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Zum Ende der Seite springen Die Catrek-Chroniken: Conrad Waldek
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 Die Catrek-Chroniken: Conrad Waldek Ace Kaiser 02.09.2008 23:35
 RE: Die Catrek-Chroniken: Conrad Waldek Ace Kaiser 02.09.2008 23:36
 RE: Die Catrek-Chroniken: Conrad Waldek Ace Kaiser 02.09.2008 23:39
 RE: Die Catrek-Chroniken: Conrad Waldek Ace Kaiser 08.09.2008 18:33
 RE: Die Catrek-Chroniken: Conrad Waldek Ace Kaiser 08.09.2008 18:57
 RE: Die Catrek-Chroniken: Conrad Waldek Ace Kaiser 20.01.2009 22:31
 RE: Die Catrek-Chroniken: Conrad Waldek Ace Kaiser 20.01.2009 22:33

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Die Catrek-Chroniken: Conrad Waldek Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Das Fürstentum Roem, das kleine, unabhängige Reich, in dem Frieden und Wohlstand herrschte, war etwas besonderes. Obwohl es von neidischen menschlichen Bruderstaaten umgeben war, obwohl es an die Länder der streitsüchtigen Dämonen grenzte, obwohl selbst die Inseln der arroganten Götter an seine Küsten grenzten war dieser Staat noch nie angegriffen oder gar annektiert worden.
Der Grund hierfür lag nicht nur bei der hervorragend ausgebildeten, kleinen aber schlagfertigen Armee. Es war Schloss Catrek, die neutrale Schule, an der die zukünftigen Herrscher von Menschen- Dämonen- und Götterreichen ebenso wie ihre künftigen Berater Seite an Seite lernten, ihre Länder zu führen und die Kriegskunst erlernten. Auf Schloss Catrek, so hieß es, wurden heute bereits die Bündnisse von morgen geschlossen, aber auch schon jetzt entschieden, welche Staaten unter welchem Herrn unversöhnliche Feinde werden würden. Hier wurden sie geschult. Strategie und Taktik stand ebenso auf dem Lehrplan wie die Schwertkunst und Reiten im Kampf. Die Wissenschaften wurden gelehrt, Wirtschaftslehre, Mathematik, Literatur und sogar für eine Handvoll Begabte die Magie in all ihren Farben und Schattierungen.
Die Schüler, egal ob sie in ihrer Heimat Kronprinz oder Bauerskind waren, traten mit sechzehn in die Schule ein und blieben fünf lange Jahre. In dieser Zeit konnte man sich unverbrüchliche Freundschaften aufbauen oder vom Hass zerfressen werden, eine Sache, von der ich gedacht hatte, dass sie mich nie berühren würde.
Mein Name ist Conrad Waldek, und ich bin Zweiter Sohn des Erzkanzlers des Menschenkönigreichs Pars. Meine Aufgabe an dieser Schule war es, ein gut geschulter zukünftiger Minister für meinen zukünftigen König zu werden, und vier lange Jahre hatte ich mich dieser Aufgabe gewidmet. Aber ich hätte nie gedacht, dass mein fünftes, letztes Jahr am schwersten werden würde.
Die Schüler sind in Jahrgängen zusammengefasst, jeder Jahrgang wählt drei Sprecher. Ich bin der erste Sprecher des letzten Jahrgangs, und deshalb bin ich verantwortlich für alle anderen Schüler meiner Altersstufe. Einen Sack Flöhe zu hüten wäre einfacher, aber ich komme damit zurecht, nicht zuletzt dank der Hilfe meiner beiden Mitsprecher, Mirk Farem und Torandil Azet. Man kann sogar sagen, wir seien Freunde, obwohl man mir nachsagt, nicht nur meine Haare wären weiß wie Schnee, auch mein Blick und mein Herz wären eisig kalt. Vielleicht ist das ein Grund, warum ich mich mit den beiden so gut verstehe. Mirk wird einst Torangar erben, ein mächtiges Königreich im Süden, welches von der Dämonenrasse regiert wird. Ja, Mirk ist ein Dämon, und das erschreckt viele Menschen, die ihn nicht näher kennen. Sie haben Angst vor ihm, obwohl er ihnen nie etwas getan hat. Aber seine Erscheinung, langes schwarzes Haar, tiefschwarze Augen und blassbleiche Haut sind nicht jedermanns Geschmack, obwohl ich zugeben muss, dass sein Lächeln schon so manche Schülerin in Verzückung getrieben hat. Nun, vielleicht ist DAS der wahre Grund, warum die Menschen ihn hassen. Er ist gefährlich – für die Frauen. Torandil hingegen wird angehimmelt. Der große, schlanke Mann mit dem langen braunen Haarzopf und dem femininen Gesicht wird von den menschlichen Schülern sehr verehrt. Hauptsächlich wohl deshalb, weil er ein Gott ist. Seine Karriere in Vylexar, einem Staat auf der Götterinsel Turen, war vom ersten Tag an vorgezeichnet. Er wird unter seinem zukünftigen König einst Kanzler sein.
Ich komme gut mit den beiden aus, vielleicht sind wir wirklich Freunde. Wenn ich mit ihnen zusammen bin, fühle ich mich zum lächeln verführt. Immerhin, Vylexar und Torangar sind beides Staaten, die noch nie im Krieg mit Pars gelegen haben. Nein, unseren Ärger hatten wir stets den Menschenkönigreichen zu verdanken. Aber das vergaßen sie schnell, die Menschen, solange es ihnen so einfach gemacht wurde. Torandil als Gott war absolut verehrungswürdig, und Mirk als Dämon das Böse schlechthin.
Und damit begann mein Dilemma. Einerseits wurde ich gefürchtet, weil ich mich so gut mit dem zukünftigen König von Torangar verstehe, andererseits gehasst, weil ich ihn mit Torandil zusammengebracht habe.
Vor allem der Sprecher des vierten Jahrgangs, der stets adrette, aber schrecklich arrogante Menschenprinz Jisathan machte mir das zum Vorwurf. Natürlich wusste ich längst, das ich ihm mit meiner Freundschaft zum Gott ein Dorn im Auge war, denn er wollte sich mit Torandils Schönheit schmücken. Jisathan und seine beiden Sprecher stammen aus Agenfelt, einem Nachbarstaat von Pars, mit dem wir in der Vergangenheit viele Konflikte ausgetragen haben. Der feminine, überhebliche Jisathan ließ auch selten eine Gelegenheit aus, mir die wenigen militärischen Erfolge seiner Nation unter die Nase zu reiben. Ich bin sicher, wären Kämpfe unter den Schülern nicht verboten gewesen, er hätte mich attackiert. Aber auch so rechnete ich jederzeit mit einem Angriff auf mich. Grund mich zu hassen hatte er wahrlich genug. Und mit seinen beiden Sprechern, die ihm bedingungslos folgten, auch willige Komplizen. Aber selbst das betrachtete ich nur als geringes Ärgernis. Das wahre Problem war ein anderes. Einen Kopf kleiner als ich, mit blondem, kurz geschorenem Haar, großen blauen Augen und einer Figur, die Männer in den Wahnsinn treiben konnte. Dazu kam ein messerscharfer Verstand, eine scharfe Zunge und der Titel als bester Schülerin des fünften Jahrgangs. Zudem war sie göttlicher Abstammung – und offensichtlich war Selestin Northim in mich verliebt.

In einem Punkt habe ich gelogen. Es war nicht so, als würden mich alle Menschen hassen. Im Gegenteil, es gab viele menschliche Schüler, die mir ihr Vertrauen schenkten oder meinen Rat suchten. Natürlich waren etliche dabei, die mich als das schwache Glied in der Kette ansahen und versuchten, über mich Torandil oder Mirk kennen zu lernen. Aber viele wollten auch von dem Wissen profitieren, welches ich mir in beinahe fünf Jahren auf Schloss Catrek erworben hatte. Immerhin galt ich als einer der Besten. In den Pausen wurden wir drei oft genug umlagert, und mussten uns zusätzlich zum eigenen Studium noch mit banalen oder manchmal sehr ernsten Themen auseinander setzen.
Wie zaubert man einen Feuerball? Was muss ich beachten, wenn ich mein Pferd ohne Zügel lenke? Ist die Welt wirklich eine Kugel und wie wird ihr Durchmesser berechnet? Hat Torandil schon eine Freundin? Was würde Mirk mit mir machen, wenn er mich im Duell besiegt und ich entwaffnet vor ihm stehe? Trinken Dämonen wirklich Blut, und würde er dann meines trinken? Warum geht Torandil nie zu einer Verabredung?
„Ähemm!“ Das laute Räuspern ließ die Gespräche – oder vielmehr die in den Raum geworfenen Fragen verstummen. Im Lehrsaal für Wirtschaft wurde es still, die zahlreich vertretenen Schüler der unteren Jahrgänge drängten hastig beiseite. Da war sie also. Selestin Northim, die beste Schülerin des Jahrgangs. Und seit fast fünf Jahren die Klette, die an mir hing. Ihr böser Blick trieb die Schüler noch weiter auseinander, aber als sie mich ansah, wechselte sie zu einem Lächeln, welches Steine geschmolzen hätte. Aber ich fiel darauf nicht herein. Ich hatte gesehen, was diese Frau mit einem einfachen magischen Spruch wie dem Feuerball anrichten konnte.
„Ich nehme an, du hast dir wieder nichts zum Mittag mitgebracht, Conrad. Deshalb habe ich etwas mehr gemacht“, sagte sie immer noch lächelnd. Etwas mehr, das war ein Picknickkorb, der garantiert bis zum Rand gefüllt war. Weit mehr als sie und ich essen konnten.
„Ein Picknick zum Mittag? Klingt gut“, ließ sich Torandil vernehmen. Er erhob sich. „Hast du was dagegen, wenn Mirk und ich uns anschließen?“
„Ihr zwei kriegt nichts!“, rief sie in Torandils Richtung und warf ihm einen bösen Blick zu, stark genug, um ihn drei Schritte zurück zu treiben. Doch als sie mich wieder ansah, lächelte sie erneut. „Können wir dann, Conrad?“
Seufzend erhob ich mich. Ihr selbstgemachtes Essen schmeckte immerhin hervorragend.

Unter einer alten Eiche fanden wir ein schattiges Plätzchen mit Blick auf die Reitanlage. Gerade schirrten die Bediensteten einigen Hengsten die Gefechtsrüstung um. Das erste Jahr würde nachher hier trainieren, und die schweren Panzer waren dazu gedacht, die Pferde vor ihren Reitern zu beschützen. Ein Gedanke, der mich schmunzeln ließ.
„Hier, etwas Tee, Conrad. Lang ruhig ordentlich zu. Ich glaube, ich habe ein wenig viel gemacht.“
„Danke.“ Immer wenn sie mich so anlächelte, machte mich das misstrauisch. Ich war mir nicht klar darüber, was dieses Mädchen, was diese Göttin von mir wollte. Es musste mit meiner Tätigkeit als Jahrgangssprecher zu tun haben, doch bisher hatte sie nicht versucht, aus unserer Bekanntschaft einen Vorteil zu ziehen.
Ich sah das Unheil schon von weitem. Jisathan kam, begleitet von den anderen beiden Sprechern und einem beachtlichen Gefolge aus Menschenschülern in unsere Richtung. Alles in allem waren es wohl zwanzig Leute, die entweder versuchten, ein wenig von seinem zweifelhaften Glanz zu erhaschen oder ihm glänzen zu helfen versuchten. Als der verwöhnte, und zugegeben gut aussehende Prinz aus Agenfelt mich erkannte, blieb er stehen. Missbilligend runzelte er die Stirn. „Conrad Waldek. Es ist schon schlimm genug, dass einer wie du auf Schloss Catrek lernen darf. Aber musst du dich unbedingt jedem Gott aufdrängen, den du siehst?“
Neben mir begann Selestin wütend zu knurren. Ich gebot ihr mit einen Handbewegung Einhalt. „Hast du nicht ein Bauerndorf abzuschlachten oder ein kleines hilfloses Land, in das du einfallen musst?“
„Ach, wie vulgär. Aber etwas anderes war von dir ja nicht zu erwarten, oder? Ein Bauer bleibt ein Bauer, egal wie sehr er sich hoch dient. Kein Vergleich zu einem Mann von wahrem Königsblut.“
„Von Königsblut sehe ich hier nichts. Außer, du glaubst, dass dein affektiertes Gehabe dich zum König qualifiziert.“ Ich schnaubte abfällig. „Mit dir als Herrscher über Agenfelt werden wir jedenfalls in Pars eine ruhige Zeit haben.“
Wut verzerrte sein Gesicht. Auffordernd sah er einen seiner Begleiter an. Sekunden darauf flog ein Wurfdolch auf mich zu. Er wurde eine Handbreit vor meinem Gesicht gestoppt. Selestin hatte ihn rechtzeitig am Griff zu fassen gekriegt.
„Ups, da ist einem meiner Leute wohl die Hand ausgerutscht. Nicht, dass es ein Verlust gewesen wäre, wenn der Dolch getroffen hätte.“
Die Haare der Göttin wurden plötzlich nach oben geweht, als würde ein starker Wind nach ihnen fassen. Eine glutrote Aura hüllte sie ein und rund um ihre linke, freie Hand tanzten Flammen, die sich schnell zu einem lodernden Ball vereinigen. „Aus meinen Augen, Mensch, bevor mir die Hand ausrutscht!“
„Da siehst du was du angerichtet hast. Du hast einen Gott dressiert“, warf mir Jisathan vor.
„SOFORT!“, blaffte Selestin.
Der Abzug der Gruppe um den Prinzen von Agenfelt erfolgte ein wenig zu hastig, fand ich.
Die Aura verschwand um die Göttin. Als sie mich wieder ansah, lächelte sie schon. „Dieser Kerl ist so ein Idiot, Conrad.“
„Danke, das du den Dolch gefangen hast, Selestin. Auch wenn es nicht nötig war. Ich hätte ihn selbst abwehren können.“
„Auch... Wenn es nicht nötig war?“ Sie sah mich auf eine Weise an, die ich an ihr nie zuvor gesehen hatte. Dann lief sie fort.
Langsam erhob ich mich und sammelte die Reste des Picknicks auf. Ich wurde wirklich nicht schlau aus dieser Göttin.
„Conrad“, erklang die Stimme von Mirk hinter mir, „manchmal bist du ein riesiger Idiot.“
„Zum Glück bist du aber unser Idiot“, fügte Torandil hinzu. Beide standen unter einem nahen Baum und sahen mich kopfschüttelnd an.
„Wie lange steht ihr schon da?“
„Lang genug. Du hättest ihr nachlaufen sollen, Dummkopf“, tadelte Mirk.
„Und warum sollte ich so etwas dummes tun?“, entgegnete ich.
Die beiden wechselten einen überraschten Blick und sagten zusammen: „Idiot.“

Als der Abend dämmerte und der Unterricht ein Ende fand, steckte in der Tür zu meinem Zimmer eine Pergamentrolle. Ich entsiegelte sie und las mit Entsetzen, dass dieser Narr Jisathan Selestin verschleppt hatte. Ohne groß nachzudenken machte ich mich auf den Weg zum alten Warenhaus, in dem er sich mit mir treffen wollte. Verdammt, Selestin! Ich hatte sie für klüger gehalten.
Als ich in das weit geöffnete alte Warenhaus schritt, klang die Stimme des Prinzen auf. „Bist du allein gekommen?“
„Natürlich bin ich allein hier. Wo ist Selestin?“
Als Antwort lachte der Prinz. „Ich wusste, du würdest nicht widerstehen können, wenn es um ihr Leben geht.“ Ein bösartiges Funkeln ging über seine Augen. „Packt ihn!“
Aus allen Richtungen stürzten nun seine Gefolgsleute herbei. Ich wehrte mich nicht. Hart landete ich mit meinem Gesicht auf dem staubigen Boden.
„Und, mein kleiner Bauer, was schenken wir dir jetzt?“, säuselte der Prinz von Agenfelt von oben herab. „Ein paar schöne Narben für dein hübsches Gesicht vielleicht? Trennen wir ein paar Finger ab?“
„Selestin ist nicht hier?“
„Ich habe keine Hand an sie gelegt.“
„Dann ist es egal. Aber tue es schnell, bevor ich mich befreien kann.“
„Interessant, Bauersjunge.“ Langsam trat Jisathan näher und zog einen langen Dolch aus seinem Gewand. „Selbst aus dieser Position bist du noch arrogant und selbstüberzeugt. Woher nimmst du nur diese Sicherheit?“
„Vielleicht von seinen Freunden!“, klang vom Eingang her die Stimme von Mirk auf. Ich versuchte den Kopf zu wenden, konnte aber nicht viel erkennen. Nur kurz erahnte ich drei Gestalten in der offenen Tür. Mirk, Torandil und... Selestin?
„Mich zu benutzen, um Conrad herzulocken“, sagte Selestin mit mühsam unterdrückter Wut in der Stimme. In ihrer Hand hielt sie das Pergament, das mich her gelockt hatte.„Das ist unverzeihlich, Jisathan!“ Übergangslos wurde der Innenraum des Lagers grell von ihrer Flammenaura erleuchtet. Angstvoll drückten sich die Menschen aneinander.

Sekunden darauf half mir Mirk beim aufstehen, und Torandil klopfte mir den Staub von der Kleidung. Selestin stand wütend vor dem geschlagenen Prinzen und starrte böse auf ihn hinab. „Passiert das noch mal, halte ich mich nicht zurück, verstanden?“
„Verstanden“, antwortete der Prinz, während er verrenkt und Ruß bedeckt auf dem Boden lag.
„Das nennt sie zurückhalten?“, fragte Mirk mit gerunzelter Stirn.
„Danke, Selestin, aber...“, begann ich, wurde jedoch von ihr unterbrochen.
„Aber du hättest keine Hilfe gebraucht?“
Als ich darauf nicht antwortete, warf sie sich herum und lief davon.
„Idiot!“, kommentierten Torandil und Mirk unisono.
„Ich wünschte, ihr würdet aufhören, das dauernd zu sagen.“


„Na toll, du Idiot!“, brüllte mir jemand ins Ohr.
Ich schreckte hoch. So unsanft geweckt wurde ich eher selten. Verwirrt sah ich mich um und erkannte Mirk und Torandil, die neben meinem Bett standen. „Was?“
„Du hast es geschafft. Selestin verlässt die Schule“, brummte Mirk böse.
„Was? Wieso? Und was habe ich damit zu tun?“
„Das ist doch vollkommen egal! Wenn du nicht gleich umgezogen bist, ist sie für immer fort“, sagte Torandil, tauschte ein Nicken mit dem Dämon aus. Gemeinsam stürzten sie sich auf mich.
Minuten darauf wurde ich, halb gezogen, halb gestoßen, in Richtung Innenhof gebracht.
Dort wartete bereits eine Kutsche auf Selestin. Ein groß gewachsener Ritter mit verwegenem Gesicht hielt ihr bereits die Tür auf.
„Selestin!“
Sie wandte sich um. „Conrad? Was machst... Ach so. Die beiden haben dich geholt.“ Sie sah traurig zu Boden.
„Du gehst?“, fragte ich. „Das Jahr ist noch nicht vorbei.“
Der Ritter sagte an ihrer Stelle: „Es gibt nichts mehr, was Lady Northim hier noch hält. Sie wird in ihr Heimatland zurückkehren.“
Erschrocken sah ich die beiden an und rang nach Worten.
„Eines interessiert mich noch“, sagte die junge Göttin stattdessen. „Warum bist du Jisathan in die Falle gegangen? Warum hast du versucht mich zu retten?“
Hilflos hob ich die Arme. „Der Dolch. Deine Hilfe.“
Enttäuscht sah sie auf. Ein schüchternes Lächeln glitt über ihr Gesicht. „Ach. Ich verstehe.“
„Selestin!“, rief ich und hielt sie damit davon ab, in die Kutsche zu steigen. „Mich interessiert auch etwas. Was versprichst Du dir davon, in meiner Nähe zu sein?“
„Was ich mir davon verspreche? Ich liebe dich, du Idiot!“, rief sie wütend.
„Wo ist da dein Vorteil?“
„Was für ein Vorteil?“ Beinahe sanft sah sie mich an. „Liebe wird gegeben, Conrad, ohne etwas zu verlangen, ohne etwas zu erwarten. Ohne Vorteile und ohne Wünsche. Das macht sie so rein und erstrebenswert.“
Als sie die helfende Hand des Ritters nahm, der ihr in die Kutsche half, fügte sie hinzu: „Es wundert mich nicht, dass du das nicht verstehst, Conrad.“

Die Kutsche fuhr an. Bis zu Roems größten Seehafen würde sie nur wenige Stunden unterwegs sein. Und von dort würde sie ein Schiff schnell nach Hause bringen. Fort aus dem Fürstentum, fort von Schloss Catrek, fort... Von mir?
„Du bist ein Idiot. Warum hast du überhaupt Zeit mit ihr verbracht, wenn du sie jetzt fahren lässt?“, tadelte Mirk.
„Es ist meine Pflicht, dass ich an dieser Schule ein erstklassiger...“
„Man muss die Pflicht auch mal ruhen lassen können! Sie fährt fort und kommt nicht wieder! Kapierst du das?“, rief der Dämonenprinz wütend.
„Kommt nicht wieder...“, wiederholte ich und Entsetzen huschte über mein Gesicht. „Kommt nicht wieder!“
Ich lief los, eilte der Kutsche hinterher. Zum Glück war sie nicht besonders schnell, ich ergriff den hinteren Rahmen, bevor sie den Schlosshof verlassen hatte. Dann stoppte ich das Gefährt mit einem harten Ruck. Die Pferde wieherten zu Tode erschrocken auf. Der Ritter und Selestin sahen ebenfalls erschrocken heraus. „Hast du gerade die Kutsche mit bloßen Händen angehalten, Conrad?“
„Ich sagte doch, ich hätte deine Hilfe nicht gebraucht“, versetzte ich.
Wütend sah sie mich an. „Und um mir das zu sagen stoppst du mich?“
„Aber ich habe auch danke gesagt. Selestin, ich bin dankbar dafür, dass du mich retten wolltest. Ich bin dankbar dafür, dass du bei mir bist. Und ich würde mich freuen, wenn du nicht fährst.“
Die Tür der Kutsche wurde aufgestoßen. Die junge Göttin sprang heraus und stürzte in meine Arme. „Du liebst mich ja doch! Warum hast du das nie zugegeben?“
„Ich wusste es nicht. Du bist leider die einzige Frau, die ich liebe. Ich hatte keine Vergleichsm...“ Der Rest meiner Worte blieb ungesagt. Selestin verschloss meine Lippen mit einem Kuss.
„Idiot“, kommentierte Mirk hinter mir. Beinahe konnte ich ihn grinsen sehen.
„Ja, aber sogar er kann mal etwas richtig machen“, erwiderte Torandil.

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02.09.2008 23:35 Ace Kaiser ist offline E-Mail an Ace Kaiser senden Beiträge von Ace Kaiser suchen Nehmen Sie Ace Kaiser in Ihre Freundesliste auf
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Das Fürstentum Roem war schon seit jeher eine der friedlichsten Ecken in dieser rauen, von Menschen, Göttern und Dämonen beherrschten Welt gewesen. Manche sagten, diese Ruhe und diesen Frieden, ja seinen Wohlstand, verdankte das kleine Reich Schloss Catrek. Weil die besten Lehrmeister Roems, teilweise der gesamten bekannten Welt, hier versammelt waren um die zukünftigen Herrscher und Minister der Zukunft auszubilden, hielten die umliegenden Reiche still und überrannten das kleine Land nicht, so lautete die allgemeine Meinung.
Aber das war nur einer der Gründe. Ein wesentlich Wichtigerer war der kleine, schlagkräftige und sehr gut ausgebildete Elitekader, der die Armee des kleinen Landes bildete. Doch hierin lag auch der größte Nachteil der Armee. In einer offenen Feldschlacht waren die Ritter und Krieger Roems in der Lage, jeden Feind zu bezwingen. Aber sobald sie aufgesplittert wurden waren sie verwundbar. Leider kam dies immer wieder einmal vor, weil sich oft genug Situationen ergaben, in denen nicht das gesamte Heer mobilisiert werden musste oder sogar konnte.
In solchen Fällen wurde zumeist eine gemischte Truppe ausgehoben, bestehend aus Rittern, Phalanx-Soldaten, Plänklern, Magiern und Bogenschützen, um für jede Eventualität gewappnet zu sein. Und manchmal wurde einer solchen Armeegruppe eine Abteilung Kadetten der Burg Catrek zur Seite gestellt. Offiziell, damit die jungen Menschen ihre auf der Burg erworbenen Fähigkeiten testen konnten, weshalb jeweils nur Kadetten des fünften Jahrgangs ausgesandt wurden. Inoffiziell aber, um mit ihrer Kampfkraft ein wenig unbesoldete Entlastung für die Armee zu ermöglichen. Dennoch sah es jeder Kadett der Burg als große Ehre an, für solch einen Einsatz ausgesucht zu werden, immerhin ermöglichte er es jedem einzelnen, in der Realität zu testen, was er in der Theorie erworben hatte.

Als Conrad Waldek, Jahrgangssprecher des fünften und damit letzten Jahres auf Catrek zum Direktor gerufen wurde, hatten in den Mauern der Burg schon genügend Gerüchte über erhöhte Piratenaktivitäten an der Küste kursiert, um ihn ahnen zu lassen, worum es Baron Hygar Davon gehen würde. Als er anklopfte, wurde er sofort hinein gebeten.
Dort saß er also, der vierhundert Jahre alte Kommandeur der Schule. Er war ein Dämon, der schon vor ewig langer Zeit nach Roem gegangen war, und hier in der neutralen Schule sein Wissen und sein Können zur Verfügung stellte. Wie alle Dämonen war er langlebig und ewig jugendlich, wenngleich er mit vierhundert nicht wirklich mehr der Jüngste war. Aber das sah man dem langen weißen, auf die Schultern fallenden Haar, den strahlenden tiefroten Augen und der schneeweißen, faltenlosen Haut nicht an. Wer ihn sah, musste ihn bestenfalls für dreißig halten, und das wäre bereits eine Beleidigung gewesen.
Der Direktor war nicht allein. An der rechten Wand lehnte ein Ritter in der für Roem so typischen Plattenrüstung aus flexiblen Segmenten, welche sie so unüberwindbar machte. Er trug lediglich ein Kurzschwert am Gürtel, den Helm hatte er abgelegt und die Augen geschlossen. Allerdings erkannte Conrad schnell, dass dieser Mann ein Gott sein musste. Götter waren nicht ganz so langlebig wie Dämonen, aber wurden immer noch weit älter als Menschen und blieben dabei ebenfalls lange Zeit jung. Abzeichen und dergleichen fehlten auf der Rüstung, sodass Conrad das Alter des anderen nur schätzen konnte. Vielleicht war er vierzig, eventuell älter. Ein Blick in die Augen hätte ihm vielleicht mehr verraten.

„Genug Neugierde gezeigt, Kadett Waldek“, mahnte der Direktor.
Durch Conrad ging ein Ruck. „Verzeihung. Ich melde mich wie befohlen, Direktor Davon.“
Der Dämon lächelte freundlich, beinahe schon fröhlich, und genau das verursachte Conrad eine Gänsehaut. „Mein lieber guter Conrad. Es ist mir eine ganz besondere Freude, dir Major Azet vorzustellen. Ihm untersteht das Schnelle Gemischte Neunte Bataillon.“
„Azet?“, echote Conrad und versuchte im Gesicht des Majors Ähnlichkeit zu seinem stellvertretendem Sprecher Torandil Azet zu erkennen. Tatsächlich erinnerte ihn einiges an den Gott, mit dem er so gut befreundet war.
„Livon Azet“, half der Major aus und öffnete die Augen. Ja, die wirkten schon eher wie die von Torandil, wenngleich sie Bernsteinrot waren, und nicht das intensive grün von Torandil hatten.
„Es freut mich, dich kennen zu lernen, Jahrgangssprecher Waldek.“
Conrad verneigte sich leicht in Richtung des Majors. „Die Freude ist auf meiner Seite. Immerhin lerne ich einen Verwandten meines Freundes Torandil kennen.“
„Ach ja, stimmt, du lernst mit meinem Neffen Dritten Grades zusammen. Wie erfreulich.“
„Der Major“, sagte der Direktor und zog damit die Aufmerksamkeit wieder auf sich, „ist aus einem bestimmten Grund hier. Es...“
„Es geht um die Piratenaktivitäten. Burg Catrek stellt eine Unterstützungskompanie aus Kadetten des letzten Jahrs zusammen und begleitet das Neunte Bataillon bei der Mission, welche die Vernichtung der Piraten zum Auftrag hat. Bei dieser Gelegenheit sollen die besten Absolventen ihre tausendfach geschliffenen Fähigkeiten trainieren und zur Vollendung bringen. Falls es zu Kämpfen kommt“, sagte Conrad mit sachlicher Stimme.
„Falls es zu Kämpfen kommt“, bestätigte der Direktor.
„Er ist vorlaut“, stellte Azet fest. „Das gefällt mir irgendwie.“ Der Gott stieß sich von der Wand ab. Er war einen halben Kopf größer als Conrad, und diesen Vorteil nutzte er aus, um von oben auf ihn herab zu sehen. Sein Blick wurde böse, geradezu düster. „Ich hoffe, das beschränkt sich auf dieses Büro, Junge!“
„Na, Na“, mahnte der Direktor. „Conrad ist nicht nur Jahrgangssprecher, er ist auch einer der besten Schüler und Anführer hier. Hätte er auch noch Talent für Magie müsste ich ihn öffentlich verbrennen lassen, denn ein so gutes Individuum darf es eigentlich nicht auf dieser Welt geben. Ich bin sicher, er wird auf Sie hören, Azet. Und er wird seine Sache als Anführer der Kadettenkompanie gut machen.“
„Anführer?“, argwöhnte Conrad und sah zum Direktor herüber. „Ich? Übernimmt nicht normalerweise ein Offizier Roems das Kommando über die Kadetten?“
Leider sah Conrad nicht Azets Reaktion, der sich ignoriert fühlte und beinahe in Tränen ausbrach. So eine raue Behandlung teilte er normalerweise selbst aus, sie zu erhalten war eine vollkommen neue Erfahrung für ihn. Zudem war sich Conrad nicht einmal dessen bewusst, dass er sie gerade erteilte.
„Ja, Conrad Waldek. Du wirst die Kompanie anführen.“ Der Direktor zog die Stirn kraus. „Du wärst sowieso der einzige, auf den sie hören würden. Mirk wird dein Stellvertreter, und Torandil die Nummer drei. Ihr werdet drei Züge mit je zehn Kadetten bilden. Jeder von euch dreien steht einem Zug vor. Zudem bekommt ihr fünf Magier mit. Das sind beinahe zwei Fünftel der Kadetten des Abschlussjahrgangs. Ich hoffe, du behandelst sie pfleglich.“
Conrad runzelte die Stirn. „Es kommt nicht darauf an, wie ich sie behandle. Es kommt darauf an, wie der Kampf sie behandelt. Wobei ich sicherlich mein Bestes geben werde, um sie alle sicher zurück nach Catrek zu bringen.“ Er sah zurück zu Major Azet, der sich sofort straffte und ernst drein blickte. „Und ich bin sicher, Sie ebenso, Major.“
„Ich neige eher dazu, Dinge die mir ein Klotz am Bein sind, zurück zu lassen“, erwiderte der Offizier so kühl wie er konnte.
„Oh. Heißt das, ich habe Entscheidungsfreiheit?“
„Nun ist aber genug, Conrad. Stell dir deine Kompanie zusammen und such dir deine Magier aus. Ich erwarte die Liste bis zum Mittag, ausgerückt wird morgen früh. Ausführung!“
Conrad nahm Haltung an, dann verbeugte er sich vor dem Direktor. Danach wiederholte er die Geste vor dem Gott, allerdings nicht annähernd so lange.

„Er ist schlau, verdammt schlau. Bissig, gewitzt und schnell da oben“, “, raunte Azet unzufrieden und tickte sich an die Schläfe.
„Alles Eigenschaften, die er eines Tages brauchen wird, oder?“, erwiderte Davon schmunzelnd.
Dies ließ auch ein Schmunzeln über Azets Gesicht huschen. „Ich bin noch nicht davon überzeugt, dass es dieses „Eines Tages“ geben wird, Hygar. Im Gegenteil. Ich glaube, er wird an dieser Aufgabe scheitern und in Schimpf und Schande heim kehren.“
„Möchtest du vielleicht drauf wetten, alter Freund?“, fragte der Dämon lauernd. „Ich würde ohne weiteres zwanzig Goldstücke auf ihn setzen.“
„Es wäre wert, dieses Gold zu verlieren, wenn er mehr ist als er jetzt für mich scheint“, erwiderte Azet nachdenklich.
„Heißt das du nimmst die Wette an?“
„Ich wette nicht mehr mit dir!“, rief der Major ärgerlich. „Das letzte Mal musste ich danach einen Offiziersposten in Roem annehmen!“
„Und du hast es nie bereut“, erwiderte der Direktor mit der Stimme einer satten, fetten Katze.
„Zugegeben“, brummte Azet leise.
Die beiden musterten sich und begannen zu lachen.
***
Die Szene, die sich ein paar Minuten später im Gebäude der Wirtschaftswissenschaften abspielte, hatte etwas dramatisches. Das fanden zumindest Torandil und Mirk, die unfreiwillig Zeugen wurden.
Conrad marschierte mit störrischer Miene durch die Gänge, in der Hand eine Liste, auf der er schon siebzehn von achtunddreißig Namen abgehakt hatte. Ihm folgte dicht auf Selestin Northim, Göttin, erklärte Magierin und seit einem guten Monat offiziell besiegelte Freundin des Jahrgangssprechers.
„Ich komme mit!“, rief sie eifrig.
„Ich habe keine Ahnung, wie du so schnell erfahren konntest was hier passiert, aber du kannst nicht mitkommen!“, erwiderte Conrad ohne sich um zu drehen.
„Du sollst fünf Magier mitnehmen, oder? Ich bin Feuermagier, und das prädestiniert mich für eine Angriffsstreitmacht. Ich kann außerdem sehr gut führen und habe in all meinen Magiekursen die besten Noten. Conrad, du brauchst mich.“
„Nein, Selestin, du bleibst hier.“
„Wenn du glaubst, ich lasse mich ausgrenzen, nur weil ich deine Freundin bin, dann...“
Conrad wandte sich um, blieb abrupt stehen und fing Selestin auf. Er sah ihr tief in die Augen. „Ja, du bist meine Freundin. Und darin liegt das Problem. Ich habe die Verantwortung für siebenunddreißig Mitkadetten, aber wenn du uns begleitest, dann sind all meine Gedanken, meine Gefühle, ja, alle meine Blicke nur auf dich gerichtet. Ich könnte sie alle verlieren, nur weil ich an dich denke.“
„Oh, Conrad“, hauchte die Göttin. Man konnte beinahe zusehen, wie sie dahin schmolz, während sie in den strengen, und dennoch von Liebe erfüllten Augen des Menschen versank.
„Das war es dann wohl. Ausgeknockt in der ersten Runde“, murmelte Torandil belustigt.
Mirk hielt ihm ein Silberstück hin. „Wetten, das sie es doch noch schafft?“
Der Gott grinste über das ganze Gesicht und griff nach der Münze. „Dein Geld bist du los, Dämon. Das weißt du hoffentlich. Von dem Schlag erholt sich Selestin nicht mehr.“
„Conrad, das ist ja so lieb von dir. Ich fühle mich... Ich fühle mich so leicht, so geborgen, so wundervoll. Es ist so schön zu hören, zu spüren, wie sehr du mich liebst.“ Sie hob die Rechte und legte sie sanft auf sein Gesicht. Dabei stellte sie sich auf die Zehenspitzen, um ihren Freund zu küssen.
„Heißt das, du akzeptierst ausnahmsweise mal meine Meinung und bleibst hier?“
Eine düstere Wolke des Ärgers zog durch ihre klaren Augen, und die eigentlich liebevoll auf sein Gesicht gelegte Hand erdreistete sich, seine Wange schmerzhaft zu kneifen.
„Das heißt, ich komme trotzdem mit. Einer muss ja auf dich aufpassen. Das kann ich ja nicht diesen beiden Traumtänzern da drüben überlassen.“
„Wie fies“, ächzte Mirk bei diesem Kommentar.
„Traumtänzer? Das haben wir nicht verdient“, fügte Torandil hinzu.
„Wie dem auch sei. Du brauchst einen Anführer für die Magier, und ich bin die beste. Außerdem wirst du als zukünftiger... Minister lernen müssen, oft genug persönliche Gefühle zurück zu stellen und das Richtige zu tun. Dies ist in diesem Fall, mir die Magier zu geben.“
Langsam ließ sie seine Wange los, was Conrad mit einem Aufatmen registrierte. „Außerdem werde ich dich mit einem Feuerball über das Meer schicken, wenn du es wagst, die anderen in der Kompanie nur für mich zu vernachlässigen. Ich meine, das wäre wirklich süß von dir, aber nicht sehr professionell. Und es würde alles verraten, was wir hier auf Catrek gelernt haben.“ Sie stellte sich wieder auf die Zehenspitzen und küsste die von ihr lädierte Wange. Dabei zog sie die Hitze aus dem Fleisch und bannte damit den Schmerz. „Ich gehe dann mal meine Magier zusammen stellen.“
Mit diesen Worten wandte sich Selestin um und ging. Allerdings blieb sie an der nächsten Ecke stehen, wandte sich noch einmal um, lächelte so, wie es ein normales, verliebtes und liebenswertes, weniger brutales Mädchen getan hätte, und warf Conrad einen Handkuss zu bevor sie verschwand.

„Sie liebt dich“, stellte Torandil fest. „Ich habe noch nie erlebt, dass sie bei einem anderen so Butterweich war und ihre eigenen Wünsche derart zurückgestellt hat.“
„Das nennst du weich?“, raunte Mirk. „Und das nennst du Wünsche zurückstellen? Von welcher Insel kommst du eigentlich?“
„Von Turen, das solltest du eigentlich langsam wissen, Mirk“, scherzte der Gott. „Und das war für Selestins Begriffe wirklich weich und zart. Sie macht sich Sorgen um Conrad, sonst hätte sie sich nicht darum gedrängt, die Magier zu übernehmen. Normalerweise hätte sie sich zehn mal bitten lassen oder wenigstens eine ansprechende Aufgabe verlangt, um überhaupt Interesse zu entwickeln.“ Torandil knuffte Conrad gegen die Schulter. „Du tust ihr wirklich gut, finde ich.“
„Und sie tut mir gut.“ Gedankenverloren rieb er sich die Wange, die sie geküsst hatte. „Und deshalb will ich sie nicht in Gefahr bringen.“
„Aber sie hat Recht. Wir alle werden lernen müssen, dass persönliche Gefühle zum Wohle aller manchmal zurück zu stehen haben“, sagte Mirk. Er griff mit beiden Armen zu und legte einen um Conrads Hals und einen um Torandils Schultern. „Allerdings betrifft das nicht unsere Freundschaft. Oder, Jungs?“
„Oh, ich würde dich jederzeit sterbend an einem schmutzigen Strand zurücklassen, wenn ich mein Leben retten muss“, scherzte Torandil.
„Wie fies“, murmelte der Dämon deprimiert. „Und meine Rasse soll gemein und hinterhältig sein?“
„Aber ich würde mit einer Armee zurück kommen, dich rächen und dir ein wirklich schönes Grabmal bauen.“
„Das tröstet mich jetzt auch nicht mehr. Conrad, Torandil ist gemein zu mir!“
„Kindsköpfe!“, tadelte Conrad rau. „Wo ihr doch beide genau wisst, dass ihr eher sterben würdet, als den anderen irgendwo zurück zu lassen.“
Mirk sah Torandil ernst an. „Er kapiert es nicht, oder? Er kann nicht mal bei einem harmlosen Scherz mitmachen.“
„Gemach, Gemach. Er hat gerade erst gelernt was Liebe ist. Scherze zu verstehen und zu machen bringen wir ihm nächsten Monat bei.“
„Ihr macht mich fertig“, stöhnte Conrad.
Die beiden Freunde grinsten sich an. „Das war der Plan, furchtloser Anführer.“
Conrad schüttelte fassungslos den Kopf. Und das waren die beiden besten Freunde in seinem Leben.
***
Sie brachen am nächsten Morgen in voller Reiterei-Rüstung unter dem Jubel der Schüler der anderen Jahrgänge und unter den neidischen Blicken jener Absolventen des letzten Jahrgangs, die nicht ausgewählt worden waren, aus dem Burghof auf. Sie hatten die am besten ausgebildeten Pferde der Burg erhalten, und ein großer Planwagen mit Vorräten, Zelten und was man sonst noch brauchte, wenn man mitten in der Wildnis campierte, begleitete sie. Der Fahrer war ein grobschlächtiger, grimmiger Bursche, der Fragen mit einem Knurren beantwortete und Anweisungen mit eindeutigen Gesten erteilte, die deutlich machten, dass er es nicht gewohnt war, dass ihnen nicht Folge geleistet wurde.
Conrad ritt voran, neben ihm Mirk als sein Stellvertreter, dahinter folgten Torandil und Selestin. Der Trubel war beachtlich, aber verständlich. Es ging ja nicht um die Invasion eines anderen Staates, nicht um einen Angriff zur See, sondern nur um Piraten. Und die waren als Feinde Allgemeingut. Keiner der Kadetten der Burg musste also dabei zu sehen, wie Kommilitonen ausrückten, um die Soldaten seines eigenen Landes zu bekämpfen.

Von Burg Catrek zogen sie weiter zur nahen Hafenstadt Kuvris.
Dort empfing sie bereits das Neunte Bataillon mit Major Azet an der Spitze. Sie setzten sich zusammen aus Berittenen, Phalanx-Soldaten, Plänklern, Bogenschützen, Zimmerleuten, Schmieden und Magiern. Viele von ihnen waren Reservisten, die dann und wann dem Ruf des Fürsten folgten, um sich unter der Fahne einzufinden. Wesentlich öfter war es, dass sie zusammen trainierten und ihre Künste verfeinerten. Erst das machte aus Roems Armee eine derart unschlagbare Truppe. Übermächte brauchte sie nicht zu fürchten. Kein offener Schwertstreich konnte diese Armee ernsthaft treffen. Es waren bestenfalls die Dolchstöße von hinten, in den Rücken, im Geheimen, die ihnen Sorgen machen mussten.
Conrad ließ seine Gruppe anhalten und ritt nur mit Mirk vor zum Anführer der Truppe.
„Major Azet, ich melde die Kadetten-Kompanie von Burg Catrek vollständig angetreten.“
Der Gott indes musterte Mirk interessiert. „Ein Dämon? Hoffst du auf eine Extraportion Menschenblut?“
Conrads Hand lag Gedankenschnell auf Mirks Schulter. Diese Geste genügte, um den jungen Burschen, der kurz vor einer Explosion stand, in Zaum zu halten.
„Entschuldigen Sie, Major Azet, aber Mirk trinkt nur das Blut von hübschen Jungfrauen. Ich bin sicher, dass wir bei den Piraten auf niemanden treffen, der dieser Definition entspricht. Verzeihen Sie also, wenn sich mein Stellvertreter über die entgangene Mahlzeit ärgert.“
„Keine Jungfrauen unter den Piraten, eh?“, rief der Major und begann zu lachen. Er musterte Mirk eine Zeit lang und nickte schließlich. „Gut, gut, Dämon, probieren wir es mit dir und deinesgleichen.
Die Kadetten-Kompanie gliedert sich hinter meiner Reiterei ein, Conrad Waldek. Du wirst für die Zeit des Einsatzes der Hauptmann sein, deine drei Unterführer werden deine Leutnants. Dieser hier, der Dämon, wird Oberleutnant und wird dich ersetzen, falls du fällst. Falls er nicht lieber dein jungfräuliches Blut säuft“, bemerkte der Gott anzüglich. „Außerdem ernenne noch jeweils einen Unterführer für fünf Mann im Rang eines Korporals.“
„Ich habe verstanden“, sagte Conrad und führte sein Pferd zurück, um die entsprechenden Befehle zu geben.

„Du bist nicht explodiert, als er gemeint hat, du würdest eher mein Blut trinken als den Befehl zu übernehmen. Warum nicht, Mirk?“
„Was? Oh, ich war nur maßlos erstaunt, weil er wusste, dass du Jungfrau bist.“
Conrad Waldek errötete bis unter die Ohren. „Ist das vielleicht ein Fehler?“
„Keine Sorge, mir ist es egal, und Blut trinke ich sowieso nicht“, beschwichtigte der Dämon. „Aber wie hat er es nur raus gefunden?“
Der junge Mensch errötete erneut. „W-was weiß ich! Geraten hat er es, und ich Idiot gebe dir auch noch einen Tipp!“
„Oh, du siehst ja richtig süß aus, wenn du jungfräulich errötest, Conrad“, säuselte der Dämon. Er hob den rechten Arm und winkte zu den Kadetten herüber. „Hey! Wir sollen uns hinter der Reiterei einordnen!“
Conrad beugte sich zu ihm herüber und sah ihn so düster an, als wäre er für diesen Blick bei Selestin Northim in die Schule gegangen. „Kein Wort, Mirk, hörst du? Zu niemandem, klar? Vor allem nicht zu Torandil und Selestin!“
„Ich werde doch keine Jungfrau verraten!“, erwiderte der Dämonenprinz entrüstet.
Niedergeschlagen ließ Conrad den Kopf sinken. „Ich gebe es auf.“
***
Für den weiteren Ritt innerhalb der Kolonne wechselte Mirk an den Abschluss der Kadettenabteilung und nahm Torandil nach hinten. Offiziell, damit Conrad etwas Zeit mit seiner Freundin verbringen konnte, die nun neben ihm reiten durfte.
Die mächtige Magierin nahm diese Chance auch sehr gerne an und strahlte wie die aufgehende Sonne, während sie neben Conrads Rappen ritt. „Das ist fast wie ein Ausflug.“
„Ein Ausflug in Tod und Gewalt“, erwiderte Conrad mit düsterer Stimme. „Aber wenn wir ihn nicht unternehmen, fallen die Piraten über wehrlose Dörfer her, plündern, morden und vergewaltigen und... Entschuldige, Selestin, hast du etwas gesagt?“
Die Göttin beeilte sich ein Lächeln aufzusetzen. „Nicht wirklich. Ich habe nur gesagt, dass dir die Rüstung von Roem wirklich gut steht. Wir Magier tragen ja keine Rüstungen, normalerweise.“
Sie streckte die Zunge einen Fingerbreit zum linken Mundwinkel heraus und lupfte kurz ihre Robe. „Aber ich habe mir erlaubt, zumindest einen Lederharnisch anzuziehen. Ist zwar ein wenig eng oben rum, aber besser so als überhaupt nicht geschützt.“
Conrad bemerkte wie seine rechte Augenbraue nervös zuckte. Für eine Sekunde hatte er wirklich geglaubt, wirklich und wahrhaftig geglaubt, er... Nun, in ihrer Schuluniform hatte Selestin jedenfalls ein wirklich hübsches Dekolleté, und die Roben der Magier waren dafür bekannt, derart warm zu sein, dass die meisten von ihnen nur wenig oder gar nichts unter ihnen trugen.
„Hast du gedacht, ich zeige dir meine nackte Haut, Conrad?“, neckte sie.
„Nun“, sagte der Jahrgangssprecher leise und hüstelte verlegen.
Selestin lenkte ihr Pferd etwas näher an seines heran und lehnte sich leicht an ihn. „Natürlich würde ich so was nicht in aller Öffentlichkeit machen, Conrad. Aber... Du bekommst doch ein eigenes Zelt, oder?“
„Worauf willst du hinaus, Selestin?“
„Nun, wir kennen uns schon über vier Jahre, sind aber erst seit einem Monat zusammen. Wir müssen so viel nachholen, was wir in der ganzen Zeit versäumt haben. Da können wir ruhig ein wenig die Reitgerte nehmen und Tempo machen. Und da ich nicht vorhabe, dich jemals wieder aufzugeben, Conrad...“, hauchte sie und streckte sich ein wenig, um seine Lippen erreichen zu können.
„Jetzt, wo du es ansprichst, Selestin, was sagen eigentlich deine Eltern dazu, dass du mit einem Menschen zusammen bist? Wird das für dich als Göttin nicht problematisch?“
Einen Augenblick sah sie ihren Freund irritiert an, dann sackte sie deprimiert auf ihrem Sattel zusammen. „Du bist wirklich ein Meister darin, eine gute Atmosphäre zu zerstören, Conrad. Ich habe meinen Eltern noch nichts gesagt. Sie werden schon von selbst drauf kommen, was ich hier tue.“ Ihr Blick ging wieder zu Conrad, und ihre Züge wurden weich und sanft. „Außerdem dachte ich eigentlich... Ich dachte, wir würden vielleicht... Eher nach Pars als nach Turen gehen.“
Der Kadettenhauptmann zog die Augenbrauen hoch. „Du würdest mit mir nach Pars gehen?“
„Du wirst doch eines Tages Minister deines Königs, oder? Das ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe. Und ich bin sicher, am Königshof von Pars wird auch ein guter Magier gebraucht.“ Ein wenig unsicher sah sie Conrad an. „Entschuldige, wenn ich Pläne mache, ohne dich zu fragen.“
„Schön, dass sich wenigstens einer von uns beiden um so etwas Gedanken macht.“ Conrad beugte sich herüber und gab der jungen Göttin einen Kuss auf die linke Wange. „Ich habe nämlich auch nicht vor, dich jemals wieder aufzugeben. Aber wo wir eines Tages leben werden, sollten wir in Ruhe entscheiden.“
„Conrad“, hauchte sie mit einem Lächeln.
„Könnt ihr zwei dieses Geflirte vielleicht mal sein lassen?“, rief eine laute Stimme direkt neben ihnen. „Erstens untergrabt ihr damit die Moral meiner Soldaten und zweitens seid ihr Kadetten!“
Erschrocken fuhr das Paar herum und erkannte Major Azet, der nun direkt neben ihnen ritt.
„Entschuldigung! Wir hatten nicht vor...“, begann Conrad, aber der Gott winkte ab.
„Hauptsache, ihr zwei könnt euch mal voneinander lösen. Hauptmann Waldek, ich brauche dich und Oberleutnant Farem vorne an der Spitze. Leutnant Northim, hole ihn bitte und schick ihn nach vorne.“
„Natürlich, Major Azet.“ Sie zog am Zügel, brach aus der Reihe hervor und ritt langsam an den Zweierreihen der Kadetten nach hinten.
„Und du kommst gleich mit. Wir haben etwas zu bereden.“
Wortlos brach auch Conrad aus der Kolonne aus und trabte neben dem Gott an die Spitze.

Am vorderen Ende der Kolonne hatten sich bereits die Unterführer versammelt. Der Hauptmann der Phalanxkämpfer, der Großmagier, der Hauptmann der Bogenschützen und der Hauptmann der Plänkler erwarteten die beiden bereits. Indes kam Mirk im schnellen Galopp nach vorne geprescht.
Der Major registrierte das mit Zufriedenheit. „Da wir nun vollständig sind, möchte ich etwas über unseren Auftrag erzählen. Wie ihr alle es sicherlich den Gerüchten entnommen habt, hat sich die Piratenaktivität stark erhöht. Es kommt zunehmend zu Übergriffen auf unsere Handelsschiffe, die ohne Begleitschutz reisen, und auch die Schiffe anderer Nationen werden ausnahmslos attackiert. Der Aktionsraum der Piraten erstreckt sich von Turen bis ins östliche Grenzland von Torangar, und von dort über unsere gesamte Küste bis hinüber an die Westgrenze von Pars. Das Ganze lässt den Schluss zu, dass sich die Basis dieser Piraten irgendwo in diesem Bereich befindet. Genauer gesagt, wir haben Hinweise darauf erhalten, dass das Piratennest in Roem ist.“
Die Unterführer murmelten dazu entrüstet. Piraten, ausgerechnet in ihrem ruhigen, friedlichen Land.
„Unsere Mission ist es, dieses Piratennest zu finden und auszuräuchern. Wir müssen sie nicht einmal alle erwischen. Aber ihre Basis muss dem Erdboden gleich gemacht werden.“ Der Gott sah ernst in die Runde. „Wir vermuten, dass sie an der Wilden Küste ein Versteck gefunden haben, innerhalb des Sumpfgebietes der Murtan-Mündung. Das schränkt jede Form des konventionellen Angriffs stark ein, außer die einer schnellen und leichten Einheit wie der unseren. In diesem Moment sind meine Waldläufer im Sumpfland und erkunden für uns sichere Pfade sowie Ort, Stärke und Ausmaße der Piratensiedlung. Sobald all dies feststeht, schlagen wir zu. Wir rechnen damit, dass die Zahl der Piraten zweihundert Mann beträgt, vielleicht vierhundert. Wir wissen noch nicht wie gut sie sich verschanzt haben, und das macht unseren Angriff einzig etwas unsicher. Sobald die Späher aber zurück sind, werden wir einen Schlachtplan entwerfen. Fragen?“
Der Anführer der Plänkler meldete sich. „Der Murtan kommt aus Torangar, oder? Könnten die Dämonen ihn als Wasserweg nutzen, um heimlich diese Piratenbastion aufzubauen oder zumindest zu versorgen?“
Mirk knurrte unwillig, und der Hauptmann winkte beschwichtigend. „Wir müssen alle Eventualitäten in Betracht ziehen. Wären wir hier an der Grenze von Pars, würde ich die gleiche Frage stellen, damit wir wissen, auf wen wir uns als Gegner einlassen. Außerdem besteht immer noch die Möglichkeit, das hier Dinge geschehen, von denen der König keine Kenntnis hat.“
Seltsamerweise beschwichtigten diese Worte den Dämonenprinz.
„Der Fluss ist zu seicht für große Schiffe. Inlands wird er als Wasserweg nach Torangar und zurück benutzt, doch fünfzig Meilen vor der Küste zerfasert seine Wasserlinie und bildet das Sumpfland. Schiffe mit Tiefgang können hier nicht passieren, die Sümpfe sind landwirtschaftlich nicht nutzbar. Eine sehr uninteressante Region voll mit schlechtem, schlammigen Wasser. Das erinnert mich daran, dass wir dafür Sorge tragen müssen genügend gutes Wasser mitzunehmen. Ich will nicht, dass das halbe Bataillon an Durchfall oder Fieber erkrankt.“
„Um das Wasser können wir Magier uns kümmern“, sagte der Großmagier würdevoll. „Allerdings brauchen wir dafür Zeit und Mana, was uns dann im Kampf fehlt.“
„Also brauchen wir einen gesunden Vorrat an Wasser, damit wir so wenig wie möglich magisch aufbereiten müssen“, sagte Azet. Er nickte zufrieden. „Wir rasten in den Abendstunden. Mit etwas Glück treffen unsere Späher noch in der Nacht ein und wir können am Morgen unsere Strategie planen. Die Besprechung ist beendet. Waldek und Farem bleiben noch.“

Die Unterführer kehrten zu ihren Truppen zurück, nur der Dämon und der Mensch ritten nun noch neben dem Gott.
„Was haltet ihr von der Mission?“
„Sie erscheint durchführbar zu sein. Die Frage ist nur, wie gut die Piraten organisiert sind“, sagte Conrad ernst. „Sind es wirklich nur Piraten? Oder ist dies der Versuch, entweder Roem zu diskreditieren oder in die Verlegenheit zu bringen, ausländische Hilfe zu suchen?“
Mirk sah den Freund aus großen Augen an. „Denkst du nicht etwas zu weit voraus?“, mahnte er.
„Nein, das tut er nicht. Es gab solche Fälle bereits in der Vergangenheit und es wird sie auch in Zukunft geben“, wandte der Major ein. „Wenn wir es hier mit regulären Truppen zu tun haben, die in gut befestigten Stellungen stecken, dann bedeutet das für uns, das wir eine diffizile Strategie brauchen, um möglichst wenig Verluste zu erleiden, oder gar Verstärkung holen müssen. Der Ruhm der Armee von Roem basiert vor allem darauf, das wir so viele Veteranen in unseren Reihen haben. Veteranen sind Soldaten, die bereits viele Schlachten überstanden haben und immer noch leben. Was aber, wenn wir es mit normalen Piraten zu tun haben?“
„Es könnten Deserteure sein“, erwiderte Conrad ernst. Er nahm seine Brille ab und rieb sich sanft die Nasenwurzel. „Wie haben sie denn so gekämpft, wenn sie ein Schiff geentert haben? Das zu wissen könnte uns weiter helfen. Wenn sie nämlich geschlossen vorgegangen sind bedeutet das, das sie trainiert sind, und alleine das sollte uns Sorgen machen.“
„Ein wahres Wort“, pflichtete der Major bei. „Scheinst ja doch ein heller Kopf zu sein, Conrad Waldek. Ich werde heute Abend die Berichte aus dem Tross raus suchen, und dann gehen wir sie mit allen Führern durch. Wenn dann auch noch die Berichte der Späher eintreffen, ist die ganze Angelegenheit in vier Tagen erledigt. Besprechung beendet.“
Die beiden Kadetten nickten dem Major zu und führten ihre Pferde wieder zurück.
„Eigentlich ist er ja ganz nett, für einen Gott“, brummte Mirk.
„Vielleicht denkt er das gleiche gerade über dich“, scherzte Conrad.
Der Dämon strich sich nachdenklich über seine Wangen. „Hm, könnte möglich sein. Vielleicht ist dies der Beginn einer wundervollen Freundschaft.“ Er grinste Conrad an. „War nur Spaß.“
***

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Es dämmerte spät, denn der Tag war klar und warm gewesen. Dennoch hatten sie einen ersten Vorgeschmack von den Sümpfen bekommen, deren ganz eigener Duft bereits bis zu ihnen herüber trug. In einem kleinen Wäldchen befahl der Major die Rast. Er ließ Zelte errichten, Wachen aufstellen und lud die Unterführer in sein Besprechungszelt ein.
„Wir befinden uns hier, Herrschaften, einen scharfen Nachmittagsritt vom Piratennest entfernt. Aber da unser Weg durch die Sümpfe führt bedeutet dies für uns, dass wir auf den festen Wegen acht Stunden und wenn wir uns eine eigene Route suchen einen vollen Tag unterwegs sind. Wir können sicher sein, dass die Piraten die befestigten Wege überwachen, wenn sie nicht vollkommen verblödet sind.“
„Was ist mit den Spähern?“, fragte der Erzmagus.
„Fünf von acht sind zurück. Sie haben umfassende Berichte abgegeben. Drei von ihnen haben sich bis ans Lager heran geschlichen. Ihre Berichte möchte ich besonders hervor heben.“ Sein Blick ging zu Conrad. „Kadettenführer, ich muss dir für deine Idee vom Morgen danken. In den Berichten der Schiffskapitäne, die es aus der Hand der Piraten geschafft haben, sei es aus eigener Kraft oder weil Lösegeld geflossen ist, heißt es immer, die Piraten wären wilde Gesellen mit kaum einem Fetzen Kleidung am Leib, aber sie würden sehr diszipliniert vorgehen.“ Azet sah ernst in die Runde. „Herrschaften, die drei Späher berichteten mir, dass das Piratenlager straff organisiert ist. In Verbindung mit der Komödie, die sie bei der Enterung von Schiffen veranstalteten glaube ich, dass wir hierher gelockt werden sollten. Entweder um in einem Hinterhalt vernichtet zu werden oder aber damit unsere Kampfkraft an anderer Stelle fehlt. Ich habe bereits Wachen weitläufig ausgesandt, um die nähere Umgebung auf Späher und Truppenbewegungen zu untersuchen. Ich wäre nicht der Eiserne Azet, wenn ich mich überrennen lassen würde.“
Der Major sah zu Conrad herüber und nickte anerkennend.
Der Jahrgangssprecher begriff, dass diese Anerkennung wirklich existierte, und das machte ihn merkwürdig zufrieden. Er fühlte sich, als hätte er eine wichtige Sprosse einer sehr, sehr langen Leiter erklommen.
„Was den anderen Fall angeht, so habe ich Boten zu den nächsten Polizeiposten geschickt. Falls irgendwo im Land etwas vor sich geht, werden wir es bald erfahren.“
Zustimmendes Gemurmel der Unterführer erklang.
Azet breitete eine fein gezeichnete, detaillierte Karte aus. „Aber lassen wir uns dadurch nicht beeinträchtigen. Dies ist eine Karte der Umgebung. Sie wurde letzten Sommer gemacht und ist sehr genau. Hier befindet sich das Piratennest. Es liegt auf einer Flussinsel und ist mit einer kleinen Furt mit dem westlichen Sumpfland verbunden. Die hiesige Seite der Furt wurde mit einem Palisadenzaun verstärkt. Auf der Insel selbst gibt es ein paar Wachtürme, die ein ungesehenes annähern bei Tage unmöglich machen. Nachts lassen die Piraten Hunde laufen, die jede Bewegung und jedes Geräusch melden. Außerdem wurde mir berichtet, dass die Furt im Kreuzfeuer zweier Anhire liegt. Über sie eindringen zu wollen erfordert also Mut, Todesverachtung und Idiotie.“
Anhire, wusste Conrad, waren eine Art Armbrust auf Rädern. Nur maß der abgeschossene Pfeil vier Meter, die Spitze wog fünfzig Kilo und die Armbrust selbst konnte nur mit Pferden bewegt werden. Wenn das Geschoss eines solchen Ungetüms auf eine Gruppe Phalanx-Soldaten traf, dann war eindeutig, wer wem weichen musste, ob er wollte oder nicht.
„Also ein eindringen über den Fluss“, murmelte der Phalanx-Unterführer. „Für meine Männer nicht zu schaffen. Die Ausrüstung ist zu schwer, und in so einem Gewässer gibt es sicher Raubechsen, oder?“
„Ein paar vielleicht. Es sind auf jeden Fall genügend, dass ich von meinen Männern nicht verlangen kann, ihre Leben vor dem Kampf gegen die Piraten zuerst bei den Echsen aufs Spiel zu setzen.“ Azet klopfte auf die Karte. „Hier ist die Palisade, hier sind die Anhire. Wenn wir beiden ausschalten und die Phalanx voran schicken, gehört die Insel uns.“
„Bitte in dieser Reihenfolge“, brummte der Phalanx-Führer. „Wie viele Piraten erwarten uns?“
„Es liegen drei schnelle Segler an der Insel an. Ein vierter Steg ist frei. Auf jedem Schiff tummeln sich um die vierzig Piraten. Dazu kommen noch einmal dreißig an Land. Das sollte alles sein.“ Azet sah erneut in die Runde. „Ist das zu schaffen?“
„Also einhundertfünfzig Gegner mit einem guten Ausbildungsstand“, murmelte der Anführer der Bogenschützen. „Sind Magier unter ihnen?“
„Das ist egal. Wenn sie welche haben, werden meine Magier sie zurückwerfen. Verlasst euch drauf.“ Der Erzmagus bestätigte seine Worte mit einem festen Nicken.
„Gut, dann ist es beschlossen. Wir warten die Rückkehr der anderen Späher ab und planen dann unseren Weg durch den Sumpf. Ich denke nicht, dass wir bis dahin unentdeckt bleiben werden, also können wir uns einen beschwerlichen Weg durch den Dschungel sparen. Wenn wir die Festung erreichen, werden die Bogenschützen die Verteidiger in der Feste halten, während die Magier die Anhire vernichten. Danach dringt die Phalanx über die Furt vor und bildet einen Brückenkopf. Die anderen Einheiten rücken nach. Meine Reiterei wird dann aus dem Brückenkopf vor preschen und sie nieder machen bis sie aufgeben oder der letzte von ihnen getötet ist. Die Kadettenkompanie und Hauptmann Waldek werden dabei die Magier und die Bogenschützen decken. Die Plänkler gehen vor wie immer. Noch Fragen?“
„Eine noch“, sagte Mirk.
„Nur zu, Oberleutnant Farem.“
„Was tun wir, wenn es sich um reguläre, aber getarnte Soldaten einer anderen Nation handelt? Es spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür. Gut, es könnten auch Deserteure sein, aber...“
„Dämon“, sagte der Gott ernst, „bete, dass sie keine regulären Soldaten sind. Die Strafe für Piraterie ist zwanzig Jahre Kerker, aber die Strafe für Spionage ist der Tod!“
Mirk erschauerte unter den ernsten Worten Azets. „Ich... Verstehe, Herr.“
„Gut. Da dies abgeschlossen ist, sollten wir uns alle ein wenig Ruhe gönnen. Vor allem die Kadettenkompanie wird morgen ein vollkommen anderes Leben sehen. Schenke ihnen deshalb genügend Schlaf, Hauptmann Waldek.“
„Natürlich, Major Azet.“
„Wenn es das gewesen ist, entlasse ich die Versammlung.“ Azet rieb sich die Stirn. „Ich werde auch versuchen ein wenig zu schlafen.“

Vor dem Zelt verstreuten sich die Unterführer, und Mirk ging neben Conrad zu den Zelten der Kadetten. „Das schmeckt mir alles irgendwie nicht. Die Piraten sind zu plötzlich aufgetaucht und ihr Unterschlupf wurde zu schnell entdeckt. Ich wittere Böses, wirklich Böses.“
„Damit hast du als Dämon natürlich Erfahrung“, rief Torandil zu ihnen herüber. Er saß im Kreis der anderen um ein Feuer, über dem ein großer Kanten Fleisch langsam aber sicher gar gebraten wurde. „Erzählt schon, wie war es denn?“
„Wir haben den Einsatz besprochen. Wir sind für den Schutz der Magier und Bogenschützen eingeteilt.“
Die Kadetten raunten ärgerlich auf. Kaum einer von ihnen hatte wohl nicht auf einen Kampfeinsatz gehofft.
„Das ist eine extrem wichtige Aufgabe“, warnte Conrad ernst. „Die Piraten sind gut trainiert und sie werden uns kommen sehen. Ein Angriff aus dem Hinterhalt auf unsere Magier ist mehr als wahrscheinlich. Dafür müssen wir bereit sein.“
Selestin griff nach Conrads Hand und zog ihn neben sich zu Boden. „Was hat er denn noch so gesagt, der liebe Major? Wie viele Gegner erwarten uns denn?“
„So um die Hundertfünfzig. Das sollten wir problemlos schaffen können. Aber wie unser Taktik-Lehrer Aturo Otran immer zu sagen pflegt...“
„Im Kampf ist die Planung Geschichte!“, intonierten die Kadetten gemeinsam.
„Genau.“ Conrad lächelte eines seiner seltenen Lächeln. „Esst euch satt und geht anschließend schlafen. Keiner weiß wie lange der morgige Tag sein wird. Und keiner weiß, wann wir wieder
etwas zu essen kriegen. Also nutzt die Zeit. Und nutzt die Tatsache, dass wir nicht für die Wache eingeteilt sind. Wir edlen zukünftigen Minister, Fürsten und Könige.“
Die Kadetten lachten dazu. Aber es entbehrte nicht einer gewissen Wahrheit. Nicht nur Mirk war in dieser Runde ein zukünftiger König. Wenn diese Kompanie ausgelöscht wurde, waren neun Königsfamilien um drei direkte und elf nachfolgende Thronerben ärmer.
„Darauf würde ich trinken!“, rief einer. „Wenn unser strenger Anführer nicht das Bier und den Wein verboten hätte.“
Gespielt schmähten die anderen ihren Kadettenhauptmann.
„Gemach, Gemach. Hier dürft ihr nicht trinken, aber ich verspreche, wenn wir alle heil zurück in Burg Catrek sind, dann gibt es ein Fass Bier auf meine Rechnung.“
„Ein Hoch auf unseren Hauptmann!“
„Hurra!“
Conrad sah sich verdutzt um. „Gut, dass ich kein Fass Wein versprochen habe.“
Wieder lachten die Kadetten.
***
Es war wie verhext, die Mittnacht war schon lange vorbei, aber Conrad Waldek fand keinen Schlaf. Hatte er zu fett gegessen? Nein, nicht wirklich. Lag er unbequem? Das war es auch nicht. Sorgte ihn irgendwas? Das kam der Sache schon näher...
Wenn er ehrlich war, machte er sich Sorgen um jeden einzelnen Kadetten, aber besonders um Torandil, Mirk... Und natürlich Selestin. Besonders um Selestin, vor allem weil sie nun die Robe der Magier trug. Wie hatte Direktor Davon diese stets genannt? Ach ja, Hilfszielscheibe für feindliche Bogenschützen. Damit sie auch stets wussten, wen sie zuerst treffen mussten.
Und dann war da auch noch ihr gemeinsamer, kurzer Waldspaziergang gewesen, der nur deswegen nicht romantisch gewesen war, weil die Göttin hinter jedem Geräusch seine beiden Freunde Mirk und Torandil vermutet hatte. Andererseits wollte sich Conrad nicht ausmalen, was die quirlige Göttin mit ihm angestellt hätte, wenn sie sich unbeobachtet gewähnt hätte.
Auf Schloss Catrek jederzeit gerne, aber während eines Feldzuges schien es ihm eine zweifelhafte Sache zu sein, seine, nun, Hm, seine Erfahrung auf bestimmten Gebieten der Interaktion von Mann und Frau zu vertiefen. Nun, das war gut formuliert, traf auf den Punkt, und bewies wieder einmal, wie unerfahren er war. Verdammt.

„Hauptmann Waldek!“, rief eine alte Männerstimme.
Conrad griff als Erstes zu seinem Schwert, bevor die Zeltplane zurückgeschlagen werden konnte, ließ die Klinge aber sinken, als er den Hauptmann der Bogenschützen erkannte. „Hauptmann Hyros.“
„Ziehen Sie sich sofort an und wecken Sie Ihre Kompanie. Danach kommen Sie zum Major. Der schlimmste Fall ist eingetreten.“
„Der schlimmste Fall?“
„Roem steht vor einer Invasion, und unser Bataillon wurde von dort fort gelockt.“
„Ich beeile mich.“ Hastig begann er in die Rüstung zu steigen.
Nachdem er Ordnung in das Chaos seiner Kadetten gebracht hatte, nahm er Mirk und ging ins Kommandozelt. Zufrieden stellte er fest, nicht der Letzte zu sein.
„Ah, Waldek. Ich mache es kurz. Unser Einsatz gegen die Piraten ist abgesagt. Leverdin ist über die Grenze getreten, und zwar auf Höhe des Zehnten Bataillons, welches unseren Platz an der Küste eingenommen hat. Wir marschieren sofort nach Süden und versuchen die Angreifer in der Flanke zu packen.“
„Ich verstehe. Meine Kadetten sind in einer halben Stunde bereit.“
„Du verstehst mich nicht, Conrad Waldek. Wir kämpfen nun gegen einen echten Gegner. Gegen eine echte Armee. Zudem sind fünf deiner Reiter aus Leverdin, oder?“
„Zugegeben“, murmelte Conrad.
„Ihr verbringt den Rest der Nacht hier und zieht morgen nach Catrek zurück. Kriegt das der Kadettenhauptmann alleine hin, oder muss ich ein paar meiner Soldaten hier lassen?“
„Ich bringe sie alle sicher nach Hause“, versprach Conrad. „Sie können beruhigt marschieren, Major Azet.“
„Das höre ich gerne, mein Junge. Vergiss nicht Wachen aufzustellen. Immerhin seid ihr nicht allzu weit von den Piraten entfernt. Sie könnten die Gelegenheit nutzen. Ach, und lösche die anderen Feuer nicht. Je mehr brennen, desto größer wirkt der Platz und desto mehr Gegner wird man hier vermuten.“ Der Gott zwinkerte Conrad zu. „Ein alter Trick aus meiner eigenen Zeit auf Catrek.“
Azet trat auf ihn zu und klopfte ihm mit der behandschuhten Hand kräftig auf die Schulter. „Pass auf deine Leute auf, und vor allem auf meinen Großneffen Torandil, ja?“
Conrad lächelte leicht. „So etwas habe ich schon geahnt. Ich verspreche es.“
„Dann bin ich beruhigt. Du bist ein fähiger Bursche, Conrad. Kehre jetzt zu deiner Kompanie zurück.“
Der Kadettenhauptmann nickte, salutierte und verließ das Zelt.
„Azet hat mich gar nicht beachtet“, murrte Mirk neben ihm. Aber sofort stand ein gefährliches Funkeln in seinen Augen. „Torandil ist Livon Azets Großneffe, und er hat das nicht mal erwähnt, wie? Ich glaube, wir müssen ihn ein wenig bestrafen.“
„Wir müssen etwas ganz anderes tun“, brummte Conrad.
***
Das Problem mit Kadetten war, das sie sich selbst unheimlich toll fanden. Natürlich bekamen sie, vor allem jene aus Burg Catrek, eine Ausbildung angediehen, die sie eigentlich dazu befähigen sollte zumindest ein Offizier zu sein, oder wenigstens ein guter Unterführer, doch nicht jeder Kadett eignete sich wirklich fürs Militär.
Conrad hatte zwar für seine Truppe ausschließlich solche Kadetten mitgenommen, die etwas von Disziplin und Kampfkunst verstanden, und von denen nur die Besten, aber dennoch war es ein offenes Geheimnis, dass sich die jungen Menschen viel zu leicht überschätzten.
Man sagte, wer von sich selbst zu sehr überzeugt war, der wurde hochmütig. Und wer hochmütig war, der fiel umso tiefer, wenn er seinen Irrtum erkannte.
Dies mussten auch die Gestalten denken, die sich im Schutze des frühen, nebligen Morgens an das Lager heran pirschten, in dem noch immer die Feuer des gesamten Bataillons brannten. Die wenigen Wachen, die von den Kadetten aufgestellt worden waren, lehnten an den Zelten oder lagen herum und schliefen. Sie wurden die ersten Opfer von Armbrustbolzen. Sie fielen dort wo sie waren.
Als sich eine erkleckliche Anzahl Angreifer am Waldrand gesammelt hatte, hob ihr Anführer seine zweischneidige Kriegsaxt und ließ einen wilden Angriffsschrei hören, der von der Meute mit Jubel beantwortet wurde. Wie ein Mann liefen sie los, um die Kadetten, und damit die Söhne und Töchter von Ministern und Königen, einen um den anderen nieder zu machen.
Fackeln flogen auf die Zelte und steckten sie in Brand, Spieße wurden in die Eingänge getrieben und sicherheitshalber wurde den gefallenen Wachen noch ein Speer in die Rippen getrieben.
Doch dann hielten die Angreifer inne, als hätten sie ein geheimes Kommando erhalten.

Conrad Waldek gab seinem Hengst die Sporen. Das treue Tier richtete sich unter der grauen Decke mit ihm auf und kam auf die Beine. Der junge Ministersohn zog sein Schwert und hob den kurzen Schild, während neben und hinter ihm die anderen Reiter seiner Kadetten aus ähnlichen Verstecken mit ihren Rössern in die Höhe schnellten.
Auf ihrer rechten Flanke kamen die Magier unter den Decken hervor, und eine wütende Selestin jagte den ersten Feuerball in die dicht gedrängte Menge der Angreifer, bevor diese überhaupt begriffen, wie ihnen geschah.
„Im Namen Roems!“, rief Conrad und ließ seinen Hengst effektvoll auf die Hinterbeine steigen. „ANGRIFF!“
Er gab dem Tier erneut die Sporen, und das trainierte Kriegsross schoss willig vorwärts. Es fiel kurz in den Galopp, und ritt dann schon die ersten Angreifer um. Conrads Schwert sauste wie ein böser Traum mitten unter die Gegner, und da waren auch schon die anderen zweiunddreißig Kadetten heran. Mit Schwert und Schild vom hohen Ross zu kämpfen war ein riesiger Vorteil, zudem hatten sie ihre Gegner, zweifellos die Piraten die sie ursprünglich hatten jagen wollen, nun ihrerseits völlig überrascht. Bevor auch nur ein Funken wirkliche Gegenwehr auf kam, hatten die Magier bereits unter Selestins Anleitung ihre magischen Sprüche, Flüche und taumatischen Beschwörungen auf den Gegner los gelassen.
Als die erste Verwirrung des Gegners ab zu flauen begann, rief Conrad den scharfen Befehl, der in der Reiterei Roems eine Linie forderte. Die Kadetten lösten sich aus der Schlacht, kamen ein paar Meter zurück und bildeten eine lange Linie, Seite an Seite, die Schilde erhoben und die Schwerter kampfbereit.
Conrad als Hauptmann stand vor dieser Reihe, würde aber von ihr aufgenommen werden, sobald sie seine Position erreichte. Auf jeden Fall würde der versprengte, unorganisierte Haufen, der nun noch von den Angreifern existierte, vollkommen überrannt werden. Falls dies nicht die Magier schon vorher besorgten.
Als der Kadettenhauptmann das Signal zum langsamen Vorrücken gab, flohen die ersten in Panik zurück in den Wald. Dies löste eine wahre Massenflucht aus, denen sich schließlich sogar der Anführer mit der doppelschneidigen Axt anschloss.
Conrad ließ antraben, und das Geräusch von einhundertzweiunddreißig wütend stapfenden Hufen ließ die Piraten noch mehr rennen. Dann befahl Conrad den Galopp, die Linie sprengte sich, und die Reiter folgten den Angreifern einzeln in den Wald. Während des scharfen Ritt sausten die Klingen ein ums andere Mal nieder und beendeten die Leben dieser Schurken.

Als Conrad Waldek drohte die Sicht auf die Flanken zu verlieren, befahl er das sammeln.
Diszipliniert beendeten die Kadetten ihre Jagd und kamen zu Conrad zurück. Der Hauptmann führte sie durch den Wald zurück auf den Rastplatz der Kompanie, wo die Zelte brannten, wo die von ihnen hergestellten ausgestopften Rüstungen noch immer von Speeren und Armbrustbolzen durchsiebt waren und... Entsetzt fuhr Conrad herum. Er hatte tatsächlich etwas übersehen!
„SCHILDE!“, rief er und riss sein Pferd herum.
Neben ihm taten es Mirk und Torandil gleich, gerade rechtzeitig, um heran fliegende Bolzen abzufangen.
„Mirk! Beschütze die Magier! Torandil! Zum Wagen!“
„Verstanden!“ Die beiden Freunde nahmen ihre jeweils zehn Reiter und stieben auseinander.
Conrad hielt indes mit seinen eigenen zehn Reitern eine Linie und ritt mit den Pferden langsam rückwärts. Ein Pferd wurde getroffen, ein zweites kurz darauf. Die Kadetten sprangen diszipliniert, wie sie es gelernt hatten, zur rechten Zeit ab und liefen in die Deckung der Kameraden. Dann hatten sie die Reichweite der Bolzen verlassen.
„Kann jemand die Armbrustschützen sehen?“, rief Conrad.
Einer seiner Reiter, der Dämon Legard Marjano, ein zukünftiger Minister aus Tautom steckte das Schwert weg und befestigte den Schild am Sattel, nur um seine bevorzugte Waffe, den Langbogen, zu ziehen und zu spannen. „Ich kann sie sehen, Hauptmann! Und mein Bogen reicht weiter als ihre Bolzen.“ Fragend sah er Conrad an.
„Schieß.“
Dies war das größte Dilemma der Armbrustschützen. Zwar brauchten sie so gut wie keine Kraft für einen Schuss und mussten weder Konzentration noch Spannung halten, aber ein guter Langbogen übertraf sie locker um die gleiche Strecke, die ein Bolzen geschleudert werden konnte. Und Marjano war ein meisterlicher Schütze, der auf vierhundert Schritt noch alles traf.
Zwei Pfeile schoss er ab, bevor es im Wald knackte und raschelte. „Sie steigen von den Bäumen!“, rief Marjano. „Aber sie fliehen nicht!“
„Passt auf die Flanken auf!“, brüllte Conrad.
In diesem Moment brachen fünf Schützen auf der rechten Seite aus dem Unterholz hervor. Drei von ihnen feuerten ihre Bolzen auf Mirk und seine Reiter; die brauchten jedoch nur die Schilde anheben, um sicher zu sein. Doch diesen winzigen Augenblick nutzten die anderen zwei und jagten ihre Bolzen zwischen den Pferden hindurch auf die Magier zu.
Selestin erwies sich als fähig wie immer und verbrannte einen Bolzen noch im Fluge zu Asche, der einen ihrer Magier hatte treffen sollen, eine junge Menschenfrau aus Roem mit Namen Tiresa Gorent, übersah jedoch den Bolzen der für sie bestimmt war. Er traf sie seitlich an der Brust und schleuderte sie zu Boden.
„Nein!“, brüllte Mirk auf. „Nein!“ Er gab seinem Pferd die Sporen, und fünf seiner Reiter folgten ihm, den fliehenden Armbrustschützen hinterher. Bevor sie neu gespannt hatten, wurden sie bereits von den Kadetten für diese frevelhafte Tat niedergemacht.

Conrad indes hatte sein Pferd herum gerissen. Außer sich vor Sorge ritt er zu Selestin herüber, sprang von seinem Hengst und stürzte neben der jungen Göttin zu Boden.
Der Kutscher musterte sie bereits aufmerksam, mochte der Henker wissen wie er so schnell her gekommen war, spuckte auf den Boden und murrte mürrisch, dass nichts zu tun sei.
„Selestin!“, rief Conrad entsetzt und fiel neben ihr auf die Knie.
Auch die Versorgung von Verwundungen wurde an der Akademie gelehrt, und nun musste Conrad dieses Wissen anwenden. Ein Bolzen in der Seite, er steckte wahrscheinlich in der Lunge, die nun langsam voll Blut lief, das war das Problem. Daran konnte sie sehr schnell sterben, wenn sie nicht schnell handelten. „Wir... Wir müssen ihr die Robe ausziehen! Holt Verbände! Kennt jemand einen Heilzauber?“
Eine Hand legte sich weich auf sein Gesicht. Selestin öffnete die Augen und lächelte ihn spitzbübisch an. „Du kannst es wohl gar nicht erwarten, mich aus zu ziehen, Conrad?“
Entsetzt, froh, aber eigentlich eher entsetzt starrte der Mensch die Göttin an. „Selestin! Aber... Aber...“
Sie klopfte sich selbst gegen die Brust, was einen hohlen Klang erzeugte. „Hast du vergessen, dass ich aus genau so einem Grund eine Lederrüstung trage? Ich bin ja nicht Mirk, und ich habe auch nicht vor, Schlachtfeldnarben zu sammeln wie ihr Männer.“
„Selestin!“, rief Conrad überglücklich. Seine Stirn sank auf ihre. „Dir geht es gut. Himmel, dir geht es gut.“
„So ist das nun nicht. Das wird bestimmt ein riesiger blauer Fleck. Außerdem ist mein Ego angekratzt, weil ich den zweiten Bolzen nicht gesehen habe. Den Mirk übrigens hätte abwehren müssen!“
„Wie jetzt?“, rief der Dämonenprinz und sprang neben den beiden vom Pferd. „Gerade bist du dem Tod von der Schippe gesprungen, und schon beschwerst du dich?“
„Auf der Schippe wäre ich nie gelandet, wenn die Armbrustschützen nicht das Yentra-Manöver angewendet hätten“, murrte sie.
„Yentra-Manöver“, wiederholte Conrad in Gedanken. „Richtig. Ich... Ich verstehe.“
„Du bist mit deinen Gedanken schon wieder bei der Kompanie, Hm?“, tadelte Selestin mit einem Lächeln. „Das will ich dir auch geraten haben, Conrad. Immerhin ist das deine Hauptaufgabe.“ Sanft küsste sie ihn. „Aber ich danke dir, dass ich deine erste Sorge war. Und jetzt mach deine Arbeit, Hauptmann.“
Conrad erhob sich langsam. Er sah zurück und bemerkte, dass Torandil noch immer die Reihe hielt. Er hatte rechtzeitig übernommen, und dafür war der Mensch sehr dankbar. Auch Mirk hatte keine Disziplinlosigkeit zugelassen, auch wenn er sie sich selbst gegönnt hatte.
Dann aber dämmerte es ihm. „Es ist vorbei.“
„Vorerst“, wandte Mirk ein. „Vorerst, Conrad.“
Er sollte Recht behalten.
***
„Die Unterführer zu mir!“, rief Conrad.
Nach einiger Zeit trafen Mirk, Torandil und Selestin bei ihm ein.
„Bericht.“
Mirk nickte ihm zu. „Meine Gruppe ist nahezu unversehrt. Lediglich Likam hat einen Beindurchschuss und Teoven hat sich ein paar Rippen gebrochen, als sein Pferd erschossen wurde.“
„Bei mir ist alles soweit in Ordnung, aber Legharts Stute ist im Wald über eine Wurzel gestolpert. Dabei fiel sie ab und hat sich am Kopf verletzt. Aber das ist nicht weiter tragisch. Erstens steht sie schon wieder, zweitens trug sie einen Helm und drittens kann man da eh nicht viel verletzen.“
„Das habe ich gehört, Torandil Azet!“, klang eine Frauenstimme zu ihnen herüber.
„Meine Magier sind unversehrt. Wir hatten eine gute Stellung und einen ziemlich guten Schutz durch Mirks Gruppe“, sagte Selestin ernst. „Ich wurde durch einen glücklichen Schuss etwas angeschlagen, aber das ist nicht der Rede wert.“
„Gut. Dann berichte ich jetzt. In meiner Gruppe gab es keine Verluste, aber Torinson hat sein Pferd durch eine Armbrust verloren. Beim Sturz hat er sich das linke Schlüsselbein gebrochen.
Ich habe mittlerweile die toten Feinde gezählt. Es sind über vierzig. Dazu kommen weitere fünf mehr oder weniger schwer Verwundete, die wir einsammeln und versorgen werden. Insgesamt bestand die Angriffsstreitmacht aus siebzig Mann, die Armbrustschützen eingerechnet. Ihre Ausrüstung ist typisch für das, was wir von den Piraten erwartet haben, deshalb nehme ich an, sie kommen aus dem Piratenschlupfloch.“
„Also ein klarer Sieg für Catrek!“, rief Torandil begeistert. Er runzelte die Stirn. „Warte mal, das fällt mir jetzt erst auf. Du hast uns befohlen, die Puppen zu basteln und uns mit den Pferden unter den Decken zu verstecken, kaum das Major Azet mit seinem Bataillon abgerückt war. Hast du gewusst, dass die Piraten schon auf der Lauer lagen?“
„Etwas in der Art“, gab Conrad zu. „Ich finde, das der Bote der den Major vor dem Angriff aus Leverdin gewarnt hat, etwas zu passend aufgetaucht ist. Außerdem wollte mir nicht ganz klar werden, warum ausgerechnet ein kleines Königreich wie Leverdin, das schon genug mit den großen Nachbarn zu kämpfen hat, nun auch noch Streit mit Roem und seiner elitären Armee sucht. Und ich bin mir auch sicher, dass unser Gegner gewusst haben muss, dass uns Major Azet zwar für eine Piratenhatz einsetzen würde, nicht aber für einen Kampf gegen ausgebildete Truppen.“
„Du meinst, sie haben damit gerechnet, dass die Catrek-Kadetten hier zurückbleiben? Sie wollten uns unter unseren Decken ermorden?“, warf Mirk ein. „Nicht, dass es nach diesem Morgen nicht vollkommen offensichtlich wäre, aber bitte sprich es aus.“
„Ja, sie wollten uns im Morgengrauen abschlachten. Einen nach dem anderen. Königskinder, Ministerkinder, alle wie wir da eigentlich hätten liegen müssen.“
„Aber den Gefallen haben wir ihnen nicht getan!“, rief Torandil und klopfte Conrad kräftig auf die Schulter.
„Du hättest dieses Manöver jedenfalls nicht durchschaut“, stichelte Selestin mit einem berechnenden Lächeln.
„Wie fies“, murmelte Torandil und ließ den Kopf hängen.
„Jedenfalls brechen wir auf, sobald wir die verletzten Piraten eingesammelt haben. Für achtunddreißig Kadetten mochten sie mit siebzig Angreifern großzügig gerechnet haben, aber wenn die Führer der Piraten von dieser Niederlage hören, greifen sie mit hundert nochmal an, sobald sie es können und solange uns niemand zu Hilfe eilen kann. In so einem Kampf hätten wir Verluste, würden vielleicht sogar überrannt werden. Also ziehen wir ab, sobald wir alle Verwundeten geborgen haben. Wir übergeben sie in Antiz der Polizeistation und überlassen den Rest ihnen.“
„Und was machen wir dann?“, fragte Mirk aufgeregt.
„Was denn? Wir haben von Azet klare Befehle bekommen. Es ist Morgen und wir reiten zurück nach Catrek.“ Conrads Schmunzeln verschwand. „Heute werde ich bestimmt keinen meiner Kameraden verlieren.“

Neben ihnen knarrten plötzlich hölzerne Bremsen. Der Kutscher stand mit seinem Wagen neben ihnen, spuckte auf den Boden und murmelte etwas Unverständliches, was wie Beeilung klang.
„Der Mann hat Recht“, sagte Conrad entschlossen. „Torandil, ihr bergt die Piraten, aber beeilt euch. Ihr habt nur zwanzig Minuten, dann brechen wir auf. Wer dann noch übrig ist, den lasst liegen. Immerhin haben wir es hier mit hinterlistigen Piraten zu tun. Und wie hinterlistig sie sind haben wir am eigenen Leib erfahren.“
„Zum Thema Hinterlist hätte ich schon was zu sagen und einen besseren Kandidaten anzubieten, Conrad der Listige“, sagte Mirk und ließ seine behandschuhte Rechte krachend auf der Schulter der Rüstung des Freundes schlagen.
„Nimmst du es ihm etwa übel, dass er uns alle gerettet hat?“, fragte Selestin mit bedrohlich funkelnden Augen.
„Natürlich nicht“, ächzte der Dämonenprinz.
„Wenn ihr zwei fertig seid, dann machst du, Selestin, deine Magier zum Abritt bereit. Ihr bewacht den Wagen. Und du Mirk, nimmst dir deine Männer und reitest voraus. Ich beschütze mit den meinen das Lager. Unser Ziel ist Antiz, die nächste befestigte Stadt.“
„Eine Frage, Conrad“, meldete sich Torandil. „Sollen wir nicht einen Boten zu Major Azet schicken?“
„Keine Sorge“, erwiderte der Mensch mit einem dünnen Lächeln. „Mittlerweile sollte er gemerkt haben, ob es eine Invasion gibt oder nicht.“
Er klatschte in die Hände. „Tempo, Herrschaften, dann gibt es bald das Bier, das ich versprochen habe!“
„Verstanden!“, riefen der Gott und der Dämon, rissen ihre Pferde herum und eilten ihren Aufgaben zu.
„Männer“, brummte Selestin missmutig. „Bier motiviert sie wohl zu allem, was?“
Conrad beugte sich zu ihr herüber. „Was würde dich denn motivieren, liebste Selestin?“
Die junge Göttin sah Conrad aus nächster Nähe an und kräftige Röte schoss ihr ins Gesicht. Sie riss ihr Pferd herum. „D-darüber reden wir mal in Ruhe. Jetzt muss ich mich um meine Magier und die Gefangenen kümmern, oder?“
„Frauen“, murmelte Conrad amüsiert, während er der Liebe seines Lebens hinterher sah.
„Aufstellung! Wir beschützen das Lager!“, rief er seinen Reitern zu.
***
Wohlmeinende Stimmen sprachen von einem Sieg für Burg Catrek, nicht ganz so wohlmeinende zumindest davon, dass Conrad Waldek seine Aufgabe als Hauptmann erfüllt und seine Befehle ausgeführt hatte. Neidische Stimmen hingegen wussten zu berichten, dass es vier Verletzte gegeben hatte und dass die Zahl der Angreifer hoffnungslos übertrieben war. Wie allerdings vier Piraten es wagen sollten achtunddreißig Kadetten anzugreifen, konnten sie nicht gut genug erklären.
Dennoch gab es ein geselliges Beisammensein am Abend der Heimkehr der Kadetten. Daraus wurde schnell eine fröhliche Party, auf der die jungen Kadetten, Mann wie Frau, Torandil und Mirk sowie den anderen Auserwählten Conrads an den Lippen hingen, während sie über die kurze, heftige Schlacht berichteten. Vor allem Conrad Waldeks Vorahnung wurde hoch gepriesen.
Lediglich Conrad war nicht umlagert. Das lag aber eher daran, dass Selestin nicht zu teilen bereit war – und mit der hitzköpfigen Göttin legte sich niemand an. Wirklich niemand.

Von seinem Bürozimmer aus beobachtete Baron Hygar Davon das muntere Treiben, während Major Livon Azet mit gesenktem Kopf in einem bequemen Sessel saß und Wein wie Wasser trank. „Natürlich war es eine Finte! Oh, ich ärgere mich immer noch, dass ich darauf herein gefallen bin! Aber man hatte ja nicht nur mich herein gelegt, sondern auch den Boten! Mir einen echten Boten zu schicken war eine geniale Idee, denn natürlich konnte ich an ihm keine Falschheit erkennen.“ Wütend leerte er seinen Pokal. Wie von Zauberhand begann die Amphore auf dem Schreibtisch des Direktors zu schweben und dem Gott erneut einzuschenken. „Und wie war es bei dir, nachdem ich Conrad Waldek allein gelassen habe?“
Der Direktor schmunzelte. „Oh, es war einfach. Es gab ein paar Schrecksekunden, aber der junge Waldek hat den Angriff schon voraus geahnt, bevor ich die Angreifer überhaupt gespürt hatte. Auch dachte ich, dass ich meine Tarnung als Kutscher aufgeben muss, weil wir zwar Angriffsmagier in unseren Reihen hatten, aber nicht einen Heiler. Und das war fatal, als Selestin Northim getroffen wurde. Aber für sein Alter hatte Conrad die Lage sehr gut im Griff.“ Der Dämon wandte sich mit einem breiten Lächeln um. „Natürlich hat er sehr fähige Leute gehabt. Die er zudem persönlich ausgesucht hat.“
„Mag ja sein, mag ja sein“, murmelte Livon und nahm erneut einen tiefen Schluck Wein. „Er hat sich also gut geschlagen, wo ich mich blamiert habe, oder?“
„Sagen wir, er hat gut reagiert, alter Freund.“ Das Lächeln wurde beinahe zärtlich, als der Dämon zu Conrad Waldek und Selestin Northim herunter sah. „Und er hat auch richtig reagiert, als die Prinzessin getroffen wurde.“
„Wenn du damit sagen willst...“, begann Azet wütend.
„Wenn ich was sagen will? Bei dieser Faktenlage brauche ich das wohl kaum, mein guter Livon.“
Abwehrend hob der Gott die linke Hand. „Ich habe verstanden. Ja, in Ordnung. Irgendwo hast du ja Recht. Ich werde also weiterhin prüfen, ob Conrad ein würdiger Ehemann für Selestin ist. Aber ab hier werden die Prüfungen schwerer.“
„Oh, das macht mir keine Sorgen. Er hat hervorragende Hilfe, oder?“, erwiderte der Dämon schmunzelnd, nach einem Blick auf Mirk und Torandil.
„Schwache Herrscher umgeben sich mit schwachen Beratern. Starke Herrscher umgeben sich mit starken Beratern“, brummte Azet.
„Nanu? Hast du Conrad gerade gelobt, Livon?“
„Ich kann mich an nichts erinnern.“
Der Gott und der Dämon sahen sich an und begannen zu lachen.
***
„Conrad, es gibt da etwas, was ich dir sagen muss“, gestand Selestin. Sie sah ihn an, und ihre Augen funkelten wie Sterne, wenngleich ein wenig Angst in ihren Zügen steckte.
„Ich höre dir aufmerksam zu“, versprach der Jahrgangssprecher.
„Conrad, ich bin nicht das, wofür...“, begann sie, wurde aber von Mirk und Torandil unterbrochen.
„Entschuldigt bitte wenn wir stören“, rief ein sichtlich angeheiterter Mirk. „Aber die Leute verlangen nach den beiden Helden unserer erfolgreichen Expedition.“
Torandil ergriff die Hände von Conrad und Selestin und zog sie von der Bank. „Also lasst euch nicht lange bitten und kommt endlich feiern!“
Die beiden Freunde leisteten Gemeinschaftsarbeit. Torandil zog und Mirk schob. Somit schafften sie es, das Paar mitten in die Feiernden zu bugsieren, wo die Kadetten sie mit einem dreifachen Hurra hoch leben ließen.

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„Was mache ich eigentlich hier?“, brummte Conrad Waldek unwillig. „Ich kann meine Zeit auch besser verwenden.“
Der Blick des zukünftigen Ministers ging über die Jahrgangsklasse eins, also jene zukünftigen Herrscher, Minister und Kanzler, vor denen er vor gar nicht allzu langer Zeit die Antrittsrede gehalten hatte. Dementsprechend war keiner der Menschen, Dämonen und Götter in diesem Raum älter als sechzehn Jahre. Für jemanden wie ihn, der schon im Kampf gestanden hatte und der fünf Jahre in Folge das Amt als Jahrgangssprecher ausgeführt hatte, war das schon ein wenig eine lästige Pflicht. Und er hatte wirklich Wichtigeres zu tun.
„Du bist hier, weil dein Bruder Amrin vor genau vier Jahren an genau dieser Stelle stand und dir und uns anderen auch diesen Vortrag gehalten hat“, tadelte Selestin mit einem Lächeln. „Willst du nicht ein wenig von dem zurück geben, was die Akademie Catrek dir gegeben hat?“
„Erinnere mich nicht daran“, ächzte Conrad auf. An den Vortrag seines großen Bruders hatte er ebenso wenig gute Erinnerungen wie an das eine Jahr, das sie damit notgedrungen zusammen auf Catrek verbracht hatten. Himmel, Amrin war ja so... Anhänglich gewesen und hatte Conrad vor alles und jedem in Schutz genommen. Das war sogar so weit gegangen, dass er versucht hatte, dem kleinen Bruder das Reittraining zu verbieten, weil ihm das zu gefährlich erschienen war.
„Wie wäre es denn damit, das du hier und jetzt die Gelegenheit hast, eine Brücke für all diese Kinder zu bauen?“, warf Mirk ein. „Eine Brücke über die Rassengrenzen hinaus, die diese Kinder dazu bewegt nicht mehr daran zu denken, ob der Nachbar Gott, Mensch oder Dämon ist? So wie dein Bruder es für uns getan hat?“
„Gut, gut“, wandte Conrad ein, und erinnerte sich daran, dass er tatsächlich die Worte seines Bruders zu Herzen genommen hatte und auf Mirk und Torandil zugegangen war. Daraus hatte sich eine stabile, herzliche und ehrliche Freundschaft entwickelt, die sicherlich auch noch andauern würde, nachdem sie Catrek verlassen hatten. „Versuchen wir es mal mit dem Brückenschlag.“

Logg Andei, der Philosophie-Lehrer, war ein Mensch. Und er war uralt. Spötter behaupteten, seine Falten hätten mittlerweile Falten, aber das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Für das Alter von einhundertneunzehn Jahren wirkte er bestenfalls wie einhundert. Solch ein Alter zu erreichen war schon eine große Leistung für einen Menschen, und man munkelte, dass Logg eine lange Zeit eine Beziehung zu einer Göttin gehabt hatte, was für seine Vitalität verantwortlich gemacht wurde.
Im Moment sprach er mit klarer, sonorer Stimme zu den jungen Kadetten, die seinem Aussehen Hohn sprach. Sie schien eher zu einem stabilen Mittvierziger zu gehören und nicht zu dem Graubart vor ihnen. Aber wie er immer zu sagen pflegte: Sinnvolle Arbeit hielt jung.
„Darum bitte ich euch, hiermit den Jahrgangssprecher des Fünften Jahrgangs zu begrüßen, der erst vor kurzem von einer Expedition gegen Piratengesindel zurück gekehrt ist: Conrad Waldek.“
Conrad konnte es kaum fassen, die Kinder standen für ihn auf und applaudierten. Musste man also einfach nur ein paar Menschen töten, um andere Menschen zu Begeisterungsstürmen hinzureißen?
Was für eine kranke Welt dies doch war.
Er gab sich einen Ruck und trat an das Rednerpult. Mirk und Selestin begleiteten ihn, blieben aber deutlich hinter ihm.
„Guten Morgen, Erster Jahrgang“, sagte Conrad fest und ließ seinen Blick über dreiundvierzig hoffnungsvolle junge Menschen schweifen.
„Guten Morgen!“, hallte es ihm begeistert entgegen. Damit konnte er nicht wirklich umgehen. Er war es gewohnt, wegen der eigenen kühlen Art auch selbst etwas kühl behandelt zu werden. Dem Glanz in den Augen dieser Kadetten nach zu urteilen konnte er von ihnen keine objektive Beurteilung erwarten.
„Wie ihr schon gehört habt, ist mein Name Conrad Waldek. Vor ziemlich genau vier Jahren saß ich dort wo ihr sitzt, und ein anderer stand an dieser Stelle und wollte mir einen Vortrag über Ethik halten. Ich hätte ihn beinahe ausgelacht.“ Für einen Moment sah Conrad zur Seite, warf Selestin und Mirk je einen kurzen Blick zu und erntete von beiden ein Schmunzeln.
„Ich war ein Idiot damals, und dieser Vortrag hat mir die Augen geöffnet. Er wurde der Schlüssel für die besten Dinge in meinem weiteren Leben.“
Ein leises Raunen ging durch die Reihen der jungen Leute.
„Das Thema dieses Vortrags ist Rassenkunde. Unser größtes Problem auf dieser Welt ist, dass die Macht, die uns alle erschaffen hat, auch die Furcht erfunden hat. Versteht mich nicht falsch, Furcht ist wichtig. Sie warnt uns vor Gefahr, schützt uns davor, unsinnige Risiken einzugehen-“
„Meistens“, warf Mirk grinsend ein.
„Meistens“, bestätigte Conrad und dachte an die eine oder andere Sünde, die ihm nicht passiert wäre, wenn er Furcht empfunden hätte. „Kurz und gut, Furcht ist wie ein auf beiden Seiten geschliffenes Schwert. Furcht nützt, aber sie schadet uns auch sehr.
Was hat Furcht nun mit Rassenkunde zu tun? Was hat Rassenkunde mit Ethik zu tun? Ich will es euch sagen: Wir fürchten was wir nicht kennen. Wenn wir etwas kennen fürchten wir es vielleicht immer noch, aber in den meisten Fällen tun wir das eben nicht. Und das größte Übel, das wir auf dieser Welt haben, das ist, dass die Menschen, die Götter und die Dämonen einander oft überhaupt nicht kennen. Im Gegenteil. Sie fürchten sich oft vollkommen grundlos. Ganz einfach weil sie es nicht besser wissen. Sie hören Gerüchte, Märchen, Schauergeschichten, und nehmen sie als Wahrheit hin, weil sie nie die Gelegenheit haben, diese zu hinterfragen, zu korrigieren.
Das ist vielleicht legitim in euren Heimatländern, weil ihr dort vielleicht niemals einem Menschen, einem Gott oder einem Dämon begegnen werdet, aber sicher nicht an dieser Schule. Hier, Herrschaften, lernt ihr einander kennen, und es ist gut wenn ihr dies tut, ohne vor Angst nicht schlafen zu können.
Hinter mir stehen eine Göttin und ein Dämon. Ich selbst bin ein Mensch. Man kann wirklich sagen, das wir drei Freunde sind. Gute Freunde. Wie ist das möglich? Nun, wir kennen einander. Und wir fürchten einander nicht, im Gegenteil.“
Er deutete nach rechts. „Selestin Northim ist eine Göttin. Was ist ein Gott? Ich höre oft davon, dass man sagt, Götter seien sphärische Wesen von unendlicher Schönheit, die der Wirklichkeit entrückt sind, und die vor Arroganz pulsieren. Nun, in Selestins Fall haben sie zumindest mit der unendlichen Schönheit Recht.“
„Conrad“, tadelte die Göttin halbherzig und errötete.
„Und mit der pulsierenden Arroganz“, nuschelte Mirk.
„Hast du gerade irgendwas gesagt?“, fuhr Selestin mit blitzenden Augen auf.
„Ich habe nur Conrads Redestil gelobt“, wiegelte der Dämon ab.
„Wie dem auch sei“, sagte Conrad fest und riss die Rede wieder an sich, „Mirk Farem ist ein Dämon. Was weiß man über Dämonen? Oder besser gesagt was glaubt man über sie zu wissen? Es ist unglaublich, aber es gibt immer noch Menschen an dieser Schule, die denken, Mirk würde Blut trinken. Man nennt Dämonen düster, hässliche verwarzte Kreaturen, welche die Sonne scheuen, die sich vom Fleisch der Lebenden ernähren und die alles Schöne und Natürliche hassen.“
„Wäre dem so, dann wäre ich ja ein Verbannter“, sagte Mirk, ließ seine Zähne aufblitzen und warf dabei sein langes schwarzes Haar elegant nach hinten. Ein Seufzen ging durch die anwesenden Mädchen, und Conrad machte sich gerade klar, dass der Dämon wieder einmal ein Dutzend oder mehr Verehrerinnen dazu gewonnen hatte.
„Was macht nun mich als Menschen aus? Was weiß man über uns? Wir sind faul, trampelig, leben nicht lange, wissen die schönen Dinge nicht zu schätzen, sind aber von einer Arroganz erfüllt, weil wir meinen, wir müssten unbedingt die Herren der Welt sein. Dabei töten und vernichten wir, wie es uns immer in den Kram passt. Wir Menschen sind mit Abstand die bösestes Rasse auf dieser Welt.“
Unruhiges Raunen ging durch den Saal.
„Das ist natürlich alles Quatsch. Und ich bin heute hier, um mit Hilfe von Selestin und Mirk einige dieser Vorurteile gerade zu rücken.“

Conrad deutete in Selestins Richtung. Die Göttin trat einen Schritt vor. „Selestin kommt von der Götterinsel Turen, auf der es mehrere Nationen der Götter gibt. Götter leben sehr lange. Sie erreichen eine Lebensspanne von zweihundert bis vierhundert Jahren. Die meisten schaffen irgendetwas dazwischen. Für einen Menschen eine erstaunliche Zeitspanne. Was macht sie so besonders? Nun, es ist ein Gerücht, das alle Götter atemberaubend schön sind. Das stimmt natürlich nicht, und Selestin ist da eher die Ausnahme.“
„Gib dir keine Mühe“, murmelte Selestin in Conrads Richtung, während sie die Kadetten anlächelte, „ich bin dir schon verfallen.“
Der Jahrgangssprecher hüstelte verlegen, um seine Kehle wieder frei zu bekommen.
„Darüber hinaus haben alle Götter eine gewisse Affinität zur Magie, die bei uns Menschen und den Dämonen eher selten vorkommt. Viele gute Magier sind Götter, wenn auch nicht alle.
Was ist noch über sie zu sagen? Alle Götter tragen eine Aura, die sie dieser Magie verdanken, und diese Aura befähigt die Götter zu vielen kleinen Dingen, welche die Menschen und die Dämonen nicht beherrschen und sicher auch nie beherrschen werden. Zum Beispiel können sie Mineralien im Boden erahnen. Sie können eine Pflanze entweder zum Wachstum anregen oder sie verdorren lassen. Dies nur als Beispiel.“

Nun winkte er Mirk nach vorne. „Was macht einen Dämonen wie Mirk aus? Was ist besonderes an ihm, wenn er nun doch kein Blut trinkt? Tja, ich sage es offen heraus: Dämonen können noch einmal hundert oder mehr Jahre älter werden als die Götter.“
Ein leises Raunen ging durch die Reihen derjenigen, die damit gestraft waren, Götter oder Menschen zu sein.
„Es gibt aber eine Sache, welche die Dämonen wirklich schrecklich macht. Irgendwie müssen sie ja zu ihrem Namen gekommen sein. Dies ist das Berserkertum.“
Conrad sah in die Runde. „Bevor ich dies genauer erkläre, möchte ich euch eine Frage stellen: Wann ist eine Waffe gefährlich? Wenn sie am Boden liegt, oder wenn ein starker Arm sie führt? Die Antwort ist eindeutig, oder? Außer, ihr rechnet damit, über die Waffe zu stolpern und euch alle Knochen zu brechen.“
Leise Lacher erfüllten den Raum.
Conrad nickte Mirk zu. „Die Berserkerhaltung ist eine natürliche Waffe, welche die Dämonen besitzen. Mirk, bitte.“
Der Dämon lächelte im ersten Moment, dann aber verzerrten sich seine Züge, er zog die Lippen zurück und entblößte seine vier Eckzähne. Da diese durchaus länger als bei den Göttern oder Menschen waren, sah das schon furchtbar aus. Wenn man davon absah, dass sie in perfekt gepflegten weißen Zahnreihen saßen.
„Mirk ist nun in Berserkerhaltung. Dies ist ein meditativer Zustand, den Dämonen erreichen können, wenn sie lange und hart an sich arbeiten. Bitte lass das mit den Zähnen, das ist peinlich, Mirk.“
Der Dämon schob die Lippen zurück, strahlte aber eine Aura der Kraft aus.
„Was ist diese Berserkerhaltung? Ich will es euch erklären. Die Dämonen haben die Fähigkeit, im Berserkertum von zukünftiger Zeit zu borgen. Sie können ihren Körpern befehlen, mehr Kraft, mehr Ausdauer, mehr Energie zur Verfügung zu stellen als sie eigentlich haben. Dadurch werden sie schneller, stärker, mächtiger. Aber es kann durchaus passieren, das sie sich zu Tode steigern. Zudem neigen manche Dämonen dazu ihre Beherrschung zu verlieren, je länger, je stärker, je nachhaltiger sie die Berserkerhaltung benutzen, bis hin zum Wahnsinn. Soldaten fürchten Dämonen in Berserkerhaltung, aber sie begrüßen sie auch, denn in diesem Stadium weichen sie Pfeilen nicht mehr aus. Entschuldigung, ein schlechter Scherz meinerseits. Viele verlieren den Verstand, oder sie sterben lange vor ihrer Zeit an Entkräftung. Nur einige wenige erlernen in ihrem Leben die absolute Kontrolle über das Berserkertum. Allgemein setzen die Dämonen diese Fähigkeit nur noch selten ein, weil sie gefährlich ist. Danke, Mirk.“
Die Aura des Dämons erlosch, und zu seinem Entsetzen bemerkte Conrad, das die Mädchen ihn immer noch anhimmelten. Nun, wo er auch noch gefährlich erschienen war, schienen es sogar noch mehr zu sein.

„Was macht nun die Menschen aus? Sie leben nicht lange, das ist wahr. Einhundert Jahre sind für uns schon eine sehr lange Zeit, die nur wenigen vergönnt ist. Dennoch sind sie nicht schlechter, nicht besser als die Götter und Dämonen. Im Gegenteil. Menschen sind ausdauernder, kräftiger und belastbarer als alle anderen. Dafür bezahlen wir mit einem kurzen Leben. Dennoch sind wir...“
Conrad stutzte. Da war plötzlich etwas wie... Torandil? Irritiert sah Conrad zur Seite. Mirk erwiderte den Blick, fassungslos, erstaunt.
Conrad sah zu Selestin herüber, die erschrocken ihren Blick schweifen ließ. Und dann sahen alle drei zum Lehrer Logg Andei herüber.
„Alle bleiben sitzen!“, befahl er mit lauter Stimme, als Unruhe die Klasse erfasste. Er sah Conrad an. „Beeilt euch.“
Der Jahrgangssprecher nickte dankbar und eilte auf den Gang, dicht gefolgt von Selestin und Mirk.
„Was ist das? Was passiert da gerade?“, fragte die Göttin mit banger Stimme.
„Ein Dämon“, fauchte Mirk wütend. „Sie beschwören einen Dämon, einen richtigen Dämon! Und es geht etwas vollkommen schief!“
„Das Gefühl habe ich auch! Beeilen wir uns lieber!“, rief Conrad und hetzte den Gang hinab.
„Ah, Waldek. Ist deine Inkontinenz nun schon so schlimm geworden, dass...“
„Keine Zeit für dich, Jisathan!“, rief Conrad im Laufen, als er den Menschenprinzen passierte, der ausnahmsweise ohne Vasallen unterwegs war. „In der Taumatischen Abteilung geschieht ein Unglück!“
„Ach!“ Jisathan winkte ab. „Das hätte ich doch gesp...“ Für einen Augenblick wurde der Mensch bleich. Und dann beging er den größten Fehler seines Lebens. Anstatt von dem Unglück fort zu laufen, rannte er darauf zu.
Mittlerweile hatten die drei den Forschungstrakt für Taumatismus erreicht. Hier wurde Magie manifestiert und hier wurden Beschwörungen vorgenommen.
Im Moment jedoch wurde die schwere Tür zu Kleinholz zerschlagen, als ein Gott sie durchbrach und an der gegenüberliegenden Steinwand aufprallte. Mit einem lauten Fluch hielt er sich den schmerzenden Kopf.
„Torandil! Lebst du noch?“, rief Conrad.
„Sieht leider so aus. Autsch, tut das weh!“
„Wenn du dir den Kopf gestoßen hast, mach dir keine Sorgen, da kann nichts weh tun“, sagte Mirk.
„Ich lache später drüber. Die Lage ist zu ernst.“ Mit Selestins Hilfe kam er auf die Beine.
„Was ist passiert?“, hakte Conrad nach.
„Ein Experiment ist schief gelaufen. Wir wollten Magie manifestieren. Stattdessen wurde ein gehörnter Dämon beschworen. Klarer Fall von Sabotage“, erklärte Torandil. Zwischen den Fingern seiner Rechten, die er auf die Stirn gepresst hielt, lief ein dünner Blutfaden herab.
„Wie groß? Wie mächtig?“
„Groß und mächtig genug, um mich durch eine Eichentür zu schleudern!“, fauchte der Gott.
„Was passiert hier gerade?“, fragte Jisathan aufgeregt.
„Geh uns nicht auf die Nerven! Oder noch besser geh da rein und lass dich töten!“, blaffte Conrad. „Die haben einen gehörnten Dämon da drin!“
„Oh. Einen Richtigen, und nicht so einen Abklatsch wie Mirk?“, fragte der Prinz mit einem nervösen Lächeln.
„Erstaunlich, dass du immer noch hier bist, anstatt dich auf dem Klo zu verkriechen“, spottete Mirk, während Schüler und Magielehrer durch die zerstörte Tür nach draußen flüchteten.
„Egal was du von mir hältst, Dämon, ich brauche diese Akademie noch zwei Jahre. Wenigstens so lange muss sie noch stehen“, erwiderte der Prinz mit festem Blick. Langsam griff er an seine Seite und zog einen Dolch hervor. „Sieht so aus als würde er kommen.“

„Selestin, bring Torandil tiefer in den Gang, dann komm wieder. Mirk, Berserkerhaltung.“ Conrad fixierte Jisathan. „Pass du auf, dass er nicht in der Flanke durch bricht. Hinter dir ist der Gang zu den Schulräumen.“
„Ich hätte niemals gedacht, das wir mal für eine gemeinsame Sache kämpfen würden, Conrad Bauerntrampel“, erwiderte Jisathan mit einem leichten Grinsen.
„Still jetzt. Wir müssen den Dämonen nicht mit Gewalt darauf hinweisen, wie viele Gegner ihn erwarten“, raunte Conrad.
Burg Catrek verwaltete sich selbst. Das bedeutete, das in Fällen wie diesen keine bereitstehenden Wachen herbei eilen konnten. Die einzigen Helfer hier waren die Schüler der höheren Jahrgänge, die Lehrer und die Dienerschaft. Letztere übrigens nur in einem gewissen Rahmen, um ein Minimum an Komfort zu ermöglichen. Wenn also jemand so unergründlich dumm war, einen echten Dämonen zu beschwören, dann mussten sich die Schüler selbst darum kümmern. Die meisten Lehrer waren schon zu alt für eine solche Aufgabe.
Kurz rekapitulierte Conrad, was er über beschworene Dämonen wusste. Sie standen in direktem Zusammenhang mit manifestierter Magie. Oft genug benutzten Magier ihre Kraft nicht direkt, sondern mit Hilfe eines Objekts. Dieses diente ihnen als Fokus oder als Definition ihrer Kraft. Das konnte ein Zauberstab sein, ein Schmuckstück, ja sogar eine alte Fruchtschale. Wichtig war nur, das sie entweder aus Magie manifestiert wurde, oder mit manifestierter Magie aufgeladen war. Dann konnte es benutzt werden, bis es verschwand.
Die Gefahr, der sie sich hier gegenüber sahen, war beseelte Magie. Als die Manifestierung ihren Fortschritt genommen hatte, da hatte ein freier Geist Besitz von ihr ergriffen und sie dazu benutzt, um sich aus ihr einen Körper zu formen. Diese Geister konnten alles sein: Seelen verstorbener Menschen oder Tiere, beseelte Natur, sogar eine Form der Elemente – intelligent natürlich. Diese Begegnungen verliefen meistens harmlos. Nur wenn dieser Geist, banal gesagt, einen Groll hegte, entwickelte sich aus der manifestierten Magie ein kleines, böswilliges Biest, das nur das töten kannte. Dann kam es darauf an, wie viel Magie manifestiert worden war und wie stark der Geist war, was Kraft und Größe des Dämons bestimmte. Conrad wappnete sich für das Schlimmste. Ein Geist, der hier, im Herzen der taumaturgischen Abteilung manifestierte Magie übernehmen und sich einen Körper bilden konnte, ohne das die Lehrer Zeit zum eingreifen hatten, musste sehr mächtig sein. Auf jeden Fall war er stark genug, um Torandil durch eine massive Holztür zu schleudern. Zum Glück war der junge Gott ein wahrer Dickschädel, sonst hätte er das nicht überlebt.

Eine Tür flog aus den Angeln, Mauergestein barst, und der Dämon ging mit wiegenden, gemächlichen Schritten auf die aufgesprengte Tür zu, die auf den Gang zu den wartenden Schülern führte.
Conrad griff an seine Seite, aber natürlich hatte er keine Waffen mitgenommen. Musste er sich also auf seine Schnelligkeit und seine Kraft verlassen. „Das ist das erste Mal, das ich mir wünsche, deine Lakeien wären auch da“, scherzte Conrad nervös.
„Nicht nur du“, erwiderte Jisathan. „Aber nenne sie nicht Lakaien. Es sind meine Freunde.“
„Du kennst den Begriff Freundschaft? Das glaube ich nicht.“
„Könnt ihr eure Streitereien ein paar Sekunden einstellen? Der Dämon kommt“, zischte Mirk.
Die Gestalt war riesig, gewiss vier Meter hoch. Um halbwegs durch die Tür zu passen musste sie sich ducken. Die Haut war grün und geschuppt, die Stirn zierten zwei riesige Hörner. Ebenso hatte der Dämon gewaltige Klauen an den Armen. Einige von ihnen trieften vor Blut. Wie es aussah, hatten es nicht alle Schüler und Lehrer hinaus geschafft.
Der Dämon witterte und drehte ihnen den Kopf zu. Seine Augenhöhlen waren leer, Blut und Wasser floss aus ihnen hervor. Ein sichtbares Zeichen dafür, das jemand da drin nicht nur im Unterricht aufgepasst, sondern hier auch richtig reagiert hatte.
„Sehr gut. Er kann uns nicht sehen“, flüsterte Jisathan. „Wenn wir ihn angreifen, sobald er uns den Rücken zeigt, dann...“
„Bin wieder da!“, rief Selestin außer Atem. „Wo ist der Dämon?“
Die riesige Gestalt fuhr herum und fixierte sie. „Genau da“, hauchte der Menschenprinz und wurde blass. „Hättest du doch bloß die Klappe gehalten.“
Wütend wandte sich Selestin zu dem Menschen um. „Was denn? Ich habe doch nur gesagt, das ich wieder da bin, um an eurer Seite zu kämpfen! Und das ist der Dank?“
Der Dämon schoss vor, seine Hände schlugen nach Selestin, aber Conrad war schnell genug, in eine hinein zu springen und sie mit purer Kraft aufzuhalten.
Die andere schoss weiter auf die Göttin zu, doch Jisathan stieß sie fort. Nun raste sie weiter auf den Prinzen zu, unaufhaltsam, mit Blutgetränkten Klauen – und traf.

Ängstlich, den Dolch als einzigen Schutz vor sich gehalten, stemmte sich Jisathan nach vorne, um den Schlag abzufangen, der nun kommen würde. Doch da war nichts. Vorsichtig öffnete er die Augen. Vor ihm stand einer seiner Freunde, Kitram Lorhest. Der junge Mensch parierte die Klaue des Dämons mit seinem Schwert.
Er sah hinter sich und lächelte dünn. „Bist du in Ordnung, mein Prinz?“
„Kitram“, hauchte Jisathan erstaunt. „Was machst...“
„Dazu ist später Zeit. Conrad, halte ihn fest! Mirk, greif seine Ohren an! Selestin, brenne ihm einen von den Feuerbällen auf den Pelz, die du im alten Warenhaus auf uns geschleudert hast, sobald Mirk wieder fort ist. Das dürfte uns zwei oder drei Sekunden geben, um sein Herz zu spalten.“
Conrad nickte. „So machen wir es.“ Er griff zu, bekam den Dämon zu fassen, und zog nun an ihm. Erstaunt machte der Koloss einen Schritt nach vorne. Kitram drehte seine Klinge ins Fleisch der Hand und rammte sie dann in den Boden. Jeder Versuch sich los zu reißen würde dem Dämon Qualen bereiten. Neben ihnen wurde Mirk noch blasser im Gesicht, seine Augen bekamen einen Blutunterlaufenen Ton, und ein wütendes Grollen kam aus seiner Kehle.
„Jetzt!“, befahl Conrad.
Mirk sprang, landete auf dem Arm den Conrad fixierte und rannte bis zum Kopf des Dämons. Er sprang, zog zwei Dolche und rammte sie der Bestie in beide Ohröffnungen. Dabei erwischte ihn eine unwillige Kopfbewegung und schleuderte ihn an die nächste Wand. Aber für den Moment war der Riese taub.
„Ich bin dran!“, klang Selestins Stimme auf. Sie manifestierte ihre Feuermagie und jagte eine Flammenkugel auf den Kopf des Dämons. Die Bestie heulte und war nun in jeder Hinsicht aller Sinne beraubt.
„Mein Prinz!“, rief Kitram.
Jisathan zögerte nicht eine Sekunde, sprang zwischen seinem Gefolgsmann und Conrad vor und stürzte sich, seine Klinge voran gehalten, auf den Dämon. Von unten trieb er seine Waffe in den Brustkorb und spaltete das Herz des Riesen.
Eine Zeitlang kämpfte und drehte sich der Dämon, versuchte Conrad und Kitrams Klinge abzuschütteln, aber dann erschlaffte er und fiel langsam nach vorne – genau auf die Stelle zu, an der Jisathan noch immer stand.
„Das ist ein Witz, oder?“, hauchte der Menschenprinz, während der riesige schwere Leib des Dämons auf ihn herab fuhr.
Eine Sekunde später machte er schmerzhafte Bekanntschaft mit dem harten Flurboden – und mit Mirks Umarmung.

„Das ich dich mal retten würde hätte ich nie gedacht“, brummte der Dämon, während der Gehörnte hinter ihnen vollends zu Boden fiel. Immer noch auf die Stelle, an der Jisathan noch gestanden hätte, wenn Mirk nicht da gewesen wäre.
„Das du mal Zärtlichkeiten für mich entwickeln würdest“, erwiderte der Menschenprinz.
Kitram kam herbei geeilt. „Mein Prinz, bist du verletzt?“
„Ich nicht, aber mein Stolz!“, blaffte Jisathan, befreite sich aus Mirks Griff und kam hastig auf die Beine.
„Was ist hier los? Wo sind die Lehrer?“, klang die Stimme des Direktors auf.
Stumm deuteten die drei Menschen, die Göttin und der Dämon den Gang hinab. Dort hatten sich die Flüchtigen niedergelassen, Kadetten wie Lehrer.
Baron Hygar Davon folgte den Händen und seufzte schwer. Dann ging sein Blick auf den toten Dämon. „Erstaunlich. Ein Gehörnter der Dritten Stärke. Wer hat ihn besiegt?“
„Es war eine Gemeinschaftsarbeit“, sagte Conrad und schob seine verrutschte Brille wieder die Nase hoch. „Allerdings hat Jisathan den Streich gegen sein Herz ausgeführt. Eine erstaunlich gute Arbeit für ihn.“
„Was soll das denn heißen?“, rief der Prinz aufgebracht. „Habe ich den Dämon nun getötet oder nicht? Habe ich sein Herz gespaltet oder nicht?“
„Ruhig Blut. Ich will deine Leistung nicht schmälern. Im Gegenteil. Ich will hervor streichen, das ich sie in dieser Qualität nicht erwartet habe.“
Unschlüssig sah Jisathan den Menschen an. Dann warf er sich herum. „Lass dich vom nächsten Dämon filetieren!“ Affektiert rauschte er davon. Er nahm nicht einmal seinen Dolch mit.
Kitram Lorhest sah Conrad nachdenklich an. „Du musst Jisathan verzeihen. Er ist ein ehrliches Lob einfach nicht gewohnt. Schloss Tirit-Alem, sein Geburtshaus, ist eine Schlangengrube, in der jeder den anderen frisst. Er hat, bevor er nach Catrek geschickt wurde, sechzehn Jahre zwischen Intrigen, Mordanschlägen und dem Jähzorn seines Vaters überlebt. Er kennt keinen anderen Weg. Das ist vielleicht der Grund, warum er dich so beneidet, Conrad Waldek.“
„Beneidet?“, argwöhnte Selestin. „Neid sieht anders aus.“
Der junge Mensch, der in ferner Zukunft einmal einer von Jisathans Ministern sein würde, lächelte als Antwort.
„KITRAM!“, brüllte Jisathan den Gang hinab.
„Ich komme, mein Prinz!“ Hastig raffte er den Dolch Jisathans auf, nickte den dreien noch einmal zu und lief dem Prinzen hinterher.
„Und wer“, brummte Mirk und trat leicht gegen die leblose Hand des gehörnten Dämonen, „räumt den ganzen Mist hier wieder weg?“
***
Die Magie-Dozenten, verstärkt durch die stärksten Kadetten des letzten Jahrgangs, waren damit beschäftigt die im Dämon gebundene Magie aufzulösen und sie vorsichtig wieder der Umgebung zu zu führen, ohne dabei einen weiteren Dämon zu produzieren. Der Direktor hingegen durchforstete mit wachen Augen und allen Sinnen den Lehrsaal für Magie für Anzeichen, was diese Tragödie ausgelöst hatte, die fünf Kadetten und Lehrer teilweise schwer verletzt und beinahe getötet hatte.
Ihn begleitete Arith Tarnel, die zum Zeitpunkt der Beschwörung Mathematik für das dritte Jahr unterrichtet hatte, und nun den verletzten Erzmagus ersetzen musste.
Die knapp einhundert Jahre alte Göttin runzelte unwillig die Stirn. „Etretan Hysol ist seit einhundertfünfunddreißig Jahren Erzmagus für Magie an dieser Schule, und auch wenn er die Beschwörung nicht angeleitet hat, er ist erfahren genug um zu sehen, wann eine Beschwörung schief geht. Verdammt, er ist sogar in der Lage, das letztliche Endergebnis einer Katastrophe richtig zu deuten.“ Wütend sah die rothaarige Göttin sich im Saal um. „Er ist kein verdammter Trottel, auch wenn er ein Dämon ist.“ Für einen Moment sah sie nach hinten, und mit einem Feuer, für das ihr Haar Synonym geworden war, rief sie: „Selestin, wenn du noch einmal so viel taumatische Energie auf einmal diffundierst, ziehe ich dich auf eine Streckbank, und zwar so lange, dass du in Zukunft ohne Treppchen auf ein Schlachtross aufsteigen kannst!“
Die derart getadelte Göttin zuckte heftig zusammen und gab mit selten kleinlauter Stimme ein zaghaftes „Verstanden“ von sich.
„Diese Kinder heutzutage. Berauschen sich an dem, was sie eigene Kraft nennen, so wenig es auch immer ist, und ziehen sich daran hoch. Danach fallen sie richtig tief, und wenn sie dann keiner auffängt, sterben sie daran.“ Misstrauisch beäugte sie den Direktor, der sie hingebungsvoll anlächelte. „Was ist?“
„Oh, nichts, nichts“, beeilte sich Hygar Davon zu versichern. „Aber irgendwie glaube ich, diese Szene schon einmal erlebt zu haben. Nur warst du da die Schülerin, und Selestins Mutter die Lehrerin.“
Pures Entsetzen huschte über das Gesicht der Göttin. „Was? Bin ich wirklich so schlimm? Dabei hatte ich mir vorgenommen, alles besser zu machen als sie.“
„So schlecht ist sie nun auch wieder nicht. Etwas hart zu sich selbst und zu denen in ihrer Umgebung, aber sie regiert gut“, wiegelte der Baron im Plauderton ab.
„Ich bin trotzdem froh hier zu sein, und nicht auf Turem.“
„Und ich bin froh, eine so hervorragende Feuermagierin als Lehrerin für Catrek zu haben.“
„Mein lieber Direktor, warum lobst du mich so sehr? Was willst du von mir?“, fragte sie mit einem Schmunzeln.
„Nichts unmögliches zumindest, meine Lieblingsgöttin. Wir...“ Der Direktor stutzte. Dann warf er einen Blick auf die Mitte des Beschwörungskreises und trat näher.
„Gut möglich, das Hysol einen Fehler gemacht hat, wenngleich auch nicht sehr wahrscheinlich“, murmelte der Dämon mehr zu sich selbst als zu der Lehrerin, „aber ich bezweifle doch stark, das er den alten Grundsatz durchbrochen hat, der da besagt, niemals zwei Beschwörungen zur gleichen Zeit durchzuführen.“ Davon bückte sich in der exakten Mitte des Kreises und hob einen kleinen, matten roten Stein auf.
Arith Tarnel trat sofort heran, nahm ihm den Stein aus der Hand und runzelte die Stirn. „Kein Zweifel, das ist manifestierte Magie. Und sie ist noch keine Stunde alt.“
Der Dämon und die Göttin wechselten einen unwilligen Blick.
„Eine parallele Beschwörung“, murmelte der Dämon.
„Mit dem Ziel während der eigentlichen Beschwörung einen Dämon in diesem Raum entstehen zu lassen und sie alle zu töten. Lehrer wie Kadetten. Während der Dämon durch Burg Catrek tobt, wäre es ein Leichtes gewesen, diesen Stein verschwinden zu lassen und es als Fehler des Erzmagus abzutun. Das ist teuflisch.“
„Um alle zu töten? Sicherlich nicht“, entgegnete Hygar. „Dazu hätte die Zeit nicht einmal gereicht, wenn die Leute statt zu fliehen in Erstarrung stehen geblieben wären. Nein, ich denke, wir können den Kreis der potentiellen Opfer auf eine Handvoll eingrenzen, nämlich jene, die im Kreis standen. Und dann natürlich jene, die darüber hinaus attackiert wurden.“
Die Göttin wurde blass. „Torandil wurde als erster verletzt, oder?“
„Er wurde durch eine Eichentür geschleudert“, bestätigte der Dämon.
„Was hatte er hier zu suchen? Er ist kein Magier.“
„Das ist eine gute Frage. Wenn ich mich recht entsinne, sollte nämlich der beste Kadett die Beschwörung anführen, und das ist...“
Nun ging auch ein entsetzter Blick von Davon aus. „Selestin Northim ist die beste Magierin. Aber sie war nicht anwesend und half bei der Eindämmung. Sie...“
Arith wandte sich zu der jungen Göttin um. „Selestin?“
„Ja, Meister?“
„Warum warst du nicht hier? Antworte, aber wage es ja nicht, deine Konzentration zu vernachlässigen“, schnarrte die Magielehrerin böse.
Selestin nickte und strich sich eine verirrte Strähne aus der Stirn. „Kadett Waldek brauchte mich für den Vortrag über Ethik vor dem ersten Jahrgang. Er meinte, ein hübsches Mädchengesicht könnte einige Vorurteile abbauen und wäre ein guter Kontrast zu Mirks hässlicher Visage.“
Mirk, der diese Worte hörte, sah zu Conrad herüber. Dabei sah er ihn an wie ein verstoßener Hund seinen Herrn. „Hässliche Visage? Hast du das wirklich gesagt, Conrad? Wie fies. Ich dachte, wir wären Freunde.“
„Nur ein Scherz“, beschwichtigte Selestin den Dämon. „Jedenfalls hat Torandil meinen Platz hier eingenommen, denn alle anderen sind um einen Platz aufgerückt und es wurde noch ein erfahrener Zureicher gebraucht.“
„Danke, Selestin. Widme dich wieder deiner Arbeit. Und mach sie gut. Ich will kein Quäntchen freier Magie mehr spüren, wenn ihr fertig seid.“
„Ja, Meister.“

Die Lehrerin für Magie seufzte. „Sie ist ja ein nettes Mädchen, aber wenn man bei ihr nicht hinter sitzt, dann neigt sie dazu, nachlässig zu werden.“
Die beiden, die Lehrerin und der Direktor, gingen ein paar Schritte. „Denkst du es ist möglich, das sie Selestin erwischen wollten?“, hauchte Arith.
„Nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich. Wir sollten die Räume über und unter diesem Saal sehr genau untersuchen und unauffällig nach den Tätern ermitteln.“
Arith lächelte dünn. „Ich denke nicht, dass wir dort noch was finden werden. Aber ich habe da eine Idee, wie wir uns dennoch ein wenig Erfolg sichern können.“
Hygar verdrehte die Augen. „Wird es gefährlich?“
„Natürlich wird es gefährlich.“
„Gefährlich für Selestin?“
„Vielleicht für Conrad und Mirk“, wiegelte sie ab. „Eventuell für Jisathan.“
„Oh. Das ist vertretbar“, erwiderte der Dämon mit einem wahrhaft dämonischen Grinsen.
***

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„Hey. Wie geht es dir?“, rief Mirk überschwänglich, als er das Zimmer von Torandil betrat.
„Wie geht es dir, wie geht es dir... Wie wird es schon jemandem gehen, der durch eine massive Eichentür geschleudert wurde?“, erwiderte der Gott gereizt.
„Meine Güte, was sind wir empfindlich. Ich mache mir hier Sorgen um dich, und du wirst patzig wegen... Wegen Dingsda.“
Torandil seufzte. „Drei gebrochene Rippen, ein gebrochenes Schlüsselbein, diverse Prellungen, Quetschungen und blaue Flecke, außerdem eine Gehirnerschütterung.“
Der Gott winkte ab, bevor Mirk etwas sagen konnte. „Gib dir keine Mühe. Ich bin auf alle Gehirnerschütterungswitze vorbereitet.“
„Ooch“, machte Mirk und ließ enttäuscht den Kopf hängen. Aber seine Miene hellte sich schnell wieder auf. „Und, wie lange musst du das Bett hüten?“
„Arith Tarnel kommt nachher vorbei und wendet einen Heilzauber auf mich an. Zumindest die gebrochenen Knochen sollten bis morgen wieder gut sein. Die Schmerzen und die Prellungen bleiben mir noch etwas erhalten. Hey, Mirk, ihr habt das Mistding doch besiegt, oder?“
„Wie kannst du das nur als Frage formulieren? Natürlich haben wir den Gehörnten besiegt“, prahlte Mirk.
„Und wer hat den Todesstreich ausgeführt? Conrad? Du?“
Das Lächeln auf Mirks Gesicht erfror. „...“
„Was hast du gesagt? Du bist zu leise.“ „...“
„Mirk, könntest du bitte so reden, dass ich dich verstehe?“
„Ja, verdammt, Jisathan hat dem Gehörnten das Herz gespaltet, okay? Jisathan hat den Todesstoß ausgeführt! Bist du jetzt zufrieden?“, blaffte der Dämon.
„J-Jisathan?“
Mirk nickte.
„Dieser arrogante, überhebliche, egoistische und dümmliche Menschenprinz?“
Mirk nickte erneut. „Ging halt nicht anders. Wir hatten unsere Hände voll, und er war eben verfügbar und...“
Torandil streckte die Rechte aus und schirmte mit der Linken seine Augen ab. „Nein, Halt, sei bitte still. Du hast mein Weltbild gerade zum kollabieren gebracht. Ausgerechnet Jisathan. Was kommt als Nächstes? Verlässt er die Schule und zieht in ein Kloster?“
„Du meinst, er wird nett und nützlich? Setzt du deine Träume nicht etwas zu hoch an?“
„Etwas, vielleicht.“ Torandil grinste breit. Leider bereitete ihm das Schmerzen. „Autsch. Selestin und Conrad geht es gut?“
„Noch“, orakelte Mirk. „Sie sind schon seit einer Stunde im Raum des Direktors. Es geht da drin nicht gerade leise zu. Scheint heftig zu werden, und ich habe keine Ahnung wieso. Außerdem strolcht dein Onkel wieder auf Catrek herum. Irgendwas großes passiert hier.“
„Du meinst größer als ein gehörnter Dämon, der Amok läuft?“
„Punkt für dich“, brummte Mirk Farem.
***
Livon Azet platzte genau zu dem Zeitpunkt ins Büro des Barons, als dieser gerade auf dem Höhepunkt seiner Strafpredigt mit dem Thema „Umgang mit beschworenen Dämonen und die Sicherheitsrichtlinien“ gekommen war. Der Gott kam ohne Gruß herein, warf sich in einen freien Sessel und rieb sich die schmerzenden Schläfen.
„Was hast du raus gefunden, Livon?“
Der Gott sah den Dämon mürrisch an. „Es war eine ganz schöne Puzzlearbeit, aber ich konnte tatsächlich ein paar Spuren finden. Ich denke, es waren Menschen. Speziell zu diesem einen Zweck ausgebildet, einmal diesen Gehörnten zu erschaffen.“
„Also ein Attentat“, stellte Baron Davon fest.
Der Gott nickte schwer. „Ein Attentat, Direktor.“
„Und auf wen?“
Livon räusperte sich, bevor er weiter sprach. Es klang etwas verlegen. „Nun, derjenige, der in dem Raum später einmal am meisten Macht haben wird, war Torandil. Torandil wurde auch prompt als Erster angegriffen, was diese These stützt. Und im Moment gibt es nur eine Fraktion an dieser Schule, die etwas gegen ihn hat – weil er ein Freund von dem da ist.“
„Was? Du meinst doch nicht etwa, dass...“, begann Selestin, besann sich aber und rief: „Herr Major, Sie glauben doch nicht, dass Jisathan befohlen hat, den Dämon zu erschaffen?“
„Er hätte das Geld, die Macht, die Leute und die Kenntnisse. Tirit-Alem ist eine Schlangengrube, ein Mördernest, und eine Viper ist dort giftiger als die andere. Ich sage nicht, dass der Prinz aus Agenfelt es war. Ich sage nur, dass er ein Motiv hatte, die Kenntnisse und die Mittel. Man sagt, er hätte ein großes Gefolge.“
„Das stimmt“, murmelte Conrad. „Außerdem sind wir schon öfters zusammengestoßen.“
„Nette Umschreibung für eine hinterhältige Falle“, flüsterte Selestin ihm zu.
„Dann ist es beschlossen. Jisathan wird der Schule verwiesen. Ein Monat Suspension, die er Zuhause in Agenfelt verbringen muss“, bestimmte der Direktor.
„Hygar, noch ist nichts bewiesen“, wandte der Major ein.
„Auf Catrek hat es noch nie Tote gegeben. Und ich habe nicht vor dabei zu zu sehen, wie genau mit dieser Tradition gebrochen wird. Jisathan ist gefährlich. Er hat den Bogen weit überspannt, und nun bezahlt er den Preis. Sollte sich herausstellen das der Verdacht stimmt, müsste ich ihn weit schwerer bestrafen. Dann ist es besser, er ist bereits Zuhause und erspart uns allen Peinlichkeiten und diplomatische Verwicklungen. Es ist beschlossen.“
„Einwand“, sagte Conrad. „Jisathan hat den Gehörnten getötet und uns geholfen. Ich glaube nicht, dass er es war.“
„Du nimmst ihn in Schutz?“
„Er ist ein Dummkopf, ein Narziss, ein ungeschicktes Trampeltier, ein Ekelpaket und ein Idiot, aber in diesem Fall glaube ich wirklich daran, dass er unschuldig ist.“
„War es nötig, ihn bei deiner Verteidigung noch so runter zu machen?“, fragte der Major mit gerunzelter Stirn.
Die Hand von Baron Davon sauste auf die Tischplatte. „Dennoch! Ich habe mich entschieden! Morgen früh muss Jisathan von Agenfelt abreisen. Ihr seid entlassen.“
Conrad und Selestin sahen sich kurz an. Dann verneigten sich beide leicht vor dem Direktor und dem Major und verließen gemeinsam den Raum.

Hygar Davon lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Mit einem genüsslichen Ton in der Stimme sagte er: „Und das Spiel beginnt.“
„Hygar, glaubst du wirklich, das wird funktionieren? Kann das nicht eher in einem Blutbad enden?“
„Was hast du gegen Blutbäder? Apropos, ich sollte mich jetzt aufmachen und Jisathan von meiner Entscheidung unterrichten. Das wird mir ein Vergnügen werden.“
„Ich hoffe wirklich du behältst Recht, Hygar“, meinte der Gott und rieb sich beide Schläfen.
„Komm, alter Freund. Habe ich mich jemals geirrt?“
Azet sah auf und sah den Direktor mit blitzenden Augen an. „Willst du eine exakte Liste deiner Irrtümer, Hygar?“
„In letzter Zeit?“, bot der Baron an.
***
So richtig wohl fühlte sich Conrad Waldek nicht. Gewiss, der Menschenprinz hatte ihn mit einer fingierten Entführung ins alte Warenhaus gelockt, um ihn dort von seinen Leuten ordentlich durch trimmen zu lassen, aber er hätte nie die Hand an Selestin gelegt oder etwas so vollkommen hinterhältiges wie einen Mordanschlag versucht. Conrad konnte es nicht genau beschreiben, aber es wäre einfach nicht Jisathans Stil gewesen. Irgendetwas stimmte nicht, und der junge Mensch dachte lange darüber nach, wie er den Direktor davon überzeugen konnte, seine Entscheidung wieder zurück zu nehmen. Immerhin hatte Jisathan ihnen geholfen, und er hatte den Todesstreich ausgeführt.
Als es an seiner Tür klopfte, hörte es der in seinen Gedanken versunkene Conrad erst, als aus dem zaghaften Klopfer ein kräftiges Bollern geworden war.
„Herein.“ Der zukünftige Minister von Pars stützte sich mit dem Ellenbogen auf seinem Bett ab, auf das er sich zum nachdenken hin gelegt hatte.
Die Tür öffnete sich, und Selestin trat ein. Sie trug wie bei der Mission gegen die Piraten die Robe eines Magus, und deutlich konnte man das Symbol der Feuermagier auf ihrer linken Brust prangen sehen. Wobei „prangen“ eine sehr gute Formulierung war.
Conrad sah die Göttin erstaunt an, als diese die Tür hinter sich schloss und den jungen Menschen hinreißend anlächelte. „Es wird draußen schon dunkel, Selestin.“
„Ich weiß. Und es ist Schlafenszeit“, sagte sie und setzte sich ans Fußende des Bettes.
Diese Worte irritierten Conrad. Wenn sie wusste, dass es Schlafenszeit war, warum saß sie dann hier in seinem Raum auf seinem Bett und lächelte ihn an?
Langsam rückte sie näher, wie eine Katze, die sich an ihr scheues Wild heran pirschte, um es nicht vor dem Todesstoß zu verscheuchen. „Ich habe über Jisathan nachgedacht“, murmelte sie. „Eine Ungerechtigkeit ist das. Ich denke nicht, das er versucht hat, Torandil zu töten.“
„Ich glaube auch nicht, das er das getan hat“, erwiderte Conrad. „Ich denke hier schon die ganze Zeit nach, wie ich den Direktor überzeugen kann, seine Entscheidung zurück zu nehmen.“
Ihr Gesicht war dem seinen plötzlich so nahe, der Mensch hatte gar nicht gesehen, wie flink sie aufgerückt war. „Conrad, weißt du...“
Ein dumpfer Schmerz in seinem Rücken zeigte ihm, das hinter ihm nur die Wand war. Links und rechts von ihm hatte die Göttin ihre Hände auf das Bett gestützt. Sie hatte ihn ganz alleine eingekreist. „Weißt du, das man besonders gut nachdenken kann, wenn man...“ Sie lächelte schüchtern, errötete und sah für einen Moment fort. Schließlich krallte sie ihre rechte Hand in den Saum ihrer Robe. „Weißt du noch, damals, auf den Pferden, als wir gegen die Piraten gezogen sind?“
„Ja, ich erinnere mich. Du hast einen Lederharnisch unter der Robe getragen“, erwiderte Conrad. Die Göttin wollte doch nicht etwa... Sie hatte doch nicht vor, dass... Nicht, das ihm das unangenehm gewesen wäre, aber musste sie gleich die Sporen benutzen?
Langsam zog sie den Saum hoch und entblößte nach und nach ihre Beine. „Diesmal trage ich keinen Lederharnisch, Conrad. Eigentlich trage ich gar nichts unter der Robe. Und all das gehört dir...“
Ihre Lippen näherten sich den seinen. Feuer stieg in Conrads Magen auf, seine Wangen schienen vor Flammen zu bersten, und im Rest seines Körpers schienen ein paar Dutzend Gehörnte zu wüten. Oh ja, Selestin stieß bei ihm auf offene Arme und...

„CONRAD!“, rief eine Stimme von der Tür her. Die massive Pforte flog auf, und ein sichtlich aufgeregter Jisathan rauschte in den Raum.
Der Jahrgangssprecher des fünften Jahrs erschrak zu Tode, pure Panik huschte von seinem Haaransatz bis zu den Zehenspitzen und wieder zurück.
Selestins Haare schienen sich erschrocken aufzurichten, ihre Rechte zerrte am Saum ihrer Robe, aber sie verhedderte sich, und ihre Knie waren weiterhin gut zu sehen. Ihr Gesicht bekam eine tiefe Röte. „Jisathaaaaan...“, grollte sie wütend, während sie ihre Aura entfaltete.
Doch der Mensch war viel zu aufgeregt, um Selestins Wut zu registrieren. „Conrad, sie schmeißen mich von der Schule! Ich habe nichts getan, ich schwöre dir, ich habe nichts getan!“
Aufgelöst, wütend und knapp davor in Tränen auszubrechen, ließ sich der Prinz aus Agenfelt auf einem Stuhl nieder. Er rieb sich die Stirn und sah verzweifelt zu Boden. „Ich war es nicht. Ich hätte den Dämon doch nicht getötet, wenn ich ihn hätte beschwören lassen! Ich wäre dann nicht mal in der Nähe gewesen!“
Selestins Aura erlosch. Beinahe mitfühlend sah sie den Menschen an. Ihr Blick ging um Hilfe heischend zu Conrad.
Der seufzte tief und schwer. „Wir glauben auch nicht, das du es warst, Jisathan.“
Der Prinz sah erstaunt auf. „Conrad...“
„Du bist ein Weichling, ein Intrigant, ein Dummkopf der sich auf die Hilfe anderer verlässt und du lockst Leute, die du nicht allein besiegen kannst, in hinterhältige Fallen. Aber so dumm, einen Gehörnten beschwören zu lassen, das bist du nicht.“
„Danke für das Kompliment“, ächzte Jisathan auf seinem Stuhl. Mit einem wütenden Schnauben erhob er sich wieder. „Es tut gut zu wissen, dass du mir glaubst, Conrad. Letztendlich will ich nicht, das du mir so etwas zutraust.“ Sein Blick ging zu Conrad, und so etwas wie Wehmut trat in seine Züge. „Ich kehre in die Hauptstadt zurück. Ich denke nicht, das mir die Rückkehr erlaubt wird, jetzt wo der Direktor seinen Sündenbock hat. Ich dachte eigentlich ich hätte mehr Zeit, um mich darauf vorzubereiten, in dieses Schloss voller Intrigen und Meucheleien zurück zu kehren. Ich dachte, ich hätte noch zwei Jahre, aber...“
Wieder ließ der Menschenprinz den Kopf hängen. „Ich will nicht dahin zurück. Nicht so wie es jetzt dort ist. Aber... Aber ich kenne meine Pflicht. Ich weiß wie du es tun würdest, Conrad. Du würdest nicht aufgeben, im Gegenteil. Du würdest dir die Welt so formen wie du sie brauchst. Dein Beispiel wird mir vielleicht ein wenig helfen, auf Schloss Tirit-Alem zu überleben.“
Langsam ging Jisathan zur Tür. „Letztendlich habe ich dich immer verehrt und bewundert. Aber auch gehasst, weil es mir nie gelingen wird, so zu sein wie der großartige Conrad Waldek. Ich wusste, dass du Selestin niemals in Stich lassen würdest. Und ich wusste, das deine Freunde dir zu Hilfe kommen würden.“ Ein dünnes Lächeln spielte um seine Mundwinkel.
Durch Selestins Körper ging ein gut sichtbarer Schauder. „Heißt das etwa, du hast das inszeniert, damit dieser Dickkopf hier...“
„Aber du bist und bleibst ein Bauersjunge, Conrad Waldek, und einem Bauern sollte man nicht zu nahe kommen, damit seine Derbheit nicht auf einen abfärbt. Gehabt euch wohl, ihr zwei“, sagte Jisathan und winkte mit der Rechten.
Selestins Blick ging flehentlich zu Conrad.
Der seufzte tief und sagte laut: „Ich überlege hier schon die ganze Zeit, wie wir die Meinung von Direktor Davon ändern können. Ich habe einen Plan!“
Jisathan, schon halb zur Tür raus, wirbelte herum und kam ans Bett gestürzt. „Wirklich? Du hast einen Plan? Du kannst meinen Hals retten? Danke, Conrad, danke!“
„Aber es wird dir nicht gefallen“, orakelte der Jahrgangssprecher, während er mit der Linken den Menschenprinz davon abhielt ihn zu umarmen und mit der Rechten Selestin davon abhielt, ihm für diesen Versuch bei ihrem Conrad mit den Fingernägeln übers Gesicht zu fahren.
***
„Was habe ich damit eigentlich zu tun?“, fauchte Torandil Azet wütend. „Ich bin schwer verwundet und muss eigentlich das Bett hüten! Stattdessen sitze ich hier im Garten auf einer harten Steinbank, mitten in der Finsternis, und spiele Catt!“
Selestin gab ihm einen schmerzhaften Klaps auf den Hinterkopf. „Stell dich nicht so an. Es ist ja nicht so als wärst du am sterben. Die paar gebrochenen Knochen sind doch nicht weiter der Rede wert. Außerdem stören gebrochene Rippen nicht beim Catt.“
„Du hast ja auch nicht meine Schmerzen, Cousinchen!“, beschwerte sich der Gott. „Wenn dir so viele Rippen gebrochen worden wären, dann...“
„Du bist am Zug, Gott“, brummte Jisathan und deutete auf das Spielbrett zwischen ihnen. „Vergiss nicht, es geht hierbei darum, wer der zukünftige Catt-Hochmeister auf Burg Catrek sein wird.“
„Was? Oh, danke.“ Ärger huschte über Torandils Züge. „Warum gebe ich dir überhaupt diese Chance, Hm? Die Sache im Warenhaus ist nicht vergessen, hörst du?“
„Das hier war nicht meine Idee!“, fauchte der Menschenprinz zurück. „Conrad hat entschieden, das wir hier die Entscheidung suchen, solange ich noch auf der Burg bin! Und entschuldige, das ich heute dem gehörnten Dämon das Herz gespaltet habe, um dein Leben zu retten.“
„Das ist so nicht ganz richtig, Herr Prinz! Ich war da längst außer Reichweite!“, erwiderte Torandil heftig und machte seinen eigenen Zug. „Anhire vor den Toren. Deine Reiterei ist weit abgeschlagen. Wie willst du das wohl kontern?“
„Aber hätte ich den Dämon nicht getötet, hätte er dich und die anderen Verwundeten noch erreichen können, oder?“, konterte der Prinz und zog seinerseits. „Gepanzerte Kriegsochsen gegen deine Anhire. Drei Wurf darauf, ob die Rüstung hält!“
Der Gott ergriff die Würfel und ließ sie dreimal auf das Spielbrett fallen. Dann grinste er siegesgewiss. „Wir spielen doch drei Siege aus fünf Spielen, oder? Scheint so als wäre das hier mein Sieg.“
„Anhire vor den Toren sind noch kein Sieg!“, erwiderte Jisathan wütend, als er zwei Kriegsochsen vom Feld nehmen musste. „Ich habe immer noch die Plänkler in Reichweite!“
„Aber meine Kavallerie hat bald aufgeholt. Falls du nicht noch einen wirklich genialen Zug hast, dann steht es gleich zwei zu zwei.“
Selestin, die halb auf das Spiel und halb auf die Umgebung achtete, zischte eine kurze Warnung.
Der Gott und der Mensch sahen auf. Alarmiert musterten sie die Umgebung, und tatsächlich, bedrohliche Schatten kamen näher.
„Ich würde sagen, es ist ein doppeltes Matt“, sagte eine der Gestalten und trat in das Licht hinein. Er trug eine kunstvoll geschnitzte Maske aus Elfenbein, die aufwändig mit Goldfarbe bemalt war.
„Ein turemischer Assassine“, stellte Jisathan staunend fest. Er zählte kurz die huschenden Schatten durch. „Sechs turemische Assassinen?“
„Das erklärt einiges“, brummte Torandil. „Euch habe ich also meine gebrochenen Rippen zu verdanken?“
„Ein Irrtum unsererseits, wenngleich kein bedauerlicher. Wir werden Euch gleich von Euren Leiden erlösen, junger Azet.“
Die Maske wandte sich Jisathan zu. „Wir haben dir zu danken, kleiner Mensch. Du hast unsere Beute an einen guten Platz gelockt. Der Preis hierfür ist ein schneller, schmerzfreier Tod.“
Die Maske ruckte nun in Selestins Richtung. „Und um sicher zu gehen töten wir Euch zuerst, Lady Northim!“
„Seid Ihr jetzt überzeugt, Direktor?“, klang Conrads Stimme aus der Dunkelheit auf.
„Gut, gut, Jisathan hat wohl wirklich nichts mit der Beschwörung zu tun“, erwiderte die Stimme Davons irgendwo aus den Büschen heraus. „Seine Suspension ist aufgehoben.“
Die Attentäter sahen sich alarmiert um. Einer sprang fort, in die Büsche, wurde aber von einem Schlag gestoppt, der ihn mehrfach um die eigene Achse rotieren ließ, bevor er verdreht zu Boden ging. Mirk Farem trat ins Licht und rieb sich die schmerzende Faust. „Die Feier ist noch nicht vorbei.“
Ein anderer huschte auf die Gebäude zu. Der große Mensch Kitram Lorhest trat ihm in den Weg. „Nicht so eilig, guter Freund. Ich will noch meinen persönlichen Dank dafür aussprechen, das beinahe mein Prinz der Schule verwiesen worden wäre.“ Bedächtig und mit wütendem Blick zog er sein Schwert.
Zwei versuchten ihr Glück mit einem Sprung in die Büsche. Es raschelte als sie zwischen den Zweigen landeten, und ein dumpfer Laut entstand, als sie wieder aus den Büschen heraus geschleudert wurden und hart zu Boden fielen. Livon Azet trat aus diesen Büschen hervor. „Das kommt davon, wenn man es zu eilig hat, seine Beute zu sicher glaubt und die Falle nicht erkennt, die einem gestellt wird.“ Ein düsteres Lächeln umspielte seine Züge.
Der Anführer der Attentäter mit der kunstvollen Assasinenmaske sah sich umstellt, denn nun traten nicht nur der Direktor und Waldek vor ins Licht, sondern auch weitere Kadetten des letzten Jahrgangs sowie die Freunde und Mitläufer des Menschenprinzen.
Hastig begann er mit einer magischen Formel, die ihn in Sicherheit bringen sollte, als ein merkwürdiger Feuerschein auf seine Maske fiel. Er sah zur Seite.
Selestin schien in Flammen zu stehen, so kräftig war ihre Aura. In ihrer rechten Hand sammelte sich ein Feuerball, der immer größer wurde. „Es war ein großer Fehler, Torandil zu verletzen!“, knurrte sie angriffslustig. Dann entließ sie ihre geballte Magie.
***
Mit einem flüchtigen Lächeln sah Direktor Davon von seinem Fenster aus in den Innenhof. „Die nächste Generation Herrscher wird wohl endlich eine Generation des Friedens einläuten.“
„Frieden!“, knurrte Livon Azet. „Frieden bedeutet unbezahlte Söldner, die dann anfangen zu plündern und zu morden. So wie unser feines Piratennest.“
„Was willst du denn? Während ihr sie zu Lande abgelenkt habt, während Conrad sie dezimiert hat, konnte die Marine Schiffe landen und mit dem Gesindel aufräumen.“ Hygar Davon lächelte. „Diese Strategie hätte Conrad sicherlich gefallen. Ich freue mich schon darauf, es ihm zu sagen. Was die andere Sache angeht, alter Freund...“
„Ich weiß“, murrte der Gott. „Die Attentäter waren natürlich hinter Selestin Northim her. Ihr Anführer, oder vielmehr das, was Selestin von ihm übrig gelassen hat, stammt aus dem Wildur-Clan, einer bedeutenden Familie, der Ambitionen auf den Thron nachgesagt werden. Wie sie hier rein kommen konnten, weiß ich allerdings nicht.“
Arith Tarnel fühlte sich verpflichtet, etwas dazu zu sagen. „Wie ihr alle wisst, schützt eine magische Sphäre Burg Catrek gegen Eindringlinge. Sie wurde nicht penetriert, also müssen sie ganz normal durch die Tore marschiert sein.“
„Wohl eher geschlichen als marschiert.“ Der Direktor sah Logg Andei an. „Weißt du, was geschehen ist, alter Freund?“
Der Philosophie-Lehrer nickte ernst. „Es scheint, das sie sich zwischen einer Warenlieferung versteckt haben. Diese Lieferung kam vor zwei Tagen an. Das ist gerade genug Zeit um ihre Spuren, und die leeren Fässer in denen sie sich versteckt haben, nicht zu entdecken. Danach machten sie sich sofort daran, die Falle aufzustellen. Als diese fehlschlug, waren sie schon auf dem Weg die Burg zu verlassen, aber Conrad Waldeks Manöver präsentierte Lady Northim zu verlockend für sie, als dass sie widerstehen konnten. Eine großartige Strategie, und durch die Anwesenheit Jisathans wurde die Situation für sie glaubwürdig.“
„Und Conrad glaubt immer noch, die Attentäter waren hinter Torandil her?“, fragte der Major argwöhnisch. „Will ihn nicht mal jemand aufklären, worauf er sich eingelassen hat?“
Der Major bemerkte argwöhnisch, dass für die beiden Lehrer und den Direktor plötzlich Decken und Wände äußerst interessant waren. „Dann eben nicht.“
„Keine Sorge. Es wird sich bald alles von selbst erklären. Ich erwarte Besuch von einer Gastdozentin.“ Ein dünnes Lächeln lag auf den Zügen des Dämons.
Livon Azet spürte, wie ihm kalter Angstschweiß auf die Stirn trat. „Oh nein, Hygar, alter Junge, bitte sag mir nicht, du hast... Sie eingeladen?“
„Was hast du gegen die schönste Frau auf dieser wunderschönen Welt?“, fragte der Dämon freundlich.
„Wenn ich gleich anfange, bin ich gegen Mittag mit aufzählen fertig“, erwiderte er bissig. „Wie kannst du Conrad das antun? Bisher dachte ich, du magst ihn!“
Wieder sah der Direktor in den Innenhof hinab. „Oh ja, das tue ich. Sehr sogar, deshalb versuche ich ja auch ihn ab zu härten, wo immer ich kann.“ Mit wohlwollenden, freundlichen Augen sah er auf den jungen Menschen hinab, der mit seinen Freunden auf einer Steinbank saß und die Sonne genoss.

Conrad fühlte sich beobachtet. Beobachtet, gelobt und getadelt gleichermaßen. Er sah auf, aber er konnte niemanden entdecken, der ihn heimlich musterte. Dafür erkannte er Jisathan samt Gefolge, der in ihre Richtung kam.
„Der schon wieder!“, zischte Selestin wütend. „Ich wünschte, die Erde würde sich auftun und ihn verschlingen.“
„Gestern hast du noch mit Tränen in den Augen darum gebettelt, das wir ihm helfen“, tadelte Torandil.
„Wer hat gebettelt?“, rief sie aufbrausend.
Abwehrend hob der Gott beide Arme. „Halt, halt! Meine Knochen sind gerade erst wieder geheilt, Mädchen!“
Halb besänftigt setzte sie sich wieder und rückte dabei so weit zu Conrad herüber, das sie sich an ihm anlehnen konnte.
Mirk beobachtete die Szene mit einem Lächeln. Aber es wirkte nicht ganz echt und er war nicht wirklich ganz mit den anderen auf dieser Bank. „Zwei Assassinen zugleich. Ich weiß nicht wie er das geschafft hat. Der Mann gehört nicht nur der Götterrasse an, er ist auch einer.“
„Kannst du mal aufhören von Major Azet zu schwärmen? Das ist ja peinlich. Warum heiratest du ihn nicht gleich?“, bemerkte Conrad amüsiert.
„Was? Ich und der Major? Heiraten? Oh, ganz in weiß, das wäre schön!“, quiekte Mirk vergnügt und legte dabei beide Hände vor seinen verzückt verzogenen Mund.
Als er das Entsetzen der anderen bemerkte, grinste er sie wölfisch an. „Das liebe ich an euch. Man kann euch so leicht dran kriegen.“

Mittlerweile hatten Jisathan und Gefolge sie erreicht. Der Prinz hielt einem seiner Gefolgsleute auffordernd die Rechte hin, und der legte ein Catt-Brett hinein. Kitram auf der anderen Seite hielt einen Beutel, der die Figuren und Würfel enthielt. „Wir machen da weiter, wo wir gestern aufgehört haben, Torandil Azet! Du hast doch hoffentlich noch die Aufstellung im Kopf? Nicht das ich dir unterstellen würde, das du das Brett absichtlich umgeworfen hast, als Selestin ihren Feuerball geschleudert hast, damit ich meine Plänkler vergesse.“
„Wie kommst du denn darauf? Natürlich wusste ich, dass du das Spiel ebenso wie ich komplett im Kopf hast“, erwiderte der Gott mit einem gefährlichen Grinsen.
Conrad als aufmerksamer Beobachter konnte allerdings von seiner Position sehr gut sehen, wie sich seine Hände verärgert zu Fäusten ballten.
„Komm, wir machen ihnen ein wenig Platz zum spielen“, sagte Conrad und zog Selestin mit sich auf die Beine. „Kitram, auf ein Wort.“
Diese Worte zogen die Aufmerksamkeit des Menschenprinzen auf den Jahrgangssprecher. „Conrad Waldek, damit du es nur weißt! Was ich gestern gesagt habe war nur eine vorübergehende Schwäche! Das habe ich nicht ernst gemeint! Du bist und bleibst ein Bauersjunge, der...“
Conrad trat amüsiert einen Schritt vor und tätschelte den schwarzen Haarschopf des Prinzen ausgiebig. „Ich habe dich ja noch gar nicht dafür gelobt, was du gestern Abend geleistet hast, Jisathan. Das hast du sehr gut gemacht. Ich bin wirklich stolz auf dich.“
Der Prinz sah Conrad aus wässrigen, verzückten Augen an. „Großer Bruder...“
„Und jetzt habe deinen Spaß mit Torandil!“
„Ich werde gewinnen!“, versprach der Prinz von Agenfelt aufgeregt.

Conrad nickte dazu wohlwollend, dann zog er Selestin und Kitram Lorhest mit sich.
Schnell war er mit ihnen auf dem Kutschhof. „Kitram, mein Bester, was die Sache neulich im Alten Warenhaus betrifft... Hat Jisathan das Ganze vielleicht arrangiert, um mich mit Selestin zusammen zu bringen? Ich hatte die Schriftrolle jedenfalls bei mir, und trotzdem hatte sie ein eigenes Exemplar.“
Der große blonde Mensch mit den zerwühlten Haaren räusperte sich lautstark. „Du musst verstehen, Conrad, das Jisathan eine sehr schwere Kindheit hatte. Er ist einerseits ständig vom Tode bedroht gewesen, andererseits aber hatte er nie wirkliche Freunde. Er kann nicht so gut mit anderen. Und als ihr beide so oft aneinander geraten seid, obwohl er es gar nicht wollte, als er merkte, das seine eigene Arroganz ihm wieder und wieder im Weg war, da...“ Kitram hob seufzend die Schulter. „Es ist halt seine Art.“
„Oh, ich bin sicher, dass er in all der Zeit wenigstens einen Freund hatte.“ Conrad legte eine Hand auf Kitrams Schulter.
„I-ich bin nicht würdig, mich seinen Freund zu nennen“, haspelte der zukünftige Minister hervor.
„Das zu entscheiden überlasse deinem Prinzen“, tadelte der Jahrgangssprecher mit einem Lächeln.
„Und was dich angeht, Selestin...“
„Mich?“, rief sie entsetzt.
„Bei der Sache im Warenhaus, mein Schatz, warst du nicht sehr nachdrücklich mit Jisathan und seinen Leuten. Während der Schlacht mit den Piraten hast du gezeigt, dass du im Warenhaus nicht einmal einen Bruchteil deiner Kraft benutzt hast.“
„I-ich bin sanft mit ihnen umgegangen! Immerhin sind sie auch nur Kadetten und...“
„Und du hast gewusst oder zumindest geahnt, das Jisathan das ganze inszeniert hatte, oder?“
Aus tränenüberströmten Augen sah sie den Menschen an. „Ich habe es mir gedacht... Hasst du mich jetzt?“
Conrad ergriff ihre Hände und zog sie näher zu sich heran. „Ich liebe dich nicht weil du mich im Alten Warenhaus gerettet hast. Ich liebe dich, weil es dich gibt.“
„Conrad...“, hauchte sie und schmolz dahin wie Butter im Ofen.
Kitram räusperte sich verlegen und begann damit, sich diskret zurück zu ziehen. Obwohl die beiden mitten auf dem Kutschhof sicherlich nicht wirklich alleine waren.

Als die zweispännige Kutsche auf den Innenhof galoppiert kam und mit quietschenden Bremsen hielt, sah Conrad kurz auf. Sehr zum Ärger von Selestin, die beinahe einen Kuss erhalten hätte.
„SELESTIN!“, rief eine freudige Mädchenstimme. Die Tür der Kutsche wurde aufgestoßen, lange bevor der livrierte Diener sie öffnen konnte, und ein junges Mädchen mit langem, blonden und glatten Haar sprang heraus. Sie trug die Kadettenkleidung, und sie stand ihr ganz hervorragend.
Conrad bemerkte irritiert, wie Selestin zu zittern begann. Und wenn er genauer hinsah, dann ähnelte das herbei eilende Mädchen Selestin bis auf kleine Details wie das Haar wie ein Ei dem anderen.
„Ist das deine große Schwester?“, riet Conrad.
Ein Blitzen ging über die Augen der neu angekommenen jungen Frau. Sekunden darauf ruhte Conrads Gesicht auf ihrem Busen, während sie ihr Bestes tat, um ihn zu Tode zu umarmen. „Oh, große Schwester, was bist du nur für ein Schelm, Conrad Waldek. Wenn Selestin dich nicht so toll finden würde, dann würde ich dich als Freund haben wollen!“
„Was trägst du auch die Kadettenuniform!“, tadelte Selestin. „Da muss man dich ja verwechseln!“
Das neu angekommene Mädchen ließ Conrad fahren und sah die Göttin traurig an. „Steht sie mir etwa nicht? Und ich war so stolz darauf, das ich noch hinein gepasst habe.“
„Darum geht es doch gar nicht. Natürlich steht sie dir, aber du warst hier nicht nur Kadettin, sondern auch Lehrerin! Darfst du sie überhaupt tragen?“
„Ach, meinst du, nur ihr jungen Dinger dürft so viel Bein zeigen? Zu meiner Zeit hat man den Rock aber noch um einiges kürzer getragen, aber ihr werdet ja eher konservativer in diesen Tagen.“
„MUTTER!“, rief Selestin entrüstet.
„Mutter?“, echote Conrad. „MUTTER?“
Als Ergebnis seines Ausrufs umarmte sie ihn erneut und drückte ihn wieder auf ihre Brust. „Du bist so ein süßer Junge, Conrad. Du nennst mich ja schon Mutter. Das finde ich so niedlich. Mein Halbjahr als Gastlehrerin fängt ja wirklich phantastisch an.“
„Halbjahr? Gastlehrerin?“, hauchte Selestin mit Angst in der Stimme.
„Und vielleicht noch ein wenig länger, nicht wahr, Taramia Northim?“
„Und vielleicht ein wenig länger“, erwiderte die Göttin und ließ Conrad erneut fahren. Dann umarmte sie Direktor Hygar Davon und seine Begleiter herzlich. „Oh, es ist ja viel zu lange her!“
Davon raunte ihr leise zu: „Gefällt Conrad dir wirklich so gut? Machst du es ihm etwa leicht?“
Die Göttin verzog ihr Gesicht zu einem spöttischen Lächeln. „Oh ja, er gefällt mir sogar sehr gut. Aber von leicht machen habe ich nie geredet.“
„Der arme Junge“, murmelte der Dämon. Aber es klang eher amüsiert als mitfühlend. Gut, das Conrad die geflüsterten Stimmen nicht hatte hören können.

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Es war finstere Nacht. Eine Nacht wie Assasinen sie bevorzugten, sollte man meinen, aber das war der Standpunkt von Amateuren. Das waren auch die gleichen Dummköpfe, die glaubten, man würde einen schwarzen Schatten nachts nicht dahin huschen sehen. Gewiss, tiefschwarze Nacht hatte ihre Vorteile, denn man wurde schlechter gesehen, gerade wenn man ein ausgebildeter Mörder war. Aber zu dieser Tageszeit ruhte die Aktivität, und jedes Geräusch das erklang, erschien dreimal so laut wie am Tage, und Dutzende Ohren hörten feiner als die Hunde.
Wie schön war es doch am Tage, wenn die Pferde auf der Straße wieherten, der Schmied sein heißes Eisen anschlug, die Nachbarsweiber miteinander schwatzten – in so einer Kulisse hörte man das leise Geräusch eines mit der Armbrust abgeschossenen Pfeils einfach nicht. Oder den Dolch, der von hinten in einen Körper fuhr. Der Assasine bevorzugte den Tag und eine gute Verkleidung, die ihn schneller mit der Menge verschmelzen ließ als schwarze Sachen, die ihn ohnehin auffällig machten. Der Assasine hatte vom Assasinenkult der Götter auf Turem gehört, einer fanatischen Bande von Mördern, die morden zu einer neuen Kunst erhoben zu haben glaubten. Sie schmückten sich mit kostbaren weißen Masken aus Marmor oder lackiertem edlem Holz, das aufwändig mit Gold und Silber bemalt war. Sie nannten diese Masken Gesichter des Todes, denn wer die Maske sah, der lebte nicht mehr lange.
Über so ein Gebaren konnte der Assasine nur milde lächeln. Solch eine Maske machte einen Mann genauso schnell zur Zielscheibe wie eine schwarze Gestalt, die nach einem Mord in einer schummrigen Kneipe aufgefunden wurde.
Gut, gut, er hasste die Nacht nicht völlig. Immerhin war es oftmals nötig, in der Nacht zu zu schlagen. Zum Beispiel wenn der Agenfelter Kronprinz überraschend nach Hause gerufen wurde und eine anstrengende Reise hinter sich hatte und nun todmüde in seinem weichen Bett in einem Rasthaus schlief, dann war die Nacht ein guter Freund, denn Schlafende wurden so leicht nicht geweckt. Vor allem nicht zwei oder drei Stunden, bevor ihre Reise weitergehen musste.
Der Assasine gestattete sich ein dünnes Lächeln. Es war zwei Stunden, bevor die Kutsche weiter fuhr, und der Kronprinz war in dieser Herberge. Ein kurzer Blick in das Register des Wirts hatte auch das Zimmer offenbart, in dem seine Hoheit nun selig schlummerte. Es war beinahe zu einfach.
Denn wenngleich Jisathan in Burg Catrek nahezu unangreifbar war, in Agenfelt gab es andere Gesetze. Und sein Auftraggeber war dabei, ihm eines dieser Gesetze näher zu bringen, das über die Macht und den, der sie hatte. Es würde eine kurze Lektion werden.
Der Assasine erreichte die Tür des Kronprinzen, ohne einen unnötigen Laut zu verursachen. Langsam drehte er den Türknauf, und tatsächlich, der Riegel war nicht vorgeschoben worden. Leise öffnete er die Tür und trat wie ein huschender Schatten ein.
Ein einziges großes Bett dominierte den Raum. Zwei Körper lagen darauf. Einer dicht verstrickt unter den weißen, warmen Laken, ein anderer daneben, das eigene Deckbett zu Boden gestrampelt. Es war eine junge Frau, beinahe ein Mädchen, das in einem viel zu kurzen Nachthemd selig wie ein Engel schlief. Das musste seine Mätresse sein. Nun, das arme Ding würde sicher nicht ans Ziel ihrer Träume kommen, an einem Königshof leben und im Luxus schwelgen können . Im Gegenteil. Ihr Traum starb hier und jetzt mit ihrem Herrn. Langsam griff der Assasine mit der Linken nach den Laken, während er mit der Rechten den Dolch stoßbereit empor hielt. „Triff deinen Schöpfer, Jisathan!“, zischte er, wie sein Auftraggeber ihm aufgetragen hatte, dann riss er die Decke fort.

Ein spitzer Frauenschrei und eine nachfolgende Explosion riss Conrad Waldek aus seinem ohnehin nur flachen Schlummer. Er griff sofort zu seinem Schwert und stürmte auf den Flur, dem Schrei nach. Ihm folgte Mirk Farel, der sich mit ihm den Raum geteilt hatte. Jisathan von Tirit-Alem und sein Gefolgsmann Kitram Lorhest eilten aus einem zweiten Zimmer herbei, während Torandil Azet mit seinem Onkel Livon aus einem dritten Raum kam. Sofort eilte Conrad zu dem Zimmer, aus dem der Schrei ertönt war, lief hinein und blieb entsetzt stehen. Nicht unbedingt wegen der vollkommen verrußten Gestalt, die sich in Krämpfen am Boden wand, nicht unbedingt wegen der zornigen Selestin, die einen Feuerball manifestiert hatte, der den Fußboden durchschlagen konnte, und danach immer noch genügend Kraft hatte um sich bis in den Keller zu bohren.
Nein, es war Taramia Northim, Selestins Mutter, die entsetzt auf dem Bett saß, und sich nur ihr Laken sehr notdürftig und ungeschickt an den nackten Körper presste. Um ihre Fingerspitzen britzelten noch immer die Reste taumatischer Energie des Feuerballs, mit dem sie dem Attentäter den Knock out gegeben hatte. Dabei machte sie ein Gesicht, als wäre der Horror, den sie selbst produziert hatte, von jemand anderem verbrochen worden. „Livon...“, hauchte sie, stand im gleichen Augenblick direkt neben dem Major aus Roem, und umklammerte ihn. „Dieser Schuft wollte mich nackt sehen. Ich habe es gemerkt, als er an meiner Decke zog. Oh, ich habe mich ja so erschrocken.“
„Und der erstmal“, murmelte Mirk und richtete mit einem nervösen Hüsteln ein Stück des Lakens über die ansehnliche Kehrseite der neuen Gastdozentin von Burg Catrek.
Livon Azet hatte sich mehr oder weniger in sein Schicksal ergeben und hielt die Göttin seinerseits im Arm. „Es ist ja alles gut. Ich bin sicher, der Bursche hat seine Lektion gelernt und wird nie wieder versuchen, eine schöne Göttin gegen ihren Willen zu sehen wie die Schöpfer sie erdacht haben.“ Ein dünnes Lächeln huschte über sein Gesicht. „Verstehen kann ich ihn ja, Taramia.“
„Oh, Livon, du Schelm“, tadelte sie in einem neckischen Tonfall und klopfte dem großen Gott mit der flachen Hand gespielt auf die breite Brust.
Conrad indes, der als einziger der anderen nicht darauf hoffte, dass Taramia vielleicht doch wieder den Zipfel des Lakens fallen ließ der sie nun verhüllte, kniete neben dem Mann und sah ihm in die Augen. Dann blickte er zu Selestin herüber, die sich nur mühsam beherrschen konnte, um ihren Feuerball nicht zu werfen. „Geht es dir gut?“
„Was? Ja, mir ist nichts passiert. Es war wohl der Schreck, der mir zu schaffen machte. Plötzlich stand er da mitten im Raum, und bevor ich mich versah, da hatte Mutter ihn schon nach Strich und Faden fertig gemacht. Eigentlich ist er eine ganz arme Sau“, murmelte die Kadettin und ließ die Energie des Feuerballs wieder versiegen. Eine kleine Zornesader pochte auf Selestins Stirn, als sie zu Taramia sah und das Schauspiel bemerkte, welches diese provozierte. „Mutter! Ich habe dir gesagt, du sollst nicht nackt schlafen!“
„Aber es ist doch so heiß in Agenfelt“, murrte sie. „Und wir waren so lange in der Kutsche unterwegs, da habe ich mir doch alles wund gesessen. Wie kannst du da von mir verlangen, schon wieder Kleidung zu tragen. So ein Laken ist doch viel angenehmer und so streichelzart auf der Haut. Ich wundere mich, wie ihr das in Agenfelt macht, Jisathan.“
Der Prinz räusperte sich vernehmlich und wurde sich bewusst, worauf er die ganze Zeit gestarrt hatte. „Äh, nun, diese Art von Stoff machen wir von Seidenspinnern. Besonders im Sommer sind sie wunderbar kühl und doch wärmend zugleich. Wir exportieren sie ins Ausland, aber es scheint, Turem haben sie noch nicht erreicht. Die Nachfrage ist eben größer als die Seidenspinnerfarmen“, murmelte er und versuchte auf rhetorisch sicheres Gebiet zurück zu finden.
„Weißt du eigentlich, wie viel Aufmerksamkeit deiner Schüler du auf dich ziehst? Von Major Azet ganz zu schweigen“, brummte Selestin böse.
„Du hast ja leicht reden. Du hast einen Freund. Einen großen, stattlichen, tapferen Burschen. Aber ich, alt und grau und ganz alleine auf der Welt muss doch für jeden Funken Aufmerksamkeit dankbar sein, den ich in meinem hohen Alter noch erhaschen kann“, murrte sie.
Dies nahmen die Männer um Mirk zum Anlass der Lehrerin zu versichern, dass sie eine wahre, blendende Schönheit war, die ihresgleichen suchte. Im Prinzip genau zwei Meter bis zur am Boden knienden Selestin, denn wenn man einmal davon absah, dass die Mutter ihr Haar lang und glatt trug, schienen die beiden wie zwei Seiten eines Spiegels zu sein. Auch im Charakter waren sie sich mehr als ähnlich, wenngleich keine der beiden das freiwillig zugeben würde.
„Alles klar, alle Männer raus hier“, sagte Conrad fest, griff nach dem Kragen des Attentäters und hob ihn ohne sichtbare Kraftanstrengung hoch. Dann scheuchte er die anderen Männer in den Gang hinaus. Major Azet folgte schließlich auch, nachdem Conrad seine Brille die Nase zurück geschoben und ihm einen Blick mit gerunzelter Stirn zugeworfen hatte.
„Das ist das Zeichen, meine Liebe. Ich werde wohl für eine lange Zeit auf das Vergnügen verzichten müssen, dich in den Armen zu halten, werte Taramia.“
„Aber, Livon, was bist du doch für ein kleiner Frechdachs“, tadelte sie ihn mit einem Kichern.
Der Major lächelte sie an und nickte ihr sowie Selestin noch einmal zu. „Wir werden ab sofort Wache an der Tür halten, meine Damen. Schlaft weiter, so gut ihr es könnt. Wenn es sein muss wecke ich den Wirt und lasse ihn kühlen Wein bringen, der euch beim einschlafen helfen wird.“
„Ich danke für deine Fürsorge, Livon“, erwiderte Taramia. „Servierst du den Wein persönlich an meinem Bett?“
„Mutter!“, tadelte Selestin erneut und schloss die Tür.
Kurz darauf konnte man die beiden zusammen lachen hören.

„Na, die haben sich ja schnell vom Schrecken erholt. Bei denen ist wohl alles in Ordnung“, murmelte Conrad. „Torandil, du bewachst die Tür als erster. Ich werde dich in einer Stunde ablösen. Alle anderen folgen mir erst einmal in den Gastraum.“
„Menno. Wieso muss ich hier bleiben und ihr geht alle runter?“, murrte der Gott.
„Weil du von Turem kommst und am wenigsten über Agenfelt weißt. Du kannst dir später alles was wir besprechen von mir erzählen lassen. Ist das logisch?“
Widerwillig nickte Torandil. „Logisch und fies. Miiirk!“
„Was schaust du mich an? Torangar ist kein direkter Nachbar von Agenfelt, aber wir haben eine große Handelsstraße zwischen unseren Nationen. Ich werde gebraucht.“
„Jisathaaan.“
„Dumme Idee. Ich bin hier der Kronprinz. Ich weiß am meisten über die Gegend.“
„Major Azet...“
„Keine Chance, Kleiner. Ich bin Soldat der Armee, deren Land direkt an Agenfelts Nordgrenze liegt.“
„Kitram?“, fragte der Gott ohne große Hoffnung.
Der große Blondschopf mit den unordentlichen Haaren hüstelte verlegen. „Zufällig bin ich Experte für Meuchelmörder.“
„Schon klar, schon klar. Dann verzichtet eben auf meinen messerscharfen Verstand, auf meine Kombinationsgabe und auf mein immenses, ich betone: immenses Wissen!“ Schmollend wandte er sich ab und verschränkte die Arme vor der Brust.
Seufzend meinte Conrad: „Wie auch immer. Kommt, Herrschaften.“ Er sah kurz zu Torandil zurück. „Übrigens, ich würde mir an deiner Stelle lieber ein Schwert besorgen. Oder willst du Selestin und Taramia mit bloßen Händen verteidigen?“
Der Trotz im Blick des Gottes verschwand und machte Verlegenheit Platz. „Ach ja. Gute Idee, Conrad. Hey, wenn ich dich nicht hätte.“ Eilig hastete er fort, um sein Schwert zu holen.

Die Gaststube war hell erleuchtet, der Wirt und andere Gäste aus dem Erdgeschoss hatten sich hier zusammengefunden bei all dem Lärm und der Unsicherheit. Als sie Jisathan die Treppe hinabsteigen sahen, fielen sie vor ihm auf ein Knie.
Der Prinz selbst, nur in ein Nachthemd gekleidet, um das er seinen Schwertgurt gelegt hatte, winkte erschrocken ab. „Steht auf, gute Leute, erhebt euch! Ich bin inkognito hier, also eigentlich gar nicht da!“
„Natürlich, Hoheit, natürlich. Aber bei all dem Krach haben wir uns natürlich gefragt, was da oben vor sich geht. Und bevor wir nachschauen konnten, kamt Ihr schon mit Euren Gästen herab.“ Ein ängstlicher Blick traf den Prinzen. „Hoheit, Ihr seid unverletzt?“
Conrad hob den Attentäter hoch. „Der hier hat es nicht bis zu ihm geschafft.“
Ehrfürchtiges Raunen ging durch die neun Anwesenden.
Major Azet räusperte sich. „Wir wollen ihn vernehmen. Können wir den Schankraum dafür nutzen?“
„Natürlich, Herr Major. Natürlich. Wünscht Ihr auch, dass ich den Konstabler rufe?“
„Es kann nicht schaden, den hier der Obrigkeit zu übergeben“, sagte Conrad mehr um der Sache willen. Insgeheim befürchtete er, dass der arme Teufel hier auf Wochen sein Lager nicht würde verlassen können.
„Natürlich. Ich arrangiere alles weitere. Und ihr, steht nicht so rum! Macht Platz für Jisathan und seine Gäste!“
Die anderen traten zur Seite. Als der Kronprinz sie passierte, neigten sie mit allen Zeichen der Verehrung ihre Häupter und murmelten leise Phrasen der Bewunderung, wie Conrad irritiert feststellte.

Azet schloss hinter ihnen den Riegel. „Wenn wir leise sind, werden sie uns nicht hören. Die Wände sind dick“, sagte er und deutete auf einen großen Tisch. „Leg ihn dort ab, Kadett.“
Ohne sichtbare Mühe drapierte Conrad den Meuchelmörder. Azet trat hinzu und sah ihm in die Augen. „Bewusstlos. Taramias Feuerball hat ihn vollkommen wehrlos gemacht. Auf Tage wird er nicht erwachen und auf Wochen nicht sprechen können. Die Magie hat seinen ganzen Körper von innen nach außen und von außen nach innen gekehrt.“
„Was zu erwarten war von einer Magierin vom Kaliber unserer Lehrerin“, murmelte Kitram ehrfürchtig und schüttelte sich, als ein kalter Schauder über seinen Rücken ging.
Conrad setzte sich an den Tisch, und die anderen folgten seinem Beispiel. „Mir scheint es eine gute Idee gewesen zu sein, das beste Zimmer den Damen zu überlassen. Du hättest einen so heimlichen Angriff jedenfalls nicht überlebt“, spottete Conrad in Jisathans Richtung.
„Conrad“, murmelte der Prinz betreten.
Der Jahrgangssprecher lächelte kurz, wurde aber schnell wieder ernst. „Da sind wir gerade mal zwanzig Meilen tief nach Agenfelt gekommen, und schon gibt es den ersten Anschlag auf dein Leben, Jisathan.“
„Den Angriff dieser Räuber nicht mit gerechnet“, wandte Mirk ein.
„Oder das Gift, das uns der Wirt des letzten Gasthauses unwissentlich mit dem besonderen Wein aus Agenfelt serviert hat, den er selbst erst vor Stunden billig erworben hatte“, fügte Kitram hinzu.
„Und beide Male waren es die Frauen, die den Feind in die Flucht geschlagen oder das Gift entdeckt haben“, sagte Jisathan vergnügt. „Und du wolltest sie nicht mitnehmen, Conrad.“
„Zugegeben“, murmelte der große Waldek. „Aber es bereitet mir immer noch Magenschmerzen, nicht nur Selestin, sondern auch ihre Mutter zu gefährden.“
„Dann hättest du die beiden auf Burg Catrek lassen sollen. Aber du hattest ja nicht genügend Mumm in den Knochen, um sie abzuwehren. Und kaum hattest du Selestin erlaubt uns zu begleiten, war Taramia dabei.“ Mirk grinste verzückt. „Nicht, dass ich da etwas gegen habe.“
„Die Gefahr in der sie schweben macht dir gar nicht zu schaffen, oder?“, fragte Conrad bitter.
„Die einzigen die hier in Gefahr schweben sind Räuber und Attentäter, die mit Taramia aneinander geraten“, erwiderte Mirk trocken, und die anderen Anwesenden nickten zustimmend.
Jisathan druckste verlegen. „Großer Bruder, es... Vielleicht war es eine dumme Idee von mir, dich zu bitten, mich zu begleiten. Ich wusste, das so etwas geschehen würde. Ich wusste, dass sie wieder versuchen würden mich zu töten und...“
„Und genau deswegen war es richtig mich zu fragen“, sagte Conrad streng. „Mich und die anderen.“
Es war nicht einmal einen Tag her, da hatte der Kronprinz von Agenfelt den Befehl seines Vaters erhalten, so schnell es ging nach Schloss Tirit-Alem zurück zu kehren. Einer solchen Anordnung widersetzte man sich nicht, also war Jisathan aufgebrochen. Aber anstatt sein übliches Gefolge mitzunehmen hatte er sich entschieden, die besten der besten Catreks einzuladen. Für ihn war es ein besonderer Glücksfall, dass Livon Azet ebenfalls seine Teilnahme zugesagt hatte, nachdem sich Taramia ihren Platz in der Gruppe erstritten hatte. Zwei weitere Tage würden noch folgen, bevor sie jenes Schloss erreichten, von dem aus der König das ganze Riesenreich lenkte und dirigierte – mitten hinein in das Schlangennest aus kaiserlichen Verwandten, Baronen und Grafen, Kurfürsten und designierten Rittern sowie einer Reihe ehelicher und unehelicher Geschwister Jisathans.
Und alle vereinigte vor allem eines: Der Gedanke daran, dass ein jeder von ihnen ein König werden konnte, wenn nur die Thronfolge etwas ausgedünnt worden war.
Und in diesen Höllensumpf war Jisathan zurückbefohlen worden, und hatte bereits bitter zu kosten bekommen, was ihn erwartete.
Der Prinz ließ den Kopf hängen. „Und ich dachte, ich hätte noch Ruhe vor dem, was vor mir liegt. Gift im Essen, störrisch gemachte Reitpferde, Attentäter vor meinen Fenstern und in meinen Schränken, harmlose Tanzeinladungen, die sich als Sixtett mit Schwertern entpuppen, lächelnde Damen, die mit rechts den Fächer und mit links den Dolch halten... Warum bringen sie sich nicht alle gegenseitig um und lassen mich dafür in Ruhe?“
„Weil Ihr, Hoheit, der Erbe dieses Landes sein werdet. Und Agenfelt ist ein Juwel, das zu besitzen sich lohnt. Die Armee ist groß und gut ausgebildet und die Verwaltung auf dem neuesten Stand der Entwicklung. Selbst ein ausgemachter Dummkopf muss erhebliche Mühen aufbringen, um es herunter zu wirtschaften“, schloss Kitram Lorhest seinen Vortrag und erntete dafür von Mirk spontanen Applaus.
„Du bist die Nummer eins auf der Liste. Wenn du tot bist, kommt einer deiner Geschwister an die Reihe. Gibt es die nicht mehr, dann deine Halbgeschwister. Danach die Verwandten und dann die Kurfürsten, Barone und Grafen. Es wundert mich ehrlich gesagt auch, dass Tirit-Alem noch nicht entvölkert ist, denn jeder scheint dort Grund und Gelegenheit zu haben, den einen oder anderen Konkurrenten los zu werden“, sagte Conrad.
„Ganz so einfach ist es nicht. Attentate sind eher selten auf der Burg, denn mein Vater hat über den ganzen Ärger dieser Politik die Sippenhaft eingeführt. Wird ein jeder eines Attentats überführt oder beim Versuch gestellt, drohen ihm je nach Schwere der Tat Kerker oder Galgen. Seine Familie aber fällt zehn Jahre in Ungnade und darf das Schloss in dieser Zeit nicht aufsuchen und niemanden in den Rat der Grafen entsenden. Das ist der Grund, warum es nur einige wenige Morde auf dem Schloss gibt, denn sie müssen perfekt sein, auf das man den Auftraggeber nicht ermitteln kann. Oder das Ziel muss lohnend genug sein“, murmelte Jisathan.
„Ein Kronprinz zum Beispiel?“
„Ein Kronprinz zum Beispiel, Mirk Farel.“
„Oder eine gute Gelegenheit, wie in einer Herberge nach einer erschöpfenden Reise. Oder beides“, stellte Conrad fest. Er schnaubte leise. „Nun, da wissen wir wenigstens woran wir sind. Ich nehme an, dieser hier wird uns nicht sagen können, wer ihn beauftragt hat?“
Kitram, der Conrads Blick auf sich ruhen fühlte, sprang erschrocken auf. „N-nun, nein, sicher nicht. Denn aufgrund der Sippenhaft hat sich ein vollkommen neuer Berufszweig in Agenfelt etabliert, die Mördergilde. Sie nehmen Gold für ihre Aufträge, kennen aber den Auftraggeber nicht. Deshalb können nur die Mörder selbst bestraft werden, wenn man sie fängt. Auf die Mitglieder und Höheren der Gilde sind natürlich hohe Kopfgelder ausgesetzt, aber man konnte ihrer bisher nicht habhaft werden.“
Es klopfte an der Tür, und nach dem lauten Herein Azets betrat der Wirt den Raum. „Der Konstabler wäre nun da, Hoheit.“
„Er kann den Mann mitnehmen. Mehr bleibt uns nicht zu tun“, erwiderte Jisathan.
Der Wirt nickte, verneigte sich und sprach mit jemandem außerhalb des Raums.
Daraufhin trat ein großer, kräftiger Mann ein, der das offizielle Wappen Agenfelts auf der Brust trug, dazu eine Lederrüstung, wie die Polizei sie zu tragen pflegte. Der große Mann begrüßte Jisathan mit allen Zeichen der Ehrfurcht, bevor er den Attentäter einfach unter die linke Armbeuge klemmte und wieder den Raum verließ.
„Na, wenigstens den wären wir los“, sagte Mirk amüsiert.
Die anderen nickten dazu, nur Conrad runzelte die Stirn. Die ganze Ehrerbietung, die unverholene Sympathie, die Jisathan entgegen kam... War das wirklich real? Ihm stockte fast der Atem bei diesem Gedanken. Konnte Jisathan wirklich... Beliebt sein? Es würde eine interessante Reise werden, dachte der junge Waldek bei sich.
***
Nach der Ehrfurcht, die dem Kronprinzen letzte Nacht entgegen geschlagen war hatte sich Conrad innerlich für weitere Überraschungen gestählt. Aber nichts auf der Welt hätte ihn auf diesen Anblick vorbereiten können. Obwohl die kleine Gesellschaft inkognito reiste, eilte ihnen die Nachricht von Jisathans Ankunft voraus. Menschen versammelten sich an den Wegen, welche die Kutsche und die Reiter nehmen würden und winkten ihrem zukünftigen Herrscher zu.
Conrad musterte die Mienen ihrer Gesichter, aber er konnte nichts darin finden als ehrliche Freude über die Heimkehr ihres einstigen Monarchen. Das überraschte Conrad doch ein wenig, immerhin hatte sich der Jüngere erst vor relativ kurzer Zeit von Jisathan der Nervensäge zu Jisathan dem Erträglichen gewandelt. In den meisten Ländern mit Monarchien waren die Herren meistens nicht sehr beliebt. Vor allem in Strukturen mit Landadel gab es noch immer die Leibeigenschaft, also das Faktum, dass die Menschen ihrem regionalen Fürsten regelrecht gehörten. Und dass sie so leicht zu veräußern waren wie ein Reitpferd, ein Schwein oder ein Jagdhund. Agenfelt hatte einen starken, alt eingesessenen Landadel, und bisher hatte Conrad nicht viel gutes über diesen Stand gehört, wenngleich sich Burg Catrek seit Generationen bemühte, gerade die Erben dieses Standes an die moderne Zeit und an neue Denkweisen heran zu führen. War Jisathans Beliebtheit ein Ergebnis dieser Bemühungen? Oder – Conrad blieb für einen Moment der Atem weg – lag dies an seinen ureigensten Verdiensten um dieses Land? Ach nein, das führte wirklich zu weit.
Die Menschen bemerkten natürlich beinahe sofort, dass Mirk ein Dämon war, und Torandil sowie sein Onkel Azet Götter. Conrad befürchtete schon das übliche Szenario, welches sich zu oft in Menschenländern abspielte – nämlich, dass die Götter verehrt und die Dämonen gefürchtet wurden, aber seltsamerweise rangen sich die Menschen durchweg zu der Erkenntnis durch, dass die Anwesenheit des Dämons in Ordnung war, solange er nur mit seiner Hoheit reiste. Ebenfalls eine Entwicklung, die Conrad überraschte. Natürlich wurden auch die Damen in der Kutsche als Göttinnen erkannt, und der junge Waldek musste mühsam seine Wut unterdrücken, als die Menschen unbedarft darüber spekulierten, ob eine der Schönheiten wohl die Braut des Prinzen war.
Nun, wenigstens beendeten sie ihren zweiten Reisetag ohne einen weiteren Mordanschlag.

„Warum halten wir?“, fragte Conrad, als die Kutsche in einem kleinen Ort an einem Gasthaus stoppte. „Wenn wir das letzte Tageslicht nutzen, können wir noch heute Tirit-Alem erreichen.“ Kurz neigte er das Haupt, strapazierte die Karte in seinem Gedächtnis und fand seine Worte bestätigt.
„Die Damen wünschen eine Nachtruhe“, informierte Kitram den Schülersprecher.
„Eine Nachtruhe? Auf Burg Tirit-Alem hat es Dutzende Betten“, erwiderte Conrad überrascht.
„Du fieser Kerl“, klang Taramias tadelnde Stimme auf. „Willst du etwa, das wir so vor den König treten? Vollkommen verschwitzt und mit Straßenstaub bedeckt? Eine alte Frau wie ich muss viel Zeit und Energie investieren, um noch etwas aus sich zu machen. Wenn ich in diesem Zustand vor den Hofstaat trete, bin ich das Gelächter von ganz Agenfelt.“
Conrad wandte sich um, fest entschlossen diverse Einwände vorzubringen, aber die bittenden, beinahe tränenden Augen seiner Lehrerin bescherten ihm das Gefühl, dass er auf der sicheren Seite blieb wenn er ihr nicht widersprach, solange sie nett zu ihm war.
Seufzend senkte er sein Haupt. „Wir bleiben heute Nacht hier.“
Kitram nickte. „Ich lasse den Wirt einen Burschen schicken, der uns für morgen ankündigt.“
Mirk und Torandil stiegen von ihren Pferden und reichten sie den Stallburschen zur Pflege. Zusammen traten sie vor das Gasthaus. Mirk pfiff anerkennend. „Ich wusste nicht, dass man mit Holz so hoch bauen kann. Das müssen vier Stockwerke sein.“
„Da merkt man wieder einmal, wie wenig ihr Dämonen wisst. Wenn du einen Baum pflanzt, ihn hegst und pflegst und ein wenig mit ihm redest, kann er das Heim für acht Stockwerke werden.“ Torandil reckte stolz das Kinn hoch. „Ich werde eines Tages einen Baum bewohnen, der zehn Stockwerke hat.“
„Ist die „Baum wachsen lassen und darin wohnen“-Methode nicht schon ein wenig aus der Mode, sogar bei euch Göttern?“, erwiderte Mirk spitz. „Du warst ja schon immer etwas altbacken, Torandil.“
Der Gott schnaubte leise. „Traditionsbewusst, Mirk, Traditionsbewusst. Außerdem verschafft dir ein Baum ein Wohngefühl, das weitab von allem ist, was einem ein Gemäuer wie Catrek oder dieses Haus aus totem Holz bieten kann.“
„Mag sein, mag sein, aber es gibt etwas, was dieses Haus bietet, und das den Komfort eines Baumes aufwiegt“, stellte Taramia fest, die ein paar fröhliche Worte mit der Wirtin gewechselt hatte.
„Und das wäre?“ Interessiert lächelte Mirk sie an.
„Das Haus steht direkt auf einer heißen Quelle. Es hat heiße Bäder, eine turemische Sauna und Massageräume. Tatsächlich ist das Gasthaus weit über die Grenzen von Agenfelt dafür bekannt, dass das baden die Gesundheit und das Wohlbefinden fördert.“ Sie ächzte und hielt sich den Rücken. „Oh, welche Wohltat wird das für meine alten Knochen sein. Ich denke, ich werde gleich mal ein Bad nehmen. Kommst du, Tochter?“
„Es ist nicht nett, die Männer die ganze Arbeit machen zu lassen“, tadelte Selestin ihre Mutter.
„Papperlapapp! Die Knechte schaffen das Gepäck ins Haus. Die Männer müssen nur aufpassen, welche Zimmer wir bekommen. Außerdem ist es so ein wenig sicherer für uns vor ihren lüsternen Augen, mein Kind. Zwar baden Männer und Frauen in verschiedenen Bereichen, aber die jungen Burschen sind erfinderisch. Na, wenigstens haben wir unsere Ruhe, bis die Zimmer bezogen sind.“
Als die beiden Frauen, stürmisch vom Wirt begrüßt, im Gasthaus verschwunden waren, sah sich Mirk mit wütend blitzenden Augen um. „Also, ich weiß ja nicht wie es euch geht, aber für mich klang das wie eine Kampfansage!“
„Oh, das war es durchaus“, erwiderte Livon Azet belustigt. „Ihr ganzes Gerede darüber wie alt sie doch ist und wie ihr die Knochen schmerzen soll nur Komplimente schüren. Außerdem mag sie es, wenn sich die Männer nach ihr umdrehen. Und ja, sie hat euch junge Männer herausgefordert, euch ihren nackten Körper beim baden anzusehen. Wenn ihr euch traut.“
Mirk schluckte hart, und der Prinz hatte plötzlich Schweiß auf der Stirn.
„Aber bedenkt dabei eines, meine Herren... Erwischt sie euch dabei, habt ihr nichts zu lachen“, fügte Livon in düsterem Ton hinzu.
Der Mensch und der Dämon tauschten einen langen und ernsten Blick aus. Dann ergriffen sie einander an der Rechten und lächelten sich siegesgewiss an. „Keine Mauer kann hoch genug sein.“
„Kein Wall zu dick.“ „Wir finden unseren Weg.“ „So soll es sein, Freund Mirk!“
Die beiden sahen in die Runde. „Torandil?“
„Bin ich wahnsinnig? Selestin ist schon schlimm, aber ihre Mutter ist eine rasende Furie, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlt.“ Abwehrend hob er beide Arme. „Lauft nur alleine in euer Unglück!“
„Conrad?“
„Verzichte“, brummte der zukünftige Minister von Pars.
„Was denn, was denn? Willst du deine geliebte Selestin nicht mal nackt sehen?“, fragte Jisathan mit verlockender Stimme.
Röte schoss in Conrads Gesicht. Er begann zu husten und sah fort. „Ich verzichte trotzdem.“
„Wie süß. Er wird ja sogar rot. Aber so ist das halt wenn man es mit einer J...“, begann Mirk, doch der überaus düstere Blick, den Conrad ihm zuwarf, brachte ihn nachhaltig zum schweigen.
Jisathan sah verwundert von einem zum anderen. „Irgendwie habe ich wohl gerade was nicht richtig verstanden, oder?“
„Schon gut. Das ist eine Sache zwischen Conrad und mir. Und Selestin.“
„Was hat denn Selestin damit zu tun, Mirk?“
„Oh. Nichts. Noch nicht“, orakelte der Dämon, erntete einen weiteren bösen Blick, den er jedoch mit einem überlegenen Lächeln an sich abprallen ließ. „Wenn ihr nichts dagegen habt, würden wir dann zuerst einmal baden gehen. Ihr passt auf unser Gepäck auf?“
„Warte, Mirk. Kitram, du begleitest uns.“
Ein unsicherer Schauder ging über das Gesicht des jungen Mannes. „Hoheit?“
„Ich sagte, du begleitest uns und hilfst uns dabei, Taramia und Selestin beim baden zu beobachten. Das ist ein Befehl.“
„Und wahrscheinlich der dümmste, den Ihr je gegeben habt, mein Prinz“, brummte er.
„Hast du gerade etwas gesagt, Kitram?“
„Natürlich nicht, mein Prinz. Dann überlassen wir unser Gepäck euren fähigen Händen, meine Herren.“
Livon hob abwehrend die Hand. „Wir überlassen es Torandil und Conrad. Ich für meinen Teil werde euch begleiten.“
Entsetzt starrten die Jungs den Major an. „WAS?“
„Wie bitte darf ich denn diese Reaktion verstehen? Habt ihr was dagegen wenn ich euch begleite? Mögt ihr mich nicht? Darf ich Taramia nicht nackt beim baden beobachten?“
„Meine Welt bricht zusammen. Ausgerechnet der berühmte Major Azet macht bei einer so unanständigen Sache mit“, murmelte Mirk und sah mit düsterem Blick zu Boden.
„Ich bin erschüttert. Ich bin tief in mir erschüttert. Ich dachte immer, die Offiziere von Roem wären...“ Fassungslos rang Prinz Jisathan nach Worten und nach Luft. „Wären etwas Höheres!“
Vorwurfsvoll sahen die beiden den Major an.
Azet beugte sich zu den beiden herüber. „Ich kenne einen Weg, wie wir sie beobachten können ohne selbst gesehen zu werden“, flüsterte er ihnen zu.
Übergangslos begannen die beiden zu strahlen. „Mein lieber Major Azet, ich wusste, dass auf einen Ritter von Roem immer Verlass ist!“, sagte Jisathan strahlend.
„Onkel Livon... Nein, großer Bruder Livon! Es ist mir so eine Ehre, dich zu kennen. Eine Ehre, in deiner Nähe sein zu dürfen!“ Große, dicke Tränen der Rührung standen in den Augen des Dämons.
„Nicht Worte, sondern Taten zählen. Kommt, Jungs!“, rief der Major und schritt voran. Mit geballten und gehobenen Fäusten jubelten die beiden Prinzen und folgten Azet in das Gasthaus.
Als sich die Tür hinter den dreien geschlossen hatte, atmete Kitram auf. „Ich denke, nun sind wir drei für das Gepäck verantwortlich. Ich...“
Die Tür öffnete sich wieder. „KITRAM!“
„Ich komme, mein Prinz!“ Hastig eilte der junge Kavalier seinem Herrn hinterher. Dabei murmelte er immer wieder: „Das geht nicht gut. Das geht garantiert nicht gut. Das kann gar nicht gut gehen.“
„Also sind nun wir zwei für das Gepäck zuständig, was?“ Torandil lachte leise. „Besser als das Schicksal, das diese armen Teufel erwartet. Und Livon sollte es eigentlich besser wissen. Er sollte es wirklich besser wissen. Aber so sind die zwei. Sie necken einander, seit...“ Torandil seufzte tief.
„Seit? Steckt da eine interessante Geschichte hinter?“
Torandil musterte den Freund eine Zeit. „Weißt du, Conrad, Livon und Taramia waren damals zusammen auf Catrek. Alle, mein Vater eingeschlossen, waren damals fest davon überzeugt, dass die beiden ein Paar werden würden. Aber dann kam alles anders, vollkommen anders. Und da Selestins Vater...“
Interessiert hob Conrad eine Braue. Das Thema hatte er bisher noch nicht angeschnitten. „Was ist mit Selestins Vater?“
„Äh, er ist verstorben. Als sie noch ganz klein war. Als wir beide noch ganz klein waren, und... Ach, das führt zu weit. Irgendwann erzähle ich es dir richtig. Aber nicht hier und heute, mit einem Haufen Idioten, die zwei Feuermagier im Frauenbad überraschen wollen und mit der Chance, dass wir heute das vierte Attentat auf Jisathan vereiteln müssen.“
„Ach, stimmt, da war ja noch was.“ Unwillkürlich legte Conrad seine Hand auf den Griff seines Schwertes. „Teilen wir uns die Aufgaben. Du kümmerst dich um das Gepäck, und ich erkunde das Gasthaus ein wenig auf Schwachstellen.“
„Einverstanden.“ Torandil klopfte dem Freund auf den breiten Rücken. „Mit dir kann man wenigstens auskommen. Mirk, die treulose Tomate, hat mich ja sofort im Stich gelassen. Da lobe ich mir beständige Menschen wie dich, Conrad.“
„Nanu? Fühlst du dich etwa zurückgelassen?“, erwiderte Waldek amüsiert.
„Er hätte ja ein wenig drauf beharren können“, antwortete Torandil in affektiertem Tonfall. „Aber nein, er hatte ja nichts eiligeres zu tun, als mit seinem neuen besten Freund Jisathan im Bad zu verschwinden.“
„Euch soll mal einer verstehen“, murmelte Conrad. Galant öffnete er dem Freund die Tür.
***
„Ach, komm schon, Selestin. Wie lange willst du noch schmollen?“
Selestin warf einen Blick auf ihre nur mit einem nassen und eng am Körper klebenden Handtuch bekleidete Mutter und ließ ein desinteressiertes Schnauben hören.
„Bist du böse mit mir weil ich kein Gasthaus mit gemischtem Bad ausgesucht habe, das du mit deinem Conrad besuchen kannst?“
Für einen Moment verschwand der Ärger aus dem Gesicht der jungen Göttin. Sie sah verträumt gen Himmel. „Mit Conrad...“ Als sie bemerkte was sie tat, hüstelte sie verlegen.
„Wusste ich es doch“, stellte Taramia zufrieden fest. „Na, in eurem Alter darf man ja auch noch leidenschaftlich sein. Bewahre es dir. Wenn du erst mal in mein Alter kommst, dann...“
„Das nervt, Mutter! Du kokettierst mit deinem hohen Alter und deinem furchtbaren Aussehen, obwohl dich manche Mädchen um deinen straffen Körper beneiden, nur um Komplimente von den Männern zu bekommen! Selbst für eine Göttin bist du um deine Spannkraft zu beneiden. Aber anstatt deine Schönheit mit Würde zu tragen forderst du lieber die Jungs heraus! Oh, Mutter, ich werde nicht schlau aus dir! Und ärgerlich bin ich auch! Immerhin hast du mich mit ins Bad geschleift, und ich habe nun auch nicht mehr an als ein Handtuch und...“ Unglücklich sah sie ihre Mutter an. „Meinst du, Conrad versucht mich zu beobachten?“
Taramia legte kurz den Kopf schräg. „Nun, Torandil würde es vielleicht versuchen, wenn er nicht genau wüsste, was du dann mit ihm machst. Mirk eventuell. Aber Conrad? Nein, der ist viel zu anständig. Alleine beim ersten Blick auf deinen wundervollen, elastischen Mädchenkörper wird er derartiges Nasenbluten bekommen, dass er kurz darauf am Blutverlust stirbt.“
Frustriert atmete Selestin aus. „Ja, so was passt zu ihm.“
„Auch das wusste ich. Ihr seid noch nicht viel weiter als bis zum Kuss gekommen, nicht wahr?“ Ihre Stimme klang zuerst mitfühlend, doch dann wurde sie ärgerlich. „Du willst meine Tochter sein? Wenn ich in so einen wundervollen jungen Mann verliebt wäre, dann hätte ich längst Mittel und Wege gefunden, um ihn zu bekommen und zu halten! Ich wäre nicht so schüchtern gewesen wie du es bist, junge Dame. Ich wäre mit ihm längst ein festes Paar, bevor eine andere kommt und ihn doch noch weg schnappt.“
„Oh, darum mache ich mir keine Sorgen“, sagte Selestin mit wehmütigem Lächeln. „Ich bin mir seiner absolut sicher. Wir werden ewig zusammen sein. Aber immer wenn ich versuche, unsere Beziehung zu vertiefen, dann kommt irgendetwas dazwischen. Hast du in letzter Zeit Feronns Komödie über Menschen und Götter gelesen? Bei mir und ihm ist es viel schlimmer. Erst neulich sind uns Assasinen dazwischen gekommen.“ Wieder seufzte Selestin, und diesmal hätte das Geräusch jedem heimlichen Zuhörer das Herz gebrochen und seine Tränendrüsen wie Schleusen geöffnet.
„Heißt das, du bist dir sicher genug, dass er einmal mein Schwiegersohn wird?“, fragte die Göttin sanft.
„Ja! Nein! Ja! Eigentlich schon, aber...“ Betreten sah sie zu Boden. „Es muss doch endlich mal etwas passieren! Ich meine, ich...“ Erschrocken sah die junge Göttin auf und sank tiefer ins warme Wasser. „Drüben sind wohl gerade die Jungs angekommen.“
„Sehr gut. Dann können die Wettkämpfe ja beginnen.“ Ein sardonisches Lächeln kam über Taramias Züge. „Wenn sie sich ungeschickt anstellen, werde ich sie bestrafen. Wenn sie klug sind, winkt als Belohnung ein Blick auf meinen Körper. Dann haben sie was zum träumen für die langen, einsamen Nächte.“
„Mutter! Du bist unmöglich!“
„Und du bist unvorsichtig! Mädchen, du hast dir einen Menschen ausgesucht! Weißt du was ihm bevorstehen wird? Turem wird niemals zulassen, dass du nach Pars gehst! Und du weißt selbst am besten, dass du das auch nie tun wirst! Du bist viel zu weich und würdest Torandil so etwas niemals antun. Also wirst du Conrad mitnehmen müssen. Und dann? Die Assasinen waren erst der Anfang. Du musst dir wirklich die Frage stellen, mein Schatz, was das beste für Conrad Waldek ist: Deine Liebe und Turem, oder seine Freiheit und Pars?“
„I-ich bin mir seiner sicher. E-er ist stark. Er ist aufrichtig. Er ist ehrlich. Und er ist schlau. Er kann alles meistern, mit oder ohne mich“, sagte Selestin, aber ihre Stimme klang belegt, als ihr die Tragweite ihrer zukünftigen Handlungen letztendlich bewusst wurde. Natürlich gab es auch Menschen auf Turem. Selbst im niedrigen Adel kam es immer wieder vor, dass Menschen einheirateten. Sogar Dämonenblut floss in der einen oder anderen Familie. Aber ein Mensch, der in eine so wichtige Familie wie der ihren einheiratete, und dann noch in dieser Position... War das wirklich möglich? Sie seufzte erneut, aber diesmal klang es zutiefst frustriert. „Ich will Conrad“, sagte sie schließlich. „Auch wenn das kindisch klingt, auch wenn es egoistisch ist, aber... Ich will Conrad! Und ich werde ihn auch nach Turem mitnehmen, wenn ich keine andere Wahl habe!“ Trotzig sah sie ihre Mutter an. „Conrad und ich sind ein Paar. Wir sind dazu bestimmt, zusammen zu sein.“
„Wir werden sehen“, erwiderte Taramia und lehnte sich bequem zurück.
„Wir werden sehen? Mutter, was hast du vor?“
„Ach, nichts besonderes. Ich bin nur schon seit einiger Zeit dabei, deinen Conrad zu testen, und bisher verliefen diese Tests zu meiner vollsten Zufriedenheit. Nun wartet ein weiterer Test auf ihn. Man sagt, auf Tirit-Alem würden einige der hübschesten, intelligentesten und begabtesten Menschenfrauen leben. Bei all dem Ärger, den er dabei hat, Jisathan zu beschützen, müsste es doch mit dem Teufel zugehen, wenn sich nicht die eine oder andere für ihn interessiert.“
„Mutter! Conrad würde so etwas niemals tun!“
„Genau! Würde er nie!“, klang die entrüstete Stimme von Mirk auf, der gerade im Begriff gewesen war, über den Zaun, der beide Bäder trennte, hinweg zu schauen. Als ihm bewusst wurde, dass er sich verraten hatte, wurde er bleich. „Äh... I-ich wollte nur sichergehen, dass keine Meuchelmörder und dergleichen auf eurer Seite sind.“
„Runter vom Zaun, sonst helfe ich nach“, sagte Taramia und lächelte den Dämon mit einem zuckersüßen Lächeln an. Allerdings war der Feuerball, der sich zwischen ihren Fingern aufbaute, ein radikaler Kontrast zu diesem wunderschönen Anblick.
Entsetzen stand in Mirks Gesicht, dann sprang er hinab.
„Den hast du aber bemerkenswert günstig davon kommen lassen“, murmelte Selestin.
„Immerhin hat er deinen Conrad verteidigt. Das spricht nur für ihn.“ Die Göttin räkelte sich im herrlich warmen Wasser. „Außerdem war das Spiel noch gar nicht eröffnet.“
Sie erhob sich und nahm das Handtuch ab, welches sie sich um den Leib geschwungen hatte. Mit einem kräftigen Wurf schleuderte sie es über den Zaun in den Männerbereich. „Oh, Elend! Ich habe mein Handtuch verloren! Nun bin ich nackt!“
„Mutter!“, rief Selestin entsetzt.
„Stelle dich nicht zwischen mich und mein Vergnügen“, mahnte die Göttin ihre Tochter lächelnd.
Auf der anderen Seite klangen aufgeregte Stimmen auf. Man konnte sich beinahe bildlich vorstellen, wie die Jungs darum rangen, als erster einen Blick über den Zaun werfen zu dürfen. Taramia amüsierte sich göttlich.
Als der Sichtschutzzaun hinter ihnen zerbarst, runzelte sie die Stirn. „Nun übertreibt es aber einer von ihnen.“
Es dauerte ein paar Augenblicke, bis die Göttin daran dachte, dass es in dieser Richtung gar nicht zum Männerbad ging. Im Gegenteil, dieser Teil des Zauns führte nach außen. Selestin war etwas schneller. Sie sprang auf und begann einen Zauberspruch zu murmeln.
Für bange Sekunden konnte sich Taramia nicht entscheiden, ob sie ebenfalls eine Beschwörung begann, oder ihre Blöße bedeckte. Dann eilten die ersten Gegner durch die Bresche. Es waren gepanzerte Ritter mit gezogenen Breitschwertern, die sich auf die beiden Göttinnen stürzten. Sie taten dies in einem Tempo, das nur zwei Schlüsse zuließ. Der erste war, dass ihre Bewegungen von Magie beschleunigt waren. Der zweite war, dass die Zauberer ihre Machtworte nicht rechtzeitig sprechen würden. Taramia schloss entsetzt die Augen.

Vor den beiden spritzte das Wasser auf, und Stahl traf auf Stahl.
„CONRAD!“, rief ihre Tochter erleichtert.
Taramia öffnete ihre Augen wieder und sah den jungen Menschen. Er blockte den linken Angreifer mit einem stählernen Handschuh, und den rechten mit seinem Schwert. „Bist du verletzt, Selestin?“
„Sei vorsichtig! Sie wurden mit Magie beschleunigt! Sie...“, rief Taramia hastig. Das war Sekunden bevor sie erkannte, dass die drei nicht statisch miteinander rangen, sondern auf eine unwirklich schnelle Art Dutzende Hiebe, Paraden und Streiche ausführten.
„Ich weiß“, antwortete Conrad. „Zieht euch zurück! Hier geht es gleich rund!“
Und wie um seine Worte zu bestätigen warf sich ein Hüne über den Zaun zum Männerbad, mit nicht mehr bekleidet als einem Handtuch um die Lenden, und in der Hand ein turemisches Schwert.
Gemeinsam mit Conrad drang er auf die beiden Angreifer ein. „Überlasst das uns!“, rief Livon Azet, sah für einen Augenblick zu Selestins Mutter herüber und schenkte ihr ein Lächeln. „Die Jungs bringen euch raus. Aber lege vorher noch ein Handtuch an, Taramia. Dieser Anblick könnte sie töten.“
„Charmeur“, tadelte die temporäre Lehrerin und lächelte den Major an, obwohl die Überraschung und der Schreck noch immer in ihren Gliedern steckten.
Selestin reichte ihr ein Handtuch, Augenblicke bevor Jisathan, Torandil, Mirk und Kitram mit gezogenen Klingen in das Frauenbad eindrangen. Kitram stellte sich sichernd zwischen Conrad, Major Azet und die Frauen auf, während Mirk und Jisathan die Tür zum Gang sicherten. Torandil eilte zu den Frauen, umschloss ihre Hüften und trieb sie auf diese Weise hinaus. „Kannst los legen, Conrad!“, rief er nach hinten.
Der Mensch sah für einen Moment zurück. Um seine Lippen spielte ein sardonisches Lächeln. „Es wird nicht lange dauern.“
Torandil drückte die beiden Frauen auf den Gang hinaus, Kitram zog sich rückwärts gehend zu ihnen zurück. Ihm folgte ein dunkles, gewaltiges Donnergrollen sowie eine wahre Flut an warmem Wasser aus dem Frauenbad.
„Nicht schlecht, dein Freund“, murmelte Taramia anerkennend.
„Er hält sich heute irgendwie zurück“, bemerkte Torandil in Gedanken und erntete dafür entsetzte Blicke der Göttin.
„WAS?“
***
„Hoheit!“ Der Mann, der am nächsten Morgen durch die Eingangstür der Gaststätte geeilt kam, hatte Tränen in den Augen. Als er den Prinzen von Agenfelt sah, sank er aus Erleichterung auf die Knie. „Hoheit, ich habe es gerade erst erfahren. Ihr seid unversehrt, dem Himmel sei Dank.“ Sein Blick ging zu Kitram. „Hast du deine Aufgabe ernsthaft erfüllt?“
Der blonde Bursche nickte ernst. „Ja, Bruder.“
„Bruder?“, echote Conrad. „Stimmt, wenn man die beiden vergleicht, dann sieht der Bursche aus wie eine ältere Version von Kitram.“
Das war so nicht ganz richtig. Der Mann, der sich nun wieder aufrappelte und die paar Schritte bis zum Kronprinzen stolperte, hatte eine andere Augenfarbe, und er war ein gutes Stück größer und breiter im Kreuz als der zukünftige Minister. „Hoheit, ich bin sofort mit einer Hundertschaft der Palastwache aufgebrochen, als ich die schrecklichen Neuigkeiten gehört habe. Ich wollte Euch mit Eurer persönlichen Garde aus Catrek abholen, aber seine Majestät hat es verboten. Doch als ich gehört habe, dass ihr ganz in der Nähe seid und angegriffen wurdet, da gab es kein Halten mehr.“
„Langsam, langsam“, tadelte Jisathan. „Darf ich vorstellen? Rogan Lorhest, Oberster der Palastwachen. Rogan, um die Angreifer wurde sich gekümmert. Kitram hat dabei eine sehr gute Figur gemacht und mich vorbildlich verteidigt.“
„Ach, ist das so?“ Der Oberst sah seinen kleinen Bruder streng an. „Nun, seine Hoheit war schon immer etwas weich mit dir, aber ich will glauben, dass du die Familie nicht völlig blamiert hast.“
Unruhig raunten die Freunde auf als ihr Kampfgefährte derart gerügt wurde. Doch Kitram nickte nur. „Ich tue meine Pflicht nach bestem Wissen und Gewissen, Bruder.“
Jisathan seufzte schwer. „Er hat wirklich... Ach, was versuche ich hier zu erklären. Rogan, dies sind meine Freunde. Selestin, Mirk, Torandil und Conrad.“
„Ausländer?“, fragte der Palastwächter mit Argwohn in der Stimme. „Noch dazu Götter und Dämonen?“ Ein besonders taxierender Blick ging über Conrad.
„Außerdem begleiten uns unsere Lehrerin Taramia und Major Azet vom Roemschen Heer. Sie werden noch schlafen.“
„Nicht ganz, Hoheit. Ehrlich gesagt haben wir die ganze Nacht keinen Schlaf gefunden“, sagte Major Azet, als er in voller Kampfrüstung in den Schankraum trat.
„Ihr... Ihr meint... Zusammen keinen Schlaf?“, fragte Torandil und erbleichte langsam.
„Wir waren beschäftigt. Das Verhör der beiden Angreifer hat sich hin gezogen.“
„Ach ja, die Angreifer! Ich lasse sie sofort nach Tirit-Alem schaffen und dort in einen Kerker werfen! Ein Angriff auf seine Hoheit bleibt nicht ungerächt, wenn ich in der Nähe bin!“
„Nun, in diesem Fall werden Sie nicht viel zum verhaften und rächen haben“, ließ sich Taramia Northim vernehmen. Sie wirkte wütend und übermüdet. „Ich habe die ganze Nacht damit verbracht, die Angreifer stabil zu halten. Letztendlich sind sie aber doch vor meinen Augen zu Asche zerfallen.“
„Zu... Asche zerfallen?“
„Es war Magie am Werk. Jemand hat die beiden Angreifer in ihrem Zeitablauf beschleunigt. So sehr, dass sie zehn Hiebe tun konnten, in denen ein normaler Krieger einen schafft“, sagte der Major ernst. „Dadurch fließt ihr Leben aber hundertmal schneller ab. Sie wurden geradewegs in den Tod beschleunigt.“
Entsetzt sah der Palastwächter die beiden an. Dann lachte er unsicher. „Na, das ist mal was Neues. Sonst habe ich hier nur mit Dolchen im Dunkeln, Gift und kleinen tödlichen Tieren zu tun. Ich werde diese Attentatsmethode in meinen Kalender aufnehmen.“
Taramia und Livon Azet wechselten einen kurzen wissenden Blick. „Allzu bald wird ein zweites Attentat dieser Art wohl nicht erfolgen. Es braucht viel Magie und großes Geschick. Der Magus, der dies bewirkt hat, muss am Ende seiner Kräfte sein. Es kann Monate dauern, bis er diese Waghalsigkeit erneut riskieren kann“, sagte Azet ernst.
„Er ist also demnach immer noch da draußen“, stellte Lorhest ernst fest.
„Natürlich. Welchen Sinn sollte es machen andere für sich kämpfen zu lassen und dann selbst Risiken einzugehen? Aber wie ich schon sagte: Vorerst werden wir uns nicht mit ihm herum schlagen müssen.“
„Meine Damen, das Bad wurde repariert“, klang die vorsichtige Stimme des Wirts auf.
Taramia reckte sich und lächelte erfreut. „Wunderbar. Nachdem ich die ganze Nacht auf war, habe ich nun ein Bad bitter nötig.“
„Meine Dame, ich...“, begann Rogan.
Böse sah Taramia ihn an. „Sie werden doch wohl nicht von einer Dame verlangen, Ihrem König derart übermüdet und überanstrengt gegenüber treten zu müssen?“
Der Oberst straffte sich. „Natürlich nicht. Die Palastwache selbst wird über Ihre Sicherheit wachen, meine Dame.“
„Na, endlich finden wir einen Ehrenmann in diesem Land“, kommentierte Taramia und wandte sich Richtung der Bäder. „Komm, Tochter.“
„Und wir sollten uns um den Transport kümmern“, schloss Conrad.
„Nicht doch, nicht doch“, sagte Oberst Lorhest abwehrend. „Meister Waldek muss selbstverständlich als Gast des Kronprinzen keinen Finger ruhen. Ich habe Burschen dafür mitgebracht.“
„Meister... Waldek?“, argwöhnte Conrad.
„Ihr seid doch der Schulsprecher des Abschlussjahrgangs?“
„Nun, der bin ich, aber...“
„Dann weiß ich alles, was ich wissen muss.“ Rogan Lorhest klatschte in die Hände. Eine Flut an livrierten Dienern betrat das Gasthaus. „Verladet das Gepäck seiner Hoheit und das seiner ehrenwerten Gäste. Der Wirt wird euch die Zimmer zeigen.“
„Meister Waldek?“, fragte Conrad in Richtung Jisathans. „Meister in was?“
„In so ziemlich jeder Disziplin?“, erwiderte Jisathan und lächelte entwaffnend.
Conrad seufzte schwer. Er hatte mit wild gewordenen Mördern gerechnet, mit heimtückischen Magiern, aber sicher nicht mit maßloser Übertreibung. „Das war doch garantiert erst der Anfang“, murmelte er mehr zu sich selbst.
***

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Dem Aufbruch nach Tirit-Alem stand nach dem Bad der Damen nichts mehr im Wege. Die Ankunft und Heimkehr des jungen Prinzen hatte sich nun endgültig herum gesprochen. Die Straßen, welche zum Schloss führte, waren von Menschen jeden Alters gesäumt, die einen Blick auf ihren einstigen Herrscher erhaschen wollten.
Jisathan, vom Jubel der vielen Menschen peinlich berührt, winkte ihnen artig. Dies ließ die Menge nur noch mehr jubeln.
Conrad ritt an seine Seite. „Du bekommst viel Aufmerksamkeit. Einiges davon wird sich in Rückhalt verwandeln lassen“, sagte er in mahnendem Tonfall, weil er den Unwillen bemerkt hatte, mit dem sein selbst ernannter kleiner Bruder agierte.
„Ich weiß, ich weiß. Es ist nur... Ich habe einfach nicht das Gefühl, diesen Rückhalt verdient zu haben, Conrad.“ Mit hoffnungslosen Augen sah er den Älteren an. „Ich meine, was habe ich schon geleistet in diesem Leben? Was habe ich schon für diese Menschen getan?“ Missmutig sah er zu Boden, bis der Jubel der Menschen ihn erneut antrieb zu lächeln und zu winken.
„Nicht viel, Hoheit“, ließ sich Kitram vernehmen. „Ihr habt Graf Vorrik seinem Titel aberkannt, weil er in seinem Lehen gewütet hat, als wären die Menschen lediglich sein Zucht- und Schlachtvieh.“
„Nur weil wir zufällig durchgeritten sind“, schwächte Jisathan ab. „Und auch nur, weil wir schnell die Hilfe einer loyalen Gardetruppe erhalten konnten.“
Kitram unterdrückte ein amüsiertes schnauben. „Auf die Ihr nicht gewartet habt, mein Prinz. Sie musste uns retten.“
Dieser Gedanke schien den Prinzen zu amüsieren, als er sich daran erinnerte, was damals geschehen sein musste. „Retten ist vielleicht das richtige Wort.“
„Und Ihr habt den Streit zwischen Caluguan und Droiderstadt aufgeklärt und beendet.“
„Alles was ich getan habe, war diesen sinnlosen Streiten, dem Konkurrieren ohne Grund und Sinn, durch einen Wettkampf zu ersetzen“, erwiderte der junge Kronprinz. „Ich kann von Glück sagen, dass die Stadtältesten überhaupt auf mich gehört haben.“
„Und dann ist da noch die junge Magd, die vom Hof ihres Herrn weg entführt wurde, und die Ihr, Herr, in einer zweiwöchigen Hatz aus den Händen der Banditen befreit habt.“
„Wir, mein guter Kitram! Wir! Und blase die Sache nicht weiter auf als sie damals war. Wir waren nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort! Und nun höre auf, mir Honig ums Maul zu schmieren. Was soll Conrad sonst von mir denken?“, zischte der Kronprinz scharf.
„Er wird denken, dass er sich all die Jahre gründlich in dir getäuscht hat“, sagte Conrad amüsiert. „Gibt es denn noch mehr darüber zu berichten, was Jisathan nicht für diese Leute getan hat, Kitram?“
„Nun, einige Geschichten gäbe es da durchaus noch. Und wir sollten... Oh, da kommt das erste Tor in Sicht!“ Aufgeregt gab Kitram Lorhest seinem Pferd einen sanften Schlag mit dem Zügel, woraufhin es beschleunigte.
„Das erste Tor?“ Conrad hob eine Augenbraue. „Wie viele Tore sind es denn bis vor den Palast?“
„Es sind nur zwei Mauern“, beschwichtigte Jisathan.
„Nur ist gut.“ Während sie näher ritten, offenbarte die Mauer ihre eigentliche Höhe, die Conrad mit zehn Schritten schätzte. Zudem schien sie endlos gerade nach links und rechts in die Unendlichkeit zu schießen. „Wie groß ist der Innenraum überhaupt?“
Jisathan legte verlegen eine Hand hinter den Kopf, während mit dem Tor auch das geschäftige Treiben des Warenverkehrs in Sicht kam. „Ach, weißt du, Conrad, Schloss Tirit-Alem ist nicht einfach nur eine Trutzburg, sondern auch unsere Hauptstadt. Und weil sie eine Trutzburg ist, befinden sich zwischen der ersten und der zweiten Mauer große Gärten und Felder, damit wir selbst einer langen Belagerung widerstehen können. Hinter der zweiten Mauer liegt die Verwaltungsstadt mit den Kasernen, Vorratshäusern und dem eigentlichen Palast. Alles in allem passt Catrem hier wohl dreißigmal hinein.“
„Was nicht unbedingt eine Leistung ist“, brummte Conrad, während sie durch ein Spalier hervorragend ausgerüsteter Phalanx-Soldaten ritten, die ihre frisch polierten Schilde und Speere zur Parade hielten. Der Raum hinter der ersten Mauer entpuppte sich als gepflegter, endloser Gemüsegarten. In der Ferne wehte auf der einen Seite noch grünes Getreide, auf der anderen glaubte er, Obstbäume rauschen zu hören, während der Wind durch ihre Blätter ging.
Nun gut, es war doch eine Leistung.
Es dauerte einige Zeit, bis die zweite Mauer mehr war als ein ferner Strich in der Landschaft. Und als dieses gewaltige Bollwerk vom nahen zu sehen war, erkannte Conrad mehr als einen großen Giebel, der über die Mauerkrone hinaus ragte. Auch das Land hinter der zweiten Mauer schien recht groß zu sein, um es vorsichtig auszudrücken.
„Okay, ich gebe zu, ich bin beeindruckt“, murmelte Conrad.
„Wirklich?“ Jisathans Miene hellte sich merklich auf. Auch wenn diese Stadt keine seiner Leistungen war, so konnte Conrad doch verstehen, dass er stolz auf sie war. Alleine die Größenverhältnisse ließen keinerlei Vergleich mit Burg Waldek zu, dem Stammsitz seiner Familie. Wobei er nicht zu sagen vermochte, welche wehrhafter war.
Sie durchritten das zweite Tor, und wieder erwartete sie viel jubelndes Volk. Diesmal standen sie noch dichter und drängten zur Straße hin, wo weitere Phalanx-Soldaten standen, um den Weg seiner Hoheit abzusichern.
Als der Jubel seinen Höhepunkt erreicht hatte, geschah das Unfassbare. Von einem der Dächer aus schoss ein schwerer Armbrustbolzen heran, direkt auf Jisathans Herz zu.
Zuerst ging ein kollektives raunen durch die Menge, dann wurden Befehle gebellt; die Reiter der Garde drängten sich dicht um ihren Kronprinzen, um ihn mit ihren Leibern zu beschützen.
Mirk, wütend Flüche ausstoßend, sprang über die Köpfe der Menge hinweg und war mit wenigen Sätzen auf dem Dach, von dem aus geschossen worden war.
Dies war der Augenblick, in dem Conrad Waldek den Armbrustbolzen fallen ließ. Er hatte das Projektil eine Handbreit vor Jisathans Herzen gestoppt. Nachdenklich betrachtete er seine blessierte Linke. Der Bolzen war mit Widerhaken versehen gewesen und hatte tief in sein Fleisch geschnitten.
„Geht es dir gut?“, fragte er in Richtung des Prinzen.
„D-das ist hier doch nicht die Frage! Wie es dir geht ist viel wichtiger! Kitram, hole uns einen Heiler!“
Die aufgeregte und vor allem kräftige Stimme ihres Prinzen zu hören, der noch immer hinter den Leibern der Reiter verborgen war, wurde von der Menge sehr gut aufgenommen. Die Menschen brachen in Erleichterung und Jubel aus, als sie erkannten, dass Jisathan noch lebte und unversehrt war. Dennoch setzte die Gruppe ihren Weg zum eigentlichen Schloss unter strengstem Schutz fort.

Im Innenhof umringten die besorgten Gefährten den Ersten Schulsprecher und kommentierten die gerissenen Wunden. Erst als Taramia barsch dazwischen ging, nach Alkohol zum desinfizieren und frischen Verbänden verlangte, kam wieder so etwas wie Ordnung in die Angelegenheit.
Mirk kam derweil zurück. Auf seinem Ross lagen zwei leblose Körper direkt vor seinem Sattel. Er wurde von zehn Reitern der Palastwache begleitet, die ihn abschirmten wie Jisathan selbst.
Achtlos stieß Mirk die beiden von seinem Pferd. Beide waren tot, ihrerseits niedergestreckt von Armbrustbolzen. „Was für ein mistiges Spiel“, murrte er verärgert. „Dies ist der erste, der auf Jisathan geschossen hat. Der wurde vom zweiten hier erschossen, als ich ihn fast hatte. Daraufhin floh der zweite, und als ich den auch fast hatte, wurde er seinerseits erschossen. Dem dritten konnte ich dann nicht mehr folgen. Ich weiß wirklich nicht was stärker ist. Meine Frustration, oder meine Bewunderung für solche Sicherheitsvorkehrungen.“ Immer noch wütend sprang er aus dem Sattel und ging auf die Freunde zu. Mit einem Blick übersah er das Geschehen und beeilte sich. Bestürzt und aufgelöst ging er vor Conrad in die Knie. „Conrad, mein Lieber, was ist dir geschehen? Wie konnte das passieren?“
Taramia hielt ihn mit der Linken davon ab, dem Verletzten um den Hals zu fallen, während sie mit der Rechten den Alkohol nahm. „Es sind nur ein paar Kratzer. Am Bolzen waren Widerhaken“, brummte sie und goss die ganze Flasche über Conrads Hand aus.
Es schäumte, brodelte und verfärbte sich grünlich, aber der Schulsprecher verzog keine Miene, obwohl sich die Haut rund um die Wunde deutlich verfärbte.
Danach säuberte Taramia die Wunde und begann den Verband anzulegen.
„Du bist sehr tapfer, Conrad“, stellte Jisathan voller Bewunderung fest. „Ich hätte zumindest ein Stöhnen nicht unterdrücken können.“
„Das ist doch auch kein Wunder. Wer weiß was meine süße Tochter ihm als Belohnung versprochen hat, wenn er still hält“, sagte Taramia und zwinkerte Selestin zu.
„Mutter!“, rief die junge Frau entrüstet und errötete bis an den Haaransatz.

„Bruderherz!“
Die Anwesenden wandten sich der neuen Stimme zu. Aus einem der Dienstbotentore des Schloss´ kam eine junge Frau mit fliegenden Rockschößen hervor. Sie trug ein derbes Wollkleid aus grau in grau, und darüber war eine fein geklöppelte Schürze mit teuren Stickereien gebunden. Sie hatte langes weißblondes Haar, welches im Moment zu einem schweren Zopf gebunden war und in ihrem Nacken ruhte. Ihre tiefen dunklen Augen erinnerten an Jisathan, ebenso wie die Nase, aber sie war eindeutig hübscher.
Sie sprang den letzten Meter und fiel dem Kronprinzen in die Arme. „Jisathan, ich habe es gerade erst gehört! Geht es dir gut? Bist du unverletzt?“
Jisathan, über so viel offene Zuneigung vor seinen Kameraden entsetzt, brachte nur zwei Worte hervor. „Na, Na!“
„Hoheit, bitte. Wir haben Gäste“, mahnte Kitram, bevor das größere Übel in Form seines älteren Bruders eingreifen konnte.
„Hoheit?“, argwöhnte Conrad.
Jisathan räusperte sich vernehmlich. „Conrad, Selestin, Major Azet, Taramia, Mirk und Torandil, dies ist meine jüngere Schwester Jalandia.“ Er fügte entschuldigend hinzu: „Normalerweise trägt sie nicht so derbe Sachen. Hast du dich also wieder in der Küche herum getrieben?“
Die junge Frau löste sich mit allen Zeichen der Bestürzung und des Entsetzens von ihrem Bruder. „Wie gemein von dir. Mit eigenen Händen habe ich den Begrüßungskuchen für dich gebacken, und ich wäre schon längst umgezogen und hätte mich fein gemacht, wenn ihr nur eine halbe Stunde länger gebraucht hättet. Es sollte doch eine Überraschung sein.“
Den Tränen seiner kleinen Schwester konnte Jisathan anscheinend keinen Widerstand entgegen bringen. Andererseits aber brachte er auch kein Wort der Entschuldigung über die Lippen.
Conrad fühlte sich bemüßigt, einzugreifen. „Eine Prinzessin in der Küche. Nun, das hätte ich von deiner Schwester nicht erwartet, Jisathan.“
„Wie rüde, so über mich zu sprechen!“ Entsetzt und verletzt sah sie Conrad an. „Doch das mag ich noch hinnehmen, denn ich bin nur eine schwache Frau. Aber warum, mein Herr, gewährt Ihr dem Kronprinzen nicht sein Anrecht auf eine angemessene Anrede?“
„Mäßige dich, Jalandia“, mahnte Jisathan. „Conrad ist...“
„Conrad?“ Ihre Augen weiteten sich vor Erstaunen. „Natürlich. Die verletzte Hand. Er hat den Bolzen gefangen, der auf dein Herz gezielt war!“ Sie sank vor Conrad in die Knie, ergriff beide Hände und drückte sie an ihre Lippen. „Edler Conrad Waldek, Lehrmeister und Lebensretter meines Bruders, verzeiht meine harschen Worte! Verzeiht meiner Hast und seid versichert, sie entstanden nur aus schwesterlicher Liebe zu meinem guten, teuren Bruder Jisathan. Ich danke Euch, oh, ich danke Euch, edler, edelster Conrad Waldek, für alles was Ihr für meinen Bruder getan habt. Wenn es irgend etwas gibt, was ich als Ausgleich erbringen kann, so fordert es nur von mir. Ich will alles tun, was in meiner Macht steht!“
„Na, das nenne ich mal eine forsche Ansage“, stellte Taramia fest. „Wirklich alles, kleine Prinzessin?“
Erschrocken sah Jisathans Schwester auf. Tiefe Röte legte sich auf ihren blassen Teint und ging bis unter die Haare. „Oh! OH! Ich wollte... Ich meinte... Nun, ein Wort ist ein Wort, wenn es aus adligem Mund kommt und...“
„Nun ist aber genug!“ Selestin, selbst rot im Gesicht, entriss Conrads Hände dem Griff der Prinzessin und barg sie an ihrer Brust. „Conrad gehört mir.“
„Verzeiht, Selestin Northin“, sagte die junge Frau und senkte den Blick. „Mir lag es fern, jemand anderen sein Eigentum streitig zu machen. Wobei ich mich frage, kann ein Mann wie er Eigentum sein?“
Die Spitze trat ihr Ziel, und Conrad konnte Selestins Zittern von ihrem Busen über seine Hände spüren. „E-er gehört mir nicht in diesem Sinne“, haspelte sie hervor. „Es ist nur so, dass...“
„Wenn ihr diese Posse beendet habt“, klang eine raue und dunkle Stimme auf, „dann klärt das Debakel hier auf dem Hof!“
Ein großer, düsterer Mann betrat den Hof. Sein schwarzer Umhang, von eisernen Schulterpolstern gehalten, flatterte hinter ihm im Wind. Sein großes Breitschwert hatte nicht viel von den Zierdegen, wie sie an Königshäusern üblich waren, und eine mehrfach gezackte Narbe die quer über sein Gesicht ging bewies, dass dieses Schwert ihn wenigstens einmal nicht hatte verteidigen können.
„Prinz Jorgumant!“ Kitram Lorhest neigte eilig das Haupt, als der große Mann näher trat.
„Wo ist Rogan? Warum hat er dieses Chaos zugelassen? Und welcher von euch Kindern ist dieser Mirk?“
„Rogan organisiert das einstellen des Gepäcks in die Gastquartiere“, entschuldigte Kitram seinen älteren Bruder. „Er hielt das für zu wichtig, um es dem Quartiermeister zu überlassen.“
„So, so. Stattdessen duldet er diesen Aufruhr, anstatt mir über das Attentat auf meinen Zögling sofort Bericht zu erstatten !“ Unter dem Blick des großen, schwarzhaarigen Mannes senkte Kitram das Haupt noch ein wenig mehr.
„Schwester. Geh sofort auf dein Zimmer und zieh angemessenere Kleidung an. Nicht dieses derbe bürgerliche Zeugs.“
Jalandia erhob sich, den Blick gesenkt. „Natürlich, großer Bruder.“ Hastig drückte sie sich an dem Riesen vorbei.
„Jisathan, du bist wohlauf?“
„Mir ist nichts geschehen. Aber wir wurden von einem Dach aus beschossen.“
„Die Dächer werden von meinen Männern bewacht. Es muss sich um Verrat oder Mord handeln. Ich gehe der Sache nach“, sagte Jorgumant ernst. „Du bist dieser Dämon Mirk?“
„Mirk Farem di Torangar. Kronprinz, zu Euren Diensten, mein Herr“, erwiderte der Dämon formell, und mit dem zwingenden Ernst seiner Prinzenwürde in der Stimme.
„Verzeiht, Hoheit. Es wurde versäumt mir zu berichten, wer Ihr wirklich seid, abgesehen von einem hervorragenden Krieger. Wenn ich unhöflich war, habe ich sicher Eure Wut verdient. Dennoch muss ich Euch bitten, mir später Rede und Antwort zu stehen. Ein Angriff auf den Kronprinzen ist eine ernste Angelegenheit.“
„Natürlich, Prinz Jorgumant“, erwiderte Mirk kalt und professionell.
Der große, düstere Mann brummte zufrieden und sah zu Conrad herüber. „Ihr seid Conrad Waldek. Nehmt meinen Dank an für die Lebensrettung meines Zöglings.“
Barsch ergriff er die verletzte Linke und betrachtete sie. „Eine gute, kräftige Hand. Ihr müsst begehrt und beliebt bei den Frauen sein, mein lieber Junge.“
Diese Worte hatten zur Folge, dass sich ein allgemeines Gemurmel erhob, das teils bestätigte, teils all seine versäumten Chancen beim anderen Geschlecht rezitierte. Selestin indes war maßlos entsetzt.
Doch bevor irgend etwas eskalieren konnte, ergriff Taramia den rechten Arm des Prinzen und umfasste ihn mit beiden Händen. „Mein lieber, guter Jorgumant“, sagte sie in einem gutturalen Ton, „Ihr schaut mir aus wie der richtige Mann für eine kleine Gefälligkeit.“
Der Prinz sah die Lehrerin aus Catrek im ersten Augenblick reserviert, danach ehrlich erfreut an. „Nun, Ma... meine junge Freundin, wenn es in meiner Macht steht...“
Taramia kreischte erfreut auf. „Ah, junge Freundin!“ Sie schlug mit zum Lächeln zugekniffenen Augen spielerisch auf seine Schulter. „Schmeicheleien führen bei mir zu nichts, junger Mann, aber zögert nicht sie auszusprechen.“ Sie schmiegte sich an den großen Mann an und zog ihn in Richtung Schloss fort. „Es gibt da eine Kleinigkeit, die ich da für Euch zu tun hätte.“

„Puh. Gerade so gerettet“, sagte Kitram und atmete tief durch. „Seid Ihr in Ordnung, Hoheit?“
Jisathan atmete seinerseits tief durch. „Das ging ja wirklich noch mal gut. Da hat Taramia ein gutes Werk getan.“
„Wer ist dieser Jorgumant?“, fragte Conrad gerade heraus.
„Mein Bruder. Mein ältester Bruder.“ Jisathan sah wehmütig in die Wolken. „Er kommandiert unsere Nordarmeen.“
„Er ist nicht der Kronprinz, wenn er älter ist als du?“, hakte Torandil nach.
„Nein, nein. Er ist nur mein Halbbruder. Mutter brachte ihn in die Ehe mit meinem und Jalandias Vater. Er hat keinen Anrecht auf den Thron, solange es uns beide, meinen jüngeren Bruder und ein halbes Dutzend Kinder von seinen Mätressen gibt.“ Die letzten Worte hatte er mit einem tiefen Seufzer ausgesprochen. „Ich kann ihn ja verstehen, dass er nach Mutters Tod einsam war. Aber ich werde nie kapieren, warum er nicht erneut geheiratet hat und stattdessen...“ Fahrig wedelte er durch die Luft. „..halt so lebt.“
„Er ist ein gefährlicher Mann“, sagte Kitram mit fester Stimme. „Man sagt, verschiedenste Fraktionen haben ihm die Königswürde versprochen, wenn es ihm gelänge die herrschende Linie auszulöschen.“
„Gerüchte“, wehrte Jisathan ab. „Nur Gerüchte.“
„Und Gerüchte haben meistens einen wahren Kern. Oder glaubt Ihr wirklich, Jorgumant stellt all seine Ambitionen über den Rang eines Heeresmeisters hinaus ab, nur weil er Euch und Jalandia so sehr liebt?“
Es kam selten vor, dass Kitram mit spitzer oder verbitterter Zunge sprach, deshalb hatte es eine besondere Wirkung auf Conrad. „Er hat schon einmal versucht... Wir konnten ihm nichts beweisen. Und der einzige Zeuge starb schnell und auffällig“, sagte Kitram mit bitterem Ton in der Stimme. „Ich jedenfalls achte seither auf ihn.“ Mit düsterer Miene ging der junge Mann voran.
***
Das eigentliche Schloss Tirit-Alem, umgeben von der Hauptstadt, die neben dem Regierungsviertel auch etliche Nutznießer des kulturellen und wirtschaftlichen Zentrums Agenfelts beherbergte, war geräumig, dreistöckig und groß genug, um Burg Catrek viermal aufzunehmen. Alleine der gewaltige Thronsaal war groß genug, um den gesamten Innenhof der Burg zu rekonstruieren.
„Die Heizkosten müssen enorm sein“, murmelte Taramia, während sie an Jorgumants Seite auf dem safrangelben Läufer in Richtung Thron schritt.
„Diesen Witz hast du schon vor fünfzehn Jahren gemacht“, erklang eine warme und freundliche Stimme vom anderen Ende des Saals. „Und schon damals habe ich dir erklärt, dass wir in dieser Region heiße Quellen haben, welche wir zum heizen des Schlosses heran ziehen.“
Der König betrat den Thronsaal durch eine Dienstbotentür. Er stieg nicht auf seinen Thron, sondern schritt auf seinen Gast und den Stiefsohn zu. Jorgumant sank auf ein Knie. „Majestät.“
Verstimmt sah der große hagere Mann den General an. „Mein lieber Junge, wie oft habe ich dir gesagt, dass du mich Vater nennen sollst, wenn wir unter Freunden sind?“
„Aber Majestät, ich...“
Der König reichte Taramia eine Hand, ergriff die Rechte der Göttin und führte sie zu seinem Mund, um einen Kuss darauf zu hauchen. „Sie ist eine Freundin. Eine ganz besondere Freundin.“
Jorgumant entspannte sich sichtlich und richtete sich wieder auf.
„Und? Was bringt meine besondere Freundin in mein Land, außer meinem Sohn mehrfach das Leben zu retten?“, fragte er mit Schalk in den Augen.
„Nur eine winzige Gefälligkeit, Reaon. Eine winzige Gefälligkeit vom König von Agenfelt.“
„Deine winzigen Gefälligkeiten sind gefährlich, Taramia. Mir wäre es lieber, du würdest mich bitten, ein Reich zu unterwerfen, denn das wäre nicht so aufwändig und international leichter zu vertreten.“
„Oh, du bist und bleibst ein Spötter, Reaon. Aber ein liebenswerter Spötter.“
Die beiden sahen sich an und lachten gemeinsam. „Also, was kann ich als Dank für die Rettung meines Erben für dich tun, werte Freundin?“
„Es ist wirklich nur eine winzige Kleinigkeit. Und im Gegenzug könnten wir vielleicht das eine oder andere deiner Probleme lösen, werter Freund“, erwiderte sie bedeutungsschwer.
***
Sie waren relativ früh am Morgen eingetroffen, und auch das Attentat auf den Kronprinzen hatte nicht gerade ihre Zeit gefressen. Dementsprechend war es kein Wunder, dass ihnen bis zum Mittagsmahl, welches zwei Stunden nach dem Zenit stattfinden sollte, Zeit in den eigenen Räumen gewährt worden war, um die Strapazen der Reise und des Attentats abstreifen zu können.
Für Conrad Waldek hieß das, die staubige Reisekleidung auszuziehen und das wenige zu begutachten, was er an repräsentabler Ausstattung mitgenommen hatte, inklusive einer kompletten Toilette in Form eines modernen Anzugs, wie man ihn in Pars bei großen Anlässen im Königspalast zu tragen pflegte. Doch Conrad befürchtete, dass diese Mode der in Agenfelt weit hinterher hinkte, und er nicht sehr repräsentativ für seine Nation dastehen würde. Dazu kam auch noch, dass er seine Kadettenkleidung von Roem nicht anziehen durfte, weil dies keine Mission der Schule, sondern eine Privatreise war. Also hatte er die Qual mit den wenigen restlichen Kleidungsstücken, während einer der Oberdiener des Palasts mit einem beträchtlichen Betrag aus seiner Börse und einem klaren Auftrag für ihn in der Stadt einkaufen war. Conrad entschied, dass die Dinge auf seinem Bett ausreichen würden, um vorerst einen halbwegs akzeptablen Eindruck zu machen.
Das Zimmer, eigentlich schon eine eigene Flucht, hatte ein eigenes Badezimmer mit fließendem Wasser. Soweit er wusste, geschah dies wie auf Burg Catrek durch den Eigendruck der Quelle, auf der das Schloss stand. Sie drückte das Wasser regelrecht nach oben, sodass im ganzen Schloss jederzeit kaltes und heißes Wasser zur Verfügung stand. Conrad entkleidete sich bis zur Hüfte und wusch sich ausgiebig. Danach kehrte er, mit einem Handtuch beschäftigt, in den Wohnraum zurück.
Dort wurde er bereits erwartet. Der Kleidung nach war es eine Frau mit hellblondem Haar, das zu einer kunstvollen Frisur hoch gesteckt war. Sie trug ein leichtes Tageskleid aus edlem Stoff und hatte sich über die Sachen gebeugt, die Conrad auf dem Bett ausgebreitet hatte. Dabei murmelte sie zu sich selbst. „Das geht doch nicht... Nicht mehr modern... Das es so etwas heutzutage noch gibt...“
Conrad beschloss sanft zu sein, wenngleich er abschätzte, wie viele schnelle Schritte er bis zu seinem Schwert brauchen würde. „Kann ich helfen?“, fragte er leichtheraus.
Die Frau wandte sich erschrocken um und legte beide Hände an die Brust. „Himmel, Conrad, habt Ihr mich erschreckt!“
„Das beruht auf Gegenseitigkeit“, erwiderte der Schülersprecher und legte das Handtuch auf einem Stuhl ab. „Ich habe keinen Besuch erwartet. Und ich hätte gedacht, das sich eine Dame ankündigen lässt, bevor sie in das Zimmer eines fremden Mannes geht.“
„Eines fremden Mannes? Sind wir uns denn in so kurzer Zeit so fremd geworden?“, fragte sie unschuldig und verschränkte ihre Hände auf dem Rücken. Sie lächelte ihn an, bis ihr zu Gedanken kam, das der junge Waldek halb nackt war. Sie errötete und griff auf das Bett. Mit stark geröteten Wangen sah sie fort und hielt ihre Beute dem Jungen hin. „Hier, zieht dieses Hemd an, Conrad. Es bietet von den Dingen hier noch die beste Grundlage.“
„Ist es das, wofür Ihr hier seid, meine Dame? Um auf mich und meine Bekleidung herab zu sehen?“, fragte er barsch, nahm das Hemd entgegen und zog es an.
„Nein! Aber nein, wirklich nein, guter Conrad!“, beteuerte sie.
„Ihr könnt wieder schauen“, brummte Conrad und griff nach seinem Schwert. Mit geübten Griffen befestigte er es an seinem Gürtel. „Wenn Ihr nun die Güte hättet, Euch zu erklären?“
Sie sah wieder herüber. Ihr verlegenes Räuspern ließ ihn stutzen. Danach hüstelte sie verlegen. Und schließlich schüttelte sie den Kopf in Unverständnis. „Conrad, Ihr habt mich doch nicht wirklich schon vergessen? Es ist keine Stunde her, dass wir uns begegnet sind.“
Der junge Waldek stutzte. Er musterte die junge Frau, besah sich das kunstvoll geschminkte, hübsche Gesicht, die wenigen aber erlesenen Geschmeide an Hals und Ohren der Dame, die zarten und schlichten Ringe an ihren Fingern und das vorteilhaft geschnittene Dekolleté, das selbst einem kleinen Busen große Wirkung erlaubte. Langsam dämmerte es ihn. „Ihr seid... Jisathans Schwester?“
„So, habt Ihr mich also doch nicht vergessen, guter Freund“, sagte sie in tadelndem Ton.
„Ihr... Seht vollkommen anders aus als noch eine Stunde zuvor.“ Conrad musterte sie genauer. Wirklich, dies war Jalandia. Die Augen stimmten, das schmale, hübsche Gesicht und die Farbe ihres Haars waren eindeutig.
Verlegen sah die Prinzessin zur Seite. „Besser oder schlechter, Conrad Waldek?“
„Nun, ich bin kein Experte, doch würde ich sagen, dass Ihr auch in dem schlichten Kleid und der Schürze eine gute Figur gemacht habt. Ihr seht halt anders aus. So wie ein Baum im Sommer in vollem Blatt und im Winter vom Schnee verziert immer anders aussieht, aber nicht weniger prächtig.“
„Conrad! Ihr schmeichelt mir“, tadelte sie verlegen und sah mit erneuter Röte zur Seite.
Der junge Waldek, nicht ganz sicher, was schmeicheln sein sollte, zog es vor zu schweigen.
Als dieses Schweigen schließlich laut zu werden drohte, begannen beide zugleich zu reden.
„Nach Euch, Hoheit“, sagte Conrad schließlich.
„Danke, guter Conrad. Ihr werdet Euch sicher fragen, warum ich in Euer Zimmer gekommen bin. Nun, seht es als ersten Zins meines Dankes an, den ich für die Rettung meines Bruders empfinde, indem ich Euch helfe eine ansprechende Garderobe für unser gemeinsames Mittagsmahl heraus zu suchen. Verzeiht, dass ich dies ohne Ankündigung getan habe.“
„Und was ist der wahre Grund?“, fragte Conrad amüsiert.
„I-ich gebe zu, da gibt es noch etwas. Eine Frage, die ich stellen will.“ Mit plötzlich aufgeflammter Hoffnung sah sie Conrad in die Augen. „Dieses hübsche Mädchen, die junge Göttin Selestin, ist es wahr? Ist sie eine Schülerin auf Catrek? Mein Bruder schrieb es mir in seinen Briefen, doch glauben konnte ich es nie so Recht, dass die Lehranstalt auch Frauen nimmt!“
„Ja, sie ist eine Schülerin Catreks, und mit Verlaub, sie ist sehr gut in allem was sie tut“, erwiderte Conrad mit einem Lächeln.
„Sagt, Conrad!“, rief Jalandia und ergriff wieder beide Hände des Schülersprechers, nur um diese an ihre Brust zu drücken, „Ich werde sechzehn im nächsten Jahr! Denkt Ihr, Burg Catrek wäre auch eine gute Schule für mich?“
Als die Tür mit lautem Knall zuschlug, fuhren die beiden erschrocken herum. Torandil kam auf sie zugefegt und trennte mit allen Anzeichen der Panik Jalandias Griff um Conrads Hände. Dann umfasste er sie gegen jedes Protokoll an der Hüfte, hob sie an und trug sie gut zehn Meter weit fort. „Keine Zeit für Erklärungen! Selestin ist gleich hier!“, rief er über die Schulter zurück.
Wieder krachte die Tür, und Mirk kam herein. „Keine Zeit für Erklärungen, Selestin ist gleich... Oh, Torandil, du hast ja schon alles geregelt.“
„Habt ihr zwei etwa gelauscht?“, argwöhnte Conrad.
„Wie kommst du denn darauf?“ Torandil machte eine gegenteilige Geste. „Gelauscht. Wir vielleicht? Wohl in der Hoffnung, dich mit Selestin zu erwischen? Aber nicht doch. Nicht doch!“
„Nicht so laut!“, zischte Mirk. „Wenn Selestin dich hört...“

Leise klopfte es an der Tür, geradezu zaghaft. Vom Geräusch her hätte man es gerade noch mit dem sanften Flügelschlag eines Schmetterlings vergleichen können.
Überrascht ging Mirk zur Tür und öffnete sie. „Hey, Conrad. Du hast noch mehr Damenbesuch!“, rief der Dämon und deutete auf das zarte junge Wesen, das wie eine kunstvoll modellierte Puppe im Seidenkleid wirkte. Schlicht und doch elegant, und dazu wunderschön. Bis zu dem Moment, an dem ihre Augen sich auf Mirk fixierten. „Was heißt denn noch mehr Damenbesuch?“, zischte Selestin wütend.
Erschrocken wich der Dämonenprinz zurück. „Urgs. Selestin, bist du das?“
Das wie modelliert wirkende Frauenzimmer ballte eine Hand zur Faust, und auf ihrer Stirn begann eine Ader zu pochen. „Wenn du nicht gleich damit aufhörst, mich hochzunehmen, Mirk Farel, dann...“
„Falsch! Falsch!“ Abwehrend hob Mirk beide Arme. „Du siehst nur so vollkommen anders aus! Sieh, sogar Conrad kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus!“
Selestin wandte ihre Aufmerksamkeit dem jungen Waldek zu, der sie mit offenem Mund anstarrte.
„Conrad?“ Verlegen und mit verschämter Röte auf den Wangen sah sie zur Seite. „Conrad, wenn du mich so ansiehst, weiß ich ja gar nicht was ich denken soll.“
Draußen auf dem Gang erklang ein dumpfer Laut. „Kann mir bitte jemand helfen?“, klang die Stimme von Kitram Lorhest auf. „Seine Hoheit ist in Ohnmacht gefallen, als er Lady Selestin erkannt hat!“
Torandil begann tief und innig zu seufzen. „Na toll, Selestin. Das macht zwei auf einem Streich. Du kannst es einfach nicht lassen, oder?“
„Ist... Ist es meine Schuld, das ich so gut aussehe?“, erwiderte die junge Frau mädchenhaft verschämt.
Dabei hatte sie in Jalandia eine aufmerksame Zeugin. Sie hatte beide Hände auf ihre Brust gelegt und kam in langsamen Schritten näher. Vor der Älteren ließ sie sich niedersinken und streckte ihr ihre Hände entgegen. Mit glänzenden Augen strahlte sie Selestin an. „Meisterin! Lehre mich!“
Mit Grauen in der Stimme raunte Torandil: „Und genau das ist der Zeitpunkt, an dem wir das Land verlassen sollten...“
***
„...und das war der Moment, in dem wir die Falle zuschnappen ließen!“, klang Mirks Stimme über den Tisch hinweg auf. „Von links kamen sie, von rechts kamen sie, ihre Armbrustschützen schossen einem meiner Männer das Pferd direkt unter dem Hintern weg, aber wir waren unerschütterlich, und drangen ihnen einher! Ein Pirat zur Linken, ein Streich mit meinem Schwert! Ein anderer sprang mich an, aber Conrad war schon zur Stelle, um dem Haderlump sein Vorhaben zu vereiteln! Seht, die Bolzen gingen auf uns nieder wie ein Regen aus Stahl und Holz! Doch wir wenigen, wir tapferen wenigen, gestählt durch die harte Schule Catreks, wischten sie alleine mit Schwertern aus der Luft und hielten sie mit unseren Schilden ab! Nur Conrad ritt durch den Bolzenregen, als gäbe es ihn nicht!“
Ein aufgeregtes Jauchzen ging durch die Reihen von Mirks Zuhörerinnen, die begeistert an seinen Lippen hingen.
„Hat es sich wirklich so abgespielt, Conrad? Wenn ja, muss ich meine Meinung über deine Führungsqualitäten revidieren“, tadelte Major Azet mit einem dünnen Lächeln.
„Es war nicht ganz so“, erwiderte der Schülersprecher. „Wir hatten das Überraschungsmoment auf unserer Seite.“
Unruhig sah sich der junge Waldek um. Das schlichte Mittagsmahl, zu dem sie geladen worden waren, erfolgte an einer Tafel für zweihundert Personen. Zwar war sie nur halb besetzt, aber selbst das bedeutete noch einhundert Gäste.
„Nicht so bescheiden, Conrad!“, sagte Jisathan voller Enthusiasmus. „Wie ich hörte, hast du noch ganz andere Taten vollbracht! Oh, um mein Leben gerne wäre ich da im letzten Jahr gewesen, um mit dir, Bruder, in die Schlacht zu ziehen. Meine Bitterkeit war tiefer als die jener aus dem letzten Jahr, die du zurück gelassen hast.“ Jisathan klopfte sich vergnügt auf die Schenkel. „Selbst die Bücherwürmer haben sich da gewünscht, sich mehr für Schwert und Bogen als für Bilanzen zu interessieren.“
Conrad räusperte sich verlegen. Er hatte direkt neben Jisathan einen Platz erhalten, der am Kopfende neben seinem Vater saß. Taramia nahm einen Ehrenplatz neben dem König ein, der eigentlich einer seiner Frauen vorbehalten war, was viel Gerede am Tisch erzeugt hatte. Auch das ihre Tochter neben ihr saß kam schon fast einem Eheversprechen gleich.
Conrad nahm es unglücklich hin, nun durch vier Meter Tisch von Selestin getrennt zu sein. Nun, wenigstens hatte sie Torandil und Mirk in ihrer Nähe, die auf den Ehrenplätzen neben ihr saßen, während er selbst und Livon Azet auf dieser Seite der Tafel saßen.
Conrad vermisste Kitram am Tisch, aber der junge Mann stand an der Wand hinter seinem Herrn und ließ einen wachen Blick über den Saal schweifen, während bereits der fünfte Gang aufgetragen wurde.
„Wenn wir von Taten sprechen“, merkte ein älterer Mann in der Uniform des Reiches Agenfelt an, der die Insignien eines Generals trug, „so erzählt doch, Lord Waldek. Ich habe gehört, es war ein rauer Weg für Euch und den Prinzen?“
„Ihr begeht einen Fehler, General Irat“, klang die Stimme eines anderen Mannes auf, der einen geckenhaften, geradezu affektierten Anzug trug, der, wie man Conrad versichert hatte, der neuesten Mode entsprach. „Der junge Mann ist zweifellos von großem Mut beseelt und hat einen starken Schwertarm, aber er ist nicht von Adel.“
„Als wenn das eine Rolle spielen würde“, brummte der General verstimmt. „Zudem meinte ich den Titel als Würdigung, Graf Voulun. Selbst Ihr müsst zugeben, dass den Prinz zu beschützen eine Leistung ist, die Anerkennung verdient.“
„Würde diese Leistung Anerkennung verdienen, dann wäre die Familie Lorhest schon längst in den Herzogsstand erhoben worden“, erwiderte der Graf verächtlich.
Jisathan fuhr auf, aber eine Geste Conrads ließ ihn wieder Platz nehmen. Doch unverkennbar ballte er die Hände zu Fäusten, weil sein vielleicht einziger Freund in diesem Land ebenso wie dessen ganze Familie gerade beleidigt worden war.
„Ihr irrt euch, mein Lord.“ Conrad schenkte dem Gecken einen kühlen Blick. „Zwar bin ich kein Herzog und auch kein Thronerbe, aber in meiner Familie wird ein Fürstentitel und das Amt eines Truchseß vererbt. Mein älterer Bruder ist für diese Aufgabe vorgesehen. Nach gutem Recht und Tradition von Pars bin ich also ein Edelmann und darf den Titel meines Hauses tragen. Was wiederum einem Baron in Eurem Land entspricht, Herr Graf.“
Selestin schien dem noch etwas hinzu zu fügen wollen, aber ihre Mutter hielt sie zurück. „Da wir nun festgestellt haben, dass Lord Waldek doch von Adel ist, darf er vielleicht die Frage des Generals beantworten.“
Erbost sah der Graf zur Lehrerin herüber, dann aber senkte er den Blick und erwiderte: „Natürlich. Verzeiht meinen Einwurf, edle Dame.“
„Bitte, BARON Waldek“, sagte Taramia mit betonter Genugtuung in der Stimme.
„Zugegeben“, meinte Conrad, nachdem er sich ein wenig geräuspert hatte, „es war ein wenig unruhig auf unserer Reise. Hier ein wenig Gift, da ein Meuchelmörder, ganz zum Schluss noch mal zwei Haderlumpe mit Schwertern.“
„Wenn Ihr es so sagt, BARON Waldek“, meinte Voulun im Plauderton, „klingt es wirklich gar nicht so gefährlich. Aber ich gebe zu, euch Kriegern muss das Glück als wichtiger Gefährte zur Seite stehen, genauso wie das lockere Mundwerk.“
Nun war Jisathan nicht länger zu halten. Er sprang auf und schlug beide Handflächen auf die Tafel, sodass die Teller tanzten und einige Gläser stürzten. „Irik Voulun, was unterstellt Ihr da meinem Freund Conrad?“
„Nichts, Nichts, Hoheit. Er sagt ja selbst, dass die Reise nicht so schlimm war. Da wird halt jemand von geringerem Blut übertrieben haben müssen, als er seine Taten pries.“
„Gering können seine Taten kaum sein, wenn Magie im Spiel war“, zischte Jisathan wütend.
„Oho, Magie! Hat man euch auf Catrek in diesem delikaten Fach unterrichtet, Hoheit? Es würde mich freuen, derartige Ergebnisse zu sehen.“
„Man muss keine Magie beherrschen, um sie zu erkennen, wenn man sie sieht. Ich selbst habe einem Gehörnten gegenüber gestanden.“
„Bevor er ihn mit einem Dolchstoß geblendet hat“, fügte Mirk hinzu. „Grandiose Arbeit in allergrößter Gefahr.“
„Ach, und was hat BARON Waldek in dieser Zeit gemacht? War er zufällig nicht zugegen?“
Conrad erhob sich. Er sah Jisathan, wie er sich mehr und mehr in seiner Wut verlor, während er versuchte einerseits seinen Jugendfreund Kitram zu beschützen, andererseits Conrad und seine anderen Gäste. Und er erkannte, wie all das zusammen lief. Vielleicht nicht in den Händen von Irik Voulun, vielleicht etwas dahinter. Aber bevor etwas dummes geschah, sah er sich genötigt einzugreifen.
Er warf Jisathan einen zwingenden Blick zu. Zögernd, geradezu protestierend, nahm der Prinz von Agenfelt wieder Platz.
„Lord Voulun, ich mag nur ein Schüler sein, und ich habe vielleicht noch nicht viele Schlachten gesehen. Aber ich erkenne wenn ich provoziert und beleidigt werde. Ich nehme Eure Herausforderung an. Ort und Wahl der Waffen überlasse ich Euch.“
Ein helles Raunen ging über den Tisch. Jalandia schlug entsetzt beide Hände vor den Mund und schluchzte entsetzt auf.
„Ihr wollt euch mit mir schlagen, Baron Waldek? Oh, ich bin kein Soldat. Ich bin auch kein Schläger. Desgleichen habe ich eigentlich keiner Herausforderung ausgesprochen. Aber wenn Ihr Eurer verdrehten soldatischen Ehre darauf besteht, will ich Euch ein Duell gewähren. Da ichmir jedoch keiner Herausforderung bewusst bin, lasst mich einen Substituten stellen.“
„Mein Herr Waldek!“, rief Jalandia hell über den Tisch hinweg. „Ihr dürft nicht...“
„Schon gut, Schwesterherz“, warf Jisathan ein. „Das ist eine Männerangelegenheit.“
„Aber er wird seinen Champion wählen! Toruk hat die letzten beiden Jahre das Turnier gewonnen und...“
„Conrad, Conrad, suchst du wieder mal den Spaß für dich alleine?“, tadelte Torandil ärgerlich und schnippte auf dem Tisch nach einem Brocken Brot. „Denke bitte das nächste Mal daran, uns mitspielen zu lassen, ja?“
„Ihr versteht nicht, mein Herr Torandil! Toruk ist schrecklich! Er ist furchtbar! Und er ist unglaublich stark und... Und...“ Sie schnappte nach Luft, suchte nach Worten und fand sie nicht.
„Sollte ich Toruk wählen? Ich hatte mehr an einen meiner eleganten Fechter gedacht“, sagte der Graf und nahm einen Schluck aus seinem Glas, „der Eurer Ausbildung in Catrek genehmer wäre. Aber nach dem was ich hier hören musste, kann ich verstehen, dass die Neugier auf meinen Kämpfer Toruk groß ist. Und es wäre doch ungerecht Euch gegenüber, Euch gegen meinen Zweitbesten antreten zu lassen, nicht wahr?“
„Aber... Aber...“ Mit Entsetzen sah Jalandia zum Kopfende der Tafel. „Vater!“
„Davon verstehst du nichts, Kind. Das ist eine Männerangelegenheit. Graf Voulun, sagen wir heute Nachmittag?“
„Es soll mir eine Ehre sein. Auf Leben und Tod? Etwas anderes erscheint mir für den Helden von Catrek unangemessen zu sein.“
Nun griff die Verzweiflung erst recht nach Jalandias sorgendem Herzen. „Meine Lady Taramia! Gute Freundin Selestin! Ich bitte euch...“
Taramia sah von ihrem Schwätzchen mit dem König auf. „Was denn, hübsches Kind? Unser Conrad wird das schon schaffen.“
Selestin jedoch hatte sich erhoben. „Ich protestiere!“
Die Augen der Anwesenden richteten sich auf die ärgerliche junge Frau. „Conrad, du wirst dir deinen Schwertarm auf den Rücken binden lassen, sonst hat dieser Toruk ja nicht den Hauch einer Chance!“
„Auf... den... Rücken...“ Mit einem Seufzer fiel die Prinzessin Agenfelts in Ohnmacht.
Sofort sprangen Nachbarn auf und Diener herbei.
In diesem Gewirr aber ging Conrads Stimme beinahe unter. „Mein Lord Voulun, ich werde in diesem Streit um die Ehre kämpfen. Worum aber streitet Ihr?“
„Wie meinen, Baron?“
„Was ist Euer Einsatz für den Fall, das ich gewinne?“
„Oh, Ihr werdet nicht gewinnen, Baron.“
„Gut. Dann bestimme ich Euren Einsatz. Ihr werdet, wenn Ihr verliert, Euren Titel verlieren, Eure Ländereien und Euer Heimatland. Euer Vermögen behaltet, und fangt irgendwo in der Fremde neu an.“
„Das... Das ist ja wohl...“, empörte sich der Graf.
Der alte General Watalaun Irat lachte amüsiert. „Endlich wird es mal wieder interessant hier in Tirit-Alem.“
***
Die dritte Stunde nach dem Mittag war als Uhrzeit des Duells angesetzt. Die kleine, sandige Arena, in der ansonsten die Bolzenschützen auf Scheiben schossen, war als Ort ausgemacht worden. Verlangt hatte Voulun Schwerter.
Conrad saß in einer kleinen Rüstkammer und besah sich die verschiedenen Stücke an Metall- und Lederrüstung. Zwar hatte er für die Reise seine eigene Rüstung mitgebracht, ebenso wie sein Schwert, aber falls ihm das eine oder andere Stück doch besser gefiel, konnte er es noch tauschen. Vor allem weil Dellen und Risse immer so schwer wieder zu beseitigen waren.
Jalandia begleitete ihn mit hängendem Kopf. „Conrad, guter Conrad, Ihr habt ja gar keine Ahnung! Toruk ist ein Riese von einem Mann, drei Köpfe größer als Ihr, mit der Kraft von vieren und der Wut von neunen ausgestattet! Seine Arme sind wuchtig wie Weinfässer, und mit einem Hieb kann er einen Mann spalten, und... Und... Lasst mich doch zu Graf Voulun gehen! Lasst mich sagen, mir zuliebe habt Ihr abgesagt! Ich...!“
„Conrad, Mann!“, rief Mirk, als er mit Torandil und Kitram den Raum betrat. „Dieser Toruk zerbröselt Weinfässer mit der bloßen Hand! Er ist riesig! Masse hat er genug für dich und mich und Torandil. Und flink ist er, das sollte man gar nicht so meinen!“ Der Dämon klopfte Conrad kräftig auf die Schulter. „Du wirst einen Spaß haben. Ich beneide dich darum.“
„Spaß? Er wird sterben!“ Anklagend sah die Prinzessin den Dämonen an, bevor sie zu einem kläglichen Häufchen Mensch zu Boden sank und dort zu weinen begann.
Mirk beugte sich vor ihr zu Boden und griff sanft nach ihren Händen. „Mein hübsches Mädchen. Tränen stehen Euch nicht. Eure wunderschönen Züge sollten nur ein Lächeln tragen müssen. Habt Vertrauen, Jalandia. Conrad Waldek ist nicht irgendwer. Er ist unser Champion. Seit er Catrek betreten hat, ist er dort Schulsprecher, und das wird nur der Schnellste, Klügste und Stärkste.“
„Und genau deshalb bist du seit fünf Jahren sein Stellvertreter“, spottete Torandil.
„Genau wie du, Gott“, raunte der Dämon ihm zu. Langsam zog er Jalandia auf die Beine. „Es ist offensichtlich, dass Graf Voulun etwas geplant hat. Wahrscheinlich wollte er jedoch Euren Bruder in dieses unmögliche Duell locken, und Conrad ist ihm dazwischen gekommen. Wahrscheinlich versucht der Graf gerade, die Situation zu seinem Vorteil zu nutzen, so gut er es nun kann. Aber am Ausgang des Duells wird es nichts ändern. Agenfelt wird einen fähigen Krieger verlieren, und Conrad wird seinen Ruhm mehren.“
Aus wässrigen Augen sah das schöne Mädchen den Dämonen an. „Ist das wahr, Prinz Mirk?“
„So habe ich es gesagt, so wird es geschehen.“ Vorsichtig dirigierte er die Dame zu einer nahen Bank, auf der er sie Platz nehmen ließ.
In diesem Moment kam Jisathan in Begleitung von Rogan Lorhest herein. „Voulun hat mir einen Handel vorgeschlagen“, sagte er verärgert und ließ sich neben Mirk auf die Bank sinken. „Er verzichtet auf das Duell, wenn...“
„Du auf deinen Thron verzichtest?“, riet Mirk.
„Nein, das nicht.“
„Ihm deine liebreizende Schwester zur Frau gibst?“, fragte Torandil.
„Nein, das auch nicht. Wieso überhaupt liebreizend?“
„Oh, ich vergaß, du hast dich an der Conrad-Krankheit angesteckt“, spottete der Gott.
„Dann hat er von dir Titel, Ländereien und Gold verlangt.“
„Nein, auch das nicht.“ Ärgerlich sah der Prinz in die Runde.
Rogan, Kitrams älterer Bruder, räusperte sich vernehmlich. „Das Duell wird abgesagt, wenn Seine Hoheit aus dem unsicheren Catrek zurück in die Sicherheit von Tirit-Alem kommt.“
„Oder übersetzt, dich ein Jahr früher als Zielscheibe selbst servierst“, schloss Conrad.
„Darauf läuft es wohl hinaus“, erwiderte Jisathan.
„Und, hast du angenommen?“, fragte Jalandia mit Hoffnung in den Augen.
„Warum sollte ich? Conrad würde auf Wochen kein Wort mehr mit mir wechseln.“
„Aber... Aber es ist Toruk! Toruk!“
„Oh, ich hatte eh vor, meinem guten Freund hier etwas besonderes zu bieten.“ Jisathan lächelte dünn. „Es scheint, Graf Voulun ist mir da zuvor gekommen.“
„Ihr seid doch alle verrückt und wahnsinnig und...“ Wütend sprang Jalandia auf. Dann wandte sie sich brüsk ab. „Ich werde für dich weinen, guter Conrad. Und ich will versuchen, Selestin in ihrer Seelennot so gut ich kann beizustehen.“
Die Männer sahen der resoluten Prinzessin einen Moment hinterher.
„Und, Conrad? Was willst du tragen? Deine übliche Rüstung? Wir haben auch gutes gehärtetes und vernietetes Leder hier.“
„Da hinten ist ein erstklassig verarbeitetes Kettenhemd in deiner Größe“, stellte Mirk fachmännisch fest.
„Ich denke, ich werde die gleiche Rüstung tragen, die mich schon im Kampf gegen die Piraten beschützt hat.“ Conrad zog seine Klinge blank. „Ich hätte nicht gedacht, dass diese Reise so interessant werden würde.“
„Erinnere mich daran, dir nächstes Mal eine Schlacht gegen ein ganzes Regiment zu bieten“, spottete Jisathan.
***
„Verzeiht die Verspätung“, murmelte Prinzessin Jalandia, als sie auf den eilig aufgebauten Sesseln am Rande der Arena neben ihrem Vater Platz nahm.
„Wo warst du so lange? Beinahe hättest du das beste verpasst“, tadelte Selestin.
„Ich... Ich habe versucht, Lord Waldek ins Gewissen zu reden, denn...“
Das Knarren einer großen Pforte überdeckte ihre dünne Stimme. Begleitet von Graf Voulun und einigen seiner Getreuen betrat ein wahrer Hüne die Arena. Eine dicke Lederrüstung bedeckte seine Brust, und ein reich verzierter Helm lag in seiner Armbeuge. An seiner Hüfte baumelte ein Schwert, das ein normaler Mann mit zwei Händen schwingen musste. Niemand zweifelte daran, dass der da es mit einer Hand führen konnte.
„Denn das ist sein Gegner“, schloss Jalandia tonlos.
Nun ging auch die andere Tür auf, und Conrad betrat, begleitet von seinen Freunden, die Arena.
Selestin sprang auf. „Conrad, hast du dir den Schwertarm auf den Rücken binden lassen? Wir wollen doch fair bleiben!“
Graf Vouluns Gesicht lief dunkelrot an, als er diese Worte hörte und Jalandia drohte erneut in Ohnmacht zu fallen.
„Wir haben leider keine Kette gefunden, die den Arm hätte halten können“, erwiderte er in entschuldigendem Ton.
„Oh. Wenigstens hast du ein gutes Argument“, erwiderte sie und setzte sich wieder.
Nun erhob sich König Reaon. „Ein Duell wurde gefordert, zwischen Conrad Waldek und Toruk, dem Vertreter und Fechter Baron Vouluns. Auf Wunsch des Barons soll es auf Leben und Tod gehen. Deshalb lasst mich einen Preis für den Sieger ausloten.“ Seine Majestät nahm wieder Platz und nickte seinem Stiefsohn zu. Jorgumant erwiderte das Nicken und trat in die Mitte.
„Trefft euch in der Mitte, Duellanten.“
Conrad schritt auf den General zu, begleitet von einem aufmunternden Schulterklopfer Torandils. Während er auf Jorgumant zuschritt, musste er zunehmend den Kopf heben, um Toruk noch in die Augen sehen zu können. Als sie sich in der Mitte gegenüber standen, musste er sich gar ein wenig nach hinten beugen.
„Es gibt keine Regeln, es gibt kein Recht außer dem des Stärkeren. Es gibt kein Anrecht auf Gnade. Allerdings kann der Sieger dem Besiegten Gnade gewähren, was der Unterlegene kompensieren muss.“
Jorgumant sprang aus der Mitte fort. „Beginnt!“
„Habe keine Sorge, Bursche, ich werde dich nur töten, wenn mein Herr es ausdrücklich wünscht“, brummte Toruk mit erschreckend sanfter Stimme und sprang vor. Seine Rechte mit dem Zweihänder sauste herab. Zugleich schlug seine Linke mit der Kraft eines Schmiedehammers herab.
Doch dort wo die Klinge in den Boden fuhr, war Conrad nicht mehr.
„Habt auch Ihr keine Angst, guter Toruk. Ich denke, ich werde Euch verschonen“, konterte Conrad Waldek.
Toruk sah auf und erkannte den jungen Studenten von Catrek fünf Schritte entfernt. Sofort drang er mit unheimlicher Behendigkeit hinterher, erreichte Conrad und attackierte ihm mit einem Hieb von der Seite, der ihn in die niedersausende Linke treiben musste. „Geschwindigkeit ist nicht alles!“, rief Toruk.
Es gab einen dumpfen Laut, dann stutzte der Riese. Seine Linke wurde von der blanken Seite des Schwertes Conrad Waldeks aufgehalten; seine Klinge hielt der junge Bursche mit der Linken auf.
Toruk zerrte an der Waffe, bekam sie aber nicht frei.
Er hob die Linke, wollte um sich schlagen, sich frei prügeln, da war ihm das Gesicht Conrads plötzlich so nahe. Der junge Waldek grinste böse. Dann traf das rechte Knie des Catrek-Schülers Toruk unter dem Kinn und schleuderte ihn meterweit davon.
Er überschlug sich mehrfach, schlitterte noch ein paar Meter, und blieb dann liegen.
Entsetzte Raunen kam von den Zuschauern.
Toruk richtete sich sitzend auf, schüttelte den Kopf, um die Benommenheit los zu werden. Dann sank er nach hinten und gab keinen Laut mehr von sich.
Conrad Waldek steckte sein Schwert zurück, verbeugte sich vor seinem Gegner und dann vor den Gästen.
„D-das war noch nicht alles!“, rief Voulun entsetzt. „Toruk ist unmöglich besiegt! Nicht von so einem Zwerg!“
Jorguman trat zu dem gefällten Riesen und legte ihm eine Hand auf die Stirn. „Conrad, was ist das für ein Schabernack?“, rief er entrüstet. „Er lebt ja noch. Bringt Ihr nie etwas zu Ende?“
Diese Worte ließen Voulun erbleichen.
„Nun, verzeiht, guter Jorguman, aber es war nicht mein eigener Wunsch, dass dies auf Leben und Tod gehen soll.“
„Er kann nicht besiegt sein! Er kann nicht bewusstlos sein! Dies ist ein Komplott! Steh auf, du Halunke, steh auf, oder...“
Jorguman hinderte den Grafen daran, nach dem Bewusstlosen zu treten. „Das nützt auch nichts mehr. Conrad hat ihn zu gut erwischt. Es würde mich wundern, wenn Toruk zu dieser Stunde noch aufwachen würde. Ihr habt verloren, Graf Voulun.“
„Verloren?“ Entsetzen machte sich auf seinem Gesicht breit. „Verloren? Ich? Wenn, dann hat Toruk verloren, aber ich doch nicht, und...“
„Genug!“ Mit ärgerlicher Miene erhob sich Reaon von seinem Platz. „Ein Duell ist eine ernste Angelegenheit der Ehre! Ihr, Voulun, habt verloren!“
„Majestät, ich...“
„Ich sagte genug! Da Ihr nicht in der Lage wart, selbst einen Preis zu nennen, Lord Waldek aber wiederum nicht widersprochen habt, als er Euren Einsatz forderte, gehe ich davon aus, dass der Sieger nun seinen Lohn bekommen kann!
Fortan, seid Ihr nur noch Irik Voulun! Euer Bruder Rakli wird fortan Euer Amt und Euren Titel tragen. Ihr seid Eurer Ländereien verlustigt und verlasst heute noch mein Land. Euer Vermögen sei Euch gelassen, soweit Euer Bruder keinen Anspruch darauf erhebt! Dies ist mein Urteil!“
„Majestät! Das könnt Ihr nicht tun! Ich habe Freunde, mächtige Verbündete! Ich werde mich rächen!“
„Majestät, der Bürger Voulun bedroht Euer Leben!“, stellte Jorguman ernst fest und zog seine Waffe. Auch die anderen Palastwachen zogen nun ihre Schwerter.
„Was kann man anderes von einem zahnlosen Hund erwarten, als das er bellt? Bringe ihn hinaus, Jorguman, und dann sorge dafür, dass er das Land schnellstmöglich verlässt.“
„Sehr wohl. Was soll mit Toruk geschehen?“
„Toruk soll...!“, blaffte Voulun, doch der König winkte ab.
„Das Leben des Kriegers Toruk gehört nun dem Mann, der es verschont hat. Jemand soll es ihm sagen, wenn er wieder erwacht. Und jetzt hinaus mit diesem Narren!“
„Sehr wohl, Majestät.“
Beschimpfungen ausstoßend wurde der ehemalige Graf mit seinen Leuten aus der Arena geschafft, während die Freunde Conrad umringten und ihn beglückwünschten.
„Und genau deshalb wollte ich, dass er einen Arm auf den Rücken bindet. Das ging viel zu schnell“, murrte Selestin und erhob sich.
„Du hast es gewusst? Dass er...?“, hauchte Jalandia, noch immer überrascht vom Gesehenen.
„Natürlich. Ich als erste weiß was Conrad kann.“ Sie lächelte liebevoll. „Aber deine Sorge war rührend.“ Selestin deutete eine Verneigung an, danach wandte sie sich um und ging zu dem Pulk um Conrad Waldek.
***
„Ist es das, was du wolltest?“, fragte Taramia amüsiert.
„Ich wollte gar nichts. Du und dieser Rotzlöffel wart es, die Unruhe in mein Land gebracht haben.“
Conrad Waldek, neben der Lehrerin und König Reaon von Agenfelt der einzige Anwesende, versteifte sich bei diesen Worten merklich. „Majestät!“
„Ich denke, ich muss dir danken, Conrad. Du hast einen intriganten und gefährlichen Mann aus meinem Palast entfernt. Zwar war er nur einer von vielen, aber die Geflechte der Lügen, Intrigen und Mordabsichten werden nun tüchtig durcheinander sein.“ Der König schnaubte gefangen zwischen Ärger und Amüsement. „Vielleicht lange genug, um einmal durchatmen zu können.“
„Was die Attentäter angeht...“, begann Taramia.
„Oh, es gab zwei Gruppen. Einige hatten meinen Sohn als Ziel, andere deine Tochter, Taramia. Es gibt keinen Beweis dafür, dass sie zusammen gearbeitet haben, ja, die meiste Zeit haben sie sich wohl gegenseitig bekämpft. Bestenfalls zum Schluss mochten sie zu einer Übereinkunft gekommen sein, als sie zwei agenfelter Soldaten mit ausländischer Magie verhext haben. Aber das ist nur Spekulation.“
Conrad sah überrascht auf. „Selestin? Aber wer sollte denn... Warum sollte jemand...?“
„Oh, das zu erklären überlasse ich Taramia. Es wird dir nicht gefallen, mein Junge“, brummte der König dumpf und wandte sich halb ab. „Dein Preis, Conrad Waldek, den ich dem Sieger ausgelotet habe, wird folgender sein. Fortan wirst du meine Unterstützung haben, bei allem was du tust und das mir vernünftig genug erscheint, sowie nicht gegen Agenfelts Interessen ausgerichtet. Du wirst sie bitter brauchen können, bei dem was dir bevorsteht.“
„Ich verstehe noch immer nicht, was...“, begann Conrad und wurde erneut unterbrochen, diesmal von Taramia.
„Wir werden auf Catrek darüber sprechen, Conrad“, versprach sie. „Und das ist immer noch viel zu spät und viel zu früh.“
„Außerdem“, sagte Reaon, und lenkte Conrad damit von Taramias Worten ab, „gebe ich dir Toruks Leben. Du hattest das Recht ihn zu töten. Damit gehört sein Leben dir. Ich habe ihn bereits gesprochen und ihm einen Eid abgenommen. Er wird auch einen persönlichen Eid auf dich leisten. Nimm ihn an. Denn er ist wirklich einer der besten Krieger Agenfelts. Es hat mir nicht sehr gefallen, dass ein adliger Bursche ihn mit solcher Leichtigkeit erledigt hat, Conrad Eisenhand.“
Der junge Bursche räusperte sich verlegen.
„Jisathan ist bald mit den Dingen fertig, wegen denen ich ihn zurück gerufen habe. Ich habe unter anderem seine persönliche Leibgarde aufgestellt, sie werden morgen auf ihn schwören und ihn fortan in Agenfelt beschützen. Du verstehst, dass das eine Sache ist, die wichtig genug ist, um ihn aus Catrek her zu ordern.“
„Natürlich, Majestät.“
„In drei Tagen könnt ihr dann wieder abreisen und den etwas weniger giftigen Schlangenpfuhl Tirit-Alem verlassen. Aber um eines muss ich dich noch bitten, Conrad.“ Der König wandte sich ihm zu. „Meine Tochter Jalandia ist nun in einem Alter, in dem sie zusehends zur Zielscheibe wird. Ich will sie in Catrek einschreiben lassen wie schon Jisathan. Und ich will, dass du mit deinen Freunden auf sie acht gibst. Sie wird euch zurück nach Roem begleiten.“
Conrad verneigte sich vor dem König. „Selbstverständlich, Majestät. Immerhin ist sie Jisathans Schwester. Das alleine hätte mir schon gereicht, um sie zu beschützen.“
„Ich habe diese Antwort erwartet“, erwiderte Reaon amüsiert. „Verlasse uns nun, Conrad. Ich habe mit Taramia noch etwas zu besprechen.“
Conrad verneigte sich erneut und verließ den Raum.

Aus den Schatten schälte sich Livon Azet hervor. Bis zu diesem Moment hatte ihm der Halbschatten eines Waffenschranks gereicht, um sich zu verbergen. „Ihr seid beide ungerecht zu Conrad“, warf er den beiden vor. „Zwei Prinzessinnen zu beschützen würde nicht nur einen normalen Mann überfordern. Conrad ist kein Übermensch.“
„Und dennoch ist er der einzige, dem ich zutraue, all das zu schaffen“, erwiderte Taramia. „Wenn ich ihn schon nicht mit all den Schönheiten in Tirit-Alem ins Wanken bringen kann, dann vielleicht mit deinem süßen Töchterlein, Reaon?“
„Oh, ich hätte nichts dagegen, ihn zum Schwiegersohn zu bekommen. Ich bin mir sicher, Jalandia hätte da auch nichts gegen.“
„Sie hat allerdings keine Chance, wenn sich Selestin endlich richtig Mühe gibt“, konterte Taramia. Ernst fügte sie hinzu: „Sie ist sich Conrads immer noch zu sicher, ist nicht ernsthaft genug, geht nicht weit genug. Wenn ihr Vater...“
Livon Azet winkte ab. „Genug davon. Aber was wird Pars sagen? Habt ihr daran schon mal gedacht? Denkt ihr wirklich, Pars wird einen so wichtigen zukünftigen Minister so einfach hergeben wollen?“
Reaon winkte ab. „Wir lassen ihnen einfach keine andere Wahl.“
„Guter Plan“, lobte Taramia.
„Ihr zwei schafft mich“, stöhnte Livon auf. „Und wenn nicht in diesem Jahrhundert, dann im nächsten.“
„Dann ist ja alles beim alten“, murmelte der König amüsiert. Er griff nach einem Krug und schenkte drei Gläser mit Wein ein. „Schwierig, aber nicht unmöglich. Wer lebt schon gerne lang und hat Langeweile?“
„Armer Conrad“, brummte Major Azet und ergriff das Glas.

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