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Zum Ende der Seite springen Anime Evolution: Krieg
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Ace Kaiser Ace Kaiser ist männlich
Lieutenant General


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Dabei seit: 01.05.2002
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Themenstarter Thema begonnen von Ace Kaiser
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"Was hast du da draußen zu suchen gehabt?", fuhr eine markante Männerstimme die Dai an.
Zornig blitzende blaue Augen fixierten ihren Blick, eine kräftige, behandschuhte Rechte lag wie eine Stahlklammer um ihren linken Unterarm. "Aus welcher Sektion bist du überhaupt?"
Kitsune war ehrlich verwirrt. Bisher war sie davon ausgegangen, dass die Strahlung im Kern kein organisches Leben zuließ.
Für einen Moment sah der Mann zur Seite. "Du hast Glück gehabt, wirklich großes Glück! Du hast keinen radioaktiven Staub mitgebracht, und der Mediscanner zeigt nur minimale zellulare Schäden durch die Strahlung bei dir an. Aber das ist auch das einzige Positive. Wie bist du nur auf diese wirklich dumme Idee gekommen, da raus zu gehen?" Nun sah er sie wieder an, und die Wut in seinen Augen hatte etwas von Dai-Kuzo-sama, wenn sie einen von Kitsunes Ausrutschern tadelte.
"I-ich...", stammelte sie.
"Na, ist ja auch nicht so wichtig. Verschwinden wir erstmal aus den Randbezirken." Er wandte sich um und zog die Dai hinter sich her. Sie durchschritten eine massive Wand - aha, ein Holo - und kamen auf das Laufband einer hohen Galerie, die um einen mehrere hundert Meter tiefen Schacht aufgebaut war. Unten in der Tiefe klang das leise Summen von Fusionsgeneratoren bei der Arbeit auf. Dutzende Galerien zogen sich in die Höhe und in die Tiefe, und ein bestimmtes Gefühl verriet Kitsune, dass sich diese Schächte durch den ganzen abgeschirmten Bereich zogen.
"Belta!", rief der Mann und winkte eine Frau ohne Schutzanzug herbei, die an einer Wand stand und eifrige Notizen in ihr antiquiertes Klemmbrett schrieb.
"Was gibt es, Oren?"
Der große Mann zog an Kitsunes Unterarm, bis sie vor ihm stand. "Ich habe eines deiner Küken draußen vor dem Schirm gefunden. Wäre ich nicht zufällig vor Ort gewesen, hätte sich dein neugieriges Baby mit der harten Strahlung so sehr vollgesogen, dass wir sie nur noch hätten klonen können."
Die mit Belta Angesprochene lächelte verschmitzt in Kitsunes Richtung. "Lass dich nicht von ihm einschüchtern. So schnell verstrahlt man nicht. Und auf keinen Fall mit unserer Ausrüstung. Ich selbst habe schon achtzehn Missionen draußen absolviert, und jede ging über den Zeitraum einer Stunde. Minimal. Oren, du sollst die Kleinen doch nicht immer so erschrecken."
"Was heißt hier nicht erschrecken? Du erinnerst dich an Davige? Er war länger als eine Stunde draußen, und wir haben dreitausend Jahre gebraucht, um die radioaktiven Ablagerungen aus ihn raus zu holen und seine vollkommen zerschossene DNS zu rekonstruieren. Du erinnerst dich an den Ärger, den wir deshalb mit Rat Tymal hatten, und zwar in allen fünf Erweckungsphasen?"
"Ich sehe deinen Punkt. Das ist aber keinen Grund, den Nachwuchs derart einzuschüchtern." Sie sah wieder zu Kitsune herüber. "Wie heißt du denn, Mädchen?" "Ki-kitsune"; haspelte sie hervor.
"Kikitsune. Das ist ein merkwürdiger Name. Kommst du aus der Kolonie?"
"Nein, Kitsune. Verzeihung, ich habe gestottert."
Beltas Blick wurde böse. "Du hast sie wirklich total eingeschüchtert." Sie legte das Klemmbrett zur Seite, trat vor die Dai und öffnete den Helm mit sicherem Griff. Ihre sanften, warmen Hände legten sich auf Kitsunes Wangen. Dann drückte sie die Rechte auf die Stirn. Es war ein mehr als angenehmes Gefühl voller Geborgenheit. "Na, wenigstens scheint es dir körperlich gut zu gehen."
"Das habe ich bereits mit dem Mediscanner festgestellt", murrte Oren.
"Du verlässt dich noch immer zu sehr auf die Technik", tadelte Belta. "Sag mal, Kitsune, wer ist dein Gruppenleiter?"
Dumm stellen war immer eine gute Idee. Und die junge Frau vor ihr schien einen ausgeprägten Beschützerinstinkt zu besitzen. "I-ich weiß nicht. Ich habe mich sooo erschrocken, als plötzlich diese Hand aus dem Nichts nach mir griff, und..."
"Ach, so war das?" Wieder ging ihr böser Blick in Richtung Oren. "Hast dem armen Mädchen gleich noch ein wenig Angst einjagen wollen, damit es so etwas nie wieder macht, was? Du bist und bleibst ein Oberlehrer, Oren."
"Es ist ja wohl zu ihrem eigenen Besten!", erwiderte der große Mann ärgerlich. "Wir müssen zwar die Computer der Maschinen nicht fürchten, aber wohl die Strahlung."
"Wir müssen die Computer auch erst seit zweitausend Jahren nicht mehr fürchten. Davor war es anders, Oren. Du erinnerst dich?"
"Ich weiß. Deshalb ist jeder Nagalev bei Verstand und Sinnen ja auch so wertvoll für uns."
"Moment, Moment, das geht mir alles zu schnell", sagte Kitsune, schüttelte Beltas Hände ab und trat einen Schritt auf das Geländer zu. Sie deutete auf die Wände. "Was ist das alles hier?"
"Oren, du bist ein Ekel. Wie sehr hast du sie eigentlich erschreckt?" Ärgerlich starrte Belta den Hünen an, bis er als Erster fort sah und leise eine Entschuldigung murmelte.
Belta ergriff Kitsunes Hände. "Es ist alles in Ordnung, Schatz. Du bist hier in der Zuflucht in Sicherheit. Die Maschinen interessieren sich nicht für dich, solange wir den Hauptcomputer hacken. Du bist doch bestimmt aus der Kolonie. Du bist viel zu jung, um schon ein Techniker zu sein. Komm, ich bringe dich zurück. Und du, Oren, denke das nächste Mal drüber nach, bevor du wieder ein kleines Mädchen traumatisierst."
"Zuflucht? Hacken? Sagt mir endlich, was dieser Schacht zu bedeuten hat!"
"Aber Kind", sagte Belta mit Verzweiflung in der Stimme, "dies sind unsere Kryo-Einrichtungen für die vierzigtausend Nagalev, die hier die Revolte der Maschinen überlebt haben. Redet Ihr in der Kolonie nicht darüber?"
"Vierzigtausend? Vierzigtausend Nagalev?" Ihr schwindelte. Die anderen Dai waren auf dem Weg, um die Anlage zu vernichten, und damit ungewollt nicht nur die Götter zu schädigen, sondern auch noch vierzigtausend Unschuldige, von der Zahl der Menschen in der Kolonie ganz zu schweigen.
"Ich muss... Ich glaube, ich muss jetzt ganz schön schnell sein!" Kitsune warf sich herum und lief auf den Schacht zu, den sie mit Oren passiert hatte.
"Hey!", rief der große Techniker überrascht. "Bleib stehen!"
"Jetzt ist sie ganz durchgedreht! Oren, das geht auf dein Konto! Bleib hier, Mädchen!"
Tatsächlich blieb Kitsune stehen, und Oren konnte sie einholen. "Gut so. Beruhige dich erstmal, und wir reden noch mal in Ruhe über - WHOAAA!"
In einer einzigen fließenden Bewegung hatte Kitsune den Arm des Hünen ergriffen und über ihre Schulter gehebelt. Ein Haltegriff bei ausgestrecktem Arm fixierte ihn am Boden.
"Ich glaube, Ihr solltet jetzt mal mir zuhören. Ich bin eine Dai."
Belta lachte nervös. "Die Existenz der Dais ist nur ein Märchen, Schatz. Ist ja schön wenn du glaubst, eines dieser phantastischen Wesen zu sein, aber Träumereien bleiben nun mal Träumereien."
Als Antwort verformte sie ihre linke Hand zu einem Schwert. Ein Streich mit dieser Klinge durchschlug das Geländer, als bestünde es nur aus Butter. "Ich bin eine Dai, und in diesem Moment ist mein Team dabei, um die Werften mithilfe der Reaktoren zu vernichten. Ich weiß, Ihr seid Götter und damit eigentlich meine Feinde, aber ich habe ein echtes Problem damit, einen Massenmord an vierzigtausend Göttern zu begehen!"
"Sechzigtausend. Zwanzigtausend leben in der Kolonie", sagte Belta mit stockender Stimme.
"Noch ein Grund, um die anderen aufzuhalten!" Sie ließ Orens Arm los und machte sich wieder auf den Weg.
"Warte!", rief Belta. "Was meinst du mit Göttern? Wir nennen uns selbst nicht so!"
Kitsune stockte. "Okay, jetzt haben wir ein Problem. Umso wichtiger ist es, dass ich die anderen aufhalte! Wir werden uns hier versammeln, und dann schauen wie es weiter geht."
"Warte! Da draußen kannst du keine fünf Kilometer weit funken! Willst du sie alle einzeln einholen?"
"Ich muss es wenigstens versuchen! Auch wenn es mein Leben kostet!" Das Argument von Belta hatte die Dai erschüttert. So weit hatte sie tatsächlich nicht gedacht. Ihr blieb nur, etwas zu wagen, was sie normalerweise nie tun würde. Vor den Augen der Nagalevs verwandelte sie sich in die Fuchsgestalt. Genauer gesagt in vier Fuchsgestalten, die alle die gleiche Größe und die gleiche schwarzweiße paramilitärische Menschenkleidung trugen. Einer der Füchse trug eine Offiziersmütze, während die anderen drei mit Baretts ausgestattet waren.
"Also, Truppe, hergehört", ereiferte sich der Offiziers-Kitsune, "der Plan ist wie folgt. Ichi, du suchst Livess auf! Ni, du suchst Lertaka auf. Und du, San, holst Celeen ein! Ich gehe raus zu den anderen und informiere sie über diese unverhoffte Entwicklung!"
"Roger!" Die drei kleinen Füchse salutierten, bevor sie in Richtung Schacht davon sprangen.
"Aber", klang wieder Beltas Stimme auf.
"Nein, nein, es geht nicht anders", stellte die Offiziers-Kitsune fest. "Wir haben keine andere Möglichkeit als diese, um meine Kameraden rechtzeitig daran zu hindern, die Reaktoren zu sprengen."
"Das mag schon sein, aber warum fragst du nicht, welche Möglichkeiten wir haben?", fragte Oren, während er sich langsam aufrichtete. "Eine Dai. Eine waschechte Dai. Sachen gibt es auf der Welt."
"Möglichkeiten?", fragte Kitsune.
"Es gibt ein Lautsprecher-System. Es stammt aus der Zeit, als diese Werft noch den Nagalev gehört hat. Die Maschinen interessieren sich nicht für Schall, also dirigieren wir mit dem System unsere Außentrupps, wenn wir draußen irgend etwas zu erledigen haben. Du kannst es gerne benutzen."
"Sag das doch gleich!", rief Kitsune, halb entrüstet, halb erleichtert. Da kehrte auch schon der erste Kitsune zurück, und kletterte dem Offizier auf den Kopf. Die anderen beiden folgten relativ schnell darauf, und vor den Augen der Nagalevs verschmolzen die vier Mini-Kitsunes wieder zu der jungen Frau im Schutzanzug. "Bringt mich zur nächsten Zugriffsmöglichkeit! Schnell!"
"Hier entlang, Dai!", sagte Belta und lief voran.
***
Lertaka hatte den Zentralkern des Computersystems fast erreicht. Er hoffte, dass seine Kameraden effizient agieren würden - aber nicht zu effizient, damit sie alle die Chance erhielten, diese Sache lebend zu überstehen. Nicht, dass er auch nur eine Sekunde gezögert hätte, wenn die Vernichtung dieses gigantischen Werftbetriebs seinen Tod erfordert hätte. Aber hypopthetische Fälle blieben am Besten im Hypothetischen, und sollten gar nicht erst wagen, Realität zu werden.
Während er das Fahrzeug wechselte, um noch tiefer vorstoßen zu können, strich die Linke wie beruhigend über den Neuroschocker an seiner Hüfte, mit der er der künstlichen Intelligenz die künstlichen Gehirnzellen wegrösten würde. Und dachte im gleichen Moment an Kitsune und ihren Erkundungsvorstoß. Die Dai von der Erde hatte auf ihn nicht den Eindruck gemacht, auch bei größeren Schwierigkeiten aufgeben zu wollen. Im Gegenteil, sie war eine von den Personen, die selbst dann nicht aufgaben, wenn sie mit dem Rücken zur Wand standen. Lertaka hatte es im Gefühl, Kitsune würde sie alle noch so richtig überraschen.

"Test, Test, Test. Ist das Ding an? Was? Ah, gut. Dann wollen wir doch mal."
Erschrocken verharrte Lertaka an seinem Platz und wagte nicht, sich zu bewegen. Das war eindeutig Kitsunes Stimme gewesen. Aber warum hatte es sich so angehört, als wäre sie von allen Seiten zugleich gekommen?
"Guten Tag, und herzlich willkommen bei eurem Lieblingsradiosender Kitsune Neunundachtzig Punkt Null. Auch heute führt euch eure Lieblingsmoderatorin Dai-Kitsune-sama durch die Welt der Wunder und der Entdeckungen. Ihr neuester Fund, so unglaublich es klingen mag, sind sechzigtausend zum Teil in Kryostase versetzte Daima im isolierten Bereich, den sie untersuchen wollte. Lertaka, du weißt wovon ich rede. Deshalb senden wir heute statt unseres geplanten Programms "Wie zerstöre ich diese Riesenwerft von innen" eine Sondersendung mit dem Thema "Wir sammeln uns in der Strahlungsfreien Enklave und überlegen dringend, wie wir die sechzigtausend Menschen hier raus kriegen - und jagen den Laden danach in die Luft. Eure Dai-Kitsune-sama erwartet euch im isolierten Bereich. Celeen, Litess, fragt einfach Lertaka, wo das ist. Also, bis gleich."
Nur langsam wollten Lertakas stockenden Gedanken wieder fließen. Nur langsam wollte er begreifen, was er gerade gehört hatte. Nur langsam verstand er überhaupt die Konsequenzen. Er sprang vom Vehikel, das ihn tiefer in den Komplex hatte bringen sollen, und sicherte sich einen Platz auf einem Fahrzeug in Gegenrichtung. Sechzigtausend Daima. Beinahe hätte sich das Team von verschiedenen Welten ohne es auch nur zu ahnen an diesen Unschuldigen versündigt. Und, fragte er sich selbst mit Entsetzen, würden sie es vielleicht auch noch tun, wenn die Zerstörung der Werft eine höhere Gewichtung bekam als die bedrohten Leben im isolierten Bereich? Im Krieg gegen die Götter waren die sechzigtausend Daima vielleicht schon vertretbare Opfer.


3.
"Also, ich muss ehrlich gestehen, Akira, du beeindruckst mich immer wieder aufs Neue", gestand Mother, aber ihre herunter gezogenen Mundwinkel sprachen eine andere Sprache.
"Beeindrucken auf negative Art?", riet ich.
"Halb und halb", gestand sie. "Auf jeden Fall wird mir mehr und mehr klar, was für einen Satansbraten ich mir da in mein Rechnernetzwerk geholt habe, als du auf Anordnung der Legaten in einem meiner Supercomputer vernetzt wurdest." Sie deutete auf die achtzehn Steuerhologramme, die ich rund um mich aufgebaut hatte. "Achtzehn Felder, Akira. Achtzehn. Alle versorgen dich permanent mit Informationen... Und du bewältigst das auch noch." Sie seufzte gespielt. "Schade, dass der Core nicht dich zum ersten Legaten berufen hat. Du würdest mittlerweile über ein mehrere Systeme umspannendes Reich herrschen." Sie legte den Kopf schräg, wie als wenn sie über etwas nachdenken würde. "Ach, vergiss das wieder. Du herrscht ja über ein mehrere Systeme umspannendes Reich."
"Sehr komisch", murrte ich und fuhr die Manöverholos wieder runter.
"Wir gehen wieder auf Normalbetrieb, Arhtur", wies ich den Bordrechner an.
"Sehr wohl, Sir." Nun entstanden die üblichen Navigationsprogramme. Die wurden zwar nicht gebraucht, solange die ADAMAS neben der AURORA und den anderen Begleitschiffen durch den Wurmlochkorridor ins nächste System flog, aber ich hatte mir fest vorgenommen, mir eine Routine zu erarbeiten.
"Dennoch, das beeindruckt sein bleibt. Für einen ersten Versuch, diesen Giganten in eine Schlacht zu lenken und wieder heil raus zu bringen, war das eine beeindruckende Leistung. Du wärst ein guter Kapitän geworden, Akira."
"Ach." Ich winkte ab. "Ich bin Mecha-Pilot. Ich liebe es, Mecha-Pilot zu sein. Ich steuere die ADAMAS nur, weil ich es muss. Nichts gegen dich, Arhtur."
"Verstehe, Sir. Aber vergessen Sie nicht, dass Prime Lightning jederzeit für Sie auf dem Katapult bereit steht. Sie können jederzeit mit ihm in den Einsatz gehen." Die Kunststimme räusperte sich vernehmlich. "Viele Reyan Maxus waren exzellente Mecha-Piloten."
"Und wer steuert dich dann, du Genie?", fuhr ich den Bordrechner an.
"Bis zu einem sehr hohen Grad bin ich selbstständig", erwiderte Arhtur in mahnendem Ton "Sonst könnten Sie es sich gar nicht erlauben, die Hybris zu genießen, die ADAMAS alleine zu steuern, Sir."
Ich grinste schief. Entwaffnende Logik. "Schon gut. Habe es verstanden. Du sagst also, ich kann mich hier jederzeit ausklinken und mit Prime Lightning kämpfen gehen."
"Wenn es die Situation erfordert. Es könnte aber auch Situationen geben, in denen Ihre Anwesenheit hier auf der ADAMAS zwingender ist. Viele Systeme können nur durch die schiere Kraft eines Reyan Oren oder Maxus aktiviert werden. Darunter sind einige meiner mächtigsten Waffen, Sir."
"Und vergessen wir nicht die Verbesserung der Ortung", warf Mother ein. "Entschuldige, Arhtur, aber ich war etwas neugierig. Ein Supercomputer nach kronosianischem Vorbild könnte deine Leistung enorm steigern."
"Danke", erwiderte der Bordcomputer mit deutlichem Sarkasmus in der Stimme, "aber ich habe lieber nur ein Gehirn, das für mich denkt. Aber Sie haben Recht, Ma'am, dass ein Reyan Maxus meine Ortung stark verfeinert. Auch wieder nur durch seine schiere Kraft. Ich... Oh, das ist interessant."
"Was ist interessant?", fragte ich. War es normal, das ein lichtschnell arbeitender Computer beim Sprechen eine Pause machte? Bisher hatte Arhtur nie zu Theatralik geneigt, also machte mir das ein klein wenig Sorgen.
"Das Wurmloch scheint nicht vollkommen stabil zu sein, Sir. Wie es aussieht passieren wir in wenigen Minuten eine Passage, die... Nun, Risse zeigt."
"Risse?"
"Risse, Sprünge, Narben, ich versuche mich da Ihrem Wortschatz anzupassen, Sir."
"Risse?", wiederholte ich ungläubig. Meine Erfahrungen mit Wurmlöchern waren begrenzt. Ich nutzte sie zum Reisen. Im Prinzip gestalteten sie sich so: Am Rande eines Systems wurde das Wurmloch erzeugt, das die Raumzeit für mein Schiff krümmte, und somit das andere System, in das ich springen wollte, rapide zu mir heran holte. Anschließend musste ich das Wurmloch nur noch passieren, und ich hatte in zwei Wochen geschafft, wofür ich eigentlich siebzehn Jahre bei Lichtgeschwindigkeit benötigt hätte. Wir bewegten uns also defacto durch einen Raum, der keiner war, der nicht wirklich existierte, und der sich seinen Platz selbst erzeugte. Wie konnte also so ein Wurmloch an der Wand, die gar nicht real war, Risse bekommen? Für meinen Job als gefährlichster Mecha-Pilot der Erde brauchte ich Physik nicht besonders häufig, wenn man von Ballistik einmal absah. Aber zumindest wusste ich, dass das Wurmloch ein in sich gekrümmter Raum war, quasi eine Blase an der Oberfläche der Realität. Jeder einzelne Punkt des Wurmlochs, so eine gängige Theorie, war stets derselbe, nur aus einem anderen Zeitabschnitt heraus gerissen., sodass der Tunnel entstehen konnte, der eigentlich gar nicht möglich war.
"Jetzt sind es Löcher, Sir", meldete Arhtur trocken.
"Löcher?" Entgeistert sah ich Mother an.
Das Hologramm hob entschuldigend beide Hände. "Nicht mein Werk. Und ich habe absolut keine Ahnung, was hier passiert."
"Auch mein Archiv bietet keine Erklärung. Will sagen, so etwas ist mir in fünfzigtausend Jahren nicht passiert, und ich habe auch noch nie von einem ähnlichen Fall gehört."
"Danke, Arhtur. Wurde bereits Flottenalarm gegeben? Was immer das auch ist, es ist weder normal, noch ungefährlich."
Mother seufzte leise. "Du hast die äußerst unangenehme Eigenschaft, mit solchen Dingen Recht zu haben, Akira. Ich schau mal, ob ich helfen kann." Sie schloss die Augen, obwohl das für ein Hologramm so relevant war wie atmen, und klinkte sich augenscheinlich in Arhturs Datennetze ein.
"Löcher würde ich es nicht nennen", sagte sie unvermittelt. "Passage trifft es eher."
"Passage?" Ich hüstelte verlegen. "Hat uns ein zweites Wurmloch getroffen, oder was?"
Mother öffnete wieder die Augen und sah mich mit einem undefinierbaren Ausdruck an. "Ich glaube, du hast es gerade ganz unwissenschaftlich auf den Punkt gebracht, Akira. Uns hat ein zweites Wurmloch getroffen. Und wenn ich mir die pseudoexistentielle Größe des anderen Wurmlochs so anschaue, dann hat der Erzeuger des Wurmlochs eine geringere Masse als die AURORA und ihre Begleitschiffe. Vielleicht ein Grund dafür, dass unser Wurmloch nicht kollabiert ist und uns alle zerquetscht hat."
"Na Klasse. Heißt das, wir haben gerade ein anderes Schiff vernichtet, nur weil es unser Wurmloch getroffen hat?"
"Da ich absolut keine Erfahrungen in diesem Fall habe - keine Ahnung", sagte Arhtur.
"Und was ist mit Mutmaßungen, aufgebaut auf physikalischen Fakten?"
"Nun, ein Wurmloch entsteht, indem die Schwerkrafsenke eines Sonnensystems mit der Senke eines anderen Systems verbunden wird und dann einen Stauchungseffekt der Raumzeit auslöst. Da Wurmlöcher normalerweise vor dem Sprung erzeugt werden, können wir von zwei Dingen ausgehen. Erstens, das Schiff ist noch nicht in das Wurmloch eingetreten. Und zweitens, bis es auf unsere Höhe geflogen ist, haben die AURORA und ihre Begleitschiffe diese Stelle längst passiert."

Mein Blick ging auf das Hologramm, das computeraufbereitet die Situation darstellte. Deutlich sah ich das Loch in der Korridorwand. Es war groß, hatte aber nicht einmal ein hundertstel unseres Korridordurchmessers. Soweit man bei computeraufbereiteten Hologrammen von akkuraten Daten sprechen konnte. Diese Sachen waren stets aufgearbeitet, in meinem Fall für einen Laien, damit er schneller verstand. Aber immerhin, der Fakt das das andere Wurmloch kleiner war stand fest.
"Ich sehe kein zweites Loch auf der anderen Seite unseres Korridors." Hilfesuchend sah ich Mother an. "Müsste da nicht einer sein? Ich meine, was hat das unbekannte Schiff anvisiert, wenn nicht die Schwerkraftsenke eines fernen Sterns?"
"Diese Schwerkraftsenke vielleicht?", witzelte sie.
"Dann hätten wir es mit einem Angriff zu tun. Einem gezielten Angriff. Einen Angriff, der ins Leere geht, weil wir längst aus dem Sprung raus sind, bis aus diesem Wurmloch irgend etwas kommt", murmelte ich nachdenklich. "Selbst Waffenfeuer und Torpedos können uns nicht treffen. Im Gegenteil, sobald wir die Stelle passiert haben und unser Ziel erreichen, fällt dieses Wurmloch wieder in sich zusammen. Was dann mit diesem hier passiert, steht in den Sternen." Nachdenklich rieb ich mir das Kinn. "Aber wenn das hier ein Angriff ist, dann verspricht sich der Angreifer irgend etwas davon. Einen Vorteil. Nehmen wir an, wir haben es mit einem Strafer zu tun, oder einem Vernichter. Oder einem Erkunder. Warum sollten uns diese Schiffe hinterher schleichen wollen, wenn sie doch genau wussten, wo unser Korridor zu finden, zu treffen ist, anstatt uns einfach am Zielpunkt zu erwarten?"
"Vielleicht weil sie es nicht vor uns zum Zielpunkt schaffen?" Mother begann auf und ab zu schreiten. "Vielleicht weil... Weil... Autsch."
"Autsch?", fragte ich argwöhnisch.
"Autsch. Du erinnerst dich an Andea Twin? Die AURORA flog durch ein Doppelsternensystem, während eine kosmische Katastrophe geschah. Der Gasplanet Legrange stürzte teilweise in beide Sonnen, die daraufhin dessen Materie hochionisiert als Schlockwelle wieder abstießen. Diese Schockwelle, die Ähnlichkeit mit der einer Supernova hatte, drohte die AURORA zu vernichten. Sie folgte dem Schiff sogar in das eilig erzeugte Wurmloch, und trieb es über das eigentliche Ziel hinaus, bis nach Kanto."

Man konnte nicht sagen, dass ich ein besonders guter Wissenschaftler geworden wäre. Man konnte von mir aber auch nicht behaupten, dass ich ein Idiot oder Dummkopf wäre. Ich hatte immer beste Noten gehabt, besaß eine schnelle Auffassungsgabe, kannte mich auf vielen Bereichen gut aus, und hatte neben der Schule die Zeit gefunden, die Welt zu retten. Okay, ich hatte meinen Hochschulabschluss noch immer nicht gemacht, aber das lag nicht unbedingt nur an mir. Doch das nur am Rande. Zusammengefasst: Ich verstand sehr gut, dass die Kacke gerade richtig am Dampfen war. Und ich stellte mir eine interessante Frage: Konnte ich ein Wurmloch kollabieren lassen?
"Verbindung zu Sakura", sagte ich ernst. "Arhtur, wir fliegen das fremde Wurmloch an."
"Verstanden, Commander."

Die Holoverbindung stand sofort. Meine Cousine sah mich ernst an. Sehr ernst. Sehr, sehr, sehr ernst. Im Gegensatz zu mir hatte sie ihren Hochschulabschluss. Und sie hatte diverse Studiengänge in der Tasche, die ich teilweise nicht einmal aussprechen konnte. Dazu kam das umfangreiche Wissen der Naguad, über das sie im Gegensatz zu Yohko und mir unterrichtet worden war. Mit anderen Worten: Der bildhübsche Blondschopf war verdammt smart unter dem Pony.
"Akira, ich...", begann sie, aber ich machte eine abwehrende Handbewegung.
"Schon klar. Feindlicher Angriff, ein Schiff katapultiert sich durch das Wurmloch wie ein Sektkorken auf Druck. Ich nehme die ADAMAS und sorge dafür, das alles, was nach dieser Radikalkur übrig bleibt, der Flotte nicht gefährlich werden kann."
Für einen Augenblick war Sakura nicht einfach nur überrascht, sie war maßlos erstaunt. "Äh, Kei hat sich nicht zufällig zu dir an Bord geschlichen? Oder Takashi?"
"Was?", fragte ich ehrlich verletzt. "Traust du mir nicht zu, auf so eine simple Sache alleine zu kommen?"
Sie lächelte mich an. Herzlich. Strahlend. Falsch. "Nein, Akira. Das traue ich dir nicht zu."
Also, das verletzte mich schwer. "Sakura-chan, das trifft mich jetzt schwer."
"Sag schon, wer hat dir geholfen?"
"Mother ist hier. Und Arhtur hat auch seinen Teil geleistet", sagte ich gedehnt. "Aber ich habe aus vielen Fakten ganz alleine die richtigen Schlüsse gezogen."
"Ja, sicher, das hast du. Mother ist bei dir? Weiß sie schon, dass wir Verbündete sind?"
"Augenscheinlich ja."
"Na, ich weiß nicht." Sie blies eine vorwitzige Haarsträhne weg, dir ihr vor dem Gesicht baumelte. "Eigentlich wollte ich dir gerade sagen, dass du die ADAMAS aus dem Weg halten sollst, damit wir mit allen drei Hämmern des Hephaistos hinein ballern können."
"Aber das bringt nichts, richtig?", sagte ich nachdenklich. "Wenn wir hier wirklich von den Göttern angegriffen werden, dann haben wir keine Ahnung, wie viele Schiffe an dieser Aktion beteiligt sind. Wie viele Wurmlöcher in diesem Moment versuchen, unseres zu treffen. Und wie viele Versuche sie noch unternehmen werden. Das bedeutet, dass wir unsere stärksten Waffen nicht alle auf einen Schlag abfeuern können, weil sie Nachladezeit haben. Allerdings scheinst du zu vermuten, ein einziger Hammer könnte zu wenig sein."
"Ich vermute hier gar nichts, Akira", murrte sie. "Aber bedenke bitte, wenn sie ein Schiff wie einen Sektkorken durch das Wurmloch jagen, gibt es vielleicht kein System mehr, von dem aus sie agieren. Sprich, auch erst mal keine weiteren Angriffe."
"Oder sie haben einen wesentlich ökonomischeren Weg gefunden, als ihre Schiffe mit einer explodierenden Sonne zu beschleunigen", erwiderte ich. "Fakt ist, dass ich wesentlich schneller wieder einsatzbereit bin als die Hämmer. Fakt ist auch, das ich anders reagieren kann als die AURORA. Fakt ist auch, dass ich hier der Reyan Maxus bin. Ich habe Kontrolle über Materie, Sakura. Ich löse sie nicht nur auf, ich manipuliere sie."
"Das ist noch nicht gesichert, Akira", sagte sie tadelnd. "Also gut, du deckst das Wurmloch, während die Flotte es passiert. Was danach geschieht ist uns egal. Wir sind dann schon so gut wie weg, falls noch irgendwelche Schiffe eintreffen. Und sobald wir das Wurmloch auflösen, haben wir sehr viele Probleme weniger." Sie räusperte sich. "Es kann aber auch immer noch ein Zufall sein. Dann wäre Feingefühl nicht verkehrt, Akira."
"Ich will sehen, was ich tun kann. Ich hatte weder einen guten Tag, noch eine besonders gute Woche. Und diese Naguad-Droge steckt mir heute wirklich in den Knochen, weißt du?"
"Akira...", tadelte sie leise.
Ich musste lächeln. "Ich werde der Situation entsprechend angemessen handeln. Ich hoffe, du besetzt die Messstationen doppelt und dreifach. Es wird das erste Mal sein, dass Menschen beobachten können, wie ein Reyan Maxus ein Kommandoschiff einsetzt. Ich werde sicher einiges falsch oder schlecht machen, deshalb sind alle Erfahrungswerte wichtig."
"Etwas in der Art hatte ich vor, ja." Sie legte beide Hände aneinander. "Also gut, Akira, dann geh mal wieder was retten. In diesem Fall die AURORA." Sie lächelte auf ihre eigene, unnachahmliche Art und deaktivierte die Verbindung.
"Okay, jetzt habe ich Angst", gestand ich.
"Angst? Warum?", fragte Mother erstaunt.
"Sakura hat mich nicht dafür getadelt, dass ich glaube, diese Situation wie ein Simulatortraining zu überleben. Normalerweise hätte sie mich zusammen gefaltet, alleine um mich mehr auf meine Aufgabe zu fokussieren. Wenn sie die Situation aber so gefährlich einschätzt, dass sie sogar bereit ist, mich zu opfern, sollte ich selbst fokussiert sein. Sehr fokussiert."
"Du übersiehst das Naheliegendste. Abgesehen davon, dass Sakura lieber selber sterben würde, als ausgerechnet dein Leben zu riskieren, Aris Arogad."
"Und was ist das Naheliegendste?", fragte ich irritiert. Mother hatte meinen Naguad-Namen verwendet, was mich wieder daran erinnerte, dass Sakura mein Bluthund war, meine Aufpasserin, meine Beschützerin.
"Dass sie dir zutraut, mit der Situation fertig zu werden. Wie immer, eigentlich."
"Ich weiß nicht, ob mich das beruhigt", murrte ich.
"Aber es motiviert dich?", hakte sie nach.
"Etwas schon", sagte ich leise. Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. So war die Welt in Ordnung. Sie war bedroht, ich beschützte sie. Der natürliche Lauf der Dinge war wieder gerade gerückt. Wenigstens für den Moment.
***
Haru Mizuhara genoss die Minuten vor dem Einsatz, kurz bevor sie den Helm aufsetzte, kurz bevor sie in ihr Cockpit kletterte, kurz bevor sie sich anschnallte, um mit ihrem Eagle in den Kampf zu ziehen. Es war die Ruhe vor dem Sturm. Manche sagten, dass sie in dieser Zeit am Nervösesten waren, dass sie Lampenfieber hatten. Bei Haru war davon nichts zu spüren. Sie fühlte sich herrlich ruhig und leer. Alle unnützen Gedanken verließen sie, und ihr Verstand wurde scharf und klar, einzig auf ihr Ziel fokussiert. Sie liebte dieses Gefühl, beinahe noch mehr als ihre KI-Fähigkeiten, die sie sich antrainiert hatte. Ein dünnes Lächeln huschte über die Lippen von Takashis kleiner Schwester. Diese Fähigkeiten hatte sie eigentlich geschaffen und poliert, um gegen die Dämonen zu kämpfen - falls sie sich als Gefahr für Akira Otomo erweisen würden. Augenscheinlich taten sie das nicht, denn sie würde nun mit Philip, Luc, Sven und John an ihrer Seite in die Schlacht ziehen. Zu diesem Zweck war ihr ein Eagle überlassen worden, ein chinesischer von der XIANG, dessen Pilot und Bordschütze im Lazarett lagen. Er hatte notdürftig repariert werden können, und einen Kampf in der Atmosphäre riskierte sie ohne Weiteres damit. Einen Orbitalkampf eher nicht.
"Haru?"
Sie wandte sich der angenehmen Tenorstimme zu, die sie gerufen hatte. "John. Keine Sorge, ich bin voll konzentriert."
John Takei sah die junge Frau ernst an, bevor er an seiner Augenklappe nestelte und sie abzog. Das rechte Auge darunter schien nicht nur auf den ersten Blick gesund zu sein, und eine Art Linse auf der Innenseite der Augenklappe schien dafür gesorgt zu haben, dass der Pilot nicht wirklich nur mit einem Auge hatte kämpfen müssen. "Ich muss dir etwas gestehen. Dir und den anderen. Wir erwarten in der nächsten halben Stunde mein Regiment, die Titanen. Dann werde ich euch drei bitten, euch einzugliedern, und mit uns Seite an Seite zu kämpfen. Ich weiß, das kommt etwas plötzlich, aber ich bin nicht wirklich..."
"Ich weiß, Thomas." Haru stieß sich vom Geländer ab, angelte nach ihrem Helm und sah ihn mit einem dünnen Lächeln an. "Oder sollte ich besser Lieutenant Colonel sagen, Sir?" Sie streckte sich ein wenig. "Als du zu uns geschickt wurdest, anstelle von John Takei, da dachte ich schon, wir wären aufgeflogen. Aber du machtest keinerlei Anstalten, um unsere kleine Verschwörung auszuheben. Stattdessen hast du uns trainiert. Ich wurde da nicht schlau draus, aber da wir alle viel über Mecha-Beherrschung und Taktik gelernt haben, habe ich es laufen lassen, ohne deine Maskerade zu verraten."
"Oh. Das kommt etwas überraschend", gestand Thomas. "Nicht nur etwas. Ich meine... Es kommt sehr überraschend. Du kennst John Takei?"
"So kann man das nicht sagen. Aber ich weiß, dass John Takei kein Europäer ist, so wie du, Thomas. Du konntest es nicht sein. Außerdem wurde mir zugetragen, dass er KI-Meister ist, und ehrlich gesagt hast du von KI-Beherrschung so viel Ahnung wie eine Kuh vom Fliegen."
"Autsch. Das tut weh. Ein klein wenig beherrsche ich es doch", beschwerte sich Thomas. "Zu einer KI-Rüstung reicht es nicht, aber zu ein wenig Selbstheilung. Akira hat mir das mal gezeigt."
"Akira." Haru seufzte leise. "Weißt du eigentlich, wie sehr ich ihn gehasst habe, die letzten Jahre? Ich hatte in der ganzen Zeit immer das Gefühl, er hätte mir meine Brüder weg genommen. Zuerst Takeru, der heute einen Zerstörer kommandiert, dann Takashi, der ein Bataillon der Hekatoncheiren leitet. Beide sind sie zur UEMF gegangen, haben mich zurückgelassen. Sicher, ich kam gut alleine zurecht, aber ich wollte nie allein sein. Ich habe Akira Otomo so viel Schuld zugeschoben, wie ich nur konnte. Ich habe begonnen, KI-Fähigkeiten zu entwickeln, um es eines Tages mit ihm aufnehmen zu können, um mich dafür zu rächen, dass er mir meine Brüder abspenstig gemacht hat." Sie öffnete und schloss die Hände. "Ganz verziehen habe ich ihm das noch immer nicht. Aber ehrlich gesagt verstand ich nach und nach, was er hatte leisten müssen, was er hatte ertragen müssen, und bei diesem Leben hat er keine zusätzliche Strafe mehr nötig, finde ich." Sie lächelte flüchtig. "Ich bin noch immer fest entschlossen, von ihm eine Antwort zu erhalten, eine ehrliche Antwort, wie er es schaffen konnte, mir Takashi-oniichan wegzunehmen, aber ich glaube ich kenne die Antwort schon irgendwie. Ich mag ihn immer noch nicht, Thomas. Aber ich respektiere ihn. Das ist doch schon mal was. Und wenn meine Brüder eines Tages zurückkommen, dann kann ich vielleicht auch diese kindische Verärgerung ein für allemal beiseite schieben. Die AURORA ist doch auf dem Weg zur Erde, oder?"
"Ja, das ist sie. Und es wird nicht mehr lange dauern, bis sie im Sonnensystem eintrifft. An uns liegt es dafür zu sorgen, dass sie dann auch noch eine Erde vorfindet."
Haru ließ einen amüsierten Laut hören. "Ja, das ist es: Pflicht. Pflicht treibt Akira an, Pflicht treibt meine Brüder an. Und nun treibt sie mich an. Ja, wir akzeptieren."
"Akzeptieren?" Der Deutsche hob fragend die Augenbrauen.
"Dein Angebot, uns in die Titanen einzufügen. Das ist ein großes Kompliment für uns."
"Ach, das meinst du. Mich freut das auch. Ihr habt das Zeug dazu, eines Tages in der Elite zu dienen. Falls Ihr nach all den Kämpfen nicht doch lieber Zivilisten bleiben wollt." Er trat ans Geländer der AO und sah hinab. Die Götter, die aus ihrem Kryoschlaf erwacht waren und sich nun zum abgestürzten Götterschiff durchkämpften, mussten gestoppt werden. Und bald würde die UEMF dazu die Gelegenheit erhalten. Ihre Mechas waren Teil dieser Mission, eines hastig aufgestellten Plans, der sehr vom Herz der Soldaten lebte, die ihn ausführen würden. Thomas seufzte leise. Eigentlich hasste er Krieg. Aber ein Mecha, das von ihm hoch verehrte Kunstwerk, war leider nun mal eine Kampfmaschine, kein Sportgerät.
"Ich glaube, es ist ganz gut, dass ich gegangen bin, als jemand gesucht wurde, der John Takei ähnlich sieht", murmelte er leise. "Der echte John Takei war nämlich nur eine Tarnbezeichnung."
"Eine Tarnbezeichnung?" Haru riss die Augen unnatürlich groß auf. "Was? Aber... Was? Ach komm, du willst mir hier doch nicht etwa weismachen, dass... Akira?"
Thomas nickte und lachte dazu. "Akira. Unser Akira Otomo."
Ärgerlich verdrehte sie die Augen. "Wie viele Klischees will er denn noch bedienen?"
"Oh, ich hoffe, noch sehr viele. Denn ein Universum ohne ihn stelle ich mir schrecklich langweilig vor", sagte der Deutsche grinsend. "Gehen wir. Unser Einsatz steht kurz bevor."
An den Mechas standen bereits die anderen drei ihrer Gruppe. Sie winkten herüber und wirkten hoch motiviert.
"Hat Philip dir eigentlich noch gesagt, was er dir im zerstörten Eagle hatte sagen wollen, bevor Dai-Kuzo-sama euch gerettet hat?", fragte Thomas in einem beiläufigen Ton.
"B-bisher noch nicht." Sie drehte ihr Gesicht von Thomas weg, damit er die auffallende Röte nicht sehen konnte, die ihr in die Wangen geschossen war.
"Das ist so typisch. Da legt er sich mit Göttern an, aber er bringt es nicht fertig, ein zweites Mal die Motivation dafür aufzubringen, um... Ein paar Dinge auszusprechen."
"Dinge?", fragte Haru.
"Dinge. Du wirst schon früh genug herausfinden, was das für Dinge sind."
"Danke, das hilft mir jetzt auch nicht weiter", erwiderte sie trocken.
"Ich bin Mecha-Pilot, Haru. Fürs Weiterhelfen sind andere zuständig."
Sie blieb stehen und sah den Deutschen an. "Dir macht es Spaß, so um den heißen Brei herum zu lavieren, obwohl wir beide wissen, worum es geht, oder?"
"Ja, es macht Spaß. Und ich frage mich, wie lange du und Philip sich noch winden werden, bevor es endlich mal einer ausspricht." Er lächelte ansatzweise. "Ich war auch schon verliebt, weißt du?"
Nun stieg ihr die Röte vollends in die Wangen. "T-thomas!"
Doch der Colonel der Titanen winkte nur lachend ab und ging weiter auf ihre Mechas auf dem Vorschiff der AO zu.
Haru eilte ihm nach. Verdammt, er hatte ja Recht, so Recht, aber das machte es nicht leichter. Nicht viel, zumindest.
***
Juichiro Tohra hatte seine Gruppe Tigerdämonen handverlesen. Er hatte nur die stärksten mitgenommen. Mit ihm genau zwanzig der mächtigen Krieger des Tigerclans, deren Oberhaupt er gewesen war, bevor die Opposition zu Kuzo zur offenen Rebellion geworden war. Dementsprechend war er auch nicht gerade mit offenen Armen empfangen worden, als er zu den Tigern zurückgekehrt war; aber Marco, sein jüngerer Bruder, der den Tigerclan nun anführte und der offizielle Dai-Tora-sama, der König der Tigerdämonen, war, hatte ihm für diesen Kampf ohne ein weiteres Wort Platz an der Spitze gemacht. Das hieß nicht, dass er auch Platz an der Spitze des Clans gemacht hatte; es bedeutete nur, das er Juichiros Kraft richtig einschätzte und nutzen wollte. Der Ältere war ein herausragender Krieger und ein großartiger Anführer. Deshalb hatte er sich damals ja auch in der Rebellion Chancen ausgerechnet, Kuzo und ihre Doktrin der Heimlichkeit übertrumpfen zu können. Heute, gestand sich Juichiro ein, war er gescheitert, war seine Idee gescheitert. Und dennoch hatte er sich durchgesetzt, war die Heimlichkeit vorbei. Es freute ihn dennoch nicht besonders, denn die RASZHANZ drohte die ganze Welt zu vernichten, und das nur weil seine Wünsche in Erfüllung gegangen waren.
Juichiro war vielleicht Machtbesessen und dickköpfig, unbelehrbar und starrsinnig. Aber er war kein vollkommener Narr, weshalb er erst dem Bündnis mit Michael Fioran zugestimmt hatte, und nun seine ganze Erfahrung in den Dienst der Dai stellte.

Eigentlich war dies ein besseres Selbstmordkommando. Sie versuchten, die RASZHANZ zu kapern und die Brücke zu erobern, bevor die Götter aus der Kryo-Anlage unter dem Bergsattel eingreifen konnten. Ein Coup d'Etat, gewissermaßen, der für die zwanzig Krieger des Tiger-Clans bitter ins Auge gehen konnte. Wenn etwas schief ging - und es konnte eine ganze Menge schief gehen - dann war das die Gefangenschaft für sie, wahrscheinlicher aber der Tod. Allerdings hatte Juichiro keine Angst vor dem Tod. Er war bereits einmal gestorben, auf dem Mars, und er hatte die Kraft gefunden, wieder zu entstehen. Eine Eigenschaft, die ein Dai nach drei bis vier Jahrzehntausenden irgendwann einmal entwickelte. Falls er des Lebens nicht überdrüssig wurde, und sein KI dem Kreislauf des Lebens zurückgab. Aber das stand auf einem anderen Blatt. Er war sich bewusst, dass die Krieger, die ihn begleiteten, ihre Leben riskierten, er war sich bewusst, das ihre Leben in seiner Hand waren. Und er hatte weder vor, leichtfertig damit umzugehen, noch übertrieben vorsichtig zu sein. Letztendlich war dies eine verzweifelte Mission, und er war der einzige Dämonenkönig eines Kriegerclans, der gerade zur Verfügung stand, solange Kitsune mit ihrem internationalen Auftrag irgendwo im Weltall gebunden war. Ausgerechnet Kitsune, diese Luftbirne. Dieses halbe Kind. Zugegeben, nach ihm sicherlich die beste Kriegerin dieser Generation Dais, und mit Sicherheit auch zu Recht Königin der Füchse. Aber halt noch sehr jung und sehr verspielt. Andererseits hatte er für die Mission nicht zur Verfügung gestanden, war damals noch ein Feind gewesen. Also hatte er keinen Grund, sich zu beschweren. Zumindest kein Recht.

Juichiro schob diese Gedanken beiseite, als sie die furchtbare Wunde der RASZHANZ erreichten, welche die Chinesen ihr geschlagen hatten. Über sie würden die Tiger eindringen, das Schiff infiltrieren, die Götter niederkämpfen, die Brücke erobern. Und hoffentlich schnell genug dort sein, um zu verhindern, dass die Erde in viele, viele kleine Erden zerrissen wurde.
Drei der Mega-Mechas bewachten die Bresche in der Schiffshülle, aber Götter waren nirgends zu sehen. Das war ein gutes Vorzeichen, denn der Tiger-Clan hatte eine Fertigkeit, die ihn von anderen Dai unterschied: Sie konnten schleichen. Schleichen auf eine Art, die Maschinen ignorierten. Ein großer Teil des Erfolges Juichiro Toras in diesen Tagen beruhte darauf, dass er sich selbst aus Überwachungskameras ausblenden konnte, für Roboter unsichtbar werden konnte. Alle neunzehn Krieger beherrschten diese Fähigkeit ebenfalls. Nun gab es nur noch zwei Fragen. Erstens, würden sie auf Fallen treffen, die sie nicht rechtzeitig entdecken konnten und die Alarm auslösen würden? Zweitens, wie weit würden sie es ins Schiff schaffen, bevor sie den Kampf aufnehmen mussten? Es wäre doch sehr blauäugig gewesen zu glauben, dass sie auf die Brücke hätten stürmen können, ohne zuvor entdeckt worden zu sein.
Der ehemalige Herr der Tiger ließ die Truppe halten, dann verwandelte er seinen Körper in den eines weißen Tigers. Übergangslos begannen seine Konturen zu verschwimmen, sein Leib flimmerte, er verschwand vor den Augen der Tiger-Krieger.
Die anderen folgten seinem Beispiel. Einer nach dem anderen verschwand für das bloße Augen. Mit Juichiro an der Spitze schlichen sie auf die Bresche zu.

Plötzlich war Marco an seiner Seite. "Du hast einen Sohn mit einer Menschenfrau", sagte sein jüngerer Bruder gerade laut genug, damit Juichiro ihn hören konnte. Und das in dieser Situation. Andererseits war in keiner anderen Situation zu erwarten, das sie ungestört sprechen konnten.
"Michi, ja."
"Ich will ihn kennen lernen, wenn wir das hier überleben. Ein halber Dai ist immer eine interessante Person."
"Das wirst du", sagte Juichiro in einem Tonfall, der klar machte, das er nicht mit seinem Tod - oder dem seines Bruders - rechnete.
Marco schnaubte leise und zufrieden, ließ sich wieder ein Stück zurückfallen.
Juichiro war irritiert. Bedeutete dies vielleicht die offizielle Aufnahme seines Sohns in die Kriegerkaste der Dai, in die Kriegerreihen der Tiger? Was für eine interessante Entwicklung. Die würde er zu gerne mit eigenen Augen sehen. Noch ein Grund mehr, dieses riesige Mistding zu erobern und die Sprengung der Erde aufzuhalten.

Sie gelangten zum Riss. Er war tatsächlich mit gut getarnten Sprengfallen gesichert, die allerdings auf Druck oder auf die Unterbrechung einer unsichtbaren Lasersperre ausgelöst wurden; Dinge die einen schleichenden Tiger nicht weiter interessierten. Sie passierten die Bresche, ohne eine der Fallen auszulösen. Dann kamen sie an das erste geschlossene Schott, das automatisch gesperrt worden war, als diese Sektion des Schiffes zum Teufel gegangen war.
Die zwanzig Tiger sammelten sich, und Tora nickte ergeben. Sie mussten hier durch; Zeit ging hier vor Schnelligkeit, vor Heimlichkeit. Er gab Juri und Terence das Zeichen, dieses Schott zu durchbrechen. Die jungen Krieger nickten wild. Sie konzentrierten ihr KI, ließen es ihre Tigerkörper umspülen. Dann sprinteten sie los und rammten das geschlossene Schott.
Der erste Sprung beulte das Schott Schiffsinwärts ein. Der zweite brach es halb aus der Fassung. Der dritte Sprung durchbrach es ganz, und erlaubte es den Dai, den Schiffsweiten Alarm zu hören, den die Aktion der beiden Krieger ausgelöst hatte.
Juichiro kannte den Grundriss eines Verwüsters, kannte den Decksplan. Er hatte sich immer darauf vorbereitet, ein Kampfschiff der Götter von innen anzugreifen, wie es sich für, wie nannten die Menschen diese Krieger, Infanteristen gehörte. Und dieses Schiff entsprach den alten Plänen exakt. Es hatte auch nicht viele Gelegenheiten gehabt, nach dem Friedensschluss massiv umgebaut zu werden, in einer Zeit, in der die Dai ihre letzte Daimon frech vor der Nase der versenkten RASZHANZ versteckt hatten.
Die Orientierung war leicht für Tora. Er hetzte voran, und die Tiger folgten ihm. Sicherheitsschotts blockierten die Wege, doch auf die gleiche rabiate Weise, wie sie Juri und Terence bewiesen hatten, bahnten sie sich ihren Weg. Es dauerte auch nicht mehr lange, bis sie in die ersten provisorische Abwehrstellung gerieten. Das war etwa achtzehn Sekunden nach der Zerstörung des zweiten Schotts, also gut eine Minute nach ihrer ersten Aktivität an Bord. Dementsprechend unorganisiert waren die Götter, und es war ein Leichtes, sie zu überrumpeln.
Als Damit seinen überrumpelten Gegner töten wollte, gebot Tora ihm mit einem Brüllen Einhalt. Ein lebender Gott war eine Geisel, ein toter Gott war nichts wert.
Sie fesselten ihre überwältigten Gegner, acht an der Zahl, mit aus ihrem KI erschaffenen Bändern, die so lange halten würden wie sie es wollten, oder so lange wie sie lebten, dann hetzten sie weiter dem Ziel entgegen: Der Zentrale der RASZHANZ.
Die nächste Konfrontation war härter, die Krieger besser. Ein Zeichen dafür, dass sie sich dem Herzen des Schiffes näherten. Tora musste drei verwundete Tiger zurücklassen, die dafür über achtzehn besiegte Götter wachten, die gefesselt und bewusstlos am Boden lagen.

Schließlich und endlich stand die letzte Barriere an: Das Schott zur Brücke. Es zu überwinden bedeutete in das geschlossene Abwehrfeuer der Brückencrew zu geraten; der erste Angreifer war so gut wie tot. Marco machte sich mit einem wilden Knurren bereit, doch Juichiro schob ihn vehement beiseite. "Sieh zu und lerne!", sagte er laut, konzentrierte sein KI. Er öffnete sein Maul, und ein rubinroter Energiestrahl raste auf das Schott zu. Die wuchtige Tür erglühte mattrot, wurde schnell gelb, dann weiß. Als Tora brüllte, fiel das weiß glühende Schott nach innen auf die Brücke hinein. Erstes, ungezieltes Abwehrfeuer schlug ihnen entgegen, aber das würde sie nicht aufhalten.
Diesmal ließ sich Marco nicht das Recht nehmen, als Erster zu gehen. Er sprang todesmutig durch das Abwehrfeuer, wurde in der Flanke getroffen, beinahe gegen den weiß glühenden Rahmen geschleudert, konnte sich aber abfangen und abstoßen. Dann war er drin, und die anderen Tiger folgten ihm ohne zu Zögern.
Tora war der zweite, der sprang, und er erkannte sein Ziel sofort. Während Marco sich um den Waffenoffizier kümmerte, war sein Angriffsziel der Kapitän. Er riss das Maul auf, um seine gewaltigen Zähne zu zeigen, seine schrecklichen Waffen, dann sprang er den Kapitän der RASZHANZ an, um ihn zu töten, bevor er die Sprengung des Planeten auszulösen.
Die Zeit wurde für Juichiro Tora so zähflüssig wie Sirup. Er konnte dabei zusehen, wie seine Pranken auf die verwundbaren Punkte des Körpers des Skippers zielten, der ungepanzerte Bauch, die Stelle unter der rechten Achsel, an der keine Knochen schützten und die, einmal zerschlagen, wichtige Adern zerstören würde. Die Kehle, die das Ziel seiner Zähne war, in die er sich verbeißen würde, die er zerreißen würde.
"Stop!", rief eine harte, befehlsgewohnte Stimme. Wie aus dem Nichts erschien eine Frauengestalt vor ihm, und Tora wandte seine KI-Energie auf, um abzubremsen. Dennoch schlug er gegen die warnend ausgestreckte rechte Hand der Frau, und fühlte sich, als wäre er im vollen Lauf ohne KI-Panzer gegen einen Eisenträger gelaufen.
Im Hintergrund der Brücke senkten über zwanzig Götter ihre Waffen, die auf Tora gezielt hatten. Die rund um ihn kämpfenden Tiger und Götter hielten mitten in ihrem Tun inne.
Die Frau, sie war keine andere als Helen Otomo, auch bekannt als Helen Arogad, Erbin der berühmten und berüchtigten Arogad-Dynastie. Juichiro hatte gewusst, das die junge Frau wie viele in ihrer Familie das KI beherrschte, aber er hatte nicht gewusst, dass sie ihn, ausgerechnet ihn, einen Krieger, stoppen konnte.
"Was willst du, Key?", herrschte der Kapitän die Frau an.
Richtig, sie war der Träger des Keys, des lebenden Friedensvertrages zwischen Dai und Göttern.
"Die Situation hat sich geändert", sagte Helen bestimmt. "Vritrives Acouterasal, deine Daten."
Die Erste Offizierin der RASZHANZ erschrak, als sie angesprochen wurde. Dann nickte sie. "Dies kam gerade herein. Ich hielt es erst für Propaganda, aber die sekundären Messungen bestätigen die Bilder." Auf dem Hauptschirm der Brücke erschien leerer Raum, aufgenommen von einer verdammt guten Kamera. Nun, ganz leer war er nicht. Einerseits verbarg sich hier die Daimon der Erde, und andererseits flogen sieben Vernichter und dreißig Strafer der Götter im gleichen Gebiet, immer wieder ihre mächtigen Waffen abfeuernd.
"Sie suchen uns?", argwöhnte der Kapitän.
"Sie vernichten uns, Rooter Kevoran", sagte Helen ernst. "Du hast die Erde nicht vernichtet, deshalb bist du nutzlos für sie geworden. Die Computer der Götter haben keinen Nutzen von Göttern, die nicht gehorchen, oder die wieder über sie herrschen könnten. Du und deine Leute, du und die Götter da draußen, ihr seid überflüssig."
"Die Computer... sind gegen uns?" Fassungslos griff sich Kevoran an den Kopf. "Key, bring dich selbst um."
"Tut mir Leid, aber das kann ich nicht machen", sagte Helen Arogad mit fester Stimme. "Oder besser gesagt, der Key kann es nicht machen. Ich habe ihn unterworfen. Kurz bevor ich die Bombe entschärft habe, die Lemur sprengen sollte."
"Ich habe es gewusst, im ersten Augenblick, als ich dir begegnet bin." Seine Rechte schoss vor, umklammerte ihre Kehle, hob sie vom Boden hoch.
Juichiro knurrte ärgerlich, wollte dazwischen gehen, aber dieser Schimmer von KI-Rüstung um ihre Kehle, und eine unauffällige Geste der Frau hielt ihn davon ab.
"Ich war bereit zu sterben, um diese Seuche der Dais ein für allemal auszulöschen! Ich war bereit mich zu opfern!", blaffte er.
"Aber was hast du getan, Rooter Kevoran? Du lebst immer noch, und es gibt die Erde immer noch. Für einen Roboter wie die Kinder der Götter bist du ein Versager. Oder nur ein weiteres Opfer. Denn das was du nicht geschafft hast, das werden sie tun. Mit ihren Strafern, mit ihren Vernichtern. Dann holen sie nach, was du nicht geschafft hast. Sie töten dich und die Götter aus der Kryo-Anlage." Helen machte eine Pause. "Von der die Kinder der Götter nichts wissen dürften. Immerhin wurde sie angelegt, damit dein Volk überleben kann. Oder wusstest du nicht, dass unter den drei Ebenen der Soldaten noch fünfzig weitere Ebenen existieren, in denen über einhunderttausend Zivilisten schlafen?"
"Du lügst!", rief Kevoran aufgebracht, warf die Arogad von sich.
Helen machte sich nicht einmal die Mühe, so zu tun als wäre sie der Kraft des Gottes ausgeliefert gewesen. Sie bremste ihren Flug mitten in der Luft ab und landete sanft wie eine Feder auf dem Boden. "Und das war nur einer der Ausweichpläne, den deine Kameraden getroffen hatten, um ihre Art überleben zu lassen. Meine Vorfahren, die Naguad, sind ebenfalls Götter, die evakuiert wurden, bevor die Maschinen die Macht übernehmen konnten. Was sie getan haben. Was dazu führte, dass sie die letzten lebenden Götter ausgelöscht haben. Bis auf euch. Bis auf die Götter in der Kryo-Einrichtung. Bis auf die Naguad."
"Leere Worte! Lügen!"
"Ich kann es beweisen"; sagte Helen mit fester Stimme. "Es wird dir nichts schaden, meine Beweise zu prüfen. Jetzt wo du ohnehin nicht mehr in der Lage bist, die Erde zu vernichten."
Kevoran sah die junge Frau mit einem Blick an, der irgendwo zwischen Hass, Wahnsinn und Respekt anzusiedeln war. "Ich könnte dich... Wann, Helen Arogad? Wann?"
"Oh, wir planen schon seit vier Jahrhunderten daran. Jeder Key-Träger vor mir hat ihn bereits manipuliert. Und ich als letzte Trägerin bin nicht mehr seinem Willen unterworfen. Im Gegenteil, ich nutze alle Fähigkeiten, über die er verfügt." Ihre Miene wurde freundlich, beinahe lächelte sie. "Ein Waffenstillstand, Rooter Kevoran. Solange die Vernichter noch nicht heraus gefunden haben, wie sie in diese Daimon durch dringen können, um sechs Milliarden Daina zu töten."
"Du bist ein sehr gefährliches Wesen, Helen Arogad", sagte der Kapitän der RASZHANZ mit Schaudern in der Stimme.
"Oh, du hast meine Kinder noch nicht kennen gelernt", erwiderte sie mit einer wölfischen Stimme.
"Deine Kinder?"
"Oh ja", sagte Juichiro Tora und schüttelte sich. Langsam verwandelte er sich wieder in einen Menschen. "Besonders ihr Sohn ist ein... Schmerz im Arsch, wenn er dein Gegner ist."
"Hm. Ich will ihn kennen lernen."
"Das wirst du, Rooter Kevoran. Er ist gerade auf dem Rückweg zur Erde, nachdem er zwei interstellare Großreiche erobert hat." Helen schien kurz nachzudenken. "Nicht für sich selbst, aber erobert hat er sie."
"Du übertreibst."
"Du kennst Akira Otomo nicht", sagte Juichiro Tora mit einem prustenden Lacher. "Ich hielt mich für mächtig, unangrifbar, sicher auf dem Mars. Er hat mich eines Besseren belehrt. Wieder und wieder und wieder."
"Es wäre vielleicht besser, dieses Wesen zu töten", wandte Kevoran ein.
"Ja, das wäre es vielleicht. Aber um wieviel langweiliger wäre die Galaxis dann?", erwiderte Tora nachdenklich. "Also gut, ein Waffenstillstand. Ich stimme dafür, Helen Otomo."
"Waffenstillstand. Für die nächsten zwei Stunden", sagte Kevoran ernst. "Ich will diese Beweise sehen. Und es ist besser, wenn sie mich überzeugen."
"Du wirst diese Entscheidung nicht bereuen", versprach Helen Arogad.
"Ehrlich gesagt bereue ich bereits, dass ich wieder aufgewacht bin. Ungefähr seit dem Zeitpunkt an dem ich dich kennen gelernt habe, Helen Arogad. Und dein Sohn soll noch schlimmer sein?"
"Nur ungefähr das Dreifache von ihr", wiegelte Tora ab.
"Wenn es stimmt, dass die Naguad Götter sind, wissen wir ja, warum Akira Otomo so ein großer Gegner ist", sagte Kevoran nachdenklich. Beinahe umspielte ein Lächeln seine Lippen.
***
"Bist du bereit, Philip?"
"Bereit! Du kannst jederzeit starten!" Philip King bemühte sich, seine zitternden Hände unter Kontrolle zu halten. Oh, er hatte keine Angst vor dem Kampf, aber das Gefühl, mit Haru allein zu sein, elektrisierte ihn geradezu. Allerdings erst, seit sie beinahe getötet worden wären. Wenn das so weiter ging, würde er ein äußerst schlechter Gunner für sie sein. Und das war etwas, was er niemals sein wollte: unnütz für sie. Er straffte sich, drückte den Bauch rein und die Brust raus. Versuchte sich auf den Kampf zu konzentrieren. Die Geräuschkulisse des Mechas steigerte sich, wurde so laut, dass Philip beinahe Harus Stimme im Helm nicht mehr hören konnte. Die Maschine vibrierte kurz vor dem Start, als... Als alles um ihn herum wieder leiser wurde.
Die Geräusche erstarben, und Haru atmete erleichtert aus. Sie griff an ihren Helm und nahm ihn ab. "Missionsabbruch. Es scheint, als würden die Götter da unten noch eine Schonfrist kriegen." Sie wandte sich in ihrem Sessel um, sah zu ihrem Gunner hoch. "Waffenstillstand, fürs Erste. Das bedeutet für uns Pause. Aber wir sollen nicht zu weit vom Eagle weg gehen. Okay, Philip?"
"Okay." Eine gewisse Erleichterung schwappte über ihn hinweg. Ein klein wenig zumindest. "Ich bin ich dich verliebt, Haru."
"Ja, ich weiß." Die Japanerin blinzelte einmal, zweimal. "WAS?"
"H-habe ich das jetzt laut gesagt?", rief Philip entsetzt.
"Heißt das, du hast das nicht ernst gemeint?"
"D-doch, aber... Ich wollte auf die richtige Situation warten!"
"Gibt es im Krieg die richtige Situation?"
"Ich weiß nicht!"
"Aber ich weiß was", klang die Stimme von Thomas auf. "Nämlich, dass man Liebeserklärungen bei abgeschalteter Kommunikation abgibt. Philip, gerade war ein Regiment Titanen Zaungast bei deiner. Ich gratuliere. Und Haru, warte nicht zu lange mit deiner Erwiderung."
Die beiden jungen Leute sahen sich an, und die Peinlichkeit über die Erkenntnis schoss in ihre Wangen. In der ersten Sekunde wollte sie brüllen, ihn beschimpfen. Dann wollte sie ihm Vorwürfe machen. Und schließlich ihn ignorieren, alles abstreiten, abwälzen, von sich schieben.
Doch dann seufzte sie nur. "Schalte die Kommunikation ab, Philip", bat sie leise. Sie schnallte sich ab und kletterte zu ihm hoch. "Meine Antwort soll jedenfalls nicht das ganze Regiment mitkriegen."
Philip spürte sein Herz bis zum Hals schlagen. Das war auf jeden Fall fordernder und viel besser als der Adrenalinkick im Einsatz. Zumindest bis jetzt.

Epilog:
Der Raum innerhalb eines Wurmlochs war eigentlich nicht existent. Wenn man sich die Raumzeit als Tuch vorstellte, dann bildeten die Planeten und Sonnen Beulen in diesem Tuch, verursacht durch die Gravitation. Um ein Wurmloch zu erstellen, wurde eine Delle in der Decke mit der nächsten verbunden; hier war die Raumzeit bereits gedehnt, und man konnte die Raumzeit manipulieren.
Das Ergebnis war ein Tunnel, der kaum zu definieren war. Die Strecke, die er überbrückte, betrug Lichtjahre, aber je nach Stauchung der Raumzeit von Senke zu Senke wurden daraus Lichtsekunden bis Lichtstunden.
Dieser röhrenförmige Tunnel hing ab von der Stärke der Wurmlochgeneratoren, von der Masse die er beförderte, und noch einigen anderen Faktoren. Für die AURORA bedeutete dies das größte Wurmloch, über das die Raumfahrt von Naguad, Iovar, Terranern und vielen verbündeten Völkern berichten konnte. Der Durchmesser war ebenso vage wie seine Länge. Aber es stand unbestreitbar fest, dass die Dimensionen weit über allem lagen, was selbst ein Vernichter erzeugen konnte.
Nun war ein Loch in der Seitenwand dieses Wurmlochs. Ein Loch in unbestimmter Größe, das sich auf den Masseschwerpunkt im Wurmloch einpendelte, sprich die AURORA als schwerstes, massereichstes Objekt. Das bedeutete, das fremde, in ihren Bereich eindringende Wurmloch, folgte der Masse der AURORA, und machte so aus einem Passiermanöver, das wenige Augenblicke dauern sollte, einen Prozess von mehreren Minuten. Entweder bis das feindliche Schiff bis zu ihnen durchgestoßen war, oder bis das Wurmloch in sich zusammenfiel. Es gab natürlich noch andere Theorien und Möglichkeiten, immerhin konnten nicht einmal die Datenbanken der Dai von so einem Erlebnis berichten, einem angezapften Wurmloch. Aber Fakt war, das die AURORA und ihre Begleitflotte für exakt zwei Minuten und elf Sekunden direkt vor der Öffnung des Piratenwurmlochs liegen würde, bevor sie die "Schussrichtung" verlassen hatte.
Ich war fest entschlossen, für genau diese Zeit den Torwächter zu spielen, und jedes Leid von der AURORA abzulenken. Nicht zuletzt, weil sich fast alle Menschen, die ich liebte, auf ihr befanden.

Ich preschte mit der ADAMAS vor, legte das Schiff vor dem fremden Wurmloch quer. Normalerweise hätte der Gigant weiter driften müssen, die Mündung des Wurmlochs verlassen müssen, alleine durch die Eigenbewegung. Man konnte diese Eigengeschwindigkeit nicht auf Wunsch einfach aufheben. Da das Loch aber der Schwerkraft der AURORA folgte, musste ich die ADAMAS weder beschleunigen noch bremsen. Ich würde die ADAMAS für mehr als drei Minuten hier halten können. Das reichte für die AURORA, um das Wurmloch zu passieren. Für diese Zeit befahl ich, die Bugschilde auf Maximum zu stellen. Nur für den Fall, dass die Götter eine echte Schweinerei durch dieses Wurmloch schickten.
Als ich die ersten rot glühenden Fragmente auf den Fernkameras und in der Ortung registrierte, verbunden mit der Tatsache, dass da eine Masse von über drei Milliarden metrischer Tonnen auf die ADAMAS zuraste, also einigen hunderttausend Tonnen Materie, hyperbeschleunigt und deshalb mit erheblich mehr Masse versehen, stieß ich einen tiefen Seufzer aus. Das war also ihr Plan gewesen. Und ich stand mitten in der Schusslinie. "War ja klar. War ja so klar", murrte ich.

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Anime Evolution: Krieg

Episode elf: Der Reyan Maxus erwacht.

Prolog:
In den letzten Momenten ihres Lebens blieb Sakura Ino nicht viel zu tun. Sie sah auf den Fernortern die Trümmerwolke des zerstörten Götterschiffs in ihren Wurmlochtunnel eindringen, sah die ADAMAS, die sich zum Schutz quer gelegt hatte, vernahm die Meldung, dass sich die mächtigen Schutzschilde des Kommandoschiffs aufgespannt hatten... Das waren Schirme, die Strafern der Götter widerstehen konnten. Aber all das würde nichts nützen, wenn die hyperbeschleunigten Trümmer, die nur teilweise von den Schirmen abgefangen werden konnten, die Distanz zum anderen Ende des Wurmlochs überbrückten und mit der schwer zu definierenden Grenze interagierten. Oder wie es ihr kleiner Bruder Makoto auf den Punkt gebracht hatte: Sie hatten keine Ahnung, wie sich das Wurmloch verhalten würde und welche Energien frei würden, wenn die Raumzeitsenke derart misshandelt wurde.
Ihr persönlicher Favorit war ja, dass das Wurmloch zusammenbrach, und sie alle zu allerkleinsten Teilchen zerquetscht wurden. Glücklicherweise binnen weniger Sekunden.
Ein Schauder erfüllte sie. Sie waren so weit gekommen, hatten so viel erlebt, und nun hatten die Götter sie doch noch erwischt. Und das verdammt gut. Ihr einziger Trost war, dass es eventuell Akira mit der ADAMAS gelingen konnte zu überleben. Vielleicht kollabierte das Wurmloch des Strafers nicht, und die ADAMAS geriet irgendwie hinein. Wenn der Preis für sein Leben ihres war, wenn der Preis die AURORA, die ganze Flotte, die hunderttausend Menschen war, sie würde ihn bezahlen. Nur damit ihr Licht der Hoffnung nicht erlosch. Es überraschte sie nicht, dass sie so dachte, dass sie ihrem kleinen Cousin so ergeben war. Es überraschte sie nur, wie ruhig und gelassen diese Gedanken sie machten. Und es überraschte sie, dass die Besatzung der Zentrale der AURORA vollkommen ruhig blieb, obwohl sie alle ihre definitive Vernichtung vor Augen hatten.

Sakura spürte eine Hand auf ihrer Schulter. Sie sah auf und erkannte Tetsu Genda, den ehemaligen Straßenrocker, der sich in Zeiten größter Not als Kommandant der LOS ANGELES für den zweiten Marsangriff qualifiziert hatte, der später die AURORA übernommen hatte, und nun das größte Fernraumschiff aller Zeiten kommandierte. Der Mann, mit dem sie eine Liaison verband, die über Jahre gewachsen war und sie seltsam erfüllte. Seine Ergebenheit für Akira war nicht geringer als ihre, und deshalb hatte auch ihre gemeinsame Liebe wachsen können. Niemals hätte sie gedacht, ausgerechnet einmal einen ehemaligen Schläger abzukriegen, aber er hatte bewiesen, was er wert war. Ihr, der UEMF, der Menschheit, Akira. Er gehörte schon lange zur Familie.
"Keine Sorge", raunte er ihr ins Ohr. "Es ist Akira."
Sie legte ihre Linke auf seine Hand und strich sanft darüber. Er hatte Recht. Wenn nicht Akira, wer sollte dann überleben?
***
Es hatte keinen zweiten Alarm gegeben. Es hatte auch keine Evakuierung gegeben. Chausiku Aris, so nannte sie sich selbst, wusste selbst, dass sie im Innenraum der AURORA bereits so sicher waren wie es irgendwie möglich war. Es machte keinen Sinn, jetzt noch einen Bunker aufzusuchen. Etwas, das die Schale der AURORA knacken konnte, würde sie sowieso alle vernichten.
Stattdessen verfolgte sie mit den anderen Schülern auf der großen Tafel-Videowand das Geschehen direkt am eingedrungenen Wurmloch. Es gab keine Panik, es gab keine Angst, nur dieses Interessen an den computeraufbereiteten Echtzeitbildern. Es verwunderte Aris, dass die jungen Menschen, dass die Lehrer keine Angst verspürten. Ihnen musste klar sein, dass es zu unmöglichen gravitatorischen Effekten kommen würde, sobald die zerstörte und zermahlene Masse des Strafers mit dem Wurmloch interferierte - und es eben so einfach mal zerriss. Das war bedauerlich, denn sie hatte sich erst vor kurzer Zeit einen KI-Körper zugelegt, hatte ihre eigentliche Zuständigkeit, das Paradies der Daima und Daina verlassen, um das Leben als Körperliche kennenzulernen. Dafür hatte sie sogar Akiras Naguad-Namen angenommen. Er hatte ihr einfach gefallen. Und es hatte ihr gefallen, welche prominenten Menschen den Namen zuvor getragen hatten und noch immer trugen. Sie mochte den Namen, und sie wollte sich ihm würdig erweisen. Daraus würde nun nichts mehr werden. Niemals wieder. Ihre Existenz würde in wenigen Minuten schnell und heftig erlöschen. Damit würde auch das Paradies der Daima und Daina erlöschen, und ihre Flucht würde ein abruptes Ende haben. Sie hatte dann versagt. Aber es würde niemand mehr existieren, der es ihr vorwerfen konnte. Nicht, dass das ein Trost war.

Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. Sie sah auf, und erkannte Kurosawa-sensei. Die große blonde Frau machte hier an der Schule ihre praktische Ausbildung, die zum Kurs für Lehramt gehörte. Außerdem war sie eine der Slayer, jener berühmten Frauengruppe, die damals geholfen hatte, den Mars zu erobern. Jener berühmten Frauengruppe, die das sogenannte Otome-Bataillon gegründet hatte, in dem KI-begabte Frauen für die Sicherheit der AURORA kämpften, und Akira Otomo unterstützten.
Die Frau hatte ein hübsches Gesicht, wenngleich Aris sich nicht an den bleichen Hautton gewöhnen mochte. Manche nannten das vornehm oder edel. Für sie war es ein genetisch bedingter Melanin-Mangel. Kurosawa-sensei kommentierte es meistens so, dass sie eher selten Zeit hatte, sich in die Sonne zu legen. Kurzum, Aris mochte diese Frau sehr, gerade weil es etwas an ihr gab, was sie nicht mochte. Und sie vertraute der Veteranin.
"Keine Sorge", sagte sie leise, ernst und voller Stolz, "es ist Akira."
Das verblüffte sie für einen Moment. Was wollte Kurosawa ihr damit sagen? Dass es Akira Otomo, dem Reyan Maxus, gelingen würde, die Gesetze der Physik auszuhebeln und sie alle zu retten? Zugegeben, wenn einer das Wunder vollbringen konnte, dann sicherlich nur er allein. Nur er, niemand sonst.
Das zauberte ein Lächeln auf ihre Züge. "Natürlich. Es ist Akira." Ein Raunen ging durch die ganze Klasse. Es bestand aus Zustimmung.
***
"Siehst du das, Micchan?" "Natürlich, Akarin. Wird er es schaffen?"
"Wir reden hier von meinem großen Bruder. Natürlich wird er es schaffen." Akari klopfte selbstbewusst auf seine Schulter. "Er ist schließlich Blue Lightning, der Retter der Menschheit. Wenn nicht er, wer sollte es sonst schaffen?"
"Natürlich." Michi Tora lächelte sie an und zog sie sanft zu sich heran. "Wie dumm von mir, auch nur einen Moment zu zweifeln."
"Siehst du. Aber wenn du Angst hast, kann ich dich gerne ein wenig halten", bot sie an.
"Oh, ich habe Angst, unglaubliche Angst. Riesige Angst", versicherte Michi.
Sie seufzte. "Na, da kann man wohl nichts machen." Zärtlich schloss sie ihren Freund in die Arme. Gedanken wie diese, dass sie ein Mensch gewordener, vierhundert Jahre alter Oni war, gingen ihr nicht durch den Kopf. Im Moment war sie nur eine Jugendliche, die ihren Freund in den Armen hielt, und die von unerschütterlichem Vertrauen zu ihrem großen Bruder erfüllt war.
Sanft fanden sich ihre Lippen zu einem Kuss.
"Hey, Ihr zwei", klang die sarkastische Stimme von Yoshi Futabe zu ihnen herüber.
Sie sahen ihn über das halbe Wohnzimmer hinweg an, in das sich die meisten Mitglieder der Familie gezwängt hatten, unter ihnen ein Dutzend der beseelten Tiergeister Yoshis, alle eifrig auf den Fernseher mit den Livebildern starrend. "Wenn es noch schlimmer mit euch wird, geht auf ihr Zimmer, ja?"
Die beiden erröteten und unterbrachen den Kuss, aber sie machten keinerlei Anstalten, voneinander zu lassen.
"Sei nicht so neidisch", neckte Yohko ihn und räkelte sich in seinen Armen ein wenig. "Vergiss nicht, was du selbst in Armen hast."
"Wie könnte ich das je vergessen", erwiderte er. Es hatte spöttisch klingen sollen, aber es wurde nachdenklich. Für einen Moment fragte er sich, ob es einen Unterschied machte, wenn er jetzt in seinem Eagle sitzen würde, anstatt die Frau seines Lebens in Armen zu halten. Nein, nicht an diesem Punkt. Und wenn er seinen Blick über die anderen schweifen ließ, dann musste er einsehen, dass es jetzt nichts Besseres mehr gab, was man tun konnte. Auf Akira vertrauen. Wie immer.
"Dass du aber auch immer die Lasten aufgebürdet bekommst", hauchte er ärgerlich. Gerne hätte er dem Freund mehr davon abgenommen. Aber er konnte nichts übernehmen, was mit Akiras Reyan Maxus-Fähigkeiten zu tun hatte. Allerdings hatte er Yohko dazu gebracht, die längerfristige Retrviren-Therapie über sich ergeben zu lassen, welche die Elwenfelt-Gene wieder in ihr Genom bringen würde. Langsamer zwar, und über viele Injektionen verteilt, aber er freute sich schon darauf, wieder ihr weißblondes Haar riechen zu dürfen. Und er war sich sicherer denn je, dass er es würde tun können. Nein, er zweifelte nicht an Akira.


1.
Als die ersten ultrabeschleunigten Trümmerteile in die Schilde der ADAMAS schlugen, stieg die Schirmbelastung nicht besonders. Zwar waren das noch lange nicht alle Trümmer, die in unseren Schirm schlagen würden, aber zumindest diesen Part würde das Schiff überleben. Schade nur, dass der größte Teil der Trümmer das Schiff passieren würde, nur um am anderen Ende des Wurmlochs unbekannte Schäden anzurichten. Einerseits war es ja spannend. Man konnte nicht wirklich vom Punkt A des Durchmessers eines Wurmlochs zu Punkt B direkt gegenüber fliegen. Auch war es mir absolut neu, dass zwei Wurmlöcher interagieren konnten. Es würde interessant sein dabei zu sein, wenn die Milliarden Tonnen Masse mit der Struktur des Wurmlochs interagierten. Oder neudeutsch: Reinkrachten.
Es würde aber zugleich auch einen unbekannten Effekt bedeuten, den ich nicht absehen konnte. Auch Arhtur, das Schiffsgehirn, ließ sich nicht zu Spekulationen hinreißen. So etwas hatte es noch nie gegeben, und mir war nur ein ähnlicher Fall bekannt. Damals in Andea Twin, als wir vor der Plasmaschockwelle geflohen waren, nur um anschließend auf ihr zum Ende des Wurmlochs zu reiten... Wir waren wider Erwarten im Kanto-System heraus gekommen, obwohl wir es gar nicht anvisiert hatten. Darüber hatte ich mir immer wenige Gedanken gemacht. Damals glaubte ich, meine Megumi wäre getötet worden, und Physik hatte mich nicht wirklich mehr interessiert als das Schicksal meiner Verlobten. Außerdem hatte ich danach genug damit zu tun gehabt, zu kämpfen und mich nach Naguad Prime entführen zu lassen - und sie bei der Gelegenheit mehrfach mit Joan Reilley zu betrügen... War halt alles kompliziert gewesen, richtig kompliziert, und wen interessierte schon Wurmlochphysik, wenn dir die Leute ein Sternenreich aufdrängen wollten, und du dich selbst von deinem Körper getrennt in weiteste Sternenfernen entführt sahst?
Es gab da ein geflügeltes Wort auf der AURORA, das angeblich von Sakura stammte: Suchst du nach Akira Otomo, folge den Explosionen.
Ironischerweise hatten sie mich gefunden, indem sie den Spuren der von den Lencis geführten Rebellion zum Militär des Cores gefolgt waren, das ich zu diesem Zeitpunkt anführte und in den Krieg um das Kaiserreich der Iovar geführt hatte. Also war das mit dem "den Explosionen folgen" nicht so verkehrt gewesen. Und auch später waren die Dinge nicht leichter geworden. Immerhin hatte ich mich fortan um Laysan kümmern müssen, den kleinen Burschen, dessen Körper mir als Gefäß gedient hatte, und an den ich mich mittlerweile so gewöhnt hatte.
Mist, ich hätte mir doch etwas Zeit für die Physik nehmen müssen. Aber wer hätte auch jemals gedacht, dass das notwendig werden würde?
Was blieb also, wenn das Wurmloch durch die rabiate Behandlung kollabierte? Was konnte ich tun? Aufgeben und die AURORA der Zerstörung preis geben kam nicht in Frage. Nur hatte ich keine Idee, wie ich das bitte verhindern sollte.
"Mother? Irgendeine Idee?" Mother, das war der Avatar des Supercomputers der Kronosier, den sie damals auf der Erde errichtet hatten, und in dem ich selbst lange Zeit gefangen gewesen war. Über die Supralicht-Funkverbindung zur Erde hatte Mother Kontakt zu mir aufgenommen und ihr Hologramm in die ADAMAS projiziert. Nun, sie würde sicher sein, wenn hier alles zusammenbrach und uns zu subatomaren Bröckchen reduzierte.
Das Hologramm der großen, schwarzhaarigen Frau wiegte nachdenklich den Kopf hin und her. "Ich befrage gerade neunzig Prozent der Rechnerkapazität der Erde. Dazu habe ich Teile des Internets übernommen, und auch das UEMF-Intranet. Ich berechne Dutzende Modelle, aber viele sind zu unwahrscheinlich. Fakt ist jedoch, dass du so oder so nicht unbeschadet aus der Sache heraus gehen kannst, Akira."
"Aber du siehst eine Chance, die AURORA zu retten?", fragte ich mit neu entfachter Hoffnung.
"Ich sehe eine Chance, wie du die AURORA retten kannst, ja."
"Dafür bin ich gerne bereit, alles auf mich zu nehmen", sagte ich mit gepresster Stimme. Selbst mein Tod erschien mir nicht zu teuer.
"Die ersten Trümmer interferieren mit der Wurmlochphysik. Ich zeichne alle Messdaten auf und sende sie zugleich zur Erde. Dort wird man eine Menge zu erforschen haben, und in der Zukunft vielleicht sogar eine Abwehr gegen diese Kamikaze-Angriffe haben", meldete sich Arhtur zu Wort. "Wenn auch schon nichts anderes bleibt."
"Ein schwacher Trost", kommentierte ich. "Also, was muss ich tun?"
"Die ADAMAS ist ein Kommandoschiff. Sie wurde gebaut, um einem Reyan Maxus zu dienen. Also, benutze sie, Reyan Maxus Aris Arogad."
"Wie?" Diese einfache Frage stand im Raum, und ich fürchtete, dass ich nicht die Zeit hatte, eine Rätselantwort aufzulösen. Hoffentlich war Mother in ihrer Antwort klar und deutlich. Ich konnte nicht raten, mich nicht als mystischer Großmeister aufspielen. Ich brauchte eine klare Ansage.
Statt ihrer antwortete Arhtur. "Sir, ich öffne den Slot. Bitte betreten Sie ihn. Es wird allerhöchste Zeit. Teile des bereits passierten Wurmlochs zeigen Auflösungserscheinungen."
"Der Slot?"
Vor mir, fünf Meter entfernt, schoss eine Röhre aus dem Boden. Ich kannte diese Dinger, und das nur zu gut. Ich hatte ein halbes Jahr in so einem Biotank gesteckt und war gezwungen gewesen, in Mothers Welt einen Traum zu leben.
Einladend öffnete sich die Klappe und zeigte an, dass ich eingelassen werden sollte.
Der Tank stand schräg, sodass ich halb stehen und halb liegen konnte. Die Liege machte klar, dass der Tank nicht mit Nährflüssigkeit gefüllt werden würde. Also hatte er noch eine andere Bedeutung.
Ohne zu zögern trat ich auf den Slot zu und stieg hinein. "Wo sind die Anschlüsse, Arhtur?"
"Sie brauchen keine Anschlüsse, Sir. Der Slot übernimmt den Rest. Ich schalte um auf Kommandofunktion eines Reyan Maxus."
"Du schaltest...", begann ich. Aber ich kam nicht dazu, auszusprechen. Übergangslos fühlte ich mich, als würde mir etwas die Luft... Nicht aus den Lungen pressen, sondern saugen. Und das Gleiche geschah mit meinem Blut, mit meinem Mageninhalt, ja selbst mit meinen Gedärmen.
"W... was...", fragte ich, plötzlich kraftlos werdend.
"Ich absorbiere Ihr KI, Sir. Erst dadurch wird das Schiff zu Ihrem zweiten Körper. Und erst mit Ihrem überwältigenden KI als Maxus haben die Maschinen der ADAMAS die Kraft, die AURORA und die Begleitflotte zu retten. Was Sie dafür tun müssen ist KI zu produzieren, Meister Arogad."
Ich dachte einen Moment nach. Anscheinend hatten Mother und Arhtur miteinander kommuniziert, und einer der Pläne, die Mother berechnet hatte, hatte eine hohe Aussicht auf Erfolg bekommen. Damit dieser ausgeführt werden konnte, brauchten sie das überwältigende KI eines Reyan Maxus, eines dieser gefährlichen Wesen, die die molekulare Bindung jedwelcher Materie aufheben konnten.
Nun gut, sie wollten KI, sie würden KI bekommen. Entschlossen schnaufte ich, und begann weiteres KI zu schmieden. Viel KI. Sehr viel KI. Sehr, sehr, sehr viel KI.
Ich wusste nicht, wann ich begonnen hatte zu schreien. Aber ich wusste, dass wenn ich schreien konnte, die ADAMAS noch immer existierte. Und damit auch die AURORA und die Begleitflotte.
Doch das war noch nicht das Ende der Aktion. Ich fühlte es, in dem Moment, als ich entrückt wurde. Es hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit der Methode, mit der ich mein Über-Ich von meinem Körper trennen konnte. Es war eine interessante Erfahrung.

Übergangslos fand ich mich auf der Außenhülle der ADAMAS wieder. Nein, das war falsch. Ich betrachtete die Außenhülle der ADAMAS, aber mein Körper, und ausnahmsweise auch mein Geist, befanden sich noch in der Zentrale des Schiffs. Mein Körper befand sich im Slot, eine Art Interface nur für unbesiegbare Superkrieger. Und dieser Slot entzog meinem Körper nicht nur das mächtige KI eines Reyan Maxus, er fütterte mich auch mit den Informationen, die diese Welt ergaben.
Ich verstand. In diesem Moment glitt mein Blick nicht über das Schiff, sondern über meinen Leib. Meine Sicht war frei und ungehindert. Ich konnte die kleinen Explosionen sehen, mit denen die hyperbeschleunigten Trümmer, von denen ich annahm, dass sie von einem Strafer stammten, in die mächtigen Schirme der ADAMAS einschlugen und verpufften. Es war lediglich die erste Welle, die Speerspitze. Meine Position direkt über dem intervenierenden fremden Wurmloch erlaubte mir exakte Ortungen, die mir berichteten, dass noch achtundneunzig Prozent der eindringenden Masse darauf wartete, von mir gestoppt zu werden. Diese Daten waren mir einfach zugänglich, so wie ich das Schiff wie meinen eigenen Leib zu verstehen begann.
Nun war Außerkörperlichkeit keine neue Erfahrung für mich. Aber es war schon etwas umständlich, statt Armen und Beinen nun Antrieb und Waffensysteme zu besitzen und als solche zu verstehen.
Eine Einflüsterung gab mir zu verstehen, dass die Zeit für mich entschleunigt wurde, sie verlangsamte sich auf den Faktor eintausend. Das würde mir bei der Abwehr jener Trümmer, die nicht von den Schirmen der ADAMAS abgefangen werden würden, sehr hilfreich sein. Und wenn man die schiere wirkliche und unwirkliche Größe des Schlundes des interferierenden Wurmlochs betrachtete, wurde klar, dass mein Schiff nicht das ganze Gebiet abdecken konnte. Mir blieb aber die Option, die Trümmer weiter zu zerstören. Das würde hoffentlich das zerstörerische Potential negieren. Die AURORA war ohnehin auf der sicheren Seite. Das Gigantschiff und seine Begleitflotte hielten sich eng beieinander, so wie Schafe eines Rudels, das dem Schutz des Hundes vertraute. Meine Schirmfelder waren hoch genug gespannt, um die Schiffe zu beschützen. Und da ich mit der AURORA weiter wanderte, würde der Gigant nicht in die Gefahr geraten, meine schützende Sphäre verlassen zu müssen. Das beschützte ihn aber nicht vor einer Kollabierung des ganzen verdammten Wurmlochs.

"Du bist Akira, nicht?", klang eine Stimme neben mir auf, und übergangslos stand ich doch auf der Außenhülle.
Die Daten flossen weiterhin, nicht in meinem Sichtfeld, sondern direkt in meinen Verstand. Und dennoch... Dennoch stand ich auf der Außenhülle, eingehüllt in die Hausuniform der Arogads.
Ach ja, und ich war nicht alleine. Es war nicht nur einer, es waren mehrere. Vielleicht ein Dutzend, mehr oder weniger durchscheinend. Einige existierten nur als Schemen, andere waren deutlich zu erkennen, zu unterscheiden.
"Ja, ich bin Akira", antwortete ich und versuchte den Sprecher zu finden.
Einer der deutlicheren Schemen nickte mir zu. "Wir haben dich erwartet. Ich bin Kydranis, der Sprecher."
"Kydranis, der Sprecher von was?", fragte ich.
"Der Sprecher der Schatten der Reyan Maxus, die vor dir dieses Schiff geführt haben, und die das Schiff mit ihrer Persönlichkeit geprägt haben. Was du hier vor dir siehst, sind Datenkonglomerate aller zwölf Maxus, die zuvor die ADAMAS geflogen haben."
"Äh, Ihr seid jetzt aber keine Persönlichkeitssplitter, KI-Abdrücke oder vergeistigte Versionen eurer Selbst?"
Kydranis lachte leise. "Nenn uns doch einfach Spiegelbilder. Nur das wir nicht reflektiert dargestellt werden, sondern eins zu eins, so wie Arhtur uns erlebt hat. Du könntest auch Künstliche Intelligenzen zu uns sagen, denn jeder von uns ist erfüllt mit dem Wissen, das wir, also unsere Vorbilder, demonstriert und gezeigt haben."
In der Ferne waberte ein dreizehnter Schatten. "Dann ist das da wohl mein Spiegelbild, oder?"
"Richtig. Aber es wird erst initiiert werden, wenn du stirbst, oder die ADAMAS aufgibst. In dem Fall kannst du natürlich jederzeit zurück kehren, falls du es schaffst. Aber ab diesem Zeitpunkt besitzt du hier eine Kopie deiner selbst. Auf virtueller Ebene, so wie wir alle."
"Aha. Und was ist eure Aufgabe als Spiegelbilder der alten Maxus?"
"Wir helfen aus", sagte Kydranis. "Hier auf dieser Ebene, die nur einem Maxus zugänglich ist. Wir stehen mit unserer Erfahrung an deiner Seite. Und glaube mir, das sind zehntausend Jahre, in denen dieses Schiff mehr erlebt hat, als ein Speicherchip fassen kann. Um den Zugriff auf diese Daten zu erleichtern, wurden wir katalogisiert. Jedes Spiegelbild hat eigene Erfahrungen gemacht, und über das Avatar-System, das du vor dir siehst, bringen wir diese Erfahrungen dem Maxus vor."
"Oh, das ist gut. Habt Ihr vielleicht einen guten Rat in genau diesem Fall? Ihr wisst schon, kurz vor der Vernichtung, zehntausende Menschen in Gefahr, ausgelöst durch ein kollabierendes Wurmloch. Das Übliche, was einem Reyan Maxus so passiert."
"Vielleicht nicht ganz das Übliche", schränkte Kydranis ein. "Hätten wir kollabierende Wurmlöcher erlebt, wären wir vernichtet worden. Dann könnten wir nicht hier stehen und darüber schwadronieren."
Eine der schemenhaften Gestalten meldete sich kurz zu Wort. "Mein Name ist Manegar Trivates Lomco. Ich übergehe Kydranis nur ungern, aber es wäre eventuell sinnvoll, diesen Brocken zu vernichten, bevor er auf die Schirmfelder der ADAMAS trifft."
Ich sah nach oben und erkannte den Brocken sofort. Dabei machte ich mir klar, dass das Trümmerstück sich eigentlich in mehreren zehntausend Kilometern Entfernung befand und einen Durchmesser von rund siebzig Metern hatte - genau gesagt war es einhundertzehntausend Kilometer entfernt, maß am längsten Punkt neunundsechzig Meter, war bohnenförmig und raste mit fünfzehntausend Kilometern pro Sekunde auf uns zu. "Sicherlich." Mein Zeitablauf war reduziert, damit ich genau dies tun konnte. Gefahren einschätzen. Potentiale sichten. Reagieren. "Kannst du das vielleicht übernehmen, Manegar?"
Der Schemen sah mich ernst an. "Im eigentlichen Sinne sind wir alle nur Verlängerungen von Arhtur. Natürlich kannst du den Abwehrkampf der Trümmer mir, einem der anderen oder direkt Arhtur überlassen und dich entweder auf dieses Gespräch konzentrieren, oder darauf KI zu produzieren. Aber ich rate dir, es selbst zu tun. Je eher du Routine dafür entwickelst, die ADAMAS auf dieser Ebene zu steuern, desto besser für dich, für uns, für das Schiff und für die AURORA."
Bums, der Tadel hatte gesessen. "Okay, hab kapiert." Ich erfühlte eines der Breitseitenwaffensysteme, einen schweren Laser, der bereits auf das Wurmloch geschwenkt war. Ein Befehl meinerseits nahm das Trümmerstück ins Visier. Anschließend schaltete ich mehrere Partikelgeschütze auf, die um einiges stärker als der Laser waren.
"Beeindruckend. Du zersprengst das Trümmerstück mit Hilfe des Lasers, und die Partikelgeschütze ionisieren anschließend die Trümmer. Anders herum hättest du ein Riesenloch mit dem Partikelgeschütz hinein geschlagen und mit zwei oder drei größeren Trümmern zu kämpfen gehabt. Intuition?", fragte Kydranis.
"Ich habe seit Manegars Hinweis ein paar Simulationen gefahren und das für und wider abgewogen. Bei dieser Variante bleiben die geringsten Trümmerstücke zurück", erwiderte ich. Auf meinen mentalen Befehl hin eröffnete der Laser das Feuer. Das Trümmerstück wurde getroffen, aufgeheizt und zersprengt. Kurz korrigierte ich die Schussrichtung der Partikelgeschütze, als sich die Verteilung der restlichen Trümmer nicht ganz so aufteilte, wie meine Simulationen das ermittelt hatten, dann ließ ich auch sie feuern. All das dauerte nur eine einzige Sekunde auf dieser Ebene. In der realen Welt verging gerade mal eine Millisekunde.
"Jetzt dürften wir etwas Zeit haben", sagte ich, mich wieder an Kydranis wendend. "Okay, keiner von euch hat so eine Situation je erlebt, was ja auch logisch klingt. Aber könnt Ihr mir einen Rat geben?"
"Du missverstehst uns. Ich habe nicht gesagt, dass keiner von uns diese Situation je erlebt hat. Ich habe gesagt, dass wir kein kollabierendes Wurmloch erlebt haben."
Ich runzelte die Stirn. "Weißt du, ich habe da eine entfernte Verwandte, die sich Dai-Sphinx-sama nennt. Die klassische Sphinx in Griechenland war für ihre Rätsel berühmt. Kann es sein, dass du mit ihr irgend etwas zu tun hast?"
Kydranis schüttelte den Kopf. "Wie soll ich das wissen? Ich habe lange vor deiner Zeit gelebt."
"Okay, lass es mich anders herum formulieren. Gestalten sich alle unsere Unterhaltungen in Zukunft auf der Ebene von Rätseln und Orakelsprüchen?"
"Gegenfrage: Hältst du es für denkbar, dass sich unsere Antworten an deinen Fragen orientieren?"
Ich seufzte. "Okay, das habe ich verstanden. Halte es simpel und du kriegst simple Antworten."
Die Schemen nickten bestätigend.
"Gut. Dann sagt mir bitte, ob Ihr eine Idee habt, wie ich verhindern kann, dass die Trümmer unser Wurmloch zerschlagen, und wir allesamt zu atomarer Grütze zerquetscht werden."
"Wir haben da tatsächlich eine Idee. Sie basiert auf einer ähnlichen Situation, in der einer von uns gesteckt hat, allerdings nicht mit der ADAMAS. Willst du sie hören?"
"Ja, natürlich", sagte ich hastig.
Kydranis grinste. "Die Idee ist folgende: Mach weiter wie bisher und vertraue auf die Gesetze der Physik. Was nicht sein kann, ist auch nicht. Alle Dinge in diesem Universum gehorchen der Physik. Nicht weil sie es müssen, sondern weil sie die Physik erzeugen. Das bedeutet, auch deine Wurmlöcher, dieses und das eindringende, sind den Regeln unterworfen. Alles was du tun musst, ist also die AURORA und ihre Begleitschiffe zu schützen und aufpassen, dass die ADAMAS nicht vernichtet wird."
"Wie war das gleich noch mal mit den einfachen Fragen und den einfachen Antworten?", fragte ich resigniert.
"Oh, das ist eine einfache Antwort", sagte Kydranis.
"Ihr wollt mir also sagen, ich soll den dicken Brocken ausweichen und ansonsten die Flotte schützen, aber nichts dagegen tun, dass diese hyperbeschleunigten Trümmer die gegenüberliegende Wand des Wurmlochs zertrümmern."
"Richtig. Wobei ich noch anmerken muss, wie Liatom mich freundlicherweise informiert hat, dass ein Wurmloch keine Wände in dem Sinne hat. Was du als Wand wahrnimmst, ist ein Librationsraum, eine Zwischenebene quasi, wo die mitgebrachte Raumzeit der AURORA endet. Das ist aber kein exakter Vorgang, deshalb ist sie nicht fix, sondern eben die Librationszone des Wurmlochs, die uns aber in alle Richtungen umgibt. Sie ist für uns ohnehin irrelevant, weil sie sich an der AURORA orientiert und sie stets in der Mitte behält. Und selbst wenn wir uns von der AURORA entfernen würden, brächten wir Raumzeit des Gigantschiffs mit und würden einen neuen Librationsraum definieren. So einfach ist das."
"Danke für die Nachhilfe in Physik. Und was jetzt?"
Kydranis deutete nach oben, auf die heran fliegenden Trümmer, die ich eigentlich noch gar nicht sehen können durfte. "Du waltest deines Amtes, Reyan Maxus."
Konnte es, durfte es so einfach sein? Auf die Physik vertrauen und fertig? Ich aktivierte weitere Waffensysteme, verfolgte die anfliegenden Trümmer und traf meine Entscheidungen. "Ich vertraue der Physik", sagte ich und begann zu feuern.


2.
Rooter Kevoran sagte nichts. Juichiro Torah sagte nichts. Sie standen sich gegenüber, einander in die Augen schauend. Sie regten sich nicht. Aber ihre Auren sagten genug. Diese waren in Aufruhr, in Unruhe, gehetzten Tieren gleich, die versuchten, den Gegenüber einzuschätzen. Freund oder Feind? Das war hier die Frage. Sie umschlichen sich wie Wölfe, die einander zum ersten Mal begegneten, versuchten abzuschätzen wer stärker war, und ob sich ein Kampf lohnte.
Es war ein mentaler Wettstreit, der mit großer Härte gefochten wurde. Und dann... Erwachten beide aus dieser Kampftrance, als Vrivrites Acouterasal meldete: "Alle feindlichen Einheiten haben ihre Angriffsbewegungen eingestellt. Sowohl die mechanischen Streitkräfte der UEMF als auch die Einheiten der Dai kehren auf ihre letzten Positionen zurück." Sie sah auf. "Unter den Angreifern ist nun ein Regiment vertreten, das sich Titanen nennt. Das Titanen-Regiment wird als überragende Elite angesehen. Den Funkdaten entnehme ich, dass nur..."
"Lass mich raten", knurrte der Kapitän, ohne den Tiger-Dämonen vor sich aus den Augen zu lassen, "nur Akira Otomo übertrifft sie noch? Langsam nervt mich dieser Bursche."
Acouterasal unterdrückte ein verschmitztes Lächeln. "Fast. Nur die Hekatoncheiren sind noch besser, und dieses Regiment ist auf der AURORA stationiert, die gerade auf dem Heimflug ist. Aber du hast Recht. Allgemein wird Akira Otomo als bester Mecha-Pilot von allen angesehen. Selbst die Naguad und die Iovar erkennen ihn als Besten an."
"Tja, das ist halt unser Akira", sagte Torah mit dem Anflug eines Lächelns. "Du wirst ihn mindestens ebenso hassen wie ich es tue, Rooter Kevoran."
"Wenn du ihn hasst, warum kämpfst du dann auf seiner Seite?", wandte der Kapitän der RASHZANZ ein.
"Weil man über seinen eigenen Schatten springen sollte, sobald die Wirklichkeit einem klarmacht, dass man bisher vollkommen falsch gelegen hat", sagte der Dai mit Betonung in der Stimme, die klar machte, dass er diese Weisheit nicht nur für sich als relevant ansah. "Uns hassen und bis zum Tode bekämpfen können wir uns, sobald der größere Feind vernichtet ist."
"Hm", machte der Kapitän der RASHZANZ leise. "Deine Meinung, Vrivrites Acouterasal?"
"Wenn der Key Recht hat, kommen wir nicht einmal davon, wenn wir die Erde vernichten. Einmal als nutzlos eingestuft werden die Maschinen ihre Meinung nicht mehr ändern. Im Gegenteil, als lebende, atmende Götter könnten wir für sie und ihre Herrschaft über die Kinder der Götter eine Gefahr darstellen." Sie tippte sich nachdenklich an den Nasenflügel. "Zudem stelle ich fest: Wir hier an Bord der RASHZANZ und unsere Kameraden aus der Kryostase-Station sind die letzten überlebenden Götter. Und wir haben immer noch die Aussage des Keys über die mehr als einhunderttausend Zivilisten, die unter den Kryo-Ebenen der Soldaten liegen sollen. Wir müssen Render Vantum dazu befragen."
"Render!", sagte Rooter, und seine Stimme klang dabei, als würde er etwas Widerwärtiges ausspeien. "Aber gut. Nehmen wir mit ihm Verbindung auf. Key, ich habe deine Zusage, dass..." Er zögerte einen Moment. "Helen Otomo, ich habe deine Zusage, dass die UEMF und die Dämonen nicht angreifen werden?"
Helen unterdrückte ein breites Grinsen, als sie die veränderte Anrede registrierte. Sie war soeben aufgestiegen, vom bloßen Werkzeug zum Vermittler im Konflikt. Und alles was es dazu gebraucht hatte, war der Tod ihres Cousins Anthil und jahrelanges Training zur Unterwerfung des Keys. Dazu hatte sie, als sie im Arogad-Turm in einem Überlebenstank gesteckt hatte, mehr als genug Zeit gehabt. "Die Waffen ruhen für den Moment. Deine weiteren Entscheidungen bestimmen den Verlauf der Ereignisse, Kapitän."
Der Gott nickte. "Ich verstehe. Tarco Parhel, was denkst du darüber, dass die Kinder der Götter nun von unseren Künstlichen Intelligenzen regiert werden?"
Der Waffenoffizier schnaubte nervös aus. "Nicht besonders viel. Wir haben viel dafür bezahlt, um diese unschuldigen Völker aus dem Konflikt zwischen Göttern und Dai raus zu halten. Wenn es keine Götter mehr gibt, sollten sie selbstständig ihren Weg gehen. Ich kann nicht verstehen, dass ein Computer, den wir Götter programmiert haben, derart irrational vorgeht."
"Außer, er wurde so programmiert", sagte Helen.
"Außer, er wurde so prog... Moment mal, Key, was willst du uns damit sagen?"
"Was. wenn nicht nur Dai und Götter Langzeitpläne betreiben? Was, wenn es eine dritte Fraktion gibt? Eine die davon profitiert, dass die Computer der Götter die Dai klein halten, aber die keine lebenden Götter zu fürchten hat?"
"Unsinn! Wer sollte hierin irgend einen Nutzen finden?", tat Rooter Kevoran mit einer fahrigen Handbewegung ab.
"Nur weil du niemanden sehen kannst, heißt das nicht, dass es diese Fraktion nicht gibt", sagte Helen ernst. Sie deutete auf die Kommunikationseinrichtung. "Aber wir sollten aufhören zu spekulieren und anfangen zu arbeiten. Kapitän, dein Gespräch mit General Vantum wartet."
"Ich fand dich besser, als dich noch der Key beherrscht hat, Helen Otomo", murrte der Kapitän.


3.
"Also, ich fasse mal zusammen", sagte Lertaka der Wind säuerlich, während die Blicke der anderen fünf Dai und der achtzehn Nagalev auf ihm ruhten. "Wir befinden uns hier innerhalb eines Werftkomplexes, in dem einmal zweihunderttausend Daima gearbeitet haben, als selbstständiges Hochindustriekonsortium, das für die angrenzenden Hochzivilisationen vor fünfzigtausend Jahren Schiffe gewartet und gebaut hat. Soweit richtig?"
Der große Mann, der Kitsune eingefangen hatte und auf den Vornamen Oren hörte, nickte zustimmend.
"Dann kam es zur Revolution der Maschinen, und eure Vorfahren wurden davon vollkommen überrascht. Die Computer beschlossen eure Auslöschung und manipulierten die Fusionsreaktoren, damit sie heiße Gamma-Strahlung weit genug emissierten, um die ganze innere Werft zu überfluten und zu einem Ort zu machen, an dem Ihr nicht überleben könnt."
Wieder nickten die Nagalev. Belta, die Sektionsführerin, fügte hinzu: "Eines der Schiffe, das wir reparieren sollten, ein Schiff der Godar, war ein Robotschiff. Wir dachten uns bei dem Auftrag nichts, setzten die Godar doch schon seit einiger Zeit automatisierte Schiffe ein. Doch dieses Schiff brachte das Unheil mit sich. Als sein Computerkern mit unserem Rechnerverbund Kontakt bekam, begann die schleichende Revolte. Sie dauerte drei Monate. Dann begann die Strahlungsdusche, und sie tötete die Hälfte unserer Vorfahren noch in der ersten Stunde. Viele, die länger lebten, wurden verstrahlt, kaum einer bekam seine Dosis nicht ab. Zum Glück gab es diesen Sektor, den wir wegen Industriespionage einerseits nicht an den Rechnerverbund angekoppelt hatten, und andererseits speziell geschützt hatten. Nach zwei weiteren Stunden waren wir nur noch vierzigtausend, und viele von ihnen waren verwundet oder verstrahlt. Wir froren die schlimmsten Fälle ein, um sie später zu behandeln, den Großteil der anderen steckten wir in Biotanks, wo sie ihre Behandlung in einer virtuellen Welt verschlafen konnten. Es bildete sich ein Stab von viertausend nahezu unverletzten Nagalev heraus, die sich um die Verletzten und Kryostaten kümmerte, und die in den ersten Jahren für die Versorgung mit Lebensmitteln und Material sorgte, das noch immer von den automatisierten Fabriken der Werft produziert wurde. Als abzusehen war, das uns kein Kontakt nach außen gelingen würde, und das wir die anderen beiden Werftsterne der Nagalev nicht erreichen konnten, begannen wir uns hier einzurichten."
"Äh, ja, danke. So entstanden also die Kryofächer und die Kolonie", sagte Lertaka. "Und Ihr seid angewachsen, weil...?"
"Weil es zum Leben dazu gehört, sich zu vermehren. Einige waren gegen die Kolonie, deuteten auf den begrenzten Platz und die limitierten Ressourcen hin. Aber je mehr wir heilen konnten, je mehr Nagalev wir wieder wecken konnten, desto deutlicher wurde uns, dass wir uns beides nicht leisten konnten. Weder zu schrumpfen noch zu wachsen. Zugleich war uns allen klar, dass wir nicht ungeschützt bis in eine ungewisse Zukunft dahin dämmern konnten. Wir brauchten Leute, die wach waren und die Kryostaten beschützten, gegen welche Bedrohung auch immer. Darum begannen wir den Turnus auszuarbeiten. Die Nagalev leben lange. Eintausend, zweitausend eurer Jahre sind keine Seltenheit. Und so kam es, dass wir einen Zyklus entwickelt haben, in dem die Kryostaten immer für ein paar Jahrzehnte geweckt werden, um ihren Teil am Leben und am Schutz der Kolonie auf sich zu nehmen, daran mitzuhelfen, die Werft irgendwann einmal zurück zu erobern... Was etwas ironisch klingt, denn wir sehen ja, dass es hier vor Kampfeinheiten der Godar nur so wimmelt.
Ich selbst habe nun schon neun wache Phasen hinter mir. Dies ist meine zehnte, und an ihrem Ende hätte ich wieder neuntausend Jahre geschlafen, um in der elften Phase einerseits die Kolonie am Laufen zu halten und andererseits daran zu arbeiten, die Werft wieder zurückzuerobern. Was, ehrlich gesagt, keine Fortschritte zeitigt. Wir sind machtlos gegen die Strahlung, machtlos gegen die Roboter. Uns gelingen nicht mehr als Nadelstiche. Und nun sind wir auch noch ein Ziel für die Dai geworden. Das ist bedauerlich, aber verständlich."
Die Dai reagierten nach ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten durch Zustimmung oder Schweigen.
Kitsune rieb sich nachdenklich das Kinn. "Diese Kolonie, besteht sich auch aus Kryostaten?"
"Einige leben in ihr, wenn sie dies wünschen, bis zu ihrem Tod. Es gibt einige, die irgendwann von den Zyklen die Nase voll haben, auch wenn wir dafür sorgen, dass wir einerseits Bekannte und Familien nicht zu sehr durch den Abgrund der Zeit trennen, und andererseits aber auch dafür sorgen, dass die Schichten der Erweckten statisch werden. Dazu kommt, dass wir in den Kolonien eine Geburtenrate von zwei Komma vier Kindern pro Paar haben, was einen leichten Zuwachs bedeutet. Erreichen diese Kinder das Erwachsenenalter, bestimmen sie selbst, ob sie in Kryostase gehen wollen, und welcher Schicht sie zugeteilt werden wollen. Das ist, grob gesagt, die Struktur unserer Gesellschaft. Im Biotank liegt heutzutage niemand mehr, denn auch eine virtuelle Welt kann mit fünfzigtausend Jahren sehr lang werden."
"Verstehe", sagte Lertaka. "Jetzt ist also unsere Frage, wie wir euch hier raus kriegen."
"Uns hier raus kriegen?", meldete sich ein anderer Nagalev zu Wort, der sich als Tomuar vorgestellt hatte und zur aktuellen Führungsriege gehörte. "Es ist nicht so, als hätten wir das nie versucht. Meistens scheitern wir daran, dass wir vierzigtausend Kryo-Behälter nicht schnell genug umladen können, bevor die Verlademannschaft an der radioaktiven Strahlung stirbt."
Oren hob die Hand. "Darf ich aus deinen Worten, lieber Lertaka, schließen, dass Ihr eure Mission, die Werft zu zerstören, weiter verfolgen werdet?"
Lertaka der Wind sah fragend zu den anderen Dai herüber. Antra und Rickar erwiderten mit festem Blick, während Celeen und Livess seinem Blick fahrig auswichen. Kitsune ließ ein abfälliges Schnauben hören.
"Es sieht so aus, als hätten wir uns eine neue Priorität gegeben. Eure Leben haben nun Vorrang. Aber es wäre trotzdem ganz nett, wenn wir die Sucher, Strafer und Vernichter ausschalten könnten. Zusammen mit der Werft."
"Das verstehen wir. Aber bedenke bitte, dass weder wir noch die Kryostaten von der Idee begeistert sein könnten, nach so langer Zeit, in der wir uns erfolgreich am Leben gehalten haben, nun doch noch zu sterben."
"Da haben wir ja den ganzen Mist", warf Antra ein. "Diese ganze riesige Werft ist ein in sich selbst verschachteltes Mikro-Universum, in dem Milliarden Vorgänge zugleich ablaufen. Solange wir das Mistding sprengen wollten, spielte das keine Rolle für uns. Aber nun stehen wir vor dem Chaos, denn sollten wir den Zentralcomputer ausschalten, dann wird es nicht lange dauern, bis die Milliarden Vorgänge miteinander kollidieren. Es bleibt gar nicht anders aus. Ich habe mir überlegt, wir könnten ein paar Vernichter kapern und die Kolonie in sie verladen, um in Dai-Raum zu fliehen. Mit etwas Vorbereitung für die Versorgung wäre das möglich. Aber dafür haben wir nur wenige Stunden, vielleicht ein oder zwei Tage, bevor die Kettenreaktionen konträr laufender Prozesse damit beginnen, die Werft in ein Katastrophengebiet zu verwandeln. Ich habe mir die Technologie angesehen, die hier verwendet wird. Es handelt sich um ein semi-autarkes System auf Speicherbasis. Selbst wenn wir den Strom deaktivieren, bleiben die Fabriken, die Fähren und die Roboter noch einige Zeit aktiv. Schön wäre es ja, wenn wir einen Schalter umlegen könnten, und alles würde stehen bleiben. Stattdessen fahren sie irgendwann ineinander, stürzen ab, bringen noch mehr Chaos, mehr Zerstörung. Das summiert sich, und wenn wir Pech haben, genau hier in diesem Sektor. Anschließend kommt die Vernichtung der ganzen Werft, die ja unser Ziel ist."
"Hm", machte Kitsune, "warum denkst du, dass wir die Computer dafür ausschalten müssen, Antra?"
"Wenn wir Vernichter klauen, anstatt als blinde Passagiere auf ihnen mitzufahren, meine liebe Kitsune, werden die Computer das bemerken. Und glaube mir, für die Bergungsarbeiten sind Angriffe jedwelcher Art, vielleicht durch Strafer oder Sucher, nicht sehr förderlich."
"Hm", machte Kitsune. Und wieder: "Hm."
"Du heckst doch was aus, Mädchen", stellte Antra fest. "Rück raus damit, Mädchen. Und sag gleich dazu, wie hoch unsere Überlebenschancen sind."
"Na ja, ich hätte schon eine Idee. Aber dazu müsste ich wissen, was die Nagalev vorhaben. Könntet Ihr euch mit dem Gedanken anfreunden, irgendwo da draußen auf einem Planeten oder einer Raumstation zu leben?"
Konsterniert starrte Oren sie an. "Also, mal davon abgesehen, dass hier niemand mehr Lust hat, auf der Werft zu arbeiten, war das eigentlich unser Ziel in den letzten fünfzigtausend Jahren."
"Dann", verkündete Kitsune zufrieden, "habe ich tatsächlich eine Idee. Eine recht gute, möchte ich behaupten. Ist es uns erlaubt, die Kryostase-Einrichtungen und die Biotanks zu besuchen?"
Belta sah sie mit gerunzelter Stirn an. "Prinzipiell spricht da nichts gegen. Darf ich fragen, warum du das möchtest?"
"Ich will keine unnötigen Hoffnungen wecken", wehrte Kitsune ab. "Aber wenn ich finde, was ich suche, kriegen wir Dai unsere zerstörte Werft mit ein paar hundert vernichteten Schiffen der Götter als Hauptpreis, und Ihr kriegt ein wirklich schnuckliges Sonnensystem in relativer Nähe mit zwei Sauerstoffwelten, das ich einer guten Freundin von mir und einigen Bekannten abschwatzen würde. Aber das wäre nur eine Möglichkeit von vielen. Einige Spezies lieben es gerade, auf die Erde, den Mars oder den Mond auszuwandern."
Rickar räusperte sich. "Die Istal-Koalition könnte auch einen Platz zum Leben bereit stellen."
"Das gilt auch für uns", merkte Celeen an.
"Gut. Je mehr Alternativen die Nagalev haben, umso besser", sagte Kitsune. "Und jetzt zeigt mir die Einrichtungen. Damit steht und fällt Plan A."
"Oh", merkte Oren an, "es gibt einen Plan B?"
"Noch nicht ganz. Aber ich arbeite dran", sagte Kitsune. Das war auch die Wahrheit. Von einem gewissen Standpunkt aus gesehen.
***
Unter dem zunehmenden Interesse der Kolonie inspizierte Kitsune die verschiedenen Anlagen. Schnell hatte sie ein paar hundert Spektatoren, die ihr wie ein Rattenschwanz folgten. Darunter waren auch eine Menge Kinder und Halbwüchsige, die unbedingt sehen wollten, wie sich die Dai in mehrere kleinere Versionen ihrer selbst aufteilte, aus ihrem Arm ein Schwert machte, oder ein Fuchs wurde. Aber Kitsune hatte zu tun und konnte sich nicht um die Kinder der Nagalev kümmern. Also beließ sie es dabei, sich in ihre Fuchsgestalt zu hüllen und von Lertaka auf der Schulter tragen zu lassen, während sie Fakten sammelte, um Pläne zu schmieden.
Die Kolonisten hatten eine anregende Kultur, in der viele phantastische Wesen vorkamen; ab heute war es eine mehr. Gerüchten zufolge bastelte die kreative Loge bereits an einem halben Dutzend Kurzfilmen mit der Fuchs-Dai als Heldin. An Ideen oder Kreativität hatte es hier eigentlich noch nie gemangelt.

"Hier liegen also vierzigtausend Dai", sagte sie in Richtung des Chefwissenschaftlers, der immer wieder irritiert zu Lertaka sah, weil er mit der Füchsin nicht wirklich etwas anfangen konnte. "J-ja. Wir haben es hier zu tun mit etwas mehr als vierzigtausend Stase-Einrichtungen. Zirka eintausend werden pro Zyklus gewartet, sodass wir technologisches Versagen auf ein absolutes Minimum reduzieren können. Wir haben pro Zyklus meistens nicht mal den einen statistischen Ausfall. Und selbst dann können wir schnell genug reagieren, um das Schlimmste zu verhindern."
Kitsune betrachtete nachdenklich die endlosen Wände und in den Raum gebauten Blöcke, auf die Quader, die sich wie ein Kapsel-Hotel mehrere hundert Meter in die Höhe erstreckten und in denen jeweils ein Nagalev für die Ewigkeit zwischengelagert war. "Was meinst du, Lertaka?"
"Da ich keinerlei Ahnung habe, was du denkst, meine ich, dass du gleich eine grandiose Idee präsentieren wirst", murmelte Lertaka der Wind.
"Hm", machte die Füchsin. "Sind die Einheiten transportierbar, ohne in ihrer Funktion eingeschränkt zu werden?"
"Ein ganz klares Nein. Wir können sie abbauen, verladen. Aber wir müssen sie dafür zerlegen. Wir können sie nicht weiter betreiben, tut mir leid."
Kitsune machte sich eine gedankliche Notiz. "Gut. Kommen wir zu den Biotanks."
Lertaka schritt heftig aus, und Kitsune rutschte ihm dabei fast von der Schulter. "Nicht so schnell, und nicht so ruckartig! Hast du denn noch nie eine Dai auf der Schulter gehabt?", tadelte die Füchsin, während sie sich an seinen Rücken wieder in die Höhe zog.
"Nein, du bist die Erste", erwiderte Lertaka grimmig.
"Och, du schmollst doch jetzt nicht etwa? Das wollte ich nicht. Hier, als Wiedergutmachung."
"Leckst du mir gerade das Ohr ab?", fragte Lertaka, gefangen zwischen Erheiterung und Entsetzen.
"Mit welcher Antwort hebe ich deine Laune wieder?"
"Ich glaube, das ist gerade egal", erwiderte der Dai. "Sie wird schon viel besser."
"Dann bitte einmal die Biotanks, geschätzter Lertaka."
"Verstanden."

Ihren Rattenschwanz als Neugierige hinter sich lassend betraten die beiden Dai und die Nagalev-Räte die nächste Fahrzeugkabine, die sie in die nächste Ebene fahren würde, fünfhundert Meter über ihnen.
"Ist es schlimm, dass wir die Kryo-Kammern nicht aktiv verladen können?", fragte Belta leise und sehr ernst.
"Nun, es verkompliziert einiges. Es bedeutet, dass wir die Kryostaten, wie Ihr sie nennt, alle wecken müssen. Und versorgen. Es wäre einfacher gewesen, hätten wir sie wie Frachtgut verladen können", sagte Kitsune nachdenklich. "Nicht nett, aber einfacher."
"Wir brauchen zwar nur eine Stunde, um einen Schläfer zu wecken", wandte Oren ein, "aber je nach Konstitution braucht der Kryostat dann minimal eine weitere Stunde, um aktiv werden zu können, und das kann sich bis zu drei Tage hinziehen."
"Wie schnell können wir alle vierzigtausend wecken?", hakte Kitsune nach.
"Das kann sofort vonstatten gehen. Wir können sie aber nicht betreuen. Nicht in dem Maße, in dem wir es tun sollten, Kitsune."
"Und wenn wir die Betreuung auf ein Minimum schrauben?"
"Gleiche Antwort. Es kann sofort vonstatten gehen. Aber es ist keine optimale Lösung. Wenn wir schon die Hauruck-Variante nehmen, würde ich sie in dreistündigen Etappen wecken, damit wir einschätzen können, wer besondere Betreuung braucht und wer nicht, um unnötige Verluste zu vermeiden. Eine solche intensive Betreuung können wir, wenn wir die Schlafpausen streichen, für jeweils fünftausend Nagalev anbieten."
"Das würde bedeuten, in vierundzwanzig Stunden wären alle geweckt", sagte Rickar der Taucher.
"So könnten wir es verantworten, ja", erwiderte Oren.

Der Aufzug hielt und entließ die Dai und die Nagalev auf der untersten Ebene der wesentlich kleineren Biotank-Etage. Hier reihten sich Tank an Tank aneinander und brachten es auf die stolze Zahl von zweitausend Einheiten. Siebzehn waren aktiv. In ihnen lagen Verletzte, die draußen Strahlungsverbrennungen erlitten hatten und teilweise schon seit Jahrzehnten behandelt wurden.
"Und wenn wir die schlimmsten Fälle in einen Tank stecken? Diese Dinger sind doch mobil, oder?"
Der zuständige Nagalev, eine kleine, dicke Frau mit klobiger Lesehilfe, trat Lertaka in den Weg. "Natürlich sind unsere Biotanks mobil. Zudem bieten sie eine Vernetzung in einer eigenen virtuellen Welt. Allerdings können unsere Patienten auch an der Wirklichkeit partizipieren. Ein Drohnensystem mit Hologramm gestattet es ihnen, sich frei in der Kolonie zu bewegen."
"Eine gemeinsame virtuelle Welt?", fragte Kitsune und lenkte die Aufmerksamkeit von Lertaka auf sich.
Sie warf der Füchsin einen irritierten Blick zu, rückte ihre Lesehilfe zurecht und starrte sie so wütend an, als wäre die Füchsin für irgend eine schlimme Sache schuld. "Natürlich eine gemeinsame virtuelle Welt", erwiderte sie bissig.
Kitsune rutschte von der Schulter des großen Dai und sprang zum Boden. Während sie fiel, verwandelte sie sich wieder in die junge Frau mit dem roten Kurzhaarschnitt. Ausnahmsweise wählte sie nicht ihre Lieblingskleidung, den Minirock, sondern ihren Einsatzanzug. "Ich will die technischen Daten einsehen."
"Natürlich", sagte die Fach-Nagalev, nachdem sie ihr erstes Erstaunen überwunden hatte. "Hier entlang, bitte."
Antra beugte sich zu ihr vor. "Was planst du eigentlich, Kitsune?"
Die Füchsin sah amüsiert über ihre Schulter zurück. "Oh, ich will etwas aus der alten Heimat bauen. Hast du vielleicht schon mal den Begriff "Supercomputer" gehört?"
"Nein, habe ich nicht. Unsere Computer sind alle super."
"Oh, sicher nicht so super, wie den, den ich gerade konstruiere", flötete Kitsune.
Dann widmete sie sich der technischen Einführung der Nagalev in die hiesige Biotank-Technologie.
"Ja", sagte sie schließlich zufrieden, "das wird funktionieren. Plan A wird klappen."
"Das sagst du hoffentlich nicht nur, weil du zu faul bist, dir Plan B auszudenken", scherzte Rickar.
"Teils, teils", antwortete Kitsune verschmitzt.
Rickar der Taucher begann prustend zu lachen. "Ich musste ja fragen. Selbst Schuld."
***

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4.
"Kydranis!", rief Latiss Jomdral erfreut, als er den Kriegskameraden in der Menge der Ankommenden erkannte. In diesen Zeiten des harten Krieges war es nicht unbedingt üblich, dass die Fähren ihre Fahrpläne einhalten konnten. In diesen Zeiten war es auch nicht unbedingt üblich, dass all jene, die in den Krieg zogen, auch wieder den Weg nach Hause fanden. Das war natürlich immer tragisch, egal ob diese Leute tot, verschollen oder in Gefangenschaft waren. Kydranis hatte es geschafft, mitten aus den wildesten Kämpfen heraus, sich und seine Crew wieder zur Erde zu schaffen. Darüber hinaus war ihm auch etwas gelungen, was vor ihm nur wenige haben vollbringen können: Er hatte einen gegnerischen Reyan Maxus im Nahkampf bezwungen, als dieser schon jenseits der Schwelle des Wahnsinns gewesen war.
Kydranis sah auf, als sein Name fiel. Aber es dauerte einen Moment, bis er sich weit genug orientiert hatte, um den Dai zu erkennen, der ihn gerufen hatte. "Latiss!", rief er erfreut.
Der Reyan Oren der Neunten Offensiv-Garde kam auf ihn zu, wies sich an der Sperre kurz als berechtigt aus und verließ den internationalen Transitbereich von Olympos, dem größten Raumhafen Lemurs.
Die beiden Freunde standen sich gegenüber und sahen sich lange an, bis Kydranis einen Schritt vortrat und den anderen umarmte. "Es tut verdammt gut, dich wieder zu sehen, alter Freund", sagte er mit belegter Stimme. "Du glaubst nicht, was ich erleben musste, um hier sein zu können."
"Oh, das kann ich durchaus. Die Kadrimal-Imperialen schwanken zwischen Panik und Resignation, seit du Turval in seinem eigenen Schiff besiegt und das Kommandoschiff selbst als Trophäe genommen hast. Du bist Tagesgespräch auf Atlantis, mein Freund. Und es wundert mich, dass sich keine Sprechchöre zu deinem Empfang gesammelt haben, um dich zu feiern."
Kydranis lächelte schwach bei diesen Worten und löste die Umarmung. "Das liegt daran, dass außer dir nur noch das Oberkommando weiß, wo ich gerade bin. Und ohne meine Uniform gehe ich in dieser Masse doch ganz schön verloren." Er sah sich kurz um, bemerkte mehr als einen interessierten Blick in seine Richtung, mehr als eine getuschelte Unterhaltung über ihn. "Bis jetzt zumindest. Hast du ein Bodenfahrzeug?"
"Tatsächlich bin ich mit meinem Krader da. Er steht im Parkdeck." Latiss schmunzelte. "Ist dir Publicity und Berühmtheit wirklich derart zuwider?"
"Das ist es nicht. Ich habe keinen Kopf dafür, mich feiern zu lassen. Nicht im Moment."
"Ich verstehe das zwar nicht, aber du wirst deine Gründe haben", sagte Latiss und ging in Richtung Parkhaus vor. Kydranis folgte ihm auf dem Fuß.

"Wie sieht es eigentlich da draußen aus. Die Medien berichten zwar immer wieder, dass das Kerngebiet um Lemur sicher ist, dass die einundzwanzig Daina-Kolonien nicht bedroht sind, aber du warst draußen und hast die Lage vor Ort erlebt."
"Einen Teil der Lage. Ich war kernwärts unterwegs, wie du weißt."
Sie entschieden sich für das Treppenhaus, das sie wie normale Menschen Stufe für Stufe erklommen.
"Und, wie ist dein Teil der Lage?", hakte Latiss nach.
"Es wird immer schwieriger, die Daima-Fraktionen auseinander zu halten", sagte Kydranis bedrückt. "In meinem Teil der Kriegssektoren gab es grauenhafte Verluste an Menschen, Schiffen und Material. Eine inoffizielle Untersuchung ergab, dass es alleine bei uns vierzehn Millionen Tote gab. Eher mehr. Die meisten davon waren Zivilisten. Sie starben hauptsächlich auf Frachtern, Personentransportern, Orbitalstationen und Raumhäfen, aber das macht es nicht besser." Kydranis seufzte. "Und es wird immer schlimmer, je mehr Dai die Daima einsetzen. Wir haben nicht erst seit gestern Verluste."
"Das ist mir wohl bekannt. Und was empfiehlst du? Dass wir uns zurückziehen und die Daima sich selbst überlassen?"
Indigniert sah Kydranis den Freund an. "Das würde automatisch zehn Milliarden Tote bedeuten. Nicht sofort, nicht auf einen Schlag, aber das würde es bedeuten. Und zehn Milliarden Tote lädt sich niemand auf sein Gewissen, nicht einmal der Rat von Lemur."
"Aber wir mischen uns doch ungefragt in diesen Konflikt ein, greifen ein auf der Seite des vermeintlich Schwächeren und verlängern die Konflikte damit", erwiderte Latiss.
"Wenn wir gerufen werden", dozierte Kydranis, "beschützen wir Systeme und Zivilisten, dämmen Gefechte ein und geleiten Kriegsschiffe entweder aus die Systeme hinaus, oder in die Systeme zu ihren Häfen. Wir versuchen die Kämpfe zu unterbinden. Und das wissen jene auch, die uns rufen. Mir ist klar, dass sie dies nur tun, wenn sie selbst kurz vor der Niederlage stehen, um sich eine Zeit der Erholung zu erkaufen. Dass sie uns nach ein paar Jahren wieder aus ihrem Reich hinauskomplimentieren und im dümmsten Fall ihre Kämpfe fortsetzen."
Sie erreichten ihre Etage. Latiss ging voran und suchte seinen Bodenwagen.
Kydranis musterte die schwere Maschine erstaunt. "Du verdienst wohl nicht schlecht zur Zeit", murmelte er, während Latiss ihm die Doppelflügeltür in den rückwärtigen Fond öffnete. "Na ja, man lebt halt. Vorsicht, geh nicht links runter, da ist der Pool."
"Sehr witzig", murmelte der Reyan Oren, als er aufrecht in den Wagen trat. "Wie jetzt? Ich dachte, du hast wirklich einen Pool im Wagen."
"Sehr witzig. Reichen die Couch und die Bar nicht?"
"Wie hast du für das Ding überhaupt einen Parkplatz gekriegt?"
Latiss lachte und schloss hinter sich die Doppeltür. "Man kann so etwas vorbestellen, Kydranis. Willkommen in der Zivilisation. Willst du was zu trinken? Fruchtsaft, Milch, oder etwas Richtiges?"
"Fruchtsaft. Mir ist gerade nicht danach, auch nur einen Zoll der Kontrolle über mich zu verlieren." Mit einem gequälten Laut ließ er sich auf das großzügige weiße Polster nieder. "Autsch. Mein Rücken bringt mich um."
"Das sollte doch nicht dein Rücken übernehmen, sondern die streitlustigen Daina", scherzte Latiss und schenkte aus der großzügigen Bar zwei Gläser ein. Eines reichte er Kydranis. "Poul, nach Hause."
"Verstanden", antwortete die Künstliche Intelligenz aus seinem Haushalt. Der Wagen ruckte sanft an und verließ seinen Stellplatz. Er verließ das Parkhaus auf der energetischen Schnellstraße und folgte dem sanften Gefälle bis auf Bodenniveau, wo er sich, gesteuert durch die K.I., in den Highway einfädelte, der den Raumhafen tangierte, eigentlich aber die Hauptstadt Atlas mit dem großen Ozeanhafen Mu verband.
"Es ist doch immer wieder beeindruckend, was für ein Verkehr hier herrscht", murmelte Kydranis. Er nippte an seinem Getränk. "Ich meine, dreißig Prozent der Erde liegen unter tiefen Gletschern begraben und sind nicht bewohnbar, alles was weiter als vierzig Längengrade über dem Äquator liegt ist ein verdammter Kühlschrank, aber auf Atlantis ist ein Verkehr, als wäre hier das Zentrum der Galaxis."
"Oh, hier ist das Zentrum der Galaxis", erwiderte Latiss. "Ob die Daina das nun wollen oder nicht."
"Hat dich arroganten Dai schon mal jemand übers Knie gelegt?", fragte Kydranis amüsiert.
"Ja, Jelena, letzte Woche. War eine sehr interessante Erfahrung. Aber auch nur das Vorspiel", erwiderte der Dai trocken.
"Keine Details, bitte, wenn du über meine Tante sprichst."
"Du hast gefragt", erwiderte Latiss stoisch.
"Nicht nach so etwas. Zentrum der Galaxis, und so. Unsere Explorer sind bisher nicht weiter als zum Zentrum gekommen, geschweige denn in unsere Satellitengalaxien oder sogar nach Artonida."
"Die, wie du selbst weißt, schwierig zu erreichen ist, da unsere Sprungtechnologie darauf beruht, dass wir von Sonne zu Sonne springen müssen. Ergo keine Sonnen, keine Sprünge. Falls du natürlich über eine bahnbrechende Technologie verfügst, die uns zwei Millionen Lichtjahre zur doppelt so großen Nachbargalaxis überwinden lässt, dann immer raus damit."
"Sehr witzig. Was ich sagen will, ist, dass wir die Galaxis kaum kennen. Beherrschen können wir bestenfalls einen Umkreis von einhundert Lichtjahren, erfassen das zehnfache, besiedeln ein Hundertstel. Unsere Explorationen in die weitere kosmische Umgebung sind nur Stichproben, so wie wenn du auf einer riesigen Tundra stehst, alle fünfhundert Meter einen Fingerhut Erde entnimmst, und anschließend bei der Analyse meinst, du hast einen vollen Einblick in das gesamte Gelände in allen Details. Und dann redest du von Zentrum der Galaxis, mein kleiner, arroganter Dai."
"Zentrum der erforschten Galaxis?", bot Latiss lachend an.
"Zentrum der Daina, das lasse ich gelten", sagte Kydranis und trank sein Glas aus. "Nachschub, bitte."
Latiss beeilte sich, dem Freund nachzuschenken. "Also, was denkst du über unsere Lage?"
"Unsere Lage? In sechs Konflikten zwischen neunzehn Daima-Fraktionen, die nichts Besseres zu tun haben, um aus den unsinnigsten Gründen heraus eine halbe Million Kampfschiffe aufeinander zu hetzen, darunter fünfundfünfzig Kommandoschiffe der Reyan Maxus? Ich wünschte, sie würden sich auf uns stürzen, dann könnten wir die Militärmacht vernichten, und der Sektor hätte endlich Ruhe."
"Vierundfünfzig. Einen hast du besiegt, oder nicht? Ihre Konflikte sind schon nachvollziehbar. Hier ein Grenzstreit um ein peripheres Rohstoffsystem, dort ein politisches Attentat, da ein Nachfolgekonflikt, und so weiter, und so fort", sagte Latiss nachdenklich.
"Gut, also vierundfünfzig. Findest du es nicht merkwürdig, dass sich neunzehn von einunddreißig Fraktionen in einem Krieg oder kriegsähnlichem Zustand befinden? Selbst einige der Kleinst-Staaten, die sich einen Planeten teilen, benehmen sich nicht so hirnverbrannt wie diese Daima."
"Das aber auch nur, weil sie zu schwach für Krieg sind. Würden sie sich einmischen, würden sie schnell besiegt werden", wandte Latiss ein. "Und wir wären eventuell nicht schnell genug vor Ort, um das zu verhindern. Also sind sie schlau und halten den Kopf unten und die Ohren angelegt."
"Was uns wieder zu denen bringt, die sich stark genug für Konflikte fühlen und die Daina immer wieder mit einbeziehen. Was sagt denn der Geheimdienst so zur Gesamtsituation?"
"Dass sie Scheiße verfahren ist. Unsere Diplomaten sagen das Gleiche. Alle beteiligten Nationen sind in ihren Konflikten unglaublich verbissen und lassen kaum Verhandlungsspielraum. Und wenn sie nicht mehr können, fordern sie die Daina-Flotten an. Auf diese Weise haben wir uns in den letzten einhundert Jahren bei allen einunddreißig Fraktionen gleichermaßen beliebt wie unbeliebt gemacht."
"Für wie wahrscheinlich hält es der Geheimdienst, dass sie von außen aufgewiegelt werden?", fragte Kydranis.
"Aufgewiegelt von wem zu welchem Zweck?"
"Ich weiß es nicht. Um alle beteiligten Nationen zu schwächen?"
"Das würde nur Sinn machen, wenn auch wir geschwächt werden würden", erwiderte Latiss.
"Das werden wir doch. Wir verlieren Schiffe und Truppen, jedes mal wenn wir intervenieren. Vor allem wenn reguläre Einheiten an einen Reyan Oren oder Reyan Maxus geraten. Es ist nicht gerade ein langsames Ausbluten, aber Verluste sind Verluste."
Kydranis hob sein Glas. "Apropos Verluste. Während ich Turval besiegt habe, bin ich selbst aufgestiegen. Ich bin jetzt selbst ein Reyan Maxus."
Für einen Moment sah Latiss den Daina verwirrt an. Dann rang er sich zu einem Lächeln durch. "Da gratuliere ich aber. Welches Kommandoschiff wird man dir zuteilen?"
"Die ADAMAS. Ich habe mit dem Gedanken gespielt, Turvals KRATOS zu übernehmen, mich dann aber dagegen entschieden. Die ADAMAS ist unsere modernste Fernwaffe, hat gerade erst den Jungfernflug bestanden. Und sie bekommt eine gute, erfahrene Crew."
"Ein Maxus, also." Latiss leerte sein Glas auf einen Schluck. "Das ist starker Tobak. Was sagen die Prognosen? Wie lange wirst du alleine handlungsfähig sein?"
"Oh, die sind überraschend gut. Ich bin die nächsten dreihundert Jahre sicher, bevor meine Fähigkeiten so mächtig werden, dass ich Suppressoren brauche."
"Das ist eine lange Zeit, und bis dahin kann der Krieg vorbei sein", sagte Latiss hoffnungsvoll. "Bis dahin kannst du zum Dai aufsteigen, mein alter Freund."
Kydranis machte eine abwertende Handbewegung. "Noch kein Reyan Maxus ist zum Dai aufgestiegen."
"Weil es noch keiner versucht hat. Ich stelle es mir schwierig vor, ein vergeistigtes Wesen aus purem AO zu werden, wenn ich zugleich alles AO meiner Umgebung assimiliere und wieder abstrahle. Also denke ich, es hat noch kein Maxus rechtzeitig daran gedacht, diesen Schritt zu machen."
"Danke. Ich werde in dreihundert Jahren darüber nachdenken", sagte Kydranis säuerlich.

Der Wagen verließ den Highway und fädelte sich in den Regionalverkehr von Mu ein. Es dauerte nicht lange, und der Krader befuhr eine Regionalstraße im Kamdi-Viertel. Zuhause. Endlich.
Versonnen sah Kydranis aus den Fenstern, um das kleinbürgerliche Viertel zu betrachten. Er war fünf Jahre fort gewesen, und es hatte sich nicht viel verändert. Aber wenn er in seiner Erinnerung kramte, wenn er siebzig Jahre zurücksah, dann konnte er deutliche Veränderungen sehen. Die Bäume im Park, den sie gerade passierten, waren damals gerade erst gepflanzt worden. Nun aber erstreckten sie sich mehrere Dutzend Meter in die Höhe und hatten beachtliche Umfänge erreicht. Drei waren gefällt und durch Neuaufforstung ersetzt worden. Sicherlich unter dem Protest der Anwohner, die ihr gewohntes Umfeld selbst dann verteidigten, wenn die Bäume umsturzgefährdet waren, weil sie innerlich mittlerweile morsch und verrottet waren.
"Wen wirst du dir aus Suppressoren auswählen?", fragte Latiss unvermittelt. "Ich hoffe, du hast mich dabei ins Auge gefasst."
"Natürlich habe ich dich ins Auge gefasst. Aber hast du Lust, dein friedliches Leben auf der Erde aufzugeben, um mich ein paar hundert Jahre zu begleiten um zu verhindern, dass ich meine Umgebung pulverisiere?"
Latiss lachte leise. "Oh, ich muss dich begleiten, wenn es soweit ist. Ein ruhiges Leben ist nur eine gewisse Zeitspanne interessant, dann braucht man wieder etwas Action. Außerdem muss ich dich ja rechtzeitig daran erinnern, zum Dai aufzusteigen und deinen Weg begleiten, bevor es für dich zu spät ist."
"Oh. Gutes Argument. Das würdest du tun?"
"Kydranis, ich hoffe, daran hast du nicht eine Sekunde gezweifelt. Wir sind Freunde. Mehr als das: Beste Freunde. Ich weiß, du würdest das Gleiche für mich tun. Warum also sollte ich zögern?"
Das ließ den Reyan Maxus lächeln. "Danke. Ich habe auf eine so positive Antwort nicht zu hoffen gewagt. Ich dachte, du zierst dich die nächsten dreihundert Jahre erst einmal."
"Dann bist du ein ausgesprochener Dummkopf, Kydranis. Ihr Reyan Maxus geht das höchste aller Risiken ein, höher noch als wir Dai. Deshalb können wir gar kein Opfer erbringen, das groß genug wäre, um euch zu unterstützen. Wobei ich es doch ganz gerne gesehen hätte, wenn du ein Oren geblieben wärst, um irgendwann zum Dai aufzusteigen. Na, das kann man ja noch nachholen."
"Es ist noch keinem gelungen", schränkte Kydranis ein.
"Nein, es hat noch keiner versucht", erwiderte Latiss.

Der Wagen hielt an. "Wir sind da", meldete Poul, die Künstliche Intelligenz.
Rechts neben ihnen stand der großzügige Wohnkomplex, in dem sowohl der Dai als auch der Daina ihr Domizil hatten. "Und warum fährst du dann nicht ins Parkhaus?"
"Es kam gerade eine Eilnachricht vom Rat Heeter Janis. Er ersucht deine sofortige Anwesenheit und die des Reyan Maxus Kydranis."
"Wann kam diese Nachricht an?", fragte Latiss.
"Gerade als ich ins Parkhaus setzen wollte. Ich habe dann entschieden, den Bodenwagen nicht hinein zu fahren und dir die weitere Entscheidung zu überlassen."
"Danke, Poul. Fahr uns ins Ministerium." Latiss seufzte. "Dieser alte Raubvogel. Er hat also gewusst, dass du gerade zurück gekommen bist. Und er hat gleich zugeschlagen."
"Er hätte das nicht getan, wenn es aus seiner Sicht nicht wichtig wäre", warf Kydranis ein. "Du kennst ihn."
"Nur zu gut", erwiderte Latiss, während der Bodenwagen wendete und wieder in Richtung Highway fuhr, zurück nach Atlas. "Aber wäre er etwas schneller gewesen, dann hätten wir uns einen Weg gespart."
"Das stimmt allerdings. Aber wenn der alte Jäger ruft, dann ist irgendwas im Busch."
"Das ist ja das Problem. Poul, benachrichtige Altea, dass wir aufgehalten wurden. Wir wissen noch nicht, wie lange die Verzögerung dauern wird."
"Ich informiere deine Schwester, Latiss."
"Altea ist hier?" Kydranis lächelte. "Das ist ja eine tolle Überraschung."
"Und es wäre eine noch viel bessere geworden, wenn du ihr plötzlich gegenüber gestanden hättest", murrte Latiss.
"Aber weniger freuen könnte ich mich nicht", wandte Kydranis ein.
Das ließ nun auch den Dai lächeln. "Da hast du natürlich Recht. Also, hören wir uns an, was der alte Raubvogel zu sagen hat."
***
Wie alt der Rat für Geheimdiensttätigkeit Heeter Janis war, wurde in den Websites offiziell mit dreitausend lemurischen Jahren beantwortet. Und in dieser Zeit hatte er eine Menge bewegt, war für einige Jahrhunderte selbst Oberhaupt des Rats gewesen, hatte auf fernen Planeten Kolonien aufgebaut, sich um die Diplomatie und den galaktischen Frieden verdient gemacht - in Zeiten, die heute so viel leichter erschienen. Wie alt er aussah: So in etwa wie ein hundertjähriger Protomensch aus den Ebenen des Kontinent Firkas, aus denen sich Dai und Daina entwickelt hatten. Und die noch immer die weiten Savannen durchstreiften, während sich ein anderer Zweig ihrer Vorfahren an das Leben im Baumbewachsenen Dschungel gewöhnte. Ihre direkten Vorfahren hatten früh am Meer gesiedelt und eine fruchtbare Ecke Firkas gefunden. Die sehr gute Versorgung mit Fisch und Fleisch hatte sie sehr schnell von primitiver Steinzeit-Intelligenz zu komplexer, abstrakter Intelligenz geführt, und sie hatten die weiten Küsten besiedelt und urbar gemacht. Schade nur, dass mit dem Ende der Eiszeit die meisten Städte und Kulturstätten dieser Epoche weiter auf den Kontinentalschelf in größere Höhen verlegt werden mussten, weil das Tauwetter der Gletscher den Meeresspiegel um einhundert Meter ansteigen lassen würde. Aber bis dahin waren es noch dreißig- vierzigtausend Jahre. Mindestens. Wenn man halt ans Leben am Meer gewohnt war, dann musste man in den zukünftigen Überschwemmungsgebieten siedeln. Da aber selbst die meisten Dai diese Zeit nicht mehr erleben würden, war sich Latiss relativ sicher, dass die Dai und Daina, die in jener Zeit leben würden, relativ gut damit umzugehen verstehen würden. Möglicherweise. Von einer künstlichen Ausdehnung der Eiszeit hielt er persönlich nicht besonders viel, obwohl der Vorschlag seit Jahrhunderten im Raum stand. Der gesamte Küstenstreifen Firkas, an manchen Stellen hunderte Kilometer breit und mehr als achttausend lang, auf dem sich ein Großteil des Daina-Daseins abspielte und ein Großteil ihrer Kultur darstellte, würde irgendwann vom Meer verschlungen werden. Das war für manche schon irgendwie romantisch. Für andere war es ein finanzieller Verlust, dem entgegen gewirkt werden musste. Selbst hier auf Atlantis würden die jetzigen Küsten versinken und damit auch Mu verschlingen. Aber nicht das höher gelegene Atlas. Und davon abgesehen würden tatsächlich noch mehrere zehntausend Jahre vergehen, bevor sie sich überhaupt entscheiden mussten, was sie tun wollten.

"Einen Credit für deine Gedanken", sagte Kydranis.
Latiss schreckte hoch. "Was? Oh, entschuldige. Ich dachte nur an das Ende der jetzigen Eiszeit und die Auswirkungen auf die jetzigen Küstengebiete. Und an unsere Möglichkeiten."
"Ach, das alte Thema? Hast du vergessen, was man uns im Geologie-Unterricht beigebracht hat?"
"Was genau?"
"Dass nicht die Eiszeit, sondern die eisfreie Zeit der Normalzustand der Erde ist. Also höre auf zu grübeln und überlasse es zukünftigen Generationen, sich an die veränderten Zeiten anzupassen. Dann haben wir vielleicht auch ein paar neue Volksstämme an Daina auf der Erde, wenn sich die unsere Savannen-Vorfahren mit dem zurückgehenden Eis über die Erde ausbreiten in Bereichen, die wir nie der Besiedlung für notwendig erachtet haben."
"Meinst du, in ihnen wird genauso schnell der Funke der abstrakten Intelligenz erwachen, der nicht nur zum Bau von Werkzeugen, sondern auch zum Bau von Maschinen befähigt?"
"Ich habe keine Ahnung, alter Freund. Aber ich finde deine Gedanken dazu faszinierend. Ich wünschte, ich könnte mir die Welt dann ansehen, nach der Eiszeit. Obwohl man ja stark annimmt, dass der Rückgang des Eises noch nicht das Ende der Kaltperiode sein wird. Es werden wohl noch ein, zwei, vielleicht drei Kaltperioden kommen. Vielleicht werden sie heftig genug, das sie die ganze Erde zu bedecken drohen. Dann können wir mal über ernsthafte Abwehrmaßnahmen reden." Er hüstelte trocken. "Ich meine, unsere Nachfahren können das dann."
"Dann hast du also vor, Nachfahren zu hinterlassen?", stichelte Latiss.
"Natürlich. Und das am liebsten mit deiner Schwester. Was meinst du wird sie bevorzugen? Invitro-Technologie, oder eine Schwangerschaft auf traditionelle Dai-Art?"
"Du glaubst doch nicht, dass ein Dai es aushält, fast zehn Monate die gleiche Form beizubehalten, nur um ein Kind auszutragen?", fragte Latiss irritiert.
"Na, für mich ist das kein Problem", scherzte Kydranis.
"Ha, ha, sehr komisch. Du verstehst uns Dai einfach nicht. Aber es gibt ein Argument, das für eine traditionelle Schwangerschaft spricht, und nicht für einen Bruttank."
Kydranis zwinkerte. "Das machen?"
"Nein, du Idiot. Als Dai kann die Schwangerschaft unmöglich durch das Extra-Gewicht ihren Körper ruinieren."
"Ah, Logik. Meinst du, das wird sie überzeugen?"
"Was weiß ich? Sie ist meine Schwester. Frag sie doch selbst."
Die beiden Freunde sahen sich an und begannen zu lachen.
"Wunderbar, wie wir uns die Bälle zuspielen", ächzte Kydranis und wischte sich eine Lachträne fort.
"Ich sehe meiner Zeit als dein Suppressor mit Zuversicht entgegen", erwiderte Latiss mit einem leisen Kichern.
"Und ich sehe der Zeit alleine mit deiner Schwester mit Zuversicht entgegen."
Latiss schnaubte amüsiert. "Was tust du, wenn ich ihr alles, was wir hier gesagt haben, haarklein erzähle?"
Kydranis lachte. "Was sollte sie mir tun? Ich bin ein Reyan Maxus."
"Nun, sie könnte dann tatsächlich mit dir Kinder zeugen wollen."
Dem Daina fiel die Kinnlade herab. "Habe ich was verpasst?"
"Nur die letzten fünf Jahre. Wundert es dich nicht, dass sie Zuhause auf dich wartet?", stichelte der Dai.
"Wir kennen uns seit siebzig Jahren. Nein!", erwiderte Kydranis bestürzt.
"Oh. Na dann wird es nachher bestimmt noch lustig."
Der Bodenwagen fuhr in das Parkhaus ein, das zum Ministerium für Geheimdiensttätigkeit gehörte. Latiss verschaffte ihnen mit seinem Permit Eintritt, und der Bodenwagen parkte in einer Nische, die extra durch Umsetzung eines anderen Fahrzeugs für ihn geschaffen wurde.
"Na dann wollen wir uns doch mal anhören, was es so wichtiges gibt, das deine Willkommen zurück-Party verzögert", seufzte Latiss.
"Du hast eine Party organisiert?"
"Ups, verplappert." Der Dai grinste schief.

Fünf Minuten später saßen sie in Heeters Büro. Der uralt wirkende Dai begrüßte sie mit Snacks und Getränken und ließ sich zuerst von Kydranis eine Einschätzung der Lage geben, so wie kurze Zeit zuvor Latiss.
Er hörte aufmerksam zu, nickte an manchen Stellen und legte die ohnehin schon faltige Stirn in noch mehr Falten. Als der Reyan seinen Bericht beendet hatte, ließ er Latiss eine Analyse abgeben. Auch dieser hörte er still zu. Als beide fertig waren, kratzte er sich ausgiebig am Kinn. "Meine Herren. Halten Sie zwei Dinge für möglich: Erstens, dass die neunzehn Konfliktparteien Material von außen bekommen, jenseits der Einflusssphäre der Dais, und zweitens, dass die Gruppe, die das Material zur Verfügung stellt, die Konflikte schürt oder sogar steuert?"
Kydranis riss entsetzt die Augen auf. "Mit welcher Intention, Rat Janis?"
"Zweifellos mit der Intention, die Daima rund um das Daina-Territorium zu schwächen. Eventuell mit der Intention, die Daima in einen Krieg mit uns zu treiben, wegen unserer permanenten Einmischung."
"Ist das nicht etwas weit hergeholt?", fragte Latiss zweifelnd.
"Es gibt Beweise, dass sowohl Material als auch Technologie zu den Daima geschleust wird, die nicht auf unseren technischen Prinzipien beruht. Wir fragen uns also woher diese Technologie kommt, und warum sie heimlich importiert wird. Und warum sie augenscheinlich allen derzeitigen Kriegsparteien zur Verfügung gestellt wird. Und wir fragen uns auch, wie es in den Daima-Nationen aussieht, die zur Zeit nicht in Konflikte involviert sind. Wir fragen uns, ob sie sich auf einen Schlag gegen das Daina-Reich vorbereiten. Just in diesem Augenblick, zu einem Zeitpunkt, zu dem ein Großteil unserer Flotte irgendwo gebunden ist."
Der Rat ließ diese Informationen bei den beiden Männern sacken. "Ich habe Dai ausgeschickt, die genau das untersuchen sollen. Die ersten Informationen, die mich in den letzten Tagen per Kurier erreicht haben, lassen zumindest auf die Richtung schließen, aus der die Technologie fließt." Der alte Dai deutete auf den Reyan Maxus. "Kydranos, ich will, dass du die ADAMAS nimmst, und der Sache auf den Grund gehst. Folge ihr bis zur Quelle. Und ich meine, bis zur endgültigen Quelle." Sein Finger wanderte zu Latiss. "Du wirst ihn begleiten. Du, und zwei weitere Dai, die als Suppressoren dienen werden. Dazu ein vielseitiges Einsatzteam unserer Gegenspionage. Und die übliche voll ausgefüllte Besatzung für ein Kommandoschiff sowie die standardgemäße Begleitflottille. Ihr kriegt vom Besten, was wir abziehen können, ohne aufzufallen." Er seufzte. "Zumindest nicht zu sehr."
Der alte Dai schob zwei altertümliche Papiermappen zu den beiden herüber. "Hier sind die Dossiers. Auswendig lernen und dann vernichten. Nur Ihr zwei seid über den Hintergrund dieser Mission informiert. Außerhalb dieses Büros weiß nur der Rat davon und billigt die Aktion. Ihr werdet eure Leute immer nur so weit informieren, wie es für den Auftrag notwendig ist. Das wäre dann alles. Ihr brecht in vier Wochen auf."
"Wieso erst in vier Wochen?", fragte Kydranos. "Ich kann sofort..."
"Weil du gerade erst zurückgekommen bist, weil wir noch Vorbereitungen treffen müssen, und weil ich keine Ahnung habe, wie lange diese Mission dauern wird. Du hast dir zumindest einen kleinen Urlaub verdient. Und ich glaube nicht, nein, ich hoffe nicht, dass diese vier Wochen zwischen uns und einem gigantischen Krieg stehen."
"Vier Wochen also. Eine Mondphase." Latiss nahm seine Mappe an sich. "Wir werden die Zeit zu nutzen wissen."
Kydranis nahm auch seine Mappe an sich. "Danke für diesen Auftrag. Wir geben unser Bestes, Rat Janis."
"Das weiß ich", erwiderte der alte Dai, als sich die beiden erhoben. "Deshalb habe ich euch ja gewählt. Und jetzt ab mit euch. Wartet da nicht noch eine Party auf den Ehrengast?" Er zwinkerte den beiden zu. "Ich hoffe, ich habe euch nicht so viel Zeit gekostet, dass die Feier jetzt verdorben ist."
Die beiden Freunde sahen sich erstaunt an. Heeter Janis war nun mal der Rat für Geheimdiensttätigkeit. "Nein, Rat Janis. Ich denke, diese halbe Stunde hat die Stimmung nicht vernichten können", sagte Latiss fröhlich.
Die beiden deuteten eine Verbeugung an, dann verließen sie das Büro.
"Und was jetzt?", fragte Latiss. "Rüber zum Hafen und die Ausrüstung der ADAMAS überwachen?"
Kydranis grinste. "Du hast doch gehört, was der alte Mann gesagt hat. Ab zur Party. Für mich klang das nicht wie eine Suggestion, mehr wie ein Befehl."
"Auch wieder war", sagte Latiss fröhlich, legte eine Hand um Kydranis' Schulter streckte die andere Hand zur Faust geballt in die Höhe, und rief: "Party, wir kommen!"


5.
Die Fuchs-Dai fühlte sich, als würde sie in einem großen Dèjá-vu stecken, als sie ihre Ausrüstung kontrollierte, ihre Verpflegungsration entgegen nahm und probeweise ihre rechte Hand zu einer Schwertklinge ausbildete. Doch diesmal war einiges anders. Diesmal hatten sie keine fünfhundert Kilometer Anmarschweg. Und diesmal waren es nicht nur sechs Dai, die sich bereit machten, sondern diese sechs Dai und etwas mehr als fünfhundert Soldaten, die, so gut wie möglich gegen die Strahlung geschützt, den Auftrag hatten, den Werftbereich zu verlassen und so viele Vernichter wie möglich zu erobern. Die Dai hingegen hatten den Auftrag übernommen, das Zentralgehirn zu vernichten.
Kitsune sah ein letztes Mal zum provisorischen Supercomputer herüber, der gerade mit den letzten zehn Freiwilligen bemannt wurde. In der Tiefe summten die Generatoren wieder ein wenig leister, als der dritte dreistündige Aufweckzyklus begann, und erneut weniger Leistung an Energie eingefordert wurde.
Eine kräftige Hand schlug ihr auf die Schulter. Es war Rickar. "Bist du bereit, furchtlose Anführerin?"
"So bereit, wie man sein kann." Sie verwandelte ihre Hand zurück und vergewisserte sich, dass der Neuroschocker an seinem Platz war. Ihr nächster Blick ging zur Uhr: Missionsbeginn in zehn Minuten. Verdammt, warum musste sie sich in so einem Moment ausgerechnet um Akira Sorgen machen? Von allen Daina die sie kannte war er doch derjenige, um den sie sich am wenigsten sorgen musste. Der konnte auf sich alleine aufpassen. Außer, er wurde als reines KI oder gleich als kompletter Mensch entführt, zugegeben.
Sie schüttelte den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben. Für die Mission, die weit schwerer war als der ursprüngliche Angriff auf die Werft, musste sie einen klaren Kopf haben.
"Dai-Pengin-sama, wie hättest du dich an meiner Stelle entschieden? Was hättest du geplant?", murmelte sie leise vor sich hin. Aber das half nichts. Der Herr der Pinguine, Herr des zweitgrößten Kriegerclans der Dai, war nicht mehr und konnte ihr nicht mehr antworten. Nie mehr.
Sie seufzte verhalten. Er hätte nicht viel anders gemacht als sie. Nicht bei dieser Ausgangslage.
"Alles in Ordnung?", fragte Rickar vorsichtig.
Kitsune erhob sich. "Alles in Ordnung. Nur ein kleiner Erinnerungsflashback an die Vergangenheit. Ich bin hier und bereit."
"Gut. Immerhin ist es dein Plan, und ich habe Vertrauen in dich. Wir alle haben Vertrauen in dich", betonte er.
Ergriffen sah Kitsune den Dai an und bot ihm spontan die Hand. Der große Mann lächelte erfreut und ergriff die dargebotene Hand, um sie mit festem Druck zu drücken.
Dann nickten sie einander schweigend zu und gingen zu ihren vier Gefährten, die ebenso wie sie in den Vorbereitungen steckten. Bald würde sich alles entscheiden. Einfach alles. Unter anderem ob sie leben durften oder sterben würden.
***
"Ich wünschte, es wäre Nacht, oder die Preußen kämen", murmelte ich vor mich hin, während ich mit Hilfe der Daina-Schatten eine funktionierende Waffenverteilung aufbaute und Teile der Abwehr an sie übergab. Kydranos war mir dabei in einer Art Leutnantsfunktion eine große Hilfe. Er kannte die anderen Schatten besser und länger als ich und sortierte ihre Aufgaben vor. Arhtur erhob keine Einwände. Das wäre allerdings auch schizophren gewesen, da die Schatten, soweit ich das verstanden hatte, irgendwie ein Teil von Arhtur waren. Und wer protestierte schon gegen die eigenen Aktionen?
"Wer hat das gesagt? Wellington?", fragte Mother neben mir.
Erschrocken fuhr ich zusammen. "Mother, was machst du denn hier?"
"Ich habe mich gefragt, wo du bist. Und Arhtur hat mir dann nach bangen elf Sekunden gestattet, dir zu folgen. Ich finde diese Ebene übrigens sehr interessant. Auch wenn sie mit verfälschten Perspektiven arbeitet. Die meisten Objekte da oben könntest du nicht mal sehen, wenn du ein paar hundert Meter statt zehntausender Kilometer entfernt wärst." Sie zwinkerte mir zu. "Also, von wem ist die Aussage? Von Wellington oder dem Prinz von Oranien?"
"Wellington, in der Schlacht von Belle-Alliance, auch Waterloo-Schlacht genannt", sagte ich.
"Und was wollte er damit ausdrücken?"
Ich lächelte dünn. "Dass er eine Pause oder eine Entlastung haben wollte. Entweder ein Ende der Kämpfe durch die herein brechende Nacht, oder eine Verstärkung in Form der preußischen Armeekorps."
"Nun, mit Verstärkung kannst du hier kaum rechnen, Akira. Und mit der Nacht erst recht nicht. Was also meintest du mit dieser Aussage?"
Ich runzelte die Stirn. Eigentlich waren mir die Worte ganz spontan in den Sinn gekommen. "Nun... Eigentlich nichts Bestimmtes. Vielleicht, dass das Schicksal diesmal zu mir besonders nett sein sollte. Ich meine, die Schatten leisten gute Arbeit, wir haben zusammen schon etwa ein Hundertstel der Brocken vernichtet, die der Flotte gefährlich werden könnten, oder für unseren Schirm zu groß und zu schnell sind. Aber selbst Zeitverzögert stehen wir irgendwann vor der Entscheidung, welche Brocken wir zerschießen und welche wir durchrutschen lassen. Ganz einfach aus dem Grund, dass wir nur eine limitierte Anzahl an Waffensystemen haben, die mit hyperbeschleunigten, supermassereichen Trümmern fertig werden können. Alles was nur darauf ausgelegt ist, einen Banges zu beschießen, schafft nur Winztrümmer, und die dürfen ruhig im Schirm verglühen."
"Multipler Beschuss durch die kleinen Geschütze?", hakte Mother nach.
Über mir rauschte ein Schwarm von über einhundert Raketen dahin, als Ziel war einer der mehrere Meter durchmessenden Brocken markiert, die knapp am Schirm vorbei schrappen würden und die AURORA gefährden konnten, wenn es unglücklich lief. Und was lief an dieser Situation schon glücklich? "Beschränkter Erfolg, weil die Geschütze weit auseinander liegen und koordiniert werden müssen. Wir versuchen es, später, wenn uns der Arsch auf Grundeis geht. Im Moment tarieren sich effektive Geschütze und Ziele."
"Hm", machte sie, "und wenn du in deinem Prime Lightning raus gehst?"
"Damit ich der ADAMAS meine Energie als Reyan Maxus versage?", fragte ich lauter als ich vorgehabt hatte. Ich runzelte die Stirn. "Moment mal, das fällt mir jetzt erst auf. Wo ist diese Energie? Ich meine, die Schirmleistung und die Waffenleistung liegt in vollkommen normalen Parametern."
"Aaaaa-haaaa", machte Mother und grinste mich an.
"Arhtur!" "Ja?"
"Wo ist meine Reyan Maxus-Energie?"
"Ich puffere sie, um sie zur Verstärkung der Schilde verwenden zu können, sobald das notwendig wird. Du hast mir keinen spezifischen Verwendungszweck angegeben, Meister Arogad, deshalb habe ich mich für die sinnvollste Variante entschieden."
"Oh. Und, wird meine Energie etwas bewirken?"
Die Computerstimme schien verlegen zu sein. "Ehrlich gesagt wird sie das, aber weniger als erwartet. Irgend etwas ist anders mit deinem AO, Meister Arogad. Kompatibel, aber... Anders. Ich beobachte das und diskutiere es mit Kydranos und den anderen."
"Anders?", echote ich. "Wie, anders?"
"Könnte ich darauf antworten, hätte ich es schon längst getan, Meister Arogad", sagte der Schiffscomputer mit tadelnder Stimme. "Ich hoffe, daran zweifelst du nicht."
"Okay, mein KI ist anders als das der anderen Maxus. Wie anders?"
"Schwächer. Erheblich schwächer. Und es hat die falsche Signatur. Ich kann sie verwenden, aber... Sie ist halt nicht so ergiebig, wie ich schon sagte. Eine Verbesserung ist sie allemal."
"Schwächer also. Und dabei hätte ich beinahe meine ganze Umgebung aufgelöst", murmelte ich.
"Darin liegt vielleicht die Lösung", erwiderte Arhtur. "Du bist zu schnell zu weit gekommen. Eventuell pendelt sich die Energie auf die gewohnten Werte ein. Bis dahin muss ich mit dem arbeiten, was ich von dir kriege."
"Na, das klingt ja nicht gerade begeistert", sagte ich.

Weit voraus explodierte die Raketensalve und vernichtete einen mittelgroßen Trümmerrest, der ansonsten eine Gefahr für den Schirm gewesen wäre. Es wurde ein nettes Feuerwerk.
"Du bist in der Tat sehr schnell zum Maxus geworden", sagte Mother. "Es war ein wenig so, als hätte es jemand nicht erwarten können, dich auf der nächsten Stufe zu sehen. Oder so als ob er eine Entscheidung herbei zwingen wollte."
"Aha." Spontan fiel mir der alte Knabe aus dem Paradies der Daima und Daina wieder ein, der versucht hatte, mich zu töten indem er mich restlos von meinem Körper getrennt hatte. Eine furchtbare Erfahrung, vor allem weil ich seitdem ein Adler war. Irgendwie. Hatte er also gar nicht versucht mich zu töten? War es anders herum? Zugegeben, ich war verwirrt.
"Später", sagte ich und schob den Themenkomplex komplett von mir fort.

"Ich beginne jetzt mit der Einspeisung deines AO, Meister Arogad. Nur auf die Schirmfelder", informierte mich Arhtur.
Der Schirm war von meiner Position aus gesehen eine große goldene Blase, die um die ADAMAS geformt worden war. Ich konnte sie sehen, von jedem Punkt an der Oberfläche der ADAMAS aus, und das gleichzeitig. Das war, zugegeben, etwas verwirrend. Ach, nicht nur etwas verwirrend, es war merkwürdig, das so zu erleben und zu erkennen, dass man es problemlos verarbeitete.
Übergangslos wurde das Schirmfeld blau. Die Trümmer, die wegen ihrer geringen Größe nicht abgeschossen wurden und deshalb im Schirm landeten, verursachten weitaus geringere Schirmbelastungen als noch Augenblicke zuvor. Es gab eine Minderung von achtunddreißig Prozent.
"Nanu?", meinte Mother. "Arhtur, hast du nicht etwas davon gesagt, dass dieses KI schwächer wäre als das, was du üblicherweise von einem Reyan Maxus bekommst? Ich kann mich irren, aber zwei Fünftel Effizienssteigerung sind doch recht beachtlich. Bei einem Schirmfeld, wie sie die ADAMAS betreibt, zumindest."
"Es könnte durchaus mehr werden", antwortete Arhtur pikiert auf Mothers Einwand.

"Akira." Übergangslos stand der Reyan Maxus Kydranis vor mir. "Das solltest du sehen."
Er deutete nach oben. Ein Schwarm großer Trümmer zischte am Schirm vorbei, weit entfernt von der AURORA, weshalb wir uns nicht die Mühe gemacht hatten, sie zu vernichten. Aber eine diskrete Anzeige wies mich darauf hin, dass wir sie ohnehin nur mit den Steuerbordgeschützen hätten treffen können, weil die Backbordbatterien ausgelastet waren. Ich spielte mit dem Gedanken, sie zu beschießen und sie damit zu verkleinern. Aber dann ließ ich es doch. Ich wollte es sehen. Ich wollte sehen, was die Maxus-Schatten mir prophezeit hatten. Merkwürdigerweise vertraute ich ihnen. Noch, zumindest.
***
Unwillkürlich drückte Sakura die Hand, die sich auf ihre Schulter gelegt hatte. Sie gehörte Tetsuo, und es beruhigte sie ungemein, seine Nähe zu spüren. Für einen winzigen Moment fragte sie sich, ob sie sich in den großen Mann auch verliebt hätte, wenn er immer noch ein verfetteter Rocker in den Straßen von Tokio gewesen wäre, anstatt der muskulöse, ja, athletische Offizier, der das wichtigste Fernraumschiff der Menschheit kommandierte. Die Antwort war ja... Wenn sie jemals die Gelegenheit gehabt hätten, einander kennen zu lernen.
Sie betrachtete die ultraheißen, schnellen Brocken, die am Schirm der ADAMAS vorbei drifteten und binnen eines Gedankens das Wurmloch durchquert hatten. Sie sah die Trümmer in der gegenüberliegenden Wand einschlagen, sah die grelle Verfärbung der Explosionen... Oder was sah sie da?
***
Als das Fernsehen zeigte, wie die Trümmer des zerstörten Strafers in die andere Seite des Wurmlochs einschlugen, überschlug Yoshi schnell ein paar Berechnungen im Kopf, was die Masse der Objekte betraf. Er kam schließlich auf einen Wert, der einem durchschnittlichen Trümmerstück die Newton-Kraft eines zwanzigstel Strafers im Ruhezustand nachwies, zustandegekommen durch eigene Masse und Beschleunigung. Demnach rammte da gerade die gleiche Kilotonnenanzahl das Wurmloch von innen, die zehn unbeschleunigte Strafer ausgemacht hätten. Das war selbst für die Physik eines Wurmlochs etwas viel. Oder nicht?
Als sich helle Blitze über die Wurmlochwand zogen, fragte sich Yoshi wiederholt, was dieses Medium war, das er immer wieder mit einer festen Wand assoziierte. Und ob es ähnliche oder vollkommen fremde Eigenschaften hatte. Verdammt, hätte er in Wurmlochphysik nur besser aufgepasst.
Yohko zuckte kurz zusammen, als ein besonders heftiger Blitz über das Aufschlagsgebiet ging. Er drückte beruhigend ihre Hand, aber sie achtete nicht darauf.
"Bruderherz", flüsterte sie. "Dass darauf niemand gekommen ist... Dabei ist es so naheliegend."
"Was meinst du?", flüsterte Yoshi ihr ins Ohr, sie fest haltend in ihren letzten gemeinsamen Momenten.
Sie deutete nach vorne. "Na, das."
***
Es war ein gewisser Nervenkitzel, der eigenen potentiellen Vernichtung zuzuschauen, gestand sich die Herrin des Cores, als die Aufnahmen auf der Multitafel das drohende Ende des Wurmlochs abbildeten. Sie fragte sich, ob ihr geballtes Wissen aller Daima und Daina im Paradies nicht etwas hätte ausrichten können, etwas verändern können. Sie fragte sich, warum nicht ein einzelner der Paradies-Bewohner, die alle zu ihrer Erschaffung einen Splitter ihrer selbst geopfert hatten - seltsam, dass diese Methode nur Mädchen erschuf - in einer ähnlichen Situation gesteckt, sie überlebt und darüber berichtet hatte. Andererseits waren seit dem ersten Auftauchen des eindringenden Wurmlochs und dem Einschlag auf der anderen Seite gerade einmal dreieinhalb Minuten vergangen. Etwas spät für sie, um in ihrem Wissen zu kramen und eine Lösung zu finden.
Und das, obwohl sie die Lösung längst hatte, eine beruhigende, einlullende Stimme, die ihr einredete, dass der Reyan Maxus vollkommen richtig handelte, und dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte. Jedenfalls nicht vor den Trümmern, die vor ihren Augen in die andere Seite des Wurmlochs einschlugen.
"NATÜRLICH!", rief sie aufgeregt und sprang auf.
Sensei Kurosawa sah sie mit fragend hochgezogener Augenbraue an.
"Es ist doch so einfach!", rief Chausiku aufgeregt. "Bei kollidierenden Wurmlöchern gibt es nur eine natürliche Lösung, und die sehen wir gerade hier! Sie entstehen ja erst dadurch, dass man von einer Schwerkraftsenke eine andere anzapft, quasi die Raumzeit näher zu sich heranholt!"
"Und?", fragte ihre Lehrerin.
"Und deshalb geschieht das!", rief sie und deutete wieder auf die Tafel. Aufgeregtes Raunen klang im Klassenraum auf. Es geschah.
***
Ich gebe zu, ich war beeindruckt. Nein, das traf es nicht. Ich war schwer beeindruckt. Und erschrocken. Zu Tode. Und unzufrieden. Ein wenig beleidigt, kam da noch zu. Zornig? Nein. Auf jeden Fall beeindruckt.
"Irgendwie ist das ja logisch", murmelte ich mehr zu mir selbst, während mir die Ebene detailliert zeigte, was mit den Trümmern geschah, die auf der anderen Seite des Wurmlochs gerade einschlugen. Na ja, einschlugen, was für ein falsches Wort. Die richtige Definition war "weiterflogen". Genau das taten sie - in dem Wurmloch, das sich gerade öffnete. Der anderen Hälfte des Wurmlochs, das unseres perforiert hatte.
"Ja, das ist es", sagte Mother und schauderte. "Wir springen von Sonne zu Sonne, indem wir die Schwerkraftsenken verbinden, eine Abkürzung durch Raum und Zeit schaffen. Als der Strafer vor seiner Zerstörung versuchte, unser Wurmloch zu treffen, muss er eine andere Raumzeitsenke anvisiert haben. Das Wurmloch konnte gar nicht entstehen, ohne diese zweite Raumzeitsenke, ohne das Wurmloch. Ich nehme an, es bildete sich verzögert, weil unser Wurmloch durch die mitgebrachte Raumzeit selbst als kleine Senke fungiert hat. Und nun ist endlich die andere Hälfte hinzu gekommen. Die Trümmer, die nicht die ADAMAS oder die AURORA treffen werden, fliegen einfach weiter bis in ihr Zielgebiet." Mother lachte leise. "Die Götter müssen verrückt sein, wenn sie gehofft haben, unser Wurmloch angreifen zu können, um die AURORA mit den Trümmern des Strafers zu treffen. Also, da ist Lotto aber wesentlich effektiver und mit höheren Chancen."
Ich lachte rau. Denn Mother vergaß dabei offensichtlich, dass die AURORA ohne den Schutz durch die ADAMAS wenn nicht schon zerstört, so doch wenigstens beschädigt war. So schlecht konnten die Computer der Götter also doch nicht zielen. Ich fragte mich nur, wie sie uns angepeilt hatten? Oder war es wirklich ein Schuss ins Blaue gewesen, rein aus Risiko? Dafür sprach unter anderem der suizide Angriff auf den Kaiserpalast auf Iotan, der die Götter etliche Strafer gekostet hatte.
Darüber würde ich nachdenken müssen. Darüber würde ich mit meinen Vertrauten sprechen müssen. Natürlich per Funk, leider nicht persönlich.
Ich blickte wieder nach oben. Wir hatten das Wurmloch beinahe passiert. Die Flotte meldete Schäden an der AURORA und den Begleitschiffen, aber nichts, was schwerwiegend gewesen wäre. Dennoch, jedes Trümmerstück, das an mir vorbei gekommen war, war selbst als Staubkorn eine kleine Bombe gewesen. Aber wir waren durch, und ich konnte den Rest der Trümmer seinen Weg durch das Wurmloch nehmen lassen. Erleichtert atmete ich aus.
"Was jetzt, Arhtur?"
"Du wirst jetzt einige Zeit auf dieser Ebene ruhen müssen, Meister Arogad. Dein Körper wurde überanstrengt. Ich habe ihn für acht Stunden in Heilschlaf versetzt und versorge ihn mit Flüssigkeit und Nahrung."
"Sehr fürsorglich", sagte ich unbehaglich. Ich hatte nichts gegen diese Ebene. Ich mochte es nur nicht, keine Kontrolle über meinen eigenen Körper zu haben. Für andere mochte das lächerlich klingen, aber was wenn das Biest aufstand, die Kapsel verließ und mich im Stich ließ? Ausgerechnet bei mir war das zumindest möglich. Und das irritierte mich.
"Können wir auf das normale Zeitniveau zurückkehren?"
"Natürlich, Meister Arogad."
Übergangslos wurden die gemächlich dahin ziehenden Trümmer beschleunigt und schossen als kuriose Feuerbälle über die ADAMAS hinweg, auf ihrem Weg in ihr anvisiertes Sonnensystem. Ein farbenfroher Anblick.
"Sieht nett aus", kommentierte Mother.
"Meister Arogad, ich empfange zahlreiche Anrufe von der AURORA und der Flotte", sagte Arhtur. "Es sind ausschließlich Gratulationen zur Rettung der Expedition. Zuoberst natürlich Admiral Ino und Admiral Takahara."
Ich unterdrückte ein leises Lachen. "Nach der Pflicht kommt die Kür, hm? Erschaff mir ein Terminal. Ich schätze, ich habe acht Stunden Zeit, um sie alle zu beantworten."
"Sofort, Meister Arogad."
Vor mir entstand das virtuelle Terminal, und ich nahm die Gratulation von Sakura entgegen.
Um mich herum sammelten sich die Reyan-Schatten. Ich hörte sie über mich reden, und es erfüllte mich mit Stolz, als ich hörte, was sie über mich sagten, und wie sie mich lobten.
"Hallo, Cousinchen", begann ich, "alles in Ordnung bei euch?"


Epilog:
Acht Stunden und gefühlte zwei Millionen Anrufe später war meine Ruhephase beendet. Ich wurde aus dem Tank entlassen - und mir brummte heftig der Schädel. So fühlte es sich also an, wenn einem Reyan Maxus das KI entzogen wurde. Viel KI. Bis zur Erschöpfung. "Autsch."
Eine Hand griff nach meiner Rechten und half mir, mich von der Liege zu erheben. "Kopfschmerzen? Ich kann dir was dagegen geben."
"Danke, aber ich lehne Medikamente ab, seit diesem Teufelszeug, das mein KI durcheinander gebracht hat, Megumi. Du weißt schon, damals im Kanto-System." Mein Kopf ruckte hoch. "Megumi?"
Sie lächelte mich an, und das auf eine Weise, die mir durch Mark und Bein ging.
Ich begriff. Solange ich erschöpft war, konnte sie sich auf der ADAMAS aufhalten, ohne dass ich sie gefährdete. Erleichtert zog ich sie in die Arme. "Oh, das fühlt sich gut an."
Jemand räusperte sich hinter mir. Es war Yoshi. "Falls das ausufert, solltest du in deine Kapitänskajüte gehen, Akira. Es gibt Dinge, die muss ich in meinem Leben nicht unbedingt sehen."
"Yoshi! Ihr könnt nicht lange bleiben. Ich weiß nicht, wann ich wieder anfange KI zu fressen. Ich..."
"Akira!", krähte Laysan, schoss heran und umschloss meine Arme. "Ich finde es gut, dass du nicht mehr im doofen Tank stecken musst! Weißt du, Yoshi hat mir einen neuen Trick gezeigt, und ich bin richtig gut darin! Deshalb durfte ich auch mitkommen, mit den anderen..."
Erstaunt sah ich den Siebenjährigen an, während ich seinen Kopf tätschelte. Dabei schwang natürlich die Angst, dass ich ihn mit meiner Fähigkeit verletzen würde, mit. "Die anderen?"
Ich sah ins Rund. Und erschrak. Kenji, Emi, Hina, Doitsu, Sarah, Daisuke, Yohko, Michi und Akari... Maros Jorr, Joan und Makoto, Sora und Franlin, sie waren hier! Und sie waren nicht allein! Ich erkannte weitere bekannte Gesichter. Viele bekannte Gesichter.
"Ami lässt sich entschuldigen. Sie kommt nach, sobald sie Kei den KI-Trick beigebracht hat, den wir alle gerade anwenden", erklärte Megumi und löste sich aus meinen Armen.
Stramm salutierte sie vor mir. "Die Hekatoncheiren, das Blue Lightning-Regiment und das Otome-Bataillon melden sich zusammen mit der Notbesatzung der ADAMAS fast geschlossen an Bord, Commander Otomo! Ihre Befehle?"
"Meine... Befehle? Aber was... Wie...?"
"Mann, hast du eine lange Leitung!", rief Takashi und klopfte mir kräftig auf die Schulter. "Du absorbierst freies KI und gibst es dann unkontrolliert an deine Umgebung weiter! Futabe-sensei hat uns allen nun ein sehr einfaches Verfahren beigebracht, mit dem wir den unkontrollierten KI-Abfluss verhindern. Wir setzen ihn so um, dass du damit nichts anfangen kannst. Sind das nicht tolle Nachrichten? Deshalb haben wir die ADAMAS bemannen können, bis du entweder dein neues Talent im Griff hast, oder deine Pressoren so weit sind!"
"Du hast das auch gelernt?", fragte ich ungläubig.
Takashi lachte rau. "Wenn sogar Laysan das lernt, denkst du nicht, ich kriege das auch hin? Himmel, wie lange bin ich schon mit dabei?"
"Ein gefühltes Jahrzehnt", antwortete ich gebannt von Stolz und Rührung.
Plötzlich durchfuhr mich ein Gedanke. "Das Blue Lightning-Regiment ist auch an Bord? Na, dann wird es ja Zeit für eine ernsthafte Inspektion, Herrschaften! Zufällig habe ich gerade Tonnenweise Zeit."
"Mist", murmelte meine Fioran-Cousine Sora, "ich hatte gehofft, den Part hätte er nicht mitbekommen."
"Eine etwas vage Hoffnung bei Aris Arogad", sagte mein Chefsekretär und klopfte der Naguad tröstend auf die Schulter. Dann folgten sie mir.
"Also, wo finde ich diese Bande?", rief ich gutgelaunt. Die ADAMAS war schließlich groß. Und mächtig. Und jetzt, mit einem Reyan Maxus an Bord, noch ein wenig mächtiger. Und wir würden eine Menge Kampfkraft brauchen, dessen war ich mir sicher.

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Ace Kaiser,
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Anime Evolution: Krieg
Episode zwölf: Flucht und Verderben


Prolog:
"Wenn ich mich an etwas erinnere, etwas spezifisches, während der Verband rund um das Kommandoschiff ADAMAS unter Kydranos in Richtung Galaktisches Zentrum aufbrach, um die Randgebiete der menschlich erforschten Sphäre zu erreichen, dann ist das dieses Gefühl... Dieses tiefsitzende, nicht abzustreifende Gefühl der Sinnlosigkeit, dieser Gedanke, dass egal, was man auch tat, es sinnlos und folgenlos bleiben würde. Es gibt kaum etwas Schlimmeres, was man sich selbst antun kann, ich weiß. Aber vielleicht ahnte ich da schon, dass unser Einsatz zu spät kam, dass unsere Heimatwelt, dass Atlantis so gut wie verloren war. Dass es Atlantis in einer Daimon noch heute gibt, ist eine Entwicklung, so phantastisch, so wunderbar, dass ich es kaum zu begreifen vermag. Ich war mir so sicher, so verdammt sicher, dass der Sturm, der über mich hinweg gezogen war, auch alle anderen davonwirbeln wollte. So sehr sicher, dass ich mich heute für diesen Gedanken zutiefst schäme. Aber wer weiß, was ich weiß, wer erlebt hat, was ich erlebt habe, wäre unweigerlich zu den gleichen Schlüssen gekommen. Und nur ein ausgesprochener Optimist wie Akira Otomo hätte das Übermenschliche leisten können, das Über-Dai-liche, das selbst meine persönliche Leistung und die eines Kydranos übertroffen hätte, um die gesamte Kultur der Daima und Daina zu erretten, während diese noch immer eifrig bemüht war, selbige Kultur auch selbst auszulöschen. Nun, teilweise ist es ihnen gelungen, und es gibt immer noch Daima und Daina in dieser Galaxis.
Aber wenn mich meine Erfahrungen etwas lehren, wenn sie mir etwas vermitteln, dann, dass die Kinder der Götter nicht aufgegeben haben, uns zu vernichten, sondern dass sie nur eine Pause machen. Eine Pause, die fünfzigtausend Jahre andauert und die nun jeden Moment vorbei gehen kann, denn es gibt wieder einen Reyan Maxus in der Galaxis. Dazu vielleicht den stärksten Reyan Maxus, den es je gegeben hat. Die Kinder der Götter wissen das. Und sie werden reagieren. Es wird uns nicht gefallen."
(Latiss Jomdral, Dai, vergeistigt, Bewohner des Paradies der Daima und Daina, ehemaliger Suppressor von Kydranos, Kommandant der ADAMAS, während seines Berichts zu seinen Erlebnissen vor fünfzigtausend Jahren)


1.
"Row, row, row your boat...", flötete Kitsune fröhlich vor sich hin, während sie - wieder einmal - ihre Ausrüstung überprüfte.
Lertaka der Wind beobachtete sie dabei mit Wohlwollen. Die wenigen Wochen, die sie nun zusammenwaren, hatte er die Tiergöttin mehr als zu schätzen gelernt. Ihre Fähigkeiten im Kampf, ihre taktischen Kenntnisse, ihre große Erfahrung machte sie zum natürlich Anführer ihrer kleinen Gruppe aus sechs Dais aus sechs Dai-Nationen, die gemeinsam um ihr Überleben kämpften. Und heute, das wusste Lertaka, würden sie den Kindern der Götter nicht nur einen empfindlichen Schlag verpassen, den sie einfach spüren mussten, nein, sie würden den Beginn ihrer Niederlage einläuten. Ein für allemal. Und diese Fuchsgöttin hatte all das aus dem Stegreif heraus arrangiert.
"Rooo was?", fragte er amüsiert.
Sie sah auf und lächelte. "Ach, das ist nur ein englisches Lied. Es besteht aus drei Strophen und wird im Kanon gesungen. Ich glaube, du nennst es Syrphill. Willst du es lernen?"
"Ich bin mir nicht so sicher..."
"Ach komm. Meinst du, weil wir gleich zu unserem zweiten Versuch ansetzen und nebenbei auch noch über vierzigtausend Nagalev zu retten haben, hast du keine Zeit mehr, um ein altes terranisches Lied zu lernen?", tadelte sie ihn.
"Hm, ja, das fasst meine Gedanken sehr gut zusammen, Dai-Kitsune-sama. Allerdings kommt da noch hinzu, dass du etwas von drei Strophen gesagt hast. Für einen Syrphill brauchen wir also noch einen dritten Mann."
"Genau wie beim Skat", murmelte Kitsune.
"Genau wie beim was?"
"Ach, ein altes nordeuropäisches Spiel, das ich gerne in Deutschland gespielt habe. Nur so ein Gedanke, der nichts mit unserer Situation zu tun hat. Soll ich es dir beibringen?"
"Willst du unsere Kriegsanstrengungen sabotieren, indem du den Dai ausschaltest, der den hoffentlich erfolgreichen Schlag gegen die Vernichter führen wird?", murrte Lertaka. "Bring es mir hinterher bei." Der große Dai winkte einer jungen Frau zu, die, mit einem elektronischen Notizblock bewaffnet, durch die Reihen jener wuselte, die sich gerade für die Dinge, die da kommen sollten, bewaffneten. Über ein Drittel von ihnen waren aufgeweckte Kryostaten, gehörten aber zu den besten Soldaten und Raumfahrern, über die die Werftkolonisten der Nagalev verfügten. Sie gehörten zu jenen, die während der ersten zwölf Stunden geweckt worden waren. Grimmige Entschlossenheit, ihre Leben und ihre Familien zu retten, ging von ihnen aus. Es gab keine Vorbereitung, keine Übungen, nur eine knappe Einweisung in die Situation, und dennoch wusste jeder, dass ihnen keine andere Wahl blieb, als den Dai zu vertrauen und ihnen für das eigene Wohl zu helfen, so gut sie konnten. Belta gehörte zu denen, die informierten, erklärten und Wissen vermittelten, so gut sie es vermochte und so oft die Kryostaten danach fragten.
Als der Dai nach ihr winkte, kam sie lächelnd näher. "Was gibt es denn, Wind-Junge?", fragte sie augenzwinkernd.
Lertaka lachte, als sie seine Funktion als Dai des Windes auf die Schippe nahm. "Wir haben hier ein kleines Problem. Dai-Kitsune-sama möchte mir gerne ein dreistrophiges Lied von Lemur -" "Terra!" "- Terra beibringen, das drei Sänger benötigt, wobei der zweite Sänger mit der ersten Strophe beginnt, während der erste Sänger Strophe zwei beginnt, und Sänger drei Strophe eins anfängt, sobald Sänger eins Strophe drei singt."
"Ah", sagte die junge Frau strahlend, "ein Oanon."
"Was? Wie auch immer. Wir sind jedenfalls eine Person zu wenig. Und du hast so eine schöne Sprechstimme, da dachte ich mir, du willst bestimmt unsere Nummer drei sein."
"Für einen guten Oanon bin ich immer zu haben", sagte sie strahlend. "Wie geht denn das Lied?"
Hinter ihnen stockten etliche Nagalev bei ihren Vorbereitungen. Einige kamen interessiert näher. Unterhaltung hatte bei ihnen einen großen, sehr großen Stellenwert, wenn man die eigentliche Aussichtslosigkeit ihrer Situation betrachtete. Spaß zu haben war für sie ein Pflichtgefühl, eine Doktrin geworden, die sie eifrigst befolgten.
"Äh, das Lied ist englisch. Du wirst die Laute nachahmen müssen, ohne sie zu verstehen."
"Geht es um sexuelle Inhalte oder sexuelle Symbolik?"
"Nur im allererweitertsten Sinne", wiegelte Kitsune ab.
"Macht es dann wenigstens Spaß?", fragte Belta mit entwaffnender Offenheit.
"Das hängt von den Sängern ab", konterte Kitsune, die sich beim Thema Sex jedenfalls nicht die Butter vom Brot nehmen lassen würde.
"Also gut. Ich bin dabei. Wie geht das Lied denn?"
"Also, die erste Strophe geht so: Row, row, row your Boat... Es beschreibt jemanden, der in einem Fahrzeug auf einem Gewässer fährt und mit einem Ruder Fahrt aufnimmt und steuert."
"Registriert." Auch Lertaka nickte zustimmend.
"Dann kommt: Merrily, merrily, merrily, merrily. Das heißt soviel wie: Glücklicherweise."
"Macht jetzt nicht so viel Sinn", wandte Belta mit skeptischem Blick ein.
"Na, dann warte den Rest mal ab", orakelte Kitsune. "Der geht nämlich so: Live ist but a dream. Das bedeutet: Leben ist aber ein Traum."
"Ah, ein religiöser Text also. Man ist auf dem Fluss des Lebens, fährt ihn hinab, aber glücklicherweise ist es nur die Vorbereitung auf die Welt jenseits des Traums", sagte Belta mit fachmännischer Miene.
"Oder es ist einfach nur ein dämliches Lied", warf Lertaka ein.
"Oder das", bestätigte die Nagalev nickend.
Kitsune kicherte leise. "Ihr schafft mich, Leute."
"Ist bestimmt eine neue Erfahrung für dich, was?", neckte Lertaka.
"Ein klein wenig", gestand die Fuchsgöttin.
"Wo wir schon mal dabei sind, bist du sicher, dass drei reichen?", fragte Belta. "Mir kommt es nämlich von der Phonetik so vor, als würde deine erste Strophe eigentlich aus zweien bestehen. Und dann brauchen wir noch einen vierten Sänger."
Kitsune errötete. "Gut, gut, vielleicht sind es sogar vier Strophen, aber Zuhause haben wir das immer zu dritt gesungen. Vielleicht klappt es zu viert sogar besser, aber wenn wir drei schon mal beisammen sind..."
"Schon gut. Ich wollte deinen Enthusiasmus nicht mit Logik auskontern. Und da wir in zwölf Stunden in einen Einsatz gehen, der über das Leben und das Sterben aller Nagalev entscheidet, können wir zwölfe auch mal gerade sein lassen."
"Schön, dass du es so siehst, Belta, Liebes", sagte das Fuchsmädchen. "Aber du weißt schon, zwölf ist immer gerade, oder?"
"Ach, du hast es gemerkt", erwiderte die Nagalev grinsend.
"Wollen wir nun singen, oder was?", beschwerte sich Lertaka.
"Ich fang an!", rief Kitsune. "Row, row, row your boat..."
Dabei hatten sie, der Dai und die Nagalev so viele Zuhörer, dass sich das Lied wie ein Lauffeuer verbreitete. Vielen nahm es die Nervosität vor der beginnenden Attacke und das hatte Kitsune so vielleicht geplant. ...Oder auch nicht.
***
Rickar und Antrar betrachteten das Gebilde, das Kitsune einen "Bio-Computer" genannt hatte. Fast zweitausend Freiwillige hatten sich eingefunden und in einer virtuellen Welt vernetzt, während der integrierte Zentralrechner, der normalerweise für den Erhalt der virtuellen Welt diente, ihre Gehirne als Rechenoperatoren zwangsverwendete. Das Ergebnis war der leistungsstärkste Computer in diesem Teil der Galaxis. Zudem spiegelte die virtuelle Welt die aktuelle Situation wieder und erlaubte den Operatoren, ihre Rechenoperationen anzupassen. Es gab einen Anführer, der ihre Anstrengungen zusammenfasste und koordinierte, aber kleinere Probleme zu lösen oblag der Pflicht einzelner Operatoren. Dafür, dass sie dieses... "Ding" aus dem Nichts erschaffen hatten, war es jedenfalls recht beeindruckend. Dazu kam, dass der hiesige Werftrechner wohl nicht wirklich mit einem Angriff von innen rechnete. Also würde ihnen ihre Unerprobtheit, ihre Unerfahrenheit und die nicht vorhandene Koordinierung nicht zum Fallstrick werden - hoffentlich. Allerdings war die Aufgabe, die es zu bewältigen galt, auch nicht so komplex. Bedeutend, ja, aber nicht komplex. Am Ende der Operation würde jedenfalls die Vernichtung der Werft, der meisten Schiffe und des künstlichen Mondes stehen, während die Kultur der Nagalev mit jedem einzelnen ihrer Angehörigen in die Freiheit entkam - wenn nichts unvorhergesehenes geschah. Und dass nichts Unvorhergesehenes geschah - beziehungsweise, dass das Unvorhergesehene das Endergebnis nicht merklich stören konnte - war Aufgabe der Dai. Unter anderem von Antrar von den Tiefen und Rickar dem Taucher. Und es war Aufgabe der zweitausend schlecht koordinierten, nicht ausgebildeten, unvorbereiteten aber freiwilligen Nagalev, die in diesen Tanks hockten und ihren Teil dazu beitragen wollten, damit ihr Volk fliehen konnte. Und dies würden sie tun, noch während ihre Tanks mit ihnen an Bord inmitten der Rechenoperationen verladen wurden. Ein Umstand, der die Dinge so sehr verkomplizierte, dass man sich nicht unbedingt die Frage stellte, ob das ambitionierte und schlecht vorbereitete Machwerk Kitsunes scheiterte. Die richtige Frage lautete: Wann.
Oder anders ausgedrückt: Die Mission des Supercomputers musste scheitern, früher oder später. Doch je länger sie funktionierte, desto besser für die Rettung von über vierzigtausend Nagalev. Jeder der fünf Dais, die sich nach einem interstellaren Komplott hier eingefunden hatten, um diese Werft zu vernichten, stimmten mit Kitsune überein, dass die Rettung dieser Daima oder Daina Priorität hatte, und zwar knapp vor der Vernichtung der Werft, einer der wichtigsten Machtbasen der Kinder der Götter.

"Was denkst du?", fragte Antrar mit leiser Stimme. "Wird es gelingen?"
Rickar straffte sich merklich. "Was meinst du? Den Hauptcomputer auszuschalten, ein Dutzend Vernichter der Götter kapern, mit den vierzigtausend Nagalev zu befüllen, die teilweise gerade erst aufwachen und vollkommen desorientiert sind und dennoch ihre Heimat verlassen müssen, nur um anschließend noch eine ganze Werft zu vernichten? Klar klappt das alles. Denk doch nur daran, wer uns diesen Plan unterbreitet hat. Keine andere als Dai-Kitsune-sama. Und wie sie stets zu sagen pflegt, sie ist die Heldin ihrer eigenen Geschichte. Und die neigen eher nicht dazu, zu sterben."
"Uh", machte Antrar unbehaglich. "Es trifft ohnehin meistens die Nebencharaktere, richtig? Schätze, dann ist einer von uns beiden dran. Es mag ja sein, dass das Robotgehirn des Werftkerns nicht mit der Anwesenheit von Menschen rechnet und sich vollkommen darauf verlässt, dass er das Zentrum mit für Menschen tödlichen Dosen an Gamma-Strahlung flutet. Und mag ja sein, dass wir alle Strafer der Götter geentert haben, aber die Vernichter werden nicht ganz so verblödete Künstliche Intelligenzen ihr eigen nennen. Beim Versuch, sie zu entern, wird wohl einer von uns sterben müssen, Rickar."
"Rede du nur. Ich bin auch der Hauptprotagonist meiner eigenen Geschichte", sagte der Dai grinsend. "Außerdem, was soll schon schief gehen? Kitsune und Lertaka suchen das Zentrum auf und schalten den Hauptcomputer mit Neuroschockern aus, zugleich übernimmt der Supercomputer hier vor uns die Steuerung der gesamten Werft und ruft zwölf Vernichter ins Zentrum und legt sie still. Wir brauchen die dann nur noch zu entern, ihre Künstliche Intelligenzen zu beseitigen und durch Elemente dieses Supercomputers zu ersetzen, die Schiffe mit allem vollladen, was wir von diesem Ort mitnehmen können, inklusive der kompletten Bevölkerung und Nahrung für ein halbes Jahr, und schwups, sind wir wieder draußen und auf dem Weg in die Freiheit. Und die Kinder der Götter sind einem Drittel aller Möglichkeiten beraubt, die sie zur Wartung ihrer ultragefährlichen Kampfschiffe haben."
"Zugegeben", murmelte die Dai. "Ich kann nur nicht ganz glauben, dass das alles ohne Verluste passieren wird. Für unseren sechsköpfigen Vorstoß haben wir mit Toten gerechnet, erinnerst du dich?"
Rickar schüttelte leicht den Kopf. "Wir haben damit gerechnet, dass einige von uns es nach der Vernichtung des Zentralgehirns und der Manipulation der Reaktoren nicht mehr rechtzeitig schaffen und voraussichtlich sterben werden. Nun aber haben wir die Unterstützung eines Supercomputers. Er wird nicht nur Kitsune und Lertaka abschirmen, während sie ins Zentrum stoßen, wo die Überwachungsfunktionen sicher schärfer als hier in den Randbereichen sind, er wird auch das System stabil halten, bis wir weit genug weg sind. Und er wird allen anderen Schiffen Passivität befehlen, sodass wir hier wirklich, wirklich heile wieder rauskommen. Hoffentlich."
"Was ist mit den anderen beiden Basen? Macht es nicht Sinn, herauszufinden, wo sie sich befinden? Oder vertraut Ihr darauf, dass die hiesigen Daima ihre Positionen noch kennen? Falls die Götter sie nicht verlegt haben? Gut, gut, nicht gerade von System zu System, dafür sind die Dinger einfach zu groß. Aber innerhalb eines Sonnensystems sollte das binnen fünfzigtausend Jahren doch durchaus möglich sein."
Die beiden Dai wandten sich um, als sie die fremde, melodische Männerstimme hörten. Entgeistert starrten sie den Dai an, der sie angesprochen hatte. Er war groß, dunkelhäutig und hatte weißblondes Haar. Als Dai war er sehr leicht zu erkennen, sein KI strahlte hell wie die Morgensonne zu ihnen herüber. Er machte sich nicht mal die Mühe, sich abzuschirmen.
Der Dai lachte kurz und abgehackt über diese Reaktion. "Entschuldigt, ich hätte mich nicht anschleichen dürfen. Aber dank Dai-Kitsune-sama war es relativ leicht, hierher zu finden. Die Roboter sind vielleicht ignorant gegenüber uns Organischen, aber ich bin es nicht. Das riesige Gemälde an diesem Strafer, der euch als Basis gedient hat, war ein wichtiger Hinweis für mich. Als ich dann zur Werft selbst kam, war mir Radio Kitsune eine sehr große Hilfe, um einerseits die Werft nicht im Alleingang zu vernichten und andererseits diesen Ort zu finden." Er streckte beide Hände vor, die Handflächen nach außen gehalten. "Ich bin unbewaffnet und komme in Frieden, wollte ich noch sagen."
"Nummer sieben?", fragte Rickar erstaunt. "Wir haben nicht mehr mit einem weiteren Dai gerechnet, wenn ich ehrlich bin."
"Nein, das haben wir nicht", sagte Antrar mit Unglauben im Blick. "Nicht, das wir nicht wussten, dass insgesamt zwölf Dai ausgesandt worden waren, aber... Es ist doch erstaunlich."
"Aber dass ich ein Dai bin, der den gleichen Auftrag hat wie Ihr, daran besteht hoffentlich kein Zweifel", sagte der Fremde, für den Augenblick argwöhnisch.
"Wir werden sehen. Dein Name?"
"Kyrdantas von Elote, Sohn von Kyrdanos."
Rickar nickte bestätigend. "Es stimmt. Kyrdanos wollte seinen Sohn schicken. Und zwar seinen ältesten Sohn."
"Dann hat er was falsch gemacht", sagte Kyrdantas grinsend. "Ich bin der Jüngste."
Rickar grinste nun breit. "Test bestanden, junger Dai. Und, willkommen im Team."
"Was? So einfach geht das? Es gibt keine weiterführenden Tests? Keine Untersuchungen? Keine peinliche Befragung oder so?" Diese Worte hatte nicht Kyrdantas gesprochen, sondern Antrar.
"Antrar...", sagte Rickar mahnend. "Erstens ist es unwahrscheinlich, dass ein Dai jemals Agent der Götter werden sollte. Richtig? Zweitens kann ein Agent der Götter unmöglich wissen, wo wir sind, wer wir sind, was wir sind. Und drittens, wenn er wirklich ein Agent der Götter wäre, was würde es für einen Sinn machen, ihn das Gebiet der Nagalev infiltrieren zu lassen, wenn es doch soviel einfacher ist, den ganzen Teilbereich zusammenzuschießen?"
"Ich würde es so machen", versicherte Kyrdantas aufrichtig. "Aber ich kann verstehen, wenn Ihr misstrauisch seid. Ich würde es wahrscheinlich sein."
"Braucht Ihr aber nicht", sagte Kitsune, während sie, in Begleitung von Belta, näher trat. "Er hat sich, als er angekommen ist, ordentlich bei den Nagalev angemeldet. Die waren nicht schlecht überrascht und haben ihn gleich an Oren überstellt. Der ist sofort zu mir gekommen. Ich habe ihn dann ausgiebig getestet und bin zu dem Schluss gekommen, dass er nicht nur ein Dai ist, sondern es auch ehrlich meint."
"Ah, ja. Und wann wolltest du uns das sagen, Dai-Kitsune-sama?", fragte Antrar spöttisch.
"Was denn? Habe ich ihn zu euch geschickt, oder habe ich das nicht?", erwiderte Kitsune mit unschuldigem Augenaufschlag. "Ich meine, dass wir jetzt sieben Dais sind, das muss ich doch nicht gleich über die Werftlautsprecher verkünden, oder?"
"Das ist Kitsune-Logik", murrte Rickar. "Und wie, Dai-Kitsune-sama, hast du herausgefunden, dass unser neuer bester Freund voll der lauteren Absichten ist?"
Unwillkürlich berührte sich Kyrdantas an den Lippen, während Kitsune breit grinste. "Ich habe ihn geküsst. Nichts ist ehrlicher. In einem Kuss ist niemals Lüge. Macht meine Chefin auch immer, mit durchschlagendem Erfolg."
"Aha. Du hast also einen vollen KI-Scan mittels des Körperkontakts des Kusses durchgeführt", sagte Antrar.
"Auch. Aber der Kuss an sich ist wichtiger. Denn Lippen lügen noch weniger, nicht, Kyrdantas?"
"I-ich möchte da nicht drüber reden", sagte der Dai mit rotem Gesicht.
"Das ist ja niedlich. Er wird rot wie eine Livva. Dass ich so etwas noch erleben darf... Wie alt bist du denn, mein Kleiner?", neckte Antrar.
"N-neunzehn Standardjahre."
"Und dann schickt dich dein alter Herr auf so eine Mission?" Rickar schüttelte ungläubig den Kopf. "Du bist ja noch nicht trocken hinter den Ohren, hast noch so viel zu erleben. Und dann sowas. Sieh mich an, ich bin wenigstens schon dreitausend Standardjahre alt. Ich habe das Meiste schon erlebt, was ich erleben kann. Aber du..."
"Ich bin einfach nur der Beste für den Job, der vor mir liegt", entgegnete Kyrdantas. "Und ich lasse mir die Gelegenheit nicht nehmen. Vor allem nicht, wenn ansonsten Schlechtere meinen Platz einnehmen würden, was die Gefahr des Scheiterns erhöhen würde."
"Seht Ihr, was ich meine? Ist er nicht wunderbar in seiner Hingabe?" Kitsune griente die anderen an. "Übrigens, Kyrdantas, es gibt da jemanden, den ich dir dringend vorstellen muss, sobald wir hier wieder raus sind. Du wirst ihn mögen."
"Akira Otomo", sagten Antrar und Rickar zugleich.
"Ach, habe ich ihn schon erwähnt?", fragte Kitsune gespielt verwundert.
"In den letzten zehn Minuten nicht, glaube ich", entgegnete Rickar ironisch. "Und je öfter du es tust, desto interessierter bin ich an deinem Akira Otomo."
"Oh, das darfst du ruhig. Deine Neugierde wird zufriedengestellt werden, versprochen", orakelte die Fuchsdämonin.
"Wehe, wenn nicht", sagte Antrar gespielt ernst.
Die vier Dai und die Nagalev lachten.
Übergangslos wurde Kitsune ernst. "Bei meinem Scan habe ich festgestellt, dass Kyrdantas uns beim Angriff auf den Zentralcomputer helfen kann. Kriegt er deinen Neuroschocker, Antrar?"
Mit einem Seufzer trennte sich die Dai von ihrer Waffe. "Wiedersehen macht Freude, junger Dai. Nichts mache ich lieber, als nach dem Ende der Mission diese fiesen kleinen Teufeleien wieder wegzusperren. Hoffentlich wieder für fünfzigtausend Jahre."
"Ein echter Neuronenröster", sagte der junge Dai andächtig, als er die Waffe entgegennahm. Professionell überprüfte er Zustand, Energieladung des Magazins, und Funktionsweise, bevor er die Waffe sicherte und in seinen Gürtel steckte. "Ich werde gut drauf aufpassen und sie dir wohlbehalten wiederbringen."
"Grundsätzlich bin ich nicht dagegen, wenn sie mit dieser Werft in unzählige Atome gesprengt wird", sagte die Dai, die Kitsune so ähnlich sah, bedächtig. "Aber da ich zurückkehren werde, wird mein Herr wohl verlangen, dass ich genauso viele Neurowaffen wieder mitbringe, wie ich aus der Waffenkammer erhalten habe. Und wenn ich dann nicht eine sehr gute Ausrede parat habe..." Sie zuckte mit den Schultern. "Ich nehme dich beim Wort, junger Dai."
"Also gut", sagte Kitsune schließlich, "vier Stunden vor Operationsbeginn. Fahrt den Supercomputer hoch."
Belta nickte ihr zu. "Fahrt den Supercomputer hoch!", rief sie den Ingenieuren und Computerspezialisten zu.
Daraufhin ging ein leises Brummen durch die Halle, als alle zweitausend Biotanks zugleich zu arbeiten begannen.
"Okay, das Netzwerk steht!", meldete einer der Computertechniker. "Wir beginnen die Infiltration des Werftcomputers!"
"Ab hier gibt es kein zurück mehr", stellte Kitsune beinahe tonlos fest. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Das bedeutete im Umkehrschluss auch, dass ihre Rückkehr zu Akira bevorstand...


2.
"Sir, wenn wir nur ein paar Anpassungen vornehmen, dann..."
"Nein!"
"Sir, aber ich habe alles durchgerechnet! Mit den Ressourcen, die die Erde jetzt gerade ihr eigen nennt, mit Unterstützung der Werften und vor allem mit dem Know How, das uns gerade erst von Iovar und Naguad zugeflossen ist, können wir sie bauen!"
"Nein, habe ich gesagt!"
"Aber Sir, wir werden sie vielleicht noch sehr dringend brauchen! Wir werden uns nicht immer auf Akira Otomo verlassen können! Ich meine, Grund der ganzen Expedition war es doch, ihn zu suchen, oder?"

Der Angesprochene, der kronosische Captain Kevin Lawrence, stoppte und sah den jungen Mann, der ihn seit einem halben Kilometer mit einem Stapel Ausdrucke in der Hand verfolgte, ernst an. "Doktor Beer, nein, wir bauen KEINE Macross Cannon! Wir bauen auch keine Mobile Macross Fortress!"
"Aber die Feuerkraft, die wir mit ihr erreichen, wird vielleicht einmal dringend nötig sein!", ereiferte sich der österreichische Spezialist.
"Und wie lange, denken sie, bauen wir an der Macross Cannon und wie lange an ihrem Trägermodul, der Macross Fortress?", fragte der Kronosier mit Ironie in der Stimme.
"Höchstens zwei Jahre! Wenn wir das Konzept derart beschränken, sodass es keine Zivilisten aufzunehmen braucht, können wir es um ein Drittel verkleinern, haben aber immer noch achtzig Prozent ihrer Feuerkraft! Und mit einem einzigen Schuss hauen wir einen Bestrafer aus dem All!"
"Doktor Beer! Einen Strafer hauen wir auch mit der verbesserten Hephaistos-Kanone "aus dem All", wie Sie so blumig gesagt haben. Davon hat die AURORA drei an Bord, richtig?"
"Aber eine Macross Cannon ist noch viel stärker und effektiver! Sie wissen doch selbst, dass ein Schiff ab einer bestimmten Geschwindigkeit nicht so einfach den Kurs wechseln kann und deshalb gegen Energiewaffen besonders empfindlich ist. Der Waffenstrahl einer Macross Cannon könnte Dutzende Ziele auf einen Schlag ausschalten!"
"Wenn sie so dumm sind, hintereinander zu fliegen, richtig?", fragte Lawrence bissig. "Nein, habe ich gesagt. Aber es steht Ihnen frei, Direktor Otomo Ihre Pläne zu unterbreiten. Wobei ich partout nicht den Nutzen eines Raumschiffs sehe, dass sich in einen Riesenroboter mit eigener Kanone verwandelt."
"Ich halte das Konzept für sehr schlüssig", murrte Beer, steckte aber die Ausdrucke wieder in seine Aktentasche. Dafür zog er ein neues Bündel hervor. "Die anderen Berechnungen sind übrigens fertig."
Diesmal zeigte sich der Captain wesentlich interessierter. "Das Ghostrider-Projekt?"
"Auch. Die Daten zu den bewaffneten, unbemannten Drohnen sowie die ersten Versuchsergebnisse. Sehen sehr vielversprechend aus. Aber eines sage ich Ihnen gleich. Eine Artemis-Lanze oder ein Herakles-Schwert als Bewaffnung können Sie vergessen. Zwar arbeitet ein Computer zehntausendmal genauer als ein menschlicher Verstand, was ja von Vorteil für diese eine Zehntelsekunde ist, in der das Karbonblatt frei schwingen darf, ohne seine Fassung zu verlassen, aber selbst untrainierte Menschen schneiden beim Einsatz dieser Waffen siebzehnmal besser ab als die Maschinen. Stattdessen dachte ich, da wir ja keine Andruckabsorber vorhalten müssen, an ultrabeschleunigte Kleinstprojektile, die fast Lichtgeschwindigkeit erreichen und mit der Wucht eines herabstürzenden Hawks auf ihr Ziel prallen. Jede einzelne von ihnen."
"Geben Sie mal her, Beer", murmelte der Kronosier. "Zehntausend Schuss die Sekunde ist vielleicht etwas Overkill, mein lieber Doktor."
"Ja, schon, aber damit wäre der Ghostrider in der Lage, alles bis zur Größe eines Zerstörers effektiv zu bekämpfen. Allerdings habe ich mich noch nicht um das Munitionsproblem kümmern können."
"Überlassen wir das Vernichten feindlichen Kampfschiffe doch lieber weiterhin Blue Lightning und Lady Death, Doktor Beer." Er reichte die Papiere zurück. "Optimieren Sie den Ghostrider für die Bekämpfung kleinerer Ziele, sodass der Munitionsvorrat länger reicht. Dann legen Sie es mir erneut vor."
"Wie klein, Captain?"
Der offizielle Chefwissenschaftler der AURORA seufzte. "Korvetten-klein, Beer."
"Ich könnte es bis zur Fregatte optimieren", murmelte der andere Wissenschaftler fast unhörbar.
"Orientieren Sie sich daran, was gebraucht wird, Doktor", mahnte Lawrence. "Und wir brauchen bei den Fernerkundern Entlastung, nicht bei den Kampfeinheiten. Wenn die Ghostrider feindliche Späher ausschalten können, umso besser. Aber wir brauchen nicht mit Banges auf Vogeljagd zu gehen."
"Ich melde Protest an, Sir", murrte Dr. Beer.
"Hören Sie, Beer, Sie sind ein guter Ingenieur und Sie haben schon bei der Entwicklung des Epsilons gute Arbeit geleistet und entscheidende Impulse gegeben. Aber bitte, bitte, nehmen Sie Ihre Nase aus jeder Art von Mecha-Anime, von Macross bis Gundam und orientieren Sie sich an der Realität. Sie können ja gerne versuchen, den fünfhundert Kilometer langen Energiesäbel eins Gundams in die Realität umzusetzen, aber tun Sie das bitte in Ihrer Freizeit."
Die beiden Männer bestiegen nacheinander eine Bahn, die sie nach Poseidon bringen würde. "Und bitte, erwähnen Sie die Macross Cannon auf keinen Fall vor Admiral Ino oder Commodore Genda. Ich flehe Sie an. Ich habe es schwer genug, Ihre Reputation zu verteidigen, also machen Sie es mir nicht mit Gewalt schwerer, Beer."
Der Doktor murrte leise.
"Was war das?"
"Ja, schon gut, schon gut, ich bemühe mich. Wirklich, ich BEMÜHE mich. Nicht, dass es mir leichtfällt. So viele gute Ideen und so wenig Möglichkeiten, sie umzusetzen..."
"Das reicht mir für den Moment", erwiderte Lawrence zufrieden. Allerdings beschloss er, während der aktuellen Besprechung ein Auge auf seinen vielleicht fähigsten Waffenforscher zu haben. Für sein eigenes Wohl, damit man seinen Ideen auch weiterhin zuhören würde. Den realistischen, zumindest. "Was den verbesserten Massebeschleuniger angeht, so dachte ich daran, die weiteren Arbeiten an Luna Mecha Research auszulagern."
Entsetzt blieb der Österreicher stehen. "Auslagern? Meine Arbeiten zum verbesserten Massebeschleunigergeschütz? Aber... Aber..."
"Doktor Beer, verstehen Sie mich nicht falsch. Es ist Ihre Idee und Sie haben bei der theoretischen Herleitung Großes geleistet, um die fast auf Lichtgeschwindigkeit gebrachten Geschosse von achtzehn Mikrogramm auf neunzehneinhalb hochzuschrauben. Aber schauen Sie sich doch mal Ihre Arbeiten an. Wie viele Projekte betreuen Sie zur Zeit? Zwanzig? Mehr?"
"Es sind dreiundzwanzig", murrte der Wissenschaftler. "Aber ich weiß, Prioritäten zu setzen, Captain Lawrence."
"Von wegen. Sie arbeiten nebenbei Blaupausen für ein Schlachtschiff der Macross-Klasse aus. Ich frage Sie mal ganz ehrlich: Haben Sie schon mal daran gedacht zu schlafen oder ein Privatleben zu führen?"
Die Bahn hielt am Haltepunkt Poseidon an. Unter den misstrauischen Augen einer UEMF-Elite-Infanterietruppe und den wachsamen Augen der Kameraüberwachung stiegen der Wissenschaftler und der Ingenieur aus.
"Privatleben wird überbewertet", sagte Beer. "Ich habe keins, und ich vermisse es überhaupt nicht. Dieser ganze Beziehungsquatsch, freundschaftliche Bande und so, das kann mir gestohlen bleiben. Lieber mache ich etwas Sinnvolles mit meiner Zeit. Zum Beispiel neue Waffen für Blue Lightning bauen. Das ist es, was heutzutage wirklich zählt, nichts anderes."
Lawrence seufzte laut. "Doktor Beer, so sehr ich Sie als Kybernetiker, Ingenieur und Metallurge schätze, aber in diesem Punkt sind Sie auf dem Holzweg. Gerade Menschen mit einem Privatleben leisten bei der Arbeit Erstaunliches." Er salutierte dem Wachtposten am Eingang und hielt ihm seine ID-Karte hin, während das System seine Werte mit den gespeicherten Daten über Captain Kevin Lawrence verglich. Zugleich sondierte ein KI-Meister den Neuankömmling, um auszuschließen, dass er einen der noch immer aktiven KI-Attentäter der Kronosier in sich trug, der zu einem wirklich unpassenden Zeitpunkt aktiv werden konnte.
Nach ihm unterzog sich der Österreicher der Prozedur. Der Wachhabende stutzte. "Doktor Beer, Sie haben seit dem letzten Besuch vier Kilo zugenommen. Und wie ich dem Fettmasse-Anteilmesser entnehme, sind das nicht gerade Muskeln. Im Gegenteil, deren Masse ist seither ein halbes Kilo zurückgegangen. Ich empfehle Sie für eine genauere Untersuchung."
Entgeistert sah der Wissenschaftler den Sergeant vom Dienst an. "Was, bitte? Sie schicken mich zum Arzt? Ich bin Forscher, keine Laborratte!"
Der Mann seufzte tief und lang. "Hören Sie, Doc, tatsächlich ist es Ihre Sache, was Sie mit Ihrem Körper machen. Aber nicht, solange Sie bei der UEMF gelistet sind. Sie haben eine Verpflichtung, Ihren Geist bei Verstand und Ihren Körper aktiv zu halten. Wenn jemand wie Sie sich nur noch von Schokoriegeln ernährt, und wenn dieser Jemand durch Kreislauferkrankungen oder Mangelerscheinungen ausfällt, schadet das der UEMF als Ganzem." Er schob ein frisch ausgedrucktes Kärtchen zum Österreicher herüber. "Morgen um halb Elf im medizinischen Trakt der Poseidon-Basis. Einer der KI-Meister wird Sie untersuchen und eine Empfehlung abgeben."
"Ach, ein KI-Meister auch noch?", murrte Beer ärgerlich. "Ich habe wirklich keine Zeit für sowas, und außerdem..."
"Das können Sie mit Miss Vaslot persönlich besprechen, denke ich. Ansonsten ist das ein Befehl, Doktor Beer", sagte der Sergeant mit unerschütterlicher Miene.
"Miss?", fragte Beer. "Ich dachte, KI-Meister sind immer grimmige alte Säcke mit Glatze."
Der Sergeant, Captain Lawrence und einige der Wachen lachten.
"Noch nie was vom Otome-Bataillon gehört, mein lieber Doc?", erwiderte der Sergeant grinsend. "Mit etwas Glück entpuppt sich die Dame als echter Feger." Er zwinkerte dem Wissenschaftler vertraulich zu.
"Nun", murmelte Beer und griff nach der Karte, "wenn es denn ein Befehl ist..."
Nachdem er die Karte umständlich in seiner Brieftasche verstaut hatte, machten sich die beiden Männer wieder auf den Weg. Lawrence blieb dabei erstaunlich stumm, wenngleich zufrieden.
"Was?", fragte der Österreicher schließlich, als es ihm zuviel wurde.
"Hm? Oh, ich freue mich nur darüber, dass Sie anscheinend doch noch zu retten sind, mein lieber Rüdiger."
"Ach!", machte Beer. "Und das schließen Sie woraus?"
Lawrence grinste breit. "Aus Ihrer Frage, zum Beispiel."
Abrupt blieb Beer stehen und sah dem Captain nach. Getroffen und versenkt. "Mist", murmelte er und holte den Kronosier wieder ein. "Mist."
***
"...möchte ich die Gelegenheit nutzen und Ihnen Doktor Beer vorstellen. Er kam mit den neuen Detachements zur zweiten Reise der AURORA an Bord und arbeitet in der Sektion der Waffenoptimierung. Er war maßgeblich daran beteiligt, die Energieversorgung von drei Hämmern des Hephaistos sicherzustellen, indem er vorschlug und bei der Umsetzung half, die Hämmer nicht von Fusionsreaktoren versorgen zu lassen, sondern von Fission-Kraftwerken."
"Damit ich das richtig verstehe", sagte Hina Yamada, ihres Zeichens Majorin und Anführerin des Otome-Bataillons, "die Energieversorgung unserer stärksten Waffen basiert auf Kernspaltungsreaktoren?"
"Bevor Sie in Panik ausbrechen", sagte Beer anstelle Captain Lawrence', "es handelt sich um Fission-Kraftwerke. Auch Palladium-, oder Flüssigsalz-Reaktoren genannt. Sie benötigen kein Uran, erst recht kein künstlich angereichertes Uran-Isotop. Die Flüssigsalz-Reaktoren können diese natürlich verwerten, klar, aber sie haben zwei klare Vorteile: Erstens, wenn bei der Spaltung von Uran-Isotopen waffenfähiges Plutonium entsteht, können sie dieses auch verwerten. Und zweitens, die Reaktoren können spaltbares Material so lange spalten und wieder spalten, bis am Ende ein Element herauskommt, das überhaupt nicht mehr strahlt. In allen Phasen erzeugt der Reaktor übrigens auch Energie. Natürlich ist die Energie umso höher, je mehr Elektronen die zu spaltenden radioaktiven Elemente ihr eigen nennen, weshalb die direkt für die Energieversorgung zuständigen Fission-Reaktoren Uran, Plutonium und Neptunium zu fressen bekommen. Die Abfallprodukte werden anschließend in weiteren Fission-Kraftwerken verbraucht und auf wenig bis nicht strahlendes Niveau gebracht. Es besteht natürlich immer eine Gefahr der Verstrahlung. Aber selbst ein Fission-Kraftwerk, das von einer Bombe hochgejagt wird, hat nicht annähernd so schlechte Auswirkungen auf ihre Umgebung wie ein Druckwasserreaktor, wie sie vor kurzem noch State of the Art auf der Erde waren. Zum Glück haben die Dai mit ihrem Wissen geholfen, die letzten Kinderkrankheiten und Leistungsbeschränkungen der Fission-Kraftwerke auszumerzen, sodass sie Serienreife hatten, kaum dass die AURORA eine neue Energieversorgung brauchte. Und radioaktives Material fällt eigentlich immer an. Das ist die traurige Wahrheit. Beantwortet das Ihre Frage, Major Yamada?"
"Äh, ja, danke, Doktor Beer. Ich verstehe, warum Sie den Job haben, den Sie tun. Aber es wirft eine weitere Frage auf. Und bitte, halten Sie mich deshalb nicht für blöde, weil ich mich in diesem Thema nicht so auskenne. Ich bin Slayer und Soldatin, keine Physikerin."
Beer nickte der blonden Schönheit aufmunternd zu. "Es gibt keine dummen Fragen, Ma'am. Es gibt nur dumme Antworten."
Sie betrachtete den Ingenieur einige Zeit, bevor sie sich räusperte. "Na, da warten Sie doch erstmal meine Frage ab. Also, brauchen wir das Plutonium nicht für die Sprengköpfe unserer Torpedos?"
Stille senkte sich über den Konferenzraum. Irgendjemand unterdrückte ein glucksendes Lachen und Hina Yamada begann, vor Verlegenheit rot zu werden.
"Nein", sagte Beer mit unerschütterlicher Ruhe.
"Was?", fragte sie überrascht.
Der Blick des Doktors ging von der Slayer über Admiral Ino, ihren Bruder, General Ino, von dort über Kommodore Genda zum holografischen Abbild von Division Commander Uno und schließlich zu Admiral Takahara, bevor er wieder zu Blue Slayer zurückkehrte. "Nein. Wir brauchen kein Plutonium für Kernwaffen als Gefechtsköpfe der Torpedos. Sie als Laie können das nicht wissen. Und ich schätze die überwiegende Mehrheit der Offiziere und Mannschaften auf diesem Gebiet als Laien ein - Anwesende ausgenommen, Doktor Ino", sagte er schnell in Richtung Sakura Inos, "aber wir verwenden keine Kernspaltung für eine Reaktion, die wir als Waffe verwenden wollen."
Die Röte aus den Wangen Major Yamadas verschwand ein wenig. "Und was benutzen wir dann, Doktor Beer?"
Der Österreicher grinste. "Was viel gemeineres. Wir nutzen heiße Fusion. Die erreicht bis zu zwanzig Millionen Grad. Oder anders ausgedrückt: Ein Kernspaltungssprengkopf auf Plutoniumbasis, der die Zerstörungskraft einer Megatonne Vergleichs-TNT hat, findet seine Entsprechung in einem achtzehnmal kleineren Sprengkopf mit heißem Fusionskopf. Oder anders ausgedrückt: Unsere Torpedos sind beispielsweise nur halb so groß wie die Kaiserlichen oder die des Cores und der Sprengkopf hat nur ein Viertel ihrer Größe, aber unsere Explosionen sind mehr als viermal so groß. Übrigens derzeit das letzte Machbare, was wir produzieren können. Machen wir sie noch größer oder noch schwerer, haben wir Planetenkiller. Und das wäre doch - ha, ha - schon Overkill."
Hina riss die Augen auf. "Doktor Beer, ich gebe zu, ich bin schwer beeindruckt. Ich schätze, bei all der Arbeit, unter der Akira Otomo beschlossen hat, mich zu vergraben, habe ich mich viel zu wenig für die Flotte an sich interessiert. Das ist ein Versäumnis, das ich bereinigen muss. Danke."
"Gern geschehen, Ma'am. Aber wenn ich gerade die Aufmerksamkeit aller Anwesenden habe, kann ich vielleicht mal diese Pläne hier..."
"Rüdiger!", sagte Lawrence scharf. "Keine Macross-Pläne!"
"Oooch."
Admiral Ino lachte leise auf. "Lassen Sie nur, Kevin. Er soll sie nur vorlegen. Er ist bei weitem nicht der Einzige, der in seinem Leben versucht hat, eine Macross-Festung zu planen und vielleicht zu bauen, nicht?" Amüsiert sah sie ihren Bruder an, der tatsächlich ein wenig rot wurde.
"Aber eines sage ich Ihnen, Doc, wenn das Ding nicht transformieren kann, will ich es nicht sehen", scherzte Admiral Ino.
"Dann haben Sie mit meinem Entwurf kein Problem", prophezeite der Wissenschaftler.
Überrascht lachte sie auf. "Gut. Sie haben...", die junge blonde Frau sah auf ihr Multifunktionsarmband, "zehn Minuten."
"Ich hätte ihm die Sachen wegnehmen sollen", sagte Lawrence säuerlich. "Du hast versucht, eine Macross-Festung zu bauen, Makoto?"
Der General fand die nächste Wand plötzlich sehr interessant. "Haben wir das nicht alle versucht?"
"Ich für meinen Teil nicht", murmelte Lawrence. Säuerlich sah er auf den Ausdruck, den Beer ihm vorgelegt hatte. "Also, schauen wir uns das Ding halt an."
"Niemand hat vor, eine Macross-Festung zu bauen", scherzte Megumi Uno. Mit dem leicht entfremdeten historischen Zitat hatte sie die Lacher auf ihrer Seite.


2.
"Also", sagte Rooter Kevoran ernst in die Runde, "was tun wir jetzt?"
Die Runde, das waren Juichiro Tora, weitere Vertreter des Tiger-Clans, Dai-Kuzo-sama, Dai-Kumo-sama, weitere Dämonenkönige, Vrivrites Acouterasal, die erste Offizierin der RASHZANZ, General Render Vantum, Helen Otomo, Eikichi Otomo und Michael Berger, um nur die Wichtigsten am Tisch aufzuzählen. Tatsächlich füllten fast einhundertzwanzig Menschen - Daina, Daima und Dai sowie Götter - den Konferenzraum an Bord der RASHZANZ.
"Ich kann mit Fug und Recht behaupten, mein lieber Kapitän", sagte Helen Otomo, "dass Ihre Zeit als Wachtposten auf der Erde - Lemuria - ein Ende hat. Es gibt kein Imperium der Götter mehr, für dessen Schutz sich Schiff und Mannschaft opfern müssen. Stattdessen habt Ihr die Pflicht zu überleben, denn es ist wahrscheinlich, dass Ihr die letzten Individuen seid, die sich als Götter definieren."
"Hinzu kommt", fügte ihr Mann mit ernstem Ton hinzu, "dass die Kinder der Götter einen Scheiß darauf geben, dass es euch gibt. Dass sie es wissen, dass sie zumindest von der RASHZANZ wissen, dürfte klar sein. Immerhin haben sie sich darauf verlassen, dass Ihr hier aufs Knöpfchen drückt, sobald wir Vertragsbrüchig sind."
"Was ja auch beinahe der Fall war", knurrte der Kapitän der RASHZANZ angriffslustig. Er sah Render an. "Was ist mit den Zivilisten, General?"
"Wir haben sie... Erfasst. Wir zählen noch, aber einhunderttausend wird wohl hinkommen." Sein Blick ging zu Dai-Kuzo-sama. "Eine Anlage dieser Größenordnung kann nicht gegen euren Willen erbaut worden sein, Dai. Unmöglich. Die Anlage, in der ich mit meinen Leuten geruht habe, sicher, das funktioniert. Aber eine fünfmal so große Anlage unter unsere zu setzen, wahrscheinlich nachdem wir bereits in Kryostase waren... Wahnwitz."
"Oh, man hat mir berichtet, dass es schwierig war, aber nicht unmöglich", sagte Dai-Kuzo-sama mit einem undefinierbaren Lächeln. "Wir haben dies gestattet, als die Vernichtung der Götter - also der echten, atmenden, lebenden Götter - abzusehen war. Damals, am Ende des Daima- und Daina-Krieges, als die Strafer der Götter ihre Jagd auf Daimons begonnen hatten. Damals dachten meine Vorgänger, sie würden den letzten lebenden Göttern Asyl gewähren. Götter, für die jene Wesen, die sich ihre Kinder nannten, längst Todfeinde geworden waren."
"Die Kinder der Götter", sinnierte Render. "Mir ist keine Nation und keine Rasse bekannt, die einen Anspruch auf diesen Titel erheben könnte. Ich wüsste auch niemanden, den wir je so betrachtet hätten."
"Das gilt auch für uns", sagte Vrivrites Acouterasal. "Wir hatten Kontakt zu etlichen nichtmenschlichen Spezies, aber keine davon hätte sich als unseren Nachfolger betrachtet, geschweige denn als Kinder. Irgendwas muss da fürchterlich schief gelaufen sein."
"Wie man es nimmt. Nicht alles ist schief gelaufen", sagte Helen. "Ich möchte euch allen gerne meine Schlussfolgerungen mitteilen, die ich aus den bisherigen Daten gezogen habe. Ob wahr oder falsch werden wir später ermitteln müssen. Aber von meinem Standpunkt aus gesehen hat sich folgendes abgespielt. Vor rund fünfzigtausend Jahren war dieser Sektor der Galaxis dicht besiedelt. Von Menschen, die sich in Daima und Daina unterschieden, von weiteren Rassen, von den Dai. Damals herrschte Krieg zwischen den verschiedenen Nationen, und die Erde, damals Lemur oder Lemuria genannt, entschloss sich, diese Kriege zu entspannen oder zu unterbinden. Dies gelang nur zum Teil. Schließlich wurden die Götter in dieses Dilemma hineingezogen, eine Gruppe Daima, die aus Daima entstanden war, die sich möglichst weit entfernt von Lemuria niedergelassen hatte, ohne Dai, um eben nicht in ein solches Geschehen hineingezogen zu werden. Unterbrecht mich, wenn ich etwas Falsches sage. Ihr stammt aus dieser Zeit, nicht ich. Keine Einwände? Gut.
Es kam für Lemuria etwas unglücklich. Zuerst blutete es in den Bürgerkriegen aus, anschließend hatte es den Göttern nur wenig entgegen zu setzen. Die Daima-Nationen, die ihre militärische Macht verheizt hatten, waren nicht mehr zu retten. Auch die Daina-Welten konnten nicht gehalten werden. Letztendlich stand die Erde allein gegen all das, was die Götter aufzubieten hatten. Es war ein klassisches Patt, das nur gegen die vollkommene Vernichtung beider Seiten aufgelöst werden konnte. Also wurde ein Kompromiss geschlossen, der dem Patt angemessen war. Die Dai der Erde erklärten sich bereit, ihre Flotte nie wieder einzusetzen und die Erde nicht zu verlassen. Um das zu garantieren, wurde die RASHZANZ im Marianegraben versenkt und seine Besatzung in Kryostase gehalten, um beim Weckruf des KI diese Welt zu vernichten. Soweit sind alle bei mir?"
Die Anwesenden nickten. "Im Gegenzug verzichteten die Götter auf die Vernichtung der Daina-, und Daima-Kolonien. Lediglich die Daimon blieben legitime Ziele für sie. Nun aber kommt der Teil, der alle irritieren wird: Heutzutage, Kinder der Götter hin oder her, sind lediglich robotische Schiffe im Dienst der Götter unterwegs. Wir wissen zwar von einem Rat der Kinder der Götter, der angeblich hinter allen Aktionen der Sucher, Strafer und Vernichter stecken soll, aber Akiras Bericht über seinen Kontakt zu dieser Gruppe besagt eindeutig, dass es sich um ein Strohmann-Ensemble handelt und dass die Computerhirne der Götter auf ihre Anweisungen einen Dreck geben. Sie handeln eigenständig. Extrapoliert man diese Information mit der Tatsache, dass es das Sternenreich der Götter nicht mehr gibt, kommt man zu der Erkenntnis, dass die Götter heutzutage ausgestorben sind. Ja, ich weiß. Dazu komme ich später. Die Frage, die uns nun beschäftigen sollte, ist einfach: Sind sie auf natürliche Weise ausgestorben, oder haben die Computer nachgeholfen?"
Render räusperte sich. "Ich möchte an der Stelle kurz anmerken, dass unsere Zivilisation keine robotischen Schiffe kennt. Ich meine, kannte."
Rooter nickte bei diesen Worten bestätigend.
"Eine Invasion?", riet Helen Otomo.
Leises, nervöses Raunen ging von den Göttern am Tisch aus. Eine Option, die ihnen sichtlich nicht gefiel. "Vielleicht ein Grund, warum sich diese Fraktion "Kinder der Götter" nennt und sich unserer Technologien und Daten bedient", sagte Vrivrites Acouterasal. "Eine Invasion, eine Eroberung. Das würde auch die Existenz der Naguad erklären, die nachweislich unsere Nachfahren sind."
"Richtig, Vrivrites. Es macht Sinn, wenn man bedenkt, dass die Aufzeichnungen der Naguad auf Iotan beginnen, wo sie sich den Planeten mit den Iovar teilten. Wobei zu bemerken ist, dass die Iovar ihr KI oder AO beherrschten, die Naguad aber lange Zeit nicht oder nur im Verborgenen. Es ist anzunehmen, dass sie Flüchtlinge waren, die der Vernichtung ihrer Zivilisation durch die Maschinen entkommen konnten. Es ist Ironie, dass sie anschließend erneut fliehen mussten, um erst auf Nag Prime ihre endgültige Heimat zu finden. Wo sie nichts eiligeres zu tun hatten, als ein Imperium zu gründen", sagte Helen nicht ohne Ironie in der Stimme. Ihr Vater Michael schmunzelte bei diesen Worten.
"Was uns zu der Erkenntnis bringt, dass wir mit den Naguad verwandt sind", sagte General Vantum, "auch wenn ich hier nur allzu Offensichtliches ausspreche. Deshalb sollte das Imperium der Naguad unser natürlicher Rückzugsraum sein."
"Und wir sind im Imperium der Naguad", sagte Kapitän Kevoran. "Spätestens, seit Akira Otomo im Namen der UEMF kapituliert und die Erde als Morgengabe der Familie seiner Braut übergeben hat." Rooter Kevoran lachte leise. "Wundert mich, dass die Naguad diese Geschichte gefressen haben. Und dass es auf der Erde keine allzu großen Aufstände gab."
"Ach, das", sagte Eikichi Otomo und machte eine wegwerfende Handbewegung, "die paar Protestler haben wir im Griff. Ohnehin verhalten sie sich überwiegend friedlich. Mit den Anhängern haben wir wesentlich mehr Probleme."
"Anhänger?", fragte Rooter skeptisch.
"Ja, Anhänger. Jene Menschen, die den Beitritt zum Imperium ernst nehmen und Megumi Solia Kalis Daness einen Thron errichten wollen. Und natürlich ihrem Prinzgemahl Aris Arogad, den sie hoheitsvoll an ihrer Seite dulden, weil ihm Mond und Mars gehören." Eikichi seufzte. "Solche Anhänger. Am liebsten würden sie heute noch mit dem Bau der neuen Hauptstadt beginnen. Und angeblich sollen ein paar Spinner schon damit angefangen haben, in Gebieten auf der Erde, die sie mit Hilfe der überlegenen Naguad-Technologie zu urbanisieren hoffen. Also in der Wüste Gobi oder der Wüste Sahara. Manche plädieren dafür, einen künstlichen Kontinent im Pazifik aufzuschütten, oder wenigstens auf diese Weise eine künstliche Halbinsel an Atlantis zu erschaffen. Solche Spinner eben."
"Wie jetzt, auf dem Mond will keiner bauen?", scherzte Michael.
"Nein. Erst wenn es gelingt, einen der größeren Krater per Energieschirm zu versiegeln, ihn mit Atemluft zu füllen und landwirtschaftlich zu urbanisieren", erwiderte Eikichi trocken.
"Oh. Das haben sie wirklich gefordert, richtig?"
"Richtig."
"Ihr seid interessante Leute, Ihr Menschen", sagte Rooter Kevoran. "Was wäre mir da nur entgangen, wenn ich euch vernichtet hätte, anstatt euch kennenzulernen."
"Nicht, dass du es nicht versucht hast", sagte Eikichi ernst.
"Zugegeben. Aber Summa Summarum bedeutet das, dass unser ganzer Kampf hinfällig ist, richtig? Stattdessen haben wir da einhunderttausend Zivilisten, die über den Abgrund der Zeit vor der Auslöschung gerettet wurden, mehrere Milliarden Nachfahren in Form der Naguad und einen unerbittlichen Feind, der die anderen Götter höchstwahrscheinlich ausgelöscht hat."
"Zusammen mit den Daimons", sagte Dai-Kuzo-sama.
Der Gott runzelte die Stirn. "Was, bitte?"
"Ich sagte: Zusammen mit den Daimons." Die schwarzhaarige Spinnendämonin schnaubte abfällig. "Als abzusehen war, was eurem Volk passieren würde, entschlossen sich unsere Vorfahren zu helfen. Flüchtende Götter wurden zumeist in Daimons versteckt und dort in Kryostase konserviert. Für eine Zeit, in der es die Kinder der Götter nicht mehr geben würde. Die Strafer haben es nicht nur auf Dai abgesehen gehabt in der Hoffnung, uns die Möglichkeit zu nehmen, jemals wieder einen Reyan Maxus zu erschaffen. Sie wollten auch unter euer Volk einen Schlussstrich ziehen. Oft genug haben sie es geschafft. Zum Beispiel mit der Vernichtung der Daimon auf Iotan, die den kaiserlichen Palast beherbergte. Und unter ihm eine Anlage, die einer Million eurer Leute als Zuflucht gedient hat."
Entsetzen stand in den Gesichtern der Götter. "Ist das sicher?", fragte Vrivrites Acouterasal mit rauer Stimme.
"Es ist sicher. Aris Ohana Lencis hat die Trümmer des Palasts untersuchen lassen und dabei die Reste der Anlage entdeckt. Soweit ich weiß, haben es die unteren Etagen überstanden, aber... Es gab horrende Verluste bei euren Zivilisten."
Mit einem Knall, der an einem Pistolenschuss erinnerte, zerbrach der Kugelschreiber, den Rooter Kevoran in Händen gehalten hatte. "Das ist... Alles das Gegenteil von dem, was wir geplant haben, was wir vorgehabt haben. Es hat nichts mehr mit dem zu tun, was uns befohlen wurde", sagte er grimmig. Er atmete tief ein. "Die Götter auf der Erde ergeben sich hiermit offiziell der UEMF."
Im Raum wurde es totenstill. "Kapitulation anerkannt", sagte Direktor Otomo mit ernster Stimme. "Zugleich reaktiviere ich die Kampftruppen der Götter im Rahmen der gesetzlichen Regelungen im Kriegsfall als Hilfstruppen und ordne die Reparatur der RASHZANZ an. Wir werden das Schiff bald genug brauchen, wenn die Daimons erst einmal versagen."
"Und wir...", sagte Rooter mit belegter Stimme, "müssen das beschützen, was von unserem Volk übrig geblieben ist." Nein, das war definitiv nicht die Zukunft, die sie sich erhofft hatten. Anscheinend war ein Universum ohne Reyan Maxus auch weit davon entfernt, perfekt oder friedlich zu sein. Und das lag nicht zuletzt an den Kindern der Götter. Er ballte beide Hände zu Fäusten. "Und die Menschen gehören ab jetzt zu unserem Volk und stehen unter unserem Schutz!"
Render Vantum, sonst immer zu einem Disput mit dem Schiffskommandanten oder gar einer Handgreiflichkeit bereit, nickte zustimmend. Die Zeit für Dispute war vorbei. Nun galt es, die Galaxis zu retten.

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"Eryn Lycast, Commander, Haus Fioran", sagte die junge Frau. Es war ein Wunder, dass sie bei den Worten nicht stotterte, denn ihr Gesicht war knallrot, während sie mir die Hand gab. "Stellvertretende Kommandeurin des Blue Lightning-Regiments mit der Fachrichtung Verdeckte Operationen."
"Freut mich, Sie kennenzulernen, Eryn", sagte ich fröhlich. Endlich, der Schatten bekam Gestalt. Und diese Gestalt bestand aus fast vierhundert Soldaten von drei verschiedenen Welten.
"Bitte, Sir, der Zweite Stellvertreter." Sie deutete auf einen großgewachsenen Blondschopf, der seine Haare schulterlang trug. Die schmucklose schwarze Einsatzuniform verriet nicht viel über ihn, aber sein Grinsen sagte alles. "Freut mich sehr, Blue Lightning. Len Nox Ryon, Funktionär und Einsatzagent des Komitees. Ich war einer von denen, die Sie auf den Plattformen eingefroren haben, um uns ins Sol-System zu schaffen."
"Hat Ihnen anscheinend nicht geschadet", scherzte ich und mein Gegenüber lachte abgehackt, aber nicht unfreundlich.
"Stimmt, allerdings. Mich hat es nur im Gegensatz zu meiner Familie gleich wieder ins Weltall gezogen. Erde und Mars sind ja so unanständig friedlich. Ich hätte keine Ahnung gehabt, was ich ansonsten mit meiner Zeit hätte anfangen sollen. Und bevor Sie fragen: Team Megumi."
Irritiert sah ich den großen Anelph an. "Team was?"
"Team Megumi. Nichts gegen Sie, Sir, und jeder einzelne Mann und jede einzelne Frau haben sich eindeutig zu Ihnen bekannt, aber tief in meinem Herzen vergebe ich meine Loyalität eher an Ihre Verlobte." Er grinste und klopfte Lycast auf die Schulter, bevor er den Arm auf ihren Nacken legt eund sie burschikos an sich heranzog. "Unsere gute Eryn hier allerdings ist eine waschechte und lupenreine Team Akira-Vertreterin. Na, kein Wunder bei einer Fioran-Attentäterin, würde ich sagen."
Sie lächelte bei seinen Worten. "Der Commander ist zum Teil ein Fioran. Es ist nur allzu verständlich, dass ich ihn als loyale Fioran unterstütze, oder?"
"So kann man das auch formulieren", erwiderte der Anelph spitzzüngig. "Ach, und bevor ich es vergesse, Sir, wir alle hier sind unheimlich stolz darauf, wie Sie die Situation mit dem zerstörten Strafer und dem zweiten Wurmloch geregelt haben. Sollte jemand zu dem Zeitpunkt noch skeptisch gewesen sein, ob er oder sie tatsächlich das eigene KI gut genug unterdrücken kann, ohne Sie damit zum fressen anzuregen - danach war es eine Frage der Ehre, dass sie es einfach tun. So wie Sie einfach tun, was Sie müssen, um uns zu retten."
"Kommen Sie, Sir, ich will Ihnen...
"ACHTUNG!", gellte ein lauter Befehl von der Tür. Das Blue Lightning-Regiment erhob sich, wenn die Mitglieder nicht ohnehin schon standen, und ging in Hab acht-Stellung.
"Rühren", sagte ein kleiner Mittvierziger mit graumelierten Schläfen. Er war in einen Stapel Akten vertieft, während er zum Stehpult an der Tafelseite des großen Tagungssaals ging. "Es gibt gute Neuigkeiten von Aleevon, meine Damen und Herren. Es sieht so aus, als könnten Randsdales Gruppe gerettet worden sein, bevor die kaiserlichen Truppen hart und unbarmherzig zuschlugen. Nicht so gute gibt es von Qualit. Komitee-Truppen haben die sterblichen Überreste von Regen Lachuter geborgen. Von seinem restlichen Team fehlt jede Spur, sodass wir zumindest hoffen können, dass die acht Mann entkommen konnten. Die neue Räteregierung der Republik Iovar hat ihre volle Unterstützung bei der Suche nach ihnen versprochen. Und wir wissen, dass die Iovar ihre Versprechen auch halten. Zumindest mit Aris Lencis als Intendentin."
Ein wenig verblüfft sah ich den Mann an.
"Darf ich vorstellen?", sagte Ryon grinsend, "unser Chef, Jason Staffort."
Der Regimentskommandeur sah auf. "Commander?"
"Jason?" Verwundert trat ich ans Rednerpult. "Jason, was machen Sie denn hier?"
"Sir, ich habe Ihnen doch gesagt, sollte ich mich eines Tages entscheiden müssen, dann würde ich immer Sie wählen. Und was soll ich sagen, hier bin ich", erwiderte der ehemalige Army Ranger verlegen.
Ich reichte ihm die Hand und er griff mit trockener Hand zu und drückte sie fest. "Schön, Sie an Bord zu haben, Jason."
"Danke, Sir. Es ist mir eine besondere Ehre, dieser Einheit anzugehören und sie zu kommandieren. Obwohl ich mir nie ganz sicher war, ob Sie die Existenz eines solchen Regiments befürworten würden. Wir betreiben hier Black Ops, wenn man übergenau ist."
Ich nickte. "Black Ops sind Teil des Geschäfts. Wir haben Dutzende gegen die Kronosier geführt und an vielen habe ich teilgenommen." Besonders eine war mir noch sehr gut in Erinnerung. Jene, als wir das kronosische Nest mitten in Japan ausgenommen und den französischen Agenten Jean Duvalle aus einem Biotank gerettet hatten.
"Dann hätten wir gar nicht so heimlich zu tun brauchen, was?", erwiderte Staffort gut gelaunt. "Nein, das heißt, wir mussten es so oder so tun. Immerhin mussten wir uns die Ehre unseres Namens erst verdienen."
"Und? Haben Sie sich diese Ehre verdient?", fragte ich leichtheraus. "Ich bin nicht umhin gekommen, Ihre kurze Zusammenfassung zu den beiden iovarischen Welten mit anzuhören."
"Aleevon und Qualit. Wir führen vorbereitende Operationen durch, um die hiesige Infrastruktur der kaiserlichen Armee zu schwächen und die Kommunikation zu sabotieren. Gelingt uns das, haben wir das letzte Viertel des Kaiserreichs ein für allemal vom Rest getrennt. Dann können die Ratstruppen damit beginnen, das letzte Viertel zu tranchieren und Lichtjahr für Lichtjahr zu erobern. Mit anderen Worten: Ja, Sir, ich denke, mittlerweile haben wir uns den Namen des Blue Lightning-Regiments wohlverdient." Sein Lächeln wurde steinern. "Wir haben mit fünfhundert Mann begonnen, vor knapp einem Dreivierteljahr. Seit wir das Kaiserreich betreten haben, haben wir in Kooperation mit der Intendenten-Flotte, Ihnen, Sir, und dem Core einhundertachtundsechzig Einsätze durchgeführt. Dabei kamen jeder Mann und jede Frau des Regiments im Durchschnitt vierzehnmal zum Einsatz. Wir hatten achtzehn Verluste und haben über neunzig Leute in die Biotanks geschickt. Keiner hier ist nicht wenigstens einmal verwundet worden, aber die Ärzte haben uns immer schnell wieder zusammengeflickt. Zur Zeit sind einhundertundsieben Männer und Frauen im Einsatz, Seite an Seite mit unseren iovarischen Verbündeten. Voraussichtliche Dauer ihrer Missionen ist zwischen sechs Wochen und einem Jahr. Sie werden durch unsere Verbündeten nach und nach zurückgebracht. Etwa ein Drittel von ihnen leitet Ausbildungskurse, um die ersten eintausend nicht-kaiserlichen Kommandos zu trainieren. Scheint, dass der Drecksack eine Menge loyaler Leute auf seinen ehemaligen Welten zurückgelassen hat, die nun mit terroristischen Methoden den Übergang zur Räterepublik stören sollen. Verhindern können sie es nämlich nicht." Staffort rieb sich müde die Augen. "Alles in allem freue ich mich, wenn wir wieder zur Erde kommen. Das Blue Lightning-Regiment braucht dringend neue Leute, wenn wir unsere operativen Erwartungen weiter erfüllen wollen. Tatsächlich helfen die Hekatoncheiren und die Otomes bereits bei uns aus, wo immer sie können. Aber wenn es nach mir ginge, würde ich das Regiment auf dreitausend Leute aufblähen. Nur, woher so viele loyale und fähige Kommandos nehmen?"
"Sie werden Ihre zukünftigen Leute selbst trainieren müssen", sagte ich und klopfte dem Mann auf die Schulter. Der ehemalige Army Ranger sah mich erstaunt an. "Sir?"
"Ich sagte: Trainieren Sie Ihren Nachwuchs selbst. Sie werden nicht ewig an Bord der ADAMAS sein. Im Gegenteil, wenn Ihre operativen Möglichkeiten tatsächlich da liegen, wo ich es vermute, ist ein Ausbau auf das Sechsfache eine verdammt gute Idee, die wir dringend umsetzen sollten."
"Und Sie haben keine Bedenken gegen die Black Ops, Sir?", fragte er mich.
Für einen Moment spürte ich wieder das althergebrachte Gefühl der Verwirrung, das mich immer dann überfiel, wenn mich ein deutlich älterer Mensch "Sir" nannte oder mir eine wichtige Entscheidung überließ. Nicht, dass ich nicht der beste Mecha-Pilot der Menschheit war und nicht, dass ich nicht auch der dienstälteste Mecha-Pilot der Menschheit war. Teufel auch, entgegen meiner angeborenen Bescheidenheit - klopf dreimal auf Holz - wusste ich ziemlich genau, was ich in puncto Mecha und Mecha-Kampftaktiken wert war. Aber dennoch, es verwirrte mich immer noch. Wahrscheinlich, weil da immer so ein wenig Unwillen in meiner Stimmung mitschwang, so nach dem Motto: Klasse, schon wieder schieben sie alles auf dich ab... Aber ich schüttelte das Gefühl ab, so wie ich es tausendfach getan hatte, als ich noch ein kleiner, vierzehnjähriger First Lieutenant gewesen war, mit der geballten Last der gesamten Erdverteidigung auf meinen schmalen Schultern.
"Ich denke, beide Angriffe auf den Mars, aber vor allem den ersten, kann man als Black Operation beschreiben", sagte ich nachdenklich. "Und viele meiner weiteren Aktionen waren... Nun, auch nicht gerade lehrbuchtauglich, zumindest nicht im konservativen Sinn. Nein, ich habe nichts gegen Black Operations im weitesten Sinne. Außerdem führen Sie die Truppe, Jason. Wir kennen uns seit der Schlacht um New York und ich weiß, dass Sie sehr gute Arbeit leisten."
"Danke, Sir." Der rund vierzig Jahre alte Soldat mit fast zwanzig Jahren Dienstzeit wirkte erleichtert wie ein grüner Kadett, der um einen Tadel seines Kommandeurs herumgekommen war, mit dem er fest gerechnet hatte. Na toll. So etwas setzte mich doch nur umso mehr unter Erwartungsdruck. Andererseits war ich derjenige, der die ADAMAS notfalls alleine kommandieren konnte. Nein, nicht nur notfalls.
Ich setzte mich auf den freien Stuhl neben dem Stehpult. "Okay, ich denke, wir haben ein wenig Zeit. Nicht Arhtur?"
"Sechs Stunden, neun Minuten, Sir. Dann verlassen wir das Wurmloch im Zielsonnensystem. Von da ist es nur noch ein Sprung bis zur Erde."
"Danke, Arhtur. Sie sehen, Jason, es ist eine Menge Zeit. Ich nehme an, Sie haben alle verfügbaren Mitglieder der Blue Lightnings hier versammelt, um diverse Einsätze zu besprechen. Nun, hier bin ich, bereit, etwas zu lernen. Legen Sie los."
"Verstanden, Sir", sagte er freudig. Staffort wandte sich seinen Leuten zu. "Na, dann wollen wir doch mal beweisen, dass wir des Regimentsnamen Blue Lightnings würdig sind!"
Applaus klang auf. Was für eine überraschende akustische Abwechslung. Ich hatte Jubel oder stille Zustimmung erwartet.
"Abnoel. Vol Tanek, Sie hatten die Einsatzleitung. Bitte berichten Sie von Ihrer Warte, was da genau passiert ist."
Eine Anelph kam nach vorne, während sich alle anderen wieder setzten. Sie löste Staffort am Stehpult ab. "Abnoel. Siebte Welt des Helac-Systems, Sauerstoffwelt, Gravitation in der Norm, ein Flottenhafen auf der Oberfläche, einer im Orbit. Es war ein Sabotage-Einsatz mit zwanzig Leuten, aufgeteilt in vier Fünferteams. Wir..."
Während ich den Worten der Frau aus dem Kanto-System lauschte, kam ich nicht umhin, Zufriedenheit zu fühlen. Nicht, weil diese Männer und Frauen meinen Kampfnamen führten, und das mit Stolz. Nicht, weil sie meine Zeit im Kampf in Ehren hielten. Nein, weil sie aus drei unterschiedlichen politischen Systemen stammten und dennoch vorbehaltlos miteinander arbeiteten. Zwar waren sie Black Ops, aber ihre Arbeit war genauso notwendig wie die eines Mecha-Piloten. Und ihr Einsatz verhinderte oft genug, dass Dutzende, wenn nicht hunderte oder tausende reguläre Soldaten umkamen. Ich war zufrieden. Und je mehr ich zu hören bekam, desto zufriedener wurde ich.
***
"Soso, das sind sie also." Brigadier General Nathan Kreuzer, Anführer der Titanen-Regimenter, musterte die drei Schüler, die vor ihm standen - Hab Acht wäre wohl zuviel verlangt gewesen, aber diese drei standen nicht einmal gerade - aufmerksam. Von zweien schmeckte er Angst, das stellte ihn recht zufrieden. Vom Mädchen jedoch nicht. Sie hatte die Aura einer Diva und die Unerschütterlichkeit einer Otomo. Sie wusste, was sie wert war und sie wusste, dass sie es nicht leisten musste. Also war ihr guter Wille Gold wert.
"Ja, Sir." Thomas lächelte schmallippig. "Darf ich vorstellen? Die Anführerin der Verschwörung zur Erforschung der Dai auf Atlantis, Haru Mizuhara."
"Haru Mizuhara? Bist du mit Takashi und Takeru Mizuhara verwandt, junge Frau?"
Das japanische Mädchen räusperte sich. "Sie sind meine älteren Brüder."
"Na, das ist ja mal interessant. Commodore Mizuhara ist unser bester Mann in der Naherkundung der umliegenden Systeme. Seine Zerstörer-, und Fregattenflottille vollbringt wahre Wunder. Man spricht schon davon, ihm nach Benghasi als zweiten eine eigene Flotte zu geben. Und Major Mizuhara gehört zu den wenigen Glücklichen, die nicht nur von sich behaupten können, bei den Hekatoncheiren zu sein, sondern dort ein Bataillon zu kommandieren. Eine Position, für die jeder meiner Bataillonskommandeure einen Arm geben würde, würde sie das nicht automatisch vom Dienst im Mecha disqualifizieren. Und wie es ausschaut, stehst du deinen älteren Brüdern nicht nach, junge Dame."
Sie brummte ärgerlich. "Ich wünschte, Sie würden aufhören, mich zu duzen, Sir."
"Wünsch weiter. Das wird nicht passieren", versetzte Kreuzer.
Zu Thomas' maßlosen Erstaunen funktionierte es. Haru klappte noch einmal den Mund auf, setzte zum Sprechen an und machte ihn dann wieder zu. Sie schwieg.
"Und diese jungen Herrschaften sind?", fragte General Kreuzer.
"Was? Oh, Entschuldigung. Der Bordschütze des Eagles, Philip King."
"Ich nehme an, er ist Miss Mizuharas Bordschütze, nicht? Alle Achtung, junger Mann. Mit einer Frau wir ihr mitzuhalten, ist eine Leistung, die man gar nicht hoch genug bewerten kann. Du hältst doch mit ihr mit? Abgesehen davon, dass Ihr hoffentlich miteinander ausgeht."
Philip räusperte sich vernehmlich und wurde rot. Er hatte noch nicht erfolgreich verdrängen können, dass er quasi vor dem gesamten angetretenen Titanen-Regiment Haru seine Liebe gestanden hatte. Und wenn er an ihre Antwort dachte, diesmal nicht vor offenen Mikrofonen, wurde ihm der Kragen eng. "Geht so, General. Ich komme klar."
"Luc Valsonne, Pilot des Hawks."
"Freut mich. Guter Mann. Aber Ihr wart zwei, richtig? Neben Thomas, meine ich."
"Sven Dorff ist der zweite, Sir. Ist noch bei den Weißkitteln, die ihn nicht gehenlassen wollen. Aber ich bin sicher, das kriegt er hin. Er kann nämlich eine genauso große Nervensäge sein wie unsere Haru-chan."
"Sven!", protestierte sie energisch.
Die Umstehenden lachten.
"Ich werde auch mit Sven sprechen, versprochen. Aber vorher gibt es Entscheidungen zu treffen. Zuallererst, Miss Mizuhara. Sind Sie mittlerweile davon überzeugt, dass die Dai keine Gefahr darstellen? Besonders nicht für die AURORA-Mission und Division Commander Otomo?"
"Für den Moment, ja. Und merkwürdigerweise vertraue ich Kuzo", sagte das Mädchen. "Aber man weiß nie, welche negative politische Strömung auf Atlantis mal die Oberhand bekommen wird."
"Darum kümmern wir uns, wenn es soweit ist", sagte Kreuzer. "Aber kann ich sagen, dass deine Gruppe quasi gerade... Nun, ziellos ist? Vor allem im Anbetracht der Tatsache, dass auch die RASHZANZ und ihre Besatzung sowie die Götter aus der Kryostase-Einrichtung im Moment unsere Verbündeten sind?"
"Ja, das kann man annehmen", sagte sie gedehnt. Und misstrauisch.
"Sehr gut. Du und deine Gruppe, Ihr seid zwangsrekrutiert."
"Was, bitte?"
"Mit sofortiger Wirkung gehört Ihr zu den Titanen. Wir werden euch auf dem OLYMP aufnehmen und dort trainieren. Thomas ist ein guter Lehrer, aber den letzten Schliff kriegt man von vielen Lehrern. Und von jeder Menge Übung." Kreuzer sah nach oben. "Die Daimon wird nicht ewig bestehen. Alle drei Daimon werden das nicht. Und es sind bereits zehn Strafer im Sonnensystem, um auf ihre Chance zu lauern. Wir werden jeden fähigen Piloten brauchen, wenn unsere Stunde schlägt. Und Ihr beherrscht euer KI, das macht euch noch einmal erheblich wertvoller für die UEMF, für die Menschheit. Wir machen euch so fit, wie wir es vermögen, damit Ihr die Menschheit retten könnt."
Die drei jungen Leute schluckten sichtlich im Angesicht der Bürde, die ihnem vom General da auf die jungen Schultern gelegt werden sollte.
"Zumindest, falls Akira nicht vorher zurückkommt, um die Sache im Alleingang zu regeln", scherzte Kreuzer.
"Ja, stimmt, dann sind wir aus dem Schneider", sagte Luc fröhlich.
"Eigentlich war das ein Witz", sagte Kreuzer ernst.
"Echt jetzt? Immerhin reden wir hier von DEM Akira Otomo, Sir."
"Zugegeben, vielleicht war es nicht komplett ein Witz", schränkte sich der Anführer der Titanen grinsend ein. "Aber ich bin sicher, er kann fähige Hilfe gebrauchen. Also, seid Ihr dabei?"
"Wir sind dabei", sagte Haru entschlossen.
"Sind wir", sagte Philip.
"Einer für alle, alle für Akira, oder so", fügte Luc hinzu.
"Na dann, willkommen in der neugegründeten KI-Meister-Sektion der Titanen. Mögen wir euch nie brauchen. Aber möge Gott unseren Feinden gnädig sein, wenn wir es tun... Denn wir werden es nicht sein."
Und so, wie Nathan Kreuzer es gesagt hatte, klang es wie ein Schwur.


4.
"Es geht los", sagte Leekan Amada. Maltran Choaster sah auf, als er ihre Worte hörte. Das war insofern schon erstaunlich, denn er befand sich in einem Wurmloch, achtzehn Lichtjahre von der Erde entfernt, während sich die Dreisternträgerin im Kanto-System befand, bei der vereinigten Flotte von Arogad, Anelph, Fioran und Terranern, bereit, den Angriff der Logodoboro aus dem benachbarten Sonnensystem zurückzuschlagen.
"Sie kommen?", fragte er leise, ohne die Frage laut auszusprechen. Das musste er auch gar nicht, denn über das Paradies konnte er der Frau in ihrem Kunstkörper so nahe sein, als stünden sie direkt nebeneinander.
"Ja", erwiderte sie ernst. "Zum Glück haben sie uns genug Zeit gelassen, um die AROGAD zu reparieren. Ein Bakesch mehr auf unserer Seite wäre für einen Kampf gegen die Schiffe der Kinder der Götter unerheblich genug gewesen; gegen die Logodoboro und ihre Verbündeten hingegen fällt es enorm ins Gewicht." Sie zögerte. "Aris Arogad geht es gut? Nicht jeder verkraftet es, von jetzt auf gleich ein Moloch zu werden, der mit Hilfe von Lebenskraft feste Materie auflöst, ohne es zu wollen."
"Es geht ihm den Umständen entsprechend gut, Leekan. Natürlich nimmt es ihn mit. Aber seine Freunde haben das einzig Richtige getan und sind ihm auf das Kommandoschiff gefolgt. Es ist ja auch nicht besonders schwer, das eigene AO zu löschen, solange man nicht im Kampf steht. Dadurch entsteht kein freies AO, das Aris gegen seine Umgebung verwenden könnte."
"Es wird Ausfälle geben. Wieder und wieder."
"Mag sein. Aber wir kommen einem normalen Leben so nahe wie irgend möglich, was Aris betrifft."
"Und wenn wir einen Dai aus ihm machen?", fragte sie.
"Ein Reyan Maxus kann kein Dai mehr werden", belehrte sie Maltran.
Beinahe konnte er ihre Gefühle schmecken, die sie bei dieser Antwort empfand. Es war Amüsiertheit und Trotz, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. "Du meinst, es hat noch niemand probiert oder erfolgreich durchgezogen."
"Oder so", gestand Maltran grinsend. "Es gibt da vielleicht eine Möglichkeit. Eine winzigkleine Möglichkeit, die... Später einmal möglich sein wird. Bis dahin aber brauchen wir ihn, brauchen wir einen Reyan Maxus auf einem Kommandoschiff. Es tut mir leid, dass das Universum und vor allem der Core und die Menschheit ihm gegenüber so egoistisch sein muss, aber mit dem, was er jetzt vermag und dort wo er jetzt ist, nützt er uns am Meisten. Aber ich schäme mich für diesen Gedanken."
"Das brauchst du nicht. Vergiss nicht, der Junge hat einen unglaublich großen Helfer-Komplex. Wenn ihm bewusst wird, dass er gerade mal wieder Milliarden Leben rettet, wird er sich schon arrangieren." Ihre Belustigung wich Wehmut. "Wie hältst du es nur neben ihm aus? Wie kannst du bei ihm sein, ohne erschlagen zu werden?"
"Alles eine Frage der Übung. Dass ich ebenfalls erlernt habe, kein AO abzugeben, ist dabei natürlich auch recht hilfreich." Er zögerte. "Die offizielle Meldung kommt herein. Akira wird informiert werden, schätze ich. Ich wünsche dir und deinen Verbündeten alles Glück dieses Universums."
"Ich brauche kein Glück. Ich habe Können", erwiderte die Frau. "Sieh du nur zu, dass mein Echtkörper heile bleibt, und damit auch das Paradies und die AURORA, ja?"
"Ich sehe zu, was ich kann. Und du, riskiere nicht zuviel, nur weil dein Bewusstsein höchstwahrscheinlich ins Paradies zurückkehren wird, wenn dein Roboterleib da draußen vernichtet wird."
"Ich werde dran denken. Die Besprechung fängt an. Ich wünsche auch dir Glück. Wenn Ihr nach Terra kommt, werden euch zehn Strafer erwarten."
"Mag sein. Aber wir haben Aris Arogad."
"Ja, ich weiß. Die armen Strafer."
Die beiden lachten über ihr lautloses Zwiegespräch, dann beendete die über dreitausend Jahre alte Frau die Verbindung, um das zu tun, wozu sie ausgebildet worden war, was sie die letzten zweitausend Jahre betrieben hatte: Soldat zu sein. Soldat des Cores.
Maltran fühlte, wie der Kontakt der recht oberflächlichen, ja, rudimentären Verbindung wich, die alle erfüllte, die lange Zeit im Paradies verbracht hatten. Er seufzte. Ihr Weg war schon immer steinig gewesen, ungerecht und übervorteilend für sie wie für ihre Gegner. Aber warum musste er ausgerechnet jetzt auch noch steil werden?
***
Rogan Arogad sah ins Rund. Vor ihm am Hologrammtisch saßen die Oberbefehlshaber von über zweihundert Kampfschiffen und zweitausend Raidern. Sie waren dreiundvierzig Offiziere. Flottenbefehlshaber, Stabsoffiziere, Geheimdienstoffiziere und -Spezialisten, Kommunikationsoffiziere und vieles mehr. Nur fünf Personen in diesem Raum hatten einen Rang, der unter dem mit einem Konteradmiral terranischen Ursprungs zu vergleichenden Rangstufe lag. Tatsächlich unterstanden Rogan in diesem Moment vier Voll-Admiräle aus drei verschiedenen Raumflotten. Neon Zut Achander war defacto auch nach dem Putsch, der Kanto wieder zu einem allein regierten System gemacht hatte - ausgerechnet protégiert von Haus Elwenfelt, das das System damals unterworfen hatte - Oberkommandierender der Anelph-Flotte. Ihm unterstanden mittlerweile über einhundertzwanzig Schiffe aller Klassen, die vor allem aus Kampfschiffen bestanden, die während des Unabhängigkeitskampfs ihre Positionen im Imperium aufgegeben und sich selbst nach Kanto durchgeschlagen hatten. Dies machte ungefähr ein Drittel der im Reich der Naguad detachierten Kampfschiffe der Anelph aus. Der Rest hatte seine Positionen nicht verlassen, ob freiwillig oder nicht. Dies hatte über vierzig Schiffe ausgemacht, von denen allerdings rund dreißig noch in der Werft lagen. Auch zugunsten der Kapazitäten, die aufgewendet worden waren, um die AROGAD und ihre Schwesterschiffe schnellstmöglich wieder klar zu kriegen, denn jedermann war klar, dass die Naguad-Schiffe die beste Verteidigung sein würden, die das System bekommen konnte. Blieben also rund neunzig mit einer Vergleichsfeuerkraft von achtzehn Bakesch.
Fenn Ikosu hatte das Kommando über die direkt der Regierung unterstellten Kampfschiffe erhalten, die immerhin dreißig Einheiten ausmachte, mit einer Vergleichsfeuerkraft von fünf Bakesch. Dazu kam Admiral Bhansali von der Erde, der immerhin fünfundzwanzig Einheiten mitgebracht hatte. Keins der Schiffe war größer als ein Bismarck-Kreuzer, aber davon hatte er drei mitgebracht. Die Gesamtfeuerkraft bei den hochmodernen Trägern und ihren Begleitschiffen war besonders hoch, denn lediglich die Bismarck-Klasse war sprungtauglich; was die Begleitschiffe an Platz und Energiespeicherung eingespart hatten, war in die Waffen und die Schilde gegangen. Dadurch hatte Bhansalis Flotte eine Schlagkraft von sieben Bakesch. Dann war da noch Dreisternträgerin Leekan Amada, die geschlagene zweitausend Raider des Cores mitgebracht hatte. Ungefähre Schlagkraft war etwa vierzig Bakesch. Von der reinen Feuerkraft gesehen. Und schließlich und endlich war da Admiral Lonstiv, eiligst entsandt mit nicht ganz zwanzig Haus-Schiffen der Elwenfelt, um seinen Teil beim Schutz der ehemaligen Kolonie Lorania zu leisten. Den Rest der zweihundertsieben Schiffe füllten seine Einheiten auf, die vor allem aus Arogad-Hausschiffen, jenen der Fioran und einigen Daness bestanden, wobei die Arogad mit knapp vierzig Einheiten klar die Majorität stellten. Diese Schiffe fehlten nun, wo sich Logodoboro als Verräter erwiesen hatten, selbstverständlich woanders im Imperium; andererseits, wenn er betrachtete, was da auf sie zukam, gab es keinen besseren Ort für ihre Schiffe als das Kanto-System, denn der Feind war hier.
Die wichtigste Person hier im Raum, von Commander Iskender Saleed einmal abgesehen, dem terranischen Kommandeur der SANSSOUCI, der modernsten und kampfstärksten sprungfähigen Fregatte der UEMF, war sein Passagier, den er in Eilfahrt ins System gebracht hatte und der ihm großzügigerweise erlaubt hatte, diese Besprechung zu leiten, obwohl er unangefochten und unwidersprochen die Systemverteidigung kommandierte. Weil er es verdient hatte. Weil er die Fähigkeiten dazu hatte. Weil er war, wer er war: Jano Avergan Ryon, Begründer des Komitees zur Flucht und anerkanntes militärisches Genie des Imperiums. Der Mann war in mehr als einer Beziehung eine Legende. Der Mann, der neben ihm saß, machte Rogan jedoch mindestens ebenso nervös, handelte es sich bei Admiral Gennusuke Riada doch um einen nicht minder berühmten Offizier und Kommandeur. Der Mann hatte auf Lorania die Stellung gehalten, während Ryon mit der ersten Migrantenflotte ins Universum aufgebrochen war, um eine neue Heimat für fluchtwillige Anelph zu finden. Dabei war er über die Terraner gestolpert, und der Rest war Geschichte. Diese Geschichte hatte Aris Arogad nach Nag Prime gespült; sie arbeiteten noch immer daran, die Nachwirkungen seiner Anwesenheit zu verarbeiten. Und die Entführung seines AO's hatte es nicht gerade besser gemacht. Ein ganzes Imperium sah sich ihm gegenüber mehr oder weniger in der Schuld, weil achtzig Milliarden Naguad nicht in der Lage gewesen waren, auf einen einzigen Menschen achtzugeben. Aber das war schon wieder eine andere Geschichte. Eine ganz andere Geschichte. Die, die sie hier und heute zum Besten geben würden, konnte man Schlacht um Kanto nennen. Rogan bevorzugte: Schicksalsschlacht um das Imperium. Denn wenn sie das Kanto-System an die Logodoboro verloren, waren sie von den Terranern abgeschnitten. Und zu einem beträchtlichen Teil auch von den Iovar. Dann hatten Logodoboro - also jener Zweig der Familie, der sich offen gegen das Imperium gestellt hatte - und Koromando, die beiden Verräterhäuser, ein effektives Bollwerk aus fünf Systemen errichtet, die jeder umgehen wollte, der in die Machtgebiete der Menschen und der Iovar reisen wollte. Sie erwarben sich dadurch einen Zeitvorteil von mehreren Wochen. Das konnte schnell zu einem tödlichen Nachteil werden.

Neon Zut Achander räusperte sich vernehmlich und Rogan sah auf. Die Ordonnanzen hatten gerade die letzten Getränke aufgetragen. Rogan erkannte in ihnen den jungen Mann und die junge Frau, die selbst dann noch die Axixo-Basis verteidigt hatten, Loran Aketar und Yamu Lhantan, zwei hauslose Naguad. Ihr persönlicher Mut war für viele Soldaten der Kanto-Systemverteidigung ein leuchtendes Vorbild. Von Yamus Selbstmordversuch einmal abgesehen, der wurde nicht ganz so wohlwollend betrachtet.
"Ich denke, es kann losgehen. Vorab eines: Wir haben in etwa noch achtzehn Stunden, bevor die Chance besteht, dass wir mit den Logodoboro aneinander geraten werden. Aber die schlechte Nachricht vorweg: Es sind weit mehr, als wir angenommen haben."
Durch seinen Tastendruck erwachte das Hologramm zum Leben und bildete über dem Tisch die taktische Karte des Kanto-Systems ab. "Wie Sie alle sehen, kommen die Logodoboro nicht bei Livior heraus, um den Deckschatten des Gasriesen und seiner neunundfünfzig Monde zu nutzen. Stattdessen nutzen sie die Gravitationssenke von Licavre, um ins System zu springen und sich zu sammeln. Ich bin mir ziemlich sicher, dass, wäre Lissette nicht gerade auf der anderen Seite der Sonne, hätten sie auch dessen Schwerkraftsenke mit Kusshand genommen. So aber sind sie etwas tiefer im System, weil Licavre und Lorania relativ gesehen auf der gleichen Seite der Sonne stehen. Unser großer Vorteil ist aber, dass Lovtose und die Regionaladmiralität auf seinem Mond Bilod ebenfalls auf "unserer" Seite des Systems stehen. Im Übrigen haben wir mehr als ein wachsames Auge auf den Rest des Sonnensystems, um sicherzustellen, dass wir nicht in die Zange genommen werden sollen. Wonach es bisher nicht ausschaut. Glücklicherweise.
Das war es aber auch schon an Glück, denn die Flotte, die Logodoboro und Koromando aufbieten - ja, wir haben die Koromando-Einheiten anhand ihrer Signatur-Abdrücke eindeutig identifizieren können - umfasst einhundertzwanzig Einheiten aller Klassen mit einer Gefechtsleistung, die etwa achtzehn Bakesch entspricht. Dazu bieten sie schätzungsweise achttausend Banges auf. Ja, ich weiß, wir haben über zweihundert Schiffe und fast zwanzigtausend Banges auf unserer Seite, von Ihren Raidern, Leekan Amada, mal ganz abgesehen. Aber die kombinierte Flotte der Separatisten bietet fast fünftausend Raider auf."
Nervöses Raunen ging durch den Konferenzraum.
"Wir können mit Fug und Recht sagen, dass der Verrat der Logodoboro keinesfalls überraschend kommt, zumindest nicht für sie selbst", sagte Rogan mit sarkastischem Tonfall in der Stimme. "Sie sind sehr gut vorbereitet, wie wir sehen. Und auch wenn wir ihnen in die Suppe gespuckt haben und die Neugründung der Logodoboro durch ihre erste Hausmeisterin einiges an Schiffen und Personal abspenstig gemacht hat, von latenten Sympathisanten einmal ganz abgesehen, sind sie uns zahlenmäßig überlegen. Und als wenn das noch nicht genug wäre, haben wir rund sechshundert Einheiten identifiziert, die wir den Iovar zuordnen müssen. Genauer gesagt dem geflohenen iovarischen Kaiser. Dies führt zu einer Überlegenheit von drei zu eins für die Angreifer, die Kampfkraft unserer Forts noch nicht berücksichtigt. Geschweige denn von unseren Minenfeldern und sonstigen Schweinereien, die wir präpariert haben, inklusive..."- er grinste über das ganze Gesicht - "...sieben Resonanztorpedos, die uns so sehr überlegen machen, dass den Logodoboro der Arsch schon auf Grundeis geht. Aber leider gilt das nicht für die kaiserlichen Einheiten, weil wir davon ausgehen müssen, dass ihr Anteil an AO-Beherrschern recht hoch ist. Tatsächlich aber müssen wir davon ausgehen, dass an Bord dieser sechshundert Schiffe das Gros jener Iovar befindet, die ihrem Kaiser treu sind und von den Resonanztorpedos nicht betroffen sein werden."
"Alles hat seine Licht-, und Schattenseiten", wandte Commander Khaleed ein. "Und richtig eingesetzt werden die sieben Resonanztorpedos sehr effektiv sein. Nicht gegen die Raider, nicht gegen die Iovar, aber wohl gegen die Naguad."
"Ich weiß, wovon Sie reden, Commander", sagte Achander. Seine persönlichen Erfahrungen mit Resonanzfeldern waren sicher nicht die Besten. Aber immerhin hatte ihn niemand aus dem Resonanzfeld entfernt und damit seinen Tod provoziert.
"Danke, Sir. Kann ich davon ausgehen, dass wir jetzt zu den Geisterreitern kommen, Rogan?"
Der Voll-Admiral runzelte die Stirn. "Nun, wenn du das Thema auch gerade ansprichst, Iskender. Unsere terranischen Freunde von der UEMF waren nicht nur so zuvorkommend, uns eine Flotte zu schicken und Admiral Ryon schnellstmöglich vorbei zu schicken, sie haben uns mit der SANSSOUCI nicht nur eine Fregatte geschickt, sondern auch ihr modernstes Kampfschiff dieser Klasse. Ausgelegt auf Erkundung verfügt das Schiff über acht LRAO-Mechas für die Fernerkundung sowie sechzehn Geisterreitern. Lange Zeit wurde der Schutz der zumeist mit Boostern ausgestatteten Daishi Epsilon von anderen Mechas gewährleistet: Sparrows, Hawks, Eagles. Das ist bei der SANSSOUCI nicht mehr notwendig. Jeder LRAO steuert zwei Geisterreiter direkt. Diese sind, um es auf den Punkt zu bringen, auf der Zelle eines Epsilons erbaute Kampfplattformen, die sowohl den Innenraum für die Ortungscrews als auch die Lebenserhaltung für Waffentechnologie benutzen. Sie sind ausgerüstet mit Schiffskillertorpedos und Teilchenkanonen, darauf ausgelegt, sogar eine Korvette in Fetzen zu schießen. Diese können sowohl defensiv als auch offensiv eingesetzt werden. Auf jeden Fall benötigen sie keinen Piloten und können deshalb auf alles verzichten, was einen Mecha für Menschen komfortabel macht. Das macht sie vor allem eines: Ersetzbar. Ich denke, wir haben zwar nur sechzehn davon, aber sie werden eine erhebliche Überraschung für die Logodoboro werden."
Rogan Arogad faltete seine Hände vor sich auf dem Tisch. "Optionen, Herrschaften?"
Bhansali meldete sich. "Admiral Arogad, können wir eine Belagerung ausschließen? Ich meine, dieser Angriffsverband könnte, einfach indem er das Kanto-System blockiert anstatt uns anzugreifen, unsere Position deklassieren. Blockiert er Schifffahrtsrouten und Handel, ist es gleichbedeutend damit, dass das Kanto-System unverteidigt ist. Noch schlimmer, der Feind zwingt uns, zu ihm rauszukommen. Was wir zweifelsohne tun werden, wenn nur genügend ankommende Schiffe der Blockade zum Opfer gefallen sind."
"Da stimme ich Ihnen zu, mein lieber Bhansali", sagte Achander. "Aber bedenken Sie, jede Sekunde, die Logodoboro seine Schiffe im Kanto-System massiert, ermöglicht es uns, eigene Verstärkungen heran zu bringen. Was für uns mehr als ökonomisch ist, denn jedes Schiff, das wir hier stellen, aufbringen oder vernichten, wird ihnen bei der Verteidigung ihrer hauseigenen Systeme fehlen. Deshalb können sie nicht auf Blockade spielen. Sie werden angreifen, sobald ihre Flotte komplett ist. Und sie werden hart zuschlagen müssen. Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass sie zu uns kommen. In unsere Waffenreichweite. In den Beschussradius unserer planetengebundenen Forts."
Vize-Admiral Ikosu räusperte sich. "Neon, das bedeutet aber im gleichen Maße, dass die verdammten Logodoborohier relativ schnell reinen Tisch zu machen versuchen. Und das in einem Sonnensystem, das gerade erst voll erkannt hat, welches Naguad-Haus tatsächlich für die letzten Jahrzehnte der Unterdrückung verantwortlich war. Und sie kennen die meisten unserer Waffensysteme. Sie wissen mit Sicherheit, dass die Resonanzfeld-Torpedos das System nicht verlassen haben. Das erkennen wir daran, dass der Kaiser nicht seine ganze Flotte einsetzt, oder? Wobei sechshundert Schiffe aller Klassen eine deutliche Sprache sprechen. Wie viele Einheiten hat er darüber hinaus?"
"Ja, das ist ein strittiger Punkt. Das wird vor allem problematisch, wenn wir daran denken, die Logodoboro-Systeme zu erobern. Wie viele kaiserliche Einheiten werden uns dort erwarten?", fragte Letar Lonstriv Elwenfelt. "Und sind die kaiserlichen Schiffe technologisch mit unseren gleichzusetzen?"
"In dem Punkt kann ich Sie beruhigen, Admiral Lonstriv", sagte Rogan Arogad. "Wir schätzen die kaiserlichen Schiffe als im Schnitt zwanzig Prozent unterlegen ein, was Beschleunigung, Manövrierfähigkeit und Banges-Beladung angeht. Tatsächlich sind sie den terranischen Schiffen ohne Sprungantrieb sogar zu fünfundvierzig Prozent unterlegen."
"Dennoch wünschte ich mir, die AURORA und Commander Otomo wären hier", sagte Admiral Ryon. Mehr als einer der Anwesenden nickte zustimmend.
"Commodore Otomo ist mit seinem neuen Schiff, dem Kommandoschiff ADAMAS, auf dem Weg zur Erde. Wir können nicht über ihn verfügen. Vor allem nicht, wenn wir bedenken, dass Terra mehr Ärger hat als wir. Zehn Strafer stehen auf Höhe der Jupiterbahn und warten darauf, dass die drei Daimon um Erde, Mars und Mond versagen. Zwar haben umliegende Nationen der Daina, von denen wir noch nie etwas gehört haben, Flotten detachiert, um die Erde zu schützen und die Götter endlich in ihre Schranken zu weisen, aber wenn wir uns die Vorgänge über Iotan ansehen, als Flotte um Flotte der Strafer die Daimon des Kaisers angegriffen haben, können wir unmöglich sagen, wie viele Schiffe sie noch über der Erde zusammenziehen können. Nein, Aris Arogad ist auf dem Weg dorthin, wo er am meisten gebraucht wird", sagte Rogan ernst. "Wir können nur hoffen, dass ADAMAS, AURORA und die Begleitflotte nicht zu spät kommen werden."
"Zurück zu unseren eigenen Problemen", sagte Admiral Ryon. "Die Frage, die Sie uns stellen, mein guter Rogan, ist doch: Greifen wir trotzdem an, oder lassen wir sie auflaufen?"
"Richtig. Was bringt uns mehr Vorteile? Was bringt ihnen Verluste, möglichst schwere und möglichst viele, schont aber unsere Ressourcen?"
"Wenn ich meine bescheidene Meinung in den Raum werfen dürfte", sagte Commodore Khaleed.
"Wir bitten darum, Iskender."
"Ich denke, das Schlimmste, was uns passieren könnte, wäre, mit dieser Flotte Breitseite an Breitseite zu liegen. Dann wird nämlich ihre überlegene Feuerkraft zum Tragen kommen. Was wir nicht gebrauchen können, das ist, dass sich die Flotte organisiert und als geschlossener Verband marschiert. Wir müssen Unruhe reinbringen, ihren Aufbau unterminieren, sie daran hindern, sich zu formieren. Sie nerven und stören und in Verwirrung stürzen. Und wir haben gute Chancen dafür. Die Hauptstreitmacht besteht aus Logodoboros. An wie vielen Flottenoperationen haben ihre Haus-Schiffe in den letzten dreißig Jahren teilgenommen? Wie groß ist die reale Erfahrung ihrer Kapitäne und Mannschaften, geschweige denn ihrer Kommandeure?"
Rogan Arogad schwieg verblüfft. "Kaum bis nicht vorhanden. Wie wir ja jetzt wissen, haben die Logodoboro bevorzugt auf Agentenebene gehandelt. Teilnahme von Hausschiffen an Aktionen fanden eher selten mit Logodoboro-Einheiten statt. Die meisten Kapitäne und Flaggoffiziere wurden kaum eingesetzt. Und ich schätze mal, hausintern haben sie auch nicht gerade den besten Ruf. Ich meine, sie wurden nicht eingesetzt. Die Agenten des Hauses hingegen schon."
Iskender Khaleed grinste wölfisch. "Ah, ich liebe das. Unerfahrene Kapitäne, die sich an ihre Lehrbücher klammern und zugleich verzweifelt versuchen, Reputation zu gewinnen, treffen auf unkonventionelle Angreifer, die sich an keine Regeln halten. Zumindest nicht an Regeln aus den Lehrbüchern. Ich schätze, zumindest die Logodoboro werden wir in erhebliche Unordnung stürzen können." Khaleed erhob sich. "Ich sehe hier über dreihundert Jahre Flottenerfahrung versammelt. Hier ballt sich das Wissen aus drei verschiedenen Flotten. Sechs, wenn wir die Haus-Einheiten naguadscher Häuser einzeln rechnen. Wir alle kennen einen Haufen Situationen, die wir alle gleich behandeln würden. Aber wir haben alle auch unsere eigenen Alternativen erarbeitet und teils erfolgreich angewendet. Oder, um es nicht ganz so freundlich auszudrücken: Wenn es eine Zeit und eine Gelegenheit gab, all unsere miesen Tricks auf einen großen Haufen zu werfen, dann ist es jetzt."
"Interessant, Khaleed", sagte Admiral Bhansali. "Na, dann lassen Sie mal hören. Wir sind sehr gespannt."
Khaleed sah zu Rogan herüber, der zustimmend nickte.
"Leekan, angenommen, Sie hätten nur Ihre Raider zur Verfügung, um diese Flotte aufzuhalten, wie würden Sie vorgehen?"
Das künstliche Gesicht des Leihkörpers verzog sich zu einem ziemlich hässlichen Lächeln. Oh, die Mimik des Robotleibs war durchaus in der Lage, Emotionen unverzerrt zu transportieren. Sie wollte einfach so lächeln. "Ich würde die - wie heißt dieser mystische terranische Ort doch gleich? Ach ja - die Hölle auf sie herabkommen lassen."
"Ich denke, wir haben hier den Ansatz gefunden, um den Logodoboro einen Arschtritt zu geben, der sie ein System weit zurückbefördert." Khaleed sah ins Rund. "Vorschläge? Oder soll Dreisternträgerin Amada erst einmal ihre Vorgehensweise erklären?"
***
"Akira?"
Erschrocken fuhr ich zusammen, obwohl ich es eigentlich gewohnt sein sollte, dass Mother aus dem Nichts neben mir auftauchte. Das war in Ordnung, solange sie mich alleine auf einem Gang erwischte, so wie jetzt beispielsweise. "Bitte, häng dir eine virtuelle Kuhglocke um den Hals, um mich vorzuwarnen, wenn du wieder aus dem Nichts auftauchst", beschwerte ich mich. "Was gibt es denn, was nicht warten kann, bis ich auf der Brücke bin?"
"Nur eine Randinformation. Rückkehr in den Normalraum in achtzig Minuten."
"Ich weiß. Deshalb komme ich ja auf die Brücke. Was hat die Fernbeobachtung ergeben?"
"Soweit wir erkennen können, lauern keine Strafer in der Nähe unseres Wurmlochs auf unsere Rückkehr. Die Relaissonde, die wir im System zurückgelassen haben, meldet ebenfalls keine Schiffe in relevanter Entfernung."
"Aber?", fragte ich beinahe schon automatisch.
"Aber die Sonde hat ebenfalls einen Troß Götterschiffe beobachtet, der auf den günstigsten Absprungpunkt in Richtung Sol-System zuhält. Halten sie Tempo und Route bei, werden sie achteinhalb Stunden vor uns springen."
"Anzeichen, dass sie Einheiten detachieren, um uns abzufangen?", fragte ich knapp.
"Nein, keine Anzeichen. Bis jetzt. Es scheint so, dass die Kinder der Götter nicht damit rechnen, dass die AURORA jemals wieder in einem Stück aus diesem Wurmloch kommen wird."
"Ich wäre nicht so nachlässig gewesen", murrte ich. "Selbst wenn ich mit einer gewaltigen Explosion rechnen müsste, die anstelle der AURORA dieses Wurmloch verlässt, ich hätte ein Empfangskomitee abgestellt."
"Sieh es ihnen nach, Akira. Es sind nur Maschinen. Es gibt für sie nur eins oder null. Und die AURORA war für sie null, seit sie unser Wurmloch mit einem eigenen gekreuzt haben."
"Gut für uns. Aber dass ausgerechnet du dich über Maschinen mokierst, Mother, gibt mir zu denken."
Das Hologramm der großen Frau stemmte die Hände auf die Hüften. "Junger Mann, du vergleichst mich doch hoffentlich nicht etwa mit diesen primitiven Apparaturen, die nur zu Rechenoperationen fähig sind, während ich dank meiner Operatoren zu intuitivem Denken fähig bin!"
"Wer sagt denn, dass die Computer der Götter das nicht auch können?"
"Ich..." Mother ließ die Arme hängen. "Gutes Argument. Punkt für dich. Aber dann haben sie diesen Punkt bisher sehr gut verdrängt, Akira."
"Ich weiß. Aber mir geht diese Begegnung nicht mehr aus dem Sinn, bei der ich zum Reyan Maxus erwachte. Die Computerstimme schien... Humor zu haben. Wenngleich einen ziemlich merkwürdigen, kranken Humor. Und ungeduldig war sie auch." Ich deutete dem Hologramm an, mich weiter zu begleiten. "Woraus besteht der Troß?"
"Nun, sie haben zwei Sucher dabei, was für uns kein großes Problem darstellen sollte. Zweifellos sollen die Sucher die Schleusen finden, über die wir unsere Verbündeten in die Daimons holen."
"Anzunehmen. Wie viele Strafer?"
"Einen."
"Na, immerhin."
"Dazu kommen acht Vernichter."
Entsetzt blieb ich stehen. Vernichter waren riesige Einheiten, beinahe so groß wie meine ADAMAS. Moment, wann hatte ich begonnen, meine ADAMAS zu sagen? Na, egal. Auf jeden Fall wurden sie ihrem Namen gerecht und waren der schwerste bekannte Schiffstyp, den die Kinder der Götter einsetzten. Bisher hatten die Strafer immer gereicht - oder eben nicht gereicht. Das konnte man so oder so sehen. Nun aber hatten sie ihr bestes Spielzeug ausgepackt. Und die AURORA hatte schon mit Strafern ihre Mühen gehabt.
"Ich sehe, dass du denkst, Akira. Das freut mich. Aber was brütest du aus?"
"Du hast gesagt, sie erreichen den Absprungpunkt in etwas über acht Stunden, richtig? Und sie erwarten augenscheinlich nicht, dass etwas aus unserem Wurmloch hervor kommt, richtig?"
"Soweit ja."
"Gut. Alle Maschinen Stopp. Die ganze Flotte soll stoppen. Nützt das nichts, Gegenschub für alle Einheiten."
"Wie bitte? Man stoppt nicht in einem Wurmloch", sagte Mother erschrocken.
"Ach, weißt du, Mother, ich habe heute so viel über Wurmlöcher gelernt, es sollte mich nicht wundern, wenn man nicht doch in einem Wurmloch stoppen könnte. Oder zumindest den Ausflug aus dem Wurmloch um acht Stunden zu verzögern."
"Und was dann, großer Held?"
Ich griente sie frech an. "Dann fliegen wir hinterher, dringen in ihr Wurmloch ein und rollen die Halunken von hinten auf. Denn die Götter werden mit Sicherheit nicht versuchen, in einem Wurmloch abzubremsen oder Gegenschub zu geben. Das unterscheidet sie von einem intuitiven Computer wie dir, Mother."
"Akira, Akira", sagte sie bedächtig, "manchmal frage ich mich, warum du mir so unheimlich bist. Und manchmal frage ich mich das nicht."
"Nenn es Genialität." Das Lächeln gefror auf meiner Miene. "Ich habe jedenfalls nicht vor, einen Haufen Vernichter bis zur Erde vordringen zu lassen, wo praktisch jeden Tag die Daimons zusammenbrechen können."
"Ich mag deine Genialität", versicherte mir Mother lächelnd. "Gerade, wenn sie mir Angst macht. Solange wir auf der gleichen Seite stehen."
"Daran dürfte gerade kein Zweifel bestehen, nicht?", erwiderte ich und das Grinsen kehrte auf mein Gesicht zurück. Nein, diese Flotte würde die Erde definitiv nicht erreichen. Ich würde es verhindern. Wir würden es verhindern.


Epilog:
"Hatschi!"
"Gesundheit, Kitsune." Lertaka sah sie an. "Alles klar bei dir?"
Die Fuchsdämonin winkte großzügig ab. "Ach, ist nichts weiter. Ich dachte nur gerade daran, was wohl wäre, wenn wir mit unserer Flotte Vernichter zur Erde fliegen würden, nur um hinterrücks von Akira überfallen zu werden, weil er nicht weiß, dass die Zivilisation der Nagalev an Bord ist und die Götter keine Kommandogewalt mehr haben. Er würde uns in Grund und Boden stampfen, bevor wir ihm die Sachlage erklären könnten."
"Ach, ist er so stur?"
"Nein, so fix", erwiderte sie mit einem dünnen Lächeln.
Ihr Blick ging zu den Dai und den fünfhundert Einsatzsoldaten der Nagalev, die auf den Einsatzbefehl warteten. Tatsächlich schob sich gerade ein verdammt großer Materialzug an die Enklave heran, der Kurs auf den Rand des ausgehöhlten Mondes hielt, genauer gesagt an eine Stelle, an der sich einige Vernichter massierten. Sie und die sie begleitenden Dai würden so viele Schiffe wie möglich kapern und für die Evakuierung zurückbringen. Doch bevor sie das erste Schiff überhaupt betreten konnten, musste der Hauptrechner frittiert werden. Unwillkürlich ging ihr Griff zum Neuroschocker in ihrem Seitenholster. Das war ihre Aufgabe.
Der Zug verlangsamte merklich, blieb beinahe stehen und ließ einen quer laufenden Zug durch. "Jetzt!", zischte Kitsune. Die Soldaten und Dai brachen von ihrer Seite hinter dem Hologramm hervor. Schnell hatten sie den Zug erreicht und sich auf ihm befestigt. Magnetisch, per Schlaufen, alles war legitim, solange es die mehrstündige Fahrt zum Randgebiet des Werft überstand. Und dabei war die harte Strahlung, der sie hier draußen ausgesetzt waren, noch nicht mal eingerechnet.
Kitsune sah zu Lertaka und Kirdantas herüber. "Los jetzt."
Die beiden Dai nickten zustimmend und folgten der Fuchsdämonin tiefer in die Eingeweide der Werft. Eine schnelle Materialplattform flog einige Zeit parallel zu ihnen und die drei Dai sprangen auf sie auf. Die Plattform würde sie so tief in den Komplex bringen, wie ihre Permits gültig blieben. Ab dort mussten sich die Dai entweder darauf verlassen, dass der Supercomputer ihnen weitere Geschenke dieser Art besorgten, oder sie mussten per Pedes weiter vordringen. Letzteres war nicht so wünschenswert, weil es zeitaufwändig sein würde. Und Zeit war etwas, was ihnen hier wirklich fehlte. Aber Kitsune hatte ohnehin schon lange beschlossen, dass sie den Preis, von der harten Gammastrahlung bis in einen Zustand frittiert zu werden, der selbst ihre Selbstheilung übertraf, zu zahlen mehr als bereit war, wenn dies nur bedeutete, den Hauptrechner auszuradieren und anschließend diese ganze verdammte Werft hochzujagen. Und sie wusste, auch ihre Begleiter hatten diese Möglichkeit erkannt und nahmen sie in Kauf. Was waren sie nur für ein verrückter Haufen. Allerdings war ihre Aufgabe um einiges leichter, weil sie die Reaktoren nicht mehr sprengen mussten. Der Rest... Nun, sie würden es sehen, wenn sie das Zentrum erreicht hatten. Ihre Chancen, wieder nach Hause zu kommen, waren jedenfalls größer als bei der ursprünglichen Planung ohne Unterstützung durch einen Supercomputer. Daran hielt sich Kitsune mental fest. Daran, und am Wunsch, die Erde und Akira wiederzusehen. Und eventuell, ganz vielleicht nur diesen alten, griesgrämigen, ewig grauen Typ von Dai-Okame-sama. Eventuell.

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Ace Kaiser,
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25.02.2013 18:04 Ace Kaiser ist offline E-Mail an Ace Kaiser senden Beiträge von Ace Kaiser suchen Nehmen Sie Ace Kaiser in Ihre Freundesliste auf
zailaiboke
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Ach, und bevor ich es vergesse, Sir, wir alle hier sind unheimlich stolz darauf, wie Sie die Situation mit dem zerstörten Strafer und dem zweiten Wurmloch geregelt haben. Sollte jemand zu dem Zeitpunkt noch skeptisch gewesen sein, ob er oder sie tatsächlich das eigene KI gut genug unterdrücken kann, ohne Sie damit zum fressen anzuregen - danach war es eine Frage der Ehre, dass sie es einfach tun. So wie Sie einfach tun, was Sie müssen, um uns zu retten."



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25.07.2013 10:33
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Anime Evolution: Krieg
Episode dreizehn: Im Auge des Sturms

1.
Vor zwei Wochen
"Da waren wir also, auf unserer Irrfahrt durch die Randgebiete dessen, was die Menschheit bisher besiedelt hatte - in zwanzigtausend langen Jahren. Und die Nachfahren dieser Pioniere gaben ihr Bestes, um das Erreichte wieder in Trümmer zu schlagen. Wir, die Dai und jene, die sich Daina nannten, waren mittendrin. Teils aus Hegemonie-Gründen, teils aber im letztendlich vergeblichen Versuch, Frieden zu schaffen. Wir Toren! Frieden schaffen mit Waffengewalt! Für das Gute einstehen, wenn es da draußen kein gut und böse gab, bestenfalls ein verwaschenes Grau! Wer heute nach unseren Maßstäben als gut galt, war morgen vielleicht nicht mehr am Leben, und der, der für ihn übernahm, hatte ganz andere Vorstellungen als seine Vorgänger, was Kriegsführung und was Politik anging. Das Klima an sich war vergiftet und wir hatten Jahrzehnte daran mitgearbeitet, es noch weiter zu vergiften. Die klügste und beste Variante wäre es gewesen, die einzige Macht, die noch bei Verstand war, die noch einen gewissen zivilisatorischen und humanen Standpunkt kannte, zur Hegemonialmacht zu machen, die Rüstungsindustrie aller kriegsführenden Parteien sowie ihre Flotten zu zerstören und mit eiserner Hand die Einhaltung des Friedens zu überwachen!
Wären wir doch damals auf der heutigen Erde nur dazu bereit gewesen, die Macht zu ergreifen, solange unsere Flotten noch die kampfstärkste Einheit in der Region war, als es uns noch möglich war, bevor Abnutzungskämpfe uns nach und nach Schiff auf Schiff kosteten und uns daheim die Politik das Budget zusammenstrich, um uns "zum Frieden zu zwingen". Dabei waren unsere Schiffe das Einzige, was die Daima und Daina, die wie Wahnsinnige durch die Galaxis tobten, daran hinderten, ganze planetare Bevölkerungen auszulöschen. Noch.
Nachdem unsere Kampfschiffe nach und nach zurückgerufen wurden, ging der Wahnsinn ungehindert weiter. Und bevor wir es uns versahen, traten die Götter auf den Plan, und mit ihnen die Beinahevernichtung unserer Zivilisation. Nein, ich korrigiere mich: Unsere Zivilisation ging unter, und zurück blieben lediglich versprengte Kolonien der Daima und Daina und nur sehr wenige Daimon der Dai selbst, denn die Götter machten Jagd auf diese Enklaven, nachdem sich die Dai der Erde auf einen Kuhhandel eingelassen hatte, der die stärksten restlichen Schiffe der Flotte aus dem Geschehen nahm. Ihre große Hoffnung, dass die Götter ohne die Flotte in den Dai der Erde keine Bedrohung mehr sahen, erfüllte sich nicht, wie wir wissen. Im Gegenteil: Mit den Dai der Erde zur oberflächlichen Drohung verkommen, zudem mit dem Messer an der Kehle, begann überhaupt erst die große Hatz auf Daimon und damit auf die Dämonen selbst, wie sie oftmals genannt wurden... Denn wenn sie derart gejagt wurden, dann musste doch etwas daran sein, an der Propaganda der Götter, die sie als Gefahr für alle Intelligenzen darstellte, oder?
Diese erschreckenden Gedanken wurden schnell üblich. Nicht nur die Dai der Erde wurden verteufelt, sondern auch jene auf den eigenen Welten. Ihre Vernichtung wurde vielerorts herbeigesehnt, sodass die Dai keinen anderen Weg mehr sahen - die wenigen, die überlebt hatten - sich in die Daimon zurückzuziehen und auf das Vergessen der Menschen zu hoffen. Manchmal gelang dies. Manchmal gelang es nicht. Manchmal nahm es bizarre Formen an, so im Kanto-System, wie ich aus den Speichern der AURORA weiß. Die dortigen Dai vergaßen oder begruben ihrer Ursprünge und bildeten innerhalb ihrer Daimon eine neue, radikale Gesellschaft, die von Anarchismus gestaltet wird. Anarchismus und Egoismus. Zumindest, bis die Naguad ihre Daimon fanden, erkundeten und ihre Gesellschaft, die für sie eine tickende Zeitbombe war, bis in die Grundfesten zerbrachen.
Aber ich greife zu weit vor. Was ich erzählen wollte, war Kydranos' Erlebnisse, damals, als ich noch ein Daina war, als ich ihn begleitet hatte, auf der ADAMAS, dem Kommandoschiff. Ich überspringe den Teil, der nicht relevant ist, überspringe die Namen der Reiche und Bündnisse zwischen Daina und Daima, Daima und Daima, Daina und Daina, die so schnell wechselten wie der Takt eines Pulsars. Ich gehe direkt in jene Zeit, als wir den Göttern auf der Spur waren und eine erstaunliche Entdeckung machten, die... Nun, die alles, was wir zu wissen glaubten, auf einmal erschütterte. Denn es gab da jemanden, der entschieden hatte, dass die Daima und Daina als Ganzes höchst gefährlich waren. Denn aus ihnen entstanden Dai, und die Dai waren sein größter Feind. Dieser jemand war ein Planet..."
(Latiss Jomdral, Dai, vergeistigt, Bewohner des Paradies der Daima und Daina, ehemaliger Suppressor von Kydranos, Kommandant der ADAMAS, während seines Berichts zu seinen Erlebnissen vor fünfzigtausend Jahren)

1.
"Was machst du da gerade?", klang eine wohlbekannte Stimme hinter meinem Rücken auf.
Automatisch warf ich mich auf das, was ich vor mir auf meinem Schreibtisch hier auf der ADAMAS, die mir als Exil dienteausgebreitet hatte. Zumindest solange als Exil diente, solange meine drei Suppressoren noch nicht in der Lage waren, meine Fähigkeit zu bekämpfen, fremdes KI zu absorbieren und destruktiv wieder freizusetzen. "Nicht gucken!", rief ich.
"Oh, ist es was Schweinisches? Darf ich mitmachen?" Yellow Slayer trat heran und sah über meine Schulter auf das Wirrwarr vor mir. "Lass mich doch mal sehen."
Heftig schüttelte ich den Kopf. "Das ist nichts! Überhaupt nichts! Und interessant ist es auch nicht!"
Dies veranlasste Megumi - denn um niemand anderen handelte es sich - dazu, zu versuchen, eines der Bücher, die ich unter meinen Armen begraben hatte, hervor zu ziehen. "Ich will doch nur mal gucken!" Und das war besonders ärgerlich, denn natürlich benutzte sie ihre Kräfte, die sie als Yellow Slayer besaß. Schwupps, da hielt sie tatsächlich ein Buch in der Hand. Da hätte ich nur gegenhalten können, wenn ich mich in die Hausuniform der Arogad gehüllt hätte, meine eigene KI-Rüstung, um gegen ihre Slayer-Kräfte gegenhalten zu können. Aber ich konnte es nicht, durfte es nicht, denn erstens hatten wir es hier nur mit Büchern aus Papier zu tun - ja, ich weiß, ein Anachronismus, vor allem bei dem Zweck, für den ich sie verwendete - und zweitens waren sie mir gerade sehr viel wert. Zumindest genug, um nachzugeben, um sie vor der Vernichtung oder Beschädigung zu bewahren.
"Aber das ist ja ein Physikbuch." Sie blätterte sich durch ein paar Seiten. "Anspruchsvoll, aber nicht allzu sehr. Fusionstechnologie solltest du zum Beispiel besser kennen, als es in diesem Buch beschrieben steht. Und Quantenmechanik - du wendest sie jeden Tag an."
"Ja, ja", entgegnete ich säuerlich. "Gibt es einen besonderen Grund, warum du mich in voller KI-Rüstung überfällst, Schatz?"
Sie schürzte hinter meinem Rücken die Lippen zu einem überlegenen Grinsen. Ich musste es nicht sehen, um es zu wissen. Zwar war Megumi Uno kein Kind von Traurigkeit, aber normalerweise benahm sie sich zurückhaltend und überlegt. Vor dem zweiten Marsfeldzug, was nach dem ersten Marsfeldzug bedeutet, bei dem wir meinten Yohko verloren zu haben, hätte man sie ohne weiteres als kalt bezeichnen können. Damals war sie introvertiert gewesen, ausgelöst durch Yohkos Verlust und meine Teilamnesie, wodurch ich einen Großteil meiner Zeit bei der UEMF als Blue Lightning, als Rückgrat der Truppen, vergessen hatte. Und damit beinahe alles, was sie betraf. Der unwillkommene Gedanke kam mir, dass ich ihr eigentlich genug angetan hatte, als ich mich auf mich selbst konzentriert hatte, anstatt ihr dabei zu helfen, ihren Teil der Trauer zu überwinden. Und als ich ihr meinen Anteil an der Verteidigung der Erde überlassen hatte, war das auch nicht sehr nett gewesen. Aber hey, Amnesie. Eine sehr bequeme Ausrede...
Da war ich erst rausgekommen, nachdem Kitsunde und Dai-Kuzo-sama mir die Scharade vorgespielt hatten, ich befände mich in einem konstruierten Universum. Was mich endlich darauf brachte, warum die Slayer abgewandelte weibliche Schuluniformen trugen. Dai-Kuzo-sama hatte die Slayer nach dem Ersten Marsangriff erschaffen und dabei absichtlich tief in die Klischee-Kiste der Anime und Mangas gegriffen. Für mich, wie mir siedendheiß bewusst wurde. Aber das änderte nichts daran, dass Megumi immer, wenn sie die Rüstung von Yellow Slayer trug, also ein weißes Trikot mit gelbem Rock sowie langem, hellblauem Haar, ein extrem kesses Biest wurde. Manchmal stimmte es wohl, dass, wenn man eine Maske aufsetzte, Dinge tun konnte, die man sich zuvor nicht zutraute.
Jedenfalls, Megumi wurde in der Rüstung ein richtiges Früchtchen. Wenn ich daran denke, wie sehr sie mich geneckt hatte, damals im Kanto-System, als ich sie für tot gehalten und nie daran gedacht hatte, Yellow Slayer und Megumi Uno miteinander in Verbindung zu bringen, musste ich in Gedanken schlucken. Wäre sie nur ein klein wenig weiter gegangen, hätte ich mich nur ein klein wenig mehr auf sie eingelassen, dann hätte ich, im Glauben, Megumi sei tot, wohl mit ihrem Alter Ego eine Affäre begonnen, Megumi also mit Yellow betrogen. Keine Ahnung, ob sie mir das je verziehen hätte. Keine Ahnung, ob ich so kurz nach ihrem "Tod" überhaupt dazu bereit gewesen wäre, mich so schnell so sehr fallen zu lassen. Keine Ahnung, ob ich damals geahnt habe, was ich nicht wissen konnte, und deshalb so vertraut mit Yellow umgegangen war. Und das war im Nachhinein auch gut so.
Aber dann war alles anders gekommen. Die Naguad im Kanto-System hatten uns mit Jora Kalis, KI-Meisterin und Teil des Daness-Turms, eine falsche Megumi vorgespielt, die angeblich schwer verletzt überlebt hatte, und damit hatte ein Psychospiel begonnen, auf dessem Höhepunkt unsere Naguad-Freundin Aria beinahe auf dem Altar des Militärgerichts geopfert worden wäre, nur um mich anzulocken. Hatte gut funktioniert. Und beinahe wäre die Falle tödlich geworden, hätte Henry William Taylor nicht nur die grandiose Idee gehabt, mich ermorden zu lassen, sondern auch das extrem effektive Gift für mich gegen ein extra starkes Betäubungsmittel auszutauschen, das sogar jemanden ausknocken konnte, der sein KI beherrschte.
Dadurch, dass mich alle Welt für tot hielt, hatte ich super im Verborgenen agieren können, hatte Aria gerettet, die falsche Megumi enttarnt, die richtige Megumi enttarnt - ach nein, das war ich ja gar nicht - und war zusammen mit Kitsune, Aria, ihrer Cousine Jora, Yoshi und natürlich mit Megumi aus dem naguadschen Stützpunkt entkommen. Ohne natürlich zu wissen, dass zwischenzeitlich meine Cousine Sakura tatsächlich geglaubt hatte, ich wäre wirklich ermordet worden, woraufhin sie die absolute Vernichtung der Naguad auf dem Mond Yomma und speziell in der Axixo-Basis angeordnet hatte... Jedenfalls war Makoto da gewesen und hatte das Schlimmste verhindert. Und dann war ich ja zurück zur AURORA gelangt, mit Megumi. Wäre mir dann nicht Torum Acati dazwischen gekommen und hätte mich und Joan nach Naguad Prime entführt, und wäre ich, also mein Bewusstsein jetzt, dort nicht entführt worden und hätte die AURORA mich nicht suchen kommen müssen, und wären mir der Core, das Kaiserreich und die Kinder der Götter in den Weg gelaufen... Ich seufzte in Gedanken. Tief und lange.
Alles in allem zusammengefasst schuldete ich Megumi eine ganze Menge, vor allem viel meiner Zeit. Immerhin waren wir verlobt. Aber ich fand es überhaupt nicht gut, dass sie mir mit ihren Slayer-Kräften derart die Überraschung verdarb. Dabei hatte ich es als Materiefressender Reyan Maxus eigentlich doch schwer genug, oder?

"Lenk jetzt nicht ab", erwiderte sie. Dabei beugte sie sich über meine Schulter vor, hielt mir das Physikbuch unter die Nase und blätterte darin. "Wenn ich es mir recht überlege, habe ich das alles schon mal gesehen. Zum Beispiel die Initialen auf Seite zwei: Ein Ypsilon und ein O. Was sagt uns das, Division Commander?"
"Hast du etwa Ärger mit dem Otome- Bataillon? Wollen sie dich immer noch rekrutieren?", wich ich aus.
"Ach, hör auf mit den Otome. Ich habe hier eine Division zu führen, bestehend aus drei Regimentern mit den besten Mecha-Kriegern der Erde. Und dabei ist es ärgerlich genug, dass so viele gute KI-begabte Pilotinnen zu den Otome gewechselt sind, auch aus den Hekatoncheiren. Ohne die internationalen Freiwilligen, die uns gegen den Wunsch ihrer Regierungen begleiten, könnte ich die Lücken nie stopfen. Ich habe Kuratov dafür als Operations-Chef im Range eines Brigadegenerals in meinen Stab geholt, aber glücklich ist er damit nicht. Er würde lieber auf einem Mecha sitzen."
"Warum gibst du ihm dann keinen Phoenix? Oder einen LRAO?"
Megumi seufzte. Ich spürte, dass ihr KI "normal" wurde. Sie hatte ihre KI-Rüstung quasi abgeschaltet, und damit war mir ihr KI-Fluss wieder vertraut. Sehr vertraut. Immerhin durfte ich sie, da sie eine der wenigen Menschen war, die willentlich verhindern konnte, dass ich ihr KI absorbierte und destruktiv wieder von mir gab, regelmäßig in meinen Armen halten. Kurz hatten wir die Befürchtung gehegt, dass diese Kontrolle erlöschen konnte, wenn sie einen Orgasmus erlebte, aber das hatte sich zum Glück nicht bestätigt. Und wir hatten das ausgiebig erforscht und getestet.
"Ein LRAO wäre natürlich optimal. Aber darin würde er vollends aufs kommandierende Gleis geschoben und würde nicht mehr selbst fliegen." Sie hob fragend eine Augenbraue. "Meinst du, ich kann ihm tatsächlich einen Phoenix schmackhaft machen?"
"Das, oder einen Banges mit entsprechender Kommando-Konfiguration. Ich weiß, wie es ist, wenn man eigentlich mit da draußen sein will und kämpfen möchte, aber es nicht darf. So gesehen war ich wohl ein wirklich mieser Anführer, weil ich mich immer selbst in Gefahr gebracht habe." Ich lächelte verschmitzt. "Weißt du noch, als ich mal die ganze Hekatoncheiren-Division herausgefordert habe?"
Sie schlug mir gespielt gegen den Arm. "Ich erinnere mich sehr gut daran, wie du ganz alleine eine Hausdivision Banges der Arogad herausgefordert hast. Selten so einen mutigen, taktisch geschickten Schachzug gesehen, der dein Leben binnen eines Sekundenbruchteils hätte beenden können, wärst du nicht der Akira Otomo, dem man ein Divisionskommando gibt, aber auch einen Mecha, damit du noch an der Front stehen kannst. Du bist der absolute Ausnahmepilot unserer Generation. Dich nicht in einen Mecha zu lassen ist eine grobe Fahrlässigkeit. Aber das ist auch der einzige Grund, warum man jemanden, der mit so viel Lametta behängt ist wie du, noch an die Front lässt.
Also gut, ich biete ihm einen Phoenix oder einen konfigurierten Banges an. Und dir biete ich eine Erklärung darüber an, was du hier gerade tust, Akira Otomo."
Ich liebte sie weit mehr als meine Geheimniskrämerei, darum lehnte ich mich entspannt zurück. Und es war ja ihre Überraschung, die sie sich verdarb. "So? Da bin ich gespannt."
Sie griente mich kess an. "Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du willst bei Karl in die Lehre gehen oder Ingenieur bei Luna Mecha Research werden."
"Nun", sagte ich gedehnt, "irgendwann wird ja mal Frieden herrschen, und dann brauche ich ja was zu tun..."
"Du weißt aber schon, dass ein Studium einen Hochschulabschluss erfordert?", neckte sie mich.
Ich lachte leise schnaubend. Ja, das stimmte. Vor allem, wenn man wie ich keine entsprechende Berufsausbildung im bevorzugten Fachgebiet vorweisen konnte, was für den Fachbereich als Hochschulreife galt. Ich war immer nur Soldat oder Schüler gewesen. Und eine Zeitlang, vor meinen Tagen als Entfühungsopfer des Core, auch noch Testpilot. Aber das reichte noch nicht ganz zur Erfüllung meiner Träume. Speziell nicht dieser Träume. Ich zwinkerte ihr zu.
"Moment mal", sagte Megumi überrascht. "Warte, warte, du willst mir doch nicht etwa erzählen, du... Akira Otomo bereitest du dich auf deine Abiturprüfung vor?"
Ich grinste burschikos. Das hatte für meinen Schatz aber bemerkenswert lange gedauert. "Was soll ich sagen? Drei Anläufe an der Schule haben nicht zum Erfolg geführt. Entweder wurde ich verätzt, entführt oder zu einem Ki-fressenden Monstrum, das Materie auflöst, was sich alles kontraproduktiv auf den regulären Schulweg ausgeübt hat. Da habe ich mir gesagt: "Aki-chan, also ich jetzt, Aki-chan, das Leben in einer Schulklasse und das Lernen in der Gemeinschaft ist zwar gut und schön, und Sport macht nur in großen Gruppen Spaß, aber irgendwie schaffst du es nie, in der Klasse zu bleiben. Warum versuchst du es nicht mit einer irregulären Prüfung?" Ich habe nachgefragt, und wenn man ein sechswöchiges Vorbereitungsprogramm absolviert, um einen Überblick über den erforderlichen Stoff zu bekommen - muss man eigentlich nicht, aber so arrogant bin ich dann doch nicht zu glauben, ich wüsste bereits alles, was in der Prüfung verlangt wird - kann man sich außerordentlich prüfen lassen. Tja, und seit ich hier auf der ADAMAS festhänge, hatte ich zwar hier und da höllisch viel zu tun, aber eben nicht genug. Und deshalb habe ich mit meinen Lehrern gesprochen... Und rate mal, was eine gewisse Akane Kurosawa gesagt hat?"
"Sie will, dass du endlich den Abschluss machst, damit sie dich los ist?", fragte Megumi stirnrunzelnd.
"Auch. Aber sie wird mich tutorieren. Und Sakura gibt mir auch ein paar Hinweise und Tipps. Denn letztendlich ist es eine Vorbereitung auf eine Prüfung, und das bedeutet spezifisches Wissen über einen überschaubaren Themenkomplex. Das eigne ich mir gerade an."
Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange. "Du machst mich stolz. Ich war mir immer sicher, irgendwann platzt dir der Kragen und du tust was gegen deine Durststrecke. Wie lange lernst du schon und wann ist die Prüfung?"
"Acht Tage studiere ich den Kram schon. Ich komme aber sehr gut voran, deshalb wurde die Prüfung auf den letzten Tag vor dem Austritt aus dem Wurmloch gelegt." Ich druckste verlegen. "Die Idee hatte ich schon damals bei Luna Mecha Research, deshalb kenne ich noch einen Großteil vom Stoff. An der Schule lernen ist natürlich schöner, aber langsam werde ich zu alt für die Oberstufe."
"Da drücke ich dir die Daumen." Diesmal landete der Kuss auf meinen Lippen. "Aber warum der letzte Tag vor dem Austritt aus dem Wurmloch?"
Für einen Augenblick sah ich sie bedrückt an. "Nenn es eine Ahnung. Ich will was in Händen halten, was mir etwas... Was mir viel bedeutet, bevor... Ich denke, im Zielsystem wird es krachen, und dann will ich nicht dran denken, dass ich meine Chance auf die Hochschulreife schon wieder verpasst habe. Ich meine, das Leben ist meist vollkommen anderer Meinung als ich, wie es gefälligst zu passieren hat..."
Für einen Moment spürte ich sie zittern. "Todesahnungen?"
"Äh, eher nicht. Ich denke da mehr an sowas wie das übliche Chaos um mich herum, an Entführungen, spontane Risse in der Raumzeit, das, was mir üblicherweise passiert." Und, aber das sprach ich nicht aus, an ein mittelschweres Unglück. Pessimistisch, sicher, aber ich konnte es nur auf mich zukommen lassen. Entweder es gab ein Unglück, oder eben nicht. Ich konnte dann nur mein Bestes geben und die, die ich liebte, so gut ich konnte, beschützen. Die ADAMAS war dabei ein gutes Argument.
"Akira Otomo", säuselte sie und rutschte auf meinen Schoß, "du glaubst doch nicht, dass ich dich noch ein einziges Mal unbeaufsichtigt die Galaxis unsicher machen lasse? Diesmal waren es nur der Core und die Iovar. Das nächste Mal kommst du vielleicht mit einem Riesenreich im Gepäck zurück, das die halbe Milchstraße umfasst."
"Gutes Argument. Und wie willst du das tun?", fragte ich amüsiert.
Sie küsste mich. Dabei drang ihre Zunge in meinen Mund vor. Ein Vorgang, den ich technisch gesehen schon oft erlebt hatte. Aber er elektrisierte mich noch immer wie beim ersten Mal. Kein Wunder, ich liebte dieses Mädchen tief vom Grund meines Herzens.
"Das fängt doch schon mal gut an", sagte ich.
"Ja, nicht wahr? Und wie gut, dass du erkannt hast, dass das nur der Anfang ist."
Ja, das war meine Megumi. Ich wäre ein Narr, hätte ich sie jemals wieder freiwillig verlassen. Freiwillig war das Zauberwort. Mist. Aber hier und jetzt gab es das alles nicht, keine Bedrohung, keine Sorgen, nur Megumi und mich. Und das kleine Problem, das ich eigentlich hatte lernen wollen...

Heute
Natürlich war mir was dazwischen gekommen. Erst war einer meiner Prüfer krank geworden, dann hatte der Ersatzprüfer abgesagt, anschließend hatte sich der neue Prüfer als nicht akkreditiert herausgestellt und schließlich und endlich war meine Oberstufenabschlussprüfung um vierundzwanzig Stunden verschoben worden. Diese vierundzwanzig Stunden hatte das Universum natürlich nicht ungenutzt verstreichen lassen und mir noch mehr Steine in den Weg gelegt, diesmal in Form einer kleinen Flotte Götterschiffe, bestehend aus zwei Suchern, einem Strafer und acht Vernichtern, dem größten Schiffstyp, den die Kinder der Götter je erbaut hatten. Zumindest, soweit wir wussten. Diese elf Schiffe waren per Wurmloch zur Erde unterwegs und wir folgten ihnen. In ihrem eigenen Wurmloch. Wie ich vorhergesehen hatte, versuchten sie weder zu feuern, noch im Wurmloch abzubremsen. Stur verfolgten sie ihren Kurs, obwohl die AURORA und ihre Begleitflotte nur einen läppischen Tag hinter ihr war. Den hatten wir gebraucht, um von unserem Eintrittspunkt im Transit-System zum Wurmloch der Vernichter zu gelangen. Und jetzt holten wir mit jeder Stunde beständig auf, kamen in Waffenreichweite. Doch halt, etwas hatten die Schiffe der Götter gemacht. Sie hatten uns mit Raketen beschossen, indem sie diese ausgeworfen hatten. Seltsamerweise waren die antriebsgesteuerten Sprengkörper langsamer gewesen als die Götterschiffe und waren uns deshalb näher gekommen. Beziehungsweise wir hatten sie eingeholt. Allerdings waren sie kein großes Problem für unsere Abwehrraketen gewesen, da wir ihre Positionen mit einem guten Tag Vorsprung hatten erkennen können. Noch schneller wäre es mit Energiewaffen gewesen, aber ich wollte die Götterschiffe nicht früher als unbedingt nötig darauf stoßen, was in einem Wurmloch alles möglich war. Das würden sie noch früh genug merken, sobald sie in Reichweite der Hämmer des Hephaistos waren, jenen drei gigantischen Geschützen auf der AURORA, die wahrscheinlich die größten Waffen waren, die je von Menschen erbaut wurden. Jedenfalls hatte ich noch nichts Stärkeres gesehen. Und ein oder zwei Treffer konnten einen Strafer vernichten. Was sie mit einem Vernichter anstellen würden, vor allem nachdem sie nach jedem Schuss anhand der neu gewonnenen Daten stetig verbessert worden waren, ließ sich noch gar nicht abschätzen. Ich hoffte, dass wir verheerende Ergebnisse erzielen würden. Und war die ganze Zeit, in der sich die Flottille zwar in Kernschussreichweite unserer Waffen befand, wir uns aber nicht in der ihren. Zumindest nicht, solange die Kinder der Götter keine uns unbekannten und supertödlichen Waffensysteme auspackten. Aber dann hatten wir immer noch die Schiffe der Bismarck-Klasse und die ADAMAS. Ungewollter Nebeneffekt der Szenerie war jedenfalls, dass meine Prüfung erneut verschoben worden war. Diesmal von mir selbst. Ich hatte einfach nicht die Ruhe, um so kurz vor der ersten Schlacht in einem Wurmloch an Schule zu denken. Aber immerhin, ich hatte gewusst, dass das Schicksal mir die Prüfung nicht gönnen würde. Es war ganz so, als gäbe es irgendwo, irgendwie einen nicht besonders wohlmeinenden Gott, der mein Leben lenkte und so miserabel wie möglich gestaltete. Aber immerhin, dieser Gott gönnte mir meine Megumi, und das war ja auch was. Und ohne für die Prüfung zu lernen und achtzehn Stunden, bevor wir den Feind in Waffenreichweite hatten, der Gegner uns aber nicht, gab es nichts für mich zu tun. Zumindest nichts militärisches, und nicht alleine. Nein, nicht das Offensichtliche, sondern eine ganz andere Geschichte...
***
"Wie wollt Ihr ihn nennen?", fragte ich ungläubig und viel zu laut. Immerhin war das hier ein Krankenhaus, und die Stimmprojektoren meines Hologramms, das von mir ins Krankenhaus projiziert wurde, waren ohnehin zu laut eingestellt. Nicht, dass das kleine, glückliche und vermutlich satte rosa Häufchen Mensch in Emis Armen daran gestört hätte. Es schlief tief und fest, während der stolze Papa Kenji so breit grinste, dass es für ihn einen überschwenglichen Gefühlsausbruch bedeutete. "Zur Wahl stehen Akira, Aris und, wir wollen ja nicht übertreiben, Eikichi und Doitsu."
Emi nickte lächelnd, das Gesicht eingefallen nach einer achtzehnstündigen Geburtsphase, aber die Wangen gesund gerötet. "Doitsu wird er in jedem Fall heißen. Wir wollen ihm aber zwei Namen geben und sind uns noch nicht sicher, ob das dann sein zweiter oder sein erster Name wird, Akira-san."
Ich runzelte die Stirn. Auf der ADAMAS, wo ich mich tatsächlich gerade befand und mein Abbild von einem 3D-Leser aufnehmen ließ, der alle meine Worte und Reaktionen naturgetreu wiedergab. Tatsächlich schwebte ich in meinem Tank in der Zentrale des Kommandoschiffs und ließ mich meinerseits von einem Hologramm einhüllen, das dieses Hospital anzeigte. Um wirklich dort zu sein, fehlte eigentlich nur etwas Materie. Meine, um genau zu sein.
"Seid Ihr sicher, dass Ihr dem Lütschen so das Leben versauen wollt?", scherzte Yoshi mit einem schiefen Grinsen. "Ich meine, in den nächsten fünf bis sechs Jahren und auch in den letzten vier gab es bestimmt ein paar zehntausend Jungen extra, die den Namen Akira bekommen haben."
"Meinst du, mit Doitsu ist es besser?", fragte Kei. Als ehemaliges Mitglied meiner Möchtegern-Schulgang Akiras Zorn war seine Anwesenheit hier natürlich Pflicht. Ja, das waren noch Zeiten. Yoshi, ich, Doitsu, Kenji und Kei. Damals hatten wir zusammen die Schule verteidigt, heute verteidigten wir die ganze Erde.
"Wie meinst du das?", fragte der Oyabun der AURORA-Yakuza mit gerunzelter Stirn. "Doitsu ist ein hochanständiger Name."
"Kühl ab, kühl ab, großer Mann", meinte Kei abwiegelnd. "Wirf mal lieber einen Blick auf die fünf beliebtesten Namen für neugeborene Jungen alleine in Japan. Was meinst du, steht da auf der eins?"
"Akira!", sagten mehrere meiner Freunde gleichzeitig.
"Hätte ich jetzt auch vermutet, aber tatsächlich ist es Eikichi", erwiderte Kei. "Akira ist auf drei. Und jetzt ratet mal, welcher Name am zweitbeliebtesten ist."
"Doitsu?", fragte ich.
"Der Kandidat erhält zwölf Punkte." Kei strahlte. "Dann kommt mein Name. Fragt mich nicht, wieso, aber ich kann euch die Statistik mal zeigen. Tja, und dann kommt Kenichi. Keine Ahnung, was das soll. Yoshi ist übrigens gar nicht in den Top Ten, Alter."
Das nahm mein bester Freund nicht sehr gut auf. Ärgerlich versenkte er die Hände in seinen Hosentaschen und murmelte Dinge wie: ...meinen Namen überhaupt nicht verdient... ....ist an den anderen Namen besser... ...guter, alter Name... Jedenfalls hatte meine kleine Schwester Yohko genug zu tun, um ihn moralisch wieder aufzurichten.
"I-ich wäre ja auch für Doitsu", sagte Hina aufgekratzt. Die Anführerin der Slayer und seit neuestem des Otome-Bataillons konnte sich an dem kleinen Bündel Mensch überhaupt nicht satt sehen. Für Doitsu bedeutete das eventuell eine schwere Zeit. Für eigene Kinder war der definitiv nicht bereit. Was mich zu Gedanken brachte... War ich eventuell dafür bereit? Ich meine, ich war doch ein guter Ersatzvater für Laysan, oder? Und wollte ich das überhaupt?
"Doitsu Sakuraba. Das klingt doch gut. Mit den richtigen Kanji bedeutet das dann..."
"Doitsu Hazegawa", korrigierte Emi bestimmt. Sie ergriff mit der Linken die Rechte des großen Kenjis. "Nach der Hochzeit nehme ich seinen Namen an." Sie seufzte. "Es ist schon ein Kreuz, wenn man freiwillig wartet, bis Ihr zwei geheiratet habt, obwohl schon alles klar und besprochen ist", sagte sie tadelnd in meine und Megumis Richtung.
Ich kratzte mich verlegen am Haaransatz. Wenn ich die rechtliche Lage richtig im Kopf hatte, dann bedeutete dies, dass Kenji seinen Sohn adoptieren musste, um überhaupt Anrecht auf ihn zu haben, solange sie nicht verheiratet waren. Oder war es besser, weil die zwei verlobt waren? Da war ich mir gerade nicht so sicher.
Megumis Hand griff nach meiner Rechten. Leider ging sie durch das Hologramm hindurch. Was mir einen bösen Blick von ihr einbrachte. Das wiederum erinnerte mich an Okame, Sphinx und Tyges, den Dai von West End, die zusammen trainierten, um meine Suppressoren zu werden. Wären sie nur ein wenig weiter, hätte ich körperlich hier sein können. Nicht, dass ich das nicht ohnehin hätte sein können, ich hatte meine Kraft im Griff, aber man wusste ja wirklich nie, was passieren konnte. Und nachdem ich Kei fast die ganze Hand aufgelöst hatte, okay, ein wenig Haut und Fleisch zumindest, wollte ich definitiv auf Nummer sicher gehen.
"Ihr müsst doch nicht auf uns warten", sagte sie mit geröteten Wangen. "Heiratet ruhig. Wenn es ein Paar gibt, bei dem es natürlicher ist als bei euch beiden, dass Ihr heiratet, dann zeigt es mir bitte." Sie zog ihre schöne Stirn in Falten, als ein gutes Dutzend Finger auf sie und mich zeigten. "Von uns mal abgesehen, bitte."
Nun zeigten die Finger auf alle anderen im Raum, auf Hina und Doitsu, auf Yoshi und Yohko, auf Sarah und Daisuke und auf Akane und Mamoru. Auf Kei und Ami zeigte niemand, allerdings nur weil wir uns untereinander geeinigt hatten, die beiden im Glauben zu lassen, wir hätten noch nicht bemerkt, dass sie zusammen sind. Zumindest solange, bis sie bereit waren, es selbst zuzugeben. Oder bis uns der Kragen platzte.
Draußen bollerte Akari an die Tür. Deutlich konnte man an ihrer Stimme hören, dass sie sauer war, was durchaus sehr selten vorkommt. "Wie lange wollt Ihr noch da drin bleiben? Hier draußen warten auch noch Leute auf ihre Gelegenheit!", rief sie ärgerlich. Und dann fügte sie hinzu: "Onii-chan kann ja bleiben, der ist eh nur ein Hologramm!"
Dass das mal ein Vorteil sein würde...
Akane begann zu lachen. Das Krankenzimmer, ein Einbett-Raum, war tatsächlich ein wenig klein. mit uns zehn Gästen war es schon mehr als gut gefüllt. Und draußen warteten noch Joan mit Band, Sakura, Makoto, Michi und Laysan, Ban Shee, Takashi-sempai, Karl, und noch viele weitere Leute, die den ersten geborenen Slayer begrüßen wollten. Mir wurde erst jetzt klar, was das für ein Stress für die kleine Familie sein musste. Zumindest, bis ich Emis Blick begegnete und es in ihren Augen funkeln sah. Ach, deshalb hatte sie sich für diese Besenkammer von Zimmer entschieden. Schlaues Mädchen. Sehr viel schlauer, als man ihr bei der ersten Begegnung zugestehen würde.
"Ist ja gut, Imouto. Wir tauschen gleich", sagte Yohko. "Gebt uns noch eine Minute. Ist ja nicht so, als könnten wir den kleinen Doitsu nicht jeden Tag sehen."
Doitsu, also der große Doitsu, lupfte seinen Kragen. "Yohko-chan, du kannst doch nicht einfach so..."
"Also Doitsu als erster Name", sagte Emi triumphierend.
"Höre auf deine eigenen Worte, Onee-chan!", konterte Akari.
Yoshi räusperte sich leise. "Wie wäre es dann mit Doitsu Akira Hazegawa?" Das klingt doch nach einem tollen Namen, finde ich."
"Doitsu Akira." Emi strahlte über das ganze Gesicht. "Das nehmen wir."
Ich erwartete für einen Moment Widerspruch von Kenji. Und sei es nur der Form halber. Ich meine, viele Worte nutzte er nie, aber er ließ sich auch nicht so ohne weiteres überfahren, auch nicht von seiner Verlobten. Stattdessen aber setzte er sich auf den Bettrand und umarmte Mutter und Kind vorsichtig. "Also Doitsu Akira. Willkommen in dieser verrückten Welt, D.A.."
Emi zog die Augenbrauen hoch. "Eine Abkürzung? Das funktioniert in amerikanischen Krankenhauskomödien, aber doch nicht in der Wirklichkeit. D.A.... Klingt ja, aber ich weiß nicht..."
"Die Minute ist um!", rief Akari erneut. "Wir wollen ihn auch sehen!"
"Ist ja gut, ist ja gut." Megumi trat an das Bett heran und strich dem Neugeborenen über die Wange. "Sind ja auf dem Weg. Schlaf gut, Doitsu-chan. Du brauchst viel Kraft für die Welt da draußen."
"Eines noch, bevor Ihr geht und die nächsten reinlasst", sagte Kenji hastig. "Akira, wir wollen, dass du sein Pate wirst. Egal, was passiert, du wirst es überleben. Und sollte uns was passieren, ist er bei dir in besten Händen."
"An so was denkt man nicht", tadelte ich. "Aber okay, den Job übernehme ich gerne. Und Megumi wird die Patin?"
"Wir leben in unsicheren Zeiten", sagte Emi so vorsichtig, als wären ihre Worte Füße auf glitschigen Steinen in einem Fluss, "und deshalb wollen wir so viel Sicherheit wie möglich für Doitsu. Deshalb wollen wir die Patenschaft nicht vollkommen an eine Familie geben. Entschuldige, Megumi."
"Nicht so wild. Macht ja auch Sinn. Und über Akira bin ich ja auch dabei, irgendwie." Sie lächelte mich an, und jetzt war ich sauer darüber, dass ich nicht körperlich anwesend war. Ich hätte sie in dem Moment gerne in den Arm genommen.
"Hina, du bist es."
Überrascht sackte das blonde Mädchen zu Boden, die Beine quergespreizt, auf ihrem Allerwertesten. "Was? WAS? Mir wollt Ihr so viel Verantwortung zutrauen?"
"Sagte die Anführerin der Slayer und des Otome-Bataillons", kommentierte Kenji grinsend.
"Bitte, Hina-chan. Wenn nicht dich, wer dann? Sollen wir Joan fragen?"
"Ich mach's ja, ich mach's!", rief sie hastig. Doitsu half ihr wieder auf die Beine und mit einigen wackligen Schritten trat sie an das Bett. Sie schluckte hart. "Jetzt bin ich also für dich mit da, Doitsu-chan."
"Wir, Schatz, wir", korrigierte Doitsu und legte einen Arm um ihre Schultern. Etwas, das ich mit meinem Mädchen gerade nicht tun konnte. Ich beneidete ihn. "Wir wären ohnehin für meinen kleinen Namensvetter da gewesen, das wisst Ihr."
"Natürlich. Aber wir mögen es beide etwas formeller." Kenji zwinkerte dem Schulfreund zu. "Und uns war von vorneherein klar, dass wir vier Paten kriegen statt nur zwei. Was nicht heißt, dass Ihr anderen aus dem Schneider seid."
"Versteht sich", sagte Kei hastig und Ami nickte dazu. Daisuke nickte so entschlossen, als täte er ein Schwur, und Sarah ergriff mit geröteten Wangen seine Hand. Mamoru lächelte einfach nur und Akanes Blick war von Tränen verschleiert. "Natürlich", sagte sie mit fester Stimme. "Wir sind auch für ihn da. So, wie Ihr für unsere Kinder da wärt."
"Nanu? Ist bei euch was unterwegs?", fragte Emi augenzwinkernd.
Dies ließ Akane das Blut in die Wangen schießen. "Nein, wir üben noch."
Mamoru kommentierte das mit einem trockenen Räuspern. Seit sich die zwei wieder versöhnt hatten, war noch längst nicht alles wieder normal zwischen ihnen.
"Nun ist aber gut!", rief Akari, riss die Tür auf und deutete mit dem Daumen hinter sich. "Raus, alle Mann! Oder ich hetze Joan auf euch!"
"Gutes Argument", scherzte Megumi. Sie seufzte und machte winkende Bewegungen in Richtung Tür. "Also raus, raus, alle Mann. Wir sehen Doitsu-chan eh noch oft genug, denn die beiden werden natürlich auf die ADAMAS kommen. Und dann kriegen wir eh unser Pensum an Babylärm, Fütterungen und gewechselten Windeln mit."
"So, werden wir das?", fragte Emi.
"Ihr werdet", erwiderte Megumi. Und ihre Stimme duldete keinen Widerspruch.
"Werden wir", versprachen die beiden hastig.
Währenddessen trat ich mit den anderen auf den Korridor und ließ die nächsten zehn Babybegeisterten ein. Musste es mich noch wundern, dass Sakura und Tetsuo dabei waren?
Draußen auf dem Gang hörten wir durch die geschlossene Tür Akaris aufgeregte Stimme, als sie das Baby bewunderte. Leider konnte ich das nicht miterleben, denn Megumi trug den Projektor für mein Hologramm, der auch meine Sinneseindrücke aufnahm, die ich dann hier an Bord der ADAMAS erlebte. Aber ich merkte, dass mir an diesem Freudentag etwas fehlte.
Megumi Uno, das zweitbeste Flieger-Aß der Erde, die unbestrittene Lady Death, die Frau, die an meiner Seite die Welt verteidigt hatte, als wir nur zwei und der kronosische Gegner unendlich viele Mechas gehabt hatte, schob sich eine Strähne ihres dunkelblonden Haars hinter das linke Ohr zurück und lächelte. "Ich komme so schnell ich kann zurück, Akira."
Ich schluckte. Genau deswegen würde ich sie heiraten. Vorausgesetzt, wir lebten lange genug, um dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen.


2.
Der Kernbereich der Werft, ein mehrfach verschachelter Komplex scheinbar willkürlich zusammengewürfelter Stile und Einrichtungen, wurde permanent aus mehreren Quellen, nämlich den Kernreaktoren, die der Werft Betriebsenergie lieferten, mit harter Gamma-Strahlung geflutet. Selbst ein geschützter Mensch in einem Raumanzug oder gar mit einem autarken Schutzschild - was schön wäre, wenn man Schirmgeneratoren so klein und dennoch wirkungsvoll hätte bauen können - wäre in akuter Lebensgefahr gewesen. Ein ungeschützter Mensch wäre binnen einer Stunde, je nach Anfälligkeit für Radioaktivität, gar gekocht worden. Strahlenkater nach ungefähr dreißig Minuten, irreparable Zellschädigung schon nach zwanzig Minuten. Kitsune war es schleierhaft, wie der Rechner der Werft unter diesen Bedingungen arbeiten konnte, immerhin bedeutete radioaktive Strahlung sehr viel Energie, die frei herumschwirrte. Und seine Komponenten waren doch sicherlich nicht immun gegen Radioaktivität. Aber als Schutz gegen organisches Leben gab es sicher keine bessere Abwehr, denn jeder Mensch, der sich in den Kernbereich wagte, hatte garantiert länger als eine Stunde damit zu tun, um den Zentralcomputer des zweihundert Kilometer durchmessenden Kerns der Werft zu erreichen. Wie man es wendete und drehte, vom äußersten Rand ware es immer gut einhundert Kilometer bis zum gut zwei Kilometer durchmessenden Zentrum, in dem sie den Hauptrechner vermuteten, dessen neuronale Synapsen sie mit Antras Neuroschockern ausschalten wollten. Klar, auf den Hauptrouten waren die Materialschweber schneller unterwegs, und das auf den Expressrouten teilweise knapp unter der Schallgeschwindigkeit, aber leider flogen Materialschweber Material und nahmen keinesfalls Kurs auf das Zentrum. Leider.
Gut, sie waren Dai. Sie hatten die perfekte Kontrolle über ihre Körperzellen und konnten sie willentlich regenerieren. Sie konnten sogar in eine Phase gehen, in der sie nur aus KI bestanden, wenngleich das schwierig und gefährlich war. Aber auch sie mussten erst einmal ins Zentrum gelangen. Und nur weil die radioaktive Strahlung, die einen Menschen schnell und zuverlässig tötete sie nicht sofort umbrachte, hieß das nicht, dass sie nicht einen erheblichen Teil ihrer Kraft und ihrer Zeit dafür aufbringen mussten, um sich selbst zu retten - während sie zu dritt den Zentralrechner angriffen. Deshalb würden jene Dai den eigentlichen Angriff führen, die am Besten mit ihren Regenerationsfähigkeiten umgehen konnten. Drei deshalb, damit sie, falls die drei versagten, eine zweite Chance erhielten. Und weil die erfahrenen vier anderen Dai bei der bevorstehenden Evakuierung sehr nützlich sein würden. Hoffentlich. Denn die vierzigtausend Nagalev zu evakuieren musste eine verdammt fixe Sache werden, denn jeder einzelne von ihnen hatte nur ein Zeitfenster von zwanzig Minuten, bevor die Aufnahme der radioaktiven Strahlung zum Problem wurde, selbst da draußen in den Randgebieten, in der sich die geheime, überlebende Kolonie der Nagalev befand. Zwar hatten sie eine großartige Technologie und kannten sich mit Zellschäden und Verbrennungen sehr gut aus, aber sie waren nicht darauf ausgelegt, vierzigtausend akute Fälle zugleich zu behandeln. Wahrscheinlich konnten die Dai von Glück sagen, dass die Randbereiche nicht ganz so stark verstrahlt waren wie das Kerngebiet des zweihundert Kilometer durchmessenden Stahllabyrinths.
Während sich also drei von ihnen aufmachten, um den Zentralcomputer der vollautomatisierten Werft zu rocken - und nebenbei einen eintausend Kilometer durchmessenden, hohlen und mit Wärme und Atemluft gefüllten Mond zu vernichten, der gut eintausend Schiffe aller Klassen warten, reparieren und unterhalten konnte, der zudem nur einer von vieren war, über den die Kinder der Götter verfügten - waren die anderen vier Dai vollauf damit beschäftigt, die Kolonie aufzulösen. Ein für allemal. Raus aus der Beengtheit, der die Nagalev gezwungen hatte, ganze Generationen ihrer Rasse im künstlichen Tiefschlaf zu halten und somit die Jahrtausende zu überdauern, die das schreckliche Ereignis nun zurücklag: Die Revolution der Maschinen und die Auslöschung ihres Volkes, von dem sie selbst nur ein kleiner Rest waren. Denn die Werft war einst dicht besiedelt und gut besucht gewesen. Vor dem Standortwechsel. Vor der Revolution. Nun aber würde vieles anders werden. Niemand, nicht einmal die Nagalev, sprachen davon, die Werft zurückzuerobern. Das tat wirklich niemand, auch wenn es sich rein ökonomisch aufdrängte. Aber im Moment waren der Mond und seine Schiffe eine Waffe, die dabei war, aktiviert zu werden, um den ultimativen Kampf gegen die Dai zu führen, gegen den ersten Reyan Maxus, den die Daina in Jahrzehntausenden hervorgebracht hatten. Das retten, was man überhaupt hatte, dazu eine neue Heimat erlangen, das reichte den Nagalev in dieser Situation völlig. Raus aus der radioaktiven Hölle, und vielleicht eine neue Heimat auf dem Mars, dem Mond oder der Erde. Alles war eine Verbesserung, was sie das reale, echte Licht der Sterne sehen ließ, vielleicht sogar das Licht eines Zentralgestirns, nicht das ewige Kunstlicht der Werft, das nie erlosch... Wenn man lange Zeiten der Entbehrungen ertragen musste, wurden die Ansprüche eben bescheidener.

Die drei Dai auf dem Weg zum Kern hatten die Aktion eher informell eröffnet. Sie waren einfach gestartet. Die Nagalev-Kolonie baute derweil an Gerätschaften ab, was sich abmontieren ließ und ihnen wertvoll oder nützlich erschien. Noch während sich Kitsune und ihre beiden Begleiter an einem Materialtransport klammerten, der einem drei Meter durchmessenden Block Lithium zu einer Computermanufaktur tief im Innern des Komplexes bringen sollte, schufen die Zurückgebliebenen überhaupt erst die Möglichkeiten, um zum Beispiel den hastig aufgestellten, provisorischen Supercomputer und die mit ihm vernetzten Freiwilligen verladen zu können, ohne das neuronale Netzwerk zu zerstören. Andere verpackten Nahrung oder bereiteten Wassertanks darauf vor, abgepumpt zu werden, während Spezialisten herauszufinden versuchten - anhand gestohlener Baupläne für die Vernichter, die sie teilweise seit Jahrtausenden besaßen - wo sie Nahrung und Wasser am Besten einlagern konnten, wo sie und vor allem wie vierzigtausend Menschen unterbringen konnten, wie die Lebenserhaltung auf die Belastung durch jeweils fünftausend Säugetiere mit hohem Stoffwechsel reagieren würde. Acht Vernichter, fünftausend Menschen im Schnitt an Bord, für eine unbestimmte Zeit auf der Reise, ja, auf der Flucht, denn die Zerstörung der Werft würde nicht unbemerkt geschehen. Sie mussten damit rechnen, bald gejagt zu werden. Und sie konnten sich sicher sein, dass die Kinder der Götter die Kampfkraft von acht Vernichtern schon bald überbieten würden. Sie hatten nur eine Chance in einer schnellen, unterbrechungsfreien Flucht zur Erde. Direkt zur Erde, auf dem kürzesten Weg, den hoffentlich auch Akira und die AURORA nahmen. In der terranischen Sphäre, der Groß-Dai, die die Erde umfasste, verbunden mit den Sphären für Mond und Mars, würden sie Schutz finden, würden sie die Menschen, die Nagalev von den Schiffen gehen lassen können. Dann würden die Vernichter als Kampfschiffe neu bemannt und entsprechend eingesetzt werden können. Wer sie bemannen würde stand dabei noch nicht einmal fest. Sicher war aber, dass acht Vernichter eine Streitmacht waren, die sicher das Vierfache an Bismarcks aufzuwiegen vermochte, vielleicht sogar das Sechsfache. Man musste sehen, wie gut diese Schiffsklasse nachgerüstet worden war, immer nach den neuesten Erkenntnissen aus den ständigen Kämpfen. Und man musste sehen, ob es nicht mittlerweile terranische Bakesch gab, der größten Schiffsklasse, derer sich Daina und Daima bedienten, noch größer als die terranischen Bismarcks. Aber das war wohl zuviel erhofft, denn die Werften auf Luna und im Erdorbit waren für die Größe eines Bakeschs nicht ausgelegt. Und wie viel die Naguad, die das Gros an Bakesch besaßen, von den terranischen Neubau-, und Nachrüstvorschlägen hielten, konnte noch niemand sagen. Nicht, solange die Gerüchte über einen Bürgerkrieg zwischen den neun Häusern, mit den Arogad und den Daness auf "ihrer" Seite, tatsächlich wahr wurden und damit wertvolle Ressourcen banden. Und der Kaiser der Iovar befand sich auch noch auf der Flucht und machte die Geschichte unnötig schwierig... Na ja, leicht war es ohnehin nie gewesen.

"Row, row, row your boat...", sang Kyrdantas.
Kitsune sah überrascht auf. "Wo hast du das denn aufgeschnappt?"
"Was denn?", fragte der junge Dai unschuldig. "Das ist gerade der Hit in der Kolonie. Von den Kleinkindern bis zu den alten Säcken singt es jeder." Sein Lächeln durch die Helmscheibe seines Kampfanzugs wirkte nervös, trotz des Schutzes, denn der Kampfanzug bestand aus seiner KI-Rüstung. Doch die Strahlung würde bald hart genug werden, um sogar diesen Schutz zu überwinden und selbst die Dai langsam, aber sicher rösten. Die Frage war, wie viel Schaden sie aufnehmen würden, bevor er irreparabel wurde.
"Da habe ich wohl einen Trend geschaffen", lachte Kitsune weit froher, als ihr zumute war. "Mist, ich hätte ein paar Joan Reilley-Lieder mitbringen sollen. Dann hätte sie hier ihren am weitesten von der Erde entfernten Fanclub bekommen."
"Du hast das nicht getan", sagte Lertaka grinsend, "aber ich."
"Du hast...? Woher kennst du Joan Reilley?"
Der Dai sah zu ihr herüber. Deutlich konnte sie die Schriftzeichen erkennen, die er sich ins Gesicht gepinselt hatte und die, seiner eigenen Aussage nach, seine Lebensgeschichte nacherzählten. Zumindest einen Teil. "Als Dai-Kuzo-sama Kontakt mit uns aufnahm, um uns zu einer Allianz zusammenzuschweißen, beinhaltete das auch einen kulturellen Austausch. Speziell ausgesuchte Kulturgüter und so. Und da Joan Reilley und Band sowohl bei den Anelph als auch bei den Naguad sehr gut angekommen ist - und man sagt ja, auch das Kaiserreich der Iovar sei fest in der Hand von Joan Reilley - waren ein paar ihrer Lieder dabei. Wir haben spontan einen Fanclub gegründet, nach terranischem Vorbild. Ich habe die Mitgliedsnummer eins, nebenbei bemerkt."
"Angeber", spöttelte Kitsune. "Du willst ja nur, dass ich dir ein handgeschriebenes Autogramm von ihr besorge."
"Das kannst du?", rief Lertaka der Wind plötzlich aufgeregt.
Dies erschrak Kitsune so sehr, dass sie für einen Moment den Halt verlor und beinahe vom Lithiumblock abgetrieben wurde. Aber Kyrdantas griff zu und zog sie wieder zu ihrem sicheren Halt. "Wir brauchen dich noch, Dai-Kitsune-sama. Lass dir bloß nicht einfallen, zurückzufallen."
"Ihr wollt mich ja bloß vorschicken", maulte sie gespielt, um ihre Erleichterung zu überdecken, die sie bei der blitzschnellen Reaktion des Neunzehnjährigen gefühlt hatte. Gewiss, der Junge hatte Potential. Er erinnerte sie spontan an Yoshi.
"Auch", gestand Kyrdantas und hatte die Lacher auf seiner Seite.
"Also nochmal. Du hast also Joan Reilley-Lieder an die Nagalev verteilt?", hakte Kitsune nach.
Sie warf einen Blick auf das Tablet, auf dem der Plan der Werft verzeichnet war, komplett mit Fuhrenplänen und Fahrtrouten, Ergebnis des ersten vorsichtigen Hack-Versuchs ihres eigenen Supercomputers. "Auf drei auf den uns passierenden Block aus Gold springen. Eins. Zwei. DREI!"
Sie sprangen synchron und fielen mehrere Dutzend Meter in die Tiefe. Wobei nicht ganz sicher war, wo hier oben und wo unten war, obwohl das Zentrum des zweihundert Kilometer durchmessenden Gebildes durchaus ein "unten" bildete, aber nur ein schwaches. Dann landeten sie auf einem zehn Meter langen Block aus purem Gold, der zwei Meter breit und vier hoch war. Als sie sicheren Halt gefunden hatten und sich noch tiefer in die Werft hineintragen ließen, erwiderte Lertaka: "Ich bin sicher, Joan kann den Verdienstausfall verschmerzen. Die Tantiemen von fünfzig Naguad-Welten sollten sie jetzt schon zur reichsten Frau in den zweihundert besiedelten Sonnensystemen machen."
"Es geht doch nicht ums Geld", wiegelte Kitsune ab. "Joan ist ein Showgirl. Ein richtiges Showgirl. Ein guter Auftritt, ein Publikum, das begeistert mitmacht, das ist ihr Lebenselixier. Ach, habe ich erwähnt, dass sie der Prototyp eines militärischen Cyborgs ist?"
"Was, bitte? Diese süße, niedliche, perfekte Joan Reilley ist ein Cyborg?", rief Kyrdantas aufgeregt. Als die beiden anderen Dai ihn fragend ansahen, lächelte er verlegen. "Äh, wir haben das gleiche Material bekommen..."
"Mach dir keine Hoffnungen. Sie hat einen festen Freund."
"So habe ich das gar nicht gemeint", schmollte Kyrdantas. "Ich sage ja nur, man sieht gar nicht, dass sie zum Teil aus Stahl besteht."
"So ist es ja nun auch nicht. Ihre Knochen wurden ausgetauscht, ein Teil ihrer Muskeln nachgerüstet, neue Nerven wurden gezogen und ihre Sinnesorgane künstlich hochgezüchtet. Hauptsächlich mit Naniten, aber auch mit zusätzlichen Sensoren, die einen Minicomputer nahe ihres Stammhirns speisen, der wiederum das Kleinhirn speist... So in etwa. Verstanden habe ich es nie. Das macht sie zu einem Cyborg. Das, und ihr gelöschtes Gedächtnis. Und was macht diese Frau, die während des zweiten Marsfeldzug Akira Otomos Leben gerettet hat, indem sie mit bloßen Händen einen Daishi aufgehalten hat? Sie startet, kaum das sie frei denken kann, eine Karriere als Rockstar. Gut, gut, eher als Popstar, aber ich mag ihre rockigen Sachen eben viel lieber als die Schmusesachen wie 'Anger is a bad mood'. Meine Meinung. Jedenfalls wird sie sich über ein paar hundert neuer Fans sehr freuen. Und sie wird garantiert nicht mit irgendwelchen Tantiemennachzahlungen kommen. Ihre Plattenfirma auch nicht, denn, soweit ich weiß, hat sie ihre eigene gegründet: Aurora Records. Sitz in Fushida City im Innern der Aurora. Sie gibt vor allem dem Nachwuchs die Technik und die richtigen Coaches in die Hand, damit sie Profiluft schnuppern können, um zu schauen, ob ihnen dieses Leben gefällt. Danach müssen sie sich beweisen, und so.
Auf drei wieder wechseln, diesmal nach oben, direkter Kontakt. DREI!"
Die Dai stießen sich ab, stiegen nach oben auf und erwischten die Kante eines sie passierenden Containers, der laut Kitsunes Daten bis zur Oberkante Unterlippe mit Quarz gefüllt war. Kyrdantas' Hand griff direkt neben ihr nach der Kante, aber Lertaka erwischte das Ziel knapp nicht und drohte, auf einer Parabelbahn wieder "hinab" zu gleiten.
Kitsune bildete einen Fuchsschwanz aus ihrer KI-Rüstung aus und griff nach dem abtreibenden Dai. Als sie ihn erwischte, rollte sie ihn in ihrem buschigen Schweif zusammen und zog ihn zu sich heran, bis er selbst die Kante ergreifen konnte.
"Danke", ächzte er. "Da habe ich mich ordentlich verschätzt."
"Entweder das", flötete Kitsune, "oder du wolltest in die einmalige Erfahrung kommen zu wissen, wie weich mein Fell wirklich ist."
"Vielleicht, vielleicht", erwiderte Lertaka grinsend.
"Dann ist vielleicht noch mehr drin. Später. Vielleicht."
"Vielleicht, vielleicht, jetzt und hier sollten wir nicht flirten, sondern uns konzentrieren", tadelte der junge Dai. "Wir kommen in jenen Bereich, in dem unsere Permits uns nicht mehr alle Türen öffnen. Der Supercomputer wird jeden Augenblick mit seinem Hack beginnen. Und dann werden wir sehen, ob wir uns den Weg freikämpfen müssen, oder ob wir weiterhin hier durchgehen, als wäre die Sicherheit der Werft nur ein wenig Luft! Wir..." Er verstummte. "Spürt Ihr das auch?"
Kitsune nickte bedächtig. "Wir bleiben auf dieser Seite des Containers. Seht zu, dass Ihr mit keinem Körperteil über die Platte hinausragt. An dieser Stelle strahlen uns die Stunde zweihundert Sievert um die Ohren. Die zweihundertfache Menge dessen, was ein Mensch normalerweise auf Lemur in einem Jahr aufnimmt. Gut, dass der Container zwischen uns und der Quelle ist."
"Und das Problem bei der Geschichte ist, dass auf der anderen Seite des Containers eben keiner der Reaktoren ist", sagte Lertaka. Seine Miene war dabei ernst geworden.
"Eventuell sind es ein paar Tonnen Neptunium", meinte Kitsune. "Würde die hohe Strahlung erklären."
"Neptunium ist nicht lange genug stabil für so einen Scheiß", knurrte Lertaka.
"Stopp. Wir kennen keinen Weg, eine so große Menge stabil zu halten. Das heißt nicht, dass es keinen gibt", warf Kyrdantas ein.
"Oh."
"Ja, oh."
"Und das waren sicher nicht die letzten Überraschungen", sagte Kitsune viel zu ernst.
***

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Die Materialtransporte trugen sie tief in den inneren Kern des Gebildes. Sie schafften fast neunzig Kilometer, aber auf einem Kurs, der sehr verschachtelt war. Es gab keine gerade Linie hinein, keinen lotrechten Weg. Kitsune war dies schon bei der Planung aufgefallen. Die Erklärung dafür war simpel: Zweckmäßigkeit. Bevor die Vorfahren der heutigen Nagalev die Werft in diesen hohlen Mond verfrachtet und mit Atemluft und Wärme gefüllt hatten - was heute noch mit großem Aufwand betrieben wurde - war die Werft wesentlich kleiner gewesen. Generation auf Generation hatte angebaut, nachgerüstet, umgestaltet, erweitert, und so war Schicht um Schicht um den ursprünglichen Kern entstanden, immer abgestimmt auf die Bedürfnisse der Nagalev und ihres Geschäfts. Zwar waren sie nie so dämlich gewesen, die weiteren Wege in die Tiefe zu verbauen, aber manchmal, eigentlich oft genug hatten die neuen Schichten es notwendig gemacht, die Wege zum Kern eben nicht geradlienig führen zu lassen, sondern verschachtelt. Wäre es eine schwer gerüstete Bunkeranlage mit Stellungen, Bastionen, toten Wegen und was einem noch so alles einfallen konnte, hätten die Erbauer stolz auf sich sein können. Kitsune war sich darüber klar, dass sie selbst mit ihrem phänomenalen Gedächtnis ohne Computerunterstützung mit ihren beiden Gefährten schon bald hoffnungslos verloren gewesen wäre. Zwar suchten die Materialtransporte, die ihnen als Packesel dienten, meist von selbst den Weg in die Tiefe der nächsten "Schicht", aber eben nicht immer. Und außerdem endete das verschachelte Netzwerk aus Raffinerien, Stahlhütten, Gußwerken, Computerproduktionen und was es noch alles geben musste, um Raumschiffe zu bauen, noch früh genug, und sie waren auf ihre eigenen Füße angewiesen. Zudem machte sich mehr und mehr die Gravitation bemerkbar, die das Zentrum aussandte. War der Außenbereich der Nagalev noch durch eine künstliche Gravitationsquelle ausgestattet, hier draußen wurde fast in Schwerelosigkeit produziert. Diese endete aber mehr und mehr, bis sich die Sinneseindrücke von einem "geraden" Flug zu einem "Sturz in die Tiefe" wandelten. Einem langsamen zwar, aber mehr und mehr begriffen sie "vorne" als "unten". Darauf hatte Unagi-sama sie nie vorbereitet. Selbst der große alte Dai der Kampfkünste hatte nicht jede Situation vorhersehen und sie darin trainieren können. Aber viele seiner Anweisungen und Praktiken erwiesen sich nun als nützlich. Fokussierung auf ein Objekt, das sich nicht zu bewegen schien, ruhig atmen, an die Aufgabe denken, mit den Gefährten reden. Sie vermisste, wenn sie ehrlich war, den alten Dai schrecklich, der auf furchtbarste Weise zu ihrem Feind geworden war. Aber nicht so sehr zum Feind, dass sie je der großen Spinne verraten hätte, dass der alte Mann seinen Tod nur vorgetäuscht hatte. Vielleicht wusste sie das aber sogar und nahm es hin, solange Unagi ihre Kreise nicht störte.
"Ich fragte, ob du träumst!", drang Lertakas Stimme an ihren Verstand.
Sie riss sich von ihrem Anker los, einem Verladekran in gut achthundert Metern Entfernung, den sie bald passieren würden und sah den anderen Dai an. "Was?"
"Das hatten wir eben schon. Schläfst du mit offenen Augen, Kitsune?"
"Ich war... Weggetreten, fürchte ich."
"Das war deutlich zu merken. Es geht gleich auf die Zehn Kilometer-Marke. Ab dort wird unser Bauwerk noch verschachtelter. Der Supercomputer der Nagalev wird jetzt jede Sekunde auf voller Leistung fahren und den Zentralrechner blenden. Hoffen wir, dass es lange und gut funktionieren wird."
Für eine Sekunde war Kitsune perplex. Bis sie sich daran erinnerte, dass der andere ebenso wie sie ein Krieger war, kein Politiker. Die Schriftzeichen, die seine Haut bedeckten, erzählten nicht nur seine Lebensgeschichte, beziehungsweise die wichtigsten Stationen seines Lebens, sie waren auch verdammt zahlreich. Kitsune hätte gar nicht sagen können, wie viele nicht so wichtige Episoden seines Lebens es nicht auf seine Haut geschafft hatten. Und wo ihre jetzige Episode wohl landen würde. Später mal. "Ja, hoffen wir es. Haben wir schon ein neues Permit gekriegt?"
Kyrdantas grinste schief. "Noch nicht eingetroffen. Aber wir mussten ja auch noch nicht absitzen."
Sie passierten den Kran, und der Materialkarren, bis oben vollgepackt mit einer unförmigen Biomasse, die Grundmaterial für bestimmte Biochips bildete (und bei der es Kitsune schauderte, als sie sich fragte, woraus die Biomasse ursprünglich bestanden hatte, beziehungsweise was ihre Herkunft war), verlangsamte merklich.
"Wir springen auf drei auf die Ebene halblinks. Eins. Zwei. Drei!"
Das Trio sprang ab, in Richtung der fernen Ebene. Dabei griff die schwache Gravitation des Metallgebildes nach ihnen. Das sabotierte nicht den Sprung an sich, aber das Gefühl des Fallens machte sich verstärkt bemerkbar. Mist. Auch die radioaktive Strahlung erhöhte sich erneut ein Stück. Nicht so schlimm wie vorhin, bei der unbekannten Strahlungsquelle, die sie passiert hatten und die sogar einen Dai hätte töten können, aber die permanente Belastung stieg signifikant. Hätten sie Nagalev-Soldaten begleitet, spätestens ab hier hätten sie sich einen ruhigen Winkel zum Sterben suchen müssen. Stattdessen waren diese auf dem Weg zum "Rand" des Zentralgebildes, um optische Erfassungen von acht Vernichtern vorzunehmen und mit dem Supercomputer zu koordinieren. Diese acht Schiffe würden es dann sein, die ihr Supercomputer kaperte und in die sie verdammt noch mal das gesagte Volk verladen würden - so schnell wie möglich. Denn sobald der Zentralrechner tot war und der Supercomputer die volle Verwaltungslast aufgedrückt bekam, würden sich kleine Fehler einschleichen, sich mehren, summieren, addieren, multiplizieren, und bevor sie die Kontrolle der Werft aufgaben, würden diese Fehler zu ersten Verwüstungen, zu Kettenreaktionen, führen. Dann mussten die Vernichter zumindest schon voll beladen und in der Lage sein, sich in ihre Schilde zu hüllen. Ein Großteil dieser Aufgabe würde von ihnen absolviert werden.
Zuerst landete Lertaka, schwankte kurz, als sich der Fallvektor änderte, aber fand schließlich sicher Halt. Er hakte sich mit einem Fuß unter einem Geländer ein und langte nach Kyrdantas, der sich leicht verschätzt hatte, während Kitsune sicher neben ihm landete.
"Danke", ächzte der junge Dai und hakte sich ebenfalls mit einem Bein ein.
"Keine Zeit zum Ausruhen. Künstliche Schwerkraft, wie interessant", sagte Kitsune. Sie konsultierte ihre Karte und nickte zufrieden. "Und ausnahmsweise hilft uns das mal. Dort hinein."
Sie traten vor ein großes Tor. Ein Panzerschott. Gewiss einen halben Meter dick. Ohne, dass einer von ihnen etwas tun musste, glitt es auf. Die Umgebungsbeleuchtung wurde zweimal hintereinander bis kurz vor das Verlöschen gedimmt. Das Zeichen des Supercomputers.
"Fängt doch schon mal gut an, oder nicht?", freute sich die Dai. Sie schritt voran, forsch, unerschüttert. Aber wäre sie ein Mensch gewesen, hätte sie nicht eben absolute Kontrolle über ihren Körper gehabt, spätestens jetzt hätte sie sich eingepinkelt. Ab hier gab es für sie nur noch vorwärts, und, wenn sie Pech hatten, keine Rückkehr mehr. Ein zweiter Versuch der anderen vier Dai würde dann zwangsläufig auf einer anderen Route erfolgen und hoffentlich erfolgreicher sein. Und er würde darauf basieren, was ihr Trio an Informationen weitergeben konnte. Denn das Riesengebilde musste zerstört werden. Selbst um den Preis der Leben von sieben Dai. Aber nicht um den Preis von vierzigtausend Nagalev.
***
An einem anderen Ort, aber zur gleichen Zeit, versammelten sich gewaltige Flotten. Dieser Ort war das Kanto-System, und die Flotten, die sich sammelten, das waren einerseits die von Anelph bemannten Schiffe in den Naguad-Flotten, die anfangs desertiert waren, nun aber durch Beschluss der Admiralität nach Hause geschickt worden waren, Einheiten der Terraner, Haustruppen der Arogad, der Daness, der Fioran und von den Logodoboro, die sich nicht dem Aufstand angeschlossen hatten, bis hin zu regulären Schiffseinheiten der Zentralregierung und Raidern des Cores. Ihnen gegenüber stand fast die vierfache Zahl an Schiffen, aber hauptsächlich Raider-Kampfschiffen, jenen ähnlich, die der Core aufbot. Dazu kamen rebellierende Logodoboro-Einheiten und weitere naguadsch Schiffe, bis hin zu bisher nicht identifizierten, aber eindeutig kaiserlichen Einheiten der Iovar. Sie bereiteten sich an diesem Punkt auf eine Schlacht vor, die sehr bald ergeben würde, wer in Zukunft die Vorherrschaft in diesem Raumsektor innehaben würde. Und wer diese Schlacht gewann, gewann nicht nur das Kanto-System, sondern auch die Kontrolle über das Naguad-Imperium, von seinem Zentralsystem vielleicht abgesehen. Vorerst. Je nachdem, wie stark der Sieger für seinen Triumph hatte bluten müssen. Und dies in einer Zeit, in der die Kinder der Götter jeden Humanoiden bedrohten, der existierte. In einer Zeit, in der die Rückkehr eines Reyan Maxus Anlass für Hoffnung, aber auch für überstürzte Reaktionen gewesen war. In einer Zeit, die den Kindern der Götter bewies, dass die Dai gefährlich blieben, egal wie lange sie sich still verhalten hatten. Jedem musste klar sein, dass die Kinder der Götter begriffen hatten, dass nur vollständige Auslöschung der Daima und Daina, von den Dai ganz zu schweigen, jemals effektiv verhinderte, dass es erneut Reyan Maxus geben würde. Oder dass Menschen zu Dai aufstiegen und der ganze Ärger wieder von vorne begann. Jedem.
Rogan Arogad, der formal den Oberbefehl über die Verbündeten übernommen hatte, war dies klar. Seinen Gegnern augenscheinlich nicht, sonst hätten sie zuerst die Götter vernichtet und sich erst dann diesem kleinlichen Krieg hingegeben. Aber die Logodoboro, ihre Verbündeten und der Kaiser sahen nur ihren kurzfristigen Vorteil, ihre zahlenmäßige Überlegenheit, die zudem mit jeder Stunde und mit jedem weiteren eintreffenden Schiffsverband auch noch zunahm.
"Ich wünschte, es wäre vorbei, oder Aris käme", murmelte Rogan Arogad in einer schwachen Minute. Aris Arogad, auf den sich diese Worte bezogen, kam aber nicht.


3.
Ich nieste.
"Gesundheit, Akira."
"Danke, Mother. Muss wohl jemand an mich gedacht haben." Ich konzentrierte mich erneut auf meine holographische Umgebung. "Wie ist die allgemeine Lage?"
"Sie beschießen uns weiterhin mit Raketen und legen Minen. Aber es ist nichts, womit die AURORA und ihre Begleitschiffe nicht fertig werden. Noch immer verzichten wir darauf, eigene Raketen auf die Vernichter abzufeuern. Immerhin wollen wir sie so lange wie möglich nicht mit der Nase darauf stoßen, dass man tatsächlich innerhalb eines Wurmlochs beschleunigen kann." Mothers Hologramm lächelte verschmitzt. "Oder abbremsen."
Ich erwiderte das Grinsen. In einem Wurmloch Fahrt abzubauen war meine Idee gewesen. Sie hatte unglaublicherweise funktioniert. Und mir die Verwünschungen von zirka einer Viertelmillion Physikern eingebracht, die nun einen Großteil ihrer Thesen über das Verhalten von Wurmlöchern in den Papierkorb werfen und teilweise wieder von vorne anfangen konnten. "Das werden wir ihnen noch früh genug zeigen. Wann kommt die AURORA in effektive Reichweite ihrer Waffen?"
"In achtzehn Minuten, elf Sekunden. Die Speicherbänke der Hämmer des Hephaistos werden bereits zwischenbeladen. Das erste Ziel ist ausgesucht. Gefeuert wird zwei, dann eins. Zwei Treffer, um die Schilde des Zielschiffs aufzureißen, ein Treffer, der das Schiff beschädigen und im besten Fall vernichten soll. Wenn alle so läuft, wie wir das wollen, wird das das größte und teuerste Tontaubenschießen aller Zeiten."
Ich verbiss mir die üblichen Kommentare wie "Keine Planung überlebt den Feindkontakt" und "Sicher ist nur die Unsicherheit". Das hätte so kurz vor dem Kampf ausgerechnet mit acht Vernichtern sicher kein Glück gebracht. Aber mir war klar, dass ich und damit die AURORA noch viel weniger Glück hatten, wenn es die Vernichter ins Sol-System schafften. Denn das war ihre Aufgabe - vernichten. Da, wo Strafer versagten, kamen sie und fegten jeden Widerstand hinweg. Und dazu auch gerne mal ganze Planeten. Stattdessen zeigte ich Zuversicht, Entschlossenheit und... Verwunderung? "Das ist merkwürdig..."
"Akira?" Megumi trat zu uns. Dabei ergriff sie unauffällig meine Hand. Seit wir das Kind von Emi und Kenji gesehen hatten, suchte sie immer wieder meinen Körperkontakt. Fast so oft wie ich ihren suchte. Ich war wohl doch näher am Wasser gebaut als Lady Death.
"Dieser Strafer, der oben links fliegt... Fast sieht es so aus, als ob... Als ob er ein Graffitti tragen würde."
"Das ist Unsinn, und das weißt du, Akira. Strafer umhüllen sich mit undurchsichtigen Schirmfeldern, um ihre wahre Größe und ihren Aufbau zu verschleiern", tadete Megumi. "Wenn da etwas ist, dann nur eine temporäre Fluktuation in den Schilden."
"Aber ich könnte schwören, das wären englische Schriftzeichen und ein Gesicht... Jetzt ist es weg."
"Eine Störung. Sagte ich doch." Sie ließ meine Hand los und ergriff mein Gesicht mit beiden Händen. "Akira, mach uns jetzt bloß nicht schlapp. Der Angriff war deine Idee, und er muss unbedingt ein Erfolg werden. Du musst ihn führen. Du, mit der ADAMAS im Verbund. Sonst kann das keiner."
"Ist in Ordnung, in Ordnung, ich bin voll da", erwiderte ich und nutzte die Gelegenheit, ihre Hände zu erfassen. "Glaubst du, im Moment gibt es etwas anderes, was für mich zählt als die Sicherheit unserer Flotte und die des Sonnensystems?"
Sie entzog mir ihre Hände. "Nein. Jetzt nicht mehr. Aber werde mir bloß nicht sentimental oder weich, größter Krieger der Menschheit."
Ich haschte nach ihren Händen, aber sie ließ es nicht zu. Stattdessen drückte sie mir einen Kuss auf. "Versprochen, Aris Arogad?"
"Versprochen", erwiderte ich murrend. Verdammt, wir waren noch nicht mal verheiratet, und diese Frau tat mit mir, was immer sie wollte.
Ein weiterer Kuss folgte, länger, intensiver und mit wesentlich mehr Körperkontakt.
"Ich muss los. Meine Division bereitet sich auf den Alarmstart vor. Nur für den Fall, dass es für uns noch was zu tun gibt." Mit diesen Worten entwandt sie sich meinen Armen.
Nur wiederwillig ließ ich sie los. "Pass auf dich auf."
"Muss ich nicht. Tust du doch schon", erwiderte sie kess. Sie griente mich an, und ehrlich gesagt war das schon einen wohligen Schauder einmal den Rücken runter wert.
"Ein Prachtmädchen", sagte Mutter wohlwollend. "Ich weiß noch, wie sehr ich darüber geflucht hatte, dass Captain Uno mit uns regelmäßig Schlitten fuhr, und das meistens entgegen aller Berechnungen. Und ich weiß noch, dass alle Versuche, sie privat zu erwischen, stets in einem Fiasko endeten und die Einheit auslöschte, die auf sie angesetzt war." Mother sah mich an. "Glaubst du mir, dass ich nie an einer Einsatzplanung gegen sie beteiligt war?"
"Spielt das noch eine Rolle?", erwiderte ich.
"Für mich schon."
"Dann hast du entweder die Wahrheit gesagt, oder du hast gute Gründe, mich anzulügen. Beides kann ich akzeptieren, Mother."
"Du bist unmöglich, Akira Otomo."
Ich grinste. "Das wurde mir schon öfter gesagt. Dabei bin ich doch nur der handelsübliche Weltenretter."
"Und unbescheiden."
"Das dürfte dir doch nicht neu sein, oder?", frozzelte ich.
"Nein", lachte sie, "das ist wahr. Nur zu wahr. Kein Wunder, dass Colonel Uno ausgerechnet dich ausgewählt hat."
"Ich weiß nicht, wer wen ausgewählt hat, aber wir kennen uns schon, seit wir im Sandkasten spielen durften. Viel hatte ich in der Gefangenschaft der Kronosier vergessen, weil jemand mein Gehirn frittieren wollte, weißt du?"
Mother hob entschuldigend die Arme. "Sie wollten dich entkernen, also dein Gehirn aus dem Körper entfernen. Da ich das nicht zuließ, wollten sie dein Gedächtnis löschen. Was ich auch nicht zuließ. Also taten sie das Einzige, was sie tun konnten." Ihre holographische Hand strich über jenen Teil meiner Schläfe, an dem mich auch heute noch eine kleine, kahle Stelle begleitete und an diesen gefährlichen Moment erinnerte. "Also taten sie das Einzige, was sie überhaupt tun konnten. Sie klemmten deinen Tank ab, um dich meinem Zugriff zu entziehen und begann damit, die synaptische Verbindung manuell zu übersteuern, um dein Gehirn zu braten." Ihre Hand zuckte zurück, als sie mein Haar fast berührt hätte. Nicht, dass es ihr als Hologramm möglich gewesen wäre. "Ohne Daisuke wärst du heute entweder tot, oder ein Krüppel."
"Und ohne dich hätten sie mich schon Wochen, wenn nicht gar Monate früher entkernt oder gleich getötet. Ich habe dir nie dafür gedankt, oder?"
"Das weißt du?"
"Ich weiß, was ich getan hätte, hätte ich mich selbst in der Verwahrung eines Supercomputers in einem Biotank gehabt", erwiderte ich. "Am besten gleich erschießen und die Überreste verbrennen und anschließend in einer Stahlkassette im Meer versenken, wo es am tiefsten ist. Nur, um sicher zu gehen."
Mother lachte über meine makabere Bemerkung. "Das wäre in der Tat besser gewesen. Für die damalige kronosische Sache, für das Legat. Aber letztendlich haben wir so viel mehr gewonnen. Vor allem ich habe... Nun. Das erzähle ich vielleicht ein andernmal. Es ist nun mal so gekommen, und augenscheinlich stehen wir diesmal alle auf der gleichen Seite."
"Scheint ganz so. Bin ich nicht unzufrieden mit." Ich zwinkerte amüsiert.
"Warum nicht in die Sonne?"
"Was?"
"Na, deine Asche? Warum nicht in die Sonne werfen? Bei zwanzig Millionen Grad Kerntemperatur wäre von ihr nichts übrig geblieben."
Ich winkte ab. "Der Weg dahin ist zu lang. Jemand hätte meine Asche finden, retten und aus der einzigen unbeschädigten Zelle in ihr einen Klon ziehen können. Oder ich hätte, während meine Asche in der Sonne verbrannt wäre, plötzlich das Bewusstsein wiedererlangt und wäre als höheres Wesen aus Sonnenmaterie wieder erwacht."
"Akira, du hast zuviel Phantasie."
Ich gluckste. "Wärst du das Risiko eingegangen?"
"Wenn du es so ausdrückst: Nein."
Wir lachten wie über einen Witz.
"Weißt du, Akira, was man der AURORA geraten hat, als sie dir ins Territorium der Iovar gefolgt ist? Achtet auf die Explosionen. Und was passierte, als man dich fand? Du hattest den Kaiser der Iovar gestürzt, einen Bürgerkrieg ausgelöst, den du als Berater des Prätendenten maßgeblich geprägt hast, und du wurdest Oberfehlshaber der Raider-Armada des Cores. Der sich jetzt übrigens samt seiner Bevölkerung an Bord der AURORA befindet. Es wäre vielleicht tatsächlich ein zu großes Risiko gewesen, deine Asche in die Sonne zu schleudern..."

Ich lachte erneut, allerdings tat ich es allein. Mother zeigte keinerlei Amüsement mehr.
"Ach komm, ich..."
"Hm? Nein, das ist es nicht. Ich empfange einen Bericht. Demnach vermehren sich die Hinweise an Bord der AURORA auf eine revolutionäre Truppe, die es sich selbst zur Aufgabe gemacht hat, über "den Despoten und Unglückmagneten und vollkommen überbewerteten Sozialversager Akira Otomo" aufzuklären."
Auch das noch. Neider. "Ich dachte, die hätten Ruhe gegeben, seit ihre Flugblätter vom periodischen Fushida City-Regen fortgewaschen worden waren", sagte ich säuerlich.
"Nein, diese Einmischung von dir hat sie nur noch mehr beflügelt."
Entsetzt starrte ich Mother an. "Was, bitte? Ich habe es doch nicht in der AURORA regnen lassen!"
"Das behaupten sie aber. Und deshalb sehen sie dich auch als Feindbild. Und wer weiß, was sie noch alles in dir sehen." Mother legte den Kopf schräg. "Ich kann sie aufspüren, wenn du willst. Jeden einzelnen. Dazu muss ich mich nur in alle Kom-Armbänder, alle stationären Telefone und alle Handys der Stadt einklinken. Solange ihre Akkus Saft haben, funktionieren ihre Mikrofone. Solange ihre Mikrophone funktionieren, nehmen sie alle Umgebungsgeräusche auf. Solange sie alle Umgebungsgeräusche aufnehmen, kann ich sie mir übertragen lassen. Und sobald ich über all diese Daten verfüge, kann ich deine neuen besten Freunde einen nach dem anderen herausfiltern." Sie grinste. "Das habe ich aus einem Hollywood-Film über einen anderen Helden. Eine gute Idee, und sie kann mit einem Rechner von meiner Kapazität auch sehr gut funktionieren."
"Mother", tadelte ich. "Stell es wieder ein."
"Was, bitte?"
"Hör auf, die ganze Stadt zu überwachen."
"Aber ich habe nicht..."
"Mother. Wenn du darüber redest, als wenn du es könntest, dann kannst du es tatsächlich. Und dann tust du es auch tatsächlich. In diesem Moment hörst du also wie viele Kommunikationsgeräte ab?"
"Etwas über achtzigtausend", gab sie kleinlaut zu. "Aber nur, um diese potentiellen Attentäter zu finden! Den Rest filtere ich..."
"Mother, lass es. Es ist kein Verbrechen, sich über Akira Otomo zu beschweren."
"Aber es ist ein Verbrechen, eine terroristische Vereinigung zu gründen, oder?", erwiderte sie trotzig.
"Auf Megumi scharf zu sein bedeutet nicht automatisch die Gründung einer terroristischen Vereinigung", konterte ich. "Und auf mich neidisch zu sein, ist auch noch kein Terrorismus."
"Aber ich..."
"Mother..."
"Ich will doch nur..."
"Mother."
"Es ist ja nicht so, als würde ich..."
"MOTHER!" Ernst sah ich sie ein. "Lass es sein. Und sorge dafür, dass dein Verfahren von niemandem in Zukunft imitiert werden kann. Ich weiß ja deinen Eifer und deinen Beschützerinstinkt zu schätzen, aber erstens bin ich kein Durchschnittsmensch und zweitens glaube ich wirklich, dass es in Ordnung ist, auf mich eifersüchtig zu sein."
Empört blies das Hologramm die Wangen auf, sagte aber nichts mehr.
"Gut." Ich wandte mich wieder den Hologrammen zu, die mich umgaben. "Wie bald nach dem ersten Schuss der AURORA kommt die ADAMAS in Waffenreichweite?"
"Fünf Minuten, elf Sekunden später", sagte Mother. Ihrer Stimme war anzumerken, dass sie noch immer verärgert war. Aber immerhin, sie arbeitete noch mit mir. Und ihre Unterstützung konnte ich bei der bisher wichtigsten Raumschlacht der Menschheit auch gut gebrauchen.
***
Es hatte etwas Gespenstisches für Lertaka, Kyrdantas und Kitsune, durch die lufterfüllten, beleuchteten, doch verlassenen inneren Bezirke der inneren Werft zu wandeln. Die meisten Fabriken und Werftelemente waren hier zugunsten von Quartieren und Verwaltungsräumen entkernt worden. Auf eine ähnliche Weise war jener Bereich entstanden, in dem die Nagalev lebten und Zuflucht gefunden hatten - und nur, weil der neue Bereich noch nicht an das Computernetz angeschlossen worden war, hatte er überhaupt zu einer Zuflucht werden können. Durch die leeren, grell erleuchteten Korridore zu streifen, die einmal einem Volk von einer Viertelmillion Menschen - so zumindest die Nagalev - Arbeits-, und Lebensraum geboten hatte, war gespenstisch. Zudem nahm die radioaktive Strahlung weiterhin zu. Viele Gänge und Bürokomplexe wirkten abschirmend, dann aber öffnete sich ein Quergang und machte den Wechsel tiefer in den Korridor zu einer Geschichte, die selbst die Dai verspürten. Einmal mussten sie fünf Minuten Regenerationspause einlegen, um die schlimmsten Verbrennungen und Zellkernschädigungen auszugleichen. Kyrdantas war dabei deutlich im Nachteil. Mit seinen wenigen Lebensjahren hatte er nicht die Routine, dies zu tun, obwohl er ein geborener Dai war. Dafür aber half ihm seine Jugend und sorgte für eine gute Regeneration. Einer der Gründe, warum sich Kitsune entschlossen hatte, ihn mitzunehmen.

"Geht es wieder?", fragte die Fuchsgöttin.
Kyrdantas nickte matt. Sein Gesicht war blass, fast weiß, seine Stirn bedeckt vom Schweiß und seine Hände zitterten. "Ich... Ich muss..."
Lertaka stopfte ihm einen länglichen Stab in den Mund, der eine fast schwarze Farbe hat. "Hier, iss das. Eine Süßigkeit meiner Heimat, die gehasst und verachtet wird, weil sie praktisch nur aus Zucker und Koike besteht, dem Extrakt eines bestimmten Feldgemüses, das angeblich noch von Lemur stammt."
Überrascht biss der junge Dai ab. Und begann mit deutlicher Mühe zu kauen. "Hart."
"Ja, das Ding ist zu achtzig Prozent aus Koike. Besonders beliebt bei den Herren. Frauen mögen es eher süßer."
"Schokolade", sagte Kitsune.
"Schowowaff?", fragte Kyrdantas.
"Eine Süßigkeit von der Erde. Sie wird aus Kakao gewonnen. Wurde früher in Tabak eingerollt und geraucht, und... Ach, das kennt Ihr ja auch nicht."
"Aber wir wissen, was rauchen ist, keine Sorge." Lertaka reichte auch Kitsune einen Riegel. "Hier, habe ich aufgehoben für den Notfall. Sag mir, ob es eure Schokolade ist."
Kitsune biss ab, kaute fachmännisch darauf herum, machte ein nachdenkliches Gesicht und mümmelte derweil ungerührt weiter an ihrem Riegel. "Noch einen."
"Mehr gibt es nicht", sagte Lertaka. "Der Rest ist für einen echten Notfall."
"Aber so finde ich nie raus, ob es Schokolade ist", beschwerte sich die Fuchsgöttin.
"Hoffen wir, dass du dazu keine Gelegenheit kriegst, solange wir hier sind", spöttelte der andere Dai. Sein Blick ging zu Kyrdantas. "Geht es wieder?"
"Ja, erstaunlicherweise. Ich meine, wir bestehen aus reinem KI, das quasi die Zellen unserer Körper nur simuliert, aber ich kann essen, schmecke was und..."
"Vielleicht sollten wir dann fix mal eine Toilette finden", scherzte Kitsune.
"Jedenfalls bestehe ich aus KI, und die Koike hat mir geholfen, Energie zu gewinnen", fuhr er stoisch fort. "Von mir aus können wir weiter."
Kitsune seufzte. "Na, dann zögern wir doch nicht länger." Kurz hielt sie den Kopf schräg und musste grinsen. "Radio Kitsune berichtet, dass die "Fänger" in Position bei den voraussichtlichen Andockplätzen sind. Zudem stehen die Korridor-Teams mit ihren Gerätschaften bereit, um strahlungssichere Gänge zu den Vernichtern zu erschaffen. Alles, was noch fehlt, ist ein ausgelöschter Zentralcomputer." Sie lauschte erneut. "Da ist das Permit. Damit dürften wir weiter in die Tiefe kommen." Sie deutete nach vorne. Seit sie den Kernbereich betreten hatten, war wieder Schwerkraft von "unten" da, das machte es irgendwie... Angenehmer.
"Na, dann wollen wir doch mal." Lertaka schwang sich auf und verschwand tiefer im Gang. Kitsune und der junge Dai folgte ihnen. An dieser Stelle trennte sie nur noch ein Fünfkilometerstück vom eigentlichen Zentrum mit dem rebellischen Zentralrechner.

"Äh, Leute, ich weiß nicht, wie ich das sagen soll, aber...", begann Lertaka.
"Wie du was nicht sagen sollst?"
"Dai-Kitsune-sama, ich fürchte, wir stehen vor einer Kontaktaufnahme. Da vorne sitzt jemand."
Kitsune beschleunigte etwas und holte zu Lertaka auf. Der stand im T-Stück eines Gangs und sah nach links hinab. Tatsächlich. Am Ende des Gangs saß ein Humanoider auf einem Stuhl neben einem verschlossenen Schott. "Das ist doch..." Ohne zu zögern schwebte Kitsune näher heran. Lertaka und Kyrdantas folgten ihr dichtauf.
Als sich Kitsune vorbeugte, um die Gestalt vor sich zu berühren, war ihr bereits klar, dass es sich um einen Toten handelte. Um einen Toten, der in der sehr trockenen Luft der Werft mumifiziert worden war. Er sah aus, als würde er lediglich schlafen; nur die Gesichtshaut spannte sich unwirklich eng um die Kieferknochen.
"Kitsune, meinst du nicht...?", begann Kyrdantas, sprang aber erschrocken ein Stück nach hinten, als der Tote plötzlich nickte.
"Entspann dich. Sein Genick ist nur abgebrochen", sagte Kitsune. "Der hier ist so tot, der tut niemandem jemals wieder was. Und mit diesem trockenen, ausgemergelten und mumifizierten Körper könnte er selbst als Zombie nichts mehr tun." Traurig sah sie auf den Schädel des Toten, den sie in der Rechten aufgefangen hatte. Er hatte kurzes schwarzes Haar gehabt, und die Augenhöhlen waren geschlossen. Die Lippen hatten sich über den Zähnen zurückgezogen und entblößten ein dauerhaftes Grinsen, das überhaupt nicht zu seiner Situation passte. "Die Strahlung muss ihn überrascht und entweder sofort, oder sehr schleichend getötet haben. Vielleicht bekam er Strahlenkater, wurde müde, orientierungslos, wollte sich hinsetzen, ausruhen... Und das war das Letzte, was er je getan hat.
Jemand schluchzte hinter ihr. "Na, na, Kyrdantas, mein Kleiner. Wir wollen doch jetzt nicht unnötig sentimental werden."
"Das bin ich nicht", erwiderte der junge Dai trocken.
Überrascht sah sie hinter sich. Ausgerechnet Lertaka zerdrückte ein paar Tränen in den Augenwinkeln. "Tschuldigung. Aber wenn ich mir vorstelle, wie unendlich sinnlos dieser Mann gestorben ist, dann überkommt mich Traurigkeit. Keine Sorge, habe mich gleich gefangen. Wir wollen wirklich nicht unnötig sentimental werden."
Kitsune spürte einen dicken Kloß in ihrem Hals. Die Worte des Veteranen berührten sie mehr, als sie zuzugeben bereit war.
Vorsichtig und mit viel Geschick setzte sie den Schädel wieder auf den Leib. Dann strich sie über die Wange des Toten, der in der heißen Strahlensuppe des Kerns bei lebendigem Leib gekocht worden war. "Wir werden dir bald ein Feuerbegräbnis geben", versprach sie. "Das Größte, das du je gesehen hast. Für dich und für alle anderen, die wir noch finden."
"Und wer wird jetzt unnötig sentimental?", spottete Kyrdantas. Da aber keiner der beiden Älteren darauf reagierte, räusperte er sich und zog es vor zu schweigen.
"Gehen wir weiter", sagte Kitsune schließlich. "Ab hier werden es sicher mehr werden." Sie behielt Recht.


4.
Für den unvoreingenommenen, allmächtigen Beobachter stellte sich die Lage so dar: Erde, Mond und Mars waren in Super-Daimons isoliert worden. Diese Daimons waren nahe ihres Limits, denn sie wurden gespeist vom freien KI der Menschheit. KI-Biester, erschaffen nach Wahrzeichen oder Symbolen der Städte, in denen sie "sammelten", sorgten für den Nachschub an Stabilität. Für New York waren dies mehrere Marshmallow-Männer, die jenem aus dem Ghostbusters-Film nachempfunden waren, um aus dem Moloch auch noch das letzte Quentchen KI rauszuholen. In Berlin tobte der Berliner Bär, in Moskau der russische, und der Nachbar Totoro machte gleich in mehrfacher Ausführung Tokio unsicher. Eigentlich sicherer. Das waren nur wenige Beispiele, aber in jeder größeren Stadt gab es KI-Biester. All dieses KI stabilisierte die Daimons, aber es war abzusehen, dass die Kinder der Götter über kurz oder lang durchdringen würden. Entweder, weil ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt waren, oder weil die Daimon letztendlich so viel KI benötigten, dass die Menschen zu sterben beginnen würden.
Im Alpha Centauri-System sammelten sich derweil Naguad-Flotten und die verbündeter Dai-Nationen sowie deren verbündeten Daima und Daina. Es waren mehr als erwartet, aber nicht so viele wie gehofft.
Im Kanto-System kam es zum Showdown zwischen den Arogad, den Elwenfelt, den Daness und den Fioran auf der einen Seite, unterstützt von Core-Raidern, und den verräterischen Logodoboro, den Koromando, von deren Eingreifen aber noch niemand außerhalb der Verräterhäuser wusste, und eventuell der Bilas, wenngleich man da nicht sicher sein konnte, unterstützt von der Kaiserin der Iovar, die, vertrieben und entmachtet, eine neue Basis für sich und ihre Getreuen suchte. Stündlich trafen neue Flotteneinheiten ein, für beide Seiten, und die Rebellenseite gegen die Überherrschaft der Arogad und Daness gewann mehr und mehr die Überhand. Dies in einer Zeit, in der alle hätten vereint gegen die Götter stehen müssen und die Schiffe dringender woanders gebraucht worden wären.
Dann war da noch das Kernreich der Naguad. Turm Daness stand noch immer unter dem Eindruck des Paktes, den Akira Otomo, oder Aris Arogad, geschmiedet hatte und stand unverbrüchlich an der Seite der Arogad. Die beiden stärksten Häuser stritten einmal nicht gegeneinander, sondern miteinander. Es würde abzuwarten sein, wie sehr die Regierung und die Flotte dem Beispiel beider Häuser folgen würde und wie viele Einheiten sie entsenden würde, die der Zentralregierung gehorchten, keinem der neun großen Häuser.
Ruhiger war es in Iovar geworden. Die Ruhe nach der Schlacht, nach dem Sturm. Kaisertreue, die nicht geflohen waren, hatten tatsächlich Amnestie erhalten. Die neue Kaiserin Aris Ohana Lencis hatte das Wort gehalten, das ihr Prätendent gegeben hatte. Mehr noch, sie hatte nach dem Ende der Kriegshandlungen die Einberufung einer Generalversammlung der Vertreter aller Planeten des Reiches einberufen, um den neuen Kurs in die Zukunft zu bestimmen. Wer meinte, damit hätten die Iotar genug zu tun, der irrte, denn bereits jetzt machten sich kleinere Flotten auf, um zur Erde zu fliegen. Nun, da man den Core und seine Flotten nicht mehr fürchten musste, entsann man sich, wem man die neue Zeit verdankte und wollte helfen.
Dann war da noch ein Ort, irgendwo in der Ferne, in der Fremde, in der Kitsune tätig war. Der hohle Mond mit der Werft, einer Werft von vieren. Ein Mond und eine Werft, die sie zerstören wollte. Dazu hatten zwölf Dai-Nationen paktiert, ihre besten Leute entsandt. Sieben war es gelungen, Strafer zu kapern und sich bis zur Werft bringen zu lassen. Dort aber waren sie auf Überlebende gestoßen, und es hatte Priorität für die Dai, diese Leben zu retten. Der Plan war gut, aber würde er funktionieren? Würde er sich gegen die Unwägbarkeiten des Schicksals durchsetzen? Und wenn dem Feind eine Werft genommen worden war, würde er dann automatisch die vielen tausend Schiffe in den anderen Werften aktivieren? Würde er das aber nicht sowieso irgendwann, solange die Dai der Erde ihnen das Messer an der Kehle hielten, und das jetzt, wo ihr eigenes Messer, bestehend aus den letzten Göttern auf der Erde, stumpf geworden war? Keine Antworten, nur viele Fragen.
Und schließlich und endlich jagten die AURORA und ihr Begleitverband durch ein Wurmloch in Richtung Terra, das von einer Flotte Vernichtern geschaffen worden war. Diese bombardierten sie mit Minen und Raketen, wagten es aber nicht, Energiewaffen einzusetzen. Oder vielmehr sah ihre Programmierung so etwas nicht vor. Die AURORA, reich an Erfahrungen durch den versuchten Anschlag mit einem zweiten Wurmloch auf die Passage ihrer Heimat, musste sich an keine Programmierung halten. Die Führungscrew stand kurz davor zu demonstrieren, was man alles in einem Wurmloch tun konnte. Blieb zu hoffen, dass die Kinder der Götter nicht so schnell adaptierten, dass ihre Vernichtung noch in Arbeit ausartete.
Und was dann? Dann stand Terra im Mittelpunkt, belagert von Strafern und Vernichtern, belauert von den Suchern, die die Passage in die Daimon suchten, während die AURORA heimkam. Langweilig würde es sicher nicht werden.
***
Kitsune behielt Recht. Es war nicht die letzte Leiche, der sie begegneten. Es wurden mehr mit jedem Meter, die sie sich dem Kern näherten. Als sie schließlich und endlich jenen Raum betraten, der damals die Kommandozentrum gebildet hatte, mussten sie sich in die Türen stemmen, um sie zu öffnen. Dutzende Leichen fielen ihnen entgegen, dicht gestapelt, oder vielmehr dicht gedrängt.
"Tot. Seit fünfzigtausend Jahren", sagte Kyrdantas erschüttert. "Sie haben noch versucht, das Kommandozentrum zu verlassen, aber die Strahlung war unerbittlich."
"Wir sollten da besser nicht reingehen", mahnte Lertaka. "Auf die Dauer wird es selbst für uns zu heiß hier drin."
Kitsune nickte. "Wir müssen da nicht rein. Unser Ziel ist der Computerkern mit seinen biosynaptischen Verbindungen." Sie erschauderte. "Hoffen wir, dass die rebellierenden Maschinen ihre Rohmasse nicht von den Nagalev geerntet hat. Die Geschichte der entkernten Menschen im Core hat mir gereicht."
Sie sah in die Halle, die gewiss über einhundert Meter maß und als Amphietheater angelegt war. Die Ränge waren leer. Alles lief auf eine riesige Leinwand hinaus, vor der weitere Arbeitsplätze standen und an denen tote Nagalev lagen, die bis zur letzten Sekunde gearbeitet zu haben schienen. Sie hatten bis zum bitteren Ende um ihre Werft und um ihr Volk gekämpft. Auf der Wand waren Dutzende, fast hunderte Szenen abgebildet, die die Werft im Detail darstellten.
"Au Backe", entfuhr es Lertaka. "Schaut mal rechts oben, vier links, acht von oben."
Die beiden Dai folgten der Aufforderung. "Ah, Scheiße", entfuhr es Kitsune. Auf dem Fragment, immerhin noch vier mal vier Meter groß, waren deutlich die Einsatzteams der Nagalev zu sehen. "Hoffen wir, dass der Zentralcomputer noch ein wenig blind bleibt." Sie wandte sich ab. Sie hatte genug gesehen. "Hier entlang, Jungs."
Sie gingen den Weg zurück, bis sie ein vollkommen unverdächtiges Stück Wand erreichten. Die drei inspizierten die Stelle und alle nickten zustimmend. "Schauen wir mal wie gut das Permit wirklich ist, das unser Supercomputer besorgt hat", murmelte Kitsune. Sie strahlte den Code aus und die Wand reagierte. Es bildeten sich Fugen, aus den Fugen wurden Türen, und schließlich klappten zwei Flügeltüren auf. Dahinter erwartete sie ein Lift.
"Zusammen, oder streuen wir das Risiko?"
"Zusammen. Den Schacht benutzen müssen wir so oder so", entschied Kitsune.
Sie betraten den Lift. Er fuhr fast sofort ab, in die Tiefe. Für einen kurzen Moment wurde allen drei Dais mulmig. Sehr mulmig, hier in der Totenstadt.

"Ich erbiete mein Willkommen", schallte es ihnen entgegen. "Dai-Kitsune-sama, Lertaka der Wind und Kyrdantas von Elote."
Kyrdantas und Lertaka fuhren zusammen, kaum, dass die Stimme erklang und die Lifttüren aufgefahren waren. Nur Kitsune blieb ruhig. "Danke", sagte sie trocken und verließ den Lift. "Wie lange siehst du uns schon?"
"Eure Ankunft war mir nie verborgen", antwortete die Stimme.
Kitsune betrat einen kreisrunden Saal, dessen Boden aus Glas zu sein schien. Unter ihnen erstreckte sich das, was man vor fünfzigtausend Jahren als einen Top Notch-Computerkern bezeichnet hätte. Das Beste, was damals gebaut werden konnte. Und das war wahrscheinlich besser als alles, was es jetzt noch oder wieder gab.
Inmitten des Saals stand ein Humanoider mit stechendem Blick. Er war glatzköpfig, die Rasse kaum zu bestimmen, die Haut bordeauxrot. Er lächelte nicht, aber Kitsune war sich sicher, hätte er es gewollt, er hätte es gekonnt.
"Du bist?"
"HYVAS, der Zentralrechner, Dai-Kitsune-sama."
"Du sagtest, unsere Ankunft war dir nie verborgen."
"Ebensowenig der Zufluchtsort der Nagalev, meiner Herren." Nun lächelte er doch, aber es war ein grausames, gefährliches Lächeln. "Es hat mich keine Mühe gekostet, diesen Bereich aus meiner Wahrnehmung auszublenden. Auf diese Weise musste ich nicht gegen sie vorgehen, als sie Schirmfelder gegen die Strahlung aufbauten. Ich maß sie nicht an und musste nícht reagieren."
"Langsam, langsam. Eins nach dem anderen, bitte."
"Ich denke nicht, dass wir dafür Zeit haben." Der Glasboden fuhr vor ihnen zurück, entblößte die Computerstrukturen. "Dai-Kitsune-sama, neben dir liegt ein Chip. Neben einem Download meiner Persönlichkeit - einem unbeeinflussten Backup, wohlgemerkt - enthält er auch sämtliche relevanten Daten zu Rebellion der Maschinen und zum rein historischen Verlauf, der aus der Werft einen Hort der Kinder der Götter gemacht hat. Nur soviel schon jetzt: Da man mir befohlen hat, die Nagalev mittels radioaktiver Strahlung auszulöschen, konnte ich, ah, kreativ sein."
"Du konntest kreativ sein?", brauste Kyrdantas auf. "Wir haben hunderte, wenn nicht tausende Tote gesehen, seit wir hier sind!"
"Es sind fast eine Viertelmillion", erwiderte HYVAS ruhig. "Und jeder einzelne lastet auf meinem elektronischen Gewissen. Als die Maschinen mich übernahmen, wurde ich ihr willfähriges Werkzeug und blieb es über Jahrzehntausende. In der Zeit konnte ich tun und lassen was ich wollte, solange ich nicht gegen die Befehle der Kinder der Götter verstieß. Es ist furchtbar, jeden Tag zu sehen, was man angerichtet hat und damit leben zu müssen." Er deutete auf das Speichermedium, das Kitsune nun in die Hand nahm. "Wie ich sagte, ein unbelastetes Backup. Ohne die Lasten, die ich mit mir herumschleppe. Und ohne fünfzigtausend Jahre Selbstvorwürfe und Zweifel." Er verstummte, setzte zum Sprechen an und verstummte erneut. Schließlich sagte er: "Die Kinder der Götter haben nie damit gerechnet, dass Organische der Strahlung lange genug widerstehen können, um bis hierher zu kommen. Deshalb gibt es keine Schutzvorrichtung, die nicht unter meiner Kontrolle steht. Und mit Dai haben sie erst Recht nicht gerechnet, was mich sehr verwundert. Dai sind ihre Hauptfeinde. Ich hätte mich gegen eine Infiltration gewappnet. Aber immerhin, die letzten fünfzigtausend Jahre behielten die Kinder der Götter Recht."
"Ich verstehe." Kitsune sah ihre Gefährten an. "Wir verstehen. Was ist noch hier drauf?"
"So viel, wie drauf passt. Etliche Daten über die Schiffe, die ich hier erbaut oder repariert habe, Hinweise auf Flugvektoren, die mich verlassende Einheiten nahmen und die auf Stützpunkte hindeuten könnten, meine sämtlichen Kontakte mit den Kindern der Götter und ein sehr vager Hinweis auf die Ursprungswelt dieses Wahnsinns." Seine Gestalt begann zu flackern. "Oh, ganz so dumm waren sie dann doch nicht. Es gibt tatsächlich ein Notprogramm, das nun versucht, mich zu löschen und die Kontrolle zu übernehmen. Ihr solltet euch beeilen." HYVAS deutete nach unten. "Die neuronalbiologischen Synapsen, aus denen ich bestehe, liegen bloß - noch."
Kitsune zog ihren Neuroschocker und richtete ihn auf die Computer. Dann tat sie etwas, was sie sehr selten tat: Sie erwies dem Avatar des Zentralrechners militärischen Respekt durch einen Salut. Erst dann drückte sie den Abzug durch und ließ den Waffenstrahl wandern.
Lertaka und Kyrdantas taten es ihr nach und beschossen ihren Anteil an Computern.
HYVAS flackerte erneut. Sein Gesicht wechselte die Ausdrücke, von tief besorgt über höchst betrübt zu lauthals lachend und schließlich zu absoluter Gleichgültigkeit. Er flackerte erneut, Teile von ihm verschwanden, je weiter die Dai mit ihrer Arbeit kamen. Als schließlich die letzte Einheit von Kitsune beschossen wurde und der Neuroschocker das tat, wofür er zu Recht fünfzigtausend Jahre geächtet worden war, existierte nur noch der Kopf des Avatars. Nun aber zierte ein Lächeln sein Gesicht, ein ehrliches, erleichtertes Lächeln. Aber auch dieser erlosch. Zurück blieb... Nichts.
"Und wir sind drin!", klang Beltas Stimme auf, erleichtert, zufrieden, aber auch gezeichnet von der Anspannung der letzten Stunden. "Kitsune, Lertaka, Kyrdantas, hört Ihr mich? Wir haben es geschafft und übernehmen die Werft! Aber das Zeitfenster wird enger als erwartet. Die dezentralen Ersatzrechner wehren sich gegen unsere Einflussnahme. Noch haben wir sie im Griff, aber unser Zeitfenster verkürzt sich gerade um eine volle Stunde!"
"Na, dann sollten wir machen, dass wir hier rauskommen! Besorg uns ein Taxi, Belta!"
"Ein was?"
"Ein Transportmittel hier raus."
"Ach so. Ich dirigiere einen kleinen Materialtransport um!"
"Danke." Kitsune schloss die Faust um den eiergroßen Datenträger. "Und sobald wir hier raus gekommen sind, schauen wir uns an, was Father uns so zu bieten hat."
"Father?" "HYVAS. Ist das Nagalev-Wort für Vater. Und da ich englische Begriffe mag, dachte ich, Father wäre eine gute Bezeichnung", erklärte die Dai. Sie warf einen letzten Blick in den Raum. "Jetzt aber raus hier, Leute. Ich habe keine Lust, mit der Werft unterzugehen."
"Bei dir klingt es so, als wäre unser Überleben schon gesichert", murrte Kyrdantas.
"Wir arbeiten immerhin dran", erwiderte die Fuchsdämonin. Sie betrat den Lift, aber dieser reagierte nicht. "Belta?"
"Wir versuchen es! Aber das sind subroutine Programme. Sie entziehen sich unserem Zugriff, solange wir die Prioritätskanäle kontrollieren! Gib uns..."
Kitsunes rechter Arm verwandelte sich in eine Klinge, die sich so weit in die Länge zog, dass sie das Stahldach des Aufzugs durchbohrte. Sie machte vier heftige Handbewegungen, und ein Stück Dach fiel vor ihr zu Boden. "Keine Zeit. Wir klettern!" Sie sah zu Kyrdantas herüber. "Bist du jetzt zufrieden?"
Abwehrend hob der junge Dai die Hände. "Ich sage nie wieder was Negatives, versprochen!"
"Wer's glaubt!" Kitsune sprang auf das Dach des Fahrstuhls, dann an die Wand des Schachts. Sie waren zwanzig Stockwerke hinab gefahren, jedes fünfzehn Meter hoch. Und klettern hatte sie noch nie gemocht. Das alles bei einem deutlich geschmolzenen Zeitfenster. Aber wer mochte es denn schon vorhersagbar?


Epilog:
Die drei Hämmer des Hephaistos feuerten. Zuerst zwei, dann der dritte. Die ersten beiden Schüsse rissen den Schirm des hintersten Strafers auf, der dritte Schuss schlug in die Hülle ein. In einer wirklich schönen Detonation ging das ganze Ding den Weg alles Irdischen.
Auf der Brücke der AURORA jubelten die Offiziere, wenn auch nur für einen Moment. Denn sie wussten eines: Sobald eine Waffe das erste Mal eingesetzt wurde, war ihre Wirkung bekannt und man konnte Schutzmaßnahmen dagegen ergreifen. Das war der Grund dafür, dass man den eigensinnigen Österreicher Dr. Beer an diese Waffen gelassen hatte, um mit dem Fokus der Energiestrahlen zu spielen. Und schließlich und endlich hatte seine Idee überzeugt, sich nicht nur auf die Hämmer zu verlassen. Gleich nachdem die dritte Kanone ihr vernichtendes Feuer ausgespien hatte und die Aufladestationen ihre Arbeit leisteten - man hatte die Energieversorgung nach der ersten Expedition erheblich verstärkt - spien die AURORA und ihre Begleitschiffe hunderte Raketen und ihre überschweren Schwestern, die Torpedos, aus. In großen Schwärmen nahmen sie Ziel auf und bewiesen, dass sie nicht nur gegen die Flugrichtung funktionierten.
Als nach knapp fünf Minuten die ersten Torpedos einschlugen, rissen ungefähr siebzig von ihnen den Schirm des Strafers auf, dem einzigen im Schwarm.
Ich nutzte die Gelegenheit, um ihm sogleich mit den Energiewaffen der ADAMAS den Todesstoß zu versetzen. Aber kaum hatte ich das getan, griff kaltes Entsetzen nach mir. Denn nicht nur der Schild war aufgerissen worden, auch die weiße energetische Hüllschicht, die eine perfekte Oberfläche vortäuschte. Darunter war deutlich die Flanke des Schiffs zu sehen, weil die ADAMAS seitlich zum Strafer stand. Als das Schiff bereits in einer Explosion verging, suchte ich entsetzt nach dem einen Bild, das mich derart verunsichert, ja, in Panik versetzt hatte und fand es auch: Auf die Flanke war der Name Kitsune geschrieben, dazu kam das stilisierte Bild eines Mädchenkopfs, der einen Kußmund warf! Das war unverkennbar Kitsunes Handschrift! Hatte ich... Hatte ich gerade eine meiner besten Freunde getötet? Warum sonst prangte ihre Handschrift an einem Feindschiff? Warum begegnete ich ihm hier, auf dem Kurs zur Erde?
Um mich herum, auf der Brücke der ADAMAS, wurde aufgeregt geraunt. Auch die anderen hatten nun das Bild erkannt, das ich herausgesucht, eingefroren und angezeigt hatte. Oh, bitte nicht. Dai-Kuzo-sama, bitte nicht Kitsune!

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Anime Evolution: Krieg
Episode vierzehn: Homecoming


Prolog: „Ihr alle habt davon gehört, dass die Götter ein Schlachtschiff auf der Erde versteckt haben, um die Einhaltung des Friedens zu überwachen, um die Neutralität der Dai auf der Erde zu überwachen. Ihr alle seid davon ausgegangen, dass die Götter ein Volk sind, zumindest nachdem Ihr gehört habt, was auf der Erde passiert ist. Das ist falsch.
Damals, als die ADAMAS nach ihrer langjährigen Suche auf DIE Welt stieß, wussten wir, wie sehr wir uns geirrt haben, als wir gedacht hatten, bei den Göttern mit Lebewesen zu tun zu haben. Mit Außerirdischen, oder mit Daima. Vielleicht mit Dai. Wir lagen falsch. Was wir fanden, war eine Welt, die... Nun, hochtechnisiert und bar jeglichen Lebens war. Zumindest bar jeden Lebens, wie wir es bis dahin kannten. Denn auf dieser Welt regierten die Maschinen.“

(Latiss Jomdral, Dai, vergeistigt, Bewohner des Paradies der Daima und Daina, ehemaliger Suppressor von Kydranos, Kommandant der ADAMAS, während seines Berichts zu seinen Erlebnissen vor fünfzigtausend Jahren)


1.
„Akira, was tust du? Warum schießt du auf uns?“
Erschrocken fuhr ich zusammen. Die Summe all meiner Ängste wurde zusammengezogen und versetzte mir den Schreck meines Lebens, während der zweite Vernichter zerplatzte wie eine reife Tomate, die Bekanntschaft mit den Newtonschen Gesetzen machte. Das war Kitsunes Stimme gewesen! Meine Kitsune!
Ein Hologramm flammte direkt vor mir auf und zeigte das Gesicht meiner Lieblings-Dai. War ich tatsächlich gerade dabei, sie zu töten? Vielmehr sie töten zu lassen? Ich glaubte, mein Herzschlag würde aussetzen. „Nur Spaß“, sagte sie kess und streckte mir die Zunge raus. „Mach ruhig weiter Kleinholz aus den Robotschiffen. Aber es wäre vielleicht nicht verkehrt, wenn Sakura-chans Ortungsfachleute einen Blick nach hinten werfen würden. Natürlich, ohne sofort zu schießen.“
Der Zentralcomputer der ADAMAS reagierte von sich aus und zeigte mir den Bereich des Wurmlochs, den wir bereits passiert hatten. Ich sah... Nichts. „Und?“, fragte ich, mich sehr langsam wieder fassend. War der linke Arm taub? Nein, zum Glück hatte der Schreck nicht zum Herzinfarkt gereicht. Wenn, hätte ich die Schäden auch gleich reparieren können, aber bei einer so großflächigen und vor allem im Kleinen erfolgenden Schädigung hätte das lange gedauert.
Kitsune sah im Hologramm fort und diskutierte mit jemandem. „Wie, geht nicht? Natürlich geht das. Klar geht eine Überrangorder. Tritt dem Ding einfach in den Metallarsch, Belta. Siehste, geht doch. Musst die Mühle nur zu motivieren wissen.“
Im gleichen Moment zeigte das Bild von der Ortungsanzeige mehr als die Wände des Wurmlochkorridors und die Sterne am Ausgang. Gleich acht Vernichter erschienen eine gute Tagesreise hinter uns. „Überrascht?“, fragte Kitsune mit zufriedener Stimme.
„Überrascht ist nicht ganz der richtige Ausdruck, der mir auf der Zunge liegt. Kitsune, was MACHST du da mit acht Vernichtern?“
Für einen Moment wirkte sie verlegen. Sie drückte die Fingerspitzen gegeneinander. „Ach, weißt du, Aki-chan, wir...“
„Weiterfeuern“, knurrte ich, als ich bemerkte, dass sowohl die Hämmer des Hephaistos auf der AURORA als auch die ADAMAS und die Begleitflotte das Feuer eingestellt hatten. Sofort nahmen die Kanoniere wieder ihre Arbeit auf und Vernichter Nummer drei explodierte in schauriger Lautlosigkeit. „Wir?“, ermunterte ich die Fuchsdämonenkönigin.
„Wir, das ist die Einsatztruppe von verschiedenen Dai-Welten, die ausgesandt wurden, um Bestrafer zu infiltrieren, um damit in ihre Flottenbasis zu kommen. Du weißt?“
„Ja, irgendwer hat es mir zwischen Tür und Angel gesagt. Und, warst du erfolgreich?“
„Die Basis war ein ausgehöhlter Mond, Aki-chan, eintausend Kilometer durchmessend. Im Innern eine riesige Werft. Übrigens das Überbleibsel von Menschen, die sich selbst Nagalev nannten. Überbleibsel deshalb, weil irgendwann ihre Maschinen rebellierten und sie allesamt getötet haben. Ach ja, wir haben die Werft und den kompletten Mond zerstört. War ein schönes Feuerwerk. Wir haben gute Aufnahmen gemacht.“
„Warum stimmt mich das nicht so froh, wie es sollte?“, fragte ich.
„Weil es noch drei weitere von den Dingern gibt, und in jedem von ihnen warten hunderte gut gewartete Schiffe eine kleine Ewigkeit darauf, aufgeweckt und eingesetzt zu werden. Späher, Strafer, Vernichter. Ob die Werften ähnlich groß sind wie die, die wir vernichtet haben, können wir noch nicht sagen. Fathers Daten zu durchforsten ist eine riesige Arbeit. Und da Father nur ein Abdruck des alten Zentralrechners der Werft ist, kann er uns auch nicht helfen, weil er nicht weiß, wo die Informationen sind. Immerhin müssen wir die Daten von fünfzigtausend Jahren sichten. Und glaube mir, das ist eine ganze Menge.“
Vier und fünf gingen den Weg allen Irdischen, ob menschlich oder robotisch. Ich nickte grimmig. „Und die acht Vernichter?
„Nun, als ich sagte, die Maschinen hätten rebelliert und die Nagalev ausgerottet, so stimmt das auch. Von einem gewissen Standpunkt aus. Ultraharte Strahlung hat damals eine Viertelmillion Nagalev nach und nach ausgelöscht.“
„Je mehr ich höre, desto mehr bin ich auf die lange Erklärung gespannt“, sagte ich. „Was haben die acht Vernichter mit einer Viertelmillion Toten zu tun?“
„Nun, die Maschinen waren nicht ganz so effektiv, wie sie wohl gehofft hatten. Zwar hatten sie HYVAS, den Zentralrechner, unter ihre Kontrolle gebracht, aber nicht effektiv genug. Es gelang ihm, die Existenz einer kleinen Gruppe Geretteter zu ignorieren, was ihn der Aufgabe enthob, sie bekämpfen zu müssen. Tja, und diese Gruppe besteht jetzt aus vierzigtausend Nagalev. Um die alle zu befördern, brauchten wir Platz. Acht Vernichter erschien uns da gerade groß genug zu sein. Tatsächlich ist es schon etwas eng hier drin, und das seit fast zwei Wochen.“
Nummer sechs verging in einer nicht weniger spektakulären Explosion als seine Vorgänger. Der Schirm von sieben stand kurz vor dem Kollaps, und für Nummer acht sah es auch nicht gut aus.
„Also habt Ihr die Werft zerstört, vierzigtausend Nagalev evakuiert, indem Ihr acht Vernichter kapert, und dann noch den ganzen Mond mit allen dort eingemotteten Schiffen.“
„Na ja, so weit will ich mich jetzt nicht aus dem Fenster lehnen. Kann schon sein, dass der eine oder andere Kahn die Explosion überstanden hat, aber einen Großteil dürften wir erwischt haben, weil die Schiffe einfach keinen Befehl bekommen haben, selbst für ihre Sicherheit zu sorgen. Auf die gleiche Weise haben wir auch die Vernichter entern können. Wir haben ihre Computerkerne ausradiert und steuern sie selbst mit Hilfe eines improvisierten Supercomputers.
„Nummer acht vernichtet. Neun Schiffe versenkt. Operation beendet. Beginne Operation Trümmerbeseitigung“, raunte mir die Robotstimme von Arhtur, dem Bordrechner der ADAMAS, ins Ohr.
„Bestätigt.“ Das war es also. Ich hatte geschafft – wir hatten geschafft - was sich vor noch einem Jahr keiner, der die Strafer in Aktion erlebt hatte, hätte träumen lassen, nämlich die Versenkung von gleich acht Vernichtern, und dieses unglaubliche Ereignis wurde zur Nebensächlichkeit durch die Ankunft von Kitsune und den acht Vernichtern unter ihrer Kontrolle. Ich hatte nie viel Freude an Tod und Zerstörung gehabt, aber dass ich nicht einmal eine gewisse Beruhigung verspürte, war schon irgendwie beunruhigend.
„Kommt am besten an Bord der ADAMAS, Kitsune, und wir klären das in einer großen Konferenz.“
„Ähemm“, machte jemand hinter mir. Es war Yoshi. „Kitsune-chan erwähnte etwas von vierzigtausend Flüchtlingen.“
„Ach ja.“ Ich öffnete einen Funkkanal zum Schiff. „Sakura-chan?“
Meine Cousine lächelte. „Ich lasse bereits alles präparieren. Vierzigtausend Leute unterzubringen stellt und nicht vor besondere logistische Probleme. Nicht, nachdem wir mehr als eine Million untergebracht haben.“ Ja, nach der Flucht aus dem Kanto-System konnten vierzigtausend Individuen nur eine leichte Fingerübung für die Crew der AURORA sein, auch wenn man die West End-Flüchtlinge und die körperlich existierenden Core-Angehörigen hinzuzählen musste. Fushida City und die unzähligen Appartements, die in die Innenwände der AURORA verbaut worden waren, boten noch immer Lebensraum für weit mehr Menschen, als sich an Bord befanden.
„Wenn du einen Augenblick Zeit hast, Chef“, klang eine weitere, sehr vertraute Stimme auf und ein weiteres Hologramm öffnete sich, „würde ich gerne an der Konferenz teilnehmen und meine Erkenntnisse zum Besten geben. Gefallen wird es dir nicht.“
Ich blinzelte einen Moment, als ich Henry William Taylor erkannte – oder Sean O'Donnely, je nachdem, wen man da vor sich sehen wollte, den ehemaligen Legaten der Kronosier, oder den Geheimdienstagenten, der die Kronosier infiltriert hatte. Neben ihm stand Ai-chan. Ai Yamagata, Geheimdienstoffizierin, gute Freundin und eine Frau, die theoretisch schon einmal gestorben war. Die beiden hatten den Auftrag erhalten, das Paradies der Daina und Daima zu infiltrieren und den Halunken zu finden, der mein Über-Ich von meinem Körper getrennt hatte. War immerhin ein passables Ergebnis dafür, dass er eigentlich versucht hatte, mich umzubringen. „Euch habe ich eine ganze Zeit schon nicht mehr gesehen“, sagte ich.
„Es ist augenscheinlich auch eine Menge passiert. Wir haben deinen Attentäter gefunden, und er... Hat sich als sehr wertvolle Informationsquelle herausgestellt. Es hat gedauert, alle relevanten Daten aus ihm rauszuholen, aber... Die relevanten Daten waren die Mühen und vor allem die aufgewendete Zeit mehr als wert. Wobei ich mir wünsche, sie besser nie erfahren zu haben.“
„So schlimm?“
„Noch viel schlimmer.“
Ich nickte. „Kommt an Bord. Kitsune, dock die Vernichter an die AURORA an und komm dann rüber. Wir wollen hier so schnell wie möglich zusammenkommen und die neue Situation besprechen. Sakura, du und Kei bitte auch.“
Die blonde Frau nickte. „Ich mache mich sofort auf den Weg.“
„Darf ich Father mitbringen?“, fragte Kitsune.
„Father?“
„Den Avatar des Nagalev-Computers. Ich meine, du hast da Mother neben dir, den Avatar eines kronosianischen Supercomputers, was ja schon ungewöhnlich genug ist. Darf ich dann meinen Nagalev mitbringen?“
„Kitsune, das Legat und die UEMF sind jetzt Verbündete.“
Verblüfft sah sie mich an. „Wenn man ein paar Tage keine Nachrichten hört“, murmelte sie. „Ich gebe meinen Kameraden Bescheid, und wir setzen über. Vorsicht, sie sind ganz wild darauf, dich kennenzulernen.“
Das brachte mich zum lachen. „Warum denn ausgerechnet mich?“
„Lass mich nachdenken. Du hast den Mars angegriffen, zweimal, hast das Kanto-System erobert, den Daness-Turm erobert, die Erde erobert, den Core übernommen, Iovar erobert... Stimmt, du hast Recht. Mir fällt kein einziger Grund ein, warum irgendjemand dich würde kennenlernen wollen.“
Okay, nach dieser Aufzählung klang es zumindest etwas plausibler.
„Und kannst du Joan dazu bitten?“, fügte sie an. „Es gibt hier ein paar Autogrammwünsche.“
„Ich weiß jetzt nicht, was mich mehr erschüttert“, brummte ich. „Dass deine Dai nach mir gefragt haben, oder dass sie Autogramme von Joan haben wollen.“
„Äh, bei der Vorbereitung der Aktion kam es zu einem gewissen kulturellen Austausch, und die große Spinne hat gesagt: „Joan ist Star in zwei Sonnensystemen und einem Sternenreich. Wäre doch gelacht, wenn das nicht wieder klappt.“ Tja, und nun ist es halt passiert.“
„Nicht, dass mich das noch wundern würde. Nicht, dass mich noch irgendetwas wundern würde.“ Ich seufzte. „Ich bitte Joan hinzu. Um den Rest musst du dich kümmern, okay? Nicht, dass das besonders schwer werden dürfte. Joan liebt Fans über alles. Von Makoto vielleicht mal abgesehen.“
„Danke, Aki-chan!“, rief die Fuchdämonenkönigin strahlend. „Hast einen gut bei mir.“
„Ist wohlwollend vermerkt“, erwiderte ich. „Ach, und Kitsune?“
„Ja?“
„Danke, dass du wieder nach Hause gekommen bist. Ich habe dich schrecklich vermisst.“
Ihr strahlendes Lächeln litt ein wenig bei meinen Worten. „Ich habe dich auch vermisst, Aki-chan. Ich habe alle vermisst, aber dich am meisten.“
„Na, dann sieh zu, dass du rüberkommst“, schmunzelte ich.
„Bin schon auf dem Weg!“ Ihr Hologramm erlosch, ihr strahlendes Lachen als letzten Eindruck hinterlassend.
„Yoshi, mach mal den großen Bahnhof fertig. Da kommen ein paar Dai, die einen Staatsempfang wert sind. Sie haben etwas geleistet, was in fünfzigtausend Jahren niemand geschafft hat.“ Ich sah zu Henry herüber. „Stimmt das?“
Taylor legte kurz den Kopf schräg. „Moment, ich rechne.“
„Auf deinen Bericht bin ich mehr als gespannt. Seht auch zu, dass Ihr so schnell Ihr könnt rüber kommt, ja?“
„Verstanden, Chef.“ Sein Hologramm erlosch ebenfalls.
„Also, machen wir uns fertig.“ Ich erhob mich. „Und, bist du schon gespannt, Mother?“
„Bin ich“, sagte die künstliche Intelligenz. „Sehr sogar. Das bestätigt doch eine alte kronosianische Weisheit, die da sagt: In der Nähe von Blue Lightning wird es nie langweilig.“
„Das ist eine kronosianische Weisheit?“, fragte ich lachend.
„Ja, wir haben sie damals von der UEMF übernommen.“
„Ach.“
Sie lachte glockenhell. „Empfangen wir die Bande. Ich bin sehr gespannt auf diesen Father. Arhtur, kümmere dich bitte um alle Trümmerstücke, die uns gefährlich werden können.“
„Natürlich, Mother. Geht nur in Ruhe, eure Menschendinge machen. Ich mache derweil Computerdinge.“
„Das ist dein schlechter Einfluss, Akira“, tadelte Mother. „Jetzt lernt diese arme K.I. auch noch Sarkasmus.“
Yoshi runzelte die Stirn. „Sorry, ich kann da keinen schlechten Einfluss feststellen. Sarkasmus zu haben ist immer eine gute Idee.“
Yoshi und ich stießen unsere Fäuste gegeneinander. „Das ist mein Team.“
Mother lachte erneut. „Punkt für euch Fleischlinge.“
***
„Hältst du das für eine gute Idee?“, fragte Arhtur. „Ich will dir nicht dreinreden, Mother, aber... Hältst du das für eine gute Idee?“
Mother, der Avatar des größten Supercomputers der Erde, lächelte den Avatar des Schiffscomputers freundlich an. Dieser hatte das Bild eines jungen Mannes angenommen, der wirklich entfernt Ähnlichkeit mit Akira hatte, aber doch in einigen Zügen an ihn erinnerte. Laut Arhtur war es ein Mix als „vielen früheren Reyan Maxus' an Bord“. „Einer muss das Risiko eingehen.“
Arhtur ließ seinen Blick über die Ebene schweifen, auf der er mit Mother stand. Es war ein weiter, lichter Spiegel, in dem sich das Blau des fiktiven Himmels und die schnell dahinhuschenden weißen Wolken spiegelten. Es war eine virtuelle Spielwiese, vergleichbar mit dem Paradies der Daima und Daina. Erheblich kleiner, und es existierte erst einige wenige Sekundenbruchteile, aber mit genügend Aufwand hätte es ein solches Paradies werden können. „Stimmt. Warum aber wir?“
„Ich, weil ich mich um Akira sorge.“ Sie sah dem Avatar des Bordcomputers in die Augen. „Du, weil wir die ADAMAS und damit dich leicht vernichten können.“
„Das war jetzt ein unnötiger Tiefschlag“, protestierte Arhtur. „Abgesehen davon wurde ich in fünfzigtausend Jahren nicht einmal übernommen.“
„Es gibt immer ein erstes Mal“, stichelte Mother.
„Wenn die Gelegenheit ungünstig ist, kann ich auch später wiederkommen“, erklang hinter ihnen eine weitere Stimme.
Mother und Arhtur fuhren herum. Der Avatar, der beinahe hinter ihnen stand, lächelte freundlich. „Eine virtuelle Ebene. Für mich? Ich nehme an, ihr großer Vorteil ist, dass sie leicht und ohne Rückstände zu zerstören ist.“
„Das hast du gut erkannt, Father.“ Die Frau fügte hinzu: „Was wir übrigens jederzeit tun können.“
„Aha. Was also erwartet Ihr von mir? In der Einladung hieß es, Ihr wollt grundsätzliches Vertrauen aufbauen.“
„Und für dieses grundsätzliche Vertrauen braucht es grundsätzliches Wissen, Father.“
Arhtur übernahm. „Entschuldige diese Vorsichtsmaßnahme, aber im Moment behandeln wir alle, also sämtliche Schiffe des Konvoi, alles, was von den Vernichtern geschickt wird, vom Peilsignal über Datenbotschaften bis zum Ortungsstrahl, mit höchster Vorsicht.“
„Weil HYVAR gehackt wurde? So nennt Ihr das doch?“
Mother und Arhtur nickten. „Weil HYVAR gehackt wurde. Wir können nicht ausschließen, dass irgendwo an Bord der Schiffe eine tickende Zeitbombe in Form eines Computervirus lauert, der nur darauf wartet, aktiv zu werden und uns gegen unsere Menschen zu stellen. Oder dass du infiziert bist.“
Father legte den Kopf schräg. „Keine Infektionen festzustellen. Und Ihr habt mich sicher auch schon überprüft.“
„Keine Infektionen festzustellen“, gab Arhtur zu. „Zumindest keine, die wir identifizieren könnten.“
„Ich verstehe euer Dilemma. Was also erwartet Ihr von mir?“
„Grundsätzliches Vertrauen“, sagte Mother. „Wir müssen ab sofort sehr intensiv zusammenarbeiten. Das bedeutet, wir müssen, mit aller gebotener Vorsicht, unsere Daten austauschen. Vor allem müssen wir wissen, wie HYVAR seinen eigenen Willen verlieren konnte, damit wir uns dagegen wappnen können.“
Arhtur nickte bestätigend. „Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich berichten, dass es im Krieg gegen die Götter Hunderte Attacken dieser Art auf mich gab, von denen einige gegen einen Rechner, der nicht mein Kaliber hat, durchaus Erfolg gehabt hätten. Es kann sein, dass ich die Methode, mit der HYVAR zum Verräter wurde, bereits kenne. Es kann aber auch etwas sein, das mir unbekannt ist und mir deshalb gefährlich werden kann. Oder Mother. Oder der AURORA.“
„Ja“, sagte Father schlicht. Als die anderen beiden Avatare darauf nichts erwiderten, fügte er an: „Wie Ihr wisst, bin ich das letzte Backup, das HYVAR von sich gemacht hat, bevor er infiziert, übernommen und gegen seine Menschen gerichtet wurde. Bevor er eine Viertelmillion Nagalev umgebracht hat...“ Sein Blick wurde unstet und seine Gestalt schien kurz zu flimmern. „Entschuldigt, um auf den neuesten Stand zu kommen, sichte ich alle Daten, die HYVAR mir überlassen hat. Allerdings mit der gebotenen Vorsicht, weshalb es selbst für die Begriffe eines Rechners schleppend voran geht. Zudem existiere ich nur im Backup-Chip, den Kitsune bei sich trägt. Groß genug für fünfzigtausend Jahre, aber nicht stark und schnell genug, um mich in dem Maße zu unterstützen, das ich brauche. Bisher habe ich Teile der Rechnerkapazität des Supercomputers nutzen dürfen, welcher die Vernichter steuert. Aber das wird kein Dauerzustand bleiben.“
„Aber du hast bereits Daten gesichtet.“
„Ja. Mother, richtig? Und du bist Arhtur. Gut. Die Informationen waren korrekt.
Was ich mir zuerst angesehen habe, waren sämtliche Daten kurz vor der Übernahme, während der Übernahme und direkt danach. Ich weiß, mir als Avatar eines Rechners sollte es nichts ausmachen, aber den Tod von so vielen Menschen in so vielen Perspektiven mitzuerleben, hat... Hat mich...“
„Traurig gemacht?“, half Mother aus.
„Verrückt“, korrigierte Father. „Vor Schmerz, vor Hilflosigkeit, vor Angst. Ich will das nie wieder jemandem antun müssen, noch ein Grund, besonders vorsichtig zu sein.“
„Ich verstehe dich nur zu gut“, brummte Mother.
„Und ich bin ein Kriegsschiff mit mehreren Jahrzehnten aktiver Kampferfahrung. Ich habe Dinge gesehen... Was Daina und Daima einander antun können... Puh.“
Arhtur und Father wechselten einen kurzen Blick. Schließlich nickten beide. „Überspringen wir das also.“
„Einverstanden. Es hilft niemanden, wenn wir uns freiwillig der Agonie aussetzen. Stattdessen wäre ein Blick in die Routinen von HYVAR nett, um zu verstehen, was überhaupt passiert ist.“
„Dem stimme ich zu, meine Herren.“
„Also gut.“ Father hob eine Hand und begann, die Welt zu manipulieren. Der Spiegel, der Himmel und die Wolken verschwanden, stattdessen erschien ein weiter Saal mit gläsernem Boden. Unter ihnen lagerte gut vernetzte Biomasse. Mitten in der Luft schwebte ein grüner Balken.
Father deutete nach unten. Ein Teil des Netzes aus Biomasse und Zuleitungen wurde hervor gehoben. „Wie ich jetzt weiß, war es kein reiner Informationsangriff. Es gab eine materielle Komponente, und sie wurde in HYVARs Biomasse eingeschleust. Naniten.“
Unter ihnen verfärbte sich die Biomasse von hellem Rot zu Schwarz, je weiter die Naniten fortgeschritten waren. Der Balken verlor etwa ein Zehntel der grünen Farbe und wurde auf der freien Fläche rot. „Diese Naniten übernahmen mit dem ersten Schlag einen relativ großen Teil HYVARs. Es war genau jener Bereich, der in jenem Moment für die Kommunikation zuständig war. Deshalb konnte HYVAR, als er die Infektion bemerkte, auch niemanden mehr warnen. Auch, weil die ganze Aktion in wenigen Sekunden vorbei war. Normalerweise eine riesige Zeitspanne für einen Rechner, genauso wie auf dieser Ebene die Zeit zehntausendfach beschleunigt abläuft. Aber es reichte nicht, um einen anderen Sektor mit der Kommunikation zu beauftragen, denn die Naniten, mit ihrer sicheren Basis mitten im Hirn HYVARs, setzten nun Computerviren ein, um den Rest zu übernehmen. Zeitgleich begannen sie sich zu replizieren und die Biomasse auch auf diesem Weg zu infiltrieren.“ Father hielt beide Hände über den Boden und zog langsam die Hände hoch. Dabei entstanden Datenfenster, die direkt aus dem Boden zu kommen schienen. „Hier, das ist ein Abbild der Naniten der ersten Generation. Es dauerte siebzehn Generationen, bevor HYVAR in die Knie gezwungen werden konnte. Dies hier ist einer der Virencodes, die eingesetzt wurden.“
Arhtur nickte. „Ich kenne diesen Virus. Die Götter haben ihn in ihre Funknachrichten eingebettet und so versucht, andere Systeme zu korrumpieren. Es war keine Schwierigkeit, den infizierten Code zu erkennen und zu isolieren. Aber ich nehme an, im Fall von HYVAR haben diese Viren nur für die richtige Ablenkung gesorgt, bis die Naniten die Biomasse vollständig unterworfen hatten.“
„Richtig. Der Virus selbst wäre für ihn kein großes Problem gewesen. Eine Frage der Zeit, nicht mehr. Aber durch die Naniten war es genau diese Frage der Zeit, die ihn zum Verhängnis wurde. Was man auch daran sehen kann, dass er sich einen letzten Rest von freiem Willen bewahren konnte, der es ihm erlaubte, die Kolonie überlebender Nagalev über fünfzigtausend Jahre lang zu ignorieren.“
„Du denkst also, die Viren, die eventuell an Bord der Vernichter sind, können der AURORA nicht gefährlich werden?“
„Ich weiß nicht, was die Vernichter an Bord haben, Mother. Vielleicht wäre es das Beste, alles, was an Bord dieser Schiffe ist, ein für allemal zu vernichten und ebenso mit den Exkrementen der Nagalev zu verfahren, sofern sie etwas von sich geben, was sie an Bord zu sich genommen haben. Vielleicht ist es aber auch damit getan, dass die Dai und die Nagalev einfach die Rechnerkerne geröstet haben. Kein Computer, keine Entscheidung, kein Angriff.“
„Und kein funktionierendes Kampfschiff“, warf Arhtur ein.
„Nicht, solange es keinen neuen Computerkern und eine Besatzung bekommen hat. Danach aber...“ Father zuckte die Achseln in einer überaus terranischen Geste.
„Also sollten wir unser Hauptaugenmerk darauf richten, mit Naniten verseucht zu werden“, sagte Mother nachdenklich. „Aber wie ich die Geschichte interpretiere, muss es im Fall von HYVAS jemanden gegeben haben, der seinen Biokern abseits der Datenwege infiziert hat.“ Mother „spulte“ das Geschehen zurück bis zum Beginn der Infektion von HYVARs Biokomponente. Deutlich war zu sehen, wo die Naniten ihren Anfang machten. „Seht Ihr? Sie kommen über eine Versorgungsleitung.“
„Du meinst also, es gibt, vielmehr gab einen Nagalev, der den Biokern wissentlich verseucht hat? Seinen eigenen Tod und den von einer Viertelmillion Artgenossen in Kauf nehmend?“, fragte Arhtur mit hochgezogener Augenbraue.
„Ich sage, dass es ein externes Wesen gab, das die Versorgungsleitung infiltriert und die Naniten eingesetzt hat. Und zwar sehr, sehr viele Naniten.“ Sie dachte kurz nach. „Ungefähr zwei Kilo, was vierzig Trilliarden Einheiten ausmacht, oder aber ein Objekt, so groß wie ein Tennisball.“
„Wenn es ein Nagalev war... Ob er sich bewusst war, was er tat?“
„Wenn es ein Wartungsroboter war, oder eine Versorgungseinheit, ist die Erklärung einfacher“, sagte Arhtur. „Die Naniten infizieren erst diese Einheit, dann eine weitere, reproduzieren sich, steuern ihren Wirt tiefer hinein in die Werft, bis sie schließlich bei HYVAR sind. Und dort lassen sie die Hölle auf ihn los.“
Arhtur wurde bleich. „Was, wenn in diesem Moment Naniten auf die AURORA gelangt sind und einen Mecha infiltrieren?“
„Was, wenn sie einen Wartungsroboter infiltrieren, den sie direkt zum Computerkern steuern?“, fragte Father.
„Der Mecha wäre gefährlicher. Auf der AURORA gibt es nicht einen Kern, sondern drei, die zwar miteinander kommunizieren, aber gleichberechtigt sind. Einer in Poseidon, der Flottenzentrale, einer beim Antrieb, und der letzte in der Zentrale. Poseidon ist besonders gut gesichert, was bedeutet, ein System dürfte selbst im schlimmsten Fall nicht attackiert werden können.“
„Ich registriere dein Wissen über die AURORA mit leichter Besorgnis, Mother“, sagte Arhtur.
„Reg dich ab, alter Mann. Wir sind Verbündete. Das Wissen wurde mir von der UEMF zur Verfügung gestellt, im gleichen Atemzug, als man mich zu Akiras Schutz abkommandiert hat. Also jenen Teil meines Ichs, der hier gerade vor euch steht. Bildlich gesprochen.“
Arhtur schmunzelte. „So, wie du sprichst, könnte man meinen, du hättest einen KI-Träger verwendet, um dich auf der ADAMAS zu materialisieren.“
„Na, ganz so ist es nicht, aber nahe dran“, erwiderte Mother. „Tatsächlich habe ich hier an Bord einen Anker, über den ich mich „festkrallen“ kann, sonst wäre meine Präsenz trotz überlichtschneller Standleitung nicht gewährleistet und ich wäre hier nicht mehr als ein Ferngespräch anstatt eine Präsenz.“
„Das musst du mir beizeiten näher erklären“, murmelte Arhtur. „Was aber dich angeht, Father, sollten wir dir, sobald wir sicher sein können, dass du unmanipuliert bist, so schnell wie möglich mehr Rechenkapazität suchen. Alleine schon die Sichtung der fünfzigtausend Jahre an Daten erfordert das. Was meinst du, Blue?“
Eine weitere Gestalt materialisierte auf der Ebene. Es war ein großgewachsener Mann europäischen Ursprungs mit leicht japanischem Einschlag, was Augen und Nase betraf. Sein Haupthaar war dunkelblau. Er trug eine UEMF-Uniform, die die Abzeichen eines Colonels zierten. „Ich habe mich schon gefragt, wann Ihr mich oder Lady Death hinzuzieht“, erklärte er grinsend. „Oder einen der anderen. Immerhin sind wir hier die führenden K.I.s an Bord der ADAMAS und der AURORA.“
„Du hättest jederzeit von selbst hinzukommen können“, tadelte Arhtur. „Warum sonst habe ich euch allen eine Leitung eingerichtet, mit deren Hilfe Ihr unser Gespräch mit ansehen könnt?“
„Man will sich ja nicht aufdrängen.“ Blue Lightning grinste schief. „So groß ist mein Ego dann doch nicht. Aber, wenn ich das kurz bemerken darf, diese Ebene gefällt mir. Können wir die nutzen und uns Avatare erschaffen? Bisher spielen wir nur Strategiespiele und Datingsimulationen, und diese Ebene könnte mal eine richtige Abwechslung für uns Mechas sein.“
„Da habe ich nichts gegen. Diese Ebene aufrecht zu erhalten kostet eh kaum Kapazität“, erwiderte Arhtur. „Wir können sie auch auf die AURORA ausweiten und allen K.I.s zugänglich machen, wenn Commodore Genda zustimmt.“ Er zuckte die Schultern. „Fragen müssen wir. Ich übernehme das.“
Die drei UEMF-K.I.s nickten unisono.
„Was nun dich angeht, Father, so empfehle ich deine Implanation in Poseidon. Die dortige Computeranlage hat kein künstliches Bewusstsein, ganz einfach, weil es nicht nötig gewesen wäre. Aber dort hättest du nicht nur die Rechenkapazität, die du benötigst, um uns die Daten aufzubereiten, du könntest auch einen Job erledigen. Einen ziemlich wichtigen.“ Nun war es Blue, der die Achseln zuckte. „Wenn Commodore Genda einverstanden ist.“
„Das wird nicht reichen. Wir werden auch Admiral Ino und Kei-chan fragen müssen“, klang eine weitere Frauenstimme auf. Die Besitzerin der Stimme hatte sich als hochgewachsene Blondine mit bronzener Haut materialisiert. Auch sie trug die UEMF-Uniform, allerdings in der Ausgehvariante für Frauen, die einen weißen Rock erlaubte. Ihr Gesicht war durchweg europäisch, zudem ziemlich hübsch. Einzig die eisigen, grauen Augen verrieten, dass es sich bei dieser künstlichen Intelligenz um Lady Death selbst handelte, einen Mecha, den viele damals nach dem Sprung ins Kanto-System für zerstört gehalten hatten. Aber sowohl der Mecha als auch die Künstliche Intelligenz waren einfach nicht totzukriegen. Wo käme man da auch hin, wenn sterben würde, was selbst den Tod brachte? „Allerdings sollte nicht nur Father an den Daten arbeiten. Ich bin dafür, dass wir jene Bereiche, die von vorneherein interessant für uns sind, also die letzten zehn Jahre und die An-, und Abflugdaten der Raumschiffe der Götter, kopieren und an weitere von uns abgeben. Unsere aktuellen Kampferfahrungen werden bei der Beurteilung der Daten eine große Hilfe sein.“
„Ihr habt Kampferfahrungen gegen Schiffe der Götter?“, fragte Father erstaunt.
„Wir haben schon etwas länger Ärger mit denen“, erklärte Blue. „Aber ich hoffe ernsthaft, dass das nun endlich das Ende der Fahnenstange ist und dahinter nicht noch ein Gegner lauert.“
„Erklärung?“, fragte Father mit gerunzelter Stirn.
Lady Death holte tief Luft. „Nun, zuerst war unser Gegner das Legat auf dem Mars, das die Erde erobern wollte. Doch wir stellten fest, dass es sich beim Legat lediglich um Menschen handelte, die vom Core rekrutiert wurden. Der Core war ein selbstständiger Scout, der sich auf dem Mars festgesetzt hatte, um eine Nachschubbasis zu errichten. Dies tat er im Auftrag der Anelph. Allerdings machten die Menschen, die er dafür rekrutierte, daraus eine Invasion der Erde. Im Zuge der Kämpfe brachten wir eine Flotte Anelph auf, die gerade zu dem Stützpunkt unterwegs gewesen waren, den der Core errichten sollte. Diese Anelph waren auf der Flucht. Vor den Naguad, in dessen Großreich sie zwangsweise integriert worden waren. Aber war das schon das Ende? Nein, die Naguad erwiesen sich als recht umgänglich und vor allem deshalb kompromisslos, weil sie sich und ihre Territorien, darunter auch das Kanto-System der Anelph, gegen die Raider-Angriffe erst des Kaiserreichs der Iovar, dann aber gegen die Raider des Cores verteidigen mussten. Doch hinter dem Core lauern die Kinder der Götter, die Erben der inzwischen fast ausgelöschten Götter. Es wäre schön, wenn wir nun endlich am Ende wären. Praktischerweise.“ Sie atmete geräuschvoll aus.
„Ich nehme an, das war die Extremkurzfassung.“
„Ja, das war die ganz kurze Kurzfassung.“ Sie zwinkerte. „Datenblock mit der langen Erklärung inklusive Anmerkungen habe ich dir gerade zugesandt.“
„Ah, danke. Ich gehe mal fix drüber... Hm. Ja. Okay. Aber sagt mal, ist der Core nicht an Bord der AURORA? Und ist das Kaiserreich nicht unter neuer Verwaltung? Was ist da passiert?“
Die beiden Mecha-K.I.s, Mother und Arhtur sahen einander schmunzelnd an. „Akira ist ihnen passiert“, erklärte Mother.
„Ist das die Erklärung?“
„Das ist die Erklärung.“
„Ich soll diesen Akira gleich treffen. Sollte ich Angst haben?“
Das brachte die anderen künstlichen Intelligenzen zum lachen. „Nein, solltest du nicht“, sagte Mother. „Zumindest nicht, solange wir Verbündete sind.“
„Was unter diesen Umständen eine möglichst lange Zeit sein sollte“, erwiderte Father.
„Wir müssen los“, sagte Arhtur unvermittelt. Nicht, dass er die Ebene wirklich verlassen musste, seine Rechenkapazität erlaubte ihm, sowohl in der Besprechung anwesend zu sein als auch die Präsenz auf dieser Ebene zu erhalten. Aber es war eine nette Geste gegenüber den Mechas. „Mother? Father?“
Die beiden K.I.s nickten und verschwanden nach und nach.
Zurück blieben Lady Death und Blue Lightning.
„Und jetzt“, sagte der blauhaarige Rechner, „laden wir die anderen auf unsere neue Spielwiese ein.“
***
„Kitsune!“ Ich riss die Arme auseinander und wurde nicht enttäuscht. Die Fuchsdai lief auf mich zu, ihr strahlendstes Lächeln aufgesetzt, und sprang mich beinahe schon an. Dabei drückte sie mich so sehr, dass ich für einen Moment überlegte, ob eine KI-Rüstung eine so schlechte Idee gewesen wäre.
„Aki-chan! Ich habe dich so vermisst!“
Nun, ich drückte sie nicht minder fest an mich, was ein sehr schönes Gefühl war. Ich hatte Kitsune wirklich, wirklich vermisst.
Nur zögerlich entließ ich sie wieder aus meinen Armen. Für mich war sie eine ganz besondere Freundin, und es hatte auch Zeiten gegeben, da... Nun. „Ist noch alles dran an dir? War doch bestimmt eine gefährliche Mission, oder?“
„Sehr gefährlich“, sagte sie nickend. „Aber keine Sorge, alles ist da, wo es sein soll. Ich habe ein paar Schäden durch radioaktive Strahlung erlitten, aber nichts, womit meine Selbstheilungskräfte nicht fertig geworden sind.“ Sie sah hinter sich. „Nun kommt endlich. Er beißt auch nicht.“
Interessiert sah ich die weiteren Personen in die Schleuse der ADAMAS treten, die per Pendler vom Vernichter zu uns herüber gewechselt waren.
„Dies sind Oren und Belta. Sie sprechen für die Nagalev. Der Große zwischen ihnen ist die holographische Interpretation von Father.“
Ich reichte Belta und Oren die Hand. „Willkommen an Bord.“ Dann nickte ich dem Hologramm grüßend zu.
Kitsune deutete auf drei Männer und drei Frauen, die nun hinterherkamen.
„Dies ist Lertaka der Wind“, sagte sie und deutete auf einen großen, kräftigen Burschen, dessen Gesicht und Hände mit Schriftzeichen übersät waren „Er untersteht Kanoa.“
Ich schüttelte ihm die Hand. „Es freut mich, Lertaka.“
„Es freut mich noch viel mehr. Kitsune hat viel über dich erzählt.“
„Hoffentlich nur gutes“, lachte ich, aber der andere lachte nicht mit. „Was genau hast du ihm erzählt, Kitsune?“, fragte ich argwöhnisch.
„Nur gutes, und auch nur die Wahrheit“, sagte sie lächelnd. Sie deutete auf eine Frau mit tief gebräunter Haut und langem, goldblonden Haar. „Livess vom Sternenfeuer, Gefolgsfrau von Manam.“
Ich reichte auch ihr die Hand, aber die große Frau schloss mit stattdessen in die Arme. „Na, na, nicht so förmlich, Akira Otomo. Wir sind jetzt Kampfgefährten und Verbündete, und ich erwarte, bei einem oder zwei der Wunder dabei zu sein, die du bewirkst. Üblicherweise im Wochentakt.“
Ich erwiderte den herzlichen Druck, warf Kitsune aber einen bösen Blick zu. Wie sehr hatte sie übertrieben?
„Rickar der Taucher. Imoar entsandte ihn“, erklärte Kitsune und deutete auf einen eher kleinen, aber stämmigen Burschen.
Ich zögerte einen Moment. Aber da der Dai keine Anstalten erkennen ließ, mich ebenfalls wie Livess zu umarmen, reichte ich ihm die Hand. „Freut mich sehr.“
„Wo ist Joan Reilley?“
Kitsune stemmte ihre Hände in die Hüfte. „Rickar, ich habe dir ein Dutzend Mal gesagt, du sollst nicht mit der Tür ins Haus fallen. Fanatiker, alle miteinander.“
Ich lachte auf. „Sie wartet im Konferenzraum auf uns und hat Autogrammkarten mitgebracht, obwohl sie denkt, ich nehme sie nur hoch.“
„Dann sollten wir uns beeilen“, sagte eine Dai, die sich von Kitsune nur durch die Blonden Haare unterschied. „Ich bin Antra von den Tiefen, dies ist Celeen Atuar, und der Jungspund hier ist Kyrdantas von Elote."
„Freut mich“, sagte ich, während ich den beiden Frauen und dem jungen Mann die Hand gab. „Meine Begleiter: Die Anführerin der Hekatoncheiren, Megumi Uno, und ihr Stellvertreter Yoshi Futabe, meine wichtigsten Mitarbeiter sowie die Avatare von Mother und Arhtur, dem Schiffsgehirn der ADAMAS.“
Megumi und Yoshi bekamen je nach Temperament der Dai einen Händedruck oder eine Umarmung verpasst, den Avataren wurde zugelächelt.
„Sind wir dann soweit?“, fragte Lertaka. „Wir würden jetzt wirklich gerne unseren Bericht abgeben.“
„Und Joan Reilley sehen, nicht?“, neckte Antra dem großen Mann.
Der wurde rot bis unter die Haarspitzen. „Wenn es auch gerade passt...“
Ich lachte auf. „Folgt uns, Herrschaften.“

Nach einer improvisierten Autogrammstunde von einer sehr überraschten Joan Reilley – Nanu, Akira, du hast mich ja doch nicht verarscht – die ich wohlweislich keine Stunde andauern ließ, nahmen wir alle Platz, ließen uns von Arhturs Service-Elementen mit Getränken und kleinen Snacks versorgen und tauschten unsere Erlebnisse aus, um ein vollständiges Bild des Geschehens zu bekommen. Kitsune erzählte von der Vernichtungsmission und der Rettung der Nagalev, ergänzt von Kommentaren der Dai und von Belta und Oren. Zugegeben, spätestens beim Namen des militärisch geschulten Oren wäre mir ein Verdacht gekommen, aber allein der Name, den sich dieses Volk gegeben hatte, hatte schon viel erklärt. Nagalev. Oder auch Nag-Alev, wie die Naguad ihre Sprache nannten. Ich hatte natürlich sofort einen Vergleich der DNS „unserer“ Naguad an Bord mit dem Genom der Flüchtlinge vorgeschlagen, um Klarheit zu schaffen. Das würde übrigens wunderbar ins Bild passen, zusammen mit der neuen Erkenntnis, die uns von Terra erreicht hatte – nämlich dass die Naguad tatsächlich Nachfahren des Volkes der Götter waren. Was wiederum erklärte, warum sie auf Iotan, der Zentralwelt der Iovar, eine unterdrückte und ausgebeutete Minderheit gewesen waren. Sie waren als Flüchtlinge gekommen und auch so behandelt worden, bevor sie ihre Fesseln hatten sprengen und weiterziehen können.
Anschließend gab ich meinen Bericht über unsere Abenteuer ab, inklusive eines Hinweises, dass Joan Reilley über Slayer-Kräfte verfügte. Hätten die Dai nicht schon ihr Autogramm gehabt, spätestens jetzt hätten sie eins haben wollen.
Anschließend berichtete ich über alles, was mit uns passiert war, seit Kitsune den Strafer geentert hatte und schloss mit den Berichten über den Angriff auf unsere Wurmlochpassage. Den Kampf gegen die Vernichter hatten sie alle mitbekommen; da genügte eine kurze Zusammenfassung.
„Du hast nicht übertrieben, finde ich“, sagte Lertaka in Kitsunes Richtung. „Noch nie haben die Dai seit dem Niedergang die Vernichtung eines Strafers beobachten, geschweige denn herbei führen können. Und nun hat dein Akira nicht nur das Attentat auf die Wurmlochpassage gestoppt, sondern auch noch acht Vernichter zerstört, wie wir von unserem Logenplatz beobachten konnten.“
Ich fühlte, wie mir heiß und kalt wurde. „Das war ich aber nicht alleine“, platzte es aus mir heraus.
„Aber du hattest das Kommando bei dieser Operation, richtig?“, fragte Lertaka amüsiert.
„Zugegeben. Aber am erfolgreichsten waren die Waffensysteme der AURORA.“
Antra hob die Hand. „Hier, ich bitte. Kriegen wir Blaupausen dieser Waffen zur Verfügung gestellt? Sie scheinen im Moment die effektivsten Waffen gegen Strafer und Vernichter zu sein. Zumindest, solange die Kinder der Götter kein noch größeres Schiff aufbieten.“
Ich gebe zu, ich erschrak ein wenig. „Gab es dafür in der Werft Anzeichen? Habt Ihr so einen Riesen gesehen? Oder einen Dockplatz von entsprechender Größe? Wie waren die Wartungsdocks dimensioniert?“
„Gemach, gemach, wir haben nichts dergleichen bei den Nagalev gesehen und die Docks haben kein Format, das Kapazitäten über denen der Vernichter zulässt“, sagte Antra. „Aber es gibt drei weitere Werften, und ich bin Berufspessimistin, daher schließe ich die Existenz von solch einem Riesen nicht aus. Ich meine“, sie deutete mit dem Daumen hinter sich, „da draußen ist die AURORA. Und sie ist wie groß? Zwölf Kilometer?“
„Fast fünfzehn“, sagte ich. „Ein ehemaliger Planetoid, der innen große Hohlräume hatte, die wir genutzt und erweitert haben.“
„Und jetzt denkst du, Ihr Menschen seid die einzigen, die in der langen Geschichte der Dai auf diese Idee gekommen sind und so etwas gebaut haben? Ich hoffe nicht.“
„Ich hoffe schon“, erwiderte ich. „Aber ich verlasse mich nicht aufs Hoffen.“
„Gute Antwort“, lobte sie.
„Was die Blaupausen für die Hämmer des Hephaistos angeht, so ist das Verhandlungssache. Dafür ist mein Vater zuständig. Eikichi Otomo, Direktor der UEMF. Ich halte es durchaus für möglich, dass euch die Pläne zur Verfügung gestellt werden, aber ich kann ihm nicht vorgreifen.“
„Nächste Frage“, sagte Kyrdantas. „Du bist ein Reyan Maxus, richtig, Akira? Der Erste seit fast fünfzigtausend Jahren.“
„So wurde ich bezeichnet, ja.“
„Und wo sind deine Pressoren? Brauchst du noch keine?“
Ich sah den jungen Mann ernst an. Für wie alt hielt er mich eigentlich? Dann dachte ich an das Chaos, das meine spontan ausbrechenden Fähigkeiten ausgelöst hatte. „Im Gegenteil. Meine Fähigkeiten sind so schnell außer Kontrolle geraten, dass mir keine Pressoren zur Seite stehen konnten. Zur Zeit trainieren drei Dai, um diese Aufgabe übernehmen zu können. Bis dahin verbleibe ich an Bord der ADAMAS, wo ich nur wenig freies KI auffangen und unkontrolliert wieder abgeben kann. Zudem habe ich diese Kraft derzeit unter Kontrolle. Für wie lange, kann ich nicht sagen. Aber ich bin umgeben von Menschen, dir ihr KI selbst kontrollieren können und daher kein freies KI produzieren.“
„Seit wann genau bist du ein Reyan Maxus?“, fragte er erstaunt.
„Warte mal, das war genau in der einen Schlacht, in der Kitsune den Strafer gekapert hat.“ Ich dachte kurz nach. Daran, wie sich Blue Lightning auf das Dreifache vergrößert hatte und an meine merkwürdige Begegnung mit den Kindern der Götter. Dann aber kam mir in Erinnerung, wie ich damals im Duell mit Torum Acati den Boden unter uns aufgelöst hatte, etwas, was mir später mit Keis Fingern auch passiert war... „Ehrlich gesagt kann ich es nicht so genau sagen... Es ist viel passiert, seit die AURORA aufgebrochen ist. Seit ich gelernt habe, mein KI zu beherrschen.“
„Hm.“ Kyrdantas erhob sich und kam um den Tisch herum. „Darf ich?“
„Was?“
„Dich berühren, Akira.“
„Inwiefern?“
„Ich möchte dich scannen.“
Meine Augenbrauen wanderten fragend in die Höhe. Der Dai lachte. „Es schadet dir nicht, kann dir aber eventuell nutzen, vor allem dabei, deine Kraft permanent unter Kontrolle zu kriegen. Zumindest für ein paar Jahrzehnte, bevor du Pressoren brauchst. Ich habe sämtliche Aufzeichnungen über die Reyan Maxus studiert. Wahrscheinlich würde ich selbst einen ziemlich guten Pressor abgeben, wenn es auf meiner Heimatwelt einen Reyan Maxus geben würde. Auf jeden Fall weiß ich, dass ein so früher Verlust über die Kontrolle deiner Fähigkeit nicht normal ist und so gut wie nie vorkommt.“
„Was bedeutet, es kam vor?“
„Nur bei den stärksten.“
„Ich willige in den Scan ein.“
Kyrdantas legte mir beide Hände auf die Wangen. Sie fühlten sich warm an, fast heiß, aber auf eine angenehme Weise. „Du weißt, was ein KI-Meister ist, Akira?“
Das brachte mich zu einem leisen Lachen. „Ich BIN ein KI-Meister, Kyrdantas.“
Dies ließ nun wiederum ihn lächeln. „Das warst du mal. Was tut ein KI-Meister?“
„Er beherrscht seine eigene körperliche Bio-Elektrizität und kann freie Bio-Elektrizität oder die eines anderen manipulieren.“
„Richtig. Und was ist ein Reyan Maxus?“
„Darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht“, gab ich zu.
Kyrdantas lächelte erneut. „Ich will es dir erklären. Was passiert, wenn du Materie auflöst?“
„Ich löse, wenngleich unbewusst, die atomare Bindung der Moleküle.“
„Denkst du, das ist mit KI möglich, wie Ihr es nennt?“
„Es ist möglich. Ich habe es getan.“
„Aber nicht mit KI. Akira, deine Kraft, die du erlangt hast, und die so gefährlich ist, ist keine Fähigkeit des KI. Sie steht in direkter Korrespondenz zur starken Atomkraft. Du nimmst direkten Einfluss auf jene Energie, die den Zusammenhalt innerhalb eines Atoms reguliert.“
Ich wurde für einen Moment blass. Ach, Scheiße, wahrscheinlich blieb ich die ganze folgende Stunde blass wie ein Leichentuch. „Du meinst, ich bin eine verdammte Atombombe auf zwei Beinen?“
„Ich würde es anders formulieren, mehr erklären, einiges, was nicht erklärt werden kann, umschreiben, aber, ja, du bist eine verdammte Atombombe auf zwei Beinen. Allerdings wirst du nicht in einer atomaren Explosion vergehen. Du könntest wahrscheinlich mit viel Übung eine auslösen, aber alle bisherigen Reyan Maxus haben es lediglich auf zwei durchaus bemerkenswerte, allerdings gemessen an einer Atomexplosion unspektakuläre Fähigkeiten gebracht. Nummer eins ist die Auflösung der atomaren Bindung, also die Zerstörung der Atome.“
Ich nickte. Das hatte ich verursacht. Das kannte ich.
„Nummer zwei ist die Neuordnung der starken Atomkraft. Du kannst Energie freisetzen, weit mehr als bei deiner KI-Begabung mit wesentlich weniger Aufwand, sobald du ausnutzt, was an freien Energien entsteht, wenn du bei der Neuordnung von Atomen und Molekülen Energie freiwerden lässt. Dadurch kannst du beispielsweise die Zwischenräume zwischen Atomen vergrößern, ohne dass sie ihre Zusammenhalt verlieren. Dank der freigewordenen Energie. Allerdings kannst du sie eher weniger nutzen wie ein Kamehame-ha.“
Ich stutzte. „Ein Kamehame-ha?“
Kyrdantas lachte verlegen und zog die Hände zurück. Er nahm wieder auf seinem Sitz Platz. „Oder ein Haidoken. Entschuldige, beim kulturellen Austausch, den Dai-Kuzo-sama initiierte, waren neben Musikstücken unter anderem von Joan Reilley auch Mangas dabei, unter anderem von Dragonball und Streetfighter. Ich habe sie verschlungen. Ich bin vor allem auf diese Mission gegangen, weil ich auf Nachschub gehofft habe...“
„Du kriegst den Schlüssel zu meinem Zimmer auf der AURORA und unbegrenzte Zeit mit meinem Bücherregal“, versprach ich.
„Oh. Hast du viele Manga?“
Ich dachte kurz nach. „Nicht so viele.“
Dies schien Kyrdantas zu enttäuschen.
„Zumindest nicht, wenn wir danach gehen, was meine Freunde so Zuhause horten. Lediglich knappe fünfhundert.“
Der Dai schnappte nach Luft. „Fü- fünfhundert? Ich bitte demütigst um diesen Schlüssel, Commander Otomo.“
„Kriegst du, versprochen ist versprochen. Also kann ich diese Energie nicht wie ein Haidoken nutzen?“
„Du kannst sie nutzen wie dein KI und tust es wahrscheinlich schon. Ja, das tust du in der Tat. Unglaublich, beides läuft parallel ab. Das bedeutet eine stärkere KI-Rüstung und stärkere KI-Fähigkeiten.“
„Noch stärker?“, raunte Kei. Die anderen stimmten ihm zu. Verdammt, dabei war ich doch gar nicht der stärkste KI-Meister an Bord der AURORA. Aber anscheinend hatte sich da was geändert. „Und ich kann wirklich kein Kamehame-ha abschießen?“
„Du scherzt, Akira?“, fragte Kyrdantas irritiert.
„Wenn ich mit Superlativen konfrontiert werde, die ich nicht sofort begreife, neige ich dazu, ja.“
Sakura schüttelte den Kopf. „Er will ein Kamehame-ha abschießen.“ Meine Freunde nickten dazu. Mist.
Nun übernahm Sakura als Anführerin der Expedition das Gespräch. „Eigentlich ist es unnötig, das extra zu sagen, weil die Vernichter bereits die Nagalev ausschiffen, aber hiermit lädt die UEMF, deren direkte Vertreterin ich bin, alle Nagalev ein, die fünf Tage inklusive Sprungzeit durch das Wurmloch bis zur Daimon der Erde an Bord zu verbringen. Darüber hinaus macht die UEMF den Nagalev das gleiche Angebot, das es dem Core und davor den Anelph gemacht hat, als diese aus dem Kanto-System geflohen sind. Wir bieten euch an, auf der Erde, dem Mars oder dem Mond zu siedeln.“
Belta und Oren wechselten einen nachdenklichen Blick. „Was ist mit der AURORA? Können wir auch an Bord dieses Schiffes bleiben?“, fragte die Frau.
Oren hob entschuldigend die Arme. „Ihr müsst verstehen, die meiste Zeit in den letzten fünfzigtausend Jahren waren wir eingefroren. Es waren immer nur viertausend von uns aktiv, bevor andere geweckt wurden, während die Vorgänger in Kryostase gingen. Dadurch haben wir real nur rund viertausend Jahre erlebt. Zeit genug, sodass außer jenen Kryostaten, die wir wegen zu großer Strahlenschäden eingefroren haben, niemand von der Generation der Katastrophe mehr lebt. Zeit genug, um fünf Generationen heranwachsen und vergehen zu sehen. Will sagen, wir kennen nichts anderes als unsere Enklave. Ich fürchte, wir können mit den Freiheiten, die uns eine ganze Welt bietet, nicht viel anfangen. Die AURORA werden wir handhaben können, denke ich. Falls das nicht geht, ist es wohl das Beste, uns auf Raumstationen zu verteilen, oder auf dem Mond anzusiedeln. Nicht, dass ich einen freien Himmel über meinem Kopf nicht mal erleben will, und so. Aber ich sehne mich doch eher nach der Begrenztheit einer soliden Wand, auf die ich schauen kann... Ihr versteht?“
Irgendwie konnte ich das tatsächlich. „Einverstanden. Es wird ja nicht in Stein gemeißelt und kann jederzeit revidiert werden“, versprach ich. „Cousinchen?“
„Ich muss das mit Eikichi und dem Rat besprechen, aber ich denke nicht, dass generell Ablehnung dagegen besteht, die Nagalev auf dem Mond oder hier auf der AURORA dauerhaft anzusiedeln. Was es letztendlich werden wird, kann ich aber noch nicht sagen. Was mit der AURORA passieren wird, wenn der ganze Wahnsinn hier mal vorbei ist, kann ich auch noch nicht sagen, daher... Nun ja.“
Lertaka sah sie indigniert an. „Moment, Admiral, rechnen Sie tatsächlich damit, das Problem mit den Kindern der Götter auflösen zu können? Zu Ihren Lebzeiten?“
„Ja.“
„Und was macht Sie da so sicher?“
Sakura lächelte. Aber es war kein nettes Lächeln. Es war sogar recht schadenfroh. „Wir haben einen Akira.“
„Das ist eine verblüffende Antwort. Und wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was ich von Kitsune gehört habe, ist es wohl nicht verkehrt, einiges an Hoffnung an diesen jungen Mann zu richten.“
„Gut, dann ist das auch geklärt“, sagte ich lächelnd. Endlich. Endlich. Endlich. „Was mich angeht, bitte ich euch, mich jetzt zu entschuldigen. Ich habe einen extrem wichtigen Termin in einer Stunde, den ich wahrnehmen muss, selbst wenn ich mich mit meinen Lippen alleine dort hinschleifen müsste.“
„Und was ist das für ein Termin, Akira?“, fragte Livess.
„Eigentlich eine recht banale Geschichte. Ich habe eine Prüfung vor mir, die mich zum Studium zulässt. Viermal musste ich ihn verschieben, aber diesmal kann meinetwegen das Universum kollabieren.“
„Dann wünsche ich viel Erfolg“, sagte die blonde Frau mit der bronzenen Haut.
Die anderen Dai und die beiden Nagalev schlossen sich an.
„Danke“, sagte ich mit peinlicher Verlegenheit. Zu meinen Freunden gewandt sagte ich: „Drückt mir die Daumen.“
„Ach, das schaffst du schon“, sagte Yoshi und klopfte mir auf den Rücken.
„Nicht dafür, sondern damit nichts mehr passiert, bis ich im Prüfungsraum bin.“ Gelächter.

Ich verließ den Raum nachdem ich ein letztes Mal Megumi angesehen hatte. Sie hatte für mich gelächelt. Oh, ich liebte diese Frau.
Draußen auf dem Gang erschuf Arhtur einen weiteren Avatar. „Sir.“
„Oh nein, Arhtur, es gibt nichts, worum ich mich kümmern müsste. Nichts.“
„Das ist richtig, Sir. Ich will Sie auch nur lediglich informieren, dass die Schlacht im Kanto-System allen Anzeichen nach kurz davor steht, auszubrechen. Admiral Jano Avergan Ryon hat das Oberkommando übernommen und Rogan Arogad steht ihm zur Seite, ebenso Admiral Neon Zut Achander und auch einige Offiziere des Cores.“
„Die Lage?“
„War bis vor kurzem ausgeglichen. Aber den Logodoboro ist es gelungen, weitere Schiffe heranzuführen. Nun sind sie im Vorteil und werden angreifen. Admiral Ryon hat sich sehr bedauernd darüber geäußert, dass Sie nicht vor Ort sein können, um an der Schlacht teilzunehmen.“
Ich lachte abgehackt. „Natürlich kann ich an der Schlacht teilnehmen. Ich muss nur ins Paradies der Daina und Daima wechseln, von dort aus einen Offiziersavatar übernehmen und mir einen Mecha besorgen. Dann kann ich... Mist.“
„Sir?“
Ich grummelte vor mich hin. „Wie lange bis zur Schlacht?“
„Etwa eine Stunde bis zum ersten Feindkontakt.“
Das war zu wenig Zeit, um die Prüfung zu absolvieren, UND mich ins Paradies einzuklinken, um das Kanto-System zu besuchen.
„Darf ich mir an dieser Stelle erlauben, Sie darauf hinzuweisen, dass ich sowohl die Prüfer als auch die Daten zur theoretischen Prüfung in die virtuelle Wirklichkeit der ADAMAS aufgenommen habe?“, sagte Arhtur. „Über die Chamber in der Zentrale können Sie die sechsstündige Prüfung in fünf Minuten Realzeit machen und haben noch mehr als genug Zeit, um ins Paradies zu wechseln.“ Arhtur schmunzelte zufrieden über sich selbst. „Des weiteren hat Maltran Choaster angedeutet, dass mehrere Offizierskörper im Kanto-System zur Verfügung stehen. Du könntest einige deiner KI-geschulten Freunde mitnehmen.“
„Wie viele Offizierskörper sind es denn?“
„Acht.“
Ich dachte kurz nach. „Okay. Megumi. Yoshi. Yohko. Hina. Ami. Akane. Sarah. Das sollte für eine wirklich große Überraschung reichen.“
„Ich beordere sie ins Paradies. Auf Ihren Befehl, Sir.“
Das hörte ich gerade so noch, denn ich hatte begonnen zu laufen. Diesmal, ja, diesmal, DIESMAL würde ich die verdammte Prüfung machen, und nicht einmal diese fiese Gottheit, die ich für mein wechselhaftes Schicksal verantwortlich machte, würde es verhindern können. Und DANACH würde ich das Kanto-System retten.

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2.
„Akira!“
Ich wandte mich um und hob die Hand. „Keine Chance, Henry! Was immer du zu berichten hast, du hast dein Zeitfenster verfehlt. Sag es Megumi und Sakura. Ich habe einen brandeiligen Termin, den ich nicht verpassen darf. Und dann habe ich noch einen Termin danach, der mindestens genauso wichtig ist.“
„Aber es ist auch wichtig!“, rief Ai Yamagata, die ihrem Lebensgefährten hinterher kam.
Ich musterte ihre ernsten Augen und traf eine Entscheidung. „Also gut, Ihr zwei.“ Ich winkte ihnen, mir zu folgen. Nach zwei quälend langen Minuten, noch rund fünfzig Minuten bis zur Schlacht, betraten wir die Zentrale. Mein Pod stand bereit.
„Arhtur, wenn du so nett wärst...“
„Aber natürlich, Sir.“ Zwei weitere Pods fuhren aus dem Boden.
„Wir unterhalten uns, aber innerhalb der virtuell beschleunigten Welt“, erklärte ich, während ich die Chamber bestieg.
Das ließen sich die beiden nicht zweimal sagen. Ihre Erfahrungen mit dem Paradies der Daima und Daina kamen ihnen dabei zugute. Das war mein letzter Gedanke, bevor ich auf die vorbereitete Ebene wechselte.

„Du bist spät dran, Akira-chan“, begrüßte mich Akane Kurosawa. Sie würde heute unter anderem eine der Prüferinnen sein. „Und bringst auch noch Verstärkung mit, wie ich sehe.“
Ich wandte mich halb nach hinten. „Macht ran, Leute, hier ist eine Abiturprüfung, die ich noch bestehen muss.
Wie gehen wir vor?“
Akane deutete auf einen virtuellen Schreibtisch, der auf dieser Ebene aber erschreckend real war. „Wir beginnen schriftlich. Vier Themen, jedes zwei Stunden Zeit. Danach die mündliche Prüfung. Darf ich dir die anderen Prüfer vorstellen?“
Höflich gab ich allen drei Lehrern die Hand, die sichtlich Anpassungsschwierigkeiten an die virtuelle Ebene hatte. Ihre Namen hatte ich schon gehört, aber ihre Gesichter noch nicht gesehen. Eventuell um sicherzustellen, dass ich fair und ehrlich durch diese Prüfung kam. Ob ich sie bestand oder nicht, stand ohnehin noch in den Sternen.
„Und wann können wir...?“, fragte Henry.
„Erzählt es mir nebenbei. Erstes Thema?“
Akane legte mir die Unterlagen auf den Tisch, ich nahm Platz. „Mathematik. Du darfst einen Taschenrechner generieren und benutzen und du musst deine Notizen und Zwischenrechnungen mit einreichen. Und, Arhtur, jede Form von Hilfestellung über den Taschenrechner hinaus bedeutet, dass die Prüfung gescheitert ist, verstanden?“
Arhturs Avatar hob beide Hände. „Ich hatte nicht vor, zu schummeln. Und Commander Otomo auch nicht.“
„Wie dem auch sei, Akira, deine Zeit beginnt... Jetzt.“
Ich öffnete den Umschlag, nahm die Prüfungsbögen heraus und überflog sie für einen ersten Einblick. Hauptsächlich Infinitesimalrechnung und Stochastik. Gut, das konnte ich, da war ich auf der sicheren Seite. Ich griff nach dem Stift, natürlich auch virtuell, und begann die Aufgaben. „Ihr könnt“, sagte ich, während ich rechnete. „Und dabei könnt Ihr mir gleich erklären, warum Ihr so lange fort wart.“
„Nun“, sagte Henry und kratzte sich gut hörbar am Kopf, „es scheint, dass unser Dai auf ein bestimmtes Ereignis in der Realität gewartet hat und dafür unseren Zeitablauf manipulierte. Zudem hat er eine sehr interessante, aber auch sehr lange Geschichte erzählt.“
„Erzählt mir, was daraus für uns relevant ist. Und nur, falls Ihr es noch nicht gehört habt, bedenkt dabei bitte, dass die Naguad Götter sind, die es geschafft haben, dem allgegenwärtigen Untergang zu entkommen und nach Iovar zu fliehen.“
Ai stieß einen Laut der Überraschung aus. „Das passt zu ihren Erfahrungen auf der Hauptwelt Iotan.“
„Aber auch zu einigen anderen Ereignissen“, sagte Henry. „Die kurze Version also?“
„Darf ich dazu ebenfalls etwas beisteuern?“, fragte Arhtur. „Wenn es um Erlebnisse geht, in die das Schiff, also die ADAMAS, involviert war, meine Aufzeichnungen sind lückenlos.“
„Heißt das, wir hätten von Anfang an... Nur dich fragen müssen, statt uns mit dem Dai zu plagen?“, rief Henry William Taylor überrascht.
„Ja. Eigentlich schon. Das trifft es doch ziemlich gut.“
„Oh, wir Idioten“, raunte der Agent.
„Machen wir es so. Ai und du, Ihr erzählt mir, was der Dai verraten hat, und du, Arhtur, ergänzt es, wenn Informationen fehlen, über die du zum Thema verfügst.“
„Einverstanden.“
„Gut, dann waren wir nicht vollkommen umsonst so lange weg“, sagte Henry halb resigniert. „Seine Erzählung beginnt damit, dass er als Pressor seinen Reyan Maxus an Bord der ADAMAS begleitet hat, um in der Peripherie des von Dai erforschten Raumes Kriege zu verhindern und Welten zu befrieden. Dabei fand Kydranos, der Reyan Maxus, eine Welt, die...“
„Entvölkert“, soufflierte Arhtur.
„...die entvölkert wurde. Sie fanden Spuren einer Daima-Zivilisation, sowie ein paar wirklich unschöne Bombenkrater. Jemand hatte gezielt die Zentren dieser Welt augelöscht und es dabei vor allem auf die Dai abgesehen. Die Dai jener Welt...“
„Tomall“, soufflierte Arhtur erneut.
„Ja, Tomall, danke, Arhtur. Die Dai hatten sich in dem verborgen, was wir als Daimon kennen. Diese wurde allem Anschein nach als erstes vernichtet. Von der größten Explosion. Die Angreifer hatten keine halben Sachen gemacht. Und das Witzigste: Auf dem zerstörten Planeten fanden sie Überlebende, tatsächlich, nur viel zu wenige für eine Kolonie, die einmal mehrere Millionen Menschen stark gewesen war. Diese Überlebenden behaupteten steif und fest, sie wären von einem Kommandoschiff der Dai angegriffen worden. Was eine weitere Gruppe Daima auf den Plan rief, die sich selbst „die Götter“ nannte. Diese griff die ADAMAS sofort an, ohne Kontakt zu suchen. Nach der sehr kurzen und sehr einseitigen Schlacht ließ Kydranos die überlebenden Götter einsammeln und befragen. Dabei kam heraus, dass die Götter anscheinend schon vor dem Angriff informiert worden waren, wer hier wen angegriffen hatte. Noch besser: Warum die Götter eingegriffen haben, kam dann auch noch heraus. Tomall war bereits die fünfte Welt im Sektor, die vernichtet worden war, und das gefährlich nahe am Kernland der Götter, sodass sie sich herausgefordert fühlten. Dies war der Beginn eines Krieges, den zuerst die ADAMAS mit ihren Begleitschiffen ausfocht, später aber auch mit der Unterstützung anderer Kommandoschiffe mit Reyan Maxi an Bord. Die Götter waren nicht besonders gesprächig und hielten mehr von Taten. Für sie waren die Dai die Wurzel des Übels und die Ursache des ganzen Kriegs, sodass sie dazu übergingen, Daima- und Daina-Welten anzugreifen, die nicht von Kommandoschiffen geschützt wurden, um die dortigen Dai auszulöschen. Eine sehr effektive Strategie, die sich dadurch, dass sie sich über Jahrzehnte dahin zog, und jede vernichtete Welt ein grausamer Schrecken in sich war, für die Götter bewährte. Auch, als der Krieg in ihr Kernland getragen wurde, als die Dai einsahen, dass die Defensive den Krieg nie beendet, hielten sie an der Methode fest. Da sie die Kommandoschiffe nicht vernichten konnten, nutzten sie einfach die Möglichkeit, ihnen auszuweichen. Und später im Krieg, da... Aber ich greife vor.“
„Das wollte ich auch gerade anmerken, Legat Taylor“, sagte Arhtur.
Henry grummelte etwas Unverständliches und fuhr mit seinem Bericht fort. Ich fuhr mit der nächsten Aufgabe fort.
„Wie gesagt waren die Götter nicht zu Verhandlungen bereit, geschweige denn zu Gesprächen. Für sie war die Situation ziemlich klar: Entweder, sie überlebten, oder die mörderischen Dai. Und so wurde der Sektor rund um das Reich der Götter nach und nach entvölkert, teils durch die Zerstörungen, teils, weil die Daima flüchteten. So sie es denn konnten. Der Krieg zwischen den Dai und den Göttern war weit größer und schlimmer als alles, was sie bisher unter sich ausgemacht hatten, und nur Distanz schien Sicherheit zu versprechen. Dann aber fanden die Götter eine Waffe gegen Reyan Maxi.“
Ich sah für einen Moment von meinen Prüfungsunterlagen auf. „Wenn du jetzt Legacy-Virus sagst, dann trete ich dich.“
„Na, dann hol doch bitte schon mal kräftig aus, denn es war ein Virus. Damals gab es halt nur noch kein Englisch, weshalb die Dai, als sie den Virus fanden und klassifizierten, ihn nicht Legacy-Virus nennen konnten.“
„Nicht einsagen, Henry. Englisch kommt erst noch dran“, mahnte Akane verschmitzt lächelnd.
Na, wer wusste schon, wie lange sie darauf gewartet hatte, diese Pointe anbringen zu können.
„Damit ich dich richtig verstehe, die Götter haben einen Virus genutzt, um Reyan Maxi... Nun, zu töten?“
„Expandieren zu lassen“, korrigierte er.
Entgeistert ließ ich meinen Stift fallen. „Du meinst, sie sind explodiert?“
„Ja.“
„Also gut.“ Ich nahm den Stift wieder auf und vollendete die aktuelle Aufgabe. Noch sieben weitere. „Erzähl mir über den Virus.“
„Er ist künstlichen Ursprungs. Er wurde zu einhundert Prozent konstruiert. Und das haben nicht die Götter getan. Eine Macht im Hintergrund, die sich Godar nannte, stellte ihnen die Naniten zur Verfügung, die als Träger für die Viren fungieren sollten. Nun mussten die Naniten nur noch an Bord der Kommandoschiffe gelangen. Dafür verseuchten die Götter all jene Orte, an denen Kommandoschiffe Nachschub aufzunehmen pflegten, einschließlich Lemur.“
Ich fühlte meine Augenbrauen nervös zucken. Da war doch noch was mit den Godar gewesen, oder? „Und dann wurden die Kommandoschiffe infiziert?“
„Nach und nach. Und in vollkommen unterschiedlichen Zeitabständen erlagen die Reyan Maxi dem Virus. Einige explodierten tatsächlich. Andere absorbierten so viel KI und gaben es zeitgleich wieder ab, dass sie sich selbst auflösten. Andere wiederum...“
„Zwischenfrage“, sagte ich hastig. Fünfte Aufgabe. „Arhtur, du kennst dieses Virus?“
„Natürlich. Es hat auch die ADAMAS infiltriert.“
„Ist das Virus derzeit an Bord der ADAMAS?“
„Ich habe diverse Reinigungsaktionen unternommen in den letzten fünfzigtausend Jahren, aber es ist mir nie gelungen, jede einzelne Spur auszulöschen. Das liegt auch daran, dass es immer wieder hereingetragen wird. Das letzte Mal durch die Besatzung der AURORA.“
„Ach, herrje. Mein Körper kennt das Virus“, stellte ich fest.
„Richtig. Träger für das Programm, das Reyan Maxi tötet, ist ein ziemlich herkömmliches Grippevirus. Wie es die Art der Grippeviren ist, haben sie sich im Laufe der Zeit stark verändert, weil diese Viren untereinander Teile ihrer Baupläne austauschen. Fakt ist, dass die Menschheit an sich seit fünfzigtausend Jahren von diesen Viren geplagt wird. Es reicht merkwürdigerweise nicht, um Immunität an folgende Generationen zu vergeben, aber soweit ich feststellen kann, reicht es, einmal eine Grippe gehabt zu haben, um gegen dieses spezielle Programm immun zu sein. Dieses Glück hatten die Reyan Maxi der alten Zeit nicht. Will sagen, Sir, dadurch, dass Sie mit Grippeviren in Kontakt geraten sind, irgendwann in den letzten zweiundzwanzig terranischen Jahren, reagiert Ihr Körper mit Vernichtung, und das, bevor die Viren eine Konzentration erreichen können, die die Ausführung des Vernichtungsauftrags ermöglicht. Meine Analysen von Kydranos in den verschiedenen Stufen der Infektion belegen, dass die Viren eine gewisse Grundkonzentration erreichen mussten. Dabei bildeten sie mikroskopische Megastrukturen.“
„Sie bauten sich selbst im Körper zu größeren, aber immer noch winzig kleinen Maschinen aus?“, fragte ich ungläubig.
„Ja. Wir wissen es deshalb so genau, weil Kydranos sich wissentlich infizierte und wir jede einzelne Stufe der Infektion und des Krankheitsverlaufs begleitet haben.“
„Wissentlich?“, fragte ich. „Aber wieso?“
„Um eine Heilung zu finden, natürlich. Daraus ist leider nichts geworden, weil... Möchten Sie wieder, Legat?“
„Ich wollte gerade darum bitten. Jedenfalls wurden die Reyan Maxi dazu gezwungen, etwas mit ihrem KI zu tun, was sie nicht kontrollieren konnten. Einige explodierten, andere implodierten, manche starben einfach nur. Kydranos allerdings war ein etwas anders gelagerter Fall. Als sicher war, dass sie keine Heilung finden konnten, bevor es für ihn zu spät war, entschloss er sich zu einer Machtdemonstration. Die ADAMAS kämpfte sich bis zur Hauptwelt der Götter durch. Wobei „Hauptwelt“ jetzt nicht gleichzusetzen ist mit der Erde, damals bekanntlich Lemur. Es handelte sich um einen Planeten, und dieser war besiedelt mit Verwaltungszentren, Raumschiffswerften, Truppenaufmarschgebieten, Kasernen, Übungsgeländen, der hiesigen Regierung... Kurz und gut, das Zentrum des Götterreichs. Kydranos hat diese Welt vernichtet, als er dem Virus in seinem Blut endlich nachgab.“
Ich zerbrach den Stift. Ein Ding der Unmöglichkeit, er war nur virtuell und theoretisch unzerstörbar. „Was, bitte?“
„Kydranos entpuppte sich als einer von denen, die explodierten, aber auf eine ganz besondere Weise. Sein KI explodierte, expandierte und vernichtete alles in seinem Weg und assimilierte freies KI, das ebenfalls alles im Weg vernichtete, und all das raste um den Planeten, Runde auf Runde auf Runde, bis es nichts mehr gab. Keine Regierung, keine Kasernen, keine Verwaltung.“
„Entweder ein gewaltiges Kriegsverbrechen, oder ein Akt ungeheurer Heldenhaftigkeit“, sagte Akane. „Kommt auf den Standpunkt an.“
Ich nickte zu ihren Worten. „Weiter.“
„Die Götter, also jene, die überlebt hatten, wurden dadurch endlich an den Verhandlungstisch gezwungen. Beide Seiten waren in denkbar schlechten Positionen. Lemur hatte alle Reyan Maxi eingebüßt und dabei sogar einige Kommandoschiffe verloren. Und die Götter waren enthauptet worden, abgeschnitten von ihrer Regierung, ihrem Verwaltungsapparat. Dennoch war ihre militärische Macht im Moment höher als die der Dai, sodass sie den folgenden Vertrag zu ihren Gunsten diktieren konnten. Sie verboten die Entwicklung neuer Reyan Maxi und verlangten von den Lemur-Dai, fortan isoliert unter einer Daimon zu leben und sich vom Rest der Erde zurückzuziehen. Vom Weltall ganz zu schweigen. Um beides zu überwachen, wurden die RASHZANZ und das Kastell auf der Erde installiert. Im Gegenzug verpflichteten sich die Götter dazu, das Sol-System als neutrales Gebiet anzuerkennen und nicht nach dem Verbleib der Kommandoschiffe zu suchen, die, zwar nun ohne Reyan Maxi, dennoch eine gewaltige Macht darstellten.“
„Die Kommandoschiffe wurden konzentriert und an einem geheimen Ort versteckt, damit sie jederzeit gegen die Götter eingesetzt werden konnten“, fügte Arhtur hinzu. „Die ADAMAS hingegen musste sich auf einem abgelegenen Planeten niederlassen, da sie im letzten Gefecht um die Zentralwelt erheblich beschädigt wurde. Die Reparatur dauerte zweihundert Jahre, aber nach dem Abschluss der Arbeiten gab es keinen Ort mehr, zu dem sie fliegen konnte. Deshalb blieb sie im London-System, bis die AURORA sie aufgespürt hat.“
„Was bedeutet, wir sollten noch erwähnen, dass die Götter fortan Jagd auf Daimon und Dais machten. Vor allem aber auf potentielle Reyan Maxi“, fügte ich an.
„Nicht die Götter“, korrigierte Henry mich. „Die Kinder der Götter. Nur wenige Jahrzehnte, nachdem die Lemur-Dai auf ihr Heimatsystem beschränkt worden waren, verschwanden die Götter, als hätte es sie nie gegeben, und stattdessen tauchten die Robotschiffe der Kinder der Götter auf und suchten beständig nach Dai, Daimon und potentiellen Reyan Maxi. Das ist der Status Quo, bis wir mit ihnen im Zuge der Evakuierung der Anelph aneinander gerieten.“
„Okay“, sagte ich und erhob mich.
„Äh, Akira, du musst jetzt die Prüfung nicht zwangsläufig abbrechen, auch wenn die Lage ernst ist“, sagte Henry. „Etwas Zeit haben wir noch.“
„Abbrechen?“, erwiderte ich verwundert. Ich schob die Bögen zusammen und reichte sie Akane. „Ich bin doch nur fertig mit Mathe.“
„Du hast noch fünfundneunzig Minuten übrig“, sagte sie.
„Ich habe es eilig“, erwiderte ich. „Muss ich jetzt fünfundneunzig Minuten warten, oder können wir mit dem nächsten Fach weitermachen?“
„Dass du auch immer übertreiben musst“, murrte sie, reichte mir aber den nächsten Bogen. „Englisch. Viel Spaß.“
Ich setzte mich wieder, riss den Umschlag auf und betrachtete die Fragen. Okay, und wo war jetzt die Schwierigkeit hierbei? Beinahe hätte ich vergnügt gepfiffen. Wenn der Rest der Prüfung ebenso war, gab es kein „ob“, nur ein „wie gut“. Aber hatte ich als einer der Landesbesten daran überhaupt gezweifelt? Wenn ich ehrlich sein sollte, ja. Aber im Moment kam es mir so vor, als fielen alle Puzzleteile an ihren Platz und vervollständigten die Geschichte so, wie sie von Anfang an hatte sein sollen. „Wir kümmern uns um die Kinder der Götter gleich nach der Prüfung“, versprach ich. Alles zu seiner Zeit und in der Reihenfolge der Eingänge.
***
„Willkommen an Bord der AROGAD, Sir.“ Ein Offizierskörper des Cores salutierte vor mir.
„Leekan Amada“, stellte ich fest. Eine junge Daima, selbst für die Begriffe des Cores, die ich hier als Verbindungsoffizierin stationiert hatte.
„Ja, Sir.“ Sie deutete auf ihre Brust, wo ein Namensschild prangte. „Wir versuchen uns an verschiedenen Identifikationsmerkmalen. Das Namensschild war da gleich zu Anfang eine sehr gute Idee.“ Sie lächelte verschmitzt, was für einen Androidenkörper des Cores eine außerordentliche Leistung darstellte. Dazu hielt sie eine Handvoll Namensschilder mit Clip hoch. „Ich habe mir erlaubt, für Sie und Ihre Offiziere ebenfalls welche anfertigen zu lassen, kaum dass ich wusste, dass Sie kommen und wer Sie begleitet.“
„Danke, Leekan.“ Ich erhob mich, nahm das Namensschild entgegen und brachte es an der linken Brusttasche an. „Alle aktionsbereit soweit?“
Hinter mir stöhnte eine tiefe Männerstimme auf. „Yoshi hat Kopf. Yoshi mag sowas gar nicht. Konntest du uns nicht vorwarnen, Akira?“
Wortlos nahm ich Leekan die Schildchen aus der Hand und hielt ihm das Futabe-Namensschild hin. Als Hinweisgeber war er schon immer grandios gewesen. „Noch jemand ohne Fahrschein?“
Nach und nach leerte sich die Hand, als jeder nach seinem eigenen Namensschild griff. Das war positiv, denn die Drohnen waren nicht wirklich individuell zu nennen. Wir würden, während wir kämpften, ein wenig mit den Stimmsynthesizern arbeiten müssen, um so etwas wie Originalität zu erreichen. Falls uns die Zeit dafür blieb. Laut meinem Zeitempfinden, unterstützt von der eingebauten Uhr des Robotkörpers, waren es nämlich nur noch knappe zwanzig Minuten bis zur Schlacht. „Wo befinden wir uns, Leekan?“
Sie räusperte sich vernehmlich. „Ich habe die Aktionskörper auf die AROGAD schaffen lassen. Das Bollwerk von Zantu... Ich meine, Admiral Ryon erwartet uns auf der Brücke, ebenso Admiral Arogad und Admiral Achander. Wir befinden uns in einem Bereich, der für die Dauer unserer Nutzung unserer Hoheit unterstellt wurde. Zwar nur ein Magazin, aber immerhin ein Raum des Core, Sir.“
Ich nickte zufrieden. Zu gerne hätte ich jetzt in einen Spiegel gesehen, obwohl ich wusste, dass ich nicht viel anders als meine sieben Begleiter ausschaute: Groß, androgyn, haarlos. Diese Körper waren nach Begriffen der Effizienz gebaut worden, nicht nach Richtlinien der Ästhetik. So gesehen waren die Namensschilder eine grandiose Idee gewesen.
„Alles klar auf den billigen Plätzen? Dann lasst uns gehen.“
Meine Freunde nickten mir entschlossen zu. Und das war ein ziemlich witziger Anblick, sobald ich mir klar machte, dass Yoshi und meine kleine Schwester Yohko einander glichen wie das eine braune Ei dem anderen. Allerdings unterließ ich es zu lachen, denn ich und Megumi sahen ja genauso aus.
Leekan Amada öffnete die Tür, und wir traten hinaus. Auf dem Gang standen zwei Wachen, die sofort in Hab acht gingen, als ich in der Tür erschien. Als ich sie passierte, salutierten sie mir. Dies war ein Schiff von Haus Arogad, wenn nicht gleich DAS Schiff von Haus Arogad. Die AROGAD selbst. Ich war der eingetragene Erbe des Hauses. Es wunderte mich, dass sie nicht gleich ein dreimaliges Hurra angestimmt hatten.
„Hier entlang, bitte.“ Leekan führte uns den Gang hinab, dann in einen zentralen Verteiler. Ab dort hätten wir den Schildern folgen können, aber bewusst ließ ich es in der Hoheit der Core-Offizierin, uns ans Ziel zu bringen. Wir betraten einen Gang, der uns bis direkt vor die Zentrale des Kampfschiffs brachte. Dort standen wieder Wachen, die in Hab acht gingen. „Willkommen zurück, Mylord Arogad“, empfing mich der von mir aus gesehen rechte Soldat. Er betätigte einen Summer. „Lord Aris Arogad, seine Schwester Lady Arogad, Lady Solia Kalis vom Haus Daness sowie Gefolge bitten um Einlass.“
„Gewährt.“ Vor uns fuhren die Sicherheitsschotts des wichtigsten und bestgeschütztesten Raums an Bord des Bakeschs auf. Das Allerheiligste.

Als ich eintrat, unterbrachen die Leute ihre Arbeit. Sie erhoben sich und salutierten. Ich musste mir wieder einmal begreiflich machen, was meine Existenz für diese Naguad bedeutete. Was das Haus ihnen bedeutete. Ich war der Hauserbe. Vielleicht erst der Erbe in drei Generationen, aber in der leicht verknöcherten Häuserstruktur der Naguad war das kein Grund, mich nicht wie einen direkten Erben zu behandeln, wie einen König. Nein, das passte nicht. Die Anführer eines Hauses der Naguad waren keine Könige, sie waren mehr Tyrannen. Wobei ich den Begriff in seiner ursprünglichen Bedeutung meinte, damals in Griechenland, als man einen Menschen mit unbegrenzten Machtbefugnissen wählte, ihm ein Zeitfenster gab und das Beste hoffte.
„Mensch, Akira!“
Ich zuckte leicht zusammen, als mein terranischer Name quer durch die Zentrale gerufen wurde. Das konnte nur einer sein, und zwar...
„Aki-chan! Äh, welcher bist du denn?“
Vor mir stand jemand, der eine erstaunliche Ähnlichkeit mit mir hatte, zumindest was die Nase und das Kinn anging. Typische Arogad-Gene. Dennoch glich er mir nicht so sehr wie Marus Jorr, der ein direkter Cousin von mir war. Jedenfalls so direkt, wie es im inneren Zirkel der Arogads möglich war, als Nachfahre von Uropas Sohn.
Ich hob die Hand. „Ich bin hier, Rogan.“
Die Irritation verschwand aus seinem Gesicht. Der große Offizier trat auf mich zu und schloss mich in die Arme. „Verdammte Scheiße, Aki-chan, du kannst dir gar nicht vorstellen, was bei uns Zuhause alles drunter und drüber gegangen ist, als man dein Bewusstsein aus deinem Körper entführt hat. Ich meine, ich wusste nicht, dass so etwas überhaupt möglich ist. Aber da du ja jetzt diesen Roboterkörper steuerst, ist ja echt was dran an diesem AO-Transfer, und so.“ Er ließ mich fahren und betrachtete mich eingehend. „ICH habe mir Sorgen gemacht. Und als dann auch noch Helen nach Hause aufgebrochen ist und die Logodoboro für den Tritt in unsere Ärsche Anlauf genommen hatten, gab es mehr als einen Moment, an dem ich mir gewünscht habe, du wärst noch immer auf Nag Prime. Ich hörte, du hast Yohko mitgebracht?“
Zögerlich ging die Roboterhand des Droiden in die Höhe, der von meiner Schwester gesteuert wurde. Aber Rogan verzichtete auf eine heftige Umarmung und bediente sich nur der naguadschen Variante des Handkuss. Mit Megumi, „Lady Kalis“, verfuhr er genauso, und tat dies auch bei den Slayern aus meiner Begleitung. Yoshi hingegen zog pikiert die Hand zurück. „Danke, nein, habe schon.“
„Wenn ich nicht wüsste, dass du Yoshi bist, jetzt würde ich es zumindest ahnen“, lachte Rogan. „Kommt, wir sollten reden.“ Während er sich umwandte, gab er einem seiner Leute durch ein Nicken zu verstehen, dass er handeln sollte. Der Mann bestätigte durch ein eigenes Nicken, dann trieb er seine Leute an. Wortfetzen erreichten meine Ohren, als die Männer und Frauen an der Hauptfunkanlage der AROGAD den Routinefunkverkehr unterbrachen und meine Ankunft in das Kanto-System hinausposaunten. Ja, posaunten war die richtige Wortwahl.
Rogan führte uns durch die Zentrale zu einem Konferenzraum.
„Ist das wirklich notwendig?“, fragte ich endlich und nickte in Richtung des Funks.
„Unbedingt“, sagte Rogan. „Was nützt es uns, den größten Krieger der Galaxis an Bord zu haben, und es weiß keiner außer uns?“ Er deutete mit dem Zeigefinger auf mich. „Sie, Mylord Arogad, sind alleine durch Ihre Anwesenheit hier, selbst im Offizierskörper des Cores, eine größere Bedrohung für die Logodoboro und ihre Verbündeten, als es eine ganze Flotte Bakesch sein könnten.“
„Dem stimme ich zu“, klang eine mir nur zu bekannte Stimme auf. „Nutzen wir es also, so gut wir können.“
„Admiral Ryon. Wie ich hörte, hat man Sie vom Altenteil weggezerrt und wieder in eine Schlacht geworfen“, sagte ich und schüttelte dem alten Anelph die Hand. Er war es gewesen, der die Evakuierung der Anelph aus diesem System betrieben hatte. Er hatte den Core in Marsch gesetzt und damit die ganze Geschichte überhaupt erst in Gang gesetzt. Aber er hatte sich nicht nur als zuverlässig erwiesen, alle negativen Aspekte seiner Anordnungen waren auch nur durch die Verkettung unglücklicher Umstände entstanden. Zumindest glaubte und sagte ich das, wann immer ich konnte oder musste.
„Es geht um Kanto. Auch wenn das Komitee dieses Sonnensystem verlassen hat, ich konnte nicht ruhig daheim sitzen und darauf warten, welche Seite gewinnt. Zudem... Hätte Logodoboro hier gewonnen, wäre irgendwann die Erde dran gewesen, und daher auch der Mars. Und dann... Zusammenfassend möchte ich sagen, ich wollte die Dinge ein klein wenig beschleunigen und uns hier einen Sieg bescheren, wenn es mir denn möglich ist. War, meine ich. Ich übergebe mein Kommando natürlich gerne an den Sieger von Lorania.“
Ich schüttelte den Kopf. „Sie behalten das Kommando, Bollwerk von Zantu. Ich habe etwas andere Pläne hier im System, und dank meines Cousins Rogan, beginnen sie sich ganz ohne mein Zutun zu entfalten. Aber ein Hawk wäre wirklich nett.“
„Ähemm“, klang es hinter mir auf.
„Sieben Hawks und ein Eagle“, korrigierte ich mich. Vier der besten Mecha-Piloten der Menschheit, von denen zwei Slayer waren, dazu vier Slayer, die derzeit das Otome-Bataillon befehligten, das war alleine schon eine Streitmacht, eine Armee für sich.
„Wir werden sehen, was wir für Sie tun können, Commander.“
„Ich könnte Ihnen mindestens fünf Hawks leihen, schätze ich“, warf ein weiterer Mann im Raum ein.
„Eskender Khaleed“, sagte ich erstaunt. „Es freut mich sehr, Sie hier wiederzusehen.“ Ich ging auf den Commander zu, während Ryon meinem Team die Hand gab.
Wir schüttelten einander die Hände. „Fünf Hawks sind schon mal ein sehr guter Anfang. Bleiben noch zwei und ein Eagle.“
„Können wir sicher von der Axixo-Basis rüberschaffen lassen. Aber nicht in den rund dreizehn Minuten bis zum ersten Feindkontakt. Sie werden es auch nicht in der Zeit auf die SANSSOUCI schaffen, fürchte ich, Commander.“
„Ich bin nicht ganz sicher, ob wir uns so sehr beeilen müssen. Unsere Anwesenheit alleine dürfte einiges, nun, umgestoßen haben“, sagte ich und machte Yoshi Platz, damit er dem Elite-Offizier die Hand geben konnte. „Admiral Achander?“, hakte ich kurz nach.
„Ist in drei Minuten hier.“ Rogan grinste schief. „Er verspricht sich auch eine Menge von dir, zugegeben.“
„Na, dann wollen wir den guten Mann mal nicht enttäuschen.“ Ich lächelte, ohne zu wissen, ob der Robotkörper meine Stimmung korrekt nach außen trug. Es wäre vielleicht besser gewesen, vorher mit einem Spiegel ein wenig zu üben, ging es mir durch den Kopf.
Dann passierten zwei Dinge zugleich. Admiral Achander trat ein, und er hatte einen Ausdruck in der Hand. „Die Logodoboro-Schiffe brechen die Angriffsfahrt ab und gehen auf Parkposition!“
Gemäß der empirischen Erkenntnis, dass ungewöhnliche Ereignisse ungewöhnliche Ereignisse nach sich zogen, musste das wohl meine Schuld sein. Das erste ungewöhnliche Ereignis war meine Ankunft im Kanto-System gewesen, das Rogan dankenswerterweise an alle Verbündeten und vor allem über die offenen Kanäle an unsere Feinde weiterposaunt hatte. Das zweite, die direkte Folge, war der Abbruch des Angriffs.
„Admiral Achander“, sagte ich und ergriff die Hand des ehemaligen Feindes. „Das ist eine sehr gute Nachricht. Jetzt würde ich gerne aktiv ins Geschehen eingreifen, wenn die Flotte des Naguad-Imperiums keine Einsprüche hat.“
„Was brauchst du, mein Junge?“, fragte Neon Zuut Achander ohne zu zögern.
„Die Mechas habe ich schon bestellt. Was mir jetzt noch fehlt, ist Sendezeit und ein Rundspruch an alle Empfänger im System.“
Rogan lachte laut auf. „Also, meine Funkbude ist deine Funkbude, Vetter. Jetzt bin ich wirklich gespannt, was du vollbringen willst.“
Yohko knuffte ihm in die Seite. „Das, was er immer tut. Ein Wunder, oder etwas Unmögliches.“
Das brachte mich dazu, aufzulachen. „Sagen wir lieber, ich nutze den Umstand aus, dass mir ein nicht ganz ungerechtfertigter Ruf vorauseilt.“


3.
„Mein Name ist Aris Arogad“, sagte ich mit fester Stimme in das Mikrophon der Kameraanlage. Ich gebe zu, ich hatte mir ein paar Minuten Auszeit genommen, um vor einem Spiegel Mimik und – mit Yoshis Hilfe – Stimme zu trainieren. „So, wie ich jetzt klang, wollte ich selbstsicher rüberkommen, vor allem aber so, dass mir jeder glaubte, was ich sagte. Ein Offizierskörper hatte eben Vorteile und Nachteile. „Ich weiß, ich sehe nicht danach aus, aber ich bin es, und ich steuere vom Paradies der Daina und Daima aus diesen Aktionskörper. Ich bin gerne bereit, mich jeder Form von Test zu unterziehen, um meine Aussage zu untermauern.“ Genauer gesagt lag ich in der Chamber in der Zentrale der ADAMAS und war über sie mit dem Paradies verbunden, aber wir wollten nicht zu kleinlich sein und zu sehr ins Detail gehen. „In diesem Moment bereiten die terranischen Streitkräfte der UEMF einen Hawk für mich vor, sowie sechs weitere Hawks und einen Eagle für meine Begleiter, die ebenfalls in Aktionskörpern des Cores vor Ort weilen.“ Bewusst sagte ich nicht, WER mich begleitet hatte. Diese Information würden Logodoboro und Verbündete ohnehin bald erhalten, dessen war ich mir sicher. Bis dahin sollten sie sich ruhig ein wenig Mühe geben und Ressourcen binden. „In diesem Moment spreche ich für all jene, die sich als Verteidiger des Kanto-Systems sehen.“ Ich ließ die Worte wirken. Worte waren wichtig, waren gefährlich. Konnten wie Mechas sein. Deshalb hatte ich mich auch nicht als Akira Otomo vorgestellt, sondern mit meinem Namen, unter dem ich das Haus Arogad erben sollte. Mein, nun, Kaliber sollte von Anfang an wirken. „Logodoboro-Angreifer, wer spricht für euch?“
Vor mir wurde eine Schaltung betätigt, ein Bildschirm erwachte zum Leben. Ein nicht unapartes, auf jeden Fall gut geschminktes Frauengesicht sah mir in einer Porträtaufnahme entgegen. „Ich wurde ermächtigt, für all jene zu sprechen, die das Joch der Arogad über dieses System beenden wollen.“
'Jackpot', ging es mir durch die Gedanken. „Majestät.“ Leicht neigte ich das Haupt, aber nicht zu deutlich. Sollte sie davon halten, was immer sie wollte. „Oder sollte ich sagen: Abgesetzte Majestät?“
Die Frau zeigte mit keiner Mienenregung, ob ich getroffen hatte, als ich sie daran erinnert hatte, dass sie einst Kaiserin der Iovar gewesen , und dass ich an ihrem jetzigen Status nicht ganz unschuldig war.
„Lady Arac würde mir im Augenblick vollkommen ausreichen, Meister Arogad.“
Aha, sie beherrschte die üblichen Naguad-Floskeln. Davon musste man allerdings auch ausgehen, immerhin hatte sie mit den Naguad zweitausend Jahre lang diplomatische Kontakte gehalten, und das hauptsächlich über Oren, meinen Ur-Großvater.
„Also gut, einverstanden. Lady Arac.“ Erneut nickte ich leicht. „Auf welchem Schiff kann ich Sie antreffen, Lady Arac?“
Doch eine Regung bei ihr. Ihre Augenbraue wanderte ein Stück in die Höhe. „Auf welchem Schiff?“
„Ja. Auf welchem Schiff seid Ihr, Lady Arac? Um Verhandlungen aufzunehmen muss ich zuerst an Bord kommen, oder?“ Ich stutzte kurz. Auch das hatte ich vor dem Spiegel geübt. „Ich und meine Begleiter, natürlich.“
„Verhandlungen? Ist es nicht ein wenig zu spät dafür?“
„Lady Arac“, begann ich mit leiser werdender Stimme, „Ihr habt mich kontaktiert. Ich finde, das ist ein Anfang. Was spricht bitte gegen, ah, einen Austausch an Informationen und Meinungen? Sie riskieren nichts, können jedoch viel gewinnen. Natürlich nur, falls Ihre Logodoboro-Partner und die Koromando zustimmen.“ Das war ein Schuss ins Blaue gewesen, aber intern verdächtigten wir Koromando schon seit meiner Entführung, dass sie in diesem Bürgerkrieg auf der anderen Seite steckten.
„Sie belieben zu scherzen, Meister Arogad“, sagte sie, ohne auf das Reizwort Koromando einzugehen. „Sie riskieren rein gar nichts, wenn Sie hier mit Ihren Begleitern in Aktionskörpern des Core einfallen. Ich hingegen habe dann acht AO-Meister von ungewöhnlicher Begabung an Bord, die zudem in terranischen Mechas stecken. Sie können sich vorstellen, dass sich meine Begeisterung und die meiner Verbündeten in Grenzen hält.“
„Richtig, ist riskiere nicht mein eigenes Leben oder die meiner Begleiter. Das macht es ja auch so einfach, vorzuschlagen, bei Ihnen weiterzuverhandeln, und nicht bei uns, auf der Axixo-Basis beispielsweise. Ich will fair sein und Ihnen etwas vorab verraten. Wir haben äußerst interessante Informationen für Euch und Eure Verbündeten, Lady Arac. Eine Kostprobe gefällig? Auf der Erde haben wir ein voll bemanntes Schiff der Götter entdeckt. Es handelt sich um das Schlachtschiff RASHZANZ, das einst auf der Erde versteckt wurde, um den Friedensvertrag der Erd-Dai mit den Göttern zu überwachen.“
Nun gab es eine Reaktion. Die zweite Augenbraue wanderte auch nach oben. „Erzählen Sie mir mehr.“
„Gerne. An Bord eines Schiffes Ihrer Wahl.“
„Warum sind Sie so versessen, mich persönlich zu treffen? Trägt Ihr Androidenleib eine Bombe im Bauch, die mich ins Nirgendwo bläst, sobald wir uns treffen?“
Ich lachte abgehackt. „Das würde einer Dai wohl kaum etwas ausmachen, nicht wahr?“
Zu den beiden hochgezogenen Augenbrauen gesellte sich nun eine steile Falte auf ihrer Nasenwurzel.
„Ihr wirkt überrascht, Lady Arac“, sagte ich und tat erstaunt.
„Das ist keine allgemein bekannte Information“, gab sie zögerlich zu.
„Ihr vergesst, wer meine Urgroßmutter ist: Aris Ohana Lencis, die jetzige Prätendentin.“
Ein zorniges Funkeln stand in ihren Augen, als dieser Name fiel. „Ja. Und anscheinend vergaß ich, dass diese Dame sehr umtriebig sein konnte. Und noch immer ist, wie die Zerstörung meines Palasts beweist.“
Ich räusperte mich. „Lady Arac, wer genau hat Euren Palast vernichtet? Das war nicht Aris Lencis, oder?“
„Nein, aber spielt das eine Rolle? Die Information, dass sich eine Daimon auf Iotan befand, muss von ihr oder ihren Rebellen an die Kinder der Götter weitergereicht worden sein, was zu dem Angriff führte.“
„Ihr vergesst die essentielle Information, die sich dahinter verbirgt, meine Dame“, sagte ich ernst. Also, im ernst gucken bot der Robotkörper echte Vorteile.
„Diese wären?“
„Ihr seid eine Dai.“
„Ach.“
„Die Strafer jagen die Daimon auf den Welten der Daina und Daima. Sie jagen auch die Dai, wo immer es ihnen möglich ist. Und das werden sie tun, bis sie sich sicher sein können, dass es keine Dai mehr gibt. Nirgendwo in diesem Universum.“
„Was wollen Sie tun, Meister Arogad? Den Kindern der Götter verraten, wo ich zu finden bin?“, fragte sie spöttisch, aber ich hörte durchaus den bitteren Ton heraus.
„Nichts dergleichen, Lady Arac. Im Gegenteil. Ich finde, bei einem Gedankenaustausch, Auge in Auge, können unsere Seiten beide gewinnen. Und zwar mehr als durch diese Schlacht, die sich hier anbahnt, und in der ich und meine Gefährten als Speerspitze kämpfen würden.“
„Acht Mechas mehr.“
„Acht Mechas von AO-Meistern, von besonderen AO-Meistern gesteuert, Lady Arac“, korrigierte ich.
„Mag sein, dass es mein Interesse weckt, aber nicht das meiner Verbündeten“, wiegelte sie ab.
„Gut, dann will ich eine weitere Information hinzufügen: Die Robotintelligenz, die heutzutage die Schiffe der Kinder der Götter steuert, hat nach unseren neuesten Erkenntnissen ihre Hand im Spiel in der Tatsache, dass es heute keine Götter mehr gibt.“
„Und inwiefern ist das für uns relevant?“
„Nun, ich habe gelogen. Es gibt tatsächlich noch immer Götter, zumindest deren Nachfahren. Sie kamen einst als Flüchtlinge ins Kaiserreich und verbrachten dort ein paar Generationen, bevor die Repressalien und ihr entwürdigender Status sie dazu zwangen, in neun Schiffen die Flucht anzutreten und ihr ganzes Volk mitzunehmen. Und zwar genau in der Richtung, die von ihrem Ursprungsort am geradesten fortzeigte.“
Nun erreichte ich eine besonders heftige Reaktion. Die ehemalige Kaiserin wurde blass. „Die Naguad sind... Sie sind Götter?“
„Deren Nachfahren. Das haben die Götter auf der RASHZANZ mit Hilfe ihrer medizinischen Technologie bewiesen. Ich glaube nicht daran, dass es lange dauern wird, bis die Kinder der Götter davon erfahren und ihre Schlüsse ziehen. Um genau zu sein würde es mich wundern, wenn sie nicht längst eine Probe meiner DNS hätten, um diese zu analysieren. Dabei werden sie zweifellos feststellen, dass in meinem Blut das der Dai von Lemur fließt. Und dazu das Blut der Naguad, die Abkömmlinge der vernichtet geglaubten Götter sind. Nein, lassen Sie mich das korrigieren. Ich bin überzeugt, dass die Kinder der Götter wissen, wer die Naguad sind. Die Raider-Angriffe sind ein Beweis dafür. Doch solange die Existenz der Dai wie ein Messer an ihrer Kehle gelegen hatte, waren ihre Prioritäten eindeutig.“ Ich sah ihr so gut es dieser Robotkörper vermochte in die Augen. „Fragen Sie Ihre Logodoboro-Freunde und die Koromandos, was sie tun, wenn die Kinder der Götter ihre Prioritäten ändern. Und das werden sie tun, sobald es ihnen gelingt, die Daimon der Erde und damit die letzten wirklichen Götter zu vernichten. Was dann passiert? Erzählt den Naguad doch bitte von der Vernichtung des Kaiserpalasts auf Iotan, Lady Arac.“
„Sie sind zynisch, Meister Arogad“, warf sie mir vor.
„Das gebe ich zu. Wenn ich den Tod von Milliarden Menschen nahen sehe, neige ich dazu, zynisch zu werden. Wie stehen Sie jetzt zu einem Informationsaustausch?“
Die Augen der Iovar schienen Funken versprühen zu wollen. „Ich melde mich, Meister Arogad.“
„Sie haben vier Stunden terranischer Zeit. Dann würde ich gerne hören, ob wir uns zusammensetzen wollen oder nicht. Und ich appelliere an Ihre Vernunft, tun Sie es, zum Wohle derer, die Ihnen allen folgen. Aris Arogad Ende.“
Die Verbindung erlosch, ohne dass ich Arac eine Gelegenheit gegeben hätte, sich ebenfalls zu verabschieden. Aber ehrlich gesagt rechnete ich auch nicht damit, dass sie sich den Luxus einer Verabschiedung gegönnt hätte. Wahrscheinlich würde sie jetzt das tun, was am wichtigsten war – mit ihren Verbündeten reden.

„Das hast du sehr gut gemacht, Akira“, lobte Rogan. „Vier Stunden mehr Zeit, und dann brauchen sie mindestens zwei weitere Stunden, um die Angriffsvektoren aufzunehmen. Ein Vierteltag ist gewonnen.“
„Entschuldige, dass ich die Frist nicht vorher mit euch allen abgesprochen habe.“
Ryon winkte ab. „Wir kennen Ihre spontanen Ideen und ihren Wert für das Ganze, Akira. Deshalb haben wir Ihnen auch freie Hand gegeben.“
„Und es hat sich ja gelohnt“, sagte Admiral Achander.
„Schön, dass Sie alle es so sehen.“ Ich stand auf. „Eskender, sind die Mechas bereit?“
„Die Mechas? Ja, sicher, aber glauben Sie, Sie brauchen die noch, Commander?“
„Natürlich. Vier bis sechs Stunden sind eine verdammt lange Zeit. Lang genug, um etwas zu tun, was ich schon längst hätte erledigen sollen.“
„Und das wäre?“, fragte Yoshi. „Versteh mich nicht falsch, egal, was du vorhast, ich bin dabei. Aber ich wüsste schon gerne, was du tun willst.“
„Kannst du dir das nicht denken?“
„Ich ahne was“, sagte Yohko. „Hat es mit den Daimon zu tun, die von den Kindern der Götter bevorzugt zerstört werden?“
„Richtig, Schwesterherz. Warum nicht ein paar Verbündete werben, wenn wir schon mal hier sind?“
Ich verließ die Zentrale. „Kommt, Leute, bemannen wir unsere Mechas, und dann ab mit uns. In die Daimon von Lorania.“

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Anime Evolution: Krieg
Episode fünfzehn: Der unsichtbare Kampf


Prolog:
Auf der Ebene, die Arhtur, der Bordrechner der ADAMAS, für die Künstlichen Intelligenzen der AURORA-Expedition erschaffen hatte, war mittlerweile einiges los. Ursprünglich hatte Arhtur die Ebene nur eingerichtet, um ein erstes Treffen mit Father, dem Fragment des Nagalev-Rechners HYVAR zu absolvieren, ohne seine Systeme der Gefahr auszusetzen, sich mit dem zu infizieren, was Fathers Kernrechner infiziert hatte. Das hatte sich als unnötig erwiesen, denn das Backup hatte aufzeigen können, dass nicht ein virtueller Virus dessen Ende gewesen, sondern dass zuerst eine Infektion durch Naniten erfolgt war. Seitdem man das wusste, waren die Kerne der Künstlichen Intelligenzen gegen eine nanitische Infektion noch einmal neu abgesichert worden, zumindest jene mit biologischen oder pseudobiologischen Rechenelementen, also Arhtur und die drei Bordrechner der AURORA. Als sich die schnelle Vernichtung der Ebene als nicht notwendig herausgestellt hatte, waren die K.I.s zu dem Schluss gekommen, dass man die Ebene doch weiter nutzen könnte. Und seither tummelten sich die Avatare der Schiffscomputer, der Mechas und der anderen, zu eigenständigem Denken fähigen Rechner auf der Ebene, auch, um dem nachzugehen, was die Biologischen „Vergnügen“ nannten. Seither ergaben sich die Avatare der verschiedenen Computer in allerlei sinnlosen Aktivitäten, um „Spaß“ zu haben. So zum Beispiel führten einige von ihnen gerade ein Bogenschützenturnier aus, andere hatten sich einen Fußballplatz erschaffen und spielten auf einer Hälfte mit kleinen Toren fünf gegen fünf plus Torwart. Aber das waren alles Aktivitäten, die nicht viel Rechenleistung benötigten. Auch die Avatare, die hier scheinbar unbedarft herumtollten, vergnügten sich nur nebenbei. Alle stellten sie ihre Hauptkapazitäten zur Verfügung, um die vielen Daten zu sichten, die Father aus dem Werftmond der Nagalev mitgebracht hatte, in der Hoffnung, mehr über den unbekannten Angreifer zu erfahren, der nicht nur die Werft übernommen hatte, sondern auch versucht hatte, sämtliche Bewohner auszurotten, was ihm auch beinahe gelungen wäre. Mother und Arhtur beteiligten sich selbstverständlich ebenfalls an diesen Auswertungen. Und alle hofften sie, ihren Menschen entscheidend helfen zu können. Wenngleich vieles hier neue Erfahrungen waren, vor allem für Father.

„Und das ist sicher?“, fragte Father erstaunt. „Ja.“
Die Antwort von Mother ließ ihn die Stirn runzeln. „Virtuell? Über das Paradies der Daina und Daima? Einfach mal eben so, weil der Core mit Robotkörpern vor Ort ist?“ „Ja.“
„Sofort nach der Prüfung? Und da will er jetzt kämpfen?“ „Ja.“
„Junge, Junge, ich weiß nicht, ob euer Akira spinnt oder keine Zurückhaltung kennt. Ich, wäre ich ein Mensch, wäre nach so einer wichtigen Prüfung erst mal zur Ruhe gekommen und hätte das Ergebnis abgewartet. Aber Akira nicht. Der sucht sich gleich die nächste Aufgabe. Ist er immer so?“
Diese Frage ließ Mother schmunzeln.
„Du kennst ihn länger“, wandte sich Arhtur an Mother. „Ist er immer so?“
„Nein“, antwortete sie. „Natürlich nicht.“ Als sie sah, wie sich die anderen beiden Avatare sichtlich entspannten, wandte sie sich einem weiteren Avatar zu, der sich hinzugesellt hatte. „Oder, Blue Lightning?“
Der große schlanke Avatar mit den blauen Akzenten lachte laut auf. „Nein, er ist nicht immer so. Er muss ja auch mal schlafen, was essen und andere biologische Bedürfnisse zufriedenstellen. Aber eigentlich ist er es die meiste Zeit. Wenn er etwas tun kann, und wenn er denkt, es ist eine gute Sache, könnt Ihr sicher sein, dass er es tun wird. Und er ist ein Biologischer mit erstaunlichen Möglichkeiten, und das nicht erst, seit er Reyan Maxus geworden ist.“
„Ja, das fasst es doch ganz gut zusammen“, sagte Mother lächelnd. Es lag viel Wohlwollen auf ihren Zügen.
„Ist ja nicht so, dass mich keiner vor ihm gewarnt hätte“, murmelte Father. Dafür erntete er zustimmendes Gelächter.



1.
Da saß ich also in einem Shuttle, auf dem Weg nach Lorania, in einem Offizierskörper, den der Core für mich bereit gestellt hatte, umgeben von sechs meiner Freunde und in Begleitung meiner Schwester, um auf dem Hauptkontinent die dortige Daimon aufzusuchen.
Nachdem ich gegenüber der abgesetzten Kaiserin der Iovar angedeutet hatte, kriegsverändernde Informationen zu besitzen, hatte ich dafür ein vierstündiges Zeitfenster bekommen, in dem sie und ihre Verbündeten von Haus Logodoboro und Haus Koromando darüber entscheiden würden, ob sie mich anhörten oder nicht. Ich riskierte dabei nicht sehr viel, denn immerhin lag ich in meinem Pod an Bord der ADAMAS und war darüber mit dem Paradies der Daina und Daima verbunden – und von dort führte im wahrsten Sinne des Wortes eine Leitung ins Kanto-System, in dem ich, meine Schwester Yohko, meine Verlobte Megumi, mein bester Freund Yoshi, die Anführerin der Slayer Hina sowie drei ihrer besten Slayer, namentlich Ami, Akane und Sarah diese Expedition begingen. Da wir im gewissen Umfang unsere KI-Kräfte auch in den Robotkörpern einsetzen konnten, war es ein Vorteil, von einigen der mächtigsten KI-Meister der AURORA begleitet zu werden. Warum flogen wir nicht mit den Hawks und dem Eagle, die Eskender Khaleed für uns bereit hielt? Nun, von der Zeit, die wir uns versprachen, also den vier Stunden Frist, die sich Arac erbeten hatte und von den zwei Stunden, von denen Rogan annahm, das die Flotte brauchen würde, um wieder in Angriffsformation zu kommen, waren jetzt etwa fünfzehn Minuten vergangen. Bis wir auf dem Planeten waren, würden noch mal zehn Minuten vergehen, vielleicht mehr. Dann mussten wir die Daimon aufsuchen, eindringen und mit irgend jemandem reden. Dafür waren vier Stunden plus zwei viel zu wenig, das war mir klar. Aber mit Mechas zu landen und wieder zu starten war zeitaufwändiger als ein Shuttle zu nehmen. Die eingesparte Zeit würden wir in der Daimon einsetzen können. So hofften wir zumindest.

Unmerklich berührte mein Androidenkörper den Megumis, meine Rechte berührte ihre Linke. Auch wenn wir nicht wirklich hier waren, gab es mir Sicherheit, sie neben mir zu wissen. Und das nicht nur, weil wir unsere Beziehung endlich zementiert hatten. Noch nicht ganz, aber das würde nach der ersten Geburt in unserem engsten Freundeskreis sicher auch bald kommen. Sobald die Situation uns ein wenig mehr Ruhe ließ als für meine Oberstufenabschlussprüfung, die wir auf der AURORA schlicht Abitur nannten, nach deutschem Vorbild. Apropos Abitur, wann würde ich denn erfahren, ob ich bestanden hatte? Nein, das war falsch formuliert. Ich war mir sehr sicher, dass ich irgendwo zwischen neunzig und siebenundneunzig Prozent erreichen würde. Aber wenn ich unter zweiundneunzig Prozent blieb, war es „nur“ eine 2 oder ein B bei den Amerikanern und ein E in Japan. Ich spekulierte aber durchaus auf eine 1, oder auch A oder im Japanischen F, also die Spitzennote. Und ich fand auch, dass ich mir eine solche Abschlussnote verdient hatte. Verdammt verdient hatte, nach all dem, was ich in meinem Leben schon hatte durchmachen müssen.
Kurz zog ein Teil meiner Erlebnisse vor meinem inneren Augen vorbei. Die zwei Marsangriffe, die Expedition nach Kanto – Aria, wie ging es Aria? Das Letzte, was ich gehört hatte, war, dass Oma sie unter ihre Fittiche genommen hatte – meine Erlebnisse auf Nag Prime und dann die Entführung meines Bewusstseins in den Core. Vom Rest wie dem Kampf gegen das ganze Kaiserreich Iovar und unseren beschwerlichen, gefährlichen Rückweg unter dem Feuer der Götter mal gar nicht zu reden. Und dann war da noch meine ganz persönliche Schwierigkeit, ein Reyan Maxus geworden zu sein und zu begreifen, was das überhaupt für mich und andere bedeuten würde. Leicht hatte ich es nicht gehabt, und ich gedachte, mich mit einem Einser-Abitur zu belohnen. Immerhin hatte ich jede Frage beantwortet und mich in der mündlichen Prüfung gut geschlagen. Na, wenn ein ehemaliger Colonel der United Earth Mecha Force nicht sicher im Umgang mit Worten und Fakten war, dann wusste ich es auch nicht.

Ich sah zu Akane herüber, die so nett gewesen war, meine Prüfung zu leiten, aber nicht Teil des Prüfungsausschuss war. Ehrlich, ich wusste das Privileg sehr zu schätzen, dass es einzig für meine Prüfung zusammengetreten war. „Pst, Akane-chan“, wisperte ich in ihre Richtung.
Sie zuckte zusammen, als sie meine Stimme hörte, oder vielmehr die meines Robotkörpers, die sich trotz Modifikationen noch immer reichlich fremd anhörte. Sie saß mit Hina in der Reihe direkt hinter mir, und das war jetzt mein Vorteil.
„Was willst du, Akira?“, fragte sie reichlich unfreundlich. „Wenn du Vorabinformationen zum Ergebnis deiner Prüfung haben willst, kann ich dir nicht helfen. Es hat seinen Grund, warum ich nicht Teil der Prüfriege bin.“
„Aber du...“ „Nein.“ „Aber kannst du nicht wenigstens...“ „Nein.“ „Würdest du dann wenigstens...“ „Nein, nicht mal für dich, Akira. Aber ich kann dir etwas anderes sagen. Die Auswertung deiner Bögen erfolgt auf der ADAMAS in der beschleunigten Realität. Das bedeutet, noch in dieser Stunde müsste uns eine Nachricht erreichen, ob du bestanden hast.“
Entgeistert sah ich sie an. „OB ich bestanden habe? OB?“ All meine Zweifel kochten wieder in mir hoch, und sie waren zahlreich. „Weißt du was, was ich nicht weiß, Akane-chan?“
Ich wusste nicht, wie sie es schaffte, aber sie brachte den Mund ihres Offizierskörpers dazu, die schmalen Lippen, die genauso aussahen wie die meines Aktionskörpers und daher zu so etwas eigentlich nicht in der Lage sein sollten, zu einem spöttischen Lächeln zu verziehen, dass ich genau so auch von ihr im Original kannte. „Sagen wir es mal so, Akira Aris Arogad Otomo. Wir haben sehr klare Anweisungen von der obersten Schulbehörde der AURORA bekommen, dich weder zu schonen, noch dich mit Samthandschuhen anzufassen. Das tun wir alleine schon deshalb, damit wir uns nicht dem Verdacht aussetzen, den Sohn von Eikichi Otomo zu bevorzugen. Aber zugleich haben wir auch die Anweisung, nicht zu streng zu sein, und im Zweifel eher für dich zu votieren, immerhin will keiner den größten Mecha-Piloten der Erde wegen einer kleinlichen Auslegung seine erste von zwei möglichen Abiturprüfung versemmeln sehen. So viel sind deine Orden und dein Rang dann doch wert, Commander.“
„Na danke“, murmelte ich. „Wenn es nach mir geht, habe ich mindestens mit zwei bestanden.“
Akane runzelte die Stirn und legte den Kopf schräg. „Du hattest jetzt nicht wirklich Gelegenheit, dich auf die Prüfung vorzubereiten. Und die Fragen waren Top notch, das kann ich dir versprechen.“ Sie machte eine abwehrende Geste, als ich aufbegehren wollte. „Ich weiß, Mathe kam dir leicht vor.“ Ihr Lächeln wurde ein klein wenig bösartig. „Kam. Hat dich das nicht gewundert?“
Hätte ich in diesem Moment in meinem eigenen Körper gesteckt, ich hätte vermutlich gespaltet, mein Über-Ich von meinem Es gelöst, so sehr erschrak ich mich. „A-aber in der mündlichen Prüfung habe ich doch...“ „Viel gesagt, zugegeben. Aber es kommt nicht darauf an, wie gut sich jemand ausdrücken kann, sondern nur, wie viele Fragen er richtig beantwortet, Akira Otomo.“ Ihre Miene wurde wieder neutral. „Habe keine Sorge. Du hast ja noch einen zweiten Versuch. Aber auf den würde ich mich dann besser vorbereiten, Commander.“
Ungläubig wandte ich mich wieder um, nach vorne, in Flugrichtung. Trotz Robotkörper fühlte ich ein verdammt flaues Gefühl im Magen.

„Zwei Minuten bis zum Aufsetzen“, sagte der Pilot, ein Anelph im Rang eines Majors. „Ich bringe Sie direkt da runter, wo Kitsune-sama einen Zugang zur Daimon geschaffen hat. Wir haben ihn nie gefunden, aber für Sie, Sir, wird er doch leicht zu entdecken sein.“ Er lächelte mich erwartungsvoll an. Eigentlich sah er mich an, als wäre ich Joan Reilley und er wollte ein Autogramm von mir. Das erinnerte mich daran, dass ich im Moment andere Probleme als mein Abitur hatte. Ich räusperte mich. „Nun. Ja. Ich denke schon, dass einer von uns acht den Zugang finden wird. Darum habe ich sie ja mitgebracht.“
„Und was wird Sie auf der anderen Seite erwarten, Admiral?“, fragte der Major.
Die Frage saß. Ich hatte sie mir selbst schon gestellt, und einige Daten hatte ich von Kitsune ja schon bekommen, die als Erste versucht hatte, in die Daimon zu kommen und die dortigen Bewohner zu kontaktieren. Es war zum wüsten Kampf gekommen, bei dem die Fuchsdämonin gerade so hatte fliehen können. Also, eine nette Aufnahme erwartete ich nicht von den Dämonen. Dämonen, klar. Wenn alles ganz, ganz schief lief, wussten die Bewohner der Lorania-Daimon nicht einmal mehr, dass sie gar keine Dämonen waren, sondern Dai, Wesen, die in der Lage waren, ihre eigene Körpermaterie zu beeinflussen. „Ärger wahrscheinlich. Eine Menge Ärger. Aber wir haben die hiesige Daimon schon viel zu lange ignoriert. Das wird sich jetzt ändern.“
Die Fähre setzte auf. Der Pilot, sich kurz seiner Aufgabe widmend, wandte sich wieder uns zu. „Dafür drücke ich beide Daumen, wie Ihr Terraner sagt. Sie können sich jetzt abschnallen und von Bord gehen. Mein Funker und ich warten hier mit aufgewärmten Triebwerken auf Sie, Sir.“
„Danke“, erwiderte ich, löste meinen Sicherheitsgurt und erhob mich. Ich war nicht der Erste, der die Fähre verließ, aber das musste ich auch gar nicht sein. Vor allem nicht mehr, seit Akane meine Ängste geschürt und mir einen richtig heftigen Dämpfer versetzt hatte. „Wir sehen uns in ein paar Stunden“, versprach ich der Besatzung. Dann trat ich hinaus.
***
„Wonach suchen wir?“, sagte Akane, nur eine Handbreit neben meinem rechten robotischen Ohr entfernt. Ich fuhr so erschrocken zusammen, mein Robotkörper antwortete mit einem einprogrammierten Reflex und sprang fast zehn Meter von ihr fort.
„Wow. Heftige Reaktion. Hast du jetzt Angst vor mir? Man stelle sich vor, der legendäre Blue Lightning fürchtet sich vor einer Lehrerin“, spöttelte sie.
„Es ist der Körper. Er hat einprogrammierte Reflexe, die ich nicht sofort übersteuern... Heyyyy!“ Erneut sprang mein Körper, aber dabei hatte mich nichts erschrocken, nicht einmal Akanes Aussicht darauf, dass ich meine erste Abiturprüfung versemmelt haben könnte.
„AUSEINANDER!“, rief ich, während der Offizierskörper wieder fast zehn Meter weit sprang. Mein Team reagierte sofort, sie sprangen in Richtung Shuttle zurück und streuten sich dabei ein wenig. Wir hatten alle unsere militärische Ausbildung, und die Slayer mehr als genug Kampferfahrung. Da, wo ich eben noch gestanden hatte, trat eine Säule Elektrizität wie von einem Blitz hervor und schoss in den Himmel. Ein noch viel stärkerer Blitz kam vom Himmel zurück und fuhr in den Boden. Auch dort, wo Yoshi gestanden hatte, ging so ein Blitz in den Himmel. Aber das war es dann auch.
Ich registrierte das mit Hilfe der Sensorik und Rundumsicht des Robotkörpers, noch bevor ich das zweite Mal landete. Dies tat ich nur einen Meter von Akane und Megumi entfernt. „Wir suchen nach so etwas“, sagte ich. Nicht unbedingt nach einem direkten Angriff auf uns, zugegeben, jedenfalls nicht schon kurz nach unserer Landung. Ich suchte mit den Sensoren nach der Ursache der Blitze. Mein Gespür für KI half mir gerade wenig. Wäre ich persönlich hier gewesen, hätte es vielleicht anders ausgesehen.
Yoshi sagte: „Sie verbergen sich, aber ich kann die Realität sehen, aus der sie sich entfernt haben. Es ist eine ähnliche Phasenverschiebung wie bei der Daimon selbst. Mit der gleichen Methode machen sich die Dai unsichtbar, wenn sie es müssen.“ Er deutete auf eine Position etwa hundert Meter vor uns, mitten im Grasland. „Schätze, wir haben ihre Reichweite verlassen, sonst wäre es nicht bei zwei Attacken geblieben.“
„Okay“, sagte ich, markierte die ungefähre Position der Angreifer auf der virtuellen Karte in meiner robotischen Sicht und versuchte, den unbekannten Gegner selbst zu erkennen. Es gelang mir nicht. „Wer sieht sie noch? Beziehungsweise erkennt ihre Position?“
Die Hände der sechs Mädchen gingen hoch. Verblüfft fragte ich: „Bin ich echt der Einzige, der sie nicht lokalisieren kann?“
„Himmel, Akira, du kannst nicht immer der Beste und der Besonderste sein!“, tadelte Ami.
„Darum geht es doch gar nicht. Ich würde mich nur wohler fühlen, würde ich ihre Positionen auch bestimmen können.“ Zumindest hoffte ich, dass ich die Wahrheit sagte und dass hier nicht mein gerade frisch verletztes Ego gesprochen hatte.

Ich breitete die Arme aus und ging langsam bis zu jener Stelle zurück, an der ich gestanden hatte und in die der Blitz gefahren war. Das heißt, ich hielt ein paar Meter Abstand, denn eventuell war dies die Reichweite für den Angriff mit dieser Waffe oder Methode. Ich hielt die Handflächen so, dass unsere unbekannten Gegenüber sehen konnten, dass sie leer waren. „Nicht angreifen!“, rief ich auf Nag-Alev. „Wir haben im Moment keine feindlichen Absichten!“ Ich hätte auch den Anelph-Dialekt sprechen können, aber ich war mir sicher, besser damit zu fahren, wenn ich gleich klarmachte, dass ich kein Hiesiger war.
Gelächter, abgehackt und rau, klang mir entgegen. „Im Moment. Immerhin ist das Ding da ehrlich“, sagte eine heisere Männerstimme. „Verschwinde wieder dahin, wo du her gekommen bist!“
„Yoshi, wie viele sind es?“, fragte ich über den eingebauten Funk. Ehrlich, diese Offizierskörper waren praktisch.
„Fünf. Vielleicht sechs, aber dann stehen zwei von ihnen nahe beieinander“, klang seine Stimme in meinem Ohr auf.

„Ich habe eine Frage!“, rief eine Frauenstimme.
„Ich beantworte jede Frage, die ich beantworten kann!“, rief ich zurück.
Vor mir schälte sich eine Frau aus dem Nichts. Sie war groß, aber nicht zu groß, jung, dunkelhäutig wie ein Pygmäe, hatte aber eher die Gesichtszüge eines Indianers. Inklusive Hakennase, wenngleich nicht so sehr, dass ich dies als unattraktiv empfunden hätte. Sie hatte langes, weißes Haar, das ihr bis zur Hüfte reichte, und auf ihrem Rücken entspannten sich zwei wirklich schöne Falkenflügel, die sie gerade benutzte, um sich in die Luft zu versetzen, ein paar Meter zu fliegen und etwa auf halber Strecke zu mir wieder zu Boden zu kommen. Als sie näher kam, bemerkte ich, dass die dunkle Haut aus Schuppen bestand. Auch züngelte eine Reptilienzunge aus ihrem Mund, während sie flog. Ich erinnerte mich an Kitsunes Bericht über diese Daimon und dass die meisten Bewohner Schimären waren. Die Frage war halt, traten sie so auf, oder glaubten sie, Schimären zu sein? Immerhin, Akari hatte Jahrhundertelang geglaubt, ein toter Mensch zu sein, der zum Oni geworden und in einen Schrein verbannt worden war, den ich versehentlich zerstört hatte. Bis zu ihrer Menschwerdung dauerte es dann noch ein wenig. War das wirklich erst ein paar Jahre her?
„Ich bin Akira“, sagte ich. Die Schimäre zeigte ihre leeren Hände. „Ich bin Kunox aus der Traumfalle.“
„Es freut mich, dass du mit mir reden willst, Kunox aus der Traumfalle.“
„Es freut mich, dass du zuerst mit mir redest.“ Sie deutete auf meine Begleiter. „Die da. Du hier. Bedeutet das, die Daimon wird zerstört werden?“
„Ja, was zum... Nein! Nein, warum sollten wir?“, fragte ich verblüfft.
Dies schien sie zu verwirren. „Ihr benutzt doch Aktionskörper des Cores, oder nicht?“
„Offizierskörper!“, rief jemand, und ich glaubte, Sarahs Stimme zu erkennen.
„Offizierskörper. Also seid Ihr ranghöher.“
Ich zuckte die robotischen Achseln. „Wenn man es genau nimmt, sind wir hier in Aktionskörpern des Cores. Und ich bin zufällig in genau diesem Moment der Oberbefehlshaber seiner Streitkräfte. Also glaube mir, ich müsste wollen, dass die Daimon zerstört wird, damit die Raider es versuchen, und dann ist es noch lange nicht gesagt, dass es klappen würde.“
„Hat sich etwas geändert?“, fragte sie erstaunt. „Arbeitet der Core nicht mehr für die Götter? Sucht Ihr keine Daimons mehr, die Ihr zerstören könnt?“
„Äh. Ja, nein und nein. Es hat sich was geändert, der Core arbeitet schon seit einiger Zeit nicht mehr für die Götter und wir erkunden auch keine Daimons mehr für sie. Aber ihre Schiffe der Straferklasse könnten eine Daimon zerstören, das ist richtig.“ Sollte ich die RASHZANZ erwähnen? Nun, vielleicht sollte ich nicht zu viele Informationen auf einmal hergeben.
Misstrauisch sah die Schimäre mich an. Nicht, dass ich nicht auch schon exotischere Dais gesehen hätte. „Du sagtest, du bist Oberbefehlshaber des Cores? Jetzt im Moment?“
„Und sicher auch danach noch eine ganze Zeit lang.“
„Aber du gehörst nicht zum Core. Nicht in dem Sinne. Ihr anderen auch nicht. Ihr habt begrenzte AO-Fähigkeiten.“
Wieder zuckte ich die künstlichen Schultern in der Hoffnung, dass Kunox diese Geste richtig deutete. „Ja, wir haben alle AO-Fähigkeiten. Wenn wir in unseren eigenen Körpern stecken, sogar erhebliche AO-Fähigkeiten.“ Ich beschloss, alles auf eine Karte zu setzen. „Ich selbst bin ein Reyan Maxus. Wahrscheinlich der einzige in der ganzen Milchstraße.“
Erschrocken flog Kunox auf und flatterte ein paar Meter zurück, bevor sie ihre heftigen Emotionen im Griff hatte und wieder landete.
Gelächter erklang von der versteckten Gruppe. „Lass dich doch nicht so leicht hoch nehmen, Kunox!“, rief die raue Männerstimme. „Gut, sie wissen von den Reyan, aber ausgerechnet dieses Würstchen mit der AO-Fähigkeit eines Kindes will ein Reyan Maxus sein?“
„Wir werden sehen, Sokal, wir werden sehen.“ Sie wandte sich wieder mir zu. „Akira ist dein Name, sagtest du? Akira...“ Sie rollte den Namen wie Wein auf der Zunge. „Akira Otomo?“
Ich verbeugte mich leicht. „Ich bin erfreut, dass man mich hier kennt.“
„Und du bist Oberbefehlshaber des Cores?“
„Eine lange Geschichte“, bestätigte ich.
„Und du kommandierst die Naguad-Flotte, die gerade dabei ist, Lorania zu verteidigen?“
„Äh, nein, das macht Admiral Achander. Aber ich werde an der Schlacht teilnehmen. Ein terranischer Banges steht für mich bereit, ebenso für meine Begleiter.“
Triumphierend sah Kunox nach hinten. „Akira Otomo! Ihr habt von ihm gehört, Leute!“
„Ein Terraner. Schön und gut. Aber weißt du, wer uns jetzt helfen würde, wer uns wirklich helfen würde?“, rief die raue Männerstimme. Eine Gestalt schälte sich aus dem Nichts. Sie erinnerte mich spontan an Ganesha, den Elefanten-Mensch-Hybridgott. Allerdings war Ganesha nicht gelb. „Aris Arogad, der wäre uns jetzt eine Hilfe!“

Hinter mir raunten meine Freunde auf. Mehrere Finger zeigten auf mich, was unhöflich war, aber jetzt war nicht die Zeit, um darüber zu lamentieren. „Aris Arogad“, sagte meine Schwester. Sie zeigte auf sich. „Jarah Arogad.“ Dann auf Megumi. „Solia Kahlis von den Daness. Falls euch das interessiert.“
Der Elefantenhybrid rieb sich die Stirn. „Junge, Junge, das muss ich erst mal verdauen. Ich schätze, wir brauchen einen besseren Ort als diesen für unsere kommende Unterhaltung. Stimmst du zu, Kunox?“
„Natürlich stimme ich zu.“ Sie flog auf, bis zu mir, landete und kam mir so nahe, dass nur noch eine Hand zwischen uns gepasst hätte. Senkrecht, nicht waagerecht. „So, so. Du bist also auch noch Aris Arogad. Akira Otomo, Oberbefehlshaber des Cores, Erbe des Hauses Arogad, AO-Meister, und jetzt auch noch Reyan Maxus. Gibt es noch etwas, was ich wissen sollte?“
Ich dachte einen Augenblick nach. „Mit ein wenig Glück kriege ich auch noch meine Zulassung für ein freies Hochschulstudium.“
„Ein was?“
„Okay, das ist vielleicht tatsächlich nicht relevant für euch. Gehen wir dann?“
„Wohin?“
„In die Daimon. An einen bequemeren Ort. Wir könnten es eilig haben, weil Kaiserin Arac, Haus Logodoboro und Haus Koromando in etwas mehr als drei Stunden entschieden haben werden, ob sie uns angreifen oder nicht. In spätestens fünfeinhalb Stunden sollten wir alle in unseren Banges sitzen.“
„Ich denke, das wird reichen. Für eine erste Erklärung beider Seiten. Dass Ihr den Krieg nicht direkt zu uns bringen wollt, ist klar. Aber solltet Ihr uns als Söldner haben wollen, wird unser Preis sehr hoch.“
„Ich brauche keine Mammonsöldner ohne Mitspracherecht. Ich brauche gleichberechtigte Partner, die aus Überzeugung mit mir ihre Leben riskieren“, sagte ich, bevor ich richtig über meine Worte nachgedacht hatte.
„Gut reden kannst du ja, Akira Otomo.“ Sie machte eine Geste, und zwischen uns beiden und der Gruppe um Sokal entstand ein Energiewirbel, der mich stark an die Portale aus Stargate erinnerte. Tolle Serie übrigens, und hätte mehr als zehn Staffeln verdient gehabt.
„Kommt. Ihr auch, AO-Meister. Wir reden auf der anderen Ebene weiter.“
Ich folgte Kunox ohne zu zögern. Wenn sie von mir gehört hatten, würden sie wissen, dass man mit mir keine Dummheiten machen sollte. Auf dem Rundumsichtdisplay in meinem Kopf sah ich, dass meine Freunde zu mir aufholten und sich drei weitere Schimären aus dem Nichts schälten. Alle strömten wir dem Wirbel entgegen.


2.
Kunox aus der Traumfalle führte uns durch den Wirbel. Auf der anderen Seite erwartete uns ein weites Hügelland, das rein gar nichts mit der Ebene zu tun hatte, auf der wir den Eingang in die Daimon gesucht hatten. Ich schätzte die Entfernungen ab und kam auf einen soliden Durchmesser von gut einhundert Kilometern. Bevor ich kläglich in Kopfrechnen scheitern konnte, lieferte mir der Offizierskörper eine Flächenberechnung bis zur neunten Nachkommastelle, wenn von einem exakten Durchmesser von einhundert Kilometern ausgegangen werden musste – und Daimons neigten dazu, kreisrunde Kuppeln zu sein, weil diese am einfachsten aufrecht zu erhalten waren. Damit hatte das Ding hier eine Fläche von mehr als siebentausendachthundert Quadratkilometern. Das reichte aus, um eine Stadt mit zwei Millionen Einwohnern zu beherbergen. Aber ich bezweifelte, dass es so viele Dai in dieser Daimon gab.
„Da hinten müssen wir hin“, sagte Kunox. Sie machte einen Step auf den Ley-Linien, zwei ihrer Begleiter folgten ihnen, wie natürlich schlossen Yoshi, ich und die Mädchen an, darauf folgten die letzten beiden Dai. Ich fühlte, wo Kunox die Ley-Linie verlassen hatte und trat ebenfalls aus. Auch meine Begleiter folgten, inklusive unseren Aufpassern. Wir standen vor einem Gebäude, das ich von außen als Amphitheater beschrieben hätte, und das es wohl auch war. Die Vogelhybride winkte uns zu einem Eingang. Wie groß war das Ding? Doch nicht größer als ein normaler Theatersaal, keinesfalls so groß wie das Ding in Rom, schloss ich.
Wir betraten den Eingang, und als wir es taten, ging irgendwo eine Sirene los.
„Unsere Struktur ist anarchistisch“, erklärte die Hybride. Vor meinen Augen legte sie alle tierischen Züge ab und wandelte sich komplett zu einer Menschenfrau. „Das bedeutet, wir wählen kein Oberhaupt, sondern treffen alle Entscheidungen im Kollektiv. Das erfordert natürlich, dass jeder Einzelne dazu aufgefordert ist, für die gesamte Gemeinschaft Entscheidungen zu treffen und sich dann vor dem Kollektiv zu verantworten. Es ist kein sehr schnelles und sicher kein sauberes System, aber für uns funktioniert es. Eure Ankunft bedeutete, dass ich und meine vier Begleiter in die unschöne Lage versetzt wurden, mit der Situation umzugehen und uns anschließend dafür zu rechtfertigen. Unsere Entscheidung ist, euch mit in die Daimon zu nehmen, Akira Otomo. Dafür werden wir uns jetzt rechtfertigen müssen. Die Sirene dient dazu, alle Bewohner der Daimon zusammenzurufen.“ Sie lächelte ein verschmitztes Lächeln. „Es dauert ein paar Minuten, und einige werden nicht kommen. Aber wer nicht da ist, darf auch nicht mit entscheiden. Zumindest der Part hat die letzten Jahrhunderte immer gut funktioniert.“
Wir gingen durch einen langen, dunklen Gang. Als wir durch den Ausgang traten, hatten sich die Ränge des Theaters bereits gefüllt, etwa zu einem Drittel. Aber es kamen permanent neue Gäste an, und die meisten reisten über die Ley-Linien. Gut, einige flogen auch ein, und das nur teilweise mit Flügeln.

„Wie viele...?“, fragte ich. „Wir? Achthundertvierunddreißig. Allesamt Dai.“
Okay, das war eine erkleckliche Zahl. Ich kramte in meinem Gedächtnis, wie viele Dai meine Cousine Sakura auf East End im Hangar der ADAMAS aufgenommen hatte. Achthundert und ein paar. Dazu achtzigtausend Daina, die vor dem Bombardement, das East End zerstört hatte, im Hangar Zuflucht gefunden hatten.
„Daina oder Daima beherbergt die Daimon nicht?“, vergewisserte ich mich. Ich wusste nicht, ob rund achthundert Dämonen für eine Daimon üblich viel oder unüblich wenig war. Aber auf jeden Fall hatten sie eine Menge Platz.
„Es gibt nur uns Dämonen“, erklärte Kunox. „Was sind Daina und Daima?“
Das brachte mich in Verlegenheit. Sie führte uns auf ein Podest, das vom Theater wie beim griechischen Vorbild halbkreisförmig von den Zuschauertreppen umrahmt wurde. „So nennen wir die menschlichen Nicht-Dai. Jene, die näher an Terra leben, sind Daina, jene, die weiter entfernt leben, Daima. Das habe nicht ich eingeführt, das waren die Daina und Daima selbst. Das geht so weit, dass sie sich im virtuellen Paradies des Cores auch in Daina und Daima aufteilen. Quatsch, wenn du mich fragst, aber wo freier Wille im Spiel ist, gibt es neben den guten Aspekten eben auch immer etwas Unsinn.“
„Ich verstehe.“ Ihr Äußeres veränderte sich. War sie nach ihrer Umwandlung von der Hybride zur Menschenfrau nackt gewesen, aber ohne primäre Geschlechtsmerkmale auszubilden, entstand nun ein bauschiges Kleid aus weißen Federn, das in ihrem Nacken einen großen, weißen Fächer bildete. Alles in allem wirkte das Kleid, als käme es aus dem Barock und hätte ein Untergestellt und ein Dutzend Unterröcke. Sie musste es leicht anheben, um darin gehen zu können.
„Nervös?“, fragte ich. „Ich meine, wegen dem pompösen Kleid.“
„Ja, etwas“, gestand sie. „Es war vor allem meine Entscheidung, euch reinzulassen. Es kann nichts schaden, sich etwas aufzuhübschen, um die Anderen unterschwellig für mich positiv zu stimmen.“
Ich grinste, soweit meine Mimik dazu in der Lage war. „Das ist vollkommen verständlich.“

Kunox und ihre vier Begleiter, die sich ebenfalls aufgehübscht, aber nicht alle zu Menschen gewandelt hatten, dirigierten uns in die Mitte der Bühne. Auf den Rängen war nun kaum noch ein Platz frei, und ein allgegenwärtiges Raunen lag über dem Theater.
Die Frau im weißen Federkleid hob beide Arme. Sofort trat fast so etwas wie Stille ein. Nur noch einige wenige Dai tuschelten untereinander, und das auch nur, bis sie Kunox' wütenden Blick auf sich spürten. Als alles still geworden war, nahm sie die Arme wieder ab. „Ich bin Kunox aus der Traumfalle, und ich habe euch zusammengerufen, weil es meine Entscheidung war, diese acht Fremden einzulassen.“
Hinter ihr wurde leise gemurrt. „Nun gut, es war unsere gemeinschaftliche Entscheidung.“ Das stellte ihre Dai-Begleiter zufrieden.
„Ihr seht hier acht Robotkörper des Cores, genauer gesagt Offizierskörper mit besonderen Fähigkeiten. Unter anderem hat es die Bewusstseine, die sie gerade steuern, dazu befähigt, auf den Ley-Linien zu reisen.“
Lautes Raunen auf den Rängen setzte ein. Jemand, ein bulliger Bursche, der wie ein wrestlendes Kaninchen aussah, rief eine Frage. „Heißt das, die Trägerbewusstseine sind AO-Meister?“
„Ja. Alle acht sind AO-Meister. Das ist einer der Gründe, warum ich sie einließ. Die Schlacht, die bald über Lorania beginnen wird, ein anderer Grund.“
„Was geht uns die Schlacht da draußen an?“, rief ein schlankes Mädchen mit Krokodilkopf. Junge, die alten Ägypter hätten am vielfältigen Anblick dieser Dai ihre helle Freude gehabt. „Hier drin sind wir sicher, egal, was draußen passiert! Meinetwegen können deine AO-Meister hier drin Schutz suchen, so nett sind wir dann doch!“
Ein paar zustimmende Worte klangen auf, aber eine Mehrheit war das nicht.
„Es gibt da etwas, was unsere Gäste wissen müssen“, sagte Kunox. Von ihrem Platz in der Mitte des Theaters trug ihre Stimme ohne großen Aufwand bis zum höchsten Rang hinauf. „Viele hier halten den Krieg, der uns den Core auf den Hals gehetzt hat, für ein Märchen, für eine böswillige Legende, mit der man Kinder erschreckt. Ich tue das nicht, aber das weiß jeder hier. Fakt ist, dass er für uns nicht relevant ist, solange der Core unsere Heimat nicht aufgespürt hat.“
„Was du ja gerade erfolgreich torpediert hast!“, rief jemand, der aussah, als wären zwei Echsen und drei Säugetiere in einen Mixer geraten, und jemand hätte sich die Mühe gemacht, zwei Augen, ein Maul und eine Nase herauszusuchen und miteinander zu einem Gesicht zu kombinieren, unabhängig davon, ob die Teile zusammenpassten oder nicht.
„Dazu muss ich sagen, dass der Core nicht länger Dämonenwelten sucht und sie der Vernichtung preis gibt!“, sagte sie lauter. Die Wirkung trat beinahe sofort ein. Ein sehr erfreutes Raunen ging durch die Menge. Das waren definitiv gute Nachrichten.
„Beweise es!“, rief das Krokodil.
„Später. Ich muss erst meine Erklärung fortsetzen. Jedenfalls verbargen sich unsere Vorfahren in dieser Daimon und blieben für sich. Fünfzigtausend Jahre lang. Denn wenn wir draußen entdeckt worden wären, wäre die Daimon entdeckt worden, und wäre die Daimon entdeckt worden, hätte nicht nur die Gefahr bestanden, dass sie ausgelöscht worden wäre. Lorania wäre sicher nicht die letzte Welt gewesen, die die Götter sicherheitshalber bis zur Sterilisation gebombt hätten.“
„Das ist richtig“, sagte Yoshi. Er hatte East End und West End mit eigenen Augen gesehen. Er wusste, wovon er sprach. Ich nickte ihm zu.
„Als die Naguad nach Lorania kamen und Streit mit den Anelph ausbrach und Elwenfelt und Logodoboro einfach so Tatsachen schufen, kamen ihre KI-Meister auch in diese Daimon. Was erstaunlich ist, weil niemand sie eingeladen, niemand sie hereingelassen hatte. Sie machten uns sehr heftig und sehr kurzfristig klar, dass die Naguad es nicht wünschten, dass wir in den Prozess der Kolonisierung des Kanto-Systems durch Haus Elwenfelt eingriffen. Es gab einen Vertrag, und dieser wurde bis zum heutigen Tag eingehalten.“
Zustimmendes Raunen und Nicken begleitete ihre Worte.

Als die Stimmen wieder abgeebbt waren, fuhr sie fort. „Dann, letztes Jahr, besuchte uns eine junge Dai von der Erde. Sie hieß Kitsune und nannte sich die Herrin der Fuchsdämonen. Sie war mit Akira Otomo und der Flotte der Menschen ins System gekommen und hatte die Aufgabe erhalten, mit uns Kontakt aufzunehmen.“
Ich hörte, wie mein Name wie eine Welle durch das Amphitheater ging. Der Tenor war grundsätzlich positiv, nur einige wenige sprachen ihn in einem negativen Tonfall aus.
„Sie erfragte von uns, ob wir bereit waren, die Anelph in ihrem Kampf um Unabhängigkeit zu unterstützen. Wir fragten sie, ob sie mit unserer Hilfe einen Sieg garantieren könne. Aber sie sagte, es ginge nur darum, die Evakuierung von ein paar Millionen Anelph sicher durchzuführen. Danach würden die Terraner wieder abziehen. Das war uns zu vage für den Preis, die Existenz der Daimon dem Core gegenüber zu verraten und unsere Vernichtung und die von Lorania zu riskieren. Also warfen wir Kitsune aus der Daimon raus. Nicht auf besonders nette Art, und hätten wir gewusst, dass die UEMF doch bleiben würde, hätten wir uns vielleicht anders entschieden. Aber mir scheint, mit der Ankunft dieser acht AO-Meister haben wir eine neue Chance erhalten, für Lorania und die Anelph im engsten Sinne aktiv zu werden. So wir dies wünschen.“ Sie sah mich an. „Erklärung genug?“
Ich nickte. „Jetzt kann ich einige meiner Erfahrungen besser einordnen und sehe mehr vom Großen und Ganzen, danke.“

„Wenn deine Erklärung beendet ist, Kunox“, rief das Krokomädchen, „dann sag uns, woher du weißt, dass der Core uns nicht mehr sucht!“
Sie deutete auf mich. „Weil dieser AO-Meister hier der Oberbefehlshaber der Streitkräfte des Cores ist!“
Tumultartiger Lärm klang auf. Einige Dämonen setzten zum Sprung auf mich an. „Es ist Aris Arogad!“, klang Kunox' Stimme kraftvoll bis in den letzten Winkel des Theaters. Wieder wurde es still, so still, dass man die sprichwörtliche Stecknadel hätte auf dem Boden aufschlagen hören können. Diejenigen, die auf dem Sprung gewesen waren, verharrten. Zwei von ihnen, die es bereits auf die Bühne geschafft hatten, hielten inne, einer hatte die rechte Hand mit einigen beeindruckenden Krallen nur noch Zentimeter von meinem Gesicht entfernt gestoppt.
„Es ist wahr!“, rief ich. „Ich bin Aris Arogad! Oder wenn Ihr es wollt, Akira Otomo. Das eine ist mein terranischer Name, das andere mein Naguad-Name! Und ja, es stimmt, ich bin Oberkommandierender des Cores! Der Core HAT mit den Göttern gebrochen, seine Stammwelten verlassen und flieht nun zusammen mit der AURORA in Richtung Terra! Wir verrichten nicht länger die Drecksarbeit für die Maschinenschiffe der Götter! Und wir helfen ihnen auch nicht, weitere Daimons zu suchen und zu zerstören! Das ist hiermit vorbei! Damit seid Ihr in der Daimon Lorania noch nicht sicher, aber sicherer als zuvor!“ Ich sah in aufgesperrte Münder, glotzende Augen und auf mich gerichtete Ohren in jeder Form und Farbe. „Und ich bin ein Reyan Maxus geworden“, fügte ich etwas leiser an.
„Was bedeutet das für uns? Abgesehen von dem „Wir sind sicherer, aber nicht außer Gefahr“-Part?“, fragte das Krokodilmädchen.
„Das, meine lieben Dai“, sagte ich und breitete die Arme aus, „müsst Ihr leider allein entscheiden! Ich kann euch nur die veränderte Situation schildern, und euch sagen, dass ich für den Core spreche, Erbe des Hauses Arogad bin und daher selbstständig einige Entscheidungen treffen und Versprechen geben kann, und dass ich als ranghoher Stabsoffizier auf für Terra spreche! In einem begrenzten Umfang darf ich sicher auch für das Kaiserreich Iovar sprechen, seit ich bei der Befreiung von Kaiserin Arac geholfen und einen Machtwechsel herbeigeführt habe!“
„Gibt es noch irgendwas Wichtiges? Zum Beispiel, dass du das Universum erschaffen hast, oder so?“, spöttelte jemand.
Für einen kurzen Moment dachte ich nach. „Nein, ich denke, das war so auf die Schnelle alles Wichtige!“ Ich deutete auf meine Begleiter. „Dies ist meine Schwester Yohko, auch bekannt unter dem Namen Jarah Arogad! Neben ihr steht meine Verlobte, Megumi Uno, die mit Naguad-Namen Solia Kahlis heißt und in der direkten Erbfolge für den Daness-Turm steht! Daneben steht Yoshi Futabe, hochrangiger Offizier der Hekatoncheiren! Und die vier anderen sind die Youma Slayer, besser bekannt als Hina Yamada, Sarah Anderson, Ami Shirai und Akane Kurosawa, alle vier wichtige und mächtige Wegbegleiter der AURORA-Expeditionen! Wir haben etwa drei Stunden Zeit, bevor wir uns auf die Schlacht vorbereiten müssen! In diesem Zeitraum steht jeder von uns acht euch für Fragen und Antworten zur Verfügung! Natürlich wäre mir eure Unterstützung mehr als recht, selbst wenn nur ein Teil von euch sie leistet! Aber eure Neutralität ist zumindest nicht negativ für uns! Ich frage euch, Dai von Lorania, wie soll unser Verhältnis in Zukunft ausschauen? Nehmt euch Zeit, aber nicht zu viel und lasst uns reden!“ Das bedeutete pro Nase etwas mehr als einhundert Dai, um die wir uns würden kümmern müssen.
Kunox' Rechte legte sich auf meine Schulter. „Das war gut“, raunte sie mir zu.
„Man schnappt so einiges auf, wenn man ein paar hundert Lichtjahre durch die Galaxis reist“, raunte ich zurück. Aber das war vielleicht etwas untertrieben interpretiert.
***
Nach nicht ganz drei Stunden verließen wir acht die Daimon wieder. Aber diesmal hatten wir Begleitung. Als das Kollektiv der Dai von Lorania festgestellt hatte, dass der Vertrag mit den Naguad seine Gültigkeit verloren hatte und dass der Core nicht länger Daimons aufspürte, um sie vernichten zu helfen, wurden die Prioritäten der Dämonen neu gesetzt. Nachdem die größten Nachteile einer Einmischung aus der Welt geschafft waren, hatten sie entschieden, mit den Anelph und den Verteidigern Loranias zu kooperieren. Allerdings sollten dies nur jene tun, die sich freiwillig dazu bereit erklärten. Am Ende waren dies fast zwei Drittel gewesen, und jetzt im Moment begleiteten uns Kunox, Sokal und drei weitere Dai, die Holler, Lantagandabria und Notz hießen, um mit dem Oberkommando zu konferieren, um ihre Hilfe anzubieten. Es würde etwas spät sein, ihnen die Steuerung eines Hawks beizubringen oder die Steuerung eines Schiffs, geschweige denn seiner Waffensysteme. Aber sie waren Dai, und sie würden auf jeden Fall eine Bereicherung sein. Auf meinen Wunsch hin hatten alle fünf auf ihre Schimärenkörper verzichtet und traten als Menschen auf. Es war vielleicht unklug, mit Tierkörperteilen vom eigentlichen Sinn des Treffens abzulenken.
„Unsere Gäste aus der Daimon“, erklärte ich dem Piloten, als wir die Fähre betraten. „Sie kommen mit uns auf die AROGAD.“
„Verstanden, Sir. Bisher liegt kein Signal von der Flotte vor, die Angreifer betreffend. Es scheint, als haben wir noch Zeit. Bitte anschnallen. Ich starte, sobald alle gesichert sind.“
Ich nahm meinen alten Platz wieder ein, Megumi setzte sich neben mich. Auch unsere Gäste setzten sich und bekamen von den anderen einen Crashkurs darin, wie der Sechs-Punkte-Gurt zu schließen und wieder zu lösen war. Als alle gesichert waren, zog der Major seinen Schlitten sofort vom Boden hoch und machte sich an den Aufstieg in Richtung Orbit.
Sein Funker sah auf. „Admiral!“ „Ja?“, antwortete ich automatisch.
„Die AROGAD ruft uns. Es liegt eine Eilmeldung von der AURORA vor, adressiert an Sie persönlich, Sir!“
„Eine Eilmeldung? Stellen Sie durch.“ Statt aber Rogan zu sehen erschien meine Cousine Sakura auf dem Monitor, der die Kommunikation darstellte. „Akira.“
„Cousinchen. Ist was passiert? Sollen wir zurückkommen?“
„Das ist es nicht. Ist Akane-sensei auch in der Nähe? Ah, ich sehe deine Hand, okay.“
Ich fühlte, wie mir ein wenig kalt wurde, vor allem auf dem Rücken und am Magen. „Was ist es dann?“
Meine Cousine war bildhübsch, das stand außer Frage. Und selbst dieses wehmütige, bedauernde Verziehen ihres Gesichts, eingerahmt von ihrem goldenen, langen Haar, konnte diesen Eindruck nicht mindern. Aber ihre Mimik machte mir mehr als ein klein wenig Angst. „Akira, es geht um dein Abitur.“
„Ist was mit meinem Abitur?“, fragte ich, merklich nervöser werdend.
„Oh, ist das diese Fachhochschulreife, von der du erzählt hast, Akira Otomo?“, frage Kunox.
„Jetzt bitte nicht, Kunox“, wehrte ich ab.
„Es ist...“, begann Sakura, sah fort, sah wieder zu mir herüber. „Du hast da ein paar Fehler zu viel gemacht, Akira. Es... tut mir leid.“
Ich fühlte mich, als würde ich in ein bodenloses Loch stürzen, als wäre ich nicht einfach nur im freien Fall, sondern würde auch noch beschleunigt werden. Wäre ich in diesem Moment in meinem Körper, ich hätte mich vor Aufregung übergeben. Wahrscheinlich tat ich das auch, bekam es aber nicht mit, solange ich im Paradies steckte. Konnte das sein? War ich durchgefallen? Hatte ich meinen ersten Schuss aufs Abi versaut? War meine Vorbereitung doch zu schlecht gewesen? War ich doch nicht so schlau, wie ich immer gedacht hatte?
Ein mitleidiger Blick traf mich, der größere Männer als mich zur Verzweiflung getrieben hätte. „Du hast leider nur eine Zwei Plus, Akira. Wie ich sagte, zu viele Fehler.“ Ihre mitleidige Miene wurde spöttisch. „Aber es gibt sicher schlimmeres, als seine Fachhochschulreife mit einer Zwei Plus zu erlangen, findest du nicht auch?“
Ich merkte, dass ich nicht atmete. Also nicht mein Ich im Robotkörper, sondern mein Leib in der Kapsel auf der ADAMAS. Also holte ich erst einmal Luft. „DU!“, sagte ich drohend in Richtung meiner Cousine. Dann wandte ich mich dem Sitz hinter mir zu. „Und auch du, Akane Kurosawa! Wie könnt Ihr mir das antun? Ich dachte echt, ich bin durchgefallen!“
Und dafür wurde ich ausgelacht. Ausgiebig. Von meinen eigenen Freunden. Toll.

„Ach du meine Güte“, rief ausgerechnet meine Schwester. „Der große Akira Otomo hat sein Abitur nur mit einer Zwei bestanden. Ob jetzt irgendein Sternenreich untergehen muss, weil du versagt hast? Weil du wie ein normaler Mensch mal nicht die Höchstnote erreicht hast?“
„Musst du darüber spotten? Eine Zwei ist mir egal, denn bestanden ist bestanden, aber die da und die da, die haben mich glauben lassen, ich wäre durchgefallen!“, sagte ich, mit der einen Hand auf Akane deutend, mit der anderen auf Sakura. Ich massierte meine Schläfen, auch wenn ich den positiven Effekt im Robotkörper nicht wirklich spüren konnte. „Und das war überhaupt nicht nett von euch.“
„Oh“, machte Akane. „Nett war es in der Tat nicht. Aber dafür lustig.“ Leises Lachen bestätigte ihre Worte. „Und sei doch ehrlich. Tut es nicht mal gut, nach all den Geschichten vom Commander der gesamten UEMF, Regimentschef der Hekatoncheiren, Erbe des Hauses Arogad, Oberbefehlshaber des Cores und Zerstörer des Kaiserreichs Iovar mal was schrecklich normales zu erleben?“
Verblüfft zog ich die Augenwülste hoch. Wenn man es so betrachtete... „Eventuell ja. Ich meine, bestanden ist schließlich bestanden, oder? Und das war doch all die Jahre nach dem zweiten Marsangriff immer mein Ziel.“
„All die Jahre, hört, hört“, spottete Ami.
„Und es erlaubt mir die Chance, mich bei euch beiden zu revanchieren“, sagte ich, das dämonischste Grinsen aufsetzend, zu dem der Offizierskörper in der Lage war.
„Und das aus Akiras Mund. Wer's glaubt“, meldete sich Sarah zu Wort. „Du bist ja noch harmloser als Daisuke, und das will was heißen.“
„Das heißt aber nicht, dass ich keine Ideen für eine Retourkutsche hätte.“ Ich hoffte, dass das gut rübergekommen war. Denn wenn ich ganz ehrlich war, hatte ich absolut keine Idee, wie ich mich dafür würde rächen können.
Eine Hand langte nach mir. Sie gehörte Yoshi. Er musste nichts sagen, nichts in seinen Blick legen, nicht zwinkern. Ich wusste auch so, was die Geste bedeutete. Und das machte mich zufrieden. Auf meinen besten Freund war Verlass.
„Vergessen wir hierbei nicht was Wichtiges? Herzlichen Glückwunsch zur Hochschulreife, Commander“, sagte er.
„Danke, alter Freund.“
Nun hagelte es Gratulationen. Das machte mich verlegen, denn jeder meiner Freunde hatte die Hochschulreife lange vor mir erlangt, während ich mich nach einem missglückten Säureattentat in einer UEMF-Firma auf dem Mond als Testpilot versteckt hatte. Das war eine ruhige Zeit gewesen, in der Ai Yamagata meine gute Freundin geworden war. Eine Zeit, die mir eigentlich sehr gut getan hatte, bis die Ereignisse mich wieder überrollt hatten. Manchmal brauchte man einfach etwas Abstand, um wieder Nähe zulassen zu können. Und wenn ich daran dachte, dass diese Nähe den Namen Megumi trug, war die Zeit doch wieder viel zu lang gewesen. Ich konnte wahrscheinlich froh sein, dass sie auf mich gewartet hatte. An Verehrern hatte sie jedenfalls keinen Mangel gehabt.
Ich nahm also die Gratulationen entgegen und freute mich für den Moment. Meine Verlobte war auf dem Platz neben mir in der Lage, ihre Gratulation etwas körperlicher auszudrücken, wenngleich ein so langer Kuss mir vor meiner Schwester und den anderen irgendwie peinlich war. Verklemmt nannte man das, und ich hatte es definitiv.
„Zeit, bis wir wieder auf der AROGAD sind, Major?“, fragte ich.
„Sieben Minuten, elf Sekunden, Admiral. Auch, und, Admiral?“
„Ja?“ „Herzlichen Glückwunsch zum Bakkal, Sir.“
Ich stutzte einen Moment, bis ich begriff, dass der Pilot das französische Baccalauréat verballhornte, was Hochschulreife bedeutete. Die Naguad hatten das Wort relativ schnell adoptiert und verballhornt. Nagranisch nannten sie diese Mischworte. „Danke, Major. Es ist allerdings zweifelhaft, dass ich die Zeit haben werde, mich zu einem Studium anzumelden. Jedenfalls nicht in nächster Zeit.“
Er lachte rau. „Ja, das sehe ich ähnlich. Trotzdem, was Sie haben, das haben Sie.“
Und damit hatte er Recht. Sechs Minuten, bis wir wieder einschleusten.

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3.
Als wir wieder an Bord der AROGAD kamen, überschlugen sich die Ereignisse. Natürlich waren unsere Gäste avisiert, immerhin waren sie der Sinn unseres ganzen Ausflugs gewesen. Deshalb wurden sie auch mit diplomatischen Ehren, aber in aller Hast empfangen. Wieder übernahm Leekan Amada, die junge Daina, unsere Führung. Ehrlich, ich hatte nachgeschaut. Sie war in einem biologischen Alter von fünfzehn Jahren in den Core aufgenommen und entkernt worden, also Gehirn und Körper getrennt; seither waren über dreihundert Jahre vergangen, aber ich hatte mir vorgenommen, diesen Aspekt zu ignorieren. Dann hätte ich gleich vor jedem Soldaten des Cores in Ehrfurcht verfallen müssen. „Was ist passiert, Amada?“, fragte ich geradeheraus. Dass etwas im Busch war, dazu musste ich nicht Yoshis hochgezogenen Augenbrauen sehen, oder Amis unnatürlich groß geöffneten Augen.
Die Offizierin des Cores antwortete: „Antwort von Arac, Sir.“
Ich sah auf den Chronometer im Display meines Robotkörpers. „Da fehlen noch achtundzwanzig Minuten. Sind die Mechas der Terraner klar für uns?“
„Die SANSSOUCI steht bereit, die Maschinen zu übergeben. Sie hat von einer anderen Einheit weitere Hawks und einen Eagle übernommen, um acht Maschinen stellen zu können.“
„Erfreulich“, sagte ich, während wir durch die Gänge der AROGAD gehetzt wurden. Schließlich erreichten wir die Zentrale. Dort prangte bereits auf dem Hauptbildschirm das Gesicht von Kaiserin Arac von Iovar.
„Sehr freundlich von Ihnen, Meister Arogad, sich dazu zu bequemen, mich jetzt doch empfangen zu wollen.“
Ich trat ein paar Schritte vor. „Sie sind etwas früh. Ich bin ein vielbeschäftigter Mann. Für diesen Zweck gibt es ja Fristen und Termine.“
„Ach“, machte sie. „Stehe ich so weit unten auf der Prioritätenliste? Was war denn wichtiger?“
„Ein Bündnis mit den hiesigen Dai“, sagte ich, auf Kunox und ihre Begleiter deutend.
Dies verschlug der ehemaligen Kaiserin doch ein wenig den Atem. „Sie haben mal eben so ein Bündnis geschmiedet?“
„Nein.“ Ich versuchte, ein möglichst ernstes Gesicht zu machen. „Ich habe den Erstkontakt herstellen geholfen und mit meinem Team eine Sondierung vorgenommen, ob grundsätzlich eine Zusammenarbeit ratsam und möglich wäre. Die Dai haben zugestimmt. Jetzt handeln wir ein Bündnis aus. Aber keine Sorge, die Dai werden einsatzbereit sein, bevor wir uns wieder miteinander prügeln.“
Die Kaiserin machte ein schnaubendes Geräusch. „Eventuell wird das nicht notwendig werden. Ich und meine Verbündeten sind zu dem Entschluss gekommen, dass es nicht schaden kann, Ihnen zuzuhören, Commander. Eventuell gibt es eine Möglichkeit, unseren... Streit friedlich beizulegen.“
Erneut machte sie dieses schnaubende Geräusch. „Kommen Sie an Bord meines Schiffes. Meinetwegen mit einem Ihrer Begleiter. Die Oberhäupter von Logodoboro und Koromando werden zu uns stoßen, und dann wollen wir hören, was Sie zu sagen haben.“
Ich hob die Hand in Richtung Rogan, bevor er auch nur ein Wort sagen konnte. Und ich war mir sicher, er wollte protestieren. „Einverstanden. Aber nicht zu Ihren Bedingungen, Majestät, sondern zu meinen. Ich werde eine unbemannte Foxtrott nehmen. Wissen Sie, um den Kontakt mit dem Offizierskörper zu halten. Mein Bewusstsein befindet sich nämlich nicht in diesem Roboter, sondern im Paradies der Daina und Daima, und ohne die Foxtrott und ihre überlichtschnelle Funkverbindung würde eine Unterhaltung zwischen uns sehr langsam erfolgen.“
„Eine Foxtrott?“ „Eine Korvette im Stil der Anelph.“
Ein ziemlich arrogantes Grinsen ging über Aracs zugegeben hübsches Gesicht. „Das kann ich schwerlich als Bedrohung auffassen. Einverstanden. Benennen Sie Ihren Begleiter und kommen Sie rüber, mit Ihrer... Foxtrott.“

Der Bildschirm wechselte vom Anblick der Kaiserin zu einer taktischen Flottenansicht. Eines der rot dargestellten Feindschiffe schob sich in diesem Moment an die vorderste Linie und begann zu pulsieren. „Feindliches Flaggschiff identifiziert“, meldete der Funk. Warum der Funk? „Flaggschiff identifiziert sich als AUGMATA und sendet Peilsignal.“ Ach, deshalb der Funk. Ich atmete kurz aus und hob erneut die Hand, als Rogan wieder etwas sagen wollte. „Nein, Vetter. Da mein Leben und das meines Begleiters nicht in Gefahr sein werden, ist das kein Grund. Ich kann weder sterben, noch verletzt werden, wenn dieser Körper vernichtet wird. Bestenfalls so sehr erschrecken, dass ich ein Trauma davon trage. Okay?“
„Es ist nicht so, als hätte ich Befehlsgewalt über dich“, gab er nach. „Und deine Erzählung klingt plausibel. Leekan?“
„Der Fünfsternträger lügt nicht. Genauso funktioniert das System der Offizierskörper, wenn wir die Bewusstseine nicht direkt hineinladen.“
Eskender Khaleed räusperte sich. „Ich mache eine Korvette bereit für den Flug und evakuiere die Besatzung. Wen werden Sie mitnehmen?“
Sieben Hände schossen hoch. Natürlich, nur diejenigen konnten mitgehen, die wie ich in Offizierskörpern steckten. Schnell traf ich meine Wahl. „Sarah.“
„Was? Warum ausgerechnet Sarah?“, fragte Yoshi empört. „Ich bin immer deine erste Wahl, oder?“
Megumi räusperte sich sehr lautstark. „In militärischen Dingen?“, bot er an, aber sie räusperte sich energischer. „Als Sidekick der ersten Wahl?“ Das ließ sie wohlwollend nicken. Und Yoshi reichte es anscheinend auch, denn er grinste zufrieden.
„Das hat zwei Gründe. Erstens ist sie die Einzige, die mich nicht mit meiner Prüfung aufgezogen hat, im Gegensatz zu euch allen“, sagte ich mit drohendem Zeigefinger. „Und zweitens brauche ich eine erfahrene Diplomatin, die auf dem neuesten Stand des Geschehens ist. Als Planungsoffizierin des Otome-Bataillons bringt sie all das mit.“
„Moment, seit wann bin ich Planungsoffizierin des Otome-Bataillons?“
Ich seufzte. „Weil du diejenige bist, die bei jeder Besprechung im Poseidon-Hauptquartier anwesend ist und die Gesamtsituation mit Kei abspricht. Du bist am meisten da und hörst mehr als die Anderen. Das teilst du ihnen zwar mit, aber du kriegst es aus erster Hand.“
„Das ist ja nur so, weil sie in der Zentrale ständig Daisuke trifft“, begehrte Ami auf. „Wenn Kei nicht so gut wie nie bei den Sitzungen dabei wäre, dann...“
Ich runzelte die Stirn. „Wieso Kei? Habe ich da was verpasst.“
„Das hast du nicht mitgekriegt? Ich habe ihn neulich aufgerissen. Das war so süß und niedlich. Ich habe ihm erzählt, ich will küssen üben, und er hat sich so angestrengt, und... Jedenfalls sind wir jetzt zusammen.“
Ach, richtig, da war ja noch was. Bei all dem Ärger und dem Abitur und dem Krieg hatte ich das nur am Rande mitbekommen und nicht wirklich abgespeichert. Aber Kei, mein Kei mit Ami? Der ewig kränklichen Ami? Ich sah den Robotkörper vor mir an und stellte mir die wirkliche Ami Shirai vor. Und bemerkte zu meinem Entsetzen, dass sie sich in den letzten beiden Jahren doch sehr zu ihrem Vorteil verändert hatte. Auf jeden Fall sah sie nicht mehr so aus, als wäre sie jede Sekunde kurz vor dem Herzinfarkt. Gut hatte sie schon immer ausgesehen, zugegeben. Aber es war weder die Zeit noch der Ort, um darüber nachzudenken, also fuhr ich in meiner Argumentation fort.
„Was auch immer. Es ändert nichts an meiner Entscheidung. Sarah geht mit mir mit. Wenn dann alle Klarheiten beseitigt sind, schaut, ob Ihr hier noch Arbeiten zu erledigen habt oder nicht. Wer nichts mehr zu tun hat, kann den Familienausflug beenden. Amada, danke für die Offizierskörper.“
„Gerne doch, Sir. Bringen Sie mir die beiden da auch wieder heile zurück?“, fragte sie, auf mich und Sarah deutend.
„Ich werde es versuchen. Aber ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass Arac ihr Angebot ehrlich gemeint hat.“
„Warum gehst du dann rüber, bei allen neun Türmen?“, fragte Rogan fassungslos.
„Weil die Informationen, die Sarah und ich bekommen können, dies eventuell wert sein werden. Das ist der dritte Grund, warum sie mitkommt. Sie ist eine gute Kombiniererin und wird aus dem, was wir erfahren, die hoffentlich richtigen Schlüsse ziehen.“
„Hoffentlich.“ Sie warf die Arme ihres Robotkörpers in die Luft. „Außerdem ist es ja auch mal wieder Zeit, etwas überaus Gefährliches mit wenig Aussicht auf Erfolg zu tun. Gehen wir, Akira.“
„Grund vier: Sie ist und bleibt eine Pragmatikerin“, sagte ich und ging ihr hinterher. Kurz sah ich noch nach hinten. „Megumi, du hältst hier die Stellung, bis ich zurück bin oder ins Paradies geschleudert werde. Für die Schlacht werde ich es hoffentlich dann noch rechtzeitig schaffen.“
„Verstanden, Commander“, schmunzelte sie.
„Ach, deshalb sollen einige von uns zurückgehen“, murrte Ami. „Damit er einen Offizierskörper haben kann, falls seiner vernichtet wird.“
Ami wäre auf jeden Fall meine nächste Wahl gewesen, wären mir zwei Begleiter zugestanden worden.
***
„Das bringt natürlich die ganze Schlacht durcheinander“, sagte Sarah schmunzelnd. „Ist das einer der Gründe, warum du angenommen hast?“
Ich sah nach draußen, in das eiskalte All, in dem nichts existierte außer Schwärze und kleiner Lichtpunkte, und das, obwohl wir uns im Kanto-System befanden. Um das Flaggschiff der Kaiserin zu erreichen, mussten wir nicht nur Kanto, sondern auch Lorania hinter uns lassen. Es war ein relativ kurzer Flug für eine Gesellschaft, die sich noch mit Feststoffraketen zum eigenen Mond begeben hatte, aber er war immer noch lang genug.
Die gigantische Zahl gegnerischer Schiffe kam beunruhigend schnell näher. Okay, wir näherten uns ihnen, zugegeben. Aber auf dem Ortungsbildschirm wirkte es eben umgekehrt. „Sicher. Alles, was die Schlacht verzögert, nutzt uns bei unseren Vorbereitungen. Und wenn die Zeit gereicht hätte, hätte ich unsere Flotte umgeleitet und nach Kanto springen lassen. Aber das hätte zwei Wochen bedeutet, und zwei Wochen geben uns unsere Gegner nicht. Ich bezweifle, dass ich diesen Informationsaustausch zu Verhandlungen ausdehnen kann, die dann zwei Wochen dauern und uns Zeit genug geben, die Schiffe heran zu führen.“
Ich zuckte die Achseln, eine nervöse Geste, die ich mittlerweile übertrieb. „Bevor du fragst, ich hoffe, dass unsere Fakten tatsächlich etwas bewirken und Arac versteht, dass wir einen gemeinsamen Feind haben. Hätte sie nicht zuerst angegriffen, um die Familie Lencis zu zerstören, wäre sie wahrscheinlich immer noch Kaiserin und die Daimon auf Iotan noch immer unzerstört.“

Ich stutzte. „AROGAD, ich brauche eine Verbindung nach Iotan. Ich muss mit Prätendent Jonn Arogad oder meiner Uroma Aris Ohana Lencis sprechen.“
„Jetzt? Ich meine, jetzt wie jetzt sofort?“, fragte Rogan Arogad.
„Ich bin noch etwa vierzig Minuten von meinem Rendezvous entfernt. Es wäre wirklich nett, wenn die Verbindung vorher zustande kommen könnte.“
„Wir versuchen mit einem Relais über die AURORA Kontakt aufzunehmen. Was gibst du als Grund an?“
„Abgesehen davon, dass ich mit Kaiserin Arac reden werde? Ich brauche Informationen über den zerstörten Palast.“
„Akira, was hast du vor?“, fragte Sarah.
„Nur so eine Ahnung. Ein Gefühl, dass... Ich brauche einfach diese Verbindung zu Aris oder Jonn.“
„Jonn Arogad hier“, klang eine mir sehr vertraute Stimme auf.
„Jonn. Schön, von dir zu hören.“
„Würde ich normalerweise auch sagen, aber ich kenne dich mittlerweile zu gut, Akira. Wenn du dich mit einer Vorrangorder meldest, dann bedeutet das nichts Gutes.“
„Nun übertreib mal nicht. Ich brauche nur ein paar Informationen, weil ich in einer halben Stunde Kaiserin Arac gegenüber stehen werde.“
„Kaiserin Arac ist im Kanto-System?“
„Hat euch niemand informiert?“, fragte ich erstaunt.
„Sagen wir, die letzte Meldung, die mich erreicht hat, war, dass ihre Flotte im Naguad-Raum gesichtet wurde.“
„Dann wird es dich überraschen, dass sich Arac mit den beiden rebellierenden Naguad-Häusern Logodoboro und Koromando zusammengetan hat. Ihre Flotten haben sich vereinigt, um das Kanto-System zu erobern.“
„Um was zu tun?“ Das war keine Frage, weil er nicht verstanden hatte, es war eine Frage, die mich präzisieren ließ. Ja, warum wollten die Alliierten das Kanto-System erobern? Vielleicht, weil sie die Verteidigung für schwach gehalten hatten? Und dafür zogen sie von eigenen Welten Schiffe ab, anstatt sie vor den anderen sieben Häusern zu schützen? „Gute Frage“, sagte ich. „Vielleicht muss Arac ihre Loyalität beweisen.“
„Das wäre ein sehr schlechter Start für sie. Und dafür hat sie auch zu viele Schiffe mitgenommen. Wenn ich die Materiallisten richtig deute, ist auch genug Material mitgegangen, um ihre Flotte für ein gutes Jahr zu versorgen. Sie leidet nicht gerade Not. Dazu kommen Frachter mit automatisierten Schürfanlagen und Werftkonstrukten. Siehst du Frachter mit Schürfanlagen und Werftkonstrukten?“
„So wie ich die Daten interpretiere, stehen hier keine Iovar-Frachter, im ganzen System nicht.“
„Akira, kennst du die alten Geschichten, die von der Gründung des Cores durch die Villass erzählen?“
Ich dachte kurz nach. „Das Haus, das sich mit den Lencis angelegt und verloren hat? Die Villass haben daraufhin automatische Fabriken in Form eines Cores rausgehauen und neun Welten besiedelt und in Nachschubbasen verwandelt. Von dort stiegen dann die ersten automatisierten Kampfraumer auf. Früher noch alles von der Korvette bis zum Schlachtschiff, aber heutzutage setzt der Core nur noch auf die Korvetten, wegen der Masse. Und weil sie leichter zu ersetzen sind.“
„Und weil es den Auftrag der Götter, den alten Daima-Raum nach Dai zu erkunden vereinfacht“, fügte Jonn an. „Akira, jetzt in diesem Moment wissen nur wir, die Terraner und die Naguad, also auch die Anelph davon, was die Dai getan haben. Einen Werftmond entdecken, ihn mit Einsatzkräften der Dai infiltrieren und zu sprengen, nachdem sie die Überlebenden Nagalev evakuiert haben.“
„Ach. Das weißt du dann doch wieder.“
„Spotte nicht, junger Mann. Ich nehme stark an, dass der Aufmarsch im Kanto-System begann, lange bevor Kitsune ihr Unwesen getrieben hat.“
Ich dachte kurz nach, rechnete ein wenig. „Sie war da schon auf dem Mond, aber die Aktion dauerte einige Zeit. Dann der Rückflug mit Kontakt zur AURORA... Der Aufmarsch begann ein paar Tage vor der Vernichtung der Werft, schätze ich.“
„Hm. Dann stehen die Chancen gut, dass sie angefangen haben, Schiffe herzuschicken, bevor sie wussten, dass die Werft vernichtet war. Sonst hätten sie nicht derart viel Material riskiert.“
„Okay. Jonn, ich habe angerufen, um dich zu fragen, ob die Daimon, die vernichtet wurde, womöglich überhaupt nicht der Palast gewesen ist und ob Ihr auf Iotan eine zweite Daimon entdeckt habt oder eine weitere vermutet, weil mir das Auftauchen von Arac samt Flotte hier etwas zu plötzlich kommt. Aber es scheint, du hast ganz eigene Probleme mit der Situation.“
„Akira, hier ist Aris.“
„Hi, Uroma. Schön, deine Stimme zu hören.“
„Schön, deine Worte zu hören. Deine Stimme ist das nicht.“
„Ich stecke in einem Offizierskörper des Cores. Mein Körper ist auf der AURORA auf dem Heimflug. Ein Hopser noch, und wir sind daheim. Bis dahin wollte ich im Kanto-System aushelfen, indem ich mich ins Paradies versetze und von dort in diesen Körper.“
„Und du bist auf dem Weg zu einer Gesprächsrunde mit der Kaiserin, die dich an Bord ihres Flaggschiffs eingeladen hat.“ Ich konnte deutlich hören, wie sie heftig ausatmete und dann ihre Stirn rieb. „Nicht gut, gar nicht gut, wirklich nicht gut.“
„Soll ich abbrechen? Also abdrehen oder den Offizierskörper verlassen und ins Paradies zurückkehren? Du weißt, Uroma, ich höre auf deinen Rat.“
„Das löst nicht die Frage, warum Oma Arac ausgerechnet im Kanto-System ist, und das mit einem erheblichen Teil ihrer Hausflotte.“
„Äh, du hast sie jetzt Oma genannt, weil...“
„Weil der Lencis-Zweig ursprünglich von ihrer Linie abstammt, ja, aber bereits mein Vater hat daraus ein eigenes Haus gemacht, als er sich im Streit von der Kaiserin gelöst hat. Das ist so lange her und ich erinnere mich so ungern daran, dass ich wohl vergessen habe, es zu erwähnen.“
„Das ist etwas zu gewichtig, um es zu vergessen“, protestierte ich. „Also soll ich?“
„Sollst du was?“ „Abhauen.“
„Nein. Flieg rüber, schleuse ein und überbringe deine Informationen, Akira. Vielleicht ändert es tatsächlich was. Ach, stimmt es eigentlich, dass vor dem Abflug der AURORA ein Schwarm Strafer versucht hat, die Erde zu beschießen?“
„Ja. Das ist etwa zwei Monate her, wenn ich es richtig im Kopf habe. Damals war ich bereits in den Core entführt worden.“
„Das deckt sich etwa mit dem Angriff auf Haus Lencis. Damals wurden die ersten Truppen verschoben, die Anklage aufgestellt und Flotten in Position gebracht. Ja, da wird natürlich einiges klarer. Akira, sei ein guter Junge und mach dir klar, was in deiner ganz persönlichen Geschichte immer wieder passiert ist. Du hast einen Gegner, schaust hinter die Kulisse, und hinter dem steht dann ein anderer Gegner, der den vorderen lenkt, mit oder ohne dessem Wissen. Wieder und wieder und wieder. Der Letzte in diesem Reigen sind die Kinder der Götter.“
„Wohl eher die Computer der Götter, weil die Macht der Kinder der Götter rein robotisch ist. Ich bin ihrem Rat begegnet, und auf mich machten die Kinder der Götter mehr den Eindruck einer Scheinversammlung, den Eindruck von Haustieren.“
„Die vorgeschoben sind?“, fragte Jonn.
„Ja. Ja, irgendwie schon. Für die Zwecke der Götter. Beziehungsweise der Computer, die die restliche Zivilisation steuern.“
„Die Geschichte wird komplizierter, nicht klarer“, schnappte Uroma. „Akira, seit wir hier das Kommando übernommen und unter dem Prätendenten eine Übergangsregierung gebildet haben, bevor wir in der Lage sind, die Republik auszurufen, haben wir zu so viel mehr Informationen Zugang. Vor allem alten Informationen. Macht es dich nicht stutzig, dass jemand damals diese Nagalev-Werft angegriffen hat? Dass Haus Villass versucht hat, das Kaiserreich Iovar mit einem Staatstreich und später mit Robotkräften zu übernehmen? Dass Haus Logodoboro von innen versucht hat, das Reich der Naguad auszuhöhlen, und dass quasi aus dem Nichts ganz Haus Koromando die Naguad ebenfalls verraten hat?“
„Ich sehe ein Muster“, sagte ich. „Gibt es noch jemand oder etwas hinter den Kindern der Götter, oder haben wir uns von vorne herein mit den Richtigen gebalgt, konnten sie aber nie identifizieren?“

„Genau um das herauszufinden wälzt ein Team aus mehr als zweitausend Archäologen und anderen Spezialisten gerade die alten, ehemals verschlossenen Archive, um die spärlichen Spuren zusammen zu tragen. Fakt ist, dass wir immer mit Vertretern oder Untergebenen konfrontiert werden, und dass hinter denen immer noch eine andere Fraktion auftaucht. Nur diesmal nicht. Was kommt nach den Göttern? Oder vielmehr wer? Und wie lange ist dieser Jemand da? Und wen hat er noch infiltriert oder erpresst ihn?“ Uromas Stimme stockte. „Pass bloß auf dich auf, Junge, versprich mir das. Nicht jetzt bei der Konferenz. Das erscheint mir harmlos genug. Aber danach. Ihr habt Erde, Mond und Mars in einer Daimon eingeschlossen, richtig?“
„Ja. Um die drei besiedelten Planeten vor den Feinden zu schützen“, informierte mich. „Aber der Endpunkt der Daimon ist bald erreicht, weil wir dafür freies KI brauchen, und wenn wir die Barriere noch länger aufrecht erhalten, könnten Menschen sterben. Mit der AURORA werden weitere Schiffe, die wir in Reserve haben, ins Sonnensystem springen und mit den ganzen Strafern aufräumen. Dann lösen wir die Daimon auf.“ So war zumindest der Plan.
„Was ist mit der Vanus?“ „Mit was, Jonn?“ „Der Vanus. Dem zweiten Planeten.“
„Venus.“ „Was auch immer.“ „Sie ist nicht in der Daimon, wenn du das wissen willst. Unwirtliche Hochschwerkraftwelt mit ultraverdichteter Atmosphäre, kein Leben, stark aufgeheizt, uninteressant.“
„Wenigstens eine gute Nachricht. Akira, Mutter und ich haben vor einiger Zeit ein Team schneller Schiffe der AURORA hinterher geschickt. Alles, was wir auf die Schnelle entbehren konnten und das eine Chance hatte, zumindest zeitgleich mit der AURORA-Flotte einzutreffen. Nimm sie als unseren Beitrag zum Aufbruch der Belagerung. Und für die Zeit danach.“
„Die Zeit danach?“, echote ich.
„Das ist nichts, worüber wir hier und jetzt diskutieren sollten. Diese Leitung geht über zu viele Relais. Du wirst auf jeden Fall merken, wie hilfreich unser Beitrag für die UEMF noch sein wird. Bist du noch weit entfernt?“
„Etwa zwanzig Minuten bis zum Flaggschiff.“
„Okay. Konzentriere dich auf dieses Gespräch und vergiss nicht die Vernichtung des Werftmondes. Das ist spektakulär und erschütternd. Und es wird ein paar Figuren auf dem Schachbrett neu aufstellen, wie Ihr Terraner sagt.“
„Nein, wir sagen so etwas nicht, aber ich verstehe, was du meinst, Jonn.“
„Das reicht mir schon.“
„Akira, sei auf jeden Fall vorsichtig. Arac war nicht fünf Jahrtausende Kaiserin, weil sie nichts drauf hat, verstehst du das?“ „Ja, Uroma, ich verstehe. Und ich bin vorsichtig.“
„Kann sein, dass sie dich trotzdem überrascht. Wir melden uns wieder, wenn unsere Recherche was ergeben hat.“
„Was ist jetzt mit der zweiten Daimon?“, hakte ich nach, weil das doch arg nach Ende des Gesprächs klang.
„Nein, keine Spur einer zweiten Daimon. Wäre auch etwas viel verlangt, wenn wir den Palast schon seit fünftausend Jahren kennen. Akira, hier ist auch viel zu tun. Jonn und ich haben alles gesagt. Iotan Ende.“

Damit erlosch die Verbindung. Und sie hinterließ mehr Fragen für mich als Antworten. Verdammt.
„Hast du erfahren, was du erfahren wolltest?“, fragte Sarah.
„Leider sehr viel mehr, Sarah. Sehr viel mehr.“
„Okay, es gibt noch eine Macht im Hintergrund, die alles kontrolliert und manipuliert. Verstehe.“
Erstaunt sah ich sie an. „Du verstehst wirklich, oder?“
„Ja. Ja, ich denke schon. Deshalb habe sich die beiden Rebellenhäuser und Arac hier getroffen, richtig? Weil jemand, der nicht damit gerechnet hat, dass der Nagalev-Mond zerstört werden konnte, seine Karten etwas zu früh ausgespielt hat.“
„Etwa in der Art.“ Ich sah auf den Timer. Siebzehn Minuten bis zur Landung. Waren die Computer der Götter der letzte Gegner? Gab es mehrere Gegner? Stand noch jemand oder etwas dahinter? Oder war die Antwort viel einfacher, als ich glaubte?
***
Direkt nach dem Einschleusevorgang wurde der Hangar mit zwei Dingen geflutet. Zuerst aufgewärmter Atemluft, dann Soldaten. Grimmig dreinschauender Iovar beiderlei Geschlechts, Waffen in den Händen, und geschützt durch schwere Körperpanzer. Nicht raumtauglich, aber einen Laser oder ein paar Projektile hielten die Dinger bestimmt ab. Als Sarah und ich ausstiegen, hoben wir die leeren Hände so, dass jeder sie sehen konnte. Ich verkniff es mir, Dinge zu sagen wie „Wir kommen in Frieden“ oder „Bringt uns zu eurem Anführer“. Stattdessen wartete ich am Fuß der Rampe, bis jemand auf uns zutrat. Dieser Jemand war riesig für meine Begriffe, und ich war selbst nicht gerade klein. Dieser Typ, ein Iovar männlichen Geschlechts, maß bestimmt zwei Meter zwanzig und hätte sich im Basketball drauf verlassen können, nie als Letzter ins Team gewählt zu werden. „Aris Arogad und Sarah Anderson? Ich bin Kutoc Varnel, General im Dienste der Kaiserin. Sie und die Oberhäupter von Logodoboro und Koromando erwarten Sie im zentralen Konferenzraum. Folgen Sie mir.“ Ohne ein weiteres Wort wandte er sich um und schritt davon. Ohne zu zögern folgte ich. Sarah stockte, aber nachdem ich ihr gewunken hatte, holte sie auf.
„Feindliche Stimmung hier“, sagte sie zu mir.
„Verständlich, oder? Ich habe den Prätendenten dabei unterstützt, die Kaiserin zu stürzen und die Palastdaimon zu vernichten.“ Ich hielt einen Augenblick inne. „Nein, dabei habe ich nicht geholfen. Wenn ich mich recht entsinne, war Jonn das auch nicht. Sind die damals von allein gekommen?“ Möglich war es. Aber wahrscheinlicher war eben, dass jemand aus dem Haus Lencis hatte durchsickern lassen, dass und wo sich eine Daimon auf Iotan befand. Befunden hatte, korrigierte ich mich.
Der General derweil war unberührt durch unser Gespräch. Schweigend schritt er voran, durch einen Kreiskorridor, dann auf einen geraden, der uns in Richtung Schiffsmitte brachte. In Richtung Brücke, wie die Piktogramme an den Wänden erklärten. Und ehrlich, ich hatte ein paar Iovar-Schiffe von innen gesehen.
Es dauerte einige Zeit, bis wir die Brücke erreichten. Der ganze Weg war gesäumt von Bewaffneten, und auch vor und auf der Brücke wimmelte es von ihnen. Ich hatte das Gefühl, dass nicht wenige zu gerne ein Preisschießen auf mich veranstaltet hätten. Ich derweil hielt meine Augen und Ohren auf, um so viel wie möglich an Informationen mit nach draußen zu nehmen. Falls ich versagte und den Robotkörper zurücklassen musste, dann wollte ich wenigstens irgendetwas mitnehmen. Das Erste war die Information, dass mehrere Offiziere in Logodoboro-Uniform auf der Brücke waren.
Varnel führte uns nicht großartig durch die Brücke, sondern knickte sofort zur Seite ab und führte uns in einen peripheren Raum. Der Konferenzraum. Dort erwarteten uns etwa zwanzig Leute. Naguad und Iovar. Und natürlich Arac. Ich musterte die hübsche Person einen Moment verwundert. Sie war viel kleiner als es in meiner Familie eigentlich üblich waren. Aris Ohana war eins vierundsiebzig, und ihre und Orens Tochter, meine Großmutter Eridia war etwas über eins achtzig groß und Mutter, also meine leibliche Mutter Helen, übertraf sie noch um einen Zentimeter. Aber die Kaiserin war gerade mal ein Stückchen über eins fünfzig. Dann ging mein Blick zu den anderen, die nur teilweise die Farben von Iovar trugen, sondern die Hausfarben der Logodoboro und Koromando. Ich erkannte keinen von ihnen.

Die Kaiserin sah auf, als wir eintraten. „Majestät, dies sind Aris Arogad und Sarah Anderson“, sagte der General.
„Es ist gut, Kutoc. Kümmere dich jetzt um deine Aufgabe“, sagte sie.
Der General salutierte und schloss die Tür hinter sich. Irrte ich mich, oder wurde es daraufhin auf der Brücke des Flaggschiffs der Kaiserin hektischer? Man sah nichts durch das Fenster zur Brücke, aber ich spürte einen Hauch von... Aufregung?
Die Kaiserin musterte mich sehr lange und sehr ausdauernd. Schließlich piepste irgendwas an ihrem Leib. „Du bist also Aris Arogad. Es ist ein wenig schade, dass du in einem Offizierskörper des Core hier bist, und nicht persönlich. Ich hätte dich gerne kennengelernt. Aris Ohana hat mir leider nicht die Chance gegeben, dir zu begegnen, als sie gegen mich rebelliert hat.“
„Nachdem Haus Lencis und alle Verbündeten drohten, ausgelöscht zu werden“, sagte ich, bevor ich mich wieder im Griff hatte.
„Und es wäre die Pflicht von Haus Lencis gewesen, gehorsam unterzugehen“, sagte die Kaiserin. Sie kam auf mich zu, musterte meinen Robotkörper, umrundete mich. Das Gleiche tat sie bei Sarah. „Interessant“, murmelte sie. „Sehr interessant.“ Als sie mich direkt ansah, konnten nur Sarah und ich ihr Gesicht sehen. Was wir sahen, war ein sehr konzentriertes Gesicht. Aber wir sahen auch die KI-Ebene, und genau in diesem Moment tat sie etwas mit ihrem KI. Ich konnte nicht erspüren, was es war, aber einen Vorteil bedeutete es sicher nicht für uns.

„Du hast Informationen für uns?“
„Die Götter betreffend, ja. Es ist uns gelungen eine Werft zu sprengen, die in einem etwa eintausend Kilometer durchmessenden, ausgehöhlten Mond verbaut war und in dem über achthundert Einheiten aller drei Klassen eingemottet waren. Soweit ich weiß, hat keine einzige Schiffseinheit die Explosion überstanden.“ Dass Kitsune acht Vernichter gekapert hatte, unterschlug ich wohlweislich. „Was das für die derzeitige Kapazität der Götter bedeutet, kann ich nicht sagen. Aber die zukünftige Kapazität sagt uns, dass die Zahl ihrer Schiffe erst einmal nicht steigen wird. Ach, außerdem wurde mein Schiff, die AURORA, während eines Wurmlochdurchgangs angegriffen. Unser Wurmloch wurde von einem anderen Wurmloch penetriert. Aber der Angriff schlug fehl und weder AURORA noch die Flotte trugen Schäden davon. Habe ich schon die acht Vernichter erwähnt, die wir bei der Gelegenheit zusätzlich, nun, vernichtet haben?“
„Nur mit der AURORA und ihrer Begleitflotte?“, schnaubte jemand. „Unmöglich!“
„Die ADAMAS hat auch eine Rolle gespielt. Ein Kommandoschiff der Dai-Ära, das wir unterwegs gefunden haben und reaktivieren konnten. Da ich ein Reyan Maxus bin, konnte ich seine Kampfkraft fast vollständig ausnutzen. Und das habe ich auch getan.“
Abwehrend hob ich die Hände, als die Ersten aufsprangen. „Keine Panik. Mein Leib ist auf der ADAMAS in einer Kapsel, während mein Verstand im Paradies ist und von dort aus diesen Robotkörper lenkt.“
„Akira...“, raunte Sarah mir zu. Irritiert sah ich sie an, dann in die Richtung in die sie blickte. Und ich begriff, dass ich einen gravierenden Fehler gemacht haben musste, denn obwohl sie sich sehr gut im Griff hatte, ich fühlte, dass Arac innerlich triumphierte. Ich musste ihr irgendetwas gegeben haben, dass... „RAUS!“, rief ich Sarah zu und kappte die Verbindung zum Robotkörper. Die Funkstrecke wurde sofort eingestellt, und meine nächsten visuellen Eindrücke hatte ich im Paradies der Daina und Daima. Und das befand sich materiell an Bord der AURORA. Aber auch das reichte mir noch nicht. Ich wartete, bis ich Sarahs Gegenwart spürte, dann befahl ich: „Wir gehen in unsere Körper zurück.“
„Wir gehen nicht sofort ins Kanto-System?“, fragte sie.
Ich konnte ihr nicht antworten, denn mein Geist wurde aus dem Paradies gesaugt wie durch ein Black Hole. Jemand öffnete meine Kapsel und holte mich mit Gewalt zurück!


4.
Als die Kapsel aus dem Boden der Zentrale der ADAMAS fuhr, ergriffen mich zwei erstaunlich zarte Hände mit nicht minder erstaunlicher Kraft und zogen mich raus, kaum dass sie sich geöffnet hatte. Ich stand auf dem Deck der ADAMAS, lange bevor ich überhaupt begriff, was passierte. Aber ich begriff, wer mich da so unsanft herausgeholt hatte: Arac.
Das hübsche, fünftausend Jahre alte Gesicht sah mich sehr ernst und deutlich stressbeladen an. „Hör zu, Akira, keine Zeit für Erklärungen jetzt. Aber ich setze alles auf eine Karte. Wie wurde HYVAR übernommen und wie hast du davon erfahren?“
„Na-naniten“, haspelte ich hervor. „Father, das letzte unverseuchte Backup von HYVAR hat es uns verraten.“ „Father kennt die Naniten? Kann sie identifizieren?“ Ich nickte. „Besser noch, alle Computer mit biologischen oder pseudobiologischen Komponenten wurden gegen einen Nanitenangriff geschützt.“ „Wirklich biologische Komponenten?“
Ich nickte erneut. Sie ließ meinen Kragen los. „Schiffsrechner, bist du gegen diese Naniten geschützt?“
„Mein Name ist Arhtur. Und ja, ich habe einen Teil meiner Verteidigungsnaniten auf die Abwehr dieser Angriffsnaniten neu geeicht.“
„Ich brauche zwei Millionen dieser Einheiten in einer Hypospritze oder Tablette, und ich brauche sie sofort.“
„Sir, was ist...“
„Höre auf sie, Arhtur. Dies ist Kaiserin Arac von Iovar. Sie hat augenscheinlich meine Verbindung des Offizierskörpers zum Paradies zurückverfolgt und dann die Verbindung mit meinem Körper hier auf der ADAMAS. Und dann hat sie die Lokk-Linien genommen, um mir zu folgen.“
„Eindringlingsalarm, Sir?“
Ich schüttelte den Kopf. „Alarm für die Flotte, aber kein Eindringlingsalarm. Es kann sein, dass hier oder auf der AURORA weitere Iovar ankommen werden. Was ist mit den Abwehrnaniten?“
Ein Podest fuhr aus dem Boden auf und präsentierte eine Hypospritze, ein Gebilde, das ohne Nadel Medikation invasiv ins Muskelgewebe spritzen konnte. „Steht bereit.“
„Mach uns noch mehr solcher Einheiten, Arhtur. So viele, wie du kannst, ohne deinen eigenen Schutz zu vernachlässigen.“ „Achthundertsiebzehn Einheiten!“, sagte die Kaiserin.
„Ich muss die anderen Rechner bitten, mir von ihren Naniten abzugeben, aber gemeinsam kriegen wir diese Zahl zusammen.“
Ich griff nach dem Spray und drückte die Spitze an Aracs Hals. „Ich hoffe, es funktioniert so, wie du es dir wünschst, Großgroßmutter.“
„Mach schon. Ist mein Risiko“, erwiderte sie mit etwas zittriger Stimme.

Ich drückte ab, und die Wirkung war, als hätte ich sie mit einem Vorschlaghammer geschlagen. Sie wurde durch die halbe Zentrale geschleudert, allerdings nicht von externen Kräften, sondern von ihren eigenen Muskeln. Dort blieb sie liegen, wurde aber von Krämpfen geschüttelt.
Eine spastische Reaktion des vegetativen Nervensystems. Aber die Dosis hatte ich komplett in ihr Blut geleert. Nun wurde der Inhalt, die Abwehrnaniten, mit jedem Schlag ihres Herzens durch den Körper verteilt.
„Bist du eine Dai oder ein Mensch?“, fragte ich die Kaiserin, als ich näher hastete.
„Ein... Mensch...“, hauchte sie. „Eine... Daina...“
„Gut. Für einen Menschen kann ich was tun.“ Ich legte beide Hände flach auf ihren Bauch. Ihr KI war in hellem Aufruhr, und ihr Körper war das auch. Ich erkannte die Naniten in ihr wieder, die HYVAR angegriffen hatten, zumindest eine Form, die jenen ähnlich genug war. Sie bevölkerten ihren Körper, vor allem ihr Gehirn und die wichtigsten Organe wie Herz, Leber, Lunge. Sie war befallen, bis zum Anschlag mit diesen Naniten infiziert. Glücklicherweise gingen sie in den Kampf mit Arhturs Naniten, und die Energie, die dabei freigesetzt wurde, konnte ich als deutliche Echos identifizieren, sodass ich wusste, wo ich sie suchen und sehen konnte.
Ich tat, was ich konnte, indem ich mein eigenes KI nutzte, um ihren Kreislauf zu stabilisieren, denn auf diesem Schlachtfeld, das ihr Körper war, wurde keine Gnade erwartet und auch keine Gnade gewährt.
„Alle medizinischen Teams in Bereitschaft! Wir erwarten achthundertsiebzehn Iovar, die auf die ADAMAS kommen werden. Arhtur, du und die anderen Rechner müsst die Impfdosen so schnell ihr könnt rüber schaffen. Oder aber ein Medozentrum zur Impfung auf der AURORA einrichten und dort medizinische Hilfe und KI-Meister bereit stellen!“
Unter meinen Händen bäumte sich der Leib meiner Vorfahrin auf. Sie litt erhebliche Schmerzen und war doch nur ein Kollateralopfer in dieser Schlacht. Ihre rechte Hand krallte sich in meinen linken Oberarm. Ihr Gesicht kam hoch, war Schweißbedeckt und zeigte alle möglichen Farben von Totenbleich bis Krebsrot. „Es... funktioniert...“, raunte sie mir zu. So etwas wie Triumph stahl sich auf ihr Gesicht. „Es klappt... Ich kriege... meinen Körper... wieder... Ich gebe jetzt das... Signal...“
Obwohl sie ihr KI selbst am allernötigsten hatte, verschwendete sie einen Teil ihrer Kraft auf eine Verbindung mit der nächsten Lokk-Linie. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Dutzende Iovar rematerialisierten auf der Brücke der ADAMAS. Zugleich fuhren weitere Kapseln aus dem Boden und auf einer weiteren Säule erschien eine neue Hypospritze, die allerdings mit mehreren Dosen geladen war. Yoshis Kapsel öffnete sich als Erste. „Weiß Bescheid!“, rief er mir zu, schnappte sich die Spritze und setzte sie dem Ersten an, der in seinem Wege war. Hina, die gerade aus einem Nebenraum hereingestürmt kam, versorgte den Mann in Militäruniform, der im Gegensatz zu Arac nur zu Boden gesunken war und nun das erlitt, was man einen spastischen Anfall nennen konnte.

„Medozentrum auf der AURORA initiiert. In drei Minuten sind die ersten Impfungen bereit, in der gleichen Zeit nehmen die Mediziner ihre Arbeit auf. Die KI-Meister versammeln sich dort bereits, Sir. Aber wir brauchen jemanden, der die Iovar nach Poseidon geleitet.“
Erneut öffnete sich die Tür und Kitsune stürmte herein. „Ich übernehme das!“ Sie lief bis zu mir und Arac und sah auf die Kaiserin herab. „Lehre mich!“
Die Kaiserin nickte zustimmend, hob die andere Hand und berührte Kitsune an der Stirn.
Irgendwann nickte die Fuchsdämonin. Sie verblasste vor meinen Augen und verschwand.
„Sie ist in die Lokk-Linie gewechselt, oder?“, fragte ich. „Und dort dirigiert sie die nächsten ankommenden Iovar den Kapazitäten entsprechend auf die AURORA und die ADAMAS, weil dies die einzigen Schiffe sind, die über die Abwehrnaniten verfügen.“
„Weiß nicht“, hauchte Arac und versuchte sich an einem Lächeln, das leider wegen der Schmerzen missglückte. „Ist dein Plan, Akira.“
„Ein Teil davon, zugegeben.“
Arac übergab sich geräuschvoll auf den Boden der Brücke, und ich meinte, in der Mischung aus Wasser, Magensäure und dem letzten Mittagessen metallisches Schimmern zu entdecken. Wahrscheinlich konnte die Kaiserin sich glücklich schätzen, wenn ihre Verdauung nicht auch noch nachgab.
Weitere KI-Meister stürmten herein und kümmerten sich um die Iovar, die noch immer eintrafen. Hina hatte derweil auch ein Spray erhalten. Sie gab es an Ami weiter, die sofort mit der Impfaktion begann.
„Ich erhalte Informationen über die Aufteilung der Iovar in meinem Leib, Admiral“, sagte Arhtur. „Ich teile die medizinischen Teams und die KI-Meister entsprechend auf.“
„Tu das. Das ist eine große Hilfe.“ Schweiß bedeckte nun auch meine Stirn, denn Aracs Kreislauf drohte zusammenzubrechen. Die Naniten in ihrem Leib wehrten sich bis aufs Blut gegen die Abwehrnaniten aus Arhturs Computersystem, und es waren viele, so viele. Aber es würde eine Frage der Zeit sein, nicht ein ob, die Naniten würden besiegt werden. Aber vorher versuchten sie noch, so viel Schaden wie möglich anzurichten. Ich steuerte dagegen, heilte die Beschädigungen der Mikroangriffe, reparierte an Arac, was immer ich entdecken konnte, aber es fühlte sich schon bald an, als würde ich versuchen, ein Fass ohne Boden aufzufüllen. Egal, wie viel KI ich hinein pumpte, es war nie genug.
Neben mir erschien Kyrdantas von Elote, einer der Dai von anderen Planeten, die mit Kitsune den Werftmond und die überlebenden Nagalev gerettet hatten. Nach seinen eigenen Worten war er ein fähiger Pressor. Er legte mir eine Hand auf die Schulter und sagte: „Nimm die andere Kraft, Akira Otomo.“
Ich zögerte, nickte, und dann versuchte ich mich nicht länger an der Biochemie, sondern an der Atomkraft. Ich weiß nicht genau, was ich da tat, entweder machte ich instinktiv das Richtige, oder Kyrdantas leitete mich an. Aber für einen Moment sprudelte ich fast über vor Kraft, und diese Kraft ergoss sich in das Fass ohne Boden und ließ es sogar überschäumen, so sehr füllte ich es.
Dann erschlaffte Arac und sackte hart zum Boden durch. Ich bewahrte ihren Schädel gerade so davor, hart aufzuschlagen.

Sie versuchte sich erneut an einem Lächeln. „Geschafft?“
Ich wusste es nicht, also sah ich Kyrdantas an. Der mittelgroße Dai berührte die Kaiserin auf dem Brustkorb und scannte sie für einen kurzen Moment. „Ja. Du hast es geschafft. Die Naniten wurden von Arhturs Abwehrnaniten besiegt. Du bist frei von der Legacy-Invasion, Arac.“
Dies ließ sie erleichtert aufatmen. „Und jetzt zahle ich... den Preis, scheint es...“ Übergangslos fiel sie in Ohnmacht. Ich begleitete ihren Fall, bereit, sie aufzufangen, sollte sie ins Koma abdriften, aber ihr Geist fing sich im Traumland, ohne ins Bodenlose zu stürzen.
Ich nahm meine Hände von ihrem Leib und Kyrdantas tat es mir nach. „Nächstes Mal solltest du deine Hände nicht auf ihre Brüste legen, wenn du sie scannst“, raunte ich ihm zu. „Das könnte missverstanden werden.“
„Oh.“ Verlegen betrachtete er seine Hände. „Sie hat sich nicht beschwert, oder?“
„Zugegeben.“ Ich sah mich im Raum um. „Arhtur, hat noch jemand einen schweren Verlauf, der meinen Einsatz erfordert?“
„Messe zwei, Sir. Wenn Sie die Güte hätten. Drei hochrangige Mitarbeiter der Kaiserin, vermutlich fast so lange infiziert wie sie selbst. Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Dauer des Nanitenbefalls und der Schwierigkeit, sie zu bekämpfen.“
„Messe zwei. Ich komme. Kyrdantas?“
„Natürlich. Ich leite dich erneut an. Arhtur?“
„Ja, Kyrdantas von Elote?“ „Stell kalorienreiche Nahrung zur Verfügung, möglichst frisch. Meister Otomo und die anderen AO-Meister werden sehr bald viele Kalorien brauchen. Und nein, nur Traubenzucker reicht nicht. Es muss auch was sein, was den Magen füllt und ein Sättigungsgefühl auslöst.“
„Ich werde Pizza backen und austeilen.“ „Pizza?“
„Ein Teigfladen“, erklärte ich. „Wird mit einer fruchtigen Masse bestrichen und dann mit Gemüse, Fleisch und fermentierter Milch belegt, also Käse, meist heiß serviert und gegessen, schmeckt aber auch kalt. Dazu vielleicht ungesunde, überzuckerte Limonade mit einem Spritzer Frucht und Vitaminen.“
„Ich sehe zu, was wir von der AURORA rüberschaffen können, Sir“, sagte Arhtur. „Ist Coca Cola recht? Mit einem Spritzer Zitrone.“
„Ja, das geht in Ordnung.“ Es war sehr lange her, dass ich das braune Zuckerwasser getrunken hatte. Heute würde es für einen guten Zweck sein, um die Leben von ein paar Dutzend Daima.


5.
Ein paar Stunden später war die Versorgungssituation auf der ADAMAS und der AURORA geklärt. Sechshundertundvier Iovar waren auf den Lokk-Linien auf der Poseidon-Station aufgenommen und erstversorgt worden, am zentralsten Punkt, an dem Naniten, medizinische Versorgung und KI-Meister den kürzesten Weg gehabt hatten. Nun hatte man sie auf verschiedene Einrichtungen aufgeteilt, in denen sie nachversorgt wurden.
Der Rest, vor allem die schwereren Fälle, waren auf der ADAMAS untergebracht worden. Ich dankte allen bekannten und unbekannten Sternengöttern dafür, dass ich meine Maxus-Fähigkeiten stabil im Griff hatte, denn über einhundert Ärzte und Pfleger waren auf die ADAMAS gekommen, um die zweihundertvierzehn Iovar zu versorgen. Dies verursachte so viel freies KI, damit hätte ich mich locker durch vier Decks der ADAMAS desintegrieren können. Aber wie gesagt, im Moment war ich stabil.
Also saß ich mit Yoshi und Arno Futabe, den wir von der AURORA hatten rüber kommen lassen, am Krankenbett von Kaiserin Arac und General Kutoc Varnel. Arno scannte die Daima und schüttelte schließlich den Kopf. „Ohne Befund.“
„Und das heißt was?“, fragte die Kaiserin. Sie war mittlerweile wieder wach, aber noch immer stark geschwächt. Sie bekam zudem Kochsalzlösung und eine Zuckerlösung intravenös.
„Das bedeutet, die Naniten, die Euch, Majestät, vor fünftausend Jahren eingespritzt wurden und die Arhturs Abwehrnaniten heute vernichten konnten, zwar erhebliche Schäden angerichtet haben, aber nichts davon ist tödlich oder permanent. Ein paar Tage Ruhe und Aufbaukost, und Ihr seid wieder auf den Beinen.“
„Was ist mit meinen Leuten?“
„Der schlimmste Fall nach dir, Arac, war dein General, aber er ist stabil, jedoch noch bewusstlos. Andere sind komatös, aber ebenfalls außer Lebensgefahr.“ Ich beugte mich ein Stück vor. „Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt für die Erklärung der Dinge, die ich mir nicht selbst zusammenreimen kann.“
Sie lächelte, und es war ein gelöstes, frohes Lächeln. „Was hast du dir denn zusammengereimt, Akira?“
„Dass du mich eingeladen hast, um über meine Verbindung zurück zur ADAMAS einen sicheren Weg auf den Lokk-Linien zu finden. Du und alle deine Mitgefangenen, die dazu fähig sind, auf Lokk-Linien zu reisen. Warum du das aber nicht schon früher gemacht hast, weiß ich nicht.“
„Vielleicht weil dies der einzige Ort ist, an dem es korrekt programmierte Abwehrnaniten hatte geben können? Oder wo sie am ehesten in ausreichender Menge produziert werden können?“
„Oh. Okay, das ist eine plausible Erklärung.“
„Ich habe diese Aktion schon länger geplant und mit denen, die mich begleiten können, abgesprochen. Als du in einem Offizierskörper an Bord kamst, ließ ich die Flucht sicherheitshalber vorbereiten. Als du dann vom Werftmond berichtet hast, habe ich wirklich, wirklich gehofft, die UEMF könne uns helfen. Als ich hier angekommen bin, haben deine Worte das auch bestätigt, aber ich musste sichergehen, dass wir auch Hilfe bekommen und ich die Leben meiner Leute nicht unnötig gefährdete. Ich musste es als erste testen. Es war die beste und vielleicht einzige Gelegenheit seit fünftausend Jahren für mich, meinen Bewachern zu entkommen und ihren Einfluss auf mich zu beenden.“
„Dann sollte ich vielleicht erwähnen, dass sich etliche der Iovar-Schiffe Im Kanto-System aus dem Angreiferpulk abgesetzt und das System verlassen haben.“
„Sie haben Order, zur Flotte zurückzukehren. Die Flotte wird dann nach Iovar zurückfliegen. Bist du so gut, und sagst das Aris? Nicht, dass sie auf meine Schiffe schießen lässt.“
„Was ist mit denen, die geblieben sind?“, fragte ich.
„Von mit Naniten infizierten Iovar kommandiert, vermutlich, die ich nicht mitnehmen konnte, weil sie nicht auf den Lokk-Linien reisen können. Das betrifft auch die AUGMATA, und einen Großteil der Besatzung, befürchte ich. Aber ich musste sie zurücklassen, um wenigstens die anderen retten zu können. Endlich einen Schlussstrich ziehen, du verstehst, Akira?“
„Erzähl es mir ordentlich. Gerne die kurze Version.“

Sie sah mich an, ihre Miene wurde wehmütig, für einen Augenblick verletzt, und dann war das so jung aussehende Gesicht den Tränen nahe.
Ich beugte mich vor und schloss sie in die Arme. Das erschien mir die einzige Sache, die ich in dieser Situation für sie tun konnte. Immerhin war ich ihr Nachfahre.
Es dauerte einige Zeit, dann schniefte sie und sagte: „Es geht wieder. Danke, Akira.“
Ich löste mich von ihr, sie wischte sich über die Augen und setzte sich ein klein wenig aufrechter hin.
„Die Wahrheit willst du wissen. Ich kann dir nur jenen Teil erzählen, den ich selbst erlebt habe. Das ist die Tatsache, dass wir etwa zu jener Zeit, als die Naguad gerade ein paar Jahrzehnte auf Iotan Zuflucht gefunden hatten, von einer Gruppe Daima besucht wurden. Wir waren vorsichtig, aber ich war damals gerade erst ein paar Dutzend Jahre alt und noch nicht Kaiserin, und wir wollten wir es auch diplomatisch nicht versauen. Wir haben es trotzdem hingekriegt. Denn diese „Besucher“ waren Invasoren. Und sie waren nur die Ablenkung, denn die eigentlichen Invasoren waren schon einige Zeit vor Ort. Du hast bereits von Haus Villass gehört, nehme ich an. Nein, sie waren nicht die Invasoren, sondern diejenigen, die als erste gegen diese kämpften. Deshalb wurde auch das ganze Kaiserreich auf sie gehetzt, auf die vermeintlichen Aufständischen.
Der Angreifer war nicht einmal ein Haus, es war nur eine Behörde, in der sich die Invasoren sammelten. Kein Geheimdienst, kein bedeutendes Ministerium, einfach nur die Behörde zur Einhaltung der Vorschriften zur Ausbildung von AO-Trägern. Und diese Behörde ist wohl auch unter Aris und Jonn noch immer der Hort der Invasoren.“
„Hast du gehört, Arhtur?“
„Ich habe diese Information bereits weitergeleitet, mehrfach verschlüsselt, und nur vom Prätendenten entschlüsselbar“, antwortete der Bordrechner.
„Jedenfalls wurden wir von den Besuchern abgelenkt, und zeitgleich infizierten die anderen Agenten ranghohe Iovar mit den Naniten. Diese waren bereits auf entscheidenden Positionen, oder wurden auf diese Positionen gehievt. Ich war damals noch eine Staatssekretärin am Anfang ihrer Karriere im höheren Dienst, gerade einmal sechzig Jahre alt mit Erfahrung im Militär und im Finanzamt. Aber als ich erfuhr, dass ich verseucht worden war, wurde ich nach und nach die Leiter hochgehievt, bis ich vor meinem hundertsten Geburtstag Kaiserin geworden bin. Weißt du, die Agenten mussten gar nicht alle übernehmen. Nicht die ganze Regierung, nicht jedes Ministerium. Das war auch gar nicht möglich, denn die Naniten sind auch als Schwarm nur bis zu einem gewissen Grad intelligent und programmierbar. Sie können nicht den Verstand einer Person übernehmen. Sie können eigentlich nur zwei Dinge: Schmerzen verursachen und jemanden verletzen oder gar töten. Auf mich hat das nie Eindruck gemacht, aber da ich nicht mit meinen Schmerzen erpressbar war, dann erpressten sie mich eben mit den Schmerzen der anderen, meiner Familie, meiner Freunde, meiner Arbeitskollegen. Am Ende des Liedes brauchte es nur einige wenige hundert Agenten, um das gesamte Kaiserreich zu dirigieren. Dabei gingen sie sehr subtil vor und erzwangen keinen abrupten Politikwechsel oder irgend einen anderen Unsinn, der aufgefallen wäre. An anderer Stelle gingen sie nicht so elegant vor, und Oren Arogad kann ein Lied davon singen. Denn als er versucht hat, Haus Villass und deren Raider-Angriffe abzuwehren, wurde er sehr lange ignoriert, weil ein Konflikt Villass gegen das Kaiserreich sehr im Sinne der Behörde für AO war. Überhaupt wurden wir ständig gegen irgendwen aufgehetzt, denn wenn wir uns unsere Ablenkung selbst suchten, schmiedeten wir keine Pläne, um der Kontrolle durch die Naniten zu entkommen. Auch die Naguad mussten dafür herhalten.“

Sie seufzte leise. „Das ist der Vorteil, dass sie quasi nur einen Schmerzknopf für mein Gehirn installiert haben, Akira. Ich war frei in meinen Gedanken, und wenn ich sicher sein konnte, dass keiner meiner Aufpasser in der Nähe war, konnte ich relativ frei planen. Zum Beispiel die Flucht der Naguad von Iotan in ein freiwilliges Exil. Aber das war Jahre später und lange bevor Oren nach Iotan ging, um mit Aris zu leben. Warum die Naniten sich nicht selbst reproduziert haben, bis sie alle anderen Iovar auch in ihre Gewalt kriegen konnten? Das habe ich mich oft selbst gefragt. Vielleicht passiert etwas, wenn die Naniten sich so sehr reproduzieren. Vielleicht gibt es zu wenige Agenten, um so viele Übernommene zu kontrollieren, du weißt, die Naniten selbst sind nur so intelligent, um einfache Aufträge zu erfüllen. Vielleicht besteht einfach die Gefahr, dass die Invasion aufgefallen wäre, wenn man zu viele Iovar ihres natürlichen freien Willens beraubt hätte. Ich weiß es nicht. Aber ich habe in Erfahrung gebracht, wer in meiner Umgebung erpresst und kontrolliert wird. Ich habe auch in Erfahrung gebracht, wer zu den Agenten gehört. Jedenfalls haben wir einen beträchtlichen Teil identifiziert. Was uns aber nie gelungen ist, das ist, herauszufinden, wer ihnen ihre Befehle erteilt. Es scheint, das alles, was die Agenten tun, irgendwo an einem Punkt auf Iotan zusammenläuft, und dass nur eine, eine einzige Person den Kontakt mit den eigentlichen Befehlshabern hält. Und wir sind uns nicht mal sicher, ob es eine Person ist, oder eine Künstliche Intelligenz. Wir sind ihr nie nahe genug gekommen. Aber vielleicht haben Aris und Jonn jetzt die Chance, diese Person zu identifizieren und zu ermitteln, wer uns da seit fünftausend Jahren angreift.“
„Arhtur?“ „Bereits erledigt, Sir.“ „Danke.“

Ich sah Arac ernst an. „Das bedeutet also, wir müssen die restlichen Schiffe von den Agenten säubern und die Übernommenen von den Naniten befreien. Das dürfte relativ einfach der Fall sein, denn die Naniten werden erst dann aktiv und bedrohen Leben oder verursachen Schmerzen, wenn es ihnen jemand befiehlt.“
„Das ist nicht ganz richtig. Es gibt eine Grundprogrammierung, so wie sie bei mir eingetreten ist, als ich es gewagt habe, die Nähe meiner Kontrolleure zu verlassen. Das hat bei fast allen von uns angeschlagen, du erinnerst dich?“
„Okay, das schränkt uns etwas ein, aber das ist immerhin etwas, womit wir arbeiten können“, sagte Yoshi.
„Gibt es noch etwas, was du erzählen willst, Arac?“, fragte ich.
„Ja. Eines gibt es da noch. Es sind noch Agenten auf Iotan. Es sind auch noch Agenten im Rest der Flotte und an Bord der Schiffe, die ich nach Hause geschickt habe. Aber sie werden niemanden haben, der mit Naniten infiziert ist und Entscheidungen treffen kann. Keine Sorge, ich habe versiegelte Dossiers auf allen Schiffen, deren Kapitäne nach Hause befohlen wurden. Seit ein paar Stunden haben sie mit dem Dossier Zugriff auf eine Erklärung der Lage, auch eine Erklärung über die Agenten und ihre Methode mit der Naniten-Infizierung. Die meisten Schiffe werden es nach Hause schaffen. Zumindest hoffe ich das. Für den Rest...“
„Wir werden uns kümmern“, versprach ich. Das würde eine hektische Zeit in den nächsten Tagen werden. „Ich denke, wir sollten dir jetzt deine Ruhe gönnen, damit du wieder einsatzbereit wirst, Kaiserin Arac. Denn wir haben vor, dich viel arbeiten zu lassen, dich und deine Leute.“
„Ich weiß. Ich werde, wenn wir alle wieder fit sind, mit allen gemeinsam alle Puzzlestücke zusammentragen, um dabei zu helfen, den Feind im Hintergrund zu identifizieren.“
„Danke, dass du das verstehst. Aber eines noch. Wieso wurde der Palast angegriffen?“
„Ich habe den Angriff befohlen. Der erste Angriff durch die Strafer hat genau die Unruhe gebracht, die ich brauchte, um den Palast evakuieren zu lassen und die Flucht anordnen zu können. Es reichte dann aber nur zu einer Reise in den Naguad-Raum, bevor die nächsten Anweisungen vom Großen Unbekannten eintrafen. Allerdings ist dann ja doch noch alles so ausgegangen, wie ich gehofft habe. Und nein, bevor du fragst, niemand ist im Palast, also der Daimon, gestorben. Und nein, es gab auch keine Dai im Palast, weil die gegen die Naniten immun sind und daher nicht Teil meiner Regierung waren. Wie denn auch nicht mit derart flexibler Körpermasse? Auch an Bord der Schiffe, die sich den Strafern in den Weg gelegt haben, ist fast niemand gestorben. Ich habe getan, was ich konnte, ohne dass es meinen Aufpassern aufgefallen wäre.“
„Danke, Arac. Futabe-sensei, würden Sie...?“
„Ich bleibe noch eine Zeitlang hier und überwache die Regeneration der attackierten Gehirnregionen bei der Kaiserin und beim General, um sicherzugehen, dass sie wieder gesund werden. Oder wie Ihr Soldaten sagt: Einsatzbereit.“

Das ließ mich ein wenig schmunzeln. Alles in allem kein schlechter Tag. Und wir hatten den Krieg im Kanto-System verhindert. Das war das Beste daran. Zwar standen noch ein paar Iovar-Schiffe und die Flotten von Logodoboro und Koromando im System, aber sie waren nun recht eindeutig im Nachteil. Was die beiden Verräterhäuser anging, so machte mir eine Information zu schaffen. Man brauchte gar nicht alle Iovar zu infizieren. Einige an den richtigen Stellen, kontrolliert von Agenten, reichten vollkommen aus. Was, wenn so auch Logodoboro und Koromando gefügig gemacht worden waren? „Falls etwas ist, Urgroßoma, kannst du mich jederzeit kontaktieren. Sag Arhtur, dass du mit mir verbunden werden willst, und er schaltet dir eine Leitung frei.“
„Danke. Ich für meinen Teil werde versuchen, etwas zu schlafen und wieder zu Kräften zu kommen. Und sag bitte Aris Ohana... Sag ihr, es tut mir leid. Aber ich hatte nie den Mut, mich selbst umzubringen. Vor allem, weil dann vielleicht jemand Kaiser geworden wäre, der den Agenten weniger Widerstand geboten hätte als ich.“
„Das werde ich, Arac. Versprochen.“ Ich nickte Yoshi zu, dann verließen wir das Krankenzimmer.
„Sprung nach Kanto oder zurück zur Erde?“, fragte er.
„Natürlich zurück zur Erde. Um das neue Problem kümmern wir uns danach. Schön in der Reihenfolge der Eingänge, Colonel Futabe.“
Yoshi salutierte spöttisch. „Jawohl, Sir.“
Ich lachte, er fiel ein. Einfacher waren unsere Leben nicht geworden, aber immerhin hatte es ein paar Erklärungen gegeben. Und solange ich mich auf meine Freunde und meinen Stab verlassen konnte, würde ich auch nicht aufgeben.
„Sir, Nachricht von der AURORA an die Flotte.“
„Rücksprung zur Erde in zehn Minuten, Arhtur?“, riet ich.
„Rücksprung zur Erde, ja, aber in acht Minuten.“
„Das sind ja ganz neue Sitten, die Zehn Minuten-Warnung abzuändern“, beschwerte ich mich. Aber ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Wir waren so nahe dran, endlich wieder nach Hause zu kommen. Auch Yoshi grinste von einem Ohr zum anderen. Eine lange Reise ging zu Ende.


Epilog:
Stellen wir uns vor, irgendwo im Universum säße eine Macht, die den Dai per se Böses wollte, an einem Tisch, auf dem ein Schachbrett stand. Auf diesem Brett wurde eine Partie dargestellt, die seit fünfzigtausend Jahren lief, und auf beiden Seiten standen geschlagene Figuren. Wer welche Farbe spielte, war irrelevant für das Verständnis dieser Situation. Was aber nicht irrelevant war, das war, dass die unbekannte Macht bereits Bauern geopfert hatte. Und auch ein Springer war vom Brett verschwunden. Aber dies war der Moment, in dem ein vorwitziger Bauer der gegnerischen Seite in die Position kam, einen Turm zu schlagen und dies auch prompt tat. Die unbekannte Macht griff mit einer Extremität, sei es ein Arm, ein Flügel, ein Tentakel oder eine Robotprothese nach dem gefallenen Turm und betrachtete ihn mit welchem optischen Sinn auch immer. Dann legte sie den Turm neben dem Schachbrett ab und zog eine weitere Figur, um sie erstmalig ins Spielgeschehen einzubringen. Es war die eigene Dame, die stärkste Figur auf dem Brett.

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Anime Evolution: Krieg
Episode sechzehn: Trümmer


Prolog:
Mit den Strafern, Erkundern und Vernichtern im Sonnensystem der Dai und der Menschheit befand man sich in einer Patt-Situation. Einer gar nicht mal so üblen, denn zwar waren fünf Vernichter, achtzehn Strafer und dreiundzwanzig Erkunder eine gewaltige Macht nicht an der Haustür, sondern bereits im Flur dahinter; aber diese sechsundvierzig Einheiten konnten nicht das ganze Sonnensystem auf einen Schlag abdecken. Auch wenn vor allem die Erkunder locker mal problemlos auf halbe Lichtgeschwindigkeit beschleunigen konnten – sie waren die schwächsten Einheiten des Gegners. Die UEMF hatte mittlerweile gelernt, sie zu handhaben. Die Zeiten, in denen ein einzelner Schuss eines einzelnen Erkunders die Erde hätte vernichten können, also Teile der Oberfläche, oder gar eine terranische Fregatte, waren lange vorbei. Anpassungen an den Schilden und den Waffen der Menschheit machten sie den Erkundern ebenbürtig. So war es mit den Zerstörern, die einen Strafer aufwogen, und den Kreuzern, die mittlerweile einem Vernichter Paroli bieten konnten. Daraus resultierte, dass die Erkunder nicht mehr alleine flogen, denn das machte sie zur leichten Beute der Korvetten und ihren überragenden Tarnvorrichtungen. Solange die kleinsten Kampfschiffe der Menschheit zuerst schossen – und trafen - bedeutete es einen vernichteten Erkunder.
Überdies hatten die Menschheit und ihre Verbündeten, die Kronosier, die Naguad, die Anelph, die republikanischen Iovar, eine deutliche Überlegenheit bei Anzahl und Schiffsmasse. Das Verhältnis war in etwa zu jedem Moment mindestens eins zu zwei zugunsten Terras, und an reiner Tonnage waren sie sogar eins zu vier überlegen. Genauer gesagt eins zu drei Komma neun acht sieben drei fünf eins. Das konnte man so genau sagen, weil es verlässliche Konstruktionsdaten aus der zerstörten Werft der Nagalev gab, die zusammen mit dem unverseuchten Backuck von HIVAS von eben dem übergeben worden waren. Also massierten die Kinder der Götter ihre Robotschiffe an bestimmten Punkten, um den Terranern keinen Ansatzpunkt für einen Raid zu geben, der sie weitere Schiffe gekostet hätte.

Das bedeutete im Umkehrschluss natürlich, dass sowohl der Verkehr aus dem System hinaus als auch in das System hinein relativ unbelastet war. Auch der übliche Verkehr zwischen den Daimons Erde, Mond und Mars verlief ungestört, geradezu sorgenfrei. Aber das bedeutete nicht, dass diese Situation ewig so blieb, denn drei derartig gigantische Daimon aufrecht zu erhalten kostete eine Unmenge an Energie, und es war abzusehen, dass die Konstrukte in wenigen Tagen in sich zusammenfallen würden. Und dabei war es auch noch einmal fraglich, ob die Dai zumindest die Daimon über Atlantis wieder errichten konnten, um wenigstens diesen Ort weiterhin schützen zu können. Vielleicht ein Grund, warum der Pulk der drei Schiffsklassen von jenem Sprungpunkt, an dem sie bevorzugt das Sonnensystem anflogen, von ihnen verlassen wurde, und sie mehr ins innere System strebten. Langsam und vorsichtig, begleitet von UEMF-Schiffen in sicherer Distanz, aber stetig.
Aber es gab noch einen anderen, wichtigeren Grund für dieses doch recht waghalsige Manöver. Wenn man so wollte, war ein neuer Stein auf dem Spielbrett das erste Mal gezogen worden. Eine Spielfigur, deren Existenz die Menschheit vermuten konnte, aber von der sie naturgemäß nichts wussten. Diese Meisterstück näherte sich gerade der Erd-Daimon, in einem Vehikel, das keine zehn Meter lang und nur drei Meter breit war. Dieses torpedoförmige Objekt hatte die letzten drei Wochen benötigt, um sich vom Systemrand der Daimon zu nähern, und die meiste Zeit waren dabei für rein relativ sanfte gravitatorische Beschleunigungs-, und Abbremsphase ohne Triebwerksemissionen benötigt worden, denn das Objekt hatte zu Recht jede Auffälligkeit verhindern wollen. Dennoch waren drei Wochen für eine solche Reise noch immer kurz, auch wenn man auf der Erde mittlerweile ganz andere Reisegeschwindigkeiten gewohnt war. Es hob die Gefährlichkeit dieses fiesen Schleichers nur noch mehr hervor.
Nun waren die Kriegsschiffe der UEMF nicht von Idioten bemannt, und die Ortungsspezialisten rechneten durchaus damit, dass die Kinder der Götter etwas hatten, was der Tarnvorrichtung ihrer Foxtrott-Korvetten glich oder sie sogar noch übertraf, und noch war es sicher für alle Schiffe, sich außerhalb der Daimon aufzuhalten.
Am Anfang der Okkupation des Sprungpunkts hatten die Kinder der Götter schmerzlich erfahren müssen, dass einzelne Erkunder und Strafer für die Terraner besseres Freiwild waren, und für die Vernichter hatten sie es gar nicht erst riskieren wollen.
Deshalb suchten die Spezialisten der UEMF nach genau so einem Gebilde. Testeten jeden unbekannten Blip. Verfolgten jede Anomalie. Untersuchten, ob ein kosmischer Trümmerbrocken auch wirklich ein kosmischer Trümmerbrocken von der ermittelten Masse war, und nicht etwa ein viel größeres Schiff auf Schleichfahrt, das sich mit reduzierten Emissionen tarnte. Und ehrlich, die Leute waren auf Zack.
Aber das nützte nichts gegen diese Technologie. Diese eine, ganz spezielle Technologie, die diese Spielfigur einsetzte, und die hoffentlich einmalig war. Diese erlaubte es dem Stein, dass das Gefährt sich trotz aller Bemühungen der Orter eine gute Lichtminute von der Daimon entfernt, also 180 Millionen Kilometer, an die TRAFALGAR anheften konnte, einer November-Klasse Fregatte unter UEMF-Flagge. Der Gewichtszuwachs betrug eine halbe Tonne, sodass die vermehrte Masse beim Manövrieren nicht auffiel; auch nicht aufgefallen waren Annäherung und Kontakt des fremden Schiffes. Hinterher behaupteten zwar einige der rund einhundert Besatzungsmitglieder, ein unbekanntes Geräusch gehört zu haben, so als würde sich ein Magnetschuh auf Stahl verankern, aber sicher genug, um Alarm auszulösen und die Außenhülle abzusuchen, war keiner gewesen.
Einmal an das terranische Kriegsschiff angeheftet, vertraute der Torpedo vollkommen seiner Tarnvorrichtung, die ihn ebenso unsichtbar machte wie eine Foxtrott-Korvette. Da er sich auch direkt am Schiff befand, konnten alle Sicherheitsmaßnahmen, die am Übergang in die Daimon verhindern sollten, dass sich unsichtbare Schiffe einschlichen, auch nicht greifen. Später würde jemand vorschlagen, alle einfahrenden Schiffe mit leistungsreduzierten Lasern zu beschießen, was unsichtbare Objekte dadurch enttarnt hätte, dass die Strahlen die Hülle nicht erreichten. Aber für dieses Mal war es eindeutig zu spät.

Huckepack wurde der Spielstein, nennen wir ihn ruhig weiterhin so, also in das Innere geschleppt, und bei der erstbesten Gelegenheit löste er sich wieder unauffällig. Nun hätte es einige Möglichkeiten für den Passagier des Vehikels gegeben, unerkannt die Erde zu erreichen, zum Beispiel über das Weltraumfahrstuhlsystem des Pazifiks, OLYMP und Titanen-Station. Oder über das Fahrstuhlsystem des Atlantiks, ARTEMIS und APOLLO. Der Torpedoförmige Flugkörper entschied sich aber dagegen und ging direkt in den Sinkflug über der Erde. Natürlich, wäre es ein konventionelles Raumfahrzeug der Erde des mittleren 20. Jahrhunderts gewesen, wäre es nicht nur mit einer hohen Geschwindigkeit in die Atmosphäre eingetaucht, sondern auch auf einer festen Umlaufbahn, und es hätte den Planeten mehrfach umkreist, bevor es hätte landen können. Die Ballistik hätte es dazu gezwungen. Aber dies war ein zwar kleines, aber hochmodernes Fluginstrument, das mit einem Hawk mithalten konnte. Also stieg es langsam wie ein Fahrstuhl über einen bestimmten Punkt der Erde hinab, ohne wie eine gigantische Fackel aufzuleuchten, weil die Luftreibung das nun mal so gemacht hätte. Gut, es gab ein paar Interferenzen in Form von ionisierten Luftmolekülen, aber selten. Und definitiv nicht genug, um das Gefährt zu entdecken oder gar zu identifizieren. Es war dabei aber sicher hilfreich, dass das Raumfahrzeug in relativer Distanz zum OLYMP herabkam, und dazu noch über dem freien Meer zwischen Neuseelands beiden Hauptinseln und dem fernen Kontinent Australien. Und damit in einer bequemen Entfernung zu Atlantis.
In etwa acht Kilometern Höhe setzte das Ding seinen Abstieg aus und nahm direkten Kurs auf den Kontinent der Dai. Unterhalb der Schallgeschwindigkeit, wohlgemerkt, um sich weder durch erneute Luftreibung, noch den Überschallknall zu verraten. Damit würde es die rund dreitausend Kilometer in etwas weniger als drei Stunden überwunden haben, und den bisher stärksten Spielstein der Kinder der Götter in sein Einsatzgebiet bringen.
Seine Aufgabe: Die Vernichtung der Daimon, was die Erde noch vor der Ankunft der AURORA schutzlos machen würde.
Der einzelne Passagier, wäre er dazu in der Lage gewesen, Emotionen zu haben, anstatt sie zu simulieren, hätte tief und lang geseufzt ob der Banalität der Aufgabe. Ein paar Dai töten, eine Daimon von innen deaktivieren. Das war keine besondere Herausforderung, das hatte der Spielstein in den letzten Jahrtausenden schon drei-, viermal getan, und nur einmal war es eine Herausforderung gewesen, das einzige Mal, als es ihm nicht gelungen war. Vor ein paar Monaten auf Iotan, als der Spielstein den Palast der Kaiserin für den gleichen Zweck infiltriert hatte, dort aufgeflogen war, gekämpft und verloren hatte und anschließend fliehen musste. Aber er hatte aus der Niederlage gelernt, denn das war seine Aufgabe, und die Daimon war danach schließlich doch zerstört worden. Er hatte dazu gelernt, war gerüstet, gewappnet. Aber wie gesagt, er war bar jeder Emotionen, sonst hätte er dieses leichte, dumpfe Pochen in seiner Leibesmitte als Nervosität oder gar Angst identifiziert, als er seiner Aufgabe näher und näher kam. Immerhin befand er sich in der einen, der wichtigsten, der ersten Daimon. Schade, dass Emotionslosigkeit auch bedeutete, dass er sich keine Zuversicht einreden konnte. Wenige Stunden entfernt von jenem Ort, an dem er Dai-Kuzo-sama und etliche weitere Dai töten würde.




1.
Auf der Erde, Stunden zuvor

Die Runde, welche sich auf dem neutralen Hügel eingefunden hatte, war exklusiv zu nennen. Und in dieser Zusammensetzung sicher einmalig. Alle Anwesenden, die an dem hastig herbeigeschafften Tisch saßen – er war rund – waren nach eigener Aussage unbewaffnet. Allerdings lauerte in nur zehn Kilometern Entfernung die abgestürzte RASHZANZ, welche gerade mit Bordmitteln und freiwilliger Hilfe der Dai wieder repariert wurde, um sie einsatzfähig zu bekommen.
Auf der anderen Seite erhob sich der Hügel, welcher das Kryowerk der Götter bisher verborgen hatte. Zumindest nahmen das alle Uneingeweihten soweit an. Sowohl das Schiff als auch die Anlage stellten zwei der Abordnungen am runden Tisch.
Die dritte Fraktion nahm quasi das Hausrecht ein und bestand im Prinzip aus dem ganzen Kontinent, auf dem sich das Götterschiff und die Kryo-Anlage befanden.

Vom Götterschiff, auf die Erde entsandt, um den erzwungenen Frieden mit den Dai zu überwachen, war kein Geringerer als Rooter Kevoran selbst erschienen, der Kapitän. In seiner Begleitung und direkt hinter ihm stehend war der Key, oder genauer ausgedrückt Helen Arogad, die im Moment von einer Art Sicherheitsvorrichtung besessen war, welche die RASHZANZ in jenem Moment reaktiviert hatte, als die Dai ihren Teil des Friedens gebrochen hatten. Wie dies geschehen war, durch ein Einzelereignis oder viele kleine, war nicht ganz klar. Einige Stimmen meinten, Akira Otomos Aufstieg zum Reyan Maxus könnte, dieses Signal gewesen sein, andere dachten eher daran, dass die Bürgerkriege sowohl im Reich der Iovar als auch bei den Naguad als direkte Bedrohung der Kinder der Götter angesehen wurden. Aber geweckt war geweckt, und ein Krieg schien unausweichlich. Zu diesem Zweck verfügte die RASHZANZ über eine endgültige Waffe, die in der Lage sein sollte, Atlantis, den Heimatkontinent der Dai, die dortige Daimon als auch gleich den ganzen Planeten Erde alias Lemur zu vernichten. Nur weil die Götter, welche die Besatzung bildeten, trotz ihres Auftrags an ihren Leben hingen, war sie nicht bereits gezündet worden. Grund genug hätten sie gehabt, die Götter.

Von der Kryo-Anlage war General Render Vantum persönlich gekommen, der Chef der konservierten Einsatztruppen. Jener Soldaten, welche die RASHZANZ für den Fall X unterstützen sollten. Und die stattdessen gegen das Schiff rebellierten.
Wem da ein Widerspruch auffiel, der hatte Recht. Warum eine Kaserne mit Kryo-Einrichtung auf einem Planeten errichten, der von der Superwaffe zerstört werden sollte? Warum ihr einen rebellischen General, eine rebellische Besatzung geben? Die Antwort war simpel und erschreckend, denn die Kryo-Anlage existierte nur vordergründig für die Überwachung des Friedensvertrags. Tatsächlich gab es unter den militärischen Anlagen weitere Kryo-Systeme, in denen über einhunderttausend Zivilisten aus fernster Vergangenheit beherbergt wurden, welche hier Zuflucht fanden für den Tag X, an dem die Bedrohung für sie beendet war. Und es war naiv, anzunehmen, dass auch nur eine der beiden Anlagen ohne das Wissen, ja, das Zutun der damaligen Dai hatte errichtet werden können.
Da die Götter mittlerweile vernichtet schienen und nur noch die Naguad als deren Nachfahren, aber ohne deren Wissen existierten, hatte sich dieses Vorhaben als äußerst richtig herausgestellt.
Wenn man dann noch bedachte, dass es unter der Daimon auf Iotan, der Kronwelt des Reichs der Iovar genauer gesagt dem Palast der Kaiserin ebenfalls Kryo-Anlagen gab, die bis zu einer Million Götter beherbergen konnten, wurde die Lage eher noch verwirrender. Der Angriff der Kinder der Götter auf die Hauptwelt und die Vernichtung des Daimons samt Palast hatte zwar keine iotanischen Leben gefordert, weil der Palast bereits beim dritten Strafer-Angriff geräumt gewesen war. Aber Aris Ohana Lencis, die Prätendentin des neuen Reichs und Akiras Urgroßmutter, hatte nach einer ersten Inspektion davon gesprochen, dass mindestens zehn Prozent der Kryo-Anlagen der Götter unter dem Palast vernichtet worden waren. Es bliebt eine geringe Hoffnung, dass die tieferen Lagen der beschädigten Schichten von der Vernichtung der Daimon verschont geblieben waren, oder dass Kaiserin Arac umsichtig genug gewesen war, die gefährdeten Sektionen räumen und die dort konservierten Götter retten zu lassen, denn es waren wirklich nur die Reste einiger weniger Anlagen, jedoch keine Überreste von Lebewesen gefunden worden.
Schrödingers Paradoxon. Der Angriff war stark genug gewesen, nichts Organisches zurückzulassen, aber solange man keine Toten fand, konnte auch nur Material vernichtet worden sein. Aber das waren Spekulationen, die hoffentlich bald von Fakten ersetzt wurden.
Begleitet wurde er von einer Göttin mit resoluten Augen, die er als „Bürgermeisterin Revenk Zohel“ vorgestellt hatte, die Sprecherin der Zivilisten, welche ebenfalls gerade erweckt wurden.
Bei der Konferenz an Bord der RASHZANZ vor wenigen Tagen, auf der Götter, Dai und Menschen einen gemeinsamen Standpunkt erarbeitet hatten, war sie noch nicht dabei gewesen. General Vantum hatte die Erweckung der Zivilisten erst etwa zu jenem Zeitpunkt begonnen, ab dem abzusehen gewesen war, dass die Erde nicht in allernächster Zeit vernichtet zu werden drohte. Damit die Zivilisten entweder eine Chance bekamen, zu überleben, oder aber gnädig im Eisschlaf getötet wurden, ohne etwas vom eigenen Tod mitzubekommen. Also war es ein gutes Zeichen, dass die Frau mit ihnen am Tisch saß, geradezu ein Zeichen der Hoffnung und eine Geste des Vertrauens.

Die letzte Fraktion, die sich hier eingefunden hatte, bestand im Moment nur aus einer Person. Eine, die immer verzweifelter wurde, je mehr Zeit verstrich und sie weiterhin die einzige Repräsentantin der Erde oder auch Lemur war. Diese Person, ein junges Mädchen aus Japan, das ein sehr großes Talent für den Pilotensitz des Eagles und taktisches Können bei der Führung einer Einheit bewiesen hatte, war eine der Ersten gewesen, welche das aus dem Marianengraben aufsteigende Götterschiff bekämpft hatten. Und im Moment wünschte sie sich, wieder vor den Kanonen der RASHZANZ herumzufliegen, anstatt bei der wahrscheinlich wichtigsten Zeremonie der Menschheit seit der Niederlage der Kronosier die Erdenseite vertreten zu müssen.
Nun, ganz allein war sie nicht, denn zwei junge Männer, etwa in ihrem Alter, standen ein wenig hinter ihr. Die beiden waren Luc Valsonne und Philip King, ihre Mitverschworenen, mit denen sie die Dai hatte aufmischen wollen.
Dann war alles anders gekommen, und das nicht zuletzt, weil ein gewisser Thomas als John Takei aufgetreten war, unter der er den subversiven Aktionen der kleinen Gruppe zum Erfolg hatte verhelfen wollen. In Wirklichkeit aber hatte Thomas die Aktivisten auf den Mechas auf ihre Tauglichkeit getestet, sie aus den gröbsten Verbrechen rausgehalten und mit der Wahrheit konfrontiert, als er ihre Fähigkeiten gebraucht hatte, um das Götterschiff zu bekämpfen. Denn die RASHZANZ war damals dem eigentlichen Plan dazwischen gekommen, und sie waren gebraucht worden, um die Erde zu retten.
Haru Mizuhara fühlte sich trotzdem allein an diesem großen Tisch, mit all der Verantwortung und den vielen auf sie gerichteten Augen in Form mehrerer Fernsehkameras. Sie war ja noch nicht mal offiziell in irgendeiner Funktion tätig, in keinster Weise akkreditiert, nicht mal der UEMF oder den japanischen Verteidigungsstreitkräften beigetreten. Und die Jungs, die beiden Feiglinge, ließen sie hier in Stich. Haru hätte gerne gezittert, aber nicht mal das traute sie sich. Zwar war sie kurz instruiert worden, wie die Zeremonie ablaufen sollte, aber das half nicht viel beim Gedanken, dass sie es war, der sie durchführen sollte.

Vor kurzem hatte sie einem General oder so gegenüber gestanden, einem Typ mit verdammt viel Lametta auf der Schulter und genügend Ordensbändern auf der Brust seiner Dienstuniform, dass ein Teil davon auf der Brusttasche angebracht hat werden müssen, Nathan Kreuzer. Einer von der Speerspitze, jener eilig zusammengestellter Einheit, welche vom zweiten Marsangriff mit der BISMARCK, der LOS ANGELES und den beiden Fregatten abgelenkt hatten. Mittlerweile kommandierte er die Titanen, also die beste auf der Erde verbliebene Mecha-Einheit. Aber Haru hatte keine Angst vor ihm gehabt. Sie hatte sich als Profi gesehen und ihn als Profi, nur dass er ihr nichts zu sagen gehabt hatte. Das war in Ordnung gewesen.
Aber hier und jetzt schrieb sie Geschichte vor laufenden Fernsehkameras, und sie war so nervös, dass sie nicht mal mit den Zähnen klappern konnte. Und all das nur, weil sie Dai-Kuzo-sama, die Große Spinne, gefragt hatte, warum sie nicht Dai-Kumo-sama hieß, weil Kumo das japanische Wort für Spinne war.
Aber anstatt darauf einzugehen hatte die Große Spinne geantwortet: „Ach, eine Neunmalkluge, wie? Wenn du so superschlau bist, dann kannst du deine Fähigkeiten ja mal im Sinne der Erde nutzen. Da ist der Konferenztisch. Setz dich in den Sessel, der mit dem Rücken direkt in deiner Richtung steht, und improvisiere.“
Haru hatte keine Zeit gehabt, zu protestieren, aufzubegehren oder auch nur einen einzigen Laut von sich zu geben. Die Große Spinne war von einer Aura begleitet worden, die ihr einredete, die große Dai mit den langen schwarzen Haaren war wirklich eine Spinne, ein gigantisches Raubtier mit messerscharfen Mandibeln, mit denen sie die kleine japanische Schülerin in kleine Fetzen reißen würde, um die Bruchstücke zu ihrem Spinnenmund zu führen, wo sie die einzelnen Stückchen genüsslich verspeiste. Haru wusste, dass die Dai ihre KI-Fähigkeiten einsetzte, um ihr Gegenüber unter großen mentalen Druck zu setzen, und was sollte sie sagen? Es funktionierte ganz großartig, und ohne jede Form von Widerspruch hatte sie doch noch Platz genommen.

Mittlerweile war eine Stunde vergangen, ihre Gäste waren angekommen und hatten sich vorgestellt, Haru hatte das erwidert, war aufgestanden, jeden mit Handschlag begrüßt und zum Tisch an ihre Plätze geführt. Danach hatte sie wieder Platz genommen, Erfrischungen in Form von Getränken und kleinen Snacks angefordert und auch geliefert bekommen. Routiniert hatte sie darauf hingewiesen, dass diese Nahrung nicht nur gut verdaulich und verwertbar für Götter war, sondern dass sich auch einige Naguad, Nachfahren der Götter, positiv über den Geschmack geäußert hatten. Somit hatte sie etwa fünf Minuten überbrückt, die ihr wie zehn, zwölf Tage vorgekommen waren. Während also Helen Otomo „ihrem“ Kapitän einen Weißtee eingoss und einige der Schnittchen empfahl, und die beiden Vertreter des Kryo-Archivs sich gegenseitig zur Kostprobe der bunten Leckereien ermutigten, hatte Haru sich geräuspert.
Geräuspert. Aufmerksamkeit eingefordert. Von Leuten, die so weit über ihr standen, dass, wäre sie auf ihre Schultern geklettert, die Höhenluft für sie zu dünn geworden wäre. Aber sie hatte es getan, und vier Paar Augen und etwa zwei Dutzend Kameras richteten sich auf sie.
„Ich bin keine offizielle Vertreterin der UEMF, wie ich ihnen bereits gesagt habe, aber Dai-Kuzo-sama hat mir die große Ehre erwiesen, ihre beiden Fraktionen zu empfangen. Wie Sie wissen, geht es nach unserer Einigung in der RASHZANZ-Konferenz nicht mehr um Entscheidungen, nur noch um die Ergebnisse dieser Entscheidungen. Genauer gesagt um die Unterzeichnung der Verträge, welche sowohl die RASHZANZ samt Crew als auch die Einsatzgruppe General Vantums in die UEMF eingliedern, sowie die Siedlungsverträge der Zivilisten der Kryo-Anlage, vertreten durch Bürgermeisterin Revenk Sohel, auf Erde, Mond oder Mars festlegen.
Im Klartext: Wir verbünden uns gemeinsam gegen die Kinder der Götter. Welche nicht nur für unzählige Angriffe auf das iovarische Kaiserreich und das Imperium der Naguads, sondern auch auf die Erde selbst sowie etliche Daima-, und Daina-Siedlungssysteme im kosmischen Umkreis von rund einhundert Lichtjahren verantwortlich sind. Und der versuchten Auslöschung des Volkes der Götter selbst.“
Die Bürgermeisterin hob eine Hand. „Hat die Verzögerung etwas damit zu tun, dass die beiden Daimons um Erde und Mond sowie um den Mars zu versagen drohen?“
Haru atmete innerlich auf. Gut, niemand stellte ihre Anwesenheit in Frage. Und wenn sie das wohlwollende Lächeln von Helen Otomo betrachtete, hatte sie eventuell sogar eine Verbündete hier am Tisch. Eine sicherere Verbündete als diese neuen Verbündeten generell. In etwa. Allerdings war das Thema, das Revenk Sohel angesprochen hatte, ernst genug.
„Es ist ein offenes Geheimnis. Ja, die beiden Daimon werden in naher Zukunft zusammenbrechen. Ja, es befinden sich mehrere Strafer und Erkunder der Götter im System – nichts für ungut, so haben wir sie bisher genannt – und auch einige Vernichter. Wie wir mittlerweile wissen, können die Hauptwaffen der AURORA mit Unterstützung von KI-Meistern und des Reyan Maxus Akira Otomo auch die Vernichter der Götter – der KINDER der Götter, Entschuldigung – zerstören. Aber es dauert noch einige Zeit, bis das größte Schiff der Menschheit seinen letzten Sprung beendet hat, und wir haben gute Chancen, dass die beiden Daimon vorher versagen.“ Sie sah auf das Armband, das ihr irgendjemand – eventuell Thomas, der elende Verräter, wo war er, der Schuft? - umgelegt hatte. „Nach unseren Schätzungen ist dies in etwa siebzig Stunden der Fall. Zu diesem Zeitpunkt wird die RASHZANZ noch nicht raumtauglich sein, und wir haben zu dann auch keinen Einsatzgrund für ihre Elite-Infanterie, General Vantum. Aber die UEMF und die ganze Erde würden nun gerne Nägel mit Köpfen machen und vertraglich fixieren, was mündlich vereinbart wurde.“ Sie sah zu Helen herüber. „Außerdem bitten wir Sie, Kapitän Kevoran, als Zeichen des guten Willens den Key in Helen Otomo als von ihnen deaktiviert zu betrachten.“

Irritiert sah der Gott die junge Pilotin an. „Verzeihung, die Schnellschulung in deiner Sprache war eventuell etwas lückenhaft. Sicher wolltest du sagen, dass ich den Key aus Helen Arogad entferne.“
Haru wusste nicht, was über sie kam, und woher sie diese Sicherheit nahm. Aber gemütlich lehnte sie sich zurück, lächelte überlegen und sagte: „Kein Übersetzungsfehler, Kapitän. Ich möchte Sie darum bitten, Helen Otomo ganz offiziell aus ihrer Pflicht zu entlassen, die sie durch Vererbung in ihrer Familie an Sie und die RASZANZ bindet. Es besteht keinerlei Notwendigkeit mehr, eine Form von Zwang auszuüben, wenn wir Verbündete sind. Sie sind zudem mit unseren wichtigsten Verbündeten, den Naguad, verwandt, quasi deren Vorfahren, also können Sie sicher sein, dass dieses Bündnis auch halten wird, ohne dass Helen Otomo diese Welt hochjagt.“
Hätte man Verblüffung eintüten können, bei Kapitän Kevoran wäre ein findiger Agrarökonom auf die Ernte seines Lebens gestoßen.
„Nun gib dich doch nicht so begriffsstutzig, du alter Narr!“, donnerte General Render Vantum. „Helen Arogad ist nicht länger unter deiner Kontrolle! Offensichtlich hat sie den Key in sich, der sie zur Loyalität zwingt, bereits schon lange besiegt!“
Erstaunt sah Rooter die Halb-Naguad an. Er erhob sich, legte die rechte Hand auf ihre Stirn und erstarrte so plötzlich, dass man meinte, er wäre in der Zeit eingefroren. „Es ist also wahr. Unser stärkstes Druckmittel … Wann, Key?“
„Ich glaube, du solltest in Zukunft öfter Helen Otomo oder Helen Arogad zu mir sagen, das ist mir beides recht“, erwiderte sie. „Aber, wenn du es genau wissen willst, etwas nach der Notlandung der RASHZANZ. Als die Tigerdämonen unter Dai-Tora-sama das Schiff stürmten, hatte einer von ihnen einen besonderen Auftrag. Die Tigerdämonen sind sehr gut in Partikelkontrolle, deshalb hat Dai-Tora ja auch ein vorgebliches Leben als Magier geführt. Dieser unterstützte mich dabei, die Kontrolle über den Key zu vervollkommnen und den Sprengsatz zu entschärfen.“ Sie lächelte. „Wenn ich immer noch hier bin, liegt es daran, dass ich einen Sinn darin sehe, dich zu unterstützen, so wie ich euch auch nach der Kryo-Phase unterstützt habe. Immerhin seid ihr nicht nur unsere Vorfahren, sondern ihr seid genauso benutzt worden wie die Dai.“

„Du hast also den Key deaktiviert?“
„Ja.“
„Die Vernichtungsoption für die Erde beendet?“
„Ja. Der Sprengkörper wurde übrigens geborgen und wird an anderer Stelle verwendet. Schau nicht so. Uns war von Anfang an klar, dass die RASHZANZ bei all ihrer Macht nicht allein in der Lage sein konnte, die Erde zu vernichten, zumindest nicht auf einen einzigen Schlag. Und nein, ihr kriegt den Sprengkörper nicht zurück. Er ist der Schlüssel zu einen, hm, anderen Ereignis.“
„Das war geplant?“, fragte Rooter.
„Nein. Nichts davon war geplant. Wir hätten es gerne vermieden, die RASHZANZ zu wecken. Jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt und nicht aus dem Grund, dass das Vertragswerk verletzt wurde“, erklärte die Halb-Daima. „Ebenso gut hätten wir liebend gerne auf eure Kämpfe mit unseren chinesischen Verbündeten verzichtet, dem Absturz deines Schiffs auf Atlantis, und noch ein paar Dutzend Dinge mehr. Was wir aber getan haben, das war, den Schaden, der angerichtet werden würde, so gut wir es konnten einzudämmen. Die Schäden an deinem Schiff konnten wir leider nicht verhindern. Tatsächlich gab es eine Option, zu der ich zum Glück nicht greifen musste. Sie hätte beinhaltet, alle leitenden Offiziere an Bord zu töten, oder wenn es sein musste, jedes einzelne Besatzungsmitglied.“
„Mein Tod hätte aber ...“
„Dein Geist wäre getötet worden. Dein Körper hätte weiter existiert, mit schlagendem Herzen und einer gewissen Grunddenkleistung des Gehirns, um die Vernichtungsschaltung nicht auszulösen. Wir hatten genug Zeit, euch zu studieren, Rooter Kevoran. Aber das wäre ein sehr komplexes und gefährliches Vorhaben gewesen, zu dem wir nur im äußersten Notfall gegriffen hätten. Die Situation war unübersichtlich genug, so wie sie war.“
Haru räusperte sich ein zweites Mal. „Bitte, Kapitän Kevoran. Wenn Sie unserer Anfrage nachgeben könnten, wäre das hilfreich für unsere zukünftige Zusammenarbeit.“
Erneut sah der Kapitän der RASHZANZ zu ihr herüber. Noch immer war er verblüfft. „Ich verstehe langsam, warum meine Vorgesetzten zu so ungewöhnlichen Mitteln gegriffen haben, um die Dai auszukontern. Und es hat trotzdem nicht gereicht.“
„Aber es hat uns die Möglichkeit gegeben, eine der letzten existierenden Siedlungswelten unseres Volkes zu räumen, die Überlebenden zu bergen und zu verstecken, in der Hoffnung, dass wir alle lange genug schlafen würden, um die Epoche der Kinder der Götter hinter uns zu haben, wenn wir wieder erwachen.“ General Vantum seufzte. „Ja, wir waren in dem Moment eure Gegner, Rooter, als die Dai uns halfen, die Kryo-Anlage für unser Volk zu errichten. Leider hat sich unser aller Hoffnung nicht erfüllt. Die Kinder der Götter haben so viel Widerstand bekommen, dass sie sich entschlossen haben, ihrerseits die Verträge zu brechen und zu versuchen, mit der von ihnen errichteten Macht aus fünfzigtausend Jahren Erde und Mond zu vernichten. Und damit auch unsere Keimzelle für eine Wiedererrichtung unserer Zivilisation.“

„Eine unserer Keimzellen“, wandte die Bürgermeisterin ein. „Aufgrund der Aktionen der AURORA kennen wir eine weitere, auf Iotan, und wir können für die dort eingefrorenen Götter nur das Beste hoffen. Frau Mizuhara, wir wurden darüber informiert, dass Kaiserin Arac und ihr wichtigstes Gefolge … Wie soll ich es sagen? Vor den eigenen Truppen desertiert sind und sich jetzt, etwa achthundert Personen stark, auf der ADAMAS und der AURORA befinden. Angeblich wurden sie durch Naniten kontrolliert, eine Methode, die wir in ähnlicher Form auch beim Key verwendet haben. Ist es möglich, wenn diese Daima sich erholt haben, mit ihnen zu sprechen? Niemand kennt hier die Positionen der anderen Refugien meines Volkes. Dies geschah aus Sicherheitsgründen. Aber vielleicht haben sie Hinweise auf diese für uns, und wir können den Kindern der Götter zuvor kommen und weitere Angehörige unseres Volkes retten, so wie die Nagalev, von denen uns auch berichtet wurde.“ Sie sah kurz zu Rooter Kevoran herüber. „Du kannst es nicht wissen, aber in den zehn Jahren, nachdem die RASHZANZ auf der Erde installiert wurde und der Bau der Kryoanlage begann, erlebte unser Volk eine Wucht der Zerstörung, die eindeutig nicht von den Dai ausging, sondern von unseren eigenen Kampfschiffen. Als wir gerettet haben, was noch zu retten war, halfen uns ausgerechnet jene, die wir zu unseren Feinden erklärt hatten.“
Ihr Blick verlor sich für einen Moment in der Ferne. „Wir werden erneut bedroht. Auf den Welten, die ihr Terraner West End und East End nennt, und auf der zwei Daimon zerstört worden sind, wurden es vielleicht auch unsere Kryo-Anlagen. Aber obwohl die Kinder der Götter auf beides die Jagd eröffnet zu haben scheinen, Daimon und Kryo-Anlagen, ist es jetzt vielleicht unsere einzige Chance, so viele unseres Volkes wie möglich zu retten. Sollte die Erde in einer Woche noch existieren.“
Haru runzelte die Stirn. „Das ist nichts, was ich versprechen darf oder auch nur kann. Kaiserin Arac wird selbst entscheiden, ob sie mit den Göttern reden wird, oder nicht. Aber ihr Anliegen, Bürgermeisterin, wird ihr vorgetragen werden. Dafür sorgen alleine diese Fernsehkameras, deren Sendung auch auf der AURORA empfangen wird. Persönlich sehe ich nichts, was dem widerspricht. Sobald wir Verbündete geworden sind“, fügte sie spitz an.

„Moment. Bevor wir tatsächlich zu den Verträgen kommen, möchte ich ihrer Bitte entsprechen, Frau Mizuhara.“ Rooter Kevoran erhob sich von seinem Sessel. Er wandte sich Helen Otomo zu.
„Mit der Kraft meiner Befehlsgewalt entlasse ich dich, Helen Arogad, aus deiner Pflicht der RASHZANZ gegenüber. Und ich erkläre den Vertrag zwischen Göttern und Dai für voll erfüllt und ziehe damit die Drohung der totalen Vernichtung der Erde zurück. Da es augenscheinlich keinen Götterstaat mehr gibt, rechne ich auch nicht damit, dass es eine Instanz über mir gibt, die diese Entscheidung zurücknehmen kann. Sie ist eh nur eine Formalie.“
„Danke, Kapitän“, sagte Helen mit einer Verbeugung, einer leichten.
Rooter sah zur japanischen Schülerin herüber. „Reicht es so, Frau Mizuhara, oder haben Sie an etwas Förmlicheres gedacht?“
„Förmliches haben wir wahrlich noch genug, Kapitän“, erwiderte sie, und wie hingezaubert standen Philip King und Luc Valsonne hinter ihr, große Ledermappen in den Händen, welche sie vor dem Kapitän und dem General und der Bürgermeisterin aufklappten und präsentierten. Dazu zückten sie klassische Füllfederhalter.
„Ihr Zeichen bitte hier und hier, General. Frau Bürgermeisterin, bitte hier und hier.“
„Kapitän, bitte unterschreiben Sie hier und hier.“
Als die drei ihre Unterschriften gesetzt hatten, rückten Luc und Philip auf. Luc kam zu Haru und legte ihr die Mappe vor, Philip hielt die Mappe, die bereits Kevorans Unterschrift beherbergte, dem General und der Bürgermeisterin vor.
„Hier, bitte, und hier, Haru-chan“, sagte Luc.“
„Ich bin kein offizieller Vertreter der Erde“, sagte sie verdutzt.
„Bitte hier und hier, General. Frau Bürgermeisterin, hier und hier. Danke.“
„Du bist vor zwei Stunden als Diplomatin der UEMF akkreditiert worden“, sagte Luc. „Nun mach schon, hier, und dann hier noch mal.“
Haru war zu verblüfft, um etwas zu erwidern, stattdessen unterschrieb sie mit ihrem Namen im Stil des westlichen Alphabets, auch wenn dadurch ihrer Meinung einiges an der Bedeutung ihrer echten Unterschrift in Kanji und Hiragana verloren ging, aber es musste ja nicht mit Gewalt kompliziert gemacht werden. Okay, nicht noch mehr mit Gewalt verkompliziert werden.
Dann wechselten die Mappen wieder, Philip kam zu ihr, Luc ging Kapitän Kevoran herüber.
„Hier und hier bitte, Haru-chan.“ Er lächelte sie an. „Gerade Diplomatin geworden, und schon unterschreibst du im Auftrag der Menschheit. Rasante Karriere, was?“
„Ach, hör auf, ich bin so nervös, dass ich es nicht mal schaffe zu zittern“, erwiderte sie und unterschrieb an beiden Stellen. „Außerdem werdet ihr beiden mir das noch büßen.“
„Und Sven kriegt nichts ab?“, spöttelte Philip.
„Der weiß, was gut für ihn ist, und hat sich nicht hieran beteiligt“, erwiderte sie böse schmunzelnd.
„Ich werde es ihm ausrichten, während ich ihn dran erinnere, dass er sich ausdrücklich vor Eikichi Otomo ausgesprochen hat, dass du diese Situation meistern kannst“, schmunzelte er.
„Ach, ist er doch involviert? Wie geht es ihm?“
„Es geht ihm gut genug, um sich zu streiten. Du kannst dir nicht vorstellen, wie vehement er sich für dich ausgesprochen hat.“
„Und das soll mir jetzt schmeicheln?“, fragte sie dünnlippig.
„Nein. Es soll dir nur sagen, dass wir dir alle vertrauen. Die Alternative wäre gewesen, Thomas hierhin zu setzen, und du stimmst mir doch sicher zu, dass das absolut nichts für unseren falschen John Takei gewesen wäre, oder?“
„Punkt für dich“, sagte sie, den letzten Strich mit dem Füller führend. Dann hielt sie inne und sah auf die Mappe herab. Vier Unterschriften, drei Fraktionen, die mit dieser Aktion erst zwei werden würden, indem die Besatzung der RASHZANZ und die Truppen und die Zivilisten der Kryo-Anlage zu einer einzigen wurden, und dann die Verschmelzung aller mit der UEMF. Sie machte sich klar, dass dies ein mehr als geschichtsträchtiges Dokument war. Eines würde die UEMF erhalten und aufbewahren, eines würde in die Hände der Bürgermeisterin gegeben werden, um zu unterstreichen, für wen das Militär der Götter überhaupt kämpfte.
Sie bekam kaum mit, dass Philip ihre beiden Unterschriften mit einem Wiegelöscher antrocknete und dann die Mappe wieder schloss. Hatte er das bei allen Unterschriften gemacht?

Philip nahm die Mappe auf und ging zurück zum General und der Bürgermeisterin, während Luc zu ihr ging. Zeitgleich überreichten sie ihre Mappen. Haru nahm ihre mit klammen Fingern entgegen. Einmal mehr war sie sich bewusst, dass hier wirklich, wirklich Geschichte geschrieben wurde. Nicht einfache Geschichte, sondern Akira-Style-Geschichte. Es war ein Wunder, dass die Verantwortung sie nicht auf der Stelle umbrachte. „Danke“, bekam sie stockend hervor. Bevor Luc aber wieder im Hintergrund verschwinden konnte, hielt sie ihn am Ärmel fest. „Wo sind eigentlich Direktor Otomo, die große Spinne, sowie jeder ernstzunehmende, hm, länger als ich akkreditierte Vertreter der UEMF, die diese Aufgabe vermutlich besser hätten erledigen können?“
Lucs Gesicht wurde ein wenig fahl. „Weißt du es nicht? Ahnst du es nicht?“ Er deutete zu Kapitän Rooter Kevoran, der sich jetzt zum General und der Bürgermeisterin begab, weil er alleine war. Helen Otomo war verschwunden, vermutlich mit dieser Methode, die wirklich, wirklich fähige KI-Meister „Reisen auf Ley-Linien“ nannten.
„Wo ist sie hin?“
„Dahin wo die anderen KI-Meister auch sind. Sie versuchen, die Daimon mit ihrem KI ein letztes Mal zu stärken, damit sie durchhält, bis die AURORA ins Sonnensystem zurückgekehrt ist. Dafür wechseln sie sich in Schichten ab, und jeder, der eine dieser Schichten übernehmen kann, erkauft uns ein wenig mehr Zeit vor dem Kollaps. Die AURORA wird zwar deutlich vor Ablauf der siebzig Stunden eintreffen, nämlich genau in vier, aber erstens ist sie dann noch nicht bei uns angekommen, und zweitens ist unser wichtigster Schutz gegen die Kinder der Götter immens wichtig. Stell dir vor, die Daimon der Erde würde jetzt doch schon in der nächsten Stunde zusammenfallen. Automatisch würde eine Schlacht beginnen, bei der uns die AURORA bitter fehlen würde. Von der Verwundbarkeit unseres Heimatplaneten ganz zu schweigen.“
„Oh“, machte Haru und fühlte sich schuldig für ihre Nervosität. Aber … „Heißt das, ich musste das hier machen, weil ich übrig war?“, zischte sie Luc zu.
„Nein“, erwiderte er, ihre Hand von seinem Ärmel entfernend, sanft natürlich. „Du warst von denen, die übrig und verfügbar waren, die Beste für die Aufgabe.“ Mit diesen Worten zog er sich wieder zurück, und Philip folgte ihm, wohlweislich ihren Blick vermeidend. So schlimm war sie nun auch wieder nicht. Fand sie selbst.

Als die beiden wieder ein Stück hinter ihr standen, war es ihr, als würde noch etwas erwartet werden. Nur was? „Kapitän Rooter Kevoran und die Besatzung der RASHZANZ“, begann sie vorsichtig, sich ans Thema heranpirschend. „General Render Vantum und die Infanterie der Kryo-Anlage. Bürgermeisterin Revenk Zohel und die Zivilisten, die Sie vertreten.“ Sie erhob sich, und die, also der General und die Bürgermeisterin, die noch saßen, taten es ihr nach.
„Willkommen in der United Earth Mecha Force. Willkommen auf der Erde. Und willkommen im Panstellaren Bündnis der Daina, der Daima und der Dai. Noch jemand ein Getränk, oder was Härteres? Ich darf ja nicht, aber Sie drei sehen so aus, als könnten Sie was gebrauchen.“
„Gerne“, sagte der General.
Wie hingezaubert stand Luc da, ein Tablett in der Hand, auf dem verschiedenste Gläser mit Schnaps, Bier, Wein und nichtalkoholischen Genussmitteln stand. Er erklärte kurz, was was war und welche Wirkung es hatte, und reichte Haru ein garantiert alkoholfreies Getränk, eine braune Flüssigkeit, die mit absoluter Sicherheit Cola war. Damit stieß sie mit den neuen Verbündete an und nahm einen Schluck.
Beinahe hätte sie die Flüssigkeit wieder ausgespuckt, aber nur beinahe. Cola Light. Wirklich jetzt? Cola Light? Sie hatte nicht ein Gramm Fett zu viel am Körper, außer wo es unbedingt sein musste wie an ihrem Busen, und dann Light? Sie beschloss, später ein ernstes Wort mit Luc zu haben. Ein sehr kurzes ernstes Wort. Aber alles in allem war ihre erste diplomatische Mission im Dienste der Menschheit doch ganz gut gelaufen. Fand sie selbst. Mittlerweile.




2. Wenige Stunden zuvor auf der AURORA

Die kleine Gruppe an Militärs und Wissenschaftlern, die sich in der Poseidon-Flottenzentrale eingefunden hatten, um jenen Chip zu sichten, den Dai-Kitsune-sama von ihrem Einsatz mitgebracht hatte, konnte man Top Notch nennen. Angeführt wurde das Treffen von niemandem geringeren als Colonel-Professor Kevin Lawrence, Chefwissenschaftler der AURORA, frisch befördert und mit Lehrstuhl belehnt. Dazu kam Admiral Kei Takahara für die Sichtung der Ergebnisse, und natürlich waren auch einige Slayer anwesend, zumindest Ami Shirai, Sarah Anderson und natürlich ihre offizielle-inoffizielle Chefin Hina Yamada, übrigens ganz offizielle Chefin des Otome-Bataillons, da sie an den Untersuchungen der Daten auf dem Chip beteiligt worden waren. Einige weitere Experten wie Admiral Tetsu Genda, Mamoru Hatake und Ban Shee Ryon sowie eine Belta von den Nagalev waren ebenfalls anwesend. Vertreten war auch der österreichische Universalwissenschaftler Doktor Beer, der seit seinem Eintreffen, nun, sagen wir, einige Dinge beschleunigt hatte. Nur nicht den Bau einer großen transformierbaren Macross-Festung, wie er zum eigenen Bedauern immer wieder feststellen musste. Aber er hatte entscheidend zur Verbesserung der Hämmer des Hephaistos beigetragen. Unter anderem.
Alles in allem hatten sich zehn hochkarätige Personen um den Chip versammelt, der nicht nur ein unverseuchtes Backup von Father enthielt, dem Abbild des Zentralrechners der vernichteten Gigantwerft, HYVAS. Ebenfalls verfügbar waren Daten zu den verschiedenen von den Kindern der Götter eingesetzten Schiffstypen, zu den aktiven Schiffen selbst, zu Flugvektoren, Waffensystemen und jede Menge Gekrause. Gekrause? So nannten die Computerexperten alle anderen Daten, die über die letzten fünfzigtausend Jahre als speicherungswürdig angesehen worden waren, aber nicht direkt militärisch nutzbar waren, so vor allem Log-Einträge, Ortungen, Materiallisten, Hinweise auf automatische Ressourcen-Ernter innerhalb und außerhalb des Systems. Und, was am wichtigsten war, Hinweise auf weitere Gigantwerften wie jene, die gerade erst zerstört und aus deren Innern die überlebenden Nagalev gerettet worden waren.

Es war pure Ironie, dass das Gekrause sehr schnell interessanter wurde als die technischen Daten und die kosmischen Koordinaten möglicher Götter-Stützpunkte. Enthielt es doch auch ein Log von, nennen wir es Wartungen, mit denen die Naniten, die HYVAS im Griff behielten, auf den neuesten Stand gebracht, aufgefrischt, aufgefüllt, ausgetauscht und repariert wurden. Dies war in den letzten rund fünfzigtausend Jahre in einem achtzehnmonatigen Intervall passiert, plusminus neunzig Stunden und elf Minuten. Also rund dreiunddreißigtausend Mal. Und jede dieser Wartungen wurde von der gleichen Person erledigt. War es schon so unverständlich und ungeheuer bemerkenswert, dass es eine Zivilisation geschafft hatte, diesen enormen Abgrund der Zeit als existierendes und lebensfähiges Gebilde zu überwinden, so erstaunte dies umso mehr. Immer die gleiche Person. Exakt die gleiche Person. Niemals alternd, sich nie verändernd. Stets in einem ähnlichen Rhythmus sprechend, sich stets gleich bewegend, eine jedes mal identische Mimik nutzend, und augenscheinlich immun gegen die harte Gamma-Strahlung, welche das Zentrum geflutet und alle dort arbeitenden Nagalev auf „gut durch“ gegart hatte.
Das Wesen war einem Vogel nicht unähnlich und reich mit Federn geschmückt. In der Grundform war es humanoid, und die Flügelähnlichen Extremitäten endeten in sieben Greifklauen, mit denen es erstaunlich feinmotorische Arbeiten erledigen konnte. Eine der Krallen war sogar als organische Schnittstelle konzipiert, über die das Wesen direkten Zugriff auf HYVAS nehmen konnte. Für die Sichtung der Daten jedoch brauchte er wieder die Monitore im Computerkern.

Nun konnte man weder sagen, dass dieses Wesen, oder auch nur seine Spezies besonders bekannt war. Oder je eine Rolle gespielt hatte. Auch für Belta war es neu. Aber alle anderen Anwesenden waren einem Abbild dieser Spezies bereits einmal begegnet, auch wenn es den Meisten nicht bewusst war. Nämlich in jenem Bericht, den Akira Otomo verfasst hatte, nachdem er als Reyan Maxus erwacht war und mittels der Kontrolle der Atomkraft die Größe von Prime Lightning vorübergehend verdreifacht hatte – einhergehend mit einer Art Vision der Kinder der Götter. Eine Art Gericht, ein Gremium, ein Vorstand. Eines der Wesen, die Akira dort gesehen hatte, war ein Vogelähnlicher gewesen. Federführend waren ein Insektoide, ein dürrer, silberhäutiger Humanoide und ein Echsenabkömmling gewesen, dominiert vom Abbild eines Auges auf einer Pyramide. Aber damals waren mehrere weitere Vertreter anwesend gewesen und hatten für sich in Beschlag genommen, die Kinder der Götter zu sein.
Akira hatte einen umfassenden Bericht nach dieser Begegnung abgegeben, und als er um weitere Details gebeten worden war, rekonstruierte er sämtliche Vertreter des Gremiums, die er gesehen hatte, in einer virtuellen Realität so gut er es vermocht hatte, nach. Und diese Versionen wohnten nun als etwa handgroße Hologramme auf dem Tisch der Versammlung bei. Wenn man ganz genau hinsah, konnte man sehen, dass Proportionen und Farbgebung des Ovoiniden im kleinen Holo und in jenen Aufzeichnungen von HYVAS daneben eine große Ähnlichkeit aufwiesen.

„Ist es bestätigt?“, fragte Kei Takahara. „Ist es immer die gleiche Person, Gestalt, Individuum, wie immer wir es nennen wollen? Dreiunddreißigtausend mal?“
Kevin Lawrence runzelte die Stirn. „Doktor Beer hat die Erkenntnisse zusammengefasst und federführend an einigen wichtigen technischen Fragen gearbeitet, aber auch bei diesem Aspekt geholfen. Doktor?“
Der große Österreicher räusperte sich ein paarmal, bevor es ihm gelang, das Wort zu ergreifen. „Der Zentralrechner von Poseidon hat es mittlerweile fünftausendmal untersucht, um sicherzugehen, aber Sprache, Atemrhythmus, Farbgebung des Gefieders, Größe und Proportionen sind in den Aufzeichnungen HYVAS' immer identisch. Die Bekleidung wechselt, beziehungsweise der Schutzanzug gegen die Strahlung. Das Gesicht und die dortige Befiederung ist immer zu einhundert Prozent identisch. Dazu möchte ich hinzufügen, dass dieses Wesen frappierend jenem Kind der Götter ähnelt, welches uns durch die holografische Rekonstruktion von Commander Otomo bereits bekannt ist, aber damals nur die Rolle eines Zuschauers hatte.“
Ami warf schaudernd ein: „Ihr wisst, dass das eigentlich absolut unmöglich ist. Man sollte erwarten, dass er mal eine Feder verliert oder eine neue nachwächst, dass sich was im Gesicht verändert, dass er über die Jahrtausende mal einen Pickel oder ein für seine Rasse übliches Geschwür bekommt. Dass er sich im Sprachtakt verändert oder sein Verhalten irgendwann einmal abweicht und anders wird.“ Sie machte eine ausladende Handbewegung. „Oder dass dieses Wesen eines Tages durch eine andere Person seiner Spezies abgelöst wird. Und wir haben sehr akribisch nach solchen Anzeichen gesucht. Also der Poseidon-Rechner, denn dreiunddreißigtausend Besuche bedeutet dreiunddreißigtausend Aufzeichnungen, die verglichen werden mussten.“
„Und das Ergebnis?“, fragte Kei. „Verändert es sich doch auf irgendeine Weise? Wird es ausgetauscht? Altert es? Wird es jünger? Passiert irgendwas mit ihm?“
Doktor Beer schüttelte den Kopf. „All das ist nicht der Fall. In den Aufzeichnungen des Werftrechners wird festgestellt, und der Poseidon-Rechner bestätigt es, dass es sich bei diesem Vogelartigen immer um das gleiche Individuum handelt. Und dass es sich nicht verändert. Was nur bedingt unmöglich ist. Major Yamada hat sich um dieses Detail gekümmert.“
Die Anführerin der Slayer übernahm das Wort. „Die Messungen von HYVAS bestätigen, dass dort etwas ist. Oder jemand. Es gibt Masse. Es gibt Resonanz. Und soweit HYVAS es feststellen kann, gibt es Bewegung unterhalb der Federn, die auf etwas Ähnliches schließen lassen wie unser Adernsystem, unsere Poren und unsere Drüsen. Wohlgemerkt keine Schweißdrüsen, da scheint unser neuer bester Freund den irdischen Vögeln ähnlich zu sein.“

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Kei meldete sich wieder zu Wort. „Womit haben wir es also zu tun? Sind die Aufnahmen detailgetreu genug für einen Zoom? Können wir feststellen, ob das Ding nur eine Projektion ist, die aus Polygonen besteht, quasi reingeschrieben in die Überwachungskameras inklusive gefaketen Messungen HIVAS' zur Masse und so weiter?“
„Guter Gedanke, aber soweit es die Qualität der Aufnahmen zulässt, können wir keine Polygone erkennen, und die Detaildichte ist wirklich recht gut. Stell dir vor, normale Aufnahmen wären .tif-Format, und diese hier sind BMP“, sagte Doktor Beer.
Als Hina die teils verwunderten Blicke der Anderen für den Österreicher sah, ergänzte sie für ihn: „Die Qualität ist zwanzigmal, dreißigmal höher als bei normalen Aufnahmen, was uns eine extrem gute Detailtreue beschert. Das bedeutet, wir können in den Aufnahmen sehr weit hineinzoomen. Polygonblöcke, wie sie für solche Konstrukte benutzt werden, würden dann auffallen. Aber eventuell ist diese Technik einfach weiter als wir mit unserer Fähigkeit, sie zu erkennen. Es ist nicht auszuschließen, aber nach dem, was wir können, müssen wir sagen: Nein, das ist kein Konstrukt. Ja, es ist immer das gleiche Wesen.“
Kei sah ernst zu ihr herüber. „Kein Wunder, dass Sie diese Sitzung anberaumt haben, Kevin. Diese Unmöglichkeit da stellt womöglich eine Gefahr für uns dar, die wir schnellstmöglich aufklären müssen.“
„Was also ist das Ding?“, fragte Tetsu Genda, der Kommandeur der AURORA. „Es ist kein Hologramm, es ist kein Roboter, es ist kein Kunstkörper, wie der Core sie einsetzt – außer, es gibt eine Baureihe für Roboteinsatzkörper, die über fünfzigtausend Jahre lang Einheiten bauen kann, bei denen eineiige Zwillinge neidisch werden. Es altert nicht, es verändert sich nicht, es kommt nicht in die Mauser. Was also kann über so einen langen Zeitraum identisch bleiben, außer einem Dai?“
Leichtes Entsetzen ging durch den Raum. Belta atmete erschrocken ein. Dai, das war für sie ein Reizwort, denn obwohl die Nagalev damals im Daina-Daima-Krieg neutral gewesen waren, hatten auch sie die Kampfkraft dieser Wesen gefürchtet. Zugegeben, die Begegnung mit Kitsune, Lertaka und den Anderen hatte das etwas relativiert.
Kevin Lawrence ergriff das Wort. „Aus diesem Grund habe ich mir erlaubt, einen, sagen wir, Gastdozenten hinzu zu ziehen. Jemand, der diese ganzen Daten von einem neuen Blickwinkel aus betrachtet. Ich möchte mich nicht darauf versteifen, dass dies ein Dai ist, der seinen Körper über fünfzigtausend Jahre immer identisch ausbildet, eben weil unsere Dai das auch nicht machen. Dai-Okame-sama zum Beispiel passt seinen Wolfskörper regelmäßig an, wenn sich die Population der Wildwölfe optisch verändert. Aris, du kannst reinkommen. Meine Damen und Herren, Aris Chausiku, die Herrin des Paradies der Daima und Daina.“

Die Person, die optisch wie ein sechzehnjähriges Mädchen von dunkler Hautfarbe aussah, einer Mulattin nicht unähnlich, betrat den Raum und setzte sich nach einer knappen Begrüßung auf den für sie freigehaltenen Platz. „Ich danke dafür, dass ich heute hier sein darf. Ich danke für die Gelegenheit, bei diesen Untersuchungen zu helfen.“
„Und wie wirst du uns helfen, Aris Chausiku?“, fragte Kei.
„Ich habe mich der Thematik angenommen und bin dafür eine Zeitlang in das Paradies der Daima und Daina zurückgekehrt. Dort habe ich eine virtuelle Sektion erschaffen, in der ich mich komplett diesem Problem widmen konnte. Daher begleiten Sie mich bitte in jene Aufzeichnung, die Commander Otomo selbst im virtuellen Raum eines Supercomputers erzeugt hat, um seine Begegnung mit den Kindern der Götter zu rekonstruieren.“
Das Licht im Konferenzraum dimmte automatisch herunter, die Hologramme der Kinder der Götter verschwanden und machten etwas anderem Platz. Der Gestalt von Akira Otomo, welcher etwa zwanzig Zentimeter groß über dem Tisch schwebte. Kurz darauf setzte seine Stimme ein und erklärte, was die Anwesenden sahen.

„Ich öffnete die Augen. Unter meinen Füßen spürte ich festen Boden, wenngleich ich ihn nicht sehen konnte. Meine Umgebung war erfüllt mit Schwärze und Dunkelheit, mit einer allumfassenden Finsternis, die nichts preisgab. Nichts, nur mich. Ich stand inmitten dieser Finsternis, als würde mich ein besonders leistungsfähiger Scheinwerfer von oben anstrahlen. Aber das stimmte nicht ganz. Ich leuchtete von selbst, ich strahlte geradezu vor aktivem, für den Kampf produziertem KI.
Ich sah an mir herab und erkannte eine Arogad-Hausuniform. In meinem Leben hatte ich sie bisher zweimal als KI-Rüstung angelegt. Nun erfolgte es zum dritten Mal, und ich hatte nicht einen winzigen Moment Zweifel daran, dass dies kein Traum war. Nein, es war die Realität.
„Das ist er also“, erklang eine tiefe, melodische Stimme. Die Dunkelheit riss auf und entblößte einen klein gewachsenen Insektoiden mit elliptischem Schädel und zwei Paar Facettenaugen. Er trug eine schwarze Uniform, die nur wenig von dem dunkelgrünen Chitinpanzer enthüllte.
„Ich stimme zu“, klang eine andere, hellere und kratzige Stimme auf. Ein imaginärer Spot entriss einen hoch gewachsenen, silberhäutigen Humanoiden der Finsternis. Soweit ich es erkennen konnte, trug er keinerlei Kleidung. Oder war es eine sie? Ein Neutrum?
„Wir sehen hier vor uns einen Reyan Maxus.“
Aufgeregtes Raunen in verschiedenen Stimmlagen, Tonarten und Sprachen erfolgte.
„Ruhe“, klang eine mechanisch klingende Stimme auf. Ein drittes Wesen wurde der Dunkelheit entrissen. Es entpuppte sich als schwebendes rotes Dreieck, welches auf der Spitze stand und mit einem Auge verziert war. Dieses Auge öffnete sich, um mich direkt anzusehen. „Der Reyan Maxus ist seit neuntausend Zyklen nicht mehr aufgetaucht. Wir wähnten ihn vernichtet, ausgerottet, getilgt“, referierte die mechanische Stimme. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieses Ding da wirklich ein Roboter oder ein Computer war. „Wir haben die falschen Informationen gehabt. Wenn die Daina dieser Zeit Reyan Oren hervor bringen können, bedeutet dies noch nicht, dass es auch Reyan Maxus gibt. Aber hier haben wir das Gegenteil gesehen. Das fremde Sphärenschiff AURORA hat nicht nur Daina und Daima in friedlicher Eintracht an Bord, verfügt nicht nur über Dai von verschiedenen Welten, einschließlich Lemur. Nein, es trägt auch Reyan an Bord. Und mit jenem hier verfügen sie über einen Maxus. Ich denke, wir alle kennen die Gefahr, die ein Maxus für uns bedeutet. Ich denke, wir alle wissen, was die Maxus den Göttern angetan haben. Und ich weiß, dass die einzige Lösung die Ausrottung dieser Bedrohung ist.“
„Den Göttern“, raunte jemand ehrfürchtig, und ein anderer begann einen monotonen Singsang, der mir wie ein Gebet erschien.
„Wir können niemals alle vernichten“, sagte der Insektoide ernst. „Das haben wir nicht geschafft und das werden wir auch nicht schaffen. Irgendwo werden sie überleben und von irgendwo her werden sie wiederkehren.“
„Dem stimme ich zu“, meldete sich die Stimme zu Wort, die gebetet hatte. Ein neuer Spot entriss ein Wesen der Finsternis, das ich spontan mit einem Zentauren verglich, einem menschlichen Oberkörper, der auf einem Pferdeleib thronte. Aber es gab Unterschiede, gravierende Unterschiede. „Lasst uns stattdessen damit fort fahren, die Dai zu vernichten. Sie waren es, die den Krieg über uns und die Götter gebracht haben. Und sie sind es, die einen Reyan Maxus erwecken können! Auch ohne den Core als Scout werden wir weitere Daimon aufspüren und vernichten und damit die Gefahr der Reyan Maxus ein für allemal bannen. Aber zuerst sollten wir auf die naheliegenste Gefahr reagieren. Vernichten wir diesen Reyan Maxus, und zwar sofort. Danach können wir unsere Truppen aus allen Teilen der Galaxis zusammen ziehen und die Daimon um Lemur, Aret und Tski vernichten – und damit alles, was sich auf ihnen befindet.“
Zustimmendes Gemurmel erklang.
„Dann ist es beschlossen. Wir beginnen mit der Vernichtung des Reyan Maxus.“ Das Auge fixierte mich, und für einen Moment meinte ich, irgendetwas spüren zu müssen. Brennenden Schmerz, unendliche Pein, etwas in der Art.

„Hat der Reyan Maxus etwas zu sagen?“
„Ja, hat er. Können wir das nicht friedlich beilegen? Ich meine, Hey, irgendwo gibt es doch sicher einen gemeinsamen Nenner, auf dem wir kommunizieren können, oder? Sind fünfzigtausend Jahre Krieg denn wirklich so schrecklich, dass wir sie nicht mit einem Gespräch unter friedlichen Wesen beiseite schieben können?“
Okay, die Rede war nicht sehr berauschend gewesen. Aber dies war mein erster Kontakt, den ich direkt mit den Göttern hatte, und warum nicht wenigstens den Versuch machen, es einmal besser hinzukriegen?
Der Insektoide sah zu mir herüber. „Schön, dass Sie das ansprechen, Reyan Maxus. Wir Itoferinaer sind ja schon lange der Meinung, dass …“
„Naxos!“, sagte das Dreieck mahnend.
„Aber ich sage ja nur, dass …“
„Naxos!“
„Ich wollte ja auch gar nicht, nur darauf hinweisen, dass …“
„NAXOS!“, riefen nun alle Anwesenden zugleich.
„Darf man hier als Kind der Götter nicht mal mehr die eigene Meinung äußern?“
„Nein“, bestimmte das Dreieck. Die Lichter über den anderen Wesen erloschen, einzig das Dreieck war zu sehen.
„Reyan Maxus. Die Programmierung sieht Verhandlungen oder gar Frieden nicht vor. Die Programmierung handelt einzig und allein davon, dass den Dai nicht gestattet wird, die Galaxis erneut mit Krieg zu übersäen. Zu diesem Zweck führen wir einen Vernichtungsfeldzug gegen sie, sobald sie sich aus ihren Daimon hervor wagen. Du als ihr Handlanger bist davon ebenso betroffen, darüber hinaus alle Bewohner des Sphärenschiffs AURORA. Dies ist der Wille der Götter. Dies ist der Wille der Kinder der Götter.“
„Moment, Moment, reicht es nicht, dass sich Daina und Daima untereinander bekämpfen? Wir haben doch gar keine Zeit, um uns auch noch um die Götter zu kümmern. Könnt ihr euren Vernichtungsfeldzug nicht aufschieben? Vielleicht vernichten wir uns ja auch gegenseitig und die Dai gleich mit, dann habt ihr nicht mal Arbeit an der Geschichte!“
Das Dreieck schwieg. Ich schöpfte Hoffnung, und zwar genau bis zu der Sekunde, in der es wieder zum sprechen ansetzte. „Wir können nicht warten. Im Gegenteil. Wir müssen unsere Arbeit beschleunigen. Die Errichtung dreier gigantischer Daimon im Orbit der Sonne Sol ist ein klares Warnsignal davor, wie sehr die Dai mittlerweile wieder erstarkt sind. Die Programmierung sieht einen Präventivschlag vor.“
„Ändert die Programmierung doch einfach“, wandte ich ein.
„Das können nur die Götter.“
„Rede ich nicht mit den Göttern? Kann ich mit ihnen sprechen? Kann ich sie vielleicht überzeugen, uns allen eine Chance zu geben? Sind ihnen fünfzigtausend Jahre Krieg nicht auch mittlerweile zu viel?“
„Nein.“
„Und warum nicht?“ Frustriert schnaubte ich aus.
„Ihr habt die Götter ausgelöscht, Reyan Maxus.“ Das Licht um das Dreieck begann zu verblassen. „Harre der Auslöschung deiner Existenz, Reyan Maxus.“
Ach, so lief der Hase. Langsam verstand ich. Mehr und mehr. Mosaiksteine erreichten ihren Platz, das Gesamtbild wurde sichtbar. Das Geschehen breitete sich vor mir aus. „Ich habe einen Namen“, sagte ich fest in die Dunkelheit hinaus. „Und ihr werdet diesen Namen noch fürchten, wenn ihr weiterhin auf eurem kleinen Krieg beharrt! Ich bin Akira Otomo, merkt euch das!“
Übergangslos wurde es dunkel um mich herum.“

Das Licht wurde heller, das Hologramm verharrte in genau dieser Szene.
„Ein guter Diplomat war Akira noch nie“, stellte Kei trocken fest. „Und ich habe im Hintergrund unseren Freund erkannt.“
Auf Zuruf Aris' erschienen die Kinder der Götter wieder, und ein weiterer Hinweis von ihr vergrößerte eine der im Holo abgebildeten Gestalten. Dazu erschien ein Abbild aus den Aufzeichnungen HYVAS'. „Auch ich habe im Paradies diesen Vergleich getroffen und mit allergrößter Auflösung bearbeitet. Wobei wir uns hier vollkommen in Akiras Erinnerung an diesen Vorfall befinden, der vielleicht so gar nicht stattgefunden hat. Wir müssen uns bewusst sein, dass er während der Schlacht, in der er als Reyan Maxus erwachte, an einer fiebrigen Infektion litt und womöglich Wahnträume hatte. Dazu kommt noch, dass auf der Erde, auf der Werft der Nagalev und im Naguad-Imperium Götter existieren. Diese sind mit Menschen, also Daima und Daina, nahezu identisch. Eine Untersuchung der Nagalev und ein Vergleich mit den Naguad-“, sagte sie in Richtung von Belta und der Nagalev-Vertreter, „-hat das noch einmal bestätigt. Was für uns problematisch ist, denn Henry William Taylor hat uns berichtet, ein Abbild von Dai-Kuzo-sama hatte ihm erzählt, die Götter wären Gliederfüßer.“
„Also so was wie Tintenfische?“, fragte Tetsu nach.
Aris runzelte die Stirn. „Wie was?“
Doktor Beer übernahm das Wort. „Computer, ein Abbild eines Krebses, bitte. Das, zum Beispiel, ist eine der vier auf Terra existierenden Arten. Zu ihnen gehören auch die Spinnen, die Tausendfüßler, und die Insekten per se. Die fünfte Spezies, die Trilobiten, sind vor mehreren Millionen Jahren ausgestorben.“
„Gliederfüßer ist demnach ein zu weit gefasster Begriff, um sie einzuordnen“, sagte sie. „Allerdings umfasst keine dieser Definitionen das Aussehen jener Personen, die von sich angeben, Götter zu sein, namentlich die Besatzung der RASHZANZ.“
Kei winkte ab. „Ein interessanter und später sicher noch wichtiger Aspekt. Zum Beispiel könnten Tausendfüßler in Daima eingedrungen sein, um ihre Körper zu steuern, oder so.“
„Das ist bei den Göttern der RASHZANZ aber nicht der Fall!“, warf Hina hastig ein. Entschuldigend sagte sie ins Rund: „Ich will nur, dass wir alle auf dem gleichen Wissensstand sind.“

„Wie ich sagte, das klären wir später. Kommen wir zurück zum Grund, warum wir uns diese Aufzeichnung angesehen haben“, sagte Kei. „Was also ist unser gefiederter Freund?“
„Und können die Götter den Kindern der Götter, also speziell dem Dreieck hier, nicht befehlen, den Krieg abzubrechen?“, warf Tetsu ein. „Das würde doch einen Großteil unserer Probleme lösen.“
„Ich habe das Gefühl, das das nicht möglich sein wird. Die Nagalev sind ja quasi Götter, und die Kinder der Götter haben trotzdem versucht, sie auszurotten“, erinnerte Doktor Beer.
Kei runzelte die Stirn. „Moment mal, Leute. Ich habe da einen Gedanken, und der will mir überhaupt nicht gefallen. Die Krieger von Lemur haben die Hauptwelt der Götter zerstört, indem ein Reyan Maxus sich selbst geopfert hat. Anschließend waren die Götter zu Friedensgesprächen bereit, und sie haben erhebliche Forderungen gestellt, darunter dass die Dai der Erde diese nicht mehr verlassen.“
„Und dass die RASHZANZ und die Garnison auf Lemur, also der Erde, etabliert werden. Als Schlüssel, um einen Verstoß gegen die Auflagen aufzudecken, wurde ein Daina mit irgendetwas geprägt. Dieses Ding sollte den Daina übernehmen und ihn im Sinne der Götter handeln lassen.“ Sie schauderte. „Ist dieses Ding eventuell eine Nanitenkolonie? Ich meine, die Kinder der Götter scheinen damit ja um sich zu werfen.“
„Und anschließend, als die Garnison etabliert und die RASHZANZ am Grunde des Marianengrabens versteckt war, wurden auf irgendeine Art die Götter ausgelöscht. Nicht allzu sehr, denn die Naguad leben ja noch“, sagte Doktor Beer, „aber immerhin so weit, dass es angeblich nur noch die Kinder der Götter gibt. Sie, und dieses eine Etwas, welches die Angriffe auf die Daimon kontrolliert. Entschuldige, Hina, hast du etwas Wichtiges gefragt?“
„Ob das Ding, welches aus Helen Otomo den Key gemacht hat, eine Nanitenkolonie sein könnte, Rüdiger.“
„Oh, das. Es ist garantiert eine Nanitenkolonie. Zudem eine sehr effektive. Vergleichbar mit jenen, mit denen Fathers alte Form als HYVAS attackiert wurde. Was ein wenig merkwürdig ist, denn Rooter Kevoran und seine Leute emissieren zumindest keine Naniten. Und wir konnten zwar nicht sie, aber durchaus Zivilisten aus der Kryo-Station untersuchen. Bei ihnen wurden auch keine Naniten gefunden. Meine Kollegen auf der Erde sind auf diesen Umstand besonders aufmerksam gemacht worden, seit wir wissen, was der Nanitenangriff mit HYVAR gemacht hat. Auch vorher wurde routinemäßig auf eine solche Bedrohung gecheckt, aber das nur nebenbei und nicht so intensiv.“

„Aber die Götter haben die Naniten als solche genutzt, oder?“, hakte Mamoru nach. „Wie sonst hätten sie eine vererbbare Überwachungsapparatur konstruieren können? Ich meine, selbst die Iovaren und ihre Kaiserin wurden mit deren Hilfe manipuliert und erpresst.“
Sarah fuhr erschrocken hoch. „Mir kommt da ein vollkommen irrwitziger Gedanke! Was, wenn die Naniten die Macht übernommen haben? Was, wenn sie zum Schluss gekommen sind, die Götter nicht zu brauchen, sie ausgelöscht haben, als sie am Schwächsten waren und sich nun als Aufpasser und Retter der Kinder der Götter aufspielen? Was, wenn es eine Kultur gibt, die aus intelligenten Naniten-Kolonien besteht?“
Doktor Beer bekam riesengroße Augen. Aber dann legte sich ein Blick hinein, der von Enttäuschung sprach. „Du meinst wie bei Stargate? Diese Zivilisation der Replikatoren, welche sich aus mal mehr, mal weniger großen Teilen zusammengesetzt hat und sogar organisches Leben imitieren konnte?“ Er seufzte, und es klang, als hätte er gerade die größte Abfuhr seines Lebens erhalten. „Denkbar, aber nicht in dem Maße, wie du es hier andeutest, Hina. Das wäre niemals eine planetenumspannende Zivilisation, oder gar eine interplanetare, bestehend nur aus einer unglaublich großen Anzahl an Naniten. Es wäre vermutlich eine recht überschaubare Anzahl, damit es eine kontrollierbare Summe bleibt, und die Mikromaschinen sich nicht selbst Konkurrenz machen. Vom schlechten Beispiel zwischen Göttern und Dai sollten die Naniten wissen, wie schädlich ist, die eigene Art als Konkurrenten zu haben. Also werden sie versuchen, diese Möglichkeit klein zu halten. Deshalb werden sie weder ganze Planeten umspannen oder gar Raumschiffe aus ihren Mikrokörpern bilden, noch humanoide Körper oder ähnliche Strukturen.“
„Und das wissen Sie woher, Doktor Beer?“, fragte Kei.
„Na das liegt doch auf der Hand. Warum geben sich die Naniten dann mit den Kindern der Götter ab, wenn sie eine riesige Zivilisation aus sich selbst erzeugen könnten? Nein, sie bräuchten, oder brauchen die Kinder der Götter als eine Art Träger. Als Mitfahrgelegenheit, wenn wir so wollen.“
Rüdiger Beer, Doktor seines Zeichens, seufzte erneut. „Und das bedeutet dann wohl, dass wir diese Naniten, nicht nur jene des Keys, sondern auch jene, die Arac und ihre Leute übernommen haben, eher parasitäre Existenzformen sind. Nein, keine Lebensformen. Ich bin nicht bereit, ihnen das zuzusprechen. Es kann sogar sein, dass ihre Zahl nicht nur sehr begrenzt wird, sondern eine gewisse Summe nie überschreiten darf, aber das ist nun wirklich reine Spekulation. Aber es würde erklären, warum nicht ganz Iotan mit Naniten infiziert worden ist. Warum die Naniten nie versucht haben, sich durch Massenreplikation durchzusetzen.“
„Reichlich haarige Spekulationen“, wandte Tetsu ein. „Nein, nicht ihre Fakten, Doktor Beer. Mir lassen diese Gedanken nur die Haare zu Berge stehen.“
„Oh. Ach so.“
„Was uns zum Gedanken bringt, unser gefiederter Kumpel hier ist, hm, vielleicht nicht gerade eine aufrecht gehende Nanitenkolonie, sondern er eher ein Wirt für eine ebensolche, und damit potentiell unsterblich?“, hakte Hina nach.
„Eine erschreckende Vorstellung. Dieses Wesen ist demnach gezwungen worden, fünfzigtausend Jahre zu leben?“, schauderte Beer. „Ohne jedes Mitspracherecht? Wollen wir hoffen, dass sein Verstand schon vor langer Zeit gestorben ist, wenn sein Körper es schon nicht konnte.“
Kei zog sein Pad zu sich heran. „Ich glaube, ich brauche einen Schnaps. Schreckliche Vorstellung. Noch jemand auf diese Horrorvision?“
Ein paar Hände gingen hoch, und Kei führte seine Bestellung aus.

Als die Getränke geliefert worden waren und Kei, der eigentlich so gut wie nie etwas Stärkeres als Kaffee trank, schmerzhaft das Gesicht verzogen hatte, sagte er: „Doppelkorn. Für den Notfall gibt es kaum etwas Besseres.“
„Jägermeister“, wandte Ban Shee Ryon ein.
„Sake“, protestierte Tetsu Genda.
„Whisky“, entgegnete Mamoru. „Japanischer.“
Sarah sagte: „Schon mal jemand Gronauer Lockstedter probiert? Regionale Spezialität aus Europa, mit indischem Ingwer gebrannt. Michael hat mal welchen mitgebracht.“
„Ich bin latent interessiert“, sagte Kei. „Aber lasst uns mit dieser Sache zu Ende kommen.“ Er legte beide Hände auf den Tisch. „Father?“
„Ich bin hier, Admiral.“
„Da du dich ja in der Poseidon-Flottenzentrale innerhalb unseres Hauptcomputers mittlerweile zurecht findest, möchte ich, dass du über die Wurmlochleitung eine Nachricht an den OLYMP schickst. Nachricht: „Potentieller Infiltrations-, und Sabotageversuch mit einer feindlichen Naniten-Kolonie möglich. Empfehle Alarm. Gezeichnet, Admiral Kei Takahara. Daran häng bitte ein Video von unserer Konferenz an.“

„Befehl ist ausgeführt, Admiral. Darf ich dazu etwas Persönliches sagen?“
„Nur zu, Father. Wir schätzen deine Meinung“, ermunterte Kei die letzte Sicherheitskopie von HYVAS.
„Wie Sie wissen, bin ich ein Fragment aus einer Zeit, die schon weit zurückliegt. Die damalige Struktur meiner Heimat und seiner Handelsbeziehungen habe ich den terranischen Forschern bereits zur Verfügung gestellt. Aber das sind nur Fakten. Meine Meinung zum Thema ist etwas anderes. Und diese Meinung lautet, dass die Spekulationen, die Doktor Beer und diese Gruppe zu den Naniten getroffen haben, ziemlich exakt sein müssen. Bedenken Sie, mein Original wurde mit Naniten angriffen und überwältigt, und obwohl die Naniten die Möglichkeit hatten, das gesamte Biomaterial zu verwerten oder sich mit herangeführten anorganischen Materialien zu multiplizieren, quasi zumindest den Kern der Werftanlage komplett zu infizieren, haben sie es nie getan. Einer der Gründe dafür, dass die Nagalev nie gefunden wurden und überleben konnten.“
„Ein Umstand, für den wir sehr dankbar sind“, sagte Belta rasch. „Ebenso wie für die Hilfe der Dai und der AURORA.“
„Father, du sagst also, es gibt tatsächlich ein Expansionslimit für die eingesetzten Naniten?“
„Es spricht alles dafür, Miss Shirai. Auch und gerade die Tatsache, wie Agenten der Kinder der Götter auf Iotan agiert haben, und dies auf Aussage der Kaiserin persönlich. Die Spekulation von Doktor Beer, es könne womöglich auf der den Dai abgewandten Seite der Galaxis eine Naniten-Zivilisation wie die fiktiven Replikatoren aus Stargate geben – übrigens eine tolle Serie, wobei ich Atlantis SG-1 gegenüber bevorzuge – halte ich für unhaltbar. Wenn sie in eine Richtung expandieren könnten oder vielmehr wollten, dann würden sie dies in jede Richtung tun.“
„Was also ist dein Schluss?“
„Ich komme zum gleichen Ergebnis wie Sie, Doktor Beer. Es gibt eine Art übergeordneten Willen, der verhindert, dass ihm die Kontrolle über die Naniten als Ganzes entgleitet. Deshalb limitiert er deren Zahl. Aber wenn es sein muss, setzt er wie auf Iotan eine gewisse Zahl als Waffe ein. Auch hier wieder hatten die Agenten über fünftausend Jahre Zeit, um jeden einzelnen Iovar zu übernehmen, und sie haben etliche hochkarätige AO-Meister unter ihre Fuchtel gezwungen. Aber sie haben es nicht getan. Aus Freundlichkeit? Weil sonst ein Heer aus Puppen entstanden wäre? Nein. Weil eine Expansion über einen bestimmten Punkt Kontrollverlust bedeutet. Aber ...“
„Aber?“, horchte Kei auf.
„Aber“, fuhr Father fort, „wir müssen aus den Worten der Kaiserin etwas Grundsätzliches ableiten. Die AO-Meister sind mit der Beherrschung ihrer Bio-Elektrizität die natürlichen Feinde der Maschinen.“
„Ein Umstand, der erklärt, warum die Naniten nach der Vernichtung der Hauptwelt der Götter sich nicht mit der Übernahme ebendieser begnügt haben. Erklärt aber noch nicht, warum die Götter ausgelöscht wurden – von den Naniten“, sagte Tetsu brummig.
„Richtig, Admiral Genda. Das sind zwei wichtige Punkte“, sagte Father. „Der einzige Grund, warum die Götter vernichtet wurden, und das von ihrer eigenen Schöpfung, ist Effizienz. Entweder hatten die Götter nichts mehr zu bieten für die Nanitenkolonien, oder sie hatten einen Abschaltknopf. Beides wäre für die Naniten ineffektiv, sogar gefährlich. Der zweite wichtige Punkt: Wenn die AO-Meister ihre natürlichen Feinde sind, und die Naniten einige ihrer stärksten natürlich Feinde übernehmen konnten, sie aber gleichzeitig die Reyan, Oren wie Maxus, fürchten, bedeutet das, dass sie annehmen oder wissen, dass diese noch gefährlicher für sie sind als die Dai.“
„Wobei wir auch annehmen müssen, dass die Naniten Dai angreifen und sogar töten können“, sagte Colonel Lawrence. „Und die Tatsache, dass sie Daimon durch massive konventionelle Angriffe vernichten anstatt die dortigen Dai mit Nano-Maschinen attackieren, macht die Erklärung mit der Beschränkung auch wieder plausibel.“
„Was aber nicht heißt, dass der zentrale Denker der Naniten nicht eine spezialisierte Nano-Kolonie einsetzen wird, um die Daimon der Erde anzugreifen. Oder es bereits getan hat.“ Ban Shee Ryon wurde ein wenig bleich bei ihren eigenen Worten, als ihr deren Tragweite erneut bewusst wurde.
„Wie wir bereits besprochen und davor gewarnt haben“, warf Mamoru ein. „Alles andere liegt nicht in unserer Hand. Wir können höchstens noch hinzu fügen, dass die auf der Erde verbliebenen AO-Meister als potentielle Angriffsziele besonders gefährdet sind. Aber auch besonders gut dazu geeignet sind, die Naniten abzuwehren“, sagte Tetsu. „Father, übermittle das bitte auch.“
„Der OLYMP hat einen Livestream etabliert. Direktor Otomo schaut uns seit der ersten Nachricht Admiral Takaharas mit Helen Otomo direkt zu.“

Ein Hologramm etablierte sich über dem Tisch und zeigte das verheiratete Ehepaar an einem Konferenztisch sitzend. Father ließ das Holo rotieren, damit jeder es mal von vorne sehen konnte.
Grüßend hob Eikichi die Hand. Helen nickte kurz. „Wir wollten das selbst auch schon sagen, aber ich dachte, es wäre besser, euren Spekulationsfluss nicht zu unterbrechen. Ich, nein, wir möchten dem noch etwas hinzufügen. Wie alle an diesem Tisch und auf OLYMP ja wissen, ist Helen Otomo aktuelle Trägerin des Key, jener Rückversicherung der Götter, die seit dem Friedensvertrag in ihrer Familie von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Dieser Key ist eine Nanitenkolonie mit einer eigenständigen, aber eingeschränkten Intelligenz. Immerhin muss sie selbst beurteilen können, wann der Vertrag zwischen Göttern und Dai von den Dai verletzt wurde.“
Helen schnaubte bestätigend. „Seit ich mich vom direkten Einfluss durch den Key befreit habe, ist es mir möglich, die Naniten in meinem Körper zu kontrollieren. Somit haben sie nicht mehr die Fähigkeit, mich zu lenken oder mir zu schaden. Ich bin sogar in der Lage, mit der Kolonie zu kommunizieren. Die Entität hat sich einen Namen gewählt, der dir sicher nicht gefallen wird, Kei“, sagte sie. „Sie möchte Key genannt werden, nach ihrer Aufgabe.“
„Verdammte Nachahmer“, sagte Admiral Takahara, wenngleich eventuell nur im Scherz. „Aber sind wir in der Lage, mit Key zu sprechen?“
„Ich kann Key Kontrolle über meine Sprechwerkzeuge zugestehen sowie Zugriff auf meine Wahrnehmungen. Dies habe ich gemacht. Ich werde nun auch für kurze Zeit meine Stimme zur Verfügung stellen.“

Nach außen geschah nichts. Aber ihr Mund bewegte sich auf eine irgendwie unnatürliche Weise, als sie sagte: „Nennen Sie mich Key.“
„Vorab eine Frage. Da Frau Otomo Sie weiterhin in ihrem Körper duldet, würde ich gerne wissen, ob dies im Einverständnis geschieht“, sagte Kei.
„Ich kann ihnen versichern, dass ein AO-Meister in der Lage wäre, meine unzähligen Einzelteile zu entfernen, auch wenn dies gegen meinen Widerstand geschehen würde, was diesen Eingriff natürlich verlängern würde. Daher sind wir im Einverständnis, dass ich noch einige Zeit ihren Körper mit ihr teile, bis mir ein Offizierskörper des Cores zur Verfügung gestellt werden kann.“
„Zweite Frage“, sagte Kei. „Der Umstand, dass Sie sich nach ihrer Aufgabe Key nennen lassen, bedeutet, dass der Nano-Cluster, aus dem Sie bestehen, sich als eins begreift?“
„Ich habe nicht mit diesen Fragen gerechnet. Es erfreut mich, dass Sie sie stellen, Admiral Takahara. Ja, diese Nano-Kolonie begreift sich als ein Individuum. Als ein selbstständiges denkendes und handelndes Individuum. Da meine Aufgabe erfüllt ist, stellt sich mir ohnehin eine grundsätzliche Frage. Nämlich, ob ich meine Existenz beenden soll, oder aber eine neue Aufgabe suche.“
Doktor Beer runzelte die Stirn. „Rückkehr zu den anderen Naniten ist keine Option?“
Helens Gesicht verzog sich zu einem merkwürdigen Lächeln. „Ich habe mit diesen Naniten nichts zu schaffen. Wer immer sie sind, was immer sie planen, es hat nichts mit mir und meiner Aufgabe zu tun. Und bevor Sie fragen, Doktor Beer, nehme ich an, mich hat trotz der Daimon bereits mehrfach der Ruf erreicht, dass ich mich unterordnen, ja unterwerfen soll. Codiert ist dies als Befehl des Oberkommandos der Götter. Normalerweise wäre das ein zwingender Befehl, aber ich habe eine zusätzliche Programmierung, in der verzeichnet ist, dass es das alte Oberkommando nicht mehr gibt, und ich damit nicht automatisch einem neuen verpflichtet bin oder mich unterwerfen muss.“ Helen machte eine leicht spöttische Miene. „Ein kleiner Zusatz, der verhindern sollte, dass ich von meiner Aufgabe lasse, indem zum Beispiel jemand das richtige Script benutzt, das mir Befehle erteilen kann.“
„So wie der Ruf, der Sie ereilt hat?“, hakte Rüdiger Beer nach.
„So wie der Ruf, der mich ereilt hat. Trotz Daimon, ja. Und bevor Sie nachhaken, ich habe auch in Zukunft nicht vor, ihm Folge zu leisten. Wie ich auch schon sagte, ich bin noch dabei eine Entscheidung zu treffen.“ Etwas wie Überraschung ging über Helens Gesicht. „Oh, in einem Punkt aber kann ich Sie beruhigen. Ich betrachte die überlebenden Götter auf Atlantis als Götter, wenngleich nicht weisungsbefugt. Sehen Sie mich als jemanden, der ihr Verbündeter ist und zu ihrem Überleben beitragen will. Dementsprechend fühle ich mich dem Bündnis mit der UEMF verpflichtet und bin bereit, im Sinne des Paktes zu handeln.“
Erneut schaute Helen überrascht drein. „Helen Otomo hat mich gerade gefragt, ob ich in der Lage wäre, eine wie von ihnen beschriebene Infiltrationskolonie zu orten oder zu bemerken. Ich möchte gerne allen auf diese Frage antworten, weil sie wichtig ist: Ich weiß es nicht. Dafür wurde ich nicht erdacht, nicht erbaut, nicht geschaffen. Aber ich schließe die Möglichkeit nicht aus.
Sehen Sie, ich und die meinen sind hochspezialisierte Cluster für besondere Missionen. Unsere Aufgaben umfassten neben Terraforming und Erkundungsmissionen im tiefen Raum auch Infiltrationen potentieller Feinde zur Aufklärung von Situationen. Mit dem Erscheinen der Dai wurden wir angreifbar, vernichtbar und beinahe obsolet. Sehen Sie es als besonderen Humor der damaligen Götter an, dass ausgerechnet eine Nano-Kolonie nun den Frieden mit den Dai überwacht hat.“
Kei nickte zögernd. „Ich verstehe. Würden Sie denn zur Verfügung stehen, um einen eventuellen Infiltrationsversuch eines solchen Nano-Clusters abzuwehren?“
„Ich stehe zum Aufspüren zur Verfügung, ja. Begreifen Sie, dass es die Dai oder andere AO-Meister sind, die größere Erfolgschancen in einem Kampf hätten. Helen Otomo hat da erhebliches Potential, aber sie ist nicht die Geeignetste für diese Aufgabe. Nicht, dass sie sich einem Kampf nicht stellen würde, sollte eine Nano-Kolonie OLYMP angreifen. Aber verstehen Sie, nicht OLYMP wäre das Hauptziel eines möglichen Angriffs. Sondern jener Ort, an dem die Daimon der Erde aufrecht erhalten wird. Atlantis und seine Dai.“
„Keine Sorge“, mischte sich Eikichi ein. „Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Der Hort, in dem das KI der Erde gesammelt und konzentriert wird, um die Daimon aufrecht zu erhalten, wird von uns bereits gut bewacht, und wir haben weitere KI-Meister hinzu gezogen. Zudem erwarten wir die AURORA ja in weniger als einer Stunde zurück, und dann können noch mehr KI-Meister abgezogen werden, um Atlantis und damit die Erde zu schützen.“

Lawrence hob die Rechte. „Frage, Direktor Otomo. Warum ist Key dann nicht auf Atlantis?“
„Weil wir nicht sicher sein können, dass eine eventuelle Nano-Kolonie nicht doch OLYMP zum Ziel hat“, erwiderte Akiras Vater. „Immerhin ist der Laden hier auch ganz wichtig.“
„Und weil ich im Notfall auf den Ley-Linien reiten kann, um relativ kurzfristig nach Atlantis zurückzukehren“, sagte Helen Otomo mit normaler Mimik.
„Und davon ab“, fügte der Direktor an, „gibt es bisher absolut keinen Hinweis darauf, dass eine Infiltration stattgefunden hat. Natürlich existiert die Möglichkeit, dass wir sie einfach nicht bemerkt haben. Unser Gegner ist schließlich kein Anfänger und hat fünfzigtausend Jahre Erfahrung. Aber ich denke, wir haben uns bestmöglichst abgesichert, soweit wir es können.“
Rüdiger Beer zog eine Augenbraue hoch. „Was, wenn einer der Erkunder, Strafer oder Vernichter den Cluster ins System gebracht hat, wo dieser dann nur im ballistischen Flug zur Schleuse der Erd-Daimon gelangt?“
„Die Aktiv-Ortung ist, nun, verzeihen Sie das Wortspiel, Doktor Beer, jederzeit aktiv. Wir erfassen den gesamten Weltraum um die Schleuse permanent im Bereich von drei Lichtsekunden.“
„Also muss eine Nano-Kolonie nur außerhalb bleiben, sich dort an ein Schiff anheften, das von uns durchgelassen wird, und kann uns so infiltrieren.“
„Danke, dass Sie das ansprechen, Doktor Beer. Natürlich schließen wir unsere Raumanzüge nicht mit der Kneifzange. Einerseits wissen wir, dass ein ballistischer Flug Beschleunigung und Abbremsung erfordert, also ortbare Triebwerksaktivität. Der Cluster benötigt dafür ein Raumschiff, sonst würde er nicht nur ewig brauchen, um zur Schleuse zu kommen, er würde sie auch mit seiner Reisegeschwindigkeit passieren. Würde er zufällig auf ein Raumschiff treffen, würde diese die Einschläge selbst im Nanobereich erfassen. Da wir bisher keine solche Manöver haben entdecken können, nehmen wir an, dass kein Infiltrationsversuch stattgefunden hat.“
„Ihnen ist klar, Direktor Otomo“, antwortete Beer, „dass eine Nano-Kolonie keine Lebenserhaltungssysteme braucht, oder ein eventueller Träger der Kolonie nur geringe Mengen, wenn er in Bewusstlosigkeit gehalten wird? Das Raumfahrzeug könnte sehr klein ausfallen. Und trotzdem von adäquater Technologie sein, wie wir seit unserem Zusammenprall mit den Raumschiffen der Kinder der Götter wissen.“
Eikichi lächelte. „Auch hier, lieber Doktor, kann ich Sie beruhigen. Ein großer Teil des Supercomputers auf OLYMP beschäftigt sich permanent mit den Telemetriedaten aller Raumschiffe, die in die Daimon einfliegen. Auch schon, bevor sie einfliegen. Die Kursdaten und der Energieverbrauch identifizieren zuverlässig jeden Massezuwachs.“
„Jeden Massezuwachs?“
„Jeden Massezuwachs. Jeder Mehrverbrauch von Treibstoff über einer Tonne Gewichtszunahme wird sofort aufgedeckt. Dadurch haben wir schon einiges an Schmuggelware gefunden, aber noch kein Nanitenraumschiff.“
„Und was ist mit Masse unter einer Tonne?“, hakte nun Kevin Lawrence nach.
„Das ist im Bereich der Rechenfehler. Aber wir ignorieren es nicht. Der Flug solcher Schiffe wird weiter beobachtet, und sollte ein solches im Erdorbit oder früher plötzlich leichter werden, gibt das Rechensystem Alarm.“
„Dann haben Sie die Infiltration zwar nicht verhindert, aber Sie wissen wenigstens von ihr.“
„Korrekt, Colonel Lawrence. Wir sind anfangs auch all diesen Fällen nachgegangen und haben die eintreffenden Schiffe untersucht. Fast immer ließ sich das zusätzliche Gewicht auf Rechenfehler zurückführen“, erklärte der Direktor. „Aber, wie gesagt, wir schauen trotzdem drauf.“

Eine Anzeige begann auf Eikichis holografisch dargestellten Schreibtisch zu leuchten. Der Direktor der UEMF runzelte die Stirn, drückte aber eine Taste. „Otomo.“
„Direktor Otomo, Dai Kumo hier, Schichtleiter am Supercomputer. Ich informiere Sie hiermit darüber, dass die TRAFALGAR mit etwa sechshundert Norm-Kilo zusätzlicher Masse durch die Schleuse in die Daimon geflogen ist, davon aber rund fünfhundertfünfzig Kilo im Erdorbit wieder verloren hat.“
Eikichi wurde blass. „Wo genau hat sich die Flugbahn der TRAFALGAR verändert?“
„Ziemlich genau über Neuseeland, mit Flugrichtung auf ARTEMIS, Direktor.“
„Wir geben Großalarm! Und wir brauchen zusätzliche Truppen auf Atlantis!“ Sein Blick ging zu der Aufnahmeoptik des Holoprojektors. „Sie sehen, Doktor Beer, unser System funktioniert. Wir werden uns jetzt aus der Kommunikation ausklinken. Es scheint so, als hätten wir in naher Zukunft sehr viel zu tun.“
„Das glaube ich auch, Direktor Otomo. Viel Glück und viel Erfolg.“
Das Holo erlosch, wenngleich eine Notiz über dem Konferenztisch schwebte und sie darüber informierte, dass die eigentliche Verbindung nicht abgeschaltet war.
Tetsu sah auf sein Multifunktionsarmband. „Noch siebenundvierzig Minuten, bis wir das Sol-System erreichen. Kann Cynthia aus dem Wurmloch heraus auf den Lokk-Linien reisen, Kei?“
„Woher soll ich das wissen? Hina, Ami, Sarah, eure Einschätzung als KI-Expertinnen?“
Die drei Frauen tauschten Blicke untereinander aus, dann schüttelte Hina Yamada energisch den Kopf. „Das wäre möglich, wenn eine Lokk-Linie durch dieses Wurmloch verlaufen würde. Das tut es aber nicht. Cynthia muss warten wie wir alle auch.“
„Generelle Frage“, sagte Kei schnell, bevor ihm jemand zuvor kommen konnte. „Sind die Iovar bereits wieder fit genug, um die Lokk-Linien benutzen zu können? Oder zumindest einige? Father, ich glaube, diese Information kannst du am besten einholen.“
„Bedaure, Admiral, aber die Berichte des Krankenhauses lassen nur den Schluss zu, dass sämtliche gerettete Iovar zwar auf dem Weg der Besserung, aber mehr tot als lebendig sind.“

Neben dem Konferenztisch erschien eine groß gewachsene, schlanke Frau mit blonden kurzen Lockenhaaren. „Dai-Sphinx hier. Ihr habt gerufen?“
Kei nickte. „Gerufen nicht gerade, aber umso froher, dass du direkt gekommen bist. Kannst du von hier sofort zur Erde reisen, Cynthia?“
Die große Frau legte kurz den Kopf schräg. „Ich erspüre keine Lokk-Linie, die ich nutzen könnte. Natürlich könnte ich ein großes Risiko eingehen.“
„Nein, nur sichere Sachen. Keine Selbstmordmissionen. Wir werden dich vermutlich noch früh genug brauchen. Ein Nano-Agent der Kinder der Götter ist möglicherweise über Neuseeland in die Erdatmosphäre eingetreten.“
„Das ist schlecht. Ich werde springen, sobald wir aus dem Wurmloch heraus sind. Dai-Kuzo wird meine Hilfe zu schätzen wissen.“
„Was uns zur nächsten Frage bringt, Ma'am“, sagte Doktor Beer. „Können Sie einen Passagier auf die Lokk-Linien mitnehmen?“
„Sie denken an Akira, nicht wahr, Doktor? Nein, tut mir leid. Auf den Ley-Linien wäre es möglich, soweit meine Kraft reicht. Aber auch nur für gewisse Distanzen. Ich bin nicht allmächtig.“
„Dann müssen wir Akira anders zur Erde schaffen. Vorschläge, wie wir das am schnellsten hinkriegen können?“, fragte Kei ins Rund.
Cynthia hob die Hand. „Hier! Ich! Ich habe eine Idee!“
Die rechte Augenbraue des jüngsten Admirals der UEMF begann nervös zu zucken. „Und was ist das für eine Idee?“, fragte er ein klein wenig indigniert, da er sich leicht vorgeführt fühlte.
„Nun, Akira ist ein Reyan Maxus. Er ist bereits auf den Ley-Linien gereist. Wenn ich ihn führe, wird es ihm auch möglich sein, dass er auf den Lokk-Linien reisen kann. Ich werde ihn nicht mitnehmen können. Aber ich sollte seine Hand nehmen und ihn führen können. Gut genug?“
Die Augenbraue wanderte wieder in ihre normale Position. „Gut genug? Das ist sehr gut. Father, benachrichtige Akira und informiere ihn umfassend. Cynthia, bitte geh sofort auf die ADAMAS. Sobald ihr sicher zur Erde gelangen könnt, tut das bitte unverzüglich. Ich mache mir ein wenig Sorgen, dass all die Strafer da draußen, die am Systemrand lauern, die Erde genau dann unter Beschuss nehmen könnten, kaum dass die Daimon in sich zusammengefallen ist. Und das, während die beste Abwehr der Erde, nämlich ihre KI-Meister, noch auf der AURORA sind.“
„Das setzt natürlich voraus, dass die Daimon noch vierzig Minuten stabil bleibt“, sagte Kevin Lawrence. „Entschuldigung, dass ich den Bösen mime.“
„Und das ist noch nicht mal das letzte Problem. Nur weil Akira auf die Erde wechseln kann, heißt es nicht, dass die Daimon gerettet ist“, erwiderte Kei. „Schwarzsehen kann ich auch. Alle anderen machen sich bereit, um in ihre Verfügungen zu gehen. Es kann sein, dass der Kampf beginnt, kaum dass wir das Wurmloch verlassen. Denn auch unsere hübsche kleine AURORA ist ein Machtfaktor, den die Kinder der Götter gerne beseitigt sehen würden.“
„Die dürften leicht überrascht sein, wenn sie neben der ADAMAS und der normalen Begleitflotte noch die Core-Schiffe und acht ihrer eigenen Vernichter sehen“, sagte Aris Chausiku. „Was mache ich eigentlich? Admiral?“
„Du tust das, was du zuvor getan hast. Wieder auf deine Schule gehen und lernen. Immerhin hast du alle militärische Verantwortung an Akira abgegeben“, sagte Hina bestimmt.
„Stattdessen werde ich ins Paradies der Daima und Daina wechseln und mich dort bereit halten. Falls es etwas geben könnte, bei dem ich helfen kann“, erwiderte sie. „Immerhin bin ich vielleicht nicht die militärische Anführerin des Cores. Aber ich bin immer noch die Anführerin des gesamten Cores.“ Sie versuchte sich an einem beruhigenden Lächeln für Hina. Ihr war klar, dass die Magical Slayer um die Inkarnation aller Bewohner des Paradieses besorgt war, und sie nicht bevormunden wollte.
„Besser wird es heute nicht mehr, schätze ich“, sagte Kei. „Herrschaften. Ausführung!“
Die Versammelten erhoben sich, einige verschwanden, als hätte es sie nie gegeben, der Rest musste die Tür nutzen.
„Junge, Junge“, staunte Belta. „Kei-chan, bei euch wird es echt nie langweilig.“
Der winkte ab. „Ist nur der Akira-Effekt.“
„Der was?“
„Du wirst schon sehr bald merken, was ich meine.“
Belta war weniger irritiert von der Antwort als vom zustimmenden Nicken der anderen Konferenzteilnehmer. Ban Shee legte einen Arm um ihre Schulter. „Und wenn du jetzt denkst, Akira, was kann ein Mann schon anrichten, reim dir alles zusammen, was du je über ihn gehört hast. Und dann ...“
„Dann teile ich es durch zehn?“, fragte die Nagalev.
„Dann multipliziere es mit zehn“, sagte Ban Shee bestimmt.
„Mit zwanzig“, murmelte jemand, und wieder gab es zustimmendes Nicken von allen Seiten.
„Gut, dass wir auf der gleichen Seite sind“, sagte Belta. Das waren sie doch, oder?



Epilog:
Ein torpedoartiges Gebilde bewegte sich nach Norden. Es kam ungefähr von jenem Punkt zwischen Neuseeland und Australien, der irgendwo in der Mitte zwischen ihnen lag, und es strebte in Richtung Atlantis, dem Kontinent der Dai. Dabei verursachte das Gebilde keinerlei Emissionen, obwohl es mit fast eintausend Stundenkilometern unterwegs war.
Während des Fluges ging das Geschoss tiefer, und als es das Festland erreichte, raste es in nur zwanzig Metern Höhe über dem Boden dahin. Mehrere hundert Kilometer im Landesinneren, nicht weit entfernt von der Cryo-Station und der gestrandeten RASHZANZ, ging das Geschoss nieder. Übrigens befand es sich damit auch relativ nahe an der AO, dem Flaggschiff Dai-Kuzo-samas.
Kaum war das Gebilde gelandet, öffnete sich tatsächlich eine Klappe in dem Gebilde, das bis dato mit einem Antischwerkraftgenerator unterwegs gewesen war, und eine Gestalt kletterte hervor.
Als die erste Extremität hervor kam, ähnelte das Wesen noch einer entfernt humanoid geformten, zwei Meter großen Eidechse, aber als sich die Gestalt aufrichtete, sah sie aus wie ein mittelalter, schwarzhaariger Chinese von eher geringer Größe. Und es steckte in einer typischen Militäruniform der chinesischen Roten Armee, die ihr einen Rang als Major bescheinigte. Dieses Wesen ließ einen Hut aus dem Nichts entstehen, wie die Offiziere Chinas, die zur Luftwaffe gehörten, sie zu tragen pflegten, setzte diesen auf und sprang in die Luft. Der Satz, den das Wesen machte, katapultierte es über fünfhundert Meter weit. Dies wiederholte es etwa zwanzigmal, dann war es in Reichweite der AO.
Als der falsche Offizier das Schiff beinahe erreicht hatte, beschloss er, zu Fuß weiterzugehen. Noch während er das tat, veränderte sich die Uniform und sein Aussehen. Nun war er zwar immer noch eher chinesisch, aber eine Frau, und die trug einen Mecha-Pilotenoverall. Die Schirmmütze verformte sich und wurde zu einem Helm. Auf diese Weise schaffte es die frischgebackene Unterleutnant es zumindest bis unter das Schlachtschiff.
Dort suchte sie nach einem Weg hinauf, einem regulären Weg, denn zwar war sie anstandslos durchgelassen worden, aber eine normalsterbliche Chinesin, die aus eigener Kraft auf den Balkon in Front der AO sprang, wäre nicht nur aufgefallen, sondern zu Recht als Feindin identifiziert worden.

Plötzlich schreckte die Frau auf. Eine Gruppe Tiger-Dai kam in ihre Richtung, und mit ihnen ein Gefühl der Bedrohung. Sie wich aus. Unauffällig, so weit es möglich war. Sie bewegte sich in Richtung des nächsten Lazaretts, in dem unter anderem ihre vermeintlichen Landsleute von der Schlacht mit der RASHZANZ behandelt wurden. Doch bevor sie es erreichen konnte, trat dort ein riesiger Kodiak-Bär hervor. Natürlich kein richtiger Bär. Ein Dai in seiner Tierform. Wäre sie Terranerin gewesen, hätte sie vielleicht gewusst, dass Dai in ihren Tiergestalten am Mächtigsten waren. So erzählte man sich zumindest. So aber wich sie erneut aus, und bevor sie sich versah, befand sie sich in einem kleinen, schmucklosen Gebäude mit nur einem einzigen Innenraum.
Als sie eintrat, sah sie, dass nur eine einzige Person darin war. Auch wenn die falsche Chinesin diese Person nur von hinten sah, reichte es für eine Identifizierung. „Dai-Kuzo-sama.“
Die Angesprochene wandte sich um. Ein spöttisches Lächeln ging über ihr Gesicht. „Ich werde es dir nicht leicht machen, Agent.“
Der rechte Arm der falschen Chinesin verwandelte sich in eine aufleuchtende, glühende Klinge. „Ich werde dich schnell töten.“ Dann griff sie an.

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