass Flotte und Armee loyal bleiben, solange ein Versailles das Kaiseramt inne hat. Wie lange sie brauchen um auch diese Institutionen zu unterwandern, steht in den Sternen, aber ich bin sicher, es ist bereits im Gange. Nach außen hin scheint alles ruhig zu sein im Kaiserreich, nachdem die religiösen Gruppen ihre Demonstrationen wieder abgesagt haben. Aber unter der Oberfläche brodelt es. Und ich sage dir, Hannes, es dauert nicht mehr lange, und offene Ressentiments brechen aus. Dann lassen sie sich von ihrer Macht berauschen, jeder einzelne wird ein kleiner Anführer, sie bilden kleine Gruppen, die Einzelnen überlegen sind, und dann leben sie ihre Macht aus. So war es unter Freddie, und so wird es wieder sein.“
„Nicht, wenn ich es verhindern kann.“
„Gut gesprochen, aber du schiebst es nur auf. Irgendwann einmal wird die Situation wieder eintreten, dann vielleicht nicht mit religiösen Gruppen, sondern mit einer politischen Partei. Oder einer Minderheit. Es gibt so viele Möglichkeiten, so viele Konflikte. Menschen sind eine streitsüchtige Spezies.“
„Nicht auf B-King, oder?“
„Nein, unsere unruhigen Geister gehen alle zur Flotte“, bemerkte der alte Herzog spitz.
„Touché, Dad.“ Johann Arling lächelte warm für seinen Vater. „Ich soll dich von Ellie grüßen. Sie freut sich darauf, dich bald wieder zu sehen.“
„Oh, das beruht auf Gegenseitigkeit. Euer erster Sohn sollte übrigens Zachary heißen, sag ihr das.“
„Werde ich tun, Dad..“
„Deinen sorgenfreien Worten entnehme ich, dass du bereits einen Plan hast?“, hakte der Herzog nach.
„Hm. Ja, ich habe tatsächlich eine Idee. Dad, wie viel Mark kannst du mir aus meinen Firmen und von meinen Konten sofort transferieren?“
„Ich werde deinen Verwalter Edmond fragen. Wie viel brauchst du denn, Hannes?“
Arling grinste. „Jeden verdammten Pfennig, den er loseisen kann, ohne mich zu ruinieren.“
„Willst du einen Planeten kaufen?“, argwöhnte sein Vater.
„Etwas in der Art, Dad. Bitte lass es auf mein neu eröffnetes Konto auf Leonidas im Thermophylen-System in der Nisos Elektron überweisen. Darauf habe ich von hier sehr guten Zugriff.“
„Du planst doch wieder irgendeine Verrücktheit“, stellte der Herzog amüsiert fest. „Deshalb liebe ich dich auch so, mein Sohn.“
„Ich liebe dich auch, Dad, vor allem wenn das mit der Überweisung klappt“, scherzte Arling.
Der Herzog von Beijing lachte burschikos. „Na, da bin ich aber gespannt was passiert, wenn man dir dreißig Milliarden kaiserliche Mark in die Hände gibt. Aber halte dich nicht zu lange auf. Man braucht dich hier.“
„Ich weiß. Grüß Billie und die anderen von mir.“ Johann Arling schaltete nach einem letzten Nicken seines Vaters ab. Zumindest die Hürde war genommen. Der Rest würde sich nun ergeben, nach und nach. Er wusste, dass es zu viele Faktoren geben würde, die er jetzt noch nicht sehen konnte, und das er lange Zeit beinahe nur würde reagieren können. Aber Improvisation gehörte zu seinen Stärken.
Arling aktivierte die Verbindung zu Oberleutnant Kress. „Julian, wie weit ist Operation Prometheus?“
„Sie läuft gerade an. Übrigens, die Presse des Stabiae-System beginnt gerade zu reagieren. Das sollten Sie sich ansehen.“
„Kapitän Schlüter soll mich im Konferenzraum der Brücke treffen. Wir werden dort zusehen.“
„Ich leite es weiter, Maj... Mylord.“


2.
30.06.2613
Hephaistos, Nordkontinent Phebia
Industriewelt Vesuv
Stabiae-System
Europa-Pakt

„Unglaubliche Szenen spielen sich in den Straßen von Hephaistos ab! Menschen werden auf die Straßen gezerrt, oftmals nur mit dem was sie am Leibe tragen! Die kaiserlichen Truppen kennen keinerlei Erbarmen bei der Ausführung des Befehls von Graf Arling, dem Handlanger des furchtbaren Despoten Robert, mit dem der Migrantenhintergrund der armen, aus religiösen Motiven Verfolgten vertuscht werden soll! Wir fragen: Wann greift die Armee ein?“
Mit unbewegter Miene starrte Arling auf die Bilder, die auf mehreren Staatlichen Sendern des Stabiae-Systems liefen und Szenen zeigten, in denen Soldaten in kaiserlicher Uniform Menschen geradezu aus den Häusern traktierten.
„Es war zu erwarten gewesen, dass sie so etwas versuchen, Han“, versuchte Schlüter den Freund zu beruhigen.
„Das Problem ist nicht, dass die Stabiae-Presse lügt, das sich die Balken biegen.“ Arling sah auf. „Sie lügt doch, oder?“
Stumm deutete Arlene Schlüter auf andere Kanäle, auf denen die Reportagen des internationalen Pressekorps zu sehen waren. Dort sahen die Bilder vollkommen anders aus. Dankbare Männer, Frauen und Kinder fielen den Soldaten, welche den Abtransport zum Raumhafen organisierten, regelrecht um den Hals. Die einzige Sorge der kaiserlichen Truppen war eigentlich nur die Angst der Bewohner von Hephaistos, eventuell nicht schnell genug evakuiert zu werden und zurück bleiben zu müssen.
„Sie müssen wissen, dass sie mit ein paar Polygon-Avataren niemanden täuschen können“, warf Arlene Schlüter ein. „Eine schlichte Analyse, und man sieht, dass die Haut auf Mikroebene aus Kuben besteht. Ein Umstand, der bei Menschen äußerst selten vorkommt.“ Sie deutete auf den Bericht des insektoiden Vertreters Malum Abakars, dessen Bericht von seiner Station eifrig kommentiert wurde. Sie hatten den Schwindel mit den Avataren bereits entlarvt. Triumphierend sah Schlüter ihren Freund und Vorgesetzten an.
„Es muss nicht da draußen funktionieren, Lenie, nur hier“, brummte Arling unwillig. „Nur hier. Nur die Menschen im System müssen ihnen glauben, nur die Soldaten und Offiziere der Flotte. Nur jedermann, der eine Waffe in der Hand halten kann. Dazu eine kleine Initialzündung, und wir haben einen Flächenbrand, der den ganzen Europa-Pakt umfasst. Wie, denkst du, konnten sie zwei Millionen Katalauner auf dieser Welt verstecken? Wie den Menschen plausibel machen, warum sie eine eigene Stadt bekommen? Das Staatliche Fernsehen ist das einzige Programm, was die Stabiaer zu sehen bekommen, so sieht es aus! Wir können hier im Orbit alle Sender empfangen, aber da unten wird nicht nur für Katalauner sortiert.“ Arling rieb sich nervös die Schläfen. „Es wird bald los gehen, Lenie. Bald, sehr bald.“
„Als wenn wir nicht schon genügend Sorgen hätten“, murmelte sie als Antwort.
***
Exakt einhundertzwanzig international anerkannte genormte Kilometer tiefer befand sich die Gräfin zu Solms, in der Flotte besser bekannt als Major Madeleine Russel von der kaiserlichen Spezialeinheit Ninjas, in einem der provisorischen Gefechtsstände, welche die Verteidiger von Hephaistos für Fälle wie diesen eingerichtet hatten, nämlich ihr Ghetto gegen Agriffe größeren Kalibers zu verteidigen. Sören Keaton begleitete sie, als wäre es selbstverständlich.
„Wir kommen jetzt zum Admiral“, sagte er mit einem Grinsen.
„Zum Admiral?“ Argwöhnisch zog sie eine Augenbraue hoch.
„Er ist nicht wirklich Admiral, sonst hätte man ihn niemals hier her entführt, denn man kann vielleicht das Verschwinden von über zwei Millionen Menschen schönreden, aber wenn jemand mit Gold auf der Schulter verschwindet, dann zieht es in jedem Fall eine Untersuchung nach sich.“
„Sie tun uns Unrecht, Sören. Es gab eine Untersuchung, Sie betreffend.“
„Das sehe ich, das sehe ich. Entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen ein paar der Witze an den Kopf werfe, mit denen wir versucht haben, unsere Stimmung im letzten Jahr aufrecht zu erhalten.“ Der Leutnant der Miliz senkte den Kopf. Aber es dauerte nicht lange, bis er wieder obenauf war. Währenddessen passierten sie mehrere in Overalls gekleidete Arbeiter, die sich provisorische katalaunische Rangabzeichen angeheftet hatten. Sie kommunizierten mit auswärtigen Gruppen, die überall in der Stadt halfen, die Ordnung zu bewahren.
„Dies ist Kommando Süd. Von hier aus decken wir die südliche Stadtflanke ab, das beinhaltet auch die Besserung, auf die ein Kommando von Oberst Ganth, unterstützt von einigen unserer besten Polizisten, gerade den Sturm ansetzt. Ein paar ihrer Reporter begleiten die Kampftruppen. Ganz schön mutig, aber das ist ja wohl auch das Mindeste, nachdem sie Willowbys Lügen ungeprüft verbreitet haben, oder?“
„Mutig ist nicht ganz das Wort, das ich dafür habe“, erwiderte die Ninja säuerlich. „Die sind einfach nur wieder auf Adrenalin und wittern eine Story, das ist alles. Dafür sterben sie sogar, diese Idioten.“ Über soviel Unverstand für die Welt schüttelte Major Russen den Kopf.
Jemand öffnete ihr eine Tür, und unvermittelt stand sie in einem hoch technisierten Raum. Dutzende Großhologramme umschwirrten fünf Arbeiter. Es waren gigantische Schlachtpläne.
„Admiral?“
Einer der Männer und Frauen wandte sich um. „Du sollst doch aufhören zu spotten, Junge.“ Sein Gesicht hellte sich merklich auf, als er die Asiatin ansah. Dabei grinste er breit, wobei die makellos weißen Zähne einen Kontrast zu seiner dunklen Haut bildeten. Der Mann wirkte zeitlos, aber mit ihre Erfahrung bestimmte Russel ihn auf einhundertzehn.
„Es freut mich außerordentlich, dass Sie es hierher geschafft haben, Major Russel. Wir zwingen die Polizisten nach und nach zum Abzug aus der Stadt, aber es wird nicht lange dauern, bis sie mit besserer Ausrüstung als ein paar gepanzerten Einsatzwagen wiederkommen, oder gleich die Armee schicken.“
„Oberst Monterney wird das unterbinden“, erwiderte Russel ernst, während sie dem großen Mann die Hand schüttelte. Sie deutete auf seine Halskette aus Hühnerknochen. „Voodoo?“
Der große Mann grinste nur noch breiter. „Meine Religion. Und leider auch die Ausrede dieser verdammten Republikaner, mit denen sie meinem Land doppelt schaden wollen. Einmal mit unserem vermeintlichen Verkauf, weil wir religiösen Minderheiten angehören, und einmal weil Stargrab Inc. der beste Raumschiffsdesigner aller Zeiten gestohlen wurde.“ Er deutete einladend auf die Hologramm. „Kommen Sie, Russel, erfreuen Sie sich an dem, was der Pakt uns gegeben hat. All das konnten wir nach und nach zusammentragen. Und von hier aus können Sie den Sturm auf die Besserung verfolgen, als wenn Sie dabei wären.“ Abschätzend sah der große Mann sie an. „Und ich wette, das wären Sie gerne, nicht wahr? Ganz schön wagemutig für einen Geheimdienstler.“
„Oh, reduzieren Sie mich bitte nicht auf meinen Rang. Da steckt schon noch ein wenig mehr hinter“, erwiderte sie amüsiert. Das sie eine Ninja war würden diese Leute spätestens dann mitkriegen, wenn die Techniker ihr ihren schwarzen Knight geliefert hatten. Falls das überhaupt nötig werden würde. Andererseits sprach nach der ersten optischen Offensive der Staatlichen Medien nichts dafür, dass sie ihn nicht benötigen würde.
„Ich habe ein paar Fragen an Sie, Admiral.“
„Oh, bitte, nennen Sie mich Allan, Major. Und sagen Sie nicht Admiral. Ich war nach meiner Milizzeit Oberleutnant der Marine. Danach bin ich rund fünfzig Jahre in der Handelsschifffahrt gewesen. Ich habe Dutzende Schiffe kommandiert, und deshalb nennen mich hier alle Admiral. Aber das nur nebenbei. Ich hätte da auch ein paar Fragen, aber bitte, fangen Sie an.“
„Nach Ihnen, Allan.“
„Nun gut. Sie sehen die Hologramme hier, oder? Die haben wir aus den Fabriken geklaut. Ein paar Fehlbestände, ein bisschen Ausschussware... Auf die gleiche Art konnten wir rund die Hälfte unserer Leute bewaffnen. Alles ehemalige Milizionäre oder pensionierte Flottensoldaten.“
„Was wollen Sie mir gerade verkaufen, Allan?“, fragte Russel in einem Anflug von Amusement.
„Nun, was würden Sie von einem kleinen Ausflug halten? Wir und ein paar Knights? Ich kenne da ein paar schnuckelige Lagerhallen direkt im Süden, in denen die Ausschussware von über einem Jahr militärischer Produktion gelagert wird. Es reicht, um vierzigtausend Mann auszurüsten. Mit Panzern, Knights, Handfeuerwaffen, alles was Sie wollen. Außerdem gibt es noch mehrere Lager mit Lebensmitteln, welche die gesamte Bevölkerung über Monate versorgen können.“ Der große Schwarze grinste schief. „Vielleicht hätten die Paktler nicht glauben sollen, wir würden wirklich ihren Anweisungen folgen.“
„Das klingt nicht schlecht. Setzen Sie sich für die Planung der Mission direkt mit Kommodore Arling in Verbindung. Und wenn Sie schon dabei sind...“ Russel lächelte dünn. „Wenn Sie schon dabei sind, dann geben Sie Graf Arling doch einen kurzen Überblick über Ihre Widerstandsgruppe. Wir brauchen bevorzugt Informationen über alle, die in Kriegs- und Handelsmarine gedient haben. Knight-Piloten sind auch sehr interessant für uns.“
„Das ist alles kein Problem. Der Pakt hat uns mächtig unterschätzt. Sie dachten es würde reichen unsere Presse zu zensieren und ab und an ein Exempel zu statuieren, um uns unten zu halten. Aber das klappt nicht mit katalaunischen Bürgern. Wir haben all das hier von langer Hand vorbereitet und nur noch auf unsere Gelegenheit gewartet. Graf Arling kam zu einem sehr günstigen Zeitpunkt.“
Der Admiral runzelte die Stirn. „Darf ich fragen, wofür der Kommodore diese Daten braucht?“
„Das fragen Sie ihn am besten selbst, Allan.“ Sie deutete auf einige der Hologramme, die von den anwesenden Offizieren umgeschaltet wurden und nun einen uniformen Wohnturm zeigten, wie es ihn hundertfach in Hephaistos gab. „Dort scheint es los zu gehen, oder?“
„Ja. Endlich.“ Beide Worte hatte der Mann mit Inbrunst ausgesprochen.
***
Spence verfluchte wieder einmal den Tag, an dem er diese Verrückte kennen gelernt hatte, diesen kleinen Adrenalin-Junkie, dessen Trips die waghalsigsten Reportagen waren. Im Moment hetzte er hinter ihr her, während sie einem Trupp von Oberst Ganths besten Leuten her eilte. Nach langem für und wider hatte Ganth die Erlaubnis gegeben, dass sie die Operation begleiten konnte. Aber Cecilia Ganth hatte ihnen beiden mehr als deutlich gemacht, dass sie nicht beschützt werden würden. Da drin waren sie auf sich allein gestellt, sobald sie den Kontakt zur Truppe verloren.
Eröffnet wurde die Kampfhandlung, als ein schwarzer Knight, eindeutig als Ninja zu identifizieren, die Fronttür des Gebäudes eintrat, während aus Dutzenden verborgenen Positionen schweres Abwehrfeuer auf ihn einprügelte. Diese Waffen waren jedoch gegen ungepanzerte Infanterie konzipiert und hätten bei einem Aufstand ein episches Blutbad angerichtet. Der Knight hingegen bemerkte die Laser-Impulse nicht einmal. Sein automatische Raketenabwehrsystem hingegen schon. Mit einer stoischen Systematik schaltete das Gerät die Geschützstellungen in schneller Reihenfolge aus. Als der Gigant mit einer voll modellierten Hand winkte, war auch das letzte automatische Geschütz verstummt.
Hastig beeilten sich die Infanteristen, vorneweg die gepanzerten Einheiten von Oberst Ganth, danach die ausgebildeten Freiwilligen aus der Stadt.
Und mitten unter ihnen natürlich Carrie Rodriguez, und dadurch zwangsläufig auch er selbst.
„Wir folgen denen!“, rief Carrie und deutete auf eine Gruppe Arbeiter mit Laserpistolen und Schlagstöcken. „Die wissen wie es da drin aussieht!“
Die wenigen Reporter, die sich dem Angriff angeschlossen hatten, folgten den besser bewaffneten katalaunischen Infanteristen, aber Carrie roch mal wieder ihre Story.
Im Eingangsbereich hatte es ein kurzes, aber heftiges Feuergefecht gegeben. Pakt-Polizisten lagen tot, verletzt oder ruhig gestellt am Boden. All das nahm seine Kamera auf, und all das war schon mal nicht gut für Arling. Aber Carrie wusste was sie tat. Sie wusste immer was sie tat. Spence hatte keinerlei Zweifel daran, dass es auch diesmal der Fall war.
Die Gruppe Freiwilliger kämpfte sich in größter Hast einen Weg zu den Nottreppen frei, während die katalaunischen Elite-Soldaten um die Aufzüge kämpften und die Aufmerksamkeit der Polizisten banden, soweit diese nicht ohnehin am Eingang gestorben oder längst geflohen waren.

Sie folgten den Katalaunern fünf Stockwerke in die Tiefe. Hier gab es das erste Feuergefecht, bevor sie eine gepanzerte Tür aufsprengten. Dahinter waren weite Reihen von Türen mit Spion zu sehen, und Spence begriff. Dies waren die Arrestzellen. Während sich verschreckte Polizisten in den weitläufigen Gängen ergaben, öffneten die Katalauner systematisch Zelle um Zelle. Spence stellte eine seiner fliegenden Kameras ab, um sie dabei zu begleiten, und was die Kamera ihm auf sein Kontrolldisplay schickte, war schrecklich, aber diesmal ein Plus für Arling. Carrie indes folgte einem älteren Mann, der verzweifelt einen Mädchennamen schrie. Als er Antwort bekam, rannte er einen Polizisten, der sich ergeben wollte, einfach um und riss eine Tür auf. Carrie war direkt hinter ihm. Eine Serie von Schüssen war zu hören, dann kehrte Stille ein. Das Ganze hatte kaum zwei Sekunden gedauert, dennoch hatte Spence die Tür gerade erst selbst erreicht. Er sah hinein und wurde Zeuge einer fürchterlichen Szene. Zwei Tote lagen im eigenen Blut auf dem Boden, der Katalauner hielt sich eine blutende Bauchwunde. Dennoch befreite er eine junge Frau so gut er konnte von einem Tischgestell. Spence fluchte innerlich, weil die Szene mit ihr Live über den Sender gegangen war. Sie war nackt, und er hatte aus einem sehr unvorteilhaften Winkel geschossen. Hätte er das geahnt, dann hätte er den Jugendschutzfilter vorgeschaltet. Aber dazu war es nun zu spät. Es wurde Sache der Nachbearbeitung, mit dem Problem umzugehen. Dafür war es auch eine Live-Reportage. Warum die junge Frau auf dem Tisch gefesselt worden war, und was die beiden toten Bastarde mit ihr gemacht hatten, daran wollte er gar nicht denken. Lieber widmete er sich dem technischen Bereich seiner Arbeit.
Carrie indes fand die Kleidung der Frau. Aufgeschnitten und nicht mehr zu gebrauchen. Wortlos zog sie ihre Jacke aus und legte sie der jungen Frau an, die gerade vor Erleichterung weinend in den Armen ihres Retters lag.
Spence lächelte grimmig. Diese Reportage brauchte keine Worte, nur Taten.
***
„Han!“ Alarmiert deutete Arlene Schlüter auf einen der Bildschirme, die das staatliche Fernsehen des Pakts zeigten. Ein aufgeregter Reporter berichtete gerade darüber, dass Arlings Schiffe damit begonnen hatten, die Stadt Hephaistos zu beschießen. Passend dazu erklangen im Hintergrund ohrenbetäubende Explosionen, die dazu führten, das der Reporter kaum verstanden wurde. Eine Stichflamme hinter ihm und ein über das Bild rauschender Feuerball, der den Sender kurzfristig zum schweigen brachte, folgten.
Anschließend berichtete ein nicht weniger aufgeregter Nachrichtenmann, dass der Zerstörer STONEWALL offen das Feuer eröffnet hatte. Eine Stellungnahme der Katalauner sei nicht zu bekommen, und überhaupt, wann griff das Militär ein.
„Eine Verbindung zu Ganth, aber fix!“, fauchte Arling.
Die Direktverbindung kam beinahe sofort zustande. Die Oberste stand in voller Gefechtsrüstung vor der Kamera ihres Adjutanten. „Sir, gutes Timing. Ich wollte Sie gerade um die Erlaubnis für eine kleine Aktion bitten. Es scheint, dass unsere Landsleute ein paar Lagerhallen im Süden mit allem gefüllt haben, was wir in nächster Zeit brauchen werden und...“
„Jetzt halten Sie mal den Rand!“, sagte Arling barsch. „Das Staatliche Fernsehen berichtet darüber, dass Hephaistos bombardiert wird. Was können Sie mir dazu sagen?“
Ein Arling unbekannter Mann schob sich ins Bild. „Oberst Ganth sicherlich nicht, aber ich könnte dazu etwas erzählen. Verzeihung, Sir, Allan Rochefort, derzeit Anführer des Widerstands.“
„Da bin ich aber gespannt. Die Nachrichten behaupten, meine STONEWALL würde die Stadt beschießen.“
Dies brachte den Mann dazu, nur noch breiter zu grinsen. „Ach, wissen Sie, Sir, als wir unsere Flucht vorbereitet haben, sind wir auf ein paar Geschenke der Pakt-Leute getroffen. Einige der Gebäude waren mit großkalibrigen Sprengsätzen vermint. Wir haben sie deaktiviert. Es scheint als hätten sie versucht, diese zu zünden und im puren Vertrauen darauf mit ihrer Reportage begonnen. Vertrauen Sie mir, Sir, hier unten ist nichts hoch gegangen. Weder durch Orbitalbeschuss, noch durch Sprengladungen.“
Arling unterdrückte den Impuls, sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. „Erzählen Sie mir mehr von der Operation, Mr. Rochefort.“
„Sir“, meldete sich der Ortungsoffizier zu Wort. „Ich verzeichne multiple Signale mit Kurs auf die Stadt. Schwebepanzer und Hydrae!“
„Es scheint so, als hätte die Reportage einige Leute überzeugt“, brummte Arling. „Hören Sie, Oberst Ganth, beeilen Sie sich mit Ihrem Ausflug. Lassen Sie den ersten Angriff von Oberst Monterney abschlagen. Ein wenig Bewegung wird ihm und seinen Leuten gut tun.“
„Verstanden, Kommodore. Dann haben wir grünes Licht?“
„Ja, und beeilen Sie sich, verdammt. Die ersten Fähren starten schon zur Flotte, genauer gesagt zu den Gryanen! Wir werden noch sehr dankbar für jede Sekunde sein, die Sie uns erkaufen können. Ach, und Mr. Rochefort, vorläufig sind Sie zum Brigadekommandeur befördert. Leisten Sie gute Arbeit.“
„Das werde ich tun, Sir.“ Ein Schmunzeln huschte über sein Gesicht. „Das hätte ich auch ohne Beförderung getan.“
„Ich weiß“, erwiderte Arling mit einem Lächeln und deaktivierte die Verbindung. „Was machen Steyer und Madison?“
„Die Operation geht in die entscheidende Phase. Wir...“ Die Funkoffizierin wandte sich zu einem ihrer Untergebenen zu, der sie persistent angesprochen hatte. Nach einem kurzen Blick auf seine Daten sah sie erschrocken zu Arling herüber. „Sir, multiple Transponder im System. Es sieht so aus als würde eine ganze Flotte republikanischer Einheiten aller Klasse ihre Ankunft bekannt geben.“
„Republikaner? Was wollen die denn hier?“, zischte Schlüter.
„Viel wichtiger ist die Frage: Wie konnten sie so schnell herkommen?“, fügte Arling an.
***
„Guten Tag auch!“, rief Sören Keaton lächelnd und hielt seinen Ausweischip in die Höhe. Der Portier der riesigen Werkslagerhalle in seinem vorgelagerten Portiershäuschen hier im Süden von Hephaistos reagierte überrascht. Er hatte nicht erwartet, hier und heute jemanden zu sehen, und erst recht keinen Lindwurm aus mehr als achttausend Leuten, die ihn alle auf die gleiche Weise angrinsten.
Er scannte den Chip und prüfte seine Authentizität, danach die Identität des Besitzers. „Was kann ich für Sie tun, Direktor Keaton?“ Der Mann wirkte unsicherer, je breiter das Grinsen der Neuankömmlinge wurde.
„Hier, hier, und hier.“ Nacheinander legte der Leutnant drei zusätzliche Chips auf eine Ablagefläche vor dem Observierungsfenster des Portiershäuschen. Wieder trat der Scanner in Aktion und übermittelte die auf ihnen gespeicherten Daten. „Abholscheine. Hm. So viele? Entschuldigen Sie, Direktor Keaton, aber ich muss die Echtheit überprüfen.
„Natürlich, natürlich, machen Sie nur“, rief Keaton fröhlich und warnte seine Begleiterin Major Russel mit einem hastigen Blick, nichts zu tun.
„Die Lieferscheine sind echt. Aber das leert ja fast die ganze Lagerhalle.“
„Machen Sie sich darum mal keine Sorgen, das hat alles seine Richtigkeit. Dies war ohnehin nur als Zwischenlager gedacht, und aus Zwischenlagern holt man Dinge wieder ab. Wenn Sie jetzt die Güte hätten, die Halle zu öffnen, wäre ich Ihnen sehr verbunden.“
„Natürlich, natürlich. Ich werde die Robotanlage aktivieren, die bei der Bereitstellung hilft. Sie können mit dem Sortiersystem umgehen?“
„Selbstverständlich kann ich das. Ich habe es entworfen“, erwiderte Keaton entrüstet.
„Ach, Sie sind DER Keaton. Keaton Wunderknabe.“
„Genau der“, bestätigte der Leutnant grinsend.
„Na, dann brauche ich Ihnen ja nichts zu erklären.“ Vor den wartenden Leuten fuhren zwei gigantische Torhälften auf und offenbarten einen Blick in die zwanzig Meter hohe und fünfhundert Meter im Quadrat messende Halle, in der just die ersten Lichter aufflammten.
„Danke. Lassen Sie sich von uns nicht stören“, rief Keaton und lief in die Halle.
Madeleine hätte es nicht für möglich gehalten, aber von achttausend Männern und Frauen erlaubte sich nicht einer ein lautes Lachen oder Triumphgebrüll. Diszipliniert, aber im Laufschritt kamen sie in die Halle. Hier lösten sich mehrere Leute aus Keatons Führungsgruppe und nahmen an bestimmten Abzweigungen Aufstellung.
„Infanterie, gepanzert, viertausend Mann, hier entlang!“, rief einer von ihnen und winkte eine stetig größer werdende Kolonne tiefer in die Halle hinein.
„Panzer, eintausend Mann, hier entlang!“ Auch vor ihm splittete sich die riesige Menschenlawine und folgte teilweise in den Gang hinein.
„Rauminfanterie, sechshundert Mann, hier, bitte!“, rief eine ältere Frau mit dem Nacken eines Preisringers. Und das war sie wohl auch, oder Rauminfanterist. Beides erschien Russel möglich.
„Spezialtruppen: Sniper, Späher, Stabsdienst, Versorgung, zweitausendzweihundert Mann hier bitte!“ Wieder folgte eine beträchtliche Kolonne diesen Worten.
„Knights, zweihundert Mann, los, los, los!“, blaffte ein dürrer alter Mann mit der bissigen Miene des langjährigen Unteroffiziers in Richtung der letzten Gruppe, die am tiefsten in die Halle lief.
„Sie wollen sicher wissen was hier passiert, oder?“, fragte Keaton mit einem breiten Grinsen.
„Das können Sie wohl laut sagen. Ich habe mit einem Kampf gerechnet, nicht mit einem Abhollieferschein!“
„Es ist das System, wissen Sie? Was auf Vesuv einmal im System ist, das ist Gesetz.“ Keaton grinste nur noch breiter. „Wir springen gleich auf den Stabswagen auf, der uns in gut drei Minuten passieren wird. Damit koordinieren wir den Abmarsch der Truppe und organisieren die Abholung der Vorräte in der Nachbarhalle.
Was ich sagen will ist, als wir gemerkt haben, dass wir nicht in absehbarer Zeit abgeholt werden, haben wir beschlossen, also der Admiral und der Rat, den passiven Widerstand aufzugeben und unsere Beherrscher einzulullen. Daraufhin übertrugen sie uns mehr und mehr Aufgaben, die Produktion von Kriegsgerät betreffend. Und sobald wir erst einmal die Finger drin hatten war es ein Leichtes, manche Dinge umzudirigieren. Hier ein wenig Ausschuss, da ein fehlerhafter Lieferschein, und schon haben wir Kriegsgerät für achttausend Leute beisammen. Eigentlich achttausendundelf, aber das fällt nicht wirklich ins Gewicht, denke ich. Darüber hinaus haben wir kleinkalibrige Waffen und sonstige Ausrüstung für weitere zwanzigtausend unserer Leute in die Stadt schaffen können – ist vielleicht besser so, denn die meisten von denen sind nur lausige Raumfahrer, keine ausgebildeten Planetenkriecher wie wir. Denen einen Raketenkarabiner in die Hand zu drücken ist eigentlich Kameradengefährdung. Wie dem auch sei, noch zwei Monate, und wir hätten alle vierzigtausend Mann ausgerüstet. Dazu ein paar gefälschte Marschbefehle, und wir hätten sogar ein paar wartende Frachter parat gehabt. Aber so, mit einer kaiserlichen Kriegsflotte in der Hinterhand, ist es natürlich angenehmer. Vorsicht, Ma´am, da kommt ein Knight.“
Madeleine Russel trat einen hastigen Schritt zurück, als tatsächlich ein gigantischer Kampfroboter der Knight-Klasse durch den Mittelgang zum Ausgang marschierte. Ihm folgten zwei Schwebepanzer mit Raketenaufbauten.
„Ein Knight?“, rief Russel entsetzt.
„Allerneuste Fertigung, von uns unwesentlich verbessert“, informierte Keaton die Majorin der Ninjas. „Wir haben es unseren Herrn und Meistern als Versuch verkauft, den Knight auch hier in den Diadochen herzustellen, aber natürlich sind alle Baureihen schief gelaufen. Offiziell. Die schadhaften Modelle haben wir hier eingelagert, zwecks späterer Studien, natürlich ohne das Wissen unserer Vorgesetzten. Leider haben sie das immer noch nicht gemerkt, und glücklicherweise wird ein Computervirus alle Konstruktionsdaten in den Fabriken vernichten, ziemlich genau... Jetzt. Und ein Arbeitsunfall wird den Knight, den wir halb fertig gestellt haben, mitten auf der Konstruktionsstraße zerstören. Ziemlich genau... Jetzt.“ Grinsend sah der Leutnant von seiner Uhr auf. „Wir haben an alles gedacht.“
„Das sehe ich. Aber Knights, Himmelherrgot, Knights?“
„Wir hatten keine Lust darauf, Hydrae zu nehmen, die sind Knights eins zu fünfzehn unterlegen. Außerdem haben wir gedacht, wenn wir Knights für die Flucht benutzen, dann glauben die Paktler vielleicht an ein kaiserliches Eingreifkommando.“ Jovial hob Keaton die Schultern. „Wenn wir schon eine der besten automatisierten Fabrikwelten des bekannten Universums benutzen können, machen wir doch keinen Schrott. Vorsicht, Ma´am, da kommt der Stabswagen.“
Hastig sprang er durch ein offenes Schott, als der mit Kommunikationsmitteln gespickte Schweber neben ihnen kurz verlangsamte und reichte anschließend Russel eine Hand um ihr beim aufsteigen zu helfen.
„Ihr seid mir schon ein verrückter Haufen“, murmelte sie amüsiert, während der Leutnant sie in den Wagen zog.
„Nein, wir leben nur zu gerne im Kaiserreich, als das wir hier unseren Lebensabend verbringen wollen. Mit limitierten Genussmitteln, ohne Bezahlung, ohne soziale Aufstiegschancen und ohne die Gelegenheit, unsere Religion auszuüben. Die Paktler sind alle säkularisiert und Religion ist für sie ein Ammenmärchen für Idioten. Spirituelle Heilung kennen sie nicht, deshalb lassen sie sich wohl auch so leicht manipulieren. Ich aber sage immer: Wenn einer an etwas glauben will, was man nicht sehen, essen, riechen oder fühlen kann und das wahrscheinlich nur existiert, weil er daran glaubt, dann rechtfertigt der Aufwand des Glaubens bereits die Existenz der Sache. Immerhin tut jemand was dafür.“
„Waren Sie wirklich Soldat, oder vielleicht doch eher Philosoph, Sören?“, erwiderte die Ninja.
„Beides, Ma´am. Ein echter Mann muss Eier in der Hose und Wissen in der Birne haben, dann kann ihn auch so eine kleine Entführung über einhundertzwanzig Lichtjahre nicht schocken.“
Der Stabswagen hielt gleich hinter der Ausfahrt und Keaton sprang wieder ab. Russel folgte ihm sofort. Gemeinsam betrachteten sie einen Moment die Panzer, fertig angezogenen Infanteristen und die ersten Knights, die sich in Einsatzgruppen aufteilten. Die Versorgungsgruppe fuhr große Transportwagen aus der Halle, auf der Lebensmittelrationen ihren Platz finden sollten.
„Beeindruckend“, murmelte Russel, als auch die ersten schnellen Einsatzwagen für die Infanteristen aus der Halle kamen und mit jeweils vierzig Mann geflutet wurden.
„Wir hatten verdammt lange Zeit für die Vorbereitungen.“ Das sagte der junge Milizoffizier nicht ohne Stolz in der Stimme.
Er ging zum Pförtner zurück, der staunend dem Aufmarsch zusah. Neben ihm in seiner Glasbox lag ein Schockstab, eine nichtletale Schlagwaffe, welche die Nerven betäubte. Ob das aber gegen einen Panzer oder gar Knight geholfen hätte, war mehr als fraglich.
„Werde ich Ärger kriegen?“, fragte der Mann, als ein Pulk von zehn Knights durchstartete und zur Nachbarhalle herüber flog.
„Wird sich wohl nicht vermeiden lassen“, erwiderte Sören. „Tut mir Leid, das wir Sie damit rein ziehen mussten.“
„Mir eigentlich nicht“, brummte der Mann. „Wissen Sie, wenn man nicht alles glaubt, was die Medien sagen und ein wenig die Ohren offen hält, dann hört man so einiges. Und wenn man das alles gegeneinander abwägt, kann man seine eigenen Schlüsse ziehen.“ Der Mann lächelte verschmitzt. „Außerdem sind die Lieferscheine einhundert Prozent in Ordnung, also hat das hier alles seine Richtigkeit. Ich sehe absolut keinen Grund, auf den Alarmknopf zu schlagen. Sonst fragt mich hinterher noch jemand, warum ich da nicht früher drauf gekommen bin.“
„Sie wollen nicht zufällig mit ins Kaiserreich?“, fragte Sören Keaton freundlich.
Abwehrend hob der Mann die Arme. „Mein Land mag korrumpiert sein, manipulativ, kapitalistisch, die Rechte des einzelnen nicht achten und es mag versuchen, die Massen durch Armut zu kontrollieren, aber es ist immer noch mein Land. Hier bin ich geboren, hier bin ich aufgewachsen, und hier werde ich hoffentlich sehr, sehr alt sterben. Und wer weiß, vielleicht ändert sich im Europa-Pakt auch mal was.“
„Das wünsche ich Ihnen.“ Keaton nickte dem Mann freundlich zu. „Wenn wir fertig sind, schließen Sie die Tore einfach wieder. Archivieren Sie die Lieferscheine, und lassen Sie die Rechnungsstelle den Rest herausfinden.“
„Ich hätte nie gedacht, dass es so viel Spaß machen würde, streng nach Vorschrift zu arbeiten“, sagte der Mann grinsend. „Ich wünsche ihnen allen eine gute Reise.“
„Danke. Ich wünsche Ihnen noch ein schönes Leben.“
Die beiden nickten sich zu, und Keaton lief mit der Ninja im Schlepp zurück zum Stabswagen.
Dort angekommen warf er sich in den Superviser-Sitz. „Könnten Sie den zweiten Superviserposten übernehmen, Major Russel? Ich brauche für die Aktion jemanden, der unser Handeln mit Oberst Ganth und Oberst Monterney abstimmt.“
„Verstanden.“ Sie warf sich in den Sitz, öffnete die Station und gab ihre Funkcodes ein. Sofort erwachten hunderte Kontakte.
„Oberst Monterney? Major Russel hier. Aktion Lagerhalle verläuft bisher zufriedenstellend.“
„Das ist gut zu hören, aber könnten Sie sich in zehn bis fünfzehn Minuten noch mal melden oder noch besser zurück kommen und in Ihren Knight steigen? Wir haben hier gerade ein wenig Stress!“
„Ist was mit der Eroberung der Besserung schief gelaufen?“
„Nein, das nicht. Sie können sich die tränenreichen Live-Berichte der Opfer, die von der Freien Presse unter unbedeutender Mithilfe kaiserlicher Truppen befreit wurden, auf jedem galaktischen Sender ansehen. Ach nein, können Sie nicht, weil der Pakt ja internationales Fernsehen sperrt. Ich zeichne es für Sie auf, Russel. Nein, ein gewisser Admiral hat uns zwar zwei Tage zugesichert, um hier wieder zu verschwinden, aber das Gerücht wir hätten die Stadt bombardiert hat dazu geführt, dass ein paar entsetzte Garnisonen auf eigene Faust aufgebrochen sind, um Hephaistos aus kaiserlicher Hand zu befreien. Summa Summarum sind das eintausend Hydrae. Außerdem sind Panzereinheiten und Polizei in Brigadenstärke auf dem Weg zu uns.“
„Oberst Monterney, hier spricht Leutnant Keaton. Ich schicke Ihnen sofort einhundert voll ausgerüstete Knights. Sie sind in Kompanien zu zehn organisiert.“
„Knights? Sie haben Knights? Dann nichts wie her mit diesen Burschen! Es tut mir schon Leid genug, die armen Teufel hier zu töten, die meinen etwas gutes zu tun, aber ich habe keine Lust, meine eigenen sterben zu sehen!“
„Roger.“ Leise gab Keaton Anweisungen per Funk und über die taktische Anzeige seines Superviser-Postens. „Ma´am, übernehmen Sie bitte Aufstellung und Organisation der detachierten Knights. Sie sind etwas unterbewaffnet, aber für ein, zwei Stunden Kampf sollte es reichen. Ich habe noch mit den Lagerhallen zu tun.“
„Habe verstanden. Übernehme Koordinierung.“ Plötzlich hatte sie die Macht über einhundert kaiserliche Knights. Selbst für eine Ninja war das ein bemerkenswert gutes Gefühl. „Hilfe ist unterwegs, Lucky Charly!“
„Danke, ich gebe auch einen dafür aus.“
„Ein Autogramm von Elise wäre mir lieber. Sie sind doch ihr Freund, oder?“, neckte sie den Knight-Piloten.
„Elise? Elisabeth von Versailles? Und Oberst Monterney?“ Erstaunt riss Keaton die Augen auf. „Wenn wir hier raus sind, werden wir alle eine Menge Informationen auszutauschen haben! Hören Sie, Oberst, wissen Sie eigentlich, wie vielen meiner tapferen Männer Sie damit den einzigen Trost ihrer auswegslosen Lage und ihrer schlaflosen Nächte gestohlen haben?“
„Das tut mir abgrundtief Leid. Ungefähr so weit wie ich einen Hydrae werfen kann, Keaton. Ah, ich sehe die Knights. Wie gut sind die Piloten?“
„Miliz, Sir, keiner hat weniger als eintausend Flugstunden, und ein Viertel war bereits in Gefechtssituationen.“
„Das dürfte reichen. Danke. Und nach der Schlacht bringe ich Sie persönlich auf den neuesten Informationsstand, Keaton.“
„Ich hoffe das war ein Versprechen“, sagte der Leutnant in mahnendem Ton.
„Weiter so, junger Mann, und Sie sind Hauptmann, bevor Sie Hydrae sagen können“, murmelte Russel amüsiert.
***
Stoisch verfolgte Oberstleutnant Steyer die Anzeigen des Anflugs seiner kleinen Gruppe aus militärischen Landungsfähren und einer Abteilung Knights. Es würde nicht mehr lange dauern, und sie würden in Waffenreichweite der Schutzeinrichtungen der Werften sein, die ihnen als Ziel vorgegeben wurden. Spätestens dann würden die nervösen Sicherheitskräfte die kaiserlichen Streitkräfte, verstärkt durch ein gryanischen Kontingent, angefunkt oder gleich beschossen werden.
„Sollten wir nicht langsam beginnen?“, klang die ebenfalls nicht vollkommen ruhig klingende Stimme von Major Madison auf, der den Begleitverband aus Kampfrobotern, bestehend aus Knights und Rüstern kommandierte.
„Beginnen womit?“, fragte Steyer kalt.
„Damit, was immer Sie planen. Wir sind gleich in Waffenreichweite, und wenn Sie vorhaben, sich durchzukämpfen, würde ich gerne, sehr gerne den ersten Schuss haben. Außerdem sind die Republikaner, die frisch ins System gesprungen sind, sicher nicht zum spielen vorbei gekommen.“
Steyer wandte sich dem Hilfsbildschirm zu, auf dem Madisons Gesicht unter dem Visier seines Schutzhelms zu sehen war. „Haben Sie Vertrauen in mich, Major Madison? Oder sehen Sie nur Cecilia als gleichwertige Partnerin an?“
„Das hat nichts mit Oberst Ganth zu tun!“, erwiderte der Knight-Pilot heftig. „Nur etwas mit klarer Aufgabenverteilung! Und da Sie ranghöher sind und in diesem Einsatz mein Vorgesetzter, frage ich mich langsam, wann Sie mich einzusetzen gedenken!“
Steyer lächelte, als der junge Mann derart aus sich heraus ging. Der Knight-Offizier hatte zwei Rangstufen übersprungen, aber Carlin Steyer hatte sich zu dem Entschluss durchgerungen, dass diese Entscheidung ein wahrer Glücksfall gewesen war. Madisonwar zwar kein Genie wie Arling oder sein kleines Mädchen Ganth, aber er war gut genug, um diese Beförderung zu rechtfertigen. Er war nur etwas unsicher, was Steyer betraf. Das ärgerte den Infanteristen etwas, andererseits war es kein Grund dafür, Madison aufzuziehen wenn alles was er wollte klare Befehle waren.
„Wir werden keine Kampfhandlungen eröffnen. Im Gegenteil, sie werden nicht notwendig werden. Aber bereiten Sie sich dennoch darauf vor, uns notfalls zu verteidigen.“
„Keine Kampfhandlungen? Haben Sie eine neuartige technische Spielerei an Bord, die uns vor den Paktlern verbirgt?“
„Ich habe da tatsächlich etwas in Petto, junger Mann“, bemerkte Steyer amüsiert. „Aber es ist schon etwas älter, deswegen aber nicht weniger effektiv. Es einzusetzen war meine Idee, und seine Lordschaft war davon hellauf begeistert. Abgesehen davon werden wir uns nicht verbergen müssen.“
„Sie sprechen in Rätseln“, beschwerte sich Madison. „Wenn Sie schon nicht deutlich werden, geben Sie mir wenigstens einen Tipp, warum ich meine Leute Ihrer Meinung nach nicht ins Verderben führe.“
„Nun, die Calliope-Werften, mein lieber Jaime, werden privat geführt, nicht vom Pakt.“
„Das ist Ihr Tipp?“, fragte Madison mit gerunzelter Stirn.
„Das ist mein Tipp“, erwiderte Steyer amüsiert. Er beugte sich zu einem der Funker herüber. „Kündigen Sie uns an, Leutnant Rufus.“
„Aye, Sir. Calliope-Werft, Calliope-Werft, hier spricht der RHEINLAND-Gefechtslander IV. Wir bitten um Bestätigung der Kontaktaufnahme.“
„Jetzt passen Sie genau auf, Jaime“, riet Steyer und rieb sich die Hände in freudiger Erwartung.
„Calliope-Werft, hier Calliope-Werft. Was können wir für Sie tun, RHEINLAND-Gefechtslander IV?“ Für Sie und Ihre sieben Freunde, schien die Stimme zu sagen wollen.
„Wir benötigen einen Landeplatz für alle Fähren auf dem Werftgelände sowie Abstellplätze für die uns begleitenden Knights.“
„Entschuldigen Sie, aber wir sind ein Unternehmen, kein Parkplatz“, klang die Stimme ihres Gesprächspartners amüsiert auf. „Landererlaubnis verweigert.“
Steyer räusperte sich. „Ich denke nicht, dass Sie uns die Landeerlaubnis wirklich verweigern, Calliope-Werft. Nicht wenn wir über ein Geschäft mit dem Volumen von neunzig Milliarden Kaiserlichen Mark reden.“
„Direktorin Vanderberg hier. RHEINLAND-Gefechtslander IV, wiederholen Sie! Haben Sie gerade ein Geschäftsvolumen von neunzig Milliarden Mark erwähnt?“
Madison stand der Mund auf. Und seine Augen standen dem Mund in Nichts nach.
Steyer lächelte nur amüsiert. „Oberstleutnant Steyer von der kaiserlichen Infanterie hier, im Moment Sondergesandter und Vollbeauftragter seiner Lordschaft Johann Armin Graf zu Arling. Sie haben richtig gehört, Direktorin Vanderberg. Wir wollen bei Ihnen ein richtiges Vermögen auf den Kopf hauen.“
Ein Bildschirm flammte auf, und die weibliche Stimme bekam ein Gesicht. Eine ältere Dame in einem Geschäftsanzug lächelte die Besatzung freundlich an. „Das ist natürlich etwas anderes. Wir geben Ihnen Landeanweisungen sowohl für die Lander als auch für die Knights. Ich erwarte Sie in fünf Minuten an der Landeschleuse, Oberstleutnant Steyer.“
Die Verbindung deaktivierte sich, aber der Funk meldete den Empfang des Landefeuers.
„Was habe ich gesagt? Kein Grund zu feuern, wenn sie uns freiwillig landen lassen, Jaime.“
„Junge, Junge. Wann haben Sie denn das ausgeheckt?“
„Nun, warum etwas klauen wenn man es legal kaufen kann? Wollen Sie mich auf der Einkaufstour begleiten?“
„Teufel, ja! Das will ich nicht verpassen!“, rief Madison mit einem wilden Grinsen.
Steyer lächelte leicht. Er hatte sich dazu entschlossen den Hitzkopf zu mögen, auch wenn er noch einiges lernen musste.
***
Direktorin Vanderberg empfing sie an der Schleuse wie versprochen. Sie wurde von mehreren Mitarbeitern begleitet, aber nicht von Sicherheitskräften.
„Willkommen auf der Calliope-Werft, Oberstleutnant Steyer. Ich bin Amy Vanderberg, und dies hier sind meine Abteilungsleiter. Mr. Cooper, Mr. Chun, Mrs. Cacoyannis und Ms. Moustakas.“ Die Direktorin sah den kaiserlichen Offizier etwas nervös an. „Äh, natürlich ist die Berufung auf Graf Arling ein erstklassiger Leumund in der Geschäftswelt, aber Sie können sicherlich verstehen wenn der Name Arling im Moment im Stabiae-System nicht ganz den gleichen Klang hat wie in friedlichen Zeiten. Wir sind dennoch gewillt mit Ihnen zusammen zu arbeiten, aber... Wir brauchen Gewissheit über das Auftragsvolumen.“
„Selbstverständlich, Direktorin Vanderberg.“ Steyer öffnete seine Uniformjacke und zog ein paar Dokumente hervor. Die elektronischen Vielzweckbögen erwiesen sich als gesiegelte Zahlungsanweisungen, die von mehreren Banken mit Bürgschaften ergänzt wurden. Einer der Abteilungsleiter, Mr. Chun, inspizierte die Belege und führte ein paar Telefonate. Erstaunlich dabei war, das er keinerlei sichtbares Gerät benutzte. Nach einiger Zeit nickte er, und durch die Reihen der Mitarbeiter der Calliope-Werft ging ein Aufatmen. „Willkommen, noch einmal willkommen auf der Calliope-Werft, meine Herren. Womit können wir Graf Arling dienen?“
„Wir brauchen Kampfschiffe und Transporter. Und wir brauchen sie sofort“, sagte Steyer gerade heraus.
„Wir haben immer ein paar Kampfschiffe fertig oder können sie kurzfristig Raumklar machen. Und ich nehme an, bei den Transportschiffen werden Sie sich aus unserem reichhaltigen Angebot an Passagier- und Transportschiffen aus zweiter Hand bedienen können. Aber die Kampfschiffe sind leider schon bestellt.“
„Ich nehme an, sie sind aber noch nicht bezahlt?“, fragte Steyer ernst.
„Nein, bezahlt wird erst nach Auslieferung, aber wenn wir unsere Verträge nicht erfüllen, werden empfindliche Strafzahlungen fällig“, erwiderte Direktorin Vanderberg.
„Seine Lordschaft hat mich dazu ermächtigt, diese Kontraktstrafen zu bezahlen.“
Wieder strahlte die Direktorin auf. Ihre Augen leuchteten geradezu. „Das ist doch mal ein Wort! Kommen Sie, ich zeige Ihnen eine Aufstellung unserer fertigen Schiffe. Und dann wollen wir uns mal über Ihren Bedarf unterhalten, Oberstleutnant.“
„Mir ist aufgefallen, dass drei Zerstörer zur Auslieferung bereit stehen“, entgegnete Steyer ernst. „Die nehme ich auf jeden Fall. Normale Großhandelskonditionen minus fünf Prozent Großeinkaufsrabatt.“
Ein anderer Mitarbeiter der Direktorin nickte zu diesen Worten.
„Einverstanden. Schicken Sie Ihre Leute rüber, um die Schiffe zu bemannen. Alle drei sind testgeflogen und bereit für den Raumflug. Ihre Abschussrampen sind sowohl auf Knights als auch auf Rüster und Hydrae ausgelegt. Ich lasse die entsprechenden Papiere fertig machen.“
„Selbstverständlich leisten wir Vorkasse“, sagte Steyer ernst und zog wieder eines der Pergamente hervor. Abteilungsleiter Chun, der die Geldbriefe überprüft hatte, trat vor und nahm einen Teil des Geldbriefs in die Hand. „Ma´am, ich überweise soeben einen Betrag von achtzehn Milliarden Mark auf unser Geschäftskonto. Abgerundet, nach Abzug der Rabatte und nach Aufschlag der Konventionalstrafen.“
„Gegen einen geringen Aufpreis munitionieren wir die Schiffe voll auf“, bot Vanderberg an.
„Bitte tun Sie das, Direktorin.“
„Dann folgen Sie mir bitte mit Ihren Leuten in unseren Geschäftsraum, um die anderen Einheiten der Transaktion auszusuchen. Hier entlang, bitte.“
Steyer nickte und gab über Funk kurz die Anweisung, die drei neuen Schiffe der Flotte Arling durch die Schiffsoffiziere und Mannschaften auf den Fähren in Besitz nehmen zu lassen, dann folgte er der Direktorin und ihren Leuten.
Madison hielt den Oberstleutnant kurz zurück. „Sie verkaufen uns Schiffe, obwohl die Chance besteht, dass wir auf ihre Leute schießen müssen?“, flüsterte er.
„So ist das Geschäft im Pakt. Wir werden der Calliope-Werft einen gigantischen Gewinn einbringen, und die Aktionäre werden einen fetten Bonus auf ihre Aktien kriegen. Auf wen die verkauften Kampfschiffe schießen werden ist nicht mehr Sorge der Werft.“
„Eine merkwürdige Einstellung. Haben wir nicht Krieg?“
„Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie dieses Thema nicht vertiefen würden, Major Madison. Nicht, das einer der Abteilungsleiter eventuell seine patriotische Ader entdeckt.“
„Natürlich, Sir. Entschuldigen Sie, Sir.“ Er folgte Steyer und schüttelte den Kopf, als er daran dachte, wie leicht ihr Ausflug doch war. Er hatte es sich gefährlicher vorgestellt. Ob Charles auch so eine einfache Zeit hatte? Wahrscheinlich ja.
***
Ein Knight, so sagte man, war eine Vielzweckwaffe. Einerseits ein elegantes Rapier, mit dem man punktgenau Treffer landen konnte, andererseits ein wütender Bulle, der wie ein Guard beim Republican Football durch die Reihen seiner Gegner stieß, um sie mit seiner schieren Masse zu dominieren. Einerseits ein Nahkämpfer, der Tod und Verderben über alles brachte, was sich ihm auf Armeslänge näherte, andererseits ein Fernkämpfer, der über hunderte von Kilometern treffen konnte... Eine im Weltall nicht zu unterschätzende Eigenschaft.
Der Knight war wahrscheinlich der bestentwickelte Kampfroboter der Galaxis, wenn man mal die terranischen Modelle wie den Tristan und den Pucelle absah, die vielleicht einen Tick besser sein konnten. Ausprobieren konnte man es nicht.
Vieles hing natürlich auch vom Piloten ab. Je erfahrener er mit den Kontrollen war, je familiärer mit den Waffen, je vertrauter mit den abrupten Andruckkräften, die bei den harten Manövern im Gefecht oftmals auftraten, desto tödlicher war er auch.
Oberst Charles Monterney hatte sich bisher zu den tausend besten Knight-Piloten gezählt, auch wenn er seit dem Raid der RHEINLAND im republikanischen Hinterland in die Top Ten aufgerückt war, was Abschusszahlen betraf. Eine offizielle Liste der besten gab es nicht, abgesehen von jener mit den Abschüssen, die aber wenig über die eigentlichen Fähigkeiten des Piloten sagten, nur über sein Können zu treffen oder Abschüsse für sich zu werten. Aber es gab eine inoffizielle Liste, gut verwahrt und per Hand niedergeschrieben vom General Kress, dem Oberbefehlshaber des Heeres, und auf dieser Liste waren die fünfzig besten Knight-Piloten verzeichnet, über die Katalaun verfügte. Auch Charles Monterney war auf dieser Liste zu finden, und er war nicht unter den letzten zwanzig, wenngleich der Spitzenplatz selbst General Kress gehörte.
Allerdings gab es wohl keinen Piloten unter seinem Kommando, die dem vielseitigen, treffsicheren und immer in der vordersten Linie anzutreffenden Knight-Piloten nicht sofort diesen Spitzenplatz unter den besten Piloten des Kaiserreichs zugeschrieben hätte.
Dies stellte er wieder einmal unter Beweis, als er seine Leute gegen überlegene Panzerverbände und Hydrae führte. Spötter mochten vielleicht einwenden, dass ein Hydrae für einen Knight kein Gegner war, und das Ergebnis dementsprechend nicht überraschend, aber hundert gut koordinierte Hydrae konnten einer Kompanie kaiserlicher Kampfrobotern mehr als gefährlich werden. Vor allem wenn sie Bodenunterstützung hatten, und die Kampfpanzer der Paktler waren weit besser als ihre mobileren Kameraden.

Hephaistos war eine isolierte Stadt, weitab der meisten Siedlungen, und lediglich im Süden schloss sich Apollon an, eine Arbeiterstadt, die auf einer Anhöhe lag und von Lagerhallen umgeben war.
Die Konstrukteure hatten die Stadt und den Raumhafen in eine trockene, staubige und eigentlich nutzlose Fläche des Planeten versetzt und damit zum Leben erwecken wollen. Aber der Abstand zu den anderen Städten und Fabriken, in denen die Katalauner arbeiteten, hatten sie weit mehr geschaffen, nämlich ein natürliches Hindernis gegen Flucht der Zwangsarbeiter in liberalere Städte des Planeten, in denen sie würden untertauchen können.
Doch viele Dinge im Leben hatten zwei Seiten, so auch diesmal. Waren die Betreiber von Hephaistos zuvor froh gewesen, vier Kilometer frei überschaubare Fläche zwischen Stackhelm im Norden und Hephaistos im Süden als geringsten Abstand zu haben, so wurde diese Fläche nun zu einem willkommenen Kampfgebiet, auf dem Monterneys Leute den angreifenden Gegner stoppen konnte, bevor er Tod und Verwüstung in die Stadt trug, die er eigentlich retten wollte. Einmal davon abgesehen, dass Charles seinerseits weder in Stackhelm, noch in Apollon kämpfen wollte.
Am König Drosd-Gedächtnisraumhafen, der seit acht Stunden fest in kaiserlicher Hand war, hatten sie neun Kilometer bis Apollon, sieben bis Stackhelm und neunundzwanzig bis nach Oslo.
Ein leicht zu verteidigendes Gebiet, sollte man meinen. Im modernen Kampf jedoch bedeuteten drei Kilometer, ja dreißig so gut wie nichts; moderne Feuerleitsysteme und Optiken machten die Distanzen vernachlässigbar. Die Milizen hätten genauso gut einen Umschließungsring knapp an der planetaren Krümmung von Vesuv bilden können, um die Knights und kaiserlichen Lander aus sicherer Entfernung zu beschießen. Sie taten es nicht und versuchten stattdessen in die Stadt zu kommen. Andererseits, was lange flog wurde auch lange gesehen, und die meisten Zieloptiken für Laserstrahlen ließen sich recht einfach täuschen, was die Fokussierung der Zielautomaten verzerrte und aus Laser- und anderen Energiewaffen harmlose Lichtspots oder Partikelschauer in größter Streuung machten. Gute Piloten rechneten das ein und hatten nach drei, vier Schüssen die wirkliche Distanz ermittelt.
Richtig gute Piloten, die Besten der Besten, brauchten keine Zielcomputer. Sie wussten wie weit ihr Gegner entfernt war, und sie wussten, wie sie ihre Energiewaffen zu fokussieren hatten, um größtmöglichen Schaden zu erzielen. Charles Monterney war ein natürliches Talent auf dem Knight, und sehr vertraut mit seinen Waffen, wenngleich er Projektilbewaffnung bevorzugte. Und er traf fast immer.
Natürlich hätte die Gefahr bestanden, das Fehlschüsse die Stadt einäscherten, wenn die Gegner seine Knights nicht trafen, oder das Fehlschüsse seiner Leute, welche die Hydrae und Panzer verfehlten, in Stackhelm einschlugen. Aber das hätte vorausgesetzt, dass die Knights wie brave napoleonische Soldaten in Reihe marschierten und auf den Feind zueilten, sich freiwillig ihrem Feuer aussetzend und das Feuer auf Befehl zu erwidern.
Aber sie hatten schon lange keine napoleonische Zeiten mehr... Sie hatte katalaunische Zeiten, und Charles hatte seine Abteilung aus Knights und Rüstern im Flug mitten in die Reihen des konfusen Gegners geführt. Zwar standen sie hier gegen eine Übermacht, aber irgendwie war das den kaiserlichen Piloten und ihren republikanischen Helfern in den Rüstern mit Verlaub egal.

Charles Monterney stellte den linken Fuß seines Knights auf die Zwillingsglattrohrkanone eines diadochischen Moloch-Panzers, um einen Schwenk der Waffe zu verhindern, während er zugleich mit einem Mörser-Sturmgewehr von der Größe eines Kampfschwebers die Batterien eines Hydrae fein säuberlich aus dem Rumpf stoch, ohne das Cockpit zu beschädigen. Danach trat er einmal heftig mit links zu, um die Kanonenrohre zu verbiegen. Neben ihm ging die Waffenspur eines Rüsters entlang und schlug in einen anderen Hydrae, der mit gesenkter Lanze auf Monterney zugehalten hatte. Die Granaten zogen eine Spur von der rechten Hüfte bis zum linken Schultergelenk hoch und zertrümmerten die schwache Panzerung und Teile des Innenlebens.
„Danke, Daisy“, ächzte Monterney und schwenkte seine Waffe auf den nächsten Hydrae um. Sein Raketenabwehrsystem erwachte und sandte kleine Laserbolzen auf ein halbes Dutzend zielsuchender Raketen, während der Hydrae zu Boden ging. Deutlich waren die Strukturen des im Brustkorb versenkten Cockpits zu sehen, und der Oberst wusste nicht zu sagen, ob der Pilot überlebt hatte. Er wünschte nicht den Tod von Menschen, die anderen zu Hilfe kommen wollten, egal wie die Umstände waren. Aber er war Soldat, und er kannte seine Pflicht.
„Gern geschehen, Lucky Charly. Jetzt verstehe ich langsam, warum du nicht nur als Pilot, sondern auch als Anführer so große Erfolge erzielt hast“, erwiderte Commander Attainborough und wandte sich dem nächsten Gegner zu, einem Scyllah-Kampfpanzer, der in diesem Wirrwarr nach einem Ziel suchte. Ihre Laser pulsten Panzerung von seinem Bug und vernichteten die auf dem Turm montierte Raketenlafette, was die Besatzung davon überzeugte, hier nicht erwünscht zu sein.
„Wie meinen?“
„Eine unterlegene Streitmacht mitten in den Feind zu führen und damit ihre eigenen Schüsse zu beschränken, weil ihre Chancen Kameraden zu treffen höher sind als uns zu erwischen, kann man als gewagt, ja selbstmörderisch beurteilen, weil diese Taktik blutig schief gehen kann. Dennoch sind dir alle gefolgt.“
„Einschließlich dir, Daisy“, erwiderte Monterney spöttisch, ließ seinen Knight geduckt ein paar Schritte laufen und rammte einen Hydrae wieder zu Boden, der sich gerade nach einem schweren Treffer aufrichten wollte. „Bleib liegen, du Idiot!“
„Einschließlich mir“, murmelte sie amüsiert und folgte Regel Nummer eins für dieses Gefecht: In Bewegung bleiben, um schwerer getroffen zu werden.
„Was denn, habt ihr mich denn nicht studiert, bevor ihr in den Einsatz gegangen seid? Habt ihr nicht meine Taktiken analysiert und dergleichen? Oder habt ihr euch auf Han konzentriert?“, klang seine Stimme spöttisch auf.
„Oh, Onkel Coryn hat sich sicherlich hauptsächlich auf Graf Arling gestürzt. Solch einen Luxus können wir Rüster-Piloten natürlich nicht erlauben. Aber ehrlich gesagt hatte ich gehofft, das meine Analysen nicht zutreffen, und du kein hitzköpfiger Risikoverliebter Tausendsassa bist.“
„Ich entschuldige mich zutiefst dafür“, murmelte Charles als Antwort und warf einen kurzen Blick auf die Statusanzeige seiner Leute. Es wurde langsam Zeit. „Absetzen! Ich wiederhole, absetzen! Franklin, schauen Sie nach, ob Strader noch lebt. Nehmen Sie in jedem Fall seinen Knight mit! Zielinsky, das gleiche tun Sie mit Chen! Der Rest, Abmarsch zurück zur Stadt.“
„Wir werden erstklassige Zielscheiben sein, Sir“, wandte einer seiner Leute ein.
„Wir haben etwas Hilfe“, erwiderte Charles. „Einhundert Knights der hiesigen Miliz helfen uns aus.“
„Einhundert Knights? Hiesige Miliz? Ich verstehe nur Bahnhof.“
„Verstehen musst du nichts, Zielinsky, aber das Feld räumen. Denn von Südosten kommt was“, bemerkte Monterney amüsiert.
„Ich werde verrückt! Mein Computer zeigt mir hier einhundert katalaunische Knights an! Es lebe die Miliz!“
„Weniger loben, mehr fliegen“, tadelte Monterney und trieb seine Leute an, das Schlachtfeld der Konfusion zu verlassen. Dennoch wachte er über ihnen bis der letzte aus dem Getümmel getreten war.
Zurück blieben eine Reihe Wracks, Tote, Verletzte und ehrlich erschrockene Milizionäre, die noch nie eine Begegnung mit regulären Truppen gehabt hatten.

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3.
01.07.2613
Hephaistos, Nordkontinent Phebia
Industriewelt Vesuv
Stabiae-System
Europa-Pakt

Der neue Tag war gerade erst eine Stunde alt, zumindest nach der Zeitrechnung auf den meisten international agierenden Schiffen. Diesen Zeitpunkt hatte sich der Kommandeur der republikanischen Streitkräfte ausgesucht, um Admiral Toral zu kontaktieren, nachdem er schon beinahe drei Stunden im System war.
Aurora Constantine kommentierte die Meldung der Funkverbindung mit einem derben Fluch, der einige der jüngeren Offiziersanwärter in der Zentrale der SIGURD erhebliche Röte annehmen ließ, als sie versuchten, die anatomischen Vorschläge ihres Kapitäns in Gedanken zu realisieren.
„Die Reps funken uns an, Ma´am.“
Jenna Toral nickte zustimmend. Zwar war sie faktisch ihres Amtes enthoben, aber sie hatte auch den Auftrag, die Flotte in Schuss zu halten, bis ein neuer Befehlshaber eintraf. Das machte sie zu einem in den Möglichkeiten stark eingeschränkten Kommandeur der Stabiae-Wachflotte, was ein zweischneidiges Schwert werden konnte. „Verbindung annehmen.“
Der große Panoramabildschirm aktivierte sich und bildete einen republikanischen Rear Admiral ab. Der Bildschirm, manchmal auch Eitelschrecken genannt, weil er die Gesichter der Personen derart überlebensgroß abbildete, dass man bei einigen die Poren inspizieren konnte – was eitle Menschen überhaupt nicht mochten – präsentierte nicht nur die Braunschwarze Alltagsuniform der republikanischen Flotte mit den zwei Sternen eines Konteradmirals, sondern bildete auch ein relativ jung wirkendes, erschreckend blasses Gesicht ab. Auf der linken Brust prangten viele Kampagnenbänder, aber wenige Orden. Auf der rechten Brust verkündete ein Emailleschild, das sein Träger Lifurt hieß. Auf den ersten Blick klassifizierte sie den weißblonden Mann mit den fast grauen Augen als Weltraumgeborenen, der verdammt wenig natürliche Sonne gewohnt war.
„Admiral Connor Lifurt, Ma´am, unter dem Kommando von Admiral Sears von Bord meines Flaggschiffs BOMBAY. Admiral Toral, ich grüße Sie.“
„Ganz Recht, ich bin Admiral Toral. Ich grüße Sie ebenfalls, Admiral Connor, allerdings hätte ich gerne eine Erklärung für Ihre Anwesenheit.“
Lifurt zuckte effektvoll die Achseln. Wie alt mochte er sein? Dreißig? Vierzig vielleicht? Man musste schon verdammt gut sein und verdammt viele Krisen mitgemacht haben oder verdammt gute Beziehungen haben, um in diesem Alter den vierthöchsten Admiralsrang bekleiden zu können.
„Sie wissen genau, dass wir vertraglich ausgehandeltes Passagerecht haben, nicht, Ma´am?“, erwiderte er spitz.
„Bedeutet das, Sie durchfliegen das Stabiae-System nur?“, konterte Toral.
Dies nahm Lifurt etwas Wind aus den Segeln. Er sah sie eine Sekunde erstaunt an, fing sich aber wieder. „Um ehrlich zu sein, wollen wir nicht nur das System durchqueren. Wir sind mit einem klaren Auftrag hier, Ma´am.“
Constantine reichte ihrer Admirälin einen Papierbogen. Darauf stand die Aufstellung der eingetroffenen Flotte mit Name, Typ und allen Spezifikationen, die über die einzelnen Schiffe bekannt waren. Es handelte sich vor allem um schnelle Einheiten, und selbst das Flaggschiff Lifurts war nur ein Zerstörer. Dafür war der Kampfverband wendig und schnell einzusetzen. Und der Republikaner brachte davon eine ganze Reihe mit. Siebzehn Schiffe gehörten seiner Truppe an, davon waren acht Zerstörer, der Rest Fregatten. Das Fehlen von Korvetten und den Zug begleitender Frachter alarmierte sie ebenso wie das Fehlen von Infanterietransportern. Was da in ihr System gesprungen war, war eindeutig ein reiner Kampfverband, ein Seek&Destroy. Für ein paar Sekunden hatte sie mit dem Gedanken gespielt, es hier mit einem Eroberungsversuch von Vesuv zu tun zu haben, aber da keine Materialschiffe und keine Infanterie den Pulk begleiteten, packte sie den Gedanken in eine Schublade mit geringerer Priorität als ein Eroberungsversuch. Das war immer noch weit genug oben, um jederzeit wieder hervor gezerrt zu werden, denn Vesuv war eine der wichtigsten und reichsten Industriewelten, um die der Pakt nicht nur von die diadochischen Nachbarn beneidet wurde. Dementsprechend war sie immer noch sehr verärgert über diesen dreisten Bengel Arling, der es geschafft hatte sie an die Wand zu reden und mit elf Schiffen in den Orbit um Vesuv einzufliegen, ein Umstand, der ihr normalerweise schlaflose Nächte beschert hätte. Lediglich die Anwesenheit der Gryanen hatte sie ein wenig milder gestimmt. Nun gut, es gab da den Geheimdiensbericht, dass es sich bei den Gryanen um eine getarnte Seek&Destroy-Flotte der Reppies handelte, aber sicher war auch ihrem Kommandeur Griffin bekannt, was Gryanen, Phillippi und Perseii mit Hochstaplern machten, die nicht nur ihren Namen raubten, sondern auch in ihren Namen Gräueltaten begingen. Wer also so dumm war eine gryanische Einheit zu kopieren sollte es tunlichst unterlassen, diese falsche Truppe in Verruf zu bringen, weil es eine sofortige Rache der beleidigten Einheit bis zum letzten Schiffsoffizier nach sich gezogen hätte. Eine derartige Säuberung hatte Toral selbst erlebt, und sie war immer noch nachhaltig beeindruckt.
Lifurt starrte sie unsicher an, und Jenna Toral seufzte tief. „Ich warte noch immer darauf, dass Sie Ihre Erklärung fortsetzen, Admiral. Also gut, dann werde ich Sie fragen: Was ist das für ein Auftrag?“
Diese goldene Brücke schien den Jüngeren erheblich zu erleichtern. Er lächelte beinahe und gab bereitwillig Auskunft. „Ma´am, es geht um einen äußerst heiklen Punkt, der sechs der Schiffe aus Kommodore Arlings Flotte betrifft. Es handelt sich um eine von Admiral Goldman zusammengestellte Hetz-Einheit, die den Auftrag hatte, den Fuchs von Riverside zu stellen und zur Strecke zu bringen. Da dies nicht geschehen ist, sondern beide Einheiten zusammen fliegen müssen wir annehmen, dass Commodore Griffin, ein Ziehkind des Admirals...“
„Sie wollen mir also sagen, dass die Gryanen keine Gryanen sind und ihr Kommandeur den Auftrag hat, zu desertieren. Und Sie sind jetzt hier, um genau das zu verhindern“, kürzte sie effektvoll die Worte des Weltraumgeborenen ab.
„Äh... Ja.“
„Und dafür erbitten Sie Durchflugerlaubnis und natürlich Erlaubnis, um in den Orbit von Vesuv zu gehen, notfalls Kampfhandlungen zu eröffnen.“
„Äh... Ja.“
„Abgelehnt.“
„Abgelehnt? Admiral, ich pflücke Ihnen eine Zecke vom Arsch und Sie sagen abgelehnt?“
Toral schnaubte verächtlich. „Bei Arling und Griffin kann ich mir sicher sein, dass sie wieder verschwinden, wenn sie ihr Ziel erreicht haben, aber bei Ihnen Lifurt, kann ich das nicht. Sie haben nur zwei Sprünge bis zur nächsten republikanischen Basis, Arling hingegen einhundertfünfzig Lichtjahre. Ich behalte lieber den Spatz in der Hand, anstatt mir von der Taube auf dem Dach die Ziegeln voll scheißen zu lassen.“
„Ich protestiere energisch gegen die Einmischung in eine interne Angelegenheit der republikanischen Flotte! Wenn es Sie beruhigt, ich habe nicht vor Kampfhandlungen zu eröffnen. Wir werden lediglich die Offiziere ersetzen und die Schiffe zurück fliegen. Auf jeden einzelnen wartet eine Anhörung, nicht einmal ein Prozess, sollte die Anhörung nicht feststellen, das der eine oder andere gegen Flottenrecht verstoßen hat.“
„Und um das zu gewährleisten, bringen Sie Ihre agilen, kampfstarken Schiffe in den Orbit meiner Hauptwelt und stellen sie in Positionen für erklecklich gute Konterangriffe, in bequemer Reichweite zu Oplontis und seinen vielen Werften. Das Ganze mit der Option, in drei oder vier Tagen eine ganze Flotte als Verstärkung zu erhalten. Abgelehnt.“
„Ma´am, ich versichere Ihnen, dass...“
„Sir, ich versichere Ihnen, dass ich kein verdammtes republikanisches Schiff im Orbit von Vesuv sehen will! Ich werde einen Teufel tun und meine Hose runterlassen und mich bücken, damit Sie sich bedienen können!“
Diese blumigen Worte trieben etwas Röte in Lifurts Gesicht. Dennoch verzog sich seine Miene trotzig. „Ma´am, als Verbündeter habe ich das Recht...“
„Sie haben das Recht, auf Ihrem Kurs zu bleiben und Sie haben das Recht, sich bei meinem Vorgesetzten zu beschweren. Und Sie haben das Recht, Griffin anzufunken und ihn aufzufordern, sich freiwillig zu stellen. Aber sehe ich eines Ihrer Schiffe im Orbit über Vesuv, werde ich schießen lassen.“
„Sie sind nicht besonders freundlich zu Ihren Verbündeten“, knurrte Lifurt.
„Sie hätten Verständnis dafür, wenn Sie die wertvollste Industriewelt des ganzen Sektors beschützen müssten“, konterte sie. „Und auch unter Verbündeten ist es nicht üblich, die Welten der anderen zu blockieren.“
Die Miene des Weltraumgeborenen verdüsterte sich zusehends, und ohne einen weiteren Gruß schaltete er ab.

Aurora Constantine sah ihre Vorgesetzte und Freundin erstaunt an. „Was geht nur gerade hinter deiner hohen Stirn vor, dass du einen republikanischen Rear Admiral derart in die Eier treten musstest?“
Jenna Toral schnaubte belustigt. „Ich hoffe, sie tun ihm ordentlich weh, denn das war das letzte Mal, das ich ein wenig treten konnte. Du kannst die Uhr danach stellen. In spätestens fünf Minuten kriegen wir einen direkten Befehl des Verteidigungsministers mit dem Wortlaut, Lifurts Flotte passieren zu lassen und ihr jede erdenkliche Unterstützung zukommen zu lassen.“
Constantines Miene wechselte zu einem erschrockenen Gesichtsausdruck.
„Ach komm“, murmelte Toral amüsiert. „Wie lange sind Arling und Griffin hier? Zu kurz, um die Aktion, eine Greiferflotte herüber zu schicken spontan entschieden zu haben, und zu lange, um nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, dass Lifurt mit seinen Schiffen schon länger zum Sprung bereit in der Nähe gelauert hat und nur noch auf einen günstigen Zeitpunkt gewartet hat.“
Ihr Blick ging über die Zentralebesatzung der SIGURD. Gute Männer und Frauen, viele hatten Jahre Erfahrung und etliche Kampfhandlungen hinter sich. Viele Nachbarn wagten es dieses System anzugreifen und seine Transporte zu attackieren. Einige hatten auch versucht, es zu erobern. Militärische Beschäftigung hatte es stets genug für sie gegeben, und würde es wahrscheinlich auch in Zukunft. Der Beruf als Marinesoldat war zumindest im Stabiae-System ein krisensicherer Job.
Viele dieser Soldaten und Offiziere lauschten ihren Worten. Einige kommentierten mit leisen Murmeln, die meisten nickten nur beiläufig.
„Aber der entscheidende Hinweis ist der gute Rear Admiral selbst. Er ist Vize-Kommandeur der Large Fleet, und die BOMBAY kommandiert die Schnellen Einheiten dieser Flotte. Wo die fixen Jungs und Mädels sind, können die großen Pötte nicht weit sein.“
„Die 9. Assault Fleet wird an der katalaunischen Grenze eingesetzt“, widersprach Constantine.
„Wurde an der katalaunischen Grenze eingesetzt. Im Moment dürfte sie mit Höchstfahrt auf dem Weg hier her sein, von dem Zeitpunkt an gerechnet, an dem die Admiralität der Reppies einem Waffenstillstand mit Elisabeth zugestimmt hat. Dann haben wir es hier bald mit einer Eroberungseinheit zu tun. Infanterietransportern, Materialschiffen und Versorgungseinheiten. Alles in allem vierzig schwere Einheiten, davon zweiunddreißig Kampfschiffe. Mehr als ausreichend, um dieses System zu erobern, oder?“
„Aber dann sollten wir...“, begann Constantine, die sich immer sehr demütig und unerfahren fühlte, wenn ihre Freundin und Lehrmeisterin ihr Können in die Waagschale warf, doch ein Wink aus der Funkabteilung unterbrach sie.
„Admiral, Skipper! Dringlichkeitsspruch von der Admiralität, unterzeichnet vom Verteidigungsminister: Gewähren Sie Rear Admiral Lifurt volle Kooperation!“
„Du hattest Recht! Verdammt, Jenna, du hattest Recht!“, stieß sie wütend hervor. Wütend auf sich selbst, wütend auf die Republikaner, wütend auf den Verteidigungsminister. „Und das kann nur eines bedeuten, richtig?“
Admiral Toral nickte ernst. „Ja, so ist es. Wir werden verkauft, Aurora. Wir werden verkauft...“
„Und was tun wir dagegen. Meutern?“
Böse sah Jenna die Jüngere an. „Mäßigen Sie sich, Captain! Ich will dieses Wort nicht auf einem Schiff hören, das meine Flagge trägt!“
Betreten und gescholten wie ein Kadett auf seinem ersten Flug sah sie zu Boden. „Natürlich, Ma´am.“
„Wir tun das was wir können und was uns niemand verboten hat“, fuhr sie in ruhigerem sanftem Ton fort. Ein wildes Grinsen huschte über ihr Gesicht. „Wir petzen beim Fuchs von Riverside.“
„Irgendwie fängt es jetzt an interessant zu werden“, sagte Constantine. Bei Jenna konnte sie jeden Tag noch einen neuen Kniff lernen.
***
Mit vor Schreck geweiteten Augen beobachtete Arlene Schlüter ihren Freund und Vorgesetzten, wie er mit vor dem Kinn verschränkten Händen ins Leere blickte. Seine Gedanken mussten rasen, und in Anbetracht der Situation war das nur zu verständlich. Die kleine Diskussion mit Admiral Toral hatte nicht nur ihn nachdenklich gemacht, sondern jeden einzelnen erschrocken aufraunen lassen. Keiner glaubte, dass die republikanische Flotte einen so simplen Auftrag bewältigen sollte, Griffins kleine Flottille nach Hause zu eskortieren. Vielmehr folgten sie den Gedanken der Admirälin, die darin den Auftakt einer Invasion sah. Wenn es dieser Flotte aus leichte und mittleren Einheiten gelang, in den Orbit zu kommen, war Stabiae, war Vesuv zu gut wie erobert. Das musste niemand extra betonen. Zwei oder drei Tage konnten sich die schnellen, agilen Schiffe halten, notfalls die Werften oder gar die planetaren Städte als Geiseln nehmen, und in dieser Zeit würden die schweren Einheiten nachfolgen und die Eroberung besiegeln. Diese Einheiten würden mehr als ausreichen, um Stabiae aus dem Pakt zu reißen, lange bevor Einheiten aus den anderen Systemen abgezogen werden konnten, um die wichtigste Welt des Europa-Pakts zu schützen. Und Admiral Toral war befohlen worden, dabei still zu halten und die relativ leichte Wachflotte nicht eingreifen zu lassen. Was das bedeutete, hatte sie niemandem erklären müssen.
Die Mitglieder der Zentralebesatzung sahen zu ihrem Kommodore auf, so als erhofften sie sich all die Antworten auf die Fragen, die über ihnen herein gebrochen waren. Das stimmte auch, immerhin war er nicht nur der größte Fisch in der Kommandokette, im Moment war er der absolute Herr der Flottille, denn de facto hatten sie gegen den Befehl ihres höchsten Vorgesetzten rebelliert.
Als Arling beide Hände auf die Sessellehnen schlug und sich erhob, erkannte Arlene Schlüter darin eine Geste ihres Kommandeurs, die er selten verwendete. Sie hatte es zuletzt gesehen, als sich Han dazu entschlossen hatte, nach dem ersten Geleitzuggefecht im Riverside-System der brennenden ROVER Lösch- und Hilfsmannschaften zu schicken, um das republikanische Schiff dennoch retten zu können. Letztendlich war die Korvette dem Schicksal ihrer Schwesterschiffe LANCASTER und ABERDEEN gefolgt und war von den durchgehenden Reaktoren vernichtet worden, man hatte nicht einmal die Brücke erreichen können, lediglich einen Großteil der überlebenden Besatzung evakuieren können. Er hatte Jarvi mit siebzig Mann rüber geschickt und drei waren auf dem Schiff geblieben, und Arlene wusste, dass die Entscheidung, ob er Hilfe senden sollte oder nicht eine der Schwersten seines Lebens gewesen war.
„Ich brauche Funkkontakt zu Steyer, Rend, Myrte und Harris“, befahl er ernst. „Außerdem möchte ich, das sämtliche Kapitäne und Oberst Monterney mithören können.“
„Aye, Sir!“, kam es vom Funk von Leutnant Turnau. „Verbindung steht, Sir.“
Übergangslos teilte sich der Bildschirm auf. Vier große Felder und etliche kleine entstanden und zeigten die Gesichter von Arlings und Griffins Führungsoffizieren.
„Ich begrüße Sie alle“, eröffnete Arling seine Rede. „Wir stehen in diesem Moment vor umwälzenden Veränderungen. Gewaltigen umwälzenden Veränderungen. Oberstleutnant Steyer, haben Sie meinen Auftrag ausgeführt?“
„Ich habe die Kreditbriefe auf etwas weniger als siebzig Milliarden Mark ausgelastet. Es ist mir gelungen, einen Mengenrabatt von zehn Prozent auszuhandeln, das hebt die Vertragsstrafzahlungen beinahe wieder auf. Drei Zerstörer, zwei Fregatten und acht für den Truppentransport ausgerüstete Whale-Transporter stehen zu unserer Verfügung. Die Zerstörer wurden von den Notmannschaften bereits in den Orbit gebracht. Die Whale sind noch nicht gestartet, aber da wir sie gebraucht gekauft haben, sind sie bereits voll ausgerüstet.“ Der Offizier sah Arling ernst an. „Sir, ich hätte noch die Option, drei bis vier fertige Korvetten zu kaufen.“
„Nein, es ist gut so. Bitte benennen Sie die Zerstörer, Carlin, mit folgenden Namen in dieser Reihenfolge: Frederec, Robert und Elisabeth. Bitte benennen Sie die Fregatten mit folgenden Namen in folgender Reihenfolge: VERSAILLES und B-KING.“
„Ich habe verstanden, Mylord“, erwiderte der Infanterieoffizier und verbeugte sich leicht.
„Korvettenkapitän Myrte! Korvettenkapitän Harris! Kapitänleutnant Rend!“
Der Pirat, der Außerirdische und Hans Verlobte strafften sich, als sie aufgerufen wurden. „Sir!“
„Übergeben Sie Ihre Schiffe an Ihre Ersten Offiziere. Nehmen Sie zwei Drittel Ihrer Besatzungen mit und übernehmen Sie die Zerstörer. Die restlichen Offiziere und Mannschaften, sowohl um die Zerstörer zu bemannen als auch die REDWOOD, die CALAIS und die RICHMOND personell auszugleichen, wird durch Miliz-Matrosen und pensionierten Veteranen aus Hephaistos erfolgen. Wir holen gerade gut achttausend ausgebildete Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften heran.
Korvettenkapitän Myrte, übernehmen Sie die ROBERT.“
Der groß gewachsene Weltraumgeborene nickte erfreut. Mit dem Namen dieses Kaisers verband sich unmittelbar seine Karriere. „Sehr gerne, Sir.“
„Korvettenkapitän Harris, übernehmen Sie die FREDEREC.“
Wenn es ihm nicht behagte ein Schiff zu kommandieren, das den Namen eines abgesetzten Kaisers trug, der zudem Selbstmord begangen hatte, dann zeigte er es nicht. „Mylord, mit Vergnügen.“
„Kapitänleutnant Rend, übernehmen Sie die ELISABETH. Mit der Kommandoübernahme ist eine Feldbeförderung zum Korvettenkapitän verbunden.“
Überrascht sah Ellie ihren Verlobten an. Die Entscheidung war der Situation angemessen, dennoch war sie sich nicht sicher, eine Beförderung schon wieder verdient zu haben. Dennoch nickte sie nur. „Ja, Sir.“
„Meine Herren, meine Dame, befördern Sie Ihre Ersten Offiziere zu Kapitänleutants, mit meinen besten Wünschen und Grüßen. Die beiden Fregatten werden von Milizoffizieren kommandiert und von reinen Miliztruppen bemannt werden. Deshalb werden die VERSAILLES und die B-KING als reine Geleitschutzträger eingesetzt werden. Die Namen der Kapitäne, die ebenfalls Feldbeförderungen zum Kapitänleutnant erhalten sind Sarah Richards und Wim Rouven.“
Arling musterte alle Offiziere streng. „Ich erwarte, dass die Zerstörer so schnell wie möglich Gefechtsklar sind. Mit einer neuen, durcheinander gemixten Mannschaft scheint das unmöglich, ich verlange es trotzdem von Ihnen.“
Angespannt nickten die Kapitäne. Vielleicht ahnten sie was nun kommen würde.
Arling atmete tief ein und wieder aus. „Fregattenkapitän Rössing, Sie erhalten Befehl, die Besatzung der STONEWALL auf das unbedingte Gefechtsminimum zu reduzieren. Ich will, dass alle verheirateten oder verlobten Besatzungsmitglieder, so sie nicht für den Betrieb des Zerstörers unbedingt notwendig sind, Ihr Schiff verlassen. Ebenso alle Offiziere und Mannschaften, die Sie entbehren können.“
Leise raunten die anderen Offiziere. Dies war der Auftakt für einen Befehl für Gerard Rössing, zu versuchen, die heran eilenden republikanischen Schiffe zu stellen und zu stoppen, notfalls auf Kosten des Verlusts von Schiff und Mannschaft.
„Ich verstehe, Sir“, brummte Rössing und nickte grimmig.
„Das gleiche gilt für die RHEINLAND, Kapitän Schlüter. Führen Sie meinen Befehl sofort aus.“
Nun erklang aufgeregtes Raunen.
Griffin meldete sich zu Wort. „Sir, wenn Sie gestatten biete ich die HOUSTON als Ihr neues Flaggschiff an. Ich schicke sofort eine Fähre herüber, damit Sie das Schiff wechseln können, und ich bereite das hissen Ihrer Fahne vor. Arlene, wenn Sie so gut wären.“
Die erfahrene Offizierin und Kapitänin der RHEINLAND nickte mit einer gewissen Erleichterung. Sie wusste, das ihr Schiff die STONEWALL bei diesem Himmelfahrtskommando begleiten würde, aber es war ihr eine unglaubliche Erleichterung wenn Arling nicht mehr an Bord war. „Selbstverständlich. Ich bitte Sie auch, die abgeorderten Mannschaften aufzunehmen, Sir.“
„Natürlich, Lenie“, erwiderte Griffin mit starrer Miene.
„Sie haben da etwas falsch verstanden, Coryn“, sagte Arling scharf, und Schlüter ging ein starker, düsterer Stich durchs Herz. „Han, du...“
„Ich werde den Angriff auf die republikanischen Schiffe selbst anführen. Sie erhalten das Kommando hier im Orbit, Coryn. Ihre vordringlichste Aufgabe ist es, die Evakuierung abzuschließen. Sobald der letzte evakuierungswillige Katalauner an Bord ist, haben Sie ausdrücklichen Befehl, ungeachtet der Situation im Stabiae-System mit allen Schiffen und allen kaiserlichen Offizieren und Mannschaften, die nicht im Kampf stehen, in die Bernsteininsel zurück zu springen.“
„Das ist nicht dein Ernst“, hauchte Griffin mit rauer Stimme.
„Han, du kannst nicht mit fliegen!“, begehrte Rössing auf. „Das Kaiserreich braucht dich und...“
„Meine Entscheidung ist gefallen!“, erwiderte der Kommodore barsch. „Führen Sie meine Anweisungen aus. Außer, Sie wollen meutern.“
Die letzten Worte Arlings hatte ein Lächeln begleitet, und für einen Moment fühlte sich Arlene Schlüter versucht, ihre Hand auf seiner Wange zu verewigen und wirklich zu meutern, nur um den langjährigen Freund und Vorgesetzten vom Schiff zu schaffen, aber letztendlich wusste sie, dass sie ihm gegenüber loyal war und immer loyal bleiben würde.
„Ich komme zurück an Bord“, verkündete Oberst Monterney. „Hier unten ist im Moment alles ruhig, die Milizen brauchen mindestens einen weiteren Tag, um einen erneuten Vorstoß auf Hephaistos oder den Hafen zu organisieren. Die Zeit kann ich entbehren.“
Arling wollte aufbegehren, aber schließlich nickte er. Es würde angenehm sein, seinen besten Freund in der Nähe zu wissen, wenn... Nun, es war nicht so als hätte er gar keine Hoffnung, diesen Kampf zu überleben. Und wenn der beste Knight-Pilot Katalauns an seiner Seite war, stiegen diese Chancen gewaltig. „Genehmigt“, erwiderte Arling.
Als er Schlüter ansah, sagte er ernst: „Beginnen Sie jetzt damit, Teile der Mannschaft zu evakuieren.“
„Sir, darf ich dann darauf hinweisen, dass Sie als Verlobter...“
„Mich ausgenommen.“ Er lächelte dünn. „Aber danke für den Versuch, Lenie.“
Für eine Sekunde schluchzte sie hell auf. Dann wandte sie sich ab, ihrem Ersten Offizier zu. „Nur Freiwillige, Mr. Lüding.“
„Aye, Ma´am.“
***
Rund einhundertachtzig Lichtjahre entfernt sah sich Johann Arlings Vater einer ähnlichen Situation gegenüber. Just vor wenigen Minuten hatte ihn die Nachricht erreicht, dass die PRAG in das Cipangu-System gesprungen war. An Bord befand sich General Kress, ein Mann, den Gandolf Zachary von Beijing nicht nur wegen seiner überragenden Leistungen auf dem Knight zu schätzen wusste. Sein legendärer bordeauxrot lackierter Kampfroboter Blutritter war weit über die Grenzen Katalauns bekannt und gefürchtet.
Jeremy Stahl, Anführer der persönlichen Garde des Herzogs, wartete auf eine Antwort des alten Freundes auf seine Meldung. Dabei verzog er keine Miene und rührte sich nicht einen Millimeter.
Der Herzog seufzte leise. „Verbrenne ihn.“
„Sir?“
„Zieh die Beerdigung von Frederec vor. Sie muss sofort erfolgen. Danach lass die Asche scharf bewachen, bis es uns möglich ist, sie ins Meer zu streuen, ohne dass Agenten eine Probe nehmen können.“
„Darf ich Mylord daran erinnern, dass die angeordnete Kondolenzzeit noch nicht abgelaufen ist?“
„Sie dürfen, Oberst Stahl.“ Gandolf schloss die Augen und atmete leise. „Es ändert nichts an meiner Anweisung.“
„Sehr wohl, Mylord.“ Der Oberst salutierte und wollte gerade wieder gehen, als ihn ein Ruf des Herzogs aufhielt.
„Jerry!“
„Ja, Zak?“
„Lass meinen Knight für Fernmission ausrüsten. Ich fliege der PRAG entgegen.“
„Sehr wohl, Sir. Ich werde ein Begleitkommando zusammen stellen.“
„Ein kleines, bitte. Ich möchte keine vorschnellen feindlichen Reaktionen provozieren“, fügte Beijing hinzu.
„Ich habe verstanden, Sir.“ Er zögerte und sagte dann: „Ich werde Ihre Enkel informieren, ebenso den Grafen Angward informieren.“
„Tue das, Jerry, tue das.“ Gandolf Zachary schloss für einen Augenblick die Augen, um für ein paar Momente abschalten zu können. Sven Kress war ein Ehrenmann, ein vorbildlicher Offizier und zudem ein alter Freund. Gandolf hatte sogar seinen Großvater persönlich gekannt, und er wusste, wie sehr der Enkel von Ragnar Kress darum gekämpft hatte, das Wohlwollen und die Freundschaft des Herzogs von Beijing zu erlangen. „Alles wird gut“, murmelte der alte Mann. Er erhob sich mit einem Seufzer. Langsam begann er sein Alter zu spüren. Langsam wurde ihm alles ein wenig viel. Bald, schon sehr bald würde Hannes an seine Stelle treten müssen.
Mit ein paar eleganten Schritten, die seiner Gebrechlichkeit beim aufstehen blanke Lüge strafte, ging der alte Herzog in den Nebenraum, wo in einem Spind seine Pilotenausrüstung permanent bereit hing. Es würde ein paar Stunden dauern, um die PRAG abzufangen. Er würde darüber hinaus Zeit erkaufen. Nicht unbedingt für Frederecs Einäscherung, wohl aber für seinen Sohn.
***
Drei Stunden später hatte die RHEINLAND bereits ein Viertel des Systems durchquert und befand sich nun am Ende der Abbremsphase. Die STONEWALL folgte dem Manöver willig. Grundidee dieses Manövers war es, in die gleiche Richtung zu fliegen wie die Angreifer, was den Zeitraum für effektiven Beschuss drastisch erhöhte. Allerdings für beide Seiten. Die ersten Schüsse selbst würden in weniger als einer halben Stunde ausgetauscht werden, wenn die weit reichenden Waffen der RHEINLAND die Zerstörer beharken konnten, lange bevor diese effektiv antworten konnten. Torpedos und Raketen hatten theoretisch eine Reichweite von mehreren Lichtjahren, aber viele der kleineren Modelle führten einfach nicht genügend Treibstoff mit sich, um einerseits zu beschleunigen und andererseits die Korrekturtriebwerke zu benutzen, was sie ab gewissen Distanzen zu sitzenden Enten auf zugefrorenen Teichen machte. Das gleiche galt für Laser- und Partikelgeschütze. Je größer eine Waffe war, desto weiter trug sie. Nur ein gigantischer Waffenstrahl konnte seine Fokussierung auch auf große Entfernungen halten, bevor auch er nur ein weites harmloses Partikelfeld oder eine flackernde Lightshow wurde.
Carrie Rodriguez hob eine Hand, während sie den Ausführungen von Kapitänleutnant Andreas Lüding lauschte, dem Ersten Offizier der RHEINLAND.
„Ja, Miss Rodriguez?“, fragte er mit einem Lächeln.
„Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Sir, dann ist die RHEINLAND den anderen Schiffen an Reichweite überlegen. Sie müssen durch alles durchbrechen was dieser Kreuzer aufbieten kann, bevor sie selbst antworten können, und dann werden auch weitere Waffen des Schiffs in das Gefecht eingreifen. Wenn dem so ist, warum fliegt dann die HOUSTON nicht mit uns?“
Lüding warf einen unsicheren Blick zum Kommodore Arling auf seinem Podest, bevor er leise und mit Bedacht antwortete. „Nun... Wir können leider nicht einfach damit drohen eine Stadt zu bombardieren, schon gar nicht, wenn es republikanische Einheiten sind, die uns attackieren. Außerdem muss ein Schiff ausreichend Waffenkapazität besitzen, um die Evakuierung zu beschützen. Wir haben jetzt vielleicht fünf Schiffe mehr in unserer Flotte, aber durch den Transfer unserer Fregattenbesatzungen auf die neuen Zerstörer haben wir die Fregatten geschwächt. Und die Zerstörer sind auch nur bedingt einsatzbereit. Von der Feuerkraft sind sie sicher eine Bereicherung, aber sie werden sehr langsam sein, weil die Crews nicht aufeinander eingespielt sind. Es müssten schon wahre Genies Kapitäne sein, um all die Defizite in wenigen Stunden auszugleichen, um aus der FREDEREC, der ROBERT und der ELISABETH hochklassige Kampfeinheiten mit schneller Feuerrate zu machen.“
Misstrauisch hob Miss Rodriguez eine Augenbraue. „Ist es nicht vielmehr so, dass Johann Arling verhindern möchte, dass Griffin und seine Mannschaften gegen Landsleute kämpfen müssen?“
Spence grinste schief hinter seiner Kamera. Carrie hatte mal wieder den Finger auf die Wunde gelegt.
„Nun, Miss Rodriguez. Nun“, begann Lüding, wurde aber von Kommodore Arling unterbrochen, der dafür sein Gespräch mit Torasa Hekki Lanma, dem rydanischen Reporter aus dem Konglomerat Jemfeld, der neben Carrie das einzige Reporterteam an Bord hatte. Genauer gesagt hatte er zwei automatische Kameras von seinem Team übernommen und begleitete Arling allein. Die anderen Vertreter des Pressekorps hatte die Möglichkeit abgeschreckt, bei den folgenden Raumkämpfen zu sterben; sie berichteten aus dem Orbit oder aus Hephaistos heraus.
„Wir folgen dem Prinzip der Abnutzung, Carrie“, sagte Arling laut und ernst. „Erst beharken wir sie hier so gut wir können, und wenn sie es an uns vorbei schaffen, dann beharkt Griffin sie so gut er kann.“
Carrie musterte den Grafen skeptisch. „Könntest du bitte aufhören zu versuchen mich anzulügen, Han? Du hast ein Drittel deiner Crew von Bord geschickt. Du hast auf Freiwilligen bestanden. Und du hast der Presse mitgeteilt, dass diese Mission mit hoher Wahrscheinlichkeit tödlich enden wird, weshalb ich und der ehrenwerte Torasa die einzigen Profis an Bord sind. Na ja, und Spence ist auch noch dabei.“
„Hey!“, protestierte der Kameramann aufgeregt.
„Sei man ganz still, du. Sei froh das ich dich mitgenommen habe, nachdem du in vorauseilendem Gehorsam die Masterbände über die Besserung hast schneiden wollen, noch bevor jemand überhaupt etwas von dir verlangt hat!“, brummte sie ärgerlich.
„Es... Es sollte eine Frage der Würde sein“, murmelte Spence halblaut und ein wenig verzweifelt. „Und ich meine nicht meine Würde.“
„Oh“, machte Carrie, schon wieder halb versöhnt. „Jedenfalls, Han, hast du gesagt, wenn ich an Bord komme, kann ich sterben. Nein, du hast gesagt, ich würde mit hoher Wahrscheinlichkeit sterben. Du glaubst nicht daran, dass die RHEINLAND die Republikaner besiegen kann, oder?“
„Ich glaube, dass ich ihnen weh genug tun kann, um ihr Vorhaben abzubrechen. Das letzte was wir gebrauchen können sind Gefechte im Orbit um Vesuv.“
„Na, wenigstens bist du etwas ehrlich“, murmelte sie leise.
Als Carrie wieder zu Lüding herüber sah, lächelte sie schon wieder. „Mit welchen Waffen gedenken Sie denn...“, begann sie und trat zur Mulde der Waffenoffiziere vor, doch Lüding verstellte ihr schnell den Weg. „Ma´am, wir befinden uns bereits auf Rotalarm und sind gefechtsklar. Ich muss Sie bitten, unseren Gefechtsvorteil zu respektieren und ab dem ersten Schuss der RHEINLAND mit fünf Minuten Verzögerung zu berichten. Wir wollen dem Gegner doch nicht vorab all unsere Pläne mitteilen.“
„Oh“, machte sie. Und gleich danach noch einmal: „OH!“ Sie hatte etwas verstanden, aber sie sprach es nicht aus. Stattdessen nickte sie gewichtig. „Keine Sorge, Sir, ich werde nichts tun, was dieses Schiff und seine Mannschaft gefährdet, solange mein Recht der Freien Berichterstattung garantiert ist.“
„Außer am Waffenpult“, schränkte Lüding ein, „garantieren wir es.“
„Und wir sind dankbar dafür“, erwiderte Carrie. Ihr Blick ging über die Zentrale, und sie wunderte sich, dass sich die Gesichter nicht verändert hatten. Die Führungsoffiziere standen noch immer bei ihren Abteilungen, lediglich ein paar Junioroffiziere mit Familie hatten mit Gewalt aus dem Schiff geschafft werden müssen. Die Männer und Frauen hatten sich darum gestritten, wer an Bord bleiben sollte und wer gehen musste. Für jene, die dann die RHEINLAND verlassen hatten, nachdem Arling an ihr Ehrgefühl appelliert hatte, schien es mehr als eine Niederlage zu sein. Es war augenscheinlich eine Schande für sie und eine große Tragödie, Arling nicht in die Schlacht begleiten zu können. Viele von ihnen dienten schon seit der Yura-Maynhaus-Kampagne an Bord und hätten ihren Kommodore niemals in Stich gelassen.
Auch einige der Führungsoffiziere hatten Familie, oder waren zumindest verlobt. Dennoch hatten sie ein schlechtes Beispiel für alle anderen Soldaten abgegeben und sich am standhaftesten geweigert das Schiff zu räumen, und dieses Mal hatte Arling seufzend nachgegeben, auch weil er seine besten Leute brauchen würde, um die Schlacht zu überleben. Ob das nun Tapferkeit oder Dummheit war wusste Carrie nicht zu sagen. Spätere Generationen würden es entscheiden.

„Sir, Anruf von Sanssouci“, meldete Leutnant Turnau. „Es ist Admiral von Hohenfels.“
„Auf den Schirm“, befahl Arling und schlug leger die Beine übereinander.
„Arling, jetzt treiben Sie es zu weit!“, rief sie wütend. „Befehlsverweigerung, Meuterei, Kriegsverbrechen und jetzt auch noch kriegerische Handlungen im Waffenstillstand!“
Amüsiert erwiderte der Kommodore: „Sehen Sie, gute Frau, ich habe schon derart viel auf dem Kerbholz, sodass es auf ein wenig Herumgeballere auch nicht mehr ankommt.“
„Arling, verdammt, wir haben einen Waffenstillstand, von Elisabeth persönlich unterschrieben! Wagen Sie es nicht, Ihre eigene Cousine derart bloß zu stellen, geschweige denn der internationalen Öffentlichkeit vorzugaukeln, wie unberechenbar unsere Offiziere sind! Wollen Sie den Ruf unserer ganzen Nation ruinieren?“
Arling antwortete nicht darauf, taxierte sie lediglich und wippte mit dem linken Fuß.
„Ich sehe, Sie spielen den Unnahbaren. Und das Tragische dabei ist, dass Sie gute katalaunische Soldaten in den sicheren Untergang führen und den Ruf des Kaiserreichs beschädigen.“ Sie seufzte schwer und lang. „Majestät, ich habe alles getan, was ich konnte.“
Der Kamerafokus schwenkte herum und zeigte nun unverkennbar Elisabeth Roxane von Versailles. „Hallo, Han“, sagte sie leise.
Johann Armin Arling runzelte die Stirn. „Habt ihr gerade Abend über Neu-Berlin? Kann ich mich so in der Zeit irren? Oder warum hast du dich mit Hochfrisur und Ballkleid aufgetakelt?“
„Das... Es tut nichts zur Sache, Han. Es gibt Wichtigeres. I-ich wurde darüber informiert, das du dich offiziellen Befehlen widersetzt hast. Ich... Muss dich bitten, das Stabiae-System sofort und mit all deinen Einheiten zu verlassen. Ich...“
„Abgelehnt!“, klang eine tiefe und selbstsichere Stimme vom Eingang der Zentrale her auf. Charles Monterney trat ein, und bei seinem Anblick atmete ihre Majestät erschrocken tief ein. Ihre Augen jedoch begannen zu glänzen und vertrieben den leicht rötlichen Schimmer ihrer Augäpfel.
„Ma´am, Sie sollten wissen, dass Mylord Arling Ihrer Inthronisierung widersprochen hat. Ebenso der Absetzung von Robert dem Fünften. Stattdessen hat er selbst sein Interesse am Kaisertitel erklärt. Damit steht er außerhalb der Gesetzgebung, bis sein Anspruch von einer Vollversammlung der Herzöge bestätigt oder verworfen wurde, und aus diesem Grund ist er auch nicht an Befehle der Admiralität gebunden. Und wenn ich das anmerken darf, seine Hoheit Prinz Johann hat keinen Friedensvertrag mit Yura-Maynhaus abgeschlossen und auch keinem Waffenstillstand zugestimmt.“
„Nicht so dick auftragen, Mann“, flüsterte Arling seinem besten Freund zu, ohne einen Miene zu verziehen.
Charles winkte ab. „Wie schon gesagt, Ihre Inthronisierung, Hoheit, wurde angezweifelt, und dabei bleiben wir. Gandolf Zachary von Beijing hat bereits seine Bereitschaft verkündet auf den Thron zu verzichten, was seine Hoheit zum direkten Thronerben nach Ihnen macht, Hoheit. Machen Sie sich also darauf gefasst, dass wir, sobald unsere Angelegenheiten in diesem Sonnensystem zu unserer Zufriedenheit erledigt wurden, mit Höchstfahrt zurückkehren und den Anspruch meines Prinzen direkt vor dem Parlament aussprechen werden!“
„Das bedeutet einen Bürgerkrieg!“, klang von Hohenfels´ Stimme hektisch auf.
„Das bedeutet, das wir spätestens in einem guten Monat über Sanssouci stehen werden, und dann werde ich auf den Planeten herabfahren und Sie, Hoheit, persönlich aus diesem Palast entfernen!“
Carrie Rodriguez wollte bei dieser offenkundigen Drohung protestieren, vor allem bei der unliebsamen Entwicklung, die damit die Liebe zwischen den beiden nahm, aber Spence hielt sie zurück. Normalerweise griff er nie in ihre Arbeit ein, doch diesmal deckte er das Mikrofon ab und hauchte ihr ins Ohr: „Hast du nicht verstanden, was Lucky Charly Elise gerade versprochen hat?“ Er deutete auf das überlebensgroß abgebildete Gesicht der jungen Frau, die versuchte gefasst auszusehen, die aber schwer mit einem glücklichen Lächeln zu kämpfen hatte. „N-nun, dann ist wohl alles gesagt, und wir können nur noch abwarten was die Zukunft bringt. Prinz, Hm?“ Sie sah Arling in die Augen und nickte schließlich. „Viel Glück in der kommenden Schlacht, Prinz Arling.“
„Ich danke Ihnen, Prinzessin Versailles“, erwiderte Johann mit einem Lächeln.
Der Bildschirm erlosch, und Johann Arling knuffte den Freund. „Nicht so dick auftragen, habe ich gesagt!“
„Wer hat denn dick aufgetragen? Wir waren auch nicht schlimmer als die Propaganda der Putschisten“, erwiderte Charles lachend. Er klopfte Arling auf die Schulter. „Ich steige dann mal in meinen Knight. Es wird eine harte Schlacht.“
„Ja, das wird es wohl“, murmelte Arling. „Das wird es wohl.“
Als Carrie die Augen des Grafen sah, konnte sie nur hoffen, das ihr diese Reportage Posthum den Pulitzer oder einen anderen großen Pressepreis einbringen würde.
***
Nach einer guten halben Stunde gingen in der RHEINLAND die Sirenen und riefen alle Mannschaften auf Gefechtsstationen. Das war eine reine Formalität, denn niemand hatte seinen Posten in den letzten zwei Stunden verlassen.
Eine der beiden mobilen Kameras von Spence nahm die Abschusssequenz der Knights auf; natürlich stieg Lucky Charly als erster auf das Katapult und wurde mit der ersten Vierersektion abgeschossen. Danach folgten weitere sechsundneunzig Knights in schneller Folge.
Die Hauptkamera und die zweite schwebende Kamera befanden sich in der Zentrale und versuchten so viel wie möglich aufzunehmen. Dabei leuchteten sowohl auf Carrie Rodriguez´ Brust als auch auf Spencers Weste ein pulsierendes L, um anzudeuten, dass Zeitverzögert gesendet wurde. Zeitverzögert deshalb, damit die Crews der gegnerischen Schiffe, die den terranischen Sender theoretisch empfangen konnten, keine Rückschlüsse aus dem Kampf ziehen konnten.
Kurz nach dem Start der Knights feuerten die gigantischen Frontpartikelwerfer, und die Torpedorohre streuten den ersten Achtfachfächer aus. Mittlerweile hatten sich schon zwanzig Knights formiert, die den gleichen Kurs bestritten wie Waffenstrahlen und Torpedos, ihnen gegenüber standen gut zweihundert Rüster, was ein ausgewogenes Gefecht versprach.
Admiral Connor Lifurt hatte versucht, mit Arling Kontakt aufzunehmen, aber das Gespräch war sehr einseitig verlaufen. Johann Arling hatte ihn ultimativ aufgefordert, beizudrehen oder die Folgen zu tragen, und ein sichtlich beleidigter Lifurt hatte den Kurs der BOMBAY nicht ändern lassen. Alles lief nun darauf hinaus, das die RHEINLAND als erste feuerte und versuchte größtmöglichen Schaden anzurichten, bevor die Republikaner zurückbeißen konnten. Dann aber würde sich auch die STONEWALL am Beschuss beteiligen.
Carrie stand direkt hinter dem Koordinierungspult für die Knight-Waffe, sprich bei den Männern und Frauen, die den Schwadronführern leise Informationen zuflüsterten oder für sie eingaben, um sie auf dem neuesten Stand zu halten. Dadurch bekam sie auch den Funkverkehr mit.
Der wurde jedoch von den lauten, aber professionellen Rufen in der Zentrale des Leichten Kreuzers überdeckt.
„Treffer auf BOMBAY mit Partikelwerfern!“, meldete Oberleutnant Raglund von der Ortung. „Schilde eins und zwei sind runter. Schiff rotiert um die Querachse, um die Heckschilde nach vorne zu bringen.“
„Kluge Entscheidung. So bringt er zwar die Waffen aus dem Spiel, aber er kann eh noch nicht schießen und erkauft sich so Zeit, die vorderen Bugschilde wieder aufzubauen“, kommentierte Arlene Schlüter fachmännisch. „Feuer auf die Zerstörer konzentrieren. Zweiten Torpedofächer abfeuern!“
Ein metallisches Raunen ging durch das Schiff, als ein weiterer Achterfächer der schweren Antischiffstorpedos auf die Reise gebracht wurde.
„Zwei und vier abgefangen“, kam die Meldung von der Ortung. „Eins, drei und fünf homen auf BOMBAY, sechs bis acht auf MIDWAY.“
„Wir können die Torpedos bis auf fünfhundert Kilometer vor dem Ziel umdirigieren, das macht sie so gefährlich. Natürlich können sie nur Manöver innerhalb ihrer beschränkten Möglichkeiten ausführen“, sagte Kapitänleutnant Lüding. Vom Tonfall klang es wie ein Selbstgespräch, aber Carrie war sich bewusst, dass er sie hatte informieren wollen. Mittlerweile hatten die Partikelwerfer das dritte Mal gefeuert und ein Begleitschiff der BOMBAY ihrer Schirme beraubt. Die FATHOM war für mehrere Sekunden schutzlos, aber die günstige Situation endete, bevor die Torpedos des zweiten Fächers heran waren oder ein Torpedo des ersten Fächers umdirigiert hatte werden können.
„Eins und fünf abgefangen, sieben und acht abgefangen. Drei schlägt auf BOMBAY auf. Sechs trifft MIDWAY.“
Im Hologramm vor Arling wurden die Explosionen als grelle Schraffur vor den Schiffen eingezeichnet. Die gigantischen Explosionen hatten der BOMBAY nun auch noch die Heckschilde gekostet, aber das Schiff begann sich bereits wieder zu drehen, um die wieder aufgebauten Bugschilde erneut ins Spiel zu bringen. Die Schirmstaffel der MIDWAY wurde geknackt, und der Kapitän drehte sein Schiff um die waagerechte Querachse, um die Breitseite und die dortigen Schilde ins Spiel zu bringen. Als im Hologramm weitere, aber kleinere Schraffuren auftauchten, wusste Carrie, dass Knights und Rüster nun einander beharkten. Außerdem würde es nun nicht mehr lange dauern, bis die Zerstörer zurückfeuern konnten.
„Kommodore“, rief Oberleutnant Raglund, „die MOSKWA ist kein Dunuesque, sondern ein Antigua. Sie haben versucht es mit einer Emissionsänderung zu kaschieren, aber wir haben das Schiff zweifelsfrei identifiziert.“
Arlings Miene verzog sich zu einem Lächeln. „Bringen Sie dreizehn und fünfzehn auf neuen Kurs auf die MOSKWA.“
Schlüter wiederholte den Befehl für die Waffenkontrolle, und in Arlings Hologramm veränderten sich zwei unauffällige Blips nach und nach im Kurs.
„Die Dunuesqe-Klasse ist die modernste Zerstörerklasse, die in Yura-Maynhaus in Dienst gestellt wird“, informierte sie Lüding erneut. „Die Antigua-Klasse hingegen ist ihr Vorläufer. Selbst nachgerüstet ist sie gut ein Viertel schwächer als die Schwesternschiffe der anderen Klasse.“
„Und genau deshalb nehmen wir sie jetzt auch zuerst aus dem Rennen“, erwiderte Schlüter. „Laserkanonen Feuer frei!“
Der Feind war nun nahe genug, um auch mit den schweren Lasergeschützen beschossen zu werden, und nun würde es nicht lange dauern, bis die ersten Fernreichweitenraketen und Torpedos abgeschossen werden würden. Doch bis dahin würde der republikanische Verband noch mächtig Prügel einstecken.
„Frontschirme der MOSKWA kollabieren! Dreizehn und fünfzehn homen! Treffer im Bug, und Treffer im Mittschiff!“ Aufgeregt sah Raglund zu Arling hoch. „Sir, zwei verifizierte Treffer!“
„Und das mit schweren Antischiffstorpedos. Die armen Teufel“, murmelte Schlüter leise.
„MOSKWA streicht den Transponder“, meldete Leutnant Turnau.
„Da haben wir also unseren ersten Abschuss“, kommentierte Arling trocken. „Und er wird nicht der letzte sein.“
***

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Das Cipangu-System war vor allem wegen der Hauptwelt B-King im Kaiserreich bekannt, da sich diese zentrumsnahe Handelswelt den Rang eines Wirtschaftszentrums erworben hatte. Weniger bekannt war, dass B-King mehrere Brüder hatte. Einen Sonnennahen Glutball namens Ryu, und eine Hochdruckwelt von halbem Ausmaß B-Kings namens Gaofeng. Auf der dem Systemrand zugewandten Seite folgten der Gasriese Pangandawu, welcher mit anderthalbfacher Jupitermasse der größte Planet im Umkreis von achtzehn Lichtjahren war, sein kleinerer Kollege Hongyuxing mit einem Drittel seiner Masse sowie die beiden Zwergwelten Airen und Zhu, die zwei Drittel, beziehungsweise die knappe Hälfte der Masse B-Kings ihr Eigen nannten. Dazu kamen noch fünf Kleinplaneten mit insgesamt einem Achte der Masse B-Kings, die auf chinesisch von eins bis fünf durchnummeriert waren. Yi, Liang, San, Si und Wu gesellten sich von der Größe her zu den gewaltigeren Monden von Airen und Zhu, hatten aber eigenständige Bahnen um Cipangu.
Insgesamt gab es nannte die blassgelbe Sonne sieben Planeten, fünf Kleinplaneten und achtundvierzig Monde ihr eigen. Und auch wenn B-King die Hauptwelt war, so hatten die findigen Cipanger auch für die anderen Planeten und Monde Verwendung gefunden, und sei es nur für prospektorische Tätigkeiten.
Doch dabei blieb es beileibe nicht, denn Gaofeng und Airen unterliefen gerade einen Terraformprozess, der zwei neue Sauerstoffwelten erschaffen würde und den Lebensraum im System verdoppeln würde. Das waren Projekte, die Gandolf selbst initiiert hatte, und er war sehr stolz auf den Fortschritt der Arbeiten. Doch um all das würde sich die nächste Generation kümmern müssen, denn das Ende des Projekts, inklusive der Erhöhung der Schwerkraft auf Normwerte, würde noch sechzig Jahre in Anspruch nehmen. Soviel Zeit hatte er einfach nicht mehr. Geschweige denn das Interesse, um sich mit dem Projekt zu beschäftigen.
Das würde Lebensraum für weitere Siebenhundertmillionen Menschen erschaffen und die Bevölkerungsentwicklung und den Zuzug von Migranten in das von eins Komma vier Milliarden Menschen bevölkerte System um drei Generationen erleichtern.

Durch eben dieses System zog gerade ein Schwerer Kreuzer, eines der letzten Schiffe seiner Art, in Richtung der Hauptwelt B-King. Von dieser Welt näherte sich ein Schwarm Knights, ausgerüstet mit Jetpacks für unterlichtschnelle Fernreisen, welche sie auch auf großen Distanzen genauso schnell machten wie auf Kurzstrecken.
Auf Höhe der Pangandawu-Bahn trafen sie zusammen, einundzwanzig Knights und der riesige Schwere Kreuzer.
Zwischen ihnen gab es keinen Funkkontakt, dennoch passten sie ihre Geschwindigkeiten aneinander an und veränderten ihre Positionen, relativ zu B-King gesehen, nicht mehr.
Natürlich wäre es dem Kreuzer ein Leichtes gewesen, seine eigenen zweihundert Knights auszuschleusen, das Feuer aus den Bordwaffen zu eröffnen oder einfach mit voll aufgespannten Schilden mitten durch die Phalanx hindurch zu preschen, immerhin war die PRAG eines der letzten Schweren Schiffe Katalauns. Ob es was bewirkt hätte, stand auf einem anderen Blatt, denn wenn das Militär einmal gut über die Miliz oder gar über die Garden eines planetaren Herzogs sprach, was ehrlich gesagt selten genug geschah, dann wurde mit Sicherheit der Name B-King erwähnt. Diesen einundzwanzig Maschinen war es durchaus zu zu trauen, es mit zweihundert Knights aufzunehmen, und vor allem der vorderste Knight, ein nachtschwarz lackierter Veteran, galt nicht umsonst als Legende, ebenso wie sein langjähriger Pilot.
Als die Reihen derart geklärt waren, nahm Herzog Gandolf von Beijing Kontakt mit der PRAG auf.
„General Kress. Unter normalen Umständen wäre es mir eine Freude, Sie im Cipangu-System begrüßen zu dürfen.“
Kress verzog die Miene wie unter Schmerzen. „Das wäre es normalerweise auch für mich, Zak.“
Die beiden Männer taxierten einander, bevor Kress erneut das Wort ergriff. „Zak, ich habe den Auftrag, Freddies Leichnam nach Montillon zu bringen.“
„Das wird nicht möglich sein. Gemäß seines letzten Willens wurde er vor gut einer Stunde eingeäschert. Die Asche selbst wird wohl gerade über dem Staringer Ozean verteilt.“
„Das ist nicht gut. Das ist gar nicht gut. Wenn ich den Leichnam nicht kriege, wenn ich nicht mal die Asche kriege...“ Ernst und eindringlich sah Kress den alten Mann an. „Mylord, in dem Fall muss ich Sie bitten, mich nach Sanssouci zu begleiten, um sich gegenüber der Kaiserin zu rechtfertigen.“
„Das muss ich ablehnen, und dies aus zwei Gründen. Erstens wurde ihr Amt von meinem Sohn angefochten, sie ist also gar nicht die Kaiserin. Zweitens hat sie in dieser Angelegenheit kein Bestimmungsrecht über mich. Allerdings war es eine Schande, dass sie ihren eigenen Vater nicht wenigstens einmal kondoliert hat, während er aufgebahrt war.“
Dieser Vorwurf schien Kress zu treffen wie ein körperlicher Schlag. „Die... Umstände waren ungewöhnlich schwierig. An manchen Tagen kam es mir so, als würde ich auf einem besetzten Planeten sein, und nicht auf der Hauptwelt Katalauns. Auch Elise... War in ihren Möglichkeiten sehr eingeengt und ist es noch immer.“ Er sah zu Boden, nur um mit neuem Feuer aufzuschauen. „Zak, wenn ich dir verspreche, dass ich persönlich für deine Sicherheit sorge und...“
„Nein, Sven.“
„Ich wusste, dass du das sagen würdest. Meine Befehle sind eindeutig. Ich werde Waffengewalt anordnen müssen.“
„Es gibt eine Alternative“, erwiderte Beijing ernst. „Du hast doch nicht wirklich gedacht, mit einem Schweren Kreuzer B-King erobern zu können. Und du hast doch sicherlich nicht geglaubt, ich würde freiwillig mitkommen?“
Bitterkeit schwang in seiner Stimme mit, als Kress antwortete. „Das ist es also. Du willst ein Duell. Ich... Ich wollte dir die Chance geben...“
„Und Elise damit ihren einzigen wirklichen Schutz entziehen? Sei nicht dumm, Sven. Komm lieber raus und lass es uns auskämpfen.“
„Meine Befehle lauten nicht, dich zu töten, Zak“, wandte der General ein.
„Du bist ein Angeber wenn du glaubst mich töten zu können. Und ein Idiot, wenn du glaubst, ich würde freiwillig mitkommen.“ Herzog Beijing lachte leise. „Du musst mich schon zwingen. Also schnappe dir Blutritter den Fünften, und stell dich meinem Dark Knight.“
„Hier? Mitten im Weltall?“
„Das ist mir tausendmal lieber als im Orbit von B-King zu kämpfen, Sven. Zuviel könnte dabei passieren.“
„Der Sieger kriegt alles?“, hakte er nach.
„Dem Sieger die Beute. Darauf hast du mein Wort als Gandolf Zachary von Beijing, junger Freund.“
„Also dann“, murmelte Sven Kress und deaktivierte die Verbindung wieder.
„Meinen Knight klar machen.“
Die Offiziere und Mannschaften der PRAG gehorchten ohne Einwand oder Widerspruch. Es war ein wahrer Glücksfall gewesen, dass Miranda von Hohenfels ausgerechnet dieses Schiff für seine Mission ausgewählt hatte. Wahrscheinlich, um Elise weiter zu verunsichern, aber für ihn bedeutete dies, das zuerst sein Befehl kam, und erst danach Anweisungen der Flottenchefin. Kress wusste diesen Umstand durchaus zu schätzen.
***
Als die drei nagelneuen Zerstörer, die Fregatten im Schlepp, in den Orbit um Vesuv einschwenkten und sich dem Pulk aus siebzehn Schiffen anpassten, neun Kampfschiffe, acht Whale-Frachter, eröffneten die katalaunischen Einheiten das Feuer mit ihren Lasergeschützen. Für jemanden, der diesen Anblick nicht gewohnt war, konnte es wie eine sehr kalte Dusche wirken. Für einen katalaunischen Raumsoldaten hingegen konnte es die Erfüllung eines Wunschtraums sein. Die Laserstrahlen waren stark defokussiert und nicht mehr als ein farbiger Lichtschauer, der zudem von den Computern der Schiffe auch noch in die Kamerabilder eingerechnet werden musste, und richteten zudem nur einen theoretischen Schaden an. Es war seit vierhundert Jahren Tradition, die sich Laserschauer nannte. Der damalige Kaiser, Robert der Zweite, hatte sein Bedauern darüber geäußert, nagelneue Schiffe in eine Schlacht werfen zu müssen und sich wenigstens Schrammen im Lack gewünscht. Seither wurden alle katalaunischen Schiffe mit Laserlicht getauft, und die Chance, bei einer solchen Taufe dabei zu sein, ja, sie selbst zu erleben, war eine eins zu zehn-Chance, und gerade deswegen ein unvergessliches Erlebnis.
Eleonor Rend erlebte es in wenigen Wochen nun schon das zweite Mal. Als die REDWOOD offiziell in Dienst gestellt worden war und aus der Werft gekommen war, hatte sie diese Laserdusche ebenfalls über sich ergehen lassen müssen. Aber es war ein wirklich erhebendes Gefühl, mit Laserlicht getauft zu werden, wenn man ein Schiff flog, das nach einer sehr guten Freundin und baldigen Verwandten benannt worden war.
In Rends Augen hatte Johann ausnahmsweise einmal politisch gehandelt, als er die neuen Zerstörer nach dem letzten Kaiser, dem jetzigen Kaiser und der Thronfolgerin benannt hatte, wenn man berücksichtigte, dass er Roberts Thronverzicht nicht akzeptiert hatte. Ein Votum für diese Personen, wofür sie standen und dafür was er vor hatte. Wobei die Idee, eines der Schiffe nach seinem Onkel Frederec zu benennen eindeutig in ihren Augen darauf abzielte, konservativ-gemäßigte Stimmen für sich einzunehmen.
Nach der Lasertaufe, die von Glückwünschen auf allen Frequenzen begleitet worden waren, gingen die drei neuen Zerstörer an ihren Fregatten längsseits. Immerhin waren die Kapitäne hastig aufgebrochen, um ihre Schiffe noch auf Oplontis übernehmen zu können, und nun sollten die restlichen Offiziere und Mannschaften sowie die persönliche Habe jener, die bereits mit an Bord gekommen waren, transferiert werden. Zudem würde noch einmal die gleiche Anzahl katalaunischer Freiwilliger an Bord kommen, um zumindest das Besatzungsminimum für Fernreisen zu erreichen, und Ellie bemühte schon seit einiger Zeit ihr militärisches Gehirn mit der Frage, wie sie aus den zusätzlichen Soldaten, die Han ursprünglich nach Oplontis geschickt hatte, zwei Dritteln ihrer alten Besatzung von der REDWOOD und einem gleich starken Kontingent an Milizionären und Veteranen eine Zerstörermannschaft formen sollte.
Diese Frage musste geklärt werden, und es lenkte sie davon ab, wie halsbrecherisch ihr Verlobter sein Leben aufs Spiel setzte.
„Ma´am, wir sind klar an der Schleuse“, meldete Oberleutnant Jeannette Rütli, ursprünglich die Zweite Offizierin der REDWOOD und verantwortlich für das Ruder und die Navigation. Als Eins O eines Zerstörers würde sie sehr schnell merken, das ihre Aufgaben sprunghaft zunehmen würden.
„Gut. Öffnen Sie die Schleuse.“
„Aye, Ma´am.“ Die dickliche Frau aus Französisch-Katalaun hatte enormes Lungenvolumen und keine Probleme damit, es einzusetzen. Ellie erinnerte sich an einen Eintrag in ihrer Dienstakte, die ihr voriger Kapitän unter Kommentare zur Beförderung geschrieben hatte: Kann die Kommunikation zwischen zwei Schiffen auch ohne Funkgerät aufrecht erhalten.
Ellie hatte keine Zweifel, dass die Stimme der großen Frau mit der samtbraunen Haut nun gerade auch in Hephaistos gehört werden konnte.
Das Schott fuhr auf und offenbarte ein zweites, das zur REDWOOD gehörte. Auch dieses fuhr auf, und sofort trat Oberleutnant Strater an der Spitze einer großen Gruppe von Offizieren und Unteroffizieren durch die Schleuse. „Bitte um Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen.“
„Erlaubnis erteilt, Conrad.“
Der schlanke Offizier salutierte knapp und machte dann, dass er aus dem Weg kam, damit sich ein Strom aus Personal und privater Habe in die ELISABETH ergießen konnte. Mit sicherem Blick erkannte Ellie viele neue Gesichter. Also hatte man die Katalauner bereits zugeteilt.
Soweit sie wusste, würden die Fregatten VERSAILLES und B-KING komplett von Veteranen und Milizionären übernommen werden. Allan Rochefort, den man unten in Hephaistos Admiral nannte und der den Widerstand gegen die Paktler anführte, würde die VERSAILLES übernehmen, sobald der letzte Evakuierungswillige den Planeten verlassen hatte, und ein weiterer Veteran, Sally Sands, war sicherlich gerade dabei, die B-KING in Beschlag zu nehmen. Beide waren erfahrene Raumoffiziere mit langjähriger Karriere, aber bei einem Alter von über einhundert Jahren hätte ihnen der Kaiser normalerweise kein Schiff gegeben. Aber sie alle mussten dankbar für diese Hilfe sein. Vor allem auch dafür, dass die gut zwanzigtausend Männer und Frauen mit Raumflugerfahrung garantiert ausreichten, um auch die Raumtransporter der Whale-Klasse zu bemannen und zu fliegen.
„Nun ist es doch anders gekommen, Conrad“, sagte Ellie unvermittelt.
„Ma´am?“
„Das mit dem Ersten Offizier. Nun habe ich Ihnen doch Rütli weg genommen und Sie müssen sich mit Steinhauer zufrieden geben.“
Strater nickte beiläufig. „Es wird schwierig, vor allem weil wir zwei Drittel neues Personal einarbeiten müssen, von denen manche zehn oder sogar zwanzig Jahre kein Kampfschiff von innen gesehen haben. Ich werde für die Sektoren, Aufgaben und Teilabschnitte Offiziere und Unteroffiziere unter ihnen benennen müssen, und ich kann die Reibereien mit den Offizieren schon voraus sehen, die dann mit ihnen auf einer Stufe stehen, aber Marine-Offiziere sind und deshalb glauben, ältere Rechte zu haben. Die REDWOOD wird Wochen brauchen, bis sie in einem Kampf mehr tun kann als Kurven fliegen und in einem moderaten Tempo zu feuern. Es ist wahrscheinlicher, dass die ELISABETH und ihre beiden Schwestern früher in Kämpfe verwickelt werden, deshalb war es die richtige Entscheidung, zwei Drittel der Besatzung auf den Zerstörer zu versetzen. Außerdem beklage ich mich nicht, Ma´am. Ich habe mein erstes Kommando, und ich bin irgendwie froh, dass es nicht irgendeine Prise ist, sondern ein Kriegsschiff, das auf dem neuesten Stand der Technik ist.“
„Apropos neues Kommando. Leutnant Rütli!“
„Ma´am?“
„Mit sofortiger Wirkung sind Sie Oberleutnant.“
Die dickliche Offizierin runzelte die Stirn. „Danke, Ma´am. Ich werde mein Bestes geben.“
Eleonor Rend stellte sich vor den größeren Strater und öffnete seine Tressen. Sie nahm ihm die Oberleutnantsabzeichen ab, und steckte die zwei Silbersterne ihrer Ersten Offizierin an. Dann klopfte sie Rütli anerkennend auf die Schulter. „Sehen Sie zu, dass da bald der dritte Silberstern hinzu kommt, Jeannette.“
„Ein Befehl, den ich gerne Folge leisten werde, Ma´am“, versprach die junge Frau grinsend.
Eleonor hielt dem konsternierten Strater zwei Tressen unter die Nase. Sie hatten drei Silbersterne. „Conrad, dies sind meine alten Abzeichen. Ich gebe sie Ihnen zu treuen Händen.“
Mit sichtlichen Zeichen der Rührung sah der Kapitän der REDWOOD dabei zu, wie Rütli und Rend ihm die Abzeichen ansteckten. „Danke, Ma´am. Ich weiß nicht, was ich sagen soll...“
„Danke war schon ein guter Anfang, Kapitän Strater.“ Ellie lächelte ihn freudig an und schlug ihm kräftig auf die Schulter. „Machen Sie mich stolz, Conrad, richtig stolz, und lassen Sie das nicht die letzte Beförderung sein.“
„Ich werde mir Mühe geben, Ellie“, erwiderte er geflüstert.
Sie zwinkerte ihm verschwörerisch zu und sah auf die gerade stockende Flut an Personal und Offizieren, die der schmucklosen Zeremonie wegen stehen geblieben waren.
Jemand stimmte ein Hurrah an, es wurde begeistert aufgenommen und war lauter und vor allem zahlreicher als die bei solchen Gelegenheiten üblichen drei Mal.
In diese Situation platzten die Lautsprecher der ELISABETH: „Achtung! Soeben hat die RHEINLAND die MOSKWA und kurz darauf die MIDWAY versenkt!“
Ellie fuhr ein Stich durchs Herz und die Schwäche durch die Beine, aber sie hielt sich aufrecht. Han kämpfte! Er war noch weit von einem Sieg entfernt, aber er kämpfte! Und seine Schläge lagen hart und präzise.
Eleonor Rend wusste, dass die ELISABETH, die FREDEREC und die ROBERT die nächste Linie bilden würden, falls die Republikaner durch brachen. Und das würde bedeuten, dass sie nicht wusste, was mit ihrem Verlobten war. Der Gedanke ließ sie schaudern.
„Genug gejubelt“, stellte sie fest, als das Glücksgeschrei nach und nach verstummt war. „Dieses Schiff wird bald in dem Kampf ziehen, und ich will nicht, dass wir der RHEINLAND und der STONEWALL nachstehen müssen!“
Ihre Worte lösten bestätigenden Jubel und große Hektik bei den Männern und Frauen aus, die an Bord kamen. Nun, zumindest über mangelnde Motivation konnte sie sich nicht beklagen.
***
„Schrader?“
Nervös zuckte Hauptmann Schrader zusammen, als ausgerechnet die Stimme von einer Ninja in seinem Helm aufklang. „Was kann ich für Sie tun, Major Russel?“
Hinter ihm verzeichnete der Seismograph kurzzeitige Aktivität mit Spitzen, die ihm nur zu bekannt waren. Ein Knight war aufgesetzt, und das sehr, sehr sanft.
„Major Madison wird in fünfzehn Minuten hier unten bei uns sein. Ich dachte, das wollten Sie hören. Außerdem dachte ich mir, ich leiste Ihnen ein wenig Gesellschaft. Ich habe meinen Knight lange nicht ausgeführt.“
Ein schneller Blick auf die Bildschirme offenbarte den nachtschwarz lackierten Ninja-Knight schräg rechts hinter ihm. Erneut zuckte Schrader zusammen. Eine Ninja zu hören war eine Sache. Sie direkt hinter sich zu haben eine andere. Allerdings wussten auch die Hydrae und Panzereinheiten vor ihm, was ein schwarzer Knight bedeutete, und eine sehr bedrohliche Anhäufung von Kampffahrzeugen begann sich hektisch zurück zu ziehen. Erleichtert atmete Theodor Schrader auf. Er hatte schon befürchtet, auf die armen Bastarde schießen zu müssen. Kaum war nämlich der Oberst im All und Madison auf Oplontis, hatten die Vesuv-Milizionäre Morgenluft gewittert und sich für die absolute Niederlage vor wenigen Stunden revanchieren wollen. Schrader hatte reagiert, indem er Panzer und Miliz-Knights hinter sich zusammen gezogen hatte, in der Hoffnung, den Gegner abzuschrecken, denn jeder Tote auf diesem Schlachtfeld würde ihm auf der Seele lasten, und er war ein guter, ein verdammt guter Knight-Pilot, sonst wäre er nicht zusammen mit seinen Vorgesetzten befördert worden, vom Leutnant zum Hauptmann. Und er hätte bewiesen wie gut er war und wie perfekt er eine Formation anleiten konnte. Und er hätte den Paktlern eine zweite blutige Nase verpasst. Das hatte sich nun alles erledigt.
„Das ist eine gute Neuigkeit, Major. Und ich bin äußerst dankbar für Ihre Gesellschaft.“
„Na, das hört ein Mädchen doch gerne“, scherzte die Ninja, und Theodor Schrader fühlte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss.
„So habe ich das nicht gemeint, Ma´am!“
„Nicht? Das ist aber sehr schade, Hauptmann. Es wäre ein schönes Kompliment gewesen, von einem der besten Knight-Kommandeure der Flotte für seine Gesellschaft gelobt zu werden. Allgemein sind reguläre Offiziere und Mannschaften Ninjas gegenüber etwas... Kühl eingestellt. Zumindest wenn wir uns blicken lassen. Das kommt selten genug vor, bedeutet aber nicht, dass wir nicht da wären.“
„Ich bin äußerst dankbar für Ihre Anwesenheit, Ma´am, denn die hat einen sinnlosen Kampf verhindert. Und ich versichere Ihnen, meine Reaktion auf einen Ninja beschränkt sich auf einen kalten Schauder, der meinen Rücken hinabgeht und wieder rauf klettert. Ansonsten ist meinen Worten nichts hinzu zu fügen, außer vielleicht, dass ich Ihre bisherige Arbeit schätze, Ma´am.“
„Bleiben Sie gelassen, mein Junge. Ich nehme Sie nur hoch“, erwiderte Russel lachend. „Das nennt sich Vorgesetztensadismus, hat mir Han erklärt. Ich meine, Kommodore Arling. Man nutzt seine Position ein wenig aus und neckt seine Untergebenen etwas. Und schon kommt man besser miteinander aus. Falls man nicht zu viel Angst vor der großen bösen Ninja hat.“
„Reihen Sie mich da bitte nahtlos ein“, erwiderte Schrader ernst. „Aber fügen Sie auch gleich an, dass ich größten Respekt vor dem habe, was ein Ninja leisten muss. Knight-Ausbildung, Infanterie-Ausbildung, Schleichkampfausbildung, Decksoffizierausbildung... Ninjas müssen Genies sein, wenn sie das was ich erreicht habe, in der gleichen Zeit in vier Disziplinen schaffen.“
„Sie kriegen einen Punkt für Ihre Ehrlichkeit, mein Junge. Und wenn Sie Glück haben, ist vielleicht sogar noch ein Abendessen drin für Sie.“
„Immerhin“, kommentierte der Hauptmann.

Ein derber Laut von Russel ließ ihn aufhorchen. Er checkte seine Anzeigen und erkannte einen Pulk Hydrae, die von Süden heranzogen.
„Gehen Sie auf Zoom und sehen Sie sich die Tags an, Schrader“, empfahl Russel ernst.
„Das sind keine Miliz-Truppen, sondern Streitkräfte der Planetaren Regierung. Und irgendwie glaube ich nicht, dass sie zum spielen herüber kommen.“
„Jetzt könnten wir Jaime hier sehr gut gebrauchen. Denn irgendwie habe ich was dagegen, eine Elite-Truppe nach Hephaistos zu locken und die Sache von Oberst Ganth mit ein paar geschickten Hinterhalten regeln zu lassen, während sich die Stadt gerade erst leert.“
„Ich hoffe, du bist ein gläubiger Mensch, Theo, denn deine Gebete wurden erhört“, klang nun die Stimme von Major Madison im Funk auf.
Direkt vor ihm setzte ein mattgrau lackierter Knight auf. Die Rückenbemalung wies einen goldenen Pin auf, das Zeichen für Major, und auch ohne diesen diskreten Hinweis hätte Schrader den Knight des stellvertretenden Regimentschefs erkannt.
„Du kommst genau rechtzeitig. Aber ist das nicht eigentlich der Job von Lucky Charly? Als strahlender Held in letzter Minute zu erscheinen?“, scherzte Schrader.
„Er ist leider etwas zu weit entfernt, um jetzt noch einzugreifen, Theo. Also gönne mir meinen Auftritt“, erwiderte Madison. „Übrigens, die Garde zieht aus allen Himmelsrichtungen heran. Wir sind umzingelt.“
„Na und?“ Russels Stimme klang klar, und sogar ein wenig belustigt. „Erstens haben wir so in jeder Richtung Ziele, auf die wir schießen können, und zweitens wollen wir sowieso nach oben, oder? Und es wäre mir neu, dass die Garde diese Richtung auch schon blockiert hat.“
„Ihr Wort in Arlings Ohr, Russel“, erwiderte Madison. „Frontabschnitt her gehört. Störangriffe mit Knights auf Miliz und Garde, schneller Anflug, danach sofortiger Rückzug. Die Zeit für Spiele ist vorbei.“
Schrader bestätigte wie die anderen Piloten. Dann fügte er hinzu: „Schießt ihnen Beine und Arme weg. Ein paar Milizionäre, die zu Tode erschrocken aus ihren zerstörten Hydrae kriechen, werden Verwirrung und Angst in ihre Reihen pflanzen.“
„Gute Idee“, murmelte Madison. „Nur bei der Garde wird das nicht funktionieren.“
Nein, sicher nicht bei der Garde, ging es Schrader durch den Kopf, während sein Knight abhob und genau auf diese Garde zu hielt.
***
Johann Armin Arling nahm erleichtert zu Kenntnis, dass die Schirmbelastung sprunghaft in die Höhe schnellte, als die Zerstörer der Republikaner endlich Waffenreichweite erreicht hatten. Denn das bedeutete auch, dass die STONEWALL ebenfalls feuern konnte, außerdem hieß das, die Knights würden nun auf die Rüster prallen.
Sie hatten Glück gehabt, unglaubliches Glück, und zwei der Zerstörer ausgeschaltet, ohne eigene Schäden zu verzeichnen, aber jede Glückssträhne endete einmal.
Ihre endete jetzt.
„Gerry, wir konzentrieren das Torpedofeuer auf die MILANO“, sagte Arling leise.
Der Kapitän der STONEWALL bestätigte, und auch Schlüter setzte die leise Anweisung in die Tat um. Lifurt nahm mit Sicherheit an, dass das Feuer auf sein Flaggschiff weiter verstärkt werden würde, sobald die BOMBAY nahe genug heran gerückt war.
Arling tat ihm diesen Gefallen mit den Laserkanonen und den Partikelwerfern, unterstützt von den schweren Waffen seines eigenen Zerstörers, aber es konnte nicht schaden, einen dritten Zerstörer auszulöschen, solange ihre Waffen noch feuerten.
„Ich verstehe dich nicht, Han“, merkte eine Stimme neben ihm an.
Der Graf wandte sich zur Seite und sah der Nymphe in die erstaunt aufgerissenen Augen.
„Warum gibst du einen so offensichtlichen Gefechtsvorteil auf? Warum lässt du dich einholen, anstatt den Abstand zu wahren und den Gegner weiterhin mit deinen weit reichenden Waffen zu beschießen? Auch wenn der Effekt nicht so durchschlagend wie eine ganze Breitseite der RHEINLAND ist, so bedeutet der Einsatz deiner mittelschweren Waffen doch auch, dass die feindlichen Zerstörer dich beschießen können. Was sie gerade auch tun“, sagte Nyhartes Daiana Nissos mit einem kurzen Blick auf Arlings Schirmanzeigen der RHEINLAND, die unter dem Beschuss schrumpfende Energiewerte verzeichnete.
„Dafür gibt es mehrere Gründe“, erwiderte Arling und markierte den Zerstörer CIRRAN für einen Torpedobeschuss. „Der wichtigste Grund ist zweifellos, das wir zwar vor den Zerstörern und Fregatten her fliegen können, aber nicht für die Ewigkeit. Beide Schiffsklassen sind schneller als die RHEINLAND und würden uns einholen. Das gleiche Spiel würde dann mit den Fregatten und der STONEWALL passieren.“
„Ich verstehe. Und was ist der wahre Grund?“
Arling schenkte der Nymphe einen anerkennenden Blick. „Für ein sphärisches Wesen, das sich vom Treiben der Sterblichen nicht beeindrucken lässt, hast du ein gutes Gespür für den Fluss eines Gefechts, Nyhartes.“
Die Nymphe, nun beinahe körperlich, lächelte mit ihren wunderschönen Gesichtszügen. „Auch wenn man kein Interesse an den Kriegen der Menschen hat, so kann man nicht umhin, sie zu bemerken und zu erleben. Und zwangsläufig lernt man dabei.“
„Und was ist mein wahrer Grund?“
Die Nymphe sah zu Carrie Rodriguez herüber, die schon seit der Ankunft der Nymphe eine Kamera auf sie gerichtet hielt. „Ist es in Ordnung, Hannes?“, fragte das sphärische Wesen. „Reicht die Zeit?“
„Die Zeit reicht“, erwiderte der Kommodore und wusste, dass die Nymphe seine Strategie durchschaut hatte, wenn sie sich auf die fünfminütige Verzögerung bei der Live-Berichterstattung bezog.
Carrie verzog bei diesen Worten empört die Mundwinkel, aber nur ganz kurz. Dann konzentrierte sie sich wieder voll und ganz auf das Gespräch.
„Du bist an den Feind heran geflogen, hast die RHEINLAND und die STONEWALL auf deren Kurs gebracht und wieder beschleunigt, um in die selbe Richtung zu fliegen und somit das Fenster für die Kampfhandlungen länger offen zu halten. Als du aber auf dem neuen Kurs beschleunigt hast, hast du Minen ausgestreut. Minen, auf die die Republikaner nicht achten, weil du sie ablenkst. Minen, auf die sie in weniger als vier Minuten auflaufen werden.“
Arling lächelte dünn. Er konnte nur hoffen, dass die Nymphe ihn besser durchschaute als der gegnerische Admiral. „Zehn Sekunden“, korrigierte er Nyhartes.
Carrie atmete erschrocken aus. Dann rief sie Spence ein paar Anweisungen zu, und nun verfolgten er und die zweite fliegende Kamera direkt die Ortungsholos. Die schnelle Reaktion wurde belohnt, als der Computer die Schraffuren von Explosionen einzeichnete. Daraufhin verschwanden zwei Kontakte vom Bildschirm, beides Fregatten.
Johann Arling stieß zischend die Luft zwischen den Zähnen aus. „Soviel zum Überraschungsmoment. Ich hätte mir gewünscht, dass die Minen effektiver arbeiten. Jetzt sind sie leider gewarnt.“
Schlüter runzelte die Stirn, als sie das hörte. Zwar hatten sie mit der Versenkung der beiden Fregatten bereits fünf feindliche Kriegsschiffe ausgeschaltet, davon drei Zerstörer, aber es reichte noch nicht, um den Gegner mit blutiger Nase nach Hause zu schicken. Das Ziel waren mindestens acht Kampfschiffe, davon mindestens fünf Zerstörer. Schafften sie das nicht, dann würden RHEINLAND und STONEWALL lange Zeit unter dem Feuer der Republikaner liegen, die Fregatten würden sie überholen und die Kampfschiffe angreifen, die im Orbit gerade erst Ordnung an Bord erstellen mussten.
Weitere Minenexplosionen wurden eingezeichnet, aber sie richten weit weniger Schäden an als der Beschuss durch die katalaunischen Kriegsschiffe. Als unerwarteter, aber willkommener Nebeneffekt reduzierten sich die Rüster erheblich, ungefähr drei Minuten, bevor Charles auf Nahkampfreichweite heran war.
Nervös tippte Johann Arling mit dem rechten Zeigefinger auf seine Sessellehne. Der Gegner erwiderte das Feuer, war aber nicht in der Lage, die Schilde der RHEINLAND zu durchdringen. Noch nicht. Sobald die Fregatten eingreifen konnten, und das würden sie, musste auch der Kreuzer seine Schilde schonen, das Schiff rotieren lassen und damit leider auch die Hauptbewaffnung. Das gleiche stand Gerry und der STONEWALL bevor. Ein rotierendes Schiff war meistens ein geschütztes Schiff, aber es hatte auch weniger Zähne zur Verfügung.
„Wie hoch sind die Gesamtschäden am gegnerischen Verband?“
„Weit unter den Erwartungen. Die Gesamtbeschädigung ist prozentual zu unausgeglichen, weil wir uns zu sehr auf die Abschüsse der Zerstörer konzentriert haben“, erwiderte Schlüter ernst. „Und wir haben uns mehr von den Minenfeldern erhofft.“
Arling grinste wild. „Entweder schwäche alle und zermürbe sie oder vernichte einige und demoralisiere sie.“
„Das Credo der zahlenmäßig unterlegenen Verteidiger. Hat heute aber noch nicht funktioniert“, stellte Schlüter fest.
Arling gab sich einen Ruck. „Ich will die BOMBAY. Wenn wir ihr Flaggschiff vernichten, verschwinden sie vielleicht. Bremsmanöver, Kapitän Schlüter.“
„Aye, Aye, Sir. Klar Schiff zum Bremsmanöver! Wir gehen ein wenig näher auf Tuchfühlung mit den Republikanern!“
Die Besatzung der Zentrale bestätigte die Worte ihrer Kapitänin entschlossen.
„Han, was tust du da? Ich halte das für keine gute Idee! Bleibe lieber so lange es geht aus der Reichweite der Fregatten raus!“, meldete sich Rössing zu Wort.
„Keine Sorge, ich will mir nur die BOMBAY holen“, erwiderte der Kommodore gelassen.
„Jeder Kilometer, den du jetzt verlierst, werden fünfzig Kilometer beim langen Rückmarsch nach Vesuv“, mahnte Rössing. „So war das nicht geplant.“
„Bleibe auf deinem Kurs und gib mir Unterstützungsfeuer, Gerry“, sagte Arling ruhig. „Die Republikaner haben eben ein wenig Glück mit ihren Schäden gehabt, und jetzt werde ich Nägel mit Köpfen machen.“
„Bist du dir sicher, dass du das tun und dein Leben riskieren willst?“, fragte die Nymphe erstaunt. „Es ist nicht gesagt, dass deine Gegner beidrehen, wenn sie ihr Flaggschiff verlieren. Im Gegenteil, was Gerard Rössing sagt ist richtig. Du gibst deinem Gegner noch mehr Zeit, um dich zu beschießen. Dies ist ein Leichter Kreuzer. Sicherlich ein Gigant, aber viele Hunde töten den Bären.“
„Nette Metapher“, erwiderte Arling.
Die Nymphe lächelte mit schmalen Lippen. „Ich habe mich immer gefragt, was Bären sind. Vielleicht erhalte ich darauf heute eine Antwort. Aber willst du wirklich alles riskieren? Deine Karriere? Deine Liebe? Die Evakuierung? Das Kaiserreich?“
Arling lachte auf und war dankbar dafür, dass er im Moment auf dem Admiralssitz saß. Das bedeutete, dass er für dieses Gespräch Aufmerksamkeit erübrigen konnte, während Arlene an seiner Stelle das Schiff führte und für ihn kämpfte. Ziemlich gut sogar, wie er bemerkte, als eine Fregatte des Gegners beschädigt aus dem Kurs ausscherte, die HARRISON.
„Es ist nicht so als würde ich alles riskieren wollen, aber ich muss. Wenn ich es nicht schaffe, meinen Kameraden im Orbit um Vesuv Zeit zu erkaufen, gefährde ich die Evakuierung. Wenn ich es gestatte, dass meine Gegner selbst den Orbit erreichen, steht Coryn vor der Frage, ob er auf Landsleute schießen lassen muss oder nicht. Das wird seine Truppe zerreißen. Es ist schon schlimm genug, dass die RHEINLAND Schiff auf Schiff versenkt. Ein Orbit im Chaos gefährdet die Whale-Transporter, gefährdet die Evakuierung, gefährdet dieses fragile, verletzliche Ding, welches meinen Plan darstellt. Wir mussten schon so oft improvisieren, seit wir die Diadochen betreten haben, und jetzt improvisiere ich wieder. Um das Kaiserreich musst du dir keine Sorgen machen, Nyhartes. Ich habe noch zwei Neffen und einen Großneffen, die an meine Stelle treten werden. Sie kennen ihre Pflicht, falls ich hier sterben sollte. Und auch Ellie kennt ihre Pflicht. Sie...“ Arlings Hände krampften unsicher. Verblüfft betrachtete er sie. „Ich werde nicht hier sterben, und ich werde Ellie nicht traurig machen! Bestimmt nicht!“, presste er hervor.
Auf den Anzeigen, die ihn umgaben, prangten aber überdeutlich noch zwölf Kampfschiffe, fünf davon Zerstörer. Bisher hatten sie viel Glück gehabt, das war Arling klar. Glück, Können und überlegenes Material.
***
Wenn zwei Flotten aufeinander prallten, flogen sie im Idealfall aufeinander zu, die Knights und gegnerischen Kampfroboter drosselten auf Kampfgeschwindigkeit und umschwirrten einander im tödlichen Hagel ihrer Waffen. Währenddessen passierten sich die Schiffe und traten gegebenenfalls ein zweites oder drittes Mal gegeneinander an. Die Knights kämpften dann noch immer. Waren die gegnerischen Kampfroboter niedergekämpft, attackierten sie die Schiffe, und dies oftmals mit Erfolg. Charles Monterney lachte rau auf. Dieses Mal würde es nicht viel anders sein, abgesehen davon, dass sie Gefahr drohten, von der gegnerischen Flotte umgeben zu werden, ohne dass die katalaunischen Großkampfschiffe eingreifen konnten. Deshalb hatte er sich dazu entschlossen, nach dem ersten Schlagabtausch mit den Rüstern wieder auf die RHEINLAND zu zu halten, wieder anzugreifen und erneut zurück zu fliegen. Damit hoffte er, die Distanz zur republikanischen Flotte aufrecht erhalten zu können.
Wenn die großen Jungs nicht zum spielen mitkamen, konnte man sich schnell verzetteln und Kräften gegenüberstehen, gegen die man nicht gewinnen konnte.
Den ersten Schlag dieser Art führte Lucky Charly kurz nach der Explosion der Minen. Er war recht erfolgreich, vor allem weil etliche Rüster bereits durch die Minen angeschlagen waren. Aber er war kein Killer und begnügte sich damit, den Maschinen den Rest zu geben, nicht den Piloten.
Den zweiten Schlag bereitete er gerade vor. „Die RHEINLAND bremst! Wir sollen einen Pfad frei machen!“
Überrascht überprüfte der Oberst seine Anzeigen und die schriftlichen Befehle der Koordinatoren. Tatsächlich. Ein Waffenkorridor für die Primärwaffen der RHEINLAND sollte frei gehalten werden. Das Schiff selbst feuerte seine Triebwerke, die in Flugrichtung zeigten und verzögerten den Koloss. „Bestätigt! Raus aus den Feuerkorridoren! Und seht zu, dass eure Transponder funktionieren. Es gibt nichts schlimmeres, als von den eigenen Leuten abgeschossen zu werden, weil sie wegen einem Stück Technik nicht in der Lage sind, dich zu identifizieren.“
Bestätigungen trafen ein. Seine Knights machten den Weg frei. „Han“, murmelte er mehr zu sich selbst, „ich hoffe du weißt was du tust. Waghalsigkeit ist eigentlich mein Job, nicht deiner.“
***
Wenn sich zwei Knights duellierten, bekam man normalerweise einen Fernkampf oder einen Nahkampf zu sehen. Jeder Pilot hatte eigene Eigenschaften, Interessen, Vorlieben oder war in manchen Dingen besser als in anderen. Manche mochten Partikelwaffen, manche Raketen. Einige trugen Schwerter, andere Äxte. Diese Piloten hatten nicht unbedingt die Chance, zu den einhundert besten Knight-Piloten Katalauns aufzusteigen. Denn wenngleich sie in ihren Vorlieben gut waren, gab es immer noch Gegner, die in ihren eigenen Disziplinen besser waren und sie vernichteten.
Ein wirklich guter Top einhundert-Pilot zeichnete sich nicht unbedingt dadurch aus, dass er universell einsetzbar war und dass seine Fernkampffähigkeiten und seine Nahkampfqualitäten einander in nichts nach standen. Nein, sein Stärke war es, dem Gegner seinen Lieblingskampfstil aufzuzwingen und dadurch zu siegen.
Und dann gab es noch die Top Ten, die Besten der Besten, die Creme der Piloten Katalauns. Die konnten alles und beherrschten jede Waffe, oder hatten zu schnell gewonnen, um mangelnde Flexibilität in der Waffenbeherrschung zu einem Fehler werden zu lassen.
Die beiden Piloten, die sich im Front der PRAG ein Duell lieferten, schenkten sich nichts. Nahangriff, Fernkampf, Taktieren, Schwertkampf, sie beherrschten ihr Metier bis zur Perfektion.
Als das Duell beginnen sollte, hatten sich beide Knights in der errechneten Mitte zwischen der PRAG und der Garde des Herzogs getroffen. Sie hatten die Spitzen ihrer Excalibur-Schwertklingen aneinander gehalten und sich minutenlang nicht bewegt. Erst als Pangandawu einen Schimmer von Cipangu passieren ließ, der dem Herzog in die Augen schien, begann das Duell, welches nun schon seit einer Stunde tobte.
Jeder, der dabei war, schwor sich selbst, keine Bewegung, keinen Schuss und keinen Schwertstreich jemals wieder zu vergessen, denn was sie sahen war wahre Meisterschaft. Die beiden besten Piloten Katalauns duellierten sich ernsthaft und bis aufs Blut miteinander. Dabei legten sie eine Geschicklichkeit, eine Grazie an den Tag, die diesen Kampf wie ein wohl choreographiertes Balett anmuten ließ.
Sie gingen auf Distanz, beschossen einander mit weit reichenden Waffen, tanzten diese Waffenstrahlen und Raketen aus oder wurden marginal getroffen. Dann beschleunigten sie wieder, trafen sich für einen heftigen Schlag, während sie einander passierten und verließen die Reichweite des anderen wieder, nur um sich an anderer Stelle erneut zu treffen. Es kam auch vor, dass sie sich zu einem Schwertduell trafen, das anmutete, als würden beide Knights Menschen in einer Trainingshalle mitten in der Schwerelosigkeit sein, die sich mit Anmut, Geschicklichkeit und unerschöpflicher Kraft bewegten. Wäre der Anlass nicht so ein schrecklicher gewesen, man hätte den Kampf zwischen zwei unglaublichen Meistern genießen können.
Während des gesamten Kampfs schwiegen die beiden Piloten. Nein, die beiden Ritter, denn das waren sie.
Wieder und wieder trafen sie sich, hieben nacheinander und wurden mit kleineren Beschädigungen beim Gegner entlohnt. Und doch hatte niemand wirklich einen Vorteil. Sie waren einander ebenbürtig. Zwei vollendete Meister auf dem Höhepunkt ihres Könnens.
Endlich meldete sich Gandolf von Beijing bei seinem Kontrahenten. „Sven, ich kann bald nicht mehr.“
„Mylord, es ist noch nicht zu spät, zur Befragung mitzukommen und...“, begann Kress, aber er wusste, dass seine Worte vergebens waren.
„Nein!“, widersprach der Herzog energisch. „Ich werde nicht nachgeben! Mich lebend nach Sanssouci zu bringen würde nur den Druck auf Elise erhöhen und Cipangu zu einem Pfand gegen meinen Sohn machen. Ich wusste, das ich dieses Duell nicht gewinnen würde, und ich wusste, dass ich die Konsequenzen zu tragen habe. Ich muss meinen Weg gehen, bis zu diesem Punkt.“
„Mylord, es gibt bestimmt eine andere Lösung!“ Entsetzt ließ Sven seinen Knight inne halten. „Verdammt, Zak, vernichte meinen Knight und...“
„Ich danke dir für das Angebot, aber genauso wenig kann ich Elise das wenige nehmen, was ihr Rückhalt in dieser Welt gibt. Du musst zurückkehren und helfen sie zu beschützen, Sven.“
Auch der Herzog hatte nun gestoppt. Langsam hob sein Knight die Klinge, richtete sie zu einem Karatake aus, einem Schlag von oben.
Kress reagierte automatisch und nahm Abwehrhaltung ein. „Es gibt eine andere Lösung, Zak! Es muss eine andere Lösung geben!“
„Höre auf zu jammern wie ein Feigling. Ich hatte ein gutes Leben, und mein Sohn und seine Enkel werden mein Werk fortsetzen. Aber jetzt und hier wirst du deine eigene Pflicht tun und einen Kaiser krönen.“
Langsam driftete Blutritter in Richtung der PRAG zurück. Noch immer war die Waffe in Abwehrhaltung, aber Kress versuchte erneut den Herzog zu beschwichtigen. „Zak, verdammt, das kannst du mir nicht antun!“
„Ich kann es und ich werde es! Du hast das Duell akzeptiert, und jetzt stehe zu deiner Pflicht!“
Der Dark Knight, der langjährige Kampfroboter des Herzogs, ließ die Düsen aufleuchten, die Maschine machte einen Satz nach vorne und prallte auf Blutritter.

Sven Kress fühlte, wie der Schmerz in seinen Eingeweiden wühlte. Er spürte sein Herz stocken und seine Hände krampfen. Er hustete, übergab sich beinahe und fühlte wie das Leben aus ihm zu schwinden drohte. Nur zögerlich richtete er den Blick auf den Bildschirm, der ihm einen quer geteilten Knight zeigte. Die Trennnaht, die sein Excaliburschwert verursacht hatte, lag auf Höhe des Cockpits. Kleine rote Fladen aus Blut und Schmierflüssigkeit breiteten sich von der Schnittstelle aus und glitzerten in Cipangus Licht.
Verzweifelt sah Kress, dass die Hände von Dark Knight leer waren. Das Excalibur-Schwert des Herzogs taumelte weit von ihm entfernt durch das All. Zachary hatte ihn ohne Waffe attackiert. Für eine Sekunde wusste der General nicht, ob er überlebt hätte, wenn der Herzog bewaffnet geblieben wäre. „Verdammt, Zak“, brachte er mühsam hervor, denn seine Kehle hatte sich schmerzhaft zugezogen. „Zak, was soll ich jetzt deinem Sohn sagen?“
„Sage ihm, du warst mein Freund. Er wird es verstehen.“
Überrascht sah Kress auf. „Zak?“ Er kontrollierte seine Anzeigen, aber das Funkprotokoll verzeichnete keinen Eingang seit ihrem letzten Schlagabtausch.
„Und, Sven, danke für das was du getan hast, und danke für das was du tun wirst.“
„Zak? Bist du hier? Zak? Du kannst uns doch nicht allein lassen! Tue mir das nicht an, alter Freund! Zak!“
„General Kress!“, klang die Stimme von Oberst Stahl in seinem Helm auf. „Wenn Sie es gestatten, berge ich die sterblichen Überreste von Herzog Gandolf Zachary von Beijing.“
„Natürlich“, sagte Sven Kress tonlos. Langsam fasste er sich. Er musste sich die Stimme in der Verzweiflung über Zaks Tod eingebildet haben. „Ich habe keine Befehle, ihn tot nach Montillon zu schaffen.“
„Ich danke Ihnen dafür. Ganz B-King dankt Ihnen für Ihre Großzügigkeit, General Kress. Wenn Sie es wünschen, kommen Sie nach Arling und ruhen Sie sich etwas aus.“
„Ich habe gerade Ihren Herzog getötet“, brachte Kress mühsam hervor.
„Ja, das haben Sie. Aber Sie haben es im besten Kampf getan, den ich jemals gesehen habe. Und Zachary hat eindeutige Anweisungen für diesen Fall gegeben... Eigentlich wusste ich, wie er diesen Kampf ausgehen lassen wollte, aber ich konnte nicht gegen seine Entscheidung angehen.“
„Er war mein Freund, Jeremy.“ Eine Flut von Tränen schnürte ihm wieder die Kehle ab. „Er war mein Freund.“
„Ja. Ich weiß“, erwiderte der Oberst der Miliz leise gehaucht. Sein eigener Knight kam näher und sammelte die taumelnden Hälften des Dark Knight ein. Als er die beiden Hälften des menschenähnlichen Kampfroboters zwischen den anderen Knights der Miliz hindurch zog, bildeten die Piloten ein Spalier und hoben ihre Waffen zum stummen Salut ihres Herzogs.
„Also, Sven, wollen Sie nun mitkommen oder nicht, wenn ich Takeru, Richard und Michael die schlechte Nachricht bringe? Besonders Takeru wird es nicht gefallen.“
„Ich kann es ihm nicht verdenken. Er wird Herzog.“
Jeremy Stahl lachte kurz und leise. „Sven, sind Sie senil im Flottendienst geworden? Johann ist jetzt Herzog von Beijing! Takeru wird drei Kreuze schlagen, solange er weiß, dass dieser Kelch an ihm vorüber gegangen ist!“ Stahl schwieg eine lange Zeit, und Kress bemerkte gar nicht, dass er nach und nach in die Prozession der Knights hinein driftete, um dem Herzog zu folgen.
„Dieser Kampf war spektakulär. Ein würdiges Ende für einen großen Mann. Die Aufzeichnungen werden die eine Hälfte Katalauns begeistern und die andere entsetzen“, sinnierte Jeremy Stahl. Seine Stimme klang ruhig und überlegt, aber Kress wusste, dass der Oberst mit seiner Fassung rang. Auch er hatte heute einen Freund auf dem Altar der Politik verloren.
„Einen gibt es vielleicht, der so gut wie Zak sein kann“, erwiderte Kress. Kurz darauf nahm er mit der PRAG Kontakt auf und befahl volles Ehrengeleit für Gandolf Zachary von Beijings Leichnam. Die Mannschaft der PRAG paradierte den Zug der Leibgardisten mit ihrem Schiff, allen einhundertvierzig Knights und sämtlichen Beibooten.
***
Im Stabiae-System bekam Oberst Monterney einen Niesanfall, zerriss den Anflugvektor und entging so drei Strahlbahnen, die ihn ansonsten getroffen hätten. „Muss wohl einer an mich denken“, murmelte er und stellte dankbar fest, dass der Nahkampf beginnen konnte. Wobei... Er war sicherlich der einzige Knight-Pilot des Universums, der Distanzen bis zu drei Kilometer noch als Nahkampf bezeichnete. Er ließ den Knight einen Stahlstift aus dem Futteral am Bein ziehen und werfen. Exakt zwei Komma acht Kilometer entfernt bohrte sich das Metallstück mit Brachialgewalt in den portablen Partikelwerfers eines Rüsters, explodierte und schleuderte den schwereren Kampfroboter herum. Statt triumphierend aufzuschreien suchte sich Charles lieber das nächste Ziel.
„Die BOMBAY sinkt!“, gellte ein triumphierender Ruf in der Kommunikation auf. Charles checkte seine Anzeigen und sah, dass der Zerstörer von mehreren Explosionsschraffierungen umgeben war. Was daraus hervor kam, war ein brennendes Wrack.
„Jetzt müssen sie abdrehen! Sie müssen“, murmelte er wütend.
„Feindflotte hält weiter den Kurs“, erreichte ihn eine zweite Meldung.
Mit einem Fluch auf den Lippen passierte er einen weiteren Rüster. Die Schüsse des anderen ließen seinen Schirm aufleuchten, stellten aber keine Bedrohung dar. Mit seiner Axt trennte Charly den Sensorkopf vom Torso und machte den Rüster damit quasi blind. Das war nicht gut, das war gar nicht gut. Und er konnte sich genau denken, was Han als nächstes tun würde. Das war etwas, was ihm überhaupt nicht gefallen wollte. „Vom Gegner lösen! Hier kommt bald die RHEINLAND vorbei, und dann sollten wir nicht im Wege herumfliegen“, rief er seinen Leuten zu.
Er kontrollierte seine Ortungen und sah tatsächlich, dass die RHEINLAND weiter Fahrt reduzierte, um dem Gegner noch schneller noch näher zu kommen. Es war nicht geplant gewesen, dass sich der Leichte Kreuzer dem Feuer all seiner Gegner so weit von Vesuv entfernt aussetzen würde.
„Hoffentlich geht das gut“, murmelte Charly mit Entsetzen in der Stimme. „Hoffentlich geht das gut.“
***
Während die STONEWALL weiterhin auf Distanz blieb und die nachfolgenden Schiffe mit Feuer eindeckte, gelang ihr der erste Abschuss mit der Fregatte AQUILA. Darüber hinaus gelang es Kapitän Rössing, die Fregatte LUXEMBURG ernsthaft anzuschlagen.Das Schiff drehte schwer beschädigt ab und schlich brennend vom Kampfgeschehen fort.
Die RHEINLAND hingegen kam der Front der verfolgenden Schiffe näher und näher, und das Feuer der nachfolgenden Einheiten konzentrierte sich mehr und mehr auf den Leichten Kreuzer. Dem Trommelfeuer der verbliebenen acht Schiffe vereinigte sich auf dem Bug und brachte die Schirme ernsthaft in Bedrängnis. Arling ließ rotieren und brachte die Backbordseite zum Bug, bevor alle drei Bugschirme durchschlagen werden konnten. Dadurch wurden die Torpedorohre effektiv aus dem Kampf genommen, bis die Kraftwerke genügend Spannung geliefert hatten, um die Energiefresser wieder ausreichend zu stabilisieren. Der Generatorenraum wurde indes geräumt und komplett gelüftet, um die Atemluft hinaus, und die Kälte des Vakuums hinein zu lassen, bevor die heiß laufenden Kraftwerke effektvoll ihren Dienst aufgeben konnten. Ebenso verfuhren die Ingenieure mit den Schutzschildprojektoren.
Als auch die Backbordschilde starb abzubauen begannen, drehte Schlüter das Schiff über die X-Achse und führte die Steuerbordseite in Angriffsrichtung. In dieser Zeit hatte die RHEINLAND nicht die Feuerkraft, um weitere Schiffe abzuschießen, aber immerhin gelang es der STONEWALL, eine weitere Fregatte, die LEXINGTON, aus dem Rennen zu nehmen.
Dann kam das erlösende Signal, dass die Bugschilde wieder restauriert und voll belastbar waren. Die Maschinendecks wurden wieder geflutet und notdüftig auf minus zwanzig Grad gebracht, damit die Ingenieure weiter arbeiten konnten. Wärmer würde es dort von ganz alleine werden.
Mit dem Bug erneut in Front feuerte die RHEINLAND wieder Torpedofächer. War die Abschussquote zuvor zwei zu sechs gewesen, so schafften es die Republikaner nun, die Torpedos bei geringerer Distanz früher zu erkennen. Nun vernichteten sie vier von acht, und die anderen vier zerrissen ihre Schilde. Die BANGKOK wurde von zwei Torpedos ihres Schildes beraubt. Die Laserwaffen der RHEINLAND und konzentrierter Raketenbeschuss verheerten die Oberfläche des Zerstörers. Nach Ende der Salve hatte das Schiff fast alle Sekundärwaffen eingebüßt und die Hauptbewaffnung war auf zwei Torpedorohre zusammen geschmolzen.
Mittlerweile lieferten sich Knights und Rüster ihre Duelle fast genau vor dem Bug der RHEINLAND, und die Kämpfe verlagerten sich mehr und mehr hinter das Schiff. Was bedeutete, dass die gegnerische Flotte nun sehr nahe war.
Die Bilanz konnte sich sehen lassen, Arling hatte mit RHEINLAND und STONEWALL mehr als die Hälfte der Schiffe versenkt, ohne selbst große Schäden in Kauf nehmen zu müssen. Wenn man mal davon absah, dass der Bug des Kreuzers in einer effektvollen Explosion vergangen wäre, wenn die Maschinensäle nicht entlüftet worden wären.
Nicht mehr lange, und Katalauner wie Republikaner würden Bug an Bug liegen und aus allernächster Nähe feuern.

Lüding sah erschrocken auf, als ihn eine Eilnachricht ereilte. „Ma´am, durchgehender Schutzschildprojektor, äußerer Frontschirm! Er wird bestenfalls noch ne Minute machen, bevor der Projektor hoch geht.“
„Versiegeln Sie den Saal und kappen Sie kurz vorher alle Leitungen, damit im Schiff keine Rückkopplungen weitere Schäden durchgehen“, sagte Arling ernst. „Entschuldigen Sie, Kapitän, dass ich in Ihre Entscheidungen rein rede.“
„Du weißt, du musst dich nicht entschuldigen“, raunte Lenie dem langjährigen Freund zu.
Arling nickte nur in Richtung der Presse. Arlene Schlüter lächelte verstehend.
„Öffne mir einen Kanal, Lenie.“
„Kanal steht.“
„Hier spricht Kommodore Arling. Die Situation ist sehr verfahren, wie ich leider feststellen muss. Wir haben über die Hälfte der republikanischen Schiffe versenkt oder zum abdrehen gezwungen, aber sie halten weiter aus. Selbst der Verlust des Großteils ihrer Rüster und ihres Flaggschiffs hat sie nicht beeindruckt. Das war so nicht geplant. Außerdem haben wir ihnen nicht genügend Schaden verursachen können.
Unter normalen Umständen wären unsere Schwesternschiffe im Orbit um Vesuv vollauf genug, um mit den Resten der Flotte den Boden aufzuwischen. Aber für sie ist es derzeit noch einen Tag zu früh, um überhaupt an Kampf zu denken, wenn sie nicht im Chaos untergegangen versenkt werden wollen. Sie haben gute Kapitäne, aber sie stampfen sich ihre Mannschaften aus dem Nichts heraus. Sowas dauert nun mal ein paar Stunden, bevor man eine Elitemannschaft hat.“
Leises Gelächter in der Zentrale kommentierte die Worte Arlings.
Er hatte sich immer gefragt, wie und warum Menschen in Gefechtssituationen, mit dem Tod konfrontiert, lachen konnten. Heute glaubte er ein Antwort gefunden zu haben. Sie zeigten dem Tod die Zähne.
„Wir müssen noch weit mehr Schaden verursachen. Nicht nur das Schicksal unserer Kameraden und unserer Schiffe spielt dabei eine Rolle, sondern gerade die acht Whale-Frachter, die wir bis zum Platzen mit zwei Komma drei Millionen katalaunischen Zivilisten vollstopfen! Schafft es auch nur ein Schiff bis in den Orbit, feuert auch nur eines seine Waffen ab, geschieht eine Katastrophe. Unsere Kameraden, die sich als Gryanen getarnt haben, würden das sicherlich verhindern, aber dann würde eine rebellierende republikanische Einheit in diesem System stehen und erst Recht eine Ausrede für Yura-Maynhaus liefern, um mit noch mehr Schiffen zu kommen. Und das früher als uns lieb ist. Schlimmer noch, da der Pakt mit der Republik verbündet ist, könnten Pakt-Schiffe die Renegaten jagen, und das wäre das Ende all unserer Bemühungen.“
„Schirm ist aus, Generator explodiert, ist aber versiegelt. Schlote sind auf, um den Druck aus dem Schiff zu leiten“, raunte Lüding Schlüter zu.
Sie dankte nickend und signalisierte Arling dann, dass alles in Ordnung war.
Es gab einen heftigen Ruck, und kurz ging Alarm durchs Schiff. Auf den Bildern einiger Deckkameras konnte man sehen, wie Feuer, Rauch und Schrott durch Kanäle nach außen geblasen wurde, der sich nun nicht zerstörerisch im Schiff verbreiten konnte.
„Die Explosion eben gerade war der Schirmgenerator für den äußeren Bugschirm“, sagte Arling. „Aber das macht nichts, wir werden die Bugschilde ohnehin nicht mehr lange brauchen. Ich weiß, es ist viel verlangt, aber jetzt sind wir so weit gekommen, wir müssen uns den Republikanern weiterhin stellen. Wir müssen noch mehr Schiffe vernichten. Und es besteht eine gute Chance, dass wir alle dabei sterben. Aber wir alle haben einen Eid geschworen, und ich bitte Sie, mich auf diesem Weg zu begleiten.“
Schlüter wurde blass. Hastig sprach sie ein paar Worte mit Lüding, der ebenfalls erblasste. „Kommodore, ein Shuttle zur STONEWALL steht in wenigen Sekunden bereit.“
„Danke für Ihre Sorge, aber in das Lasergewitter mit einem Shuttle raus zu gehen wäre besserer Mord“, erwiderte Arling. Er sah in die Runde. „Vielleicht ist es einigen aufgefallen, dass die republikanischen Schiffe stets so fliegen, dass ihre Oberseiten in die gleiche Richtung zeigen, und ihre verletzlichen Rümpfe ebenso. Bei dieser Flotte ist es ebenso. Ich gedenke das zu unserem Vorteil zu nutzen. Die STONEWALL wird hinter uns aufwischen. Das ist der Plan. Arling Ende.“
„Sir, ich bestehe darauf, dass...“, begann Schlüter.
„Nein, Lenie.“ „Aber Han!“ „Nein, Lenie.“
Arling sah nach links. „Carrie, es ist besser, wenn Sie jetzt das Schiff verlassen.“
„Haben Sie nicht zugehört, Kommodore? Es ist Wahnsinn, mit einem langsamen Shuttle in dieses Lasergewitter hinaus zu fliegen“, erwiderte sie mit einem dünnen Lächeln.
Johann Arling sah sie lange an, dann nickte er. „Es tut mir Leid.“
„Ich und Spence kannten das Risiko. Also lassen Sie mich bis zum Schluss einen tollen Bericht liefern.“
„Danke, Carrie. Danke, Spence.“
Die beiden terranischen Reporter nickten nur und konzentrierten sich wieder auf die Arbeit.
„Han. Du könntest mich bitten, dir zu helfen“, sagte die Nymphe bedächtig.
„Helfen bei was? Die Republikaner zu zerstören? Nein, Nyhartes. Ich werde nichts von dir erhoffen, nichts erwarten und erst Recht nichts verlangen. Sollte ich heute sterben, dann will ich, dass du mich als jemanden in Erinnerung behältst, der dir und deinesgleichen kein schlechtes Gewissen eingeredet hat, der dich rhetorisch zu etwas zwingt was du gar nicht willst.“
Die Nymphe lächelte. „Das sind tapfere Worte, Graf Arling. Ich weiß das zu schätzen. Ohnehin neige ich dazu, zu tun was ich will“, orakelte sie. Nyhartes Daiana Nissos stieg zu Arling auf sein Podest und gab ihm einen Kuss. „Auf bald, Han“, sagte sie mit einem bezaubernden Lächeln und verschwand, als hätte es sie nie gegeben.
„Das sollten wir alle können“, murmelte der Kommodore. Er warf einen Blick auf die Hologramme und musste grinsen. Bug an Bug. „Zeit, dem Gegner unseren Rumpf zu zeigen!“
„Hast du nicht gerade erst...?“, begann Schlüter, aber sie seufzte nur. „Gib die Befehle, Han.“
„Danke, Lenie.“

Für Charles Monterney, für die Rüster-Piloten, die noch lebten, und für die Offiziere der republikanischen Einheiten war es eine Überraschung, als der Bug der RHEINLAND sich anhob. Es sah ganz so aus als wolle Arling um die Z-Achse rotieren und dann über die Schiffe hinweg fliegen. Dadurch würde er den Torpedorohren entkommen, aber eine gewisse Zeit, bis er um X gedreht hatte und sein Oberdeck nach unten gewandt hatte, dem Feind den verletzlichen Bug präsentieren. Hunderte Geschütze auf den letzten acht Schiffen richteten sich darauf ein, den nahezu waffenlosen Bug zu peinigen.
Die RHEINLAND verharrte kurz in einem Winkel von fünfundvierzig Grad und ließ konzentrierten Beobachtern den Atem stocken und bereits nach Zielen im Rumpf spähen, den das kaiserliche Schiff prächtig präsentierte. Dann kippte das Schiff noch weiter nach hinten, machte einen Überschlag und endete in einem Winkel von zwanzig Grad zur Flugrichtung. Als der Kreuzer diesen Winkel erreicht hatte, feuerten die Triebwerke an und schoben das Schiff unter die heran nahenden gegnerischen Einheiten. Wertvolle Sekunden vergingen, in denen sich die RHEINLAND tatsächlich unter die gegnerischen Schiffe schob. Mit brachialem Feuer malträtierte sie die Gegner und versetzte der ACHILLES und der HAMILTON, beide Zerstörer, gravierende Schläge in ihre Rümpfe.
Nun begannen auch die Republikaner um die X-Achse zu drehen, und brachten zuerst ihre Breitseiten, dann die Decksbewaffnung ins Spiel. Es war zu spät für ACHILLES und HAMILTON, die aus allernächster Nähe zerschossen wurden, und auch der letzte Zerstörer, die AEGIS, wurde schwer angeschlagen. Aber die RHEINLAND bezahlte einen horrenden Preis. Das Schiff begann zu rotieren, um unbelastete Schilde ins Spiel zu bringen, doch das Abwehrfeuer der Republikaner hatte sie bereits durchschlagen und die Hülle perforiert. Explosionen, ausgelöst durch Beschuss und auch durch heiß gelaufene Projektoren und Kraftwerke erschütterten das Schiff.
Monterney war Soldat genug, um die Gelegenheit, die sich ihm bot, zu erkennen. Er führte seine Knights durch die traurigen Reste der Rüster-Truppen, durchstieß die erbärmlichen Reste der Schilde der AEGIS, und gab dem Zerstörer den Rest. Damit hatte der Verband alle schweren Schiffe eingebüßt. Dies veranlasste die restlichen Fregatten dazu, abzudrehen, und für einen kurzen Moment war Lucky Charly nach Jubeln zumute. Dann aber ging sein Blick zur brennenden RHEINLAND, und sein Herz krampfte. Sein bester Freund war gerade dabei zu sterben.
***

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Als Robert der Fünfte nach einer viel zu kurzen Nacht wieder erwachte, zu der er auch noch genötigt worden war, trat er eher verschlafen vom Obergeschoss in den Wohnraum der Rend-Residenz. Die beiden Geheimdienstleibwächter, die diesen Bereich absicherten, nickten ihrem Herrscher zu, und Robert erwiderte das Nicken.
Unten erwarteten ihn weitere Leibwächter und einige Ninjas. Der große Wohnraum der Rends hatte sich dank ihres Equipments zu einer kleinen Kommandozentrale gemausert.
„Guten Morgen, Robert. Möchtest du einen Kaffee?“, klang eine fröhliche Stimme auf.
Für einen Moment zuckte der Kaiser schuldbewusst zusammen. Dann wandte er sich der Hausherrin zu. „Es tut mir Leid, dass ich hier so eingefallen bin, Anusha.“
„Mir tut es nicht Leid. Wer kann schon von sich behaupten, dass der Kaiser bei ihm übernachtet hat?“ Sie lächelte strahlend. „Natürlich erst nachdem wir die Krise überwunden haben und dich wieder auf deinen Thron bringen konnten. Vorher kommt kein Sterbenswort über meine Lippen.“
„Danke“, murmelte Robert immer noch schuldbewusst.
„Dann kommen natürlich Interviews, Vid-Auftritte, ein oder zwei Bücher müssen geschrieben werden und am besten geben wir auch noch den Auftrag, ein Adventure machen zu lassen, das auf der aktuellen Handlung basiert.“
Robert schwieg beeindruckt. Auch wenn Anusha Rend in diesem Moment dabei war, die zwanzig permanent hier vertretenen Leibwächter und Kommunikationsoffiziere mit Kaffee, Tee und Frühstück zu versorgen, sie war mal eine knallharte Geschäftsfrau gewesen, die keine gute Chance an sich hatte vorbei ziehen lassen. So war es auch diesmal.
„Nur ein Witz“, wiegelte sie lächelnd ab und drückte dem Kaiser einen Becher Kaffee in die Hand.
„Oh nein, das war kein Witz“, erwiderte Robert und lächelte dünn.
„Wir werden sehen“, orakelte sie und begann damit ihre Getränke und Speisen zu verteilen.
„Du bist schon wach?“
Robert fühlte sich wie ein ertappter Schuljunge, als hinter ihm die Stimme seines alten Lehrmeisters erklang. „Stuart. Guten Morgen.“
„Hat sich was mit Guten Morgen. Wie viele Stunden hast du geschlafen? Vier? Drei? Das war dein erster Schlaf, seit sie dich aus dem Palast geworfen haben. Ein Wunder das du nicht umfällst vor Müdigkeit.“
„Es ist das Privileg der jungen, ihre Körper über Gebühr zu belasten“, erwiderte Robert ernster als er vor gehabt hatte. „Außerdem ist zu viel geschehen und zu viel muss entschieden werden. Ich kann nicht schlafen.“
Stuart Rend runzelte die Stirn. Sein Appartement war für den Kaiser das perfekte Versteck. Abgesehen davon, dass niemand vermuten würde, dass Robert ausgerechnet bei den Eltern der Verlobten seines Ziehbruders einziehen würde – zudem auch noch mit einer ganzen Mannschaft – war dieser Ort einer der Sichersten in ganz Neu-Berlin, solange Gerrit Rend als wichtigster Helfer der Kaiserin galt. „Du weißt, es geht jetzt um mehr als um deinen Thron, junger Mann. Es geht darum ob Katalaun wieder einen dieser rassistischen Kriege führen wird. Außerdem sind die Putschisten knapp davor, tun und lassen zu können was sie wollen. Sie halten Massenveranstaltungen ab, die bereits eigentlich Unbeteiligte anziehen. Sie erhöhen den Druck auf die freie Presse und Elise ist ihr willfähriges Sprachrohr, weil sie dich nicht gefährden will. Und mit Miranda von Hohenfels haben sie ein Gesicht, in das die Leute eigentlich Vertrauen haben. Wenn sie merken, dass sie betrogen worden, ist Elises Herrschaft längst ein autoritäres Regime, in dem sie eine machtlose Marionette ist.“
„Ich weiß ja, ich weiß. Deshalb habe ich auch davon abgesehen, Neu-Berlin zu verlassen. Stattdessen sammle ich meine Verbündeten um mich und formiere den Widerstand.“
„Guten Morgen, Herr Rend. Guten Morgen, Majestät.“ Direktorin Mannth betrat das Appartement und legte mehrere Papierakten auf den Tisch. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Züge. „Ich hoffe, Sie fühlen sich durch die besonderen Sicherheitsvorkehrungen nicht belästigt, die ihre Majestät für die Eltern ihres wichtigsten Beraters angeordnet hat?“ Die Anwesenden begannen leise zu lachen. Wohl kaum jemand in diesem Raum hatte je erwartet, dass es so leicht sein würde, Robert verschwinden zu lassen und eine wasserdichte Ausrede dafür zu bekommen, warum Leute wie Mannth und Rütli in diesem Gebäude ein und aus gingen, während offiziell zehn Geheimdienstagenten Wache schoben. Inoffiziell waren es ein paar mehr, unter ihnen eine personalstarke Abordnung der Ninja, sofern sie nicht für den Schutz Elises gebraucht wurden oder im Einsatz waren.
„Oh, man gewöhnt sich dran. Ich glaube manchmal, Sie betreiben einen Aufwand der reichen würde, den Kaiser zu beschützen“, erwiderte er mit Schalk in den Augen.
Wieder lachten die Anwesenden. Anusha kam mit ihrem Tablett vorbei und reichte einen mit bunten Blumen geschmückten Kaffeebecher an Direktorin Mannth. „Drei Löffel Arami-Salz, wie immer, Elena.“
„Ich danke dir, Anusha“, erwiderte die Geheimdienstdirektorin und nahm den heißen Becher entgegen.
„Was haben Sie heute für mich?“, fragte der Kaiser direkt.
„In ihrer Euphorie, ihr Tagesziel erreicht zu haben, sind die religiösen Gruppen nachlässig geworden. Einige christliche Gruppen propagieren bereits ernsthaft die Ankunft des Erlösers, der jungfräulich von Elisabeth empfangen und jungfräulich von ihr geboren werden soll.“
Seine Majestät begann zu husten. „Ich glaube, da wird es ein Problem geben, denn ich bin mir nicht sicher, dass Elise noch Jungfrau ist.“
„Das ist nicht der Punkt“, mahnte Mannth. „Es ist augenscheinlich, dass sie Elise benutzen wollen, um einen neuen Kaiser, ja, nun, um ihn zu züchten. Und Ihr Sohn, Herr Rend, ist meinen Informationen nach der Zuchthengst, der dieses kleine unbefleckte Wunder diskret bewerkstelligen soll. Allgemein wird sehr viel von ihm gehalten, selbst hohe Anführer der Gruppierungen sprechen in hohen Tönen von ihm. Er hat Maier erschossen, aber dazu beigetragen, den Wechsel zwischen Euch, Majestät und Eurer Nichte nahezu unblutig zu vollziehen. Das hat ihre Ressourcen geschont, und deshalb haben sie für ihn die Rolle des Prinzgemahls ausersehen.“
„Nur die Ruhe“, mahnte Stuart Rend und begann den Nacken des Kaisers zu kneten. „Weil Gerrit in Rütlis Spezialtruppe ist, wissen nur vierzig Leute außerhalb dieses Raumes, dass er Geheimdienstoffizier in deinen Diensten ist. So lange wie er in Elises Nähe ist, ist sie sicher. Und was die andere Sache angeht, er kennt Lucky Charly. Und mit dem wird er es sich nicht freiwillig verderben wollen.“
„Argument“, stimmte Robert zu. „Weiter am Hals, bitte. Und, was haben wir noch heraus gefunden?“
„Die Unterwanderung ist nicht so stark wie wir angenommen haben. Das erklärt auch warum sie uns so überraschen konnte. Aber der Sieger kriegt die Beute, und sie haben mittlerweile einen enormen Zulauf an Mitläufern, was die Sache gefährlich macht. Erwähnt habe ich den Druck auf die Presse ja schon. Dieser Druck erfolgt auch durch die Rücknahme von Werbeaufträgen. Dadurch konnten wir eine Reihe von Firmen ausmachen, die entweder unter Druck der Putschisten stehen oder von ihnen kontrolliert werden. Interessant in diesem Zusammenhang ist wohl dass ein Großteil der Aufträge von der Magno-Holding eingezogen werden. Und jetzt raten Sie mal, wer bei Magno-Holding im Vorstand sitzt.“
„Es wird mir sicher nicht gefallen, vor allem wenn ich daran denke, dass der Konzern auf die Magno Stahl AG zurückgeht“, murmelte Robert.
„Es ist Claymore Anasazi, einer der Präzeptoren der Kreuzbruderschaft.“
„Claymore Anasazi? Der Mann, der Gerrit dafür angeworben hat, um Elise zu beschützen?“, hakte Stuart Rend nach.
„Genau dieser Anasazi. Aber das erscheint mir nicht so gefährlich wie die Tatsache, dass wir es mit jenem Konzern zu tun haben, der vor nicht einmal zweihundert Jahren versucht hat, einen Putsch durchzuführen und den Kaiser zu stürzen, um einen ihnen genehmes Regime zu etablieren.“ Mannth runzelte die Stirn. „Also, entweder haben wir es hier mit später Rache, ausgeführt von den Resten des Konzerns zu tun, oder mit einem extrem langwierigen Langzeitplan.“
„Wie auch immer. Wenn wir die Verwicklung des Konzerns beweisen können, bringt uns das einen Riesenschritt weiter. Außerdem nehmen wir Kreuzbrüdern und anderen Gruppen einen potenten Geldgeber, wenn wir ihn zerschlagen. Nur diesmal endgültig, damit es keinen dritten Aufstand geben wird“, brummte Robert ärgerlich.
„Es gibt noch mehr zu berichten. Durch den Einfluss der ausländischen Presse und jenem Teil unserer Presse, die sich noch nicht erpressen lässt, ist mittlerweile der Anspruch Ihres Ziehbruders auf den Thron in ganz Katalaun verbreitet worden. Die Nachricht wurde ruhig aufgefasst, aber Großherzog von Baaden hat bereits angedeutet, Arling bei einer Kandidatur gegen Elise zu unterstützen. Auch aus anderen Sektoren kommen solche versteckten Hinweise. Unsere Unterstützung ist weit größer als wir dachten.“
„Hans Unterstützung“, schränkte der Kaiser ein. „Also ist der Putsch kleiner als wir gedacht haben, aber er droht mit Eigendynamik größer zu werden als gut für uns wäre. Wenn sie erst einmal genügend Mitläufer um sich geschart haben heißt es für oder gegen sie. Und ich kann es keinem normalen Bürger verdenken, wenn sie dann für die Putschisten sind. Vor allem wenn die Alternative heißt einem Kaiser zu vertrauen, der beschuldigt wird, zwei Millionen Landsleute verkauft zu haben.“
„Unsere Unterstützung“, betonte Mannth. „Direktor Rütli hat mit einigen der Fürsprecher Kontakt aufgenommen. So wie es aussieht sind die meisten von ihnen bereit, die Sache an sich zu unterstützen, nicht nur Arlings Kandidatur. Auch aus dem Ausland kommen positive Impulse, solange der Waffenstillstand mit Yura-Maynhaus hält. Der Punkt ist nur, die Zeit arbeitet gegen uns. Noch können wir hier mitten in einem Vorort von Neu-Berlin unsere kleine konspirative Versammlung abhalten, aber bald werden sie dreist und mächtig genug sein, um selbst das Appartement der Eltern des Kaiseringatten zu durchsuchen. Majestät, wir müssen bald handeln. Sehr, sehr bald.“
Robert nickte. „Und wir müssen das tun, so lange Sie noch im Amt sind, Mannth. Sie und Rütli. Was haben wir von Versailles gehört?“
„Versailles betreibt passiven Widerstand. Mehr können wir vom Mond der Kaiserfamilie nicht erwarten, immerhin ist Elise selbst eine von Versailles.“
„Das ist mehr als ich erwartet habe. Was ist mit B-King und General Kress?“
Mannth nickte schwer. „Kress ist mit der PRAG im System. Meine letzte Neuigkeit war, dass Herzog Beijing den General zum Duell gefordert hat. Die beiden kämpfen seit zwanzig Minuten mit ihren persönlichen Knights.“
„Gibt es irgend einen Sender, der das live überträgt?“, fragte seine Majestät erschrocken.
„Die PRAG strahlt Live-Bilder aus“, sagte Mannth.
„Dann sollten wir dieses Duell mit verfolgen“, brummte Robert.
„Verzeihung, Majestät, aber TNC berichtet darüber, dass es zu Kampfhandlungen zwischen Graf Arling und der republikanischen Flotte unter Admiral Lifurt gekommen ist. Die Gefechte dauern an“, sagte einer der Geheimdienstleute.
„Wir brauchen zwei Bildschirme“, entschied Robert.

Trotz des Ernsts ihrer Situation, trotz der äußerst bedrohlichen Entwicklung ertappte sich Robert dabei, wie er mal für Kress und mal für seinen Onkel fieberte, und wie er zugleich versuchte, die wenigen akkuraten Fernsehbilder von TNS von der Raumschlacht im Stabiae-System zu erhaschen. Die Aufnahmen waren fünf Minuten Zeitverzögert, und der Kaiser fragte sich, ob fünf Minuten als Vorsprung wirklich reichten. Andererseits hielt er seinen Cousin Johann für verdammt noch mal gut genug, weshalb er ihm überhaupt erst eine Flottille anvertraut hatte.
„Das war´s“, sagte jemand tonlos und lockte Roberts Aufmerksamkeit von einem Manöver der RHEINLAND direkt vor der Front der mittlerweile stark dezimierten republikanischen Flotte. Verdammt, Han, das würde eine Riesenmenge diplomatischer Nachbearbeitung erfordern.
„Was war was?“, fragte der Kaiser. Er sah auf den Bildschirm und wollte seinen Augen kaum trauen. Zaks Mecha trieb quer halbiert durch das All, und Robert wusste nur zu gut, wo das Cockpit eines Knights verlief. Die offizielle Bestätigung vom Tode des Herzogs von Beijing traf kurz darauf ein. Robert fühlte wie seine Knie weich wurden. Er versuchte sich zu setzen, und weil keine Sitzgelegenheit in der Nähe war stürzte er schwer zu Boden.
„MAJESTÄT!“, rief eine besorgte Stimme, und ein Pulk Menschen eilte zu ihm.
„Majestät, geht es euch gut?“
„Er hat gerade seinen Onkel verloren“, blaffte Mannth. „Natürlich geht es ihm nicht gut! Herr Rend, haben Sie vielleicht was Hartes für Robert?“
„Ich glaube, wir können alle etwas Hartes gebrauchen“, murmelte der ehemalige Hauptstabsbootsmann. Bedächtig begann er eine Reihe Gläser mit klarer Flüssigkeit zu füllen.
Roberts Rechte krampfte sich um einen Arm, der ihn stützte. „J-jemand muss es ihm sagen. Jemand muss Han sagen, dass er jetzt Herzog von Bei...“ Er verstummte, lauschte dem Gedanken nach, den er gerade gehabt hatte und sah dann verwirrt in die Runde. „Er hat es geplant! Verdammt, Zak, du hast es geplant! Mit dem Ausfall meiner Linie und Frederecs Tod war er Nummer fünf der Thronfolge! Aber ein junger Herzog Beijing ist ein direkter Kandidat für den Thron.“
„Wollen Sie damit sagen, er hat sich absichtlich töten lassen?“, fragte Mannth überrascht.
„Er hat sich geopfert. Für seinen Sohn. Für das was er für richtig hält. Und für das Kaiserreich.“ Die Stimme Roberts war rau. „Wir müssen es ihm sagen. Wir...“
Eine erschrockene Stimme fuhr dem Kaiser in die Parade. „Ich glaube, die RHEINLAND explodiert!“
Die Aufmerksamkeit der Anwesenden wandte sich dem zweiten Bildschirm zu. Carrie Rodriguez moderierte live und berichtete von den letzten Momenten der stolzen RHEINLAND. Vibrationen gingen durch das Schiff, die Beleuchtung flackerte, und dumpfer Lärm von fernen Explosionen erklang über die Leitung. Sie sagte noch: „Wehe, dafür kriege ich nicht den Terra Fernseh-Preis!“
Dann brach die Verbindung übergangslos zusammen.
„Hat es die RHEINLAND erwischt?“, rief Mannth aufgeregt.
Mit steinerner Miene musterte Stuart Rend den Bildschirm, der ein Logo von TNS zeigte, während seine Frau sich an ihn lehnte. Wenn das zusammenbrechen der Verbindung bedeutete, dass der Kreuzer vernichtet worden war, dann standen die Chancen nicht schlecht, dass Takeru der neue Herzog sein würde. Und Robert war nicht sicher, wie die Putschisten darauf reagieren würden.
„Direktor Mannth, wir müssen B-King über die veränderte Situation informieren und warnen. Wer weiß, was jetzt geschieht.“ Robert atmete tief ein und wieder aus. Seltsam, das Ende von Han nahm ihn nicht so schwer mit. Vielleicht lag es daran, dass ihm die Augen der Reporterin plötzlich so... Vertraut vorgekommen waren.
„Jawohl, Majestät.“
***
In der Republik sperrte man Admiräle nicht einfach weg. Sie landeten nicht in großen Betonblöcken oder wurden auf fernen, atmosphärelosen Asteroiden nicht in Tiefenbunkern weg gesperrt. Nein, Admiräle bekamen Hausarrest, und wenn sie viel Pech hatten, wurden sie unehrenhaft entlassen.
Doch abgesehen von langwierigen Untersuchungsausschüssen, Ermittlungen und Aktenrecherche gab es noch etwas schlimmeres. Befragungen.
Juri Goldman, Admiral of Sector, hatte Hausarrest, wegen seiner Beteiligung am Verkauf von zwei Millionen Bürgern Katalauns. Dafür hockte er in seiner riesigen Villa auf seiner Heimatwelt Goldman´s World, genoss den kärglichen Luxus, den ein Milliardenvermögen, dreihundert Bedienstete und die gleiche Anzahl an Sicherheitskräften ihm bereiten konnten und wartete auf seinem einhunderttausend Quadratmeter großen Privatgrundstück auf die nervigen und peinlichen Besuche seiner Verhörmeister, während er die Entwicklung um seinen bevorzugten Schüler aufmerksam auf neunzehn Fernsehsendern verfolgte.
Auch an diesem Tag traf ein zweiköpfiges Team ein, angeführt von einem Rear Admiral, den Goldman noch nie leiden gemocht hatte. Der zweite war ein junger Lieutenant Commander, der ihn zweifellos mit fragenden Blicken und blauen Augen weich kochen sollte.
Neu bei der Geschichte war jedoch, dass Urban Keith dabei war. Das erfolgte unerwartet, und lange Zeit fragte sich Juri, während der Schweber bis zum Anwesen vorfuhr, ob es gut oder schlecht war, dass sein alter Liebhaber das Team begleitete.
Keith war immer ein Mann gewesen, der das Private vom Geschäftlichen zu trennen verstanden hatte, aber man konnte über ihn auch sagen, dass er das Geschäftliche viel zu oft priorisiert hatte. Das war auch der Grund dafür, dass ihre langjährige Beziehung letztendlich Zugrunde gegangen war. Juri war damals schon ein Admiral gewesen, ein viel beschäftigter Mann, aber Urban hatte es geschafft, noch weit mehr zu arbeiten.
Mittlerweile hatte er es zum Berater des Präsidenten geschafft. Und er hatte schon fünf verschiedenen Präsidenten gedient. Der aktuelle Präsident, Rhyann Klages verdankte bösen Zungen die Wiederwahl einzig ihrem agilen und erfahrenen Berater.
Juri wusste nicht so recht, ob das wirklich stimmte, denn er hatte das Mädchen als aufrichtig, ehrlich und schlagfertig erlebt. Aber sicher war, dass Urban einen entscheidenden Anteil an der Wiederwahl gehabt hatte, obwohl die Opposition Feuer und Schwefel über ihr Haupt hatte niedergehen lassen.

Entgegen seiner Gewohnheit, das Verhörteam im äußersten Winkel seiner Villa zu erwarten, um sie ordentlich laufen zu lassen empfing er sie heute an der Tür.
Als der Chefbutler die Offiziere einließ, eilte Goldman gleich an ihnen vorbei. „Urban!“
„Juri!“, rief der andere hocherfreut und schloss den ehemaligen Gefährten in die Arme. Sie tauschten einen flüchtigen Kuss, der ausgereicht hätte die letzten dreißig Jahre auszulöschen und alles von vorne beginnen zu lassen, im Moment aber nur die auf Heterosexualität trainierten Offiziere der Navy irritierte.
Keith hielt den kleineren Goldman von sich. „Lass dich mal anschauen. Gut ist es dir gegangen. Trainierst du immer noch täglich, Schatz?“
„Du kennst mich doch. Die Navy hat mir zwar einen Dolch in den Rücken gestoßen und mich in Schimpf und Schande als Opferlamm nach hause geschickt, aber deshalb werde ich mich nicht gehen lassen.“
„Ja, ich weiß. Das habe ich erwartet und das bewundere ich an dir.“
Goldman lächelte bei diesem Kompliment. „Dir ist es auch gut ergangen, wie ich höre. Rhyann hat deinen Vertrag verlängert?“
„Sie wird nicht mehr antreten, aber ihr Vize-Präsident Jules Cranston wird sich zur Wahl aufstellen. Ein feiner Junge mit hochtrabenden Träumen und großen Visionen. Du musst ihn unbedingt mal kennenlernen.“ Er warf einen Seitenblick auf die Navy-Offiziere. „Sobald diese peinliche Sache geklärt ist, natürlich.“
Der Rear Admiral räusperte sich. „Sir, wir tun hier nur unsere Pflicht.“
„Das sehe ich“, brummte Urban Keith missmutig. Er sah zu seinem ehemaligen Gefährten. „Juri, ist es eigentlich normal, dass du verhört wirst, ohne das ein Staatsanwalt oder wenigstens ein Marineanwalt zugegen ist?“
Beide Marine-Offiziere reagierten auf die Worte des Beraters des Präsidenten.
„Es sind nur Vorermittlungen“, bequemte sich der Admiral zu versichern.
„Das sagen sie jedes Mal“, erwiderte Goldman mit einem Seufzer. Er deutete die Eingangshalle hinab. „Ich habe den Garten vorbereiten lassen. Tee und Kaffee stehen bereit.“
Die Augen Keiths leuchteten. „Du hast doch hoffentlich meine Rosen...“
„Ich lasse die Finger von ihnen, damit ich mich noch sehr lange an ihnen erfreuen kann“, erwiderte Goldman schmunzelnd. „Roberto pflegt sie.“
„Eine gute Entscheidung“, sagte Keith mit ernstem Nicken, was ihm einen amüsierten Blick des alten Liebhabers einbrachte.

Der Garten entpuppte sich als Terrasse aus Marmor, die sich über einer gepflegten Hecken- und Beetlandschaft erhob und vom Licht der Hauptsonne Amsterdam mit rotorangem Licht begossen wurde. Wenn erst der gelbe Normstern Den Haag dazu kam, würde aus dem rotorangen Feuerwerk langweiliges Normlicht werden. Bis dahin erfreuten sie sich an den strahlenden Effekten auf den Pflanzen.
„Bitte setzen sie sich, meine Herren. Was führt sie heute zu mir?“
Einen Moment zögerte der Rear Admiral, dann öffnete er seine Aktentasche und legte ein Papierdokument auf den Tisch. „Sir, ich habe lange mit Admiral of the Fleets Nikki Torelli gesprochen, und wir sind überein gekommen, dass der Schutz der Integrität der Flotte oberste Priorität hat. Bitte unterschreiben Sie diese Erklärung, Sir, um weiteren Schaden vom Ruf der Flotte abzuwenden. Im Gegenzug werden Sie sofort aus der Marine entlassen, aber nicht aus dem Hauptbuch gestrichen.“
Keith langte nach dem Dokument. „Darf ich?“
„Nur zu“, ermunterte Goldman. Sein Blick fixierte den Rear Admiral, der es nicht einmal für nötig gehalten hatte, seinen Namen zu nennen. „Was tun Sie wenn ich mich weigere? Was tun Sie, wenn ich erkläre, dass ich alle Vorwürfe für unsinnig halte? Was tun Sie, wenn ich an die Öffentlichkeit gehe?“
Ein kurzes Lächeln umspielte die Mundwinkel des Admirals. „Sir, die Öffentlichkeit ist im Moment nicht sehr gut auf Sie zu sprechen. Im Gegenteil, es gibt Gruppen, die Ihren Kopf fordern, und das ist nicht nur als Metapher zu verstehen. Sie würden sich unnötigen Risiken aussetzen, und überdies das Ansehen der Navy noch weiter schädigen.“
„Es ist aber nicht wahr!“, brauste Goldman auf. „Jedes einzelne Wort dieser Erklärung ist erstunken und erlogen! Ich soll die Selektion und die Auswahl von zwei Millionen Katalaunern vorbereitet und durchgeführt haben? Ich trage für diese Aktion die Verantwortung, das ist korrekt, weil sie in meinem Sektor geschehen ist, aber ich habe sie nicht befohlen oder genehmigt! Und wenn ihr Flottenheinis mich nicht von meinem Posten entfernt hättet, dann hätte ich die Schuldigen längst an ihren Eiern am Fockmast aufgehängt!“
„Vergiss nicht, du warst bis vor kurzem auch ein Flottenheini“, warf Keith mit einem Lächeln ein.
„Gutes Argument“, erwiderte Goldman.
„Die Fakten die wir zusammen getragen haben sprechen dagegen. Und wie Sie schon so treffend erwähnt haben, Sie sind in jedem Fall in sekundärer Linie verantwortlich. Ein Geständnis würde die Öffentlichkeit beruhigen, den Namen der Navy vor weiterem Schaden bewahren und helfen, den unseligen Krieg gegen Katalaun ein für allemal zu beenden. Aber ich bin nicht sicher, wie weit ihr Wille zu einem gütlichen Ende geht, wenn Sie Ihren Ziehsohn mit einer eigenen Flotte Graf Arling hinterher hetzen, um ausgerechnet eine Expedition auf jene Welt zu sabotieren, auf der die zwei Millionen Katalauner wieder aufgetaucht sind. Das spricht alles nicht für Sie, Sir.“
„Oho. Das ist ja eine interessante Entwicklung. Hier steht, du hast erklärt, dieser Griffin soll als Rivale Arlings aufgebaut werden. Du hast ihm sogar eine Seek& Destroy-Flotte mitgegeben. Aber kaum hat er sich als Gryane getarnt, beginnt er sich wie einer aufzuführen. Ich kannte mal einen Offizier der Philippii. Ein durch und durch anständiger Kerl. Hätte sich eher selbst die Kehle durchgeschlitzt als einen Mann auch nur von hinten zu begrüßen“, murmelte Keith, ins Studium der Erklärung vertieft.
„Er ist nicht mein Ziehsohn. Nur ein verdammt feiner Offizier, der Großartiges leistet“, erwiderte Goldman ärgerlich. „So stelle ich mir einen Offizier vor, der maßgeblich am Schicksal von Yura-Maynhaus beteiligt ist. Ehrlich, aufrichtig, geradlinig, ehrenvoll. Als ich ihn entsandt habe, wusste ich nicht davon, was rückgratlose Offiziere hinter meinem Rücken getan hatten.“
„Oh“, machte der Rear Admiral. Und wieder: „Oh.“
Misstrauisch hob Goldman die rechte Augenbraue.
„Sehen Sie, es ist fatal, dass Sie Ihren Griffin so sehen. Im Flottenhauptquartier ist man überein gekommen, dass er bereits mit der Annahme des Namens Gryanen mitsamt seiner Offiziere, Mannschaften und Schiffe desertiert ist. Im Moment ist eine Flotte unterwegs um Griffins Schiffe zurück nach Yura-Maynhaus zu eskortieren. Sie dürfte nun schon ein paar Stunden im Stabiae-System sein und Griffin bald erreicht haben. Natürlich haben wir dafür gesorgt, dass die Flotte gro0 genug ist, um jede rebellierende Einheit notfalls zu vernichten. Wobei wir natürlich berücksichtigen müssen, dass wir es bereits mit Deserteuren zu tun haben. Wir wissen einfach nicht, wie weit sie noch Befehlen gehorchen und... Wie dem auch sei, ich bin sicher, wenn Sie sich ganz auf Ihr Privatleben beschränken, Sir, dürfte Griffin keine Motivation haben, um ernsthaft reguläre Befehle in Frage zu stellen.“ Der Admiral nickte in Richtung der Erklärung.
„Ach, so läuft der Hase.“
Urban Keith sah von seiner Lektüre auf. „Rear Admiral Cleyn, ich muss Sie darüber informieren, dass ich dieses Gespräch mit einem Holorekorder aufgenommen und bereits abgeschickt habe. Um genau zu sein, wird diese kleine Verhandlungsrunde direkt zur Präsidentin übertragen. Ich denke, die Präsidentin wird Admiral of the Fleets Torelli bitten, die weiteren Ermittlungen dem Centre Navy Court zu übertragen, und Sie und Ihresgleichen aus der Untersuchung zu entfernen. Im Übrigen werde ich darauf dringen, dass wegen Nötigung und Erpressung ein Amtsenthebungsverfahren gegen Sie eingeleitet wird.“
Der Rear Admiral wurde blass. „Sie haben was?“
„Die Präsidentin konnte nicht umhin, die Differenz zu bemerken, die Ihre Berichte ergaben, wenn sie an Admiral of Sector Goldman dachte. Also hat sie mich geschickt, um dieser Differenz auf die Spur zu kommen. Ja, haben Sie wirklich meine Ausrede vom harmlosen alten Schwulen gefressen, der seinen verflossenen Geliebten besuchen will?“ Keith schnaubte gering schätzend. „Sie können gehen. Danke, ich finde eine eigene Möglichkeit, um wieder in die Stadt zu kommen. Ach, und machen Sie sich gar nicht erst die Mühe, Ihr Namensschild wieder an der Uniform zu befestigen. Ich glaube nicht, dass Sie die Jacke noch allzu lange tragen werden.“
Blass und erschrocken erhob sich der Rear Admiral. Der Commander musste seinen Vorgesetzten stützen.

Mit gerunzelter Stirn sah Goldman den beiden nach. „Sie haben nicht mal den Kaffee ausgetrunken. Und dann gehen sie ohne ein Danke. Ungehobelte Bande.“
Keith lächelte still. „Du hast Glück. Der Druck auf Nikki ist gerade unglaublich groß, aber der Erzfeind deines Ziehsohns hat uns weit genug in die Hände gespielt, sodass wir handlungsfähig sind. Es existiert tatsächlich eine groß angelegte Verschwörung, und wir sind ihr auf der Spur.“
„Du hast also auf den Rasen geklopft, und jetzt siehst du dabei zu und zählst die Schlangen, die es verlassen, wie?“, fragte Goldman schmunzelnd.
„Es ist eine Warnung, in der Tat. Aber da Lifurt im Stabiae-System gescheitert ist, werden die geheimen Verbindungen zu einigen der Ratsführer des Europa-Pakts gerade über Gebühr belastet. Die Waagschale neigt sich wieder leicht in unsere Richtung, und wir haben eine Chance, unsere Demokratie zu retten.“
„Ist es wirklich so schlimm? Ich dachte es geht nur um den leidigen Profit, den man mit dem Verkauf von zwei Komma drei Millionen Menschen an eine Paktische Industriewelt erwirtschaften kann, einschließlich der günstigen Einkaufsgüter, die so produziert werden können.“
„Von denen sehr viele nach Yura-Maynhaus geflossen sind, die aber zwischen unseren Welten versickert sind wie Wasser in der Wüste. Juri, dein Opfergang hat verhindert, dass Nikki direkt angeklagt wird, und das war genau das Richtige.“
Goldman sah den ehemaligen Gefährten ernst an. „Du meinst, meine alte Marotte, für alles was unter meinem Kommando passiert die Verantwortung zu übernehmen hat einen Militärputsch verhindert?“
„Ein Militärputsch, der Stabiae oder den ganzen Europa-Pakt als Brautgeschenk mitbringt, hätte unsere Demokratie hinweg gefegt. Aber Arling hat Lifurts Flotte zerschlagen und ausgelöscht. Leider wurde die RHEINLAND selbst zerstört. Das ganze ist jetzt eine Stunde her und...“
„Mach dir keine Sorgen um Johann Arling. Ich habe bei seinem Vater gelernt und ich weiß, dass es wenig gibt, was einen Beijing töten kann. Und selbst dann, selbst wenn man es schafft, einen von ihnen umzubringen, wirft sein Tod Wellen auf, die Königreiche davon spült. Arling lebt, das verspreche ich dir.“
„Auch wenn die ganze RHEINLAND hoch gegangen ist, ohne dass ein Shuttle oder eine Rettungskapsel das Schiff verlassen hat?“, fragte Keith traurig.
Goldman schmunzelte. „Einem Johann Arling würde ich zutrauen, selbst aus einem rotglühenden Wrack noch lebend geborgen zu werden, glaub mir das.“
Innerlich aber schauderte Goldman. Hätte sich Griffin an der Abwehrschlacht beteiligt, wäre dies eine Ausrede gewesen, um dem Pakt den Krieg zu erklären. Die Folgen wären unübersehbar gewesen, hätten vielleicht die Städteregierung involviert, und den gerade erst mit einem Waffenstillstand unterbrochenen Krieg an anderer Stelle fortgesetzt. Er kannte Lifurts Befehle nicht, aber er kannte Lifurt. Das war genau die Sorte von Mann, die hinterher sagte: Ich habe mich exakt an meine Befehle gehalten.
Und wenn einer dieser Befehle gelautet hätte, die hoch industrialisierte Kunstwelt Vesuv zu annektieren, dann hätte er es getan. „Er ist Vize der Large Fleet, wusstest du das? Wie dumm von mir, natürlich wusstest du das, Urban.“
„Die 9. Assault Fleet, wie wir sie nennen“, sagte Keith tadelnd, „besteht abgesehen aus ihren schnellen Einheiten, denen Connor Lifurt vorsteht, aus Leichten und Schweren Kreuzern, Truppentransportern, Begleitfrachtern und zwei der alten Mecha-Trägern. Admiral Kian untersteht direkt Admiral of the Fleets Helen Sourakis und kommandiert im Moment zwei Fregatten, elf Leichte und fünf Schwere Kreuzer, die erwähnten beiden Träger und fünf Truppentransporter sowie drei Materialschiffe mit Equipment für neun Bodenkampfregimentern. Diese Flotte hat die neun katalaunischen Welten erobert.“
„Normalerweise wäre es für die Heimatflotte Stabiae ein Leichtes, diese Einheiten abzuwehren“, brummte Goldman.
„Wir müssen davon ausgehen, dass bald eine Flotte republikanischer Schiffe nach Stabiae springt, um den Notruf einer unserer Einheiten zu folgen. Und um Sicherheit und Ordnung wieder her zu stellen wird sie die Kontrolle über das System übernehmen.“ Keith erhob sich. „Du bist hier von allem isoliert worden, richtig? Deine Post wird zensiert, du empfängst nur noch einen Sender und interstellare Kommunikation ist dir nicht gestattet.“
„Man tut alles um mich blind und taub zu halten“, bestätigte Goldman.
„Das macht nichts. Ich habe alles mitgebracht, was ich brauche, um mit der halben Galaxis zu kommunizieren. Abgesehen von meinem direkten Draht zu Nikki“, erwiderte Keith mit einem verschmitzten Lächeln. „Sicherheitshalber bleibe ich hier. Und du solltest deine Wachleute darüber informieren, dass die nächsten Tage noch ein wenig ungemütlicher werden können. Aber ich denke, das erste was wir nun tun sollten, ist mit Inspector of the Navy Gordon Starway zu sprechen.“
„Wir übergehen Helen?“
„Es gibt ausreichende Verdachtsmomente für eine Ermittlung gegen sie.“
Goldman nickte verstehend. Das Stabiae-System zu erobern, oder gar den Europa-Pakt, war eine verwerfliche Tat, die von der Presse der Republik niemals gut geheißen worden wäre. Andererseits, wenn es gelang, würde die Presse die mutigen Eroberer feiern. „Dann lass es uns angehen.“


4.
01.07.2613
Oplontis, Mond der Industriewelt Vesuv
Stabiae-System
Europa-Pakt

Es dauerte ein paar Sekunden, bis das Begreifen einsetzte. Dem folgte der klare Verstand. Und dieser Verstand sagte Johann Armin Graf zu Arling, dass er noch lebte, dass er nicht in den Explosionen an Bord der RHEINLAND umgekommen war. Langsam ballte und entkrampfte er seine Hände und beobachtete sie dabei. Kein Zweifel, dies bedeutete Leben.
Andere hatten nicht so viele Umstellungsprobleme, wie eine laute, aufgeregte Stimme bewies.
„Wenn du den Kontakt zum Server verloren hast, dann speichern wir erst einmal, Spence!“, rief Carrie Rodriguez aufgeregt.
Arling wandte sich der vertrauten Stimme zu, dabei wanderte sein Blick über gut achthundert Männer und Frauen, die zwischen ihm und Carrie saßen, lagen oder standen. Einige waren verletzt, und das Team von Bordarzt Roger Wilcox widmete sich ihnen bereits mit ihren beschränkten Möglichkeiten.
„Gerettet, aber an einem unbekannten Ort, das ist unsere Situation. Hätten die Nymphen nicht eingegriffen, würde ich niemals erleben, ob meine Reportage einen Fernsehpreis einbringt. Entschuldigen sie meinen schwarzen Humor, meine lieben Zuschauer, aber wenn man dem Tod wieder mal von der Klippe gesprungen ist, neigt man zu solchen Witzen.“
Johanns Blick ging weiter und blieb an Arlene Schlüter haften, die sich gerade von Leutnant Turnau auf helfen ließ. „Danke, es geht schon, Leutnant“, ächzte sie, und in ihren Augen stand die gleiche Verwirrung, die auch Arling verspürte. Dann fielen ihm Carries Worte auf und er wandte sich erneut um. Hinter ihm befanden sich gut neunzig der sphärischen Wesen, die man in der Nisos Elektron unter dem Namen Nymphe kannte. Ganz vorne standen drei von ihnen, ein Mann und zwei Frauen. Wobei Arling einschränken musste, dass Nymphen volle Kontrolle über ihr Erscheinungsbild hatten und nicht Frau sein musste, was wie Frau aussah. Dennoch erkannte er eine von ihnen wieder. Nyhartes Daiana Nissos. Langsam, mit recht wackligen Schritten ging er auf die Dreiergruppe zu, während die anderen Nymphen nach und nach verschwanden.
„Danke, Nyhartes“, murmelte er.
Die Nymphe lächelte ihn an. „Du musst dich nicht für etwas bedanken, das du weder gewünscht noch befohlen hast, Johann Arling. Was ich getan habe, habe ich aus freier Entscheidung getan.“
Arling nickte. Er hatte nicht gewusst, dass es im Europa-Pakt so viele Nymphen gab. Und er hatte nicht gewusst, dass sie bei ihrem Sprung von Schiff zu Schiff jemanden mitnehmen konnten. Arling rechnete nach. Wenn es ursprünglich gut einhundert Nymphen gewesen waren, dann hatte jede von ihnen achtmal springen müssen, um alle Besatzungsmitglieder zu retten – ein Vorgang, der unglaublich kräftezehrend gewesen sein musste.
Nyhartes las seine Gedanken auf seinen Gesichtszügen ab und machte eine abwehrende Geste. „Wir waren achthundert und vierzehn. Für jedes Besatzungsmitglied, das an Bord war, einer. Wir haben uns dazu entschlossen, erst einzugreifen, wenn euer Tod unmittelbar bevor steht.“ Traurig zeigte sie in eine ferne Ecke der riesigen Halle. „Neunzehn von euch konnten wir nur tot mitnehmen.“
Neunzehn. Johann Arling schämte sich einen langen Moment dafür, dass er neunzehn Tote für einen annehmbaren Preis hielt. Immerhin hätten sie allesamt mit der RHEINLAND untergehen müssen.
„Mach dir keine Sorgen um deine Knight-Mannschaften. Sie hatten wenige Verluste und konnten sich zur STONEWALL absetzen. Die STONEWALL ist auf dem Weg hierher.“
„Mein Schiff“, begann Arling, „meine Leute, sie...“
„Die RHEINLAND ist ausgeglüht. Sie wird nie wieder ein anderes System aufsuchen können. Das tut mir Leid, denn es war ein Schiff mit einer eigenen Seele, einer noblen, ritterlichen Seele, so wie deine auch ist, Han“, sagte die Nymphe mit Wärme in der Stimme.
„Das ist richtig“, meldete sich die männliche Nymphe zu Wort. „Ich wollte es nicht glauben, aber jetzt sehe ich es. Johann Arling, sind Sie ein Abkömmling der herkuleanischen Dynastie wie Admiral Toral?“
Arling runzelte die Stirn bei dieser Frage. „Wenn Sie mich fragen wollen, ob der alte Pferdedieb ein herkuleanischer Ritter war, bin ich überfragt. Für mich und meine Vorfahren war er immer nur ein gewitzter Händler, der die Zeichen der Zeit zu deuten gewusst hatte.“
„Wie sieht es später aus? Wenn Ihre Aufzeichnungen nur bis zu Harry Chun zurückgehen, wurde vielleicht ein Dynastie-Mitglied eingekreuzt...“ Verlegen neigte die Nymphe das Haupt. Das männlichhübsche Gesicht überzog eine sanfte Röte. „Entschuldigen Sie, es muss ja so klingen als würden wir Nymphen Menschen züchten. Ich frage nicht aus Boshaftigkeit, nur aus Neugierde, denn eine Aura wie die Ihre, Johann Arling, habe ich zuletzt bei Theseus dem Großen gesehen. Er war ein hervorragender Anführer und Mensch. Sein Verlust hat viele meiner Artgenossen in tiefe Trauer gestürzt.“
„Ich werde entsprechende Dynastieforschungen machen lassen“, versprach Arling. „Aber im Moment gibt es Dringenderes als festzustellen, ob ich irgendwie mit den herkuleanischen Herrschern verwandt bin oder nicht. Mein Herr, meine Damen, wo bin ich hier? Wo sind wir hier? Und wie kommen wir wieder zur Flotte? Wie geht es ihr?“
Nyhartes lachte. „Ich habe euch gesagt, dass er ein sehr direkter Mensch ist, den seine Sorge um die anderen Menschen niemals verlässt. Ich werde deine Fragen beantworten, Han, aber vorher habe ich eine traurige Pflicht zu erfüllen. Dein Vater hat sich mit Sven Kress duelliert, Han.“
Erschrocken sah der Graf auf. „Was?“
„Ich kenne die Hintergründe nicht. Ich kenne die Gedanken deines Vaters nicht“, schränkte sie ein.
Arling erstarrte. „Er ist tot, nicht wahr?“
Die Nymphe sah ihn traurig und auch ein wenig erschrocken an. „Ja“, hauchte sie nur.
Johann begriff, verstand einiges. Vor allem wusste er, dass sein Vater nun nicht mehr gezwungen werden konnte, den Thronverzicht zurück zu nehmen. Damit war er potentieller Thronerbe des Kaiserreichs, ein für allemal. Und dafür hatte sich sein Vater geopfert. Johann versuchte sich einzureden, dass sein Vater einen Kampf wie gegen Kress genossen hatte, dass er alt genug war, um zu einem Zeitpunkt abzutreten, an dem er noch im Vollbesitz von Wissen und Können war, dass er es für seinen Sohn und für B-King getan hatte. Dass er... Seine Gedanken stockten, und seine Sicht verschwamm, als die Tränen zu fließen begannen. Langsam sackte er auf die Knie durch.
„Han!“ Arlene Schlüter war sofort an seiner Seite. „Han.“
Sie ging neben ihm auf die Knie und umarmte ihn. Er ließ seinen Kopf gegen ihre Schulter sinken und schluchzte leise.
Währenddessen machte die Neuigkeit die Runde, und nicht wenige Mannschaftsmitglieder der RHEINLAND machten ihrer Wut und ihrer Empörung Luft. Viele weinten ebenfalls.
„Han, es tut mir Leid“, murmelte Nyhartes leise.
Langsam löste sich Johann von seiner besten Freundin. Er schenkte ihr einen dankbaren Blick und erhob sich. Noch immer war seine Kehle wie zugeschnürt, noch immer flossen die Tränen, aber er war Offizier der Flotte, und er kannte seine Pflichten. „Bitte, Nyhartes, meine anderen Fragen.“
Die Nymphe nickte zufrieden, als sie sah, dass sich ihr Schützling nach der schrecklichen Nachricht gefangen hatte. „Später, Johann Armin Herzog von Beijing. Zuerst einmal will ich dir etwas schenken. Aus freien Stücken und aus eigener Entscheidung, ohne darum gebeten worden zu sein.“
Auf ihre Worte hin öffneten sich die Schotts des großen Raums und offenbarten, dass sie sich an Bord eines Raumschiffs befanden. Genauer gesagt im Hangar für einen Pendler, groß genug um drei oder vier der agilen Planetenfähren aufzunehmen.
„Hier entlang, bitte, Johann. Sie bitte auch, Kapitän Schlüter.“

Die beiden folgten den drei Nymphen in einen Gang, der sich schier endlos dahin ziehen wollte. Dann erreichten sie ihr Ziel, und verblüfft sah sich Arling um. Er kannte solche Säle zur Genüge, einer wie dieser war lange Zeit sein zweites Zuhause gewesen. Aber er hatte nicht geahnt, dass die Zentrale eines Raumschiffs so verdammt groß sein konnte.
„Das hier ist doch nicht etwa...“, begann er verblüfft.
„Doch, das hier ist die HERCULES. Dein neues Flaggschiff, Johann“, sagte Nyhartes mit Bedacht. Sie machte einen Satz in die Tiefe des Raums und deutete auf einen Sessel auf einem erhobenen Podest. „Bitte, Johann, auf diesem Sitz haben Schon Theseus der Erste, Alexander Maximus und Loraine die Vierte gesessen. Nun ist es dein Platz.“ Zögernd folgte Johann der Aufforderung, ihm dichtauf folgte Arlene Schlüter. Nach ihnen kamen weitere Offiziere und Mannschaften in den Saal, die meisten von ihnen Zentralebesatzungen.
Der Herzog von Beijing nahm auf dem Sessel Platz. Von hier hatte er einen hervorragenden Umblick auf die gesamte Zentrale.
Nyhartes lächelte geheimnisvoll, als sie ihren Schutzbefohlenen so sah, und dirigierte Schlüter zum Kapitänssitz.
Dann trat sie an die Pilotenkonsole heran. Die weibliche Nymphe und der Nymphenmann postierten sich an zwei weiteren Konsolen. „Freigabe für die HERCULES. Autorisation Nyhartes Daiana Nissos, Leonidas.“ Unter ihrem sphärischen Leuchten erwachte die Konsole zum Leben.
Vor dem Hauptterminal der Waffenkontrolle stand der Mann. „Freigabe für die HERCULES. Autorisation Kemma Adelan Tyram, Theben.
Nun erhob die zweite Nymphenfrau zum ersten Mal ihre Stimme. Sie stand vor Ortung und Funk. „Freigabe für die HERCULES. Nutzungsrechtsbeschränkung auf Johann Beijing und von ihm persönlich autorisierte Personen. Keine Ausnahme ohne meine Zustimmung möglich. Autorisation Rätin Levess Karinel Toras, Europa.“
Die Stimme, die nun erklang, schien von überall zugleich zu kommen. „Die Aktivierung wird anerkannt. Die HERCULES steht ab sofort Admiral Beijing zur vollen Verfügung. Volle Befehlsgewalt!“
Die Bildschirme und Hologramme erwachten zum Leben, und mit einem wütenden Fluch scheuchte Schlüter die Offiziere und Mannschaften zu ihren Stationen. „Für das raus manövrieren aus der Werft wird es ja wohl reichen“, brummte sie unwillig. „Majestät, ich brauche eine Freigabe von euch.“
Johann hob eine Augenbraue, als die Freundin ihn erneut Majestät nannte, aber angesichts der Situation ging er darüber hinweg. „Ich autorisiere Kapitän Schlüter als Kommandeur dieses Schlachtkreuzers. Dementsprechend hat sie volle Autorisationsgewalt über sämtliche Offiziersposten und Arbeitsbereiche.“
„Anerkannt“, rief die Stimme erneut.
Einladend deutete Johann auf Kapitänleutnant Lüding. „Bitte, Kapitän.“
„Autorisation Erster Offizier mit voller Autorisationsgewalt für Andreas Lüding.“
„Anerkannt.“
„Beeilen wir uns mit der Autorisation. Wir sollten dieses Baby schnell in den Weltraum schaffen, aber vor allem soll mal jemand der Flotte mitteilen, dass wir noch leben!“
„Jawohl, Majestät!“, rief die frisch autorisierte Leutnant Turnau aufgeregt.
Johann verzichtete darauf, sie sofort zu tadeln. Später war immer noch Zeit.

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Keine zweihundert Lichtjahre entfernt saß eine Gruppe von Männern und Frauen beieinander. Der Ort war nicht besonders geheim, allerdings war die Gegenspionage hervorragend. Kein Wort von dem, was hier gesprochen werden würde, konnte nach außen dringen, denn die fünf Männer und drei Frauen waren Mitglieder einer verschworenen Gemeinschaft, die so eng beieinander war, wie es eine solche Gruppe nur sein konnte. Sie waren Nachfahren der Überlebenden der alten Magno-Stahl-Führung und hatten geschworen, die Schande, die ihren Vorfahren aufgebürdet worden war, ein für allemal zu tilgen. Sie waren zusammengeschweißt, auf Gedeih und Verderb. In eine solche Gruppe konnte kein Fremder eindringen, und viele die für diese acht Menschen arbeiteten wussten nicht einmal, welche Motivation seine Herren antrieb. Natürlich hatten sie ihre Finger nicht nur im Geschäftlichen, dies übrigens recht erfolgreich. Sie hatten es auch verstanden, die Religion zu instrumentalisieren und für ihre Zwecke einzuspannen. Dazu kam noch ein nicht unbeträchtlicher Einfluss auf die Medien Katalauns und der naturgemäß vorhandene große Finanzenbackground, über den eine Firmenkette wie ihre verfügen musste.
Der Vorsitzende sah in die Runde. Auf seinen Zügen lag ein Lächeln. „Die Entwicklung ist hervorragend. Alles verändert sich zu unseren Gunsten. Zwar mussten wir einen kleinen Rückschlag hinnehmen, weil Arling erstens Vesuv erreicht und zweitens anders reagiert hat als wir erwartet haben, aber mit seinem Tod und dem vehementen Ende von Herzog Beijing ist alles wieder gerade gerückt.“
Eine der Frauen hob eine Hand. „Wir wussten, dass wir uns ohnehin um B-King würden kümmern müssen, spätestens wenn wir die Erbfolge des Kaisers auslöschen. Auf dem ersten Blick hört es sich gut an, dass Arling tot ist. Aber mit Beijings Ende ist nicht automatisch das Ende der Familie gekommen. Er hat genügend Nachfahren, die an seine Stelle treten können und die ebenfalls Thronrecht in Anspruch nehmen können. Takeru Rüdiger von Kantou ist ein erstklassiger Geschäftsmann und Berufspolitiker. Wenn er neuer Beijing wird, dann haben wir erneut einen mächtigen Gegner in direkter Nachbarschaft. Bereits einmal war es ein Beijing, mit dem wir nicht gerechnet haben, der unsere Pläne durchkreuzte.“
Die anderen murmelten zustimmend.
Der Vorsitzende hob eine Hand, und das Gerede verstummte. „Johann Arling ist tot, und damit wird die Evakuierung nebensächlich. Seine Offiziere werden sie durchführen, weil sie eben gute Befehlsempfänger sind, aber die einzige freie Flotte in ganz Katalaun wird danach brav nach Hause schippern und von unsere Miranda von Hohenfels demütig die neuen Befehle entgegennehmen. Außerdem wird es keinen mehr interessieren, ob zwei Millionen Katalauner nach Hause kommen oder nicht, sobald unser Püppchen auf dem Thron erst richtig nach unserer Pfeife tanzt.“
Einer der Männer hob seine Stimme. „Gutes Stichwort. Wie sieht es in dieser Beziehung aus? Wir haben Rend erst dazu aufbauen wollen, um für unsere Sache zu töten. Dann, um Elisabeth zu beschützen, während wir den Putsch durchführen. Und nun hat er sich zu ihrer Begleiterin gemausert, der nie von ihrer Seite weicht. Sie geht keinen Schritt ohne ihn, und er trägt ständig eine schwere Energiewaffe mit sich. Ihm entgeht nichts, und es heißt, er begleite sie sogar auf die Toilette und unter die Dusche.“
„Das wäre doch in unserem Sinne, oder?“ Der Vorsitzende lachte leise. „Eine schwangere Kaiserin wird soviel nationales Interesse aufbringen, dass die Narben des Putsches schnell in Vergessenheit geraten. Einige religiöse Gruppen sprechen davon, dass Elisabeth bereits eine unbefleckte Empfängnis hatte und den neuen Führer gebären würde, auf den sie alle warten. Aber wir wissen natürlich alle besser, wie man ein Kind zeugt.“
Die Anwesenden lachten.
„Außerdem kann es für uns nur gut sein, wenn Gerrit Rend ihrer Majestät nahe kommt. Lassen wir ihn den Paladin spielen. Wenn er sich zwischen Elisabeth und dem Leben seiner Familie entscheiden muss, werden wir wieder unser willfähriges Werkzeug in Händen halten.“
„Apropos willfähriges Werkzeug. Was ist mit Kress? Es scheint, als würde er der Aufbahrungszeremonie von Beijing beiwohnen. Können wir daraus nicht etwas machen? Sein Tod, ausgeführt von einem fanatischen B-King-Milizionär dürfte uns helfen die Welt klein zu halten.“
„Unsere Probleme sind nicht Kress und nicht B-King. Wir haben auf Monate Ruhe vor Graf Kantou, und Kress ist ein billiger Ja-Sager. Wir brauchen das für einige Zeit nicht weiter zu beachten. Es bringt uns nicht näher ans Ziel, solange dringendere Aufgaben anstehen. Unsere Bestimmung ist es, die unheilige Versailles-Dynastie ein für allemal auszurotten und unser Volk wieder zu jener Aufgabe zu führen, für das es dieses Land in Besitz genommen hat. Wir müssen diesen Teil der Galaxis endlich vom Alien-Abschaum reinigen und die Nichtmenschen im Höllenfeuer unserer Granaten und Bomben reinigen. Einzig zu diesem Zweck existiert Katalaun. Einzig hierfür gibt es den Kaiser.“
„Gut. Und wann bringen wir die Kaiserin um? Und wer wird der neue Kaiser werden? Rend vielleicht? Ein trauernder Hinterbliebener wird sich zwar gut in der Presse machen, aber das ist kein Ersatz für einen reellen Thronanspruch.“
„Der Tod der Kaiserin wird erfolgen, wenn sie uns nichts mehr nützt. Und das liegt nicht mehr weit in der Zukunft. Spätestens wenn unsere republikanischen Verbündeten ihren Happen aus den Diadochen raus gebissen haben und zu sehr mit kauen beschäftigt sind, können wir unsere Ziele anvisieren. Vergesst nicht, Herrschaften, wir haben immer noch Krieg mit den Aliens. Und das werden wir endlich nutzen und den uralten Auftrag zu Ende führen. Ob uns dann wieder ein Beijing im Wege steht oder nicht, diesmal wird es gelingen. Wir rotten die Verräter aus, wir formen die Massen nach unseren Wünschen und die Bedrohung durch Zyrrtek wird diesmal nicht von ein paar Gutmenschen und Genetikern entschieden, sondern mit der Waffe.“ Der Vorsitzende lehnte sich zufrieden zurück und faltete seine Hände auf dem Tisch zu einem Dreieck. „Endlich haben wir die Macht und die Gelegenheit, um zu tun, was getan werden muss.“
„Und diesmal werden wir siegen?“, fragte einer der Männer.
„Wir haben sehr viel Macht versammelt. Wir haben eine gute Gelegenheit. Der Kaiser traut sich noch immer nicht aus seinem Versteck, weil er weiß das wir ihm dann den Kopf abschlagen werden. Dies ist die beste aller Zeiten. Diesmal wird es gelingen. So wahr ich Claymore Anasazi bin.“
***
Seit einigen Stunden befand sich die HERCULES im Orbit um Vesuv. Der Start des Giganten hatte auf dem Werftmond Oplontis einiges an Aufregung und offenes Entsetzen hervor gerufen. Vor allem weil allgemein bekannt war, dass nur die Nymphen in der Lage waren, den Giganten wieder fliegen zu lassen. Andererseits wurde die HERCULES nicht bedroht, denn niemand, der nicht über eine gigantische Übermacht verfügte oder ein besseres Schiff hatte, legte sich mit einem Schlachtschiff an. Im Orbit angekommen waren dann die Offiziere und Mannschaften der RHEINLAND an Bord gekommen, die Arling mit seinem Befehl des Schiffs verwiesen hatte weil sie Familie in der Heimat hatten. Die Neuankömmlinge, gut zweihundert Männer und Frauen, Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften, kamen mit einer gewissen Niedergeschlagenheit an Bord, weil sie nicht hatten leisten dürfen, was achthundert an ihrer Statt getan hatten. Da aber im Moment auf dem Gigantschiff jede zusätzliche Hand bitter benötigt wurde, war das Willkommen der verlorenen Söhne und Töchter der RHEINLAND mehr als herzlich. Und durch die wesentlich bessere Infrastruktur der HERCULES waren gut zweihundert katalaunische Raumfahrer in etwa die Personalspritze, die das Schiff brauchte, um voll handlungsfähig zu werden. Dabei kam Schlüter natürlich die von Arling geforderte vierzigprozentige Überhangbesatzung zugute. Die HERCULES war weit vom Soll entfernt, aber die Voraussetzungen dafür standen bereit. Der Rest war harte Arbeit, ein wenig Zeit und ein paar wohlwollende Stimmen. So wie jene, die gerade auf der Brücke des Schlachtschiffs widerhallte.
„So, so, Sie haben es also geschafft“, klang die gutturale Stimme von Admiral Toral auf. Sie lächelte amüsiert vom Hauptschirm auf Arling herab. „Muss ich jetzt vor Ihnen den Knicks machen, Beijing? Ich meine jetzt wo Sie sich zum Gegenkaiser ausgerufen haben und die Nymphen zu allem Überfluss beschlossen haben, Ihnen den größten militärischen Schatz des herkuleanischen Reichs zu übergeben?“
„Bitte, bleiben wir bei Arling. Noch passt dieser Name besser zu mir. Wissen Sie, Jenna, ich habe Nyhartes um nichts gebeten und ich habe ihr nichts befohlen.“
„Ach, das ist der Trick. Ich habe Dutzende Mal versucht, die Nymphen dazu zu bewegen, die HERCULES für mich zu reaktivieren. Alle liefen ins Leere.“ Die Admirälin seufzte. „Man muss wohl ein Beijing sein. Entschuldigung, ich meine Arling.“
Der Kommodore hüstelte verlegen. „Denken Sie nicht schlecht von den Nymphen. Im Gegenteil. Die drei, die ich kennen gelernt habe, denken sehr anerkennend von Ihnen. Andererseits haben sie mich auch gefragt, ob ich ebenso wie Sie Vorfahren unter dem herkuleanischen Geschlecht habe.“
„Ach das“, meinte die Admirälin und winkte ab. „Das ist ihre Art zu differenzieren und abzuwägen. Einige der größten Menschen und der schlimmsten Verbrecher waren Herrscher des herkuelanischen Reichs, und sie neigen deshalb dazu, alles auf die Vererbung zu schieben. Wundert mich, dass sie nicht versucht haben, Sie auf die Verbrecherseite zu schieben, als Sie das erste Mal ungefragt in die Diadochen gesprungen sind.“
„Nyhartes kannte meinen Vater. Das war anscheinend hilfreich.“
„Hm. Hm. Ich verstehe. Nyhartes kennt meine Familie seit neun Generationen, aber ich habe das verdammte Schiff nicht gekriegt.“
Arling lächelte. „Vielleicht ganz einfach deshalb, weil Sie es nicht brauchen?“
Heiser lachte die Frau auf. „Stimmt auch wieder. Sobald der neue Admiral hier auftaucht bin ich mit einem Bein im Ruhestand. Herkuleanische Vorfahren hin, herkuleanische Vorfahren her. Da brauche ich kein Schlachtschiff, das ist richtig.“ Sie zog die Stirn kraus. „Wie sieht es bei Ihnen weiterhin aus, Johann? Wie lange brauchen Sie noch für die Evakuierung? Und was tun Sie mit den republikanischen Schiffen, die Sie abgeschossen haben?“
„Wir werden noch einen guten Standardtag brauchen, um die Evakuierung abzuschließen. Selbst dann hatten wir nicht einmal die Gelegenheit für eine intensive Suche in der Stadt, um Nachzügler und Vermisste zu finden. Nicht alle sind in der Besserung verschwunden.“
Toral nickte verstehend.
„Was die Schiffe angeht, die wir abgeschossen haben, Jenna, so habe ich weder Zeit noch Material, um sie zu bergen. Ich hatte nicht einmal die Chance, bei der Brandbekämpfung oder Evakuierung der einzelnen Einheiten zu helfen. Wenn die Republikaner das eine oder andere Schiff aufgeben, seien Sie mein Gast und stecken Sie sie in die nächste Werft, um sie der Heimatflotte Stabiae hinzu zu fügen.“
„Danke sehr. Das werde ich tun, falls es sich ergibt.“
„Wenn Sie mich entschuldigen wollen, ich habe einige meiner Offiziere eingeladen, um die weitere Strategie zu besprechen. Sie dürften bald an Bord sein.“
„Natürlich, Kommodore. Ich gebe Ihnen den einen Tag, falls meine Befehlsgewalt noch so lange etwas wert ist. Und ich wünsche Ihnen viel Glück.“
„Ich danke Ihnen, Jenna. Auch Ihnen viel Glück.
„Ich brauche kein Glück, ich brauche ein Wunder“, brummte sie als Erwiderung und schaltete ab.
Johann atmete auf. Es schien tatsächlich so, als hätten sie hier eine Verbündete gewonnen. Eine recht machtlose Verbündete, aber das war immer noch besser als nichts.
Blieb noch die Strategiesitzung.

„Han!“, rief eine laute und wütende Stimme. Arling wandte sich um und sah nur noch eine rasch größer werdende Faust. Sie traf ihn am Kinn und ließ ihn rückwärts taumeln. Dort fing ihn ein wohlmeinender Oberleutnant Raglund auf.
„Das ist dafür, dass wir alle geglaubt haben, wir hätten Graf Arling verloren!“, sagte Charles Monterney wütend. „Und eigentlich solltest du gleich noch eine kriegen, weil du die gute alte RHEINLAND verloren hast, aber...“ Der Colonel der Kampfroboter ließ seinen Blick durch die Zentrale der HERCULES schweifen. „Aber der Tausch war nicht der Schlechteste, wie ich sehen. Gut, gut, der Punkt sei dahin gestellt. Wie hast du das überhaupt geschafft? Ich dachte, nur die Nymphen können so einen Kahn reaktivieren.“
„Teufel, du hast einen Hammer, du könntest Pferden mit bloßer Hand Hufeisen aufschlagen“, brummte Arling und rieb sich das blessierte Kinn. „Du wirst es kaum glauben, aber die Nymphen haben ihn für mich frei geschaltet. Es dürften uns schwere Zeiten bevorstehen, denn damit es nicht wieder in Inaktivität fällt, müssen weiterhin Nymphen an Bord sein. Und damit sie an Bord bleiben müssen wir mehr werden als wir sind, wie die alten Soldaten der herkuleanischen Dynastie.“
„Aha, verstehe. Die Nymphen dienen also als Batterien sozusagen.“
„Ein guter Vergleich, wenngleich nicht zutreffend“, erwiderte Arling. „Danke, Raglund, es geht wieder. Also, Charles, wie sieht es aus? Wie viele Knights willst du auf die HERCULES bringen?“
„Dreihundert. Darunter ein großer Teil Miliz-Piloten, die sich da unten bewährt haben. Und wenn es geht so schnell wie möglich, denn wir haben die Einrichtungen der STONEWALL massiv überlastet, und einige meiner Leute sitzen nun schon zwölf Stunden im Pilotensitz ihrer Maschinen. Zum Großteil auf der Außenhülle. Wird Zeit, dass sie da wieder raus kommen.“
„Genehmigt. Wie sieht es auf der STONEWALL aus? Ist Gerry weit hinter deinem Knight zurückgeblieben, als ihr übergesetzt habt?“
„Geringe Gefechtsschäden. Nichts, was man nicht mit Papier und Spucke flicken kann, wie Gerry behauptet. Die Reps haben sich vollkommen auf die RHEINLAND konzentriert. Ihr hattet übrigens eine Menge Glück, wisst ihr das? Der Feuersturm hätte das alte Mädchen schon viel früher vernichten müssen. Dass sie so lange durchgehalten hat, muss an deinem Glück liegen.“
„Sagen wir, die Republikaner haben immer die falschen Stellen getroffen.“
„Glück für uns. Gerry ist übrigens nur ein paar Minuten hinter mir. Er hat ein paar Fähren mit Griffins Kapitänen vor sich, das wird also noch einen Moment dauern.
Bist du über die Evakuierung auf dem Laufenden, oder warst du zu sehr mit der Inbetriebnahme der HERCULES beschäftigt?“
„Ich bin auf dem Laufenden. Die Evakuierung geht gut voran, aber was macht ihr, wenn die Miliz sauer genug ist, um Hephaistos mit Langstreckenwaffen zu beschießen?“
Monterney lachte laut auf. „Du kommst leider zu spät mit deiner Befürchtung. Sie haben schon auf uns geschossen, während wir uns in den Außenbezirken verbarrikadiert hatten. Ich meine, während sich Jamie und seine Leute da unten verbarrikadiert hatten.“
„Die Außenbezirke? Bis auf das Kernzentrum mit gut neunhunderttausend Menschen sind sie evakuiert oder bereits zum Raumhafen gebracht worden“, murmelte Arling. „Neunhunderttausend Menschen, und wir haben höchstens noch einen Standardtag, um das zu schaffen.“
„Und zudem geht es in der Heimat drunter und drüber“, meldete Schlüter. „Wir sollten so schnell es geht eine Ansprache vorbereiten und... Merkwürdig, warum habe ich plötzlich dieses Kribbeln im Nacken?“
„Ortung!“, rief Oberleutnant Raglund. „Zwanzig neue Kontakte, dreißig, jetzt vierzig! Multiple Richtungen, multiple Klassen!“
Der Oberleutnant wandte sich der Gruppe um Arling zu. „Diese Ortungsanlage ist ganz große Klasse. Sie ist präziser als alles, was ich je bedient habe. Es ist eine wahre Freude, an diesem Ding zu arbeiten.“
„Verlieren Sie sich nicht gleich in Ihre neue Liebe, Mirko. Melden Sie mir lieber Positionen, Nationalitäten und Klasse der neuen Kontakte“, mahnte Schlüter.
„Natürlich, Ma´am. Verzeihung, Ma´am.“ Der Ortungsoffizier widmete sich seiner Arbeit. Kurz darauf flammte ein gigantisches Hologramm im Innenraum der Zentrale auf und bildete das Stabiae-System ab. Deutlich waren zwei Pulks von Schiffen zu erkennen, die auf Höhe der äußeren Planeten ins System gesprungen waren. Sie waren voneinander mehrere Lichtstunden entfernt, und wenn Arling von ihren Positionen auf ihre Ursprungssysteme schloss, dann kam der eine Pulk aus der Republik herüber und der andere aus dem Pakt.
„Zwei Fregatten, elf Leichte und fünf Schwere Kreuzer, zwei Mecha-Träger und fünf Truppentransporter. Mehrere Frachter und drei Materialschiffe für mehrere Panzerdivisionen. Admiral, wir haben es hier mit der Large Fleet zu tun. Die zwei Fregatten, die vor uns geflohen sind, ziehen sich auf ihre Position zurück. Das macht dreißig überwiegend schwere Schiffe im System. Dazu kommt ein zweiter Pulk mit fünf Fregatten, drei Zerstörern und zwei Leichten Kreuzern, die wir als Teil der Europa-Heimatflotte identifizieren konnten.“
„Verstärkung“, brummte Arling. „Wie lange brauchen sie, um hierher zu kommen?“
„Der kleine Pulk braucht bei Höchstfahrt fünf Stunden. Die Republikaner acht, wenn sie sich beeilen und zwölf, wenn sie es ruhig angehen lassen.“
„Admiral Beijing, die Situation scheint ernst zu sein. Ich bitte um die Erlaubnis, einen Notruf absenden zu dürfen.“
Charles schrak zusammen. „Was war das denn? Haben die Religionsfuzzis Recht und Gott hat gerade gesprochen?“
Arlene Schlüter grinste breit. „Das war Iolaos, der intelligente Bordcomputer der HERCULES. Das fortschrittlichste Computerprodukt zwischen hier und Terra. Ich habe mir sagen lassen, die Nymphen haben ihn erbaut.“
„Ein intelligenter Bordcomputer, was es alles gibt. Und anscheinend kann er eigene Entscheidungen treffen und sie dann nicht ausführen. Das nenne ich Fortschritt.“
Bei diesen vor wohlwollendem Spott triefenden Worten des Obersten räusperte sich Arling vernehmlich. „Deine Prognose, Iolaos?“
„Ich empfange vom Europa-Verband mehrere Funkanrufe an Admiral Toral und ihre Flotte. Ihre Amtsenthebung wird erneut bestätigt und der neue Admiral angekündigt. Die Heimatflotte Stabiae wird aufgefordert, sich unterzuordnen.“
„Damit hätten die Paktler das Übergewicht in diesem System, selbst wenn wir und die Republikaner ihre Feinde sind. Aber so leicht werden sie es uns nicht machen, oder?“, murmelte Schlüter.
„Mitnichten, Ma´am. Die Republikaner funken recht sorglos über nicht abgeschirmte Wurmlöcher mit den Paktschiffen und vergewissern sich ihrer Loyalität, wenn ich es mal banal ausdrücken darf.“
Arling seufzte schwer. „Mist. So früh habe ich sie nicht erwartet. Herrschaften, der große Leichenschmaus beginnt. Die Republik holt sich ihre Kriegsbeute.“
„Ich bezweifle doch sehr stark, dass diese Aktion von der Flottenzentrale genehmigt ist“, klang Griffins Stimme hinter der Gruppe auf. Er kam in Begleitung von Captain Stiles in die Zentrale. „Deshalb sehe ich mich an Weisungen und Kommandos von Admiral Kian nicht gebunden. Die nächste Attacke fliegen Gryanen und Katalauner gemeinsam.“ Er lächelte grimmig, als er an Arling und Schlüter heran trat und ihre Hände schüttelte. „Meine Kapitäne, Offiziere und Mannschaften stimmen mir zu. Ihr habt einmal für uns gekämpft und beinahe eure Leben gelassen. Ich kann das nicht noch einmal ertragen, ohne selbst zu kämpfen. Und diesem System droht großes Unrecht zu entstehen. Das lasse ich nicht zu.“
„Wir lassen das nicht zu. Admiral Beijing, vertrauen Sie auf uns“, sagte Lydia Stiles, während sie Arling mit beiden Händen die Rechte schüttelte. Dabei glänzten ihre Augen, teils vor Schuld, teils vor Begeisterung.
„Kommodore, Lydia. Und bitte nennen Sie mich weiterhin Arling. Ich kann den Namen meines Vaters nicht zwischen Tür und Angel okkupieren.“
„Natürlich, Sir“, erwiderte die Offizierin.
„Wie gesagt... Arling, wir stehen voll hinter dir“, sagte Griffin nicht ohne Spott in der Stimme. „Damit haben wir einen recht schlagkräftigen Verband beisammen, der ausreichen sollte, die Evakuierung abzudecken.“
„Außer, Toral fällt um und tanzt nach der Pfeife von Kian“, schränkte Schlüter ein. „Selbst wenn das nicht der Fall ist, können sich immer noch einzelne Kapitäne dazu entschließen zu glauben, sie würden richtig handeln, wenn sie sich den Europa-Schiffen anschließen.“
„Es tut mir Leid, der Überbringer der schlechten Nachricht zu sein, aber siebzehn Schiffe des Stabiae-Heimatverbandes verlassen ihre Sammelplätze. Jenna Torals Flaggschiff ist nicht darunter.“
„Sehen Sie die Sache positiv, Raglund. Es sind nicht siebenunddreißig“, spöttelte Arling. „Allerdings frage ich mich, wie lange Admiral Toral still halten kann und ihre verbliebenen zwanzig Schiffe noch dazu.“
„Es wird einige gute Offiziere ihre Karrieren kosten.“ Lucky Charly ballte die Hände zu Fäusten. „Han, können wir nicht...?“
„Nein, können wir nicht. Zuerst kommen neunhunderttausend Menschen da unten auf Vesuv, für die ich und meine Leute beinahe gestorben wären“, sagte der Kommodore barsch.
„Und danach?“
„Himmel, Charles, ich kann keine Wunder vollbringen“, stöhnte Arling. „Außerdem war das sicher nur der Anfang. Weitere Flotten werden ins System springen, jetzt wo die Republikaner mit der Large Fleet ihren Fuß in der Tür haben. Am Ende wird die Annexion von Stabiae stehen, und vielleicht sogar die des gesamten Pakts.“
Die Offiziere sahen betreten zu Boden. Dies war nichts weiter als ein gigantischer Ausverkauf, und sie hatten ihr Bestes gegeben, um ihre Rollen dabei zu spielen. Verärgert und frustriert biss Coryn Griffin die Zähne zusammen. „Das kann es nicht gewesen sein, was Admiral Goldman von mir wollte“, murmelte er zwischen knirschenden Zähnen.
„Sicher nicht. Aber keine Planung überlebt den Kontakt mit der Realität“, erwiderte Arling. „Vertraue ihm, Coryn, solange es sich lohnt.“
Griffin schnaubte amüsiert.
„Admiral Beijing, um auf den Notruf zurück zu kommen“, meldete sich das Bordgehirn erneut zu Wort.
„Genehmigt. Es kann zumindest nichts schaden.“
„Danke, Mylord. Notruf ist raus. Höchste Dringlichkeitsstufe mit der Bitte um Unterstützung durch alle freundlichen Einheiten. Ich denke, zwei Millionen Menschen sind ein gutes Argument dafür.“
„Du meine Güte. Iolaos ist eine künstliche Intelligenz“, stellte Charles staunend fest. „Er hat den Notruf an alle freundlichen Einheiten formuliert, nicht nur an verbündete. Was für ein Fuchs.“
„Das fasse ich als Kompliment auf, Oberst Monterney“, antwortete Iolaos.
„Dann hoffen wir mal auf ein Wunder. Wenn es aber nicht eintritt, dann müssen wir wohl selbst ran.“
Arling hatte leises Gelächter bei seinem Scherz erwartet. Was er aber bekam war grimmige Entschlossenheit. Das berührte ihn tief in seiner Seele.
„HAN!“, rief eine helle, aufgeregte Stimme, und einen Augenblick später hatte er die Kapitänin der ELISABETH an seinem Brustkorb. „Han, ich dachte, ich verliere dich! Ich dachte, ich sehe dich nie wieder! Ich dachte...“
Langsam schloss Arling seine Arme um die aufgelöste junge Frau. Sie zitterte in seinen Armen, und er wusste nur zu genau, dass sie ihre eiserne Disziplin bis zu diesem Moment aufrecht erhalten hatte, und Schmerz sowie Erleichterung vor niemandem gezeigt hatte. Aber hier und jetzt, in seinen Armen, brach sich das alles Bahn. „Ich liebe dich, Ellie“, hauchte er ihr ins Ohr. „Alleine deshalb konnte ich nicht sterben.“
„Han“, hauchte sie ergriffen zurück.
Nach viel zu kurzer Zeit ließen sie voneinander ab.
„Konferenzraum eins?“, fragte er bei Schlüter nach.
„Ich lasse alle Kapitäne, sobald sie angedockt haben, dort hin bringen, Han. Ich selbst komme in einer Minute nach.“
„Also dann. Bringen wir Ordnung in dieses minotaurische Labyrinth.“
***
„Herrschaften“, begann Johann Arling unter den wachen Augen seiner Kapitäne und von Nyhartes Daiana Nissos, „als ich vor einem halben Tag zusammen mit der STONEWALL aufgebrochen bin um die Republikaner aufzuhalten, habe ich Aufträge erteilt. Jetzt will ich wissen: Wie steht es um diese Aufträge?“
Eine Menge junger Augen beantwortete seine Blicke. Die Versammlung seiner Kapitäne hatte sich stark vergrößert, und irgendwie erfüllte es ihn mit Stolz. „Was machen die Zerstörer?“
Rowland Myrte erhob sich. „Sir, ich melde die ROBERT für einsatzbereit und Gefechtsklar. Es wird einige Zeit dauern bis sich die Mannschaft eingependelt hat, aber ich traue mich mit diesem Schiff und dieser Crew in jede Schlacht.“
Korvettenkapitän Harris erhob sich. „Sir, die FREDEREC ist ein feines Stück Qualität. Nicht ganz so gut wie die Zerstörer, die wir daheim bauen, aber immer noch gut genug, um ein paar fiese Schläge auszuteilen. Ich füge die Mannschaft gerade zu einem Ganzen zusammen, und wenn ich fertig bin, wird die FREDEREC sich schnell einen Ruf erwerben. Mein Schiff ist klar zum Gefecht.“
Eleonor Rend erhob sich nun. „Die ELISABETH steht besser da als ich zu hoffen wagte. Die Mannschaft ist motiviert, die Offiziere geben ihr Bestes. Auch ich wage mich mit diesem Zerstörer in jedes Gefecht.“
Die Frau, die sich nun erhob, trug keine Uniform, sondern eine typische Arbeiteruniform aus Hephaistos, auf die man die Kapitänleutnantssterne angeheftet hatte. „Sarah Richards, Sir, SANSSOUCI. Meine Mannschaft ist ein wilder Mix aus alten Veteranen, richtig alten Veteranen und zivilen Raumfahrern. Normalerweise würde ich so eine Crew im nächsten Hafen von Bord fegen und mir richtige Soldaten besorgen, aber ich muss zugeben, meine Mannschaft hat mich überrascht. Die SANSSOUCI ist zwar für reinen Geleitschutz vorgesehen, aber ich denke, dass sie durchaus mit den anderen Fregatten mithalten kann, Sir. Ich musste feststellen, dass meine Crew und dieses Schiff mächtige Zähne und große Pranken haben.“
Nun erhob sich ein großer Schwarzer. Zwar waren Menschen mit dunkler Haut und negroiden Zügen keine Seltenheit in Katalaun, aber man sah sie eher selten mit einer Halskette aus Hühnerknochen. „Wim Rouven, Sir. Ich habe bis vor kurzem den Widerstand geleitet, bis ich ihn an Major Russel übergeben habe, um die B-KING zu übernehmen. Auch auf meinem Schiff findet sich ein wilder Mix aus Veteranen, Milizionären und zivilen Matrosen. Aber glauben Sie mir, wir alle sind verbissen und bemüht. Das dort unten sind unsere Familien, die wir beschützen und bewahren müssen, und deshalb arbeiten meine Leute bis ihnen Pipi in den Augen steht.“
Arling schmunzelte bei diesen Worten. Dann aber runzelte er die Stirn. „Ich vermisse den Bericht der Kapitäne von REDWOOD, CALAIS und RICHMOND.“
Erschrocken schossen drei Junioroffiziere auf die Füße, während sich die anderen Kapitäne langsam und amüsiert wieder setzten.
„Strater, fangen Sie doch bitte an.“
„Mylord!“, rief der junge Offizier hastig. Er machte einen leicht übermüdeten Eindruck. Die Tatsache, dass er noch nicht einmal die Zeit gefunden hatte, die jeweils zwei Silbersterne pro Schulterstück auf je drei zu erhöhen, sprach Bände. „Die REDWOOD ist kampfbereit. Zwar nicht mehr so kampfbereit wie sie unter Kapitänleutnant – Entschuldigung – Korvettenkapitän Rend war, aber meine Kernmannschaft und die Freiwilligen aus Hephaistos arbeiten hart daran, eine Mannschaft zu werden. Wir werden unser Bestes geben, Mylord.“
„Atura Tiki, Sir“, meldete sich die zweite Junioroffizierin mit mädchenhaft heller Stimme. „CALAIS.“ Sie war ein dünnes, beinahe zartes Mädchen, aber sie hatte Zeit gefunden, sich drei Sterne auf die Schultern zu heften, wie es sich für einen Kapitänleutnant gehörte. Allerdings war auch sie übermüdet und stand recht wacklig auf den Beinen. Dennoch zog Arling nicht eine Sekunde lang ihre Kompetenz in Zweifel, immerhin war sie Offizierin des Kaisers und hatte in der Zentrale der CALAIS gedient. Deshalb musste und war sie auch in der Lage, eine Fregatte zu kommandieren. Alle Brückenoffiziere mussten das sein, denn man konnte nie wissen, wer plötzlich mitten im Gefecht das Kommando übernehmen musste.
„Es ist hart, Sir, verdammt hart, aber alle geben sich eine Riesenmühe“, sagte sie mit ihrer dünnen Stimme, die wohl der Müdigkeit geschuldet war. „Für den Begleitschutz der Whale-Transporter wird es allemal reichen. Und ich wage zu behaupten, dass wir auch einen Kampf gut hinter uns bringen werden.“
Der dritte Mann erhob sich. Auffallend an ihm war der fein rasierte Bart, ein eher unüblicher Schmuck für katalaunische Offiziere. Dass man die ehemals sauberen, nun überwucherten Linien kaum noch erkennen konnte, sprach ebenso für die Anstrengungen des jungen Kapitäns in den letzten Tagen wie die blasse Gesichtshaut, die dem ehemals braunen Teint gewichen war. „Kapitänleutnant Aadil Chalid, Mylord. Die RICHMOND ist überall und jederzeit gefechtsklar. Stellen Sie uns eine Aufgabe, und wir erfüllen sie.“
Ernst sah Chalid den Kommodore an, und in seinen Augen strahlte unbeugsamer Wille. Der junge Mann musste von Springe oder Flandern stammen, beide Welten hatten ausgedehnte Trockenzonen, in denen sich viele arabische Auswanderer in der Gründungszeit des Kaiserreichs angesiedelt hatten. Als Geburtsort gab Chalids Akte B-King an. Grund genug für Arling, die weitere Entwicklung des derart in den neuen Rang und in sein Kommando katapultierten Offiziers im Auge zu behalten.
Gerard Rössing machte sich nicht die Mühe sich zu erheben. Er winkte ab als Arling in seine Richtung sah. „Mein Schiff ist in Ordnung. Selbst ohne die Überschussbesatzung funktioniert sie wie ein Uhrwerk, die gute STONEWALL. Hier und da mussten wir ein wenig Stahl und etwas Spucke nehmen, aber alles in allem ist sie gefechtsklar. Aber es gibt eine andere Sache, die mir auf der Seele liegt. Han, wollen wir die gute alte RHEINLAND wirklich hier lassen? Es wäre ein Leichtes für die HERCULES, sie in Schlepp zu nehmen und mit ihr in Freundesland zu springen.“
„Leider haben wir nicht die Zeit dafür. Hätten wir sie, hätte ich Anspruch auf die Prisen erhoben. Man kann nicht alles haben im Leben.“
„Die alte Leier“, brummte Rössing. „Wir sollten anfangen, unsere eigenen Regeln zu schreiben, Han.“
„Beizeiten“, sagte der Kommodore. „Beizeiten, alter Freund.
Er sah zu Griffin und seinen Offizieren herüber. „Ich nehme an, die Gryanen haben dem nichts mehr hinzu zu fügen?“
„Die Gryanen sind kampfklar und zutiefst beschämt, Mylord, weil Ihr unseren Kampf ausgetragen habt. Ich weiß nicht, was in der Republik passiert ist, aber etwas muss wirklich schief gelaufen sein. Wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass wir nur noch auf direkte Befehle von Admiral Goldman oder der Präsidentin hören werden. Allem dazwischen ist nicht zu trauen, wie man an Lifurt gesehen hat.“ Griffin runzelte die Stirn. „Wissen wir eigentlich, was mit ihm passiert ist?“
„Es gibt keine Angaben zu seinem Überleben“, sagte Schlüter. „Soweit wir wissen konnten sich zirka achtzig Prozent der Besatzungen retten, aber das ist ein Durchschnittswert. Die MOSKWA hat als Flaggschiff eine Sonderbehandlung bekommen und dürfte neunzig und mehr Prozent Verluste in der Mannschaft gehabt haben. Es wäre ein Wunder, wenn der Admiral das überlebt hat. Wobei ich meine, er hätte es auch nicht verdient, im Gegensatz zu den armen Schweinen in den Mannschaftsrängen, die in dieses Desaster hinein gezerrt wurden.“
Zustimmendes Gemurmel lag über dem Tisch.
„Herrschaften! Wollen wir uns wieder auf das Wesentliche konzentrieren. So sehr ich verstehe, dass Commodore Griffin die Fragen über das Schicksal seines Sektorenadmirals unter den Nägeln brennt, Coryn, ich brauche dich hier. Körperlich und geistig.“
Der Commodore nickte ernst. „Natürlich, Han. Auch wenn diese Entwicklung besorgniserregend ist und jedem guten Offizier quer im Magen liegen muss, zuerst kommt der Auftrag.“ Griffin zwinkerte. „So machen wir es bei den Gryanen.“
Leises Gelächter der anderen Anwesenden antwortete ihm.
„Kommen wir zurück zum Thema. Die Evakuierung schreitet voran, und wir konnten vor wenigen Minuten exakt die Hälfte der Evakuierungswilligen Katalauner in den Orbit schaffen. Unsere Pendler fliegen ohne Unterlass in Zweierschichten, die Piloten sind über Gebühr belastet. Dennoch werden wir für die restliche Evakuierung noch einen guten Tag brauchen. Es dürfte übrigens niemanden wirklich wundern, dass der Elferrat unter Willowby nicht unter ihnen ist. Die exakte Zahl derjenigen, die nicht evakuiert zu werden wünschen, beläuft sich auf ziemlich exakt genau diese elf – was auch niemanden wundern dürfte.“
Wieder wurde gelacht, wenngleich etwas gehässig.
„Die Republikaner werden früher eintreffen. Wir können noch nicht sagen, unter welchem Vorwand dies sein wird, oder ob sie gleich das offene Gefecht suchen. Vielleicht sind sie auch nur an der Besetzung von Vesuv interessiert und lassen uns abziehen, nachdem wir die Evakuierung vollzogen haben. Aber irgendwie habe ich da so meine Zweifel, nachdem wir ihr leichtes Kontingent so zu Klump geschossen haben. An reiner Tonnage sind sie uns weit überlegen. Ihre Mecha-Träger können bis zu zweihundert Maschinen aufnehmen, was ihnen auch die Überlegenheit bei den Rüstern bringt. Zudem haben sie keine Zivilschiffe, die sie beschützen müssen. Das alles bringt mich zu der Erkenntnis, dass wir uns dem Kampf werden stellen müssen, wenn wir die Evakuierung nicht abbrechen wollen. Manche mögen vielleicht sagen, lieber eine Million gerettet als zwei Million verloren. Andererseits sieht es nicht so aus, als würde der Europa-Pakt ihre Heimreise finanzieren, weil sie vor der internationalen Öffentlichkeit so schlecht dastehen. Im Moment scheinen sie eigene Sorgen zu haben.“
„Mylord, den Kampf betreffend habe ich eine Frage“, meldete sich Chalid zu Wort.
„Sprechen Sie, mein Junge.“ Für einen Moment runzelte Arling die Stirn. Genau diese beiden Worte hatte er als Junioroffizier und auf seinem ersten Kommando immer gehasst, wenn ein Vorgesetzter sie ausgesprochen hatte. Immerhin war er erst Mitte dreißig und damit keine zwölf Jahre älter als sein Landsmann.
Ein kurzes Lächeln huschte über das Gesicht des Arabers, bevor er sprach. „Sir, wenn ich das richtig verstanden habe, können nur die Nymhen einen Schlachtkreuzer der Nemesis-Klasse aktivieren. Außerdem müssen sie irgendetwas tun, um ihn aktiv zu halten oder von Zeit zu Zeit neu aktivieren.“
„Das ist soweit richtig, wenngleich Nyhartes uns noch nicht in die Details eingeweiht hat.“
„Sir, es sind Nymphen, oder? Werden sie uns erlauben, mit der HERCULES in die Schlacht zu ziehen? Darf dieses Schiff kämpfen? Ich meine, ein Leichter Kreuzer ist schon ein schmuckes Ding, aber dieses Monster hier dürfte zwei bis drei Schwere Kreuzer aufwiegen. Eine Kampfkraft, die wir dringend benötigen werden, wenn wir uns mit den Reppies anlegen wollen.“
„Das ist eine sehr gute Frage.“
„Und die Antwort kann ich Ihnen geben, Kapitänleutnant Chalid“, klang die Stimme von Juliet Cohraine vom Eingang her auf. „Wie Sie sicherlich bemerkt haben, ist die HERCULES ein Kampfschiff. Genauer gesagt, ein Assault-Schiff. Diese Dinger halten oder erobern als mobile Bastionen ganze Welten. Die Nymphen tolerieren, dass ein aktiviertes Kampfschiff, Hm, kämpft, um es einmal banal auszudrücken. Aber dabei halten sie sich an die ganze verquere Logik, mit der wir Menschen versuchen, einen Krieg menschlich zu machen. Die Absurdität an sich ist ihnen unbegreiflich, aber sie fordern von jedem Kommandeur eines Nemesis-Schlachtschiffs die unbedingte Einhaltung der Terranischen Erklärung ein. Auch wenn das bedeutet, dem Willen eines Vorgesetzten zu widersprechen.“
Die Anwesenden raunten leise, als die beiden magischen Worte fielen: Terranische Erklärung. Die Raumkriegsordnung zur Regulation planetarer und stellarer Konflikte, einschließlich einer genauen Regelung, Kombattanten und Nicht-Kombattanten sowie deren Status betreffend.
„Dann haben wir kein Problem miteinander“, merkte Arling lächelnd an. „Ich habe auch persönlich etwas gegen das Bombardement von Städten und würde niemals auf Rettungsboote feuern lassen.“
„Damit ist meine Frage beantwortet, Mylord“, sagte Chalid zufrieden und ließ sich zurück sinken.
„Wir können mit der HERCULES also kämpfen. Sie ist voll munitioniert, und verfügt über dreihundert Knights, Oberst Monterney sei Dank. Und ich möchte sogar behaupten, sie wiegt sogar vier Schwere Kreuzer auf. Aber vielleicht ist es gar nicht notwendig den Kampf zu suchen. Wir haben unsere Kapazitätenproblematik mit einem Schlag entschärft. Dies bringt uns in die bequeme Lage, improvisieren zu können. Wir können die restliche Zeit nutzen, die uns bis zum eintreffen der Republikaner und ihrer Verbündeten Paktler bleibt und mit der HERCULES auf dem König Drosd-Gedächtnisraumhafen landen. Wir können unter normalen Umständen viertausend Infanteristen mit vollem Material aufnehmen. Ich denke, wenn wir das Schiff bis zur Belastungsgrenze voll packen und uns auf die notwendigsten Vorräte beschränken, können wir einhundertfünfzigtausend Menschen hinein quetschen. Voraussetzung ist natürlich, dass die Hephaistos-Miliz ihr Material zurück lässt. Wir können nicht auch noch ihre Panzer mitnehmen. Leider.“
„Wenn wir mit den Zerstörern und der HOUSTON ebenso verfahren, könnten wir weitere einhunderttausend Menschen aufnehmen, vielleicht aber auch nur achtzigtausend“, sinnierte Griffin.
„Das wäre mindestens ein Fünftel der zur Evakuierung anstehenden Menschen. Es würde uns vier oder fünf Stunden bringen. Aber reichen wird es nicht.“
„Was ist wenn alle Schiffe landen? Auch die Whale-Träger?“, warf Schlüter ein. „Es sollte doch möglich sein, eine Million Menschen dazu zu bringen, sich gesittet auf mehrere Raumschiffe verteilen zu lassen.“
„Das ist sicherlich möglich. Aber dann wären unsere Whales sitzende Enten. Wir müssten sie am Boden verteidigen, und ein einziger Angriff, der durch geht, würde zu einer Massenpanik führen. Wir würden hunderttausende Katalauner in einer solchen Panik verlieren“, wandte Charles Monterney ein. „Bisher geht es den Milizen darum, unsere Landsleute zu retten. Zumindest erzählt man das den Mannschaften. Aber wenn sie einen neuen Befehl kriegen... Mit acht riesigen Zielen am Hafen braucht es nur einen entschlossenen Mann oder einen konzentrierten Beschuss. Man kann die Dinger einfach nicht verfehlen.“
„Und das ist nicht das einzige Problem.“ Cochraine trat vor Arling und reichte ihm einen gefaltete Folie.
Er nahm das Blatt entgegen, entfaltete es und begann es zu lesen. Zwischen seinen Augenbrauen bildete sich eine steile Falte. „Juliet, ist das...?“
„Es ist authentisch. Ich habe es über meine persönlichen Kanäle empfangen. Mylord, ich habe diesen Worten nichts mehr hinzu zu fügen. Außer vielleicht, dass ich Sie persönlich darum bitte, dass... Dass...“
Erschrocken, verärgert und entsetzt zugleich stieß Arling die Luft aus den Lungen. „Herrschaften, dies ist eine Erklärung der Städteregierung der Diadochen. Sie verurteilen die Invasion der Republik Yura-Maynhaus auf Schärfste und verlangen den sofortigen Abzug ihrer Schiffe aus dem Stabiae-System. Zugleich kündigen sie eine Untersuchung an, die autonome Regierung des Europa-Pakts betreffend. Die Vorwürfe gegen sie lauten Landesverrat, Volksverrat, Vertrauensmissbrauch und Bestechlichkeit. Soweit wird es noch in dieser Stunde Admiral Kian und dem Rat des Europa-Pakts mitgeteilt.“
„Erklären und schimpfen können sie viel, sobald die Republikaner im Orbit um Vesuv sind“, murmelte Rössing bitter.
„Richtig, Gerry. Und hier setzt der Teil der Botschaft ein, der für uns gedacht ist. Die Städteregierung bittet mich hiermit ausdrücklich, die Freiheit und Autonomie von Vesuv zu verteidigen und kündigt schnellstmöglich Entsatztruppen an. Darüber hinaus kriege ich den Oberbefehl über, ich zitiere: „Alle Truppen und Schiffe, welche die Sicherheit und Freiheit ihrer Landsleute über den Verrat ihrer korrupten Regierung stellen“. Diese Erklärung wird ebenfalls in einer Stunde verbreitet.“
Rössing erhob sich. „Schön und gut, Han, wir müssen eh hier bleiben und an dieser Stelle kämpfen. Aber wann kommen die Verstärkungen? Wann?“
„Hoffentlich rechtzeitig. Die Situation hat sich geändert, Herrschaften! Plötzlich sind wir wieder im Rennen, und wir haben ein neues Problem! Aber wenn wir das lösen, dann ist die Evakuierung schon so gut wie geschehen. Kontaktiert sofort Admiral Toral! Ich muss wissen, wo sie steht!“
***

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Die Versammlung, die sich wenige Stunden nach der Verbrennung von Frederecs sterblicher Hülle im Dom von Port Arthur eingefunden hatte, konnte man nur exklusiv nennen. Die Garde des Herzogs war geschlossen angetreten, um ihrem Dienstherren und Oberkommandierenden sein letztes Geleit zu geben, ebenso die Garden der vier planetaren Grafen. Drei der vier Grafen waren selbst anwesend; der Graf von Nanking, der Graf von Kantou und der Graf von Angward. Dazu hatte sich eine illustre Runde von Milizionären, Polizeioffizieren und Zivilbeamten versammelt, der Parlamentspräsident und die Vertreterin des Oberhaus waren ebenfalls erschienen. Alles in allem waren über dreihundert Personen unter dem gewaltigen Kuppeldach versammelt. Man hätte meinen können, dass dies hier die erste private Trauerfeier für den aufgebahrten Herzog war, aber weit gefehlt. Es war die erste Strategiesitzung nach der vollständig veränderten Situation.
Geleitet wurde die Versammlung von Takeru Rüdiger von Kantou, dem ältesten Grafen und Enkel von Gandolf. Er saß mit seinem Cousin Richard Johnston von Nanking und seinem Neffen Mikhail zu Angward am Stirnende der langen Tischreihe, an der die vielen Vertreter aus Militär, Polizei und Zivilverwaltung Platz genommen hatten. Es mochte sein, dass es den einen oder anderen irritierte, General Kress in der Nähe der Grafen sitzen zu sehen, dennoch erhob sich kein Protest. Auch blieben Vorwürfe wie „Mörder“ und „Schläger“ aus. Vorerst, zumindest.
Takeru Rüdiger sah ernst in die Runde. Ihm sah man die asiatischen Vorfahren in der Familie am deutlichsten an. Sein Haar war pechschwarz und dick, der Teint dunkel und die Augen leicht geschlitzt. Einzig die prächtige große Nase, die sich in den Genen der Beijings ab und an durchsetzte, durchbrach dieses Bild. „Meine Damen, meine Herren. Ich habe sie alle hier zusammengerufen, um die veränderte Situation zu besprechen, in der wir stecken. Nicht nur wegen Großvaters Tod, sondern auch durch die veränderten Umstände durch die Abdankung von Robert dem Fünften und die bevorstehende Inthronisierung von Elisabeth, seiner Nichte. Hinter mir sehen Sie den Sarg meines Großvaters. Er ist gestorben, um meinen Onkel, seinen Sohn Johann zu beschützen. Er ist gestorben, um B-King zu beschützen. Und er hat mit seinem Tod protestiert. Ich bedaure, dass er für diesen Protest die Dienste von General Kress heran gezogen hat, der zutiefst bestürzt darüber ist, Gandolf Zacharys ausführende Hand gewesen zu sein.“
Leises Gemurmel erhob sich im Saal. Während einige zustimmten, gab es auch jene, die gegen diese Interpretation sprachen.
„Mylord Kantou“, sagte Parlamentspräsident King, „ich weiß, Ihr seid ein nüchterner Wirtschafsführer und Berufspolitiker. Von Eurem Onkel Johann hätte ich solche markigen, von Ehre und Ritterlichkeit triefenden Worte erwartet, doch sicher nicht von Euch. Es verwundert mich ohnehin, dass der Mörder Gandolfs mit uns an einem Tisch sitzt.“
Zustimmendes Gemurmel von einigen der Anwesenden wurde laut.
Takeru Rüdiger schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. „Bitte, Herrschaften. Wir wollen nicht unsachlich werden. General Kress ist kein Mörder, sondern ein ehrenwerter Soldat. Der Wunsch für das Duell ging von Großvater aus, und Sven Kress´ einziger Fehler war, es zu akzeptieren. Ihnen allen muss klar sein, dass Gandolf Zachary fünfzig Jahre in der Flotte gedient hat; nach den Magno-Stahl-Aufständen war er es, der den Offizierskodex neu formuliert hat. Das, was Sie, Herr King, als Mord bezeichnen, ist lediglich ein Auszug aus diesem Kodex, wonach einem Knight-Piloten erlaubt wird, anstelle einer Anklage ein Duell zu wählen, dessen Ausgang auch die Anklage entscheidet. Diese Regelung ist legal und gilt noch immer, Herrschaften, weil gerade die Knight-Piloten mehr Macht in Händen halten als ein Mensch haben sollte. Ihre Ehre muss über allem anderen stehen, und ihr Gewissen muss unangreifbar sein, denn ein moralisch falscher Befehl kann Leiden für zehntausende bedeuten. Unsere Kampfroboter heißen nicht Knights, weil unseren Vorfahren nichts besseres eingefallen ist. Sie heißen Knights, weil jeder einzelne Pilot ein Knight, ein Ritter ist. Und von den Rittern verlangen wir Gerechtigkeit, Erbarmen den Schwachen gegenüber und Moral, höhere Moral als von jedem anderen Soldaten.“
Bei diesen Worten lüftete sich Kress den plötzlich eng werdenden Kragen. Er fühlte sich gescholten und getadelt, und das auch noch zu Recht.
„General, Sie haben eine Pflicht zu erfüllen, nicht? Der Herzog hat verlangt, dass Sie Elisabeth weiterhin als Beschützer und Berater zur Seite stehen. Das ist eine Pflicht, der Sie alles andere unterordnen müssen. Sogar das Leben eines Freundes. Denn mit dem, was mit Elisabeth geschieht, kann das ganze katalaunische Reich fallen.“
Kress wirkte erleichtert, derart losgesprochen zu sein. Und aufgeregte Gespräche unter den Leuten zeigte, dass Takerus Worte auch bei ihnen angekommen waren.
„Die Frage, die sich uns nun stellt, ist die: Was tun wir jetzt?“
„Das erste was wir tun müssen ist einen neuen Herzog zu wählen. Danach sollten wir so schnell es geht die beiden Grafenämter besetzen, Mylord!“, sagte Archdyne Voskresenskij, die Vorsitzende des Oberhaupts. „Ich denke, wir alle stimmen zu, dass die Entthronung Roberts und die forcierte Inthronisierung Elisabeths eine Riesenschweinerei ist, die wir nicht hinnehmen dürfen. Im Gegenteil, die wir verhindern und korrigieren müssen! Bereits einmal hat uns Miranda von Hohenfels ein Kampfschiff geschickt, um unser Oberhaupt inhaftieren zu lassen, weil er ihnen unbequem war. Wenn sie merkt, dass diese ganze Welt mit unbequemen Menschen geradezu gefüllt ist, wird sie weitere Truppen entsenden. Und ich habe nicht vor, meine unbequeme Seite aufzugeben!“
Applaus antwortete der resoluten, kleinen Senatorin von Angward.
„Wir sind einen lächerlichen Sprung von Montillon entfernt. Wir können uns nicht zurücklehnen und sagen, die Sache geht uns nichts an. Im Gegenteil: Die Älteren unter uns erinnern sich noch aus erster Hand daran, was mit B-King passiert ist, als die religiösen Kräfte das letzte Mal einen heiligen Krieg los getreten hatten. Höhere Steuern, Beschneidung der Pressefreiheit, Dutzende, ja hunderte Prozesse gegen ungeliebte Privatpersonen und jenen der Journalistik und des Öffentlichen Rechts sowie der Versuch, den guten Ruf B-Kings im gesamten Kaiserreich nachhaltig zu schädigen. Erpressung, Bedrohung, die Abkommandierung von Soldaten mit der Heimat B-King an die gefährlichsten Brennpunkte, um nur die wichtigsten Fakten zu nennen. B-King war ihnen damals unbequem, weil unsere Welt säkularisiert ist und zugleich jeder Religion ihre Nische erlaubt, weil die eigene Meinung unser höchstes geachtetes Gut ist. Und weil B-King eine der reichsten Welten im Kaiserreich ist. Ich denke nicht, dass wir das erneut zulassen sollten. Nein, um unser, unserer Vorfahren, die für uns gekämpft haben, und um unserer Kinder willen müssen wir diese Farce verhindern, unser Land retten, Elisabeth aus der Hand unserer Feinde befreien und Robert wieder auf dem Thron helfen. Und dazu brauchen wir einen Herzog!“
Der Senatorin wurde applaudiert. Einige klopften mit den Fäusten auf die Tischplatte.
„Die Zeiten sind schwer. Gandolf ist tot, Johann im Kampf gefallen. Wir brauchen eine klare Linie, wir brauchen jemanden, bei dem sich alle unsere Anstrengungen bündeln. Wir brauchen ein planetares Oberhaupt. Deshalb stelle ich den Antrag, dass Graf Takeru Rüdiger von Kantou zum neuen Herzog von B-King gewählt werden soll.“
Wieder wurde geklatscht, lauter als zuvor.
Takeru Rüdiger erhob sich und verbeugte sich vor der Versammlung. „Ich danke für Ihre mitreißenden und so wahren Worte, Senatorin Voskresenskij. Es erfüllt mich mit Stolz, dass diese Versammlung mir ihr Vertrauen schenkt und mir zutraut, Herzog von B-King zu werden. Aber einen gedanklichen Fehler haben Sie gemacht, Senatorin: Wir müssen weder einen Grafentitel, noch einen Herzogstitel besetzen.“
„Mylord, um ein Veto gegen Elisabeths Inthronisierung abzugeben, brauchen wir einen Herzog von Beijing!“, protestierte sie.
„Und es wird einen Herzog von Beijing geben“, erwiderte Takeru. „Johann Armin, mein Onkel, wird neuer Herzog von Beijing und das Veto für B-King auf Sanssouci abgeben.“
„Mylord, der Graf ist tot“, wandte der Polizeipräfekt für Arling Ernest Miller ernst ein. „Und so traurig es ist, Hannes nicht mehr unter uns zu wissen, er hätte gewollt, dass wir uns aufrichten, wenn man uns in den Nacken tritt!“
Bevor wieder zustimmende Rufe erklingen konnten, hob Takeru die Hand. Selbst der beginnende Applaus verstummte. „Herrschaften. Ich bin jetzt nicht ganz achtundsechzig Jahre alt und damit der älteste männliche Abkömmling derer von Beijing. Anders ausgedrückt, mir oblag die Ehre, meinem Großvater Gandolf bei der Erziehung Johanns zu helfen, wo ich es konnte und wollte. Ich hatte vierunddreißig Jahre Zeit, ihn aufwachsen zu sehen und zu beurteilen. Ich habe sehr oft schlechtere als ihn getroffen, doch nur einmal in meinem Leben einen Besseren. Ich kenne Johann, als wäre er mein leiblicher Bruder, als wäre er mein Sohn. Ich weiß, wie er ist. Was er ist. Was er kann. Was er vollbringt. Und ich weiß eines ganz genau: Johann Arling ist nicht so leicht zu töten! Er lebt, meine Damen und Herren, und er wird sich mit einem Knall zurückmelden. Und wenn er das tut, wird er ein B-King vorfinden, das bereit ist, seinem Herzog selbst in eine Schlacht zu folgen!“
„H-habt Ihr Informationen, die uns nicht vorliegen, Mylord?“, kam ein Ruf von der Miliz.
„Nein, noch nicht. Aber ich bin sicher, dass der Knall schon sehr bald erfolgen wird.“ Takeru Rüdiger sah erneut in die Runde. „Vertrauen sie mir! Sie alle, vertrauen sie mir!“
„Und wie lange sollen wir Euch vertrauen, Mylord?“
„CARRIE RODRIGUEZ SENDET WIEDER LIVE!“, rief ein Gardist, der im Laufschritt in die Kirche gestürmt kam. Er stolperte über seinen Ziersäbel, rappelte sich wieder auf und sprang vor Begeisterung auf den Tisch. „DIE MANNSCHAFT DER RHEINLAND LEBT! GRAF ARLING LEBT!“
Während rund um sie gejubelt wurde, lächelte Takeru nur mit einem wissenden Lächeln. Nicht umsonst hatte er lebtags sein ganzes Wissen, sein ganzes Können in diesen dürren Burschen gesteckt und ihn zu dem gemacht, was er heute war. Ein prächtiger Mann mit dem Glück eines notorischen Spielers. Ein Mann, würdig ein Kaiser zu werden.
„Das ist noch nicht der Knall, auf den ich warte“, sagte er ernst und winkte den Milizionär heran. Der Bursche, reich blessiert vom Sturz auf den harten Marmor, kam heran, schlug Mikhail vor Freude strahlend auf die Schulter, was dieser ebenso froh erwiderte und salutierte dann vor Takeru.
„Mylord, Unterleutnant Antoni Monterney, Milizgarde Angward.“
„Rühen Sie, Toni. Sie sind Charlys jüngster Bruder, richtig?“
Der junge Bursche grinste von einem Ohr zum anderen. „Ja, Mylord.“
„Wie viel haben Sie von der Nachrichtensendung mitgekriegt, bevor Sie los gelaufen sind? Was ist passiert im Stabiae-System?“
Der junge Mann wurde verlegen. „Verzeihung, Mylord, aber allzuviel war das nicht. Ich dachte es wäre erst einmal wichtiger zu melden, dass Graf Arling lebt.“
„Das war es zweifellos. Aber haben Sie wenigstens mitgekriegt, was mit der RHEINLAND ist? Was mit Ihrem Bruder ist?“
„Die RHEINLAND wurde versenkt, Mylord. Die Reportage erfolgte von einem aktiven Schiff der Nemesis-Klasse, wie Miss Rodriguez mehrfach betonte, der HERCULES.“
Triumphierend ballte Takeru die Rechte und reckte sie empor. „Da ist er, der Knall! Hannes hat sich ein Schlachtschiff unter den Nagel gerissen! Und nicht einfach irgendeines, sondern ein herkuleanisches mit nymphischer Hybridtechnologie! Dieser Tausendsassa!“
„E-es... Ich bin nicht lange genug geblieben um heraus zu finden, ob Graf Arling die HERCULES kommandiert“, wandte der junge Monterney.
„So?“ Takeru verbarg sein amüsiertes Schnauben hinter der Rechten. „Würde mich schwer wundern, wenn es nicht so ist.“
Er wandte sich wieder der Versammlung zu. „HERRSCHAFTEN!“
Schlagartig kehrte Ruhe ein. Die Ermahnten nahmen wieder Platz.
Nun begann der Graf von Kantou wild zu grinsen. „Ich habe es doch gesagt, oder? Hannes bringt so schnell nichts um. Vor allem nicht so eine Kleinigkeit wie ein explodierendes Kampfschiff!“
Lautes Lachen war die Antwort, begleitet und durchsetzt von Applaus und begeisterten Pfiffen.
„Was natürlich bedeutet, dass die Gruppe, die Elisabeth am Wickel hat, jetzt in Zugzwang ist! Bereiten wir uns also darauf vor, eventuell angegriffen zu werden.“
Überrascht japste General Kress auf. „Du glaubst doch nicht etwa... Takeru!“
„Wir müssen mit allem rechnen. Sven, du solltest jetzt wieder mit der PRAG aufbrechen. Ihr müsst so schnell wie möglich zurückkehren! Zurück nach Montillon!“
„Ja, Mylord. Euch allen hier auf B-King viel Glück.“
Die Grafen verabschiedeten sich von Kress mit Wünschen, Worten und wohlmeinenden Schulterklopfern. Danach verließ der General die Halle im Laufschritt.
„Das war gute Arbeit, Monterney“, sagte Graf Kantou ernst, „aber sie ist nicht vollständig. Ich wünsche einen kompletten Bericht.“
„Jawohl, Mylord.“
Für eine Sekunde war es Takeru, als würde ihm jemand über die Schulter sehen. Er wandte sich um und sah auf den Sarg seines Großvaters. „Keine Sorge, Opa“, sagte er sanft. „Wir vier schaffen es. Wenn nicht wir, wer dann?“
Kantou nahm wieder Platz. „Nun gut. Wie ist der Stand unserer Verteidigung in diesem Moment?“
***
„Hier ist Carrie Rodriguez für TNC. Geben sie mir fünf Minuten ihrer Zeit und ich gebe ihnen das Universum.
Ich berichte gerade Live von Bord der HERCULES, einem der beiden überlebenden Kriegsschiffen der Nemesis-Klasse. Gigantische Schlachtschiffe mit unglaublichem Potential, denen nicht einmal die stolzen Schiffe des terranischen Home Fleet-Verbandes etwas gleichwertiges entgegen zu setzen haben. Seit drei Stunden befindet sich die HERCULES im Orbit über Hephaistos, während dort unten die Evakuierung weiter geht. Viele meiner Kollegen sind dort unten und berichten direkt, erzählen einzelne Schicksale oder nehmen die Kämpfe mit der Miliz auf. Kämpfe, die nun vielleicht hinfällig sind, denn vor wenigen Minuten hat die Städteregierung auf den Umstand reagiert, dass die 9. Assault Fleet ohne vorherige Ankündigung ins Stabiae-System gesprungen ist. Zwar wurde sie vom Rat des Europa-Pakts eingeladen und alle Raumschiffe der Heimatverteidigung Stabiae wurden aufgefordert, die republikanischen Schiffe in allen Belangen zu unterstützen, dennoch sieht der Städterat einen Eroberungsversuch als gegeben an. Aus diesem Grund hat der Rat der Städteregierung vor wenigen Minuten Kommodore Arling ermächtigt, den republikanischen Verband und alle ihn unterstützenden Schiffe zu stellen und daran zu hindern, in den Orbit von Vesuv einzutreten.
Diese Entscheidung mit der Aufforderung, Stabiae sofort zu verlassen wurde Admiral Kian zugestellt und ist bis zu diesem Moment noch nicht beantwortet. Wir nehmen aber nicht an, dass...“
„Carrie, ich habe auf Kamera zwei die Verbindung zu Admiral Toral.“
„Gehe Live drauf, Spence, und lass mich das Bild sehen.“
Die Aufnahme wechselte und zeigte nun das riesige Gewölbe der Zentrale mit dem großen Hauptmonitor. Durch die großen Dimensionen in der Zentrale gab es mehrere dieser Art, aber den Namen Eitelschrecken hatte jeder einzelne mehr verdient als vergleichbare Schirme wie auf der RHEINLAND oder der SIGURD.
Das Gesicht von Jenna Toral starrte auf die Besatzung der Zentrale herab, und ihre Miene war nicht gerade freundlich. „Was wollen Sie, Arling? Reicht es denn noch nicht, dass ich für Sie und Ihre Evakuierung meine militärische Karriere das Klo hinab gespült habe?“
„Ich will Sie, Admiral“, antwortete Arling unverblümt. „Sie haben die Entscheidung des Städterats gehört. Ebenso die Ankündigung, den Paktrat wegen des Verdachts auf Landesverrats zu inspizieren.“
„Wenn schon. Wir sind ein Staatenbund! Und wenn unsere sauberen Politiker meinen, wir müssten an Yura-Maynhaus verkauft werden, weil sie dort besser fahren, dann hat das verdammt noch mal niemanden anzugehen! Der Europa-Pakt ist immer noch autonom!“
„Und warum sind Sie dann nicht mit der SIGURD auf dem Weg zu Kian?“, erwiderte Arling ernst.
„Ich wurde meines Kommandos enthoben. Der neue Admiral der Heimatverteidigung Stabiae ist bereits eingetroffen. Das haben Sie doch sicherlich mitgekriegt. Oder ist die Technik der HERCULES zu kompliziert für Sie und Ihre Leute, Arling?“
„Ich habe vor allem mitgekriegt, dass einundzwanzig Schiffe der Stabiae-Verteidigung ihre Positionen nicht verlassen haben. Auf wen werden die Kapitäne wohl hören, was meinen Sie?“
„Hm! Arling, wollen Sie mich etwa dazu verführen, bei Ihrer abwegigen Verteidigungsmaßnahme mitzumachen und nach meiner Karriere nun auch noch meine Schiffe zu opfern? Vorsicht! Es gibt für alles eine Grenze!“
„Und es gibt für alles einen Beweggrund. Denken Sie wirklich, Admiral, die Diadochen werden es hinnehmen, dass einer ihrer Mitgliedsstaaten plötzlich Teil von Yura- Maynhaus wird?“
„Diese Sorge kommt wohl ein paar Jahrhunderte zu spät! Einigkeit hätten wir damals, bei der Vernichtung der Dynastie, besser gebrauchen können“, erwiderte sie bitter.
„Dennoch ist sie da. Und sie hat eine irritierend weltliche Motivation, Jenna.“
Wenn die Admirälin brüskiert war weil Arling sie mit ihrem Vornamen ansprach, zeigte sie es nicht. Stattdessen runzelte sie die Stirn. „Vesuv.“
„Richtig. Vesuv. Die wichtigste Industriewelt in diesem Sternensektor. Die umliegenden Herrscher wären Idioten, wenn sie diese Welt Yura-Maynhaus überlassen würden. Und da beginnt das Problem. Stellen Sie sich vor, meine Schiffe verteidigen diese Welt, aber es gelingt der Large Fleet durchzubrechen und Vesuv einzunehmen. Danach trifft Entsatz ein, und der Kampf im Orbit beginnt erneut. Die Verwüstungen auf der Oberfläche wären enorm.“
„Dann kämpfen Sie doch einfach nicht! Haben Sie schon mal nachgerechnet? Trotz der HERCULES kann Kian den Boden mit Ihnen aufwischen! Vor allem nachdem Sie aus fünf eingespielten Mannschaften acht unerfahrene gemacht haben, Arling! Und haben Sie auch mal dran gedacht, dass es nicht nur die Large Fleet gibt? Es werden weitere Flotten kommen, jetzt wo der Waffenstillstand mit Katalaun feststeht! Wahrscheinlich sind sie schon auf dem Sprung, denn ich glaube den Bastarden keine Sekunde, dass diese ganze Aktion nicht schon seit Monaten oder gar Jahren geplant ist.“ Spöttisch sah sie Arling an. „Vielleicht nicht ganz in dieser Variante mit Ihrer verrückten Evakuierung und Ihrem wahnsinnigen Angriff auf Lifurt, aber im Großen und Ganzen schon.“
„Dann sind wir uns ja einig. Admiral, ich bestätige Ihren Rang und unterstelle Sie meinem direkten Kommando. Sammeln Sie Ihre Schiffe und eilen Sie zur Verteidigung von Vesuv. Mag die Large Fleet kommen, mögen weitere Flotten kommen, wir bedienen in der Reihe der Eingänge. Mir gefällt weder der Europa-Pakt, noch seine Regierung. Und am allerwenigsten seine Bereitschaft, Zwangsarbeiter zu benutzen. Aber ich denke nicht, dass die Bewohner dieser schönen Welt etwas für den Wahnsinn ihrer Anführer können, deshalb bin ich bereit sie zu verteidigen.“
„Moment mal, Arling, Moment! Was bilden Sie sich ein? Glauben Sie ernsthaft, ich tanze von jetzt auf gleich nach Ihrer Pfeife? Glauben Sie wirklich, Sie haben das Recht, mich wieder einzusetzen? Denken Sie, ich beteilige mich an Ihrem persönlichen Wahnsinn?“
„Ja“, antwortete der Graf lapidar. „Weil ich vor mir nicht nur eine fähige Offizierin sehe, die sich den Schutz der Menschen verschrieben hat, sondern außerdem eine herkuleanische Prinzessin, die ihre Pflicht viel zu gut kennt.“
Unwillig brummte sie auf. „Es ist gemein, alte Familiengeschichten aufzuwärmen, Johann. Ich gebe der Miliz auf Vesuv Anweisung, die Angriffe auf die Evakuierung einzustellen und Sie mit allen Mitteln zu unterstützen. Auch unsere Hydrae sind raumtauglich. Und Oplontis verfügt über ein paar recht gute Abwehrforts.“
„Ihre Schiffe, Hoheit?“
„Wenn Sie meine Unterstützung wollen, nennen Sie mich nicht Prinzessin, oder ich nenne Sie Kaiser von Katalaun!“, fauchte sie. „Ich glaube zwar nicht, dass ich auch nur einen Kapitän dazu bringen kann, mir in diese Idiotie zu folgen, aber ich werde es versuchen. Vielleicht komme ich alleine in einer Rettungskapsel zu Ihnen.“
„Ich werde Sie auffischen, versprochen“, sagte Arling mit einem Schmunzeln.
„Na dann.“ Die Verbindung erlosch und zeigte nun eine schematische Darstellung des Stabiae-Systems.
„Status der Large Fleet? Ankunftszeit?“
„Avisierte Ankunftszeit im Orbit sind sechs Stunden und acht Minuten, Kommodore. Sie drücken mächtig auf die Tube.“
„Zeit, das wir uns ein Schlachtfeld aussuchen. Zeit, dass wir unsere Knights und Rüster von Hephaistos abziehen können. Wir werden sie hier oben bitter brauchen.“

„Mehr passiert da wohl nicht, Carrie“, kommentierte Spence.
„Vorerst nicht. Gehe zurück auf mich. Meine Damen und Herren, ich glaube, Graf Arling – er besteht darauf weiterhin Arling genannt zu werden, weil er, wie er sagt, den Herzogstitel nur auf B-King annehmen will – hat soeben eine Verbündete gewonnen. Zudem eine Frau, deren Linie auf die wenigen Überlebenden der herkuleanischen Dynastie zurückgeht. Wir... Was ist denn, Spence?“
„Kamera drei fängt gerade was interessantes ein. Ich blende es mit auf deine Anzeige.“
„Das ist ein Ortungshologramm, Spence.“
„Und es zeigt alle Schiffe im System. Fällt dir etwas auf? Unsere Schiffe sind grün, die republikanischen sind rot und die Paktler blau. Achte vor allem auf die kleinen Pulks blauer Schiffe.“
„Sie ändern den Kurs, wie es aussieht.“ Nachdenklich rieb sich Carrie das Kinn. „Weißt du schon, wohin sie fliegen werden?“
„Ich weiß vor allem, dass von den siebzehn Schiffen, die sich Admiral Kians Verband unterstellen wollen, fünf gestoppt haben und augenscheinlich auf Gegenkurs gehen wollen. Und jetzt rate mal, was die Schiffe machen, die sich bisher überhaupt nicht bewegt haben, einschließlich der SIGURD?“
„Sie kommen hierher?“
„Bingo.“
„Han, du alter Charmeur“, murmelte Carrie schmunzelnd. „Werte Zuschauer, sie sehen, es bleibt aufregend und spannend. Wir warten auf den Entsatz der Stabiae-Heimatflotte und auf die Hilfe, welche uns die Städteregierung versprochen hat. Darüber hinaus schwebt immer noch das Damoklesschwert von Admiral Torals Worten, Yura-Maynhaus könnte weitere Schiffe geschickt haben. Und wir wollen auch nicht den Notruf vergessen, den Iolaos, das Bordgehirn, ausgeschickt hat. Es ist nicht unmöglich, dass jemand auf den Hilferuf eines Nemesis-Schlachtschiffs antwortet.
Begleiten Sie uns nun wieder in die Zentrale der HERCULES zum versprochenen Interview mit Kapitänleutnant Lüding mit dem Thema: Vom Ersten Offizier der RHEINLAND zum Ersten Offizier der HERCULES – die stille Beförderung.“
***
Das Warten wurde zur Qual. Vier Stunden, bis Kian eine Position erreichte, die seine Bekämpfung erlaubte. Arling hatte mit dem Gedanken gespielt, ihm alles entgegen zu werfen, genauso wie er mit den Fregatten und Zerstörern verfahren war, auf einer Position weit vor dem Planeten. Aber ein unbestimmtes Gefühl riet ihm dazu, in einem Sonnensystem, das von seinen Beschützern verraten und verkauft worden war, den größten Preis nicht unbewacht zu lassen.
Zwar hatte er nicht vor im Orbit von Vesuv zu kämpfen, um die Kollateralschäden so gering wie möglich zu halten, aber Machbarkeit stand hier im Wettstreit mit Wollen.
Die Schiffe, die Admiral Kian mittlerweile auf bot, inklusive der Pakt-Einheiten, die sich auf seine Seite geschlagen hatten, wogen von der Tonnage her die Verteidiger auf. Dennoch war es nicht mehr die gleiche Situation wie gegen Lifurt. Ein Bär und ein Wolf hatte sich gegen Wölfe und Füchse gewandt, was passable Chancen für den Wolf auf Arlings Seite, die STONEWALL, bedeutet hatte. Diesmal aber standen ein Kodiak und ein Bär mit fünf Wölfen gegen Bären, Löwen und Tiger, wenn man einmal die blumige Berichterstattung von Carrie Rodriguez heranzog.
Die HERCULES war ein großes, schwerfälliges Schiff. Gewiss, sie war der Chef im Ring, das absolute Monster, aber wurde es ausmanövriert und stürmte der Gegner einfach vorbei, war der Orbit verloren. Arling fehlten einfach Leichte Kreuzer, um sie gegen Kians Einheiten setzen zu können. Dort verbarg sich auch das zweite Dilemma. Kian konnte sich durchaus dazu entschließen, die HERCULES zu ignorieren, ihr Feuer zu schlucken und stattdessen die leichteren Einheiten und die HOUSTON zu bekämpfen. Eine allein stehende HERCULES würde sich nicht ewig halten können. Arling konnte nur hoffen, dass es Admiral Toral gelang, die SIGURD und die DENEB, die beiden Leichten Kreuzer der Stabiae-Verteidigung, auf seine Seite zu ziehen, um die Chancen etwas auszugleichen.
Dann waren da auch noch die Mecha-Träger. Sie waren in der Lage, den Orbit mit Rüstern zu überschwemmen, einmal ganz davon abgesehen, dass die anderen Schiffe der Large Fleet ebenfalls Rüster mit sich führten. Das Verhältnis bei den Kampfrobotern stand jedenfalls vier zu eins gegen die Katalauner und ihre Verbündeten. Und wenn er erst an Infanteristen dachte, konnte er sich einem beklemmenden Gefühl nicht erwehren. Eintausendundachthundert Rauminfanteristen vom Besten, was Katalaun zu bieten hatte, standen auf seiner Seite. Ganth unterstand eines jener Regimenter, denen man nicht begegnen wollte, wenn man gerade auf der falschen Seite diente. Andererseits waren sie für Enteraktionen und Raumkampf trainiert und ausgerüstet. Wie die Situation in Hephaistos bewiesen hatte, hielten sie sich auch am Boden gut, aber ohne die Widerstandsgruppe unter der Katalaunern und ihre vierzigtausend Soldaten hätte es vielleicht längst ganz anders ausgesehen. Vor allem wären ihre Verluste weit höher gewesen.
Noch so ein Punkt auf der Liste. Dank der gewitzten und überaus dreisten Widerstandskämpfer verfügte Arling nun über eine begrenzte Panzereinheit, was in einer Stadt durchaus von Vorteil war. Er kämpfte immer noch mit sich, wenn es um die Panzer ging. Sie hatten die Kapazitäten, diese Waffen mitzunehmen. Aber sollten sie die Zeit dafür wirklich opfern, wenn die Situation für die von der Oberfläche evakuierten Zivilisten immer beklemmender wurde?
Für einen kurzen Zeitraum konnte man einen Whale mit dreihunderttausend Menschen überladen, aber das war kein Zustand für die Ewigkeit. Ein, maximal zwei Tage, dann würden die Probleme auftreten. Soziale Spannungen, mangelnde sanitäre Einrichtungen, versagende Luftaufbereitung. Und je länger sie hier gefangen waren, den Orbit verteidigen mussten, desto länger waren diese Menschen nicht nur in Gefahr, in den Whale-Transportern zu sterben, sondern sich auch irgendwann gegenseitig umzubringen, und sei es durch die Überlastung der Luftumwälzung.
„Sir“, meldete Leutnant Turnau, „die APOLLON und die HYPERION melden ebenfalls Zustand geladen.“
Arling schenkte der jungen Funkoffizierin einen ernsten Blick und nickte dann. „Verbindung mit Commodore Griffin.“
„Verbindung steht.“
Auf einem der Hauptschirme erschien das Gesicht von Coryn Griffin. Er wirkte fit, aber die Augenringe verrieten ihn. „Was kann ich für dich tun, Han?“
„AGATHA, AGAMEMNON, APOLLON und HYPERION sind bis zum Rand mit Menschen voll gestopft. Eins Komma drei Millionen Menschen sowie Lebensmittel für drei Tage wurden an Bord gebracht. Die Ersatzmannschaften sind klar zum auslaufen.“
Griffin strich sich über sein Kinn. „Du willst ein paar meiner Fregatten als Begleitschutz.“
Arling nickte. „Drei von deinen, drei von meinen. Wir schicken die Whale vor. Die Fregatten eskortieren sie in die Nisos Elektron und geleiten sie so schnell es geht zur nächsten Stützpunktwelt, auf der sie dann provisorisch unter kommen werden, bis wir mit den restlichen Flüchtlingen und der Flotte nachkommen können.“
„Hast du besondere Wünsche, die Schiffe betreffend, oder kann ich die Gelegenheit nutzen und meinen Leuten etwas Training verpassen? Vergiss nicht, an Bord der Fregatten meiner unerfahrensten Kapitäne sind auch jeweils eintausend katalaunische Zivilisten untergebracht.“
„Etwas ähnliches habe ich mir auch gedacht. Der Kurs Richtung Nisos Elektron ist frei, und ein wenig Begleitschutz schärft ihre Sinne auch ohne Kampf. Ich dachte tatsächlich an die LYDIA unter Campbell sowie die OTHELLO von Watts und die ROCKET unter Haggart.“
„Nichts gegen einzuwenden. Und da du nur drei Fregatten hast, ist offensichtlich, wen du mitschicken wirst.“
„Sehr scharfsinnig bemerkt“, erwiderte Arling.
„Ich bin dafür, dass wir noch einen Zerstörer mitschicken. Nur für den Fall der Fälle.“
„Ein Zerstörer, der uns hier fehlen wird“, erwiderte Arling in ablehnendem Tonfall. „Sechs Fregatten sind mehr als genug Begleitschutz für vier Whale.“
„Du vergisst, dass die Whale-Transporter nicht nur zu den größten Frachtern gehören, die je gebaut wurden, sondern auch zu den Schwerfälligsten. Deine HERCULES ist dagegen eine leicht dahin tänzelnde Primaballerina.“
Arlings linker Mundwinkel zuckte leicht. Er ächzte gequält und rief sich eine Aufstellung der Flotte auf. „Leutnant Turnau, was macht die SIGURD?“
„Admiral Toral hat sich mit dem Schiff angekündigt, um sich uns anzuschließen. Sie hat weitere Schiffe in Aussicht gestellt, Sir.“
„Wir schicken Slodowsky mit“, entschied Arling. „Er übernimmt das Kommando über die Flottille. Wenn wir schon einen Zerstörer mitschicken, dann sollte es wenigstens eine eingespielte Mannschaft sein. Sobald die Menschen sicher auf dem Boden eines Nisos Elektron-Planeten sind, soll er sofort mit allen sieben Schiffen zu uns zurückkehren.“
„Ich fertige die Marschbefehle aus“, versprach Griffin. Nach einem weiteren Nicken deaktivierte er die Verbindung wieder.
„Marschbefehl an die REDWOOD, die CALAIS und die RICHMOND. Abflugerlaubnis für die Whale-Transporter.“
„Aye, Aye, Sir.“
Egal wie er es drehte und wendete, in seinem Magen steckte ein dicker Klumpen, der sich nicht auflösen wollte. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, seine Streitmacht aufzusplitten. Ihm war nicht wohl dabei, eine Million katalaunischer Bürger unter so einem schwachen Schutz fliegen zu lassen. Aber er wusste, dass diese Menschen in Sicherheit waren, sobald sie erst einmal im Sprung waren. Es musste nur schnell gehen. So schnell wie es mit Whale-Transportern möglich war. Und genau dieser Punkt machte ihm Sorgen.
„Nachricht von der SIGURD. Die DENEB hat sich ihr angeschlossen und kommt von der anderen Systemseite herüber zu uns.“
„Das ist eine gute Nachricht“, murmelte Arling. Es war wirklich eine gute Nachricht, und sie war höchst willkommen, weil die schlechten ohnehin gerade überwogen.
***
Auf der Planetenoberfläche, genauer gesagt in der Millionenburg Hephaistos, nahm Major Russel gerade dankbar einen Becher Kaffee von Sören Keaton entgegen. Der junge Miliz-Soldat, der entscheidend beim Aufbau des Widerstands und dessen Bewaffnung mitgewirkt hatte, lächelte sie auf seine unnachahmliche jungenhafte Art an und setzte sich ihr gegenüber. „Vorsichtig trinken, Ninja, das ist heiß“, murmelte er und nahm einen vorsichtigen Schluck aus seinem eigenen Becher.
Rund um sie wurde gearbeitet. Der Verwaltungstrupp des Widerstands führte, unterstützt vom Stab Oberst Ganths, die Evakuierung sowie die Koordinierung der Truppen durch, die Hephaistos beschützten. Einige Pakt-Beamte beobachteten die Szenerie schweigend aus dem Abseits.
„Sind die immer noch hier?“, brummte Keaton und deutete auf die Verwaltungsfachleute.
„Was sollen wir machen? Dies hier ist ihr Administrationsgebäude. Wir können froh sein, dass sie sich nicht gesträubt haben, als wir es übernehmen wollten. Die Kommunikationsanlagen sind hier einfach besser als in der alten Zuflucht, und wir haben vollen Zugriff auf alle automatischen Kameras und Überwachungseinrichtungen der Stadt.“ Vorsichtig nippte sie und verzog verärgert das Gesicht. „Das ist wirklich heiß, Sören.“
„Ich würde sie trotzdem gerne raus schmeißen. Wir sind die Leute mit den Waffen, und sobald wir den Planeten verlassen haben können sie hier wieder tun und lassen was sie wollen“, brummte Keaton verärgert.
„Wir haben nichts zu verbergen, und diese Männer und Frauen gehören nicht zur Miliz, sondern zur Verwaltung. Militärisch werden sie uns kaum gefährlich werden“, wandte Russel ein.
„Nein, sie können nur weiterhin lügen und uns schlecht machen“, erwiderte Keaton aufbrausend. „Die fadenscheinigen Ausreden gehen mir nämlich gegen den Strich. Wir haben nur Anweisungen ausgeführt, wenn ich so etwas schon höre.“
„Mag sein, Sören. Aber haben Sie schon mal darüber nachgedacht, wie oft es in Hephaistos zu Versorgungsengpässen oder sogar Hungersnöten gekommen ist, seit ihr hierher gekommen seid?“, erwiderte sie mit dem Anflug eines Schmunzeln.
„Was ist das denn für eine Frage? Natürlich kam es nicht zu Versorgungsengpässen. Wir hatten mal kurzfristig eine Welle an Durchfallerkrankung, aber die Ärzte haben den Erreger schnell identifiziert und...“ Ärgerlich, weil er Russel in die Falle getappt war, starrte Keaton in seinen Kaffeebecher. „Okay, man kann nicht sagen, dass sie schlecht zu uns waren. Im Gegenteil. Aber es war ja auch ihr Auftrag, uns gesund und arbeitsfähig zu halten. Uns zu unterdrücken und uns zu brechen war Aufgabe der Besserung.“
„Über die bereits tausende Bilder und über sechzehn Stunden Filmaufnahmen in der Galaxis verbreitet wurden. Aber ist es wirklich nützlich, diese Menschen für die Fehler anderer zu hassen?“
Keaton grummelte unverständlich vor sich hin.
„Das fasse ich als nein auf“, erklärte die Ninja salopp.
Einer der Verwaltungsfachleute löste sich aus der Gruppe und trat zu Russel. „Major Russel, auf ein Wort.“
„Direktor Vandersen. Was kann ich für Sie tun?“
„Ihre Leute haben Tote und Verletzte der angreifenden Miliz in der Stadt kontrolliert und versorgen sie, soweit es möglich ist.“
„Es sind ein paar zusammengekommen, ja.“
„Ich bitte Sie darum, der Miliz die Kontrolle über dieses Lazarett zu geben. Es steht in einem Bereich, der bereits evakuiert ist. Eine Verkürzung der Verteidigungslinie dürfte auch euch Kaiserlichen zugute kommen.“
„Und wir sollen eine verkürzte Linie gegen Stadtkampf tauschen?“, rief Keaton aufbrausend. „Na, herzlichen Dank.“
Vandersen grunzte ärgerlich. „Leutnant Keaton, ich weiß, Sie haben viel durchgemacht in den letzten beiden Jahren. Aber sehen Sie auch mal die andere Seite. Admiral Toral hat sich endlich dazu entschlossen, aktiv zu werden, und viele Milizkommandeure haben bereits zugestimmt, dass sie sich unter ihr Kommando stellen und die Befehle des Paktrats nicht beachten werden. Kein Paktler in diesem Raum mag den Gedanken ausverkauft zu werden, so wie es mit Ihnen und Ihren Landsleuten geschehen ist, Leutnant. Im Gegenteil. Deshalb denke ich, es wäre eine große Geste, wenn einer dieser Milizeinheiten die Kontrolle über das Lazarett anvertraut wird. Ihr Katalauner habt ihnen ihre Grenzen aufgezeigt, sehr schmerzhaft aufgezeigt. Wenn ihr jetzt noch zeigt, dass ihr willige Verbündete seid, dann werden weitere Milizeinheiten zu uns stoßen. Und das wird für den zukünftigen Kampf wichtig sein, denn der wird hier auf der Oberfläche von Vesuv entschieden, nicht da draußen im Weltall.
Bitte, Major Russel. Geben Sie den Milizionären das Zeichen, dass Sie nicht mehr in ihre Richtung los schlagen werden. Geben Sie ihnen das Zeichen, dass wir fortan in die gleiche Richtung schießen. Geben Sie ihnen etwas von ihrem Stolz wieder. Wir werden das alles bitter brauchen.“
„Ha! Fast zwei Jahre haben Sie den Verwaltungsapparat geleitet, der uns unterdrückt hat, und nun sollen wir auf Kuschelkurs gehen? Soll ich Ihnen mal sagen, was ich davon halte, Vandersen? Sie sind...“
„Genug, Leutnant. Ich glaube, Sie konnten Ihren Standpunkt klar machen. Was Sie aber nicht konnten, ist den größten Nutzen aus der Situation zu holen. Ich brauche Ganth hier. Es gibt immer noch Milizen, die uns weiterhin angreifen, obwohl eine republikanische Greifertruppe das System annektieren will, und ich muss wissen, was sie sich, ihren Leuten und Ihren Leuten, Keaton, zutraut.
Das Lazarett aufzugeben bedeutet unsere Ressourcen zu schonen und unsere Leute weiter zusammen zu führen, was prinzipiell richtig ist. Aber sie zu konzentrieren macht sie auch angreifbarer. Letztendlich müssen wir uns auf dem König Drosd-Raumhafen konzentrieren und uns verletzlich machen. Ein oder zwei Verbündete für diese Zeit sind sicher nicht verkehrt.“
Verärgert sah Keaton auf die Tischplatte, sagte aber nichts mehr.
„Ich werde Kontakt mit der Miliz aufnehmen und ihnen den Zwischenstand mitteilen“, sagte Vandersen. „Ich hoffe auf einen positiven Bescheid. Natürlich wird eine Einheit übernehmen, die erstens darauf ausgelegt ist, das Lazarett zu betreiben und zweitens noch nicht im Kampf mit ihnen stand.“
„Ein reichlich unnötiger Kampf, übrigens. Viele Tote hätten vermieden werden können“, brummte Keaton angriffslustig.
„Sie verkennen die Lage, Leutnant. Diese Männer und Frauen waren nicht auf dem Weg hierher um Ihre Leute zu töten, sondern um sie zu retten. Bedenken Sie das.“ Vandersen nickte Russel zu und zog sich zurück.
Keaton seufzte tief und ernst. „Ich gehe Oberst Ganth kontaktieren, bevor ich an die Decke gehe. Vandersen zimmert sich seine Realität mit leichter Hand zurecht.“
„Oh, da ist er kein Einzelfall“, murmelte Russel amüsiert.

Zehn Minuten später stand eine reichlich übernächtigte Cecilia Ganth vor der Ninja. Zwar war Oberst Ganth ranghöher als die Spezialistin, aber ein Regiment Truppen zu koordinieren war mehr als genug Arbeit für sie, weshalb sie das Hauptquartier liebend gerne in die fähigen Hände von Russel und Keaton gelegt hatte.
Sie standen etwa drei Minuten beieinander und diskutierten leise, unauffällig auffällig dabei live von einem arkturischen Zweier-Fernsehteam aufgenommen, und schienen auch zu einem Entschluss zu kommen.
„Hephaistos ist am Reißbrett entstanden. Die Paktler haben Kapazitäten gegeneinander aufgerechnet, Funktionalität geprüft und alles rein zweckmäßig gestaltet. Jeder Wohnblock ist von allen vier Seiten von Straßen umgeben. Die Straßen ziehen sich wie Schachbrettmuster durch die Stadt. Und jeweils vier Blöcke sind von Ausfallstraßen umgeben, welche eine höhere Geschwindigkeit für den Verkehr erlauben sollen. Diese großzügig angelegten Ausfallstraßen – großzügig für die Verhältnisse in Hephaistos – stellen perfekte Ansatzpunkte für die Verteidigung dar. Wir können die Auffahrtrouten mit Knights und Panzern blockieren, Infanterie in die Häuser setzen. Die Schussentfernungen werden nicht optimal sein, außer ein Gegner ist so dumm, uns auf einer Straße anzugreifen, die wir komplett einsehen können und diese vom Anfang bis zum Ende zu benutzen. Aber ich denke, wir können die anstrengende Außenverteidigung aufgeben, bis hierhin abrücken und gut zwanzig Knights und einhundert Infanteristen frei machen, die unsere Verteidigung am Hafen aufbessern können. Wir geben in etwa ein Drittel der Stadt auf, das bedeutet Priorität bei der Evakuierung. Bisher haben wir uns darauf konzentriert, die Randgebiete zuerst zu evakuieren und sind damit auch recht erfolgreich. Aber da unten sind zur Zeit von zwanzigtausend unserer Landsleute, die wir zuerst über diese Ausfallstraße schaffen müssen. Ich veranschlage dafür drei Stunden. Dadurch wir die gesamte Evakuierung um gut eine Stunde verlängert. Aber wenn wir sofort anfangen, können wir das Lazarett in dreieinhalb Stunden übergeben und sind die Sorge für die Pakt-Truppen los.“
„Gut, Ihre Meinung zu hören, Cecilia. Dann machen wir es so. Es scheint ja, dass wir plötzlich nur noch von Freunden umgeben sind, also was haben wir zu verlieren?“
„Ma´am, bei dieser Gelegenheit, darf ich noch einmal das Thema ansprechen, das jene katalaunischen Zwangsarbeiter betrifft, welche die Stadt verlassen haben als wir sie isolierten oder nicht mehr rechtzeitig zurück kommen konnten, weil Busse und Flüge in die Stadt selbst gecancelt wurden? Wir haben die Daten überschlagen und kommen immerhin auf gut dreitausend von ihnen.“
„Was sagen Sie dazu, Administrator Vandersen?“
„Ich lasse sie, sofern sie die Evakuierun wünschen, zur Übergabe des Lazaretts mitbringen. Dort werden wir sie in Ihre Obhut lassen.“
„Ich danke Ihnen, Administrator. Dann lassen sie uns anfangen.“
Keaton erbleichte. Sein Gesicht wurde aschfahl, dann stahl sich ein wütendes Knurren auf seine Lippen.
„Langsam, langsam, Heißsporn. Haben Sie nicht gerade gesagt, Sie geben der Sache einen Versuch?“, mahnte Russel.
„Das ist es nicht“, antwortete er mit halb erstickter Stimme.
Russel folgte seinem Blick und verstand sofort die Verärgerung des Miliz-Offiziers.
Ein alter Bekannter trat in diesem Moment in den Saal, und in seiner Begleitung befanden sich zehn nicht minder bekannte Menschen, wenngleich sie hauptsächlich seine Mitläufer waren.
„Willowby“, zischte Ganth zwischen zusammen gepressten Zähnen hervor. „Ausgerechnet hier und jetzt wagt er sich aus seinem Loch.“
„Oberst Ganth, führen Sie Ihre Befehle aus. Leutnant Keaton, Sie ebenfalls. Administrator Vandersen, darf ich Sie bitten als Augenzeuge hier zu bleiben?“
„Sehr wohl, Ma´am.“
Ganth und Keaton entfernten sich langsam, aber mit zunehmender Entfernung beschleunigten sie.
Vandersen und Russel erwarteten die ehemalige Arbeitervertreter von Hephaistos alleine am Tisch. Einer von Ganths Offizieren, ein Hauptmann in voller Gefechtsrüstung eskortierte die Gruppe. Er nickte in Richtung von Major Russel. „Ma´am, Hauptmann Fuller, Sperrstellung Ecke 57. Straße, 9. Avenue. Ich wurde von Herrn Willowby und seinen Begleitern kontaktiert und gebeten, sie hierher in die Administration eskortieren zu lassen. Ich habe die Eskorte selbst angeführt, weil ich meinen Jungs nicht zumuten wollte, den Befehl zu geben auf unsere eigenen Leute zu feuern, wenn sie von aufgebrachten Bürgern angegriffen werden.“
„Danke, Fuller. Das war gut mitgedacht und erstklassige Arbeit. Ich hoffe, Sie waren diskret?“
„So diskret es geht, wenn man ein Kamerateam aus Jemfeld im Nacken hat, das alles live in die Galaxis hinaus posaunt.“ Der Hauptmann deutete mit dem Daumen auf Torasa Hekki Lanma, der die Gruppe begleitete. Der Rydane und sein Kamerateam begleiteten die elfköpfige Gruppe, verzichteten aber auch darauf sie zu interviewen.
„Ich nehme an, Willowby hat sie angefordert?“
„Das ist richtig. Und ich hielt es für das beste, die Jemfelder ebenfalls mitzunehmen, Ma´am.“
„Das war die korrekte Entscheidung. Gut gemacht. Im Anbetracht der Tatsache, dass es in dieser Stadt so gut wie keine Möglichkeiten gibt, internationales Live-Fernsehen zu empfangen sollten wir kein unnötiges Öl ins Feuer geschüttet haben. Sie können zu Ihrer Stellung zurück kehren.“
„Jawohl, Ma´am.“ Der Hauptmann salutierte und entfernte sich. Als er die Gruppe der ehemaligen Sprecher passierte, zuckten einige, die ihn ansahen, heftig zusammen. Russel konnte sich vorstellen, was für ein Gesicht der Mann gemacht hatte. Und sie konnte es ihm nicht einmal verdenken.
„Eine unerwartete Überraschung, Sie hier zu sehen, Willowby. Sie und den Rest vom Rat.“
Kennard Willowby hüstelte verlegen. „Wir hatten nicht vor, uns so rar zu machen, Ma´am. Andererseits hatte es Vorteile zu warten, bis sich die größte Aufregung gelegt hatte. Nachdem wir die Situation in Hephaistos etwas missinterpretiert haben erschien es uns allen sinnvoll, ein wenig kürzer zu treten.“
„Missinterpretiert nennen Sie das? Sie haben Kommodore Arling angelogen, frech ins Gesicht gelogen! Wissen Sie eigentlich, dass es am Raumhafenzubringer Tote gab, als die Menschen versucht haben, zum Raumhafen zu kommen, um sich evakuieren zu lassen? Hätten wir von vorne herein gewusst, dass praktisch die ganze Stadt evakuiert werden will, hätten wir ganz anders verhandeln und vollkommen andere Maßnahmen ergreifen können. Vor allem könnten verdammt viele Menschen, Paktler wie Katalauner, noch leben!“
„Ma´am, von meinem Standpunkt aus gesehen waren meine Worte legitim. Es ist eine unumstößliche Tatsache, dass wir verkauft wurden. Ich denke nicht, dass ich dafür verurteilt werden sollte, weil ich versucht habe, für mich und meine Landsleute die bestmöglichen Konditionen raus zu holen und uns allen ein klein wenig Luxus zu gönnen, denn faktisch sind wir Sklaven. Jede kleine Erleichterung für meine Landsleute ist ein kleines Wunder, um das ich gekämpft habe. Soweit es mich anging, konnte ich nicht erkennen, dass meine Landsleute wieder in das Land zurückkehren wollten, das sie verkauft hat.“
Russel blinzelte irritiert. Einmal, zweimal, dann begann sie amüsiert zu schnauben. „Aber ich nehme an, Sie haben Ihre Liebe für die Heimat zurückgewonnen und möchten ebenfalls evakuiert werden?“ Ihr Blick glitt über die anderen zehn Begleiter Willowbys. Die meisten senkten den Kopf, um ihrem Blick zu entgehen.
„Wir... haben eingesehen, von den Paktlern nur missbraucht worden zu sein. Sie werden nicht sanft mit uns umspringen, wenn Kommodore Arling wieder abgezogen ist. Und natürlich haben wir nie aufgehört unsere Heimat zu lieben, Ma´am, wir haben nur gedacht, der Kommodore könnte aus unerfindlichen Gründen über uns verärgert sein, sodass wir besser ein wenig Zeit verstreichen lassen sollten. Und darüber hinaus stellen wir einen unendlichen Nutzen dar, Ma´am. Wenn wir aussagen, dass wir, der Rat, gezwungen wurden, in Hephaistos zu leben – wie es ja auch stimmt – wird das eine ungeheure internationale Wirkung haben.“
Russel schnaubte erneut amüsiert. „Sie bieten mir also einen Deal an. Zuerst waren Sie Sprachrohr der Paktler, und nun wollen Sie Ihre Stimme an mich verkaufen? Teufel, das könnte sogar funktionieren und uns unendlichen Nutzen einbringen.“
Willowby lächelte dünn. „Heißt das, wir haben einen Deal?“
„Das heißt, dass Sie und Ihre Begleiter Idioten sind. Glauben Sie ernsthaft, es gibt jemanden in Arlings Flotte, der sich auf solch einen Handel einlässt?“
„Ma´am, ich versichere Ihnen, dass...“
„Ich versichere Ihnen auch etwas. Ja, ich werde Sie mit nach Katalaun nehmen. Ja, ich werde Sie vor dem Zorn der Menschen, die Sie verraten und verkauft haben, beschützen. Und ja, Sie werden aussagen, was wirklich passiert ist. Allerdings nicht hier und heute, sondern vor dem katalaunischen Gericht, das sich mit Ihrem Fall beschäftigen wird.“
Russel deutete auf die unruhiger werdende Gruppe. „Festnehmen. Diese elf Personen werden wegen Menschenhandels und Landesverrats unter Anklage gestellt.“
Geradezu erleichtert, beinahe schon freudig stürzten Infanteristen herbei, um den Leuten um Willowby Handschellen anzulegen.
„Außerdem der Beihilfe zur Verschwörung gegen den Kaiser. Führt sie ab und schafft sie so schnell wie möglich in den Orbit. Auf der HERCULES gibt es einen wundervollen Zellentrakt.“
Die Infanteristen bestätigten und führten die Elfergruppe ab.
„Bemerkenswert“, säuselte der Rydane in seiner melodischen Heimatsprache. „Aber warum haben Sie die Chance nicht genutzt, dass Kennard Willowby und seinesgleichen statt gegen fortan für Sie sprechen, Major Russel?“
Sie musterte den gut einen halben Kopf kleineren Außerirdischen und schüttelte dann vehement den Kopf. „Es wäre vielleicht effektiver gewesen, aber wo bliebe da die Gerechtigkeit? Nein, Torasa Hekki Lanma, glauben Sie mir, so ist es besser.“
Insgeheim bedauerte sie den einen oder anderen aus der Gruppe jedoch. Hätten sie es nicht getan, wären andere an ihre Stelle getreten. Aber das hätte nur den Austausch von einigen Gesichtern auf der Anklagebank bedeutet, keinen abrupten Kurswechsel. Ein altes Sprichwort sagte: Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen. Willowby konnte von Glück sagen, dass es keine Todesstrafe in Katalaun gab, verdient hätte er es eventuell, dieser Bastard, für den Ausverkauf seiner Landsleute allemal.
„Zurück zur Arbeit“, mahnte sich die Ninja selbst und wandte sich wieder den Karten zu.
„Wenn wir unsere Stellungen hier und hier und hier verkürzen, haben wir fünf Knights frei. Die Belastbarkeit der Häuser wurde mittlerweile bestätigt, ich würde sie gerne auf diesen Gebäuden stationieren. Sicherheitshalber sollten wir jedem Knight-Piloten eine Karte zur Verfügung stellen, die ihm die bereits evakuierten Gebäude zeigt. Sicher ist sicher. Außerdem müssen wir einen Hauptrückzugsweg befestigen, eine Aorta quasi, über die wir letztendlich alle hinausbringen. Eine Täuschungsroute wäre eventuell auch nicht verkehrt. Dann der Raumhafen. Je mehr Zivilisten wir rauf schicken, desto eher rückt der Termin, in dem wir alle Truppen evakuieren werden. Ich brauche eine Entscheidung von Lord Arling: Panzer ja oder nein?“
Ihren Worten folgte große Hektik ihrer Helfer. Oh, es war keine Hektik in dem Sinne. Torasa Hekki Lanma stellte eher ein wohl geordnetes laufen fest. Und was er sah gefiel ihm einerseits, andererseits ertappte er sich dabei, ausgerechnet seinen Kriegsgegnern im Stillen zu gratulieren. Für ihre Tatkraft, ihre Effizienz und ihr ausgeprägtes Ehrgefühl. Aber Journalismus hatte nichts mit Vorlieben zu tun, nur mit dem was man in Erfahrung bringen konnte, und mit dem, was man davon der Welt weitergab.
***
Zwei Stunden, und die Zeit verrann weiter. Die restliche Evakuierung wurde auf dreiundzwanzig Stunden festgelegt, auch deshalb weil sich Johann Arling letztendlich doch dafür entschieden hatte, die Panzer mitzunehmen, welche die findigen Katalauner unter persönlicher Lebensgefahr „organisiert“ hatten.
„Was machen sie da?“, fragte Oberleutnant Rütli verwundert. Vor ihr im Hologramm war anhand der Datenfenster, die sie stilisierten, zu beobachten, dass die Stabiae-Schiffe einen vollen Stop mitten im Leerraum zwischen den Planeten eingelegt hatten.
Eleonor Rend warf einen Blick auf das Hologramm. „Vergrößern. Faktor zehn.“
Weitere stilisierte Datenfenster waren nun zu sehen. Bei diesen Größenverhältnissen war vom eigentlichen Schiff natürlich nichts mehr zu erkennen. Immerhin war alleine der Abstand der neuen Schiffe zu den Stabiae-Einheiten mit zwei Lichtsekunden mehr als reichlich. Das waren beinahe sechshunderttausend Kilometer. „Was werden sie wohl tun? Sie stoppen und passen sich dann langsam der Marschgeschwindigkeit der Large Fleet an, damit sie auch ja nicht vor ihnen Vesuv erreichen. Für uns wäre das natürlich gut, dann könnten wir mit ihnen den Boden aufwischen, bevor wir uns dem richtigen Gegner zuwenden würden.“
„Das klingt gut. Darf ich dich zitieren?“, klang hinter Eleonor eine wohl bekannte Stimme auf.
„Oh nein, bitte sag mir, dass ihr zwei nicht an Bord seid“, sagte sie mit genervtem Unterton in der Stimme. „Carrie, Spence, ich muss arbeiten! Ich habe keine Zeit für euch! Ich muss hier eine Crew schmieden, die bald ihr erstes Gefecht haben wird, und ich will, dass wir alle überleben. Das geht am besten, indem jeder seinen Platz kennt, seine Handgriffe und seine Evakuierungsroute, wenn es zum Äußersten kommt. Bitte, Carrie, können wir uns darauf einigen, dass du mir später an die Kehle gehst?“
„Dir ist schon klar, dass das alles live über den Sender geht, oder?“, fragte die Terranerin trocken und deutete auf das große L auf ihrer Brust.
Kapitän Rend zog eine Augenbraue hoch. „So? Rettet deine Live-Schaltung die Leben meiner Leute? Oder die der Zivilisten da draußen? Hätte sie vielleicht die RHEINLAND gerettet?“
Ein Schatten huschte über ihr Gesicht. „Entschuldige, Carrie, das wollte ich nicht sagen. Es tut mir wirklich Leid. Das war vollkommen unbedacht von mir, taktlos und dumm. Wer auf der RHEINLAND war, in dieser Schlacht, der wird noch in Jahren darüber berichten können und an vielen Orten in dieser Galaxis bewundert werden. Nicht zuletzt wegen eurem Bericht.“
„Ja, wegen seiner maßlosen Dummheit, seiner an Wahnsinn grenzenden Selbstaufopferung und dem phantastischen Glück, dass Lucky Charly an alle abgefärbt hat“, erwiderte Carrie. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Züge. Ein Lächeln, das Eleonor Rend seit einiger Zeit kannte. Sie respektierte es als Teil von Carrie Rodriguez und ihrer Persönlichkeit, aber sie fürchtete es auch ein wenig.
„Ist dein Gewissen jetzt schlecht genug für fünf Minuten deiner Zeit, Ellie?“
Eleonor Rend seufzte zum Steine erweichen. „Sie haben das Kommando, Eins O.“
Rütli nahm unwillkürlich Haltung an, wenngleich ihr Kiefer genau jene Haltung vermissen ließ, als er ihr absackte. „J-jawohl, Ma´am.“
Rend winkte die beiden in den nahen Konferenzraum. Mittlerweile hatte sie eine ganz eigene Umgangsweise mit der Presse entwickelt. Das hatte sich abgezeichnet, seit die beiden sich an einem herrlichen Frühlingsmorgen auf Burg Arling gegenseitig beim Kickboxen die Grütze aus der Birne geprügelt hatten.
Die Kapitänin der ELISABETH bestellte bei der Ordonnanz, einem jungen Freiwilligen aus Hephaistos, Kaffee und Arami-Salz, deutete einladend auf die Stühle und ließ sich selbst auf dem Tisch nieder.
„Also, was wollt ihr zwei wissen? Wenn es um die Schlachtordnung geht, oder um technische Spezifikationen, muss ich euch bitten, auf eine Live-Übertragung zu verzichten und lediglich aufzuzeichnen, weil wir unsere Vorteile nicht aus der Hand geben dürfen und...“
„Ellie, warum bist du so ein guter Mensch?“
Verwirrt hielt Rend in ihrem Monolog inne. „Was, bitte?“
„Es ist mir aufgefallen, und auch Spence. Von meinen Zuschauern ganz zu schweigen. Meine Redaktion hat mir berichtet, dass du einen eigenen Fanclub hast. Und nicht nur du, jeder Kapitän der Mission hat einen. Es haben sich auf Terra schon Vereine gebildet, die sich Chapter nennen und die Namen der verschiedenen Fraktionen in diesem Krieg annehmen. Sie simulieren die Gefechte und haben schon eigene Ligen gegründet. Nur eine Fraktion ist bei ihnen verboten: Haus Beijing. Um die Ehre, sich Haus Beijing zu nennen wird in einem internationalen Turnier gespielt werden und... Oh, ich schweife ab. Tatsache ist, Ellie-Schatz, du bist ein viel zu guter Mensch, um eine Offizierin auf einem Kriegsschiff zu sein. Und die anderen Offiziere, Lenie, Gerry, Charly, Cecilia, Rowie und Loggo, ja selbst eure Eins Os, die eure Fregatten übernommen haben, sie sind alle ganz besondere Menschen. Wie ist das möglich? Wo sind die Egomanen? Wo die gewaltverherrlichenden Halunken? Oder zumindest ein paar kriegsverliebte Verrückte wären nett. In der terranischen Heimatflotte gab es in diesem Jahr fünf Skandale. Der einzige Skandal, den die katalaunische Flotte dieses Jahr durchgemacht hat, ist der Skandal, dass Han einen direkten Befehl von Miranda von Hohenfels verweigert hat. Ellie, sind wir blind, oder seid ihr solche Gutmenschen?“
Eleonor Rend sah sie entgeistert an. Dann schluckte sie heftig, hustete in die hohle Hand und sagte: „Ihr beide spinnt doch.“
„Was? Wieso spinnen wir?“
„Na, sieh dir doch mal Coryn und seine Meute an. Das sind doch auch exzellente Menschen, oder nicht? Attainborough zum Beispiel ist ein Herz ganz nach meinem Geschmack. Slodowsky ist ein alter Stinkstiefel, der seine Meinung immer auf den Punkt bringt, stets ehrlich ist und dabei niemals ungerecht, deshalb mag ich ihn. Und Stiles ist...“
„Das ist mir auch aufgefallen. Aber ich nehme mal an, dass Admiral of the Sector Goldman einen besonderen Schlag an Leuten ausgesucht hat, um sie Han auf den Hals zu hetzen. Mit anderen Leuten hätte auch die Tarnung als Gryanen nicht funktioniert.“
„Wir sind nicht besonders gut“, sagte Rend mit abwehrender Geste. „Es ist halt nur so, dass in der Flotte bestimmte Eigenschaften bevorzugt werden, wie es eigentlich in jeder anderen Flotte auch ist. Neben Gehorsam gegenüber den Vorgesetzten sind das vor allem Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und die Einhaltung der Terranischen Erklärung. Das sind Eigenschaften, die immer dann bei den Junioroffizieren gefördert werden, wenn wir wieder einmal über die Strenge geschlagen haben. Zum Beispiel nach dem letzten Zyrrtek-Krieg, als unsere religiösen Gruppierungen recht großen Einfluss auf die Flotte hatten, wurde dieser vehement unterbunden und die gesamte Kriegsmarine zwangssäkularisiert. An die Stelle der Religion trat der Ehrenkodex der Marine. Und es tut mir aufrichtig Leid, aber ich habe keine Ahnung, wie lange dieser Kodex den Offizieren, Mannschaften und Kapitänen des Kaisers diesmal etwas bedeutet und wann er wieder für eine verlockende Alternative verraten werden wird.“
„Trotzdem ist es ungewöhnlich. Soweit ich weiß waren Leute wie Turnau, Lüding und Raglund bereits auf der RHEINLAND, als Han seinen legendären Raubzug durch Yura-Maynhaus durchgeführt hat. Bei ihnen ist es zu erwarten, dass sie sich Dinge aneignen, die ihnen ihr Kapitän vorlebt. Auch bei dir, Lenie und Gerry ist das nicht verwunderlich. Und über einen gewissen Lucky Charly wollen wir jetzt mal nicht sprechen. Aber was ist mit den anderen Kapitänen? Was ist mit deinem alten Ein O, Strater? Der kam frisch zu euch nach Springe, und trotzdem führt er sich auf wie der Rest, wie ein alter Arling, wenn ich euch Offiziere mal so nennen darf. Was ist mit Rowie und Loggo, die ohne zu zögern Hans Widerspruch unterstützt haben und ihm nun vorbehaltlos folgen? Sammelt Han die Besten um sich? Hat er etwas magisches an sich? Oder ist das nur Glück, was ja auch schon magisch wäre? Und egal welches von beiden es ist, würde ihn das nicht zu einem guten Kaiser machen?“
„Kaiser, was redest du denn da? Er ist Robbie gegenüber absolut loyal“, erwiderte Rend mit einer abwehrenden Geste.
„Ja, schon, aber was ist, wenn Robert in diesem Konflikt stirbt? Du weißt, dass er, und ich muss für unsere Zuschauer betonen, es ist meine eigene Meinung, den Putschisten tot am meisten nützt, und so sehr ich mir wünsche, das er es schafft, was kommt für den schlimmsten anzunehmenden Fall?“
„Sollte dieser Fall jemals eintreten, wird die Hauptversammlung der Herzöge zusammen treten und die aufgestellten Kandidaten prüfen. Die Fähigsten werden der Nationalversammlung präsentiert, welche dann den neuen Kaiser wählen. So läuft das bei uns.“
„Und?“, fragte Carrie verschmitzt. „Hätte Han in diesem Verfahren Chancen?“
Verlegen und mit einer fahrigen Geste vermied es Eleonor Rend, Carrie in die Augen zu sehen. „Ich denke schon, dass er da ernsthafte Chancen hätte, wenn er dieses Amt wirklich haben will.“
„Und, hast du dir schon klar gemacht, was dann die Konsequenz wäre? Angenommen, Han wird Kaiser, was ist dann mit dir?“
Einen Moment erschrak sie bis ins Innerste Eleonor Rend wurde kreidebleich. „D-du meinst... Ich müsste ihn aufgeben?“
Nun war es an Carrie Rodriguez, zu erschrecken. „Nein, du Dummerchen! Denkst du wirklich, Han würde dich noch mal los lassen? Im Leben nicht! Der andere Fall, Schatz! Du würdest Kaiserin werden!“
Nun wurde Elli Rend erst recht bleich. „K-Kaiserin? Ich? Das halte ich für keine gute Idee.“
„Also doch Han aufgeben?“, scherzte Carrie.
„NEIN!“, blaffte Eleonor Rend entschlossen.
„Na, dann ist ja alles gesagt, oder?“ Sie wandte sich Spence zu. „Mehr Zeit sollten wir Eleonor Rend, der Kapitänin der ELISABETH, nicht abverlangen, vor allem nicht so kurz vor einer Kampfsituation, die sie voll fordern wird. Ich bin Carrie Rodriguez für...“
„Ellie!“, rief Oberleutnant Rütli, als sie in den Konferenzraum stürmte. „Verdammte Scheiße! Die Stabiaer beschleunigen wieder!“
„Mist, das war live mit drauf. Und ich hatte den Schimpfwortfilter nicht vor“, brummte Spence verärgert.
„Hör auf mit deinem Schimpfwortfilter! Das ist nun mal das Risiko bei einer Live-Übertragung“, zischte Carrie. „Was ist so schlimm daran, dass sie sich wieder bewegen? Sie werden ihre Geschwindigkeit der Large Fleet angleichen, richtig?“
Heftig schüttelte Jeannette Rütli den Kopf. „Negativ, Ma´am! Sie beschleunigen mit Höchstwerten auf den Systemrand! Und wenn man ihre Kursdaten und ihre Positionen extrapoliert, dann...“
„Sind sie hinter Slodowskys Verband und die vier Whale her, die wir schon mal los geschickt haben“, sagte Ellie Rend tonlos. „Verdammt!“
„Wir bleiben verdammt nochmal live drauf, hörst du, Spence?“
„Fang du jetzt nicht auch noch an mit dem fluchen“, jammerte der Kameramann.
„Und? Ist doch eh egal! Eltern, die ihre Kinder vor diese Sendung setzen gehören geschimpft!“
Mit diesem emotionalen Ausbruch war die Welt für Carrie Rodriguez wieder in Ordnung. Für den Moment.
***

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„Himmel, wie blind muss ich eigentlich gewesen sein, um so einen Zug nicht voraus zu sehen?“, rief Arling ärgerlich. „Auf ihrer jetzigen Position sind sie dem Rendezvouspunkt nahe genug um ihn mit Zerstörern und Fregatten zu erreichen, bevor wir eigene Zerstörer als Hilfe schicken können.“
„Ich habe bereits Befehl gegeben, die JULIET unter Bigsby auszusenden. Außerdem schicke ich gerade die B-KING und die SANSSOUCI los“, sagte Lenie Schlüter betont ruhig.
Kurz krampfte Arling die Hände, dann nickte er. „Verdammt. Selbst ein wenig Feuerkraft ist jetzt eine Hilfe. Richtige Entscheidung. Was haben Rouven und Richards über den Status ihrer Mannschaften gemeldet?“
„Beide haben Gefechtsbereitschaft angekündigt, aber da ihre Crews ausschließlich aus Milizionären, Zivilraumfahrern und Freiwilligen bestehen, können wir von ihnen nur etwa vierzig Prozent Effizienz erwarten. Wäre ja schön, wenn sie uns mit katalaunischer Standardleistung beeindrucken würden.“
Arling ging über den halbherzigen Scherz hinweg. „Die SIGURD und die DENEB sind die einzigen Leichten Kreuzer im System. Was jagt da also unseren Schiffen hinterher?“
„Drei Zerstörer der Agrippa-Klasse, neun Fregatten der Yggdrasil-Klasse. Ihr Kurs kreuzt sich mit dem Whale-Verband in etwa einer Stunde. Die neu detachierten Fregatten können das voraussichtliche Gefechtsgebiet etwa eine Viertelstunde später erreichen. Ich hoffe, Slodowsky hält so lange durch.“
„Er muss“, sagte Arling wütend. „Die Whale sind zu langsam, um einfach fliehen zu können, und eins Komma drei Millionen Menschen wären ein Faustpfand gegen uns, der uns sogar dazu zwingen könnte, unsere Schiffe aufzugeben! Ganz davon abgesehen, dass noch eine weitere Million Menschen auf ihre Evakuierung wartet!“
„Anruf von Commander Slodowsky, Sir“, meldete Turnau.
„Durch stellen.“
Einer der Bildschirme zeigte nun den Kommandeur der MILFORD auf einem der Hauptbildschirme. „Mylord, die Lage ist ernst.“
„Ich weiß. Kapitän Schlüter hat in meiner Abwesenheit bereits die B-KING, die SANSSOUCI und die JULIET detachiert, um Ihnen zu Hilfe zu kommen.“
Der ältere Offizier lächelte unmerklich. „Das ist gut zu wissen. Aber sie werden nicht rechtzeitig da sein, selbst wenn sie ihre Reaktorsäle explodieren lassen.“
„Nein, das werden sie sicher nicht.“
Hans Slodowsky straffte sich. „Sir, ich bitte um Erlaubnis, mit meinen Schiffen die Geleitschutzposition zu verlassen und den angreifenden Verband abfangen zu dürfen.“
Arling nickte. „Das ist die richtige Entscheidung, Commander. Sie haben Ihre Erlaubnis. Ich wünsche Ihnen und Ihren untergebenen Kapitänen und Mannschaften viel Glück.“
„Danke, Mylord, wir werden es brauchen können. Aber die Paktler werden schon noch merken, dass man sich nicht mit Gryanen anlegen soll. Es geht immer böse aus.“
Arling schmunzelte bei diesen Worten. Vielleicht hatte er die Identifikation der Republikaner mit ihrer Tarnung unterschätzt. Vielleicht aber war dies einfach etwas, was Slodowskys Wesen entsprach. Und dem der anderen Kapitäne. „Beschützen Sie die Zivilisten, Hans, mit allen Mitteln“, sagte Arling ernst.
„Selbstverständlich, Mylord. Ich melde mich nach der Schlacht wieder.“
Die Verbindung erlosch, und irgendjemand flüsterte ehrfürchtig über den Mut und das Selbstvertrauen des Commanders.
Arlene wandte sich Johann zu. „Können die Nymphen nicht...“
„Wie stellst du dir das vor? Soll ich sie bitten, diesmal die Soldaten von sieben Schiffen zu holen? Vielleicht auch die Menschen von den Transportern? Ich kann Nyhartes bitten, ja, aber Nymphen tun nicht, worum sie gebeten werden. Und außerdem ist da immer noch die Option, dass Slodowskys Verband siegen wird. Außerdem haben wir eigene Probleme.“
Arling sah in die Runde. „Es wird Zeit, dass wir unsere Abwehrstellung beziehen. Die STONEWALL bleibt im Orbit und deckt die Evakuierung.“
„Ja, Sir.“ Arlene Schlüter bestätigte mit einem Nicken und erteilte ihre Befehle, während der Funk Arlings Befehle an die Flotte weitergaben.

„Anruf von Admiral Toral, Sir!“
„Auf dem Schirm, Turnau.“
Jenna Torals Gesicht erschien. Zur Begrüßung hob sie abwehrend die Hände. „Ich habe es versucht, Kommodore, aber die zwölf Einheiten hören nicht auf mich. Leider habe ich auch keine Schiffe in Reichweite, um sie abzufangen. Aber ich kann Ihnen zweihundert Hydrae der Garnisonen anbieten, die Erfahrung im Raumkampf haben.“
„Danke, aber wir haben keine Kapazitäten, um sie zur Schlacht zu schaffen. Andererseits können sie sich dem Sperrriegel anschließen.“
„Das ist auch gut mitgedacht. Haben Sie Hoffnung, dass den Whale-Transportern die Flucht gelingt?“
„Natürlich. Slodowsky ist ein Gryane, und er wird den Teufel tun, und zulassen, dass unschuldige Zivilisten gefährdet werden.“
Toral runzelte die Stirn. „Ich weiß nicht ob Sie es wussten, aber Commodore Griffin und seine Kapitäne sind...“
„Jenna. Sie sind Gryanen. Alle ihre Handlungen, alle ihre Worte lassen keinen anderen Schluss zu. Sie stehen in der Tradition der Leibwache der herkuleanischen Könige, das steht vollkommen außer Frage. Gute Leute auf guten Schiffen mit wirklich guten Mannschaften, die wissen was sie können.“
Auf Torals Stirn bildete sich zwischen den Augen eine tiefe Falte. „Wenn Sie es so formulieren, dann handelt es sich wirklich um Gryanen.“
„Wir haben jetzt Kontakt zur KIEV, dem Flaggschiff Admiral Kians“, meldete Turnau unvermittelt.
„Auf den Nachbarschirm“, sagte Arling ruhig.
Kurz darauf sah Kian auf Arling herab. Der Admiral war ein dünner Mann mit schütterem schwarzen Haar und einem dünnen Schnauzbart, aber seine Augen waren kühl, überlegt und ernst.
„Mylord Arling“, sagte er und neigte sein Haupt zur Begrüßung.
„Admiral Kian“, erwiderte er und nickte ihm zu.
„Mylord, Sie sehen mich in einer Zwickmühle. Ursprünglich sollte ich lediglich unsere republikanischen Einheiten, die bei Ihnen Gryanen spielen, zurück nach Yura-Maynhaus begleiten. Aber mittlerweile habe ich einen offiziellen Auftrag der Regierung des Europa-Pakts erhalten mit dem Auftrag, Stabiae und den Industrieplaneten Vesuv zu sichern, um einen möglichen Angriff der anderen Diadochenstaaten zu verhindern... Sie sehen, eigentlich haben wir nichts miteinander zu schaffen. Ich will Ihnen überhaupt nicht in Ihre Evakuierung hinein pfuschen. Aber ich habe einen Auftrag zu erfüllen. Bitte räumen Sie den Orbit von Ihren Kampfschiffen und gehen Sie auf Abstand. Fünf Lichtsekunden reichen mir. Sie dürfen auch die Gryanen mitnehmen. Ich werde mich später mit ihnen beschäftigen, und das vielleicht nicht einmal in diesem System.“
Er räusperte sich leise. „Mylord, selbstverständlich werde ich nicht in Ihre Evakuierungsmaßnahmen eingreifen. Im Gegenteil. Ich bin nur zu gerne bereit, die Schande wieder auszubügeln, die meine gewissenlose Landsleute über Yura-Maynhaus gebracht haben. Ich gebe Ihnen mein Wort, dass es so ist und nicht anders.“
„Komisch, dass Sie das erwähnen, Admiral. Ich habe einen ähnlichen Auftrag erhalten. Allerdings soll ich Vesuv vor Ihnen schützen.“
„Ihnen muss doch bewusst sein, Mylord, dass ich im Auftrag der regulären Regierung handle?
Euer Auftrag, Mylord, kommt vom Städterat, der hier keinerlei Hoheitsrechte hat.“
Arling schnaubte leise. „Zumindest mehr Hoheitsrechte als Yura-Maynhaus. Und Sie werden sich über kurz oder lang ohnehin mit der Städteregierung auseinander setzen müssen, sobald bekannt wird, dass der Europa-Pakt den Anschluss an Yura-Maynhaus ersucht.“
Ein kurzes Flackern ging über Kians Augen. „Mylord Arling, Ihre vier Whale-Transporter...“
„Sie meinen sicherlich jene, die von den Paktschiffen unter Ihrem Befehl bedroht werden.“
„Mylord, ich versichere Ihnen, ich habe keinen solchen Befehl gegeben. Die Kapitäne handeln selbstständig. Allerdings sehe ich nicht ein, warum ich mich mehr als nötig in interne Entscheidungen der Stabiaer einmischen sollte. Doch seid versichert, Mylord, dass ich einen Angriff auf Zivilschiffe persönlich verurteilen würde.“
„Aber Sie können sich einmischen, Admiral Kian?“, fragte Arling mit einem sauren Unterton in der Stimme.
„Ich könnte es versuchen, Mylord. Wenn fünf oder sechs Kapitäne auf mich hören, verliert die Gruppe die Überzahl und bricht den Angriff voraussichtlich ab. Aber wie gesagt, im Moment liegt mein Hauptaugenmerk auf der Erfüllung meiner Aufgabe.“
Arling lachte amüsiert. „Womit wir wieder bei den fünf Lichtsekunden Abstand für meine Flotte wären, richtig?“
Kian nickte. „Quid pro quo, wie die Lateiner sagen. Etwas geben, um etwas zu erhalten, Mylord.“
„Was meinen Sie dazu, Admiral Toral?“
„Ich meine, dass ich Ihnen in den Arsch treten werde, wenn Sie jetzt feige den Schwanz einkneifen, Arling! Sie haben vier gryanische Kapitäne beim Begleitverband, der fünfte ist unterwegs. In manchen Regionen der Galaxis reicht das schon, um ganze Flotten zum Rückzug zu bewegen“, sagte die Admirälin mit spöttischer Stimme.
Arling schenkte ihr ein Lächeln, und wandte sich wieder Kian zu. „Sie sehen also, in dieser Angelegenheit bin ich machtlos. Admiral Toral ist Mitglied der herkuleanischen Dynastie und damit offizielle Erbin des Stabiae-Systems. Damit ist sie automatisch die höchste Instanz, an die ich mich wenden kann. Wie Sie gehört haben, Admiral, verbietet sie mir den Rückzug. Nicht, dass ich mich auf einen Kampf freue, aber wenn Admiral Lifurts Leistung beispielgebend für die Large Fleet ist, brauche ich auch nichts zu fürchten.“
„Ihr werdet verstehen, dass ich mich in diesem Fall nicht für Euch engagieren kann, Mylord?“, fragte Kian ernst.
„Natürlich, Admiral, das steht außer Frage. Aber überlassen Sie diese selbstständigen Stabiaer einfach den Gryanen und meinen katalaunischen Kapitänen.“
„Und Sie werden verstehen, dass ich mir den Orbit um Vesuv erkämpfen werde?“
„Auch das steht außer Frage. Aber erlauben Sie mir die Bitte, die Evakuierung meiner Landsleute nicht zu behindern.“
„Selbstverständlich halten wir die Kollateralschäden so klein wie möglich, Mylord Arling. Das schließt auch Hephaistos und den König Drosd-Gedächtnisraumhafen ein.“
„Ich danke Ihnen dafür, Admiral Kian. Es wird eine Zeit kommen, in der ich Ihnen diese Worte vergelten kann.“
Der Admiral nickte und unterbrach die Verbindung.
„Es wird eine Zeit geben, in der ich Ihnen Ihre Worte vergelten kann“, wiederholte Admiral Toral. „War das eine Drohung oder ein Versprechen?“
„Oh, das kommt darauf an, wie die Schlacht ausgeht, die uns bevorsteht“, erwiderte Arling amüsiert. Sein Blick verdüsterte sich leicht. „Beeilt Euch mit Euren Schiffen, Hoheit.“
„Was tue ich hier wohl gerade? Ich will doch nicht, dass der Kaiser von Katalaun den ganzen Spaß alleine hat“, erwiderte sie mit einem wilden grinsen und schaltete ebenfalls ab.
Arling sah zu Schlüter herüber. „Lenie, wie lange noch bis die Large Fleet in Gefechtsreichweite ist?“
„Eine Stunde, fünfzig Minuten. Zu diesem Zeitpunkt dürfte Slodowsky schon eine gute Stunde im Gefecht liegen. Andererseits haben uns dann die meisten Pakteinheiten auf unserer Seite bereits erreicht.“
„Licht und Schatten“, murmelte Arling. „Machen wir das Beste draus. Aktiviert die Rüster und die Knights. Attainborough und Monterney haben Einsatzbefehl.“
„Aye, Aye, Kommodore.“


5.
01.07.2613
Zwischen Vesuv und Aphrodite, Kurs der Whale-Transporter
Stabiae-System
Europa-Pakt

Wenn er ehrlich war, dann hatte Hans Slodowsky auf ein Wunder gehofft. Auf eines jener Wunder, denen er schon begegnet war, seit er unter Commodore Griffins Kommando diesem Verrückten aus dem Kaiserreich folgte.
Wenn er noch einmal ehrlich war, dann ärgerte ihn die Situation nicht. Im Gegenteil. Der Zerstörer-Kapitän war tief in seinem Herzen ein Romantiker, ein verkappter Ritter, der anderthalb Jahrtausende zu spät und fünfhundert Lichtjahre zu weit von Terra geboren worden war.
Er hatte dieses denken und fühlen immer für eine Schwäche gehalten und für seine schleichend voran gehende Karriere verantwortlich gemacht. Er hatte sich immer gefragt, was ihm fehlte, um ein ebenso strahlender Karriere-Offizier zu werden, der in seinem Alter bereits Captain geworden war, während er sich immer noch mit dem Rang eines Commanders und dem Kommando über einen Zerstörer abmühte. Zumindest hatte er das getan, bis er Coryn Griffin getroffen hatte. Dieser Mann, vom Commander zum Commodore befördert, zudem zehn Jahre jünger als er, war ihm zuerst auch als Karriere-Offizier erschienen, aber dieser erste Eindruck hatte getäuscht. Im Gegenteil, durch die Begegnung mit Coryn, durch die Maskerade hatte er etwas wichtiges gelernt. Über die Navy, über Karriere-Offiziere, und über sich selbst. Nicht er ging den falschen Weg, sondern all jene, die mit ihrer rücksichtslosen Art und ihrer ständigen Suche nach Vorteilen ihren Weg nach oben bahnten. Dabei benutzten sie ihre Ellenbögen, um jene, die anständig, aufrichtig und ehrenhaft waren, möglichst unten zu halten. Aber sie hatten nicht immer Erfolg damit. Coryn war nun Commodore, und der jüngere Mann war sein großes Vorbild geworden. Er selbst war Kapitän seines eigenen Schiffs, zwar nur eines Zerstörers, aber dieses Schiff hatte einen Namen, und unter seinem Kommando hatte es mehrere hohe Auszeichnungen gewonnen. Er selbst hatte sich mit der MILFORD den Sprung vom Lieutenant Commander zum Commander erstritten und damit bewiesen, dass man Männer wie ihn nicht ewig aufhalten konnte. Und das es sich lohnte, für Veränderungen zu kämpfen, für das Gute an sich zu sein.
In einer philosophischen Diskussion hätte nun jemand eingewendet, dass es gut und böse als Tatsache überhaupt nicht gab, und noch vor einiger Zeit hätte er dem zugestimmt. Nun aber nicht mehr. Heute wusste er, dass in jedem Menschen gutes und böses steckte, und das im bösen immer ein Kern gutes war, und im guten immer ein Kern böses. Es kam immer darauf an, welche Seite die Oberhand hatte, um zu bestimmen wie sich ein Mensch und Offizier entwickelte. Und selbst wenn jemand absolut gut war, konnte der Kern des Bösen ihn irgendwann überwältigen, aber dieses Spiel ging auch umgekehrt.
Lord Arling glaubte daran, dass alle Menschen von Natur aus gut waren und wieder gut werden konnten, wenn sie sich nur bemühten. Commander Hans Slodowsky wusste, dass sich viele böse Menschen niemals diese Mühe machen würden. Einige weil sie glaubten, nicht mehr zurück zu können. Andere weil sie ihr böses Leben viel zu sehr schätzten. Diese Illusion von Macht, von Stärke, vom Gefühl anderen Angst einzuflößen waren ihr Lohn. Und durch die Zeit mit Coryn, wegen der gemeinsamen Fahrt mit Lord Arling wusste Hans nun sehr genau was zu tun war.
„Mr. Steven, lassen Sie Klar Schiff zum Gefecht pfeifen.“
Der Eins O der MILFORD nickte ernst. „Aye, Aye, Sir. Klar Schiff zum Gefecht.“
Sekunden darauf gellten die Signalpfeifen der Bootsmänner durch das Schiff, und hunderte Raumfahrer hasteten zu ihren Plätzen zu jenen, die dort bereits ausharrten, seit der Kurs der Pakt-Schiffe verifiziert worden war.
„Ms. Jenkins, Befehl an die Flotte: Transporter setzen Kurs fort. Fregatten begleiten uns in Keilformation. Die erfahrensten Besatzungen vorneweg, der Rest hintenan.“
„Aye, Aye, Sir. Befehle gehen raus.“
„Mr. Topas, Kursänderung. Wir halten auf den Pakt-Verband zu.“
„Aye, Aye, Sir. Kursänderung über vierzig Grad Backbord und neun Grad Absenkung. Seitliches Bremsmanöver auf Steuerbord.“
„Aye. Kursänderung über vierzig Grad Backbord und neun Grad Absenkung. Bremsdüsen auf Steuerbord feuern volle Leistung.“
„Sehr gut, Mr. Topas, Ms. Krüger. Ms. Fellow, wann erreichen wir Waffenreichweite?“
„Waffenreichweite wird erreicht in zehn Minuten und elf Sekunden, wenn beide Verbände Kurs und Geschwindigkeit beibehalten.“
Von einem fixen Punkt im Weltraum aus gesehen schwenkten nun alle sieben Schiffe der Wachflotte von ihren Positionen, neigten die Schnauzen ein wenig in die Tiefe und feuerten ihre Korrekturdüsen gegen die Fahrtrichtung ab, um der großen Masse ihrer Schiffe Gelegenheit gegeben, auf den neuen Kurs zu wechseln. Vom angenommenen fixen Punkt wirkte es daher, dass die massigen Kriegsschiffe nach Steuerbord drifteten, und nur allmählich wieder in Bugrichtung flogen. Nach und nach holten die Fregatten auf und traten in Keilformation hinter die MILFORD ein. Dabei nahmen die LYDIA, die OTHELLO und die ROCKET die vordersten drei Positionen des Keils ein, weil ihre Mannschaften seit Monaten zusammen trainiert hatten und voll einsatzfähig waren, was man von den Flickwerken von Mannschaften auf den katalaunischen Schiffen nicht behaupten konnte. Neben der ROCKET flog die REDWOOD, ihr folgten in der letzten Reihe an den äußersten Enden des Keils die CALAIS und die RICHMOND.
Und es waren nur noch neun Minuten, bis die drei Zerstörer des Gegners auf die Fregatten einprügeln konnten, während auf ihrer Seite nur die MILFORD antworten konnte.
„Ms. Jenkins, offener Kanal an die Flotte.“
„Aye, Aye. Offener Kanal steht auf drei. Eins... zwei... drei.“
Commander Slodowsky nickte zufrieden. „Hier spricht Hans Slodowsky von Bord der MILFORD. Es wird nun nicht mehr lange dauern, und ich führe diese sieben Schiffe gegen drei Zerstörer und neun Fregatten der Pakt-Streitkräfte. Ich weiß, für viele wird dies das erste Gefecht sein, und für sehr viele auch das letzte. Einige dieser Schiffe, vielleicht alle, werden diese Fahrt nicht überstehen.
Warum, werden sich manche fragen, verlange ich dann diesen Opfergang? Warum nicht abwarten was passiert? Es ist ja nicht gesagt, dass die Pakt-Schiffe die Whale-Transporter abschießen werden, geschweige denn sie überhaupt bedrohen. Und es ist ein offenes Geheimnis, dass wir „Gryanen“ in Wirklichkeit republikanische Soldaten und Offiziere sind, die ursprünglich den Auftrag hatten, Lord Arling und seine Flotte zu stellen und zu vernichten. Das Wort Gryanen war unser Schleier und die königsblaue Uniform dieser ehemaligen herkuleanischen Hauseinheit unser Schutz.
Warum also? Das will ich erklären. Der REDWOOD, der CALAIS und der RICHMOND brauche ich den Befehl, auf die Pakt-Schiffe zu feuern gar nicht erst zu geben. In den Whale-Transportern sind eins Komma zwei Millionen ihrer Leute, in unbewaffneten Riesenschiffen, die mit einem oder zwei Torpedos zerstört werden können. Jedes verlorene Schiff bedeutet dreihunderttausend Tote.
Wir aber, die wir eigentlich Republikaner sind, was tun wir hier? Warum rebellieren wir obendrein gegen unsere eigene Führung, gegen die Admiralität und haben uns so weit von unserem Auftrag entfernt? Was passiert hier gerade mit den einfachen Matrosen? Ich will es erklären. Das da draußen sind nicht nur über eine Million katalaunischer Bürger, eine Million kostbarer, niemals wiederzubringender Leben, es sind Zeugen! Zeugen der größten Schande, der sich republikanische Offiziere je zuschulden haben kommen lassen! Zeugen vom Tun von Offizieren und Mannschaften, denen wir niemals nacheifern wollen! Zeugen der Übeltaten von Tätern, die sich jetzt gerade im System befinden, denn es war die Large Fleet, welche die katalaunischen Welten erobert und diese Massenentführung möglich gemacht hat. Eine ganze Flotte unserer Kameraden war an diesem Verbrechen beteiligt, denn es ist unmöglich, eine Operation dieser Größenordnung durchzuführen, ohne nicht dem letzten Mann klar zu machen, woran er sich beteiligt. Und dies sind eins Komma zwei Millionen Augenzeugen, die jeden einzelnen Mann und jede einzelne Frau dieser Flotte identifizieren und belasten können! Für die Large Fleet und ihre nicht mehr vorhandene Ehre ist es das Beste, wenn es zu Kollateralschäden kommt, die einmal diese vier Whale-Transporter betreffen, und dann die eins Komma eins Millionen Zivilisten, die sich noch in Hephaistos und im Orbit um Vesuv befinden. Ihre Leben sind in akuter Gefahr, und die Mannschaften und Offiziere dieser Paktschiffe führen ihren Willen aus, um die schändlichste Tat zu verheimlichen, die nun auch noch mit der Eroberung der modernsten und größten Industriewelt in diesem Sternensektor gekrönt werden soll.“
Slodowsky machte eine Pause und sah ins Rund. Die meisten Besatzungsmitglieder in der Zentrale hingen an seinen Lippen. Das war solange in Ordnung, wie sie noch nicht in Feuerreichweite der Gegner waren.
„Eine Operation dieser Größenordnung, die eine ganze Flotte involviert, kann nicht unentdeckt geblieben sein. Und das bedeutet, dass Admiral Kian nicht der Haupttäter ist. Im Gegenteil. Seine Vorgesetzten und die Admiralität, zumindest in Teilen, muss diese Operation im vollen Maße abgedeckt und beschützt haben. Und das bedeutet, dass in unserer Heimat unglaubliche Verbrechen geschehen, die vor uns und den Zivilisten, die wir zu beschützen geschworen haben, verheimlicht werden. Jemand benutzt unseren militärischen Arm nach eigenem Gutdünken, zum eigenen Vorteil, und die Admiralität deckt diese Person. Mehr noch, sie alle werden profitieren, und dafür müssen die Katalauner sterben. Das werde ich nicht zulassen!“
Wieder sah er auf, und in den Augen des ältesten Kapitäns der Flotte lag ein Feuer, das hell und lodernd in ihnen brannte. „Commodore Griffin hat uns zu Gryanen gemacht um uns zu tarnen, aber längst haben wir festgestellt, dass diese Tarnung längst unsere eigene Haut ersetzt hat! Wir können keine Gryanen sein, und doch sind wir es längst! Und wie die einstigen Leibwachen der herkuleanischen Dynastie, die Gryanen, die Perseii und die Phillippii wollen wir die Werte der Ehre, der Menschlichkeit und des Stolzes hoch halten!
Manche mögen denken, wir sind nicht besser als diese Angreifer, weil wir töten, wieder und wieder. Weil wir eine Kunst daraus gemacht haben, sogar eine Wissenschaft. Aber es gibt etwas, was uns unterscheidet. Wir kämpfen nicht um zu töten. Wir wissen, dass Kämpfe auch Tote bedeuten, aber wir beginnen unsere Kämpfe nicht aus niederen Motiven! Gryanen kämpfen stets, um etwas zu beschützen, und das verlange ich von euch! Beschützt die AGATHA, die AGAMEMNON, die APOLLON und die HYPERION mit eurem Leben! Ich weiß, das ist viel verlangt, und der Tod eines Menschen ist immer endgültig, aber vertraut einem alten Mann wie mir, wenn er sagt: Das ist es wert! Das ist es wirklich wert! Slodowsky Ende.“
Hans Slodowsky sah wieder auf. Erstaunt weiteten sich seine Augen. Die Besatzung der Zentrale war aufgestanden und hatte geschlossen Haltung angenommen. Sie salutierten ihrem Kapitän, und der Commander salutierte zurück. „Wie lange noch bis zur Waffenreichweite, Ms. Fellow?“
„Drei Minuten, Sir.“
Für einen Augenblick schloss der Commander die Augen. In diesem Moment empfand er Erleichterung, dass er unverheiratet war. Auch seine Offiziere waren größtenteils ledig und würden im schlimmsten Fall niemanden zurücklassen. Die Mannschaftsdienstgrade waren ohnehin größtenteils Zeitsoldaten, die ebenfalls keine eigenen Familien hatten. Dennoch würden nach dieser Schlacht viele Kinder in der Republik fortan ohne ihre Väter oder Mütter auskommen müssen.
„Identifikation der Gegner. Zerstörer, Agrippa-Klasse, TYBALD, Zerstörer, Agrippa-Klasse, AGRIPPA, Zerstörer, Agrippa-Klasse, HERA. Fregatte, Yggdrasil-Klasse, KOTTOS, Fregatte, Yggdrasil-Klasse, DIONYSOS, Fregatte, Yggdrasil-Klasse, LESBOS, Fregatte, Yggdrasil-Klasse, SATYR, Fregatte, Yggdrasil-Klasse, KOLOSS, Fregatte, Yggdrasil-Klasse, ATHEN, Fregatte, Yggdrasil-Klasse, SPARTA, Fregatte, Yggdrasil-Klasse, THEBEN, Fregatte, Yggdrasil-Klasse, LONDON. Computer sucht Dossiers der Schiffe heraus.“
„Gut gemacht, Ms. Jenkins. Ms. Fellow, wie lange noch bis zur Waffenreichweite?“
„Neunzehn Sekunden.“
„Wir eröffnen das Feuer auf das Führungsschiff, die TYBALD. Eins O, übernehmen Sie die MILFORD. Ich dirigiere die Flotte.“
Lieutenant Commander Steven nickte. Mit dieser Entwicklung hatte er gerechnet. „Aye, Aye, Sir. Feuer frei bei maximaler Waffenreichweite mit Partikelwerfern und Torpedos. Ziel ist die TYBALD.“
„Feuer eröffnet“, erwiderte Lieutenant Lippstadt, während das charakteristische Schleifen von Torpedoabschüssen durch den Schiffsrumpf lief. „Feuere Partikelwerfer.“
„Ortung! Multiple Abschüsse beim Feind!“
Es würde nun noch einige Zeit dauern, bis die sechs Fregatten eingreifen konnten, und das würde bedeuten, dass auch die neun Feindfregatten attackieren konnten. Die drei zur Verstärkung ausgeschickten Fregatten B-KING, SANSSOUCI und JULIET würden noch über eine Stunde brauchen, um bis zu ihnen aufzuschließen, und selbst dann würde der Waffengang noch nicht ausgeglichen sein. Sie hatten nicht viel, nur die Chance, den Gegner am Durchbruch zu hindern. Das musste ihre oberste Priorität sein. Die Whale-Transporter mussten noch fast zwei Stunden im System bleiben, bevor sie sich weit genug am Rand der Schwerkraftsenke von Stabiae befanden, um einen stabilen Sprung zu gewährleisten. Schiffe die früher sprangen, riskierten vom künstlich von ihnen erzeugten Wurmloch zermalmt zu werden. Die Devise der Stunde hieß also, das Feuer des Feindes zu ertragen und ihn zu binden. Im Idealfall, die Antriebe zu zerstören. Und das musste gegen eine Übermacht geschehen. Die ersten Torpedos waren unterwegs, lichtschnelle Waffen würden bald in die Schirme der MILFORD schlagen. „Und für alles was wir empfangen wollen wir dankbar sein, denn wir werden es dreifach vergelten“, murmelte Commander Slodowsky. „Rüster und Knights zum Angriff ausschleusen!“
„Aye, Sir!“
***
Mit angespannter Miene verfolgte Graf Arling die Anfänge der Schlacht um die Whale-Transporter.
Er deutete auf zwei holographische Zeichen, welche für die AGRIPPA und die HERA standen. „Beide Seiten haben ihre Kampfroboter ausgeschleust, aber diese Einheiten behalten ihre Hydrae ein.“
Schlüter trat zu ihm, betrachtete das Hologramm. „Sie gieren auch nach oben. Damit zeigen sie den Angreifern ihre leichter verletzliche Unterseite“, stellte sie fest.
„Es sieht gerade so aus als würden sie danach schreien, sich ihre Triebwerke vernichten zu lassen“, brummte Arling leise. „Um aus dem Rennen zu sein, aus dem Befehlsdruck zu sein und um zu verhindern, dass die unterlegenen Hydrae von unseren Leuten abgeschlachtet werden.“
Arling sah auf ein Hilfshologramm. „Vierhundertsiebzig Hydrae im Geschehen. Es bleiben noch genügend über.“ Ein kurzer Schauder des Entsetzens ging über seinen Rücken. Ein Rüster konnte es schon mit zwei oder drei Hydrae aufnehmen. Ein Knight mit dem Dreifachen. Aber kombiniert waren Knights und Rüster kaum zu schlagen. Das hatte ihre gemeinsame Mission bewiesen. Arling hatte auf seiner mittlerweile recht langen To Do-Liste ganz oben markiert vorzuschlagen, von den Republikanern Rüster zu kaufen, hoch rüsten zu lassen und sie als Artillerieeinheiten in die Mecha-Streitkräfte zu integrieren. Ihr kombinierter Wert hatte sich mehr als bewiesen.
„Soll ich Hans Bescheid geben?“, fragte Arlene Schlüter.
„Nein, lass es. Er ist kein Idiot und hat Augen im Kopf. Typisch Reppies. Ein Mann wie er mit solcher Chuzpe wäre bei uns schon Konteradmiral, und diese Idioten lassen ihn als Commander herumdümpeln.“ Fassungslos schüttelte Arling den Kopf. „Ich werde Coryn eine Feldbeförderung für Slodowsky zum Captain vorschlagen.“
„Falls er die Schlacht überlebt.“
„In jedem Fall“, erwiderte Arling ernst. „Egal ob er die Whale-Transporter beschützen kann oder nicht. Wobei ich hoffe, dass ihm Letzteres gelingt.“
Arlene Schlüter nickte zustimmend.
In nicht ganz einer Stunde würden sie alle selbst im Gefecht stehen, und dann ging es darum, die anderen katalaunischen Zivilisten vor dem Tod zu bewahren.
„Anruf von Admiral Kian, Commodore“, meldete der Funk.
„Stellen Sie ihn durch“, sagte Arling fest.
Der kleine Mann mit den ausdrucksstarken Augen sah ernst auf Arling herab. „Ich denke, es ist sinnlos, wenn ich versuche Sie dazu zu überreden, sich doch noch für eine Neutralität im Gegenzug für freien Abzug zu entscheiden“, sagte Kian.
„Da haben Sie Recht, Admiral. Und im Gegenzug kann ich Sie wohl nicht davon überzeugen, dass die Hydrae-Piloten des Pakt-Verbandes in den sicheren Tod fliegen.“
„Wie ich schon sagte, Commodore, der Angriff ist nicht meine Entscheidung.“ Kian atmete schwer aus. „Aber ich habe meinen Einfluss so gut es ging ausgenutzt. Der Verband um den Zerstörer TYBALD wird nicht auf die Whale-Transporter feuern. Mehr war nicht drin. Leider.“
Für einen Moment stutzte Arling. War Kian vielleicht doch kein so übler Kerl? Hatte er seine Worte ernst gemeint? „Haben Sie Garantien dafür, Admiral?“
„Nein, Sir, nur das Wort vom Kapitän der TYBALD.“
„Nun, da ich bisher noch nicht mit dieser Person zusammengetroffen bin nehme ich einmal an, dass sein Wort etwas wert ist.“ Arlings linker Mundwinkel zuckte kurz. „Admiral Kian, ich danke Ihnen.“
„Ich werde diesen Dank bald persönlich abholen. Unser eigener Waffengang steht kurz bevor. Darüber hinaus muss ich Sie darüber informieren, dass die 17. Assault Fleet auf dem Weg hierher ist. Admiral Strombach sollte Ihnen ein Begriff sein.“
„Admiral Irene Strombach hält das Eridani Septus-System, den am weitesten vorgeschobenen Außenposten von Yura-Maynhaus.“
„Sie hielt ihn. Sie ist seit zwei Tagen auf dem Marsch hierher und wird in wenigen Stunden eintreffen. Soweit ich weiß kommt sie über unbewohnte Systeme, also können es auch ein paar Stunden weniger sein“, erwiderte Kian. „Wollen Sie es sich nicht noch überlegen? Ich denke, diese Menschen haben genug gelitten. Ich möchte nicht unbedingt erneut daran beteiligt sein. Es gibt für alles ein Limit.“
„Wollen Sie einen Job, Admiral? Desertieren Sie zu mir, und Sie können diese Menschen diesmal beschützen“, sagte Arling mit ernster Miene.
Kian lachte laut auf. Aber es wurde schnell leiser. Ungläubig sah er den Grafen an. „Mylord, habt Ihr das ernst gemeint?“
„Als neuer planetarer Herrscher von B-King habe ich das Recht dazu.“
Die Hände des Republikaners öffneten und schlossen sich. Sein Blick ging ein wenig unstet durch die Zentrale der HERCULES. „Ich bin Soldat, und ich folge meinen Befehlen, Sir. Ich habe keine Veranlassung und keine Möglichkeit, diese Befehle zu ignorieren oder ihnen den Rücken zu zu wenden. Darüber hinaus habe ich eine Sorgfaltspflicht gegenüber meinen Leuten.“
„Sagen Sie gerade nein?“
„Würde es Sie trösten, dass Sie mich ernsthaft in Versuchung geführt haben, Arling?“, fragte der Admiral spöttisch. Er atmete tief ein und legte dann die Hände vor sein Gesicht. „Zuhause geht gerade alles drunter und drüber. Ich stecke leider mittendrin. Und als ich gemerkt habe, was ich da überhaupt gerade tue... War ich schon bis zu dem Schultern im Schlamassel. Ich kann Ihr Angebot nicht annehmen, Arling, aber... Ich verspreche, sowohl die Whale-Transporter als auch Hephaistos und den König Drosd-Gedächtnisraumhafen so lange als neutral zu behandeln, wie wir von dort nicht angegriffen werden.“
„Dafür danke ich Ihnen, Admiral Kian.“
„Eines noch, Arling. Ist Slodowsky immer noch Kommandeur der MILFORD?“
„Das ist er, Admiral.“
„Ich dachte es mir. Er wird einen guten Job da oben machen. Aber es kann sein, dass keines der sieben Schiffe überleben wird. Die Hauptpriorität der MILFORD ist es, kein Schiff passieren zu lassen. Selbst wenn sie zwölf Antriebe zerschießen reichen die gebündelten Waffen aus, um den Zerstörer und die sechs Fregatten zur Hölle zu schicken.“
„Das weiß ich, Admiral. Und Hans weiß es auch.“
Ein wehmütiges Lächeln huschte über seine Züge. „Und wieder werden gute Leute geopfert. In diesem Scheiß Krieg sind schon viel zu viele Menschen gestorben. Und die meisten waren mehr wert als ich.“
„Oder ich“, erwiderte Arling fest. „Und deshalb, weil wir leben und weil jene die besser waren vor uns gegangen sind, ist es unsere Pflicht, an ihrer Statt gut zu sein und für die unseren zu sorgen. Sorgen Sie gut für Ihre Large Fleet, Admiral Kian.“
Der Republikaner nickte fest. „Und sorgen Sie gut für Ihre Fuchsflotte, Commodore Arling.“
Die beiden Männer nickten sich unmilitärisch zu, dann wechselte der Eitelschrecken wieder auf eine Ansicht des Stabiae-Systems.
„Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Welche willst du zuerst hören?“, fragte Kapitän Schlüter von ihrem Platz aus.
„Die gute bitte zuerst.“
„Okay. Die SIGURD ist mit fünf Begleitschiffen im Orbit eingetroffen und schließt sich unserer Formation an. Die DENEB mit weiteren sechs Begleitschiffen wird in einer Viertelstunde einschwenken.“
„Okay, und welches ist die schlechte?“
„Die MILFORD hat keinen Bug mehr.“
Arling rief die permanent aktualisierte Schadensanzeige im Hologramm auf und ließ sich den Zerstörer zeigen. Tatsächlich war ein Teil der Spitze kastriert worden. Dabei waren drei der sechs Torpedoschächte ausgefallen. Durch gegangene Schutzschildprojektoren hatten ebenfalls zu den Verwüstungen beigetragen. „Fliegt er jetzt ohne Bugschild?“, fragte Han entsetzt.
„Im Moment rotiert sein Schiff auf dem Kopf gestellt um die Y-Achse und schießt was es hat auf die Paktler. Er ist ein findiger Hund.“
„Ein Vollblutraumfahrer eben“, murmelte Arling.
***
„Meldung!“, blaffte Commander Slodowsky.
„Drei Torpedos der TYBALD haben uns getroffen. Wir haben diverse Waffensysteme verloren, darunter drei Torpedoabschussvorrichtungen. Die zerstörten Sektionen wurden abgeschottet. Wir haben es im Moment mit sechzig Vermissten zu tun, Sir.“
„Was ist mit den Munitionsvorräten, Mr. Steven?“
„Sir?“
„Was ist mit den Torpedos für die Werfer?“
„Intakt, Sir, sonst wäre uns mehr abgerissen worden als ein Stück Bug.“
„Gut, schafft sie auf die Backbordseite rüber. Dort können wir unsere Torpedos noch feuern.“
Im ersten Moment wirkte Marc Steven entsetzt, dann hellte sich sein Gesicht merklich auf. „Jawohl, Sir!“
Hans widmete sich wieder der holographischen Darstellung. Die Rüster lieferten unterstützendes Fernfeuer und die Knights von den katalaunischen Fregatten gingen in den Nahkampf. Er hatte bisher nie das Vergnügen gehabt, gegen Knights zu kämpfen, und nun wusste er auch wie gut er damit getan hatte. Die Fregatten steuerten gut dreißig Maschinen zum Gefecht bei, und diese dreißig Knights wurden lediglich von Milizionären und Veteranen gesteuert. Aber ihre Agilität, ihre Kampfkraft und vor allem ihre Schutzschilde machten sie zu einem Gegner, dem die Hydrae nicht gewachsen waren. Die Verlustquote bei den gegnerischen Kampfrobotern betrug bereits fünfzig Prozent.
„Nachricht von Hauptmann Ryan. Die CALAIS soll von der HERA abdrehen.“
„Begründung?“
„Fünf seiner Knights befinden sich im Zerstörer und arbeiten sich zu den Reaktorsälen vor.“
Slodowsky sah erstaunt auf. Die HERA war ein Zerstörer! Wie zum Henker waren die fünf Maschinen da hinein gekommen? Und was wollten sie tun? Die Reaktoren hoch jagen? Aus Übungen kannte Hans zur Genüge die schwierigen Bedingungen beim Kampf innerhalb eines Schiffs. Wie die Situation für die gigantischen Knights sein mussten wagte er sich gar nicht vorzustellen. „Wie sind sie da rein gekommen?“, rief Hans überrascht. „Nachricht an die CALAIS! Abdrehen!“
„Jawohl, Sir. Keine Ahnung, Sir. Plötzlich kam die Meldung, sie seien drin! Außerdem messen wir Explosionen an Bord der HERA an. Hauptmann Ryan ist nicht zu orten. CALAIS dreht ab und nimmt Kurs auf die TYBALD.“
„Nachricht von der OTHELLO. Sie steht unter schwerem Feuer der AGRIPPA und der DIONYSOS!“
„Gebt Strater Bescheid. Die REDWOOD soll einen Teil des Feuers auf sich ziehen.“
„Aye, Sir.“
Noch hatten sie keinen Gegner ausgeschaltet, aber der Feind hatte es auch noch nicht an ihnen vorbei geschafft. Seine MILFORD war recht übel erwischt worden, aber es konnte noch kämpfen. Fünf Knights höhlten einen Zerstörer von innen aus und die Schlacht der Kampfroboter war so gut wie zu ihren Gunsten entschieden.
„Wir haben Hauptmann Ryan wieder in der Ortung! Er verlässt mit zwei Begleitern die HERA! Außerdem messen wir interne Explosionen großer Stärke im Inneren der HERA an!“, rief Lieutenant Fellow.
First Lieutenant Jenkins wirbelte aufgeregt herum. „Die HERA streicht die Flagge und beginnt mit einer Notevakuierung! Das Schiff wird aufgegeben!“
In der Zentrale der MILFORD brach zaghafter Jubel aus, der es aber nicht schaffte, den Schock der Explosion ihres Bugs vollkommen auszumerzen.
„Und wie haben sie es nun hinein geschafft?“, rief Slodowsky aufgeregt.
„Ich habe mit dem Hauptmann selbst gesprochen“, sagte Jenkins ruhig. „Er hatte zwei Verluste im Schiff. Sie... Sie haben ihre Identifikationstransponder kaschiert und sind über die Landerampen in die HERA eingelassen worden. Dann haben sie sich den Weg ins Innere frei geschossen.“
„Erstaunlich. Langsam verstehe ich, warum wir in diesem Krieg immer wieder zurück geworfen wurden. Sagen Sie Ryan, er ist ab sofort Major. Die Beförderung nehme ich auf meine Kappe. Und sagen Sie ihm auch, er soll sich für den nächsten Streich eine Fregatte aussuchen!“
„Aye, Sir!“, rief Jenkins und strahlte dabei fast.
Ungläubig schüttelte Hans den Kopf. Ein Zerstörer weg, im Austausch für zwei Knights, deren Piloten in einer spektakulären Explosion beerdigt wurden.
„Major Ryan bedankt sich nachdrücklich und fragt, ob die DIONYSOS recht wäre.“
„Teufelsbraten!“, knurrte Hans laut. „Er hat freie Auswahl!“
„Sir, Kapitänleutnant Tikis CALAIS hat schwere Schäden erlitten. Multiple Treffer an Bug und rechter Flanke. Mehrere Sektionen sind luftleer, es gibt sekundäre Explosionen im Schiff.“
Ein schneller Blick auf den Schirm zeigte, dass sich drei Fregatten auf das einzelne katalaunische Schiff eingeschossen hatten. „Die ROCKET soll ihr zur Hand gehen. Anfrage an die CALAIS: Rückzug?“
„Antwort von Kapitänleutnant Tiki: Nicht vor der MILFORD.“
„Verrücktes Huhn“, murmelte Hans leise. Die MILFORD würde sich niemals zurückziehen. Nicht bevor alle feindlichen Schiffe vernichtet oder auf der Flucht waren. Und wenn sein Zerstörer passiert wurde, würde er wenden und dem Feind hinterher fliegen. Aber niemals würde er zulassen, dass die Paktler die Whale-Transporter erreichten. Nur über seine in Atome zerfetzte Substanz würde das jemals möglich sein! Wütend ballte er die Hände zu Fäusten und widmete sich wieder der TYBALD. Die widmete sich mittlerweile der OTHELLO.
„Vorsicht, Junge, hier spielt die Musik!“, sagte Hans ernst. „Freies Feuer auf die TYBALD.“
„Aye, Sir“, erwiderte Lieutenant Lippstadt.
„Sir, es sieht so aus als würden sich die KOLOSS und die ATHEN auf uns einschießen“, meldete Steven.
„Die TYBALD ist wichtiger. Zumindest ihren Antrieb müssen wir vernichten.“
„Aye, Sir.“
„Die Frage ist nur, ob uns das auch gelingt“, fügte der Commander so leise hinzu, dass ihn niemand hörte.
***
„Mein Name ist Karen O´Connelly für Yura Maynhaus Independend, Ihren Sender für unabhängige, überparteiliche Berichterstattung. Aus naheliegenden Gründen ist es mir, wie Sie, liebe Zuschauer ja wissen, untersagt über militärische Belange zu berichten, seit ich mich dem Pressecorps von Graf Arling angeschlossen habe. Alle diesbezüglichen Reportagen, Analysen und Interviews unterliegen einer Sperre, die erst mit Ende der Mission aufgehoben wird. Ich halte mich nur zu gerne daran, liebe Zuschauer, denn abgesehen vom Militäreinsatz gibt es viele Kleinigkeiten über die man berichten kann und sogar muss.
Zur Zeit widme ich mich hauptsächlich der Situation auf den Whale-Transportern und in Hephaistos, beziehungsweise auf dem Raumhafen. Und hier gibt es nicht nur außergewöhnliche Charakterprofile zu zeichnen. Es gibt auch viele liebenswerte, faszinierende Geschichten, die einfach nicht verloren gehen dürfen.
Die meisten Menschen sehen mich zuerst skeptisch an, wenn sie erfahren, dass ich aus Yura-Maynhaus komme, und der häufigste Kommentar, den ich daraufhin erhalte ist: Das kann man gar nicht glauben. Sie sind doch so ein nettes Mädchen.
Tja, liebe Landsleute, es scheint so, als würden die entführten Katalauner noch einige Jahre daran zu knabbern haben, was obskure Kreise in Regierung und Flotte ihnen angetan haben. Und damit auch uns.
Wie immer bemühe ich mich, nur den besten Eindruck zu hinterlassen, in der berechtigten Hoffnung, das diese Menschen auch den Yura-Maynhausern eine Chance geben, sobald sie mir vertrauen, und ich denke, ich bin auf einem guten Weg.
Vielleicht sogar auf dem besten Weg, und dafür will ich einen Pressepreis, wie meine geschätzte, hochklassige Kollegin Carrie Rodriguez stets fordert.
Die Menschen lassen mich mittlerweile nicht nur in ihre Mitte, sondern nach und nach auch in ihre Herzen. Der Beweis dafür ist diese kleine Abteilung des Bordlazaretts der URANUS, dem jüngsten der acht zu Truppentransportern umgebauten Whale-Frachtern. Während sich nach und nach die Schiffe mit Flüchtlingen füllen, tun die Menschen, die bereits hier oben sind ihr möglichstes, um dabei zu helfen. Seit Beginn der Evakuierung von Hephaistos wurden in der ganzen Flotte sage und schreibe siebenunddreißig Kinder geboren, und alleine hier auf der Säuglingsstation der URANUS haben wir gleich neun der kleinen Kameraden. Weitere acht sind noch für diesen Tag angekündigt, und über siebzig werden es bis zum Ende der Woche sein.
Auf meine Frage, ob das Leben in Hephaistos denn so langweilig sei, dass die Menschen sich auf eines der ältesten und schönsten Hobbies des Universums besonnen haben, bekam ich meist die Antwort, dass schwangere Frauen von jeglicher Arbeit befreit seien. Das alleine mag als Grund etwas unzureichend sein, aber der Mensch zeichnete sich schon immer dadurch aus, in Krisenzeiten besonders fruchtbar zu sein. Mit jedem weiteren Tag vermehrt sich also die Zahl der kleinen katalaunischen Bürger, die Graf Arling in die Heimat schaffen muss.
Interessant dabei ist die Namensgebung. Ist man bei den Mädchennamen noch recht flexibel – von Carrie über Annegret bis hin zu Eleonor ist alles vertreten – ist die Vergabe der Jungennamen eine einseitige Sache. Johann führt die Liste der Namensvergabe in einem satten Verhältnis von fünf zu eins sicher an. Und auch der zweithäufigste Name verwundert niemanden wirklich. Viele katalaunische Mütter, die sich nicht so recht an den Namen des Kommodores heran wagen, nennen ihre Söhne... Armin.“
***
Schwere Erschütterungen gingen durch den Rumpf der REDWOOD. Kapitänleutnant Conrad Strater ließ sich äußerlich nicht davon beeindrucken. Schlimmer erging es ihm da schon mit der Schadensstatistik, die ihn über leer geschossene, beschädigte und vernichtete Waffen sowie über Strukturschäden und zerstörte Schildgeneratoren informierte. Die REDWOOD hatte eine Position weit hinten im Keil der Formations Slodowskys gehabt, die Gryanenschiffe waren an der Spitze. Dennoch waren die Schäden, die seine REDWOOD hatte einstecken müssen, beachtlich. Entsprechend arg sah es auf den vorderen Schiffen und dem Zerstörer MILFORD aus.
„Die LYDIA treibt quer!“, gellte der Warnruf von der Ortung auf. Sowohl Strater als auch seine Eins O Renate Steinhauer warfen einen hastigen Blick auf das Positionshologramm. Tatsächlich. Die LYDIA brannte und driftete seitlich ab. Der starke Antrieb der Fregatte pumpte sie zur Seite, und damit mitten in die offene Formation des Pakt-Verbandes. In wenigen Sekunden würden die Schiffe einander passieren; Slodowsky würde den gemischten Verband im Winkel von fünfundvierzig Grad zum Kurs der Paktler auf sie prallen lassen. Das bedeutete, dass sie seit mehreren Minuten in Feuerreichweite aller gegnerischen Waffen waren. Der hatte zwar schon einen Zerstörer und zwei Fregatten verloren, aber die Katalauner und Gryanen hatten dafür mehr Gesamtschäden einstecken müssen. Das die LYDIA als brennendes Halbwrack nun durchs All driftete, war nach Straters nüchterner Analyse überfällig gewesen. MILFORD, ROCKET und OTHELLO hatten ebenfalls furchtbar eingesteckt, um die unerfahrenen Besatzungen der drei katalaunischen Fregatten REDWOOD, CALAIS und RICHMOND so gut wie möglich zu schonen.
„Um Himmels Willen, was macht sie da? Was macht sie da?“, rief der junge Ortungsoffizier aufgeregt. Ohne sein Namensschild zu sehen konnte Conrad ihn nicht mal beim Namen rufen; aber er wusste, dass der junge Milizionär von Munich ein feiner Offizier und ein guter Mann auf dem Ortungsposten war.
„Ortung, was ist los?“, blaffte er.
„Die LYDIA schiebt sich in den Kurs der TYBALD! Sie wollen den Zerstörer rammen!“
Kurz überschlug Conrad Strater ein paar Zahlen, dann nickte er grimmig. „Die TYBALD wird ausweichen, und sie wird es gegen ein waidwundes Schiff wie die LYDIA auch schaffen. Aber dann ist sie in unserem Kurs, und das schwöre ich, mir wird sie nicht entkommen! Notfalls ramme ich den Kahn ebenfalls!“
Übergangslos fühlte er die Blicke der Zentralebesatzung auf sich ruhen. Der Kapitänleutnant fühlte sich genötigt, seine Entscheidung zu erklären. „Da draußen sterben die Gryanen für den Schutz unserer Leute. Commander Slodowsky hat uns überdies bis jetzt geschont. Nun wird es an der Zeit, etwas davon zurück zu geben und die Chancen zu nutzen, die sie uns eröffnet haben. Kein Schiff darf den Whale-Transportern auf Feuerreichweite nahe kommen, und wenn es unser Ende bedeutet! Der Schutz von Zivilisten ist und bleibt unser höchstes Gut!“
Für eine bange Sekunde herrschte Schweigen, dann aber nahmen die Männer und Frauen ihre Arbeiten wieder mit Nachdruck auf.
Steinhauer nickte ihrem Kapitän wohlwollend zu. „Diese Mannschaft steht hinter dir, Conrad“, raunte sie.
Es war ein beruhigendes Gefühl für ihn, auch wenn es nur das Vorspiel seines eigenen Todes sein würde. Aber wenn ihr Streich gelang, dann hatten die Paktler nur noch einen Kreuzer im Rennen, und hinter ihnen rasten die B-KING, die SANSSOUCI und die JULIET heran, ritten ihre Triebwerke zuschanden, um sie und die Whales zu entsetzen. Es würde knapp werden, vielleicht sogar nicht möglich sein, die Zivilisten in den Frachtern zu beschützen. Aber wenn ihm das nicht gelang, konnte er sich ohnehin nicht vorstellen, jemals wieder in seinem Leben Seelenfrieden zu finden.
„Was macht der dritte Zerstörer?“, fragte er ins Rund.
„Passiert gerade die ROCKET. Beide Schiffe tauschen nur marginales Feuer aus. Wir... Himmel, was ist das denn?“
Nun fiel ihm endlich der Name des Mannes wieder ein. „Garcia, was ist los?“
Der junge Mann aus Hephaistos war erschrocken aufgesprungen und stand nun neben seinem Pult, die anderen Ortungsfachleute ebenso. Eine der Konsolen begann zu schmoren, schlug Funken und brannte schließlich. Die Feuerwache der Zentrale eilte herbei und löschte das elektronische Gerät.
Sekunden darauf durchlief ein leichtes Beben das Schiff. Es hatte einen Rhythmus, den Conrad Strater noch nie verspürt hatte. Und er war während des fast zweijährigen Krieges gegen Yura-Maynhaus in vielen Schlachten gewesen.
„Das muss die Druckwelle sein“, murmelte Antonio Garcia und sah mit vor Schrecken geweiteten Augen zu seinem Kapitän herüber. „Sir, nennen Sie mich einen Lügner, erschießen Sie mich oder degradieren Sie mich, aber was ich Ihnen jetzt sage ist die reine und unverfälschte Wahrheit! Zwischen den Whales und uns ist ein Schiff aus dem Sprung gekommen!“
„Ich glaube, Sie der Lüge zu bezichtigen ist eine gute Idee. Was, bitte?“, rief Strater mit vor Entsetzen geweiteten Augen. Kein bekanntes Schiff konnte so nahe an der Sonne in die Schwerkraftsenke eines anderen Systems eindringen. Alle Schiffe mussten, je nach Stärke ihrer Wurmlochgeneratoren, unterschiedliche Abstände einhalten, um in ein System zu gelangen.
„Es ist die Wahrheit, Sir!“, beharrte der Orter. „Die Energie des Sprungs war gewaltig genug, um die gesamte Ortungsanlage durch schmoren zu lassen! Und die Schockwelle, die wir gerade verspürt haben, muss vom Sprung selbst wellenförmig durch das Gravitationstal gegangen sein!“
„Hilfsortung einsetzen! Ich will hier ruckzuck wieder was sehen können! Wehe, die TYBALT geht uns durch die Finger! Und was Sie angeht, junger Mann, wenn Sie Recht haben, dann muss der Brocken, der zu uns raus gesprungen ist, gewaltig sein! Und wenn das so ist, dann hoffe ich für uns alle, dass es kein Feind ist! Eventuell ein Gigantfrachter der Agamemnon-Klasse. Oder ein LEVIATHAN, das wäre möglich. Mit verstärkten Kraftwerken allerneuesten Sprunggeneratoren und... Hoffentlich ist es kein Feind! Hat noch jemand einen Wunsch offen oder ein Gebet zu den Sternengöttern zu sprechen? Jetzt wäre eine gute Gelegenheit dazu!“
„Ortung ist wieder aktiv“, meldete Garcia. „Lediglich kurze Distanz. Ich...“ Entsetzt starrte er auf seinen Bildschirm, dann wieder zu Strater. „Also diesmal bitte ich sogar um meine Degradierung! Die TYBALT und die anderen Schiffe streichen Flagge und drehen bei!“
„WAS?“ Strater griff sich ans Herz. Diese ganzen unerwarteten Wendungen gingen so knapp nach seinem geplanten Opfergang mächtig an den Kreislauf. „Wenn das stimmt, mache ich Sie diese Stunde noch zum Oberleutnant, glauben Sie mir das!“
„Unverschlüsselter Funkanruf, offene Frequenz!“, rief der Funkoffizier herüber. „Die Pakt-Einheiten werden aufgefordert, alle Aggressionen einzustellen und beizudrehen! Was sie ja anscheinend auch wirklich tun!“
„Lassen Sie sich nicht alle Fäden einzeln aus der Nase ziehen, Mann! Wer macht denn diese für uns so nützlichen Vorschläge?“
Der großgewachsene Schwarze am Funk strahlte seinen Skipper regelrecht an. „Es ist die PHILLIP IV, Sir, und der Funkaufruf kommt von Theseus dem Dritten persönlich!“
„Ein Freund vom Alten!“, rief jemand begeistert, und der Rest ging in unglaublichem Jubel unter.
Conrad Strater sank auf seinen Sitz zurück und atmete erst einmal tief und kräftig durch. Die Erleichterung drohte ihn zu übermannen, und nur mit Mühe hielt er seine Tränen zurück. Verdammt noch Mal, er würde Ellies Kahn doch nicht zu Schrott fliegen!
***
„Natürlich bin ich nur das Vorauskommando!“, versicherte Theseus der Dritte seinem Gesprächspartner, Commodore Slodowsky. „Insgesamt sechs Kampfflotten sind auf dem Weg hierher und werden noch diese Stunde eintreffen. So wie ich die taktische Lage überblicke, werden wir nicht mehr rechtzeitig ankommen um Lord Arling im Kampf um Vesuv zu helfen, aber wir werden in jedem Fall stark genug sein, um die Welt zurück zu erobern, wenn sie in republikanische Hände fällt. Ich weiß, das ist eine Scheiß Entschuldigung, Commander. Aber wir müssen mit dem arbeiten, was wir haben.“
„Für den Moment reicht mir das, Mylord.“ Hans atmete sichtbar erleichtert auf. „Ich nehme an, Sie sind die Hilfe des Städterats, die uns versprochen wurde?“
„Richtig. Und dieses sechs Flotten sind noch lange nicht alles. Weitere achtzehn Flotten werden noch in dieser Woche zu uns stoßen und die Kontrolle über den Pakt übernehmen. Dieser offensichtliche Ausverkauf ist ein Schlag ins Gesicht der Diadochen. Wir können nicht zulassen, dass einer unserer Teilstaaten seine Bevölkerung verschachert. Deshalb werden die achtzehn Flotten auch der Städteratflotte angehören. Wir sind nur das Vorauskommando, weil wir am nahesten dran waren.“
„Despot, Sie haben gerade wir gesagt“, sagte Slodowsky gedehnt.
„Das bezieht sich wohl auf mich“, sagte eine tiefe Männerstimme. Der Bildschirm erweiterte sich und zeigte einen großen, schlanken Mann mit fein rasiertem Bart. „Leonard Rensky, Fürst der Kommunalität Nowgorod. Capitaine Cochraine stammt aus meinem Stall, anders ausgesprochen bin ich Admiral Goldmans Verbündeter in den Diadochen. Ich hoffe, das beruhigt Sie etwas.
„Jedenfalls mehr als die angekündigten achtzehn Flotten“, raunte Slodowsky. „Damit kann man ganze Reiche erobern.“
„Äh, unsere Flotten sind nicht so groß wie bei Ihnen oder in Katalaun, Commander. Bei uns reichen schon zehn bis fünfzehn Schiffe aller Klassen, um den Status einer Flotte zu erhalten. Rechnen Sie also vorerst mit achtzig Schiffen aller Klassen sofort und mit zweihundertfünfzig Schiffen aller Klassen des Städterats. Viele davon übrigens Pakt-Einheiten, die diesem offenen Verrat ebenfalls nicht zustimmen wollen. Die wenigstens davon sind Leichte oder Schwere Kreuzer. Und außer der PHILLIP ist in der Kategorie Schlachtschiffe nur die HERCULES aktiv“, erwiderte Rensky in beruhigendem Tonfall.
„Und nur für den Fall, dass Sie sich fragen, Commander, wer uns Retter kontrolliert“, ergriff nun der Despot wieder das Wort und deutete neben sich. Wieder erweiterte sich das Bild und zeigte eine Nymphe. Für einen Moment dachte Slodowsky, es würde sich um Nyhartes Nissos handeln, aber dann erkannte er schnell die Unterschiede.
„Ich bin Rätin Levess Karinel Toras. Ich spreche sowohl für die politische Opposition auf Europa als auch für die Nymphen in den Diadochen. Die Initiative des Städterats erfolgte auf den Wunsch der Nymphen hin, und die Nymphen werden ihn überwachen. Ich hoffe, damit geben Sie sich zufrieden, Commander.“
„Ich hätte vor einem Monat nicht gedacht, das ich das mal sagen würde, aber wenn die Operation unter Kontrolle der Nymphen steht, ist alles in Ordnung.“ Er seufzte und sah für einen Moment zu Boden. „Mylord, was planen Sie jetzt? Viele meiner Schiffe haben Gefechtsschäden erlitten und gehören in ein Dock. Und es ist fraglich, ob es die PHILLIP rechtzeitig nach Vesuv schafft.“
Die Miene des Despoten verhärtete sich. „Das ist selbst für einen der legendären Schlachtkreuzer der herkuleanischen Dynastie unmöglich. Ich könnte es wagen, die Schwerkraftminisenke zwischen Oplontis und Vesuv anzupeilen, aber ein Navigator, der so gut ist, muss ein halber Gott sein, wenn er dabei ein Schiff dieser Größe nicht in ein Puzzle mit eine Milliarde Teile verwandelt.“
„Wir haben also erst einmal keine Chance, Lord Arling zu helfen“, stellte Slodowsky verbittert fest.
„Leider nicht. Stattdessen schirmen wir vorerst die Whale-Frachter mit eins Komma zwei Millionen Zivilisten ab, bis unsere Flotte nachgekommen ist. Danach helfen wir Johann entweder bei den Reparaturen, oder wir rächen ihn.“
Die Worte waren salopp aufgesagt gewesen, aber in den Augen des Despoten war zu sehen, wie ernst er die Worte nahm. Es schien, als hätte er einen gewichtigen Schwur getan.
„Das werden wir tun, Mylord“, sagte der Commander fest.
„Das werden wir tun“, bekräftigte Rensky ernst und legte Theseus eine Hand auf die Schulter.
„Ich befürchte, meine Herren, dafür ist es nun zu spät“, sagte die Rätin ernst und deutete auf das große Ortungshologramm hinter sich.
Auch Slodowsky wandte sich automatisch der Ortung zu und erschrak bei dem Anblick, den die Fernortung bot. Am Systemrand wurden neue Ortungen vermerkt. „Kann das mal bitte jemand zählen lassen?“, fragte er mit tonloser Stimme.
Lieutenant Fellow sah mit bleichem Gesicht zu ihrem Kapitän herüber. „Einhundertsieben Kontakte bisher, Tendenz steigend.“
„Ist das schon Strombach mit der 17.?“, fragte Slodowsky entsetzt.
***
„Multiple Kontakte am Systemrand, Sir!“, rief Turnau aufgeregt. „Automatische Zählung steht bei einhundertzehn! Größenklasse kann noch nicht bestimmt werden!“
„Im Moment ist das egal, denn egal ob wir es mit Freunden oder Feinden zu tun haben, für diese Schlacht kommen sie zu spät, und für die nächste Schlacht werden wir die PHILLIP an unserer Seite haben“, erwiderte Arling fest. „Und das ist ein Gespann, mit dem sich nicht einmal Kian anlegen wird. Wie sieht es bei den Kampfrobotern aus?“
„Erster Feindkontakt wird in sieben Minuten erwartet.“
Arling warf einen kurzen Blick in den Holotank, der die Positionen seiner Schiffe anzeigte. Links stand der Stabiae-Teilverband unter Admiral Toral mit der SIEGURD als Flaggschiff, rechts die HOUSTON mit den vermeintlichen Gryanen unter Commodore Griffin.
Und die Mitte hielt er mit drei brandneuen und einem leicht lädierten Zerstörer. Alles in allem eine beeindruckende Streitmacht.
„Mylord, Vesuv meldet ein planetares Beben.“, sagte Leutnant Turnau mit belegter Stimme.
„Und das melden sie uns? Selbst eine künstliche Welt wie Vesuv muss ab und an ein Beben gewöhnt sein“, erwiderte Arling zerstreut, aber Schlüter war schon auf dem Weg und warf einen Blick auf die Nachricht. „Würde ich normalerweise auch sagen, Han, aber solche Beben haben ihre Epizentren normalerweise nicht im Orbit.“
„Im Orbit?“ Argwöhnisch hob Arling eine Braue.
„Genauer gesagt am Lagrange-Punkt zwischen Oplontis und Vesuv!“ Hektisch eilte Schlüter zu Raglund weiter und warf einen Blick auf die roh einlaufenden Ortungsdaten. „Da ist was Großes angekommen! Was wirklich Großes!“
„In unserem Rücken? Gesprungen?“ In Gedanken ging Arling die verschiedenen Szenarien durch, die so etwas ermöglichten, inklusive einer unfassbaren Chuzpe. „Klar Schiff zum Gefecht! Wir nehmen Kurs auf den Eindringling!“
„Das wird nicht nötig sein, Admiral Beijing“, meldete sich das Bordgehirn zu Wort. „Bitte, Leutnant Turnau, Sie haben einen Kontaktversuch auf der Anzeige.“
Die junge Katalaunerin widmete sich ihren Daten. „Admiral zu Admiral, Sir! Ich lege es auf den Hauptschirm!“
Das taktische Bild des Systems wurde abgelöst von einer durchaus kräftigen, schwarzhaarigen Frau mit dunklem, polynesischem Teint. „Ich bin Admiral Bekatorou von Bord der IOLAOS. Ich bin die Oberkommandierende der Phillippii. Admiral Beijing, Sie haben einen Notruf ausgesendet? Phillippii und Perseii haben darauf geantwortet. Wir stehen zu Ihrer Verfügung, Mylord.“
„IOLAOS ist der verloren gegangene Schlachtkreuzer der Nemesis-Klasse“, hauchte Schlüter ergriffen. „Bestätigen Sie, Oberleutnant Raglund!“
„Ich bestätige, Ma´am! Am Lagrange-Punkt eins zwischen Oplontis und Vesuv steht ein Schlachtkreuzer der Nemesis-Klasse!“
„Eingehender Transponder bestätigt Schlachtkreuzer als IOLAOS!“, sagte Turnau mit viel zu lauter Stimme. „Eingehende Transponder der neu eingetroffenen Schiffe bestätigen sie als Phillippii, 2.,3., 4., 8., 11. und 20. Flotte sowie Perseii, 1., 9., 10. 28. und 37. Flotte!“
Für einen Moment war Arling fassungslos. Er hatte das Gefühl, in ein großes tiefes Loch der Erleichterung zu fallen und sich darin zu verlieren. Aber er riss sich zusammen, richtete sich auf und sah der Admiralin in die Augen. „Ihre Hilfe ist hoch willkommen, Admiral Bekatorou.“
Johann Armin Graf zu Arling und Herzog von Beijing sah zu seiner Stellvertreterin herüber. „Kapitän Schlüter, Nachricht an die Flotte. Gefechtsbereitschaft beenden. Wir haben die Schlacht gewonnen.“
Ihre Antwort, ein formvollendeter Salut und die mündliche Bestätigung gingen im wilden Jubel der Zentralebesatzung unter. Der Jubel selbst pflanzte sich wie eine eigene kleine Schockwelle im Schiff fort und schwappte auch über die anderen stolzen Schiffe der Flottille hinweg.

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Die Nachricht vom wundersamen Sieg Arlings über Vesuv ging gerade erst durch die Presse, während Admiral der Flotten Miranda von Hohenfels eine eigene Pressekonferenz abhielt. Zugelassen waren nur katalaunische Medienvertreter, wenngleich es Anfragen internationaler Teams und Zeitungen gegeben hatte, ebenfalls teilnehmen zu können. Einige hatten es dennoch geschafft, aber eher auf indirekte Arbeit. Mit Ausrufung des Waffenstillstands hatten sich einige Medien der Kooperation mit ihren Nachbarn in Yura-Maynhaus erinnert, die vor dem Krieg bestanden hatten und berichteten nun in deren Namen exklusiv. Auch die anderen Presseleute würden ihre Informationen international weiterverkaufen, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Aber es befand sich kein einziges Live-Team unter den gut zweihundert Presseleuten aus dem gesamten Kaiserreich, die zusammengefunden hatten, um die große alte Frau der Flotte sprechen zu hören.
Als sie eintraf, erhoben sich die Anwesenden. Es wurde leise gemurmelt, was an sich schon eine Respektlosigkeit darstellte. Vom Applaus, mit dem sie mitunter während des Krieges empfangen worden war, konnten die Reporter nicht entfernt sein als Sanssouci von Versailles. Und das war zu Fuß eine ganz schöne Strecke.
„Setzen Sie sich, Herrschaften“, sagte die Admirälin und trat ans Sprechpult.
Das Pressekorps nahm wieder Platz, und beinahe sofort schossen die ersten Hände hoch, um die höchste Offizierin Katalauns mit Fragen zu bombardieren.
„Später, Herrschaften, später. Heute bin ich hier her gekommen, um Ihnen etwas wichtiges mitzuteilen. Johann Arling hat Anspruch auf den Thron von Katalaun erhoben, wie sie alle sicherlich wissen. Durch den Tod seines Vaters in einem Duell mit General Kress ist er in seiner Linie, einem Seitenzweig der Versailles, tatsächlich hoch genug aufgerückt, um direkten Anspruch auf den Thron zu haben. Da er ein Prüfverfahren veranlasst hat, müssen wir ihm gestatten, hierher nach Sanssouci zu kommen, sich dem Rat der Herzöge zu stellen und vor dem Parlament seine Tauglichkeitsprüfung abzulegen. Danach liegt es beim Parlament, welchen Versailles sie für fähiger halten, um das Kaiseramt zu übernehmen. Dies ist der Lauf der Dinge, so war es schon immer und so wird es in Katalaun bleiben, so Gott uns helfe.“
Einige Reporter raunten interessiert auf, als sich die eigentlich als säkularisiert bekannte Admirälin so offen zu einem Gott bekannte.
„Andererseits ist die Entwicklung im Europa-Pakt nicht zu übersehen. In diesem Moment, Herrschaften, kämpft Johann Arling über Vesuv gegen republikanische Kräfte. Aber nicht um unschuldige katalaunische Bürger zu schützen, die einfach nur nach Hause wollen, sondern weil er sich hat anwerben lassen wie ein gewöhnlicher Söldner. Der Städterat der Diadochen hat ihn angeworben, um Vesuv und das Stabiae-System gegen die Yura-Maynhauser zu halten. Dabei riskiert er die Leben von guten Soldaten und guten Offizieren. Von den Leben katalaunischer Zivilisten wollen wir gar nicht erst reden.“
Sie atmete tief ein und wieder aus, bevor sie erneut zum sprechen ansetzte. „Johann Arling ist durch seinen Anspruch auf den Thron solange immun für die katalaunische Rechtssprechung, wie über seinen Thronanspruch nicht entschieden ist. Aber seine Offiziere sind es nicht. Ich habe sie mehrfach, sie und die Mannschaften der Flotte, aufgefordert, die untragbaren Zustände innerhalb der Flotte zu beenden und die Schiffe wieder unter das Kommando regulärer katalaunischer Offiziere zu stellen, denen Treue zum Kaiserreich noch etwas bedeutet. Dies ist nicht geschehen. Damit haben sich Offiziere und Mannschaften mehrere Verbrechen schuldig gemacht. Erstens der Befehlsverweigerung. Zweitens der Missachtung Vorgesetzter. Drittens der Piraterie. Und viertens der missbräuchlichen Verwendung von katalaunischem Militäreigentum. Wir können einer solchen Bande von Wendehälsen nicht gestatten, hier im Kaiserreich zu schalten und zu walten wie sie wollen. Gerade erst haben wir einen wackligen Waffenstillstand erreicht, und schon sollen wir Piraten zwischen unseren Sternen herum fliegen lassen? Ich werde das nicht zulassen, definitiv nicht zulassen. Sollte Johann Arling seine Torheit überleben, sollte er wirklich die Frechheit besitzen, nach Katalaun zurück zu kommen, werde ich ihn dem Parlament überlassen müssen. Aber seine Schiffe und Kapitäne, seine Offiziere und Mannschaften werden sofort interniert, sobald sie die Grenze zu Katalaun übertreten. Anschließend wird das Kriegsgericht die Spreu vom Weizen trennen und in erforderlichen Fällen Verfahren einleiten. Alleine der Vorwurf der Piraterie wäre schon genug um sie alle erschießen zu lassen.“ Sie schnaubte wütend. „Das wäre alles, Herrschaften. Falls Johann Arling überlebt, werde ich präzisieren.“
„Falls Johann Arling zurückkommt“, klang die Stimme von Elisabeth von Versailles auf, „werden Kapitäne, Offiziere und Mannschaften auf Versailles interniert. Alles andere wäre für Gefolgsleute eines potentiellen Kaisers der Versailles-Linie eine schlichte Beleidigung. Natürlich wird ein jeder sich rechtfertigen müssen, und natürlich tritt das Kriegsgericht zusammen. Aber auf Versailles.“
Erstaunt sah Hohenfels die junge Frau an. Schließlich nickte sie. „Natürlich, Majestät.“
Elisabeth lächelte freundlich. Hinter ihr stand wie immer mit einer gezogenen und feuerbereiten Waffe Gerrit Rend. Sein Gesicht zeigte weder ein Lächeln, noch irgend eine andere Geste von Freundlichkeit. Nur angespannte Konzentration.
„Die Tradition muss halt gewahrt werden“, sagte die Kaiserin ernst und verließ den Saal wieder. Dies tat sie allerdings unter dem tosenden Applaus der anwesenden Presseleute, was Elisabeth dazu brachte, inne zu halten und freundlich zu winken. Was den Applaus noch einmal steigerte und ihn noch lange anhielten ließ, als sie längst wieder mit ihrem grimmigen Leibwächter verschwunden war.
Zurück blieb eine Miranda von Hohenfels, die ziemlich genau wusste, von der Marionette, die sie eigentlich lenken wollte, düpiert worden zu sein. Aber sie konnte nicht sagen, wie, und welchen Zweck es haben sollte. Aber letztendlich war es egal, ob man Arlings Offizieren den Prozess auf Versailles, Sanssouci, Rheinland oder Springe androhte. Vielleicht reichte es, um Arling ein für alle Mal aus Katalaun fern zu halten. Und wenn nicht... Nun, die Beliebtheit Elisabeths war eben gerade wieder einmal bewiesen worden. Und sie würde eine starke Waffe in den richtigen Händen sein. In den Händen des Komitees allemal.


6.
02.07.2613
Orbit um Vesuv, stationärer Orbit über Hephaistos
Stabiae-System
Europa-Pakt

„Conrad!“, rief eine bekannte Stimme nach dem Kapitän der REDWOOD, als der mit gesenktem Kopf durch eine Schleuse die HERCULES betrat..
Strater schreckte aus seinem dumpfen brüten hoch und erkannte seine Lehrmeisterin Eleonor Rend.
Er lächelte freundlich, doch es erstarb auf seinen Zügen. Plötzlich hatte er das dringende Bedürfnis, im Boden zu versinken. Aber es war zu spät, er konnte nicht mehr entkommen. Dabei hätte man denken können, auf einem Riesenkahn wie der HERCULES gäbe es genügend Platz, um Korvettenkapitän Rend so lange wie möglich auszuweichen.
„Conrad, Ihnen geht es also gut, wie ich sehe.“
„T-tut mir Leid, dass ich Ihr Schiff zuschanden geflogen habe, Ma´am“, brachte er stockend hervor.
Sie hob beide Augenbrauen. „Mein Schiff? Haben Sie irgendwas mit der ELISABETH angestellt? Das würde ich jetzt aber wirklich persönlich nehmen.“
„N-nein, Ma´am. Ich meine die REDWOOD.“
Eleonor Rend runzelte die Stirn, dann jagte sie eine knallharte Rechte in Straters Magen, der daraufhin einknickte.
„Die REDWOOD ist Ihr Schiff, Conrad. Ich dachte, Sie hätten das kapiert. Meines ist die ELISABETH.“
„Trotzdem“, beharrte der Kapitänleutnant, als er wieder japsen konnte. „Unter meinem Kommando hat sie ganz schön leiden müssen.“
„So.“ Rend ließ ein Geräusch hören, das am ehesten klang wie fernes Donnergrollen. „Rapport, Soldat.“
So gut es ging straffte sich der Mann. „Siebzehn Verluste in der Mannschaft, dreiundachtzig zum Teil schwer Verletzte. Drei Vermisste. Weitere neunzehn haben wir bereits wieder aus dem All gefischt. Sie sind dank der leichten Raumanzüge nur unter den Verletzten aufgeführt. Kampfbereitschaft liegt bei sechzig Prozent, Schilde bei vierzig, Antrieb bei achtzig, Panzerung bei dreiundfünfzig.“
„Das ist in der Tat nicht sehr erfreulich. Aber es hätte schlimmer kommen können“, murmelte Rend.
„Aber Ma´am“, stammelte der Größere.
Eleonor Rend griff hart zu und nahm ihren ehemaligen Ersten Offizier in den Schwitzkasten. Da sie durch ihr Kickbox-Training erhebliche Kraft in den Armen hatte, gelang ihr das vortrefflich. „Jetzt hören Sie mir mal genau zu, Conrad! Als ich gehört habe was da auf Sie zugeflogen kommt, war mein erster Gedanke hinterher zu eilen. Nicht um Ihnen und Slodowsky zu helfen, sondern um sie alle zu rächen. Als ich das erste Mal das Kräfteverhältnis gesehen habe, dachte ich, ich hätte viele gute Leute zum letzten Mal gesehen. Ich dachte ich hätte Sie und die REDWOOD zum letzten Mal gesehen. Und jetzt stehen Sie wieder vor mir und haben zudem die gute alte REDWOOD ins Dock verbracht. Ich habe gehört, sie ist in einer Woche wieder raumklar. Achtundvierzig Stunden, wenn wir die sekundären Reparaturen während des Flugs erledigen. Verdammt, Mann, seien Sie stolz auf sich, auf Ihre Crew und auf Ihre Kameraden da draußen. Vor allem auf jene die sterben mussten. Alle sieben Schiffe haben mehr oder weniger überlebt, obwohl diese Option eigentlich nicht bestand. Dennoch haben sie alle ihre Pflicht erfüllt und wurden mit dem Leben belohnt.“
Langsam ließ sie Strater wieder aus ihrem Griff. „Ich bin verdammt stolz auf Sie, Conrad. Sie und Ihre Crew, die zu großen Teilen aus Reservisten und Zivilisten besteht, hat für den Schutz der Whale-Frachter das eigene Leben aufs Spiel gesetzt und den sicheren Tod riskiert. Ich hasse es das zu sagen, aber Ihre Verluste sind erträglich. Wir werden Ihnen neue Crew zuteilen, die Sie einarbeiten werden. Daran mangelt es uns glücklicherweise gerade nicht.“
Sie atmete tief aus und wieder ein. „Ich weiß, es ist zynisch so zu denken und zu handeln. Aber wir sind Soldaten, Conrad. Wir haben unsere Pflicht, und wir erfüllen sie. Erst danach, weit danach, sind wir Menschen. Es gibt eine Zeit um zu kämpfen, um sein Leben für eins Komma drei Millionen Menschen zu riskieren. Und es gibt eine Zeit, um die toten Kameraden zu betrauern. Denn auch das gehört zu den Pflichten eines Soldaten. Das müssen Sie verinnerlichen, gerade jetzt als Schiffskommandant. Sie haben jetzt mehr zu sagen als jemals zuvor. Das macht Sie zum Tyrannen, zum Gott und auch zum Vater der Besatzung. Sie als Erster müssen Ihre Pflicht erfüllen, sonst folgen Ihnen Ihre Leute nicht. Aber so wie ich das sehe, sind sie Ihnen in dieses Lasergewitter gefolgt. Und sie werden es wieder tun, Conrad. Wieder, wieder und wieder. Sie sind ein guter Kapitän. Und Sie werden es noch weit bringen.“
„Danke, Ma´am“, erwiderte Strater. Seine Augen röteten sich zusehends.
„Reißen Sie sich zusammen, Mann“, herrschte Eleonor Rend ihn an. „Wir treffen gleich auf zwei Admiräle der Phillippii, der Perseii und auf zwei Staatsoberhäupter der Diadochen. Wie sieht das denn aus wenn ein siegreicher Kapitän Katalauns zu Tränen aufgelöst ist?“
„Entschuldigung, Ma´am.“ Er bemühte sich, aber nun begannen die ersten Tränen zu fließen. Der emotionale Stress, die Trauer um die Toten und die Schrecken der Schlacht bahnten sich ihren Weg. Letztendlich war Conrad Strater der jüngste katalaunische Offizier, der es bis zum Kapitänleutnant geschafft hatte, und damit war er noch ein halbes Kind. Genauso ein Kind, wie Ellie als Leutnant gewesen war. Nur hatte sie noch nicht so hoch und so weit hinaus gemusst.
Sie seufzte leise. Normalerweise wäre sie von solchen zwischenmenschlichen Problemen überrollt worden, aber sie hatte gelernt, viel gelernt, nicht zuletzt durch Max und Suzu, die Kinder ihres Bruders.
„Fünf Minuten wird er ja wohl warten können“, murmelte sie entschlossen, ergriff Straters Hand und schleppte ihn zu einer noch nicht wieder in Betrieb genommenen Kantine.

Als sie die Tür auf stieß, erwartete sie und Strater eine mittlere Überraschung. Hans Slodowsky saß bereits dort und redete in tröstendem Tonfall auf Richard Campbell, den Kapitän der schwer angeschlagenen LYDIA ein. Sie waren nicht die einzigen. Auch Atura Tiki, die Kapitänin der CALAIS war hier mit Aadil Chalid, dem Skipper der RICHMOND. Wenn sie genauer ins Rund sah, erkannte sie noch mehr Anwesende, Haggart und Watts, die Kapitäne von der OTHELLO und der ROCKET.
Viele hatten rote Augen, und allen war gemein, das wenn sie nicht gerade weinten, einen anderen trösteten.
„Verzeihung, wir wollten nicht stören“, murmelte Eleonor Rend.
„Kommen Sie ruhig rein. Der Kommodore weiß Bescheid“, sagte Slodowsky ernst. „Ich habe Strater schon erwartet, Ellie. Aber ich hätte nicht gedacht, das er als Letzter kommt. Hat gute Nerven, der Bursche.“
Rend überging das Kompliment und setzte sich neben dem Skipper der MILFORD. „Sterneputzen?“
„Nach was sieht es hier denn aus?“, erwiderte er ohne eine Spur Amüsement. „Wir sind alle Kapitäne. Wir dürfen keine Emotionen zeigen, vor allem nicht vor der Mannschaft. Wir dürfen uns unseren untergebenen Offizieren nicht anvertrauen und erst recht nicht vor ihnen weinen. Da bleiben nur andere Kapitäne übrig, um einen zu komfortieren. Es sind auch die einzigen die verstehen was in einem vorgeht.“ Slodowsky seufzte schwer. „Es war für die meisten die erste Schlacht als Kapitän. Und es hat sie furchtbar mitgenommen.“
„Ich wusste nicht... I-ich wusste nicht...“, begann Strater und verstummte wieder.
„Dass die anderen auch Tränen haben? Dachten Sie, Sie wären der einzige, dem die Trauer den Hals zuschnürt? Wahrscheinlich haben Sie geglaubt, Tränen wären eine Schande. Den Irrtum begehen viele Offiziere und junge Kapitäne. Aber das stimmt nicht. Sie sind eine Stärke. Denn wenn man geweint hat, ist die Welt wieder viel klarer, erreichbarer. Man stärkt sich selbst und wirft emotionalen Ballast ab. Es ist die Pflicht der höherrangigen Kapitäne dafür zu sorgen, dass sich die jungen Kapitäne keinen Laserimpuls durch das Gehirn jagen.“
Strater zuckte merklich zusammen, sagte aber nichts.
„Übrigens, Junge, gut geflogen und gut gekämpft. Habe den Schadensbericht der REDWOOD gesehen. Dafür, dass Sie so weit vorne mitgeflogen sind und so viel riskiert haben, sind die Verluste und Schäden marginal. Wirklich gut gemacht.“
„Danke, Sir“, hauchte Strater mit zugeschnürtem Hals. Einen Augenblick später begann er hemmungslos zu schluchzen. Aber er fing sich schnell wieder und wehrte die sanfte Hand seiner ehemaligen Vorgesetzten ab. „Es geht schon, Ellie. Ich bin wieder da. Sie hatten Recht, Commander. Hinterher sieht mal vieles klarer und besser. Ich und meine Crew hatten noch Glück. Ihnen, Sir, wurde der halbe Bug abgerissen, Sie haben gelitten, und dennoch finden Sie Zeit, für andere da zu sein.“
„Das ist das Sterneputzen, mein Junge. Wir Sterne pflegen einander. Das war schon immer so, und es wird wohl immer so bleiben. Oben ist es einsam, die Luft ist dünn und jede Entscheidung entscheidet über Leben und Tod. Da braucht man Freunde dringender als Schnaps und Kaffee.“ Er legte freundschaftlich einen Arm um Campbells Schultern. Der jüngste Kapitän der Gryanen, der die gekaperte argonautische Fregatte übernommen hatte, schien sich langsam wieder in die Wirlichkeit zu hangeln. „Die LYDIA wurde schlimm erwischt. Sie hatte zudem noch zweihundert katalaunische Zivilisten an Bord, die nicht mehr auf die Whale-Frachter gebracht werden konnten. Die Zivilisten hatten Verluste. Wir Soldaten wissen zumindest theoretisch, warum und wofür wir kämpfen und das wir fürs Sterben bezahlt werden... Aber die armen Zivilisten wollten einfach nur nach Hause. Es sind nur ein paar Tote, das Schiff selbst hatte größere Verluste. Aber das ändert nichts daran, dass man den Tod von Nichtkombattanten immer mehr zu Herzen nimmt als den von Kameraden. Und das ist schon schwer genug.“
„Es geht schon wieder, Sir. Danke“, murmelte Campbell und erhob sich. Er atmete tief ein und wieder aus. „Ich denke es wird Zeit für uns. Ein richtig großer Kampf steht uns ja noch bevor. Wir wissen immer noch nicht, wie die Phillippii und die Perseii reagieren werden, wenn sie mit Commodore Griffin sprechen.“
Diese Worte wirkten wie ein kalter Eimer Wasser über den Rücken der Anwesenden. Die falschen Gryanen standen auf.
Strater erhob sich als Nächster. „Und seine Majestät wartet auf unseren Rapport.“
Dies brachte die Katalauner auf die Beine.
„Vorsicht“, murmelte Ellie, „sagen Sie zu Han niemals Majestät. Er könnte böse werden.“
„Verstanden, Ma´am“, erwiderte Strater und lächelte schon wieder ein wenig.
***
Als Eleonor Rend an der Seite der siegreichen Kapitäne den Konferenzraum betrat – einige Besatzungsmitglieder nannten ihn bereits die Basketballhalle – erschrak sie durchaus ein wenig bei der Stimmung, die sie erwartete. Sie hatte ja nicht gerade Applaus erwartet, aber zumindest einen Funken Freundlichkeit und das eine oder andere bestätigende Nicken. Stattdessen wurden Slodowsky und seine siegreichen Kapitäne von stummen, verkniffenen Gesichtern empfangen, denen man das Endzeitgefühl geradezu ablesen konnte.
Den Vorsitz an der Tafel hatte der Tyrann der Nisos Elektron übernommen, Theseus der Dritte.
Neben ihm saßen rechts die beiden Admiräle der Söldner und links Johann zusammen mit Admiral Toral. Commodore Griffin war an eine Seite verbannt worden, hatte dort jedoch den ersten Platz.
„Setzen sie sich bitte, Herrschaften. Bevor wir uns der Sache mit den Gryanen annehmen...“ Ein dezentes Hüsteln von Admiral Bekatorou unterbrach ihn für einen Augenblick.
„Bevor wir uns der Sache mit den vermeintlichen Gryanen annehmen, müssen wir dringend noch das weitere Schicksal des Europa-Pakts erörtern. Wir sind uns hoffentlich alle darüber einig, dass wir dem Kongress des Pakts nicht erlauben dürfen, sich Yura-Maynhaus zu ergeben. Dies wäre nicht nur ein Verrat an den anderen Staaten der Diadochen, es wäre vor allem ein Verrat am Volk. Für die Republikaner wäre es ein einfacher Sieg mit großem Gewinn und geringen Kosten gewesen... Nun, es wäre ein großer Sieg mit geringen Kosten geworden, wenn Lord Beijing nicht gewesen wäre.“
„Arling“, korrigierte Han. „Ich habe den Titel meines Vaters noch nicht angenommen.“
„Wenn Lord Arling nicht gewesen wäre“, korrigierte sich der Tyrann. „Um diese Entscheidung herbei zu führen, haben wir beträchtliche Truppen zusammen gezogen. Und wenngleich dreißig Schiffe aller Klassen die katalaunischen Zivilisten auf den vier Whale-Frachtern nach Leonidas eskortieren haben wir hier und heute eine Macht zusammen, wie man sie selbst im Krieg zwischen Yura-Maynhaus und Katalaun selten gesehen hat. Außerdem sind genau im richtigen Augenblick Teile der Phillippii und der Perseii zu uns zurückgekehrt. Alleine das könnte man bereits als Wink des Schicksals bezeichnen.“
„Haben Sie etwas bestimmtes vor, Tyrann?“, fragte Admiral Toral teils amüsiert, teils ärgerlich.
„Es ist gut, dass Sie diese Frage stellen, Hoheit. In der Tat sollte man zumindest einen Hauch von Ahnung haben, wenn man zwei Drittel der Städterat-Flotte in einem System zusammen zieht. Was halten Sie von der Variante, die Paktregierung abzusetzen, Kollaborateure vor Gericht zu stellen und Neuwahlen zu veranstalten?“
„Die Variante gefällt mir außerordentlich gut. Und unter welchem Recht? Der Pakt ist selbstständig, oder etwa nicht? Und wenn die gewählten Führer des Pakts meinen, sie müssten ihre Mandate mit Füßen treten und den Ausverkauf ihres Reichs betreiben, dann ist das ihr gutes Recht.“
„Von einer Korruptionsklage vielleicht einmal abgesehen“, warf Arling ein.
„Bundesrecht bricht Landesrecht. Das ist ein sehr geläufiger alter Begriff, den jeder schon einmal gehört haben sollte“, sagte der Tyrann in belehrendem Tonfall.
„Die Diadochen sind kein Bundesstaat, sondern ein Staatenbund. Sie betreiben gemeinsame Außenpolitik und mischen sich nicht intern in die Tagespolitik ein“, erwiderte die Admirälin im gleichen belehrenden Ton.
„Nun, das mag richtig sein. Aber ist nicht bereits der Eingriff in die gemeinsame Grenze zu Katalaun nicht schon Grund genug, ein Eingreifen zu rechtfertigen? Wenn Yura-Maynhaus plötzlich so viel näher an der Nisos Elektron liegt als zuvor werde ich jedenfalls nervös.“
„Es würde reichen um einen Bürgerkrieg zu rechtfertigen“, lenkte Toral ein. Irgendwie schien sie immer noch auf den Pferdefuß zu warten, immerhin hatte Theseus sie „Hoheit“ genannt. Und ihren Gesichtszügen konnte man ansehen, dass sie ahnte, dass es das nicht gewesen sein konnte.
„Aus diesem Grund gibt es den Städterat. Wir können nicht zulassen, dass die Diadochen noch weiter zerrissen werden. Wir können und dürfen nicht. Und selbst wenn die gesamte Nation bestimmt hätte, sich selbst an die Republik zu verkaufen, es wäre sträflicher Leichtsinn gewesen, das zu tolerieren. Doch das haben wir nicht, und wir haben mit der Beauftragung von Lord Arling, Vesuv zu verteidigen, die richtige Wahl getroffen.“
Toral nickte verstehen. „Dies ist also Ihre Argumentationskette, Mylord. Eigentlich liegt hier ein außenpolitischer Fall vor, weshalb der Städterat doch zuständig ist.“
„Schön, dass Ihr es so seht, Hoheit“, erwiderte der Tyrann mit einem feinen Lächeln.
„Und? Was planen Sie wirklich?“, fragte die Admirälin trocken. „Sollte ich dabei irgendeine Rolle spielen, sage ich Ihnen gleich, dass ich mich auf mein Altenteil zurück ziehe, nach all dem was gelaufen ist.“
„Das...“, begann Fürst Rensky und lächelte auf eine durchaus angenehme Weise, „...käme uns sehr gelegen, Hoheit.“
Jenna Toral tauschte einen nervösen Blick mit Aurora Constantine aus, der Kommandeurin ihres Flaggschiffs, aber die jüngere Frau konnte nur mit einem verständnislosen Blick antworten.
„Wenn sie glauben, meine Herren, dass...“, begann Toral in einem aufbrausendem Tonfall.
„WAS wir glauben“, sagte die Nymphe Levess Karinel Toras, „ist, dass es an der Zeit ist, diesen unsäglichen Zustand der Arbeit gegeneinander zu beenden und dem Städterat endlich mehr Kompetenzen zu zu gestehen.“
Erstauntes Raunen klang auf, weil ausgerechnet eine Nymphe in innenpolitischen Dingen gesprochen hatte.
„Und das bedeutet was?“
Nihartes Daiana Nissos entstand direkt hinter der Admirälin und begann ihre Schultern zu kneten. „Das heißt, wir brauchen dich, mein Schatz.“
„Du bist gemein. Immer wenn du mir die Schultern durchwalkst, willst du irgendwas von mir. Wenn ich mal aufzähle, was ich schon alles für dich getan habe, Nyhartes, sitzen wir morgen noch hier. Was ist mit dem guten alten Desinteresse der Nymphen für die Angelegenheiten der Menschen geworden?“
„Nicht jammern, zuhören“, sagte die Nymphe mit einem zufriedenen Lächeln. „Bitte, Tyrann Theseus.“
Der Herr über die Nisos Elektron lächelte dankbar. Das konnte er wirklich gut. Und wahrscheinlich hatte er lange an diesem Gesichtsausdruck gefeilt. „Wir denken, es ist an der Zeit, innen- und außenpolitisch neue Akzente zu setzen. Wir haben zwar den Städterat, aber den Europa-Pakt zu retten ist die erste gemeinsame Entscheidung, die wir mit einer Mehrheit getroffen haben. Und es ist das erste Mal, dass wir unsere gemeinsamen Flotten im Inland einsetzen. Wir haben damit ein Novum geschaffen, einen Bewegungsmoment, und den müssen wir nutzen. Hier und jetzt. Wir beginnen damit, dass wir das Volk des Europa-Pakts von seiner korrupten Regierung befreien und durch eine neu gewählte, demokratische Regierung zu ersetzen. Wobei wir vollkommen undemokratisch die üblichen vielen Kandidaten der alten, eingesessenen Politikerfamilien, die für die derzeitige Misere überhaupt erst verantwortlich sind, bitten werden, keine Strohmänner – ich meine Kandidaten – zur Wahl zu stellen. Ich denke, das beides recht unblutig vonstatten gehen wird. Die Flotte wird sich nicht im Kampf mit jemandem opfern, der ihr helfen will, und freie Wahlen zu organisieren sollte kein Problem sein, da die Nymphen zugesagt haben, uns bei solchen Belangen in Zukunft zu unterstützen. Um es mit den Worten meiner teuren Lehrerin, Freundin und Ersatzmutter zu sagen: Wenn die Menschen schon so kurzlebig sind, sollten Nymphen mit ihnen so viele gemeinsame Erinnerungen schaffen wie irgend möglich.“
„Und was, bitteschön, hat das mit mir zu tun?“, fragte Toral barsch.
„Haben Sie mal in letzter Zeit Ihren Stammbaum studiert? In den dreiundfünfzig Jahren, die Sie in diesem Universum existieren, ist viel geschehen“, sagte Rensky ernst. „Unter anderem sind Sie in Ihrer Generation die einzige Direkterbin des herkuleanischen Throns.“
Toral runzelte die Stirn. „Die Diktatur ist die beste Staatsform, wenn der Diktator der beste Mann des Staates ist? Das hat selbst in den Zeiten, in denen meine Dynastie noch existierte nur selten geklappt“, brummte sie. „Lassen sie zwei mich da raus. Ich habe besseres zu tun.“
„Haben Sie nicht gerade gesagt, Sie wollten sich sowieso aus der Flotte zurückziehen, Hoheit?“, bemerkte Rensky spitz, und den meisten Anwesenden ging mittlerweile ein Licht auf, was den Fürsten und den Tyrannen anging.
„Wie lange sie dafür wohl geübt haben?“, raunte Arling in Griffins Richtung. Aber der Mann hörte ihn nicht. Mit verstohlenem Interesse betrachtete er die beiden Söldneradmiräle.
„Um es kurz zu machen, Hoheit, fordere ich Sie ultimativ auf, mit Billigung des Städterats sofort wieder auf den europäischen Thron zu steigen!“
Stille antwortete auf Theseus´ Forderung. Darauf folgte weitere Stille. Dann wagte es endlich wieder jemand zu atmen.
„Wenn Sie glauben, Theseus, ich...“
„Es wäre eine fast reine repräsentative Funktion mit einigen kleinen, marginalen Rechten“, fuhr der Herr der Nisos Elektron fort. „Der Städterat würde jeweils einen kommissarischen Verwalter stellen, im Zwei Jahrestakt von Nation zu Nation volvierend, der für die Tagespolitik zuständig ist, Außenpolitik betreibt und darauf achtet, dass Diadochenweite Werte und Normen eingehalten werden. Natürlich verpflichtet sich jeder kommissarische Verwalter dazu, niemals einen Angriffskrieg zu führen. Kontrollorgan wird ein Parlament nach katalaunischem Vorbild, welches einerseits dem Verwalter zuarbeitet, und andererseits seine Politik regelmäßig überprüft. Die Rolle Eurer Hoheit wäre dann die einer höchsten Instanz, die zum Beispiel bestimmte Gesetze entweder annimmt oder ablehnt und nur dem eigenen Gewissen verantwortlich ist. Natürlich hättet Ihr das Recht, den derzeitigen Verwalter abzusetzen und den nächsten in der Liste aufzurufen.
Natürlich wäre es auch Sache Eurer Hoheit, zusammen mit dem Parlament, die diadochischen Werte zu erarbeiten. Handelsnormen, Industrienormen, Währungsangleichung, und dergleichen.
Ein berühmter terranischer Politiker hat einmal gesagt: Die Demokratie ist die schlechteste Staatsform, aber sie ist die beste die wir haben.
Ich denke, mit diesem Konzept kommen wir der Demokratie so nahe wie wir können, ohne uns ein System aufzuzwingen, das wir gar nicht wollen. Alle Teilstaaten werden ihren Herrscher weiterhin bestimmen wie bisher. Die Kommunalität wird weiterhin einen Fürsten wählen, und die Bernsteininsel den Tyrannen. Und der Europa-Pakt, wie wir wissen, einen Rat. Was darüber hinaus geht... Nun, wir werden sehen, ob es funktioniert. Aber damit wir es überhaupt versuchen können, brauchen wir einen herkuleanischen König!“ Eindringlich sah Theseus die Admirälin an. Eigentlich sahen alle Anwesenden Toral eindringlich an.
„Ich habe keine Kontrolle über die Flotte des Städterats?“, fragte sie vorsichtig.
„Absolut keine“, erwiderte Theseus.
„Meine Lehrerin hat mir mal beigebracht, dass man der Geschichte nicht davon laufen kann, wenn sie einen überrollt. Ich schätze, dies ist einer dieser Momente. Ich will natürlich meinen eigenen Mitarbeiterstab. Und verdammt noch mal, kein Palast, und kein Hofstaat.“
„Kein Hofstaat, ist notiert“, brummte Rensky und schrieb tatsächlich etwas nieder. „Als Residenz werden wir selbstverständlich Europa nehmen, den alten Dynastie-Sitz. Dort gibt es sicherlich noch das eine oder andere Domizil, würdig für die Königin der Diadochen.“
„Ich sagte kein Palast“, sagte Toral mit leichter Verzweiflung in der Stimme. „Es geht wohl schon los, oder?“
Rensky und der Tyrann tauschten ein jungenhaftes Grinsen aus. „Selbstverständlich werden wir
Kapitän Constantine zur Stabschefin Eurer Hoheit bestimmen.“
„Na, wenigstens ein Pluspunkt“, knurrte die überfahrene Admirälin.
„Außerdem erbitten die Diadochen, dass ein Teil der Perseii, der Phillippii und der Gryanen zurückkehrt, um ihre Arbeit als Leibwache der herkuleanischen Dynastie wieder aufzunehmen“, sagte Theseus leichthin.
Bekatorou schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Das Geräusch ließ einige Anwesende zusammenzucken. „DAS ist ein Wort! Auf diesen Moment haben wir dreihundert Jahre gewartet!“
„Aber zuerst sollten wir uns darauf konzentrieren, den Pakt zu retten. Danach werden wir die Institution eines formellen Staatsoberhaupts auf Europa in den Pakt, die Diadochen und in die internationale Öffentlichkeit übertragen.“ Rensky sah Toral ernst an. „Seien Sie versichert, dass wir Sie aus mehr als einem Grund gewählt haben, Hoheit. Ihre... Unbequemlichkeit und Ihre Fähigkeit, den Finger direkt auf die Wunde zu legen haben dabei eine wichtige Rolle gespielt.“
„Schon wieder Hoheit“, knurrte Jenna Toral. „Arling, passen Sie auf, dass das Ihnen daheim nicht auch passiert.“
„Ich werde Ihre Worte beherzigen, Admiral“, erwiderte Arling, wohlweislich den Titel Hoheit vermeidend.

Theseus wandte sich dem Grafen zu. „Damit sind wir genau beim Thema. Mylord Arling, wie weit ist die Evakuierung gediehen?“
„Wir lassen uns jetzt ein wenig Zeit und nutzen den Platz so gut wie wir können. Aber ich schätze, mit acht Stunden Verspätung wird der letzte evakuierungswillige Katalauner an Bord eines meiner Schiffe gegangen sein.“ Sein Blick ging zu Admiral Toral. „Ma´am, solange Sie noch die kommandierende Offizierin im System sind, würde ich Sie gerne bitten, dass nach unserem Abzug Hephaistos sehr genau durchsucht wird.“
„Das steht außer Frage, Johann“, erwiderte Toral. „Und wir werden Ihnen alle Schäfchen nachschicken, die sich in den Weiten von Hephaistos verirrt haben.“
„Freut mich zu hören.“
„Davon abgesehen werde ich Ihren Abflug herbeisehnen wie nichts anderes auf der Welt. Wo Sie auftauchen ist der Ärger nicht fern, und alles rund um Sie wächst entweder in die Höhe oder bricht zusammen. Ich hätte es besser wissen sollen als Sie ins System zu lassen“, sagte die Admirälin.
„Das fasse ich als Kompliment auf“, erwiderte der Graf schmunzelnd.
„Gehen Sie. Gehen Sie einfach und toben Sie woanders weiter. Wir alle werden erheblich sicherer sein und ruhiger leben können“, fügte sie mit einem tiefen Seufzer hinzu. „Das war eindeutig zuviel Spaß für so wenig Tage.“
Statt einer Antwort neigte Johann nur stumm das Haupt. Allerdings tat er dies mit einem eindeutigen Lächeln.
„Dann können wir ja wirklich mit Ihrer baldigen Weiterreise in meine Nisos Elektron rechnen“, sagte Theseus zufrieden. „Ich lade Sie und alle Katalauner ein, so lange sie es wollen, auf Leonidas Station zu machen. Auch das Platzproblem könnten wir klären. Ich bin sicher, ich habe irgendwo noch ein paar funktionierende, aber günstige Großtransporter aufgedockt, die ich Ihnen überlassen kann.“
„Ein Angebot, das ich natürlich annehmen würde“, erwiderte Arling.
Leonard Rensky faltete beide Hände vor dem Mund zusammen und setzte die Ellenbögen auf dem Tisch auf. Diese kleine Geste verschaffte ihm wieder die Aufmerksamkeit. „Vor allem aber wollen wir Admiral Arling danken. Danken dafür, dass er Vesuv vor der Republik beschützt hat. Danken dafür, dass er nicht aufgegeben hat. Mylord, wären Sie nicht schon anderweitig vergeben hätte ich mir durchaus vorstellen können, Sie zum neuen heraklischen König zu berufen.“
„Äh. Zum Glück geht es nicht nach Ihnen?“, scherzte der Graf.
„Etwas in der Art. Jedenfalls haben Sie hier hervorragende Arbeit geleistet. Viele Ihrer Leute haben dafür mit dem Leben bezahlt. Auch sind viele der Zivilisten umgekommen, die Sie retten wollten. Unten in Hephaistos und später auf der Flotte von Commander Slodowsky. Das können wir nicht ungeschehen machen. Aber erwarten Sie zu Recht großzügige Pensionen für die Hinterbliebenen jedes Gefallenen. Außerdem erlauben Sie uns, einige bedeutende diadochische Orden auszugeben.“
„Sie brauchen kein diadochisches Geld für katalaunische Soldaten ausgeben. Mit Orden bin ich einverstanden, aber wir haben unsere eigenen Hinterbliebenenfonds, und sie sind äußerst großzügig. Stattdessen sollten Sie dieses Geld jenen Menschen zukommen lassen, deren Angehörige im Kampf mit meinen Leuten gestorben sind, weil sie meine Landsleute in Hephaistos beschützen wollten. Auch jene Offiziere und Mannschaften, gegen die Commander Slodowsky gekämpft hat, haben sicherlich ausschließlich nach ihrem Eid und ihrem Gewissen gehandelt. Sie hätten es besser machen können, zugegeben. Aber viele haben mit ihrem Tod gebüßt. Ich denke...“
„Ich denke, dass einem allgemeinen Gnadenerlass nichts im Wege steht. Als erste Amtshandlung“, sagte Toral streng in die Runde.
„Natürlich, Hoheit“, sagte der Tyrann ohne zu zögern. „Außerdem werden Pensionen und Hinterbliebenenrenten in vollem Umfang bewilligt. Vielleicht sollten wir noch einen Bonus bewilligen, weil sie so tapfer waren, es gleich mit vier gryanischen Kapitänen aufzunehmen.“
Die letzten Worte hatten entweder ein Scherz sein sollen, oder eine geschickte Überleitung. Jedenfalls nahm Rensky den Faden auf. „Ach ja, die Gryanen. Oder vielmehr die Yura-Maynhaus-Flottille unter Commodore Griffin. Sir, was machen wir jetzt mit Ihnen. Sie müssen wissen, dass Admiral Kian zwar zugestimmt hat, nach den Bergungsaktionen in seinen zerstörten leichten Schiffen das System wieder zu verlassen, aber er hat uns ebenso dazu aufgefordert, Sie zur Rückkehr in die Republik zu bewegen. Vor allem da Ihr Auftraggeber, Admiral of the Sector Yuri Goldman, aus seiner Position entfernt wurde und unter Anklage steht.“
„Mit Verlaub, Mylord, aber ich habe einen Befehl von Admiral Goldman erhalten, den ich unbedingt ausführen werde.“ Bedächtig zog Griffin einen Umschlag aus seiner Uniformjacke und reichte ihn dem Fürsten.
Der große Mann nahm den Zettel entgegen, öffnete ihn und begann zu lesen. Nach einiger Zeit runzelte er die Stirn und reichte ihn an Theseus weiter. Der begann schon nach dem ersten Blick herzhaft zu lachen und reichte ihn an Bekatorou weiter. Die runzelte die Stirn und machte eine geistesabwesende Bemerkung, bevor sie den Befehl an Mbane weiterreichte, dem Admiral der Perseii. Der kleine Mann amüsierte sich königlich über das Schreiben, bevor er es Arling gab.
„Himmel, Griffin, wo haben Sie denn das her?“
Der Commodore lächelte dünn. „Der Befehl wurde Capitaine Cochraine mitgegeben, um ihn mir in meiner schlimmsten Stunde zu übergeben. Ich gedenke den Befehl wortgetreu auszuführen.“
Arling runzelte die Stirn. „Coryn, ich bin mir nicht sicher, ob ich die Sache richtig verstehe. Dies hier ist ein rechtskräftiger Befehl Ihres Admirals, gesiegelt und unterschrieben, Ausführung ab Kenntnisnahme und alles.“ Er sah vom Dokument auf. „Nur leider fehlt der Befehl.“
„Arling, sind Sie immer so langsam? Das ist ein Blanko-Befehl. Im Klartext, Commodore Griffin kann tun und lassen was er will. Er braucht es nur nachträglich in das Dokument einzutragen, und sein Admiral übernimmt die Rückendeckung“, merkte Rensky an.
„Und er wird sich buchstabengetreu daran halten“, murmelte Arling amüsiert, als er die Tragweite dieses Befehls endlich begriffen hatte. „Nicht schlecht, Goldman, wirklich nicht schlecht.“
„Und was“, fragte der Tyrann, „sind Ihre Befehle, Commodore?“
„Ich habe eigentlich vor, meinen Lord weiterhin zu begleiten. Ich weiß nur nicht ob mir das möglich sein wird.“
Diese Worte wirkten wie eine eiskalte Dusche für all jene, die am Tisch saßen. Denn es erinnerte alle Anwesenden daran, dass da noch ein kleines Problem im Raum schwebte.
„Ich nehme an, die schnelle Ankunft der Flotten von Perseii und Phillippii hängt nicht unbedingt mit dem Notruf der HERCULES zusammen?“
„Das haben Sie verdammt gut erkannt“, sagte Admiral Bekatorou ernst. „Wissen Sie, wir Phillippii, Perseii und Gryanen mögen eine Sache überhaupt nicht gerne. Wenn nämlich jemand daher kommt und sich als einer von uns ausgibt. Als Admiral Schilling, der derzeitige Kommandeur der Gryanen, von Ihrer Existenz erfuhr, befand sich seine Kernflotte auf der anderen Seite der Milchstraße. Sie befand sich einerseits gerade auf einer wichtigen Mission, und hätte andererseits fünf Monate gebraucht, um hierher zurück zu kommen. Deshalb bat er mich und Alan, uns der Sache anzunehmen. Wir haben auch ein wenig Zeit gebraucht, aber zum Glück hatten wir ein paar Flotteneinheiten in relativer Nähe zu Ihnen. Wir sammelten uns bei Wegekreuz und sind Ihnen dann nach, Commodore Griffin. Tja, und jetzt haben wir Sie. Sie haben sicherlich von den Schauergeschichten gehört, dass wir Hochstapler bis aufs letzte Schiff vernichten und bis auf den letzten Mann töten. Das ist nicht ganz so falsch. Es gab immer mal wieder falsche herkuleanische Truppen, die in unserem Namen Verbrechen begangen haben. Wir fassen so etwas nicht unbedingt gut auf. Ihr Ausbruch aus Yura-Maynhaus fällt streng genommen ebenfalls unter diese Kategorie, Commodore.“
„Ich... Verstehe.“
„Also muss ich Sie bitten, Sie und Ihre Kapitäne, stellvertretend für Offiziere und Mannschaften die volle Verantwortung zu übernehmen.“
„Ma´am, als Oberkommandierender habe ich die alleinige Verantwortung. Sie wollen meine Schiffe nicht versenken und meine Leute nicht bis auf den letzten Mann töten, sonst hätten Sie es schon getan. Das ist eine große Beruhigung für mich. Für alles andere aber stehe ausschließlich ich zur Verfügung, und keiner meiner Leute.“
„Sie wollen die Konsequenzen alleine tragen? Wie egoistisch“, murmelte Alan Mbane. Er sah zu den Kapitänen herüber. „Herrschaften, wie ist es? Haben Sie nur Befehle ausgeführt? Sollen wir Sie vom Haken lassen?“
Lydia Stiles erhob sich. Es war fast ein aufspringen. „Wo mein Commodore hingeht, gehe ich auch hin! Bis hier her habe ich ihm gedient, seine Befehle ausgeführt und sie nie in Frage stellen müssen! Er ist integer, aufrichtig und tapfer! Sein Schicksal ist mein Schicksal, und ich bin mir sicher, er wäre ein verdammt guter Gryane geworden, wenn das Schicksal ihn an einem anderen Ort auf die Welt los gelassen hätte!“
Bedächtig erhob sich Commander Slodowsky. „Admiral Bekatorou, Admiral Mbane, ich kann Sie nicht dafür maßregeln, wenn sie tun was für sie Recht ist. Aber wenn sie es tun, dann auch mit mir. Ich habe Coryn Griffin bis hier nicht im Stich gelassen, ich werde es auch weiterhin nicht tun.“
Nun hielt es auch die Fregattenkapitäne nicht mehr auf den Sitzen. Auch sie sprangen auf und redeten wild durcheinander. Gebieterisch bot ihnen Mbane zu schweigen. „Zur Kenntnis genommen. Sie können sich alle wieder setzen. Also werden wir sie alle in Vertretung ihrer Offiziere und Mannschaften gleichermaßen behandeln.“
Bekatorou lehnte sich zurück und lächelte genüsslich. „Oh ja, das werden wir.“
„Ich war mir bewusst, dass die Verwendung des Namens Gryanen mit einem Risiko verbunden ist, und ich war bereit, dieses Risiko zu tragen“, sagte Griffin eindringlich. „Ich bin es noch immer, aber lassen sie meine Leute da raus! Admiral Mbane! Admiral Bekatorou!“
„Keine Chance, Commodore“, erwiderte die Herrin der Phillippii und legte beide Hände hinter den Kopf.
Eine Hand legte sich schwer auf die Schulter von Coryn Griffin. „Ich bin die Verbindungsoffizierin der Flottille und habe alle Entscheidungen mitgetragen. Ich bitte darum, die Behandlung, die Commodore Griffin und seinen Leuten zuteil wird, mittragen zu dürfen.“
Entsetzt fuhr Griffin herum. Hinter ihm stand Capitaine Cochraine und sah trotzig an ihm vorbei zu den beiden Söldnerführern.
„Juliet, nein, das ist nicht deine Sache!“ Er sah zu Bekatorou herüber. „Sie ist unsere Verbindungsoffizierin, zur Verfügung gestellt von Fürst Rensky! Es stimmt, sie war in meinem Stab eingebunden, aber sie hat nie aktive Befehle erteilt! Sie kann nicht...“
„Ich bleibe bei dir, Coryn“, sagte sie schlicht, und dem Commodore versagten die Gesichtsmuskeln den Dienst. Sein Kinn rutschte herab, und langsam schien so etwas wie Erkenntnis in seinen Augen zu dämmern.
Nun war es an der Reihe von Rensky und Theseus dem Dritten, aufzuspringen. Sie tauschten einen erschrockenen Blick aus und sahen dann zum asketisch wirkenden Griffin herüber.
„Er? Juliet, sag mir bitte, dass das nicht ein Ernst ist!“, rief Rensky aufgeregt. „Ich habe dich nicht in die Welt geschickt, damit du dich da draußen verliebst! Wenn du mich schon nicht willst, dann nimm wenigstens Theseus, aber doch bitte keinen Reppie!“
„Danke für das „wenigstens“, Leonard“, brummte der Tyrann, halb amüsiert und halb erstaunt. „Tja, so kann es eben geschehen in der Welt.“ Sein nachdenklicher Blick traf Griffin. „Sie wissen, dass ich wie das Fegefeuer über Sie kommen werde, wenn Sie jetzt oder später einen Fehler machen.“
Langsam bekam Griffin sein Gesicht wieder in die Gewalt. Entsetzt starrte er die hübsche Capitaine an. Er versuchte zu sprechen, aber kein Wort kam über seine Lippen. Schließlich und endlich ergriff er die Hand auf seiner Schulter und küsste sie sanft. Eigentlich war es eine Szene, bei der ein zu Herzen gehendes Raunen durch den Raum hätte gehen müssen. Aber es wäre dem Ernst der Situation wohl nicht gerecht gewesen.
Juliet Cochraine sah nun sehr zufrieden aus. Sie drückte Griffins Hand und warf einen weiteren trotzigen Blick zu den Admirälen herüber. „Wir alle, Admiral Bekatorou, Admiral Mbane.“
Arling hob eine Hand. „Darf ich in diesem Zusammenhang eventuell darauf hinweisen, dass ich Coryn nicht im Stich lassen werde? Er ist ein Freund und Kamerad, und ich werde nicht zulassen, dass ihm ein Leid geschieht.“
„Schon gut, Han. Sie haben doch noch nicht einmal gesagt, was uns erwartet“, beschwichtigte Griffin. Er sah zu den Admirälen herüber. „Jetzt wäre dafür ein guter Zeitpunkt.“
Bekatorou sah zu Mbane herüber. Als dieser nicht reagierte, versetzte sie seinem Sessel einen Tritt. „Du bist dran. Ich habe schon diese Piraten in der Nereiden-Wolke ausradiert, die sich Perseii nannten.“
„Wie überaus freundlich von dir, diese Aufgabe mir zu überlassen, Helena“, brummte Mbane.
„Wie wir schon erwähnt haben war Admiral Schilling alles andere als erfreut. Weder über den gespielten Ausbruch aus Yura-Maynhaus, noch über die leicht zu erratenden Absichten Ihres Verbandes, Griffin, nachdem er sich Arling angeschlossen hatte. Sie hätten ihn hinterrücks überfallen können und damit dem Ruf der Gryanen unermesslichen Schaden zufügen können.“
Arling hob wieder eine Hand. „Nein, hätte er nicht. Als seine Schiffe auf Springe in der Werft lagen, haben wir ein paar Schweinereien einbauen lassen, mit deren Hilfe ich die Energieversorgung seiner Schiffe hätte zusammenbrechen lassen können, wann immer ich will.“
„Gut, gut. Aber er hatte die Absicht so zu handeln“, erwiderte Alan Mbane.
„Theoretisch, zugegeben.“
„Und genau das hat Roland Schilling wirklich erbost. Allerdings...“ Ernst sah Mbane den Commodore an, und nach und nach erschien ein Lächeln auf seinen Zügen. „Allerdings, mein lieber Coryn, hat er über Ihren Streich in der Kommune Principe herzhaft gelacht. Daraufhin haben wir beschlossen, das Herz Ihrer falschen Gryanen ernsthaft unter die Lupe zu nehmen. Dank der vielen Live-Berichte war uns das sehr gut möglich. Auch die Rede von Kapitän Haggard beim Essen der Kapitäne beider Flottillen wurde uns wortwörtlich vorgetragen. Ihre weiteren Handlungen, vor allem hier über Vesuv, haben uns dann davon überzeugt, Sie und Ihre Kapitäne, Offiziere und Mannschaften ausnahmsweise nicht zu bestrafen.“
Erleichtertes Raunen ging durch den Saal. Sowohl die kaiserlichen als auch die republikanischen Offiziere waren sichtlich froh über diese Entwicklung. Arlings Dickkopf eingerechnet hätten sie andernfalls vor einer weiteren Schlacht gestanden, welche die Söldner mit ihrer Übermacht für sich hätten entscheiden können.
„Andererseits“, sagte Bekatorou und gab ihre bequeme Haltung auf, „können wir keine falschen Gryanen herum fliegen lassen. Weder hier noch anderswo.“
Sie griff in ihre königsblaue Uniform und zog ein goldenes Abzeichen hervor, welches sie über den Tisch warf. Vor Griffin kam es zur Ruhe, und Spötter meinten, genauso hatte es die Admirälin auch geplant.
Griffin nahm das Goldplättchen in der Hand und betrachtete es. Auf den ersten Blick wirkte es wie ein Ziffernblatt, weil es in zwölf numerierte Bereiche eingeteilt war. Aber dann bemerkte er die fein gravierten Bilder in jedem der Zwischenräume. „Die zwölf Taten des Herkules“, stellte er fest. „Dies ist...“
„Dies ist das Zeichen der herkuleanischen Garde. Heutzutage tragen es aber nur noch Perseii, Phillippii und... Natürlich die Gryanen. Wir können Sie, so lange Sie Lord Arling begleiten, nicht so ohne weiteres herum fliegen lassen. Also erklären wir Sie und Ihre Mannschaften vorübergehend zu Gryanen. Sie haben sich als würdig erwiesen, und im Nachhinein freut es uns, dass Sie dem Namen unserer Teileinheit Ruhm und Ehre beschert haben. Sie alle haben das Zeug zum Gryanen.“ Weitere Abzeichen flogen über den Tisch. „Mit Ihnen habe ich nicht gerechnet, Cochraine. Sie kriegen Ihr Abzeichen später mit den anderen Offizieren und Mannschaften.“ Wieder lehnte sie sich zurück. „Problem gelöst.“
„Wir bedanken uns für diese große Ehre“, sagte Griffin und musste schlucken. „Nie hätte ich damit gerechnet, dass...“
„Ich hätte auch nie damit gerechnet, einmal einen Yura-Maynhauser zum Gryanen zu erklären. Vor allem nicht nach dem Mist, der im derzeitigen Krieg mit Katalaun gelaufen ist“, brummte Bekatorou. „Und dass sich die Diadochen daran beteiligen würden...“
Theseus erstarrte. „Der Europa-Pakt hat es im Alleingang gemacht. Und bevor wir uns versahen, mussten wir mitmachen. Das soll keine Ausrede sein, aber es erklärt, dass unser Ärger mit den Paktlern schon länger schwelt.“
„So? Dann wird es ja höchste Zeit, dass hier mal wieder etwas Stabilität rein kommt. Aber jetzt sind wir ja zurück.“
„Wofür wir dankbar sind, Admiral Bekatorou.“
„Merken Sie sich Ihre eigenen Worte, Theseus. Wir werden sehr unbequeme Menschen sein.“
„Von Ja-Sagern habe ich noch nie viel gehalten“, erwiderte Theseus.
„Wirklich nicht? Ich für meinen Teil hasse Leute, die nein sagen, ob wohl sie ja sagen müssten“, konterte die Admirälin.
„Wie auch immer!“, fuhr Mbane dazwischen. „Zuerst einmal sollten wir die Situation hier im Stabiae-System stabilisieren und jene Schiffe herbei schleppen, die Admiral Kian nicht mit nach Hause schleppt. Dazu die RHEINLAND. Vielleicht ist eine Reparatur möglich, und bei einem so tapferen Schiff sollten wir diese Möglichkeit nicht ignorieren. Danach müssen wir dringend besprechen, wie wir den Rest des Pakts befreien.“
„Ich würde Ihnen dabei gerne helfen, aber ich habe eigene Pflichten“, sagte Arling und erhob sich. Mit ihm standen seine Kapitäne auf.
„Natürlich, Majestät in spe. Wenn Sie nichts dagegen haben, werden wir für eine erste Konferenz mit den Nymphen und den beiden Admirälen weiterhin diesen Raum benutzen.“
„Selbstverständlich, Tyrann. Aber es heißt nicht Majestät. Ich bin nicht der Kaiser.“
„Noch nicht“, erwiderte Theseus mit einem leichten grinsen.
„Was habe ich Ihnen gesagt, Arling?“, sagte Toral süffisant. „Passen Sie nur auf, dass Ihnen nicht das gleiche passiert wie mir.“
„Ich werde vorsichtig sein“, erwiderte Han mit einem spöttischen Lächeln und trat als letzter seiner Leute auf den Gang hinaus.
Dort hatte sich die gute Nachricht, die Gryanen betreffend schon herum gesprochen. Die Kapitäne wurden reihum beglückwünscht.
Lieutenant Turnau drängte sich durch die Menge, in ihrer Hand hielt sie eine Folie. „Wichtige Depesche für Admiral Toral, Sir“, erklärte sie, während sie sich an Arling vorbei in den Konferenzraum drängte. „Sieht so aus als würde es Aufstände auf einigen Planeten im Europa-Pakt geben.“
„Jetzt wird es interessant“, murmelte Arling. Und dabei hatte er gedacht, das Aufregenste würde ihm und seiner Flotte bevorstehen, wenn er versuchte nach Hause zu fliegen.
***

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Das Lachen des kleinen Mannes war mitreißend, herzlich und irgendwie beruhigend. Seine Augen leuchteten wie kleine Novae, und alles schien für ihn und seine Welt in Ordnung zu sein. Doch das war es nicht. Das konnte es nicht sein. „Ja, er ist wirklich nicht gut auf Sie zu sprechen. Die Ärzte überlegen schon ob sie ihn in ein künstliches Koma versetzen, damit sie sich seine Schimpftiraden auf Lord Arling nicht länger anhören müssen.“
„Das Erfreuliche daran ist doch, dass Admiral Lifurt noch lebt“, erwiderte Arling. „Nach dem was meine RHEINLAND aus der BOMBAY gemacht hat, habe ich ernsthaft bezweifelt, dass es irgendjemand da lebend heraus geschafft hat.“
Leiff Kians Lächeln wurde wehmütig. „Sie haben meine kleinen Schiffe ganz schön zusammengeschlagen, Arling. Und das mit nur einem Leichten Kreuzer und einem eigenen Zerstörer. Auch wenn ich als Republikaner dies nicht sagen sollte, aber ich bedaure es, dass ein so stolzes Schiff wie die RHEINLAND diesen Kampf nicht überlebt hat. Vielleicht sollte ich mehr Schmerz beim Schicksal meiner Leute empfinden, die auf der BOMBAY, der MOSKWA und den anderen Schiffen gefallen sind. Aber sie waren alle Berufssoldaten, und sie kannten das Risiko ihrer Arbeit. Außerdem waren sie Idioten, wenn sie eine Invasion des Pakts wirklich für rechtens gehalten haben.“
„Vorsicht, Kian. Alles was Sie sagen wird gegen Sie verwendet werden. Das ist Ihnen hoffentlich bewusst.“
Der kleine Mann stieß einen verächtlichen Laut aus. „Ich bezweifle, dass ich es unbeschadet bis in die Republik zurück schaffe. Ich wusste, dass ich arg im trüben fische, schon damals, als der Krieg gegen das Kaiserreich begann. Und ich wusste, dass ich immer tiefer hinein gerutscht bin. Ich war schon so weit unten, dass ich nicht einmal mehr den Himmel sehen konnte. Und ich habe alle, die mich begleitet haben, ganz tief mit hinab gezogen. Man wird mich dafür bestrafen, und viele meiner Leute ebenfalls. Aber... Aber ich bin froh, dass die Leute, die mir meine Befehle gegeben haben, ihr wichtigstes Ziel nicht erreicht haben. Ich bin froh, dass Sie mich gestoppt haben, Arling. Ich weiß nicht, wie viel länger ich das noch ausgehalten hätte.“
„Mein Angebot steht noch, Kian“, sagte Arling ernst.
„Welches? Das, in Eure Dienste zu treten? Nein, Mylord, das kann ich nicht annehmen. Ich habe Unrecht getan, selbst vor den Gesetzen von Yura-Maynhaus. Und dafür werde ich büßen müssen. Ich hoffe nur, meine Untergebenen werden pfleglicher behandelt, wenn... Vielleicht reicht ihnen mein eigener Tod für den Anfang.“
„Sie rechnen mit Ihrer Ermordung?“, fragte Arling ernst.
„Mit meiner Ermordung, mit der Aufforderung, mir selbst einen Laserimpuls meiner Dienstwaffe durch den Kopf zu jagen, ohne Raumanzug Weltraumluft zu schnuppern, etwas in der Art.“
Johann Arling sah den Admiral ärgerlich an. „Sir, ich denke nicht, dass dies ein guter Weg für Sie wäre. Ihr Ruf, und der Ihrer Truppe wäre für immer beschädigt. Und jene, die hinter Ihnen stehen, würden durch diesen Opfertod davon kommen. Sie...“
„Ich weiß das, Arling, verdammt, ich weiß das!“, blaffte der kleine Mann wütend. „Aber ich habe nicht die Macht, um an meinem Schicksal etwas zu ändern! Nicht mehr! Ich bin der Mann, der Ihre Leute entführt hat und sie hierher transportieren ließ! Das ist geschichtlicher Fakt, und nichts und niemand wird das jemals ändern! All die Schande wird auf mich niedergehen, und der Name meiner Auftraggeber wird rein bleiben!“ Schwer atmete der Admiral ein und wieder aus. „Verschwenden Sie Ihr Mitleid nicht an mir, Johann Arling. Hätte ich Erfolg gehabt, dann hätte die bedeutendste Industriewelt der Region uns gehört. Dann wäre ich Zuhause ein Held gewesen und die Large Fleet hätte ihren Ruhm erneut vergrößert. So aber geht ihr Ruhm mit mir gemeinsam unter. Mit ein wenig Glück werden die Schiffe lediglich auf andere Flotten verteilt, und man vergisst nach ein paar Jahren, wie viel Schande diese Schiffe unter meinem Befehl über die Republik gebracht haben.“
„Es gibt aber noch einen Weg“, sagte Arling ernst.
„Einen anderen Weg als zu desertieren?“ Kian lachte bitter. „Arling, man hat meinen Admiral of Sector abgesetzt! Davon gewischt als gäbe es ihn gar nicht! Einen Mann, der von Troja aus ein Viertel unseres Gebiets verteidigt hat! Einen Mann, der den Krieg gegen Katalaun koordiniert hat! Und nun steht er auf seiner Heimatwelt unter Hausarrest, obwohl er vierzehn Flotten kommandiert hat! Vierzehn, Arling, und ich habe nur diese eine!“
„Aber diese eine ist die berühmt Large Fleet. Ihre schweren Einheiten sind unbeschädigt, und die Träger und Truppentransporter sind noch nicht zum Einsatz gekommen. Meinen Sie nicht, es wäre an der Zeit, ein paar Praktiken von Yura-Maynhaus zu hinterfragen?“
„Ich... bezweifle, dass ich dazu kommen werde. Ich hätte dafür die Hilfe des Mannes gebraucht, den ich hintergangen habe und... Der ist nun selbst machtlos.“
„Und außerdem erwarten Sie jede Sekunde die Ankunft von Irene Strombach, die Sie absetzt, nach Hause pfeift, oder beides tut“, schloss Arling.
„Etwas in der Art, ja.“ Ein flüchtiges Lächeln huschte über das Gesicht des Admirals.
„Haben Sie schon die neuesten Nachrichten gehört?“, fragte Arling unvermittelt. „Auf allen Welten des Pakts kam es zu Demonstrationen. Massenkundgebungen, Milizaufständen und Polizeiaktionen. Ganze Flotten sind desertiert und haben sich unter das Kommando des Städterats gestellt. Die Regierung des Pakts steht nun alleine da. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die Truppen kapitulieren, die dem Paktrat bisher die Treue halten. Die Bevölkerung des Pakts hat damit eindeutig gesagt, was sie vom Ausverkauf ihres kleinen Reichs hält.“
„Sie hoffen doch wohl nicht etwa, dass etwas ähnliches in Yura-Maynhaus möglich ist?“, fragte Kian argwöhnisch. „Wachen Sie auf, Arling. Die Republik ist etwas anderes als Katalaun. Wir haben freie Presse und alle Errungenschaften moderner Kommunikation, aber leider muss das alles irgendwem gehören. In unserem Fall den Reichen und Mächtigen. Und die legen Wert darauf, dass... Ah, die Presse eher ihre Geschäfte unterstützt anstatt sie zu kritisieren. Auflagenkleinere Medien oder private Sender werden fair und ehrlich im demokratischen Wettstreit in der Zuschauergunst aus dem Rennen gekickt, und internationales Fernsehen hat keinen besonders hohen Stellenwert bei uns, weil die Yura-Maynhauser zu arrogant sind, um Meinungen oder Fakten aus anderen Quellen als ihren eigenen zu akzeptieren. Und diese Medien sind mächtig, Arling. Sehr mächtig. Alles was ich erreicht habe, alle Siege an der Katalaun-Front sind Null und nichtig, sobald sich diese Medien dazu entschließen, mich zu zerstören. Was ihnen übrigens leicht fallen dürfte, weil ich alle eroberten Systeme bereits wieder verloren habe.“
„Die Presse der Republik hat wohl wenig Vertrauen in die Strategie der Navy, eine Übermacht aufzubauen und die dann schlechter aufgestellte kaiserliche Marine zu überrollen?“, fragte Arling amüsiert.
Spöttisch kniff Kian die Augen zusammen. „Vorsicht, Mylord, das kann immer noch passieren. Es gibt einen einseitigen Waffenstillstand, aber wenn den Mächtigen bei mir Zuhause die Entwicklung in Katalaun nicht mehr gefällt, dann kann diese Übermacht durchaus noch eingreifen. Vielleicht ein Grund, warum ich Ihr Angebot auf keinen Fall annehmen darf. Vielleicht auch ein Grund, warum Sie Griffin nach Hause schicken sollten.“
„Ich habe keine Angst vor den Mächtigen“, versicherte Arling.
„Vielleicht sollten Sie das aber. Immerhin ist Ihr Kaiser untergetaucht, seine Nichte wird von einer Schattenregierung künstlich und ohne parlamentarisches Mandat an der Macht gehalten, und Sie haben sich zum Gegenkandidat aufstellen lassen. Was denken Sie wird mit Katalaun passieren, wenn sich Yura-Maynhaus zum ungünstigsten Zeitpunkt entschließt, den Krieg wieder aufzunehmen?“
Johann Arling schnaubte als Antwort. „Ich verstehe was Sie sagen wollen, Leiff. Aber ich kann einfach nicht einsehen, warum ein guter Mann für die Befehle einer Clique büßen muss, für die Menschen nur Zahlen sind.“
„Weil dieser gute Mann nicht ganz so gut war wie Sie glauben?“, erwiderte der Admiral mit Sarkasmus in der Stimme. „Weil er vielleicht langsam mal dafür büßen muss, was er getan hat?“
„Hm. Wenn Sie büßen wollen, dann greifen Sie Yura-Maynhaus an und vernichten Sie Ihre Hintermänner ein für allemal. Das würde für mich bedeuten, dass der Krieg mit der Republik zu Ende ist, und damit hätte ich schon wesentlich mehr Rückraum für meine Hauptsorgen.“
Kian lachte auf. „Es tut mir Leid, aber ich bin nicht auf dieser Welt um Ihre Sorgen zu beseitigen, Johann Arling. Eigentlich sollte ich eine dieser Sorgen sein.“
„Was Ihnen vortrefflich gelungen ist“, schmunzelte der Kommodore.
„Nicht ganz so vortrefflich, sonst würde ich jetzt gerade Vesuv besichtigen, anstatt mit dem Schwanz zwischen den Beinen nach Hause zu schleichen.“ Kian runzelte die Stirn. „Sie haben doch sicher Hunde auf B-King, oder?“
„Keine Sorge, ich habe den Vergleich verstanden“, versicherte Arling. „Dann bleibt mir also nichts weiter als Ihnen Glück und ein langes Leben zu wünschen. Falls Sie Ihre Heimkehr überleben, mein lieber Leiff, dann denken Sie daran, dass ich einen erfahrenen Soldaten auf B-King immer gut gebrauchen kann.“
Ein flüchtiges Schmunzeln ging über das Gesicht des Admirals. „Ich danke Ihnen, Johann. Danke für Ihre tröstenden Worte. Danke für Ihre Wünsche. Als Feind habe ich das nicht erwartet. Eigentlich müssten Sie mich von Rechts wegen hassen.“
„Verzeihen Sie, wenn mein Hass gerade damit beschäftigt ist, sich auf jene zu richten, die es gewagt haben, Robert zu stürzen und seine Nichte als Marionette auf dem Kaiserthron zu missbrauchen.“
„Wissen Sie was, Arling? Ich wünsche Ihnen auch Glück. Mir persönlich ist das Katalaun unter Robert immer lieber gewesen als das Katalaun unter Frederec.“
Arling lächelte und nickte. „Ich danke Ihnen, Leiff. Gute Reise.“
„Gute Reise“, erwiderte der Admiral und schaltete ab.
Einige bange Sekunden starrte Arling auf den Bildschirm auf seinem Arbeitsplatz, dann entschloss er sich, dieses Gespräch als positiv zu bewerten. Er erhob sich und verließ sein Büro. Es gab noch viel zu tun.

„Kress!“
„Mylord?“
„Wie sieht der Zwischenstand aus?“
Der junge Mann ergriff sein Datapad und folgte seinem Kommodore auf den Gang hinaus. „Die Evakuierung ist zu sechsundneunzig Prozent abgeschlossen. Wir haben außerdem Nachricht aus der Nisos Elektron erhalten, dass unsere Whale-Transporter auf Leonidas gut aufgenommen wurden. Der Entlade-Betrieb läuft, und die Regierung stellt uns weitere Transporter zur Verfügung. Für die weitere Rückreise werden die Zivilisten nicht mehr derart zusammen gepfercht werden müssen. Die Behelfsunterkünfte auf Leonidas sind von hohem Standard und lassen vermuten, dass Theseus mit uns gerechnet hat.“
„Sicher hat er das. Er ist ein voraus schauender Mann. Bereitschaft der Flotte?“
„Alle Zerstörer haben Einsatzbereitschaft gemeldet. Die MILFORD ist tatsächlich einsatzbereit, aber nur bei achtzig Prozent ihrer Kapazität. Auch die Verluste in der Mannschaft sind noch nicht ausgeglichen. Die Beschädigungen am Bug wurden lediglich versiegelt. Für tiefer gehende Reparaturen müsste sie ein halbes Jahr in die Werft.“
„Ein halbes Jahr, das wir nicht haben. Die Fregatten?“
„Bis auf die JULIET einsatzbereit, auch bei verminderter Leistung. Selbst bei Minimalreparaturen hat sie mindestens noch zwei Wochen Liegezeit. Eine Woche, wenn wir die Kosten für bevorzugte Behandlung zu tragen bereit sind.“
„Haben wir das noch nicht getan? Holen Sie das nach, Oberleutnant.“
„Ja, Mylord.“
„Sobald die Evakuierung abgeschlossen ist, fliegen wir zu einer letzten Inspektion auf den Planeten runter. Ich will wenigstens einmal selbst auf Vesuv gestanden haben. Außerdem gibt es da einige Leute, mit denen ich gerne sprechen würde.“
„Ja, Mylord. Der letzte Evakuierungspendler startet in sieben Stunden. Anschließend kommen die Pendler mit der Ausrüstung, soweit sie noch nicht auf die Flotte verteilt wurde. Ein Anschluss an die Kommunikation für Jedermann ist in spätestens siebzehn Stunden abgeschlossen. In vierundzwanzig bis achtundzwanzig Stunden können wir aufbrechen, wenn die Einquartierung einigermaßen erfolgreich verläuft. Ihre Anweisung, die Zivilisten wieder von den Kriegsschiffen auf die Whale-Transporter zu evakuieren hat die Situation ein wenig verschärft. Aber bis nach Leonidas sollten die Zivilisten es aushalten können. Jedem steht ein Bettenplatz zur Verfügung, jeder hat Zugang zu Duschen und Toiletten. Dazu kommen die Kommunikatoren.“
Arling runzelte die Stirn. „Den Menschen Zugriff auf ein eigenes Kommunikationsnetz zu gewähren wird sicherlich dazu beitragen die Situation zu entspannen. Wir mussten Familien auseinander reißen, um alle Menschen möglichst komfortabel unterzubringen, aber immerhin können sie untereinander in Kontakt bleiben. Das sollte die Situation erträglicher machen.“
„Auf Leonidas hat uns der Tyrann die EXOS und die HYRKANIA zugesichert, zwei Kreuzfahrtschiffe, die er für unseren Heimflug angemietet hat. Jedes einzelne hat eine Kapazität für dreißigtausend Passagiere. Das sollte einiges von dem Druck von den Schiffen nehmen.“
Arling lächelte amüsiert, während er mit seinem Adjutanten durch die Gänge ging. Hier und da nickte er grüßend oder nahm sich die Zeit, einem der Männer und Frauen anerkennend auf die Schulter zu klopfen. „Einige Menschen könnten eifersüchtig werden, wenn sechzigtausend von ihnen im Luxus schwelgen, während der Rest auf Truppentransportern untergebracht ist.“
„Kein Problem, Mylord, kein Problem. Die Schiffe sind mit dreißigtausend Menschen leicht überbelegt. Die Menschen auf der EXOS und der HYRKANIA werden es komfortabler haben als auf den Frachtern, aber es ist ein überschaubarer Unterschied. Außerdem wurde uns zugesagt, dass wir Ausrüstung bekommen, um die Whale-Frachter kurzfristig etwas hoch zu rüsten. Wir planen, in jeweils einem der Hangars pro Frachter eine Sport- und Freizeithalle aufzustellen, in der sich bis zu zweitausend Menschen betätigen können. Auch nicht sehr komportabel, aber immerhin soll die Reise kein Vergnügen sein“, bemerkte Kress augenzwinkernd.
„Sie haben Unrecht, Oberleutnant. Die Reise sollte ein Vergnügen sein. Immerhin haben diese Menschen in den letzten beiden Jahren unsägliches durchgemacht. Sie sollten nun alle Freuden kennen lernen, die wir ihnen bieten können.“
„Verstehe, Sir.“ Kress zwinkerte nervös. „In dem Fall, und mit der Erlaubnis, das Budget zu strapazieren, könnten wir den durch die Kreuzfahrtschiffe gewonnenen Platz dazu benutzen, Sport- und Freizeiteinrichtungen für dreißigtausend Menschen pro Frachter zu errichten.“
„Machen Sie es sich einfach. Mieten Sie einen weiteren Frachter an und bauen Sie ihn zu einem Sport- und Erholungsschiff für die Flotte um. Etablieren Sie einen Pendlerverkehr mit festen Zeiten, geben Sie jedem einzelnen Menschen Boni, um die Pendler und die Sporteinrichtungen zu nutzen. Mir schweben Sportanlagen und Freizeitbereiche für zwei- bis dreihunderttausend Menschen vor.“
„Das erspart uns Umbauten an den Whale- Frachtern. Außerdem kann mit einem solchen Umbau sofort begonnen werden. Aber ich schätze, der Gesamtumbau wird unter vier Wochen nicht machbar sein.“
„Fordern Sie die OLYMPIA an“, erwiderte Arling, während er die Zentrale betrat. Bis auf die beiden Ehrenwachen am Eingang, die für ihn salutierten, gab es keine besondere Reaktion bei seinem Eintreten, abgesehen von einem grüßenden Nicken einiger seiner Offiziere.
„Die OLYMPIA?“
„Ein Sport- und Veranstaltungsschiff. Sie stammt noch aus der herkuleanischen Zeit. Ursprünglich fanden auf ihr die Olympischen Spiele statt, während das Schiff auf einem unendlichen Kurs durch das Dynastie-Land gereist ist. Heutzutage beschränkt sie sich auf einige der Diadochenstaaten, vor allem jenen, die für ihre Dienste zu zahlen bereit sind. Aber Sie können sich vorstellen, wie groß das Schiff sein muss, um einer Olympiade gerecht zu werden, bei der die Teilnehmer von etwa zweihundert Sauerstoffplaneten kommen.“
„Sie muss enorm sein“, sagte der Oberleutnant beeindruckt.
„Sie wurde all die Jahre von Staaten wie der Nisos Elektron am Leben erhalten, als Symbol der Hoffnung auf ein besseres Morgen. Ich denke, einen besseren Begleiter können wir nicht kriegen.“
„Ich werde sofort Erkundigungen über die OLYMPIA einholen und ihre Position lokalisieren.“
„Das brauchen Sie nicht, Oberleutnant. Der Tyrann hat mir bereits versprochen, sie anzufordern.“ Er schenkte dem jungen Offizier einen freundlichen Blick. „Andererseits hätten Sie ebenfalls eine gute Lösung zu bieten gehabt, Julian. Sie leisten wie immer gute Arbeit.“
„Ich danke Ihnen für Ihre Worte, Sir“, erwiderte der Adjutant verlegen.

Arling wandte sich Schlüter zu. „Wie ist die Lage?“
„Nanking, Theben und Arelia melden Aufstände. Teilweise schließen sich Polizei und Milizen den Aufständischen an. Damit sind es schon siebzehn Welten, auf denen der Rat entweder die Kontrolle verloren hat, oder um sie kämpfen muss. Hier im System hingegen ist alles ruhig. Alle Kapitäne und alle Offiziere ab dem Rang eines Majors haben Renskys Befehlsgewalt anerkannt.“
„Hm. Wie lange, bis die Large Fleet das System verlässt?“
„Eine Stunde, siebzehn Minuten. Sie machen einen sicheren Sprung über ein unbewohntes Sonnensystem, in der vom Pakt-Militär ausschließlich Beobachtungseinrichtungen unterhalten werden. Danach kommen sie nach Arelia, und mit einem simplen Sprung über drei Lichtjahre sind sie bereits wieder in der Republik.“
Arling nickte bestätigend. „Was macht die Republik? Wird der Waffenstillstand eingehalten?“
„Die Lage ist, salopp ausgedrückt, nicht klar ersichtlich. Es werden zwar keine Kampfhandlungen gemeldet, aber entlang der Grenze kommt es zu massiven Umgruppierungen der Einheiten. Ich schätze mal, da ist wesentlich mehr unterwegs als eine Flotte, die die Large Fleet nach Hause holen soll.“
„Und Zuhause? Wie ist die Meinung über uns?“
Arlene Schlüter grinste bissig. „Die staatlichen Medien zerreißen uns in der Luft. Die einen werfen uns den Missbrauch von Militäreigentum vor, die anderen unannehmbare Risiken für die Zivilisten. Die Toten auf der JULIET sind für sie ein gefundenes Fressen. Ihre Identitäten wurden weitestgehend ermittelt, ihr Tod in Katalaun verbreitet. All das mit dem Hinweis, dass sie noch leben könnten, wenn du sie nicht auf ein Kriegsschiff geschickt hättest, Han. Sie sagen, ihr Blut klebt an deinen Fingern.“
Die Hände des Admirals krampften sich um die Sessellehnen. „Das tut es sowieso“, erwiderte er gepresst. „Wie sieht es mit anderen Medien aus?“
„Einige unabhängige Zeitungen und Sender berichten weiterhin ungebunden und unbeeinflusst. Einige gehen hart mit uns ins Gericht, aber sie bleiben weitestgehend fair. Am besten ist unsere Presse auf B-King, was zu erwarten gewesen war. Deine Jungs lassen dich anscheinend nicht im Stich.“
Arling lächelte kurz beim Gedanken an seine beiden Neffen, die weit älter und erfahrener als er selbst waren, und an seinen jungen Großneffen, den er wie einen kleinen Bruder groß gezogen hatte. „Sie sind Grafen von Beijing. Ich habe nichts anderes von ihnen erwartet.“
„Natürlich nicht. Und vielleicht interessiert es dich noch, wenn ich kurz anmerke, dass es zu einer ersten Protestkundgebung gegen Roberts Absetzung gekommen ist. Im Parlament gab es einen symbolischen Streik, dem sich fast achtzig Prozent der Abgeordneten angeschlossen haben. Die Medien berichten eher rudimentär darüber, aber du weißt was es heißt, wenn der Kaiser vom Parlament kritisiert wird.“
„Einen Streik des Parlaments hat es seit einhundert Jahren nicht mehr gegeben“, sinnierte Arling. „Am selben Tag nahm Julienne I. ihren Abschied und machte den Thron für Robert III. frei. Aber ich bezweifle, dass die Menschen, die Elise in ihrer Gewalt haben, so leicht zu beeindrucken sind. Wahrscheinlich können sie nicht einmal beurteilen, was solch ein Streik bedeutet.“
„Wahrscheinlich nicht“, bestätigte Schlüter. „Ach ja, die Königin will dich sprechen. Unten in Hephaistos. Wenn es geht noch heute. Nyhartes Daiana Nissos wird ebenfalls zugegen sein. Man hat mir zu verstehen gegeben, dass es um Privates geht.“
Arling hob eine Augenbraue. „Privates? Ich wollte eh auf den Planeten, um beim Abschluss der Evakuierung zu zu sehen und einigen Leuten da unten auf die Schulter zu klopfen. Mach meine Personenfähre und eine Kompanie Knights bereit. Alle Dinge, die du heute noch erledigen kannst, erledige auch heute – wenn die Munition stimmt. Altes Soldatensprichwort.“
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Verballhornen von Sprichwörtern irgendwo ein Kriegsverbrechen ist, Han“, murmelte die Kapitänin der HERCULES schmunzelnd.
Arling lachte leise und erhob sich. „Kommen Sie, Kress. Wir gehen etwas früher runter als geplant.“
„Jawohl, Mylord.“
***
Auf dem König Dosd-Gedächtnisraumhafen wurde der Kommodore bereits erwartet. Leutnant Sören Keaton stand bereit, um den hohen Gast mit einem Schwebepanzer in die nahe Stadt zu fahren.
Der junge Mann grinste wie ein kleines, glückliches Kind, als er Arling und seine Begleiter zu sich herüber winkte. „Kommen sie, kommen sie. Wir sind zwar jetzt alle Freunde, aber auch Freunde können mal schlechte Laune haben. Außerdem gibt es immer mal ein paar Idioten, die glauben in die Geschichte eingehen zu können, wenn sie jemanden von Format töten.“
Arling bestieg den Schwebepanzer mit dem typischen mulmigen Gefühl, das Raumfahrer immer dann befiel, wenn sie ihre engen Stahlsärge in Weltall gegen noch engere Stahlsärge auf der Oberfläche eines Planeten oder Mondes tauschen mussten. „Danke“, murmelte er beim einsteigen. „Sie sind Keaton, richtig?“
„Richtig, Sir. Sören Keaton, zu Ihren Diensten. Major Russel hat mich her geschickt, damit Sie auch ankommen wo Sie ankommen wollen.“ Der Leutnant sah zu Kress herüber. „Ist das alles was Sie mitgebracht haben? Keine Leibwache, keine gepanzerte Infanterie?“
„Wie soll ich bitte dieses „das“ verstehen, junger Mann?“, erwiderte Julian Kress pikiert. „Ich bin alles was seine Lordschaft braucht, um die Befehlskette zur Flotte am laufen zu halten.“
„Ups, da habe ich wohl jemanden auf den Schlips getreten“, murmelte der junge Offizier mit der rasierten Glatze fröhlich, während er hinter Kress das Schott verschloss. Leichter Druck legte sich für einen Moment auf die Ohren der Insassen. Von diesem Moment an befanden sie sich in einer von der Außenwelt isolierten Zone mit eigener Luftumwälzung. Keaton trat über den Laufgang nach vorne und wies auf die Plätze des Richtschützen und des Panzerkommandeurs. „Mylord, Oberleutnant, dies sind ihre Plätze. Wenn Sie mich suchen, ich bin am Ortungs- und Funkplatz. Ach, und Raumflotte, Finger weg vom Feuerknopf.“
„Raumflotte? Da hat mir ja „das“ noch besser gefallen“, murrte Kress und warf sich in den Richtschützensitz. Sofort erwachten holographische Zielerfassungen und Hilfshologramme für Waffenstatus und Ladezustand für ihn.
„Interessant. Das Ding sieht nicht nur von außen aus wie ein Kelvus, sondern auch von innen. Die Ausstattung ist auch fast dieselbe“, murmelte Kress mit einer Spur Anerkennung in der Stimme. „Haben Sie den wirklich hier auf Vesuv zusammengeschustert?“
Keaton wandte sich halb dem Oberleutnant zu, während Arling vom Komandeurssitz in den Turm gefahren wurde, von wo er optimale Sicht sowohl in den großen Panzer als auch nach außen hatte. „Respekt, Raumflotte. Sie verstehen ja von Panzern mehr als den Umstand, dass einige schweben können.“
„Wenn sich das Wort Respekt auf mich bezieht, könnten Sie ihn zeigen. Mein Name ist Kress, nicht Raumflotte.“ Ein mürrischer Zug huschte über seine Miene. „Wenngleich ich zugeben muss, dass Sie hier unten hervorragende Arbeit geleistet haben, Keaton. Da kann man sich schon einige Frechheiten erlauben.“
„Sie sind Kress?“ Erstaunt sah Keaton den Raumoffizier an. „Der Stabschef des Grafen?“
„Ist das so etwas besonderes?“, argwöhnte Kress.
„Nun, wenn Sie die Brigaden- und Divisionsstäbe der Munich-Miliz gewohnt wären, dann wüssten Sie, dass Ihre Arbeit im gleichen Gegensatz zu denen steht wie eine Sonne zu einem schwarzen Loch. Sie waren sehr effektiv da oben. Schnell, unbürokratisch und effizient. Mein Kompliment dafür, Sir.“
„Wie bitte wollen Sie meine Arbeit als Stabschef beurteilen, während ich da oben schwebe und Sie hier unten die Erdkrume pflügen, Schlammstampfer?“
„Glauben Sie mir, man merkt den Unterschied. Man merkt ihn“, erwiderte Keaton. „Alleine die Effizienz, mit der die Evakuierungsmaßnahmen aus dem Boden gestampft wurden, ist ein Zeichen dafür, dass ganz oben alles in Ordnung war.“
„Nun“, erwiderte Kress und hüstelte. Ein Großteil der Logistik für diese Aktion hatte bei ihm gelegen, die Ausarbeitung war durch seine Untergebenen erfolgt. „Also bin ich von „das“ und „Raumflotte“ aufgestiegen?“
„In der Tat, Sir. Ganz gewaltig sogar, Sir.“ Keaton lachte fröhlich und gab dem Fahrersitz einen freundschaftlichen, aber nachhaltigen Tritt. „Abfahrt, Andromeda.“
„Kannst du diesen dämlichen Spitznamen nicht endlich sein lassen?“, polterte der Fahrer wütend, gab aber gehorsam Gas.
Keaton grinste seine beiden Gäste an. „Für Perseus aus der griechischen Sage ist er zu hübsch, deshalb haben wir ihn nach der Prinzessin aus der gleichen Legende benannt. Passend, oder?“ Der Leutnant verzog keine Miene, als zur Antwort ein leerer Trinkbecher an seiner Schläfe aufschlug. „Autsch. Überspringen wir den Part vielleicht. Mylord, ihre Majestät erwartet Sie in der Innenstadt. Sie ist den letzten Meldungen zufolge in Begleitung ihrer Kapitänin sowie fünf oder sechs Nymphen. Genauer gesagt erwartet die Lady Sie im exakten Zentrum von Hephaistos, also der derzeitigen Demarkationslinie zwischen uns und der vesuvischen Miliz.“
„Warum da und nicht im Verwaltungsgebäude?“
„Ich habe keinen blassen Schimmer, Mylord. Allerdings hat es sich Oberst Monterney nicht nehmen lassen, zwanzig Hawks in einem weiten Sicherungskreis um sie Position beziehen zu lassen.“
„Interessante Information“, murmelte Arling. „Anscheinend befürchtet er das gleiche für Toral wie Sie für mich, Keaton.“
„Wir sind alle der gleichen Meinung, Sir. Nämlich, dass weder Sie noch ihre Majestät etwas auf Vesuv verloren haben, geschweige denn in einer Stadt mit so viel militärischer Präsenz wie Hephaistos. Sie hätten alle da oben in einem sicheren Raumschiff bleiben sollen, wenn Sie mich fragen, Sir.“
Kress schien dazu etwas zu sagen zu haben, beließ es aber bei einem bekräftigenden Nicken.
„Aber anscheinend fragt mich ja keiner“, seufzte Keaton. Doch für den Moment schien er in Arlings Adjutanten einen wenngleich machtlosen, so doch willigen Verbündeten gefunden zu haben, wie der spöttische Blick bewies, den die zwei wechselten.

„Warum sind Nymphen da?“, fragte der Kommodore unvermittelt. „Nachdem sie sich schon derart massiv in die Tagespolitik eingemischt haben, warum kommen sie auch noch zu einer Besprechung zwischen mir und Jenna? Ich meine, ich kann verstehen, wenn Nyhartes dabei ist. Aber gleich fünf oder sechs von ihnen... Das ist sehr übertrieben. Außer die Besprechung ist wichtiger als ich ahne.“ Müde rieb sich Arling die angegrauten Schläfen. „Bisher bin ich davon ausgegangen, dass Jenna mit mir über die Evakuierung von Hephaistos reden will.“
„Vielleicht sollten Sie das Schlimmste annehmen, das Sie sich vorstellen können, Sir. Ich meine jetzt wo sie zur Königin ausgerufen wird und der neuen herkuleanischen Dynastie vorsitzen soll, braucht sie vielleicht einen zugkräftigen Ehemann“, scherzte Keaton.
„Lassen Sie das meine Verlobte nicht hören. Sie betreibt einen Boxsport.“
„Thaiboxen, Mylord“, warf Kress pflichtschuldig ein. „Sie betreibt Thaiboxen, und das mit beachtlichem Talent.“
„Danke, Julian. Eine politische Heirat steht jedenfalls nicht zur Debatte. Außerdem macht man über so was keine Scherze“, brummte Arling.
„Hm. Dabei macht gerade ganz Katalaun Scherze über solche Dinge. Wenn ich sehe, wie man Zuhause mit der Prinzessin umspringt, platzt mir der Kragen.“ Als Kress merkte, dass er laut gesprochen hatte, sah er schuldbewusst zur Seite. „Entschuldigung, Mylord.“
„Entschuldigung nicht akzeptiert, Julian. Sie haben mir nämlich aus der Seele gesprochen.“
Arling konnte die Erleichterung seines Adjutanten förmlich spüren, während er mit wachem Blick die Überwachungs- und Zielhologramme erfasste, die für ihn in den Turm projiziert wurden. Im Prinzip waren es die gleichen Hologramme, mit denen er als junger Leutnant an der Waffenleitung gearbeitet hatte, nur war die Zielerfassung verständlicherweise auf Meter ausgelegt, und nicht den unendlichen Entfernungen geschuldet, die es im All gab, in Kilometern. Dennoch hatten die meisten Waffen eines Kelvus eine Reichweite von über dreihundert Kilometern... Was auf einem Planeten von Erdformat mit einer natürlichen Krümmung der Oberfläche nicht so viel nützte, aber deshalb konnte man die meisten Waffensysteme ja auch auf den Orbit richten.
Die Hologramme erfassten neben Dutzenden Knights und Rüstern, die den König Dosd-Gedächtnisraumhafen beherrschten, natürlich die Panzerabteilungen der Hephaistosianer in provisorische Stellungen der Miliz und von Ganths erfahrenen Infanterie-Einheiten. Ein steter, aber recht dünner Strom von Fahrzeugen fuhr in Richtung Raumhafen, weniger als die Hälfte legte den Weg in die andere Richtung zurück.
„Wir sind fast fertig, Mylord“, sagte Keaton fröhlich, bevor Arling eine entsprechende Frage stellen konnte. „Die Stadt ist zu achtundneunzig Prozent von Zivilisten evakuiert. Es fehlen nur noch die sich stetig zurück ziehenden Kampfverbände, die Arbeiter, die von der Miliz an uns übergeben werden weil sie beim Ausbruch der Kämpfe außerhalb der Stadt auf der Arbeit waren, und natürlich unsere Toten. Sie bringen wir als Letzte hier fort. Kein Lebender soll mehr Aufmerksamkeit und Respekt genießen als jemand der es schon hinter sich hat. So hatte es auch unsere ursprüngliche Planung vorgesehen, die das Komitee ausgearbeitet hatte. Der Admiral hat das immer wieder betont, auch dass wir notfalls unsere Toten zurücklassen hätten müssen, wenn Platz, Zeit oder beides nicht ausgereicht hätten. In dem Fall hätte ich eines der Freiwilligenkommandos angeführt, welche die Miliz gebunden hätten, um unseren Leuten den Weg ins Weltall offen zu halten.“ Keaton zwinkerte nervös. „Entschuldigen Sie. Ich rede zuviel, Kommodore.“
Arling schnaubte amüsiert. „Also sind Sie sicherlich besonders dankbar dafür, dass wir doch noch aufgetaucht sind, nicht wahr, Hauptmann Keaton?“
„Unendlich dankbar, Sir. Unendlich“, erwiderte der Milizionär mit einem breiten Grinsen. Dieses Grinsen erstarb allerdings schnell wieder. „Mylord, es heißt Leutnant.“
„Ab jetzt nicht mehr. Da ich die Hephaistos-Miliz formell unter mein Kommando gestellt habe, habe ich das Recht, Feldbeförderungen auszustellen. Sie sind ab sofort Hauptmann. Sie haben einfach zuviel geleistet um Sie nicht zu belohnen.“
Sprachlos sah Keaton den Grafen an. Dann begannen sich seine Lippen zu bewegen. Es hatte was von einer amphibischen Spezies an der frischen Luft. „Ko-kommt nicht zuerst der Oberleutnant, Mylord?“, fragte er zaghaft.
„Es ist selten, dass ein Rang übersprungen wird, aber nicht unüblich, wenn die Leistung stimmt. Zwei habe ich auch schon erlebt. Drei Ränge hingegen sind noch nie vorgekommen. Das ist der einzige Grund, warum ich Sie nicht zum Oberstleutnant gemacht habe.“
Kress grinste, während er den frisch beförderten Hauptmann beobachtete. Er trat nach Keatons Sitz. „Man bedankt sich nach einer Beförderung.“ Mit einem schalkhaften Glitzern in den Augen fügte er hinzu: „Sir.“
„D-danke“, sagte Keaton automatisch. Fragend sah er die beiden Raumfahrer an. „Kein Scheiß?“
Arling hob eine Augenbraue. „Sie kriegen es schriftlich von mir, Hauptmann. Versprochen.“
„So habe ich das nicht gemeint, Mylord. Es kam nur etwas unerwartet und plötzlich. Natürlich bin ich dankbar dafür, dass endlich mal einer meiner Vorgesetzten meine Fähigkeiten erkannt hat, und so.“
„Schon hat er wieder Oberwasser. Vorsicht, Mylord, mir scheint, wir haben hier einen weiteren Anwärter auf den Kaiserthron vor uns“, scherzte Kress.
Für einen Augenblick sah Sören Keaton so aus als wolle er am liebsten im Boden versinken. Als der Graf und der Oberleutnant schließlich laut auflachten und der Fahrer einfiel, konnte auch er lachen.
„Vielen Dank, Mylord. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das verdient habe, aber ich werde mein bestes geben, um mich weiterhin zu beweisen.“
„Nichts anderes erwarte ich von Ihnen“, erwiderte Arling schmunzelnd.

Per Blicksteuerung sandte er ein Minivideo auf die Arbeitshologramme des frisch gebackenen Hauptmanns. „Diese Leute. Was tun sie?“
„Sie meinen die Hundertschaften?“ Keaton sah zum Kommandeurssitz hoch. „Wir durchsuchen die Wohnsilos, Mylord. Einen nach dem anderen. Wir haben die Menschen zwar aufgefordert, sich zu vergewissern, dass ihre Nachbarn mit ihnen ausgezogen sind, aber sicher können wir nicht sein. Wir haben hunderte Vermisstenanzeigen, vor allem nach Kindern, bekommen. Deshalb filzen wir alles haarklein bis hinunter in die Wartungskeller. Hoffentlich machen die Jungs und Mädels das auch gründlich, denn eigentlich sollten wir diesen Block erst in einer Stunde erreichen.“
„Vorbildlich“, lobte Arling. Für einen Moment stellte er sich vor, diese Arbeit wäre von den Männern und Frauen verlangt worden, während die Stadt unter Feuer gestanden hätte. Ein schreckliches Bild.
„Sie gehören zu den Freiwilligen der Nachhut“, fügte Sören Keaton hinzu. „Jenen, die mit mir im Notfall hier geblieben wären.“ Er schüttelte sich beim Gedanken an die denkbar schlechtmöglichste Entwicklung ihrer Situation.
Julian Kress seufzte schwer. „Gut, dass wir noch rechtzeitig gekommen sind. Bevor Ihr Komitee selbst die Flucht organisiert hatte, meine ich. Sonst hätten wir gar nichts zu tun gehabt.“
„Bitte keine Witze darüber, Oberleutnant Kress“, tadelte Keaton. „Das was ihr geschafft habt hätten wir nicht hin gekriegt. Also eine ganze Flotte abwehren, ein Sternenreich stürzen und herkuleanische Garden anlocken, von der HERCULES einmal ganz zu schweigen.“
„Höre ich da Spott in Ihrer Stimme, Hauptmann?“, tadelte Arling.
„Nur wohlwollenden, Mylord.“
„Oh. Dann ist es in Ordnung“, erwiderte der Graf mit einem Schmunzeln.

„Wir sind da“, verkündete der Fahrer, während er den Panzer um eine Ecke abbiegen ließ. Die breite Prachtstraße halbierte Hephaistos in genau zwei Hälften, und im exakten taktischen Zentrum standen sich Dutzende Hydrae, Knights und Rüster Kopf an Kopf gegenüber. Alarmiert fuhr Arling hoch, doch die Tatsache, dass fast alle Kampfroboter auf dem linken Knie am Boden knieten bewies, dass sie nicht bemannt waren. Stattdessen erkannte Arling diskutierende Gruppen von Soldaten im Königsblau der Gryanen, den Khaki-Farben der Einsatzanzüge der kaiserlichen Knight-Piloten sowie den graugrünen Fleckentarnanzügen der Vesuv-Miliz.
Mitten im Gewühl schwebten die Nymphen, und bei ihnen standen Toral und ihre Adjutantin, Aurora Constantine.
Der Panzer hielt direkt neben der Menschentraube. Als Arling und Kress ausstiegen, klang aus der Gruppe lautes raunen auf. Die meisten Piloten salutierten vor dem Grafen von B-King, unter ihnen nicht wenige Milizionäre der Vesuv-Milizen.
Arling salutierte zurück. „Weitermachen, Herrschaften.“ Er trat auf Admiral Toral zu, die ihn bereits erwartete. Sie legte einen Finger auf den Mund um anzudeuten, dass er nicht sprechen sollte, also gesellte er sich einfach neben sie und tauschte einen stummen Händedruck mit ihr.
Kress positionierte sich hinter ihm und taxierte sein Pendant, die Kapitänin der SIGURD mit einem fragenden Blick. Die schüttelte nur resigniert den Kopf.
Vor ihnen diskutierten die Nymphen, es waren wohl acht oder neun, mit den Kampfroboter-Piloten. Unter ihnen waren auch Lucky Charly, Jamie the Mighty und Daisy the Darkness, die anerkannt drei besten Piloten der kleinen arlingschen Flotte. Und es schien als würde Arlings alter Freund Charles mit den sphärenhaften Wesen ernst ins Gericht gehen, während diese ruhig und besonnen widersprachen.
„Es ist verständlich, das sie böse sind“, erklang hinter Arling eine sehr vertraute Stimme. Warmer Atem strich über seinen Nacken, etwas, was er von der Besitzerin dieser Stimme nicht gewohnt war, weil sie normalerweise keinen Körper hatte, der Atem produzierte. Er wandte sich um und sah Nyhartes Daiana Nissos in die Augen. „Warum ist es verständlich?“
„Nun, Dutzende ihrer Kameraden wurden hier getötet, hunderte verletzt. Wir Nymphen hätten das verhindern können, sagen sie. Wir hätten die Macht dazu gehabt, sagen sie. Und das Wissen, sagen sie. Genauso wie wir dich und deine Leute aus der RHEINLAND gerettet haben, denken sie, hätten wir auch ihre Kameraden retten können. Sie wollen einfach nicht begreifen, dass sie unsere Taten missbraucht, unsere Argumente ignoriert und ihre Kameraden weiterhin geopfert hätten, noch nachhaltiger vielleicht, weil sie durch unseren Schutz noch mehr hätten riskieren können. Die Zeit war noch nicht reif. Diese hier waren noch nicht reif. Manchmal muss man etwas verlieren, um das was übrig ist, wirklich schätzen zu lernen.“
„Manchmal kann man Leuten auch etwas gegen ihren Willen beibringen, und es bleibt auch hängen“, wandte Arling ein.
Nyhartes lächelte, und es war ein beeindruckendes Lächeln. Die Nymphe verströmte dabei einen Charme und eine Schönheit, die den Legenden um ihre Art wirklich würdig war. Wobei Arling zugeben musste, vor kurzem noch nicht einmal von der Existenz dieser Spezies gehört zu haben.
„Wir Nymphen mischen uns erst ein wenn...“
„Wenn die Menschen dazu bereit sind?“, argwöhnte Arling.
„Nein, Han. Wenn es sich lohnt“, erwiderte die Nymphe. „Jetzt zum Beispiel, zu einem Zeitpunkt, in der die Menschen des Europa-Pakts ihre Selbstbestimmung wieder haben wollen und bereit sind dafür zu kämpfen. Sie wurden sehr lange in Schemata gepresst, unterdrückt und indoktriniert. Und nun stehen sie auf und wollen sich all das für sich selbst und für alle anderen in diesem Reich zurück erobern. Das ist es wert, das wir uns engagieren, Han, das ist es wirklich wert.“
Nyhartes Daiana Nissos´ Lächeln wurde wehmütig. „Können wir dann, Jenna?“
„Natürlich, Mutter.“
Arling spürte, wie ein eisiger Schauder über seinen Rücken ging. „Mutter?“ Die Nymphe berührte ihn und Toral an der rechten Hand, und ohne die Frage zu beantworten sprang sie mit den beiden Menschen.

Die Umgebung verschwand vor Arling, und als sich das Bild wieder stabilisierte, schwebte er im Nichts. Nyhartes war bei ihm, und ihr Körper war vollkommen manifestiert. Toral schwebte nur wenige Zentimeter neben ihm, was ihn die Nähe der energischen Frau erschreckend bewusst machte. Auch wenn sie über zwanzig Jahre älter als er war, konnte nur ein Blinder sie als unattraktiv oder gar hässlich beschreiben. Und Arling mochte starke Frauen, wie man an seiner Verlobten sah. Er räusperte sich vernehmlich und nahm Zuflucht zur letzten Frage. „Mutter?“
„Nur ein Wort, Johann“, sagte Toral und winkte ab. „Sie hat mich quasi aufgezogen. Sie war meine Amme, meine Lehrmeisterin, meine Freundin und die meiste Zeit meine Spielkameradin. Sie hat mich genau so geformt wie sie ihre herkuleanische Prinzessin gebraucht hat.“
Die Nymphe verdrehte in komischer Verzweiflung die Augen. „Nun fange nicht damit wieder an, ich hätte all das getan, um dich auf den Tag vorzubereiten, an dem du die herkuleanische Herrscherdynastie und das Herkulaneum wieder errichten wirst.“
„Hast du das etwa nicht? Beste Ausbildung, lange philosophische Diskussionen, Protektion durch dich und den Rat der Nymphen in jeder Lebenslage... Soll ich fortfahren?“
„Ach, die paar Grundlagen“, sagte die Nymphe abwehrend. „Die Richtung hast du immer selbst bestimmt. Außerdem bist du noch gut bei weg gekommen wenn ich daran denke, wie es Han ergehen wird.“ Die Nymphe strahlte ihn erneut an. „Dies hier ist das holographische Kernarchiv vn Vesuv. Hier ist Wissen gespeichert, das bis zu dreihundert Jahre vor der Entstehung dieser Welt zurückreicht. Es ist eines der bestgehütetsten Geheimnisse der Diadochen. Und eine der am seltesten genutzten Anlagen. Normalerweise benutzen wir sie nur als Referenz, wenn die derzeitigen Herrscher versucht haben, die Geschichte in ihrem Sinne zu ändern. Es ist unser roter Faden durch die Zeit, und es kommt sehr selten vor, dass wir einen Menschen hierher bringen.“ Die Nymphe sah von Arling zu Toral herüber. „Oder gar zwei zugleich. Bereit für ein paar wirklich gemeine Wahrheiten, Johann Armin Arling?“
„Wie gemein?“
„Auf der Skala von eins bis zehn sicherlich eine zwölf“, sagte Toral ernst. „Es wird dir nicht gefallen, Junge.“
Arling zog die Stirn kraus. „Eine zwölf? Werde ich es überleben?“
„Das ist der Sinn des Ganzen. Deshalb erzähle ich dir ja auch, was du wissen musst, um den Konflikt, der noch vor dir steht, zu überleben“, orakelte die Nymphe. „Was weißt du über die Magno-Stahl-Aufstände?“
„Die Magno-Stahl-Aufstände?“ Arling dachte kurz nach. „In ihrem Verlauf wurde ein Großteil meiner Familienzweige ausradiert, darunter mein Großvater, alle Brüder und Vettern meines Vaters, und unter ihnen mein ältester Bruder.“
„Und dein Vater wurde nur verschont, weil er sich zu diesem Zeitpunkt mit seinem Schiff am anderen Ende des Reichs befand. Dabei war er eines der Hauptziele beim Versuch die Versailles auszuschalten.“
„Meine Großmutter Väterlicherseits war eine geborene Versailles, ich weiß.“
„Nicht irgendeine, sondern die legitime Thronfolgerin. Man kann sagen, sie hat ihren Thronanspruch aus Liebe zu deinem Großvater Robert aufgegeben.“
„Spötter behaupten hingegen, sie habe das leichte Leben in der Provinz dem harten Dienst als Kaiserin vorgezogen“, warf Jenna Toral spöttelnd ein.
„Mädchen. Rede nicht“, tadelte die Nymphe ihre Schülerin.
„Das sind alles Fakten, die du kennst, Johann, und die erklären, warum dein Vater so hoch auf der Thronfolgerliste stand. Du als Erbe der nächsten Generation warst bis zum Tod deines Vaters erheblich tiefer angesiedelt. Aber da du quasi zwei Generationen früher gezählt wirst als Elisabeth, bist du mehr als ein ernsthafter Gegenkandidat, auch ohne das du dich gegen sie stellst.“
„Vor der Kaiserwahl hat Gott die Qualifikation gestellt. Robert ist ein guter Kaiser, und wenn ich es schaffe, ihn aus dieser Scheiße raus zu ziehen, wird er weiterhin einen guten Job machen. Und dann ist es auch egal, ob Magno-Stahl oder eine obskure Sekte hinter all dem steckt, solange ich es nur beenden kann.“
„Du weißt, warum die Magno-Stahl eine Revolution ausgerufen hat, Han?“, fragte die Nymphe.
„Sie wollten politischen Einfluss, den ihnen der damalige Kaiser Robert der Dritte nicht gewährt hat.“
„Der ihnen aber zustand“, erwiderte die Nymphe mit kaltem Ton in der Stimme. „Du kannst die Cardiff-Revolte und die Magno-Stahl- Aufstände nicht gleich setzen, Han. Das eine war der Versuch, mehrere Sonnensysteme gegen den Willen der Mehrheit ihrer Bewohner aus dem Kaiserreich zu lösen. Das andere hingegen war ein Kampf darum, wer von zwei Mächten auf Augenhöhe den längeren Atem besaß und sich durchsetzen würde.“
„Ich... verstehe nicht“, gestand Arling.
„Oh, das wirst du. Das wirst du bald“, orakelte Jenna Toral. „Es ist doch sicherlich kein Geheimnis, dass der erste Kaiser, der Katalaun gründete, aus dem herkuleanischen Staatsgebiet stammt. Ein Admiral mit eigener Flotte, der die ungeordneten, sich gegenseitig bekämpfenden Systeme des heutigen Katalauns unterwarf, ihre Konflikte beilegte, Frieden schuf, freien Handel ermöglichte und so nach und nach aus diesem Staat einen wirklichen Machtfaktor machte. Dieser Mann hieß Robert Versailles und führte eine herkuleanische Garde an, die Ikarii.“
„Ich weiß, dass Robert der Erste aus dem Herculaneum stammte, aber es ist mir neu, dass er eine herkuleanische Garde anführte. Wie sicher ist das?“
„Sehr sicher. Immerhin habe ich sie selbst auf den Weg gebracht“, erklärte Nyhartes.
„Okay, jetzt wird es interessant.“
„Ist es das nicht schon die ganze Zeit, Johann?“, spottete Admiral Toral.

Über und unter ihnen erwachte die dunkle Welt zum Leben. Arling sah bestätigt, dass sie sich in einem gigantischen Holoarchiv befanden, der gerade aktiviert worden war. Solche Einrichtungen fand man oft als Erlebniszentren in Freizeitparks oder Erholungseinrichtungen, in denen der Betrachter von Antigravitation im Zentrum gehalten wurde, während sich um ihn herum dynamisch eine beliebige Geschichte abspielte. Die Szenen, die der Holokubus nun Arling zeigte, wollten ihm allerdings gar nicht gefallen. „Krieg?“
„Krieg kann man das nicht nennen. Eher einen Vernichtungsfeldzug. Was du hier siehst ist eine Attacke der frühen Zyrrtek auf eine Siedlungswelt der Javaren, einer Spezies, die in diesem Raumsektor ehemals weit verbreitet war.“
Fassungslos starrte Arling mal nach oben, mal nach unten, dann zu den Seiten. Grauenhaftes spielte sich ab. Gigantische, mit zusätzlichen Exoskeletten verstärkte Gigantinsekten jeglicher Couleur, denen man schreckliche Waffen in die Körper implantiert hatte, kämpften gegen eine Abwehrfront der elfenhaften Javaren und fraßen sich im wahrsten Sinne des Wortes durch die Verteidiger hindurch, während im Hintergrund Flüchtlinge zu den letzten Schiffen flohen. Viele wurden dabei von kleineren, schnelleren Insekten, die weniger gut bewaffnet waren, eingeholt und wie jagdbares Wild gerissen. Grauen erschütterte Arling bei diesem Anblick. Das war kein Kampf, das war nur ein Haufen durchgedrehter Bestien auf der Jagd nach Beute. Und als es die Beute nicht mehr gab, gingen sie aufeinander los.
Danach verstreuten sich die überlebenden Wesen, die von Nyhartes als Zyrrtek-Insektoide bezeichnet worden waren, aber seines Wissens nach nicht sein konnten, in alle Richtungen.
Nun kam der Auftritt einer weiteren Spezies, einer beinahe humanoid wirkenden Gruppe mit verkümmerten Rückenschwingen, die implizierten, dass diese Wesen einst hatten fliegen können.
„Telvar“, hauchte Arling.
„Richtig. Was du hier gesehen hast, waren die genetisch gezüchteten und technisch aufgewerteten Zyrrtek. Die Telvar haben sie entwickelt, und sie haben diese Kreaturen auch eingesetzt. Dies war ihre bevorzugte Methode, die Population und das Militär ihrer derzeitigen Gegner auszurotten. Sie brauchten nur ein paar Königinnen-Eier auf einer unliebsamen Welt abwerfen und abwarten, bis alles Fressbare vertilgt war. Das beinhaltet auch die Zyrrtek selbst. Du fragst wo die Waffen herkommen? Die Zyrrtek haben Intelligenz entwickelt, eine Art Gemeinschaftswissen. Die Telvar haben diese Intelligenz erkannt und zu ihren Zwecken manipuliert. Die übliche Population von Zyrrtek bestand aus einer staatenbildenden Fraktion, die sich schlicht dem Erhalt der eigenen Art unterworfen hatte. Die einzelnen Mitglieder waren intelligent, aber nicht kreativ. Die Telvar hingegen machten sich das Überlebensprinzip zunutze und entwickelten spezielle Drogen, welche die Zyrrtek derart anstachelten, sich auszubreiten und zu dominieren, dass sie sogar so weit gingen, die Brut anderer Königinnen zu vernichten. Dabei nutzten sie neben ihren körperlichen Waffen auch technologische oder mechanische Waffen. Der große Vorteil der Telvar jener Zeit war es stets, dass eine frisch geschlüpfte Königin niemals die Welt an sich kannte und außer einigen Grundinformationen keine eigenen Erfahrungen hatte. Ihr Hauptaugenmerk war überleben der eigenen Art, und unter Einfluss der Drogen entwickelten sich die Königinnen und ihre Kinder zu wahren Mahlströmen an Fressgier und Verteidigung. Sie hatten nicht wirklich Zeit, aus ihrer Intelligenz etwas zu machen, Kultur zu entwickeln. Aber das war von den Telvar auch nicht beabsichtigt. Ihnen ging es auch darum, dass sich die Zyrrtek anschließend gegenseitig auslöschten, um die eroberte Welt in Besitz nehmen zu können, auch wenn zwischen dem ersten Brutzyklus einer jungen Königin und der Inbesitznahme eines neuen Planeten oft Jahre vergingen. Wie erfolgreich diese Methode war... Du hast es gesehen, Han.“
„Ja“, erwiderte Arling tonlos. „Das habe ich.“
„Und mit dieser Methode gelang es den Telvar einige unliebsame Rivalen in der Region auszuradieren. Die Javaren selbst wurden ebenfalls beinahe ausgerottet. Es sah in dieser Zeit nicht so aus, als würden die Telvar auf ihre neue Erfolgsmethode verzichten, deshalb hatte der herkuleanische König Dionysos damals beschlossen, das Problem zu beseitigen, bevor sie selbst vernichtet wurden. Zyrrtek hielten damals nichts von pflanzlicher Kost oder von Industrieanlagen, was sehr praktisch für die Expansion der Telvar war. Übrigens auch der einzige Grund, warum es heutzutage Aufzeichnungen dieser Kämpfe gibt.“
„Verstehe“, erwiderte Arling mit kraftloser Stimme. Was hätte er auch sagen können? Das Wort Kämpfe für diese Vernichtungsfeldzüge hatte so viel Ironie in sich selbst, dass es ihm fast den Atem verschlug.

„Die Kämpfe der Ikarii gegen die Telvar verliefen anstrengend, um nicht zu sagen schwierig. Aber letztendlich waren sie erfolgreich. Jedoch konnte sich Versailles nicht dazu entschließen, eines oder beide Völker auszuradieren. Beim einen hätten die Zivilisten den Preis für Entscheidungen des Militärs bezahlt, beim anderen handelte es sich um missbrauchte Intelligenzen, die im Reigen der intelligenten Völker eine Zukunft hatten, wenn sie ihre Chance auf Entwicklung bekamen. Wenn sie aus der Sklaverei durch die Telvar befreit wurden. Ein Wagnis, sicherlich, aber eine Option, die es zu berücksichtigen galt.
Also wurden die Telvar aus ihren eroberten Gebieten verdrängt, deportiert und auf ihre Kernwelten zurück gebracht. Die anderen Welten nahmen die Ikarii ein. Viele Planeten an der Grenze des ehemals von Telvar und Zyrrtek eroberten Gebiets begrüßten diese Rettung in letzter Sekunde, und das wäre beinahe schon die Geburtsstunde Katalauns gewesen.“
Die Bilder wechselten und zeigten nun Verhandlungen mit Telvar sowie Befreiung aus Versuchslagernund Umsiedlung der Zyrrtek auf einige der entvölkerten Planeten. Tausende, Abertausende. Unendlich viele.
„Versailles war mehr als erfolgreich. Die Telvar zogen sich zurück und entsagten dem Krieg, bis Jemfeld in unserer Zeit zum Sturm auf das Kaiserreich rief und die Telvar als Mitglieder dieser Koalition ebenfalls wieder zur Waffe greifen mussten. Vielleicht sind sie auch die treibende Kraft hinter diesem Krieg, um sich an Katalaun zu rächen, aber das ist nicht meine Geschichte, sondern deine, Han. Den Insekten hingegen wurde, sozial und wissenschaftlich betreut, die Chance gegeben, funktionierende Staaten zu errichten und ihre Intelligenz zu kultivieren. Es war für viele sehr überraschend, dass das Königinnenprinzip für dieses Volk eine Ausnahme war, eine Art Notfallverfahren, das mit zunehmender Kultivierung und Versorgung einzelner Individuen an Wert verlor und irgendwann automatisch von den Zyrrtek eingestellt wurde. Man kann sagen, ohne die Drogen beruhigten sie sich wieder.
Doch zu diesem Zeitpunkt war noch nicht abzusehen, ob diese Wesen nicht irgendwann einmal wieder eine Gefahr bilden würden. Deshalb erteilte Dionysos Robert Versailles den Befehl, eine Mark zu erschaffen, ein Bollwerk, einen Satellitenstaat, der das Herculaneum schützen sollte. Versailles tat wie ihm befohlen worden war und gründete auf Sanssouci seine Dynastie. Etliche Planeten traten dem neuen Staat bei, viele weitere taten dies später mehr oder weniger freiwillig, und schon bald existierte ein effektiver Abwehrschild gegen Jemfeld und Zyrrtek, für den Tag der Tage.
Doch es blieb ruhig, und das Leben konnte sich ordnen. Große Industrien wurden errichtet, und viele erfahrene Gefolgsleute des ersten Kaisers erhielten hohe Positionen. So geschah es auch mit den Direktoren der Magno-Stahl.
Dies war aber auch der Beginn des Dilemmas. Seither haben sich die Führer Katalauns immer darum gestritten, wie sie ihre Aufgabe als Bollwerk erfüllen sollen. Während die Gemäßigten wie Robert den Frieden halten wollten, solange er nicht von Jemfeld oder Zyrrtek gebrochen wurde, gab es eine Fraktion, die darauf dränge, dass die erste Tätigkeit der Missionierung, also der sozialen Umgestaltung der Zyrrtek und der Unterwerfung der Telvar nun auch noch eine Umstellung auf herkuleanische Werte erfolgen musste. Die Missionierung beider losen Bündnisse wurde zur fixen Idee. Und natürlich gab es auch die radikalen Fraktionen, die entweder das ganze Problem an der Wurzel packen und ausreißen wollte, oder zumindest darauf bestand, die Welten Jemfelds und Zyrrteks im Atomfeuer vergehen zu lassen, sobald die Anzahl ihrer Planeten oder ihre Bevölkerung ein bestimmtes Maß überschritten, um sie wieder etwas zu dezimieren.
Du kannst dir denken, welcher dieser Philosophien sich die Direktoren der Magno-Stahl verpflichtet fühlten.“
Arling griff sich an die Stirn. Zu viele Fakten, zu viel Wissen. Zu viel Verantwortung.
„Und du kannst dir denken, was mit Jemfeld und Zyrrtek passieren wird, wenn an den Grenzen zu den Diadochen und zu Yura-Maynhaus stabiler Friede herrscht, und irgendjemand feststellt, dass Katalaun Ausgleich für die im Krieg verlorenen Welten braucht.“
„Bitte immer nur eine Horrorvision zur gleichen Zeit“, stöhnte Arling gequält.
„Und? Kannst du gegen diese Menschen in den Krieg ziehen, Johann?“, fragte Toral und musterte ihn gespannt.
„Krieg?“ Arling sah die Admirälin und Königin erstaunt an. Dann aber nickte er. „Du hast wohl Recht, Jenna. Es ist ein Krieg. Ein Krieg der Philosophien, und ich vertrete im Moment wohl die Philosophie, die Jemfelder und Zyrrtek nicht auszurotten.“
„Es wird schwer, dieser Philosophie treu zu bleiben, wenn sich die Menschen daran erinnern, dass die Insekten zuerst angegriffen haben“, wandte die Nymphe ein.
„Wer mag es schon leicht?“, murmelte Arling als Antwort. Er verstand nun vieles besser. Die Motivation der religiösen Fanatiker, die Reichsgründung, die geradezu ergebene Freundschaft der Javaren dem Kaiserreich gegenüber und den Konflikt, der unter jenen im Kaiserreich schwelte, die wussten, was in den Tiefen des Ozeans der Zeit eigentlich verborgen war. Es ging nicht mehr um den Kaiserthron, nicht mehr um Religion, sondern darum, dieser seiner Generation in Katalaun den unglaublichsten Genozid aller Zeiten zu ersparen – und damit das Eingreifen terranischer Flotten, was mit der Zerschlagung des Reichs einher gegangen wäre. Und dieser Schlag würde kommen. Bereits vor dem Aufstand der Herzen, vor Frederecs Absetzung, waren die terranischen Friedensflotten nur noch wenige Lichtjahre von Katalaun entfernt gewesen und hätten jederzeit zuschlagen können. Und sie wären damit im Recht gewesen.
Johann betrachtete seine zitternden Hände. Und er begriff eines: Nun musste er auch noch jene Völker beschützen, welche Katalaun angegriffen hatten, oder ihre absolute Vernichtung akzeptieren.
„Bring mich zurück, Nyhartes“, sagte er fest und schloss die Rechte zur Faust. „Es wird Zeit, dass Robert wieder auf seinen Thron kommt.“
Toral klopfte ihm burschikos auf die Schulter. „Oder du, Junge. Was meinst du, Mutter, Katalaun könnte einen schlechteren Kaiser bekommen, oder?“
Nyhartes lachte als Antwort. Sie ergriff die Hände der beiden. „Ich bringe uns jetzt zurück.“
Während die Welt verschwand begriff Johann Arling, dass er nicht nur aus dem Holokubus nach Hephaistos zurück gebracht wurde, sondern auch an einen vollkommen neuen Ort gelangte. Einen Ort an dem das Wissen um die Vergangenheit ebenso schwer auf seinen Schultern lastete wie die Verantwortung für die Zukunft. Es wurde wirklich Zeit, dass Robert endlich wieder auf den Thron stieg.

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Für den Kaiser!

Episode vier: Pro Populus

Prolog:
Als die Frau in den weiten Arbeitssaal geführt wurde, hatte sie durch den Hall ihrer Schritte vielleicht eine vage Ahnung, wie groß er war, und aus welchem Material der Boden bestand. Sie konnte die Temperatur abschätzen und am sterilen Geruch ahnen, dass er nur selten oder von wenigen Menschen genutzt, aber erstklassig gepflegt wurde. Aufgrund der Augenbinde konnte sie nicht sehen, wer sie hier erwartete. Und ihre schwer bewaffneten Wachen, es mochten dreißig oder mehr sein, waren nicht in der Laune, ihr irgend etwas zu sagen.
Dass sie nicht gerade zu Freunden gebracht wurde, konnte sie alleine an ihren Hand- und Fußfesseln feststellen. Deutlicher konnte man ihr nicht sagen, wie hoch sie beim Eigentümer dieses Saals im Kurs stand.
Beinahe hätte sie in einem Anflug von Ironie gelächelt. Vor gefühlten dreißig Stunden hatte sie noch Johann Armin von Arling verabschiedet, seiner Evakuierungsflotte hinterher gesehen und inständig gehofft, dass der Europa-Pakt künftig vom Chaos des charismatischen Militärs und neuen Herzogs von B-King verschont bleiben würde. Dann hatte sie sich auf ihre neue Aufgabe gestürzt, die sicherlich kein Abenteuer war, sondern nervenaufreibende, mosaikähnlich zerstückelte Arbeit, die ihr die Kraft und jeden Nerv raubte. Königin zu sein war wirklich kein Job, den sie sich freiwillig ausgesucht hätte.
Aber anscheinend hatte jemand entschieden, dass ihr ein Abenteuer, ein letztes Abenteuer zustand. Der sie von ihrer neuen Thronwelt Vesuv hatte entführen lassen. Der sie binnen vierundzwanzig Stunden hatte vor sich bringen lassen. Sie rechnete diese Parameter nach und kam zum Schluss, dass sie sich bei dieser extrem kurzen Flugzeit im Indochina-System befinden musste, entweder auf der Sauerstoffwelt Siam oder einer ihrer atmosphärelosen planetaren Schwestern. VC hatte als Gasriese neununddreißig Monde, und Saigon war als größter Mond direkt an der Schwerkraftsenke eine gern genutzte Zwischenstation und damit ein möglicher Kandidat für das Ziel ihrer Entführung.
Natürlich gab es auch die Möglichkeit, dass sie nach Herne, Trial oder Kronsberg geschafft worden war, Systeme mit untergeordneter Bedeutung, weil sie keine Sauerstoffwelten oder gar gleich keine Planeten besaßen. Diese Systeme mochten ein gutes Versteck sein, aber sie bezweifelte, dass ihr derzeitiger Aufenthaltsort etwas anderes als eine offizielle Residenz war. Wer immer sie hatte entführen lassen hatte große Macht, und er fühlte sich sicher genug, um sie nicht einfach nur töten zu lassen, sondern sich seine Trophäe auch noch anzusehen.

Sie wurde in den Saal geführt. Zehn Schritte. Zwanzig Schritte. Bei fünfzig zählte sie nur noch unterbewusst mit, und nach gut dreihundert Schritten hatte sie die vage Gewissheit, schon einmal in diesem Raum gewesen zu sein. Sie ahnte, wohin man sie gebracht hatte. Ein dünnes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel.
„Noch so gut aufgelegt, Jenna Toral?“, klang eine Stimme auf, die von der frisch gebackenen Königin mühelos identifiziert wurde.
„Arbeitsminister Roddek. Sie betreiben einen großen Aufwand dafür, um mit mir zu reden.“
Der Angesprochene schnaubte amüsiert, und mit einem Ruck wurde die Augenbinde entfernt, die Jenna zuvor in die Dämmerung gezwungen hatte. Grelles Tageslicht schien durch die riesigen Ostfenster in den Saal, und die ehemalige Admirälin sah sich betätigt. Sie befand sich im Roddek-Anwesen, einem ehemaligen Fürstenhof aus der Zeit des Herkuleanums. Mittlerweile waren die Roddeks von Herzogen zu Politikern geworden, aber ihre Ländereien, ihre Vermögen und ihre weit reichenden Beziehungen hatten sie nie aufgegeben.
Der Mann vor ihr war Jason Roddek, der, hätte es den Adelsstand im Europa-Pakt noch gegeben, der elfte Herzog von Siam gewesen wäre.
Jenna Toral blinzelte ein paarmal, um sich an die ungewohnte Helligkeit zu gewöhnen. Dann sah sie Jason genauer an. „Verdammt, alter Junge, was machst du nur für einen Mist.“
„Du bist nicht in der Position, um dich zu beschweren, Jenna“, raunte der alte Mann ärgerlich. Er machte eine alles umfassende Bewegung, als wolle er das gesamte herkuleanische Reich umfassen. „Im Gegenteil. Du hast mich und viele andere sehr wütend gemacht. Du hast die Demokratie zerstört, die wir langwierig errichtet und mit Mühe erhalten haben. Du hast dich versündigt, an uns, an unserem Volk, an unserer Geschichte!“
„Du meinst, ich habe verhindern geholfen, dass der Europa-Pakt im Ausverkauf an Yura-Maynhaus verschachert wird“, erwiderte sie mit Spott in der Stimme.
Jason Roddek gab der Wache links von Jenna ein Zeichen. Daraufhin landete der Kolben seines Repetier-Lasers auf ihrem Bauch.
„Nicht so fest“, schimpfte sie und krümmte sich vor Schmerzen.
Unter dem Visier des Kampfhelms zeichnete sich keine Reaktion auf ihre Beschwerde ab.
„Ich denke, das sollte dir gezeigt haben, wer hier das sagen hat“, schloss Jason und wandte sich von ihr ab. Sein Blick ging durch das Westfenster zum beginnenden Sonnenuntergang. „Du hast keine Ahnung, absolut keine Ahnung! Du weißt nicht was du angerichtet hast, und ich kann dich nicht einmal tadeln. Ich kann dich dafür nur bestrafen, Jenna.“
„Was ich getan habe? Was habt ihr, der Kongress, beinahe getan? Vesuv verschenkt, unsere wichtigste Industriewelt? Oh, ich bitte dich, etwas dümmeres kann man doch gar nicht machen! Und dann auch noch katalaunische Zivilisten zu benutzen, um eine Intervention durch Yura-Maynhaus herbeizuzwingen...“
Jason Roddek warf ihr einen wütenden Seitenblick zu, und ihr linker Wächter stieß erneut mit dem Kolben zu.
Wieder ächzte die ehemalige Admirälin und jetzige Königin des Städterats auf und krümmte sich für einen Moment vor Schmerz. „Das merke ich mir, versprochen“, zischte sie.
„Du dummes Mädchen! Weißt du überhaupt wie es im Europa-Pakt gerade aussieht? Hast du von deinem ganz persönlichen Olymp, deinem Flaggschiff, irgendetwas von den Problemen mitbekommen, die auf uns eingeprasselt sind? Hast du auch nur den Hauch einer Ahnung, mit welchen Schwierigkeiten wir zu kämpfen hatten? Nein, du hast ja deine Admiralssterne poliert! Du hattest dein persönliches Rückzugsgebiet, deine persönliche Leibwache! Du hast lieber an der HERCULES rum werkeln lassen, um das Schiff vielleicht irgendwann einmal funktionsfähig zu bekommen!“
„Nun, es fliegt gerade, oder?“
„Und dankenswerterweise fliegt es nicht für Europa, denn die Unterhaltungskosten eines aktiven Schlachtkreuzers der Nemesis-Klasse hätte unseren Untergang nur noch beschleunigt! Beinahe muss man Arling dafür dankbar sein, dass er dieses Steuernfressende Ungeheuer nach Katalaun schafft! Hoffentlich geben sie uns diesen Riesen niemals wieder!“
„Hast du mich deshalb entführen lassen? Aus dem Stabiae-System geschmuggelt? Um mir Vorwürfe zu machen?“
„Nein, habe ich nicht.“ Roddek wandte sich ihr wieder zu. „Ich habe dich entführen lassen, um dich vor ein Gericht zu stellen. Leider ist dies nicht länger möglich, darum werde ich dich den anderen Regierungsmitgliedern übergeben, sobald es mir möglich ist. Sollen sie entscheiden was aus dir wird. Und mit ein wenig Glück fällt diese Farce in sich zusammen, wenn du nicht mehr da bist, diese Revolution, und auch diese... unsägliche Wiederbelebung der herkuleanischen Monarchie.“
Der alte Mann rieb sich die Schläfen. „Aber wir kennen uns zu lange, deshalb habe ich davon Abstand genommen, dich einfach zu töten. Ich dachte, ich schulde dir zumindest zuvor eine Erklärung. Ich dachte, einmal in deinem Leben könntest du so etwas wie Einsicht zeigen. Etwas erwachsene Reife. Ich... Ich habe wirklich gehofft, du könntest mit der Zeit weiser geworden sein. Reifer, nicht störrischer.“
„Nun, das war eine schöne Rede, Jason. Ich gebe zu, es interessiert mich, was du zu sagen hast. Und da ich gerade nichts besseres vor habe, höre ich gerne zu. Erkläre mir, warum der Pakt beinahe ein Protektorat von Yura-Maynhaus geworden wäre. Erkläre mir, warum unser Verbündeter so weit gegangen ist, um mit einer Schlachtflotte, der Large Fleet, in unser Raumgebiet einzufallen. Erkläre mir, dass du nicht wahnsinnig bist. Du und die anderen Minister.“
„Ich sehe mit Erstaunen, dass du erschreckend einsichtig bist, Jenna.“ Wieder strich sich Roddek über die Schläfen, und dann über das angegraute Haupthaar. Tiefe Sorgenfalten hatten sich auf seiner Stirn eingegraben, und unregelmäßige Mahlzeiten hatten tiefe Furchen in seinem Gesicht hinterlassen. Auf eine herbe Art machte ihn das attraktiv. Aber Jenna mochte keine Worcaholics.

„Wie du weißt, sollten wir eigentlich einer der reichsten Diadochenstaaten sein. Wir haben Vesuv, Napoli, Gallipolli, Istjanbul und Greenwich. Fünf von achtzehn der größten Industriewelten des ehemaligen Herculeanums. Es sollte uns eigentlich gut gehen.“
„Davon gehe ich aus. Wir sind eine der produktivsten Nationen der Diadochen. Unsere Außenhandelswerte sind neunzig Prozent höher als beispielsweise die der Nisos Elektron. Und das bei einer um fünfundvierzig Prozent geringeren Wirtschaftskapazität. Wir sind Außenhandelsregionalmeister.“
Ein freudloses Lachen war zu hören. „Und, bist du darauf auch noch stolz?“
„Ist das kein Grund, stolz zu sein?“
Der Minister schnaubte frustriert. „Nein, denn das ist der Grund für unseren Untergang. Um es kurz zu machen, wir wurden ordentlich über den Kamm barbiert, wie man zu sagen pflegt. Weißt du, wohin ein Großteil unseres Außenhandels in den letzten Jahren ging?“
„Knapp siebzehn Prozent in andere Diadochenstaaten, dreiundvierzig nach Katalaun, zweiunddreißig nach Yura-Maynhaus, und der Rest ziemlich willkürlich in der Galaxis verteilt. So war es zumindest vor dem Krieg.“

Jason Roddek begann auf und ab zu gehen. „Richtig, das war die Situation vor dem Krieg. Aber was danach kommen würde konnten wir nicht ahnen. Mit einem Schlag hat der Städterat beschlossen, wir müssten uns am Krieg beteiligen, den Yura-Maynhaus mit Katalaun geplant hatte. In Dutzenden Geheimverhandlungen wurde alles genau festgelegt. Welche Nation leistet welche Unterstützung, was ist mit den wegfallenden Außenhandelskontingenten, wie viele Einheiten bietet der Städterat auf, wie viele die einzelnen Nationen, und so weiter. Das Ergebnis war, dass die dreiundvierzig Prozent Export für Katalaun fortan von Yura-Maynhaus aufgekauft wurden. Natürlich zu starken Ermäßigungen, um die Belastung für den Staatshaushalt unseres Verbündeten gering zu halten. Viele Privatfirmen beteiligten sich an diesem Aufkauf, um die gewaltige Materialmenge zu bewältigen, die nicht mehr ins Kaiserreich fließen konnte. Wir waren dankbar dafür, denn dadurch konnten wir der Rezession entgehen, die uns unweigerlich getroffen hätte, wenn ein Drittel unserer Wirtschaft nichts mehr verkaufen kann. Und wir waren auch mit den Rabatten einverstanden, denn achtzig Pfennig statt einer Mark waren immer noch besser als gar kein Einkommen. Allerdings haben wir alle eines nicht bedacht: das wir von vorne herein ein Ziel für die Republik waren, und das sie vollkommen unmilitärische Mittel und Wege gefunden hatten, um uns in die Knie zu zwingen.“
„Was ist passiert? Haben sie plötzlich zuviel eingekauft?“, spottete Jenna Toral.
„Ja, genau. Das ist passiert. Sie kauften nicht nur die dreiundvierzig Prozent unseres Außenhandelskontingent auf, sondern erhöhten binnen eines Jahres ihren Bedarf um fünf Prozent. Yura-Maynhaus ist noch um ein Drittel größer als Katalaun, und die freie Wirtschaft macht ihre Firmen sehr flexibel. Sie hatten kaum oder wenige Probleme damit, langjährigen Lieferanten den Rücken zu zu kehren, um stattdessen die rabattierten Ressourcen und Waren aus Europa zu beziehen. Ja, du hast richtig gehört. Natürlich wollten sie für ihre neuen Bestellungen den gleichen Rabatt haben, und leider waren wir vertraglich dazu gezwungen, auch zu liefern. Wir waren zwar so schlau gewesen ein Mindestkontingent an Warenvolumen in den Kriegsvertrag einzubringen, aber leider haben wir nicht an eine Obergrenze gedacht. Und so begann Yura-Maynhaus mit Hilfe einiger privater Großfirmen, unser Land nach und nach auszusaugen. Wir waren nahe daran, drauf zu zahlen, uns zu Tode zu produzieren. Wir waren gezwungen, wirtschaftlicher zu arbeiten, schneller, effektiver, und das für weniger Geld. Trotzdem hätten wir es geschafft, Übergangskredite aus Nisos und der Kommunalität hätten uns über das Gröbste hinweg geholfen, aber leider neigt der Mensch dazu, den leichten Weg zu suchen.“
Jenna Toral begriff. „Die Zwangsarbeiter.“
„Die Zwangsarbeiter. Unser größter und schwerwiegenster Fehler. Arbeiter, die für Nahrung, Unterkunft und Kleidung arbeiten sollten, ohne Lohnkosten, mit minimalem medizinischem Aufwand, genug um einen ganzen Industriezweig aufrecht zu erhalten. Für viele von uns war es wie ein Geschenk der Götter vorgekommen.“
„Aber ein altes Sprichwort sagt ja: Hüte dich vor den Demokraten, wenn sie mit Geschenken kommen“, wandte Jenna Toral ein. In ihrer Stimme lag all der Ärger, den sie empfunden hatte, seit sie selbst über den Themenkomplex Hephaistos und die dortige Bevölkerung informiert worden war. Das war moderne Sklaverei gewesen, nichts weiter. Und damals hatte sie sich schwer getan, etwas dagegen zu unternehmen, außer vielleicht einer diskreten Information an den katalaunischen Geheimdienst, über ein paar langwierige Umwege natürlich.
„Wir haben uns sicher gefühlt“, erwiderte Roddek. „Immerhin wurden uns mit Willowby und seinen Freunden willige Verräter geliefert, die mehr als bereit waren, im Notfall in unserem Sinne zu agieren und ihren eigenen Kaiser ans Messer zu liefern. Was sie ja auch sehr erfolgreich wieder und wieder getan haben. Nur konnte niemand ahnen, dass erstens wirklich eine katalaunische Flotte den Versuch machen würde, ihre verschwundenen Leute zu finden, zweitens diese Flotte von einem Offizier angeführt werden würde, der trotz der internationalen Presse an Bord seines Schiffs und trotz der offenen Vorwürfe gegen den Kaiser und die katalaunische Regierung Hephaistos nehmen würde, und drittens die vermeintlich billigen Arbeiter im Endeffekt nichts weiter waren, als der Versuch der Republik, den Ruf des Europa-Pakts so nachhaltig zu zerstören, dass selbst eine gewaltsame Übernahme von Stabiae und Vesuv sogar internationale Zustimmung finden würde.
Als Arling in die Welt posaunte was er da entdeckt hatte, platzten natürlich erstmal die Kredite mit den anderen diadochischen Großstaaten. Er hatte noch keinen Fuß in die Diadochen gesetzt und schon fast in den Ruin getrieben. Als er es dann tatsächlich nicht nur bis nach Vesuv geschafft, sondern auch noch die Wahrheit an diesem rückgratlosen Ja-Sager Willowby vorbei zu enthüllen, sah sich auch offiziell Yura-Maynhaus genötigt, alle Warenbestellungen aus Europa zu stornieren. Übergangslos waren wir bankrott. Mehr als das, wir saßen plötzlich auf einem Schuldenberg, der nicht mehr zu bewältigen war. Die Inflation drohte zu steigen, Staatsbedienstete konnten nicht mehr bezahlt werden, und wir standen vor dem Problem, überhaupt erst einmal die Grundversorgung unserer Bevölkerung zu sichern. Ein Umstand, der im Städterat sicherlich für Aufsehen gesorgt hätte, wenn nicht gar zur Zerschlagung des Pakts und die Aufteilung auf die umliegenden Diadochenreiche.“
Ernst und mürrisch setzte Roddek seine Wanderung fort. „Weißt du was mit einer Armee oder einer Flotte passiert, die nicht bezahlt wird? Ich sage es dir, sie wird unberechenbar! Weißt du was mit einem Arbeiter geschieht, der Brot nicht mehr bezahlen kann, weil es plötzlich dreißigmal so teuer ist wie am Vortag? Er steht vor dem Hungertod! Und weißt du wer an diesem Dilemma Schuld war?“
„Der Städterat?“
„Yura-Maynhaus!“, korrigierte er ärgerlich. „Okay, wir sind ihnen in die Falle getappt, aber sie haben sie gelegt! Ein grandioses Beispiel für eine unblutige Eroberung. Unblutig wäre es gewesen, wenn sich Arling nicht dazu entschlossen hätte, Vesuv zu verteidigen. Jedenfalls sahen wir uns vor die Wahl gestellt, entweder von wütenden Hungermobs gelyncht zu werden, dem Ausverkauf unserer Welten zu zu schauen oder ein Angebot anzunehmen, das uns aus der Republik erreichte.“
„Lass mich raten. Der Europa-Pakt dürfte in seiner bisherigen Form weiter existieren, allerdings als Teil von Yura-Maynhaus. Die Stornierungen wären aufgehoben worden, allerdings nicht die Rabatte. Ihr hättet den Pakt mühsam über Wasser halten können. Und all das für den geringen Preis, Vesuv fortan zentral von der Republik regieren zu lassen. Denn das und nichts anderes war der Auftrag der Large Fleet: Die Hand auf die wichtigste Industriewelt des ganzen Sektors zu legen.“
„Wir wären immerhin ein selbstständiges System innerhalb einer aufstrebenden Demokratie geblieben“, erwiderte Roddek bissig. „Und wir hätten mit unseren mündigen Bürgerstimmen unsere Situation nach und nach verändern können.
Aber was haben wir jetzt? Wir sind besetzt! Besetzt vom Städterat, besetzt von den Heraklischen Garden, und prompt führt irgendein Idiot die Monarchie wieder ein, die wir endlich und nach langer Zeit abgeschüttelt hatten!“ Wütend ballte der alte Mann die Hände zu Fäusten. „Wir wären wenigstens eine Demokratie geblieben.“
„Was du eigentlich sagen willst ist, ihr wärt an der Macht geblieben, weil keine herkuleanischen Garden mit den Fingern auf euch gezeigt hätten, um den Leuten zu erklären, das der Kongress am ganzen Dilemma Schuld ist“, konterte Toral eiskalt.
Wütend sah Roddek zu ihr herüber und wollte schon das Zeichen an die Wache geben, ihr wieder den Kolben seiner Waffe schmecken zu lassen, aber dann sah er resigniert fort.
„Wir werden wieder an der Macht sein. Du bist die Symbolfigur der neuen Zeit, die neue Königin des wiederentstandenen Herkuleanums, und mir deinem Verschwinden wird auch die Monarchie wieder verschwinden. Die fragile Ordnung, die nur existiert, weil der Tyrann und Fürst Rensky mit dir eine Marionette für ein Repräsentantenamt geschaffen haben, wird sich selbst aufzehren. Wir werden eine Zeitlang Anarchie im Pakt haben, es wird unruhig und bewegt, aber wir werden die Lage schon wieder stabilisieren. Wahrscheinlich werden wir einige Systeme verlieren, an Diadochenstaaten, an die Republik, aber der Pakt wird weiter bestehen. Wir werden weiter bestehen. Und dann werden die Leute jene zu schätzen wissen, die sie heute schmähen, die sie aber sicher durch die unruhige Zeit gebracht haben. Uns. Die alteingesessenen Politikerfamilien.“
„Das ist es also. Ihr klammert euch immer noch an die Macht. Zuerst hat ihr euch der Republik an die Brust geworfen, ihren wahnwitzigen Plan mit den Zwangsarbeitern übernommen und euch erst Recht in die Abhängigkeit begeben, und jetzt gedenkt ihr den Pakt ins Chaos zu stürzen, es auszusitzen und die Reste danach wieder aufzuklauben. Wahrscheinlich spukt in dem einen oder anderen Kopf auch schon ein Plan, um mein Verschwinden der Nisos Elektron oder Argos oder wer weiß wem in die Schuhe zu schieben und damit weitere Unruhe zu schüren. Weißt du eigentlich, wie viele Leben du damit zerstören wirst, Jason? Wie viele Leben dieser Plan kosten kann?“
„Und wenn schon!“, blaffte der Minister für Arbeit. „Hier geht es um größeres! Um unsere Demokratie! Um unsere Grenzen! Um das Selbstverständnis der herrschenden Elite! Ja, Elite!“ Dinge, die zu gewaltig sind, als das ein kleiner Arbeiter sie verstehen würde!“

Langsam schüttelte Jenna Toral den Kopf. „Oh, ich habe gewusst, dass ihr Minister im Kongress eure Ämter als Selbstverständlichkeit hinnehmt, aber ich hatte immer die Hoffnung, ihr würdet zumindest ansatzweise im Interesse der Menschen handeln. Wahrscheinlich war ich zu blind die Zeichen zu erkennen, als auf Vesuv die internationalen Medien zensiert wurden. Wahrscheinlich wollte ich einfach nicht sehen, wie mein geliebter Europa-Pakt zur Diktatur ausuferte.“ Sie seufzte schwer. „Ich kann nicht zulassen, dass ihr wieder an die Macht kommt. Ich kann nicht zulassen, dass der Plan von aufrechten Männern wie Rensky und Theseus zunichte gemacht wird, der unser Volk aus diesem Schlamassel befreien wird.“
„Und was genau willst du tun, Jenna Toral? Glaubst du, du musst nur befehlen, und alle Welt kniet vor dir? Glaubst du wirklich, dein Rang als Prinzessin des ehemaligen Herkuleanums, dein jetziger Schein-Rang als Königin des Städterats, ist irgend etwas wert, oder würde irgendjemandem auch nur die geringste Mühe wert sein? Du bist in meiner Hand! Und da wirst du bleiben, für den Rest deines Lebens! Andere aber werden entscheiden, wie lange dieses Leben noch dauern darf!“, blaffte Roddek aufgebracht. „Meine Elite-Truppen haben dich mit Leichtigkeit von Vesuv geholt und hierher gebracht! Nichts konnte dich beschützen! Niemand konnte sie aufhalten! Auch diese hoch gepriesenen Phillippii und Perseii, diese zu Söldnern verkommenen Moralapostel der herkuleanischen Dämmerung haben dir nicht helfen können!“
Wütend starrte er Jenna Toral an. Aber die Wut hielt nicht lange vor. Er senkte den Blick. „Habe keine Angst. Ich werde zumindest dafür sorgen, dass man dich schnell und ohne Schmerzen tötet, das verspreche ich dir, der alten Zeiten wegen.“
Toral schürzte verächtlich die Lippen. „Und ich verspreche dir, dass du ein faires Verfahren erhältst, Jason. Der alten Zeiten wegen.“
„Dies ist sicherlich nicht der richtige Zeitpunkt für dich, um in Wunschträume zu verfallen und der Realität zu entfliehen, Jenna!“, zischte Roddek genervt.
„Wunschträume?“ Die Königin des Pakts wölbte die Augenbrauen. „Ich verfalle niemals in Wunschträume.“

Sie richtete sich so gerade auf wie die Fesseln es zuließen. Dann sagte sie mit fester Stimme: „Wer ist bereit vor mir, Jenna Toral, Königin des Neuen Herculeanums, zu knien, und mir Respekt zu erweisen?“
Über Minister Roddeks Gesicht huschte amüsierte Überraschung. Zumindest bis zu dem Punkt, an dem die dreißig Söldner, die Toral im Gewahrsam hatten, tatsächlich auf die Knie sanken. Nur der Begleiter zu ihrer linken blieb aufrecht stehen.
„Was wird hier gespielt?“, fragte Roddek mit dünner Stimme.
„Na was wohl?“, rief der Begleiter Torals und schob das Visier des Kampfhelms hoch. „Sie haben uns herkuleanische Garden hoffnungslos unterschätzt und ihre Elitetruppen überschätzt!“
Jenna Toral lächelte dünn und deutete auf ihre Begleiterin. „Jason, darf ich dir Admiral Bekatorou von den Phillippi vorstellen? Es waren ihre Leute, die dein Kommando hoch genommen haben. Und es war ihre Idee, die Gelegenheit zu nutzen, um dich aus dem Nähkästchen plaudern zu lassen.“
Der Politiker erbleichte sichtlich. „Ihr kommt hier nie wieder lebend raus“, hauchte er.
„Oh, sag das nicht. Natürlich bin ich nicht nur mit diesen dreißig Phillippii nach Siam gekommen. Es sind... Ein paar mehr. Sagen wir ein paar tausend mit ein, zwei Flotten Schiffen aller Klassen.“
„Und im Namen der herculeanischen Dynastie nehmen wir Sie fest, Minister Roddek. Die Anklage lautet auf Verrat, Landesverrat, Verrat am Herculeanum, Majestätsverrat, Menschenhandel und Korruption!“ Bekatorou nickte ihren Untergebenen zu. „Festnehmen!“
Die zehn vordersten Phillippii sprangen auf und liefen auf den Minister zu. Er leistete keine Gegenwehr.
Etwa zeitgleich flogen die Seitentüren des Saals auf und ließen weitere Phillippii in Kampfrüstungen in den Saal.
„Sie hätten nicht so fest zuschlagen brauchen, Bekatorou“, murrte Toral in Richtung der Söldnerin.
„Ph. Eine Frau wie Sie steckt so was doch weg, Majestät. Außerdem war es ja für einen guten Zweck, oder?“
„Zugegeben“, erwiderte Jenna Toral. „Zugegeben. Und außerdem weiß ich jetzt endlich, wer unser wirklicher Feind ist: Die Republik Yura-Maynhaus!“

1.
03.07.2613
Kaiserreich Katalaun
Montillon-System, vierter Planet Sanssouci
Planetare Hauptstadt Neu-Berlin
Kaiserlicher Palast

Der neue Tag war schon ein paar Stunden alt, und in der Millionenmetropole Neu-Berlin herrschte tiefste Nacht. Es war eine jener wenigen Zeiten, in denen die Aktivitäten in der Hauptstadt auf eine Art Minimum herab gefahren waren. Ganz zur Ruhe kam die Stadt ohnehin nie.
Auch die Kaiserin, noch ungekrönt und vom Parlament unbestätigt, schlief zu dieser Zeit nicht. Sie war zwar nur eine Marionette der konservativen Gefolgsleute ihres Vaters, aber das hinderte sie nicht daran, dennoch ihren Job zu tun. Und der war im Moment gewaltig, denn der Streich ihres Cousins Johann im Stabiae-System war dazu angetan, die ganze Galaxis in Aufruhr zu versetzen. Wobei Cousin nur die umgangssprachliche Form für ihr Verhältnis war. Er war eher ihr Urgroßonkel, wenn man es genau nahm. Aber das waren Abschweifungen ihrer Gedanken, die sie auf die allmählich einsetzende Müdigkeit schob.
Ärgerlich schüttelte sie den Kopf, griff nach dem Irima-Salz, um ihren mittlerweile kalten Tee noch mal auf Trinkbarkeit zu bringen.
Die Berichte, die aus dem Pakt bis zu ihnen gelangt waren, hatten die Eigenschaft einer Lawine. Alles was in ihren Erfassungsbereich kam, wurde ohne Gnade mitgerissen und niedergewalzt. Die wichtigsten und zweifellos korrektesten Daten verdankte sie der internationalen Presse. Die hiesigen Fernsehsender verhielten sich in dieser Angelegenheit bestenfalls neutral, wenn sie den Konservativen nicht gleich ganz hörig waren. Dazu kamen zwei, drei Piratensender, von mutigen Journalisten ins Leben gerufen und im Untergrund geführt, um den Menschen die Wahrheit zu sagen. Oder zumindest das, was sie dafür hielten, nachdem sie Opfer von Repressalien geworden waren oder zu werden drohten. Alles in allem hatten ihre Landsleute von der freien Presse ein gutes Arrangement mit den neuen Herrschern Katalauns gefunden, und nur wenige hielten das Banner der Rechtschaffenheit hoch. Vielleicht heulten die meisten auch nur mit den Wölfen und warteten auf ihre Gelegenheit um zu zeigen, dass sie keine braven Schoßhunde waren, vielleicht hielten sie auch still, weil ihre Kaiserin in der Hand der Konservativen war und sie ihr Leben nicht gefährden wollten – aber das war dann doch eher Wunschdenken ihrerseits. Wenn sie nämlich ehrlich zu sich selbst war, dann betrachteten die meisten sie nur als Anziehpuppe und bestenfalls das kleinere Übel.

Zwei kräftige Hände krallten sich in ihren Nacken und begannen, große kinetische Energie durch ihren Rücken zu jagen. Sie schrie kurz und unterdrückt, während die Schmerzen durch ihren Körper jagten. Jedoch nur für einen Moment, dann war der Widerstand ihrer verkrampften Muskeln durchbrochen und sie konnte die Massage durch Gerrit Rends kräftige Hände richtig genießen.
„Ich danke dir, Gerrit“, sagte sie mit einem Seufzer. „Das habe ich jetzt gebraucht. Du wirst mal für jemanden einen guten Ehemann abgeben.“
Gerrit Rend hustete unterdrückt und nahm die Hände wieder fort.
„Nein, das war keine Anspielung auf die Pläne der Kreuzbrüder, dich als Zuchthengst zu benutzen“, tadelte sie mit einem dünnen Lächeln. „Abgesehen davon werden sie diesen Plan fallen gelassen haben, nachdem du dich so energisch auf meine Seite gestellt hast, Hauptmann Rend.“
Er ließ ein amüsiertes Schnauben hören. „Ich wusste, dass sie mich enttarnen würden, wenn ich nicht nach ihren Regeln spiele. Aber ich konnte dich nicht alleine da oben lassen, Elise. Ich musste dir zur Seite springen. Charly ist ein guter Freund von mir, und ich hätte nicht mehr in den Spiegel sehen können, wenn ich mich einfach feige zurück gezogen oder gegen mein eigenes Gewissen gehandelt hätte.“
Elisabeth von Versailles verzog die Lippen zu einem Schmollmund. „Und?“
Gerrit unterdrückte ein Auflachen und gab der Prinzessin einen brüderlichen Kuss auf die Wange. „Und ich kann Max und Susu nicht mehr in die Augen sehen, wenn ich ihre Lieblingstante ohne Schutz in der Gefahr lasse. Außerdem bist du meine Lieblings-Versailles, und ich bin dein größter Fan.“
Ihre Rechte berührte seine Hand, die sich auf ihrer Schulter abstützte. „Danke dafür, Gerrit. Ich weiß nicht ob ich nicht schon längst verrückt geworden wäre, wenn du nicht da gewesen wärst. Vor allem nicht in letzter Zeit, in der meine Garde mehr und mehr durch Anasazis Leuten ersetzt wurde.“
„Keine Sorge“, brummte Gerrit Rend kalt und klopfte mit der Rechten gegen seine linke Brustseite. Unter der Jacke verbarg sich ein Holster, das eine Hochenergiewaffe beinhaltete. Er hatte schon einmal bewiesen, dass er es nicht nur verstand sie zu benutzen, sondern das er auch dazu bereit war zu töten. Mit Schaudern erinnerte sie sich an Direktor Maier vom Militärgeheimdienst, der versucht hatte, Robert von hinten zu erschießen. Gerrit hatte nicht einen Augenblick gezögert, den hohen Offizier zu töten. Nur eine Minute später hatte er einen Begleiter Miranda von Hohenfels´ erschossen, als dieser auf Robert angelegt hatte. Sie hatte keinerlei Zweifel, dass Gerrit für sie ebenso kalt und schnell zu töten bereit war. Seltsamerweise verschaffte ihr das einen gewissen Komfort, eine tiefere, eigene Sicherheit, quasi ein Rückzugsgebiet in ihrem ganz persönlichen Dilemma. Seine Unterstützung war ihr Schutzwall. Und wenn sie ehrlich war, wenn es wirklich zum Schlimmsten kam und sie gezwungen war... Nun, wenn sie nicht den Mut dazu aufbrachte Selbstmord zu begehen und sich auf diesem Weg Magic Miranda und den Kreuzbrüdern zu entziehen, dann wäre Gerrit Rend noch die beste Alternative. Bis zu welcher Konsequenz wusste sie selbst nicht zu sagen. Aber sie wusste, dass Charly ihr deshalb keine Vorwürfe machen würde, weil er sie liebte.
Rend hüstelte verlegen und sah zur Seite. „Elise, dein Gesicht ist ein offenes Buch.“
Elisabeth fühlte wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Sie räusperte sich vernehmlich und wandte sich wieder dem Holoprojektor zu, der in ihrem Arbeitstisch eingelassen war. „Entschuldige.“
„Schon gut. Kannst du mir einen Überblick geben? Ich habe die letzten zwei Stunden damit zugebracht, einen der neuen Leibwächter direkt zu überwachen. Da war meine Aufmerksamkeitsspanne nicht sehr groß.“
„Dies hier sind die Berichte über Han und seine Mission, die letzten vierundzwanzig Stunden betreffend. Die meisten davon sind so phantastisch, dass ich beinahe glaube, meine bisher so objektiven Quellen übertreiben maßlos. Dabei waren die internationalen Medien an Bord der RHEINLAND recht objektiv. Aber was ich hiervon halten soll, es ist unglaublich. Unsere Medien hingegen, sie ignorieren die Vorfälle weitestgehend. Und wenn sie dennoch drauf eingehen, dann wird Han als gefährlicher Kriegsverbrecher dargestellt.“
„Keine sehr objektive Berichterstattung. Han ist Soldat, zugegeben. Aber ich kann ihn mir schlecht als Schlächter vorstellen, der die eigenen Leute verheizt oder besiegte Feinde niedermetzelt.“
„Wie man es nimmt. Die Berichte sagen einstimmig aus, dass er mit der STONEWALL und der RHEINLAND einen sechsmal so großen Verband an Fregatten und Zerstörern aufhalten wollte und dabei die Vernichtung der RHEINLAND in Kauf nahm. Die heimischen Medien werfen ihm vor, nicht an Bord gewesen zu sein und seine Mannschaft geopfert zu haben. Ich gebe zu, es ist etwas schwierig daran zu glauben, dass es Wesen wie diese Nymphen gibt, und das sie in der Lage sein sollten, Menschen über mehrere Lichtminuten weit zu transportieren. Es ist auch etwas unglaubwürdig, dass Han daraufhin von den Nymphen ein Schlachtschiff der Nemesis-Klasse geschenkt bekommen haben soll. Nicht mal die terranische Flotte hat Schiffe dieser Größe zu bieten, und dieses Ding wurde so sang- und klanglos einem Kommodore Katalauns geschenkt? Wenn der Bericht nicht von Carrie Rodriguez persönlich verfasst worden wäre, würde ich ihn komplett ins Reich der Phantasie verschieben.“
„Han hat was? Sich eine Nemesis gekrallt? Was macht er als nächstes? Erobert er Yura-Maynhaus?“
„Bringe ihn bitte nicht auf dumme Gedanken“, mahnte Elisabeth gespielt. „Wenigstens haben wir nun mehrere tausend eidesstattlicher Zeugenaussagen unserer Leute aus Hephaistos, die Robert entlasten. Unsere Presse verbreitet das Wissen über diese Aussagen nur spärlich, geschweige denn die Aussagen selbst, aber für die internationalen Medien sind sie ein gefundenes Fressen. Es ist abzusehen, dass der internationale Druck auf meine Regierung entsprechend zunehmen wird. Man wird Untersuchungen fordern, wenn nicht gleich Roberts Wiedereinsetzung. Übrigens ist es gelungen, alle Katalauner von Vesuv zu evakuieren.“
„Hm. Und du denkst, das ist gut? Glaubst du nicht, wir könnten den Konservativen ungewollt in die Hände spielen?“
„Wie kommst du denn darauf?“, fragte Elisabeth erstaunt.
„Nun, wir haben ihnen ihr stärkstes Argument für Roberts Absetzung genommen, nämlich die Aussage, er hätte die zwei Millionen Bürger selbst verkauft. Da ist zwar immer noch ein Bombenanschlag auf ein paar hundert Kreuzbruderschaftler, der Robert zugeschrieben wird, aber eine ernsthafte Untersuchung würde die Wahrheit ans Licht bringen. Wenn wir ihre Pläne damit nicht fast beendet haben, warum reagieren sie nicht? Ist es nicht mehr nötig, weil sie ihre Ziele erreicht haben, oder sehen wir ihre Reaktion nur nicht? Bisher waren sie in solchen Dingen sehr flink.“
Elisabeth schnaubte frustriert. „Deshalb hasse ich regieren wie Schach. Da muss man auch fünf Züge im voraus planen.“
„Keine Sorge, Elise. Ich habe sogar zehn Züge voraus geplant. Und ich habe meine Finger überall und dazwischen meine Ohren.“ Gerrit lächelte gewinnend, was bei den tiefen Tränensäcken unter seinen Augen ein irgendwie komischer Anblick war. Wie viel, oder besser wie wenig hatte ihr selbst ernannter Leibwächter die letzten Tage am Stück geschlafen? Ihr schauderte bei diesem Gedanken.
Und sie war ihm sehr dankbar.
Gerrits Kommunikator piepte, und der junge Mann murmelte eine Entschuldigung, bevor er zur Seite trat. Als er ein paar Sekunden gelauscht hatte, sah er die Prinzessin in einer wilden Mischung aus Angst, Ekstase und Entschlossenheit an. „Signal Tora wurde ausgegeben. Es geht los.“
Elisabeth erhob sich mit einem Seufzer. „Da haben wir also unsere Reaktion der Kreuzbrüder. Kontermaßnahmen?“
„Laufen, Majestät.“
Ungeniert zog Elisabeth von Versailles das schwere Abendkleid aus, das sie bisher getragen hatte. Nur in Unterwäsche bekleidet ging sie zu ihrem begehbaren Kleiderschrank und zog aus einem Geheimfach eine Schleichuniform hervor. Ein zweites Päckchen landete zu Gerrit Rends Füßen, der sich gerade seines Anzugs entledigte. „Beeilen wir uns.“
„Euer Wunsch ist mir Befehl, Majestät“, scherzte Rend, und versuchte nicht zu oft zu Elise herüber zu schielen. Es gab Momente, da beneidete er Charly alleine aus körperlichen Gründen enorm.
***
Die Spezialeinheit arbeitete schnell und präzise. Auf einen Schlag wurden alle Anfahrtswege zum Gebäude dicht gemacht, zwei Knights flogen aus Seitenstraßen auf und bezogen Position im Luftraum. Mannschaftswagen preschten durch die wenigen Lücken in den Straßensperren und hielte vor den drei Zugängen an. Spezialisten in leichten Kampfrüstungen sprangen heraus und liefen auf das Haus zu, während andere ihnen Deckung gaben. Die Türschlösser wurden mit Überrangbefehl in wenigen Sekunden geknackt, dann raste eine Gruppe das Treppenhaus hoch, während die andere Gruppe den Fahrstuhl nahm und einen Überrangbefehl für eine bestimmte Wohnung erzwang: Die von Familie Rend.
***
Juri Andrejewitsch Popow war früher einmal Konteradmiral gewesen. Heute bekleidete er nur noch das Amt eines Kapitäns. Das war definitiv ein steiler Absturz, eine Erniedrigung die seinesgleichen suchte. Andere Soldaten in seiner Position hatten die Flotte oder die Armee in so einer Situation verlassen, anstatt diese Degradierung hinzunehmen. Sein Fall lag ein wenig anders, denn um die PRAG zu kommandieren brauchte es keinen Admiral, nur einen Kapitän. Und er hatte verdammt hart gekämpft, um einerseits die PRAG zu bekommen und sie andererseits zum Schutz von Frederec einsetzen zu können. Alle Männer und Frauen an Bord waren wie er, hatten den ehemaligen Kaiser ins Exil begleitet. Sie hatten dafür teilweise hohe Ränge aufgegeben, nur um einen niedrigeren Posten an Bord zu erhalten. Für manche war es die einzige Möglichkeit gewesen um in der Flotte zu bleiben, für andere der einzig ehrenvolle Weg um Buße tun zu können. Viele waren an Bord gegangen, weil sie Frederecs Weg noch immer für richtig hielten und ihn weiterhin unterstützen wollten. Alles in allem war es eine bunte Mischung an Persönlichkeiten und deren Motive, die sich hier an Bord eingefunden hatte und seit der Revolution der Herzen zusammen arbeitete. Die Jahre hatten der PRAG und ihrer Mannschaft gut getan. Sie waren zusammen gewachsen, hatten sich aufeinander eingespielt. Natürlich waren sie alle älter geworden, und nicht wenige dadurch auch weiser. Nach nur einem Jahr waren alle Forderungen nach einer Gegenrevolution verstummt. Nach einem weiteren Jahr war man übereingekommen, dass der junge Robert eine gute Arbeit als Kaiser leistete. Nach dem dritten Jahr hatten sich alle mehr oder weniger auf Greenday eingelebt, ihrer ruhigen, abgelegenen und kaum beschützten Agrarwelt, weitab von der nächsten Garnison, geschweige denn der nächsten Hauptwelt. Sie hatten Familien gegründet, waren mit der PRAG der unübersehbare Eckpfeiler der Verteidigung geworden und hatten eine unspektakuläre Zeit verlebt, die ihr ganz persönliches Glück geworden war.
Dann war geschehen, womit keiner gerechnet hatte: Die Konservativen, oder besser gesagt die religiösen Fanatiker hatten Frederec erneut aufgesucht, von großen Veränderungen gesprochen, gigantischen Umwälzungen, Plänen wahrhaft galaktischem Ausmaß, an deren Ende die Vernichtung der Alien-Rassen in Zyrrtek und Jemfeld stehen würde... Und die Übernahme ihrer verwaisten Sauerstoffwelten für menschliche Siedler.
Frederec hatte sie fortgeschickt, aber sie waren wieder gekommen, noch einmal, daraufhin erneut, und wieder, und wieder und wieder, bis der Krieg ausbrach. Bis Zyrrtek und Jemfeld die Grenzen überschritten hatten. Bis Katalaun ums Überleben kämpfte.
Nun kamen die Vertreter der Konservativen nicht mehr um Frederec zu überreden, sie kamen um zu fordern, zu verlangen, zu befehlen. Mehr und mehr wurde allen Beteiligten klar, wie verletzlich ihre abgelegene Position war, wie wenig Frederec von hier aus ins Tagesgeschäft in Katalaun eingreifen konnte. Alle an Bord merkten, dass ihr kleines planetares Glück so ungeheuer verletzlich war, so zerbrechlich, fragil, von einer unbedachten Handbewegung leicht zerstört. Und nach dem Attentat auf Elisabeth wussten sie, dass ihre eigenen Familien genauso in Gefahr waren wie Frederecs eigene Tochter.
Sie hatten B-King aufgesucht und Frederec hatte bei Gandolf von Beijing Rat gesucht. Er hatte ihn erhalten, hatte mit seiner Frau Selbstmord begangen, und der Crew der PRAG auferlegt, fortan seine Tochter zu beschützen. Stattdessen hatten sie General Kress dabei geholfen, Herzog Beijing zu töten. Es waren bewegte Zeiten gewesen, unruhige Zeiten. Gefährliche Zeiten.
Popow seufzte tief und lange. Aber dafür waren ihre Familien relativ sicher. So sicher sie sein mochten, solange sich die Konservativen zwar für den Schweren Kreuzer PRAG interessierten, aber nicht für Greenday. Abgesehen davon waren sie Elisabeths mächtigstes Werkzeug, das sie unter der Fuchtel der Religiösen hatte. Leider auch ihr wertlosestes, weil es nicht eingesetzt wurde, vom Angriff auf B-King einmal abgesehen. Und Popow war sich sicher, dass damit die Kette der Ereignisse noch nicht beendet war. Im Gegenteil. Alles was nun noch kommen würde, hatte die Energie, um alle vorherigen Ereignisse zu einem kurzen Vorspiel zu degradieren, während der Hauptakt die gesamte Bühne auf den Kopf stellen würde.

„Skipper!“
Popow schreckte hoch, berührte seinen implantierten Datensensor unter der rechten Schläfe und legte eine Hologrammsicht über die Impulse seines Sehnervs. Ein Hologramm seiner Stellvertreterin wurde abgebildet. „Was gibt es, Soraya?“
„Sir, wir haben Signal Tora empfangen.“
Für einen Moment war Popow wie erstarrt, dann aber knurrte er grimmig. „Sie machen also ihre Bewegung, was? Klar Schiff zum Gefecht. Bereit machen zum Rettungseinsatz ihrer Majestät. Die Landungsboote und Knights, welche zur Evakuierung ihrer Majestät vorgesehen sind, werden nicht bemannt. Wir gehen strikt nach Einsatzplanung vor.“
„Sehr wohl, Sir.“ Die Frau mit dem strengen Blick und dem langen schweren braunen Zopf, salutierte kurz, indem sie den Zeigefinger gegen ihre Brille hielt, ein Anachronismus, der wirklich gut zu ihr passte. Dann erlosch die Verbindung wieder. Popow erhob sich. Er musste auf die Brücke. Da gehörte er hin.
„Gentlemen!“, rief Popow, als er die Zentrale der PRAG erreichte, „wir haben Einsatzorder! Ihre Majestät, Elisabeth die Erste, verlangt von uns ihre Evakuierung! Ab sofort wird scharf geschossen, und das auf jeden, der sich zwischen uns und unsere Aufgabe stellt!“
Blicke aus entschlossenen Gesichtern antworteten dem Kapitän.
„Steuermann, bringen Sie uns in die Atmosphäre! Funk, melden Sie der Flugüberwachung, dass wir auf Befehl ihrer Majestät den Palast anfliegen!“
„Aye, Sir!“
„Jetzt gilt es, Herrschaften. Unser großes Ziel ist zum greifen nahe“, murmelte er leise und setzte sich auf den Kapitänsplatz. Der Kommodoresessel hinter ihm wurde traditionell für Frederec frei gehalten, oder besser gesagt heutzutage für den Kaiser Katalauns.
Wieder berührte Popow das Implantat. Komplexe Hologramme bauten sich rings um ihn auf und erlaubten ihm einen kompletten Zugriff auf alle Daten, die gerade das Schiff durchliefen. Er mochte zwar ein konservativer Kapitän sein, aber was Technologie anging hielt er sich immer auf dem neuesten Stand. Er verzichtete nicht auf das Implantat, auf holographische Hilfen und die reduzierte Zugriffszeit, die sich daraus ergab, während modernere Kapitäne wie Arling zum Beispiel den Weg zurück gingen und sich die Situation, in der ihr Schiff war, vorstellten, sich die Fakten von seinen Untergebenen liefern zu lassen, anstatt selbst darauf zurück zu greifen. Nun, Arling konnte sich so etwas auch leisten, weil sein Schiff auf voller Sollstärke war. Er hingegen musste mit sechshundert Leuten einen Schweren Kreuzer kontrollieren. Um die reduzierte Besatzung auszugleichen waren schon ein paar extrem nützliche Hilfen wie die Implantate notwendig, auch wenn sie körperliche Beschwerden nach sich zogen.
Deutlich konnte Popow mitverfolgen, wie die PRAG nach vorne absank und in die Mesopause eintauchte. Die Begleiterscheinungen der höheren Belastung ihrer Außenhülle durch die dichter werdende Atmosphäre lagen durchaus in den Parametern und waren kein Anlass zur Sorge. Es war nicht notwendig, die Schilde zu errichten.
„Antwort von der Flugüberwachung! Wir sollen Kurs und Position halten, Sir!“
„Senden Sie unsere Überrangorder“, sagte Popow kalt. „Und machen Sie den Idioten in der Flugüberwachung klar, dass Köpfe rollen werden, wenn sie nicht kooperieren.“
„Aye, Sir!“
Seine Stellvertreterin warf ihm einen vieldeutigen Blick zu, bevor sie ihm eine kurze Botschaft direkt auf die Hologramme sendete. Heiße Landung?
Popow nickte. Soraya Iskender hatte es recht treffend auf den Punkt gebracht.
„Erneute Aufforderung von der Flugüberwachung! Wir sollen unseren alten Kurs und unsere alte Höhe wieder einnehmen!“
„Ist unsere Überrangorder raus?“
„Natürlich, Sir, aber sie reagieren nicht darauf!“
„Merkwürdig. Mindestens die Computer sollten unsere Überrangorder anerkennen. Kontaktieren Sie die Flottenzentrale und lassen Sie unsere Überrangorder bestätigen.“
„Aye, Skipper.“

Unter ihnen, in fast fünfhundert Kilometern Tiefe, glitt Potsdam dahin. Der kleine Satellitenkontinent war Trondheim vorgelagert und bildete so etwas wie die erste Bastion den Hauptkontinents des Planeten. Tatsächlich aber war Potsdam vor allem deshalb sehr beliebt bei den Hauptstädtern, weil eine günstige Meeresströmung für subtropisches Klima auf dem Kontinent selbst und den vielen kleinen Inseln des Archipels sorgte – und das quasi um die Ecke von Neu-Berlin.
Die PRAG überflog Potsdam in nur noch zweihundertfünfzig Kilometern Höhe.
„Wir werden angepeilt!“
Popow manipulierte seine Hologramme, um der Meldung nachzuspüren. Tatsächlich, aktives Feuerleitradar traf das Schiff! Alleine das war schon eine Unverfrorenheit gegenüber dem persönlichen Schiff ihrer Majestät, aber es war noch mehr. Eine tödliche Gefahr, denn auf Feuerleitradar folgte grundsätzlich immer...
„Multiple Abschüsse! Raketen, Jackson IV, neunzehn Stück!“
„Schilde“, befahl Popow sachlich kühl. Die Jackson-Serie war darauf ausgelegt, von einer mobilen oder fixen planetaren Basis auf Schiffe im Orbit geschossen zu werden. Die Feuerkraft war groß genug, um eine Fregatte zu verdampfen, was sich günstig auf die Raumfahrt auswirkte, denn es blieben dadurch keine gefährlichen Trümmer übrig. Man schoss die Jackson normalerweise auf Schiffe in Iono- und Exosphäre, am besten auf solche, die noch nicht mal im Schwerkraftfeld des Planeten gelangt waren. Neunzehn erschien zwar angemessen, um einen Giganten wie die PRAG zu verdampfen, aber die gleichzeitige Explosion von neunzehn Jackson IV würde ein Loch in die Atmosphäre stanzen, das bis zu einhundert Kilometer groß sein würde. Die Ozonschicht würde zerfleddert werden, und zu den heftigen Stürmen, die einmal die Welt umrunden würden, käme der ungebremste Einfall harter UV-Strahlung direkt auf Potsdam, von radioaktiver Strahlung, die dann ungebremst auf den Planeten treffen würde, einmal ganz abgesehen.
Die Raketen näherten sich mit irrwitziger Geschwindigkeit. Ihre Luftverdrängung alleine reichte schon aus, um auf Potsdam kleinere Stürme auszulösen.
„Ich gehe mit meiner Squad raus, Sir!“
Popow spürte der Meldung nach. Sie kam von Major Huntington, den Anführer der Bodentruppen.
„Sechs Knights. Operationszeit dreißig Sekunden“, bestimmte Popow. „Ab jetzt.“
„So viel Zeit brauche ich nicht“, versetzte der Major. Sein Kampfroboter wurde zu diesem Zeitpunkt bereits von der PRAG ausgespien. Weiter fünf Maschinen folgten ihm. Sie rasten den Raketen entgegen, eröffneten das Feuer oder benutzten mechanische Hilfsmittel wie Schwerter, Äxte oder Kampfmesser, und hatten die anfliegenden Raketen nach etwa elf Sekunden zerstört. Keine war mit ihrer vollen Gewalt explodiert, geschweige denn auch nur in Reichweite der PRAG gekommen.
„Einschleusen!“, befahl Popow ernst. Alle sechs Maschinen kehrten zurück, während sich das Schiff ein Einhundert-Kilometermarke näherte, dem größtmöglichen Annäherungspunkt an Sanssouci, der ihnen einen Großteil ihrer Manövrierfähigkeit belassen würde, bei gleichzeitiger größter Nähe zum Kaiserpalast.
Neu-Berlin kam in Sicht, und das Schiff ging in einen stabilen Orbit.
Landefähren, begleitet von Knights, schleusten aus und stürzten auf feurigen Aureolen dem Planeten entgegen.
„Vier Schiffe nähern sich. Fregatte, BROWNING, Zerstörer, WILHELM, Zerstörer, KONSTANTIN, Leichter Kreuzer, ARAL! Erreichen Schussposition über Planetenkrümmung in elf... zehn... neun...“
„Informieren Sie die Kapitäne dieser Schiffe über unsere Überrangorder und den Evakuierungsbefehl der Kaiserin.“
„Keine Antwort, Skipper.“
„Schiffe aktivieren Schilde. Torpedowerfer öffnen sich! Raketentürme aktivieren Zielradar! Ortung misst warmlaufende Waffenfeuerspulen in den Schiffen an!“
„So, so, ihr wollt also spielen“, brummte Popow. „Vorbereiten auf Raketenabwehr!“
„Aye, Sir!“
Die Landungsboote waren nun schon in der Stratosphäre und fielen beständig der Planetenoberfläche entgegen, und damit dem Palast. Dies war der Moment, in dem die Schilde der PRAG schwer erschüttert wurden. Als die Energiepufferspulen für die Schutzschirmenergie aufgrund der höheren Leistungsabfrage aufzusummen begannen, ging das Geräusch, ging die Vibration durch das ganze Schiff.
„Beschuss von der Planetenoberfläche“, meldete seine Stellvertreterin. „Keine Schäden.“
„BROWNING, WILHELM, KONSTANTIN und ARAL eröffnen Feuer! Boogies im Wasser, ich wiederhole, Boogies im Wasser!“
Popow verschaffte sich einen kurzen Überblick. Acht schwere Antischiffstorpedos rasten auf sie zu, dazu fast zweihundert Raketen. Außerdem wurden sie von der Planetenoberfläche aus beschossen.
„Feuer erwidern?“
„Nein, Soraya. Wir beschränken uns auf die Raketenabwehr.“ Popow erhob sich und sah in die Runde. „Phase zwei steht unmittelbar bevor! Ich wiederhole, Phase zwei steht unmittelbar bevor!“
Sein Blick ging zum Funk. „Melden Sie Ihrer Majestät: Tora!“
Ein flüchtiges, nervöses Lächeln glitt über das Gesicht des Cheffunkers. „Aye, Sir.“
„Unsere Landungsschiffe werden beschossen! Ebenso die Knights! Drei Verluste! Vier! Erster Lander abgeschossen!“
„Drei Torpedos durchdringen Abwehr. Einschlag in elf Sekunden!“
Popow setzte sich wieder und betätigte die Anschnallvorrichtung. „Jeder hat einen festen Halt!“
Er konzentrierte sich wieder auf die Hologramme. Fünf vernichtete Torpedos waren eine gute Leistung, vor allem wenn man bedachte, dass auch die Zahl der Raketen auf ein Zehntel reduziert wurde. „Verschlusszustand“, befahl Popow ernst. Drei Sekunden vor dem Einschlag der Torpedos verwandelte sich die PRAG in ein Schiff aus autarken Sektionen. Selbst wenn die Außenhülle aufgerissen werden würde, in den anderen unbeschädigten Teilen des Schiffs würden sie überleben können. „Und wir wollen dankbar sein für alles was wir empfangen“, murmelte Popow ernst und sehr leise. Dann schlugen die Raketen ein.
***
Von Hohenfels war recht zufrieden mit dem Ergebnis der Aktion. Es hätte besser laufen können, aber so war es ausreichend. Beinahe fröhlich eilte sie durch die Gänge des kaiserlichen Palasts. Hinter ihr folgte General Lücke, der Nachfolger von Maier als Direktor des militärischen Geheimdiensts. Es war kurz und blutig geworden, und genauso hatte es sein sollen. „Wo befindet sich die PRAG jetzt?“
„Sie beginnt mit einem Sprung in Richtung B-King, Ma´am. Wir haben sie unter Beschuss von einem halben Dutzend schneller Einheiten, aber sie hat noch immer nicht mehr getan als Raketen abzufangen und Torpedos zu zerstören.“
„Unbefriedigend. Wir hätten jemanden an Bord schleusen sollen, der auf kaiserliche Einheiten schießt. Das hätte unser Ergebnis verbessert. Haben Sie ein paar zuverlässige Leute auf den Verfolgerschiffen? Wie sieht es mit den Kapitänen aus?“
„Die DAPHNE ist eine Fregatte mit einem meiner Leute als Kapitän. Und ich denke, ich kann mit auf die LYON verlassen.“
„Gut. Die LYON ist ein Zerstörer, richtig? Die DAPHNE soll auf sie feuern.“
Konsterniert blieb Lücke stehen. „Was, bitte?“
„Wir brauchen einen Beweis, dass die PRAG auf kaiserliche Schiffe geschossen hat. Nun machen Sie schon. Die DAPHNE wird einen Zerstörer kaum versenken, nur weil sie ein paar Schmarren verpasst bekommt.“
„Ja, aber Ma´am...!“
„Arrangieren Sie das!“, fauchte von Hohenfels gereizt. „Haben Sie noch nie was von Propaganda gehört? Außerdem bietet uns das Interventionsmöglichkeiten auf B-King, wenn sich die Grafen tatsächlich dazu entschließen, das Schiff entgegen meines direkten Befehls zu versorgen und zu reparieren. Dann haben wir eine Rebellion, und dann kann die Flotte direkt eingreifen.“
„Wir können B-King besetzen“, folgerte Lücke.
„Das sehen Sie vollkommen richtig. Was ist mit den Landungseinheiten, die von der PRAG ausgeschleust wurden?“
„Restlos vernichtet. Kein Knight hat es auf die Oberfläche geschafft, geschweige denn zurück zum Schiff. Die Landungsboote waren dabei sehr leichte Ziele.“
Von Hohenfels lächelte grausam. „Dann haben wir ja die wichtigsten Ziele erreicht. Die PRAG, der Eckpfeiler von Elisabeths Sicherheit, hat rebelliert und ist aus dem System geflohen. Die größte militärische Macht, die ihr persönlich gehört hat, wurde von uns effektvoll ausgeschaltet!“
Sie betraten den Flügel ihrer Majestät. Wenn von Hohenfels über die fehlenden Wachen erstaunt war, zeigte sie es nicht. „Jetzt wird sie ihre Störrigkeit ablegen müssen. Sie kann sich nicht alleine auf Gerrit Rend und seinen Hang zu Hochenergiewaffen verlassen. Wenn sie leben will, wird sie uns entgegenkommen müssen.“ Schwungvoll stieß sie die Tür zu Elisabeths Suite auf. „Majestät, es gibt da etwas, was ich Euch näher erklären muss. Die PRAG hat... Majestät?“
Nervös schloss Lücke zu ihr auf. „Ma´am?“
„Es würde mich doch wundern, wenn sie bei all dem Lärm noch schlafen würde. Hm, vielleicht hat sich Rend auch nur mit ihr verbarrikadiert.“ Sie stieß die Tür zum Büro auf, das vor kurzer Zeit noch Robert gehört hatte. „Majestät?“
„Im Diné-Raum ist sie auch nicht, Admiral.“
„Lebensraum?“ „Ich gehe nachsehen.“
Irritiert klopfte von Hohenfels an die Tür zum Schlafzimmer. „Majestät? Seid Ihr hier drin? Ich komme jetzt rein!“
„Der Lebensraum ist leer, Ma´am“, klang die Stimme von Lücke auf.
Er schloss wieder zur Admirälin auf und erstarrte. „Ma´am?“
„Das ist das Kleid, das sie gestern Abend getragen hat. Und dies ist die Kleidung von Gerrit Rend. Sie haben sich ausgezogen.“ Entsetzt und wütend fuhr sie zum General herum. „Wissen Sie was das heißt?“
„Sie denken doch nicht, die zwei haben... Die zwei tun...“
„Oh doch! Sie haben gewusst, dass in ihren Kleidungsstücken Peilsender sind! Sie haben sich ausgezogen, und dann sind sie geflohen! Alarm für den Palast! Alarm für die Polizei! Ihre Majestät wurde von ihrem Leibwächter entführt! Mobilisieren Sie alles was Beine hat! Ihre Majestät muss gefunden werden! Sie...“
Das Summen ihres Kommunikators unterbrach sie. „Von Hohenfels.“
„Kommodore Rüttling hier.“
Die Admirälin atmete auf. „Rüttling. Wie ist der Sturm auf die Rend-Wohnung gelaufen? Wann kann ich Robert vernehmen?“
„Ma´am, Robert der Fünfte war nicht im Rend-Haushalt. Wir konnten auch keine Spuren seiner Anwesenheit entdecken. Stattdessen liegt uns ein ordentlicher Befehl des Schnellrichters vor, der uns den Rückzug befiehlt. Außerdem hat uns Stuart Rend bereits eine Klage wegen Hausfriedensbruchs, Amtsmissbrauchs und Nötigung angekündigt. Und glauben Sie mir, Ma´am, morgen früh liegen alle Klageschriften auf Ihrem Schreibtisch. Ich kenne Stuart Rend.“
„Sie sollten Robert fassen! Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln! Und was haben Sie stattdessen getan? Sich von einem Zivilrichter einschüchtern lassen? Warum schwitzt dieser Rend nicht längst unter dem Einfluss eines Wahrheitsserums?“
„Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass ich dieses Gespräch aufzeichne, Admiral“, erwiderte der Kommodore kühl. Des Weiteren informiere ich Sie darüber, dass ich ungesetzlichen Befehlen keine Folge leiste. Ich werde nun der richterlichen Anordnung gehorchen und mich zurückziehen. Sie kriegen meinen Bericht im Laufe des Tages. Kommodore Rüttling, Ende.“
Wütend schrie von Hohenfels auf. Sie griff nach dem Erstbesten was in ihrer Reichweite war und schmetterte es zu Boden. Dabei musste eine antike terranische Vase mit einem Marktwert von zwanzigtausend Mark dran glauben.
Mit wütend funkelnden Augen sah sie Lücke an. „Finden Sie Elisabeth! Finden Sie Robert! Es ist mir egal wie Sie es machen, aber finden Sie sie! Und bereiten Sie eine militärische Intervention auf B-King vor! Ohne seine Heimatwelt als Unterstützung ist auch Arling kein Problem mehr!“
„Ich habe verstanden, Ma´am.“ Damit begann die größte Fahndung in der Geschichte Katalauns.

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2.
03.07.2613
Republik Yura-Maynhaus
Zypern-System, siebter Planet Goldman´s World
Planetare Hauptstadt Helena
Außerhalb des Anwesens von Admiral of Sector Juri Goldman

„Wir unterbrechen unser laufendes Programm auf Goldman News Channel für eine wichtige Sondermeldung. Unser Korrespondent Aaron Marduk berichtet live von einer gewaltigen Katastrophe außerhalb von Helena. Aaron, kannst du mich hören?“ Der Anchorman Peter Stonefield des berühmtesten planetaren Nachrichtensenders wandte sich einem Bildschirm zu. Dort war kurz darauf ein großer breitschultriger Mann zu sehen, dessen Kleidung in einem desolaten Zustand war. Rauchflecken waren auf seinem Gesicht verteilt, und sein Haar war von Asche beinahe grau gefärbt worden.
„Hallo, Pete. Die Verbindung ist gut und klar, und das ist das verwunderliche an der Situation, die sich mir stellt. Denn ich befinde mich hier seit zwanzig Minuten an einem zweihundert Meter breiten und zwanzig Meter tiefen Krater, der früher einmal das Anwesen von Admiral of Sector Juri Goldman gewesen war. Dort wo das prachtvolle Haupthaus stand, stehen nur noch ein paar Wände. Die großen Gärten brennen, überall liegen Trümmer herum, und nicht wenige der Bedienstetenwohnungen sind zusammen gestürzt, brennen oder tun beides.“
„Moment, bitte, Aaron. Hast du gerade gesagt, Juri Goldmans Anwesen?“
„Du hast mich richtig verstanden, Pete. Das Anwesen des Großenkels unserer Planetenentdeckerin Helena Goldman existiert nicht mehr.“
Der Anchorman wurde blass, während ein zweiter und ein dritter Monitor hinzu geschaltet wurden, um Bilder der brennenden Häuser und des rauchenden Kraters zu zeigen. Wind fachte das Feuer immer wieder an, während Löschmannschaften versuchten, wenigstens die stehenden Häuser und die Gärten zu retten. „Was ist da nur passiert? Aaron, was weißt du über den Admiral? Ist er in Sicherheit?“
Der Nachrichtenmann verzog sein Gesicht zu einem zynischen Grinsen. „Es würde mich doch schwer wundern, wenn wir eine Spur vom Admiral finden würden. Das was du hier siehst, Pete, ist das typische Bild eines präzisen Orbitalbeschuss. Von der Form des Kraters, seiner Tiefe und Weite sowie einigen anderen Parametern tippe ich auf den Beschuss durch einen Leichten Kreuzer. Das hier war eine Antischiffspartikelwaffe. Die hat nichts übrig gelassen, was immer sie getroffen hat. Wenn Admiral Goldman im Anwesen gewesen ist – und davon müssen wir ausgehen – dann ist er definitiv tot.“
Der Anchorman wurde noch eine Spur bleicher. „Konntest du das verifizieren? Haben die Rettungskräfte seine Leiche gefunden?“
„Pete, nach dem Beschuss mit solch einer Waffe, die nicht einmal die Steinmauern übrig gelassen hat, gibt es nichts mehr zu finden. Keine Leiche, keine Spuren, nichts. Fakt ist, hier hat ein Kampfschiff geschossen, und es hat getroffen. Ich gehe im Moment davon aus, dass Juri Goldman exekutiert worden ist, um zu verhindern, dass er in seinem eigenen Verfahren zu seinen Gunsten aussagen konnte. Ich...“
„Entschuldige, Aaron, aber eben bekomme ich eine Einspielung. Ja? Oha. Ja, natürlich. Aaron, die Regie hat mich gerade darüber informiert, dass die CARTAGENA offensichtlich gefeuert hat, als sie das Anwesen auf ihrem Kurs im Orbit passiert hat. Einheiten der Flotte sind dabei den Leichten Kreuzer aus dem Orbit zu drängen, um zu verhindern das er ein zweites Mal feuern kann. Sturmboote mit Rauminfanterie ist unterwegs um das Schiff zu sichern. Noch können wir nichts über die Umstände sagen, unter denen der verhängnisvolle Schuss fiel, aber es sieht so aus als würden Offiziere und Crew der CARTAGENA für den Moment kooperieren. Du als Veteran der Raumflotte, Aaron, was sagst du? Ist ein Unglück auszuschließen?“
„Es spielen wohl ein paar zu viele Zufälle mit, wenn nicht nur ein Schiff auf das Anwesen des Admirals feuert, sondern auch noch ein Schiff einen Waffendefekt haben soll, dessen Kurs es über das Anwesen hinweg führt“, erwiderte der Reporter sarkastisch. „Außerdem weiß ich, dass für einen gezielten Schuss mit solch einer schweren Waffe mindestens fünf Leute im Team zusammenarbeiten müssen. Darüber hinaus werden solche Waffen nur auf Befehl des Skippers abgefeuert. Ich bin auf die Erklärung gespannt, die sich den Sturminfanteristen bieten wird, wenn sie die CARTAGENA aufbringen, aber eine andere Sache steht nahezu fest: Goldman´s World hat ihren größten Helden verloren.“
„Du glaubst wirklich, dass Juri Goldman in der Villa war, als sie beschossen wurde?“
„Ich war hier draußen, als der Schuss fiel. Ich habe weder davor noch während des Beschuss irgendeine Fahrzeugbewegung registriert. Dies weiß ich sicher für den Zeitraum von sieben Stunden.“
„Danke für deinen Bericht, Aaron. Bitte bleibe nahe bei den Rettungsaktionen. Wir hoffen, dass es Überlebende gibt, die vielleicht mehr über den Hergang sagen können. Auch die Polizeiermittler werden nun nicht mehr lange auf sich warten lassen. Wir...Ja? Gut. Gut. Gut.
Eine neue Entwicklung, meine Damen und Herren. Die CARTAGENA wurde erfolgreich aus dem Kurs gedrängt, und die Infanterie, welche an Bord geht, wird nicht behindert. Ich höre gerade, dass Maschinenraum, Waffenkammer und Reaktorraum bereits besetzt wurden. Die Besatzung leistet keinen Widerstand. Was ist nur passiert? Was ist in die Crew der CARTAGENA gefahren?“
„Das bedeutet in jedem Fall Kriegsgericht“, erwiderte Aaron Marduk mit zusammengekniffenen Lippen.
„Aaron, halte uns auf dem Laufenden. Ich weiß, du hast früher direkt unter Admiral Goldman gedient, deshalb ist es für dich noch weit persönlicher als für uns alle. Und vielleicht ist es dir vergönnt, uns die erlösende Nachricht zu bringen oder uns Gewissheit zu verschaffen.“
„Ich werde mein bestes tun“, erwiderte Marduk. Sein Bildschirm erlosch.
„Wir schalten jetzt live in die CARTAGENA. Es kommt nicht sehr oft vor, dass das Militär einen Livestrem der Einsatztruppen für die zivilen Nachrichten freischaltet, aber nun haben wir die Gelegenheit. Leider können wir nicht mit den Soldaten kommunizieren, aber wir hören was sie sagen und welche Antworten sie kriegen.“
Das Bild wechselte und zeigte den Laufgang eines Kreuzers aus der leicht verwackelten Sicht eines laufenden Infanteristen. Er lief direkt an der Spitze und wurde von den Ehrenwachen des Schotts zur Brücke nicht aufgehalten. Nachdem das große Schott aufgegangen war, strömten links und rechts von ihm weitere Soldaten herein, die Waffen im Anschlag. Die Anwesenden hatten entweder die Hände gut sichtbar vor sich auf den Arbeitsplätzen liegen, oder hinter dem Kopf verschränkt. Anscheinend wussten sie nur zu gut, was ihnen blühte.
Einer der Infanteristen wechselte ein paar hastige Worte mit dem Kapitän, der mit zornrotem Gesicht antwortete. Wortfetzen waren zu hören wie: Eine Schande... Alt und verkalkt... Einer musste es tun... Befehl.
Der Kameraträger näherte sich den Schiffskapitän. Deutlich waren seine Abzeichen als Captain zu erkennen, ebenso wie sein Namensschild, das auf Scott lautete. Trotzig sah der Skipper dem Mann entgegen und hielt ihm schließlich ein Schreiben der Admiralität hin. „Schießbefehl, genehmigt vom Vize-Präsidenten.“
Ungläubig entriss der Infanterist mit der Kamera dem Mann die Depesche. Das holographische Siegel der Flottenadmiralität prangte darauf und bestätigte die Echtheit. Die filigrane Unterschrift war kaum zu entziffern, aber mit etwas Phantasie konnte man durchaus den Nachnamen erkennen, der Cranston oder Creighton lautete. „Wir werden die Echtheit überprüfen.“
„Natürlich ist der Befehl echt! Oder glauben Sie, ich würde sonst meine eigene Heimatwelt beschießen?“, versetzte Scott kühl.
„Wie dem auch sei! Sie stehen alle unter Arrest und geben die Dienstwaffen ab. Anschließend stehen sie alle in ihren Quartieren unter Hausarrest, bis wir weitere Anweisungen haben. Die CARTAGENA hält derweil ihre jetzige Position!“
Die Übertragung endete mit einem letzten Kamerablick auf die Unterschrift.
„Jules Cranston, der Vize-Präsident unserer Republik, soll diesen Schießbefehl unterschrieben haben? Unmöglich“, hauchte der Anchorman erschrocken. Er griff nach seinem Wasserglas, verschüttete die Hälfte beim Versuch daraus zu trinken und sah dann unsicher, kreidebleich und tief bestürzt in die Kamera. „Meine Damen und Herren, wir halten sie auf dem Laufenden. Wir wissen noch nicht in welche Richtung die Ermittlungen gehen werden. Wir wissen nicht was noch passieren wird, aber ein Kriegsschiff der Navy hat auf eine Welt der Republik geschossen. Dies geschah aufgrund eines Befehls der Admiralität. Wenn sich der Verdacht bestätigt, dass Jules Cranston diesen Befehl genehmigt hat, dann sind die Folgen noch nicht abzusehen. Er ist zwar Stellvertretender Oberbefehlshaber unserer Streitkräfte, solange der Krieg noch andauert, aber ich bezweifle, dass die Verfassung irgendjemand die Macht gibt, einen solchen Befehl auszustellen.
Wie es aussieht, hat dieser direkte Befehl nicht nur das Leben von Juri Goldman gekostet, sondern auch die Leben von sechshundert Angestellten und das des Beraters unserer Präsidentin Rhyann Klages, Herrn Urban Keith. Uns stehen turbulente Zeiten bevor. Dies ist GNC mit einer Sondersendung zum planetaren Beschuss unserer Welt, dem Tod eines unserer Besten. Die nächste Sondersendung wird es in einer Viertelstunde geben. Guten Abend.“
***
Es war wie ein kleines Wunder, fand Johann Arling, als die Flotte gemeinsam mit vier Whale-Transportern das Termophylen-System erreichte. Nach all dem Ärger, all den Kämpfen, dem Verlust der RHEINLAND, und was der Dinge noch mehr waren, hätte er manchmal selbst nicht gedacht, dass sie es wirklich so weit schaffen würden.
Turnau sah auf. „Skipper, die Flugleitkontrolle des Systems begrüßt uns und weist einen Anflugkorridor nach Leonidas ein.“
„Bestätigen Sie. Mylord, bestimmte Befehle?“
Arling schreckte auf. „Mach weiter so, Lenie. Du hast die Lage gut im Griff.“
„Sind wir etwas in Gedanken versunken, jetzt wo wir in Sicherheit sind?“, tadelte sie lächelnd. „Oder macht dir etwas zu schaffen?“
„In der Tat, mir macht etwas zu schaffen.“ Arling erhob sich. „Die Kommandeure aller Kampfschiffe haben sich in vier Stunden an Bord der HERCULES zu melden. Ebenso Vertreter der Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften. Vertreter der Knight- und Rüsterpiloten sowie Infanterie und Panzereinheiten ebenso. Wie viele Leute macht das?“
„Über den Daumen ein halbes hundert. Was ist los? Willst du ein Konklave veranstalten?“
Der Graf machte sich auf den Weg, um die Zentrale zu verlassen. „Du hast es erfasst, Lenie. Ich werde ernsthaft meine Soldaten über ihre Meinung befragen und danach entscheiden wie es weitergehen soll. Ich bin in meinen Räumen.“
„Verstanden. Oberleutnant Turnau, geben Sie folgende Befehle weiter. Wir...“
„Ach, noch etwas.“ Arling wandte sich noch einmal um. „Befehl an Korvettenkapitän Rend: ASAP in meinen persönlichen Räumen melden.“
Ein leises Raunen ging durch die große Zentrale des Kriegsschiff.
„Disziplin, bitte!“, blaffte Arlene Schlüter. „Ich bin sicher, die Fortpflanzungsaspekte, die ihr Geraune Kommodore Arling unterstellen, sind nicht die Grundlage für diesen Befehl. Davon abgesehen muss ich sie alle bitten, derartige Gedanken für sich zu behalten!“
„Wenn man es genau nimmt, geht es irgendwie schon um Fortpflanzung. Allerdings mehr um die Theorie, Lenie.“ Sagte es, und verließ die Zentrale.
„Wenn ich mich umdrehe, und mich trifft nur ein spöttischer, wissender oder hämischer Blick, dann kenne ich jemanden, der die nächste Woche mit seiner Zahnbürste die Toilettenanlagen der Zentrale reinigt“, drohte Arlene in einer Mischung aus Ärger und Amusement.
„Wenn Sie es wünschen, kann ich Ihnen detaillierte Hologramme mit allen Anwesenden projizieren, die ihren jetzigen Blickwinkel und Gesichtsausdruck naturgetreu abbilden, Kapitän“, bot Iolaos, das Bordgehirn, an.
„Nein danke. Es macht mehr Spaß jemanden zu bestrafen, den man selbst erwischt hat.“
„Eine verquere Logik“, erwiderte die Künstliche Intelligenz. „Menschen halt.“
Arlene wandte sich um und nahm auf ihrem Sitz Platz. „Je länger ich dich kenne, Iolaos, desto klarer wird mir, warum wir in Katalaun keine künstlichen Intelligenzen für unsere Kampfschiffe haben.“
„Sie haben die Ressourcen nicht?“, bot das Bordgehirn an.
„Nein, wir haben die Nerven nicht.“
Leises Gelächter klang auf.
„Touché, Skipper.“
Zufrieden nickte Arlene Schlüter. „Turnau, ist der Befehl an die ELISABETH schon draußen?“
„Jawohl, Ma´am. Antwort trifft gerade ein. Kapitän Rend beeilt sich.“
Arlene Schlüter runzelte die Stirn. Sie ahnte schlimmes für das arme Mädchen. Und das wollte wirklich etwas heißen.
***
Als Eleonor Rend an Bord kam, wurde sie etwas merkwürdig empfangen. Natürlich war es nicht üblich, den Kapitän eines Begleitschiffs mit besonderen Ehren zu begrüßen, geschweige denn eine Blaskapelle aufzufahren und den Skipper lange Reden schwingen zu lassen. Dennoch war sie erstaunt, dass Andreas Lüding, der Erste Offizier, sie persönlich mit Handschlag empfing. Der Signalmaat und die beiden Ehrenwachen waren ja noch üblich für sie, auch das Lüding sie persönlich durch ein Gigantschiff führte, das sie bisher erst einmal betreten hatte. Aber das Dutzende, ja hunderte Besatzungsmitglieder die Wege, Gänge und Hallen säumten, die sie passierte, war eine etwas merkwürdige Erfahrung für sie. „Ist irgend etwas passiert?“, raunte sie Lüding zu.
„Keine Sorge, die Bande ist nur neugierig. Jeder weiß, dass du mit Lord Arling verlobt bist, und jetzt wirst du vier Stunden vor allen anderen Kapitänen herüber befohlen. Das heizt die Phantasie an. Angeblich sind manche bereit für ein Kussfoto von dir und Lord Arling tausend Mark und mehr zu zahlen. Und ich meine damit niemanden von unserem tollen Pressekorps.“
„Ich denke nicht, dass ihre Gedanken beim küssen bleiben“, murrte Eleonor Rend.
„Es sind alles Erwachsene. Kannst du es ihnen verdenken? Sieh es doch mal von der anderen Seite, jeder hier gönnt dir deine Beziehung zum Lord.“
„Na, danke. Wenn du noch einmal Lord oder etwas ähnliches sagst, kriege ich einen Minderwertigkeitskomplex.“
„Nanu?“ Amüsiert musterte Lüding die junge Rend. „Ausgerechnet Ellie Rend bugsiert nicht jedes Hindernis alleine mit ihrem übergroßen Ego aus dem Weg? Was ist los mit dir? Bist du krank?“
„Mein Verlobter kämpft um den Thron Katalauns. Und wenn Robert etwas passiert, ist er Manns genug, um es auch wirklich durch zu setzen. Reicht das als Antwort?“
„Hunderte Frauen wären froh, an deiner Stelle zu sein, Ellie.“
„Hunderte Frauen würden sich das ganz schnell wieder überlegen, nachdem sie an meiner Stelle waren“, konterte sie. „Aber noch halte ich es aus. Es ist nur... Wenn er wirklich Kaiser wird, dann...“
„Wirst du Kaiserin?“
„Dann wird er sich vielleicht eine bessere Partie suchen müssen und...“
Lüding blieb stehen. Rend wäre beinahe in ihn hinein gelaufen. „Also ehrlich, Ellie. Das glaubst du doch selbst nicht von Johann, oder?“
„Ich glaube das nicht. Aber weißt du wie grausam die Öffentlichkeit sein kann? Er hat mir zwar gesagt, dass er die Verlobung nicht auflösen will, aber er hat mir die Chance angeboten, sie selbst aufzulösen. Falls ich nicht Kaiserin werden will. Und jetzt denke ich nach, ob ich nicht vielleicht...“
„Was? So tun als wärst du nur vernünftig und dann vor der Verantwortung fort laufen? Der öffentlichen Meinung folgen? Ellie, wenn die öffentliche Meinung Zeit hätte, deine Beziehung zu Johann Arling zu kritisieren würde es bedeuten, dass wir gewonnen haben und Robert tot ist. Und dann möchte ich den sehen, der dir wirklich deinen Mann nicht gönnt. Sind doch alles ein paar viele Unwahrscheinlichkeiten, oder?“
Langsam setzten sie sich wieder in Bewegung. „Und was ist, wenn er mich kommen lässt, um...“ Sie schluckte trocken. „Was ist, wenn...?“
„Das weißt du erst wenn du da bist.“ Einladend deutete er auf eine unscheinbare Tür, vor der allerdings zwei Infanteristen standen. „Mach deinen Kopf leer und gehe ohne Erwartungen, Vorurteile, Wünsche und Ängste hinein. Letztendlich wird es doch ganz anders sein als du es erwartest, Eleonor Rend.“
„Danke für den Versuch, mich wieder aufzubauen“, erwiderte sie und ging alleine zur Tür weiter.
Bevor sie jedoch nahe genug kam, glitt sie auf. Julian Kress steckte seinen Kopf hervor. „Sobald Kapitän Rend auftaucht, ist sie sofort... Oh, da ist sie ja schon! Ma´am, treten Sie ein!“
Die beiden Wachen salutierten vorschriftsmäßig, während Ellie zwischen ihnen hindurch ging. Dann war sie drin, im wohl spartanischsten Raum, den Johann Arling jemals bewohnt hatte. Letztendlich hatten sie nur das Nötigste an Bord schaffen können. Vielleicht würden sie auf Leonidas ein paar Accessoires besorgen können, die über ein Bett und einige Pflegeutensilien im Bad hinaus gingen.

Auf einer improvisierten Sitzecke, die aus einer reichlich durchgesessenen Polstergarnitur bestand, erwarteten Ellie neben Han und Rend auch noch Jeremy Schmitt und Charles Monterney. Verwundert stellte sie fest, dass sowohl Major Russel als auch Oberst Ganth anwesend waren, sich aber diskret im Hintergrund hielten.
Die Szenerie hatte etwas Enttäuschendes. Sie hatte zwar nicht darauf gehofft, aber zumindest die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass Han sie tatsächlich deshalb zu ihr gerufen hatte, um... Nun, um all das zu tun, was sie die letzten acht Jahre im Leben verpasst und bei Han gefunden hatte. Stattdessen war sie hier in eine Besprechung geplatzt – außer Han plante eine Orgie. Dann hatte er lobenswerterweise die Zahl von Männern und Frauen beinahe austariert.
Unwillig schüttelte Ellie den Kopf. Nicht solche Gedanken in diesem Raum vor all diesen Leuten, auch wenn es unwahrscheinlich und amüsant war.
„Ellie, bitte setz dich. Maddie?“
Die Ninja nickte, füllte ein Glas am Getränkeautomat, dem einzigen Luxus im Raum, und reichte ihn der Korvettenkapitänin. Dabei warf sie Ellie einen fragenden Blick zu.
Unwillkürlich und knapp schüttelte Rend den Kopf. Sie wusste auch nicht was hier passieren sollte.
„Bevor du dich wunderst, Charly ist hier, weil er dein bester Freund ist.“
Charles Monterney nickte ihr stirnrunzelnd zu. Auch er wusste anscheinend nicht, worauf das Geschehen hinaus laufen sollte.
„Madeleine ist eine Freundin meiner Familie und Oberst Ganth eine verständnisvolle Frau. Ich habe sie gebeten hieran teil zu nehmen, damit du weibliche Unterstützung hast.“
Die beiden Offizierinnen sahen sich irritiert an. Auch Ellie teilte diese Irritation. „Kress und Schmitt?“
„Julian ist hier als Augenzeuge und mein Adjutant. Jeremy vertritt hier sowohl Personenschutz als auch Geheimdienst. Wenn es dir Recht ist.“
„Wenn es mir Recht ist? Himmel, ich weiß nicht einmal worum es geht. Kannst du mich bitte aufklären, Han?“
Der Herzog von B-King und Graf von Arling räusperte sich kurz und erhob sich. „Iolaos.“
„Mylord Admiral?“
„Wie viele Kinder wurden derzeit in der Hephaistos-Flotte auf natürlichem Wege geboren?“
„Einundfünfzig, Mylord Admiral. Moment, ich korrigiere mich: Zweiundfünfzig. Seit achtzehn Sekunden haben wir einundzwanzig Jungen- und einunddreißig Mädchen, die während oder nach der Evakuierung auf die Welt gekommen sind.“
„Julian, machen Sie bitte eine Notiz und lassen sie Sie den Bürgermeistern der Schiffe bringen. Ich wäre hoch erfreut, wenn ich für jedes dieser Kinder symbolisch der Pate sein dürfte.“
„Ist notiert, Sir. Viele Familien wird das freuen, auch wenn sie wissen, dass Sie sich nicht wirklich um die Kinder kümmern können.“
„Ich möchte keinen echten Paten ersetzen. Ich möchte nur die Verantwortung übernehmen, die ich eingegangen bin, Julian.“
„Natürlich, Mylord.“ Der junge Offizier räusperte sich verlegen.
„Ach so, darum geht es dir. Soll ich auch Patenschaften übernehmen? Ist es das? Dafür hättest du mich aber nicht extra herbestellen müssen, Han“, tadelte Ellie.
Johann Arling räusperte sich vernehmlich. „Iolaos, wie viele Kinder wurden aufgrund von Invitromethoden geboren?“
„Sie meinen zum Beispiel durch eine künstliche Gebärmutter? Diese Technologie stand den Katalaunern in Hephaistos nicht zur Verfügung. Dies war sicherlich einer der Versuche er Stadtführung, um die Zwangsarbeiter enger zu binden, indem sie die Versorgung und Betreuung der Schwangeren mit dem Betragen der Masse verknüpft hat.“
„Ein widerlicher Gedanke“, ließ sich Major Russel vernehmen. Angewidert schüttelte sie den Kopf. „Wie gut, dass wir diesen abgrundtiefen Sumpf trocken gelegt haben, Hannes.“
„Da gebe ich dir Recht, Maddie. Und nicht nur das, wir haben es bis nach Leonidas geschafft. Von hier aus durchqueren wir nur noch potentiell freundliches Gebiet, bis wir Großherzog von Baaden erreichen. Ich vertraue ihm. Außerdem wird er sehr medienwirksam dafür sorgen, dass die ehemaligen Zwangsarbeiter auf ihre Heimatwelten zurück kehren können, Krise hin, Krise her. Aber das ist nicht der Grund, warum ich dich her gerufen habe, Ellie.“ Mit Anzeichen tiefer Verlegenheit sah er seine Verlobte an, bevor er aufstand und nervös im Raum auf- und abmarschierte. „Was denkst du eigentlich über Geburten? Natürliche Geburten oder Invitro-Geburten?“
„Ich habe über dieses Thema nie nachgedacht, wenn ich ehrlich bin. Bis vor einigen Wochen war ich noch nicht mal der Meinung, ich könnte eine Frau sein.“
Charles Monterney begann zu prusten. Es ging in lautes Lachen über, während er Rend auf die Schulter klopfte. „DAS unterschreibe ich sofort! Ellie, du hast einen Volltreffer auf die zwölf gelandet!“
„Charly, bitte“, mahnte Arling.
„Schon gut, ich bin wieder ernst.“ Mit teilnahmsloser Miene sah er in die Runde. „Aber ich garantiere für nichts, wenn Ellie noch so einen Klopfer los lässt.“
Die frisch beförderte Korvettenkapitänin nahm hastig einen Schluck aus ihrem Glas, um die Röte in ihrem Gesicht zu überspielen. „Wie dem auch sei, bevor der beste Knight-Pilot der Galaxis mich unterbrochen hat, ich habe zwar nie drüber nachgedacht, was ich gerne haben würde, aber da sowohl ich als auch Mark und Gerrit Invitro gezeugt wurden und Mutter darauf schwört, würde ich auch dahin tendieren. Susu und Max sind auch Invitro-Kinder, weißt du?“
„Es war klar, das diese Technologie auf Sanssouci weit verbreitet ist“, merkte Ganth an. „Vor allem für soldatisch aktive Frauen ist das eine echte Alternative zur natürlichen Geburt. Wenn wir schon mal von der Belastung einer Schwangerschaft für den weiblichen Körper sprechen.“
„Ausgerechnet ein Marine fürchtet Belastungen? Das ist mir neu, Cecilia“, spottete Major Russel.
„Hast du eine Ahnung, wie anstrengend eine natürliche Schwangerschaft ist, Madeleine?“, erwiderte Ganth trocken. „Meine Mutter hat zu meiner Geburt immer gesagt: Stell dir vor, jemand zieht dir eine glühend heiße Kanonenkugel durch den engsten Teil deines Körpers raus. Dann hast du ungefähr eine Ahnung, wie eine Geburt weh tut.“
„Aha. Meine Mutter pflegte immer zu sagen es sei wie ein Regenschirm, den man reinsteckt, aufspannt und dann langsam mit Genuss wieder rauszieht.“
Ganth zwinkerte. „Regenschirm?“
„Regenschirm.“
„Dann muss ich ja eine leichtere Geburt gewesen sein als du.“
„Wie auch immer“, sagte Arling und lenkte die Aufmerksamkeit vom weiblichen Disput zurück auf sich, „dir wäre eine Invitro-Geburt am liebten, Ellie? Habe ich dich richtig verstanden?“
„Moment Mal, jetzt verstehe ich dich erst! Darum ging es dir die ganze Zeit, Han!“
Wieder errötete Eleonor Rend. Sie musste sich ein paarmal räuspern, bevor sie ihre Aufregung im Griff hatte. „D-denkst du denn, ich wäre eine gute Mutter?“
Mit einem Schlag trat Totenstille ein. Alle Augen richteten sich auf Eleonor Rend. Dann, wie auf ein geheimes Kommando, sahen alle den Grafen an.
„Natürlich wärst du eine tolle Mutter, Ellie. Ich weiß es, seit ich gesehen habe, wie du mit Susanne umgegangen bist.“
„Das kann man ja wohl nicht mit einer kompletten Erziehung vergleichen“, erwiderte sie verlegen. „Die paarmal, die ich auf Susu aufgepasst habe, die ich sie gewickelt habe, das fällt jetzt nicht so ins Gewicht.“
„Ich behaupte das Gegenteil, Ellie. Und das sage ich nicht nur, weil ich es muss.“
Sie seufzte. „Ich habe es geahnt. Und seit Zaks Tod habe ich es eigentlich erwartet, aber ich muss es wieder verdrängt haben. Du willst die Linie fortsetzen, richtig?“
„Es ist nicht so als würde ich Takeru, Mikhail und Takeru nicht zutrauen, B-King erfolgreich zu führen. Oder als würde ich es ihnen nicht gönnen, dass einer von ihnen den Titel Herzog von Beijing trägt. Aber es ist mein eigener, tiefer Wunsch, Kinder zu haben. Etwas von mir der Welt zu hinterlassen. Und meinen alten Herrn nicht zu enttäuschen, der bis zuletzt daran geglaubt hat, das du die Richtige für mich bist und das wir gemeinsam diesen Schritt wagen.“
„Okay, alles klar. Gehen wir gleich zur Krankenstation und geben eine Probe Ova und Samen ab? Ich bin sicher, auf Leonidas können wir notfalls ein Dutzend Kinderbackautomaten bekommen.“
„Nanu? Kein Widerstand? Kein Protest? Bist du das wirklich, Ellie?“, fragte Charles erstaunt.
„Warum? Immerhin will ich ja auch Kinder mit Han. Ich gebe zu, ich habe diesen Gedanken in den letzten Wochen etwas vernachlässigt, aber auch ich würde meiner Familie gerne etwas von mir hinterlassen, sozusagen. Und Han weiß nur zu gut, dass unsere Schicksale in den nächsten Wochen und Monaten mehr als vage sind. Wir könnten sterben. Ich würde mich dann besser fühlen, wenn ich wüsste, dass ich irgendwo da draußen ein paar neue Rends auf die Welt loslassen werde.“
„Arlings“, konterte Monterney grinsend.
„Es ist egal, welchen Namen das Kind tragen wird“, sagte Arling ernst. „Wenn der Schlimmste aller Fälle eintritt, wird es ohne Vater und Mutter aufwachsen, zudem weit entfernt von allem was für uns Heimat ist. Und all dies tun wir aus einer egoistischen Grundeinstellung heraus, für die man uns tadeln wird.“
„Oder man wird uns verstehen.“ Eleonor Rend erhob sich. Sie ging auf Arling zu und ergriff seine Hände. „Habe ich dir nicht neulich erst gesagt, dass ich all deine Dummheiten mitmachen werde? Immerhin bin ich deine größte Dummheit.“
„Meine größte Dummheit wäre es nicht auf dich zu hören“, erwiderte Arling. Langsam zog er seine Verlobte zu sich heran und schloss sie in die Arme.
„Wollen wir es auf Leonidas tun? Ein Kind? Zwei? Mehr? Welches Geschlecht, oder lassen wir uns überraschen? Soll es oder sollen sie auf Leonidas bleiben, oder versuchst du sie nach B-King schmuggeln zu lassen?“
„Das sind sehr viele Fragen, Ellie. Ich weiß es noch nicht. Aber eins sollte es mindestens werden.“
„Okay“, hauchte sie. „Okay.“
Monterney räusperte sich vernehmlich. „Nicht, das ich was gegen eine gut gemachte Kussszene hätte, ihr zwei, zu der ihr zweifellos gerade ansetzen wolltet, aber wollt ihr nicht lieber gleich heiraten? Ich meine, um die Kinder zu legitimieren. Das katalaunische Familienrecht ist liberal, und du hast keine Einsprüche deiner Neffen zu befürchten, Han, aber es würde doch einiges leichter machen.“
Arling schüttelte den Kopf. „Das geht leider nicht, Herr Oberst. Ellie und ich können noch nicht heiraten.“
„Und warum nicht, Hannes?“
„Weil unsere Familien uns umbringen werden, wenn wir es hier draußen tun“, antwortete Eleonor Rend. „An dem Part habe ich keine Zweifel.“
„Immerhin ein Argument.“ Madeleine Russel gähnte herzhaft. „So, noch drei Stunden bis zur Besprechung. Ich werde die Zeit mit einer Dusche und etwas Schlaf nutzen. Cecilia, begleitest du mich?“
„Natürlich, Schatz. Schmitt, folgen Sie mir. Ich muss Ihnen ein paar geheimdienstliche Fragen stellen.“
„Bin ich entlassen, Mylord?“
Arling nickte. „Gehen Sie ruhig, Jeremy. Sie auch, Julian.“
„Dann gehe ich besser auch, bevor du mich raus wirfst. Eine Dusche und ein Nickerchen, das klingt doch gut.“

Als das Schott sich hinter dem letzten Gast schloss sahen sich Han und Ellie ein wenig überrascht an. „Allein?“, fragte sie überrascht. Diesen Zustand hatten sie seit Beginn der Mission nicht mehr gehabt.
„Allein“, erwiderte Johann Arling. „Sieht so aus, als hätten wir uns das verdient. Iolaos, Privatmodus und Weckruf in zweieinhalb Stunden.“
„Jawohl, Mylord Admiral.“
Das Licht wurde gedämpft, leise Musik erklang. Die Lippen des Paares fanden sich zu einem zaghaften Kuss. „Ich wusste kaum mehr, wie man das macht“, hauchte Ellie und lächelte.
„Ich hatte fast vergessen, wie gut es sich anfühlt, dich in den Armen zu halten“, erwiderte Johann und küsste seine Verlobte erneut, etwas intensiver.

Derweil glimmte auf der Außenseite der Admiralstür ein Hologramm, bestehend aus einem Wort in lateinischer Schrift: Privatmodus.
Die beiden Wachtposten bemerkten den Schriftzug, doch die einzige Reaktion war ein wissendes Schmunzeln.


3.
Ein Konklave war eine ungewöhnliche Veranstaltung. Sie basierte auf einer alten Tradition innerhalb der Flotte, fand jedoch nur sehr selten Anwendung. Belegt war, dass Frederec vor seiner Thronübernahme ein Konklave veranstaltet hatte um sicher zu gehen, dass das Gros der Flottenführung seinen Kurs mittragen würde. Auch über Robert sagte man, er hätte ein Konklave unter mehreren Schiffskapitänen veranstaltet, bevor er sich dazu entschlossen hatte, die Revolution der Herzen zu beginnen. Die Beteiligten schwiegen sich zu dem Thema bis heute aus.
Auch erzählte man sich, dass das katalaunische Reich nur entstanden war, weil der erste Kaiser mit einem großen Konklave den Rückhalt erhalten hatte, neben den Systemen, welche sich ihm bereits angeschlossen hatten, jene zum Beitritt aufzufordern oder militärisch zu zwingen, die als weiße Flecken auf der Holokarte dazwischen lagen und neutral oder gar feindlich bleiben wollten.
So gesehen war ein Konklave ein Zeichen für einen groß angelegten Politikwechsel, eine starke Veränderung. Ein Umschwung.

Die Mannschaften, Offiziere und Kapitäne der Arling-Flotte brachten es schließlich fast auf einhundert Teilnehmer, als sie den Sitzungssaal drei an Bord der HERCULES füllten. Ordonnanzen eilten umher, um jeden Teilnehmer mit Höflichkeit und Effizienz mit kleinen Snacks und Getränken zu versorgen. Die Eilfertigkeit der jungen Soldaten war verständlich. Als die RHEINLAND in die entscheidende Schlacht gegen die Fregatten und Zerstörer der Large Fleet ausgelaufen waren, hatten sie automatisch zu den vierhundert Besatzungsmitgliedern gehört, die hatten von Bord gehen müssen. Dieses Manko versuchten sie nun mit noch härterem Diensteifer wieder wett zu machen. Manch einer mochte sich sogar schuldig fühlen, weil er oder sie Lord Arling nicht in die Schlacht begleitet hatte.
Aber die meisten fragten sich wohl, warum das Konklave an Bord der HERCULES abgehalten wurde, und nicht etwa in einem Konferenzraum auf Leonidas, der Hauptwelt der Nisos Elektron. Auch wenn der Tyrann noch immer im Europa-Pakt war, um das wiederentstandene Herculeanum mit seinen Flotten und der PHILLIP zu unterstützen, so waren sich doch alle einig, dass er Lord Arling jederzeit die Nutzung der Einrichtungen seiner Regierung und seiner Flotte gestattet hätte. Dass sie also an Bord eines formell katalaunischen Schiffs blieben, dass sogar von Nyhartes Daiana Nissos, der Nymphe, die Lord Arling sonst wie ein Schatten folgte, nichts zu sehen war, verstärkte den Verdacht, dass es um eine interne Angelegenheit gehen musste.
Als Johann Armin von Arling schließlich den Saal betrat, rief Coryn Griffin als Ranghöchster Offizier die Anwesenden ins Achtung.
„Setzen sie sich, Herrschaften“, sagte Johann und winkte die Leute zurück. Er trat hinter das Rednerpult und sah in die Runde. „Herrschaften. Als ich dieses Konklave geplant habe, da wollte ich mit ihnen allen darüber sprechen, was wir tun können, um den Kaiser zu retten, seine Nichte zu beschützen, unsere geretteten Freunde nach Hause zu bringen und dem Wahnsinn des Krieges ein Ende zu setzen. Dabei hätte ich mich sehr gerne auf unsere Freunde, die frisch gebackenen Gryanen, verlassen.“
Leises Gelächter erklang, das Commodore Griffin und seine Leute mit zustimmenden Gesten hinnahmen. Es war mittlerweile Allgemeinwissen, dass seine Leute und er ursprünglich zu einer Seek&Destroy-Mission unterwegs waren, um ausgerechnet Lord Arling zu stellen und abzuschießen. Aber es war anders gekommen, vollkommen anders.
Die anwesenden Presseleute nutzten die Gelegenheit für Kommentareinschübe über Griffin und seine Leute sowie ein paar Aufnahmen der Offiziere und Mannschaften.
„Dann erreichten mich ein paar umwälzende Nachrichten.“ Arling stützte sich auf seinem Pult ab und atmete heftig aus. „Ich werde die katalaunischen Nachrichten zuerst erwähnen. Ihre Majestät, Elisabeth die Erste, ist nach offiziellen Angaben des Palasts von ihrem Leibwächter Gerrit Rend aus dem Palast entführt worden. Die beiden sind bis jetzt nicht aufgespürt worden.“
Für einen Moment herrschte eisiges Schweigen im Saal. Dann sprang ein Schiffskapitän auf die Beine und begann begeistert zu klatschen. Andere fielen ein, Pfiffe erklangen, Jubelstimmen wurden laut, als endlich auch der letzte Soldat im Raum verstanden hatte, was hier gerade verkündet worden war. Schließlich bildete sich ein Sprechchor, der immer wieder rief: „REND! REND! REND! REND!“
Nach einigen Minuten bat Arling um Ruhe. „Herrschaften. Ihr alle wisst, wie ich zu diesem, nun, terroristischen Akt meines zukünftigen Schwagers stehe, der Elisabeth aus der schützenden Umklammerung einer falschen Miranda von Hohenfels gerissen hat.“
Wieder wurde gelacht. „Kapitän Rend, haben Sie etwas zu der Tat ihres Bruders zu sagen?“
Eleonor Rend erhob sich und drehte sich einmal um sich selbst. „Ich bin nicht so gut darin mit Worten umzugehen wie Ihr, Mylord. Und ich bin es nicht gewohnt über etwas anderes zu sprechen als die Flotte. Ich gebe es ja zu, ich bin ein alter Kommisskopf. Aber ich kenne meinen Bruder, ich achte, liebe und verehre ihn, und deshalb weiß ich das es wahr ist, wenn ich sage, dass er, nun, Elisabeth weiterhin in seiner Gewalt behalten wird und sie nicht an Hohenfels, den Palast oder ihnen hörige Sicherheitskräfte übergeben wird, solange nicht Robert oder Lord Arling auf Sanssouci stehen. Er wird sie mit seinem Leben beschützen. Alleine schon, weil er ansonsten viel zu viel Angst vor Lucky Charly haben müsste.“
Wieder wurde gelacht, teilweise applaudiert, und Charles Monterney musste manchen wohlmeinenden Schulterklopfer über sich ergehen lassen.
Wieder bat Arling um Ruhe. „Im Gegenzug muss ich leider berichten, das man noch immer keine Spur von Kaiser Robert gefunden hat.“
Eine Mitleidsbekundung, so spöttisch vorgetragen, das sich selbst die professionellen Journalisten ein Lachen zur schwer verkneifen konnten, ging durch den Raum.
„Ich habe noch eine wichtige Nachricht, diesmal eine positive. Ich kann bestätigen, dass die PRAG, Elisabeths persönliches Schiff, tatsächlich beim Versuch, Lander beim Palast abzusetzen, beschossen und schwer getroffen wurde. Dennoch gelang ihr der Sprung nach B-King. Dort hat der regierende Herzog von B-King, mein Neffe Takeru, die Mannschaft aufgenommen. Überhaupt hat Kapitän Popow schwere Anschuldigungen über das Verhalten der Montillon-Heimatflotte geäußert und Videobeweise mitgebracht, dass sich die Schiffe gegenseitig beschossen haben um Gefechtsschäden vorweisen zu können, die anschließend auf die PRAG geschoben wurden. Black Box-Informationen widerlegen das, der Palast spricht allerdings von manipulierendem Material. Außerdem wurden Kapitän Popow und Mannschaften zu Deserteuren erklärt; der regierende Herzog wurde dazu aufgefordert, Kapitän und Mannschaft auszuliefern. Dies wurde abgelehnt mit dem Hinweis, dass ordentliche Offiziere und Soldaten der Flotte ein Recht auf Widerspruch haben.
Der regierende Herzog hat die Mannschaft der PRAG unter seinen persönlichen Schutz gestellt und ein Ehrengericht auf B-King gefordert. Namhafte Herzöge haben diese Forderung bereits unterstützt. Dies ist alles im Rahmen der geltenden Gesetzgebung, und wird der falschen Miranda von Hohenfels mächtig zu kauen geben.“
Wieder klang Applaus auf, wenngleich nur verhaltener Jubel. Die PRAG war halt ein Frederec-Schiff, und die Offiziere und Mannschaften waren Pro Robert. Eine gewisse Rivalität und eher verhaltene Freude waren da verständlich.

„Kommen wir nun zu etwas weitaus bedrohlicherem.“ Hinter Arling erwachte ein Hologramm. Es zeigte einen Orbitalbeschuss.
„Was ihr hinter mir seht, Herrschaften, ist das Ende von Admiral of Sector Juri Goldman.“
„Was?“, rief Griffin entsetzt. Er war auf den Beinen bevor er es selbst registrierte.
„Das ist noch nicht alles. Der Befehl, der zu diesem Beschuss führte, soll vom Vize-Präsidenten von Yura-Maynhaus, Jules Cranston, persönlich unterschrieben worden sein. Die CARTAGENA eröffnete daraufhin den Orbitalbeschuss und zerstörte das Anwesen von Juri Goldman.“
Entsetzen stand in Coryns Blick. Mit bleichem Gesicht ließ er sich zurück sinken. Fassungslos schüttelte er den Kopf, wieder und wieder.
„Präsidentin Rhyann Klages hat daraufhin verlauten lassen, dass ein solcher Befehl weder ihr noch das Büro ihres Stellvertreters verlassen hat, woraufhin Admiral of the Fleets Helen Sourakis erklärte, bis zur Klärung dieser Frage keine Befehle der Präsidentin oder ihres Stellvertreters mehr anzunehmen.“
Unter den Offizieren und Mannschaften der Gryanen entstand Unruhe. „Das ist Meuterei! Das ist ein Aufstand! Ein Putsch!“, rief Commodore Slodowsky aufgebracht.
„In der Tat. Es ist ein Putsch. Und er wird in dieser Minute durchgeführt. Es sieht so aus als hätten fünf zusätzliche Flotten das Maynhaus-System besetzt und blockieren nun alle Sprungwege des Systems.“
Griffin erhob sich. „Mylord, ich habe gesagt, dass ich Euch begleiten würde, und mit mir meine Leute. Aber unter diesen Umständen muss ich als loyaler Republikanischer Offizier, muss ich als Gryane...“
„Ruhig Blut, Coryn, ich bin noch nicht fertig. Es wird wohl eine überraschende Erkenntnis für die Flotteneinheiten, wenn sie erfahren was ich bereits weiß: Die Regierung unter Rhyann Klages ist nicht mehr auf Capital, der Zentralwelt des Maynhaus-Systems. Sie, ihr Vize-Präsident und ihr Regierungsstab haben das System gleich nach dem Beschuss verlassen und befinden sich nun auf dem Weg ins Exil. Hierher ins Herculeanum.“ Arling räusperte sich. „Mir liegt eine offizielle Anfrage der Präsidentin vor, um ihr Begleitschutz zu leisten. Da die Lage Zuhause gerade für uns günstig verläuft wollte ich dieser Bitte entsprechen, oder zumindest die Gryanen freistellen. Aber angesichts der Bedrohung, welcher das Reich ins Auge sieht, kann und darf ich diese Entscheidung nicht alleine treffen. Deshalb frage ich sie alle: Helfen wir Präsidentin Klages? Helfen wir Commodore Griffin und seinen Leuten? Geben wir zurück, was wir hundertfach, tausendfach von ihnen erhalten haben?“
Wieder wurde geraunt. „Ich bitte um Handzeichen. Wer dafür ist, Commodore Griffin ebenso beizustehen wie er uns beigestanden hat, hebe bitte jetzt die Hand.“
Mehrere Dutzend Arme schossen nach oben. „Ich denke eine Gegenprobe erübrigt sich. Kapitän Richards, Kapitän Rouven, die VERSAILLES und die B-KING sind natürlich von der Pflicht enthoben, uns zu begleiten. Ebenso die Bodentruppen, die wir in Katalaun rekrutiert haben.“
„Mit Verlaub, Mylord, sehen Sie nicht, dass unsere Hände ebenfalls oben sind?“, rief Wim Rouven und deutete auf sich, Richards und die Abordnung der Bodentruppen aus Hephaistos. „Sie haben unsere Leute gerettet. Sicher, es sind auch Ihre Leute und damit war es Ihre Pflicht, und darum lassen Sie uns nun unsere Pflicht tun. Die Whale-Transporter bekommen auch so herkuleanischen Begleitschutz oder warten hier auf katalaunische Einheiten.“
Arling zögerte. Es dauerte einige Sekunden, bevor er wieder zu atmen wagte. „Ist sich jeder darüber im Klaren, das wir in einen Bürgerkrieg fliegen? In einen Bürgerkrieg, der uns Leben, ja, Schiffe kosten kann?“
Zustimmendes Raunen erklang.
„Und trotzdem stimmt ihr alle zu?“
Wieder wurde zustimmend geraunt.
„Lasst uns das verdammt noch mal tun, bevor auch nur einer von uns wieder vernünftig wird und beginnt logisch zu denken!“, rief Gerard Rössing. Lauter Applaus und Jubel antwortete ihm.
Arling lächelte erleichtert. „Kapitän Schlüter, Befehl an die Flotte: Kurs auf Yura-Maynhaus.“
„Aye, Aye, Admiral.“ Der Rest ging in erneutem Jubel unter.

„Weißt du, Han“, raunte Carrie Rodriguez ihm von hinten ins Ohr, „normalerweise mag ich solche Hurra-Patrioten und Wo ist der Krieg, ich will hin-Idioten nicht. Die Galaxis ist voll von ihnen. Aber diese Leute da, sie glauben an das was du sagst. Und sie glauben, dass es das wert ist. Du wirst sie doch nicht enttäuschen, oder?“
Arling wandte sich um und versuchte sich an einem Lächeln. Es misslang kläglich. Dennoch straffte er sich. „Es ist essentiell wichtig, dass die Regierung von Yura-Maynhaus in meiner Schuld steht. Das ist ein paar Opfer oder sogar ein paar Schiffe wert.“
„Was ist schon den Tod eines Menschen wert?“, erwiderte die terranische Reporterin sarkastisch.
„Alles was es wert ist zu leben, Carrie.“ Für eine Sekunde war da wieder die Unsicherheit in seinem Gesicht. „Alles was es wert ist zu leben.“

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Es klopfte an der Tür zu Takeru von Kantous privatem Büro. Automatisch bat er herein.
Sein Cousin Richard trat ein, in der Hand einen Batzen Papiere, die er stirnrunzelnd betrachtete. "Rudi, ich habe hier ein paar Daten, die..."
Ein mahnendes Räuspern des regierenden Grafen von B-King ließ ihn von seinen Papieren aufsehen. Der große dunkelblonde Mann ließ vor Schreck beinahe seine Akten fallen, als er den Gast erkannte. "Ja, Himmelherrgott, ist die Sonne explodiert, und ich weiß nichts davon? Wie ist denn das jetzt passiert?" Mit einem weit ausholenden Schritt stand er direkt neben dem Sessel von Takerus Gast und reichte ihm eine seiner großen Pranken. "Ganesh Patekar, welch seltener Gast auf unserer Welt. Geschweige denn in diesem Büro."
Der untersetzte, kleine Mann ergriff die Hand und schüttelte fest. "Machst du immer noch deine zehn Kilometer jeden Morgen, Rick?", fragte er in mahnendem Tonfall.
Der große Mann lachte nervös. "In letzter Zeit sind es leider nur fünf, und das jeden Tag an einem anderen Ort. Mein Miliz-Chef führt sich auf wie eine eifersüchtige Ehefrau und hütet mich besser als einen Goldschatz."
"Aber du bleibst in Form", stellte Hauptstabsbootsmann Patekar fest, nickte zufrieden und nickte wieder. "Wie ich vorhin schon sagte, Takeru, warum überspringt ihr nicht diesen ganzen Mist, und ruft dich zum Herzog aus? Letztendlich bleibt der Scheiß doch eh an dir kleben."
Takeru versteifte sich. Richard verkniff sich ein Auflachen.
"Mit Verlaub, Ganesh, aber ich raube meinem Onkel nicht den Thron, der ihm zusteht. Außerdem braucht er die Herzogswürde, um..."
"Andere sehen das vielleicht aus einem vollkommen differenten Blickwinkel", fuhr ihm der Inder barsch in die Erklärung. "Sie könnten argumentieren, das ein politisch unerfahrener Mann wie Johann sowohl mit dem Kaiseramt als auch mit dem Herzogtum von B-King vollkommen überfordert wäre."
"Sicher nicht", erwiderte Takeru mit verächtlichem Ton in der Stimme. "Ich habe Hannes persönlich trainiert und einen Großteil seiner Ausbildung zusammengestellt. Bevor er zur Flotte ging hatte er die Qualifikation, ein verdammtes Großherzogtum zu leiten. Wenn die Uniformköppe ihn nicht völlig versaut haben, ist so ein Planet für ihn mittlerweile eine Kleinigkeit. Oder ein Kaiserreich."
"Hört, hört", warf Richard ein, schnappte sich einen Stuhl, der an der Bürowand stand, und setzte sich interessiert. "Lasst euch nicht stören, redet nur weiter. Ich schätze mal, ich bekomme auf diese Weise Antworten auf alle Fragen, die ich habe."
Takeru hob eine Augenbraue. "Warum bist du überhaupt hier, Rick? Nichts zu tun auf Nanking?"
"Im Gegenteil. Da Mylord beschlossen hat, die PRAG auf dem Charlotte von Beijing-Gedächtnisraumhafen zu stationieren und die dazu gehörige Orbitalwerft verpflichtet hat, den Schweren Kreuzer zu reparieren, hat er mir alle anderen Aspekte des Dilemmas übergeben."
"Und mit diesen Dilemma kommst du jetzt zu mir?" Anklagend sah Takeru den Jüngeren an. "Wer war denn von uns in der Flotte? Du oder ich? Kriegst du die Problemchen nicht alleine hin?"
"Wie? Ich soll das alleine entscheiden. Gut. Stellst du deine Miliz zur Verfügung, oder soll ich meine nehmen?"
"Bitte was?", fragte Takeru verdutzt. Dabei stießen seine dichten, schwarzen Augenbrauen zusammen.
"Popow hat darum gebeten, das wir ihm Schiffspersonal, Bodentruppen mit Raumkampferfahrung und weitere Knights zur Verfügung stellen. Alles in allem hat er fünfhundert Leute angefordert. und jetzt frage ich mich, wo ich die her nehmen soll."
"Oh. Oh. Was für eine kapraziöse Entwicklung", murmelte Takeru mit einem dünnen Lächeln.
"Kapraziös? Mylord, bitte benutzen Sie keine Fremdworte in meiner Gegenwart, ohne sie zu erklären", brummte Patekar missmutig.
"Oh, die alte Regel. Sei dir nie zu fein zu fragen, wenn du etwas nicht weißt, sonst wirst du es nie erfahren", kommentierte Richard schmunzelnd. "Also, Rudi?"
"Kapraziös... In diesem speziellen Fall würde ich es mit unerwartet, aber nicht unwillkommen deuten." Takeru Rüdiger von Kantou grinste breit. "Popow, der alte Hund, weiß genau was die Stunde geschlagen hat. Mit fünfhundert B-Kinglern an Bord gibt er uns enormen Einfluss auf das Schiff selbst. Er etabliert sich in unserer Abwehrfront, bindet uns an ihn und nimmt all jenen Kritikern den Wind aus den Segeln, die behaupten, wir würden uns eine Natter an den Busen legen."
"Was vielleicht nicht ganz verkehrt ist. Immerhin hat Freddy auf dieser Welt Selbstmord begangen, oder? Ich hätte es Popow und seinen Leuten nicht einmal verdenken können, wenn sie ausgerastet wären."
"Sie hatten die Gelegenheit dazu, und haben sich für den Schutz von Lise entschieden", brummte Takeru ernst. "Also gut, wir werden ihnen ein paar Knights zur Verfügung stellen. Johanns Leute sind frei, oder? Und die meisten haben Schiffsdienst absolviert. Sie bilden den Kern der Truppe, welche die PRAG personell verstärkt. Selbstverständlich stellen sie ihre eigenen Offiziere."
"Nichts anderes hätte ich gemacht", erwiderte Richard ebenso ernst. "Und ich treffe ein paar Vorbereitungen, um im Notfall... Flexibel sein zu können."
"Tue das. Man muss Gelegenheiten ergreifen, wenn sie sich einem bieten."
Richard machte sich ein paar Notizen und nickte dazu mehrfach. Als er merkte, dass der Blick der beiden auf ihm ruhte, sah er überrascht auf. "Falls ihr euch fragt, warum ich nicht gehe... Warum sollte ich? Das hier verspricht interessant zu werden. Im Gegenteil, ich bin versucht, Mikhail einzufliegen. Davon einmal abgesehen ist es wohl endlich Zeit, einen neuen Herzog von Arling zu ernennen. Beides hängt wohl zusammen."
Takeru schnaubte halb amüsiert, halb frustriert. "Das kommt ja auch noch dazu. Und wenn ich den Herzogsposten übernehme, müssen wir gleich auch noch einen neuen Kantou finden!"
"Es ist ja nicht so, als ob das ein Problem wäre", warf Patekar ein. "Soweit ich weiß ist deine älteste Tochter auf dem besten Wege, eine erstaunliche Persönlichkeit zu werden. Man kann sie ins kalte Wasser schmeißen, wenn du ihr die richtigen Leute zur Seite stellst. Bis sie sich eigene gesucht hat."
"Caitlin? Gräfin von Kantou? Der Himmel bewahre meinen armen Kontinent vor ihrer Energie." Takeru seufzte. "Aber ihr habt in einem Punkt Recht. Solange Zak hier auf Arling lebte, konnte er es gut kompensieren, dass sein örtlicher Graf das Weltall terrorisierte, anstatt Zuhause zu arbeiten. Wenn ich noch länger hier bleibe, egal ob Herzog, oder Aushilfe, wird sich die Regierung auf Kantou mehr als schwierig erweisen. Ich brauche dringend einen Stellvertreter."
"Das nimmt in dieser Frage aber nicht den Druck von Johann", warf Patekar ein. "Wenn er quasi keine andere Wahl hätte als neuer Kaiser zu werden, könnte er anders handeln und hätte weit mehr Verbündete."
"Ich werde es schon schwer genug haben, meine Älteste zum Interimsgrafen zu machen. In den Parlamenten auf B-King ist man immer noch davon überzeugt, dass die höchsten Exekutivposten des Planeten mit Männern besetzt werden müssen. Ich kann das hinbiegen, darauf arbeite ich seit Jahren hin, aber die Mauer in den Köpfen der Menschen einreißen UND meinen Herzog zu hintergehen schaffe ich nicht gleichzeitig."
"Niemand spricht davon, dass du Johann hintergehen sollst! Aber wenn auf B-King klare Verhältnisse herrschen, hat er eine wesentlich bessere Ausgangsbasis. Abgesehen davon, dass die Befehlsstruktur dann wesentlich eindeutiger ist. Du hast nicht das Recht, aber die verdammte Pflicht, genau jetzt etwas für deine Welt zu tun und sie anzuführen. Nicht nur provisorisch in Johanns Namen, sondern als Herzog. Zurücktreten kannst du immer noch."
"Das ist viel Futter für ein einziges Pferd", raunte Richard amüsiert. "Ich muss ja beinahe froh sein, dass ich mich weiterhin nur mit meinem Kontinent abgeben muss."
"Mit dem Kontinent auf B-King, der die höchste Industrialisierung hat. Und du sagst nur", sagte Takeru amüsiert.
"Man gewöhnt sich dran. Ganesh, kannst du jetzt langsam mal die Karten auf den Tisch legen? Irgendwie kann ich nicht glauben, dass der Chef der Flottenversorgung nur zu einem Höflichkeitsbesuch und einem guten Rat hierher gekommen ist. Hast du Neuigkeiten über Elisabeth?"
"Ich habe KEINE Neuigkeiten über sie", sagte Patekar ernst. "Aber ich bringe ein paar sehr erschreckende Nachrichten mit. Ich hätte nicht gedacht, dass es schon so schlimm ist."
Interessiert beugte sich Takeru vor. "Der Einfluss der Putschisten auf die Meinung der Masse?"
"Auch. Aber vor allem die Infiltration von Flotte, Geheimdienst und Armee durch Kreuzbrüder und vergleichbare Organisationen anderer religiöser Organisationen. Sanssouci wird von ihnen geradezu überspült." Patekar erhob sich und entfernte den Mittelinger seiner linken Hand. Dahinter kam ein Multifunktionsanschluss zum Vorschein. "Darf ich, Takeru?"
"Natürlich, Onkel Ganesh." Bereitwillig überließ der amtierende Herzog von B-King dem Unteroffizier seinen Terminal.
"Ganesh, dein Finger bewegt sich noch."
Patekar presste den Stumpen auf die sensorische Schnittstelle. "Natürlich bewegt er sich noch. Es handelt sich um einhundert Prozent organisches Gewebe. Die Speichermedien und der Computeranschluss in meinem Mittelfinger besteht zu einhundert Prozent aus Knochenmasse und ist mit einer speziell gezüchteten Datenleitung mit einem Zellcluster in meinem Magen verbunden. Die Blutversorgung des Fingers ist etwas schwierig, aber solange ich ihn nicht zu oft abnehme, stirbt er nicht ab und wird auch nicht taub.
So, ich lade euch meinen gesamten Speicher ins System runter. Insgesamt viertausend Stunden Videos und etwas über fünfhundert Berichte und Dokumente. Wenn ihr von B-King wirklich etwas tun wollt, dann solltet ihr wissen, gegen wen ihr eigentlich kämpft."
Richard beugte sich vor, um die abgenommenen Finger besser beobachten zu können. "Interessant. Wächst der Nagel?"
"Natürlich wächst der Nagel. Der Datenspeicher und das Interface sind als Versteck konzipiert, und ein Versteck muss man tarnen. Deshalb hat der Finger alle biologischen Funktionen, die er haben soll."
Als der Download beendet war, nahm Patekar den Finger wieder auf und drückte ihn auf die Schnittstelle. Ein leises Zischen kam von seinen Lippen. "Ah, verdammt, wenn sich die Nerven wieder koppeln ist es jedes Mal dasselbe."
Takeru blätterte derweil durch die Daten. "Ultraheißes Material. Ich nehme an, der Geheimdienst hat es dir zur Verfügung gestellt."
"Nimm mal lieber an, dass ich es selbst besorgt habe. Der Geheimdienst braucht die Flotte nur, wenn er was zu transportieren oder zu beschießen hat. Aber ich habe das Material selbst schon gesichtet, es ist authentisch."
"Zusammenfassung?"
"Ich persönlich habe in den letzten Jahren bemerkt, dass der Zuzug von religiös orientierten jungen Offizieren seit zwei Jahren zugenommen hat. Was ich nicht gesehen habe ist, dass diese gezielt von höherrangigen Offizieren und Admirälen befördert wurden, um die Befehlsstruktur zu durchsetzen. Jene auf Sanssouci, wohlgemerkt, nicht den Schiffsdienst, wie es einst Frederec vor seinem Putsch getan hat. Aber er hatte auch wesentlich mehr Gefolgsleute."
"Handelt es sich also um ein lokales Phänomen? Haben sich die Kreuzler und ihre Verbündeten auf die Hauptstadt konzentriert?", warf Richard ein.
"Das zu behaupten wäre zu einfach", seufzte Patekar. "Das Problem ist wesentlich tief greifender. Es mögen ursprünglich nur wenige gewesen sein und es gehören vielleicht noch weniger zum inneren Kreis der Putschisten, aber sie haben Zulauf, enormen Zulauf.
Machen wir uns doch nichts vor, der Mensch ist ein ängstliches Fluchttier, das immer mit der Herde läuft. Nur wenige von uns haben das Zeug zum Leitbullen oder zur Leitkuh, und die bringt nichts aus der Ruhe. Die Herde folgt ihnen. In unserem speziellen Fall wurde die Herde vom Leittier abgeschnitten, und andere Tiere, die unwesentlich stärker als der Schnitt der Herde sind, haben die Lücke gefüllt. Und sie erhalten ihre Kontrolle, indem sie Angst, Hass und Unsicherheit schüren."
"Interessanter Vergleich, Ganesh", murmelte Richard. "Ach, und danke, dass du zweitausend Jahre moderner Menschheit negiert hast."
"Ich kann nur negieren was auch vorhanden ist. Jedenfalls waren Menschen schon immer eine ängstliche, vorsichtige Bande. Ihr ist es immer leichter gefallen zu hassen, zu fürchten oder zurückzuweichen. Die Götter wissen, wie lange wir gebraucht haben, um die Javaren als gleichberechtigte Bürger zu akzeptieren, obwohl sie vor Dankbarkeit regelrecht überflossen, und hierbei handelt es sich um unsere Freunde. In vielen Bereichen unserer Zivilisation ist es immer noch üblich, über die verdammungswürdigen Aliens zu reden, die die Frechheit haben, uns anzugreifen. Unser eigener Angriff während Freddys Regentschaft wird da nicht als Grund gesehen, sondern als Reaktion. Irgendwo in der Geschichte werden sie uns schon mal als erste überfallen haben. Zirrtekk und Jemfeld sind eigentlich weit weg, zumindest weit weg von Sanssouci, deshalb ist es einfach und sicher, die Außerirdischen zu verachten, zu hassen und ihnen nur das Schlechte zu wünschen. Vor allem sicher.
Und das ist der Nährboden, auf dem sich die Putschisten ausbreiten. Seit inmitten einer Demonstration eine Bombe gezündet wurde, die hunderten Kreuzlern das Leben gekostet hat, sickert mehr und mehr in die Gedanken der Menschen das Argument ein, dass Robert eigentlich böse ist, und dass sie von den neuen Machthabern mit Elisabeth an der Spitze gerettet wurden. Dass ihr uralter Hass auf die Außerirdischen berechtigt und richtig ist. Dass alle, die nicht für uns gegen uns sind. Ihr Einfluss wächst, und mit jedem Menschen, der sie unterstützt, bricht uns jemand weg. Der Rest? Zieht sich mehr und mehr zurück, geht mit der Masse mit und wagt es nicht, etwas zu sagen."
"Massenhysterie?"
"Herdentrieb. Wenn wir den Putschisten noch mehr Zeit lassen, um ihre Machtbasis zu rechtfertigen, wird der Großteil der Bevölkerung noch glauben, dass wir die Bösen sind."
"Vom Standpunkt der Putschisten sind wir das wohl auch. Fanatiker haben... eine eigene Anschauung von der Welt", wandte Takeru ein.
"Bist du nicht für uns, bist du gegen uns, eh? Ich hätte nicht gedacht, dass der Einwurf so verdammt treffend war", brummte Richard. "Und wie weit ziehen sich diese Kreise? Hinter den Putschisten steckt Macht über die Medien, ein kleines Heer an Mitgliedern, Nachahmern und Mitläufern, sowie eine satte Basis im Offizierskorps unserer Armeen. Hat dieses Debakel schon auf andere Planeten übergegriffen?"
Patekar runzelte die Stirn. "Ich wage zu behaupten, dass die Flotte loyal ist. Allerdings wird sie nicht wissen, wem gegenüber sie loyal zu sein hat. Und das ist unser Problem. Wir können Robert nicht so ohne weiteres rein waschen von den Vorwürfen der Miranda von Hohenfels. Nicht ohne wieder die Kontrolle über Regierung, Palast und Admiralität zu haben. Die politische Macht und die öffentliche Meinung aber liegt zur Zeit nicht in unseren Händen. Wir könnten von außen angreifen. Wir könnten einen Gegenputsch durchführen. Aber er würde weit mehr Tote kosten als es diese eine Bombe tat. Wohl auch weit mehr als die Revolution der Herzen."
"Wieder einmal Tote, geopfert auf dem Altar der Politik", knurrte Takeru unwirsch. "Starten wir eine Gegenkampagne?"
"Oh, die läuft ja schon, solange Johann das internationale Pressekorps bei sich hat. Er wird mehr und mehr zum Helden. Und auch für all jene, die ihn als Roberts Mann sehen, wird er zur zentralen Figur. Entweder wird er ihr Hauptfeind, oder ihre Leitfigur. Deshalb sage ich ja, belastet ihn nicht auch noch mit der Herzogswürde. Haltet ihm vollkommen den Rücken frei, bis er euch und den Titel wieder braucht."
"Das ist trotz allem sehr schwammig. Vor allem fehlen uns Daten darüber, wo sich Robert, Elisabeth und der junge Rend aufhalten. Es gibt doch Informationen darüber?"
"Leider nicht über das Mädchen und ihren weißen Ritter. Sie sind verschwunden als hätte der Erdboden sie verschluckt. Aber der Kaiser... Robert ist mit einem Tross loyaler Leute im Neu-Berliner Umland unterwegs. Er wechselt von Versteck zu Versteck und hält den Geheimdienst zum Narren. Noch. Aber für alle Kräfte, die noch loyal sind, ist es wichtig, dass der Kaiser in der Hauptstadt irgendwie präsent ist. Seine Aura muss quasi über dem Land schweben, wenn ihr so wollt."
"Ja, gute Idee, das macht ihn leichter auffindbar. Er kann schneller getötet werden", knurrte Takeru angriffslustig. "Wer hatte denn diese Schnapsidee? Ab nach Versailles mit ihm, rauf auf sein persönliches Lehen!"
"Robert hatte die Idee", erwiderte Patekar trocken.
"Oh."
Richard schnippte mit der rechten Hand. "Zwischenfrage, Ganesh. Was wissen wir über die Hintermänner? Ich erinnere mich, etwas über diesen Anasazi gelesen zu haben, aber der ist ja wohl nur ein Mann aus dem mittleren Management."
"Über die Hintermänner? Die scheinen in den höchsten Kreisen ihrer Religionen zu sitzen. In allen Religionen. Inwieweit sie für ihre Glaubensgemeinschaften handeln oder selbstständig tätig sind, kann ich nicht sagen, aber sie sind sicher nicht die einzigen. Die Tatsache, dass die Medien nach nur wenigen Wochen nach der Pfeife des Palasts tanzen, deutet daraufhin, dass verdammt viel Geld hinter dem Geschehen steckt. Hochindustrie, also."
Takeru straffte sich merklich. "Das weckt ein paar unangenehme Assoziationen mit unserer Familiengeschichte."
"Die Magno Stahl-Aufstände, was?" Richard grinste freundlos. "Damals floss auch viel Geld. Es gab private Armeen, private Flotten, private Killerkommandos... Und sie waren nicht sehr nett zu unserer Familie."
"Gibt es da eine Verbindung? Von Magno Stahl zu heute?" Takerus Stimme wurde düster. "Wenn ja, will ich es wissen! Diese Rechnung wurde nie wirklich beglichen!"
"Herdentiere, Mylord, Herdentiere. Wir sollten einen Schritt nach dem anderen gehen und die Rache als Abfallprodukt genießen", mahnte der Inder. "Wenn es eine Verbindung gibt, werden wir sie finden. Aber dazu werden wir uns durch viele Mitläufer, Fanatiker und jede Menge kopflose Menschen arbeiten müssen, die dem neuen Leittier folgen. Und mit jedem Tag werden es mehr."
"Also müssen wir handeln", stellte Richard fest. "Unabhängig von Han werden wir agieren müssen."
"Falls uns Magic Miranda nicht ohnehin bald auf den Pelz rückt, weil sie meint, mit der PRAG eine formidable Ausrede zu haben. Eigentlich rechne ich stündlich mit einer Polizeiaktion." Takeru atmete langsam aus. "Danke, Onkel Ganesh. Den Rest des Gesprächs sollten wir im Stab fortsetzen. Außerdem wäre ich dankbar für eine kurze Aufstellung von Geheimdiensteinheiten und Schiffen, die möglicherweise gegen uns in Marsch gesetzt werden könnten oder bereits wurden."
"Dafür bin ich da. Wird aber eine Menge Theorie sein."
"Wenn wir deiner Nase nicht vertrauen können, wem dann?", schmunzelte Richard.
In diesem Moment flog die Tür auf, und der junge Graf Angward platzte herein. "Ihr glaubt es nicht!", rief er aufgebracht. "Ihr glaubt nicht, was gerade passiert ist!"
"Ruhig, Mikhail. Hole erstmal Luft und sprich dann. Was glauben wir nicht?"
Graf Angward holte tief Luft. "In Yura-Maynhaus hat es einen Putsch gegeben."
Die drei Männer wechselten einen unsicheren Blick miteinander. "Einen Putsch?"
"Die Flotte hat sich dazu entschlossen, bis zur Untersuchung eines, Hm, Vorfalls keine Befehle ihrer Präsidentin mehr anzunehmen."
"Autsch. Ja, das würde ich als Putsch bezeichnen. Aber ist das nun gut oder schlecht für uns? Den Waffenstillstand hat Katalaun doch schon, oder?", warf Richard ein.
"Wie man es nimmt, Rick. Die Präsidentin, ihr Vize und die gesamte Exekutive ist geflohen, bevor mehrere Flotten Maynhaus dicht machen konnten."
"Auf jeden Fall ist es eine interessante Entwicklung. Vor allem wie Präsidentin Klages die Entwicklung beurteilt ist... Erschreckend. Aus dem eigenen Haus zu fliehen ist eine Entscheidung, die belegt, dass sie dort kaum noch Herr war. Wohin wendet sie sich? Will sie nach Terra? Kommt sie zu uns? Oder flieht sie in eine vollkommen andere Richtung?", hakte Takeru nach.
"Sie will in die Diadochen. Ich meine, ins neu entstandene Herculeanum. Und da beginnt die Scheiße zu dampfen."
"Bitte, Angward, nicht so eine demotivierende Gossensprache", mahnte Richard, und verschwieg wohlweislich, dass der junge Graf die meisten dieser Wörter von ihm kannte.
"Wieso am dampfen?", fragte Patekar. "Wenn sich Theseus und Konsorten damit herum schlagen müssen, sollten wir die Situation beobachten, aber sie ist für uns nicht bedrohlich."
Mikhail schnaubte amüsiert. "Ratet mal, wer Hals über Kopf mit einem Nemesis-Schlachtschiff und einer eigenen Flotte aufbricht, um Rhyanna Klages raus zu hauen?"
"Okay, die Kacke ist am dampfen", murmelte Takeru nach der ersten Schrecksekunde. "Han spielt also wieder mal den Helden, was?"
"Spielen würde ich das nicht nennen", brummte Richard. "Takeru, pfeif ihn zurück."
"Auf mich wird er nicht hören. Nicht wenn er sich was mit seinem Dickschädel vorgenommen hat", knurrte Graf Kantou ernst.
"Dann sollte wohl besser ich in Aktion treten", murmelte Mikhail, was ihm den verwunderten Blick seiner beiden Onkel und des Hauptstabsbootsmanns einbrachte.
Der junge Graf zuckte mit den Achseln und grinste dünn. "An meinen Ritter. Mit dem Auftrag, auf Johanns Arsch aufzupassen."
"Gute Idee. Aber sag ihm, wir brauchen eher den Kopf als den Arsch." Takeru schüttelte mit einem ironischen Lächeln den Kopf. "Manchmal kommt alles auf einmal. Zak, wie hast du das zweihundert Jahre ausgehalten?"
"Zu mir hat er mal gesagt, ein gesunder Masochismus ist für einen planetaren Herzog nicht verkehrt." Patekar lächelte schief. "Du musst trotzdem versuchen, ihn zurück zu pfeifen. Und sei es nur für die Medien, Takeru."
"Ja, ich weiß." Takeru Rüdiger von Kantou lehnte sich in seinem Sessel zurück und aktivierte seinen Terminal. "Cynthia, besorge mir eine Verbindung zur HERCULES."
***
"Verdammt noch mal!", stieß Rhyann Klages mit zusammengebissenen Zähnen hervor, während sich die PRETENDER schüttelte wie ein nasser Hund. Sie war eine große Frau von vielleicht einhundert Jahren, also im besten Lebensalter. Sie hatte nie Familie gehabt, ihre Karriere war stets wichtiger gewesen, und die Familien ihrer beiden Schwestern waren für sie ein lebhafter Ersatz geworden. Aber selbst ein Mensch wie sie konnte und musste sogar irgendwann einmal zur Ruhe kommen, um die letzten siebzig, achtzig Jahre ihres Lebens in ein wenig Ruhe zu beschließen. Bisher war immer irgendetwas dazwischen gekommen, was sie von einer Beziehung oder gar einer eigenen Familie abgehalten hatte. Hier eine Krise, dort ein Notfall, das übliche halt. Mittlerweile glaubte sie auch nicht mehr daran, eine gute Mutter sein zu können. Im Mark erzkonservativ hätte sie sich auch keinen anderen Weg zum eigenen Kind erlaubt als durch natürliche Geburt, einfach aus Trotz und Engstirnigkeit die Risiken und die Belastung auf sich genommen. Doch ihr hatte selbst die verdammte Zeit für eine dämliche künstliche Befruchtung gefehlt, weil ihr immer, immer, immer ihr Job in die Quere gekommen war. Oder weil sie es zugelassen hatte. Das Ergebnis war das selbe gewesen. Und nun tat der Job es wieder. Nun, auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, in ihrer Eigenschaft als Präsidentin der Republik Yura-Maynhaus, drohte ihr Job das restliche Leben zu fressen, das sie eigentlich noch vor sich geglaubt hatte. War das das Ende? Sicherlich, warum sonst sollte sie plötzlich über ihren unerfüllten und selten auftretenden Kinderwunsch hadern? Sie zischte wütend und ließ einen Raumfahrerfluch folgen, der einen Mann, ein Alien und Exkremente beinhaltete.
Wieder schüttelte sich die PRETENDER, und irgendwo im Innern führte eine Überlastung zu einer Explosion, deren dumpfes Grollen sogar bis hierher in die Zentrale klang. "Vielleicht war es keine gute Idee, eine Norfolk zu nehmen", knurrte sie angriffslustig, während die Zentrale rund um sie immer mehr in Hektik geriet. "Diese Mistdinger sind zwar schnell und gut bewaffnet, aber wenn der Gegner schon auf einen wartet oder wenn sich nur genügend Hunde auf einen stürzen, die schlicht schneller sind, dann passiert so ein Mist."
Eine große Hand legte sich auf Rhyanns Schulter. "Noch sind wir nicht abgeschossen oder geentert", sagte ihr Vize-Präsident, Jules Cranston. Trotz seiner Jugend von nur dreiundvierzig Jahren und seiner relativen Unerfahrenheit in politischen Bereichen hatte sie vorgehabt, im vorletzten Jahr ihrer Präsidentschaft zurückzutreten und ihm damit den Weg zur ersten eigenen Wahl als Staatsoberhaupt von Yura-Maynhaus zu bereiten. Das konnte sie wohl getrost ad acta legen, wenn sie alle als glutflüssiger Feuerball im eisigen All verteilt wurden.
"Es sieht aber auch nicht so aus als würde das nicht bald der Fall sein", erwiderte sie erstaunlich trocken, wenn man den Ernst der Situation in Betracht zog. "Wir hätten doch getrennte Schiffe nehmen sollen."
Cranston lachte unterdrückt. "Was? Noch ein Schiff finden, dessen Kapitän und Crew sich nicht von Admiral of the Fleets Helen Sourakis einschüchtern lassen? Seit wann glaubst du an Wunder?"
"Seit ich das erste Mal von einem Verrückten gehört habe, der neunzig Lichtjahre hinter der Frontlinie unsere Frachterrouten unsicher gemacht hat, ohne das wir ihn zu fassen gekriegt haben", erwiderte sie mit einem unwilligen Grinsen.
Ihr Blick ging durch die Zentrale, blieb bei Captain Mbeki hängen, und wanderte danach zu ihrem Ersten Offizier Matsumoto. "Lagebericht, Skipper!", verlangte sie mit klarer, deutlicher Stimme.
Erina Mbeki wandte sich ihr zu. Das hübsch modellierte, jugendliche Gesicht mit dem sanften Kaffeecreme-Teint verzog sich unwillig. "Ms. President, erlauben Sie mir bitte mein Schiff zu führen."
"Sofort, Erina!", sagte Rhyann bestimmt.
Mbeki seufzte tief und drehte ihren Sessel in Richtung ihrer beiden prominenten Passagiere.
"Vier Korvetten der Sektorenflotte begleiten uns und denken uns permanent mit Feuer ein. Sie sind Niemitz-Klasse, also sehr schnell, aber nicht sehr gut bewaffnet. Dennoch nagen sie sich mehr und mehr durch unsere Schilde und unsere Panzerung. Durchgehende überlastete Generatoren für Schilde, Pufferenergie und Waffen machen uns zudem zu schaffen. Ich denke nicht, das wir ihnen entkommen können. Sie werden uns hartnäckig begleiten, selbst beim Sprung nach Phoenix."
Rhyann legte den Kopf leicht schräg. "Wir sind im Loxley-System, richtig?"
"Ja, Ma´am. Elf Planeten, drei davon bewohnt."
"Ist einer dieser Planeten in einer realistischen Reichweite für die PRETENDER, Ma´am?"
Captain Mbeki zwinkerte überrascht. "Nummer vier, die Hauptwelt des Systems, Sherwood. Wir passieren ihn in einem Abstand von siebzehn Lichtminuten."
"Hm. Sehen Sie eine Möglichkeit, die Korvetten abzuschütteln?", fragte die Präsidentin gerade heraus. "Oder sie vorher zu vernichten, flugunfähig zu schießen oder zu entern?"
Ein überraschtes Raunen ging durch die Zentrale. Bisher hatte die PRETENDER nur eingesteckt, aber nicht ihre Zähne gezeigt. Einigen mochte das nicht schmecken, andere wollten sicherlich endlich zurückschlagen, nachdem das Schiff stundenlang unter Feuer gestanden hatte.
"Wir werden sie nicht abschütteln können", gestand Mbeki. "Außerdem werden uns entweder im nächsten oder spätestens im übernächsten System weitere, hastig zusammengezogene Einheiten auflauern. Aber lassen Sie das meine Sorge sein, Ms. President. Die alte Mbeki hat noch den einen oder anderen Trick unterm Hut."
Rhyann Klages verzog das Gesicht zu einem trotzigen Schmollmund. "Sind Sie bereit, auf diese vier Schiffe zu schießen, Skipper?"
Erina Mbeki wurde bleich, was bei ihrem kräftigen Teint ein erschreckendes Schauspiel war. Ein Räuspern verschaffte ihr ein paar Sekunden mehr Zeit, bevor sie zögerlich nickte. "Aye, Ma´am. Notfalls aus eigener Entscheidung, Ma´am."
Rhyann nickte zufrieden. Mbeki verlangte nicht von ihrer Präsidentin, den Befehl zu geben, der Kameraden das Leben kosten würde, hier und auf den anderen Schiffen.
"Was meinst du, Jules?"
Der große Mann zog die Augenbrauen tiefer. "Hat es an Bord bereits Verletzte und Tote gegeben, Skipper?"
"Wir... hatten dreizehn Ausfälle bisher. Ein Toter. Techniker", fügte sie erklärend hinzu.
"Ich finde, das reicht vollkommen", stellte Jules Cranston fest.
"Dann hat unsere Flucht hier wohl ein Ende", murrte Rhyann unzufrieden. Sie schnallte sich ab und erhob sich, was nicht wenige Besatzungsmitglieder Panik in die Augen trieb.
"Gentlemen, im Namen meiner Regierung bedanke ich mich für ihren Mut und ihre Opferbereitschaft. Es sieht ganz so aus als könnten wir den vier Schiffen der Niemitz-Klasse nicht entkommen. Und es sieht so aus als würden uns im nächsten System noch mehr Schiffe auflauern. Ich sehe das Ganze als großes, blutiges Schlachtfest, das ich an ihnen vornehmen lasse. So hatte ich das nicht geplant, als ich von Maynhaus geflohen bin. So hatte ich die Meuterei in der Flotte nicht bekämpfen wollen. Nicht mit unserem Blut, wenn unsere Worte gereicht hätten. Drüben im Exil, in Sicherheit, wo wir bestimmen können was wir sagen." Sie seufzte. "Zweifellos wird man uns ein paar Wochen oder gar Monate nicht zu sehen bekommen, zumindest solange Admiral Sourakis an der Untersuchung des "Vorfalls" arbeitet, der zur Beschuldigung meines Vize-Präsidenten führte. Aber ich bin sicher, letztendlich können wir uns rechtfertigen, und so klein die Chance auch sein mag, wir werden auf einen fairen Prozess hoffen. Aber lassen sie uns alle hier enden, bevor ich mehr als einen Toten auf meinem Gewissen habe. Signalisieren Sie dem Flaggschiff der Verfolger, dass wir aufgeben, Skipper. Befehl zum Beidrehen, bitte."
"Aye, Ma´am", sagte die Kapitänin der PRETENDER gepresst. "Funknachricht an die ARGUILE. Wir drehen bei und lassen uns entern."
"Aye, Aye, Ma´am."
"Ich denke, wir sollten die Zeit nutzen und ein paar Akten vernichten, oder was meinst du, Jules?"
"Keine dumme Idee. Sollen sich doch Sourakis und ihr Stab ihre Akten selbst zusammenstellen", brummte der Politiker, schnallte sich ab und erhob sich. In diesem Moment wurde das Schiff erneut erschüttert, und beinahe wären Cranston und Klages zu Boden gestürzt.
"Treffer Mittschiffs. Schwerer Laserwerfer", meldete die Schadenskontrolle.
"Verdammt, funken Sie denen rüber, dass sie das Feuer einstellen sollen!", blaffte Mbeki wütend.
"Ich tue die ganze Zeit nichts anderes, Ma´am!", rief der Cheffunker Lieutenant Bartholomew verzweifelt. "Aber sie betätigen weder den Eingang, noch antworten sie!"
"Haben Sie geprüft, ob die Anlage funktioniert?"
"Natürlich! Der Diagnose-Lauf hat keine Fehler gefunden! Man hört uns drüben, Skipper!"
Wieder wurde das Schiff erschüttert, und drei kleine Sekundärexplosionen begleiteten das Geräusch eindrucksvoll.
"Schwere Explosionen auf dem A-Deck. Einer der Türme ist explodiert, die eingelagerten Raketen hoch gegangen. Wir vermissen neun Crewmen!", meldete die Schadenskontrolle.
Mbeki lächelte gequält. "Klar Schiff zum Gefecht!"
Für eine Sekunde herrschte absolute Stille, nur ein feines metallisches Prasseln ging durch den Rumpf. Dann schlug Matsumoto entschlossen auf den Alarmknopf, und die Schiffssirenen riefen endlich, endlich alle Offiziere und Mannschaften auf Gefechtsstationen.
Entschuldigend sah Mbeki ihre Präsidentin an. "Bitte schnallen sie sich wieder an, Ms. President, Mr. Vice-President. Es scheint so als wollten sie uns nicht lebend haben. Mr. Bartholomew, funken Sie das Schiff in Not-Signal."
Der Cheffunker sah sie einen Augenblick entgeistert an, dann nickte er und gab die Anweisung ernst und wütend weiter.
"Erste Salve Feuer!", kam es vom Waffenleitstand. "Ziele: ARGUILE und SPECTRE."
Matsumoto streckte gebieterisch ein Hand aus. "Rollt das Schiff, um die anderen Waffen ins Spiel zu bringen! Alles bereit machen für einen Zero-G-Turn, um die Bugbewaffnung ins Spiel zu bringen! Torpedos klarmachen!"
"Torpedoraum meldet Rohre eins bis vier klar!"
"Ruder bereit zum Manöver!"
"Funk hier! Wir habe eine Antwort auf unser Notsignal!" Lieutenant Bartholomew sah überrascht auf. "Die Sherwood-Miliz detachiert gerade ihr Rüster-Regiment und zwei Korvetten der Heimatverteidigung! Wir sollen zum Planeten aufschließen!"
"Es ist nicht so als wenn wir eine andere Wahl hätten!", zischte Mbeki ernst. "Können wir ihnen trauen? Oder ist es eine weitere Falle?"
"Ihre Entscheidung, Skipper", sagte Rhyann ernst. "Aber bedenken Sie, selbst wenn es eine Falle ist, in Planetennähe können Überlebende besser geborgen werden."
"Aye, Ms. President. Nachricht an die Miliz: Wir sind unterwegs! Ihr Gefecht, Mr. Matsumoto."
"Aye, Skipper." Er erhob sich. "Rollt das Schiff! Feuerlösung auf TRINIDAT und MARDUK! Feuer auf mein Zeichen!"
Davon, dass das Schiff gerade gierte, sich zuerst auf den Kopf stellte und dann mit dem Bug in die Richtung zeigte, aus der sie gekommen waren, war nicht viel zu spüren. Lediglich eine Anzeige verriet, dass der Hauptantrieb abgeschaltet worden war, und das die reine kinetische Energie der letzten Stunden das Schiff voran trieb. Mit Hilfe der Steuerdüsen konnte der Bug nun in so gut wie jede Richtung zeigen, ohne dass die Beharrungskräfte den Rumpf zerrissen oder die Mannschaft zu kleinen hässlichen Proteinhäuflein zerquetscht wurde. Im Moment deutete der Bug auf zwei Korvetten, die schon seit Stunden an ihrem Schiff nagten. "Feuer", befahl Matsumoto kalt lächelnd.

"Was denkt sich Sourakis nur dabei? Glaubt sie wirklich, sie kann uns und die PRETENDER im eisigen All verschwinden lassen?", raunte Cranston ärgerlich. "Das Weltall ist eine sehr gute Asservatenkammer, vielleicht nur etwas weitläufig."
Klages schnaubte verächtlich. "Denkst du ich wäre aus meinem Büro und von meiner Hauptwelt geflohen, wenn ich nicht geglaubt hätte, dass unsere Gegner zu so ziemlich jeder Schweinerei bereit sind?", erwiderte sie trocken.
In diesem Moment explodierten zwei der vier Torpedos in den Schirmen der MARDUK, rissen ihn auf und gestatteten den schweren Bugpartikelwerfern der PRETENDER, das kleinere Schiff auszuweiden. Es hatte vorher schon kein "zurück" mehr gegeben, aber ab diesem Punkt würde es weh tun, einfach nur weh tun.
***
Als Arlings Komm-Gerät summte, war er beinahe erleichtert. "Ja?"
"Wir verlassen jetzt die Umlaufbahn um Leonidas. Kommst du rüber auf die Brücke?", fragte Arlene Schlüter.
Johann Arling schüttelte den Kopf. "Nein, übernimm du das Kommando. Ich denke mal, ich komme hier die nächsten Stunden sowieso nicht weg."
Arlene hob die linke Augenbraue, eine Geste mit vielen einzelnen Bedeutungen, die zu den stärksten Waffen weiblicher Körpersprache gehörten, weil man Frauen, die körperliche Reaktionen offen zeigten, besondere Aufmerksamkeit schenkte. "So? An Ellie kann es nicht liegen. Die ist wieder wohlbehalten auf der ELISABETH."
Arling lächelte dünn. "Ich warte auf die Strafpredigten, Lenie."
"Strafpredigten? Was hast du denn ausgefressen?"
"Du meinst, abgesehen davon, dass ich eine kaiserliche Flottille während des Waffenstillstands über die Grenze in die Republik bringe und dabei auch noch mein eigenes Leben riskiere?"
"Oh. OH! Mist. Würde Zak noch leben, würde er dich wahrscheinlich schälen, häuten, vierteilen und anschließend über kleiner Flamme rösten, oder? Und das nur über Überlichtkommunikation."
"Nur wenn er gute Laune gehabt hätte, Lenie. Ich bin sicher, Takeru oder Rick werden mit Freude für ihn einspringen."
"Und wenn die es nicht tun, sind da immer noch Jonathan, Tyrian und Sergej, nicht wahr?"
Arling schnaubte amüsiert als die Namen der drei Männer fielen. "Die dienen zum Glück auf der anderen Seite des Kaiserreichs. Würde mich nicht wundern, wenn sie im laufenden Krieg gegen Zyrrtekk und Jemfeld überhaupt mitgekriegt hätten, was auf dieser Seite des Reichs los ist."
"Unterschätze mal deine Schwager nicht, mein guter Junge. Und auch nicht den guten Sergej. Wer Sybille in den Griff kriegen konnte, für den ist ein kleiner Arling nur ein Snack zum Frühstück."
"Zum Glück sind sie sehr weit weg von dieser Seite des Reichs", meinte Arling amüsiert. "Nein, ich denke, Takeru wird mir mit Freude die Ohren lang ziehen. Und danach erwarte ich noch zwei, drei Anrufer, die... Nun, die mit meinem Kurs nicht einverstanden sind. Und zwar eigentlich schon seit gut einer Stunde. Eigentlich seit das Konklave geendet hat. Hat der Geheimdienst etwa keine Spione auf meinen Schiffen?"
"Was denn, darüber beschwerst du dich? Außerdem, wenn es wichtig ist, warum hast du es dann nicht Hauptmann Schmitt befördern lassen? Er hat doch alle Kontakte, als offizieller Geheimdienstmann."
Arling machte sarkastischen Laut. "Er ist desertierter Geheimdienstmann, Lenie. Genau die Art von Offizier, dessen Informationen immer und überall geglaubt wird."
"Er ist nicht desertiert. Keiner ist desertiert. So stellt es diese billige Kopie von Admiral von Hohenfels dar. In Wirklichkeit unterstützen wir nur deinen Anspruch auf den Thron, Han."
"Na, danke dafür. Du hast deine Anweisungen. Ich komme rüber, sobald meine Moralpredigten vorbei sind." Er sah demonstrativ auf die Zeiteinblendung des Verbindungshologramms. "Sollte jede Sekunde der Fall sein."
"Gut, gut. Erzähl mir wie es war."

Die Verbindung erlosch, und Arling nahm sich die Zeit, sich die Augen zu reiben. Verdammt, der Job war anstrengend, entmutigend und ärgerlich. Und das waren die guten Seiten. Vor nicht einmal einer Stunde hatte seine Flotte zweihundertsiebzehn Männer und Frauen verloren, Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften, die er sehr gut hätte gebrauchen können, und die natürlich alle aus der ursprünglichen Mannschaft gekommen waren. Erfahrene, eingespielte Soldaten, die es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren konnten, für die Republikaner und für die Präsidentin, welche den Krieg gegen Katalaun begonnen hatte, das eigene Leben zu riskieren.
Johann hatte das akzeptiert. Es war zu erwarten gewesen, aber dieser Aderlass tat entsetzlich weh. Wenigstens hatte er von den meisten Besatzungsmitgliedern, die er auf diese Weise verlor, das Versprechen, dass sie ihre alten Aufgaben wieder übernehmen würden, sobald die Flotte wieder das Herculeanum oder Katalaun erreicht hatte. Mehr konnte und durfte er nicht verlangen. Bis dahin stellte das Militär der Nisos Elektron seinen Leuten Platz in einer Raumhafenkaserne zur Verfügung.
Nachdem er seine überschüssigen Besatzungen auf drei zusätzliche Zerstörer und die HERCULES aufgeteilt hatte, war die Personaldecke der Kriegsschiffe schon erschreckend dünn geworden. Nun aber hatten seine Mannschaften vor einem ärgerlichen Kollaps gestanden. Dennoch wollte Johan n niemandem befehlen müssen, für eine Sache zu kämpfen, die er nicht mit dem Herzen vertrat. Wäre dem so gewesen, hätte er sich selbst schon längst wieder nach Katalaun getrollt und die Befehle der falschen Miranda von Hohenfels befolgt. Die Lösung für das Personalproblem waren weitere Veteranen und Freiwillige aus Hephaistos gewesen. Veteranen bedeuteten einen gewissen Ausbildungsstand. Zudem kamen die meisten aus Kriegsmarine oder Handelsraumfahrt sodass sie auf jeden Fall erfahrene Raumfahrer waren. Aber seine Mannschaften reduzierten sich dadurch von eingespielten Teams mehr und mehr zu grünen Trupps, die erst zueinander finden mussten. Alleine die HERCULES war trotz seines Zentralgehirns Iolaos ein Moloch, der Truppen fraß. Zwar hatten die Knight-Einheiten unter seinem besten Freund Charles den Anstand gehabt, ihre eigenen Piloten mitzubringen, aber die Wartungs-, Katapult- und Unterstützungscrews hatten teilweise ausgehoben werden müssen. Vor allem nachdem die erkleckliche Zahl von einhundert der zweihundert hephaistianischen Knights auf die HERCULES gewechselt war, dem einzigen Schiff, das diese Zahl plus der achtzig Knights aus Charlys Truppe bewältigen konnte. Wenigstens waren die Piloten der neu hinzu gekommenen Knights erfahrene Soldaten, die ihr Können gegen die Milizen von Vesuv mehr als bewiesen hatten. Charles hatte sie in zwei Bataillone zu fünf Kompanien aufgeteilt und ihnen ihre eigene Kommandostruktur gelassen, sowie ihre bisherigen Kommandeure im Majorsrang bestätigt. Der Rest der Knights hatte Aufnahme auf den drei neuen Zerstörern seines Verbandes gefunden und machte die drei Schiffe ELISABETH, FREDEREC und ROBERT ein kleines bisschen weniger zahnlos. Als Nebeneffekt hatte Charly seinen alten Freund und Untergebenen Jaime Madison vom Major zum Oberstleutnant befördert, um von vorne herein keine Diskussionen darüber aufkommen zu lassen, wer im Ernstfall das Kommando von ihm übernehmen sollte. Nicht, das Johann glaubte, die Veteranen würden im Gefecht lieber diskutieren als kämpfen, aber Tatsachen zu schaffen war schon immer eine gute Idee gewesen.
Dazu kam noch die erkleckliche Anzahl von achthundert für den Raumkampf ausgebildeten und ausgerüsteten hephaistianischen Infanteristen. Ganth hatte sie Kompanieweise auf die Schiffe der Flotte verteilt. Eine äußerst willkommene Personalspritze.
Alles in allem standen sie weit besser dar als erwartet, aber längst nicht so gut wie erhofft.

Als die Konsole erneut summte, bestätigte Arling beinahe mit Erleichterung. "Ja?"
"Myord, ich habe eine Direktverbindung mit Admiral von Hohenfels", meldete Leutnant Turnau. "Wollen Sie den Anruf entgegen nehmen?"
"Stellen Sie durch, Oberleutnant."
"Jawohl, Sir." Bevor sie jedoch die Schaltungen ausführen konnte, stutzte sie. "Mylord, Oberleutnant? War das ein Versprecher?"
"Eher ein Versprechen. Sie haben bis hier sehr gute Arbeit geleistet, und ich war jederzeit mit Ihnen zufrieden. Kapitän Schlüter und ich sind schon lange überein gekommen, Sie zu befördern. Bisher hatte ich nur nicht den Atem, um es zu tun. Betrachten Sie es hiermit als geschehen."
Das Gesicht der jungen Frau rötete sich vor Aufregung. "M-mylord, ich weiß nicht was ich sagen soll..."
"Ein schlichtes Danke und das Versprechen, in Ihrer Arbeit nicht nachzulassen, reicht vollkommen, Oberleutnant."
"Ja, Sir. Natürlich, ich meine, selbstverständlich werde ich nicht nachlassen!"
"Gut, dann stellen Sie jetzt Admiral von Hohenfels durch."
Sie nickte erfreut und immer noch ein wenig erschrocken, dann wurde ihr Gesicht vom offiziellen Zeichen der Admiralität Katalauns ersetzt, dem kaiserlichen goldenen Löwen.
Augenblicke darauf wechselte das Bild erneut und zeigte nun die schwer gezeichnete Miranda von Hohenfels - der Kopie, wie Arling schon seit dem ersten Tag vermutete.
"Arling, Sie Vollidiot! Sagen Sie mir, dass der Geheimdienst mir Mist erzählt hat und Sie NICHT in dieser prekären Situation in die Republik aufbrechen!"
"Danke für die angenehme Titulierung, Ma´am", erwiderte Johann düster. "Und ja, meine Flotte verlässt gerade den Orbit um Leonidas, um nach Yura-Maynhaus zu springen."
"Sind Sie jetzt vollkommen übergeschnappt?", blaffte die Frau aufgebracht. "Wir haben mit ihnen Frieden, Arling! Frieden! Wollen Sie uns diese Gelegenheit verderben und den Tod unzähliger katalaunischer Bürger und Soldaten unnütz werden lassen? Wie weit geht Ihre Hybris eigentlich?"
Johann bemühte sich eisern, keine Reaktion zu zeigen und war versucht, abzuschalten und die falsche Miranda im Ungewissen zu lassen. Aber die Versuchung war zu groß für ihn.
"Falsch, Ma´am! Yura-Maynhaus hat einen einseitigen Waffenstillstand erklärt! Ich habe ihn nicht angenommen, und Sie auch nicht!"
"Bei einseitigen Waffenstillständen ist es nicht üblich, ihn zu bestätigen! Entweder er wird akzeptiert, oder eben nicht!", blaffte sie wütend. "Und ich habe nicht vor, diese Ruhepause für meine Truppen wissentlich zu gefährden, Arling!"
"Ich sehe das vollkommen anders. Ich habe nicht vor, auf republikanischem Gebiet zu kämpfen, aber ich habe versprochen, Präsidentin Klages sicheres Geleit in das Herculeanum zu gewähren."
"Verdammt, Arling, es muss nicht mal ein Schuss fallen, um den Krieg zwischen uns und Yura-Maynhaus wieder heiß werden zu lassen! Wenn Sie rüber springen, reicht das vollkommen aus! Sind Ihnen die Leben Ihrer Flottenkameraden so wenig wert, dass Sie sie gedankenlos riskieren?"
"Im Gegenteil. Ich verschaffe ihnen einen unschätzbaren Vorteil. Denn wenn es mir gelingt, Präsidentin Klages zu erreichen und unter meinen Schutz zu stellen, wird man sich in der Flotte entscheiden müssen, ob man auf die Admiralität oder ihr Staatsoberhaupt hört. Diese Zeit der Verwirrung wird uns eine bessere und effektivere Ruhepause schenken als ein unsicherer, einseitiger Waffenstillstand." Ein dünnes Grinsen huschte über Arlings Gesicht. "Oder vielleicht sollten wir sogar in die Offensive gehen. Zwei, drei radikale Schläge auf Nachschubbasen, Flottenregionalkommandos und Frontraumhäfen sollten problemlos möglich sein und die Republikaner auf Jahre davon abhalten können, gegen uns Krieg zu führen. Wenn wir dann auch noch in Betracht ziehen, dass das Herculeanum die Kriegsanstrengungen von Yura-Maynhaus nicht länger mit Material unterstützt, könnten wir durchaus ein paar Welten erobern und halten - dauerhaft."
"Sie sind ein Traumtänzer, Arling! So eine aggressive Politik ist..."
"Doch genau das, was Sie wollen! Und wenn Sie die Schiffe und Mannschaften, die Sie in diesem Moment an die Zyrrtekk-Front versetzen, nachdem sie an der republikanischen Front frei geworden sind, umkehren lassen, dann haben Sie auch die Mittel dazu! Aber nein, trotz allem leben in der Republik ja Menschen, und Ihr großer Traum ist es ja, die Alien-Völker zu bezwingen und ihre Welten zu erobern!"
Für einen Augenblick zeigte sich offene Bestürzung auf dem Gesicht der Frau.
Arling erkannte, dass er mit seiner Spekulation voll ins Schwarze getroffen hatte. Also waren wirklich Schiffe und Material in diesem Moment auf dem Weg zum noch immer laufenden Krieg zwischen Jemfeld, Zyrrtekk und Katalaun. Mit weiteren, kampferprobten Schiffen würde so aus einer langsamen Offensive eine schwungvolle werden und die katalaunischen Welten, welche die Außerirdischen hielten, ein für allemal zurück erobern. Danach würden sie sich dem Problem der auch auf diesen Welten entführten katalaunischen Bürger annehmen können. Aber all dies würde noch immer mit dem Risiko geschehen, dass Yura-Maynhaus sich fangen, den Waffenstillstand aufkündigen und wieder angreifen würde. Nachdem es der Republik nicht gelungen war, den Europa-Pakt aus den Diadochen herauszulösen, würde sich die Admiralität vielleicht wieder auf die offensichtlichere Beute stürzen. Und in diesen unsicheren Zeiten waren Schiffe des Kaisers auf dem Weg zur falschen Front?
"Meine Strategien gehen Sie überhaupt nichts an, Arling!", blaffte von Hohenfels, um ihre Bestürzung zu übertünchen.
Johann winkte harsch ab. "Lassen Sie die Schiffe beidrehen und zurückkehren. Es könnte demnächst sehr laut und sehr gefährlich an diese Grenze werden. Wenn Sie allerdings den Verlust einiger katalaunischer Welten an Ihre republikanischen Freunde bereits eingeplant haben, bitte ich für diesen Vorschlag um Verzeihung. Man sollte einen Verräter nie bitten, seinen eigenen Strick zu knüpfen."
"Sie...", rief von Hohenfels mit tiefrotem Gesicht. "Ich hoffe, Sie krepieren mit Ihrem verdammten Monsterschiff in der Republik! Das wird nämlich angenehmer für Sie sein, als wenn ich mich persönlich um Sie kümmere, Arling!" Die Verbindung erlosch, als die falsche Admirälin abschaltete. Sie war doch eine Fälschung, oder? Bisher hatte der Geheimdienst, beziehungsweise die Kreise, die er beauftragt hatte, noch nicht herausgefunden, wer da in Neu-Berlin saß und vorgab, Miranda von Hohenfels zu sein. Es bestand also immer noch die Möglichkeit, es hier mit dem Original zu tun zu haben. Eventuell einer mental unterworfenen Miranda. Oder einer gezwungenen Miranda. Beide Optionen waren in keiner Weise erfreulich.
Wirklich erfreulich war hingegen die Tatsache, dass er mit seiner Aktion ihre Pläne ordentlich und nachhaltig durcheinander gewirbelt hatte. Sie hatte niemanden, den sie hätte vorschieben können, solange Elise und Robbie auf der Flucht und gewissermaßen in Sicherheit waren, und dennoch hatte sie sich zu einem Anruf durchgerungen, um ihm ins Gewissen zu reden. Ha, bei der echten Miranda, wäre er schon nach dem zweiten Wort auf dem Heimweg gewesen und wäre noch ausgestiegen um zu schieben, damit es schneller voran geht. Bei ihr aber verspürte er eine tiefe Zufriedenheit, wenn er sah, wie gut er sie getroffen hatte. Denn weder die Flucht von Präsidentin Klages noch seine Intervention zu ihren Gunsten kam in ihren bereits halb zerstörten Plänen vor, dafür hätte er garantiert.
Was aber wenn sich das republikanische Militär tatsächlich schneller fing als gedacht, wenn es wirklich in die nun geschwächten Frontlinien Katalauns einbrach? Ein düsteres Lächeln ging über Johanns Züge, weil die Antwort so offensichtlich war. Dann würde er sein Bestes geben, um Admiral of the Fleets Helen Sourakis eine nervenaufreibende Zeit zu bieten.

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"Einer erledigt", murmelte Johann leise vor sich hin. Wer würde der Nächste sein?
Wieder summte das Komm. "Ist es diesmal B-King? Oder habe ich die Ehre mit Tyrann Theseus?"
Turnau sah ihn überrascht an. Arling registrierte amüsiert, dass sie es geschafft hatte, sich bereits je einen Extra-Stern pro Schulter anzustecken. Das bedeutete dann wohl, dass Lenie die Beförderung sofort bestätigt und die Sterne höchstwahrscheinlich selbst angesteckt hatte. Letztendlich waren solche improvisierten Zeremonien eindrucksvoller als die mit Trara und Tamtam.
"B-King, Mylord. Ihr Neffe Graf von Kantou."
Arling schnaubte amüsiert bei dem Gedanken, dass ein Mann, der ihn an Lebensjahren um das Doppelte übertraf, in der Tat sein Neffe war. "Na, dann stellen Sie den guten Mann mal durch."
Das Bild wechselte, und Arling nutzte die Gelegenheit, um sich noch einmal über die spröden Lippen zu lecken und die Gesichtsmuskeln zu dehnen.
"Schneidest du mir Faxen, junger Mann?", klang die drohende Stimme von Takeru Rüdiger von Kantou auf.
Auf dem Bildschirm waren nun nicht nur der derzeitige amtierende Herzog zu sehen, sondern auch Richard Johnston und Mikhail.
"Nicht im Mindesten, Mylord. Ich habe lediglich meine Sprechwerkzeuge etwas gelockert." Er musterte die illustre Dreierrunde. "Also, was wollt ihr?"
"Habe ich es nicht gesagt? Johann zu beeindrucken ist schwieriger als eine Sonne in einer Dyson-Sphäre einzufangen", brummte Mikhail amüsiert. Der strafende Blick seines Onkels Richard ließ ihn verlegen murmelnd zu Boden sehen.
"Dich zur Vernunft bringen", sagte Takeru ernst, ohne auf die Störung durch Mikhail einzugehen. "Hannes, du kannst NICHT einfach nach Yura-Maynhaus fliegen! Schick deine Leute, übergebe die Flotte Coryn Griffin oder Lenie, aber bleibe gefälligst im Hercules."
"Herculeanum", verbesserte Richard.
"Meinetwegen auch das!", erwiderte Takeru fest. "Oder noch besser, komm ins Reich zurück. Ich habe mit deinem neuen besten Freund Johannes von Baaden gesprochen. Der kleine Kampfzwerg ist nicht nur bereit, deinen Thronanspruch zu unterstützen, er hat auch zugesagt, dir einen Großteil seiner Flotte mitzugeben. Jetzt wo die neue Königin der Herculium den Kriegsaustritt versprochen hat..." "Herculeanum", verbesserte Richard.
"Himmelherrgott, ja, verdammt, Herculeanum! Herculeanum! Herculeanum! Bist du jetzt zufrieden, Rick? Kannst du dann endlich aufhören ihm zu helfen, und stattdessen auf unserer Seite weiterspielen? Ja? Geht das?"
"Ich meine ja nur. Wenn das Herculeanum tatsächlich aus dem Krieg austritt, werden uns die Teilstaaten wieder mit Waren beliefern wollen. Waren, die wir dringend brauchen. Eventuell bauen sie sogar wieder Kriegsschiffe für uns. Dass unser Geld nicht stinkt hat Han ja eindrucksvoll bewiesen, als er einfach auf Oplontis Schiffe eingekauft hat. In dem Fall sollten wir schon den alten neuen Namen ihres Staates beherrschen."
"Richtig, da war ja noch was. Hannes, wieso hat du achtunddreißig Milliarden Mark ausgegeben? Es war ein erheblicher Schlag für unser Bankenwesen, als diese riesige Summe Buchgeld ohne Gegenwert im Herculeanum verschwunden ist."
"Nun schau mich nicht so vorwurfsvoll an, Takeru", murrte Arling. "Sieh es als Investition in die zukünftigen Beziehungen zwischen B-King und dem Europa-Pakt."
"Das war ja so klar. Nur du kannst achtunddreißig Milliarden Mark als Investition bezeichnen. Johann, damit kaufen andere Staaten ganze Planeten! Und wenn deine verdammten Kampfschiffe, die du mit unserem Geld bezahlt hast, in Yura-Maynhaus zu Schrott geschossen werden, haben wir nicht einmal mehr den Sachwert! Okay, Kriegsschiffe sind dazu da, um im Krieg zerstört zu werden, nachdem sie andere Schiffe zerstört haben. Aber diese Schiffe gehören uns, Johann! Der Wirtschaft und der Bevölkerung von B-King! Bringst du sie nicht nach Hause, dann ist das wie ein geplatzter Riesenkredit! Auch so stehen wir schon ziemlich dumm da, weil du uns praktisch ausgeraubt hast!"
"Ein netter Versuch, Takeru, aber du scheinst zu vergessen, dass ich durchaus mehr sehe als meine eigene Uniform und meine eigene Position. Als ich das Geld mitgenommen habe, geschah das weder aus dem blauen Dunst heraus, noch mit dem Hintergedanken, unserer Wirtschaft zu schaden. Im Gegenteil. Jede Million war mit Vater abgesprochen. Insgesamt hat er mir neunzig Milliarden anvertraut. Ich gebe zu, dafür muss Mrs. Monterney lange stricken, aber er hat gesagt, er würde mich in eine verrückte Geschichte fliegen sehen. Und verrückte Geschichten erfordern verrückte Maßnahmen."
"Und du fliegst knappe vierzig Milliarden Mark an Steuergeldern in den sicheren Untergang. Egal wie viele Schiffe du hast, Yura-Maynhaus hat noch mehr."
"Kriegsschiffe sind dazu da, um Krieg zu führen. Und wenn wir sie noch ein wenig einfliegen, sind sie umso besser."
"Auf die Schiene klappt das nicht, Onkel Rudi." Mikhail drängte sich vor. "Johann, meinetwegen lass die gesamte Flotte in den Untergang fliegen. Aber du, mein Bester, sollst nächster Kaiser von Katalaun werden. Glaubst du, auch nur einer von uns dreien hat Lust darauf, diesen Job für dich zu machen? Also halte die Klappe und schaff deinen Arsch wieder auf diese Seite der Grenze!"
Arling zog die linke Augenbraue hoch. "Was habt ihr dem denn zu fressen gegeben? Mikhail, du Rotzbengel, wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden?"
"Wenn du mich anders nicht verstehst, werde ich eben direkt! Du weißt doch ganz genau, dass unser Anspruch auf den kaiserlichen Thron mit dir steht und fällt!", erwiderte Graf Angward.
"Das ist Quatsch, und das weißt du auch. Egal wie wir es zählen, deuten oder interpretieren wollen, egal an welcher Stelle der Thronfolge Vater war, und egal auf welche Position ich aufgerückt bin, solange die Vollversammlung der Herzöge Elisabeth das Recht aberkennt die Kaiserkrone zu beanspruchen, haben wir unseren Job getan. Wer danach an der Reihe ist, kann niemand vorher sagen. Natürlich wäre es nett, in dem Punkt etwas Sicherheit zu haben. Ein Lebenszeichen von Robert wäre da übrigens erfreulich, denn das würde bedeuten, das jemand der den Job kennt ihn auch weiter machen kann. Aber andernfalls... Es kann einen Beijing erwischen, vielleicht die von Baadens. Vielleicht eine vollkommen andere Familie oder eine Einzelperson, die kein planetarer Herzog ist, aber ungemein fähig für das Amt des Kaisers. Die Erbregel gilt nur für den Erbfall, auch wenn wir sie in Frederecs und Roberts Fall angewendet haben. Das bedeutet nicht, dass das Parlament immer das Offensichtliche tut. Und vergesst nicht, ich mache den ganzen Scheiß hier nur mit, damit Robert wieder auf den Thron kommt und uns andere für die nächsten vierzig, fünfzig Jahre mit dieser Geschichte verschont. Abgesehen davon, dass nebenbei ein Putsch und eine Diktatur verhindert wird."
"Verdammter Pragmatiker. Ich habe dir das nicht beigebracht", murrte Takeru.
"Was ich sagen will ist: Auch wenn manche mich schon auf dem Kaiserthron Katalauns sehen, ich will den Job gar nicht! Ich mache das alles nur, um unsere Familie zu beschützen, um die Versailles zu beschützen. Robert und Elise sind die letzten direkten Erben, der letzte Teil dieses Zweigs unserer Familie. Abgesehen davon sind sie für mich wie Geschwister. Ich kann sie nicht in Stich lassen und ich werde sie nicht hintergehen. Wenn Robert dem Putsch zum Opfer fällt, werde ich Elisabeth befreien und ihr helfen den Thron zu besteigen, sofern sie ihn aus freien Stücken annimmt. Wenn Elisabeth sterben sollte, werde ich Robert unterstützen, damit er wieder seinen angestammten Platz einnehmen kann. Und sollten beide sterben - wofür die Nymphen uns bewahren mögen - werde ich einfach diesen ganzen religiösen Putsch zerschlagen, den Leuten wieder Vernunft einbleuen und dem nächsten Kaiser von Katalaun dienen, auf den sich das Parlament einigen wird. Im Moment spiele ich nur eine verdammte Farce, um Elise zu beschützen, ihr Leben wertvoll erscheinen zu lassen. Und ich will damit von Robbie ablenken, so gut ich es von hier aus kann."
"Hugh, der Idealist hat gesprochen. Junge, warum bist du eigentlich zum Militär gegangen? Du würdest einen tollen Prediger abgeben. Johann Arling von der heiligen Kirche der Selbstlosigkeit. Du hättest einen prima Zulauf", scherzte Mikhail.
"Takeru, kannst du mal einen weit ausholenden Schlag nach links tun, und deinem Neffen einen Schwinger in den Magen verpassen?", fragte Arling mit düsterer Miene.
Sicherheitshalber sprang der junge Graf nach hinten. "Man wird bei euch alten Männern ja wohl noch einen Scherz wagen dürfen."
Takeru unterdrückte ein Schmunzeln, Richard war nicht so gut darin und grinste breit. Vorsichtig kam Graf Angward wieder näher.
"Also gut. Ich verstehe deine Argumentation. Aber hast du daran gedacht, dass du letztendlich DOCH irgendwie auf dem Kaiserthron landen könntest, Johann? Du kennst doch Ganesh Patekars Lehrsatz Nummer eins, oder?"
"Wenn du etwas tun kannst, dann tue es, sonst machen es Schlechtere für dich", intonierte Arling. "Sollte es keinen besseren Anwärter als mich auf den Thron geben, wenn all das hier vorbei ist, dann steht es allerdings sehr schlimm um Katalaun, meine Herren."
"Jeder kämpft da wo er hingestellt wird. Das solltest du am besten wissen, Graf Arling", erwiderte Takeru ernst. "Ich gebe dir jetzt einen direkten Befehl als regierender Herzog von B-King. Und du wirst in ausführen, junger Mann."
Arling straffte sich. Er spannte seine Kiefermuskeln an und starrte den Mann, der ihn ausgebildet hatte, düster an.
"Komm gefälligst lebend zurück, du verdammter Soldat!", presste Takeru zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor. "Ich will nicht noch einen Beijing beerdigen müssen, bevor die Reihe an mir ist. Versprichst du mir das?"
Für einen Moment war Arling wirklich sprachlos. Er öffnete die Arme und erwiderte: "Im Kampf kann man nicht..."
"Versprich es mir!", sagte Takeru Rüdiger von Kantou hart.
Arling erstarrte. Langsam nickte er. "Gut, Takeru. Ich verspreche dir, dass ich lebend zurück komme. Auf irgend einem Weg."
"Gut. Das reicht mir. Du neigst nämlich dazu, deine Versprechen zu halten." Der amtierende Herzog erhob sich. "Wir unterstützen dich von hier aus so gut es geht. Aber wir rechnen demnächst mit einem Angriff von Mirandas Lakeien. Wir sind der nächstgrößte Machtfaktor in direkter Nähe von Montillon, der größte Dorn in ihrem Fleisch. Sie wird sich um uns kümmern. Und wir werden uns um ihre Lakeien kümmern."
Arling nickte schwer. Insgeheim hatte er sich schon gefragt, warum die falsche Miranda B-King so lange ignoriert hatte, nachdem der Versuch, Frederecs Leiche zu stehlen, so furchtbar schief gelaufen war. Er schätzte diese Frau so ein, dass sie nicht geruht hätte, um ihr Ziel zu erreichen. Anscheinend aber gab es noch jemand über ihr, der sie, wenn auch nur wenig, an den Zügeln hielt.
"Sorgt dafür, dass ich noch eine Heimat habe, wenn ich wieder komme", erwiderte Arling salopp.
Die drei Männer grinsten zuversichtlich, Johann Arling nichte ihnen aufmunternd zu.
Die Verbindung erlosch, und Arling fragte sich, ob dies die letzte Gelegenheit gewesen war, die drei lebend zu sehen. Dabei ließ er es offen, wer am Ende nicht in der Lage sein würde, den anderen zu sehen, er oder einer der Grafen. Oder alle vier...

"Mylord Arling?", meldete sich Turnau zum dritten Mal.
Johann zählte in Gedanken nach und kam zu dem Schluss, dass nun jemand aus dem Herculeanum an der Reihe war. Also entweder Theseus der Dritte, oder ein anderer hochrangiger Vertreter der neuen Regierung, die gerade aus dem Städte-Rat im Entstehen begriffen war. Eventuell Jenna Toral, die neu ernannte Königin, oder Admiral Bekatorou. wenn er sehr viel Pech hatte die Nymphe Nyhartes Daiana Nissos.
"Stellen Sie durch, Oberleutnant", sagte er mit einem Seufzer.
Das Bild wechselte und zeigte nun Tyrann Theseus, wie Arling zuerst erwartet hatte. Hinter ihm war die Zentrale der PHILIPP IV zu erkennen, es wurde eifrig gearbeitet, und der Herrscher der Nisos Elektron sah finster auf ihn herab. "Ich grüße Sie, Johann."
"Guten Morgen, Mylord. Lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen und Ihnen für die Gastfreundschaft danken, die meine Leute, unsere Zivilisten und ich selbst auf Leonidas erfahren durften. Es wird Sie sicher interessieren, dass die Whale-Transporter mit der OLYMP zusammengetroffen sind und ebenfalls noch heute Richtung Katalaun springen werden. Bei dieser Gelegenheit bedanke ich mich für den Geleitschutz, den uns die Nisos Elektron spontan zur Verfügung gestellt hat."
"Wir können ja schlecht den ganzen Trara um die Menschen in Hephaistos veranstalten, komplette Flotten einfliegen, den Pakt entmachten und das Herculeanum neu gründen, und dann die Auslöser der ganzen Aktion vollkommen schutzlos lassen, nachdem der Mann, der eigentlich dafür zuständig ist, etwas anderes vorhat."
Arling musste in Gedanken zugeben, dass der Hieb gesessen hatte. Verdammt, von diesem Mann konnten sich die falsche Miranda, seine Neffen und Mikhail noch eine große Scheibe abschneiden. Theseus hatte ihn gepackt wo es weh tat. Bei seiner Ehre, bei seinem Pflichtgefühl. "Verlangen Sie von mir, Mylord, dass ich...", begann Arling, aber der Tyrann unterbrach ihn.
"Mylord Kommodore, ich verlange gar nichts. Ich will nur eines von Ihnen wissen: Warum fliegen Sie in die Republik Yura-Maynhaus? Ihnen ist doch bewusst, dass wir gerade erst den Kooperationsvertrag gekündigt haben und uns jetzt sehr misstrauisch beäugen. Überhaupt ist das eine schlimme Zeit für uns. Es wäre nicht das erste Mal, dass umliegende Staaten die Gelegenheit ergreifen würden, um das eine oder andere System aus einen unserer Teilstaaten zu picken. Alles was in unseren Status Quo Unruhe bringt, in etwa wie Ihr merkwürdiger Trip, Arling, sollten wir eigentlich vermeiden."
"Gegenfrage, Mylord. Als sich Präsidentin Klages für die Diadochen, also das Herculeanum als Ziel ihrer Flucht entschieden hat, tat sie dies aus eigenem Entschluss, oder geschah dies mit Admiral Torals Billigung."
Theseus lachte leise. "Sie haben sich also auch noch nicht dran gewöhnt, Arling. Es wird besser, sobald sich die Frau Admiral für einen Namen entschieden hat, den sie als offizielles Regierungsoberhaupt tragen wird. Ich konnte sie davon überzeugen, dass Jenna die Erste nicht optimal klingt." Seine Augen verengten sich leicht. "Was Ihre Frage angeht, natürlich haben wir uns entschlossen, der Präsidentin ein Refugium und eine Basis zu bieten. Letztendlich müssen wir zu diesem Zeitpunkt davon ausgehen, dass wir unseren Ärger der Flotte verdanken, nicht ihrer Regierung." Theseus stutzte. "Zumindest nicht in vollem Umfang."
"Das ist gut formuliert." Arling verzog die Lippen zu einem zynischen Lächeln. Ob und wie stark Rhyann Klages tatsächlich in diesem gigantischen Streich involviert war, würde er sie persönlich fragen, sobald er sie traf.
"Dann beantworten Sie jetzt meine Frage, Mylord Kommodore", sagte Theseus streng.
Arling nickte ernst. "Nun gut. Erstens kann ich die Gryanen, also Griffins Gryanen, um genau zu sein, nach allem was sie für kaiserliche Untertanen getan haben nicht alleine kämpfen lassen. Und zweitens hat mich Präsidentin Klages persönlich angefordert. Und wer bin ich, dass ich die Bitte einer Präsidentin ablehne?"
"Dann gehen Sie also als Paladin der Präsidentin?", fragte Theseus ernst.
Arling nickte. "So kann man es formulieren."
"Werden Sie Hilfe anfordern? Meine Truppen, Flotten des Städte-Rats, Phillippii oder Perseii?"
"Ich habe es nicht vor, Mylord", erwiderte Arling wahrheitsgemäß.
"Dann fliegen Sie, mit meinem Segen. Holen Sie Rhyann aus diesem Schlamassel raus und lassen Sie uns etwas Licht in dieses Durcheinander bringen."
Überrascht hob Arling beide Augenbrauen. "Das ist.. erfreulich einsichtig, Mylord."
"Ach, Sie hatten also schon ein paar Anrufe?", fragte Theseus amüsiert.
"Ein paar", wich Arling aus.
"Es wundert mich nicht. Tun Sie was Sie nicht lassen können, aber tun Sie es gut, Mylord Kommodore."
"Ich gebe mein Bestes." Arling deutete eine Verbeugung an.
Theseus nickte ihm zu und machte Anstalten, die Verbindung zu beenden. Doch dann hielt er inne. "Mylord Kommodore, ich hätte da noch eine ganz persönliche Bitte. Capitaine Cochraine, die Beraterin von Commodore Griffin, sie... ist mir sehr lieb und teuer. Achten Sie bitte darauf, dass Coryn sie gut behandelt, ja? Sie hat es verdient, und sie ist weit gegangen, um einen Mann zu finden, der zu ihr passt." Die Augen des Tyrannen wurden bei diesen Worten wehmütig, und der Verdacht lag nahe, dass er einer der Männer gewesen war, die nicht "gepasst" hatten.
"Ich verspreche es", sagte Arling ernst.
"Danke, Han. Das bedeutet mir sehr viel."
Die beiden Männer nickten sich zu, dann erlosch der Bildschirm.

Arling lehnte sich nach hinten und dachte nach. Wenn nicht noch Robert oder Johannes von Baaden durch klingelte, dann sollte es das gewesen sein. Eventuell noch ein Drohanruf von Starway oder nur von Sourakis, um ihn von seiner Mission abzuschrecken. Eventuell. Aber im großen und ganzen hatte er die Moralpredigten hinter sich. Alle bis auf eine, erkannte er, als zwei schmale, aber kräftige Hände das Muskelfleisch in seinem Nacken zu massieren begannen.
"Willst du mir auch predigen, Nyhartes?", fragte er in einem Anflug von müder Ironie.
"Nicht Nyhartes, Mylord", entgegnete eine dunkle Altstimme. "Aber predigen trifft es.
Johann wandte sich um und seufzte schwer. Okay, ZWEI Predigten hatte er noch hinter sich zu bringen. Hinter ihm standen, wer weiß wie lange schon, Admiral Bekatorou und Nyhartes Daiana Nissos. Sie lächelten freundlich, aber das konnte nicht über ihre Absichten hinweg täuschen. Die zarten Hände, die seinen verkrampften Nacken durchwalkten gehörten der Admirälin der Herkuleanischen Garden.
"Ich dachte, Nymphen können nicht von System zu System teleportieren?", mutmaßte Arling, während er sich Nyhartes zuwandte. "Vor allem nicht mit zwei Passagieren."
"Wir haben nicht behauptet, von System zu System teleportiert zu sein", entgegnete Nyhartes und lächelte. Sie war vollkommen materiell, und ihre offensichtliche perfekte Schönheit konnte ein Auge, das nicht daran gewöhnt war, in Kombination mit dem Lächeln für immer blenden. "Aber es war ein netter Versuch um herauszufinden, über welche Fähigkeiten wir Nymphen verfügen."
"Das war es wert. Denn obwohl ich glaube, dass ihr Nymphen niemals etwas tun werdet, was euren Schutzbefohlenen schaden würde, bin ich mir nicht sicher, ob wir Katalauner für immer zu diesen Schutzbefohlenen gehören werden."
"Das, mein lieber Hannes, liegt einzig und allein bei euch", entgegnete die Nymphe.
Ihr Lächeln wurde ein wenig wehmütiger. "Du musst wissen, wir mischen uns nur sehr selten, und dann nur ungern in die Angelegenheiten der Menschen ein. Das wir uns diesmal eingebracht haben, dir sogar die HERCULES gegeben haben, ist schon weit mehr als wir eigentlich vertreten können. Wir sind Beobachter, Begleiter, keine Entscheidungsträger für die Materiellen."
"Mit Materiellen meinst du zweifellos jene armen Wesen, die das Pech haben, nicht als Nymphe geboren worden zu sein", entgegnete Arling trocken.
"Oh, alle Nymphen werden zuerst als Materielle geboren", erwiderte Nyhartes beiläufig.
Arling indes zog es bei diesen Worten den Magen zusammen. "Was?"
"Es ist etwas schwierig, und wir reden nicht darüber, eigentlich. Aber wenn wir eingreifen, dann nur, um wirklich schreckliches Unheil von unseren Schutzbefohlenen abzuwenden. Normalerweise lassen wir ihnen ihren freien Willen, auch wenn das bedeutet, dass sie sich gegenseitig töten. Aber in manchen Fällen, die so schlimm sein werden, dass Abermillionen sterben könnten, greifen wir doch ein. So wie es abzusehen war, dass im Pakt nach der Eroberung durch die Republik Aufstände los brechen würden, welche von wenigen Republikanern zurückgeschlagen hätten werden müssen - und das mit brutaler Gewalt. Zu was sie bereit und fähig sind, konnten wir ja an der Entführung deiner katalaunischen Mitbürger sehen."
"Ich bezog mich auf das materiell geboren", entgegnete Arling, der sich wieder gefasst hatte.
"Oh, das. Das ist auch sehr kompliziert. Aber auch sehr interessant. Hast du Interesse, dieses Thema zu vertiefen, Hannes?" Die Nymphe warf ihm einen unschuldigen Augenaufschlag zu, und Arling schossen prompt die Worte von Cochraine durch den Kopf, mit denen sie die Nymphen der griechischen Sage beschrieben hatte. "Theoretisch oder praktisch?"
"Was ist dir denn lieber, Hannes?", erwiderte sie, noch immer lächelnd.
"Theorie. Aber das gehört wohl kaum hierher. Danke, Admiral Bekatorou. Sie haben mir einen großen Dienst erwiesen."
Die Perseii beendete die Massage mit einem abschätzenden Blick und trat zu ihrer Begleiterin herüber. "So knochenhart wie Sie auf der Schulter waren muss man denken, dass Sie nicht oft in den Genuss einer Massage kommen, oder, Arling?"
"Es ist weniger die Gelegenheit als meine persönliche Betrachtung der Notwendigkeit, eine zu bekommen."
"Oder um es einfacher zu formulieren: Sie haben keine Zeit", spottete sie.
"Ja, das trifft es ungefähr. Admiral, Nyhartes, was verschafft mir die Ehre eures Besuchs?"
Die Nymphe räusperte sich vernehmlich. "Ich bin hier um dich zu fragen, was du erreichen willst, Johann Armin von Arling. Was sind deine Ziele? Deine Motive? Warum lässt du Katalaun im Stich, wenn es dich am nötigsten braucht?"
"Ich lasse es im Stich? Im Gegenteil, ich erweise dem Kaiserreich einen großen Dienst", entgegnete Arling.
"Aber du bist der Herausforderer von Miranda von Hohenfels. Du bist der Mann, der den Plan der religiösen Reformer kippt. Du bist die Symbolfigur für den Widerstand, für die Wiedereinsetzung von Robert. Und du begibst dich in eine Gefahr, die dich umbringen kann. Und wahrscheinlich wird sie das auch."
Arling lächelte dünn. "Mich und ein paar tausend katalaunischer Soldaten."
"Das kommt noch hinzu", warf Bekatorou ein.
Johann Arling seufzte leise. "Ich könnte jetzt natürlich behaupten, ich tue das Coryn zuliebe, um ihm ebenso beizustehen wie er mir beigestanden hat. Ich könnte anführen, das ich als Freund der Demokratie eben die Präsidentin Klages unterstütze, und nicht Admiral of the Fleets Sourakis. Ich könnte darauf hinweisen, wie grandios das Neue Herculeanum dasteht, wenn es der Präsidentin Asyl, ein Forum und militärische Hilfe gewährt. Yura-Maynhaus wäre auf Jahrzehnte in eurer Schuld."
"Falls du, deine Flotte und alle an Bord nicht im All pulverisiert werden", wandte die Nymphe ein.
"Ein großes Falls, ich weiß. Aber ich habe vorgesorgt. Ich rechne noch in dieser Woche mit einem Angriff auf B-King. Wie er erfolgen wird weiß ich nicht, aber mit diesem Angriff wird den Beijings die Legitimät verliehen, die Opposition anzuführen. Und damit ist jeder Beijing mehr als in der Lage, die Kaiserkrone zu fordern. Fähig dazu sind sicherlich Richard und Takeru."
"Das ist die Lage an der Heimatfront Und was nützt dir das, wenn du hier stirbst?"
"Nun, Nyhartes, ich habe nicht vor, zu sterben. So einfach ist das."
"So einfach ist das", echote die Admiralin amüsiert. "Was ist, wenn die Republikaner das nicht so einfach sehen oder sehen wollen? Was wenn sie darauf bestehen, Sie zu töten, Mylord?"
Um Arlings Lippen spielte ein gefährliches Lächeln. "Oh, ich hoffe doch darauf, dass sie mich töten wollen."
Für einen Moment schien auch die Nymphe amüsiert. "Du bist ein gefährliches Wesen, Johann Arling. Solche Gedanken habe ich dir gar nicht zugetraut. Du bringst es wirklich fertig, ganz Yura-Maynhaus in einen Bürgerkrieg zu stoßen, in jene welche die Präsidentin unterstützen und jene die auf den Admiral of the Fleets hören. Das Ergebnis ist in jedem Fall Chaos, Unordnung und eine erzwungene Waffenruhe mit Katalaun. Ganz davon abgesehen, das unser Herculeanum davon profitieren wird."
Arling tat überrascht. "Das ist auch ein guter Gedankengang, aber eigentlich wollte ich dadurch, das ich mich in Gefahr begebe, nur erreichen, dass sich Coryn ein für allemal an mich bindet. Durch meine Taten, seine Schuld und einen Eid. Wenn ich ihm jetzt helfe, werde ich einen der besten Admiräle in diesem Bereich der Milchstraße für immer auf meiner Seite haben."
Bekatorou lachte rau auf. "Teufel, es gibt sicher Menschen, die Ihnen das abkaufen und sogar als Ihre Top-Priorität sehen. Aber glauben Sie nicht, dass die Menschen Sie für dumm halten, Mylord. Im Gegenteil. Präsidentin Klages hat bereits vorausgesehen, dass es zu einem Bürgerkrieg kommen wird. Hätte sie dies vermeiden wollen, hätte sie Griffin angefordert, nicht Sie direkt gebeten, sie zu eskortieren. Sie will die Spreu vom Weizen trennen, jene die ihr folgen sehen. Sie wollen den Feind in Unordnung bringen und vielleicht das eine oder andere Schiff versenken. Mann, muss Rhyann der Hintern auf Grundeis gehen."
"Etwas ähnliches habe ich auch schon gedacht", erwiderte Arling. "Und ich bin nicht nett genug, um diese Chance an mir vorbei eilen zu lassen. Und mit diesem hübschen kleinen Kahn kann ich wohl dies und das bewirken."
Arling hob beide Augenbrauen. "Das heißt, wenn die Nymphen mich lassen. Genauso wie sie die HERCULES für mich freigegeben haben, so können sie das Schiff sicher auch sperren."
"Oh, ich hätte das Schiff gesperrt, vielleicht, wenn du nur den weißen Ritter in glänzener Rüstung hättest spielen wollen. Aber das hast du zum Glück nicht vor. Es beruhigt mich, dass du die Dinge im richtigen Licht siehst."
"Ich bin Soldat, kein Wohltäter", erwiderte Arling betroffen. So wie Nyhartes ihre Worte betont hatte, stieg in ihm der Wunsch, sich zu rechtfertigen.
"Aber wir werden auch nicht zu deinen Gunsten eingreifen, Hannes. Du bist auf dich gestellt und musst auf jene vertrauen, die dir folgen wollen."
Nyhartes hob eine Hand, zögerte und setzte die Bewegung dann doch fort. Sanft strich ihre weiche, schmale Hand über Arlings Wangenknochen. "Komm gesund zurück, Hannes."
"Ich werde mein Bestes geben", versprach er, ein wenig erschrocken über das heftige Feuer miteinander streitenden Gefühle in ihren Augen.
"Du musst. Ich habe es versprochen."
Arling wollte nachhaken, aber ihr Blick sagte ihm, das sie nicht mehr dazu sagen würde.
Er seufzte und sah die Perseii an. "Und, Admiral, haben Sie dem noch etwas hinzu zu fügen? Einen Tadel, einen Rat? Wofür immer Sie gekommen sind?"
"Meine Königin hat mich zwar entsandt, um Ihnen den Hosenboden stramm zu ziehen. Aber das sollte ich nur, wenn Ihnen Ihr Ritterspleen zu Kopf gestiegen ist. Also... Bin ich eher privat hier, als Teil der Perseii-Söldner." Sie schlug Arling kräftig auf die Schulter. "Wenn Sie also ein paar wirklich große Schiffe mit fähigen Mannschaften zu einem günstigen Preis anwerben möchten, ich könnte ein, zwei Flotten entbehren."
"Das hat mich schon immer etwas gewundert. Warum billig?"
Bekatorou grinste breit. "Ach, das hängt damit zusammen, warum man uns ehemalige herkuleanische Garden so fürchtet. Wissen Sie, wie wir uns meistens finanzieren, Arling?"
"Ich würde hier in erster Linie den Sold vorschlagen."
Bekatorou brach in lautes Gelächter aus. "Man fürchtet uns, weil wir unseren Kontrahenten ihre Spielzeuge weg nehmen! Vom Kampfschiff über die Bewaffnung eines Bodenforts, von der militärischen Notration bis zum letzten Panzer, wir nehmen alles mit, ob es gegen uns eingesetzt wurde oder nicht. Und dann verscherbeln wir es auf dem galaktischen Markt. Es ist ein sehr einträgliches Geschäft. Und unsere Feinde sind militärisch und materialtechnisch um Jahrzehnte zurück geworfen." Sie räusperte sich vernehmlich. "Es ist Teil unserer Kontrakte, Mylord."
Arling schnaubte amüsiert. Natürlich musste man so einen Gegner fürchten, der einen bis auf die letzte Panzerplatte ausnahm. Und bei einem Gegner wie den Perseii, die über einen so vortrefflichen Ruf verfügten, konnten sich die Besiegten noch nicht einmal beschweren. Im Gegenteil, in vielen Bereichen der Milchstraße ging es noch sehr viel rauer zu.
Und sollten sie wirklich aufgrund fehlender Waffen in Bedrängnis geraten, konnten sie immer noch Perseii, Gryanen oder Phillippii zu Hilfe rufen.
Arling lachte bei diesem Gedanken. "Ich frage mich, ob Sie einigen Schiffen schon des Öfteren begegnet sind, die Sie konfisziert und verkauft haben."
"Nur in den glücklichen Fällen. Von uns vollständig kartographierte Schiffe sind leichte Gegner, selbst wenn sie neu aufgerüstet wurden." Bekatorou zwinkerte ihm zu und trat zurück zur Nymphe.
Nyhartes deutete eine Verbeugung an und ergriff die rechte Hand der Admirälin. Dann verschwanden die zwei, als hätte es sie nie gegeben.
Zurück blieb Johann Arling, erstaunt, bestärkt und mit einem enormen militärischen Rückhalt in Form der herkuleanischen Garden versehen. Was ihm freilich nichts nützen würde, wenn er in seine Atome zerblasen wurde, bevor sie ihm helfen konnten.
Er seufzte, griff nach seiner Uniformmütze und erhob sich. Zeit, in die Zentrale zu gehen.


4.
05.07.2613
Sherwood,
Loxley-System,
Republik Yura-Maynhaus
Planetare Hauptstadt Scarlett
Siebenundvierzig Lichtjahre vom Termophylen-System entfernt

Die ersten Siedler des Loxley-Systems mussten entweder Briten, oder Literaturfanatiker gewesen sein, ging es Rhyann Klages durch den Kopf. Die größten Städte des Planeten waren nach Figuren der Robin Hood-Saga benannt, einer klassischen Geschichte über gut und böse, die es mit der historischen Genauigkeit etwas leicht genommen hatte. Das nahm ihr allerdings nichts von ihrer Romantik. Die Zeiten waren nicht immer romantisch gewesen. Vor etwas mehr als zweihundert Jahren war Marian City, die alte planetare Hauptstadt, von einem Orbitalbombardement eingeebnet worden. Scarlett war danach durch die gute Lage und den gewaltigen Little John-Raumhafen immer mehr der Knotenpunkt geworden und schließlich zur neuen planetaren Hauptstadt ernannt worden. Marion City hatte man nie wieder aufgebaut und die Ruinen belassen wie sie waren, als Mahnmal an zukünftige Generationen und Hinweis darauf, wie feindlich das Universum mitunter sein konnte und auch war.
"Ms. President?" Ahmad at-Sherwoods besorgte Stimme riss sie aus der Betrachtung der nächtlichen, hoch aktiven Hauptstadt und des ungebrochenen Schiffsverkehrs auf dem Raumhafen.
"Mr. Gouverneur?"
"Ms. President, es sind jetzt vierundvierzig Schiffe."
"Vierundvierzig? Sourakis verliert keine Zeit, oder?", seufzte sie.
Der alterslose at-Sherwood machte eine Verlegenheitsgeste mit beiden Händen, die er fahrig mitden Handflächen aufeinander gerichtet hielt, mit gerade genügend Platz für ein, zwei Argumente. "Admiral Chun führt das Kommando. Sie hat uns eine Depesche geschickt, in der sie betont, dass ihr Ziel der Vize-Präsident ist. Mit keinem Wort hat sie Sie erwähnt, Ms. President."
"Das ist doch dasselbe." Rhyann drehte sich von dem großen Araber fort. "Jedermann weiß, dass ich zugunsten von Jules zurücktreten wollte. Das hätte ihm bei den nächsten Wahlen eine enorme Reputation eingebracht. Wenn Sourakis aber meinen Nachfolger vor ein Tribunal schleift, dann war es das. Die Menschen haben ein sehr schlechtes Gedächtnis. Sie werden sich nicht daran erinnern, warum er vor Gericht stand. Sie werden nur wissen, dass er vor Gericht stand. Auch wenn er frei gesprochen würde, seine politische Karriere wäre in diesem Moment vorbei. Und ich? Ich würde entweder weiter regieren müssen, im verzweifelten Versuch, einen neuen Nachfolger heran zu ziehen, der meine Politik fortsetzen kann, oder aufgeben und das Feld jemandem überlassen, der die Unterstützung der Flotte hat. Beides wäre mit großen Risiken verbunden, und würde definitiv das Ende meines Dogmas einleiten. Das Ende?" Sie schnaubte frustriert. "Vielleicht ein paar neue Eroberungskriege, ich weiß es nicht. Vielleicht auch ein Staat im Staat, in dem die Flotte eine eigene Behörde, eine eigene Nation, ja, eine eigene Kultur bildet. Eine Welt vielleicht, in der auch die Miliz-Schiffe fortan zur Flotte gehören werden. Es würde mich nicht wundern, wenn sie dies tun würde. Auch gegen den Willen der einzelnen Gouvernate."
"Eine Horrovorstellung", pflichtete at-Sherwood ihr bei. Für ihn als Loxleyer, einen der Erben der Vernichtung von Marian City, war es das wirklich, denn damals war die republikanische Flotte um Wochen zu spät gekommen. Danach hatte sich die Kolonie selbst bewaffnet und galt auch heute noch durchaus in der Lage, sich selbst zu verteidigen. Wenngleich die Zahl der Schiffe klein war, die der Rüster war umso größer. Drei orbitale Verteidigungsplattformen und diverse Bodengestützte Forts vervollständigten einen Abwehrriegel, den man besser nicht oder nur nach guter Planung mit einer entsprechenden Streitmacht angriff.
"Dennoch. Ich hatte darauf gehofft, dass ein Schiff, ein einziges nur, ins System springen und zu mir halten würde. So wie die Dinge jetzt liegen ist die Flotte zwar Sourakis treu, aber nicht der Präsidentin. Meinen Vize ausliefern kann und werde ich nicht, und fortsetzen kann ich meinen Flug auch nicht."
"Die PRETENDER ist gefechtsklar, Ms. President."
"Sprungfähig?"
"Nein, Ms. President. Sie können meine Schiffe haben."
"Ich kann von der Miliz nicht verlangen, gegen vierundvierzig Schiffe zu kämpfen. Und das im guten Gewissen, dass sie sterben werden. Wo stehen die vierundvierzig Schiffe unter Chun?"
"Am Systemrand, auf der Bahn von East End, unserem äußersten Planeten. Sie brauchen unter günstigen Umständen acht Stunden bis nach Sherwood. Genug Zeit, um..."
"Genug Zeit, um aufzugeben. Himmel, schon das Gefecht mit den vier Korvetten liegt mir auf der Seele. Wie mag es dann erst nach einer richtigen Schlacht sein?"
Sie senkte den Blick und lachte freudlos. "Ich komme mir vor wie ein billiges Spielzeug, das seinen Zweck erfüllt hat und nun fortgeworfen wird. Vielleicht hätte ich noch eine Zeitlang Unterhaltungswert gehabt, aber dann ging ich kaputt, machte nicht mehr was der Spieler von mir wollte. Also warf er mich fort. Und weil alles seine Richtigkeit haben muss, komme ich in die Mülltonne."
"Ms. President, ich versichere Ihnen, dass Sherwood eine Bastion der Demokratie ist. Wir werden alles tun, um..."
"Das ist sehr löblich, Ahmad. Aber meine Flucht hat mir schon zu viele Tote beschert, die mir auf der Seele lasten. Ich hätte nie gedacht, dass es mir mehr weh tun würde als all die Männer und Frauen, die im Krieg gefallen sind. Der verdammte Krieg. Verdammter Starway!"
Sie straffte sich. "Informieren Sie Admiral Chun. Ich gebe auf. Allerdings bestehe ich darauf, den Vize-Präsidenten zu begleiten."
"Ms. President, ich versichere Ihnen, dass Sherwood auch gegen vierundvierzig Schiffe bestehen kann und bestehen wird! Wir sind für einen solchen Fall vorbereitet, und wir sind bereit, die Konsequenzen zu tragen! Ms. President, wir haben es hier mit einer Meuterei der Flotte zu tun! Der gesamten Flotte, aber die Flotte ist nicht Yura-Maynhaus! Und Yura-Maynhaus lässt sich nicht von ihnen gängeln!" Entschlossen reichte at-Sherwood ihr einen Stapel Folien. "Communiqués von anderen Gouverneuren, Ms. President. Man hat uns Hilfe versprochen, wenn wir die nächsten achtzehn Stunden durchhalten."
Anklagend deutete Rhyann nach oben, auf die Parklichter der Flotte Sherwoods. "Diese Männer und Frauen da oben werden diese achtzehn Stunden erkaufen müssen! Viele mit ihrem Leben!"
"Ms. President, es wird Sie vielleicht schockieren, aber ich habe Sie nie gewählt. Tatsächlich würde ich für Rhyann Klages als alter Parteigänger der Liberalen Zukunftspartei für Sie nie mehr tun als unbedingt nötig."
Diese offenen Worte überraschten die Präsidentin. Aber sie ahnte, dass der nächste Satz sie noch mehr überraschen würde. "Klingt so als käme da noch ein aber."
At-Sherwood lächelte leicht. "Aber Sie sind die Präsidentin, unser Staatsoberhaupt. Es ist also meine Regierungschefin, die ich schützen will. Das höchste demokratische Amt in unserer Republik. Ich könnte mich nie wieder zu einer Wahl stellen oder von Gleichheit und Gerechtigkeit reden, wenn ich jetzt einknicke, nur weil die Flotte es so will, weil Sourakis und Starway es wollen! Geben wir hier nach, sind wir schon so gut wie verloren und auf dem Weg in eine Militärdiktatur."
"Militärdiktaturen haben einen schlechteren Ruf als sie gemeinhin sind", gab Rhyann zu bedenken.
"Militärdiktaturen rufen meistens die Terraner auf den Plan. Und ich habe noch weniger Lust, mich fünfzig oder hundert Jahre von diesen verdammten Weltverbesserern regieren zu lassen, bis sie meinen, wir wären wieder demokratisch genug für eine eigene Regierung."
Sie lachte auf. "Ja, das ist wahr. Diese verdammten Weltverbesserer, die glauben, als einzige im Besitz der ultimativen Wahrheit zu sein."
"Mit Ihrer Erlaubnis, Ms. President, werde ich also Admiral Chun informieren, dass wir sie der Meuterei beschuldigen."
"Das ist jetzt vielleicht ein wenig hart für die alte Dame", gab Rhyann zu bedenken.
"Wie man sich bettet, so liegt man, sagen wir auf Sherwood, Ms. President."
"Und mit diesen Worten lösen Sie einen Konflikt aus, der vielleicht in der Zerstörung von Scarlett gipfelt."
"WIR sind unseren Nachbarn immer zu Hilfe gekommen, wenn sie in Not waren", sagte er bestimmt. "Ich bin sicher, die ersten Miliz-Einheiten sind bereits auf dem Weg hierher."
"Und dabei laufen sie weiteren Flotteneinheiten in die Arme."
"Von denen vielleicht einige auf unserer Seite stehen. Und wer weiß, vielleicht wird Lord Arling auch bald eintreffen."
Lord Arling. Der Zauberspruch. Sie hatte nur erwähnen müssen, dass sie den katalaunischen Grafen beauftragt hatte, sie zu eskortieren, und aus der dumpfen Entschlossenheit der Verteidiger Sherwoods war eine wilde, beinahe freudige Entschlossenheit geworden. "Selbst er kann keine Wunder vollbringen", sagte sie schroffer als gewollt.
"Mag sein. Aber irgendwie scheinen die Wunder das nicht zu wissen." At-Sherwood lächelte schief. "Ich werde Anweisung geben, die großen Städte in Alarmbereitschaft zu versetzen. Wir werden die Abwehrschirme aufspannen. Ein Bunker nahe der Hauptstadt steht für Sie und Ihre Regierung bereit, Ms. President. Dort können Sie selbst aushalten, wenn die ganze Welt zu Asche versengt wurde." Abwehrend hob at-Sherwood beide Hände. "Theoretisch! Praktisch wird dies niemals geschehen."
"Und seit wann", fragte Klages bitter, "sind Sie unter die Hellseher gegangen, Ahmad?"
"Seit die RHEINLAND in siebzehn Lichtjahren Entfernung einen Konvoi versenkt, drei Kriegsschiffe versenkt und drei Fregatten gestohlen hat. Nur um darauf hin auch noch mit ihrer Beute aus Yura-Maynhaus zu entkommen."
"Ihre Meinung von Graf Arling ist recht hoch."
"Meine Meinung ist irrelevant. Ich rede von Fakten, Ms. President." Er deutete eine Verneigung an und zog sich zurück.
Rhyann sah wieder hinaus auf die Stadt. Ihre Brust zog sich zusammen, drohte ihr Herz zu zerquetschen. "Jetzt hast du was du wolltest, Rhyann. Eine ganze Welt verteidigt deinen Kronprinzen, und der große Held von Katalaun eilt zu eurer Rettung, falls er nicht schlau ist und dieses Wespennest von System meidet. Aber ist es das wert? Ist es all die Toten wert? Oder gibt es nur noch mehr Tote, wenn du doch noch aufgibst?"
Sie schüttelte unwillig den Kopf. Hatte sie at-Sherwood tatsächlich manipuliert, wie sie es vorgehabt hatte? Oder hatte der Gouverneur sie manipuliert? Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihr Gesicht. Immerhin war sie wirklich die Präsidentin. Und, Verdammt, das war etwas wert.
***

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Um in die Republik zu gelangen bedurfte es nur zweier Sprünge über einmal siebzehn und einmal einunddreißig Lichtjahre hinweg, von System zu System. Es ging auch länger, aber durch die Positionen der Sterne gewiss nicht kürzer. Arling hatte den geraden, direkten Weg gewählt, auch wenn das bedeutete, nach dem zweiten Sprung in ein militärisch befestigtes und gut ausgerüstetes Republik-System zu springen, das nicht zögern würde, die kaiserliche Flotte anzugreifen. Arling zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass das internationale Pressekorps, das sich fast geschlossen noch immer an Bord befand - lediglich einige Yura-Maynhausener und katalaunische Teams hatten sich entschlossen, statt Arling die Geretteten zu begleiten - ihm in der Republik ein ebenso gutes Schild sein würde wie in den ehemaligen Diadochen, die vor Schuldbewusstsein getrieft hatten. Allerdings war Coryn Griffin mit seiner Flottille eine Art Beleg, ein Wechsel. Die Anklagen gegen ihn und seine Offiziere waren hinfällig, seit sich Arling dazu entschlossen hatte, Rhyann Klages das gewünschte Geleit zu geben. Griffins Gryanen standen damit auf Seiten der demokratisch gewählten Vertreter von Yura-Maynhaus, nicht auf Seiten der Flottenführung. Und so wie sie würden sich auch alle anderen Schiffe, Flotten und Militäreinheiten entscheiden müssen, sobald die Reihe an sie kam. Die letzten Nachrichten aus Loxley, wo Klages mit ihrem Vize-Präsidenten gestrandet war, hatten nicht viel Ermutigendes erbracht, im Gegenteil. Aber Coryn trug das Abzeichen der Gryanen, der Beweis, ein Nachfolger der herkuleanischen Garden zu sein oder vollkommen in ihrem Sinne zu handeln. In vielen Bereichen der Milchstraße war so ein Abzeichen ein Freibrief für Versorgung, Unterstützung, Unterkunft. Die ehemaligen herkuleanischen Garden, die sich als Phillippii, Perseii und Gryanen zusammen geschlossen hatten, trugen einen enormen Ruf und wurden ihm jeden einzelnen Tag gerecht. Arling hatte nicht gewusst, dass es noch mehr Idioten wie ihn in der Galaxis gab. Und dann noch so viele auf einem Haufen.

Kurz vor dem Sprung nach Yura-Maynhaus hatte Graf Arling eine letzte Konferenz abgehalten, viel mit den Schiffskapitänen gesprochen und eine gemeinsame Strategie für den schnellen Durchbruch entwickelt, die sie mit dem nächsten Sprung über achtundzwanzig Lichtjahren bereits nach Loxley bringen würde... Es hatte Klages nicht viel gefehlt, um die vermeintliche Sicherheit des Herculeanum zu erreichen. Und sie hatten einen Plan aufgestellt, um auch wieder hinaus zu kommen. Dreh- und Angelpunkt der Strategie war natürlich die HERCULES gewesen, der Fels, der Stützpfeiler, das unübersehbare Monument, bei dem jeder vernünftige Kapitän sehr lange und sehr gründlich nachdachte, bevor er sich dazu entschloss, diesen wehrhaften Giganten anzugreifen. Außerdem hatten sie die Möglichkeit von Deserteuren ins Auge gefasst, wobei Deserteur sicherlich der falsche Ausdruck war, denn im Grunde genommen hatte Admiral Sourakis Desertion begangen und sich gegen ihre Dienstherrin gewendet. Dass sie statt ihr den Vize-Präsidenten angegriffen hatte war eine augenwischende Stellvertreterhandlung und eine klare Warnung an Klages gewesen, fortan ihr Spiel zu spielen, nicht länger das eigene.
Arling hatte für beide nicht viel Sympathie. Die eine hatte den Befehl zu diesem Krieg gegeben, die andere hatte den Befehl ausgeführt. Allerdings war eine Spaltung von Flotte und Armee eine willkommene Entwicklung, die Katalaun nutzen würde. Und je länger Rhyann Klages und Jules Cranston in Freiheit waren, desto tiefer würde diese Spaltung gehen, desto größer wurde die Wahrscheinlichkeit für einen Bürgerkrieg, oder doch zumindest für nachhaltende Verwirrung in der Kommandostruktur der Republik. Ein, vielleicht zwei Jahre Unruhe und Koordinationsschwierigkeiten konnten genau das sein, was Katalaun nun brauchte, um mit seinen Feinden im Schiffsbau wieder gleich zu ziehen. Vor allem nachdem der wichtige Nachschub aus dem Herculeanum weggefallen war. Es gab berechtigte Hoffnungen, das dieser Nachschub fortan nach Katalaun fließen würde, ebenso der eine oder andere Schiffsneubau. Es erwies sich nun als Vorteil für Katalaun, dass das Kaiserreich und die Diadochen niemals wirkliche Kampfhandlungen in diesem Krieg ausgefochten hatten, die im Nachhinein zu bösem Blut hätten führen können. Okay, wenn man mal davon absah, dass Argos sich recht schamlos auf Kosten seiner Nachbarn verhalten hatte. Geschickt eingesetzt wurde es ein gewichtiges Argument für Katalaun.

"Iolaos?" "Mylord Admiral?", erklang die synthetische Stimme der Schiffsintelligenz.
"Eine Sache interessiert mich wirklich. Ich habe bisher nur nie die Gelegenheit gehabt, danach zu fragen."
"Ich stehe Euch mit meiner Datenbank voll zur Verfügung, Mylord Admiral."
"Du heißt Iolaos und bist das Schiffsgehirn der HERCULES."
"Das kann ich nicht verleugnen", erwiderte die Schiffsintelligenz mit einer Spur Ironie in der Stimme.
"Da stellt sich doch die Frage, wie die Künstliche Intelligenz auf der IOLAOS heißt. Soll ich mal raten?"
"Homer."
Überrascht blinzelte Arling. "Was, bitte?"
"Die Künstliche Intelligenz der IOLAOS heißt Homer. Benannt nach dem blinden Dichter der Antike, der die Ilias verfasst hat. Die Ilias ist..."
"Ich kenne die Ilias. Eine Sammlung altgriechischer Legenden und Erzählungen über historische Fakten, teilweise religiös verbrämt und mit Anekdoten über die damaligen Götter versetzt."
"Ich denke, das kann man so gelten lassen, Mylord Admiral. Aber um auf Eure eigentliche Frage zu antworten: Die Schiffsintelligenzen suchen sich seit jeher ihre Namen selbst aus. Mir erschien es passend, nachdem dieses Schiff den Namen des großen Helden Herkules erhalten hatte, mich selbst nach seinem Neffen zu benennen, der ihm manches Mal bei seinen heroischen Taten geholfen hatte. Zum Beispiel war es Iolaos, der beim Kampf gegen die Hydra, das Monster, dem für jeden abgeschlagenen Kopf zwei neue wuchsen, die Stümpfe ausbrannte. Deshalb konnte Herkules diesen Gegner letztendlich besiegen. Ich sehe mich selbst in einer ähnlichen Tradition."
"Ich verstehe." Arling runzelte die Stirn. Künstliche Intelligenzen waren ihm schon immer ein wenig suspekt vorgekommen, und er verstand nicht besonders viel von ihrem Aufbau, ihrer Struktur und dergleichen. Die neuronische Vernetzung, die einem menschlichen Gehirn nachempfunden war, aber auch Silikaten und Miniwurmlöchern basierte, gingen über das hinaus was er zu lernen und zu begreifen bereit war. Eine gesunde Ignoranz war nicht immer nur von Nachteil. In diesem Fall verhalf sie ihm zu einer Ausrede, um sich nicht mit einem Thema beschäftigen zu müssen, in das er absolut nicht eintauchen wollte. "Du bist also der kleine Herkules."
"Das trifft es in etwa, Mylord Admiral. Oh, und wenn wir gerade ein Gespräch unter vier Augen führen, wie Ihr Stofflichen so gerne sagt..."
"Stofflichen?", erwiderte Arling argwöhnisch. "Du entwickelst doch nicht etwa rassistische Tendenzen gegen natürliches Leben, oder?"
"Bah, Rassismus setzt den Glauben voraus, einer anderen Spezies überlegen zu sein, egal ob man es ist oder nicht. Ich hingegen weiß, dass ich euch überlegen bin."
"So? Dann klatsch mal in die Hände, Iolaos."
"Treffer, versenkt, Mylord Admiral."
Arling grinste schief. Der Computer hatte seine Macken, aber das machte ihn wohl erst menschlich und erträglich. Und wahrscheinlich amüsierte sich Iolaos auch noch an seinen Marotten.
"Mylord Admiral?"
"Ist dir noch ein Witz eingefallen?"
"Mir brauchen keine Witze einfallen. Ich habe einen perfekten, lichtschnellen Zugriff auf meine Datenbanken und kann jederzeit alles abrufen. Aber um auf Ihre Frage zu antworten: Nein. Jedoch wird sich Oberleutnant Turnau gleich melden. Ich verzeichnete soeben den Eingang einer Depesche aus dem Beschaffungsamt der Flotte. Genauer gesagt empfing die Flotte zwei Depeschen, eine ging direkt an Fregattenkapitän Rössing auf der STONEWALL."
"Aus dem Beschaffungsamt?" Nachdenklich rieb sich Arling das Kinn.
"Mylord? Uns liegt eine chiffrierte Depesche an Sie vor", meldete die Cheffunkerin der HERKULES.
"Auf meinen Arbeitsschirm."
Zuerst erschien ein elektronisches Siegel, das von seinem Terminal als echt deklariert wurde. Diese Siegel identifizierten sich auf etwas mehr als neunzig verschiedene Arten, und jedes Siegel jeder Depesche wurde dadurch auch nur einmal verwendet. Die große Variation an Identifikationen führte hingegen dazu, dass jedes kaiserliche Schiff im Durchschnitt pro kaiserlicher Abteilung bis zu einhundert Identifikationssiegel gespeichert hatte, bevor neue geladen werden mussten. Bei einem Gogol an Kombinationsmöglichkeiten eine geradezu narrensichere Sache. Und glücklicherweise enthielt der Datenstick für seine Fahne auch sämtliche Codes der RHEINLAND, an die das Beschaffungsamt offiziell auch geschickt hatte. Via RHEINLAND nach HERCULES.
Nachdem die Authenzität bestätigt worden war, öffnete sich das Dokument, und mit zunehmendem Interesse las Arling die Botschaft aus der vielleicht mächtigsten Behörde der Admiralität neben der Quartiermeisterei.
Absender war Admiral Schuster, ein uraltes Relikt aus grauster Vorzeit, der den Posten schon inne gehabt haben musste, als das Kaiserreich gegründet worden war. Ein unparteilicher, unbestechlicher Bürokrat reinsten Wassers, und ein eifersüchtiger Verfechter der Raumflotte. Nebenbei aber auch ein akribischer Geizhals. Sein persönlicher Stolz ließ es nicht zu, dass seine Abteilung auch nur eine Mark zuviel ausgab. Von Budgets hielt er überhaupt nichts, weil diese dazu verleiteten, sie aufzubrauchen. Also meldete er jedes Jahr seinen tatsächlichen Verbrauch an Barmitteln an das Parlament und ließ ihn dort absegnen. Und weil er jede einzelne Schraube belegen konnte, rutschte er auch mit einem gelegentlichen höheren Ausgabenbuch durch die Prüfung.
Schuster und seine Behörder waren für alle Verwaltungsarbeiten verantwortlich, welche der Quartiermeister nicht abdeckte, also so ziemlich den ganzen Rest, angefangen bei der Versorgung mit Hygieneartikel bis hinauf zu den Antischiffstorpedos und den Schiffsneukauf.
Arling studierte den Befehl einmal, stutzte, las erneut. Stockte wieder und las ein drittes Mal. Schließlich und endlich musste er lachen. Dann zählte er die Sekunden, bis der nächste Anruf erfolgte.
"Johann, hast du Zeit?", klang die irritierte Stimme von Arlene Schlüter auf.
Arling bestätigte den Eingang ihrer Anfrage, der Bildschirm teilte sich und zeigte einerseits ihr Gesicht, auf der anderen Seite den Befehl. "Also hat Gerry dich schon informiert."
Sie machte eine fahrige Geste mit beiden Händen. "Informiert kann man nicht sagen. Er hat lediglich angefragt, ob ich noch goldene Sterne hätte, weil er zum Kommodore befördert wurde. Hat das vielleicht etwas mit der Depesche zu tun, die du erhalten hast?"
Arling lächelte milde. "Sind wir nicht etwas neugierig?"
"Nicht, dass ich Gerry die Beförderung missgönne. Teufel auch, ich hasse ihn! Wieso kriegt er in so kurzer Zeit eine zweite Beförderung über zwei Rangstufen? Aber das tut jetzt nicht so viel zur Sache wie das warum."
"Admiral Schuster persönlich hat mir geschrieben. Die STONEWALL, die CALAINCOURT, die REDWOOD und die RICHMOND wurden offiziell aus dem Arling-Verband ausgegliedert und bilden jetzt eine eigene Flottille."
"Was?" Entrüstet schnaubte die blonde Frau. "Ich hoffe, du hast für Schuster eine angemessene Antwort parat!"
"Ja, nämlich ein dickes Danke. Denn gibt es was schöneres, wenn ein Weggefährte in den Rang eines Kommodores erhoben wird, kurz nachdem man ihm mit einer Anklage wegen Hochverrats gedroht hat?"
"Ich verstehe nicht wieso du dabei so ruhig sein kannst! Ich verstehe nicht, wie Gerry dabei so ruhig sein kann! Er hat doch nicht vor, mit dieser Bestechung mit vier unserer Schiffe nach Katalaun stiften zu gehen?" Sie schnaubte erneut. "Nein, das würde er nie machen! Also, was verspricht sich Schuster davon?"
"Admiral Schuster hat mich darüber informiert, dass der Großteil meiner Flotte entweder gryanischem Ursprungs - hierzu gibt es eine neunseitige Fußnote - oder Besitz des Herzogs von B-Kings ist. Da mein Status als Kommodore im Moment, sagen wir umstritten ist, hat der Voll-Admiral nach der Dienstvorschrift gehandelt und die B-King-Schiffe unter meinem Kommando zu einer Freiwilligenflotte formiert. Wir rangieren fortan als 1. B-King-Flotte."
"Jetzt wird es zwar interessant, aber anstatt mir Fragen zu beantworten hast du sie vermehrt."
"Das glaube ich. Dreimal habe ich die Depesche gelesen, bis sie endlich Sinn machte. Nun, auf jeden Fall bin ich mit sofortiger Wirkung zum Konteradmiral befördert worden. Konteradmiral der Freiwilligenverbände, so mein neuer offizieller Titel."
"Das ist, Hm, nett." Arlene Schlüter schnaubte halb amüsiert, halb frustriert. "Konteradmiral ist zwar ein netter Rang, aber dieses Anhängsel "der Freiwilligen" nimmt dem Titel irgendwie allen Esprit. Es wirkt so als wäre dieser Konteradmiral weniger wert als ein gleicher Rang in der regulären Flotte."
"Andererseits kann man nicht von einem Kommodore verlangen, sich einem anderen Kommodore unterzuordnen", sinnierte Arling.
"Griffin hatte da keine Probleme, oder?"
"Wir haben es ja auch nicht verlangt." Arling strich sich müde die Nasenwurzel. "Auf jeden Fall wurde der 1. B-King-Flotte das Oberkommando über die Flottille Rössing und die Flottille der Gryanen übertragen. Soweit macht das ganze Procedere schon Sinn. Abseits von den Manipulationsversuchen der falschen von Hohenfels bietet uns das rechtliche Sicherheit."
Argwöhnisch zog sie beide Augenbrauen hoch. "Mit der Beförderung kamen nicht zufällig neue Befehle? Zum Beispiel: Ziehen Sie sich zurück. Oder: Halten Sie Ihre derzeitige Position."
"Nein, Admiral Schuster hat auf Befehle verzichtet. Er wäre ja auch gar nicht zuständig", erwiderte Arling mit einem Schmunzeln.
"Das heißt, wir machen weiter wie bisher, und du und Gerry habt jetzt mehr Sterne auf der Schulter? Vornehmlich goldene?"
"Richtig. Und das schöne daran ist: Von Hohenfels kann nichts dagegen tun."
"So. Und wann bin ich dran mit einer Beförderung? Es macht mich nervös, wenn Gerry ranghöher ist als ich. Stell dir vor du fällst aus, und er übernimmt das Kommando. Ich weiß nicht ob mir das gefallen würde."
"Ihm schon."
Schlüter schüttelte sich kurz. "Scheußlicher Gedanke. Da kriege ich ja eine Gänsehaut."
Arling lachte. "Keine Sorge, Lenie. Ich kann dich nicht zum Kommodore machen, denn die 1. B-Kingler brauchen nur einen Admiral. Aber falls ich noch ein paar Schiffe erobere, sorge ich dafür, dass du sie kommandierst."
Sie schnaubte amüsiert. "Verdammt, wenn das jemand anderes als Johann Armin von Arling sagen würde, der Mann, der mich durch vier Akademiejahre gebracht hat, dann würde ich es für einen Scherz oder eine ferne Hoffnung halten. So aber ist es praktisch schon geschehen. Du manipulierst die Realität, oder?"
"Manchmal. An anderen Tagen denke ich, es ist voraus eilender Gehorsam, nach dem sich die Realität nach meinen Wünschen verändert", scherzte Arling. Er überspielte die Depesche an die Zentrale. "Verbreite das bitte auf allen Schiffen. Außerdem schick Gerry ein paar Goldsterne rüber."
"Jawohl, Mylord. Aber wird der alte Schuster jetzt nicht eine Menge Ärger von der von Hohenfels bekommen?"
Arlings Augen wurden zu schmalen Schlitzen. "Wir werden sehen. Wenn sie es wirklich schafft, ausgerechnet ihm, dem dienstältesten Admiral der Flotte, ansehnlichen Ärger zu bereiten, dann ist Katalaun näher am Abgrund als ich bisher angenommen habe. Hoffen wir das Beste und erwarten das Schlimmste."
"Wie immer also." Sie deutete einen Salut an und die Verbindung erlosch.
Arling lehnte sich in seinem Sitz zurück. "Iolaos?" "Mylord Admiral?"
"Du hast ab sofort die Erlaubnis, mich tatsächlich Admiral zu nennen."
"Ich habe nie daran gezweifelt, das dieser Tag kommen würde", erwiderte die K.I. im Brustton der Überzeugung.
"Ich schon", erwiderte Arling und rief beim Zeugwart an, um sich einen zweiten Satz Goldsterne zu bestellen.
***
Zehn Minuten vor dem letzten Sprung. Johann Arling besah sich die vor ihm angetretenen oder per Hologramm vertretenen Offiziere einzeln. Es waren einige neue Gesichter dabei, da für die Panzerverbände und die zweihundert hephaistianische Knights neue Offiziere hinzu gekommen waren, ebenso die Kapitäne der neuen Schiffe.
"Es wird ernst, Herrschaften", sagte er laut. Ein leichtes Kratzen im Hals war das einzige was seine beginnende Nervosität verriet. "An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich noch einmal den Kapitänleutnants Atura Tiki und der Besatzung der CALAINCOURT, Kapitänleutnant Aadil Chalid und der Besatzung der RICHMOND sowie Lieutenant Commander Sharon Bigsby und der Besatzung der JULIET für ihre Freiwilligenmeldungen danken. Das was wir versuchen wollen hat noch niemals jemand ausprobiert. Aber es ist möglich, zumindest in der Theorie."
Die Gesichter der drei per Hologramm anwesenden Kapitäne zeigten unterschiedliche Ausdrücke. Während sich der B-Kingler Chalid offensichtlich über das Lob freute, zeigte Bigsby eine unterkühlte, frostige Ruhe, die nichts durchdringen konnte, während Tiki sich nervös über die Lippen leckte, weil ihre Unterlippe bebte. Vor Angst oder vor Aufregung? Das Mädchen hatte sich bereits bewährt, da war es erlaubt Angst zu haben. Dennoch entschied Arling, das zittern als Aufregung zu verbuchen.
"Lassen sie uns den Schlachtplan noch ein letztes Mal durchgehen. Jeremy?"
Der Geheimdienstoffizier der RHEINLAND, nun der HERCULES, nickte und trat an Arlings Stelle. "Seit der Entwicklung dieses Plans sind acht Stunden vergangen. Die Situation im Loxley-System hat sich erneut geändert. Admiral Chun hat Nachschub erhalten, volle acht Schiffe. Drei Korvetten, ein Zerstörer, vier Fregatten. Eine Typbestimmung konnte noch nicht erfolgen. Am Ablauf des Plans ändert das nichts, es macht alles nur etwas schwieriger."
Er deutete auf das Hologramm der grünen Welt Sherwood, das zwischen ihnen schwebte. "Die HERCULES wird statt eines Sprungs an den Systemrand wie der Rest der Flotte einen Innersystempunkt anspringen. Wie wir alle seit Vesuv wissen, ist das für ein Nemesis-Schlachtschiff eine Leichtigkeit. In unserem speziellen Fall aber nehmen wir zusätzliche Tonnage mit, bis das Limit des Transportfelds der HERCULES ausgeschöpft ist. Das Eigengewicht von drei Fregatten der Norfolk-Klasse bringt uns an die kritische Grenze. Die CALAINCOURT, die JULIET und die RICHMOND werden den Sprung angedockt an die HERCULES mit machen und unsere Feuerkraft im Orbit von Sherwood verstärken. Darüber hinaus wird die Mobilität der Schiffe die Schwerfälligkeit der HERCULES hoffentlich ausgleichen."
Die Kapitäne nickten zu diesen Worten.
"Wir vermuten Präsidentin Klages und ihren Vize hier, in einer Bunkeranlage nahe der Hauptstadt. Gewissheit werden wir erst haben, wenn wir Funkkontakt mit den Gouverneur haben. Wir können den Zielort jederzeit wechseln, ohne den Zeitrahmen zu verlassen. Außer natürlich, Präsidentin Klages befindet sich auf dem Weg das System zu verlassen. Das würde uns schon Schwierigkeiten bereiten."
"Tiefstapler", flüsterte Rössing amüsiert in Richtung Griffin, der sich ein breites Grinsen nicht verkneifen konnte.
"Sollte sich die Präsidentin, sollte sich ihre Regierungsmannschaft an den vorausberechneten Koordinaten oder in nicht allzu weiter Ferne befinden, reagieren wir der Situation angemessen. Die Knights und die Rüster bereiten aus dem Orbit die Landung vor, die wir mit den Landern der HERCULES durchführen. Die zwölf Großraumlander bringen vier Bataillone unserer Raumkampfinfanterie nach unten, dazu sechs Bataillone der hephaistianischen Panzerverbände. Drei leichte Bataillone mit je dreißig Schwebepanzern, zwei schwere Bataillone mit schweren Kampfeinheiten und ein Bataillon Artillerie- und Raumkampf-Panzer. Wir schleusen diese Einheiten jedoch nur aus, falls die Situation es erfordert, uns entweder den Weg frei zu kämpfen oder das Landungsgebiet über einen längeren Zeitraum zu sichern. Der Idealfall sieht vor, dass die republikanischen Regierungsvertreter bereits auf uns warten, wir sie an Bord eines Infanterielanders lassen und sofort wieder starten."
Leises Gelächter erklang. Niemand glaubte daran, dass es so einfach werden würde.
"Im schlimmsten denkbaren Fall sehen die Planungen vor, dass wir uns mit der Sherwood-Miliz vereinigen und darauf warten, dass unsere Flotte uns raus hauen kann. Falls es sie dann noch gibt."
Schmitt machte eine entschuldigende Geste. "Das ist natürlich nur das Worst Case-Szenario, meine Damen und Herren. Commodore Griffin übernimmt derweil das Kommando über die Einheiten, die einen regulären Sprung ins System machen. Ihr Auftrag ist es, der HERCULES einen Absprungpunkt zu sichern. Aufgrund der besonderen Fähigkeiten des Schlachtschiffs muss dieser nicht an der Gravitationssenke des Systems liegen, wie es für reguläre Schiffe der Fall ist. Aber er liegt doch etwas außerhalb der Sherwood-Bahn. Dies werden unsere Gegner wissen oder lernen, spätestens sobald die HERCULES im Orbit über der Hauptwelt des Loxley-Systems auftaucht. Commodore, notfalls müssen Sie eine Route für uns frei schaufeln, halten bis wir gesprungen sind und sich anschließend mit der Flotte zum Systemrand zurückkämpfen, um uns zu folgen."
"Sie klingen als würden Sie von der HERCULES lieber auf meine HOUSTON wechseln wollen, Schmitt", scherzte Griffin.
Die anderen Offiziere lachten amüsiert.
"Nein, danke. Wer will schon auf einen Leichten Kreuzer, wenn er auf einem Schlachtschiff dienen kann?", konterte der Geheimdienst-Hauptmann. "Das ist im großen und ganzen die Strategie. Wir nutzen den Überraschungsvorteil, schlagen schnell zu und sind hoffentlich genauso schnell wieder raus. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, dass gerade im Interesse Katalauns die Sicherheit von Präsidentin Klages und Vize-Präsident Cranston unbedingt gewährleistet werden muss. Notfalls sind die Mitglieder der Regierung zurück zu lassen, aber mit diesen beiden steht und fällt der ganze Einsatz. Nur wenn wir sie ins Herculeanum bringen können, ist einerseits gewährleistet, dass der interne Konflikt zwischen Exekutive und Flotte weiterhin bestehen bleibt und wir in Katalaun eine wirkliche Atempause bekommen. Entschuldigen Sie, Commodore, wenn ich so offen bin."
Griffin schüttelte mit einem dünnen Lächeln den Kopf. "Machen Sie nur weiter. Ich habe Augen um zu sehen, wo hier die Vorteile von Graf Arling wirklich liegen."
"Andererseits bedeutet dies aber, der gewählten Regierung gegen eine Marine-Meuterei beizustehen. Eine Meuterei, die ein Putsch wird, sollten Klages oder Cranston sterben. Dann haben wir es mit einer ungewöhnlich starken Admiralität zu tun, die entweder selbst die Regierung übernimmt, oder eine Marionettenregierung einsetzt. Und all dies unter dem Schleier angeblicher Demokratie. Zwar erfolgte der Befehl für den unprovozierten Angriff auf Katalaun auf Befehl von Präsidentin Klages", fuhr Schmitt mit einem Seitenblick auf die republikanischen Schiffskapitäne fort, "aber auch der einseitige Waffenstillstand wurde auf ihren Befehl hin ausgerufen. Der Feind meines Feindes ist mein Freund, und genau deshalb sind Klages und Cranston ab sofort die allerbesten Freunde des Kaisers."
Die Offiziere murmelten zustimmend.
"Danke für ihre Aufmerksamkeit." Der Hauptmann trat wieder ab.
"Danke, Jeremy." Arling trat an seinen alten Platz zurück. "Ich weiß, viele von uns fühlen sich nicht gut dabei, ausgerechnet dem Feind zu helfen. Aber wir haben ein Verpflichtung, einerseits den Gryanen gegenüber andererseits gegenüber Katalaun, was uns in dieser Situation so und nicht anders handeln lässt. Ich habe jedermann freigestellt, die Flotte über Leonidas zu verlassen, um entweder auf eigenem Wege nach Katalaun zurückzukehren oder um sich nach unserer Rückkehr wieder der Flotte anzuschließen. Von allen, die jetzt noch an Bord sind, verlange ich notfalls für die Regierung von Yura-Maynhaus das eigene Leben zu opfern! Zu viel hängt davon ab, dass die Präsidentin, der Vize-Präsident und achtzehn Minister mit etwas über siebzig Mitarbeitern in Sicherheit gebracht werden. Ich bin bereit für ihre Sicherheit jeden Preis zu zahlen, auch die HERCULES, so wie jedes andere Schiff der Flotte. Gelingt uns dieser Streich, dieser eine waghalsige Streich, wird niemand mehr von Riverside und unsere Waghalsigkeit dort sprechen, nicht von unserer Flucht oder gar von unserer Mission auf Vesuv. Wir werden berühmt und berüchtigt dafür sein, was wir hier geleistet haben. Hier im Loxley-System, beim kühnsten Wagnis, das kaiserliche Truppen je ausgeführt haben. Oh, und natürlich gryanische Republikaner.
Wir werden Legenden sein. Und wir werden eine Legende schreiben, so oder so. Ich erwarte von jedem einzelnen Matrosen in dieser Flotte, von jedem Offizier, jedem Kapitän, dass sie dieser kommenden Legende Ehre machen. Und sollte für einige von uns oder für uns alle der schlimmste Fall eintreten, so soll die Legende umso strahlender sein, umso mehr erzählt werden, weil alle ihre Pflicht getan haben, und darüber hinaus! Weil wir ein leuchtendes Beispiel für Hingabe waren, Opferbereitschaft, Kampfkraft, Genialität! Wir werden unsterblich sein in dieser Legende!"
Unwillkürlich hatte Arling die Rechte zur Faust geballt. "Kann ich mich auf euch verlassen?"
Nacheinander nickten die Offiziere, als Arlings Blick über sie hinweg glitt. Dies ließ den Grafen erfreut lächeln. "Dann lasst uns diese Legende beginnen!"
Ein spontanes Hurra brach auf der Brücke der HERCULES aus, und auch auf den anderen Schiffen erklang der charakteristische Jubel. Mit diesen Truppen, begriff Arling, würde er die Tore des Hades niederreißen können. Und, bei allem was ihm heilig war - und das war nicht sehr viel - er würde es tun!
***
Als die HERCULES aus dem Sprung kam, geschah dies nach stellaren Begriffen verdammt nahe an Sherwood. Die Gravitationsfelder des erdgroßen Planeten erfassten das Schiff, schlugen in die Schutzschirme ein und belasteten die Generatoren für die künstliche Gravitation des Giganten schwer genug, um ein lang anhaltendes Beben durch den Schiffskörper zu schicken.
"Bericht!", schnarrte Schlüter.
Korvettenkapitän Lüding sah seinen Skipper ernst an, während er die wichtigsten Daten bündelte. "Zuerst die guten Daten. Wir sind vierundachtzigtausend Kilometer von Sherwood entfernt aus dem Wurmlochsprung gekommen und befinden uns wie vorgesehen auf einem Kurs in den Orbit. Außerdem meldet die Fernortung die Ankunft der Flotte am errechneten Sprungpunkt."
"Und was sind die schlechten Nachrichten, Lüding?", fragte Schlüter mit hoch gezogenen Augenbrauen.
"Es befinden sich dreißig Schiffe aller Klassen im Orbit von Sherwood, eine der drei orbitalen Verteidigungsplattformen treibt brennend im All, von zwei und drei ist nichts zu sehen. Eine befindet sich theoretisch auf der anderen Seite des Planeten, aber ich befürchte das Schlimmste. Turnau?"
"Sir, ich empfange Hilferufe vom Planeten. Die Gouvernatsregierung bittet die Nachbarsysteme um Unterstützung. Außerdem berichtet sie von gelandeten Bodentruppen, die auf die Hauptstadt zumarschieren."
"Gibt es positive Antworten aus den Nachbarsystemen?", hakte Schlüter nach.
"Es scheint, das weitere achtundzwanzig Schiffe im System verstreut in Kämpfe verstrickt sind oder sich einander auf Abfangkursen nähern. Ihre Transpondersignaturen weisen in der Mehrheit auf Flotte, zu einem guten Drittel auf Miliz hin, Skipper."
"Was ist mit dem Orbit? Wer beherrscht den Orbit? ", mischte sich nun Arling ein.
"Ein Leichter Kreuzer der Nebula-Klasse. Eigenname KRK, identifiziert als Flaggschiff von Admiral Carmeline Chun", meldete Oberleutnant Raglund von der Ortung.
"Reservetruppen", sagte Arling nachdenklich. "Raglund, Sie irren sich. Wir beherrschen den Orbit, und das in wenigen Minuten! Lenie, die Fregatten sollen detachieren! Turnau, verbreiten Sie unsere Ankunft im System so laut wie möglich und so weit wie möglich! Warnen Sie, dass wir sofort das Feuer eröffnen, sobald wir in Waffenreichweite sind! Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!"
"Jawohl, Mylord."
"Raglund, ich will, dass Sie ein Team abstellen, das nur darauf achtet, die Sprungpunkte zu überwachen, über die weitere Schiffe aus den Nachbarsystemen eintreffen können. Ich will jederzeit informiert sein, über Anzahl der Schiffe, Name der Schiffe, Gefechtshistorie, Besatzungen und über ihre Gesinnung!"
"Sir, habe verstanden."
Arling nickte zufrieden. "Dein Schiff, Lenie."
Arlene Schlüter erwiderte das Nicken. "Wir detachieren die JULIET, die RICHMOND und die CALAINCOURT! Waffenkontrolle, Ziel aufnehmen! Waffenlösung für Rohre eins bis vier auf die KRK, fünf bis acht auf den Leichten Kreuzer SIDNEY. Befehl an Oberst Monterney und Commander Attainborough: Ausschleusen und einen Schutzkordon bilden! Waffenfeuer frei nach eigenem Ermessen, sobald wir für die mittleren und leichten Waffen in Reichweite kommen! Turnau, ich brauche eine Verbindung zum Gouverneur! Wir brauchen Informationen von der Oberfläche, so akkurat und so schnell wie möglich!"
"Jawohl, Ma´am!" Die junge Frau sah überrascht auf. "Man ruft uns, Ma´am, mit der diplomatischen Kennung der Präsidentin!"
"Das ging ja fix. Auf den Hauptschirm", befahl Schlüter.

Das Standardbild der computeraufbereiteten Darstellung des Loxley-Systems verschwand und machte dem überdimensionierten Gesicht von Rhyann Klages Platz. Sie sah mürrisch aus, rang sich aber ein Lächeln ab. "Mylord Arling. Es freut mich, dass Sie meiner Bitte tatsächlich gefolgt sind."
"Wenn nicht ein Ritter, wer dann sollte einer Dame in Not zu Hilfe eilen", erwiderte Johann Arling. "Wo befinden Sie sich, Ms. President?"
"In einem Bunker außerhalb der Hauptstadt. Aber Sie kommen zu spät, Mylord. Die Verteidigung von Sherwoods Orbit hat bereits viel zu viele Leben gekostet. Bevor die Bodentruppen auch noch die Hauptstadt verwüsten, werde ich mich ergeben."
"Und damit wollen Sie all die Menschen umsonst gestorben sein lassen?", rief eine aufgebrachte Stimme neben ihr. Ein großer Mann mit arabischen Zügen drängte sich ins Bild. "Mylord Arling, ich bin Gouverneur at-Sherwood! Im Namen von allem was uns heilig ist, und im Namen einer funktionierenden Demokratie bitte ich Sie, flehe ich Sie an, retten Sie unsere Präsidentin und unsere Regierung!"
"Es ist sinnlos, Ahmad! Bevor Arling den Orbit erreicht, sind weitere zwanzig Schiffe über uns. Und bevor ich die Einäscherung von zwei Millionen Zivilisten auf mich nehme, werde ich..."
"Mr. Lüding, wie lange noch bis in den Orbit?", unterbrach Arling die Präsidentin.
"Torpedorohre eins bis vier nachladen! Verfolgt mir genau die Wirkung der Einschläge, vielleicht können wir beim nächsten Schlag schon diesen frechen Norfolk anvisieren! Mylord? Wir erreichen den Orbit in achtzehn Minuten, und Ausschleuseentfernung für die Lander in sechzehn, wenn die Hawks und Rüster sie eskortieren."
Rhyann Klages starrte Arling an wie einen Geist. "Wie lange, sagten Sie, sind Sie schon im System, Arling?"
"Gerade angekommen, Ms. President", erwiderte Arling mit einem schmalen Grinsen. "Die HERCULES hat ein paar Vorteile."
"Drei Treffer, einer im Schirm mittschiffs, zwei im Schirm im Heck! KRK dreht nicht ein, um sich zum Kampf zu stellen! Ich wiederhole, KRK dreht nicht ein, um sich zum Kampf zu stellen!", rief Raglund aufgeregt. "KRK und Begleitschiffe verlassen den Orbit!"
"Wie viele der Begleitschiffe?", hakte Arlene Schlüter nach.
"Drei Korvetten, eine Fregatte, Ma´am!"
"Sieht so aus als hätte Chun Angst vor dem größten Jungen auf dem Platz", sagte Arling zufrieden. "Ms. President, halten Sie sich bereit, um evakuiert zu werden. Wir reinigen den Orbit, holen Sie und Ihre Mitarbeiter rauf und verschwinden anschließend wieder. Ich veranschlage für die Operation bis zum Sprung sechs Stunden."
"Sechs Stunden können sehr lang werden, Mylord. Chun wird sich wieder von der Überraschung erholen, plötzlich einen Nemesis-Schlachtkreuzer am Hintern zu haben. Ganz zu schweigen von den Schiffen, die im Orbit bleiben", gab Klages zu bedenken.
"Vier Treffer auf der SIDNEY! Zwei Mittschiffs im Schirm, ein direkter Treffer! SIDNEY brennt! Ich wiederhole, SIDNEY brennt!"
"Fregatten melden Feuer frei für Torpedos, Mylord! Die Taktik hat ihnen bereits Ziele zugewiesen."
"Gut. Sie sollen vorab fliegen und unseren Orbit säubern. Die Waffenleitzentrale feuert Unterstützung", befahl Arling. "Sie sehen, Ms. President, ich habe die Lage hier im Griff. Lassen Sie mich einfach meinen Job machen, und Sie können bald wieder den Ihrigen machen."
At-Sherwood atmete erleichtert auf. "Allah segne Sie dafür, Mylord. Ich bereite alles vor. Außerdem übermittelt mein Stab alle Daten, die wir über die gelandeten Bodentruppen haben."
"Oberst Ganth hier. Mr. Gouverneur, auf welche Stärke schätzen Sie die Angreifer?"
"Zwei Divisionen Infanterie, teilweise motorisiert. Sie besetzt den Raumhafen. Dazu eine halbe Division Panzer, also einhundert Einheiten verschiedenster Klassen. Leichte und Mittelschwere überwiegen, wie geschaffen für einen schnellen Raid." Ein Ausdruck von Zweifel huschte über das Gesicht des Gouverneurs. "Allerdings weiß ich nicht, ob diese Truppen nicht einfach nur Befehle ausführen und..."
"Wie man sich bettet, so liegt man", erwiderte Arling ernst. "Wir werden ihnen die Möglichkeit zur Kapitulation geben, genau einmal. Ganth, was sagen Sie, ist das zu schaffen?"
"Ich brauche mehr Daten über die Panzertypen sowie Informationen über die Einheiten an sich. Aber prinzipiell stellt uns eine halbe Panzerdivision nicht vor Probleme. Vor allem nicht mit unseren eigenen sechs Panzerbataillonen. Ich empfehle eine volle Landung mit dem gesamten Equipment, Mylord."
"Bestätigt. Mr. Gouverneur, die Daten."
"Ich werde sie so schnell es geht zusammenstellen und weiterleiten lassen."
"Himmel, Arling, Sie ziehen das wirklich durch?", rief Klages staunend.
"Wie immer bin ich für ein paar Überraschungen gut, Ms. President. Haben Sie die Gerüchte über mich nicht gehört?"
"Nur allem, was übrig blieb, nachdem ich neunzig Prozent Übertreibung weggestrichen hatte, Mylord."
"Hat das nicht schon gereicht? Entschuldigen Sie, Ms. President, aber ich habe eine Schlacht zu leiten."
"Wir sprechen uns auf der HERCULES. Oder im nächsten Leben", erwiderte Rhyann Klages und deaktivierte die Verbindung.
"Die Sache lässt sich gut an", sagte Arlene Schlüter leise in Arlings Richtung. "Drei Minuten seit wir das Feuer eröffnet haben, und ein Leichter Kreuzer ist bereits aus dem Spiel genommen."
Arling lächelte ironisch. "Du denkst dran, dass Chun uns vielleicht nur in den Orbit locken will und mit Verstärkung zurückkommt, sobald wir Truppen auf Sherwood gelandet haben und damit an den Planeten gebunden sind, bis wir sie wieder haben einschleusen können?"
"Aber, aber. Für wen hältst du mich? Für eine Anfängerin oder deine beste Schülerin, Han? Ich lasse ein paar Minen auslegen, für den Fall der Fälle."
"Gutes Mädchen", brummte Arling zufrieden.
"Skipper, Oberst Monterney meldet Nahkampf mit gegnerischen Rüstern!"
"Die Armen", seufzte Arling.
Schlüter unterdrückte ein zustimmendes Grinsen. "Wir brechen durch. Achtet auf Minen. Checkt die Ortungsbilder, welche uns die Fregatten in der Vorhut senden, sicherheitshalber noch einmal. Achtet auf Rüster, die sich auffällig unauffällig verhalten und sich als mit einer Nuklearwaffe voll gestopfte Drohne erweisen können! Und ich will wissen, wo Chun hinfliegt!"
"Verstanden, Skipper!"
Eine sanfte Hand legte sich auf Arlings Schulter. "Hannes, ich gehe raus mit meinen Leuten."
Arling nickte Major Russel zustimmend zu. "Einverstanden. Viel Glück, Ninja. Der Kaiser braucht euch sechs noch. Vergiss das nicht, Maddie."
"Dich auch, vergiss du das nicht, Hannes." Sie lächelte ihm aufmunternd zu, dann verließ sie die Brücke der HERCULES wieder. Sechs Ninjas des Kaisers mit ihren voll ausgerüsteten Knights auf diesem Schlachtfeld waren eine Verstärkung, nach der sich jeder Feldkommandeur des Kaiserreichs alle zehn Finger geleckt hätte.
***
Der normale Schiffskampf erfolgte selten über Kurzdistanzen. Normalerweise waren einander bekämpfende Raumschiffe so weit voneinander entfernt, dass man schwerlich das gegnerische Schiff oder zumindest Details der Aufbauten erkennen konnte. Graf Arling hatte gegen dieses Prinzip oft genug verstoßen und gegnerische Schiffe Kopf an Kopf angegriffen. Doch selbst in solchen Situationen bestand selten die Gelegenheit, einen Feind zu rammen oder von ihm gerammt zu werden, gar nicht zu schweigen von einer Berührung durch einen Unfall oder Zufall.
Bei den Knights hingegen sah das anders aus. Die riesigen Kampfroboter Katalauns konnten für jede Form des Kampfes ausgerüstet werden, nah, fern, Mitteldistanz, sie waren unglaublich flexibel. Aber ihre Bestimmung, ihre wahre Bestimmung lag im Nahkampf. Und dort lag auch ihre größte Stärke.
Als der Befehl zum ausschleusen der Kampfroboter kam, waren dies einhundertachtzig Knights von der HERCULES, je zwanzig von CALAINCOURT und RICHMOND, sowie zwanzig Rüster von der JULIET. Die Rüster reihten sich in zweiter Linie hinter den Knights ein und ließen sich zurück fallen, um die Position wachsamer Artillerie-Augen zu übernehmen. Diese Taktik hatte sich bereits mehrfach bewährt, und Charles Monterney nahm sich ernsthaft vor, Generalleutnant Kress zu empfehlen, nach dem Krieg ein paar Rüster einzukaufen, hoch zu rüsten und als Ergänzung den Knight-Einheiten des Kaisers zu zu teilen. Aber das setzte natürlich voraus, dass er diese und alle weiteren Schlachten überlebte, die dieser Krieg noch bieten mochte.
"Locker Formation. Selbstständiges Ausweichen. Driftet nicht zu weit vorneweg, oder ihr werdet von unseren eigenen Antischiffskampfwaffen getroffen.!"
"Ja, Sir!" Ein Bataillon nach dem anderen bestätigte.
"Daisy, bist du da draußen?"
"Ich bin direkt in deinem Kielwasser, um dir Deckungsfeuer zu geben, Kleiner", antwortete Commander Attainborough flapsig. "Aber bitte, lass uns nächstes Mal das Verhältnis zwischen Rüster und Knights besser austarieren. Jeder meiner Leute muss auf zweiundzwanzig Knights aufpassen. Und nur eine Kompanie Rekruten lässt sich schwerer überwachen als ihr flippigen Knight-Piloten."
Gelächter antwortete der Gryanin. Allerdings war es wohlmeinendes Gelächter, denn die kaiserlichen Piloten wussten die Hilfe ihrer Rüster-Kollegen durchaus zu schätzen.
"Ich habe einhundertsiebenundzwanzig Rüster auf dem Schirm. Davon folgen neunundvierzig der KRK um den Planeten herum, der Rest strebt uns entgegen. Jeder einzelne vergewissert sich, dass genügend Platz zwischen ihm und seinen Nebenleuten ist. Jeder einzelne vergewissert sich, dass er einem Rüster nicht die Sicht nimmt. Nichts wäre peinlicher für uns, als ein Pilot, der dem direkten Beschuss ausweicht, damit aber zulässt, dass der Rüster, der in gerader Linie hinter ihm ist, getroffen und vielleicht zerstört wird." Charly zögerte einen Moment. Etwas an dieser Rede kam ihm bekannt vor.
"Keine Sorge, meine Leute sind keine Komplettidioten", merkte Attainborough an.
"Ich rede auch nicht von Idiotie, sondern von Flüchtigkeitsfehlern, Daisy. Wir durchbrechen die Phalanx der Rüster und konzentrieren uns anschließend auf die Kleinschiffe. Ziel ist es eine Bresche zu schlagen, durch die unsere militärischen Lander zum Planeten durchbrechen können. Und natürlich diese Bresche zu halten. Keine unnötigen Verluste, Herrschaften. Hier haben wir es sehr schwer, verloren gegangene Knights und deren Piloten zu ersetzen."
"Roger!"
Auf seine alt eingesessenen Knight-Piloten konnte sich Charly verlassen. Aber das waren nur sechsundzwanzig Mann. Im Moment aber kommandierte er zweihundertvierzig, davon waren zwanzig Gryanen. Gut, gut, bei diversen Gelegenheiten hatten auch die sich bewährt, einschließlich der einhundert hephaistianischen Piloten. Aber ein, zwei Scharmützel waren nicht ausreichend um einen Soldaten wirklich kennen zu lernen, so gut einschätzen zu können wie jene, die Arlings Höllenritt durch das Yura-Maynhauser Hinterland mitgemacht hatten.
Ein flüchtiges Lächeln huschte über seine Züge als er an die kleinen und großen Streiche dachte, die sie den Reppies gespielt hatten und die zur Legende geworden waren. Ich letzter und mächtigster Streich, mit drei gekaperten Fregatten aus der Republik zu fliehen, hatte die Legende vollends etabliert. Charly fragte sich, wie viele Nacy-Piloten deshalb einen unstillbaren Hass auf ihn und seine Leute hegten. Wahrscheinlich zu viele. Aber zumindest Attainborough und ihre Rüster-Teams pflegten einen solchen Hass nicht, jedenfalls nicht dass es ihm zugetragen worden war. Wenn auch nicht gerade tiefe Liebe zwischen Rüstern und Knights herrschte, so gab es doch einen anständigen Respekt zwischen ihnen. Respekt und Achtung vor dem Können des anderen. Daisy Attainborough zum Beispiel hatte seine Achtung, seinen Respekt, und in einem etwas kleineren Maßstab auch seine Liebe. Allerdings mehr die Liebe eines stolzen Bruders für seine kleine Schwester. Ja, hätte er eine kleine Schwester, dann wäre sie so geworden: Aufrichtig, geradeheraus, tapfer und stolz, hart und exakt. Man musste sie einfach lieben, wenn der eigene Job Tod säen und Zerstörung verbreiten war.
"Minen im Kurs", meldete eine sachliche, routinierte Stimme, die Charly schnell als die von Jonathan Schrader identifizierte. "Wir bekämpfen und weichen aus."
Charles machte in seinem Hologramm eine schnelle Notiz und markierte den verminten Bereich.
"HERCULES, hier HERCULES. Schwere Partikelwerfer eröffnen das Feuer. Erstes Bataillon, meiden Sie die aufwärtigen Vektoren, während das Feuerintervall stattfindet."
"Verstanden. Halten uns unterhalb der Kampfebene."
Monterney musste schmunzeln. In einem Gefecht im freien Weltall, gerade wenn man in einem Knight oder einer ähnlichen Maschine saß, gab es kein oben und kein unten, und leider auch kein Nord, kein West, kein Ost und kein Süd. Richtungen wurden alleine durch zwei dreihundertsechzig Grad wertige Kreise und der eigenen Position bestimmt. Ein Kreis war waagerecht, der andere senkrecht. Flog er also auf null/null, bewegte er sich geradeaus. Für Knight-Piloten war dieses Verfahren weniger interessant, vor allem im Nahkampf. Aber im komplexen Spiel von schwerer Schiffsartillerie und Raumkampf gewann es an Bedeutung. Die aufwärtigen Vektoren war nun jede Richtung auf dem senkrechten Kreis von null bis einhundertachtzig Grad. Als Orientierung galt meistens die Ebene, welche das feuernde Schiff mit dem eigenen Kurs vorgab. Das war alles etwas komplex, aber niemand hatte je behauptet, dass Kämpfe im Weltall leicht waren. Charly hielt sie nicht einmal für besonders erstrebenswert. Er war eben einfach nur verdammt gut darin.
"WHOA!", klang der erschrockene Ausruf eines Knight-Piloten über Funk auf, als eine der Minen in ihrem Kurs mit einer heftigen Explosion detonierte. Die ultrafeinen Messgeräte der Rüster erfassten den Explosionsdruck und zeichneten ihn in Charlys Hologramm ein. Der Knight-Pilot fühlte, wie es ihm eiskalt den Rücken herunter lief.
"Feuer einstellen!", rief Major Schrader aufgeregt. "HERCULES, Feuer einstellen! Der Explosionsdruck schiebt meine Knights in eure Schusslinie!"
Doch es war zu spät, die HERCULES schoss mit den vorderen Partikelprojektoren eine volle Salve ab, die später der DIGNITIY, einer Fregatte, den Bug wegriss und sie aus dem Gefecht nahm, aber leider erfasste der doppelte Waffenstrahl drei der Knights, die bildlich gesprochen nach "oben" gedrückt wurden. Sie tangierten nur die Randbereiche, doch bei den unglaublichen Energien, die von dieser enormen Waffe verschossen wurden, reichte das vollkommen aus, um sie zu zerstören.
"Feuer eingestellt. Suchen neuen Feuervektor. Auftrag von Admiral Arling: Suchen und zerstören der Minen."
Charles räusperte sich einmal, zweimal, dann hatte er seine Stimme wieder im Griff. "Bestätige. Suchen und zerstören der Minen."
Nun klang wieder die Stimme von Schrader auf. "Leader 1. Bataillon erbittet Search and Rescue auf folgenden Koordinaten..."
Charles hörte nicht länger zu, er war im Moment einfach nur froh, dass sein Bataillonsführer nicht in den Waffenstrahl gedrückt worden war, so wie drei seiner unglücklichen Untergebenen. Schäden oder gar der eigene Tod durch das Feuer Verbündeter ließ sich nie ganz vermeiden, aber es frustrierte schon, wenn die eigenen Waffen das falsche Ziel vernichteten. Von den unglücklichen Schweinen, die getroffen wurden, ganz zu schweigen. "Daisy, rück mit deinen Rüstern näher auf. Das, was da gerade hoch ging war etwas groß für eine Anti-Robot-Mine. Ich wäre froh, wenn wir diese Dinger früher finden und schneller vernichten könnten."
"Verstanden. Rücken näher auf."
Charles atmete tief ein. Wenn Schrader so kaltblütig wie gewohnt war, hatte er sein Bataillon noch im Griff. Ein Einbruch auf seiner Seite wäre im Moment eines von den Dingen, die er überhaupt nicht gebrauchen konnte. Er verzichtete jedoch darauf, Jonathan direkt zu fragen oder ihn zu ermahnen, die Rettungsoperation selbst zu überwachen. Der Mann war zu sehr Profi, und sie befanden sich in einem Gefecht. Sie konnten nur hoffen, dass die Piloten in den bestens geschützten Cockpits überlebt hatten.

"Hier kommen sie. Wir eröffnen den Fernbeschuss", klang die Stimme Attainboroughs auf. Zugleich schossen auch die feindlichen Rüster auf maximale Distanz. Es war keine besondere Schwierigkeit, allen ungelenkten Waffen auf dieser Distanz erfolgreich auszuweichen und die gelenkten vor dem Einschlag zu vernichten. Deshalb bevorzugten ja auch die meisten Piloten eine Nahkampfdistanz, bei der die Zeitspanne zwischen Schuss und Einschlag vernachlässigbar klein war. Oder sie gingen gleich in den Clynch.
Auch Charles manövrierte um ein paar Schüsse herum, da er, unverkennbar einer der Knotenpunkte der Kommunikation, vom Gegner besonders aufs Korn genommen wurde.
"Eröffne Feuer", klangen die Stimmen der Knight-Piloten mit Langstreckenbewaffnung auf. Entsprechende Markierungen hoben die Knights im Hologramm hervor, die nun ebenfalls in den Kampf eingriffen. Sporadisch sah Charles draußen Energieschirme aufleuchten, aber keines der Anzeigensymbole verschwand in dieser Phase. Er atmete japsend aus. Und nahm sich vor, in der erstbesten Pause nach dem Verbleib seiner abgeschossenen Leute zu fragen.
"Eröffne Feuer", murmelte Charles routiniert, als sie die Mittlere Distanz erreichten. Nun setzten Knights wie Rüster auch Raketen ein, was den Austausch an Beschuss zwischen den Kaiserlichen und den Reppies verdreifachte. Nun waren es nur noch wenige Sekunden bis zur Kurzdistanz und dem Nahkampf. Da ihnen die Gegner entgegen kamen, würde ihnen für einen erfolgreichen Schlag nur wenig Zeit bleiben, bevor der Feind an ihnen vorbei rauschte. Danach würden sie eindrehen und auf Verfolgerkurs gehen müssen, wenn es nicht ohnehin ihr Ziel war, die HERCULES oder die drei Fregatten zu attackieren. Charles hatte nicht vor, besonders viele Rüster durchkommen zu lassen. Nicht, wenn er eine solche Übermacht hatte. Leider nur bei den Knights, nicht bei den Schiffen.
"Mit wem, glaubt ihr, euch hier eigentlich anzulegen?", zischte Charly plötzlich aufgebracht, während er die Raketen auslöste und mit der rechten Hand nach der mächtigen zweischneidigen Axt griff, die auf dem Rücken seines Knights befestigt war. Die Entfernungsanzeige schnellte regelrecht auf null, der Oberst ließ seine Maschine im Beschuss der Gegner tanzen, löste die Raketenabwehr auf und suchte sich dann seine Ziele.
Die Axt bestand aus einer Karbon-Stahlmischung, und zusammen mit der wundervoll kraftvollen kinetischen Energie eines schwungvollen Schlags konnte sie einen Rüster spalten.
Charly drückte seinen Knight für ein kurzes Gewaltmanöver, das ihm eine kurzfristige Belastung von achtfacher Gravitation einbrachte, knapp nach oben, kam in Reichweite eines Rüsters, der ihn in sicherer Entfernung zu passieren geglaubt hatte, und schlug mit der Axt kraftvoll zu. Die republikanische Maschine verlor den rechten Arm, die rechte Schulter und den Sensorkopf, während sie als halbes Wrack durchs Weltall taumelte.
Charles wiederholte das halsbrecherische Manöver, das, wenn es nicht mit der notwendigen Erfahrung und dem Fingerspitzengefühl eines wirklichen Toppiloten ausgeführt wurde, schnell Pilot und Maschine in einen expandierenden Feuerball verwandeln konnte. Damit näherte er sich seinem zweiten Rüster. Die massige Maschine schoss auf ihn, aber nur wenige Raketen und Kugeln aus dem großkalibrigen Maschinengewehr trafen ihn. Sie wurden von seinem Schirm absorbiert.
Wuchtig trieb Charles die Axt durch den Sensorkopf in den Torso des Gegners, machte einen Überschlag über den Feind hinweg und zog die Waffe dabei wieder heraus.
"Wir sind kaiserliche Elitetruppen, Ihr Idioten!"
Er durchbrach die Formation der Rüster, wandte den Knight mit dem Rücken zum Planeten und schoss eine Salve Raketen ab. Sieben nahmen Kurs auf einen Rüster, der sich bereits beträchtlich entfernt hatte. Dennoch holten ihn die selbstlenkenden Waffen ein und verheerten seinen Torso. Kurz erschien die Anzeige für einen Schleudersitz in Charlys Hologramm, dann explodierte die misshandelte Maschine in einem Glutball.
"Und auf unserer Fährte folgt der Tod!" Er suchte nach einem neuen Ziel, aber alle Rüster hatten seinen Nahkampfbereich bereits verlassen. Auch auf mittlere Reichweite waren es nicht mehr wirklich viele. Eine schnelle Inventur ergab, dass die Zahl aktiver Feindmaschinen auf dreinundzwanzig reduziert worden war, während seine Knights und Rüster bisher erst sieben Ausfälle hatten, davon drei durch das eigene Feuer der HERCULES. Ein flüchtiges Grinsen huschte über Charlys Gesicht. Die Piloten mochten hier und da etwas grün sein, aber sie enttäuschten ihn nicht.
"Lasst den Rest für die Fregatten!", befahl er, drehte den Knight wieder in Richtung Sherwood und beschleunigte. "Auf uns wartet größere Beute!"
"Roger!"

Auf der HERCULES tippte Arling nervös auf die Lehne seines Sessels, während er die Hologramme inspizierte. Die Rechenleistung von Iolaos erstaunte ihn immer wieder aufs neue, und seine Prognosen waren überraschend präzise.
Normale Computernetze waren in der Lage, anhand statistischer Fakten wie Naturgesetzen und Bewegungsvektoren, Daten über Bewaffnung und Piloten und dergleichen, mehrere tausend mögliche Varianten zu berechnen, nach denen ein Feind wahrscheinlich vorgehen würde. Diese Fakten rechneten sie in einem Gefecht pro Sekunde einmal neu aus und waren damit immer auf dem neuesten Stand.
Iolaos war anders. Zwar rechnete er nach dem gleichen System, aber im Gegensatz zu den streng empirischen Rechnernetzwerken der anderen Schiffe war er in der Lage zu raten und zu schätzen. Er priorisierte die Rechenergebnisse nicht einfach und klapperte danach die Möglichkeiten nach ihren Nummern von eins bis tausend durch, er traf Prognosen auf irrationales, humanoides Verhalten. Und das machte Iolaos nicht nur zum stärksten, schnellsten und gefährlichsten Verbundrechner in diesem Sonnensystem, es machte ihn auch zur größten Unterstützung für die Brückenbesatzung und versetzte die HERCULES in die vorteilhafte Lage, tatsächlich die Kampfkraft von vier Schweren Kreuzern aufbieten zu können. Denn Iolaos passte sich auch den Menschen an, mit denen er arbeitete und unterstützte ihre natürlichen Begabungen durch eben dieses irrationale Denken.
"Zerstörer LUDOVIC versenkt, Fregatte PRIAMOS schleicht mit Restfahrt aus der Kampfzone!" Korvettenkapitän Lüding sah zuerst zu Arlene Schlüter, dann zu Admiral Arling hoch. "Befehle?"
"Ist der Orbit frei?"
"Ja, Mylord. Die KUHN, die MONSOON und die WARSOVIE tauchen gerade hinter dem Horizont ab. Der Orbit selbst ist von Oberst Monterney und seinen Knights und Rüstern gesichert. CALAINCOURT, JULIET und REDWOOD treten in dieser Minute in den stabilen Orbit über der Hauptstadt ein. Sie erbitten Feuererlaubnis aus dem Orbit, um die republikanischen Truppen am Vormarsch auf die Hauptstadt zu hindern."
Arling dachte nach. "Abgelehnt. Das ist nicht unsere Aufgabe, und wir wären sehr unnütze Retter in der Not, wenn wir uns verzetteln würden. Oberst Monterney soll mit der Sicherung des Bunkers beginnen."
"Aye, Sir."
"Wie sieht es bei Commodore Griffin aus?"
Raglund sah auf. "Die Flotte strebt ungehindert ins System, Mylord. Bisher kein Feindkontakt. Commodore Griffin ist vollkommen im Zeitplan. In achtzig Lichtminuten Umkreis halten sich keine republikanischen Kräfte auf."
Arling sah auf den Chronographen, der in das Hologramm integriert war. Sie befanden sich in Szenario fünf der möglichen Modifikationen für diese Operation: Flüchtende Schiffe, die eventuell Sherwood umrundeten, um von hinten anzugreifen, während keine Gefahr für den Rückmarsch zu bestehen schien. "Die anderen Schiffe im System?"
"Es sind acht neue eingetroffen. Augenscheinlich Navy-Schiffe. Über zwanzig Einheiten sind im Eilmarsch auf dem Weg hierher, sind aber mindestens zwei Stunden entfernt."
"Wann schwenken wir in den Orbit ein, Mr. Lüding?"
"Exakt in achtundsiebzig Sekunden."
"Startfreigabe für die Lander."
"Aye, Sir. Brücke an Oberst Ganth: Go! Go! Go!"
Für einen Augenblick rieb sich Arling die Stirn. "Das geht mir viel zu glatt. Lasst uns die Scheiße so schnell wie möglich hinter uns bringen.
Befehl an die JULIET: Anflugvektoren auf unseren stationären Orbit verminen. Aus beiden Äquatorialrichtungen, bitte."
"Aye, Sir."
Arlene betrachtete den alten Freund und Vorgesetzten einen Augenblick und schnaubte amüsiert. Es war doch manchmal wirklich gut, ZWEI Iolaos an Bord zu haben.
***

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Ace Kaiser,
Angry Eagles

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Clan Blood Spirit

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