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Zum Ende der Seite springen Belongo
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Ace Kaiser Ace Kaiser ist männlich
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Dabei seit: 01.05.2002
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Belongo Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

ein nicht authentischer Roman über eine Diamantenmine im Herzen Afrikas.

Prolog:
Wie war er nur wieder in diese Situation geraten? Wie hatte sich alles so sehr zum negativen entwickeln können? Oberleutnant Niklas Herwig stand fassungslos und entsetzt vor einem blutigen, halb zerfetzten Bündel, das vor wenigen Minuten noch ein Regierungssoldat gewesen war. Eventuell ein Regierungssoldat, der ihn gesucht hat. In einem Anflug von Wagemut, kühler Berechnung, Sachlichkeit oder Wahnwitz betrachtete er das zerstörte Gesicht des Soldaten genauer, versuchte zu erkennen, ob er den Mann von der Wagonda Base de l'Air kannte. Doch die Uniform hatte die falsche Farbe. Ein Ranger vielleicht? Auf jeden Fall hatte er einen großen stämmigen Schwarzen vor sich, wie sie für die Wagonda-Leute typisch war, dem negriden Volksstamm, der auf beiden Seiten des Lagabanda-Fluss siedelte, dem fünftgrößten Strom Afrikas. Blieb nur das Problem, dass die Wagonda-Leute nicht nur in der Republik Ndongo lebten, sondern auch im südlichen Nachbarstaat Padania. Beide Staaten vertrugen sich nicht besonders. Ndongo war im Kolonialzeitalter belgisch besetzt gewesen, und Padania britisch. Zudem war Padania noch immer Teil des Commonwealth und verfügte damit rein theoretisch auch über die militärische Macht des ehemaligen britischen Empires. Hier sprach man französisch, dort englisch, was auch einer der Gründe war, weswegen man sich spinnefeind war. Aber der Hauptgrund war sicherlich die unumrückbare Tatsache, dass die verschiedenen Völker und Clans in der Kolonialzeit strikt getrennt worden waren. Es gab zwar Wagondas auf beiden Seiten, also gemeinsame Wurzeln, aber die europäischen Herren und nicht zuletzt die benachbarten Stämme, die nur auf einer Seite des Flusses siedelten, hatten nachhaltig dafür gesorgt, dass durch die aufgezwungenen neuen Sprachen auch Grenzen in den Köpfen entstanden. Die beiden jungen Demokratien hatten dann auch nichts besseres zu tun gehabt, als diese Tradition ihrer ehemaligen Sklavenhalter fort zu setzen. Somit waren die französischen Wagondas und die englischen Wagondas entstanden, und man driftete immer weiter auseinander. Man hasste einander, aber man blieb, von gelegentlichen Scharmützeln abgesehen, auf seiner Seite der Grenze.

Die Erkenntnis für Oberleutnant Herwig war: Er befand sich nach siebzehn Tagen Fußmarsch nicht mehr in Ndongo, sondern in Padania. Damit befand er sich auf dem Grund und Boden des Commonwealth, unter dem Einfluss Britanniens. Und die Briten waren zusammen mit der Bundeswehr in der NATO organisiert! Eine vollkommen andere Situation als drüben in Ndongo, wo die Zentralregierung mit Mühe und Not so etwas wie Ordnung gegenüber den Warlords, Lokalkönigen und Rebellenarmeen im Inland aufrecht zu erhalten versuchte. Dessen zerschlagene Strukturen ohne die weißen Herren noch schlechter funktionierten. Und in dem das Gewirr aus Warlords, Stammesherrschern und politischen Fraktionen Chaos bedeutete.
Er selbst war das beste Beispiel dafür, seit die Patrouille, die er zu Ausbildungszwecken begleitet hatte, von Rebellen überfallen und ausgelöscht worden war.
Als Weißer, der Lösegeld bringen würde, hatten sie ihn am Leben gelassen und verschleppt. Es war relativ sicher, dass Deutschland für ihn zahlen würde, auch wenn die Gefangenschaft sein Ehrgefühl verletzte. Und das schon seit siebzehn Tagen, in denen er mit diesen Halunken durch den Dschungel taperte, Fladenbrot und Reis essen und notdürftig chemisch aufbereitetes Wasser aus dreckigen Tümpeln trinken musste. Ohne seine Notfallausrüstung hätte er längst einen schlimmeren Durchfall gehabt als ein amerikanischer Tourist in Mexiko, der Leitungswasser getrunken hatte. Andererseits war das besser als das Schicksal von Lieutenant Keema und seiner Patrouille. Sie waren allesamt tot, und er lebte noch. Immerhin.

Ein heftiger Schlag in sein Kreuz riss ihn aus seinen Überlegungen. Sein Bewacher, der höchstens vierzehn oder fünfzehn sein konnte, wollte ihn an dem Toten vorbei treiben. Noch so eine Sache, die Niklas immer sauer aufgestoßen war. Die Milizen und die Warlords bedienten sich zu gerne der unfreiwilligen Hilfe von Kindersoldaten. Sie fingen oder kauften die Kinder, gaben ihnen Gewehre und ließen sie für sich kämpfen und töten. Die kleinen Bälger brauchten selten viel Nahrung, die Gewehre waren leicht, und wenn sie erst mal gelernt hatten, wie leicht das töten ging, machten sie es von ganz alleine. Während er sich stockend in Bewegung setzte, um der vor ihm marschierenden Reihe der Rebellen zu folgen, dachte er an die Usumquala-Schule, die er im Rahmen seines Austauschprogramms kennen gelernt hatte. Dort versuchten französische Hilfsorganisationen, Kindersoldaten frei zu kaufen, um ihnen ihre Kindheit wieder zu geben. Niklas hatte die Neuankömmlinge gesehen. Zuckende, nervöse Wracks, die sich unter jeder erhobenen Hand duckten, weil sie Schläge befürchteten. Jungen wie Mädchen furchtbar zugerichtet, nicht wenige schlimm verletzt und nur notdürftig versorgt. Nicht selten vergewaltigt. Krieg war eine rohe Sache, das brauchte man ihm als Soldaten nicht erst zu sagen. Es gab in der deutschen Geschichte selbst genügend unrühmliche Beispiele, in denen deutsche Soldaten vergewaltigt hatten - oder in denen deutsche Staatsbürger von siegreichen gegnerischen Soldaten vergewaltigt worden waren. Dabei spielte es keine Rolle, aus welchen Staat sie gekommen waren - einige waren dabei, die immer vergewaltigten. Da konnten noch so viele "Täter" abgeurteilt oder gleich gehängt werden, sie schienen einfach nicht auszusterben. In der Schule hingegen war ihm alles viel schlimmer erschienen, vielleicht weil er es hautnah mit erlebt hatte.

In der Ferne bellte ein Schuss aus. Niklas blieb stehen, um zu horchen, ob weitere folgten, ob der Ranger womöglich Freunde gehabt hatte. Wenn er den Kopf rechtzeitig runter nahm konnte er womöglich sein eigenen Leben retten.
"Va! Tu va!", rief sein minderjähriger Wächter in gebrochenem Französisch und stieß ihn mit dem Lauf seiner Kalaschnikow in den Rücken. Niklas stockte für einen winzigen Moment, rechnete sich seine Chancen dabei aus, dem Jungen die Kalaschnikow zu entreißen und im Gewirr der Bäume zu verschwinden. Wären da nicht vierzig erwachsene Rebellen vor und hinter ihm gewesen, hätte er das schon am ersten Tag versucht. Seufzend trat er einen Schritt nach vorne. Etwas traf ihn hart am Hinterkopf, sein Schädel wurde herum gerissen. War er zu langsam gewesen? Hatte der kleine Kerl ihm den Kolben der Kalaschnikow über gezogen? Mit einem Schmerzenslaut brach er in die Knie ein. Dann setzte sein Gehör aus. Er sah seinen Wächter sterben; alles schien wie in Zeitlupe vor sich zu gehen. Eine Kugel trat in seinen Kopf ein, ließ eine rote Blüte auf der rechten Schädelseite entstehen. Die linke brach auf, platzte wie eine reife Frucht. Blut, Gehirn und Knochen spritzten einer Fontäne gleich davon. Der Junge klappte in sich zusammen wie ein Kartenhaus.
Niklas folgte seinen Beispiel und warf sich neben dem Sterbenden vollends zu Boden, während rund um ihn die Hölle tobte. Ein Hinterhalt, ein gottverdammter Hinterhalt! Der Wald musste voll mit Rangern sein, die nur auf den richtigen Zeitpunkt gewartet hatten, um die Rebellen auseinander zu nehmen! Und er steckte mittendrin! Kugeln huschten über ihm hinweg, er hörte die spitzen Schreie der Sterbenden, hörte die Rufe der Verwundeten, das Rattern der MGs und sah die unzähligen Mündungsblitze durch die Lücken im Gras, jederzeit darauf gefasst, erneut getroffen zu werden. Der Mann, den sie getötet hatten, musste ein Späher gewesen sein, der nicht schnell genug hatte zurückkehren können... Und der Kommandeur der Truppe war eiskalt genug, um seine Falle trotzdem durchzuziehen.

Niklas kroch neben den Toten. War es klug, sein Gewehr zu nehmen? Sollte er nicht lieber warten, wer dieses Gefecht gewann? Oder sollte er besser die Flucht ergreifen? Letztendlich war hier niemand sein Freund.
Niklas griff nach dem Gewehr, wollte es aus den verkrampften Fingern des toten Jungen ziehen.
"Non", hauchte der Junge. Erstaunt sah Niklas ihn an. Mit dieser furchtbaren Verletzung noch am Leben zu sein, fernab von jeder vernünftigen medizinischen Versorgung, einem Gegner ausgeliefert, der einen aus Prinzip hasste, war kein erstrebenswertes Schicksal. "Maman...", hauchte der Junge. "Ngali..." Zu mehr reichte seine Kraft nicht. Seine Augen brachen, endlich erbarmte sich der Tod des gequälten Körpers und befreite die unsterbliche Seele aus der missbrauchten Hülle.
Für einen Moment dachte Niklas daran, für den toten Jungen ein Gebet zu sprechen. Andererseits würde bald jemand eines für ihn sprechen müssen, wenn er sich nicht verdammt vorsah. Mit einem Ruck entriss er die Kalaschnikow den verkrampften Fingern des Toten. Dabei riss er den Toten herum, zu sich heran. Der aufgeplatzte Schädel drehte sich so, dass Niklas direkt in die Wunde sehen konnte. Erstaunlicherweise blieb er vollkommen ruhig, drohte nicht sich zu übergeben oder in Hysterie zu verfallen. Aber er war sich sicher, dieser Anblick würde ihn fortan seinen Nachtschlaf kosten.
Er überprüfte die Waffe, stellte fest das noch ein paar Schuss geladen waren und durchsuchte den Toten erfolglos nach Ersatzmunition. Stattdessen fand er den großen Bergkristall. Niklas konnte nicht genau sagen was ihn derart ritt, dass er das wertlose Mineral in seine Hosentasche steckte, aber vielleicht lag es einfach daran, dass der Junge ihn ruhig für über zwei Wochen unter seiner Waffenmündung entschädigen konnte.

Zehn Schuss, das konnte notfalls reichen. Es kam eben darauf an, wie das Gefecht ausging und...
"Don't move!", donnerte eine Stimme über ihm. Erschrocken sah er hoch und starrte in die Mündung einer Uzi. Also nahm er die Hände von der Kalaschnikow und legte beide auf seinen Hinterkopf. Mist, beinahe hätte er es geschafft! Beinahe! Aber die Gelegenheit war verstrichen, er war immer noch in der Gewalt der Rebellen. Der Mann über ihm rief etwas nach hinten, was Niklas wegen der Schüsse, die noch immer aufbellten, kaum verstehen konnte.
Dann hörte er eine weitere Person näher kommen.
"Lieutenant Örwig?", fragte ein grollender Bass.
Niklas sah wieder auf. Der zweite Mann hätte einem Werbeplakat für die Armee entsprungen sein können, vor allem mit dem schicken Barett. Etwas mühselig erkannte Niklas eine englisch ausgesprochene Verballhornung seines Namens. Er deutete auf seine Rangabzeichen, zwei weiße Sterne. "First Lieutenant Herwig", korrigierte er.
Der große Schwarze lachte dröhnend. Dann streckte er die Rechte aus. "Please get up, Sir. We'll send you to a much safer place."
Niklas ergriff die Hand und ließ sich auf die Beine ziehen. Als er stand, hatte er ein gutes Bild auf die Situation. Die meisten Rebellen waren tot. Von vorne hörte er noch Gewehrfeuer, aber das nahm auch mehr und mehr ab. "I´m sorry for your Scout, Sir", sagte er beiläufig.
"Damn right, but we got the whole bunch. They'll think twice if they want to come over the border again. Follow me, Sir, we have a long trip to go."
Niklas deutete auf den toten Jungen. "What´s with him?"
Die Miene des Soldaten versteinerte. "We have Animals in this Forest."
Niklas verstand. Die Natur würde die Entsorgung der Toten übernehmen. Natürlich erst nachdem sie geplündert worden waren. Der Bergkristall in seiner Tasche erschien ihm plötzlich viel zu schwer zu sein. "I understand." Kein Begräbnis für die Toten. Nicht mal für jene, die gezwungen worden waren, mitzu gehen. Niklas schüttelte energisch den Kopf. Die Rebellen hatten keine Sympathien verdient, vor allem nicht von ihm. Er war für sie nur eine Gelddruckmaschine gewesen. "Let's go. I don't like this smell."
Der Schwarze lachte wieder und übernahm die Führung. So locker wie er das Gefecht und seine Verluste hinnahm, waren solche Scharmützel wahrscheinlich an der Tagesordnung.
"Welcome to the Republic of Panadia, Lieutenant Örwig!"
Niklas atmete auf. Er war sicher, für den Moment.


1.
Zwei Wochen später, daheim. Was für schöne Worte - wenn er sie nicht in Quarantäne verbracht hätte. Zwei Wochen in einem kleinen abgeschlossenen Zimmer zu verbringen, mit nicht mehr Gesprächspartnern als weißbekittelten Gestalten mit Haube und Mundschutz, von denen man nur die Augen sehen konnte, mit lediglich vier Fernsehprogrammen, ohne PC und ohne Playstation - das machte einen Mann schon fertig. Und das alles nur, weil es dreihundert Kilometer entfernt von der Route seiner Entführer einen Ausbruch von Rukyu gegeben hatte und die Bundeswehrärzte befürchtet hatten, er könne sich bei seiner Kriechtour durch den Dschungel infiziert haben. Aber Rukyu war eine Viruserkrankung mit zehn Tagen Inkubationszeit und schrecklichen Symtomen, der Ebola vergleichbar, wenngleich sich die inneren Organe nicht verflüssigten, wenn er den Chefarzt richtig verstanden hatte. Stattdessen löste sich nur die Haut auf, während man unter hohem Fieber, Durchfall, Übelkeit und schweren Krämpfen litt. Und erreichte der Auflösungsprozess neunzig Prozent, war man so gut wie hinüber, hatte der Chefarzt hinzugefügt, und die Quarantäne um vier Tage verlängert, nur um auf Nummer sicher zu gehen. Schließlich war die Haut das größte Organ des Menschen, und bla, bla, bla.
Kurz und gut, er langweilte sich fürchterlich. Was wohl auch daran lag, dass er Zeit seines Lebens ein Computer-Kid gewesen war, und ein eifriger DVD-Konsument, aber nie ein besonders belesener Mensch wie sein Halbbruder Axel. Das hatte ihn allerdings auch vor dem Schicksal als Bücherwurm und Frauenschreck bewahrt. Glaubte er zumindest. Dann doch lieber langweilen? Nein, ehrlich gesagt ärgerte er sich über sich selbst, dass er das Angebot seines Bruders nicht angenommen hatte, als der ihm Lesestoff hatte mitbringen wollen. Notfalls einen Packen der alten Comics auf Vaters Dachboden, die er gelesen hatte, als er noch ein Kind gewesen war.
Aber egal, es war müßig sich jetzt noch aufzuregen, denn heute lief die verlängerte Quarantäne ab und er war so gut wie frei.

Was dann allerdings kam, ließ ihn jetzt schon schaudern. Er erinnerte sich nur ungern an das Telefonat mit Major Brincks und dessen vieler Fragen, die einzig und allein abklopfen sollten, ob er mit den Rebellen zusammengearbeitet hatte. Was für ein Schwachsinn, was für ein bodenloser Schwachsinn. Nur weil die Bundeswehr sich nicht vorstellen konnte, wie ein Weißer über zwei Wochen in den Wäldern Ndongos überleben konnte, mit nicht mehr als ein paar Pillen für die Wasseraufbereitung, stand ihm womöglich eine Anhörung bevor. Oder Schlimmeres.
Als sich die Tür öffnete, war er trotzdem erleichtert. Sehr erleichtert. Egal, was jetzt noch kommen würde, er konnte diesen Raum verlassen. Am Besten lief er schnurstracks in die nächste Kneipe und besoff sich ausgiebig. Er...
Der Mann, der den Quarantäne-Raum betrat - ohne Schutzkleidung, wie Niklas zufrieden feststellte - war keiner seiner Ärzte oder Pfleger. Allein das er eine Bundeswehr-Uniform trug, gab ihm zu denken. Der Kragenspiegel wies ihn als Feldjäger aus, die Abzeichen als Hauptmann. Wenn er eine Zeit suchte, um beunruhigt zu sein, dann sicherlich jetzt. Feldjäger, dazu noch ein Offizier. Was hatte er ausgefressen? Nein, korrigierte er sich selbst, er wusste was er getan hatte: Überlebt, obwohl er es nicht durfte.
"Ihre Quarantäne ist aufgehoben", sagte der Mann, dessen Namensschild ihn als Richter auswies. "Sie dürfen nach Hause gehen."
"Um mir das zu sagen, wird ein Hauptmann bemüht?", fragte Niklas.
"Bis zur Klärung einiger Unstimmigkeiten, Ihre Entführung und Befreiung betreffend, sind Sie KzH."
KzH, das war kurz für krank Zuhause. Die meisten Rekruten und Gefreiten mochten KzH, selbst wenn es bedeutete, wirklich krank zu sein. Aber dieses KzH war ein Arbeitsverbot. Klärung, Unstimmigkeiten, ihm schwirrte der Kopf. Was musste geklärt werden? Was waren das für Unstimmigkeiten? Hatte das, was er Major Brincks erzählt hatte, nicht ausgereicht? Was dachte man von ihm? Dass er die Rebellentruppe angeführt hatte? Oder Schlimmeres?
"Gibt man mir nicht mal die Gelegenheit, mich anzuhören?", fragte er bitter.
"Wie ich schon sagte, Sie sind KzH geschrieben, Oberleutnant. Freuen Sie sich über den kleinen Extra-Urlaub und versuchen Sie, für wenigstens einen Monat die Füße still zu halten. Nach Ndongo werden Sie ohnehin nicht zurückfliegen. Also, machen Sie uns und vor allem sich selbst keine Schwierigkeiten, und genießen Sie die freie Zeit."
"Was genau wirft man mir vor?", fragte Niklas geradeheraus.
"Niemand wirft Ihnen irgend etwas vor. Zumindest die Bundeswehr nicht. Es gibt ein paar Differenzen mit dem ndongoischen Zentralkommando, aber wir tun alles, was in unserer Macht steht, um diese zu entkräften."
"Was sind das für Differenzen?"
"Das hat Sie zu diesem Zeitpunkt nicht zu interessieren, Herr Oberleutnant. Also schnappen Sie sich jetzt Ihre Sachen, verlassen Sie das Krankenhaus und fahren Sie mit einem Taxi nach Hause. Dort verbringen Sie ein paar ruhige Wochen und warten darauf, wieder gesund geschrieben zu werden. Haben wir uns verstanden, oder muss ich einen Befehl daraus machen?"
Niklas ballte die Hände zu Fäusten. Das klang alles so unausgegoren, so konstruiert. Mehr und mehr kam er sich wie ein Bauernopfer beim Schach vor. Und darauf würde es wahrscheinlich hinauslaufen. "Wir lassen Gras darüber wachsen?", fragte er direkt.
"Ein wenig", gestand der Hauptmann ein. "Für wie unsinnig wir die Vorwürfe halten, sehen Sie daran, dass ich hier bin und mit Ihnen spreche, anstatt Sie zu verhören."
"Und meine weitere Karriere?"
"Sie werden eine Karriere haben", versprach der Hauptmann.
"Aber nicht bei der Truppe, oder?"
Der Hauptmann schwieg, und das war ihm Antwort genug. Langsam öffnete er die Fäuste wieder. "Ich verstehe. Ich verstehe vollkommen. Ich schnappe mir ein Taxi und fahre nach Hause."
"Wir verstehen uns tatsächlich, Oberleutnant Herwig." Der Hauptmann nickte ihm zu, dann verließ er den Raum wieder.
Zurück blieb Niklas Herwig, in seine Gedanken vertieft. Das war alles so unwirklich, so unmöglich, und doch war es ihm gerade passiert. Er, ein Schreibtischtäter? Wie ironisch konnte die Welt nur sein? Die Mission in Ndongo hatte er nur angenommen, damit er den dritten Stern bekam; eventuell war es damit auch Essig. Damit und mit seiner eigenen Kompanie. Er fluchte lauthals. Dafür war er nicht in die Bundeswehr eingetreten. Dafür war er nicht nach Ndongo geflogen. Dafür hatte er nicht zwei Wochen in der Hand der Rebellen überlebt. Er beeilte sich damit, seine Sachen zu wechseln.
***
Axel fand ihn eine Stunde später, in seiner Lieblingskneipe, beschäftigt mit dem dritten Bier.
Der junge Mann grinste, als er seinen Halbbruder sah. Er schlug ihm auf die Schulter und setzte sich daneben. "Ich dachte, du wolltest anrufen, wenn du rauskommst. Ich hätte dich abgeholt."
Niklas warf ihm einen missmutigen Blick zu. "Setz dich doch, wenn du schon mal da bist."
"Ui, ui, sind wir ein wenig bissig? Freu dich doch, du wurdest aus der Quarantäne rausgelassen."
"Ja, und wie ich mich freue." Frustriert trank er sein Bierglas leer. "Noch eins für mich, und eins für meinen Bruder."
"Sag mal, bist du depressiv geworden? Man kann schon verrückt werden, wenn man Isolation nicht abkann."
"Verdammt, Axel, versuch nicht, mich hier zu analysieren. Ich bin nicht verrückt geworden, weil ich deine dämlichen Bücher nicht lesen wollte. Sie haben mich KzH geschrieben, und das auf unbestimmte Zeit."
"Oh", machte der Ältere. Und noch einmal: "Oh. Was hast du ausgefressen?"
"Keine Ahnung. Auf jeden Fall aber behaupten die Ndongoianer irgendwas, und das ist wohl nicht so schlimm, dass ich eingesperrt werde, aber schlimm genug, um mich von der Truppe fern zu halten."
"Und du kannst dich nicht dagegen wehren?"
"Wie denn? Ich wurde ja kalt gestellt, wie du siehst. Erst wenn sie Anklage erheben, kann ich überhaupt mit einem Anwalt reden. Aber wenn sie mich am ausgestreckten Arm verhungern lassen, bin ich machtlos. Ein Traumjob ist das. Ich kriege Geld und muss nichts dafür tun."
"Für mich wäre das ein Traumjob. Weil ich dann endlich mehr lesen könnte. Aber für dich ist es wohl die Hölle. Tschuldigung."
"Scharfsinnig erkannt, großer Bruder", murmelte er und nahm das Bier entgegen. "Was soll ich jetzt also machen? Ich habe nur Soldat gelernt. Soll ich mich selbstständig machen?"
Axel lachte wie bei einem guten Witz. "Besser nicht. Ich kann dich mir nicht vorstellen, so als Söldner oder Fremdenlegionär."
"Ich auch nicht", brummte Niklas. "Soll ich dir mal was zeigen?" Er griff in seine Hosentasche und zog den Bergkristall hervor. "Hier, habe ich als Andenken mitgenommen, als Blut, Hirn und Knochen auf mich herab geregnet sind. Die arme Sau war keine vierzehn."
"Glas?" "Bergkristall. Siehst du das nicht? Ich dachte, Geologie ist ein Hobby von dir."
Axel lachte leise. "Ich habe einen Rosenquarz auf meinem Schreibtisch. Das macht mich nicht zum Geologen." Er ergriff den Stein und wog ihn in der Hand. "Merkwürdig. Bergkristalle formen doch normalerweise kantige Strukturen aus. Obelisken, und so. Aber dieses Ding ist rund."
"Und? Vielleicht haben sie ihn abgeschliffen."
"Vielleicht. Aber du weißt schon, dass du für den Klumpen hier locker zwanzig Euro kriegen kannst? Reicht für eine Kiste Bier."
"Echt jetzt? Wow, hätte ich nicht gedacht."
"Na ja, das Gewicht macht es eben. Hast du ihn schon Onkel Paul gezeigt? Okay, dumme Frage. Aber das sollten wir machen."
Niklas lachte. "Wer hätte das gedacht, dass sich ein Goldschmied in der Familie mal rentieren würde. Meinst du, er nimmt mir das Stück ab?"
"Fragen kostet nichts, oder? Also, wir können hier sitzen bleiben, unser Bier austrinken und zu Onkel Paul fahren. Oder wir bleiben hier, besaufen uns und nehmen ein Taxi nach Hause."
"Danke, dass du dich als Saufkumpan zur Verfügung stellst", sagte Niklas sarkastisch.
"Aber, aber. Das mache ich doch immer, oder? So wie letztes Jahr, als sich Annette von dir getrennt hat, wegen der Bundeswehr. Hey, vielleicht kommt sie ja jetzt zurück."
"Die Zicke kann mir gestohlen bleiben", murrte Niklas. Er wog den Kristall nachdenklich in der Hand. "Okay, ich bin neugierig. Verkaufen wir das Ding Onkel Paul und saufen wir uns von dem Geld ordentlich einen an."
"Na, das ist doch eine vernünftige Entscheidung", sagte Axel grinsend.
***
Onkel Paul gehörte mütterlicherseits zu Axel. Die Familienmitglieder von Vaters erster Frau hatten alle handwerkliche und kaufmännische Berufe. Auf der Seite von Niklas' Mutter waren die ganzen Akademiker vertreten, und Vaters Zweig lieferte die Soldaten, die Arbeiter und die leitenden Angestellten. Es war ein großer bunter Mix, der durch den Tod von Axels Mutter nicht gebrochen worden war. Mit der Zeit hatten sich sehr verschiedene und interessante Vernetzungen gebildet. So war Onkel Paul für dieses Dreiergespann irgendwann zum Familienjuwelier aufgestiegen.
Der ernste, biedere Mann mit der Goldrandlesebrille pflegte einen "distinguierten Lebensstil", was soviel bedeutete, dass er nach Feierabend eine Pfeife schmauchte, die Füße hochlegte und eine Zeitung las. Aber vor allem verstand er sich auf zwei Dinge: Viele Kunden bedeuten viel Umsatz war das erste. Die eigene Familie nicht übers Ohr zu hauen das zweite.
Als die beiden den Laden betraten, wurden sie von den Verkäuferinnen gleich nach hinten durchgewunken. Man kannte sich, vor allem weil Axel mit seinem Onkel regelmäßig Schach spielte.
Paul war gerade dabei, eine Goldkette zu reparieren. Es war eine von diesen mit feinen Gliedern, mehrreihig nebeneinander angeordnet. Ein Puzzlespiel, aber eines, das Onkel Paul liebte.
"Onkel Paul, stören wir?"
Der Goldschmied sah auf und unterbrach seine Arbeit. "Aber nein, natürlich nicht, Jungs. Ist heute denn schon Mittwoch?"
"Nein, heute ist Dienstag. Keine Sorge, ich komme morgen zum Schach", sagte Axel.
"Du bist ja auch dabei, Niklas. Dann haben sie dich endlich raus gelassen."
"Mehr oder weniger." Er griff in seine Hosentasche und zog den Stein hervor. "Aber ich will mich jetzt nicht aufregen. Nicht wegen der Scheiß Bundeswehr. Axel sagt, du kennst dich mit sowas aus. Ich will den Bergkristall verkaufen."
Onkel Paul nahm das daumenlange Mineral entgegen und drehte es unschlüssig in den Händen. "Bergkristall?"
"Frisch aus Ndongo. Habe ich als Andenken mitgenommen. Gehörte einem toten Kindersoldaten, der vor meinen Augen erschossen wurde."
"Ah, also ein Erinnerungsstück. Warte einen Moment. Ich muss mir das Ding mal genauer ansehen."
Onkel Paul zückte eine Lupe und betrachtete den Stein mit wachsender Verzückung. "Keine Einschlüsse... Farbe fast weiß... Ovale Grundform... Eindeutig ein Makeable. Ich muss den Burschen mal wiegen... Habe ich es mir doch gedacht, fast tausend Gramm. Das sind rund fünftausend Karat Rohgewicht. Ich gratuliere dir, Niklas. Du hast den größten Diamanten dieses Jahrzehnts entdeckt."
"D-Diamant?", fragte er ungläubig
"Wie, Diamant? Weißt du, was du da sagst, Onkel Paul?"
"Natürlich weiß ich das, Axel. Gut, dass Ihr damit zu mir gekommen seid und nicht versucht habt, den "Bergkristall" anderswo zu verkaufen." Er drehte den Stein mehrfach in der Hand. "Es ist natürlich unmöglich, einen solchen Stein ohne Papiere legal zu verkaufen. Und es wäre eine Schande, ihn zu spalten und aus ihm ein Dutzend oder mehr kleinere Steine zu machen. Er stammt aus Ndongo, sagst du? Die Regierung da ist nicht sehr fähig, aber bei ihren Diamanten versteht sie keinen Spaß. Wenn herauskommt, wie der Stein außer Landes gebracht wurde, dann klagen sie dir den Arsch weg. Zumindest aber den Diamanten."
Niklas wurde es heiß und kalt zugleich. Ob die Bundeswehr deshalb...?
"Vielleicht wissen die vom Bund vom Stein", warf Axel ein. Er dachte kurz darüber nach und schüttelte den Kopf. "Nein, dann hätten sie Niklas den Stein weg genommen, solange er noch dachte, es wäre ein Bergkristall. Du hast aus vollkommen anderen Gründen Ärger, ist das nicht schön?"
"Ja, das ist sehr schön. Aber du hast Paul gehört. Ich kann ihn nicht verkaufen."
"Oh, das habe ich nicht gesagt, Niklas. Ich sagte nur, legal wäre es unmöglich. Aber... Habt Ihr nicht Lust, die Sache in meine Hände zu legen? Ich gebe euch zwei Millionen Euro für den Rohdiamanten sofort, und Ihr wartet ab, welchen Ertrag ich mit ihm schwarz erziele. Dann teilen wir.
"Zwei Millionen? Gib uns fünf, und mach mit dem Ding, was immer du willst", sagte Axel lachend.
"Okay, aber die kriege ich nicht so schnell zusammen."
Die beiden Halbbrüder sahen sich erstaunt an, und dann wieder zu Onkel Paul. "Was hast du gesagt?"
"Ich sagte: Okay. Ihr müsst mir aber eine Woche Zeit geben, weil ich erst ein paar meiner Reserven verflüssigen und einen Kredit aufnehmen muss."
"Einen Kredit? Onkel Paul, du..."
"Ich sage dir mal was, Junge. Selbst wenn dieser Stein in hundert Einzelteile zerschlagen werden muss, so bringt er gewiss eure fünf Millionen und noch mal zwei. Und wenn es gelingt, ein paar Papiere zu fälschen - ich kenne ein paar zuverlässige Leute in Antwerpen - dann kriege ich vielleicht sogar fünfzehn bis zwanzig. Das nenne ich ein gutes Geschäft. Und ich trage alleine das Risiko. Eventuell, wenn der Gewinn hoch genug ist, überlege ich mir noch eine Bonuszahlung. Ihr seid ja Familie."
"Fünf Millionen?", rief Niklas entsetzt. "Wirklich? Das ist ja wie ein Lottogewinn!"
"Tja, dein Kindersoldat hat ein Vermögen mit sich herum geschleppt und wusste es nicht. Und jetzt hast du das Vermögen, Niklas."
Wieder sahen sich die Brüder unschlüssig an. "Es ist dein Stein, Niklas."
"Aber du hast mich auf die Idee gebracht, herzukommen. Wir machen halbe-halbe, wie es sich für Brüder gehört. Onkel Paul, wann hast du das Geld zusammen?"
"Solange du kein Bargeld willst und mit einer Überweisung zufrieden bist, in zehn Tagen. Wenn du keine elektronischen Spuren hinterlassen willst, mindestens drei Wochen. Ich empfehle euch bei der Summe ohnehin zu einem Konto in der Schweiz oder auf den Kaymans. Sonst fragt euer Finanzbeamter mal nach, warum Ihr auf einmal so viel Zinssteuer bezahlt."
Onkel Paul erhob sich, ging in sein Büro und kam kurz darauf mit einem Packen Bargeld zurück. "Hier, als Anzahlung. Zehntausend für jeden. Ich hatte heute einen guten Kunden, dem das Geld locker saß."
Die beiden Brüder starrten auf die Scheine. Zwanzig rosa Fünfhundert Euro-Scheine für jeden. Nur zögerlich griffen sie danach. Und das war erst der Anfang. Da würde noch mehr kommen.
"Warum ist das mit den Papieren schwierig, Onkel Paul?", fragte Niklas, während er das Geld einsteckte.
"Oh, es liegt daran, dass Diamanten meistens der Mine zugeordnet werden können, aus der sie stammen. Sie gleichen einander in gewissen Charakteristika. Und wenn wie in eurem Fall die Mine nicht bekannt ist, wirft das Fragen auf. Aber auf dem Markt sind immer genügend Diamanten, sodass man schon ein wenig tricksen kann." Er lächelte. "Ich bin jetzt kein Experte. Ich bin Goldschmied, und kein Diamantenschleifer."
"Kannst du sagen, aus welcher Mine der Stein hier stammt?", hakte Axel nach.
"Nein, tut mir leid. Diamanten sind mein Hobby, zugegeben, aber ich kenne keine ndongische Mine, die weiße Steine liefert. Ndongo hat Erdöl, Erdgas, Zinn, Uran, Kupfer, Silber, Platin, Gold. Ist also ein reiches Land. Dazu kommen die Mabana-Mine, die gelbe Diamanten liefert, und die Kolunga-Mine, aus der eine gewisse Menge Fancys kommen. In diesem Fall Steine mit rosa Färbung."
Niklas sah seinen Bruder beunruhigt an. So sah er aus, wenn er eine Idee hatte. Und seine letzten beiden Ideen hatten Axel erst seinen Job und dann seine Freundin gekostet.
"Ist es, also wenn der Stein wirklich aus Ndongo stammt, eine neue, eine unbekannte Mine? Kann der Kindersoldat den Stein am Boden gefunden und ihn dann mitgenommen haben?"
"Möglich ist das schon", sagte Onkel Paul. "Worauf willst du hinaus?"
"Hm, das weiß ich selbst noch nicht. Sag mal, kannst du eigentlich mehr als diesen Stein auf dem Markt unterbringen? Vielleicht nicht so große."
"Wenn man behutsam ist und verschiedene Wege nutzt, sicherlich."
Axel begann zu strahlen. "Danke dir. Also, ich komme dann morgen zum Schach, wie immer. Komm, Niklas, das müssen wir feiern. Wir machen da weiter, wo du aufgehört hast."
Nun war es offiziell. Axel hatte eine Idee. Und Niklas war sich noch nicht sicher, wie sie sich auf sein Leben auswirken würde.
***
Während sie zu Axels Wagen gingen, versuchte Niklas das Schlimmste zu verhindern. "Hör mal, Axel, du weißt, dass ich jeden Scheiß mitmache, aber du hast doch nicht vor..."
"Nein, habe ich nicht. Weißt du, wie groß Ndongo ist? Wie sollen wir da eine einzelne, nicht mal offiziell bekannte Diamantenmine finden? Ohne jeden einzelnen Hinweis ein Ding der Unmöglichkeit." Am Wagen verharrte Axel kurz. "Vielleicht können dir ja deine Kameraden in Ndongo weiterhelfen und für dich herausfinden, woher die Rebellen gekommen sind. Das würde die Region einkreisen. Und mit dem Taschengeld von Onkel Paul könnte man sich da ein wenig umsehen."
"Das werden sie sicherlich nicht. Die ganze Region ist ein einziger Konflikt, und die meisten Soldaten stammen vom herrschenden Stamm aus dem Westen. Die haben sich nur raus gewagt, um mich zu beeindrucken. Ich glaube eher weniger, dass sie für mich Erkundigungen einholen werden. Oder herausfinden können, woher die Rebellen stammen, die mich erwischt haben."
"Oh." Axel ließ die Arme hängen. "Aber die Region eingrenzen können wir doch. Wenn wir herausfinden, von welchem Stamm deine Entführer sind, oder?"
"Ja und nein. Soweit ich weiß, lebt von denen keiner mehr. Und wenn doch, dann sitzen sie in Panadia im Knast. Da ist man auf sie ebenso schlecht zu sprechen wie in Ndongo."
"Aber es würde sich lohnen, sie zu suchen?", hakte Axel nach.
"Du meinst, ich als kalt gestellter Bundeswehroffizier fliege da runter und besuche ausgerechnet die Leute, die mich entführt und über zwei Wochen kreuz und quer durch den Dschungel haben latschen lassen?"
"Oh. Mist." Er öffnete die Tür und bedeutete seinem Bruder, ebenfalls einzusteigen. "Aber wir können die Region eingrenzen. Sie muss irgendwas mit dem Stützpunkt zu tun haben."
"Der neunzehnte Regierungsbezirk. Ungefähr zweimal so groß wie Niedersachsen. Angeblich sorgt der Stützpunkt für Ruhe und Ordnung. In Wirklichkeit aber igeln sie sich da nur ein und bilden ihren eigenen Mikrokosmos ab. Sogar die Nutten werden aus der Hauptstadt eingeflogen."
"Anschnallen. Aber diese Region ist ja schon mal weniger groß als Ndongo. Hat sie einen Eigennamen?"
"Sie heißt offiziell 19. Regierungsbezirk."
"Ach, wie nett", sagte Axel sarkastisch.
"Die Bewohner nennen die Region Belongo. Und ehrlich gesagt, wenn ich du wäre, würde ich mich durch Belongo nur bewegen, wenn du mehr Leute dabei hast als ich hatte. Meine Patrouille war ein Platoon nach amerikanischem Vorbild, sechsundzwanzig Mann mit Leutnant und teilweise schweren Waffen."
"Ich beginne, dieses Belongo zu mögen. Und, kann man die Menschen da unten eventuell bestechen?"
"Ich mag es nicht, wohin diese Idee führt, Axel. Natürlich ist jeder bestechlich, und so. Aber das ist rechtsfreier Raum da unten. Sie schneiden dir eher die Kehle durch als dir zu helfen. Wenn du ihnen Geld zeigst, und dann im schlimmsten Fall auch noch harte Euros, dann bist du tot."
"Wenn man ihnen noch mehr Euros verspricht?"
Nun wurde es Niklas aber doch zu bunt. "Herr Stabsgefreiter, haben Sie alles vergessen, was Sie beim Bund gelernt haben? Marodierende Banden ziehen herum und terrorisieren die Bevölkerung. Achtzehn verschiedene Volksstämme konzentrieren sich in einer rückständigen Region, gegen die Zentralindien wie Silicon Valley wirkt. Durch die Rebellen und das unübersichtliche Land hast du da unten kein Gesetz, keine Polizei und erst recht keine Hilfsorganisationen. Die Kindersterblichkeit liegt enorm hoch, und die Zahl der entführten Kinder liegt noch höher. Ich kenne genau eine Resozialisierungsschule für Kindersoldaten, und die liegt nicht mal in Belongo, weil die Region zu heiß ist."
"Und wenn man sie erobert?"
Niklas starrte seinen Bruder an wie einen Geisteskranken. "Du willst dich also nicht nur mit achtzehn Stämmen, den Rebellen und der unsicheren Gefechtssituation anlegen, vom Regierungsstützpunkt mit der Armee mal ganz abgesehen, sondern du willst die Region auch noch halten?"
"Verzweifelte Situationen erfordern verzweifelte Maßnahmen. Mensch, verstehe doch! Du hast da einen Diamanten mitgebracht, der riesig ist! Ich verstehe nicht viel von den Glitzersteinen, außer dass Frauen drauf stehen, und dass Makeable bedeutet, dass er in eins geschliffen werden kann. Aber ich verstehe, dass da, wo dieser Diamant her kommt, noch mehr sein müssen! Mensch, Niklas, wir kriegen bald fünf Millionen Euro und später sogar noch mehr! Was hindert uns daran, ein paar Söldner anzuheuern, diese Mine zu finden und auszubeuten? Denk doch mal nach: Vielleicht gibt es nicht mal eine Mine, nur einen Steinbruch oder so! Wir wären vollkommen ungestört, solange niemand weiß, was wir wirklich suchen!"
"Du brauchst nicht zu schreien, Dummkopf!", blaffte Niklas zurück. "Fahr lieber los. Und ich sage dir, es ist Schwachsinn! Mit fünf Millionen können wir weder die Truppen, noch das Material zusammen bringen, um Belongo zu kontrollieren, und erst Recht nicht für lange Zeit, die der Abbau von Diamanten benötigt. Und dann brauchen wir auch noch schweres Gerät, vielleicht sogar Bergbaugerät. Außer, du willst ein paar Sklaven nehmen und die mit Spitzhacken ausrüsten!"
"Aber wir könnten mit fünf Millionen ein paar Söldner und Gerät erwerben, ein paar Offizielle in Ndongo und Panadia bestechen und gezielt nach der Mine suchen. Komm schon, Niklas, denk doch mit. Das ist vielleicht die Chance unseres Lebens, unermesslich reich zu werden! Und wenn wir dann reich sind, dann kannst du dich bei der Familie des Kindersoldaten angemessen bedanken, dafür, dass er den Stein mitgenommen hat."
"Ach, bricht jetzt auch noch deine soziale Ader durch? Wenn wir die Eltern nicht finden, willst du dann vielleicht die ganze Region aufpäppeln?"
"Hm", machte Axel.
"Ach komm, das war ein Witz."
"Schon, aber es wäre vielleicht keine dumme Idee, die umliegenden Dörfer zu bestechen, damit sie uns vor jedem Arschloch warnen, das uns zu nahe kommt."
"Du redest schon, als würdest du die Position der Mine..." Niklas, sich gerade noch in Rage redend, verstummte plötzlich. Mit schreckgeweiteten Augen sah er den Bruder an.
Axel, der schon den Blinker gesetzt hatte, stellte den Motor wieder aus. "Stimmt was nicht, Niklas?"
"Ngali."
"Gesundheit."
"Nein, du verstehst nicht. Ngali! Ngali, verdammt! Das war das letzte Wort, das der arme Bengel gesagt hat, bevor er an seinem pürierten Hirn gestorben ist! Das könnte ein Name sein! Seine Mutter vielleicht, sein Familienname, oder sogar sein Heimatort!"
"Ngali?" Axel zückte sein Smartphone und ging ins Internet. In der nächstbesten Meta-Suchmaschine gab er den Namen ein, versehen mit den Querverweisen Ndongo und Belongo.
Die weltweite Suche in über einhundert Suchmaschinen ergab schließlich fünf Ergebnisse und einen sehr spärlichen Wikipedia-Eintrag. "Das wird dich freuen. Ngali ist ein Ort, in dem eine Hilfsorganisation mal eine Pumpe installiert hat. Die wurde aber in einem Krieg von einem Nachbarort erobert. Merkwürdige Geschichte, denn in beiden Dörfern wohnen Wagondas. Das führte zu einem Gegenangriff und irgend jemand weiter oben konnte sich nicht vorstellen, dass zweihundert Menschen nur wegen einer Wasserpumpe kämpfen würden. Die Regierung ging von Öl, Gas, Edelmetallen oder Rauschgift aus und errichtete deinen heiß geliebten Militärstützpunkt. Nachdem die Soldaten die Lage unter Kontrolle hatten, indem sie Ngali und den Nachbarort eingeäschert hatten, ging es aber erst richtig los, und sämtliche Wagondas der Region gingen gegen den Stützpunkt vor. Dann steht hier noch was von einem nicht verifizierten Querverweis zu einem amerikanischen Ölförder-Unternehmen, das Probebohrungen in der ganzen Region machen wollte, was auch die restlichen siebzehn Stämme aufbrachte. Tja, und herausgekommen ist, dass ganz Belongo ein Hexenkessel ist. Und das seit zwanzig Jahren."
"Der Bengel war niemals zwanzig. Warum hat er also Ngali gesagt?", fragte Niklas verblüfft.
"Vielleicht, weil sie das Dorf wieder aufgebaut haben? Oder vielleicht, weil jemand aus seiner Familie so hieß? Auf jeden Fall ist das ein ganz dicker Hinweis!" Axel startete den Wagen und fädelte sich in den Straßenverkehr ein. "Unser guter Freund Bernd, der Militär-Freak, hat einen Kumpel, der hat 'nen Freund im Militärischen Abschirmdienst. Wenn man dich nach Belongo gelassen hat, dann hat das Militär eine Akte zur Region. Und eine Akte bedeutet Karten und Satellitenfotos!"
"Ach, und du meinst, die rückt er einfach so raus?"
Axel grinste seinen Bruder an. "Wir zeigen ihm einfach die rosa Karte."
"Und was ist, wenn er fragt, warum wir die Karten haben möchten? Willst du ihn beteiligen?"
"Na, na, mal nicht gierig werden, Niklas. Ein einziger Stein aus der Mine bringt uns fünf Millionen ein, vielleicht sogar noch mehr. Selbst wenn der Rest nur so groß wie Kiesel ist, sollte das genügend Geld abwerfen um zehn Männer reich zu machen. Ach was sage ich, zwanzig! Mensch, Niklas, wir sind im Geschäft! Verdammte Scheiße, wir sind im Geschäft!"
Niklas sah seinen Bruder erstaunt an. "Oh, Kacke, ich glaube, du hast Recht."
***
Es lag Misstrauen in der Luft, und das nicht zu knapp. Die vier Männer in der großzügigen Hamburger Wohnung in Altona beäugten einander mit sichtbarem Argwohn. Und am misstrauischsten war der einzige Mann im kleinen Dienstanzug der Bundeswehr mit den Silbersternen eines Leutnants.
"Ach komm schon, Klaus!", sagte der dritte Mann aufgebracht. Der leicht übergewichtige Riese war sichtlich genervt. "Als ich noch in der Kartei war, da brauchte ich nur runter zu kommen und sagen, welche Karten ich haben wollte. Du hattest von jeder Karte in jeder Größe drei Dutzend da, und nachdrucken war eine Sache von Sekunden! Ich habe damals mein Wohnzimmer mit einer Karte von Hamburg im Maßstab eins zu zehntausend tapeziert, Planquadrat für Planquadrat. Und jetzt ist das ein so großes Problem für dich?"
Klaus, der Angesprochene, musterte seinen Gesprächspartner, dann die beiden schweigend abwartenden Brüder. "Normalerweise ist das auch kein Problem, Bernd. Diese Karten sind keine militärischen Geheimnisse. Aber was Ihr von mir haben wollt sind Karten aus dem Krisengebiet eines befreundeten Landes. Besonders Sie sollten das wissen, Oberleutnant Herwig."
"Oh, bitte nicht die Geschichte", murrte Niklas.
"Außerdem macht mich das hier stutzig. Fünfhundert Euro. Ein großer rosa Schein. Für meine Mühen."
"Ach, das ist es? Willst du mehr?", fragte Bernd.
"Das Problem ist, dass du so wahnsinnig schnell bereit bist, mich mit fünfhundert Euro zu schmieren. Aber gib dir keine Mühe. Du kannst mich auch nicht mit tausend kaufen. Oder fünftausend. Oder zehntausend."
"Wir haben nicht vor, Sie zu bestechen", sagte Axel gedehnt. "Wir wollten es nur leichter für Sie machen."
"Zwecklos. Jeder Offizier mit ein wenig Ehre im Leib reagiert auf einen Haufen Geld mit Misstrauen", sagte Klaus bestimmt. "Und ganz besonders in diesem Fall, wenn der suspendierte Oberleutnant Herwig vor mir sitzt."
"Das interessiert mich jetzt aber doch. Warum wissen Sie, dass Niklas suspendiert ist? Oder im Bundeswehr-Sprech krank Zuhause?", hakte Axel nach.
Der Leutnant schnaubte amüsiert. "Als Herwig verschwunden ist, haben sie auf der Hardthöhe sofort mit den Hufen gescharrt. Wir mussten binnen zwölf Stunden unsere Karten über die Region Belongo auf den neuesten Stand bringen und Kamerazeit bei den Amis beantragen, um ein Auge aus dem All auf Ndongo zu werfen. Alles, damit wir beim ersten Anzeichen, wohin Sie verschwunden sind, Oberleutnant Herwig, die KSK sofort mit Daten und Kartenmaterial versorgen zu können. Soweit ich weiß standen zwei Teams in der ndongischen Hauptstadt bereit, um sich jederzeit ins Krisengebiet fliegen zu lassen." Er lachte abgehackt. "Man hat Ihr Dienstausweisfoto auf Din A 2 vergrößert und in die Büros gehängt, damit jeder weiß, für wen wir die Mehrarbeit tun. Es fällt schwer, jemanden nicht zu erkennen, den man drei Wochen lang jeden Tag zwölf Stunden gesehen hat." Der schlanke Mann rang die Hände. "Warum sind Sie eigentlich suspendiert worden? Das habe ich nie verstanden."
Nun war es an Niklas zu lachen. "Ich übrigens auch nicht. Vielleicht weil ich die Frechheit besessen habe, mich von den Briten retten zu lassen."
"Hm. Ich habe gehört, dass die KSK nicht sehr erfreut war, das sie den Weg umsonst gemacht hat. Quasi. Da hat man sich wohl schon auf den Test der Tropenkampfausrüstung gefreut." Klaus sah die Männer an. "Ernsthaft jetzt. Noch bin ich nicht aufgestanden und gegangen. Das heißt, Ihr habt die Chance, mich umzustimmen. Aber diesmal bitte mit der Wahrheit. Ausführlich."
Axel zuckte die Schultern. "Wenn es denn sein muss... Als Niklas aus Panadia wiederkam hatte er einen Bergkristall bei sich. Der entpuppte sich beim Juwelier als Diamant. Den hat er aus Belongo mitgebracht, und als einzigen Hinweis haben wir nur den Namen des Ortes, aus dem er stammt. Da vermuten wir eine Diamantenmine, die noch unbekannt ist. Wir haben vor, da runter zu reisen, diese Mine zu finden, und verdammt reich zu werden."
"Herr Herwig, Ihr Talent für Räuberpistolen in allen Ehren, aber damit können Sie einen Kommissar X-Roman schreiben. Mich verkaufen Sie mit diesem hanebüchenen Unsinn nicht für dumm."
"Aber es ist wahr", sagte Axel ernst. "Wir haben uns auch topographische Karten erhofft, anhand derer wir das mögliche Gebiet, in dem die Mine liegt, eingrenzen können. Unser Freund Bernd ist Hobby-Geologe und hat uns einiges über Diamanten erklärt. Vulkanismus, Blue Pipes, primäre und sekundäre Lagerstellen, und so weiter und so fort. Wir suchen also entweder ein Gebiet mit erloschenen Vulkanen, eine Hochebene, die vor ein paar Millionen Jahren mal ein Meeresboden gewesen sein könnte, oder ein Abströmungsgebiet, in dem sich die Diamanten nach und nach gesammelt haben."
"Eine tolle Geschichte, Herr Herwig. Sie sollten wirklich eine Karriere als Autor in Erwägung ziehen", sagte Klaus sarkastisch. "Also, was ist es wirklich?"
Axel seufzte ergeben. "Ich glaube, er besteht darauf, das wir ihn anlügen."
Niklas nickte. "Als ich verschleppt wurde, hat man einen dieser Kindersoldaten abgestellt, um mich zu bewachen. Ein kleiner, aufgeweckter Bursche von nicht ganz vierzehn Jahren. Aber recht furchteinflößend mit seiner Kalaschnikow. Der Bengel ist bei meiner Befreiung getötet worden. Kopftreffer. Das letzte Wort, das er gesagt hat, das war Ngali. Im Internet wird Ngali als Ort in Belongo beschrieben, und mit den Karten wollen wir ihn finden."
"Um was zu tun? Den Eltern des Jungen erzählen, das ihr Sohn tot ist? Um ein Hilfsprojekt einzuleiten, um dieses Ngali zu einem lebenswerteren Ort zu machen?"
"Nein, um von dort aus auf die Suche nach der Mine zu gehen."
Klaus stutzte. Dann aber lachte er und winkte mit dem Zeigefinger. "Jetzt haben Sie mich doch beinahe dran gekriegt, Herr Oberleutnant. Also ein Hilfsprojekt. Und Sie haben einen reichen Geldgeber, der anonym bleiben möchte. Sie kennen die Region, und haben auch noch Zeit. Kein Wunder, das er sich an Sie wandte. Oder Sie sich an ihn. Aber das interessiert mich nur zum Teil. Also, mit einer humanitären Mission habe ich absolut keine Probleme." Er beugte sich vor und strich die fünfhundert Euro ein. "Das nehme ich mal an mich. Fürs Offiziersheim. Das gleicht dann die Unkosten aus, die die Bundeswehr wegen der Karten erleiden wird. Ihr habt eine Aufstellung über die Karten, die Ihr benötigt?"
Axel reichte ihm ein eng bedrucktes Papier. "Das sind alle unsere Wünsche. Zwanzig Exemplare pro Karte, bitte. Und auf DVD, bitte. Für unsere GPS-gebundenen virtuellen Karten."
Stirnrunzelnd nahm der Leutnant den Zettel entgegen und überflog ihn. "Okay... Okay. Ja, das ist alles machbar. Kein Problem. In zwei Tagen haben Sie das alles. Ich schicke es regulär mit der Dienstpost an Sie raus, Oberleutnant Herwig." Den Zettel in der Hand haltend erhob sich der Leutnant. "Wenn es das gewesen ist, werde ich Sie jetzt wieder verlassen, meine Herren. Ich hatte einen langen Tag, und meine Nacht wird kurz." Er drückte jedem der drei Männer die Hand. "Und wenn Sie meinen Rat möchten: Bleiben Sie doch von Anfang an bei der Wahrheit."
"Eine Frage noch, Herr Leutnant", sagte Axel schnell, "den amerikanischen Satelliten betreffend. Steht das Ding immer noch so, dass es Belongo sehen kann?"
"Ja, und da wird er noch eine ganze Zeit bleiben. Die Amis parken das Ding da oben aus wirtschaftlichen Gründen, hat man mir gesagt."
"Und wir haben Zugriff auf die Kameras?", hakte er nach.
"ICH habe Zugriff, Herr Herwig."
Niklas fühlte das Bedürfnis, sich die Rechte an die Stirn zu schlagen. Axel hatte noch eine Idee gehabt, das war nicht zu überhören gewesen.
"Nun, dann kommen wir vielleicht noch auf Sie zurück, Herr Leutnant. Livebilder eines Satelliten könnten bald über Leben und Tod entscheiden."
Klaus lachte amüsiert. "Nehmen Sie ein gutes Internet mit runter, wenn Sie mich kontaktieren wollen. Und benennen Sie eine Wasserpumpe nach mir. Meine Herren, einen schönen Abend noch."
Er nahm seine Dienstmütze auf, nickte ein letztes Mal in die Runde, und verließ die Wohnung.

"Na, was habe ich euch gesagt?", ereiferte sich Bernd. "Lief doch alles bestens."
"Wenn das bestens ist, möchte ich dein schlecht nicht erleben", sagte Niklas grimmig.
"Ach kommt, Leute. Wir haben doch was wir brauchen. Oder vielmehr Ihr habt was Ihr braucht."
"Also, ich fand, das wir klang schon ganz gut, Bernd", sagte Axel gedehnt. "Wir können durchaus noch Leute gebrauchen."
"Nicht, dass ich gerade keine Zeit hätte", murmelte er gedehnt. "Und die Aussicht reich zu werden ist ja auch nicht zu verachten. Aber... Niklas, du weißt es doch am Besten, was wir da unten brauchen. Zu dritt ist das nicht zu schaffen. Man braucht da schon eher eine Kompanie oder mehr. Und dann das Material. Es muss Feuchtigkeitsresistent sein und vielseitig einsetzbar. Wir müssen die Topographie und das Gelände studieren. Und wir müssen damit rechnen, dass uns die Regierungstruppen, die Rebellen oder alle zusammen hart zusetzen werden, solange wir in der Region sind. Jeeps, Motorräder, Scharfschützengewehre, Munition, Hubschrauber, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Vielleicht brauchen wir sogar Panzer. Und wenn wir schon mal bei einer Kompanie sind, woher sollen wir die nehmen? Der durchschnittliche Söldner wird dir mit Freude die Kehle durchschneiden, wenn er dadurch Besitzer eine Diamantenmine werden kann."
"Na, das klingt doch schon gut strukturiert", sagte Axel optimistisch. "Und du hast schon wieder wir gesagt."
"Was soll ich sagen? Irgendwie habe ich das dumpfe Gefühl im Magen, dass Ihr ohne mich verloren seid. Niklas kann sie drillen und kommandieren. Ich kann meine Kontakte nutzen und uns die Ausrüstung zusammen kaufen und nach den Diamanten suchen. Du leitest die Operation und machst den ganzen Verwaltungs- und Verhandlungs-Scheiß. Aber woher die Leute nehmen? Es sollten auch ein paar Schwarzafrikaner darunter sein, am Besten solche, die die Landessprachen sprechen, als Kundschafter. Und, und, und. Ach ja, da habe ich das Problem der Ärzte noch nicht angesprochen. Wir müssen auch Ärzte und Sanitäter mit runter nehmen. Oder glaubst du, in der unruhigsten Region ganz Ndongos geht es ohne Verletzte und Tote ab? Und dann ist da noch das Gerät, das wir für den Abbau der Diamanten brauchen werden. Mein Gott, ich will damit gar nicht erst anfangen."

"Meike", sagte Niklas sofort.
"Meike?", echote Axel. "Das ist nicht dein Ernst."
"Ausgerechnet Meike? Ich reiße dein Herz raus und trample darauf rum-Meike?" Bernd lachte gehässig. "Die Frau, die dir die miesesten drei Jahre deines Lebens beschert hat?"
"Sie ist Ärztin. Sie sucht eine Anstellung. Und früher hat sie mich immer damit genervt, für ein Jahr freiwillig in die armen Länder der Erde zu gehen oder auf diesem Ärzteschiff zu arbeiten. Ehrenamtlich, natürlich."
"Noch besser, sie ist Unfallchirurgin. Aber sie wird nicht mitmachen, wenn wir ihr sagen, dass wir da runter gehen, um Diamanten zu suchen", sagte Axel nachdenklich.
"Na, dann lassen wir sie eben ihre karitative Arbeit machen und den Menschen ein paar Impfungen geben", ereiferte sich Niklas. "Überlege doch mal, Axel, wir wollten uns unsere neuen Nachbarn doch ohnehin gewogen machen. Wenn wir unseren Arzt die Runde machen lassen, dann sind sie mit Sicherheit netter zu uns als zu ihren Nachbarn mit M16' und Kalaschnikows."
"Ach, und du glaubst, wir exponieren unseren einzigen Arzt auf so unglaublich dämliche Weise?"
"Axel, was soll ihr passieren? Wir reden hier von Meike! In einer dunklen Gasse mit fünf Typen mit Messern, die mich in Streifen schneiden wollen, wen habe ich da am liebsten bei mir?"
"Meike!", intonierten die drei Männer zugleich.
"Dennoch, das ist nur Spaß. Wir können sie nicht...", begann Axel.
"Wir können sie fragen. Du weißt doch, Geld interessiert sie nicht. Nicht bei den Eltern. Aber wenn wir ihr das Abenteuer und ein wenig Sozialarbeit schmackhaft machen können... Vielleicht steuert sie auch ein wenig Kapital bei. Dann brauchen wir die Ertragslast nicht allein mit den fünf Millionen von Onkel Paul tragen."
"Meike also." Axel brummte unwillig. "Bist du immer noch nicht über sie hinweg?"
"Damit hat das nichts zu tun", erwiderte Niklas kühl. "Sie ist nur die einzige Ärztin, die wir kennen und die bereit wäre, bei diesem Wahnsinn mitzumachen. Oder, Bernd?"
"Lass mich da bitte raus. Wenn du dich wieder unglücklich machen willst, meinetwegen. Aber ich bin sehr froh darüber, dass sie mich nie gequält, oder noch schlimmer, sich für mich interessiert hat."
"Es ist nichts Persönliches! Nur reine Logik!", beharrte Niklas.
"Na, Hauptsache, du glaubst es selbst", sagte Axel jovial und tätschelte seinem Halbbruder die Schulter.
"Also haben wir eine Ärztin in Aussicht", sagte Bernd zufrieden. "Aber da stellt sich mir noch eine Frage: Wenn Ihr von Paulchen Trakener fünf Millionen für euer Steinchen kriegt, warum wollt Ihr da runter und noch mehr finden? Zweieinhalb Mille pro Nase, das reicht doch für euch."
"Ja, aber nicht für dich, Bernd", erwiderte Axel grinsend. "Und wenn es einen Menschen gibt, den ich gerne reich machen will, dann bist du das."
"Du brauchst mir keinen Honig ums Maul zu schmieren. Ich bin schon mit von der Partie", erwiderte er.
Axel grinste schief. "Außerdem haben wir die Chance, richtig reich zu werden. Ich meine, so wirklich richtig. ALDI-reich. Abgesehen davon wird das eine spannende Erfahrung für uns, oder? So ein richtiges Abenteuer."
"Na, ich weiß nicht. Kennt einer von euch den Film "Die Wildgänse kommen"? Ich will ja keine Parallelen ziehen", murrte Niklas.
"Zu spät. Ich sehe es gerade vor mir, und es gefällt mir nicht", sagte Bernd. "Verdammt, musstest du mich runter ziehen?"
"Wir sind aber nicht die Wildgänse, und wir haben auch mehr als einen Tag Zeit, um unser Ding durchzuziehen. Außerdem sind wir unsere eigenen Auftraggeber. Wer sollte uns also hängen lassen? Wir uns selbst?" Axel lachte laut auf. "Sicher nicht. Also, Bernd, überleg dir mal genau, was wir da unten brauchen könnten, auch ohne die Karten einzusehen. Und überlege, wie wir das zusammen kriegen. Unser Budget ist fünf Millionen Euro. Und dann müssen wir uns überlegen, wie wir Meike bequatschen und die restlichen Leute zusammen bekommen."
"Bleibt es bei einer Kompanie? Ich hätte da vielleicht den einen oder anderen Kontakt..."
Axel legte einen Arm um Bernds breite Schultern. "Siehst du. Und genau aus diesem Grund sind wir zu dir gekommen. Du kennst praktisch jeden, nicht wahr?"
"Fast jeden. Wenn er schon mal eine Waffe in der Hand gehalten hat."
"Ich lasse dir vollkommen freie Hand. Schaffe ran, wen immer du willst."
"Okay. Ich überlege mal. Wir brauchen Pioniere für die Erdarbeiten und um das Camp zu bauen. Sechs bis acht Mann und Gerät. Hubschrauber. Wir brauchen mindestens vier Hubschrauber. Am besten gut bewaffnet. Einen in der Wartung..."
"Wieso einen in der Wartung?", fragte Axel verblüfft."
"Wenn die Dinger bei der Luftfeuchtigkeit im Dschungel funktionieren wollen, ist immer einer in der Wartung", sagte Bernd.
"Moment, wir wissen doch gar nicht, was für ein Gelände uns da erwartet."
Niklas lachte gehässig auf. "Heißer Dschungel. Nasser, heißer Dschungel."
"Einer ist also immer in der Wartung", sagte Bernd feixend. "Und einer muss uns mit der Außenwelt verbinden. Axel, wir brauchen einen externen Stützpunkt, über den wir zusätzliches Material kriegen, und über den wir die Diamanten ausfliegen können. Falls wir tatsächlich welche finden. Es ist dann wesentlich besser, wenn die Steinchen nach Möglichkeit nicht lange im Camp bleiben. Das weckt nur Begierlichkeiten."
"Wozu der externe Stützpunkt?", fragte Niklas. "Wir nehmen Vorräte für einen Monat mit runter, und fertig."
"Ein Monat kann sehr lang werden. Und bedenke bitte eines: Selbst mit vier Hubschraubern kriegst du das Material nicht auf einen Schlag runter. Halt, halt, ich weiß genau, was du jetzt sagen willst. Ob wir dann nicht mit weniger Material und Leuten auskommen, und so. Niklas, da unten herrscht Faustrecht. Und du willst doch mit Sicherheit einer von denen sein, der Recht behält, oder? Na siehste. Also eine Kompanie, ein externer Stützpunkt. Da brauchen nicht viele sein. Nur eine kleine Firma und eine Lagerhalle auf einem Flugfeld. Dazu ein großer Transporthubschrauber und eventuell ein zweites Wartungsteam. Mensch, da bietet sich doch Panadia an. Grenzt ja schon an Belongo. Hast du von deiner Befreiung noch ein paar Kontakte über, Niklas?"
Nachdenklich strich sich der Oberleutnant übers Kinn. "Es gibt da einige Leute, die nichts gegen eine illegale Aktion hinter der Grenze sagen würden, einfach weil es Ndongo schadet. Fragt nicht warum. Ist so ne Koloniegeschichte. Wenn man hier und da ein wenig schmiert, sollten wir einen sehr sicheren Hafen haben. Zufällig kenne ich da auch ein Flugfeld, das größtenteils zivil genutzt wird. Über das haben sie mich ausgeflogen. Die haben vor meiner Nase geschmuggelt, und allen war es egal."
"Das klingt doch viel versprechend. Ich frage mich, ob Boxie Lust hat, mitzumachen."
"Boxie?"
"Ah, ein ehemaliger Bundeswehrpilot. Hubschrauber. Man hat ihn raus geschmissen, weil er... gewisse Macken entwickelt hat."
"Bernd, deine Freundschaften in allen Ehren, aber ich will keine Psychopathen", sagte Axel streng.
Abwehrend hob Bernd die Arme. "Kein Psychopath. Er hat einfach nur diesen Tick. Der ist nicht schlimm, wirklich nicht. Und er ist ein guter Pilot, und kennt auch eventuell ein paar Leute. Piloten, Techniker, und so. Dann brauchen wir mindestens einen weiteren Arzt, Sanitäter, ein paar Leute, die dich bei der Verwaltung unterstützen, Axel, einen Haufen Infanteristen, ein paar Scharfschützen, und vielleicht auch noch Panzercrews."
Niklas räusperte sich vernehmlich. "Statt Panzer solltest du lieber Panzerfäuste mitnehmen. Wir sollten auf Flexibilität setzen, nicht auf angreifbare feste Stellungen. Ich gebe die Mine lieber auf und erobere sie zurück, als zerquetscht zu werden, weil ich mit dem Rücken zur Wand stehe."
"Falls wir sie überhaupt finden", sagte Axel.
"Falls wir sie überhaupt... Also wirklich, großer Bruder. Jetzt sei mal konstruktiver. Es ist deine Idee."
"Jedenfalls rede ich morgen mit Boxie. Wollt Ihr mitkommen? Anschließend gehen wir gleich zu Fräulein Herryhaus und bequatschen sie zu dritt. Für die Pioniere fällt mir sicher auch noch jemand an. Ich kenne da einen Oberfeldwebel, der hat sich in den Kopf gesetzt, mit vierzig eine neue Lehre anzufangen und der Bundeswehr den Rücken zu kehren. Wenn er die Schnauze voll von Schreinerarbeiten hat, macht er vielleicht mit. Und er kennt auch 'nen ganzen Haufen ehemaliger Zeitsoldaten. Da sind auch Scharfschützen und Fallschirmjäger dabei."
"Stopp! Mir schwirrt der Kopf. Ruf deinen Oberfeldwebel meinetwegen an, aber erwähne die Diamanten nicht. Das gilt für alle hier. Wir erklären unser Ziel nur Leuten, von denen wir sicher sind, das sie uns nicht sofort umbringen, sobald das Wort Diamantenmine fällt. Oder bei denen wir wissen, das sie uns erst umbringen, wenn wir nichts finden. Okay?"
"Meinetwegen, Axel. Du bist der Boss."
Der ältere Herwig schnaubte amüsiert. "Das bin ich wohl wirklich, oder? Also gut, Jungs. Fahren wir morgen diesen Boxie besuchen, und danach schrecken wir Meike aus ihrem langweiligen Alltag auf, um ihr ein Abenteuer zu bieten. Ach, und wenn du schon dabei bist, Bernd, kümmere dich gleich mal um Waffen. Einer wie du kommt doch sicher unauffällig an G3 oder G36 ran, oder?"
"HK33. Das sind G3, die auf NATO-Standard-Munition modifiziert sind. Ich schätze mal, die kriegen wir da unten leichter als den alten Bundeswehr-Standard. Und natürlich nehmen wir die gute alte P8 mit. Und HK35. Die verballern beide den gleichen Munitionstyp."
"Ja, ja, das überlasse ich alles dir. Und wenn du kannst, treibe auch gleich noch ein paar KSK-Leute auf."
Verständnislos gegenüber dieser Tagträumerei schüttelte Bernd tadelnd den Kopf. "Axel, jetzt fängst du an zu spinnen. Nie im Leben kriegen wir auch nur einen von denen."
"Äh, wie auch immer. Wir sind im Geschäft. Und morgen früh besuchen wir deinen paranoiden Freund, und danach Meike."
"Er ist nicht paranoid. Seine Macke ist nicht schlimmer, als die meisten Menschen mit sich rumschleppen. Nur seine sieht man wenigstens", murrte Bernd.
"Wie auch immer. Ist dir neun Uhr Recht? Müssen wir weit fahren?"
"Nur rüber nach Bremen. Stunde hin, Stunde zurück. Neun Uhr ist gut. Dann sind wir spätestens gegen zwölf zurück, und dann ist Meike auch aufgestanden."
Die Herwig-Brüder grinsten verräterisch. "Also, dann bis morgen um neun, Bernd." Niklas klopfte dem alten Freund auf die Schulter, Axel schüttelte ihm die Hand.

Während sie zu Niklas' Wohnung fuhren, fühlte Axel noch mal vorsichtig vor. "Weißt du, wenn das doch was Persönliches ist, dann kannst du mir das ruhig sagen. Dann sorge ich dafür, dass dich niemand stört, wenn du versuchst..."
"Ach, Axel, das weiß ich doch zu schätzen. Aber ich bin einfach nicht Manns genug, um es mit Meike aufzunehmen. Das Schlimmste ist, obwohl sie mich so fertig gemacht hat, bin ich immer noch mit ihr befreundet. Sie hat es nicht zugelassen, dass ich mich nicht mehr melde, oder ihr aus dem Weg gehe. Sie ist so... Resolut. Sie ist ein Albtraum. Okay, nicht optisch, aber ansonsten ist sie furchtbar. Sie überwältigt jeden. Ich frage mich, ob man so geboren wird, oder ob man das erlernen kann. So ähnlich muss es gewesen sein, wenn man damals mit Kennedy zu tun hatte."
"Na, dann hast du ja nichts dagegen, wenn ich es versuche, oder?", scherzte Axel. "Sie ist eine schöne Frau, und ihre Persönlichkeit stört mich nicht."
"Nur zu, sei mein Gast. Dann bleibt sie wenigstens in der Familie."
Die beiden Brüder lachten wie über eine gelungene Pointe.
"Sag mal", meinte Axel, als er beinahe das Mehrfamilienhaus mit Niklas' Wohnung erreicht hatte, "hast du eigentlich Polizeischutz, oder so?"
"Polizeischutz? Ist dir die Diamantensache zu Kopf gestiegen? Ich bin suspendiert, mehr nicht."
"Na, dann erkläre mir bitte mal diesen auffällig-unauffälligen Schrank von Kerl, der Kettenrauchend vor deiner Haustür steht. Also, einer deiner Nachbarn ist das nicht."
Axel hielt den Wagen an. "Ich steige lieber mit aus. Wenn er Ärger sucht, werfe ich mich dazwischen, und während er mich verprügelt, rufst du die Bullen."
"Hat dein Arzt schon mal was wegen deinem Verfolgungswahn gesagt?", stichelte Niklas.
"Ja, und zwar, dass man nicht ausschließen kann, tatsächlich verfolgt zu werden." Axel verließ den Wagen, Niklas zögerte. Es war zwar dunkel, aber der große Kerl hatte eindeutig zu ihm herüber gesehen und ihn erkannt. Wenn man lange genug mit Menschen zu tun hatte, Rekruten, Mitarbeitern, Soldaten fremder Länder, dann musste man sehr schlecht sein, um nichts zu lernen.
Nur zögernd öffnete er die Tür, während Axel schon zwischen ihm und dem Riesen stand. "Kann ich Ihnen helfen?"
Der große Mann musterte ihn launisch. "Ich möchte gerne mit Oberleutnant Herwig sprechen."
"Dann müssen Sie zuerst mit mir reden. Ich bin sein Chef derzeit."
"So?" Der Mann hob spöttisch eine Augenbraue. "Sie sehen nicht aus wie ein Bundeswehroffizier."
"Das habe ich auch nicht behauptet. Aber immerhin habe ich es bei den Panzerfahrern bis zum Stabsgefreiten geschafft. Was wollen Sie von meinem Bruder?"
"Das ist privat", schnarrte er als Antwort.
"Wie passend. Mein Bruder und ich teilen alle privaten Dinge."
Mittlerweile war Niklas ausgestiegen und hinzu getreten. "Lass gut sein, Axel. Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir?"
Der Mann musterte den Oberleutnant eindringlich, dann nickte er schließlich und zündete sich eine neue Zigarette an. "Der Marsch über zweihundert Klicks Dschungel ist Ihnen gut bekommen, wie ich sehe."
"Es gab genug zu essen, und ich konnte das Wasser aufbereiten. Woher wissen Sie davon? Es stand nichts in der Zeitung."
"Ach, wissen Sie, ich wollte mir nur mal den Arsch anschauen, der meine Karriere vernichtet hat, und mich vergewissern, dass er es wert gewesen ist."
"Ihre Karriere vernichtet?" In Axels Kopf schien es laut und vernehmlich Klick zu machen. "Jetzt erzählen Sie mir nicht, Sie gehören zu den KSK-Leuten, die runter geflogen sind, um Niklas zu retten."
"Beeindruckende Kombinationsgabe, Herr Stabsgefreiter. Leutnant Hannes Malicke, zu Diensten. Ich war unten zuständig für die Indizienverwertung. Ich sollte Sie finden, Oberleutnant. Und dann sollte ich Ihre Befreiung leiten. Und dann, als ich meinen ersten echten brauchbaren Hinweis bekam, als meine Jungs schon im Hubschrauber saßen, um Sie raus zu hauen, wurde der Einsatz abgebrochen. Wissen Sie, wie dämlich ich da stand, als ich hören musste, dass ein paar popelige Ranger Sie gerettet haben? Nicht mal eine panadische Spezialeinheit, eine simple Army-Patrouille! Das Sternchen war stinksauer und hat mich gleich ein Vierteljahr kalt gestellt. Wahrscheinlich schmeißt er mich auch noch raus. Und dann nehmen die Kampfschwimmer mich auch nicht mehr zurück."
"Und was tun Sie jetzt?", fragte Axel vorsichtig.
"Nun, Ihr Bruder hat zwar meine Karriere zerstört, aber er kann nichts dafür. Und er scheint mir ein solider Kerl zu sein, also bin ich ihm nicht böse, weil er sich nicht hat von mir retten lassen. Also, wie wäre es, wenn Sie mich auf irgend etwas Alkoholisches einladen, und wir tauschen ein paar Details aus? Ich möchte zu gerne wissen, wie es in Gefangenschaft war. Und wie Sie es geschafft haben, in dem Klima bei den Norm-Klamotten, mit denen Sie ausgestattet waren, so schnell so weit zu laufen. Ich habe Sie fünfzig Klicks tiefer im Land gewähnt, mit wund gelaufenen Hacken und Blasen groß wie Äpfel an den Füßen."
"Wenn Sie nichts gegen meinen alten Kumpel Johnny Black Label haben, fühlen Sie sich eingeladen, Malicke", sagte Niklas. "Tut mir leid, das Sie meinetwegen Ärger hatten. Ein Vierteljahr sind Sie suspendiert, sagten Sie?" Er schloss die Tür auf und bot den beiden Männern Einlass. "Ich glaube, wir haben uns einiges zu erzählen."

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Themenstarter Thema begonnen von Ace Kaiser
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Am nächsten Morgen - man war auf Malickes Audi A 8 gewechselt, weil der Wagen schneller war als Axels guter alter Passat - warteten sie zu dritt auf Bernd.
Als der übergewichtige Mann, noch immer kauend, in den Wagen sah, runzelte er die Stirn. "Soll ich nicht besser fahren? Ihr seht nicht so aus, als wärt Ihr dafür schon wieder in der Lage. Sie sind also Leutnant Malicke."
"Tach, Herr Assay. Quetschen Sie sich nach hinten zu diesem Überredungskünstler Axel. Meinen Wagen fährt niemand anderes als ich."
"Wie Sie meinen", seufzte Bernd und setzte sich hinten rein.
Als die Tür zuschlug, stöhnte Axel gequält auf. "Mensch, Bernd, das ist eine Autotür, kein Scheunentor." Er zwinkerte ein paarmal. "Können wir uns irgendwo saure Heringe besorgen? Ich habe Kopfschmerzen."
"Hör auf zu jammern, du Mädchen. Du wolltest nach dem Johnny ja noch unbedingt den Jamaica Rum trinken. Jetzt hast du deinen Willen gehabt, und es ist dir auch wieder nicht Recht. Komm, Hannes, fahr zu. Mit ein bisschen Glück schläft er wieder ein, und wir haben unsere Ruhe."
Der KSK-Leutnant ließ ein Geräusch hören, das irgendwo zwischen gequältem Stöhnen und zustimmenden Knurren lag. "Also, ich fand das mit den Heringen keine schlechte Idee", sagte er mit gepresster Stimme. Er blinkte und fuhr auf die Straße zurück.

"So, so. Ihr drei Wahnsinnigen wollt also in Afrika Diamanten suchen gehen", stellte Malicke fest, während sie auf der A1 Richtung Bremen fuhren.
"Wir vier Wahnsinnigen", korrigierte Niklas. "Du kommst schließlich mit."
"Noch so ein Abenteurer?", argwöhnte Bernd.
"Wie man es nimmt. Ich bin ein Vierteljahr suspendiert. Wegen Unfähigkeit. Und bevor ich die Hände in den Schoß lege, will ich lieber was Sinnvolles tun. Zum Beispiel ein paar deutsche Staatsbürger beschützen, oder ein paar Scharfschützen kommandieren. Etwas in der Art."
"Check", sagte Bernd nur, während er gelangweilt aus dem Fenster sah. Trotz des sicherlich vorhandenen Restalkohols fuhr der Herr Leutnant sicher und mit guter Reaktionszeit. KSK eben. Wer nicht über einige hervorragende Eigenschaften verfügte, bekam die Truppe nicht mal zu sehen.
"Check?", fragte Malicke.
"Ach, Bernd ist unser wandelndes Faktotum. Er hat im Kopf eine Liste für unseren grandiosen Trip, und eben gerade hat er einen Posten auf der Liste abgehakt", erklärte Niklas grinsend. "Wofür hast du denn den guten Hannes eingeteilt?"
"Na, für die Infanterie natürlich. Du übernimmst ja das Oberkommando. Aber jemand muss ja die ganzen Typen mit den Gewehren herum scheuchen.. Wenn es recht ist, Herr Leutnant."
Malicke winkte ab. "Ich bin mit allem zufrieden, solange es sinnvolle Arbeit ist, die ich kann. Ich hätte auch als Dolmetscher gedient. Ich kenne den Wagonda-Dialekt einigermaßen. Dazu etwas Mende, Tuogi und ein paar Brocken Suaheli."
Bernd grinste über das ganze Gesicht. Augenscheinlich war er mit seiner Aufteilung zufrieden. "Ach ja, ich habe meinen Oberfeld kontaktieren können. Wie ich es mir gedacht habe, hängt es ihm zum Hals raus, der Stift zu sein. Er hat sich vorgenommen, den nächsten Monat sterbenskrank zu sein und eine andere Klimazone aufzusuchen, wo er in Ruhe gesunden kann."
"Heißt diese Klimazone etwa Subtropen?", fragte Niklas gut gelaunt.
"Wie hast du das nur erraten? Und jetzt kommt das Beste: Er bringt ein paar seiner Pionier-Freunde mit. Mach dir also darum mal keine Sorgen."
Axel grinste, trotz seiner Kopfschmerzen. "Ich wusste, es war eine gute Idee, die Sache in deine bewährten Hände zu geben, Bernd."
"Ich gebe zu, es macht richtig Spaß, die Sachen zusammen zu stellen. Zur Zeit jage ich nach Hubschraubern, die wir gebrauchen können. Ich habe da so ein paar Sowjet-Modelle im Auge, die ganz brauchbar sind und die die Russen auch nach da unten verscheuert haben. Die kriegt man einerseits recht günstig, weil es da unten nur wenige qualifizierte Piloten für diese Dinger gibt, und andererseits kann man sie hinterher auch wieder verkaufen. Irgend einen Abnehmer hat man immer, wenn der Preis stimmt."
"Und dein Boxie kann die fliegen?", fragte Axel.
"Boxie kann alles fliegen."
"Nur mal so Interessehalber, Herr Assay, warum heißt Ihr Freund Boxie?"
"Das können Sie sich gleich selbst ansehen. Hier bitte ab."
"Jetzt bin ich gespannt", murmelte Axel.

Sie erreichten ein kleines, privates Flugfeld, das für die neuartigen Mini-Hubschrauber Verwendung fand. Von hier aus starteten die Piloten der winzigen, offenen Maschinen mit ihren zahlenden Kunden, um die Wesermarsch, das Wattenmeer und die Inseln zu überfliegen.
Einer dieser Piloten war Boxie, und er widmete sich mit großer Hingabe der Wartung seines Gyrocopters.
"Nein", sagte er, bevor Bernd überhaupt etwas sagen konnte.
Der große Mann seufzte. "Darf ich vorstellen? Michael Draeger, Leutnant der Reserve und ausgebildeter Pilot für den Kampfhubschrauber Eurocopter, den sogenannten UH Tiger."
"Angenehm. Axel Herwig. Das ist mein Bruder Niklas, Oberleutnant bei den Panzerjägern. Und der große freundliche Herr ist Leutnant Hannes Malicke von den KSK. Und den guten Bernd Assay kennen Sie ja schon."
Leidlich interessiert ließ Draeger für einen Moment von seiner Arbeit ab. "Wenn Sie einen Rundflug wollen, bin ich Ihr Mann. Wenn Sie meine Zeit stehlen wollen, können Sie wieder gehen."
Axel zückte sein Portemonnaie und griff nach einem Fünfhundert Euro-Schein. "Was kostet denn ein Rundflug?"
Diese Erwiderung ließ ein freudiges Lächeln über Draegers Gesicht huschen. "Ich hole schnell meine Meerschweinchen."
Axel fand die Antwort irritierend. "Nein, nein, wir müssen nicht fliegen. Ich will Sie nur für die Zeit bezahlen, Herr Draeger."
Das Lächeln verschwand. "Dann nicht."
"Wieso eigentlich Meerschweinchen, Herr Draeger?"
"Wieso eigentlich keine Meerschweinchen, Herr Herwig?", konterte er.
Bernd grinste wissend. "Und genau deshalb nennt man ihn Boxie. Er fliegt nur mit seinen Meerschweinchen an Bord. Er ist der festen Überzeugung, dass sie ihm Glück bringen. Und das sie ohne das Fliegen gar nicht mehr leben können."
"Und das stimmt ja wohl auch und ist empirisch bewiesen", wetterte Draeger. "Die medizinischen Untersuchungen haben ergeben, dass sowohl der Pilot als auch die Meerschweinchen einen geringeren Ruhepuls haben, wenn wir gemeinsam an Bord sind! Das wollte die Bundeswehr aber nicht wahrhaben!" Er zuckte die Achseln. "Jeder Mensch hat seine Macken. Ich weiß nicht, warum ausgerechnet meine jetzt so schlimm sein soll."

Die vier Männer wechselten vielsagende Blicke. Mit Macken und Menschen kannten sie sich aus.
"Mensch, Boxie, jetzt hast du uns so lange zugehört, jetzt kannst du dir doch auch den Rest anhören, oder?", säuselte Bernd.
Draeger seufzte verhalten. "Mach's kurz, Bernd."
"Wir brauchen jemanden, der ein Team übernimmt. Drei bis vier Besatzungen für Kampfhubschrauber in einer subtropischen Region in Afrika. Aufsicht über das Team, die Wartungsmannschaft und Herstellung der Einsatzbereitschaft. Eventuell Kampfeinsatz. Die Maschinen werden russische Mi-24 sein, wenn alles so läuft wie ich mir das erhoffe."
Draeger sah den Dicken an, als hätte er ein Alien vor sich. "Hallo, Bernd, nur weil die Bundeswehr mich rausgeschmissen hat, werde ich doch kein verdammter Söldner! Und überhaupt, die Sache stinkt doch, wenn ein Panzerjäger und einer von den KSK auftauchen, und nicht ein einziger Goldstern dabei ist! Haut wieder ab, ich habe zu tun."
"Vielleicht sollten wir doch einen Rundflug machen", bot Axel an und hielt den Schein hoch.
"Vergessen Sie's. Gehen Sie einfach nur wieder. Es gibt nichts, was mich dazu bringen könnte, Ihnen noch eine Sekunde länger zuzuhören. Wahrscheinlich sollte ich die Feldjäger benachrichtigen, oder noch besser, die Polizei."
"Aber fehlt dir denn das Fliegen in einem richtigen Flugzeug nicht, Boxie? Überleg doch mal, eine Mi-24. Vielleicht original Mi-24D! Und ein richtiger Einsatz, mit einer Crew, die du handverlesen darfst", sagte Bernd beinahe verzweifelt. "Und das Ganze dauert nur einen läppischen Monat, bringt garantiert zehntausend Euro und eventuell einen satten Bonus!"
"Ich sagte, vergiss es. Ich bin kein Söldner und werde auch kein Söldner. Und erst Recht werde ich keine internationalen Gesetze brechen, Tod und Elend über Zivilisten bringen und dergleichen."
Ratlos wechselten die Männer Blicke miteinander. "Bernd, es hat wohl keinen Sinn."
"Aber er ist gut! Boxie hat die Marotte mit dem Meerschweinchenkäfig, aber er ist richtig, richtig gut! Und er kann führen, das verspreche ich! Wir dürfen nicht aufgeben! Er ist einer der Besten!"
"Hör auf mir zu schmeicheln! Ich mache es nicht, nicht mal für hunderttausend Euro", brummte Draeger.
Irgendwo schien es Klick zu machen. Niklas kannte dieses Geräusch zur Genüge. Es bedeutete, dass Axel eine Idee hatte. Normalerweise ein Umstand, den er zu fürchten gelernt hatte. Aber diesmal war er erstaunlicherweise gespannt darauf, was der Bursche für eine Idee hatte.
Axel räusperte sich vernehmlich. "Gut, wenn Sie wirklich nicht wollen, Leutnant der Reserve, Draeger, dann können wir hier abbrechen." Er wandte sich um und winkte den anderen, ihm zu folgen. Während sie dahin schritten, rief er ohne sich umzuwenden: "Dabei hätten Sie Ihre Meerschweinchen mitnehmen dürfen, Boxie! Wir hätten in jeden verdammten Heli entsprechende Halterungen einschweißen lassen! Einen schönen Tag noch!"
"Einen Moment mal! Verscheißern Sie mich jetzt? Ich darf Willi und Antoinette mitnehmen? Wann immer ich aufsteige?"
Verblüfft starrte Niklas seinen Bruder an. Wie hatte er das nur wieder gemacht?
Axel wandte sich um und lächelte gewinnend. "Bei jedem einzelnen Flug. Ihre Meerschweinchen werden als mindestens so essentieller Bestandteil Ihres Flugplans behandelt wie einer Ihrer Piloten." Axel deutete auf den Gyrocopter. "Wie wäre es denn jetzt mit einem Rundflug, Herr Draeger?"

Eine halbe Stunde später landete die schlanke Maschine wieder, im hinteren Tandemsitz einen leicht durchgefrorenen Axel Herwig. Leichtfüßig sprang Draeger aus seinem Sitz und ging zum seitlich angehängten Käfig für seine Meerschweinchen. "Gell, euer Fell hat euch warm gehalten, meine Lieben. Ihr seid nicht so wie der dumme Onkel hier, der meinte, mit einem einfachen Hemd könne man in einem offenen Hubschrauber fliegen."
"Na schönen Dank auch, das Sie mich nicht gewarnt haben", knurrte Axel ärgerlich und nieste ein paarmal.
"Was ist passiert?", fragte Niklas.
"Er hat die Wahrheit aus mir herausgepresst. Immer wenn er meinte, ich würde etwas verheimlichen oder nicht ehrlich sein, hat er sich einen dicken, kalten Wind ausgesucht, in den er rein geflogen ist." Axel nieste erneut. "Verdammt effizient, dieser Boxie. Ich will ihn haben, unbedingt."
"So, so", sagte Draeger, öffnete den Käfig und setzte seine beiden Lieblinge zu Boden. Dort blieben sie neben seinen Füßen liegen. "Ihr plant also eine Diamantenlagerstätte in Ndongo zu finden und auszubeuten. Das erklärt, warum Ihr mit Bernd arbeitet. Er kennt so ziemlich jeden, der mal eine Waffe getragen hat." Nachdenklich nahm er eines der Meerschweinchen auf. "Was hältst du denn davon, Antoinette? Der liebe Onkel hier hat mir versprochen, ich darf mir meine Leute selbst zusammenstellen. Und mir fallen da wirklich ein paar gute ein, die einen Monat Zeit hätten. Und Ihr dürft immer mitkommen, wenn ich fliege." Er schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. "Aber warum erzähle ich dir das denn? Du hast doch alles mitgehört, genau wie der Willi."
Draeger sah Niklas in die Augen. "Der Chef hat mir volle Kompetenz auf meinem Spezialgebiet gewährt, Herr Oberleutnant."
"Ich gebe Ihnen die Ziele vor. Die müssen Sie erreichen, mehr verlange ich nicht. Mehr verstehe ich vom Luftkampf auch nicht", erwiderte Niklas.
"Dann haben Sie soeben eine Flugstaffel rekrutiert. Wann und wo sollen wir uns melden?"
"Sie meinen jetzt sich und die Meerschweinchen?", fragte Malicke sarkastisch.
"Nein, ich und die Crews und Wartungsleute."
"Das hat noch ein paar Tage Zeit", sagte Bernd. "Es dauert noch etwas, bis ich weiß, was ich da unten für Flugzeuge kriege, und vor allem wie viele. Aber plane schon mal für mindestens drei Mi-24 und einen großen Transporter."
"Du willst das Gerät mit einem Hubschrauber ins Gebiet bringen, nicht mit einem Transportflugzeug?", fragte Draeger verdutzt.
"Ich weiß nicht, ob wir mal eben eine achthundert Meter lange Landebahn mitten aus dem Dschungel planieren können", erwiderte Bernd sarkastisch.
"Gut, dann such mir 'ne Mi-24D. Die Russen habe dieses Jahr einhundert ältere Modelle aussortiert, und wie ich gehört habe, gingen zwanzig nach Gjenja, und davon wurde die Hälfte weiter verkauft."
"Woher weißt du das denn schon wieder?", fragte Bernd stirnrunzelnd.
"Internet, und ein paar Helibegeisterte russische Freunde. Wollen Sie auf die Kälte einen Tee oder gleich einen Grog, Chef?"
"Ein Grog ist eine gute Idee", erwiderte Axel. "Himmel, ich glaube, ich werde nicht mehr warm."
"Keine Sorge. Wir fahren ja hiernach zu Meike. Und die heizt dir schon ein, vertrau mir", scherzte Niklas.
"Ach ja, da war ja noch was."
***
Wer nach Blankenese kam, der lernte zwei Dinge schnell zu schätzen: Den wunderbaren Blick auf den und vom Elbhang, und die stattlichen großen Häuser. Diese Häuser sagten: Hier wurde Geld verbaut, und das nicht wenig. Eines dieser Häuser, eine Stadtvilla aus der Jahrhundertwende, das sich ehrfurchtgebietend auf dem Hang erhob, hatte es der Zweckgemeinschaft besonders angetan. Es war ein ganz besonderes Haus - die Brüder Herwig hatten hier jederzeit freien Zugang, ganz so, als wären sie die Söhne des Besitzers.
Als sie also an dem Gebäude mit der stattlichen Anzahl vom fünfunddreißig Zimmern klingelten - die alten Gesinderäume nicht zugerechnet, die aber heutzutage anderen Zwecken dienten - ließ sie Herr Worms, der Hausdiener, sofort ein. "Herr Axel Herwig, Herr Niklas Herwig, es tut gut, Sie wieder zu sehen. Herr Bernd Assay, Sie leben noch? Und wen bitte darf ich in Ihrem Fall melden?"
Malicke räusperte sich vernehmlich, während Bernd mit einem Augenrollen über die Worte des Hausdieners hinweg ging. "Hannes Malicke, ein Freund von den Herren Herwig."
"Ah. Ein Freund der Herren Herwig. Der ist im Herryhaus-Anwesen natürlich gerne gesehen. Es gibt Ausnahmen", sagte Herr Worms mit einem zweideutigen Blick auf Bernd. "Bitte folgen Sie mir. Lediglich Fräulein Meike ist anwesend, in der Bibliothek."
"Was hat er denn gegen dich?", flüsterte Malicke in Bernds Richtung.
"Ist eine lange Geschichte", erwiderte Bernd vorsichtig.
"Und sie beinhaltet Schnaps, den jüngsten Sohn des Hauses, die Putzhilfe und zwei kaukasische Bordsteinschwalben, wenn ich mich recht entsinne", fügte Niklas grinsend hinzu.
"Jannik hat sich nicht beschwert, wenn ich mich recht erinnere", protestierte Bernd.
Herr Worms sah über seine Schulter zurück. "Nein, das hat der junge Herr Jannik tatsächlich nicht. Es ist auch eher die Indiskretion, Herr Assay, die uns zu schaffen macht. Wir wissen, dass es... Viele Dinge auf der Welt gibt, die unsere Zöglinge noch nicht kennen, und dass sie eines Tages mit ihnen konfrontiert werden. Einzig es sachlich zu tun und..."
"Heimlich?", half Axel aus.
"Danke, Herr Herwig. Einzig es sachlich zu tun und heimlich, das ist die Herausforderung. Seien Sie einfach froh, dass es nur ein einziger Streifenwagen war, Herr Assay. Ansonsten hätte ich Sie nur unter Protest eingelassen." Herr Worms sah wieder nach vorne und ging stur seiner Wege.
"Eines interessiert mich noch. Die Putzhilfe?", fragte Hannes.
"Auch das ist eine lange Geschichte. Eine lange, merkwürdige Geschichte." Niklas unterdrückte ein Glucksen. "Mit sehr merkwürdigem Ausgang."

"Fräulein Meike, Sie haben Besuch. Es sind die Brüder Herwig, Herr Assay und ein Herr Hannes Malicke."
"Es ist gut, Jürgen, lass sie rein kommen. Und gewöhne dir endlich ab, mich Fräulein zu nennen. Sage einfach... Ach, vergiss es."
"Wie Sie wünschen, Fräulein Meike."

Axel und Niklas stiegen auf die Zehenspitzen und streckten sich nach links. Als Herrn Worms kein Gegenstand undefinierbaren Gewichts hinterher flog, sanken sie unisono wieder auf die Ballen. "Sie scheint gute Laune zu haben", sagte Axel und schritt mit Elan zur Tür aus.
Die anderen folgten ihm und traten in die Bibliothek ein. Herr Worms schloss hinter ihnen zu. Als die schwere Eichentür im Schloss klickte, ging Hannes ein kalter Schauder über den Rücken. Ein wenig fühlte er sich wie... In einer Falle.
Meike sah kurz auf als die Männer herein kamen. Dann widmete sie sich wieder ihrem PC und einem Stapel aufgeschlagener Bücher auf einem der Arbeitspulte der Bibliothek. "Kommt ran, Jungs, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit. Um es kurz zu machen, ich komme mit."
"Wie, du kommst mit?", fragte Axel erstaunt.
Meike sah zu ihm herüber, mit einem Blick voller Wut und Esprit, der einen geringeren als ihn zurück getrieben hätte. Ironischerweise wichen Hannes und Bernd vor diesen Blick nach hinten. Es gab keinen Zweifel, die junge Frau war schön, aber auch leicht reizbar und sehr temperamentvoll. "Bernd hat gepetzt. Kaum das Ihr gestern seine Wohnung verlassen habt, war er hier und hat mir alles haarklein erzählt." Sie taxierte die Brüder ärgerlich. "Mir geht es nicht um eure Scheiß Diamanten. Aber ich lege euch da keine Steine in den Weg. Wenn Ihr wirklich etwas da runter bringt, was eine militärische Truppe sein könnte, und wenn sie gut genug ist, um auf internationale Regeln zu scheißen wenn es darum geht Menschen zu beschützen, die ich behandeln und impfen will, dann komme ich mit."
"Hör mal, Meike", wagte Axel einzuwenden, "ich weiß nicht, was Bernd dir alles gesagt hat, aber in erster Linie sollst du unsere eigenen Leute versorgen."
"Dann hat Bernd also gelogen, als er sagte, Niklas will meine karitative Ader ködern, indem er mich die Leute in der Umgebung behandeln lässt? Nein? Na also. Ich komme mit. Und ich suche mir mein Team selbst aus. Das Ihr übrigens wie eure Söldner entlohnen werdet. Aber die medizinische Ausrüstung werde ich selbst finanzieren. Zumindest die Erstausstattung an Material und Medizin.
Natürlich hat eure Diamantensuchersöldnerkollage Vorrang. Ein paar Sanis werden immer im Lager sein. Und sie werden auch meine Priorität sein. Aber ich weiß, dass Axel einen Haufen Versorgungsgüter mit runter nehmen wird. Werkzeuge, Pumpen, Solarzellen zur Stromerzeugung, und so weiter, um die Menschen in den Dörfern gewogen zu machen. Deshalb werde ich mit medizinischen Versorgungsgütern mit runter fliegen. Belongo ist ein Krisengebiet, ein rechtsfreier Raum. Mit einer normalen Hilfsorganisation wäre ich da nie hingekommen. Und Schutz durch internationale Hilfstruppen ist ein besserer Witz. Entweder plündern und morden sie selbst, oder sie helfen dir nicht, weil sie nur "beobachten" dürfen."
"Ist das jetzt gut oder schlecht, das Bernd geplaudert hat?", fragte Niklas nachdenklich.
"Natürlich gut, mein Schatz", sagte Meike entschlossen. "Hättet Ihr zwei mir irgendeinen Quatsch erzählt, und wäre ich später dahinter gekommen, dass es nur um Diamanten geht - oder noch schlimmer, hättet Ihr mir vorgespielt, dass es eine humanitäre Mission wäre - dann wisst Ihr, was euch geblüht hätte."
Abwehrend hob Axel beide Hände. "So etwas hätten wir nie versucht. Wir wären nur nicht gleich mit der Tür ins Haus gefallen."
"Na, das will ich euch mal glauben." Sie räusperte sich und deutete auf einen Packen Ausdrucke. "Ich habe schon ein paar Leute kontaktiert. Ich nehme voraussichtlich einen Junior-Arzt mit, dazu acht Sanitäter und zwei OP-Pfleger. Zwei Drittel werden Frauen sein. Ich hoffe, das stört euch nicht. Es ist einfacher, Hilfe von einer Frau anzunehmen als von einem Mann, behaupte ich mal."
"Es ist auch einfacher, eine Sonnenbrille aufzusetzen, wenn man mit dir redet, um nicht von deiner Schönheit geblendet zu werden, behaupte ich mal", versetzte Axel sarkastisch.
Meike seufzte ergriffen. "Ach, Axel, du bist soooo süß. Siehst du, Niklas, würde dir mal so was einfallen, wären wir immer noch zusammen."
"Spaß beiseite. Du übernimmst das medizinische Equipment, und die Medikamente?"
"Zumindest den ersten Schwung, Axel. Sollte deine Diamantenmine aber tatsächlich Profit abwerfen, dann will ich anteilig bezahlt werden - in medizinischen Versorgungsgütern."
"Meike, wir bleiben nur einen Monat. Höchstens."
"Ja, ist klar. Aber wie sagt Bernd doch immer: Keine Planung übersteht den Feindkontakt. Und ein Monat ist eine Menge Zeit. Nicht genug, um ganz Belongo zu retten, das ist mir klar. Aber ich will in dieser Zeit so viel schaffen wie ich nur kann." Sie ballte die Hände zu Fäusten. "Alleine hätte ich mich da nie runter gewagt. Niemals. Und ich hätte mir auch nicht zugetraut, so etwas wie militärischen Begleitschutz zu organisieren. Aber so, wie es gerade läuft... Ist das die beste Chance, um da etwas zu bewirken. Wenigstens etwas."
Axel stutzte. Es war kein Klick-Moment, aber er stutzte. "Woher kommt dein Interesse für Belongo, Meike-Schatz? Planst du schon länger, da runter zu gehen?"
"Nein, du Dummerchen. Erst seit dein Bruder sich da unten hat entführen lassen. Ich war drauf und dran, ihn selbst suchen zu gehen, weil die Bundeswehr zu blöde war, um ihn zu finden."
"Na danke für deine Sorgen", sagte Niklas.
Hannes fügte mit vor Zorn geröteten Wangen hinzu: "Wir waren ihm mit zwei Einheiten der KSK dicht auf den Fersen! Einen Tag länger, und wir hätten ihn selbst befreit, Frau Herryhaus."
Meike merkte auf. "Ach, Sie waren das da unten? Und haben Ihren Job von Rangern der panadianischen Armee erledigen lassen?" Sie sah Axel an. "Den willst du mitnehmen?"
"Wieso nicht? Dich nehme ich ja auch mit."
"Hm", machte sie, teils ärgerlich, teils amüsiert. "Dein Bruder konnte mich schon immer besser kontern als du, Niklas." Bevor der jüngere Herwig aber etwas sagen konnte, wandte sie sich wieder Hannes zu. "Aber Sie sagen nicht dieses schreckliche Fräulein-Wort zu mir, und Sie behandeln mich mit Respekt. Ich glaube, ich sehe da Hoffnung für Sie, junger Mann."
"Wie überaus großzügig von Ihnen."
"Vorsicht, hier in diesem Haus ist nur einer sarkastisch, und das bin ich.
Habt Ihr schon einen zentralen Rekrutierungsort und eine Kaserne, die Ihr nutzt, um die Leute zu sammeln?"
"Nein, aber Bernd hat schon ein paar Kontakte spielen lassen."
"Gut. Ihr könnt sie hierher einladen. Und wenn ich schon dabei bin, ab jetzt bitte ich um mehr Geheimhaltung. Sehr viel mehr Geheimhaltung."
"Wir sollen die Söldner hier im Haus unterbringen? Das wird Herrn Worms nicht gefallen", sagte Niklas.
"Wieso nicht? Dann wird es endlich wieder etwas lebhafter. Und wir machen es ja auch... Diskret."
Meike lächelte ihr strahlendstes Lächeln, und die Herwig-Brüder mussten leise lachen. Man konnte Meike nicht hassen. Das war das Problem mit ihr.


2.
"Name, Qualifikation und wenn vorhanden, Dienstrang." Die Worte kamen Hannes Malicke recht flüssig über die Lippen, waren für ihn Routine geworden. Er saß zwar hier und nahm eine Vorerfassung der Männer und Frauen auf, die ihnen von Boxie, Meike oder Bernd geschickt wurden, aber eigentlich hakte er nur Namen ab. Auch wenn die tatsächliche Erfahrung der Leute in Krisengebieten oder gar Kampfsituationen meistens nicht vorhanden war, die Qualifikationen überraschten Hannes. Er hatte mit Söldnermaterial gerechnet. Psychopathen, gestrandeten Seelen, eiskalten Mördern und Vergewaltigern; eben das, was man im Klischee erwartete, wenn es um Söldner ging. Diese Menschen aber, die aus welchen Gründen auch immer Bundeswehr, US Army, die Fremdenlegion, die britische Armee oder die Armee der Grande Nation verlassen hatten, entsprachen in keiner Weise diesem Klischee. Das beruhigte Hannes, denn er hatte sich schon ausgemalt, mit harter Hand regieren zu müssen, mit schussbereiter Pistole unter dem Kopfkissen. Andererseits konnte ihm der eine oder andere Sadist oder Psycho bereits durchgerutscht sein, und da musste er wachsam sein. Nicht wenige Sadisten, die Spaß am Töten hatten, entlarvte man erst dann, wenn man es versäumt hatte, sie zu stoppen.
Doch die Menschen, die hier anstanden, um ihre zehntausend Euro für einen Monat Arbeit plus Bonus einzukassieren, waren vieles, gestrandete Existenzen, Disziplinverweigerer, Individualisten, aber gewiss keine klassischen Söldner.
Hannes sah auf, als keine Reaktion erfolgte.
Der ältere Mann vor seinem Tisch räusperte sich vernehmlich. "Herryhaus, Thomas D., Professor für Politik."
Hannes fühlte, wie ein gewisses Gefühl der Taubheit in seinen Körper einzog, gepaart mit Entsetzen. Zögerlich tastete er nach dem Knopf der alten Gegensprechanlage. "Meike, hast du einen Augenblick Zeit?"
"Was gibt es denn? Ich bin mit meinem Team gerade beim Check-Up für den Mobilen OP."
"Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber Professor Thomas Herryhaus will sicherlich nicht bei uns anheuern, oder?"
Hannes hatte vieles erwartet, ertappte Stille, Panik, vielleicht eine erste hastige Entschuldigung. Aber sicherlich keinen quiekenden Freudeslaut, gefolgt von einem Menschen, der sehr schnell eine Treppe herablief. Keine Sekunde darauf hing Meike am Hals des älteren Mannes. "OPA!"

Der gesetzte Herr ließ die Liebkosung seiner Enkelin über sich ergehen. "Meike, mein Engel, das hier, das ist doch nicht das, wonach es aussieht, oder?"
Hastig löste sie sich von ihrem Großvater. "Nun, nach was sieht es denn aus?"
Der alte Herryhaus runzelte die Stirn. "Eine Sportgruppe im Garten, im blauen Saal tagt eine Judo-Runde, im roten Saal werden Gewehre zerlegt und zusammengesetzt, du sitzt im ersten Stock und bereitest einen Feld-OP vor, und Herr Worms kocht mit einem vierköpfigen Team Mahlzeiten für fünfzig Personen... Bitte sag mir nicht, du willst dich mit Waffengewalt in ein Krisengebiet aufmachen. Und habe ich vorhin nicht Bernd Assay gesehen?"
Abwehrend hob sie beide Hände. "Es ist nicht so, wie du denkst. Jedenfalls nicht vollkommen so wie du denkst. Axel hatte eine Idee, und..."
"Axel? Du sprichst hier doch hoffentlich nicht von Axel Herwig."
"Soll ich ihn vielleicht herrufen? Er sitzt gerade im Pionier-Meeting und spricht das Gerät ab", bot Hannes an.
Der Blick von Meike war scharf genug, um unter das Kriegswaffenkontrollgesetz zu fallen. "Danke. Du bist mir keine Hilfe."
"Also doch Axel Herwig." Ernst sah der Großvater die junge Herryhaus an. "Mein kleines Mädchen, ich weiß, dass du gerade nichts zu tun hast. Und ich weiß, dass dir die Herwig-Jungs ohnehin keine Bitte abschlagen können. Aber sag mir jetzt nicht, du lässt dir von dem armen Jungen militärischen Beistand organisieren, nachdem du ihn um den Finger gewickelt hast. Junge Dame, dein hübsches Gesicht ist keine Waffe, und so solltest du es auch nicht einsetzen."
"Keine Sorge, Thomas. Wenn ich auf etwas hereinfalle, dann ist das Meikes prächtiger... Charakter." Axel kam, Niklas im Schlepp, nun auch gerade die Treppe runter. Er trat vor den Professor und schüttelte ihm die Hand. "Freut mich, dich mal wieder zu sehen, Herr Professor."
"Ich weiß noch nicht, ob es mich freut. Hallo, Niklas." "Thomas." Der Händedruck der beiden war wie ihre Blicke. Stark unterkühlt und wie ein toter Fisch.
Hannes lehnte sich bequem nach hinten. Er war sich sicher, Axel würde schon eine Show abliefern, die sich lohnen würde.

"Na, wie gefällt dir die Aktion, Thomas?", fragte Axel mit einer weit ausholenden Geste.
"Das weiß ich noch nicht. Was habt Ihr denn vor mit dieser Aktion?"
"Diamanten."
"Aha. Diamanten."
"Du glaubst mir kein Wort?"
"Das siehst du richtig. Meike ist mit drin, und ich weiß, welche Macht sie über Männer hat, die nicht mit ihr verwandt sind. Besonders über euch zwei Herwig-Brüder."
"Gut, gut, ich gebe zu, Meike hat mich bequatscht, und sie darf humanitäre Hilfe durchführen, zu der meine Truppen Geleitschutz bieten", gestand Axel ein.
"Oh, wir kommen der Sache näher", erwiderte der Professor.
"Aber es geht hier wirklich um Diamanten. Allerdings müssen wir die erst mal finden."
"Und wir schweifen wieder ab."
Niklas hob eine Hand. "Thomas, wenn ich vielleicht erklären könnte..."

Etwa zwanzig Minuten später in der Bibliothek, und nach einem ausführlichen Telefonat mit Paul Trakener, in dem das Wort "Diamanten" aber sicherheitshalber nicht einmal gefallen war, legte Thomas Herryhaus sein Handy auf und steckte es fort. "Belongo also. Die unruhigste Region Zentralafrikas mit Mord und Totschlag an der Tagesordnung." Die Brüder Herwig nickten unisono.
"Und Ihr rechnet mit einer Lagerstätte in dieser Region?"
Wieder nickten sie gemeinsam. Axel deutete auf Bernd, der gerade dabei war, ein paar Bundeswehrkarten auszubreiten. "Wir haben drei Regionen identifiziert, in denen die Diamanten liegen könnten. Dieses Kiesplateau hier ist entstanden, als in der letzten Eiszeit genau hier ein Fluss geflossen war. Die Strömungsrichtung verweist auf das Puakamu-Gebiet, in dem es ein Nest erloschener Vulkane gibt. Dann haben wir hier unseren eigenen Feuerberg, den AFZ-21. Er wurde von den Belgiern klassifiziert, aber nicht weiter erforscht, als sie Ndongo kontrolliert haben. Dort könnte eine primäre Lagerstätte stecken. Und da wäre noch diese Hügelkette, die durch ein paar große Erdbeben vor zirka fünfhunderttausend Jahren einmal umgefaltet, also auf den Kopf gedreht wurde. Zuvor war es eine Ebene, die Sedimentengrund eines Meeres gewesen war. Der Haken bei der Geschichte ist, alle drei Regionen liegen recht weit voneinander entfernt. Und nur das Kiesplateau ist in der Nähe von Ngali."
"Weshalb Ihr dort zuerst suchen werdet."
"Weshalb wir dort zuerst suchen werden", bestätigte Axel.
"Und Ihr raubt den Menschen da unten ihre Bodenschätze, und alles was sie als Ausgleich bekommen, das sind ein paar Spritzen gegen Tropenkrankheiten, eine Wasserpumpe pro Dorf, und ein großes Hinweisschild für jede randalierende Miliz im Umkreis, das besagt, dass einige Dörfer in Belongo plötzlich für Plünderer was zu bieten haben."
"Genau das, Thomas."
"Und das alles für?"
"Diamanten. Diamanten, die uns reich machen werden. Nicht Thomas-reich, nicht Herryhaus-reich, sondern ALDI-reich."
"Und dafür opfert Ihr eure Integrität, eure Menschlichkeit und eure Würde? Ihr bestehlt die Ärmsten der Armen und verschlimmert ihre Situation auch noch?", tadelte Thomas.
"Wir haben dich nicht um Erlaubnis gefragt, und das müssen wir auch nicht, Opa", sagte Meike ungewohnt scharf. "Du kannst ja ruhig im sicheren und reichen Deutschland bleiben und dir sagen, dass jede Intervention die Situation nur noch verschlimmert. Ich hingegen will es wenigstens versuchen." Ihr Blick war Stolz, Trotz und eine recht große Anzahl an Ärger.
Axel knurrte: "Setz dich, Meike."
"Aber du hast doch gehört, was.."
"Ich sagte, setz dich, Meike!" Nachdem sich die junge Herryhaus gesetzt hatte, wandte sich Axel dem Großvater zu. "Thomas, es geht hier nicht nur darum reich zu werden. Es geht hier auch darum, ein paar verletzte Egos zu reparieren. Niklas wurde suspendiert, weil er sich von den Falschen retten ließ. Hannes Malicke wurde suspendiert, weil er Niklas nicht zuerst retten konnte. Und dann sind da noch die Rebellen, die Niklas da unten verschleppt haben, und die Regierungstruppen, die es zugelassen haben, dass er verschleppt wurde. Wenn wir direkt unter ihren Nasen Diamanten fördern und in bare Münze wandeln, was meinst du, wie gut das den beiden tun wird?"
"Und wenn es zu Kämpfen kommt, dann..."
"Können sie zeigen, was es bedeutet, Offizier der Bundeswehr zu sein, und ob sie sich mit internationalem Standard messen können."
"Ist denn das Ego zweier Männer ein paar Tote, vielleicht ein paar hundert Tote wert?", konterte Thomas.
"Weiß nicht. Sag du es mir, Herr Siebzehnjähriger Flakhelfer bei der Wehrmacht."
"Ein Toter, der gewaltsam zu Tode kommt, ist tot, und jemand hat ihn ermordet. Junge, ich war im Krieg, und ich weiß, dass aus der Gewalt nur neue Gewalt entsteht. Deshalb war ich auch immer so enttäuscht von Niklas, als er zum Bund ging. Hat du denn nichts aus meinen Erzählungen gelernt, Junge?" Thomas schüttelte den Kopf. "Nein, das ist so falsch, so richtig falsch."
"Weißt du was passiert, wenn die Mine von der Regierung entdeckt wird? Du glaubst doch nicht, dass die angrenzenden Dörfer das Glück haben, lediglich deportiert zu werden", sagte Axel scharf.
"Aber wenn Ihr da unten buddelt und wieder abfliegt, dann werden sie sehr genau wissen, wo sie suchen müssen."
Axel grinste. "Oder auch nicht. Was, wenn wir in unserer Zeit da unten eine Route etablieren, um die Diamanten außer Landes zu kriegen, selbst wenn wir fort sind? Was, wenn sich die Menschen da unten einen gewissen Wohlstand ergraben können?"
"Axel, sowas ist nicht abgesprochen", zischte ihm Niklas zu.
"Es gibt zu viele Volksgruppen in diesem Gebiet. Zu viele verschiedene Meinungen. Zu viele Milizen, zu viele Waffen, zu viel Gewalt. Wie willst du dich dagegen stemmen, mit fünfzig Mann und ein paar Waffen, ohne einen Stamm zu bevorzugen und alle anderen zu übervorteilen?"
"Vielleicht werden wir, nachdem wir reich geworden sind, mehr zurücklassen, als ein Loch in der Erde?" Nachdenklich klopfte Axel mit den Fingerkuppen der Rechten auf die Tischplatte. "Vielleicht hinterlassen wir eine funktionierende Mine, wachsenden Wohlstand für die Region und stabile Verhältnisse?"
"Vielleicht hast du aber auch nur deine Diamantengräber, die sich mitten im Urwald ihren Elfenbeinturm des Reichtums bauen,beschützt von Gewalt und Terror, während es allen anderen noch schlechter geht? Wie willst du das also schaffen? Wie, mein Junge? Das frage ich dich."
Axel atmete heftig aus. "Thomas, du bringst uns nicht davon ab, es zu versuchen. Wir haben bereits einen Großteil des Geldes investiert, das wir für den Diamanten bekommen haben, Meike will ihre Chance darauf, in der Region etwas zu bewirken, und ich will sehen, was aus unserem Luftschloss wird. Ich will mein Abenteuer, und ich werde es definitiv bekommen!"

"Ah, jetzt kommen wir der Sache wieder näher", erwiderte der Professor amüsiert. "Das klingt schon eher nach Axel Herwig. Was also, wenn das Abenteuer dir entgleist? Wenn du die Menschen riskierst, die dir vertrauen? Wenn du mit deinen Plänen die Region zur Beute machst? Oder umgekehrt, wenn du die Region so stark machst, dass du die Beute bist? Oder die anderen Stämme Opfer werden?"
Axels Miene verhärtete sich. "Wir ziehen das in jedem Fall durch. Selbst wenn du uns die Bundespolizei, den Zoll, oder die Feldjäger auf den Hals hetzt."
"Dummkopf. Du weißt doch genau, dass ich das nicht tun werde." Thomas Herryhaus lehnte sich nach hinten. "Ihr braucht einen Diplomaten. Jemand, der versucht, für die Zeit eurer Anwesenheit und für die Zeit danach so etwas wie Stabilität zu erzeugen. Jemand, der sich die Zeit nimmt, notfalls mit jedem einzelnen Dorf zu sprechen. Der zu ihnen raus geht, und sie nicht zu sich kommen lässt. Jemand, der Mühe investiert."
"Ach, komm. Du bist, entschuldige, zu alt für solche Mühen", sagte Axel ernst.
"Ich rede ja auch nicht von mir. Ihr wisst, ich bin ja nun schon fast dreißig Jahre emeritiert und habe meine Stelle schon lange gegen eine Ehrenprofessur eingetauscht. Aber ich halte immer noch den Kontakt zu meiner Fakultät. Und da habe ich doch tatsächlich eine junge Bekannte. Schwarzafrikanerin, aber in der zweiten Generation in Deutschland geboren. Ihre Vorfahren stammen aus Lithopien, und sie ist koptische Christin, was für diese Region von Vorteil wäre, da es dort hauptsächlich Christentum und Naturreligionen gibt. Sie arbeitet gerade an ihrer Doktorarbeit, und sie könnte sowohl die zehntausend Euro als auch die Erfahrung im Feld gut gebrauchen."
Er musterte die vier Anwesenden lange Zeit. "Aufhalten kann ich euch wohl nicht. Aber vielleicht können wir die Sache dann so vorzeigbar wie möglich machen. Oder wenigstens den Schaden begrenzen, so gut wir können."
Er beugte sich vor und tippte auf die Karte von Panadia. "Ich übernehme die Firma auf dem Flugfeld, koordiniere die Versorgung und den Weitertransport der Diamanten und werte die Situation innerhalb und außerhalb der Region aus. Ihr geht rein, und... Versucht, es nicht noch schlimmer zu machen. Euer Eifer in allen Ehren, aber versucht es wenigstens. Dort unten leben Menschen, die in den meisten Fällen auch nur leben wollen, ihre Kinder groß ziehen wollen, und überhaupt nichts von einem gewaltsamen Tod halten. Also übertreibt bitte nicht, in keiner Beziehung." Er deutete auf eine Karte Belongos in einem größeren Maßstab. "Und vergesst bitte nicht, dass es einige internationale Firmen in der Region gibt, die Öl vermuten, die korrupte Bundesregierung gekauft haben, und beim ersten Anzeichen, das es sich lohnen könnte, mit einem weit größeren Söldnerheer einmarschieren werden als Ihr habt. Die dürften dann nicht so nett zur Bevölkerung sein wie Ihr."
"Siehst du? Ich sagte doch, pass auf die Großkonzerne auf", raunte Niklas seinem Bruder zu. "Der amerikanische Satellit steht nicht umsonst direkt über dem Land."
"Oh, das ist interessant zu wissen", sagte Thomas. Nachdenklich rieb er sich das Kinn. "Dann habt Ihr es mit Exronn oder GOP zu tun. Beide Firmen schreiben wahrlich kein Ruhmesblatt und sind auch nicht dafür bekannt, bei ihren Ölförderungen viel für die Bevölkerung zu tun. Denen traue ich es jederzeit zu, dass sie Agent Orange einsetzen, um die Region zu entlauben, damit sie es leichter beim Zielen haben."
Niklas räusperte sich."Noch scheinen sie kein Öl gefunden zu haben. Sonst wären sie ja schon da, oder?"
"Oder es lohnt noch nicht. Auf jeden Fall ist das das zweite Problem, wenn Ihr das Interesse der beiden Öl-Riesen weckt."
"Die interessieren sich hoffentlich nicht für Diamanten", wandte Niklas ein.
"Sei dir da nicht so sicher. Und wenn nicht sie, dann könnten sich ihre Söldner für einen kleinen Nebenerwerb interessieren." Thomas sah in die Runde. "Und wenn wir schon mal dabei sind, abgesehen von den Investitionen, die Ihr mit dem Geld für die Diamanten in Belongo tätigen werdet, wie geht Ihr mit der Bundeswehr um? Niklas, du glaubst doch nicht, dass du deine Karriere fortsetzen kannst, wenn die Sache raus kommt? Eventuell gibt es einen internationalen Haftbefehl aus Den Haag. Und wie sieht es mit den anderen Bundeswehrsoldaten aus? Ihr habt über fünfzig Mitwisser. Einer wird sich verplappern. Hier in Deutschland, oder unten in Belongo."
"Es ist nicht so, als würde ich der Bundeswehr nach diesem Eiertanz um meine Rettung besonders viel Loyalität schulden", erwiderte Niklas ärgerlich. Einen kurzen Moment später fügte er hinzu: "Aber danke für deine Sorge, Thomas."
Der alte Professor nickte bestätigend. "Du solltest eigentlich wissen, dass ich mich um alle meine Enkel sorge. Die, die mir geboren wurden, und die, die mir gegeben wurden."
Diese Vertraulichkeit ließ die Herwig-Brüder ebenso schmunzeln wie Meike. Die Offenheit und Herzlichkeit der Herryhaus-Familie war legendär, ebenso wie die Tatsache, dass sie ihre Bindungen penibel pflegte. Das war einer der Gründe, warum Niklas selbst nach der Trennung nie wirklich von Meike los gekommen war.
"Und wie sieht es mit Malicke aus? Er wird bestimmt keine Karriere mehr haben, wenn Ihr wieder kommt. Weder beim KSK, noch irgendwo sonst in der Bundeswehr. Ihr wisst doch noch gar nicht, ob Ihr die Diamanten auch findet, und anschließend ALDI-reich sein werdet."
"Wir gehen ein Risiko ein, ja", sagte Axel, "aber wir haben das mit Meike besprochen. Wir schützen in jedem Fall eine humanitäre Hilfsaktion vor. Und wenn deine Doktorandin hält, was du über sie versprichst, haben wir noch eine gute Ausrede mehr. Es geht ja auch nur um einen Monat."
"Hoffen wir, dass es mit einem Monat getan ist", sagte Thomas nachdenklich. "Ich werde mit Bernd vorab runter fliegen. Die Truppen sind beisammen, und der alte Gauner muss einen Großteil eures Materials vor Ort einkaufen, wie er sich ausgedrückt hat."
"Nimm Boxie und seine Leute mit, Thomas", sagte Axel nachdenklich. "Und die Besatzung für die Firma. Bereitet den Boden vor. Niklas gibt dir noch eine Liste mit seinen Kontakten, und sagt dir, wer welche Hemmschwelle beim Schmieren hat."
"Boxie?"
"Der Typ mit den Meerschweinchen", erklärte Niklas. "Ist ein richtig guter Pilot. Er und seine Leute können da unten schon mal die Flieger vorbereiten, die Bernd einkauft. Wenn wir mit dem Rest folgen, wäre eine funktionsfähige Basis richtig gut. Bernd weiß außerdem, welche Vorräte wir noch brauchen. Vieles kriegen wir in Deutschland gar nicht. Eigentlich wollte ich vorab mit Bernd runter, aber wenn du dich bis übermorgen frei machen kannst, wäre das super. Panadia verlangt übrigens kein Visum von EU-Bürgern."
"Gut. So machen wir das. Bleibt nur noch eine Frage zu klären, Jungs."
Erwartungsvoll sahen die Herwig-Brüder den Professor an.
"Kriege ich auch die zehntausend Euro Kopfgeld für die Mission?"
Die beiden raunten auf. "Als wenn du das nötig hättest, Thomas", beschwerte sich Axel.
Niklas winkte ab. "Du kriegst wie alle Führungsoffiziere deine drei Anteile, ob du willst oder nicht. Die zehntausend Euro werden auf einem Treuhandkonto aufbewahrt und nach der Mission ausgezahlt. Wir leisten allerdings Vorschüsse. Wie viel brauchst du denn, Thomas?"
"Drei Anteile?"
"Wir teilen den Gewinn in zwei Hälften. Eine ist für die Betriebskosten und das Material, auch für die Hilfsgüter", erklärte Meike, "die andere Hälfte ist unser Reingewinn und wird anteilmäßig aufgeteilt. Niklas, Axel, Bernd, ich, Hannes, Boxie und Oberfeldwebel Kram kriegen je drei Anteile. Die Hubschrauber-Piloten und die Unteroffiziere kriegen zwei Anteile, und das gemeine Fußvolk kriegt einen Anteil. Je nachdem was und wie viel wir finden, kommen dabei ordentliche Summen zutage."
"Das ist also der Bonus, von dem Ihr gesprochen habt. Das könnten stattliche Beträge werden", staunte Thomas.
"Wir haben uns dazu entschlossen, wenn, dann alle reich zu machen. Wenn wir im günstigsten Fall in Diamanten schwimmen, sollen auch alle profitieren können", sagte Niklas.
"Und wie viele Anteile kriegt Paul?"
"Ach der", meinte Axel mit einer wegwerfenden Handbewegung, "wenn er keinen Profit aus dem Weiterverkauf bezieht, dann kann ich ihm auch nicht helfen."
"Gutes Argument. Es wird nur schwierig, euren Bergkristall in die EU zu schmuggeln. Das ist ein Rechtsbruch, der euch garantiert noch zu schaffen machen wird", mahnte Thomas.
"Oh, daran haben wir noch gar nicht gedacht. Wir wollten die Rohdiamanten zwischen geologische Proben packen und einfach per Post nach Deutschland schicken. So etwas hat im Diamantenhandel eine lange Tradition. Und wenn sie erst mal hier sind, ohne dass der Zoll was mitgekriegt hat, sind wir eh sicher."
"Vielleicht. Vielleicht auch nicht." Nachdenklich strich sich der Professor übers Kinn. "Was meint Ihr, Jungs, hat der alte Knabe vielleicht ein bis zwei Wochen Zeit, um mit runter zu kommen? Keine Sorge, ich habe eine Idee, eine sehr gute Idee, die alle rechtlichen Probleme in der EU erledigen kann. Auf einen Schlag. Und die euren Gewinn deutlich erhöht."
"Mach, was du willst, aber ruf vorher deine Diplomatin an, okay? Sie ist dabei, für zwei Anteile."
"Heide."
"Wie, Heide?"
"Heide Schuster ist ihr Name. Sie kommt aus Bayern."
"Klingt für mich jetzt nicht sehr schwarzafrikanisch", sagte Niklas lächelnd.
"Zweite Generation, angepasst", meinte Axel mit einem Schulterzucken. "Ich freue mich jedenfalls auf die Zusammenarbeit."
"Gut, dann ist das beschlossen. Bleibt mir nur noch, euch Hitzköpfe davor zu warnen, dass der Zoll wegen Verstoß des Kriegswaffenkontrollgesetz hier einfällt. Also seid nicht so leichtsinnig."
Erstaunt wechselten die Herwig-Brüder einen Blick. "Ach, du meinst die Waffen, mit denen die Leute trainieren? Das sind doch nur alte Restbestände mit ausgegossenen Läufen. Die haben da Blei reingekippt, und jetzt sind die Dinger nur noch als Keulen zu gebrauchen. Sie gelten jetzt nicht mehr als Kriegswaffen. Also, so viel Umsicht hättest du uns aber zutrauen müssen, Thomas", erwiderte Niklas in einem fast schon beleidigten Tonfall. "Die richtigen Waffen gehen auf den Weg, wenn wir mit der Truppe runter fliegen."
"Ich sehe, ich habe euch nicht unterschätzt. Das wird ein sehr interessanter Monat, glaube ich." Thomas erhob sich. "Ich gehe wieder, meine Vorbereitungen treffen. Sagt Bernd, er soll mich anrufen, damit wir uns koordinieren können. Und dieser Boxie... Warum Meerschweinchen?"
Axel feixte Niklas zu. "Warum keine Meerschweinchen, Thomas?"
"Warum habe ich nur eine normale Antwort erwartet?", seufzte der Professor. "Also, Jungs, Meike, wenn alles läuft wie es soll, sehen wir uns in spätestens einer Woche in Panadia."
"An uns soll es nicht scheitern." Axel erhob sich, um den Professor zur Tür zu geleiten.

Als sich die Tür des Bibliothek hinter den beiden geschlossen hatte, seufzte Meike erleichtert auf und ließ den Kopf in den Nacken sinken. "Uff, das war knapp, so richtig knapp. Ich dachte schon, Opa zieht uns den Hosenboden stramm. Aber glücklicherweise scheint ihm langweilig zu sein." Sie sah zu Niklas herüber. "Du scheinst nicht besonders beunruhigt gewesen zu sein."
"Ja, wären es Klaus, Ute oder beide zusammen gewesen, dann hätte ich mir Sorgen gemacht", sagte Niklas. "Deine Eltern können furchtbar sein, wenn sie ihre Meinung durchsetzen."
"Keine Sorge, ihre Südostasien-Mission dauert noch ein halbes Jahr", sagte Meike grinsend.
"Das beruhigt mich. Und nein, ich war nicht beunruhigt." Niklas klopfte sich mit dem linken Zeigefinger gegen die Nase. "Findest du es nicht merkwürdig, dass Thomas ausgerechnet mitten in unseren Vorbereitungen sein Sylter Ferienhaus verlässt und bei uns rein platzt?"
Meike fuhr hoch. "Du meinst, uns hat jemand verpetzt?"
Niklas schüttelte nachdrücklich den Kopf. "Nein, ich halte es für einen Zufall. Denn wenn es keiner ist, dann hat jemand... Ein sehr gewagtes Spiel gespielt, um Thomas an Bord zu holen. Und wenn das wirklich der Fall ist, dann kenne ich meinen eigenen Bruder nicht gut genug. Oder glaubst du, Bernd war auch bei Thomas petzen?"
Meike winkte ab. "Eher nicht. Ich habe ja schon Bedenken, wenn die beiden gemeinsam nach Panadia fliegen. Also Axel, hm? Hoch gepokert und gewonnen."
"Ich glaube, das macht ihm mittlerweile Spaß. Hoffentlich pokert er nicht die ganze Zeit so hoch. Der Pott könnte uns sonst weh tun, wenn wir ihn verlieren."
"Wir haben Notfallpläne", schränkte Meike ein.
"Notfallpläne greifen immer erst, wenn schon jemand gestorben ist", erwiderte Niklas mit Ärger in der Stimme.
"Es ist dein Job, zu verhindern, dass es überhaupt so weit kommt, oder?", stichelte sie. "Und Opa analysiert die Großwetterlage für uns. Was wollen wir mehr?"
Niklas seufzte. "Keine Kämpfe, freundliche Nachbarn, und ein richtiges Vermögen wären nett."
Sie zuckte die Achseln. "Mal sehen, was sich ergibt."
"Ja, darauf läuft es wohl hinaus", meinte Niklas mit einem dünnen Grinsen.
"War das nicht von vorne herein der Plan?"
Die beiden tauschten einen Blick und begannen zu lachen.
***
Ein Haus mit stolzen fünfunddreißig Zimmern hatte auch fünfunddreißig Geschichten zu erzählen. Und fünfunddreißig Einrichtungen aufzuweisen. Mehrere der größeren Zimmer, auch Säle genannt, konnten problemlos mehrere Menschen aufnehmen. Einige der Zimmer bildeten kleine Suiten und waren den Hausherren vorbehalten. Andere waren Gästequartiere und wurden von den derzeitigen, sehr militärischen Gästen belegt. Die ehemaligen Gesinde-Quartiere dienten als Lagerräume für das Material, das bereits in Deutschland erworben hatte werden können. Also alles was in Deutschland billiger war und nicht unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fiel. Und auch hier dienten einige Räume als Unterkunft. Heutzutage hätte man sie Besenkammer genannt. Um die Jahrhundertwende jedoch hatten sie als "unanständig groß für Bedienstete" gegolten.
Auf heutige Zeiten gemessen wagte es niemand, mehr als zwei Leute hier rein zu quetschen, ohne eine Meuterei zu riskieren. Dass in einem der Zimmer auf den Feldbetten allerdings sieben Personen saßen, hatte andere Gründe.
Die ehemaligen Militärs, die hier beisammen hockten, Karten spielten und gemeinsam Bier und härteren Alkohol genossen, rekrutierten sich nicht nur aus einem Teilbereich dieser merkwürdigen Koalition. Drei waren Pioniere, einer Mechaniker, zwei Infanteristen, und der Letzte kam aus der kleinen Stabsgruppe, die Axel Herwig direkt unterstützen würde.
Es war schon eine recht fortgeschrittene Stunde, und am nächsten Tag würden sie bereits das Material verladen und mit einem Charterflug gen Afrika fliegen. Da aber ein Nachtflug geplant war, inklusive einer Ankunft im Morgengrauen - dadurch, das sich Belongo und Deutschland auf dem gleichen Längengrad befanden, erübrigten sich die gefürchtete Zeitumstellung und der Jetlag - hatten sie bis in den frühen Nachmittag Dienstfrei. Mit einem frühen Wecken, geschweige denn einem Angriff war auch nicht zu rechnen, also taten die Soldaten das, was Soldaten immer zu solchen Zeiten taten, nämlich sich nach Kräften zu amüsieren. Die beiden Frauen und fünf Männer beherzigten diesen soldatischen Grundsatz so sehr, dass jeder Bundeswehrabgänger vor Ehrfurcht hätte erstarren müssen, wäre er dieser Szene gewahr gewesen.
Zwei der Männer rauchten. Aus Rücksicht auf die Überzahl an Nichtrauchern jedoch nur Elektrozigaretten. Dennoch gaben sie ihr Bestes, um den Raum mit Wasserdampf einzunebeln. Einfach, weil eine gute Rauchwolke zu einer Pokerpartie dazu gehörte. Wenn es nach ihrer Meinung ging, zumindest. Gespielt wurde um kleine Chips, die keinen reellen Wert besaßen. Es war auch kein Gegenwert vereinbart worden. Man spielte einfach nur um des Spiels willen.

"Ich gehe mit und lege fünfzig zum Sehen", sagte José Cordoba zufrieden, schob die Zigarette vom linken in den rechten Mundwinkel, und bemühte sich dabei, nicht wie zwanzig auszusehen.
"Okay, deine fünfzig zum Sehen, Pionier", sagte Helene Grundler und legte ihre Chips dazu.
Die beiden waren die letzten in der Runde, und nun schlug die Stunde der Wahrheit. "Was hast du?"
"Einen Flush."
Entnervt warf Helene ihre Karten ab. "Pärchen. Wie machst du das nur?"
"Nicht aufregen, Mädchen. Ich werde immer nervös, wenn euch Kehlenschlitzern der Blutdruck zu Kopf steigt", scherzte er und zog den Pott zu sich heran.
"Bei den Fallschirmspringern werden keine Kehlen aufgeschlitzt", sagte sie empört. "Wie kannst du nur so etwas behaupten?"
"Entschuldige, ich..."
"Wir perforieren die Halsschlagader und halten den Mund zu. Das geht viel schneller, glaub mir."
Entsetzt wich Cordoba bis zur Wand zurück. "Himmel, immer wenn ich glaube, mich kann nichts mehr erschüttern, setzt du noch einen obendrauf."
"Wer die Hitze nicht ab kann, soll halt nicht in die Küche gehen", frohlockte sie.
"Karten her", sagte Heinz Kleeman, "ich mische neu."
"Für einen Ami sprichst du wirklich gut deutsch, Heinz", lobte Helene und reichte ihm ihre Karten. "Deutscher Elternteil?"
Der Flugzeugmechaniker grinste. "Traditionsbewusste Eltern. Ich komme aus Chicago, Mädchen, und da sprechen wir immer noch deutsch Zuhause. Aber ohne meine vier Jahre Rammstein hätte ich wohl einen fürchterlichen Akzent."
"Was treibt dich eigentlich zu diesem Haufen?", klang die Stimme von Arlene Müller auf. Die zweite Frau der Runde gehörte zur Stabsgruppe, und damit außerhalb der Offiziere zu den Bestinformiertesten in dieser Truppe. "Ich meine, was kann dir der Ausflug hier schon bieten, außer zehntausend Euro plus Bonus?"
Heinz legte nachdenklich den Kopf schräg. "Boxie hat mich angeheuert. Er hat versprochen, dass ich an russischen Kampfhubschraubern basteln darf. Die zehntausend Euro sind für mich da eher ein Bonus."
"Boxie? Dieser Verrückte, der mit seinen Meerschweinchen fliegt?", klang die Stimme von Gerhard Süßback auf, dem zweiten Infanteristen im Raum.
"Das macht ihn nur exzentrisch, aber noch nicht verrückt", widersprach Heinz. "Ich kenne Boxie jetzt schon ein paar Jahre, und ich weiß, was er drauf hat. Und er weiß, dass ich für die Chance, eine Mi auseinander zu nehmen, mindestens einen Arm geben würde. So gesehen hat er mich erpresst, der Bursche."
"Ha, das liegt wohl einfach daran, dass Ihr Süchties alle so berechenbar seid", lachte Jens Reeser, der zweite Pionier der Runde.
"Kann sein. Was hat dich denn hierher getrieben? Lust auf den guten alten soldatischen Drill? Oder geht dir der Bonus nicht aus dem Kopf?" Heinz grinste schief. "Es ist ein offenes Geheimnis, dass es um Diamanten geht. Wenn wir da unten wirklich was finden, dann kann das die Grundzahlung ganz schön in den Schatten stellen. Diese Glitzersteinchen sind sehr teuer. Ich habe mal danach gegoogelt, und seither blendet mein Provider mir dauernd Diamantenwerbung ein, und die Dinger sind heiß begehrt. In der Modewelt, in der Industrie, in der Raumfahrt, und irgendwann stellen sie mit den Dingern serielle Laserwaffen her. Also solche, die ganz böse wehtun, nicht nur die Dinger, die wir jetzt schon fürs Markieren haben."
"Diamanten hin, Diamanten her, es gibt zehntausend Tacken, und die hätte ich gerne", erwiderte Reeser. "Davon abgesehen hat Bernd gerufen, und wenn er den Mund aufmacht, solltest du entweder den Raum verlassen, weil seine Recherchedatenbank einen Weg nach draußen sucht, oder gefälligst sehr gut zuhören."
Einige der anderen lachten. Auch sie waren von Bernd angeheuert worden.
Heinz nahm seine Karten auf. "Die drei Namen, die hier am Häufigsten fallen, dass sind Bernd Assay, Axel Herwig, und natürlich..."
"Niklas Herwig?", riet Arlene.
"Hannes Malicke?", riet Helene.
"Nein, Meike Herryhaus. Dass Ihr Frauen das nicht versteht, war mir klar", erklärte der Amerikaner grinsend.
"Ach, die ist doch auch nur promovierte Unfallchirurgin mit einem hübschen Gesicht", meinte Helene abwinkend.
"Bei dir klingt das so abwertend, und nicht so, dass wir es mit einer Wissenschaftlerin zu tun haben, die eines Tages unsere Leben in Händen halten könnte", warf der Letzte der Runde, Lars Rupert, ein.
"Na, dir kann schon nichts passieren, Herr Pionier", erwiderte sie pikiert. "Wer Erdkabel über Kopf verlegt, der ist vor Kugeln und Schrappnell immer gut geschützt."
"Bitte keine Pionier-Witze, sonst hole ich die Infanterie-Witze raus", sagte Rupert mahnend. Auch er nahm seine Karten auf. "Und falls es euch interessiert, ich bin, seit ich vor einem halben Jahr acht beim Bund abgerissen habe, arbeitslos. Für mich ist das eine wundervolle Gelegenheit, um mich ein wenig länger über Wasser zu halten. Ihr glaubt ja nicht, wie schwierig der deutsche Arbeitsmarkt ist, wenn man so blöde war, sich als Mannschaftsdienstgrad für acht Jahre zu verpflichten. Und das Talent, jede Brücke mit dem kleinstmöglichen Aufwand zu sprengen, bringt dir hier draußen auch nicht gerade viele Job-Möglichkeiten ein."
José runzelte die Stirn. "Was ist mit Minen? Kennst du dich mit Minen aus? Ich habe gehört, die haben in Belongo genügend Minen verlegt, um jeden Menschen da unten zweimal zu töten."
"Höre ich zum ersten Mal. Sollte mich aber nicht wundern. Immerhin ist das da unten Krisengebiet. Personenminen oder Panzerminen?"
"Ich weiß es nicht genau. Aber ich schätze hauptsächlich Personenminen, damit die amerikanischen Ölkonzerne weniger Sorgen um die Einheimischen haben, wenn sie das Öl in der Region abbauen wollen. Wenn keiner da ist, um sich zu beschweren, gibt es auch keine Beschwerde."
"Ach, komm, nun hol doch nicht den alten Kehricht mit den bösen amerikanischen Konzernen raus", sagte Heinz ärgerlich. "Die Chinesen sind da doch viel schlimmer. Die haben mittlerweile in vierzig Prozent aller afrikanischen Länder ihre Finger drin und übervorteilen die Menschen ganz schön, wenn es um billige Rohstoffe geht."
"Ach, und das macht die Amis sakrosant, oder was?", fragte Süßback sarkastisch. "Die anderen tun es doch auch, und das gibt uns Recht? Ich sage dir mal was zum Thema. Wir Weißen, und damit meine ich unsere europäischen Vorfahren, waren nicht gerade nett da unten. Seit die Belgier Ndongo besetzt haben, um aus den vielen Stammesgefügen einen großen Staat zu machen, hatten die Schwarzen kein schönes Leben. Sie wurden ausgebeutet, getötet, behandelt wie Menschen zweiter Klasse, ohne Rechte, ohne Widerspruchsrecht. Dann zogen die Belgier ab, in der Hoffnung, dass auf sie ein Bürgerkrieg folgen würde, in den sie anschließend eingreifen konnten. Aber den Gefallen taten ihnen die Ndongoianer nicht. Eine Zeitlang ging alles gut, bis sich dann die Großkonzerne für die Bodenschätze in Ndongo zu interessieren begannen. Erst dann begannen die Stammeszwiste. Damit, und natürlich auch mit dem irrsinnigen Gedanken, ganz Ndongo medizinisch, politisch und sozial auf europäischen Standard zu bringen. Was folgte, waren militärische Anarchie, Diktatur eines Polypols und Unterdrückung der verschiedenen Volksgruppen. Ist doch Ironie pur, oder? Da sitzen sie da unten auf genügend Bodenschätzen, um halb Amerika zu kaufen, aber es nützt ihnen nichts. Entweder bleiben sie in ihren Dörfern, und werden dort terrorisiert und ausgerottet, oder sie flüchten in die Städte, wo sie Armut, gesellschaftliche Demütigung und Elend erwarten. Und wer kriegt das Geld für die Bodenschätze? Bestimmt keine Ndongoianer, von einigen Politikern mal abgesehen, die sich tüchtig schmieren lassen."
"Wowowowowow. Tolle Rede, Mann. Aber da stelle ich doch zwangsläufig die Frage, was du bei unserem Haufen machst. Immerhin fliegen wir da runter um das Ndongianische Volk ebenfalls tüchtig zu plündern, ihre Bodenschätze auszubeuten und ihnen eine Nase zu drehen", sagte Helene.
Arlene Müller hob eine Hand. "Ist so auch nicht richtig. Wir tun ja was für die Leute. Zumindest mehr als alle anderen Interessengruppen, die in den Menschen vor Ort nur Störfaktoren sehen, die eliminiert gehören. Ich habe die Zahlen ja seit vier Tagen vor Augen. Was wir an Hilfsgütern und medizinischen Vorräten mitnehmen, das geht locker in den Bereich der Hunderttausenden. Das kommt alles allein aus der Tasche von Meike. Und sobald das erste Geld zurückfließt, das wir durch den Erwerb der Diamanten bekommen, soll ein Teil wieder in die Förderung fließen. Ich weiß zwar nicht, was wir in vier Wochen da unten großartig reißen wollen, aber anscheinend sind wir die nettesten Plünderer, die je da unten vorbei gekommen sind."
"Ach, ist ja nett. Das erinnert mich an den Tausch Handspiegel gegen Perle, den europäische Kaufleute in der Südsee betrieben haben."
"Gar nicht mal so dumm, der Vergleich. Für die Menschen der Südsee waren Perlen Abfall, aber mit Spiegeln konnten sie eine Menge anfangen", sagte Heinz nachdenklich. "Und ich denke, mit Impfstoffen und sauberen Verbänden können sie da unten mehr anfangen als mit Rohdiamanten."
"Aber was ist, nachdem wir da wieder abhauen? Was ist, wenn unser Monat um ist? Da wünscht man sich ja glatt, dass wir gar nichts finden, um die Region nicht zur Zielscheibe zu machen", merkte Helene an.
"Wenn der Monat um ist", sagte José bestimmt, und wälzte die Elektrozigarette erneut im Mund, "dann fliegen wir nach Hause und sind zehntausend Euro reicher. Dann haben wir ein kleines Abenteuer erlebt, und eventuell wartet ein Bonus auf uns. Aber ehrlich gesagt, für zehntausend Euro würde ich auch zwei Monate da unten bleiben." Er klopfte Reeser auf die breite Schulter. "Und eventuell haben wir ja auch ein wenig Zeit, um uns um die Minen zu kümmern. Falls da überhaupt welche liegen."
"Du", meinte Jens Reeser, "ich bin besser darin, sie zu legen als sie zu finden und zu entschärfen."
"Und was bleibt dann für die Menschen da unten übrig?", fragte Arlene mit einem bitteren Ton in der Stimme.
"Sauberes Wasser dank der Pumpen?", bot Süßback mit ein wenig Hilflosigkeit in der Stimme an.
"Sauberes Wasser. Na, es ist wohl besser als nichts. Also, Herrschaften, zehn in den Pott, und wer drin bleiben will, schmeißt noch mal zwanzig hinterher..."
***
Man konnte es Bernd Assay deutlich am Gesicht ansehen, er fühlte sich nicht besonders wohl. Auch die vielen kleinen Schweißtröpfchen, die immer wieder sein Gesicht bedeckten und die er nie komplett fortwischen konnte, waren keine Zeichen der Entspannung. Andererseits, es war mit vierundvierzig Grad sehr warm, und die Luftfeuchtigkeit lag beinahe bei einhundert Prozent.
Vielleicht lag es auch daran, dass sein Tag heute schon um fünf Uhr morgens in Panadia mit einem Flug von Boxie begonnen hatte, oder daran, dass es mittlerweile vier Uhr Nachmittags war und er noch nichts gegessen hatte.
Sein Sitznachbar, Thomas Herryhaus, war wesentlich entspannter, während er in einem guten Buch las und nebenbei Musik von seinem Stick hörte. Man konnte durchaus behaupten, er habe gute Laune. Sehr gute Laune sogar.
Bernd hingegen hätte sich auf eine Lektüre ohnehin nicht konzentrieren können. Im Gegenteil, all seine Aufmerksamkeit widmete er den groß gewachsenen, stämmigen und gut bewaffneten Wachleuten, die ihn umstanden, und deren schwarze Gesichter immer drohend auszusehen schienen, egal ob sie ihn ansahen oder nicht. Die Tatsache, dass er sich gerade im ndongischen Ministerium für Landwirtschaft, Industrie und Bergbau befand, in der Hauptstadt Ompala, sollte man vielleicht auch berücksichtigen.
Wie gesagt, sie hatten einen langen Tag hinter sich. Der hatte um acht Uhr mit der Öffnung der Bürozeiten begonnen, war über den ersten zuständigen Bürokraten gegangen, von dort zum Abteilungsleiter, danach zur höheren Instanz. Und schließlich und endlich hatten sie noch am gleichen Tag einen kurzfristigen Termin bei Henry Ogalalla ergattert, dem Minister.
Bernd hielt das selbstverständlich für blanken Wahnsinn. Sie waren kurz davor, dieses Land zu beklauen, und trotzdem war er hier und saß sich den Hintern breit. In ihrer Hauptstadt. In einem ihrer Ministerien. Wartete auf ein Regierungsmitglied des Landes, dem sie wirtschaftlichen Schaden zufügen würden. Das wäre ja noch passabel gewesen, aber die Blicke der Wächter nervten. Sie hatten so ein "Ich durchschaue dich"-Element in ihren Augen. Und darauf stand Bernd nun absolut gar nicht. Und als einer von zwei Weißen in einem Ministerium voller Schwarzer - ehrlich, er war kein Rassist, nur ein Feigling - fühlte er sich auch nicht besser.
"Professor Herryhaus und Begleiter", sagte die junge Frau auf französisch, die sie in Empfang genommen hatte und nun schon geschlagene zwei Stunden im Vorraum des Ministers warten ließ, "Minister Ogalalla empfängt Sie jetzt."
Hocherfreut klappte Thomas sein Buch zu, nahm die Ohrstecker aus den Ohren und stand auf. "Das ging schneller als ich erwartet habe." Er reichte Bernd eine Hand zum Aufstehen.
Als sich der dicke Riese helfen ließ, kam er Thomas' Ohr kurz nahe. "Hältst du das hier alles für klug?"
"Zumindest für klüger als was Ihr Kinder ausgeheckt habt", raunte er zurück. "Vertrau mir."
"Habe ich eine andere Wahl?", schoss Bernd resignierend zurück.

Thomas ging vorweg und betrat das Büro des Ministers mit einem strahlenden Lächeln. Sicher, der Mann war über achtzig, aber er wirkte manchmal, als hätte er die fünfzig nie verlassen. Das kam nur davon, dass er sich nie Zeit nahm, um sich hinzusetzen und auszuruhen, hatte er mal gesagt, aber Bernd hatte die Idee, die dahinter steckte, nicht wirklich verstanden.
"Herr Minister Ogalalla", rief Thomas und eilte auf den kleinen schwarzen Mann im gepflegten Anzug zu, der gerade aufgestanden war und um den Schreibtisch herum kam.
"Professor Herryhaus", sagte er jovial und schüttelte die Hand des Deutschen wie bei einem alten Bekannten. "Es ist mir eine Ehre, Sie in meinem Land begrüßen zu dürfen. Herr Assay, ich begrüße auch Sie."
Ein wenig ängstlich ergriff Bernd die Hand des Ministers, und war doch erstaunt über den kräftigen und trockenen Händedruck.
"Herr Assay spricht leider kein Französisch, Herr Minister. Aber es besteht ohnehin keine Notwendigkeit, in eine andere Sprache zu wechseln. Er nimmt lediglich eine beratenden Funktion ein."
"Nein, nein, Herr Professor, es macht mir absolut nichts aus, englisch zu sprechen."
Thomas lachte wie über einen stilvollen Witz. "Sein Englisch ist grauenvoll, Herr Minister. Nein, bleiben wir bei Französisch, und sollte es notwendig sein, übersetze ich ins Deutsche."
Der Minister hob eine Augenbraue. "Wieso gehen Sie davon aus, dass ich kein Deutsch beherrsche, Herr Professor?"
"Weil ich Ihre Facebook-Seite gelesen habe, Herr Minister."
Das brachte den Mann zum Grinsen. "Die modernen Zeiten, die modernen Zeiten." Es klang ein wenig wie ein entrückter Seufzer. "Bitte, setzen Sie sich doch."
Er nahm wieder hinter seinem Schreibtisch Platz, während sich die Deutschenauf den Gästestühlen setzten.
"Also, Herr Professor, Herr Assay, was kann mein Land für Sie tun?"
"Moment, ich habe alles bei mir, Herr Minister. Ihre Substituten waren so nett, uns mit allen notwendigen Unterlagen zu versorgen." Thomas zog ein paar der Formulare hervor, die sie im Laufe des Tages gesammelt hatten, und dazu noch eine der Bundeswehrlandkarten. All das legte er auf den Schreibtisch und sagte mit geradezu feierlicher Stimme: "Herr Minister, ich ersuche hiermit das Land Ndongo um die Lizensierung einer Diamantenmine."
Die Nichtreaktion des Politikers war mindestens so auffällig wie ein Stirnrunzeln, ein Aufschrei oder ein verdächtiges Schnauben. "Eine Diamantenmine?"
"Ja, eine Diamantenmine. Wir konnten ihre Position nicht verifizieren, aber es gibt drei Orte im Bundesstaat Belongo, wo wir sie vermuten."
Nun kam eine deutlich sichtbare Reaktion. Ein Stirnrunzeln. "Belongo, sagten Sie?"
"Belongo, Herr Minister. Wenn Sie hier auf die Karte schauen würden, so haben wir es zum Beispiel hier mit ehemaligem Schwemmland zu tun, das von den Vulkanen in dieser Region versorgt wurde, und damit potentielles Suchgebiet für Diamanten ist."
"Einen Moment, Herr Professor. Warum wollen Sie Diamanten in Belongo suchen?"
Verblüfft hielt Thomas für einen Moment inne. "Weil ich Beweise für Diamanten in dieser Region habe. Hier zum Beispiel, das Gebiet um einen erloschenen Vulkan. Das gilt als Förderstelle Erster Ordnung, und..."
"Mein lieber Herr Professor Herryhaus, einmal ganz davon abgesehen, dass Belongo gerade in diesem Moment rechtsfreier Raum ist, und ungezählte Banden, Milizen und sonstiges Gesindel die Gegend unsicher machen - was sind das für Beweise?"
Erneut schwieg Thomas verblüfft. "Nun, ich... Nein, das ist falsch. Ein guter Freund von mir hat einen Diamanten gesehen, der aus dieser Region stammen soll. Ein Kindersoldat aus Belongo, der von panadianischen Grenzmilizen erschossen wurde, hatte ihn bei sich. Mein Freund nahm den Stein an sich und ließ ihn später als Diamant taxieren. Der Wert des Diamanten ist so hoch, dass er in Panadia ein Gewerbe auf einem Flugfeld betreiben kann."
Skepsis war ein schlechtes Wort, um den Blick des Ministers zu beschreiben. Mitleid wäre der bessere Ausdruck gewesen. "Herr Professor, ich habe auf Ihrer Facebook-Seite, ha, ha, gelesen, dass Ihr Fachgebiet Politik ist. Kennen Sie sich denn in Geologie aus, geschweige denn mit Diamanten? Oder anders gefragt, haben Sie den Diamanten überhaupt gesehen, seine Echtheit verifiziert?"
Mit Thomas ging eine erstaunliche Veränderung vor. Einerseits schien er verunsichert, dann aber unnahbar stolz. "Herr Minister Ogalalla, ich habe den Diamanten nicht gesehen, und das brauche ich auch nicht. Ich habe größtes Vertrauen in meinen Freund und seine Geschichte. Und um Diamanten abzubauen, was braucht man da Geologen? Bergbau- und Tagebauexperten sind da wohl eher angebracht."
"Nun, es steht mir nicht zu, mich in Ihre wirtschaftlichen Interessen einzumischen, Herr Professor, aber meinen Sie nicht, dass die Faktenlage bestenfalls dürftig ist? Und darüber hinaus, Belongo ist Kriegsgebiet. Das ndongische Militär hat zur Zeit keinerlei Möglichkeiten, um ausländische Zivilisten zu retten, geschweige denn zu beschützen."
"Nehmen Sie es nicht persönlich, Herr Minister, aber in meiner Generation, da wurde angepackt, voran getrieben, da wurden Risiken eingegangen, wenn man etwas erreichen wollte. Wir haben lieber etwas versucht und es scheitern gesehen, als es gar nicht erst zu probieren. Natürlich fällt man auf die Nase, aber man steht auch wieder auf."
"Sie sind also fest entschlossen, die Lizenz zum Abbau von Diamanten in Belongo bei mir zu beantragen?", fragte Ogalalla vorsichtig.
"Absolut", bekräftigte Thomas.
"Was die Pacht angeht..."
"Nun, da hatte ich gehofft, Ndongo als Teilhaber mit ins Boot zu holen. Ihr Land übernimmt einen Teil der Kosten, und dafür erhält es die Hälfte meines Gewinns."
Abwehrend hob der Minister die Hände. "Danke für dieses Angebot, aber mein Land verfolgt gerade in der Krisenregion Belongo keinerlei wirtschaftliche Interessen. Da dies der Fall ist, will ich Ihnen entgegen kommen. Ich setze die jährliche Pacht auf vierzigtausend US-Dollar fest, zahlbar ab sofort. Damit sind alle Kosten gegenüber Ndongo abgegolten."
Die Miene von Thomas versteinerte regelrecht. "Ich sehe, Sie haben kein großes Vertrauen in unsere Pläne, wenn Sie uns die Minen geradezu hinterher schmeißen. Kann ich an dieser Stelle zumindest einen gewissen Schutz meiner Ingenieure..."
"Wie ich schon sagte", warf der Minister jovial ein, "hat das ndongische Militär keine Kapazitäten frei."
"Ich habe gehört, Sie haben einen gut angelegten Militärstützpunkt im Gebiet", sagte Thomas.
Der Minister deutete auf die Karte, wo die drei potentiellen Minen eingetragen waren. "Der befindet sich aber hier. Zweihundert Kilometer von der nahesten Lagerstelle entfernt. Ich kann Ihnen keinen militärischen Schutz anbieten, meine Herren."
"Und wenn wir bezahlen?", bot Thomas an.
"Es steht Ihnen frei, sich selbst zu schützen, auf welche Art auch immer. Und wenn Sie klug sind, Herr Professor, dann nehmen Sie mich wörtlich", antwortete er gedehnt.
"Nun gut. Dann nehme ich es so hin, wie Sie es sagen, Herr Minister. Ich darf Sie also bitten, die First Diamond Mining Company Belongo ins Handelsregister aufzunehmen, uns Authenzitätsrecht zu verleihen und gegen Zahlung unserer Pacht die Mine zu eröffnen."
"Die vierzigtausend Dollar pro Jahr beträgt."
"Dann sind wir im Geschäft", sagte Thomas zufrieden. Er erhob sich und reichte dem Minister die Hand, die dieser sofort ergriff.

Vierzigtausend Dollar ärmer verließen sie das Ministerium wieder, mit einem Haufen wertloser Unterlagen. Bernd schien es, als würde hinter ihnen höchst amüsiertes Gelächter durch die Gänge wehen.
"Warum...", begann er, als er sie beide außer Hörweite wähnte.
"Warum ich das gemacht habe? Es war mir klar, dass Ndongo weder am Krisengebiet ein großes Interesse hat, noch sich unbedingt in die Konflikte verwickeln lassen will. Ich musste meine Karten nur richtig ausspielen, um eine ganz legale Minenlizenz für 'nen Appel und 'nen Ei zu bekommen. Inklusive den offiziellen Recht, unsere Steine zu authenzitieren. Damit können wir sie vollkommen legal auf dem Weltmarkt verkaufen."
"Nein, das ist mir schon alles klar, im Nachhinein, meine ich", sagte Bernd. "Ich möchte wissen, warum du gesagt hast, dass ich kein französisch spreche."
"Oh, das." Thomas grinste den Waffenfreak an. "Weil ich nicht wollte, dass du dazwischen quatschst. Du hattest die Hosen so gestrichen voll, du hättest es fertig gebracht und meinen ganzen Plan ruiniert."
"Ach. Und warum musste ich dann überhaupt mit?"
"Die Deutschen kommen immer zu zweit zu Verhandlungen", sagte Thomas, noch immer grinsend. "Außerdem brauchte ich jemanden, hinter den ich mich stellen kann, falls auf uns geschossen worden wäre."
"Ha, ha, sehr witzig", brummte Bernd, und öffnete ihren Mietwagen.
Thomas stieg als Beifahrer ein. "Und weil meine Augen mittlerweile zu schlecht zum Fahren sind."
"Das ist ja fast genauso witzig. Und, wohin jetzt?"
"Zurück zum Flughafen. Wir fliegen mit Boxie zurück nach Panadia und bereiten die Ankunft unseres Teams vor. Du hast ja den guten Minister gehört. Er rät uns, uns selbst zu schützen, mit welchen Mitteln auch immer. Mir scheint, wir haben uns gerade einen Werksschutz angeheuert."
"Einen Werksschutz mit Kampfhubschraubern", versetzte Bernd ärgerlich, der noch am Vorabend die letzten Hindernisse für den Kauf der Helikopter bewerkstelligt hatte.
"Wie der Herr Minister empfohlen hat: Mit allen Mitteln." Er nickte auf die Straße. "Nun fahr schon, Bernd."
"Also sind wir jetzt ganz legal Minenbesitzer", stellte er fest, legte einen Gang ein und fädelte sich in den Verkehr. Nicht ganz das, was sie geplant hatten. Aber es war nicht die erste Überraschung, die er erlebte, seit das Unternehmen angelaufen war. Und sicher würde es nicht die Letzte sein.

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Ein ganz normaler Linienflug brachte das Team der Herwigs, noch ohne Waffen, nach Ranshaza, der panadischen Hauptstadt. Von dort flogen die zweiundvierzig Männer und Frauen des Hauptkommandos mit einer gecharterten DC-8 zum Honiton Air Field, wo sie der Rest der Crew bereits erwartete. Allen voran natürlich Boxie und seine Leute, aber auch das kleine Team um Thomas und Bernd Assay, zusammen mit ein paar Dutzend Tonnen Ausrüstung.
Sie landeten am frühen Vormittag, und die DC-8 rollte bis zu einer großen Lagerhalle aus, auf der ein riesiges Schild großspurig verkündete, dass hier die First Diamond Mining Company Belongo zu finden war.
"Junge, Junge, was ist denn hier los?", fragte Niklas irritiert.
Axel zuckte mit den Schultern. "So was passiert halt, wenn man Thomas von der Leine lässt. Ich bin gespannt darauf, was er zu berichten hat. Und schau mal, in der Halle arbeiten sie an den Hubschraubern."
Niklas kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und sah ins Halbdunkel des offenen Hallentors. "Drei. Sehr gut. Damit hat Bernd ja alle Vorgaben erfüllt.
Oberfeldwebel Kram, wir wollen aussteigen."
Der Pionier erhob sich und salutierte. "Jawohl, Herr Oberleutnant."
Er wandte sich nach hinten um. "Herrschaften, die Sommerfrische ist vorbei! Ab sofort sind wir eine Armee im Einsatz! Persönliches Gepäck aufnehmen, den Vogel verlassen und in Dreierreihen antreten!"
Der laute Bestätigungsruf aus über vierzig Kehlen ließ Axel das Gesicht verziehen. "Warum bin ich damals noch mal vom Bund weg? Ach ja, jetzt weiß ich es wieder."
"Und ich dachte, du bist raus aus dem Bund, weil ich damals schon Fahnenjunker war, und du nur Obergefreiter", stichelte Niklas.
In beachtlicher Schnelligkeit leerte sich der Flieger. Draußen auf dem Feld traten die Soldaten an, und auch aus der Halle kamen die Piloten hinzu. Malicke war schon ausgestiegen und half dem Oberfeldwebel dabei, die Männer und Frauen auszurichten. Anschließend inspizierte der KSK-Offizier die Truppen.
"Sie scheinen mit Spielen fertig zu sein", stellte Meike lapidar fest und erhob sich. Sie bot ihrer Sitznachbarin die Hand zum Aufstehen. "Kommst du, Heide?"
"Ups, danke für die Hilfe", ächzte die Deutsche mit den schwarzafrikanischen Wurzeln. "Erst das lange Sitzen im großen Flieger, dann hier im kleinen Flieger. Das macht mich alles ein wenig steif."
Sie ließ sich zum Teil von Meike hoch ziehen. "Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich diesen Kontinent besuche. Und dann auch noch quasi dienstlich."
"Frau Schuster, wir werden unser möglichstes tun, um Ihren Besuch so interessant wie möglich zu gestalten", versprach Axel.
Draußen erklang ein scharfer Ruf, und die Truppe antwortete vielstimmig.
Axel nickte in Richtung des Ausgangs. "Dein Auftritt, Kommandeur."
Niklas schnaubte kurz und schritt entschlossen aus. "Na dann, auf ins Gefecht."
Axel wartete, bis er die Meldung von Malicke an seinen Bruder hörte. Dann deutete er auf den Ausgang. "Nun sind wir Zivilisten an der Reihe, meine Damen." Das galt für Meike, Heide, ihn selbst und ein halbes Dutzend weiterer Leute aus dem Sanitätsbereich und dem Stab.
Als Niklas' erstaunlich kräftiger Bariton erklang, betraten Heide und Meike das erste Mal das Flugfeld. Axel folgte dichtauf und steuerte sofort auf Bernd und Thomas zu, die sich das kleine Spektakel aufmerksam ansahen.

Hinter sich hörte er Niklas gerade den Teileinheitsführern den Befehl übertragen, und vor sich sah er Bernd, der vollkommen ausgelassen winkte. "Mensch, Axel, du glaubst es nicht, selbst wenn ich es dir schwarz auf weiß zeige. Wir..."
"Hat es was mit dem protzigen Namen da an der Halle zu tun?", fragte er amüsiert.
"Allerdings." Bernd grinste von Ohr zu Ohr. "Oh, heilige Scheiße, diese überaus entzückende junge Dame ist unsere Verhandlungsführerin?"
"Keine Chance, Bernd", sagte Thomas, klopfte Axel begrüßend auf die Schulter und ging auf die Damen zu, "diese Frau hat leider Geschmack."
"Das war jetzt nicht nett unter Kampfgefährten, Thomas", beschwerte sich Bernd beleidigt.
Niklas kam ebenfalls zu ihnen, in Begleitung von Boxie und seinem Team. Die anderen Teileinheiten strebten nun auf die Lagerhalle zu, um ihre dortige Ausrüstung aufzunehmen.
"Hallo, Niklas. Ich war recht erfolgreich hier unten und konnte sogar Geld sparen. Wir haben zwei Mi-24 bekommen, und sogar eine Mi-24D, was nicht sehr leicht war. Heute Abend kommt noch eine Mi-8MT rein, für Transportzwecke. Die Kampfhubschrauber sind voll einsatzbereit, und die Waffen und die Ausrüstungen sind bereits eingetroffen. Wir..."
"Was soll das denn da oben?", fragte Niklas, und deutete auf den Schriftzug. "Klingt ja ganz nett, aber verrät es nicht ein wenig zuviel über uns?"
"Das wollte ich gerade erklären", setzte Bernd an, unterbrach sich und machte eine einladende Handbewegung in Richtung Thomas. "Ehre wem Ehre gebührt."
"Nein, nein", sagte der alte Herryhaus grinsend, "mach nur, mein Junge."
"Okay." Bernd strahlte geradezu. "Nun ratet mal wo wir gestern waren."
"Bei einem Schildverkäufer?", fragte Niklas.
"Wir waren in Ompala", half Boxie aus.
"In der Hauptstadt Ndongos?", rief Niklas erstaunt. "Himmel, was habt Ihr denn da gemacht?"
"Thomas ist mitten ins Ministerium für Landwirtschaft, Industrie und Bergbau gegangen und hat sich ganz offiziell unsere Diamantenmine lizensieren lassen. Für eine jährliche Pacht."
"ER HAT WAS?" Entgeistert ruckte sein Kopf in Richtung von Herryhaus.
Der Professor begrüßte gerade die beiden Damen und ignorierte Niklas nach besten Kräften.
"Nun reg dich doch nicht auf! Es war ein genialer Auftritt. Zuerst haben wir das ganze Ministerium rebellisch gemacht, Anträge gesammelt, ausgefüllt und dergleichen. Thomas hat hier und da ein wenig Geld liegen gelassen, und wir wurden prompt bevorzugt behandelt. Und von einigen grimmigen Kerlen bewacht. Die wollten kein Geld, leider."
"Ihr habt im Ministerium Beamte bestochen?"
"So kann man das nun auch nicht nennen. Geht es dir gut, Niklas? Du bist so blass."
Der jüngere der Herwig-Brüder nahm sich die Zeit, um ein paarmal tief ein- und auszuatmen. "Herrschaften, ich dachte, die Essenz unserer Aktion sei die GEHEIMHALTUNG!"
"Nun lass mich doch mal ausreden. Wir wurden schließlich zu Ogalalla vorgelassen. Das ist der Minister des..."
"Ich WEIß, wer Ogalalla ist", blaffte Niklas. "Der Mann wird als potentieller Nachfolger von Präsident Rousseau gehandelt! Ich hoffe, ihn habt Ihr nicht zu bestechen versucht!"
"Niklas, dein Blutdruck", sagte Axel grinsend. "Und lass Bernd die Geschichte zu Ende erzählen."
"Also", begann Bernd erneut, "es war im Nachhinein doch recht witzig. Thomas hat den guten Henry ganz schön über den Kamm barbiert. Er hat ihm größtenteils die Wahrheit erzählt, das ein Freund von ihm bei einem toten Kindersoldaten einen Diamanten gefunden hatte, und das wir deshalb in Belongo eine Mine vermuten. Als der Herr Minister dann nach Sicherheiten für die Existenz der Mine fragte, musste Thomas zugeben, dass er den Diamanten nicht gesehen hatte. Aber er stammt ja aus einer Generation, die noch anzupacken versteht. Und die auch mal ein Scheitern in Kauf nimmt. Ich glaube, Ogalalla hätte uns am liebsten ausgelacht. Als Thomas schließlich auf der Existenz der Mine beharrte, hat er uns eine Jahrespacht von vierzigtausend US-Dollar auferlegt, zahlbar sofort. Und noch mal drauf hingewiesen, dass Ndongo weder militärisch noch bei den Kosten involviert werden will. Tja, jetzt haben wir unsere Mine, und eine mündliche Erlaubnis des Ministers, eine eigene Schutztruppe aufzustellen. Die panadianischen Behörden haben dem schließlich auch zugestimmt. Und jetzt, meine Herren, sind wir nicht nur im Geschäft, sondern es ist alles, ganz offiziell, völlig legal! Wir können sogar den Diamanten, den Onkel Paul hat, nachträglich zertifizieren!"
Axel grinste triumphierend. "Na, das klappt ja wie am Schnürchen. Jetzt müssen wir nur noch die Diamanten finden!"
"Du! Du hast das geplant! Auf Kosten meiner Nerven! Wärst du nicht mein Bruder, würde ich dich umbringen! Wie kannst du..."
"Entschuldigen Sie, Herr Herwig, aber ist das wahr? Es geht gar nicht um humanitäre Hilfe, sondern um Diamanten?" Betroffen schlug Heide Schuster ihre Hände vors Gesicht. "Hätte ich das gewusst..."
Peinlich berührt sahen die Herwig-Brüder die deutsche Schwarzafrikanerin an. "Äh", druckste Axel verlegen. "Ich dachte, Thomas hat Ihnen..."
Die junge Frau nahm die Hände ab und lächelte verschmitzt. "War nur Spaß, Axel. Herr Herryhaus meinte, Ihr könntet ein wenig Erdung gebrauchen, so ab und zu. Kriege ich eigentlich auch so eine Ausrüstung?"
Sie deutete an den Brüdern vorbei auf die Halle. Die ersten Soldaten kamen dort hervor, ihre Ausrüstung tragend.
"Selbstverständlich", sagte Niklas. "Die volle Ausrüstung."
"Auch die Waffen?"
Axel hob die Augenbrauen. "Wollen Sie denn die Waffen?"
Unsicher sah die junge Frau für einen Augenblick zu Boden. "I-ich bin nicht sicher. Meike will keine Waffen anrühren, aber die Arbeit wird gefährlich, das weiß ich. Ich kann zwar nicht damit umgehen, aber..."
"Sie kriegen eine Pistole. Ich werde jemanden abstellen, der Ihnen beibringt, damit zu hantieren, sie abzufeuern und damit zu treffen", sagte Niklas ernst. Ein wenig freundlicher fügte er hinzu: "Der Rest wird sich finden. Kommen Sie, wir holen unsere Ausrüstung. Du auch, Axel."
"Hast du an meine Uzi gedacht, Bernd?", erkundigte sich der ältere Herwig beim Chefeinkäufer. "Nichts ist so schön wie ein Kampf mit einer durchgehenden Uzi, auch genannt: Reservehandgranate."
"Uzi. Wäre ihre Griffsicherung nicht der größere Witz..." Bernd schnaubte abfällig. "Keine Uzi. Aber du kannst eine HK-53 bekommen, wenn du möchtest. Du glaubst ja gar nicht, wie leicht es ist, hier in Afrika an gut gepflegte Kurz- und Langfeuerwaffen zu kommen."
"Nun, es dürfte die gute Jahresbilanz gewisser Konzerne erklären", sagte Meike und trat zwischen den Männern hindurch. "Fangen wir also an mit dem Quatsch. Kleiden wir uns ein, und dann will ich mir meine medizinische Ausrüstung ansehen. Ich hoffe, es ist nicht zu viel beschädigt."
"Damit hat sie wohl alles gesagt", sagte Bernd grinsend. "Hier geht es lang."

In der Halle standen vier Männer an großzügig aufgebauten Tischen und hielten die Ausrüstung bereit. Natürlich waren alle Teilnehmer bekannt, ebenso ihre Funktionen und die Maße. Deshalb sollte zumindest die Bekleidung keine Probleme bereiten.
Kram jedenfalls war in seinem Element. Mit seiner normalen Sprechstimme, um die ihn ein durchgetretener Turbo beneidete, verkündete er in einer endlosen Litanei, was jeder einzelne Soldat an Ausrüstung bekam.
"Alle bekommen einen Helm im Bundeswehr Standard! Alle bekommen einen Dschungelhut oder eine Feldmütze! Dazu drei Feldblusen, vier Feldhosen und einen Gürtel!
Ein Parka - lach nicht, Süßback, du wirst dich noch über den Parka freuen, wenn es hier richtig schüttet - fünf Combat Shirts, ein kompletter Nässeschutz!
Fahrzeugbesatzungen, Flugbesatzungen und Wartungspersonal bekommen zudem drei Kombinationen!
Alle erhalten zwei Paar Kampfstiefel, die Flugcrews zwei Paar Fliegerstiefel! Falls Ihr vergessen habt, wie man neue Stiefel einläuft, gehe ich euch gerne zur Hand! Ich, mein Megaphon und der große weite Platz vor der Halle! Alle bekommen fünf Paar Socken, eine Kampfweste, ein komplettes Feldgeschirr, einen Kampfrucksack!
Alle bekommen eine P8-Pistole mit zwei Magazinen, die Infanterie zusätzlich ein HK-33 Sturmgewehr, fünf Magazine und zwei Magazintaschen! Rede nicht, Reeser, aufmunitioniert wird nur zu Schießübungen und im Einsatz!
Alle erhalten ein Erste Hilfe-Pack! Alle erhalten ein Tiefzieh- oder Schulterholster! Alle erhalten drei Sätze Funktionsunterwäsche! Aber es ist keine Pflicht, sie zu tragen, wenn Ihr euer eigenes Zeug lieber habt! Und zuguterletzt, damit Ihr den ganzen Scheiß auch schleppen könnt, bekommt jeder einen Seesack!"
"Was ist aus der guten Dackelgarage geworden, Spieß?", fragte Niklas gut gelaunt, als er an den Tisch mit den Pistolen trat, der von Kram verwaltet wurde.
"Spieß?" Der Pionier sah für einen Augenblick düster drein, aber ein helles Lächeln huschte über sein Gesicht. "Na, das bin ich wohl tatsächlich. Dann will ich der Kompanie mal eine gute Mutter sein. Keine Dackelgaragen. Wir haben Großzelte mit. Hier, Herr Oberleutnant, Ihre P8 und Ihre Magazine."
"Danke, Spieß."
Neben ihm stand Heide, und blickte verzweifelt auf die Menge an Ausrüstung. "Ich muss das doch nicht alles immer mit mir herum schleppen, oder?"
Niklas unterdrückte ein Auflachen. "Nein, natürlich nicht. Spieß, wie sieht es mit Schutzwesten aus?"
"Wir kriegen die Tage einen ausrangierten Satz rein, garantiert noch nie beschossen worden. Aber den ersten Einsatz werden wir ohne fliegen müssen."
"Na, dann hoffen wir mal, dass wir sie die ersten Tage nicht brauchen werden." Niklas nahm seine Waffen entgegen, entsicherte und zog den Schlitten nach hinten. Kurz inspizierte er die Munitionskammer und zog den Schlitten mehrfach, bis er einrastete. Danach schob er ein Leermagazin rein. Der Schlitten schnappte mit einem lauten Geräusch nach vorne. "Gut in Schuss."
"Sind fast neu, die Dinger. Wir haben ein paar von ihnen eingeschossen", erklärte Bernd, "und sie sind recht akkurat. Für Pistolen."
"Und die 33er?", warf Axel ein, während er eine Pistole nahm, sie durchsah, und dann an Heide weiter reichte. "Ich erkläre Ihnen gleich was dazu. Erstmal wollen wir Ihre Ausrüstung zusammen stellen, Frau Schrader."
"Heide. Bitte, Axel, sagen Sie Heide."
"Nichts lieber als das, Heide. Also, Bernd, was ist mit den HK33?"
Bernd grinste breit. "Was soll schon sein? Deutsche Qualität. Ich habe zehn Magazine durchgerotzt, der Lauf hat so rot geglüht, dass man sich daran Zigaretten anzünden konnte, und die Waffe schießt immer noch präzise. Wir haben trotzdem mal alle mit Bremsenreiniger durchgezogen. Was die Waffen angeht, sind wir voll einsatzbereit. Nanu, was macht denn Meike da?"
"Sie geht zu den Wolf-Jeeps rüber." Niklas kniff die Augen zusammen. "Du hast drei Wolf gekriegt? Wem hast du die denn geklaut?"
"Ach, die waren im Angebot. Ich hatte die Wahl, Humvees zu kaufen, oder Wolf, und da schlug halt mein patriotisches Herz so hoch. Ich habe meine Hand auch auf ein paar Unimogs gelegt. Und morgen kommen die Bagger."
"Junge, Junge, wenn Bernd eines kann, dann ein Depot einrichten", sagte Niklas grinsend. "NICHT AN DEM SCHALTER... Zu spät!"
"Autsch!", entfuhr es Heide. "Ah, verdammter Kackmist!"
"Meike! Du hast deinen ersten Patienten!", rief Axel über die Schulter. "Das was Sie da losgemacht haben war die Sicherung für den Schlitten, Heide. In Verbindung mit einem Finger, der zwischen Schlitten und Rahmen kommen kann, ist das sehr böse."
"Habe ich gemerkt", erwiderte sie gequält, und lutschte am verletzten Zeigefinger.
"Zeig mal her, Heide." Meike wartete nicht lange darauf, dass die junge Frau reagierte, sondern zog die Hand zu sich heran. "Ich gratuliere euch, Axel, Niklas. Das erste Blut ist geflossen, und wir sind noch nicht mal in Belongo."
"Mit etwas Glück wird es das einzige Blut sein, Meike", sagte Axel.
"Ja, klar. Und du machst morgens deine Hose mit dem Tacker zu." Sie lachte amüsiert. "Eligy, wir haben einen Kunden! Eine aufgeplatzte Quetschung. Wunde säubern, desinfizieren und verbinden."
Sie sah Heide entschuldigend an. "Nähen bringt nichts, das muss von selbst zuwachsen. Ist zu geschwollen. Aber sei froh, es ist die linke Hand. Also kannst du trotzdem noch schießen lernen."
"Der Umgang mit Waffen ist sehr schmerzhaft", sagte sie scherzend.
"Na, dann warten Sie mal ab, bis Sie eine solche Waffe nicht bedienen, sondern am anderen Ende der Mündung stehen", sagte Niklas schroffer, als er geplant hatte. "DAS ist dann schmerzhaft."
Für einen Moment wirkte die junge Frau entsetzt, aber sie fing sich schnell. "Mir ist klar, das ich mich keiner Pfadfindertruppe angeschlossen habe, Herr Herwig."
Niklas ließ ein klein wenig Luft durch die Nase entweichen. Es wirkte amüsiert. "Sobald Meike Sie zusammengetackert hat, zeigt Ihnen jemand den genauen Umgang mit der Waffe. Damit sowas nicht noch mal passiert."
"Oh, ich weiß das zu schätzen", versprach Heide.
"Komm jetzt, Mädchen. Wir weihen meinen OP ein." Meike ging voran, die junge Frau fest im Griff, und zog sie hinter sich her in jenen Bereich der Halle, wo man die medizinischen Vorräte aufgestapelt hatte.

Im Eingang stand Thomas und betrachtete das geordnete Gewühl, das ein klein wenig an einen Ameisenhaufen erinnerte. "Was meinst du, Boxie, was wird passieren?"
Der Hubschrauberpilot zuckte die Achseln. "Bin ich Hellseher? Ich weiß nur eines. Ich bin ein verdammt guter Pilot, und mein Bordschütze schießt dir auf tausend Meter eine Kippe aus dem Mund. Und die anderen hier, Niklas, Hannes, Meike, sogar Axel, das sind alles Könner. Wenn ich schon in so ein verrücktes Abenteuer gehe, dann mit solchen Menschen."
"Was, wenn du es bereuen musst?"
Diese Worte schienen ihn zu amüsieren. "Ich bin Pilot, der nicht fliegen darf. Jetzt darf ich es so viel ich will, und ich darf meine Meerschweinchen mitnehmen. Selbst wenn mich eine SAM runter holt, eine Stinger trifft, oder ein Bastard in einem Hubschrauber oder einem Kampfjet beschließt, dass ich vor meinen Schöpfer treten soll - bis dahin darf ich fliegen. Das ist alles, was ich will."
"Und wie sieht es dahinter aus?", fragte Thomas. "Was ist mit Familie?"
"Antoinette und Willi sind meine Familie." Der Pilot zuckte die Achseln. "Und diese Verrückten hier, anscheinend."
Thomas klopfte Boxie anerkennend auf die Schulter. "Der Idiot, der dir verboten hat, deine Meerschweinchen mitzunehmen, gehört degradiert. Das hat die Bundeswehr einen guten Mann gekostet."
"Danke. Es bedeutet mir viel, das zu hören. Also, stürzen wir uns ins Abenteuer."
"Wie immer", murmelte Thomas. "Oh, wie bemitleidenswert sind doch jene Menschen, deren Leben selten oder nie Abenteuer sind..."
"Philosoph, was?" Boxie kramte in seiner Weste im MultiCam-Tarnmuster und zog zwei Röhrchen zutage. "Zigarre, Herr Philosoph?"
Thomas nahm eines der Röhrchen an sich. "Danke. Du weißt, was ein alter Mann braucht."
Boxie öffnete sein Röhrchen, entnahm die Tabakrolle und zog sie genießerisch unter der Nase lang. "Auch die jungen Männer brauchen das ab und zu. Ich rauche ja nicht so oft, wegen meinen Meerschweinchen. Aber zu besonderen Gelegenheiten hole ich auch mal besondere Sachen hervor." Er kramte in der Hose und zog einen Spitzenschneider hervor. Damit kappte er eine Spitze seiner Zigarre und kerbte das andere Ende ein. Das Gleiche wiederholte er bei Thomas' Zigarre.
Anschließend zückte er ein Zippo und entzündete das Rauchzeug.
Während sie so dastanden, dem Trubel zusahen und dem Lärm lauschten, meinte Thomas: "Und, wie geht es den beiden?"
"Ich glaube, Antoinette ist endlich mal trächtig. Das Wetter hier ist ganz super für sie. Willi mag es nicht so gerne, aber beim Fliegen lebt er richtig auf. Wenn der Wurf was wird, willst du eins?"
"Ein Meerschweinchen?" Thomas grinste schief. "Einerseits eine Ehre, von dir auserkoren zu werden, eines deiner Meerschweinchen zu bekommen, andererseits eine dumme Idee. Gib keine Tiere an Menschen, die mehr Tage hinter als vor sich haben. Vor allem nicht wenn es so eindeutig ist wie bei mir."
Boxie grinste burschikos. "Glaubst du wirklich, der Tod traut sich, dich zu holen?"
Thomas lachte auf. "Wir werden sehen."
***
Während Kram die Leute über das Landefeld scheuchte, um sie an das Wetter und die Hitze zu gewöhnen, die Sanis bereit standen, um die zu erwartenden kollabierten Opfer zu verarzten, und die Mechaniker gerade dran gingen, die Mi-24D wieder zusammen zu setzen, saß die Führungstruppe beisammen.
"Ich schätze, zwei Tage, dann können wir los legen. Wir passen uns schnell an Luftfeuchtigkeit und Hitze an." Axel zog die Karte hervor. "Was wir vorhaben, sollten wir nicht weiter aufschieben. Von unserem Monat sind schon acht Tage vergangen, und wir haben noch keinen Diamanten gefunden. Ich schlage vor, wir konzentrieren uns als Erstes auf das Schwemmgebiet. Ich denke, dort ist die Chance, etwas zu finden, am größten, weil hier vermutlich der Diamant von Niklas herkommt."
"Und wie wollen wir das machen?" Boxie sah ins Rund. "Ich wette jeder von euch hat schon mal ein paar Ami-Filme zum Thema Hubschrauberkrieg gesehen. Air Cavalry, und so ein Scheiß. Wie gehen wir vor?"
"Wir errichten mitten auf dem Gebiet ein Basislager", erklärte Niklas. "Genau hier schaffen wir einen Verteidigungsparameter. Wir gehen mit allen vier Hubschraubern rein, voll beladen, volle Mannschaft. Wir errichten einen Ring von fünfhundert Metern rund um die Landezone. Die Hubschrauber werden entladen, und wenn bis dahin kein Schuss gefallen ist, schicken wir eine erste Patrouille mit den drei Wolf nach Ngali, stellen Wachen auf und beginnen mit dem Aufbau unserer Zeltstadt. Wenn alles ruhig bleibt - nein, Meike, ich rede - dann können wir bereits am nächsten Tag mit den anderen Dörfern Kontakt aufnehmen, und uns mit unseren Geschenken vielleicht ein wenig Wohlwollen erkaufen. Eventuell warnen sie uns vor, falls sich eine militärische Macht in der Region für uns interessiert. Und dann, am zweiten Tag, stehst du vor der Entscheidung, meine liebe Meike, ob du zu den Leuten raus fährst, oder sie zu uns ins Lager lässt. Es hat beides Vor- und Nachteile."
"Anfangs werde ich raus fahren, um Vertrauen aufzubauen", sagte sie mit ärgerlicher Stimme, weil ihr Ex ihr über den Mund gefahren war. "Später richte ich ein permanentes Hospital auf dem Minengelände ein. Dort werden wir auch die Arbeiter versorgen. Nun guckt nicht so. Wenn Axel wirklich vorhat, die Mine an die belongoischen Menschen zu übergeben, dann müssen wir ihnen alles zeigen, ihnen alles erklären. Und das fängt man am Besten an, indem man sie in die Minenarbeit integriert."
"Gut, darüber müssen wir noch reden. Derweil fliegen Boxie und die anderen zurück, und kommen anschließend mit zwei Kampfhubschraubern und dem Transporter zurück, um den Rest unserer Ausrüstung und die Baufahrzeuge zu bringen. Jetzt die Frage, Boxie, was macht mehr Sinn? Die Helis bei uns belassen, oder hier in Panadia?"
Der Hubschrauberpilot kratzte sich im Nacken. "Du meinst, das lässt sich planen? Immer, wenn unsere 8MT aufsteigt, sollte mindestens ein Kampfhubschrauber Begleitschutz fliegen. Ein Hubschrauber ist eigentlich immer in der Wartung... Aber angesichts der Kampfkraft einer Mi-24 würde ich sagen, dass wir versuchen sollten, die Nacht über eine Maschine hier zu belassen. Die Nachtsicht dieser Vögel ist ganz gut. Apropos Nachtsicht, was ist mit Nachtsichtgeräten für deine Scharfschützen, Hannes?"
"Gute Frage. Bernd?"
"Ich arbeite dran. Anscheinend kämpft niemand nachts in Afrika. Das macht es ein klein wenig schwierig. Aber ich arbeite dran."
"Gut. Es kann also durchaus mal sein, dass kein Hubschrauber im Camp ist, oder auf dem Wege zum Camp. Dennoch halte ich das für sinnvoll. Vergesst nicht, diese Vögel fressen Treibstoff, viel Treibstoff. Es ist ökonomischer, sie in Panadia voll zu tanken, als den Sprit erst nach Belongo einzufliegen. Und wir müssen ja auch das Benzin für die Fahrzeuge, die Generatoren und für die Pumpen herschaffen. Auch ein Heli kann nur eine begrenzte Anzahl an Transporten fliegen. Und wir werden eine Menge Material bewegen müssen."
"Gut. Du bist unser Experte für Hubschrauber. Also machen wir es so." Niklas sah in die Runde. "Frau Schuster, sobald Meike den ersten positiven Kontakt erschlossen hat, ist es Ihre Aufgabe, zu den anderen Dörfern Kontakt aufzunehmen. Leutnant Malicke wird Sie mit einem Team begleiten. Er spricht Französisch und einen der hiesigen Dialekte."
"Ich denke, das wird interessant", erwiderte die Doktorandin, und versuchte zu vermeiden, dass die anderen ihre zitternden Finger sahen.
"Bernd, was macht die Spezialausrüstung? Metallsuchgeräte, und dergleichen? Letztendlich sollen eine Menge Minen in Belongo liegen. Und korrigiere mich, wenn ich irre, aber diese Ebene, auf der wir eine Unmenge Diamanten vermuten wäre doch ein ideales Gebiet, um vermint zu werden."
"Wohl eher nicht, Niklas. Man vermint Wege, Gebiete an Wegen und Orten. Ein Gebiet, wo man Menschen schaden kann. Aber doch nicht eine offene, freie Savanne, in der höchstens ein paar Springböcke und Löwen auf Minen laufen können", schränkte Bernd ein.
"Also suchen wir beim ersten Anflug nach Orten mit Löchern und ungefressenen Kadavern", warf Axel ein. "Sollten wir so etwas finden, müssen wir von Minen ausgehen."
Malicke lachte und klopfte Axel auf die Schulter. "Ich mag es, wie dein Verstand funktioniert."
"Kommen wir zur nächsten Frage. Was tun wir, wenn die Landezone heiß ist?", nahm Niklas den Faden wieder auf. "Ich meine, keiner kennt uns, niemand erwartet uns. Aber wir könnten mitten über eine der Milizen kommen, die die Gegend unsicher machen. Brechen wir dann ab?"
Hannes schüttelte den Kopf. "Konfrontation suchen. Eine Miliz in unserem Zielgebiet bedeutet zumindest, das ein Teil der Gegend Minenfrei ist."
"Ach, sehr pragmatisch, Herr Leutnant. Und ich darf dann die Opfer wieder zusammen flicken", merkte Meike sarkastisch an.
"Gegner. Opfer sind die Menschen, die unter denen zu leiden hatten", erwiderte Hannes einen Ton zu scharf.
Merkwürdigerweise schien das zu wirken. "Argument", erwiderte Meike. "Aber ich lasse es mir nicht nehmen, jedermann zu behandeln, der meine Hilfe braucht."
"Du hast freie Hand, Meike", versprach Niklas. "Weitere Meinungen?"
"Wir haben drei Kampfhubschrauber und einen bewaffneten Transporter. Wenn die Landezone heiß ist, pusten wir sie aus. Selbst wenn man uns erwartet, wer rechnet mit so viel Kampfkraft?" Bernd sah ins Rund. "Ich wette, wir sind eine Riesenüberraschung für Afrika."
"Damit könntest du Recht haben, Bernd Assay", sagte Axel zufrieden. "Dennoch würde ich sagen, dass wir uns genau einen einzigen Versuch gönnen, die Landezone zu nehmen. Einen. Wir entscheiden im Gefecht, ob wir die Infanterie absetzen oder nicht. Ich möchte eigentlich weder bei uns noch bei denen ein Blutbad anrichten. Wir sind da um zu helfen und ihre natürlichen Ressourcen zu plündern, mehr nicht."
"Und das sagt er mit der Unschuldsmiene eines Engels", sagte Thomas grinsend.
"Leider bin ich kein Engel. Wenn du einen suchst, schau dir Meike an."
"Schmeichler", sagte sie in Axels Richtung. "Zu dir, oder zu mir?"
Der ältere Herwig-Bruder lachte auf. "Hamburg ist vielleicht etwas weit weg, aber danke für das Angebot."
Niklas klopfte auf den Tisch. "Weiter im Text. Und verschiebt das Flirten doch bitte auf später. Wie viele Flüge schaffen wir, wenn alles glatt läuft? Wann können wir mit den Arbeiten anfangen? Und was erwarten wir da unten?"
"Wir haben eine Strecke von fast zweihundert Kilometern zu bewerkstelligen, und zwölf Stunden Sonnenlicht dafür", sagte Boxie. "Mit Ver- und Entladearbeiten schätze ich mal, das wir bequem drei komplette Flüge schaffen, wenn wir auf keinen Ärger stoßen, vier. Mehr ist aber nicht drin."
Bernd nickte. "Wir können quasi sofort anfangen, sobald der erste Bagger da ist", sagte er. "Da beginnt der schwierige Teil. Wir müssen erst einmal sondieren, in welcher Tiefe wir suchen müssen. Bevor wir überhaupt wissen, ob es in dem Gebiet Diamanten gibt, müssen wir drei, vier Tage investieren. Und dann sollten viele fleißige Hände bereit stehen, um den Abraum zu durchsuchen, denn die meisten Diamanten sind sehr klein. So was Großes zu finden ist immer ein Glücksfall."
"Andererseits lief ein vierzehnjähriger Bengel mit einem riesigen Rohdiamanten durch den Dschungel", warf Axel ein. "Also sollten wir nach einem Loch suchen. Oder etwas ähnlichem."
"Das macht Sinn. Was wir da unten erwarten? Was meinst du, Niklas? An Diamanten?"
"Nein, Bernd. Abgesehen von Rebellen, Milizen und streunenden Banden dachte ich da an Raubtiere, giftige Tiere, Schlangen, und was da sonst noch herum streunt."
"Nun, das meiste Kroppzeug wird von unseren Helikoptern verscheucht werden. Für das giftige Viehzeug hat Meike ihr Medizinschränkchen, und für die Raubtiere... Tja, ich denke mal, wenn wir in regelmäßigen Abständen Lagerfeuer errichten, halten wir sie uns permanent vom Leib."
"Oder wir ballern sie alle ab", sagte Axel und imitierte einen Pistolenschuss mit der Rechten.
"Aber du kannst doch keine Raubkatzen abknallen, nur weil sie im Weg sind!", empörte sich Bernd.
"Wieso nicht? Wir knallen ja auch Springböcke und andere Biester ab, um unsere Feldküche aufzupeppen. Wie schmeckt eigentlich Löwe?"
"Axel...", mahnte Bernd gequält.
"Schon gut. Deinen heiß geliebten Löwen tut keiner was, solange sie auf ihrer Seite der Linie bleiben. Versprochen." Er schmunzelte. "Im Moment wüsste ich nicht, was wir noch besprechen sollten. Also bereiten wir am Besten die Teams vor, damit jeder genau weiß, was er in welchem Fall zu tun hat. Thomas, ich verlasse mich auf deine Rückendeckung."
"Keine Sorge, ich halte den Strom an Ausrüstung konstant."
"Gut. Damit bleibt uns nur noch, ins kalte Wasser zu springen und schwimmen zu lernen. Ich wünsche uns allen Erfolg."
Zustimmung klang am Tisch auf.
Axel erhob sich. "Kommen Sie, Heide, ich gebe Ihnen Ihre Einweisung in die P8."
"Okay."
"Und der Rest von uns", sagte Niklas, "geht in die Teilbereiche. Wir haben Großes vor. Es soll nicht an Nachlässigkeit oder schlechter Ausrüstung scheitern."
Die anderen nickten zustimmend.
Thomas beugte sich zu seiner Enkelin herüber und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
Die verzog die Miene zu einem wirklich hübschen Lächeln. "Was hast du erwartet, Opa? Sie sind beide Herwigs."


3.
Für den großen Abflug war sogar Onkel Paul gekommen. Eigentlich hatte er sich in der panadianischen Hauptstadt komfortabel eingerichtet, ein Filiale eröffnet und überaus befähigte einheimische Spezialisten engagiert, um die Diamanten direkt aus Afrika zu vermarkten. Das hatte den Vorteil, dass seine europäischen und amerikanischen Geschäftspartner mit dem Zoll belangt wurden, nicht er. Überdies hatten sich die panadianischen Behörden als sehr umgänglich erwiesen, was vielleicht auch daran lag, dass sie einerseits Ndongo schaden wollten, und andererseits niemand wirklich an die Diamanten glaubte. Wenn, so hatte ein sehr skeptischer Ministeriumssprecher verlauten lassen, hätte sie schon jemand gefunden.
Das bedeutete, das die Einfuhr von Diamanten von Belongo nach Panadia für sie zollfrei war. Auf den Verkauf der Diamanten entfiel jedoch die in Panadia übliche Mehrwertsteuer von achtzehn Prozent. Alles in allem konnte die First Diamond Mining Company Belongo mit dieser Entwicklung zufrieden sein. Nun mussten sie nur noch Diamanten finden.

Die Truppe startete nicht in der Finsternis des beginnenden Morgens. Niklas hielt nichts von melodramatischen Auftritten wie einem Kampfeinsatz im Morgengrauen. Wenn sie nach einer guten Stunde Flug das erste potentielle Minengebiet erreichten - vielleicht anderthalb, mal sehen - dann war ihm volles Tageslicht und beste Sicht lieber. Allerdings würden die Hubschrauber auf Boxies Idee hin so anfliegen, dass sie die Sonne im Rücken hatten, also aus Osten kommen. Das volle Team von zweiundfünfzig Soldaten und Zivilisten würde den ersten Flug mitmachen. Alle drei Kampfhubschrauber würden eingesetzt werden, was dann später wegen dem Wartungsturnus hier auf dem Rollfeld nicht mehr möglich sein würde. Zu diesem Zweck verzichteten Boxie und Androweit, der zweite Stammpilot, auf ihre Co-Piloten und flogen mit den Lademeistern auf dem Beifahrer. Und der Transporter würde eingesetzt werden, einen Großteil der leichter zu transportierenden Ausrüstung mitbringen, dazu einen untergehängten Wolf-Jeep. Insgesamt fünf Flüge waren angesetzt, um die anderen Jeeps und die restliche Ausrüstung rüber zu bringen.
Dies galt für den Idealfall. Für die Situation, das sich niemand für sie interessierte, dass sie auf keinen Widerstand stießen, oder zumindest nicht auf ihr persönliches Vietnam.
"Wenn es in einer Stunde nicht geklärt ist", hatte Niklas nachdrücklich gesagt, "schaffen wir es auch in einem Jahr nicht."
Dem hatten sich alle angeschlossen. Nur Meike hatte nachdrücklich protestiert und auf die anderen beiden möglichen Minen verwiesen. Zweifellos aus dem einzigen Grund, damit sie ihre Arbeit aufnehmen konnte, während die Männer buddelten.
Eine gewisse gespannte Erwartung hatte die Truppe erfasst, die sich gerade für den Abflugtermin sammelte. Sechs Uhr dreißig war angesetzt, und am gestrigen Abend war der Alkohol bereits auf einen Liter Bier pro Person festgesetzt worden. Niklas wollte bei Söldnern nicht päpstlicher als der Papst sein, andererseits aber die Truppe einsatzbereit sehen. Und ein Liter war etwas, was jeder Bundeswehrsoldat, der eine Vorliebe für Gerstenkaltschalen hatte, problemlos bewältigen konnte. Anna Tiering und Götz Löffler hingegen war irgend etwas nicht so gut bekommen. Sie sahen furchtbar aus, und zumindest Löffler schien sich übergeben zu haben. Aber das war nicht so schlimm. Sie mussten nicht kämpfen, sondern nur Zahlen im Auge behalten, die noch gar nicht existierten.

Axel trat mit äußerst zufriedener Miene zu der kleinen Gruppe aus Mechanikern, Thomas, und Onkel Paul, die das geschäftige, an Ameisen erinnernde Gewusel betrachteten.
"Also geht Ihr wirklich rein", sagte Paul Trakener anstelle einer Begrüßung.
Axel schüttelte ihm die Hand. "Wir gehen rein. Heute oder nie."
Paul seufzte angespannt. Er hatte wirklich keine Lust, Renate und Sabine erklären zu müssen, was mit ihren Söhnen passiert war, während sie offiziell nur einen langen Afrika-Urlaub machten.
"Hier, ich denke, das willst du sehen", sagte Thomas und präsentierte einen Kontoauszug.
"Was ist das?"
"Eine Einzahlung von mir auf das Konto der First Mining Company", erklärte Paul.
"Uff. Eine Million. Danke, das ist nett von mir, aber wir liegen durchaus im Budget. Und das Material können wir wieder verkaufen, wenn auch mit Verlusten."
"Oh, keine Sorge, das ist kein Geschenk von mir. Es war gut, das ich den Diamanten noch zurückgehalten habe. So konnte ich mit dem Verkauf warten, bis Thomas ihn authenzitieren konnte. Ich habe ihn ganz offiziell und legal verkauft, und der Preis lag bei zehn Millionen und ein paar Zerquetschten. Meinen Gewinn abgezogen, die voraussichtlichen und bereits entstandenen Kosten abgezogen und meine Investition in Jackson City abgesichert, großzügig abgesichert, bleiben noch locker zwei Millionen übrig. Eine habe ich nach Deutschland transferiert, für den Fall, das euer Abenteuer in einem Fiasko ohne Mine endet. Die andere liegt jetzt auf dem Konto, für den Fall, das Ihr noch mehr Geld braucht. Es wäre aber natürlich schön, wenn Ihr es nicht auch noch auf den Kopf haut."
"Das kann ich nicht versprechen, aber wie ich schon sagte, wir liegen im Budget." Axel zwinkerte.
"Nun hau schon ab, und bring sie alle heil wieder zurück", knurrte Paul, um seine momentane Rührung zu überspielen. Das erinnerte ihn doch alles sehr an seine eigene Bundeswehrzeit. Und die war keine schlechte gewesen. Aber wenn er an die Haarnetze dachte... Nun ja.
Axel reichte allen Anwesenden die Hand, danach salutierte er vor ihnen. Er trug bereits die Uniform in Fleckentarn, eine Pistole steckte im Achselholster. Zweifellos gesichert und fertig geladen. Der Stahlhelm hing ihm am Gürtel, und auf dem Kopf trug er einen Tropenhut im gleichen Fleckentarnmuster. Es war nicht gut, seine Birne zu viel ungewohnter Hitze auszusetzen, vor allem nicht, wenn man ohnehin dünnes Haar hatte.
Der große Herwig wandte sich um und ging auf die Truppe zu. Sein Bruder wartete bereits, einen Rucksack in der Hand.
Im Hintergrund brüllte Oberfeldwebel Kram die Mannschaften in die Flieger. Je acht mit Gewehren bewaffnete Infanteristen in die Kampfhubschrauber, den Rest mit kleiner Eskorte in den auch recht gut bewaffneten Transporter. Axel stieg zu den anderen Zivilisten in die Mi-8MT. Kram besetzte den hinteren, Malicke den mittleren Helikopter. Niklas hingegen stieg in den Führungshubschrauber, wo er half, eine Kiste mit Meerschweinchen in die Deckenhalterung im Innenraum zu verankern.
Paul japste erschrocken auf. "Meerschweinchen?"
Thomas nickte. "Antoinette und Willi. Sie gehören Boxie. Er meinte, Antoinette wäre endlich trächtig, und ich könnte eines aus dem Wurf haben, wenn sie alt genug sind."
"Ja, aber, finden das alle normal?", rief Paul entsetzt.
"Was ist schon dabei? Den Meerschweinchen gefällt es."
"Aber das ist doch vollkommen durchgeknallt! Meerschweinchen in einem Kampfhubschrauber! Das ist doch verrückt!"
Thomas klopfte dem Juwelier auf die Schulter. "Mein lieber Paule Trakener, die ganze Aktion hier ist verrückt. Was kommt es also auf die Meerschweinchen an?"
"Okay, das stimmt. Aber das macht es nicht einfacher."
Thomas strahlte. "Sieht so aus, als hättest du die Geschäftsidee erkannt, Partner."
"Ja, Partner", murmelte Paul. Wenigstens würde ihm nicht langweilig werden.
Der Führungshubschrauber hob ab, es folgten die anderen beiden Kampfhubschrauber, danach erhob sich der Transporter in die Luft. Kurz half die Bodenmannschaft, den Wolf einzuhängen, dann zog der Mi-8MT mit seiner Last in die Höhe zu den anderen Maschinen.
In Rautenformation zogen sie davon, Richtung Grenze. Das Abenteuer begann.
***
Es war ein merkwürdiges Gefühl, mehr als merkwürdig. Sie hatten sich bei der panadianischen Luftüberwachung abmelden müssen, als sie die Grenze überflogen hatten, aber eine belongoische oder ndongoische Luftüberwachung schien nicht zu existieren. Deutlicher konnte man nicht erkennen, wie desolat die Lage in Belongo war.
Sie flogen über eine Stunde, in einer eintönigen Langeweile, die Disziplin fraß wie ein Köter Pansen. Längst hatte es sich selbst der Angespannteste bequem gemacht und den Platz genutzt, den es im Laderaum gab. Einige spielten Skat oder Poker, andere hatten ihre Handheld vernetzt und spielten gegeneinander. Wieder andere lasen oder versuchten noch etwas zu schlafen.
Meike beschäftigte sich damit, die Landschaft zu beobachten und anhand einer Karte zu identifizieren. In einiger Entfernung stieg dichter schwarzer Rauch auf. Er schien mitten aus dem Dschungel zu kommen. Dort brannte etwas von Menschen gemachtes, und das ziemlich gut. Meike machte sich eine Notiz auf der Karte. Axel wollte es kommentieren, immerhin war diese Stelle über fünfzig Kilometer von der Mine entfernt. So weit würden weder er noch Niklas die junge Herryhaus lassen. Niemals. Aber das brauchte er ihr nicht jetzt schon auf die Nase zu binden.
Nach über einer Stunde tangierten sie einen Außenbezirk von Keounda City, der ehemaligen Distrikthauptstadt. Sie war schon vor zwanzig Jahren aufgegeben worden, und der Urwald hatte begonnen, die nach europäischem Vorbild erbaute Stadt zurück zu erobern. Anfangs war Axel dagegen gewesen, diese kürzere Route zu nehmen, aber Niklas hatte ihn überzeugt, dieses Risiko einzugehen. Am Zustand der Hauptstadt würden sie erkennen wie der Distrikt aussah.
Und das Bild der ausgebrannten Häuserruinen, die teilweise von Sträuchern und Bäumen überwuchert waren, sprach eine deutliche Sprache. Aber erst das halbe Dutzend Tote, die in einem Baum aufgeknüpft waren, bewies, das es immer noch Interessen für die halb überwucherte Kleinstadt gab. Womöglich sogar noch Bewohner. Dass diese Kummer und Krieg gewohnt waren, erkannte man sehr leicht daran, dass sie keine lebende Seele sahen. Das Geräusch von Hubschraubern schien bei ihnen nicht Hilfe, sondern Schmerz, Leid und Tod zu bedeuten.
Meike betrachtete die Leichen mit hochgezogenen Augenbrauen. Für einen Augenblick befürchtete Axel, sie würde um eine Landung bitte, damit sie die Toten bestatten konnten, aber die junge Herryhaus interessierte sich hauptsächlich für lebende Patienten und sah mit einem frustrierten Schnauben fort. Heide jedoch keuchte erschrocken auf und war den Tränen nahe. Das ließ Axel wünschen, der Heli wäre nicht auf Baumwipfelhöhe geflogen.
Andererseits, und das war auf der Haben-Seite zu finden, wurden sie nicht beschossen. Das war doch auch schon mal was.
Meike erwiderte seinen Blick, als sie ihn bemerkte. Spöttisch zog sie den Mund zu einer Schnute. "Was denn? Wunderst du dich, das ich nicht landen wollte? Hör mal, ich habe ein wenig gelesen über solche Dinge. Ich möchte nicht so gerne auf einen Leichnam rein fallen, in den irgend eine Sau eine Mine implantiert hat, die hoch geht, wenn jemand den Samariter machen will."
Erschrocken keuchte Heide auf. "So was geht? So was machen Menschen?"
"Ja, Frau Schrader, und wir sind hier, damit sie es in Zukunft lassen", sagte Axel mit fester Stimme. Gut, das war gelogen, und dann wieder doch nicht. Aber die gute Heide brauchte jetzt einen festen Anker.
Zögernd nickte sie, und dann lächelte sie doch für einen kurzen Moment. "Da haben Sie Recht, Herr Herwig."
Meike lächelte ebenfalls. Aber ihr Blick warnte Axel davor, es nicht zu übertreiben. Nicht jeder war so hart im Nehmen wie sie, schienen ihre Augen sagen zu wollen. Eine Tatsache, der Axel jederzeit zustimmen würde.

Im Führungshubschrauber begann Niklas das Leben wieder zu genießen. Er machte sich klar, dass dies das Allernächste war, was er jemals wieder im militärischen Sinne erleben würde. Deshalb wollte er so viele Erinnerungen wie möglich mit nach Hause nehmen. Oh, er war kein Military Junkie in dem Sinne. Aber das geordnete Leben, die klaren Befehlsverhältnisse, die geregelten Strukturen würden ihm fehlen. Es gab da diesen gängigen Witz. Wie baut ein englischer Leutnant einen Schützengraben? Er sagt: Sergeant, bauen Sie mir einen Schützengraben.
Das war eine ernsthafte Frage aus einem Testbogen für angehende Offiziere, sowie die einzig korrekte Antwort. Er war Oberleutnant, aber es war zweifelhaft, das er es nach dem Abenteuer in Belongo noch lange bleiben würde. Er und Malicke würden die längste Zeit Soldaten gewesen sein, sobald die Sache raus kam. Und sie würde raus kommen.
Er war derjenige, der sagte: Feldwebel, bauen Sie mir einen Schützengraben. Um eine ähnliche Position in der freien Wirtschaft zu erreichen fehlte ihm die Qualifikation. Vielleicht auch der Wille. Dann war es wirklich besser, mit dieser Mission steinreich zu werden, um anschließend das kultivierte Leben eines Privatiers zu führen, der sein eigenes Vermögen verwaltete, Stiftungen gründete und für karitative Zwecke spendete.
Dennoch, die Aussicht auf die kommenden zwanzig Tage waren äußerst stimulierend für den jüngeren der Herwig-Brüder. Und die Dienstwaffe an seinem Hüftholster hatte eine beruhigende Schwere.

Boxie wandte sich vom oberen Platz des Tandem-Cockpits um und winkte ihm. Niklas stöpselte seinen Schallschutzkopfhörer in die Bordverständigung ein. "Ja?"
"Wir fliegen jetzt einen Bogen über dieses Waldstück, damit wir die Ebene von Osten aus anfliegen können. Wenn wir auf keinen Widerstand treffen, lassen wir euch raus und starten wieder durch, um die Operation von oben zu decken. Ab da übernimmst du, Oberleutnant."
Niklas nickte grimmig. Die Luft war Boxies Revier, und er tat gut daran, dem Piloten in seinen Luftkampf nicht rein zu reden. Das Gleiche galt für den Bodenkampf. Das war sein Revier, und Boxie verstand davon zu wenig.
Niklas gab das Signal an die anderen sieben Soldaten auf der Ladefläche, dass es los ging.
Die Männer und Frauen schob Magazine in ihre HK33, und Niklas ließ sich jede Waffe zeigen, um sicher zu gehen, dass der Sicherungshebel auf sichern stand, nicht auf Einzelfeuer oder Feuerstoß, was einige Witzbolde auch mit "Frieden" übersetzten, denn nach einem Feuerstoß war normalerweise Frieden.
Die Hubschrauber fächerten auf, der Transporter blieb ein Stück zurück. Dann brach der Wald unter ihnen weg, und sie flogen eine Anhöhe herab, die meterhoch mit Savannengras bedeckt war.
Niklas griff nach seinem Feldstecher, und suchte das Land nach verfaulenden Tieren ab, Minenopfern, so wie sie es besprochen hatten. In diesem Teil der Savanne war nichts davon zu sehen.
Plötzlich hörte er dieses metallische Klimpern, und mit dem Instinkt des erfahrenen Soldaten wusste er, was es zu bedeuten hatte. Boxie warf den Hubschrauber in eine Kurve. Die Maschine ruckte nicht einmal, als der Co-Pilot das Front-MG abfeuerte. Als eine Antwort ausblieb, zog der Heli weiter, Richtung Westen auf jene Hügelkette zu, an der sich das Abschwemmgeröll der fernen Feuerberge gesammelt hatte, und das nach ihren Wünschen gefälligst mit ein paar Tonnen Diamanten angefüllt war. Unter ihnen brach die Savanne ab, als hätte es sie nie gegeben. Sie überflogen einen brennenden Jeep, dessen tote oder sterbende Besatzung, zwei Männer in Fleckentarnanzügen, halb über das MG-Stativ, halb über der Motorhaube lag. Wieder erklang dieses Prasseln, und die Antwort von Boxies Bordschützen ließ nicht lange auf sich warten. Auch die beiden Mi-24A ohne Tandem-Cockpit feuerten nun.
Niklas warf einen Blick nach vorne und erkannte eine große gerodete, mehrfach umgegrabene Fläche. Am Fuß des Hügels klaffte ein gähnendes Loch. Bernd, die HK33 mit dem Lauf nach unten haltend, fragte: "Eine Mine?" Er sah auf das dunkle Loch, auf die hektisch umher laufenden Gestalten, von denen einige auf die Hubschrauber feuerten, andere aber nur flohen. Dann auf die nähere Umgebung. "Die suchen keine Diamanten!"
"Was macht dich so sicher, dass sie nicht schneller als wir waren?", fragte Niklas zurück.
"Die Fässer. Die habe ich schon mal gesehen. Das ist eine Chemikalie, mit der man Gold aus Gestein löst. Hochgiftige Sache, sehr gefährlich. Entweder haben die hier Cyanid-Laugen, und das killt dich wirklich, wirklich endgültig, oder sie nehmen Quecksilber. Dazu muss ich dir nichts sagen." Wieder feuerten die Hubschrauber, und Boxie zeigte einen erhobenen Daumen. "Sollen wir?"
Landen, Infanterie absetzen, Operation beginnen, das war der Kern der Frage gewesen. Der erste Widerstand war besiegt worden, der Rest war, die Mine in Besitz zu nehmen.
"Möglichst nicht auf der blanken Erde. Die ist wahrscheinlich doppelt und dreifach verseucht", rief Bernd.
Das gab den Ausschlag. "Operation beginnen!", rief Niklas. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Und das fühlte sich gut an.

Die Hubschrauber zogen eine Schleife über das Gelände, dann begann Boxie mit dem Absetzmanöver. Sein Hubschrauber hielt sich einen halben Meter über den Boden. Die Infanterie öffnete die Türen, beidseitig sprangen je vier Mann heraus. Sie waren im hohen Savannengras neben der blanken Erde gelandet. Das bot ihnen Deckung, nahm ihnen aber auch die Sicht. "Das mir keiner irgend etwas anrührt, was von der puren Erde stammt!", rief Niklas über den Lärm hinweg. "Der Boden ist wahrscheinlich mit Cyanid verseucht!"
Die Soldaten nickten und gaben damit stumm ihr Verstehen zur Kenntnis. In einer Kampfsituation sprach man nur, wenn man etwas zu sagen hatte, und das war meistens der Offizier, nicht der Soldat.
Hinter ihnen setzte der zweite Hubschrauber auf und entlud seine Last.
Die Männer und Frauen gesellten sich zu ihren Kameraden, und Malicke hockte sich neben Niklas ins Gras. "Sieht nicht gut aus, was? Drei Baracken. Ein Container-Büro. Dazu aber kein schweres Gerät." Er zückte seinen Feldstecher. "Ich zähle acht Tote. Nein, neun. Dazu vier Jeeps. Drei wurden von uns beschossen. Es kann sein, dass sich noch weitere Bewaffnete in den Baracken verschanzt haben. "Und dort auf sieben Uhr, da ist noch eine Baracke. Etwas abseits, ein wenig auf den Hügel gebaut. So als ob da jemand genau weiß, dass hier mit Gift hantiert wird." Er suchte weiter, während der dritte Kampfhubschrauber zur Landung ansetzte. Irgendwo auf dem Hügel erklang ein lautes Zischen, und eine dünne Spur aus Rauch und Dampf zog sich wie mit dem Lineal gezogen auf den Helikopter zu. Dieser wich aus, ließ die Maschine rechts zur Seite rollen. Die Rakete zischte vorbei, schlug im Gras auf und explodierte.
Der Hubschrauber hob wieder an, und deckte den Hügel mit einer Salve ungelenkter Raketen ein, die das Abschussgebiet sehr effektvoll umgruben. Nach dem Beschuss setzte er die Landung fort und entließ seine acht Soldaten.
Niklas' Funk knackte. "Herwig!"
"Soll der Transporter landen, oder wollt Ihr die Situation da unten erst mal klären?", klang Boxies Stimme auf.
"Noch nicht landen. Ein Hubschrauber deckt den Transporter, die anderen beiden geben uns Luftunterstützung", entschied Niklas.
"Verstanden."
Die Mi-24D zog überraschend hinter den Bäumen hervor und hielt auf die Spitze des Hügels zu. Von dort klang MG-Feuer auf, aber die Antwort von Boxies Schützen ließ nicht lange auf sich warten.
"Eine gute Stelle für einen Beobachtungsposten", stellte Malicke fest. "Dort sollten wir uns auch einrichten."
"Später. Noch haben wir die Mine nicht genommen", erwiderte Niklas. Plötzlich kamen ihm vierundzwanzig Männer und Frauen als viel zu wenig vor.
"Noch einmal für alle! Der blanke Boden ist durch Chemikalien verseucht! Nach Möglichkeit nichts anfassen. Schützenrudel und vorrücken!"
Die Soldaten formierten sich zu zwei leicht versetzten Reihen links und rechts von Niklas. Somit hatte jeder ein freies Schussfeld, aber es konnte nicht die gesamte Truppe auf einen Schlag seitlich ausgemerzt werden. In dieser klassischen Soldatenformation rückten sie auf die Gebäude der Mine vor.

Es schien als hätte die Hubschrauber ganze Arbeit geleistet. Es gab keinen Widerstand: Niklas hingegen wäre es lieber gewesen, wenn ihnen ein paar Kugeln um die Ohren geflogen wären. So hatte er das Gefühl, dass sie jederzeit eine große und unliebsame Überraschung treffen konnte.
Boxie zog seinen Hubschrauber von der Hügelspitze herunter, flog nach Süden über die Baracke auf dem Hügel hinweg. Kurz darauf hörte man sein MG wieder rattern.
"Bericht!"
"Zwei Lastwagen, voll mit Bewaffneten. Ich konnte beide ausschalten, aber Ihr habt jetzt zehn bis fünfzehn Mann in der Flanke. Das ist sicher keine Reaktion auf unseren Angriff. Die wären so oder so gekommen. Ich versuche sie aufzuspüren, aber macht euch mal lieber drauf gefasst, jetzt ein paar Gegner in der Flanke zu haben."
Niklas tauschte einen Blick mit Hannes aus. "Nimm dir einen Trupp und decke die linke Seite."
Malicke nickte, und sprintete geduckt hinter den Reihen hinweg. Die letzten sieben Mann rief er zu sich, und ließ sie im flachen Winkel abgeknickt mitgehen, um eine Feuerfront für die Seite zu eröffnen, von der aus sie potentiell bedroht waren.
Endlich sah Niklas einen Mündungsblitz aus einer der Baracken. Die Kugel schlug eher harmlos gegen den Stahlhelm eines Infanteristen vier Meter nördlich von ihm. Der Getroffene schrie auch mehr erschrocken als verletzt auf.
Einer der Männer antwortete mit einem einzelnen Schuss. "Sicher!", sagte er. Es war Steinard, einer der Scharfschützen. Beim Training am Flugfeld hatte der Mann auf hundert Meter auf Pistolenscheiben geschossen und die Zehnerringe getroffen; Niklas zweifelte nicht daran, dass der gegnerische Schütze ausgeschaltet war.
Niklas richtete sich auf. Das war seine Entscheidung. Sie konnten sich ewig festnageln lassen, von realen oder eingebildeten Feinden, oder sie konnten ein Risiko eingehen und die Anlage stürmen. Dann konnte Axel landen, und sie würden ihre Zahl verdoppeln.
An der Flanke klangen die langen Feuerstöße der HK-33 auf. Vereinzeltes Feuer, das ihm vertraut nach den AK47 der Rebellen klang, die ihn entführt hatten, antwortete. Über ihnen brauste Boxie dahin und schoss mit dem Bug-MG. Danach vereinzelte sich das AK47-Feuer noch weiter.
"Vor jetzt!" Sein Teil der Truppe, fünfzehn Mann, folgte ihm zu den Baracken. Er teilte jeweils vier für eine Baracke ein. Zwei öffneten die Tür und sicherten, zwei gingen rein. Es gab keinen Widerstand. Niklas selbst lief mit drei seiner Leute auf den Container zu. Erst jetzt schienen ihm die vielen, wie unbeteiligt wirkenden, fast unbekleideten Menschen aufzufallen, die über das Gelände verteilt waren. Sie hockten apathisch auf dem verseuchten Boden und nutzten die Attacke, um sich auszuruhen. Er schätzte ihre Zahl auf zwanzig. Weitere kamen aus dem Stollen getaumelt, einer von ihnen mühte sich dabei mit einer Schubkarre ab. Unbewaffnet, keine Gefahr.

Die Tür zum Container schwang auf, und eine halbnackte Frau wurde herausgeschoben. Ihre Kleidung war zerrissen, auf ihrer Stirn lag die Mündung einer Walther PPK auf. Hinter ihr schob sich der Besitzer der Waffe aus der Tür, die junge Frau als Deckung nutzend. Was er rief, konnte Niklas nicht verstehen. Der Dialekt war ihm unbekannt. Womit er aber drohte, war unüberschaubar.
Einer der apathischen Männer wurde plötzlich lebendiger, rief etwas, und die junge Frau antwortete. Das machte den Mann mit der Walther wütend. Er schüttelte die Frau und rief wütend etwas, was vom Tonfall zumindest wie Schmähungen klang.
In kurzer Abfolge bellten zwei Schüsse auf. Zuerst wurde dem Mann die Waffe fortgeschlagen, bevor er abdrücken konnte. Keine Sekunde darauf schlug eine Kugel in seiner Stirn ein und beendete sein Leben.
"Sicher!", rief Steinard.
"Weiter vor!", rief Niklas.
Die junge Frau sah ängstlich zu ihnen herüber. Als aber offensichtlich wurde, dass sie sich nicht für sie interessierten, lief sie zu dem Mann herüber, der sie gerufen hatte. Hinter sich hörte er Pistolenschüsse, und eine HK33 bellte als Antwort.
Sie erreichten den Container. Ihre Begleiter sicherten, Steinard und er drangen ein. Mehrere Aktenschränke, ein leerer Waffenschrank, zwei Schreibtische, ein leeres Feldbett. Unter einem Schreibtisch zog Steinard einen zu Tode verängstigten Mann hervor. Zu Niklas' maßloser Überraschung war der Mann weiß. Bisher waren sie nur Schwarzafrikanern begegnet.
"Bitte, mich nicht töten!", rief er in akzentbeladenem Englisch. Steinard zog ihn unter dem Schreibtisch hervor und warf ihn bäuchlings darauf. Er tastete den Mann oberflächlich ab. Anschließend stieß er ihn zur Seite und untersuchte die Schreibtische. Niklas griff zu und drehte dem Mann einen Arm auf den Rücken, um seine Bewegungsfreiheit einzuschränken.
"Sicher!", brummte Steinard erneut, legte aber ein Bündel ndongoianischer Kronen auf die Arbeitsfläche, die er in einer der Schubladen gefunden hatte.
"Herwig hier. Bericht!"
"Baracke eins sicher. Sie ist leer. Wir gehen gerade weiter zur Baracke auf dem Hang."
"Baracke zwei sicher. Wir brauchen hier dringend medizinische Hilfe. Wir haben hier fünf Menschen mit Verletzungen, einen mit akuter Vergiftung. Keine Gegner!"
"Baracke drei sicher. Ein Toter, drei weitere, die sich ergeben haben."
"Malicke hier. Ich stehe mit meinen Leuten mittlerweile bei den Lastwagen. Siebzehn Tote bisher, dazu neun Gefangene. Sechs von ihnen sind verletzt, teilweise schwer."
"Boxie, schick einen Hubschrauber wieder auf den Hügel. Die anderen decken den Transporter bei der Landung. Er soll direkt vor der Mine landen. Gebt Meike Bescheid, das hier einige ernste Fälle auf sie warten, dazu, wenn ich das als Laie so richtig sehe, einige Fälle von Unterernährung und Dehydrierung."
"Verstanden. Beginne Teil zwei der Landeoperation."
"So, mein Freund", sagte Niklas zu dem Mann in seinem Griff. "Wir zwei werden uns jetzt mal ein wenig über dich und die Anwesenheit deiner Freunde hier unterhalten! Wir fangen mit was leichtem an, nämlich deinem Namen!"
"Ja! Ja! Alles was Sie wollen, Kraut! Alles was Sie wollen!"
Und das war eine ganze Menge.
***

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Nachdem das Camp gesichert war, begann das Ärzte-Team unter Mithilfe der noch arbeitslosen Verwaltungsleute, die Verletzten und Kranken zu konzentrieren. Wie in Kriegszeiten üblich sortierte Meike die Menschen in Tote, Sterbende, schwer und leicht Verletzte. Die Sterbenden bekamen schwere Betäubungsmittel, um ihnen das Sterben zu erleichtern. Viele von ihnen waren Arbeiter, die sie vor Ort gefunden hatten. Unterernährung, Misshandlung, schlecht verheilte Verletzungen hatten ihre Körper irgendwann gebrochen.
Zwei der Männer von den Lastern waren dabei. Dass der Transport in die Baracken sie nicht umgebracht hatte, war ein Wunder.
Die Leichtverletzten konnten warten. Einen Schwerverletzten mit Lungensteckschuss operierte Meike noch an Ort und Stelle. Dazu kamen tatsächlich hauptsächlich Fälle von Blausäurevergiftungen durch die Cyanidlauge und Dehydration. Diese Männer hatten bei ihrer schweren Schufterei kaum genug Wasser erhalten.
Für Axel gestaltete sich die Situation nun so: Sie waren auf eine illegale Mine gestoßen, die nach Gold geschürft hatte. Eine ausländische Firma hatte einen örtlichen Warlord bestochen, um das Gold zu fördern und mit Hilfe der hochgiftigen Lauge aus dem Gestein zu waschen. Beinahe musste man dankbar sein, dass sie kein Quecksilber genommen hatten. Die Arbeiter holten sie sich mehr oder weniger regelmäßig aus den umliegenden Dörfern. Die wurden gezwungen, das Gestein abzubauen und mit der Lauge zu bearbeiten. Es gab keine Sicherheitsanweisungen über den Umgang mit der Chemikalie. Deshalb starben sehr viele von ihnen noch am ersten Tag an "roter Haut".
Das war, wie Meike kurz erklärte, Teil der Blausäure-Vergiftung. Sie band den Sauerstoff in den roten Blutkörperchen und machte ihn unverwertbar für die Zellen. Dadurch war das Blut in den Venen nicht blau, sondern so rot wie das Blut aus den Arterien und färbte die Haut rot ein. Ohne Gegenmittel ging es dann recht schnell zu Ende. Die erste ausgesendete Patrouille hatte die Grube mit rund zwanzig Blausäure-Toten relativ schnell gefunden. Bei diesen Temperaturen hatten sie nur ihren Nasen folgen müssen.

Die junge Frau war die Tochter eines der Zwangsarbeiter. Sie hatte gehofft, ihren Vater mit mühsam zusammen gekratzten einhundert Ndongo-Kronen frei zu kaufen. Stattdessen wäre sie vom Führer der Mine fast vergewaltigt worden.
Ihr Vater hing derweil an einem Tropf mit Kochsalzlösung und konnte sich das erste Mal seit Wochen richtig ausschlafen.
Was den Weißen anging, nun, der elende Bastard war ein Söldner. Und zwar ein Söldner der schlimmsten Sorte. Nein, kein Waffensöldner, sondern ein Buchhalter-Söldner. Er war von dem amerikanischen Unternehmen geschickt worden, um die Goldförderung zu optimieren. Dafür war dieser Mann über Leichen gegangen. Beengende Behausungen, Prügel, Folter, Hinrichtungen, reduzierte Rationen und zu wenig Wasser, dazu die schwere Arbeit. Sein Motto war es gewesen, dass sie aus den umliegenden Ortschaften jederzeit neue Arbeiter bekommen konnten. Und wenn es da keine mehr gab, dann würden die Rebellen eben woanders neue Arbeiter besorgen. Dieses Land war skrupellos, und er war noch skrupelloser als alle anderen. Er hieß Mirell, war flanderscher Belgier, und er hätte, wäre die Sache erfolgreich gewesen, seinen Arsch vergoldet bekommen.
Mittlerweile waren der Transporter und ein Begleithubschrauber wieder abgeflogen. Boxie flog Patrouille in der Umgebung, um eventuelle weitere Verstärkung abfangen zu können, der andere stand draußen auf dem verseuchten Erdreich, um Sprit zu sparen.
Auf dem unverseuchten grünen Savannenland wurden gerade die ersten Zelte aufgebaut, die Feldküche wurde errichtet in der Absicht, zuerst einmal nahrhafte, leicht verdauliche Gerichte für die erschöpften Zwangsarbeiter zu kochen, während man den eigenen Leuten zutrauen konnte, ein Steak zu essen.
Auf der Hügelspitze hatte ein Beobachtungsteam Stellung bezogen, und neben der Patrouille, die das Massengrab gefunden hatte, war eine weitere tiefer in die Hügel unterwegs. Eine dritte suchte nach Wasser, weit genug entfernt, um nicht von der Cyanidlauge vergiftet zu sein.
In der Zwischenzeit verriet Mirell alles was er wusste. Förderleistungen, Ertrag, eingesetzte Arbeitsmittel, und die eher beschämende Tatsache, dass sie bisher trotz viel versprechender Proben kein Gold gefunden hatten. - nur nicht den Namen seines Auftraggebers. Aber vermutlich wusste er den nicht einmal selbst.
Damit gehörte die Mine ihnen. Und obendrein dreizehn Gefangene. Dazu kamen fast dreißig Tote, Männer des Warlords.
Und eine vollkommen verunsicherte und aufgelöste junge Frau, die weder von der Seite ihres Vaters weichen wollte, noch wirklich verstand, was überhaupt passiert war. Für sie war es ein Wunder Gottes. Heide hatte die Gelegenheit genutzt, um ihren ersten Kontakt aufzubauen und mit der jungen Frau in ihrem dialektbeladenen Französisch zu reden. Es war pure Ironie, als sich heraus stellte, dass sie aus dem nahen Ort Ngali stammte.

Dies bedeutete die erste Krisensitzung für die Führungstruppe. Axel, Bernd, Niklas und Hannes saßen im Büro beisammen und diskutierten die Lage.
"Dass wir auf Gegner treffen würden, war uns allen klar. Aber das wir Gefangene machen würden kam irgendwie unerwartet", sagte der KSK-Leutnant. "Bei meinen Missionen gab es eher selten Gefangene, nur Zielpersonen."
"Was schlägst du also vor? Die ganze Bande abschießen und zu ihren Opfern ins Massengrab werfen?", fragte Bernd scharf.
"Es würde sicher keinen Falschen treffen", gab Hannes bissig zurück. "Was wollen wir sonst mit denen machen? Den Behörden übergeben?"
Niklas klopfte auf den Tisch. "Nun mal langsam, Herrschaften. Vergesst bitte nicht, dass die ganze Region unter einem Klima der Not, der Gewalt und des Faustrechts steht. Ich bin sicher, dass unsere Gefangenen weder zu den Häuptlingen gehören, noch das ihnen nicht bewusst ist, dass genauso gut sie die Arbeiter hätten sein können. Wir werden eine Lösung finden. Und zwar eine diplomatische Mission, Frau Schrader zu Willen, und eine humane, weil keiner von uns Ärger mit Meike riskieren will."
Dies brachte ihm zustimmendes Gemurmel ein.
"Außerdem, wenn die Baumaschinen da sind, würde ich gerne Gräber für die Toten ausheben lassen, das Massengrab auflösen und die oberste verseuchte Erdschicht abtragen. Dann will ich auf dem Hügel und rund ums Lager Schützengräben haben. Anderthalb Meter tief, in alle ungedeckten Richtungen, mit Laufgängen bis zum Lager. Ich will nicht, dass irgendjemand näher als fünfhundert Meter heran kommen kann.
"Hier unten kein Problem, das geben die Bagger her. Aber was ist mit dem Hügel? Willst du eine der Baumaschinen da rauf fliegen?", fragte Bernd.
"Warum? Wir haben doch eine ganze Gruppe ausgeruhter und gut ausgerüsteter Freiwilliger", erwiderte Niklas grinsend. "Sie konnten sich ja lange genug bei ihren Gefangenen ansehen, wie man gräbt. Sollen sie sich nützlich machen und den Hügel für uns befestigen."
"Ich frage mich, ob das Sinn macht", murmelte Axel.
"Glaube mir, vom Hügel aus haben wir nicht nur gute Sicht, sondern auch die Kontrolle des Luftraums. Schick vier bewaffnete Männer mit den Gefangenen rauf und lass zur Abwechslung die mal schuften."
"Das ist es nicht. Aber, Jungs, wenn es hier Diamanten geben würde, meint Ihr nicht, bei der ganzen Buddelei hätten die nicht wenigstens mal einen gefunden?" Axel seufzte. "Wir sollten das Gelände auflösen und zum zweiten Zielpunkt verlegen."
"Aber doch nicht, ohne ernsthaft gesucht zu haben", begehrte Bernd auf. "Wir vermuten die Diamanten doch ohnehin unter der Savanne, und nicht im Hügel."
"Ja, wir suchen. Ein paar Tage. Aber wir sollten uns nicht zu sehr verzetteln. Nur für den Fall, dass es andernorts unsere Mine gibt. Aber hier glaube ich nicht so recht dran..."
An der Tür des Containers klopfte es. "Herein!"
Helene Grundler trat ein. Sie führte eine der Patrouillen an und sollte eigentlich im Moment da draußen sein. Die Fallschirmspringerin sah nervös ins Rund. "Verzeihen Sie die Störung, meine Herren, aber wir bräuchten mal die Expertenmeinung von Bernd."
Assay erhob sich. "Gerne. Wo drückt denn der Schuh."
Helene zog eine Handvoll Steine aus ihrer Hosentasche hervor. "Sind das hier vielleicht Diamanten?"

Zehn Minuten später war das Camp in heller Aufregung. Die Grundler-Patrouille hatte nicht nur die fünf bucheckergroße Steine gefunden, sondern noch eine ganze Anzahl kleinere.
Bernd untersuchte sie gerade, und mit jeder Sekunde wurde sein Grinsen breiter. "Das sind leider keine guten Steine. Einschlüsse und Verunreinigungen dominieren. Trotzdem sind das hier Rohdiamanten im Wert von vielleicht einhunderttausend Euro, wenn ich das als Laie mal vorsichtig einschätzen darf. Mensch, Mädchen, wo hast du die denn gefunden?"
Die große blonde Frau zuckte mit den Achseln. "Na ja, ich dachte mir, wenn die hier nach Gold graben, dann geht es ihnen um Nuggets und nicht um irgendwelche Steinchen. Ich bin mit meinen Leuten also auf eine Abraumhalde gestiegen, und da haben wir ein bisschen gewühlt. Natürlich mit Handschuhen. Keiner will eine Blausäure-Vergiftung riskieren. Und das haben wir in zehn Minuten zusammen bekommen."
"Eine Abraumhalde?", fragte Axel begeistert. "Was für ein Geniestreich."
"Ich dachte mir, wenn schon mal jemand so nett war und tief genug gegraben hat, um in jene Erdschichten zu kommen, die für uns interessant sind, sollte man da doch ein Auge drauf werfen."
"Gut gemacht, Mädchen, wirklich richtig gut gemacht! Wären wir beim Militär, würdest du jetzt befördert werden!", rief Niklas enthusiastisch. "Sucht weiter! Bringt jeden Stein zu Bernd, und wenn er noch so wertlos aussieht."
"Solche, die ein wenig durchsichtig sind", mahnte Assay. "Keine Kiesel, bitte."
"Alle", sagte Niklas mahnend. "Wegwerfen können wir sie immer noch."
Bernd seufzte. "Du willst mich ja nur arbeiten sehen. Aber gut, ich mach mir die Mühe. Beim nächsten Flug können wir Onkel Paule also tatsächlich schon was zu tun mitgeben. Ich bin gespannt, wie er sie taxiert."
"Oh, das sind wir alle. Abraumhalden, wer hätte das gedacht?" Axel schüttelte fassungslos den Kopf. "Und jetzt ist ja auch klar, wie wir weiter vorgehen. Wir bauen die Schützengräben. Und wir fahren mit unserem neuen besten Freund, dem Warlord, der hier Gold abbauen wollte, richtig Schlitten, wenn er Ärger sucht."
"Kein Einwände!", rief Hannes enthusiastisch. Er hatte einen der Steine ergriffen und hielt ihn gegen das Licht. "Mensch, das ist das erste Mal, dass ich einen Diamanten sehe!"

"Entschuldigen Sie die Störung", klang die Stimme von Heide Schrader von der Tür herüber. "Ist es möglich, mir den Wolf und ein oder zwei Mann Begleitschutz mitzugeben? Ich würde Julienne und Joseph gerne in ihr Heimatdorf bringen. Meike hat ihr Okay gegeben."
Axel sah kurz herüber. Die junge Frau aus Ngali trug nun Hose und Feldbluse in Fleckentarnung. Zweifellos hatten die Frauen für das arme Mädchen gespendet. Und wahrscheinlich hätten sie ihren Peiniger getötet, wäre der nicht schon von Steinard erschossen worden.
"Sie warten auf den zweiten Wolf. Und Sie fahren mit Malicke und sechs Mann Begleitschutz", befahl Niklas. "Wir haben gerade unseren ersten Kampf hinter uns, zum Glück ohne eigene Verluste. Aber wir sind hier jemandem auf die Füße gestiegen, und ich werde niemanden durch Leichtsinnigkeit riskieren. Julienne also?" Er erhob sich und trat mit einem freundlichen Lächeln auf die Frau zu. "Hallo. Mein Name ist Niklas."
Zögernd ergriff die junge Frau die Hand, aber sein Lächeln war so ansteckend, das auch sie lächeln musste. "Bonjour", begrüßte sie ihn in ihrem dialektbeladenen Französisch.
Hannes grinste herüber und sagte etwas, was keiner der Anwesenden verstand. Doch das Gesicht von Julienne hellte sich noch weiter auf, und sie antwortete in der gleichen Sprache.
"Dachte ich es mir doch. Sie ist eine Wagonda. Das ist in Belongo die größte ethnische Gruppe. Der Dialekt ist relativ einfach. Ich drucke mal für die Truppe ein kurzes Stichwortwörterbuch aus."
"Dann haben wir also Französisch als Verständigungsmöglichkeit, und wagondisch, dank Hannes." Axel grinste burschikos. "Hat sich ja schon gelohnt, das wir dich mitgenommen haben."
"Ist das nicht seit der ersten Sekunde so?", fragte Hannes frech.
Das Mädchen deutete auf den Stein in Malickes Hand und sprach ihn in ihrem Dialekt an.
Der ehemalige Kampfschwimmer hörte ihr aufmerksam zu und machte bejahende Gesten. Schließlich wurde er blass. Er sagte ein paar Worte, und Julienne überschlug sich fast vor Aufregung und Freude. Sie nestelte an ihrem Hals und zog ein Lederband hervor. Am Ende der Schlaufe hing ein rosa schimmernder Stein. Sie nahm das Band ab, und reichte den Stein, der die Größe einer Walnuss hatte, an Niklas. Dabei sagte sie lächelnd weitere Worte in ihrem Dialekt.
Verblüfft betrachtete Niklas den Stein in seiner Hand.
"Sie sagt, wenn diese Steine wertvoll für uns sind, will sie dir ihren schenken. Die Menschen finden sie manchmal auf der Ebene, und wenn sie groß sind und ein wenig funkeln, hängen sie sich sie als Schmuck um. Diesen hat ihr ihr Vater geschenkt. Er hat versprochen, der Stein würde sie beschützen. Wenn wir also wegen dem Stein her gekommen sind, dann hatte ihr Vater Recht. Und darum sollst du jetzt den Stein haben."
"Bernd?", fragte Niklas verblüfft. Der große bullige Mann nahm ihm den Stein aus der Hand und betrachtete ihn unter der Lupe. "Ein Riesending. Keine Ahnung, was der bringt, aber er hat keine Einschlüsse. Und wenn ich dem Crashkurs von Onkel Paul glauben kann, dann ist das hier ein Makeable, also einer, der sofort geschliffen werden kann. In Brillantenform. Ich wage mich gar nicht zu schätzen, was das Ding wert ist." Vorsichtig legte er den Stein wieder in Niklas' Hand, weil die junge Dame augenscheinlich nicht damit einverstanden war, dass er den Besitzer wechselte.
Axel stand nun ebenfalls auf. "Das hätten wir uns ja denken können. Der Stein, den dein Kindersoldat bei sich hatte, muss ja irgendwie an die Oberfläche gekommen sein."
Er stellte sich neben Niklas, legte einen Arm um seine Schulter und stellte sich auf Französisch als sein großer Bruder vor. Das ließ die Augen der jungen Dame aufleuchten.
"Sag ihr bitte, dass das ein Diamant ist. Und dass er viele zehntausend ndongoische Kronen wert ist, und ob sie sicher ist, ihn zu verschenken."
Hannes übersetzte, und maßlose Verblüffung erschien im Gesicht der Frau. Dann aber legte sie beide Hände um Niklas' Rechte und schloss sie nachdrücklich.
"Sie besteht darauf. Sie sagt, sie hat noch ein paar kleinere davon Zuhause. Und es gibt wohl noch mehr in ihrem Dorf."
"Frag sie, ob sie die Steine an uns verkauft. In Euro, Dollar, Kronen, was immer sie will."
"Sie meint, Geld kann man hier ohnehin nicht ausgeben. Und wer zu reich ist, der wird nur zum Ziel in dieser Gegend. Aber eine Straße, die die Dörfer verbindet, wäre nett."
Axel lachte. Auf Französisch sagte er zu ihr: "Für diese Diamanten bauen wir Straßen, Schulen, Wohnhäuser, und was immer Sie wollen."
"Dann besteht sie erst Recht darauf, dass Niklas den Diamanten behält. Und die anderen können wir auch haben. Wenn wir tatsächlich die Straße und Schulen bauen werden. Sie sagt, dass sie extra studiert hat, um die Kinder ihres Volkes unterrichten zu können. Aber als sie nach Hause kam, war ihr Vater nicht mehr da gewesen, und so hatte der ganze Ärger angefangen. Zu viel, um jetzt alles zu erzählen. Aber es wäre ihr sehr Recht, wenn ihr Volk in angemessener Würde hier im Land ihrer Vorfahren leben könnte, anstatt in der Stadt Menschen dritter oder vierter Klasse zu sein, so wie sie es erlebt hat."
Axel nahm ihre Hände von Niklas' Hand und zog den Rohdiamanten hervor. "Wie viele gibt es hiervon in Ihrem Dorf, Mademoiselle?"
Julienne dachte kurz nach. "Vielleicht drei, vier Dutzend. Ups, ich..."
"Aha. Englisch können Sie also auch", sagte Axel lächelnd.
"Verzeihung. Ich musste mir doch erst sicher sein, dass..."
"Schon gut", beschwichtigte Niklas. "Glauben Sie denn, die Menschen werden uns die Steine verkaufen?"
"Sicher. Für uns sind sie nur hübscher Tand. Aber wie ich schon sagte, Geld lockt hier nur das Gesindel an. Wir brauchen ganz andere Dinge."
Von draußen erklang das Geräusch des landenden Transporters.
Axel grinste. "Na also. Da kommt der zweite Wolf. Das Feldlazarett, und der erste Schwung an Hilfsgütern. Wir haben einiges von dem mit, was Sie brauchen, Julienne. Und es wird mich freuen, es Ihnen vorzustellen. Heide, wollen wir nicht mit Mademoiselle Julienne einen Blick auf die Sachen werfen, die gerade ausgeladen werden? Und Grundler, sind Sie noch nicht weg, um weitere Steine zu suchen?"
Die Fallschirmspringerin grinste mindestens so breit wie er. "Bin schon weg, Boss."
"Und vergessen Sie nicht, Grundler!", rief Axel ihr nach. "Je mehr wir finden, desto größer wird Ihr Bonus! Der hat den Sold wahrscheinlich gerade überschritten!"
"Sie verstehen es zu motivieren, Boss!", rief sie fröhlich zurück.
"Also, ich stelle fest, wir bleiben."
Bernd und Hannes nickten zustimmend. "Dann ran an die Arbeit. Niklas, begleitest du uns?"
"In Ordnung. Hannes, du übernimmst solange."
"Verstanden."
"Also los, schauen wir uns mal an, ob etwas für Ngali dabei ist", sagte Axel fröhlich. Sie waren zwar einem Warlord und einem unbekannten amerikanischen Konzern auf die Füße gestiegen, aber wenigstens im Moment schien alles in ihrem Sinne zu funktionieren. "Und ich wäre sehr verbunden, wenn uns jemand per Satellitentelefon mit dem Internet und Panadia verbindet."
***
Der kleine Trupp von Heide Schrader und Hannes Malicke verließ mit zwei Wolf und fünf gut bewaffneten Infanteristen die Mine auf einer Piste, für die man besser einen Panzer oder ein anderes Kettenfahrzeug genommen hätte. Sie unterschied sich von dem umgebenden Wald nur dadurch, dass die Bäume genügend Platz ließen, um einen Laster hindurch zu lassen und nicht auf der Piste selbst wuchsen. Meistens jedenfalls.
Boxie begleitete die beiden Fahrzeuge eine Zeit lang und zog dann etwas vor. Sie hatten die Mine im Überraschungsangriff genommen, und die Lastwagen waren sicher nicht als Reaktion ausgeschickt worden, sonst wären sie kampfbereit gewesen und hätten Stinger-Raketen gegen sie benutzt. Aber es war durchaus möglich, das dem unbekannten Kriegsherren der Verlust seiner vermeintlichen Goldmine bereits zu Ohren gekommen war, und das er daher noch an diesem Tag reagieren würde. Und Boxie wusste aus eigener Erfahrung, wie leicht hochwertiges militärisches Material in Afrika zu bekommen war. Bei denen, die es bedienen konnten, sah es natürlich anders aus. Eine AK-47 laden, abfeuern und warten konnte jeder Idiot, einen Panzer fahren oder eine Haubitze abfeuern war schon schwieriger. Und richtig lustig wurde es dann auch noch wenn etwas geflogen werden musste, und der arme menschliche Verstand in drei Dimensionen rechnen musste. Die beiden Fragen, die er sich also stellte waren: Welches Material hatte der Unbekannte zur Verfügung? Und: Würde er es einsetzen können oder wollen?
Ein schmales Lächeln umspielte Boxies Lippen. Die Bundeswehr trainierte seit Jahrzehnten schwarze wie weiße afrikanische Offiziere, nicht nur im Drill, auch an den Waffen und Geräten selbst. Dabei kam es eher nicht so häufig vor, dass man Rebellen beibrachte, wie ein Hubschrauber zu fliegen war. Blieb noch die Lösung, dass man sich hierzulande für Hightech wie die russischen Hubschrauber der Hilfe von Söldnern bediente. Aber wer wollte schon in so einem unsicheren Land dienen, in dem man Leichen Wochenlang an einem Baum hängen ließ? Oder über Wochen oder Monate erwachsene Männer aus den umliegenden Dörfern entführen konnte, ohne Strafe fürchten zu müssen?
"Mist", entfuhr es ihm.
Ariadne Koopmans, seine Lademeisterin, sah zu ihm herüber. "Probleme, Boxie?"
"Ich habe nur über unsere Situation nachgedacht. Weißt du, wenn du in diesem Dschungel steckst, dann brauchst du nicht sehr viel um Krieg zu führen. Ein paar Knarren, ein paar MG's, gegen die Hubschrauber einige Stinger, zudem kannst du dich jederzeit ins Unterholz verdrücken, wenn es eng wird. Du brauchst für den Kampf in dieser Gegend eigentlich nur ein paar Minenfelder, viele Bewaffnete, die schnell bewegt werden können, und ausreichend Verpflegung. Was du nicht brauchst, ist Hightech. Aber was passiert, wenn uns mal Hightech über den Weg läuft? Das war 'ne Stinger, die vom Hügel abgeschossen wurde, Ariadne."
"Ach, komm, Boxie, die Dinger gibt es hier doch im Supermarkt auf dem Grabbeltisch. Zwar nur die schlechtere Version, die nicht gegen amerikanische Flieger funktioniert, aber immer noch für 'nen Appel und 'nen Ei."
"Und warum sollte jemand Geld ausgeben für Hightech, die er höchstwahrscheinlich gar nicht braucht?"
Ariadne sah herüber. Zwischen ihren Augenbrauen bildete sich eine Falte. "Du meinst, hier schwirren ab und zu feindliche Flugzeuge herum?"
"Etwas in der Art. Und da sitzt ein Problem, das ich nicht definieren kann. Noch nicht. Ich spüre, dass es wichtig ist, aber... Ich kriege es nicht zu fassen."
Boxie ging auf Funk. "Boxie hier. Sieht klar aus. Ich gehe nicht weiter ran, damit man meinen Heli im Dorf nicht sieht und nicht hört. Es könnte eine Panik auslösen."
"Okay, habe verstanden. Setz deine Runde fort. Wir sind noch nichts begegnet, womit wir nicht fertig werden würden. Außerdem werden sie uns für unsere Mitbringsel doch hoffentlich begeistert aufnehmen", klang Malickes Antwort auf.
"Was auch immer. Sieh zu, dass du das hübsche Mädchen und ihren Papa sicher nach Hause bringst. Und dass du auch wieder kommst. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir doch zu wenig Leute sind."
"Stimmt. Neben den Rebellen haben wir ja auch noch einen Militärstützpunkt in der Nähe."
"In relativer Nähe. Also, halte die Ohren steif. Ich bleibe in Reichweite auf dem üblichen Kanal. Boxie Ende."
"Gut zu wissen. Malicke Ende."

Die Mi-24D drehte ab, flog eine weite Kurve und zog nach Süden, Richtung Distrikthauptstadt. Er wollte zumindest zwanzig Kilometer fliegen und nach potentiellen Gegnern suchen, bevor er zur Mine zurück flog.
"Da fahren sie hin", klang Ariadnes Stimme auf. "Was meinst du, ob sie auf dem Rückweg noch mehr Diamanten mitbringen werden? Und kommt dir das nicht auch so vor wie Taschenspiegel gegen Perlen einzutauschen?"
"Unterschätze mal nicht die Taschenspiegel. Spiegel heile in die Südsee zu schaffen ist ein enormer Aufwand. Damals zumindest, als die Perlentaucher noch Spiegel wollten, und keine Laptops."
"Witzbold."
"Oh, doch, meine liebe Ariadne, du musst alle Dinge im Verhältnis zueinander sehen. Auch unseren Tauschhandel." Er sah herüber und grinste sie an. "Und falls du jetzt mit dem Nummer eins-Bedenken kommst, was denn nach uns kommt, nachdem wir die ganze Region rebellisch gemacht haben, verrate ich dir was: Da machen sich schon ganz andere als wir einen Kopf drum. Und so wie die Dinge liegen, habe ich wenig Zweifel, dass sie eine Lösung finden werden."
"Na, dein Wort in Gottes Ohr und die Gehörgänge deiner Meerschweinchen", murmelte sie als Antwort. "Werden die nicht taub da hinten?"
"Nein, die haben Oropax."
"Die haben was? Du hast deinen Meerschweinchen Oropax gegeben?"
"Nicht so entrüstet, Mädchen. Die stecken ja in ihren Ohren. Ich habe sie ihnen nicht zum Fressen gegeben."
"Wäre ja noch schöner", murrte sie. "Und das machen sie mit?"
"Unterschätze meine Meerschweinchen nicht", lachte Boxie, während er das Land unter sich sondierte. Keine besonderen auffälligen Metallansammlungen bisher, und keine Flugvehikel in Radarreichweite. Dazu kam auch noch, dass der "Fliegende Panzer", wie die Russen den Mi-24 gerne nannten, sich beinahe so leichtgängig und geschmeidig fliegen ließ, wie er es vom Tiger gewöhnt war. Eine gute Maschine. Aber er hätte sie ungern ohne Tandem-Cockpit geflogen; schlechte Gewohnheiten waren so schwer auszurotten.
"Sag mal, wenn du deine Meerschweinchen an Bord hast, darf ich dann auch ein Haustier mitnehmen? Einen kleinen Hund, oder so?"
Entsetzt starrte Boxie sie an. "Einen Hund? An Bord eines Hubschraubers? Was ist das denn für eine Schwachsinnsidee?"
Ariadne grinste breit. "Ja, klar, verstehe schon."
"Du verstehst nicht, Ariadne", sagte Boxie. "Das Gehör eines Hundes ist zehnmal so gut wie das eines Menschen. Das arme Tier würde taub werden. Und das willst du doch nicht, oder?"
"Ach so. Und was ist dann mit einem Kaninchen?"
"Solange es sich mit meinen Meerschweinchen verträgt", bot Boxie an.
"Du bist mir einer", erwiderte sie lachend.
***
Cordoba und Reeser waren deutsche Pioniere. Beide hatten ihren Grundwehrdienst abgeleistet, als dieser noch ein Jahr angedauert hatte. José war Sprengpionier geworden, Jens hatte es zum Dachs gezogen, dem universell einsetzbaren Räumpanzer, der auf dem Chassis eines Leopard 1 aufgebaut worden war. Beide kannten sich natürlich auch auf anderen Geräten aus, und was noch wichtiger war, sie kannten ihre G36. Dementsprechend war ihnen die Umstellung auf die internationale Version des G3, das HK33, relativ leicht gefallen. Und was beinahe noch wichtiger war, sie verstanden sich darauf, sie zu benutzen. Das war auch bitter nötig, denn die neun Schwarzafrikaner, die sie vor sich her trieben, gehörten zur Schutztruppe der vermeintlichen Goldmine. Und in geübten Händen waren Schaufel, Spaten und Spitzhacke durchaus gefährliche Waffen.
Vorweg ging Oberfeldwebel Kram, mit fertig geladener Pistole im Schulterholster. Neben ihm ging seine offizielle Stellvertreterin, Irene Hähnisch. Die junge Frau hatte es bis zum Fahnenjunker geschafft, bevor sie die Erkenntnis ereilt hatte, das die Bundeswehr doch nicht der richtige Ort für sie war. Dennoch hatte sie keinerlei Probleme gehabt, sich einem Mann mit fünfzehn Dienstjahren Erfahrung unterzuordnen. Sie trug eine Heckler&Koch in der Armbeuge, während sie den schmalen Laufpfad auf den Hügel erklomm.
"Diese Hügel hier", erklärte sie, "sind älter als die letzte Eiszeit. Sie sind entstanden, als während der vorletzten oder der zweiten Eiszeit das Packeis hier ein, zwei Kilometer hoch stand. Dieser Buckel, und all die anderen Buckelförmigen Hügel, die sich hier nach Westen erstrecken, sind quasi Spurrillen der Gletscher. Sie sollten voll mit Findlingen sein. Also kleineren Granitfelsen, die vom Eis mitgeführt und über die Jahrtausende zerkleinert und glatt geschliffen wurden. Die Ebene, die sich hinter uns bis zur Vulkanregion erstreckt, stammt aus der letzten Eiszeit. Das Packeis und das Schmelzwasser hatten hier mehr Gelegenheit, eine flache Ebene zu erschaffen. Naturgemäß hat sich an den Füßen der zurückweichenden Gletscher viel Erde gebildet, also zermahlene Mineralienreste, unter denen unsere Diamanten zu finden sind, die hier schon vor mehreren Millionen Jahren durch schwere Erdbeben aus dem Schoß der Erde empor gehoben wurden. Und jetzt liegen sie unter all der Erde, die diese Savanne zu einer der fruchtbarsten Regionen Belongos macht. Alles voller Löß-Boden. Und sicherlich auch voller Minen. Panzerminen, Personenminen, was sich der menschliche Geist auszudenken bereit ist. Wenn wir Pech haben, finden wir sie im gleichen Gebiet, in dem wir nach den Diamanten graben. Das könnte noch problematisch werden."
"Kleine Verständnisfrage, Irene", meldete sich José. "Wenn da hinter uns das Packeis stand, und das ein paar Kilometer hoch, wieso haben wir dann keine Tiefebene bis runter nach Südafrika?"
"Also, die Qualahari ist schon sehr flach", wandte Jens ein.
Irene lächelte dünnlippig. "Ein guter Einwand, Cordoba. Und die Antwort siehst du gleich. Schau mal nach Norden, wenn wir oben sind."
"Okay", murmelte José ein wenig enttäuscht.
"Eines will mir nicht in den Kopf", fügte Jens hinzu. "Wir sind hier doch nahe am Äquator, oder? Wie also kann es hier Gletscher gegeben haben?"
"Gleiche Antwort", sagte Irene geheimnisvoll.
"Na dann", murmelte Jens, ebenfalls enttäuscht. Aber gedankenschnell war der Lauf seiner HK33 ausgerichtet, als einer der Gefangenen eine hektische Bewegung machte. "Versuch es nur, Kumpel. Und dann bist du der Nächste auf Meikes Tisch, das sage ich dir."

Sie erreichten die Hügelkuppe. Cordoba wies einen der Gefangenen an, den Rucksack abzunehmen, den sie ihm vor dem Abmarsch gegeben hatten. Er nahm ihn an sich, öffnete ihn und verteilte Wasserflaschen an die Gefangenen. Dann wandte er sich nach Norden, während die Schwarzen sich setzten, hinhockten oder legten, um das Wasser und die unerwartete Pause zu genießen.
Er sah nach Norden. "WHOA!"
Reeser nickte beifällig. "Ja, so was wollte ich auch sagen. Aber ich kann nicht so gut mit Worten umgehen wie du, José."
Auf der Kuppe des ersten Hügels hatten sie einen erstklassigen Blick über die Wipfel der Bäume. Das erste Mal seit dem Anflug sah er weiter als ein paar hundert Meter. Um genau zu sein sah er fast vierzig Kilometer weit. Und was er sah, überraschte ihn nicht wenig. Andererseits war er auch nicht so schnell zu beeindrucken. "Mehr als tausend Meter haben die auch nicht."
Irene lachte schallend. "Für dich mögen das nur ein paar Hügel sein. Für einen Geologen hingegen sind das erloschene Vulkane. Ein ganzes Nest davon. Einer von ihnen ist unser Feuerberg, der hier unsere Diamantenmine angelegt hat. Und, nebenbei bemerkt, der auch diese Ebene erschaffen hat. Wir befinden uns bereits da unten in gut neunhundert Metern Höhe und hier auf dem Hügel noch einmal hundert Meter höher. Auf dem höchsten der Feuerberge haben wir schon eine Höhe wie auf der Zugspitze, über zweitausend Meter über Normalnull. Es ist klar, Äquator hin, Äquator her, dass das Eis hier von den Bergen herunter kam. Es brauchte sich nicht von Südafrika hierher wälzen und eine neue Tiefebene hinterlassen. Und das Eis hat dann diese Region erschaffen."
"Äußerst interessant, dieser Ausflug in die Geologie", sagte José und zupfte an seinem Tropenhut. "Aber nach der Theorie kommt die Praxis."
"Richtig", meldete sich Kram zu Wort. "José, du kommst mit mir. Wir nehmen drei der Männer mit. Irene, du und Jens passt auf die anderen sechs auf."
"Wir untersuchen die Stinger-Stellung?", fragte José und bedeutete drei Männern, sich zu erheben. Als dies nichts fruchtete, runzelte er erstaunt die Stirn. "Haben die Angst? Leute, haben die Angst?"
"Ja, was erwartest du?", fragte Jens. "Wir sind über sie hergefallen, haben ihre Kameraden getötet, und sie jetzt mit Grabwerkzeug auf einen Hügel getrieben. Was würdest du denn denken? Dass du Schützengräben bauen sollst? Wohl eher nicht." Reeser sprach auf Französisch mit den Männern und deutete auf die drei, die José am nächsten saßen. Zögerlich erhoben sie sich und folgten Kram.
"Was hast du ihnen gesagt?", fragte der Spanier erstaunt.
"Dass wir ihnen kein Wasser geben würden, wenn wir sie umbringen wollten."
"Ja, das klingt logisch." José achtete darauf, dass die drei Rebellen vor ihm blieben, während er Kram folgte. Der Unteroffizier hatte derweil jenen Bereich erreicht, der von den ungelenkten Raketen eines Hubschraubers umgepflügt worden war. Es handelte sich um ein Erdloch, das mit einer grünen, nun halb zerfetzten, Plane abgedeckt worden war. Es war nicht sehr tief. Als er die Plane abnahm, hätte sich José beinahe übergeben. Die Einschläge der Raketen und die Sekundärexplosionen der restlichen Stinger-Raketen hatten nicht viel übrig gelassen. Er identifizierte drei Köpfe, aber nur wenn er großzügig war.
Kram besah sich die Misere. "Ich glaube nicht, das wir hiervon noch etwas gebrauchen können."
Er trat um die Stellung herum, betrachtete den Hügel und das Umland eine Weile. "Zum Glück war das Loch nicht optimal gewählt. Hier ist eine bessere Position für das Hauptloch. Wir können das alte Loch also zuschütten."
"Und was machen wir mit denen?"
Kram zuckte mit den Achseln. "Sie sind tot. Ihnen dürfte es egal sein. Aber meinetwegen."
Der Oberfeldwebel winkte einen der Männer zu sich heran und redete ein paarmal auf Französisch mit ihm. So langsam ärgerte sich José darüber, dass er in der Schule lieber Portugiesisch und Englisch gelernt hatte.
"Er sagt, sie wollen das Loch nicht einfach zuschütten. Ich habe ihnen erlaubt, die Toten in die Plane einzuschlagen und später mit nach unten zu nehmen, wo sie neben den anderen Toten bestattet werden. Sein Name ist Leon. Er ist ab sofort der Vorarbeiter der Gefangenen."
"Verstanden, Spieß. Gibt es dafür einen besonderen Grund?"
Kram lächelte. "Er hat weniger Angst vor mir als die anderen."
"Und das ist gut?", zweifelte José.
"Wir werden sehen." Er winkte die anderen heran. "Leon und seine beiden Kameraden bergen die Toten und füllen das Erdloch auf. Die anderen beginnen damit, hier an meiner Position ein schönes Loch zu graben, anderthalb Meter tief, sechs lang und sechs breit. Dann will ich Laufgänge auf dem Hügelkamm in beide Richtungen." Wieder lächelte er. "Und da der Hügel zu einem Großteil aus den feingeshredderten Überresten einer Eiszeit besteht, sollte das mit Schaufel und Spitzhacke recht leicht fallen."
"Na, dann sollten wir sie anfangen lassen", sagte Reeser und übersetzte die Worte des Oberfeldwebels. Die Männer nahmen die Befehle überraschend gut auf, als der Begriff Laufgang fiel. Das hatte absolut nichts mit einem Grab zu tun, und das bedeutete, das sie leben durften.
Josè kratzte sich nachdenklich unter seinem Tropenhut. "Da fällt mir ein. Was machen wir später mit den Burschen, wenn wir die Bagger hier haben und sie nicht mehr brauchen?"
"Darüber brauchst du dir keine Gedanken machen, Cordoba. Das tun klügere Köpfe als du", wies ihn Kram zu Recht.
"Ihr Wort in Gottes Ohr, Spieß."
"Hier muss es nur Axel Herwig hören, Cordoba." Das Lächeln des Oberfeldwebels wurde ein breites Grinsen.
***
Die Piste wurde besser, je näher sie dem Dorf kamen. Nicht, dass sie auch nur ein Straßenschild gesehen hätten. Aber GPS behauptete, dass sie in Richtung des Dorfes fuhren, und Julienne war sich auch ziemlich sicher, dass sie auf dem richtigen Weg waren. Die Fahrt dauerte fast eine Stunde. Hannes war sich beinahe sicher, dass ein geübter Läufer Querfeldein wesentlich schneller voran gekommen wäre. Wald und Ebenen wechselten sich willkürlich ab, was denn Deutschen erstaunte. Aber Julienne erklärte ihm, die Lichtungen wären entstanden, als man hier wertvolle Bäume geschlagen hatte. Mahagoni, und dergleichen. Eine dieser Lichtungen, die halb auf einem der flacheren, breiteren Hügel lag, war ihr Ziel.
"Früher, vor der ersten Zerstörung des Dorfes, da haben unsere Eltern und Großeltern auf der Sohle zwischen zwei Hügeln gebaut", erklärte Julienne. "Weil es da unten Wasser gibt. Eine Quelle, die von einem artesischen Brunnen gespeist wird. Leider steht das Wasser dort in der Regenzeit auch gerne mal einen Meter hoch, und es kommt von allen Seiten und allen Hängen. Also haben die Dorfältesten, als es wieder ruhiger geworden war, beschlossen, die Anhöhe zu bebauen. Nun muss man zwar für sein Wasser laufen, aber dafür kriegt man auch nicht garantiert einmal im Jahr nasse Füße." Sie lachte, als der Wolf durch ein Schlagloch fuhr und den Wagen hüpfen ließ. Dann deutete sie auf ein dünnes Bächlein, das sich neben der Piste aus verdichteter Erde entlang schlängelte. "Unser Fluss", stellte sie fest. "In fünfzig Kilometern Entfernung fließt er in den Lagabanda, und wird so Teil des fünftgrößten Flusses Afrikas. Ist es nicht toll, wenn aus so kleinen Dingen so große Dinge werden?"
Heide nickte begeistert. "Viele kleine Dinge werden bedeutend, wenn man sie nur lange genug wachsen lässt, Julienne." Die Deutschafrikanerin deutete in den Wald. "Wird heute noch Holz gemacht?"
"Was, Holz? Nein, oh nein. Die Gegend ist viel zu gefährlich. Würde hier eine Rodungsfirma arbeiten, dann würde sie Geld und Gerät mitbringen. Und dann würden sich einige Leute für sie interessieren. Auch einige der Dörfer würden Kämpfer schicken. Ich wünschte, sie würden es nicht machen, aber viele Dörfer sind keine Wagonda-Dörfer, und sie trauen uns nicht. Wir ihnen auch nicht, übrigens. Es geht immer um Vieh, um Getreide, Yams und Kartoffeln. Kartoffeln, was täten wir nur ohne sie? Eine Zeitlang hat die Regierung versucht, hier Reis zu kultivieren, das war vor dem großen Aufstand. Aber ausgerechnet im ersten Versuchsgebiet haben die Amerikaner Öl vermutet. Bevor wir ernten konnten, waren die Felder zerstört, und das Land war von vielen Soldaten abgeschirmt worden. Als die Amerikaner wieder abzogen, um woanders zu bohren, wollte sich niemand die Mühe machen, die Reisfelder erneut anzulegen. Was ich sehr schade finde, denn Wasser haben wir hier meistens mehr als genug. Eine Sumpfpflanze wie Reis würde hier gut gedeihen. Aber jetzt sind es Kartoffeln. Wir bauen sie auf den Hängen an. Da stehen sie nicht im Wasser und kriegen keine der üblichen Krankheiten. Wir haben sehr gute Sorten, die das Fünfzigfache in der Ernte bringen. Ein Kilo Saatkartoffeln bringt dann einen Zentner Erntekartoffeln. Und in schlechten Jahren pflanzen wir oft nur die Keime, ohne die Knollen. Das gibt dann meistens eine etwas schlechtere Ausbeute, aber es geht auch."

"Es klingt so, als könnte man hier gut leben", sagte Heide ermutigt.
"Wie man es nimmt." Joseph, Juliennes Vater, beteiligte sich nun erstmals an der Unterhaltung. "Die Böden sind fruchtbar, das Vieh und die Ziegen finden genug zu fressen. In den Wäldern gibt es Affen, und in den Ebenen wilde Böcke. Aber seit die großen Firmen kamen, gibt es immer einen Ort, gibt es immer einen Stamm, der Not leidet. Ein Stamm, dem die Kinder entführt wurden. Der seine Männer an Soldaten verloren hat. Ein Stamm, den man das Vieh gestohlen oder es einfach nur erschossen hat. Als die Fremden kamen, um das Land für uns besser zu machen, kamen in ihren Fußspuren Menschen, die es nicht so gut mit uns meinten. Sie verjagten uns von unserem Land, wenn sie dort Metalle oder Mineralien vermuteten, sie suchten nach Gold und Öl und verseuchten dafür die Erde. Sie holten sich ihre Arbeiter aus dem Umland, bezahlten sie schlecht oder gar nicht, und kümmerten sich oftmals nicht um sie. Starb jemand, holten sie sich neue Arbeiter. Nicht nur wir Wagonda fanden das nicht richtig, aber die Regierung hatte Beamte entsendet. Und diese Beamten sagten uns, dass sie dafür sorgen würden, das die Arbeiter gut bezahlt werden würden. Besser als wenn wir unsere Ernten auf den Märkten der Städte verkaufen würden. Und das die ganze Region von der Arbeit der Fremden profitieren würde. Aber so war es nicht. Sie hielten uns nur hin, so lange sie konnten. Und wenn das Hinhalten mal nicht funktionierte, dann schickten sie Soldaten, die Exempel statuierten. Wegen Rebellion, wegen Verbrechen, Aufrufen zur Unruhe, und dergleichen. Sie holten die Ortsvorsteher in die Städte und sperrten sie in Käfige, ließen nur wenige wieder frei, und das erst nach Jahren. Sie erschossen Aufständische, und wer einer war, entschieden sie selbst.
Um den Fremden zu gefallen, um ihnen zu ermöglichen, die Reichtümer Belongos zu finden, hetzten sie uns auch gegeneinander auf. Sie gaben den Wagondas Waffen und sagten ihnen, die Kelegabas würden ihr Vieh erschießen. Dann gaben sie den Lulugengos Waffen, und sagten, die Wagondas wären auf Kriegszug, und ihr Vieh und ihre Frauen wären unbewacht. Dann überfielen wir die Kelegabas, und wurden zugleich von den Lulugengos überfallen. Und dann mischten noch die Urtus mit, die Meletogos, und schließlich auch noch die Turuturus.
Und immer, wenn wir Boten in die Dörfer der anderen schickten, um eine Versammlung einzuberufen, die diesen unsäglichen Zustand beenden sollte, wurde auf die Dörfer der anderen geschossen, wurden Alte, Frauen und Kinder verletzt oder gar getötet, und die Regierung zeigte mit dem Finger auf die Wagondas. Sie sagten, wir wollen keinen Frieden. Wir seien alle Rebellen, die alle anderen Stämme unterdrücken wollten, die ihr eigenes Land wollten, in dem sie die Herren sein sollten. Und dann gaben sie den anderen Stämmen noch mehr Waffen.
Dann geschah das Schlimmste, was passieren konnte. Die Ausländer fanden tatsächlich Öl. Viel Öl, gutes Öl. Sie machten ein großes Feld aus, und beschlossen es abzubauen. Doch dort lebten im weiten Umkreis Wagondas und Lupiis, die sich nicht bekämpften, weil die Familienbindungen zu stark waren. Also streuten sie Minen, schossen auf die Dörfer, schickten Hubschrauber und trieben die Menschen vor sich her, oder töteten sie, wenn sie nicht gehen wollten. Das war einfach, denn die meisten Soldaten, die die Regierung hier einsetzt, sind Upeti vom Meer oder Llangotos aus dem Tiefland. Du wärst erstaunt, was Menschen einander alles antun können, wenn man ihnen sagt, das sie es dürfen, Mädchen.
Man sollte meinen, spätestens jetzt hätten alle Völker verstanden, was passierte, und wer hier wen gegen wen ausspielte. Aber bevor wir uns zusammen schließen konnten, bevor wir uns wehren konnten, bezahlte die Regierung einige Männer mit Geld und Waffen dafür, das sie Armeen aufstellten. Armeen, die verhindern sollten, das wir uns einigten, zusammen kamen. Sie kamen schlimmer über uns als die Regierungssoldaten, zerstörten unsere Siedlungen, verbrannten unsere Ernten. Sie verbreiteten Angst und Schrecken, und schließlich zahlten die Dörfer einen Schutzzoll, um fortan verschont zu werden. Das war der Wille der Ausländer. Dass wir verstanden, das ein Aufstand nichts bringt, dass sie uns überlegen sind. Dass wir unsere Schutzgebühr bezahlen, und das wir vielleicht leben dürfen, wenn wir ruhig bleiben. Aber das klappt so nicht, denn es gibt immer herrenlose Banden, Herumstreuner, oder einige dieser Männer, die Ihr Warlords nennt, die Kinder zu Soldaten machen wollen, oder im Auftrag der Ausländer andere Dörfer vernichten, wenn es dort vielleicht etwas Wertvolles gibt. Dafür kriegen sie Geld, und wir den Tod, wenn wir das Unglück haben, neben einem solchen Ort zu leben.
Und sie haben unsere Straßen zerstört, unsere Hauptstadt verbrannt, und unsere Täler vermint. Alles nur, damit das Unglück unser täglicher Begleiter ist. Alles nur, damit wir nicht vergessen, was es bedeutet, wenn wir rebellieren."

Heide schwieg beeindruckt. Und der Mann in seinen mittleren Jahren war noch nicht fertig.
"Natürlich bin ich dankbar, dass der große Krieger Niklas meine Tochter gerettet hat. Natürlich bin ich dankbar dafür, dass ich gerettet wurde, und das Ihr die anderen Leute meines Dorfes nach Hause bringt, wenn es ihnen wieder besser geht."
"Da schwingt ein Aber mit, glaube ich", sagte Hannes.
Joseph sah ihn einen Augenblick verständnislos an. "Kannst du dir nicht denken, was ich fürchte? Immer, wenn wir uns wehren, passiert etwas Schlimmes. Ich habe es zu oft gesehen, zu oft erlebt." Er seufzte. "In die Großstadt flüchten macht es nicht besser. In den Wäldern leben passt nicht zu unserem Leben. Wir bestellen Felder, wir züchten Vieh. Wir betreiben Religion, Kultur, ehren die Lebensweise der Vorfahren. Solange sie uns lassen. Solange wir keine Gefahr sind. Und selbst dann lassen die Warlords uns nicht in Ruhe. Und davon abgesehen, weißt du, was die Regierung mit dem Ölfeld getan hat, das die Ausländer entdeckt haben? Sie hat eine Basis gebaut, die das Ölfeld beschützen soll. Auf ihrem Gebiet steht eine Raffinerie, die das Öl zu Benzin macht. Und das Benzin pumpen sie mit einer Pipeline direkt zum Meer, wo die ausländischen Schiffe es aufnehmen, um es in den eigenen Ländern zu verkaufen. Wir haben kein Interesse am Öl, am Benzin. Aber sie in ihrer Gier, in ihrer Angst, glauben, dass wir ihnen das Öl streitig machen wollen. Und dafür verminen sie unsere Felder. Und sie beschützen die Pipeline der Ausländer, vor allem weil es ja nur Wagonda-Öl ist, nicht ihr eigenes. Wir sind Sklaven im eigenen Land."
Joseph atmete tief ein und wieder aus. "Ich dachte mir, wenn wir mit Gewalt nichts erreichen, dann vielleicht mit Bildung. Darum habe ich das Dorf überredet, Julienne studieren zu schicken. Damit sie unsere Kinder unterrichtet. Damit wir eine höhere Bildung haben. Damit uns das Wissen dabei hilft, unsere Leben zu verbessern, ohne das die Regierung denkt, wir würden das Öl haben wollen. Ich habe geglaubt, dass Wissen den Warlords egal sein wird. Wissen kann man nicht sehen, nicht greifen, und dennoch ist es da. Ich dachte, wenn wir mehr wissen, können wir besser leben, ohne aufzufallen. Ich dachte, wenn Wissen uns hilft, dann auch den anderen Dörfern. Wissen kann uns helfen, Minen zu finden und zu entschärfen. Wissen kann uns helfen, unser krankes Vieh zu behandeln. Wissen hilft beim Häuserbau, hilft den kranken Menschen. Die Kinder, denen wir heute Wissen vermitteln, bringen uns einst noch mehr Wissen mit. Das war meine Vision. Und beinahe hätte ich sie nicht erlebt."

Hannes spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten. Was hatte Thomas doch gleich gesagt? Zwei Ölkonzerne der Amerikaner befanden sich in der Region und machten ihre Profite. Exronn und GOP, beide nicht gerade dafür bekannt, ihren Profit für so etwas profanes wie eine Beteiligung der ausgebeuteten Staaten am Gewinn der Rohstoffe zu beteiligen. Und auf der Militärbasis, auf der Niklas stationiert gewesen war, gab es eine Raffinerie und eine Pipeline? Er nahm sich vor, den militärischen Anführer ihrer Truppe eingehend zu befragen, wenn er zurückkehrte. Der Stützpunkt war nicht gerade um die Ecke, aber auch nicht gerade weit entfernt. Wenn sie als Bedrohung eingestuft wurden, Legalität hin oder her, konnte das böse enden.
"Also sollten wir Ihnen als erstes eine Schule bauen, oder?", merkte Hannes an. "Und wenn wir die Spielzeuge, die wir Ihnen mitbringen, an möglichst viele Dörfer hier verteilen, ist Ngali genauso interessant wie uninteressant wie alle anderen Dörfer."
Das brachte Joseph zum Lachen. "Ja, das ist wahr. Gut gedacht."
"Wir könnten auch Minen suchen und räumen", bot Hannes an. "Wenn wir uns etwas eingerichtet haben."
"Ja, das klingt gut. Nehmen Sie dafür diese Steine, die Diamanten, aus meinem Dorf mit. Wenn die falschen Menschen erfahren, dass sie wertvoll sind, dann kommen sie und bringen wieder Leid über uns."
Hannes schwieg bedrückt. Er konnte sich nicht vorstellen, dass diese Menschen nicht zumindest eine Ahnung davon hatten, wie wertvoll Diamanten waren. Dass sie die Steine regelrecht verschleudern würden, einfach weil sie es mussten, zum eigenen Schutz, wollte ihm nicht so recht in den Kopf.
"Ich denke, wir installieren, wenn wir Zeit haben, die Pumpe am artesischen Brunnen und legen eine Schlauchleitung ins Dorf", sagte Heide bestimmt. "Mit Hilfe des Solarpanels liefert die Pumpe tagsüber immer Wasser, ohne jeden Strom. Und es sollte doch wirklich möglich sein, das Panel vor neugierigen Augen zu verstecken, oder?"
Hannes grinste beim neu entfachten Enthusiasmus der Diplomatin. "Uns wird schon etwas einfallen, Frau Schrader."
Er konnte es nicht leugnen, die Erzählungen der beiden Wagondas hatte ihn beeindruckt und deprimiert. Aber wenn er an die Pumpe dachte, wenn er an ihre Mitbringsel dachte, verspürte er wieder Optimismus. Er war sich in diesem Moment ziemlich sicher, dass es mit einem Monat nicht wirklich getan war. Zumindest nicht, wenn es nach ihm ging.

Als die beiden Wolf aus dem Tal abschwenkten und einen sanften Hügel hoch fuhren, sahen Hannes' geübte Augen zwischen Büschen und niedrigen Bäumen, die wohl erst nach der Abholzaktion gepflanzt worden waren, die ersten Plastikdächer der einstöckigen Bauwerke, die tatsächlich aus Lehm oder gar Stein zu bestehen schienen. Für ihn keine Überraschung. Er war für die Rettung Niklas' über Bau- und Lebensweise der Wagonda rund um den Fluss gebrieft worden.
Er hatte auch einen Crashkurs über die lokalen geographischen Verhältnisse erhalten. Für ihn als Soldaten war die Information wichtig gewesen, dass sich sowohl ein Großteil der Region Belongo als auch der wichtigste Fluss der Region, der Lagabanda, auf einem Hochplateau in durchschnittlich eintausend Kilometern Höhe befand, was größere Anstrengungen durch weniger Sauerstoff bedeutete. Das Plateau war durch die gleiche vulkanische Aktivität - beziehungsweise späterer Tektonik - denen sie auch ihre Diamantenmine verdankten, auf diese Höhe gehoben worden. Der Lagabanda selbst war ein relativ junger Fluss mit einer erst zehntausendjährigen Geschichte; Erdrutsche hatten das alte Bett verdrängt, zugeschüttet, und den Fluss gezwungen, sich einen vollkommen neuen Weg zu suchen. Und wie Wasser nun mal so war, hatte es das auch getan. Entstanden war über diese zehntausend Jahre ein tiefer, schmaler Fluss mit hoher Durchflussgeschwindigkeit, der sich in seiner kurzen Existenz bereits beachtlich in das Plateau hinein gefräst hatte. Oder um es militärisch auszudrücken: Nur gute Schwimmer sollten sich hinein wagen, und wenn sie fortgerissen wurden, niemals gegen den Strom schwimmen.
Aber der Fluss war weit entfernt, beinahe einhundert Kilometer, und damit für sie uninteressant. Bei der Suche nach Niklas hingegen war er eine mögliche Route für die Rebellen gewesen, um schnell aus der Region zu entkommen, nachdem für sie offensichtlich wurde, dass das ndongische Militär die Entführung des Deutschen nicht einfach hinnahm. Die Rebellen, fixiert auf das Lösegeld, hatten sich augenscheinlich nahe am Fluss und auf den dortigen ausgetretenen Handelspfaden gehalten. Ihr Grenzübertritt, ob freiwillig erfolgt oder der Not geschuldet, hatte sich dann als letzter Fehler der Gruppe erwiesen. Und als Niklas' Rettung.
Hannes unterdrückte ein wütendes Schnauben, als er daran dachte, dass es in der Gruppe nicht nur Erwachsene gegeben hatte. Und nun fuhr er in das Dorf ein, aus dem der Junge stammte, von dem Niklas den Diamanten hatte. Wahrscheinlich. Eventuell. Sie konnten es nicht wissen. Aber eine undefinierbare, unberechtigte Schuld schlich sich trotzdem in sein Gewissen.

Sie fuhren ein, beide Fahrzeuge kletterten über die mäßig festgefahrene Piste. Hannes konnte sich vorstellen, dass diese Piste bei Regen eher eine Schlammrodelbahn sein würde.
Sie passierten die ersten Häuser, und er suchte vergeblich nach einem Anzeichen von Leben. Also, wenn die Ankunft der Jeeps die Bewohner schon erschreckte und sie in Deckung gehen ließ, dann war es definitiv eine gute Entscheidung gewesen, dass Boxie ihnen keine Luftdeckung gegeben hatte.
Ein Hubschrauber hätte die Bewohner vermutlich bis zur nächsten Landesgrenze verscheucht.
Eine Kultur der Angst, ging es dem KSK-Offizier durch den Kopf. Eine Kultur, in der jeder einmal irgendwann gebrochen worden war. Durch Angst, durch Gewalt, durch Hunger, Durst, durch sexuelle Dominanz. Dies war nicht nur ein Schlüssel zur Unterdrückung, sondern auch der genügsame Nährboden des Aufstands.
Die Wolf-Wagen hielten inmitten des Dorfes. Links und rechts breiteten sich die gemauerten Hütten aus, auf deren Dächern teilweise Gras wuchs. Noch immer war keine Menschenseele zu sehen, und Hannes hätte lügen mögen, wenn er behauptet hätte, ihm wäre nicht mulmig. "Waffen bleiben geschultert, Pistolen werden nicht gezogen!", sagte er laut genug, sodass man ihn auch im zweiten Wolf verstehen musste. Er stieg als Erster aus, öffnete die Tür von Juliennes Seite und zelebrierte eine elegante Verbeugung. Eine joviale Handbewegung lud sie ein, auszusteigen.
Die junge Lehrerin bedankte sich artig und verließ den Wagen. Als sie nach der Autofahrt über diesen Acker, den Belongo eine Straße schimpfte, wieder auf eigenen Füßen stand, verschränkte sie die Arme ineinander, streckte sie nach oben aus und seufzte leise, als es irgendwo in ihrem Rücken knackte. Mittlerweile war Heide Schrader ausgestiegen und hatte Joseph die Tür geöffnet. Mit viel Gefühl half sie dem erschöpften Mann beim Aufstehen und Verlassen des Wagens.
"Welches ist Ihr Haus, Julienne?", fragte sie.
Die Lehrerin deutete auf eines der wenigen Häuser, die auf einigermaßen ebenem Boden standen. "Das blaue dort."
Hannes lächelte leicht. "Für die hiesigen Verhältnisse ist das ja eine Villa."
"Spotten Sie nicht, Hannes", erwiderte Julienne, ohne aber wirklich verärgert zu sein. "Meine Familie hat fünf der letzten zwölf, ah, Bürgermeister gestellt, und einer meiner Vorfahren war bisher immer im Rat des Dorfes vertreten gewesen. Diesen Platz haben wir uns durch Respekt und Anerkennung verdient."
"Oh, ich habe nicht kritisiert", versicherte Hannes. "Heide, schaffen Sie es?"
"Keine Sorge, Joseph und ich kommen klar. Soll ich ihn gleich ins Haus bringen?", fragte die Diplomatin.
"Moment noch, Heide." Hannes' Blick ging zu Steinard herüber, der den zweiten Wolf gefahren hatte. Er hatte keinerlei Grund, dem Scharfschützen zu misstrauen, aber Himmel, war der Mann gut. Gesetzt des unwahrscheinlichen Falles, dass sie angegriffen wurden, würden die ersten Menschen sterben, bevor sie wussten, was ihnen geschah.
"Wollen Sie Ihren Vater begleiten, oder schauen wir erst einmal, wo die Dorfbevölkerung abgeblieben ist?" Er machte eine weitere allumfassende Geste.
"Oh, die kommen schon raus, wenn sie merken, dass alles in Ordnung ist. Wir... DANIEL!"
"AAAAAAAHHHHH!"
Hannes fuhr erschrocken herum, als der helle Schrei erklang. Mit Entsetzen sah er einen Jungen, vielleicht zehn oder elf Jahre alt, ausgerechnet auf Steinard zulaufen. Er schwang dabei einen dicken Prügel, der so schwer und lang war, dass der Bengel ihn kaum handhaben konnte.
"STEINARD...", begann Hannes, aber da hatte der Mann schon reagiert.
Mit Entsetzen beobachtete der KSK-Spezialist die Szene, die sich vor ihm abspielte. Steinard trat blitzschnell ein paar Schritte vor, drückte den Knüppel beiseite und umfasste den Jungen um die Hüfte. Dann hob er ihn hoch und wehrte die schwachen, kraftlosen Schläge mit der Linken ab, bis der Junge entweder keine Kraft oder keine Lust mehr hatte. "Na, du bist mir ja ein lebendiger kleiner Kerl", sagte Steinard, und seine Stimme klang richtig fröhlich. "Wie wäre es? Du hörst auf mich zu hauen, und dafür kriegst du was Süßes, okay? Sucre, d'accord?"
Übergangslos stellte der Bengel seine Angriffe ein. Er hatte das Französisch des Scharfschützen verstanden. "Bonbon?", fragte er hoffnungsvoll.
Steinard lachte erfreut und kramte mit der freien Hand in seiner Hosentasche. Er zog einen eingepackten Hustenbolschen hervor und gab ihn dem Jungen. Dann ließ er ihn wieder runter. Die Beute in der Hand, und das Papier schon halb abgewickelt, rannte er auf die Lehrerin zu. "Julienne! Va ici!"
Und als wäre das ein Zeichen gewesen, kamen weitere Kinder auf Steinard zu. Das Wort "Bonbon" lag wie ein Mantra in der Luft.
Julienne hatte sich vorgebeugt, redete leise mit dem Jungen und tätschelte seinen Kopf. Dass ihre Hand dabei zitterte, beschloss Hannes großzügig zu übersehen.
Steinard indes verteilte streng, aber gerecht, an jedes Kind genau einen Bonbon. Die Kinder, die glücklich ihre Beute in Händen hielten, bedrängten nun auch die anderen drei Mann aus Steinards Wolf, aber sie konnten mit Süßigkeiten nicht dienen. Bis Süßback, der Fahrer des ersten Wolf, auf die Idee kam, den Kindern ein paar der mitgebrachten Kondensmilch-Konserven zu schenken.
Nun traten auch die Erwachsenen und Älteren näher. Hannes fiel auf Anhieb auf, dass junge Männer eher die Ausnahme bildeten. Junge Frauen sah er gar nicht, und das konnte vieles bedeuten. Im Moment hoffte er, dass sich die jungen Leute nur versteckten, und nicht etwa entführt, zwangsrekrutiert oder tot waren.
Daran, Joseph ins Haus zu bringen, dachte keiner mehr, als die stetig anschwellende Menge ihn erkannte und freudestrahlend auf ihn zueilte.

Hannes fühlte sich an seine Grenzen geführt, als er versuchte, der Konversation zu folgen. Dennoch verstand er sehr genau die verzweifelten Mienen einiger Frauen im mittleren Alter, als sie Joseph beinahe über Gebühr bedrängten. Die Diplomatin setzte den noch recht wackligen Mann kurzerhand auf den Fahrersitz und schuf alleine durch die geöffnete Tür eine Art Schild für den erschöpften Mann. Joseph begann nun Namen aufzuzählen. Nicht viele, zwei. Aber es reichte, um mehrere Frauen in Wehklagen ausbrechen zu lassen, und es brachte erwachsene Männer zum Weinen.
Dann nannte er weitere Namen, und diesmal klangen Freudenschreie und Jubel auf. Die zweite Liste war wesentlich länger. Joseph schloss mit den Worten, dass die Herwigs sie alle heim ins Dorf bringen lassen würden, wenn es ihnen besser ging.
Das führte dazu, dass Hannes mehrfach als Herwig angesprochen wurde, und einige Umarmungen und Küsse über sich ergehen lassen musste. Erst Julienne klärte das Missverständnis und stellte ihn als etwas vor, was im übertragenen Sinne der Erste Krieger der Herwigs war. Dann erzählte sie kurz von ihrem Erlebnis, schilderte es in aller Schrecklichkeit und kam zur fast wundersamen Rettung durch Niklas und Steinard.
Hannes grinste schief. Beinahe hatte er geglaubt, bei Niklas' niedlichem Gesicht hätte sie ihren eigentlichen Retter vergessen, hatte doch die junge Frau fast nur Augen für den jüngeren Herwig gehabt. Den Rest der Aufmerksamkeit hatten er und Axel sich geteilt.
Schließlich erzählte Julienne der Menge, dass die Herwigs eine Diamantenmine eröffnet hatten, und das zumindest die Goldschürfer keine Männer mehr entführen würden. Sie erklärte den Leuten, das wohl viele der Steine, die sie als Schmuck trugen, Rohdiamanten von hohem Wert waren. Das brachte die Menge zu Verstummen, und Hannes sah sich und Heide wieder im Mittelpunkt.

"Wie viel ist das wert?", fragte eine alte Frau in der Heimatsprache der Wagonda. Sie zog ihre Kette aus den Brustausschnitt hoch. Am Ende befand sich ein rosa schimmerndes Stück durchsichtigen Steines, das mit Bändern umschlungen an ein Lederband gehängt worden war. Sie sah zuerst Heide auffordernd an und deutete auf die Kondensmilch-Dose in der Hand eines Kindes, das wohl ihr Enkel war. Heide sah zu Hannes herüber, und so wandte sich die Frau an den Leutnant. "Wie viele Dosen kriege ich dafür?"
Auf seinen auffordernden Wink nahm sie das Band ab und reichte ihm den Stein. Natürlich war Hannes kein Experte, aber er hatte einen Bruder im Verkauf, und beherrschte genügend Kniffe und Tricks, um sich auf einem orientalischen Straßenbasar durchzuschlagen. Er entschied sich für die Standard-Gegenfrage. "Was willst du denn dafür?"
Die alte Frau, sichtlich mit einigen Wassern gewaschen, und das in einer Zeit, zu der Hannes noch nicht mal geboren gewesen war, deutete auf die Kondensmilch-Dosen im Laderaum des Wagens. "Die da."
"Süßback, holen Sie alle Paletten raus." "Jawohl, Herr Leutnant."
Der Infanterist öffnete das Heck und holte eine Kartonpalette hervor, setzte sie der alten Frau vor die Füße. Die hob erstaunt die Augenbrauen. "Alle?"
Hannes bedeutete ihr, abzuwarten. Derweil schaffte Süßback weitere Paletten heran. Man konnte nicht umhin, der Mann beherrschte sein Theater, indem er für jede Palette mit Dosen einmal ging, anstatt vier oder fünf auf einmal zu tragen. Als er fertig war, türmten sich zwölf Etagen vor der Frau. Die alte Dame bekam nun richtig große Augen. "Alles?"
Hannes beschwichtigte sie, und hob den rosa Diamanten hoch. "Nein, das will ich euch allen schenken. Das, und was noch im Wagen ist. Wisst Ihr, ich bin kein Fachmann." Beim letzten Wort haspelte er kurz, bis er einen entsprechenden wagondanischen Begriff gefunden hatte. "Deshalb muss jemand, der es kann, feststellen, ob es ein Diamant ist. Und wie viel er wert ist. Aber wenn es einer ist, dann kannst du dafür diese Milch kaufen, und..." Er rief sich ins Gedächtnis, was der Crashkurs von Paul Trakener in seinen Verstand gepflanzt hatte. Rosa, also ein Fancy. Einschlüsse, trübe, ja, aber beinahe so groß wie eine Walnuss. Der Stein wog fünfzig, vielleicht siebzig Gramm und war damit typisch für die Größe, die sie bereits gefunden hatten. Mit anderen Worten, das Ding war viel wert. "Ich muss ihm diesen Stein bringen und schätzen lassen. Wenn er aber so wertvoll ist wie ich denke, dann kriegst du dafür so viel Milch, wie die Straße lang ist."
Diese Worte verschlugen der alten Frau die Sprache. Sie taumelte erschrocken und wäre gestürzt, wenn eifrig zugreifende Hände sie nicht gestützt hätten. Hannes nickte bestätigend und trieb die Situation zur Klimax. Er deutete eine Höhe an, die seine eigene Größe überragte. "So hoch."
Nun war es fast um die alte Frau geschehen. Der KSK-Mann dachte über das nach, was hier bei den Wagonda noch wichtig war. Kurz flüsterte er mit der Diplomatin. "Und Ochsen und Kühe dazu."
"Was nützen uns Milch und Ochsen und Kühe?", verlangte eine andere Frau, die wesentlich jünger war, zu wissen. "Die Milch wird schlecht, irgendwann, und das Vieh stirbt an den Minen auf den Weiden!"
"Schätzchen", sagte Hannes grinsend, "wenn dieser Diamant echt ist, räumen wir all eure Weiden von den Minen!"
"Wirklich? Alle Weiden?" Ein Jubelschrei ging durch die Menge.
Julienne zerrte an seiner Uniformjacke. In Englisch verfallend flüsterte sie: "Haben Sie sich das gut überlegt? Ich meine, unsere Weiden sind Kilometer lang."
"Wenn dieser Stein das ist, wofür ich ihn halte, junge Dame, dann kriegen Sie dafür die Milch, die Minenräumung, Ihre Straße und die Schule. Und das wird bleiben, selbst wenn wir schon wieder lange fort sind."

In die Menge kam Bewegung. Weitere Steine wurden ihm zugereckt, aber Hannes wehrte ab und versuchte, der alten Frau den Fancy zurück zu geben. "Morgen wollen wir wieder kommen, mit unseren Ärzten. Dann kommt auch unser Geologe mit. Er wird eure Steine nehmen, sie wiegen und kennzeichnen, und jedem einen Wechsel ausstellen. Später geben wir euch einen Anteil am Gewinn."
"Das ist nicht nötig", sagte die alte Frau, und schloss Hannes' Hand um den Stein. "Wenn diese Steine wirklich so viel wert sind, bringen sie uns nur in Gefahr. Und wenn sie schon jemand anderes haben soll, dann sollt Ihr sie haben. Räumt unsere Weiden, und Ihr habt mehr für uns getan als jeder andere zuvor."
Bevor sich Hannes versah, hatte er Ketten, Anhänger, Broschen, Ringe und dergleichen in beiden geöffneten Händen. "Süßback, eine Tasche, bitte. Na, da wird Bernd aber lange zu tun haben, um die zu kategorisieren." Ihm schwindelte bei dem Gedanken, dass er bei all diesen Steinen wohl ein mittleres Vermögen in Händen hielt. Der normale Karat Diamant, also Null Komma zwei Gramm, hatte gestern Abend im internationalen Vergleich noch zweitausendeinhundert Dollar eingebracht. Dabei berücksichtigt waren keine Fancies, größere Steine, die in eins geschliffen werden konnten, und weitere interessante Formen. Er schätzte das Gewicht in seinen Händen auf ein gutes halbes Kilo, ohne die Lederbänder. Zweitausendfünfhundert Karat Rohgewicht, das machte über vier Millionen Dollar. Er spürte, wie sich ihm die Kehle zuschnürte. Die Hälfte, so lautete der Deal, würde in die Erhaltung der Mine und in die Dörfer in der Umgebung zurück fließen, also auch in die sozialen Projekte von Meike. Der tatsächliche Gewinn war dabei nur grob zu schätzen. Und noch immer wurden ihm Steine in die Hand gedrückt. Manche holten weitere aus ihren Hütten. Hannes schaufelte alles in den geöffneten Rucksack des Infanteristen und wies ihn an, alle weiteren Steine ebenfalls da rein zu packen. Dann winkte er Steinard heran. "Teilen Sie die anderen Hilfsgüter aus und schicken Sie zwei Mann runter an den Bach. Sie sollen nach einem Platz für die Pumpe gucken. Und einen guten Platz für das Solarpanel."
"Verstanden, Herr Leutnant."
"Ach, und Steinard."
"Ja?" "Das haben Sie sehr gut gemacht."
Der Scharfschütze schnaubte amüsiert. "Mit Speck fängt man Mäuse. Und Kinder mit Süßigkeiten. Ich habe selbst zwei Zuhause, und ich sehe auch zu, dass sie sich nicht den Magen verderben."
"Ach, deshalb also ein Bonbon für jeden, und nicht mehr."
"Richtig. Die Erwachsenen müssen dort die Verantwortung für die Kinder übernehmen, wo sie es selbst nicht können." Er nickte Hannes noch einmal zu und gab seine Befehle weiter. Zu viert entluden sie die beiden Fahrzeuge und verteilten die Nahrungsmittel und Werkzeuge unter den Menschen.

"Hannes!", klang Heides besorgte Stimme auf.
Malicke sah alarmiert auf, aber die junge Frau winkte ihn zu sich und Julienne heran. Inmitten der Menge, die sich nach und nach über die Dosen und die anderen Hilfsgüter hermachte, stand eine Frau, ein Kleinkind auf dem Arm. "Das ist Marie. Sie fragte wegen dem Arzt, der morgen kommen soll. Ihre Tochter ist krank und sie will wissen, ob wir etwas für sie tun können."
Hannes besah sich das Kind. Es war fünf, und dennoch schien es in der Armbeuge der Frau und in den Tüchern, in das es gewickelt war, zu verschwinden. Er schob die Tücher über dem Kopf zurück und fühlte die Stirn. Sie war kochendheiß. Entsetzt fuhr er zurück. "Ich glaube nicht, dass wir bis morgen warten können."
Hastig ging er zum Wagen zurück und zückte das Satellitentelefon. "Hannes hier. Axel, hör mal bitte zu. Ja, wir wurden gut aufgenommen. Die Dorfbewohner haben uns gerade etwa ein halbes Kilo Diamanten geschenkt, wenn wir dafür ihre Weiden entminen. Aber darum geht es jetzt nicht. Wir... Ja, natürlich ist das ein toller Erfolg. Aber kannst du mich an einen der Ärzte weiter reichen? Wir haben hier ein Kleinkind mit hohem Fieber. Was? Ja, gut, ich richte es aus." Er sah die Frau ernst an. "Marie, wie lange hat deine Tochter das Fieber schon? Hatte sie Kontakt zu anderen Kranken? Hat sie etwas Schlechtes gegessen?"
"Das Fieber hat sie heute morgen gekriegt", erzählte die Frau. "Aber gestern Abend war sie schon so müde und erschöpft."
"Hast du das gehört, Axel? Bist du auch wirklich auf dem Weg? Wie, Meike operiert? Dann gib mir Hahnstedt oder Krauss oder einen der Sanis. Was soll ich?" Wieder sah er Maria an. "Hat sie öfters Fieber?"
"Nein, sie war immer gesund."
"Leg sie bitte auf den Boden."
Gehorsam bettete sie ihre Tochter auf der Piste, sorgsam bedacht, sie gut verpackt zu halten. Es war schon ein wenig Entsetzen dabei, als Hannes das Mädchen wieder auswickelte.
"Wo hat sie gestern gespielt, Maria?"
"Sie hat Früchte gesammelt. Im Wald. Aber sie hatte keine Blutegel am Körper. Ich sage ihr immer, gehe nur mit deiner großen Schwester mit und gehe nicht in diese Tümpel."
"Was hat ihre Schwester denn erzählt? Wo waren sie überall?"
"Nur im Wald. Und Anne-Marie ist auch nur einmal gestolpert und hat sich weh getan."
Hannes untersuchte die Beine des Mädchens, die wie der Rest des Körpers wie Feuer brannten. Schnell fand er, was Axel vermutet hatte. "Uff. Malaria können wir wohl ausschließen", sagte er erleichtert ins Telefon. "Das hier scheint eine ganz klassische Blutvergiftung zu sein. Sie hat eine dicke schwärende Wunde am linken Fuß, und von dort ziehen sich rote Linien das Bein hinauf."

"Und wann", klang Meikes wütende Stimme über das Telefon auf, laut genug, dass die Umstehenden sie hören konnten, "hattest du mir vor zu sagen, dass ich da noch einen Patienten habe, Hannes?"
Der Offizier sah zu Süßback herüber. "Erste Hilfe-Set." "Ja, Herr Leutnant."
"Meike, entweder kommst du rüber, oder du gehst wieder aus der Leitung. Bist du denn mit der Versorgung deiner Patienten schon durch?"
"Eine Blutvergiftung kann ich jederzeit dazwischen schieben, Hannes."
Süßback reichte ihm das Set. Hannes öffnete es, und entnahm Verbände und ein Einweg-Skalpell. "Sie wird nichts merken, versprochen. Danach wird es weh tun."
"Moment mal, Hannes Malicke, du wirst doch nicht etwa... Du wartest gefälligst, bis ich da bin!"
"Eine Wunde aufschneiden, reinigen und verbinden kann ich auch alleine. Aber wenn du dir meine Arbeit ansehen willst, kannst du gerne hoch kommen. Ich schicke dir einen Wolf."
"Nicht nötig."
"Hör mal, Meike, ich halte es für keine gute Idee, wenn du dich von Boxie bringen lässt. Das könnte hier eine Panik auslösen."
"Na und? Die Kleine braucht jetzt Antibiotika, oder? Ich lasse mich in der Nähe absetzen und komme mit Axel."
Hannes runzelte die Stirn. Dann setzte er das Skalpell an und schnitt die pochende Wunde auf. Blut und Eiter flossen heraus, zusammen mit einem geschwärzten Stück Holz. "Da haben wir ja den Übeltäter." Mit steriler Watte reinigte er die Wunde. "Du willst laufen? Dann warte auf einen der Wolf."
"Nicht nötig. Zwei von den Jeeps sind noch benutzbar. Wir hängen einen unter Boxies Spielzeug. In zwanzig Minuten sind wir da. Spätestens."
"Jetzt gib endlich wieder her!", klang Axels wütende Stimme auf. "Hannes? Hörst du, wenn es noch mehr Kranke gibt, dann sag Bescheid. Wir bringen dann das richtige Material mit. Einen Tag früher als geplant, aber Meikes Team ist schnell und effizient."
"Ich werde fragen. Gibt es weitere Kranke im Dorf, die dringend Behandlung brauchen?"
"Dringend? Nein", antwortete Marie.
"Gut. Unser Arzt ist unterwegs. Er wird bald hier sein."
Das Mädchen begann jetzt leise zu wimmern, als Hannes Süßback anwies, die steril abgedeckte Wunde zu bandagieren. "Und sie bringt Medikamente für dein Kind mit, Marie."
Er deutete auf das Mädchen, das bei Süßbacks zugegebenen ruppigen Art vor Schmerzen zu weinen begann. "Deck sie wieder zu. Sie wird sicher wieder gesund."
Marie standen Tränen in den Augen. "Und der Arzt bringt Medikamente mit? Danke! Danke!" Sie griff unter ihren Kragen und zog einen der Rohdiamanten hervor, die hier billiger Schmuck waren. "Bitte nimm das als Zeichen meiner Dankbarkeit."
Hannes sah sie etwas hilflos an. "Das ist doch nicht notwendig. Ich..."
"Vorsicht, das war ein persönliches Geschenk für dich", raunte ihm Heide ins Ohr. "Zumindest vorerst solltest du es einstecken. Wenn du es in die Tasche zu den anderen tust, beleidigst du Marie."
"Oh", murmelte Hannes. Er zeigte der Frau, die gerade ihr Kind wieder auf den Arm nahm, den Stein, dann steckte er ihn sich in die Hose.
Der Strom an Diamanten riss derweil nicht ab. In kleinen Portionen, aber beständig trafen weitere Steine ein. "Wie viele werden das denn noch?", fragte Süßback etwas ungläubig.
"Die Menschen hier hatten Jahre Zeit, sie zu sammeln", erwiderte Hannes. "Und dies ist nur ein Dorf. Julienne, wie viele Wagonda-Dörfer gibt es in der Region? Und wie viele kennen diese Steine?"
"Wie viele es gibt? Elf oder zwölf. Und die Steine? Die kennen alle. Wir nehmen sie als Schutz vor Zaubern, als Einschlafhilfe oder als Glücksbringer. Aber keine Sorge. Die Menschen werden sie euch freiwillig geben, wenn sie hören, was Ihr für sie tun wollt."
Süßback warf ihr einen ungläubigen Blick zu, dann sah er in den Beutel, in dem sich die Rohdiamanten sammelten. "Ich glaube, wir können uns auf einen tollen Bonus freuen", murmelte er leise.
"Und ich werde wohl genügend Gründe haben, um die anderen Dörfer zu besuchen", sagte Heide mit einem Tonfall, der irgendwo zwischen gespannter Erwartung und Erleichterung anzusiedeln war.
Der KSK-Offizier nickte nur dazu. Was hätte er auch sonst tun können?

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4.
Als die Dämmerung herein brach, hatten der Transporthubschrauber und die beiden Mi-24 immerhin fünf Touren geschafft. Dabei war knapp die Hälfte des Materials herangeschafft worden. Boxie selbst war die letzte Tour mitgeflogen, um auf dem Flugfeld auftanken zu können. Dafür hatte er Dutch und seinen Lademeister Wachhund fürs Lager spielen lassen. Sie würden zwar später auch Flugbenzin herbei schaffen, da einer der Helis permanent hier mitten in der Wildnis stationiert sein würde - es würde immer ein Mi-24 vor Ort sein, und die Maschine würde stetig ausgewechselt werden - aber es war einfacher, in Panadia zu tanken.

Bei seiner Tour zum Flugfeld hatte Boxie es sich nicht nehmen lassen, Bernd Assay und den kleinen Beutel mit potentiellen Diamanten mitzunehmen. Gemeinsam hatten sie Paul Trakener den Beutel zum Taxieren in die Hand gedrückt. Es waren alle Steine, die sie bisher gefunden hatten, zum Beispiel auf dem Geröllfeld. Die Steine aus Ngali waren noch nicht dabei; das Einsatzteam kehrte gerade erst zurück, eskortiert von einem Mi-24A.
Der Transporter und ein Mi-24A verließen gerade das Lager, um in Panadia zu übernachten und die erste Tour des nächsten Tages vorzubereiten. Die zweite Mi-24A würde folgen, sobald der Fahrzeugkonvoi das Lager erreicht hatte.
Zwei, maximal drei Tage, dann hatte das Transportieren ein Ende, und sie konnten endlich den Wartungsturnus beginnen, der bei der Hitze und der hohen Luftfeuchtigkeit auf dem Belongo-Hochplateau dringend notwendig war.

Auf dem Hügel ließ Kram die Grabungsarbeiten einstellen. Sie verfügten jetzt bereits über zwanzig Meter Laufgang und eine Beobachtungsgrube. Mit dem Bagger, der am Folgetag kommen sollte, würde die Arbeit sicher schneller gehen, aber die Maschine sollte laut Axel erst einmal die Gräben unten auf dem Gelände ausbaggern, welche die Mine schützen würden. Kram hatte sich fest vorgenommen, das System hier oben auf dem Hügel fertig zu haben, bevor der Bagger frei war. Das ging natürlich auf Kosten seiner neun Gefangenen, aber die Männer hatten die Arbeit schnell, fleißig und mit einem gewissen Enthusiasmus erledigt.
Sie tauschten die Position mit Chris Brentwood, einem der Scharfschützen, und seiner Spotterin Angel MacDougal. Beide waren nach Ablauf ihrer Dienstzeit in Deutschland hängen geblieben, und Kram war froh, dass Bernd, der Mann mit den unendlichen Kontakten, die beiden ehemaligen Army Ranger für die Truppe aufgetan hatte. Und das nicht nur, weil Angel ein Nachtglas bei sich trug.
"Alles ruhig", sagte er zu Chris. Der ehemalige Sergeant war Mitte vierzig, sah aber jünger aus. Er war groß, drahtig und immer die Ruhe selbst. "Wir übernehmen", sagte er nur und kletterte in die Grube herab. Er hatte die HK-33 gegen ein M-24 ausgetauscht, ein Scharfschützengewehr. Ein Funkgerät, Angels HK-33 und die üblichen Pistolen schlossen die Ausrüstung ab.
Angel war da schon redefreudiger. "Na, da haben Sie ja ein schönes Liebesnest für uns gegraben, Spieß. Ihre schwarzen Recken waren ja richtig fleißig. Wann kommt die Ablösung?"
"Um Mitternacht. Ich werde beim Abstieg das Gebiet mit Leuchtstäben markieren. Sehen Sie zu, dass Sie ausgebrannte Stäbe erneuern, wenn Sie herabklettern, Corporal."
"Verstanden. Beeilen Sie sich lieber ein wenig um runter zu kommen, Spieß."
"Wieso?", fragte Irene Hähnisch spöttisch. "Fürchten Sie, das wir uns verlaufen?"
"Nein, aber sonst ist die Nudelpfanne von Herrn Worms alle."
"Das ist ein wichtiges Argument", gab die Pionierin zu. Wie alle hatte sie mehrere Tage in der Heryhaus-Villa von der Verpflegung durch den Hausdiener und die Küchencrew gelebt, und war sehr erleichtert gewesen, als der gute Geist des Hauses darauf bestanden hatte, Fräulein Meike zu begleiten und die Küchencrew anzuführen. An dem Mann war ein Gourmetkoch verloren gegangen.
"Dann wollen wir nicht mehr länger warten." Kram wandte sich den wartenden Schwarzen zu. "Leon!"
Der Mann kam auf ihn zu und brachte sogar so etwas wie einen Salut zustande. Auf Französisch befahl Kram ihm: "Wir lassen das Werkzeug hier. Nehmt die Toten mit. Wir werden sie unten begraben."
Der große Schwarze grinste und nickte aufgeregt.
"Nicht so eilig. Du wirst nicht beim Tragen helfen." Kram zog einen Stapel Leuchtstäbe hervor und brach sie an, woraufhin sie zu glimmen begannen. "Du steckst alle zwanzig Schritt einen von denen in den Boden, okay?"
Leon nickte. "Kein Problem, Sir."
"Na dann wollen wir wieder runter gehen. Es gibt Essen."
Leon wandte sich den anderen Männern zu und instruierte sie. Einerseits waren sie froh, nach der schweren Arbeit die Werkzeuge liegen lassen zu können. Andererseits begannen die Leichen mittlerweile zu stinken und waren schwer. Und das Gelände begünstigte Stürze. Leon ließ nicht mit sich verhandeln und teilte die acht Mann so ein, dass jeder seinen Teil tragen musste.
Cordoba und Reeser mussten nicht mehr machen als hinter den Männern herzugehen.
"Also dann los." Kram schritt mit Hähnisch vorneweg.

"Ein kluger Bursche, dieser Leon", sagte Irene nachdenklich. "Oder halten Sie es auch für einen Zufall, dass er alle acht Mann auf einen Schlag beschäftigt hat?"
"Im Lager war er jedenfalls einer vom Fußvolk. Ist vom Jeep gesprungen, als wir angegriffen haben", erwiderte Kram. "Hat sich im Gras versteckt, bis die Patrouille ihn aufgegabelt hat. Und er ist nur deshalb nicht fortgelaufen, weil wir die anderen Gefangenen nicht erschossen haben. Was sollte er auch da draußen, in einer Gegend, die ihn und seinesgleichen hasst?"
"ACHTUNG!", gellte Josés Stimme auf.
Einer der Träger hatte seinen Platz verlassen und lief mit schnellen Schritten den Hügel quer entlang, in Richtung der Straße.
Reeser hatte seine Waffe gehoben und verfolgte den Laufenden, aber er schoss nicht. Stattdessen nahm er die Waffe wieder ab und aktivierte das Funkgerät der Truppe. "Haben soeben einen der Gefangenen verloren. Ist davongelaufen. Jemand sollte Leutnant Malicke informieren, nicht dass er den armen Burschen über den Haufen fährt."
Kurz darauf klang die Stimme von Niklas Herwig aus dem Gerät. "Sie haben nicht geschossen, Jens?"
"Nein, Chef. Wir sollen ja nur schießen, wenn wir angegriffen werden. Aber falls er die Nacht wiederkommt, sollten die Posten das wohl besser wissen."
"Gut reagiert. Herwig Ende", sagte Niklas und ging aus der Leitung.
Reeser sah fragend zum Spieß herüber, aber der winkte ab. "Keine Einwände. Lass ihn doch durch den Busch hetzen und hungrig bleiben. Wir für unseren Teil gehen jetzt was essen."
Ungerührt über den Vorfall setzte die restliche Truppe den Weg fort.
Einer der Männer ließ für einen Moment die Plane los, sah gehetzt zu den Soldaten, aber ein paar heftige Worte von Leon ließen ihn wieder an seinen Platz zurückkehren.
"Was hast du ihm gesagt?", fragte Kram interessiert.
Leon grinste ihn an. "Ob er heute Abend gerne hungrig bleiben will."
"Keine Sorge. Ihr werdet mehr kriegen als nur etwas zu essen", versprach Kram und setzte ungerührt den Weg fort.

Unten auf der Sohle des Kiesplateaus, das sich an den Hügel schmiegte, war mittlerweile auf dem unverseuchten Land eine kleine Zeltstadt errichtet worden, genauso wie es die Planung vorgesehen hatte. Deutlich waren zwei große Zelte zu erkennen, das Küchenzelt und das Sanitätszelt mit dem großen Roten Kreuz auf jeder Seite. Sie legten die Toten in zwei Gruben, in eine ganze Reihe von Gräbern, schaufelten sie zu und sprachen ein kurzes Gebet.
Kram führte die Truppe ins Küchenzelt, und war für einen Moment verwundert, wie voll das riesige Zelt mit nur zwanzig Menschen wirken konnte. Tatsächlich hatten die Meisten schon gegessen, und es waren nur wenige Soldaten an den Tischen. Die Mehrzahl waren Zwangsarbeiter, die noch zu schwach waren, um in ihre Dörfer zurück zu kehren, aber bereits stark genug, um feste Nahrung zu sich zu nehmen. Es gab keine optische Trennung zwischen Soldaten und Arbeitern. Der eine oder andere saß eigenbrödlerisch in einer Ecke, aber ansonsten waren sie bunt gemischt.
Als sie eintraten, verstummten die Gespräche. Viele teils feindselige Blicke trafen die acht Männer unter Krams Aufsicht. Allerdings grinsten nicht wenige von ihnen, als sie die vollkommen verdreckte Kleidung der Männer sahen. Das war Schadenfreude.
Herr Worms erwartete sie bereits. "Spieß. Was kann ich denn für Sie tun?"
"Mir wurde von MacDougal die Nudelpfanne empfohlen, Heinrich."
"Was für ein Glück, das wir noch eine für Nachzügler gemacht haben. Und was darf es für Ihren Trupp wackerer Arbeiter sein? Wir haben Kartoffeln, Yamsbrot, Reis, frisch geschossenes Gnu, alles was der örtliche Gaumen mag."
"Das sollen sie selbst entscheiden, Heinrich." Kram nahm sich ein Tablett, stellte einen Teller darauf und ließ sich ein Halbliterglas mit Wasser befüllen. Dann winkte er Leon hinter sich her, der sich ebenfalls an Tellern und Tablett bediente. Kram ging die improvisierte Theke entlang, nahm sich seinen Nudelauflauf, ein Stück Weißbrot, und als Nachtisch Wackelpeter aus garantierten NATO-Beständen. Hinter ihm bediente sich Leon. Dabei grinste er von einem Ohr bis zum anderen. Im Gegensatz zu Kram wählte er Yamsbrot, Reis und Wildfleisch. Die nachfolgenden Männer mixten sich ihre Teller so wie es ihr Gusto vorzog.
Kram ging auf einen freien Tisch zu und bedeutete den Gefangenen, bei ihm Platz zu nehmen. Leon setzte sich ihm gegenüber, sichtlich zufrieden mit seinem Essen.
Irene Hähnisch nahm neben Kram Platz, José und Jens setzten sich ans Tischende, ihre HK-33 in Greifreichweite. Aber für den Moment interessierten sich die Männer nur für das Essen. Einige hatten sogar Bierdosen erbeutet und unterhielten sich angeregt über diese kleinen, eisgekühlten Schätze. Kram bezweifelte, dass sie jemals deutsches Dosenbier getrunken hatten.
"Guten Appetit", sagte Kram, und langte kräftig zu.
Nun begannen auch die anderen zu essen, und schnell entsponn sich eine Unterhaltung unter den Gefangenen. Einer von ihnen richtete eine Frage an Kram, aber er verstand die Sprache nicht.
"Was hat er gesagt?"
Leon zuckte die Achseln. "Er wollte wissen, warum Sie Hakibi nicht erschossen haben. Sie brauchen doch Arbeiter, oder nicht?"
"Wir brauchen keine Zwangsarbeiter", schränkte Kram ein. Er deutete auf die ehemaligen Zwangsarbeiter. "Diese Männer werden alle wieder in ihre Dörfer gehen. Maschinen werden die Arbeit verrichten."
Leon übersetzte die Worte. Dies brachte den Mann dazu, skeptisch nachzufragen.
"Er will wissen, was dann aus uns wird."
"Das ist eine gute Frage. Wir haben das noch nicht entschieden, aber eines steht schon fest. Wir werden euch nicht töten."
Das war zumindest eine gute Nachricht. Die Männer, die Kram nun an den Lippen hingen, quittierten das mit Aufatmen.
"Das Essen ist gut", sagte ein anderer auf Französisch und spülte mit einem Schluck Bier nach. "So gut haben wir hier nie gegessen."
"Und was werden Sie dann mit uns machen?", hakte Leon nach.
"Das ist noch nicht raus. Aber wahrscheinlich werden wir euch einfach gehen lassen. Wenn Ihr dann wieder kommt, um gegen uns zu kämpfen, werden wir uns wehren. Das war es auch schon."
Leon übersetzte, und der Mann von vorhin setzte eine skeptische Miene auf.
"Er sagt, das glaubt er nicht. Wir haben viele böse Dinge getan. Wegen uns sind viele Männer gestorben. Er sagt, kein Warlord verzichtet auf seine Rache. Er tötet für andere Tote. Immer."
Das brachte Kram zum Lachen. "Mein Chef ist aber kein Warlord. Und ich denke, jetzt ist eine sehr gute Gelegenheit, um mit dem Töten aufzuhören."

Am Nachbartisch erhob sich ein spindeldürrer Mann mit ausgezehrtem Gesicht. Es schien ein Wunder, das er feste Nahrung essen konnte, geschweige denn sitzen oder gar stehen. Mit finsterer Miene kam er herüber, und schlug Leon ins Gesicht. Dann aber beugte er sich vor und küsste ihn auf die andere Wange. "Beides hast du verdient", murmelte er und ging wieder.
Kram hob fragend eine Augenbraue. "Erklärung?"
In den Augen des Schwarzen standen Tränen. "Das ist nicht so einfach, Sir. Alles ist nicht so einfach. Wir... Unser Vorarbeiter... Der Weiße... Wir hatten hier nie genug zu essen, wenn wir uns nicht selbst etwas geschossen haben. Unser Herr... Nein, das muss ich anders erklären. Als ich acht Jahre alt war, kamen Menschen in mein Dorf und entführten mich. Sie prügelten mich und sagten mir, das ich nicht weglaufen dürfte, weil sie mich sonst töten würden. Sie brachten mir bei, mit einer Waffe umzugehen, und dann zeigten sie mir, in welche Richtung und auf wen ich schießen musste. So verbrachte ich meine Kindheit. So wurde ich erwachsen. Irgendwann kannte ich nichts anderes als dieses Leben. Mein neuer Herr heißt Ldunga. Er ist Herr über dreihundert Speere."
Speere, das war eine alte Umschreibung für Krieger. "Weiter."
"Ich habe vieles für Ldunga getan. Ich habe getötet. Ich habe geplündert. Ich habe zerstört. Ich habe auch Frauen genommen. Ich habe es so gemacht, wie es alle tun. Es ist ein stumpfsinniges Leben. Es besteht aus Tod und Gewalt. Ich weiß nicht ob ich für Tod und Gewalt geschaffen bin, aber viele Kinder, die vor und nach mir kamen, starben bald auf die eine oder andere Art. Ich überlebte und wurde erwachsen. Und immer noch war Ldunga mein Herr. Ich fuhr mit meinem Truppführer in die Dörfer, verlangte Schutzgeld und suchte Jungen und Mädchen aus, die stark genug waren, eine Waffe zu tragen und sie zu benutzen. Dann nahmen wir sie mit, bildeten sie aus. Nicht selten wurden die Mädchen genommen, und manchmal starben sie daran." Für einen Moment krampften sich seine Hände zu Fäusten. "Ich bin gefangen. Ich bin Ldungas Diener, und ich habe keinen anderen Platz auf dieser Welt. Also tue ich, was er mir sagt. So war es, als er für die Weißen diese Mine eingerichtet hat. Er schickte mich hierher, um sie zu beschützen und die Arbeiter anzutreiben. Ich war einer von vielen. Wir haben Gold gesucht, aber nicht gefunden. Doch der Weiße gab nicht auf, verlangte Arbeiter, viele Arbeiter. Das, was wir an Essen bekamen, reichte gerade mal für uns Wachen aus. Wir hungerten die Männer aus, bis sie zusammen brachen und starben. Dann warfen wir sie in eine Grube, wo sie verrotteten. Jean, unser Oberführer, regierte mit eiserner Hand und ließ uns auch Mädchen aus den Dörfern entführen, für sein Vergnügen. Einige von ihnen liegen auch in der Grube. Andere überließ er uns. Die, die überlebten, brachten wir wieder nach Hause. Wenn wir fertig waren, heimlich, damit Oscar es nicht bemerkte. Und wir gingen auf die Jagd, schossen Wild, um mehr zum Essen zu haben. Vieles teilten wir mit den Arbeitern, aber einige konnten kein Fleisch mehr essen. Und wieder trugen wir Tote zur Grube.
Verstehst du, Sir? Man kann es nicht ändern! Ldunga ist mein Herr, und ich tue was Ldunga sagt. Ich kann nichts anderes machen. Wir können nichts anderes machen. Wo sollten wir auch hingehen? Wer sollte uns nehmen? Ich tue immer was Ldunga sagt, ich töte, wenn er es befiehlt, ich nehme Frauen, wenn er es befiehlt, ich plündere, zerstöre, wenn er es befiehlt. Ich habe nichts anderes, Sir."
Kram nickte in Richtung des Nachbartischs. "Und der Mann?"
"Ich... Wenn ich Wache hatte, ließ ich die Männer meistens ausruhen, solange Jean nicht in der Nähe war. Oder der Weiße, diese kleine Ratte. Ich habe auch seine Tochter nach Hause gebracht, nachdem sie für Jean geholt worden war. Und ich habe ihm gesagt, das es ihr gut geht."
"Geht es ihr denn gut?", fragte Kram mit ironischem Ton in der Stimme.
"Sie lebt und geht auf ihren eigenen zwei Beinen. Sie kann arbeiten und den Haushalt machen. Aber sie hat große Angst vor fremden Männern."
"Das ist verständlich", mischte sich nun Hähnisch das erste Mal in die Unterhaltung ein.
"Und das war eine Untertreibung", sagte Kram. Er seufzte und schob sein Tablett von sich fort.
"Willst du bei uns bleiben, Leon?"
"Was bitte, Sir?", fragte der Schwarze ungläubig.
"Wir werden Leute brauchen, die die Baumaschinen bedienen. Wir werden sie gut bezahlen. Gut genug, damit sie später ein sicheres Leben führen können. In der Hauptstadt zum Beispiel."
"Spieß, ist es klug, einen Mörder und Vergewaltiger...", begann Irene.
"Dies ist ein raues Land. Und wir können es nur ändern, wenn wir guten Willen zeigen", erwiderte Kram. "Dies ist der Punkt, an dem wir anfangen werden." Er erhob sich. "Ich werde es den Herwigs vorschlagen. Und du, Leon, überlege dir deine Antwort." Er sah die anderen Männer an. "Das gilt auch für euch."
Der hagere Mann erhob sich wieder und kam auf Kram zu. "Wenn Ihr gut bezahlt, nehmt Ihr auch mich?"
Das brachte weitere Männer dazu, sich zu melden. "Wir werden darüber reden", versprach Kram und erhob sich.
Mit einem Winken in Richtung von Herrn Worms verließ er das Zelt.

Im Container, der nun als Basis diente, waren die Führungsoffiziere der Mission versammelt. Während Kram um sein Essen gebracht worden war, waren ein Wolf und der Jeep zurückgekehrt.
"Keine Sorge", sagte Malicke und hob abwehrend beide Hände, "ich habe den Chef, Süßback und Steinard zum Schutz der Frauen zurückgelassen. Aber es sieht ohnehin nicht so aus als seien sie gefährdet. Das Letzte, was ich von Ngali gesehen habe, ging mehr in Richtung Volksfest. Außerdem hätte ich schon zwanzig sehr mutige und kräftige Männer gebraucht, um Meike aus Maries Hütte, oder gar von der Seite ihrer kleinen Patientin weg zu kriegen. Ich habe sie erst verlassen, nachdem ich ihr mit Iso-Matte und Schlafsack eine Bettstatt direkt neben der Kleinen aufgebaut habe. Und Axel hat versprochen dafür zu sorgen, dass sie sich ausruht. Außerdem hat er das Funkgerät. Wenn etwas passiert, müsste schon vieles schief gehen, wenn wir es nicht mitkriegen. Außerdem fahre ich mit den Wagen morgen früh wieder raus, um ihre Ausrüstung zu bringen. Sie will morgen früh mit ihrer Impfaktion beginnen."
"Steinard, mein Bruder und Süßback?" Nervös marschierte Niklas im Container auf und ab. "Gute Leute."
"Wir haben nur gute Leute", sagte Kram und trat ein. "Entschuldigen Sie die Störung, meine Herren."
"Sie stören nicht, Spieß. Sie sind genauso Führungsoffizier wie wir alle", sagte Niklas.
Bernd sah ins Rund. "Wenn also die Sache mit Meike und Heide geklärt ist, könnten wir dann vielleicht mal zu meinem Bericht kommen."
Kram nickte zustimmend und nahm Platz.
Boxie schien sich herzlich wenig für das Gerede zu interessieren. Er saß an einem Schreibtisch, hatte seine Beine auf die Platte gelegt und streichelte hingebungsvoll Antoinette und Willi.
"Also, Onkel Paul hat die Steinchen taxiert. Zuerst die gute Nachricht: Es sind keine Kiesel dabei. Ich habe ihm nur Diamanten gebracht."
"Ja, das ist tatsächlich eine gute Nachricht. Das bedeutet nämlich, das wir hier auf einem verdammt großen Diamantenlager sitzen. Axel wird mir den Rest des Monats damit auf die Nerven gehen, dass er Recht hatte. Und was ist die schlechte Nachricht?"
"Wir können eigentlich nach Hause fliegen."
Das brachte selbst Boxie aus der Ruhe. Beinahe wäre er aufgesprungen.
"Die von Onkel Paul taxierten Diamanten haben nach seiner Schätzung einen Wert von acht Millionen Euro. Und das war eine sehr konservative Schätzung, nur nach dem Gewicht beurteilt", berichtete Bernd grinsend. "Und da sind deine Steinchen noch gar nicht mit drin, Hannes."
Unwillkürlich sah der KSK-Offizier zum leidlich gefüllten Rucksack, den er aus Ngali mitgebracht hatte. "Konservativ, heißt das, es könnte auch mehr werden?"
"Sehr viel mehr. Und wisst Ihr was? Onkel Paul hat gesagt, dass das Lager randvoll sein muss, wenn wir schon aus dem Erdaushub so viele Diamanten bergen konnten. Unten im Kies müssen noch viel mehr liegen."
"Aldi-reich", sagte Niklas und kratzte sich mehr verwundert als glücklich am Kopf. "Axel hat es ja gesagt."
"Und die Hälfte des Gewinns ist für den Betrieb des Lagers und für die Hilfsgüter", sagte Malicke ernst. "Bernd, ich habe versprochen, die Weiden des Dorfes von Minen zu räumen. Wie schnell kriegst du Metalldetektoren in die Finger?"
Bernd Assay grinste von einem Ohr bis zum anderen. "Längst erledigt. Ich habe vier Detektoren eingekauft. Sie lagern bereits auf dem Flugfeld und kommen morgen mit. Als hätte ich es geahnt.
Aber ich habe auch ein Leckerli der besonderen Art. Kriegen wir hier so etwas hin wie eine eingermaßen feste Landebahn?"
"Wir kriegen was hin?", fragte Boxie irritiert. "Eine Landebahn? Hubschrauber brauchen keine Landebahn."
"Ich könnte einen Keiler kriegen. Der wurde unter der Hand an Panadia verkauft, um ein größeres Geschäft mit Minenräumern anzuleiern. Aber das Kriegswaffenkontrollgremium des Bundestages hat das Geschäft nicht genehmigt, weil der Keiler ja auch eine Kriegswaffe ist und manche Minen nicht zerstört, und so weiter. Unsinn also. Und jetzt steht er in Panadia rum, weil es keine Bedienmannschaft gibt. Der würde uns hier doch super helfen. Und den können wir nur per Flugzeug transportieren. Da ist eine schnieke kleine Antonov AN 124, die für ein privates Unternehmen in Panadia fliegt; gut genug ausgerüstet, um richtig schweres Gerät bis einhundertzwanzig Tonnen zu befördern. Mit dem Keiler könnten wir Ngali ohne persönliches Risiko in wenigen Tagen Minenfrei machen. Und was er nicht auslöst, können wir problemlos sehen und sprengen."
Niklas hob skeptisch eine Augenbraue. "Und wir lassen die Weiden gepflügt zurück. Vergesst nicht, dabei arbeitet das Schlagwerkzeug aber so gut wie ein Pflug. Willst du die Weiden mutwillig zerstören? Und wie oft willst du fahren? Der Keiler soll Panzergassen schaffen. Es hat schon seinen Sinn, warum man auch heute noch Minenfelder per Hand räumt."
"Ich sage ja auch nur, das man den Keiler nicht überall einsetzen muss. Nur da, wo wir Minen in großer Zahl feststellen", murrte Bernd. "Aber es geht verdammt fix mit dem Keiler, das musst du zugeben."
"Ja, schon", gestand Niklas ein.
"Aber ohne Landebahn kein Keiler", stellte Boxie fest. "Sind wir nicht schon damit ausgelastet, Schulen, Straßen und was weiß ich noch zu bauen? Was willst du machen? Noch mehr Leute anwerben?"
Bernd zuckte die Achseln. "Wir könnten sie bezahlen. Wir haben jetzt schon genug Geld gemacht. Und es wird noch mehr werden."
"Meinst du nicht, dass die Leute da draußen, die sich auf ihren Bonus freuen, nicht sehr erfreut reagieren werden, wenn der Bonus weiter ausgedünnt wird?", warf Niklas sarkastisch ein.
"Sie sind Soldaten. Sie kennen Notwendigkeiten. Wenn wir mehr Leute brauchen, dann brauchen wir sie halt. Und ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass das irgendjemanden daran hindern wird, Aldi-reich zu werden. Wir haben ja noch nicht mal angefangen, die Mine auszubeuten."
"Und wo wollen wir die Arbeiter hernehmen? Selbst wenn wir sie bezahlen können", sagte Niklas trocken.

"Es gibt Freiwillige", warf Kram ein.
"Was, bitte?"
"Es gibt Freiwillige. Unter den Zwangsarbeitern und den Gefangenen."
Niklas blinzelte verständnislos. "Was, bitte?"
Kram zuckte die Achseln. "Manche Menschen suchen nach einem Platz im Leben, manche suchen nach einer sinnvollen Beschäftigung."
"Und wir sollen den Männern trauen, die wir gefangen genommen oder selbst zusammen geschossen haben?", zweifelte Boxie.
"Ich habe nicht gesagt, das wir ihnen trauen sollen. Aber wir können sie hart arbeiten lassen. Damit hätten wir auch Soldaten freigemacht, die ihren eigentlichen Job erledigen können."
"Kram, Sie klingen schon wie Axel, wissen Sie das?", sagte Niklas harsch. Allerdings milderte sein Lächeln den Eindruck ein wenig. Er griff nach dem Beutel, den Hannes mitgebracht hatte und hob ihn hoch. "Boxie, die hier bringst du morgen rüber nach Panadia. Und wenn die uns ein paar weitere Millionen einbringen, sollten wir ernsthaft darüber nachdenken, eine kräftige und extra lange Piste zu bauen, auf der eine AN-124 landen kann. Dann ist es vielleicht auch sinnvoll, noch mehr schweres Gerät zu kaufen und her zu bringen." Er sah zu Bernd herüber. "Mein liebes Notizbuch auf zwei Beinen, wie sieht denn die nicht so konservative Schätzung von Paul aus, die Diamanten betreffend? Also nachdem er die Makeables und die Spaltbaren getrennt und taxiert hat?"
"Oh, rund zwanzig Millionen. Vielleicht dreiundzwanzig, weil das Geschäft dank Thomas nun legal ist."
"Dreiund..." Niklas verstummte. "Wir brauchen vielleicht wirklich Arbeiter."
"Zu den gleichen Konditionen wie unsere Leute?", fragte Boxie.
"Wir werden hier bestimmt keine Zweiklassengesellschaft errichten", erwiderte Niklas. "Aber wir müssen das modifizieren, so von wegen angerechnet ab dem Tag des Beitritts, oder so. Wer länger hier ist, hat ein höheres Risiko gehabt. Das muss belohnt werden."
"Dann habe ich nichts gegen diesen Plan", bekannte Boxie. "Übrigens, bevor ich es vergesse, Niklas, dein panadianischer Freund, der liebe Captain Kamebeki, der dich aus der Wildnis gepflückt hat, hat mir unseren belgischen Gefangenen mit Kusshand abgenommen. Anscheinend wird er in halb Afrika gesucht, und in Panadia unter anderem wegen Betruges, Sklaverei und Hehlerei. Ihn erwartet ein Gerichtsverfahren, das sich gewaschen hat. Sogar dieser Jean war dem guten Julian bekannt, und es hat ihm gefallen, dass er jetzt in einem Grab neben seinen Opfern ruht. Thomas hat den Belgier vorher noch mal in die Mangel genommen und über seinen Auftraggeber ausgequetscht, aber der Sack hat dicht gehalten. Das bedeutet, er hat mehr Angst vor seinem Boss als vor einem wütenden Herryhaus. Und das will doch wirklich was heißen."
Niklas winkte ab. "Hinter ihm steht wahrscheinlich einer der amerikanischen Ölkonzerne, die hier liebend gerne auch noch eine Goldmine aufgemacht hätten. Auf unserer Diamantenmine. Unserer legalen Diamantenmine, wie ich feststellen möchte."
"Ach ja, da war ja noch was", kommentierte Boxie amüsiert.
"Dann kann ich den Freiwilligen also sagen, dass wir sie anlernen werden?", fragte Kram.
"Sie kriegen keine Waffen!", stellte Niklas sicherheitshalber fest. "Sie werden als zivile Arbeiter eingestellt, kriegen ihre Einmalzahlung von zehntausend Euro und ihren Anteil am Gewinn, wie alle anderen auch. Und, Spieß, sieh zu, dass du uns keine Natter an den Busen legst. Wenn es geht, sortiere die schlimmsten Fälle aus, bitte."
"Ich glaube, alle hier sind die schlimmsten Fälle. Belongo ist zutiefst in sich zerrissen." Kram rieb sich die Nasenwurzel. "Ich habe einen Namen. Der Vorarbeiter der Gefangenen, Leon, hat ihn mir genannt. Er sagt, er arbeitet für einen Kriegsherrn namens Ldunga, und der verfügt über dreihundert Speere. Da er nur zu gerne Kinder entführt und für sich kämpfen lässt, bin ich nicht ganz sicher, wie viele man ernst nehmen kann. Aber es reicht wohl, um dieses Camp zu eröffnen und in den umliegenden Dörfern Angst und Schrecken zu verbreiten."
"Ldunga. Ich werde mit James Kamebeki reden. Vielleicht kann er mir etwas zu diesem Namen sagen", sagte Niklas nachdenklich. "Und ich will diese Nacht abgesehen vom Beobachtungspunkt auf dem Hügel immer zwölf Mann auf Streife sehen. Mittlerweile ist genug Zeit verstrichen, sodass dieser Ldunga merken sollte, dass ihm jemand auf die Füße getreten ist. Und ich bezweifle, dass unsere amtlichen Dokumente für ihn irgendeinen Wert haben."
"Da ist immer noch das Camp der Ndongischen Armee, das die Ölfelder und die Raffinerie beschützt", warf Boxie ein. "Wir sollten dort so bald wie möglich einen Anstandsbesuch machen und ihnen sagen, das wir jetzt Nachbarn sind. Legale Nachbarn. Du solltest da doch noch den einen oder anderen kennen, oder, Niklas?"
Der Oberleutnant nickte automatisch. "Ich hatte gedacht, das wir diesen Teil hinauszögern können, wenigstens um ein paar Tage, bis wir richtig angekommen sind. Aber wir stecken mitten in einer fetten Eigendynamik, oder?"
"Richtig fett", bestätigte Bernd grinsend. "Wie hat doch dein Vater immer so gerne gesagt? Manchmal soll man die Dinge sich entwickeln lassen und schauen was passiert."
"Nein, das war Axels Vater. Meiner hat immer gesagt, dass das chinesische Schriftzeichen für Katastrophe auch als Chance gelesen werden kann, und dass ich darüber nachdenken soll."
"Ach so."
Niklas sah von einem zum anderen. "Sehe ich das richtig, dass wir bereits jetzt ein Vielfaches der Summe von zehntausend Euro an jeden einzelnen unserer Leute auszahlen können?
"Über den Daumen einhundertsechzigtausend Euro pro Nase. Ohne die, die Hannes mitgebracht hat. Und wenn die Verkäufe so schlecht über die Bühne gehen, wie Onkel Paul befürchtet." Bernd grinste schief. "Über zu wenig Geld wird sich keiner beklagen können."
"Und da war wieder Problem Nummer eins", warf Boxie ein.
"Und was ist das Problem Nummer eins, Leutnant Draeger?", fragte Niklas mit genervtem Unterton in der Stimme.
"Hannes, was haben sie dir doch gleich in Ngali gesagt, als du die Diamanten von Bernd taxieren und zertifizieren lassen wolltest, um jedem der Bewohner seinen fairen Verkaufspreis geben zu können?"
"Reichtum lockt Ärger an, oder so. Sie waren regelrecht froh, die Steine sinnvoll los zu werden, nachdem sie wussten, was sie tatsächlich wert sind."
"Was meinst du wird passieren, wenn dieses Wissen die Runde macht? Wie viele Warlords haben wir in Reichweite? Wie viele Dörfer schmücken sich wohl mit Rohdiamanten?"
"Autsch, würde ich sagen", murmelte Niklas.
"Ja, Autsch. Also, ich wäre ja dafür, dass wir diesem Ldunga eine Warnung zukommen lassen, die sich gewaschen hat, bevor er anfängt, nach unseren Diamanten suchen zu lassen. Er ist ein illegaler Warlord mit illegaler Privatarmee, der kleine Kinder entführt und Angst und Schrecken über die Region verbreitet. Geben wir ihm einen Grund, still zu halten. Ihm und den anderen Warlords auch. Je härter wir ihn treffen, desto besser."
"Ach, du willst den Krieg jetzt schon anfangen?", fragte Bernd.
"Wir hatten halt das Pech, dass diese Idioten mitten auf unserer Diamantenmine gebuddelt haben. Die Kampfhandlungen sind längst eröffnet, und die Vernunft schweigt", orakelte Boxie.

Niklas' Funkgerät knackte. "Herwig."
"Sir, Clancey hier. Ich stehe gerade Posten an der Straße, hinter den Baracken."
"Was gibt es, Corporal?"
"Sir, hier steht ein ziemlich zerrissener, verschwitzter und erschöpfter Bursche namens Hakibi. Der ist wohl vorhin vom Arbeitstrupp entkommen, der auf dem Hügel geschuftet hat. Oberfeldwebel Kram hat ihn laufen lassen."
"Ja, ich weiß. Und jetzt ist er wieder hier?"
"Ja. Er hat Hunger, und er ist der Meinung, dass ihm für seine Arbeit Essen zusteht."
Die Führungsoffiziere der Truppe sahen sich verblüfft an. Dann begannen sie einer nach dem anderen zu lachen. "Ist in Ordnung, Clancey. Ich schicke Ihnen Kram vorbei. Er wird den Burschen abholen und ins Küchenzelt bringen."
"Danke, Sir."
Boxie grinste. "Also, sie wissen zumindest was Pragmatismus ist, diese Burschen. Und, kriege ich jetzt meinen Kampfauftrag, Oberleutnant Niklas Herwig?"
"Du meinst, wir schlagen zurück, nachdem wir selbst erst angegriffen haben, Leutnant Michael Draeger?"
"Wenn gute Männer sich nicht gegen das Böse wenden, ist das Ungehorsam vor Gott. Ist nicht von mir. Ich habe auch vergessen, wer es gesagt hat, aber ich würde ungern ungehorsam sein."
"Und was hast du vor? Die dreihundert Speere zu dezimieren?"
"Oh nein. Nachher trifft es noch die unschuldigen Kindersoldaten. Na, unschuldig. Zumindest können sie nichts dafür, was sie sind und was sie tun. Ich dachte nur, ich demonstriere diesem Ldunga mal, wie teuer es sein wird, wenn er sich mit uns ernsthaft anlegen will. Und ich hätte nichts dagegen, das bei den anderen Warlords und den Rebellen auch zu machen."
"Ach. Du willst dir gleich alle zum Feind machen. Und warum glaubst du, dass dir gelingt, was der Armee bei gleicher Ausrüstung oder sogar besserer Ausrüstung nie gelungen ist?", ätzte Niklas.
Hannes hob die Rechte. "So wie ich Joseph verstanden habe, weil sie es nie versucht haben. Sie sind hier um das Öl zu schützen, nicht die Menschen. Damit die Ölförderung in Ruhe vonstatten gehen kann, haben sie die verschiedenen Dörfer und Völker immer wieder gegeneinander aufgehetzt."
Niklas erstarrte für einen Moment. "Das ist nicht dein Ernst."
"Ich gebe nur wieder, was mir Joseph erzählt hat, als wir ihn und seine Tochter nach Hause gebracht haben. Er sagte auch, die Wagonda sind dabei meistens die Hauptleidtragenden, weil sie als größte Bevölkerungsgruppe die meiste Angriffsfläche bieten. Auch heute noch. Und dass die Warlords wohl auch vom Militär finanziert werden. Alles nur, damit ausländische Unternehmen belongoische Bodenschätze plündern können."
"So wie wir?", fragte Boxie schnippisch.
"Nicht ganz so wie wir. Hoffe ich zumindest."
In Niklas' Kopf rumorte es. "Nein, wir schlagen nicht von uns aus zu. Wir... werden reagieren, wenn er oder ein anderer Warlord über die Stränge schlägt."
"Gut. Wenn es das gewesen ist, dann gehe ich jetzt den Bengel vom Posten abholen", sagte Kram. "Er hat ein Riesenglück, dass er nicht erschossen wurde."
"Tun Sie das, Spieß. Und, gute Arbeit bis hier."
"Danke. Aber ich denke, wir alle leisten gute Arbeit. Sehr gute Arbeit." Kram nickte anerkennend in die Runde, und die Männer nickten zurück. Zufrieden, stolz. Irgendwie erfüllte ein Gefühl der Verbrüderung den kleinen Raum. Ihre Unternehmung funktionierte, und sie brachte den erhofften Profit. Nun ging es an jeden einzelnen, an die Spezialgebiete.
Seines war, aus einem unkoordinierten Haufen eine Einheit zu machen, die Niklas Herwig dann kommandieren würde. Eines wusste der Oberfeldwebel allerdings schon jetzt: Der erste Tag war noch nicht mal um, und vieles war geschehen. So würde es weiter gehen. Garantiert.
Mit einem ziemlich guten Bauchgefühl machte sich Kram auf dem Weg zum Posten.
***
Etwas bewegte sich neben ihr, und Meike Herryhaus war sofort hellwach. Ihr Blick ging vom kleinen Nachtlicht sofort zu Ariele, ihrer kleinen Patientin, aber das Mädchen schlief tief und fest. Es hatte sich nur gedreht, und das hatte sie geweckt.
Erleichtert ließ sich Meike wieder zurücksinken. Sie versuchte wieder einzuschlafen, denn immerhin hatte sie Schlaf bitter nötig. Seit den frühen Morgenstunden hatte sie operiert oder Patienten behandelt. Brot und Reis, die man ihr hier in Ngali gegeben hatte, war ihre erste und einzige Mahlzeit des Tages gewesen. Aber der Schlaf wollte nicht wiederkommen. Etwas stimmte nicht. Etwas... Sie wirbelte herum.
Axel hockte im Halbdunkel neben ihr und sah auf sie herab. "Schade. Ich hatte gehofft, dass du wieder einschläfst", flüsterte er. "Ich wollte dich nicht erschrecken."
"Das hast du auch nicht. Aber was machst du hier?", raunte sie zurück.
"Ich habe nachgeschaut, wie es dir und deiner kleinen Patientin geht."
"Oho, hast du dir etwa Sorgen um mich gemacht, Axel?", spottete sie leise.
"Ich mache mir doch immer Sorgen um dich, Meike." Mit diesen Worten erhob er sich und verließ den Raum wieder.
"Dummkopf", murrte sie. "Wie kannst du mir so etwas sagen, und dann einfach wieder gehen? Männer." Sie drehte sich wieder in Richtung ihrer kleinen Patientin, sah sich das niedliche, friedlich schlummernde Gesicht an und fühlte sich rundum wohl. Sie war hier. Sie konnte etwas bewirken. Nach ein paar Minuten schlief sie wieder ein.
***
Wie lebte eigentlich ein Warlord? Was musste man sich darunter vorstellen? Oder wen? Im Falle von Ldunga Abesimi hätte man eventuell ein paar Abweichungen vom Klischee feststellen können, die leicht irritierten. So wohnte Ldunga, der ein Sohn des Lulugengo-Stammes war, auf einer großen Farm, die mit Dornenbuschwällen, hohen Zäunen und Wachtürmen gesichert worden war. Bewaffnete Männer patrouillierten die Grenzen, hielten die Tore besetzt und bemannten die Türme, die selbstverständlich mit MG's ausgerüstet waren. Weitere Männer patrouillierten die großzügig im Flussdelta angelegten Felder, auf denen hauptsächlich Mais und Weizen angebaut wurden. Ein Teil der Felder wurde auch für Reis benutzt, und für Bearbeitung und Ernte standen nicht die modernsten, aber doch effiziente Maschinen zur Verfügung. Auf den ersten Blick vom Wachschutz irritiert würde man sich doch fragen, welcher weiße Landwirt hier die fruchtbare Krume nutzte. Doch Ldunga war schwarz. Aber er hatte es geschafft.
Auf der Farm selbst standen die Baracken für seine dreihundert Krieger, kleine Häuser für die Huren, weitere Baracken für Wanderarbeiter, die zur Saison gebraucht wurden, Scheunen für die wertvollen Maschinen und erstaunlich moderne Silos für die Einlagerung des Getreides.
Ein großes mehrstöckiges Herrenhaus wie aus der victorianischen Zeit, in dem Ldunga mit seinen fünf Frauen und neun Kindern sowie den zahlreichen Bediensteten lebte, komplettierte die Aufstellung.
Tatsächlich dienten ihm dreihundert erwachsene Männer, die für ihn kämpften, und dafür Nahrung, Unterkunft, Lohn und regelmäßig Frauen bekamen, die Arbeiter für die Felder nicht mitgerechnet, die zumeist Frauen waren. Dazu kamen rund sechzig Kinder und Jugendliche, die unter dem Oberbegriff "Kindersoldaten" zusammengefasst werden konnten. Nicht, dass er die Kinder unbedingt brauchte, aber viele seiner jetzigen Speere hatten ebenso als Kindersoldaten angefangen, kannten kein anderes Leben als das in seinen Diensten und waren für immer an ihn gebunden. Nicht viele Kinder überlebten ein Jahr oder gar zwei; jene die es dennoch schafften, wurden zu seinen loyalsten Soldaten.
Bewaffnet waren sie hauptsächlich mit der guten alten AK-47, aber es tauchte auch die gute alte belgische FN FAL auf. Ldunga hatte schon immer gute Kontakte auf dem Waffenmarkt gehabt und zur Grundlage seines Reichtums gemacht. Seine Erzeugnisse verbrauchte er nur zu einem geringen Teil selbst und verkaufte sie in den großen Städten des Landes, sicher von seinen Leuten eskortiert. Seine Viehherden jedoch waren für den Eigenbedarf bestimmt; sie hatten sich noch nicht weit genug entwickelt, als dass er den Fleischhunger seiner Leute bedienen konnte, und noch genügend Bestand für Verkäufe hatte. Das würde sich aber bald ändern, wenn die neuen Weiden abgesteckt waren und die ersten Zahlungen der Amerikaner eine massive Erweiterung der Herden zuließ. Dann würde er auch Fleisch auf den lukrativen Märkten in den Städten verkaufen.
Soweit, so idyllisch. Hätte da nicht das kleine Problem bestanden, dass er eine Landfläche von der dreifachen Größe Hamburgs beanspruchte. Dieser Streifen Land war sein Land. Lulugengo-Land. Es erstreckte sich von der zerstörten Distrikthauptstadt über das Hochplateau bis hin zu den erloschenen Feuerbergen im Norden, wurde im Osten vom Fluss begrenzt und endete im Westen an der Grenze jenes Landes, welches das Ndongoische Militär mit ihrer Basis absicherte. Ein guter Nachbar. Ein einträglicher Nachbar. Das Militär hatte Interesse daran, dass ein Lulugengo hier mitten im Wagonda-Gebiet ein Machtfaktor war. Ein gewaltiger Machtfaktor. Ein Faktor, der über fünfzig Dörfer kontrollierte, die hauptsächlich von Wagonda bewohnt waren. Dazu kamen ein paar Orte der Lulugengo, die durch seine Protektion langsam vom Ostufer des Lagabandas in Wagonda-Gebiet einwanderten und das fruchtbare Land in Beschlag nahmen.
Dass er dafür die Wagonda einschränken, vertreiben und terrorisieren musste, war ihm relativ egal. Er war Lulugengo, und die Wagonda waren seine Feinde. Er war der Stärkere, und der Schwächere musste ihm weichen. So einfach war die Welt. Und jeder weitere Lulugengo, der einwanderte oder hier geboren wurde, stärkte seine Macht, denn die Dorfvorsteher wussten, wem sie den Frieden verdankten, in dem sie leben durften. Auf der Ostseite herrschte Wanagana, ein Kriegsherr, der Kelegaba war. Die Kelegaba mochten keine Lulugengos, und das schon seit Jahrhunderten nicht. Wanagana war von Norden eingerückt, vor über fünfzehn Jahren, und hatte die Lulugengo ermordet, geplündert und vertrieben, vor sich her nach Süden gedrängt, bis an den äußeren Zipfel seines Machtbereichs, um Platz für einwandernde Kelegabas zu schaffen. Was tat Ldunga anderes als dieser verdammte Kelegaba? Leider wurde er nie stark genug, um es einmal, wenigstens einmal mit Wanagana oder einem der anderen Kriegsherren aufzunehmen. Dafür sorgten schon die Ndongischen Hunde in der Militärbasis, die von den Küsten-Upetis und den Berg-Llangotos waren, hier keine familiären Bande hatten und ungestraft wüten durften wie immer sie wollten.
Alles Gerät, das er je erhalten hatte, waren die Lastwagen, die Jeeps und die landwirtschaftlichen Maschinen gewesen. Gepanzerte Wagen oder gar richtige Panzer hatte hier kein Warlord je bekommen. Weil die Kettenfahrzeuge hier ohnehin niemandem nützten, hatten sie gesagt. Weil sie schwer zu bedienen waren. Weil sie teure Munition brauchten. Dafür aber hatten die Regierungstruppen großzügig Flugabwehrraketen und Panzerfäuste verteilt, damit auch ja niemand auf die Idee kam, sich selbstständig gepanzerte Fahrzeuge oder sogar Flugzeuge anzuschaffen.
Und in all diesem Chaos erschuf er eine Zelle des Friedens für sein eigenes Volk. Ldunga war zufrieden.
Nun, noch wusste er nicht, dass sein Joint Venture mit der amerikanischen Öl-Gesellschaft Roxxon, die Goldmine, geplatzt war wie eine Seifenblase, weil sich Fremde aus dem fernen Deutschland vollkommen legal auf der illegalen Mine eingerichtet hatten. Und es würde auch noch Stunden, vielleicht Tage dauern, bis diese Nachricht und die vom Verlust vieler Speere ihn erreichen würde.
Aber das würde sie. Und dann würde er reagieren.
***
Der nächste Morgen schlich sich wie ein Dieb ins Dorf. Die Nähe zum Äquator bedeutete einen recht abrupten Sonnenaufgang und eine für Europa vergleichsweise riesige Sonnenscheibe. Meike
hatte ihre übliche Hyperaktivität bereits vorher entfaltet. Sie war noch vor dem ersten Tageslicht zum Jeep gegangen und hatte ihre Ausrüstung aufgebaut. Nach einer halben Stunde hatte sich Axel stumm dazugesellt und ihr geholfen, bis ein mittelgroßes Zelt für die Privatsphäre stand, ausgerüstet mit einem Tisch, auf dem ihr Arbeitswerkzeug lag, einem kleinen Kühlkoffer mit den mitgebrachten Impfdosen, eine Liege für die großen und kleinen Patienten, und diversem anderen Gerät, von dem Axel keine Ahnung hatte.
Mit Beginn des Tages hatte Meike Ariele und ihre Mutter Marie geweckt und ins Zelt geholt. Sie hatte das Mädchen eingehend untersucht, das zwar erschöpft wirkte, aber kein Fieber mehr hatte und so lebendig war, wie eine Fünfjährige sein sollte. Sie hatte den Verband abgemacht, die Wunde inspiziert, gereinigt und neu verbunden. Anschließend führte sie ein mehrminütiges Gespräch mit Marie über die Vorteile einer Impfung.
Axel fand es bemerkenswert, dass Meike auf Überzeugungsarbeit setzte, und nicht den immensen Vorteil ausnutzte, die Ärztin dieses Mädchens zu sein.
Schließlich stimmte Marie zu, sowohl für die kleine Ariele, als auch für ihre anderen Kinder. Und sich selbst. Blieb nur noch der Vater, der als Wanderarbeiter in der Hauptstadt lebte und nur selten den beschwerlichen Weg nach Hause auf sich nahm. Es war schlimm genug, dass selbst in diesem vom Bürgerkrieg zerrissenen Land Geld noch etwas bedeutete, hier, wo sich die Menschen selbst regieren und selbst versorgen konnten. Und es war sehr schlimm, wenn man Geld nicht hatte. Man brauchte es zur Bestechung der Warlords, des Militärs, erwarb auf diese Weise außerhalb Belongos kleine Lebenserleichterungen oder sogar Vieh, wenn man genügend gespart hatte. Selten war Axel Geld sinnloser vorgekommen als bei dieser Unterhaltung zwischen Marie und Meike. Dann dachte er daran, was er tat, um Geld zu verdienen, dachte an viele schöne Frauen und eitle Männer, die sich mit den Diamanten, die er ausgraben ließ, schmücken würden, dachte an die Industrien, die Diamanten für ihre Fertigung benötigten, dachte an zivile und militärische Zwecke. Damit ließ sich sehr, sehr viel Geld verdienen. Selbst das kleinste Bruchstück eines Diamanten konnte noch einem nützlichen Zweck zugeführt werden. So gesehen tat er hier schon etwas Sinnloses, aber es blieben wenigstens keine Reste übrig.

Nachdem Maries Familie durchgeimpft war und die Kleinen unglaublich tapfer geblieben waren, füllte sich das Zelt nach und nach mit Menschen aus dem Ort, die dieses oder jenes Wehwehchen hatten, oder von dem Wunder der Impfung für sich und ihre Kinder gehört hatten. Meike arbeitete ohne Pause zwei Stunden durch, dann trafen zwei Wolf ein, mit weiterer Ausrüstung, den Junior-Ärzten Eligy Krauss und Drago Hahnstedt, und drei Sanitätern. Die Sechs teilten sich das Zelt und schickten die wartende Menge vor die Plane. Um mehr als jene einzulassen, die behandelt wurden, war das Zelt deutlich zu klein.
"Memo an mich selbst", sagte Meike lachend zwischen zwei kleinen Patienten, "größeres oder mehr Zelte mitbringen. Himmel, wie viele sind das denn noch?"
Hahnstedt lachte rau auf. Durch seinen kräftigen schwarzen Bartschatten wirkte er bosnischer als seine bosnische Mutter. "Das haben wir dir ja noch gar nicht erzählt, Meike. Aber auf dem Herweg haben wir mehrere Dutzend Menschen gesehen, die auf dem Weg hierher sein müssen. Wenn das im Norden genauso aussieht, haben wir den ganzen Tag gut zu tun."
"Die sind aus den Nachbardörfern. Nicht nur Wagonda", sagte Julienne vom Eingang her. Sie hatte ihre Hilfe angeboten, und da sie keinerlei medizinische Kenntnisse hatte, war sie von Meike dazu vergattert worden, die Leute vorzusortieren. Akute Behandlungen gingen jetzt zu Hahnstedt, chronische Kranke zu Krauss, und die Impfbereiten wurden in einem Gespräch von Meike über Chancen und Risiken aufgeklärt. Die Impfungen selbst übernahmen dann einer der Sanitäter.
Axel befand sich auch vor dem Zelt. Der Platz drinnen war spärlich genug. Er beobachtete die Menschenmenge, die tatsächlich immer größer zu werden schien. "Wie haben sie davon erfahren, dass hier Ärzte sind?", fragte er die Lehrerin.
"Oh, es kommt nicht so selten vor, dass sich westliche Ärzte nach Belongo wagen. Meistens entfernen sie sich nicht so weit von der Grenze, um bei Unruhen und Ärger schnell wieder gehen zu können. Und dann benachrichtigen sich die Dörfer untereinander. Das kriegen dann auch die Warlords mit. Normalerweise führt das dazu, dass die Ärzte wieder fliehen, sobald der erste Schuss gefallen ist. Falls sie nicht verschleppt werden und Lösegeld verlangt wird."
"Hm. Wie funktioniert diese Kommunikation, Julienne?"
Verdutzt sah die Lehrerin den Deutschen an. "Nanu? Keine Reaktion auf meinen Hinweis, das auf die Kranken die Warlords kommen?"
Axel lächelte schmallippig. "Ich versuche, es dir mal mit Meikes Worten zu erklären: Hier wird jeder behandelt, wenn er sich zu benehmen weiß. Und was jene angeht, die sich nicht benehmen können..." Axel klopfte auf die Pistole im Schulterholster.
"Bist du gut im Schießen, Axel?"
"Ich verrate dir, wie gut ich im Schießen bin, wenn du mir verrätst, wie die Dörfer kommunizieren. Ich denke mal, euer Handy-Netz dürfte nicht besonders gut ausgebaut sein. Und Satellitentelefone werdet Ihr auch nicht haben."
Julienne lächelte jovial. "Du vergisst das Naheliegendste, Axel Herwig."
"Buschtrommeln?"
"Busch...?" Verärgert starrte Julienne den Deutschen an. "Hast du vielleicht Buschtrommeln gehört in der letzten Nacht?"
"Äh, wenn du mich so fragst, nein."
"Wir benutzen Akku-Funkgeräte und kleine Generatoren zur Stromerzeugung. Sie haben keine große Reichweite, aber von Dorf zu Dorf passt das schon. So haben wir die umliegenden Ortschaften informiert, dass wir westliche Ärzte im Dorf haben." Sie musterte Axel eingehend auf Anzeichen des Protestes. Da kam zwar nichts, aber sie fühlte sich trotzdem bemüßigt, etwas hinzu zu fügen. "Keine Sorge. Wir machen hier keinen Unterschied zwischen Wagonda und anderen Stämmen."
"Das freut mich zu hören. Das könnte eventuell auch daran liegen, dass man Funk so leicht abhören kann."
Julienne schüttelte den Kopf. "Wir könnten ihnen mit Hilfe der anderen Wagondas einfach den Zugang zum Dorf verwehren. Aber warum sollten wir? Wenn das nächste Mal Ärzte in einem Dorf sind, das nicht zu unserem Volk gehört, sieht es anders herum aus."
"Das stimmt. Und außerdem würde Meike genau in dem Moment ihr Zelt wieder einpacken, wenn sie merkt, dass Ihr ihren Patienten den Zugang zu ihr verweigert." Axel rieb sich nachdenklich das Kinn. "Menschen aus Dörfern der Umgebung, sagtest du?"
"Aus der Nähe und von weiter weg. Einige nehmen einen weiten Weg auf sich, um Zugang zu Ärzten und Medizin zu erhalten."
Axel schnaubte amüsiert. "Mist. Das hätte ich mir denken sollen. Julienne, ich möchte, dass Ihr den anderen Dörfern mitteilt, vor allem den weiter entfernten, dass die Ärzte während dieses Monats auch zu ihnen kommen werden. Das ist ein Versprechen. Wenn sie besonders dringende Fälle haben, holen wir ihre Kranken mit einem Hubschrauber ab."
"Das würdet Ihr tun?", staunte die Lehrerin.
"Das müssen wir tun, oder Meike zwingt uns dazu."
"Sie ist eine starke Frau", gestand Julienne. "Aber ich kann nicht glauben, dass sie Männer wie dich, wie Niklas oder Hannes zu irgend etwas zwingen kann."
Der Deutsche lachte abgehackt. "Du wärst erstaunt, was Meike noch alles kann. Sicher wirst du sie noch mal in voller Fahrt erleben."
"Willst du mir Angst machen?", fragte sie amüsiert.
"Nein. Ich stelle nur fest."
"Hm", machte die Lehrerin skeptisch.
"Ich werde das Lager anfunken und Heide anfordern. Wenn so viele Menschen aus so vielen Dörfern hier her kommen, hat sie beste Arbeitsbedingungen", murmelte der Missionsanführer mehr zu sich selbst. Das war kurz bevor das Zweitschlimmste passierte, was ihnen in dieser Lage passieren konnte.

Es fiel ein Schuss. Sofort hatte Axel seine Pistole gezogen, durchgeladen und entsichert. In die Menge kam Bewegung. Wie bei einer Welle, ausgehend vom Dorfrand, gingen die Menschen zu Boden, deckten ihre Köpfe mit den Händen ab, duckten sich.
Aus Maries Hütte schoss Steinard hervor, sein Scharfschützengewehr im Anschlag. Süßback kam aus einer anderen Hütte, warf sich seine Kampfweste über und brachte seine HK-33 in Anschlag. So hockte er sich hinter einen der Jeeps.
Dadurch, dass sich die Menge niederwarf, konnte Axel den Schützen sehen. Er hatte in die Luft geschossen. Und nun begann er, sich mit Tritten und Flüchen einen Weg durch die Menge zu erkämpfen. Er und vier seiner Kameraden, die mit ihren Gewehren, AK-47 augenscheinlich, in Richtung der Menschen fuchtelten.
"Kindersoldaten", staunte Axel. Der Anführer war vielleicht dreizehn, vierzehn Jahre, hatte einige dünne Narben im Gesicht und machte eine mürrische Miene, die ein Kind in seinem Alter noch nicht haben durfte. Hinter ihnen gingen ein sechster Junge, der einen siebten stützte. Sie kamen nur langsam voran, weil der siebte humpelte. Auf die Entfernung konnte Axel nicht erkennen, warum. Aber es war offensichtlich, dass das Ärztezelt ihr Ziel war.
Die Kinder hatten in etwa die Hälfte der Dorfstraße bewältigt, als einer von ihnen Steinard entdeckte. Sofort legte der Junge auf den Soldaten an. Nun wurde auch Süßback entdeckt, und kurz darauf Axel. Auf jeden von ihnen zielte nun mindestens ein Gewehr. Darüber machte sich Axel nicht besonders viele Sorgen. Er war ein routinierter, sicherer Schütze, der auf diese Entfernung sicher treffen würde. Süßback würde sich noch beweisen müssen, aber Steinard alleine würde drei der bewaffneten Jungen ausschalten, bevor er selbst zum Schuss kam. Aber würde er in der Lage sein, Kinder zu töten? Und vor der Panik, die die Schießerei auslösen würde, hatte er auch reichlich Schiss.
Der Anführer fuchtelte wild mit seiner Waffe herum und machte herrische Gesten an die Soldaten, um sie fort zu scheuchen. "Geht!", krähte er auf Französisch. "Geht weg! Wir wollen nur den Arzt!"
Steinard hob seine Waffe mit verhärteten Gesichtszügen an.
"Steinard, nein. Wir eröffnen nicht zuerst das Feuer."
"Wie Sie meinen, Boss." Der Scharfschütze entspannte sich, aber nur leicht.
Axel, der noch immer auf den Jungen ganz vorne zielte, rief: "Legt die Waffen weg, dann dürft Ihr zum Arzt!"
Der Junge schüttelte heftig den Kopf. "Nein, verschwindet! Dies ist unser Land, nicht eures!"
"Wenn wir gehen, geht der Arzt auch!"
"Er wird bleiben!", rief der Junge aufgebracht und legte auf Axel an. Deutlich konnte der Deutsche sehen, wie sich der Zeigefinger um den Abzug bog.
Nun war es an der Zeit, die Entscheidung zu treffen, vor der er sich am Meisten gefürchtet hatte. Er hatte ernsthaft gehofft, Niklas oder Hannes würden damit konfrontiert werden, aber nicht er.
"Wir geben Meike und die anderen nicht für eine Horde schießwütiger Kinder auf!", sagte er laut genug für Süßback und Steinard. "Fleischwunden, Arme. Wenn möglich keine Gelenke!"
"Und was ist dann? Ich habe dann fünf Patienten mehr!", gellte Meikes Stimme über die Straße. Sie trat aus dem Zelt hervor, musterte die Situation und sah schließlich die Kindersoldaten an. "Keine Waffen!", sagte sie zornig.
"Du!", rief der Anführer unbeeindruckt. "Frau! Bring uns zum Arzt!"
"Ich bin der Arzt!", erwiderte sie ernst.
Das verblüffte den jungen Mann. Für einen Moment, zumindest. Dann begann er lauthals zu lachen, und seine Kameraden, sogar der Verletzte, fielen ein.
"Du bist eine Frau! Du kannst kein Arzt sein!", rief er.
Axel konnte aus den Augenwinkeln sehen, wie Meike puterrot anlief und wie ein Karpfen auf dem Trockenen nach Luft schnappte. Dann geschah das, wovor sich Axel am Meisten gefürchtet hatte: Meike explodierte.
Mit schnellen, raumgreifenden Schritten war sie bei den Kindern. Augenzeugen wollten später gesehen haben, die schöne deutsche Ärztin hätte einen mächtigen Zauber gewirkt, wäre vor dem Zelt verschwunden und vor den Kindersoldaten wieder aufgetaucht. Und dann gab sie dem Anführer eine Ohrfeige, die sich gewaschen hatte. Der Schlag war so heftig, dass sein Kopf zur Seite geschleudert wurde. Entsetzt hielt er sich die Wange und starrte zu der größeren Frau hoch. Dann begannen bei ihm übergangslos die Tränen zu fließen. "Das tat weh!"
"Und du kriegst noch eine, wenn du nicht spurst! So, her mit dieser Waffe! Das ist kein Kinderspielzeug!" Auffordernd streckte sie die Hand aus.
"Das ist meine Waffe! Ich bin Soldat, kein Kind!", rief er, sich noch immer die schmerzende Wange reibend.
Nun reichte es Meike vollends. Sie griff nach der AK-47 und entriss sie den Händen des Jungen, ohne auf großen Widerstand zu treffen. "Du wirst bald wieder ein Kind sein, das verspreche ich dir", sagte sie in einem Tonfall, der mit ihrer herrischen Stimme von eben nichts mehr zu tun hatte. Er klang weich, voller Wärme und Zuneigung. Auf diese Stimme war Niklas hereingefallen, obwohl sie beide augenscheinlich nie zusammen gepasst hatten. Und sie zeigte Wirkung beim nun entwaffneten Jungen. Er sah sie an und schluchzte leise.
Einer seiner Männer war davon nicht so beeindruckt. Er legte auf Meike an.
"So? Willst du mich töten? Willst du den Arzt erschießen?", fragte sie, diesmal wieder im herrischen Ton. "Das will ich sehen."
Axel fluchte leise und begann zu laufen. Da aber tauchte Steinard neben dem Jungen auf und entriss ihm die Waffe mit einem kräftigen Ruck, sicherheitshalber einen Finger zwischen Abzug und Kolben gesteckt. Nun war auch Süßback heran. Er sammelte mit Steinards Hilfe die restlichen Waffen ein.

Als Axel die Gruppe erreichte, trat er direkt an Meike heran. Er steckte die nun sinnlose Pistole gesichert wieder weg und legte einen Arm um ihre Taille. Er spürte sofort, wie sie gegen ihn sackte.
Dennoch riss sie sich zusammen. "Ihr seid jetzt keine Soldaten mehr. Ihr seid jetzt wieder Kinder. Wir werden uns um euch kümmern, das verspreche ich." Sie beugte sich weit genug vor, um den Anführer zu erreichen. "Wie heißt du?"
"Charles", erwiderte er verdutzt.
"Charles. Ein guter Name." Sie küsste ihn auf die Stirn. "Ab jetzt wird alles gut. Ihr müsst nicht mehr kämpfen."
"Wirklich nicht?", kam eine erstaunte Stimme von den anderen Jungen.
"Nein, das müsst Ihr nicht mehr", sagte Axel bestimmt. "Und darum braucht Ihr keine Waffen mehr." Er deutete auf den siebten Jungen, der gestützt werden musste. "Und jetzt kümmern wir uns um seine Behandlung."
Leise flüsterte er Meike auf deutsch zu: "Kannst du stehen?"
"Jetzt ja", erwiderte sie eben so leise. "Danke."
Axel ließ sie wieder los. Er trat zwischen die Jungen hindurch. "Lass mich mal", sagte er zu dem, der seinen Kameraden stützte. Als der zur Seite trat, beugte sich Axel vor, stützte den Rücken des Verletzten mit links und die Beine mit rechts. Eine schwungvolle Bewegung in die Waagerechte legte das Kind auf seine Arme. Das schien eine ungewohnte Sache zu sein, denn obwohl er Schmerzen haben musste, lachte er dabei. Stolz blickte er von seiner neuen Position auf die Welt herab.
Mittlerweile hatten sich die Menschen wieder erhoben. Sie sahen was geschehen war, und dann taten sie etwas, was Axel noch nie erlebt hatte: Sie jubelten. Die Männer in einem einpeitschendem Rhythmus, den er aus einem Kriegsfilm zu kennen glaubte, und die Frauen in einem hohen, trällernden und melodischen Singsang. Derart begleitet kehrten sie zum Zelt zurück. Meike erlaubte es Charles, seinen Kameraden zu begleiten, die anderen Kinder mussten draußen bleiben.
Steinard gab jedem einen Bonbon, und danach musste er seine Tüte weiter leeren, für all die anderen kleinen Patienten, die hier warteten. Axel fragte sich unwillkürlich, wie viele Hustenbolschen er bei sich trug.

Axel trug seine Last ins Zelt und von dort auf die Liege. Er hielt es für ein gutes Zeichen, dass der Junge ihn anlachte. Andererseits war er auch deutlich wärmer als Axel selbst.
Dann ging er wieder vor das Zelt und bat Marie und die anderen Frauen des Dorfes darum, aus den Vorräten, die sie mitgebracht hatten, Essen für die vielen Menschen zu kochen. Er versprach weitere Vorräte, orderte sie bei Niklas im Lager per Funk, forderte Heide Schrader an und stellte sich dann mit zitternden Fingern an seinen alten Platz neben dem Zelt. Dort stand noch immer wie erstarrt Julienne. Ihre Kiefermuskeln mahlten und ihre Wimpern zuckten nervös. "Ist sie immer so? Ist Meike immer so?", fragte sie mit einer Stimme, die zwischen Staunen, Bewunderung und Entsetzen schwankte.
"Oh, du hast sie noch nicht erlebt, wenn sie ganz in Fahrt ist", erwiderte Axel. "Dann ist sie in der Lage, einen Kampfpanzer mit bloßen Händen aufzuhalten."
Julienne öffnete den Mund zur Antwort, schien kurz nachzudenken, schloss den Mund wieder und sagte schließlich: "Vor zehn Minuten hätte ich dich ausgelacht. Jetzt glaube ich, dass sie es zumindest versuchen würde."
Axel lachte auf. "Ja, das würde sie. Und das ist ihr Problem."
Die Lehrerin lächelte. "Aber sie hat ja einen starken Gefährten, der auf sie achtet."
"Niklas ist nicht mehr ihr Gefährte. Es hat nicht funktioniert", erwiderte Axel und drückte mit beiden Händen den Rücken durch.
"Ich meine nicht Niklas", erwiderte Julienne.
Verdutzt sah Axel ihr nach. "Du meinst doch nicht etwa... Ich? Ich und Meike? Ach komm, natürlich passe ich auf sie auf. Aber meinst du, sie würde mich nicht genauso durch ihre Knochenmühle jagen, wie sie es mit Niklas getan hat?"
Julienne wandte sich kurz wieder um, die Hände auf dem Rücken verschränkt, leicht vorgebeugt und breit grinsend. "Keine Ahnung. Ich weiß nur, was ich auch sehe, Axel Herwig."
Schwungvoll wandte sie sich wieder um und ging weiter durch die Patientenreihen, um sie in die bekannten drei Kategorien einzuteilen.
Axels Blick ging zu Maries Hütte, die zur Zentrale der Kochwirtschaft erkoren worden war.
"Ich sollte vielleicht auch einen Herd anfordern", murmelte er. Gut so. Ein simpler, rationaler Gedanke, das war genau das, woran er sich nun klammern konnte.
Direkt vor ihm flitzten ein paar Jungen im Spiel vorbei. Und verwundert stellte er fest, dass zwei von ihnen seine Kindersoldaten waren.

Im Zelt sah Charles besorgt dabei zu, wie Meike zuerst versuchte, dem Jungen die Hose auszuziehen. Als dies wegen der Schmerzen zur Tortur wurde, zückte sie eine Schere und schnitt das Bein auf.
"Nicht! Er hat nur eine!", rief Charles entrüstet.
"Er kann eine von mir haben, keine Sorge", erwiderte Meike ruhig. Sie legte das Bein frei und untersuchte es. Schnell fand sie den von ihr vermuteten Entzündungsherd.
"Ach du heiliger Mist. Was ist denn hier passiert?" Verwundert inspizierte die dicke Beule mit der groben, stümperhaft gesetzten Naht. "Wenn das ein Arzt war, dann gebe ich sofort meinen Doktortitel zurück."
"Das war Vivien", erklärte Charles. "Er kann ein wenig doktern."
"Dieser Vivien sollte mal durch meine Schule gehen, damit er lernt, wie man richtig näht. Aber wenigstens das Material ist von guter Qualität."
Vorsichtig schnitt sie die Naht auf und zog die Fäden. Der Junge verzog nicht einmal die Miene, obwohl er Schmerzen haben musste. Noch bevor Meike fertig war, floss ihr trüber Eiter entgegen.
"Ich muss dir was gegen die Schmerzen geben", sagte sie zu dem Jungen. "Was ich jetzt tun muss, wird dir sehr weh tun."
Er schüttelte energisch den Kopf. "N-nicht betäuben", raunte er mit seiner hohen, klaren Stimme.
Charles sah von ihm zu Meike und wieder zurück. Dann nickte er bestimmt. "Geben Sie ihm das Schmerzmittel."
Einer der Pfleger hatte bereits eine Spritze aufgezogen und reichte sie Meike zusammen mit Desinfektionsmittel und Tupfer. "Lidocain", informierte der Mann seine Chefin. Meike nickte bestätigend und überprüfte die Menge.
"Keine Sorge. Nur dein Bein wird taub sein. Du wirst noch alles mitkriegen." Sie lächelte mit all ihrem Charme. "Wie heißt du denn?"
"Jacqueline", sagte der Junge.
"Jacques!", beeilte sich Charles zu rufen. "Sein Name ist Jacques! Er ist mein Bruder!"
"So, so, Jacques also." Meike desinfizierte die Stelle, an der sie die Spritze setzen würde, wartete einen Augenblick und verabreichte dann das Medikament intramuskulär.
"Eligy, wenn du kurz Zeit hast, ich brauche dich hier."
Die junge Assistenz-Ärztin nickte. "Eine Minute." Sie verabreichte ihrem Patienten eine Impfung, drückte ihm Medikamente in die Hand und gab ihm Anweisungen, wie er sie einzunehmen hatte. Der Mann nickte mehrfach heftig, also hob sie argwöhnisch die Augenbrauen und verlangte von ihm, ihre Anweisungen zu wiederholen. Das gelang ihm nur unvollständig, also rief sie Julienne herein und bat sie, die komplexe Anweisung für den Mann in seine Heimatsprache zu übersetzen.
Dann kam sie zu Meike herüber. "Was gibt es denn?"
"Wahrscheinlich eine Schuss- oder Splitterwunde. Ist es eine Schusswunde, dann hat jemand auf der Suche nach der Kugeln das halbe Bein aufgeschnitten. Anschließend wurde alles mehr schlecht als recht vernäht, aber augenscheinlich hat unser lieber Vivien ein paar Splitter übersehen, die sich entzündet und die Wundheilung unterbrochen haben."
"E-es war eine Mine. Sie ging neben Jacques hoch und traf ihn am Bein", sagte Charles betrübt. "Vivien hat viel für ihn getan."
"So viel wie in seiner Macht stand." Meike berührte das Bein erst vorsichtig, dann mit festerem Griff, aber Jacques reagierte nicht. Gut, die Betäubung wirkte.
Mit weiteren Tupfern bewaffnet öffnete Meike die Wunde wieder. Sie war nur wenige Zentimeter lang und ragte auch nicht weit ins Fleisch hinein, aber dennoch hatte sie sich anständig entzündet.
Nach einer groben Reinigung fand sie schnell, was sie suchte. Mit Hilfe einer Pinzette entfernte sie mehrere Splitter. Als sie damit fertig war, untersuchte sie den Fortgang der Blutvergiftung, die sich bei einer Entzündung dieser Größenordnung zwangsläufig einstellte, und prüfte die sonstigen Vitalwerte ihres kleinen Patienten.
"Axel!"
"Ja?"
"Ordere bitte Boxie oder einen der anderen Hubschrauber her. Ich habe einen Patienten, der sofort in eine Kinderklinik in Panadia geflogen werden muss."
Herwig schob den Kopf ins Zelt. "So schlimm?"
"Nur eine Blutvergiftung durch ein paar rostende Splitter einer Mine im Bein. Aber ich kann mir ohne Röntgen nicht sicher sein, ob ich alle Splitter gefunden habe. Außerdem ist die Blutvergiftung schon weit fortgeschritten. Es ist besser, wenn sie die nächsten siebzig Stunden unter der Aufsicht von Fachleuten bleibt." "Sie?" "Er."
"Gut. Wen schlägst du vor?"
"Wie, wen schlage ich vor?"
"Um sie..." "IHN!" "Um ihn nach Panadia zu bringen, brauchen wir nur Boxie. Aber du wirst einen der anderen Jungen mitschicken müssen. Wie wäre es mit ihrem Bruder?"
"SEINEM... Ach, ist ja auch egal. Charles, tut mir leid, aber ich weiß, dass Jacques ein Mädchen ist. Und das nicht erst seit ihrem Versprecher."
Dies schien den Jungen zu entsetzen. "Was werden Sie jetzt mit ihr tun?"
"In ein richtiges Krankenhaus bringen. Dort wird sie noch mal untersucht und behandelt. Aber ich denke, wenn alles gut läuft, kann sie in zwei bis vier Wochen wieder nach Hause fliegen."
"Wir haben aber kein Zuhause", sagte der Junge zögerlich. "Wir haben nur uns und die anderen."
"Nein", sagte Meike sanft, "ab jetzt habt Ihr ein Zuhause. Wir werden eines schaffen. Nicht, Axel?"
"Was immer du willst, mein Engel. Willst du also mitfliegen? Wir können ein kleines Mädchen unmöglich alleine in ein anderes Land schicken."
Charles dachte nach. "Die Jungs brauchen mich", stellte er nach einiger Zeit fest. "Tonba wird gehen. Er weiß, dass sie ein Mädchen ist. Er hat mir geholfen, sie zu beschützen. Ich muss... Ich muss hierbleiben und ein Zuhause machen." Nachdenklich ergriff er die Hände seiner Schwester und drückte sie fest. "Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Ab jetzt wird alles gut."
"Ich habe keine Angst", stellte Jacqueline fest. "Ich habe nie Angst."
"Das weiß ich doch", sagte Charles mit Tränen in den Augen. Spielerisch knuffte er seine Schwester gegen die Schulter.
Bevor die beiden aber anfingen konnten, miteinander zu kabbeln, scheuchte Meike ihn und Axel wieder vor das Zelt. "So, das reicht für den Anfang. Axel, du rufst den Hubschrauber. Und du trägst anschließend Jacqueline in Arieles Bett, nachdem ich ihr was gegen das Fieber und die Blutvergiftung gegeben habe. Dort kann sie bleiben, bis Boxie eintrifft. Opa wird sich um alles Weitere kümmern. Würde mich ohnehin nicht wundern, wenn er es schon getan hat."

Gehorsam verließen die beiden das Zelt. "Tonba!", rief Charles zu den Spielenden herüber. Einer der Jungen löste sich aus der Menge und eilte auf sie zu. "Ja, was gibt es?"
"Die Ärzte rufen einen Hubschrauber. Der bringt Jacques nach Panadia in ein Krankenhaus. Du wirst mitfliegen und auf... ihn aufpassen und dafür sorgen, dass sie ihn nicht da behalten. Sein Zuhause ist hier bei uns, nirgends sonst."
Tonba nickte lange und ehrfürchtig. "Ein Hubschrauber? Weiße Ärzte haben große Macht."
"Nicht nur das, sogar einen Kampfhubschrauber mit einem echten Kampfpiloten. Wer weiß, wenn ich ihn frage, lässt er dich vielleicht auch mal steuern", sagte Axel.
"Wirklich?" Die Augen des Jungen leuchteten auf.
"Vielleicht. Ich werde ihn fragen", versprach der Deutsche.

Dann trat er abseits und forderte Boxie an. Mit klaren, knappen Worten wollte er die Geschichte erzählen, aber sein Bruder würgte ihn ab. "Schnee von gestern. Steinard hat bereits ausführlich berichtet, was passiert ist. Meike wieder, was?" Er lachte. "Hoffentlich ist ihr ordentlich der Arsch auf Grundeis gegangen, und sie wird das nächste Mal ruhiger."
"Das glaubst du doch selbst nicht", tadelte Axel.
"Nein, mache ich nicht", lachte Niklas. "Aber ich sage dir was ich tue. Ich rufe Thomas an und erkläre ihm die Sachlage. Es ist durchaus möglich, dass wir noch mehr Patienten kriegen, darüber soll er sich mal Gedanken machen. Ich gebe Boxie Bernd und die Diamanten mit, dann lohnt sich der Flug wenigstens. Und ansonsten? Brauchen wir mehr Vorräte?"
"Ein Feldlazarett wäre nicht schlecht. Es scheint so als würden die Menschen Ngali als Anlaufpunkt sehen. Sie kommen zu Hunderten, und wir wollen sie verpflegen."
"Dann streiche ich den zweiten Bagger und lasse nur die Planierraupe einfliegen. Der Mi-24 wird dann mit Reis und Kartoffeln voll geladen. Ich nehme an, wenn einmal ein Hubschrauber landet, wird ein zweiter keine Panik mehr verursachen?"
Axel musste grinsen. Das war sein pragmatischer Bruder. "Keine Ahnung. Probieren wir es aus. Es sieht so aus, als würde Ngali unser Angelpunkt werden, nicht die Mine.
Apropos Mine, hat sich schon was ergeben?"
"Wenn du mit "was" Diamanten meinst, dann ja. Eine ganze Menge sogar. Helene Grundler und ihre Leute entwickeln sich zu kleinen Profis. Wir haben schon das zusammen, was Hannes aus Ngali mitgebracht hat. Wie ich Onkel Paul kenne, beißt er sich schon die Lippen blutig und fragt sich, ob er es riskieren kann, eine Schleifwerkstatt direkt vor Ort aufzubauen."
"Er ist halt geschäftstüchtig. Der erste Bagger ist schon da? Teile ein paar von den Arbeitern ein, um den Aushub zu überprüfen, Niklas."
"Na logisch. Hältst du mich für einen Anfänger? Wir haben sogar im alten Massengrab, das wir geräumt haben, um die Männer in Einzelgräber zu betten, welche gefunden. Kleine zwar, aber... Axel, wenn ich jemals an dir Kritik geübt habe, dann nehme ich das hiermit zurück. Für Aldi-reich für alle reicht es wohl nicht, aber wir werden nicht meckern können."
Axel lachte. "Und wir sind erst zwei Tage hier. Nun denk mal ans Monatsende."
"Und ich denke, dass ich dich nicht zehnmal rufen muss", sagte Meike wütend. Sie nahm ihm das Funkgerät aus der Hand. "Wehe, Boxie ist noch nicht auf dem Weg, Niklas, nur weil du ein privates Schwätzchen halten musstest. Und du, Axel, solltest Jacqueline schon vor fünf Minuten in Maries Hütte bringen. Ich brauche das Feldbett, verdammt."
"Bin schon auf dem Weg."
"Ich glaube, ich verstehe", sagte Julienne nachdenklich. "Einiges."
Axel verschwand im Zelt und kam mit dem vielleicht zwölf Jahre alten Mädchen auf den Armen zurück. "Und damit hast du noch nicht mal an der Oberfläche gekratzt." Er griente der Lehrerin zu und trug das Kind in Maries Hütte, wo es von der eifrigen Mutter von Arieles Bett in ihr eigenes umdirigiert wurde. Manche Mütter konnten halt einfach nicht gegen ihre Instinkte ankommen. Irgendwie war das beruhigend zu wissen.

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Boxie kam nicht selbst, wohl aber sein Mi-24D mit dem Tandem-Cockpit. Jorge Androweit, der zweite Pilot, flog die Maschine, und landete sie nicht weit abseits des Dorfes auf einer Wiese. Axel ging, das verletzte Mädchen auf den Armen, auf die Maschine zu. Neben ihm hielten sich Charles und Tonba. Charles, um seine Schwester zu verabschieden, und Tonba, weil er als ihr Aufpasser mitfliegen würde. Der Junge war bei Axel ein klein wenig in Ungnade gefallen, weil er ein Messer hatte mitnehmen wollen. Beinahe hätte Herwig dem Bengel dafür den Hintern versohlt, denn selbst eine Kinderhand konnte die Klinge seitlich durch die Rippen eines Mannes stechen und die Lunge verletzen. Abgesehen davon, dass er Waffen in Kinderhänden noch weniger mochte als Waffen an sich. Der Junge gab sich einsilbig und schuldbewusst, aber so ganz glaubte er Axel nicht, dass er nie wieder eine Waffe brauchen würde.
Der Lademeister öffnete die Klapptüren für Heide Schrader. Die junge Frau und zwei weitere Soldaten stiegen aus und begannen den Hubschrauber zu entladen; es waren hauptsächlich Säcke mit Reis, Kartoffeln und Mehl. Zwei weitere Leute aus der Küche stiegen ebenfalls aus. Axel erkannte Bernard und Michelli; der eine hatte das einzige Sorbet hingekriegt, das Axel als Sorbet durchgehen ließ, der andere war ein Meister darin, Dinge zu würzen. Dennoch waren sie gegen Herrn Worms nur kleine Lichter. Lichter allerdings, die immer heller leuchteten, je länger sie unter ihrem neuen Messias arbeiten durften.
"So schnell sieht man sich wieder", sagte Heide. "Ich hätte es besser wissen sollen, als ins Camp zurück zu kehren." Ihr Blick ging über die Menschenmenge, die diszipliniert am Ärztezelt anstand. "Und das ist nur der erste Schwung?"
"Das ist nur der erste Schwung. Ich schlage vor, Sie schnappen sich Süßback und versuchen mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Haben Sie Ihr Touchpad mit der elektronischen Karte von Belongo dabei?"
Heide winkte ab. "Keine Sorge, ich trage Ihre Orte und die Positionen schon korrekt ein. Ich habe gehört, die Menschen kommunizieren miteinander?"
"Per Funk. Naheliegende Sache, oder? Aber ihre Funkgeräte haben keine Scrambler. Jeder kann hören, worüber sie sprechen. Das Ergebnis sehen Sie ja."
Heide nickte freudig. "Und das am zweiten Tag. Ich mach mich dann mal an die Arbeit."
Heide ging, und die Küchenleute traten heran.
"Moin, Herr Herwig. Ihr Bruder hat uns mitgeschickt, damit wir beim Kochen helfen. Arbeitsreicher als in der Airbus-Kantine kann es hier auch nicht sein", sagte Jürgen Bernard und schüttelte Axel die Hand, nachdem er Jacqueline zum Lademeister hoch gereicht hatte. Michelli schloss sich wortkarg an. Er deutete auf das Mädchen und den kleinen Jungen, der begeistert hinterher kletterte. "Die Patientin?"
"Eine Kindersoldatin. Ihr Bruder hat sie als Junge getarnt." Axel war für einen Moment tief ergriffen und streichelte Charles über die kurz rasierten Haare. "Ein schlauer kleiner Teufel."
"Und ein kräftiger dazu", stellte Bernard fest. Er nahm einen Sack Kartoffeln von fünfundzwanzig Kilo und reichte ihn dem Jungen. "Kannst du das tragen?", fragte er auf Französisch.
Charles nickte heftig. Daraufhin beteiligte er sich an den Ausladearbeiten.
Schließlich war die Ladefläche frei und die beiden Kinder mit Kopfhörern versorgt.
Die beiden Soldaten, Kress und Lenemann, schulterten ihre Ausrüstung. "Der Alte hat gesagt, wir sollen Sie hier unterstützen, Boss. Falls Sie was für uns zu tun haben", sagte Hans Kress.
Axel nickte und winkte die beiden Soldaten in Richtung Dorf.
Dann legte er einen Arm um Charles' Schultern und ging mit ihm auf Abstand zum Hubschrauber. Als die Maschine startete, stand Tonba am gepanzerten Fenster der Klapptür und winkte so lange, wie er die beiden sehen konnte.
"So, und jetzt kommt der schwierige Teil", sagte Axel und wuchtete sich einen Sack Kartoffeln auf die Schulter. Charles schloss sich wortlos mit einem Sack Reis an.
Unter den Wartenden gab es eine kurze Diskussion, und plötzlich lösten sich ein gutes Dutzend starker Männer, die augenscheinlich nicht krank waren, aus der Menge.
Unwillkürlich ging Axels Hand zum Schulterholster. Er würde keine Plünderung dulden.
Als die Männer heran waren, trat der Vorderste an Charles heran und nahm ihm den Sack ab. Er sprach zu Axel in einem fragenden Ton.
"Tut mir leid, ich verstehe nicht."
Daraufhin lachte ein anderer Mann. "Sie sprechen kein Wagonda?", fragte er erstaunt. "Aber Französisch können Sie. Das ist Andela, er kommt aus Bilali im Süden. Er fragt, wo die Säcke hin sollen. Wir wollen tragen helfen."
Axel sah für einen Moment verdutzt drein, dann musste er lachen. "Ich gehe voran."
Schnell etablierte sich eine Arbeiterkette, welche die wertvollen Lebensmittel in Maries Hütte schaffte. Vor der Hütte war mittlerweile ein Tisch aufgestellt, und man verteilte Essen an hungrige Leute. Die beiden weißen Köche hatten sich beachtlich schnell in die Frauengruppe integriert und koordinierten nun die gemeinsamen Bemühungen. Nun, wer Herrn Worms kannte, der hatte kein Problem mit Autorität mehr. Einige junge Mädchen waren bereits damit beschäftigt, gebrauchte Schalen zu spülen, damit sie erneut befüllt werden konnten.
"Ach, deshalb", sagte Axel grinsend. "Die Männer haben gesehen, dass die Nahrung für sie ist."
"Nicht für uns", korrigierte der Mann, der mit ihm Französisch gesprochen hatte. "Für die Kranken."
"Nein, es ist genügend da. Und wir können auch Neues herbei schaffen", widersprach Axel. "Sagen Sie das Ihren Leuten. Jeder darf essen. Und es ist egal, aus welchem Dorf er kommt und welchem Volk er angehört. Oder sie. Heute ist Ngali eine große Küche für alle."
Der Mann lachte. "Ihr seid alle so freigiebig und nett. Wir kennen euch Weiße ganz anders, abgesehen von den Ärzten, aber die sind immer so ängstlich bei uns. Deine Frau ist da vollkommen anders. Ich glaube, sie könnte alle Speere eines Warlords alleine aufhalten."
Axel musste bei diesem Vergleich leise lachen. "Ja, der Gedanke liegt nahe." Er deutete mit der freien rechten Hand - so ganz traute er dem Frieden nicht - auf die Menschen. "Ihr alle wirkt so sozial, geordnet. Es gibt keinen Streit, keinen Hass und keine Kämpfe. Trotzdem ist Belongo eine Krisenregion." Er setzte seinen vierten Sack Kartoffeln in Maries Haus ab und ging mit seinem Gesprächspartner zurück zu den Vorräten. "Warum ist das so?"
"Sind wir denn weniger Menschen als Ihr Weißen? Ich meine, Ihr führt doch auch ständig Kriege und tötet die Menschen, aber Ihr haltet inne und kümmert euch um die anderen, wenn Ihr es könnt." Für einen Moment hatte er eine verschlossene Miene aufgesetzt. "Es ist nicht so, als würden wir den Krieg wollen. Die Warlords wollen. Aber wir wurden nicht gefragt, und die Regierung will, dass es hier unruhig bleibt, damit die Menschen nicht erkennen, wer ihr wirklicher Feind ist."
"Ich verstehe. Und wann werden die Warlords kommen? Oder das Militär? Oder die Rebellen?"
"Rebellen? Es gibt keine Rebellen", lachte der Mann. "Das ist eine Legende. Wer hier zur Waffe greift, der tut das zum eigenen Vorteil. Die Warlords werden morgen oder übermorgen kommen, sobald sie von den Ärzten gehört haben. Das Militär kommt, wenn die Warlords keinen Erfolg haben. Also solltet Ihr morgen wieder gehen, denke ich."
"Ich glaube, meine... Frau hätte da was gegen."
"Auch sie kann nicht gegen Panzer angehen", sagte der Mann. "Oder vielleicht doch? Ist sie eine so mächtige Zauberin?"
"Sie ist eine große Zauberin in der Medizin", versicherte Axel. "Ansonsten zaubert sie eher wenig."
Der Mann lachte. "Du gefällst mir. Du bist der erste Weiße, der mit mir spricht, ohne Angst zu haben. Selbst wenn sie wie du Pistolen haben, tun sie so, als wäre ich ein gefährliches Tier, das sie jederzeit anfallen kann."
"Angst ist etwas Nützliches, manchmal. Aber manchmal ist sie auch großer Quatsch. Warum sollte ich Angst vor dir haben?"
"Weiß nicht. Weil ich schwarz bin?"
"Und das bedeutet was?"
Der Mann dachte nach. "Es bedeutet, dass ich schwarz bin."
Axel lachte. "Und deshalb soll ich Angst vor dir haben?"
"Die anderen Weißen haben deswegen Angst vor mir."
"Dann denke ich, dass die anderen Weißen Idioten sind." Er schulterte wie sein Begleiter einen weiteren Sack.
Der Mann lachte. "Du gefällst mir, Boss. Du kennst Angst und lässt dich nicht von ihr regieren."
Axel lächelte. "Aus welchem Dorf kommst du?"
"Hegale. Das ist ein Lupii-Dorf in der Nähe. Die Lupii und die Wagonda sind alte Freunde. Das ist das Einzige, was die Regierung nicht kaputt machen konnte, glaube ich."
"Wie ist dein Name?"
"Philippe. Früher hatten die Wagonda und die Lupii die alten Namen, aber die wurden damals von den Belgiern verboten. Und nach zwei Generationen hatten alle französische Namen, weil wir dachten, die Belgier gehen nie wieder. Jetzt sind sie zwar weg, aber es hat sich nicht viel geändert. Nun unterdrücken uns die Schwarzen. Weil die Weißen das Land plündern wollen." Er griff sich mit der freien Hand unter den Kragen seines Shirts und zog einen der Steine hervor. Er nahm das Band ab und hielt es Axel hin. "Ihr seid auch hier, um unsere Schätze zu rauben, aber... Ihr seid anders."
Philippe drängte Axel den Stein in die freie Hand. "Wenn das hier ein Diamant ist, dann will ich dafür für Hegale eine Pumpe, wie sie Ngali bekommen hat. Ich will, dass unsere Weiden ebenso von Minen gereinigt werden wie Ihr es Ngali versprochen habt. Ich will, dass Ihr eine Schule baut und Lehrer ausbildet. Und natürlich eine Straße von Ngali nach Hegale."
"Das ist längst nicht alles, was wir tun können", sagte Axel.
"So? Ich bin gespannt. Wir bringen dir gerne mehr Steine."
"Eigentlich würde dieser schon reichen, Philippe", sagte der Deutsche bestimmt. "Für das was du willst, und für noch mehr."
Der Mann lachte laut. "Diese Steine sind wirklich Diamanten, oder? Jedes Dorf, das diese Steine hat, wird eine Menge Ärger kriegen. Dann gebe ich sie lieber jemanden, der sie haben will, und der auch etwas für uns tut."
Sie legten die Säcke ab und wollten gerade umkehren, aber die Arbeit war schon getan.
Axel zeigte auf Heide. "Siehst du diese Frau? Sie ist eine Deutsche. Sie wird dein Dorf in ihre Liste aufnehmen. Wir kümmern uns um den Rest."
"Dann werde ich das tun, Boss." Wieder lachte der Mann. "Ich hätte nicht gedacht, dass es so einfach ist. Ich gehe danach wieder zu meiner Tochter. Es würde mich freuen, wenn wir wieder einmal miteinander sprechen können, Boss."
"Mein Name ist Axel."
"Das weiß ich doch, Boss." Er klopfte Herwig auf die Schulter. "Und viele Menschen erwarten viele Dinge von dir, Boss." Er wandte sich ab und ging zu Heide herüber, die von einer dichten Traube von Männern und Frauen umgeben war. Julienne stand bei ihr und half zu übersetzen, wenn ihre Gesprächspartner weder Englisch noch Französisch sprachen.

Axel blieb zurück und starrte den Stein an, den Philippe ihm aufgedrängt hatte. Neben dem Zelt entdeckte er einen großen geflochtenen Korb, in den die Menschen weitere Steine hinein warfen, die ihnen als Schmuck gedient hatten.
Axel schüttelte entsetzt den Kopf. "Wie viel Angst müssen die Menschen hier haben, wenn sie sich ihres einzigen Reichtums entledigen?"
"Diamanten sind nichts für uns", klang die Stimme von Joseph, Juliennes Vater, hinter Axel auf. "Aber sie bringen uns in Gefahr, weil sie den anderen Weißen etwas bedeuten. So wie sie nach dem Öl gieren. Was uns etwas bedeutet, das ist Vieh. Das sind Schulen für unsere Kinder, gute Kleidung, Saatgut, die Erneuerung der Reisfelder und damit genug zu essen für alle. Und vielleicht etwas Elektrizität. Ich bin die Kerzen leid, man liest so schlecht in ihrem Licht."
Axel wandte sich zu dem Mann um. "Und all das erwartest du von mir?"
Der große Schwarze, der durch sein Martyrium gebeugt ging, lächelte. "Wir alle erwarten das von dir. Entweder das, oder einen großen Knall und euer aller Ende."
"Na, wenigstens seid Ihr alle ehrlich", sagte Axel. "Eine Frage, Joseph. Gehört das Feld, auf dem unser Hubschrauber gelandet ist, zu den verminten Weiden?"
"Du denkst, die Wiese könnte vermint sein? Warum sollte Ndongo so etwas Dummes tun? Sie verminen die Felder, die man vom Dorf aus nicht sehen kann, damit wir auf ihre Minen treten, weil wir nicht wissen, dass sie da sind."
Innerlich erleichtert atmete Axel auf. Ihm war viel zu spät klar geworden, was für ein Risiko er gerade durch puren Leichtsinn eingegangen war.
"Danke, Joseph. Dann wird das unsere Landezone. Entschuldige mich, ich muss mit jemandem reden."
"Mit wem?", fragte Charles.
Axel fuhr erschrocken zusammen. "Wo kommst du denn her?"
"Ich war die ganze Zeit bei dir. Aber ich wollte dein Gespräch nicht stören, also habe ich nichts gesagt."
"So, du verfolgst mich also?", scherzte Axel.
"Nein. Ich will nützlich sein. Wenn ich jetzt kein Soldat mehr bin, will ich wenigstens etwas tun. Und wenn ich bei dir bleibe, kriege ich auch etwas zu tun, denke ich."
"Gute Antwort. Ich werde schauen, was sich ergibt. Aber erst mal muss ich mit meinem Bruder reden."
Und der, dachte Axel bei sich, wird sich ganz schön wundern.
***
"Was? Rede mal deutlicher, Axel. Hm? Ja, ich habe Thomas Bescheid gegeben, dass da ein verletztes Kind per Hubschrauber kommt, und Meikes medizinische Anweisungen weiter geleitet. Der Mi-24D wird noch mal bei uns am Camp zwischenlanden, bevor er nach Panadia aufbricht, Bernd hat es nicht sofort geschafft. Er hat unsere bisherige Beute vorab gecheckt, und die sieht gut aus. Was? Den Stein von Julienne? Du, ich verkaufe doch kein Geschenk. Nein, ich bin nicht romantisch geworden. Ich denke mir nur, für den Notfall sollte ich eine Reserve haben. Ach, unnötig? Wieso das denn? Ein Beutel neben dem Lazarett? Die Leute werfen da Diamanten rein? Was? Okay, noch mal ganz von vorne. Die Menschen aus den umliegenden Dörfern geben dir ihre Diamanten? Für was? Und sie wissen, dass es Diamanten sind? Okay... Wenn ein Arzt schon einen Haufen Kindersoldaten anlockt, dann werden Diamanten sicherlich gleich einen Kriegsherrn auf den Plan rufen.
Teufel auch, den zweiten Tag hier, und wir haben mehr gefunden, als ich erwartet habe. Aber auch mehr Ärger als ich mir je vorstellen konnte. Ich dachte, Belongo gibt uns ein paar Tage zum Eingewöhnen.
Wie? Ja, du, das ist eine witzige Geschichte, wirklich. Die Mine gibt es schon länger. In den letzten zwanzig Jahren haben hier wohl über fünf Firmen gegraben und das Loch vertieft. Die meisten hatten schweres Gerät. Die dachten wirklich, hier gibt es Gold. Ja, das hat sich hartnäckig gehalten. Und bei den ganzen Grabearbeiten sind die Diamanten angefallen, die jetzt die halbe Region als Schmuck trägt. Wie, ich soll die Geräteparks suchen? Selbst wenn die Firmen ihre Maschinen nicht mitgenommen haben, selbst wenn sie nicht bei Überfällen zerstört wurden, glaubst du doch nicht, dass die heute mehr als ein Haufen rostender Schrott sind. Nein, da würde ich auch keine Ersatzteile ausbauen wollen. Vertrau mir.
Eine Jagdtruppe? Nein, ich habe Thomas gesagt, dass wir personell schon überfordert sind, und dass er unser Fleisch entweder in Panadia schießen lassen soll, oder er kauft es am besten ein. Mit dem nächsten Flug kommt Boxie übrigens mit dem Transporter und fliegt die zweite Baumaschine ein, einen Radlader. De erste Bagger arbeitet schon. Und Bernd liegt mir immer noch in den Ohren mit seinem Keiler, der die Felder von Ngali von Landminen befreien soll. Ja, was denkst du denn? Willst du noch ein paar hundert Leute einstellen, die mit Minensuchgeräten die Felder abklappern? Ja, ich halte den Keiler für die beste Idee.
Tja, Herr Herwig, dann werden wir wohl für diese Antonov eine Landebahn bauen müssen, so sieht es aus! Überleg doch mal, wenn du die ganzen Straßen bauen willst, brauchst du sowieso größere Kapazitäten! Was? Nein, unmöglich. Weißt du wie teuer Kampfjets sind? Für den Begleitschutz müssen unsere fliegenden Panzer reichen. Äh, nein. Die können das Tempo mithalten.
Ja, ich weiß. Aber sieh es ein. Wir haben erst einen Diamanten verkauft, und bevor wir nicht mehr Geld auf dem Konto haben, können wir auch nicht mehr Gerät einkaufen.
Was hat Meike...? Ja, sie soll mir eine Liste schicken. Ich sende sie dann per E-Mail zu Thomas herüber. Sie kriegt alles, was wir in Panadia oder einem der Nachbarstaaten auftreiben können.
Und, wie macht sich Heide? Neunzehn Siedlungen schon? Oh, ich hoffe, Onkel Paul verdient eine Menge Geld für uns mit den Diamanten, denn wir werden verdammt viel Geld brauchen, wenn wir hier Minen räumen und Straßen bauen wollen. Du, ich muss Schluss machen. Ich höre den Hubschrauber landen. Ja, halte die Ohren steif. Du mich auch, Bruderherz."

Niklas legte das Funkgerät beiseite. "Es wird Zeit, Herr Assay."
Bernd, der noch immer damit beschäftigt war, die aktuelle Ausbeute zu taxieren, brummte unwillig.
"Junge, dein Flug geht gerade. Ist ja gut und schön, dass du die Diamanten vortaxieren willst, aber wegen dir kommt der ganze Flugplan durcheinander. Die Mi-24D soll Kerosin und Diesel mitbringen, und du weißt, dass wir das Zeug hier bald brauchen werden, wenn etwas Unvorhergesehenes geschieht."
Bernd brummte erneut unwillig, während er mit einem Okular einen Diamanten betrachtete, den er in einer Pinzette hielt.
"Oh, Bernd, verdammt. Du kannst im Flieger weiter deine Diamanten checken."
Nun sah Assay das erste Mal hoch. "Ich mach das hier nicht für mich, sondern für uns alle. Nur für den Fall, dass mich jemand fragt, wie viel Karat wir schon gesammelt haben. Du willst doch bestimmt ein paar Daten, die du den Leuten sagen kannst?"
"Sammle deine Daten während des Fluges, und ab mit dir nach Panadia. Da kannst du dann ein schönes Medium-Steak essen und ein eiskaltes Bier trinken. Unseres ist warm geworden, weil die Generatoren für die Kühlung noch nicht geliefert wurden.
"Okay, das ist ein Argument." Bernd packte ein. Die Sortierten in einen Lederbeutel, die Unsortierten in eine Pappschachtel. Er nahm Waage, Okular, Pinzetten und sein kleines Notizbuch mit Onkel Pauls Crashkurs an sich, verstaute alles in seinem Rucksack und machte sich auf, den Container, der nun ihnen als Büro diente, zu verlassen. "Du, die Gemeinschaftszelte stinken mir, und die Barracken gefallen mir nicht. Kriege ich ein Einzelzelt?"
"Warte erst mal ab, wenn wir die Wohncontainer nach amerikanischem Vorbild einfliegen lassen", scherzte Niklas.
"Ich nehme einen", erwiderte Bernd.

Niklas sah dem alten Freund nach. Er war mürrisch, unbelehrbar, ein Besserwisser gar, aber es gab niemanden, der zuverlässiger war, ein besseres Gedächtnis hatte, der ehrlicher war. Mit ihm befreundet zu sein war schwierig, aber die Sache wert. Niklas war froh, dass der dicke Militär-Freak sie nach Belongo begleitet hatte. Hier konnte Bernd sein ganzes Organisationstalent ausspielen.
Und solange Bernd hier seine Arbeit tat, konnte nur wenig die First Diamond Mining Company Belongo erschüttern.
Niklas staunte deshalb nicht schlecht, als das Satellitentelefon klingelte. Die Nummer, die ihm angezeigt wurde, war ihm unbekannt. Im Gegenzug waren die Kontaktdaten zu seinem Telefon nur sehr wenigen Leuten bekannt. "Herwig."
"Klaus hier", antwortete eine bekannte Männerstimme. Kein Nachname, kein Rang.
Niklas war schon alarmiert gewesen, als das Telefon geklingelt hatte. Nun aber fühlte er, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten. "Schön, von dir zu hören, Klaus. Was kann ich für dich tun?"
"Ich habe hier ein paar merkwürdige Aufnahmen aus Belongo auf meinem Schreibtisch. Einerseits gibt es da eine Massenwanderung in Richtung Ngali, andererseits sehe ich ein paar Kampfhubschrauber auf einer freien Fläche, ein paar Kilometer entfernt. Ich hoffe doch, eure humanitären Hilfeleistungen sind nicht schon am ersten Tag gescheitert."
"Wie man es nimmt. Unsere Ärzte sind eifrig am impfen und behandeln, während wir hier... Eine Landebahn für Flugzeuge bauen."
"Und das mitten auf einer unergiebigen Goldmine. Na, leichter kommt Ihr an Abraum nicht heran in der Gegend, denke ich."
"Du weißt von der Goldmine?", fragte Niklas. Na toll, diese Information hätte ihm vorher wesentlich mehr genützt.
"Sagen wir es so. Ein gewisser Lieutenant, nennen wir ihn Ross, hat mir etwas über eine belongoische Diamantenminengesellschaft erzählt. Der Gute ist im Marine-Geheimdienst und führt in Washington als Spook Recherche. Er hat herausgefunden, dass Hauptanteilnehmer ein gewisser Axel Herwig ist, zufällig Bruder des vor kurzem in der Region entführten Niklas Herwig. Da wir nach diesem Niklas gesucht haben, per Satellit, hat er auch mit uns gesprochen, um an seine Akte zu kommen, und so weiter. Dabei erwähnte er etwas von "Probesondierungen nach Gold", die die Ergiebigkeit und damit die Machbarkeit einer Mine erweisen sollten. Problematisch an der Sache ist, dass das Land offiziell der neuen Minengesellschaft gehört."
"Na, dieses Riesenloch im Hügel kann man kaum Probebohrungen nennen. Ebenso wenig die Sklavenarbeiter, die diese "Probebohrung" durchgeführt haben", warf Niklas sarkastisch ein.
"Sklavenarbeiter? Davon hat mir Lieutenant Ross nichts erzählt. Nur von Bodenschätzen und dem Nutzen für die Bevölkerung Belongos, und so weiter."
"Hat er die Vergewaltigungen und Hinrichtungen erwähnt?", fragte der Deutsche trocken.
Schweigen antwortete ihm einige Zeit. Schließlich hatte Klaus seine Fassung wieder. "Ich wusste, dass Belongo ein raues Pflaster ist. Aber das habe ich nicht erwartet."
"Gewöhn dich dran. Wir kratzen hier ohnehin nur an der Oberfläche."
"Und an Diamanten", stellte Klaus fest.
"Wir haben dich nie belogen", konterte Niklas.
Der andere lachte leise. "Das stimmt wohl. Also, was ist es? Diamanten oder humanitäre Hilfe?"
"Beides. Wir finanzieren das eine mit dem anderen. Du kannst uns nicht zufällig ein paar Keiler-Panzer vermitteln, mit denen wir die Felder der umliegenden Dörfer von Minen befreien?"
Erneut Stille, bevor Klaus erneut sprach. "Keiler? Was wollt Ihr denn mit den dicken Dingern da unten? Warum nehmt Ihr nicht ein paar Minenwölfe? Die sind leichter, arbeiten schneller, und schaffen auch eine komplette Räumung, im Gegensatz zum Keiler."
"Minenwölfe?", fragte Niklas interessiert.
"Ein ziviles, hoch effektives Räumgerät. Sehr nützlich und weltweit verfügbar. Kauft oder mietet davon ein paar, und Ihr seid schneller als mit einem Dutzend Keiler. Soll ich dir einen Link zur Firmenseite per Internet schicken?"
"Ja, das wäre nett. Bernds Adresse hast du?"
"Wer von uns hat die nicht? Und, wie läuft es da unten?"
"Durchwachsen. Wir hatten noch keine Verluste. Aber die Luft hier ist sehr bleihaltig, und die Menschen sind vielschichtig. Dennoch hängen sie am Leben und wünschen sich Frieden."
"Den Ihr ihnen bringen wollt", sagte Klaus.
"Nein, träum weiter. Wir bringen ihnen Straßen, Gebäude, geräumte Felder. Aber wir werden sicherlich nicht die Polizei für sie spielen und ein Dutzend Kriegsherren entwaffnen."
"Warum nicht?", fragte Klaus.
"Erstens ist das unmöglich. Wir können punktuiert arbeiten, und wir können aus dem Erlös der Diamanten einiges an Material besorgen. Aber wir können mit fünfzig Mann nicht einen Distrikt retten, geschweige denn ein ganzes Land."
"Habt Ihr es versucht?"
"Versucht ja. Aber wir sind ja auch erst einen Tag hier."
"Gut. Versucht es weiter. Wenn Bernd etwas braucht, soll er mich kontaktieren, ich höre mich dann hier mal um. Und noch was, alter Freund: Lieutenant Ross war nicht sehr erfreut über den plötzlichen Wechsel des Besitzers. Kann sein, dass da noch was nachkommt. Legal sind ihm die Hände gebunden, also versuchen sie es vielleicht anders herum. Achtet darauf, wenn das GPS unscharf gestellt wird. Das ist ein untrügliches Zeichen für einen Angriff."
"Danke für den Rat", erwiderte Niklas. "Gibt es Anzeichen für Truppenbewegungen in Richtung der wandernden Menschen?"
"Einzelne bewaffnete Trüppchen, ja. Keine großen Aktionen oder gar Fahrzeuge. Die Straßen sind schlecht da unten."
"Ja, ich weiß. Und wir arbeiten dran. Noch etwas?"
"Passt auf Bernd auf. Er neigt dazu, aufzustehen, wenn ihm jemand zuruft, dass er sich ducken soll."
Niklas lachte. "Ein guter Rat. Erreiche ich dich in Zukunft unter dieser Nummer?"
Zögern. Sekundenlanges Schweigen. Endlich ein leises: "Ja."
"Ich danke dir, Klaus."
Die Verbindung brach ab. Klaus hatte aufgelegt.
Nachdenklich betrachtete Niklas sein Satellitentelefon. Das war eine großherzige Tat vom Satellitenspezialisten gewesen. Eine sehr großherzige Tat.
Er griff wieder zum Funkgerät. Wenn sich die Amerikaner für ihr kleines Unternehmen interessierten, wurde es gefährlich.


5.
Als der Mi-24D zur Landung ansetzte, hatte Thomas schon alles vorbereitet, soweit es in der Kürze der Zeit möglich gewesen war. Honiton City, die Stadt, die zum Honiton Air Field gehörte, wäre in Europa als mittelgroße Stadt durchgegangen. Sie war mit rund einhunderttausend registrierten Einwohnern recht groß und modern. Und sie war überlaufen, aber im positiven Sinne. Das Leben brodelte, und wo etwas brodelte, brauchte man entweder einen Koch, oder einen Arzt.
Honiton City verfügte deshalb über ein leidlich gut ausgerüstetes Krankenhaus, das über eine eigene Säuglings- und Kinderabteilung verfügte. Hier standen ausreichend moderne Geräte zur Verfügung, um die Versorgung des Mädchens sicher zu stellen. Eine kräftige Spende seinerseits und eine Vorauszahlung auf die Behandlung sollten seines Erachtens die Behandlung der Kindersoldatin sicher stellen. Eine Aufnahme der Patientin sowie ihres minderjährigen Begleiters in das angegliederte Waisenhaus hatte er abgelehnt. Diese Kinder waren genug traumatisiert, weil sie für Kampf und Tod aus ihren Familien gerissen worden waren. Nun auch noch ihre kleine, fragile Gemeinschaft auseinander zu reißen wäre mindestens ebenso schlimm gewesen. Sie allesamt nach Panadia zu schaffen war auch keine so gute Idee, weil da immer noch diese Rivalität zwischen dem englisch-sprachigen Panadia und dem französisch-sprachigen Ndongo existierte. Sollte die Notwendigkeit bestehen, also die schiere Zahl an Ndongischen Kindern mehrere Behandlungen erfordern, hatte Thomas schon an eine eigene, schlichtere Klinik am Flugfeld gedacht, um die Reibereien nicht durch einen Schwung an Flüchtlingskindern anzuheizen, auch wenn ihm Professor Mogaki versichert hatte, dass er Rassismus in seinem Krankenhaus nicht zulassen würde.
Aber Thomas war schon immer Pragmatiker gewesen. Und das bedeutete auch, dass nicht nur ein Krankenwagen bereit stand, um die Kinder aufzunehmen, sondern auch eine Begleitperson mit in die Klinik fahren würde. Wenn das Mädchen nach den Untersuchungen und einer eventuellen Operation transportfähig war, würden sie wieder zur Firma kommen. War das nicht der Fall, würde die junge Frau, Joan Fredrics aus der Verwaltung, bei den beiden bleiben. Für zehntausend Euro tat man einiges, hatte sie gesagt. Aber Thomas hatte ihre Bestürzung gesehen, als sie vom Schicksal der Kindersoldaten erfahren hatte.
Idealismus war nicht defacto schlecht.

Boxie stand neben ihm, als der Schlag der Rotoren langsam verebbte. Der Chefpilot und Anführer der Flugstaffel wartete nur noch auf die Endbetankung des Transporters, um die Baumaschinen rüber zu fliegen. Er musterte mit sachlichem Blick die Entladearbeiten des afrikanischen Personals, als sich zwei Sanitäter um das Mädchen kümmerten. Professionell trafen sie eine erste Diagnose, stellten das Bein erneut ruhig und verluden ihre Patientin zusammen mit ihrem Begleiter und der Stabsmitarbeiterin in den Krankenwagen.
Der Ausbildungsstand der Mediziner in Panadia war sehr gut. Auch die Sanitäter, die Pfleger und die Schwestern hatten einen Ausbildungsstand, der mit den meisten westlichen Ländern mithalten konnte. Lediglich das Material fehlte hier und da. Und das war bei einem so reichen Land wie diesem nicht so einfach zu erklären.
"Die sind gut", stellte Boxie fest. Nachdenklich sah er dem davon eilenden Krankenwagen hinterher. "Wie ist es hier eigentlich mit der AIDS-Rate?"
"Für die Region gering. Panadia ist recht liberal. Es klärt die Leute über die Infektionswege auf, informiert darüber, dass Sex mit einer Jungfrau nicht von AIDS heilt, sondern nur einen neuen Infizierten schafft, verteilt gratis Kondome, nutzt die verbilligten AIDS-Medikamente aus Europa, und verhindert eine Ghettoisierung."
"Und wie ist es in Belongo?"
"Es liegen keine aktuellen Zahlen vor. Das Land ist so unruhig, dass es mich nicht wundern würde, dass AIDS in diese Gebiete nicht besonders weit vorgedrungen ist, weil es keinen Austausch von Menschen gibt."
"Nette Idee, Thomas. Aber hast du bedacht, dass es Menschen gibt, die in der Hauptstadt arbeiten und auch mal nach Hause gehen? Oder dass marodierende und vergewaltigende Söldner den Virus verbreiten? Man sagt ja, durch AIDS allein würden manche afrikanische und asiatische Staaten mittelfristig ein Drittel ihrer Bevölkerung verlieren. Mich würde das für Belongo interessieren, alleine schon weil die Versorgung von AIDS ein anderes Konzept erfordert."
Der Professor lächelte. "Du meinst ein anderes Konzept, als wir für einen Monat harter Arbeit in einer Diamantenmine haben?"
Boxie trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. "Ich war gestern zwischen zwei Flügen auf dem Markt. Da hatten sie Meerschweinchen im Angebot. Diese südamerikanischen Rassen, also groß wie Kaninchen. Das sind hier die Fleischtiere des kleinen Mannes. Ich würde die natürlich nie essen, aber es interessiert mich schon, was dabei herauskommt, wenn ich ein Weibchen mit Willi zusammen setze."
"Lass mich das mal übersetzen: Du willst gerne länger als einen Monat hier bleiben, Michael Draeger."
Boxie zuckte die Schultern. "Fliegen kann ich auch Zuhause. Aber hier ist doch ein wenig mehr los. Meine Meerschweinchen fühlen sich hier wohl, und es gibt einiges zu tun. Ich überlege ernsthaft, ob mein Anteil hier etwas bewirken könnte."
"Oder meiner", sagte Thomas schmunzelnd.
"Oder meiner", sagte Bernd, als er zu ihnen aufschloss. Er hielt einen Kinderkopfgroßen Beutel in der Hand. "Hier sind ein paar Diamanten für Onkel Paul. Die Kiesel und Halbedelsteine habe ich schon aussortiert. Unsere Leute sammeln ja alles auf, was nicht nach einem Sandstein aussieht, und das ist ja auch richtig. Ich überlege schon, ob wir ein paar Rüttelsiebe kaufen, um noch die kleinen Splitter auszuwaschen. Würde sie doch lohnen."
"Natürlich würde sich das lohnen. Aber das hebe dir auf für den Tag, an dem du keine walnußgroßen Diamanten mehr findest", spottete Thomas.
Androweit, Boxies Stellvertreter, kam herüber. Zwischen Daumen und Zeigefinger der Rechten hielt er einen Kiesel. "Was für ein verrücktes Land. Den hier habe ich im Profil des vorderen Reifen gefunden. Hier, Bernd, für deine Sammlung."
Assay nahm den Stein entgegen. Er runzelte die Stirn. "Im Reifenprofil?"
"Im Reifenprofil."
"Wir sollten fortan die Reifenprofile checken, wenn wir hier landen", sagte er. "Dies ist wahrscheinlich auch ein Rohdiamant."
"So weit habe ich auch schon gedacht", meinte Jorge Androweit grinsend.
***
Es gab mehrere Gründe, warum sich Joan Fredrics freiwillig bereit erklärt hatte, die Kinder zu begleiten. Erstens, sie hatte Krankenschwester gelernt, bevor sie in ihren Verwaltungsberuf gewechselt war. Sie hatte Ahnung von der Behandlung des Mädchens.
Zweitens, sie war eine Frau. Nicht, dass sie den Technikern und den anderen Verwaltungsleuten etwas unterstellen wollte, aber ihr war einfach wohler dabei, wenn ein hilfloses Mädchen von einer Frau begleitet wurde. Außerdem hoffte sie, dass Jacqueline zu ihr eher Vertrauen fassen würde als zu einem Mann. Bei Tonba wusste sie es nicht. Es war ja nicht einmal so, dass er in einer patriarchischen Struktur aufgewachsen war und deshalb Frauen für Dinge hielt. Er war ein Kindersoldat, und diese Eigenschaft hätte für einen Mann sicherlich schmerzhaft enden können, wenn der kleine Junge glaubte, das Mädchen wäre in irgendeiner Gefahr. Ob seine Erfahrungen in der totalitären Struktur der Armee eines Warlords verhindern würde, dass er sie akzeptierte, war für sie vollkommen offen. Aber sie hatte sich einen guten Start verschafft, indem sie beiden je einen Cola-Lutscher geschenkt hatte.
Drittens war sie es gewohnt, sich gegen Männer durchzusetzen. Einer der Gründe, warum sie überhaupt Zeit für diese Mission mit Bernd und den Herwig-Brüdern gehabt hatte. In ihrem alten Job hatte sie ein paar mal zu oft Recht behalten und war gefeuert worden. Thomas hingegen schätzte die starke Seite an ihr sehr. Auch ein Grund dafür, dass sie ihren Laptop und ihr Handy mitgenommen hatte, um problemlos weiter arbeiten zu können.
Und viertens liebte sie Kinder über alles. Sie war allgemein ein Menschenfreund, aber Kinder waren für sie etwas Besonderes. Beinahe bedauerte sie, dass alle Kinder eines Tages zu Erwachsenen werden würden, wodurch sie ihre Niedlichkeit einbüßten.
Apropos niedlich: Sie stand auf der Warteliste für eines von Boxies Meerschweinchen.
Der fünfte Punkt war der Wichtigste. Wenn sie die Kinder begleitete, hatte sie hervorragende Gelegenheit dazu, festzustellen, ob Professor Mogaki und seine Mitarbeiter tatsächlich vertrauenswürdige Partner darstellten, oder ob eine eigene Klinik am Flughafen nicht sinnvoller wäre.
Blieb noch der sechste Punkt. Sie sprach Französisch, wie die Kinder. Nicht sehr gut, aber sie verstand die meisten gesprochenen Worte. Zumindest die halblaute Unterhaltung der beiden konnte sie problemlos verfolgen.

Der Krankenwagen fuhr ohne Blaulicht und ohne Hast durch die viel befahrenen Straßen. Zwar hatte Jacqueline eine deutlich vorangeschrittene Blutvergiftung ohne das sonst begleitende Fieber - noch -, und die richtige Therapie wäre es eigentlich gewesen, ihr Antibiotika zu geben. Aber da Doktor Herryhaus bereits darauf verzichtet hatte, musste sie eine Unverträglichkeit befürchten. Einige schnelle Tests im Krankenhaus würden da schnell Klarheit bringen. Vor allem, womit die Blutvergiftung therapiert werden würde.
Im Krankenhaus würde ihr dann auch ein permanenter Katheter gelegt werden, für eine intravenöse Infusion. Vordringlicher war ohnehin, die Wunde auf weitere Splitter zu untersuchen, um den Herd der Entzündung auszuschalten.
Joan lächelte für die Kinder, weil sie wusste, dass ihre blonden Haare und ihr ebenmäßiges Gesicht als "schön" empfunden wurden. In Verbindung mit einem Lächeln sollte es eine beruhigende, vertrauensaufbauende Wirkung haben. Ein alter Trick aus ihrer Zeit als Krankenschwester, wo man sie zum Beispiel bei Unfallpatienten eingesetzt hatte, damit diese nach der Narkose der Not-OP als Erstes etwas Hübsches zu sehen bekamen.
Es zeigte Wirkung, die beiden lächelten zurück. Auch der Sanitäter, der sie hier hier hinten begleitete, hatte zu lächeln begonnen. Was sie ermahnte, nicht zu freundlich zu werden. Sie hatte mehr als einen Patienten gehabt, der sich spontan in sie verliebt hatte, und einen verliebten Rettungssanitäter in ihrem Leben konnte sie für den Zeitraum der nächsten rund vier Wochen überhaupt nicht gebrauchen.
"Du hast so schöne Haare", sagte das Mädchen plötzlich.
Joan lächelte. Das hatte sie auch schon oft gehört. Sie griff sich in den Nacken, löste den langen Zopf, zu dem es geflochten war, und schob es über ihre linke Schulter, wo es als Kaskade herab fiel. "Möchtest du es anfassen, Jacqueline?"
Das Mädchen verzog kurz das Gesicht, als ihr richtiger Name fiel, vermutlich ihr antrainierter Reflex. Aber dann war sie wieder vom Haar restlos begeistert. "Ja!"
Vorsichtig griff sie nach der goldenen Pracht, ließ sie durch ihre Finger gleiten. Mit erstaunter Miene sah sie Tonba an. "Es ist so weich!"
"Das liegt daran, dass es dünner ist als eure Haare", sagte Joan und streichelte dem Mädchen das kurz geschorene Haupthaar, das wohl, wenn man es wachsen ließ, einen stolzen Afrolook entwickeln würde. "Und deine sind so dick, dass man neidisch werden könnte", seufzte sie. "Du wirst damit nie Probleme haben, dich zu frisieren. Wenn ich daran denke, was für tolle Frisuren du dir machen kannst, wenn sie erst einmal lang genug sind, werde ich neidisch."
Das Mädchen gaffte sie mit offenem Mund an. "Du meinst, ich darf sie jetzt wachsen lassen?"
"Natürlich darfst du das. Du bist doch ein Mädchen", sagte Joan tadelnd.
Das entlockte dem Mädchen ein erfreutes Quieken. Auch Tonba schien über diese Worte mehr als froh zu sein.
Joan spürte es deutlich, sie bekam Zugang zu den beiden, baute Vertrauen auf. Außerdem hatte sie einen neuen Verehrer, wenn sie den Blick des Sanitäters richtig deutete. Der konnte an der Unterhaltung nicht teil nehmen, weil er kein französisch sprach.
Das würde noch problematisch werden, das mit dem Französisch. Jacqueline und Tonba waren Kindersoldaten gewesen. Die waren teilweise traumatisiert, nicht selten vollkommen verstört und abgestumpft, wenn man bedachte, was sie hatten sehen, erleben müssen. Die beiden hier erschienen ihr zwar fast wie Kinder zu sein, aber Joan bemerkte die vorsichtigen Blicke, die sie dem Sanitäter zuwarfen. Ohne ihre Anwesenheit hätte es vielleicht schon einen Fauxpas gegeben. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht waren die beiden jung genug, um den Kindersoldaten einfach so abzustreifen und zur neuen Tagesordnung überzugehen, nämlich Kinder zu sein. Schließlich hockten sie nicht apathisch vor sich hin glotzend in einer Ecke, wimmerten nicht permanent oder zitterten wie Espenlaub. Eventuell verstellten sie sich auch nur, da konnte man nicht sicher sein. Aber dann wäre ihre langjährige Berufserfahrung und ihre Menschenkenntnis echt für den Arsch gewesen.

Als der Krankenwagen den dichten Verkehr verließ, um auf eine Anhöhe zu fahren, erkannte Joan von weitem schon das großzügig erbaute Krankenhaus. Ein kleiner Park umgab das Gebäude, es gab einen Hubschrauberlandeplatz - den sie vor allem deshalb nicht genutzt hatten, weil eine Militärmaschine mitten in Honiton City doch sehr auffällig gewesen wäre - und einen großen Spielplatz, auf dem eine Horde Kinder unter der Aufsicht mehrere Schwestern je nach persönlicher Einschränkung mehr oder weniger herum tollte.
"Sieht gut aus, nicht?", sagte der Sanitäter auf Englisch zu ihr. "Wir haben die zweitgrößte Kinderklinik des Landes. Fachärzte aus ganz Panadia kommen zu uns, um hier zu arbeiten und zu forschen. Auch die, die eigentlich gute Jobs in England oder Amerika kriegen könnten. Wir haben einen sehr guten Ruf, und wer ein paar Jahre bei uns arbeitet, findet in einem Krankenhaus oft schnell einen höheren Posten. Der Professor sagt oft, das Honiton Care ist ein Chefarzt-Macher. Und darauf ist er sehr stolz. Natürlich versorgen wir auch Erwachsene, aber deren Trakt ist kleiner."
Er deutete hinaus auf die spielenden Kinder. "Wir haben Fälle aus ganz Panadia, und nicht selten aus den umliegenden Ländern. Auch solche aus Ndongo, wie Ihre beiden. Kindersoldaten waren bisher nicht dabei, und wir sind alle sehr gespannt, wie sie sich in die Gemeinschaft einfügen werden."
"Was sagt er?", fragte Jacqueline mit einer leichten Spur Ängstlichkeit in der Stimme.
"Er hat mir gerade erklärt, was für ein gutes Kinderkrankenhaus das ist. Und er freut sich darauf, dass Ihr mit den anderen Kindern spielen werdet", sagte sie leicht verkürzt.
"Aber wir müssen nicht hier bleiben, oder?", fragte Tonba, aber nicht ohne den Spielgeräten einen sehnsüchtigen Blick zu zu werfen, als sie an ihnen vorbei fuhren.
"Nein, müsst Ihr nicht", sagte Joan mit entschlossener Miene. Sie wandte sich dem Sanitäter zu. "Danke für diese Information."
Der Mann lachte und deutete auf die beiden. "Sie sind neugierig, oder? Doch wie ganz normale Kinder."
"Es sind ja auch ganz normale Kinder. Man hat ihnen eben nur eine Waffe in die Hand gedrückt und ihnen gesagt, auf wen sie schießen sollen." Sie biss sich bei diesen Worten beinahe auf die Unterlippe. Jetzt, wo sie es gesagt hatte, kam ihr die Geschichte sehr ungerecht vor.

Der Krankenwagen hielt, und der Sanitäter öffnete das Heck. Gemeinsam mit dem Fahrer bugsierte er Jacquelines Liege aus dem Fahrzeug. Sie wurden bereits erwartet, von einem kleinen, graumelierten Schwarzen, dessen Vollbart wie weißes Stroh wirkte, und von zwei Schwestern, einer Jungen und einer Alten. Beide wirkten so herzlich und fröhlich, dass Joan sie auf Anhieb in die Kategorien Oma und große Schwester einordnete.
Die Ältere ging auch sofort daran, sich bei den Kindern beliebt zu machen. Sie begrüßte Jacqueline und Tonba überschwänglich, umarmte beide herzlich und schenkte ihnen je einen großen Keks. Die erfahrene Schwester machte den beiden sofort klar, dass sie hier mehr als willkommen waren. Das ließ Joan doch einen wohligen Schauder über den Körper fahren.
Die Jüngere verschanzte sich hinter ihrem Lächeln, während sie auf Jacquelines rechtem Arm nach einer geeigneten Vene für den Dauerkatheter suchte. Dabei plapperte sie belangloses Zeug und fragte das Mädchen über ihre Familie aus. Als die Sprache auf den Bruder des Mädchens kam, bewies sie, dass sie tatsächlich zuhörte. Sie deutete fragend auf Tonba. Das brachte Jacqueline und den Jungen zum Lachen.
Und das Beste war, beide sprachen Französisch.

Der alte Mann trat an den Schwester vorbei, während diese zusammen mit den Sanitätern ins Krankenhaus in die Aufnahme wechselten. Es wurde ein so farbenfroher Wortwechsel, dass Joan sich beinahe dafür schalt, dass sie aus Sicherheitsgründen mitgekommen war. Andererseits, hätte man das hier erwarten können?
"Sie müssen Miss Fredrics sein", sprach er sie an und reichte ihr die Hand. "Ich bin Professor Albert Mogaki, der Direktor des Krankenhauses und Chefarzt der Kinderklinik."
"Nett, Sie kennen zu lernen, Herr Professor", sagte sie und nahm die dargebotene Hand.
"Man hat mir zu verstehen gegeben, dass Sie vom Fach sind?", fragte der Professor.
"Ich war nur Schwester, ein paar Jahre, bevor ich meine Berufung zum Büroarbeiter entdeckte. Ich habe im London Central in der Notaufnahme und auf Station gearbeitet."
"Nun, dann wissen Sie ja eine Menge mehr über unsere Arbeit als jeder Laie", stellte er fest. Einladend deutete er auf die Eingangstür. "Kommen Sie. Sie wollen doch sicherlich bei den Untersuchungen dabei sein, um sich zu vergewissern, dass wir nicht mit Voodoo und Buschtrommeln arbeiten", scherzte er.
"Ich bin nicht hier, um Ihre Arbeit zu kontrollieren", korrigierte Joan. "Ich bin hier, um festzustellen, ob wir weitere Kinder wie Jacqueline bei Ihnen unterbringen können, wenn wir welche finden. Dass Sie gut arbeiten, davon gehe ich aus, sonst hätte Professor Herryhaus Sie nicht ausgesucht."
"Herr Herryhaus ist ein kluger Mann", stellte der Professor fest. Vor ihnen öffneten sich die Schiebetüren. "Es geht auch darum, wie wir mit den kleinen Patienten umgehen, nicht? Die zwei sind unsere ersten Kindersoldaten, und soweit ich weiß, sind sie erst wenige Stunden vom Dienst entlassen. Das hätte durchaus sehr problematisch mit ihnen werden können. Wir haben hier zwar auch Psychologen und Kinderpsychologen, aber alle Erfahrungen, die wir mit Jacqueline und Tonba machen, werden unsere Grundlage für weitere Erfahrungen dieser Art bilden." Der Professor grüßte freundlich in alle Richtungen, hielt hier und da für ein paar Wortwechsel an, und dennoch brauchten sie keine zwei Minuten bis zur Aufnahme.
"Das war einer der Gründe. Ich bin auch hier um sicher zu stellen, dass die beiden nicht in ein Waisenhaus gebracht werden. Wir haben berechtigte Hoffnung, dass ihre Eltern noch leben, und das Mädchen hat ja, wie Sie wissen, noch einen Bruder in Belongo."
"Ja, das habe ich gehört. Und ich habe Professor Herryhaus den Vorschlag gemacht, sie allesamt aus Belongo auszufliegen. Wir können sie alle aufnehmen. Es gibt ohnehin Bestrebungen, in unserem Bundesland ein Kinderdorf einzurichten. Das halte ich für sinnvoller, als sie weiterhin in diesem Krisenherd zu belassen. Ich werde das mit dem Professor unter vier Augen absprechen müssen."
"Wir sind erst zwei Tage in der Region, und haben schon mehr Probleme als wir für einen Monat erwartet haben", stellte Joan fest. "Ich bin aber sicher, Thomas wird sachlichen Argumenten zugänglich sein. Er..."
Ein lauter Kinderschrei schreckte die beiden auf. Prompt sahen sie Tonba aus der Tür des Notaufnahmezimmer eins flüchten, nur um von einem der Sanitäter am Hosenbund ergriffen und hochgehoben zu sehen. Das machte den Protest des Jungen nicht leiser. Aber immerhin strampelte er nicht und wehrte sich auch nicht.
"Du lieber Himmel, was ist denn hier los?", rief der Professor und warf einen Blick in das Behandlungszimmer.
"Flöhe", sagte die ältere Schwester. Sie deutete auf den Jungen. "Wir wollten ihn baden, aber das hat ihm gar nicht gefallen."
Erstaunt wandte sich Joan dem Jungen zu. "Bitte, lassen Sie ihn auf die Füße", bat sie den Sanitäter.
Der gehorchte, blieb aber in der Nähe, um eine weitere Flucht zu verhindern.
Sie sah dem Jungen ins Gesicht, aber er blickte abweisend fort. "Tonba, mein Junge", sagte sie auf Französisch. "Warum willst du denn nicht baden? Glaub mir, du wirst dich viel wohler fühlen, wenn dich die Flöhe nicht mehr beißen. Außerdem besorgen wir dir ganz neue Sachen zum Anziehen."
Mürrisch mied der Junge ihren Blick. "Ich habe nichts gegen neue Sachen." Misstrauisch warf er ihr einen Blick aus den Augenwinkeln zu. "Aber dieses baden, muss das sein? Ich kenne es nicht."
Für einen Moment glaubte Joan, jemand hätte ein Zentnergewicht auf sie herab gelassen. Dann musste sie lachen. "Okay, dann erkläre ich es dir." Mit Engelsgeduld und unterstützt von der älteren Schwester, die sich als Stationsoberschwester entpuppte, erklärte sie Tonba das Prinzip des Badens mit all seinen positiven Effekten und Freuden.
Das machte sogar Jacqueline neugierig. "Werde ich auch gebadet?", fragte sie.
Der Professor wechselte einen knappen Blick mit der Oberschwester. "Normalerweise hättest du erst einmal ein Bettbad bekommen, wegen der Beinwunde. Aber ich denke, gleiches Recht für alle. Kleben Sie die Wunde ab, und stecken Sie die beiden in die Wanne, Oberschwester Hillary."
"Es wird mir ein Vergnügen sein", erwiderte sie. "Und dann geben wir euch neue Sachen aus unserem Fundus. Heile Sachen", fügte sie hinzu, was Tonbas Augen aufleuchten ließ.
Joan hätte bei diesem Anblick beinahe laut geweint. Was für ein schreckliches Leben mussten die beiden bisher geführt haben?
"Kann Jacqueline ein Kleid haben?", fragte Tonba leise. "Bitte, ich habe sie noch nie in einem Kleid gesehen."
"Natürlich kann sie ein Kleid haben. Schließlich ist sie ein Mädchen", sagte der Professor lachend. Er strich dem Jungen über den Kopf. "Ihr seid jetzt schließlich ganz normale Kinder."
Das brachte Tonba zum Lächeln.
Der Professor sah wieder zur Oberschwester. Die nickte. "Jack, Aaron, danke. Wir brauchen euch hier nicht mehr."
Die beiden Sanitäter nickten, grüßten und verließen den Raum.
"Ich werde mich dann auch erst einmal anderen Arbeiten widmen. Miss Fredrics, wollen Sie Oberschwester Hillary und Schwester Dawn nicht zur Hand gehen? Und vielleicht die neue Kleidung für die beiden im Fundus mit aussuchen?"
"Ist das denn in Ordnung? Wir wollen den anderen Kindern nichts wegnehmen", sagte Joan.
"Natürlich ist das in Ordnung. Die Spende, die Professor Herryhaus getätigt hat, kommt uns nicht nur sehr gelegen, sie reicht auch aus, um unseren Kleiderfundus zu verzehnfachen, wäre das notwendig."
"Dann will ich mithelfen." Sie nickte dem Chefarzt dankbar zu.
Der lächelte auf eine wohlwollende Weise, wie sie sie von ihrem eigenen Großvater kannte, winkte noch einmal in den Raum und ging dann wieder an seine Arbeit.
Mittlerweile hatte Schwester Dawn nahezu unbemerkt mehrere Kanülen mit Blut gefüllt. "So, jetzt werden wir bald wissen, was wir dir gegen die Blutvergiftung geben können", sagte sie zufrieden. "Hat es weh getan?"
Jacqueline schüttelte trotzig den Kopf. "Überhaupt nicht."
"Du bist ja auch schon ein großes Mädchen", sagte die Schwester und erntete dafür ein Lächeln.
Joan konnte nicht anders, sie musste breit grinsen. Die Panadianer waren nicht schlechter als britische Mediziner. "Ich glaube, wir werden sehr gut miteinander arbeiten", stellte sie fest.
"Daran bestand hoffentlich nie ein Zweifel", sagte die Oberschwester spöttisch.
"Natürlich nicht", log Joan.
***
Für das kleine Zeltdorf hatte sich schnell der Name Camp Diamond etabliert.
Alle waren guter Dinge und freuten sich nach dem Schrecken des ersten Gefechts auf die kommenden Tage und den zu erwartenden Bonus, der die Einmalzahlung von zehntausend Euro wie Kleingeld wirken ließ. Bereits die ersten Nachrichten aus Panadia, die per Grabenfunk ihren Weg zu den Soldaten gefunden hatten sprachen in den enthusiastischen Varianten von Millionenzahlungen für jeden einzelnen; bei denen, die nicht zu schamloser Übertreibung neigten, betrugen die Summen zwischen dreißig-, und fünfzigtausend Euro, die sie am Ende des Monats erwarten durften.
Fünf große Zelte dienten den Männern als Übernachtungsquartiere, zwei große Zelte hatte man für die Frauen aufgebaut. Dazu kamen das Küchenzelt, das Duschzelt, das Lazarettzelt, das Lagerzelt, und das Zelt, in dem seit dem frühen Nachmittag die Dieselgeneratoren leise brummten, die das Camp vorerst mit Strom versorgten. Für später war geplant, sich mehr auf Solarenergie zu stützen. Aber wann dieses später sein würde, war noch unklar.
Die erste gelieferte Maschine, ein kleiner Bagger, war bereits an der Arbeit und hob das Grabensystem aus, das Axel als Allererstes gefordert hatte. Die Arbeiter auf dem Hügel, die nun wieder auf neun angewachsen waren, sahen das als persönliche Herausforderung an und schufteten an ihren Gräben so sehr, dass Irene Hähnisch die Männer schließlich bremsen musste.
Wären nicht die leisen Klagen der Verletzten und Sterbenden gewesen, hätte man beinahe von einer Ferienlagerstimmung sprechen können.

Mitten auf der Abraumfläche konnte man die Grundler-Graser erkennen, wie man die Freiwilligen nannte, die den Schutt aus dem Hügel in ihrer Freizeit nach Diamanten abgrasten, benannt nach Helene Grundler, die auf der Abraumfläche die ersten Steine gefunden und zu den Herwigs gebracht hatte. Die eigentlichen Förderarbeiten waren noch nicht in Gang, und Eigeninitiative, die in Diamanten mündete, war gerne gesehen.
Es waren zehn Männer und Frauen, die mit Schaufeln und Hacken bewaffnet systematisch einen abgesteckten Bereich absuchten, nur um dann zum nächsten Bereich zu wechseln.
Die erste Nacht war allen gut bekommen, der erste Kampf nur noch eine ferne Erinnerung, und so waren die Leute mit Tatendrang an der Arbeit.
Aus Sicherheitsgründen trug jeder eine Pistole und die Magazine bei sich, auch hatte Niklas ihnen befohlen, die Tropenhüte zu tragen. Außerdem, um eine Vergiftung zu verhindern, trug jeder Soldat des Kommandos trotz der Hitze Handschuhe. Handschuhe, die anschließend gewaschen wurden. Außerdem stand ein Sanitäter bereit, für all die unglücklichen Idioten, die sich auf irgend eine Weise eben doch an der Blausäure vergifteten. Und die Küche hatte für sie einen Tisch aufgestellt, auf dem Thermoskannen mit ungesüßtem eiskalten Tee standen.
Nun war es nicht so, als bräuchte man nur die Erdkrume eintreten, um einen Diamanten zu finden. Und man brachte sie auch nicht gerade Säckeweise zum Tisch mit den Getränken. Aber einige Kiesel fielen durchaus an.
"Leutner, vergiss nicht, die Steine, die du dir in die Hosentasche steckst, auch vorne abzulegen", scherzte Rubik, die Sanitäterin, die auf die Sache mit der Blausäure achtete.
Leises Gelächter klang auf.
Der Mann indes brummte etwas unwilliges und warf einen viel versprechenden Stein in den Beutel, den er bei sich trug. Er machte aber keine Anstalten, die potentiellen Diamanten von der Hosentasche in den Beutel zu verlagern.
Julia Rubik stutzte. Sie ging auf den Mann zu. "Du hast doch nicht etwa vor, die Steine in deiner Hose so mitzunehmen?", fragte sie leise.
Erik Leutner grinste sie frech an. "Wieso nicht? Macht doch sowieso jeder."
"Ich mache es nicht!", stellte sie fest.
"Du bist ja auch eine Idiotin."
Verärgert schnappte sie nach Luft. "Leutner, ich kenne dein Problem nicht, aber dir ist schon klar, dass du deine Kameraden beklaust, wenn du die Diamanten nicht abgibst?"
"Was soll's? Die paar Steine mehr oder weniger werden schon nicht auffallen. Und sie filzen uns ja nicht, hast du das nicht gemerkt? Einfältige Bande, die beiden Herwigs."
"Leutner, du nimmst jetzt die Steine aus der Hosentasche und tust sie in den Beutel. Und den Beutel packst du dann auf den Tisch! Anschließend gehst du runter von der Mine! Hast du mich verstanden?"
Verächtlich musterte er die junge Frau. "Schufte du doch ruhig für die Herwig-Spinner! Ich tue das, was für mich selbst gut ist."
"Leutner, ich sage es dir wirklich nur noch ein Mal! Ich... Was soll das denn? Richten Sie etwa eine Waffe auf mich, Soldat?"
Erik Leutner, mit seiner Pistole auf ihre Stirn zielend, verzog die Miene zu einem trotzigen Lächeln. "Ich glaube, du verwechselst dich gerade mit jemandem, der hier etwas zu sagen hat, Kleines."
Die Arbeiten ruhten jetzt. Alle sahen auf das Duo.
"Keine Waffen!", befahl Rubik mit Wut in der Stimme. "Hör zu, du großer Idiot. Was willst du überhaupt mit den Steinen? Kennst du jemanden, der sie dir abkauft? Kennst du jemanden gut genug, der dir nicht frech ins Gesicht lügt und behauptet, du würdest nur Bergkristalle anschleppen? Willst du dich auf Kosten deiner Kameraden abzocken lassen?"
Leutner lachte schallend. "Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass die Herwig-Spinner ehrlich mit uns sind! Die werden uns mit einem Appel und 'nem Ei abspeisen und selber reich werden! Du bist naiv, Rubik!"
"Doch, ich glaube daran, dass sie ehrlich mit uns sind. Mit uns, und mit jedem, der noch dazu kommt", erwiderte sie mit fester Stimme.
"Noch so ein Ding! Jetzt schleppen sie nicht nur die Neger an, sondern geben denen auch das Gleiche wie uns! Wer sind wir denn?"
"Hey, hey, hey", beschwerte sich George McKenzie von den Army Rangers, dessen halbe Familie von Afroamerikanern abstammte."
"Piss dich nicht ein, Afro-Boy. Ich meine die richtigen schwarzen Gesichter. Wie ist das mit dir, Rubik? Findest du es in Ordnung, dass die Neger das gleiche Geld kriegen wie wir?"
"Du bist ein Volltrottel, weißt du das, Leutner? Du hast doch noch absolut keine Ahnung, wie viele Diamanten wir hier finden werden. Bereits jetzt sind es schon so viele."
"Und? Was sollen dann die paar in meiner Hose schaden? Es fällt doch eh nicht auf!", blaffte der Mann wütend. "Gönn mir doch auch ein wenig Extra!"
"Ich gönne dir gerne ein Extra in Form von neun Millimetern", sagte eine ruhige Männerstimme direkt neben ihm und presste ihm den Lauf seiner P8 auf die Schläfe. "Du sicherst jetzt die Pistole und lässt sie fallen. Dann trittst du ein paar Schritte zurück. Hast du das verstanden?"
Leutner linste halb zu McKenzie rüber, halb zu Rubik. "Was ist mit euch? Wollt Ihr das Gleiche kriegen wie die Neger? Oder wollt Ihr ein kleines Extra in der Tasche haben?"
"Du hast die Pistole noch nicht gesichert!", sagte McKenzie wütend und drückte mit dem Lauf seiner Pistole Leutners Kopf nach rechts.
Eine weitere Pistole wurde gezückt, dann noch eine. Und wieder. Schließlich waren acht schussbereite Waffen im Spiel.
"Tja, es sieht ganz so aus, als würden wir alle auf die Herwigs vertrauen, Leutner", sagte McKenzie zufrieden. "Die Waffen sind alle auf dich gerichtet."
Unsicher sah sich der Mann um. "Ihr seid doch alles einfältige Idioten!", zischte er. "Wie könnt Ihr nur an gute Menschen glauben?"
Rubik zuckte die Achseln. "Wir sind alle Freunde von Bernd, weißt du?"
"Bernd ist eine Nervensäge und ein Idiot! Erst dachte ich, was ist das für ein neues Luftschloss, das er sich da bastelt, als er mich angerufen hat. Aber die zehntausend Euro nimmst du doch mit, sagte ich mir. Seid Ihr tatsächlich solche Idioten wie er?"
Einer der Soldaten lud seine Waffe hörbar durch. Nun zeigten zehn Pistolen auf Leutner.
"Erik, es ist einerlei, ob du ein dämlicher Rassist bist, oder den Herwigs nicht traust. Aber dass du schlecht über Bernd redest, das nehme ich nicht hin. Ich zähle jetzt bis drei, und dann hast du die Waffe unten oder eine Kugel im Kopf."
"Das traust du dich nicht, Jannis."
"Drei." Ein Schuss bellte auf und ließ neben dem rechten Fuß von Leutner Erde aufspritzen.
"Also gut!" Leutner sicherte seine Waffe und ließ sie vornüber von seiner Hand gleiten. Dann trat er ein paar Schritte zurück.
"Siehst du, McKenzie, so baut man Druck auf", sagte Jannis Arndt grinsend.
"Oh, ich wollte keinen Druck aufbauen. Ich hätte ihn beim ersten Zucken des Zeigefingers erschossen, glaub mir das."
Nacheinander packten die Soldaten ihre Pistolen weg.
"Was Sie angeht, Soldat", sagte Rubik mit fester Stimme, "so leeren Sie am Tisch all Ihre Taschen und gehen anschließend mit mir ins Büro vom Alten. Der wird entscheiden, ob Sie überhaupt bei der Truppe bleiben dürfen, oder ob Sie einen Gnadenplatz in Panadia kriegen! Aber nachdem Sie Bernd derart beleidigt haben, glaube ich nicht daran. Los, gehen Sie!"
"Und wenn ich mich..."
Leutner hatte nicht einmal ausgesprochen, da lag er bereits am Boden.
Rubik federte die Folgen ihres Drehkicks leichtfüßig ab und landete mit festem Stand. "Vorsicht, Freundchen, mach mich nicht noch wütender."
Mühsam wuchtete der Mann sich wieder auf die Beine. Er murmelte etwas, was wie ein Jawohl klang, und schlich dann, in sicherer Entfernung von Rubik, auf den Tisch zu. Dort legte er seinen Beutel ab und leerte alle Hosentaschen.

Niklas staunte nicht schlecht, als der Mann ihm vorgeführt wurde.
"Aber... Warum?", fragte er fassungslos nach Rubiks Erklärung. Mittlerweile hatten sich mehrere Interessierte im Container eingefunden, unter ihnen auch Kram, der mit versteinerter Miene zuhörte.
"Warum bestehlen Sie Ihre Kameraden, ja, die belongoische Bevölkerung?" Niklas hob ein Blatt Papier. "Ich habe hier eine Aufstellung, formuliert aus den Schätzungen über den erwarteten Wert der Rohdiamanten, die ich heute Abend verlesen wollte. Demnach beläuft sich ein Anteil bis zu diesem Augenblick auf einem Gegenwert von einhundertsechzigtausend Euro!"
"Ja, das sagen Sie!", sagte Leutner, seine Überraschung überspielend.
"Das meine ich auch so. Eher wird der Betrag noch steigen. Etliche Diamanten sind noch in Ngali oder hier im Camp, darunter die, die Sie gefunden haben."
Niklas schüttelte den Kopf. "Packen Sie Ihre Sachen. Sie fliegen nach Panadia. Bis Sie ankommen, habe ich mit Axel gesprochen, und wir haben entschieden, ob wir Ihnen noch mal eine Chance geben, auf dem Flugfeld, oder ob Sie aus der Truppe fliegen."
Mit steinerner Miene musterte Leutner den Oberleutnant. "Und meine zehntausend Euro?"
"Scheiß auf die zehntausend Euro! Sie kriegen voraussichtlich einhundertsechzigtausend!", blaffte Niklas.
Verblüfft sah Leutner den Mann an. "Sie meinen, ich kriege die Provision?"
"Jeder kriegt seine Provision, abhängig vom Tage des Dienstantritts, Sie Idiot! Sie haben bis jetzt und gestern bei der Eroberung des Camps gute Arbeit geleistet. Ich habe keinen Grund, Ihnen Ihren Anteil zu verweigern! Ich habe nur Grund, Sie raus zu schmeißen."
"Also... Ich verstehe nicht... Die Diamanten, die ich... Ich meine, woanders hätte man mich erschossen oder fristlos gefeuert!", stammelte der Mann.
"Hier ist nicht woanders. Hier ist die First Diamond Mining Company Belongo. Hier kriegt jeder, der arbeitet, auch seinen Anteil! Und jetzt aus meinen Augen!"
Durch den Mann ging ein Ruck. "Jawohl, Herr Oberleutnant." Er salutierte, und wandte sich dann um, um zu gehen. Die Schaulustigen folgten ihm.

Nur Kram blieb zurück. "Ich sage jetzt mal, das ich nur laut denke. Und ich sage es auch nur in Gedanken zu mir selbst. Aber kommt diese Szene nicht sehr passend? Ich meine, er wird nach Panadia versetzt, und wenn er Glück hat und in der Firma bleibt, kriegt er genauso seinen Anteil wie wir anderen auch. Selbst wenn er gefeuert wird, ist er ein reicher Mann, oder nicht? Und das zu diesem Zeitpunkt, wo wohl schon der eine oder andere darüber nachgedacht hat, ein paar Steinchen beiseite zu schaffen. Eine ideale Gelegenheit für die Herwigs, um zu beweisen, was ihr Wort wert ist. Ich möchte wetten, dass man morgen ein paar Steinchen mehr finden wird, wenn die Suche weiter geht."
"Herr Oberfeldwebel", sagte Niklas mit ruhiger Stimme, "wenn Sie meinen, dass ich diese Szene arrangiert habe, dann denken Sie leiser. Es kam mir recht gelegen, ja. Das verschafft mir heute Abend entsprechend viel Aufmerksamkeit, wenn ich die aktuellen Zahlen verlese. Übrigens neige ich eher nicht dazu, ein Szenario zu erschaffen, in dem sich Kameraden mit geladenen Waffen gegenüberstehen und jederzeit abdrücken können. Einer hat abgedrückt, oder?"
"Das ist halt der Nachteil, wenn alle bewaffnet sind. Nicht, dass ich glaube, dass Rubik als Taekwondo-Meisterin ein Problem mit einem bewaffneten Mann einen Meter von ihrer Nase entfernt gehabt hätte.
Wenn es nicht inszeniert war, dann haben Sie meinen Respekt dafür, dass Sie die Sache so gut abgehandelt haben."
"Und wenn es inszeniert war?"
"Dann haben Sie noch mehr Respekt verdient, weil der Leutner dann ein verdammt guter Schauspieler ist", sagte Kram und tippte sich an den Tropenhut. "Ich gehe mal die Grundler-Graser besuchen und Rubik loben. Das war gute Arbeit für einen Sani, finde ich."
"Ja, tun Sie das, Spieß", sagte Niklas, schon wieder halb in seine Arbeit vertieft, während Kram den Container verließ.
Plötzlich schreckte er wieder hoch. "Ich nicht, aber wenn Axel... Er hat doch nicht..." Niklas machte eine abwehrende Geste. "Ach nee, nicht mal er würde so weit gehen." Es klang nicht sehr überzeugt.

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6.
Die nächsten drei Tage wurden lang - und dankenswerterweise höchst ereignisarm. Im Gegenteil, die guten Nachrichten häuften sich.
Der kleinen Jacqueline ging es nach ihrer Operation sehr gut. Meikes Sanitätsposten florierte und gedeihte. Zwei Tage lang hatte es ein wenig ausgesehen als würde die Flut an Menschen abebben, dabei hatte sie nur Anlauf genommen. Nicht ganz unschuldig daran waren Boxie und seine Hubschrauber. Sie waren insgesamt neunmal in andere Ortschaften geflogen, um Menschen abzuholen, die den Weg nicht alleine schafften. Meistens komplizierte Fälle, die eine Intensivstation oder eine Operation brauchten und die ohne die Belongo-Minengesellschaft jämmerlich gestorben wären. Nachrichten über ihren Gesundheitszustand machten schnell die Runde, kaum dass es etwas Neues gab. Drei waren gestorben, die Hilfe war zu spät gekommen, und Boxie hatte es sich nicht nehmen lassen, die sorgfältig präparierten Leichname selbst nach Hause zu fliegen. Westliche Medizin war eben kein Wundermittel, und selbst Meikes heilerischem Können waren Grenzen gesetzt. Dennoch war es gerade diese Geste gewesen, die das Vertrauen in die neuen fremden Ärzte gestärkt hatte. Die Zahl der Patienten, oder jener Menschen, die einfach nur von den Impfungen profitieren wollten, hatte bald die Tausend erreicht.
Im Camp hatte sich Routine eingeschlichen. Man war gewöhnt, jeden Tag rund ein Kilo jener Steine zu finden, die Diamanten sein konnten, und bei achtzig Prozent von ihnen war sich Bernd Assay auch sehr sicher, dass es Diamanten waren. Dennoch nahm er grundsätzlich alle Fundstücke mit zu Onkel Paul, um sie taxieren zu lassen. Neue Zahlen kursierten, und die ließen die Einmalzahlung von zehntausend Euro erneut wie einen schlechten Vorschuss wirken. Selbst als die Zahl der Rekruten stieg, die bei der neugegründeten Gesellschaft arbeiten wollten, manche aus purer Dankbarkeit sogar ohne Bezahlung - was aber abgelehnt worden war - tat das der Goldgräberstimmung im Camp keinen Abbruch. Sie fanden ja genug.
Bereits am zweiten Tag hatten die ehemaligen Wachen, die nun als Arbeiter zu gleichen Bedingungen wie die Soldaten eingestellt waren, den Privatkrieg mit dem Bagger und der neuen Räumraupe für sich verbucht. Ihr Stellungsnetz auf dem Hügel war eher fertig als das Grabensystem, das fortan das Camp selbst schützen würde.
Überdies war weiteres Material eingeflogen worden, darunter die Vorräte, die sie dafür vorgesehen hatten, um sie in den umliegenden Dörfern zu verteilen. Hannes Malicke ließ es sich nicht nehmen, selbst mit einem Wolf und zwei Jeeps herum zu fahren, und insgesamt acht Dörfer zu versorgen. Etwas peinlich berührt kam er mit seiner Mannschaft von jedem Dorfbesuch wieder, Blumenbehängt und mit den Schmucksteinen beladen, für die sie den Leuten Straßen, Schulen und Wohnungen bauen sowie die Felder von Minen räumen sollten.
Mittlerweile gab es sogar ein eigenes Kerosindepot für die Hubschrauber auf dem Gelände, und einen kleineren Vorrat an Benzin für die Wagen der Truppe.
Man konnte mit Fug und Recht sagen, dass sie eine ruhige, interessante Zeit hatten, unbelästigt von örtlichen Milizen, Kriegsherren, der Ndongoischen Armee und Rebellen. Umso nervöser wurden die Anführer im Camp, sodass bald auch schon das Wort von Neurekrutierungen militärischen Personals im Raum stand.
In einer einhelligen Diskussion hatten sich westliche und afrikanische Angestellte dafür ausgesprochen - es gab so oder so genügend Geld, und weitere erfahrene Kämpfer vom Schlage der Deutschen waren bestimmt gut für die Zukunft. Die meisten sprachen sich dagegen aus, die Afrikaner zu bewaffnen. Sie trauten es den überwiegend weißen Soldaten nicht zu, sie auseinander zu halten, und niemand wollte mit einem Feind verwechselt werden und sterben müssen. Auch die afrikanischen Soldaten der Kriegsherren benutzten ab und an Fleckentarn, und ein Unglück war dann schnell geschehen. Außerdem wollte niemand Waffen in den Händen von Leon und seinen Kameraden sehen. Das hätte alte Erinnerungen geweckt, und ihre neue Loyalität hatte noch keinen Belastungstest aushalten müssen.
Mit einfachen Worten: Es ging voran. Und je mehr es voran ging, ohne das es einen Rückschlag gab, desto nervöser wurden die Herwig-Brüder, denn der Knall, der unweigerlich kommen musste, würde dann nur umso größer ausfallen.

In Panadia indes gab es wesentlich mehr Bewegung. Auf dem Honiton Air Field verfolgten die Angestellten der First Diamond Mining Company Belongo interessiert, wie eine ganz besondere Fracht aus Deutschland ausgeladen wurde, die in der Rekordzeit von nur zwei Tagen hier runter geschafft worden war: Die Hoffnung für die Dörfer in der Region um die Mine, und das auch noch in zweifacher Ausfertigung: Die Minenwölfe waren angekommen.
Die rund siebzehn Tonnen schweren Maschinen waren das Maximum dessen, was sie per Hubschrauber nach Belongo schaffen konnten, und das auch nur mit Hilfe eines örtlichen Transportunternehmens, der eine Mil Mi-26 aus russischer Fertigung im Bestand hatte. Die schaffte maximal zwanzig Tonnen, und das war das absolute Limit. Sie musste also zweimal fliegen, um beide Minenwölfe, die mit Chassis und Anbau rund fünfzehn Tonnen auf die Waage brachten, zur Mine zu schaffen.Es gab noch eine schwerere Ausführung, aber die war mit sechsundzwanzig Tonnen selbst für eine Mil Mi-26 schlicht und einfach zu schwer. Sie hätten für den Standard-Minenwolf einen Tieflader benötigt, und die einzigen Straßen in der Region, die diesen Namen verdienten, würden sie erst bauen müssen. Thomas Herryhaus machte sich dementsprechend eine gedankliche Notiz. Falls sie länger blieben, würden sie eine Straße brauchen, die Panadia mit der Mine in Belongo verband und für Schwertransporte ausgelegt war. Zum Glück waren die Minenwölfe geländegängig, mussten es auch sein. Sie würden die Maschinen nicht von Einsatzort zu Einsatzort per Hubschrauber schicken müssen. Wenn ein Lufttransport nicht wesentlich schneller war, hieß das.

Mit forschen Schritten, die sein Alter Lügen straften, ging Thomas auf den Mann zu, der die Ausladearbeiten überwachte. Als der den Deutschen näher kommen sah, übergab er an einen Zweiten und kam lächelnd auf ihn zu.
"Sie müssen Herr Herryhaus sein. Mein Onkel hat Ihren Unterricht noch immer in bester Erinnerung", sagte er.
"Dann sind Sie Karl Obermayer. Freut mich, dass Sie die Maschinen selbst vorbei bringen."
"Das ist doch das Mindeste, was wir für Ihr Projekt tun können, Herr Herryhaus. Aber ich frage mich schon, warum Sie nicht das schwerere Modell bestellt haben."
"Wir können nur die mittleren verlegen. Zeitweilig dachte ich sogar daran, ein halbes Dutzend der Mini-Minenwölfe von Ihrer Homepage zu ordern, weil die nur acht Tonnen wiegen. Transport ist in unserer Situation ein arges Problem."
"Verstehe ich gar nicht. Panadia ist doch ein Land mit guter Infrastruktur. Einfach einen Sattelschlepper, und ruckzuck ist das Ding im Einsatzgebiet."
Thomas lächelte nachsichtig. "Das Einsatzgebiet dieser Minenwölfe ist Belongo, nicht Panadia."
"Belongo?", echote Obermayer. "Das ist nicht gerade ein freundliches Pflaster. Nicht mal Hilfsorganisationen gehen da gerne rein. Zu viele internationale Interessen, und alle liegen brach."
"Und genau deshalb schaffen wir die Minenwölfe da hin", sagte Thomas.
"Und geben unsere schönen Maschinen der Zerstörung preis? Die bleiben doch nicht einen Tag in Fahrt, und schon ballert jemand eine Panzerfaust drauf", protestierte Obermayer. "Da gibt es aber Einsatzgebiete in der Welt, in denen sich der Einsatz auch lohnt, will meinen, wo länger als einen Tag geräumt wird. Hätten Sie die Maschinen nicht schon bezahlt, dann..."
"Ich kann Sie beruhigen, Herr Obermayer. Wir haben eine eigenständige militärische Mannschaft in Belongo, die den Schutz der Fahrzeuge übernimmt. Gegen wen auch immer. Außerdem genießen wir das Wohlwollen der Bevölkerung, da wir ihre Weiden von Minen räumen."
"Von einer UNO-Mission habe ich gar nichts gehört, geschweige denn von einer des Afrikanischen Bundes."
"Weil es sie nicht gibt. Wie schon gesagt, wir haben eigene Leute im Land."
"Junge, Junge. Ich weiß gar nicht, ob ich mehr hören will. Ist das denn legal, Herr Herryhaus?"
Thomas grinste. "Gesiegelt und gestempelt von ndongoischen Wirtschaftsministerium."
"Vom Wirtschaftsministerium?"
"Wir betreiben eine Diamantenmine in der Region."
"Ah. Und deshalb räumen Sie die Minen? Damit die Bevölkerung positiv gestimmt wird?"
Missmutig sah Thomas den jungen Mann an. "Wir räumen die Minen, weil sie da sind."
Das nahm Obermayer für ein paar Augenblicke die Luft aus den Segeln. Aber es war abzusehen, dass er, misstrauisch geworden, noch weitere Munition hatte. "Und wie verhält sich das proportional? Ich meine, geräumte Minen gegen Diamanten?"
Thomas seufzte. Einerseits fand er die Wertvorstellungen des jungen Mannes ganz hervorragend und konnte nun gut nachvollziehen, wie ein derart werttragendes Geschäft wie das mit dem Minenwolf zustande gekommen sein konnte und man mit ruhigem Gewissen Geld an der Rettung der Menschheit verdienen konnte; andererseits hatte er arge Probleme, dem jungen Mann zu vermitteln, dass sie hier beinahe das Gleiche taten.
"Kommen Sie mal mit", sagte er stattdessen und winkte den Jüngeren hinter sich her.
Der folgte auf dem Fuß. Argumente hatte er viele, Widerspruch nur wenig.

Sie gingen direkt in die Büros, von denen Thomas zwei weitere angemietet hatte, als sich das Ausmaß der Aktion abzuzeichnen begonnen hatte. Eines davon wurde von Mitarbeitern einer Firma genutzt, die laut Türschild Trakener Diamond Trading Corporation hieß. Hinter der Tür erwartete sie eine improvisierte Schleuse aus Panzerglas, die von einem grimmigen Mann bewacht wurde, der zwei Knöpfe zur Verfügung hatte. Einer öffnete die Innentür, einer entließ ein Schlafgas in den Innenraum. Sie hatten drei Tage gebraucht, um die Kabine luftdicht zu bekommen. Innen erwarteten sie keine weiteren Wachen, allerdings war die Hintertür verschlossen und verschweißt worden. Waffen waren keine zu sehen, ebenso wenig weitere Wächter. Die bewaffneten Wartungsmitarbeiter und Stabsmitglieder würden für einen Zwischenfall reichen müssen, immerhin sechzehn bewaffnete Männer und Frauen, zum größten Teil trainierte Soldaten, aber mindestens auf dem improvisierten Schießstand hinter den Büros an Handfeuerwaffen ausgebildet. Aber vielleicht waren fünf Tage auch noch zu wenig, um einen Raubüberfall auf die Diamanten auszulösen. Sie wurden nach einem kurzen Nicken von Thomas eingelassen.
Im Innenraum waren fünf Mitarbeiter mit Katalogen, Mikroskopen, Waagen und weiteren Gerätschaften der Geologie damit beschäftigt, Steine zu taxieren. Jeder hatte einen großen Haufen unsortierter Steine neben sich, bestimmt ein halbes Kilo der unterschiedlichsten Größen, und einen kleineren Stapel in Klarsichtumschlägen verpackt und mit Notizen versehen.
"Junge, Junge", murmelte Obermayer, "Sie haben hier aber viel zu tun. Sind das alles Diamanten aus der Mine?"
"Die hier, und etliche weitere, die teilweise schon weiter verkauft wurden", sagte Thomas. "Dies hier ist die Lieferung von gestern, die wir aufarbeiten. Wir teilen sie ein anhand der Form, der Größe, der Reinheit und der Farben. Die Damen und Herren hier sind ausgebildete Juweliere der Firma Trakener, aus Deutschland und Panadia. Sie profitieren wie wir alle an diesen Diamanten." Thomas rechnete kurz nach. "Gestern erreichte uns eine erste Überweisung aus den allerersten Verkäufen der Firma Trakener von vierundzwanzig Millionen Euro. Es waren gute Schmucksteine dabei, und wir finden täglich mehr."
"Das freut mich für Sie. Haben Sie keine Angst, dass der eine oder andere Stein den Weg allen Irdischen geht?"
Der Professor zuckte mit den Schultern. "Das mag sein. Aber einerseits vertrauen wir auf die Ehrlichkeit unserer Leute, und andererseits, schauen Sie sich nur die Menge an, die wir zu katalogisieren haben. Außerdem sind unsere Leute schlau genug um zu wissen, dass die legal verkauften Diamanten einen wesentlich höheren Preis bringen. Sie würden einen kurzfristigen Profit machen, ja, aber sie fahren mit den großzügigen Provisionen wesentlich besser. Vor allem langfristiger."
"Und werden nicht rausgeworfen", sagte einer der angestrengt Arbeitenden, ohne den Blick von seinem derzeitigen Objekt der Bearbeitung zu lassen. "Himmel und Hölle, ich werde Boxie bitten, mich wenigstens einmal mit raus zu nehmen. Die Ecke muss ein geologisches Wunderland sein, wenn sich Reinweiße und rosa Fancies derart vermischen. Hier, schon wieder ein Fancy, groß wie ein Daumennagel."
"Ist das viel? Ist das wertvoll? Ich kenne mich mit Diamanten nicht so aus", gestand Obermayer.
"Oh, da der Stein nicht ganz lupenrein ist und einige Einschlüsse hat", erklärte der Mann frei heraus, "wird er wohl geteilt werden. In vier, vielleicht fünf große Brocken und ein paar Splitter. Als Rohdiamant wird er also nicht mehr als zwei Millionen Euro bringen. Aber da schätze ich eher vorsichtig pessimistisch."
"Z-zwei Millionen?", stotterte Obermayer überrascht. "Aber das ist ja... Werben Sie noch Leute an?"
"Natürlich. Wir brauchen noch jemanden, der die Leute als Maschinenführer auf dem Minenwolf ausbildet", sagte Thomas.
"Ich habe gescherzt, Herr Professor."
"Ich nicht, Herr Obermayer. Gute Arbeit hier. Wir sind sehr zufrieden."
Vielstimmiges Dankeschöns auf Deutsch und Englisch antworteten ihm.

Sie verließen das Büro wieder, und Obermayer schloss schnell zu Thomas auf. "Warum haben Sie mir das gezeigt? Um anzugeben? Natürlich, so eine ergiebige Mine ist was Tolles, aber ich finde es doch ein wenig kläglich, wenn die Menschen, denen diese Diamanten zustehen, einfach nur ein paar... Wow."
Obermayer war dem Professor gefolgt, ohne auf den Weg zu achten. Als sie in das nächste Ziel von Thomas getreten waren, einen großen Hangar, den die Firma nutzte, und nachdem sich seine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, war er stehen geblieben. "Wie viel ist das?"
Sein Blick ging über schwere Maschinen für verschiedene Bauarbeiten, über Paletten mit Reissäcken, Weizensäcken, große Palettenreihen mit Chemikalien, einigen Containern, auf denen "Bekleidung" stand, und umfangreichen Großpaletten mit Baumaterial.
"Ich gebe zu, die First Diamond Mining Company Belongo ist sehr gierig", sagte Thomas, während sich Obermayer am Anblick sattsah, "wenn sie die Hälfte des Geldes aus dem Verkauf der Diamanten an seine Mitarbeiter ausschüttet. Aber ich denke, im Angesicht des Risikos, das wir eingehen, ist das nicht zu wenig. Die andere Hälfte stecken wir hier rein."
"Hilfsgüter?"
"Teilweise. Hauptsächlich aber Hilfe zur Selbsthilfe. Wir investieren in Solarpanels, um Strom für Generatoren zu erzeugen, weil Diesel und Kerosin in Belongo Maangelware sind, um die Dörfer mit Strom zu versorgen. Wir investieren in Straßenbaugerät, um Teerstraßen anlegen zu können, zumindest für die Hauptverkehrswege. Aber wir haben auch Gerät für die Oberflächenversieglung der Nebenstraßen nach dem Verdichtungsprinzip. Hält schwere Fahrzeuge aus, und das bis zu zehn Jahre, bis nachgearbeitet werden muss. Zumindest in Deutschland ist das so. Ich weiß nicht, wie sich das bei den klimatischen Verhältnissen auf dem Belongo-Hochplateau verhalten wird."
"Sie importieren Kleidung, Nahrung, schweres Gerät, Strom, Baumaterial?"
"Und Unterrichtsmaterial. An uns wurde der Wunsch heran getragen, Schulen zu bauen. Eine Schule ist nichts ohne Material. Es war reichlich schwierig, in Panadia Schulbücher zu bekommen, die auf Französisch geschrieben sind. Aber zum Glück sind zwei der Küstenprovinzen Panadias Französischsprachig. Wir mussten die richtigen Verlage also nur die Druckmaschinen anwerfen lassen. In einer Woche erwarten wir die ersten Lieferungen für fünfhundert Kinder."
"Verzeihen Sie meine Frage, aber glauben Sie wirklich, Sie können etwas in Belongo verändern? Ich meine, seit zwanzig Jahren herrscht da Bürgerkrieg. Und da wollen Sie mit Hilfsgütern und unseren Minenwölfen etwas erreichen, während Sie sich wegen der Diamanten alleine schon zum Ziel für jede halbseidene gewaltbereite Truppe machen?"
"Wie ich schon sagte, wir haben eigene Leute unter Waffen in Belongo. Bisher haben die ausgereicht."
"Wie viele?"
"Wie bitte?"
"Wie viele Leute unter Waffen haben Sie in Belongo?", fragte Obermayer.
"Rund fünfzig."
"Das ist zu wenig."
"Ich weiß", antwortete Thomas.
"Sie werden sie aufstocken müssen, wenn sich die umliegenden Nachbarn ernsthaft für Sie interessieren, geschweige denn die Regierung, Genehmigung hin, Genehmigung her."
"Ich weiß."
"Und Sie wollen trotzdem in Belongo bleiben? In einem Land, das so sehr von Unruhen erschüttert wird, dass nicht mal die UNO ruhigen Gewissens Soldaten reinschickt?"
"Oh, erstens wollen wir nur einen Monat bleiben und die Mine dann der Bevölkerung übergeben, und zweitens trägt nicht jeder Mann und jede Frau in Belongo eine Waffe. Im Gegenteil, nach all den Jahren der Unruhen und des Krieges wünschen sie sich Frieden."
"Ein Monat? Das glauben Sie doch selbst nicht. Und mir machen ohnehin mehr die Leute Sorgen, die sich keinen Frieden wünschen."
"Wir werden sehen, Herr Obermayer, wir werden sehen."
"War das eine Antwort auf meine Fragen? Auf welche?"
"Auf beide, Herr Obermayer. Wir werden noch viel mehr Güter in das Land pumpen und für eine gute Infrastruktur sorgen. Natürlich werden wir dabei einigen Interessengruppen au die Füße treten."
"Und, sind Sie dafür bereit? Ich meine, unsere Minenwölfe sind bezahlt, aber..."
"Wir werden sicherlich noch weitere kaufen", sagte Thomas. "Belongo ist groß, und es liegen viele Landminen dort. Vielleicht zu viele."
"Wenigstens haben Sie eine Vision", sagte Obermayer.
"Ich weiß."
***
Es hatte ein paar Tage gedauert. Vielleicht ein paar Tage zuviel. Aber am vierten Morgen nach ihrer Ankunft hatte Axel, der mittlerweile in Ngali Dauerlogisgast war, seinen Mut zusammengenommen und nach dem Jungen gefragt, der vor Niklas' Augen gestorben war. Letzte Nacht hatten sie ein großes Fest gefeiert, und es war eine tolle Stimmung gewesen. Ngali hatte zwei Rinder geschlachtet und alle, die zu den Ärzten gekommen waren, eingeladen. Dafür hatten Menschen aus den anderen Dörfern versprochen, Ziegen vorbei zu schicken, um sich an den Kosten zu beteiligen. Es war eine frohe Zeit gewesen, und Joseph, mehr trunken vor Glück als von dem Zeug, das hier als alkoholische Besäufnisdroge produziert wurde, hatte ihm anvertraut, dass er seit Beginn des Bürgerkriegs keine so gute Zeit mehr gehabt hatte.
Am nächsten Morgen war Axel in Maries Hütte auf seinem Schlafsack aufgewacht und hatte genau gewusst, dass er sich nicht länger drücken konnte.
Von den Milizen und den Kriegsherren waren schon einige Kinder entführt worden, Jungen wie Mädchen. Deshalb waren sie auch bei ihrem ersten Versuch recht grimmig empfangen worden. Aber es blieb eine überschaubare Handvoll, und so hatte sich die Zahl der potentiellen Familien schnell auf zwei eingrenzen lassen. Eine war Denise, Mutter von sieben Kindern, die ihren Ältesten vor drei Jahren an eine durchreisende Söldnerbande verloren hatte. Daraufhin war ihr Mann mit seinen Freunden in die Hauptstadt aufgebrochen, um Geld zu verdienen und diesen Ort zu einem besseren Flecken Erde zu machen. Kandidat zwei waren Michel und Giselle, ein Paar in den besten Jahren, deren Kinder zum größten Teil schon lange eigene Familien hatten. Ihr Zweitjüngster war geraubt worden, und sie hatten ihn nie wieder gesehen.
Also hatte Axel alle drei besucht und ihnen erzählt, was passiert war, und das er nicht ausschließen konnte, dass der Junge Denises oder Giselles Kind gewesen sein konnte. Trotz der großen zeitlichen Distanz hatten das beide Mütter nicht wirklich gut aufgenommen, und Michel hatte sein Bestes gegeben, um die still trauernden Frauen zu trösten. Dennoch hatten sie sich bei ihm bedankt, ehrlich bedankt.
Als er die Hütte von Denise verließ, hatte er sich eine Zeitlang gefragt, ob man die sterblichen Überreste des Jungen bergen und zurück nach Ngali bringen lassen konnte. Das wäre ein Akt der Menschlichkeit gewesen, Menschlichkeit, die hier dringender fehlte als alles andere.

"Axel?"
Der junge Herwig fuhr herum, als er die Stimme der Ärztin hörte. "Meike. Tut mir leid, ich war in Gedanken versunken. Es war schwer, das alles zu erzählen, aber wenigstens haben wir jetzt zwei Namen, die dem Jungen gehört haben könnten. Luc oder Frederic. Oh, verdammt, die Namen werden mich bis in den Schlaf verfolgen."
"Mir tut es leid. Du hast keine Zeit zum Nachdenken, Axel. Hannes schickt mich. Du musst dringend kommen."
"So?" Für einen Moment war da die Angst in ihm, die mit lauter Stimme sagte: Hatte ich Recht? Der Knall kommt spät, aber er kommt! "Ich komme."
Gemeinsam gingen sie zu Josephs Hütte, die sowas wir ihr Hauptquartier geworden war.
Hannes winkte schon von weitem, dass sie rüber kommen sollten. Er saß vor der Funkanlage Ngalis, die normalerweise in der Hütte stand, um keine Begehrlichkeiten zu wecken.
Er sprach den Wagonda-Dialekt und unterhielt sich mit jemandem über Funk. Dazu nickte er oft, und einmal blaffte er ärgerlich ins Mikrophon.
"Was gibt es denn?", fragte Axel.
Hannes sah auf. "Ärger, ohne Ende Ärger. Du weißt, wir versorgen hier Menschen aus Dörfern in bis zu dreißig Kilometern Entfernung. Einige kommen von noch viel weiter her."
"Kalter Kaffee, ja. Die meisten Waren, die wir mittlerweile einfliegen, sind Hilfsgüter, die wir in Ngali ausgeben, oder die du verteilen fährst. Und?"
"Nun, diese Dörfer verfügen über ein gemeinsames Funknetz."
"Und über dieses Funknetz ist eine Warnung gekommen?", spekulierte Herwig.
"Nicht ganz. Es gibt einige Dörfer außerhalb unseres Radius, die ebenfalls die Versorgung in Anspruch nehmen wollen. Tatsächlich hat Boxie aus dem einen oder anderen Ort schon schwere Fälle abgeholt. Und Heide hat damit einen Ort mehr, den wir abfahren können. Du weißt schon, gut Wetter machen, Diamanten kaufen, und dergleichen."
Axel nickte. "Komm zum Punkt, bitte."
"Normalerweise sind sich die verschiedenen Völker hier nicht besonders grün. Neid, Missgunst und Angst herrschen vor, und dass das so bleibt, dafür sorgen die Kriegsherren und die ndongoische Armee in ihrem gut befestigten Stützpunkt. Soweit klar? Gut. Aber diesmal scheint unsere Hilfe für alle zu reichen, und plötzlich überbieten sich die verschiedensten Völker mit Kooperationsangeboten und der Bitte, ihre Felder zu räumen. Die Ndongoer sind dabei sehr geschickt vorgegangen. Sie brauchten gar nicht die Felder jedes einzelnen Dorfes zu verminen, sie brauchten nur einen Teil zu verminen, um Angst zu schüren. Und weil wir nun ihre größte Hoffnung auf ein wenig bessere Zukunft sind, ist unser Netz an wachen Augen auf fast fünfzig Kilometer angewachsen. Mit einer kräftigen Delle nach Südosten, wo die Wagonda Base de l'Air liegt. Niemand siedelt näher als zehn Kilometer an der Basis. Das hat man den Menschen tüchtig ausgetrieben."
"Ich nehme an, unser Frühwarnsystem hat gerade ziemlich gut funktioniert?", hakte der Herwig nach.
"Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Wie viele Kühe bist du bereit zu zahlen, für fünf weiße Frauen und acht weiße Männer?"
"WAS, BITTE?"
Hannes hob hilflos die Arme. "Es sieht ganz so aus als hätte eine Dorfmiliz, oder eine marodierende Einheit eines Warlords ein ähnliches Unternehmen wie das unsere auseinander genommen. Also jetzt ohne die Diamanten, nur mit den Hilfsgütern. Sie haben zwei, drei Dutzend Menschen getötet, eine ganze Reihe der schwarzen Helfer, und die meisten Weißen gefangen genommen. Sie waren sich eine lange Zeit unschlüssig, was sie mit ihnen machen sollen, bis sie von uns gehört haben. Jetzt haben sie sich in einem Dorf am Rande unseres Einflussbereichs eingenistet, ihre Gefangenen mitgebracht und fragen uns, was wir zu zahlen bereit sind. In Vieh."
"Hm", machte Axel. "Ich unterschätze immer, was Vieh hier draußen auf dem Land bedeutet. Acht Männer und fünf Frauen, sagst du? Und sie haben dafür wie viele umgebracht?"
"Nun, das haben sie gesagt. Ich habe keine Beweise für..."
"Sind sie noch dran?", unterbrach Axel den KSK-Mann.
"Ja. Sie warten auf deine Antwort."
Axel nickte schwer. "Sag ihnen, wir wollen einen Beweis, dass sie die Leute wirklich haben. Sie sollen eine der Frauen mit uns tauschen. Für, sagen wir, zwanzig Säcke Reis. Wenn die Frau für uns wertvoll ist, bezahlen wir die restlichen Geiseln mit vier Rindern pro Person."
"Eine vorab? Was brütest du nur gerade in deinem Kopf aus?"
"Wir brauchen Gewissheit. Uns erzählen, sie hätten Gefangene einer Hilfsorganisation können viele. Aber wenn sie uns eine der Frauen ausliefern, können wir sie befragen. Über die Situation, wo die Gefangenen versteckt werden, wie viele Wachen es gibt, was genau passiert ist. Also sage ihnen, wir wollen eine der Frauen vorab."
"Gut, ich versuche es. Was ist, wenn sie katatonisch oder hysterisch ist, wenn sie hier ankommt?"
Axel grinste leicht. "Oh, wir haben immer noch Meike."
"Ja, das ist ein Argument", erwiderte Hannes, ebenfalls grinsend.
"Jungs...", beschwerte sich die Ärztin, aber sie war nicht immun gegen Schmeicheleien.
Hannes aktivierte das Funkgerät und begann zu sprechen. Mehrfach lauschte er der Stimme aus dem Empfänger, sprach erneut, und setzte schließlich ab.
"Sie sind einverstanden, aber sie suchen die Frau aus. Außerdem wollen sie zweihundert Konserven mit Kondensmilch."
"Können sie haben. Wenn die Verhandlungen abgeschlossen sind, lass dir die Position des Dorfs geben und alarmiere Boxie. Er soll rüber fliegen. Ich kontaktiere Niklas. Wir brauchen Vieh, viel Vieh."
"Ich fliege mit", sagte Meike.
Axel stockte kurz. "Gut. Die Frau wird eventuell medizinische Versorgung brauchen. Steinard!"
"Hier!"
"Es gibt was zu tun! Ich will, dass Sie Frau Herryhaus als Scharfschütze begleiten. Es geht darum eine Geisel auszutauschen!"
"Verstanden."
"Es sind noch mehr Geiseln dort, wo wir die Frau aufnehmen werden, also zeigen Sie Taktgefühl. Malicke führt die Mission."
Steinard nickte stumm. Er wirkte plötzlich sehr verschlossen.
"Sie haben gar nicht gefragt, ob die Geisel schwarz oder weiß ist."
"Und wenn es ein Chinese wäre, ist das nicht vollkommen egal?", erwiderte der Scharfschütze. "Da ist ein Mensch in Not, und ich kann helfen."
"Gute Einstellung", lobte Axel. Er ging zum Wolf und holte das Satellitentelefon heraus. "Niklas, du glaubst nicht, was hier passiert ist."
***
Bernd sah den jüngeren Herwig-Bruder entsetzt an. "Was, bitte?"
"Du sollst im Internet schauen, ob eine Hilfsorganisation so wagemutig war, auch nach Belongo zu kommen. Oder sehr nahe heran gekommen ist", wiederholte Niklas. "Und am Besten, ob das Team vermisst wird."
"Was, bitte?"
"Bernd", sagte Niklas in flehendem Ton.
"Ich suche ja schon. Nur glauben kann ich es nicht. Wer ist denn außer uns so verrückt, hier her zu kommen?"
"Idealisten, womöglich", erwiderte Niklas. Er trat in die Tür des Containers. "BOXIE! ARBEIT!"
"Komme!"
"Ja, da haben wir schon was. Eine freie Ärzte-Organisation hat an der Distriktgrenze zum Achtzehnten Bezirk, Burutu, ein Feldhospital eingerichtet, auch um Menschen aus Belongo zu versorgen. Burutu gilt als relativ sicher, aber sie waren wohl zu nahe an unserer Grenze. Jedenfalls wird ein Team von dreizehn Leuten vermisst. Etliche, Helfer wie Patienten wurden getötet. Ein Massaker."
"Massaker?", fragte Boxie, als er eintrat.
"Eine Geiselnahme. Dreizehn Gefangene. Wir kriegen in einem ersten Austausch eine Frau ausgehändigt, gegen Hilfsgüter wie Reis und Dosennahrung. Ich will, dass du dir Androweit schnappst und mit beiden Mi-24 da raus gehst. Du nimmst mit deinem Mi-24D Meike, Hannes und Steinard auf, und dann fliegt Ihr mit den Hilfsgütern zum Treffpunkt. Scann die ganze verdammte Gegend und gleich sie mit der virtuellen Karte ab. Wirf auch einen ordentlichen Blick auf die Sensoren. Es schadet nicht, wenn wir wissen, wie viele Bewaffnete sie vor Ort haben. Oder wie viele Menschen in dem Dorf leben."
"Ist gut, aber wieso kriegen wir nicht gleich alle?"
"Sie wollen für die anderen wohl Vieh haben. Weiß der Henker, was eine Miliz mit Vieh will, außer es zu essen. Und wir sind nur drauf eingegangen, wenn wir vorab einen Beweis kriegen, dass es die Geiseln auch gibt."
"Eine vorab."
"Genau. Axel hofft, dass sie uns eine Menge mehr über die Situation und die Bewaffnung sagen kann."
Bernd räusperte sich ausgiebig. "Das wage ich zu bezweifeln. Wenn die Koordinaten stimmen, an denen das Zieldorf liegen soll, dann haben die Geiseln in drei Tagen vierzig Kilometer zurück gelegt. Du weißt selbst, wie anstrengend das in diesem Dschungel ist, Niklas."
"Ein Grund mehr, sie da schnell raus zu holen", sagte Boxie grimmig. "Aber Androweit eskortiert gerade den Transport der Minenwölfe. Ich kann ihn nachziehen, aber ich denke, das schaffe ich alleine."
"Okay, mach wie du denkst. Sieh nur zu, dass dir keiner eine Boden-Luft-Rakete reinjagt."
"Du willst mir doch nicht erzählen, wie ich zu fliegen habe?", fragte Boxie amüsiert. "Hast du Beschwerden darüber, wie ich bisher geflogen bin?"
"Eigentlich wollte ich dich motivieren, aber ich denke, beides ist nicht nötig. Los, mach dich auf den Weg, und viel Erfolg."
"Bin so gut wie weg. Ich nehme noch ein paar Infanteristen mit, für den Fall der Fälle. Und für's ausladen."
"Gut. Sie wollen zwanzig Säcke Reis und zweihundert Dosen Kondensmilch. Kondensmilch scheint eine ziemlich hippe Sache in dieser Gegend zu sein."
"Weil sie lange hält", sagte Bernd, "und hochkonzentriert ist. Und wenn wir ihnen zeigen, dass man die Dosen kochen kann, um Toffee herzustellen, wird Kondensmilch hier noch beliebter sein."
"Danke für diese Information", erwiderte Niklas. "Ich gehe zu Kram. Solange wie der Austausch läuft, gehen wir auf erhöhte Alarmbereitschaft."
"Wir sollten mehr Leute anwerben", sagte Bernd. "Ich hätte da noch ein paar auf meiner Warteliste. Soll ich?"
"Darüber sprechen wir, sobald ich mit Kram gesprochen habe."
Boxie und Niklas verließen den Container.
Bernd sah ihnen einen Moment lang nach, dann wischte er die Diamanten, die er gerade untersucht hatte, an die Seite, und zog seinen Laptop mit einem breiten Grinsen näher. "Ich glaube, es wird Zeit, ein wenig einzukaufen..."
***
Kobala war ein Wagonda-Dorf, und eine kleine Besonderheit, denn es hatte enge Vernetzung mit dem nahegelegenen Mende-Dorf. Diese waren durch Heiraten entstanden, sodass Wagonda und Mende eigentlich nur noch Namen waren. Mit anderen Worten: Die Menschen in diesem Dorf hatten sowohl Rückhalt bei den Wagonda als auch bei den Mende.
Für Heide war das ein besonderer Glücksfall. Die Dörfer, die sie mit Hannes bisher besucht hatte, waren durchweg Wagonda-Dörfer gewesen.
Durch diesen Ort aber bekam sie Zugang zur Mende-Gesellschaft, einer eher kleinen Fraktion. Früher war sie die zweitstärkste gewesen, vor den Bürgerkriegen. Nun aber gab es nur noch rund siebzehn Dörfer, und von denen standen nur fünf auf dem Gebiet Belongos. Dennoch würde eine Intervention bei ihnen auch andere Volksstämme für sie öffnen. Dabei machte sich Heide Schrader keine Sorgen darum, dass die Mende weit außerhalb des Radius siedelten, den Axel als Aktionsbereich festgelegt hatte, der für den Schutz der Mine notwendig war. Boxie war ja auch schon eine ganze Ecke weiter geflogen, um Kranke zu holen. Und Hannes hatte sich auch nicht gerade an die Dreißig Kilometer-Zone gehalten. Außerdem standen mehr als genügend Hilfsgüter zur Verfügung. Mittlerweile hatten außer Ngali schon neun weitere Orte Wasserpumpen mit Solarenergieversorgung. Abgesehen von den anderen Hilfsgütern, die ohne falschen Stolz angenommen worden waren. Die Kondensmilch hatte sich überall als wahrer Hit erwiesen, aber auch Reis, Kartoffeln, Weizen und Dosenfleisch waren gerne genommen worden. Und überall hatten die Leute nach den "Wunderdeutschen, die die Felder von den Minen befreien können" gefragt.
Kobala war da keine Ausnahme. Auch hier war Kondensmilch ein Renner. Und auch hier wurden ihr die Schmucksteine aufgedrängt, mit der Bitte, Straßen und Schulen zu bauen und die Felder zu entminen. Jeder Diplomat von Rang hätte für eine so leichte Kontaktaufnahme nur ein müdes Lächeln übrig gehabt, aber für die Einblicke in das Leben der Landbevölkerung freiwillig eine Hand geopfert. Heides Aufgabe war es dann, die allzu großen Erwartungen auf ein realistisches Maß zu dämpfen. Doch selbst dieses realistische Maß war mehr, als sich viele Menschen hier vorstellen konnten. Für die Übersetzung war Julienne zuständig, die Lehrerin aus Ngali, und ihre Arbeit machte ihr einen Riesenspaß. Beinahe verdächtigte Heide die junge Frau, das Loblied auf die "Wunderdeutschen" etwas zu dick aufzutragen. Allerdings hatte es nur des Hinweises bedurft, dass die Deutschen Belgien in zwei Kriegen zweimal überrannt hatten, um bei vielen, vor allem den Älteren, die noch unter der restriktiven Ausbeutung der königlichen belgischen Kolonialmächte gelitten hatten, Befriedigung und Vertrauen zu erzeugen. Auf jeden Fall waren die Menschen eifrig bei der Sache, ihre Diamanten raus zu rücken und zu versprechen, die Minengesellschaft per Funk zu warnen, wenn sie merkwürdige Truppenbewegungen beobachten würden. Heide kam sich ein wenig vor wie eine Diebin, als sie sah, wie sich Süßbacks Beutel immer mehr mit den Schmucksteinen füllte.
Julienne hatte es ihr erklärt, hatte gesagt, dass schon einige Menschen aus diesem Dorf von Boxie geholt worden waren, oder von Meike behandelt worden waren, und dass sich die Menschen wünschten, dass sie mit ihren Impfungen auch zu ihnen kommen würde. Dass sie bereits etwas bekommen hatten für diese Diamanten, und dass das weit mehr war, als ihnen jemand sonst in den letzten Jahren gegeben hatte, ohne etwas zu verlangen. Dass sie wirklich Hoffnungen auf eine Straße hatten, denn dann würde vielleicht ein Bus hier halten, und dass sie auf sichere Felder und eine Schule für die Kinder hofften.

Zum Mittagessen wurden sie natürlich eingeladen, und das ganze Dorf war dabei. Süßback hatte mittlerweile gepetzt, was mit Dosenmilch geschah, wenn man sie kochte, und so gab es eine Unmenge Toffee für die Kinder und die älteren Naschkatzen. Keine Ahnung, woher er das gewusst hatte, sie selbst hatte den Trick nicht gekannt.
So saßen sie also beim Essen zusammen, es gab Reis, Gemüse und Huhn, und Heide konnte nicht anders, als Julienne ihr Herz auszuschütten. "Ich komme mir vor wie eine dreiste Diebin", seufzte sie. "Ich meine, wenn wir in einem Monat wieder wegfliegen, kehre ich zurück ins reiche Deutschland, und kriege wahrscheinlich einen sechsstelligen Betrag auf mein Konto gezahlt. Und woher kommt dieses Geld? Von den Menschen, die uns heute für ein paar Dosen Milch und ein paar Säcke Reis und Kartoffeln Diamanten schenken."
Die Lehrerin lächelte. "Dieses Dorf hat einen Mende-Schamanen. Er hat die Knochen geworfen. Und er hat gesagt, dass das Dorf für seine Hilfe mehr erhalten wird als es sich jetzt vorstellen kann. Er hat auch gesagt, dass die "Wunderdeutschen" so lange bleiben werden, wie sie gebraucht werden."
"Oh, wie praktisch", sagte Heide säuerlich. "Was haben Sie denn mit dem armen Mann angestellt, damit er uns nach dem Munde redet?"
Julienne zuckte die Achseln. "Keine Ahnung. Als er das prophezeit hat, vor ungefähr acht Monaten, war ich jedenfalls noch in der Hauptstadt und habe studiert."
"Was, bitte?", fragte Heide ungläubig. "Also, ich glaube ja an diesen Esoterik-Kram überhaupt nicht, aber ich gebe zu, ich bin beeindruckt."
"Es geht noch weiter. Der Schamane hat gesagt, das neue Zeitalter wird eingeleitet, wenn eine Mil Mi-24D mit Höchstgeschwindigkeit direkt über das Dorf von Ngali nach Brekk fliegt."
"Hä?", machte Heide verständnislos.
Julienne seufzte. "Wenn am Tag mit dem höchsten Sonnenstand des Monats der gepanzerte Feuervogel von Osten nach Westen zieht, so niedrig als wolle er die Wipfel der Bäume greifen, dann beginnt für die Völker Belongos eine neue Zeit."
"Oh, das habe ich kapiert. Aber was meint der Schamane mit Feuervogel?"
Julienne seufzte zum Steineerweichen. "Heide, wirklich, Sie..."
"Oh, bemühen Sie sich nicht. Ich habe es selbst herausgefunden. Er meinte einen Hubschrauber", sagte sie tonlos und deutete nach Osten. Dort zog plötzlich der Mi-24D heran, ziemlich genau aus Richtung der Mine, und zog in Höchstfahrt über sie hinweg. Dabei schien es, als er wieder über dem Wald war, als drohe er jede Sekunde, in das Geäst zu fahren. Wenig später war die Maschine nicht mehr zu hören.
"Da ist was passiert", murmelte Julienne besorgt.
"Ja", erwiderte Heide mit rauer Stimme. "Der Feuervogel bringt die neue Zeit."
***
Malicke sah sich das Team an, das ihm zur Verfügung stand. Zusätzlich zu den beiden Lademeistern waren dies Helene Grundler, George McKenzie, Chris Brentwood, Jannis Arndt, Roger Steinard und Angel McDougal, alles was Hannes bereits in Ngali parat gehabt hatte, und Niklas an der Mine hatte organisieren können. Charles, der ehemalige Kindersoldat, hatte darauf bestanden mitzukommen, um den Lademeistern bei der Entladung zu helfen, damit die Soldaten ihre Hände an den Waffen lassen konnten.
Damit hatte Hannes zwei Scharfschützen dabei, Steinard und und Brentwood. Grundler, McKenzie, Arndt und McDougal bildeten die offensive Abteilung. Nur für den Fall, dass die Situation eine Falle war.
"Okay, das ist der Plan!", sagte Hannes. "Boxie überfliegt einmal das Dorf und zieht eine weite Schleife. Dabei macht er Infrarotaufnahmen der Ortschaft. Wir ziehen uns kurz über den Wald zurück, um die Daten auszuwerten, und dann agieren wir. Ist die Situation überschaubar, dann handeln wir wie folgt: Steinard und Brentwood legen sich hier an Bord auf die Lauer. Grundler, McKenzie, Arndt und McDougal gehen raus und sichern die Landestelle halbkreisförmig. Benson, Thaler, Charlie, Ihr übernehmt das Ausladen. Ihr bringt die Sachen auf halbe Strecke bis zum Dorf. Boxie lässt die Rotoren laufen und hält das Umfeld im Blick. Wenn wir die Waren ausgeladen haben, wird die Frau zu uns geschickt. Grundler, Ihr geht mit ihr auf einer Höhe zurück zum Hubschrauber, aber erst nach ihr an Bord. Sobald sie drin ist, heben wir ab und verschwinden. Alle verstanden?"
"Ja, Chef!"
"Gut, dann lasst uns das Schlimmste erwarten und das Beste hoffen." Ein grimmiger Wunsch für eine grimmige Situation.

"Laut Karte kommen wir jetzt zum Dorf. Brekk heißt das Nest. Ist ein Lupii-Dorf, und das sind Freunde der Wagonda." Boxie lachte rau. "Anscheinend sind die Wagonda mit allen gut Freund. Da fragt man sich, mit wem sie eigentlich gestritten haben, was?"
"Bereit machen", befahl Niklas und lud seine Pistole und die HK33 durch, sicherte sie aber. "Meike, du bleibst an Bord. Die Frau gehört erst dir, wenn sie hier eingestiegen ist, hast du das verstanden?"
Die beiden tauschten einen grimmigen Blick, den Meike als Erste unterbrach. "Hier bist du der Boss, Hannes."
"Danke", sagte er sarkastisch. Wie schaffte es die kleine Herryhaus eigentlich, einen den Sieg so bitter schmecken zu lassen wie eine Niederlage?
"Wir erreichen die Siedlung. Ich ziehe drüber hinweg." Der Hubschrauber machte einen Satz nach unten, als plötzlich die Baumwipfel fehlten. Unter ihnen kamen Häuser zum Vorschein. Recht stabile Gebilde mit Wellblechdächern gegen den tropischen Regen. Hannes zählte auf Anhieb achtzehn Hütten. Aber einige mussten noch unter den Bäumen verborgen sein, die mitten im Dorf standen.
"Boss! Boss!", rief Steinard. Der Scharfschütze spähte mit seinem Fernrohr nach draußen. Das reichte er Hannes, als der neben ihn trat. "Rechts neben dem großen Baum am Südrand."
Hannes spähte hindurch. "Tote. Männer. Sechs oder sieben." Er gab das Fernrohr zurück. "Schwarze, und das macht die Situation noch schlimmer. Scheint so, als hätte unsere Miliz hier ihren Besitzanspruch auf das Dorf mit Gewalt bekräftigt." Seine Stimme sackte zu einem gefährlichen Grollen herab. "Tarnfarbe auflegen."
Die Soldaten legten ihre Waffen ab und griffen in ihre Oberschenkeltaschen. Jeder trug dort einen Fettstift mit dunkelgrüner Farbe. Ein paar Striche auf alle sichtbaren Körperstellen, und in Verbindung mit dem Fleckentarnmuster verschmolz man mit der Landschaft.
"Ich auch, Chef?", fragte McKenzie grinsend.
"Solange du deine strahlenden weißen Zähne nicht zeigst, sehe ich keinen Grund, dich noch dunkler zu machen", erwiderte Hannes und begann selbst, Tarnfarbe aufzutragen.
"Ich beende meine Schleife und ziehe für den Moment über die Bäume zurück."
Ariadne Koopmanns Stimme klang nun auf, die wieder vom Lademeisterposten zum Co-Piloten aufgerückt war. "Hannes, da ruft uns jemand. Scheinen unsere Entführer zu sein."
"Stell ihn durch. Ja, wir sind das. Nein, wir suchen nur einen sicheren Landeplatz. Ja, wie abgesprochen. Wir landen, laden aus, und dann schickt Ihr uns die Frau. Nein, wir wollen die anderen ja auch haben. Ja, wir besorgen das Vieh. Ja. Ja. Ja. Gut. Ende."
Hannes sah auf. "Sie drohen damit, diesmal ein paar der weißen Männer zu töten, wenn wir nicht das tun, was sie uns sagen. Sie meinen, die Frauen seien uns mehr wert."
"Prinzipiell hat er ja Recht", scherzte Grundler.
"Wir gehen vor wie geplant. Boxie, was sagt die IR-Auswertung?"
"Die Menschen bewegen sich relativ frei durch das Dorf. Ich habe bei einhundert Individuen zehn bis vierzehn Schatten ausgemacht, die Wachen sein könnten. Dazu noch mal sechs bei einer Anhäufung von vierzehn oder mehr Menschen, die am Boden sitzen. Eventuell unsere Geiseln, in der Hütte in der Dorfmitte."
"Ein kleiner Trupp mit einer Frau müsste am Ostrand stehen", hakte Hannes nach.
"Die habe ich gesehen", meldete sich Brentwood zu Wort. "Drei Männer und eine weiße Frau. Obwohl ich Probleme habe, diese Leute Männer zu nennen."
"Da sind Sie nicht der einzige", knirschte Hannes. "Los jetzt, wir gehen rein!"
"Darauf habe ich gewartet", knurrte Boxie und zog den Hubschrauber wieder in Richtung Brekk.

Die Maschine flog tiefer, sondierte. Boxie konnte niemanden auf seiner Ortung erkennen, der die typische Bazooka- oder Raketenabschusshaltung eingenommen hatte. "Fertig mit hübsch machen? Dann setze ich jetzt auf."
"Tarnen beenden", befahl Hannes und ergriff wieder sein Gewehr. "Los jetzt!"
Der Hubschrauber setzte auf einer Wiese auf, die ein sanftes Gefälle nach Osten hatte, am Südwestrand des Dorfes. Der Wind drückte das hohe gelbe Gras beiseite, und schließlich setzte die Maschine auf. Die Schiebetüren des Laderaums flogen nach oben und nach unten auf, und die Infanterie verließ die Maschine, um halbkreisförmig auszuschwärmen.
"Ziel", kam es von Steinard. "Ziel", nun auch von Brentwood.
"Keine Feuerlösung", befahl Hannes.
"Sicher!", kam es von Grundler.
"Okay, Leute, es kann losgehen." Er hielt den Jungen noch kurz zurück. Er trug eine schusssichere Weste, aber ihm hatte kein Helm gepasst. "Wenn da draußen geschossen wird, kommst du zurück. Und wenn du kriechen musst, du kommst zurück! Klar?"
Charles zuckte beleidigt die Achseln. Das wäre nicht sein erstes Erlebnis unter Feuer gewesen, aber die zwingenden Augen des Deutschen flößten ihm Respekt ein. "Ja, ich habe verstanden", sagte er.
"Gut. Dann bringt die Sachen raus."
Benson und Thaler schnappten sich Reissäcke, Charles ergriff drei Paletten mit der begehrten Kondensmilch. Sie brachten die Sachen auf die Mitte der Wiese und kehrten wieder zurück, um mehr zu holen.
Hannes stand aufrecht dahinter, die Waffe im Anschlag, während die Scharfschützen auf dem Boden des Laderaums lagen und ihre Ziele im Visier hielten. Zweifellos zwei der Männer, die die gut gebräunte, aber europäische Frau am Rande der Wiese gefangen hielten.
Hannes brauchte nur zu befehlen, und die Entführer würden drei ihrer Leute verlieren. Leider hatte er weder eine Ahnung, wie die Frau reagieren würde, noch wie er die anderen Geiseln befreien konnte, deshalb unterließ er die Erlaubnis zum Rettungsschuss.
Schließlich waren die Entladearbeiten beendet, die Lademeister und Charles kamen wieder an Bord, und die Frau wurde gehen gelassen. Anfangs machte sie nur unsichere Schritte, doch je näher sie kam, desto schneller wurde sie. Schließlich fiel sie knapp hinter den Gütern ins mannshohe Gras. Arndt sprang aus sitzender Haltung hoch, half ihr hoch und drückte sie hinter sich, langsam zum Hubschrauber zurückgehend. Grundler kam hinzu, ergriff die Frau an der Hand und zog sie mit sich.
Nicht sehr geordnet, aber dafür schnell zogen sie sich zurück. Als die Frau an Bord kletterte, klopfte Hannes auf die Scheibe zum Cockpit. "Boxie, Drehung um hundertachtzig Grad beim Start und leicht absacken. Schneller Abwurf."
"Verstehe. Viel Glück, KSK."
"Fertig machen!", rief Hannes, während McDougal als Letzte an Bord kletterte. "Wir springen ab, sobald die Maschine von Boxie abgefangen wird! Wir drücken uns nach Norden und warten dort ab! Wir bleiben zusammen!" Hannes sah die Entschlossenheit bei den Lademeistern.
"Nur die Infanterie!"
Das ließ die beiden Männer ärgerlich drein schauen.
"Sie wollen hier bleiben? Hier in dieser Hölle?", fragte die gerettete Frau entsetzt. Sie hatte sich in Meikes Arme geflüchtet, die sie fest umschloss und dabei vorsichtig auf Verletzungen abtastete.
"Wir haben alle unsere Talente und Pflichten. Keine Sorge, der Hubschrauber bringt Sie in Sicherheit. Mit ein wenig Glück folgen Ihre Kollegen morgen nach."
"Es geht los", sagte Boxie und hob ab. Die Maschine drehte ein, ruckte nach Osten, sackte ab und blieb ein paar Sekunden reglos in der Luft stehen.
"LOS! LOS! LOS!", trieben die Lademeister die Männer und Frauen an. Einer nach dem anderen sprang vom Hubschrauber und rollte sich ab. Kaum war der Bewegungsimpuls aufgebraucht, erhoben sich die Soldaten und eilten im Gänsemarsch unterhalb der Hügelkante nach Norden, um einen weiten Bogen um das Dorf zu schlagen.
Nach fünf Sekunden schlossen die Lademeister die Luken, und der Helikopter zog wieder nach oben. Schnell erreichte er Wipfelhöhe und raste nach Osten davon.
Immer noch entsetzt starrte die gerettete Frau auf das nun geschlossene Luk. "Was haben sie...? Ich meine, wissen sie, was für Bestien diese Männer sind? Was sie getan haben, was sie unseren Helfern angetan haben? Was sie mit uns getan haben?"
Meike nickte langsam. "Ich glaube, ja. Deshalb sind sie ja auch gegangen." Sie brummte unwillig. "Und ich darf das jetzt alles Niklas erklären. Wir hätten Axel mitnehmen sollen. Der hätte sie allesamt besoffen gequasselt und alle Geiseln für umsonst bekommen."
"Was?"
"Ach, nichts. Helfen Sie mir ein wenig, Miss. Sagen Sie mir Ihr Alter, Ihren Namen, Ihre Organisation, und erzählen Sie mir etwas über Ihre Entführung und Ihre Gefangenschaft."
"Wie?"
Meike setzte der jungen Frau einen Kopfhörer mit Mikrofon aus. "Mein Boss hört mit. Und er kann die Informationen gebrauchen."
"Was?", fragte sie noch einmal, bevor sie unter Meikes Blick laut seufzte. "Also gut. Mein Name ist Ashley Kensington, ich bin Doktorin im Bostoner Universitätskrankenhaus. Ich arbeite für die Organisation Ärzte ohne Angst, und wir wollten nahe Belongo eine ärztliche Versorgungsstation errichten, als wir ohne Vorwarnung..."
Meike hörte mit einem Ohr zu. Mit ihren Gedanken aber war sie bereits bei den nächsten Schritten. Die Frau konnte laufen, hatte keine offenen Wunden und keine gebrochenen Knochen. Sie war erschöpft, dehydriert, aber ansonsten gut beisammen, hatte kein Fieber und schien auch sonst keine Verletzungen zu haben. Eventuell war sie vergewaltigt worden. Das würden sie im Camp klären. Aber sie war in einem weit besseren Zustand, als Meike erwartet hatte. Natürlich würde sie um eine exakte Examination nicht herum kommen. Das gebot allein der ärztlicher Sachverstand. Aber Meike musste niemanden unter primitiven Bedingungen auf dem Transportdeck des Hubschraubers operieren. Eigentlich schade. Sehr schade.

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„Sie haben was?“, brüllte Axel ins Funkgerät.
„Sie haben ausgebootet. Hoffentlich unerkannt vom Dorf. Ich habe mein Bestes gegeben, um das Manöver zu verschleiern“, sagte Boxie sachlich.
Der Lautsprecher knackte, als sich Niklas in die Unterhaltung einmischte. „Axel, Hannes ist ein erfahrener Mann, und er hat unsere besten Leute mit. Wäre die Situation nicht überschaubar, hätte er sich nicht für den Angriff entschieden. Wenn Boxies Analyse richtig ist, wird er mit den paar Gestalten fertig.“
„Darum geht es doch gar nicht“, murrte der ältere Herwig-Bruder. „Einmal ganz davon abgesehen, dass da jede Sekunde ein Lastwagen noch mal zwanzig oder mehr Kämpfer bringen kann; hat jemand daran gedacht, dass wir die restlichen Geiseln einfach mit einem Haufen Vieh hätten freikriegen können?“
„Dabei vergisst du zwei Dinge, Chef“, sagte Boxie in seiner ruhigen, beherrschten Art.
„Und die wären, Herr Leutnant Draeger?“
„Der erste Punkt ist, dass du gar nicht wissen kannst, ob die Entführer nicht plötzlich gierig werden und immer mehr Vieh und Waren verlangen werden. Das ist vielleicht finanziell kein großes Problem, aber ein logistisches. Und der zweite Punkt ist: Hast du das ganze Dorf vergessen, das von ihnen besetzt ist? Was meinst du, wie viele hundert Menschen dort in Todesgefahr schweben, solange diese Bande da ist?“
„Und was ist mit den Mitläufern?“, murrte Axel erneut. „Wir haben da so mittlerweile einige angesammelt, die nun für uns arbeiten.“
„Du vergisst unseren Grundsatz, großer Bruder“, sagte Niklas.
„Welchen?“
„Den Wichtigsten: Erst schießen, dann fragen. Bisher hat der uns gut durchgebracht.“
„Zugegeben“, sagte Axel, etwas versöhnt. „Und wann wird Hannes seine Aktion starten?“
„Er wird vermutlich auf die Nacht warten“, sagte Boxie. „Dann wird es aber schnell gehen.“
„Hoffentlich für die richtige Seite“, murmelte Axel.
„Natürlich.“ Niklas schwieg einen Moment. „Übrigens, sie bringen gerade den ersten Minenwolf. Ein Wunder, dass der Transporthubschrauber den geschafft hat. Willst du zusehen, wie er zusammengesetzt wird?“
Das hellte Axels Stimmung merklich auf. „Ich komme mit einem Wolf runter. Ich wollte ohnehin dabei sein, wenn die Lady von Ärzte ohne Angst befragt wird.“
„Ich erwarte dich die nächste Stunde“, schloss Niklas zufrieden.
Axel schaltete ab. Just in dem Moment zog Boxies Mi-24D am Dorf vorbei. Die Dinge waren an allen Fronten merklich in Bewegung. Wie sie sich entwickeln würden, musste man sehen. Axel hatte nicht wirklich erwartet, dass ihm hier langweilig werden würde, aber dass er eventuell an Spannung sterben könnte, wäre ihm vorher auch nicht gerade eingefallen.
***
Boxie landete auf der üblichen Stelle, die nach etlichen Warenlieferungen bereits kräftig verdichtet war. Zwar war der Boden noch immer mit der gefährlichen Cyanid-Lauge getränkt, aber der Schotter bot nun einen guten Landeplatz. Bernd hatte es ganz unverfänglich ausgedrückt: Wer leckte schon den Hubschrauberlandeplatz ab? Dennoch war Meikes Team jederzeit darauf vorbereitet, um eine gefährliche Blausäurevergiftung zu behandeln.
Zwei Sanitäterinnen standen schon bereit, um die befreite Geisel in Empfang zu nehmen und zur ersten Untersuchung in die Klinik zu geleiten. Da sie sich auf den eigenen Beinen halten konnte, wie Meike recht burschikos über Funk mitgeteilt hatte, verzichteten sie auf eine Trage oder einen der Klapprollstühle.
Als der eigentliche Verlademeister der Mi-24D, Jerome Benson, die Klappen öffneten, eilten sie sofort unter die noch laufenden Rotoren, um der Amerikanerin beim Aussteigen zu helfen. Die junge Frau war etwas steif und verspannt, aber die Aktion gelang ohne größere Probleme.
Niklas eilte auf den Hubschrauber zu. „Meike!“
Die junge Deutsche wandte sich in seine Richtung um. „Wir haben Ärger“, sagte sie tonlos.
„Natürlich haben wir Ärger. Aber ich vertraue Hannes blind. Er ist KSK-Gruppenführer. Wenn nicht er, wer sonst sollte vor Ort die richtige Entscheidung treffen? Also ruhig Blut. Ich bin auch nur hier, um dir was positives zu berichten. Der erste Minenwolf ist jetzt da und wird montiert. Wir fahren ihn heute noch nach Ngali und beginnen mit dem Minenräumen.“
„Du verstehst nicht, Niklas“, sagte sie bestimmt. „Wir haben richtigen Ärger! Charles ist nicht mehr an Bord!“
„Charles?“ Ungläubig riss der Oberleutnant die Augen auf. „Wieso war er überhaupt an Bord?“
„Er wollte beim Entladen der Waren helfen, also habe ich ihn mitkommen lassen“, sagte Meike zerknirscht. „Als Hannes dann mit seinen Leuten von Bord sprang, muss er mitgesprungen sein. Ich habe es nicht bemerkt, ich hatte mit Miss Kensington zu tun. Ihr erstes Verhör hast du ja mitgehört. Na, jedenfalls war er auf dem Rückflug plötzlich nicht mehr an Bord. Wir konnten ja nicht umkehren und ihn wieder einsammeln, ohne Hannes zu verraten.“
Niklas fluchte derbe. Derbe genug, um selbst von der resoluten Herryhaus einen tadelnden Blick zu kassieren.
„Okay“, sagte er schließlich. „Okay. Okay, ist nicht zu ändern. Ich glaube nicht, dass der Junge ein kleiner Verräter ist. Dann hätte Axel ihn schon auf links gedreht. Also will er sich nützlich machen und Hannes helfen. Dann ist er bei den anderen, und die passen schon auf ihn auf. Nicht zu ändern. Hannes wird jetzt schon wissen, was er sich da eingefangen hat. Na, auf den Bericht bin ich gespannt. Okay, konzentrieren wir uns wieder auf das, was wir tun können.“ Er klopfte ans Tandem-Cockpit und deutete fragend nach oben. Boxie schüttelte den Kopf und zeigte fünf Finger, während er die Abschaltroutinen durchging.
„Gut, er wird in fünf Stunden zur Unterstützung der Einsatzgruppe aufbrechen, sollte das nötig werden. Ich spreche noch mit ihm, ob er einen der Mi-24 dazu haben möchte, aber das ist wahrscheinlich wie mit Kanonen auf Spatzen zu schießen.“
Er wandte sich wieder Meike zu. „Du wirst dich sicher um deine Frau Doktor Kensington kümmern wollen.“
„Wird zwar nicht viel zu tun sein, aber da ich alle Ärzte nach Ngali geschickt habe, bleibe ich erst mal vor Ort.“
„Alle Ärzte?“ Niklas sah die junge Frau empört an. „Unsere Versorgung soll doch Priorität haben. Und vergiss die Schwerverletzten nicht, die im Lazarett liegen.“
Spöttisch grinste Meike den Bundeswehroffizier an. „Niklas, du wirst es nicht glauben, aber Pfleger können heutzutage sehr viel mehr, als dem Doktor Stethoskop und Skalpell zu reichen und die Schale für die benutzten Instrumente zu halten. Keine Sorge, ich habe im vollen Wissen der Situation entschieden und meine Leute dort eingesetzt, wo es am Sinnvollsten ist. Niklas, wir haben in Ngali täglich rund eintausend Patienten. Ich weiß nicht, wo diese Menschenmassen herkommen, aber sie sind da. Und bei rund der Hälfte ist es mit Impfungen eher nicht getan.“
„Nach Schätzungen hat Belongo ungefähr drei Millionen Einwohner. Trotz Bürgerkrieg“, sagte Boxie, während er aus dem Cockpit kletterte. „Rechnen wir jene Menschen ab, die zu Kriegsparteien gehören und dergleichen, kommen wir immer noch auf zwei Komma neun Millionen und ein paar Zerquetschte. Der Rest wird sich wohl eher selten zu Milizen zusammenschließen und Kombattant werden. Wo sind meine Meerschweinchen?“
„Im Container. Neben der Klima-Anlage, aber auch nicht zu nahe“, antwortete Niklas. Es war bezeichnend, dass Boxie die beiden daheim gelassen hatte. In einer Kampfsituation wollte er Willi und Antoinette nicht riskieren, und das sagte genug über seine geistige Gesundheit aus.
„Weniger als einhunderttausend Kämpfer? Und sie halten drei Millionen Menschen im Grauen gefangen?“, zweifelte Meike.
„Wahrscheinlich sind es nur ein paar zehntausende“, korrigierte Boxie. „Aber die mit den Waffen und der Entschlossenheit, vielleicht der Verzweiflung, können noch viel mehr Menschen bedrohen. Und vergiss die Base de l'Air de Belongo nicht. Von dort kommen die Ndongoer auch ab und an, um das Land aufzumischen.“ Er seufzte leise. „Wir sollten einen Report für die UN zusammenstellen und um Blauhelme bitten.“
„Blauhelme taugen nichts“, sagte Niklas schroff. „Sie dürfen in den seltensten Fällen überhaupt Waffen tragen.“
„Ich weiß. Aber auf diese Weise käme das Thema in die Weltpresse, und wir finden irgendjemanden, der sich für dieses Land einsetzt.“
„Du meinst, so wie wir?“, fragte Niklas trocken.
„Zum Beispiel. Ich gehe meine Meerschweinchen holen und dann was essen. Anschließend werden ich und meine Crew ein wenig an der Matratze horchen. Ich habe keine Ahnung, wann Hannes loslegen will, und ob er meine Unterstützung brauchen wird, aber ich werde die ganze Nacht da sein müssen.“
„Ist gut. Du bist der Luftkampfexperte“, sagte Niklas.
Boxie, schon mehrere Meter entfernt, winkte kurz. „Schön, dass du das nicht vergessen hast, mein Freund.“

Niklas verkniff sich ein Grinsen. „Jetzt hat er mich doch tatsächlich Freund genannt. Tja, Frau Doktor, so sieht es hier aus. Das Land ist riesig, und für deutsche Begriffe dünn besiedelt, aber es sind immer noch ein paar Millionen Menschen hier. Und die werden wohl alle nach und nach deine Dienste haben wollen.“
Meike rieb sich nachdenklich die Nasenwurzel. „Hm. Unser Budget dürfte doch demnächst kräftig in die Höhe schießen, wenn die ersten Verkäufe durch sind. Für die Industriediamanten, meine ich.“
„Ja. Jeder von uns verdient heute noch ein kleines Vermögen. Und die gleiche Summe haben wir für Ausrüstung und Nachschubgüter zur Verfügung.“
„Auch für Neuanwerbungen? Ich kenne da noch einige Ärzte und Pfleger, die für gute Bezahlung auch nach Afrika kommen werden. Niklas, ich komme mit meinen jetzigen Stab nicht aus, wenn sie nicht in einer Woche an Erschöpfung sterben sollen. Und wir werden wohl kaum jeden akuten Fall ausfliegen können. Wir werden hier ein Hospital bauen müssen.“
„Ich habe befürchtet, dass du so etwas sagen würdest. Aber wir sind noch nicht soweit.“
„Wir müssen aber! Jetzt sind wir noch am Anfang, und...“, protestierte Meike.
„Lass mich mal ausreden. Wir sind noch nicht soweit, dass wir die Landebahn bauen können, die wir geplant haben. Wir grasen den Schutt immer noch nach Diamanten ab, aber das wird nächste Woche erledigt sein. Dann fahren wir den ganzen Mist fest, und prompt haben wir anderthalb Kilometer einigermaßen stabiler Landebahn. Bis da ein Flugzeug drauf landen kann, werden wir uns also mit den Hubschraubern behelfen. Bernd bemüht sich bereits um einen weiteren Transporter, und wie ich ihn kenne, sucht er auch schon das Personal und ein paar Leute mehr, um unser Infanteriekontingent aufzustocken. Wenn du dann noch Ärzte und Pfleger einfliegen lässt, wird das alles ein bisschen eng für uns. Wir sind noch keine Woche hier, und steuern bereits darauf zu, von einer guten Kompanie zu einem Bataillon zu werden.“ Niklas grinste schief. „Nicht, dass wir nicht genug Geld für alle hätten. Und die Einheimischen sehen es ohnehin lieber, wenn wir Europäer die Waffen tragen, weil sie befürchten, Schwarze mit Waffen in der Hand könnten schnell mit einem Gegner verwechselt werden. Dabei sind die einzigen Gegner, die wir hier wirklich zu fürchten haben, gar nicht mal die Schwarzen.“
„Ich weiß nicht, worauf du hinaus willst, aber ich weiß mit ziemlicher Sicherheit, dass die Base de l'Air nicht von Chinesen kontrolliert wird“, sagte Meike mit säuerlicher Miene. „Heißt das zusammengefasst also, ich kann noch ein paar Leute anwerben?“
„Und am besten gleich noch ein zentrales Krankenhaus bauen?“
„Nun werde mal nicht gleich ironisch, Niklas“, murrte sie. „Das habe ich schon damals an dir nicht gemocht. Ich mache einen Vorschlag oder habe eine Bitte, und du wirst gleich widerlich.“
„Meike, liebe Meike“, sagte Niklas und gab ihr einen Kuss auf die Wange, „wer sagt denn, dass ich ironisch bin? So, ich muss los. Der Minenwolf wartet.“
Verwundert rieb sich die junge Frau die Wange. Niklas blühte in dieser Situation richtig auf- Vielleicht hatte er das all die Zeit gebraucht, ein eigenes Kommando. Aber da hätte Meike ihm eher zu einem eigenen Laden irgendwo in Barmbeck geraten, nicht zu einer eigenen Armee in Belongo. Aber es versprach noch sehr interessant zu werden. Sie machte sich auf, um zu ihrer Patientin zu kommen.
***
Auch wenn er es hätte verhindern wollen, den Coolen zu spielen, Niklas hätte es nicht gekonnt. Mit einem breiten Grinsen ging der Oberleutnant auf den Mitarbeiter der Minenwolf-Gesellschaft zu und streckte ihm schon Meter zuvor die Hand entgegen. "Herr Obermayer. Es ist mir eine Freude, Sie kennen zu lernen. Ich bin Niklas Herwig, der militärische Befehlshaber der Minengesellschaft."
Der schlanke, kleinere Mann ergriff die Hand mit festem Griff. "Freut mich, Herr Herwig. Karl Obermayer, Ingenieur. Sie sind also der Verrückte, der aus Belongo mit einem Diamanten heim gekommen ist und nichts Besseres zu tun hatte, als gleich wieder zurück zu gehen, um nach mehr zu suchen?"
"Das ist nur halb richtig. Ja, ich habe den Diamanten gefunden. Aber zurück und nach mehr suchen wollte mein Bruder Axel... Ja, wenn man vom Teufel spricht." Niklas winkte dem Wolf und seinem Fahrer zu, der gerade zwischen den beiden Schützengräben auf das Minengelände fuhr. "Da kommt er ja schon."
Der Wagen hielt direkt neben Niklas, Obermayer und dem Minenwolf, der gerade remontiert wurde. Man hatte alles abgenommen, was irgendwie sinnvoll erschienen war, und der Transporter war dann unter erheblichem Risiko hoffnungslos überladen und sehr langsam herüber gekrochen. Aber sie hatten es geschafft, und Androweit, der sich diesmal hinter das Steuer geklemmt hatte, hatte großspurig, und nachdem er sich den Angstschweiß fortgewischt hatte, den zweiten Minenwolf für den gleichen Tag angekündigt. Sofern Jenner Stevens noch eine Tour mitmachen wollte, denn ohne den Begleitschutz durch einen Mi-24 wäre es für den Mi-8MT eine dreifache Belastung gewesen. Man hätte es mit einem leckgeschlagenen Boot vergleichen können, auf dem statt der vier Ruder nur eines verfügbar war. Es konnte klappen, aber eine Welle, die über Bord schwappte, musste das Ende bedeuten. Nun, vielleicht war es nicht ganz so gefährlich, aber nahe dran.
Jedenfalls waren der Transporter und der Kampfhubschrauber schon wieder auf dem Weg zurück.
Und hier an der Mine waren die Pioniere schon dabei, die Fracht aus dem Mi-24 und dem Mi-8MT wieder in ein Gerät zu verwandeln.
Axel stieg aus und schickte den Fahrer wieder fort. Er reichte dem Bayer sofort die Hand. "Sie müssen Herr Obermayer sein. Bin sehr erfreut, Sie kennen zu lernen. Axel Herwig ist mein Name."
"Herr Herwig, ich nehme dann stark an, dass Sie der Chef des Unternehmens sind."
"Ja, das kann man so stehen lassen. Obwohl wir uns schon eher als eine Art Komitee sehen, in dem ich der Primus inter Pares bin, für die allgemeinen Angelegenheiten, und mein Bruder für die militärischen."
"Hm. Ich war ja anfangs sehr skeptisch und hätte beinahe beide Minenwölfe wieder eingepackt und wäre nach Hause geflogen. Aber Professor Herryhaus hat mich beruhigt und mir versprochen, Sie würden meine letzten Zweifel zerstreuen. Ich meine, gut, Sie sind eine Minengesellschaft, aber man sagte mir, Sie haben ein Ärztezentrum eingerichtet, und ich habe die Hilfsgüter gesehen, die Sie noch auf dem Flugfeld haben, und die hergeschafft werden sollen."
Die Herwig-Brüder wechselten einen schnellen Blick.
"Zuerst die schlechte Nachricht, Axel. Charles ist von Bord ausgebüxt, als Hannes mit seinen Leuten ausgebootet hat."
"Charles hat was? Warum war er überhaupt an Bord?", fragte Axel und schickte einen deftigen Fluch hinterher.
"Wer bitte ist Charles?", fragte Obermayer irritiert.
"Ein Kindersoldat. Ein ehemaliger Kindersoldat, der am Hospital aushilft", sagte Axel. "So wie es aussieht, hat er sich einer Rettungsoperation angeschlossen, ohne dass der Anführer davon wusste. Na, ich hoffe, er weiß es spätestens jetzt."
"Rettungsoperation?"
Niklas nickte gewichtig. "Ich denke, der Minenwolf wird auch ohne uns zusammengebaut werden. Sollten Probleme auftauchen, meldet euch bei Herrn Obermayer", mahnte Niklas die Monteure.
Jens Reeser, der die Truppe anführte, nuschelte eine Bestätigung und widmete sich mit Hingabe der Neumontage der Ketten. Die fünfköpfige Truppe hatte die Lage deutlich sichtbar im Griff und würde auch keine Mühe haben, das Schlagwerk zu montieren.
"Kommen Sie, Herr Obermayer. Wir konnten eine Geisel gegen Bedarfsgüter austauschen. Wir haben sie schon über Funk befragt, aber ich wollte jetzt ausführlicher ins Detail gehen. Sie können sich das gerne anhören. Axel, kommst du mit?"
"Mir juckt es in den Fingern, den Minenwolf zu steuern, aber ich glaube, der braucht noch etwas."
"Und Diesel", sagte Obermayer. "Haben Sie hier Diesel?"
"Ich glaube, nicht genug. Die Bagger laufen mit Diesel, und wir schaffen immer mal ein Fass herüber. Wir werden die Schlagzahl wohl erhöhen müssen", murmelte Niklas. "Aber für den ersten Einsatztag wird es reichen."
"Also gut, schauen wir uns die Geisel mal an." Axel ging voran und informierte Obermayer nebenbei knapp über das Geschehen am Hospital-Punkt Ngali, die Zustände dort und den Funkanruf, der sie in dieses Geschehen hinein gerissen hatte. Der Bayer hörte aufmerksam, aber doch etwas ungläubig zu.

Sie betraten das Lazarettzelt. Einige der dehydrierten Arbeiter und die angeschossenen Minenbewacher lagen hier noch immer. Für einige würden Wochen vergehen, bevor sie das Bett verlassen durften. Aber die Versorgung war gut, für Verhältnisse in Belongo geradezu luxuriös.
Sie traten an eine große Plane heran, die ein Drittel des Zeltes abtrennte. Hier gab es einen provisorischen OP und einige Behandlungsräume. "Meike, dürfen wir reinkommen?"
"Wir haben die körperliche Examination bereits abgeschlossen", informierte die Ärztin sachlich. "Sie duscht gerade, um sich den ganzen Dreck vom Körper zu spülen. Ich habe ihr Elise Jahn mitgegeben, damit die ein wenig auf Frau Doktor aufpasst." Meike kam zwischen den Planen hervor. "Die Frau ist mir ein wenig zu stabil für das, was sie uns berichtet hat. Ich fürchte, der große Zusammenbruch wird nicht mehr lange auf sich warten. Wenn sie fertig ist, wird sie wiederkommen. Ich nehme noch Blut ab. Ihr könnt dann ergänzende Fragen stellen." Sie musterte den Fremden einen Moment. "Sie müssen Obermayer sein. Willkommen in Belongo. Ich bin Meike Herryhaus."
Obermayer reichte ihr die Hand. "Freut mich, Sie kennen zu lernen, Frau Herryhaus. Ihr Großvater hat mich vor ihnen gewarnt."
Meike verzog ihr Gesicht zu einem fragenden Lächeln. "Sie meinen, er hat Ihnen von mir erzählt?"
"Nein, nein, er hat mich vor Ihnen gewarnt. Er sagte, Sie seien hyperaktiv, und wenn ich nicht aufpasse, werde ich mit hinein gezogen."
Die beiden Herwigs begannen prustend zu lachen, was Meike mit einem strafenden Blick ahndete. "Wehe, Ihr sagt auch nur ein Wort. Ich warne euch zwei!"
Axel sah zur Seite und kicherte in die rechte Hand; Niklas kämpfte verzweifelt um eine stoische Miene, was ihm aber nicht ganz gelingen wollte.
"So, so. Opa hat also nett von mir gesprochen."
"Sehr nett, Frau Herryhaus. Aber er hat mir auch gesagt, ich sollte nach Möglichkeit einen weiten Bogen um Sie schlagen, wenn ich ab morgen nicht für die Belongo Minengesellschaft arbeiten will." Ein wenig Schalk spielte um seine Augen. Ein sicheres Zeichen dafür, dass Thomas ihn sehr gut auf das Treffen mit seiner Enkelin vorbereitet hatte.
"Erzählen Sie mir vom Ngali-Hospital", sagte Obermayer unvermittelt.
Das brachte Meike aus dem Konzept. Sie setzte an, wollte etwas sagen, setzte erneut an und winkte ab. "Ach, was soll ich mich ärgern... Sie wollen was über Ngali wissen? Ngali ist die erste Ortschaft, mit der wir Kontakt aufgenommen haben, seit wir hier sind. Etwa fünfhundert Einwohner, vierzig Hütten über dem Daumen, viele der Männer arbeiten als Tagelöhner in der Hauptstadt. Wir haben mit der Notversorgung der kleinen Marie begonnen, die sich eine Sepsis zugezogen hatte - eine Blutvergiftung - und haben dann gleich vor Ort einen Notversorgungsposten eingerichtet. Zuerst haben wir akute Kranke behandelt und gegen Masern, Röteln, Mumps, Pocken, Windpocken, Polio und teilweise auch mit dem experimentellen Malaria-Impfstoff geimpft. Letzteres nur bei gesunden Erwachsenen, weil die im Höchstfall nur bei fünfzig Prozent der Patienten zur Immunisierung führt. Außerdem ist Belongo dankenswerterweise kein ausgeprägtes Malaria-Gebiet. Wenn sie aber mal ausbricht, dann wird sie heftig. Vor allem dank der schlechten Versorgung der Kranken.
Tja, und ab da hatten wir jeden Tag einen steten Zustrom an chronisch und akuten Kranken oder Impfwilligen, sodass wir unser Zentrum in Ngali mit einem Feldlazarett ausgebaut haben. Dazu kommt eine Freiwilligenküche, die für all die Menschen, die zu uns kommen, kocht. Alles geht recht friedlich zu, und einige schwere akute Fälle holen wir mit unseren Hubschraubern ab, um sie in Ngali oder hier an der Mine zu versorgen. Einen Fall, eine Kindersoldatin mit Minensplittern im Bein, die sich entzündet haben, haben wir nach Panadia ausgeflogen. Honiton City hat eine erstklassige Kinderklinik, auch nach europäischen Maßstäben."
"Ich nehme an, all diese Hilfsleistungen werden von der Mine finanziert?", hakte Obermayer nach.
Axel räusperte sich. "Ja, aber nicht nur die Hilfsmittel. Als wir hier ankamen, fanden wir eine illegale Goldmine vor. Sie müssen verstehen, wir haben nach Ndongoischem Recht den Boden hier legal gekauft und zahlen jährlich unser Nutzungsrecht. Zudem wurde die Mine mit Zwangsarbeitern aus der Umgebung, zum Beispiel aus Ngali, betrieben. Die Gefangenen wurden schlecht behandelt und unterversorgt, wir zudem beim ersten Anflug beschossen. Wir haben das Camp dann militärisch genommen und die Arbeiter befreit. Die, die noch nicht wieder stark genug sind, um nach Hause zu fahren, liegen drüben. Übrigens auch die verletzten Bewacher."
"Sie versorgen die Bewacher medizinisch?"
"Warum nicht, Herr Obermayer? Wir haben sie schließlich überhaupt erst verwundet. Außerdem arbeiten die überlebenden Wachen mittlerweile regulär für uns und helfen bei den Erdarbeiten."
Der Ingenieur sah Axel ungläubig an. "Sie verarschen mich. Warum sollten die Wachen das tun?"
"Warum sollten sie das nicht tun? Sie gehören zu einem Kriegsherrn im Süden, und die Mine wurde illegal von einem amerikanischen Konsortium betrieben, das wir noch nicht kennen. Es ist niemand zu ihrer Rettung geeilt, und wir haben ihnen die Wahl gelassen, freiwillig zu gehen. Aber..."
"Das Geld. Ich verstehe."
"Nein. Nicht das Geld. Die sinnvolle Aufgabe. Für manche ist es das erste Mal in ihrem Leben, dass sie etwas aufbauen, anstatt dass sie kämpfen, Leute antreiben, Kinder entführen, und dergleichen, was man so als Gefolgsmann eines Warlords eben so tut. Kennen Sie den uralten Spruch eines Soldaten, der sich aus einer Gräueltat herausredet, indem er sagt, er hat nur auf Befehl gehandelt?"
"Jetzt sagen Sie bloß, Ihre überlebenden Wachen haben das auch behauptet, Herr Herwig."
Axel lächelte milde. "Ja. Und ich glaube ihnen. Wir glauben ihnen. Sie können übrigens jederzeit gehen, wenn ihnen danach ist. Aber sie und einige der Zwangsarbeiter, die ebenfalls eingestellt werden wollten, bilden unser Rückgrat bei der Ausbeutung der Mine."
"Hm. Gehen Sie nicht etwas zu altruistisch an die Geschichte heran? Menschen können nämlich lügen, sollten Sie wissen."
"Und das sagt ausgerechnet jemand, der in einem Unternehmen arbeitet, das die Landminen auf der Welt beseitigen will?", fragte Niklas spöttisch.
Obermayer wollte etwas erwidern, aber sein Mund klappte nur auf und zu wie bei einem Fisch auf dem Trockenen.
"Wir hatten ursprünglich vorgehabt, einen Monat hier zu bleiben. Alle unsere Helfer, die wir in Europa angeworben haben, haben Verträge über einen Monat. Einmalzahlung und Bonus. Danach wollten wir die Mine in örtliche Hände übergeben und lediglich den Verkaufsweg gestalten. Aber wir diskutieren intern, also in unserer Führungsmannschaft, darüber, einen Monat dran zu hängen."
"Weil es so viele Diamanten gibt? Ich habe das Büro auf dem Landefeld gesehen, in dem die Juweliere die Steine taxiert haben. Ein kleines Vermögen."
"Weil noch so viel zu tun ist", sagte Meike. "Es wartet unendlich viel Arbeit auf mich, und ich glaube nicht eine Sekunde daran, dass Niklas und Axel mich hier zurücklassen werden. Einige unserer Leute werden vielleicht gehen und das mitnehmen, was sie in einem Monat verdient haben. Aber dafür werden Neue kommen. Und wir werden die Aufgabe hier fortsetzen." Sie legte den Kopf nachdenklich auf die Seite. "Ist natürlich auch nur ein einziger winziger Punkt auf dem großen weiten Globus, zugegeben. Aber irgendwo muss man ja anfangen. Warum also nicht in diesem so misshandelten Land?"
"Keine Sorge", raunte Niklas dem Bayer ins Ohr, aber laut genug, dass Meike es hören konnte, "wenn wir hier abbauen, werden wir Meike fest verschnüren und als Packgut mitnehmen, ob sie will oder nicht."
"Das habe ich gehört, Niklas Herwig", murrte sie.
"Also gehe ich davon aus, dass die Situation eine Eigendynamik entwickelt hat?", hakte Obermayer nach.
"Oh, keinesfalls", entgegnete Axel. "Sie entwickelt sich nur in eine Richtung, die ich bisher als sehr optimistisch angenommen hatte. Und wenn es so weitergeht, ist der erste Rückschlag nicht mehr weit entfernt, fürchte ich. Wir können nicht so oft am Stück Glück haben."

Die eintretende Ärztin von Ärzte ohne Angst unterbrach das Gespräch. Sie trug nun den Fleckentarn der Minengesellschaft anstelle ihrer vollkommen verschmutzten alten Kleidung. Neben ihr trat Jahn ein, aber die Pflegerin hielt sich stumm im Hintergrund.
Miss Kensington sah verschrammt aus, aber besser als noch eine halbe Stunde zuvor. Tiefe Schatten lagen unter ihren Augen, aber dennoch war ihr Gesicht trotz der blutigen Kratzer und Blutergüsse recht apart. Wer auf diesen Typ Frau stand, hätte sich eventuell auch zu hübsch oder schön durchringen können.
Die braunhaarige Frau lächelte zögerlich in die Runde. "Bei wem muss ich mich jetzt für meine Rettung bedanken?"
Meike deutete auf Niklas und Alex. "Bei den beiden. Niklas Herwig, unser militärischer Kopf, und Axel Herwig, der Oberboss."
Verlegen streckte sie zuerst dem jüngeren, dann dem älteren Herwig-Bruder die Hand hin, um sich zu bedanken. "Meine Herren, ich kann nicht mit Worten ausdrücken, was ich verspüre, seit ich dieser Situation entkommen konnte. Aber... Entschuldigen Sie, wenn ich so frech bin, was werden Sie für meine Freunde tun? Ich weiß, ich bin in keiner Situation, um Forderungen zu stellen, aber..."
"Wir haben uns bereits darum gekümmert. Beziehungsweise der Einsatzleiter hat selbstständig entschieden, sich darum zu kümmern", sagte Niklas. "Wahrscheinlich in den Nachtstunden werden seine Leute das Dorf einnehmen, die Entführer ausschalten und Ihre Leute retten. Wenn alles gut läuft, werden Sie die anderen Ärzte und Pfleger noch heute Nacht wiedersehen. Leider können wir Sie heute nicht mehr nach Panadia ausfliegen, aber morgen früh dürfte das möglich sein."
Sie schüttelte energisch den Kopf. "Nein, bitte, wir haben zusammen die Angst geteilt, haben die Situation ertragen, einander Mut gemacht und uns im wahrsten Sinne des Wortes gegenseitig gestützt, um bis zu diesem Dorf zu kommen..."
"Brekk", sagte Axel. "Das Dorf heißt Brekk."
"Um bis nach Brekk zu kommen. Ich werde sie nicht zurücklassen. Es ist schon schlimm genug, dass ich vorab ausgetauscht wurde. Ich fühle mich wie eine Verräterin." Tränen glitzerten in ihren Augen, und kurz darauf begann sie zu schluchzen. "Warum ich? Warum keine der anderen? Warum haben sie ausgerechnet mich ausgesucht?"
"Machen Sie sich keine Gedanken darüber, ob Sie bevorzugt wurden", sagte Axel schließlich. Er griff nach dem Kinn der jungen Ärztin und hob es an. "Miss Kensington, ich nehme nicht an, dass Sie diese gute Hautfarbe hier in Ndongo bekommen haben, oder?"
"Nein, Sir. Meine Großmutter ist schwarz, und ich habe einiges von ihr geerbt."
"Dann ist es klar. Diese Männer sind Rassisten. Sie haben gesehen, dass Sie ein Mischling sind, und sie haben sich gedacht, eine Mischlingsfrau wäre uns nicht so viel wert wie eine Weiße. Dass wir da überhaupt keinen Unterschied machen, können sie ja gar nicht wissen." Axel ließ ihr Kinn wieder fahren, und für einen Moment wirkte es, als wollte die Frau nach seiner Hand greifen, um die Berührung zurück zu bekommen. Was musste sie durchgemacht haben, um nach einer solchen Geste der Zuneigung zu verlangen, die doch nur aus Mitleid geschehen war?
"Das macht es nicht viel besser. Ich bin hier, und die anderen sind es nicht." Wieder flossen ihre Tränen, aber diesmal versuchte sie zu lächeln. "I-ich beginne erst langsam zu begreifen, dass es vorbei ist. Ich habe nie geglaubt, ich würde so etwas erleben oder selbst durchmachen. Vier Tage durch den Busch hetzen, die Schläge unserer Bewacher, das was sie unseren Freunden aus Ndongo angetan haben. Das, was sie uns angetan haben... Ich kann noch immer nicht fassen, dass es ein Ende hat."
Axel lachte leise. "Oh, ich glaube, das war eine überschaubare Tortur. Meinen Bruder hat man entführt und über zwanzig Tage durch diesen Dschungel getrieben, bis er in Panadia wieder raus kam. Und dabei war man mit ihm auch nicht gerade zimperlich."
"Und?", fragte die Ärztin trocken. "Hat man ihn auch...?"
Axels Miene wurde starr. "Sprechen Sie es aus, Miss Kensington. Sprechen Sie es aus."
"Hat man ihn auch vergewaltigt?"
Fassungslos starrte Obermayer die Ärztin an. "Doktor, sind Sie etwa vergewaltigt worden?"
Sie zögerte mit der Antwort, bevor sie stumm den Kopf schüttelte. "Ich nicht. Ich war wohl noch weiß genug, und sollte nicht beschädigt werden. Aber was ich beim Überfall auf unser Camp gesehen habe, das... Das..."
Axels Miene wurde ärgerlich. "Ich denke, da sind noch einige Untersuchungen fällig. Wir lassen Sie jetzt in Doktor Herryhaus' Obhut zurück. Wir weisen Ihnen einen Schlafplatz zu, später, und Frau Jahn wird Sie zum Küchenzelt bringen, wo Sie etwas essen können." Er sah Meike an. "Doktor, ich empfehle Ihnen eine gynäkologische Untersuchung von Doktor Kensington. Nur für den Fall, dass sie... Hm, unliebsame Dinge verdrängt, die nicht haben sein sollen. Ich schätze, mit jeder Stunde, die verstreicht, werden eventuelle Spätfolgen schwerer zu korrigieren sein."
"Axel, du bist ja wohl das kältestes Arschloch, das mir je untergekommen ist!", zischte Meike wütend. Sie langte nach Ashley Kensingtons Arm und zog sie zu sich herüber. "Doktor Kensington, stimmen Sie einer gynäkologischen Untersuchung zu?"
"Was? Wie? Äh, ja, aber... Als Medizinerin kann ich Herrn Herwigs Standpunkt verstehen. Und es macht ja auch..."
"Jetzt halten Sie mal mit den pseudointellektuellen Geplapper inne, Frau Kollegin! Ihnen wurde vielleicht etwas sehr Schlimmes angetan, und ich werde jetzt herausfinden, ob das der Fall war. Anschließend werde ich entsprechend agieren." Wütend sah sie zu Axel herüber. "Und du, Mr. Manipulator, kriegst dafür noch eine ziemlich deftige Strafe, verlass dich drauf!"
Mit diesen Worten verschwand sie in einem Untersuchungsraum und rief Jahn zu sich.

"Tja, für uns gibt es nichts mehr zu sehen. Aber eventuell sieht man nachher Axels Gesicht im Dunkeln leuchten, wenn er Meikes Handabdruck als Leuchtfeuer im Gesicht trägt", scherzte Niklas. "Sollen wir dich nicht besser ausfliegen?"
"Ich habe keine Angst vor Meike", erwiderte Axel.
Niklas betrachtete seinen Bruder für einen Moment. "Nein, hast du nicht, zugegeben. Damit bist du allerdings auch der einzige in diesem Camp." Er wandte sich Obermayer zu. "Es ist gerade Zeit für ein spätes Mittagessen. Mein Bruder hat bestimmt noch nichts gegessen, und ich bin auch nicht dazu gekommen. Haben Sie Lust, uns zu begleiten?"
"Solange es keine Komplikationen beim Aufbau des Minenwolfs gibt, werde ich nicht gebraucht." Obermayer wandte sich Axel zu. "Herr Herwig, ich wäre für eine Unterkunft dankbar. Es wird ja kein Flug nach Panadia mehr erfolgen, und ich würde ohnehin gerne noch etwas hier bleiben."
"Darüber reden wir beim Essen, guter Mann", sagte Axel, klopfte dem Ingenieur auf die Schulter und verließ die Klinik. Die beiden Männer folgten ihm.
***
Es gab Zeiten, in denen wahre Männer tun mussten, was sie tun mussten. Hannes hatte das immer für ein Klischee gehalten, aber jetzt in diesem Moment musste er all seine Männlichkeit zusammennehmen, um nicht entnervt aufzuspringen, diesen frechen Bengel einzufangen und nach bester Manier seines Großvaters durchzureiben, dass er den Rest des Tages nicht mehr sitzen konnte. Stattdessen kroch er nur zu dem Jungen, der plötzlich hinter Süßback aufgetaucht war, und zischte ihn wütend an. "Charly, was zum Teufel machst du hier?"
Der Junge sah den Leutnant an, als könne ihn kein Wässerchen trüben. "Helfen. Das habe ich doch schon gesagt."
"Beim Ausladen! Aber doch nicht hier!"
Charles zuckte mit den Achseln. "Da, hier, was macht das für einen Unterschied?"
"Einen ganz gewaltigen, du Bengel!", zischte Arndt wütend. "Hier schwirren nämlich bald ein paar Kugeln rum!"
"Und? Das ist doch nichts Neues für mich."
Hannes zwang sich, die Situation logisch zu durchdenken. Sie hatten die Mi-24D im Sprung verlassen, nacheinander. Dabei musste auch Charles abgesprungen und ihnen gefolgt sein. Sie hatten einen weiten Bogen unterhalb des Hügels geschlagen, immer im Gänsemarsch, damit, falls jemand den Trampelpfad sah bevor das Gras sich wieder aufrichten konnte, man nicht erkennen konnte wie viele Menschen diesen Weg benutzt hatten. Nun befanden sie sich knapp vierhundert Meter vom Dorf entfernt in nördlicher Richtung, im Schutz eines Berghangwaldes in einer leicht erhöhten Position. Sie lagerten zur Zeit in einer Senke, während Brentwood nach Süden absicherte. Nur für den Fall, dass sie verfolgt wurden, oder einer der Milizionäre zufällig in ihre Richtung unterwegs war.
"Das ist der Plan. Brentwood, Steinard, ausschwärmen, Dorf beobachten, Personen zählen. Kein Funkkontakt. Sucht euch Beobachtungspositionen. Wo ist egal. Der Waldrand ist so breit, dass es keine beste Position gibt."
Die beiden Scharfschützen nickten.
"McDougal, Grundler, die beiden begleiten, ihre Position merken und dann zurückkehren." Hannes deutete auf die Senke, in der sie hockten. "Diese Erdspalte wird bis auf Weiteres unser Quartier sein. Hier ist unsere Basis und unser Treffpunkt. Süßback, erste Wache."
Der Infanterist nickte ernst. "Wenn feststeht, dass sie unseren Absprung nicht bemerkt haben, werdet Ihr ersetzt, Steinard, Brentwood. Wir bereiten uns dann darauf vor, bei Einbruch der Nacht tätig zu werden. Keine Sperenzchen. Klar rein und klar wieder raus."
Jannis Arndt deutete auf Charles. "Küken hüten?"
"Nein", sagte Hannes. "Er hat sich die Situation ausgesucht, also muss er auch zusehen, wie er damit klar kommt. Du bleibst hier in dieser Erdspalte, bis wir dich wieder holen, Charly, hast du das verstanden? Es wird keiner auf dich aufpassen."
"Es muss auch keiner auf mich aufpassen", murrte der Junge. "Ich kann selbst kämpfen. Gebt mir eine Waffe, und ich helfe euch."
Hannes stockte für einen Moment der Atem. Aber langsam dämmerte ihm, was mit dem Jungen los war, und wie er sich die Welt vorstellte. Langsam zog er sein Kampfmesser hervor. Das gehörte nicht zur offiziellen Ausrüstung, aber viele Infanteristen hatten eines dabei. Meistens ein KM2000. Hannes aber bevorzugte die mattierte Ka-Bar-Klinge des US Marine Corps.
"Weißt du, was das hier ist, Charly?"
"Natürlich", sagte der Junge. "Das ist ein Messer."
"Richtig. Und heute Nacht wird das unsere Hauptwaffe sein. Du hast sicher schon auf Menschen geschossen, oder?"
Der Junge zögerte einen Moment, bevor er bestätigend nickte.
"Und, warst du schon mal so nahe dran, dass du das Weiße in seinen Augen sehen konntest?"
Er zögerte erneut, dann schüttelte er den Kopf.
"Wir gehen heute so nahe an unsere Gegner heran, dass wir sie anfassen können. Und dann töten wir sie mit dem Messer. Vielleicht sehen wir ihnen dabei sogar in die Augen. Kannst du dir das vorstellen?"
Diesmal reagierte er sofort, schüttelte den Kopf.
"Hast du so was schon mal gesehen?"
"Nein, aber ich habe gesehen, wie einem lebendigen Feind die Hoden abgeschnitten wurden", sagte er in einem Tonfall, als vermute er darin eine Errungenschaft.
"Aber du kannst auf diese Weise nicht kämpfen, richtig?", hakte Hannes nach.
Wieder schüttelte er den Kopf.
"Weißt du, wenn wir die Geiseln retten sollen, wenn wir das Dorf retten sollen, müssen wir leise sein. Sehr leise. Wir dürfen erst sehr spät schießen. Am Besten überhaupt nicht. Wenn die Burschen da unten einen Schuss hören, könnte es ihnen einfallen, die Leute aus dem Dorf oder die Geiseln zu töten. Und das machen wir nur mit dem Messer. Ich nehme an, dabei kannst du uns nicht helfen, oder?"
Charles schüttelte hastig den Kopf.
"Habe ich auch nicht erwartet. Also, du bleibst hier, bis einer von uns dich holen kommt, verstanden? Bis dahin machst du keinen Mucks."
"Aber ich kann euch helfen", begehrte Charles auf. "Trotzdem, meine ich. Ich bin ein kleiner, schwarzer Junge. Keiner wird Verdacht schöpfen, wenn ich durch das Dorf laufe. Ich kann schauen, wo die Entführer ihre Leute aufgestellt haben. In welchen Hütten sie wohnen. Wie die Gefangenen bewacht sind."
Hannes dachte über diese guten Argumente nach, dann schüttelte er den Kopf. "Nein, Charly. Wir haben dir gesagt, dass du kein Soldat mehr bist. Dabei bleibt es. Du hast uns beim Ausladen geholfen, dafür danken wir dir. Aber mehr musst du nicht tun."
"Ich will aber", erwiderte er trotzig. "Außerdem werde ich sowieso wieder Soldat, wenn Ihr weggeht. Da ist es doch egal, wenn ich vorher mal das Richtige tue."
Hannes blickte den Jungen sprachlos an. "Wir nehmen dich mit", versprach er. "Rüber nach Panadia. Dort wirst du zur Schule gehen, einen Abschluss machen und einen Beruf lernen. Du musst nicht hierbleiben und wieder Soldat werden", versprach er.
"Und was ist mit den anderen? Wollt Ihr alle mitnehmen? Mit rüber über die Grenze? Oder nur ein paar?"
Das waren sehr berechtigte Fragen. Vor allem an eine Truppe, die erst gute fünf Tage im Land war, und jeden einzelnen Tag mit einem kleinen Vermögen abschloss.
Steinard hockte sich neben den Jungen und legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Nicht alle von uns werden wieder gehen. Und für die, die gehen, werden andere kommen. Ab jetzt seid Ihr nicht mehr alleine, so lange wie es in der Mine Diamanten gibt. Und das kann Jahrzehnte dauern."
"Echt? So lange? Wie geht das denn?"
Steinard lächelte eines seiner seltenen Lächeln. "Überlege doch mal. Wenn so viele Menschen rund um die Mine die ungeschliffenen Steine als Schmuck mit sich herum tragen, dann sind das nur die Steine, die ganz oben lagen. Was meinst du, wie viel mehr Steine wir finden werden, wenn wir einen oder zwei Meter tiefer gehen? Oder noch tiefer? Das wird eine sehr lange Zeit, in der die Diamanten gefördert werden."
"Wird Axel auch bleiben? Und Meike?"
"Meike wird nicht eher gehen, bevor nicht auch der letzte Mensch eine Schutzimpfung erhalten hat", stellte Helene Grundler fest. "Da können wir uns sicher sein."
Die anderen nickten unisono. Daran gab es keinen Zweifel. Und wenn sie dafür alleine im Land bleiben musste und die Impfdosen selbst von Dorf zu Dorf schleppte. Diese Frau war einfach so.
"Und Axel wird solange bleiben, wie er hier eine Aufgabe hat", sagte Süßback grinsend. "So weit habe ich ihn schon kennen gelernt. Und die Mine wird für eine lange Zeit Aufgaben bieten."
"Wirst du bleiben, Steinard?", fragte der Junge mit großen Augen.
"Ich kann euch doch nicht alle hier alleine lassen", erwiderte der Scharfschütze.
Das hatte verdammt ehrlich geklungen, fand Hannes. "Und, bist du jetzt beruhigt, Charly?"
"Ja", sagte der Junge. Auch das hatte ehrlich geklungen. Hannes fürchtete sich vor dem Tag, an dem er ihm die Frage stellen würde, ob er blieb, für eine längere Zeit oder gar für immer. Er hätte keine Antwort für Charles gehabt.
Hannes sah ins Rund. "Los jetzt. Alles auf Position. Aktionsbeginn ist halb sieben."
"Verstanden." Die Scharfschützen gingen mit ihren Spottern los, Positionen suchen. Süßback übernahm die erste Wache. Und die anderen taten das, was Soldaten immer dann taten, wenn sich ihnen die Gelegenheit dazu bot: Essen und schlafen.
Hannes sah auf seine Armbanduhr. Für eine Aktion, die aus der Not heraus geboren wurde, lief es bisher erstaunlich gut.
***
Als der Minenwolf am späten Nachmittag in Ngali einfuhr, war er sofort von vielen Menschen umringt. Axel selbst saß am Steuer, während Obermayer ihm Einweisungen gab. Sie ließen sich zu dem Feld führen, auf dem die Minen versteckt sein sollten. Hier und auf einer Wiese waren sie verteilt und zu einer Gefahr für Mensch und Tier geworden. Vor allem das wertvolle Vieh ging hier verloren.
Unter Obermayers Anweisung nahm Axel den ersten Arbeitsschritt auf. Die Menge hielt respektvollen Abstand, als der Minenwolf das erste Mal sein Schlagwerg in den Boden senkte und seine Arbeit versah. Dann gab es die erste Explosion, und die Menge hielt den Atem an. Doch der Minenwolf fuhr unbeirrt weiter.
Nun erklang lauter Jubel von den Menschen. Es folgte eine weitere Explosion, was die Menge mit einem kollektiven Jubel beantwortete. Auch die dritte Explosion, und die vierte. Und das waren nur die ersten hundert Meter auf dem Hinweg.
Ärgerlich ließ Axel den Minenwolf eine Kehre fahren. Wenn die Ndongoer so viel Geld hatten, derart viele Minen auszulegen, dann wären sie für den gleichen Gegenwert in der Lage gewesen, statt die Menschen zu unterdrücken und zu töten sie mit Sachleistungen in ihrem Sinne zu bestechen. Das Geld wäre so weit besser angelegt. Und nun ging dieses Geld in unnützen, niemanden verletzenden Explosionen in Asche auf. Und es blieb vielleicht sogar noch Buntmetall zurück, das man würde nutzen können. Axel schwor sich, jede Mine in Belongo zu entfernen, nur um die Minenleger schwarz zu ärgern.

"Und?", fragte Obermayer Meike, die mit offenem Mund neben ihm stand. "Was halten Sie von unserem Minenwolf, Frau Herryhaus?"
"Wir nehmen zehn", erwiderte sie tonlos. Es kam selten vor, dass sie beeindruckt war. Dies war einer der Moment, in dem sie es auch selbst erkannte. Was für ein Gerät. War für Möglichkeiten. Sie würden die Minenwölfe beschützen müssen wie das Basiscamp und das Hospital. Aber das würde es wert sein, wirklich wert sein. Meike spürte eine Welle der Hoffnung in sich. Ja, sie taten hier Gutes. Allerdings für die besten Bezahlung des ganzen Erdenrunds.
***
Achtzehn Uhr sechsundzwanzig Ortszeit. Die Scharfschützen waren auf ihren Positionen. Nicht auf den Besten, aber auf den Zweitbesten. Wie hieß es doch so schön in der KSK? Der beste Platz für einen Scharfschützen ist nicht nur dem Mann bekannt, der da oben auf der Lauer liegt. Also suchte man sich nie die eindeutigste Position aus. Man wich aus, suchte sich einen Fleck ein Stück davor oder darüber, einem Baum zum Beispiel. Oder eine Position, die eben nicht den guten Einblick bot. Ganz einfach deshalb, weil eine bekannte Position verwundbar machte.
Hannes ging die Fakten noch einmal durch. Sie hatten zwanzig verschiedene Männer gesehen, davon waren einige Jugendliche, siebzehn bis zwanzig Jahre alt. Zwei bewachten mit AK47 im wechselnden Turnus die amerikanischen Gefangenen. Vier patrouillierten im Ort, der Rest war auf Alarmbereitschaft.
Das Leben im Dorf war vollkommen zum Erliegen gekommen. Die Dörfler hatten Hausarrest. Die Milizionäre suchten sich willkürlich ein Haus aus, wenn sie Hunger hatten. Oder etwas anderes wollten. Während das Kommando auf der Lauer lag, war geschossen worden, und auf den Stapel Toter hatte man einen weiteren Mann gelegt. Auch war ihm von Steinard, der sich am nahesten heran geschlichen hatte, berichtet worden, dass er Frauenschreie gehört hatte, ein Hinweis auf Misshandlungen, vielleicht Vergewaltigungen.
Hannes überlegte einen Moment, ob unter ihnen auch Männer waren wie Leon, die einfach nur mitmarschierten, weil sie keine Perspektive hatten. Er neigte nicht dazu, sie wegen der Vergewaltigungen zu verurteilen, denn ihr ganzes Umfeld bestand aus Gewalt und Tod. Meistens ahmte man nach, was man schon kannte, und Belongo war die letzten zwanzig Jahre ein sehr gewalttätiges Pflaster gewesen. Aber er konnte auch keine falsche Rücksicht auf sie nehmen. Sie waren Mörder. Alleine das reichte schon aus, um erst zu schießen und dann zu fragen.
Er hatte auch nicht die Männer, um irgendwie nett vorzugehen. Wie man an dem letzten Toten sah, schwebten die Menschen im Dorf permanent in Todesgefahr, und es war seine höchste Priorität, diese Gefahr zu beenden.
Eines war klar: Sobald die Scharfschützen schossen, würde das Chaos ausbrechen, und dann würden die, die schneller waren, entscheiden was passieren würde.
Der Plan war simpel und einfach. Sie würden die Wachen ausschalten, die im Dorf patrouillierten, die Scharfschützen würden die zwei Posten bei den Geiseln töten. Dann würde alles was bewaffnet war, zu den Geiseln stürmen, und dann entschied es sich, wie gut Grundler, Süßback, McKenzie, Arndt und McDougal waren. Mit ihm sechs, die mitten im Feld standen, dann noch gegen vierzehn Gegner, eventuell mehr. An der Mine waren plötzlich Lastwagen mit Verstärkung aufgetaucht; das konnte wieder passieren. Aber dagegen gab es eine Rückversicherung.
Hannes zog sein Funkgerät und aktivierte es. Zweimal drückte er langsam die Sprechtaste. Dann lauschte er eine bange Minute. Zwei langsame Knackgeräusche erklangen. Gut, Boxie war im Spiel und hielt ihnen den Rücken frei. So gut wie er das mit einem Kampfhubschrauber konnte.
Er würde mit Grundler direkt von Norden ins Dorf schleichen. Süßback würde mit McKenzie von Westen kommen, und Arndt mit McDougal von Osten. Hannes hatte darauf verzichtet, jemanden nach Süden zu schicken. Er selbst, Grundler, McDougal und Arndt würden zwei der wandernden Posten ausschalten; anschließend würden sie die Verteidigung bei den Geiseln übernehmen, sobald die Scharfschützen loslegten. McDougal und Arndt würden eine zweite Feuerlinie eröffnen, nachdem sie ihre Ziele ausgeschaltet hatten. McKenzie und Süßbacks Primärziel war die Sicherung der Gefangenenunterkunft, zu der Grundler und er auch unterwegs sein würden, wenn alles nach Plan verlief. Das Signal dazu war die Feuereröffnung durch die Scharfschützen, sobald die Patrouillen neutralisiert waren.

Achtzehn Uhr dreißig. Hannes sah zur Seite. Grundler nickte ihm zu. Sie standen auf, blieben aber gebückt. Langsam schlichen sie durch das Gras auf die erste Hütte zu. Im Dorf brannte kein Licht, aber das Band der Milchstraße, und der Halbmond, der glücklicherweise schon am Himmel stand, boten genügend Licht, um zu erkennen, was sie taten.
Blieb nur noch ein Problem, nämlich, dass die drei Zweiergruppen nicht aufeinander schossen. Die einzige Möglichkeit einander zu identifizieren war der gemeinsame SECAM-Fleckentarn. Deshalb hatte Hannes angeordnet, dass sie nach dem letzten Schuss fünf Minuten auf ihren Positionen warteten, und dann würde er herum gehen und seine Leute suchen. Vorher war er Freiwild, und sie mussten davon ausgehen, dass noch Gegner im Dorf waren. Außerdem hatten sie abgemacht, nur auf jene zu schießen, die bewaffnet waren. Noch so ein Ding. Seine Leute waren alle mit HK33 bewaffnet, und die boten eine gute Silhouette. Diese im Dunkeln aber von den AK47 zu unterscheiden traute er ihnen in der Hitze des Gefechtes nicht zu.
Und dann gab es noch den Fall, dass etwas Unerwartetes passierte. In dem Fall würden die Scharfschützen mit ihrer Arbeit beginnen, und die Teams konnten nur hoffen, dass Steinard und Brentwood ihnen mit den Scharfschützenteleskopen gefolgt waren und ihre Positionen kannten. Für den allergrößten Notfall trug jeder blaue Leuchtstäbe bei sich. Das machte sie zu einem leichteren Ziel, aber wenigstens konnten sie Freund von Feind länger unterscheiden.
Und die Dorfbewohner? Hoffentlich blieben sie in den Häusern. Wenn nicht, dann hatten sie hoffentlich keine Waffen bei sich.

Als sie den Rand des Dorfes erreichten, war es schon achtzehn Uhr sechsunddreißig. Hannes hatte keine Zeit ausgemacht, in der sie fertig sein mussten, aber es gab eine klare Absprache, dass jeweils nur ein Team die Patrouillen erledigte. Wer zuerst sein Ziel erreichte, würde zuschlagen. Vorschussrecht, hatte Steinard das spöttisch genannt. In ihrem Fall eher ein Vorstichrecht.
Von Grundler sah er nur das Weiße in ihren Augen. Sie nickte ihm zu, die Pistole im Schnellziehholster, die HK33 schussbereit, aber gesichert in der Rechten.
Er spähte um die Hausecke. Bei den Geiseln war alles ruhig. Sie waren etwa zwanzig Meter von ihnen entfernt. Ein weiteres Haus verdeckte es fast zur Hälfte. Er sah sich weiter suchend um und entdeckte die Patrouille. Die beiden Milizionäre unterhielten sich, nicht gerade laut, aber laut genug. Das kam ihm sehr zupass. Als er sah, dass sie in den dünn besiedelten Bereich im Westen gehen wollten, zog er sich unauffällig wieder zurück. Langsam, wohlgemerkt. Einen huschenden Schemen sah man im Augenwinkel, nicht aber etwas, was langsam davon glitt.
Er hob für Grundler zwei Finger. Sie nickte und hängte sich ihr HK33 am Riemen um den Rücken. Hannes verfuhr mit seinem HK33 ebenso. Sie schlichen um das Haus herum, kamen langsam in den Rücken der beiden Wachen, die sich immer noch unterhielten, und für ihre Umgebung kein Interesse zu haben schienen. Helene und er waren nur noch zwei Meter hinter ihnen, die Messer gezückt. Eine Hand auf den Mund, ein Stich in den Hals, beide Schlagadern auftrennen. Eine schnelle Sache, und in ein paar Sekunden war die Blutversorgung für das Gehirn dahin und das sterbende Opfer wehrlos. So war der Plan. Leider lief es nicht nach Plan. Ausgerechnet in diesem Moment öffnete sich die Tür einer Hütte, und ein junges Mädchen spähte heraus. Als sie die beiden Männer bemerkte, quiekte sie entsetzt auf und zog sich wieder zurück.
Die beiden reagierten darauf und gingen auf die Hütte zu. Es war immerhin Hausarrest für das Dorf, und das Mädchen war jung gewesen. Lachend bollerten sie gegen die Tür. Sie bekamen eine Antwort, die keiner erwartet hatte. Die Tür wurde auf Brusthöhe in zwei Teile gespalten, als eine Ladung Schrot durchkam. Einer der Männer wurde voll getroffen, der andere nur zum Teil und zur Seite geschleudert.
Hannes lief schon, bevor er merkte, was er tat.
Die Tür öffnete sich erneut, und das Mädchen wollte hinaus huschen. Ein alter, weißhaariger Mann mit einer doppelläufigen Schrotflinte sah sich mit dem drohenden Lauf voran böse um. Den zweiten Mann, den er nicht gut genug getroffen hatte, sah er gar nicht. Erst als Hannes heran war und ihm die AK47 aus der Hand kickte, bemerkte er ihn. Erstaunt tauschte der Alte mit ihm einen Blick. Hannes sah nur kurz zurück, während er dem Entführer seitlich in den Hals stach.
Grundler tat das Gleiche mit dem zweiten Mann, aber wohl eher aus humanitären Gründen, denn der Mann lebte zwar noch, aber er hatte nicht mehr alle notwendigen Organe, die Leben versprachen.
Hannes kam wieder hoch, gab der AK47 einen Tritt, der sie weit davon schleuderte, und drückte den Lauf der Schrotflinte hoch.
Hatten Steinard und Brentwood schon die Wachen ausgeschaltet, die die Geiseln bewachten? Wenn, hatte er es nicht gehört. Und das war schlecht. Er drückte den Mann wieder in die Hütte hinein und gab ihm zu verstehen, dass er still sein sollte. Grundler drängte das Mädchen wieder hinein. Durch die offene Tür konnten sie noch mehr Menschen erkennen, die sich angstvoll in der Hütte drängten.
Hannes fiel nichts Klügeres ein, als das Wagonda-Wort für Polizei zu sagen. Eine Art erlöstes Aufraunen ging durch die Menschen.
Er bedeutete ihnen, sich hinzulegen, in Sicherheit vor Querschlägern. Dann entfachte er sein blaues Feuer und hängte es sich in den Gürtel. Grundler tat es ihm nach.

Grundler ging ein paar Schritte vor, die HK33 nun im Anschlag, Hannes nestelte an seiner, während er ihr folgte. Für einen Moment wollten seine Finger nicht so wie er wollte. Das war so einer dieser Momente, wo alles schief ging, was schief gehen konnte. Und der Beweis folgte auf dem Fuß, als eine Hüttentür aufflog, und ein halbnackter Mann mit schussbereitem Gewehr heraus stürmte. Er rannte in Hannes hinein, aber wohl mehr aus Zufall. Der Deutsche blieb stehen, sein Gegner nicht. Hannes zog die P8 aus dem Schnellziehholster, entsicherte und gab einen Schuss in den Kopf und einen in die Brust ab. Dann, die Waffe im Anschlag, sicherte er nach rechts, Grundler nach links. Ziel war immer noch die Hütte mit den Geiseln. Verdammt, da hatte der alte Mann es gut gemeint und wollte ein paar Mädchen aus dem Dorf schleusen, und dann hatte er es im ungünstigsten Moment getan.
Jemand rannte vor ihm mit einem Gewehr in der Hand vorbei. Hannes schoss ohne zu denken zwei Schüsse ab, die ihn zu Boden warfen. Dann trat er über den Mann und gab einen weiteren Schuss in den Kopf ab. Grundler schoss mit Einzelfeuer. Irgendwo im Dorf knatterte die Mehrfeuersalve einer AK47, und Hannes konnte nur hoffen, dass keiner seiner Leute verletzt wurde. Oder gar getötet.
Einzelschüsse klangen auf. Das hörte sich ganz nach den Scharfschützen an. Sie griffen aktiv in die Kämpfe ein. Sehr gut. Aber waren die Wachen bei den Geiseln schon ausgeschaltet?
Grundler und er gingen Rücken an Rücken weiter durch das Dorf. Er deckte hinten und rechts ab, sie vorne und links. Wieder bellte ihr Gewehr im Einzelfeuer auf. Drei Schüsse. Hannes ließ sich nicht ablenken, vertraute auf ihre Ausbildung als Fallschirmjägerin. Schuss und Schlag hörte und fühlte er gleichzeitig wie einen schmerzhaften Fausthieb auf der Brust. Hannes fand den Schützen und feuerte eine Serie von fünf Schüssen auf ihn ab. Der Mann warf sein Gewehr fort und lief davon. Anfänger. Schossen immer erst auf den Torso, statt auf die Beine oder den Kopf.
Ein Schuss bellte zu ihm herüber, kurz nachdem der Fliehende von den Beinen gerissen wurde, und wie eine Gliederpuppe verrenkt zu Boden stürzte. Nur kein falsches Mitleid, mahnte sich Hannes.
Priorität waren die Geiseln, die Geiseln!

Am anderen Ende des Dorfes, fast im Süden, sah er zwei weitere blaue Lichter. Auch von dort bellten Schüsse auf. Egal, er konnte ihnen nicht helfen. Er musste zu den Geiseln.
Sie wechselten die Schussrichtung, und Hannes tauschte das Magazin gegen ein volles aus. Nun sicherte er nach vorne und Grundler nach hinten. So bewegten sie sich auf die Hütte zu, in der die Geiseln festgehalten wurden. Sie hörten die ersten vertrauten Schüsse aus den HK33 ungefähr aus dieser Ecke zu ihnen herüber schallen. Gut. McKenzie und Süßback hatten ihre Position also erreicht. Er ließ anhalten. Grundlers Waffe bellte erneut, diesmal nur zwei Schuss. Sie hielt, ihren Rücken an seinen gepresst.
Hannes spähte um die Ecke. Zwei Milizionäre lagen am Boden, bewegungslos, mit verrenkten Gliedern. Die Arbeit der Sniper. Daneben kniete ein Mann, aus einer P8 feuern. McKenzie.
Hannes hörte HK33-Feuer von der Rückseite. Da musste Süßback in Stellung gegangen sein.
Sie mussten rüber und die Abwehr verstärken. Er hörte McKenzie auf Englisch in die Hütte hinein rufen. Die Geiseln waren in Aufruhr. Schlecht, in dieser Situation sehr schlecht.
Ein Mann lief an ihnen vorbei, im Laufen aus seiner AK47 grob in McKenzies Richtung feuernd. Hannes zögerte nicht, riss den Mann mit einem Treffer von den Beinen und setze auf Distanz einen Fangschuss in den Kopf hinterher. "Wir kommen rein!", rief er auf Deutsch herüber.
McKenzie hob sein blaues Licht an zum Zeichen, das er verstanden hatte.
"Wenn wir da sind, gehst du zu Süßback rüber. Ich helfe McKenzie an der Vordertür."
"Verstanden", erwiderte Grundler. Ihre Stimme klang aufgeregt, aber nicht panisch.
Sie setzten ihren Weg fort. Hannes sicherte wieder nach vorne. Trotzdem sah er den Mann, der zwischen zwei Hütten, eine Machete in der Hand, auf ihn zugestürmt kam, beinahe zu spät. Ein Schuss riss in von den Beinen. Aus der Position konnte ihn nur Steinard abgefeuert haben. Hannes setzte ohne zu zögern einen Schuss in den Kopf nach, und weigerte sich daran zu denken, dass der Mann womöglich gar kein Entführer war. Er wäre nicht der erste Dorfbewohner gewesen, der sich in dieser Nacht gewehrt hätte. Auf jeden Fall hatte Steinard einen gut bei ihm.
An der Hütte teilten sie sich auf. "Gerd, ich helfe dir", zischte Grundler.
"Ah, endlich weibliche Gesellschaft", kam die schnippische Antwort. "Wir haben hier schon drei erwischt. Ohne die beiden Wachen."
"Redet nicht soviel, achtet auf Gegner!", mahnte Hannes, während er sich neben McKenzie hinhockte. Endlich konnte er die P8 wegstecken und die HK33 vom Rücken nehmen. "Wir haben unsere Wachen ausgeschaltet, aber ein Dorfbewohner mit Schrotflinte ist uns dazwischen gekommen", erklärte er.
Fragende Stimmen klangen aus dem Inneren der Hütte. "Machen Sie sich keine Sorgen! Wir sind ein Rettungsteam! Wir befreien Sie! Bleiben Sie auf dem Boden und warten Sie, bis wir Sie holen!", sagte Hannes hastig auf Englisch. Nichts hätte schlimmer sein können als das die Geiseln plötzlich auf der Straße herum liefen. Und das, wo er doch selbst maximal zwölf Tote verifiziert hatte. Keine Ahnung, wie viele Arndt und McDougal schon erwischt hatten. So oder so liefen noch genügend herum.
Hannes hoffte, er würde sie auch alle wieder nach Hause bringen können.

McKenzies P8 bellte auf, und jemand entließ einen unterdrückten Schrei. Danach polterte irgendetwas neben ihnen zu Boden. "GRANATE!", blaffte McKenzie.
Hannes reagierte sofort. Die Granate irgendwo ins Dorf zu werfen verbot sich von selbst. Es gab nur eine Lösung, und die war ihm eingebläut worden, seit er Offizier geworden war. Er trug eine schusssichere Weste. Sie würde nicht viel helfen, aber zumindest ein wenig. Aber auch ohne war es seine Pflicht als Vorgesetzter dieser Leute, sich auf die Granate zu werfen und die Explosion mit seinem Leib abzufangen. Er sprang und landete auf dem eiförmigen Ding.
Hannes hatte sich immer gefragt, ob er wirklich die Kraft aufbringen würde, wenn er mal in dieser Situation stecken würde. Nun hatte er die Antwort. Er brauchte gar keine Kraft. Seine Reflexe hatten die Aufgabe von selbst übernommen. Er ballte die Hände zu Fäusten und wartete auf die Explosion, die ihn töten würde.

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7.
Auf der Belongo Base de l'Air herrschte wie immer Hochbetrieb. Das großzügig abgesperrte Areal, bewacht von Stacheldraht, Minenfeldern, Wachtürmen, Patrouillen mit Hunden sowie einem ganzen Regiment, war an diesem Abend in Aufruhr. Zumindest das Büro von Général de Brigade Olivier Mulanga, aber dafür auch richtig.
Grund für die Aufregung war Captain Jason Scott, das Musterbeispiel eines US-amerikanischen Elite-Soldaten. Er war Kommandeur einer Kompanie Army Rangers, die von den Amis in die Base de l'Air eingeflogen worden war, kaum dass die Geschichte mit der Entführung einer Gruppe der Organisation Ärzte ohne Angst in Burutu die Runde gemacht hatte.
Der gute Mann war ziemlich jung, und dazu auch noch sehr ehrgeizig. Und seine größte Angst war, dass man ihn ablösen und ihn und seine Leute gegen Delta Force oder Navy Seals autauschte.
Deshalb war er mehr als nervös, und seine Leute waren es auch. Sie machten Sport, reinigten ihre Waffen, kontrollierten ihre Ausrüstung und waren eigentlich ständig auf dem Sprung, bereit sich von Hubschraubern so nahe wie möglich ans Zielgebiet bringen zu lassen. Und dann wollten sie Amerikaner retten. Die ehrenvollste Aufgabe, die sie überhaupt vollbringen konnten. Und die wollte sich Scott nicht wegnehmen lassen. Alleine schon nicht, weil es einen Schub für seine Karriere bedeutete. Abgesehen davon, dass er seine Leute in Gefahr bringen musste, um diese leichtsinnigen Idioten zu retten, die zwar schlau genug waren, ihr Lager in Burutu aufzuschlagen, aber dann so dumm waren, nicht weit genug entfernt von Belongo zu bleiben.
Der gewaltsame Übergriff mit Dutzenden Toten, gefolgt von der Entführung von dreizehn Personen, ausländischen Ärzten und Pflegepersonal, war das absehbare Ergebnis. Aber wozu war die Army da, wenn nicht um diesen Fehler wieder zu korrigieren und die Sache zu richten?
Das Problem war, dass er nicht hatte loslegen können. Das ndongoische Militär hatte nichts dagegen, den amerikanischen Elite-Soldaten die Rettung der Ärzte zu überlassen, aber die Army Ranger hatten keinerlei Ortskenntnisse, Satelliten nützten bei der Suche nach einer kleinen Menschengruppe, die zu Fuß durch den Dschungel flüchteten eher wenig, und die einzigen Soldaten mit Ortskenntnissen waren die Ndongoianer.
Also mussten sie warten, bis das lückenhafte Netzwerk des Général die Vermissten wiederfand. Aber dann würden sie ihre Hubschrauber besteigen, und den Rebellen zeigen, was passierte, wenn man Amerikaner entführte.
Immerhin hatte er aufs richtige Pferd gesetzt, als er seine Leute nicht nach Burutu, sondern gleich nach Belongo geschafft hatte.

"Nun setzen Sie sich doch erst einmal", mahnte der Ndongoische Offizier. "Es wird schon nichts ohne Sie und Ihre Leute passieren, Captain."
"Sie haben gut reden. Amerikaner wurden entführt! Und dazu Bürger befreundeter Nationen!" Scott ballte die Hände zu Fäusten. "Was für eine Gelegenheit, um meinen Jungs und Mädels die Praxis näher zu bringen."
"Ich kann Ihnen nur versichern, dass meine Informanten mit Hochdruck arbeiten, um Ihre Landsleute zu finden. Aber Sie müssen verstehen, dass sich kein Uniformierter ungefährdet da draußen jenseits des Zauns bewegen kann. Das ganze Land ist rebellisch, und eine Uniform ist für dieses Wadonga-Pack nur eine bessere Zielscheibe. Zudem verzeichnen wir ungewöhnliche Abwanderungen in Nord-Belongo ohne ersichtlichen Grund. Das erschwert uns die Suche enorm. Aber, wie gesagt, wir sind dran."
"Wie, Ihre Uniformen sind Zielscheiben? Warum fahren Sie nicht da raus und räumen mit dem Rebellenpack ein für allemal auf?"
"Oh ja, Ihr Amerikaner könnt das besonders gut", murmelte der Général zu sich selbst. Lauter sagte er: "Wie ich schon sagte, das ganze Land ist rebellisch. Jeder schießt auf jeden, die Ortschaften bekriegen sich untereinander, aber im Kampf gegen meine Leute sind sie sich wieder einig. Dazu kommt noch, dass sich die Rebellen selten als Kombattanten ausweisen. Sie greifen einfach zu einer Waffe und schießen auf uns. Und die, die wirklich in Uniform herum laufen, sind entweder Mietsöldner eines Kriegsherrn, den wir über Geld und Nachschub kontrollieren, oder sie verschwinden einfach in diesem unübersichtlichen Land. Sie müssen verstehen, hier ist nicht Kansas. Wir haben auf dem Hochplateau ein welliges Urwaldgebiet mit üppigem Baumbewuchs, und zum Fluss im Osten hin schließen sich große Savannen an, die kaum besiedelt sind. Die Menschen leben aber hier, zwischen den Hügeln."
Scott stutzte. "Sehe ich das richtig? Sehen Sie jeden Menschen hier in Belongo als potentiellen Rebellen an?"
"Und ich habe Recht damit, Captain."
"Alle? Männer, Frauen, Kinder?"
"Das Verhältnis zur Zentralregierung ist stark vergiftet. Es gibt kein Vertrauen in uns. Wir können nicht viel mehr machen als unsere Position zu halten und den Flughafen zu verteidigen."
"Und die Raffinerie", stellte Scott fest.
"Ja, und die Raffinerie und das Ölfeld. Der einzige Grund, warum wir hier noch eine Präsenz aufrecht erhalten. Wir verteidigen die ndongoischen Rohstoffe gegen die Rebellen, einerseits um sie dem aufrechten Volk zugute kommen zu lassen, andererseits um zu verhindern, dass die Rebellen sich mit Hilfe des Öls refinanzieren und ihren Wahnsinn über Belongo hinaus verbreiten."
"So kann man es natürlich auch sehen", flüsterte Scott. Lauter sagte er: "Also sitzen Sie hier mitten im Wespennest, und der einzige Kontakt zur Umgebung erfolgt durch die Luft."
"Wir unterhalten motorisierte Patrouillen, die dafür sorgen, dass die Menschen in der direkten Umgebung nicht übermütig werden", sagte Mulanga. "Nicht, dass es viele Menschen in der direkten Umgebung gibt. Wir haben einen mehrere Kilometer breiten Sicherheitsperimeter."
"Also haben Sie bis auf die Nutten aus der Region keinen Kontakt zu den Leuten hier, Ihre Spione mal außen vor gelassen."
"Sagen Sie das nicht so verächtlich. Meine Männer riskieren ihre Leben, um Ihre Landsleute zu finden. Und die Frauen sind allesamt freiwillig hier, um meinen hart arbeitenden Soldaten ihre gerechtfertigte Entspannung zukommen zu lassen. Wir sind kein Fort nach US-Vorbild, in das wir unsere Familien nachziehen können, um hier zu siedeln. Wir sind immer auf dem Sprung, wir sind ständig von einem Kampf bedroht. Zivilisten würden hier nur stören."
"Ihre Zivilisten, meinen Sie."
"Natürlich." Der Général grinste jovial.
"Wann also meinen Sie, bringen Ihre Spione ein brauchbares Ergebnis?"
"Morgen, vielleicht übermorgen. Einer von ihnen folgt der Spur der Verwüstung, die die Rebellen von Burutu aus quer durch Belongo ziehen. Mit ein wenig Glück sind es die Gesuchten, und sie haben die Entführten noch im Schlepp. Ab diesem Moment überlasse ich die Sache gerne Ihnen."
"Danke", sagte Scott. "Für beides. Im voraus."

Das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte. "Ja?", fragte der Général barsch. "Oh, Monsieur Red. Was kann ich für Sie tun? Der Kontakt zur Mine ist abgebrochen? Ja, das ist ein Problem. Hören Sie, im Moment kann ich keine Kräfte freimachen, die nach dem Rechten sehen. Ich habe eine Kompanie der Army Ranger hier, wegen Ihrer entführten Landsleute aus Burutu. Das hat im Moment Priorität. Wie? Nein. Ich denke, morgen, spätestens übermorgen haben wir da ein Ergebnis. Ja, danach steht es gleich auf der Aufgabenliste. Danke. Danke. Einen schönen Abend noch."
Fragend hob Scott die Augenbrauen.
"Das war Monsieur Red, amerikanischer Geschäftsmann und Verbindungsmann zum Roxxon-Konzern, mit dessen Kooperation wir das Öl fördern und raffinieren", informierte er den Captain. "Sie unterhalten eine Versuchsmine, in der goldhaltiges Gestein gefördert werden soll. Soll, wohlgemerkt. Und das in ständiger Gefahr, von Rebellen entdeckt zu werden. Jetzt ist anscheinend etwas passiert, und wir sollen raus fliegen und nachsehen, was genau."
"Hm", machte der Captain. "Amerikanische Geschäftsinteressen also."
"So kann man das sagen. Da es sich aber noch um Erkundungen handelt, also die Mine noch nicht existiert, hat Roxxon mit einer örtlichen Fraktion einen Sondervertrag zum Schutz der Arbeiten abgeschlossen. Eine riskante Sache, aber soweit ich weiß, haben sie auch nur einen Spezialisten vor Ort. Das Risiko ist also überschaubar, und wenn es sich lohnt, kann die Operation jederzeit ausgeweitet werden."
"Vielleicht können meine Leute Ihnen zur Hand gehen, nachdem wir die Entführten gerettet haben."
"Danke, ich werde darauf zurück kommen", sagte der Général.
"Also können wir immer noch nur warten", murmelte Scott.
"Hören Sie, Captain, ich kenne Ihre Sorgen und weiß Ihr Verantwortungsbewusstsein zu schätzen. Aber ich verspreche Ihnen, Sie sofort zu informieren, wenn mir nur der kleinste Hinweis gegeben wird. Bis dahin aber habe ich noch ein ganzes Camp zu leiten."
Scott blieb stehen. "Sie werfen mich aus Ihrem Büro", stellte er fest.
"Ich würde es vielleicht nicht so drastisch ausdrücken. Sagen wir, auf- und ablaufen können Sie überall auf dieser Basis. Es muss nicht unbedingt hier sein."
Für einen Moment wirkte Scott verlegen. "Ja, natürlich, Sir. Ich bin bei meinen Leuten. Entschuldigen Sie mich, Général Mulanga."
Der europäisch-stämmige Amerikaner salutierte und verließ das Büro.
Mulanga starrte noch einen Moment lang auf die Tür, bevor er sich kopfschüttelnd wieder an die Arbeit machte. Den Arbeitseifer und die Karrieregeilheit von Scott in allen Ehren - aber es würde in diesem von Gott verlassenem Land schon niemand schneller sein als der Captain und seine Kompanie Army Ranger. Wer hatte hier schon ein Interesse daran, ein paar westliche Geiseln zu retten?
Mulanga widmete sich wieder seinen Alltagspflichten, die sich dank des Captains bei ihm aufgetürmt hatten. Sein Blick ging zur Wanduhr. Viertel vor sieben. An normalen Tagen hätte er um diese Uhrzeit schon gegessen.
***
Nervös marschierte Axel Herwig im Container, der ihnen als Büro diente, auf und ab.
Niklas, der die Macken seines Halbbruders nur zu gut kannte, ignorierte ihn so gut er konnte.
Anders Bernd, der kurz davor stand, den Chef tätlich anzugreifen. Als Waffen standen ihm die Feinwaage, sein Laptop, die Lupe und ein Tacker zur Verfügung.
Kram verfolgte die Szene mit unbewegter Miene. Auch er machte sich Sorgen um Malickes Einsatzteam, aber bei niemandem war es so offensichtlich wie bei Axel Herwig.
"Ich habe nachgedacht", verkündete dieser plötzlich und blieb stehen. "Bernd, wie weit bist du mit deinen Neuanwerbungen?"
"Wie bitte? Ich weiß davon doch erst seit heute Nachmittag! Erwartest du etwa Wunder von mir?"
"Ja", erwiderte Axel trocken.
"Fünfzehn bisher. Ein paar Piloten und Mechaniker, die ich kenne, haben Interesse signalisiert, und mein alter Hauptfeldwebel, der inzwischen in Pension ist, hat eine lange Liste mit Ehemaligen, die Geld gut gebrauchen können. Außerdem habe ich die anderen Kids mal gefragt, und Cordoba hat mir seinen halben E-Mail-Verteiler gegeben. Panzerfahrer, Pioniere, Fallschirmspringer... Sieht so aus, als wäre er ein regulärer Teilnehmer am Nimwegen-Marsch, und hätte aus dieser Zeit einige Kontakte."
Aus dem Mund von Bernd, dem laufenden Faktotum, der jeden und alles kannte, war das ein Riesenkompliment. Er war sehr stolz auf sein Netzwerk aus Soldaten und Ehemaligen, beinahe arrogant. Wenn er sich dazu durchrang, ein ähnliches Netzwerk zu loben, musste er beeindruckt sein.
"Wie viele und wie schnell also?"
"Langsam, langsam. Bei allen, die an dieser Aktion teilnehmen, bin ich mir zu einhundert Prozent sicher, wie sie ticken. Und ich traue jedem auf meiner provisorischen Namensgeberliste einiges zu, was Menschenverstand angeht. Aber ich will es nicht verhehlen, bisher haben wir ein Riesenglück gehabt. Leutner mal ausgenommen, aber der stammte ja auch nicht von meiner Liste."
"Mal so ganz aus Interesse gefragt: Wer hat den Leutner denn vorgeschlagen?", fragte Niklas bedächtig und taxierte seinen Bruder.
"Oh, den hat Thomas mitgebracht. Deshalb dachte ich eigentlich, er wäre in Ordnung."
Erstaunt sah Niklas von Axel zu Bernd herüber. "Thomas? Was? Wieso? Oh, ich verstehe... Dieser alte gerissene Hund."
"Ach, bist du auch schon drauf gekommen?", meinte Axel amüsiert. "Er kam mir gleich so merkwürdig vor beim Waffentraining. Man sollte annehmen, jeder der in seinem Leben mal ein G3 auseinander genommen hat, sollte mit einem HK33 keine großen Probleme haben. Aber Leutner mussten wir ja quasi alles beibringen."
Verlegen nickte Niklas. "Er hatte aber auch eine gute Ausrede. Ehemaliger Versorger, und so."
Axel nickte. "Beim Schießen habe ich es dann gemerkt. Schlechte Haltung, aber er lernte schnell. Was für ein Schauspieler, habe ich gedacht. Es scheint, mit diesem Gedanken habe ich noch untertrieben, was?"
"Jungs, können wir wieder zum Thema zurückkommen?", mahnte Bernd.
"Gut. Wie viel hast du, Onkel Assay?"
"Dreiundfünfzig, die ich kontaktiert habe, und weitere zweihundertneun auf der erweiterten Liste. Wenn alles so läuft wie ich das denke, können wir uns auf ein Bataillon vergrößern. Das müssen wir sogar, wenn ich daran denke, dass wir alleine für die Nachschubroute, also für den Nachschub in Panadia mindestens noch zwanzig Leute brauchen werden. Und wenn wir den Nachschub effektiv hierher bringen wollen, brauchen wir ein Flugzeug. Und das bedeutet einen Flugplatz. Das Geröll haben wir schon, und festfahren können wir ihn auch mit Hilfe der Baumaschinen. Zumindest weit genug, damit ein Flugzeug nahezu ungefährdet landen kann. Seit die Bundeswehr die gute alte Transall gegen den A400 ausgetauscht hat, kriegt man die in Afrika für ein Taschengeld. Sie schafft sechzehn Tonnen. Das wäre für die Bauvorhaben in der Gegend genau das Richtige. Was wir da an Gerät herbei schaffen können."
"Zum Beispiel hätten wir die Minenwölfe nicht zerlegen müssen. Und einen großen Minenwolf hätten wir damit auch transportieren können", sagte Axel nachdenklich. "Aber erstmal eine Landebahn haben, ganz zu schweigen von einer Transall." Er sah seinen Bruder an. "Fünfzig Leute mehr?"
"Logistisch gesehen sind auch zweihundert mehr kein Problem. Und wir haben mittlerweile so viele untaxierte Diamanten, dass hier jeder mit einem sechsstelligen - ach was, mit einem siebenstelligen Bonus nach Hause gehen wird. Außerdem können wir über den Daumen dreißig Millionen Euro in dieses Land investieren, ohne die Geräte zu rechnen, die noch angeschafft werden müssen."
"Ich fasse also zusammen. Wir haben die Diamanten gefunden, wir haben Kontakt zur Bevölkerung - einen weit besseren und friedlicheren Kontakt als ich je erwartet habe - wir sind rechtlich abgesichert, aber es ist abzusehen, dass wir zu wenige sind. Verluste noch nicht einmal einkalkuliert", setzte Axel seinen Gedanken fort. "Aber wenn wir hier wirklich einhundert oder mehr werden, fangen unsere Sorgen erst richtig an. Die Begrenzung auf einen Monat können wir dann sowieso knicken. Allerdings werden wir keine Probleme haben, Ersatzleute für all jene zu kriegen, die nach einem Monat die Schnauze voll haben."
"Du willst also tatsächlich länger hier bleiben, Bruderherz."
Axel grinste schief. "Das hatte ich eigentlich von vorne herein vor, wenn wir etwas finden. Meike hat vollkommen Recht, jemand muss etwas für dieses Land tun. Und da Geld nicht nur die Welt regiert, sondern auch Waren beschafft, müssen wir erst Geld machen, wenn wir es ausgeben wollen."
"Was in einem ausreichenden Maße geschieht", meldete sich Oberfeldwebel Kram zu Wort. Er nickte in Richtung von Bernds Schreibtisch, auf dem ein Haufen potentieller Rohdiamanten lag.
"Also vergrößern", stellte Niklas fest. "Und verlängern. Wie lange?"
"So lange du willst. Aber wir sollten mindestens einen Monat dran hängen. Alleine schon um die Infrastruktur anzuschieben. Zuerst brauchen wir die Landebahn. Dann kriegen wir auch die Baumaschinen ran, mit denen die Pioniere zwischen den Dörfern weitere Straßen ziehen können, von den Materialien ganz zu schweigen. Und dann ziehen wir aus der Region raus eine Straße bis runter nach Panadia, damit der Nachschub auch auf dem Landweg rollen kann. Wenn wir das geschafft haben, dann..."
"Erklären wir Belongo für unabhängig, vernichten die Base de l'Air und vertreiben die dortige Garnison, bauen eine eigene Armee auf, stellen den Frieden wieder her, etablieren eine neue Verwaltung, bauen die Distrikthauptstadt wieder auf und führen Belongo zu Frieden, Wachstum und Wohlstand", schloss Niklas. "Das dürften in etwa deine Pläne sein, Axel."
"Vielleicht hast du ein klein wenig zu hoch gegriffen, kleiner Bruder", erwiderte er trocken.
"Bei dir weiß man nie. Niemals nie."
Die Brüder warfen einander amüsierte Blicke zu.
"Für den Anfang reicht mir die Landebahn. Mit der können wir Baumaschinen und Baumaterial im großen Stil einfliegen. Die erste Landebahn muss nur eine Landung aushalten, die der ersten Transall, die uns die Maschinen bringt, mit der wir die Landebahn teeren, asphaltieren oder splitten können. Wie viel Landebahn benötigt eine Transall, Bernd?"
"Sagen wir rund fünfhundert Meter. Zweihundert Meter mehr für den Start."
Axel kratzte sich am Kopf. "Wenn wir tausend Meter machen, könnten sogar russische Antonov-Transporter starten und landen, richtig?"
"Für die lege lieber noch mal einhundert drauf", meinte Bernd bissig. "Abgesehen davon, dass die Dinger in der Unterhaltung verdammt teuer sind. Und man riskiert sie nicht in Krisengebieten. Vor allem nicht in Krisengebieten, in denen unsere Hubschrauber für erheblichen Luftverkehr gesorgt haben."
"Fliegt die Transall nicht höher als unsere Hubschrauber?", fragte Axel.
"Unsere Hubschrauber fliegen auf Wipfelhöhe, weil sie wendig sind und somit vom Boden aus ein schlechtes Ziel bieten. Sie können aber auch auf Höhe der Transall mitfliegen. Die wird für so kurze Strecken von Panadia nach Belongo auch nicht gerade in der Stratosphäre fliegen. Vielleicht in zwei, drei Kilometern Höhe. Ist ja nur ein Hüpfer für die. Von der Höchstgeschwindigkeit nehmen sie sich nichts mit unseren Mi-24. Sie ist aber ein besserer Transporter als die Helis. Alleine schon wegen dem Rolldeck. Und sie fliegt ökonomischer. Weniger Spritverbrauch. Wir müssen also weniger Diesel herschaffen."
"Ja, dann kriege mal hier Transall-Flugzeuge", sagte Niklas.
"Kein Problem. Aber ich brauche mindestens drei Tage für die erste Maschine, und eine Woche für jede weitere."
"Gut, ist das auch geklärt. Sobald das Grabensystem steht, bauen wir eine Landebahn von siebenhundert Metern Länge", sagte Axel, "fliegen mit einer Transall Straßenbaugerät ein und produzieren damit eine längere und stabilere Landebahn. Sobald das Ding dann befahrbar ist, können wir die Hubschrauber entlasten und die Flugstunden reduzieren. Ich fühle mich eh wohler, wenn wir hier permanent zwei Mi-24 an der Mine haben."
Er sah zu Kram herüber. "Was denken Sie darüber, Offizier zu werden, Oberfeld?"
"Was, bitte?" Der ehemalige Bundeswehrsoldat zwinkerte verblüfft.
"Ich dachte, wenn wir uns vergrößern, dann sollten wir vor allem eine klare Infrastruktur schaffen. Die aus unseren bewährten Leuten besteht, die bereits hier vor Ort sind und Erfahrungen gesammelt haben. Militärische Strukturen bieten sich da an, oder?"
"Zweifellos."
"Ich denke mir das so, dass Niklas einen Majorsrang annehmen sollte, als militärischer Leiter. Boxie und Hannes sollten Hauptmann werden, als Teileinheitsbereichsleiter. Und Ihr Ressort dürfte dann endgültig die Pioniertruppe werden, die demnächst einiges zu tun kriegt. Ich würde Ihnen auch die Minenwölfe unterordnen. Sie würden die Verbringung und die Arbeitseinsätze koordinieren, sowie die angelernten zivilen Arbeiter. Damit haben Sie fast das größte Teilkommando, Oberfeld. Und da ich Ihnen ungern einen Leutnant oder Oberleutnant, oder letztendlich einen Hauptmann vor die Nase setzen will, frage ich Sie: Wollen Sie Offizier werden? Und nur damit Sie es wissen: Eine Solderhöhung ist damit nicht verbunden."
Kram legte den Kopf schräg. "Im Anbetracht der Tatsache, dass es kein international anerkanntes Offizierspatent ist und nur für die Einheit gilt, welche die Mine verteidigt, nehme ich dieses Angebot an, Chef."
"Gut, wir werden sehen, wie groß Ihr Teilbereich werden wird, und ob wir Sie zum Oberleutnant, oder besser gleich ebenfalls zum Hauptmann befördern. Hähnisch bleibt Ihre Stellvertreterin und bleibt eine Rangstufe unter Ihnen."
"Keine Einwände, Chef."
"Des weiteren sollten wir darüber nachdenken, einige der Leute zu befördern, auch weil das heißt, dass sie von einem Anteil auf zwei hoch rutschen. Das sollte ein ordentlicher Ansporn für die Leute sein."
"Gut. Ich werde es Boxie und Hannes ausrichten, damit sie sich Gedanken darüber machen, wer Beförderung verdient hat", sagte Niklas. Er sah auf seine Armbanduhr. "Apropos Hannes. Müsste es nicht längst angefangen haben? Müsste es nicht längst vorbei sein?"
"Lenk nicht von den Prostituierten ab", mahnte Axel.
"Von den... Was?"
Axel lächelte zu seinem Bruder herüber. "Hallo? Wir sind hier ein Haufen Männer und nur eine Handvoll Frauen."
"Das Verhältnis beträgt drei zu eins Komma vier, Chef", warf Kram ein.
"Das ist richtig. Aber denkst du nicht, die können ihre Triebe mal für einen Monat... Ach ja."
"Genau. Wenn wir uns hier fest einrichten, dann bedeutet das, dass wir uns auch darum kümmern müssen. Oder denkst du, unsere Mädchen erklären sich bereit, mit jedem zu schlafen, bei dem Not am Mann ist?", fragte Axel nur leidlich amüsiert.
"Man sollte echte Altruisten nicht unterschätzen", sagte Niklas. "Außerdem hast du den Umkehrschluss unterschlagen. Was tun wir für unsere Mädchen? Wenn es sie juckt, aber kein Mann hier im Lager ihren Gusto trifft? Willst du für sie ein paar Callboys einfliegen lassen?"
"Du, das ist überhaupt der springende Punkt. Einfliegen oder ausfliegen? Ehrlich gesagt würde ich es überhaupt nicht gut finden, wenn unsere Leute in den umliegenden Dörfern ihre One Night Stands suchen und womöglich auch noch finden. Ich weiß, wir sind keine marodierende und vergewaltigende Truppe, und wir tun eine Menge für die Menschen hier. Zumindest haben wir das vor. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie ihre Leben fortan hier in diesen doch recht primitiven Dörfern verbringen wollen. Und ich möchte mich nicht mit der Thematik eines sitzen gelassenen Mädchens herumschlagen müssen."
"Ach so, verstehe. Du denkst, irgendeiner unserer Sonnyboys bumst sich mal dank seines Retter-Habitus, der von dir auf ihn abfärbt, durch ein paar Dörfer, und dann, wenn was unterwegs ist, macht er den Abgang nach good old Germany, natürlich ohne die Ladies, die er beglückt hat", vervollständigte Bernd.
Axel nickte. "So in etwa. Also, im Angesicht der Tatsache, dass Meike entweder hier im Camp ist, oder drüben in Ngali in ihrem Hospital, schlage ich vor, dass wir den Leuten ab sofort im Turnus alle sieben Tage einen Tag Fronturlaub spendieren, drüben in Panadia. Honiton dürfte dafür groß genug sein. Und an Geld wird es ihnen auch nicht mangeln."
"Oh ja", sagte Niklas, "Meike ist ein gutes Argument. Stell dir vor, wir hätten ein paar Vertreterinnen und Vertreter des horizontalen Gewerbes eingeflogen. Das erste, was sie gemacht hätte, wäre, sie über ihre Menschenrechte aufzuklären, sie zu organisieren, sie tariflich zu überarbeiten, ein Preis-Leistungs-Diagramm aufzubauen... Oder, wenn sie keinen Bock auf so viel Arbeit hat, die Leute so lange zu bequatschen, bis sie in den Streik gehen."
"Ja, das fasst alle meine Gedanken zum Thema Meike recht treffend zusammen. Sind alle damit einverstanden, unsere Leute im Turnus Urlaub in Honiton machen zu lassen?"
Die Anwesenden nickten einer nach dem anderen.
"Dann werden wir das also nächste Woche so einführen. Und was die Leute dann in Honiton drüben in Panadia machen, ist dann vollkommen ihr Ding. Thomas wird dafür sorgen, dass sie anteilig Geld in die Hand kriegen, um sich zu amüsieren, oder, wenn sie ausscheiden wollen, ausgezahlt werden."
"Brüderchen", sagte Niklas grinsend und wedelte mit dem Zettel, den er beim Abendappell vorgelesen hatte, "jeder, der die aktuellen Zahlen gehört hat, wird einen Teufel tun und ausscheiden."
"Gutes Argument", sagte Bernd. "Auch wenn diese hohen Summen auf Kosten von Neuanschaffungen gehen. Wir... Hey, was guckt Ihr mich so merkwürdig an? Ich bin nicht wegen dem Geld hier. Ich bin hier, weil ich endlich das technische Gerät in Aktion sehen kann, von dem ich meistens nur Videos, Baupläne und Fotos kenne. Und wenn wir gerade beim Thema sind, ich kann aus Cape State unten an der Südspitze Afrikas ein paar alte russische BTR bekommen. Die haben zwar nur MG's als Bewaffnung, aber sie sind schnell und gut gepanzert. Und wenn hier wirklich die Transall durchzwitschern, können wir sie auch transportieren."
Niklas lachte. "Definiere ein paar."
"Zwei. Vielleicht fünf. Aber da verhandle ich noch. Gibst du mir grünes Licht, kann ich sie nach Panadia schaffen lassen. Wenn wir dann wirklich die Transall hier landen lassen können, sind die ruckzuck hier. Mit dem Allrad-Antrieb sind die Dinger geradezu geschaffen für das Gelände hier."
"Ich schaue mir das nachher mal an. Und dann entscheiden wir", sagte Axel. "Es kann durchaus sein, dass wir für kampfstärkeres Gerät noch dankbar sein werden."

"Sir? Ich weiß, Sie sind in einer Besprechung, aber es ist wichtig." In der Tür stand Cordoba, sichtlich abgehetzt.
"Was gibt es denn, José?"
"An der Südauffahrt ist ein Jeep mit einem Lastwagen angekommen. Sie haben außerhalb unserer Schussweite gehalten und ein einzelner Mann ist bis auf Rufweite an uns heran getreten. Er nannte sich Ldunga Abesimi und hat verlangt, mit den Boss zu sprechen."
Die Herwig-Brüder wechselten einen überraschten Blick.
"Ldunga. Ist das nicht der Warlord, der sich Leon herangezogen hat?", fragte Axel überrascht.
"Und der für den Schutz dieser Mine Leute bereit gestellt hatte", ergänzte Niklas. "Willst du, oder soll ich?"
"Ich will, dass du dir ein HK33 schnappst und dich in einen Graben hockst, jederzeit bereit, meinen Arsch zu retten. Abgesehen davon sind sie wohl in den Gräben im Süden ohnehin leicht aufgeschreckt."
"Wir sind in Alarmbereitschaft und haben die Waffen im Anschlag", erklärte Cordoba atemlos.
"Warum haben Sie den Funk nicht benutzt?", fragte Niklas.
"Habe ich versucht. Aber irgendwie sind Sie nicht auf der Campfrequenz, Sir", erwiderte Cordoba mit leisem Vorwurf in der Stimme.
Die Männer der Führungsriege sahen einander überrascht an. Axel kontrollierte seines. "Auf die Frequenz von Boxie eingestellt."
"Meins auch", gestand Niklas.
"Meins ist aus", sagte Bernd.
Sie sahen zu Kram herüber. Der nickte knapp. "Boxies Frequenz."
"Mist. Nächstes Mal sollten wir dafür sorgen, dass einer auf der Camp-Frequenz bleibt. So ein dummer Anfängerfehler." Axel griff nach seinem Dschungelhut und setzte ihn auf. "Na dann, bringen Sie mich zu unserem Gast. Eier hat er ja schon mal, wenn er bis an unsere Haustür kommt. Alarm für das ganze Grabensystem, sowohl am Boden als auch auf dem Hügel."
"Verstanden, Chef."
Niklas schnappte sich seine HK33. "Ich bleibe außer Sicht, aber immer in deiner Nähe. Falls du so dumme Sachen machst, wie Ldunga zum Abendbrot einzuladen, oder so."
"Ich verlasse mich voll und ganz auf dich, Bruderherz", erwiderte Axel grimmig. Also, wenn das nicht interessant werden würde, was dann?
***
"Sind Sie der Boss hier?", rief der Mann, der sich Ldunga nannte, durch die Finsternis herüber. Er wurde von den Scheinwerfern von Jeep und Laster angestrahlt und konnte daher auch den einzelnen Mann erkennen, der auf der Zufahrt stand. Die getarnten Männer und Frauen im Graben links und rechts davon konnte er nicht sehen, nur vermuten, das sie da waren. Im Angesicht der Länge des Systems der Gräben wurde sich Axel nur zu bewusst, wie dringend sie Verstärkung brauchten.
"Ja!", rief er zurück. "Ich bin Axel Herwig, operierender Direktor der Mine! Was wollen Sie?"
"Ich will meine Mine zurück!", rief Ldunga.
"Das ist nicht Ihre Mine! Es ist meine Mine!"
Langsam kam der Mann näher. "Sie haben sich die Mine mit Gewalt genommen! Das kann ich auch! Ich bin aber kein Freund von unnötigem Blutvergießen! Deshalb will ich Ihnen eine Chance geben, die Sache friedlich zu regeln."
Kurz ging Axels Blick in Richtung Waldrand. Es war dunkel, aber die Lichter des Camps erschufen ein Dämmerlicht. Augen, an diese Dunkelheit gewöhnt, würden damit jeden erkennen, der aus dem Wald gestürmt kam und das Camp berennen wollte. Anders sah es mit Kommandos aus, die sich heran robbten. Zu schade, dass ausgerechnet an diesem Abend keiner der Mil Mi-24 im Camp stand. Ihre Wärmesensoren hätten jeden Angreifer im Wald erkannt.
"Das ist nahe genug", sagte Axel, als Ldunga nur noch ein Dutzend Meter vor ihm stand.
"Ich verfüge über dreihundert Speere. Mir ergebene, gut ausgerüstete Soldaten. Und ich habe Kontakte zur Ndongoischen Armee. Nur damit Sie eine Ahnung haben, mit wem Sie sich hier anlegen."
"Und nur, damit Sie eine Ahnung haben, mit wem Sie sich anlegen: Ich habe dieses Minengelände im Ministerium für Landwirtschaft, Industrie und Bergbau gepachtet! Vollkommen legal im Einklang mit Ndongoischen Gesetzen! Sie können sich sicherlich denken, wie verwundert ich war, als hier bereits illegal geschürft wurde. Im Ministerium wusste jedenfalls niemand von der Anwesenheit Ihrer Leute, also nehme ich nicht an, dass sie legal war. Davon abgesehen hätten sie meine Leute nicht angreifen dürfen. Dadurch blieb mir nichts anderes als das Gelände zu nehmen."
"Das ist so typisch für einen Weißen."
Axel grinste. "Ich habe mir sagen lassen, auch für Schwarze sei das mehr als üblich. Sie gewinnen nicht gerade einen Beliebtheitswettbewerb in Belongo, Ldunga Abesimi. Und fremdes Eigentum ist auch nicht unbedingt das, was Sie zu respektieren gelernt haben."
"Hier gilt das Recht des Stärkeren", sagte der Warlord.
"Nun, ich bin der Stärkere. Und ich habe das Ministerium auf meiner Seite."
"Kann ich diese Papiere sehen?"
Axel nickte. "Natürlich. Kommen Sie allein und geben Sie Ihre Waffen ab. Dann zeige ich Ihnen alles."
Ldunga nickte als Zeichen, das er verstanden hatte und trat näher. Er schaute nicht nach links oder rechts, als er auf Axels Höhe kam, obwohl hier die Gräben verliefen, die nur eine schmale Durchfahrt ließen.
"Hände hoch", kommandierte Axel. Der Warlord tat wie ihm geheißen und ließ sich abtasten. Axel fand eine Pistole und ein Stiefelmesser, die er beide auf den Boden legte. Ihm war gerade nicht danach, die geringe Chance zu vergeben, dass Ldunga die Gräben nicht entdeckt hatte.
"Folgen Sie mir in mein Büro."

Er ging voran, und Abesimi folgte ihm. Sein Blick schweifte aufmerksam durch das Camp, besah sich die neuen Zelte auf der Grünfläche und sah zu den Baracken herüber. Dort schauten einige schwarze Gesichter hervor. Aufgeregt nannten sie seinen Namen.
Ldunga hielt an. "Meine Männer", stellte er fest.
"Meine Arbeiter. Menschen aus der Region und ehemalige Gefangene", sagte Axel. "Kommen Sie. Sie wollten meine Unterlagen sehen."
Sie passierten das Hospitalzelt, das zweitgrößte Zelt der kleinen Stadt, dann waren sie auf dem Schotter. Sie gingen direkt auf den Container zu.
"Mein Container", stellte Ldunga fest.
Da hatte er einen unwiderlegbaren Punkt. "Ich werde Sie angemessen für das, was wir von Ihnen übernommen haben, entlohnen, obwohl ich es nicht müsste", versetzte Axel bissig. Sie traten ein ins Licht des Containers und Axel bedeutete dem Mann, sich am Schreibtisch gegenüber von Bernd zu setzen, bevor er an seinen eigenen ging.
Als er wiederkam, sah er Abesimi das erste Mal bei voller Beleuchtung. Der Mann war hager und recht groß, nur durchschnittlich muskulös. Er trug einen mehrere Zentimeter starken Afro und einen sorgsam gestutzten Vollbart. Das Gesicht war ernst und ein wenig hart. Beinahe erinnerte es ihn an eine Nebenrolle aus Kojak, der alten Krimi-Serie.
"Hier, bitte", sagte Axel und reichte dem Kriegsherrn Kopien der Dokumente.

Ldunga las einige Zeit schweigend eines nach dem anderen durch, bevor er schließlich nickte. "Ja, Ihre Unterlagen sind echt." Er sah Axel an. "Und? Waren Sie erfolgreich, wo ich keinen Erfolg hatte? Haben Sie Gold gefunden?"
Bernd lachte leise, bis Axel ihm einen bissigen Blick zuwarf. "Sagen wir, es lohnt sich."
Der Warlord sah auf. "Ihnen gehören die Kampfhubschrauber, die mein Gebiet überfliegen, richtig?"
Axel nickte. Warum abstreiten?
"Das sind gefährliche Waffen", stellte Ldunga Abesimi fest. "Ich habe nicht vor, gegen sie anzutreten. Mir sind meine Speere lieb und teuer. Ich brauche sie noch, um mein Volk zu beschützen."
"Eine merkwürdige Ansicht für jemanden, der seine Leute die örtlichen Männer versklaven lässt, damit sie unter primitiven Bedingungen in dieser Mine buddeln, um an Blausäurevergiftung zu sterben."
"Es sind Wagonda", sagte Ldunga, als würde das alles erklären, "keine Lulugengo."
"Und sie haben Frauen aus den umliegenden Ortschaften vergewaltigt", fügte Axel ernst hinzu.
"Es sind düstere Zeiten. Jeder muss sehen wo er bleibt. Und die Wagonda-Frauen dürfen sich glücklich schätzen, wenn sie das Kind eines Lulugengo austragen dürfen." Ldunga hob eine Hand, als Axel aufbrausen wollte. "Bedenken Sie, bei all Ihrer Macht, bei all Ihrem Geld, dies hier ist Belongo, nicht Europa, und nicht die USA. Hier gelten andere Regeln. Und diese Regeln macht der Stärkste. Nein, ich bin nicht der Stärkste. Das ist der Militärposten der Ndongoischen Armee. Er hat zwanzig Jahre damit zugebracht, dieses Land zu ruinieren, und er hält Männer wie mich als Vasallen, um das Chaos zu erhalten. Im Gegenzug wird mir erlaubt, meinen Leuten Land zu geben, und sie mit meinen Männern zu beschützen." Ldunga seufzte. "Das auch nur, weil die gleichen Ndongoischen Soldaten auf der anderen Seite des Flusses andere Warlords dafür bezahlen, dass sie mein Volk im Chaos halten. Ist das fair? Sicher nicht. Aber wir leben."
"Mich interessieren Ihre Erklärungen reichlich wenig. Und Ihre dreihundert Speere interessieren mich erst recht nicht. Ich brauche nur meine Hubschrauber schicken, und Ihre Basis war einmal."
"Dessen bin ich mir bewusst. Es liegt mir fern, Sie provozieren zu wollen. Ich sage nur, dass ich nichts davon habe, mit Ihnen zu kämpfen. Und Sie sind in der vorteilhaften Lage, dass die Base de l'Air nicht gegen Sie vorgehen kann, weil Sie im Recht sind. Ich habe vor, solange wie es Sie und Ihre Leute gibt, ein guter Nachbar zu sein. Aber man fängt nicht besonders gut an, wenn man den Nachbarn bestiehlt, sobald man angekommen ist."
"Reichen fünftausend US-Dollar für den Container?", fragte Axel trocken.
"Sie reichen. Und ich will meine Männer mitnehmen."
Axel wechselte einen knappen Blick mit Bernd. "Sie werden nicht mitgehen."
"Es ist kein Zeichen von guter Nachbarschaft, wenn Sie das tun, was Sie meinen Männern vorgeworfen haben."
"Sie werden nicht mitgehen. Aber Sie dürfen sie fragen." Axel nahm die Kopien wieder an sich. "Gehen wir hin."

Sie verließen den Container wieder und gingen auf die Baracken zu, die den Arbeitern als Unterkünfte dienten. Ldunga sah sich aufmerksam um. "Leon. Schnapp deine Brüder und komm. Wir gehen nach Hause."
Der Angesprochene sah Ldunga aus großen Augen an. Für den Moment schien es, als wolle er, aus dem Reflex heraus, gehorchen. Dann aber machte er einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf. "Nein."
"Leon! Wir gehen!"
"Nein! Ich bleibe hier. Das ist ein viel besserer Ort", sagte er beharrlich und wandte sich ab.
Ldunga sah einen nach dem anderen an, und keiner schien sich ihm anschließen zu wollen.
"Wie ich schon sagte, sie werden nicht mitgehen. Sie verdienen hier sehr viel Geld, und das Essen ist sehr gut", sagte Axel.
"Sie werden mich auch für meine Männer kompensieren. Eintausend US-Dollar für jeden von ihnen. Die Toten und die Lebendigen. Was wurde aus dem weißen Ingenieur?"
"Er steht in Panadia für etliche Verbrechen vor Gericht."
"Sie haben ihn ausgeliefert", stellte Ldunga fest.
"Ja. Und man hat ihn uns in Panadia aus der Hand gerissen."
"Er hatte es wahrscheinlich verdient." Ldunga schien kurz nachzudenken. "Für das von Ihnen vernichtete Gerät berechne ich Ihnen auch etwas."
"Schreiben Sie mir eine Gesamtrechnung. Ich komme vorbei und begleiche sie auf Heller und Pfennig."
Ldunga sah ihn an. "Sind Sie interessiert an Getreide und Gemüse? Wie sieht es mit Vieh aus?"
"Wie, bitte?"
"Ich sagte es schon, ich habe für mein Volk Land erobert und beschütze es. Wir bauen Nahrung an und züchten Vieh. In Ruhe und in Frieden, solange wie es dauert. Sie haben Geld und viele Münder zu stopfen. Ich verkaufe Ihnen meine Waren."
Axel zögerte. Der Mann kam ihm immer mehr wie ein Geschäftsmann vor. Vielleicht war Bürgerkrieg in diesem Teil der Welt ja ein Geschäft. Ein verdammenswertes Geschäft. "Ich bin interessiert. Sowohl an Ihren Nahrungsmitteln, als auch an guter Nachbarschaft."
"Wie groß ist das Revier, das Sie beanspruchen?"
"Die Wagonda-Dörfer in unserer Nachbarschaft von hier bis Burutu, und alle Dörfer anderer Völker, die dazwischen liegen."
"Ich werde den anderen Warlords zu verstehen geben, das ein größerer Löwe in der Savanne ist. Kommen Sie morgen in mein Haus, und dann reden wir über Preise und darüber, wie wir gute Nachbarn sein können. Aber die Amerikaner, die diese Mine gewollt haben, werden nicht glücklich sein."
"Sie werden damit leben müssen, oder darum kämpfen."
"Sie werden kämpfen", sagte Ldunga ernst. "Aber Sie werden zurückschlagen, Axel Herwig. Sie sind ein Krieger."
"Na, da sollten Sie erstmal meinen Bruder sehen", sagte Axel scherzhaft. "Ich werde morgen zu Ihnen kommen."
Ldunga Abesimi nickte und hielt dem Deutschen die Hand hin. Der ergriff sie und drückte sie fest.
Ldunga drehte sich um und ging. Als er seine Waffen wieder aufsammelte, sagte er: "Noch etwas, Axel Herwig. Ihre Route führt nahe an Keounda City vorbei, der alten Hauptstadt Belongos. Meiden Sie ihren Luftraum. Etwas Böses lebt dort und verschlingt Menschen."
Ldunga winkte ein letztes Mal, dann ging er zu seinem Jeep zurück.

Neben Axel raschelte es, und sein Bruder stand auf. Wie er es geschafft hatte, sich so schnell zu tarnen, dass man ihm im Gras nicht mehr entdecken konnte, war Axel schleierhaft.
"Wie seid Ihr verblieben?"
"Ich besuche ihn morgen und kompensiere ihn für seine Verluste. Danach treten wir in den Handel ein. Das erspart uns einiges an Weg. Zumindest für einen Teil der Waren."
Niklas grinste schmallippig. "Das mit dem "Im Ort kaufen" hast du irgendwie missverstanden, Axel."
Der ältere Herwig klopfte dem Bruder auf die Schulter. "Wir werden sehen, was dabei rauskommt. Er ist ein gewalttätiger Mann, aber dies ist ein gewalttätiges Land. Wir werden sehen, ob wir gute Nachbarn sein können. Aber wenn alles gut läuft, ist er unsere Südgrenze. Mir macht nur der Konzern Sorgen, der hier illegal graben ließ. Die Hochindustrie nimmt Niederlagen in der Regel nicht so gut hin."
"Wir werden sehen, ob sie noch eine illegale Operation riskieren und sich eine blutige Nase holen wollen", sagte Niklas. Vor ihnen wendeten beide Fahrzeuge und fuhren wieder davon. "Übrigens, Bernds Timing hätte nicht besser sein können. Ich habe da die Scheiß Ahnung, dass wir ab sofort eine Menge Verstärkungen brauchen werden."
Axel nickte. "Lass uns zurückgehen und darauf warten, dass uns Boxie etwas über die Befreiungsaktion berichtet. Ich bin gespannt, wie sich unser KSK-Mann mit seiner Hauruck-Aktion gemacht hat."
"Komme." Niklas folgte seinem Bruder. Eigentlich brauchte er sich keine Sorgen zu machen, oder? Immerhin standen gut ausgebildete Soldaten und zwei Scharfschützen gegen einen Haufen untrainierter Milizionäre, die bestenfalls wussten, wie sie ihre Waffe halten mussten. Nichts, womit Hannes nicht fertig wurde. Warum aber lag ihm dann der Gedanke wie ein Stein im Magen? Weil immer irgendwas passierte, was nicht passieren sollte. So sah es aus.
***
Im trüben Licht der Lampen, die zwischen den Hütten hingen, saß George McKenzie vor der Hütte der Geiseln und hielt den leblosen Körper von Hannes Malicke umklammert, als wäre er am Ertrinken. Süßback und Grundler standen daneben, unfähig, etwas zu sagen. Wie hatte das passieren können? War das überhaupt möglich? Und warum ausgerechnet hier und jetzt? Helene Grundler schämte sich sofort für diese Gedanken, aber sie waren nun einmal da.
Als McKenzie zu schluchzen begann, wurde es Hannes zu viel. "Hör endlich auf. Ich weiß ja, dass du erleichtert bist, aber das ist mir peinlich."
"A-aber... Als die Handgranate angeflogen kam, und als du dich drauf gestürzt hast..." Er schniefte lautstark. "Da habe ich gedacht, das war es jetzt mit dir! Und ich habe gedacht, dass du wegen mir stirbst, und..." Erneut zeigte sich der Afroamerikaner von seiner emotionalen Seite.
"Lassen Sie mich durch! Ich bin Arzt!", rief der erste Mann, der die Hütte verließ.
"Keine Sorge, Doc, mein Untergebener hat nur einen hysterischen Anfall", beruhigte Malicke den Mann.
"Aber was ist mit der Handgranate?"
"Ist nicht explodiert", sagte der Leutnant salopp, aber wer genau hinsah, erkannte den Schweiß, der dick auf seiner Stirn stand, die bleiche Gesichtshaut und das Zittern seiner Hände. "Sicherung war nicht abgezogen. George hat den Werfer erwischt, bevor er sie abziehen konnte. Ich habe dann einfach nur reagiert. Aber so nach zwanzig Sekunden dämmerte mir, dass es das wohl gewesen sein könnte. Allerdings hatte ich mehr an einen Blindgänger gedacht. George, nun lass mich doch endlich wieder los!"
"LT!", hörte er eine aufgeregte Frauenstimme. Nun umklammerte ihn auch McDougal. "Geht es dir gut? Hast du dir was getan?"
"Glück hat er gehabt, der glückliche Bastard! Hat sich auf eine Handgranate geworfen, die nicht hoch gegangen ist", schniefte McKenzie.
"Leute, das ist kein militärisches Verhalten!", mahnte Malicke und versuchte die Umarmungen aufzubrechen.
"Nun gebt dem Leutnant doch mal etwas Luft!", sagte Süßback laut. "Wir haben uns alle Sorgen gemacht!" Er reichte Malicke die Hand zum Aufstehen.
"Disziplin jetzt!", sagte der Leutnant streng, als er wieder stand. "Wir sind hier noch nicht fertig. Angel, wie sieht es im Süden aus?"
"Denke, wir haben alle erwischt", sagte die Frau und wischte sich eine Träne aus dem rechten Augenwinkel.
"Gerd?"
"Ich denke schon, dass das alles war. Schau mal, da kommt Steinard."
Der Scharfschütze kam zu ihnen herüber, Charles im Schlepp. "Keine Aktivitäten mehr. Ich denke, das war es. Wenn hier noch Rebellen sind, dann liegen sie verletzt und wehrlos am Boden."
Irgendwo in der Dunkelheit klang ein gemarteter Schrei auf, gefolgt von einem Schuss. "Und die werden auch nicht mehr lange leben, nachdem was sie hier mit den Dorfbewohnern angestellt haben", fügte Steinard hinzu.
Hinter ihm kam nun auch Brentwood aus der Dunkelheit. Aus der Geiselhütte traten weitere ausländische Ärzte und Pfleger.
"Was geht hier überhaupt vor? Und wo ist Doktor Kensington? Wer sind Sie überhaupt?", fragte der erste Arzt, der die Hütte verlassen hatten.
"Was hier vorgeht? Nachdem wir die Leichen gesehen haben, habe ich entschieden, das wir nicht darauf warten können, dass wir Sie freikaufen können. Stattdessen habe ich den Angriff befohlen. Wo Doktor Kensington ist? In unserem Lager unter der medizinischen Betreuung unseres Chefarztes. Wer wir sind? Werksschutz der First Diamond Mining Company Belongo. Wir arbeiten in der Nachbarschaft. Ihre Geiselnehmer haben uns angefunkt und ein Lösegeld für Sie ausgehandelt."
"Und dann haben Sie angegriffen?", rief eine Frau entrüstet. "Ich meine, Sie sind doch nur Werksschutz!"
Hinter ihnen schoss eine Schrotflinte. Die Frau zuckte zusammen. "Können Sie nichts dagegen tun?"
"Tut mir leid, Ma'am. Es ist leicht, gegen zwanzig Bewaffnete vorzugehen. Aber ein ganzes Dorf mache ich mir nicht zum Feind."
"Sich zu wehren hätte ihnen auch früher einfallen können", versetzte die Frau ungnädig.
"Sie hätten sich auch wehren können", widersprach Süßback.
"Wir? Aber wir waren Gefangene!"
"Das Dorf war auch gefangen", sagte Süßback ernst.
Das machte die Ärztin sprachlos.
Malicke wandte sich dem ersten Mann zu. "Ihr Name, Sir?"
"Doktor Elias Cormick, vom Los Angeles Central."
"Sir, ich nehme an, Sie sind der Anführer Ihrer Gruppe. Ich möchte Sie bitten, hier zu bleiben und zu warten, während ich mit der Dorfführung spreche. Es könnte sein, dass Ihre Dienste gebraucht werden. Es wird bald ein Hubschrauber eintreffen, der medizinische Ausrüstung an Bord hat. Sollten Sie und Ihre Leute nicht gebraucht werden, fliegen wir mit dem Hubschrauber in unsere Basis, wo wir Ihnen die Gelegenheit geben werden, sich zu waschen und die Kleidung zu wechseln. Anschließend werden unsere Ärzte Sie medizinisch untersuchen."
"Und was geschieht dann mit uns?", wollte eine weitere junge Frau wissen. "Grossman, Halle, Ärztin am Chicago Saint George."
"Wir werden Sie nach Panadia ausfliegen und dort den Botschaftern Ihrer Länder übergeben."
Das ließ die ehemaligen Gefangenen erfreut aufraunen. "Entschuldigen Sie mich jetzt bitte. Ich muss klären, ob die Situation auch für uns potentiell gefährlich wird."
Das war eine Frage, die zu Recht gestellt werden musste. Die Rebellen hatten im Dorf ziemlich gewütet. Nun konnten sich die Dorfbewohner rächen, selbst wenn ihre Peiniger schon tot waren. In einer derart aufgeheizten Stimmung konnten selbst die Retter zu Feinden werden. Es bedurfte nur eines einzigen Funken.
Kurz zog Malicke McKenzie zur Seite. "George, ich wage es noch nicht, Boxie zu rufen. Sollte es abzusehen sein, dass das nicht gut für mich ausgeht, schnapp dir alle und renn mit ihnen in den Wald. Dann ruft Boxie und versucht hier raus zu kommen."
"Und was ist mit dir?"
"Keine Sorge, ein Schritt von mir, und ich bin in den Schatten." Malicke klopfte dem Soldaten aufmunternd auf die Schulter. Dann ging er los.

Je weiter er kam, desto mehr Gesichter sah er. Angespannte, erschrockene Gesichter. Es waren, so wirkte es zumindest, fast alle Dorfbewohner auf den Straßen. Lebende Rebellen sah er keine, dafür aber viele Menschen mit verheulten Augen. Dies war ein gewalttätiges Land.
Die Stimmung war jedenfalls aggressiv. Und die Blicke wurden auch nicht netter.
"Das ist er!", rief eine alte Männerstimme auf Französisch. "Das ist der Polizist, der uns alle gerettet hat!" Das war der Alte aus der Hütte, der mit der Schrotflinte, der selbst hatte ein paar Mädchen retten wollen. Hannes erkannte ihn sofort wieder.
Abermals schlug die Stimmung um. Die misstrauischen Blicke verschwanden und machten Freude Platz. Bevor er sich versah, war er eingekreist. Dutzende Hände streckten sich ihm entgegen. Dann setzte der rhythmische, mitreißende Freudengesang ein, den er zwar schon auf Aufnahmen gehört hatte, aber noch nie erlebt. Verblüfft sah Malicke in die Menge. Angst brauchte er vor diesen Menschen wohl nicht haben. Entkommen konnte er ihnen aber auch nicht.
"Braucht jemand Hilfe?", fragte er über den Gesang hinweg. "Braucht jemand einen Arzt?"
Der alte Mann sah zu ihm herüber. Er schien eine besondere Autorität zu sein. Vielleicht war er auch einfach nur die letzte Autorität, die übrig geblieben war. "Ja, wir brauchen Ärzte!", rief er über den Gesang hinweg.
"Gut! Ruhe, bitte! Leute, hört mir zu!"
Der Gesang wurde leiser. "Ich rufe jetzt einen Hubschrauber! Nicht erschrecken! Es ist der, der uns heute Nachmittag gebracht hat! Er bringt Medizin!"
"Medizin? Keine Ärzte?", fragte der Alte.
"Die Gefangenen sind Ärzte", erklärte Hannes.
"Ärzte? Werden sie uns helfen?"
"Deshalb sind sie Ärzte geworden", versprach Hannes, auch wenn er sich damit weit aus dem Fenster lehnte. Andererseits hatte er schon zwei definitiv tödliche Situationen überlebt. Die Handgranate und den düsteren Mob der Dorfbewohner. Wenn die Ärzte ohne Angst ablehnten, den Menschen hier zu helfen, konnte es unmöglich annähernd so ernst werden. Und auf einen Hattrick hatte er nicht unbedingt Lust.
Er zog sein Funkgerät. "Die Lage ist klar. Ich wiederhole, die Lage ist klar. George, bring die Ärzte bitte tiefer ins Dorf. Boxie, du kannst auf der Wiese landen, auf der du uns abgesetzt hast. Wir brauchen medizinische Vorräte."
"McKenzie hier. Verstanden."
"Boxie hier. Als wenn ich das geahnt hätte. GAZ drei Minuten."
Hannes atmete tief ein und wieder aus. Anscheinend lebte er noch. Kein schlechtes Gefühl.

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8.
Kram empfing die zurückkehrenden Herwig-Brüder mit einem seiner seltenen Lächeln. "Hannes hat sich gerade gemeldet. Die Aktion ist glatt gegangen, keine Verluste bei uns oder den Geiseln. Allerdings hat die Miliz erschreckend unter den Dorfbewohnern gewütet. Sie bleiben über Nacht, und unterstützen die Ärzte dabei, die Verletzten zu versorgen. Sie werden am Morgen zu uns kommen, falls sich ihre Arbeit nicht hinzieht."
Erleichtert sahen sich Axel und Niklas an. "Dann haben wir ja schon zwei Hitzköpfe im Team, die ihre Impulsivität überleben können", scherzte Axel.
"Sich gefangen nehmen lassen und durch halb Belongo treiben lassen ist nicht impulsiv", verteidigte sich der jüngere Bruder. Er wandte sich Kram zu. "Was wurde noch gemeldet?"
"Keine Überlebenden bei der Miliz. Alle, die verwundet wurden, als das Team das Dorf genommen hat, wurden anschließend vom wütenden Mob der Dorfbewohner getötet."
"Eieieieiei. Sollten wir die Leute nicht besser sofort von Boxie ausfliegen lassen?", fragte Niklas bestürzt.
"Die Situation ist stabil. Hannes und sein Team werden als Retter gefeiert. Und da die Ärzte ohne Angst zugestimmt haben, mit den Versorgungsgütern, die Boxie mitgenommen hat, die Verletzten zu versorgen, wurden auch sie gut aufgenommen. Es fehlt nicht viel vom Umkehrschluss, dass die Geiseln an dem ganzen Elend schuld sein müssen, also bin ich ganz froh, dass die Menschen in Brekk nicht zu diesem falschen Schluss gekommen sind."
"Also morgen früh." Axel klopfte seinem Bruder auf die Schulter. "Du nimmst sie in Empfang. Ich fliege morgen mit dem ersten Hubschrauber und ein paar unserer Leute zu Ldunga raus und sehe mir an, was er uns anzubieten hat."
"Wenn du ihm seine Ausfälle ersetzt, bezahle ihn bloß nicht mit Diamanten", mahnte Niklas scherzhaft.
"Vielleicht können wir ihn in Vieh bezahlen. Das ist doch eine gute hiesige Währung, oder?", sinnierte der ältere Bruder. "Wird bestimmt eine schwierige Sache, sie ohne Straßenverkehr hier her zu bekommen, und die Hubschrauberbesatzungen werden fluchen wie die Mistkutscher, wenn sie die Kuhfladen aus dem Ladebereich kratzen müssen, aber ich denke, es wird sich lohnen."
"Darauf habe ich immer gewartet", sagte Bernd sarkastisch. "Axel Herwig, der Herrscher über die Ndongoischen Rinder." Er warf einen Blick auf die Uhr. "Neun gleich durch. Ich weiß nicht wie Ihr das seht, aber ich esse jetzt was und gehe dann schlafen. Morgen ist auch noch ein Tag. Das solltet Ihr auch tun. Und du, Axel, solltest unbedingt noch mal bei Doktor Kensington rein schauen."
"Hm. Macht sich bestimmt ganz gut, wenn ich ihr die gute Nachricht gleich bringe."
"Ja, das auch", erwiderte Bernd. Er gähnte herzhaft und verließ seinen Schreibtisch. "Überbackene Nudeln, ich bin auf dem Weg."
Sein Magen knurrte wie ein wildes Raubtier, als er die beiden Männer passierte. Das erinnerte die Brüder daran, das sie selbst noch nicht zu Abend gegessen hatte. Axel schon seit dem Frühstück nicht mehr.
"Eine gute Idee", sagte Niklas. "Warte, ich komm mit, Bernd."
"Gehen Sie nur", sagte Kram zu Axel. "Ich schließe hinter mir ab."
"Danke, Spieß. Oder soll ich sagen, Herr Hauptmann?"
"Wenn Sie dumme Witze reißen, überlege ich mir das vielleicht noch mal mit der Beförderung", drohte Kram gespielt.
Abwehrend hob Axel die Hände. "Kommt nicht wieder vor. Versprochen."
Er nickte dem frisch beförderten Pionier noch einmal zu. "Guten Abend dann, Herr Hauptmann."
"Guten Abend, Herr Kommandant."
"Jetzt reißen Sie die Witze", beschwerte sich Axel grinsend und verließ den Container.
Kram lächelte. "Wir werden sehen, Axel. Wir werden sehen."

Sich auf eine gute Mahlzeit freuend und beflügelt von den guten Nachrichten eilte Axel gleich zum Lazarettzelt weiter. Er betrat den Innenraum und fand den Behandlungsbereich zugezogen. Er ahnte aber die beiden Frauen, deren Silhouetten durch eine günstig stehende Lampe ansatzweise im Zeltstoff zu sehen waren. "Ist es genehm?", fragte er laut.
Die beiden Frauen hörten auf zu wispern. Meikes Stimme klang auf. "Kannst ruhig reinkommen. Wir haben die Untersuchungen bereits beendet."
Erleichtert trat Axel ein. Kensington sah gut aus, in neuer Kleidung und nach einer Dusche. Die Untersuchung schien auch gut verlaufen zu sein. "Kein Trauma? Keine verdrängte Erinnerungen?", fragte er argwöhnisch.
"Die Untersuchung ist negativ verlaufen", sagte Meike in beruhigendem Tonfall.
"Also doch?", fragte Axel bestürzt. "Doktor Kensington, das, was Ihnen widerfahren ist, ist so unglaublich widerwärtig und..."
Die beiden Medizinerinnen sahen sich verblüfft an, bevor sie zu lachen begannen.
"Axel ist kein Mediziner, Sie müssen entschuldigen, Frau Kollegin", sagte die junge Herryhaus mit Lachtränen in den Augen.
"Verstehe. Herr Herwig, die Untersuchung erfolgte mit dem Vorsatz, eine Vergewaltigung festzustellen. Dafür aber gab es keine Anzeichen. Also ist sie negativ verlaufen. Was wiederum heißt, dass ich nicht vergewaltigt wurde, und es auch nicht verdrängt habe."
"Uff. Da bin ich aber froh. Entschuldigen Sie, das ich mich in Ihrem Jargon nicht so gut auskenne. Das ist ja peinlich für mich."
"Wieso sollte es das? Doktor Herryhaus hat schon Recht, Sie sind ja kein Mediziner. Dafür haben Sie andere Vorzüge, Herr Herwig."
"Oh, das will ich doch schwer hoffen, Doc", sagte Axel lächelnd. "Zum Beispiel bin ich ein verdammt guter Überbringer von guten Nachrichten."
Sein Lächeln wurde ein Grinsen. "Alle Geiseln in Brekk konnten unverletzt gerettet werden. Whoa!"
Erstaunt verstummte Axel, als die Doktorin ihn beinahe umrannte und fast zu Tode drückte. Sie begann sofort zu schluchzen, vor Erleichterung, vor Glück. "Danke", hauchte sie. "Dankedankedankedankedanke. Ich habe mich so dafür geschämt, das ich schon gerettet bin und sie noch in dieser Hölle sitzen... Danke."
Nur zögerlich schloss Axel die junge Ärztin seinerseits in die Arme. Er wagte kaum zuzudrücken, so verletzlich und zerbrechlich erschien sie ihm zu sein. "Es ist ja alles gut. Sie werden morgen früh herüber geflogen, und dann bringen wir Sie allen nach Panadia und übergeben Sie dann Botschaftsmitarbeitern. Es ist alles gut, Doc."
Sie schluchzte noch immer und hielt ihn fest umklammert.
Meike betrachtete die Szene mit einer hochgezogenen Augenbraue. "Hat Hannes mir Arbeit gemacht?", fragte sie nach einigem Zögern.
"Nein, unser Team ist unverletzt. Aber es sieht so aus, als wären alle Milizionäre, die Hannes und sein Team nicht getötet haben, anschließend von den Dorfbewohnern gelyncht worden."
Die junge Frau in seinen Armen versteifte sich. "Ruhig, Doc. Es ist alles in Ordnung. Die Menschen in Brekk wissen, wer sie befreit hat, und sie sind dankbar. Ihren Kollegen wird nichts passieren."
Die junge Frau entspannte sich wieder. "Schätze, ich bin nicht so stark, wie ich immer dachte", murmelte sie mit verweinter Stimme.
"Ab und zu Tränen raus zu lassen ist keine Schwäche", tadelte Axel. "Ich würde es sogar zu den Stärken zählen. Vor allem bei einem Mann. Aber das tut ja jetzt nichts zur Sache. Hey, ich wollte gerade essen gehen. Habt Ihr zwei schon gegessen?"
"Sehr witzig. Wann denn?", tadelte Meike. Sie warf den beiden einen unwirschen Blick zu. "Geh doch mit Doktor Kensington rüber ins Messezelt. Ich muss noch meinen Rundgang machen und die Abendmedikation der Pfleger checken. Und dann muss ich noch mit meinen Leuten in Ngali sprechen."
"Soll ich dir was bringen? Sieht nicht so aus, als würdest du bald hier raus kommen", sagte Axel mitfühlend.
"Ist eventuell keine schlechte Idee. Kannst du ihr dann gleich ihren Schlafplatz zeigen? Ich habe ihr ein Feldbett im Frauenzelt aufbauen lassen."
"Ja, kann ich machen. Falls die Ladies mich nicht für den Versuch, ihr Allerheiligstes zu betreten, lynchen werden."
"Himmel, Axel, du bist immer so unpraktisch. Du bezahlst uns alle. Warum sollten wir dich dann lynchen wollen?", scherzte Meike. "Tu mir den Gefallen."
"Ja, geht in Ordnung. Doc, geht es wieder?"
"Ja", schniefte sie. Langsam löste sie sich vom größeren Deutschen. Aber vom linken Arm ließ sie nicht ab.
"Gehen wir essen. Meike, ich bringe dir was rüber. Besondere Wünsche?"
"Hauptsache genügend", erwiderte sie und strich sich über den Bauch. "Ich habe seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Ich vermisse Marias Hirsebratlinge."
"Ja, die sind gut. Also, bis nachher."
Die beiden verließen das Zelt.
Meike starrte einen Moment noch auf die Stelle, an der Axel vor wenigen Minuten noch gestanden hatte. Dann griff sie seufzend nach ihrem Klemmbrett und rief zu sich, um die Abendmedikation abzusprechen.
***
Alles in allem hatte Axel einen angenehmen Abend gehabt. Niemand aus dem Team hatte heute sterben müssen, die Hilfe in Ngali war wieder sehr gut angenommen worden, und mit Doktor Kensington hatte er einen interessanten Menschen kennen gelernt, mit dem er sich sehr gerne unterhalten hatte. Während des wie immer vorzüglichen Essens hatte sie sich als charmante Gesprächspartnerin entpuppt, jetzt wo die Sorge um ihre Freunde und Kollegen nicht mehr auf ihr lastete. Im Gegenzug hatte sich Meike wie eine spröde und wortkarge Frau gegeben und kaum ein Wort mit ihm gewechselt, als er ihr Essen gebracht hatte. Nachdem sie ihn mit den Hinweis, zu tun zu haben, aus dem Lazarett geschmissen hatte, war er mit dem Doc noch am Frauenzelt gewesen, und war natürlich nicht eingetreten. Er hatte es die Damen selbst ausmachen lassen, der Frau Doktor ihren Schlafplatz zu zeigen. Da sie aber zu aufgekratzt war, um schlafen zu können, hatte sie sich dazu entschlossen, zurück zu Meike zu gehen, um mit ihr noch über das Hilfsprojekt in Ngali zu sprechen. Axel hatte das akzeptiert, ihr eine gute Nacht gewünscht, und sich entschlossen, sicherheitshalber noch einen Blick in den Container zu werfen. Kram war ein sehr zuverlässiger Mann, aber er wollte sich selbst noch nicht schlafen legen. Er war auch aufgekratzt und nutzte die Kontrolle als Ausrede vor sich selbst.
Natürlich fand er den Container, zu dem es ohnehin nur einen Schlüssel gab, abgeschlossen vor. Der Schlüssel steckte, wie alle wussten, unter dem Fensterbrett rechts von der Tür. Es ging auch gar nicht darum, die eigenen Leute aus dem Büro raus zu halten. Sie schlossen den Container nur deshalb ab, um etwaige Werksfremde heimliche Schleicher, die sich nachts hier rumtreiben mochten, von den Diamanten fern zu halten. Das musste nicht passieren, konnte aber. Und es war immer besser, es möglichen Eindringlingen schwerer als leichter zu machen, fand er.

Apropos Eindringling, als er von hinten umfasst wurde, war sein erster Gedanke, sich und damit den Unbekannten zu drehen und gegen den Container zu quetschen. Dieses Vorhaben aber erwies sich als undurchführbar, als der Unbekannte ihm ins Ohr biss. Genauer gesagt ins Ohrläppchen, und das nicht besonders fest. Weiche Lippen berührten seine Ohrmuschel, und heißer Atem drückte an seinen Kopf.
Axel fühlte ein Kribbeln, das seinen ganzen Körper durchlief. Wer immer ihn da von hinten umarmte, er oder sie - Axel hoffte, das es eine sie war - wollte Sex. Und das mit ihm. Und dummerweise fühlte er, wie wichtige Blutmengen aus seinem Kopf wichen und an anderer Stelle Verwendung fanden. Er ächzte leise, als der Liebesbiss seine Erregung steigerte.
Eine weiche, warme Hand glitt von der Brust in seinen Schritt, und der energische, aber überraschend sanfte Griff an sein Glied und seine Hoden ließ ihn beinahe explodieren. "Können wir reingehen?", hörte er eine leise Frauenstimme, die er nicht zuordnen konnte.
Hastig fingerte er nach dem Schlüssel unter den Fensterbrett. Dinge wie Verhütung, schlechtes Vorbild, und wer seine spitze Partnerin war, gingen ihm rudimentär durch den Kopf , wurden aber sofort von seiner steigenden Geilheit - ein Poet hätte vielleicht das sanftere Wort Erregung benutzt, aber Axel war kein Poet - beiseite geschoben.
Er öffnete die Tür mit zitternden Händen, während sich die andere Hand unter seine Jacke schob, und von dort unter sein Shirt wanderte. Vor Aufregung versuchte er ein paarmal, die Tür aufzuziehen, bevor er sich daran erinnern konnte, das sie nach innen aufging.
Endlich war der Container geöffnet, und hastig trat er ein. Dadurch verlor die Frau den Kontakt mit ihm und ging mit einem entzückenden Quieken zu Boden.
Hastig wandte sich Axel ihr wieder zu. "Bist du in Ordnung?"
Strahlend weiße Zähne blitzten in der Dunkelheit auf, während sie aus der Not eine Tugend machte nach seinen Händen griff, die er ihr als Aufstiegshilfe gereicht hatte. Sie zog ihn neben sich zu Boden, drückte die Tür mit einem Fuß zu und hinderte ihn daran, Licht zu machen. Ihre Lippen verschlossen die seinen, und ihre Zunge spielte mit ihm. Nicht mit seiner Zunge, eindeutig mit ihm, und das ziemlich gut. Selten hatte er eine so gute Küsserin erlebt. Während sie ihn allein mit ihrer Wärme, ihren Händen und ihrem Zungengeschick dem siebten Himmel näher brachte, öffneten ihre Hände geschickt seine Feldjacke und halfen ihm beim Abstreifen. Dann schob sie das Shirt hoch und neckte ihn eine Zeitlang, als er es halb über den Kopf gezogen hatte, indem sie verhinderte, das er es auszog. Nur der Mund war frei, Nase und Augen waren vom Shirt bedeckt, und sie nutzte diese Tatsache leidlich aus. Als sich ihre Hände seiner Hose widmeten und das Shirt endlich am Boden lag, wollte er nach ihr greifen, sie berühren. Derweil hatte sie seine Erektion frei gelegt. Als sie seine Hände spürte, seufzte sie behaglich. Sie griff nach seiner Rechten, steckte sich den Zeigefinger in den Mund und lutschte für einen Moment daran. Axel konnte sich kaum vorstellen, was mit ihm passieren würde, wenn sie das eine Etage tiefer tat.
Er trat die Stiefel aus und strampelte die Hose ab. Wenn es noch so etwas wie Verstand in seinem Kopf gab, dann war der nun vollkommen weggeblasen. Sie nahm seine Hand und führte sie in den Ausschnitt ihres Shirts zu ihrem Busen. Sie trug keinen BH, hatte aber eine beachtliche und feste Oberweite. Ihre Nippel waren erregt, und als er den Rechten mit zwei Fingern bearbeitete, ließ sie ein leises Stöhnen hören.
Derart ermutigt griff er mit der anderen Hand nach ihrem Hosenbund und zog ihr Shirt hoch. Sie half ihm einen Moment, um es über ihren Kopf zu kriegen. Dann nestelte er an ihrer Hose, während sie sich wieder ihm widmete, oder besser gesagt diesmal seinem besten Freund. Der einzige klare Gedanke, nämlich das es jetzt schon der beste Sex seines Lebens war, schoss ihm durch den Kopf, während seine Hand zwischen ihre Beine fuhr und den Schritt feucht und warm vorfand. Er zog ihre Hose herab, soweit es ihm möglich war, rieb erneut ihre erregten Nippel und beschäftigte sich mit der anderen Hand an ihrer Scham und ihrer Klitoris. Es war wie ein Rausch. Nein, es WAR ein Rausch. Und als er das erste Mal kam, war der Rausch noch lange nicht vorbei.
Sie vergewisserte sich, das die Ejakulation seiner Erektion keinen Abbruch getan hatte und schnurrte zufrieden. Katzengleich schob sie sich über ihn und suchte seinen Mund. Als sie sich wieder küssten, schmeckte er kaum etwas anderes als ihren Speichel. Sie hatte geschluckt, das unartige Biest.
Sie richtete sich auf und suchte seine Erektion. Als sie sein Glied mit ihrer Vagina kombinierte, ging ihm noch einmal der Gedanke an Verhütung durch den Kopf, und der noch unnötigere Gedanke,wer da eigentlich mit ihm im Container war und ihm bereits einen Orgasmus beschert hatte, der ihn beinahe hatte sterben lassen. Aber das war so vollkommen nebensächlich, als sie sich auf ihm zu bewegen begann. Wenigstens war sie tatsächlich eine Frau. Obwohl, mit dem Hormoncocktail im Blut war er sich nicht sicher, ob ihm das jetzt noch etwas ausgemacht hätte. Er richtete ebenfalls den Oberkörper auf, verschlang sie fast mit seinen gierigen Händen und liebkoste ihre Brustwarzen mit seinen Lippen. Schließlich, keine Ahnung wie viel Zeit vergangen war, hatte sie von dieser Stellung genug, rollte sich zur Seite und zwang ihn dadurch nach oben. Die gute alte Missionarsstellung. Nun war es also an ihm, zu arbeiten. Er nahm die Herausforderung dankbar an und begann mit sanften Stößen und steigerte sich zu kräftigeren Stößen, bis der Frau ein lautes Stöhnen entglitt. Erschrocken hielten sie inne, aber es gab keine Reaktion auf den Lustlaut. Sie kicherten leise wie unvernünftige Kinder und fuhren fort in ihrem Tun. Er spürte, wie sie unter ihm zu zittern begann, fühlte sie erbeben, als sie ihren Höhepunkt erreichte. Überrascht registrierte er, das er mit ihr zusammen kommen konnte. Als er sich in die unbekannte Frau ergoss, hatte das nichts mit dem mechanischen Samenverlust zu tun, den Männer sich meistens antrainierten, wenn sie Samenverlust mit Orgasmus gleichsetzten. Das elektrisierende, erfüllende und erschreckende Gefühl, das ihn durchlief, war der orgiastischste Orgasmus, den er je erlebt hatte.
Als ihr Zittern abgeebbt war, griff sie nach ihm, drückte ihn an sich und hinderte ihn damit, sich zu erheben. Ihre Rechte glitt zu seinen Hoden, ihre Zunge spielte mit seiner, und schon fühlte er seine Erektion zurückkehren. Anscheinend wollte die Unbekannte ihn nicht so leicht davon kommen lassen, und Teufel auch, ihm war es recht. Es war noch nicht mal zehn, und die ganze Nacht lag noch vor ihnen. Wenn der Sex weiter so bombastisch sein würde, dann stand ihm in sexueller Hinsicht die Zeit seines Lebens bevor.
***
Es war noch nicht ganz Morgen, als Niklas den Tag begann. Als alter Soldat war er Frühaufsteher, und als dieser ging er in der Dunkelheit von Posten zu Posten, um ihre Meldungen abzufragen. Erstaunlicherweise waren alle trotz der unvorteilhaften Morgenstunde gut dabei und motiviert. Schließlich waren sie alle erst zwei Stunden auf dem Posten. Das Wachwechselsystem funktionierte und hatte auch nicht darunter zu leiden, dass Hannes mit seinem Team fehlte. Außerdem vermutete Niklas, das sich die Posten in guter alter Soldatenmanier gegenseitig warnten, weil "der Alte" umher kroch, wie sie ihn hinter vorgehaltener Hand nannten. Niklas mochte die Bezeichnung, wie wahrscheinlich jeder kommandierende Offizier, weil sie Respekt und Achtung implizierte, die ihm seine Leute entgegen brachten.
Anschließend, über ihm glitzerte noch das Band der Sterne, deren Licht von den restlichen aktiven Lampen im Camp kaum behindert wurde, ging er zum Container. Der Tag würde lang werden, sie würden viele Entscheidungen treffen müssen und wie immer viel zu tun haben. Einige der Leute waren mit Sonderwünschen an ihn heran getreten, und er hatte vor, die Wünsche mit einem der heutigen Hubschrauberflüge zu erfüllen. Die meisten, zumindest, denn er wusste nicht, ob Honiton City eine McDonalds-Filiale hatte. Außerdem würden die schmackhaften Schnellimbissprodukte kalt hier ankommen, was den Genuss verdrießte.
Das Letzte, was Herr Worms machen würde, das war, einem Wagemutigen zu erlauben, seine Pappe-Burger und seine Schrumpf-Pommes in seiner Küche aufzuwärmen. Aber die anderen Wünsche, vom Schokoriegel bis zu der Lieblingssorte Zigaretten, waren erfüllbar. Abgesehen davon waren seine Leute reich. Sie alle waren reich. Die ganze Region würde reich werden und von ihren Rohstoffen profitieren. Wenn es ihnen gelang, die gefundenen Diamanten außer Landes zu schaffen.

Ausgerechnet dieser Gedanke ging ihm durch den Kopf, als er feststellte, das der Schlüssel nicht an seinem Platz war, sondern im Schloss steckte. Den zweiten Schrecken bekam er, als er merkte, das die Tür verschlossen, aber nicht abgeschlossen war. Hastig stürzte er hinein, machte Licht, und erstarrte beim Anblick der Szene, die sich ihm bot. Eine Sekunde wusste er nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Dann fragte er sich ernsthaft, ob er tatsächlich wach war, und diese Szene nicht noch träumte. Auch an seiner geistigen Zurechnungsfähigkeit zweifelte er.
"Ich weiß nicht, wie du es siehst, aber ich halte den Boden hier für ein Scheiß Nachtlager, großer Bruder. Und warum zum Henker bist du eigentlich nackt?"
"Was?" Axel schreckte hoch. Erschrocken, verwirrt. "Mensch, mach das Licht aus. Ich kriege Kopfschmerzen!"
"Das Licht bleibt an. Sonst findest du deine Sachen ja nicht. Himmel, Axel, was MACHST du hier?" Niklas runzelte die Stirn, als er an der Wand etwas weißes, Geklöppeltes entdeckte. Er bückte sich und hob es auf. Es entpuppte sich als mit Spitze durchsetzter Damen-Stringschlüpfer. "Okay, jetzt schuldest du mir eine Erklärung."
Axel, damit beschäftigt, seine Hose zu suchen, sah auf. "Oh. Tja. Den hat sie wohl im Dunkeln nicht gefunden. Gib mal her." Er nahm das Stück Stoff aus der Hand seines Bruders. "Konfisziert. Kriegsbeute."
Niklas lachte ungläubig für einen Moment. "Sag mir jetzt nicht, du... Hast du hier eine Frau gebumst?"
"Aha!", rief Axel triumphierend, als er seine Unterhose entdeckte. "Nein, das weise ich in aller Entschiedenheit zurück. Es war eher umgekehrt. Ich wurde verführt. Nachhaltig verführt. Ich hatte keine Chance."
"Oooookay, lassen wir das mal so stehen. Wer war denn die Glückliche?"
Der ältere Herwig grinste wie ein Idiot. "Keine Ahnung."
Niklas atmete erschrocken ein, blähte die Wangen auf und hielt die Luft an. Als er sie wieder ausstieß, klang es nach einem Pressluftgerät. "Du hattest einen Quickie mit einer Unbekannten? Oder anders ausgedrückt, du hast mit einer unserer Frauen hier im Camp geschlafen und weißt nicht, wer es war?"
"Am Sex habe ich sie jedenfalls nicht erkannt", murrte Axel maulig. "Und komm mir gar nicht erst mit der Vorbildfunktion. Wie ich schon sagte, ich hatte keine Chance. Ich wollte nur noch mal in den Container schauen, da fiel sie mich von hinten an, biss mir ins Ohrläppchen und packte mir in den Schritt. Sie wollte so sehr Sex, dass ich da schon vollkommen benebelt war. Die Frau hat eine Pheromonwolke vor sich her geschoben, das glaubst du nicht."
"Aha. Und dann seid Ihr hier rein, und..."
"Haben uns geliebt. Genauer gesagt hat sie mich gegängelt, wie sie es gerne wollte, und ich habe willig mitgemacht." Axel grinste wie ein Idiot. "Der beste Sex meines Lebens."
"So. Hat sie denn gar nichts gesagt? Es wäre vielleicht besser zu wissen, mit wem du geschlafen hast. Ich meine, bevor sie mit einer Vaterschaftsklage wiederkommt."
"Ja, schon, aber sie hat nur geflüstert. Da war das meiste Blut aber schon in meinem Schwanz, und ich habe nicht wirklich darauf geachtet, ob ich die Stimme wiedererkenne. Außerdem, kennst du nicht die Geschichte, das man einer Frau am Hintern ansehen kann, ob sie die Pille nimmt? Sie hatte so einen Hintern. Einen süßen, streichelzarten, knackfesten Apfelhintern zum reinbeißen."
"Okay, okay, ich weiß gerade nicht, ob ich auf dich neidisch sein muss, oder ob ich dich nicht erschießen sollte, du unvernünftiger Hund, du. Nehmen wir an, sie nimmt die Pille, und sie wird von dir nicht schwanger. Weißt du wenigstens ob es eine von uns war? Es kann ja sein, dass sich eines unserer Wagonda-Mädchen in heißer Leidenschaft auf dich geschmissen hat."
Axel schlüpfte in seine Hose und suchte sein Shirt. "Ah, da ist es. Beruhige dich. Ich habe nicht besonders auf ihr Gesicht geachtet, aber sie war keine Wagonda. Nicht, dass das eine Rolle spielen würde, finde ich. Aber es grenzt die Auswahl meiner potentiellen Sexpartnerin ziemlich genau auf dieses Camp ein. Hast du schon geguckt, ob die Diamanten noch da sind?"
"Auch das noch", murmelte Niklas besorgt. "Erst fickt sie dir das Hirn raus, und dann klaut sie Diamantenrohlinge im Wert von fünf bis zwanzig Millionen Euro."
"Ehrlich jetzt", rief Axel, "dieser Fick war locker zwanzig Millionen wert. Der beste Sex meines Lebens mit einer verdammt noch mal erfahrenen Partnerin, die genau wusste, was sie tat."
"Na ja, für dich mag das in Ordnung gehen, aber wir anderen, die deinen Sex nicht hatten, wir hätten doch lieber die Diamanten. Puh, sind noch da. Unglaublich, aber alles was deine Sexgöttin wollte, war augenscheinlich, dir den Verstand rauszuvögeln, großer Bruder." Niklas erlaubte sich ein Grinsen. "Du musst es ja echt nötig gehabt haben. Wie lange hattest du schon keinen Sex mehr?"
"Drei Jahre ungefähr", seufzte er, griff nach der Feldjacke und zog sie über. Fehlten noch die Stiefel, die er irgendwo ins Büro gefeuert hatte.
"Da war ja echter Notstand. Wir müssen deiner unbekannten Gönnerin also dankbar sein, was?"
Er hockte sich neben den Schreibtisch und hob Stiefel Nummer eins hoch. "Trotzdem ist es besser, wenn wir rausfinden, wer dich in den siebten Himmel gebumst hat."
"Das würde ich für mein Leben gerne selbst wissen, Niklas. Ich meine, der Sex war... Bombastisch. Grandios. Unglaublich. Ich glaube, ich bin verliebt. Ich will die Frau heiraten und nie wieder gehen lassen."
"Ah, toll. Was willst du also machen? Den Slip nehmen und schauen, welchen Frauen im Camp er passen könnte?", spottete Niklas.
"Keine schlechte Idee. Ich könnte auch die Kompanie antreten lassen und "Hosen runter" befehlen. Die Frau, die keine Unterwäsche anhat, ist dann meine Göttin."
"Nicht, das ich das nicht gerne sehen wollen würde, aber das ist wohl leider nicht durchführbar, Prinz Charming. Du wirst deine Cinderella auf eine andere Art finden müssen." Er warf Axel den Schuh zu und fahndete nach dem zweiten. "Sie hat es nicht auf die Diamanten abgesehen gehabt. Das ist immerhin ein Plus. Das sie sich nicht zu erkennen gegeben hat, ist hingegen ein Minus. Wer ist so verdammt scharf auf meinen Bruder, um ihn zu bumsen, hat aber so kalte Füße, dass sie sich dir nicht offenbaren will?"
"Um auf die Idee mit dem Befehl "Hosen runter" zurückzukommen..."
"Axel", mahnte Niklas. "Denk mal lieber nach. In welcher Sprache hat sie mit dir gesprochen? Kann ja sein, dass die liebe Doktor Kensington dir besonders richtig dankbar war. Und als Mischling kann man sie im Dunkeln schnell mit einer Weißen verwechseln."
"Keine Ahnung. Da war das ganze Blut schon in meinem Ständer."
"Du bist ein glücklicher Bastard, Großer", murrte Niklas und warf ihm den zweiten Stiefel zu. "An was erinnerst du dich denn überhaupt noch, abgesehen davon, dass du auf Wolke sieben warst?"
"Sie schluckt."
"Ja, toll, klasse. Wir lassen uns von allen Frauen im Camp einen blasen, und sortieren die aus, die die heiße Ladung nicht wieder ausspucken. Grandioser Plan." Niklas hob den Kopf und sah zur Tür. "Puh. Bei unserem Glück dachte ich, dass mittlerweile alle Frauen im Camp vor der Tür stehen und uns zuhören, um uns anschließend zu kastrieren, so frauenfeindlich, wie wir hier reden."
"Also, ich finde, der Plan hat was. Aber Meike wird dir dein Ding eher abbeißen, als es in den Mund zu nehmen."
"Kann ich jetzt so nicht unterschreiben", sagte Niklas, plötzlich unverschämt grinsend.
"Ach ja, da war ja noch was. Hm, meinst du, Doktor Kensington? Ich habe mich gestern sehr gut mit ihr verstanden, und ich glaube, da war auch was zwischen uns. Aber ich wollte dem nicht nachgehen, weil sie ja unsere Schutzbefohlene ist, und so."
"Sehr edelmütig von dir, Axel. Kreisen wir die Damen doch weiter ein. Mit Dingen, an die du dich erinnern kannst. Wie groß waren ihre Hupen?"
Axel hielt dabei inne, die Kampfstiefel anzuziehen und legte seine Hände hohl auf die eigene Brust. "Na, ungefähr so viel. D oder E würde ich sagen."
"Das trifft auf die Hälfte aller Frauen hier zu. War sie groß oder eher klein?"
"Sie konnte mir ins Ohrläppchen beißen, ohne springen zu müssen. Also irgendwas zwischen eins siebzig und eins achtzig."
"Ah, wir kommen der Sache näher. Da fallen tatsächlich ein paar Frauen drunter. Dazu gehört deine Doktor Kensington. Und Meike. Die wollen wir nicht unterschlagen."
"Ach, vergiss Meike. Die war gestern aus irgendwelchen Gründen stinkig auf mich und hat mich schließlich nur noch raus gejagt. Sie hat mich und Kensington nicht mal zu Essen begleitet."
Niklas lachte laut. "Ha, vielleicht war sie eifersüchtig. Und glaub mir, sie ist eine Granate im Bett. Könnte durchaus passen." Er legte den Kopf schräg. "Andererseits ist sie eine Jägerin. Sie hätte sich niemals nehmen lassen, ihre Trophäe mit nach Hause zu nehmen. Sie hätte dich als ihr Revier markiert und wäre jetzt schon eifrig dabei, dich vor jeder Frau zu verteidigen. Du weißt schon, Meike, einerseits eifersüchtig für fünf, andererseits launisch, zickig und vollkommen unsensibel. Und du weißt nie, woran du mit ihr bist. Sie bricht dir das Herz, klebt es wieder zusammen, bricht es erneut, und weiß dann plötzlich mit den Scherben nichts mehr anzufangen. Und... Na, Schwamm drüber. Wie groß war ihr Hintern?"
"Ein schlankes, griffiges, samtenes, apfelförmiges Etwas von einem gestaltgewordenen Traum."
"Das kann auch auf Kensington zutreffen. In der Uniformhose hat sie eine Kehrseite, die lässt dich träumen. Was ist mit ihrer Hüfte? Hatte sie Bauch?"
"Nicht gerade ein gebärfreudiges Becken, aber weiblich. Eine recht schmale Taille, und kein Gramm Fett am Bauch."
"Oho. Dann können wir die Auswahl noch ein wenig einengen. Bleiben nur noch acht Frauen übrig, und drei davon sind nicht im Camp gewesen. War sie eher trainiert, oder einfach nur sportlich?"
Axel überlegte. "Daran kann ich mich nicht erinnern, Euer Ehren."
"Hr-hr, sehr witzig. Was ist mit ihrem Haarschnitt? Hast du die Farbe erkannt?"
"Oh, es war ein Kurzhaarschnitt, definitiv. Kein Zopf oder halblanges Haar. Ich bin da mehrfach durchgegangen. Samtenweich. Und es roch herrlich."
"Das engt die Auswahl doch erheblich ein. Da hätten wir Meike im Boot, deine Doktor Kensington, Julia Rubik und die Gradner von den Pflegern. Ich glaube, du musst deine Traumfrau unter diesen vier suchen. Und wenn du meinen Rat willst, schlafe mit allen und finde raus, welche die Richtige ist. Aber bitte nicht hier in Belongo. Das könnte die Männer eifersüchtig machen."
Axel schnaubte amüsiert. "Gleiches Recht für alle, denke ich. Früher war ich es, der es schwer hatte, Frauen aufzureißen. Was spricht dagegen, das ich mich aufreißen lasse? Dass ich mich benutzen lasse? Okay, schon klar. Kein Sex in der Basis, außer ich habe genügend für alle."
Niklas schlug sich eine Hand an die Stirn. "Oh mein Gott, jetzt habe ich ein Bild im Kopf, wie die ganze Truppe zwischen den Zelten ein einziges großes Rudelbumsen veranstaltet. Ich glaube, ich sollte selbst so schnell wie möglich nach Honiton fliegen und mich ausficken. Wenn ich schon solche Gedanken habe... Schrecklich."

Axel erhob sich und prüfte den Sitz der Stiefel. "Hm. Du weißt schon, dass du gar nicht so weit fliegen brauchst, um zu deinem Sex zu kommen, oder?"
"Hä? Habe ich was nicht mitgekriegt?"
Der ältere Herwig lachte. "Augenscheinlich. Oder ist dir noch nicht aufgefallen, wie Frau Dorflehrerin dich anschmachtet? Oder hast du es nicht so mit schwarzen Frauen?"
"Ach komm, hör doch auf. Die Hautfarbe ist doch sowas von scheißegal. Klar mag sie mich. Immerhin habe ich sie gerettet. Aber ich kann das ja jetzt schlecht ausnutzen, oder? Das hat sie nicht verdient. Und wenn ich daran denke, das ich irgendwann wieder nach Deutschland gehe und sie hier ihre Schule betreibt... Das passt doch nicht."
Verblüfft sah Axel den Bruder an. "Du hast da bereits drüber nachgedacht? So richtig?"
"Und? Stört dich das? Jedenfalls geht es nicht. Ich kann sie ja nicht so ausnutzen."
"Dummkopf. Wieso ausnutzen? Vergiss nicht, Steinard hat sie gerettet, nicht du. Und trotzdem himmelt sie dich an. Schon mal darüber nachgedacht?"
"Oh, ach ja. Aber es geht trotzdem nicht. Ich bin Deutscher und fliege wieder nach Deutschland."
"Hat dir eigentlich schon mal jemand erklärt, das manche Beziehungen auch wieder in die Binsen gehen? Wenn du eine Zeit lang mit ihr zusammen bist, und Ihr merkt, es funktioniert nicht, dann trennt Ihr euch eben wieder. Und wenn es doch funktioniert, dann nimmst du sie eben mit nach Deutschland. Oder du bleibst hier. Muss ich ausgerechnet dir erklären, dass das Leben dazu da ist, gelebt zu werden?"
"Lenk nicht ab, Prinz Charming. Wir sind immer noch bei dir und Cinderella."
"Es spricht nichts dagegen, auch über deine Julia zu sprechen, Romeo."
Die beiden Brüder maßen sich mit Blicken.
"Hm", machte Niklas. "Geh du mal deine Cinderella suchen. Solltest du sie finden, denke ich drüber nach, ob es sich lohnt, bei den Capulets wegen Julia vorstellig zu werden, oder ob ich ein Montague bleibe."
"Hä?"
"Mensch, Axel, kennst du Romeo und Julia gar nicht? Capulet ist ihre Familie, und Montague ist seine."
"Sorry, ist zu lange her, das ich da mal rein gelesen habe. Du weißt ja, ich habe dieses Buch mit sämtlichen Werken Shakespeares."
"Und es verkommt als Buchstütze in deinem Regal neben den Mangas und den Clever&Smart-Comics."
"Die du immer gerne gelesen hast."
Die beiden Brüder lachten. "Okay", meinte Niklas, "ist es also wieder komplizierter geworden. Was beneide ich Hannes, der nur einen schlichten, ehrlichen Kampf auf Leben und Tod hat ausfechten müssen. Ich wette, er hat unsere Probleme nicht."
"Sag das nicht. Ein großer, stattlicher Kerl wie er zieht Soldatinnenherzen an wie der Mist die Fliegen. Ich sage dir, der Monat wird nicht mal um sein, und die Avancen prasseln auf ihn ein." Axel grinste fies. "Warum sollte es ihm besser gehen als uns?"
"Du, jetzt wo du es sagst, ich glaube, die Angel hat ein Auge auf ihn geworfen."
"Was? Ich dachte, unsere gute Helene würde sich für ihn interessieren. Ha, da kann ich ja froh sein, das meine Liebesdinge weitestgehend geregelt sind. Brauche ich nicht neidisch auf den Hannes werden."
"Ja, deine sind geregelt. Und was bleibt mir? Der Puff, oder eine arme naive Lehrerin ausnutzen, um herauszufinden, ob ich sie lieben könnte", beschwerte sich Niklas.
"Ich tu mal so als hätte ich das nicht gehört", brummte Bernd, als er eintrat. "Morgen, Jungs."
"Morgen. Weißt du schon das Neueste? Eine Unbekannte hat Axel angefallen und zum Sex gezwungen."
"Ach, ehrlich? Der Glückliche. Warum passiert mir nie so was?", murmelte er und setzte sich an seinen Platz. "Vielleicht sollten wir noch einen Container einfliegen lassen und stundenweise vermieten. Nur so als Idee. Niklas, warum tätschelst du meinen Bauch?"
"Nur ein diskreter Hinweis auf einen möglichen Grund, mein lieber Bernd."
Der große Mann winkte ab. "Ach, Quatsch. Wenn es um Sex oder sogar um Liebe geht, dann ist das Äußere vollkommen egal. Nur die Chemie muss stimmen. Habe ich eigentlich grünes Licht für die Transall?"
"Ja, hast du", sagte Axel. "So, ich würde das eigentlich nicht tun wollen, aber ich nehme jetzt eine Dusche. Ich fliege dann mit dem ersten Heli raus zu unserem Kriegsherrn. Viel lieber würde ich ja den lieblichen Duft meiner neuen Göttin am Körper behalten, aber..."
"Nun geh dich duschen, du Drecksau", sagte Niklas streng. "Wenn du Cinderella findest, dann wirst du noch genügend Sex mit ihr haben können, falls sie mehr will als einen Quickie."
"Also, ein Quickie war das eher nicht. Das ging ein paar Stunden so..."
"Raus, und zwar sofort, bevor ich neidisch werde", murmelte Niklas.
"Brauchst du nicht. Du hast ja schon Julia."
"Mach es bitte nicht noch komplizierter, Axel."
"Was ist daran kompliziert?", mischte sich Bernd ein. "Deins passt in ihrs. Ende vom Lied. Kann es eine einfachere Kombination geben? Und stell dir vor, nur weil sie aus dem Dschungel kommt, muss sie weder ein naives Mädchen sein, noch zum Klammern neigen und erst Recht keine Jungfrau mehr sein."
"Ah, ja. Wie lange hast du gleich noch draußen gestanden und zugehört?"
"Lange genug, Niklas, lange genug. Und für die russischen Bodenwagen aus Cape State habe ich auch grünes Licht?"
"Ja, hast du. Sag mal, versuchst du gerade, mir Ausrüstung abzupressen? Das Zeug hätten wir doch ohnehin gekauft."
"Oh, dann habe ich mein Pulver ja zu früh verschossen", murmelte Bernd. "Du hoffentlich nicht, Axel."
Der ältere Herwig formte Zeige-, und Mittelfinger zum Sieges-V.
"Ah, also eher nicht. Ich bestell das alles dann mal und kümmere mich um die Flugtickets unserer Neuzugänge. Sie kommen morgen im Laufe des Tages in Panadia an."
"Wow. Das nenne ich schnell. Wann hast du denn mit den Rekrutierungen begonnen, Bernd?", hakte Niklas nach.
"Um ehrlich zu sein habe ich gar nicht damit aufgehört. Ich wusste, das wir noch mehr Leute brauchen, wenn wir hier etwas finden. Und ich hatte Recht."
"Wie auch immer. Ich will frisch geduscht sein, wenn ich mich beim Kaffee mit einem Warlord in Lebensgefahr bringe. Ich bin weg", sagte Axel, winkte ins Rund und ging fröhlich pfeifend davon.

"Da geht er hin, der frisch gefickte Halunke", sagte Bernd amüsiert. "Und, wann ziehst du mit Frau Lehrerin gleich?"
"Warum sagt mir das eigentlich jeder? Ist das so offensichtlich, das sie auf mich steht?", murrte Niklas.
"Ich glaube, was viel offensichtlicher ist, das ist, das du auf sie stehst, Niklas."
Der jüngere Herwig räusperte sich verlegen und sah zur Seite. "Nun..."
"Aha. Erwischt." Bernds breites Grinsen erlosch. "Ich weiß, wir sind dafür nicht hier. Aber du bist da, sie ist da, sie mag dich, du magst sie, Konkurrenten hast du auch nicht zu befürchten, sie aber Dutzendfach... Ich würde der Sache eine Chance geben."
"Vielleicht mache ich das auch." Trotzig setzte sich Niklas an seinen Schreibtisch. "Boxie wollte losfliegen, sobald sie Tageslicht haben. Zwischen acht oder neun wollte er eintreffen. Dann stehen die Untersuchungen an, und anschließend fliegen wir die Leute nach Panadia rüber. Ich denke, bis dahin haben wir Nachmittag. Und das gibt Thomas genügend Zeit, um die diversen Botschaften zu alarmieren."
"Machst du Witze?", fragte Bernd. "Ein halber Tag Vorlauf für Thomas, und sie werden vom amerikanischen Präsidenten empfangen."
Niklas lachte höflich über den Witz. Andererseits, wenn er Bernd so ansah, hatte er es vielleicht gar nicht lustig gemeint. Immerhin, sie sprachen hier von Thomas.
***
Als der Hubschrauber von der Wiese vor dem kleinen Ort Brekk abhob, verabschiedete sie eine fröhliche Menschenmenge. Sie gingen ohne Streit und ohne Händel. Die Arbeit der Ärzte den ganzen gestrigen Abend lang hatte viel zum Seelenfrieden der Menschen beigetragen. Und dass sie die schwersten Fälle mitnahmen, mit dem Versprechen, sie zurück zu bringen, hatte eine bedrückende Stimmung über dem Dorf gelüftet. Etwas, zumindest.
"Schweine", murmelte Hannes, während er dem Mädchen, das auf einer provisorischen Trage lag, die rechte Hand streichelte. Sie war vergewaltigt worden, obwohl sie nicht einmal elf war. Dabei waren die Milizionäre nicht gerade vorsichtig vorgegangen, und das Mädchen war gerissen. Das war mit den wenigen Möglichkeiten vor Ort nicht zu beheben, deshalb hatte sich Hannes entschlossen, das Kind mitzunehmen, um es im wesentlich besser ausgestatteten Lazarett von Ngali operieren zu lassen. Der Blutverlust und die Schmerzen hatten das Mädchen geschwächt, aber das Team der Ärzte ohne Angst hatte sie narkotisiert, therapiert und eine Erstversorgung im Rahmen seiner Möglichkeiten vorgenommen. Kriege, Bürgerkriege, Konflikte hatten hässliche Gesichter, in die er schon einige Male geblickt hatte. Aber wenn er so etwas erlebte, dann drohte ihm das Herz zu brechen. Waren das überhaupt noch Menschen gewesen? Wie konnten sie einem so jungen Menschen nur so etwas antun? Nur, weil sie es konnten? Galt Moral denn gar nichts in diesem Kampf? Die Vergewaltigung Minderjähriger gehörte jedenfalls nicht zu den üblichen Gepflogenheiten und konnte auch kulturell nicht verteidigt werden. Überhaupt hatte es viele Vergewaltigungen im Ort gegeben, und eine der Hauptaufgabe der Ärzte ohne Angst war die Schwangerschaftsprävention und die Infektionsprävention gewesen, soweit sie medikamentös möglich war. Insgesamt nahmen sie drei Patienten mit. Neben dem Mädchen einen fiebrigen Mann mit eiterndem offenen Armbruch und eine weitere Frau, deren Genitalbereich mit einem Messer traktiert worden war. Auf Ideen konnten manche Menschen kommen, es war unverständlich und furchtbar.
"Lassen Sie sie schlafen, Sir", sagte Helen McCarthy leise zu ihm und deutete an, das er sich wieder setzen sollte.
Hannes nickte schwer und schnallte sich wieder an seinem Platz an. Das Mädchen tat ihm nicht einfach nur leid, es war mehr ein Weltenschmerz, der angefacht worden war. Er war Soldat, und er war lange Zeit Teil der Elite gewesen, der KSK-Truppe der Bundeswehr, und er hatte schon vieles erlebt, gesehen und gehört. Aber hier war eine Grenze erreicht, die er niemals hatte übertreten sehen wollen. Er wusste, das unter AIDS-kranken afrikanischen Männern der Irrglaube existierte, Sex mit einer Jungfrau würde von dieser Krankheit heilen, und unwillkürlich fragte er sich, ob die Vergewaltiger AIDS gehabt hatten. Die Ärzte ohne Angst hatten so gut es ihre Möglichkeiten zuließen dagegen gehandelt, aber das war kein Ersatz dafür, das so eine Tat überhaupt jemals hätte geschehen dürfen.
"Brüten Sie nicht so viel darüber. Sie können sowieso nichts dagegen tun", riet McCarthy.
"So? Kann ich das nicht?" Er sah auf, in die Gesichter seiner Soldaten. Sie trugen ernste Mienen, entschlossene Mienen. Er glaubte zu sehen, dass sie das Selbe fühlten wie er und ebenso entschlossen waren wie er.
"Nein, das können Sie nicht. Oder wollen Sie ganz Belongo befrieden?"
"Eventuell", erwiderte Hannes ernst. "Eventuell."

Zwei Stunden später zog die Mi-24D einen weiten Bogen um Ngali, um einen guten Landeplatz in der Nähe des Lazaretts zu finden. Die findigen Burschen aus Charles' Truppe hatten auf einer Wiese ein großes H aus Stoffresten gebildet und mit Heringen festgespießt. Sie waren nur wenige Meter vom Dorf entfernt. Ein nahezu perfekter Landeplatz, fand Boxie.
Er landete, und kaum das sie die Klappen aufgemacht hatten, waren ein Dutzend freiwilliger einheimischer Helfer dabei, die Trage auszuladen und die anderen beiden Kranken zu übernehmen.
Philippe, der Lupii aus Hegale, führte die Truppe an und dirigierte sie. "Keine Sorge, Leutnant Malicke, wir kümmern uns um sie!"
"Danke!", rief Hannes als Erwiderung und zeigte dem Lupii einen hoch erhobenen Daumen. Eine Geste, die Philippe erwiderte.
Dann wurden die Türen wieder geschlossen, und der Hubschrauber hob wieder ab.
"Wie gut sind Ihre Mediziner gleich noch mal?", fragte Doktor Cormick.
Hannes grinste. "Keine Sorge, es sind deutsche Mediziner."
"Ach, soll mich das beruhigen? Es gibt auch schlechte deutsche Mediziner", ätzte er.
"Sicherlich. Aber es gibt wohl keine nachlässigen deutschen Mediziner", erwiderte Hannes.
Verblüfft hielt der Amerikaner inne, bevor er sich entschloss, dem Klischee eine Chance zu geben.
"Zugegeben. Da haben Sie Recht."
"Vertrauen Sie uns. Und freuen Sie sich auf das Camp. Von dort geht es für Sie direkt in die Freiheit", sagte Hannes zuversichtlich.

Als der Hubschrauber weitere fünf Minuten später im Camp landete, wurden sie von Niklas Herwig empfangen. Neben ihm stand Doktor Kensington, und die Mediziner warteten ungeduldig, bis sie den Hubschrauber verlassen konnten, bevor sie die junge Frau stürmisch begrüßten und mit Fragen bombardierten. Amüsiert über diesen Enthusiasmus rissen die Einsatzsoldaten ein paar Witze, während sie ebenfalls ausschifften.
Derweil wandte sich Niklas an Hannes, Cormick und McCarthy, die abseits des Trubels, den ihre sechs Kollegen um Ashley Kensington machten, standen.
"Mein Name ist Niklas Herwig. Ich bin der militärische Kommandeur der Belongo Mining."
Cormick ergriff als Erster die dargebotene Hand. "Doktor Elias Cormick von den Ärzten ohne Angst. Meine Stellvertreterin, Helen McCarthy."
"Freut mich, Ma'am. Willkommen auf unserer Mine. Ich würde sagen, wir stecken Sie alle erst mal ins Duschzelt, und geben Ihnen saubere Kleidung. Ah, da kommt ja auch unsere Chefärztin. Meike Herryhaus. Sie wird die abschließenden Untersuchungen leiten, die hoffentlich ergebnislos verlaufen werden. Meike, ich habe dich schon vorgestellt."
"Galant, galant, mein guter Niklas. Guten Morgen, Ma'am, Sir. Willkommen auf unserer Mine. Ich habe gehört, Sie haben das Lazarett in Ngali schon von weitem sehen können?"
"Allerdings", sagte Cormick, "und ich habe durchaus ein paar Fragen, bevor ich es besichtige."
"Das wird leider nicht möglich sein", sagte Hannes. "Wenn Sie geduscht sind, untersucht wurden und ein gutes Mittagessen genossen haben, bringen wir Sie direkt nach Panadia, wo Sie Ihren Botschaftsvertretern übergeben werden. Es gibt da draußen Menschen, die Sie vermissen, Doktor Cormick."
"Hm. Da finde ich ein funktionierendes Projekt direkt in Belongo, und dann kann ich es mir nicht mal ansehen?"
"Wir werben jederzeit Leute an, Doktor Cormick", sagte Meike sachlich. "Und wir haben auch nichts gegen Besucher. Sie können jederzeit mit den Hubschraubern der Minengesellschaft zu uns kommen, und dann führe ich Sie gerne herum. Gegen tatkräftige Hilfe habe ich übrigens auch nichts. Unsere Aufgabe hier wird nämlich größer und größer. Aber erst einmal gilt es ein hysterisches Land zu beruhigen, das Sie und Ihre Kollegen vermisst."
"Okay, das sehe ich ein", sagte der Mediziner.
"Wo ist eigentlich Axel?", fragte Hannes. "Ich sehe ihn nirgends. Äh, Axel Herwig ist der Generaldirektor unseres Unternehmens."
"Aha."
Niklas winkte ab. "Nicht nur du und deine Leute habt eine ungewöhnliche Nacht gehabt. Wir hatten Ldunga Abesimi hier, und er war erschreckend kooperativ. Er hat Axel für heute morgen eingeladen, um unser Zusammentreffen hier auf der Mine finanziell zu regeln. Es geht wohl auch um den Einkauf von Vorräten. Das würde kürzere Wege für uns bedeuten. Zumindest für einen Teil der Waren."
"Himmel, reden Sie von Ldunga Abesimi, dem Kriegsherrn?", fragte McCarthy schockiert. "Und Ihr Anführer besucht ihn gerade? Das klingt gar nicht gut für Herrn Herwig. Man kann Leuten wie Abesimi nicht trauen."
"Oh, ich habe nicht gesagt, das wir ihm trauen. Und ich bin sicher, das erwartet er auch gar nicht. Und glauben Sie mir, Axel ist alles andere als wehrlos. Meike, nimmst du die beiden bitte zum Duschzelt mit? Ich glaube, die Szene mit Doktor Kensington wird noch länger andauern, und dann haben wenigstens zwei von Ihnen bereits geduscht, Doktor Cormick. Doktor Kensington ist anscheinend nicht nur bei uns sehr beliebt." Heimlich sah er zu Meike herüber, um eine wie auch immer geartete Reaktion von ihr zu erkennen. Aber die Norddeutsche zuckte mit keiner Wimper.
"Natürlich. Bitte folgen Sie mir. Und Sie dürfen mir selbstverständlich Fragen zum humanitären Projekt stellen, soviel Sie wollen."
"Gerne. Eine Dusche wäre jetzt wunderbar."
Die beiden Mediziner begleitete die junge Herryhaus in Richtung des Duschzelts.

Hannes stieß Niklas in die Rippen. "Du glaubst nicht, was für eine Nacht ich hatte. Unglaublich. Aber Brekk können wir auf jeden Fall zu unseren Freunden zählen. Ab jetzt. Und, was war hier los, außer das ein Warlord vorbei gekommen ist?"
"Eine Frau ist über Axel hergefallen und hat ihn nach Strich und Faden verführt."
"Entschuldige, ich glaube, ich habe einen Hörsturz. Ich glaubte für einen Moment zu hören, dass du sagtest, eine Frau wäre über Axel hergefallen und hätte ihn nach Strich und Faden verführt."
"Du hast das schon ganz richtig verstanden, Hannes. Und das Schlimmste ist, dass er wegen der absoluten Blutleere im Gehirn nicht weiß, mit wem er gebumst hat. Wir haben den Kreis auf vier Kandidatinnen eingegrenzt, und eine geht da vorne, und die andere steht da hinten."
"Wenn ich mal meine vorpubertäre Seite zeigen darf: Axel, du glücklicher Bastard. Wer sind die anderen beiden? Ich meine, Axel ist beliebt im Camp, und viele Frauen fassen ihn als Partner ins Auge, obwohl die Disziplin das eigentlich unterbinden sollte."
"Ernsthaft jetzt?", fragte Niklas erstaunt.
"Ich habe mein Ohr an der Truppe. Hauptsächlich, damit ich erkenne, wenn sie hinter mir her sind, um entsprechend reagieren zu können. Der Grabenfunk macht aus Axel den begehrtesten Mann im Stützpunkt."
"Aha. Wo rangiere ich?"
"Du bist nicht im Rennen, guter Niklas. Keine Frau im Camp würde sich ohne zwingende Not zwischen dich und..."
"Wenn du jetzt Julienne sagst, dann kriege ich Komplexe."
Hannes schnaubte amüsiert. "Ach, hast du es doch endlich gemerkt?"
"Ich habe das von vorne herein gewusst. Aber bisher dachte ich, ich wäre Manns genug, um sie nicht auszunutzen."
"Das ist doch kein Ausnutzen, Niklas", sagte Hannes ungläubig.
"Ja, das haben mir Bernd und mein Bruder auch schon versucht klar zu machen. Ich gebe zu, ich habe Probleme damit, was sie ist. Das macht mir Angst, Hannes."
"Wie, was sie ist? Schwarz?"
Verblüfft sah Niklas den Infanteristen an. "Nein, Lehrerin. Diese Intellektuellen habe ich mir eigentlich abgewöhnt, nachdem Meike mich durchgekaut hat."
"Uff. Ach so. Hm, mit ein wenig Glück lässt dir Julienne auch gar keine Wahl. Mal sehen."
Niklas lachte schnaubend. "Wo rangierst du eigentlich in der internen Wertung?"
Hannes dachte kurz nach. "Merkwürdigerweise noch hinter Thomas und Bernd, aber vor Kram und Herrn Worms."
"Die sind auch im Rennen?", staunte Niklas.
"Wir reden hier über Frauen", stellte Hannes trocken fest.
"Gutes Argument", erwiderte Niklas ebenso trocken. "Geh was essen, schlafen, duschen, okay? Ich wünsche mir einen fitten Hauptmann heute Abend."
"Hauptmann?", echote Hannes.
"Wie ich schon sagte, es ist viel passiert letzte Nacht. Nicht nur bei dir", sagte Niklas grinsend.
"Ich bin nicht sicher, ob ich schlafen kann. Ich habe mich auf eine Handgranate geworfen."
Niklas blieb stehen und riss die Augen auf. "WAS?"
"Sie wurde in meine und Georges Richtung geworfen. Ich habe automatisch reagiert, so wie sie es uns beim Offizierslehrgang einbläuen."
"Du bist ein Vollidiot! Und ein Glückspilz! Blindgänger?", sagte Niklas aufgeregt.
"Sicherungsstift nicht gezogen."
"Ah, der Klassiker. Komm nach dem Duschen ins Büro und sag auch Hauptmann Kram Bescheid. Wir trinken einen Guten auf deine Wiedergeburt in der letzten Nacht."
"Hast du gerade Hauptmann Kram gesagt?", fragte Hannes irritiert.
"Es ist wirklich verdammt viel passiert letzte Nacht." Er grinste Hannes an und klopfte ihm auf die Schulter. "Langweilig wird uns hier jedenfalls nicht."
"Wem sagst du das?", erwiderte Hannes. Also blieb das Abenteuer zumindest interessant, wie es sich für sein letztes militärisches Ergebnis gehörte.

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9.
Mittlerweile war Axel schon eine ganze Strecke weit geflogen. Sein Pilot war Jorge Androweit, und sie waren die einzigen an Bord des Mil Mi-24. Die Personalknappheit machte sich bemerkbar, und der Einsatz des zweiten Minenwolfs, die Wartung des zweiten Mi-24 und der baldige Einsatz des Transporthubschraubers für die befreiten Geiseln hatte dazu geführt, dass sich selbst Androweit für den nicht eingeplanten Flug nur unter größten Mühen hatte freimachen können. Davon abgesehen hatten sie nicht mal Infanterie mitgenommen. Axels Argument dafür war gewesen, dass ein Infanterist auch nicht erledigen konnte, was der voll bewaffnete Mi-24 nicht schaffte. Und so saß er auf dem Sitz des Bordschützen neben Jorge, und betrachtete die Landschaft, die unter ihnen hinweg zog.
"Ich weiß gar nicht, was die alle haben", sagte Axel über den Bordfunk des Mi-24 zu Androweit. "Belongo soll so gefährlich sein, so bedrohlich. Aber wir fliegen hier doch recht gemütlich umher."
Wie zur Antwort klang ein leises Prasseln auf, das den Piloten grinsen ließ.
"Ups, werden wir schon wieder beschossen?", murrte Axel verstimmt. "Gerade wo ich dieses Land gelobt habe. Jorge, wir sehen uns die mal an."
"Was?", rief der Pilot erstaunt. "Ich für meinen Teil will hier so schnell wie möglich weg, anstatt direkt ins Feuer zu fliegen. Was, wenn sie MANPADS dabei haben?"
"Eine gute alte Luftfaust wie die Stinger? Klar haben sie die", meinte Axel verächtlich. "Womit sind wir wohl beschossen worden?"
"Das klang ganz nach AK47."
"Du denkst doch nicht etwa, das die nur mit AK47 auf uns schießen würden, wenn sie noch was Besseres hätten?"
"Sie können sich die MANPADS auch für einen besseren Schuss aufsparen", sagte Androweit verstimmt.
"Ein besserer Schuss als die Treffer aus halbautomatischen Gewehren auf ein dreihundert Kilometer pro Stunde schnelles Ziel?", konterte Axel. "Los, dreh um. Wir müssen ohnehin nach dem Weg fragen."
"Wir müssen was?" Androweit zwang den Hubschrauber in eine Schleife. "Nach dem Weg fragen?"
"Na ja, ich dachte mir, das Anwesen dürfte nicht zu übersehen sein, aber fragen ist vielleicht eine gute Idee... Da, das ist die Stelle. Geh mal runter. Hm, diesmal beschießen sie uns nicht."
"Sie sparen Munition. Oder sie haben gemerkt, das es eine Scheiß Idee war, auf einen Kampfhubschrauber zu schießen."
"Nanu, auf einmal so mutig?", stichelte Axel den Piloten.
"Sagen wir, der Notwendigkeit ergeben. Wenn wir schon mal hier sind." Der erfahrene Pilot betätigte die Infrarotsuche. "Da, in der Baumgruppe. Da stecken sie. Locker zwanzig Mann."
"Wir sollten uns für den Beschuss bedanken. Schieß in die Baumkronen."
"Ich soll was?"
"In die Baumkronen schießen. Mit dem Gatling-MG, bitte."
"Du bist der Boss", erwiderte der Pilot und löste das MG aus. Er hielt dabei absichtlich weit über den Boden. Das Ergebnis war erschreckend. Die Gewalt des Beschuss reichte aus, um die Bäume zu erschüttern und sogar einige zu kappen. Äste und Baumkronen stürzten zu Boden. Dennoch war der Wald tief und dicht genug, sodass der Beschuss, der wie eine Fräse gewirkt hatte, nur zwei oder drei Dutzend Meter tief geragt hatte. "Reicht das?"
"Ja. Sehr beeindruckend. Und ich glaube, unsere Freunde haben verstanden, was wir ihnen damit sagen wollten. Da kommen sie."
Tatsächlich verließen die Heckenschützen ihr Versteck im Unterholz. Axel sah sie sich genauer an. Sie waren uniformiert, allerdings in einem sehr alten Fleckentarnschema. Sie hatten die Hände erhoben und trugen ihre Gewehre über Kopf. Ldungas Leute hatten grün getragen, keinen Fleckentarnanzug. Mit wem also hatten sie es hier zu tun?
"Moment! Was hast du da vor?", fragte Androweit und legte seinem Boss, der im Begriff gewesen war sich abzuschnallen, eine Hand auf die Schulter.
"Rausgehen und mit ihnen sprechen", meinte Axel schulterzuckend.
"Rausgehen? Hast du gerade rausgehen gesagt?" Der Pilot schüttelte fassungslos den Kopf. "Wenn du einen Darwin Award bekommen willst, ist das eine viel versprechende Methode."
"Und was sollen wir sonst mit ihnen anfangen?", murrte Axel. "Ich wollte doch auch nach dem Weg fragen."
"Ich glaube, diesen Teil der Konversation überlässt du mir", erwiderte Jorge Androweit und schaltete seinen Bordfunk auf den Außenlautsprecher. Auf Englisch sagte er: "So, Jungs. Wenn Ihr noch mal auf uns feuert, dann halte ich tiefer, verstanden?" Er runzelte die Stirn. "Könnt Ihr mich verstehen?"
Axel lachte und wiederholte Androweits Worte auf Französisch. Diesmal nickten die Paramilitärs.
"Ihr werdet also nicht mehr auf uns schießen", stellte Axel zufrieden fest. Einhellig vollführten die Männer eine Geste der Verneinung.
"Gut. Könnt Ihr mir jetzt noch sagen, in welcher Richtung Ldungas Haus steht?"
Mehrere Finger reckten sich nach Südosten.
"Ah, danke. Ihr seid doch keine Leute von Ldunga, oder?"
Wieder heftiges Kopfschütteln.
"Gut. Für diesmal lassen wir euch vom Haken."
Axel gab dem Piloten ein Zeichen, und der zog die Maschine hoch über die Baumwipfel. Schnell waren die Männer aus der Sicht verschwunden.
"Aussteigen. Du wolltest aussteigen", sagte Androweit in vorwurfsvollem Ton. "Wenn auch nur einer sein Gewehr auf dich gerichtet hätte, wenn auch nur ein einziger eine versteckte Pistole gehabt hätte..."
"Ach, komm! Die hatten doch viel zu viel Angst vor uns!", konterte Axel. "Und wie soll das bei Ldunga werden? Soll ich da auch nicht aussteigen?"
"Ja, das wäre definitiv besser!", erwiderte Androweit, lauter werdend.
"Und dann stehe ich bei ihm als Feigling da. Er ist ohne Begleitschutz in mein Lager gekommen, hat sich mir auf Augenhöhe präsentiert. Ich kann das nicht ignorieren."
"Ha. Und was wenn er dich umbringt oder als Geisel nimmt?", fragte der Pilot kopfschüttelnd.
"In beiden Fällen sag Boxie Bescheid. Der weiß, was zu tun ist."
Androweit schüttelte den Kopf. "Boxie würde so lange das Haus zusammenballern, bis sie dich freiwillig rausrücken."
"Zum Beispiel", sagte Axel fröhlich. "Eine Geisel ist nicht viel wert, wenn du bereit bist ihr Leben zu riskieren. Und sie ist noch wertloser, wenn man viele Opfer auf der gegnerischen Seite in Kauf nimmt."
"Du Genie. Und was tun wir, wenn sie dich doch gleich töten?"
"Mit dem Schießen nicht mehr aufhören, bis kein Stein mehr auf dem anderen steht, zum Beispiel", sagte Axel trocken.
"Na, danke. Davon hast du auch was."
"Ich war dann wenigstens ein warnendes Beispiel."
"Das bist du auch so schon, Axel Herwig", konterte Jorge Androweit. "Wir werden sehen was passiert."
***
"Dr. Herryhaus", klang die freundliche, warme Stimme der amerikanischen Ärztin vom Eingang des Lazarettzelts auf, die sie zuerst gerettet hatten.
Meike wandte sich ihr zu und nickte. "Dr. Kensington."
Ein wenig verlegen trat die Amerikanerin neben die Deutsche und observierte ihre Tätigkeit. Ihr Patient, ein großer, fast zwei Zentner schwerer Mann, der eindeutig aus der Region stammte, hielt bei ihrer Tätigkeit still wie ein Lamm. Dr. Herryhaus genoss einen exzellenten Ruf als Ärztin. Vereinzelt sprachen ihr einzelne Belongoianer sogar magische Kräfte zu. Kein Wunder, das ein Mann, der eigentlich einer patriarchischen Struktur entstammte und zudem aus dem Dienst eines Warlords, sanfter war als eine einhundertzwanzig Jahre alte Oma ohne Zähne im Ohrensessel. Dabei musste er schon Schmerzen haben, während die junge Deutsche nach seiner Vene suchte.
"Schwierigkeiten?", fragte Kensington ehrlich interessiert.
"Wie man es nimmt. Verdacht auf Cyanidvergiftung. Ich will da sicher gehen, dass unser guter Leon hier keine kritische Konzentration im Blut hat, und zwar bevor er sich rot verfärbt. Aber leider hast du die guten alten Rollvenen, und ich kriege sie nicht zu fassen."
"Rollvenen sind doch nur ein moderner Mythos", sagte Kensington gedehnt.
"Ach ja? Bitte, fühlen Sie sich eingeladen. Vielleicht haben Sie ein glücklicheres Händchen, und ich muss den armen Jungen nicht mehr quälen."
Als Ärztin ließ sie sich nicht lange bitten. "Einen Versuch ist es wert." Sie schnappte sich ein Paar Einweghandschuhe, überprüfte den Abbinder am Oberarm, der das Blut in den Venen stauen und diese dadurch sichtbar machen sollte, und zog die Nadel aus dem Arm. Anschließend klopfte sie ein paarmal auf die Armbeuge. "Nein, der rechte Arm sieht nicht gut aus. Darf ich?"
Meike, die sich einen Schritt zurückgezogen hatte, nickte. "Bitte. Im Moment sind Sie die behandelnde Ärztin."
"Danke." Sie löste den Abbinder und wechselte den Arm. Kurz nach dem erneuten Abbinden entfuhr ihr ein triumphierender Laut. "Na also."
Kensington desinfizierte neu und stach dann nach der Vene. Schnell füllte sich der kleine Schlauch mit Leons Blut. Es standen mehrere bereits beschriftete Kanülen bereit, die sie nun im schnellen Wechsel füllte. Meike ließ dazu ein anerkennendes Schnauben hören.
"Nur kein Neid", meinte Kensington mit einem spöttischen Lächeln. "Ich arbeite in meiner Freizeit für die freiwillige Blutspende. Ich habe schon so viele Venen angestochen, man nennt mich zu Hause schon Vampirella." Sie stutzte, während sie eine sterile Wundabdeckung auflegte, bevor sie die Nadel zog. "Cyanidvergiftung? Wieso Cyanidvergiftung?"
Meike beobachtete genau, wie die junge Amerikanerin die Wundauflage aufpresste, und sich dann für einen selbsthaftenden Verband anstelle eines einfachen Pflasters entschied. Die Deutsche hätte unter diesen Umständen die gleiche Entscheidung getroffen. "Hat man Sie schon vor dem Geröll gewarnt, das vor der Mine liegt?"
"Sie meinen das Geröll, das Ihre Leute in der Freizeit durchsuchen, und aus dem die Bagger eine Art Piste bauen? Ja, es heißt, es ist giftig. Warum eigentlich?"
Meike seufzte. "Und wir bauen damit wahrscheinlich die teuerste Landebahn der Welt. Bevor wir hier ankamen, gab es eine illegale Goldmine an dieser Stelle. Sie haben versucht, das nicht vorhandene Gold mit Cyanid-Lauge auszuwaschen. Hat natürlich nicht funktioniert, aber der ganze Geröllhügel ist damit getränkt. Die Zwangsarbeiter, die hier schuften mussten, sind oft an Cyanidvergiftung gestorben. Aber es gab ja immer Nachschub aus den umliegenden Dörfern."
"Und dann sind Sie gekommen und haben die Sache beendet."
"Ja. Immerhin sind wir eine legale Minengesellschaft. Anschließend haben wir den Bestand an Kranken übernommen und die Toten aus dem Massengrab umgebettet, und nicht viel später das Hospital in Ngali aufgebaut. Na, was heißt hier Hospital. Es ist ein Provisorium, aber ein funktionierendes."
"Und Leon hier war auf dem Schotter und hat Diamanten gesucht?"
"Ja. Entgegen der Generalanweisung hat er sich keine neuen Handschuhe geholt, als die alten zerrissen sind. Seither klagt er über Schwindelgefühl, und ich wollte sichergehen, das es vielleicht nur ein leichter Hitzestich ist, und keine Vergiftung. Er hat nämlich auch keine Feldmütze getragen."
Verlegen lächelte der Afrikaner. "Axel sagt immer, man macht Fehler um zu lernen, wie etwas richtig gemacht werden muss."
"Da ist durchaus was dran", schmunzelte Meike.
"Und Leon ist einer der Zwangsarbeiter? Warum ist er noch hier?"
"Nein", korrigierte Meike, "er war einer der Wächter." Sie beobachtete genau die Reaktion der Amerikanerin und war nicht wenig erstaunt, als nicht mehr als ein leises "ach so" von der jungen Frau kam.
"Er wurde als Kind in den Dienst eines der hiesigen Kriegsherren genommen und hat sein ganzes Leben dort verbracht. Aber als er die Chance hatte, diese Fessel von sich zu streifen, hat er sie genutzt", erklärte Meike. "Und wir sind alle froh, das wir ihn haben. Er ist unsere Schnittstelle zu den ehemaligen Arbeitern und ehemaligen Wächtern."
Der Schwarze grinste bei diesen Worten, aber nur kurz. "Es war schwer, etwas anderes zu tun", sagte er schließlich.
"Ldunga lässt seinen Leuten ein Mindestmaß an Bildung zukommen, und Leon hier ist ein lernbegieriger Bursche. Deshalb ist er Vorarbeiter geworden."
"Deshalb, und weil ich hier reich werde", warf Leon mit Schalk in den Augen ein.
"Reich?", fragte Ashley Kensington.
"Reich", bestätigte Meike. "Leon und seine Kameraden sowie alle ehemaligen Zwangsarbeiter, die für uns arbeiten, kriegen den gleichen Anteil wie unsere Pioniere und Soldaten. Da wir viele Diamanten finden und über unsere eigene Verwertungsgesellschaft verkaufen sind das... Hm, Axel hat es gestern noch gesagt. Ich glaube, jeder der von Anfang an dabei ist, hat jetzt ein Konto mit rund zweihunderttausend Euro, das er sein eigen nennt. Und wir haben gerade erst angefangen."
"Zweihunderttausend Euro sind ein Vermögen", stellte Kensington fest. "Warum lässt du dich nicht ausbezahlen und gehst wohin immer du willst, Leon?"
"Und wo ist das?", fragte der Schwarze säuerlich. "Die einzigen Orte die ich kenne, liegen in Belongo. Und in die Hauptstadt will ich nicht. Dort sind sie nicht gut zu Wagondas oder Lulugengo."
"Zwei hiesige Stämme", erklärte Meike der Ärztin. "Wir sind uns ziemlich sicher, dass Leon von einem von ihnen abstammen muss. Tatsächlich vergleichen wir grundsätzlich per Computer seine Blutmerkmale mit den Blutproben, die wir jeden Tag in Ngali nehmen, um seiner Herkunft auf die Spur zu kommen. Vielleicht entdecken wir von ihm oder einem seiner Schicksalsgefährten lebende Verwandte."
Leon sah bei diesen Worten skeptisch drein. Familie war auch nicht unbedingt sein Konzept. "Jedenfalls will ich in Belongo bleiben. Ich will hier arbeiten und helfen, aus Belongo einen besseren Ort machen. Ein zweites Krankenhaus, ein drittes, Straßen zwischen den Orten, Schulen bauen, die Felder entminen. All das geschieht, weil ich hier arbeite." Er hüstelte verlegen. "Ich und viele andere."
"Und wenn Belongo ein lebenswerter Ort wird, braucht man auch nicht wegzugehen. Ein guter Plan", lobte Ashley Kensington.
"Danke", erwiderte der Vorarbeiter schlicht.
Meike klopfte ihm auf die breite Schulter. "Leg dich drüben auf eine Liege und lass deine Temperatur von der Schwester messen. Vielleicht ist es mit Ruhe schon getan. Aber wir gehen auf Nummer sicher."
"Vielen Dank, Miss Herryhaus", sagte der große Mann, nickte freudig und sprang von der Behandlungsliege. Dabei knickte er ein, und die beiden Frauen waren sofort da, um ihn zu halten.
"Nicht nötig. Geht schon wieder", ächzte er und wehrte ihre helfenden Hände mit sanfter Gewalt ab. Tatsächlich ging er aus eigener Kraft nach nebenan, aber man konnte sehr gut sehen, dass er sich furchtbar erschrocken hatte.

"Wollen Sie bei der Analyse zusehen, Ashley? Ich darf Sie doch Ashley nennen?"
Die Amerikanerin nickte. "Natürlich. Darf ich dann Meike sagen?"
"Natürlich."
Sie verließen den Behandlungstrakt und traten hinter einen Vorhang. Dort war das kleine Labor aufgebaut. Einer der Pfleger nahm die Proben entgegen und begann routiniert mit den üblichen Untersuchungen.
"Kaffee?", fragte Meike, während sie sich einen Becher einschenkte.
"Danke, ja." Sie deutete, einen Becher heißen Kaffees in der Hand, auf den TFT-Monitor, an dem der Pfleger arbeitete. "Nehmen Sie viele Proben?"
"Praktisch von jedem Patienten. Wir erstellen nebenbei einen genetischen Stammbaum." Meike lächelte. "Um die verschiedenen Verwandtschaften nachzuweisen. Wenn die Stämme hier einmal gesagt kriegen, das sie sich längst vermischt haben, dann verschwinden eventuell die Rassendünkel und das Völkerdenken. Meine Idee."
"Und keine schlechte Idee. Sie sind aber auch gut eingerichtet. Mit so einer Ausrüstung würde ich gerne bei den Ärzten ohne Angst arbeiten."
"Können Sie. Ich setze Ihre Organisation auf die Liste. In ein paar Wochen können wir Ihnen so eine Ausrüstung schenken."
Entsetzt sah Ashley Kensington die junge Frau an. "Das meinen Sie ernst, oder?"
"Ja, das meine ich ernst. Die Hälfte aller Einkünfte aus der Mine sind für die Betriebskosten der Mine gedacht. Und für die Hilfsprojekte, die wir hier begonnen haben. Wenn wir dabei einer gemeinnützigen Organisation nebenbei eine neue Laborausrüstung finanzieren, dann liegt das locker im Budget." Meike nippte an ihrem Kaffee. "Wissen Sie, Geld ist hier nicht wirklich viel wert. Im Gegenteil. Taten sind es viel mehr. Dieses Land leidet sehr. Die Menschen leiden sehr. Und warum? Weil es reich ist. Und weil jemand, der nicht aus diesem Land kommt, den Reichtum haben will. Dazu ist jedes Mittel recht. Zum Beispiel ein Bürgerkrieg."
"Sie meinen, Belongo ist deshalb Krisengebiet, damit ausländische Konzerne hier in Ruhe Öl fördern können."
"Oder Gold, wenn sie denn was finden."
"Es ist ein offenes Geheimnis, das Roxxon hier Interessen hat", deutete die Ärztin vorsichtig an. "Aber Roxxon finanziert auch etwa die Hälfte unseres Budgets."
"Das ist nett von ihnen. Erst die Krankheit verursachen, aber anschließend wenigstens einen Teil der Symptome behandeln", sagte Meike sarkastisch. "Aber das ist nicht wichtig. Lassen Sie Roxxon nur das Öl fördern, im Land raffinieren und mit den Pipelines aus dem Land schaffen, ohne das mehr hier hängen bleibt als das eine oder andere Bestechungsgeld. Wir haben jetzt diese Diamantenmine, und wir machen damit sehr viel Geld. Genug Geld, um ganz Belongo langfristig auf stabile Füße zu stellen."
"Das ist ein hehrer Plan", stimmte die Amerikanerin zu. "Darf ich mitmachen?"
"Wir werben jederzeit neue Leute an", erwiderte Meike. "Und Ihr Talent im Blutabnehmen haben Sie ja schon bewiesen. Betrachten Sie es als Referenz bei Ihrer Bewerbung."
"Bewerbung?"
"Nun, wir nehmen nicht gleich jeden. Gerade bei unseren bewaffneten Leuten haben wir darauf geachtet, keine Rambos mitzunehmen. Was sich als gute Entscheidung erwiesen hat." Sie trank einen Schluck vom heißen Getränk und verbrühte sich beinahe daran. "Autsch."
"Nicht so hastig, Frau Doktor. Sehen Sie, von so einem Projekt habe ich immer geträumt. Und auch meine Kollegen, sie... Ich meine, viele denken so wie ich. Und am liebsten würde ich gleich hier bleiben. Aber ich sehe ein, das ich zuerst in die US-Botschaft gehen muss. Vor allem, damit meine Familie erfährt, das es mir gutgeht. Ich... Es ist trotzdem schade, das ich gehen muss. Ich hätte mich auch gerne noch von Herrn Herwig verabschiedet. Äh, Axel. Aber er ist ja..."
"Bei Ldunga und riskiert sein Leben", sagte Meike trocken. "Kommen Sie, Ashley. Reden wir draußen über Ihre Pläne."
"Ja, gut." Die Amerikanerin winkte dem Pfleger freundlich zu und verließ hinter Meike das Lazarettzelt.

"Wissen Sie, Ashley", nahm Meike das Thema draußen wieder auf, "Sie haben eine schlimme, harte Zeit hinter sich. Und auch wenn Sie nicht vergewaltigt wurden, ist vieles auf Sie eingeprasselt, was Sie erst verdauen müssen. Ich rate Ihnen aus medizinischer Sicht zu einem Urlaub." Sie maß die junge Frau mit einem bedeutsamen Blick. "Ehrlich gesagt, Sie sehen fürchterlich aus. Haben Sie letzte Nacht nicht schlafen können?"
Die junge Frau stockte. "N-nein. Nicht besonders viel."
"Man hat mir gesagt, Sie sind erst sehr früh am Morgen ins Frauenzelt gekommen. Wo haben Sie sich rumgetrieben? Es ist gefährlich, sich nachts draußen zu bewegen, wenn Menschen mit scharfen Waffen Wache stehen und auf merkwürdige Schatten schießen."
"Ich konnte im Zelt nicht schlafen. Wir haben als Geiseln so viel Zeit in staubigen, stickigen Hütten verbracht, zusammengepfercht und so, ich habe es da drin nicht ausgehalten. Also habe ich mir einen Platz zwischen den Zelten gesucht, und dort habe ich die Sterne beobachtet, bis ich endlich müde wurde." Die Augen von Dr. Kensington verengten sich zu Schlitzen. "Sie waren letzte Nacht aber erst gar nicht im Frauenzelt, Meike. Wo sind Sie denn untergekommen?"
"Ach. Ich habe bis spät in die Nacht hinein gearbeitet und es mir dann der Einfachheit halber auf der Behandlungsliege bequem gemacht. Ich war zu faul, um noch extra rüber zu gehen."
"So."
"So."
Die beiden Frauen maßen sich mit Blicken über die Ränder ihrer Kaffeetassen hinweg.

"Glauben Sie wirklich, Axel begibt sich in Gefahr?", fragte die Amerikanerin unvermittelt mit einem Schaudern in der Stimme.
"Oh, irgendjemand ist in Gefahr, und die Chancen stehen nicht schlecht, das es Axel ist. Aber persönlich bezweifle ich das. Wieso Ihr Interesse an ihm?"
"Wieso sollte ich kein Interesse an ihm haben? Er ist ein sehr erstaunlicher Mann. Sie als Erste müssten das doch wissen, Meike", sagte sie einen Ton zu scharf.
"Natürlich weiß ich das", sagte die Deutsche bestimmt.
Sie verbrachten einige Zeit schweigend, und tranken ihren Kaffee.
Schließlich durchbrach Meike die Stille. "Und Sie wollen wirklich wieder her kommen?"
"Ja, unbedingt. Es ist wirklich das Projekt, von dem ich geträumt habe. Ich habe viel mit Ihren Patienten geredet und mit den Angestellten. Hier wird Geld verdient, richtig, aber hier wird viel mehr für die Menschen getan, als in jedem anderen Projekt, das ich kennen gelernt habe. Ich sehe da zwar noch erhebliche Probleme, die Sie wegen der Diamanten bekommen können, aber jeder Tag, den Ihr hier arbeiten könnt, vollbringt mehr als ein Monat mit den Ärzten ohne Angst in einem Nachbardistrikt. Es... Es juckt mir geradezu in den Fingern, hier weiter zu machen."
Meike schnaubte amüsiert. "Auch wenn ein Teil oder das ganze Geschehen hier in Blut, Gewalt und Agonie versinken könnte? Verstehen Sie, wir haben unsere Soldaten nicht umsonst mitgenommen."
"Ich denke, dass Axel und Niklas die Gefahren gut abschätzen können und notfalls schnell evakuieren werden. Ist ein Risiko, aber ich bin bereit, es einzugehen."
"Wegen Axel", stellte Meike fest.
"Auch. Wie ich schon sagte, er ist ein sehr interessanter Mann. Ich gebe zu, ich interessiere mich nicht nur auf einer intellektuellen Ebene für ihn. Aber es gibt einen wichtigeren Grund."
Meike zog die Augenbrauen fragend nach oben. "Und der wäre?"
Ashley Kensington lächelte. "Sie, Meike. Ich bewundere Ihren taffen Stil, Ihre Schlagfertigkeit und Ihren Pragmatismus. Sie sind so, wie ich immer sein wollte. Oder anders ausgedrückt: Vor Ihnen kann man Angst kriegen."
"So, so." Meike grinste die Amerikanerin an. "Haben Sie denn Angst vor mir?"
Nun war es an Kensington, spöttisch zu lächeln. "Nicht im geringsten."
Wieder schwiegen sie einige Zeit, bevor diesmal die Amerikanerin das Wort ergriff. "Interessieren Sie sich für Axel?"
"Ich kenne Axel, seit ich acht bin. Ich war drei lange Jahre sehr unglücklich mit seinem Bruder Niklas liiert, und ich konnte mir nie wirklich vorstellen, das aus uns jemals etwas werden würde."
"Das war keine Antwort auf meine Frage", stellte Ashley fest.
Meike griente. "Nein, das war keine Antwort. Sie kriegen auch keine."
Damit waren die Fronten geklärt. Vorerst.
***
Sie landeten im Innenhof. Das Anwesen war recht groß und beeindruckend, und der Baustil des mehrgeschössigen Haupthauses erinnerte an herrschaftliche Anwesen aus "Vom Winde verweht".
Die Wächter, Schwarze mit russischen AK47, belgischen FNC und teilweise alten deutschen G3, verzogen keine Miene, als der waffenstarrende Kampfflieger so selbstverständlich über den Zaun geschwebt war.
"Soll ich den Motor laufen lassen und feuerbereit bleiben?"
Axel schüttelte den Kopf. "So viel Kerosin haben wir nicht übrig. Stell ihn ab und begleite mich. Und bevor du fragst: Ldunga weiß nur zu gut, dass hier drei Kampfflieger auftauchen, wenn uns etwas passiert. Und die machen aus dem schönen Anwesen Grütze. Darüber hinaus hat er nicht einen Piloten unter seinen Leuten, unsere Mi-24 ist für ihn also gänzlich uninteressant."
"Dein Wort in Gottes Ohr, Boss", stöhnte Androweit und fuhr den Vogel runter.

Als sie den Hubschrauber verließen, war Axel reichlich angespannt. Er hatte großes Vertrauen in seine Intuition. Er war sich sehr sicher, dass Ldunga diesen Tag nicht dafür benutzen würde, um ihn zu töten. Und dass er erst über die Belongo Mining herfallen würde, wenn sie ohnehin bereits stark geschwächt war. Aber da war diese kreatürliche Angst vor dem Sterben, die er nicht abstellen konnte. Was vielleicht auch ganz gut so war. Wenn man sich seiner eigenen Sterblichkeit bewusst blieb, wurde man vorsichtiger.
In respektvollem Abstand erwartete sie Ldunga persönlich, in Begleitung einer Frau in schlichten, sauberen und funktionellen Kleidern, die Axel als Tracht auch in Ngali schon gesehen hatte. Sie war jung, beinahe zu jung, um neben dem Kriegsherren zu stehen und seine Frau zu sein.
Die Pistole entsichert im Schulterholster stecken, entsichert und geladen, trat Axel auf den einsamen Mann zu. Jorge Androweit, der neben ihm ging, war sichtlich nervös und warf den Wächtern auf den Türmen unsichere Blicke zu.
Dennoch, Axel musste die Chuzpe von Ldunga Abesimi anerkennen. Da waren sie schon in seiner Höhle, seinem eigenen Bau, und er trat ihnen nur in Begleitung einer Frau gegenüber.
"Guten Morgen!", rief Axel fröhlich, lange bevor er den Kriegsherrn erreicht hatte.
"Guten Morgen", erwiderte Ldunga, nicht einmal halb so enthusiastisch wie der Deutsche.
Axel kam schnell heran und bot dem Mann die Hand. "Hier bin ich, wie versprochen."
Ldunga zögerte einen Moment, bevor er die Hand ergriff. "Es fällt mir schwer, Ihnen zu trauen", gestand er. "Aber ich will es versuchen."
"Das Gleiche gilt für mich. Aber ich will es auch versuchen", sagte Axel offen. Er deutete auf seinen Begleiter. "Jorge Androweit, einer meiner Piloten."
Ldunga reichte auch ihm die Hand. Dann stellte er die junge Frau neben sich vor. "Michelle. Mein ältestes Kind. Sie ist die Tochter meiner dritten Frau."
"Dritte Frau? Wie viele Frauen haben Sie denn?", fragte Androweit neugierig.
"Fünf", erwiderte der Kriegsherr. Als er das Entsetzen in den Augen des Piloten sah, musste er grinsen. "Nur kein Neid."
"Oh, ich bin nicht neidisch, nur erfüllt von Solidarität. Ich bin mit einer einzigen verheiratet. Und wenn ich mir diese Schwierigkeiten mal fünf vorstelle, schlackern mir die Ohren."
Die beiden Männer wechselten einen langen Blick, dann gaben sie sich in männlicher Solidarität erneut die Hand. Fast schien es, als wäre hier gerade eine eigentlich unmögliche Freundschaft geboren worden.
Axel ging diese Vertraulichkeit auf jeden Fall zu schnell. Vor allem störte ihn, das nicht er diese Vertraulichkeit mit Ldunga aufgebaut hatte.
"Wir sind hier, um über das Geschäft zu sprechen", erinnerte er.
"Ja, das sind wir", sagte Michelle und gab den beiden Männern die Hand. Für die Tochter eines Warlords war sie extrem selbstbewusst und schien wenn schon nicht das Vertrauen, so doch zumindest den vollen Vaterstolz Ldungas zu genießen. Aber das war etwas kurz gedacht, wie Axel bald feststellen musste.
"Ich bin heute mit von der Partie, um die Rahmenbedingungen unserer zukünftigten Kooperation mit auszuarbeiten. Und ich bin auch heute dabei, um Sie über die Region zu briefen."
Ldunga lachte und drückte seine Tochter an sich. "Oh, ich danke Gott jeden Tag, das er dich mir geschenkt hat, Michelle." Er grinste in Richtung der beiden Männer. "Ich warne Sie ausdrücklich vor ihr. Sie ist der zäheste Mensch, den ich kenne."
"Fairerweise sollte ich Ihnen mitteilen, das ich Reservistin der Ndongoischen Nationalarmee bin. Das Militär hat mir mein Studium finanziert", fügte die junge Frau an.
"Reservistin? Welchen Rang haben Sie, wenn ich frage darf?", sagte Axel freundlich.
"Ich bin Sous-lieutenant der Pioniere", sagte sie selbstbewusst.
"Was bedeutet, das Sie interne Einblicke in die Ndongo-Armee haben", stellte Axel fest. "Klingt für mich nach einem Langzeitplan."
Ihr Blick wurde etwas kühl. "Sie sind nicht die Einzigen, die versuchen, die Gesamtsituation in Belongo für alle Menschen zu verbessern. Einige von uns haben langfristige Pläne, und versuchen nicht wie Sie mit dem Brecheisen Veränderungen herbei zu führen." Ihr Blick wurde ein wenig freundlicher. "Obwohl Ihr Brecheisen im Moment zu funktionieren scheint."
"Ach bitte, Schatz, fang davon nicht wieder an. Du als Allererste musst doch wissen, was passiert, wenn wir auf die schlechte Seite der Armee geraten", sagte Ldunga, plötzlich aufbrausend.
"Du wolltest, das ich heute dabei bin, Paps", sagte sie schnippisch, "und du weißt, dass du mich dann ganz kriegst, mit all meinen Facetten."
"Könntest du bitte aufhören, deinen alten Vater vor seinen Geschäftspartnern zu blamieren?", fragte er mit gespielter Verzweiflung. "Kaum schickt man seine Kinder auf die Universität, kommen sie wieder mit einem Haufen Flausen im Kopf und einem Rang in der Armee. Ihr Studium hätte sie auch von mir bezahlt kriegen können, ohne schießen zu lernen."
"Mag sein. Aber man integriert sich besser, wenn man ein Stipendium bekommt", sagte sie eine Spur zu fröhlich, um es wirklich fröhlich gemeint zu haben.
Axel spürte, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten. Er war hierher gekommen, um eine überschaubare Sache zu machen, bei einem überschaubaren Risiko. Plötzlich aber fühlte er sich weit mehr in Gefahr als eine halbe Stunde zuvor, als er zu den uniformierten Angreifern hatte aussteigen wollen. Allerdings war es keine der üblichen Gefahren. Es war eine stimulierende Situation. Dabei war er nie ein Adrenalin-Junkie gewesen.
"Wie auch immer. Ich darf Sie rein bitten. Die Küche hat uns einen Snack gezaubert. Was möchten Sie trinken? Tee? Kaffee? Cola? Saft? Meine Vorratskammer steht Ihnen zur Verfügung."
"Kaffee, bitte", sagte Axel. "Ich hoffe, eine einheimische Sorte."
"Sie glauben doch nicht, das ich meinen Kaffee selbst anbaue?", fragte Ldunga.
"Paps, aber du baust deinen Kaffee doch selbst an", mahnte die Tochter, was ihr einen ärgerlichen Blick ihres Vaters einbrachte.
"Papperlapapp", entschied sie. "Dein Kaffee braucht sich hinter keinem Import zu verstecken. Auf den kannst du mehr als stolz sein." Michelle ergriff Axels Hand und zog ihn mit sich. "Kommen Sie, Herr Herwig, Sie werden den Kaffee lieben, wenn Sie ein Kenner sind."
Zurück blieben der Kriegsherr und der Pilot.
"Ein Wort von Ihnen, die Macht betreffend, die meine Tochter über mich hat, und ich vergesse mich", drohte Ldunga, und es war nicht ersichtlich, ob er gescherzt hatte.
"Wie könnte ich? Meine älteste Tochter ist fünfzehn und neulich mit ihrem ersten Freund nach Hause gekommen. Den sie schon seit drei Jahren hat, und wegen dem sie seit zwei Jahren heimlich die Pille nimmt."
Wieder wechselten die beiden Männer einen Blick voller Solidarität.
"Kommen Sie. Wir müssen nicht draußen in der prallen Sonne stehen bleiben. Möchten Sie auch einen Kaffee?"
"Um nichts in der Welt", erwiderte Androweit, "würde ich es mir nehmen lassen, Ihren selbst gezogenen und selbst gerösteten Kaffee zu probieren."

Das Haus war von innen beinahe noch größer als von außen. Sie wurden von mehreren Frauen verschiedenen Alters begrüßt. Bedienstete und zwei der jüngeren Ehefrauen Ldungas. Michelle stellte sie als Bdaki und Lia vor. "Sie müssen entschuldigen, meine Mutter und meine erste und zweite Mutter sind viel in den Dörfern des Stammes unterwegs. Sie tun das Gleiche was Sie tun, nur in einem kleineren Maßstab. Aber ich soll Sie im Namen meiner ersten Mutter Constanze fragen, ob Sie eine bescheidene Medikamentenliste abarbeiten könnten. Gerne auch abgelaufene Produkte."
Axel schüttelte den Kopf. "Abgelaufene Medikamente haben wir nicht. Sie bekommen von mir alles frisch."
"Über den Preis dachte ich, dass..."
"Nein", sagte Axel bestimmt. "Es ist mir egal, ob Wagonda die Empfänger der Medikamente sind, Lulugengo oder Kalabanda, Upeti oder Llangotos sind. Meine Mine existiert, um allen Menschen eine gerechte und gute medizinische Versorgung anzugedeihen lassen. Selbstverständlich kriegen Sie alle Medikamente umsonst."
Für einen Moment schien die junge Frau verblüfft. Dann aber griff sie sich in den Nacken, schob ihre schulterlangen Haare weg und löste eine Kette. Daran hing einer der Rohdiamanten, die sie so oft schon in Händen der Bevölkerung vorgefunden hatten. Sie nahm die Silberkette ab und legte sie samt Stein in Axels Hand. "Hier, nehmen Sie. Als Anerkennung für Ihren Willen und Ihr Versprechen."
"Das kann ich nicht annehmen. Ein persönliches Geschenk von solchem Wert." Dennoch betrachtete er fasziniert den gelben Rohdiamanten. Gelbe hatten sie eigentlich noch nicht gefunden. Dieser hatte die Größe eines Fingernagels, aber wenn er ein Makeable war, also im Stück geschliffen werden konnte, dann würde er ein kleines Vermögen wert sein. Natürlich war sich Axel klar, das er den Stein einige Zeit behalten musste, um die Schenkende nicht zu beleidigen. "Sie wissen, dass dies ein Diamant ist?"
"Ja", sagte sie schlicht. "Er gehörte meiner Großmutter väterlicherseits. Sie hat den Stein von ihrer Mutter erhalten. Damals, als wir noch auf der Ostseite des Lagabandas lebten, und das gesamte Ostufer bis zu den Vulkanbergen am Hochplateau Lulugengo-Land war." Sie beobachtete seine Reaktionen genau, und sie wurde belohnt, als sich ein gefährliches Glitzern in Axels Augen stahl.
"Ich erspare Ihnen, um das Thema herum zu lavieren, um mehr aus mir heraus zu bekommen", sagte sie amüsiert. "Ich werde Ihnen den eventuellen Fundort auf einer Karte einzeichnen. Es ist ein geologisch interessantes Gebiet, Teile eines vor Jahrmillionen angehobenen Meeresboden, der von den Vulkanaktivitäten zerrissen und mehrfach gefaltet wurde. Nur die Südhänge waren davon nicht betroffen. Ich wollte mir das schon immer mal ansehen. Aber als Lulugengo treibt man sich auf Kalabanda-Gebiet besser nicht herum."
"Vielleicht werde ich die Region besuchen. Vielleicht nehme ich Sie dann mit."
"Das wäre schön, Axel Herwig", sagte sie mit der Andeutung eines Lächelns.

Ihr Vater und Androweit traten herein, gerade rechtzeitig, als der Kaffee von Lia serviert wurde.
Axel kostete von der schwarzen Flüssigkeit und hob erstaunt die Augenbrauen.
"Kandis auf dem Boden. So trinken wir den Kaffee hier", erklärte Michelle. "Aber wir haben auch Milch und normalen Zucker da."
"Danke, aber ich trinke meinen Kaffee schwarz", sagte Androweit und fragte nach einer frischen Tasse. Michelle nahm sich Androweits Kaffee, damit es kein Affront für Lia wurde, und dem Deutschen wurde der Kaffee wie gewünscht serviert. Anschließend sparte der Pilot nicht mit Lob über das tolle Aroma, sodass sich Ldunga entschloss, seine zweite Tasse ebenfalls pur zu trinken. "Sie haben Recht, Jorge. Es ist ein interessanter Geschmack. Mir wurde Zeit meines Lebens gesagt, wir süßen den Kaffee, damit er nicht so bitter ist, und jetzt stelle ich fest, das ich bitter mag."
Die beiden Männer lachten miteinander, und Axel stellte die unvermeidliche Frage, ob sie hier überhaupt sicher waren, hintenan. Bereits jetzt hatte sich der Flug mehr als gelohnt, wenn er den Hinweisen der jungen Michelle Abesimi folgte und im ehemaligen Lulugengo-Gebiet nach Diamanten suchte.
"Mir schmeckt er mit dem Kandis sehr gut", sagte Axel. "Um auf das Geschäftliche zu kommen. Ich bin bereit für jeden Ihrer Speere, die wir getötet oder in unsere Dienste genommen haben, eintausend US-Dollar zu bezahlen. Darüber hinaus bin ich bereit, Ihnen monatlich Waren im Wert von zehntausend US-Dollar abzunehmen, deren Qualität und Menge Sie bestimmen. Ich hoffe, das wir dadurch gute Nachbarn werden."
Ldunga fixierte den Deutschen. "Sie bemühen sich. Das erkenne ich an. Aber ich habe nicht vor, Sie so leicht davon kommen zu lassen. Michelle, hast du schon etwas davon gesagt?"
Unwillkürlich dachte Axel an die zweite Mine.
"Nein, Paps. Das ist dein Part. Ich bin für die ökonomische Gesamtsituation zuständig."
"Oh. Gut." Er rief nach Bdaki. Die vierte Frau Ldungas kam näher, in der Hand ein Tablett, das mit einem Tuch abgedeckt war. Sie stellte es vor ihm ab und verabschiedete sich mit einer Verbeugung.
"Bitte, Sie müssen meine Frauen entschuldigen. Beide sind sehr traditionelle Lulugengo und patriarchischer als der Patriarch selbst. Ebenso sehr wie sie es mir verbieten, mich in das einzumischen, was sie "Frauendinge" nennen, ebenso wenig würden sie sich in das einmischen, was sie "Männerdinge" nennen. Und unser Kriegsrat ist so ein Männerding, meine Herren."
Michelle lächelte. "Bevor Sie fragen, als älteste Tochter bin ich eine Ausnahme, und meine Mütter diskutieren schon lange, ob ich zu den Männern oder zu den Frauen gezählt werden muss."
"Interessant", sagte Axel. "So jemanden kenne ich auch."
"Oh, ich versichere Ihnen, ich bin eine Frau. Und eines Tages suche ich mir einen passenden Mann und werde eine Mutter, auch wenn das viele jetzt noch nicht glauben können."
"Du suchst schon reichlich lange nach einem passenden Mann", sagte ihr Vater verdrossen. "Ich warte schon sehr lange auf einen Enkel von dir. Ich bin der Meinung, du solltest das wirklich Etienne und Sophie überlassen."
"Ja, ja, diese Sprüche kenne ich", erwiderte Michelle säuerlich. "Willst du nicht lieber unseren Gästen zeigen, was du dir hast bringen lassen?"
Ihr Vater entfernte das Tuch vom Tablett und enthüllte Dutzende Schmuckstücke, wie sie die Deutschen schon so oft in Belongo gesehen hatten. Auch hier waren auffallend viele der Steine gelb gefärbt. "Meine Herren, könnten dies ebenfalls Diamanten sein?"
"Die Wahrscheinlichkeit ist hoch. Wenn Sie erlauben, werden wir sie mitnehmen und in Panadia von unseren Experten taxieren lassen. Wie klingt achtzig Prozent des Wiederverkaufswert, unabhängig von Steuern für Sie?"
"Nicht akzeptabel", sagte Michelle. Sie gebot Axel, der erneut ansetzen wollte, zuzuhören. "Wir sind mit zwanzig Prozent des Wiederverkaufswert einverstanden. Dieser muss ausgezahlt werden in Waren, die wir in Belongo brauchen, hier aber nicht produzieren können. Allerdings möchten wir für einige Dinge auch die Produktionsmittel in die Hand bekommen."
"Was schwebt Ihnen da vor?"
"Eine Eisenhütte zum Beispiel. Eine Fertigungswerkstatt für primitive Elektronik. Etwas, was uns in die Lage versetzt, selbst Pumpen, Generatoren, Schmelzöfen und dergleichen zu bauen. Und natürlich kompakte Räucheröfen für die Fische aus dem Lagabanda, um sie haltbar und damit transportfähig zu machen. Das muss nicht alles sofort geschehen. Aber ich denke, wenn wir Ihnen für den ersten Schmelzofen und die erste Lieferung Generatoren zwei Wochen Zeit geben, ist das ausreichend."
"Bitte erstellen Sie eine konkrete Liste. Wenn diese Diamanten das wert sind, was ich vermute, können Sie sich ein zweites Haus nur aus Generatoren hinstellen", erwiderte Axel amüsiert.
Ldunga wurde nun leicht unruhig. Er redete im Stammesdialekt auf seine Tochter ein, die etwas in der gleichen Sprache erwiderte. Doch der Vater beharrte darauf.
Schließlich gab sie klein bei. "Mein Vater sagte mir, das er alle Treibstoffsorten von der Base de l'Air bekommen kann. Flugkerosin, Benzin, Diesel. Und er baut Raps auf seinen Feldern an, um den Diesel zu strecken."
Axel musste grinsen. "Vielleicht sollten wir doch Waren für hunderttausend US-Dollar im Monat abnehmen, wenn wir Kerosin und Diesel über Sie beziehen können, Ldunga Abesimi."
"Oh, bitte, sagen Sie nur Ldunga. Das reicht vollkommen zwischen Geschäftspartnern."
"Dann sagen Sie bitte Axel zu mir. Ich bestehe darauf."
Die beiden Männer besiegelten die neue Situation mit einem Handschlag.
"Das ist noch nicht alles. Wir haben von dem neuen Gerät gehört, das Sie einsetzen, und das Minen entfernt."
"Oh, ich kann Ihnen versprechen, es nicht bei Ihnen einzusetzen."
"Nein, darum geht es nicht. Wir haben im Internet gesehen, das diese Firma auch kleine, kompakte Geräte anbietet, die nicht so schnell, aber immer noch gründlich arbeiten. Wir würden gerne über Sie ein paar dieser Maschinen erwerben, um sie auf unseren Wiesen und Feldern einsetzen zu können."
"Das wird Herrn Obermayer aber freuen", sagte Androweit fröhlich. "Herr Obermayer ist von der Firma, die die Minenwölfe herstellt. Er begleitet die ersten Tage des Arbeitseinsatzes wegen eventueller Schwierigkeiten, und um sich ein Bild von der Situation vor Ort zu machen. Sicher hat er nichts dagegen, wenn seine Firma noch ein wenig mehr Umsatz macht."
Erneut redete Ldunga im Stammesdialekt auf seine Tochter ein.
"Ich weiß, Paps, aber du kannst nicht...", begann seine Tochter zornig.
Axel lächelte. "Ldunga, es wird kein Problem sein, eine Straße nach Panadia zu bauen. Wir hatten das sowieso vor. Und wenn wir schon dabei sind, können wir Ihre Farm und ein paar weitere gleich an das Straßennetz anschließen. Betrachten Sie das unabhängig vom Handel, den wir abschließen."
"Sie können Lulugengo?", fragte Michelle alarmiert.
"Wer weiß? Vielleicht habe ich auch nur gut geraten, weil das Wort für Straße das Gleiche wie auf Wagonda ist."
"Und noch etwas, wenn wir gerade in Fahrt sind", sagte der Warlord. "Ich will Ihre Hubschrauber."
Wie vom Donner gerührt saßen die beiden Deutschen da. Bei aller Liebe, aber das war vollkommen zuviel verlangt.
"Für mindestens einen Tag!", fügte Ldunga mit entschlossenem Blick an. "Vor allem Ihr Transporter ist wichtig. Und natürlich brauche ich Ihre Piloten, Co-Piloten und Lademeister!"
"Für einen Tag?", fragte Axel nach dem ersten Schrecken.
"Ach, die Geschichte. Mein Vater will seine Herde erweitern. Deshalb will er neue Zuchtstiere und neue Muttertiere in Panadia oder Twafiland einkaufen. Und solange es keine Straße gibt, geht das am schnellsten mit Ihren Transportern", erklärte Michelle. "Sie müssen meinen Vater und ein paar seiner Männer lediglich kutschieren. Aber wir würden das als besonderen Gefallen verstehen."
Michelle sah den skeptischen Blick der beiden Deutschen. Ein Lächeln ging über ihr Gesicht. "Mir ist klar, das Sie skeptisch sind. Immerhin sitzen Sie hier bei dem großen bösen Warlord Ldunga Abesimi im Haus, jederzeit in Gefahr, hinterrücks erschossen zu werden. Diese Gefahr für Ihre Piloten auf einen ganzen Tag auszudehnen ist undenkbar. Aber Sie müssen verstehen, wenn mein Vater nicht der Warlord der Lulugengo geworden wäre, wäre dies ein anderer geworden. Ja, sicher, er hat Kindersoldaten. Aber dieses Land ist nun einmal so. Diese Welt ist nun einmal so. Wir werden sie ändern, nach und nach."
Axel konnte sehen, das sie das ernst meinte. Und auch ihr Vater widersprach nicht. Teufel auch, für diese Menschen war es ein Geschäft. Ein dreckiges Geschäft, aber es ging dabei auch um den Schutz, den Fortbestand ihrer eigenen Leute. Auch um den eigenen Vorteil, aber der ergab sich durch solch eine Machtposition wohl von selbst. Axel konnte ihnen das kaum vorwerfen, immerhin tat er das Gleiche. Nur für ihn waren halt alle Menschen Belongos seine eigenen Leute. Musste dieses Denken dann nicht auch für Ldunga gelten?
"Sie werden an dem Tag, an dem wir die Hubschrauber ausleihen, mein Gast sein. Bis sie wieder an der Mine oder in Panadia gelandet und von der Kuhscheiße gereinigt sind, Michelle."
Sie wechselte einen amüsierten Blick mit ihrem Vater, während dieser eher erschreckt wirkte.
"Natürlich. Auf diese Weise klingt es ja auch netter als dieses hässliche Wort Geisel, oder?"
"Tochter, du kannst nicht..."
"Ich habe mich entschieden, Paps. Es ist ohnehin nur ein symbolischer Akt, denn wir wissen alle, das wir mit den Hubschraubern ohne die Piloten nichts anfangen können, und das sie nicht für uns fliegen werden. Was also läge da für uns zu gewinnen, außer die ersten zarten Beziehungen zur Minengesellschaft zu zerschneiden? Und da Herr Herwig ein Mann ist, der sein Wort hält, kann mir gar nichts passieren."
"Ich bin mir nicht so sicher, dass dir gar nichts passieren kann", sagte Ldunga, und fixierte Axel mit einem scharfen Blick. "Ich will sie zurück, in jeder Beziehung unversehrt. Und ich meine, in jeder Beziehung!"
"Auf einige dieser Dinge hast du keinen Einfluss, Paps", sagte Michelle deutlich unterkühlt. "Die liegen in meiner Entscheidungsgewalt, nicht in deiner."
Die beiden führten einen stummen Streit mit ihren Blicken aus, den die Tochter gewann.
"Ich denke, ich muss Ihnen da vertrauen, Axel", sagte der Kriegsherr schließlich mürrisch. Sein bittender Blick ging zu Androweit, bis er sich bewusst machte, das der Pilot überall sein würde an jenem Tag, nur nicht im Camp der Minengesellschaft, um auf die Jungfräulichkeit seiner Tochter zu achten. Falls sie überhaupt noch Jungfrau war, nach sechs Jahren Studium und Militärdienst.
"Noch etwas", sagte Axel, um das Thema zu wechseln, "Sie haben hier im Haus Internet?"
Diese Frage schien den Lulugengo zu verblüffen. "Haben Sie etwa kein Internet im Camp?"
"Doch, doch", sagte Axel peinlich berührt. "Ich habe nur nicht..."
"Was haben Sie erwartet? Dass wir nicht wissen, was das Internet ist?", fragte Michelle spöttisch. "Oder dass mein Vater und seine Männer allesamt Analphabeten sind?"
"Letzteres", gestand Axel unumwunden.
"Mein Vater achtet darauf, dass seine Leute zumindest lesen und schreiben erlernen, sowie die wichtigsten Grundrechenarten. Bildung ist wichtig, nicht zuletzt für das Führen einer Farm. Nicht so sehr für die gewaltsamen Konflikte hier draußen, aber für ein funktionierendes Gebilde wie dieses. Einige von denen, die es interessiert, haben auch einen eigenen Facebook-Account. Allerdings haben wir hier draußen kein Mobilfunknetz."
Axel lachte prustend. "Was eventuell kein Nachteil, sondern ein Vorteil ist."
"Ansichtssache", erwiderte Michelle pikiert. "Aber hier würde mir ja schon ein normales Festnetztelefon reichen."
"Vielleicht lässt sich das einrichten. Mit der Zeit. Wir werden sehen", sagte Axel gedehnt.
"Ja, wir werden sehen", wiederholte Michelle hoffnungsvoll.
Also doch. Junge Frauen und Telefone waren nicht zu trennen.
"Eines noch, Axel, Jorge." Ldunga sah die beiden ernst an. "Fliegen Sie nicht mehr die Route über Keounda City, die ehemalige Distrikthauptstadt."
Axel hob fragend eine Augenbraue. "Warum?"
"Etwas Böses lauert dort. Solange ich an der Nordgrenze der Stadt Präsenz zeige, kommt es nicht in mein Land, aber es ist dort und es wartet auf seine Chance. Ich weiß nicht, ob es ein Dämon, ein gefallener Gott oder einfach nur ein sehr böser und sehr verrohter Mensch ist, aber etwas ist da, und es besitzt die Ruinen. Wer sich hinein wagt, kommt nicht wieder heraus."
"Es ist wahr", sagte Michelle. "Ich weiß von einer Expedition der Base de l'Air in die alte Hauptstadt. Wir haben in der Akademie den Funk vorgespielt bekommen." Sie schüttelte sich. "Wenn ich daran denke, kriege ich immer noch eine Gänsehaut. Es muss ein furchtbares Gemetzel gewesen sein. Ein Rettungsteam, das sich aber nicht zu landen traute, konnte nur einen Toten verifizieren. Der anführende Offizier. Gevierteilt, geblendet und gekreuzigt. Sehen Sie, ich bin aufgeklärt, säkularisiert, habe eine akademische und eine militärische Ausbildung. Aber selbst ich kann nicht sagen, ob es dort einfach nur ein paar sehr brutale Menschen gibt, oder wirklich einen versteckten Dämon aus den alten Legenden, der sein Unwesen treibt und die Lebenden verdirbt."
"Als wir das erste Mal hergeflogen sind, haben wir Keouna City passiert. Die Kugeln, mit denen man auf uns geschossen hat, waren recht konventioneller Natur", sagte Axel nachdenklich. "Das bringt natürlich etliche Probleme mit sich, denn die schnellste Route nach Panadia für eine Straße führt über diese Stadt."
"Umgehen Sie sie. Zu Ihrer eigenen Sicherheit. Sollte man den Dämon eines Tages ausräuchern, kann man sie immer noch anschließen", sagte Ldunga. Etwas leiser fügte er hinzu: "Meine Speere können die Arbeiter beschützen. Am Südrand der Stadt beginnt Atuti-Gebiet. Dort regiert Lobando, ein eher gemütlicher Zeitgenosse, der vor allem vom Schmuggel lebt und mit Krieg nicht viel am Hut hat. Die Base de l'Air lässt ihn gewähren, weil sie einen Großteil der Schmuggelware abnimmt. Ohne die Stadt aber wären wir sicherlich schon aneinander geraten."
"Ich denke, es ist sinnvoll, diesem Rat zu folgen, auch wenn das fünf bis zehn Kilometer Umweg bedeutet", sagte Axel.
Androweit räusperte sich."Man merkt, das du von Straßenbau keine Ahnung hast. Zuallererst einmal müssen wir eine Route finden, auf der der Bau einer Straße sinnvoll ist. Mein Cousin ist Straßenbauingenieur. Er erzählt manchmal auf Familienfesten davon, wie schwierig das ist."
"Dein Cousin? Wirb ihn an."
"Was, bitte?", fragte der Pilot überrascht.
"Wirb ihn an. Wir brauchen jetzt einen Straßenbauingenieur."
"Du meinst das ernst?", fragte Androweit verblüfft.
Axel nickte langsam und nachdrücklich.
"Okay."
Ldunga ließ den Kaffee nachschenken. "Ich denke, dann haben wir das Wichtigste geklärt. Sie bleiben natürlich beide zum Essen mit meiner Familie und meinen wichtigsten Männern. Ich denke, es gibt einiges, was wir einander noch erzählen müssen. Und einen Termin für den Einkauf würde ich auch schon festlegen wollen."
"Zum Essen? Was gibt es denn Leckeres?", fragte Axel erfreut.
"Nun, meine Kinder essen Spaghetti. Für uns Erwachsene aber gibt es Steaks vom Grill und frisches Yams-Brot."
"Spaghetti? Mein Leibgericht", sagte Axel erfreut.
"Meines auch", gestand Michelle. "Vor allem mit einer leckeren Käse-Sahnesoße und kleinen Schinkenstückchen."
"Ich glaube, wir sprechen da eine gemeinsame Sprache", sagte der Deutsche erfreut.
Ldunga lachte. "Wir sollten besser mehr Spaghetti machen."
Androweit sah brummig drein. "Ich bin mehr für das Steak für die Erwachsenen."
"Sollen Sie kriegen, Jorge. Sollen Sie kriegen."

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Die Verabschiedung der Ärzte ohne Angst war kurz und herzlich. Die Anspannung der Tage als Geiseln war allen deutlich anzusehen, aber nun, da diese Zeit vorbei war, herrschte eine gewisse Euphorie in der Gruppe. Man hatte die Gelegenheit genutzt, und war mit dem Transporthubschrauber nach Ngali geflogen, wo das provisorische Hospital mittlerweile eine eigene Wiese und mehrere Zelte bekommen hatte. Die Ärzte ohne Angst hatten Gelegenheit gehabt, die Arbeit vor Ort zu begutachten, und sparten nicht mit Lob vor allem für die Eigeninitiative der Bevölkerung. Ein großes Plus von Belongo war wohl auch, das die Chance, erschossen zu werden hier einfach größer war, als an Malaria zu erkranken oder zu verhungern, weshalb die Gesamtverfassung der Menschen eigentlich recht gut war. Auch teilten die Belongoianer nicht den Trend zur einseitigen Ernährung. Fleisch, Gemüse, Obst und Sattmacher wie Reis, Kartoffeln und Yamswurzel fanden in der Küche Verwendung. Gut, weniger wegen der Ausgewogenheit, sondern weil es einfach mehr Yams, Reis und Gemüse als Fleisch gab. Aber es führte zu einer ausreichend gesunden Ernährung und Versorgung mit Nährstoffen und Vitaminen.
Wären nicht die Kriegsherren und die marodierenden Banden in der Region - ganz zu schweigen vom Militär Ndongos - hätte es ein nettes, idyllisches Hilfsprojekt sein können. Meike, die die Gruppe führte, vergaß nicht, mehrfach auf die Gefahr hinzuweisen, in der sie hier jeden Tag schwebten, und die die Ärzte ohne Angst selbst erlebt hatten. Aber wenn man Meike zuhörte, mochte man meinen, die Apokalypse stünde bevor. Dies machte einige der Ärzte nachdenklich, andere wie Kenderson konnte sie damit jedoch nicht einschüchtern.
Schließlich und endlich sollte der Flug nach Panadia erfolgen. Einige der Ärzte erklärten inbrünstig, wiederkommen und helfen zu wollen, andere waren recht schweigsam geworden.
Und dann schloss sich ihnen auch noch Karl Obermayer an, der Ingenieur, der die Schulung der Minenwolf-Fahrer geleitet hatte. Ngali war nun fast ganz Minenfrei, und man fuhr bereits die weiter entfernten Weiden ab. Dadurch bekam das Umland den Eindruck eines frisch gefurchten Ackers, aber wenigstens riskierte man nicht mehr sein Leben, wenn man es betrat. Und das Gras würde wieder wachsen. Mit dem Experten, der einen dicken Auftrag über weitere zwei mittlere Minenwölfe und vier kleine im Gepäck hatte, bestiegen sie den Mi-8MT. Es war abzusehen, das es dabei auch nicht bleiben würde, und mit vielen neuen Eindrücken und vor allem Enthusiasmus für das Projekt trat der Ingenieur die Heimreise an.

Eine kleine Gruppe, bestehend aus Hannes Malicke, Helene Grundler und Angel McDougal, begleitete die Crew im Mi-8MT, also Boxie als Pilot, Brandon Jackson als Co-Pilot und Ariane Koopmann als Lademeisterin, und die befreiten Ärzte, nach Panadia. Einer der Mi-24 unter Henrik Waltze, normalerweise Androweits Co-Pilot, flog Geleitschutz. Hannes war in erster Linie deshalb dabei, weil er als Anführer des Befreiungskommandos ein Symbol für die befreiten Geiseln war, und Meike daraus geschlussfolgert hatte, das er auf dem langen Flug eine beruhigende Wirkung auf sie haben musste. Die Frauen waren dabei, damit die Mädchen was zu reden hatten. McDougal und Grundler waren soziale Wesen und unterhielten sich von der ersten Sekunde an mit den Frauen unter den Ärzten.
"Und, Karl, wie war Ihre Zeit bei uns?", fragte Malicke den Ingenieur.
Der Oberbayer zuckte leicht zusammen, so als hätte man ihn aus einem Traum geweckt. "Toll. Ich meine, ich weiß gar nicht mehr, was ich anfangs geglaubt hatte vorzufinden. Von einer Mine habe ich etwas ganz anderes erwartet, aber sicher nicht das: Dieses Projekt, das so vielen Menschen Hoffnung und Stabilität gibt. Wussten Sie, dass man Ihre Frau Schrader in den Dörfern, die sie besucht, wie eine Prinzessin empfängt? Sie führt ihre Gespräche direkt mit den Dorfführern und den Clanältesten. Angeblich hat sie auch schon ihre Fühler zu einigen Warlords ausgestreckt, um latente Gesprächsbereitschaft zu signalisieren. Sie ist eine sehr mutige und aktive Frau.
Und wenn ich an Frau Herryhaus denke, sie hat Unglaubliches geschafft. Dieses Hospital aus dem Boden zu stampfen war ja eine Sache. Aber es so beliebt zu machen, dazu gehört schon was." Eher ungläubig schüttelte Obermayer den Kopf bei der Erinnerung an die Dinge, die er mit eigenen Augen gesehen hatte. "Wenn ich an die friedlichen Bilder denke, an Menschen aus fünf oder sechs verschiedenen Völkern, die friedlich nebeneinander stehen und warten, oder gemeinsam Mahlzeiten zubereiten, sehe ich hier ein großes klares Signal der Hoffnung."
Hannes fühlte sich bemüßigt, den Enthusiasmus wieder zu dämpfen. "Das liegt vor allem daran, weil unsere Anwesenheit auch Überfluss bedeutet. Endlich ist mal genügend da an Medikamenten, Impfstoff, an haltbaren Konservendosen, an Reis und Kartoffeln. Wer zu uns kommt, kann mit einer oder mehreren guten Mahlzeiten rechnen. Und wenn er geht, mit zusätzlichen Vorräten. Wir haben übrigens nicht nur Ngali mit Vorräten beliefert. Unsere Piloten haben schon neun Dörfer abgeklappert, in denen Heide den Bedarf ermittelt hat, und die Menschen dort versorgt."
"Und dafür die Rohdiamanten eingesammelt", sagte Obermayer. Er hob eine Hand. "Schon gut, das war kein Tadel. Ich weiß, das die Menschen sie Ihnen aufdrängen. Ich sehe auch mehr die positiven Seiten des Projekts, und die sind beeindruckend genug. Es wird das ganze Land stabilisieren, denke ich."
Der KSK-Offizier rieb sich das Kinn. "Vielleicht. Bisher hatten wir auch verdammt viel Glück. Als Charles mit seinen Kindersoldaten nach Ngali kam, hätte das in einer Katastrophe enden können. Und auch die vielen Menschen, die sich in Ngali treffen, können sich jederzeit aneinander reiben. Die verschiedenen Völker haben teilweise generationenlange Feindschaften. Ein Funke reicht, um das zu entzünden. Und wem das nicht reicht, für den bleiben immer noch die Kriegsherren, die bewaffneten Banden, Milizen, und die Rebellen, von denen ich bisher nur gehört habe. Und selbst wenn das nicht reichen sollte, ist da immer noch die Belongo Base de l'Air, die aus, hrrrrm, unerfindlichen Gründen etwas gegen ein stabiles Belongo hat."
"Und die auf Ihre Diamanten scharf sein könnte", warf Obermayer ein.
"Möglicherweise. Aber wir haben mittlerweile so viele gefunden, und Herr Herryhaus und Herr Trakener haben bereits so viele Diamanten taxiert, verarbeitet und verkauft, dass wir uns eine kräftige Ausdehnung unseres militärischen Arms leisten können. Und das wird auch höchste Zeit. Je länger es dauert, bis es knallt, desto größer wird er werden."
"Sind Sie da nicht einfach ängstlich? Ich sage Ihnen, ich war schon in Krisengebieten und hatte mit Rebellen zu tun, aber so freundlich und so friedlich wie hier waren die Leute noch nie. Sie sind Ihnen dankbar dafür, was Sie tun. Und sie haben Angst, das Sie wieder verschwinden, wenn Sie zu viel Mühe haben."
"Was ja auch der Wahrheit entspricht."
"Es geht noch weiter. Sie geben den Menschen Hoffnung. Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Hoffnung auf Frieden. Niemand hier will Sie wieder verlieren, und deshalb zeigen alle ihr bestes Benehmen. Klar gibt es Reibereien. Ich habe selbst einige erlebt, als zwei verfeindete Cousins aneinander geraten sind und sich geprügelt haben. Aber Ihre Leute haben das schnell und professionell beendet. Sie sind sehr gut ausgebildet. Ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie die Lady ihre Füße oben und die Köpfe der beiden Streithähne am Boden hatte."
Hannes lachte. "Das muss Rubik gewesen sein. Sie ist Kickboxmeisterin."
Obermayer grinste breit. "Das ist auch so ein Punkt. Ihre Frauen brechen alles auf, was an starren patriarchischen Strukturen all den Kampf und das Leid überlebt hat. Ihre Frauen beweisen sich in jeder Minute. Sie geben den hiesigen Frauen Auftrieb. Sowohl jenen wie Julienne, die sich als Lehrerin durchgesetzt hat, als auch bei jenen, die sich in die Familienstrukturen eingebunden hatten. Ich denke, sie lernen, das sie dort nicht stehenbleiben müssen, wo sie gerade sind. Und die Männer lernen recht eindrucksvoll, was Frauen tun können, wenn man sie lässt. Sie können hier vieles bewirken, in einem verzweifelten und vernachlässigten Land."
"Warten wir es ab. Auch Jesus wurde letztendlich ans Kreuz genagelt."
"Sie glauben wirklich daran, das es hier noch so richtig zur Sache geht, oder?", fragte Obermayer.
"Wie man es nimmt. Wegen dem Erdöl wurde das Land zwanzig Jahre im Bürgerkrieg gehalten, und Hilfsorganisationen wurden drangsaliert. Belongo ist ein rechtsfreier Raum, weil es keine Regierung gibt. Selbst in den Nachbarbezirken merkt man das. Fragen Sie unsere Ärzte ohne Angst. Dr. Cormick, wie weit waren Sie von der Grenze Belongos entfernt?"
Elias Cormick, der Anführer der Ärztegruppe, schreckte aus düsterem Brüten hoch. "Rund fünfundzwanzig Kilometer, Hauptmann Malicke", sagte der Mediziner.
"Sehen Sie, Karl, und das hat trotzdem nicht gereicht, um in Sicherheit zu sein. Mag ja sein, das die Menschen im Moment stillhalten, weil wir ihnen Vorteile bringen, weil wir Vorräte bringen, weil wir ihre Felder entminen. Mag auch sein, dass die bewaffneten Truppen merken, das ein neuer Löwe im Revier ist und sich deshalb bedeckt halten. Aber was passiert, wenn die nächste Gruppe Kindersoldaten nach Ngali kommt, und es geht diesmal nicht so glimpflich ab wie bei Charles und seiner Schwester?"
"Ihre Reputation wird gehörig leiden, schätze ich."
"Scheiß auf die Reputation, Karl. Menschen werden sterben. Und zwar eine Menge mehr als in Brekk, und das war schon ein hässlicher Anblick." Hannes senkte den Blick. "Die Milizionäre, die dort gewütet haben, wurden auch nicht böse geboren. Dieses Land hat sie böse gemacht. Weil es sich leichter Öl fördern lässt, wenn niemand vor lauter Kämpfen bemerkt, das einem gerade etwas Wertvolles weggenommen wird."
"Hm." Der Bayer runzelte die Stirn. "Haben Sie da nicht ein wenig Angst, dass die Ordnung, die Sie in diesen Teil der Region bringen, Ärger mit dem Ndongo-Militär bedeuten wird? Ich meine, Sie haben vier Hubschrauber, ein paar Jeeps und einen Haufen Handfeuerwaffen. Und was hat Ndongo?"
Langsam antwortete Hannes: "Dreizehn Infanteriebrigaden, eine Panzerbrigade, acht Kampfflugzeuge, zwei Alouette-Hubschrauber für Aufklärung und Botendienste, und natürlich die Republik-Garde. Ihre Elitetruppe mit knapp zweitausend Mann unter Waffen, davon rund eintausendeinhundert gut ausgerüstete Infanteristen, teilweise motorisiert mit Radpanzern südafrikanischer Fertigung, natürlich bewaffnet."
"Das dürfte für Ihre fünfzig Leute ein klein wenig zuviel sein", kam es von Cormick, der interessiert zugehört hatte.
"In der Base de l'Air sind zur Zeit motirisierte Infanteristen und von der Luftwaffe nur die Alhouette und ein paar Trainingsjets stationiert, die Präsenz zeigen sollen. Die haben praktisch keinen kämpferischen Nutzen und sind unseren Mi-24 hoffnungslos unterlegen. Aber wir werden es merken, wenn neues Material dazu kommt. Zum Beispiel von euch Amerikanern", sagte Hannes.
"Sie rechnen damit, das die Army oder die Air Force hier eingesetzt werden?"
"Wieso nicht? Es geht ja um gute alte amerikanische Wirtschaftsinteressen. Und dafür ist sich Uncle Sam nicht mal zu Schade, das autonome Gebiet einer befreundeten Macht zu überfallen. Siehe Grenada."
"Das war, wenn ich mich recht entsinne, eine Intervention auf Bitten des Parlaments", warf der Arzt ein, der die Ehre seiner Nation nicht kampflos preisgeben wollte.
"Es wurden die karibischen Nationen und die USA gebeten, sicherlich. Aber wäre ihnen ein Zacken aus der Krone gebrochen, wenn sie auf britische Einheiten gewartet hätten, oder zumindest den Premierminister informiert hätten, das sie eine Invasion in ein Mitgliedsland des Commonwealth vorhaben? Und das Problem mit den Amerikanern ist, sobald sie erstmal da sind, kriegt man sie nicht mehr so schnell los", fügte Hannes hinzu. "Die offizielle Grenze zu Russland, beispielsweise, liegt jetzt in Polen. Aber die Amerikaner unterhalten immer noch ihre Basen in Deutschland."
"Das hat aber sechzig Jahre Frieden in Deutschland bedeutet", sagte Cormick.
"Und Sie waren angenehme Gäste, Doktor Cormick, nicht nur während des Kalten Krieges. Aber verstehen Sie mich nicht falsch. Ich habe oft und viel mit Briten, Franzosen und Amerikanern trainiert und habe einige gute Freunde unter ihnen. Dennoch kommt es mir so vor, als wären wir immer noch..."
"Unter Besetzung", sagte Obermaier. "Ich kann diesen Blickwinkel verstehen, auch wenn ich ihn nicht teile. Was ich aber teile, ist meine Befürchtung, dass die Amerikaner intervenieren werden, weil Roxxon-Interessen auf dem Spiel stehen. Und glauben Sie mir, Doktor, ich habe meine Informationen aus erster Hand, weil wir Minenwölfe in alle Welt liefern. Wenn es um Wirtschaftsinteressen geht, sind US-Truppen nie besonders zimperlich. Aus einzig diesem Grund stehen in Saudi-Arabien immer noch Militärbasen, obwohl der Irak als Bedrohung ausfällt: Saudi-Arabiens erschlossene Ölfelder stellen gerade weltweit ein Viertel der Vorräte dar."
"Es gibt immer noch den Iran in der Region", wandte Cormick ein.
"Der über den Golf von Aden kommen muss, oder durch den Irak, um die Saudis zu gefährden. Außerdem ist er von Militärbasen eingekreist. Afghanistan, Pakistan, in Irak die sogenannten Berater, Saudi-Arabien, überall stehen US-Truppen. Die werden sich hüten, irgendein Abenteuer zu begehen, oder gar den offenen Schlagabtausch mit der Navy zu riskieren, den sie nie gewinnen können. Ihr Material ist zwar teilweise besser als das US-amerikanische, weil die Russen es aufhübschen, aber sie haben es in zu geringer Zahl. Außerdem würde eine Defensiv-Haltung bedeuten, das die iranischen Partner wie China, Russland, Brasilien und Venezuela ganz offen Hilfestellung leisten können."
"Wenn Sie die Fakten so auslegen, kann ich Ihnen schlecht widersprechen. Und für Belongo bedeutet das was?"
"Nun, als wir ankamen, haben Leute von Ldunga mit Sklaven aus den umliegenden Ortschaften auf unserer Mine nach Gold geschürft. Die Diamanten haben sie nicht interessiert. Sie wussten nicht mal, das es sie gibt. Wir wurden beschossen, deshalb haben wir zurückgeschossen, anstatt alles friedlich zu regeln. Auf diese Weise konnten wir eine Vergewaltigung verhindern und viele Sklaven befreien. Selbst einige der Wächter sind jetzt auf unserer Seite", zählte Hannes auf. "Laut den Unterlagen, die wir dem Belgier, der das Unternehmen leitete, abgenommen haben, erfolgte die Goldsuche auf Anweisung von Roxxon. Die Mine war nicht offiziell angemeldet und der Grund Niemandsland. Wir hingegen haben eine Schürflizenz und einen klaren Anspruch auf die Mine. Sobald Roxxon erfährt, das sie nach Diamanten anstatt nach Gold suchen müssen, könnten sie sich dazu entscheiden, eine zweite Enklave des Ndongo-Militärs zum Schutz ihrer Wirtschaftsinteressen aufzubauen, nur diesmal um die Diamantenmine. Bedenken Sie, wie leicht wir die Steine finden. Was meinen Sie, wie viele wir finden werden, wenn wir mit richtig schwerem Gerät vorgehen können? Das Problem ist dann halt, das wir die Mine mit unserem schweren Gerät halten, und bereits einen Friedenskontrakt mit Ldunga geschlossen haben. Die Ndongoische Armee würde sich im Kampf gegen uns, obwohl wir nur so wenige sind, dank unserer Hubschrauber eine blutige Nase holen. Aber beispielsweise eine einzige Rotte F16 würde unsere Lage erheblich erschweren. Oder anders ausgedrückt: In unserer Mine ist viel Geld zu verdienen, und Roxxon plant im Gegensatz zu uns sicherlich nicht, etwas von den Erträgen mit der Bevölkerung zu teilen. Ein Bundesland im Bürgerkrieg hat ja auch nicht wirklich eine offizielle Instanz, mit der man verhandeln könnte. Ich denke, diese, hm, Unstruktur kommt Roxxon gelegen und wird von der Firma gefördert."
"Was ich nicht widerlegen kann", sagte Cormick.
"Aber wir beweisen können, anhand der erbeuteten Unterlagen", sagte Hannes mit Nachdruck. "Überlegen Sie doch mal. Von der Base de l'Air geht eine Pipeline für Benzin direkt zum größten Ndongoischen Verladehafen. Trotzdem herrscht in Ndongo Benzinknappheit. Sie müssen den Sprit zu Weltmarktpreisen einkaufen und importieren. Ist Ihnen das noch nicht aufgefallen, als Sie mit Ihrer Hilfsorganisation ins Land gekommen sind?"
Obermaier lachte leise. "Das sollte Ihnen wirklich zu denken geben, Doktor." Seine Miene wurde ernst. "Ich kenne auch viele anständige Amerikaner, denen ich jederzeit mein Leben anvertrauen würde, auch Soldaten, die mit Herz und Leib und Leben um das Leben jedes Menschen kämpfen, die meinen, etwas Gutes in der Welt zu tun. Aber wem ich mein Leben niemals anvertrauen würde, das sind Typen aus der Wall Street und aus der obersten Führungsebene von Aktienunternehmen. Das sind Monster, die für ihre Gewinnspanne buchstäblich über Leichen gehen. Mir hat mal einer von denen vorgeschlagen, das wir den Preis für die Minenwölfe verdreifachen müssten. Es gäbe ja den Bedarf, und notfalls könne man den Aufpreis von der EU oder der UNICEF oder der WHO mitfinanzieren lassen."
"Das ist starker Tobak", sagte der Arzt nachdenklich. "Was haben Sie geantwortet?"
"Das man jeden Euro nur einmal ausgeben kann, und wir deshalb zwar gut an den Minenwölfen verdienen, aber nicht aus Töpfen bezahlt werden wollen, deren Geld anderen sozialen Projekten zugute kommen würde."
"Und was hat der Manager geantwortet?"
Obermaier grinste schief. "Dass er sein Monopol erbarmungslos ausgenutzt hätte, und ich ein idealistischer Kraut ohne Ahnung vom Geschäft wäre. Da hat er ja auch Recht. Ich bin Ingenieur."

Sie schwiegen eine Zeitlang. Schließlich ergriff Cormick wieder das Wort. "Ich denke, hier gibt es einiges wieder gut zu machen. Seien Sie versichert, das ich wiederkomme und im Hospital helfen werde."
Hannes zog die linke Augenbraue hoch. "Sind Sie sich da sicher? Meike duldet kein Alphatier neben sich. Sie würden sich unterordnen müssen."
"Ob Sie es glauben oder nicht, Frau Herryhaus ist eine fähige Ärztin und eine gute Führungskraft. Es würde mir nichts ausmachen unter ihr zu arbeiten. Abgesehen davon wird sie mich anhand meiner Qualifikation einsetzen, und das ist die Unfallchirurgie. Ich hätte nichts dagegen, unter ihr die Chirurgie zu leiten", sagte der Arzt mit einem Grinsen.
"So ganz ohne Ambitionen scheinen Sie ja doch nicht zu sein", bemerkte Hannes schmunzelnd. Leiser fügte er hinzu: "Was die Amerikaner angeht - wir können wohl froh sein, das hier die Chinesen nicht mitmischen. Noch nicht. Dann würde es erst Recht unübersichtlich werden."
"Die Chinesen?" Cormick rieb sich die Hände. "Ich glaube, der lange Flug wird uns nicht langweilig werden."
***
Auf Höhe der Disktrikthauptstadt, Keounda City, machte der Transporter einen heftigen Schlinger, und von draußen erklang kurz darauf eine Explosion.
"Keine Panik", klang Boxies Stimme über Bordfunk auf, "das war nur eine simple Panzerfaust, nicht mal eine MANPAD. Wir konnten ausweichen und umfliegen die Stadt nun noch weiträumiger. Mist, ich dachte, ich hätte genügend Abstand gehalten."
"Anscheinend haben sich unsere neuen besten Freunde darauf eingestellt", merkte Jackson, der Co-Pilot, an. "Vielleicht sollten wir sie in Zukunft im Osten umfliegen."
Eine neue Explosion hallte herein, Sekunden bevor Boxies Stimme erneut aufklang. "Na, zumindest um diese Stellung brauchen wir uns keine Sorgen mehr zu machen. Die hat Henne Waltze soeben kleingehäckselt. Leg dich nie mit einem Bundeswehrpiloten an, der zu wenig Kaffee im Blut hat." Seine Stimme verlor den fröhlichen Klang. "Alles in Ordnung soweit da hinten?"
Hannes, der durch die Ausweichbewegung nun Dr. Halle Grossman auf dem Schoß sitzen hatte, die sich nicht angeschnallt hatte, erwiderte: "Alles soweit in Ordnung, aber wir sind ein klein wenig durcheinander geraten. Wir sortieren uns gerade." Er sah die Ärztin an, die er spontan festgehalten hatte, falls ein weiterer Schlenker erfolgen würde. "Sie sollten sich anschnallen, Ma'am."
"Ja, guter Rat", erwiderte sie mit vor Aufregung geröteter Stirn.
Hannes wechselte einen Blick mit Helene. "Wir sollten den Klaus fragen, ob er uns auch detaillierte Karten zu Keounda City liefern kann. Ich habe das Gefühl, wir werden die bald brauchen."
Grundler sah auf, als der Name des ominösen Offiziers fiel, dem sie ihre aktuellen Karten verdankten. Der Mann war ein Phantom, aber bei der Truppe durch seine arbeitserleichternden Karten recht beliebt. "Hoffen wir, das wir sie nicht brauchen werden. Es soll was ganz übles in der Stadt vorgehen. Was richtig übles. Alle, die von der Distrikthauptstadt sprechen, reden ganz leise, um das Böse nicht zu wecken."
"So?", fragte Hannes indigniert. "Ich glaube, du hast dir gerade deine Beförderung zum Feldwebel verbaut. Ich kann keine abergläubischen Unteroffiziere gebrauchen, weißt du?"
"F-Feldwebel? Ich? Was?"
Jovial und leicht enttäuscht fuhr Hannes fort. "Wir kriegen dreißig neue Infanteristen, einige davon haben schon mal einen Fremdenlegionär von nahem gesehen. Ich hatte vor, zwei Kompanien aufzustellen, eine leite ich, eine kriegt Kram. Du solltest Zugführer werden. Aber wenn du schon Ammenmärchen glaubst, dann..."
"Wir sollten uns dringend um die Karten bemühen, damit wir da jederzeit reingehen können, um mit diesem Mythos aufzuräumen", sagte sie entschlossen.
"Na, das klingt ja schon wesentlich besser, Frau Feldwebel", schloss Hannes zufrieden. Er sah die Ärztin an, die noch immer auf seinem Schoß saß. "Also, persönlich habe ich ja nichts dagegen, aber ich denke, rein moralisch gesehen sollten Sie sich doch wieder auf Ihren Platz setzen und sich anschnallen, Ma'am."
"Natürlich, Herr Leutnant. Ich meine Hauptmann. Ihre deutschen Ränge bringen mich etwas durcheinander."
"Sagen Sie einfach Hannes", schmunzelte der KSK-Offizier, während die Medizinerin von ihm runter auf ihren Sitzplatz glitt, wo sie sich anschnallte.
"Und es heißt Miss, Hannes. Nicht Ma'am." Dabei zwinkerte sie ihm verstohlen zu.
"Gut zu wissen", erwiderte Malicke, und unterdrückte das dringende Bedürfnis, seinen Kragen zu lüften.
***
Auf dem Flugfeld von Honiton City angekommen, erwartete die beiden Hubschrauber eine recht große Überraschung. Dutzende Reporter säumten die Landezone, wenngleich Hannes auf Anhieb ein paar Männer und Frauen in Marines-Felduniform erkennen konnte. Die waren sicherlich für die Amerikaner bei den Ärzten ohne Angst gekommen. Weitere Gruppen von Anzugträgern und militärischen Wachen bewies, dass die Ärzte keine homogene Gruppe waren.
Nachdem die Rotorblätter still standen, verließ Hannes als Erster den Hubschrauber und half den Ärzten, ihn zu verlassen. Bei den Wartenden stand auch Thomas Herryhaus, in ein Gespräch mit einem Schlipsträger vertieft, der die Stars&Stripes-Flagge als Emaillenadel am Revers trug. Zweifellos ein hoher Botschaftsangehöriger. Im Hintergrund standen auch ein paar Rettungswagen, aber dank der hervorragenden Behandlung durch Meike würden die nichts zu tun bekommen.
Nachdem der letzte Mediziner ausgestiegen war, schritt Hannes vorweg durch das plötzliche Blitzlichtgewitter, und machte sich gerade klar, dass seine Karriere damit endgültig im Arsch war, und die Bundeswehr ihn jetzt entweder als Deserteur suchen lassen würde, oder ihn zumindest nichts wichtigeres als einen Schreibtisch kommandieren lassen würde. Es war einerlei. Sehr viel mehr im Arsch konnte seine Karriere gar nicht sein. Ein Einreiseverbot nach Deutschland allerdings würde ihm mächtig wehtun. Andererseits war er suspendiert und hatte sich ordnungsgemäß nach Afrika abgemeldet, bevor er gegangen war. Es hatte nur niemandem in seinem Kommando interessiert. Tja. Man würde sehen, was passierte.

Hannes trat zu Thomas und unterdrückte das dringende Bedürfnis zu salutieren. "Herr Herryhaus, ich bringe die Ärzte ohne Angst, die wir aus der Hand der Entführer befreien konnten. Es gab keine Verluste bei ihnen oder meinen Leuten. Dafür aber viele Tote unter der Zivilbevölkerung. Einige der Verwundeten werden in unserem Feldlazarett behandelt", fügte er hinzu.
"Das ist gute Arbeit, Leutnant Malicke", sagte Thomas, Hannes' noch nicht ganz sattelfeste Beförderung ignorierend. Das tat er augenscheinlich für die internationale Presse, der er eine Beförderung, die nicht von der Bundeswehr kam, schlecht hätte erklären können.
Thomas neigte sich dem Mann mit der Emaille-Flagge zu, der erheblich jünger und kleiner war. "Leutnant Malicke wurde uns vom Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr ausgeliehen. Und wie Sie sehen, hat er einen guten Job gemacht, eure Exzellenz."
Exzellenz. Der offizielle US-Botschafter in Panadia.
"Darf ich vorstellen? Seine Exzellenz Robert Brown, Botschafter der USA, Sir Jonathan Harris, Botschafter Kanadas, und Exzellenz Pierre Orly, Botschafter von Frankreich. Sie repräsentieren die Länder, aus denen die Ärzte ohne Angst, die Sie und Ihre Leute gerettet haben, stammen."
"Sehr erfreut, Sie kennen zu lernen. Sicher wollen Sie Ihre Schutzbefohlenen einsammeln und sich von der Unversehrtheit ihres Zustandes überzeugen", erwiderte Hannes, während erneut Blitzlichter stakkatoartig flackerten, und die Fernsehkameras ihre Arbeit taten.
"Zuallererst möchten wir uns bedanken, Leutnant Malicke. Bedanken bei der Bundeswehr, bei der Bundesrepublik Deutschland, und natürlich bei Herrn Axel Herwig, dem Manager der First Belongo Mining Corporation, die diese Rettung erst möglich gemacht hat, weil er Sie, Leutnant Malicke, quasi von der Leine gelassen hat. Die amerikanische Nation steht für die Rettung ihrer qualifizierten und tapferen Ärzte, die für die Organisation Ärzte ohne Angst ihre Leben zum Wohle der Menschen riskiert haben, in tiefer Schuld. Erlauben Sie mir, Ihnen die Hand zu schütteln, Leutnant Malicke. Ich würde es als große Ehre ansehen."
"Selbstverständlich", erwiderte Hannes erstaunt, als er die Hand des Kleineren ergriff und fest schüttelte.
"Das gleiche gilt natürlich für Kanada und das Commonwealth", sagte nun Sir Harris. "Sie haben schnell und entschlossen eingegriffen, kaum das Sie die Möglichkeit dazu sahen. Das KSK und die Bundeswehr können sehr stolz auf einen Offizier von Ihrem Format und auf die erfolgreiche Geiselbefreiung sein. Meine Hochachtung, Sir." Auch der Kanadier bot ihm die Hand, und Hannes ergriff sie. Dabei sah er Thomas kurz lächeln, und er ahnte, das der Politikwissenschaftler gerade irgend etwas für die Reputation tat. Für die Reputation der Minengesellschaft, und vor allem für seine Reputation und die von Niklas Herwig. Immerhin waren sie beide trotz allem noch aktive Bundeswehrsoldaten.
Der Franzose trat nun herbei, den Blick kurz auf einen der Ärzte gerichtet. "Monsieur Lieutenant Malicke, die Grande Nation freut sich selbstverständlich auch darüber, wenn nur eines seiner verlorenen Schäfchen gerettet wurde, nachdem es verloren gegangen ist", sagte Orly, ergriff seine Hand, schüttelte sie und kusste ihn anschließend auf beide Wangen. "Angesichts der 'ervorragenden Beziehungen unserer beiden Länder 'abe ich allerdings nichts anderes erwartet. Großartige Arbeit, Monsieur Lieutenant."
"Danke", erwiderte Hannes verdutzt. "Ich bin nur froh, das wir alle Geiseln unverletzt befreien konnten."
"Nur nicht so bescheiden", sagte Sir Harris. "Man sollte Ihren Heldenmut entsprechend würdigen. Stimmt es, das Sie sich auf eine Handgranate geworfen haben, die direkt vor die Hütte geworfen wurde, in der die Mediziner eingesperrt worden waren?"
"Ja, aber der Stift wurde nicht gezogen", erwiderte Hannes verdutzt, der nicht so recht wusste, wie der Kanadier an dieses Wissen gekommen sein konnte.
"Was Sie aber zu dem Zeitpunkt nicht wussten", stocherte der Kanadier nach.
"Natürlich nicht. Sonst hätte ich keinen Grund gesehen, die Explosion mit meinem Körper abzudämpfen", sagte Hannes mit Nachdruck. "Ich konnte nicht riskieren, dass eventuelle Schrappnelle die Geiseln verletzen."
Ein leises, erstauntes Raunen ging durch die Reporter, Soldaten und Botschaftsmitarbeiter. Schon plapperten die ersten Reporter von "Heldenmut", "Glück des Tüchtigen", und dergleichen.
"Aber was rede ich so lange. Ich möchte Ihnen gerne Ihre Leute übergeben." Er wandte sich den Ärzten zu, die ihn hoch erfreut und kollektiv angrinsten.
Der amerikanische Botschafter winkte ab. "Später, mein guter Malicke. Ich möchte Sie zuvor darüber informieren, dass ich Sie für den Bronce Star vorgeschlagen habe", informierte ihn der Amerikaner. "Aber das wurde für Sie abgelehnt."
"Danke", sagte Hannes überrascht. "Der Gedanke zählt."
"Stattdessen hat man Sie im Pentagon für den Silver Star ins Auge gefasst, und Ihre Leute, von denen einige ehemalige US-Soldaten sind, wie ich an dieser Stelle erwähnen muss, für den Bronce Star, einschließlich Ihres Piloten, der Sie ins Krisengebiet rein-, und wieder rausgeflogen hat."
Nun schwieg Hannes verdutzt. Es gab nicht sehr viele hochklassige Ehrungen auf der Welt. Der Silver Star war eindeutig eine davon. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll", sagte er schließlich mit belegter Stimme.
"Danke war ein guter Anfang", sagte Brown, und schüttelte Hannes erneut die Hand. "Und noch ist die Ordensvergabe ja nicht durch. Wir können Ihnen einen Orden nicht so schnell verleihen, wie Sie unsere Landsleute gerettet haben, so über Nacht."
Auch die anderen Botschafter schüttelten ihm die Hand. Und jedem musste klar sein, dass die USA im Anbetracht der Fernsehkameras wenig Einwände gegen diese Verleihung haben würden. Ebenso wenig wie sich die Bundeswehr über die gute Presse beschweren konnte. Und all das hatte zweifellos der alte Fuchs Thomas eingefädelt, der noch weiter zu denken schien als die Herwigs, und das wollte schon was heißen.
"Dennoch möchte ich Ihnen jetzt meine Schutzbefohlenen übergeben", sagte Hannes nach einer angemessenen Pause.
Thomas trat zu den Botschaftern. "Die First Belongo Diamond Mining Corporation hat einen kleinen Imbiss ausgerichtet, in unserer größten Lagerhalle mitten zwischen den Hilfsgütern, die wir nach Belongo bringen werden. Da die Geiseln in körperlich guter Verfassung sind, und eine medizinische Behandlung nicht nötig ist, wie mir meine Enkelin, die Chefärztin Meike Herryhaus, versichert hat, steht einem kleinen Snack sicher nichts im Wege, zu dem ich selbstverständlich auch die Pressevertreter einlade. Zugleich möchte ich auch den Umfang unserer Hilfsanstrengungen präsentieren. Hier entlang, bitte, meine Damen und Herren."
Hannes registrierte vor allem eines: Thomas führte die Menge nicht zum üblichen Lagerhaus. Das konnte nur bedeuten, das die zivilen Nachschubgüter und die militärischen Gerätschaften getrennt worden waren, um ein möglichst gutes Bild für die Öffentlichkeit zu erzeugen. Hannes bemerkte darüber hinaus auch eine Reihe von im SECAM-Fleckentarn ihrer Einheit ausgerüsteter Männer und Frauen, die als Zaungäste bei den Büros herum standen. Er zählte achtzehn, die er sehen konnte. Das mussten die ersten Neuzugänge sein, die Bernd besorgt hatte. Wahrscheinlich hatte er das schon getan, bevor Niklas überhaupt der Gedanke gekommen war, dass sie noch Leute gebrauchen konnten.

Jemand klopfte ihm auf die Schulter. Es war Boxie. "Nun komm, bevor uns die anderen die Trüffelpasteten wegfuttern."
"Ja, sicher." Die beiden Männer schlossen sich den befreiten Ärzten an. "Du bist heute ohne Meerschweinchen geflogen, habe ich bemerkt. Grund?"
"Zu gefährlich", kommentierte Boxie verstimmt.
"Was? Hast du den Beschuss vorher geahnt?"
"Nein, das ist es nicht. Aber so wie die Frauen Doktoren auf Anastasia und Willi reagiert haben, traue ich ihnen zu, sie mir zu klauen. Das ist mir zu gefährlich."
"Ah, verstehe", erwiderte Hannes grinsend.
***
"LT, schauen Sie sich doch das hier mal an!", rief Sergeant Ryback herüber.
"Was gibt es denn, Sophie?" Jason Scott trat zu der Gruppe Army Rangers, die sich um den einzigen Fernseher ihrer Baracke versammelt hatten. CNN war eingeschaltet, und der Untertitel erzählte irgendwas von einer "spektakulären Geiselbefreiung".
Scott schwante Übles, und als die Kamera über die Gesichter der Befreiten schwenkte, wurde ihm auch übel. Er fühlte sich, als würde ihm jemand die Beine unter den Füßen weg ziehen. Doktor Cormick! Doktor Grossman! Doktor Favieux! Doktor Kensington! Und die anderen! Scott erkannte sie sofort, denn überall in der Baracke hingen ihre überlebensgroßen Portraits, damit jedermann jederzeit wusste, wie die Personen aussahen, die sie zu retten hatten. Wer hatte die ohne seine Erlaubnis gerettet? Und was noch viel schlimmer war, an seiner Stelle?
"Was geht da ab?", fragte er mit einer Stimme, die er kaum als seine eigene erkannte.
"Die deutsche KSK. Sagt zumindest CNN", erklärte Ryback, nicht weniger verbissen als er. "Es gibt hier wohl irgendeine Firma der Deutschen, die auch noch karitativ tätig ist. Die hat KSK-Spezialisten von der Bundeswehr ausgeliehen. Und als sie wegen Lösegeldforderungen kontaktiert wurden, haben die KSK genau einen Anlauf gebraucht, um die Geiseln zu befreien. Ich weiß, das klingt unglaubwürdig, vor allem weil die Ärzte keine Verluste oder Verwundungen haben. Aber in diesem Moment stehen sie in Panadia auf einem Flugplatz." Sie seufzte. "Das bedeutet dann wohl packen, oder?"
"Captain Scott. Der General will Sie sprechen!", hallte die Stimme ihres Ndongoischen Verbindungsoffizier zu ihm herüber.
"Mist!", entfuhr es Scott. Sie hätten es sein müssen, die ihre Landsleute und die anderen retten müssen! Sie, die Army Ranger! Nicht irgendwelche Navy Seals, und erst Recht keine anderen ausländischen Elite-Verbände. Sie! Ihnen hatte die Ehre zugestanden, hatte der erste Schuss zugestanden! Und nun das! "Sagen Sie ihm, das ich unterwegs bin, Henri. Und der Rest fängt schon mal mit packen an."
"Gibt das einen Anschiss, Sir?", fragte Private Langström.
"Anschiss wofür? Haben Sie was ausgefressen?"
Die Unteroffiziere und Mannschaften lachten verhalten.
"Nein, Langström, einen Anschiss gibt es nicht. Aber sicher schmeißt er uns raus. Was sollen wir denn noch hier?" Mit mehr als gemischten Gefühlen folgte er Henri Ltongo ins Büro von Général Mulanga.

Natürlich lief im Büro des Générals der Fernseher, natürlich lief CNN. "Kommen Sie rein, Captain", sagte er mürrisch. Der große Schwarze deutete auf den Fernsehschirm. "Scheint so, als wäre Ihnen jemand zuvor gekommen."
"Das habe ich auch schon gemerkt", erwiderte Scott bissig. "Aber das Wichtigste ist, dass die Geiseln in Sicherheit sind."
"Erzählen Sie das jemandem, der sich die Hose mit dem Schweißbrenner zumacht", erwiderte der Brigadier Général. Mulanga lächelte bei diesen Worten nicht, aber er war auch nicht zornig. "Ich weiß, wie Sie sich fühlen. Ich weiß, was in Ihnen vorgeht. Vor ein paar Monaten war ein deutscher Austauschoffizier hier. Er wurde während einer Patrouille von Rebellen entführt, und wir haben wochenlang nichts mehr von ihm gehört. Die Deutschen flogen extra KSK nach Ndongo ein, ein Teil ihrer Spooks zur Datenbeschaffung war sogar hier in der Base, während die Eingreiftruppe, die den Offizier befreien sollten, in der Hauptstadt auf den Zugriff gewartet hat. Dann gingen die Rebellen über die Grenze nach Panadia, und dort nahmen sie die britisch trainierten Ranger von Panadia in Empfang, die schon auf sie gewartet hatten. Der Mann konnte unverletzt gerettet werden. Aber seine Kameraden waren stinksauer. Es wäre ihre Mission gewesen, ihn zu retten."
Scott zögerte. "Sie haben Recht. Natürlich ärgere ich mich, das es nicht meine Leute waren, die unsere Landsleute gerettet haben. Ihnen hätte die Erfahrung gut getan, unsere ganze Vorbereitung und Analyse wäre nicht für die Katz gewesen, und bei einem Einsatz meiner Soldaten wäre ich mir sicher gewesen, Verluste unter den Geiseln und Kollateralschäden auf ein Minimum zu begrenzen. So gesehen muss ich froh und dankbar sein, dass die KSK so gute Arbeit geleistet hat. Und nein, es geht verdammt noch mal doch darum, das die Geiseln in erster Linie in Sicherheit sind."
"Gut, diesmal glaube ich Ihnen das." Der Général schob ein Fax zu ihm herüber. "Lesen Sie."
Scott nahm das französisch abgefasste Dokument, kramte den letzten Rest an Französisch hervor, den er noch beherrschte, und übersetzte den Text grob. "...setzen wir Sie in Kenntnis... Belongo Mining... Legal angemeldet... Illegale Mine auf ihrem Pachtland... ...rechtens... ...bereiten Prozess zur Enteignung der Gesellschaft vor... Was soll das alles bedeuten?"
"Erinnern Sie sich an die Mine, die Roxxon angelegt hat, um Gold zu suchen? Es klingt ein wenig lächerlich, aber das haben sie auf einer dicken Diamantenmine getan, der vielleicht größten auf diesem Kontinent. Und sie haben es nicht bemerkt, weil sie das Geröll nur mit Cyansäure nach Gold ausgewaschen haben. Man könnte lachen, wenn es nicht so traurig wäre.
Nun hat Belongo Mining tatsächlich einen gültigen, unbefristeten Pachtvertrag. Aber die Pachtzahlung ist, verglichen mit dem, was sie dort verdienen werden, ein Appel und ein Ei, und deshalb prüft das Ministerium für Landwirtschaft, Industrie und Bergbau die Annulierung des Vertrags, beziehungsweise die Enteignung der Gesellschaft, um die Schürflizenz jemandem zuzuteilen, der die Region ohnehin schon kennt, weil er bereits vor Ort war."
"Lassen Sie mich raten: Roxxon will nach der eingebildeten Goldmine nun die recht reale Diamantenmine haben", sagte Scott sarkastisch.
Nun lächelte Mulanga doch, aber es hatte etwas wölfisches. "Das sehen Sie genau richtig. Und da es nunmehr um die Interessen einer amerikanischen Firma in der Region geht: Wollen Sie nicht noch ein wenig auf der Base de l'Air bleiben?"
"Um was zu tun, Monsieur?"
"Amerikanische Wirtschaftsinteressen zu vertreten. Das ist es doch, worin Ihr Amerikaner gut seid", sagte der Ndongo, ohne mit einer Wimper zu zucken.
"Wofür brauchen Sie mich und meine Leute? Lassen Sie sie enteignen, und fertig", erwiderte Scott.
"Nun, es steht außer Zweifel, das Roxxon die Schürfrechte erhalten wird, was für uns bedeutet, eine zweite Dependance in Belongo zu errichten. Es steht ebenso außer Zweifel, dass die derzeitigen Betreiber das ganz und gar nicht akzeptieren werden. Man hat mir zwei Dinge zu verstehen gegeben. Das erste ist: Der Pachtvertrag wurde so wasserdicht abgeschlossen, das wir augenscheinlich erst ein neues Gesetz erlassen müssen, um die Gesellschaft enteignen zu können. Das wird dauern, und wir wissen nicht, wie viel Geduld Roxxon in dieser Angelegenheit hat.
Das zweite ist: Minister Ogalalla persönlich hat den Vertretern der Minengesellschaft zu verstehen gegeben, dass sie sich am besten selbst bewaffnen, und das keine Hilfe von meiner Base de l'Air zur Verfügung stehen wird. Nun stellen Sie sich vor, das hat die Gesellschaft auch gemacht. Haben Sie die Hubschrauber gesehen, die im Fernsehen gezeigt wurden? Russische Kampfhubschrauber. Die Minengesellschaft hat da ziemlich gemeines Material. Für den Fall, dass sich die Minengesellschaft auch gegen eine rechtskräftige Enteignung wehrt, hat sie ausgezeichnete Werkzeuge, um sich zu verteidigen und ihren Standpunkt klar zu machen."
Scott sah den Kommandeur der Flugbasis ernst an. "Und Sie rechnen damit, das eine gewaltsame Enteignung früher oder später stattfinden soll. Was haben wir damit zu tun?"
"Nun, wie ich schon sagte, es sind amerikanische Wirtschaftsinteressen, die hier vertreten werden. Das prädestiniert Sie geradezu, in den aufkeimenden Konflikt einzugreifen. Ich bin sicher, Ihr Oberbefehlshaber wird Ihren Einsatz anordnen, wenn Sie ohnehin gerade in greifbarer Nähe sind."
"Oder anders ausgedrückt, Sie verlangen, das ich die Haut meiner Leute für blutige Diamanten zu Markte tragen soll", erwiderte Scott verdrossen. "Und das noch nicht einmal auf rechtlich solider Basis."
"Ich verlange gar nichts. Aber ich bin mir sehr sicher, dass das Pentagon Ihnen ohnehin bald den Befehl geben wird, genau das zu tun, was ich bereits gesagt habe. Dann können Sie sich mit den KSK der Krauts messen, und Ihren Job machen." Die Miene Mulangas war ausdruckslos. "Sie sparen sich eine Menge Fliegerei, wenn Sie gleich bleiben."
Scott schwieg konsterniert. Sicher, in der Wirtschaft war nicht alles Gold, was glänzt. Und ab ein paar Millionen Dollar möglichen Ertrags gab es Menschen, die nur noch Dollars, aber nicht die Leben dahinter sahen. Allerdings hatte er nur einen Eid auf die Verfassung geschworen, so wahr Gott ihm helfe, nicht auf die möglichen Dollar-Erträge von amerikanischen Großfirmen auf Kosten der Ureinwohner.
"Sollte ich einen entsprechenden Befehl bekommen, werde ich ihn ausführen", stellte er fest.
Mulangas Miene entspannte sich ganz leicht an den Mundwinkeln.
"Dann werden Sie die Ehre haben, uns wieder zu begrüßen. Aber bis dahin werden ich und meine Leute in unsere Verfügung zurückkehren. Wenn es das gewesen ist, Général..."
Mulanga hob eine Augenbraue und sah den Amerikaner ernst an. "Sie würden Zeit sparen, und von Ihren Vorgesetzten für Ihr umsichtiges Handeln gelobt werden."
"Sir, noch habe ich keine anderslautenden Befehle. Also ziehe ich mich zurück. Ich bedanke mich für Ihre Gastfreundschaft, Brigadier Général Mulanga."
Der Kommandeur der Base schnaubte leise aus. "Gern geschehen. Und jetzt verschwinden Sie von meinem Grund. Ich kann Sie nicht mehr sehen."
"Sir!" Scott salutierte, wandte sich um und verließ das Büro.
Mulanga sah ihm nach, und murmelte: "Möge die Welt von weiteren Idealisten verschont bleiben."

Im Camp angekommen hatten die Unterführer gemäß seiner letzten Anweisung bereits mit dem Zusammenpacken der Ausrüstung begonnen. "Zurück, Sir?", fragte First Lieutenant Austin, der XO der Truppe.
"Ja, Dick, zurück in die Etappe, und von da vielleicht nach Hause. Aber vorher machen wir noch einen kleinen Hausbesuch bei den Leuten, die es gewagt haben, unsere Leute zu retten."
Austin erschrak. "M-mit der Waffe?"
"Nein, Dick, mit dem Hubschrauber! Sagen Sie Lieutenant Morelli Bescheid, dass das erste Platoon aufbricht, sobald es bereit ist. Sie räumen mit den anderen drei Platoons weiter auf. Und wir sind hoffentlich weit weg von hier, wenn neue Befehle aus Washington eintreffen."
"Wie meinen, Sir?"
"Schon gut. Das war nur laut gedacht. Beeilen wir uns. Ich will hier weg. Einfach nur weg."
***
"War doch gar nicht so schlimm", sagte Jorge Androweit, als er den Mi-24 hochzog. "Ich habe mir mehr Probleme vorgestellt, wenn wir direkt in die Höhle des Löwen spazieren. Stattdessen war das ein angenehmes Essen in toller Atmosphäre, keiner seiner Männer hat versucht, von uns getötete Kameraden zu rächen, niemand hat sich an den P8 im Schulterholster gestoßen, und wir kommen mit einer ganzen Reihe toller Vereinbarungen nach Hause." Androweit grinste, als er sich zu Axel herüber beugte. "Und Michelle scheint auf dich zu stehen, Axel."
"So würde ich das nicht nennen. Sie versucht nur das Alphatier der Gesellschaft weich zu kochen. Da hat sie bei mir aber gerade nicht den Hauch einer Chance", murmelte er. "Ich habe auf dem Gebiet gerade ganz andere Sorgen."
"Will ich Details wissen?", fragte Androweit schaudernd.
"Eventuell wirst du welche hören, wenn es erst im Lager einmal rum ist. Wir... Also, das nenne ich mal eine fette Rauchsäule."
"Wo?"
"Da, Südost. Was verbrennen sie da? Einen Laster mit alten Reifen?"
Androweit drehte den Hubschrauber in der Luft. "Ah, jetzt sehe ich es. Was immer da brennt, es ist auf jeden Fall ölhaltig."
"Flieg mal näher ran."
"Wie meinen? In der Richtung liegt Keounda City."
Axel seufzte. "Nur nahe genug, damit man was erkennen kann. Immerhin ist dies hier das Grenzgebiet unseres neuen Verbündeten Ldungas."
"Des Mannes, für den Tod und Mord auch nur ein Geschäftsmodell ist", ätzte Androweit.
"Womit er in der Hochfinanz in bester Gesellschaft wäre", erwiderte Axel grinsend. "Nun flieg schon hin, halte Abstand zu seiner Südgrenze, und uns wird schon nichts passieren, wenn wir von der Stadt fern bleiben", murrte Axel.
"Du bist der Boss", erwiderte Androweit gequält. "Leider. Aber ich sage dir, ein einziger Schuss in unsere Richtung, und die Südgrenze unseres neuen Verbündeten kann uns mal."
"Einverstanden."
Mit einem letzten wütenden Schnauber drückte Jorge Androweit die Maschine in Richtung der Rauchwolke. Wohl war ihm dabei nicht.
***
Auf achthundert Meter Entfernung ließ Axel stoppen. "Das ist nahe genug. Wir sind zwar auf Ldungas Territorium, aber wir wären nicht die ersten Idioten, die in eine offensichtliche Falle tappen."
"Schön, dass du es so siehst."
Ein leises Plickern ließ die beiden aufhorchen.
"MG?", fragte Axel.
"MG", antwortete Jorge Androweit. Er wendete den gepanzerten Hubschrauber in Richtung des Beschuss, um den Angreifer mit den eigenen Waffen erfassen zu können. "WHOA!" Hart riss er die Maschine zur Seite, und schaffte es auf diese Weise, dem Geschoss auszuweichen.
"MANPAD?", fragte Axel, während er das Feuer mit dem MG des Hubschraubers eröffnete.
"Wäre es eine MANPAD gewesen, hätte sie auch getroffen, auf diese Distanz!", erwiderte der Pilot gepresst. "Das muss eine handelsübliche Panzerfaust gewesen sein, ungesteuert!"
"Nachschub!", rief Axel.
"Schon gesehen!" Wieder wich Androweit aus, nach oben und nach hinten, so gut er konnte.
"Wir sollten die Dart-Raketen einsetzen, und das Gelände ausräuchern."
"Wir sollten abhauen!", bestimmte der Pilot, wendete die Maschine und drückte sie nach vorne, an der Rauchwolke vorbei. Hinter ihnen stiegen weitere Panzerfäuste in die Höhe.
"Komisch, beim Angriff auf die Mine konnte Boxie einer Stinger ausweichen", sagte Axel gepresst.
"Weil er Glück hatte, gute Reflexe, und die Stinger auf die Abwehrmaßnahmen herein gefallen ist", erwiderte Androweit gepresst. "Das Ding ist darauf ausgelegt, auf vier Kilometer alles zu treffen, was nicht höher als drei fliegt, und die Trefferchance liegt bei siebzig bis achtzig Prozent! Auf die Entfernungen, von denen wir hier reden, hätten wir kaum eine Chance!"
"Und deshalb nehmen wir die Beine in die Hand", schloss Axel.
"Und deshalb nehmen wir die Beine in die Hand", bestätigte der Pilot. "Wir passieren die Rauchsäule, schwenken nach Westen aus, bleiben auf dem Kurs für ein paar Kilometer, und dann geht es wieder nach Hause!" Gepresst fügte er an: "Hoffentlich!"
Der Hubschrauber passierte die Rauchsäule, und wurde von Prickeln empfangen, das MG-Kugeln verursachten, welche die Panzerung selbst nicht durchschlagen konnten. "Man kann spekulieren, wer oder was auch immer in der Disktrikthauptstadt sein Unwesen treibt", rief Androweit beinahe fröhlich, "aber seine Fallen sind gut durchdacht!"

Er hatte kaum ausgesprochen, als ein Mann auf Bodenniveau den schnell vorbei ziehenden Hubschrauber, der noch auf dem Weg nach Süden war, ins Visier seiner Stinger-Abschussvorrichtung nahm, und abdrückte. Heulend und fauchend machte sich das Geschoss auf den Weg, zielte auf die größten Wärmequelle, in diesem Fall die Turbinen der Mi-24. Als sie einschlug, verging etwa eine Sekunde, bevor sie detonierte und die Turbinen in einen Haufen Trümmer verwandelte. Etwas höher, und sie hätte den Hauptrotor oder den Rotorkranz getroffen. Etwas tiefer, und sie wäre im Ladebereich eingeschlagen, wäre dort detoniert und hätte aus Pilot und Bordschütze Frikassee gemacht. Eines war jedoch klar: Sehr weit fliegen würde die Mi-24 nicht mehr. Nur noch der rotierende, aber nicht mehr angetriebene Hauptrotor hielt die Maschine in der Luft, und der Heckrotor verhinderte, das die Maschine um die eigene Achse zu taumeln begann.
"MAYDAY! MAYDAY! Bossflight, hier Bossflight! Wurden von einer Stinger getroffen! Stürzen ab!", rief Androweit über den allgemeinen Funk hinaus. "Voraussichtlicher Aufschlagpunkt: Nördliches Stadtgebiet von Keounda City! Ich wiederhole: Wurden von Stinger getroffen! Stürzen ab! Voraussichtlicher Aufschlagpunkt: Nördliches Stadtgebiet von Keounda City!"
"Kannst du die Maschine nicht in den Dschungel lenken?", fragte Axel schaudernd.
"Nichts da! Wir brauchen eine ebene Stelle, wenn wir heil runter kommen wollen! Die finden wir eher in der Stadt! Wenn wir unten sind, können wir uns in den Dschungel schlagen!"
Androweit sah seinen Chef ernst an, wenn auch nur für einen Moment. "Im Laderaum sind zwei HK-33, mehrere Magazine Munition, und ein paar Handgranaten. Sobald wir unten sind, holst du uns das Zeug raus! Ich gebe uns Deckung! Und dann hauen wir ab, bevor noch was hochgeht!"
"Falls wir den Absturz überleben", grummelte Axel, während der Boden immer näher kam.
"Falls wir ihn nicht überleben, weiß ich jetzt ja, wem ich im Jenseits für diese Bemerkung in den Arsch treten muss! Achtung!"
Der Mi-24 durchbrach zuerst die Wand eines maroden mehrstöckigen Hauses, touchierte mit dem Hauptrotor ein zweites, das unter der Wucht zerbrach, aber auch mindestens ein Rotorblatt zerstörte, dann sackte die Maschine weg und krachte mit enormer Wucht in den Staub der Straße. Darauf herrschte bange Sekunden lang Stille.
Diese hielt genau so lange, bis dieses infernale Heulen aufklang, von dem man sich nur schwer vorstellen konnte, es sei von menschlichen Kehlen erzeugt worden.
Was immer in Keounda City lauerte - es kam. Es war hungrig.


10.
Als Axel wieder zu sich kam, war die Welt nur eine große Fläche aus hell und dunkel, hell und dunkel. Beide Zustände wechselten sich ab, rhythmisch, langsam. Er hob den Kopf, versuchte zu verstehen, wo er war, aber war das nun wirklich wichtig? Er lebte in einem Bereich absoluter Stille. Die Ruhe tat ihm gut, legte sich wie Balsam auf seine Wunden. Hier war nicht das hektische Hamburg, nicht das kleine, aber mindestens ebenso hektische Camp Diamond. Hier gab es keinen Tod, keine Zerstörung, keine Aufregung. War das das Paradies? War er gestorben und im Himmel?
Ein merkwürdiger Himmel. Axel sah schattenhafte Gestalten langsam durch das hell und dunkel gleiten, glaubte merkwürdige Steinchen auf sich zufliegen zu sehen, näher, näher, und dann kurz bevor sie ihn erreicht hatten, in alle möglichen Richtungen davon springen. Dann kam einer der Schemen nahe genug heran, sodass Axel das schwarze, aber formlose Gesicht erkennen konnte. Auch von dieser Person gingen Steine aus, die kurz vor ihm davon stieben. Dann war der Schemen neben ihm, streckte sich nach ihm aus. Die ganze unwirkliche Szenerie hatte etwas von... Einem Gewehr, das ihm entgegen gereckt wurde.
Etwas kurzes, Blaues huschte an seinen Augen entlang. Es ruckte mehrfach, hinterließ Gestank und warf eigene Steinchen. Drei Stück, und sie wurden nicht reflektiert. Dafür ließen sie auf der schwarzen Gestalt rote Blumen blühen. Langsam, unendlich langsam, sackte die Gestalt in sich zusammen. In diesem Moment berührte ihn etwas heißes, sehr heißes. Glutender Schmerz fraß sich in seine rechte Hand.
Dies war der Augenblick, in dem die Geräusche zurückkehrten. Das Rotieren des Hauptrotors, der sich noch immer drehte, das Waffenfeuer der Gestalten, die auf den Hubschrauber zugeeilt kamen, die Rufe von Jorge Androweit direkt in sein Ohr. Und die Schemen, die weiterhin auf den Hubschrauber zujagten. Schwarze. Rebellen. Aus Keounda City. Bewaffnet. Bereit zu töten. Nicht zu vergessen die heiße Patronenhülse, die auf seiner rechten Hand lag.
"...du in Ordnung, Axel?", brüllte Androweit.
In einer fließenden Bewegung zog der ältere Herwig-Bruder seine P8, entsicherte sie und feuerte zwei Schüsse auf das schwarze Gesicht, das nun an Jorges Fenster erschien. "Geht so", krächzte er mit einer Stimme, die er kaum als die eigene erkannte.
Er griff nach der Steuerung für die Bordwaffen.
"Nicht! Wenn die Rohre verstopft sind...", rief Androweit.
Axel nickte in Richtung des Ansturms, der auf sie zueilte. "Auch nicht mehr wild!" Er drückte alle Knöpfe, die sich bewegen ließen. Zwei Raketen zischten von den Aufhängungen, und berührten bedingt durch den geneigten Winkel des abgestürzten Hind nach zwanzig Metern den Boden, überschlugen sich und explodierten in der Luft. Die MG des Mi-24 begann Kugeln zu rotzen und auf die Flut Bewaffneter auszuspeien, unter ihnen zu wüten wie ein Bauer auf dem Kornfeld mit der Sense. Ein Dart-Werfer ging los, der andere nicht. Die Mini-Raketen vollendeten das Zerstörungswerk. Sie waren für einen winzigen Moment sicher. Zumindest bis ihre Gegner, sofern sie noch Interesse an ihnen hatten, den Bug umgangen hatten und von hinten kommen würden.
Androweit zückte sein Messer und schnitt seine Gurte durch. Mit der anderen Hand hieb er auf das Sammelschloss von Axels Sechspunktgurt. Der löste sich ohne zu klagen. "Hol die Waffen!", bellte er, und Axel versuchte, den Hubschrauber zu verlassen. Die Tür brauchte einen Tritt, aber dann ging sie auf. Er sah zuerst zum Heck der Maschine, aber noch waren keine Gegner zu sehen. Dann sah er wieder nach vorne, in Bugrichtung. Etwas war merkwürdig an diesen Gegnern, ging es ihm durch den Kopf. Er betrachtete für einen Moment die Toten, und jenen, dem Androweit den Kopf weggeblasen hatte. Was er sah, entsetzte ihn nicht wenig. Ein Grund mehr, sich zu beeilen. Er öffnete den Laderaum, suchte nach dem Magazinen, den Handgranaten und den HK33. "Kannst du laufen?", fragte er, einem Impuls folgend.
Androweit befreite sich gerade aus der Maschine. "Knöchel verstaucht. Wird aber einige Zeit gehen! Lass uns hier verschwinden!"
Axel nickte und stopfte sich in seine Feldbluse, was an Magazinen und Handgranaten hinein ging. Ein Notfallrucksack mit Vorräten und Wasser vervollständigte das Marschgepäck. Sie würden die Magazine und die Granaten später aufteilen. Im Anbetracht von Androweits Verwundung jedoch würde er die Lebensmittel und Medizinvorräte schleppen.

Über ihnen drehte sich immer noch der Hauptrotor, und würde es noch eine ganze Zeit tun. Ein Dart-Werfer hing unbenutzt unter dem rechten Flügel.
Androweit öffnete seine Seite des Laderaums. "Gib!"
Axel warf ihm das Gewehr und ein Magazin zu. Der Pilot lud sofort durch und brachte die Waffe in Anschlag. Sie bellte im Dreischusssystem auf und jagte ihre Kugeln am Heck vorbei in jene Richtung, in die sie hatten fliehen wollen.
"Wir sind im Arsch! Wir sind sowas von im Arsch!", rief Androweit, ließ sich aber nicht dazu hinreißen, auf Frieden zu stellen, wie das Dauerfeuer im Bundeswehrjargon auch hieß.
Axel lud seine Heckler&Koch ebenfalls fertig und gab Einzelfeuer auf die Gestalten, die sich vom Heck näherten. Er nahm auch zwei Handgranaten aus der noch immer gut gefüllten Kiste, zog die Stifte und warf sie die Gasse hinab.
Dann kam ihm ein Einfall. "Jorge! Nach Süden!"
"Bist du irre? Da sind die doch alle her gekommen! Wir müssen raus aus der Stadt!"
"Und genau das können wir nicht, oder? Pass auf! Wir jagen den Vogel hoch und gehen tiefer rein! Das werden sie nicht erwarten!"
"Und wir laufen diesen durchgeknallten Kannibalenmutanten direkt in die Arme! Du spinnst, Axel!"
"Fällt dir was besseres ein? Dann jag dir doch 'ne Kugel in den Kopf!"
Die beiden Männer wechselten einen kurzen, entschlossenen Blick, der eindeutig besagte, das sie leben wollten. Und das noch möglichst lange und erfolgreich.
Ohne ein weiteres Wort humpelte Jorge los, in Südrichtung auf die Toten zu, die den Raketen und dem MG zum Opfer gefallen waren. Rechts lang führte in Richtung Dschungel, er aber kam zu einer Abzweifung links herum, lugte um die Ecke und winkte dann Axel zu kommen.
Der zögerte keine Sekunde, zog von zwei Handgranaten die Stifte und ließ sie in die Kiste zurückfallen. Dann gab er Fersengeld. Vielleicht würden die anderen Granaten gar nicht explodieren, ging es ihm kurz durch den Kopf, weil es nicht ihre Art war, auf diese Weise zu explodieren. Vielleicht hätte er die Granaten besser in den Dart-Werfer gesteckt. Aber für diese Überlegungen war es schon etwas spät, denn ihn umschwirrten die Kugeln seiner Verfolger wie wütende Hornissen. Gut, Scharfschützen waren diese Wahnsinnigen schon mal nicht.
Er kam um die Ecke, hockte sich hin und lugte zum Hind hinaus. Die ersten Verfolger, die mit dem größeren Mumm, hatten die Maschine schon erreicht. Dann gingen die Handgranaten hoch. Zwei schnell aufeinander folgende Explosionen, dann eine große, und darauf eine wesentlich größere, die so heftig war, dass selbst Axel und Jorge sie noch zurückgezogen im Seitenganz spürten.
"Das war mindestens der Tank", ächzte Androweit. "Boxie wird mir diesmal bestimmt nicht vorhalten, warum ich vollgetankt gestartet bin, obwohl wir nur eine so kurze Strecke zu bewältigen hatten. Was jetzt, Chef?"
Axel schlug sich gegen die Ohren. "Hast du was gesagt? Ich glaube, die Explosion hat mir die Trommelfelle durchgejagt."
"Sehr komisch. Wohin, großer Meister?"
"War da nicht ein Turm in der Nähe? Kennst du noch diesen Ami-Streifen, der den Film im Film hatte mit einem deutschen Scharfschützen in einem Kirchturm?"
"Du meinst den, in dem sich der amerikanische Commander geweigert hat, einen tausend Jahre alten Kirchturm zu sprengen?"
"Genau. Nehmen wir den Turm ein."
"Hey, hier haben sie vielleicht keine Hemmungen!", mahnte Androweit.
"Aber vielleicht haben sie keinen Sprengstoff." Axel grinste.
"Und was dann?", fragte der Pilot mürrisch.
"Wir versuchen, mit unseren Handgeräten die Mine zu erreichen. Wenn sie nicht ohnehin schon deinen Notruf gehört haben. Vielleicht kommt uns sogar Ldunga zu Hilfe."
"Also, wenn ich eines hassen lerne, dann ist das dein Optimismus, Axel", erwiderte Androweit ärgerlich. "Aber da wir nichts besseres haben, suchen wir diesen verdammten Turm."
Axel deutete hinter den Piloten. "Da. Ein Minarett. Da ist unser Turm." Er stieß sich von der Wand ab, an der er lehnte, und übernahm die Frontsicherung. "Wäre schön, wenn wir unbemerkt hinkommen."
Androweit übernahm die Rückendeckung. "Wäre schön, wenn wir lebend hinkommen. Hast du das Heulen nicht gehört? Die ganze verfickte Stadt wird Jagd auf uns machen!" Er schüttelte sich schaudernd. "Hast du das eigentlich gesehen? Sie haben moderne Waffen, aber sie sind fast nackt, und sie behängen sich mit getrockneten Körperteilen."
"Und sie bemalen sich mit roter Farbe, die auch Blut sein kann."
"Die wahrscheinlich auch Blut ist. Ich glaube, ich verstehe langsam, was hier vor sich geht, und warum man Keounda City meiden sollten. Hast du jemals "Der Herr der Fliegen" gelesen?"
"Im Moment wünschte ich mir, ich hätte es getan. Ist das Buch gut?"
"Das ist nicht der Kern der Aussage hier", erwiderte Androweit barsch. Seine Waffe bellte auf. "Soviel zum nicht entdeckt werden!"
"Versuchen wir die Sache mit dem lebend hinkommen", erwiderte Axel grimmig.

Die beiden Männer hetzten ihrem fernen Ziel entgegen, das gefühlt einhundert Meter weg sein konnte wie eintausend Meilen. Ihre Herzen pochten ihnen bis zum Hals, und jeder Schuss, den sie taten, bedeutete eine Kugel weniger zur Verteidigung. Aber ihnen blieben immer noch die KaBar-Messer, wenn es zum äußersten kommen sollte.
Axel lugte in einen Seitengang, und gab drei Feuerstöße ab, die drei heran eilende Kultisten - ja, das traf es wohl, Kultisten - mit AK47 ummähten. Sein Magazin war leer. "Wechsel!", rief er mit lauter Stimme.
Androweit schwenkte nach vorne und sicherte.
"Fertig!"
Androweit nahm wieder die Rückendeckung auf. Sie eilten an dem Seitenweg vorbei.
Diesmal liefen sie in eine größere Gruppe Angreifer, die mindestens ebenso überrascht war wie sie selbst. Doch der Pilot und der Pionier reagierten schneller, duckten sich in einen Hauseingang und eröffneten das Feuer zuerst. Axel stellte Frieden ein und rotzte sein Magazin auf die Gruppe Männer leer. Er griff sich in sein Hemd, bekam eine Handgranate zu fassen, und warf sie entsichert hinterher. Nach der Detonation kam er hoch. "Weiter!"
"Gib mir ein paar", bat Androweit.
Axel fingerte in seinem Hemd und zog zwei Granaten hervor, die er blind nach hinten reichte. Andoweit tastete ebenso blind danach und steckte sie ein. Sie passierten die niedergemähte Truppe, von denen einige erst im Sterben lagen.
Einer von ihnen riss sein Gewehr hoch. Androweit trat den Lauf zu Boden, und, da er zu nahe dran war, zog er mit einer Hand die P8, und jagte dem Mann eine Kugel in den Kopf. Na ja, Mann, der Bursche schien höchstens achtzehn zu sein. Gewesen zu sein. Auch er war rot bemalt und trug als Zierde eine Kette aus Menschenfingern.
"Da sieht man es mal wieder. Wenn man Menschen in den Wahnsinn treibt, werden sie auch wahnsinnig", murmelte er und bekreuzigte sich. "Man muss sich nur genügend Mühe geben."
"Jetzt wissen wir wenigstens, was es mit dem Monster auf sich hat", erwiderte Axel. "Scheint eine geschlossene Gesellschaft zu sein."
"Die sich bitte wie versorgt?"
"Woher soll ich das wissen? Menschenfleisch wird es wohl nicht sein. Erinnerst du dich an die Gehängten, die wir beim ersten Flug gesehen haben?"
"Bah. Vielleicht mögen sie ihr Fleisch auch nur gut abgehangen", konterte Androweit.
"Es wird sicherlich für jemanden eine Freude sein, dieser durchgeknallten Kultur auf den Grund zu gehen, aber ich verzichte dankend. Ich will auch gar nicht wissen, wer ihnen die Russenknarren besorgt hat, und wer ihnen beigebracht hat, damit zu schießen. Es reicht mir, das sie welche haben."

Zum Minarett gehörte eine Moschee, und deren Eingang stand weit offen und im Dunkeln, weil der Vorplatz im grellen Sonnenlicht stand. Die beiden Deutschen hockten sich hinter einen Brunnen, der schon lange zusammengebrochen war, und versuchten ins Innere zu spähen. "Viel Zeit haben wir nicht, bevor sie merken, das wir nicht im Dschungel, sondern in der Stadt sind", ächzte Androweit. "Also lass uns rein gehen."
Axel verneinte. "Was, wenn sie nicht nur durchgeknallt, sondern auch schlau sind? Überleg doch mal, wie geschickt sie uns in die Reichweite ihrer Stinger gedrückt haben."
"Ja, und ich würde gerne das Arschloch kennenlernen, das ihnen Panzerfäuste und Stinger verkauft hat und ihnen gezeigt hat, wie man sie bedient", sagte Androweit.
"Die Ehre werden wir vielleicht irgendwann mal haben." Axel zog zwei weitere Handgranaten aus seinem Hemd hervor und reichte sie dem Piloten. Dann zog er vier hervor, versuchte mehrfach, sie mit einem Riemen aus dem Rucksack zusammen zu fassen, was ihm schließlich gelang, und zog die Sicherungen in schneller Folge ab. Das Bündel warf er in Richtung Moschee.
Ein Schuss bellte auf und streifte seinen rechten Oberkörper. Der Schuss war eindeutig aus der Moschee gekommen. Axel ließ sich fallen, eine Sekunde, bevor weitere Gewehre einfielen und den zerstörten Brunnen unter Dauerbeschuss setzten. Ein paar Sekunden später zerriss die Detonation das Dauerfeuer und beendete es. Axel kam sofort hoch, Androweit ebenfalls, wieder die Rückensicherung übernehmend. "Wenn wir das hier überleben, verlange ich die Ehrenmitgliedschaft bei der Infanterie", keuchte Androweit.
"Wenn wir das hier überleben, wird sich das KSK drum reißen, dir einen Orden verleihen zu dürfen", erwiderte Axel. Er betrat als erster die Moschee, und da es seine Art war, gründlich zu sein, versetzte er diesmal allen Sterbenden, die sich noch bewegten, einen Schuss in den Kopf.
"Sicher!", blaffte er.
Androweit wandte sich ihm zu, machte einen Schritt herein, zuversichtig lächelnd. Und er fiel um wie ein Kartenhaus, als die rote Blume einer frischen Verwundung an seiner rechten Seite aufblühte.
"Verdammt!" Axel sprang hinzu, zog den Piloten in den Schatten der Moschee. Diesen Moment wollte ein Angreifer nutzen, der im Innern auf seine Chance gelauert hatte. Er sprang aus seiner Deckung hervor, lud seine Waffe durch, und machte als letzte Erfahrung in seinem Leben, das die Reihenfolge absolut falsch gewesen war. Ein Schuss aus Axels P8 beendete sein Leben.
"Ach, Scheiße, verdammte!" Axel stemmte den Piloten hoch und legte ihn über seine Schulter. "Erst mal runter von dieser Zielscheibe!"
"Lass mich hier!", japste Androweit. "Gib mir die Handgranaten und ein paar Magazine! Die Schweine haben mich eh getötet!"
"Ja, klar... Dafür kannst du.. aber noch ziemlich... klar reden... Uff. Schwer. Keine Chance, Alter. Ich habe... Minarett... gesagt... und das heißt... Minarett für zwei!"
Die P8 im Anschlag, Androweit auf der Schulter und seine HK33 hinter sich her ziehend wand er sich dem Wendelgang des Gebetsturms hoch.

"Mach dich... nützlich, ja?", keuchte Axel, und bereute bitterlich, das er bisher jeden Tag, seit die Truppe zusammen gefasst worden war, den Sport geschwänzt hatte. Seine Faulheit war nicht förderlich für seine Fitness gewesen, und nun, mit vollem Marschgepäck, vier Waffen und einem Verletzten auf der Schulter, wurde es nicht leichter.
"Hast du Nylon da?", fragte Androweit unvermittelt.
"Was?"
"Nylon. Nylonschnur. Wir könnten eine Stolperfalle bauen."
"Keine... Zeit", erwiderte Axel, schulterte den Verwundeten neu und stieg weiter den gewundenen Weg hoch. Immer, wenn er keinen Atem mehr bekam, hielt er inne und versuchte, die Geräusche etwaiger Verfolger zu hören. Entweder waren die Burschen wirklich leise, oder noch hatte keiner die Bande aus der Moschee verstärkt.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, die laut Armbandchrono aber nur fünf Minuten gewesen waren, erreichte Axel die Spitze des Turms. Er hatte traditionell einen Balkon mit einem Ausgang, und genau in diesem Ausgang brach er in die Knie ein. "Ich setz dich ab."
"Gut."
Axel ließ den Verletzten von der Schulter gleiten, und der sackte mit einem Schmerzlaut in sich zusammen. "Scheiße, das wir keine Westen anhatten, oder?", fragte Axel grinsend, nachdem er wieder hatte Atem schöpfen können.
"Hätte nichts genützt. Habe die Kugel seitlich in den Bauch bekommen. Hoffentlich hat es die Leber nicht erwischt."
"Bei Bernd wäre das kein Problem gewesen. An seiner harten Leber wäre sie abgeprallt", scherzte Axel. Er zückte sein Kampfmesser und schnitt die Uniformjacke auf. "Sauberer Einschuss. Blutet kaum. Hast du Schmerzen?"
"Es geht. Wirklich. Habe mir sowas schlimmer vorgestellt. Aber ich kann mir nicht vorstellen, das es gut ist, das Ding da drin zu lassen. Was, wenn es wirklich die Leber erwischt hat?"
"Ich denke, das würde stärker bluten." Axel kramte im Rucksack und holte das Erste Hilfe-Päckchen hervor. Er suchte sich Klebeband und eine sterile Verbandauflage heraus, legte sie auf und klebte die Ränder ab. "Mehr kann ich nicht für dich tun, Alter."
"Mehr kann ich wohl auch nicht verlangen." Er lachte abgehackt. "Ha, wenn du mich, wie ich es wollte, unten gelassen hättest, hätte ich mich wohl zu Tode gelangweilt, weil keiner gekommen wäre."
"Mal den Teufel nicht an die Wand. Wir stecken schon in genügend Schwierigkeiten", mahnte Axel. "Und vergiss nicht, die haben in jedem Fall Panzerfäuste."
"Wollen wir hoffen, das sie nicht so gut zielen können", erwiderte Androweit mürrisch.
Axel deutete in den Gang hinab. "Achte drauf, was von unten kommt." Er legte zwei weitere Handgranaten neben ihn. "Ich schau mich mal um."
"Verstanden." Androweit grinste schief, und zog seine HK33 wieder zu sich heran. Wenn sie hier sterben mussten, würden sie ihren Feind einen stolzen Preis zahlen lassen.

Axel richtete sich ein wenig auf, lugte über den Rand des Balkons, dort wo der Vorhof war. Was er sah, ermutigte ihn nicht gerade. Zwanzig, dreißig Bewaffnete waren über den Platz ausgeschwärmt und suchten nach ihnen. Ohne viel Federlesens drangen sie in die Häuser ein, aber da Axel kein Waffenfeuer hören konnte, mussten sie entweder unbewohnt sein, oder die Bewohner störten sich nicht am Handeln der Männer. Er glitt wieder hinter die Mauer und wiederholte die Prozedur nach Norden hinweg. Eine breite Prachtstraße führte auf dieser Seite zum Platz vor der Moschee. Die Gebäude wirkten auf ihn sehr europäisch, während die Ecke, in der sie abgestürzt waren, eher an zentralafrikanische Lehm- und Ziegelbauten erinnert hatten. Der Stil der Häuser, die Giebel an Giebel standen, hatte etwas Holländisches, fand er. Abgesehen davon, das sie völlig heruntergekommen waren, ein unerwarteter Anblick. Auch hier suchende Leute. Axel verfluchte sich dafür, das er kein Teleskopvisier an seinem Gewehr hatte. Andererseits, wollte er wirklich zu viele Details erkennen können?
Im Osten bot sich ihm nicht viel. Die Moschee war recht groß und füllte sein Blickfeld hier fast aus. Straßen konnte er erst dahinter als schmale Striche erkennen. Auf dem Dach der Moschee war niemand, und das war beruhigend.
Der Süden war wieder belebter. Die Suche nach ihnen war im vollen Gange. Und irgendwann musste jemand die Idee haben, in der Moschee selbst zu suchen, oder zumindest die besseren Aussichtsmöglichkeiten von hier oben zu nutzen. Dann ging es ihnen an den Arsch.

Er duckte sich wieder und kroch zu Androweit zurück. "Ich glaube nicht, dass sie uns hier im Turm vermuten", sagte er ernst. "Aber das ist nur noch eine Frage der Zeit."
"Verstehe", erwiderte Jorge. "Wir können uns hier lange halten, aber nicht ewig."
"Bis sie ihre Vorliebe für Sprengstoff entdecken." Er klopfte dem Piloten auf die Schulter. "Wird schon werden. Unsere Luftkavallerie besteht noch aus dem einen oder anderen Vogel." Axel griff erneut in die Tasche und zog eine Wasserration hervor. "Hier, trink. Du wirst es brauchen."
Androweit hatte eine Erwiderung auf den Lippen, aber er schluckte sie runter und nahm das Wasser entgegen. "Danke."
"Ich gehe dann mal anrufen", sagte Axel zuversichtlich und kroch nach Norden.
Er zog sein Funkgerät und aktivierte es. Zuerst versuchte er auf der Campfrequenz etwas zu hören, aber da war nur Statik. Also versuchte er selbst, durchzukommen. Verdammt, warum hatte er Ldunga nicht nach seiner Frequenz gefragt? Der Warlord hätte garantiert eine Nachricht von ihm weitergeleitet.
"Camp Diamond, hier Axel. Ich wiederhole, Camp Diamond, hier Axel. Könnt Ihr mich hören?"
Er erhielt keine Antwort, aber die hatte er auch nicht wirklich erwartet. "Kehre in zwanzig Minuten auf diese Frequenz zurück", sagte er. Dann schaltete er um auf die nächste Frequenz. "Mayday. Zwei Überlebende nach Hubschrauberabsturz in Keounda City. Bitten dringend um Unterstützung."
Axel wiederholte seinen Ruf zweimal, dann wechselte er erneut die Frequenz. Dort wiederholte er das Prozedere, bis die zwanzig Minuten um waren, und er auf die Campfrequenz zurückkehrte. "Camp Diamond, hier Axel." Stille. "Camp Diamond, hier Axel." Erneut Stille. Er seufzte frustriert.
"Kehre in zwanzig Minuten auf diese Frequenz zurück."
"Axel, ich glaube, da kommt wer hoch", sagte Androweit alarmiert. Axel sah von seinem Funkgerät auf. Mist, ausgerechnet jetzt. Aber schön viel Zeit hatten sie sich gelassen, das musste er anerkennen.
"Nicht die Frequenz wechseln! Ich wiederhole, nicht die Frequenz wechseln!", erklang eine fremde Stimme aus dem Funkgerät.
Elektrisiert hob Axel das Gerät an die Lippen. "Unbekannter Kontakt, bin immer noch QRV!"
"Gut zu hören. Wir verfolgen Sie schon eine ganze Zeit, aber bisher haben wir Sie nicht erwischt."
Die Stimme sprach ein leicht akzentbeladenes Englisch, stellte Axel fest. Dabei war Französisch in diesem Land die vorherrschende Sprache.
"Unbekannter Kontakt, können Sie sich identifizieren?"
"Können Sie sich identifizieren?", konterte die andere Stimme. "Wir haben den Notruf nicht abgegeben."
"Unbekannter Kontakt, es handelt sich bei uns um die Überlebenden eines Hind-Absturz nach Beschuss mit Stinger über Keounda City. Beide Insassen am Leben, einer verletzt."
"Wem sind Sie zugehörig?"
Axel überlegte kurz. "Wir gehören zu Belongo Diamond Mining."
"Also geht bei euch auch etwas schief. Gut zu wissen", sagte die Stimme mit einer gewissen Befriedigung.
"Ja, scheint so, unbekannter Kontakt. Können Sie meinen Notruf zu meinen Leuten weiter leiten?"
"Haben wir bereits getan. Wir wurden gebeten, Sie zu unterstützen, und das um jeden Preis."
"Davon rate ich Ihnen ab. Die Stadt wimmelt von durchgeknallten Herr der Fliegen-Lesejunkies mit Stinger, Panzerfäusten und AK47, die auf Blut aus sind. Meine Leute haben Kampfhubschrauber. Warten Sie deren Ankunft ab."
"Bestätigen Sie Stinger", verlangte die unbekannte Stimme.
"Axel, es sind garantiert Leute auf dem Weg zu uns!", sagte Jorge alarmiert.
"Schmeiß ein paar Eier runter!
Unbekannter Kontakt, bestätige Stinger."
"Und wo sollen Ihre Herr der Fliegen-Freunde die her haben?"
"Bin ich Waffenhändler? Keine Ahnung! Aber seit die Amis sie in Afghanistan verschleudert haben, gibt es halt hier und da welche."
"Touché, Belongo Diamond Mining. Ich nehme an, Sie sind in Schwierigkeiten und haben nicht mehr besonders viel Zeit?"
"Warten Sie auf meine Helis, verdammt!"
"Belongo Diamond Mining, wir sind ein US Ranger-Platoon, ausgerüstet mit einer Chinnok und zwei MH-60L mit Seitentür-Gatlings, aber ohne Jagdunterstützung."
"Freut mich zu hören, aber es erscheint mir derzeit unmöglich, dass Sie eine Landung schaffen sollten. Selbst wenn Sie den Hof mit Ihren Gatlings frei rotzen, dürfte er gleich wieder gefüllt sein, und Ihre Vögel bieten wirklich große Ziele."
"Ohne offensive Feuerunterstützung würde ich das auch nicht tun." Die Stimme schwieg eine Zeitlang, während unter ihnen zwei Handgranaten explodierten. Leise Schreie drangen zu ihnen herauf, dann hörte man eilige Schritte hinab. Offenbar befürchtete jemand, das weitere Handgranaten herab geworfen wurden. Nicht zu Unrecht.
"Den Explosionen entnehme ich, dass wir für einen Pickup kein Fenster haben?"
"Leider nein", sagte Axel bedrückt. "Und uns vom Minarett aufzunehmen halte ich für eine dumme Idee. Sie wären eine noch bessere Zielscheibe."
"Hören Sie, ich habe hier achtundvierzig voll ausgerüstete und erfahrene Army Ranger, die ungefähr einen Dreiviertel Kilometer vom Ortsrand bis zu Ihnen zurücklegen müssen. Wir können gemeinsam die Moschee halten, bis Ihre Warbirds kommen."
"Wie wollen Sie bis zu uns vordringen, ohne beschossen zu werden, Army Ranger?", fragte Axel.
"Stinger funktionieren nicht bei US-Modellen", sagte sein Gegenüber amüsiert. "Und ich glaube nicht, dass Ihre Verrückten schlau genug sind, die IFF-Erkennung einer amerikanischen Stinger auszubauen."
"Die eventuell nicht", murrte Axel. "Aber vielleicht die, die sie ihnen verkauft haben. Außerdem sitzen draußen vor der Stadt einige von ihnen mit Panzerfäusten auf der Lauer und treiben arglose Hubschrauber in Richtung ihrer Stinger-Stellung."
"Ah, gut zu wissen. So wurden Sie also runter geholt." Irrte sich Axel, oder machte es seinem Gegenüber Spaß? "Dann modifiziere ich doch meinen Plan. Anmarschweg von Norden, dort dürften Panzerfäuste und Stinger gerade dünn gesäht sein, Absetzmanöver am Stadtrand, und dann schlagen wir uns bis zur Moschee durch. Dadurch sind wir beim Anflug und beim Absetzmanöver weniger verwundbar. Ich nehme an, Sie meinen die im Westen der Stadt?"
"Ja. Aber wollen Sie wirklich so etwas Verrücktes wagen?"
Sein Gegenüber lachte. "Wissen Sie, was man über Panzer und Infanterie sagt? Das eine ohne das andere ist nicht viel wert. Das gilt auch für Infanterie und Luftkavallerie. Außerdem, Ihre Leute haben gestern einige Ärzte der Organisation Ärzte ohne Angst befreit, auf die ich und meine Leute angesetzt waren. Sagen wir, es würde mich sehr freuen, wenn ich nach meiner verpassten Chance den Chef der Belongo Diamond Mining retten könnte. Das hat so was von ausgleichender Gerechtigkeit."
Axel schnaubte prustend aus. "Ihre Leute werden dabei sterben", warnte er.
"Wir werden sehen, was passiert. Sie sind in Not, und ich kann Ihnen helfen zu überleben. Was ist das übrigens für ein Geräusch?"
Axel, der sich noch immer hinter den Balkon duckte, ächzte kurz. "Ein MG, das die Spitze des Minaretts beschießt. Und wenn sie erst mal lernen, etwas tiefer zu halten, und dass sie den Lehm des Balkons durchschießen können, sind wir geliefert."
"Halten Sie durch. Wir entlasten Sie in... achtzehn Sekunden. Army Ranger Ende."

"Und? Was nun?", fragte Androweit mit angespannter Miene.
"Zwei Dinge. Hoffen wir, dass die Trottel da unten wirklich nicht wissen, das eine MG-Kugel den Balkon durchschlagen kann."
Androweit nickte. "Und das zweite?"
"Man braucht Verrückte, um Verrückte zu bekämpfen. Ein Zug Army Ranger will uns raushauen."
"Army Ranger? Wo hast du die denn aufgetrieben? Die gibt es nicht im Schlussverkauf."
"Keine Sorge, die sind dienstlich hier." Im Norden der Stadt erklang das Rattern schwerer MG's.
"Achtzehn Sekunden. Pünktlichkeit ist schon mal eine Ihrer Tugenden, Herr Army Ranger", kommentierte Axel. Sogar der MG-Beschuss auf das Minarett hörte auf, als die Geräusche aufklangen.
Axel schnellte hoch, suchte das Ziel, ein auf einem Jeep aufgesetztes Maschinengewehr, zielte, und holte den Schützen und die Ladehilfe von den Beinen. Er erschauderte, als er, wieder in Deckung, realisierte, dass die Stoßfänger des Jeeps aus Menschenköpfen bestanden hatten. "Was für eine Scheiße ist das hier eigentlich?", rief er unbeherrscht, und schickte einen Fluch hinterher.
"Das Böse, das in der Stadt wohnt", erwiderte Androweit lakonisch. "Wir wurden gewarnt."
"Ja, das wurden wir."
Der Pilot griente. "Aber anscheinend hat keiner das Böse vor uns gewarnt. Wir sind zwanzig Minuten hier und leben immer noch. Schätze, das ist Rekord."
"Und wir bauen ihn noch weiter aus." Axel wechselte die Position nach Norden, kam erneut schnell hoch, und schoss auf das erste Ziel, das sich ihm bot. Dabei erhaschte er einen Blick auf einen Hubschrauber, der tatsächlich langsam über den Boden hinweg zu ziehen schien, um ebenso wie sie vor wenigen Tagen an der Mine, seine Last abzuwerfen. Weiter im Norden tat es ein zweiter ebenso, der Chinook, und der dritte noch ein Stück mehr im Osten. Zeitgleich zogen die Maschinen wieder hoch, die Geschützbesatzungen feuerten erneut ihre Gatlings ab, und verschwanden über dem Urwald.
Wenn die Army Ranger ihre Truppen nun schnell zusammen bringen konnten, dann hatten sie mit ihrer überlegenen Ausrüstung und Ausbildung tatsächlich eine Chance.

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Natürlich war es Wahnsinn, natürlich was es unnötig, und natürlich mussten sie es tun. Und war nicht der Wahlspruch der Ranger sua sponte, aus eigenem Antrieb? Von ihnen wurde mehr erwartet, weit mehr als von anderen Soldaten im Dienste der US Army. Auch, eigene Entscheidungen zu treffen. Und nachdem man sie bei der Rettung der Ärzte ohne Angst derart ausgebootet hatte - natürlich unabsichtlich, weil die KSK einfach nur hatten helfen wollen - fand es Captain Scott nur recht und billig, auch jetzt einfach nur zu helfen. Es hatte was von ausgleichender Gerechtigkeit, das diese Hilfe an genau jene Organisation ging, die sie heute hatten besuchen wollen, die ihnen ihren Preis gestohlen hatte. Leider hatte Scott den Hausbesuch nicht mit der vollen Kompanie ausführen wollen und sich nur für einen Zug entschieden, auch weil der Abbau noch nicht beendet war. Deshalb hatte er sich mit dem ersten Platoon zufrieden gegeben. Achtundvierzig exzellent ausgebildete Ranger, die auf Aufklärung, Sprungpunktsicherung und taktische Schläge gedrillt waren. Heute waren sie dabei, ihren Vorgängern Ehre zu machen, die damals in den Neunzigern in Abu Mogha in Tamalia in einer ähnlichen Situation gesteckt hatten, als sie versucht hatten, eine Operation mitten im Herzen des Feindes durchzuführen. Diesmal war die Situation leicht anders. Keine schlecht gepanzerten Humvees mit exponierten MG-Schützen, kein fester Kurs in engen Straßen, kein kilometerlanger Spießrutenlauf. Sie mussten nur landen, raus, die Strecke zur Moschee machen, diese verteidigen bis die Luftkavallerie kam, und dann würden sie, nachdem Hauptmann Draegers Mi-24 alles im Umkreis von einer Meile kurz und klein geschossen hatten, wieder bequem aufgepickt und fortgeflogen werden. Das war der Idealfall. Lieber wäre ihm natürlich gewesen, wenn die ganze Kompanie hätte bei ihm sein können. Zwar war sie alarmiert, aber die restlichen Kapazitäten von einer weiteren Chinnok und zwei zusätzlichen MH-60L reichten auch nur wieder für einen Zug. Bevor die Deutschen eintrafen, konnte er höchstens ein weiteres seiner vier Platoons herschaffen, und das auch nur knapp. Angeordnet hatte er es, auch um zusätzliche Leute hier zu haben. Niklas Herwig, der militärische Befehlshaber der Belongo Mining, hatte für den schlimmsten Fall bereits vorgeschlagen, seine Leute, und Scotts restliche Leute nach und nach mit seinen drei Maschinen und denen der Ranger einzufliegen. Für den worst case war das eine gute Idee. Die erste Gruppe der Nachfolgenden hätte die Landezone sichern können, und dann hätte man noch fast einhundert Mann einfliegen lassen können, die einen relativ kurzen Weg durch die Stadt zur Moschee hätten zurücklegen müssen. Dann wäre auch das schwere Gerät der Ranger verfügbar gewesen, die Mörser, die Granatwerfer, und die AWS.
Aber wenn sich der Zeitplan einigermaßen einhalten ließ, dann würde das Geschehen in spätestens einer Stunde vorbei sein. Und ihre Hauptsorge würde sein, dass ihnen keine durchgeknallten Angreifer Panzerfäuste in die Moschee schossen. Gestern war ein schlechter Tag für die Ranger gewesen, heute würde zumindest kein langweiliger Tag werden.

Als der Helikopter über dem Boden langsamer wurde, der Lademeister öffnete und die ersten Ranger hinaus sprangen, war Scott der allererste, der zu Boden ging. Sie landeten, nachdem sie mit den Panzerfaustschützen Fangen gespielt hatten, wie geplant an drei Stellen nördlich der Stadt zugleich. Bei einer zukünftigen Operation würden sie eine große, einzelne Landezone einrichten müssen. Das hing aber davon ab, wie viele Bewaffnete der Gegner ins Feld bringen konnte. Wie ihr Ausrüstungsstand war. Ob sie gepanzerte Fahrzeuge hatten, womöglich sogar Tanks.
Die Warnung des Générals kam ihm wieder in den Sinn, Keounda City nach Möglichkeit nicht anzurühren, weil das Böse dort besser weiter schlief. Heute würde das Böse kein Auge zukriegen, das konnte Scott versprechen.
Der Captain beobachtete den unbehelligten Abzug des Chinnok und der beiden MH-60L. Ihr großer Nachteil war die schwache Bewaffnung, die sie für den zweiten Anflug, der garantiert nicht so unbehelligt ablaufen würde, auf die Deutschen angewiesen machte, um eine sichere Landezone und ein sicheres Absetzen zu gewährleisten. Scott hatte Bewaffnung zugunsten von Tragkraft aufgegeben, um seine Kompanie effektiver und schneller verlegen zu können. Dies erwies sich nun als Fehler. Aber wer hätte auch damit gerechnet, dass sie gegen eine ganze Stadt durchgeknallter Kultisten würden kämpfen müssen?
Sergeant Ryback sammelte die zehn Ranger aus seinem MH-60L, und ließ sie in Schützenreihe aufstellen. Gebückt und schussbereit rückten sie auf jene Prachtstraße vor, an deren Mündung , wo sich der Zug vereinigen würde. Rechts und links sah Scott zwischen dem hohen Gras vereinzelt Mauerwerk, das ihrem Anmarsch Deckung geben würde. Hatte sich der Dschungel also schon einen Teil der Stadt zurückgeholt.
Auf der Straße war es eigentlich nur ein schneller Sprint. Oder ein vorsichtiger Spaziergang. Keounda City war immerhin nicht Abu Moga, und hatte keine Millionenbevölkerung. Sie war auf fünfzigtausend Menschen ausgelegt gewesen, und wie viele konnte es hier jetzt noch geben, wenn die Randgebiete bereits zerfallen und überwuchert waren? Mit ein paar hundert Verteidigern - egal wie schwer bewaffnet - wurden sie fertig. Sie waren Army Ranger. Und Panzer hatten sie noch keine gesichtet. Mochte es so bleiben, Scott hatte nichts dagegen.
Einer der Helikopter wedelte beim Abflug, um einer Panzerfaust auszuweichen. Hatten die also immer noch nicht alle verschossen. Scott notierte sich das in seinem Geist, während er seinen Leuten folgte. Ein Schuss bellte auf, und im Gras fiel jemand zu Boden. Keiner von seinen Leuten. Ryback beorderte zwei Leute zum Nachschauen hin. Von links näherten sich Second Lieutenant Morelli, der Platoonführer, und seine vierundzwanzig Mann aus dem Chinnok. Blieb nur noch Sergeant Westberg mit den restlichen elf Rangern aus dem zweiten Black Hawk, dann konnte der Vormarsch beginnen. Da in der Moschee bereits gekämpft wurde, musste das schnell geschehen.
Normalerweise hätten die Transporter, unterstützt von Kampfhubschraubern und voll bewaffneten Black Hawks, am Himmel über sie gewacht, aber sie hätten auch wunderbare Ziele abgegeben. Die Ranger hatten aus Abu Moga gelernt. Gut gelernt. Sie hatten zwar die Luftüberlegenheit, aber sie waren hier nicht in bodenkontrolliertem Gebiet und standen einem Feind unbekannter Größe gegenüber, der aber von zwei Männern allein in Schach gehalten werden konnte. Überschaubar, befand er. Und kein Grund, die Helis durch Exponierung in Gefahr zu bringen.

"Cap!", rief einer seiner Männer, während sich Private Andrea Drew lautstark übergab. Auch der Rufende, Corporal Mansik, war reichlich bleich im Gesicht. Die Männer und Frauen der Schützenreihe, die in Sichtreichweite waren, reagierten ebenfalls schockiert.
Schnell war Scott heran. "Was gibt es de...?" Der Rest des Satzes blieb ihm im Hals stecken. Vor ihm lag ein Toter von vielleicht vierzig Jahren. Sein Körper war rot bemalt mit Symbolen, die er ähnlich schon als Felsmalereien der Altsteinzeit gesehen hatte. Große, wuchtige und plumpe Symbole. Er war sauber im Kopf getroffen worden und definitiv tot. Sein Oberkörper war nackt, bekleidet war er nur mit einem Lendenschurz und einem Gürtel, in dem die Reservemagazine steckten. Um seinen Hals trug er eine Kette. An ihr aufgereiht waren männliche Genitalien, sehr leicht zu erkennen. Getrocknet. Beinahe hätte sich Scott Drew beim Kotzen angeschlossen. Was zum Henker ging hier vor?
"So, so. Jetzt verstehe ich, wie durchgeknallt diese Bastarde sind." Unter großem Druck, in großer Unsicherheit, in ständiger Gefahr konnten Menschen ihre Werte und Normen vergessen, über Bord werfen, neu begründen, mit der Unsicherheit und dem Druck als Basis. Und wenn der Druck Wahnsinn war, dann gab das eine wahnsinnige Gesellschaft. Es erinnerte ihn an die Schlussszene aus Apocalypse now. Dieser Wahnsinn hier war das Ergebnis von zwanzig Jahren Bürgerkrieg, zwanzig Jahren Grausamkeit.
Scott betätigte seinen Funk. "Green Leader an alle grünen Einheiten. Heute gilt: Erst schießen, dann fragen."
Eine Woge des bestätigenden Nickens ging durch die Reihen der Soldaten. "Dann vorwärts."

Von der Moschee - es musste so ziemlich die einzige sein, die es je im christlichen Belongo gegeben hatte - hallten die Schüsse der Eingeschlossenen herüber. Vereinzelt kam es auch zu Detonationen. Handgranaten. Gut ausgerüstet war er ja, der Boss der Belongo Mining.
Seine Leute arbeiteten sich in der Deckung der Häuser vor, und - er hatte es beinahe befürchtet - wurden sporadisch aus den Häusern heraus unter Feuer genommen. Die Antwort seiner Leute war professionell und vernichtend. Die beiden Reihen, die einander folgend auf beiden Seiten der Straße parallel zueinander gingen, deckten auch die gegenüberliegenden Fenster ab, nicht nur die Gänge und Wege, die auf die Straße mündeten. Scott hatte sich dafür entschieden, schnell statt gründlich zu sein, deshalb bezahlten seine Leute die Hektik mit Körpertreffern an Schutzweste und Helm; vereinzelt kamen Streifschüsse dazu. Dennoch, dies war keine organisierte Verteidigung, dies war ein großer Haufen von wild verquirltem Durcheinander. Und im Chaos hatte die Ordnung ihre beste Wirkung. Zumindest dachte er das, bis er selbst getroffen und von den Beinen geholt wurde. Autsch.
"Sir, geht es Ihnen gut?", fragte Ryback, neben ihm knieend. "SANI!"
"Beinschuss. Wahrscheinlich Steckschuss im Oberschenkel. Da scheint einer schlau geworden zu sein und versucht uns zu treffen, wo wir nicht gepanzert sind. Wie schlimm sieht es aus, Ryback?"
"Ruhig, Cap! Bin ja da", klang die Stimme von Private Oslovski, dem Zugsanitäter, auf. "Kaum Blut. Können Sie das Bein bewegen?"
"Ja, ich glaube, das geht." "Wie sieht es mit belasten aus?"
"Helfen Sie mir hoch, aber vorsichtig, Ryback."
"Ja, Sir."
Oslovski musterte ihn kritisch. "Belasten Sie das Bein."
"Geht, tut aber weh."
"Kruger! Sie stützen den Captain! Ganz ruhig, Cap, ich mache Ihnen einen Schnellverband drum und hole die Kugel später raus."
"Okay", murmelte Scott. Mittlerweile hatten seine Leute die Moschee erreicht und in die Kämpfe auf dem Vorplatz eingegriffen. Das erfüllte Scott mit Stolz. Bei ihm waren nur fünf Mann und der Sanitäter geblieben, um ihm Deckung zu geben. "Wir sollten den Anschluss nicht verlieren", sagte er, hakte sich, Stolz hin, Stolz her, bei Kruger ein und ließ sich mitziehen.

Als sie ebenfalls den Vorplatz erreicht hatten, beherrschten die Ranger für kurze Zeit alle Zugangsstraßen. Aber die Verteidigung war dünn, sehr dünn. Er zückte das Funkgerät. "Belongo Mining, können Sie mich hören?"
"Laut und deutlich, Army Ranger. Ich denke, es würde Sinn machen, wenn Sie langsam rein kommen. Von hier oben sieht es so aus, als würde alles was laufen kann auf dem Weg hierher sein. Und wenn Sie die Typen von nahem gesehen haben, wissen Sie, dass Sie sich besser nicht auf sie einlassen sollten."
"Verstanden. Bei Ihnen da oben alles klar soweit?"
"Wir leben beide noch, aber mein Kamerad ist verletzt. Schusswunde in der Seite."
"Lebensbedrohlich?"
"Nicht, wenn wir ihn schnell hier raus kriegen."
"Hören Sie, ich schicke Ihnen jemand hoch, der Ihnen hilft, Ihren Mann vom Turm zu schaffen. Außerdem schicke ich zwei Sniper hoch, die da oben beste Arbeitsbedingungen haben werden. Wir treffen uns unten."
"Ich sehe Sie humpeln. Ich nehme an, Sie wurden in der Straße erwischt?"
"Woher wollen Sie wissen, welcher von meinen Jungs ich bin?"
"Sie sind der Einzige mit Eskorte."
Scott schmunzelte verhalten. "Wir sehen uns unten." Er sah Ryback an.
"Kümmere mich schon drum, Cap."
Er nickte. "Green Leader an alle: Lasst Sprengfallen zurück und kommt in die Moschee. Jetzt." "Roger!"

Die Soldaten arbeiteten schnell und professionell, zogen aus ihren Rucksäcken die Richtminen hervor, positionierten sie an unauffälligen Positionen und spannten die Stolperdrähte, die die Minen auslösen würden. Anschließend zogen sie sich, sich gegenseitig Deckung gebend, in die Moschee zurück. Wahrscheinlich waren die meisten Angreifer, sofern sie nicht vor der Moschee gefallen oder geflohen waren, im Wald westlich der Absturzstelle des Mi-24, weil sie dort die abgeschossenen Piloten vermuteten. Ihnen stand also sicher noch einiges an Ärger bevor.
In der Moschee - Gott möge es ihnen verzeihen - wurden die wenigen noch intakten Fenster eingeschlagen, Soldaten bezogen Schussposition, und manch einer feuerte bereits. Vier besonders eifrige Ranger schleppten eine Steinbank aus dem Vorraum heran, warfen sie um und machten damit aus ihr eine provisorische Deckung für den Eingang. Scott wäre es lieber gewesen, hätte er die Tore schließen können, aber die gab es schon lange nicht mehr. Auch eine Einrichtung, von der Steinbank abgesehen, suchte er vergeblich.
Aus dem Aufgang zum Minarett kam einer seiner Männer, zwei Männer in SECAM-Fleckentarn begleitend. Der Mittlere brauchte Stütze. Sofort war Oslovski da. "Hier hin. Ich will mir das mal ansehen."
Sie legten den Mann ab, und der Unverletzte kam auf Scott zu.
"Herr Axel Herwig, nehme ich an."
Der Chef der Mine streckte ihm die Hand entgegen. "Richtig. Und Sie sind, Army Ranger?"
"Captain Scott, Jason Scott, 3rd Ranger Battaillon, derzeit auf dem Rückweg von einer Rettungsmission, die Ihre Leute mir abgenommen haben."
"Meine Leute sind eben schnell dabei, wenn es darum geht, zu helfen, oder Ungerechtigkeiten zu beseitigen", sagte Axel und bot dem Mann die Hand.
Captain Scott ergriff sie ohne zu zögern. "Sie scheinen ein zäher Hund zu sein, Mr. Herwig, wenn Sie zu zweit von der rauchenden Absturzstelle bis hier zur Moschee vordringen konnten."
"Wir hatten das Glück auf unserer Seite, Captain."
Von draußen drang das Geräusch einer Explosion herein. "Army Ranger verlassen sich nicht auf Glück, Mr. Herwig. Wir haben Mittel und Wege, ihm nachzuhelfen."
Von oben klang Waffenfeuer auf, als die Sniper mit ihren M110 Semi-Automatic Sniper System ihre ersten Ziele aufnahmen. Auch vom Eingang, wo sich drei Ranger mit einem MG hinter der Steinbank verschanzt hatten - ein M240 - meldete erstes Feuer Sichtkontakt, und kurz darauf bellte auch das MG seine tödliche Brise in den späten Nachmittag.
"Gestatten Sie, das ich mich setze? Stehen bereitet mir gerade etwas Schwierigkeiten. Ohnehin können wir jetzt nur noch auf Ihre Luftkavallerie warten, damit sie für uns gut genug aufräumt, sodass wir die Stadt verlassen können."
Axel sah ihn ernst an, und nickte dann. "Wie lange, bis die Kavallerie eintrifft?"
"Eine Stunde höchstens. Es gibt wohl noch etwas vorzubereiten."
Der ältere Herwig-Bruder nickte. "Verstehe. Haben wir diese Stunde?"
Scott zuckte die Achseln, während er sich beim setzen helfen ließ. "Wir werden es sehen, oder?
Gehen Sie, Kruger. Sie werden gebraucht."
"Ja, Sir."
Axel setzte sich neben ihn. Für den Moment. Er hatte nicht vor, sich aus den laufenden Gefechten raus zu halten. "Wie schätzen Sie die Lage ein?", fragte er nachdenklich.
Scott legte den Kopf schräg und schwieg ein paar Sekunden. "Also, das ist jetzt ganz weit hergeholt, aber ich vermute folgendes. Als vor zwanzig Jahren die ganze Region im Bürgerkrieg versunken ist und man Keounda City aufgegeben hat, da wurde das Vakuum nach und nach wieder gefüllt. Fragen Sie mich nicht wie oder wann, aber diejenigen, die kamen, oder die Macht beanspruchten, waren vollkommen durch den Wind. Eventuell durch die Grauen des Krieges, eventuell waren sie es vorher schon. Sie wurden mehr, sie wurden größer, und sie sorgten dafür, das alle, die sie aufnahmen, genauso durchgeknallt waren wie sie selbst." Scott räusperte sich. "Nach zivilisatorischen Maßstäben, möchte ich sagen. Beweis dafür ist, das sie alle mit AK47 herum laufen, aber keine Uniformen tragen. Außerdem bemalen sie ihre Körper mit Blut und behängen ihn mit abgetrennten Körperteilen. Ich habe schon Penis-Eicheln, abgetrennte Finger und ein getrocknetes Herz gesehen.
"Oh, bei mir waren es auch Finger, dann der Klassiker, Ohren. Einer trug auch ein Stück Ferse, wenn ich das richtig erkannt habe."
"So machen sie es. Sie betrachten Keounda City als ihr ureigenstes Revier, und zwanzig Jahre lang hat es ihnen niemand streitig gemacht. Diejenigen, die ihr Revier missachten, werden getötet. Oder sie zwingen einige von ihnen, die anderen zu töten und ebenso zu werden wie sie selbst. Klappt sehr gut bei recht jungen Leuten."
"Der Herr der Fliegen."
"Ich dachte jetzt eher an den Joker aus den Batman-Comics. Aber ja, Herr der Fliegen ist eine gute Referenz."
"Und weiter? Wie verpflegen sie sich? Wo kriegen sie die Waffen her?"
Scott grinste schief. "Was, wenn es irgend jemandem nützt, wenn die Hauptstadt von Belongo nie wieder als Hauptstadt verwendet werden kann?"
"Sie meinen, dies ist Teil der Unterdrückungskampagne, die Ndongo mit Belongo fährt?"
Der Captain blinzelte überrascht. "Was für eine Unterdrückungskampagne?"
"Ich denke, es reicht, wenn ich Ihnen jetzt schon sage, das es um Öl geht. Viel Öl für viel Geld, und wenig Geld davon ist für Belongo gedacht."
Scott legte die Stirn in Falten. "Und Sie vermuten, Ndongo fördert diese Verrückten?"
"Es liegt nahe", erwiderte Axel. "Außerdem, ist Ihnen aufgefallen, das nicht eine einzige Frau zu sehen ist? Wenn wir davon ausgehen, das die Geburtenstatistik auch hier männliche und weibliche Geburten gleichmäßig aufteilt, möchte ich ungern wissen, woran das liegt."
"Wer weiß, vielleicht kommen wir diesem Geheimnis auf die Spur, falls sie uns besiegen, überwältigen und zu ihrem Führer verschleppen."
Axel warf einen Blick in Richtung von Sergeant Ryback. "Ihre Frauen sollten dann besser schon tot sein, schätze ich."
"Ich möchte meine Aussage ergänzen. Natürlich wird es nie so weit kommen." Scott schauderte. Dieser fürchterliche Kraut hatte ein Talent dafür, seinen Finger in die Wunde zu legen. Widerlich erfrischend, der Mann.
Axel erhob sich wieder. "Genug geplauscht für den Anfang. Ich schaue mal, wo ich mich nützlich machen kann. Dies wird sicherlich die längste Stunde meines Lebens."
"Es wird schon werden", brummte ihm Scott nach. Eigentlich hasste er Floskeln, aber diesmal war er zuversichtlich, sehr zuversichtlich. Nun gut, noch waren sie nicht ausgeflogen. Und es würde noch einiges schief gehen können.
***
Nur mit Unbehagen dachte Niklas an die letzte halbe Stunde zurück. Es hatte damit begonnen, das Ldunga ganz im Sinne der neuen Partnerschaft, berichtet hatte, dass der Hubschrauber mit Androweit und seinem älteren Bruder an Bord über Keounda City abgeschossen worden war, obwohl der Kriegsherrr mehrfach betont hatte, dass man die Stadt meiden sollte. Grund für diese Unvorsichtigkeit war wohl eine große Rauchsäule am Stadtrand gewesen. Niklas konnte sich lebhaft vorstellen, wie Axel, von seiner Neugier angestachelt, nichts besseres zu tun gehabt hatte, als direkt hin zu fliegen.
Niklas hatte Ldunga um Unterstützung gebeten, obwohl ihm klar war, dass der Kriegsherr weder die Mittel noch die Männer hatte, um die beiden, so sie denn noch lebten, raus zu hauen. Aber zumindest konnte Ldunga die Situation durch seine "Speere" beobachten lassen.
Dann war der zweite Funkanruf gekommen, und ausgerechnet ein US Army Ranger hatte den Funknotruf von Axel weiter geleitet.
Captain Scott und er hatten sich eine Zeitlang besprochen, und er hatte dazu Boxie in Panadia hinzu geschaltet; so waren sie zu dem Entschluss gekommen, dass Scott zuerst einen Brückenkopf in der Stadt bilden sollte. Anschließend sollte Boxie mit dem Transporter und dem Hind, die die Ärzte nach Panadia geflogen hatten, mit dem Helikopter zusammentreffen, der hier bei der Mine stand, sich mit den Ranger-Hubschraubern vereinigen und die Situation klären. Anschließend sollten sie zum Brückenkopf vorstoßen und die dortigen Truppen evakuieren. Für den Notfall hatte Scott seine Kompanie in Bereitschaft versetzt und seine restlichen Hubschrauber angefordert. Sie würden das dritte Platoon bringen, das mit den schweren Waffen, nur für den Fall der Fälle.
Und genau da hatten Niklas' Magenschmerzen begonnen. Es war eine Scheiß Situation, die ihn sehr an diesen überdrehten Ami-Spielfilm mit dem abgestürzten Black Hawk erinnerte. Es war nicht gerade ein Trost, das auch die Army Ranger mit Black Hawks ausgerüstet waren.
Sie kannten die Lage nicht, in der sich Axel und Androweit befanden; sie konnten von einhundert feindlich eingestellten Menschen umschlossen sein, sie konnten von eintausend umschlossen sein, sie konnten von zehntausend umschlossen sein. Und wenn es zehntausend waren, dann war ein gewaltiges Gemetzel nötig, um die beiden raus zu hauen. Und bei diesem Gedanken zuckten seine Finger. Klar, die Bewohner Keounda Citys hatten sie mit dem Abschuss des Hind klar heraus gefordert, und beinahe wäre sein Bruder getötet worden. Alleine das rechtfertigte eine Strafexpedition, schon aus Gründen der Machtdemonstration, die widerum der Sicherheit der Mine diente. Dazu kam, das sein Bruder lebte, aber aus eigener Kraft die Stadt nicht mehr verlassen konnte. Hier begann das Dilemma. Wie viele Soldaten mussten sie in das Gebilde namens Keounda City hinein pumpen, bis am Ende wenigstens ein Überlebender - hoffentlich Axel - diese Stadt wieder verlassen konnte?
Auf jeden Fall machte sich Axel bereit, um mit acht voll ausgerüsteten Leuten ebenfalls hinzu zu stoßen. Sammelpunkt für alle Einheiten war Ldungas Farm. Damit gaben sie sich zu einem beträchtlichen Teil in die Hände des Warlords, aber nicht ganz zu Unrecht spekulierte Niklas darauf, das der Mann in erster Linie Geschäftsmann war, und dass er das Bombengeschäft, das ihm Belongo Mining verschaffen würde, nicht riskieren wollte. Zumindest hoffte er das. Größere Menschen als er hatten schon aus nichtigeren Gründen größere Gelegenheiten vor die Hunde gehen lassen, um dümmere Dinge zu erreichen.
Niklas überprüfte seine Ausrüstung. Diesmal hatte er ein HK33 an sich genommen, dazu die P8, die standardgemäß zu ihrer Ausrüstung gehörte. Außerdem hatte er die kugelsichere Weste angelegt, und das KaBar-Kampfmesser mitsamt Futteral an seinen Gürtel gehängt. Munitionstaschen fassten vier Ersatzmagazine, Tropenhut und Stahlhelm lagen bereit, und für den allergrößten GAU hatte er sogar ein Nachtsichtgerät in den Rucksack mit Proviant gepackt. Zwei Ersatzmagazine und zwei Päckchen Munition zum selbst nachladen vervollständigten seine Ausrüstung. Oh, nicht zu vergessen die Tube Tarnfarbe, die er sich dann ins Gesicht und auf die Unterarme schmieren würde, wenn es zum GAU kam. Notfalls würde er nachts alleine rein gehen, und seinen Bruder da raus holen, egal ob tot oder lebendig. Dieser trotzige Gedanke ließ ihn seine Rechte zur Faust ballen und auf den Schreibtisch schlagen.

Bernd schreckte hoch. "Himmel, lass das. Ich bin überfettet, und mein Herz kann zu dem ganze Stress nicht noch einen weiteren Schrecken verkraften."
Niklas warf dem alten Freund einen ärgerlichen Blick zu.
Der hob abwehrend die Arme. "Schau mich nicht so an. Du weißt, ohne unsere Maschinen in Panadia können wir nur acht Leute an die Front schaffen, und das sollten die Besten sein, wie Malicke, Steinard und McKenzie. Ich wollte mitkommen, aber genau das hast du mir ja verboten."
"Nein, das ist es nicht", erwiderte Niklas. "Ich bin nicht auf dich böse, sondern auf mich selbst. Himmel, ich hätte mir denken können, dass Axels Glückssträhne irgendwann einmal vorbei sein wird. Als die ersten sieben Tage nichts passiert ist, was das Wort Katastrophe verdient hatte, hätte ich einfach wissen müssen, dass sein unglaubliches Glück bald abreißen musste. Ich hätte selbst mitfliegen sollen. Dann hätte ich die zwei schon daran gehindert, auf so etwas Offensichtliches rein zu fallen."
"Rede nicht. Du wärst als Erster hingeflogen, weil du einen Unglücksfall vermutet hättest, einfach um zu helfen", erwiderte Bernd. "Ach ja, morgen kriegen wir drei Mi-24, zwei davon A, die dritte eine D, und einem weiteren Mi-8MT-Transporter. Ich kann auch billig ein halbes Dutzend UH-1 von Bell kriegen, wenn ich darf. Ich denke, wenn wir diesen Konflikt überleben, werden wir mehr Bedarf an Transportern haben, nicht so sehr nach bewaffneten Hubschraubern."
"Die Huey? Ist das nicht die Maschine aus dem Vietnam-Krieg? Die ist doch furchtbar laut."
"Für einen Kriegseinsatz in einem Dschungel ist sie wirklich schlecht geeignet, wenn sie sich schon eine Meile vorab ankündigt. Die Amis dachten damals wohl, es hätte einen psychologischen Effekt. Und den wird es sicher auch gehabt haben. Die VietCong und die nordvietnamesische Armee werden sich gefreut haben, dass sie durch die Vorankündigung genügend Zeit hatten, um ihre Waffen vorzubereiten und auszurichten."
"Kauf drei. Und eine Option auf die anderen. Wie sieht es mit den neuen Rekruten aus? Sind sie schon in Panadia?"
"Neunundsechzig Leute stehen bereit und sind teilweise schon in Honiton City eingetroffen. Weitere achtunddreißig warten in Deutschland auf ihren Flug." Bernd musterte seinen militärischen Anführer interessiert. "Nanu? Kein Protest?"
"Wieso sollte ich? Du hast vollkommen Recht, wenn du so viele Leute wie möglich rekrutierst. Erstens können wir sie locker bezahlen. Bereits jetzt kriegt jeder Angestellte von Belongo Mining mehr als er in seinem Leben normalerweise verdienen würde. Und zweitens werden wir sie noch bitter brauchen. Wir werden nicht immer so viel Glück haben wie bei der Befreiung der Ärzte ohne Angst. Vielleicht endet unsere Strähne genau heute."
"Mal den Teufel nicht an die Wand, das weißt du doch", erwiderte Bernd. "Die Leute werden dir gefallen. Meike hat drei Ärzte und sieben Pfleger aufgetan, von denen vier noch in Deutschland sind. Einer von ihnen ist Jannik."
Niklas riss die Augen auf. "Du hast Jannik rekrutiert? Jannik Herryhaus? Meike wird dich umbringen!"
"Im Gegenteil. Es war meine Idee, Niklas", sagte die Ärztin, als sie eintrat. "Tolles Timing, übrigens, Bernd. Einen besseren Auftritt hätte ich auch nicht haben können, wenn wir uns abgesprochen hätten.
Niklas, ich habe meinen kleinen Bruder angeheuert, weil ich glaube, das ihm die Erfahrung hier gut tun wird. Es schadet nicht, wenn er ein paar Semester aussetzt und mal einem richtigen Arzt bei richtiger Arbeit zur Hand geht. Außerdem haben wir hier genau die Lebenssituation, die meine Eltern immer verbessern wollen."
"Himmel, warum heuerst du Klaus und Ute nicht auch gleich an, Meike?", fragte Niklas. Er zögerte, rieb sich das Kinn. "Moment mal, das könnte eventuell gar keine so dumme Idee sein. Auch wenn Klaus mir dann tagelang in den Ohren liegen wird, weil ich nicht gleich bei meiner Ankunft ein fünfstöckiges überregionales Versorgungszentrum aus dem Boden gestampft habe."
"Ja, da könntest du Recht haben. Aber du solltest Ute mehr fürchten", warf Bernd ein. "Sie ist es, von der Meike ihre rotzfreche Art hat. Und willst du wirklich zwei davon im Camp?"
"Vorsicht, dicker Mann, achte darauf, was du sagst, sonst erzähle ich Mama alles", drohte Meike.
"Mit solchen Drohungen sollte man nicht leichtfertig um sich werfen", erwiderte Bernd, ein wenig blass werdend.
Es gab nur einen Mann auf dieser Welt, der Ute handhaben konnte, von Thomas einmal abgesehen. Und wenn der zufällig zu tun hatte, und Ute losgelassen wurde... Niklas schüttelte sich. Die beiden würden... Nein, sie konnten eine wahnsinnige Bereicherung für das Projekt sein, alleine schon wegen ihrer Jahrzehntelangen Erfahrung in Hilfsprojekten jedwelcher Art. Aber Sie waren beide furchtbare Alpha-Tiere, die gerne das Kommando übernahmen, und überhaupt nichts vom Militär hielten. Darin waren sie mit Thomas auf einer Wellenlänge.
"Fehlt nur Tordis, um den Reigen zu vervollständigen", sagte Niklas.
Meike verzog ihre Miene zu einem trotzigen Lächeln. "Nicht, dass Tordis auch nur den Hauch eines Talents hätte, das uns hier helfen würde."
"Dass du mal so über deine große Schwester reden würdest...", sagte Bernd grinsend. "Jemand sollte es ihr erzählen."
Meike wurde blass. "Bernd Assay, du wirst doch nicht..."
"Was soll's? Tordis ist ein freundlicher, liebender Engel mit Verständnis für Jedermann und einer Geduld und Sanftmütigkeit, die ans Unmögliche grenzt. Gut, sie hat kein Talent, das sie hier einsetzen könnte. Aber sie könnte Thomas bei der Unternehmensführung helfen. Sie ist doch noch immer erfolgreich in ihrem Job?"
"D-du hast ja keine Ahnung", sagte Meike ärgerlich. "Klar, sie ist lieb, sie ist sanft, und sie ist nett. Und sie würde auch nie laut werden, oder sogar gegen jemanden die Hand erheben. Aber hast du einmal gesehen, dass ihr jemand nicht gehorcht hätte? Dass eine ihrer Anweisungen nicht befolgt wurde? Sie ist wie ein Eisberg, der sich kontinuierlich voran wälzt, alles vor sich aus der Bahn drückt, und dabei Meter um Meter weiter aufs Ziel vorrückt. Und alles, wirklich alles prallt an ihr ab. Es ist gespenstisch, sie bei der Arbeit zu sehen. Und das Letzte, was ich will, ist, das sie hier her kommt."
"Langsam, langsam. Wir haben Jannik nicht angeworben, falls du dich erinnerst", sagte Niklas. "Das warst du. Wenn also irgendwann deine anderen beiden Geschwister und deine Eltern hier vor der Tür stehen, ist das nicht unsere Schuld."
Meike brummte unwillig, enthielt sich aber jedes weiteren Kommentars.
"Apropos vorrücken. Was wolltest du eigentlich? Ich habe nicht mehr viel Zeit, bevor wir nach Ldunga raus fliegen."
"Ich komme mit."
"Gut, ist genehmigt. Du trägst zwar keinen Fleckentarn, aber du darfst ohnehin nur bis zur Farm mitkommen. Da bleibst du, selbst wenn in Keounda City die Welt untergehen sollte."
"Wie jetzt? Kein Zaudern, kein Verzagen, keine Ausreden?", fragte sie erstaunt.
"Wie jetzt? Kein Meckern, zetern, erpressen, damit ich dich doch in die Stadt mitnehme?", konterte Niklas.
"Du kennst mich zwar gut, aber noch lange nicht gut genug", erwiderte Meike. Sie hob ihre Umhängetasche. "Ich werde auf der Farm gut beschäftigt sein und die Leute impfen. Und ich werde alles und jeden medizinisch versorgen, den Ihr mir aus Keounda City schickt. Ich werde nur rein kommen, wenn die Sanitäter der Army Ranger tot oder selbst verwundet sind."
"Damit kann ich leben. Meike, Pistole."
"Ist schon angelegt", sagte sie, und reckte ihm die rechte Hüfte entgegen. Als sie seinen ungläubigen Blick sah, bemerkte sie: "Hey, ich bin vielleicht eine verschrobene Idealistin, aber ich bin keine dumme verschrobene Idealistin."
"Ich bin schwer beeindruckt. Bernd, du hältst mit dem Spieß die Stellung. Und ach ja: Du kaufst keine Kampfpanzer!"
"Das ist unfair! Thomas gibt viel mehr von der Hälfte unserer Einkünfte aus, die wir für Belongo und die Verteidigung der Mine vorgesehen haben, als ich."
"Du darfst schon die Radpanzer aus Südafrika kaufen. Das muss reichen.
"Vorerst?", fragte Bernd hoffnungsvoll.
"Keine Kampfpanzer. Damit musst du warten, bis wir die erste Straße gebaut haben."
"Och, menno", murrte Bernd. Ernster fügte er hinzu: "Ich werde Klaus kontaktieren und ihn fragen, ob der Satellit noch günstig für uns steht. Kann ja sein, dass die Amis ihre Army Ranger beobachten. Dann können wir uns vielleicht in ihren Kanal einklinken."
"Tu das. Und berichte uns, falls es entscheidende Neuigkeiten gibt." Niklas schulterte seinen Rucksack, setzte den Tropenhut auf, befestigte den Stahlhelm an der Koppel und nickte Meike zu.
Nacheinander verließen sie den Container, und gingen auf den wartenden Hubschrauber zu, dessen Rotoren sich bereits drehten.

"Meinst du, es wäre besser ausgegangen, wenn wir Heide hingeschickt hätten? Sie hat ja augenscheinlich ein gutes Händchen, und alle Menschen fressen ihr aus der Hand", sagte Meike nachdenklich.
"Das Problem ist, wir haben es nicht mit Menschen zu tun. Sie sind... Irgendwas andere da unten in Keounda City. Mir ist aber immer noch nicht klar, was da genau abgeht. Wem nützt es, wenn die Hauptstadt nicht wieder aufgebaut werden kann?"
"Dem Straßenverkehr jedenfalls schon mal nicht", meinte Meike. "Ich meine, sieh es dir doch mal auf der Karte an. Keounda City hat die beiden einzigen Brücken über den Lagabanda-Fluss, die von Lastwagen befahren werden können. Und dann führen die beiden Nord-Süd-Straßen am linken wie am rechten Ufer auch noch direkt an der Stadt vorbei."
"Du meinst also, Keounda City war früher ein Verkehrsknotenpunkt?"
Meike nickte. "Durch Keounda City ging mal eine Ost-West-Transit-Straße, die die größere der beiden Brücken genutzt hat. Sie kam aus den Westprovinzen Ndongos, und ging dann nach Trans-Zanzia weiter. Von dort verlief sie bis nach Allah al Akbar, den großen Seehafen am indischen Ozean." Meike schnaubte leise. Es klang ebenso amüsiert wie wehmütig. "Stell dir das mal vor, eine Transitstraße über den Kontinent, von Küste zu Küste, die mitten durch Belongo führte. Mitten durch Keounda City. Die Straße, der Fluss und die hiesige Landwirtschaft müssen einmal die Motoren des Landes gewesen sein, bevor der Bürgerkrieg ausbrach."
"Du meinst, bevor sie Öl gefunden haben, und das Geld nicht mit Belongo teilen wollten." Niklas lachte gehässig, aber nur für einen Moment. "Natürlich, das kann auch sein."
Meike sah interessiert herüber. "Machst du gerade einen auf Axel? Hattest du einen Geistesblitz? Komisch, ich habe gar kein Klicken gehört. Wenn Axel einen Geistesblitz hat, dann klickt immer irgendwas."
"Mach dich nicht lächerlich, bei mir klickt nichts. Egal wie gut die Idee war. Das kann auch nur Axel." Nachdenklich runzelte er die Stirn. "Was ist, wenn Ndongo tatsächlich befürchtet hat, dass die Provinz zu mächtig werden würde, wenn sie auch noch über eigene Ölfelder verfügen würde? Was, wenn man ihre Sezession befürchtet hat? Und was, wenn man sich dafür entschieden hat, nur die Milliardengewinne aus dem Ölhandel zu behalten?"
"Na, jetzt übertreibst du aber", tadelte Meike. "Bei meinen Recherchen zu Belongo war von einer Abtrennung von Ndongo nie die Rede. Aber im Regionalparlament gab es eine recht große Diskussion über die Sitzverteilung im Bundesparlament. Gemessen an der Bevölkerungszahl wollten sie mehr Sitze. Und die sollten woher kommen? Von Nefali und Barambia, den Provinzen eins und zwei, deren Bevölkerungszahlen trotz Hauptstadt und Seehäfen zum damaligen Zeitpunkt gesunken waren. Hm, halte den Gedanken fest. Er nützt uns zwar nichts, aber dank deines Perfektionsmus bist du bestimmt um Antworten bemüht."
"Bemüht... Wie klingt das denn?"
Sie erreichten die siebenköpfige Truppe vor dem Hubschrauber. "Alles bereit, Hannes?"
"Alles bereit, Niklas. Sehen wir zu, das wir die beiden und die Army Ranger da wieder raus schaffen können."
"Okay. Doktor Herryhaus begleitet uns bis zur Farm, und zwar genau bis zur Farm."
"Du brauchst es nicht noch mal zu betonen", murrte Meike.
"Ich gehe gerne auf Nummer sicher", sagte Niklas grinsend. "Die Ausrüstung ist vollständig?"
Hannes nickte. "Zweimal überprüft."
"Gut, dann wollen wir keine Zeit mehr verlieren. Übernehmen Sie, Hauptmann."
Hannes grinste schief, als der noch ungewohnte Rang erklang. "Aufsitzen, Herrschaften!"
Diszipliniert, konzentriert und schweigend erklommen die acht Soldaten und die Ärztin den Laderaum der Hind. Nachdem der Lademeister das Okay gegeben hatte, erhob sich die Maschine und zog nach Süden davon, in Richtung Ldungas Farm.
Vieles schmeckte Niklas an der Situation nicht besonders, andere Dinge aber machten ihm wieder Hoffnung. Zum Beispiel nahm die Landebahn deutlich Formen an. Noch ein paar hundert Meter, und sie war lang genug, damit eine TransAll einmalig auf ihr landen konnte. Wie viele Diamanten sie wohl mit verbaut hatten? Sicherlich genug, um aus dieser Piste das teuerste Konstrukt in ganz Belongo zu machen. Als die Mi-24 beschleunigte, verschwanden die Landebahn und das kleine Camp schnell aus seiner Sicht. Zeit, sich wieder auf das akuteste seiner Probleme zu fokussieren.
***
Lieutenant Henri Ltongo staunte nicht schlecht, als er den gesteigerten Eifer der Army Ranger registrierte. Und es verwunderte ihn, dass der Chinook-Helikopter, oft liebevoll die fliegende Banane genannt, teilweise wieder entladen wurde. Ein Teil der Leute beteiligte sich überhaupt nicht mehr am Abbau, sondern bereitete die persönliche Ausrüstung vor.
Er trat zu First Lieutenant Austin, der die Arbeiten überwachte. "Lieutenant? Alles in Ordnung?"
Richard Austin musterte den ndongoischen Offizier mit Erstaunen. "Kann es sein, dass Sie noch nichts gehört haben?"
"Was gehört? Entschuldigen Sie, ich stehe gerade auf dem Schlauch."
"Unser Captain wollte mit dem ersten Platoon rüber zur Minengesellschaft, das Diamanten schürft, wo Ihre Freunde Gold gesucht haben, und sich für die Rettung der Ärzte ohne Angst bedanken, was ja eigentlich unsere Aufgabe gewesen wäre."
"Soweit kann ich Ihnen folgen. Und "besuchen" heißt tatsächlich besuchen?"
Austin grinste. "Es sollte wirklich nur ein Besuch werden. Captain Scott ist nicht der Mann, der aus gekränkter Eitelkeit Kämpfe beginnt."
"Aber dennoch erscheint es mir, als würde sich der Schwere Waffen-Zug kampfbereit machen", wandte Ltongo ein.
"Wie man es nimmt. Wir haben Einsatzorder vom Captain, und im Pentagon haben sie bestätigt. Der Chef der Mine wurde über Keounda City abgeschossen. Der Captain ist bereits hin, um ihn raus zu hauen. Ich fliege mit dem dritten Platoon hinterher, nur für den Fall, das noch ein paar Hände gebraucht werden, die Waffen halten können."
"Mit dieser Kampfstärke könnten Sie Keounda City erobern. Zumindest die Westhälfte bis zum Fluss", wandte Ltongo ein.
"Noch mal, wir holen nur den Chef der Belongo Mining und seinen Piloten raus. Wir wollen die Stadt nicht, und wir sollen sie auch nicht erobern. Alles, was wir tun werden, ist, die Tür zu den Hubschraubern offen zu halten, und dann wieder abfliegen. Vielleicht kümmern wir uns aber später um die Stadt. Sie ist anscheinend voll mit ein paar durchgeknallten Typen, die sich einen Spaß daraus machen, sich getrocknete Körperteile umzuhängen, und jemand sollte dafür sorgen, dass sich dieser Wahn nicht in ganz Belongo verbreitet. Aber es ist nicht gesagt, das wir das sein werden."
"Ja, davon habe ich schon gehört. Jemand sollte sich ein für allemal um Keounda City kümmern", sagte Ltongo nachdenklich. "Erwarten Sie großen Widerstand?"
"Eigentlich nicht. Wie ich schon sagte, die Dritte rückt nur sicherheitshalber aus. Ich erwarte eigentlich eine ruhige Zeit, einen gemütlichen Spaziergang. Vielleicht machen wir bei der Gelegenheit auch noch einen Stadtbummel und inspizieren die beiden Brücken."
"Na, da wünsche ich Ihnen aber viel Spaß." Er musterte die Soldaten, die zurück bleiben würden. "Ich nehme an, die holen Sie später ab?"
"Sobald wir Flugkapazitäten frei haben, ja. Also gegen Abend spätestens."
"Gut zu wissen. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, ich muss mal unserer Funkabteilung auf die Füße treten. Entweder pennen die da alle, oder jemand hält einen Kampf in der ehemaligen Distrikthauptstadt für nicht so wichtig, und dann muss ich ihm die Ohren lang ziehen."
Pflichtbewusst lachte der US-Offizier. "Na, viel Vergnügen. Bei mir war die Nachricht dreimal durch die Truppe, bevor ich überhaupt einen Befehl geben konnte."
"Ich wünschte, ich hätte Ihre Leute", scherzte Ltongo.
"Vorsicht vor dem, was man sich wünscht, Lieutenant", erwiderte Austin grinsend. Die beiden tauschten einen militärischen Salut aus und trennten sich.
Ltongo war tatsächlich auf dem Weg zur Funkabteilung. Und danach würde er direkt beim Général auf der Matte stehen.
***
Axel hockte sich neben dem an der Wand lehnenden Captain, und trocknete sich mit einem geliehenen Handtuch das Gesicht ab. "Ihre Leute sind gut, Scott. Sie sparen ihre Munition, obwohl man sagen könnte, dass sie das nicht bräuchten, weil die Chose hier in einer halben Stunde vorbei sein wird. Sie rechnen damit, das durchaus was schief gehen könnte."
"Wir sind Army Ranger. Um einer zu werden, muss man mehr auf dem Kasten haben, als ein Magazin durchzurotzen. Obwohl das ab und an ein hilfreiches Talent ist." Scott reichte Axel ein Stück Schokolade. "Was Süßes?"
"Hatte ich eigentlich die Nacht schon, aber ein paar Kalorien können bei diesem Tagesverlauf sicher nicht schaden. Danke." Er brach sich ein Stück ab, und aß es als Ganzes. "Vollmilch. Ich bin erstaunt. Wäre die Schokolade aus einem deutschen EPA, dann hätte man puren Kakao bekommen, damit der Soldat im Feld ordentlich Verstopfung bekommt."
"Von deutschen EPA habe ich schon gehört. Angeblich enthalten sie die härteste Substanz der Welt, den Bundeswehrkeks. Stimmt es, das er nicht durchschossen werden kann?", scherzte Scott. "Die Schokolade gehört zu meiner persönlichen Ausrüstung. Ich bin Schokoholic. Ist, finde ich, eine bessere Sucht, als die Super Size-Menüs in unseren Burger-Läden."
"Natürlich kann der Bundeswehrkeks durchschossen werden", sagte Axel grinsend. "Anders kriegt man den ja auch nicht klein. Sie mögen also Vollmilch? Was ist mit Traube-Nuss?"
"Nussschokolade an sich ist eine schöne Sache, aber Rosinen mag ich nicht."
"Interessant. Zartbitter?"
Scott nickte. "Wenn, dann aber achtzig Prozent oder mehr, und dann bitte mit Chili."
"Kenne ich noch nicht. Aber sobald ich mal wieder in der Zivilisation bin, werde ich es mal probieren."
Scott lachte. "Nehmen Sie mich mit. Anschließend gehen wir Sacher-Torte essen, auf Ihre Kosten."
"Captain", sagte Axel vorwurfsvoll, "sobald wir hier raus sind, kann sich jeder Ihrer Soldaten auf meine Kosten einen vollen Monat in einem Luxusrestaurant so zuschlemmen, das er wegen Übergewicht die Ranger-Qualifikation riskiert."
"Na, das ist doch mal ein Wort", sagte Scott. Seine Miene wurde wieder ernst. "Wie geht es Ihrem Piloten?"
"Ihr Sani hat die Kugel raus geholt, und alles was er an Faserresten finden konnte. Selbst wenn die Wunde sich noch entzünden sollte, weil er was nicht gefunden hat, vorerst ist Jorge auf der sicheren Seite. Wie geht es Ihnen?"
"Meine Kugel hat Private Oslovski auch raus geholt. Keine Entzündung bisher. Überhaupt hatte meine Truppe Glück. Bisher nur ein paar Steckschüsse, Streifschüsse und Treffer an den gepanzerten Körperteilen. Noch bereue ich es nicht, Ihnen geholfen zu haben, Herr Herwig."
"Das bereue ich auch nicht, nebenbei bemerkt." Axel kramte im Rucksack, den er aus der abgeschossenen Maschine mitgenommen hatte, und zog eine Literflasche Wasser hervor. An der Flasche klebten zwei Tüten Ahoi-Brause. Als er das sah, musste er lachen. Wie lange hatte er das schon nicht mehr getrunken? Und nun, mitten in Afrika, klebte das Zeug an einer Notration.
"Wollen Sie mal, Captain Scott?"
"Hm? Was ist das?"
"Instant-Brause. Man löst sie in Wasser auf, und bekommt ein aromatisches Getränk. Früher, als Kinder, haben wir es ohne Wasser in den Mund genommen, und uns gefreut, wenn die Kohlensäure mit dem Speichel reagiert hat."
"Ich glaube, das lasse ich lieber. Meine Leute würden mich eventuell nicht mehr ernst nehmen, wenn ich Schaum vor dem Mund habe." Er zog seine Feldflasche hervor, und goss den Deckel voll. "Bitte."
"Was wollen Sie haben? Waldmeister oder Zitrone?"
"Waldmeister klingt gut."
Axel riss die entsprechende Tüte auf, und schüttete sie über dem Deckel aus. Das Aroma begann sofort mit seinem prickelnden Werk.
Scott sah auf. "Es schießt keiner mehr. Weder die draußen, noch meine Leute."
"Vermutlich keine Ziele mehr", sagte Axel.
"Moment, haben wir gleich." Der Captain griff nach seinem Funkgerät. "Leod, sitzen Sie oben im Turm?"
"Ja, Sir. Ich und Polonski."
"Wie sieht es von da oben für Sie aus?"
"Keine Ziele im Umkreis von vierhundert Metern, Sir, soweit wir die Seitenstraßen einsehen können. Die Prachtstraße ist leer, ebenso alles, was ich von der Straße einsehen kann, in der der Russenflieger abgeschmiert ist. Polonski sagt aber, er hat Bewegung im Wald gesehen. Da gehen wohl gerade eine Menge Leute."
"Das sind keine guten Nachrichten", sagte Axel. "Die draußen im Wald haben Panzerfäuste. Wenn ein paar davon den Turm treffen, könnte er einstürzen. Sagen Sie das Ihren Leuten."
"Haben Sie mitgehört, Leod?"
"Ja, Sir, hab's verstanden. Ich und Jack sind der gleichen Ansicht. Wir knallen alles ab, was aus dem Wald kommt. Moment..." Ein scharfer Knall war zu hören. "Nur einer auf dem Dach der Moschee, Sir. Ich schätze, die Rückwand mit dem Altar ist unübersichtlich genug, sodass sich da jemand anschleichen konnte."
"MORELLI!", bellte der Captain.
"Sir?"
"Unsere Sniper haben gerade einen Angreifer vom Dach gewischt! Sorgen Sie dafür, dass wir nach Osten eine bessere Deckung kriegen, und sorgen Sie gleich dafür!"
Der Getadelte wurde blass. "Jawohl, Sir! Jankin, Hue, rauf aufs Dach, die Ostseite decken!"
Die beiden Aufgerufenen bestätigten, und machten sich mit ihrer Ausrüstung schleunigst auf den Weg.
"Es scheint so, als würden unsere Freunde wagemutiger werden", sagte Scott lakonisch. "Ob wir die halbe Stunde noch haben?"
"Sicher haben wir die. Unsere Warbirds werden angeflogen kommen, alles freiräumen, was bis dahin hier auf dem Platz und in den umliegenden Straßen ist, und dann werden wir in aller Ruhe hier raus marschieren. Und das, ohne einen einzigen Mann zu verlieren."
"Ihr Wort in Gottes Ohr, Axel." Scott nahm einen Schluck von der Instant-Brause. "Nicht schlecht, das Zeug. Ich nehme einen Jahresvorrat."
"Sollen Sie haben, Jason. Sollen Sie haben."
***
Boxie flog wie immer mit Bedacht und Ruhe. Zumindest äußerlich war das der Fall. Innerlich war er aufgewühlt, und das lag nicht daran, dass er seine Meerschweinchen nicht dabei hatte. Seit sie in Afrika waren, hatte er nach und nach unerschütterliches Vertrauen in die Herwig-Brüder entwickelt, und ein Verhältnis, das man beinahe schon als familiär betrachten konnte. Nicht so sehr der Verlust der Hind machte ihm zu schaffen, es war mehr die andere Richtung. Jorge und ausgerechnet Axel in Lebensgefahr zu wissen lenkte ihn vom Fliegen ab. Und das mochte er gar nicht. Boxie war immer der Meinung gewesen, das man nur vollkommen ausgeglichen fliegen sollte, weil man in einem Kampfhubschrauber auf seine Reflexe angewiesen war, wenn es um Leben und Tod ging; und nun saß er hier, umklammerte die Rotorsteuerung viel zu fest, und ertappte sich dabei, wie sich die Füße nervös auf den Pedalen für den Seitendrift bewegten. Nein, das war alles andere als ausgeglichen.
Andererseits konnte er wahrscheinlich froh sein, das ein Pilot am Steuer der Mi-24 gesessen hatte, und keiner der Lademeister, die - nicht nur theoretisch - in der Lage waren, einen Kampfhubschrauber zu steuern. Aber ein Absturz hätte sie eventuell mehr überfordert als einen Jorge Androweit. Obwohl Ariadne Koopmans schon eine gute Figur auf dem Co-Pilotensitz machte, und auch die Waffensteuerung aus dem FF beherrschte.
"Waltze von Boxie, kommen", funkte er den Piloten des 8MT-Transporters an.
"Waltze hört. Wollen wir den Kurs ändern und über die Stadt ziehen? Ein schneller Überflug, um die Situation zu aufzuklären, schadet sicher nichts."
"Negativ, Waltze. Die haben Stinger. Wenn wir da rein gehen, dann mit allen bewaffneten Maschinen, die wir haben. Ich werde nicht auf die Feuerkraft der zweiten Hind verzichten."
"Verstanden."
"Weshalb ich anrufe: Bist du fit?"
"Keine Sorge, ich ziehe mein Ding durch. Und gegen Jackson werde ich nicht abstinken, gewiss nicht", erwiderte er mit Hinweis auf den vierten Piloten der Firma.
"Ich frage ja auch nur, weil das schon das zweite Mal ist, das wir diese Strecke fliegen."
Der Deutsche lachte. "Mach dir keine Sorgen, Boxie. Ich wurde geboren, um einen Hubschrauber zu fliegen. Das ist mir klar geworden, kaum das ich mich aus der Bundeswehr vorzeitig verabschiedet habe. Und was noch wichtiger ist, ich bevorzuge die Dinger mit den Waffen. Und wo wir gerade beim Thema sind, ich habe die beiden Hubschrauber gesehen, die zur Firma transferiert wurden. Kriege ich die 24-D als Stamm-Maschine?"
"Ich überlege es mir. Wenn du dich über Keounda City nicht abschießen lässt. Boxie Ende."
Waltze lachte erneut. "Keine Sorge, wir spielen hier nicht Black Hawk Down nach. Ende und aus."
Na, hoffentlich nicht.
***
Ldunga Abesimi war sich im Klaren, das es eventuell ein Fehler gewesen war, dieses Bündnis einzugehen. Bisher hatte er sehr gut damit gelebt, wie die Dinge bisher gewesen waren, auch wenn vieles ihm nie so richtig gepasst hatte. War er zu gierig gewesen, die Chance zu ergreifen, die vielleicht einiges ändern konnte? Er wusste es nicht. Aber es war ihm wichtig, dass er auch noch am nächsten Morgen sein Volk beschützen konnte.
Die Geschichte mit der Goldmine war eine gute Gelegenheit gewesen, um Jean ein paar Monate kalt zu stellen. Sein zunehmender Einfluss auf die Speere und seine überbordernde Arroganz - und erst recht seine plumpen Annäherungsversuche an Michelle - hatten ihn diese willkommen Gelegenheit nutzen lassen. Dass der Bursche jetzt tot war, war ein unerwarteter, aber willkommener Nebeneffekt gewesen. Hätte er so weiter gemacht, hätte Ldunga ihn früher oder später selbst töten müssen. Alleine schon um seine eigene Familie zu schützen. Jean war genau das gewesen, was Ldunga an vielen der anderen Kriegsherren hasste, inklusive ihrer amoralischen Einstellung. Er selbst tat, was er tun musste, weil die Umstände es nicht anders erlaubten. Weil er sein Ziel, sein Volk zu beschützen, eben nicht bequem mit ein paar Anrufen regeln konnte, sondern weil er dies mit Waffengewalt, und mit einem Pakt mit dem Teufel tun musste. Darauf war er nicht sehr stolz. Aber er arbeitete auf bessere Zeiten hin, vor allem für seine Kinder. Und er hoffte, dass sich das Land ändern lassen würde, ohne das es dem Teufel, der ndongoischen Armee, auffallen würde, sodass die Anstrengungen diesmal nicht durch einen künstlichen Bürgerkrieg vernichtet werden würden.
Oh, er erinnerte sich noch gut an die ersten Tage. Damals war er selbst ein junger, aufstrebender Miliz-Unteroffizier gewesen. Er hatte miterlebt, wie die Armee die Miliz verheizt hatte, als die ersten Stammeskonflikte ausgebrochen waren. Mit Waffen, die das Militär überhaupt erst geliefert hatte, natürlich an beide Seiten. Er hatte erlebt, wie die Völker gegeneinander in den Fleischwolf getrieben worden waren, der sich Krieg nannte. Und bei vielen war das nicht schwer gewesen, weil ihre Anführer auf ihren Jahrhundertealten Stammesfehden bestanden, als wären sie etwas Erstrebenswertes, etwas Erhaltenswertes. Aber das war es nicht, war es nie, und die Schwächsten sowie die Miliz hatten die Zeche gezahlt. Und jene Völker, die sich nicht hatten hinein ziehen lassen wollen? Sie waren ausgetrickst worden, oder die Armee hatte sie selbst beschossen, weil "sie Rebellen Unterschlupf gewährt hatten". Die Miliz war damals das gewesen, was einer eigenständigen Armee Belongos am Nächsten gekommen war. Sie war in den ersten Wochen des Konflikts ausgeblutet, und wer diese Tage überlebt hatte, der haate sich von der Ausrüstung geschnappt, was er transportieren konnte, und sich zu seinem eigenen Volk zurück durchgeschlagen, um wenigstens sie zu beschützen. Einige seiner ehemaligen Kameraden waren zu Kriegsherren geworden, wie er selbst einer war. Doch viele der anderen Kriegsherren waren nur selbstherrliche arrogante Kotzbrocken, denen das Leid anderer nicht das Geringste ausmachte. Sie handelten nicht aus Notwendigkeit heraus, sondern weil es ihnen Spaß machte.
Ldunga schob die Erinnerungen an damals beiseite. Er lebte im hier und jetzt. Und in diesem hier und jetzt war sein neuer Vertragspartner, von dem er sich eine erhebliche Verbesserung der Lebenssituation seines Volkes erhoffte, in Keounda City abgestürzt. Und das, obwohl er mehrfach, mehrfach und eindringlich, vor der Stadt gewarnt hatte.
Aber Axel Herwig hatte nicht den Eindruck auf ihn gemacht, das er an einer interessanten Sache würde vorbei gehen können. Nein, ganz sicher nicht.
Noch war nichts verloren, sagte er zu sich selbst. Noch gab es Belongo Mining, und noch würden die Hubschrauber einen Tag für ihn arbeiten, und neues Vieh für die Zucht aus Panadia bringen. Noch würde er an den Lebensmitteln, die seine Farm und sein Volk produzierten, gut verdienen, und dem Land einen gewissen Wohlstand zurückgeben. Vielleicht. Große Hoffnung setzte er auch in die Ärzte, die die Herwig-Brüder mitgebracht hatten. Sie würden auch, genügend Zeit vorausgesetzt, zu seinem Volk kommen, und die Kranken versorgen. Tatsächlich hatten seine Leute schon drei Kranke aus den Dörfern seines Volkes zum Krankenhaus in Ngali gebracht, und waren dort freundlich aufgenommen worden. Freundlicher, als es die Speere eines Kriegsherrn außerhalb ihres Territoriums hätten erwarten dürfen. Aber wie hatte man ihnen gesagt? Im Krankenhaus gab es keine Stämme, und keine Konflikte. Dort waren sie alle nur Menschen mit gleichen Rechten und Pflichten.
Und nun, nun war es an der Zeit, für seinen Traum zu kämpfen.

Er wusste sehr gut, welcher Wahnsinn in Keounda City lauerte. Die Stadt bildete seine Südgrenze, und zwischen ihm und dem Bösen existierte eine unausgesprochene Absprache. Sie verschonten sein Gebiet und sein Volk, und dafür drang er nicht nach Süden vor. Diese Forderung unterstrichen sie immer mal wieder, indem sie doch sein Gebiet penetrierten, und einen oder zwei seiner Leute zu Tode folterten und die Leichen schändeten. Das waren klare Ansagen, und Ldunga verstand sie nur zu gut: Fürchte uns.
Und das tat er. Aber da war auch ein Teil in ihm, der ehemalige Unteroffizier, der ihm riet, dieses Eitergeschwür auszumerzen, bevor es größer wurde, und seinen Stamm bedrohte. Was sicherlich der Fall sein würde, wenn dem Bösen Keounda City zu klein wurde.
Er tat das einzig Richtige: Er ließ einhundert seiner Speere die Südgrenze beobachten. Ein paar seiner Späher, die Geschicktesten, hatten Befehl, sich so weit sie konnten an den Landeplatz der Hubschrauber heran zu schleichen und zu beobachten. Wenn sie dabei auf die Panzerfaustschützen trafen, sollten sie sie eliminieren. Es wurde eh langsam Zeit, dem Bösen zu beweisen, dass das Spiel auch in die andere Richtung funktionierte. Wenn das klappte, würde sich vielleicht eine Option öffnen, um... Nun, man würde sehen, was sich ergab.

Michelle berührte ihn leicht am Arm. "Vater."
Ldunga sah auf. Der Hubschrauber, der den militärischen Anführer der Belongo Mining brachte, setzte zur Landung an. Aus Süden hörte er weitere Propellergeräusche. Sie würden sich zu den beiden Hubschraubern und der Banane gesellen, die bereits vor über einer Dreiviertelstunde gelandet waren, und deren Besatzungen er mit Wasser und Nahrung versorgen lassen hat. Es war immer eine gute Idee, dafür zu sorgen, das freundliche bewaffnete Männer auch freundlich blieben.
Davon einmal abgesehen, dass die Seitenwaffen der beiden Hubschrauber vom Typ Black Hawk alleine schon erhebliche Verwüstungen anrichten konnten.
Nun würde er also Niklas Herwig kennen lernen, den jüngeren Bruder. Er war sehr gespannt auf den zweiten Deutschen. Ob er auch gerne grillte? Mit einem bitteren Lächeln schüttelte Ldunga den Kopf. Wieso hatte er in letzter Zeit nur so viele normale Gedanken? Es kam ihm beinahe so vor, als wären die letzten zwanzig Jahre nur ein langer, böser Traum gewesen.
Major Irvine trat zu ihnen. Er war der Chefpilot der fliegenden Banane und führte das Kommando über die Flugunterstützungsstaffel der Army Ranger. Michelle hatte lange mit ihm geredet, und ihrem Vater dann zu verstehen gegeben, das er auf den Mann hören sollte. Oder ihm zumindest zuhören.
Er nickte dem Amerikaner zu, und der große Mann nickte ebenso zurück, freundlich, aber zurückhaltend. Wahrscheinlich konnte er mit Ldungas Berufsbezeichnung nichts anfangen. Oder er hatte sich unter einem Kriegsherren etwas anderes vorgestellt.
"Ich bin verdammt gespannt auf diese Krauts", sagte er schließlich.
"Wenn dieser wie sein Bruder ist, dann dürfen Sie das auch, Major", erwiderte Michelle.
Der große Mann grinste zufrieden. "Übrigens, die letzte Meldung über Funk hat besagt, dass sie in der Stadt nun schon seit zehn Minuten keine Feindberührung mehr hatten. Entweder sammeln sie sich für einen großen Angriff, oder sie haben ihr Pulver verschossen."
Ldunga musste an sich halten, um dem Amerikaner nicht sein Entsetzen zu zeigen. Deutete er wirklich an, das Böse, das in der ehemaligen Distrikthauptstadt lebte, hätte seine Macht aufgebraucht? Das wäre natürlich eine wundervolle Entwicklung, aber gewiss nicht sehr realistisch. Oder konnte es sein, dass... Nein, der Gedanke war ketzerisch.

Der Hubschrauber setzte auf, die Laderaumklappen gingen auf, und die Soldaten booteten aus. Ldunga erkannte die Effizienz an, mit der sie das taten. Den Anführer erkannte er sofort. Er ging mit seiner Rechten Hand und einer Frau, die die Ärztin sein musste, von der er schon wahre Wunderdinge gehört hatte, direkt auf seine Gruppe zu, während die übrigen Soldaten sich so gut sie konnten die Beine vertraten.
Als sie einander gegenüber standen, nickte Niklas Herwig freundlich. "Mr. Abesimi. Ms. Abesimi. Major Irvine."
Ldunga reichte dem Mann die Hand. "Willkommen, Mr. Herwig. Haben Sie einen militärischen Rang?"
Der zweite Mann lachte auf und reichte ihnen ebenfalls die Hand. "Das wäre dann wohl Major, aber Mr. Herwig sträubt sich da noch. Ich bin Hauptmann Malicke, dies ist Doktor Herryhaus. Sie hat den Wunsch geäußert, Ihre Familie und Ihre Leute medizinisch zu beraten und zu versorgen."
"Außerdem bitte ich Sie darum, mir einen Raum zur Verfügung zu stellen, in dem ich einen Operationsraum einrichten kann, für den Fall, dass es schmutzig wird.
"Das lässt sich problemlos einrichten, Doktor Herryhaus", sagte Michelle und deutete in Richtung Haus. "Kommen Sie, bitte. Ich habe die Impfpässe meiner Familie bereits vorbereitet. Aber viele der Männer haben nicht einmal so etwas, geschweige denn eine Impfung."
"Klingt nach einer Menge Arbeit", sagte die Ärztin salopp, reichte den Männern noch kurz die Hand, und folgte dann seiner Tochter.
Die Frau war mutig, alleine in die Höhle des Löwen zu spazieren. Aber ihre Ausstrahlung ließ ihn daran zweifeln, wer hier der Löwe war. Sie war es zweifellos gewohnt, Befehle zu geben. Und sie war es gewohnt, dass diese befolgt wurden. Und sie war es auch gewohnt, dafür zu sorgen, dass sie befolgt wurden, wenn es denn mal hakte. Eine unheimliche Frau, die einen vortrefflichen Mann abgegeben hätte.
Als die vier Männer unter sich waren, eröffnete Niklas Herwig das Gespräch erneut. "Der Plan ist, das wir, sobald Boxie eintrifft, Ihren Leuten Deckung geben, während Sie landen, Major Irvine, und die Straßen und den Vorplatz sauber halten."
Der Pilot schüttelte den Kopf. "Wir müssen befürchten, dass die Unbekannten, die Keounda City unter ihrer Kontrolle haben, eine größere Aktion vorbereiten. Ich plädiere dafür, das wir auf das dritte Platoon warten, und mit ihrer Feuerkraft den Boden sichern. Wenn es zu einem Großangriff kommt, in den wir hinein geraten, oder den wir mit unserer Ankunft verfrüht auslösen, brauchen wir die schweren Waffen am Boden. Das sind nur fünf Minuten mehr."
"Haben Ihre Leute in Washington denn entsprechende Aktivitäten in Keounda City registriert?", hakte Malicke nach.
"Oh, Sie wissen von unserem stationären Satelliten im Orbit? Drüben auf der anderen Flussseite ist einiges los, aber hier ist es eher ruhig. Das will aber nichts heißen, weil die Häuser, vor allem die klassischen afrikanischen, Mauer an Mauer stehen. Sie können durch die Häuser vorrücken, ohne von uns entdeckt zu werden. Und das halte ich nicht für unwahrscheinlich. Wir sollten kein Risiko eingehen. Oder in Ihrem Fall, Major Herwig, nicht noch mehr Risiken als Ihr Bruder."
"Ha, ha. Sehr witzig. Leider auch sehr stimmig. Ich werde Axel damit aufziehen, sobald wir ihn da raus geholt haben. Also gut, warten wir auf Ihre Leute. Geben wir ihnen die fünf Minuten mehr. Hannes?"
Malicke nickte. "Es schadet nicht, und die Ranger in der Moschee werden gerade nicht angegriffen."
"Gut. Tun wir es so. Wenn Sie nichts dagegen haben, das wir Ihren Vorhof für einen Aufmarsch missbrauchen, Mr. Abesimi."
Der Mann nickte. "Kein Problem. Ich kann sogar noch mehr tun. Einhundert meiner Speere warten an meiner Südgrenze, um einschreiten zu können, falls dies erforderlich werden wird. Sie erkennen sie an den roten Stirnbändern. Ich bitte darum, sie nicht versehentlich zu erschießen. Sie haben den Auftrag, sollte sich die Chance ergeben, sich um die Panzerfaustschützen zu kümmern, und speziell um die Stinger-Schützen."
Niklas nickte dankbar. "Das ist uns eine große Hilfe. Damit machen Sie uns eine große Tür auf. Und wir stehen in Ihrer Schuld."
"Das war nicht meine Intention", sagte Ldunga. "Aber eventuell beschleunigt es meine Pläne, die Rinderzucht betreffend."
"Ich sage Ihnen mal was." Herwig klopfte dem Afrikaner auf die Schulter. "Wir bauen gerade eine Piste für Flugzeuge an unserer Mine. Die erste Fuhre, die die Flugzeuge uns bringen sollen, besteht aus Straßenbau-Equipment, mit dem wir eine bessere Piste und neue Straßen bauen wollen. Aber die zweite Fuhre, gehört ganz Ihnen. Lassen Sie sich liefern, was immer Sie wollen. Die Belongo Mining Company bezahlt. Wir vergessen nie unsere Freunde."
"Auch das war nicht meine Intention", erwiderte Ldunga. "Aber ich wäre ein Narr, würde ich diese Riesenchance ablehnen."
"Dann sind wir uns einig." Die beiden Männer besiegelten das Geschäft mit einem weiteren Händedruck.
"Sie informieren die Ranger über die Sache mit den roten Stirnbändern?", fragte Herwig den Piloten.
Irvine nickte. "Selbstverständlich."
"Hannes, du gibst es an unsere Leute weiter."
"Verstanden."
"Gut. Wir sollten wieder aufsitzen. Es geht jede Sekunde los."
Über der Wiese erschienen die übrigen zwei Hubschrauber der Belongo Mining, wie um die Worte des militärischen Anführers zu bestätigen. Fehlten nur noch die Amerikaner.
Ldunga war froh, das er sich heute Morgen augenscheinlich für die richtige Seite entschieden hatte. Zumindest noch sah er keinen Grund, daran zu zweifeln, welches die richtige Sache war.

Nach nicht ganz drei Minuten trafen die beiden Black Hawks und die Chinook mit dem dritten Platoon ein. Die anderen Hubschrauber starteten wieder und formierten sich, beide Chinook in der Mitte. Ldunga beschloss, aktiv zu werden. Er winkte Harris heran, einen seiner Leutnants. "Sag der Truppe an der Südgrenze Bescheid, sie sollen den Wald von Panzerfaustschützen säubern."
"Wir legen uns mit dem Bösen an?"
"Eine bessere Gelegenheit, um es ihm heim zu zahlen, werden wir eine lange Zeit nicht mehr bekommen, Harris."
"Gut. Ich melde es gleich weiter."
Doch, das, was er heute getan hatte, bis zu diesem Punkt, fühlte sich gut an. Sogar sehr gut. Ldunga beglückwünschte sich für zwei Dinge selbst. Erstens dafür, das seine Speere paramilitärische Kleidung trugen, die sie von den nackten Verrückten aus Keounda City abhob, und zweitens für die Idee mit den roten Stirnbändern. Er hatte von seiner Seite getan, was ihm möglich war und sinnvoll erschien.
***
Nach seinem Gespräch mit Lieutenant Henri Ltongo telefonierte Général de Brigade Olivier Mulanga lange Zeit mit dem Général de Corps d'Armee Arnauld Mtagi, dem Oberkommandieren der Heimatverteidigungsstreitkräfte, seinem höchsten Vorgesetzten. Dieser versprach, in dieser wichtigen Angelegenheit, wie sie gerade in Keounda City zu geschehen drohte, tatkräftig zu intervenieren.
Als Mulanga wieder auflegte, war er selbst für einen Schwarzafrikaner blass geworden. "Gott stehe uns bei, dass wir heute keinen Krieg auslösen. Er lässt zwei Rotten Aermacchi starten."
Henri Ltongo bekreuzigte sich. Nun waren die Dinge vollends aus ihren Händen genommen.
"Alarm für den Stützpunkt", befahl Mulanga tonlos.
Ltongo nickte, eilte hinaus und veranlasste alles Notwendige.
***
Der Hubschrauberverband erreichte sein Ziel nach zehn Minuten. Die letzten Meldungen hatten gut ausgesehen, und noch immer meldete die Satellitenzentrale keine verdächtigen Aktivitäten.
Der deutsche Offizier, den Angestellten von Belongo Mining nur unter dem Namen "Klaus" bekannt, wegen seiner Karten aber hoch im Kurs bei der Truppe, verfolgte den Anflug der kombinierten Einheit, der so präzise erfolgte, als hätten beide Einheiten lange Zeit geübt.
Seinem amerikanischen Freund hatte er sein Interesse als reine Neugier verkauft. Tatsächlich aber sorgte er sich nicht gerade wenig um Axel Herwig. Immerhin war da immer noch eine Schule in Belongo, die nach ihm benannt werden musste.
Merkwürdigerweise gab es keinen Beschuss aus dem Wald. Klaus kontrollierte das Gebiet mittels seines Zooms, den er dank der überlegenen Software selbst einstellen konnte, mit eigenem Fokus, was dank der phantastischen Auflösung einfach phantastisch war. Nach kurzer Zeit kam er zu dem Schluss, dass im Wald gekämpft worden war - und dass der Kampf schnell vorbei gewesen war.
Also richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf die landenden Hubschrauber. Die zweite Banane, die mit dem dritten Platoon, landete zuerst, dicht gefolgt von dem Mi-24, in dem sich Niklas Herwig mit sieben seiner besten Leute befand. Die Leute booteten aus, und sicherten am Boden, während die anderen beiden Russenmaschinen und die vier Black Hawks auf irgend etwas lauerten, was man beschießen konnte.
Klaus zoomte wieder weiter raus, um einen Blick auf die Stadt selbst werfen zu können. Dabei machte er einen Fehler, zoomte zu weit. Die Software markierte für ihn automatisch vier Luftziele, die als Kampfflugzeuge identifiziert wurden. Klaus hielt Rücksprache mit seinem amerikanischen Kollegen, machte ihn auf die vier identifizierten Ziele aufmerksam, doch dem war keine Unterstützung der ndongoischen Luftwaffe bekannt. Er machte sich auch nicht gerade Sorgen, denn Ndongo war mit seinem Land verbündet. Er ordnete die vier Flieger nicht als Gefahr ein.
Klaus kamen erhebliche Zweifel an dieser Einschätzung, als sich eine Rotte abspaltete und eine Kurve nach Süden flog, nur um auf einen Kurs einzuscheren, der sie über den Landeplatz bringen würde.
Eine Warnung konnte nichts schaden, deshalb rief er per Satellitentelefon bei Niklas an. Bernd ging dran, erklärte ihm, das Niklas nicht da war. Klaus erwiderte, dass er das wüsste, erzählte ihm, was er gerade beobachtete, und ob er sicherheitshalber Niklas Bescheid geben könnte.
Bernd bestätigte, und gab, für Klaus am Telefon gut hörbar, den Verdacht des deutschen Offiziers weiter. Das war ungefähr zehn Sekunden, bevor die erste Rotte über den Landeplatz hinweg zog. Die Beobachtungssoftware identifizierte den Abschuss von Bordkanonen und Raketen, und den Abwurf vom Bomben. Diese entpuppten sich als Napalm-Träger. Vier feurige Spuren zogen sich durch das Landegebiet. Eine dieser Spuren ging einmal über den zuerst gelandeten Chinook.
Klaus erstarrte an seinem Platz, als er das sah. Die identifizierten Aermacchi hatten auf die Deutschen und die Amerikaner Brandbomben abgeworfen, und die Kampfhubschrauber beschossen! Ein Black Hawk ging taumelnd zu Boden, der zweite Chinook brannte gut sichtbar.
Die zweite Rotte kam nun in Schussweite heran, aber diesmal hatten die Piloten den Überraschungsmoment nicht auf ihrer Seite. Die beiden Mi-24 eröffneten das Feuer zuerst mit Raketen. Ein Jet wurde über der Stadt abgeschossen, explodierte in der Luft, und stürzte in den letzten Ausläufern der Stadt in die Häuser, die hoffentlich unbewohnt waren. Die zweite Maschine drehte ab, bekam aber einen Raketentreffer ab und zog eine lange Rauchschleppe hinter sich her. Derart angeschlagen schlich sie sich davon. Die erste Rotte wendete zu einem erneuten Angriff, aber die Mi-24-Piloten waren aufmerksam, und eröffneten bereits auf Maximalreichweite das Feuer auf die Rotte. Sie spritzte auseinander und brach den zweiten Angriff ab.
Klaus machte sich klar, dass deutsche oder gar amerikanische Piloten mit den Hubschraubern den Boden aufgewischt hätten, aber die Piloten der ndongoischen Luftwaffe schienen keine Erfahrung im Luftkampf mit diesen Einheiten zu haben.
Sie ließen eine brennende Hölle zurück, in der etliche Soldaten lebendig gebraten worden waren.
Oh Gott, was für eine Scheiße.

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11.
Franc war das, was man einen der "Großen Speere" nannte. Er diente Ldunga permanent als Anführer, nicht nur zeitweise, um ein paar Männer auf einer kleinen Mission anzuführen. Er war es meistens auch, der ausgesandt wurde, wenn es mit einem Nachbarn Ärger gab, und der Chef keine Zeit hatte, sich persönlich darum zu kümmern. Oder wenn er keine Veranlassung dazu sah.
Es gab genau drei Große Speere in Ldungas Heer. Einer war Harris, der Junge, den Ldunga vor über zehn Jahren an der panadianischen Grenze aufgelesen hatte - ein Kindersoldat, der nun erwachsen und Ldunga absolut ergeben war. Der zweite war Jean gewesen, bis er das Pech gehabt hatte, dass die Mine, die er als sein persönliches Reich, in dem er tun und lassen konnte, was er wollte, sich als fremdes Eigentum mit ziemlich energischen Besitzern entpuppt hatte. Man sagte, er war erschossen worden, als er eine Frau, die er hatte vergewaltigen wollen, als Schild gegen Kugeln missbraucht hatte. Damit hatte sein Ruf gelitten. Nicht wegen der Vergewaltigung, denn das Verständnis zur Sexualität war in vielen Bereichen Belongos immer noch stark patriarchisch geprägt. Nein, dass er sie als Schutzschild missbraucht hatte, war das eigentlich Schlimme gewesen. Die patriarchischen Krieger sahen Frauen generell als schwach an - gut, es gab Ausnahmen, mit denen man sich besser nicht anlegte, und das lag selten am Vater - aber auch als beschützenswert. Zwar hatten sie die Klappe zu halten und dem Mann Sex zu geben, wenn man ihn wollte, aber man musste sie beschützen, weil sie nicht so stark wie die Männer waren. So dachten die Meisten. Jean hatte das nicht getan, und sich feige hinter einem Weib versteckt. Niemand unter Ldungas Speeren wollte Rache für so eine Karikatur von Mann nehmen.
Franc war der dritte Speer, und er war Ldunga geboren worden, als Lulugengo. Sein Dorf hatte ihn, als er acht Jahre alt geworden war, als Tribut an den Kriegsherrn abgegeben, um sein Heer zu stärken, damit er sein Volk besser beschützen konnte. Nicht viele der Kindersoldaten überlebten das erste Jahr. Entweder weil sie sich apathisch ins Feuer stellten, nachdem der Krieg sie gebrochen hatte, oder weil sie irgendeine andere Dummheit taten, vor denen die Großen sie nicht bewahrten oder bewahren wollten. Und dann gab es natürlich noch die dritte Möglichkeit, die auch ab und an vorkam: Dass sie wegliefen, von anderen Armeen anderer Kriegsherren erbeutet, oder von einer Hilfsorganisation außer Landes geschmuggelt wurden. Franc war keines von denen dreien passiert. Er hatte eine Familie, er hatte eine Aufgabe, und er hatte einen trainierten Körper und einen nicht gerade kleinen Verstand, um Ldunga dabei helfen zu können, sein Volk zu beschützen. Er hatte nie einen Grund gehabt, wegzugehen. Dies hier war sein Platz, und er war gut in dem, was er tat.

Ldunga hatte ihn zwei Jahre lang in die Hauptstadt geschickt, zum lernen, und Franc hatte es gedankt, in dem er sehr schnell sehr viel gelernt hatte. Aber Ompala hatte ihm nicht gefallen. Die Stadt war laut, sie war überlaufen, die Menschen oberflächlich und teilweise brutal, vor allem wenn sie erfuhren, das er ein Lulugengo war. Der Betondschungel war nicht seine Heimat gewesen. Nein, hier draußen, im Busch, das war seine Natur, seine Art. Das war sein Leben. Und dieses Leben beschützte er, so gut er konnte. Und eines Tages, das wusste er, würde er vom Großen Speer zu Ldungas Rechter Hand aufsteigen. Wenn er bis dahin überlebte, und seinem Herrn und seinem Volk nützlich war.
Franc zögerte demnach nicht eine Sekunde, als der Befehl kam, die Panzerfaustschützen zu töten. Ihm war das nur Recht. Oft genug hatte er bei seinen südlichen Patrouillen die Opfer der Verrückten aus Keounda City gefunden, hatte gesehen, wie sie verstümmelt worden waren. So etwas sollten Menschen anderen Menschen nicht antun. Und vor allem wollte er seine Leute nicht auf diese Weise wiederfinden. Immer wieder mal verschwanden einige von ihnen, und wenn sie Glück hatten, kamen sie Tage später mit ihrer Jagdbeute auf der Schulter zurück. Wenn sie Pech hatten, fand man ihre ausgenommenen, zerschnittenen Leiber an Seilen aufgeknüpft in den Bäumen wieder, irgendwo am Rande der Stadt.
Für Franc war es mehr als Zeit, dem Bösen in Keounda City für diese Gräuel einen Gegenbesuch abzustatten. Einen wirksamen Gegenbesuch.
Er rief die Späher zu sich, die schnellsten, kleinsten unter seinen Speeren, die er vorgeschickt hatte, um im Wald nach den Schützen zu suchen. Diese Männer und Jungen berichteten ihm, was sie gesehen hatten, nämlich das die meisten Panzerfaustschützen in den Wald im Norden der Lichtung gekommen waren; auch hatten sie die für Stinger so typischen Abschussvorrichtungen gesehen. Und alle konzentrierten sich auf die Lichtung. Franc war klar, was sie erreichen wollten. Und was sie wahrscheinlich auch würden. Aber sie würden es nicht schaffen.
"Heute werden wir dem Bösen einen Arm abschlagen", sagte er zu seinen Männern. Dazu reckte er seine belgische FNC in den Himmel, und am liebsten hätten einige von ihnen einen Siegesjubel angestimmt, aber sie alle waren erfahrene Jäger. Sie wussten, dass man seine Beute nicht verjagen oder auch nur alarmieren sollte. Daher war es beim Triumph in ihren Augen geblieben, bei der Entschlossenheit, bei der Kampfbereitschaft.
Franc hatte ein letztes Mal in die Runde gesehen, sich vergewissert, das jeder ein rotes Stirnband trug, jenes Band, das für sie über Leben und Tod entscheiden konnte. Dann hatte er seine Unterführer aufgeteilt, und den Befehl gegeben, sich anzuschleichen.

So waren sie durch den Busch gehuscht, Schemen gleich wie die Schattenkrieger, die ihre Vorfahren gewesen waren. Nur trugen sie nicht Speere und Hauklingen, sondern belgische Sturmgewehre.
Es dauerte nicht lange, und Franc sah die ersten Menschen, die dem Bösen dienten. Sie hockten, standen oder saßen so weit wie sie sich vortrauten am Rand der Lichtung, und hielten ihre Waffen schussbereit. Die Hubschrauber ihrer neuen Verbündeten verkündeten ihre Anwesenheit, sprachen davon, wie nahe sie schon waren. Und die Diener des Bösen zitterten vor Erregung, vor Gier nach Blut und Tod. Nur würde es ihr Blut und ihr Tod sein. Sie wussten es nur noch nicht.
Als der erste Hubschrauber über sie hinweg flog, sprintete Franc los, ohne Kriegsschrei. Seine Männer folgten ihm, und aus den Augenwinkeln sah er, dass die Gruppen links und rechts von ihm ebenfalls zum Angriff übergingen. Als er unmöglich daneben schießen konnte, schoss er mit seiner FNC aus dem Laufen heraus auf seinen ersten Gegner. Er fiel um wie ein gefällter Baum. Franc nahm das nächste Ziel auf, aber einer seiner Männer hatte schon geschossen.
Einer ihrer Gegner wandte sich um, wollte die Panzerfaust auf sie richten, aber ein anderer Speer war schneller. Als sie die Toten erreichten, wandten sie sich nach rechts und links, um die anderen Diener des Bösen aus dem Busch zu treiben. Sie fanden einen, der sich ängstlich zu Boden presste und am ganzen Leib zitterte. Neben ihm lag eine Abschussvorrichtung für Stinger-Raketen. Eine willkommene Beute. Franc ließ den Feigling zittern, aber einer seiner Männer schnitt ihm kurzerhand die Kehle durch. Wer nicht in der Lage war, wie ein Krieger zu kämpfen und zu sterben, den ereilte das Schicksal des Viehs.
Überall, wo seine Speere angegriffen hatten, erlitten die Diener des Bösen das gleiche Schicksal. Es wurde ein schnelles Ende für sie. Wer dem ersten Angriff entkam, wurde gejagt und gestellt.

Nach dieser blutigen Tat rief Franc seine Unterführer zu sein, blieb mit ihnen aber im Wald verborgen. Er hielt es nicht für besonders klug, sich den Hubschraubern, die gerade landeten, zu zeigen. Stirnbänder hin, Stirnbänder her, es brauchte nur eine Salve aus den Waffen der Hubschrauber, um etliche seiner Männer wegen einem Missverständnis zu töten.
Also hockte sie sich zusammen, während gerade die beiden großen Bananen zur Landung ansetzten. Zugleich hetzten seine Männer ihre Gegner bis zum Fluss und auf der Westseite weiter durch den Busch. Der Erfolg, der unglauliche Erfolg, spornte sie alle an, ließ sie Risiken eingehen, aber noch bezahlte niemand dafür. Fast niemand, denn fünf seiner Männer waren durch die Explosion einer Panzerfaust verletzt, einer getötet worden. Franc wies einen seiner Unterführer an, die Verletzten zur deutschen Ärztin zu schaffen, die im Haus wartete und versprochen hatte, jeden zu versorgen.
Dann begannen sie zu zählen, wie viele Diener des Bösen sie getötet hatten. Schnell kamen sie auf die beeindruckende Zahl achtzig, und jeder von ihnen hatte eine Panzerfaust getragen. Die Meisten hatten seine Männer eingesammelt, ebenso wie zwei weitere Stinger-Abschussvorrichtungen. Auch das war eine beeindruckende Beute. Aber Franc fragte sich, wer dem Bösen in Keounda City diese Waffen geschickt hatte.
Und dann schlug das Böse doch zu, auf eine Art, die niemand erwartet hatte.

Es waren Flugzeuge, Kampfjets. Sie eröffneten das Feuer auf die Hubschrauber, und warfen Brandbomben auf die gelandeten Maschinen ab. Binnen weniger Sekunden schien die Lichtung in Flammen zu stehen und einen der Hubschrauber zu verzehren. Zwei weitere, die noch in der Luft waren, rauchten stark und gingen langsam zu Boden. Franc wischte sich über die Augen, als er das sah. Das Böse hatte keine Flugzeuge! Was also geschah hier?
Zwei weitere Flugzeuge griffen an, und diesmal wehrten sich die Verbündeten. Sie schossen eines ab, es stürzte in die Häuser der Stadt. Das andere wurde getroffen und verließ seinen Kurs.
Danach schossen die Kampfhubschrauber noch einmal, aber Franc konnte nicht erkennen, worauf sie schossen, und welchen Erfolg sie dabei hatten. Aber da sie nicht erneut feuerten, mussten sie ihre Gegner zumindest vertrieben haben. Vermutlich waren es die Kampfflugzeuge gewesen, die die Bomben geworfen hatten.
Zwischen den Bränden gingen zwei Hubschrauber nieder, jene mit den Außen-Maschinengewehren. Zweifellos würden sie ihre Toten und Verletzten bergen wollen. Franc wollte aufstehen, aber er stand bereits. Die Bilder hatten ihn zu sehr erschreckt. Ihre Verbündeten waren immer noch stark, das sah er daran, wie die anderen Helikopter wie zornige Mosquitos weiter über dem Land kreisten, gierig nach Gegnern suchten. Das gab den Ausschlag.
Franc nahm drei seiner Unterführer mit und trat auf die Lichtung hinaus. Er winkte mit beiden Armen, das lockte einen Hubschrauber herbei. Ihm deutete er auf seine Stirn, wo das rote Band gebunden war. Als Antwort gewann die Maschine wieder an Höhe, und suchte sich eine neue Aufgabe. "Wir gehen helfen", entschied Franc, und seine einhundert Leute gehorchten ohne zu murren. "Bleibt von den Feuern weg", mahnte er, wohl ahnend, dass sie es nicht mit normalem Feuer zu tun hatten. Zum Glück war das Gras saftig und grün und wollte nur schwer Feuer fangen, sonst hätte dieses Feuer wohl längst den Wald erreicht.
Damit machten sie den ersten Schritt in eine Hölle, die sie nie zuvor gesehen hatten.
***
Austin erinnerte sich noch ganz genau, er war an der Spitze seiner Männer aus dem Hubschrauber gekommen, hatte ihnen befohlen, sich aufzuteilen, hinter ihm war das Schwere Gerät entladen worden, und von vorne war einer der Deutschen auf ihn zugekommen. Ein großer, kräftiger Bursche, der ohne weiteres bei den Rangers willkommen gewesen wäre. Der Mann lächelte verschmitzt, und strahlte eine Ruhe aus, als wäre dies die normalste Situation der Welt, und nicht der Auftakt zu einem Gefecht. Dann verschwand er hinter einer Wand aus Feuer.
Er selbst war von Feuer umgeben, von zwei riesigen Wänden vor und hinter sich, die ihm den Atem raubten, deren Hitze seine Haut verbrannte. Mehr automatisch als wirklich bewusst versuchte er aus diesem tödlichen Korridor zu entkommen, und dabei sah er den brennenden Leichnam eines seiner Leute aus den Flammen zu seiner Linken ragen. Toter Nummer eins.
Als er einen ausreichenden Abstand gewonnen hatte, als die Luft nicht mehr bei jedem Atemzug brannte, versuchte er zu brüllen, aber die heiße Luft hatte ihm die Stimme genommen. Er hustete und würgte, doch der Rachen war einfach nur trocken. Also trank er aus seiner Feldflasche, und das Wunder geschah, er hatte wieder eine Stimme.
Sein Funkgerät meldete sich. "Ranger 3-1 von Ranger 1, kommen!"
Mit einer rauen, kratzigen Stimme, die er kaum als seine eigene wiedererkannte, nahm er den Ruf an. "Ranger 3-1 hört."
"Himmel, Dick, sind Sie das?"
"Ja, Sir. Zumindest das, was von mir übrig ist."
"Dick, was ist passiert?"
"Weiß nicht, Sir. Aber es sieht so aus, als hätte uns jemand Napalm auf den Kopf geworfen, als wir gerade am Ausbooten waren. Das Schwere Material hat es erwischt, der Chinook brennt lichterloh. Einer meiner Leute brannte in einer Flammenschneise. Hoffentlich ging es für ihn schnell."
Stille antwortete ihm. Erst nach einiger Zeit fragte Scott: "Situation unter Kontrolle?"
"Es gab keine weiteren Angriffe, Sir. Die Krauts halten den Luftraum sauber und decken uns. Sir, ich suche meine Leute zusammen, soweit sie noch einsatzfähig sind, und versuche dann zu Ihnen durchzustoßen."
"Lieutenant, räumen Sie erst einmal auf! Mein Ausguck im Minarett hat mir berichtet, zwei weitere unserer Hubschrauber wären abgeschmiert."
"Kann sein, Sir. Ich weiß es nicht. Ich muss mir erst einen Überblick verschaffen. Im Moment weiß ich nicht mal, ob die Krauts es geschafft haben, geschweige denn irgendjemand von meinen Leuten."
"Ranger 3-1 von Boxie", erklang eine neue Stimme auf der Einsatzfrequenz. Der Luftkampfleiter der Deutschen.
"Sprechen Sie, Boxie."
"Sir, ich informiere Sie darüber, dass die einhundert Speere von Ldunga auf das Gelände kommen. Augenscheinlich wollen sie Unterstützung leisten. Gleichzeitig bedeutet das, dass der nördliche Wald sicher sein muss. Wenn sie da mit so vielen Speeren durch sind, gibt es dort keine Angreifer mehr."
"Alle meine Leute wissen Bescheid, dass die mit den roten Stirnbändern unsere Verbündeten sind", erwiderte Austin. "Wenn sie noch klar denken können. Wie geht es Ihren Leuten, Boxie?"
"Niklas Herwig hier. Wir haben Verletzte, aber keine Toten. Hauptsächlich Verbrennungen zweiten und dritten Grades. Unsere Maschinen sind einsatzbereit. Wir haben hier aber einige Ihrer Leute mit teilweise schweren Verbrennungen. Wir haben bereits einen Black Hawk in der Landung, der die schlimmsten Fälle zu Ldunga und Doktor Herryhaus bringt."
Austin fühlte einen dicken Kloß im Hals. "Dafür haben Sie meinen Dank, Major Herwig. Ranger 1, mit Ihrer Erlaubnis schicke ich die Hälfte von Ldungas Speeren zu Ihnen, bis sich die Situation geklärt hat. Sie können die Feuerunterstützung wahrscheinlich gebrauchen."
"Bestätige. Wenn sie jetzt noch nicht über uns hergefallen sind, dann hält das Bündnis wohl wirklich. Ranger 1 over und aus."
Austin nahm sich die Zeit, um noch einmal durchzuatmen, nahm noch einen Schluck Wasser.
"Unterführer bei mir melden."
"Sir, Sergeant Major Jones hier."
Jones. Beinahe wäre er vor Erleichterung in die Knie gegangen. "Sarge, haben Sie schon einen Überblick?", rief er beinahe erleichtert.
"Das kann man so nicht sagen, aber ich sehe Sergeant Hueffner und die Corporals Bekker und Wacholski. Captain Döpfert und seine Crew sind wahrscheinlich tot, das Cockpit vom Chinook ist bereits ausgebrannt. Und bisher zählen wir erst achtzehn Überlebende."
Achtzehn Überlebende von neunundfünfzig, die Hubschraubercrews eingerechnet. Gequält atmete Austin aus. "Ich komme auf Ihre Position. Wo sind Sie?"
"Beim abgestürzten Black Hawk, Sir. Dort sammle ich die Leute."
Das brachte Austin wieder vor Augen, dass die ganze Geschichte keine drei Minuten vorbei war. Vielleicht fünf. Vielleicht auch zehn. Vielleicht auch erst eine.
Hinter ihm startete der Black Hawk mit den ersten Verwundeten. Wie viele würden es wohl schaffen? Austin fühlte eine tiefe Ohnmacht in seinem Herzen. Und langsam aber stetig kam eine überbordernde Wut hinzu. Wer hatte es da gewagt, mit den US Army Ranger Händel anzufangen? Er würde es bereuen, definitiv bereuen. Wütend ballte er die Hände zu Fäusten. Diese Bewegung schmerzte in mehrerlei Hinsicht. Seine Hände waren mit Blasen übersäht. Und sein Gesicht sah sicher nicht besser aus.

Als er den abgestürzten Black Hawk erreichte, hatte Jones bereits erste Ordnung in die Truppe gebracht, und den mittlerweile dreiundzwanzig Überlebenden Aufgaben zugeteilt. Austin erkannte Pilot und Co-Pilot des Black Hawks. Der Lademeister lag am Boden, beide Arme über die Brust gelegt. Ein deutlicheres Zeichen dafür, das er tot war, konnte es nicht geben. Natürlich war das Fehlen des halben Helms inklusive des dazugehörigen Kopfs auch ein guter Hinweis, aber dem Lieutenant fiel es erst nach mehrmaligem Hinsehen auf.
"Weitermachen, Sergeant Major", sagte er, als Jones salutieren wollte.
Der alte breitschultrige Mann nickte, und fuhr in seiner Rede fort. "Dass mir niemand auf die Jungs mit den roten Stirnbändern schießt! Ob Ihr es glaubt oder nicht, das sind heute mal die Guten! Bekker, nimm dir zehn Mann, und richte zwei Posten nach Süden hin ein. Hueffner, Wacholski, sucht weitere Überlebende. Die, die noch dienstfähig sind, schickt zu mir. Transportfähige Verletzte lasst abholen. Nicht transportfähige Verletzte sind per Funk zu melden. Die Black Hawks bringen sie raus. Hat jemand Loiric und Dekker gesehen?"
"Nein, Sarge."
"Das ist übel. Findet sie. Wir müssen wissen, was mit unseren Zugsanitätern passiert ist."
Austin nickte dem Sergeant Major zu, zum Zeichen dafür, dass er zufrieden war, und damit dieser weiter machte. In einer verqueren Situation erledigte er die Arbeit eines Unteroffiziers.
Der Lieutenant wandte sich den Hubschrauberleuten zu. "Lieutenant Greenbaum."
Der Pilot des Black Hawks sah an ihm vorbei. "Wir... Wir sollten rein gehen und nachschauen, ob nicht wenigstens einer...", begann er, den Blick starr auf die zerstörte Chinook gerichtet.
"Lieutenant! Machen Sie sich nützlich und helfen Sie bei der Suche! Es wird später noch Zeit sein, in den Trümmern nachzuschauen."
"Aber dann ist es vielleicht zu spät für Döpfie und seine Jungs!"
"Himmelherrgott, Second Lieutenant Aaron Greenbaum, beherrschen Sie sich!", blaffte Austin. "Seien Sie ein verdammter Ranger, und tun Sie etwas Nützliches!"
Der Pilot starrte den Infanteristen an wie einen Geist. Doch dann atmete er ein und wieder aus. "Entschuldigung, aber ich bin wohl immer noch nicht ganz da, Lieutenant."
"Aber Sie müssen da sein! Jetzt! Hier! Es geht um Leben und Tod! Also helfen Sie, solange es noch geht!", sagte Austin laut und deutlich. Deutlich genug, um über den Schock des Piloten zu gelangen? Sie würden sehen.
Second Lieutenant Ellen Nguyen, seine Co-Pilotin, legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Komm, Aaron. Wir schauen später nach. Jetzt lass uns erst mal nach Überlebenden suchen."
Der schlanke Mann war den Tränen der Verzweiflung nahe. Aber er riss sich zusammen, zog seine Dienstwaffe, lud sie durch und packte sie wieder ins Schulterholster. "Ja. Machen wir uns nützlich."
Die beiden Piloten machten sich auf, den Infanteristen zu folgen, um die Lichtung ebenfalls nach Opfern und Überlebenden abzusuchen.
"Sir, Ihr Gesicht sieht übel aus", sagte Jones sachlich. "Haben Sie Schmerzen?"
"Im Moment fühle ich gar nichts. Und ich hoffe, das wird noch lange so bleiben", erwiderte der Lieutenant. Er stutzte. "Werde ich sterben?"
Verblüfft sah Jones seinen Vorgesetzten an. "Was, bitte?"
"Kommen Sie, schonen Sie mich nicht. Ich weiß, dass Sie schon in mehr Gefechten gesteckt haben, als ich zählen kann. Sie haben Männer und Frauen sterben sehen. Sie wissen genau, ob es jemand schafft oder nicht. Also sagen Sie mir schon, wie schwer meine Verbrennungen sind."
"Ach so, das." Beinahe hätte Jones trotz der Lage gelacht. "Ich kann Sie beruhigen, Sir. Wenn Sie aufgrund des Schocks keinen Schmerz verspüren und denken, das liegt daran, dass Ihre Verbrennungen tödlich sind... Sir, an verdammten Brandblasen und leichten Verkohlungen ist noch niemand gestorben. Sie hatten echtes Glück."
Austin atmete erleichtert aus.

Die ersten Speere erreichten die Linie, und Austin winkte sie sofort heran. Einer von ihnen, ein mittelgroßer, schlanker Bursche, ging vorweg auf ihn zu. "Mein Name ist Franc. Ich führe diese Männer."
"Ich bin Austin. Ich führe diese Männer."
"Sie haben viel Ärger am Hacken, Austin."
"Ja, ich weiß. Helfen Sie uns?"
Franc nickte entschieden. "So lautet der Wille meines Herrn."
"Dann schicken Sie bitte die Hälfte Ihrer Leute zur Moschee, um die Stellung dort zu verstärken. Die Deutschen werden Ihre Männer aus der Luft beschützen. Ich bitte Sie, mit Ihren anderen Männern bei der Suche nach meinen Leuten zu helfen, und die Verwundeten zusammen zu tragen."
Franc nickte. "Wo ist Ihr Verbandsplatz?
"Wir sammeln sie hier. Unsere Black Hawks bringen die Verwundeten raus." Er zögerte. "Wir vermissen auch unsere Sanitäter."
"Das ist nicht gut. Ich nehme an, Ihre Leute kennen sich besser als meine bei Erster Hilfe aus. Wir sorgen dafür, dass sich einige von ihnen auf diese Hilfe konzentrieren können und übernehmen ihre Aufgaben."
"Jones?", fragte Austin, zur Seite schauend.
"Eine gute Idee, Sir. Gut, dann sollten Ihre Leute unsere ablösen, die unsere Flanken gegen weitere unliebsame Überraschungen decken. Einverstanden?"
Der Afrikaner nickte, und gab in seiner Stammessprache Befehle an seine Unterführer. Zwei der Männer eilten davon, um sie auszuführen.
Sergeant Major Jones nickte anerkennend, als er sah, wie die Speere die Ranger auf Wache ablösten. "Sie sind ein schlauer Mann, Franc."
Der Afrikaner sah ihn kühl, aber mit erwachtem Interesse an. "Das muss man sein, wenn man ein Großer Speer ist, Jones."
Die beiden Männer maßen sich mit ihren Blicken, und beide schienen die Musterung mit Zufriedenheit zu beenden.
Mittlerweile, war es fünf Minuten oder fünf Stunden her, seit die Bomben gefallen waren?, kamen ein paar unverletzte Ranger von der anderen Seite herüber. Es waren fünf, und bei ihnen war Private First Class Rosinsky.
"Sir! Melde mich mit vier unverletzten Kameraden! Befehle?"
Innerlich fiel Austin ein Stein vom Herzen. Fünf kampffähige Leute mehr. "Sarge, Ihr Job."
Jones nickte. "Pietrello und Steinbach bleiben hier. Ihr habt den Sani-Kurs. Fredricson und Cale. nehmen Sie wieder mit, und helfen bei der Rettung unserer Verletzten und der Bergung der Toten, Rosinsky. Die Speere Ldungas übernehmen unsere Flankendeckung."
"Ja, Sir." Der Mann wirkte erleichtert. In all dem Chaos, dem Feuer, der Hektik und der Panik widerfuhr ihm eine Konstante. Er bekam Befehle.

Von Süden her hörten sie erneut das Geräusch von Schüssen. Es waren die Scharfschützen aus dem Minarett.
"Ranger 1 von Leod! Die Verrückten kommen in großen Scharen von Richtung Fluss!", erklang es aus dem Funkgerät.
Austin und Franc wechselten einen schnellen Blick. Dann blaffte der Große Speer ein paar Befehle, und drei, vier Dutzend seiner Männer begannen zu laufen.
"Boxie von Ranger 3-1."
"Sprechen Sie, Ranger."
"Die Speere geben Ihnen Deckung vom Boden aus. Sie eilen zur Moschee."
"Habe verstanden." Die Mi-24D und die Mi-24A verließen ihre Positionen am Himmel über der Lichtung, und manövrierten über die Prachtstraße. Sie hielten mit den Speeren Schritt, Richtung Moschee.
"Das hätten wir uns denken können, dass es beim Luftangriff nicht bleiben wird", sagte Austin ärgerlich. Langsam begann sein Gesicht zu schmerzen und zu ziehen. Sehr gut. Er war noch nicht tot. Noch lange nicht.
Seine Leute brachten den ersten von einer unbekannten Anzahl toter Ranger. Sie trugen ihn auf einer Zeltplane zwischen sich.
***
Captain Scott starrte fassungslos ins Leere. Zumindest für einen Moment.
Axel fühlte sich berufen, etwas zu ihm zu sagen, aber seit er nach der Detonation der Brandbomben die Wahl gehabt hatte, vom Minarett aus nachzuschauen oder zu Scott zu gehen, folgte er nun stumm dem Funkverkehr des Captains.
Die letzte Meldung vom Scharfschützenteam, dass der erwartete Angriff begann, konnte beide Männer nicht mehr besonders schockieren. Sie hatten damit gerechnet.
"Sir!", rief Ryback von einem Fenster der Nordwand herüber, "die Roten kommen jetzt rein!" In ihren Worten schwang die unausgesprochene Bitte nach Anweisungen.
Durch Scott ging ein Ruck. "Durchlassen! Helfen Sie mir hoch, Axel."
Der ältere Herwig-Bruder nahm die ausgestreckte Hand und zog den Ranger auf die Beine. "Fünfzig Mann mit Gewehren?"
"Sieht nach belgischen FNC aus, Sir", sagte die Sergeantin.
"Gut. Wir gehen raus und nehmen den Platz."
"Was, Sir?", fragte sie erstaunt.
"Fünfzig Männer mehr, und dazu die Hubschrauber zur Unterstützung... Warum sollen wir uns weiter einigeln? Wir nehmen den Platz. Morelli!"
"Sir?"
"Suchen Sie alles, was eine Barrikade ergeben kann, und nehmen Sie es mit! Fünf Mann und das Schützenteam im Minarett bleiben bei den Verletzten! Der Rest greift an!"
"Ja, Sir!", erwiderte der Lieutenant grimmig entschlossen. "Ihr habt den Cap gehört, Leute! Jetzt treten wir diesen Verrückten tüchtig in den Arsch, dafür, das sie unsere Kameraden geröstet haben!"
Trotzige Laute voller Stolz antworteten ihm, in denen kaum verholene Wut mitschwang. Axel seufte und griff nach seiner HK33, die er an die Mauer gelehnt hatte. "Ich helfe Ihnen beim Gehen, dann fällt keiner Ihrer Leute aus", sagte er.
"Ich weiß das zu schätzen, Axel", erwiderte Scott.
"Schon gut. Wegen mir sitzen wir überhaupt erst in dieser Scheiße."
"Machen Sie sich darum keine Gedanken, Axel", sagte Scott mahnend, und legte einen Arm auf die kräftigen Schultern des Deutschen, während der ihn mit einem Arm um seine Hüfte stützte. "Erstens sind wir freiwillig hier, weil wir Ranger nicht anders können als den Bedrängten beizustehen, und zweitens hat jemand einen Haufen Scheiße in einen verdammt großen Pott geschmissen, als er es gewagt hat, meine Leute zu attackieren. Und dieser Jemand wird jetzt eines lernen: Keiner schafft es so gut wie ein Ranger, die Scheiße zum Kochen zu bringen!"
Der Laut, den die Ranger nun von sich gaben, hatte nichts mit verholener Wut oder Entschlossenheit zu tun. Es war schlichter, handelsüblicher Jubel.
Axel war dankbar, dass er gegen diese Entschlossenheit niemals würde kämpfen müssen.
***
"Was ist passiert?", fragte Thomas, als er in das panadianische Büro von Belongo Mining gestürzt kam. Zuvor hatte er mit den neuen Piloten und Leutnant Assanger gesprochen, um die Möglichkeiten auszuloten, den Rangern beim Versuch, Axel zu bergen mit Hilfe der neuen Hubschrauber Hilfe zu leisten. Nach einer ersten Bestandsaufnahme hatten die Chancen dafür nicht schlecht gestanden, auch wenn wieder einmal Co-Piloten zwei der Maschinen würden fliegen müssen. Als einziges Argument dagegen hatte die Zeit gestanden, die man für einen Flug nach Keounda City benötigen würde. Bis die Hubschrauber angekommen waren, konnte die gesamte Geschichte glücklich abgeschlossen sein. Dies war der letzte Stand der Dinge gewesen, bevor Arlene Müller vollkommen aufgelöst zu der Gruppe aus gut fünfzehn Personen gelaufen kam, um den panadianischen Repräsentanten der Belongo Mining - Thomas - sofort zurück ins Büro zu rufen.
Heinz Kleemann, Chef der Flugzeugmechaniker, empfing ihn mit moralinsaurer Miene. In den wenigen Tagen seit sie hier waren, hatte sich der Mittvierziger als überaus findiger Mann erwiesen, der seine Arbeit durchaus delegieren konnte, und dann nach Neuem strebte. Schnell hatte er sich als fähige rechte Hand des Professors etabliert, und hütete das Büro immer dann, wenn Thomas am intrigieren war, wie er es nannte. "Die Ranger sind nördlich der Stadt gelandet. Dann wurden sie von Kampfjets beschossen und mit Napalm bombardiert. Opferzahlen sind noch nicht bekannt, aber beide Chinook wurden getroffen, dazu mindestens ein weiterer Hubschrauber."
Konsterniert blieb Thomas stehen. "Was? Aber sogar ich habe es für eine vollkommen sichere Sache gehalten, als ausgerechnet die Army Ranger... Kampfjets? Was für Maschinen?"
"Boxie hat es auf der Bordkamera. Er sagt, es wären italienische Modelle. Ermatschi, oder so."
"Aermacchi", korrigierte Thomas automatisch. "Die ndongoische Luftwaffe verwendet sie in geringer Zahl. Aber welchen Grund könnten sie haben, ausgerechnet die Amerikaner... Wurden die Army Ranger in der Base de l'Air darüber informiert, was passiert ist?"
"Unmöglich zu sagen. Es ist gerade erst fünf Minuten her. Da ist noch keiner zum Aufräumen oder zum Zählen gekommen. Außerdem kommen starke Kräfte über den Fluss." Kleemann zuckte die Achseln. "Möglich, dass sie ins nächste sichere Gebiet, Ldunga Abesimis Machtgebiet, laufen müssen. Zumindest all jene, die nicht mehr ausgeflogen werden können."
"Ich hätte nicht gedacht, dass der Tag heute noch so richtig scheiße werden würde", erwiderte Thomas, und verließ das Büro wieder. "Halt die Stellung, Heinz! Ich kümmere mich um ein paar Sachen."
"Und das meint er vollkommen ernst", brummte der Deutsche. "Bei Opa Herryhaus sind wir alle in besten Händen. Hoffentlich auch Axel und die Army Ranger."

Draußen auf dem Hof spurtete der Professor zum Pulk am Hangar zurück, wo Arlene Müller den Männern und Frauen bereits berichtet hatte, was sie wusste. Als sie Thomas zurückkehren sahen, redeten sie alle zugleich auf ihn ein, bis Assanger ein Machtwort sprach. "Disziplin!"
Sofort kehrte Ruhe ein. Der luxemburgische Infanterist trat vor die Leute und salutierte. "Herr Professor, wir ersuchen Sie hiermit um die Erlaubnis, in die Operation eingreifen zu dürfen." Dabei war sein Blick ernst und entschlossen.
Thomas entschied, dass dies nicht der Blick eines Mannes war, der auf Action aus war. Das waren die Augen eines Profis, der seine Arbeit witterte, und sie tun wollte.
"Leutnant Heinlein", wandte sich Thomas an die weibliche höchstrangige Pilotin des Haufens, "können Sie starten?"
"Bis auf die Mi-24D sind alle Vögel sofort abflugbereit. Lob an die Technikabteilung."
"Und Ihre Männer, Leutnant Assanger?"
"Können sofort aufbrechen. Sofort."
Thomas' Wangenknochen mahlten. "Dann fliegen Sie da rauf und retten Sie, was noch zu retten ist."
"Jawohl, Herr Professor!" Assanger salutierte erneut, und gab dann mit lauter, aber nicht greller Stimme seine Befehle. Die Männer und Frauen spritzten auseinander, um sie auszuführen.
Wieder einmal schienen sie einen guten Griff getan zu haben, wie es zu erwarten gewesen war. Aber war das nicht bei allen Menschen so, die Bernd kannte und anheuerte?

"Arlene, müssen Sie nicht bald in die Kinderklinik? Charly und Tonba warten sicher schon."
"Ja, Herr Professor. Ich fahre gleich los."
"Holen Sie mir vorher das Satellitentelefon. Ich muss einen Anruf machen."
"Schon auf dem Weg. Wo wollen Sie denn anrufen?"
Thomas lächelte matt. "Das Pentagon."
Die junge Frau erstarrte. "Was? Das in Washington etwa?"
"Nein, das in Olpe an der Fußgängerzone. Nun holen Sie mir das Ding schon. Ich muss mir zurecht legen, was ich sage."
"J-ja, Herr Professor." Die junge Frau hetzte los.
Es dauerte keine Minute, und sie war wieder da und drückte Thomas das klobige Gerät wie eine Reliquie in die Hand. Oder wie eine scharfe Handgranate.
"Danke", murmelte der Deutsche. Er rezitierte eine Nummer aus dem Gedächtnis und gab sie ein. Der zweite Akt im Spiel um die Diamanten begann in diesem Moment.
***
Es war ungefähr sieben Minuten nach der Katastrophe in Belongo, als das Telefon von General Isaac Landsdale klingelte. Der betagte Dreisterner war Army-General, aber schon seit dem ersten Stern ins Pentagon an einen Schreibtisch verbannt worden. Nicht ohne Grund, war er als Chef des US Special Operations Command doch das Bindeglied zwischen Special Operations und dem normalen Arbeitsbetrieb von Army, Navy und Airforce. Durch seine Hände, vielmehr durch seine Büros ging alles was Navy Seals, Army Ranger, Delta Force, sowie einiger recht geheimer militärischer Einrichtungen und Truppen betraf, die es offiziell gar nicht gab.
"Landsdale", sagte er in familiärem Ton.
"Herryhaus", meldete sich die Stimme am anderen Ende.
Erfreut erhob sich der alte General. "Mensch, Tom, das ist ja eine Freude, von dir zu hören. Wie geht es dir, du alter Kraut?"
"Du, es wird dich nicht mehr lange freuen. Hast du gerade eine Kompanie Rangers in Ndongo?"
"Das sind geheime Informationen, Tom", sagte der General mit ruhiger Stimme, in der Interesse mitschwang.
"Hat man dich schon informiert, das eines der Platoons mit Napalm bombardiert wurde?"
"Was?" Hätte er nicht gestanden, wäre er nun aufgesprungen.
"Beobachtet Ihr die aktuelle Operation nicht?"
Der alte Mann blinzelte verwirrt. Natürlich wusste er, dass da unten eine Kompanie Ranger war, um die Ärzte ohne Angst zu retten. Aber dank des gestrigen Live-Berichts von ZNN wussten sie ja, dass das nicht mehr nötig war. Landsdale hatte angenommen, die Kompanie hätte sich zur Küste, und dann auf ein US-Kriegsschiff zurückgezogen.
"Keine Zeit für lange Erklärungen. Aber wenn ich du wäre, würde ich in den Monitor-Raum gehen, und die Dinge anleiern. Zwei Platoons befinden sich im Einsatz, das Bombardierte, und das Erste mit Captain Scott, nämlich in der belongoischen aufgegebenen Distrikthauptstadt. Die anderen beiden sind aber noch auf der Base de l'Air. Und jetzt würde ich an deiner Stelle mal bei den Monitors nachfragen, woher die Aermacchi gekommen sind, und wo sie gestartet sind, bevor sie vierzig deiner Jungs und Mädchen zusammengebombt haben."
Die Hände des Generals zitterten, als er das Gespräch auf sein Handy umlegte. "Bist du noch dran, Tom?"
"Ja, bin ich."
"Gut. Ich gehe der Sache nach."
Der General tat gut daran, sich zu beeilen. Zwei und zwei konnte jeder zusammenzählen, und bei ihm mündete das in eine Frage: Wenn Ndongo tatsächlich aus welchen Gründen auch immer so wahnsinnig war, amerikanische Truppen im Einsatz zu bombardieren, was würden sie dann mit den US-Truppen machen, die sich in einer ihrer Kasernen befand?
Als er den Operation Room betrat, sahen alle zu ihm auf. Schuldbewusst. Colonel Ty, der Schichtleiter, erschrak bei seinem Anblick. "Sir?"
"Sagen Sie nichts. Nicken Sie nur. Eine Rangertruppe wurde bombardiert. Mit Napalm."
Ty nickte schuldbewusst.
"Von Aermacchi der ndongoischen Luftwaffe."
"Es sieht so aus, Sir. Wir versuchen das noch zu beweisen und eine Stellungnahme der Ndongoianer zu bekommen", antwortete der Colonel.
"Ty, informieren Sie sofort die anderen beiden Platoons in der Belongo Base de l'Air. Eventuell befinden wir uns heute noch mit Ndongo im Krieg."
Der hohe Offizier schluckte hart. So weit hatte er noch nicht gedacht. Er hatte nicht einmal geahnt, was der General so locker ausgesprochen hatte, obwohl es logisch erschien. "Stacy, warnen Sie unsere Jungs und Mädchen. Sollte es hart auf hart gehen, haben sie Feuererlaubnis. Ihr Auftrag lautet, sich wenn es geht so schnell wie möglich aus der Base de l'Air zurückzuziehen, bis die Situation geklärt ist. Dazu sind sie ermächtigt, Fahrzeuge mit Waffengewalt zu requirieren. Was sie an Ausrüstung nicht mit fortschaffen können, sollen sie vernichten."
"Ja, Sir." Die Air Force-Offizierin leitete den Kontakt mit den beiden Platoons ein.
Landsdale nickte zufrieden. Wenn Ty eine Entscheidung getroffen hatte, dann handelte er. Aber meistens brauchte er den richtigen Anstoß, so wie jetzt. Dass dieser Anstoß erst von ihm hatte kommen müssen, war nicht gut für Ty. Wohl aber seine Entscheidungen, die er jetzt gefällt hatte. Das wog einander auf. Glück für Tys Akte.
"Hörst du, Tom? Ich regele die Dinge ab hier. Wir bleiben in Kontakt."
"Danke. Ich melde mich in einer halben Stunde noch mal."
"Tu das. Ich gebe Anweisung, dich direkt durchzustellen."
Er deaktivierte das Telefon.
"Colonel, ich will, dass Sie mir die Aufnahmen des Satelliten zeigen, der unsere Ranger überwacht. Und zwar alles von den letzten zwanzig Minuten. Und jemand soll mir Admiral Philip ans Rohr holen. Es mag sein, dass wir die Abraham Lincoln vor der Küste brauchen - und das bald."
"Ja, Sir!"
***
Ein wenig fassungslos starrte Niklas Hannes Malicke an. Das Gesicht des jungen Mannes war mit Brandblasen und Hautrötungen übersät. Faktisch gesagt hatte er quasi direkt vor der hochgehenden Napalm-Granate gestanden, die einen achtzig Meter langen und rund vierzehn Meter breiten Streifen der absoluten Verbrennung verteilt hatte. Teile der Brandmasse, einem Gemisch aus Benzin und Aluminiumseifen, waren dabei zur Seite gespritzt, teilweise Dutzende Meter weit geflogen; eine Brandspur kroch sogar ihren Hubschrauber hinab, und einer der Männer hatte einen dicken Brandfleck auf seinem Helm. Aber alles in allem war für die Deutschen die Geschichte glimpflich ausgegangen. Zumindest bis jetzt.
"Junge, du hast aber auch immer ein Glück."
Hannes erwiderte den Blick seines militärischen Anführers starr, aber seine Hände zitterten. "D-das werde ich nie wieder vergessen... Ich sah die Soldaten ausbooten, einen Offizier auf mich zukommen. Ich ging ihm entgegen, wollte mit ihm sprechen. Da hielt ich an, einfach so. Wie als wenn eine höhere Macht mir befohlen hätte, nicht weiter zu gehen. Und dann... Dann verschwanden die Soldaten und der Offizier mitten zwischen den Flammen." Trotz der Schmerzen legte Hannes beide Hände vor sein Gesicht, und atmete schnaubend ein. Als er ausatmete, klang es wie ein langgezogener Seufzer, der Weltschmerz am nächsten war. "Wenn ich dran denke, dass ich nur einen Schritt weiter gegangen wäre..."
"Ja, ich weiß. Fang jetzt aber nicht an zu glauben, du wärst unsterblich, oder so", sagte Niklas, und klopfte dem Größeren vor die Brust. "Hast halt einen guten Schutzengel. Aber ich würde nicht austesten, wie gut der wirklich ist. Einsatzbereit?"
Hannes nahm die Hände ab. "Wie, einsatzbereit?"
"Na, die paar hässlichen Brandwunden halten dich doch hoffentlich nicht auf. Schmier dir Brandsalbe drauf und schnapp dir deine Waffen."
"Wie, einsatzbereit? Niklas, hast du schon bemerkt, was hier passiert ist? Himmel, die Army Ranger wurden weggebombt! Mit Napalm!"
"Ja, und Ldungas Speere übernehmen ihre Aufgabe, während sie ihre Verletzten und Toten bergen."
Er lud seine HK33 durch. "Wir gehen mit ihnen. Genauer gesagt übernehmen wir die Spitze, während Boxie und Co. uns aus der Luft decken. Wir sind am besten ausgerüstet. Die Ranger kommen nach, sobald die Situation unter Kontrolle ist."
"Du meinst, das hier kann man unter Kontrolle kriegen? Hast du vergessen, was Napalm ist? Es kann fast gar nicht mit Wasser gelöscht werden, man kann es nur ersticken, am Besten unter Schaum! Es brennt ewig lange und frisst sich mit eintausend Grad in den Körper!"
"Und genau an dieser Stelle würde Meike dir eine scheuern, dass deine Kronen alle auf die anderen Zähne wandern, und dir sagen, dass du dich zusammenreißen sollst. Natürlich kriegen sie die Situation in den Griff! Und natürlich nehmen wir jetzt unsere Aufgabe wahr! Also, wenn du hier bleiben willst, um dich verarzten zu lassen, verstehe ich das."
Steinard trat neben sie. "Hand auf, Champ." Er tröpfelte dem verdutzten KSK-Offizier eine weiße Creme in die Hand. In großer Menge. "Aufschmieren, aber nicht in die Augen kriegen. Danach die Hände einreiben, die haben auch was abgekriegt."
Mechanisch befolgte Hannes die Anweisungen des Scharfschützen.
"Wir sind soweit, Boss", sagte Steinard zum jüngeren Herwig-Bruder.
"Okay, die Speere ziehen auch los. Wir laufen, aber wir hetzen nicht. Hannes, bist du dabei?"
"Autsch, da ist doch was in die Augen gekommen. Aber das halte ich aus." Er entsicherte seine HK33, die noch immer an seiner Schulter hing. Wie es sich für einen guten Soldaten gehörte, hatte er ihre Position nicht vergessen. "Einsatzbereit, Boss."
"Gut, dann gehen wir jetzt da rein."
Niklas ging zu einem der Unterführer der Speere Ldungas, und wechselte mit ihm ein paar schnelle Worte auf Französisch. Der nickte mehrfach, und gab seinen Leuten neue Anweisungen.
"Alles klar, wir gehen los!"
"Schützenreihe!", rief Hannes. "Gewehr in Vorhalte!"
Die sieben Soldaten der Minengesellschaft traten als geschlossene Reihe auf die Reste der alten Prachtstraße. "Ohne Tritt im schnellen Tempo Marsch!"
Hannes setzte sich an die linke Seite, Niklas an die rechte. Hannes bestimmte das Tempo, einen langsamen Laufschritt, den sie Stunden durchhalten konnten. Hinter ihnen folgten die Speere Ldungas, nicht wenig verwundert über das Vorgehen der Deutschen waren. Formationen waren ihnen unbekannt, und in einer Reihe sah man sie nur, wenn sie in eine Richtung schossen. Sie kamen als lose Rotte hinterher.
Wenn sie eine Straße passierten, die nach Osten zeigte, ließ der Unterführer immer zwei Mann zurück, um ihre Flanke bewachen zu lassen. Ob zwei Männer sie decken konnten, war mehr als ungewiss. Außerdem ignorierten sie dabei die Möglichkeit, dass die Häuser hinter ihnen im Westen voll mit diesen Irren waren - was zugegeben nicht sehr wahrscheinlich war.
Als sie auf den Platz vor der Moschee kamen, hatte der Sniper im Minarett schon längst geschossen, und er hatte damit bis jetzt auch nicht mehr aufgehört.
"Hannes!", blaffte Niklas.
"Vier Mann mit mir!", rief der KSK-Offizier, und lief auf die Straße zu, die nördlich der Moschee ihren Anfang nahm.
"Rest mit mir!", rief Niklas, und lief auf die Südstraße zu. Mittlerweile waren die Army Ranger aus der Moschee gekommen, und hatten selbst einen provisorischen Schutz gebildet.
In Niklas erwachte der Stratege. Er zückte sein Navigationsgerät, und rief die Karte der Stadt auf, kaum das er an der Mauer der Moschee Halt gemacht hatte. Die Satellitenaufnahme der Ruinen zeigte fünf weitere Straßen an, die südlich von ihrer Position von West nach Ost führten, drei von ihnen enge Gassen, die an sizilianische Innenstädte erinnerten.
"Niklas!", hörte er seinen Bruder erfreut rufen, der, einen Mann stützend, gerade aus der Moschee kam. "Schön, dich zu sehen!"
"Keine Zeit jetzt! Sternchen? Captain Scott, nehme ich an?"
"Richtig, Doktor Livingstone. Zu Ihren Diensten."
Niklas winkte den Unterführer Ldungas heran, mit dem er schon gesprochen hatte. Dann hielt er ihm und dem verletzten Ranger-Captain die Karte unter die Nase. "Schauen Sie hier. Wenn wir jeweils ein paar unserer Leute zusammen mit ein paar von den Speeren hier runter schicken, hier, hier, hier und hier, können wir alle Straßen blockieren, und hier unten am Ende der Straße einen Meldeposten, der uns warnt, falls sie uns im Wald umgehen wollen."
Scott sah auf und musterte die schwarzen Krieger des Warlords. "Bis hierher konnten wir uns auf diese Männer getrost verlassen. Also gut. Vier von Ihren und meinen Leuten, und sechs von Ldungas Speeren. Für sechs Posten. Sobald sich die Lage am Landeplatz stabilisiert hat, schicke ich von dort einige Leute, um die drei Straßen im Norden zu verstärken. Einverstanden?"
"Mein Name ist Nana. Ja, ich bin einverstanden."
"Dann sollten wir uns beeilen, bevor die Verrückten vor uns da sind." Er griff nach seinem Funkgerät. "Boxie, hörst du mich? Wir nehmen die Straßenkreuzungen im Süden. Habt ein Auge auf uns."
"Verstanden. Sag Bescheid, wenn es haarig wird."
"Geht klar." Er schnappte sich sechs von Ldungas Männern und seine eigenen drei, und lief im gestreckten Galopp auf die erste Straße zu, um sie vor dem Feind zu erreichen.
Von soviel Tatendrang motiviert schickte auch Scott seine Leute zusammen mit den Speeren los. Der Rest der Speere verstärkte die Schützenreihen der auf dem Boden liegenden Männer und Frauen, die darauf warteten, dass der Feind in Sicht kam. Erneut schossen die Sniper.
" Leod von Ranger 1. Bericht."
"Leod hier, Sir. Sie sammeln sich direkt hinter der Brücke, gut eintausendzweihundert Meter entfernt. Ich schieße immer, wenn ich durch das Gewirr der Häuser irgend etwas erkennen kann. Das ging aber besser, als sie über die Brücke rüber sind. Würde die Brücke nicht zusammen mit der Straße einen Knick machen, der von den Häusern verdeckt wird, könnte ich mehr sehen. Aber so kann ich nur vermuten, was sie tun, Sir. Ich fürchte, sie verteilen sich. Wir sollten auf die Nebenstraßen achten."
"Darum haben wir uns schon gekümmert. Machen Sie weiter Ihren Job so hervorragend, Leod, Polonski."
"Jawohl, Sir."
"Boxie, hören Sie mich?"
"Laut und deutlich. Schätze, es wird Zeit für einen schnellen Angriff auf die Brücke, richtig?"
"Vielleicht. Hat einer Ihrer Vögel Darts geladen?"
"Wir haben einen Großteil der Raketen verschossen, als die Aermacchi angegriffen haben. Aber mein Vogel hat noch einen Rack Darts."
"Gut. Steigen Sie so hoch wie nötig, aber bleiben Sie über dem Platz. Wir können Sie von unten nicht decken, wenn Sie vorrücken. Wenn Sie was sehen können, schießen Sie auf diese Seite der Brücke. Aber versuchen Sie, sie nicht zu zerstören."
"Wenn die da unten Stinger haben, wird das ein lustiger Steigflug", witzelte Boxie. "Vor allem abwärts wird recht fix gehen."
"Trotzdem, tun Sie mir den Gefallen, Boxie. Ich sage Ihnen was: Wenn wir das überleben, brate ich Ihnen ein Porterhouse Steak, nur für Sie ganz allein."
"Sind Sie ein guter Grillmeister, Captain?"
Der Mann schnaubte amüsiert aus. "Hören Sie, ich bin Amerikaner. Noch wichtiger, ich bin Texaner! Wir sind der Inbegriff der Barbeque-Kultur! Wenn wir geboren werden, drückt man uns bereits die Grillzange in die Hand!"
"Also ein Porterhouse Steak. Aber bitte nicht zu scharf. Ihr Texaner habt so verdammt robuste Mägen."
"Versprochen. Sie kriegen die Baby-Variante."
"Dann habe ich nichts mehr zu bedauern", lachte Boxie auf, und begann zu steigen. Als er ungefähr fünfzig Meter Höhe erreicht hatte, zischte eine Panzerfaust heran, der er jedoch mit einer wedelnden Seitenbewegung problemlos auswich. "Mit bestem Gruß zurück!", hörte man seine Stimme über den Lautsprecher, Augenblicke bevor sich der Dartwerfer entlud, um einen Strom tödlicher Explosivgeschosse zwischen die Häuser zu werfen. Im Gegensatz zu den Scharfschützen konnte Boxie direkt über der Straße fliegen, und hatte freie Sicht bis zur Brücke, aus seinem hohen Winkel teilweise sogar auf den Knick der Straße, über die flachen Häuser hinweg. Auch machten ihm die tausendzweihundert Meter Entfernung nur bedingt etwas aus. Die Darts detonierten auf den Häusern und auf der Straße. Und zwischen den angreifenden Bewohnern Keounda Citys.
Bevor er noch mal einer Panzerfaust ausweichen musste, ließ Boxie seine Maschine lieber wieder sinken.
"Ich mache mal eine Patrouille nach Süden. Brandon, nach Norden, die Straßenmündungen nach Norden abfliegen."
"Verstanden."
Der Mi-24D und der Mi-24A verließen den Platz, und strebten, seitlich fliegend, nach Norden und Süden davon.
Scott sah den beiden Hubschraubern nach, und war froh, das der nicht gerade leicht bewaffnete Mi-8MT noch immer über ihnen schwebte.
"Verdammt, wenn ich die Lage besser einschätzen könnte, würde ich...", zischte er.
"Die Brückenenden nehmen. Dann bräuchten wir nur ein Gelände von wenigen Metern Breite verteidigen, und nicht ein paar Kilometer", vervollständigte Axel. "Ging mir auch schon durch den Kopf. Aber wissen Sie, was mich abgehalten hat, Jason? Wir müssten alle Häuser auf unserem Weg durchsuchen, damit wir keine Ratten im Rücken haben. Dazu brauchen wir gut einhundert Mann mehr."
"Aber dann bräuchten wir nur die Brücken zu bewachen, am Ufer des Lagabanda ein Dutzend Posten einrichten, die auf Überfahrten reagieren können, und könnten in aller Ruhe diese ganze Scheiße aufräumen", brummte Scott. "Und die Leute für die Durchsuchungen hätten wir dann auch."
"Trotzdem. Es muss nur einer mit einer dämlichen Stinger hier gut versteckt lauern, und einem meiner Vögel in den Arsch zu schießen. Das ist ein Risiko."
"Schon gut. Aber Sie haben mich an etwas erinnert, was ich schon vergessen hatte. Nana"
"Ja?"
"Können einige Ihrer Männer die Häuser durchsuchen, die rund um den Platz liegen? Ich mag keine unliebsamen Überraschungen."
Der Speer nickte, und sandte acht Leute aus, die sich sofort aufmachten, um die Häuser aufzubrechen.
Scott nickte zufrieden. "Schätze, der Dartbeschuss hat uns ein paar Minuten Zeit erkauft."
"Oder auch nicht", sagte Axel, als Schüsse zu ihnen herüber peitschten. "Sie kommen."
"Und ich freue mich darüber", zischte Scott.
***
Niklas ließ sich auf der rechten Seite der Straße fallen, und hielt die Mündung seiner Waffe gen Osten, aus der er den Gegner vermutete. Falls er sie umgehen wollte. Falls er nicht doch durch die Häuser kam, wie sie eingangs befürchtet hatten. Aber so schnell hackten nicht mal diese Wahnsinnigen eine Wand durch. Zumindest hoffte er das. Die nachstürmenden Speere und Ranger winkte er weiter, bis auf einen Speer, den er neben sich dirigierte.
Sein Blick ging zu Steinard. "Na, Steinard, immer noch froh, dabei zu sein?"
Der Scharfschütze verzog sein Gesicht zu einer Grimasse, die einem Grinsen in dieser Situation am Nächsten kam. "Nun, wir machen verdammt viele Dinge, die Söldner normalerweise nicht tun. Felder entminen, Krankenhäuser einrichten, Menschen zu diesen Krankenhäusern fliegen, Kindersoldaten resozialisieren... Mir macht es immer noch Spaß. Abgesehen vom kämpfen, meine ich. Habe ich schon immer gehasst. Aber ich habe so ein Grummeln im Magen, das sagt mir, dass wir uns über kurz oder lang ohnehin mit Keounda City hätten anlegen müssen. Spätestens, wenn wir angefangen hätten, die Straßen zu bauen." Ansatzlos stemmte er sich in seine Waffe und gab einen Schuss ab, kurz darauf einen zweiten. Zwei Männer, die Niklas noch nicht mal bemerkt hatte, sanken getroffen zu Boden.
"Sie kommen! Weiter geben!", rief Niklas der nächsten Gruppe zu. Zu Steinard gewandt meinte er: "Gute Argumentationskette. Und vergessen Sie die Schulen nicht, die wir bauen wollen."
"Wer könnte denn je die Schulen vergessen. Benennen wir eine nach mir?", fragte er grinsend, und feuerte erneut. Damit riss er einen Mann zu Boden, der gerade versucht hatte, die offene Straße zu überqueren. Er fiel zu Boden, als wäre er ein Sack Reis.
"Erst kommt Klaus dran. Wir haben es ihm versprochen."
"Interessanter Mensch, dieser Klaus. Jeder weiß, was er für uns getan hat, aber keiner kennt ihn. Gibt es ihn überhaupt, oder ist er eine moderne Legende?"
Nun feuerte auch Niklas, aber er traf nicht. "Das überlasse ich Ihrer Phantasie, Steinard."
Er zog sein Funkgerät. "Boxie, sie umgehen uns. Schau mal mehr zum Posten am Wald. Kann sein, dass sie durch den Wald wollen."
"Verstanden." Der Hind zog über ihnen hinweg, und orientierte sich mehr nach Süden.
Wieder feuerte Steinard. "Wir haben hier eine vortreffliche Lage. Solange die Jäger nicht wieder kommen."
Und das war durchaus im Bereich des Möglichen, gestand sich Niklas ein. Vor allem gerade jetzt, in diesem Moment, in dem alle Hubschrauber beschäftigt waren.
Zu dem Zeitpunkt war das Bombardement achtzehn Minuten her.

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Gespannt verfolgte Arnauld Mtagi, Général de Korps d'armée der Streitkräfte Ndongos, die Aktivitäten der ausgebildeten Spezialisten in der Chambre de Guerre des Kriegsministeriums. Es war noch keine halbe Stunde her, da hatte er den Befehl gegeben, die Landung amerikanischer Army Ranger in Keounda City mit einem Luftangriff zu beenden. Zeitgleich sollten die Nihilisten wieder über den Fluss kommen, und den westlichen Teil, den sie nach der überraschenden Gegenwehr kurzfristig geräumt hatten, wieder in Besitz nehmen. Soweit die Planung.
Seine Augen ruhten auf dem großen Arbeitsmonitor, der gerade Belongo anzeigte, und dazu die Silhouetten von drei Flugzeugen, die den Luftraum des Landes gerade wieder verließen. Ein rotes X markierte die Absturzstelle des ersten ndongoischen Verlusts in dieser Geschichte. Mit einem Ohr lauschte er den Funkkontakt zu den verbliebenen drei Jets, mit dem anderen hörte er dem leisen Flüstern zu, das der Satellitenspezialist von sich gab, der mit Hilfe der amerikanischen Satellitendaten die Lage vor Ort analysierte.
Und über all dem tickte die Uhr. Er wusste, das er nach Ablauf einer Stunde, besser schon nach Ablauf einer halben Stunde beim Kriegsminister vorstellig sein sollte, um sein Handeln zu rechtfertigen. Viele Ergebnisse gab es jedenfalls bisher nicht, die für ihn sprachen. Ein Jet abgestürzt, der Pilot und der Bordschütze womöglich tot, zwei weitere beschädigt, und das teilweise schwer.
Lautes Stimmengewirr ließ ihn zum Einsatzleiter der Jets herüber sehen. Der Mann bellte ins Headset, nur um sich übergangslos nach hinten sinken zu lassen. Ein derber Fluch folgte. "Noch ein Jet verloren. Aber wenigstens konnte die Besatzung aussteigen", sagte er wütend. "Wer zum Henker hat die Deutschen überhaupt gewarnt?"
Zwei Jets verloren. Das war ein Achtel der zweisitzigen Kampfjets Ndongos. Sie hatten die russischen Hubschrauber eindeutig unterschätzt. Und sie hatten auch die Amerikaner unterschätzt, die sich nach dem Bombardement mit Napalm erst Recht in den Boden der alten Distrikthauptstadt verbissen hatten. Da war nichts mit Flucht, kein kopfloses Handeln. Diszipliniert und stur befestigten die Amerikaner ihre Stellungen, gedeckt von den Deutschen. Dazu kamen afrikanische Hilfstruppen, irgendwo aus der Region, sicher von der Minengesellschaft aufgetrieben, die langsam aber sicher ein Ärgernis zu werden drohte. Wenn Ndongo eines nicht gebrauchen konnte in Belongo, dann war das Stabilität. Denn Stabilität würde bedeuten, dass die Menschen Zeit hatten, über ihre Situation nachzudenken. Und wenn sie das taten, dann trat eventuell der sehr unwahrscheinliche Fall ein, dass sie miteinander sprachen, sich verbündeten. Und ein einiges Belongo war die größte Gefahr, die dieser Staat haben konnte. Spätestens wenn die Belongoianer nach dem Profit aus dem Ölgeschäft zu fragen begannen, wurde aus dem Bürgerkrieg im Distrikt ein Bürgerkrieg im Land.
"Das war's", hörte er den Satellitenspezialisten sagen, "die Burgerfresser haben uns aus dem Kanal geschmissen. Wir haben keinen Zugriff mehr auf ihren Satelliten."
"Wie war die letzte Situation?", fragte der Général.
Der Spezialist, ein Commandant der Heerestruppen, rief für ihn die letzte Aufnahme wieder auf, die er von Keounda City bekommen hatte. "Nicht gut, fürchte ich. Die Amerikaner und ihre Hilfskräfte haben sich festgesetzt, an den Straßenkreuzungen. Hier, hier, hier und hier. Im Norden ebenso. Dann haben sie eine starke Bastion um die Absturzstelle errichtet, sind teilweise schon am Fluss, und im Süden haben sie noch mal eine Abteilung, die sie davor warnt, wenn die Nihilisten sie südlich umgehen wollen. Und über allem wachen die drei Hubschrauber der Krauts, während die der Amerikaner die Verwundeten nach Norden ausfliegen, vermutlich zur Mine, wo sich ein Krankenhaus befinden soll."
"Hm", machte Mtagi. Er hielt die Städtebauweise im Schachbrettmuster eigentlich für eine gute Sache, weil es die Ordnung erleichterte, wenn die Wohnhäuser quaderförmige Viertel bildeten. Ordnung war gut, aber in diesem Fall war sie auf Seiten der Angreifer, die besser ausgerüstet waren, und die nun die Nihilisten nur auf sich zukommen lassen brauchten, ganz wie immer sie es wollten. Dazu kamen die Scharfschützen im Turm der Moschee, und die Hubschrauber mit ihren Schnellfeuerwaffen.
"Sie sollen die Hubschrauber mit Stinger runter holen. Wozu haben sie drei Abschussvorrichtungen?"
"Die gingen, wenn ich das aufgeregte Kauderwelsch richtig verstanden habe, bei der Landung der Amerikaner verloren. Zusammen mit rund einhundert RPG-18."
"Das würde bedeuten, das sie über die Hälfte ihrer Panzerfäuste verloren haben. Natürlich minus die Geschosse, die sie bei der Jagd auf den ersten Hubschrauber verschossen haben", sagte der Général. "Ich denke, jetzt rächt es sich, dass wir ihnen keine Mörser und ähnliches zur Verfügung gestellt haben."
"Um Angst und Schrecken zu verbreiten braucht man normalerweise keine schweren Infanteriewaffen, mon Général. Außerdem wäre das doch etwas zuviel gewesen. Dann hätten wir ihnen gleich Panzer geben können, und dann wären sie auch zu einer Gefahr für die Base de l'Air geworden", gab der Commandant zu bedenken.
"Aber so wie es aussieht, können die Amerikaner jederzeit jedwelchen Angriff abschlagen, und dann bis zum Fluss vorrücken. Wenn sie erst einmal diese Seite der Brücken halten, brauchen sie nur noch einen Bruchteil der Leute, um die ganze Weststadt zu halten."
"Mit Verlaub, warum sollten sie das tun?"
"Weil sie nicht weggelaufen sind. Sie werden jetzt solange bleiben, bis sie selbst den letzten verbrannten Fingerknochen und die letzte Schraube gefunden haben." Der Général erhob sich. "Fliegen Sie noch einen Angriff, diesmal mit sechs Aermacchi. Angriffsziel sind die deutschen Hubschrauber, und zwar nur die Hubschrauber. Wenn sie den Fluss erreichen, haben wir mehr Ärger, als die Amerikaner uns diplomatisch je machen können. Ich bin beim Kriegsminister und erkläre ihm die ganze miese Geschichte."
Der Commandant zögerte. "Noch ein Angriff? Werden die Amerikaner das hinnehmen?"
"So oder so, schlimmer können wir es nicht mehr machen. Und die Hubschrauber müssen da weg, wenn die Nihilisten überhaupt eine Chance haben sollen, ihre Stadt zurück zu erobern. Führen Sie meine Anweisung aus. Start sobald wie möglich, wenn die erste Rotte wieder aufmunitioniert ist."
"Jawohl, mon Général."
Der hochrangige Militär nickte zufrieden und verließ die Chambre de Guerre. Für diesen Angriff würden die Amerikaner Köpfe rollen sehen wollen. Und sein Kopf könnte womöglich ganz oben auf der Liste stehen.

Im Büro des Ministers angekommen, winkte die Sekretärin ihn gleich weiter. "Gehen Sie. Minister Agelloue erwartet Sie bereits."
Mtagi nickte, und betrat das Allerheiligste. An diesem Ort wurde regelmäßig über mehr Leben entschieden als in allen anderen Ministerien zusammen. Unter anderem auch über die Leben in der Provinz Belongo, die defacto unter Militärrecht stand, und damit unter Kontrolle dieses Ministeriums.
"...ja, Mr. President, und niemand bedauert den Zwischenfall so sehr wie ich. Wir sind gerade dabei zu prüfen, wie es dazu kommen konnte, und im Moment sieht es nach einem tragischen Fall von Friendly Fire aus... Was? Nein. Angesichts der unsicheren Lage kann ich den Rangern keine Hilfe aus der Base de l'Air zusagen, geschweige denn organisieren...
Ich verstehe das, Mr. President, aber bedenken Sie auch unsere Lage: Es ist nur ein Flughafen für Frachtmaschinen, und bis wir mit Panzern und Radfahrzeugen angekommen sind, haben wir Nacht. Wir... Was, bitte? Mr. President, haben Sie gerade einem Minister eines autonomen Staats einen Befehl gegeben? Mr. President, bei aller Freundschaft, aber Sie können kein Flugverbot über Belongo aussprechen! Mr. President, wir... Mr. President, ich denke der russische Präsident wäre über diese Worte nicht sehr erfreut. Und das Politbüro in Peking dürfte sich sicher auch sehr pikieren, wenn es erfährt, wie der Führer der freien Welt... Nein, Mr. President. Absolut nicht, Mr. President. Ja, auf Wiederhören, Mr. President."
Mit blassem Gesicht legte der Kriegsminister auf. Seine Hände zitterten. "Die Amerikaner schicken einen Flugzeugträger und Bodentruppen. Die Kampfgruppe wird in achtzehn Stunden in Luftreichweite sein. Die Amerikaner wollen den Vorgang selbst klären, und werden mit oder ohne uns Keounda City einnehmen, um eine sichere Untersuchung zu gewährleisten."
"Achtzehn Stunden sind eine lange Zeit, um vollendete Tatsachen zu schaffen, Monsieur le Ministre. Ich habe bereits einen zweiten Luftschlag gegen die Deutschen angefordert, und zwar nur gegen die Deutschen. Wenn die Amerikaner ihre Luftdeckung verlieren, sind sie vielleicht nicht mehr so mutig. Vor allem wenn sie sich fragen müssen, wie sie wieder aus der Stadt rauskommen können."
"Was mit den Deutschen passiert, dürfte den Amerikanern egal sein. Aber die Untersuchung?"
"Es sollte kein Problem sein, die Nihilisten darauf hinzuweisen, dass sie die Untersuchungen besser nicht boykottieren sollten. In ihrem und in unserem Interesse, Monsieur le Ministre. Außerdem dürfte es Zeit sein, unser Trumpfass zu spielen."
Michel Agelloue hob fragend eine Augenbraue.
"Nun, es ist in erster Linie deren Geschäft, das gefährdet ist, wenn die Distrikthauptstadt plötzlich wieder ein sicherer Ort ist. Und die amerikanische Öffentlichkeit dürfte über Details aus dem Ölgeschäft nicht sehr erfreut sein, denke ich."
Der Minister zögerte einen Moment, bevor er zum Telefon griff. "Verbinden Sie mich mit dem Chefrepräsentanten von Roxxon Ndongo Unlimited. Es ist dringend." Er sah vom Telefon auf. "Sie können gehen. Aber lassen Sie sich noch ein, zwei Sachen einfallen, die uns helfen, die Amerikaner besser zu kontrollieren, Général."

Nun, das war glimpflich abgelaufen, für den Moment. Wahrscheinlich musste er dem amerikanischen Präsidenten dankbar dafür sein, dass der seinen Dienstherrn derart brüskiert hatte, sodass sein eigenes Versagen zur Nebensache wurde.
Hm, Möglichkeiten, die Amerikaner besser zu kontrollieren gab es nicht besonders viele. Wenn es nicht der wirtschaftliche Einfluss von Roxxon im Weißen Haus richten würde, dann wusste er auch nicht weiter. Oder gab es da nicht noch eine einfache, auf der Hand liegende Methode?
Er beeilte sich, um in sein eigenes Büro zu kommen. Es wurde vielleicht Zeit, den in der Base de l'Air zurückgebliebenen Army Ranger einen längeren Aufenthalt schmackhaft zu machen.
***
Second Lieutenant Jebedaia Hector und seine Leute hatten sich um den Funk versammelt. So hatten sie live mitbekommen, was an der Landestelle passiert war, und es hatte sie wütend gemacht. Natürlich juckte es ihnen wie jedem anständigen Army Ranger in den Fingern, sofort rüber nach Keounda City zu fliegen und den Kameraden zu helfen, nur leider war ihre gesamte Luftflotte zerstört oder im Einsatz. Die Frage, woher der Luftschlag kam, war für ihn nicht so relevant wie die Frage, wer überlebt hatte, und wie es den Kameraden in der umkämpften Stadt erging.
Zumindest war das der Fall, bis ihm fünfzehn Minuten nach dem Angriff das Satellitentelefon gereicht wurde.
"Lieutenant Hector."
"Ty hier, Einsatzmonitoring."
"Colonel." Überflüssigerweise nahm er Haltung an.
"Hören Sie mir jetzt genau zu, Sie und Second Lieutenant Garaldi. Wir haben Grund zu der Annahme, dass der Luftschlag auf Anweisung des Kriegsministeriums erfolgt ist, und zwar, um wirtschaftliche Interessen in der Region zu schützen. Wie und warum und wer oder was kann ich Ihnen nicht sagen. Wohl aber, dass Sie sich potentiell in der Gefahr befinden, als Geiseln festgehalten zu werden. Deshalb gebe ich Ihnen den Befehl, sich unverzüglich aus der Base de l'Air zu entfernen. General Landsdale hat ausdrücklich den Einsatz von Waffen erlaubt. Was immer Sie an Material nicht mitnehmen können, ist zu vernichten! Haben Sie mich verstanden?"
"Ja, Sir!", erwiderte Hector, der bereits während des Gesprächs zu laufen begonnen hatte. "Wood, Jennings, Munition austeilen! Beide Züge Kampfbereitschaft herstellen! Die Waffen werden fertig geladen und entsichert! Garaldi, Bloomberg, Fahrzeuge requirieren! Wir nehmen, was immer wir kriegen können! Seht zu, dass die Tanks voll sind! Wenn möglich keine Panzer, sondern Fahrzeuge, in die wir alle rein passen! Waffeneinsatz ist ausdrücklich erlaubt! Reiberman, Lively, schnappen Sie sich Ihre Trupps, und besetzen Sie das Haupttor! Waffeneinsatz ist ausdrücklich erlaubt! Harold, alles was wir nicht binnen der nächsten fünf Minuten aufladen und mitnehmen können, zerstören Sie mit Ihren Jungs und Mädels! Fredricsdottir, Sie stellen Wachen auf! Niemand kommt unserer Truppe näher als zweihundert Meter, nicht einmal der Général persönlich! Bewegung jetzt!"
"Ich denke, ich habe genug gehört", meldete sich Colonel Ty am Telefon. "Viel Glück Ihnen und Ihren Leuten. Wohin werden Sie sich wenden?"
"Ich denke, am sichersten ist es für uns an der Mine bei den Krauts. Die werden ohnehin zusätzliche Leute brauchen, jetzt wo ihre Hubschrauber im Einsatz sind."
"Verstanden. Ich werde Sie dort suchen. Ty Ende."

Das Telefon verstummte. Und Hector konnte mit steinerner Miene dabei zusehen, wie seine Leute wie ein Uhrwerk zur Sache gingen. Neben ihm begann Sergeant Major Harold bereits damit, die Ausrüstung zusammenzutragen, die sie nicht würden mitnehmen können. Paletten wurden mit Palettenameisen hergefahren und zentral platziert. Harold ließ Benzin holen, das es auf der Base de l'Air wirklich genug gab. Sie würden die ganze wertvolle Scheiße, darunter Elektronik im Wert von zwei Millionen US-Dollar, einfach rösten.
Ein lautes Hupen forderte die Aufmerksamkeit des Lieutenants. Es war der Zugführer des Vierten Platoons, Second Lieutenant Patterson Garaldi. Er saß auf dem Beifahrersitz eines prächtigen Trucks französischer Fertigung, der Hector gleich am ersten Tag aufgefallen war.
"Das sind Mannschaftstransporter, Jeb! Fünf von diesen Babies, und wir sind hier weg! Zwei müssen noch vollgetankt werden, und wir nehmen noch ein paar Dutzend volle Kanister Diesel mit, aber wir schaffen das locker unter fünf Minuten!"
"Sehr gut, Patty. Sehen Sie zu, was Sie von der Ausrüstung retten können. Munition, Rationen und persönliche Ausrüstung haben Priorität."
"Verstanden!" Der Lastwagen fuhr tiefer in den Teil des Lagers ein, der den Amerikanern gehörte.
"Weg jetzt! Ich zünde!", hörte er Harold rufen. Er sah rüber zu ihm, und tatsächlich tanzten Sekunden später Stichflammen auf der teuren Ausrüstung. Aber lieber die Ausrüstung verlieren als das eigene Leben.
"Ranger 2-1 von Ranger 2-4, kommen."
Hector langte an sein Funkgerät. "Sprechen Sie, Ranger 2-4."
"Sir, wir haben das Tor genommen. Die Torwache verhält sich kooperativ. Denken Sie an unsere Ausrüstung, wenn Sie losfahren, bitte."
"Natürlich, Corporal Reiberman. Ranger 2-1 Ende und aus."
Au Backe, an die Rucksäcke seines vierten Trupps hatte er überhaupt nicht gedacht. Aber das musste er ja niemandem auf die Nase binden. "Patty, vergessen Sie die Sachen von den Leuten am Tor und die der Wachtposten beim Aufladen nicht!"
"Ah, gut mitgedacht", antwortete der Verwaltungsfachmann grinsend.
Soweit, so gut. Und noch immer war kein einziger Schuss gefallen.

Als Lieutenant Henri Ltongo mit zwei Kompanien Infanterie über das Kasernengelände schritt, um "die Amerikaner höflich zum Verweilen" einzuladen, mit etwas über einhundertsiebzehn geladenen und entsicherten Argumenten, steigerte sich sein Entsetzen von Sekunde zu Sekunde. Zuerst bemerkte er die ölige Rauchsäule, die über dem Gelände stand. Ihm schwante Übles. Er begann zu laufen, seine Männer eilten hinterher. Als sie zwischen zwei Gebäuden durch waren, hatten sie endlich freie Sicht auf die Zeltstadt der Ranger. Und was er sah, war nicht sehr ermutigend. Die Army Ranger brachen auf, und das ausgerechnet mit Lastwagen der Base de l'Air! Nacheinander fuhren die fünf Lastwagen ab.
"Schießt!", brüllte er. "Schießt auf die Reifen!" Er zog seine Dienstwaffe, und lief so schnell er konnte auf den letzten Lastwagen zu, der noch auf seine Abfahrt wartete.
Neben ihm feuerte jemand sein Sturmgewehr ab. Die Kugeln kratzten über den Betonboden in Richtung der Reifen des vierten LKW's, der gerade anfuhr. "Zum Schießen stehen bleiben, Idiot!", blaffte Ltongo entrüstet. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Mit Entsetzen sah der Lieutenant, dass die Amerikaner schnell heraus gefunden hatten, warum das Führerhaus im Dach eine runde Luke hatte, und was es mit dem aufgesetzten Kranz auf sich hatte. Und dann hatten sie noch heraus gefunden, dass sich ihre eigenen MG's dort auch vortrefflich befestigen ließen. Aus genau diesem MG entlud sich eine Salve auf seine Leute. Vorerst nur auf den Boden gezielt, aber Querschläger spritzten in die Menge und führten zu kleineren Verletzungen. Die Warnung war klar, und Ltongo ließ halten. Der Wagen fuhr ohnehin gerade ab. Und wie es ausschaute, ließ man sie am Tor anstandslos passieren, verdammt! "Zu den Wagen! Wir verfolgen sie!", blaffte er. Der Wagenpark mit den Lastwagen, den Radpanzern, Motorrädern, gepanzerten Erkundern und Leichten Panzern lag verlockend vor ihm. Damit würden sie es locker schaffen die LKW einzuholen. Vor allem auf den holprigen Pisten, die in diesem verfluchten Land als Straße durchgingen. Erneut lief er los. Aber je näher er kam, desto größer wurde seine Enttäuschung, als er bemerkte, das bei den Lastwagen die Motorhauben offen standen. Vor den Wagen brannte ein kleines, öliges Feuer. Kabel, Zündkerzen und Zündkappen vergingen da gerade zu einem großen Haufen Plastikpampe. "Sofort wieder instand setzen! Und schaut euch die Motorräder an! Vielleicht fahren die wenigstens!"
Seine Leute schwärmten aus, um den angerichteten Schaden wieder gut zu machen.
"Die Panzer auch!", rief ihm jemand zu. Eine schöne Scheiße. Andererseits bestand eh keine Chance, ausgerechnet damit die schnelleren Lastwagen einzuholen.
"Bei den Motorrädern sind es die Ketten! Alle zerschnitten!", kam eine zweite Meldung.
Ltongo flucht unbeherrscht. "Was sind das für Soldaten? Elite-Truppen, oder Saboteure?"
Vermutlich beides, gab er sich selbst zur Antwort. "Tempo bei der Reparatur!", rief er.
Währenddessen hatten die fünf Lastwagen das Haupttor schon lange hinter sich gelassen.
***
Ungefähr vierzig Minuten, nachdem die erste Napalm-Bombe den Boden berührt hatte, war die Straße südlich der Moschee mit den Leibern der Toten übersäht. Es hatte bisher drei Anstürme gegeben, und alle waren sie im Feuer der Verteidiger zusammen gebrochen. An die Stellung im Norden, der Landezone, trauten sie sich bisher nicht heran. Und einen Versuch, südlich in den Rücken der Verbündeten zu kommen, hatte Boxie mit MG-Feuer nachhaltig beendet.
Auch auf den anderen Straßen hatte es vereinzelte Versuche gegeben, vorzustoßen. Tatsächlich hatten sich die Angreifer zweimal im Rücken der Häuser massiert, um an einer schwächer bewachten Straße durchzubrechen und somit in den Rücken der Truppen zu kommen. Aber die Satellitenüberwachung war auf Zack und meldete die neuen Schwerpunkte schnell genug, sodass die Hubschrauber der Minengesellschaft die entsprechenden Straßen lange vor dem Angriff abdecken konnten.

Axel zählte allein in der Straße zur Brücke vierzig Tote, weitere dreißig über die anderen Straßen verteilt. Dazu kamen die Angreifer, die er mit Androweit getötet hatte, und jene, die von Ldungas Speeren ausgelöscht worden waren. Das machte rund zweihundert. Massaker erschien ihm die richtige Umschreibung für das zu sein, was hier vorging. Ihre Hinds verschafften ihnen und den Rangers einen Vorteil, wie es die Schusswaffe gegenüber Bogenschützen und Speerkriegern getan hatte. Aber der Deutsche war weit davon entfernt Gewissensbisse zu entwickeln. Immerhin hatte er sie gesehen. Gesehen, mit seinen eigenen Augen! Hatte ihre Fetische gesehen, die sie am Körper trugen, hatte das gesehen, womit sie sich bemalt hatten, und was wahrscheinlich Blut war, womöglich Menschenblut. Und er hatte ihre Augen gesehen. Ihre gefährlichen kleinen bösartigen Augen. Diese durchgeknallten Irren hielten diese Stadt, und sie terrorisierten das Umland. Sogar Ldunga und seine Leute. Heute war Zahltag für diverse Untaten von A bis L. M bis Z würde nicht lange auf sich warten lassen.
"Merkwürdig. Sie kommen nicht voran, und dennoch geben sie nicht auf", sagte Scott. "Wir haben über achthundert Meter freie Schussbahn, fast bis zum Flussufer. Sie können sich nur hinter den Häusern verstecken, und wir sehen sie und können sie beschießen, wenn sie eine Straßeneinmündung queren. Sie sind im Nachteil. Aber was tun sie? Eine neue Strategie entwickeln? Barrikaden oder gepanzerte Fahrzeuge heran schaffen? Nichts dergleichen. Sie versuchen nur wieder und wieder, uns zu erstürmen, und werden dafür zusammengeschossen. Wenn sie alle die Straßen zugleich herunter kämen, wäre es das gleiche Bild. Wir würden nur mehr Kugeln verbrauchen. Sie haben keine Handgranaten, und wie es scheint fast keine Panzerfäuste mehr. Sie versuchen nicht einmal, auf Maximaldistanz auf uns zu feuern. Was also tun sie?"
Axel legte nachdenklich den Kopf schräg. "Also, entweder warten sie auf etwas, oder sie brechen tatsächlich gerade durch die Hauswände. Aber dann können sie noch nicht weit sein."
"Die Häuser sind dann aber Barrikaden für sie, aus denen sie uns heraus unter Feuer nehmen können, während wir auf dem blanken Asphalt liegen."
Axel richtete sich auf. "Ich denke, es gibt nur eine Möglichkeit, um das zu verhindern, Jason. Was hat die Untersuchung der Häuser rund um den Platz erbracht, Nana?"
"Sie stehen leer, womöglich schon seit Jahren. Keine Spur von Leben. Aber auch keine Spur von Leichen", erwiderte der Speer.
Scott richtete sich ebenfalls auf. Er griff nach seinem Funkgerät. "An alle Einheiten von Ranger 1. So, Herrschaften, wir haben jetzt lange genug reagiert. Jetzt wird mal zur Tat geschritten. Ranger 3-1, entsenden Sie Männer, die Ldungas Speere bei den nördlichen Straßeneinmündungen unterstützen. Anschließend gehen wir vor. Feuer frei nach eigenem Ermessen. Boxie, ich hoffe weiterhin auf Ihren gottgleichen Schutz."
"Wird sich einrichten lassen, Captain", erwiderte der deutsche Pilot.
"Gut zu hören. Ziel ist die Einnahme des Ufers und der diesseitigen Brückenenden. Wenn wir die genommen haben, brauchen wir nur noch einen Bruchteil unserer Leute. Achtung, das ist jetzt wichtig: Die Unterführer sorgen dafür, dass die Häuser durchsucht werden, während wir sie passieren. Ich will keine böse Überraschung in meinem Nacken sitzen haben."
"Verstanden!"
"Ranger 1 von Ranger 3-1. Habe die Leute detachiert. Sie sind in zwei Minuten abmarschbereit. Wir konnten überdies schwere Ausrüstung bergen. Ich habe ein halbes Dutzend Leute runter geschickt, die Javelins verteilen, für den Fall der Fälle."
"Registriert, Ranger 3-1. Warten auf die Javelins."

Nachdem die handlichen panzerbrechenden Waffen verteilt worden waren, atmete Scott noch einmal tief ein und wieder aus. "Stützen Sie mich bitte wieder, Axel."
"Ehrensache", erwiderte er. Vorsichtig stemmte er sich wieder unter den linken Arm des Captains.
"Ranger! Auf!"
Die Army Ranger und die Speere Ldungas erhoben sich. "Vorwärts!"
So schritten sie voran, wie vor ewigen Zeiten ihre Väter und deren Väter, als ginge es hier Vorderlader gegen Vorderlader, oder Speer gegen Speer. Und mit jedem Meter, den sie zurücklegten, brachten sie einen Funken Normalität zurück nach Keounda City. Ihre Füße berührten Boden, den seit zwanzig Jahren keinen vernünftiger Mensch betreten hatte, und sie schritten weit aus. Die Army Ranger, um diese Irren dafür abzustrafen, was man ihren Kameraden angetan hatte, und die Speere Ldungas, um das unheimliche Böse in der Stadt zu bekämpfen. Wie hatte es der Große Speer Franc gesagt: Um dem Bösen einen Arm abzuschlagen.
Axel, den humpelnden Captain im Schlepp, hatte hier relativ wenig zu tun, und hätte auch nichts dagegen gehabt, sofort von hier zu verschwinden. Allerdings war die Rettungsmission in jeder Beziehung vollkommen aus dem Ruder gelaufen. Nachdrücklich aus dem Ruder gelaufen. Es gab da dieses schöne alte deutsche Sprichwort: Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen. Das drückte wohl am ehesten aus, was hier passierte.
Links und rechts brachen Männer weg, um die Häuser zu stürmen, die sie gerade passierten. Die Hauptlinie hielt an, während die Soldaten und Speere die Gebäude durchsuchten, so als hätten sie das bereits zusammen geprobt.
Als die Untersuchungen negativ waren, ließ Scott weiter gehen. Schon waren einhundert Meter bis zur Brücke geschafft.
"Das sieht jetzt aber nicht so gut aus", murmelte Axel, als dicker, öliger Rauch am Ufer des Flusses aufquoll. "Die haben doch irgend etwas vor."
"Möglich", sagte Scott. "Stopp und niederknien!"
Die Army Ranger gingen auf ein Knie runter, und hoben ihre Waffen in Anschlag. Die Speere taten es ihnen nach. Und dann erhielten sie die Antwort darauf, was da so furchtbar qualmte, als einer der Verrückten hinter einem Haus hervor kam, und einen brennenden Reifen in ihre Richtung rollte. Er starb, bevor er sich wieder zurückziehen konnte, aber der Reifen rollte fast achtzig Meter in ihre Richtung. "Teufel auch. Sie nehmen uns die Sicht, und mit diesen Dingern auch dem Satelliten", fluchte Scott unbeherrscht. "Wer rechnet denn mit Autoreifen?"
"Nicht aus dem Konzept bringen lassen, Captain", mahnte Axel. "Wollen wir lieber hoffen, dass sie noch mehr heran rollen. Dann können wir mehr von ihnen ausschalten."
"Ihr Wort in Gottes Ohr, Axel. Weiter!"
Die Linie erhob sich wieder. In angemessenem Tempo gingen die Männer und Frauen weiter. Tatsächlich kam kurz darauf der Nächste mit einem brennenden Reifen. Er kam diesmal aber nicht dazu, ihn auf die anrückenden Ranger zu rollen, er schaffte es nicht mal, den Reifen auf den Boden zu setzen, bevor er getötet wurde.
"Wenn wir die Linie der Toten erreichen, für jeden eine Kugel", sagte Axel. "Sie stellen sich gerne tot. Und die, die noch nicht ganz tot sind, nehmen gerne noch jemanden mit."
"Wir gehen kein Risiko ein", bestätigte Scott und gab Axels Anweisung weiter.
Währenddessen rückten sie immer weiter vor, und die detachierten Männer durchsuchten erneut die angrenzenden Häuser.

"Sie nutzen es nicht aus, wenn wir die Häuser durchsuchen", stellte Axel fest.
"Würde ich jetzt nicht sagen", brummte Scott, als diesmal drei Männer zugleich versuchten, einen brennenden Reifen auf die Schützen zu rollen. Einer von ihnen schaffte es wieder in Deckung zu gehen. Er trug lediglich einen Streifschuss davon.
"Corporal Miller!", blaffte Scott. "Zielabsprache! Nicht auszudenken, wenn sie demnächst zu sechst kommen, und alle schießen auf den gleichen Idioten!"
"Ja, Sir!", rief der Getadelte. Kurz hielt er Zwiesprache mit seinen Nebenmännern.
"Das wird es aber nicht gewesen sein", murmelte Axel. Er griff nach seinem Funkgerät. "Boxie?"
"Was kann ich für dich tun, großer Meister?"
"Du hast doch ein Auge drauf für den Fall, dass unsere zweitbesten Freunde mit den Kampfjets auf einen weiteren Überraschungsbesuch vorbei kommen wollen?"
"Mach dir darum keine Sorgen, Axel. Man hat mir zu verstehen gegeben, dass da jemand bereits ein Auge drauf hat."
"Ah, dein Freund Klaus an seinem Satellitenmonitor?"
"Äh, nein, etwas ranghöher ist er schon. Mach dir keinen Kopf, und halt ihn unten, solange in den Straßen scharf geschossen wird."
"Hm. Wer es ist, willst du mir nicht verraten?"
"Der Präsident der USA."
"Ach, komm, Boxie, verarsch mich nicht."
Der Hubschrauberpilot seufzte. "Und genau deshalb wollte ich es dir nicht sagen. Sieh zu, dass Ihr den Fluss erreicht."
Wieder feuerte die vordere Reihe, und diesmal fielen fünf Mann mit brennenden Reifen zu Boden, tödlich getroffen. "Verdammt, wie viele Leute haben die denn noch?", keuchte einer der Männer.
"Miller, gut gemacht, so will ich das sehen! Und um Ihre Frage zu beantworten, Kosetzki, es ist scheißegal, wie viele sie haben. Wir schießen sie alle ab."
"Verstanden, Sir", erwiderte der Ranger hochmotiviert.
***
Etwa zur gleichen Zeit flogen drei Rotten für den Bodenkampf ausgerüstete Aermacchi in den Luftraum Belongos ein. Angeführt wurden sie von Capitaine Louis Lebanga, einem erfahrenen Piloten mit über eintausend Flugstunden auf der Aermacchi, davon rund einhundert im Kampfeinsatz gegen Bodenziele, zum Beispiel in Belongo. Mit Entsetzen hatte er beim viel zu kurzen Briefing zur Kenntnis genommen, dass sie eine Rotte, also zwei Maschinen Aermacchi in Belongo verloren hatten. Und noch erschreckender war die aktuelle Mission: Der Abschuss von privat genutzten Kampfhubschraubern in Keounda City. Seinetwegen hätten die ruhig weiter in der Luft bleiben können, vor allem in der verfluchten ehemaligen Distrikthauptstadt. Bei allem, was man über diesen Ort hörte, wären ein paar Napalm-Bomben und Raketen genau das, was diese Stadt und ihre verrückten Bewohner brauchten. Ihm kam es nicht einmal ansatzweise in den Sinn, warum er die Bekämpfung dieser Wahnsinnigen behindern, ja, beenden sollte. Aber Befehl war Befehl, und deshalb machte er seinen Job.
"Klaas?", sprach er seinen Navigator an.
"Sprich, Chef."
"Wir gehen auf Staffelfrequenz."
"Verstanden."
"Flight Leader, hier Flight Leader. Alle mal hergehört. Unsere Vorgänger haben einen entscheidenden Fehler gemacht. Damit sich die Jets nicht gegenseitig beschießen, hat der Flightführer zeitlich und räumlich versetzt angreifen lassen. Da waren die Deutschen natürlich vor der zweiten Rotte gewarnt. Wir machen diesen Fehler nicht. Wir ziehen in V-Formation nach Süden, und gehen auf Baumwipfelhöhe. Dann fliegen wir als Staffel über Keounda City hinweg. Wir feuern Raketen auf maximale Reichweite, und die Bordwaffen, wenn die Ziele in Sichtweite sind."
"Verstanden. Noch was?", kam es vom indirekt getadelten Lieutenant Vivien Nobuli, der diesen Flug mitgemacht hatte.
"Ja. Ihre Maschine, Lieutenant Nobuli, trägt Napalm-Bomben. Die nehmen Sie wieder mit nach Hause. Wir greifen diesmal keine Bodenziele an."
"Hm. Ich habe vom Général aérienne andere Befehle gekriegt."
"Sehen Sie hier einen Général aérienne, Lieutenant?"
"Nein, zugegeben."
"Gut. Dann befolgen Sie meine Befehle. Auf mein Kommando fliegen wir den Bogen nach Süden."
"Verstanden", bestätigten die Mitglieder der Staffel nacheinander.

Gemeinsam schwenkten die sechs Aermacchi auf Südkurs, und zogen einen wunderschönen einhundertachtzig Grad-Bogen, der sie direkt über Keounda City führen würde, und über die Hubschrauber der Deutschen hinweg, die vor ihnen aufgereiht sein würden.
Seine fünf Begleiter folgten Lebanga auf Baumwipfelhöhe, als er die Maschine hinab drückte; nach Keounda City waren es bei diesem Kurs und dieser Geschwindigkeit nur noch eine Minute.
Das warnende Geräusch im Cockpit erwischte den Capitaine vollkommen kalt. Für einen Augenblick erstarrte er vor Schreck.
"Wir werden erfasst!", blaffte Sous-Lieutenant Klaas Moniri. Zugleich stieß er Abwehrmaßnahmen aus.
"Auseinander!", blaffte Lebanga. Für zwei seiner Kameraden kam die Warnung zu spät, als der erste von einer, und der zweite gleich von zwei Sidewinder-Raketen getroffen wurden. Die zweite Maschine explodierte in der Luft, bei der ersten registrierte Lebanga zumindest den Ansatz eines Ausstiegsversuchs. Er selbst hatte vorerst Glück. Die beiden Sidewinder-Raketen, die auf ihn angesetzt waren, fielen auf die größere Verlockung der heißeren Täuschkörper rein. Das rettete ihm und seinem Navigator das Leben.
"Was zum Teufel war das?", blaffte eine hysterische Stimme, die Lebanga nicht identifizieren konnte.
"Egal! Jagen Sie die Nachbrenner rein! Alle! Wir verlassen sofort den belongoischen Luftraum!", befahl der Capitaine. Keine Sekunde zu früh, denn erneut gellte die Erfassungswarnung auf.
Drei Aermacchi beschleunigten rapide, und kamen so rechtzeitig vor Abschluss der Erfassung davon. Der vierte Jet hatte nicht so viel Glück. Trotz Nachbrenners war die Erfassung auf diese Maschine abgeschlossen. Die Abwehrmaßnahmen konnten die erste Rakete täuschen, aber nicht die zweite. Der Jet wurde bei Mach 1 von der zweimal so schnellen Rakete eingeholt und im Heck getroffen. Pilot und Navigator stiegen sofort aus, und wurden mehrere Dutzend Meter hoch katapultiert, was sie dem Erdboden schließlich dreihundert Meter entfernte. Als sich ihre Fallschirme öffneten, stand ihnen mindestens eine äußerst unbequeme Landung bevor, wenn sie sich in dem Gewirr der Bäume, auf das sie zustrebten, nicht gleich das Genick brachen.

Dort, wo die ndongoischen Kampfjets geflogen waren, zogen nun zehn F-5T Tigris der panadianischen Luftwaffe ihre Bahn. Vier zogen ab, um die belongoische Grenze zu patrouillieren, die restlichen sechs kreisten über der ehemaligen Distrikthauptstadt, jederzeit bereit, eine Bitte um Bodenkampfunterstützung positiv zu beantworten.
"Basis von Mincemeat", rief der Staffelführer gut gelaunt. "Drei Aermacchi abgeschossen, keine eigenen Verluste. Sagen Sie Mr. President, dass seine Ranger bei uns in guten Händen sind."
"Mincemeat von Basis, gute Arbeit. Strecken Sie die Brust schon mal für einen amerikanischen Orden raus."
Der Kampfpilot lachte. Das war das Schöne an den Amerikanern. Wenn ihnen jemand auf die Füße trat, dann musste er sehr schnell merken, dass, wenn sie schon nicht schnell genug eigene Truppen ins Land schaffen konnten, doch überall auf der Welt ihre Freunde hatten. "Freut mich zu hören. Fliegen für Keounda City Sicherung."
***
"Mr. President", sagte Landsdale, "es sieht so aus, als hätten die panadianischen Piloten den zweiten Angriff der Aermacchi wie geplant beendet, bevor er beginnen konnte."
"Gut." Der Führer der freien Welt nickte dem General zufrieden zu. "Doch ich fürchte, das war nur der erste von vielen Kämpfen, die heute stattfinden werden, und einige davon in meinem Büro."
Die Wangenknochen von Isaac Landsdale mahlten. "Wir haben Captain Scott und seinen Leuten eine reelle Chance erkauft. Den Rest wird die Zeit zeigen. Und was die Verwicklung von Roxxon in diesen Fall angeht, so..."
"Und genau da hört Ihre Arbeit auf, Isaac." Der Präsident seufzte. "Und meine beginnt erst. Es wird nicht leicht."
"Sicher nicht, Mr. President. Aber, mit Verlaub, ich vertraue Ihnen da."
"Das haben Sie nett gesagt, Isaac." Nun, es war zu schaffen. Wenn er die richtigen Worte fand.


12.
Meike war stolz darauf, dass sie Ärztin war. Sie hatte das, was man eine "professionelle Einstellung" nannte, und als Unfallchirurgin war sie von Hamburgs Unfällen einiges gewohnt. Auch Verbrennungen. Als man ihr allerdings die ersten drei Ranger per Black Hawk gebracht hatte, musste sie schon ein wenig kämpfen, um ihre stoische Fassade zu bewahren. Menschen mit solchen Verletzungen bekam sie sonst nur als Tote zu sehen. Und sie hatte nichts weiter als ihren Koffer dabei.
Sie sortierte die beiden Männer und die Frau, und entschied, dass die Männer sediert den Flug bis zur Mine überstehen würden. Die Frau allerdings war so gut wie tot. Dass sie überhaupt noch atmete, war Meike ein Rätsel. Also, was tun? Sie auf dem Flug sterben lassen, und bei ihren Kameraden belassen, oder ihr den strapaziösen Weg ersparen? Sie entschied sich für Letzteres, und auf den stummen Blick des Lademeisters, der nach ihren Überlebenschancen fragte, schüttelte Meike den Kopf. Selbst wenn sie die volle Ausrüstung des FeldOP zur Verfügung gehabt hätte, diese schweren Verbrennungen waren definitiv tödlich. Man hätte die Rangerin eine Zeitlang an eine Herz-Lungen-Maschine anschließen können, aber da wäre sie rasch ein atmender Leichnam geworden. Allein der Schock würde sie töten, und wenn sie sich erst ihrer Schmerzen bewusst wurde, dann... Dazu kam, dass ihr das Feuer beide Beine bis auf die Knochen runter gebrannt hatte. Eine Amputation wäre die erste Maßnahme gewesen, aber Meike traute der Frau nicht zu, diese Tortur zu überstehen. Sie musste bis zur Brust in Flammen gestanden haben, genauer gesagt in einer der Feuerwalzen selbst. Auch ihr Gesicht war verbrannt, sie erkannte großflächige Verbrennungen dritten Grades, sowohl Verkohlungen als auch totgebrannte weiße Haut. "Sie bleibt hier. Fliegen Sie mit den anderen zur Mine weiter. Auf dem Rückweg bringen Sie mir ein paar meiner Leute und Ausrüstung mit. Ich fürchte, wir kriegen hier bald noch mehr zu tun."
Der Lademeister sprang aus der Maschine. "Ich bleibe bei ihr."
Meike nickte zustimmend. Dann zog sie eine Spritze mit Peretramid aus, verabreichte es aber noch nicht. Das stärkere Ketamin hob sie sich für den Fall auf, dass das Mittel nicht anschlug.
Männer aus Ldungas Gefolge hoben die Plane an, auf der die Frau lag, und trugen sie in das große Schlachthaus, das Meike wegen der Kacheln als provisorischen Behandlungsraum ausgewählt hatte, nach der peinlichen Säuberung und Rundumdesinfizierung selbstverständlich. Hier hatte sie schon die fünf Männer behandelt, die bei der Explosion der Panzerfaust verletzt worden waren, und sie hatte sich auch noch um den Toten bemüht, aber für ihn war jede Hilfe zu spät gekommen. Nach der ersten Stunde stand jedenfalls fest, dass die Speere Meike wie ein höheres Wesen verehrten. In ihrer Nähe waren sie diszipliniert, folgsam und aufmerksam, ohne dazu von Ldunga ermahnt zu werden. Die Anwesenheit der resoluten Frau, die ein "Nein" nicht kannte, machte die Männer stolz, weil sie dies für ein Zeichen ihrer großen Macht hielten. Beweis genug waren die fünf Männer, denen sie die Verbrennungen behandelt, die Metallsplitter gezogen und in einem Fall das Auge verarztet hatte, sodass der Unglückliche es nicht verlieren würde. Und laut der Männer hatte es überhaupt nicht weh getan, von der deutschen Ärztin behandelt zu werden, was sie noch weiter in der Achtung hatte steigen lassen.
Im Haupthaus selbst stand sie ohnehin hoch im Kurs, seit sie vor Ldungas Frauen und Kindern die Vorzüge der Impfung erklärt hatte. Doch damit rannte sie ohnehin offene Türen ein, erfuhr sie doch, dass zwei Kinder von seiner dritten Frau vor fünf Jahren an Masern verstorben waren.

Nun stand sie am Operationstisch, während der Black Hawk wieder startete, und suchte nach einer Vene bei der Verwundeten, in die sie das Peretramid jagen konnte.
Als sich eine verbrannte Hand auf ihren Arm senkte, erschrak Meike nicht. Aber es entsetzte sie, dass, als die Hand tiefer glitt, Hautreste zurückblieben. "W... wer sind Sie?"
"Doktor Herryhaus, Ihre behandelnde Ärztin. Wie heißen Sie?"
" Warrant... Warrant Officer 1. Sady Steinman. M-meine Kameraden? Was ist... mit den anderen?"
"Ganz ruhig. Man hat Ihnen Napalm auf den Kopf geschmissen. Wir wissen noch nicht, wie viele es erwischt hat, aber wir werden so viele retten, wie wir können", versicherte Meike.
"Bin... Bin ich zu retten?"
Meike zögerte einen Moment. "Nein. Sie werden sterben."
Das brachte die Frau zum Lachen, während der Lademeister des Black Hawks die deutsche Ärztin entsetzt anstarrte. Wie konnte sie nur...?
Als sie schaumigen Schleim hustete, verstummte ihr Lachen. "Wenigstens sagen Sie die Wahrheit, Doc", ächzte sie. "Wie lange noch?"
"Kann ich nicht sagen. Sie sprechen wieder, also hat Ihr Körper noch ein paar Reserven. Eventuell ein paar Stunden."
Die Hand der tödlich Verwundeten krampfte sich um ihren Unterarm. "Wird es weh tun?"
"Nicht, wenn ich endlich eine Vene finde. Ich gebe Ihnen ein Schmerzmittel, das ich erfolgreich bei Verbrennungspatienten angewendet habe. Und wenn es nicht helfen sollte, habe ich noch was Stärkeres."
"Nein... Verschwenden Sie die guten Sachen nicht an mich. Ich bin doch schon tot." Sie ächzte. "Was passiert in dieser verdammten Stadt? Und wer hat uns bombardiert?"
"Das war die ndongoanische Luftwaffe. Warum sie das getan hat weiß ich nicht. Aber der Captain war deshalb so sauer, dass er jetzt die Westteile der Stadt systematisch räumen lässt. Sie gehen bis zum Fluss vor, und das anscheinend erfolgreich."
Sie seufzte. "Wenigstens etwas. Wie wir der Luftwaffe in den Arsch treten, erlebe ich wohl nicht mehr, oder?"
"Nein. Sie sind schwer traumatisiert. Dass Sie noch mal zu sich gekommen sind, ist bereits ein Wunder." Meike deutete auf die andere Seite des Tisches. "Einer von Ihrer Air Squadron ist hiergeblieben, damit Sie nicht unter Fremden sterben müssen, Warrant Officer Steinman."
"Wirklich? Wer ist es?"
"Corporal Ferris, Ma'am."
"Ferris? Es tut gut, Ihre Stimme zu hören. Kommen Sie näher. Ich kann Sie leider nicht sehen."
"Ich bin hier, Ma'am."
"Wo?" Sie tastete mit links nach ihm, und der Corporal zögerte nicht lange, nach der furchtbar verbrannten Hand zu fassen. Aber er drückte nicht zu. "Hier, Ma'am."
"Ah, gut. Sie haben Doktor Herryhaus gehört. Ich mach's nicht mehr lange." Ein Hustenanfall unterbrach sie. Diesmal war der Schaum rot. Meike vermutete, dass ihr nun mehrere durch die Hitze spröde gewordene Gefäße in der Lunge gerissen waren, wodurch Blut hineinlief. Die Luft, die sie geatmet hatte, musste sehr heiß gewesen sein.
Der Mann erbebte bei diesen Worten, und bei dem qualvollen Husten, das die Frau durchlitt. Wenn man es genau nahm, brauchte sie wahrscheinlich nicht mal mehr die Beruhigungsspritze. Ihr Körper ließ sie augenscheinlich gerade auf einer Wolke körpereigener Schmerzhemmer schweben.
Die Ärztin griff zu einem sauberen Tuch und wischte der Soldatin den Mund sauber. Sie unterdrückte ihr Entsetzten, als ein Stück Lippe im Tuch hängen blieb.
"Hören Sie zu, Ferris. Bitte tun Sie mir einen Gefallen."
"Jeden, Ma'am."
"Wenn Sie hier wieder raus sind, zurück in den Staaten, dann suchen Sie Harry auf. Sagen Sie ihm... Sagen Sie ihm, wie sehr ich ihn liebe, und das meine letzten Gedanken ihm gegolten haben. Tun Sie das für mich?"
"Jawohl, Ma'am."
"Gut. Ich danke Ihnen sehr, Ferris. Doktor, ich trage eine Goldkette neben der Hundemarke. Da hängt ein Medaillon dran. Es gehörte Harrys Mutter, und sie hat es mir zur Hochzeit geschenkt. Ich möchte, dass er es wieder erhält, selbst wenn Sie mir die Kette aus dem Fleisch schneiden müssen."
Sie hustete erneut. "Falls sie sich eingebrannt hat."
"Ich werde nachsehen", versprach Meike.
"Sie sind ein guter Arzt", sagte Warrant Officer Steinman mit Überzeugung in der Stimme. "Noch was, Ferris. Wenn Sie den Cap sehen, oder Jeb Austin, dann sagen Sie ihnen, dass sie nicht Schuld sind. Im Gegenteil, sie machen immer einen verdammt guten Job."
Dem Mann liefen nun die Tränen. "Ja, Ma'am. Ich richte es aus."
"Gut. Ich werde Ihnen viel verdanken, Ferris. Dafür halte ich Ihnen einen Platz in Walhalla frei."
"Ich werde kommen, Ma'am", versprach der Lademeister mit erstickter Stimme.
Sie ließ sowohl Ferris als auch Meike wieder los. "Wie wollen Sie mich haben? Mit überkreuzten Armen, oder angelegt am Körper?"
"Angelegt am Körper, Warrant Officer. Wir legen Sie dann in einen Sarg, und schicken Sie nach Hause."
"Nein, keine Vorzugbehandlung. Packen Sie mich in des Schnitters Tüte, wie die anderen auch. In einen Sarg werden sie mich schon Zuhause stecken." Erneut lachte sie, aber es war ein leises, kaum zu hörendes Kichern. "Ich glaube, ich kriege Schmerzen."
"Sie kriegen sofort was", sagte Meike hastig und injizierte intramuskulär. Als sie die Nadel wieder herauszog, war Warrant Officer 1 Sadie Steinman aber schon tot.
Nun begann der große, kräftige Army Ranger richtig zu weinen. Meike nahm ein Tuch und deckte das Gesicht der Toten ab. Und genau deshalb mochte sie keinen Krieg.
Sie winkte ihre Helfer wieder herein und befahl ihnen, die tote Frau unter einen schönen, schattigen Baum zu legen, und dem Corporal was Scharfes zu trinken und einen Stuhl zu holen, damit er ihr Gesellschaft leisten konnte. Anschließend komplimentierte sie alle hinaus. Erst danach legte sie beide Hände vors Gesicht und schluchzte kurz. Dann atmete sie scharf die Luft ein, stieß sie wieder aus und streckte sich. Der nächste Black Hawk mit Verwundeten kam bestimmt. Dann musste sie fit sein.

Ldunga fragte sich, ob und wann die Frau bemerken würde, das er ebenfalls anwesend war. Aber er hatte gesehen, wie sie arbeitete, bei seinen Männern und bei der gestorbenen Soldatin. Auch ihren kurzen Gefühlsausbruch hatte er gesehen. Er war beeindruckt von der Stärke dieser großen Person. Von ihrer Stärke und ihrer Professionalität. Als sie, mit dem Rücken zu ihm, ihre Instrumente sortierte, beschloss er, sich hinaus zu schleichen, um sie nicht zu stören oder gar zu erschrecken.
"Wenn Sie schon ohne einen Gruß raus gehen", sagte Meike, ohne sich umzuwenden, "dann seien Sie wenigstens in einer anderen Beziehung freundlich zu mir. Schicken Sie mir Ihre Tochter, die Reservistin. Sie kann mir als Assistentin zur Hand gehen, bis meine Leute kommen."
"Ich werde sie Ihnen schicken", versprach Ldunga. Verdammt, hatte sie hinten Augen? Oder übersah sie nie etwas? Sein Respekt wuchs. Vor allem, dass sie kurz Schwäche gezeigt hatte, obwohl sie gewusst hatte, das er im Raum war, nötigte ihm Anerkennung ab. Eine mehr als beeindruckende Frau hatte sich Axel Herwig da mitgebracht. Für Ldunga stand es außer Zweifel, dass sie seine Gefährtin war. Welcher Mann sonst sollte sie auch bändigen können?

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"Teufel auch, das hat doch was von der guten alten Zeit", rief einer der Ranger begeistert, während die vordere Reihe niedergekniet war, um die Reifenroller zu beschießen. "Gewehr an Gewehr, Aug' in Aug', drei Schuss die Minute mit dem Vorderlader. Und vier Salven, um eine Kolonne Napoleons zu stoppen."
"Der Vergleich hinkt ja wohl ein wenig, Richfield. Ich meine, noch wesentlich mehr als ich", tadelte der Captain. "Außerden verschießen wir wesentlich mehr als drei Schuss die Minute."
Leises Gelächter der Ranger antwortete. "Los jetzt, über die Straße."
Die Männer erhoben sich wieder und gingen gesetzten Schrittes über die Querstraße. Links und rechts konnten sie die anderen Gruppen auf die gleiche Art vorgehen sehen. Ein Mi-24 und ein Black Hawk flogen über der Gruppe, die restlichen Hubschrauber der Minengesellschaft waren vor der Moschee gelandet, um Sprit zu sparen. Allerdings waren sie so gelandet, sodass ihre MG's schön die schnurgeraden Straßen nördlich und südlich der Moschee entlang zeigten. Aber nur Boxies Mi-24D hatte ein schwenkbares MG, und somit mussten sie im Ernstfall hoffen, das ihnen der Feind vor die Rohre lief. Zumindest, bis sie wieder abgehoben waren und manövrieren konnten.

Mittlerweile hatten die Infanteristen über vierhundert Meter zurückgelegt, ohne einen Mann zu verlieren; selbst die Speere Ldungas schienen an diesem disziplinierten Vorgang Gefallen gefunden zu haben. Die Zahl der brennenden Autoreifen hatte sich drastisch erhöht, und ebenso auch die Strecke, die sie bedeckten, da die Verrückten ihre improvisierten Gummi-Lagerfeuer als Deckung benutzten, und aus ihrem Deckschatten heraus die Reifen warfen. Auf diese Weise gewannen sie immer mehr Raum in der Straße, ohne sich zu sehr zu exponieren. Damit hatten sie auf ihrem Teil der Straße rund einhundert Meter überwunden. Dennoch lehnte Scott es ab, auf Verdacht in die Flammen zu feuern. Auch wenn heutzutage nicht mehr drei Schuss die Minute en vogue war, sondern eher das hundertfache, wollte er doch Munition sparen. Denn sie hatten absolut keine Ahnung, wie viele Kugeln sie noch brauchen würden.
"Ranger 1 von Ranger 3-1", erklang es aus Scotts Funkgerät.
Scott ließ halten, jagte die gleichen Mannschaften wie immer in die umstehenden Häuser, und nahm das Funkgerät zur Hand. "Sprechen Sie, Austin."
"Sir, ich habe jetzt einen groben Überblick. Zur Zeit zähle ich achtzehn Tote, zusammen mit Warrant Officer Steinman, die gerade unter dem Messer gestorben ist, und inklusive aller sechs Besatzungsmitglieder der Chinook, die vollkommen ausgebrannt ist, und Fredrics, dem Lademeister von Lieutenant Greenbaums Black Hawk. Dazu kommen zwölf Schwerverletzte. Der Rest vom Zug ist zumindest leichtverletzt, aber einsatzbereit. Allerdings zähle ich noch acht Vermisste. Die Maschine von Major Irvine konnte gelöscht werden, beziehungsweise ist das Brandgel verbraucht. Sie ist flugbereit, wie mir der Major versichert hat. Er wird die Schwerverletzten direkt zum Hospital der Minengesellschaft fliegen, und je nach Bedarf mit weiteren Truppen von der Mine zurückzukehren."
Scott warf Axel einen fragenden Blick zu.
"Wir hätten mehr Leute hier, wenn wir mehr Transportkapazitäten gehabt hätten. Kram soll entscheiden, wie viele er mitgeben will."
"Haben Sie gehört? Der verantwortliche Offizier wird entscheiden, wie viele Soldaten die Mine mit Irvine zurückschickt."
"Verstanden, ich richte es aus. Ich... Habe wenig Hoffnung, die restlichen acht unserer Jungs und Mädels wieder zu finden, Sir."
"Tun Sie Ihr Möglichstes. Noch etwas zu berichten?"
"Ja, Sir. Wir haben die Mörser und die Munition retten können. Ich schicke Ihnen gerade einen."
Scott maß die Strecke bis zur Brücke mit sicherem Blick ab. "Perfekt. Als hätte ich sie bestellt. Damit können wir sie weiter unter Druck setzen. Noch etwas?"
"Die Bombardierung ist jetzt exakt fünfundvierzig Minuten her, wie ich anmerken möchte. Ach, und das Pentagon hat dem Rest der Kompanie befohlen, die Base de l'Air zu verlassen. Sie sind in Richtung Mine unterwegs."
"Heilige Scheiße. An die habe ich ja gar nicht mehr gedacht."
"Keine Sorge, Sir, ein Ranger kann auf sich selbst aufpassen, wenn man ihn nicht gerade bombardiert", kam Austins Antwort, vielleicht eine Spur zu stolz für die Situation, in der sie steckten.
"Davon gehe ich aus. Hatten Hector und Garaldi beim Abmarsch Probleme?"
"Soweit ich weiß wurden ein paar Schüsse abgegeben, aber Hector hatte die Situation im Griff. Er hat fünf Laster geklaut."
"Und da sagt man immer, die Jungs aus Utah wären alle ehrlich bis ins Mark. Informieren Sie mich, wenn die Mine die Ankunft unserer Leute meldet. Ach, und wenn Sie fertig sind, kommen Sie mit Ihren Leuten bis an den Fluss runter."
"Verstanden, Sir. Ranger 3-1 Ende und aus."
"Fünfundvierzig Minuten, hm? Mir kommt es vor, als wären schon Tage vergangen", murmelte Scott.
"Eher Wochen", kommentierte Axel.
Das war ungefähr eine Sekunde, bevor Nana, der Unterführer, brüllte: "RUNTER ALLE!"
Er ließ sich zu Boden fallen und zog Scott mit sich. Einer der Ranger reagierte nicht so schnell und kassierte diverse Körpertreffer. Da ihn die Weste schützte, wurde er an beiden Armen verletzt, und stürzte schließlich doch zu Boden. Genausogut hätte es das Gesicht sein können. Ebenso erging es einem der Speere Ldungas.
Nana kroch zu Scott herüber. "Sie haben Barrikaden gebracht, hinter denen sie sich verschanzen", sagte er. "Und von dort feuern sie jetzt."
Scotts Blick flog von links nach rechts. "Die anderen Straßen?"
"Nur auf dieser hier. Ich konnte es kurz erkennen, als ein Windstoß die Rauchschwaden aufgerissen hat. Leider habe ich nicht weit genug gedacht."
Über ihnen zuckten die Kugeln hinweg, die die Irren abfeuerten. Genauso wie die Ranger konnten sie nicht sehen, auf was sie schossen. Aber sie taten es aus einer wesentlich besseren Deckung als die Amerikaner, die Speere und die Deutschen.
Einer der Ranger schrie vor Schmerz auf und fluchte unterdrückt. "Mein Hacken, verdammt! Die Schweine haben mir meinen Hacken perforiert!"
"Miller, jeder Rekrut lernt beim ersten Mal im Schützenloch, das er die Füße nicht auf die Zehen aufstellt", knurrte Scott. "Ziehen Sie sich zur Moschee zurück und lassen Sie sich verarzten. Nehmen sie Louis und den verletzten Speer mit."
"Ja, Sir." Fluchend wie ein Bierkutscher robbte der Corporal zum Verletzten mit den Armdurchschüssen und zu dem Kämpfer Ldungas mit dem Schulterdurchschuss. "Rückzug, Jungs."
"Ich versuch's", erwiderte der Ranger mit zusammengebissenen Zähnen.
"Es gibt kein Versuchen. Ranger tun etwas, oder sie lassen etwas. Also mir nach. Sie auch, Sir."
Der Speer erwiderte etwas auf Französisch, aber zweifellos hatte er verstanden, weil er den beiden Männern hinterher robbte.
In der Seitenstraße richtete sich Miller auf und half seinen schwerer verletzten Kameraden. Er stemmte sich bei Louis links und beim Speer rechts unter, und hinkte mit ihnen die Querstraße entlang. An derem Ende angelangt hinkte er im Rücken der eigenen Leute in Richtung Moschee weiter.

"So, da stecken wir also und bieten schöne Ziele für sie, anstatt in die Seitenstraßen auszuweichen", murmelte der Deutsche.
"Wie man es nimmt. Sie können uns so wenig sehen, wie wir sie sehen können. Da wir liegen und sie nicht besonders hoch stehen, bieten unsere Helme und die Schutzwestengepanzerten Schultern die größte Angriffsfläche. Und natürlich die Hacken, wie wir festgestellt haben."
"Vergessen wir nicht, dass die Speere weder Westen noch Helme haben", merkte Axel an.
"Oh, danke für den Hinweis. Deshalb bleiben sie wohl auch hinter meinen Leuten, um sie als Deckung auszunutzen", erwiderte Scott. Kaum hatte er es gesagt, wurde einer der Männer Ldungas verwundet. Einer seiner Kameraden half ihm, davon zu kriechen und den gleichen Weg wie Miller zu nehmen.
"Was zu beweisen war", erwiderte Axel.
"Sie können sich ja einen der Gullydeckel nehmen und Captain America spielen", sagte Captain Scott eine Spur zu bissig.
"Ich war eigentlich immer eher der Cyclops-Typ."
"Nanu? Was finden Sie nur an diesem langweiligen Zeitgenossen, abgesehen davon, dass er öfters mal der Anführer war?"
"Ich bitte Sie, Jason. Haben Sie seine Freundin vergessen?"
Scott lachte abgehackt. "Gutes Argument. Trotzdem, Cyclops ist eine langweilige Wahl. Ich bin mehr Nightcrawler-Fan. Flexibel, schnell, durchtrainiert, und fällt garantiert überall auf."
"Keine schlechte Wahl. Und was machen wir jetzt hübsches? Warten wir, bis sie keine Munition mehr haben?"
Wie als Antwort auf diese Frage fluchte einer der Ranger unterdrückt, als sein Helm getroffen wurde, was ihm einen kräftigen Hieb versetzte.
"Unsere Munition ist leider zu schwach, um durch die Barriere hindurch zu schießen", sagte Scott bedauernd. "Und wir sehen nicht genug, um die Schützen mit den Snipern zu erwischen."
"Hm. Und Handgranaten? Ist eventuell etwas weit, oder?", fragte Axel. "Nehmen wir die Javelins?"
"Wir wissen ungefähr, wie wir schießen müssen, wir können nur zu hoch zielen, und die Panzerfaust kann die ganze verdammte Barriere sprengen. Probieren wir es. Richfield!"
"Sir?"
"Nehmen Sie die Javelin und versuchen Sie Ihr Glück."
"Gerne, Sir."
"Und wenn wir versuchen würden, mit den Rotoren der Hubschrauber all den Rauch wegzublasen?", warf Axel ein.
"Sie meinen den gleichen Rauch, der vielleicht fünf bis zehn Panzerfaustschützen verhüllen kann, die nur auf so eine Gelegenheit warten könnten?", erwiderte Scott.
"Punkt für Sie, Cap."

Richfield indes ließ sich die Javelin reichen. "Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen", sagte er, und machte die Waffe klar. Dabei schaltete er den Infrarotsuchkopf aus. Das machte aus der über sechzigtausend Dollar teuren Waffe eigentlich einen Krüppel, weil dadurch die Verfolgungsfunktionen weitestgehend kastriert wurden; aber da die Gefahr bestand, dass sich die Waffe einen besonders heiß brennenden Reifen als Ziel suchen könnte anstatt die Barrikade zu sprengen, durchaus sinnvoll.
"Weg hinter mir", sagte er zu den Speeren, und legte sich so hin, dass sein Körper weit genug entfernt von der Abstrahlmündung lag, bevor er schoss. Das war bei einem Soft Launch eigentlich nicht mehr notwendig, aber wer ein guter Ranger war, der nahm auch Unannehmlichkeiten auf sich, wenn sie nur eine kleine Gefährdung verhinderten.
"Feuer!"
Die schlanke Rakete schoss, nur von Richfield irgendwo in die Feuer und den Qualm hinein gerichtet, aus dem Rohr, nahm Fahrt auf, und verschwand im Rauch. Für einen Augenblick hielten alle den Atem an, weil nichts passierte. Dann erfolgte die Detonation, die teilweise sogar die Rauchsäulen zum Wanken brachte. "Auf und vor!", kommandierte Scott und ließ sich von Axel aufhelfen. "Die Javelin durchschlägt achthundert Millimeter Stahl. Und sie ist detoniert. Die Barriere war einmal", sagte der Captain im Brustton der Überzeugung. Er sollte Recht behalten.
Wieder schafften sie eine Seitenstraße. Nun waren sie nur noch dreihundertsechzig Meter von der Mündung der Straße zur Brücke entfernt. Die Ranger ganz rechts hätten bereits einen kleinen Teil von ihr sehen können, wenn diese verdammten Autoreifen nur nicht so lange gebrannt hätten.
Wieder entsandte Scott seine Abteilungen in die umstehenden Häuser. Das geschah in relativem Frieden. Die Irren von Keounda City setzten ihren Beschuss nicht fort.
"Ich glaube, sie haben die Schnauze voll", kommentierte Axel. "Ich höre nur noch unsere Waffen feuern. Vielleicht ziehen sie sich über die Brücken zurück."
"Darüber würde ich mich sehr freuen, Axel. Aber entschuldigen Sie, wenn ich nicht sofort bis zum Ufer stürmen lasse, um ihnen hinterher zu jagen."

"Ranger 1 von Ranger 3-1. Sind am Fluss. Sir, ich erkenne eine größere Marschkolonne, die über die große Autobrücke Richtung Ostteil der Stadt zieht. Ich kann wegen dem kurvigen Ufer und der Häuser nicht erkennen, was am Aufgang los ist, aber für mich sieht es so aus, als würde sich der Feind zurückziehen."
"Verstanden, Ranger 3-1. Wenn möglich, nehmen Sie die Brücke unter Feuer, um im Druck nicht nachzulassen."
"Verstanden, Sir. Ich lasse meine Sniper aufbauen. Übrigens, wir haben noch zwei Schwerverletzte, zwei Leichtverletzte, die noch immer ohne Bewusstsein sind und einen Unverletzten in katatonischem Zustand gefunden. Ich lasse sie gerade mit einer unserer Black Hawk ausfliegen. Die letzten drei Ranger werden wir sicher in den Feuerschneisen der Napalm-Bomben finden."
"Gute Arbeit, Austin. Was den Katatonischen angeht, wundert es mich, das da nicht mehr sind. Wenn Menschen so ein Gräuel sehen, setzt es eben bei dem einen oder anderen aus."
"Ja, Sir. Ich hoffe, an der Mine können sie ihm helfen. Nehme Feuer auf. Ende und aus."
Scott nickte grimmig. "Sie haben den Mann gehört. Scheint so, als nähme die Wahrscheinlichkeit für den Abzug zu."
"Also doch ein Sturmlauf?", fragte Axel fröhlich, freilich ohne es ernst zu meinen.
"Nein, das riecht mir zu sehr nach Falle. Wir rücken vorsichtig vor, sobald die Suchmannschaften zurück sind."

Kurz darauf hatten sie die Durchsuchung der umgebenden Gebäude beendet. Diejenigen, die in den Häusern auf der rechten Straßenseite gewesen waren, reihten sich routiniert wieder ein.
Die Ranger und Speere, die aus denen auf der linken Seite kamen, hatten teilweise erhebliche Mühe, auf den Beinen zu bleiben. Einer von ihnen übergab sich geräuschvoll.
"Mr. Ross?", fragte Scott, nach einer Antwort seines Private First Class fragend, der die Truppe angeführt hatte.
Der junge Mann war reichlich blass, als er abwinkte. "Es ist nichts, Sir. Nur, wir wissen jetzt, wie diese Verrückten ihre Fetische machen. Da drin war ihre Produktionswerkstatt." Er schluckte heftig, würgte kurz, aber die Blamage, seinem Kompaniechef auf die Füße zu kotzen blieb ihm erspart.
"Reihen Sie sich ein. Das bringt Sie auf andere Gedanken."
Scott warf Axel einen scheelen Blick zu. "Sie müssen da nachher nicht mit rein. Es ist meine Mission, und Sie sind nur ein Zivilist, den ich gerade rette."
"Müssen nicht für'n Arsch. Ich werde mir alles ansehen, das verspreche ich Ihnen. Das Recht habe ich mir erworben, als ich über der Stadt abgeschmiert bin."
"Es ist Ihr Magen", kommentierte der Captain. "Weiter vor!"
"Und es wird verdammt Schade um die Nudeln sein", murmelte Axel vor sich hin.
Es gab einen hellen Ton, als er auf einen Gully trat, und dieser durch die kinetische Energie wieder in seinen Fassungsring rutschte. Axel beachtete es nicht weiter. Schlimm genug, das er deswegen beinahe ausgerutscht und mit Scott gestürzt wäre.

Sie arbeiteten sich weiter die Straße entlang. Beschuss blieb vollkommen aus. Als sie die ersten brennenden Reifen erreichten, hatten die Soldaten und Speere noch zwei weitere Häuser entdeckt, die von der Produktivität der Bewohner Keounda Citys erzählten. Es waren sicherlich keine angenehmen Anblicke gewesen, wenn man die Mienen der Männer betrachtete.
Scott ließ die Reifen ganz an die Seite rollen oder schieben, und nach und nach wurde die Sicht besser, aber die Luft schlechter. Durch seine vorsichtige Vorgehensweise war nun mittlerweile eine volle Stunde vergangen. Doch langsam aber sicher gehörte ihnen dieser Teil der Stadt. Grimmige Zufriedenheit erfüllte die Gesichter der Männer und Frauen, Speere wie Ranger und Deutsche. Für den Arschtritt, der ihnen verpasst worden war, hatten sie Keounda City kräftig in die Eier getreten. So hart, dass die Hoden zum Mund raus geschossen waren.
Noch immer bewegten sich die Gruppen auf den Parallelstraßen miteinander, und Austins Truppe war dabei, von Norden kommend, am Ufer Wachtposten zurücklassend, die erste Querstraße zu erreichen. Dort vereinigten sie sich mit den anderen Soldaten und Speeren und gingen weiter das Ufer entlang Richtung Brücke. Nun war es selbst für Scott und seine Gruppe auf der Hauptstraße nur noch ein Katzensprung von fünfzig Metern. Second Lieutenant Morelli, der die etwas kleinere Straße nördlich der Moschee genommen hatte, war sogar schon fast am Ufer angekommen, um sich mit First Lieutenant Austin zusammenzutun. Die einzigen, die jetzt noch schossen, waren Austins Sniper, die sich einzelne Angreifer von der Brücke pickten.
"Ranger 1 von Ranger 3-1. Sir, sieht so aus, als würden die Letzten dieser Verrückten die Autobrücke gerade verlassen."
"Niklas Herwig hier. Wir erreichen gleich die kleine Brücke. Sie ist verlassen. Ich schlage vor, wir nehmen."
Scott dachte einen Moment nach. "Okay, wir nehmen. Trotzdem vorsichtig bleiben. Nicht leichtsinnig werden und weiter die Häuser durchsuchen. Ich will nicht plötzlich ein paar hundert von denen in meinem Rücken haben."
"Verstanden."
Als sie die letzten brennenden Reifen hinter sich gelassen hatten, ließ Scott die letzten Häuser durchsuchen. Zugleich befahl er seinen Leuten, in den Häusern direkt am Fluss Stellung zu beziehen.
Schließlich trat er, von Axel gestützt, selbst an die Mündung der Brücke heran. Durch die Wölbung der Fahrbahn konnte er das andere Ende nicht sehen, das an dieser Stelle gut sechzig Meter entfernt lag, weil es sich über fünfundvierzig Meter des Lagabanda spannte, aber er war sicher, irgendwo da drüben war der Mistkerl, der schlau genug war, um ihn mehrfach in Schwierigkeiten zu bringen. Und das mit derart primitiven Mitteln, dass der Captain seinem Gegner beinahe Respekt gezollt hätte, wäre er nicht der Anführer dieser durchgeknallten Charge gewesen, die sich mit getrockneten Körperteilen behängte.
Von links stieß Morelli zu ihnen. Hinter ihm richtete Austin im hohen Ufergras Beobachtungsposten und MG-Nester ein. Von rechts kamen weitere Speere und Ranger zu ihnen heran, während Niklas und Hannes "ihre" Brücke auf dieser Seite des Flusses in Besitz nahmen. Nun, zumindest taten sie das für einige Sekunden, bevor der Versuch für mindestens einen Soldaten - dem Augenschein nach einer der Deutschen - den Versuch mit Dutzenden Körpertreffern durch ein MG bezahlte. Er sackte zusammen wie eine Gliederpuppe, und Axel war sich verdammt sicher, dass der Mann tot war. Er fluchte unterdrückt und griff zum Funkgerät. "Niklas, was zum Henker war das?"
"Ein gottverdammter BRDM-2!", erwiderte der deutsche Offizier beinahe brüllend. "Hat schön zwischen den Häusern gewartet, bis jemand in sein Schussfeld kam, und jetzt hat es einen meiner Leute erwischt!"
"Himmel, woher haben sie das Ding?"
"Das ist nicht so wichtig wie die Frage, ob sie noch mehr haben!", rief Niklas zurück. "Javelin zu mir!"
"Niklas", schaltete sich Scott ein, "abgesehen von der Panzerung und dem MG hat das Ding noch eine sehr hässliche Eigenschaft. Es ist amphibisch!"
"Das weiß ich selbst!", erwiderte Niklas ärgerlich. "Aber noch macht er keine Anstalten, über den Fluss zu kommen. Weder über die Brücke, noch durch den Fluss! Und wenn er noch lange da steht... Ah, die Panzerfaust."
Wieder feuerte das MG des Spähwagens und vereitelte so entschieden Niklas' Versuch, den Panzerwagen über die Brücke anzuvisieren und auszuschalten.
"Suche mir eine neue Position. Hannes übernimmt. Ich melde mich!"
Zumindest hatte er das vor. Aber in diesem Moment erklang das Geräusch kraftvoller Motoren und das typische Mahlen von Ketten auf dem Boden.
Axel blickte Scott entsetzt an. "Die haben doch nicht etwa...? Boxie, deine Leute lassen sich zurückfallen! Sofort! Wir brauchen MANPAD!"
Ungefähr in diesem Moment schob sich erst das Rohr, und dann der ganze hässliche mittelschwere Kampfpanzer vom Typ T-54 ans gegenüberliegende Ufer. Er feuerte sofort, und mit dem Schuss verfehlte er Boxies Mi-24. Die Granate schlug weit hinter dem Hubschrauber ein, vermutlich nicht einmal mehr zwischen den Häusern Keounda Citys. Das gleiche Spiel wiederholte sich ungefähr dreihundert Meter nördlich mit einem zweiten T-54. Diesmal aber feuerte er mit dem Turm-MG über das Ufer hinweg auf die Posten. Der Richtschütze schloss sich mit einer Granate an, die jedoch zu hoch gezielt war, und statt zwischen den Soldaten in die Häuser hinten ihnen einschlug. Sie durchschlug die Decke des Hauses und sauste in den Dschungel davon.
"Panzerbrecher", kommentierte Axel. "Allzu gut scheinen die Burschen ihre Kampfpanzer nicht zu kennen. Wie zum Teufel kommen die an T-54? Und haben sie noch mehr?"
"Die Frage, die sich uns stellt, ist doch eine vollkommen andere!", rief Scott über den Lärm hinweg. "Sie müssen wissen, dass die Panzer für uns ein leichtes Ziel sind!" Wie um diese Worte zu bestätigen, setzten die Panzer und der Panzerwagen zurück und verschwanden zwischen den Häusern.
"Trotzdem! Warum riskieren sie sie? Wir haben nicht nur unsere Javelin, es wurden auch jede Menge BRT-Panzerfäuste erobert!"
"Vielleicht ihr letztes Aufgebot? Eine Warnung, nicht über die Brücke zu kommen?", riet Axel. Hinter ihnen schlug eine Granate ein, die schlecht gezielt in hundert Meter Entfernung explodierte.
"Das schmeckt mir nicht! Das schmeckt mir wirklich nicht! Und unsere Hubschrauber sind damit auch fast aus dem Rennen, weil sie keine panzerbrechende Bewaffnung mehr haben!", rief er seinen Leuten zu. "Nein, das will mir nicht in den Kopf!"
Axel gab es nicht gerne zu, aber ihm kam das auch merkwürdig vor. Sogar merkwürdiger als der ganze verdammte Tag überhaupt schon war.
***
Während andernorts der Kampf auf Leben und Tod tobte, befand sich Bernd in einem mittleren Kaufrausch. Er hatte gerade erst sein neues Budget mit Thomas abgesprochen - beide waren Profis genug, um das selbst in so einer Situation zu tun - und nachdem er hingenommen hatte, dass seine Gelder im Gegensatz zum zivilen Bereich mit der Anschaffung weiterer Minenwölfe, dem Straßenbaugerät und der Erhöhung der Hilfsgüter nicht gestiegen war, begann er, den jetzigen Stand der Truppe von ungefähr einer Kompanie, die Neuankömmlinge in Panadia mit eingerechnet, auf zwei Kompanien aufzublasen. Diesmal konnte er sich sicher sein, dass auch die Mehrzahl seiner englischen und amerikanischen Freunde positiver gestimmt sein würde, nicht mehr so unterschwellig misstrauisch wie letztes Mal. Gelobt sei ZNN und ihre äußerst wohlwollende Berichterstattung über die Belongo Mining Company.
Außerdem wurde es vielleicht Zeit, bei diversen Söldneragenturen zu wildern, und einige seiner russischen Kontakte einzustellen. Nach dem letzten aktuellen Abverkauf der kleineren Schmuck-, und der Industriediamanten bewegte sich das Budget für Mannschaften und Fuhrpark erneut im zweistelligen Millionenbereich. Die Diamantenmine war eine Goldgrube, ohne wirklich eine zu sein. Bei dieser Ironie kicherte Bernd vor sich hin.
Nun, wenigstens fiel es ihm selbst auf, und er wechselte auf dem Laptop kurz auf die Satellitenanzeige über Keounda City, die er direkt aus Deutschland von Klaus erhielt. Aber dort schien alles nach Plan zu geschehen; Ranger, Deutsche und Ldungas Männer waren auf dem Weg zum Westufer des Lagabanda-Flusses. Was ihn auf den Gedanken brachte, das sie eventuell Schnellboote für Flusspatrouillen brauchen würden. Die waren schnell besorgt, oder noch schneller improvisiert. Und man konnte sie auch für Transportzwecke benutzen. Die würden sie nur allzu bald brauchen, die weiteren Transportkapazitäten. Denn solange die Straßen nur in der Planung existierten, waren sie für jeden wichtigen Transport auf die Hubschrauber angewiesen. Der Fluss aber war eine große, gewaltige Schnellstraße in beide Richtungen. Die Alternative war, ein paar gute Lastwagen zuschanden zu reiten. Oder schlechte Lastwagen vollends zu ruinieren. Bernd war kein Freund von Dschungelpisten. Apropos Pisten: Das Camp konnte ein paar von diesen äußerst luxuriösen Containern gebrauchen, welche die Amerikaner im Krieg um Kuwait für ihre Leute eingesetzt hatten. Die waren mit Klimaanlage ausgestattet. Purer, herrlicher Luxus. Ohnedies mussten sie langsam vom provisorischen Charakter fort kommen, denn Bernd bezweifelte, dass auch nur irgendjemand im Camp noch glaubte, das Unternehmen würde nach Ablauf des Monats abgebrochen werden. Was natürlich einige nicht daran hindern konnte, zum vereinbarten Termin ihren Abschied und ihr sauer verdientes Geld zu nehmen und nach Deutschland zurück zu kehren, oder woher sie auch immer gekommen waren.
Das war natürlich nur ein Wortspiel, denn Bernd wusste verdammt genau, wo jeder einzelne herkam. Und er wusste auch, wo jeder auf seiner verdammten Liste steckte.

Apropos stecken. Steckte einer seiner Freunde nicht gleich um die Ecke?
Die Vorzüge des Satellitentelefon preisend, und in Gedanken schon Funktürme für Handyempfang in Belongo setzend, wählte Bernd eine Nummer, die er auswendig kannte. Sie verband ihn mit Kjenja. Dort unterhielt er sich auf Englisch ungefähr fünf Minuten mit einem Einheimischen, den er zu seinen guten Freunden zählte. Und nachdem er hoch erfreut aufgelegt hatte, zählte er den Schwarzafrikaner zu seinen allerbesten Freunden. Dem Teufelskerl war es tatsächlich gelungen, eine Mi-6 aufzutreiben, die einigermaßen gut gewartet war, und beinahe sofort zur Verfügung stand. Gut, gut, das war einer der älteren russischen Hubschrauber, und lieber wäre ihm die auf Lastaufträge ausgelegte Mi-10 gewesen. Aber mit dem Ding würden sie die Minenwölfe sehr viel komfortabler transportieren können, zudem schneller, andere Transportvorhaben würden erleichtert werden, und die 8HD, also die, die noch in Panadia stand, und die, die über Keounda City kämpfte, für einige speziellere Missionen freistellen. Darunter Krankentransporte und dringende Hilfslieferungen. Sie konnten dann auch den Kontakt zu einem möglichen dritten Stützpunkt halten, den Bernd bereits auf der anderen Flussseite im Norden nahe des Gebirges plante; er hatte nicht vergessen, dass am Fuß der ehemals vulkanisch aktiven Berge womöglich die Lagerstelle Erster Ordnung lag, die ihre Lagerstelle Zweiter Ordnung überhaupt erst erschaffen hatte. Und es sprach nichts gegen eine zweite Diamantenmine, die ausnahmsweise nicht jedermann in Belongo kannte, fand Bernd.

Danach führte er ein weiteres Gespräch. "Michi, alte Rakete, kannste mir hö... Ich meine, wie ist die Verbindung?"
"Bernd? Du, das trifft sich gut. Weißt du, wegen deinem Angebot neulich, ich hätte jetzt Zeit. Meine Arbeit ist erledigt", antwortete sein Kontakt.
"Die Arbeit, und wie viele Leute?", fragte er.
Sein Gesprächspartner schnaubte ärgerlich. "Wenn du anfängst, Söldnerwitze zu reißen, dann..."
"Schon gut, schon gut, Leutnant Möller. Nur ein Witz. Ich rufe dich tatsächlich wegen dem Angebot von neulich an. Weißt du, es sieht ganz so aus, als würde die Geschichte gerade verlängert werden, und der Ärger wird auch größer, nicht kleiner."
"Was für Ärger, Bernd? Mein letzter Auftrag war überhaupt nicht berauschend, und als Bezahlung habe ich mir den Vogel genommen, den ich hier geflogen habe. Ich bin nicht scharf darauf, erneut in sowas rein zu geraten."
"So? Was fliegst du denn gerade?", fragte Bernd neugierig.
"Eine Hind-E."
"Nett. Ich müsste den Vogel aber kaufen, wenn du von uns angeworben wirst. Und dann ist da noch unser Air Boss, der das letzte Wort hat. Weißt du, wir nehmen keine menschlichen Wracks, nur normal Durchgeknallte."
"Na, das klingt doch, als wäre das mein Job. Hm, alleine für den Verkauf wird es sich lohnen, vorbei zu schauen." Die Laune seines Gesprächspartners besserte sich zusehends. "Habt Ihr eventuell auch Interesse an Flugzeugmechanikern? Ich habe den persönlichen Betreuer der Maschine gleich mitgebracht. Er sucht eine Festanstellung."
"So? Wie gut ist er denn bei Russenmaschinen?"
Stille antwortete Bernd. "Hallo? Michael, bist du noch dran?"
"Sein Kosename ist Ljoscha."
Dem Chefversorger der Minengesellschaft stockt der Atem. "Du meinst, er ist Russe?"
"Er ist nicht Russe, sondern hauptberuflich Hubschraubermechaniker der Roten Armee. Zumindest war er das, bevor es ihn hier runter verschlagen hat. Frag nicht wie, es ist eine genauso abenteuerliche Geschichte wie bei einem gewissen blutjungen NVA-Offizier, der verkaufte russische Maschinen nach Schwarzafrika fliegt, und dann hier hängen bleibt, weil es plötzlich keine NVA mehr gibt."
"Das ist geil, einfach geil! Weißt du, wie ich mir den Arsch aufgerissen habe, um wenigstens an ostdeutsches Wartungspersonal ran zu kommen, geschweige denn an Russen, die die Bedienungs- und Wartungsanleitungen in der Muttersprache lesen können? Geschweige denn Jahrelange Erfahrungen mit Mil-Maschinen haben? Und dann kommst du vorbei und bietest mir einen Muttersprachler an! Der Mann ist engagiert!"
"Gut. Was zahlt Ihr eigentlich so? Du sagtest was von zehntausend Euro und einem Bonus."
"Vergiss die zehntausend! Der Bonus ist bereits höher als dieser Kleckerbetrag! Eine Woche bei uns, und du verdienst fünfstellig, nach einem Monat sechsstellig", sagte Bernd euphorisch. "Wir sind hier super-erfolgreich, und jeder Tag vor Ort bringt uns noch mehr ein! Außerdem können wir jede Maschine und jeden guten Piloten gebrauchen, der hier fliegen kann, damit die Hilfsgüter..."
"Hilfsgüter?"
"Hilfsgüter. Damit sie in das Hospital und die umliegenden und weiter entfernten Dörfer gelangen."
"Moment. Du treibst dich doch gerade in Belongo herum, oder, Bernd? Und du redest von Hilfsgütern? Wie ist das möglich, ohne das die Milizen und andere durchgeknallte Verrückte dich und deine Leute in der Luft zerreißen? Die Zivilisten werden sich kaum schützend vor euch stellen, bei aller Liebe nicht!"
"Keine Sorge. Dank unserer Hinds sind wir der stärkste Junge auf dem Platz. Wir beschützen die Zivilisten, nicht umgekehrt." Die aktuelle Lage und deren Entwicklung verschwieg er wohlweislich vorerst.
"Okay. Wo müssen Ljoscha und ich hin?"
"Panadia. Honiton City Air Field. Dort meldest du dich bei der Belongo Mining Company. Ich werde dich ihnen avisieren. Und von da nimmst du gleich mal Hilfsgüter mit, und fliegst mit einem oder mehreren unserer Hubschrauber unser Camp an. By the way, hast du eigentlich verlernt, die Mi-6 zu fliegen?"
"Ich bin Pilot. Sowas verlernt man nicht. Warum die Mi-6?"
"Oh, ich konnte gerade eine für einen Appel und ein Ei kaufen. Und bei uns fliegt jeder alles."
"Damit kann ich leben, nachdem ich meine Maschine an euch verkauft habe. Sonst noch was?"
"Ja. Du wirst unseren Luftflottenchef lieben. Er fliegt fast ausschließlich mit seinen Meerschweinchen an Bord."
Verblüfft schwieg sein Kontakt. Dann brach er in schallendes Gelächter aus. "Scheint ein Verrückter zu sein, wie ich sie liebe. Also, Panadia, Honiton City Air Field. Alles klar. In zwei Tagen sind wir da."
"Ich freue mich. Also bis dann, und Gruß an Ljoscha."

Bernd deaktivierte die Verbindung. "Wie lange stehst du da schon?"
Heide Schrader winkte ab, als sie eintrat. "Ich wollte dich nicht stören", sagte sie und ließ sich in den nächstbesten Bürostuhl fallen. Diese Entscheidung bereute sie aber sofort mit einem kleinen Schmerzenslaut. "Autsch. Diese Dschungelpisten bringen mich um. Sogar mit einem Wolf ist das keine angenehme Geschichte." Sie warf Bernd einen fragenden Blick zu. "Axel wurde abgeschossen?"
Bernd nickte. "Um es kurz zu halten, eine Kompanie Ranger mit Niklas und Hannes haben ihn und Jorge Androweit gerettet und erobern jetzt Keounda City."
Erschrocken fuhr sie hoch, was ihr erneut Schmerzen bescherte. "Was, bitte? Keounda City? Sind sie wahnsinnig? Da wohnt das Böse, das absolut Böse!"
"Ja, sowas habe ich auch gehört. Aber anscheinend sind es ganz normale Herr der Fliegen-Irre, die sich mit getrockneten Körperteilen ihrer besiegten Feinde behängen. Ach, und sie sind nicht immun gegen Kugeln. Niklas und die Ranger kommen gut voran. Kein Wunder, so sauer wie die Ranger sind, nachdem ihre Landezone mit Napalm beschossen wurde."
"Mit Napalm? Wer hat das denn gemacht? Warum hat er das gemacht?"
"Das waren die Ndongoianer. Warum, keine Ahnung. Wahrscheinlich, weil es ihnen nützt. Aber kann es ihnen so sehr nützen, dass sie sich mit den USA anlegen?"
"Ah, eine Diplomatenfrage. Eventuell hoffen sie, sich mit Friendly Fire und Reparationszahlungen raus zu reden. Ist hier auf dem Land auch nicht anders."
"Gut, gut, aber warum haben sie ein zweites Mal angegriffen?", fragte Bernd.
"Was?"
"Der Angriff wurde vereitelt, weil die Amis ihre panadianischen Verbündeten gerufen haben, keine Sorge. Für uns geht es nur um den Bodenkrieg."
"Na immerhin", seufzte Heide. "Erwarten uns da Überraschungen?"
"Jede Menge. Unliebsame? Jede Menge. Gefährliche? Jede Menge. Aber wir hätten uns eh um Keounda City kümmern müssen. Früher oder später."
"Später wäre mir lieber gewesen. Ich hätte nämlich noch ein paar Tage gebraucht, um die Warlords im Norden und im Westen zu beschwichtigen, damit wir den Rücken frei haben. Dem einen laufen die Kindersoldaten weg, weil sie zu uns wollen, dem anderen die Menschen, die er beherrscht, weil sie ins Hospital wollen. Ich hätte noch eine Woche gebraucht, um mit ihnen einen Frieden und Reparationen auszuhandeln, damit wir auch die Dörfer in ihrem Herrschaftsgebiet anfliegen können, ohne uns Feinde zu machen."
"Aber wir fliegen doch jetzt schon jedes Dorf an, das uns ruft", begehrte Bernd auf.
"Und wir machen uns damit Feinde. Es geht schon das Gerücht um, das eine Rebelleneinheit auf unsere Ausrüstung und unsere Vorräte scharf ist und hier her kommt. Stell dir vor, sie würden jetzt angreifen. Jetzt, wo wir nicht einen Kampfhubschrauber vor Ort haben." Sie seufzte. "Und dann ist da noch meine diplomatische Arbeit auf der Ostseite des Flusses. Sie gestaltet sich schwierig, weil ich ohne Hubschrauber nicht hinkomme. Die dortigen Warlords betrachten den Lagabanda als natürliche Grenze zu uns, und sie wollen um keinen Preis, das wir rüber kommen. Hilfsgüter nehmen sie allerdings gerne."
"Ach, das alte Lied, verstehe. Sie nehmen, wollen aber nicht geben. Vor allem wollen sie ihre Macht nicht aufgeben. Oder teilen."

Bernd warf einen beiläufigen Blick auf sein Notebook, das noch immer das Satellitenbild zeigte. Deutlich waren dort zwei Panzer markiert. T-54, um genau zu sein. "Okay, ich glaube, es wird noch mal interessant."
"Was wird interessant?", fragte Heide interessiert.
"Unsere heidnischen, Gewehre und Panzerfäuste bedienenden Verrückten von Keounda City, die das Böse an sich darstellen, haben aus heiterem Himmel zwei russische Kampfpanzer aufgetrieben und können sie anscheinend auch bedienen."
Angst huschte über das Gesicht der Deutschafrikanerin. "Wird das gefährlich für die Jungs?"
"Sicher wird das gefährlich für die Jungs. Aber sie verstehen ihren Job. Sie sind immer für eine Überraschung gut."
"Da sind sie aber nicht die einzigen!", warnte Heide. "Als Diplomatin spreche ich da aus Erfahrung."
"Mal den Teufel besser nicht an die Wand", murmelte Bernd. Aber er konnte dieses "zu spät"-Gefühl irgendwie nicht ignorieren.
***
Es passierte, als über dem Ostteil der Stadt ein infernalisches Kreischen erklang, das wie eine misshandelte Sirene klang. Für die Angreifer, die versuchten, die Panzer und den Panzerspähwagen vor die Panzerfäuste zu bekommen, war es ein Ärgernis, aber keine Gefahr. Das war durchaus richtig, denn die Gefahr spielte sich nicht auf der Ostseite ab, sondern auf der Westseite.
Als das Kreischen erklang, klapperten auf breiter Strecke Gullydeckel, wurden zur Seite geschoben und machten den Weg frei für Bewaffnete, die aus der Kanalisation quollen, um sich flugs dem Westufer zuzuwenden. Nur einem Glücksfall war es zu verdanken, dass der Angriff durch die Ablenkung der feuernden T-54 und dem frech werdenden Spähwagen, der die Uferküste entlang fuhr und sein MG auf diese Flussseite rotzen ließ, nicht erst bemerkt wurde als es zu spät war. Augenscheinlich war es ein Planungsfehler. Einer der Männer hatte eine Panzerfaust, und mit dieser schoss er auf die Turmspitze des Minaretts der Moschee, um die Scharfschützen dort oben auszuschalten. Der Mann traf akkurat, und danach gab es keine Turmspitze mehr, und die Trümmer schlugen auf das Dach der Moschee, das erstaunlicherweise hielt. Das blieb nicht unbemerkt, und erstes wütendes Abwehrfeuer von den abgestellten Hubschraubern in zumindest zwei der Straßen vereitelte die Überraschung, aber nicht die Tatsache, das fast zweihundert Kämpfer in acht Straßen direkt im Rücken der Ranger standen und diese nun mit ihrem Kameraden von der anderen Flussseite in die Zange zu nehmen drohten. Die Hubschrauberpiloten warfen die Rotoren ihrer Maschinen an, aber es war abzusehen, dass sie zu spät kommen würden.
"Feinde im Rücken!", kam es über den Funk, und Scott, ganz der reaktionsschnelle Offizier, begriff sehr schnell, wie sich die Lage verändert hatte. "Verteidigung in beide Richtungen!", rief er über Funk, als schon die ersten Kugeln zu ihnen herüber spritzten, und einige der Unglücklichen trafen, die von den Straßen aus zu sehen waren.
"Ranger 1", klang da eine ruhige Frauenstimme über Funk auf, die Scott nicht kannte, "bestätigen Sie, dass alle Schwarzafrikaner ohne rotes Stirnband Ziele sind."
"Bestätige! Wer spricht da?"
"Die Kavallerie der Belongo Mining, Sir!"
Wie zur Bestätigung ihrer Worte zogen von Süden zwei Mi-24 heran, dazu ein Mi-8HD. Die vorderste Maschine flog mit feuerndem MG nach Norden, kreiste kurz über einer Querstraße und beschoss sie, knapp über den Dächern schwebend, zweihundert Meter vom Fluss entfernt, die anderen Hubschrauber rund zweihundert Meter nach Süden versetzt, und damit für die T-54 schwer zu beschießen. Natürlich versuchten sie es trotzdem. Aber die Hubschrauber wichen aus und setzten ihre blutige Arbeit fort. Das, was sie übrig ließen, fiel dem konzentrierten Feuer der Ranger und Speere zum Opfer.
"Donnerwetter", sagte Axel mit einer rauen Stimme, die er kaum als seine eigene erkannte, "das war wirklich mal die Kavallerie."
"Amen. Das war sie", erwiderte Scott, gefangen zwischen Unglaube und Freude. Sie mussten ja auch mal Glück haben in dieser Scheiß Situation.

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"Und? Was machen wir jetzt?", fragte Niklas ein wenig verblüfft. Sie hockten zu sechst beieinander, im Deckschatten des hoch stehenden Flussgrases neben der Hauptbrücke, die einmal Teil einer kontinentalen Verbindungsstrecke gewesen war, und diskutierten die aktuellen Ereignisse. Die Panzer und der Panzerwagen hatten sich zurückgezogen, und die Verrückten auf der anderen Flussseite hielten sich auffallend bedeckt. Ab und an bellte mal ein Schuss auf, aber der kam von den eigenen Snipern, nicht von denen.
"Was werden wir wohl machen?", fragte Axel widerstrebend. "Wir fliegen die Verletzten aus. Tun wir es nicht, wird uns Meike die Hölle heiß machen."
Jorge Androweit sah den Chef der Belongo Mining skeptisch an. "Bei unserer Flucht in die Moschee hast du noch Anweisung gegeben, jedem dieser Irren eine Kugel in den Kopf zu verpassen."
"Ja, weil wir die Situation nicht haben kontrollieren können. Jetzt aber beherrschen wir die Lage, und genügend Kabelbinder haben wir auch", erwiderte Axel.
"Ich bin mir nicht ganz sicher, ob wir diesen Spinnern damit einen Gefallen tun, wenn wir sie aus ihrer trauten Welt rausreißen", sagte Lieutenant Morelli skeptisch. "Und was machen wir anschließend mit ihnen? Es gibt keinen Knast in Belongo."
Scott strich sich übers Kinn. Eine blutverkrustete Schmarre zog sich dort entlang, und seither hatte der Captain der Army Ranger-Kompanie der Versuchung nicht widerstehen können, daran herumzupulen. "Fakt ist, dass Sie Recht haben, Axel. Wir kontrollieren die Situation. Nicht zuletzt, weil Ihre Kavallerie eingetroffen ist, um uns den Arsch zu retten."
Boxie grinste ins Rund. "Und das auf eigene Verantwortung und unter größtmöglichen Druck. Ich denke, besser hätten sich unsere Neuen nicht einführen können."
"Sicher nicht", sagte First Lieutenant Austin, der stellvertretende kommandierende Offizier der Ranger. "Also schaffen wir die Verletzten zu Ldungas Ranch?"
Niklas wollte etwas dazu sagen, aber die Ankunft von zwei Männern der Ranger unterbrach ihn.
"Sir, Sergeant Ryback hat uns geschickt. Sie meinte, Sie würden sich freuen, mich und Private Polonski zu sehen." Corporal Leod, der Scharfschütze vom Minarett, grinste die Männer an wie eine Honigkuchenpferd.
"Teufel auch, Corporal, ich habe gedacht, wenn ich Sie und Polonski lebend wiedersehe, dann nur mit gebrochenen Knochen! Wie haben Sie den Hinterhalt überlebt?"
Leod leckte sich über die Lippen. "Pflichtvergessenheit, Sir."
"Wie, Pflichtvergessenheit? Erklären Sie sich, Mann."
"Sir, als die Verrückten aus der Kanalisation gequollen kamen, um uns in den Rücken zu fallen, waren Polonski und ich gerade etwa in der Mitte des Turms, weil unsere Ablösung auf sich warten ließ. Als der Turm von der MANPAD getroffen wurde, wurden wir ordentlich mit Geröll zugeschüttet, aber das war nicht annähernd so schlimm, wie zwanzig Meter in die Tiefe zu stürzen." Er räusperte sich. "Sir, ich und Private Polonski bitten um eine harte und gerechte Bestrafung."
Fassungslos sah Scott die beiden Männer an. "Wissen Sie was, meine Herren? Sie beide gehören zu den diszipliniertesten Rangern unter meinem Kommando. Würde ich es Ihnen befehlen, Sie würden eine Woche am gleichen Platz verharren. Wenn Ihnen Kugeln und Granaten um die Ohren fliegen, verlässt Sie zwei nie die Ruhe. Wenn Sie ausgerechnet jetzt Ihre Aufgabe vernachlässigt haben und dadurch dem sicheren Tod entgangen sind, dann muss das göttliche Fügung sein. Und wer bin ich, dass ich dem Herrn in seinem Tun widerspreche? Fühlen Sie zwei sich getadelt, und seien Sie nächstes Mal wieder exakter als heute. Das wäre alles."
"Ja, Sir", sagte Leod. "Danke, Sir", meldete sich Polonski zu Wort. "Aber was machen wir jetzt eigentlich mit den Gefangenen?"
"Wir einigen uns darauf, die Verletzten auszufliegen, denke ich, damit es keinen Ärger mit der Chefärztin der Minengesellschaft gibt. Wir können später entscheiden, was danach mit ihnen geschehen soll", erwiderte Scott.
"Und die Gefangenen?"
"Private, ich habe mich doch gerade unmissverständlich ausgedrückt, oder?"
"Verzeihung, Sir, aber Sergeant Ryback hat uns auch geschickt, um Ihnen mitzuteilen, dass die Razzia in der Kanalisation siebzehn Gefangene ergeben hat", sagte Leod schnell. "Mensch, Polonski, lass doch nicht immer die Hälfte aus."
"Gefangene?", echote Axel.
"Ja. Sie haben sich ergeben. Augenscheinlich haben sie sich in kleinen Gruppen aufgeteilt da unten versteckt. Wir haben ihre Gewehre, und im Moment verhalten sie sich noch lammfromm."
"Ich glaube, jetzt wird es interessant." Axel betätigte die Funktaste. "Hannes, übergib deinen Posten und komm sofort zu uns."
"Habe verstanden. Ist was passiert?"
"Wir brauchen deine Sprachkenntnisse. Wir haben unverletzte Gefangene gemacht."
"Oh. Jetzt wird es interessant", erwiderte der Deutsche.
Axel sah ins Rund. "Wir machen es wie folgt. Ihre Sanitäter sollen die Verletzten sedieren, bevor sie fortgeschafft werden. Wie gehabt zuerst zu Meike, die sie vorsortiert, danach ins Lazarett. Wir geben jedem Transport zusätzliche Wachen mit. Ich schlage vor, dass Sie, Jason, mit Ihren Leuten das Flussufer halten und Niklas Sie mit seinen Leuten dabei unterstützt. Währenddessen werde ich mit Hannes unsere Gefangenen verhören. Vielleicht können sie uns nicht nur etwas über die Panzer verraten, sondern auch diesen ganzen Wahnsinn erklären."
"Einverstanden. Dick, Sie gehen mit."
Der First Lieutenant nickte. "Verstanden, Sir."
"Axel, wenn es weiterhin so ruhig bleibt, sollten wir die Moschee als Basislager benutzen. Die Decke hat dem Absturz des Minaretts ja standgehalten."
"Ich stimme dem zu, Jason. Und, wenn wir schon dabei sind, die Lage zu klären, wäre es vielleicht eine gute Idee, wenn Sie sich ebenfalls zu Doktor Herryhaus begeben, um Ihre Schussverletzung wenigstens ambulant behandeln zu lassen. Das Gleiche gilt für dich, Jorge. Mit dem nächsten Flug, der Platz hat, geht es für dich nach Hause."
"Ich habe absolut nichts dagegen", erwiderte der Pilot. "Ich fühle mich zwar nicht schlecht soweit, aber gegen ein weiches Bett habe ich im Moment gar nichts. Und nichts gegen dich und deine Erste Hilfe-Kenntnisse, Axel, oder gegen die Fähigkeiten von Private Oslovski, aber ich würde mich über die fürsorgliche Pflege unserer Ärzte im Lazarett eindeutig mehr freuen."
"Dann ist ja alles geklärt. Jason, Sie fliegen doch raus zu Meike?"
Der Captain brummte etwas Unverständliches. Als er Axels Blick erwiderte, sagte er lauter: "Sobald es die Kampflage erlaubt, werde ich eine Stippvisite bei ihr machen, versprochen."
"Gut. Trotz unserer Verwundeten haben wir genügend Leute hier, um die Stellung bequem zu halten, Panzer hin, Panzer her. Wir haben sechs Javelins ausgeteilt, die ständig schussbereit sind, falls die Tanks oder der freche BRDM-2 wieder auftauchen. Die drei gut positionierten Mörser werden ebenfalls ihren Teil tun. Wir können mit wenigen Leuten halten und den Rest zum Verschnaufen schicken. Die Westseite gehört praktisch uns. Das sollte einen kurzen Flug ohne weiteres ermöglichen, Jason", sagte Axel mahnend.
"Sie klingen schon wie mein First Sergeant, Axel", murrte der Captain. "Ich habe doch schon gesagt, wenn die Kampflage es erlaubt, werde ich rüber fliegen."
"Ich werde nicht zögern, Sie dran zu erinnern", erwiderte der Deutsche.
Mittlerweile hatte Hannes sie erreicht. Er hockte sich neben die Gruppe . "Von mir aus kann's losgehen."
"Okay. Corporal, wo sammelt Sergeant Ryback die Gefangenen?"
"Auf dem Platz vor der Moschee, Sir. Sie sind an Händen und Füßen mit Kabelbindern gebunden, sicherheitshalber."
"Stinken sie schlimm?", fragte Axel.
"Wie, schlimm? Wenn Sie damit andeuten wollen, dass..."
"Sie kommen aus der Kanalisation, richtig? Ich habe eher selten Menschen getroffen, die dort unten waren und nach Rosenblüten duften."
"Ach so. Nein, Sir, sie stinken nicht schlimm. Das Kanalsystem liegt schon seit einer kleinen Ewigkeit trocken. Kein fließendes Wasser, keine Kanalisation. Also auch keine gärenden Fäkalien, die zum Himmel stinken."
"Na, immerhin ein Lichtblick. Richard, Hannes, wir wollen dann."
"Ja, Sir", erwiderte der Ranger und erhob sich zusammen mit den beiden Deutschen.
"Eines noch, Axel", sagte Niklas. "Der Soldat aus meiner Gruppe, der erwischt wurde, ist tot."
Axels Miene verdüsterte sich. "Wer?"
"Lars Rupert von den Pionieren."
"Mist. Sieh zu, dass er mit einem der Flüge ins Lager gebracht wird. Danach schaffen wir ihn so schnell wir können aufs Honiton City Airfield. Thomas wird alles Weitere regeln."
"Axel, nur um auf Nummer sicher zu gehen: Du weißt, dass er das Risiko kannte?"
Der ältere Herwig-Bruder schnaubte wütend aus. "Du weißt, dass er hier nicht gestorben wäre, wenn ich nicht drauf bestanden hätte, über Keounda City abzustürzen?"
"Das ist Quatsch, Axel, einfach nur Quatsch."
"Mag sein, aber so denke ich gerade. Da freut man sich, dass es eine Woche gutgeht, und dann erwischt es den Ersten ausgerechnet beim Versuch, mich zu retten."
Axel machte eine beschwichtigende Handbewegung. "Im Anbetracht dessen, was den Army Rangern passiert ist, bin ich wohl gerade mehr als arrogant. Die sind nämlich auch gestorben, um mich zu retten."
"Und mich", warf Androweit ein. "Vergiss das bitte nicht. Auch wenn ich nicht halb so wichtig bin wie du, Axel."
Verdutzt starrte der Chef der Mine den Piloten an. "Gut, vielleicht hast du Recht, Jorge, aber sehr viel besser fühle ich mich dadurch nicht. Immerhin habe ich dir befohlen..."
"Und dann hast du mich von der Absturzstelle bis ins Minarett hochgeschleift und mir das Leben gerettet", erwiderte er trocken. "Fang jetzt bloß nicht an, einen Schuldkomplex zu basteln. Die Welt dreht sich nicht um dich allein."
"Da ist was dran", erwiderte er. "Und über kurz oder lang hätten wir wahrscheinlich sowieso hierher kommen müssen." Axel winkte seinen beiden Begleitern. Geduckt eilten sie auf die Hauptstraße zu. Doch die Vorsicht schien unnötig zu sein. Niemand schoss auf sie. Zumindest noch nicht.

"Du, Axel", sagte Hannes nachdenklich, "weißt du, was mir gerade durch den Kopf geht?"
"Was denn, Herr Hauptmann? Dass du direkt neben dem armen Lutz gestanden hast, und das es auch dich hätte treffen können, und das ich dankbar sein sollte, dass es anders gekommen ist?", fragte Axel barsch.
"Natürlich nicht", erwiderte Hannes heftig. "Das stimmt zwar alles soweit, aber das beschäftigt mich nicht."
Axel blieb stehen und starrte den KSK-Offizier sprachlos an. "D-du..."
"Ja, ich ging direkt neben ihm. Ein Streifschuss hat mich am Arm erwischt, als das Russending angefangen hat zu feuern. Ich hatte Glück, dass der Richtschütze die Ziele von rechts nach links aufgenommen hat, denke ich."
"Dann hat wohl wieder dein enormes Glück zugeschlagen", sagte Axel beeindruckt.
"Und es färbt nicht auf andere ab. Ich will aber gar kein Glück mehr haben. Mein Nervenkostüm ist nicht dazu geschaffen, dem Tod ständig von der Schippe zu springen." Er lachte nervös. "Was ich sagen wollte, ist was vollkommen anderes. Hast du die Toten mal gezählt? Ich meine jetzt nicht unsere, sondern ihre Toten."
"Nein, habe ich nicht. Und?"
"Das würde mich jetzt auch interessieren, schätze ich", sagte Austin.
"Es sind fast fünfhundert. Wir haben sie wirklich hart zusammengeschossen. Ich frage mich die ganze Zeit, wie viele Leute die da überhaupt noch haben können. Wieviele sind über die Brücke gegangen, Austin?"
Der Ranger dachte kurz nach. "Achtzig, vielleicht neunzig über die Autobrücke, die wir beobachtet haben. Dazu noch mal die Hälfte über die kleinere Brücke in Ihrem Bereich, Malicke."
"Halten Sie es für möglich, dass das und die Panzer ihr letztes Aufgebot sind?"
"Möglich ist alles. Wahrscheinlich ist, dass wir sie tatsächlich schwer erwischt haben. Aber ob wir nun die Hälfte, ein Drittel oder achtzig Prozent dieser Bastarde erwischt haben, wird sich noch zeigen."
Axel ging weiter. "Auf jeden Fall sollten wir den Gedanken im Hinterkopf behalten, wenn wir die Gefangenen befragen."

Mit Axel an der Spitze trat die Dreiergruppe auf den Vorplatz der Moschee. Die getöteten Verteidiger Keounda Citys waren dort fein säuberlich nebeneinander abgelegt worden. Sie bildeten sieben ordentliche Reihen mit jeweils fünfzig Toten, wobei die unterste Reihe noch nicht vollständig war. Speere und Army Ranger brachten weitere Tote.
"Wir sollten uns schnell was für sie überlegen", sagte Axel nachdenklich. "Bei den Temperaturen und der starken UV-Strahlung auf dem Belongo-Hochplateau wird der Verwesungsprozess sehr schnell einsetzen."
"Damit werden wir mindestens einen Tag warten müssen", sagte Austin. "Von der Abraham Lincoln werden Experten für eine forensische Aufnahme der Vorfälle eingeflogen. Der Träger kommt gerade um Südafrika herum. Seine Hubschrauber sind frühestens in zehn Stunden in Reichweite."
"Abe?", fragte Axel.
Austin lächelte schmallippig. "Die USS Abraham Lincoln, einer unserer atomgetriebenen Flugzeugträger. Sie kommt von einem Besuch in Indien zurück.
Eventuell hilft sie uns auch mit ein paar Marines aus. Ich hätte wirklich nichts gegen zwei bis drei Squads im Moment, solange sie sich nicht anmaßen, unsere Oberhoheit in Frage zu stellen."
Hannes grinste breit zu Axel herüber. Er kannte derlei Quengeleien zwischen Elitetruppen und regulären Einheiten. Die regulären Einheiten sagten: Wir machen unseren Dienst nicht schlechter als Ihr. Und die Elitetruppen sagten: Würdet Ihr euer Ding so gut durchziehen wie wir, wärt Ihr bei uns, oder?
Axel winkte leicht ab, um anzudeuten, dass sie das Thema nicht unnötig vertiefen sollten. Er deutete in Richtung Moschee, vor der die Gefangenen gefesselt an die Westwand gelehnt worden waren. Ryback winkte ihnen zu, als sie die drei Männer sah. Sie wollte salutieren, aber Austin winkte ab.
"Lassen Sie das, Sergeant. Wir haben wahrlich genug erlebt und müssen uns jetzt nicht an Formalitäten klammern. Was gibt es?"
"Eindundzwanzig Gefangene, Sir. Zwei von ihnen hatten sich in den Häusern versteckt und haben sich ergeben, als sie gemerkt haben, das wir die Gefangenen nicht sofort standrechtlich erschossen haben." Sie zögerte. "Es sind Männer zwischen zwölf und vierzig, wenn ich das richtig abschätzen kann."
"Haben Sie schon mit ihnen gesprochen?", fragte Axel.
"Einige von ihnen sprechen Französisch. Beziehungsweise sind bereit zu sprechen. Die anderen bleiben stumm. Ich war so frei, einigen von ihnen in den Mund zu sehen, aber die Zungen haben sie noch. Außerdem habe ich mir erlaubt, ihnen Wasser geben zu lassen. Von mir haben sie keines genommen, aber von den Männern. Merkwürdig, oder?"
"Genau deshalb sind wir hier. Um Merkwürdigkeiten zu klären." Austin ließ seinen Blick über die einundzwanzig Schwarzafrikaner schweifen. "Wenn ich diese Männer sehe, dann sehe ich fleißige Arbeiter, Landwirte, Rechtsanwälte, Architekten, Berufssoldaten, Handwerker, Kaufleute. Nicht einen Haufen durchgeknallter Irrer, die sich mit getrockneten Körperteilen schmücken. Was ist bei diesen Menschen schief gelaufen?"
"Sehr poetisch von Ihnen, Richard", sagte Axel und klopfte dem Amerikaner auf den breiten Rücken, "aber manchmal ist ein durchgeknallter Irrer einfach nur ein durchgeknallter Irrer. Vielleicht liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Wir sind hier, um das herauszufinden." Axel deutete auf die Gefangenen. "Hannes, dein Part."
Der Deutsche runzelte die Stirn. Er betrachtete die einundzwanzig Männer. Erneut wunderte er sich darüber, das keine Frauen unter ihnen waren. Ehrlich gesagt bereitete das seiner Phantasie Überstunden. Das reichte von Frauen, die zu Gebärmaschinen reduziert worden waren über eine Gesellschaft, die die Frauen keinen Gefahren aussetzen wollte bis hin zu einer rein homogenen Männergesellschaft, wie zum Beispiel früher beim Militär üblich. Okay, das war gelogen. Wie früher beim Militär gewünscht traf es besser.
Er sah sich die Männer genauer an. Ihre Augen waren nicht ängstlich, und sie musterten ihn mit aufgeweckten Augen.
Hannes griff beim Vordersten nach der Halskette. Sie bestand aus Fingern. Der Mann sagte etwas in einem Dialekt, den er nicht verstand, und neigte dann den Kopf, damit er ihm die Kette leichter vom Kopf ziehen konnte.
"Kann mir jemand dabei helfen herauszufinden, was er gerade gesagt hat?", fragte er auf Französisch.
"Er hat gesagt, Sie können die Kette behalten", sagte einer der Jüngeren. Auch auf Französisch.
"Ich will sie nicht behalten. Ich will sie nur ansehen. Sie ist ihm sicher einiges wert."
Der Junge griente und übersetzte.
Der Mann, dem die Kette aus Fingern gehörte, antwortete darauf, und seine Worte lösten große Unruhe unter den Männern aus. Dies ließ die Ranger reagieren, die Wache standen. Sie richteten ihre Gewehre auf die Gefangenen. Hannes hob die Rechte und machte eine beschwichtigende Geste, und die Ranger nahmen die Waffen wieder runter.
"Was hat er gesagt?", fragte er den Jungen.
"Er hat gesagt, Sie können sie behalten, wenn er dafür nach Hause gehen kann", übersetzte der Bursche.
"Nach Hause?", fragte Hannes. "Die Ostseite von Keounda City?"
Energisch schüttelte der Junge den Kopf. "Nein, nach Bafu, seinem Heimatdorf. Er hat es schon vier Jahre nicht gesehen. Viele von uns", sagte er und sah die Reihen von links nach rechts durch, "waren schon so lange und länger nicht Zuhause, weil der Riki es nicht wollte."
Die Männer zuckten zusammen, als das Wort Riki fiel.
"Wer ist das, dieser Riki?"
Einer der Männer wurde kreidebleich und übergab sich. Ein vielleicht Sechzehnjähriger schlug seinen Hinterkopf in gleichmäßigem Takt gegen die Mauer der Moschee und schien dabei zu beten. Drei oder vier von ihnen sprachen ein Gebet, das Hannes vom Rhythmus sehr an das Vater Unser erinnert.
"Sagen Sie den Namen nicht. Er erschrickt die Leute", bat der Junge. "Er ist unser Hohepriester, unser Herr, unser Gott, unser König. Er führt uns an, er entscheidet über Leben und Tod. Er sagt, wer in unsere Reihen kommen darf, und wer getötet wird. Er entscheidet auch, von wem Tikalak genommen werden."
Unschlüssig hielt Hannes die Kette mit den Fingern hoch. "Dies sind Tikalak?"
Der Junge nickte erneut. "Tikalak. Sie sind Belohnungen. Je wichtiger ein Körperteil, desto größer der Dienst, der dem König erwiesen wurde. Je mehr man davon hat, desto höher steht man in der Gesellschaft." Der Junge nickte an sich herunter. Er trug ebenfalls eine Halskette. An ihr waren Hautfetzen befestigt. "Mein Tikalak. Haut von denen, die ich töten half. Hätte ich sie allein getötet, hätte ich Finger bekommen, die Nase vielleicht, aber keine Ohren. Ohren sind ein starkes Tikalak. Am Wichtigsten ist der Penis. Nur die höchsten und wichtigsten Gefolgsleute tragen die Penisse der Toten um den Hals. Sie sind das mächtigste Tikalak."
Einige der Männer raunten bestätigend.
Hannes revidierte seine erste Meinung. Keiner dieser Männer war älter als dreißig. Vielleicht waren sie sogar noch jünger, aber Prügel, Psychoterror und andere Bestrafungen hatten sie schnell altern lassen.
Hannes ließ die Kette zu Boden fallen. "Keine Tikalak mehr."
Bei diesen Worten murmelten einige von ihnen durcheinander. Für die übrigen übersetzte der Junge. Auch sie begannen zu murmeln.
Der Mann, von dem die Fingerkette stammte, sprach erneut.
"Was sagt er?"
"Er will wissen, ob Sie den König besiegen werden. Ob Sie ihn töten können, damit er uns nicht mehr folgen kann."
"Ich habe schon viele Menschen getötet. Danach sind sie niemandem mehr gefolgt." Er griff in seine Uniforminnentasche und zog ein Päckchen Zigarillos hervor. "Raucht jemand?"
Sechs der Männer meldeten sich, weitere drei, nachdem sein Übersetzer seine Arbeit erledigt hatte. Hannes steckte jedem einen Zigarillo in den Mund und zündete ihn an. Genüsslich begannen die Männer zu rauchen. Einige von ihnen entspannten sich dabei so sehr, dass sie sich auf den Boden sinken ließen.
"Das ist sehr großzügig. Tabak gibt es nur selten vom König. Er ist seinen besten Kriegern vorbehalten. Oder jenen, die große Taten vollbringen. Die dürfen dann auch zu den Frauen."
"Hm." Hannes musterte seinen Übersetzer. "Magst du keine Zigaretten?"
"Nein. Ich rauche nicht, weil das Omonek darin gemischt sein könnte. Ich will nicht danach süchtig werden."
"Omonek?"
"Ein weißes Pulver. Der König teilt es vor der Schlacht aus für jene, die sich auszeichnen wollen, die ganz vorne gehen. Es macht sie stark und unbesiegbar. Wir haben viel Omonek verbraucht, seit die Hubschrauber so oft fliegen. Der König wollte unbedingt einen abschießen. Er wollte einen weißen Penis für sich."
"Drogen", sagte Axel auf Französisch. Damit mischte er sich das erste Mal in das Verhör ein.
Er hockte sich auf den Boden, griff in seine Jacke und zog ein Päckchen hervor. Es entpuppte sich als Schokolade von den Army Rangern. "Magst du das essen?"
"Was ist das?", fragte er misstrauisch.
Axel brach die Tafel auf und knickte sich ein Stück ab. "Süß", verkündete er. Das war natürlich gelogen, denn die Schokolade der Spezialstreitkräfte war so stark konzentriert, dass man nach einer Tafel drei Tage nicht mehr scheißen gehen konnte. Aber für einen Menschen wie den armen Burschen hier, der in einer Sekte, einer Drogenhölle gar seine Zeit verbracht hatte, war sie vielleicht süß genug. "Schokolade", fügte Axel an, als der Junge skeptisch blieb.
Das Wort schien wie ein Zauber zu sein. Alle Männer wurden aktiv, sogar jene, die bereits tiefenentspannt geraucht hatten.
Axel brach ein weiteres Stück ab und steckte es dem Übersetzer in den Mund. Der Junge aß das kleine Stück hastig. Dabei liefen ihm Tränen des Glücks über die Wangen. Von links und rechts redeten nun die Gefangenen auf ihn ein. Jeder wollte ein Stück Schokolade ergattern. Einer der Raucher war dabei so gierig, dass er das Zigarillo fallen ließ. Es kümmerte ihn nicht so sehr wie die Aussicht, Schokolade zu bekommen.
Geduldig brach Axel weitere Stücke ab und verabreichte sie den anderen Männern. Die Tafel war schnell alle, aber Austin ließ aus den Vorräten mehrere weitere Tafeln holen, mit denen Axel die Männer fütterte.
Axel sagte ernst: "Wisst Ihr was? Ich denke, Ihr dürft alle nach Hause gehen."
Diese Worte ließen die Männer erfreut aufraunen.
"Aber unser König muss dem zustimmen. Und ich denke, wenn Ihr uns alles erzählt, was Ihr erlebt habt, seit Ihr in Keounda City seid, dann wird das helfen, ihn gnädig zu stimmen."
Er erhob sich wieder. "Willst du anfangen?", fragte er den Jungen.
Der Bursche nickte, wenngleich eine gewisse Furcht in seinem Blick lag. Furcht, sich zu erinnern.
Axel wappnete sich vor dem, was er zu hören bekommen würde.
"Eins hätte ich vorher noch gerne gewusst", sagte Hannes. "Als Ihr euch in der Kanalisation versteckt habt... Warum habt Ihr das gemacht?"
"Weil wir gehofft haben, auf diese Weise frei zu werden, ist doch logisch", erwiderte der Junge verdutzt. "Keiner von uns wäre überhaupt noch in der Stadt, wenn er die Wahl gehabt hätte."
Nun hatte Axel erst Recht Bedenken vor dem, was ihm die Gefangenen erzählen würden. Nein, korrigierte er sich in Gedanken selbst: Die Deserteure.
***
Eine Stunde später kehrten die Männer nachdenklich und etwas bleich zu Scott zurück.
"Und? Was interessantes herausgefunden?", empfing sie der Captain der Ranger.
"Ja. Dass Sie trotz Waffenruhe noch immer nicht bei Doktor Herryhaus gewesen sind, Jason", sagte Axel. Ächzend setzte er sich neben den US-Offizier auf den Boden.
"Kaffee?", fragte Scott vorsichtig und deutete auf die über einem Esbit-Kocher köchelnde Instant-Mischung.
"Ich bin nicht sicher, ob ich heute noch was essen kann", seufzte Hannes und ließ sich ebenfalls zu Boden sinken.
"Ich für meinen Teil bin mir sehr sicher, dass ich heute nichts mehr essen werde", sagte Austin mit Grauen in der Stimme, als er sich setzte.
"So schlimm?"
"Jason, Sie haben keine Ahnung. Lassen Sie sich nachher von Jérome seine Leidensgeschichte erzählen, und Sie verstehen, was hier vor sich geht", sagte Axel. "Ich fasse das mal alles auf die Schnelle zusammen. Übrigens haben wir uns entschlossen, den Männern die Fußfesseln durchzuschneiden und die Hände nach vorne zu binden, damit sie selbst essen und trinken können."
Der Deutsche rieb sich mit beiden Händen über die Stirn und entblößte dabei den Ansatz zu Geheimratsecken. "Nennen wir sie Deserteure. Aber Opfer wäre wohl viel passender."
"Das ist zwar eine Zusammenfassung, aber eine etwas kurze", erwiderte Scott. "Was genau ist hier passiert? Was ist das da drüben? Wer regiert hier?"
"Oh, regieren ist schon das richtige Wort", kam es von Hannes. "Willst du, Axel?"
"Ja, ich übernehme das. Himmel, was würde ich jetzt für einen harten Klaren geben."
"Tut mir leid, Ranger haben nie Alkohol im Einsatz dabei. Nicht mal Alkohol zum desinfizieren."
"Schon klar. Moderne Desinfektionsmittel arbeiten ja auch effektiver", murmelte Axel.
"Eigentlich brennen wir alle Verwundungen aus", sagte der Captain trocken.
Entgeistert sahen die beiden Deutschen den Mann an, der aber nur lachte und eine abwehrende Handbewegung machte. "Nur ein Witz. Ich dachte, Ihr zwei könntet die Auflockerung gebrauchen."
"Also, als Ablenkung war es gut", sagte Hannes. "Aber es passt auch zur Erzählung des Jungen, den wir befragt haben."
"Ich glaube, ich fange besser mal an." Axel räusperte sich und machte eine allumfassende Handbewegung. "Zuerst einmal, alles hier, der kleine westliche Teil der ehemaligen Distrikthauptstadt Keounda Citys, und der weit größere Teil im Osten steht unter dem Kommando ihres Riki. Das ist so eine Art oberster Heerführer, König und Hohepriester in einem. Ihm unterstehen rund eintausend Leute, von denen er heute um die Hälfte eingebüßt haben dürfte. Neben den beiden Panzern und dem Panzerwagen hat er noch weitere Panzer, aber die sind defekt. Bei einigen funktionieren die Kanonen noch, also ist Vorsicht geboten. Dazu kommen ein paar Jeeps, und so ziemlich jedes Auto, das die ehemaligen Bewohner Keounda Citys zurückgelassen haben, als sie damals geflohen sind. Aber das nur am Rande. Das Wichtigste, was es in dieser Stadt gibt, ist wohl das Omonek. Ein weißes Pulver, das sie nehmen, um sich in einen Kampfrausch zu steigern. Den Symptomen nach handelt es sich wohl um LSD oder eine vergleichbare chemische Droge. Sie kriegen es von außen, genauso wie ihre Waffen." Axel seufzte. "Sie kriegen die Waffen von den Ndongoianern aus der Base de l'Air. Es gibt regelmäßige Kontakte zu ihnen, auf denen Waffen, Munition und technische Vorräte übergeben werden. Manchmal kriegen sie auch neue Rekruten oder Material für Tikalaks."
Austin ächzte, als dieses Wort fiel. Hannes verdrehte die Augen.
"Tikalaks sind diese Fetische, richtig?", riet Scott.
"Richtig. Sie töten die Menschen, schneiden ihnen die wichtigen Körperteile ab, trocknen sie und geben sie je nach Wert an die Untergebenen weiter, die sich bewiesen haben. Der geringste Tikalak ist ein Fetzen Leder aus Menschenhaut, der höchste ein Geschlechtsorgan. Dabei ist es egal, ob es ein Penis oder eine Klitoris ist." Axel schüttelte angewidert den Kopf. "Nur die wichtigsten und höchsten Krieger kriegen diese besonders begehrten Fetische. Siehst du also einen Penis mit vielen Penissen um den Hals, hast du einen hochrangigen Gefolgsmann des Riki vor dir. Nein, ich habe es bereits kontrollieren lassen. Viele der Toten tragen Finger, Ohren, Nasen und dergleichen, einige vereinzelt mal einen Penis. Aber keiner trägt mehrere."
"Das bedeutet dann wohl, dass der Riki und seine wichtigen Offiziere da drüben sind", sagte Scott. "Was uns zu einer wichtigen Frage bringt: Was tun sie hier?"
Axel zuckte die Schultern. "Leben."
"Wie, leben?"
Hannes grinste dünn. "Jetzt kommt der Geschichtsabriss."
"Richtig. Jason, was ich jetzt erzähle, ist nur die Zusammenfassung. Sie sollten unbedingt mit den Deserteuren reden, wenn Sie Zeit haben." Axel atmete langsam ein und musste husten. "Begonnen hat alles, als hier die Welt den Bach runterging. Als ganz Belongo ein wild um sich schießenden Tollhaus wurde. Keounda City als modernste Stadt im ganzen Umkreis war natürlich die bestgeschützte Stadt, und die Miliz behielt hier am längsten ihre Form, aber auch hier gab es Zerfallserscheinungen. Spätestens als Ndongo mit Luftangriffen begann und Teile von Ost-Keounda einäscherte, weil sie die Miliz als Teil des Aufstands identifiziert hatte. Die Stadt wurde schwer getroffen, und viele Menschen verließen sie aus Furcht vor den Bodentruppen, die Keounda City gefährlich nahe kamen. Danach brach hier natürlich jede Form der Ordnung zusammen. Ungefähr ein Jahr nach dem Beginn des Konflikts kam dann unser Riki hier vorbei, ein junger und gescheiterter Miliz-Offizier mit den Resten seines Kommandos. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, Keounda City zu retten, wie er es nannte, und er setzte sich mit seinen Leuten hier fest.
Als die Base de l'Air davon Wind bekam, bombardierten sie die Stadt erneut, aber sie konnten den Riki und seine Leute nicht vertreiben. Ein Bataillon, das den Auftrag bekam, die Stadt zu säubern, hatte bereits beim Anmarsch erhebliche Verluste durch weitere Reste der Miliz, den ersten entstehenden Privatarmeen der Warlords und Rebelleneinheiten. Als sie dann versuchten, sich in Keounda City festzusetzen, mussten sie feststellen, dass die Verteidiger das Gelände nicht nur sehr gut kannten, sondern es zu ihrem Vorteil verwenden konnten. Als sie halb aufgerieben waren, zogen sie sich wieder zurück.
Der Riki hatte gesiegt, aber er hatte viele Leute verloren. Die mussten ersetzt werden, deshalb rief er alle Männer in der Stadt zur Waffe. Außerdem schickte er Kommandos aus, die jeden Wehrfähigen im Umkreis der Stadt einfangen und herbringen sollte. Die Köpfe der toten Ndongoianer, soweit sie nicht mitgenommen hatten werden können, ließ er auf Spieße stecken und um die Stadt verteilen, die Körper in der Sonne verrotten, als Warnung an die anderen.
Natürlich sträubten sich die anderen Gruppen, Leute abzugeben oder selbst gezwungen zu werden, für den Riki zu kämpfen. Das erschwerte natürlich seine Anforderungen an die Stadtverteidigung. Aber es handelt sich beim Riki um einen gebildeten Offizier, der wusste, wie man unwillige Soldaten motiviert. Das MG war immer hinter ihnen platziert. Außerdem nutzte er ein eigenwilliges System von Belohnung und Bestrafung zur Motivation. Die Royal Navy aus der Zeit der napoleonischen Kriege hätte seine Freude an ihm gehabt. So brachte er seinen ersten Kader zur Räson. Die Ndongo'sche Armee versuchte es noch ein paarmal, scheiterte aber immer wieder. Was ihm diesmal tatsächlich einen gewissen Zulauf an Freiwilligen einbrachte.
Aber er marschierte nicht wie erhofft gegen die Base de l'Air, sondern beschränkte sich auf die Verteidigung Keounda Citys. Das gefiel vielen der Neuen nicht, und erneut hatte der Riki ein Disziplin-Problem. Er handelte harsch und mit Hilfe der Männer, die er sich gefügig gemacht hatte. Dutzende Männer starben einen grausamen Tod. Der Riki selbst schnitt ihnen Penis und Hoden ab und behielt sie als Trophäe.
Dies war ungefähr der Zeitpunkt, an dem er entdeckte, dass das Verhältnis von Männern zu Frauen doch recht unausgewogen war. Viele Frauen waren in den Konflikten und in der Stadt gestorben, während die Männer nicht in der Stadt gewesen waren, und der Riki hatte die Frauen seiner Leute, so sie denn noch lebten, meistens nicht mitgebracht. Also ersann er bei der Gelegenheit gleich eine neue Gesellschaftsform, basierend auf dem alten Gesellschaftsbild, nach der sein Stamm gelebt hat. Die Frauen verrichteten alle niederen Arbeiten, durften aber nur den Ranghöchsten zu Willen sein. Der Riki markierte diese Ranghöchsten mit den abgeschnittenen Genitalien. Also, hast du einen Penis um den Hals, darfst du den weiter unten benutzen. Ja, ich weiß, das war geschmacklos.
Jedenfalls geht es noch weiter. Der Riki begann mit seinen nunmehr gefügigen Truppen auch das Umland zu beherrschen und einen großen Bereich für sich zu beanspruchen. Das ging gut, bis er auf die ersten Grenzen stieß, die von den Warlords gezogen worden waren, die meistens von Gnaden der ndongoischen Armee ihren Teil Belongos beherrschten. Es gab einige Scharmützel, einige Überfälle. Hierbei erwarben sich seine Truppen einen grausigen Ruf, weil sie besiegten Gegnern - nicht unbedingt toten Gegnern - die Körperteile abschnitten, um sie als Schmuck zu tragen. Die Gegenangriffe waren natürlich besserer Wahnsinn in einem Gebiet, das die Verteidiger kannten und gut für sich zu nutzen wussten. Der Riki wurde mehr oder weniger zur größten Ratte im Bau, und das wusste er auch. Deshalb begann er von den Warlords Tribut für sein Wohlwollen zu fordern. Anfangs waren das Waffen, Munition und Nahrung. Später, als die Base de l'Air diesen Part übernommen hatte, waren es Menschen, die er forderte. Kindersoldaten, erwachsene Krieger, Frauen jeden Alters. Wer ihm nicht folgen wollte, wurde grausam gefoltert und getötet und diente als Quelle für weitere Tikalaks. Wer ihm folgte, musste sich auszeichnen, sich beweisen, sonst kam er niemals zu den Frauen und erhielt die schlechteren Teile der Nahrung.
Etwa zu diesem Zeitpunkt muss der damalige Général in der Base de l'Air de Belongo entdeckt haben, dass seine Interessen und die des Riki dieselben waren. Der Riki wollte seine Basis nicht mehr hergeben, und der Général wollte nicht, dass Ordnung in Belongo herrschte, geschweige denn freier Warenverkehr auf der alten Kontinentalstraße. Also näherte er sich den Riki vorsichtig an, mit ein paar Geschenken wie Gefangenen, die seine Leute gemacht hatten, einigen exotischeren Lebensmitteln, Munition, Waffen, alles in kleinen Dosen, um die Reaktionen seines Gegenübers abschätzen zu können. Siehe da, der Riki war verhandlungsbereit, und man vereinbarte, dass er bis ans Ende aller Tage über Keounda City herrschen sollte. Zu diesem Zweck wollte man ihn mit Waffen, Munition und Vorräten versorgen. Und mit der Herrschaft des Riki fiel die alte Distrikthauptstadt als Keimzelle einer neuen Ordnung in Belongo aus. Neben dem Interländerhandel, der so ausgeschaltet worden war - und mit ihm der Reichtum Belongos - fiel auch das Symbol des Bezirks. Und der Mann, der bewiesen hatte, dass man die ndongoische Armee abwehren konnte und ihre Luftangriffe nicht zu fürchten brauchte, machte es sich in seinem Nest bequem. Zusätzlich erhielt der Riki, um seine Leute besser kontrollieren zu können, das Omonek. Er machte sie süchtig und kontrollierte die Abgabe der Droge. Nun, nicht alle, aber eine bestimmte Schicht von Kriegern, die sich bewiesen hatten und sich weiter beweisen wollten. Also mindestens die, die Ohren oder Nasen um den Hals tragen. Ob er selbst süchtig ist weiß ich nicht. Wundern würde es mich nicht. Tja, und das ist der Status Quo in Keounda City. Wir sind wahrscheinlich die Ersten, die ihm richtig in den Arsch getreten haben, seit er die ndongoischen Einheiten aufgerieben hat, die ihn attackiert haben. Und jetzt gehört uns eine Seite der Stadt. Was ungefähr ein Drittel ausmacht von dem, was von der Stadt noch steht." Axel hielt dem Captain die Hand hin. "Jetzt hätte ich gerne einen Kaffee."
Scott nickte und schenkte einen Kochgeschirrdeckel mit Kaffee halbvoll. "Das ist also das ganze Geheimnis? Ndongo will nicht, dass wieder Ordnung in Belongo einzieht, weil das ihre Stellung und den Ölabbau gefährdet? Und dafür destabilisieren sie vor allem die Hauptstadt, die zufällig auf einer wichtigen Handelsroute erbaut worden ist?"
Hannes nickte. "Ja, das passt. Aber ein wichtiger Punkt kommt noch hinzu, von dem wir bisher nichts wussten. Wir..."
Hannes wurde unterbrochen, als ein lautes Signalhorn erklang. Das Geräusch erklang vom Fluss nördlich von ihnen.
Der KSK-Offizier grinste. "Da ist ja der wichtige Punkt schon."
***
Als die Offiziere die Strecke bis zum Besitzer des Horns bewältigt hatten, erwartete sie ein Flussboot, vielleicht dreißig Meter lang und gut beladen. Es waren Bewaffnete an Deck, die sich hinter provisorischen Barrikaden verschanzt hatten, die allerdings den Eindruck machten, des Öfteren aufgebaut worden zu sein. Der Kapitän verhandelte gerade lautstark mit Morelli und wies dabei immer wieder auf die Ostseite.
"Was gibt es hier, Mr. Morelli?"
Der Lieutenant deutete auf den großen Mann neben sich. "Sir, dies ist Mr. Akibo mit seiner Mannschaft und seinem Schiff Lugaba. Er ist ein Bridge-Breaker, wie er selbst sagt."
"Ein Bridge-Breaker?"
"Ja, Sir. Er hat gehört, das wir das rechte Ufer des Lagabandas erobert haben und bittet uns um Feuerschutz, wenn er die Blockade durchbricht. Normalerweise tut er dies nur bei Nacht, und nur zu bestimmten Zeiten in mondlosen Nächten. Aber mit unserer Unterstützung verspricht er sich, einen halben Tag zu sparen."
"Noch mal langsam und ganz von vorne, Morelli. Was?"
Der Lieutenant grinste. "Es gibt einen gewissen Warenhandel auf dem Fluss. Er wird allerdings von Keounda City und dem Bösen hier behindert. Die Diener des Bösen bringen die Schiffe auf, die hier zu passieren versuchen, und wenn sie es schaffen, ist es das Ende aller Menschen an Bord. Deshalb versuchen die Flussschiffer besonders trickreich, hier durch zu kommen und Keounda City so schnell wie möglich hinter sich zu lassen. Mr. Akibo sagt, er hätte die Stadt schon über fünfzig Mal passiert. Dies sei die schnellste Passage zum Elisabeth-See und verspricht großen Profit. Groß genug, um hier freiwillig vorbei zu fahren. Aber nur die Besten schaffen es. Viele waghalsige oder amateurhafte Kapitäne scheitern hier."
"Aha. Und er will uns anwerben, damit wir ihm Feuerunterstützung geben?", fragte Scott.
"Ja, Sir. Er befürchtet, wenn er am hellichten Tag die Brücken passiert, könnten die Diener des Bösen versuchen, auf die Brücken zu kommen und an Bord zu springen. Mit ein paar von ihnen werden seine Leute fertig, aber nicht mit Dutzenden."
Scott grinste hämisch. "Sagen Sie ihm, er kriegt seinen Feuerschutz. Und nein, er muss uns nichts bezahlen. Aber vielleicht fordern wir in naher Zukunft einen Gefallen von ihm ein."
Morelli nickte und begann dem Kapitän das Ergebnis auf Französisch mitzuteilen.
Der Mann wirkte hocherfreut, ging auf den Captain zu, und schüttelte ihm die Hand.
Scott erwiderte den Händedruck mit einem Lächeln.
"Sagen Sie Mr. Akibo, es würde uns freuen, wenn die Diener des Bösen auf die Brücken kommen würden. Er soll in zehn Minuten ablegen. Wir sorgen für seinen Feuerschutz."
Erneut drückte der Schwarze die Hand des Rangers. Er bedankte sich überschwenglich und beeilte sich, an Bord zu kommen.

Scott betätigte sein Funkgerät. "An alle von Ranger eins. Bereitmachen für Feuerschutz des Flussboots. Javelins klarmachen für Beschuss auf Panzer und Panzerwagen. Die Brücken werden besonders überwacht. Jeder Gegner, der sie betritt, ist zur Bekämpfung freigegeben. Wenn das Flussboot unbeschadet durchkommt, und das am hellichten Tag-", er sah nach oben und suchte die Sonne, "- ich meine in den letzten dreißig Minuten Sonnenschein, dann haben wir das Böse in dieser Stadt heute schon zweimal gedemütigt. Ranger eins aus."
Aus dem Funkgerät erklang mehrfaches Knacken, das entstand, wenn die Sende-Taste gedrückt wurde, aber niemand sprach. Die Army Ranger bestätigten die Befehle ihres vorgesetzten Offiziers.
"Jetzt wollen wir doch mal sehen, wer hier das Sagen hat: Der Riki, oder die US Army", erklärte Scott grimmig.
Axel war bei dem Gesicht, das Scott machte, froh, dass er bisher auf der guten Seite des Offiziers stand. Er musste ein furchtbarer Gegner sein.

Zehn Minuten später stieß das Boot wieder vom Ufer ab und nahm schnell Fahrt auf. Es hielt sich dabei möglichst eng am Westufer auf, das Sicherheit versprach. Noch bevor es zwanzig Meter in Richtung der Brücken gelaufen war, feuerte der erste Scharfschütze. Es blieb nicht dabei. Auf breiter Front eröffnete die Kompanie das Feuer. Ungeachtet der Gefahr liefen einige ihrer Gegner auf beide Brücken, zweifellos, um in die Position zu kommen, um auf das Schiff springen zu können. Die wütenden, von den Verlusten getriebenen Ranger ließen ihren Gegnern nicht wirklich eine Chance. Die ersten Diener des Riki, die über die Bodenwelle der Autobrücke stürmten, wurden von einem MG niedergemäht. Omonek hin oder her, das überlebte niemand.
Als einer der T-54 vorwitzig seine Nase aus dem Häusermeer steckte, um das Flussboot zu beschießen, zischte eine Javelin zu ihm herüber, während der zweite Mi-24D ebenfalls mit Dartraketen auf das gleiche Ziel schoss. Beides traf, und der Panzer wurde zerstört. Die Darts überzogen die Russenmaschine mit einem Dutzend Explosionen; die Javelin durchdrang die Panzerung und detonierte im Innern. Der Gefechtskopf und die eingelagerte Munition verursachten bei ihrer Detonation eine solche Wucht, dass die Luken des Panzers aufgesprengt wurden und das Chassis selbst fast einen halben Meter von der Straße abhob, als die Bodenluke der Wanne nachgab.
Dann war der Spuk vorbei, und das Ergebnis war eine Menge verschossene Munition, ein abgeschossener T-54 und noch mehr tote Diener des Riki.
"So", sagte Captain Scott gutgelaunt, während er der Lugaba dabei zusah, wie sie die kleine Brücke passierte und unangefochten stromabwärts fuhr, "jetzt habe ich wirklich gute Laune. Dick, die Kompanie gehört Ihnen. Ich fliege zu Doktor Herryhaus raus und lasse mich behandeln."
Austin grinste. "Ja, Sir. Verlassen Sie sich auf mich, dass ich die Bande nicht über den Fluss lassen werde."
"Es reicht mir schon, wenn Sie nicht über den Fluss gehen, Dick", erwiderte Scott säuerlich. "Axel, begleiten Sie mich? Sie sind der einzige, der weiß, wie man mich stützen muss."
"Okay." Er griff zu seinem Funkgerät. "Niklas? Ich begleite Scott zurück zu Ldunga."
"Zurück zu Meike wolltest du doch sagen", erwiderte sein Bruder. Etwas an seinem Tonfall irritierte Axel, aber er konnte es nicht definieren.
"Ja, zurück zu Meike. Unser guter Captain will sich endlich behandeln lassen. Ich schicke dir Hannes zurück. Halt die Stellung, und versuche nicht, über den Fluss zu gehen."
"Noch nicht?", fragte Niklas hoffnungsvoll.
"Meinetwegen noch nicht", erwiderte Axel. "Ende und aus."
Gemeinsam mit Scott ging er in Richtung der Lichtung, die ihnen als Feldflughafen diente. Im Moment stand dort ein Black Hawk. Ihr Ticket raus aus der Scheiße. Obwohl Axel genau wusste, dass er sehr bald hierher zurückkehren würde. Und Scott sowieso. Mist. So waren sie halt.

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13.
Vice Admiral Cedric Philips sah auf seine Taschenuhr. Er verfolgte den Sekundenzeiger, während er zur Zwölf unterwegs war. "Achtzehn Uhr drei. Sonnenuntergang in Keounda City", sagte er mit ernster Stimme. Er sah auf und überblickte sein Flaggbüro an Bord des atomgetriebenen Flugzeugträgers Abraham Lincoln. Vor ihm standen seine in dieser Situation wichtigsten Untergebenen: Captain Nicole Helmstad, die Kapitänin der Abraham Lincoln; Captain Rudy Hawkeye Tomlin, Chef des 17. Carrier Air Wings Deadly Sparrows, dem Bordgeschwader der Abe; Commander Rebecca Dentry, die Airboss des Trägers; Major Aaron Michael, den Anführer der Marines an Bord; und natürlich Rear Admiral Denise Forrester-Garcia, seine Stabschefin.
Die altgediente Frau sprach als Erste. "Dunkelheit ist kein Problem für die Army Ranger, Cedric."
"Außerdem haben sie Nachtsichtgeräte. Und soweit ich weiß, sind die Deutschen von der Mine auch mit Nachtsichtgeräten ausgerüstet, Sir", meldete sich Major Michael zu Wort.
"Dass ich das noch mal erleben darf. Ein Marine lobt die Ausrüstung der Army", spottete Rudy Tomlin und hatte damit die Lacher auf seiner Seite.
Philips lächelte schmallippig, bis wieder Ruhe eingekehrt war. "Unsere Aufgabe ist klar, Herrschaften. Die US Army hat sich in Keounda City festgekrallt, und diese Krallen werden nicht mehr loslassen, bis nicht der letzte Knopf, bis nicht der letzte Knochen eines US Army Rangers gefunden ist. Der Präsident hat sehr eindeutige Anweisungen dazu erlassen: Die Untersuchungen sind mit allen Kräften zu schützen, egal wie lange sie dauern. Bis wir alles wissen, was wir von diesem Kampfplatz erfahren können. In der vergangenen Stunde sind General Shatterfield und ein achtköpfiger Untersuchungsausschuß in Washington D.C. gestartet. Sie werden in rund zwanzig Stunden in Panadia landen. Sie bringen eine weitere Kompanie Ranger mit leichtem Gerät sowie eine Abteilung des CID mit."
Commander Dentry hob misstrauisch eine Augenbraue. "Es werden doch wohl keine Ermittlungen gegen Captain Scott geführt werden, Admiral?"
"Junge Dame, natürlich werden Ermittlungen gegen Scott geführt. Er hatte das Kommando, als sich Ndongo genötigt sah, auf zwei seiner Hubschrauber und auf eines seiner Platoons Napaln regnen zu lassen. Es ist der schnellste Weg, um seinen Namen reinzuwaschen, wenn er sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Unsere Aufgabe ist es, General Shatterfield und seine Leute sowie die Ranger ins Zielgebiet zu bringen. Bis dahin aber will ich Ihre Marines in Belongo sehen, Aaron. Zwei Platoons."
Der große Schwarze nickte. "Wir bringen das Erste und das Zweite samt Ausrüstung mit drei Ospreys zuerst zum Honiton Air Field zum nachtanken, und von dort direkt nach Keounda City. Dabei erhalten wir Begleitschutz von der Belongo Mining in Form von zwei ihrer Mi-24."
Der Admiral nickte zufrieden. "Ein Glück, dass ausgerechnet dort eine Mine existiert. Und ein Glück, dass der Wachschutz dieser Mine so überaus gut bewaffnet ist."
"Diese Ironie ist mir auch schon aufgefallen, spätestens nachdem ZNN von der spektakulären Befreiungsaktion der Ärzte ohne Angst berichtet hat. Aber so wie es scheint, hat der ndongoische Minister für Bergbau ihnen nicht nur das Minengelände verpachtet, sondern ihnen eingeschärft, dass die Minengesellschaft für den Schutz ihrer Leute selbst verantwortlich ist. Und weder in Panadia, noch in Ndongo ist der Besitz von Kriegswaffen oder Kriegsgerät wirklich strafbar, Cedric." Die Stabschefin räusperte sich vernehmlich. "Ich habe es sicherheitshalber verifiziert. Die ndongoische Verfassung erlaubt tatsächlich Kriegswaffen in Privatbesitz."
"Wie praktisch für die Belongo Mining. Aber damit ist das Thema noch nicht beendet. Wenn es meine Zeit erlaubt, werde ich selbst rüberfliegen und mir ein Bild von der Lage machen. Sicher, die internationale Meinung hofiert die Herwig-Brüder für ihr Engagement und ihren Weitblick, und statt sich zu wundern was ihre Offiziere in dem fremden Land treiben, will die Bundeswehr wegen der gelungenen Kommandoaktion mit Orden um sich werfen. Aber ich wüsste schon gern, wer die Leute sind, für die anständige US-Soldaten sterben mussten. Aber das wird warten müssen, weil unser Maßnahmenkatalog damit noch nicht abgegolten ist. Aaron, Sie werden einen weiteren Osprey fertig machen und persönlich mit dem Dritten rausgehen."
"Sir, das dünnt unsere Personaldecke auf der Abe erheblich aus. Nicht, das ich glaube, dass wir Enterabwehr betreiben müssten, oder dass wir besondere polizeiliche Präsenz bei dieser hervorragenden, disziplinierten Mannschaft betreiben müssten. Aber ich würde meine Pflichten nur ungern teilweise vernachlässigen, wenn es um ausländische Interessen und ausländische Firmen geht."
"Dann wird es Sie freuen zu hören, was ich mit Ihnen vorhabe", sagte Philips. "Sie werden nach Ompala fliegen und das dortige US-Konsulat verstärken. Der Osprey wird auf dem Gelände verbleiben, falls die Evakuierung des Botschafters und seines Stabes notwendig sein sollte. Dies wird allerdings nur geschehen, wenn ein direkter Angriff zu befürchten ist."
"Sie würden nicht ein Platoon meiner Marines rüberschicken, wenn der Verdacht nicht bestehen würde, Sir." Michael sah ernst drein. "Befürchten die da oben weiteres Friendly Fire?"
"So in etwa. Wir haben den klaren Auftrag, die ganze Affäre aufzuklären. Zu diesem Zweck wird die Kampfgruppe vor der ndongoischen Küste kreuzen und Sie und die Einheiten in Keounda City mit dem Bordgeschwader unterstützen."
Captain Tomlin tippte sich mit Zeige-, und Mittelfinger der Rechten an die Stirn. "Wird mir und meinen Jungs und Mädels eine Freude sein, Sir."
"Gut zu wissen, Rudy. Damit das klar ist", sagte Philip, "es werden in Ndongo Köpfe rollen, und das nicht von Subalternen. Wenn wir Hinweise auf ein Kriegsverbrechen erhalten, werden wir im Namen unser toten Kameraden alles daransetzen, um die Drahtzieher in die Hände zu bekommen und vor ein ordentliches US-Gericht zu stellen. Dies schließt auch eine kriegerische Option ein."
"Sie meinen, Sir, dass wir Ndongo nötigenfalls den Krieg erklären werden?", fragte Captain Helmstad verblüfft. "Ist das nicht vollkommen übertrieben?"
"Sie meinen so übertrieben wie es war, dass die ndongoische Luftwaffe unsere Leute mit Napalm geröstet hat?", erwiderte der Admiral mit ärgerlicher Stimme. "Haben Sie keine Sorge, die Luftwaffe Ndongos ist bereits erheblich geschwächt. Es wird für unseren CAG keine Schwierigkeiten bedeuten, die Lufthoheit zu erringen und zu halten. Ein Eingreifen der Gemeinschaft Afrikanischer Staaten ist kurzfristig nicht zu erwarten, also werden wir, notfalls unterstützt von unseren panadianischen Verbündeten, die Lufthoheit eine lange Zeit behalten können."
"Sir", wandte Helmstad ein, "wird Ndongo die Sache nicht vor die Vereinten Nationen tragen?"
"Erstens ist das Politik, und das ist nicht unsere Aufgabe. Zweitens ist New York weit weg von hier. Und drittens sind wir im Recht, weil wir beweisen können, dass die Kampfjets ndongoische Maschinen waren. Viertens belegen die Satellitenaufnahmen sehr genau, dass die Jets die Landezone der Ranger anvisiert haben. Ihre Flugmuster sind eindeutig. Das dürfte ihrer Beschwerde ganz schön den Wind aus den Segeln nehmen. Und fünftens verlasse ich das Küstengewässer Ndongos erst dann, wenn Sie mir das schuldige Arschloch und seine Komplizen in Ketten in die Brig werfen, um es mal blumig auszudrücken."
"In die Brig. Aye, Sir", sagte Michael schmunzelnd.
"Eine Frage noch", sagte Commander Dentry. "Politik ist vielleicht hier nicht unsere Aufgabe. Und es dürfte feststehen, dass da in der Befehlsstruktur irgendjemand durchgeknallt ist, um aus unserer Rettungsoperation ein Schlachtfest zu machen. Die Schuld der ndongoischen Luftwaffe steht dabei auch fest. Wir sollten den Luftraum problemlos beherrschen, und das Wenige, was Ndongo unseres Wissen an SAM und Luftabwehr hat, stellt uns auch nicht vor Probleme. Aber zwei Dinge geben mir doch zu denken, Sir."
"Und diese wären?", fragte der Vice Admiral interessiert.
"Nun, Ndongo ist reich an Rohstoffen und Agrarflächen. Selbst in Belongo, das als unsicher und zerrüttet gilt, wird Erdöl gefördert und raffiniert. Und seit neuestem werden auch Diamanten abgebaut."
Leises Gelächter kommentierte ihre Worte, was Rebecca Dentry selbst kurz schmunzeln ließ. "Aber dennoch sind weder die Chinesen, noch die Russen vor Ort. Bei den Russen kann ich es verstehen. Sie haben selbst genügend Rohstoffe, und politisch haben sie in einem Bürgerkriegsland nichts zu gewinnen. Aber die Chinesen, Sir? Das gibt mir zu denken."
"Die Antwort liegt doch wohl auf der Hand, Commander", sagte der Admiral mit ernster Miene. "Wenn weder die Russen noch die Chinesen hier aktiv sind, in einer ehemaligen belgischen Kolonie, in der selbst in einer Unruheregion Erdöl gefördert, raffiniert und per Pipeline an die Küste gepumpt wird, was ist hier dann wohl los?"
"Nun, Sir, ich vermute messerscharf, dass wir dann hier vor Ort sind und das Sagen haben." Sie schnaubte kurz. "Und mit wir meine ich westliche Firmen, die die Regierung schmieren und die Rohstoffe für Almosen aufkaufen."
"Und das macht Ihnen Sorgen?", hakte der Admiral nach.
"Nun, Sir, es kann doch durchaus sein, dass wir mit dieser Aktion dem einen oder anderen Großkonzern die Bilanz versauen."
"Und wenn das so ist, Commander? Wenn wir Roxxon und Konsorten auf die Füße treten und ihnen ihre Milliarden-Auslandsgewinne verderben?"
"Nun, Admiral, mich persönlich würde das mehr als freuen. Ich bin keine Sozialistin, aber dem Turbokapitalismus auf Kosten der Dritten Welt kann ich auch nichts abgewinnen."
Der Admiral klopfte nachdenklich mit den Fingern der Rechten auf seiner Schreibtischplatte einen schnellen Stakkato. "Darum geht es aber nicht. Wie ich schon sagte, unsere Aktion ist in erster Linie militärisch. US-Soldaten mussten sterben, und wir wollen sie nach Hause bringen und wissen, wieso. Und wir wollen die Schuldigen vor unser Gericht stellen. Nicht irgendwelche Opferlämmer, sondern die ganz oben. Und wenn es der Staatspräsident ist, das ist mir egal! Selbst wenn ich dafür eine amphibische Division anfordern und dieses Land erobern muss!"
"Alles klar. Wir machen in keinster Weise Politik", spottete Tomlin.
"Richtig. Wir handeln nur gemäß der Weisungen des Präsidenten." Philip lächelte grimmig. "Commander Dentry, arbeiten Sie einen neuen Flightplan aus, um notfalls ein Flugverbot über Ndongo durchzusetzen." "Ja, Sir."
"Rudy, briefen Sie Ihre Kids darauf, notfalls die ndongoische Luftwaffe in der Luft und am Boden zu zerstören und die Luftabwehr des Landes auszulöschen." "Bin schon dabei, Admiral."
"Denise, ich möchte sowohl für die Einsätze in Keounda City als auch in Ompala City komplette Wege fürs rein und raus." "Liegen in einer Stunde auf deinem Schreibtisch, Cedric."
"Nicole, suchen Sie uns einen gemütlichen Platz vor der Ndongo-Küste knapp außerhalb ihrer Gewässer, so nahe an Ompala dran, wie es geht, aber möglichst weit weg von den Inseln vor der Küste. Ich möchte nicht anfällig für Artillerie oder Schnellbootattacken werden." "Ja, Sir."
"Und Aaron..." "Sir?" "Sie haben den schwersten Teil der Operation. Sehen Sie zu, dass die Ranger nicht besser aussehen werden als die Marines."
Der Major grinste. "Werde mich bemühen, Sir."
"Also dann, weggetreten."
Die Offiziere salutierten und verließen in hektischer Betriebsamkeit das Flaggbüro.
Vice Admiral Cedric Philip sah für einen Moment blicklos ins Leere. Er versuchte sich klarzumachen, was der Präsident mit dieser Entscheidung bezweckte. Beinahe schien es Philip, er wolle tatsächlich einen Krieg führen. Nur gegen wen? Gegen das schwache Ndongo doch eher nicht.
"Ab hier wird es interessanter", stellte der Admiral fest. "Es wird mir ein Vergnügen sein, Ihre Befehle auszuführen, Mr. President."
***
Es war ziemlich genau fünf Stunden her, seitdem das Napalm auf ein Platoon der Army Ranger gefallen war; das bedeutete für Washington D.C. zwei Uhr P.M. Ortszeit, eigentlich Zeit für eine anständige Mittagspause. Dazu war Präsident Salem Etranger heute aber nicht gekommen. Die Belongo-Krise hatte ihm nur Zeit für ein zugegeben hervorragend gemachtes Truthahnsandwich an seinem Schreibtisch gelassen, während die Affäre immer weitere Kreise zog. Schon hatte die erste undichte Stelle vage Informationen über den Vorfall an die Presse weitergegeben, sodass ZNN als eine der ersten Quellen verkündete, dass es wahrscheinlich einen kriegerischen Akt gegen die USA in Zentralafrika gegeben hätte. Noch konnte Cynthia Maybright, die Sprecherin des Pentagons, entsprechende Fragen mit kein Kommentar abwiegeln, aber in einer Demokratie, selbst einer so wackligen wie der ihren, war das nur so lange möglich, bis echte Fakten über den Vorfall durch die Presse gegangen war. Und der Präsident hatte keine Zweifel, dass die Morgenausgabe der Washington Post und der ehrwürdigen Grey Lady, der New York Times, in der Morgenausgabe mit einigen Details zum Geschehen aufwarten würden, wahren wie spekulativen. Aber auf jeden Fall würden die meisten berichtenden Zeitungen den Handlungsort eindeutig identifizieren: Belongo.
Im Moment hatte sein Stabschef alle anderen Termine abgesagt; neben General Landsdale entwickelten sich der Secretary of War, Staatsminister Willem van Fitz sowie der CNO, der Chief of Naval Operations, Admiral Jonas Blueberry, zu den Stammgästen seiner Kaffeepad-Maschine im Büro. Collien Holmes, SECNAV, der Secretary of the Navy, würde auch bald per Sonderflug aus Austin eintreffen.
Hinzu kamen seine engsten Berater, weitere Vertreter des Pentagons und die Außenministerin Maggie Hernandez. Was dazu führte, dass normaler Kaffee per Büro-Bypass ins Büro des Präsidenten geleitet werden musste, um den Bedarf an Koffein annähernd zu decken.
"Was also tun wir jetzt?", fragte Hernandez. "Erklären wir Ndongo den Krieg?"
Ihre Worte ließen die Männer und Frauen aufraunen. Einige zustimmend, andere ablehnend. Sie reagierte nicht darauf und fixierte weiterhin den Mann, den sie mit unendlicher Energie durch den Wahlkampf gegen seine Herausforderer getrieben hatte, von dem sie sich so viel versprach.
Der Präsident sah sie nachdenklich an. "Willem, würden Sie bitte noch einmal alles zusammenfassen, was wir bisher wissen?"
"Gerne, Mr. President. Vorgestern Nacht gelang es einer privaten Werksschutzeinheit, der aktive und ehemalige Soldaten der Bundeswehr, der US Army, der französischen Armee und weiteren Nationalarmeen angehören, die Ärzte ohne Angst zu befreien, die im Nachbarbezirk Belongos, Burutu, von Rebellen entführt worden waren, um Lösegeld zu fordern. Die Entführer gingen dabei mit äußerster Brutalität vor. Nach unseren Informationen zu brutal, denn als sie von den Deutschen dezimiert worden waren, wurden die Überlebenden von den Dorfbewohnern des Dorfes, in dem sie sich eingeigelt hatten, gelyncht. Diese Werksschutzeinheit, die mit deutschem und russischem Gerät ausgerüstet ist, gehört zur First Belongo Diamond Mining Company. Diese hat eine beeindruckende Leistung vollbracht. In nur einer Woche gelang es ihr nicht nur, tatsächlich eine Diamantenmine zu finden und erste Funde zu vermarkten, sie zog auch ein funktionierendes Feldlazarett für die Bevölkerung auf, das Kranke aus ganz Belongo anzieht. Ruhig, Maggie, ich erwähne das nur, damit Sie verstehen, mit wem wir es zu tun haben. Tatsächlich hat die Belongo Mining zwei sogenannte Minenwölfe angeschafft, die derzeit in der Region um die Mine an der Entminung von Feldern und Wiesen von Personenminen arbeiten. Mittelfristig will Belongo Mining ganz Belongo entminen, Straßen bauen, einen Flugplatz einrichten, Schulen bauen und fördern. Also alles tun, um in der Weltpresse als die Guten dazustehen. Nach meinen Informationen tut Belongo Mining das nicht aus Berechnung, sondern weil dies wirklich ihre Ziele sind. Zu diesen Maßnahmen gehört es, dass sich die Company mit den Warlords arrangiert oder einfach alle über den Haufen ballert. Axel Herwig, der Senior-Direktor des Unternehmens, entschied sich für Verhandlungen. Zu diesen Maßnahmen gehört es auch, sich um Keounda City zu kümmern, einem Ort, der von einer bewaffneten Truppe unbekannter Größe beherrscht wird. Diese Truppe, von Captain Jason Scott, dem Kompanieführer der Ranger, lunatische Irre genannt, terrorisiert das Umland und fordert Tribut, doch dazu später mehr.
Tatsache ist, wir hatten eine voll ausgerüstete Kompanie Ranger da unten, genauer gesagt in der Base de l'Air, dem einzigen Militärstützpunkt, den Ndongo noch in seiner neunzehnten Provinz unterhält. Von dort sollten sie nach der Lokalisierung der gefangenen Ärzte ausrücken, und je nach Situation reagieren können. Dazu kam es aber nicht mehr. Die Deutschen waren etwas schneller als wir."
Der Secretary of War wartete, bis das teils amüsierte, teils ironische Gelächter wieder abgeebbt war, dann nahm er den Faden wieder auf.
"Nach einer Verhandlung mit dem Kriegsherrn Ldunga Kamebesi, der die südliche Grenze der Belongo Mining bildet, wurde Axel Herwig nahe an Keounda City herangelockt, wo sein Hubschrauber mit Hilfe von MANPAD abgeschossen wurde. MANPAD, das sind, für alle, die es nicht wissen, tragbare Granat-, oder Raketenwerfer, die auf Panzer oder Flugeinheiten abgefeuert werden. Wir wissen nicht, was Herwig vom Himmel geholt hat, tippen aber auf eine Panzerfaust russischer Produktion. Jedenfalls schmierte ihre Maschine mitten im Westen der alten Distrikthauptstadt ab. Herwig und sein Pilot überlebten den Absturz und zogen sich unter schwerem Feuer an den einzigen sicheren Ort zurück, das war das Minarett der Moschee, die den Westen der Stadt beherrscht. Von hier riefen sie nach Hilfe und hatten Glück. Captain Scott hatte sich derweil entschlossen, der Belongo Mining mit einem seiner Platoons einen Anstandsbesuch zu machen und kam rechtzeitig, um den Hilferuf zu vernehmen. Scott handelte vollkommen im Sinne der Truppe, als er dem Wahlspruch sua sponte folgte, aus eigenem Antrieb. Er setzte sein gut organsiertes, bestens ausgerüstetes und hervorragendes Elite-Platoon gegen eine ganze Stadt voller lunatischer Irrer, führte eine Landeoperation durch und gelangte mit Unterstützung der Hubschrauber der Belongo Mining im Handstreich ebenfalls bis zur Moschee, wo er sich einigelte. Derweil rief er ein weiteres seiner Platoons zu Hilfe, welches auf der gleichen Landezone aufsetzen sollte, die er bereits benutzt hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte aber bereits der Kriegsherr Ldunga eingegriffen und seine Leute die Wälder rund um den Westteil der Stadt von Bewaffneten säubern lassen. Dabei fielen ihm russische Panzerfäuste und Luftfäuste in großer Zahl in die Hände.
Als jedoch First Lieutenant Austin mit dem schwere Waffen-Platoon landete, um Herwig, seinem Piloten und Scotts Erstem Platoon die Tür für die Evakuierung offenzuhalten, geschah das Unfassbare: Einheiten der ndongoischen Luftwaffe griffen die Landezone mit Waffenfeuer und Napalmbomben an. Zu diesem Zeitpunkt verzeichnen wir gesichert achtzehn Tote. Und es kann durchaus sein, dass es nicht alle Schwerverletzten schaffen, die derzeit im Lazarett der Belongo Mining versorgt werden."
Der Secretary of War ließ seine Worte einen Moment ins Bewusstsein der Männer und Frauen sacken, bevor er weitersprach. "Dank General Landsdale und seiner Intervention bei unseren Freunden in Panadia konnte ein zweiter Luftschlag der ndongoischen Luftwaffe vereitelt werden. Als weitere Kampfjets den Luftraum über Belongo betraten und Kurs auf unsere Landezone hielten, hat sie eine Staffel panadischer Jagdflieger nachdrücklich vertrieben.
Scott hat danach beschlossen, zusammen mit Ldungas Männern, den Überlebenden des dritten Platoons und seines ersten Platoons sowie den Deutschen, die Stadt zu nehmen, was, wie ich anmerken möchte, natürlich die richtige Entscheidung war, damit er Luft bekam, um die Verletzten und Toten bergen zu können.
Tja, was soll ich sagen? Die Aktion verlief nicht gerade wie im Bilderbuch, und die lunatischen Irren hatten noch ein paar Tricks in der Hinterhand, aber dank weiterer fliegender Einheiten der Belongo Mining konnte das Schlimmste verhindert werden. Wir zählen im Moment fünfhunderteinunddreißig Tote bei den Verteidigern Keounda Citys."
"Ist es angemessen, die Verteidiger Keounda Citys permanent als lunatische Irre zu bezeichnen?", fragte Hernandez verstimmt. "Wer weiß, ob sich die Situation nicht letztendlich als Schuld der Deutschen herausstellt, und wir kriegen dann die ganze schlechte Presse."
Van Fits zog ein paar Fotos aus seiner Jackentasche. "Urteilen Sie selbst. Wir haben hier ein paar Aufnahmen ausgedruckt, die wir mit Hilfe einer Helmkamera machen konnten. Sie zeigen einige der toten Verteidiger und eines ihrer speziellen Häuser von innen." Er verteilte die Fotos großzügig.
Es dauerte etwa fünf Sekunden, bis sich Staatssekretärin Gerald zusamenkrümmte und auf den guten Teppich im Oval Office übergab.
Der Präsident konnte sie gut verstehen. Die Bilder waren dazu angetan, sogar ihm den Magen umzudrehen, und er hatte vieles gesehen, vor allem in seinen Tagen als freiwilliger Helfer in Krisengebieten. "Interessant", sagte er mit tonloser Stimme. "Sie tragen also Körperteile als Fetische. Und sie stellen diesen Schmuck auch noch selbst her, wie es scheint."
"So sieht es aus, Mr. President", sagte der SECNAV. "Ich frage mich, ob wir diese Information überhaupt an die Öffentlichkeit weitergeben können."
"Das ist hier doch gar nicht der springende Punkt", sagte Landsdale. "Ich informiere Sie hiermit darüber, dass vor drei Stunden drei ranghohe Offiziere der Ranger und ein Untersuchungsteam der CID sowie eine weitere Kompanie Ranger per Langstreckenflug unterwegs nach Panadia sind. Bis zum Ende dieser Untersuchungen werden wir West-Keounda halten. Der Anführer der Truppe ist Colonel Blight Ryley."
"Und was versprechen Sie sich von den Untersuchungen, abgesehen davon, dass Ryley eine verlässliche Größe ist?", fragte der CNO. "Wir haben Aufnahmen des Luftverkehrs per Satellit, wir haben Aufnahmen ihres Funkverkehrs, und wir haben die militärische Überlegenheit in der Region. Glauben Sie ernsthaft, Ndongo wird uns die Herausgabe der Verantwortlichen verweigern?"
"Ja, das glaube ich", erwiderte Landsdale. "Schauen Sie sich doch mal die Situation an. Wer immer den Befehl gegeben hat, dass die Jäger aufsteigen, wer immer den Befehl gegeben hat, unsere Ranger zu bombardieren, der war sich im Klaren darüber, das er sich mit der mächtigsten Armee der Welt anlegt. Und schauen Sie sich die Aufstellung Ndongos an, Admiral. Sie haben nichts, was einer Division Marines länger als eine Woche standhalten könnte. Alleine die Abraham Lincoln könnte mit ihren Fliegern und den Marines von Bord und den Begleitschiffen Ompala City erobern."
"Erobern, aber nicht halten", warf van Fitz ein. "Zumindest nicht sehr lange."
"Richtig, Willem. Und darin liegt wohl unser Problem bei der Geschichte. Ndongo ist ein autarker Staat, der Mitglied in der Gemeinschaft Afrikanischer Staaten ist. Was, wenn es Ndongo gelingt, seine Nachbarn dazu zu bringen, zu seinen Gunsten einzugreifen?"
"Ich bitte Sie. Das setzt doch einen Angriff unsererseits voraus."
"Den wir bereits geschlagen haben, als wir die Panadianer um Hilfe gebeten haben, Jonas."
"Ich verstehe immer noch nicht, was hier überhaupt passiert ist", sagte Hernandez nachdrücklich. "Dieser Staat hat keine große Armee, keine bemerkenswerte Luftwaffe und nicht mal eine anständige Küstenwache. Zudem ist eines seiner Bundesländer ein permanenter Krisenherd. Ndongo kann es sich nicht mal träumen lassen, uns herauszufordern! Warum aber haben unsere Ranger von Ndongo eine Basis bekommen, von der aus sie operieren konnten, und einen Tag später schmeißt man ihnen Napalm auf den Kopf? Wie können sie nur glauben, wir lassen das ungesühnt?"
"Eventuell meinen sie, mit ein paar Bauernopfern davonzukommen. Ein missverstandener Befehl, ein paar durchgedrehte Piloten", murmelte Bixby, der militärische Berater des Präsidenten.
"Ja, Henrik, in Ordnung. Aber was wollten sie damit gewinnen?", fragte die Außenministerin scharf.
"Unordnung", erwiderte Landsdale.
"Unordnung? Erklären Sie das, General."
"Nun, als die Ranger in Keounda City ankamen, hatten sie die Verteidiger Keounda Citys erstaunlich gut im Griff. Als Captain Scott ein weiteres Platoon nachzog, muss irgendjemand in der Befehlshierarchie beim Gedanken, die Ranger könnten die ganze Stadt erobern wollen, in Panik geraten sein und hat diese Wahnsinnstat befohlen. Anstatt aber Scotts Kommando ins Chaos zu stürzen, trat die gegenteilige Wirkung ein. Jetzt, in diesem Moment beherrschen wir den westlichen Teil der alten Distrikthauptstadt und das westliche Ufer des Lagabandas, der die Stadt durchfließt."
"Ich verstehe immer noch nicht."
"Ich will es Ihnen erklären, Frau Außenministerin. Wussten Sie, dass es genau einen Stützpunkt des ndongoischen Militärs in Belongo gibt?"
"Ja, die Base de l'Air, von der auch die Ranger operiert haben."
"Richtig. Wussten Sie, dass dieser Stützpunkt ein Erdölfeld, eine Raffinerie und eine Pipeline beschützt, die auf belongoischem Gebiet liegen?"
"Was hat das bitte mit der jetzigen Situation zu tun?", fragte sie irritiert.
"Viel, Ma'am. Ich gehe davon aus, dass Sie das nicht wussten." Landsdale räusperte sich. "Vor zwanzig Jahren begann der Bürgerkrieg in Belongo, der das Land in Unruhen und Chaos gestürzt hat. Seither ist der achtzehnte Bezirk Ndongos nicht mehr zur Ruhe gekommen. Die Hauptstadt ist in der Hand einer militanten, fanatischen Sekte, die eine Befriedung und Wiederbesiedlung verhindert, und sie blockiert eine der wichtigsten kontinentalen Straßen Afrikas. Bevor dieser Bürgerkrieg aber begann, wurden die Öfelder entdeckt und als sehr ergiebig klassifiziert. Mir liegen Informationen vor, dass man in der Bundesregierung befürchtete, Belongo könnte sich mit seinem neuen Reichtum vom Rest des Landes lossagen. Eine Welle weiterer Sezessionen hätte die Folge sein können, und vom Öl hätte man nie etwas gesehen."
"Aha. Ndongo hat also seinen Bundesstaat, der anscheinend abtrünnig werden wollte, ins Chaos gestürzt, um die Hand auf das Öl zu legen", folgerte Hernandez. "Und um das Chaos permanent zu halten, wurde die Hauptstadt unbesiedelbar gemacht. Ohne die Verkehrstrasse, die Schlagader des Landes, konnte es sicher keine Revitalisierung geben. Haben Sie sich das in etwa so gedacht, General?"
"Brillant geschlussfolgert, Frau Außenministerin."
"Gut, dann erklären Sie jetzt doch mir und allen Anwesenden, warum Ndongo unsere Operation nicht einfach ausgesessen hat, anstatt uns zu provozieren."
"Ich glaube, ich kann Ihnen diese Frage besser beantworten, Maggie", sagte der Präsident. Er atmete heftig aus. "Vor gut drei Stunden bekam ich einen Anruf von Alexander Dexter."
"Alexander Dexter? Dem Vorstandschef von Roxxon?"
"Ja. Er wies mich ausdrücklich auf die Interessen seines amerikanischen Konzerns in Ndongo und im Speziellen in Belongo hin und bat mich, alles in meiner Macht stehende zu tun, um die Werte und Investitionen des Konzerns nachhaltig zu stützen."
Hernandez runzelte die Stirn. "Jetzt sagen Sie bloß, Roxxon hat die Förderlizenz in Belongo."
"Richtig geraten, Maggie", sagte Blueberry.
"Was will Dexter also? Dass wir das Land erobern und die Einkünfte von Roxxon sichern helfen?"
"Etwa eine Stunde zuvor bekam ich einen anderen Anruf. Es war Mr. Red, derzeit tätig als Auslandsmanager von Roxxon in Ndongo."
"Reden wir hier von Amadeus Red?", fragte die Außenministerin misstrauisch.
"Richtig. Amadeus Red, dem Urbild des Öllobbyisten", bestätigte der Präsident.
"Ich ahne Schlimmes."
"Zu Recht. Mr. Red sagte mir während unseres Gesprächs, er wäre von der Regierung Ndongos gebeten worden, für sie zu vermitteln. Demnach sollten wir den Vorfall so gut wir können unter den Teppich kehren, und Ndongo würde sich zu jeder Form von Reparationen bereiterklären."
"Was ich für eine vernünftige Bitte halte, auch wenn wir sie angesichts von achtzehn toten Army Ranger unmöglich erfüllen können", sagte Hernandez. "Aber wie passt das mit den Worten von Dexter zusammen?"
"Das ist relativ einfach erklärt", sagte der Präsident. "Roxxon beherrscht das Ölgeschäft in Belongo und führt die raffinierten Produkte mit einer eigenen Pipeline bis zum eigenen Verladehafen am Atlantik. Ein stabiles Belongo würde eventuell fragen, wo denn die Gewinne aus den Ölverkäufen hingehen, deshalb können sie einen stabilen Bezirk nicht gebrauchen. Deshalb hat Mr. Red mit der weißen Fahne gewedelt, nachdem augenscheinlich die Firmeninteressen mit Waffengewalt durchgesetzt wurden. Und Mr. Dexter hat angerufen, weil er eine noch viel bessere Idee hatte, um die Interessen seiner Firma zu schützen, nämlich das ganze Land einfach erobern zu lassen."
"Aber das ist monströser Wahnsinn! Das kann Dexter doch nicht ernst meinen", sagte die Außenministerin aufgebracht.
"Maggie, hier in diesem Büro müssen wir auch das aussprechen, was mancher von uns als unmöglich empfindet. Oder als Wahnsinn", mahnte der Präsident. "Und bedenken Sie, wir haben nur aufgrund einer Meldung über den Beschuss mit Napalm eine Trägerkampfgruppe umgeleitet, um unsere Untersuchungen notfalls mit Waffengewalt durchzusetzen. Was, meinen Sie, wird passieren, wenn unsere Botschaft überfallen wird?"
Bigsby räusperte sich. "Wir haben festgestellt, dass Ndongo militärisch recht schwach ist, dafür aber reich an Bodenschätzen. Zudem könnten wir uns sicher sein, dass ein Großteil der Bevölkerung, vor allem jene, die nicht an der Küste siedeln, uns wenn schon nicht mit offenen Armen, so doch freundschaftlich oder neutral empfangen würden. Wir hätten keine Schwierigkeiten, uns auf Jahre oder gar Jahrzehnte festzusetzen. Und entschuldigen Sie, wenn ich das sage, Mr. President, aber die letzten beiden Kriege, die Ihr Vorgänger geführt hat, haben sich nur darum gedreht, Erdöl und Erdgas in amerikanische Hände zu bekommen. Ndongo ist relativ leicht militärisch zu besiegen. Und wenn wir einen völkerrechtlich relevanten Grund hätten, würde die Welt uns auch noch beglückwünschen, wenn wir es tun. Anschließend setzen wir eine Marionettenregierung ein, und ein neuer US-Vasall ist geboren."
"Um es kurz zu machen", sagte der Präsident, "hat Dexter uns in eine echte Zwangslage gebracht, in der wir auf rohen Eiern tanzen. Ein falscher Schritt von uns, und wir sind sogar gezwungen, Ndongo anzugreifen. Und wie wir wissen, gibt es in Ndongo nicht erst seit gestern Diamanten. Wirtschaftliche Anreize sind genügend vorhanden. Allerdings möchte ich nicht als Präsident in die Geschichte eingehen, der ein armes afrikanisches Land wegen Rohstoffen niedergeknüppelt hat."
"Wir könnten... Das Land besetzen. Die Strukturen ordnen. Freie Wahlen abhalten. Den Einfluss der US-Konzerne, die bereits vor Ort sind, einschränken oder zumindest einfrieren", sagte Hernandez.
"Mir wäre es lieber, es würde nicht so weit kommen. Es geht mir vor allem um unsere Leute, die da unten in der Zwickmühle stecken. Und um die Schuldigen am Tod unserer Army Ranger", sagte der Präsident.
"Was, Sir, wenn wir diese Schuldigen letztendlich in Roxxons Vorstandsetage suchen müssen?", fragte Bigsby leise.
"Das steht wohl außer Frage", sagte Landsdale. "Die richtige Frage lautet: Wie schaffen wir das, ohne unsere Wirtschaft und unsere Nation in eine Krise zu stürzen?"
Auf diese Frage konnte ihm niemand antworten.
***
Die Nacht legte sich wie ein samtiger Schatten über die ehemalige Distrikthauptstadt Belongos. Sie befand sich wie ein großer Teil des Landes auf einem Hochplateau und war dem Himmel tausend Meter näher als der Rest des Landes. Ursache hierfür waren zweifellos die erloschenen Vulkane im Norden, die in ihrer aktiven Zeit für allerlei tektonische Aktivität gesorgt hatten, sodass sich das Land vor gut zwanzig Millionen Jahren komplett gewendet und aufgeworfen hatte. Das nächste derartige Ereignis war glücklicherweise nicht vor weiteren zwanzig Millionen Jahren zu erwarten. Das gab der Belongo Mining theoretisch genug Zeit, um das Gros der Diamanten in ihrer Mine abzubauen.
Über den Verteidigern der eroberten Westhälfte der Stadt glomm der Sternenhimmel Zentralafrikas, kaum durch ein Licht getrübt. Lediglich eine Neumondsichel, bedingt durch die Nähe zu Äquator natürlich riesig, schickte sich an, im Osten aufzugehen. Ansonsten trübten nur eine Handvoll Lagerfeuer und Lampen im hinteren Teil der Stadt das natürliche Sternenlicht; die Ranger und die Mitarbeiter der Mine hatten sich jedoch einiges an Mühe gegeben, um die Männer und Frauen an der Frontlinie, also dem Flussufer, möglichst von Streulicht zu verschonen. Jeder Anfänger lernte in seiner ersten Einweisung, was eine zu starke Lichtquelle mit einem Nachtsichtgerät machte. Und eine gute Nachtsicht war in dieser Nacht der große Trumpf der Army Ranger und ihrer deutschen Verbündeten. Lediglich die schlechter ausgerüsteten Speere Ldungas konnten nicht helfen; bis auf eine kleine Abordnung waren sie mit ihren Toten und Verwundeten auf Ldunga Abesimis Farm zurückgekehrt.
Die Hubschrauber flogen nicht, um Sprit zu sparen. Es befanden sich im Moment auch nur zwei Black Hawks, eine Mi-24 und ein Tandemcockpit in der Stadt; die anderen Rangereinheiten standen abgesichert auf Ldungas Farm, die restlichen deutschen Mi-24 waren zur Mine zurückgekehrt. Lediglich die Mi-8MT waren nach Panadia zurückgekehrt, um Kerosin und Diesel aufzunehmen. Während der Schlacht war ein Großteil des Vorrats, den die Deutschen nach und nach zur Mine geschafft hatten, aufgebraucht worden. Es war dringend notwendig, die Kampfhubschrauber entweder auf dem Honiton Air Field tanken zu lassen, oder große Mengen Sprit zur Mine zu schaffen. Axel hatte sich in Absprache mit Boxie für Letzteres entschieden. Die Mi-24D, die dort gerade gewartet wurde, konnte die Maschinen mit ein wenig Glück auf ihrem Rückweg eskortieren, wenn sie rechtzeitig genug wieder zusammengebaut werden konnte.
Zudem hatten sich für den frühen Nachmittag die US Marines angekündigt. Mit Hilfe von drei Osprey-Langstreckenmaschinen würde die Abraham Lincoln ein Platoon ihrer Bordtruppen einfliegen, um die Ranger zu entlasten. Trotz der gesunden Rivalität zwischen dem selbstständigen Marine Corps und der Spezialeinheit der Army Ranger war Scott mehr als froh, als er die Nachricht von der Verstärkung erhalten hatte. Allerdings hatte ihn der Zusatz, das auch die US-Botschaft in Ompala mit einem Osprey voller Marines verstärkt werden würde, deutlich nervös gemacht.
"Wissen Sie, Axel, bis jetzt hätten sich alle noch irgendwie rausreden können. Es hätte Reparationszahlungen gegeben, ein paar Offiziere wären degradiert worden, man hätte einen oder zwei Generäle, ob schuldig oder nicht, als Kriegsverbrecher an die USA ausgeliefert, und wir hätten Keounda City irgendwann wieder verlassen. Aber jetzt, mit einer Verstärkung der Botschaft befürchte ich, dass sich niemand mehr rausreden werden kann." Der Army Ranger-Offizier war seit seiner Stippvisite bei Doktor Herryhaus zunehmend nachdenklicher geworden, hatte sich aber Axel, der ihn begleitet hatte, nicht weiter geöffnet. Damit hatte er den Deutschen mit seinen Gedanken und Sorgen allein gelassen.

Ein Großteil der Männer und Frauen befand sich in der Moschee, wo sie ihre Schlafstatt gebaut hatten. Es war sogar gelungen, den Gefangenen etwas annähernd Ähnliches zu schaffen, indem die Ranger Decken und Iso-Folien aus ihrer Ausrüstung zur Verfügung gestellt hatten. Auch Axel hatte hier seine kleine Ecke aufgestellt, genau zwischen den Lagern von Hannes und Niklas. Hannes lag links von ihm und grunzte leise im Schlaf; Niklas war draußen bei seinen Leuten im Einsatz und würde sich gegen ein Uhr nachts vom KSK-Offizier ablösen lassen.
Axel betrachtete den scheinbar sorglos schlummernden Mann. Es war noch keine zwei Tage her, da hatte er sich auf eine scharfe Handgranate geworfen, um Zivilisten zu beschützen. Nur weil der Stift nicht gezogen worden war, lebte er noch. Bei der Ankunft draußen in der Landezone war der Höllenatem einer Napalmbombe nahe genug an ihm vorbei geweht, um ihm die Gesichtshaut wie bei einem Sonnenbrand tüchtig zu verbrühen, ein Schritt weiter hätte seinen sicheren Tod bedeutet. Und beim Angriff des frechen kleinen Panzerwagens hatte es nicht ihn, sondern seinen Nebenmann erwischt, er selbst hatte nur einen Streifschuss davon getragen. Machte es ihm überhaupt nichts aus, dass er in nicht einmal zwei Tagen dreimal wiedergeboren worden war? Anscheinend nicht, so wie er dalag, als könne ihn kein Wässerchen trüben. Vielleicht lag darin auch das Geheimnis eines guten Soldaten. Schlaf, wenn du schlafen kannst. Axel hatte das in der Grundausbildung immer beherzigt. Also, wenn sie auf Übung gewesen waren und dergleichen. Hier aber, im realen Gefechtseinsatz, nach einem anstrengenden Tag, jetzt wo ihm jeder Muskel wehzutun schien und die Müdigkeit in seinen Knochen irreal groß erschien, da konnte er nicht schlafen. Es ging einfach nicht.
Also kroch er unter seiner Isofolie hervor und stand auf. Das heißt, er versuchte es, schaffte es aber erst im dritten Anlauf, verbunden mit einigen sehr leisen, aber auch sehr markanten Flüchen über seine Schmerzen. Erst Sergeant Rybacks Hilfe, die gerade hereingekommen war, brachte ihn auf die Beine. Sie war es auch, die ihn vor die Moschee begleitete und seine Beine überstreckte, bis die Schmerzen nachließen.
"Vollkommen übersäuert, Sir. Kein Wunder bei dem Programm, das Sie heute mitgemacht haben. Zuerst Androweit das ganze Minarett raufgeschleppt, dann den Rest des Tages den Captain gestützt, und dazu noch der Absturz... Sie hätten auf Ldungas Farm bleiben sollen. Dort gibt es weiche Betten, hat man mir gesagt."
"Ja, mir auch", erwiderte Axel seufzend. "Sie brauchen mich nicht Sir zu nennen, Sergeant. Ich war nur Stabsgefreiter bei der Bundeswehr. Sie sind ein Sergeant."
"So? Ich denke, ich bleibe beim Sir. Einerseits aus Höflichkeit, andererseits, weil ich Ihre Spur der Verwüstung gesehen habe, die sich vom abgestürzten Hind bis zur Moschee gezogen hat. Das hätte ein Ranger nicht besser machen können."
"Ich hatte Glück", erwiderte er, und fügte ein leises "Autsch!" an, als Ryback ihm ein Knie in den Rücken setzte und seine Schultern nach hinten drückte. "Teufel auch, sind alle Army Ranger Chiropraktiker?"
"Nein, Sir. Nur die, die es im Zivilleben gelernt haben. Und was Ihr Glück angeht, ein Army Ranger hätte es nicht besser machen können." Sie lächelte. "Und darunter wird nicht verhandelt."
"Also gut", seufzte er und begann damit, seine Arme zu strecken. "Danke, dass Sie Ihre Zeit für mich opfern. Immerhin bin ich für die ganze Scheiße verantwortlich, die Ihren Leuten und dem Cap passiert ist."
"Sicher sind Sie das, Sir. Aber soll ich Ihnen was verraten? Es ist immer irgendwie irgendwer für irgendwas verantwortlich. Das ist nun mal so. Man kann auf der Welt keinen Stein bewegen, wenn nicht ein Mensch den Entschluss gefasst hat, dass der Stein bewegt werden soll. Es ist halt so. Sie haben sich zu nahe an die Stadt gewagt und sind abgeschossen worden. Sie haben um Hilfe gerufen, und die Army Ranger haben geantwortet. Ja, und dann hat uns Ndongo den Stinkefinger gezeigt." Sie sah ihn ernst an. "Aber, und das ist der wichtigste Punkt an der ganzen Geschichte, Sir, es war nie Ihre Absicht, über Keounda City abgeschossen zu werden und uns Army Ranger in eine Napalm-Falle zu locken. Im Gegenteil, irgendwo in der Militärhierarchie gibt es jemanden, der entschieden hat, genau das mit Lieutenant Austins Platoon zu tun, und genau dieser Jemand ist Schuld daran, dass das Napalm abgeworfen wurde. Wir sind also wegen Ihnen hier, Sir, aber wir wurden nicht wegen Ihnen bombardiert. Es war nicht Ihre rationale Entscheidung. Und was den Cap angeht, wir hatten als nominelle Verbündete Ndongos jedes Recht, hier zu sein und eine Rettungsmission durchzuführen. Eine Aufhebung unserer freien Bewegung hat uns nie erreicht. Sie sind nicht Schuld daran, dass meine Kameraden gebraten wurden, und das werde ich auch so vor dem Untersuchungsausschuss aussagen."
"Danke. Ich nehme an, ich werde ebenfalls vor diesem Ausschuss aussagen müssen."
"Eventuell. Falls die Aussagen der Militärangehörigen nicht ausreichen, um dem Ausschuss ein ausreichend umfassendes Bild des Geschehens zu vermitteln", sagte sie.
"Gut. Ich weiß nämlich nicht, wie eine Abordnung US-Offiziere auf die Konfrontation mit einem Ausbeuter wie mir reagieren wird."
"Ausbeuter?" Ryback runzelte die Stirn. "Ich habe gehört, Sie haben ein Feldlazarett für die Zivilbevölkerung eingerichtet und lassen in einem der Orte bereits die Weiden von Minen räumen. Außerdem wollen Sie Schulen und Straßen bauen. War das falsch?"
"Das stimmt schon alles, und das Gerät für den Straßenbau wird mit der ersten Transall, die bei der Mine landen kann, eingeflogen werden. Schotter haben wir ja zum Glück genug da oben." Axel lachte bei der Ironie seiner Worte. Wahrscheinlich würden sie etliche tausend Karat an Diamanten im Schotter mitverbauen, und damit die teuerste Landebahn und das teuerste Straßennetz der Welt erschaffen. "Aber glauben Sie mir, Sergeant Ryback, es bleibt mehr als genügend für die weißen Ausbeuter übrig. Tatsächlich werden wir alle in ein paar Monaten Millionäre sein. Und was wird dann aus den Menschen in Belongo?"
"Eleonore", sagte Ryback bestimmt.
"Was?"
"Nennen Sie mich Eleonore, Sir. Sie sind kein Militär, also brauchen wir nicht förmlicher zu sein als Marines auf einem Festakt."
"Eleonore? Ein schöner Name für eine tödliche Frau wie Sie. Sagen Sie Axel zu mir."
Sie lachte leise. "Schmeicheleien bringen bei mir nichts. Ich bin eine Army Ranger."
"Natürlich", schmunzelte Axel und ließ sich von ihr auf die Beine ziehen. Die Schmerzen waren tatsächlich besser, noch vorhanden, aber nur noch irgendwo im Hintergrund, weit entfernt. Das war besser als noch vor zehn Minuten.
"Ich denke, es wird ihnen sehr viel besser gehen", sagte Eleonore.
"Was? Wem?"
"Na, den Menschen aus Belongo. Wenn Sie tatsächlich noch ein paar Monate hierbleiben und dann Millionäre geworden sind, bedeutet das, dass Sie wie viele Schulen und Straßenkilometer gebaut haben? Wievielen Menschen Impfungen und medizinische Hilfe haben zukommen lassen?"
"Schulen? Vielleicht ein Dutzend. Straßenkilometer? Wir werden sehen, wie fix unsere Pioniere sind. Impfungen und medizinische Hilfe? Wir schleusen im Moment fünfhundert Menschen am Tag durch das Lazarett. Den Meisten können wir helfen. Einige mussten für dringende Operationen nach Panadia ausgeflogen werden, aber die Zahl ist überschaubar."
"Hören Sie sich eigentlich nicht selbst reden?", fragte Eleonore amüsiert. "Mag ja sein, dass Sie reich werden, Axel. Aber auf dem Weg dahin ziehen Sie eine große Schleppe an guten Taten hinter sich her. Belongo wird schon bald nicht mehr das sein, was es seit zwanzig Jahren ist, glaube ich." Sie runzelte die Stirn. "Wir Army Ranger werden hier schon bald wieder weg sein, zurück in den guten alten USA und regruppieren, unsere Verluste ausgleichen und für den nächsten Einsatz trainieren. Sie aber sind dann noch hier und bewirken Gutes. Dann sollen Sie meinetwegen verdammt noch mal reich werden, Axel. Es trifft dann ja keinen Falschen."
Für einen Moment musste Herwig mit einem dicken Kloß im Hals kämpfen. "Danke, Eleonore. Ich weiß nicht, was ich sagen soll."
"Machen Sie sich keine Sorgen, das ist alles. Ich bin sicher, der eine oder andere Ranger wird Sie insgeheim verdammen, weil er nicht weit genug sieht und Sie für den Tod unserer Kameraden verantwortlich macht. Aber ich sage Ihnen was: Der Cap, die Lieutenants und die Unteroffiziere - und da stecke ich mit drin - sehen das nicht so."
"Bitte immer nur eine Heiligsprechung zur gleichen Zeit", erwiderte Axel schmunzelnd.
"Gern geschehen, Axel", erwiderte die Army Ranger. "So, wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich mich jetzt hinlegen. Der Tag war lang, und nicht jeder von uns hat die Stamina vom Captain, der schon wieder am Ufer sitzt und den Osten beobachtet."
"Ich schätze, ich werde mich ihm anschließen, Eleonore. Haben Sie vielen Dank für die Hilfe."
"Kein Problem, Axel. Wenn Sie zum Cap gehen, er hat direkt neben der großen Brücke Position bezogen. Sie beobachten das Ufer und warten auf Schwimmer, die versuchen, den Fluss zu durchqueren. Außerdem helfen sie den Booten, die Brücken zu passieren. Es sind erstaunlich viele unterwegs. Ich denke, das liegt nicht zuletzt daran, dass der Westteil der Stadt nun uns gehört."
"Ja, scheint sich schnell herumgesprochen zu haben", murmelte der Deutsche.
"Noch etwas, Axel. Lima."
"Lima?"
"Lima ist bis um Mitternacht das Losungswort. Die Antwort ist Bananarama. Der Cap hat es ausgesucht, weil unsere Gefangenen es nicht aussprechen können. Ab Mitternacht sind es Copperfield und Dexterity."
"Lassen Sie mich raten: Dexterity können unsere Deserteure auch nicht aussprechen."
"Eigentlich haspeln sie eher bei Copperfield", scherzte Eleonore. "Also dann, gute Nacht."
"Schlafen Sie gut. Die Nacht wird kurz genug für Sie sein."
"Ich weiß." Sie nickte dem Deutschen zu und verschwand im Innern der Moschee.
Axel, derart alleingelassen, überlegte einen Moment, dann ging er selbst wieder rein, nahm seine Waffen auf und ging zum Fluss runter.

"Lima", erklang es leise aus der Dunkelheit.
"Bananarama."
"Kommen", sagte die gleiche Stimme.
Axel trat an den Schemen heran, der sich vom Flussufer kaum abhob. Es war Austin.
"Können Sie auch nicht schlafen, Mr. Herwig?", fragte der stellvertretende Chef der Ranger. Er deutete neben sich. Dort hockten zwei Ranger im Ufergras. Der eine trug ein Scharfschützengewehr in der Hand, während der andere mit einem Nachtsichtglas das andere Ufer absuchte. Rechts daneben hockte Scott, den Rücken zum Ufer gerichtet, und studierte mit Hilfe einer Rotlichttaschenlampe einen topographischen Plan der ehemaligen Distrikthauptstadt.
"Ich bin totmüde. Aber ich finde keine Ruhe."
"Setzen Sie sich zu mir, Axel", sagte Scott gerade laut genug, um gehört zu werden. "Es gibt Literweise Kaffee."
Axel setzte sich im Schneidersitz neben den Offizier, tunlichst darauf bedacht, den Scharfschützen und seinen Spotter nicht zu stören.
Austin seufzte. "Also nehme ich nicht an, dass ich Sie dazu bewegen kann, den Captain zu überreden, wenigstens während meiner Wachschicht schlafen zu gehen?"
"Dafür bin ich wohl der Falsche", erwiderte Axel entschuldigend. "Zumindest solange mir selbst der Kopf schwirrt."
"Ziel auf ein Uhr", sagte der Spotter. "Zwei Mann, bewaffnet, AK47, steigen ins Wasser."
"Ziele erfasst. Freigabe?"
"Freigabe", raunte der Spotter.
Die Waffe des Ranges ruckte heftig, als er sie abschoss. Axels Ohren protestierten beim Knall jedoch nicht. Er hatte mehr als genug Lärm an diesem Tag gehabt. So ein popeliger Gewehrschuss fiel da nicht mehr ins Gewicht. Oder besser gesagt zwei.
Der Scharfschütze suchte nach seinem zweiten Ziel und drückte erneut ab. "Ziele eliminiert."
Der Spotter machte sich eine Notiz in seinem Log. "Das macht dann Nummer vier und Nummer fünf. Werden die heute noch mal schlau?"
Von Norden klang ebenfalls Einzelfeuer zu ihnen herüber.
"Sie versuchen es schon den ganzen Abend", kommentierte Austin. "Immer alleine oder in Zweiergruppen. Es wundert mich, dass sie meinen, gut genug schwimmen zu können, um nicht nur ans Ufer zu kommen, sondern auch ihre Gewehre trocken rüber zu bringen."
"Ich habe ihre Tikalaks gesehen", murmelte der Spotter. "Sie tragen Hauptsächlich Ohren und Nasen, manche auch einen Penis. Ich schätze mal, die sind alle auf Omonek. Sonst könnte der Riki sie uns nicht so einfach zum Fraß vorwerfen."
"Gute Analyse, Polonsky. Mehr von diesen Weisheiten, und ich schlage Sie noch für den Offizierslehrgang vor", sagte Scott mit guter Laune. Zumindest der besten Laune, seit Meike ohne örtliche Betäubung seine Beinwunde ausgeschabt und vernäht hatte.
"Danke, Sir, nicht mein Ding. Man sieht ja, dass Offiziere die bevorzugte Zielscheibe unserer Gegner sind."
"Und er hat keine guten Manieren, Sir. Sie sollten ihn mal bei McDonalds essen sehen", scherzte Leod, der Scharfschütze.
"Äh", begann Axel unsicher, "Jason, ich weiß nicht, ob es mir zusteht, Ihnen Tipps zu geben, aber..."
"Nur zu, Axel. Sie brauchen sich nicht schüchtern zu geben. Ihre Tipps waren heute immer sehr wertvoll", erwiderte der Captain.
"Nun gut. Haben Sie die Möglichkeit bedacht, dass die armen Teufel, die über den Fluss kommen, nur ein Ablenkungsmanöver sind, damit die Truppen des Riki an anderer Stelle übersetzen können?"
"Natürlich. Wir unterhalten im Süden und im Norden weitere Posten, die das gegenüberliegende Ufer und den Wald auf Truppenbewegungen absuchen. Ldunga übernimmt weiter nördlich mit seinen Leuten ebenfalls die Wacht am Fluss. Dafür haben wir ihm ein paar Nachtsichtgeräte überlassen und seine Leute in die Technik eingewiesen. Außerdem überwachen wir die Region mit dem Satellit, Infrarot. Darüber hinaus kontrollieren wir jedes Flussboot darauf, ob es auch ist, was es zu sein vorgibt, oder ob es womöglich ein trojanisches Boot ist, vollgestopft mit den Kämpfern des Riki."
"Jetzt ist es mir peinlich, dass ich gefragt habe, Jason. Sie haben noch weiter gedacht als ich", sagte Axel verlegen.
"Die Tatsache, dass Sie nicht gezögert haben, mich darauf anzusprechen beweist, dass Ihnen nichts peinlich sein muss. Sie handeln so, wie Sie es für richtig halten. Sie würden einen wunderbaren Ranger abgeben."
"Danke, Jason."
Der Captain reichte dem Deutschen einen Metallbecher. "Kaffee?"
"Danke, gerne. Ich kann eh nicht schlafen."
Der Funk von Scott erwachte zum Leben, gerade als Axel nach der Tasse griff. "Ranger 1 von Ranger 3-3-2, kommen."
"Sprechen Sie, Ranger 3-3-2."
"Sir, die Truppe, die wir mit dem Satelliten verfolgen, kommt nun auf meiner Höhe zum Ufer. Die Russenschüssel ist dabei."
"Armstrong..."
"Sorry, Sir. Der BRDM-2-Amphibienpanzerwagen wird mitgeführt und will über den Fluss setzen."
"Schon besser. Halten Sie die Stellung und gehen Sie notfalls leise stiften, wenn der Feind Ihnen zu nahe kommt. Die Kavallerie ist unterwegs. Ranger 1 Ende und aus."
"Welche Kavallerie?", fragte Axel verdutzt.
"Nun, wir beobachten den Trupp schon einige Zeit, per Satellit, mit Nachtsichtgeräten und mit den Infrarotscannern der Hubschrauber. Wir haben nur darauf gewartet, dass sie über das Ufer setzen will. Bei der Gelegenheit erwischen wir auch gleich den nervenden Panzerwagen. Ich korrigiere mich: Sie erwischen den nervenden Panzerwagen. Ich habe mir erlaubt, für diese Operation Boxies Hilfe einzuholen. Wenn er mitgehört hat, dann..." Hinter ihnen, in Richtung Moschee, lief der Rotor eines Helikopters an. "Dann wird er sich der Sache gleich persönlich annehmen."
"Genau das Richtige für eine ruhige Nacht", kommentierte Axel sarkastisch. Wobei er keine Ahnung hatte, wo er den Sarkasmus hernahm. Allerdings wusste er, dass auf eine ruhige Nacht nicht unbedingt ein ruhiger Tag folgen würde.

Die Mi-24D zog hinter der Moschee hoch, erreichte Wipfelhöhe und flog nach Norden ab. Sie sahen es in gut vier Kilometern Entfernung am Flussufer blitzen, und es kam zu einer Sekundärexplosion, als der Amphibienpanzerwagen in die Luft ging - vermutlich - danach herrschte wirklich Ruhe. Einige Zeit später trieb der Fluss die Toten der Aktion an ihnen vorbei.
In Axels Brust rangen zwei Seelen miteinander. Einerseits verabscheute er das Töten. Er konnte, er wollte, er musste gut sein, Gutes tun, die Leben der Menschen verbessern, helfen, wo immer er nur konnte. Andererseits wusste er, dass diesen Menschen, den Dienern des Riki, nicht zu helfen war. Sie mussten sich selbst helfen, so wie die Männer, die sich ihnen ergeben hatten. Dafür mussten sie selbst die Voraussetzungen schaffen.
Axel hoffte inbrünstig, dass der Riki mittlerweile bitter bereute, dass er sich ausgerechnet seinen Penis als Trophäe hatte holen wollen.
***

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"Herr Herwig?" Axel schreckte aus seinem Zustand irgendwo zwischen Meditation und Dösen auf, als er angesprochen wurde. "Was?", fragte er, für einen Moment orientierungslos. Dies war doch Keounda City, und er saß doch mit drei Rangern im hohen Ufergras des Lagabandas und schoss auf die Männer des Riki, wenn sie sich zeigten? Oder saß er am Ufer der Alster, hatte mit seinen Freunden die Nacht durchgemacht und war dabei eingeschlafen? Er schüttelte den Kopf, um wieder klar zu werden. "Was?", wiederholte er erneut, bis er die schlanke Gestalt vor sich sah, die nun vor ihm salutierte. "Sir, ich bin... WHOA!"
"Erstens", zischte er der Frau zu, die er gewaltsam in die Hocke gezwungen hatte, "salutiert man nicht mitten im Feindgebiet! Zweitens kommt man nicht aufrecht an die Front, weil wir nicht die Einzigen mit Scharfschützen sind! Und drittens: Wer zum Teufel sind Sie?"
"Leutnant Heinlein, Grete Heinlein, Sir. Ich habe die Verstärkungen kommandiert, die Sie heute rausgehauen haben."
"Und das war gute Arbeit, Leutnant. Aber es ist so typisch für euch Piloten, dass Ihr euch am Boden so falsch verhaltet. Wie lange ist Ihre Grundausbildung her?"
Die Pilotin schien verlegen. "Zehn Jahre, Sir."
"Wieso Sir?", fragte Axel unvermittelt.
"Geht schneller und ist doch auch richtig, oder? Sie sind doch der Direktor der Belongo Mining, nicht?"
"Ja, das stimmt. Also meinetwegen Sir. Auch wenn ich mich nicht wie ein Sir fühle."
Die breite Pranke von Scott klopfte auf Axels Rücken. "Also, wenn es nach mir geht, dann sind Sie eine respektable Person, die den Titel Sir mehr als verdient hat, alter Freund."
Axel sah im Licht des beginnenden Tages Scotts weiße Zähne beim Lächeln aufblitzen. Für einen Moment fühlte er sich gerührt. Der Mann hatte ein Offizierspatent, war Captain der Ranger und stellte ihn, den Grundwehrdienst-Deutschen, auf eine Stufe mit sich selbst. "Danke, Jason, für das Kompliment."
"Oh, ich mache nur Frauen Komplimente, Axel."
"Danke. Glaube ich. Also, was kann ich für Sie tun, Leutnant Heinlein? Was treibt Sie aus Ihrem sicheren Hubschrauber ohne Schutzweste und Ihren Fliegerhelm direkt an die vorderste Front?"
"Zugegeben, jetzt komme ich mir schon ein wenig einfältig vor."
"Halten Sie sich gebückt, wenn Sie zurückgehen, und sehen Sie zu, dass Ihr blondes Haar im Morgenlicht nicht zur Zielscheibe für die Männer des Riki wird, dann sollten Sie keine Probleme bekommen. Aber die eine oder andere Infanterie-Verhaltensregel könnten Sie trotzdem mal auffrischen. Also?"
"Es geht um Boxie. Ich meine, um Leutnant... Hauptmann Draeger."
"Um Boxie? Soweit ich weiß, sind Sie einander noch nicht begegnet", sagte Axel überrascht. "Und schon haben Sie Probleme mit ihm?"
"Nein, das ist es nicht. Keine Probleme. Jedenfalls noch nicht. Nein, das ist scheiße formuliert. Ich gebe zu, ich habe Angst vor der ersten Begegnung mit ihm."
"Weil er meistens seine Meerschweinchen mitnimmt? Ich kann Ihnen versichern, er spinnt nicht mehr als alle anderen auch. Und er ist ein hervorragender Pilot und ein guter Anführer. Ich vertraue ihm zu einhundert Prozent."
Sie seufzte entsagungsvoll. "Und genau da liegt mein Problem. Überall wo ich hingehe, wird Boxie wie ein Übermensch gelobt, und seine Fähigkeiten werden gepriesen, als wäre er der Allmächtige. Dazu kommt, dass ich weiß, dass er in seiner alten Einheit in der Heeresfliegertruppe hoch im Kurs stand. Hätte er diesen Meerschweinchentick nicht entwickelt, wäre er schon auf dem Weg zum Staffelführer. Sir, ich habe einfach Schiss davor, ihn zu treffen. Ich hatte vor, mich als Stellvertreterin zu empfehlen und drauf gehofft, dass er nicht nur die Frau in mir sieht. Aber jetzt befürchte ich, dass er mich nicht mal als Pilot ernst nimmt."
Axel unterdrückte ein Auflachen. "Sie machen sich definitiv zu viele Sorgen, Leutnant. Boxie ist durch und durch ein feiner Kerl. Und da wir unsere Fliegerstaffel vergrößert haben, und Sie bereits eine gute Leistung dabei gezeigt haben, unsere Reserven herzuführen und den Angriff in unserem Rücken abzuwehren, haben Sie, denke ich, eine gute Visitenkarte dagelassen. Aber vorsicht, Boxie beurteilt nur nach Fähigkeiten, nicht danach, wer die schöneren Streifen am SECAM-Fleckentarn hat."
"Jetzt habe ich noch mehr Angst", gestand sie.
"Wie lange waren Sie beim Bund? Und warum sind Sie raus?"
"Fünf Jahre. Habe mein Studium abgebrochen und wurde vorzeitig entlassen. Mangelndes Selbstbewusstsein, und damit einher gehend Führungsschwäche. Ist eine hässliche Geschichte, die ich hier nicht ausbreiten will. Ich dachte, als Bernd mich anrief, er wollte mich verarschen, weil er doch von der Geschichte gewusst hat. Aber nachdem ich eine Woche drüber nachgedacht hatte, war ich froh, dass er mich erneut anrief und mich als Verstärkung haben wollte. Im Camp auf dem Flughafen drüben in Panadia war es alles irgendwie dann ganz einfach, und ich habe mich schnell zum Anführer der Verstärkung gemausert. Da dachte ich, ich hätte diese ganze Zeit hinter mir gelassen, mein Selbstvertrauen sei wieder stark. Jedenfalls stärker als damals, als ich entlassen wurde."
"Nun, Sie haben gute Arbeit geleistet", sagte Axel, als die junge Frau nach Worten rang. "Und da Leutnant Androweit wohl eine längere Zeit ausfällt, könnte ich Sie mir durchaus in dieser Rolle vorstellen. Wo also ist das Problem? Kalte Füße, Leutnant Heinlein?"
"Nein, Sir. Ich bin nach wie vor fest entschlossen, diese Gelegenheit zu nutzen. Aber... Nun, Major Herwig schläft gerade, und Hauptmann Malicke hat mich zu Ihnen geschickt. Ich glaube, er hat mich dabei ausgelacht."
"Wenn, dann war das aber kein netter Zug von Hannes. Worum geht es denn jetzt?"
Verlegen druckste die Frau. "Wie... Wie ist er denn so? Ich meine im Einsatz? Wie sollte ich am Besten mit ihm umgehen? Soll ich ihn auch auf einen Altar stellen wie Thomas, oder soll ich ihn ganz normal behandeln?"
"Ich denke, in erster Linie sollten Sie erstmal schauen, ob er wach ist oder schläft. Und danach können Sie sich entscheiden, ob Sie das Risiko eingehen wollen ihn zu wecken. Es war für uns alle ein langer Tag, und für viele gab es keine Nachtruhe, oder sie wurden dabei gestört. Ich halte Ihr Anliegen aber für wichtig genug, dass Sie es zumindest versuchen sollten, Heinlein. Wenn Sie ihn dann dazu gebracht haben, Ihnen zuzuhören, bestechen Sie ihn mit einem frischen Kaffee. Oslovski, der Sani vom ersten Platoon, macht aus dem Instant-Gebräu etwas durchaus Ähnliches. Und wenn er Sie fragt, warum Sie Stellvertreter werden wollen, erwähnen Sie ruhig, dass die Piloten und Lademannschaften der Verstärkung Sie kennen und schätzen."
"Das ist alles?", fragte sie zweifelnd.
"Das ist alles", bestätigte Axel. "Viel Glück dabei."
"Na, wenn Sie meinen... Oslovski heißt der Mann?"
"Sie finden ihn in der Moschee", sagte Captain Scott. "Dort kocht er seit einer Stunde Kaffee für alle. Er ist echt der Beste für diesen Job."
"Keine Sorge, mit dem nächsten Flug von der Mine lasse ich eine kleine Kochstelle mit zwei Köchen einfliegen. Ihre Leute mit dem Koch-Equipment sind ja wohl noch auf dem Weg zur Mine", sagte Axel. "Dann gibt es Frühstück, und vor allem frisch gemahlenen und aufgebrühten Kaffee."
Diese Worte ließ die Augen der Ranger aufblitzen. Frisch gemahlener, heißer Kaffee, das war alles, was diese Männer und Frauen zum glücklich werden brauchten.
"Das ist die beste Nachricht des Tages, Axel", schmunzelte Scott.
"Sie können ja auf die Kaffeetanten warten, Heinlein, oder doch Ihr Glück mit Oslovski versuchen."
Die Frau erhob sich in eine gebückte Haltung. "Ich versuche mein Glück mit dem Sani, Sir. Entschuldigen Sie mich."
"Warten Sie mal", sagte Axel und griff der Frau in den Kragen, um sie daran zu hindern, sich aufzurichten.
"Sir?", fragte sie verdutzt.
Axel nahm seinen Helm ab, setzte ihn der Pilotin auf den Kopf und schnallte ihn fest. Dafür musste er den Kinngurt nachjustieren. "Ihr Goldhaar ist eine bessere Zielscheibe als eine Zigarette in der Nacht. Lassen Sie mir den Helm zurückschicken, sobald Sie ihn nicht mehr brauchen, okay?"
"Ja, Sir. Danke." Die Pilotin wirkte gerührt. "Ich gehe dann mal." Sie deutete einen nicht ganz so strengen Salut wie vorhin mit zwei Fingern an, nickte den drei Männern zu und huschte zurück.
Als der Schuss aufbellte, hatte Axel schon gespürt, dass sie überschossen worden waren. Ungläubig ging sein Blick zur Pilotin, die gerade jetzt in diesem Augenblick zu Boden fiel, als wäre sie eine Marionette, der man die Bänder gekappt habe.
"Schütze, elf Uhr!", blaffte Polonski, der Spotter Leods. "Habe Ziel!" "Schuss!"
Das Scharfschützengewehr bellte heiser durch die Morgenluft, ohne das etwas zu passieren schien. Leod aber schnaufte leise aus. "Ziel terminiert!"
Erst jetzt kam Axel die Unwirklichkeit des Augenblicks zu Bewusst sein. Er warf sich zu Boden und robbte zur Pilotin herüber. "Um Himmels Willen, Heinlein, leben Sie noch?"
"Ja, Sir. Scheint noch alles dran zu sein", klang ihre Stimme zu ihm herüber, und dem Deutschen fiel ein Stein vom Herzen. "Himmel, warum haben Sie sich dann so effektvoll fallen gelassen?"
"Ich wollte nur in Deckung gehen. So ging es am Schnellsten."
"Zugegeben", erwiderte Axel, von einer unerklärlichen guten Laune beherrscht, die nur vom Schock kommen konnte. "Und, wo hat der Sniper Sie erwischt, Heinlein?"
"Am Hinterkopf, Sir. Ohne den Helm... Ohne Ihren Helm..." Sie drehte sich zu Axel herum. Ihre Augen waren groß und erschrocken und mit Tränen gefüllt. Sie zitterte am ganzen Leib.
"Na, na", machte der Chef der Mine und legte einen Arm um die zitternde Frau. "Es ist in Ordnung. Corporal Leod hat den Scharfschützen ausgeschaltet. Sie sind in Sicherheit, Heinlein."
"Das ist es nicht! Ohne Ihren Ratschlag wäre ich jetzt tot!" Sie nahm den Helm ab und inspizierte die Rückseite. Dort klebte die plattgequetschte Patrone. Ein Blick nach innen offenbarte, dass die Spitze teilweise durchgedrungen war. Zum großen Glück der Pilotin war es kein Hartmantelgeschoss gewesen, sondern wahrscheinlich eine neun Millimeter Luger. Das erklärte, warum die Kugel nicht ganz durchgedrungen, sondern vom Helm aufgehalten worden war. Ein Nato-Standard hätte den Helm auf dies Entfernung wohl nur mit wirklich viel Glück nicht perforiert.
"Kopf runter, Heinlein", befahl Axel und fuhr mit der Rechten durch das Haar an ihrem Hinterkopf. Kein Blut an der Hand, das war ein gutes Zeichen. Auch eine peniblere Suche brachte keine Wunde zum Vorschein. "Fliegen Sie trotzdem zu Doktor Herryhaus raus und lassen sich untersuchen, verstanden?"
"Ja, Sir. Gleich nachdem ich mit Boxie gesprochen habe."
Axel schnaubte amüsiert. "Wenn Sie die Kraft dazu haben, meinetwegen. Geht es, oder soll ich Sie begleiten? Kommen Sie, wir robben bis hinter die Hausecke."
"Alles im Griff, Axel?", fragte Scott vom Ufergras herüber.
"Ja, alles im Griff! Los, gehen wir. Ich meine, kriechen wir, Heinlein."
"Okay."
Die beiden Deutschen robbten weiter, kamen um die Hausecke und konnten sich endlich aufrichten. Axel sah, dass die Pilotin noch immer zitterte, also schloss er sie seinem Instinkt folgend in die Arme. Sie erwiderte die Umarmung nicht, aber irgendwann hörte das Zittern auf. "Danke, Sir. Es geht schon wieder. Sie haben mir das Leben gerettet."
Axel ließ sie aus seiner Umarmung. "So was soll hier in Afrika öfters vorkommen, Dass man sich das Leben rettet. So wie Sie gestern meines gerettet haben, als die Männer des Rikis aus der Kanalisation gekommen sind."
"Ja, verstehe. Aber dennoch, ohne Ihren Helm... Hier, den brauche ich jetzt wohl erstmal nicht mehr."
"Danke." Axel nahm den Helm, setzte ihn wieder auf und schnallte ihn neu fest. Verdammt, er musste einen neuen anfordern.
"Wenn ich Ihnen unorthodox danken dürfte, Herr Direktor..."
"Es ist zwar kein Dank nötig, aber meinetwegen", sagte Axel gutgelaunt, weil die Geschichte so glimpflich abgelaufen war.
"Danke." Sie trat vor und küsste den überrumpelten Axel Herwig. Allerdings verzichtete sie auf einen Zungenschlag, obwohl der überraschte Junge den Mund nicht geschlossen hatte.
Verlegen ließ sie von ihm ab. "I-ich denke, das war angemessen. Nochmal danke für den Helm, Sir."
"D-da nicht für. Ach, und Heinlein, das war ein toller Kuss, aber ich stecke in sowas wie... Nun, einer Beziehung, denke ich. Nicht, dass Sie denken, dass... Sie sind eine feine Soldatin und eine hübsche Frau, aber..."
"N-nein, Sir, natürlich nicht! Das war nur ein unorthodoxes Dankeschön! Das kriegt nicht jeder von mir! Da muss man mir schon das Leben retten."
Sie lächelte verlegen, und Axel fragte sich, ob er gerade ein idiotisches Gesicht zog bei all den Gedanken und Emotionen, die ihm gerade durch den Kopf gingen.
"Ich gehe dann mal zurück", verkündete er.
"Und ich gehe zur Moschee. Bis später, Herr Direktor."
"Bis später, Heinlein."
Die beiden trennten sich, zum Bedauern, aber auch zur Erleichterung Axels. Himmel, Arsch und Zwirn, jetzt wusste er wenigstens, warum er in zehn Jahren nur zwei Beziehungen gehabt hatte. Mit einem Haufen Söldner nach Afrika fliegen, karitative Einrichtungen aufbauen und Diamanten suchen musste irgendwie sexy machen. Hätte er das früher gewusst... Axel lachte über sich selbst, dann legte er sich auf den Boden und robbte zurück.

"Hat sie sich wenigstens bedankt?", fragte Scott wie beiläufig.
"Ja, hat sie", erwiderte Axel und spürte Röte im Gesicht. "Auf eine Weise, bei der sie bei den Army Rangern rausgeflogen wäre."
"Wieso?", fragte Leod. "Hat sie Ihnen Sex versprochen?"
"Nein!", entrüstete sich Axel. "Sie hat mich geküsst. Auf den Mund. Ohne Zunge."
Scott prustete in die vorgehaltene Hand. "Also, dafür fliegt man bei den Army Rangern aber noch nicht aus der Truppe, oder?"
"Garantiert nicht, Sir", sagte Polonski mit einer Miene, die zu ernst war, um wirklich ernst zu sein.
Axel fühlte sich leicht hochgenommen. Aber wenn die Ranger das nicht dürfen sollten, wer dann auf dieser Welt? "Ist noch Kaffee da?", fragte er gut gelaunt und setzte sich wieder auf.
"Glück gehabt. Letzte Tasse." Scott schenkte seinen Becher voll. Wie schön das Leben doch war, wenn der höchste Anspruch, den man stellte, ein heißer Kaffee war. Okay, ein lauwarmer Kaffee. Aber immerhin Kaffee.
"Machen Sie sich keine Sorgen, Axel", sagte Scott grinsend. "Unter Stress neigen Männer und Frauen nun mal dazu, mehr auf ihre Hormone zu hören oder direkter zu sein. Würde ich es meinen Mädchen jedesmal übelnehmen, wenn sie mich küssen oder mir Sex anbieten, dann hätte ich eine ganz schöne Fluktuation in meiner Einheit. Von den Männern ganz zu schweigen. Sowas passiert nun mal in einer ruhigen Minute, wenn man jederzeit sterben kann. So hat das die Natur eingerichtet. Man nutzt quasi die "letzte Chance", um sich zu vermehren, und bei Frauen verschiebt sich auch schon mal die Menstruation. Viele haben auch einen Eisprung bei der Geschichte."
Axel wurde blass, als ihm die vorletzte Nacht einfiel. "Ich glaube, ich habe dann gute Chancen, gestern eine Frau geschwängert zu haben."
"So?", fragte Scott, eine Augenbraue gehoben. "Hoffentlich keine von meinen."
"Nein, das war falsch formuliert. In der Nacht auf gestern, bei mir im Camp. Sie fiel über mich her, und wenn ich meine Erinnerungsfetzen noch recht beisammen hatte, haben wir keine Kondome genutzt. Jedesmal nicht."
Von Leod war ein leises Gegacker zu hören, Polonski grinste aufs Höchste amüsiert, und Scott verkniff sich einen Lacher. "Der Sex muss gigantisch gewesen sein."
"Gigantisch reicht da nicht", erwiderte Axel und nahm einen Schluck Kaffee. "Ich beginne, Stress und Todesgefahr zu mögen."
"Wer von uns denn nicht? Oder meinen Sie, es gibt andere Gründe, um Berufssoldat zu werden, Herr Direktor?", fragte Polonski trocken.
"Gutes Argument."
Scott sah auf seine Uhr. "Sonnenaufgang, drei vor sechs. Noch sechs Stunden, bis die Verstärkung von der Abe eintrifft. Und nochmal höchstens weitere sechs, bis die Untersuchungskommission ankommt. Bis dahin müssen wir hier für Ruhe sorgen."
"Eines noch, Jason", sagte Axel stirnrunzelnd. "Ihnen wurde schon von Männern Sex angeboten, und die haben Sie geküsst?"
"Ja, sicher. Ein Mannsbild wie ich wirkt ja eben nicht nur auf Frauen anziehend, oder?"
"Haben Sie bei der Army nicht die No fags-Regel?"
"Erstens sind wir Army Ranger. Zweitens ist es mir egal, ob meine Leute schwul oder hetero sind, solange sie ihren Job machen. Und drittens kann sich auch mal ein Mann zu einem anderen Mann hingezogen fühlen, ohne gleich schwul zu werden. Oder hat Sie noch nie ein Mann geküsst, Axel Herwig?"
"Doch, doch", räumte er ein. "Auf die Wange und so. Aber ich staune über Ihre progressive Einstellung, Jason."
"Wie ich schon sagte, ich hätte eine hohe Fluktuation, würde ich mir sowas zu Herzen gehen lassen", erwiderte der Offizier grinsend. "Gerade wir Army Ranger stehen sehr oft unter hohem Druck. Da darf man nicht jedes Wort und jede Tat auf die Goldwaage legen, wenn man die Leute nicht enttäuschen oder bloßstellen will." Sein Grinsen verblasste. "Und so oft kommt es nun auch wieder nicht vor. Dass Sie mir das nicht in den falschen Hals kriegen, Axel. Und das bleibt auch in der Einheit."
"Oh, keine Sorge. Ich freue mich zu sehr über Sie und Ihre Leute. Da werde ich doch nicht herumgehen und Sie zu blamieren versuchen. Abgesehen davon, dass das bei meinen Leuten ohnehin nicht möglich wäre."
"Und kein Wort zu ZNN. Die würden aus dieser Mücke einen Elefanten machen, und das wäre ein gefundenes Fressen für die Konservativen, und dann hätten es die, die tatsächlich schwul oder lesbisch sind, in unserer Einheit richtig schwer", mahnte der Captain.
"Eines Tages werden Sie so etwas nicht mehr totschweigen müssen. Und ein Küsschen von einem Mann auf die Wange wird auch nicht gleich als Homosexualität ausgelegt werden", erwiderte Axel. "Irgendwann."
"Ja, in zwei bis drei Jahrhunderten, wenn wir das erste Mal einen schwulen Präsidenten haben werden", sagte Scott ironisch. "Ich kenne meine Landsleute etwas zu gut, Axel."
"Kürzen Sie die Null raus, Jason. Manchmal dreht sich die Erde schneller als Sie denken." Er trank seinen Kaffee aus. "Sehr viel schneller, als Sie denken."
"Ihr Wort ins Ohr des Präsidenten", murmelte Scott und schüttete den kalt gewordenen Rest seines Kaffees ins Ufergras. "Wann, sagten Sie, kommt Ihre Küche?"
***
Keiner der sechs Männer im Raum hätte jemals von sich gesagt, Teil einer Verschwörung zu sein. Nein, Verschwörer waren Heimlichtuer, die sich im Dunkeln trafen, in einsamen Häusern, verborgen, unerkannt, und böse Dinge betrieben. Verrat, Mord, Heuchelei. Aber sie? Niemals. Ihr Treffpunkt war ein lichtdurchflutetes Penthouse in einem Wolkenkratzer in New York, und all ihr Handeln galt einzig und allein dem Wohl der Dividende ihrer Aktionäre. Dennoch was das, was sie taten, beschlossen, befahlen, geheim. Dass sie sich mitten in der Nacht trafen, war ausschließlich den Umständen geschuldet.
"Also", sagte der graumelierte Mann mit Halbglatze, der den Vorsitz übernommen hatte, "was sagt Mr. Red über die Situation in Ndongo?"
Der Mann links von ihm, ein großer schwarzhaariger Bursche mit vollem Haar und dem Gesicht des Berufs-Asketen, verteilte per Daumendruck von seinem Handheld PC eine Datei an die anderen fünf Handheld im Raum. "Es sieht gut aus, und auch wieder schlecht aus. Zuallererst die gute Nachricht: Weder die Ölförderung, noch die Raffinierung ist gefährdet. Das Benzin kommt noch immer mit dem üblichen Arbeitsdruck der Pipeline in unseren Großtanks an der Küste an. Bestenfalls mittelfristig müssen wir uns Sorgen machen. Keounda Citys Westen ist erobert und wird von den Army Rangern und diesen vermaledeiten Deutschen gehalten. Alle Versuche des Riki, auf dem Westufer des Lagabanda wieder Fuß zu fassen, sind gescheitert. Ich schlage vor, wir stellen ihm weiteres Material im großen Maßstab zur Verfügung. Eventuell sollten wir auch ein paar unserer Arbeitskontakte in der Region aktivieren, um den Riki und seine Leute zu unterstützen."
Der Mann ganz rechts, dritter in der Sitzreihe, ein untersetzter älterer Herr mit weißgoldenem Mecki-Schnitt, rieb sich den Schädel vom Schweiß trocken. "Wer ist denn wahnsinnig genug, mit diesen Verrückten zu arbeiten? Monster sind es, definitiv Monster! Wir sollten sie im Namen Gottes endlich von dieser Welt tilgen und damit ein ihm gefälliges Werk tun!"
"Dass wir es mit Verrückten zu tun haben", sagte der Asket, "steht vollkommen außer Zweifel. Aber es sind nützliche Verrückte, die uns einen außerordentlichen Profit einbringen. Wenn wir genug bezahlen, werden sich sicher genügend Leute finden lassen, die bereit sind, Keounda City zurückzuerobern."
"Und dabei sind sie ständig in Gefahr, dass der Riki ihnen ihre Schwänze abschneidet, hä?", spottete der Mecki.
"Selbst der Riki ist vernünftig genug zu wissen, dass er bei sechzig Prozent Verlusten unter seinen Leuten Hilfe annehmen muss. Außerdem kann es nur in unserem Sinne sein, wenn wir nicht alle Söldner bezahlen müssen."
Der Tischführer auf der linken Seite, ein grauhaariges dürres Männchen mit vollem Schopf, zu einem nichtssagenden Business-Schnitt gestümpert, sah unsicher hin und her. "Wenn ich dazu etwas sagen dürfte... Das Hauptproblem ist doch gar nicht mehr Keounda City. Vor zwanzig Jahren, da war die Hauptstadt ein Problem. Hätten sie ihre Rezession vollzogen, hätten wir womöglich auf Jahre nicht die Hand auf das Erdöl in der Region legen können. Auf Jahre. Die Hauptstadt lahmzulegen und die Bevölkerung zu terrorisieren hat uns zwanzig Jahre Ruhe beschert. Das Schüren von Rassendünkeln und das Verhindern von jedwelcher Hilfeleistung hat den Wiederaufbau von internen Strukturen unterbunden. Jetzt aber gibt es etwas, was sie einen könnte, und das sind diese verdammten Herwigs mit ihrer Diamantenmine, die zehntausende Tonnen Hilfsgüter ins Land schaffen und die Minen auf den Weiden räumen lassen. Was wir überhaupt nicht brauchen, dass ist, wenn diese dämlichen Neger ein gutes Beispiel dafür kriegen, dass sie miteinander auskommen können, wenn sie nur wollen. Zum Beispiel wenn sie friedlich vor dem Lazarett auf ihre Behandlung warten. Entschuldigen Sie meine Wortwahl", sagte er zum Mann in der Mitte der Dreierrunde. Der Mann hatte eine Milchkaffeefarbene Haut und war das, was man trotz seiner weißen Mutter als Afroamerikaner bezeichnete. "Ist schon gut. Mir ist klar, dass Sie diese Hillbillies nicht mit einem Mann mit Doktortitel von Havard in einen Topf werfen wollten."
"Was also schlagen Sie vor?", fragte der Vorsitzende den Hageren. "Sie haben sich doch dazu Gedanken gemacht, oder?"
"Keounda City mit Söldnern zu verstärken ist eine tolle Idee. Zwei Schlachtfelder in der Region teilen die Kräfte der Mine auf, sobald die Ranger beschäftigt sind. Aber wir sollten auch versuchen, das Problem bei der Wurzel zu packen. Wir sollten die Mine übernehmen. Und mit wir meine ich Mr. Red. Bedenken wir, wie viele neuzertifizierte Diamanten aus Belongo frisch gehandelt werden, wie viel Profit mit ihnen erzielt wird, vor allem mit den ungewöhnlich vielen rosa Fancies, und wieviel wir an dem Geschäft verdienen werden. Da wir keine dummen Hilfsgüter für die Bevölkerung kaufen müssen, wird der Profit enorm sein."
"Und Sie denken", meldete sich der Asket zu Wort, "nur weil Ndongo bereits zwei Diamantenminen hat, werden sie nichts dagegen unternehmen, dass wir uns nun auch noch diese äußerst lukrative Diamantenmine unter den Nagel reißen? Wachen Sie doch auf. So viele Menschen können wir gar nicht bestechen! Eine Pipeline ist eine nicht einordnenbare Größe, aber ein Fluss aus Diamanten, das ist was Reelles. Dann dauert es nicht lange, bis jemand gierig wird."
"Was ist, wenn es diese Jemands bald nicht mehr gibt?"
Der Vorsitzende beugte sich vor. "Spielen Sie auf den Angriff auf die Army Ranger mit Napalm an?"
"Eine unglückliche Überreaktion von Mr. Red, fürchte ich, mit der er den armen Mr. Riki unterstützen wollte. Die ist nun aber vollkommen nach hinten losgegangen. So könnte man annehmen, aber... Ein altes chinesisches Sprichwort lautet, dass eine Katastrophe auch immer eine Chance ist, und ich habe eine Idee, wie wir das Beste daraus machen können."
Der Asket hob eine Augenbraue. "Sie haben meine volle Aufmerksamkeit."
"Nun, es ist doch so. Die Army Ranger sind ins Land gekommen, um die entführten Ärzte ohne Angst zu befreien. Eine Entführung, die, wie ich anmerken möchte, eine Gruppe unserer Lohnleute in der Region ausgeführt hat, weil diese Abordnung Belongo viel zu nahe gekommen ist. Mr. Red hat sich darum gekümmert. Und hätte es funktioniert, hätte jede verdammte Hilfsorganisation einen fünhundert Meilen großen Bogen um Belongo geschlagen. Auf jeden Fall hat die Regierung die Ranger unterstützt. Dann, bei der Schlacht um Keounda City jedoch, hat die Ndongoische Luftwaffe unsere Soldaten mit Napalm bombardiert. Wieder eine Aktion von Mr. Red. Das schreit natürlich nach Rache. Nicht an Mr. Red. Der Mann ist nützlich und muss uns noch die Mine besorgen. Aber denken Sie, die US Army gibt sich mit ein paar Bauernopfern zufrieden? Was ist, wenn sie den Kopf des Präsidenten wollen?"
"Bah! Niemand will den Kopf des Präsidenten! Der Anführer der Streitkräfte, der Verteidigungsminister, darauf wird es hinauflaufen!", sagte der Vorsitzende barsch.
"Nein, wird es nicht", sagte der Schmale. "Alle Hinweise werden darauf hindeuten, dass der Präsident persönlich den Befehl gegeben hat, die Army Ranger zu bombardieren, angeblich um sie zusammen mit den Männern des Riki zu erwischen. Angedacht war ein tagelanges Bombardement, das ganz Keounda City und die kämpfenden Parteien dort ausradieren sollte, damit endlich Ruhe in Belongo herrscht. Die Army Ranger sollten dabei den Gegner im Kampfgebiet binden. Der Angriff auf ihre Landezone erfolgte peinlicherweise zu früh. Oder man glaubte, es wären bereits Kämpfer des Riki vor Ort."
"Interessante Idee. Aber Ihnen ist schon klar, dass alles, was laufen und schießen kann, eingesetzt werden wird, um den Präsidenten und seinen Clan zu verteidigen? Von seinem Stamm einmal ganz abgesehen, der den Großteil der republikanischen Elitegarde stellt?", fragte der Asket.
Der Afroamerikaner hob eine Hand. "Eine Trägergruppe ist auf dem Weg nach Ndongo, oder? Der Träger, die Abraham Lincoln, wird vor der Küste kreuzen. Ihre Jäger werden den Luftraum über Ndongo beherrschen, und ihre Marines sowohl in der US-Botschaft in der Hauptstadt, als auch in Keounda City eingesetzt werden. Eine solche Bedrohung müsste jeden halbwegs vernünftigen Politiker davon überzeugen, den Präsidenten auszuliefern, Clan hin, Clan her. Aber dann wäre der schöne Krieg vorbei, den Sie planen", sagte er zu dem Hageren.
"Richtig. Ein Krieg, der das bisherige System hinwegfegen wird. Ein Krieg, der es uns erlaubt, endlich eine Regierung über Ndongo zu stellen, die wirklich für uns arbeitet, anstatt arrogant nur beide Augen zudrückt, und nebenbei groß die Hände für ihr Schmiergeld aufhält. Ein Krieg, mit dem wir außerdem unsere Konkurrenten in der Region ein für allemal daran hindern können, in unser Interessengebiet zu kommen. Und als Preis winken außerdem noch beide Diamantenminen Ndongos, ihre Kupferminen, die Zinngruben und nicht zu vergessen das Geschäft mit Tropenholz. Und wenn ich an die Fischfanglizenzen für die fischreichen Gewässer vor dem Land denke..."
"Das ist Kolonialismus", warf der letzte Mann am Tisch ein. "Kolonialismus der übelsten Sorte. Das können wir den Bürgern nie verkaufen."
"Sie wissen schon, dass die Hilfe für jemanden, der für ein Zelt schon dankbar ist, nicht so teuer ist, wie der Wiederaufbau einer ganzen Stadt? Wenn das Land erst einmal kleingebombt ist - natürlich abgesehen von den industriell wichtigen Anlagen - werden wir uns schnell als örtlich involviertes Unternehmen einen Namen für unsere Hilfeleistung machen. Wir können sogar zu Spenden aufrufen und in die eigene Tasche stecken. Schauen Sie sich die Erdbebeninsel in der Karibik an. Vor zwei Jahren wurden ganze Landstriche zerstört, Städte ausradiert, Milliarden sind geflossen, und nichts passiert. Nach einer kurzen Welle der Aufmerksamkeit hat man sie einfach vergessen."
"Soweit, so gut", sagte der Afroamerikaner, "aber wie wollen Sie das Land so nachhaltig vernichten? Wie wollen Sie für uns die Tür öffnen?"
Der Schmächtige räusperte sich. "Der Präsident wird einen Alleingang machen, kaum das er weiß, dass es ihm selbst an den Kragen geht. Wir werden ihm unmissverständlich klarmachen, dass ihm vor einem US-Gericht nur die Anklage wegen Mordes und damit der elektrische Stuhl winkt. Dass er aber gute Chancen hat, diesen Sturm zu überstehen, wenn es ihm gelingt, die Trägergruppe vor seiner Küste zu vertreiben. Oder gar... Zu versenken. Zumindest einige der Schiffe."
Der Asket zog nun auch die zweite Braue hoch. "Ndongo hat keine nennenswerte Marine. Und bei Schnellbootattacken ist selbt die Navy schlauer geworden."
"Ja, bei Schnellbootattacken. Aber wie sieht es mit Raketenangriffen aus? Die Russen haben doch diese schnucklige Rakete namens Sizzler entwickelt. SS-N-27 Sizzler, um genau zu sein. Die kann von so ziemlich jeder Abschussplattform gestartet werden und stellt eine böse Überraschung für alles dar, worauf sie abgefeuert wird. Zum Beispiel aus Normcontainern für die Schifffahrt. Wie überraschend muss es für einen Trägerverband sein, wenn aus nächster Nähe zwanzig oder mehr dieser Raketen auf sie abgefeuert werden? Und was wird dann wohl passieren?"
Der Schwitzende wischte sich erneut mit einem Tuch über die Stirn. "Die Navy wird das Land in die Steinzeit bomben, und der Präsident wird ein oder zwei amphibische Divisionen schicken, um es zu erobern. Binnen von zwei Wochen gehört das Land den USA."
"Und damit hätten wir genau das Ziel erreicht, das wir heute anstreben."
"Abgesehen davon, dass dabei schon wieder US-Soldaten sterben werden, wogegen ich protestiere", sagte der Asket, "fehlen in Ihrem Szenario ein Schiff, Container und Sizzler-Raketen in der Nähe der Abe."
"Fehlen sie nicht", sagte der Schmächtige. "Ein Schiff mit den entsprechenden Containern an Bord liegt derweil in einem ndongoischen Hafen. Abschussbereit, wohlgemerkt. Ursprünglich sollten die Raketen nach Argentinien gehen. Die wollten sich etwas aufrüsten, falls sie genügend Mumm finden, um noch mal um die Malwinen zu kämpfen. Aber bei ihnen ist es nicht so eilig. Wir aber hätten eine perfekte Gelegenheit, um... Zum Wohle der Menschen in Ndongo die Diktatur zu stürzen und ein besseres System einzuführen, dass das Land in einen gewissen Wohlstand und in den Frieden führt."
"Und dass US-Soldaten dabei sterben, ist Ihnen egal?", tadelte der Asket.
"Nun, dafür sind sie da. Dafür waren sie doch schon immer da." Der Schmächtige zuckte mit den Schultern. "Und außerdem leeren wir damit auch unsere Slums ein wenig, was der ganzen Gesellschaft gut tun wird."
"Dennoch!", beharrte der Asket. "Ich habe nicht in zwei Golfkriegen gekämpft, nur um..."
"Wir nehmen die Idee an!", sagte der Vorsitzende barsch. Er nickte dem Schmächtigen zu. "Leiten Sie alles in die Wege, um die Abraham Lincoln böse zu überraschen. Und weisen Sie Mr. Red an, sich um Keounda City und um die Mine zu kümmern. Zusätzliches Geld wird bereitgestellt." Sein Blick ging zum Asketen. "Und was die Soldaten angeht, so habe ich noch keinen G.I. der USA getroffen, der nicht bereitwillig sein Leben für sein Land gegeben hätte."
Die anderen Männer lachten, während der Asket ihn mit steinerner Miene ansah. "Ich protestiere."
"Tun Sie das. Aber tun Sie auch das Beste für die Firma. Gentlemen, es gilt, einen Krieg auszulösen. Einen Krieg, der Hitlers Blitzkriege wie einen russischen Zehnjahresplan aussehen lassen wird. Roxxon macht Politik."
***
Meike schreckte hoch, als irgendwo in der Nähe ein Hahn schrie. Sie hatte auf einem Stuhl geschlafen, den Kopf auf den Schlachttisch gelegt, der ihr als Operationstisch gedient hatte, jemand hatte eine Decke über ihre Schultern gelegt. Wann genau war sie eingeschlafen? Und wer hatte sich so rührend um sie gekümmert? Sie blinzelte verschlafen. Wo war sie überhaupt? Ach ja, Ldungas Farm. Ihr Blick ging zum Fenster. Dort wurde es, wie für Afrika üblich, recht schnell hell. Also war es relativ früh am Morgen. Irgendwas um sechs. Sie fragte sich, wie die Nacht in Keounda City verlaufen war. Sie fragte sich, wie es Niklas ergangen war. Denn trotz der ganzen Zeit, und trotz seiner Stupidität, die sie immer zur Weißglut gereizt hatte, fühlte sie doch noch etwas für ihn, und das war nicht gerade wenig. Um Axel machte sie sich weniger Sorgen. Der konnte auf sich aufpassen und hielt sich aus dem gröbsten Ärger heraus. Diesen Eindruck hatte er jedenfalls auf sie gemacht, gestern Abend, als er mit Captain Scott rübergekommen war, um den Steckschuss im Bein des Rangers behandeln zu lassen. Meike hatte dann auch gleich darauf bestanden, den Anführer der Belongo Mining zu untersuchen. Auf versteckte Verletzungen, Kratzer, die in diesem Klima schnell zu Blutvergiftungen führen konnten, auf Brüche und Anbrüche, die er sich beim Absturz der Mi-24 zugezogen haben konnte, auf angebrochene Rippen. Also alles das, was sie ohne Röntgengerät oder gar Kernspintomographen hatte leisten können. Der Junge war zwar grün und blau gewesen, bestand eigentlich nur noch aus einem großen Stück misshandelter Haut, aber soweit sie das hatte erkennen können, war er noch aus einem Stück. Was nicht nur sie, sondern auch Ldunga zufriedengestellt hatte, denn für ihn stand der junge Deutsche für das Bündnis zwischen ihm und der Minengesellschaft. Sein Leben war ein Garant dafür, dass das Missverständnis, das einigen seiner Leute das Leben gekostet hatte, bald vergessen werden würde, und dass sie tatsächlich als Partner handeln konnten. Unabhängig davon, von welchem Volk Ldunga war. Meike war sich sehr sicher, dass er, wenn es seinem Volk gut ging, nichts dagegen hatte, dass es zum Beispiel den Wagondas auch gut ging.
Gemeinsam hatten sie auf Axel und Scott eingeredet, auf der Farm zu bleiben oder zur Mine weiterzufliegen, anstatt in die Stadt zurückzukehren, aber der eine hatte seine Pflicht zu erfüllen, und der andere war einfach nur ein gewaltiger Sturkopf, der ihr bei seiner Parade auch noch in die Augen gesehen hatte, ohne einmal zu zwinkern. Verdammt, Axel, sturer Hund! Sie hatte sich doch nur Sorgen um ihn gemacht! Und um Niklas, und um Hannes, und... Ach, das brachte doch alles nichts.
"Wieder wach?", klang eine Frauenstimme neben ihr auf. Meike blinzelte, sah zur Seite. Dort lag Michelle, die Tochter des Warlords, eingerollt in eine Decke auf dem blanken Boden. Sie hatten gestern gemeinsam die verletzten Ranger und Speere versorgt, die nach und nach vorbei gekommen waren. Die Zahl toter Ranger war im Zuge dessen übrigens auf zwanzig gestiegen; man hatte zwei weitere Leichen gefunden. "Ja, wieder wach. Warum bist du noch hier, Mädchen?"
"Ich dachte mir, ich bleibe in der Nähe, falls du mich brauchst, Meike", erwiderte sie. "In der Nacht hätte einiges passieren können, oder?" Sie nickte in Richtung Tür. "Deine beiden Sanis sind draußen und schlafen. Wir hatten ab zwei nicht mehr wirklich viel zu tun. Und als du eingeschlafen bist, habe ich die Männer rausgejagt." Ihr Blick war spöttisch. "Du hast doch nicht schon ausgeschlafen, oder?"
"Nein, nicht wirklich. Ich wäre für einen Kaffee dankbar."
"Ich lasse uns welchen bringen. Die Ranger machen einen ziemlich guten." Sie wickelte sich aus ihrer Decke. Die Tochter Ldungas hatte in der Kleidung geschlafen, in der sie den späten Nachmittag, den Abend und die Nacht hindurch gearbeitet hatte. Sie trat vor die Tür und gab einem Mann, der vor der Tür Wache schob, auf Französisch eine Anweisung. Der Mann nickte und rief einen anderen herbei, der im Gras saß und mit mindestens zwanzig weiteren Männern etwas trank. Er sprang auf und eilte davon, als hinge sein Leben davon ab.
"Nanu", machte Meike.
"Deine Leibwache", erklärte Michelle Abesimi. "Obwohl dich jeder Speer mindestens als Medizinerin verehrt, und die Abergläubischen unter ihnen dich für eine große Zauberin halten, haben sie eine Wache gegründet, die dich beschützen soll. Im Moment sorgen sie dafür, dass du nicht das Objekt von zu großer Verehrung wirst."
"Oh. Männer."
"Ja, Männer. Ich hoffe, du hast nichts gegen schwarze Männer. Ich meine, in Beziehungen und so."
"Weiß nicht. Ich habe mich noch in keinen verliebt. Ein Japaner war mal dabei, aber das ging schnell auseinander, als er merkte, das ich jedes Wort verstand, das er sagte. Ein kleines Arschloch."
"Und wie sieht es jetzt aus?"
"Sagen wir, ich bin für alles offen. Aber es gibt da jemanden, der... Nun."
Der Mann kam zurückgelaufen, zwei große Becher und eine Thermoskanne in der Hand, die mit Stars&Stripes beklebt war. Eindeutig von den Rangern.
Er durfte den Operationsraum betreten und reichte Michelle die drei Objekte. Dabei warf er Meike bewundernde Blicke zu, bevor er es wagte, Michelle etwas in einem der Dialekte zu fragen.
Die junge Frau lachte leise. "Er will wissen, ob du in Belongo bleiben wirst, wenigstens für einige Zeit."
Das verblüffte die junge Frau. "Eine Zeitlang sicherlich."
Michelle übersetzte und komplimentierte den Mann wieder raus. Hinter ihm schloss sie die Tür. Anschließend schenkte sie sich und der Deutschen ein. "Trinken wir den Kaffee zum Wachwerden und gehen wir dann ins Haus, etwas frühstücken. Ich würde ungern hier drin essen wollen."
Meike nickte. "Die Männer sollen den Raum und den Tisch tüchtig durchschrubben und desinfizieren, wenn wir weg sind. Heute Nacht hat man uns keine Verletzten gebracht, aber das kann heute im Lauf des Tages noch werden. Ist denn gar nichts passiert?"
"Oh doch, in der Stadt war die Hölle los. Ein Dutzend Schiffe hat Keounda City passiert, was eine enorm hohe Zahl ist. Und die Verrückten haben versucht, mit ihrem Schwimmpanzer über den Fluss zu kommen. Euer Boxie hat sie getötet. Der Fluss wurde rot von ihrem Blut, und ihre zerschlagenen Leichen trieben stromabwärts. Überall, wo man die Leichen hat treiben sehen, wurden Freudengesänge angestimmt. Die Lulugengo entlang beider Flussseiten sind in heller Aufregung und feiern das baldige Ende der Monster, die in der Stadt hausen. Makaber?"
"Nicht so makaber, wie sich getrocknete Körperteile als Schmuck um den Hals zu hängen. War noch etwas los, außer das wir Verstärkung erhalten haben?"
"Falls du die Army Ranger meinst, die auf dem Weg zur Mine sind, die dürften jetzt jede Minute ankommen. Hättet Ihr die versprochenen Straßen bereits gebaut, wären sie vermutlich um Mitternacht schon dagewesen."
"Immerhin geht es voran." Meike trank einen großen Schluck Kaffee. "Ja, die Amis wissen wie man Kaffee kocht. Eure Leute trinken Tee?"
"Ja. Wir Lulugengo sind eigentlich Teetrinker. Ich habe mir den Kaffee angewöhnt, als ich studiert habe und den Offizierslehrgang belegt hatte." Sie trank ebenfalls aus ihrem Becher. "Man wird süchtig nach diesem Zeug."
"Ja, leider. Aber ihm verdanke ich es, dass ich mein Studium geschafft habe." Meike seufzte und trank die Tasse leer. "Gehen wir frühstücken. Wir nützen niemandem was, wenn es hier Arbeit gibt, und wir vor Hunger fast umfallen."
"Einverstanden."
Ja, Völkerverständigung konnte sehr einfach sein, wenn alle was zu essen bekamen. Meike beschloss, diese Lektion zu beherzigen.
***
"Boxie? Sind Sie wach?"
"Jetzt schon", brummte der Hubschrauberpilot. "Was gibt es denn, Heinlein?"
"Woher wissen Sie, das ich es bin?", fragte sie überrascht.
"Ich merke mir alle potentiellen Diebe meiner Meerschweinchen, merken Sie sich das."
Die blonde Frau hob abwehrend beide Arme. "Oh, ich habe bestimmt nicht vor, Ihnen Ihre Meerschweinchen zu stehlen! Ich meine, sie sind bestimmt ganz lieb und knuffig. Ich hatte früher auch einen Zwerghasen. Aber ich will sie ganz bestimmt nicht!"
"Ruhig, Goldie, ich nehme Sie ja nur hoch." Boxie streckte sich auf seinem Pilotensitz ein wenig, bis irgendetwas knackte, was garantiert nicht knacken durfte. "Oh. Mist." Er kletterte aus dem Sitz und sprang zu Boden. "Ist das da Kaffee in Ihrer Hand, Heinlein?"
"Ja, Sir. Der Chef hat mir geraten, Ihnen einen mitzubringen, wenn ich was von Ihnen will."
"Na, dann mal her mit dem Zeug. Ich hatte eine scheiß lange Nacht."
Sie reichte ihm den Kaffeebecher. "Hier, bitte."
"Und was führt Sie nun zu mir?"
"Sir, ich wollte Sie fragen, ob ich Ihr Stellvertreter werden kann. Also für die Fliegerstaffel."
Hatte Boxie bis eben noch verschlafen ausgesehen, so wurde sein Blick nun hellwach. "Stellvertreter?"
"Ja, Sir."
"Und Sie meinen, Sie haben das Zeug dazu?"
Für einen Moment wirkte die blonde Pilotin unsicher. "Nun, ich habe meine Probleme, zugegeben, aber ich arbeite sehr hart an ihnen. Zum Beispiel wurde gerade auf mich geschossen, ich hatte eine Kugel im Helm, und ich habe mich nicht eingepinkelt und auch nicht verkrochen. Ich wachse mit meinen Aufgaben."
"Sagen Sie nicht sowas wie einpinkeln. Erstens glaube ich das von Ihnen nicht, und zweitens sind wir in einer Situation, in der es auch dem Tapfersten unter uns passieren kann. Wir sind hier permanent vom Tod bedroht. Und ich glaube, das bleibt auch noch einige Zeit so."
"Ja, Sir. Entschuldigung."
"Das brauchen Sie nicht. Wirklich. Was Ihre Frage angeht, nun, bisher waren wir drei Piloten und drei Co-Piloten für vier Maschinen, von denen immer eine in der Wartung war. Ich bin der Boss, und ansonsten haben wir bei diskussionsfähigen Entscheidungen ein Komitee gebildet. Das hat ganz gut funktioniert."
"Verstehe, Sir."
"Aber da wir ja nun sechs Piloten und sechs Co-Piloten haben werden, der siebte kommt irgendwann heute an und bringt uns unseren neunten Vogel mit, wird es wohl langsam Zeit, das wir ein wenig Strukturen bilden. Jorge wird ja wohl ohnehin eine Zeitlang im Lazarett bleiben, wenn er nicht nach Deutschland zurückwill, also kann der schon mal nicht meckern. Ich bin einverstanden."
"Sir, natürlich respektiere ich Ihre Entscheidung, aber ich würde gerne die Chance haben, meine Vorzüge darzulegen."
"Nicht nötig. Ich sagte es doch. Ich bin einverstanden."
"Was?", fragte sie ungläubig.
"Ja, doch. Ab heute sind Sie die Stellvertretende Leiterin unserer Luftschwadron. Und glauben Sie mir, die wird noch gewaltig wachsen. Bernd kauft gerade eine TransAll und sucht die Piloten für sie. Außerdem lässt er eine Landepiste errichten, auf der eine Antonov Platz finden würde. Sind Sie sich sicher, dass Sie sich die Arbeit aufhalsen wollen? Am XO bleibt meistens der Papierkrieg hängen, und so."
Heinlein strahlte den Hauptmann an. "Im Papierkram bin ich gut, Sir! Ich halte Ihnen schon den Rücken frei!"
"Boxie. Bleiben wir bei Boxie. Ich habe mich so an den Namen gewöhnt. Und er steht für Tapferkeit, Wagemut, Ausdauer und innere Ruhe." Irritiert stellte Boxie fest, dass die Frau ihm förmlich an den Lippen hing.
"Kann ich nachvollziehen. Ich habe das Video von der Landung an der Mine gesehen und den Funk gehört. Perfekte Mission, Sir. Äh, Boxie."
"So perfekt nun auch wieder nicht." Er kratzte sich nachdenklich am Schopf. "War es das also?"
"Im Prinzip schon. Aber wenn ich Ihnen auf unorthodoxe Weise danken dürfte, Boxie..."
"Ich mag unorthodoxe Sachen."
Heinlein trat an ihn heran und stellte sich auf die Zehenspitzen. Dabei drückte sie ihm einen Kuss auf die Wange.
"Was denn? Für eine Beförderung kriegt man ein Küsschen? Hätten Sie das mal gleich gesagt."
"Na, da warten Sie erstmal ab, was es dafür gibt, wenn man mir das Leben rettet. Herr Herwig hat mir seinen Helm geliehen, bevor ich hinterrücks angeschossen wurde. Dafür hat er einen auf die Lippen gekriegt", erklärte sie mit einem strahlenden Lächeln.
"Das ist in Ordnung. Auf jeden Fall weiß ich jetzt, warum Sie aus der Bundeswehr geflogen sind."
"Oh. Das war es nicht. Nicht nur. Mögen Sie es nicht?"
"Nein, ich mag Küsse sehr gerne. Auch solche Dankeschön-Küsschen. Sehen Sie nur einfach zu, dass Sie nicht aus Versehen jemandem das Herz brechen. Axel zum Beispiel. Der Arme ist ja so ausgehungert, was Liebe angeht, da... Brechen Sie einfach niemandem das Herz."
"Ja, das kommt der Wahrheit schon näher. Ich werde mir Mühe geben, mich etwas zurückzuhalten."
"Gut. Dann sollten wir jetzt Ihre Beförderung feiern. Schnorren wir bei den Amis doch irgendwas zu frühstücken. Ich vermisse die Kantine von Herrn Worms, und kein deutsches EPA kann da mithalten."
"Private Oslovski, von dem ich den Kaffee habe, hat schon sowas angedeutet."
"Dann sollten wir den guten Mann beim Wort nehmen", sagte Boxie schmunzelnd. Verstohlen griff er sich an die Wange. Das mit dem keine Herzen brechen hatte er vielleicht einen kleinen Tick zu spät gesagt. Verdammt, die Frau war genau sein Typ. Und die Situation war sowas von nicht dazu geeignet, sich zu verlieben oder eine Beziehung zu knüpfen. Oder beides. Aber wann war sie das schon? "Gehen wir, Heinlein."
"Grete." "Was?" "Wenn ich Sie Boxie rufen darf, dürfen Sie mich beim Vornamen nennen." Sie lächelte ihn erwartungsvoll an.
"Also gut: Grete." Boxie ahnte, dass er in ihr nicht gerade eine Verbündete darin hatte, sich nicht in sie zu verlieben. Und in ihrer unbedarften Art würde sie wahrscheinlich nicht einmal merken, dass... Gequält seufzte er auf. Egal, so war sein Leben nun mal. Einmal mehr scheitern würde ihn auch nicht umbringen. "Gehen wir, Grete."
"Gerne, Boxie."
***
Kaum hatten sich die Rotoren der Mi-24WM ausgedreht, kamen die Techniker der First Belongo Diamond Mining Company herüber, um dem Piloten und seinem Lademeister beim Ausladen zu helfen. In einer Entfernung stand ein junger Mann mit gepflegtem Kurzhaarschnitt und sah zu ihnen herüber.
Der Lademeister, ein blonder Mittvierziger, raunte dem Piloten etwas zu. Es klang russisch.
Der Pilot lachte in seinen schwarzen Vollbart, der aber sorgsam gestutzt war. Soweit konnte die Welt gar nicht untergehen, dass er vergaß sich selbst ein Minimum an Pflege zu gönnen. "Es ist wohl etwas spät, um Bedenken zu entwickeln, Ljoscha. Außerdem vertraue ich Bernd."
"Genauso wie unserem letzten Auftraggeber?", fragte der Russe sarkastisch in akzentlastigem Deutsch.
"Ich weiß gar nicht was du hast. Wir haben doch eine prächtige Entlohnung für unsere Dienste bekommen, oder etwa nicht?" Er tätschelte den Bauch des Kampfhubschraubers. Okay, hier und da gab es Einschusslöcher, ein paar Panzerplatten waren lose, und eine der beiden Turbinen brauchte dringend Wartung. Aber alles in allem war sie gut in Schuss dafür, dass sie keinen russischen Techniker gesehen hatte, seit sie nach Afrika verschachert worden war. "Und nur zu deiner Information, Bernd vertraue ich wie einem Bruder."
"Und warum haben wir den Auftrag nicht gleich angenommen, Herr Leutnant?"
"Weil ich meine Verpflichtungen ernst nehme. Desertiert wird erst, wenn die Vertragspartner ihren Teil nicht einhalten. Rate mal, warum ich so einen guten Ruf habe."
"Ja, man kennt dich", frozzelte der Russe. Mit angenehmer Stimme wies er die Techniker auf Material hin, das ausgeladen werden musste und zeigte die gröbsten Schäden auf, die sie reparieren mussten.
"Erstmal zum Boss", sagte der Pilot und gab Ljoscha einen Wink, ihm zu folgen. Je näher sie dem einsam dastehenden Mann kamen, desto deutlicher erkannte er, dass der junge Mann in Wirklichkeit wesentlich älter war. Aber erst als sie einander gegenüberstanden, wagte er es, ihn auf Ende fünfzig oder Anfang sechzig zu schätzen.
Probeweise salutierte er vor dem großen schlanken Mann. "Guten Morgen. Michael Möller, dreiundvierzig, ehemals Leutnant der Hubschrauberwaffe der NVA, stehe zu Ihren Diensten. Das hier ist Alexej Wladimirowitsch Kusnezow, der beste Hubschraubermechaniker, den Sie in Afrika finden können."
"Freut mich, meine Herren. Professor Thomas Herryhaus, Stützpunktkommandeur der Belongo Mining Company von Honiton City." Der Professor reichte beiden die Hand. "Freut mich, dass Sie schon da sind. Letzte Nacht wäre aber noch besser gewesen, aber davon später mehr. Ihr Vogel scheint gut in Schuss zu sein."
Ljoscha und Michael wandten wie auf Kommando den Kopf nach hinten. "Na ja, geht so. Die Teile waren knapp. Aber mein Alexej ist ein Zauberer vor dem Herrn."
"Fünfundzwanig!", rief einer der Techniker nach einer ersten Inspektion zu Herryhaus herüber.
"Fünfundzwanzig was?", fragte Möller argwöhnisch.
"Er meint, Ihre Maschine ist fünfundzwanzigtausend Euro wert. Ich zahle Ihnen aber maximal zweiundzwanzigtausend."
Der Russe und der Ostdeutsche wechselten einen überraschten Blick. "Bernd sagte was von einem Bonus in Höhe von zehntausend Euro pro Nase", sagte Möller. Seine Stimme zitterte dabei leicht.
"Ja, das ist richtig. Aber das sind nur Kleinigkeiten. Alleine heute wurden der Belongo Mining Company aus den Diamantenverkäufen knapp dreihunderttausend Euro aufs Konto überwiesen. Was denken Sie, werden Sie anteilmäßig am Ende der Woche haben, wenn es so weitergeht?"
"Mehr als einundzwanzigtausend Euro pro Nase?", fragte der Russe erstaunt.
"Wesentlich mehr. Wir haben zwar einigen Ärger, aber wir machen ein Vermögen. Und ehrlich gesagt, wir können einen russischen Muttersprachler als Wartungstechniker gerade sehr gut gebrauchen. Wir kriegen heute ebenfalls noch einen weiteren Transporter rein, und ich würde mich freuen, wenn er morgen oder spätestens übermorgen weitere Hilfsgüter nach Belongo bringt. Unser Hospital dürfte sonst einen Engpass erleiden. Außerdem stehen auch noch zwei Rücktransporte von Menschen an, die wir nach Panadia haben ausfliegen lassen, um sie hier behandeln zu lassen."
Wieder wechselten die beiden einen erstaunten Blick. "Sagen Sie, Professor", begann Möller, "wie groß sind Ihre karitativen Bemühungen eigentlich?"
"Oh die Hälfte aus den Diamantenverkäufen gehen in unsere Ausrüstung und die Hilfsgüter. Das bedeutet, wir schaffen Hilfsgüter im Wert von vier Millionen Euro nach Belongo herüber. Hilfsgüter im Wert von sechs Millionen Euro sind bestellt, weitere zehn Millionen reserviert, diesmal hauptsächlich Fertigbauhäuser und dergleichen. Wir machen ernst mit den Schulen in Belongo."
"Fertigbauhäuser?", fragte der Russe ungläubig.
"Ja. Der schnellste Weg, um die Kinder unter ein trockenes Dach zu kriegen. Mit der Transall, die nächste Woche kommen soll, bringen wir die Bauteile dann nach Belongo, und die Hubschrauber können sie untergehängt zu den Dörfern tragen, wo sie aufgebaut werden können. Solange es noch keine Straßen gibt, geht es leider nicht anders. Aber wir planen schon an einer Straße, die, wenn alles gut geht, die Diamantenmine mit Honiton City verbinden wird. Entsprechende Anträge laufen bereits hier in Panadia."
"Und das wollen Sie alles im Rest dieses Monats schaffen?", fragte Michael Möller ungläubig.
"Wenn uns genug Zeit bleibt, ja." Der Professor sah die beiden Männer ernst an und begann, sie in das Geschehen der letzten beiden Tage einzuweisen. Als er geendet hatte, fragte er: "Und? Sind Sie dabei?"
Möller nickte. "Wenn ich die Mi-24 mit dem Tandemcockpit fliegen darf."
"Und ich kann an allen Modellen arbeiten?", vergewisserte sich Kusnezow.
"Das müssen Sie sogar. Und ich gebe der Kantine den Auftrag, Borschtsch für Sie zu kochen."
"Och nö, nicht dieses alte Klischee", murrte der Mechaniker.
"Dann soll ich das lassen?"
"Nein, nein, es ist schon etwas her, dass ich gute Borschtsch gegessen habe. Ich mag nur das Klischee nicht."
"Also ist es abgemacht. Sie fliegen die 24-D mit dem zusätzlichen Sprit zur Mine raus, wenn Sie die US Marines nach Keounda City eskortiert haben, Michael..."
Möller nickte zustimmend.
"Und Sie, Ljoscha, leiten als Erstes die Wartung des Hind-E, den Sie mitgebracht haben."
"Leiten? Ich bin sicher, Sie haben ein festes Team hier, und..."
"Sie sind der Muttersprachler, der die Wartungshandbücher nicht erst übersetzen muss. Sie sind der Mann mit der Erfahrung. Wenn Sie die Verantwortung nicht übernehmen wollen, kann ich das verstehen. Aber ich möchte schon, dass Sie den Leuten mit Rat und Tat zur Seite stehen."
Möller gab dem Blonden einen kräftigen Hieb mit dem Ellenbogen in die Rippen.
"Autsch. Wenn es nur ein Team ist, ist das wohl in Ordnung."
"Gut. Gehen wir was essen, meine Herren. Es ist Frühstückszeit. Und dann helfen Sie uns dabei, ein Land zu retten." Professor Herryhaus wandte sich um und ging vorweg. Die beiden folgten ihm ohne zu zögern. Es war merkwürdig, so ein Gefühl zu haben, das vehement behauptete, diesmal auf der richtigen Seite zu sein. Und es machte froh. Auch wenn dieses Unternehmen wie schon so viele kräftig in die Tonne getreten werden würde, sie würden stolz sein auf jeden Tag, an dem sie es zumindest probiert hatten.

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14.
"Sie kommen!", hallte es durch das Lager an der Diamantenmine. Sofort hatte sich eine erkleckliche Anzahl an Schaulustigen zusammengefunden, was trotz der Leute auf Wache, der Dependance in Ngali und dem Einsatz in Keounda City immerhin noch rund zwanzig Pioniere, Flieger, Infanteristen und Sanitäter und immerhin vierzig einheimische Arbeiter bedeutete. "Sie", das waren die restlichen zwei Platoons Ranger unter dem Kommando der Second Lieutenants Hector und Garaldi. Die fünf Lastwagen fuhren in langsamem Tempo durch den schmalen Pfad zwischen den Schützengräben hindurch, vorsichtig darauf bedacht, nicht abzurutschen und die vermeintliche Sicherheit innerhalb des Grabensystems zu erreichen.
Den Rangern offenbarte sich das Durcheinander einer kleinen Zeltstadt, die stetig am Wachsen war, eine große, wie gerodet wirkende Fläche, auf der zwei Hubschrauber standen und entladen wurden, das große Loch in der Hügelwand im Westen, die Holzhütten an seiner Flanke sowie der Bürocontainer nördlich vom Loch. Dem geübten Beobachter entginge natürlich weder die Meldeposten an der schmalen Durchfahrt, noch der Beobachtungsposten auf der Hügelspitze, der mit den primitiven Möglichkeiten vor Ort so gut wie möglich getarnt worden war. Auch die Arbeiten im Osten, die aus dem Lager hinaus führten und einmal eine Start-, und Landebahn werden sollten, waren kaum zu übersehen. Aber jedem militärisch halbwegs erfahrenen Soldaten musste klar sein, dass die Deutschen viel zu wenig Leute hatten, um das sich selbstständig erweiternde Gelände effektiv zu bewachen. Vor allem die Landebahn würde ein verletzlicher Punkt sein, denn eigentlich hätte die Vorsicht geboten, zumindest in unregelmäßigen Abständen Schützenlöcher einzurichten, um zu verhindern, das sie in der Nacht beschädigt, oder noch schlimmer, vermint wurde. Die Krauts hatten gut daran getan, neue Leute zu rekrutieren.
Diese und ähnliche Gedanken schossen Jebediah Hector durch den Kopf, als er, kaum aus dem in der Belongo Base de l'Air gestohlenen LKW geklettert, sich einen ersten Überblick verschaffte.
Es knirschte merkwürdig, als sein Stiefel aufsetzte, und interessiert bückte er sich, um zu sehen, was er berührt hatte. Es war ein halbklarer Kiesel.
"Vorsicht, bitte, und sagen Sie das auch Ihren Leuten", sagte ein Mann mittleren Alters, der im SECAM-Fleckentarn der Belongo Mining auf ihn zutrat. "Die Idioten, die hier versucht haben, Gold zu finden, haben das ganze Geröll mit Blausäure getränkt. Ich rate Ihnen, den Boden nicht mit bloßen Händen zu berühren und sich gründlich die Hände zu waschen."
Ein wenig verdutzt betrachtete Hector den schnauzbärtigen Mann vor sich. Dann streckte er die Hand aus und reichte ihm den fingernagelgroßen Kiesel. "Ich weiß, das ist unwahrscheinlich, aber könnte das einer der Diamanten sein?"
Der Mann nahm den Stein mit einem Taschentuch in der Hand entgegen und inspizierte ihn. "Möglich. Wir werden ihn mit den anderen Steinen zum Testen rausschicken." Mit diesen Worten steckte er den Stein ein. Anschließend salutierte er. "Willkommen bei der Belongo Mining Company. Ich bin im Moment der befehlshabende Offizier, Oberleutnant Kram."
Hastig erwiderte Hector den Salut und wollte dem Deutschen anschließend die Hand geben, bevor er sich wieder an die Blausäure erinnerte.
Kram schmunzelte. "Sie können sich im großen Zelt links die Hände waschen. Es ist unser Duschzelt. Alle unsere Einrichtungen stehen Ihnen und Ihren Leuten zur vollen Verfügung. Das große Zelt in der Mitte ist unsere Kantine. Ich habe mir erlaubt, für Sie und Ihre Leute ein kräftiges amerikanisches Frühstück zu bestellen. Und Sie sollten es essen, wenn Sie Herrn Worms nicht verärgern wollen."
"Herr Worms?"
"Quasi das Faktotum unseres Hauptfinanciers. Der beste Koch diesseits des Äquators."
"Amerikanisches Frühstück klingt doch gut", sagte Garaldi, als er zu den beiden trat. Zuvor hatte er die Arbeit erledigt und nach kurzer Absprache mit Leon, dem Anführer der Arbeiter, einen Park-, und Abstellplatz für ihre Lastwagen und die Ausrüstung vereinbart. "Secound Lieutenant Patterson Garaldi. Freut mich, Sie kennenzulernen, Oberleutnant."
"Ebenso. Warnen Sie bitte Ihre Leute, dass der Geröllboden mit Blausäure getränkt ist. Sie sollen ihn nicht ungeschützt anfassen."
Garaldi nickte und sah nach hinten. "Hoekamps! Das Geröllfeld ist Abraum aus dem Minenbau und mit Blausäure getränkt! Niemand fasst mir hier was ohne Handschuhe an!"
"Verstanden, Sir! Musste den ersten schon in den Arsch treten, weil sie Diamanten suchen wollten!"
Über Krams Gesicht ging ein Lächeln. "Lieutenant Hector, Lieutenant Garaldi, lassen Sie Ihren Leuten bitte ausrichten, das wir ihnen großzügige Prämien bezahlen, wenn sie tatsächlich Diamanten finden und bei uns abliefern." Er machte ein alles umfassende Geste. "Das Gelände ist nicht nur mit Blausäure verseucht, sondern augenscheinlich auch mit Diamanten. Die hiesige Bevölkerung versorgt sich hier schon seit rund fünfzig Jahren mit Schmucksteinen, weshalb sie weit verbreitet sind. Wir würden etliche Diamanten wahrscheinlich nie finden, wenn uns nicht der Zufall zu Hilfe kommt." Er stutzte. "Dürfen Ihre Leute denn Prämien annehmen?"
"Wie hoch sind denn diese Prämien?", fragte jemand aus den Reihen der hektischen Ranger.
"Zweihundert Dollar pro Karat. Ein Karat ist etwa ein halbes Gramm. Das bedeutet, wenn Ihr Stein echt ist, Lieutenant Hector, sind das für Sie vier-, bis fünftausend Dollar."
"Sie wollen meine Leute missbrauchen, um für Sie Diamanten zu finden?", argwöhnte Hector.
"Nun, der Gedanke kam mir. Und so ist es doch besser, als wenn sie sich Kiesel wie Verbrecher einstecken und mit einem schlechten Gewissen leben müssen, oder?" Er lachte. "Wie ich schon sagte, das Duschzelt und die Kantine stehen Ihren Leuten offen. Außerdem haben wir weitere Flächen für Zelte fertig gemacht. Sie haben doch Zelte mit?"
Hector sah nach hinten. Zwar arbeiteten die Leute noch, aber die Aussicht, einen Kiesel zu suchen und vielleicht ein paar tausend Dollar Taschengeld zu bekommen, surrte wie ein Mückenschwarm durch die Reihen seiner Leute. Es würde sich wohl nicht verhindern lassen, dass die Männer und Frauen in ihrer Freizeit Diamanten suchen gingen. Und so rum war es sicher besser, als wenn sie die Steine tatsächlich vom Gelände stahlen. Und sie würden Freizeit haben, im Gegensatz zu ihren Kameraden in Keounda City. Allerdings würden sie, jetzt wo die Platoons eins und zwei die Mine erreicht hatten, Teams austauschen, damit die Leute an der Front in den Genuss von etwas Rest&Recreation kommen würden.
"Pat", sagte er zu seinem Dienstjüngeren Kameraden, "informieren Sie die Leute über die Duschmöglichkeiten und über das Essen. Sie sollen die Laster erst einmal nur einstellen. Nach der langen Nacht ist Freizeit bis zum Mittag. Wenn erstmal die Untersuchungskommission in Belongo eintrifft, werden wir davon sehr wenig haben, zudem ich annehmen muss, dass die Belongo Mining als Basis dienen wird."
Garaldi nickte. "Davon ist auszugehen. Spätestens wenn die Marines von der Abe eintreffen, wird es sicher nochmal hektisch. Wir können uns ja auch nicht von ein paar Salzwasserinfanteristen vorführen lassen."
Hector lächelte dünn. Die gute alte Rivalität zwischen den Teilstreitkräften. "Oberleutnant Kram, wenn wir ausgeräumt haben, würde ich mich freuen, wenn wir für die Zeit, in der wir hier sind, unseren Teil der Wachaufgaben übernehmen könnten. Das betrifft natürlich auch unsere nachrangigen Dienste wie die Küchencrew und unsere Sanitäter."
"Ein Angebot, das wir gerne annehmen", sagte Kram nickend. Er deutete auf Bernd, der mit schnellen Schritten näherkam. "Darf ich Ihnen bei der Gelegenheit Herrn Bernd Assay vorstellen? Er ist unsere gute Seele und unser Rückgrat und außerdem ein direkter Vertrauter von Professor Herryhaus."
Der dicke Mann trat an die Gruppe heran und schüttelte beiden Männern die Hand. "Herzlich willkommen. Entschuldigen Sie, dass ich nicht gleich kommen konnte, aber wir wollen heute fast fünfzig Mann und zwei neue Hubschrauber herüberschaffen, die zudem einen zweiten Wohncontainer mitbringen werden. Ja, wir richten uns hier langsam häuslich ein", sagte er lächelnd.
"Äh, Bernd, Lieutenant Hector hat Geröll angefasst", sagte Kram.
"Was? OH! Das ist nicht gut. Sir, Sie sollten sich sicherheitshalber die Hände waschen. Ein Tod durch Cyanidvergiftung ist eine schreckliche Sache. Und Sie, Lieutenant Garaldi, am Besten auch gleich, denn ich könnte, nachdem ich Lieutenant Hector die Hand gegeben habe, etwas auf Sie übertragen haben. Und glauben Sie mir, Sie würden selbst eine kleine Vergiftung mit Blausäure nicht besonders mögen. Bitte folgen Sie mir."

Kram nickte den beiden Offizieren zu, als sie sich mit Bernd auf den Weg zum Duschzelt machten und gesellte sich zu dem Mann, den Garaldi Hoekamps genannt hatte. Der Mann trug die Abzeichen eines Sergeant Majors und verströmte schon von weitem den heimeligen Duft eines Mannes, der zwanzig Jahre seines Lebens Rekruten herumgescheucht hatte.
Der Mann sah zu ihm herüber, schätzte ihn kurz ab und salutierte dann. "Oberleutnant, eh?", fragte er, bevor er einem der Lastwagenfahrer eine scharfe Warnung zubrüllte.
"Ja, seit etwa zwei Tagen", bestätigte Kram. "Vorher war ich Oberfeldwebel."
"Oh." Die Miene des Mannes wurde entspannter. "Einer von uns. Es scheint, hier steigt man schnell auf."
"Wie man es nimmt. Ich war früh genug da, und jetzt steigen nicht nur die Anforderungen, sondern auch die die Truppenstärken der Teileinheiten. Und da ich mir den Job zutraue, mache ich ihn halt. Ich habe zum Glück einen ehemaligen Fähnrich an der Seite, die jetzt mein Leutnant ist. Wichtig, wenn ich wie jetzt für alle zuständig bin, anstatt mich um meine Pioniere zu kümmern."
"Ah, Pionier. Sehr gut. Mein Bruder ist auch Pionier. Guter Junge. Hat mir viele Tricks beim Sprengen beigebracht."
"Ich bin mehr für das Aufbauen als für das Sprengen zuständig." Er nickte in Richtung der Landebahn, die gerade errichtet wurde. Zumindest die erste Landung einer schweren Transall würde die aufgeschüttete und planierte Piste überstehen, und dann hatten sie genügend Gerät vor Ort, um eine richtige Piste zu erbauen. "Unter meine Pflichten fallen auch die Minenwölfe. Wir setzen zwei mittelschwere ein und haben bereits zwei weitere bestellt. Dazu kommen fünf kleine Geräte, die sehr flexibel sind und sich quasi überall einsetzen lassen."
"Minenwölfe?", fragte Hoekamps interessiert.
"Zivile Minenräumer. Wir entminen damit die Felder und Weiden in Belongo. Mit großem Erfolg. Wenn niemand kommt und neue Minen verlegt, ist hier in einigen Jahren alles Minenfrei. Oder wenigstens so gut wie."
"Sie zeigen ein großes Engagement dafür, dass Sie nur eine Firma zur Ausbeutung einer Diamantenmine sind", stellte der Sergeant Major fest. "Ein amerikanisches Unternehmen würde, wenn es sich für karitative Tätigkeiten berufen fühlen würde, eine Stiftung mit festen Budget gründen und die Arbeiten outsourcen."
"Was für ein Unsinn. Es ist besser, alle Fäden in einer Hand zu halten, gerade in einem Bürgerkriegsland wie Belongo. Wir hatten eine friedliche erste Woche, aber Sie sehen ja selbst an den Ärzten ohne Angst und an der Geschichte, die gerade in Keounda City geschieht, wie schnell es hier umschlagen kann. Es braucht nur einen Warlord, der wirklich den Waffengang mit uns sucht, einige der Rebellen, die hier immer noch rumkrauchen, oder ein paar Söldner, die den Befehl kriegen, uns von der "Goldmine" zu vertreiben..."
"Sie befürchten wirklich einen solchen Angriff?", fragte Hoekamps.
"Sehen Sie sich das Gelände an. Hier und in den umliegenden Ortschaften haben wir Rohdiamanten zusammengetragen, die ungeschliffen einen Materialwert von dreißig Millionen Euro haben, knapp vierzig Millionen Dollar. Und das nach einer Woche. Die Leute, die zum Hospital kommen, schenken uns die Diamanten, damit sie wegen ihnen nicht zum Ziel von Banditen werden, und wir bauen ihnen dafür Straßen, Schulen, Kraftwerke, und was uns sonst noch einfällt."
"Kraftwerke?"
"Ngali, der Ort, in dem wir unser Hospital errichtet haben, bezieht seine Elektrizität über Solarpanels. Ich gebe zu, unser Hospital ist auch der einzige Stromabnehmer. Noch. Aber wir erweitern die Fläche beständig. Die Wasserpumpe wird ebenfalls mit Solarstrom betrieben, und wir werden noch etliche Pumpen ins Land schaffen."
"Hm. Ist das sinnvoll? Normalerweise zerstört man die Industrie eines Landes nicht so sehr durch die Einfuhr von fremden Gütern. Wäre es nicht sinnvoller, die Arbeitsplätze zu erhalten, die es hier gibt?"
"Welche Arbeitsplätze?", erwiderte Kram ironisch. "Zwanzig Jahre Bürgerkrieg haben dazu geführt, das es hier weder Industrie noch Handwerk gibt. Wer arbeiten will und kann, versucht sein Glück in Ompala oder einer Küstenstadt, wo er wegen seiner Herkunft aus Belongo wie ein Mensch dritter Klasse behandelt und ausgebeutet wird. Hier gibt es nichts von Wert, obwohl das Land reich an Erdöl ist. Alles, was wir hierher bringen, kann hier nicht produziert werden. Aber..." Kram schmunzelte. "Sie haben natürlich Recht. Es besteht absolut kein Grund, hier keine Industrie aufzubauen. Oder zumindest Handwerksbetriebe. Alleine für den Straßenbau werden wir viele Helfer benötigen. Ja, ich werde es den Brüdern Herwig vorschlagen, sobald sie zurückkommen."
"Sie rechnen fest damit? Sind die beiden so gut?"
Kram lächelte. "Mich ihnen anzuschließen war vielleicht die beste Entscheidung meines Lebens. Gleich nach meiner Scheidung."
"Oha." "Und weit besser als meine erste Scheidung."
"Sie haben viel erlebt", stellte Hoekamps fest.
"Geht so." Kram zuckte mit den Achseln. "Nicht, dass ich meine Kinder nicht trotzdem liebe."
"Natürlich. War selbst verheiratet, habe eine erwachsene Tochter, die hoffentlich niemals Soldat oder sogar Ranger werden wird. Unsereins hat es viel schwerer, sich seinen Platz zu erkämpfen als die weißen Burschen und Mädels."
"Unsereins?", fragte Kram.
"Wir Schwarze. Ist Ihnen das gar nicht aufgefallen?"
Kram war ehrlich verdutzt. "Das erschien mir überhaupt nicht wichtig zu sein. Sie sind ein Sergeant, ich bin... War ein Sergeant, wir sind auf einer Wellenlänge."
Der Mann lachte lauthals. "Sie gefallen mir, Kram. Sind ein Kerl ganz nach meinem Geschmack." Er grinste noch immer. "Sagen Sie Joe zu mir."
Kram lächelte. "Andreas für Sie, Joe."
Die beiden Männer besiegelten die Versprechen mit einem Händedruck. "Ricks! Einstellen reicht! Dann ab zum Duschen und anschließend Essen, sonst werden die Steaks kalt!", brüllte Hoekamps in Richtung des letzten Lastwagens, der sich gerade in die gerade Reihe einfädelte, die die anderen LKW's bildeten. "Es gibt doch Steaks, oder?"
"Wenn Herr Worms ein amerikanisches Frühstück macht, dann ist es amerikanischer als ein echtes. Rechnen Sie mit allem, und rechnen Sie mit zuviel, Joe. Vor allem mit jeder Menge Fleisch und Kaffee. Wir haben hier, was Lebensmittel angeht, nicht wirklich Versorgungsprobleme. Aber probieren Sie auch die Yams-Bratlinge. Sehr schmackhaft. Und zu den Maiskuchen muss ich einem Amerikaner wohl nichts sagen."
"Da haben Sie Recht", erwiderte der alte Ranger grinsend. "Aber zwei Fragen hätte ich da noch, den Ablauf betreffen."
"Nur zu", ermunterte Kram den Sergeant.
"Gibt es hier auch deutsches Bier?"
"Selbstverständlich gibt es hier deutsches Bier. Sehen Sie das Kühlaggregat? Es ist einzig und alleine dazu da, um unseren Vorrat an deutschem Dosenbier runterzukühlen. Und sehen Sie die blauen Säcke? Das sind die leeren Dosen, die wir wieder nach Deutschland schaffen."
"Das ist so typisch für euch Krauts", sagte Hoekamps beinahe resignierend.
"Die zweite Frage, Joe?"
"Nun", druckste er ein wenig verlegen, "was die Diamanten angeht..."
"Keine Sorge, wir verdienen immer noch sehr gut daran, selbst wenn wir die großzügige Prämie ausbezahlen. Viele Diamanten werden wir wohl niemals finden. Wir haben schon mittlere Steine aus den Reifenprofilen unserer Kampfhubschrauber gepuhlt. Und ich möchte nicht wissen, wieviele wir auf diesem Weg schon verloren haben, weil sie sich über dem Dschungel nach dem Start aus dem Reifenprofil gelöst haben. Ach, und selbst wenn wir keinen einzigen Stein mehr finden sollten, wir haben bereits einen riesigen Profit gemacht. Also keine falsche Bescheidenheit."
"Ich werde mich mit Ihnen absprechen, Andreas. Damit wir nicht suchen, wo Ihr Krauts schon gewesen seid."
"Eine gute Idee", lobte Kram.
Ein heller metallischer Ton klang über dem Gelände auf. Der Pionier lächelte. "Scheint so als würde Herr Worms ungeduldig werden. Lassen Sie den Kaffee nicht kalt werden, Joe."
Der Mann salutierte lässig. "Verstanden, Sir. Führe die Leute zum Essen."
Das "Sir" war ernst gemeint, und auch wieder doch nicht. Zwischen den beiden gab es jenes Einverständnis, wie man es auf diesem Planeten wohl nur bei gleichrangigen Unteroffizieren finden konnte. So als wären sie alle vor Urzeiten dem gleichen Genpool entsprungen und würden einander überall und jederzeit wiedererkennen. Irgendeine Form von Nestgeruch musste das sein.
Kram beobachtete, wie Hoekamps seine Leute zum Essen schickte, bevor er sich selbst auf den Weg machte. Es war zehn Uhr Ortszeit. Innerhalb der nächsten Viertelstunde mussten die Osprey-Schwenkflügler mit den Marines in Honiton eintreffen. Von dort würden sie mit Begleitschutz bis nach Keounda City fliegen, um die Army Ranger zu entsetzen. Die Welt, die hier für zwanzig bittere Jahre erstarrt gewesen war, hatte sich in Bewegung gesetzt.
***
Mit der eingeflogenen Feldküche kehrte so etwas wie Normalität in der Westseite von Keounda City ein. Noch immer beherrschten die Ranger das Ufer, suchten die Ostseite nach Scharfschützen und den beiden Panzern ab, noch immer beherrschten sie diese Seite der großen Autobahnbrücke, und noch immer kontrollierten die Deutschen unangefochten die kleine Brücke im Süden.
Und es war mächtig was los auf dem Lagabanda. In der Nacht waren achtzehn Schiffe der unterschiedlichsten Größen durch die Stadt gekommen, seit den Morgenstunden hatte sich die Zahl auf zwei Dutzend erhöht. Der Strom schien nicht abnehmen zu wollen. Mit den Männern des Riki auf ein Ufer beschränkt und vor Überfällen weitestgehend geschützt schienen sich etliche Handelsfahrer, die den Lagabanda entweder Richtung Elisabeth-See hinauf, oder zur dreitausend Kilometer entfernten Flussmündung hinab fuhren, dazu entschlossen zu haben, die Tagesdurchfahrt zu riskieren. Die Händler brachten ihren Teil an Schauergeschichten mit, die sie hier in Keounda City erlebt hatten. Demnach ließen sich der Riki und seine Männer durchaus bestechen, und gefangene Bootsbesatzungen wurden auch schon mal mit Boot nach Zahlung eines beträchtlichen Lösegelds wieder freigelassen. Manche hatten sich ganz offen mit dem Riki arrangiert und früher Schutzzölle bezahlt. Manche hatten Freunde und Kameraden verloren, die entweder die Reihen seiner Kämpfer verstärkt hatten, oder von ihnen nun als Schmuck getragen wurden. Besonders schauerlich waren die Geschichten um die Frauen. Nicht besonders die Geschichten um jene Frauen, die von den Männern des Riki vereinnahmt worden waren und nun irgendwo auf der anderen Flussseite in einer Art Kolonie lebten, wo sie den höherrangigen Männern zu Diensten sein mussten; nein, es waren die Geschichten, in denen sich Bootsführer mit Hilfe von versklavten Frauen ihre Durchfahrt erkauft hatten. So etwas stieß Axel sauer auf, wenn er es hörte. Und je mehr er davon hörte, desto mehr wünschte er sich, dieses perverse System aufzuhalten, zu beenden. Zudem mussten sie sich etwas für die Tribute einfallen lassen, welche die Kapitäne für die Hilfe der Ranger und Deutschen entrichteten, obwohl ihnen gesagt worden war, dass die Soldaten keinen Lohn erwarteten. Aber hierzulande war man der Auffassung, dass man für eine Leistung auch eine Gegenleistung erbringen musste, zumindest solange man kein marodierender, plündernder und vergewaltigender Bastard war, und die Feilscherei über die Höhe des Tributs gab Axel die Chance, etliche der Händler näher kennenzulernen und besser einschätzen zu können. Immerhin würde er über diese Händler wohl den ersten Kontakt für Heides Arbeit auf der Ostseite des Lagabandas aufbauen können.
Es war soviel zu tun, aber durch sein Unvermögen steckten sie und die Army Ranger hier in Keounda City fest. Andererseits wusste er nur zu gut, dass er einem Konflikt mit dem Riki nicht hätte aus dem Weg gehen können. Irgendwann, früher oder später, wäre der Clash erfolgt, so oder so. Nun war es früher geworden und hatte zwanzig Army Ranger und einem seiner Leute das Leben gekostet. Im Gegenzug hatten sie wie viele Speere des Riki getötet? Dreihundert? Vierhundert? Sechshundert?
Axel seufzte leise, während er dem heißen Kaffee zusprach, den Benito Michelli in der eingeflogenen Küchenzeile für alle bereitete und von den flinken Beinen der ehemaligen Kindersoldaten ausliefern ließ. Dafür hatte Michelli einen kräftigen Tadel von ihm kassiert, aber die drei Kinder, allen voran natürlich Charles, hatten lautstark zwei Dinge versichert. Das erste war, dass sie helfen, aber nicht kämpfen wollten. Immerhin mussten sie ja auch irgendetwas tun, wenn die Männer und Frauen der Mine, die ihrem Land so viel Gutes getan hatten, ihre Leben im Herzen des Bösen riskierten. Das zweite waren Splitterschutzwesten und Stahlhelme, bei Muani und Philip natürlich viel zu groß, aber ordentlich verzurrt. Und sie waren klein und konnten deshalb in gebückter Haltung unmöglich vom anderen Ufer gesehen werden, sonst wäre sicher schon auf sie geschossen worden. Die Dächer hatten die Army Ranger permanent im Blick. Seit einer der Mi-24 einen entsprechenden Versuch, ein Dach mit einem Scharfschützen zu bestücken, mit seiner Bordkanone beendet hatte, war von dieser Seite auch nicht mehr viel zu erwarten.
"Pünktlich wie die Maurer", sagte Scott zufrieden und riss Axel damit aus seinen Gedanken. Er sah auf und hörte sofort das Geräusch sich nähernder Flugzeuge. Es war relativ leise, weshalb er davon ausging, dass die Maschinen noch weit entfernt waren. Umso überraschter war er, dass er die Ospreys vage über die Baumwipfel hinweg bereits erkennen konnte.
"Sind ein bisschen nahe am Fluss, meines Erachtens nach", sagte Austin und schickte ein Gähnen hinterher. Beide hatten seit achtzehn Stunden nicht geschlafen und seither in einem Gefecht gesteckt. Und beide freuten sich darauf, dass die Marines sie ablösten, damit wenigstens einer von ihnen - natürlich Scott, wenn es nach Austin ging, und natürlich Austin, wenn es nach Scott ging (was wahrscheinlicher war) - etwas Schlaf finden konnte.
"Finde ich auch. Sie sind wohl dem Fluss gefolgt, und nicht wie wir der alten Nord-Süd-Straße", sagte Axel. Er zwinkerte in bester Laune. Die Maschinen der Amerikaner wurden von ihrem neuen Mi-24D, einem weiteren Mi-24 und dem neuen Mi-24WM eskortiert, was die Feuerkraft ihrer Zweckgemeinschaft erheblich erhöhte - die Helikopter waren frisch bestückt. Sie kamen relativ gesehen schnell näher, und damit näherten sie sich auch dem Stadtrand Keounda Citys. Und je näher sie kamen, desto größer wurde die Gänsehaut, die Alex auf seinen Unterarmen entstehen spürte. "Jason, wir sollten ihnen sagen, dass sie jetzt besser weiter auf die linke Seite des Lagabandas schwenken sollten. Wenn da draußen noch ein paar der Speere des Rikis herumlungern, dann..."
Er hatte kaum ausgesprochen, da schossen mehrere gleißende Speere aus dem südlichen Waldrand der Westseite hervor, den vordersten Osprey zum Ziel. Zwei gingen vorbei, einer detonierte im rechten Flügel, der letzte im Heck. Verdammt, wieder diese russischen Panzerfäuste!
"Ich wusste es!", blaffte Axel unbeherrscht und sprang auf. Hastig nahm er seine Waffen auf, vergewisserte sich, wo seine Reservemagazine für die Pistole waren, und dass er noch Ersatzmunition für die HK33 hatte. Die Ranger waren auch aufgesprungen und überprüften ihre Ausrüstung, das Schlimmste befürchtend.
"Ranger 1-1 von Lincoln Flight 1-1, kommen", klang es in ihren Empfängern auf.
"Ranger 1-1 hier. Kommen, Lincoln Flight 1-1!", sagte Scott.
"Sind getroffen worden. Panzerfäuste, vermutlich. Ein dämlicher Glückstreffer, der unseren rechten Schwenkrotor ausgeschaltet hat. Wir gehen runter. Keine Verluste bisher, soweit ich das feststellen kann."
"Lincoln Flight 1-1, landen Sie auf der Westseite des Lagabandas", sagte Scott eindringlich.
"Negativ, Ranger 1-1. Der linke Motor drückt uns nach Osten. Wir müssen hier runter, oder wir riskieren eine Bruchlandung."
In Axels Kopf ratterte es. Sein Gesicht wurde von hektischen Flecken überzogen. Währenddessen zog der Mi-24D über das Waldstück südlich der Stadt und beharkte es mit seinem Bord-MG. Danach war nicht mehr zu erwarten, dass von dort jemand jemals wieder Panzerfäuste abschießen würde.
"Änderung im Plan! Ich wiederhole, Änderung im Plan! Lincoln Flight, beginnen Sie die Landeoperation auf der Ostseite, ich wiederhole, beginnen Sie die Landeoperation auf der Ostseite! Belongo Mining gibt Luftunterstützung!"
"Hier Lincoln Flight 1-1. Wer spricht da?"
"Belongo Mining 1, Axel Herwig."
"Direktor Herwig. Sie wissen, dass wir damit unsere Marines und Ihre Hubschrauber direkt in Kampfhandlungen werfen werden?"
"Das erscheint mir eine bessere Lösung als die Leute an Bord Ihres Fliegers zu opfern, oder?", erwiderte Axel trocken.
"Ranger 1-1 an alle Einheiten! Kampfbereitschaft herstellen! Vierte Kompanie bereitmachen zum Übersetzen. Hubschrauber bereitmachen für Luftschlag!", kommandierte Scott, seine Pistole durchladend.
Axel nickte zufrieden. Das war die beste Möglichkeit, die sie aus der erneut mieser gewordenen Situation ziehen konnten.
"Belongo Mining 1-1, beginnen Landeoperation auf der Ostseite des Lagabandas. Wir treffen uns im Herzen der Stadt", erwiderte der Pilot des abschmierenden Ospreys. "Touchdown. Noch immer keine Verluste. Sie bringen uns Glück im Unglück, Kraut."
Scott schnaubte ins Funkgerät. "Sie haben ja keine Ahnung." Er entsicherte, koordinierte seine Leute und ließ sie am Fuß der Brücke Aufstellung nehmen. Weitere Scharfschützen und Soldaten mit Javelins - ein Teil würde hierbleiben, ein Teil sie begleiten - bereiteten sich darauf vor, die Brücke zu stürmen, während der Riki sich seinen Erfolg zu sichern versuchen würde. Und da würden sie ihm mächtig in die Suppe spucken.
Schon jetzt feuerte der Mi-24WM seine Bordwaffen auf den Südrand der Oststadt ab. "Sie kommen! Ich wiederhole, sie kommen!"
"Niklas!"
"Sind bereit! Auf dein Zeichen, großer Bruder!"
Na, wenigstens einem musste er seine Gedanken nicht erklären. "Sie sind der Chef hier, Jason."
Der große Ranger schüttelte den Kopf. "Es ist Ihr Plan, Axel."
Der Deutsche nickte entschlossen. "Gogogogogogogo!" Geduckt lief er auf die Brücke, wurde aber von Lieutenant Morelli überholt und hinter ihn gedrückt. Vier Ranger mit ihren Gewehren im Anschlag liefen an ihnen vorbei und übernahmen die Spitze. Die Gewehre der Scharfschützen bellten auf, und erst jetzt erlaubte der Lieutenant, dass sie sich den Rangern anschlossen.
"Nicht immer so waghalsig, Sir", tadelte der Amerikaner den Deutschen.
"Ich wollte nur nicht zu spät zur Party kommen", erwiderte Axel mit Galgenhumor.
Und für jemanden würde es eine Party werden. Die Frage war nur, für wen.
***
"Monsieur le President, Mr. Red bittet Sie um eine Unterredung", klang die Stimme der Chefsekretärin über die altertümliche Gegensprechanlage auf dem Schreibtisch von Jaques Rousseau, Staatspräsident von Ndongo auf. Der hagere, grauhaarige Mann vom Stamm der Upetis, warf seinem derzeitigen Gast, einen vielsagenden Blick zu. "Na, dann immer rein mit dem guten Mann. Vielleicht hat er ja eine Erklärung dafür, warum wir mit Panadia am Rande eines Krieges stehen, weil sie Teile unseres Luftraums okkupieren und wir ein Viertel unserer Luftwaffe einbüßen mussten."
Der Gast, Ives Agelloue, Herr über das Kriegsministerium, runzelte die Stirn. So ähnlich hatte es auch in seinem Haus angefangen, nämlich als der Roxxon-Manager ohne sein Wissen beim Oberkommandierenden der Streitkräfte vorstellig gewesen war, um den verheerenden Luftschlag gegen die Army Ranger in Belongo führen zu lassen, der ihnen nun einen internationalen Konflikt eingehandelt hatte. Wie sie die Amerikaner wieder beruhigen konnten, nachdem sie eine ganze Flugzeugträgergruppe in Marsch gesetzt hatten, stand noch in den Sternen. Es stand außer Frage, dass Général de Corps d'Armee Arlaund Mtagi, der Oberkommandiere aller drei Teilstreitkräfte Ndongos, den wackligsten Stuhl von allen hatte. Zwar schreckte Rousseau davor zurück, einen anderen Upeti an ein ausländisches Gericht auszuliefern, vor allem wenn dieses Land die Todesstrafe praktizierte. Aber eventuell konnte man die USA auch mit einigen niederrangigen Offizieren, die man auslieferte, zufriedenstellen, vornehmlich natürlich Stammesangehörige von Stämmen, die nicht in der Regierungskoalition vertreten waren, sowie Mtagis unehrenhafte Entlassung und sofortiger Ruhestand beruhigen. Soweit war mindestens der Plan gediegen, den der Präsident mit seinem zuständigen Minister besprochen hatte, mit der Trägergruppe der Amerikaner nur wenige Stunden von ihrer Küste entfernt. Eine Seeblockade konnte sich das Land nicht leisten, vor allem nicht, nachdem die Querelen mit Onola im Süden und der Konflikt mit dem abtrünnigen Norden, der nun unter dem Namen Kaiserreich Ndongo firmierte, dazu geführt hatten, dass ihnen nur noch ein fünfzig Kilometer breiter Streifen als Verbindung zur Küste diente. Wenn Amerika den auch noch blockierte, waren sie vom Welthandel so gut wie ausgeschlossen. Außer natürlich, sie nahmen den Interländerhandel über Belongo wieder auf, was natürlich vollkommen ausgeschlossen war.

Mr. Red wurde hereingeführt. Der kleine dickliche Europäer wischte sich Gesicht und Glatze trocken, als er eintrat. "Guten Morgen, Monsieur le President, Monsieur le Ministre. Eine Hitze ist das heute wieder. Aber zum Glück ist der Palast ja klimatisiert. Darf ich Ihnen als erster Europäer mein Bedauern über den Verlust Ihrer Aermacchi aussprechen?"
Bei diesen Worten fuhr Agelloue halb aus seinem Sitz hoch. "Wegen Ihnen sind wir doch..."
"Bleib ruhig, Ives!", befahl der Präsident streng, und der Minister gehorchte. Denn der Mann war nicht nur sein Präsident, sondern auch das Oberhaupt seines Stammes. Das bedeutete besonders viel Macht über ihn. "Guten Morgen, Mr. Red. Bitte, setzen Sie sich. Darf ich Ihnen etwas bringen lassen?"
"Danke sehr, Monsieur le President, nicht nötig. Aber vielleicht sollten Sie etwas Champagner kaltstellen lassen, um nachher noch zu feiern." Umständlich ließ sich Mr. Red im freien Sessel nieder.
"Feiern?", fragte Rousseau erstaunt. Und misstrauisch. In der Nähe von Mr. Red war Misstrauen generell eine gute Idee.
Der kleine dicke Mann zog seine Aktentasche auf die Knie und öffnete sie. Er zog eine dünne blaue Dokumentenmappe hervor und legte sie den Präsidenten auf den Schreibtisch. "Ich habe Ihre Verluste ausgeglichen, Monsieur le President. Mehr noch, ich habe Ihre Streitmacht verdoppelt. Der Vorstand hat mein Budget verdoppelt, und ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, das ich nichts eiligeres zu tun hatte, als meinen ndongoischen Freunden zu Hilfe zu eilen."
Der Präsident nahm die Mappe auf und öffnete sie. Es war ein Dossier über ein sinanisches Geschwader der Luftwaffe, das mit MiG-21 ausgerüstet war. Die Akte enthielt Aufstellung, Namen, Materiallisten und dergleichen.
"Ich habe zugesagt, dass Ndongo die Black Stars mit Versorgungsgütern, einem eigenen Fliegerhorst sowie Kerosin versorgt. Unentgeltlich, versteht sich. Dafür stellen sich Oberst Paglieri und seine Leute vorbehaltlos auf die Seite Ndongos. Überlegen Sie mal, vierunddreißig Maschinen mit kurzen Wegen. Sie könnten die Küste erfolgreich verteidigen, sogar gegen einen Flugzeugträger der Navy."
"Sie erstaunen mich, Mr. Red. Was bringt Sie dazu, ausländische Soldaten als Söldner anzuheuern, noch dazu für unser schönes Ndongo?", fragte Rousseau.
Der Europäer lächelte und tupfte sich erneut die Stirn ab. "Eigentlich habe ich die Idee schon einige Zeit und deshalb bereits im Süd-Sinan vorgeklopft. Wie Sie ja beide wissen, gibt es derzeit Abspaltungsbestrebungen zwischen Nord-Sinan und Süd-Sinan, worüber der Norden nicht sehr erfreut ist, weil sich die wichtigsten Ölfelder im Süden befinden. Dabei sind die Black Stars, ob Sie es glauben oder nicht, eine große Gefahr dabei, einen Sezessionskrieg auszulösen, gelten sie doch als sinanische Elite. Und es ist ein wenig unklar, welchem Teilstaat ihre Loyalitäten gelten. Auf Seite des Südens werden sie als Bedrohung empfunden, um die Verhandlungen über die Besitzrechte am Öl zu kompromittieren. Auf Seite des Nordens werden sie als Mittel gesehen, den Süden einzuschüchtern oder gar mit Krieg zu überziehen. Ihr sinanischer Amtskollege, Monsieur le Ministre, war mehr als hocherfreut, dass er die Black Stars quasi aus der Schusslinie nehmen kann, bis man auch über ihr Schicksal entschieden hat. Zweifellos werden sie aufgeteilt, in Nord-Black Stars und Süd-Black Stars. Aber ihre Anwesenheit im Land macht die Verhandlungspartner nervöser als eine amerikanische Trägerflotte im Nacken, wenn Sie verstehen, was ich meine."
"Und wann können die Black Stars hier sein?", fragte der Präsident.
"Jaques, du..."
"Ich bin durchaus im Besitz meiner geistigen Fähigkeiten, Ives."
"Ihre Erlaubnis vorausgesetzt habe ich den Black Stars Anweisung gegeben, sich in Bewegung zu setzen. Ihre Jets dürften in zwei Stunden ndongoischen Luftraum erreichen. Ihr Material und ihre nachrangigen Dienste kommen mit vier Transportflügen nach. Als vorläufiges Ziel habe ich Belongo angegeben, da die dortige Luftwaffenbasis gerade nicht genutzt wird. Aber ich denke, eine Verlegung an die Küste macht mehr Sinn. Ich schlage Naridi oder Guapatata vor."
"Guapatata klingt gut. Nahe an der Küste, aber nicht zu nahe", sinnierte der Präsident. "Und jetzt verraten Sie uns bitte, warum Sie sich gegen das Land Ihres Auftraggebers stellen, Mr. Red."
Erneut wischte er sich den Schweiß von der Stirn. "Nun, Monsieur le President, ich muss zugeben, ich habe einen Fehler gemacht. Einen großen Fehler. Die Bombardierung der Army Ranger war eine große Dummheit von mir, die Ndongo in große Schwierigkeiten gebracht hat. Zudem hat der alte Erzfeind des Landes, Panadia, auch noch Luftsiege gegen die ndongoische Luftwaffe errungen. Belongos Luftraum wird von ihren F-5 patroulliert, was ich ganz persönlich für einen Affront halte. Ein noch größerer Affront aber wird es sein, wenn sich Admiral dazu entschließt, ebenfalls den ndongoischen Luftraum zu beanspruchen, um seine Aktionen in Belongo zu unterstützen. Bereits jetzt befinden sich amerikanische Hubschrauber von der Abraham Lincoln in ndongoischem Luftraum, als wäre er ihr eigener. Das ist eine explosive Atmosphäre, die schnell in einem Knall enden kann. Aber..." Mr. Red lächelte verschmitzt, "...ich kenne meine amerikanischen Freunde. Sie lieben leichte Siege, aber sie mögen Verluste überhaupt nicht. Wenn wir ihnen also die Black Stars unter die Nase setzen, werden sie sich hüten, den Luftraum zu penetrieren. Auch die Verhandlungslage ist dann eine vollkommen andere. Zusammen mit der ndongoischen Luftwaffe hätten wir ein enormes Drohpotential, das Admiral Philips davor zurückschrecken lassen wird, seine Luftkampfwaffe einzusetzen. Angesichts dieses Potentials werden auch die Verhandlungen, das Friendly Fire betreffend, weit weniger schmerzhaft für Ndongo ausfallen."
"Das beantwortet meine Frage nicht. Warum tun Sie das, Mr. Red?", fragte der Präsident erneut.
"Nun, meine Auftraggeber bei Roxxon sind recht froh darüber, das meine fehlerhafte Handhabung der Ausnahmesituation in Keounda City nicht zu einem Produktionsausfall geführt hat. Die wirtschaftlichen Schäden für den Konzern sind bei einem einzigen Tag, an dem kein Öl gefördert und raffiniert wird, einfach enorm. Und jetzt stellen Sie sich einmal vor, wir produzieren Benzin, Benzin, Benzin, und die Abraham Lincoln errichtet eine Seeblockade, und wir kommen mit dem Abtransport nicht hinterher. Oder es kommt tatsächlich zu Kampfhandlungen, die vielleicht das Arbeitsleben in Ndongo beihindern und die Produktion lahmlegen. Eine schauerliche Vorstellung. Deshalb ist es am Besten für unseren Konzern, wenn es zu keinen Konflikt, zu keiner Blockade in welcher Form auch immer kommt, und diese leidige Geschichte am Verhandlungstisch gelöst wird. Die Black Stars werden zusammen mit der Ndongo-Luftwaffe dafür Sorge tragen, dass sich die Amerikaner nicht aufführen werden, als seien sie die Belgier."
Die Mienen der beiden Männer versteinerten. Sie waren beide alt genug, um die letzten Jahre der Kolonialherrschaft Belgiens miterlebt zu haben. Und sie konnten sich sehr gut daran erinnern, welche Mühe sie sich gegeben hatten, um ein chaotisches Ndongo zurückzulassen, das Belgien so bald wie möglich um Hilfe anbetteln sollte. Der Teil hatte nicht geklappt.
"Und was die Sache in Belongo angeht, so denke ich, sind Sie, Monsieur le President, nicht von Ihrer Meinung abgewichen, dass Ndongo durchaus die billigen Wanderarbeiter aus dem 17. Bezirk hier in der Hauptstadt, auf den Farmen und Fluren und in den ndongoianischen Fabriken brauchen kann. Stellen Sie sich nur mal vor, wenn diese Männer und Frauen plötzlich Zuhause Arbeit finden. Oder wenn sie höhere Löhne fordern würden. Die gesamte Industrie Ndongos stünde plötzlich vor ernsthaften Problemen." Ganz zu schweigen vom Ausfall der billigen Ölexporte für Roxxon, wie sie alle drei wussten. Aber keiner sprach es aus.
"Was schlagen Sie vor?", fragte der Präsident.
"Wir entsenden eine größere Söldnertruppe an Capitain Jean-Clarke, die ihn dabei unterstützen wird, Keounda City zurückzuerobern. Sie wird mit leichten Panzerwagen ausgerüstet sein und auch genügend Luftfäuste als Schutz gegen die Hubschrauber mit sich führen. Mit Keounda City in den Händen von Capitain Jean-Clarke bleibt Belongo ein unsicherer Distrikt, in dem wir ungestört Öl fördern können, und Ndongo bekommt weiterhin seine billigen Wanderarbeiter, die Quelle des Reichtums der westlichen Stämme.
"Da ist immer noch die Minengesellschaft", wandte der Minister ein. "Die Minengesellschaft und ihre Waffen."
Mr. Red lächelte verschlagen. "Da die Mine überaus ergiebig zu sein scheint, haben meine Vorgesetzten angeordnet, sie... Nun, in unseren Besitz zu überführen. Natürlich werden wir dem Staat mehr bezahlen als die lächerliche Pacht, zu der sich Ogalalla hat bequatschen lassen."
Dies brachte Mr. Red leises bestätigendes Gelächter ein. Seit sich herausgestellt hatte, dass es die Mine gab, und das sie sehr ergiebig sein musste, war Arno Ogalalla die Witzfigur des Kabinetts geworden, weil er sich mit lächerlichen fünfzigtausend US-Dollars Jahrespacht hatte abspeisen lassen. Aber der aufmüpfige Llangoto brauchte ohnehin ab und an einen Nasenstüber, damit er seinen Platz nicht vergaß. Ihre Clans waren Verbündete, aber die Federführung lag bei den Upetis, ein für allemal.
"Ich nehme an, Sie werden Spezialisten auf die Mine ansetzen, während ein Teil des Werksschutz in der Distrikthauptstadt gebunden ist, Mr. Red?"
"Seit wir die Goldmine verloren haben, bemühe ich mich eifrig um, ah, eine international erfahrene Eingreiftruppe, die uns da unterstützt. Vorgestern habe ich den unterschriebenen Vertrag zurückgefaxt. Sie ist gestern Abend in Allah al Akbar angekommen und wird von Transzanzia aus eine Operation gegen die Mine führen. Es sind allesamt hervorragende Spezialisten, die bereits bei Frachterentführungen vor Ostafrika und im Irak zum Einsatz kamen. Und sie sind nicht an Regierungen gebunden. Ich erwarte ihren Einsatz stündlich."
"Schön, dass Sie sich so gut um Ihre Geschäfte kümmern", sagte der Kriegsminister. "Was die Pacht angeht, sollten wir uns auf fünfzehn Prozent Ihrer Gewinne einigen können, nicht, Mr. Red?"
Der Europäer lächelte gewinnend. "Zwanzig, Monsieur le Ministre, und nicht einen Cent weniger. Wir wissen doch, was wir unseren ndongoianischen Freunden zu verdanken haben." Davon würde freilich nur ein Teil im Staatssäckel landen. Der weitaus größere Teil würde in den verschiedensten schwarzen Kassen versacken und nie wiedergesehen werden.
"Danke, Mr. Red. Es ist wie immer erfreulich, wie sehr die Sorgen des ndongoianischen Volkes Ihnen und Ihrer Firma am Herzen liegen. Wenn wir mal etwas für Sie tun können...", begann der Präsident die übliche Abschlussfloskel.
"Nein, Monsieur le President, ich bin wunschlos glücklich damit, womöglich einen unsäglichen Krieg verhindert zu haben. Natürlich werde ich Mittel und Wege finden, die Ankunft der Black Stars an das Pentagon zu vermelden. Selbst wenn Admiral Philips gewillt sein sollte, die Sache auszufechten, jemand weiter oben in der Hierarchie wird ihn schon an die Kandare nehmen." Der Europäer erhob sich und tupfte erneut seine Stirn ab. "Ach, halt. Monsieur le President, es tut mir aufrichtig leidd, aber ich muss Sie doch mit einer, Hm, Kleinigkeit belästigen. Die Umstände tun mir furchtbar leid, aber ich brauche dringend - dringend - eine Methode, um zwanzig Standardcontainer nach Argentinien zu schaffen, und das möglichst bevor die Abraham Lincoln vor der Küste steht. Zumindest muss die Sache so zeitig ablaufen, dass die Container notfalls ins Hoheitsgewässer eines anderen Staates gebracht werden können. Ich gebe zu, ich habe mich da sehr verzettelt und bringe mich in zusätzliche Schwierigkeiten, aber der Inhalt ist, nun, delikat. Sollten die Amerikaner die Container untersuchen, bedeutet das enormen Ärger. In mehrerlei Hinsicht."
"Was genau ist in diesen Behältern, Mr. Red?", erkundigte sich der Verteidigungsminister.
"Russische Hightech-Raketen. Argentinien hat sie in Moskau bestellt, und ich habe in Erwartung eines bescheidenen Nebenverdienstes die Teilroute über Afrika in die Hand genommen. Leider verspätet sich mein Frachter dank eines Maschinenschadens, und ich muss sie außer Landes schaffen, bevor sich noch der CIA für sie interessiert. Äh, es handelt sich um vierzig SS-N-27-Raketen für die Rückeroberung der Malwinen-Inseln, die von den Engländern unter dem Namen Falkkandinseln annektiert sind. Selbstverständlich weiß Roxxon nichts von meinem Nebenverdienst, und ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn das unter uns bleiben würde. Ich bin natürlich bereit, Sie an den zwei Millionen Dollar zu beteiligen, die ich für den Transport erhalten werde. Sagen wir halbe-halbe?"
Präsident und Minister wechselten einen schnellen Blick.
"Die Karuma kann in zwei Stunden fertig sein", sagte Agelloue. "Sie ist ein Rollo-Containerschiff im Privatbesitz des Präsidenten und war eigentlich für einen Aufenthalt im Trockendock vorgesehen. Aber ich denke, eine Fahrt nach Südamerika sollte sie schaffen. Problemlos."
"Sehr gut. Die Container stehen in Banana Port bereit", sagte Mr. Red erleichtert. "Bereit, jederzeit eingeschifft zu werden. Oh, Sie nehmen mir eine große Sorge von meinen Schultern, Monsieur le Ministre."
"Was für ein Zufall. Ausgerechnet in Banana Port sollte die Karuma auf Dock gehen", sagte Agelloue.
"Was vielleicht daran liegt, dass Banana Port der einzige Überseehafen des Landes ist", sagte Mr. Red mit einem zuvorkommenden Lächeln. "Ich darf also damit rechnen, dass die Aktion zügig und geheim abläuft? Und dies, bevor die Amerikaner Ärger machen können? Wie ich hörte, haben sie Marines mit einem Osprey von der Abraham Lincoln zu ihrer Botschaft hier in der Hauptstadt geschickt. Wenn da CIA-Leute bei sind, kann ich den Ärger schon förmlich riechen."
"Keine Sorge, Mr. Red. Ndongo hat keinerlei Interesse, dass russische Raketen in seinen Grenzen gefunden wird", sagte der Präsident. "Da es sich um ein Familienschiff handelt, benutzen Sie bitte mein Privatkonto, um unseren Teil an der Prämie zu überweisen."
"Natürlich, natürlich", versicherte der Europäer. "Sie sollen bekommen, was Ihnen zusteht, Monsieur le President. So, wie es sich gehört."
Der Dicke neigte leicht den Kopf. "Monsieur le President, Monsieur le Ministre, haben Sie wie immer vielen Dank für Ihr Verständnis und Ihre Kooperation. Gemeinsam werden wir in ein paar Tagen über das, was wir heute als Krise ansehen, sehr herzlich lachen können."
"Ich nehme Sie beim Wort, Mr. Red", sagte der Präsident und setzte ein falsches Lächeln auf. "Guten Tag, Mr. Red."
"Guten Tag, meine Herren." Mr. Red tupfte sich ein letztes Mal die Stirn trocken, dann verließ er das Büro.
"Irgendwann schmilzt er uns einfach so weg, wenn er so weitermacht", sagte Agellaoue. "Und ich freue mich auf diesen Tag. Selbst für einen korrupten Lobbyisten ist mir der Kerl zu glatt und schleimig."
"Aber der Stamm verdient gut an ihm, und das ist die Hauptsache, Ives." Der Präsident griff zum Telefon. "Janine, verbinden Sie mich mit der Hafenkommandantur von Banana Port. Ich habe einen Auftrag zu verteilen."
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