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Zum Ende der Seite springen Der Ronin
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Cattaneo
Major


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In Feindesland

Auf den ersten paar Kilometern sollten Mechs und Fahrzeuge noch gemeinsam marschieren. Dann würden sich ihre Wege trennen – beide Kampftruppen hatten eigene Vorgaben. Kenda war hier von einer alten Maxime ausgegangen: getrennt marschieren, vereint schlagen.
Zügig rückte die Kampfgruppe vor. Die Abstände zwischen den Fahrzeugen waren groß genug, damit ein Einschlag nicht allzu schweren Schaden an mehreren Maschinen anrichten konnte. Außerdem gab dies den Piloten und Fahrern größere Bewegungsfreiheit, sollte es notwendig sein. Dutzende von Augen überprüften unablässig die Radarschirme, unzählige Ohren lauschten nach verräterischen Funkimpulsen oder Geräuschen – nichts deutete bisher auf eine Entdeckung hin. Doch die Soldaten Kendas – und nicht minder die Piraten – blieben wachsam. Sie waren auf einer feindlichen Welt, auf sich gestellt. Jederzeit konnten feindliche Minen den Waldboden aufreißen, Kampfflieger den Himmel in Brand setzen und gegnerische Kampfkolosse hervorbrechen. Andererseits – wenn der Gegner nicht wußte, daß sie kamen, bestanden gute Chancen, daß er sie nicht bemerken würde, und wenn er nur wenige Täler weiter vorbeizog. Denn die Kolonne vermied überflüssiges Funken und rückte so leise vor, wie es mit den gewaltigen Maschinen möglich war. Dennoch waren die Soldaten bereit, binnen Sekundenbruchteilen das Feuer zu eröffnen, mit einer Feuerkraft, die ein kleines Dorf durch eine einzige Salve auslöschen konnte. Die Infanteristen waren besonders angespannt. Sie schützte nur die relativ dünne Panzerung der MTW’s – im Falle eines Angriffes konnten sie sich nur auf die Geschwindigkeit ihrer Fahrzeuge verlassen, bei einem Treffer mußten sie in kürzester Zeit ausbooten, sollte der Truppentransporter nicht zu ihrem Grab werden. Am dichtesten an den Ausgängen hockten die Soldaten mit den Infernowerfern und ein paar Leichtbewaffnete, die Rauch- und Blendgranaten hatten. Die Infernos waren die einzigen halbwegs durchschlagskräftigen Waffen, welche den Infanteristen gegen Panzer und Mechs zur Verfügung standen, und die Granaten mochten ihnen die rettenden paar Sekunden verschaffen. Doch nichts deute auf einen Angriff hin. Plötzlich stoppte der erste MTW. Sofort waren die Insassen sprungbereit. Dann kam über die interne Sprechanlage die Durchsage: „Fahrer an Kommandant: Leuchtzeichen voraus. Bekannter Code. Zielerfassung positiv.“ Hidetoshi nickte knapp für sich. Man hatte die Abgesandten zu einem Ort ein Stückchen abseits der Landungsschiffe bestellt – schon zu ihrer eigenen Sicherheit und damit man sich sicher seien konnte, daß jeder Mensch in der Landezone ein Feind oder unbequemer Zeuge war. Hier ungefähr hatte man sie treffen wollen. Es schien so, als würden sie ihre Verabredung einhalten. Für einen kurzen Augenblick öffnete der Sho-sa einen Funkkanal und gab die passende Zahlenkette durch. Kenda und Nakamura würden nun wissen, warum sie gestoppt hatten. Dann sprang er aus dem Fahrzeug, sofort gefolgt von etlichen Soldaten. Sie gingen in aufgelockerter Kette vor, nicht offensichtlich feindselig oder übervorsichtig – aber so, daß eine MG-Salve oder einer Wurfgranate nur ein oder zwei Mann treffen konnte, bevor die anderen in der Lage wären, in Deckung zu gehen.

Es waren insgesamt neun – je drei Mann von drei Zellen. Mehr Leute waren – außer einigen weiteren Männer mit Lastengleitern, zwei für jede Gruppe, ein ganzes Stückchen weiter hinten – aus Sicherheitsgründen nicht zugelassen worden. Zuviele Personen liefen Gefahr aufzufallen. Hidetoshi musterte die offensichtlichen Anführer. Ein Draconier und zwei Kaukasier – und zwei von den dreien anscheinend Anfänger. Nur der Dritte wirkte wie ein Profisoldat – vermutlich ein ehemaliger Polizist. Nun, man mußte mit dem auskommen, was man hatte. Auch wenn das wenig befriedigend war. Die Losungen waren korrekt. Mit einer leichten Verbeugung bat der Sho-sa seine „Gäste“, ein wenig zu warten, und verständigte seine Offizierskollegen. Er registrierte, daß seine Männer und Frauen die Guerillas unmerklich im Auge behielten, und bereit waren, binnen Sekunden das Feuer zu eröffnen. Nicht, daß er sie für Verräter hielt – aber auf Kendas Kopf stand inzwischen bestimmt ein netter Preis, und er wäre nicht der erste Guerillaführer gewesen, mit dessen Kopf ein neues Leben begonnen hätte, wenn einer der Einwohner Thules auf die Idee gekommen wäre, sich so Strafnachlaß und Reichtum zu sichern. Also blieben die Soldaten Hidetoshis auf der Hut – und zwar so, daß die Guerillas es möglichst nicht merkten.

Mit federnden, elastischen Schritten näherten sich zwei Gestalten durch die Dunkelheit. Obwohl der Chu-sa gut doppelt so alt war wie seine Begleiterin, merkte man dies seinen Bewegungen keineswegs an. Beide trugen die typische Mechkrieger-Gefechtsausrüstung aus Stiefeln, Shorts, Kühlwesten und Handschuhen, am Unterschenkel einen Dolch oder eine Vibroklinge, an der Hüfte eine Feuerwaffe – hier bei beiden eine Nakajima. Ungewöhnlich waren die drei Handgranaten, die die Ausrüstung komplettierten, aber in Kendas Truppe ging man auf Nummer sicher. Hidetoshi grinste im Dunkeln – glücklicherweise war dies eine Welt und eine Breite, in der dieser Aufzug nicht mit erheblichen Problemen verbunden war. Es wäre unangenehm gewesen, zu warten, bis sich die Offiziere umgezogen hatten, hätte man zum Beispiel in polaren Gebieten operiert. Offenbar schien beide Offiziere ihr Aufzug nicht zu stören – übertriebenes Schamgefühl war in einer Armee nur selten ein Problem und überlebte zumeist nicht einmal die Grundausbildung.

Kenda betrachtete die Gestalten vor ihm. Die Begleiter hielten sich im Hintergrund – die drei vor ihm mußten wohl die führenden Sprecher sein. Er wartete ihre Verbeugung ab – dann erwiderte er sie in exakt derselben Tiefe. Eine Ehre für die Guerillaführer, die zumeist nicht einmal eine Kompanie aktiver Kämpfer aufzubieten hatten, aber nur zum Teil eine Sache der Berechnung. Sicher ehrte er sie so und stimmte sie günstig – was ihn nichts kostete. Aber Kenda empfand wirklich großen Respekt vor diesen Männern. Sie führten den selben Kampf wie er, und dies zu wesentlich ungünstigeren Bedingungen. Sie hatten nur Karabiner und primitive Minen gegen Gefechtsrüstungen, Milizbataillone und Battlemechs. Auf ihre Mitbürger konnten sie sich nur begrenzt verlassen, eine sichere Rückzugsbasis und Versorgungslinien hatten sie nicht. Sie kämpften hinter den feindlichen Linien und waren dabei noch mehr isoliert als er. Auf Gedeih und Verderb an ihren Planeten – ihre Heimat, für deren Freiheit sie kämpften – gebunden, drohten ihnen nicht weniger der Tod als ihm. Und dennoch kämpften sie weiter. Deshalb war er der Meinung, auch wenn sie weit weniger Erfolge aufzuweisen hatten als er, ihnen keineswegs übergeordnet zu sein. Sie hatten die Funken, die er geschlagen hatte, zu einem Feuer entfacht, und wollte er sein Ziel je erreichen, dann konnte er dies nur mit ihrer Hilfe.

„Ich danke Ihnen für Ihr Kommen. Ich weiß, Sie haben in letzter Zeit hohe Verluste erlitten – nicht zuletzt, als Sie unseren Kampf unterstützten. Dafür bin ich Ihnen verpflichtet, und ich werde mein Möglichstes tun, Ihnen zu helfen. Und ich werde – so die kami es mir vergönnen – die Mörder Ihrer Kameraden zur Verantwortung ziehen.“ Die drei nickten stumm. Kenda wußte, die Worte waren zu wenig – aber er hatte einfach keine Zeit, ihnen richtig klarzumachen, wie sehr er sie für ihren Einsatz respektierte. Und angesichts ihrer Verluste an Menschenleben waren Worte gewiß nicht ausreichend. Nun, er würde Taten sprechen lassen – das Hilfsmaterial, die Ausbildungsoffiziere und die geplante Vernichtung der Söldner würden eine nur zu deutliche Sprache sprechen. Bewußt verzichtete er darauf, die drei nach ihren Namen zu fragen, während er ihnen Nakamura und Hidetoshi vorstellte. Sollten die Claner einen von den Guerillaführern gefangennehmen, würden die Namen ihnen wenig nützen, im Falle des Verhörs eines seiner Offizier aber mochte ein aufgeschnappter Name das Ende einer ganzen Widerstandszelle bedeuten. Deshalb auch das Treffen hier im Dunklen – eine eventuelle Beschreibung würde nur vage ausfallen.
02.01.2003 11:39 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
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Schweigend ließ sich der Chu-sa die neusten Nachrichten über den Zustand der feindlichen Einheit mitteilen. Gerüchte, die von einheimischen Techs aufgeschnappt worden waren, Beobachtungen und dergleichen. Gelegentlich fragte er nach. Bis auf den einen Kaukasier schienen die Guerillas wenig Neues zu wissen. Aber auch der konnte nur beisteuern, was im Grunde schon bekannt war. Er präzisierte nur etwas. Erkundungslanze und Panzer seien ausgerückt, die Clankriegerin wegen einer Schlägerei mit einem Söldner zeitweilig suspendiert und schnob Rache – allerdings konnte man sich nicht sicher sein, ob sie sich im Falle eines Angriffes nicht doch ins Gefecht stürzen würde, denn der Mech war weder versiegelt, noch war sie inhaftiert. Nun, bei dem geplanten Überraschungsangriff würde sie mit etwas Glück nicht einmal bis zum Hangar kommen. Die Spezialmunition schien knapp zu sein, und das Verhältnis zur örtlichen Garnison eher schlecht. Alles in allem ganz zufriedenstellend. Andererseits machte sich Kenda wenig Illusionen. Seine Berichterstatter waren keine Nachrichtenoffiziere, sowohl was die Beschaffung als auch was die Auswertung von Feindinformationen anging, und so konnte leicht ein Gerücht überbewertet oder falsch interpretiert werden. Aber eine bessere Aufklärung war nun einmal nicht zu bekommen. Er rechnete zumindest damit, daß die Einschätzung im Großen und Ganzen stimmte – das würde genügen. Nachdem die kurze Besprechung beendet war, dankte er mit einer erneuten Verbeugung den Guerillasprechern: „Ich stehe in Ihrer Schuld. Sie haben ein erhebliches Risiko auf sich genommen, uns diese Informationen zu liefern. Ich verspreche Ihnen, sie zu nutzen, um unsere gemeinsamen Feinde zu vernichten. Sie wissen, daß das nicht das Ende der Besatzung bedeutet – aber ich werde Ihnen Material zur Verfügung stellen, daß es Ihnen ermöglicht, Ihren Kampf fortzusetzen. Er winkte einen Infanteristen heran: „Dies ist Chu-i Toshiro Shigeda, unter Spezialist für Infiltration, Sabotage und Ausbildung. Er wird Sie zu unseren Landungsschiffen eskortieren, zusammen mit sechs Soldaten. Sie erhalten dort für jede Gruppe einen Spezialisten, der Ihre Männer und Frauen in Sprengmitteleinsatz, Infiltration und Angriffstaktiken ausbilden wird, weiterhin einen ordentlichen Vorrat an Pentaglyzerin, Spezialzündern, pro Gruppe zwei Scharfschützengewehre mit ausreichend Munition, einige MG’s, Raketen und Granatwerfer – ich hoffe, Sie haben die Lastengleiter mitgebracht.“ Die Guerillas bestätigten. „Gut. Mit diesem Material sollten Sie in der Lage sein, einiges effizienter operieren zu können. Ich habe noch ein bißchen Propagandamaterial von unserer Nachrichtenoffizierin“ er nickte Nakamura zu: „hinzugefügt – einige Vids, ein paar Plakate und ähnliches. Sehen Sie, was Sie damit anfangen können. Und noch etwas – ich würde Sie bitten, demnächst etwas unter den Quislingen hier aufzuräumen. Nach meinen Informationen haben sich einige Angehörige der Verwaltung auf das engste mit den Besatzern angefreundet – ein paar Todesurteile sollten angebracht sein, sie die Weisheit dieses Entschlusses überdenken zu lassen. Die Ausbildungsoffiziere werden Ihnen zeigen, wie man so etwas macht, ohne ein zu großes Risiko einzugehen.“

An dieser Stelle schaltete sich Nakamura ein: „Bei allem Respekt, Tono, aber ich finde, wir sollten diese Strafaktionen nicht übertreiben. Es ist vollkommen richtig, führenden Beamte und Milizoffiziere hinzurichten, aber ich bin überzeugt, viele sehen in ihrer Arbeit für den Feind nur einen Weg, ihren Mitbürgern zu helfen, unter der Besatzung zu überleben, und ich denke, eine weniger drakonische...“ Die Stimme Kendas war scharf und unbarmherzig: „Ich kenne Ihre Bedenken, Sho-sa! Aber ich habe Ihnen bereits gesagt, daß diese hier fehl am Platze sind! Wir stehen im Kampf gegen einen Feind, der nicht mehr und nicht weniger will, als dieser Welt und ihrer Bevölkerung die Seele zu rauben, und sie durch etwas zu ersetzen, daß ebenso fremdartig wie verkommen ist. Sie wollen uns selbst die Erinnerung nehmen, jemals Kinder des Drachen – oder Bürger Rasalhags – gewesen zu sein. Wer Ihnen dabei hilft, hat kein Mitleid, und erst recht keine Gnade verdient! Sie wollen uns vernichten, unsere Kultur, unsere Gesellschaft, unsere Erinnerung. Wollen wir dies nicht hinnehmen, müssen wie sie mit derselben Rücksichtslosigkeit vernichten – sogar noch gnadenloser, denn wir sind nur wenige. Ist das klar?“ Mit derselben Stimme wurde von anderen ein Todesurteil ausgesprochen – nichts anderes war es auch hier. Er hielt ihren Blick gefangen, ließ keinen Widerspruch zu, bis sie die Augen niederschlug und schweigend nickte. Der Blick des Chu-sa streifte die Guerillaführer, die bei seinen Worten unwillkürlich Haltung angenommen hatten. „Wir müssen siegen, und wir werden siegen. Und jeder, der sich uns in den Weg stellt, wird fallen!“ Dann, auf einmal, war es vorbei – jetzt war er wieder der zielstrebige Offizier. Er salutierte knapp vor den Guerillas, ein kurzer Befehl, dann setzte die Kolonne sich wieder in Bewegung, ihrem Ziel – und Tod und Verwüstung – entgegen. „Abstände einhalten! Ab jetzt Funkstille – vorwärts!“
02.01.2003 11:40 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Im Kessel

Sie rückten lautlos vor, eng gestaffelt – soweit das Gelände dies zuließ. Kein Funkspruch verriet, daß hier über ein Dutzend gewaltiger Kampfmaschinen im Anmarsch waren. Aber ihr Kommandeur wußte, daß Überraschung eine weit tödlichere Waffe seien konnte, als ein Battlemech. Und er war entschlossen, den Feind zu überraschen.

Ein Beobachter hätte dem Gesicht des Chu-sa kaum anmerken können, daß er gerade in ein Gefecht zog, nur noch wenige Kilometer vom Feind entfernt war, dazu auf einer feindlichen Welt, wo er außer dem Tod nichts zu erwarten hatte. Kendas Miene war gelassen, konzentriert – aber nicht angespannt. Schon vor vielen Jahren hatte er die Fähigkeit erworben, Gefühle und Emotionen eisern zu unterdrücken. Diese Fähigkeit machte einen Offizier in den Augen seiner Untergebenen zu einem festen Punkt, einem Ruhepol, auf den man sich verlassen konnte. So lange der „Alte“ die Ruhe bewahrte, konnte es nicht so schlimm sein, sagten sie sich. Solange er gelassen blieb, gab es entweder gute Chancen auf Sieg, oder die Niederlage stand sowieso fest.

Im Inneren des Roninkriegers sah es freilich anders aus. Er meinte förmlich zu vibrieren vor Anspannung. Einerseits fieberte er dem Kampf entgegen. Es waren seine Soldaten, die den Besatzern blutige Verluste beigebracht hatten und mit ihnen bisher erfolgreich Katz und Maus gespielt hatten, wobei die Maus Katze um Katze zur Strecke brachte. Er war es, Anatoli Kenda, im Militärdienst der VSDK hochdekorierter Soldat aber nur Tai-i, der einen Privatkrieg führte, wo die Herren des Kombinats feige einen faulen Frieden geschlossen hatten. Seine Leute waren zum Ansporn für die Guerilla geworden, die sich den Clans widersetzte.
Auf der anderen Seite aber spürte er wie immer in diesen letzten Monaten das würgende Gefühl der Angst, wenn es in den Kampf ging. Nicht Angst vor dem Tod, vor Schmerzen oder Schande – darüber war er bereits hinaus. Er hatte seine Entscheidung getroffen, und würde den Entschluß bis zu letzten Konsequenz so brutal wie nötig durchsetzen. Wovor er sich fürchtete, war die Folge einer Niederlage, die den Guerillafeldzug seiner Truppe beenden würde. Wer sollte nach ihnen den Krieg fortsetzen? War die Guerilla stark genug, weiterzumachen, wo er gescheitert war? War es ihm gelungen, ein für allemal klarzumachen, daß der Feind nicht unbesiegbar war, das es der Entschluß jedes Einzelnen war, ob er sich unterwarf oder wehrte? Das Verrat nicht ungesühnt blieb?
Er wußte es nicht. Sollte er fallen, so war ihm klar, dann würde entweder Hidetoshi oder Nakamura das Kommando übernehmen – oder an ihrer Stelle andere, zuverlässige Offiziere. Der Kampf würde weitergehen, solange sie Waffen, Geld und Material hatten. Doch war dies genug? Kämpfte er nicht vielleicht doch nur aus gekränkter Eitelkeit und Haß auf die Clans und opferte Soldaten, die anders hätten am Leben bleiben können?

Nein, er war sich sicher, sein Kampf war gerecht und vor allem gerechtfertigt. Und dennoch, in der Einsamkeit des Cockpits, kurz vor dem Angriff, fragte er sich, ob er nicht seine persönlichen Gefühle über seine Verantwortung stellte – und wie jedes Mal zuvor rief er sich die Worte seines Vaters ins Gedächtnis, die ihm den Weg gewiesen hatten, ihn schließlich hierher geführt hatten. Alles, was ihm als heilig und gut erschien, verlangte genau das, was er jetzt tat. Es gab keine Alternative. Einen Augenblick lang dachte er an seine Frau – sie hatte ihn verstanden, ungeachtet, was es sie, ihn und ihre Familie kosten würde.
Er schluckte die Zweifel herunter, und auch den brennenden Haß, der ihn durchflutete, wenn er daran dachte, was er den Clans alles zu verdanken hatte, wie sehr er sie verabscheute, sie und ihre Lakaien. Dafür war später Zeit. Später, wenn die Feinde geschlagen waren, würde die Stunde der Abrechnung kommen. Für alle Toten, alles Leid, alle Tränen.

Eine emotionslose Stimme leierte ein paar kurze Zahlenfolgen herunter, wiederholte sie zweimal. Kenda, sofort bis aufs äußerte konzentriert, bellte eine kurze Antwort. Sehr gut. Hidetoshi und die Panzer näherten sich ihren Bereitstellungsräumen, genau nach Plan. Lange würde es nicht mehr dauern, und einige der Söldner würden es bereuen, jemals Geld von den Geisterbären genommen zu haben.

Nakamura steuerte ihren Mech behutsam. Sie war an den Flanken des Mittelfelds der Marschkolonne, und sollte sie einen Unfall produzieren, würde dies für die Truppe eine ernsthafte Verzögerung bedeuten. Wenn man als Frau einen Offiziersposten in den VSDK innehaben wollte, durfte man sich wirklich keine derartigen Schnitzer leisten, und sie hatte nicht vor, damit anzufangen, auch wenn sie inzwischen mitnichten mehr zur regulären Kombinatsarmee gehörte. Zwei ihrer Mechs bildeten die Vorhut, und sie überwachte ständig die Sondendaten, die ihr mitgeteilt wurden. Bisher war nichts in Sicht, keine einzige Infrarotkennung. Die MAD-Ortung zeigte wieder einmal einige Macken, aber daran war sie gewöhnt. Wenn der Angriff begann, würde sie ihre mittelschweren und leichen Mechs dirigieren und selber Feuerunterstützung geben, eine Aufgabe, wozu ihre Maschine perfekt geeignet war. Bald war es soweit. Sie setzte dazu an, sich weiter nach vorne zu schieben.

Die Explosion war ein Hammerschlag, ein Blitz aus heiterem Himmel. Ein einziger Blick zeigte der Sho-sa, daß der Fenris offenbar auf eine Sprengladung getreten war. Und noch während die taumelnde Maschine wieder Halt fand, während Kendas Stimme und ihre gleichzeitig über die Funkkanäle peitschten, eine Antwort fordernd, während die ganze Kolonne abrupt zum Stehen kam – war die Nacht nicht mehr leer.
Sie kamen von allen Seiten, füllten den Radarschirm mit blutroten Kontakten – Mechs, Feindmechs, die ihre Reaktoren hochfuhren, Panzer, die ihre Dieselmotoren anwarfen. Einen Augenblick dachte die junge Frau noch, es sei eine feindliche Patrouille, die zufällig über die Ronin gestolpert waren – ein aberwitziger Gedanke angesichts des Umstandes, daß der Feind offenbar die Maschinen heruntergefahren hatte, um einer Entdeckung zu entgehen. Doch ein schneller Blick zeigte ihr, daß dies nur ein Wunschtraum war. Dort draußen waren fast anderthalb Dutzend Mechs, und ein halbes Dutzend Panzer, und so wie sie plaziert waren, waren die Ronin praktisch eingekesselt, denn im Gänsemarsch rückwärts aus einer Feuerzone abzurücken, war praktisch Selbstmord. Für einen Augenblick war sie wie gelähmt, dann eröffneten die Feinde das Feuer.

Dutzende von Geschützen machten die Nacht zum Tage, zerschnitten das Dunkel mit einem Licht, daß Tod und Vernichtung verhieß. Noch ehe einer der Ronin reagieren konnte, trafen unzählige Einschläge den Fenirs, schleuderten ihn zu Boden, in weitere Sprengladungen hinein. Ein gurgelnder Schrei – vorbei! Doch dann brach die kalte Stimme Kendas den tödlichen Bann der Überraschung. Und wie EIN Mann reagierten seine Soldaten, als er den vereinbarten Befehl gab – „Feuer frei nach eigenem Ermessen!“ Nakamura beschleunigte ihren Mech, brüllte ihren Soldaten Zielangaben zu. Was sie stundenlang geübt hatten, die Feuereröffnung nach Sicht und einem kurzen Befehl, das führten sie aus ohne zu zögern. Die Anzeigen verrieten Nakamura, daß sie es mit der gesammten Feindeinheit zu tun hatten, einschließlich beider Clanmechs, die ihre todbringende Langstreckenbewaffnung einsetzten. Und für einen Augenblick spürte sie eine wilde, grausame Freude, als sie das Fadenkreuz ihrer Maschine über den nächsten Feindmech zog, und die Waffen auslöste. Dies mochte vielleicht der letzte Kampf der Ronin sein – aber sie würde mit den Händen an der Kehle ihrer Feinde sterben! Tomiko Nakamura schrie Feuerbefehle, schoß, und ließ ihren Mech vorrücken – der Tanz mochte beginnen!

Hidetoshi mußte mühsam Luft holen. Die Verantwortung lag jetzt bei ihm. Kenda hatte ihn mit ein paar Worten über die Lage informiert – und ihm Handlungsfreiheit erteilt. Der Chu-sa hatte klar erkannt, daß er nicht gleichzeitig kämpfen, seine Mechs dirigieren und Kontakt mit der Panzerkampfgruppe und den Landungsschiffen halten und diese überlegt einsetzen konnte. Die Lage der Roninmechs war offenbar kritisch, und jede Sekunde konnte entscheidend sein. Dies eröffnete Hidetoshi drei Möglichkeiten: er konnte sich absetzen und zu den Landungsschiffen abrücken. Damit rettete er seine Soldaten, die im direkten Kampf gegen Feindmechs ebenso wie die leichten Panzer wohl nur wenig ausrichten würden. Oder, er griff auf eigen Faust das feindliche Lager in der Hoffnung an, es weitestgehend unverteidigt zu finden und so schwerste Schäden anrichten zu können, eventuell gar feindliche Maschinen von den Wänden des Kessels wegzulocken. Und er konnte in den Kampf eingreifen und alles auf eine Karte setzen. Es gab viele Gefechte, die durch das Eingreifen – oder das Fernbleiben – einiger weniger Soldaten und Maschinen entschieden worden waren, aber ebenso viele Gefechte, wo die letzten Reserven in den Einsatz geworfen wurden, nur um im Endeffekt die Verlustlisten zu verlängern. Er hatte nur wenige Sekunden Zeit – und von seinem Entschluß hing das Leben nicht nur seiner, sondern möglicherweise auch der eingeschlossenen Soldaten ab. Mit einem Fluch zwang er die Furcht nieder – er kannte seine Pflicht: „Achtung, an alle! Wir gehen rein! Wir werden unsere Leute raushauen, und den Söldnern Feuer unter dem Arsch machen! Wir schießen ran, booten aus und feuern mit ALLEM was da ist! Die Hooverfahrzeuge – Feuer nach eigenem Ermessen und unregelmäßige Ausweichmanöver!“ Es gab keinen Jubel, kein begeistertes Hurrah angesichts der Tatsache, daß sie ihren bedrängten Kameraden zu Hilfe kamen. Keine launigen Kommentare oder großkotzigen Töne, wie sie in den billigen Kriegstrids in Massen zu finden waren. Aber es gab auch kein Murren, keine Empörung. Vielleicht war das eine oder andere Gesicht unter den Masken angstverzerrt, vielleicht verfluchte mancher den Sho-sa. Aber sie packten die Waffen fester, und bezogen ihre Positionen, als die Hooverpanzer auf einiges über 100 Stundenkilomter beschleunigten und in Richtung Kessel rasten – dem dumpfen Hämmern von Raketensalven und Granaten entgegen. Sie hatten ihre Befehle, und die würden sie befolgen.
02.01.2003 11:41 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Kendas Mech taumelte. Mühsam stabilisierte er ihn wieder, richtete die Geschütze erneut auf den Feind. Er hatte schnell erkannt, daß nur der Übergang über den Fluß einen Ausweg bot – das Minenfeld verhinderte jeden Durchbruch nach vorne. Glücklicherweise engten die Minen auch den feindlichen Aktionsbereich ein, und der Gegner hatte bisher seine Nahkampfmechs – sowohl Tomahawk als auch Kriegsbeil konnten im Nahkampf tödlich sein – nicht voll einsetzen können. Dennoch waren drei Roninmechs ausgeschaltet, und einige andere schwer getroffen worden. Aber die Gegenwehr war verbissen – der feindliche Schütze war vernichtet, andere Mechs zeigten deutlich Beschußschäden. Und unaufhaltsam setzten sich die Ronin über den Fluß ab, gedeckt von Nakamura und einigen anderen. Kenda hatte den Landungsschiffen befohlen, auf eine freie Fläche nur wenige Kilometer vom Gefechtsfeld zu verlagern – sobald die Ronin ihren Feuerschutz erreicht hätten, wären sie sicher. Die feindlichen Stukas hatten abgedreht – und der Chu-sa konnte sich gut vorstellen, wohin sie unterwegs waren. Gegen drei gut bewaffnete und koordiniert kämpfende Landungsschiffe hatten selbst solche Mordmaschinen wenig Chancen. Sie mußten hinaus, und durchbrechen!
Der Mech des feindlichen Anführers wankte, die Clanmechs auf der anderen Flußseite standen unter schwerem Feuer. Ein erneutes Aufbrüllen der Kanonen – und drüben beim Gegner stürzte der Thor des Söldnerführers, das Cockpit zerschossen. Gleich neben ihm fiel der Panther, der den gut doppelt so schweren Feind besiegt hatte, zerschossen von der Maschine des Kurita-Verbindungsoffiziers. Kenda fletschte die Zähne – es war bitter, das der, der den feindlichen Anführer getötet oder verwundet hatte, von einem Landsmann ermordet worden war. Aber Trauer und Wut mußten warten – das war ihre Chance. „Feuer konzentrieren!“ bellte der Chu-sa, als er bemerkte, wie sich der feindlichen Dunkelfalke und der Quasimodo exponierten, um ihren gestürzten Anführer zu schützen. Salve auf Salve hämmerte auf die Feinde ein, schleuderte den Dunkelfalken zu Boden. Sie kamen durch!
In diesem Augenblick flammte auf dem anderen Ufer ein gigantisches Feuer auf, tauchte die Szenerie in gespenstisches Licht. Ein, zwei Panzer und beide Clan-Mechs standen in Flammen – die Panzer waren gekommen!

„LOS! LOS! LOS!“
Sie fielen aus den Luken der Transporter, rollten sich ab, und noch bevor sie richtig einen festen Halt gefunden hatten, gaben sie schon Feuer. Eine schwarze Flut brach aus den geduckten MTW’s – Piraten, Ronin, ungeordnet und nur mit einem Befehl – schießen! Die Hoovercrafts hatten nur kurz verlangsamt, dann schlossen sie wieder zu den Panzern auf, die mit Höchstgeschwindigkeit vorstießen und den Feind unter Feuer nahmen, wahnwitzige Zickzackmanöver ausführend, um eine Zielerfassung zu erschweren. Hidetoshi brachte den Infernowerfer, den er einem Soldaten abgenommen hatte, in Anschlag – sein Ziel war ein Saracen, der schon einige Raketen und Granaten abbekommen hatte, und gerade dabei war, sich auf die neue Bedrohung einzustellen. Das Geschoß traf den Tank zielgenau . Wie ein rasend gewordenes Tier beschleunigte die Maschine. Der Sho-sa grinste grausam. Angst. Pure, kreatürliche Angst. Angst vor dem Tod im Feuer. Panzersoldaten waren weit schlechter als Mechpiloten geschützt, für eine leichtgepanzerte Maschine bedeute ein Infernotreffer meist den Tod. Und das wußten alle Tankisten. Kein Wunder, daß die Männer im Saracen die Beherrschung verloren. Sie sahen nur noch das flammende Inferno, in das weitere Raketen stießen. Eine gewaltige Explosion kündete vom Ende des Panzers, keine Überlebenden. Hidetoshi bemerkte es nur am Rande – er hatte schon ein neues Ziel. Und neben ihm schwärmten die Männer und Frauen unter seinem Befehl aus. Und schossen. Mit Raketenwerfern, rückstoßfreien Gewehren, MG’s, Mörsern und Granatwerfern. Und wenn sie die nicht hatten, aus Mpi’s und Sturmgewehren. Vor ihnen kurvten die MTW’s, die MG’s gaben im Schnellfeuer ein beinahe zwitscherndes Surren von sich.

Kendas Mech brach, einem Ungetüm aus einer uralten Sage gleich, durch die Fluten. Flüssiges Feuer bedeckte die Wasseroberfläche, leckte an den Flanken der Kampfgiganten. Wie Dämonen erschienen sie, von Brand und erstickendem Rauch umgeben. Dazwischen rasten die Panzer hin und her, feuerten und wichen aus. Mit einem Donnern setzte der Mech des Chu-sa seinen Fuß auf das Ufer. Die feindliche Panzerfront war zerbrochen, nur noch die Claner hielten die Stellung. Rakete um Rakete schossen die Infanteristen auf die Omnis ab, nagten an ihrer Panzerung, hüllten sie in flüssiges Feuer. Doch die beiden Kampfgiganten schossen weiter. Kenda mochte sie hassen, doch er unterschätzte die Kampfstärke der Wahrgeborenen nicht. So, wie sie trotz des ständigen Infernobeschusses ihre Stellung hielten, unablässig feuernd und behende ausweichend, zeigten sie einmal mehr, daß die Ausbildung der Clans sie zu Kämpfern machte, die es mit der Elite der Inneren Sphäre aufnehmen konnte, an Zielgenauigkeit, Beweglichkeit und Ausdauer – wenn auch nicht an taktischen Finessen. Aber um die ging es hier nicht, und deshalb konnten sie ihre Ausbildung und ihre überlegene Technik voll zur Geltung bringen. Mit Bewegungen, die man so gewaltigen Kampfmaschinen niemals zugetraut hätte, stellten sie sich ihren Feinden. Die Clankriegerin führte ihren MadCat mit unglaublicher Präzision, und neben ihr deckte ihr Vorgesetzter die angreifenden Ronin mit tödlichem Dauerfeuer ein. Und immer wieder wichen sie den Einschlägen der Roninwaffen aus. Aber wenn sie auch gute Kämpfer waren – gegen den kalten Vernichtungswillen und den maschinenhaften Gehorsam der Kombinatssoldaten genügte es nicht. Schritt um Schritt wurden sie zurückgedrängt, ihre Panzerung in Fetzen geschossen. Kenda wechselte ständig hin und her – mal nahm er die nachdrängenden Söldner ins Visier, dann beteiligte er sich am Beschuß der Claner. Ein Aufschrei Nakamuras ließ ihn herumfahren – seine Stellvertreterin drängte den feindlichen Hunchback über den Fluß und hagelte ihn mit Salven von Raketen ein. Blitzschnell richtete der Chu-sa die Geschütze aus, und ein blausilberner Doppelblitz sprach das Todesurteil für den Feindmech. Sofort rückte der Masakari vor, und stellte sich schützend vor das schrottreife Wrack, den finalen Schuß auf das Cockpit verhindernd. Mit einem unwilligen Knurren widmete sich Kenda wieder anderen Zielen – nur ein toter Feind war ein Feind, der mit Sicherheit ausgeschaltet war. Und die zerborstenen Cockpits der beiden leichten Feindmechs – einer Valkyrie und eines Heuschreck, die Kenda ausgemacht hatte, deuteten darauf hin, daß seine Soldaten diese Lehre beherzigt hatten.

Immer mehr Ronin-Mechs rückten über den Fluß vor, in Sicherheit. Es gab Verluste – der Marodeur fiel seinem feindlichen Bruder zum Opfer – aber der Rückzug konnte jetzt nicht mehr gestoppt werden. Wenn es so weiter ging, würden sie doch noch aus dieser Falle entkommen.

Hidetoshi arbeitete wie eine Maschine. Laden, anvisieren, feuern, wieder laden. Rakete um Rakete schossen er und seine Leute ab, und wenn sie so die Feindmechs auch nicht knacken konnten, so schwächten sie diese doch, und die Brandraketen verminderten die Effizienz der gegnerischen Waffen. Mechs der Ronin, aber auch Söldnermechs, bedeckten den Boden, nur noch zerschossene Wracks. Aber für den Sho-sa war nur zu deutlich, daß Kendas Mechs die Kesselwände gesprengt hatten. Der Offizier gestattete sich ein schmales Lächeln. Wenn man bedachte, daß sie in eine offenbar wohlvorbereitete Falle gelaufen waren, so waren die Verluste bisher zu verschmerzen gewesen – hart, aber vom Gegner mit hohen Eigenverlusten erkauft. Kenda würde sicher eine Dankesfeier anläßlich des Ausbruches anordnen, und die Infanteristen und Panzerfahrer würden die Ehrenplätze haben, hatten sie doch ihre Kameraden herausgehauen.

Es gab keine Zeit, etwas zu denken, keine Warnung, die man hätte nutzen können. Das kreischende Jaulen und der donnernde Überschnallknall fiel mit dem Fauchen der Raketen und dem Zischen der Laser zusammen. Eine unsichtbare Faust schien Hidetoshi zu packen, und wie eine Stoffpuppe durch die Luft zu schleudern. Ein gleißendes Licht löschte alles aus.

Der Sho-sa war nur Sekunden bewußtlos gewesen. Seine Gesichtsfeld hatte sich gedreht, doch er erkannte nur zu gut Kendas in Feuer gehüllten Mech der brennend in den Himmel ragte, und Salve um Salve abfeuerte. Aber auf gespenstische Art und Weise fehlte dem Bild jeder Ton – als vor seinen Augen die gewaltigen Todesvögel, zwei Stukas, zu einem zweiten Angriff eindrehten und beinahe beiläufig zwei Panzer zusammenschossen, hätte es genauso gut ein Kriegstrid sein können, bei dem jemand den Ton abgedreht hatte. Er wollte sich aufrichten, aber er konnte sich nur auf die Oberarme aufstützen. Seine Beine. Seine Beine gehorchten ihm nicht mehr. Mühsam überwand er die Angst, tastete über seinen Rücken. Er spürte keinen Schmerz, genauer gesagt spürte er gar nichts. Erst, als er die Hände vor das Gesicht hob, und die roten Schlieren auf der Optik seines Nachtsichtvisiers erkannte, wußte er, daß er mit seinen Befürchtungen Recht gehabt hatte.
Ein Splitter hatte seine Wirbelsäule getroffen, oder der Sturz hatte das besorgt – er war ab der Taille an abwärts gelähmt.
Einige Augenblicke war ihm, als müßte er schreien, brüllen, um sich schlagen – doch er brachte keinen Ton heraus. Oder schrie er, und konnte es nicht hören? Ein Stück weiter weg lag ein anderer Roninsoldat. Dort, wo die Beine hätten seien müssen, war nichts als zersplitterte Knochen und verbrannten Fleisch geblieben. Er warf sich hin und her, die Arme schlugen auf den Boden, den Kopf in den Nacken gelegt, der Mund weit offen. Dann erschlaffte er, lag still, verblutet, krepiert. Und immer noch hörte Hidetoshi keinen einzigen Laut.

Er faßte sich. Er war immer noch Kommandeur, und er hatte keine Schmerzen, auf die er seine Schwäche schieben konnte. Mühsam hob er das Funkgerät. Sein Mund formte Worte, die seine Ohren nicht hören konnten. „Hidetoshi, bin ausgefallen! Alle Mann zurück zu den Transportern! Nichttransportfähige zurücklassen! Es übernimmt Chu-i Taroo Izawa!“ Er wußte nicht, ob Antworten kamen, ob Izawa noch lebte, ob Kenda oder Nakamura ihm noch etwas zu sagen hatten – er konnte nicht einmal das Tosen der Schlacht hören. Trommelfelle hin, dachte er. Muß eine Rakete gewesen sein, die mich erwischt hat.
Das alptraumhafte Gesicht eines Infanteristen mit Nachsichtgerät tauchte vor seinen Augen auf – Chu-i Izawa hatte offenbar überlebt. Der neue Kommandeur starrte seinen Vorgesetzten entsetzt an. Dann versuchte er, ihn hochzuzerren – vermutlich, um ihn in den Transporter zu schaffen, der die zerschlagenen Überreste der Infanterie aufnahm. Hidetoshi stieß ihn zurück. „Gehen Sie! Machen Sie, daß Sie wegkommen!“ Der Chu-i zögerte. Da riß der alte Sho-sa seine Pistole heraus: „Verschwinde Taroo, oder ich erschieß dich wegen Befehlsverweigerung!“ Einen Augenblick zögerte der jüngere Offizier noch, dann verbeugte er sich. Auch seine Abschiedsworte konnte Hidetoshi nicht hören. Er sah noch, wie die letzten Infanteristen – wenige, viel zu wenige – auf den Transporter kletterten, dann raste die Maschine davon. Die Mechs rückten ab, unablässig feuernd. Ließen ihn allein. Allein.
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Cattaneo
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Der Angriff der Stukas hatte das Blatt gewendet. Eine Schneise von Tod und Verwüstung hinterlassend, hatten sie in wenigen Augenblicken zwei Panzer und drei MTW’s abgeschossen, Dutzenden Infanteristen getötet. Die Sicherung des Rückzugs war damit zerbrochen. Kenda hörte die Worte seine Kameraden – eines Mannes, der mit ihm jahrelang im selben Regiment gedient hatte, der ihm die Treue gehalten hatte in seinem verzweifelten Kampf. Er wollte ihm danken, ihm für alles danken, Worte finden für diesen seinen Freund – doch er konnte nur Befehle brüllen, schießen, und zurückweichen. Keine Zeit für Trauer, keine Zeit zum Erinnern, keine Zeit für einen Abschied. Sie mußten raus, ehe noch mehr fielen.
Neben ihm fiel der Grossdracon zurück. „Statusbericht!“ bellte der Chu-sa ins Funkgerät. Die Stimme des Piloten – wie Hidetoshi ein alter Pesht-Kamerad – klang beinahe resignierend: „Hüftschaden. Größeres Tempo unmöglich.“ Kenda schluckte. Er wußte, was er zu sagen hatte, die Lage ließ nur einen Befehl zu. Er konnte nicht seine Einheit riskieren, um einem Kameraden zu helfen. Aber er brachte die Worte – die so oft gesprochenen, zwingend notwendigen Worte – nicht über die Lippen. Isoruko Saito schien zu spüren, was in seinem Vorgesetzten vorging: „Bleibe zurück! Kämpft für mich weiter! Lebt wohl!“
Kenda hätte schreien mögen, weinen vor Haß und ohnmächtiger Wut. Aber er war Kommandeur. Seine Stimme war ein tonloses Flüstern: „Rückzug beschleunigen. Wechselseitig Feuerschutz. Langstreckenwaffen auf Fliegerziele richten. Soldat Saito – leben Sie wohl. Auf Wiedersehen.“ Mit einem Knirschen schaltete Saito das Funkgerät ab.

„Sho-sa Nakamura?“ „Hai, Tono!“ „Geschwindigkeit auf 50 erhöhen!“ „Und was ist mit Saito und Hidetoshi?“ Er spürte den Schmerz in ihrer Stimme – sie fühlte wie er, anders als er zeigte sie es. Ihm blieb nur, in der Einsamkeit des Cockpits die Fäuste zu ballen, bis es schmerzte: „Sie STERBEN, Sho-sa! Anatoli Ende!“ Als die Stukas ein letztes Mal herabschossen, hüllten die Raketen der Ronin sie in ein Netz von Explosionen, und Anatoli Kenda genoß es fast, als die feindlichen Laser seinem Mech den Arm abrissen. Genoß es fast, um nicht das Gefühl haben zu müssen, unversehrt davongekommen zu sein, wo so viele gefallen waren.

Alle hatten ihn verlassen. Er war allein. Es schien fast unmöglich, daß auf diesem geschändeten, zerschossenen und verbrannten Flecken Erde Stille herrschen konnte, doch genau so war es. Sein Gehör war wieder zurückgekehrt. Kein Stöhnen war mehr zu hören, kein Schlachtenlärm. Erst jetzt hatte er erkannt, daß er neben der Wunde im Rücken auch eine Bauchverletzung erlitten hatte. Doch der Verletzungsschock hatte nachgelassen, und jetzt war ihm, als würde jemand ein Messer in seinen Bauch stoßen, und es langsam, Zentimeter für Zentimeter, umdrehen. Selbst die Drogenpflaster, die er bei sich hatte, halfen da nicht viel. Langsam, unter schmerzhaftem Keuchen, machte er sich an die Arbeit.
Er zerlegte sein Lasergewehr und seine Pistole und warf die Einzelteile beiseite. Dem Feind sollte keine Waffe in die Hände fallen. Rangabzeichen trug er sowieso keine. Er zögerte, ob er die kleine Tasche mit den Bildern seiner Kinder und Enkel wegwerfen sollte – aber das brachte er nicht fertig. Einen Augenblick überlegte er, ob er sie nicht herausholen sollte. Er starb, und er wollte in Gedanken bei ihnen sein.
Nein. Er durfte keine Schwäche zeigen, schon um ihretwillen. Wenn er zuviel daran dachte, was sie dabei empfinden würden, ihn hier sterben zu sehen, verlassen, blutend, auf einem feindlichen Planeten – dann würde er zusammenbrechen. Und das durfte er ihnen nicht antun. Langsam zog er den Riemen seiner Kartentasche durch die Ringe der vier Handgranaten, die er noch im Gürtel trug. Seine letzten Waffen – andere würde er niemals mehr brauchen. Mit einem letzten schmerzerfüllten Grunzen ließ er sich zurücksacken. Er betete, daß die Feinde kommen würden, bevor er zu schwach werden würde. Schon jetzt schien es ihm wie eine Erlösung, wenn er daran dachte, die Granaten zu zünden und allem Schmerz ein Ende zu bereiten. So leicht...
‚Oh ihr kami, gebt mir Kraft, auf das ich nicht meine Ahnen Schande mache und mich aus Feigheit töte!‘ flüsterte er in Gedanken. Wieder kamen die Schmerzen, eine erneute Welle, die seinen Bauch in Brand zu setzen schienen. Ein gequältes Wimmern entrang sich seinem Mund, er spürte, wie seine Lippen unter dem Druck der zusammengebissenen Zähne aufsprangen und trank gierig das eigne Blut. Und doch hielt er aus. Eine Sekunde, eine zweite – und dann noch eine...

Als sie kamen, hätten sie ihn beinahe überrascht. Das Gesicht des Soldaten schob sich in sein Sichtfeld, prüfende Augen unter einem Helmrand. Für einen Augenblick dachte er, Izawa sei doch noch gegen seinen Befehl zurückgekehrt, dann erkannte er das fremdartige Abzeichen auf der Uniform des Bewaffneten. Offenbar mußte er einen furchtbaren Anblick bieten, mit Dreck und Blut verschmiert, denn der Gegner erbleichte sichtbar. Hidetoshi verzog sein Gesicht zu einem gequälten Grinsen, was den Söldner dazu veranlaßte, etwas wie ein aufmunterndes Lächeln zu probieren: „Die Ärzte sind gleich da.“ Hidetoshi zuckte innerlich zusammen. Ärzte? Glaubte dieser Tölpel, er würde sich in Gefangenschaft begeben? Ergeben, um zusammengeflickt und erschossen zu werden? Narren, nichts als Narren. Ebenso gewissenlos wie die Claner. Aber er würde zumindest einen von ihnen mitnehmen. Aus den Augenwinkeln erkannte er, daß ein zweiter Infanterist hinzugetreten war. Er dachte kurz an seine Familie – dann zog er am Riemen. Und als die Infanteristen zurücksprangen, von Panik erfüllt, zu spät, kam aus Hidetoshis Kehle ein gurgelndes Lachen. Das Fauchen der zündenden Handgranaten war das Letzte was er hörte oder überhaupt wahrnahm.

Die Explosion zerriß Kurogane Hidetoshi, ehemaligen Pesht-Infanteristen, Ronin-Sho-sa, Ehemann, Vater und Großvater. Kriegsverbrecher und Held des Widerstandes, je nach Standpunkt. Sie zerriß auch zwei Soldaten von Dantons Chevaliers, die wie er Familie gehabt hatten, und etwas, woran sie glaubten. Jetzt, im Tode, waren sie alle gleich.

Ende
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Verwundet
Raum über Thule, zwei Tage nach dem Gefecht

„Soldaten, Offiziere – Kameraden! Ihr alle wißt, daß wir geschlagen wurden. Ich kann und ich will eine Niederlage nicht durch falsche Worte beschönigen. Dies wäre Verrat an den Kameraden, die gefallen sind, und es wäre Verrat an uns selbst und unserer Mission. Der Feind hat uns einen schweren Schlag versetzt. Es gelang ihm offenbar, entweder eine oder mehrere der mit uns verbündeten Guerillagruppen zu täuschen, zu unterwandern oder zum Verrat zu bewegen. Der Gegner wußte wann, womit und auf welchem Weg wir kommen würden. Er baute seine Falle auf, und als wir, im Vertrauen auf unsere Verbündeten, den scheinbar günstigen Anmarschweg nahmen, ließ er sie zuschnappen. Das wir dennoch entkommen konnten, immer noch als Einheit, wenn auch unter hohen Blut- und Materialverlusten, verdanken wir der Tapferkeit und dem beispiellosen Einsatz jedes Einzelnen von Ihnen. Jeder tat sein Bestes – und wir konnten die Umklammerung sprengen und dem Feind dennoch empfindliche Verluste zufügen.
Doch wie ich schon sagte – wir sind geschlagen worden, und hart und blutig dazu. Wir haben uns selbst und unserer Aufgabe keine Schande gemacht – aber wir mußten weichen, und viele der Unseren zurücklassen. Jeder von uns hat heute Kameraden und Freunde verloren. Es wäre mir bei allem Leid, Trauer und Schmerz um diesen Verlust eine Erleichterung, wenn ich versichern könnte, daß dies die letzten Toten waren, daß sich so etwas nicht wiederholen wird. Aber Angesichts des Todes sind solche wohlfeilen Worte, auch wenn sie ernstgemeint seien mögen, fehl am Platze. Alle, die fielen, waren Kämpfer in einem Krieg, der schon Millionen Kinder der Inneren Sphäre das Leben gekostet hat. Und ich fürchte, weitere Millionen werden ihr Leben verlieren, bevor er zu seinem siegreichen Ende kommen wird! Dennoch, wenn dieses Ende jemals erkämpft werden kann – dann auch, und gerade, dank solchen Männern und Frauen wie unseren Kameraden!
Ich kann nur versprechen, daß ich mein Möglichstes tun werde, damit wir nicht noch einmal verraten werden. Ich kann nur versprechen, daß ich alles in meiner Macht stehende versuchen werde, damit unseren ermordeten Kameraden Gerechtigkeit zuteil wird, und ihre Mörder ihre Strafe erhalten. Ich kann nur beteuern, daß dieser Kampf notwendig ist, und ihr Opfer NICHT umsonst war.
Ich weiß, dies sind nur Worte. Sie vermögen den Schmerz des Verlustes nicht zu mildern, die Lücke, die der Tod gerissen hat, nicht zu schließen. Sie alle, die gefallen sind, werden uns fehlen.
Es wäre falsch zu sagen, wir wollten sie ehren, indem wir weiterkämpfen. Unser Kampf ist kein Rachefeldzug, keine Vendetta. Wir kämpfen hier, weil es notwendig ist. Wenn wir es nicht tun, wird sich vielleicht keiner finden. Und dies darf niemals sein!
Wir stehen hier, für unsere Heimat, unsere Familien und für die kommenden Generationen. Wir stehen hier für alle, die von den Clanern ermordet, unterdrückt und gedemütigt wurden! Wir stehen hier, eine Handvoll gegen ein Meer von Feinden, weil wir – wir alle, die Lebenden wie die Toten – nicht bereit waren, zu schweigen und unsere Augen vor der Wahrheit zu verschließen! Wir sagten „Nein!“ zum Verrat, „Nein!“ zum Vergessen und „Nein!“ zur Aufgabe! Unsere Herrscher waren dazu nicht willens oder nicht fähig – also mußten wir alleine kämpfen. Und es mag sein, daß dieser Kampf noch weitere Opfer von uns fordern wird. Aber keiner, kein Einziger der fällt, wird vergeblich gefallen sein! Wir haben eine Aufgabe. Eine Aufgabe, die wir aus freien Stücken übernommen haben, getrieben von Verantwortungsgefühl und Liebe zu unserer Heimat und unseren Familien. Und wir werden ihr gerecht werden, oder bei dem Versuch sterben!
Der Gegner weiß dies! Und deshalb – weil ihm klar ist, daß wir ihn bekämpfen werden, solange wir leben – ist er bereit, für unsere Vernichtung einen hohen Preis zu zahlen. Er hat eine enorme Menge an Material, Geld und Männern investiert, um uns auszulöschen. Wir müssen uns eines klar machen – dies ist ein Zeichen dafür, wie sehr wir ihm zugesetzt haben. Und eines verspreche ich – wenn unsere bisherigen Angriffe sie schmerzten, wir werden ihnen ein Vielfaches an Qual bereiten, bevor wir mir ihnen fertig sind!
Vergessen Sie nie – der Feind kann uns schlagen, und er kann uns töten. Aber das, wofür wir kämpfen, wird er niemals besiegen!
Anatoli Kenda, Ende!“

Mit einer müden Geste legte er das Mikro der Interkoms zur Seite. Worte. Worte. Worte hatte er genug. Er glaubte daran, an jede einzelne Silbe – aber was waren Worte für Menschen, deren Kameraden vor ihren eigenen Augen verbrannt worden waren? Verdampft in Sekunden, zerfetzt von Raketen und Granaten.
Konnten Worte da helfen? Er bezweifelte es.
Nein. Sicher nicht. Wenn seine Untergebenen – ob Piraten oder Ronin – trotz dieser Niederlage den Mut aufbringen würden, weiterzukämpfen, dann sicherlich nicht wegen seiner Worte. Die konnten ihnen nur einen möglichen Weg aufzeigen, den jeder für sich allein beschreiten mußte. Jeder einzelne würde die Kraft dazu, den Kampf fortzusetzen, in sich selbst finden müssen. Aber würden sie diese Kraft dazu haben? Und würden seine Worte ihnen den rechten Weg weisen? Oft war er selbst im Zweifel, wie lange seine Kraft noch reichen würde. Er hatte Männer und Frauen verloren, die er schon eine ganze Generation kannte, über 30 Jahre. Er hatte nicht einmal Abschied von ihnen nehmen können, nicht einmal die rechten Worte gefunden, ihnen zu danken. Und nie, nie würde er an ihrem Grab stehen können, ihrer gedenken, ihren Familien Dank sagen und verkünden, daß sie stolz auf die Toten seien konnten.
Er mußte weitermachen. Trotz der Toten, trotz aller Verluste, trotz aller Zweifel. Kein Schrein für die Gefallenen, kein Weihrauch, kein ehrendes Erinnern. Verachtung und Hohn von den Siegern und jenen, die in ihrer Torheit im Kampf der Ronin nichts als Wahnsinn sahen. Verachtung von den ehemaligen Waffenbrüdern, Fluch von den Priestern, Haß von den alten Dienstherren.
Dennoch. Es mußte getan werden. Sollte doch der Gestank der brennenden Feindmaschinen den Toten Weihrauch sein! Die zermalmten Kampfkolosse und zerschlagenen Gebäude ihr Totenschrein! Und sollten alle sie vergessen und verachten außer jenen, die ihren Kampf fortsetzten – die Guerilla, der Widerstand, der Schwarze Drachen!
Mochte all dies kommen, wenn die Götter beschlossen hatten – sie würden kämpfen!

Kenda öffnete langsam die Faust. Mühsam beruhigte er seinen Atem wieder. Melodramatik war seine Sache nie gewesen – aber kalte Vernunft und Überlegung half in dieser Situation auch nicht weiter. Rein rechnerisch gesehen waren sie verloren. Aber darauf kam es jetzt nicht mehr an. Er nahm das Mikro wieder auf, öffnete einen andere Kanal. Chef-Techniker Tanake, Sho-sa Nakamura und Chu-i Izawa – die kommandierenden Offiziere und der Befehlshaber der technischen Stabes – waren es, die er jetzt brauchte. Und für sie mußte er wieder der entschlossene Kommandeur sein, für sie und für jeden einzelnen seiner Soldaten.

Keine zehn Minuten später waren sie da. Kenda musterte die drei – alle zeigten Anzeichen von Ermüdung, hielten sich aber aufrecht: „Ich will von Ihnen einen genauen Bericht über den augenblicklichen Status. Kampfkraft, Moral, Besserungsvorschläge. Sprechen Sie frei aus, was Sie denken.“ Dann nickte er Tanake zu: „Sie zuerst!“

„Melde gehorsamst: sämtliche Mechs beschädigt. Schwer dabei Kriegshammer, Kriegshammer IIC, Krabbe und Jenner. Die beiden uns verbleibenden Panzerfahrzeuge haben nur relativ leichte Beschußschäden. Ein Seeker hat ein Hangartor abgesprengt – wir wissen immer noch nicht, ob wir einen Saboteur an Bord hatten oder das ganze auf eine technische Fehlfunktion in Folge des Angriffes zurückgeht. Keine weiteren Anzeichen von Sabotage. Einige Beschußschäden an der „Akikaze“, aber reparabel. Um unsere Maschinen wieder voll funktionsfähig zu machen, benötigen wir im Falle ihres Mechs Ersatzteile aus der Basis, und sowohl bei ihm als auch bei Jenner und Krabbe zwischen zwei und drei Wochen Arbeit. Der andere Kriegshammer sollte in zwei Wochen wieder einsatzbereit sein, die anderen Maschinen schon in einer Woche. Einsatzmoral zwar angeschlagen, aber weiterhin stabil. Ich benötige dringend Helfer, oder Sie müssen sich entscheiden, ob wir erst die schwer beschädigten Mechs reparieren, und dann die leichter lädierten, oder umgedreht.“ Kenda wiegte nachdenklich den Kopf: „Izawa.“ Der junge Chu-i – wie Nakamura zählte er vermutlich weniger als dreißig Jahre – nahm reflexartig Haltung an. Es schien ihm unangenehm zu sein, seine Meinung offen zu sagen, in den VSDK war das alles andere als alltäglich. Aber Befehl war Befehl: „Waffen und Ausrüstung in kampfbereitem Zustand. Einsatzmoral angeschlagen. Ich hoffe, Ihre Rede wird einigen weiterhelfen, aber sie brauchen Zeit um sich zu fassen. Die Ronin sind auf jeden Fall verläßlich. Aber ich mach mir Sorgen, wieviel ihnen im Augenblick noch an ihrem Leben liegt. Einige könnten dazu neigen, ihre eigene Sicherheit über das Notwendige hinaus zu vernachlässigen. Sie brauchen eine Aufgabe – eine sinnvolle, keine bloße Beschäftigung – und am Besten eine Möglichkeit, Vergeltung zu üben.“ Kenda musterte den jungen Offizier: „Originelle Analyse. Ihnen ist klar, daß in den VSDK eine solche Einschätzung als Defätismus angesehen werden könnte. Und als Eingeständnis eines Versagens.“ Izawa schluckte sichtlich, bewahrte aber Haltung: „Hai Tono! Aber dies ist meiner Ansicht nach die korrekte Analyse.“ Einen Augenblick hielt Kenda den Blick seines Gegenübers gefangen, dann lächelte er leicht: „Wir sind nicht in den VSDK, und ich danke Ihnen für Ihre ehrliche Antwort. Wenn ich die Folgen meiner eigenen Befehle bestrafen würde, wäre ich ein Narr.“ Er straffte sich: „Nakamura!“
Er bemerkte erst jetzt, daß die junge Offiziere blasser aussah als gewöhnlich. Die Schatten um ihre Augen schienen von mehr zu stammen als von bloßer Müdigkeit, und um ihre Lippen lag ein bitterer Zug, der trotz aller bisherigen Prüfungen bisher nicht dagewesen war. Aber sie hielt sich so bolzengerade, daß es fast schon unnatürlich wirkte. Er hatte sie seit dem Start vor zwei Tagen nicht mehr gesprochen, und seit der letzten Besprechung vor dem Gefecht nicht mehr richtig von Angesicht zu Angesicht gesehen. Die Veränderungen beunruhigten ihn. Ihre Stimme war ruhig, bar jeder Emotion.

„Einsatzmoral akzeptabel. Die Soldaten haben von Anfang an gewußt, was sie erwartet, und werden auch weiterhin ihre Pflicht tun. Momentan überwiegt der Haß auf die Söldner, aber meiner Ansicht nach werden sie in ein paar Tagen genügen Fassung wiedergewonnen haben, um bei einem erneuten Kontakt nicht emotional sondern der Erfordernissen gemäß zu reagieren. Das Vertrauen in die Führung des Chu-sa ist ungebrochen. Verletzungen sind keine nennenswerten zu nennen. Sobald die Mechs wieder einsatzbereit sind, werden auch sie kampfbereit sein.“ Kenda wartete, doch sie schien dem nichts hinzufügen zu wollen.
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Der Chu-sa überlegte kurz: „Folgende Befehle: Tanake, Ihnen unterstehen bis auf weiteres sämtliche verfügbaren Arbeitskräfte, unabhängig vom Rang. Jeder Befehl Ihrerseits ist umzusetzen, als käme er von mir. Abseits vom vierstündigen Regeldienst hat jeder Infanterist und jeder Mechkrieger mit Ausnahme der Verwundeten sechs Stunden Dienst in der technischen Abteilung. Ich will, daß wir in kürzester Zeit wieder kampfbereit sind. Und machen Sie den Leuten klar, daß es davon abhängt, wie bald wir den Krieg wieder zum Gegner tragen können.
Izawa, Ihnen vertraue ich die moralische Betreuung unserer Leute an, speziell der Infanteristen. Bis wir zum Stützpunkt zurück sind, und eine Entscheidung gefallen ist, habe Sie das Kommando über die konventionellen Truppen. Machen Sie den Leuten klar, daß sie noch gebraucht werden. Rufen Sie ihnen in Erinnerung, wofür, und gegen was wir kämpfen.
Nakamura, Sie werden noch einmal die Nachrichten der Guerilla analysieren. Überprüfen Sie genau, wer was wann gemeldet hat, und mit welchen Quellen. Ich will wissen, wer uns verraten hat, oder sich so leicht täuschen ließ. Außerdem werden Sie alle Aufzeichnungen aus der Schlacht auswerten. Ich erwarte von Ihnen eine Analyse der Feindpiloten und ihrer bevorzugten Taktiken, soweit dies machbar ist. Geben Sie mir ein genaues Profil von Pilot und Maschine – Modifikationen, offensichtliche Herkunft, Gewohnheiten. Außerdem will ich, daß Sie darauf basierend Übungsprogramme entwerfen, um unsere Leute an den Kampf gegen diese und andere Söldnermechs vorzubereiten. Gehen Sie dabei davon aus, daß der Feind einige unserer Maschinen wieder einsatzbereit macht, analysieren Sie, bei welchen ihm dies gelingen könnte. Sie sind dafür vom technischen Dienst freigestellt.“
Er musterte sie alle drei einen Augenblick lang. Nakamura hielt seinem Blick nur eine Sekunde stand, dann wandte sie den Kopf ab und starrte zu Boden. Seine Unruhe verstärkte sich.
„Für Sie drei gilt das Selbe, was ich den Soldaten gesagt habe. Wir sind geschlagen worden – aber wir werden weiterkämpfen. Dafür brauche ich Sie. Jeden Einzelnen. Und ich erwarte, daß Sie ihr Bestes geben. Weggetreten! Nakamura, Sie bleiben.“

Der Ehrbezeigungen waren korrekt, ungeachtet von Müdigkeit und Niederlage. Dann drehten sich die zwei Offiziere ruckartig um und gingen. Keiner machte eine Bemerkung oder warf der Sho-sa einen Blick zu. Wenn es überhaupt möglich war, dann erschien die junge Frau jetzt noch blasser, einer Toten ähnlicher als einer Lebenden. Aber sie hielt sich aufrecht. Der Roninkommandeur musterte seine Stellvertreterin. „Stehen Sie bequem.“ Sie zuckte zusammen, als hätte er sie geohrfeigt, und ihre Haltung lockerte sich nur unwesentlich. „Ich habe Sie vorhin um eine Einschätzung der Mechkrieger gebeten. Ich vermisse eine Einschätzung bezüglich ihrer eigenen Person.“ Sie schien beinahe erleichtert bei seinen Worten: „Ich danke dem Chu-sa, der er sich entschlossen hat, die Sache zu einem Ende zu bringen.“ Kenda hab die Augenbrauen. „Wie bitte?“ Sofort war sie wieder so unsicher wie zuvor: „Meine Degradierung und Verhaftung, Tono?“ Ihre Lippen zitterten: „Ich habe seit dem Start darauf gewartet. Ich bin bereit, meine Strafe entgegenzunehmen. Diese Ungewissheit...“ die Stimme brach. Völlig überrascht starrte er sie an, dann begriff er: „Sie meinen, ihre Absetzung, weil Sie mir zum Angriff geraten haben, und dieser Angriff scheiterte? Weil Sie mein Nachrichtenoffizier waren und nicht verhindert haben, daß wir hintergangen worden und mehr als ein Drittel unserer Maschinen und viele Soldaten verloren haben? Ist es das?“ „Hai!“ Sie zog ihre Pistole heraus, lud durch, entfernte das Magazin. „Ich bin bereit, die Konsequenzen zu ziehen!“ Der Chu-sa streckte die Hand aus: „Geben Sie mir die Waffe.“ Er nahm die schwere Nambu entgegen, wog sie einen Augenblick in der Hand. Dann schleuderte er sie in die Ecke: „Stillgestanden!“

Nakamura nahm Haltung an. „Ich werde das nur einmal sagen, und ich verlasse mich darauf, daß dies genügt! An dieser Niederlage, dieser Katastrophe, tragen Sie gewiß keine Schuld! Halten Sie mich für einen Idioten? Ich habe die selben Berichte gelesen wie Sie, und ich habe erheblich mehr Erfahrung. Und nichts, gar nichts, deutete auf eine Falle hin. Nichts, was wir – Laien auf dem Gebiet – erkennen könnten. Wir sind Soldaten, keine ISA-Analytiker. Sie sind Nachrichtenoffizier, um Feindnachrichten auszuwerten, weil ich mich normalerweise nicht auch noch darum kümmern kann. Aber ich wäre ein Narr, würde ich von Ihnen erwarten, mit einer Bambuslanze einen Samurai zu überwinden! Ich bin kein, merken Sie sich das ein für alle mal, KEIN Offizier, der für eigene Fehler Untergeben verantwortlich macht! ICH berufe Sie in Ihre Position, ICH bestimme, was geschieht. Und ICH trage die Verantwortung. Sie sind gewiß nicht inkompetent, und noch viel weniger sind Sie nachlässig. Für letzteres WÜRDE ich Sie erschießen. Aber ich brauche Sie als die kompetente Offizierin, die Sie sind, nicht von Selbstvorwürfen zerfressen. Ist das klar? Denken Sie, ich erwarte von Ihnen, daß Sie hellseherische Fähigkeiten entwickeln? Bestimmt nicht! Ich erwarte, daß Sie Ihre Pflicht tun, so gut Ihnen das möglich ist. Und das haben Sie bisher und werden es auch weiterhin tun. Ja, wir sind geschlagen worden. Ja, wir haben uns täuschen lassen. Aber was uns herausgeholt hat, daß war auch IHR Einsatz, und IHRE Befehle an die leichten Einheiten. Ich will von Ihnen keinerlei Selbstvorwürfe mehr hören! Morgen erwarte ich Sie in erstklassiger Verfassung zum Rapport, und mit einem Bericht über die Ihnen anvertrauten Nachrichten!“
Die junge Frau zuckte bei sein Standpauke zusammen, immer wieder: „Tono, Ihr braucht keine Rücksicht auf mich zu nehmen. Ich trage die Schuld am Tode von Sho-sa Hidetoshi und...“ „Ruhe!“ bellte der Chu-sa: „Ich erwarte von meinen Offizieren Gehorsam! Sie sind kein kleines Mädchen, sondern eine Soldatin des Kombinats, und ich erwarte ein entsprechendes Verhalten von Ihnen! Ich kannte Sho-sa Hidetoshi – und viele andere der Toten – länger, als Sie überhaupt auf der Welt sind! Meinen Sie, wenn ich auch nur die Spur einer Überzeugung hätte, Sie wären an ihrem Tode Schuld, würden ich IRGENDWELCHE Rücksichten nehmen?“ „Iie Tono“ hauchte sie. „Sehr gut. Und jetzt gehen Sie. Ich möchte dergleichen NIE WIEDER von Ihnen hören. Sie sind eine der besten Offiziere, mit denen ich zusammengearbeitet habe. Ich will nicht noch einmal von Ihnen etwas wie eben hören, was mich in meinem Urteil schwankend werden läßt! Haben wir uns verstanden! Und nehmen Sie Ihre Waffe mit“ Ihr Gruß war perfekt abgezirkelt. „Hai Chu-sa!“ Dann wirbelte sie herum und ging, jede Bewegung wie bei der Parade. Hinter ihr schlug krachend die Tür zu. Langsam setzte sich Kenda. Sie würde darüber hinwegkommen, früher oder später. Er brauchte sie noch, brauchte jeden von ihnen. Aber er konnte nicht mit jedem sprechen. Hier mußte er seinen Offizieren vertrauen. Und beten. Langsam, bedächtig kniete er vor dem Schrank nieder, verneigte sich. Dort standen die Fotos seiner Frau und seiner Kinder, und ein älteres, vergilbtes Bild, daß seine Eltern und Geschwister zeigte. Er entzündete ein wenig Weihrauch. Für einen Augenblick waren seine Gedanken weit weg...

Langsam, Schritt für Schritt, wurden sie wieder zu einer Kampfeinheit. Es hatte bei den Ronin nie die Gefahr bestanden, daß sie meutern könnten – zu sehr waren sie im Geist von Pflicht und Gehorsam erzogen worden. In ihrer Ausbildung war Kapitulation ein Ausweg gewesen, der nie ernsthaft in Erwägung gezogen worden war. Aber wie alle Soldaten brauchten sie ein Ziel, das sie dazu brachte, weder dem Kampf auszuweichen, noch blind den Tod zu suchen. Gerade letzteres war etwas, was den Kämpfern des Roninkrieges nicht gelungen war. Aber Kendas Leute waren aus einem anderen Holz geschnitzt, und ihr Kommandeur ließ ihnen auch keine andere Wahl. Sie schufteten, sechs Stunden und länger pro Tag, um die Mechs wieder kampfbereit zu machen. Sie führten Übung um Übung in den Simulatoren aus, bis sie jeden Feindmech identifizieren und das Verhalten seines Piloten beinahe voraussagen konnten. Und wenn Dienst und Training endeten, übernahm Izawa ihre Betreuung. Er hämmerte ihnen ein, warum sie die Clans hassen mußten. Er organisierte eine Gedenkfeier für die Toten, für alle Toten, bei der die Soldaten Rache schworen. Er ließ Gedichte, Geschichten und Lieder vortragen, die ihnen Mut geben sollten, Erinnerungen an Kämpfer, die in ähnlicher Lage nicht aufgegeben hatten.
Und so fasten sie wieder Mut. Es war nicht der Mut des Kriegers, der von seinem Sieg und seiner Überlegenheit überzeugt ist. Vielmehr war es ein trotziger, fast verzweifelter Mut, der sie die Zähne zusammenbeißen ließ, den Kinnriemen enger schnallen – und weitermachen. Ihre Offiziere waren bei ihnen. Spornten sie an, fasten selbst mit zu, waren Vorbilder und Kameraden zugleich. Die Kommandeure hatten niemanden, der ihnen half – sie mußten die Kraft in sich selbst finden. Und sie schafften es. Die Wunden heilten nicht, daß würden sie nie. Aber man brannte sie aus, und aus Schmerz wurde Haß, wurde Wut – wurde ein eiskalter Willen zur Vernichtung. Ihre Waffen und Maschinen wurden kampfklar gemacht. Pläne wurden geschmiedet, wie die Verluste ersetzt werden konnten. Und auch die Piraten ließen sich davon anstecken, machten mit. Eingeschworen in einer Gemeinschaft, die nur ein Ziel hatte – töten.
02.01.2003 11:45 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Piratenbasis, drei Wochen später

Unruhig, wie ein gefangenes Raubtier in seinem Käfig, lief Erik Torkilsson im Raum auf und ab. Es gab keine Einrichtung, nichts, was darauf hindeutete, daß das Zimmer überhaupt von Menschen benutzt wurde. Nichts als kahle Wände und eine stählerne Tür. Tragbare Halogenlampen tauchten en Raum in kaltes, lebloses Licht. Das Gesicht des Piratenkapitäns wäre auch bei Tageslicht gegenwärtig kein schöner Anblick gewesen. Doch die künstliche Beleuchtung ließ ihn beinahe dämonisch erscheinen.
Innerlich wütete er. Er hatte es von Anfang an gewußt! Dieser Narr! Dieser verrückte Samurai! Wie hatte er sich nur auf den einlassen können! Es hätte ihm gleich klar seien müssen, daß Kenda wahnsinnig war!
Zwei Wochen war es her, daß die Ronin von ihrem letzten Feldzug zurückgekehrt worden waren. Sie hatten genau die Schlappe erlitten, die früher oder später hatte eintreten müssen. Dies hätte den Rasalhager eigentlich wenig bekümmert – aber mit Kendas Leuten waren auch viele Piraten gefallen. Nicht weniger als 14 Panzerfahrer und 11 Infanteristen waren dem Wahnsinn des Draconiers zum Opfer gefallen. Und auch wenn sie aus eigenem Entschluß und gegen seinen Willen unter Kendas Kommando gekämpft hatten – sie waren SEINE Männer. Viele von ihnen kannte er schon lange. Und jetzt miterleben zu müssen, wie Kenda sie in seinem irrsinnigen Kreuzzug verheizte, war mehr, als Torkilsson ertragen konnte.
Und dazu kam, daß die Niederlage Kendas seine, Torkilssons, Position nicht wesentlich gebessert hatte. Zwar konnte der Ronin jetzt fürs erste keine weiteren Piraten auf seine Seite ziehen – aber die, die ihm bisher gehorchte hatten, waren auch nicht wieder unter Torkilssons Kommando zurückgekehrt. Schlimmer noch, erste Gerüchte machten die Runde, hätte er als Piratenkapitän sich nicht geweigert, mehr Panzer und Infanterie einzusetzen, hätten weit weniger Männer und Frauen sterben müssen, wäre der Angriff vielleicht sogar ein Erfolg geworden. Er wußte, woher diese Gerüchte kamen – Kenda war zu klug, selber so etwas zu übernehmen. Das roch eher nach der Handschrift eines seiner Offiziere. Nakamura, Izawa, Shigeda, Marushige oder auch Hakon Ragnarsson. Und wie es aussah, war es nur eine Frage der Zeit, bis vielleicht auch erste Gerüchte aufkommen würden, Torkilsson hätte über sein eigenes Informantennetz mehr erfahren, als er Kenda mitgeteilt hätte, oder gar selbst Informationen an den Feind weitergegeben, um dem Rivalen zu schaden. Und wenn sich solche Gedanken erst einmal breit machten, war es nur eine Frage der Zeit, bis Kenda die übrigen Piraten völlig in der Hand haben würde, und Torkilsson endgültig kaltstellen konnte.
Aber fast mehr noch als die Gefahr für sein eigenes Leben quälte den Piratenkapitän der Gedanke, was aus seinen Leuten würde. Auch wenn viele von ihnen Kenda folgten – für die „Zivilbevölkerung“ und für die „Loyalen“, aber auch für die „Überläufer“ trug er als Kapitän die Verantwortung. Und er wußte nur zu gut, daß Kenda, sollte er es für notwendig halten, jeden Mann und jede Frau opfern würde, ohne einen Augenblick zu zögern. Und das durfte er nicht zulassen. Er hatte immer prophezeit, daß der Tag kommen würde, an dem der gnadenlose Kriegskurs des Ronin ihm, und allen die ihm folgten, den Tod bringen mußte. Und er DURFTE nicht zulassen, daß Kenda noch mehr der Piraten mit sich riß. Er mußte die retten, die sich retten lassen wollten – mehr stand nicht in seiner Macht. Der Hinterhalt, soviel war klar, war erst der Anfang gewesen. Selbst, wenn die Ronin entkommen waren, die Jagd würde jetzt nicht mehr aufhören, bis zum bitteren Ende. Doch dies durfte nicht das Ende von Torkilsson Leuten werden.
Kenda hatte die Schlappe überwunden, und den Schmerz in neuen Haß auf die Clans umgemünzt. Wenn er aufgehalten werden sollte, dann mußte das bald geschehen, und gut vorbereitet werden. Und deshalb war er hier, in diesem Raum, mit zwei hundertprozentig loyalen Wächtern vor der Tür.

Ein kurzes Klopfen ließ ihn aufhorchen. Er tastete nach der schweren Clan-Laserpistole, die seit über 10 Jahren seine treue Begleiterin war. Dann überlegte er es sich anders. Wenn er aufgeflogen war, würde ihm eine Handfeuerwaffe auch nichts mehr nützen: „Reinkommen!“
Es waren vier – drei Männer und eine Frau. Alle trugen schwarze Tarnkombinationen, Schleichanzüge, die es ihnen erlaubten, sich in den Gängen unter der Piratenbasis ungesehen zu bewegen. Jeder hatte eine Tasche mit seiner normalen Kleidung dabei, und eine schall- und mündungsfeuergedämpfte Waffe. Dennoch waren das keine Kommandosoldaten, sondern die Offiziere, auf die Torkilsson sich noch glaubte verlassen zu können – und die Frau eines der Offiziere, Ragnild. Sie war früher auch im „aktiven Dienst“ gewesen, bei einer anderen Bande – wobei früher bedeutete, im Alter zwischen 15 und 28 – ehe sie sich mit ihrem Beuteanteil selbstständig gemacht hatte. Ihr gehörte das „Chrysantheme“, das beste (und einzige) Vergnügungsetablissement im „Dorf“ wo Piraten und Ronin ihren Sold ausgaben, und sie wickelte mindestens 75 % des Waren- und Geldtransfers zwischen „Dorf“, Piratenbasis und der Außenwelt – vertreten durch den Yakuzakapitän Sazumi – ab. Wenn es darum ging, etwas (oder jemanden) zu beschaffen oder zu transportieren, dann war sie die richtige Ansprechpartnerin, außerdem leitete sie das quasi „Dorf“.
Der Piratenkapitän schluckte. Jetzt kam es darauf an. Sollte nur einer hier ein Verräter sein... Nun, Kenda hatte bisher aus drastische Mittel gegen seine „Verbündeten“ verzichtet, aber wenn er von einer echten Verschwörung Wind bekäme, dürfte sich das ändern: „Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind. Ich nehme mal an, Sie alle wissen, worum es geht. Sie haben selbst gesehen, wie der letzte Angriff unserer kombinierten Kräfte gescheitert ist. Dennoch ist Chu-sa Kenda nicht bereit, seinen Kurs zu überdenken oder gar aufzugeben. Er will weiterhin Krieg gegen die Geisterbären führen -–vermutlich will er sein Vorgehen sogar noch weiter verschärfen. Er lässt seine Leute trainieren, und bereitet offenbar neue Operationen vor. Ich denke, Sie stimmen mit mir überein, daß dies früher oder später in einem weit umfassenderen Maße in der Katastrophe enden wird, als es bisher der Fall ist. Angesichts der Haltung des Chu-sa sehe ich keine andere Möglichkeit, als ein Ende der Zusammenarbeit ins Auge zu fassen. Und zwar endgültig, und möglichst schnell.“ Er schaute seine vier Gesprächspartner an. Schockiert oder empört wirkte keiner. Aber dennoch -–sollte einer von ihnen sich mehr aus einem weiteren Arrangement mit den Ronin versprechen... Dann nickte Ragnild, und einer nach dem anderen auch die drei Männer. Erst jetzt wurde Torkilsson klar, daß er die Luft angehalten hatte.

„Ich sehe, hier sind alle ihrer Meinung.“ Ragnilds Stimme war ruhig und selbstsicher: „Aber ich schätze, Sie haben uns nicht hierher gerufen, damit wir dann vereint in das Zimmer des Chu-sa marschieren, und unseren Austritt erklären. Was eine Möglichkeit wäre, aber keine gute. Selbst die, die ihm nicht hörig sind, wenn ich es mal so ausdrücken darf, sehen den finanziellen Nutzen, den sie aus der Allianz ziehen. Sie könnten sich weigern, einen Austritt zu akzeptieren und mitzumachen. Dies gilt auch für die Raumschiffe. Und ohne die steht es nicht gut.“ Der Kapitän nickte: „Sehr richtig. Ich kann die Zusammenarbeit nicht beenden, ohne das noch mehr Zwist entsteht. Vor allem weiß ich nicht, wie der Chu-sa reagieren würde. Theoretisch hat er die Macht, uns zu vernichten. Von den uns noch verbleibenden Panzern stehen fünf auf seiner Seite, von unseren Infanteristen gut 70 Mann. Es hat schon genug Spannungen gegeben – das könnte zum offenen Konflikt führen. Ich kann die Zusammenarbeit nur dann problemlos beenden, wenn klar ist, daß eine Fortführung der Allianz unzweifelhaft katastrophale Folgen haben wird. Nur dann habe ich die Sicherheit, daß alle, die schwanken, auf meiner Seite stehen.“ „Und wie stellen Sie sich das vor?“ „Das ist situationsabhängig. Gerade Sie, Ragnild, dürften wissen, daß ich in letzter Zeit weit weniger Gefangene verkauft habe, als früher. Die sind ein Faustpfand, das Lösegeld, sollten Söldner hier auftauchen. Und sie könnten ein gutes Startkapital abgeben, wenn wir überhastet türmen müssen, weil die Truppen Kendas mit Verfolgern an den Fersen hierher zurückflüchten. Wir müssen bereit sein, an Bord unserer Landungsschiffe, und vor allem hier in der Basis in kürzester Zeit die Kontrolle zu übernehmen. Ich habe schon vorher ein paar kleine Umbauten durchführen lassen, aber ich brauche mehr Leute und Material, wenn alles glattgehen soll. Dazu brauche ich Sie – speziell Sie, Ragnild. Ich brauche ein illegales Waffendepot und einiges an hochspezialisierter Hardware. Und ich brauche mindestens 30 Männer und Frauen, auf die ich mich unbedingt verlassen kann. Ich muß wissen, was Kenda plant, und wie die Stimmung unter seinen Leuten genau ist.
Dann werden wir entscheiden, wie wir vorgehen. Meiner Ansicht nach ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir hier Besuch bekommen. Sollte dies der Fall sein, müssen wir die Kontrolle binnen einer Minute übernehmen. Sind draußen Söldner, werde ich versuchen, mit ihnen gegen Gefangene – und vielleicht auch einiges von Kendas Ausrüstung – einen Abzug auszuhandeln. Sind es Claner, warten wir, bis Kenda gegen sie kämpft – mit den Mechs und Schwebern kann er schwer igeln – und türmen dann, während er uns unfreiwillig den Rücken freihält. Taucht keiner auf, aber die Ronin erleiden noch ein oder zwei ähnliche Schlappen. Setzen wir sie einfach vor die Tür und verschwinden, am besten, während er mit seinen Leuten im Manöver ist.“ Ragnild pfiff bewundernd durch die Zähne: „Erik, du bist doch ein wirklich eiskalter Schweinehund. Du mußt dir die Sache ja schon reiflich überlegt haben. Wie lange willst du deinen Partner denn schon abservieren?“ Der „Rote“ verzog unwillig das Gesicht: „Du wirst es mir nicht glauben, aber ich mache das nicht gern. Es ist schlecht fürs Geschäft, weil es den Ruf schädigt. Aber wir haben keine andere Wahl. Und das sollte euch klar sein.“ Er schaute sie an und wußte, sie waren auf seiner Seite.
„Gut. Ragnild, von dir brauche ich zwei Dutzend Sonarschocker, die selbe Zahl Panzeranzüge. Schallgedämpfte Mpi’s, Codeknacker, Dietriche. Schau dich um, ob du ein paar Leute anheuern kannst. Und deine Mädchen sollen aufpassen, was Kendas und meine Leute so reden, in welcher Stimmung sie sind. Sie sollen sie zum reden bringen – ich bezahle einen Extrabonus. Ihr drei versucht, einen Einsatztrupp zusammenzustellen. Denkt gut nach, wen Ihr ansprecht. Wenn einer umzukippen droht, darf er NICHT die Gelegenheit haben, mit Kendas Leuten zu sprechen. Es geht hier um eine Menge Leben, und um unsere weitere Zukunft – also keine falschen Rücksichten, klar?“ Es schien ihnen nicht zu passen, aber sie stimmten zu. Bei allen Rauhheiten in einer Piratenbande – gezielter Mord an andersdenkenden Kameraden war nicht unbedingt die Regel. Aber sie hatten kein Wahl. Stück für Stück folgten sie den Ausführungen ihres Kapitäns. Man hätte meinen können, der freue sich schon darauf, die Ronin auszubooten. Und in gewisser Weise war es auch so. Endlich konnte er etwas tun, mußte nicht weitestgehend tatenlos zuschauen, wie Kenda die Piraten in den Untergang führte. Er hatte von Anfang an gegen den Einfluß des Draconiers gekämpft, und nun trat der Kampf in die entscheidende Phase. Wenn er Glück hatte, würden er und seine Leute aus der Sache noch halbwegs heil und sogar wohlhabend herauskommen. Wenn nicht... Aber das Leben eines Piraten war immer voll Gefahren gewesen, und diesmal lohnte sich der Einsatz.
02.01.2003 11:46 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
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Es war eine einfache Schwarzweißzeichnung. Ein Anachronismus im Zeitalter von Computergenerierten Farbbildern, die ebenso schnell wie leicht und präzise angefertigt werden konnten. Hier hatte eine menschliche Hand in mühevoller Arbeit mit Tusche Linien gezogen, hauchdünn teilweise, und mit Sorgfalt und Geduld. Der Chu-sa betrachtete das Bild versonnen. In seiner Zeit auf der Militärakademie hatte man auch von ihm erwartet, daß er zu einem gewissen Maße eine der klassischen Künste beherrschte. Dies sei gut für den Charakter, und überdies mußte ein Krieger – ein Wort, von dem Anatoli Kenda nie allzu viel gehalten hatte – auch die Hand und die Seele eines Künstlers haben, wie die anmutigen Ornamente auf der Scheide eines Schwertes. Er hatte es weder in der Zeichenkunst, noch im Dichten sonderlich weit gebracht, hatte es einfach nicht als wichtig betrachtet, wenn er auch fremde Kunst durchaus zu würdigen wußte. Aber andere Offiziere und einige Soldaten hatten mehr Geschick entwickelt. Und der Roninführer war kein Mann, der Talente, welcher Art auch immer, ungenutzt ließ. Und hier war das Ergebnis. Selbst er, als Laie, spürte die Kraft, die in diesem Bild – ebenso wie in den anderen Werken anderer „Künstler“ lag. Sie hatten ihre Emotionen in ihre Zeichnungen fließen lassen, die dadurch zu einer Waffe wurden, die einer Pistole – und manchmal gar einem Battlemech – in Nichts an Tödlichkeit nachstanden.
Die gewaltige Bestie war nur teilweise ausgearbeitet. Vom rechten Bildrand aus erhob sie sich, ein Ungetüm. Mit massigem, gesenktem Kopf, zum Schlag erhobenen Tatzen, langen, gebogenen Krallen und geifernden Zähnen schien sie einem Alptraum entsprungen. Leicht war zu erkennen, daß das Untier die Gestalt eines gigantischen Bären hatte, und doch war nicht eindeutig zu erkennen, ob sich bei dem Wesen um ein reißendes Tier oder eine verderbenbringende Maschine handelte – dies blieb dem Auge des Betrachters überlassen. Einem Berg gleich ragte die gewaltige Gestalt aus einem Reisfeld auf, zum Sprung, zum Angriff geduckt. Auf der gegenüberliegenden Bildseite standen Hütten, ein kleines Dorf – unzweifelhaft das Ziel des Untiers. Doch zwischen ihm und dem Dorf, in der Bildmitte, standen sie. Es waren vier, und sie waren bis in die kleinste Einzelheit ausgearbeitete. Ein gepanzerter Krieger, mit geschwungenem Helm, lederner Gesichtsmaske und zwei leicht gekrümmten Schwertern. Ruhig erwartete er den Angriff der Bestie. Neben ihm eine junge Frau in einem einfachen Kleid. Ihr schwarzes Haar schien im Wind zu fliegen, ihr Gesicht war voll verzweifelter Entschlossenheit, ihr Körper angespannt, kampfbereit. In der Hand hielt sie einen krummen Dolch, zum Stoß bereit. An ihrer Seite ein kleines Mädchen, die Arme um das Bein der Frau gelegt. Von der Seite kam ein älterer Mann hinzu, gekleidet wie ein einfacher Bauer, mit einer Lanze aus Bambus. Sein Gesicht war von Angst und Haß verzerrt, aber auch er stürzte dem Feind entgegen. Über dem Bild stand nur ein Wort „Kämpfe!“. Kenda lächelte, als er den Namen der Künstlerin entzifferte. Vorsichtig nahm er einen haardünnen Pinsel, tauchte ihn in eine kleine Tuschschale. Behutsam, um das Werk nicht zu zerstören, fügte er einige Linien im Gesicht der jungen Frau hinzu, bis es dem Gesicht der Zeichnerin ähnelte. Dann legte er das Kunstwerk beiseite.

Das nächste Bild. Brennende Hütten, der Boden mit Leichen übersät. Soldaten, Zivilisten – Männer, Frauen, Kinder. Inmitten der Toten zwei Männer. Der eine, unverkennbar Khan Björn Jorgensson, stand in stolzer Siegerpose da. Zu seinen Füßen eine junge Frau, unverkennbar rasalhagischer Herkunft, mit zerfetztem Unterleib, ein kleiner Junge, tot auch er, an ihrer Seite. Jogensson hatte seinen rechten Stiefel auf ihre Brust gesetzt, der linke trat ihr Haar in den Schlamm. Ihm gegenüber Theodore Kurita, mit einem schmeichelnden, servilen Lächeln auf den Lippen. Seinen rechter Stiefel ruhte auf dem Kopf eines Soldaten der VSDK, dessen Brust nur ein verbrannter Krater war. Der Mund des Toten war aufgerissen, seine Hand ausgestreckt – es war nicht zu sagen, ob er versuchte, die Rasalhagerin und ihr Kind zu berühren, oder nach seiner Waffe getastet hatte, die seinem Griff entfallen war. Die beiden Staatsoberhäupter hatten prunkvolle Trinkschalen erhoben. Darüber standen folgende Worte: Jorgensson: „Auf gute Nachbarschaft!“ und Theodore: „Auf Frieden und Harmonie!“

Wieder ein anderes Bild. Erneut ein Reisfeld, diesmal mit einer Straße. Darauf, und daneben, halb versunken im Schlamm, Kriegsmaschinen der Besatzer. Ein leichter Mech, das eine Bein abgerissen. Truppentransporter, einige Panzer, brennend. Ein Tank flog gerade in die Luft, der Turm wurde wie ein welkes Blatt beiseite gewirbelt. Zwischen den Fahrzeugen Claninfanterie und Elementare, panisch durcheinander rennend, schießend – viele von ihnen tot im Straßenstaub, im Schlamm versackt. Schemenhafte Gestalten in einem nahen Dickicht, zwischen den Reispflanzen, die mit tödlicher Präzision auf die Claner schossen. Unterschrift: „Tötet!“

Bild folgte auf Bild, über ein Dutzend. Der Geisterbär, zu Boden gerungen von Drachen und Mitgardschlange. Ragnar, mit stolzer Geste, der verkündete „Ich bringe euch die Freiheit und den Frieden!“, während im Hintergrund Geisterbärensoldaten Rasalhager erschossen. Ein Rasalhager und ein Draconier, Arm in Arm, zu ihren Füßen ein gefällter Geisterbär...
Bedächtig legte der Chu-sa das letzte Blatt zur Seite. Solche und ähnliche Zeichnungen wurden in großer Zahl vervielfältigt und verteilt. Meist über das Schattennetz, brachten kriminelle Kapitäne gegen Bezahlung diese Werke – mit kurzen, einprägsamen Texten und Ratschlägen vervollständigt – auf die besetzten Welten. Dort reproduzierten die örtlichen Guerillakämpfer, oft auch einfache Leute, deren Mut oder Fähigkeiten zum gewaltsamen Widerstand nicht ausreichten, die Propagandaplakate und verteilten sie. Auf diese Weise erfuhren die Bewohner der besetzten Welten von den Aktionen von Kendas Leuten, und von anderen Guerillaangriffen. Und die örtlichen Kräfte griffen schnell die Beispiele auf, und begannen selbst eigene Nachrichtenplakate und Propagandazeichnungen zu verteilen. Und hier reagierten die Clans mindestens ebenso unbeholfen, wie gegenüber einer wohlorganisierten Guerilla. In ihrer Psychologie und ihrem Denkschema war so etwas lange Zeit einfach nicht vorhanden gewesen, und mit dem Lernen taten sie sich schwer. Die örtlichen Machthaber waren da eher eine Gefahr, doch bei denen sorgten oft ein paar gezielte Hinrichtungen für Vorsicht, oder für überzogene Reaktionen. Und beides stärkte den Widerstand. Kenda grinste verächtlich. Viele seiner ehemaligen Kampfkameraden – nicht jedoch seiner Freunde – hätten eine solche Art der Kriegsführung für unter ihrer Würde gehalten. Der Chu-sa aber zog alle Register.

Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, das es bald soweit war. Bald würde er eine neue Front gegen die Clans eröffnen, und dann würde er sich einer etwas unangenehmeren Pflicht widmen, als der Begutachtung der Arbeit seiner Propagandaabteilung.
Seine Offiziere waren pünktlich, und wie immer war ihre Haltung vorschriftsmäßig – mit Ausnahme von Hakon Ragnarsson, aber auch dies war nur zu erwarten gewesen. Einer nach dem anderen meldeten sie. Nakamura sprach für die Mechkrieger, Tanake für den technischen Bereich, Marushige erstattete bezüglich der Infanterie Bericht und Ragnarsson meldete den Status der zuverlässigen Piraten. Alle Abteilungen waren in Rahmen des möglichen Kampfbereit. Es war bisher nicht gelungen, die verlorenen Mechs und Panzer zu ersetzen. Das Geld wäre zwar dagewesen, aber auch auf dem Schwarzmarkt war schwere Hardware nicht sofort zu haben, erst recht, wenn es sich um Mechs handelte. Kapitän Sazumi hatte zwar die angeforderten Infanteristen rekrutiert, wie man ihm vor dem Aufbruch nach Thule aufgetragen hatte, und sogar zwei Männer aufgetrieben, die Mechpilotenerfahrung hatten. Aber Kampfmaschinen konnte auch er nicht so schnell besorgen. Kenda lobte die Arbeit der Offiziere – besonders die der technischen Abteilung unter Tanake und der Propagandaabteilung unter Nakamura. Wenn Sazumi wieder aufbrechen würde, würde er einiges an Material zur Verteilung mit sich nehmen. Schließlich verabschiedete er seine Untergebenen, und bat Nakamura, noch einen Augenblick vor der Tür zu warten. Dann trat Toshiro Shigeda ein.

Kenda bot ihm einen Platz an. Eine Augenblick schwieg er, und vergewisserte sich, daß die Abschirmung des Raumes intakt war, dann signalisierte er, daß das Gespräch beginnen konnte.
„Haben Sie ihre Wahl getroffen?“ „Hai, Tono! Obwohl ich betonen muß, daß mehr Männer hilfreich wären.“ „Ich kann leider im Moment außer ihren neun Mann keinen mehr entbehren. Sie haben dann freie Wahl, selbst zu rekrutieren. Ihr Geld erhalten Sie, wenn Sie mit Sazumi aufbrechen. Denken Sie daran, offiziell sind Sie damit beauftragt, Mechs und Panzer zu besorgen. Ich habe dafür gesorgt, daß der Schwarze Drache von Ihnen erfährt. Ich hoffe, er wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen, und Ihnen weiteres Geld zur Verfügung stellen. Sowie Sie New Tunis erreicht haben, werden Sie untertauchen. Brechen Sie jeden Kontakt mit mir ab. Sie können einen toten Briefkasten einrichten – mehrere wären besser – aber wir werden uns nicht mehr offen treffen. Ihnen ist die Natur Ihres Auftrages klar?“ „Hai! Ich werde von New Tunis aus ein Netzwerk von Spitzeln und Terrorzellen auf den besetzten Planeten aufbauen. Wenn der Drache Nachrichten braucht, wenn Verräter eliminiert werden müssen, wenn es gilt, Ziele auszuschalten, dann werden wir da sein. Wir werden zuschlagen wie die Ninja, wie Schatten in der Nacht – unsichtbar, unaufhaltsam, lautlos.“ „Es muß Ihnen klar sein, daß der Aufbau eines solchen Netzes Zeit und Geld kostet. Vielleicht werden wir – unsere Einheit – davon nicht mehr profitieren können. Aber für andere gilt dies nicht. Sorgen Sie dafür, daß die Zellen auch autonom operieren können, daß niemand alles auf einmal zerschlagen kann. Jede planetare Zelle soll eigene Ableger bilden. Bis jeder Planet überwacht wird, und die Schattenkrieger jederzeit bereit sind, loszuschlagen. Wir, oder die, die nach uns kommen, dürfen nicht noch einmal in einen derartigen Hinterhalt geraten. Noch etwas – schicken Sie drei Ihrer Männer nach Thule. Ich will, daß diese Söldner zu spüren bekommen, was Verrätern blüht. Ihre Männer sollen sich von den örtlichen Guerilla fernhalten. Nur die Yakuza dürfte zuverlässig sein – man sollte sie erinnern, daß sie uns für unser Geld keinen guten Dienst erwiesen haben, und eine Schuld zu begleichen ist. Ich will, daß die Söldlinge beobachtet werden. Und sowie sie ihre Basis verlassen – um sich zu erholen, einzukaufen oder was auch immer – will ich sie tot sehen. Wie ist mir egal. Sie werden sicher einen Transporter oder ähnliches benutzen – allein läßt ihr Anführer sie bestimmt nicht los – und der muß vernichtet werden. Nehmen Sie es als Probe, wie unsere Leute sich bei solchen Aktionen bewähren. Eine Sprengladung, eine Infernorakete – die Mittel sind die Wahl der Gruppe. Suchen Sie die Männer gut aus. Aber Ihre Hauptaufgabe, Shigeda, ist nicht die Vernichtung dieser Chevaliers, das ist nur ein augenblickliches Problem. Ich will, daß Sie einen vergifteten Wurfstern schmieden, den ich – oder wahrscheinlich ein anderer – den Clans in den Rücken schleudern kann, ehe sie seine Existenz auch nur erahnen. Ist das klar?“ „Ja, Chu-sa. Ich werde meine Pflicht tun.“ „Gut. Ich wünsche Ihnen viel Glück. Wenn Sie gehen, rufen Sie Nakamura herein.“ Kenda stand auf, verneigte sich tief: „Leben Sie wohl!“ Einen kleinen Augenblick lang sagte Shigeda nichts. Er schien zu spüren, daß dies vermutlich sein letzter Befehl von Kenda war – weitere würde es nie mehr geben. Dann erwiderte er den Gruß: „Leben Sie wohl, Tono!“
02.01.2003 11:47 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Sho-sa Nakamura trat ein, neben ihr Chu-i Taroo Izawa. In den letzten Wochen hatte er sich in seiner Rolle als provisorische Vertretung für den gefallenen Hidetoshi bewährt, und begonnen, aus der Infanterie und den neuen Rekruten kampfstarke Einheiten zu formen. Aber noch war keine endgültige Klärung seiner Position erfolgt. Er salutierte zackig vor Kenda, der langsam um den Tisch herumtrat, und sich vor seinem Untergebenen aufbaute, die Arme gekreuzt. Der Chu-i verharrte in Habachtstellung. Ein wenig seitlich hinter ihm hatte Tomiko Nakamura Haltung angenommen. Ihr Gesicht zeigte – wie so oft – nicht im geringsten, was sie gerade denken mochte.
„Sie haben in letzter Zeit gute Arbeit geleistet, Chu-i. Ich bin mit Ihren Leistungen sehr zufrieden. Sho-sa Hidetoshi hat keine schlechte Wahl getroffen, als er Sie als seinen Nachfolger vorgeschlagen hat.“ Dies war eine Besonderheit in Kendas Einheit – jeder Kommandeur suchte, zusammen mit Kenda, einen geeigneten Nachfolger für sich aus, in Kendas Fall würde dies Nakamura sein. So konnte selbst beim Tod mehrerer Offiziere das Kommando schnell übergeben werden, ohne das Verzögerungen eintraten, und die betreffenden Personen waren schon vorher mit ihren möglichen Aufgaben vertraut gemacht worden. Und jeder Nachfolger hatte meist einen eigenen Vertreter, sollte er zusammen mit dem Kommandeur fallen, den er ersetzen sollte.
„Eine Sache wäre aber noch zu klären, bevor ich Sie offiziell zum Sho-sa befördere. Es spielt dabei keine Rolle, daß Sie nur Chu-i sind, in meiner Einheit zählen Leistung und Vertrauenswürdigkeit.“ Der Chu-sa nahm eine Mappe vom Tisch auf, schlug sie auf: „Taroo Izawa. Geboren am 24. 03. 3036 auf Tinaca. Kind einer angesehenen Familie. Vater Beamter, Mutter Hausfrau. Einen älteren Bruder, einen jüngeren und eine jüngere Schwester. Mit zwölf Jahren Einschulung in eine militärische Bildungsanstalt. Beim Angriff der Clans evakuiert, als Einziger. Ausbildung als Offiziersanwärter der Infanterie, Fallschirmjäger.“ Der Chu-sa fixierte sein Gegenüber: „Vermutlich waren Sie als Nicht-Adliger für einige Leute nicht gut genug, um als Mechkrieger ausgebildet zu werden, oder als Pilot.“ „Nein, Chu-sa, ich habe mich selbst zur Infanterie gemeldet.“ Der Kommandeur nickte leicht: „Gute Beurteilung, Ausbildung als Kommandosoldat der Armeetruppen. 3059 beteiligt am Kampf gegen die Nebelparder. Drei Elementarabschüsse, mit dem Zug sogar einen Sprinter-Mech. Dazu einige Panzerfahrzeuge. Dekoriert und für einen höheren Kommandolehrgang vorgesehen. Anschließend degradiert, und strafweise versetzt. Ich kann mir denken, warum. Nun, warum Sie hier sind, haben Sie ja schon gesagt. Wie wir alle lehnen Sie den verräterischen Kurs Theodores ab.“ „Verzeihen Sie, Chu-sa, aber was wollten Sie von mir wissen? Meinen Lebenslauf kennen Sie.“ Der Kommandeur fixierte den jungen Mann – beinahe lauernd. Dann straffte er sich: „Ich will, daß Sie eines wissen. Wenn Sie Kommandeur in meiner Einheit seien wollen, dann verlange ich natürlich Leistung und Einsatz. Ich verlange aber vor allem, daß meine Leute vor mir keine, ich betone KEINE Geheimnisse haben. Ich bin der einzige, der zu entscheiden hat, wer was, wann und wie erfährt. Das ist mein Recht und meine Pflicht als Kommandeur. Aber von meinen Offizieren erwarte ich, daß es keinerlei unbekannte Punkte in ihrem Leben gibt. Ist das klar?“ Für einen Augenblick schienen die Augen des Chu-i zu flackern. Dann nickte er. Kenda betrachtete ihn prüfend: „Davon ausgehend, gibt es irgend etwas, das Sie mir sagen wollen?“ Der junge Offizier schüttelte den Kopf. Kenda lächelte offen: „Gut. Ich bin froh, daß das geklärt ist.“ Er wandte den Kopf leicht zur Seite: „Nakamura!“.

Mit einem einzigen Schritt war seine Stellvertreterin bei Izawa. Blitzschnell legte sie ihm den rechten Arm um den Hals, riß ihn nach hinten. Der Chu-i taumelte gegen sie, völlig unvorbereitet. Ihre linke Hand schloß sich um den Kolben seiner Pistole, riß diese aus dem Holster und schleuderte sie zur Seite. Dann kam ihr rechtes Knie hoch und schmetterte gegen den Wirbelsäulenansatz ihres Opfers. Izawa konnte nur ein gequältes Keuchen hervorbringen. Sein ganzer Körper war förmlich paralysiert, seine Beine knickten ein. Wie eine Puppe wurde er vom Stoß vorwärts geschleudert – direkt in den Hieb Kendas hinein. Beide Fäuste krachten in seine Magengrube, ließen ihn nach vorne zusammenklappen. Blitzschnell hieb der Chu-sa ihm gegen Hals und ins Gesicht, vier Schläge, von denen einer einen normalen Menschen umgeworfen hätte. Dann krachte der junge Mann zu Boden. Röchelnd versuchte er, seine Kehle dazu zu zwingen, Luft zu hohlen, die Kontrolle über seinen Körper zurückzuerlangen. Aber außer einzelnen, qualvollen Atemzügen schien dies unmöglich. Ein brennender Schmerz schleuderte ihn herum, auf den Rücken. Halb neben, halb über ihm stand der Chu-sa, der gelassen und wohlgezielt ein zweites Mal zutrat. Dann machte er einen Schritt zurück. Izawa war ausgebildet worden, mit bloßen Fäusten zu töten, mit dem Messer und der Pistole. Doch selbst, wenn er seine Waffe gehabt hätte – sie einzusetzen wäre er nicht in der Lage gewesen. Er konnte aus dem Augenwinkeln Nakamura erkennen. Die junge Frau hielt ihre Nambu mit beiden Händen, genau auf sein Gesicht gerichtet. Ihre Miene zeigte ungefähr soviel Emotionen wie die Pistolenmündung, und nicht das geringste Zittern der Waffe deutete auf eine etwaige Unsicherheit hin. Mühsam konzentrierte sich Izawa wieder auf Kenda. Das Gesicht des Ronin war vor Verachtung verzerrt: „Sagt Ihnen das Datum 14. Juni 3060 etwas, Chu-i?“ Der Kommandeur wartete, bis er das schwache Nicken des am Boden liegenden Offiziers erkennen konnte: „ An diesem Tag wurde das Ehepaar Izawa, zusammen mit seinem ältesten Sohn, im Rahmen einer Vergeltungsaktion nach angeblichen Aufstandsvorbereitungen erschossen. Mit ihnen starben 43 Männer und 27 Frauen, alles Angehörige angesehener Familien unter den Kugeln maronitischer Milizionäre. Die Angehörigen der Ermordeten, darunter auch Ihr jüngerer Bruder und Ihre Schwester, wurden in ein ,Besserungslager‘ der Christen überstellt. Sie haben Ihren Beuteanteil und Ihr Privatvermögen, soweit Sie es mitnehmen konnten, verwendet, um über Kapitän Sazumi den genauen Aufenthaltsort Ihrer Angehörigen und die Umstände im Lager herauszubekommen, und eine Befreiung in die Wege zu leiten. Ist das korrekt?“ Wieder ein Nicken. „Sie scheinen ja tatsächlich auch in der Lage zu sein, nicht zu lügen. Ich will Ihnen sagen, warum das hier seien muß. Ich verstehe Ihre Gefühle Ihrer Familie gegenüber, und respektiere sie. Aber einen Offizier, der Geheimnisse hat, kann ich nicht gebrauchen. Nicht, weil er mir nicht vertraut. Damit kann ich leben – solange er gute Arbeit leistet und gehorcht. Aber einem solchen Offizier kann auch ich nicht vertrauen, und das ist inakzeptabel! Wir kämpfen hier mit dem Rücken zur Wand, und ich muß mich auf JEDEN Mann und JEDE Frau verlassen können, wie auf mich selbst. Ich habe keinerlei Verwendung für Offiziere, die Ihren Dienst als eine Möglichkeit betrachten, privaten Zielen – sie seien noch so verständlich und ehrenwert – nachzueifern. Wir sind im Krieg, und wir können nur EINEN Kampf führen. Und das darf kein Privatfeldzug für Einzelinteressen sein. Ist das klar?“ Die Stimme des Chu-i klang brüchig: „Ich kenne meine Pflicht.“ „So? Kennen Sie die wirklich?“ Nakamuras Stimme war kalt und erbarmungslos. „Meine Pflicht gilt dem Kombinat, meinem Kommandeur, und meinen Männern.“ Kenda nickte: „Sehr richtig. Mit anderen Worten, den Lebenden, und nicht den Toten. Auch nicht den Verschleppten. Machen Sie sich eines klar. JEDER hier ist ersetzbar. Sie, ich, Nakamura – auch Ihre Familie. Aber nicht ersetzbar ist unser Kampf! Ich verspreche Ihnen, daß alles in unserer Macht stehende getan werden wird, die Clans und ihre Lakaien für ihre Verbrechen zahlen zu lassen. Und daß ich mich bemühen werde, Ihren Angehörigen zu helfen. Aber beides wird nicht, und ich sage dies nur ein einziges Mal, NICHT durch eigenmächtige Aktionen eines Soldaten des Kombinats geschehen. Besonders, wenn er unter meinem Kommando steht. Verstanden?“ Der junge Mann zögerte. Sekunden schienen sich zu Ewigkeiten zu dehnen. Dann nickte er, und salutiere mühsam: „Hai Tono!“

Kenda gab Nakamura einen Wink. Die junge Sho-sa half Izawa auf, reichte ihm seine Waffe. Dann nahmen beide Untergebenen Haltung an. Kenda, der abgewandt hatte hatte, drehte sich wieder um: „Sho-sa Izawa erhält sein neues Quartier. Machen Sie ihn mit Operation Ypern, den nötigen Sicherheitsbestimmungen und seiner Rolle dabei vertraut. Sho-sa Izawa, ich erwarte morgen einen Bericht, wie Sie vorzugehen gedenken. Weggetreten!“

Dann, als beide gegangen waren, ließ Kenda sich auf seinen Stuhl sinken. Wenn Izawa verstockt reagiert hätte, oder Anzeichen gezeigt hätte, daß er es nicht ehrlich meinte... Nun, er würde ihn im Auge behalten. Aber er glaubte, daß er sich auf den jungen Offizier verlassen konnte. Er dürfte seine Lektion gelernt haben. Kenda schüttelte leicht den Kopf. Solch schwierige Aktionen nahm Sazumi nicht in Angriff, ohne bei Kenda Rückfrage zu halten – ein geheimes Abkommen der beiden Kommandeure. Izawa würde es verkraften. In den VSDK gehörte Prügel zum Alltag. Die Ausbilder schlugen die Rekruten, die Rekruten einander, die Mannschaftsdienstgrade die Soldaten, die Offiziere die Mannschaftsdienstgrade. Auch wenn das im aktiven Dienst abnahm, und eher etwas für die Ausbildung war, so war die Prügelstrafe in den Streitkräften nie abgeschafft worden. Und keiner betrachtete solche Strafen als etwas Unstatthaftes. Nein, der Sho-sa würde ihm sicher nicht mit einem Dolch in einer dunklen Gangecke auflauern. Kenda mußte grinsen. Sollte er es doch tun, würde Nakamura – oder ein anderer Offizier – ihn vermutlich Zentimeterweise häuten. Er blickte nach draußen, wo Izawa und Nakamura gerade über den Innenhof der Anlage marschierten, offenbar in eine angeregte Unterhaltung verstrickt. Wenn man sie so sah, konnte man meinen, sie wären alte Freunde – alte Freunde, von denen der eine eben erst bereit gewesen war, den anderen ohne Zögern zu erschießen... .

Ende
02.01.2003 11:52 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Verraten

Piratenbasis, einige Wochen später

In der K3-Zentrale der „Festung“, wie man das alte Bunkerdepot hochtrabend nannte, versah Sho-sa Izawa seinen Dienst. Kommando-Kontrolle-Kommunikation bedeute in diesem Fall eine Vielzahl von Monitoren, die Informationen der internen Überwachungskameras (die, die gerade keinen Defekt hatten) und Feldsensoren darboten, sowie eine Sprechanlage für das Depot selber, eine Fernsprechverbindung zur Siedlung und ein gutes Multikanal-Funkgerät. Einen Holosimulator suchte man hier vergebens, aber es gab eine recht gute 3-D-Karte des Gebietes, in der mit Lichtsymbolen taktische Informationen eingeblendet werden konnten. Allerdings eher grob und zeitlich verzögert.
Kenda hatte festgelegt, daß stets einer der Roninoffiziere in Bereitschaft seien mußte. Weniger, weil er einen Angriff vermutete – vielmehr hatte er seinen beiden engsten Untergebenen gesagt, daß er nicht die Absicht hatte, Piratenkapitän Torkilsson zu lange unbeaufsichtigt in der Kommandozentrale zu lassen. Das Verhältnis war in den letzten Wochen gleichbleibend schlecht gewesen, und Kenda hielt seine Leute lieber einsatzbereit. Nicht, daß er mit einer „Palastrevolte“ rechnete, dazu hatte er zu viele eigenen Leute und verläßliche Verbündete selbst unter den Piraten, aber er wollte lieber auf Nummer sicher gehen. Deshalb waren neben einem Dutzend wachhabender Piraten und Ronin, überwiegend Techniker, auch noch ein kompletter Trupp Infanterie von Izawas Kommandozug anwesend. Und zwar in voller Ausrüstung. Der Sho-sa verfluchte einmal mehr in Gedanken den Konstrukteur der Kommandoanlage, der die Sitze wohl für die Hintern von Technikern gemacht hatte – nicht aber für einen Soldaten in Panzerung, den Gürtel gespickt mit Handgranaten, einem Bajonett und diversen anderen Mordinstrumenten. Sein Marx XX-Lasergewehr, ausgestattet mit Nachtsichtfernrohr und Mündungsdämpfer sowie die Nakajima-Laserpistole nebst der dazugehörigen Ersatzenergiezellen machte die Sache auch nicht leichter. Er hatte um zwei Uhr Nakamura abgelöst, was bedeutete, daß er noch gut zweieinhalb Stunden Wache vor sich hatte. Andererseits verhinderte die unbequeme Haltung, daß er zu müde wurde.
Ein Offizier einer anderen Armee hätte die Zeit zweifellos genutzt, um sich mit etwas anderem zu beschäftigen. Ein Buch lesen, Papiere durchgehen und dergleichen waren seit jeher ein beliebter Zeitvertreib für wachhabende Offiziere. Der Sho-sa aber war Soldat des Kombinats, und solche Nachlässigkeit hätte er nicht einmal in Erwägung gezogen. Zumal er sich auf das Urteil seines Kommandeurs verließ. Und wenn der einen wachhabenden Offizier für nötig hielt, würde er schon Recht haben. In regelmäßigen Abständen kontrollierte er die Techniker und die Bildschirme, welche diese überwachen sollten. Natürlich gab es in so einer Nacht nichts zu sehen und nichts zu erwarten. Das heißt, zu sehen gab es schon etwas. Die örtliche Tierwelt mied zwar den Ort selber, hatte aber großes Interesse an den Abfällen oder an dem, was die Abfälle fraß. Diese Bewegungen verzerrten zusammen mit dem Wetter die Sensoranzeigen. Verläßlich war nur, daß sich nichts Größeres als etwa Menschengröße bewegte, zumindest im Erfassungsbereich der Sensoren. Der schwankte allerdings. Izawa unterdrückte eine Grimasse, die sein Unbehagen angesichts seines Sitzes verraten hätte, und erhob sich, um einen neuen Rundgang zu beginnen.

Die Explosion kam völlig überraschend. Wie der Schlag einer Faust auf das Wasser knallte es dumpf. Ehe die Soldaten erfassen konnten, was los war, schien sich der Boden aufzubäumen. Die Lichter verloschen schlagartig – dann sprang die Notbeleuchtung an. Izawa, der halb aufgestanden war, fiel hin, konnte sich aber an der Lehne festhalten. Um ihn herum erklangen die Schreie der Wachleute und Soldaten. Blitzschnell sprang er auf: „Was...?“ Einer der Techniker wirbelte herum: „Munitionsdepot 3 ist in die Luft geflogen! Ich bekomme kein Bild von den Kameras in dem Sektor!“ Blitzschnell überschlug Izawa das Ausmaß der Katastrophe. Depot 3 lag weit genug von den Wohnräumen entfernt, so daß diese unbehelligt geblieben seien dürften. Aber er wußte, das Depot 3 nicht nur die Munition für die Flak beherbergte, sondern auch einige Vorräte, die auf Kendas persönlichen Befehl angelegt worden waren: „Sicherungstrupp losschicken! Maximale Gefahrenstufe! Schadensbericht der anderen Bereiche!“
Er wandte sich zu einem Kommunikationstechniker: „Verbindung zu Chu-sa Kenda und Torkilsson, sowie Sho-sa Nakamura!“ Der Techniker wollte bestätigen, als einer der Wachleute hochfuhr: „Schwebersignaturen vom Sumpf her, Anzahl vier plus, große Geschwindigkeit!“
Für einen Augenblick war der Sho-sa sprachlos. Unmöglich. Sie konnten unmöglich entdeckt worden sein. Nicht jetzt. Dann hieb er auf den Alarmknopf, der nicht nur die Sirenen anschaltete, sondern ihm auch Kommunikationszugang zu allen Stationen verschaffte: „Ernstfall! Ernstfall! Wir werden angegriffen! Alle Mann auf Gefechtsstationen, wiederhole alle Mann auf Gefechtsstationen! Feind verfügt über Schwebepanzer. Feuer frei nach eigenem Ermessen!“ Er war sich sicher, der Feind würde nicht nur mit ein paar Schwebern angreifen – das wäre Selbstmord. Aber selbst ein paar Hooverpanzer konnten, wenn sie die Überraschung ausnutzten, schwere Schäden ausrichten. Und besser, er gab überhastet Großalarm, als die Gefahr zu unterschätzen.
Überall im alten Sternenbunddepot lief die militärische Maschinerie an. Sie hatten nicht mit einem Angriff gerechnet, doch im Augenblick der Gefahr zahlte sich die Ausbildung aus. Wo Neulinge unkoordiniert handelten, griffen sofort die Veteranen ein. Jeder hatte seine Basisausrüstung neben seinem Bett liegen, die schwereren Waffen waren leicht erreichbar. Während die Infanteristen zu den Feldstellungen hasteten, eilten die Panzerfahrer und Mechkrieger zu ihren Maschinen, die Raummatrosen zu den Landungsschiffen.

Unten in den Gängen hatte die Explosion schwere Verwüstungen hinterlassen. Dort, wo die Detonation nicht zum Einsturz der Zwischenwände geführt hatte, war die Druckwelle mit mörderischer Wucht durch die Flure gefegt.
Mühsam rappelte sich Hanzo Ayanami auf. Der Roninsoldat schüttelte den Kopf, um das „Klingeln“ in den Ohren zu übertönen. Wer auch immer bei der Einrichtung des Munitionsbunkers so geschlampt hatte, denn nichts anderes konnte solche Vernichtungskraft hervorbringen, Hanzo würde mit Freude seiner Exekution beiwohnen. Weiter vorne mußten noch mehr Wachen gewesen sein, aber die Chance, daß sie überlebt hatten, war sehr gering. Neben ihm stemmte sich Thor Askardsson hoch, sein „Kollege“ von den Piraten. Er fluchte, doch dann machte er sich in Richtung Explosionsherd auf – da vorne mußten noch Kameraden sein, und vielleicht konnte man noch jemanden retten. Hanzo folgte, taumelnd.
Plötzlich stoppte der Pirat. Für einen Augenblick schien er wie erstarrt, dann sackte er nach hinten. Das rauchende Loch in seiner Brust zeigte nur zu deutlich, was ihn getroffen hatte. Hanzo taumelte zurück – Feinde! Er sah sie hereinströmen, Infanterie in Kommandomontur. Während er verzweifelt aus seiner Ka-23 das Feuer eröffnete, waren sein ganzen Trachten darauf gerichtet, seine Kameraden zu warnen. Er wußte, das er sterben mußte, aber wenn er Glück hatte, würde er gerächt werden. Er öffnete einen Funkkanal.
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Izawa fieberte vor Erregung. Er sollte da draußen sein, bei seinen Männern und Frauen! Aber solange er der einzige aktive Kommandooffizier war, war sein Platz hier. Über ihm eröffnete die schwere Flak das Feuer. Frustriert ballte er die Fäuste. Er hatte nur die mangelhaften Aufnahmen der Außenkameras.

In diesem Augenblick erwachte ein interner Funkkanal zum Leben: „Feindtruppen im Bunker, zwölf plus, versuche...“ das Stottern einer Mpi schnitt die Worte ab. Irgendwer schrie auf, dann krachte dumpf eine Wurfgranate. Izawa drehte sich um: „Meldung lokalisieren!“ Trotz des beginnenden organisierten Chaos behielten die Techniker der Überblick: „Sektor A-24. Bilder kommen!“ Eine Kamera zeigte eine Handvoll Gestalten in schwarzen Tarnanzügen, die durch einen Gang huschten. Einer hob die Waffe, der Bildschirm wurde schwarz. Izawa hatte genug gesehen: „Verfügbare Truppen in Sektoren A-23 und A-22 Blockadestellung. Feindstärke unbekannt. Zug drei und vier – Truppen verstärken, Feind aufhalten und vernichten!“ Izawa wußte, wo auch immer die Soldaten der beiden Züge – ein Piratenzug und einer der Ronin – sein würden, jetzt würden sie sich in Marsch setzen: „Kommandoteam 4: Flammenwerfer in Sektor A-23 schaffen, Infanterie unterstützen!“ In diesem Augenblick stürzte Torkilsson in der Raum. Der Pirat schien zwar mitten aus dem Schlaf gerissen, erfaßte jedoch sofort die Lage: „Ich übernehme! Gehen Sie zu Ihren Leuten.“ Einen Augenblick zögerte Izawa. Er traute dem Piraten nicht – aber der war ein vorgesetzter Offizier, und außerdem war jetzt nicht die Zeit für Machtproben. Bei einer Gefangennahme mußten auch die Piraten mit Hinrichtung rechnen. Er winkte seine Soldaten zu sich und machte sich auf den Weg zu einem der Flakbunker. Er wurde im Kampf gebraucht. Von dort würde er den Kampf seiner Infanterie leiten.

Als er oben ankam, war das Gefecht mit den Panzern weitestgehend vorbei. Zwei Soldaten lagen am Boden – Kopfschüsse, also Scharfschützen. Neben dem wuchtigen Panzerschild der Flak lauerten zwei Scharfschützen der Ronin und überwachten das Umland, um die feindlichen „sniper“ auszumachen. Meldungen trafen ein. Jetzt auch Mechs gemeldet, Ziel offenbar die Siedlung – dort war Widerstand kaum zu erwarten. Soldaten bezogen Feuerstellungen, um den Feind – der offenbar versuchte, den Ort einzunehmen – mit ihre weitreichensten Waffen unter Beschuß zu nehmen. Die Siedlung war nicht so weit entfernt, daß sie nicht bestrichen werden konnte. Allerdings wußte Izawa nur zu gut, daß er kein MG-Feuer anordnen durfte. Die Gefahr, eigene Leute zu treffen, war zu groß. Blieb nur die Hoffnung, feindliche Soldaten gezielt zu beschießen. Es würde Torkilsson vermutlich auch nicht passen, dass die Scharfschützen die Siedlung aufs Korn nahmen – denn Agressoren reagierten in solchen Fällen meist mit summarischen, wahllosen Strafmaßnahmen gegen die Bevölkerung. Aber wenn er die Feinde unbehelligt ließ, waren die Chancen der Zivilisten auch nicht viel besser. Ob es nun Clans, konkurrierende Piraten oder Clansöldner waren – die Rücksichtslosigkeit der Kriminellen und der Besatzer war nur zu bekannt.

Kenda hastete zu seinem Mech. Noch im Laufen befestigte er die Riemen der Nakajima-Pistole, sein treuer Begleiter seit gut zehn Jahren. Neben ihm liefen die anderen Mechkrieger und Panzerfahrer, oft nur notdürftig bekleidet, ihre Monturen teilweise in der Hand. Der Chu-sa fühlte keine Furcht. Er hatte immer geahnt, daß dieser Tag kommen würde. Er hatte ihn so lang als möglich hinauszuzögern versucht, aber gewußt, daß er ihn nicht verhindern konnte. Der Feind hatte sie also gefunden. Nun galt es dafür zu sorgen, daß er, wenn er denn siegen sollte, einen blutigen Preis würde zahlen müssen.

Schnell klomm er die Leiter empor. Neben ihm fuhr Nakamura bereits ihren Mech hoch – für einen Augenblick mußte er grinsen. Die Jugend war eben trotz mangelnder Erfahrung manchmal im Vorteil gegenüber Veteranen. Binnen weniger Minuten waren die Kampfmaschinen besetzt. Sollte der Gegner jetzt einen Angriff versuchen – am Boden oder in der Luft – er würde eine böse Überraschung erleben. Im Cockpit erhielt er erste Statusmeldungen. Feind eingebrochen, Truppen in Marsch gesetzt. Feind hat sich vorerst zurückgezogen. Für einen Augenblick überlegte er. Die schnellen Schweber hinterherschicken – Mechs konnten in diesem Gelände Schwebepanzer nie einholen – wäre eine Möglichkeit. Aber dann riskierte er, in einen Hinterhalt zu geraten. Der feindliche Kommandeur wäre wahrlich dumm gewesen, hätte er mit nur vier Schwebern angegriffen, das machte nicht einmal der dümmste Gegner. Schließlich, während die Streitmacht sich um ihn sammelte, kam die Meldung, dass der Feind mit zahlreichen Mechs und Infanterie gegen die Siedlung vorrückte. Er unterdrückte einen Fluch und aktivierte einen Funkkanal: „Tanake!“ „Hai Tono!“ meldete sich der Cheftechniker. Kenda preßte die Lippen zusammen. Er wußte, was zu tun war. Wenn die Niederlage drohte, durfte kein Kollaborateur lebend ‚befreit‘ werden: „Code Shusui vorbereiten. Auf meinen Befehl oder nach eigenem Ermessen!“ Dann öffnete er einen allgemeinen Kanal: „An alle, ich übernehme Kommando der mobilen Kampfgruppe. Feuerbereit machen, Schießerlaubnis erteilt, Freigabe nach eigenem Ermessen. Ziele konzentriert vernichten.“ Er zögerte einen Augenblick: „Denkt daran, wir kämpfen hier nicht nur um unser Leben und um das Leben der Zivilisten der Siedlung, sondern für unser aller Heimat und Familien, wo immer sie auch seien mögen.“ Er wußte, wie sich die Piraten angesichts des Überfalls fühlen mußten, kannten sie doch die Methoden der Clans und ihrer Speichellecker: „An alle – KEINE GEFANGENEN!“

Der gigantische Kampfroboter setzte sich in Bewegung. Kenda würde nicht vorpreschen, aber er und seine Leute waren bereit, jeden Meter Boden mit Blut erkaufen zu lassen. Wenn der Feind mit einem leichten Sieg rechnen sollte, hatte er sich getäuscht. Und das mochte ihm noch viel Blut kosten. Kenda schüttelte den Kopf. Wenn es dem feindlichen Kommandeur irgendwie gelungen war, eine Sprengladung im Bunkerkomplex zu installieren, würde er noch bereuen, nicht ALLES auf einmal vernichtet zu haben.

Cheftechniker Tanake handelte sofort. Jeder seiner Leute trug stets eine Handfeuerwaffe, oft auch zwei oder drei Handgranaten, bei sich. Jetzt waren sie alle zusammengekommen, um als Behelfsinfanterie zu dienen. Bei Kenda gab es keine „Fachidioten“. Jeder war Teil der kämpfenden Truppe. Jeder erfüllte eine bestimmte Aufgabe. In diesem Fall hieß das...
„Jeder Mann vier Handgranaten, schwere Waffe, Ersatzmagazine. Helme und Panzerwesten anlegen!“ Tanake verteilte aus einem schon lange zuvor angelegten Magazin schwere Handfeuerwaffen – Sturmgewehre, Impulslasergewehre, Lasergewehre, Mpi’s – mit genügend Munition, dazu Schutzkleidung. Code Shusui bedeutete die Liquidierung der Gefangenen, wichtige zuerst. Keiner von den Techniker würde zögern, das wußte der Draconier. Verräter hatten den Tod verdient, und wer nicht durch Knechtschaft seine Schuld sühnen würde – nun, der würde auf keinen Fall in Freiheit die Früchte seiner Treulosigkeit genießen können. Mit schweren Schritten, leicht vorne übergebeugt unter der Last der ungewohnten Waffen, hasteten die Techniker los. Sie würden ihre Stellung beziehen, die kämpfenden Truppen verstärken – und sich bereit machen, jeden einzelne Gefangenen zu ermorden.

Nakamura überprüfte ihren Mech. Waffensysteme klar, Gyroskop klar – alle Systeme im grünen Bereich. Sie nickte grimmig. Der Feind mochte der Sieg sicher glauben – sie war bereit! Über Funk hörte sie eine fremde Stimme, doch die Worte ließen wenig Zweifel, wer der Sprecher war: der Führer der Söldner, die sich zu Bluthunden der Besatzer erniedrigt hatten. In der jungen Frau loderte der Haß auf. Sie betrachtete die Clans als Feinde, die es zu vernichten galt. Aber die ekelhaften Kreaturen, die sich zu Mördern des Widerstandes machen ließen, die den Clans halfen, weiter Welten der Inneren Sphäre unter ihrer unbarmherzigen Herrschaft zu halten – die haßte sie, haßte sie abgrundtief. Sie mußte beinahe lachen, als sie die Worte des Söldners hörte. Selbst wenn die Piraten so dumm sein sollten, den Worten eines Verräters zu trauen – „abliefern“ würden sich die Ronin nicht lassen. Sie würden für jeden der ihren einen blutigen Preis einzufordern wissen, der jeden Sieg in Asche verwandeln würde, das schwor sie sich.
Sho-sa Nakamura schloß zu ihrem Vorgesetzten auf. Sie hatte keine Angst, denn sie wußte, ihr Kampf war gerechtfertigt, und sollte sie auch fallen – der Krieg würde nie enden.
02.01.2003 11:53 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Takeo Marushige verzog sein Gesicht – verborgen unter dem Visier des Helmes – zu einer Grimasse. Am Ende, so dachte er, kehrte man immer dahin zurück, wo man hergekommen ist. Zu den ersten Aufgaben des jungen Kempei Tai-Angehörigen Marushige hatte die Jagd nach Guerillas gehört. Im Vergleich zu den Gängen der Partisanen waren die unterirdischen Flureder Festung noch geradezu geräumig zu nennen. Normalerweise hatte er sich mit Röhren von höchstens einem Meter Höhe zufriedengeben müssen, wenn der Feind nicht gerade ein altes Bergwerk besetzt hatte. Jedenfalls – diese Art von Kampf war ihm vertraut, wenn er ihr auch in all den Jahren nie etwas Positives hatte abgewinnen können. Zumindest aber wußte er ungefähr, was er zu erwarten hatte, was ihm einen gewissen Vorteil verschaffte. Kämpfe in Gängen – wie die eng mit ihnen verwandten Häuserkämpfe – waren bei vielen Militärkommandanten unbeliebt. Sie waren verlustreich und riskant, und wurden zumeist auf eine Art und Weise geführt, die bei so manchen Mechjockey zum Tod durch Herzinfarkt geführt hätte, sagte er sich zynisch. Es gab eigentlich kaum eine Kunstgriff, so etwas leicht oder gar mit geringen Verlusten zu erledigen, man konnte nur versuchen, den Gegner möglichst hart zu treffen und das Blutvergießen auf eigener Seite möglichst in Grenzen zu halten. Aber er kannte den Befehl: „Feind aufhalten und vernichten!“.

In den letzten Wochen hatte er zunehmend die Verantwortung für die konventionelle Infanterie übernommen, wenn Izawa wieder einmal mit der Ausbildung der Kommandos beschäftigt war. Der Sho-sa hatte ihn zu seinem Stellvertreter bestimmt - sollte Izawa fallen, würde das Kommando auf ihn, Tai-i Takeo Marushige, übergehen. Allerdings, wie er sich illusionslos eingestand, die Chance war nicht schlecht, daß er hier starb, ohne vor diese Herausforderung gestellt zu werden. Aber er war Soldat, und der Feind mußte nun einmal aufgehalten werden. Der Tai-i entsicherte die automatische Schrotflinte, die er bei solchen Einsätzen bevorzugte. Dann öffnete er einen Funkkontakt – dank des Kehlkopfmikros genügte es, wenn er flüsterte: „Schatten an Burg, Schatten an Burg, kommen!“ „Burg an Schatten, verstanden.“ „Können Sie mir sagen, wo Feind steht.“ „Negativ Schatten. Kameras in Sektor A-24 teilweise ausgefallen, kein Sichtkontakt mit Gegner.“ Marushige grinste verzerrt. Also war der Feind nicht so dumm, die Kameras unbeschädigt zu lassen. Aber mal sehen... „Schatten an Burg – lokalisieren sie Gebiet OHNE Kamerabdeckung“ „Burg an Schatten: Sektoren A-24 Alpha, Beta und Gamma, Delta zur Hälfte, Ende“. Der Tai-i lächelte. Soso. Auf der Karte, die er auf einem kleinen Monitor einblenden konnte – wesentlich schlechter als die Geräte in Gefechtsrüstungen, aber im Gefecht von enormen Nutzen – machte das ein zusammenhängendes Gebiet aus. Dort also saß mit großer Sicherheit der Feind, und die Anzahl der Optionen, die er hatte, waren nicht groß. Er verständigte den zweiten Zug, der sich aus Piraten zusammensetzte und auf einer geringfügig anderen Route vorstieß. Er hatte eine ungefähre Vorstellung, wo der Gegner saß, und wollte ihn in die Zange nehmen.

Hinter ihm huschten seine Leute vorwärts. Sie waren entsprechend ausgerüstet – Raketenwerfer, Scharfschützengewehre und ähnliches suchte man vergebens, als schwerstes Geschütz waren ein paar lMG und Granatwerfer vorhanden. Dafür gab es zahlreiche leichte Schnellfeuerwaffen, Handgranaten und geschärfte Klappspaten, die offen im Gürtel steckten. Anders als Vibroklingen waren sie leicht zu handhaben und fast ebenso effektiv. Zwei Mann der Kommandos – ein Dreierteam hatte er den Piraten zugeteilt, zwei Teams waren bei ihm geblieben – schleppten Ein-Mann-Flammenwerfer, eine grausam effektive Waffe im Tunnelkampf.

Ein Stück voraus lag ein Knick im Gang. Direkt dahinter begann das Gelände, das nicht mehr überwacht werden konnte. Leise befahl er Halt. Die ersten vier – er und drei Leichtbewaffnete - lösten lautlos je eine Handgranate vom Gürtel. Fingerzeichen bedeuten den Soldaten ihren Einsatz. Polternd schlugen die Sprengkörper auf den Betonboden, rollten um die Ecke – und detonierten in einem Inferno aus Flammen und Rauch. Noch ehe sich die Explosionswolke gelegt hatte, stürmten die Angreifer los, stießen um den Knick vor, unablässig feuernd.
Nichts. Kein Gegner hier – doch von einer Stellung weiter hinten hämmerten nun feindliche Schnellfeuerwaffen. Ein, zwei der Angreifer fielen, Marushige und sein Kamerad warfen sich zurück. Der Tai-i fluchte unterdrückt. Der Feind hatte also eine „blinde Zone“ um seine Stellungen herum geschaffen, und sich nicht nur begnügt, sich selber der Überwachung zu entziehen. Es war wie immer – jeder noch so kleine Fehler in der Einschätzung kostete Blut. Hätte er keine Granaten werfen lassen, und hinter dem Knick hätten zwei Mann mit einem MG gelauert – nun, die Folgen wären fatal gewesen. Jetzt wußte er, wo der Gegner lag, und kurz darauf hatte er die Bestätigung vom anderen Zug. Der Feind hatte sich an einer "Wegspinne“ festgesetzt, einem Knotenpunkt. Einerseits gut für ihn, weil er mehrere Richtungen überwachen konnte, andererseits schlecht, denn er konnte auch besser angegriffen werden. Nun, mal sehen, ob sich da nichts machen ließ.

Der Tai-i traf seine Vorbereitungen mit Umsicht. Eine Sturmtruppe von elf Mann mit drei Mann Unterstützung würde den Angriff führen. Er selber und zehn Mann mit leichten Waffen, dazu als "Überraschung" und für den Feuerschutz die zwei Mann mit Flammenwerfern und ein MG-Schütze. Der Rest würde als Reserve dahinter vorstoßen und Verluste ersetzen. Es war ihm nur zu bewußt, daß vieler seiner Soldaten nur Rekruten waren, die vor allem ihre Hingabe an die Sache und ihre Kampfbereitschaft einbringen konnten – aber wenig Erfahrung. Doch er wußte ebenso, der Feind mußte geworfen werden, und im Krieg war Rücksicht auf den einzelnen unmöglich. Er konnte nur versuchen, die Verluste zu minimieren und die des Gegners möglichst hochzutreiben.

Inzwischen waren seine Leute bis zum Knick vorgestoßen. Immer wieder feuerte einer eine Salve um die Ecke ab, oder warf eine Handgranate. So wurde verhindert, daß sich ein Gegner näherte, und die Anspannung des Gegners konstant gehalten. Gleichzeitig machten sich dahinter die Sturmtruppe klar. Dann ging es los.
„BANZAI!“ Um die Ecke torkelten einige Handgranaten, detonierten. Dann zwei Nebelkerzen. Einer der Werfer – denn die Rauchgranaten mußten gezielt abgefeuert werden – brach zusammen, schwer verletzt, aber beide brachten ihre Wurfgeschosse an die anvisierte Stelle. Weißer Nebel wallte auf, füllte den Gang. In das wabernde Durcheinander feuerten die Ronin, brüllten aus Leibeskräften. Ein Orkan aus Energiebahnen und Kugeln kam als Antwort – direkt in Bauchhöhe, um die offenbar Stürmenden niederzumähen. Doch es gab keinen Sturm. Geduckt am Boden, vor den feindlichen Augen verborgen durch den Rauch, krochen drei Soldaten vor – ein MG-Schütze und die zwei Mann mit den Flammenwerfern. Sobald sie in Stellung waren, gab Marushige den Befehl zum Angriff.

Tödliche Ströme aus Feuer schossen den Gang hinunter, verschwanden in den Rauchschwaden. Das MG hämmerte. Jetzt erst sprangen die Sturmtruppen um. Granaten wurden geschleudert, Feuerstöße aus der Hüfte abgegeben. Drüben schien die Hölle los zu sein, Schreie, Kreischen, Wimmern kündeten von den Erfolgen. Dennoch gab es noch Feinde, die schossen. Jetzt griffen die Ronin an. Einzelne stürzten, doch wenn ein Platz frei wurde, wurde er sofort von einem anderen Soldaten eingenommen. Wurfgranaten und Schnellfeuerwaffen nutzten die Bresche, die die Flammenwerfer geschlagen hatten, deren Träger jetzt zusammen mit den Sturmtruppen weiter vorrückten.

Marushige überholte einen Söldnersoldaten. Der Mann schlug panisch auf die lodernden Flammen ein, die ihn einhüllten. Ein Salve eines Ronin schleuderte ihn zur Seite. Vor dem Tai-i brachte ein Gegner eine Waffe in Anschlag, doch Marushige war schon zu nahe. Blitzschnell riß er seine Waffe herum, der stahlverstärkte Kolben hämmerte in das Gesicht des Feindes, dessen Helmvisier zu implodieren schien. Der Söldner ging zu Boden, doch noch war Leben in dem zerschmetterten, von Blut überströmten Gesicht. Marushige drehte sich leicht zur Seite, dann krachte die Kante seiner Stiefelsohle gegen die Luftröhre des Söldners. Seine Schrotflinte brüllte auf, hinein in den weichenden Feind.

Die Söldner waren geworfen. Wer nicht zurückwich war verloren, wurde erschossen, verbrannt, mit dem Spaten in Stücke gehackt. Die Ronin hatten Ausbilder gehabt, die ihnen jeden Kunstgriff dieses grausigen Handwerks gelehrt hatten. Nur Flucht rettete das Leben. Und während der ganzen Zeit brüllten die Ronin, und ihr Schreien fuhr den Söldnern durch die Glieder – „BANZAI! BANZAI! BANZAI!“

Plötzlich eröffneten feindliche Waffen aus der Flanke das Feuer – von einem Seitengang, in dem eigentlich keine Gegner hätten sein dürfen. Die ersten Ronin stürzten. Marushige blickte sich um – wenige seiner Leute waren um ihn, zu wenige. Es blieben ihm nur Sekunden zur Entscheidung, und nur seine Erfahrung ermöglichte ihm, die bittere Wahrheit zu akzeptieren. Sie müßten zurück! Ein Befehl ließ seine Männer und Frauen sich vom Feind lösen. Blend-, Rauch- und Sprenggranaten deckten den Rückzug, der nicht jedem gelang. Zu schnell waren sie vorgestoßen – während gleichzeitig andere damit beschäftigt waren, die letzten Feinde auszuschalten. Außerdem waren offenbar die Piraten weit weniger enthusiastisch vorgerückt. Der Tai-i biß die Zähne zusammen. Einmal mehr wurde die unterschiedliche Mentalität zum Hindernis. Die Piraten dachten eher systematisch. Sie waren der Meinung, der Feind könne nicht übermäßig Schaden anrichten, weitere Sprengstoffdepots gab es hier nicht. Marushige aber hatte den Befehl seines Kommandeurs, und überdies brannte er darauf, die Angreifer niederzumachen. Wenn er nur zwei Züge seiner eigenen Leute hätte! Er befahl seinen Leuten, sich zu sammeln. Hinter ihnen lebte kein Söldner mehr. Anderthalb Dutzend mochten es sein, die gefallen waren. Marushige selber hatte von seinen Sturmtruppe über ein Dutzend Tote verloren, dazu eine Anzahl Verwundete. Wütend funkelte er die Piraten an, die nachrückten. Wenn sie sich beeilt hätten...
Andererseits – wenn er voll ausgebildete Truppen gehabt hätte, und ein wenig mehr Zeit... Aber so war es im „Rattenkrieg“. Die Gegebenheiten wurden diktiert, und stets war der Blutpreis hoch.
Mit einem unterdrückten Fluch machte er sich daran, seine Truppen zu reorganisieren, um den Feind endgültig zu erledigen. Diesmal würde es keinen Fehler mehr geben, diesmal würden alle sterben.
02.01.2003 11:54 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Die Mechs rückten aus. In ihrer gigantischen Größe wirkten sie unbesiegbar, todbringend - um ein Vielfaches gefährlicher als die kleinen, wendigen Schweber, die sie umgaben. Zusammen mit Hoverpanzern schien hier eine Macht versammelt, die jeden Widerstand im Keim ersticken konnte. Aber der Kommandeur dieser Armada aus Stahl und Tod wußte nur zu gut, daß dieser Eindruck trog. Kenda hatte keineswegs vor, den Feind direkt anzugreifen. Nach allem, was er bisher erfahren hatte, war mit mindestens drei Novae Feindtruppen, dazu noch einer Panzerlanze und eventuell weiteren Elementaren zu rechnen. Es waren zwar nicht ausschließlich Clanmaschinen, aber dennoch war der Gegner stark – zu stark, um ihn ohne enorme Verluste niederzuringen. Verluste, die sich die Ronin einfach nicht leisten konnten. Aber er wollte dem Feind auch keine Gelegenheit geben, sich auf den Sturm auf die Festung vorzubereiten. Woher die Söldlinge und ihre Clanverbündeten auch gekommen waren – der Standort ihrer Landungsschiffe mußte ein ganzes Stückchen entfernt gelegen sein, sonst wären sie bemerkt worden. Und dies bedeutete, daß sie momentan nur ihren augenblicklichen Kampfsatz an Munition hatten, und keine Möglichkeit, ohne Rückzug Reparaturen vorzunehmen. Sollte es gelingen, einige ihrer Maschinen anzuschlagen, hatte der gegnerischer Befehlshaber die Möglichkeit, sich zurückzuziehen, oder mit reduzierter Stärke zu fechten. Im Augenblick aber fehlte ihm, was Kenda hatte – eine nahe gelegene, sichere Basis.

Außerdem hoffte der Chu-sa auf die Mentalität der Clankrieger. Sie waren keine Soldaten für Langstreckengefechte. Ermattungstaktiken waren ihnen fremd, und sie waren recht verletzlich dafür. Wenn er den Feind genug reizen konnte, bestand die Möglichkeit, ihn zu Dummheiten zu verleiten. Dummheiten bedeuteten im Krieg immer ein Mehr an Blutverlusten. Und da Kenda ahnte, daß dieser Kampf der letzte sein mochte, wollte er beim Feind ein Maximum an Tod und Vernichtung anrichten. Außerdem – wenn sein Gegner eine Dummheit machte, bestand die Möglichkeit, ihn in Feuerreichweite der Festungsgeschütze zu locken, oder ihn in den Sumpf zu manövrieren, wo er den leichten, schnellen Hooverpanzern ausgeliefert wäre. Auf der Übersichtskarte der Gegend waren sorgsam die Stellen markiert, an denen dazu gute Chancen bestanden – der Draconier hatte immer für möglich gehalten, daß es eines Tages so weit kommen könnte. Überdies kennzeichneten Symbole die Zonen, in denen es möglich war, den Feind mit indirektem Raketenfeuer von Bord der „Akikaze“ einzudecken.

Eiskalt gab Kenda den Befehl, das Feuer zu eröffnen. Er registrierte, daß der Gegner sich so positionierte, daß Fehlschüsse das Dorf treffen konnten. Aber für den Ronin war dies bedauerlich – doch kein Hinderungsgrund. Krachend erwachte der Sprechfunk zum Leben: „Hier Torkilsson! Was zum Teufel machen Sie!“ Der Chu-sa verzog sein Gesicht – die Anfrage kam nicht unerwartet: „Sie wissen, was ich mache! Sparen Sie sich Ihre Entrüstung. Ja, wenn wir schießen, riskieren wir, auch die Siedlung zu treffen. Das gefällt mir genauso wenig wie Ihnen. Aber wenn wir den Gegner schwer genug anschlagen können, zieht er sich vielleicht zurück, oder macht eine Dummheit – wie einen Angriff. Dann sterben möglicherweise ein paar Zivilisten, und ein paar mehr verlieren ihre Häuser. Aber wenn DIE siegen, dann werden ALLE sterben, von ihrem Eigentum mal ganz abgesehen, das man ihnen kaum lassen wird. Sie glauben doch nicht, was der Söldner sagt! Sie wissen, wie der Drache und der Bär mit ‚Defekten‘ umgeht! In deren Augen sind wir Schädlinge, Kranke – die auszumerzen sind!“ Der Piratenkapitän schwieg einen Augenblick. Eingeständnis, daß er Kenda kaum widersprechen konnte. Er kannte die gnadenlosen Strafpraktiken der VSDK und die Methoden der Clans und ihrer Lakaien. Dann entgegnete er mit unterdrückter Wut in der Stimme: „Das alles ist IHRE Schuld, Kenda! SIE haben uns zum Ziel für die Bären und ihre Bluthunde gemacht.“ Kendas Stimme war emotionslos: „Ich habe in meinem Leben sicher vieles zu verantworten gehabt. Eines Tages werde ich dafür gegenüber meinen Ahnen Rede und Antwort stehen müssen. Aber bis dahin würde ich vorschlagen, Sie heben sich Schuldzuweisungen bis nach dem Kampf auf und tun Ihr Bestes, die Angreifer aufzuhalten. Kenda Ende.“ Er wechselte den Kanal: „Totenkopf 4 bis 6 und 11 bis 14, Feuer auf den Masakari eröffnen, Maximalgeschwindigkeit, Passiermanöver Delta! Drache 5 mit mir unterstützen.“ Die drei Saracen und alle vier LSR-Harasser schwärmten aus, während die beiden Kriegshämmer schwerfällig durch die feuchten Wiesen stapften. Die Schweber waren auf diese Entfernung, um diese Tageszeit und bei ihrer hohen Geschwindigkeit nahezu unmögliche Ziele. Zwar galt dies teilweise auch für ihre Gegner – doch die langsameren Feindmechs waren natürlich leichter zu treffen. Es bestand zwar die Gefahr, daß die Piraten beim Feuer eine unpassende Zurückhaltung an den Tag legen würden, um nicht die Siedlung zu treffen. Doch das würde sich schnell geben, sobald sie sich klargemacht hatten, daß sie die Wahl hatten, den Tod einiger zu riskieren und den aller zu besiegeln. Außerdem – wie Kenda mit einem spöttischen Grinsen registrierte – brannten in der Siedlung die Wachtürme und auch ein oder zwei andere Gebäude, die wohl aus Versehen etwas abgekriegt hatten. Und das sorgte dafür, daß die feindlichen Mechs sich prachtvoll vor dem Hintergrund abzeichneten, solange sie von ihrer Taktik nicht abgingen. Und sollte das Feuer erlöschen, was bei diesem Wetter nicht eben unwahrscheinlich war, so war Kenda entschlossen, mit einigen „Fehlschüssen“ in ein paar Häuser – kleinere Läden oder private Lagerhäuser, in denen keiner oder kaum jemand lebte – dafür zu sorgen, daß der Feind mit seiner an und für sich nicht dummen Vorgehensweise doch den Nachteil hatte.
Über Funk trafen die Meldungen aus den Infanteriegefechten ein. Gegner geworfen, kann sich aber wieder stabilisieren. Er überlegte kurz – dann rief er Izawa: „Sho-sa, es scheint momentan kein Sturmangriff auf die Festung anzustehen. Stellen Sie einen weiteren Zug und einen Kommandotrupp ab, um den Feind zu vernichten. Ich will, daß die Angreifer JETZT vernichtet werden. Gefangene unerwünscht!“ „Hai, Chu-sa!“

Drüben in der Festung verließen Roninsoldaten ihre Feuerstellungen und machten sich daran, zu den Nahkampfabteilungen zu stoßen. Nur noch kurze Zeit, und die wahnwitzige Attacke einer Handvoll Söldner würde in Blut ertränkt werden...

Während dessen bedachte Torkilsson die Computerbildschirme mit einem wilden Blick. Er hatte es gewußt! Hatte es immer gewußt! Kenda und sein wahnsinniger Rachefeldzug gegen die Clans hatte nicht anders enden können. Aber jetzt saß er selber mit im Boot. Von den Clans war Schonung nicht zu erwarten. Und was das Angebot den Söldners anging – nun, gelogen wurde, seit es Krieg gab. Um ihn herum zerfiel alles, was er sich in jahrelanger Arbeit aufgebaut hatte. Hineingezogen in einen erbarmungslosen Krieg, in dem beide Seiten ein Ende nur in der Vernichtung eines oder beider Kontrahenten sahen. Für ein Leben im Schatten dieses Konfliktes war kein Platz. Er hatte keine Möglichkeit – auf die bloßen Worte eines Feindes hin konnte er sich nicht von Kenda lösen, wenn dies überhaupt jemals möglich gewesen war. Vielleicht, wenn der Feind diesmal noch einmal zurückgeschlagen werden konnte?

In diesem Augenblick klingelte das Telephon. Er zog überrascht die Augenbrauen hoch. Jetzt? Das Telephon diente zur internen Kommunikation innerhalb des Bunkers, und zur Verständigung mit der Siedlung. Dort hatte man wohl augenblicklich anderes im Sinn, und im Bunker hatte jeder Zugang zum schnelleren Sprechfunk. Auch die Techniker blickten sich ratlos an – inzwischen waren nur noch Piraten in der Kommandozentrale anwesend. Zögernd nahm er ab.
„WAS, SIE?.....Wie bitte? Was denken Sie sich eigentlich!... Und Sie glauben ihm?...Hören Sie mal, Sie wissen ebenso gut wie ich, daß... Und außerdem, seine Dienstherren...Aber selbst wenn...“ Die Techniker blickten überrascht drein. Ihr Chef brüllte in den Hörer wie ein Mann bei einem zünftigen Ehe- oder Familienstreit. Auch wenn er sonst eher ruhig auftrat – außer, er war der Meinung, es wäre nützlich, den polternden, ungehobelten Piratenkapitän zu spielen – diesmal schien er gelinde gesagt außer sich zu sein. So ging es eine ganze Weile. Mitten im Gespräch schien er auf einmal mit einer zweiten Person zu reden. Die Blicke der Techniker wurden immer irritierter. Jetzt war wirklich nicht der Augenblick für eine zeitraubende Diskussion, denn Zeit war etwas, was sie gerade NICHT hatten. Schließlich beendete er das Gespräch: „In Ordnung. Aber ich warne Sie! Sollten Sie mich täuschen oder hintergehen, dann verspreche ich Ihnen, Sie und Ihre Leute werden mit ihrem Blut für den Verrat bezahlen, und die Ronin dürfen dann die Reste vernichten!"

Er blickte auf, in die fragenden Augen der Soldaten und Techniker. Einen Augenblick schien er zu schwanken, zu zögern. Dann straffte er sich: ,,Prioritätsverbindung zu meinen Offizieren – außer Hakon. Verbindung zu ihm und Kenda freihalten, aber noch nicht aktivieren.“ Er wußte, daß er eine Entscheidung getroffen hatte, die ihn für immer in den Augen vieler Männer und Frauen – nicht zuletzt in denen von vielen seiner eigenen Leute – als Verräter brandmarken würde. Und nur zu leicht konnte dies vergebens sein, und er alle, die ihm folgten, genau mit der Entscheidung zum Tode verurteilen, mit der er sie zu retten versuchte. Aber wenn er die Chance – eine geringe, unzuverlässige und kaum realistische Hoffnung auf Rettung – nicht ergriff, würden sie sterben. Würden kämpfend untergehen als Teil eines Krieges, der nicht der ihre war, oder besser: nicht der ihre hätte sein sollen. Seine Stimme zitterte nicht, als er den Männern und Frauen in der Kommandozentrale und seinen verläßlichen Offizieren verkündete, was sie für immer mit dem Stigma der Kollaborateure zeichnete: „An alle. Wir stellen die Kampfhandlungen ein. Truppe vom Feind lösen, Schlüsselstellungen besetzen. Kendas Krieg ist nicht der unsere. Ich habe hier eine Generalamnestie für uns und unsere Angehörigen, bestätigt von den Offizieren der Söldner, VSDK und Geisterbären, welche die Angriffsstreitmacht führen. Den Ronin bleibt bis sechs Uhr Nullnull Zeit, sich abzusetzen. Keiner ihrer Mechs darf die Festung betreten. Jede Zerstörung hat zu unterbleiben und gilt als Angriff auf uns.“
Er wandte sich an seinen Ortungstechniker: „Wo sind Tanake und seine Leute?“ Er konnte sich vorstellen, mit welcher Aufgabe Kenda die Techniker betraut hatte. Der Chu-sa hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, daß er keineswegs daran dachte, auch nur EINEN Gefangenen dem Feind zu überlassen. Wer nach den Kriterien der Ronin als Sklave in Frage kam, galt als Verräter, und wenn offenbar der Tod auch nicht obligatorisch war – die „Freiheit“ in den besetzten Gebieten sollte keiner genießen. „Auf dem Weg zu den Gefangenenquartieren. Momentan in Ebene 2 – sie benutzen die Treppen, nicht die Aufzüge!“ Der Piratenkapitän fluchte unterdrückt. So einfach wollte man es ihm wohl nicht machen. Von der Kommandozentrale aus konnte er die Fahrstühle „einfrieren“, doch Tanake schien, auch wenn weder er noch sein Vorgesetzter mit einem Verrat rechnen konnte, diesen nicht zu trauen. Natürlich konnte das auch daran liegen, daß im Augenblick die Gefahr bestand, daß die Stromversorgung ein weiteres Mal zusammenbrechen würde: „Türen in den Sektoren 2-A-19 bis 21 verriegeln! Kommandokodes für die Einsatzzentrale! Manuelle Überbrückung blockieren!“ Er wußte jetzt, die Zeit lief ihm davon. Kenda würde bald erfahren, was vorging, und seine Männer konnten auch selbst dahinterkommen. Dann würden sie losschlagen, um noch so viel Schaden wie möglich anrichten zu können. Oder sie würden „vernünftig“ sein und das Angebot der Söldner annehmen. Damit konnte man aber keineswegs sicher rechnen.
Sollte Kenda zu einem anderen Entschluß kommen – oder Tanake – dann würden sie sich ihren Weg mit Gewalt bahnen. Die Ronintechs waren geübt genug, um die Türen auch gegen die Maßnahmen der Kommandozentrale zu knacken, und Torkilsson hatte kaum die Leute, sie aufzuhalten.
Es waren zwar nur Techniker – aber sie waren gut ausgerüstet und wie alle Ronin entsprechend motiviert. Und der Pirat konnte nur wenigen soweit trauen, daß sie auf ihre – oft sicher nicht eben geliebten, aber auch nicht gehaßten – Kameraden von gestern schossen. Würden sie durchkommen, hätten sie freies Feld.
Er KONNTE den gesamten Gefangenentrakt mit Gas fluten. Aber das schuf ein neues Problem an Stelle des alten. Als die Gasbehälter installiert wurden, hatte er bereits vor dem Dilemma gestanden: würde die Dosis zu gering sein, würde es die Gefangenen in ihren engen Zellen und bei der schlechten Verfassung der Häftlinge wohl ausschalten. Da er diese Vorkehrung auch gegen einen Gefangenenaufstand zu nutzen gedachte, um seine potentiellen Geiseln nicht erschießen zu müssen, hätte dies ausgereicht. Nicht aber für die anderen Möglichkeiten, für die sein kleiner Trick gedacht war: ein Mordbefehl Kendas oder feindliche Kommandos. Die Techniker, die Kenda nun in Marsch gesetzt hatte – Männer und Frauen bei bester Gesundheit – würden zum Gutteil zwar benommen und desorientiert sein, nicht aber kampfunfähig. Die Gefangenen wären ihnen noch mehr ausgeliefert gewesen, als ohnehin schon. Ein einzelner Mann mit einer Mpi und ein paar Handgranaten mochte Dutzende Wehrlose töten können. Sie hätten die Möglichkeit und – da war Torkilsson sich sicher – auch die Bereitschaft. Aber wenn er das Gas in genügender Dosis einsetzte, um kampffähige Soldaten auszuschalten, dann hatten ihm sein Master-Med-Tech eine Mortalitätsrate von zwanzig Prozent bei den Gefangenen angekündigt. Sie waren unterversorgt, die Luft in den Zellen sowieso schlecht und die psychische Verfassung miserabel, dazu kamen die Folgen von Mißhandlungen und teilweise auch Folterungen. Von seinen kostbaren Gefangenen mochte ein Fünftel draufgehen – und die Gefahr bestand, daß die Söldner ihm dafür die Verantwortung geben würden. Er hoffte nur, Kenda würde sich richtig entscheiden und ihn nicht zum Äußersten zwingen.
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Sie konnten es kaum glauben, als die Befehle kamen. Und dennoch – die Piraten, die loyal zu Torkilsson standen, handelten sofort. Jene, die sich Kenda angeschlossen hatten, die dem Kurita-Chu-sa gefolgt waren bei seinem Vergeltungsfeldzug gegen die Besatzer und ihre Handlanger, waren wie gelähmt. Nur so konnte es glücken – und dadurch, daß die Mehrzahl der Ronin in der Schlacht waren.

Kenda war, es griffe eine eisige Hand nach seiner Kehle. Verraten! Er hatte dem Piratenkapitän nie getraut, aber solch einen Verrat hatte er nicht für möglich gehalten. Das war Wahnsinn! Sah Torkilsson denn nicht, daß er damit alles besudelte, worum es in diesem Krieg ging? Wie konnte er auf die irrwitzige Hoffnung hin, Schonung zu finden, seine Untergebenen verraten, die Zivilisten den Clans ausliefern und seinen Mitstreitern – die er gewiß nicht schätzte und sie ihn nicht, die aber dennoch Seite an Seite gefochten hatten – in den Rücken fallen? Für einen Augenblick wollte er den Feuerbefehl auf die Panzer geben. Ein Ende, hier und jetzt. Ein letztes Mal töten und dann fallen, brennend vor Haß auf den Feind und die Verräter. Doch dann errang der Berufssoldat in ihm die Herrschaft zurück. Wenn er gegen die Piraten UND gegen die Clans und Söldner kämpfen würde, wäre das Ende schnell gekommen. Und sicher hätten sie kaum die Genugtuung gehabt, vorher noch viele Feinde zu töten, zu groß wäre die Übermacht gewesen. Er durfte nicht seine Soldaten dem blinden Haß opfern. Er kämpfte nicht, um Rache zu nehmen für das, was man ihm und seiner Familie angetan hatte – er kämpfte für das Kombinat, für die Hoffnung auf einen Sieg, und sei es auch nur eines fernen Tages. Dies durfte er nicht vergessen, nicht zum Verräter an seiner eigenen Mission werden.

„Hier Hakon Ragnarsson.“ Die Stimme klang erstickt, als kämpfe der Mann mit den Tränen. „Kenda. Sie haben es also auch gehört.“ „Ich schwöre Ihnen, Chu-sa, wenn ich gewußt hätte, daß...“ die Stimme versagte. Kenda schloß kurz die Augen. Seine Worte klangen beinahe sanft: „Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Auch ich hätte so etwas nie für möglich gehalten. Er wird eines Tages dafür zahlen, in diesem oder im nächsten Leben. Aber ich muß es wissen: stehen Sie noch zu mir?“ Der Pirat räusperte sich, holte tief Luft. Er sprach nicht laut, aber in seinen Worten war eine grimmige Entschlossenheit: „Bis zum Tod.“ „Gut. Ich werde Sie noch brauchen. Hören Sie mir gut zu...“

Die Ronin mußten an sich halten, um nicht das Feuer zu eröffnen. Keine Macht der Welt hätte dies wohl verhindern können – egal, wie gering ihre Chancen auch seien mochten – wenn nicht ihr eigener Anführer sich zu Wort gemeldet hätte. Er verbot ihnen den Kampf. Und seine Soldaten, wie auch die Piraten, die eher bereit waren, Kenda die Treue zu halten, als sich der Gnade der verhaßten Besatzer auszuliefern, gehorchten ihm. Vielen mochte dies fast schwerer fallen, als in den sicheren Tod im Gefecht zu gehen. Dieser Verrat, Verrat zugunsten eines solchen Feindes, war ein Schmerz, der tiefer stach als ein Messer und bitterer brannte als glühendes Eisen. Denn bei allem Leid und Tod bisher – es hatte niemanden unter ihnen gegeben, der seinen Kameraden in den Rücken geschossen hatte. Aber sie gehorchten.

Schnell waren die Vorbereitungen getroffen. Auch wenn den Roninmechs der Zugang zur Festung verwehrt worden war – noch immer waren viele ihrer Soldaten und Techniker dort. Und die packten jetzt, was sie tragen konnten, beluden die MTW’s mit allem, was sich auftreiben ließ. Proviant, Medikamente und Verbandsmaterial, ein wenig Munition. Hakon hatte zumindest einige der Hoverpanzer überzeugen können, einen Teil ihres Kampfsatzes an die Panzer der „Ronin-Piraten“ oder an Kendas Mechs zu übergeben. Auch von den Piraten, die zu Torkilsson hielten, oder zumindest nicht bereit waren, Kenda zu folgen, hatten viele ein schlechtes Gewissen und halfen, so gut es ging. Aber der Piratenkapitän war vorsichtig. Seine Leute behielten die Gefangenenquartiere und die Munitionskammern unter Kontrolle. Jedoch gingen sie auch nicht dazwischen, um den bescheidenen Abfluß von militärischen Gütern zu unterbinden, der die Ronin stärkte. Torkilsson wollte einen Konflikt möglichst vermeiden, und zusätzlich mochte er mit dem Gedanken spielen, seine alten und seine neuen Partner möglichst lange miteinander zu beschäftigen. Denn daß er den Söldnern vertraute, war unwahrscheinlich, bei dem VSDK-Verbindungsoffizier war es zumindest fraglich, und bei den Clanern gleich ganz ausgeschlossen. Überdies war es nur wenig, wenn auch für die Ronin und ihre Verbündeten von großem Wert.

Keine halbe Stunde nach Abschluß des Abkommens verließen die letzten MTW’s die Festung. Keiner der Techniker oder Verwundeten der Ronin hatte sich bereit erklärt, zurückzubleiben und sich dem Feinde zu ergeben. Und auch einige verletzte Piraten hatten sich den Ronin anschließen wollen – waren aber von Hakon zum Gutteil zurückgewiesen worden. So schwer es ihm fiel, sie hatten hier eine besser Chance zu überleben und anders als die Draconier waren sie vor Verfolgung geschützt. Der Tag, den Kampf fortzusetzen, würde auch für sie kommen.

Die Stimme Kendas war erfüllt von Haß und Verachtung: „Leben Sie wohl, Sie Hund! Sie denken vielleicht, es wäre möglich, Frieden mit den Bären zu machen und sich so etwas Zeit zu erkaufen. Aber selbst wenn die Sie nicht töten, künftig wird man beim Klang Ihres Namens ausspeien, als hätte er einen üblen Geschmack, selbst unter Ihren Verbrecherkollegen! Verrat ist das einzige, was niemals vergeben wird, und ich schwöre Ihnen, Sie werden dafür zahlen! Glauben Sie nicht, mit unserem Blut könnten Sie sich von jeder Gefahr reinwaschen! Auch wenn wir alle fallen sollten, der Vergeltung entgehen Sie nicht, ob diesseits oder jenseits des Todes.“ Der Piratenkapitän schüttelte vor dem Sprechfunkgerät den Kopf. Für manch anderen hätten die Worte Kendas theatralisch und prahlerisch geklungen. Aber er kannte den Chu-sa gut genug, um zu wissen, daß der glaubte, was er sagte. Und er war sich darüber im Klaren, daß dieser Krieg in einer Art und Weise geführt wurde, die Kendas Fluch nur zu leicht wahr werden lassen würde. Er wußte, er hatte seine Entscheidung getroffen, und nun würde er die Folgen tragen müssen. Neutralität gab es nicht, sie wurde nicht akzeptiert – und es mochte zumindest sein Tod in nicht zu ferner Zukunft liegen. Aber besser das, als mit ALLEN seiner Leuten auf dem Altar eines Hasses zu brennen, den er verstand, aber nicht teilte: „Ich habe Ihnen gesagt, Kenda, daß ich meine Leute NIEMALS für Ihre Vendetta opfern werde. Das ist Ihr Krieg, nicht der meine. Ich lasse nicht zu, daß wir die Zeche zahlen müssen.“ Der Draconier lachte kurz: „Sie Narr! Bilden Sie sich etwas darauf ein, Ihre Leute gerettet zu haben? Tausende und Zehntausende haben Sie damit zum Tod, Millionen zur Sklaverei verurteilt! Wenn es Ihnen DAS wert ist, wäre es eine Wohltat, Ihre Existenz zu beenden. Sie hatten die Möglichkeit, zu einem Symbol des Widerstandes von Draconiern UND Rasalhagern zu werden, zum Sinnbild des Kampfes gegen die Besatzer selbst durch Piraten und Schmuggler. Aber Sie wollen lieber Ihr jämmerliches Leben weiter fristen und sind bereit, dafür jene zu verraten, die nichts wollten als die Ketten abzuschütteln, in die man ihre Heimat – die auch die Ihre ist – geschlagen hat. ICH VERFLUCHE SIE, JETZT UND IN ALLE EWIGKEIT!“ Mit einem leisen Knacken erstarb das Funkgerät. Torkilsson verharrte einen Augenblick. Dann, als schüttele er eine unermeßlich schwere Last von seinen Schultern, erhob er sich mühsam: „Geben Sie mir den Befehlshaber der Söldner. Sagen Sie ihm, wir sind bereit, den ersten Schub Material und Gefangene zu übergeben.“

Sie standen um ihn herum, teilweise noch Mißtrauen und wohl auch Verachtung in den Augen. Er wußte – daran würde er sich gewöhnen müssen. Wer einmal verriet, dem traute man nie mehr ganz. Wer einmal den Pardon der Besatzer annahm, der würde immer mit dem Stigma des Kollaborateurs leben müssen. Aber besser so, als Märtyrer einer Sache zu werden, die das nicht verdiente, sagte er sich. Doch es tat weh – weit mehr, als er je gedacht hatte – wenn er sich klar machte, wie viele der Männer und Frauen unter seinem Kommando ihn jetzt im Stillen verfluchen mochten, auch wenn sie bei ihm geblieben waren. Wie das Vertrauen und die rauhe Zuneigung, die früher in ihren Augen gelegen hatte – ohne dies übertreiben zu wollen, hatten sie den „Alten“ doch geschätzt – für immer verschwunden war. Viele mochten ihm nur noch folgen, weil er ihnen Leben bot, wo Kenda nur den Tod zu bieten hatte. Doch sie würden es ihm nie danken. Piraten, Yakuza, Zivilisten – dies galt für viele, viel zu viele. Aber wenigstens gehorchten sie ihm.

„Also, dies ist unser Vorgehen für die folgenden Tage. Alarmzustand bleibt aufrecht. Die feindlichen Bodentruppen bekommen NICHT die Erlaubnis, ihre Stellung auszubauen. Wenn einer sich in der Festung bewegen will, dann mit zwei Mann Eskorte, und unbewaffnet – die sensiblen Bereiche bekommen sie nicht zu sehen. Wir übergeben ihnen zuerst die Problemfälle – sämtliche Gefangene aus der Verhörabteilung und die, die von dort kamen. Dazu die kritischen Fälle aus den Zellen. Sollen die sich damit abplagen. Schrittweise werden dann die anderen Gefangenen übergeben, in dem Maße, wie wir uns bei unseren ‚Partnern‘ absichern können. Wir brauchen die Zusage der Bären und der Dracs – die Söldner alleine zählen nicht viel. Und wir müssen wissen, wie es in der Stadt läuft. Die besten Geiseln – also besonders die jungen Frauen und Mädchen – bleiben so lange wie möglich hier. Wenn überhaupt, dann wird das einen eventuellen Verrat verhindern. Die Gefangenen verbleiben in den Zellen, aber die Rationen werden verdoppelt, und gebt ihnen truppweise die Möglichkeit, sich zu waschen. Kleidung und Decken sind zu verteilen und wenn Platz frei wird, die Gefangenen in die freien Zellen umzuverlagern. Sie können sich im Trakt frei bewegen, solange es nur einzeln und mit nicht mehr als acht Personen auf einmal geschieht – aber an jedem Ausgang werden vier Mann mit Maschinenpistolen und ein lMG postiert. Sorgt dafür, daß sie das sehen. Bei Widerstand sind nicht letale Mittel zu bevorzugen. Was die Übergabe der Ausrüstung der Ronin angeht, so gehen wir ähnlich vor. Allgemeines zuerst, die Rosinen – wichtige Ersatzteile, Clanwaffen oder gar den Stone Rhino - zuletzt, und nur gegen sichere Garantien“
Er sah, daß sie seinen Befehlen folgen würden. Aber in mehr als einer Miene war Ablehnung und Verbitterung zu sehen. Einerseits, weil die Gefangenen wie die Technik bares Geld waren, andererseits, weil alle Geiseln aus einer Kategorie stammten, die auch von den Piraten nicht geliebt wurde. Sie alle gehörten zu Familien, die sich in besonderem Maße angepaßt oder von Krieg und Besatzung profitiert hatten. Und wenn die Versammlung hier auch eine hübsche Kollektion von Verbrechern darstellte – mit solchen Dingen hatte hier keiner etwas zu tun gehabt. Jedem war zudem klar, daß die Ausrüstung sofort zum Kampf gegen die Ronin, und gegen die Piraten, die nicht dem zweifelhaften Pardon der Besatzer vertraut hatten, eingesetzt werden würde. Nun, wenn ihnen das schon nicht gefiel...
„Und noch etwas. Wir müssen damit rechnen, daß Kenda uns jetzt auch als Feinde betrachtet.“ Er übersah jene, deren Gesichter nur zu deutlich sagten: ‚Und er tut recht daran!‘ „Wir dürfen uns keine Schwäche leisten. Ich sage NICHT, daß wir den Clans und den Söldnern bei diesem Kampf aktiv helfen werden. Aber wir werden uns gegen jeden Versuch wehren – egal von welcher Seite – uns in diesen Konflikt hineinzuziehen. Also Wachsamkeit und Kampfbereitschaft.“ Diesmal war es teilweise beinahe offene Feindschaft, die er in einigen Gesichtern bei seinen Unterführern und Offizieren sah. Dennoch – sie konnten nur noch ihm folgen. Sie hatten ihre Chance verpaßt, sich Kenda anzuschließen. Jetzt wäre es wahrlich Selbstmord gewesen, zu widersprechen. Und wenn sie noch hier waren, hieß das, sie liebten das eigene Leben mehr, als sie den Feind haßten. Er konnte ihnen nicht trauen, würde es sicher nie wieder können – aber er konnte sich auf sie verlassen. Mit dem Gefühl der Verbitterung, und auch ein wenig verletzt – sahen sie denn nicht, daß dies der einzige Weg war? – entließ er sie.
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Später, viel später, als er sich von der Ausführung seiner Befehle überzeugt hatte, kontaktierte er die Siedlung: „Hier Ragnild.“ „Wie stets?“ „Es geht. Die ersten Gefangenen sind eingetroffen. Ziemlich üble Verfassung. Aber die neuen Herren halten sich zurück.“ „Das will ich hoffen!“ knurrte der Piratenkapitän: „Normalerweise sollte dein Mann ja solche Reden schwingen – und das hat er auch – aber ich verspreche dir, wenn die dir oder einem der Leute in der Stadt etwas antun...“ Die Stimme der Frau klang unsicher, als müßte sie ein Schaudern unterdrücken: „Red‘ besser nicht davon, Erik. Besser, Hel nicht beim Namen zu nennen. Ich denke, die Besatzer werden nichts unüberlegtes tun. Jedenfalls im Augenblick. Sie sind ganz scharf darauf, hinter Kenda herzuhetzen.“ „Abwarten, bis sie sehen, wie die Ronin ihre Infanterie zugerichtet haben. Und bis sie erst mal Bekanntschaft mit den Methoden des Chu-sa gemacht haben.“ Seine Stimme wurde eindringlich: „Hör mir gut zu Mädchen: die kommenden Tage und Wochen werden nicht leicht sein, besonders für dich. Aber ich brauche deine Hilfe. Du mußt mein Draht werden zu den Söldnern und ihren Herren. Schmier ihnen Honig ums Maul, sei kooperativ, hilf ihnen wo du kannst – ohne das es nach billiger Anbiederei stinkt. Zier dich etwas, laß aber erkennen, daß du sie verstehst, ihre Haltung langsam begreifst. Sie müssen uns als Partner sehen, speziell dich und die Zivilisten. Sorge dafür, daß der Handel floriert und mach dein Lokal wieder auf. Schaffe ihnen eine Normalität – dann kommen sie nicht auf die Idee, uns abzuschlachten.“ „Schon klar.“ Sie lachte trocken: „Ich mache so etwas nicht zum ersten Mal. Aber der Söldnerchef ist schon in festen Händen, wenn ich mich daran erinnere, was ich von euch gehört habe.“ Erik brachte ein müdes Lachen zu Stande: „Tja, man kann nicht alles haben. Aber ich zähle auf dich.“ Ihre Stimme klang nachdenklich: „ER wird dich – und mich – dann aber erst recht als Feinde sehen.“ Der Piratenkapitän seufzte: „ER sieht mich jetzt schon als Feind. Aber der Chu-sa wird nicht gegen mich oder dich losschlagen, so lange er die Söldner und Clans im Nacken hat. So dumm ist er nicht.“ „Und warum sorgst du nicht dafür, daß er niemals dazu kommen wird, dich später vorzunehmen?“ „Würde ich das tun, wäre ich erledigt. So weit gehen nur wenige meiner Leute. Und ich selber – ich kenne Hakon und seine Panzerfahrer seit zehn Jahren. Soll ich gegen sie kämpfen, weil sie einem Mann folgen, den ich für wahnsinnig oder zumindest fanatisch und verbohrt halte? An der Seite von Männern und Frauen, die auch in meinen Augen mindestens ebenso verbrecherisch handeln? Ich kann nur hoffen, daß sie sich gegenseitig umbringen. Dann bleibt für uns endlich Platz zum Leben, ohne ihren verdammten Krieg.“ „Schöner Traum.“ „Ja – und deshalb wird er nie wahr werden. Aber du verstehst, warum ich keinem helfen kann?“ „Ja, ich verstehe es. Und – ich vertraue dir.“

Torkilsson legte das Telephon zur Seite. Oh ja, es mußte und es konnte gelingen. Er würde seinen Leuten einen Ausweg bieten. Er war nicht so töricht, zu glauben, dies wäre schon geschafft. Was immer auch für den Söldnerführer gelten mochte – wer sich an die Clans verkaufte, konnte so streng moralisch kaum sein – bei den Dracs und den Clanern war er sich sicher, daß sie ihr Versprechen durchaus brechen konnten. Er und seine Leute waren in ihren Augen ohne Ehre und damit ohne Wert. Einzig die Vorstellung von der EIGENEN Ehre konnte die Herren über Leben und Tod zurückhalten. Und Notwendigkeit und Nutzen. Und dafür würde er sorgen. Ragnild würde sich darum kümmern, daß die Zivilisten und Piraten in den Augen der Söldner zu menschlichen Wesen wurden, die ihnen vielleicht bald näher stehen mochten als die fremdartigen Kampfgefährten aus den Reihen der Clans. Und er würde sie mit Informationen füttern, die Kendas Leute zurückgelassen hatten, und mit Material. Jetzt dankte er den Göttern Walhallas, daß Kenda offenbar einige Angewohnheiten von seiner Frau übernommen hatte. Torkilsson wußte, daß der Chu-sa – auch wenn der Titel selbst angenommen war, nannte er ihn selbst in Gedanken immer noch so, und würde ihn nie anders nennen können, aus einem verbitterten, widerwilligen Respekt heraus – mit einer Militärhistorikerin verheiratet war. Und ob er nun wirklich geglaubt hatte, ihr eines Tages den Stoff für eine Geschichte des Widerstandes übergeben zu können oder nicht, er hatte offenbar Material gesammelt. Dafür, und für seine Propagandamaschinerie. So war ein hübsches Archiv entstanden, in dem der Ronin alles gesammelte hatte, was geeignet war, den Widerstand weiter anzuheizen. Und Torkilsson würde es postwendend weitergeben. Vielleicht konnte das helfen, die Distanz zwischen den Söldnern und den Draconiern auf der einen und den Clans auf der anderen Seite zu vergrößern. „Das Hemd näher als die Hose“ – es würde ihnen dann schwerer fallen, eventuell doch auf die Piraten zu schießen, auf Befehl der Clans. Und das Kombinat mochte an eine Zeit denken, da die Verhältnisse sich ändern würden. Möglicherweise. Er würde natürlich vorsichtig seien müssen. Er konnte sich nicht sicher sein, ob Kenda vorsichtshalber nicht Falschinformationen zurückgelassen hatte – und eine Auflistung der Überfälle, an denen die Piraten teilgenommen oder die sie vor der Partnerschaft alleine durchgeführt hatten, würde kaum förderlich sein, sollte Kenda so etwas angefertigt haben. Zuzutrauen war es ihm ohne weiteres. Er würde die Informationen sichten, und sie weitergeben, die Kriegsmaschinerie der Söldner am Laufen halten – aber an der Leine – und die Gefangenen gut behandeln und schrittweise übergeben, aber nicht zu schnell. Kurz, alles tun, um für sie zu einem wertvollen Aktivposten zu werden, den man sich sichern will.

Ihm kamen die Worte Ragnild wieder in den Sinn. Wie banal und alltäglich diese drei Worte doch oft gesprochen worden – und jetzt bedeuteten sie ihm so viel: „ich vertraue dir.“! Sie glaubte an ihn. Sie, und wohl noch ein paar andere. Die Mehrzahl aber – nie mehr. Aber wenn sie nur überlebten, jene, die zu ihm hielten, und jene, für die er das kleinere Übel war und die ihn deshalb hassen mochten, dann mußte ihm das genügen. Er fühlte die Einsamkeit, die er niemals würde hinter sich lassen können, und für einen Augenblick beneidete er Kenda. Beneidete den Chu-sa, der umgeben war von Männern und Frauen, die ohne zu zögern mit ihm in den Tod gehen würden. Für die er Teil eines größeren Ganzen war, an das sie glaubten. Kenda mochte fallen – er würde ganz sicher fallen, bald oder in ferner Zukunft. Doch der Chu-sa, das war Torkilsson klar, würde niemals mehr allein sein. Er hatte um sich all jene, die seinen Traum teilten, und die niemals aufgeben würden. Und wenn er starb, dann würden andere seiner gedenken als Held, als Symbol, als Märtyrer. Für ihn – einen Mann, der den Weg der Vernunft gewählt hatte, das Leben unzähliger Menschen rettete, würde dies niemals gelten. Er schüttelte den Kopf. Was war das doch für ein Wahnsinn! Wann mochte das jemals enden...

Und er gab sich selbst die Antwort: Niemals.

Ende
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Kaiten

Für die Nacht hatten sie in einem Tal Zuflucht gesucht. Die Hänge boten notdürftigen Schutz vor Fliegersicht, und ein Angriff war nur von zwei Seiten möglich. Zudem hatte Kenda Späher ausgeschickt, die eine Annäherung des Feindes auf jeden Fall melden würden. Die Soldaten hatten im Schutz von Gesteinsbrocken und Felsspalten die Zelte aufgeschlagen. Viele würden nicht zum Schlafen kommen. Denn sie waren auf der Flucht, und es war der feste Wille ihres Kommandeurs, nichts als wehrloses Opfer zu fliehen, sondern als verwundetes Raubtier, das den unvorsichtigen Jagdhund mit einem Prankenhieb zermalmt. Einige suchten Schutz unter den Panzern, doch bei dem dauernden Regen verwandelten sich die Erdkuhlen schnell in Tümpel, so daß die Soldaten Auffanglöcher graben mußten, um wenigstens halbwegs im Trockenen zu liegen. Wenigstens konnten die Zelte beheizt werden – Energie und Wasser war das einzige, was sie reichlich hatten. Denn unablässig strömte Regen vom Himmel, und ihre Energiezellen konnten sie in den Mechs wieder aufladen. Vor allem die Zelte mit den Verwundeten waren möglichst gut getarnt worden, und sie waren die einzigen, die volle Rationen erhielten. Nach Kendas Philosophie war es nicht verbrecherisch, einem Verwundeten die Möglichkeit zum Selbstmord zu geben, wenn er glaubte, seinen Kameraden nur eine Last zu sein. Aber ehe es nicht zum Äußersten kam, würde er sie nicht einschränken. Opfer hatten freiwillig zu erfolgen und konnten nicht angeordnet werden. Die anderen hatten ein karges Mal herunter geschlungen. Keinen Unterschied gab es zwischen Offizieren und Soldaten, Mechkriegern und Infanteristen, Piraten oder Ronin. Statt Syncaff gab es heißes Wasser, in dem Nadeln einheimischer Bäume schwammen, die dem Heißgetränk etwas Geschmack gaben – wenn auch einen abscheulichen. Dazu kamen für drei Mann zwei Rationsriegel. Die Offiziere überhörten geflissentlich die Verwünschungen der Soldaten. Wenn diese ihr Leben riskierten, dürften man wegen ein paar Worten nicht überempfindlich sein. Solange sie wie bisher bereit waren, jederzeit ihr Leben einzusetzen, mochten sie fluchen, so viel sie wollten. Und an der Bereitschaft konnte kein Zweifel herrschen. Zudem richtete sich die Bitterkeit in erster Linie gegen die, die an dieser Lage Schuld waren, und das bedeutete, gegen die Clans, die Söldner und die Verräter. Mühsam wurden die Schäden des Luftangriffes ausgebessert. Man bemühte sich, die frisch verletzten Soldaten zu versorgen, aber die Möglichkeiten waren extrem begrenzt. Die Flüchtlinge konnten nur hoffen, daß Nacht und schlechtes Wetter die feindlichen Jäger am Boden hielt. In einer „Blindpartie“ konnten die Bodentruppen nur verlieren. Allerdings wäre ein Einsatz unter diesen Bedingungen auch für die Piloten ein Risiko gewesen. Die Wetterbedingungen waren ziemlich unzuverlässig, und im Gebirge war Blindflug hart an der Grenze zwischen „riskant“ und „sicherem Selbstmord“. Der Feind hatte zwar am Tag einen ANgriff riskiert, aber in voller Dunkelheit war es doch etwas anderes. Die Ronin behielten dennoch die Radarschirme im Auge, um wenigstens eine geringe Vorwarnungszeit zu haben - ob nun Bodentruppen oder Flieger angreifen würden.

Im „Befehlszelt“ – dem Quartier, das sich Kenda mit drei Infanteristen teilen würde, denn nach seinem Befel durften weder Offiziere noch Spezialisten gehäuft schlafen – herrschte drangvolle Enge. Cheftechniker Tanake, Sho-sa Nakamura, Sho-sa Hakon Ragnarsson, Sho-sa Izawa, der Arzt Sakura sowie Kenda selbst, dazu ein Feldtisch mit einem Datensichtgerät, welches man nutzen konnte, Karten und ähnliches zu projizieren. In den Tassen dampfte das abscheuliche Heißgetränk, das auf Kendas Befehl zubereitet worden war. Nur Nakamura und Ragnarsson, die beide würden Wache schieben müssen, dürften sich den Luxus von synthetischem Kaffe gönnen – hatten aber darauf verzichtet, denn in dem engen Zelt wäre das nicht eben kollegial gewesen. Die Gesichter wirkten übermüdet, die meisten wurden nur von der Anspannung wach gehalten. Jeder trug Einsatzmontur und Waffen – wenn es sein mußte, konnten sie sofort losschlagen. Besonders Izawa sah furchtbar aus, da er noch länger als die anderen auf den Beinen war. Von Zeit zu Zeit sackte sein Kopf vornüber, bis er sich mit einem Ruck aufraffte und seine Aufmerksamkeit dem augenblicklichen Sprecher zuwandte.

Kenda nickte Tanake zu: „Fassen Sie bitte zusammen.“ Der Techniker räusperte sich: „Nun, um es kurz zu machen, die Lage ist denkbar schlecht. Für Panzer und Mechs ist ein einziger Kampfsatz vorhanden, sieht man von ein paar Dutzend Granaten und Raketen ab, die wir zusätzlich mitschleppen. Die Lebensmittelvorräte reichen selbst bei augenblicklicher Einteilung höchstens für maximal zwei Wochen. Wenn wir sie weiter kürzen, müssen wir bald mit einem Absinken der Kampfkraft rechnen. Was Luxusgüter wie Kaffee, Tee, Süßstoff oder richtiges Essen angeht, so würde ich eher von ‚nicht vorhanden‘ sprechen. Ersatzteile für die Mechs haben wir, ebenso wie für die Panzer, nur das, was in jedem Fahrzeug mitgeführt wird. Ein paar Ersatzteile – kleineres Zeug wie Computerchips, Laserfokussierlinsen und so weiter haben unsere Leute mitnehmen können, aber das ist ebenfalls nicht viel. Wir haben den zerstörten Panzer ausgeschlachtet, aber das hat nicht viel gebracht. Treibstoff sieht gleichfalls nicht gut aus – Reserven sind nur gering, ein paar Kanister. Große Sprünge können wir damit nicht machen. Selbst bei sparsamer Fahrt wird das nicht ewig reichen. Reserven in Sachen Zelte und andere Ausrüstung ist ebenfalls nicht vorhanden, wir haben nicht einmal für jeden Soldaten eine Thermodecke. Und wie Doktor Sakura mir mitteilte“ er fing einen Blick des Arztes aus:“ ist es um unsere medizinischen Reserven ähnlich miserabel bestellt. Wir haben keinen Operationsraum, kaum besteck und nur wenig Medikamente, selbst Verbandstoff reicht nur für EINEN Kampftag.“ Er sprach nicht aus, daß es unwahrscheinlich war, daß die Ronin mehr als einen Kampftag überleben würden. Jeder hier wußte es. „Nur bei den Kleinwaffen sieht es besser aus. Wir haben dort für jedes Gewehr mindestens zweihundert Schuß beziehungsweise ein halbes Dutzend Energiezellen für die entsprechenden Laserwaffen. Für die MG’s sogar noch mehr, für jeden Raketenwerfer etwa ein Dutzend Raketen und für die anderen Waffen noch ein bißchen mehr. In der Hinsicht besteht kein Mangel. Ach ja – Wechselklamotten nur wenige“ Kenda blickte den Techniker kurz an, allerdings nicht, um ihn für seine Offenheit zu rügen, oder seinen teilweise laxen Ton: „Treffend wie immer. Wir werden sehen, wie weit wir damit kommen. Izawa – fassen Sie zusammen, was den Zustand unserer Kampfkraft betrifft.“ Der Sho-sa, der gerade wieder beinahe eingenickt war, fuhr zusammen und nahm reflexartig Haltung an. Zusammen mit seinem Gesicht – verdreckt, unrasiert, mit Ringen um die Augen – wirkte das beinahe grotesk.

Für einen Augenblick schien er sich sammeln zu müssen: „Melde, alle neun Mechs mit Besatzung einsatzbereit! Beide Reservepiloten einsatzbereit!“ Sein Blick schien bei Hakon um Erlaubnis zu fragen, und als dieser nickte, fuhr er fort: „vier Panzer mit zehn Mann Besatzung einsatzbereit, ebenso vier MTW’s mit acht Mann Besatzung. Weiterhin kampfbereit fünf Infanteriezüge und drei Gruppen Kommandos – ich habe die Einheiten mit Unterstärke zusammengelegt. Ein Zug Infanterie unserer Verbündeten“ wieder ein Blick zu Hakon „der ebenfalls voll einsatzfähig ist. Schließlich 38 Techniker aus beiden Formationen, die über leichte Waffen verfügen. Doktor Sakura meldet sich mit 9 Männern und Frauen des Sanitätsdienstes. Ebenfalls bewaffnet. Keine schwereren Unterstützungswaffen. Drei leichte Mörser, vier mittelschwere und sechs leichte rückstoßfreie Gewehre, zwölf Raketenwerfer, die selbe Zahl leichter Maschinengewehre. Drei Dutzend Einwegraketenwerfer, ein schwerer Granatwerfer. Die Truppe ist ausgezeichnet bewaffnet mit Energie- und Projektilwaffen, darunter viele aus Clanfertigung, zusätzlich eine Anzahl Kompaktgranatwerfer. Scharfschützengewehre zwölf, Flammenwerfer sechs. Ausreichend Handgranaten, Gewehrgranaten und geballte Ladungen vorhanden. Insgesamt fünfzig Kilogramm C8, 8 Kilogramm Pentaglycerin und vier Dutzend Tornisterladungen. Genug Material für fünfzig Zünder. Etwa dreißig Tarnanzüge, aber keine portablen Sensoren oder ähnliches. Ein Descartes XXV-Computer, vier Technikerkonsolen. Funkausrüstung ausreichend, einschließlich zwei Langstreckenfunkstationen.“ Er rasselte die Liste runter wie ein Schüler auswendig gelernte Vokabeln. Und dennoch – er konnte sie erst vor kurzem erhalten haben. Kenda neigte leicht den Kopf: „Ich danke Ihnen.“ Dann wandte er sich an Sakura: „Medizinischer Status?“ Der Doktor seufzte leicht: „Insgesamt zwanzig Verwundete, darunter acht schwer. Zwei in kritischer Verfassung. Ich schätze, daß sechs Mann binnen der nächsten vier Tage wieder einsatzbereit sind, und zwei weitere binnen zehn Tagen. Wenn sich die Versorgung nicht drastisch verschlechtert...“ Und – so mochte er in Gedanken hinzufügen – wenn wir dann noch leben. Kenda wirkte auf einmal sehr müde: „Die Chancen für die Schwerverletzten?“ Der Doktor schüttelte leicht den Kopf: „Wenn wir in den nächsten zwei Tagen keine ordentliche Station aufbauen können, werden die zwei kritischen Fälle sterben. Bei den sechs anderen Scherverletzten muß binnen einer Woche eine Lösung gefunden werden, oder für sie gilt das selbe.“ Das Gesicht des Chu-sa verhärtete sich. Es gab nicht nur wenig – es gab keine Hoffnung, daß dies möglich sein würde. Die Männer und Frauen waren zum Tode verurteilt. Die Verletzten dem Feind zu übergeben stand außer Frage. Sie hätten dabei nicht nur ebenso gewiß ihr Leben verloren – es war auch undenkbar, sie auszuliefern. Kenda holte tief Luft. Dann, mit unnatürlich ruhiger Stimme, fragte er Nakamura: „Einschätzung der Feindinformationen und der eigenen Moral?“ Die junge Frau hielt seinem Blick stand: „Moral der eigenen Truppe gut. Es herrscht erhebliche Verbitterung über den Verrat Torkilssons – auch bei den Piraten. Natürlich machen sich einige Sorgen um Angehörige in der Siedlung.“ Einige der Soldaten Kendas – Männer wie Frauen – hatten Beziehungen zu Zivilisten angeknüpft, und einige der Piraten unter Hakon Rangarsson besaßen Verwandte, Geliebte oder sogar Kinder in der „Stadt“: „Aber soweit ich das beurteilen kann, sind sich alle bewußt, daß es kein Zurück mehr gibt. Und sie suchen auch keinen Ausweg. Sie sind hier, um ihren Weg bis zum Ende zu gehen.“ Was bei anderen erhaben – oder übertrieben patriotisch – geklungen hätte, hörte sich aus dem Munde der Draconierin eher wie eine nüchterne Bestandsaufnahme an. Und ohne Zweifel war es das auch. Sie räusperte sich: „Feindstärke unbekannt. Wir haben aber mindestens ein halbes Dutzend Clanmechs identifiziert, insgesamt gehen wir von mindestens drei Sternen Mechs und vier Strahlen Elementare aus. Dazu vermutlich noch etwa ein Zug konventionelle Infanterie und die beiden Jäger der Söldner. Etwa eine Lanze Panzer, überwiegend leichte Schweber – dazu anscheinend ein schweres Kettenfahrzeug. Sie sind offenbar vollmotorisiert. Informationen über Versorgungslage und Moral liegen nicht vor. Unklar ist auch, inwieweit die Verräter oder die ehemaligen Strafgefangenen in der Lage oder bereit sind, ihnen zu helfen. Ich rechne aber von Seiten der Verräter eher mit Materiallieferungen, eventuell auch mit der Weitergabe von Informationen, als mit aktiver Kampfhilfe. Den Strafgefangenen fehlte zum größten Teil die Ausbildung.“
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Cattaneo
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Kenda blickte Hakon fragend an: „Einwände?“ Der schüttelte den Kopf: „Die Einschätzung dürfte korrekt sein. Bei einer Auseinandersetzung mit uns könnte sich Torkilsson – wenn wir ihm nicht einen sehr guten Vorwand liefern – nur auf einen Bruchteil seiner Leute verlassen. Und er traut seinen neuen Freunden bestimmt nicht.“ „Halten Sie es für möglich, daß wir in der Siedlung noch Verbündete haben.“ Der Pirat zuckte unbehaglich mit den Schultern: „Zumindest jene, die einen geliebten Menschen hier haben, oder die genug Grund und Mut haben, den Feind zu hassen. Aber ich würde lieber darauf verzichten, diese Menschen zu unbedachten Aktionen zu verleiten.“ Der Chu-sa lächelte dünn: „Keine Angst, daß habe ich auch nicht vor. Auch wenn es nicht unbedingt den Eindruck macht, ich kann durchaus damit leben, daß nicht jeder gleich mit uns in den Tod geht – Hilfe kann auf vielen Wegen erfolgen.“ Der Piraten-Sho-sa entspannte sich unmerklich. Das war es, was er am meisten gefürchtet hatte. Aber, so mußte er sich selber eingestehen – er durfte nicht vergessen, daß Kenda zwar fanatisch in seinem Haß war, aber keineswegs blind. Eine Eigenschaft, die der Pirat mit ihm teilte.

Einen Augenblick schien der Chu-sa in die Ferne zu blicken. Dann straffte er sich:“ Sie fragen sich sicher, was nun werden soll. Ich denke, ich brauche nicht auszuführen, daß ein Guerillakrieg mit unseren Mitteln unmöglich ist. Eine Versorgung aus den Ressourcen dieser Welt kommt nicht in Frage – nicht bei unserer großen Zahl von Soldaten. Überdies würde uns in kürzester Zeit Treibstoff und Munition ausgehen, wenn auch nicht Wasser und Energie, so lange noch ein Mech läuft. Es gibt nur einen Platz, wo wir uns Nachschub beschaffen könnten, und der Gegner wird nicht so dumm sein, uns diese Möglichkeit zu geben. Er hat die Luftüberlegenheit, wie er uns ja deutlich demonstriert hat, und kann deshalb jede größere Gruppe unserer Truppen orten und bekämpfen. Ich gehe davon aus, daß dies alles auch unseren Feinden klar ist. Angesichts der Tatsache, daß die Söldner die militärische Operation zu führen scheinen – weder VSDK noch Clans wären so wie heute vorgegangen – rechne ich damit, daß sie versuchen werden, uns mit einem Minimum an Eigenverlusten zu vernichten und dabei auf schwindende Ressourcen bauen. Sie werden uns verfolgen, aus der Luft beschatten – und bei jeder sich bietenden Gelegenheit Störangriffe unternehmen. Wenn sie uns Stück für Stück aufreiben können, wenn uns Munition und Material ausgeht, dann können sie uns vernichten, ohne ein letztes Vernichtungsgefecht zu riskieren. Ich gedenke ihren wunderbaren Plan zu durchkreuzen.“ Er ließ seinen Blick über die Gesichter seiner Offiziere wandern: „Wir haben eine Chance – eine geringe, aber dennoch vorhandene Chance, wie wir der Vernichtung entgehen können, und dennoch dem Feind schaden. Oder, ihn zumindest dazu zwingen, auf einem Schlachtfeld UNSERER Wahl zu kämpfen. Bis zum Schluß. In dem Fall werden wir fallen, aber es wird auch den Gegner so viele Männer und Maschinen kosten, daß er an diesem Sieg wenig Freude finden wird.“ Er blickte Hakon direkt an: „Ein geringer Trost, aber besser als gar nichts.“ Der Pirat nickte schweigend. Er und seine Leute entstammten einer weniger todesverachtenden Tradition als die Ronin. Aber sie alle hatten genug Grund, den Feind und seine Lakaien mit solcher Hingabe zu hassen, daß sie den Ronin zur Seite stehen würden, egal, was es sie kosten mochte. Er hatte ihnen ein Ziel, ihrem Kampf einen Zweck gegeben, und diese Schuld würden sie tilgen. Mit Blut, wenn es ein mußte.

„In acht bis zwölf Tagen wird Kapitän Sazumi mit der „Kagoshima Maru“ eintreffen. Es ist sein üblicher Besuch und das wissen Sie. Etwas anderes aber war bisher ein kleines Geheimnis zwischen Sazumi und mir. Für Notfälle haben wir uns einen speziellen Funkkanal und einen Code zurechtgelegt, mit dem wir kommunizieren können. Wenn er im Anflug ist – und unser lieber Freund schleicht sich jedes Mal von einem anderen Sprungpunkt an, also werden sie ihn nicht gleich abfangen – können wir ihn anfunken. Und mit etwas Glück kann er uns aufnehmen. Das wird uns zwar einiges kosten, aber er schuldet mir sowieso noch einiges, da ich ihn vorzeitig aus meinen Diensten entlassen habe. Und besser eine Schuld bei der Yakuza, als hier sinnlos draufzugehen.“ Sein Gesicht war voll grimmiger Entschlossenheit: „Wenn die kami es wollen, werden wir unseren Kampf an anderer Stelle fortsetzen.“ Hakon wiegte den Kopf nachdenklich: „Glauben Sie nicht, unsere Gegner werden dahinterkommen? Spätestens, wenn dieser Verräter ihnen einen Tipp gibt?“ „Oh, davon bin ich überzeugt. Der Söldnerführer scheint nicht dumm zu sein. Früher oder später werden sie auf die Idee kommen, wir könnten genau das beabsichtigen. Aber damit rechne ich.“ Nakamura mischte sich ein: „Wenn der Feind Sazumi ortet – und die Gefahr besteht, denn er hat ja mindestens ein Sprungschiff draußen, und auf das der Piraten können wir uns nicht verlassen – wird er sicher seine Jäger, vermutlich auch seine Landungsschiffe losschicken. Ich fürchte, so viel schuldet ihnen Sazumi nicht, um sich mit zwei Stukas und einem Seeker herumzuschlagen, auch wenn er das Union ausmanövrieren könnte.“ „Exakt. Und aus diesem Grund müssen wir Vorkehrungen treffen!“

Kenda rief eine Karte des Gebietes auf: „Ragnarsson, Sie suchen mir hier so viele geeignete Landungsplätze wie möglich. Ich will ein paar Optionen haben, wohin ich meine Truppen führen kann. Sazumi nutzt soweit ich weiß augenblicklich zwei Seeker als Transporter, also passen Sie die Landeplatzparameter dem an! Sie kennen sich am besten auf dieser Welt aus – ich hoffe, Sie können mir bei der Planung der Route helfen. Außerdem müssen wir versuchen, unsere Vorräte zu strecken. Sprechen Sie sich mit Sakura und Tanake ab, welche Pflanzen wir nutzen können. Auf Jagd und Fischfang können wir nicht bauen, dazu sind wir zu viele. Aber wenigstens einen Vorteil hat die unterentwickelte Faune – es gibt kaum giftige Pflanzen, da es kaum große Pflanzenfresser gibt.“ Der Pirat nickte. Mehr als eine notdürftige Streckung der Vorräte war nicht zu erreichen – behelfsmäßige Suppe oder Tee ohne rechten Nährwert, aber besser als nichts. Aber das mochte ihnen für ein paar Tage weiterhelfen. „Ach ja – da wir genug Energie und Wasser haben, sollten wir das nutzen. Sorgen Sie dafür, daß ständig heiße Getränke für die Soldaten vorhanden sind. Wasser ist abzukochen, Infektionskrankheiten sind das letzte, was wir brauchen können. Verbrauchte Energiezellen müssen natürlich sofort aufgeladen werden. Und sorgen Sie dafür, daß die Mannschaft sich schichtweise mit heißem Wasser waschen kann.“ „Jawohl Chu-sa!“ „Für Mechs und Panzer gilt fürs erste Feuerverbot mit den munitionsabhängigen Waffen. Nur schießen, wenn Ziele sicher sind, und bei feindlichem Großangriff. Feuer zusammenfassen und Ziel konzentriert und Beschuß nehmen, sowie ein Feind sich zeigt. Die Feuereröffnung liegt im eigenen Ermessen, aber es muß klar sein, daß wir ohne Nachschub kämpfen.“

„Und was gedenken Sie wegen der feindlichen Luftwaffe und den Verfolgern zu tun?“ Der Chu-sa zögerte, nur einen Augenblick: „Was das angeht, so müssen wir zum letzten Mittel greifen. Wir müssen einige von uns opfern, damit der Rest überleben kann.“ Sie konnten sehen, daß es ihm nicht leicht fiel, diese Worte auszusprechen. Aber welche Wahl hatten sie? Der Feind konnte sie momentan ohne Probleme aus der Luft verfolgen und angreifen, ganz zu schweigen von seinen Bodentruppen, die er zielgenau dirigieren konnte. „Je weiter wir uns von der Siedlung entfernen, desto größer werden die Probleme auch für unseren Gegner werden. Er kann uns zwar orten. Aber ich bezweifle, daß er auf die Verfolgung wirklich vorbereitet ist. Denn ein Kampfverband wie der unserer Feinde braucht einiges an Nachschub, um einsatzbereit zu bleiben. Ich bezweifle, daß sie genug geländegängige Transportfahrzeuge haben, um das an Munition und Ersatzteilen mitzunehmen, was sie im Falle ständiger Gefechte benötigen. Zudem brauchen auch sie Zelte, Nahrungsmittel – und vermutlich erheblich mehr als eine vergleichbare Gruppe unserer Soldaten, denn sie sind nicht in so verzweifelter Lage. Sie können zwar einige Transporter in der Siedlung erwerben oder beschlagnahmen, aber auch damit dürfte es knapp werden. Und Versorgung aus der Luft – dazu bräuchten sie spezielle Verpflegungsbomben, die sie von den Stukas abwerfen können. Das alles wird sie bremsen, je weiter sie uns folgen. Wenn wir es nur geschickt genug anstellen, können wir sie vom Nachschub abschneiden, ihre rückwärtigen Dienste und Luftunterstützung vernichten und ihren Vormarsch stoppen.“ Seine Augen wanderten zu Sho-sa Izawa: „Und dafür brauche ich Sie – und Ihre Kommandos.“

Der junge Offizier zwang sich, dem Blick seines Vorgesetzten zu begegnen. Das war er also, der Befehl zum Sterben. Er ahnte bereits, was Kenda plante. Und in diesem Fall waren seine Überlebenschancen gering. Er dachte an seine Schwester und seinen überlebenden Bruder. Beide waren Gefangene in einem Konzentrationslager der Kollaborateure. Kenda hatte versprochen, ihnen zu helfen. Sollte er sie nie wieder sehen? Aber hatte er überhaupt eine Wahl? Durfte er so egoistisch sein, und sein Leben über das seiner Kameraden stellen? Sho-sa Hidetoshi kam ihm in den Sinn, sein Vorgänger. Er hatte sich geopfert, als die Stunde es verlangte, ohne zu zögern. Und Taroo Izawa wußte, was er zu antworten hatte: „Ich bin bereit!“ Nur Sekundenbruchteile mochte das Abwägen gedauert haben, doch er sah in Kendas Augen, daß der Chu-sa wußte, was ihm durch den Kopf gegangen war. Und er sah den Respekt in den Augen des Älteren. Leicht verneigte sich der Kommandeur der Ronin vor seinem Untergebenen: „Sie, Izawa, werden die Kommandos führen. Ich will nur Freiwillige bei dieser Mission, denn es ist ein Einsatz, der mit großer Wahrscheinlichkeit tödlich endet. Sie werden den Feind angreifen, seine Jäger und Landungsschiffe so schwer wie möglich beschädigen und seine nachrangigen Dienste vernichten. Töten Sie alles, was Ihnen begegnet, ob ehemaliger Strafgefangener, Techniker oder Arzt. Wenn wir die Wurzel ausbrennen, wird auch der Baum fallen.“ „Hai Tono!“ „Gleichzeitig werden wir den uns verfolgenden Truppen ein paar Überraschungen bereiten. Ich denke da an ein paar hübsche kleine Fallen. Auch dafür werden wir Freiwillige brauchen – Männer und Frauen, die bereit sind, ihr Leben zu geben. Aber wenn es gelingt, wird der Feind geschwächt werden. Er wird sich entscheiden müssen, ob er beschädigte Maschinen reparieren will, oder weiter marschiert. Er wird seinen Nachschub einbüßen, und die Angriffe werden die feindliche Siegeszuversicht untergraben.“ Er konnte in den Augen seiner Untergebenen sehen, daß sie Feuer gefangen hatten. Selbst wenn diese Chance gering war – denn viel mochte schiefgehen, und ob sie sich retten konnten, war mehr als zweifelhaft – so hatte sie ihnen doch neuen Mut gegeben. Nicht, daß sie dessen bedurft hatten. Wer hier war, hatte am Scheideweg zwischen Leben und Tod den Untergang gewählt, wenn auch nicht den kampflosen. Aber noch ein wenig länger zu leben – in der Hoffnung, noch mehr Feinde vernichten zu können, dem Widerstand etwas zu hinterlassen, worauf er aufbauen konnte – war es wert, ein weiteres mal alle Kräfte anzuspannen.
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Schnell waren die Pläne gemacht. Punkte für Fallen – Engpässe und ähnliches – wurden ausgemacht, Routen beraten. Izawa sollte sich mit seinen Leuten noch in dieser Nacht aufmachen, in mehreren kleinen Gruppen. Sie würden bei nacht marschieren und sich tags verbergen, und bei einer günstigen Gelegenheit über die ahnungslose Basis des Feindes herfallen. Kenda hatte festgelegt, daß Torkilsson Leute nach Möglichkeit verschont werden sollten. Er wollte die Piraten nicht zusätzlich am Hals haben und nahm auch Rücksicht auf seine treu gebliebenen Verbündeten. Nur die Landungsschiffe der Piraten sollten nach Möglichkeit zeitweilig außer Gefecht gesetzt werden – wenn dies bei den Söldnereinheiten bereits geschehen war. Gleichzeitig würden die Fallen den Feind schwächen. Sollten von Izawas Männern und Frauen einige der Angriff überleben, so sollten sie Kontakt mit denen in der Siedlung aufnehmen, von denen sie Hilfe erwarten konnten. Ein paar Leute konnten versteckt und versorgt werden – eine Armee nicht. So hatten sie zumindest eine geringe Hoffnung, mit dem Leben davonzukommen. Außerdem konnten einzelne Soldaten vielleicht auch in der Wildnis überleben, zumindest eine Weile. Sie wußten, wo es heiße Quellen gab, wo fischreiche Flüsse flossen. Sicher war das keine Garantie, aber es war zumindest eine Möglichkeit. Den Männern und Frauen, die die feindliche Kampfgruppe angreifen würden, blieb nicht einmal das, wenn der Feind nach ihnen suchte. Sie würden das Feuer auf ihn eröffnen, Sprengladungen zünden – und vermutlich dabei umkommen.

Die Soldaten standen im Dunkeln. Kein Licht sollte ihre Position etwaigen Luftaufklärern verraten. Sie waren verdreckt, übermüdet, sie hatten Hunger und nicht wenige waren verletzt. Der Regen durchnäßte sie, ein kalter Wind zerrte an ihren Kleidern. Und doch harrten sie auf, um die Worte des Mannes zu hören, der vor ihnen stand. In der mondlosen Nacht war er kaum zu erkennen, doch seine Stimme war klar und deutlich. Einem flüchtigen Betrachter wäre es erschienen, als riefe die Stimme eines Toten, eines rastlosen Geistes zu seinen Kameraden, gestaltlos auf freiem Felde. Und nicht wenig Wahrheit hätte darin gelegen.

„Soldaten – Kameraden! Ich möchte euch danken. Jeder einzelne von euch hat seine Pflicht mit einer Treue und einer Einsatzbereitschaft erfüllt, die weit über dem normalen liegt. Ihr habt nicht gezögert und nicht geschwankt, trotz Verrat und feindlicher Übermacht. Ich schmeichle mir nicht, indem ich glaube, dies wäre mein Verdienst. Wenn ihr in der Lage wart, dies zu vollbringen, dann durch die Kraft, die jeder von euch in sich selbst hat. Kein Kommandeur kann solche Treue in den Männern und Frauen unter seinem Befehl erwecken, wenn sie nicht schon in ihnen schlummert. Der Anführer solcher Soldaten zu sein, erfüllt mich mit Stolz!
Kein Kommandeur könnte von seinen Soldaten mehr verlangen, als ihr bereits freiwillig vollbracht habt. Und deshalb beschämt es mich, euch dennoch um etwas bitten zu müssen. Ich tue dies nur, weil die Stunde es erfordert. Ihr alle wißt, wie es um uns steht. Wir sind verraten worden, und die Jäger sind auf unserer Fährte. Der Feind, hinterlistig und feige, konnte uns schwächen und spalten. Er glaubt uns geschlagen und wird nun zum entscheidenen Stoß ansetzen. Aber noch gibt es Hoffnung, seine Pläne zu durchkreuzen. Dafür brauche ich eure Hilfe. Ich muß mehr von euch erbitten, als ein Offizier von seinen Untergebenen fordern sollte. Ihr alle wißt, das Soldat zu sein bedeutet, dahin zu gehen, wo man getötet werden kann. Jeder Soldat muß diese Bereitschaft haben – und ihr habt sie wahrlich mehr als einmal bewiesen. Doch jetzt, in der Stunde der Not, bleibt uns nur ein Ausweg. Um unsere Einheit zu retten, müssen wir einige von uns aussenden, die nicht nur der Todesgefahr ins Auge sehen müssen, sondern mit der unerbittlichen Gewißheit wissen, daß es für sie keine Hoffnung auf Heimkehr mehr gibt! Ihr alle wißt, ich habe euch einst gesagt, kein Krieger soll den Tod suchen. Dies gilt auch weiterhin. Aber manchmal muß er wählen zwischen Leben und Tod – und dies ist eine solche Stunde. Zu solchem Dienst – Pflicht kann man es nicht nennen, denn es liegt weit jenseits dessen, was Pflicht und damit selbstverständlich ist – kann man niemanden befehlen. Nur freiwillig kann die Entscheidung getroffen, nur freiwillig kann das Leben geschenkt werden. Ich will, daß ihr euch das klarmacht. Keiner, der denkt, dazu nicht in der Lage zu sein, muß fürchten, geschmäht oder verachtet zu werden. Wer jetzt hier ist, hat seine Treue schon so unzweifelhaft bewiesen, daß dergleichen nicht einmal denkbar ist. Wer meint, seine Pflicht erfüllt zu haben – und weiterhin seine Pflicht zu tun, nicht aber zu diesem besonderen Opfer bereit zu sein, der möge bedenken, auch er hat bisher seiner Heimat treu gedient. Und jene, die meinen, sich entscheiden zu müssen für den Tod, um nicht vielleicht doch Zweifel in den Augen ihrer Kameraden zu sehen, mögen bedenken: wer sich bereit erklärt, dessen Opfer werde ich auch annehmen. Wir haben keine andere Wahl mehr. Bedenkt euch. In einer Viertelstunde wird Sho-sa Izawa von einem zum anderen gehen, und jeden Mann und jede Frau fragen. Er wird mir die Namen derer nennen, die bereit sind – und ich werde sie in meinem Herzen bewahren und dann jene nennen, deren Aufgabe der Kampf ohne Hoffnung auf Leben sein wird. Aber keiner wird aus unserem Munde erfahren, wer sich dagegen entschied.
Soldaten! Wir stehen hier als dezimierter Haufen, ohne Nachschub, ohne Zuflucht, hungrig und abgekämpft. Aber wenn ich der Stimme meines Herzens lausche, dann weiß ich, daß aus dieser kleinen Schar, diesen nicht einmal drei mal hundert Kämpfern Größe erwachsen kann. Vielleicht werden wir alle sterben – doch in unserem Namen wird der Kampf weitergeführt werden von drei mal Tausend, drei mal hunderttausend, drei mal eine Million Kämpfer und Kämpferinnen! Und wenn dereinst der Bär zu Boden sinkt, gehetzt bis in den Tod, dann wird man unser gedenken als der Männer und Frauen, die die Jagd begannen – und ohne die es nie so weit gekommen wäre. Denn sie können uns töten, uns hetzten wie wilde Tiere – aber sie werden uns nie brechen!“

Kein Beifall war zu hören, keine Hochrufe. Schweigend verharrten die Männer und Frauen, während ihnen das Wasser über das Gesicht rann. Vielleicht waren auch Tränen dabei. Der Chu-sa verneigte sich, dann drehte er sich um und ging. Inmitten der schweigenden Kriegsungetüme, der dunklen Zelte und Gesteinsbrocken, die wie Grabhügel aussahen, hätte man ihn für einen einsamen Krieger halten können, der über einen Friedhof, ein Schlachtfeld wandelt, sein Schicksal betrauernd, daß ihn zum Weiterleben zwang, wo alle seine Gefährten gefallen waren.

Kenda saß in seinem Befehlszelt. Er war allein – seine Zeltgenossen waren noch draußen, rangen mit sich, wie ihre Antwort ausfallen sollte. Er starrte vor sich hin, nahm nicht wahr, was um ihn herum vorging. Er wußte – wenn sich Freiwillige fanden, würde er sie in den Tod schicken. Und selber weiterleben, wie so oft. Er fragte sich, ob er jemals dafür Vergebung erlangen konnte – daß er immer noch lebte, wo doch so viele Männer und Frauen unter seiner Führung gefallen waren. Er war Mechpilot, ein Spezialist – und dies bedeutete in der gnadenlosen Logik des Krieges, daß er die Pflicht hatte, nicht wie ein einfacher Infanterist eine Waffe zu schultern und zurückzubleiben. Sich zu schonen, wäre Verrat gewesen – aber eine Dummheit, sich zu opfern. Doch wie konnte man es vor sich selbst verantworten, andere in den Tod zu schicken, sie durch Reden und Appelle dazu zu ermutigen, selber aber zurückzubleiben? Er sehnte den Tod nicht herbei, doch dies galt für alle seine Untergebenen auch. Und er war ehrlich genug, um sich einzugestehen, daß er tief in seinem Herzen vielleicht immer noch darauf hoffte, eines Tages seine Frau und seine Kinder wiederzusehen. Er war nie einer Gefahr ausgewichen – aber war es nicht diese Feigheit, diese Hoffnung auf egoistisches, persönliches Glück, die ihn andere opfern ließ, selber aber am Leben bleiben? Mit welchem Recht bestimmte er: „Jenem der Tod – und diesem das Leben!“? Woher nahm er die Berechtigung, sich selber das Recht, die Pflicht zum Kampfe, nicht aber zur bewußten Selbstaufopferung für sich zu bestimmen?

Kenda biß die Zähne zusammen. Er war nur Mensch! Er konnte nur nach bestem Wissen und Gewissen handeln. Die Zeit der Abrechnung würde kommen – die Ahnen würden wissen, welche Motive ihn getrieben haben mochten, andere zu senden, selber aber übrigzubleiben. Er betete – betete mit einer Inbrunst, die viele nicht verstanden hätten – darum, daß es nicht eigennützige, falsche Motive seien mochten, die sein handeln bestimmten. Es gab keine Sicherheit für ihn, keine Gewißheit – nur eine verzweifelte Hoffnung. Warum nur war für diese Aufgabe er auserwählt worden? Er, der sich nicht sicher seien konnte, würdig zu sein. Ihm blieb nur das Gebet, und die Bemühung, das richtige zu tun. Er dachte an seine Familie. Seine Frau würde ihm gewiß nicht vergeben, würde er seine Männer opfern, nur um sie eines Tages wieder in die Arme schließen zu können. Er vermißte sie schmerzlich, doch auch der Wille, daß sie stolz auf ihn seien konnte, daß seine Kinder zu ihrem Vater aufsehen würden und sich ihres Namens nie würden schämen müssen, war es, der ihn durchhalten ließ. Und so tat er, was er für seine Pflicht hielt – eine andere Möglichkeit hatte er auch nicht.

Wie lange Izawa schon neben ihm gestanden hatte, wußte der Chu-sa nicht. Er war so in Gedanken versunken gewesen, daß er ihn nicht hatte kommen hören. Erst jetzt nahm er ihn war, spürte die Gegenwart von zwei weiteren Menschen vor dem Zelt – Hakon Ragnarsson und Tomiko Nakamura, vermutete er. Er blickte auf, sah in das Gesicht des jungen Mannes, den er wie so viele mit fast an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Tode verurteilt hatte. Er sah dort keinen Vorwurf, keine Bitterkeit. Entschlossenheit war da – und ein ungläubiges, fassungsloses Erstaunen, daß aber nicht seinem Vorgesetzten galt. Er ahnte, was es war.

„Ihre Meldung, Sho-sa?“ Izawa schien sich einen Augenblick sammeln zu müssen. Dann, mit leiser Stimme sagte er: „Freiwillig gemeldet – ALLE.“ Kenda nickte nur. Er wies auf den Klappstuhl gegenüber, und wortlos setzte sich der junge Offizier. Er schien es immer noch nicht fassen zu können. Tonlos murmelte er: „Jeder Pirat, jeder Verletzte, auch die Techniker und Ärzte.“ Er blickte auf: „Womit haben wir das nur verdient?“ Kenda schüttelte den Kopf: „Das haben wir nicht. Kein General, kein Fürst – kein Mensch verdient das. Und es gilt auch nicht uns. Wir sind hier nur Statisten. Sie tun es für weit mehr als das. Für ihre Heimat, für ihren Glauben an eine Zukunft. Und es liegt an uns, dies nicht zu vergeuden.“ Er wandte seine Augen den beiden anderen Offizieren zu, die jetzt leise eintraten: „UND DAS WERDEN WIR AUCH NICHT!“. Beide nahmen schweigend Haltung an: „Wie lauten Ihre Befehle?“

Ende
07.01.2003 08:16 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Leuchtkugeln am Himmel
Zwei Tage später

Es war eine typische Nacht. Typisch bedeutete in diesem Fall, daß man die Hand kaum vor Augen sah. Selbst die Monde von XEP-698-K24, die außergewöhnlich groß waren, konnten die Dunkelheit nicht durchdringen. Nur gelegentlich verriet ein fahler Fleck am Himmel ihren Standpunkt. Zwar lag kein Nebel über dem Gelände, aber das lag nur daran, daß sich die Luftfeuchtigkeit in Form eines ausgewachsenen Wolkenbruches im wahrsten Sinne des Wortes niederschlug. Kleine Rinnsale, die vom Gebirge herabkamen, waren zu reißenden Bächen angeschwollen, und jede Vertiefung im Boden hatte sich unweigerlich mit Wasser gefüllt, denn versickern konnte es im gesättigten Erdreich nicht mehr. Kurz und gut, es war ein Wetter, bei dem man keinen Hund vor die Tür jagen mochte.

Die Gestalten krochen durch den Schlamm, als seien sie selbst Teil des Morastes. Längst waren die Uniformen verdreckt und schlammverkrustet, für die Gesichter galt das selbe. Aber sie hatten sowieso keine andere Wahl. Und besser durch den Schlamm kriechen, als einen Meter unter der Erdoberfläche in diesem Morast zu enden.

Die Kommandos hatten sich systematisch vorgearbeitet. Seit Kenda sie los geschickt hatte, hatten sie sich bemüht, Feindberührungen zu vermeiden. Sie waren marschiert, in drei Abteilungen zu je etwa zehn Mann aufgesplittert, damit im Falle eines Zusammenstoßes die anderen Gruppen eine Chance hatten, ihr Ziel doch noch zu erreichen. Aber bei diesem Wetter und in dem Gelände war es ihnen bei der nötigen Vorsicht nicht allzu schwer gefallen, einer Entdeckung zu entgehen. Der Gegner hatte für eine umfassende Überwachung nicht die nötigen Truppen, und Infanterie in so kleiner Zahl war bei dem Wetter auch aus der Luft kaum zu orten. Bei extremen Tiefflügen hätte das vielleicht anders ausgesehen, aber die Feindjäger waren wohl nicht so verrückt, es darauf ankommen zu lassen. Unablässig waren die drei Kampfgruppen vorgerückt, und nun standen sie vor ihrem Ziel, Oder besser – sie lagen.

Izawa wischte das Regenwasser von seinem Nachtsichtgerät. Ein Reflex – die modernen IR/ Lichtverstärkerbrillen ließen sich von ein wenig Regenwasser nicht beeinflussen. Er hob das Fernglas und betrachtete das feindliche Lager.

Es war ihm gelungen, alle drei Kommandos ans Ziel zu bringen. Inzwischen hatten seine Männer seit 48 Stunden keinen Schlaf mehr gefunden und hielten sich nur durch Kampfdrogen einsatzbereit – aber das war für eine Einheit wie die seine nichts Ungewöhnliches. Er lächelte ironisch vor sich hin: „Eine Einheit wie seine!“ Es war ja nichts so, daß er eine vollwertige Kommandoeinheit befehligt hätte. Nur ein paar Veteranen hatten Erfahrung mit dieser Art von Einsätzen, die anderen nur so viel, wie man ihnen in ein paar Wochen beigebracht hatte, und wieviel sie vorher schon selber gelernt hatten. Denn nicht wenige kamen aus den Reihen örtlicher Widerstandsgruppen. Dennoch – eine jahrelange Spezialausbildung ersetzte das nicht. So gesehen konnte er froh sein, daß er überhaupt so weit gekommen war.
Inzwischen, so wußte er, rückten seine Männer und Frauen langsam durch das Sensorennetzwerk vor. Das Wetter und der Umstand, daß die örtliche Faune immer wieder für Störungen sorgte, würde hoffentlich einen Alarm verhindern. Außerdem hatten sie ja Tarnanzüge, die die feindlichen Sensoren austricksen konnten. Und dann blieb da noch die Frage, wer die Sensoren überwachte – manche der Piraten mochten durchaus ein Auge zudrücken, so lange es sie nicht selber betraf. Er wußte ohne hinzuschauen, daß es etwa ein Uhr morgens war. Nicht eben die Zeit, zu der Wachposten auf der Höhe waren. Die zweite Schicht war zu diesem Zeitpunkt vermutlich schon über eine Stunde im Einsatz, die erste fest eingeschlafen – und die dritte schlummerte noch. Mit etwas Glück mochte es ein böses Erwachen geben.

Die Lichter der Stadt – viele waren es nicht – gaben eine gute Orientierung ab. Er konnte die Landungsschiffe und Jäger auf dem Flugfeld erkennen. Allerdings – so ganz ausschließlich auf die Sensoren schienen sich die Söldner nicht zu verlassen. Er konnte relativ leicht drei patrouillierende Elementare ausmachen, vermutlich war auch an Bord der Schiffe eine Restbesatzung auf Posten. Und schließlich – die Sandsackbarrieren sahen verflucht nach MG-Nestern aus. Wie nicht anders zu erwarten, würde es kaum möglich sein, die Sprengpioniere heimlich an die feindlichen Maschinen zu bringen und die Ladungen zu plazieren. Es wäre auch zu einfach gewesen. Was bedeutete, ihm blieb nur ein Ausweg: Sturm.

Bei aller Entschlossenheit war der Sho-sa kein Narr. Wenn er den Befehl zum Angriff gab – um die feindlichen Truppen auszuschalten und die Sprengladungen zu plazieren – würden die meisten seiner Leute sterben. Der Feind hatte zumindest zwei Strahlen Elementare hier – einen davon aktiv. Zudem vermutlich einen Zug Infanterie. Und er hatte durch einen Boten Meldung bekommen, daß die anderen Trupps einen MTW gesichtet hatten. Er hatte von Anfang an gewußt, daß es vermutlich so enden würde – aber es vor sich zu haben, in letzter, endgültiger Klarheit, war doch etwas anderes. Er mußte an Kendas Worte beim Abschied denken: „Unser Leben liegt in Ihrer Hand. Scheitern Sie, dann wird die Einheit untergehen. Wenn Sie siegen, dann haben wir eine Hoffnung. Und selbst, wenn wir vernichtet werden – es wird dem Feind ein Vielfaches dessen kosten, was er bei einem Angriff mit Unterstützung durch die Jäger verlieren würde. Ich habe Ihnen gesagt, daß ich alles in meiner Macht stehende tun werde, ihre Familie zu retten, und die Toten zu rächen. Ich halte mein Wort.“

Er ahnte, was Kenda ihm damit sagen wollte. Man würde versuchen, seine Schwester und seinen Bruder zu befreien. Dies hieß aber, er würde sie vermutlich nie wiedersehen. Er fühlte sich nicht von Kenda verraten – aber für einen Augenblick drohte die Bitterkeit, ihn zu übermannen. Seine Familie hatte bereits große Opfer in diesem Krieg gebracht. Jetzt würde es an ihm seien, diese Tradition fortzusetzen. Er wußte, es mußte nicht sein. Er konnte sich umdrehen und verschwinden, diesen Krieg sich selbst überlassen. Aber würde er damit nicht alles verraten, woran er geglaubt hatte? Selbst, wenn seine Männer ihm folgen würden – könnte er leben in der Gewißheit, alle seine Kameraden in Kendas Truppe zum Tode verurteilt zu haben? Diese Aufgabe hier konnten nur er und seine Männer vollbringen. Man verließ sich auf sie.

Stumm schüttelte Taroo Izawa den Kopf. Er würde niemanden enttäuschen. Nicht seine Eltern, nicht seinen toten Bruder, nicht seine noch lebenden Geschwister. Wenn sie freikamen – falls sie freikamen – sollten sie sich ihres Bruders nicht zu schämen müssen. Auch wenn er selber nichts für sie tun konnte, hier trug er seine Schuld denen gegenüber ab, die etwas für sie unternehmen würden.

Der Plan war denkbar einfach: aus drei Richtungen arbeiteten sich die Ronin vor. Sprengpioniere und Sturmtrupps krochen voraus, dahinter kamen die „schweren Truppen“. Dies bedeutete in diesem Fall drei Raketenwerfer, drei lMG‘s und vier Scharfschützen. Alternativ zum üblichen Vorgehen hatte er darauf verzichtet, einen Schützen und einen Beobachter zu koppeln – er hatte einfach nicht genug Soldaten. Mit ihren Nachtsichtgeräten hatten die Schützen auch so ganz gute Chancen. Seine Männer bei den Sturmtruppen waren entsprechend ausgerüstet, um selbst gegen die Elementare etwas ausrichten zu können – zumindest einige der Sturmtrupps hatten durchschlagskräftige Waffe wie seine Marx XX, die zumindest eine gewisse Chance boten. Und da war natürlich „die Artillerie des armen Mannes“ – Hand- und Gewehrgranaten. Die Sprengpioniere – unter ihnen vier Techniker – waren hingegen nur mit einer leistungsstarken Laserpistole bewaffnet, dazu natürlich ein paar Handgranaten und ihren „Päckchen“. Es würde reichen müssen. Auf sein Kommando würden die Raketenwerfer und schweren Waffen das Feuer auf die Wachposten eröffnen. Blendgranaten sollten die Wachleute, die in den Landungsschiffen vermutet wurden, für die entscheidenden Augenblicke ausschalten, damit die Sprengkommandos ihr Ziel erreichen konnten. Die feindliche Sanitätseinrichtung würde als erstes ebenfalls eine Rakete kassieren – selber hatten sie mit medizinischer Versorgung nicht zu rechnen, hofften auch nicht darauf, und ihre Feinde sollten auch keine erhalten. Jeder Schwerverwundete sollte ein Totalausfall werden. Überdies galt hier, was ein terranischer Militär vor langer Zeit gesagt hatte: „Eine Armee marschiert mit ihrem Magen“. Ein wenig erweitert galt dies auch heute noch. Ohne ständigen Nachschub, ohne technische Versorgung und eine gesicherte Basis war mit den hochtechnisierten Kriegsmaschinen nur wenig Staat zu machen. Und deshalb würden heute Nacht Techniker ebenso wie Soldaten, Ärzte und Krankenschwestern ebenso wie Mechpiloten sterben.

Dies allerdings war auch der schwächste Punkt in seinem Plan. Nur zu gut war der feindliche Mech auszumachen. Er war offenbar nicht besetzt und stand unmittelbar neben den Landungsschiffen. Es war ein Peregrine, ein Clan-Garnisonsmech. Dies bedeutete in diesem Fall, daß die Maschine zum Henker seiner ganzen Einheit werden konnte, wenn der Pilot sie erreichen konnte.

Der ganze Anmarsch war unter strikter Funkstille erfolgt. Nicht einmal das berühmt-berüchtige „Knacken“ hatte Izawa verwendet. Der „Trick“ war so gut bekannt, daß er von aufmerksamen Horchfunkern bemerkt werden konnte, und dieses Risiko konnte er sich nicht leisten. Statt dessen war allen Gruppen ein großzügiger Zeitrahmen eingeräumt worden. Wie die berüchtigten Sturmpioniere der terranischen Guerillakriege hatten die Ronin Stunden Zeit gehabt, um die Annäherung zu bewältigen, wobei sie oft quälend langsam kriechen mußten. Aber in ihren Tarnanzügen und bei dem Wetter waren sie kaum auszumachen. Nur noch wenige Minuten, und er würde das Signal geben...

Obwohl Izawa keineswegs das war, was man einen „alten Hasen“ nennen konnte, hatte er etliche Jahre Kampferfahrung in der draconischen Armee. Und deshalb reagierte er sofort, als das eintrat, was er befürchtet, aber immer für möglich gehalten hatte.

Im Osten, wo Kommando Zwei vorrückte, bellte eine Schnellfeuerwaffe los – sofort beantwortet von einer anderen, eine Sekunde später schloß die dumpfe Explosion einer Handgranate das Konzert ab. Sofort kam die Funkmeldung – nun, da Tarnung sinnlos geworden war: „Getarnter Feindvorposten, ausgehoben!“ Der Sho-sa fluchte. Der Gegner hatte offenbar selber getarnte Truppen draußen gehabt – und durch einen unglücklichen Zufall waren die „Unsichtbaren“ quasi übereinander gestolpert. Doch nun blieb ihm keine Wahl. Er riß die Pistole hoch. Mit einem dumpfen Knall bohrte sich die Leuchtkugel in den Himmel, tauchte das Lager in blutiges Licht. Das Fauchen eines Raketenwerfers eröffnete die „Symphonie des Schreckens“ – der Angriff hatte begonnen!

Obwohl der Feind überrascht war, reagierte er schnell. Ein MG hämmerte los – da krachte eine Granate in die Stellung. Drüben bei der Sanitätsstation detonierte eine Rakete. Geduckte Schatten sprangen auf – die Sturmpioniere rückten vor. Polternd rollten einige Granaten über den Asphaltboden – dann schien die Welt in Licht zu explodieren

Izawa war aufgesprungen. Jetzt kam es darauf an! Er winkte seine Männer vorwärts. Er sah, wie ein Elementar praktisch in Stücke gerissen wurde, als eine Rakete neben ihm einschlug. Sein Kamerad feuerte blind mit dem MG, ein, zwei Ronin stürzten, dann warf ein Schuß den Claner nieder. Aus den Zelten tauchten die ersten Menschen auf, halb bekleidet oft, zumeist waffenlos. Splittergranaten fuhren unter sie, wie eine Sense durchs Gras mähten die MG’s sie nieder.

Doch wenn Izawa mit leichtem Spiel gerechnet hätte, er wäre enttäuscht gewesen. Der Gegner verfiel nicht in Panik. Schon konnte er erkennen, wie die Landungsschiffe sich bereit zum feuern machten. Er erhaschte einen Blick auf drei spärlich bekleidete Gestalten, die die Rampen herunter huschten – das mußten die feindlichen Piloten sein! „MG – Ziel bei Alpha dreißig!“ Eine Salve hämmerte in die rennenden Menschen, schleuderte zwei zu Boden – doch der Dritte entkam. Jetzt schob sich mit heulendem Motor der Hoover-MTW vor, aus allen Rohren feuernd. Ein Elementar schaltete das MG aus, ging aber selbst zu Boden, als eine Handgranate zu seinen Füßen explodierte. Eine Infernorakete setzte den MTW in Brand – eine Salve der Bordwaffen zerfetzte den Werferschützen. Das Fahrzeug schob sich zwischen die Landungsschiffe und die Roninsoldaten, schirmte den Feindmech ab. Dort kletterte jemand an der Maschine hoch. Eine donnernde Explosion zerriß zwei Sprengpioniere, die versuchten, zu den Landungsschiffen vorzurücken. Feindelementare schwärmten aus, teils mit, teils ohne Gefechtsrüstung. Izawa visierte einen ungepanzerten Gegner an, und dieser brach zusammen. Schreiend stürzten jetzt Menschen aus den Zelten, die Feuer gefangen hatten. Das waren keine Soldaten, auch keine Techniker – das waren Kreaturen in Todesangst. Die MG’s der Ronin kannten kein Erbarmen mit den ehemaligen Gefangenen. Der Sho-sa bemerkte eine Frau in einem weißen Kittel, die einen Verletzten aus der brennenden Sanitätsstation trug. Sie schwankte unter der Last. Eine Bewegung ließ das Visier über ihren Kopf wandern: „DAS ist für meine Mutter!“ Lautlos brach die Frau zusammen, neben ihr der Verwundete. Wenige Schritte neben den lodernden Flammen hatte er keine Chance. In diesem Augenblick brüllten Explosionen auf – die Sprengtrupps hatten bei den Feindjägern ihr Ziel erreicht. Ein Rückzug aber gelang keinem.

Es war, als hätte die Hölle ihre Pforten geöffnet – eine Hölle freilich, die der Mensch dem Menschen bereitete, seit er sich erinnern kann. Schüsse, Explosionen, Schreie und Kreischen mischten sich zu einem Gesang des Todes. Mit Schritten, Donnerschlägen gleich, setzte sich der gegnerische Mech in Bewegung. An seiner Seite der MTW. Sie hielten blutige Ernte unter den Ronin – doch so mancher verkohlte Körper, den ihre Kugeln zurückließen, mochte auch einem Unschuldigen gehört haben.

Izawa wußte, daß dies der Tod war. Gegen den Mech hatten er und seine Leute nicht die geringste Chance. Verzweifelt feuerte er auf das Monstrum, dann auf die Elementare. Und während er einen letzten, sinnlosen Schuß anbrachte, registrierte er im Unterbewußtsein, daß etwas an der Maschine merkwürdig war. ‚Die Luke am Kopf. Sie ist noch offen. Er muß vergessen haben, sie zu schließen.‘ In diesem Augenblick war es, als ginge vor der feindlichen Maschine eine Sonne auf. Ein gleißender Feuerball loderte auf, tauchte sie in rotes Licht. Izawa war wie gelähmt. Dann sah er, wie der Mech verharrte. Fast schien es, als würde ein Anfall die Maschine schütteln. Sie taumelte, schlug um sich, strauchelte – und fiel vornüber, direkt neben einem der feindlichen Jäger. Die Flammen schienen nach dem Kampfflieger zu tasten, doch der stählerne Adler widerstand dem Feuer.

Einem Sterbenden gleich wand sich der Mech. Das Kreischen, das wie die Stimme eines Giganten klang, sagte genug. Flüssiges Feuer hatte seinen Weg in das Innere des Kampfkolosses gefunden – und sein Pilot verbrannte bei lebendigem Leibe. Neben dem feindlichen MTW, der panisch in alle Richtungen feuerte, fassungslos über den Sturz seines allmächtigen Mitstreiters, richtete sich eine der Gestalten auf, die am Boden lagen. Ein Elementarlaser fauchte, hüllte den Kämpfer in tödliches Licht, doch ehe die dunkle Silhouette zusammenbrach, hieb sie ein kleines Paket gegen das Heck des Fahzeugs. Eine gigantische Explosion schüttelte den Schützenpanzerwagen – dann verzehrte ihn das Feuer der in ihm eingelagerten Munition. Gleichzeitig brüllten ein letztes Mal Sprengladungen auf. Flammen hüllten die untere Rumpfhälfte des Seeker ein, als die Sprengladungen an den Steuerdüsen explodierten. Auch wenn das Schiff auf seinem Platz blieb, während die Stützstreben bedrohlich knarrten – es war für Tage, vielleicht Wochen startunfähig.

„An alle! An alle! An alle! Vom Feind lösen! Kämpfend vom Feind lösen!“ Seine Leuchtpistole setzte das Fanal für den letzten Akt des Dramas. Überall begannen die Ronin – die wenigen, die noch übrige waren – sich zurückzuziehen. Von den über dreißig Mann lebte nur noch ein Drittel, und die Feinde erhielten jetzt laufend Verstärkung. Längst schwiegen MG’s und Raketenwerfer der Ronin, die schweren Waffen waren angepeilt und ausgeschaltet worden. Izawas Männer und Frauen aber kämpften nun um ihr Überleben – doch kaum einer sollte Erfolg haben. Sie gingen in den Tod mit der letzten, einzigen Befriedigung des Soldaten, zumindest dem Gegner Verluste und schwere Schäden zugefügt zu haben. Einen anderen Trost gab es für sie nicht.

Als am nächsten Morgen eine bleiche Sonne aufging, beleuchtete sie ein Bild des Schreckens. Feuer und Stahl hatten Zelte zu Asche verwandelt, und zwischen den Brandherden lagen die Leichen. Ronin, Söldner, Claner und die ehemaligen Gefangenen. Schweigend, Seite an Seite, unterschied sie nur die Uniform. Im Regen vermischte sich ihr Blut mit einander und mit der Asche. Qual, Schmerz und Leid in den Gesichtern der Toten war immer die gleiche. Von Granaten zerrissen, zur Unkenntlichkeit verkohlt, von Kugeln durchbohrt – der süße Tod auf dem Schlachtfeld war einmal mehr ein unmenschliches Abschlachten gewesen, in dem sich der für glücklich halten konnte, der schnell gestorben war. Man hätte die Toten für Brüder halten können, und doch hatten sie einander ohne Zögern ermordet. Einmal mehr waren dem Gott des Krieges reiche Opfer gebracht worden. Doch sein Hunger war nicht gestillt – und würde es nie sein.

Ende
13.01.2003 19:48 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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