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Zum Ende der Seite springen Hinter den feindlichen Linien - Season 7 - Zwischen Himmel und Hölle
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Tyr Svenson Tyr Svenson ist männlich
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Dabei seit: 06.10.2015
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Herkunft: Jena, Thüringen

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Kriegssplitter IV


Irgendwo hinter der imperialen Front, dritter Tag der Operation ‚Markat‘


Die von einzelnen Strauch- und Baumgruppen unterbrochene Ebene lag scheinbar verlassen da. Einem flüchtigen Beobachter, selbst einem überfliegenden Aufklärer wäre bestimmt nicht aufgefallen, dass eine der Strauchgruppen deutlich größer war als noch vor zwei Tagen. Sie hätten sicher auch nicht registriert, dass das zähe, scharfblättrige Gras an manchen Stellen geknickt und niedergedrückt worden war, sich aber bereits wieder aufgerichtet hatte.
Was einer der Gründe dafür war, dass die Spezialeinheit Pashka-Vier ausgerechnet eine Klingengras-Wiese als Versteck ausgewählt hatte. Das und die Hoffnung, dass die messerscharfen Halme wie ein natürlicher Stacheldrahtverhau feindliche Patrouillen abschrecken würden. Tarnnetze und geradezu kunstvoll arrangiertes Strauchwerk verbargen den leichten imperialen Spähpanzer, der es den Kommandosoldaten bisher erlaubt hatte, sich fast ungehindert im feindlichen Hinterland zu bewegen. Aber natürlich wussten die Mitglieder der Spezialeinheit, dass das Risiko einer Enttarnung immer größer wurde, je länger sie den Radpanzer verwendeten und umso näher sie den feindlichen Frontlinien kamen. Ein weiterer Grund, warum Pashka-Vier einen ‚Zwischenstopp‘ eingelegt hatte. Allerdings war das nicht der Hauptgrund.

„Was Neues, Snaps?“
Für Lieutenant Jan Marcus, der – immer noch an den Folgen einer leichten Verletzung laborierend – zum ‚Abhördienst‘ am Funkgerät vergattert worden war, fuhr herum. Die Lautlosigkeit, mit der sich die Mitglieder der Spezialeinheit bewegten, blieb ein wenig enervierend: „Was zum…“, er verschluckte einen Fluch, während die Peshten ihn nur spöttisch aus der Bodenluke des Fahrzeugs angrinste, aus der sie plötzlich aufgetaucht war. Im Halblicht verliehen Vacanis spitze Zähne der menschlichen Geste eine beunruhigende Note.
„Die Akarii ziehen weitere Truppen um Arta’Rijen zusammen. Ihre neue Oberkommandierende macht ziemlich Druck. Und sie jagen die Guerillas, die es noch rechtzeitig herausgeschafft haben.“
„Erzähl mir was NEUES.“
„Das ist dir egal?“
„Wir können doch sowieso nichts tun. Sei lieber froh, dass wir rechtzeitig aus dem Sack herausgekommen sind. Ich würde ungern mit imperialen Fronteinheiten raufen. Und die ‚Totengräberin‘ hat ihren Namen aus einem guten Grund.“
„Und die Guerilla?“
„Wenn sie unbedingt mit den großen Jungs und Mädels spielen wollen…wir haben sie schließlich nicht dazu gezwungen. Also mach dir nicht um Dinge Sorgen, die du sowieso nicht ändern kannst. Das schadet deinem Teint.“
„Du bist doch nicht nur hier, um mich zu nerven.“
„Schieb mir mal die Kiste rüber…nein, die da. Ich brauche die Datenchips…ja.“
„Heißt das, es klappt mit dem Spoofing für unsere ID?“
„Na ja, vielleicht. Aber je häufiger wir an der ID rumfuhrwerken und jedes Mal, wenn sie erneut gecheckt wird…“
„Soll heißen?“
„Einen Checkpoint können wir damit passieren. Aber alles was über einen flüchtigen Abgleich hinausgeht…“
„Heißt das, wir können endlich wieder los?!“
„So ungeduldig...“
„Maul halten!“, kam es dumpf von Dak oder Aka, der sich im Heck des Fahrzeuges auf ein paar Rucksäcken zusammengerollt hatte. Marcus hatte noch immer nicht gelernt, die T’rr-Scharfschützen auseinanderzuhalten: „Schlagt euch oder fickt euch, aber lasst mich schlafen!“
„Ich bin doch nicht pervers.“, konterte Vacani spöttisch. Sie legte den Kopf schief und lauschte auf irgendetwas, was Marcus nicht hören konnte: „Der Spähtrupp ist zurück. Ich denke, du bekommst deine Entscheidung wie es weitergeht, Snaps.“

Wenige Minuten später drängten sich fast alle verbliebenen Mitglieder der Spezialeinheit im Inneren des Spähpanzers, abgesehen von zwei Spähposten, die die Umgebung im Auge behielten.
„Es gibt also keinen Zweifel?“
Der Kommandant von Pashka-Vier winkte ab: „Kein Zweifel. Wir haben Fahrzeuge mehrere Regimenter gesichtet und dazu alleine heute zwei Tank-Konvois…
Wir haben eines der Treibstofflager der Imperial Rangers gefunden. Und nach allem was wir wissen, kann Jeron nicht viele weitere haben.“
„Die Frage ist, was wir mit dieser Information anfangen. Ich nehme nicht an, dass wir selber…“
Vacani schnaufte spöttisch: „Du hast zu viel Propagandastreifen gesehen, Snaps. Wir selber können gar nichts. Wir kommen nicht mal in die Nähe der Tanks. Und selbst wenn…“
„Guerillas und Spezialeinheiten?“, Lieutenant Marcus klang nicht besonders zuversichtlich.
„Nicht hier und nicht genug. Die Akarii haben dieses Gebiet erst vor ein paar Wochen überrannt – viel zu wenig Zeit, dass sich Guerillaeinheiten formieren konnten. Zwar haben sich einige unserer Spezialeinheiten überrollen lassen oder sind wie wir ins Fronthinterland gesickert, aber auch die hatten noch nicht genug Zeit um genügend Schlagkraft zu sammeln. Sie müssen sich erst organisieren, Kontakte aktivieren, Versprengte sammeln und…
Außerdem wird die imperiale Überwachung umso dichter, je näher wir der Front kommen. Bei Arta‘Rijen konnten wir die Akarii überraschen. Das wird nicht noch mal so einfach möglich sein.“
„Fernartillerie?“, kam es von Taku-Taku. Der stellvertretende Truppkommandant war kein Mann vieler Worte.
„Schwierig.“, diesmal war es Marcus, der den Advocatus Diaboli spielen musste: „Die Zielzone liegt außerhalb der Reichweite fast aller Geschütze und vieler Raketenwerfer. Und auf diese Entfernung könnten die Akarii die meisten Geschosse abfangen, die die nötige Reichweite hätten. Außerdem gehe ich nicht davon aus, dass wir nahe genug an die Zielzone herankommen könnten, um die Artillerie präzise einzuweisen.“
„Nicht, wenn du überleben willst.“, winkte Taku-Taku ab: „Auch nur den äußersten Perimeter zu erkunden war verdammt riskant. Mir hätte ein Imperialer beinahe auf den Kopf gepinkelt. Es mag ja Leute geben, die auf so etwas stehen…“, Gelächter flackerte auf: „Aber ich kann darauf verzichten.“
„Und der Typ hat das überlebt?“, spottete Vacani: „Du wirst alt.“
„Mir ging es eher darum, dass die Akarii misstrauisch werden könnten, falls eine ihrer Patrouillen verschwindet. Das Letzte, was wir gebrauchen können, ist eine Erhöhung der Alarmstufe.“
„Also wenn wir weder Bodentruppen noch Fernartillerie aktivieren können…Luftangriff oder Orbitalbombardement?“
Tai’fal nickte bestätigend: „Am besten ein schneller, präziser Angriff mit Anflug unter dem Radar.“
Vacani schnaubte verächtlich: „Na viel Glück damit! So knapp, wie unsere Flieger gerade aufgestellt sind, werden wir vermutlich alle an Altersschwäche gestorben sein, bevor das durchgegeben wird.“
„Ein bisschen mehr Vertrauen in unsere Führung. Außerdem, was meinst du, wozu Generalin Jeron diesen Treibstoff braucht? Wie auch immer, wir werden zweigleisig fahren.“
Die Reaktion bestand aus ringsum fragenden Gesichtern, was Tai’fal zu einem halben Lächeln animierte: „Wenn wir den Angry Angels schon einen ihrer Superflieger zurückbringen, warum nicht die Gelegenheit nutzen, um uns eine etwas…direktere Kommunikation zu sichern? So können wir den Dienstweg vielleicht etwas abkürzen.“
Marcus nickte grinsend: „Oder zumindest von beiden Seiten Druck machen – dann treffen wir uns vielleicht in der Mitte.“
„Na so was!“, spottete Vacani: „Snaps kapiert ja langsam tatsächlich, wie es bei uns läuft.“


***

Zur gleichen Zeit, mehrere Dutzend Kilometer entfernt

Ein Beobachter, der die Möglichkeit gehabt hätte, über der Frontlinie des 30. Korps zu fliegen, ohne sich um Luftabwehr und feindliche Jäger Sorgen machen zu müssen, und dessen Sicht nicht durch Vegetation, Gefechtsqualm, Wolken und Wetter beeinträchtigt wurde, hätte sich sicherlich über den Verlauf der Front gewundert. Die Gefechtslinie bildete einen allzu schmal und gefährdet wirkenden Vorsprung, der Dutzende von Meilen in das feindliche Hinterland hineinragte. Wo möglich folgte der Frontverlauf den Konturen der Landschaft: einem Flussverlauf, Höhenzügen und über mehrere Kilometer auch einem Ausläufer der für konventionelle Fahrzeuge schwer passierbaren Bekat-Sümpfe. An anderer Stelle boten Waldränder oder die Ruinen zerschossener und ausgebrannter Siedlungen, über die der Krieg zweimal hinweggerollt war, einen fragwürdigen Rückhalt für die Verteidigung des zurückeroberten Geländes.
Dem Beobachter wären auch die anderen Spuren des Krieges aufgefallen: Granat- und Raketentrichter, verbrannte Vegetation. Die oftmals noch qualmenden Wracks abgeschossener Kampfmaschinen, schweigend und selbst im Tod noch bedrohlich. Gefallene Giganten, die rußgeschwärzten, zerborstenen Geschützrohre auf einen unsichtbaren Feind gerichtet. Und die Toten: Akarii, Peshten, T’rr, Menschen. Erschossen, von Splittern zerfetzt, verbrannt – und dort, wo es zum Nahkampf gekommen war auch erschlagen, erstochen, erwürgt. So viele, dass die mit der Bergung betrauten nachrangigen Dienste nicht hinterherkamen.

Die Offensive des 30. Korps lief seit zwei Tagen. Kaum einer der Soldaten und Offiziere hatte mehr als vielleicht ein oder zwei Stunden schlafen können, wenn überhaupt. Und das sah man den Gesichtern auf den Bildschirmen in General Horoks Kommandopanzer an, obwohl die Teilnehmenden der Konferenzschaltung aufgrund ihres Rangs nur selten direkt an den Kämpfen beteiligt gewesen waren. Nicht, dass Horoks selbst viel besser aussah. Die Luft in dem Fahrzeug war stickig und die Anspannung des Oberkommandierenden spürbar. Zu dem permanenten Stress und der Übermüdung kamen die schlechten Nachrichten der letzten Stunden. Schlecht, aber nicht unerwartet. Nach ersten Erfolgen war die Vormarschgeschwindigkeit im Verlauf des Tages immer weiter gesunken, hatten sich die Akarii gefangen und leisteten immer härteren Widerstand. Aber noch ging es vorwärts. Doch der Tag war noch nicht vorbei…

„Es besteht also kein Zweifel?“
„Keiner. Sowohl Sattelitenbilder, als auch Aufklärungsflieger und unsere Fernspäher und Bodenkontakte stimmen überein: Sowohl die ‚Imperial Rangers‘ als auch die ‚Herolde des Todes‘ ziehen mechanisierte Verbände in ihrem Hinterland zusammen.“
„In welcher Stärke?“
„Die Informationen sind widersprüchlich. Wir gehen aber in beiden Fällen von mindestens einem kombinierten Regiment plus zusätzliche Truppen aus. Da die Imperialen gleichzeitig auch noch die Front halten und bei Arta’Rijen offensiv vorgehen müssen…“
General Horoks schnaubte: „Das war ja auch ein Ziel dieser reichlich improvisierten Luftlandung. So konnten sich die Guerillas endlich mal nützlich machen. Und in Arta’Rijen sind auch die terranischen Marines deutlich effektiver, als wenn wir sie einfach als Füllmaterial für die Hauptkampflinie einsetzen. Hauptsache, die Terraner haben sich nicht zu viel zugetraut. Wenn die Imperialen die Brücke einnehmen und die Vierte auf der anderen Flussseite abschneiden…dann können wir von Glück reden, wenn wir zumindest einen Teil der Sturmdivision wieder über den Rijen holen können.“
„Die zusammengezogenen Verbände sind aber nicht zum Einsatz gegen Arta’Rijen gedacht.“, warf Brigadegeneral Git von der 40. Mobilbrigade ein.
„Das ist mir klar. Wir sind das Ziel. Die Frage ist nur, wo genau die ‚Herolde‘ und die ‚Ranger‘ uns angreifen wollen.“
„Das ist doch klar.“, meldete sich Brigadegeneralin Nara: „Sie werden von beiden Seiten unserem Angriffskeils in die Flanke fallen. Sie wollen unsere Angriffsspitzen abschneiden, meine 20. und die 13. Sturmbrigade einkesseln. Und falls ihnen das gelingt…“
„Ich weiß. Generalin Nara, Generalin Latran, Ziehen Sie jeweils ein Bataillon ihrer Kampfpanzer zurück zur Verstärkung der 40. Mobilbrigade.“
„Wir sollen den Vormarsch nicht einstellen?“, vergewisserte sich Nara.
„Wir sind ohnehin schon hinter dem Zeitplan. Wenn wir jetzt anhalten und den Akarii die Gelegenheit geben, sich einzugraben…Dann schaffen wir es niemals rechtzeitig bis Arta’Rijen. Die Luftlandetruppen und die Vierte werden aufgerieben – und diese Offensive ist gescheitert.“
„Finden Sie nicht, dass Sie ein wenig übertreiben…“, hakte Nara nach.
„Das wäre schön. Aber ich bin nicht gewillt, dieses Risiko einzugehen. Deshalb müssen wir weiter vorrücken. Die Akarii dürfen sich nicht festsetzen und eine zusammenhängende Frontlinie bilden.“
„Wir kommen auch so fast nur noch im Schritttempo vorwärts.“
„Ein Grund mehr, den Druck aufrecht zu erhalten.“
Die menschliche Brigadegeneralin öffnete den Mund…warf ihrem Vorgesetzten einen Blick zu und schluckte dann hinunter, was ihr auf der Zunge lag. Der rebellische Ausdruck auf ihrem Gesicht blieb allerdings.

Wie erwartet meldete sich jetzt Git zu Wort. Der peshtische Kommandeur der 40. Mobilbrigade wirkte ebenfalls alles andere als zufrieden: „Ich soll mit meiner Einheit und wieviel…50 Kampfpanzern den Angriff von ein bis zwei mechanisierten Brigaden stoppen? Ich fürchte, Sie trauen mir da ein bisschen viel zu.“
„Fühlen Sie sich nicht zu sehr geehrt…“, parierte Horoks: „Sie werden das schließlich nicht alleine tun müssen. Ich habe bereits beim Oberkommando Druck gemacht, dass wir weitere Infanterieunterstützung bekommen. Und mehr Panzernahkampftrupps. Außerdem Minen, Sprengmittel – ich will, dass unsere Flanken sich in einen Todesgarten verwandeln. Die Luftwaffe wird ebenfalls Minen abwerfen. Und wir machen bei unseren Verbündeten Druck, dass sie weitere Verbände von den ruhigeren Kampfabschnitten abziehen. Jetzt, da sowohl die Imperialen Ranger als auch die Herolde des Todes ihre Angriffe eingestellt haben, können endlich mehr Einheiten an unseren Frontabschnitt verschoben werden.“
„Fragt sich nur, ob sie rechtzeitig eintreffen.“
„Was das angeht, wird unsere Fernartillerie die feindlichen Aufmarschgebiete unter Störfeuer nehmen. Wir werden den Angriff nicht aufhalten können – aber ich will verdammt sein, wenn wir ihn nicht zumindest verlangsamen und seine Koordination erschweren können.“
„Und was ist mit der Luftwaffe? Gezielte Bombenangriffe gegen die zusammengezogenen Verbände, gegen Verkehrsknotenpunkte und Nachschubbasen wären sehr viel wirksamer als Artillerieschläge.“
„Sie wissen, dass unsere Flieger genug damit zu tun hat, unseren eigenen Luftraum zu sichern und der Vierten und den bei Arta’Rijen gelandeten Truppen Deckung zu geben. Wenn die Akarii die Luftherrschaft erringen…
Deshalb fehlen uns die Kapazitäten für massive Luftschläge im feindlichen Hinterland. Wir können froh sein, wenn wir zumindest im Nahbereich weiterhin Schlachtfliegerunterstützung erhalten. Unsere Piloten fliegen rund um die Uhr – aber das können sie nicht unbegrenzt lange durchhalten. Und da die Akarii sich inzwischen reorganisiert haben und wir in Kürze auf die Angry Angels werden verzichten müssen…“

Horoks führte das nicht weiter aus, aber das war auch nicht notwendig. Und niemand meldete Protest an, auch wenn der Abzug eines kompletten Geschwaders die alliierten Luftstreitkräfte deutlich schwächen würde. Jeder der an der Besprechung Teilnehmenden wusste, dass es zum Einsatz der Angry Angels keine Alternative gab.

„Wie haben die verdammten Echsen nur so schnell einen Verstärkungskonvoi auf die Beine stellen können?“, kam es von Brigedegeneralin Nara.
„Vermutlich haben sie ihre Nachschubplanungen beschleunigt, noch bevor die imperiale Offensive begonnen hat. Und inzwischen sollten wir alle erfahren genug sein, um unseren Gegner nicht zu unterschätzen.“, äußerte Horoks.
„Sagen Sie das der Propaganda der Terraner.“, spottete Git: „Bis vor kurzem war doch für die der Krieg nur noch ein Aufräumunternehmen.“
„Die Angriffe von Ilis, Taran, Rian und jetzt auch noch Anwhar haben uns eines besseren belehrt.“, räumte Nara ein.
„Umso wichtiger ist es, dass diese Operation gelingt.“, griff Horoks den Faden wieder auf: „Wie mir die Oberkommandierende immer wieder ins Gedächtnis zu rufen geruht.
Wie dem auch sei – Sie haben ihre Befehle. Das wäre dann erst einmal alles. Viel Glück – Horoks, Ende.“
Der Reihe nach beendeten die Brigadekommandeure die Verbindung.

Einige wenige Herzschläge ließ General Horoks die relative Ruhe auf sich einwirken. Relativ, weil er in dem Befehlsraum des Kommandofahrzeuges natürlich nicht alleine war und durch die gepanzerten Wände nicht nur das ferne Dröhnen der Schlacht, sondern auch das Dröhnen schwerer Motoren und der Lärm der vorrückenden Truppen drangen.
Auf einen knappen Wink aktivierte ein Kommunikationsoffizier dann eine neue Verbindung: „Achtung Fernartillerie, hier General Horoks. Sie erhalten neue Befehle…“

***

TRS COLUMBIA, etwa zur gleichen Zeit

Die aufgleitende Tür ließ Kano von dem Schreibtisch hochfahren, an dem er eingenickt war: „Ich bin wach!“
„So siehst du aus.“, lautete Helens spöttische Antwort, die an den Türrahmen gelehnt ihren Verlobten mit einer Mischung aus Zuneigung und leichter Frustration musterte.
„Oh…du bist es.“
„Wer dachtest du denn? Huntress, die dich mit einem Kissen ersticken will?“
Das veranlasste Kano zu einem amüsierten Schnauben. Seine Stellvertreterin hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass sie sich sehr gut in der Lage fühlte, die Schwarze Staffel weiterhin zu führen.
„Sag mir lieber, wie es kommt, dass du nicht auf der Krankenstation bist. Wenn das so eine verrückte Samurai-Nummer ist, dann werde ich dich persönlich…“
Kano hob abwehrend die Hand. Die Linke, denn den rechten Arm konnte er noch immer nicht gebrauchen: „Das war nicht meine Idee. Sie brauchen Platz für die Verletzten, die sie aus Arta’Rijen evakuieren.“
„Verletzt bist du auch…“
Kano machte eine wegwerfende Handbewegung: „Offenbar nicht schwer genug. Sie haben mich durchgecheckt, die Nähte und den Verband erneuert, mir ein paar Tabletten gegeben und mich weggeschickt.“
Helen murmelte etwas Unfreundliches an die Adresse der Krankenstation gerichtet, klang aber eher abwesend als feindselig. Sie wusste, dass die Medizinische Abteilung vermutlich keine andere Wahl gehabt hatte: „Haben Sie dich wenigstens dienstuntauglich geschrieben?“
Kano räusperte sich: „Für heute und morgen. Dann habe ich leichten Dienst. Und dann…“
„Und hast du ihnen gesagt, dass du nach einer Notlandung, deinem…Zusammenstoß mit den Akarii und dem Versuch, sich im Alleingang durch eine umkämpfte Stadt zu schlagen mehr brauchst als ein paar Schmerzkiller und einen aufmunternden Klaps auf den…die Schulter?“ Kano sparte sich die Antwort, die auch unnötig gewesen wäre. Was Helen auch klar war.
Trotzdem wechselte Kano lieber das Thema: „Wie ist es gelaufen?“
„Wir fliegen und fliegen. In vier Stunden muss ich wieder raus. Zuletzt war es ein Angriff auf die Belagerungstruppen von Arta’Rijen. Das…“, Helens Schultern sackten nach unten und ihre Stimme verlor an Festigkeit: „Das war ziemlich knapp. Wir sind durchgekommen, aber es sieht übel aus. Die Imps werfen uns alles entgegen. Abfangjäger, Boden-Luft-Raketen und Flak aller Kaliber. Sie wollen diese Stadt unbedingt haben. Und sie sind auf dem besten Weg, das auch zu schaffen.“
Kano sparte sich die Antwort. Er wusste, was Helen meinte. Stattdessen kam er auf die Füße – wenn auch etwas ungeschickt – überbrückte mit zwei, drei Schritten den Abstand zwischen ihm und Kali und schloss sie in die Arme. Oder vielmehr in den einen Arm, den er benutzten konnte. Dass sie sofort schweigend den Kopf an seine Schulter lehnte, zeigte ihm, wie fertig sie sein musste. Helen war was das anging längst nicht so schlimm wie Lilja, wie Ace oder Kano selber – aber wie die meisten Piloten hatte sie Schwierigkeiten, Schwäche zu zeigen. Ein paar Augenblicke sagte keiner der beiden etwas. Dann straffte sich Helen wieder: „Na ja, wenigstens hat mich bisher noch keiner abgeschossen.“
Um Kanos Lippen zuckte es: „Ich habe verstanden.“
„Vor allem solltest du dich auch danach richten.“
„Leider haben die Akarii da ein Wörtchen mitzureden.“
Darauf gab Helen keine Antwort, doch der Druck ihres Armes verstärkte sich kurz. Dann, langsam und widerwillig, löste sie sich aus der Umarmung: „Wenigstens kommen wir bald raus aus diesem Sumpf. Ace hat sich umgehört. Ein Vorteil, wenn man gerade leichten Dienst hat. Wir verlegen in den tiefen Raum. Die Akarii schicken einen Verstärkungskonvoi und wir fangen ihn ab.“
Kano zuckte leicht zusammen: „Wann?“
„Hast du Angst, dass du nicht rechtzeitig kv geschrieben wirst?“
„Angst, dass ihr ohne mich rausmüsst.“
Das ließ Kali kurz innehalten. Dann winkte sie ab: „Ich kann auf mich aufpassen. Und ein paar Tage hast du auf jeden Fall.“
„Kriegen wir Verstärkung oder muss dass die COLUMBIA-Kampfgruppe alleine machen?“
„Die Peshten schicken ein paar leichte Einheiten und vielleicht auch einen Hilfsträger.“
„Na immerhin. Was ist der Plan?“
„Ähm…wir fangen den Konvoi ab, unsere Bomber und Jabos klopfen ihn weich und die Großkampfschiffe erledigen den Rest? Soweit ich weiß.“
„Klingt einfach.“, Kanos Stimme klang so trocken, dass es ihm einen leichten Schulterrempler einbrachte.
„Ein bisschen komplexer wird es vermutlich doch. Und ich glaube, alle sind ganz Feuer und Flamme, dass die neuen ARROWS-Atomraketen ihren ersten RICHTIGEN Einstand haben.“
„Verstehe…“ Kano wusste was das bedeutete: Die Schwarze Staffel hatte das meiste Training mit der neuen Waffe und auch bereits einen Einsatz geflogen. Wenn auch nur gegen weit unterlegene Piraten und mit einem etwas gemischten Ergebnis: „Ich wünschte, wir wären nicht unserer einziger Trumpf und wir könnten den Akarii noch ein paar weitere Überraschungen servieren.“
„Davon versucht Ace gerade Admiralin Girad zu überzeugen. Ich glaube, er hat da ein paar Ideen. Also wenn du es über uns poltern hörst, dann weil ihn Girad aus der Kommandozentrale geschmissen hat, weil er meint zu wissen, wie man diese Schlacht führen soll. Oder weil Decker der Kragen geplatzt ist.“
Um Kanos Lippen zuckte es. Das hätte er gerne gesehen. „Und du meinst, wir sollen ihn das alleine ausfechten lassen?“
„Manchmal geht die Phantasie ein wenig mit ihm durch und er vergisst, dass Girad nicht Admiralin Alexander ist. Auch wenn Ace vielleicht momentan ein wenig Extra-Kredit wegen seiner verrückten Guerilla-Aktion hat. Wenigstens einer unserer Offiziere, auf den die Peshten nicht sauer sind. Er kommt schon klar.
Aber hast du mal Girad schlecht gelaunt erlebt? Nein danke. Außerdem habe ich genug damit zu tun, auf dich aufzupassen.“
„Wie kann ich dir nur jemals dafür danken.“
„Zuerst könntest du mich zum Essen einladen…“
Um Kanos Lippen zuckte es, während er auf Helens ironischen Ton einging: „Na das passt ja. Ich kenne ein Restaurant zwei Decks über uns. Die Karte ist zwar überschaubar und der Service könnte besser sein, dafür ist die Gesellschaft erstklassig und die Preise konkurrenzlos günstig.“
„Das klingt doch gut. Und danach finden wir schon noch etwas, womit wir uns die Zeit bis zu meinem nächsten Start vertreiben können.“
Kano warf seiner bandagierten Schulter einen kritischen Blick zu: „Leider bin ich bei den Möglichkeiten der Freizeitgestaltung momentan ein wenig eingeschränkt.“
Helen hakte sich bei ihm ein – natürlich links: „Dann müssen wir einfach etwas phantasievoller sein.“


***

Zur selben Zeit, irgendwo zwischen Sprungpunkt und Gamma Eridon


„Admiralin Morr, Nachricht vom Geheimdienst.“
„Lassen Sie sehen.“, die Kommandantin der imperialen Marinestreitkräfte im Gamma Eridon-System richtete sich auf. Ein Blick auf das Datenpad ließ sie leise durch die Zähne pfeifen: „Also machen die Menschen ernst. Sie schicken die COLUMBIA. Na schön…machen die Peshten mit?“
„Was das angeht, sind die Geheimdienstmeldungen etwas widersprüchlich. Sie gehen aber von einer Wahrscheinlichkeit von etwa 70 Prozent aus.“
„Dann sollten wir lieber damit rechnen. Aber davon war ohnehin auszugehen.“
„Neue Befehle für die Flotte?“
„Wenn wir noch schneller fliegen, überlasten wir die Maschinen der Transporter. Außerdem wollen wir der COLUMBIA doch genug Zeit geben, sich von dem Planeten zu entfernen. Das Letzte, was wir gebrauchen können, sind ein paar bodengestützte Kampfflieger-Staffeln, die sich einmischen. Und lassen Sie die Flotte zacken – Zufallsmuster Alak Zwei.“
„Die dadurch verursachte Verzögerung…“
„Ist akzeptabel. Die Alliierten haben schon früher versucht, uns mit Minen Schwierigkeiten zu machen. Unsere Fracht ist zu wertvoll um ein Risiko einzugehen und ich will keine vermeidbaren Verluste vor der Schlacht. Außerdem sollen die Spähshuttles ihren Suchradius ausdehnen. Ich will nicht, dass die Glatthäute an unseren Flanken herumschnüffeln. Sie dürfen auf keinen Fall herausbekommen, dass mit zweien unserer Transporter etwas nicht stimmt.“

Die Schlacht würde knapp genug werden und die zu Trägern umgerüsteten Transporter waren Pherci Morrs Trumpfkarte, die auf keinen Fall zu früh aufgedeckt werden durfte. Vor allem ging es ihr aber um den Kampfgeist ihrer Untergebenen, den sie nicht mit unnötigen Verlusten noch vor der Schlacht belasten wollte. Um die imperiale Moral stand es nicht zum Besten, auch wenn die Siege der letzten Monate den durch das jahrelange, blutige Hin und Her des Terranerkrieges und vor allem die Rückschläge der letzten zwei Jahre verursachten Moralmalus etwas ausgeglichen hatten.

„Unsere Freunde von den Bodentruppen werden ja wohl noch ein paar weitere Stunden aushalten.“, die Admiralin blickte auf: „Oder etwa nicht? Wie ist die Lage am Boden?“
„Laut offiziellem Armee-Kommuniqué…“
„Sehr witzig. Ich will die WAHRHEIT.“
„Es…könnte besser laufen. Es ist noch immer nicht gelungen, die Vierte Sturmdivision zu stoppen oder einzukreisen. Die bei Arta’Rijen gelandeten Truppen sind zwar eingekesselt und werden immer weiter zurückgedrängt, halten aber den Flussübergang. Und auch der Vormarsch des 30. Korps wurde nur verlangsamt, aber nicht zum Stehen gebracht.“
„Also ist es an uns.“

Damit meinte die Admiralin nicht nur die Soldaten und Panzer, die in den Frachträumen des Konvois warteten, auch wenn die moralische Wirkung den materiellen Wert der Nachschubgüter bei weitem überstieg. Ein Sieg im Raum über Gamma Eridon und ganz besonders die Niederlage der legendären ‚Angry Angels‘ konnte der Moral der Peshten und Terraner einen tödlichen Schlag versetzen und den durch die alliierte Gegenoffensive verunsicherten imperialen Bodentruppen neuen Mut einflößen. Die Vernichtung der COLUMBIA würde zudem den Gegner ein komplettes Kampfgeschwader kosten, was es den imperialen Luftstreitkräften auf Gamma Eridon ermöglichen würde, die für ihren Sieg unabdingbare Luftherrschaft zu sichern.

„Generaloberst Anwhar lässt zudem anfragen, ob die Flotte nach einer erfolgreich durchgeführten Nachschuboperation in der Lage ist, direkte Feuerunterstützung zu leisten.“
„Ich kann mir vorstellen, dass er das will. Das kommt sehr darauf an, in was für einem Zustand wir dann sind. Aber ich werde entsprechende Pläne ausarbeiten lassen. Sagen Sie ihm das.“
„Zu Befehl…“
„Sagen Sie ihm aber auch, dass ich dafür Unterstützung durch die bodengestützten Kampfflieger erwarte.“

Die taktische und die psychologische Wirkung eines massierten Orbitalbombardements konnten gewaltig sein. Einen solchen Angriff durchzuführen, barg allerdings auch Risiken. Vor allem, wenn der Gegner über Kampfflieger und Boden-Raum-Waffen verfügte. Dennoch…Admiralin Pherci Morr malte sich aus, wie ihre Kriegsschiffe den Himmel von Gamma Eridon verdunkelten, wie dutzende schwere Kriegsschiffgeschütze Tod und Vernichtung spien und ihr Feuer Peshten, Menschen und all die anderen Kreaturen verschlangen, die es gewagt hatten, das Imperium herauszufordern. Und ihre Lippen verzogen sich zu einem grausamen Lächeln.
25.04.2022 17:37 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


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Zielwechsel II

Ai’Shan-Park, Arta’Rijen, der Beginn des dritten Tages der Operation ,Markat‘

Majorin Ariane Schlüter wäre lieber an so ziemlich jedem anderen Ort gewesen als diesem – und das schloss die alptraumhaften Tunnel von Hellmountain ein wie auch die ganz persönliche Hölle jedes Marines, nämlich die Grundausbildung.
Gewiss, sie hätte sich in blindwütigen Aktionismus stürzen können, denn zu tun gab es wahrhaftig genug. Sie hätte auch versuchen können etwas Schlaf zu finden, immerhin war sie inzwischen fast 24 Stunden auf den Beinen, und es waren wirklich keine leichten Stunden gewesen.
Und doch war sie hier, hatte sich für den schwereren Pfad entschieden – hier, vor einem Massengrab.
Der feindliche Angriff war vorüber, nicht gescheitert, aber zumindest eingedämmt. Beide Seiten hatten Verluste erlitten und Rückschläge zu verzeichnen. Es war den kaiserlichen Truppen nicht gelungen, bis zur Brücke vorzustoßen, den alliierten Brückenkopf in mehrere kleinere Kessel aufzuspalten. Aber sie hielten inzwischen wieder etwa ein Fünftel des Stadtgebietes von Arta’Rijen.
Die Verluste der Angreifer mochten hoch sein, doch auch die Verteidiger hatten bluten müssen. Fast 150 terranische Soldaten waren tot, verwundet oder vermisst – zusammen mit den Verlusten unmittelbar während der Landung hatte die Brigade Schlüter bereits fast ein Sechstel ihrer Gefechtsstärke eingebüßt.
,Wenn die Echsen weiter so angreifen, dauert es nicht lange, und wir liegen im Rijen.‘ Die Majorin hätte so etwas Defätistisches natürlich nie offen ausgesprochen, aber ihre Gedanken konnte sie schwerlich so gut kontrollieren wie ihre Worte.
Auch die verbündeten Peshten hatte bluten müssen. Sie verzeichneten gut 50 Verluste. Es machte bereits die Runde, dass bei einem Gegenangriff vier geköpfte Leichname gefunden worden waren – Konkordatssoldaten, offenbar von den Imperialen nach der Gefangennahme enthauptet. Das kam wenig überraschend, da das brutale Vorgehen der Kaiserlichen gegen die ,Prinzenmörder‘ bekannt war. Doch fragte sich Schlüter insgeheim, wie sich das auf die Moral der Peshten auswirken mochte. ,Da können wir wohl noch froh sein, dass wir eingekesselt sind. Mit Abhauen ist ja wohl nichts, und zum Gegner überlaufen können sie schon gar nicht.‘

Doch so bitter all diese Verluste waren, die Peshten waren hier, um für die Befreiung ihres Heimatplaneten zu kämpfen – oder im Fall der Söldner für eine ordentliche Bezahlung in einem Job, den sie sich ausgesucht hatten. Und die Terraner waren Berufssoldaten, die sich in bewusster Entscheidung verpflichtet hatten. Das feite einen – natürlich – nicht vor der Angst vor Tod und Verwundung oder machte einen entbehrlich. Nun, jedenfalls nicht entbehrlicher als Soldaten nun einmal waren. Man konnte keinen Krieg ohne Verluste führen.
Aber Gefahr für Leib und Leben waren etwas, was Soldaten aller Streitkräfte in den langen Kriegsjahren mit einer Mischung aus Fatalismus und grimmiger Entschlossenheit zu akzeptieren gelernt hatten.
Doch nichts davon galt für die peshtischen Zivilisten, und ausgerechnet sie hatten am meisten bluten müssen. Wie viele von ihnen gestorben waren, ließ sich nicht einmal mit Sicherheit sagen – es gab keine verlässlichen Listen der Lebenden oder Toten, und manche Leichen waren bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, förmlich zerfetzt, unter Bergen von Schutt und Stahl begraben. Doch selbst die vorläufigen Angaben beliefen sich auf mindestens 60 Tote und ein Mehrfaches an Verwundeten, die meisten davon im Bereich des Ai’Shan-Parkes. Andere rangen noch mit dem Tod, doch es war abzusehen, dass viele den Kampf verlieren würden.

Wie so oft in solchen Zeiten – und besonders in einer Nation wie dem Konkordat – suchten die Überlebenden Trost im Glauben. Ob es nun Hoffnung auf ein besseres Leben im Jenseits zwischen den Sternen oder in der Tiefe der Erde war, die Wiedergeburt oder ein Fortleben als Ahnengeister, die über das Land und die kommenden Generationen wachten, oder andere, für menschliche Begriffe noch schwerer verständliche Konzepte.
Fackeln – und das bedrohliche Flackern der nur notdürftig eingedämmten Brände, die durch die Kämpfe in der Stadt ausgebrochen waren – tauchten die Szenerie in ein unheilvolles Zwielicht. Es war dem Anlass freilich nur zu angemessen.
Die fremdartigen Stimmen der Peshten – in einem halben Dutzend Sprachen, von denen die meisten nur noch für rituelle Zwecke genutzt wurden – erfüllten die Luft, während sie Abschied von den Toten nahmen. Schlüter hatte sich auf Hinweis ihres Verbindungsoffiziers bereit erklärt, die Leichen nicht wie ursprünglich geplant nach Entnahme von DNA-Proben zu Identifikationszwecken in einem großen Massengrab zu verscharren oder sie alle mit einem Mal zu kremieren. Die meisten würden in der Tat verbrannt werden – ein Krater, gerissen von einer schweren Artilleriegranate, wurde gerade dafür vorbereitet. Aber die terranische Kommandeurin gestattete ein Minimum an Zeremonien, wie etwa das Benetzen der Toten mit Wasser aus dem Rijen. Und bei Angehörigen von Religionen, die besondere Rituale erforderten, hatte sie angeordnet die Leichen in einen tiefen Keller zu bringen und mit Erde und Sand zu bedecken, um sie so gut es ging bis zum Ende der Kämpfe zu bewahren. Natürlich musste es schnell gehen. Es war nicht abzusehen, wann die Echsen das Feuer wieder aufnehmen würden, auch wenn ihre Munitionsvorräte vermutlich ziemlich erschöpft waren und die Kämpfe fürs erste etwas nachgelassen hatten.
Die Aliens mochten Trost in ihrem Brauchtum finden, aber für Schlüter war die Zeremonie eine einzige Erinnerung, dass sie nicht in der Lage gewesen war, die Peshten zu schützen. Sie war nicht so töricht sich Vorwürfe zu machen, weil sie die Kämpfe nach Arta’Rijen gebracht hatte. Auf dieser Welt herrschte Krieg, und dieser konnte nur enden, wenn man den Kaiserlichen dort entgegentrat, wo es möglich und nötig war. Aber dennoch, der Anblick zerschmetterter Kinderleiber – ob tot oder schwer verwundet – war selbst für eine erfahrene Soldatin schwer erträglich, auch wenn es sich nicht um Menschenkinder handelte.
Nur eine Handvoll Angehörige der kleinen medizinischen Abteilung der Brigade standen für die Versorgung der zahllosen verwundeten Zivilisten zur Verfügung – die anderen mussten sich um die militärischen Verwundeten kümmern, oder waren ganz einfach nicht qualifiziert, Nichtmenschen zu behandeln. Glücklicherweise war es gelungen, einen provisorischen Hilfsdienst unter den Zivilisten zu organisieren – ihre schwarz-weißen Armbinden unterschieden sich von den Rotkreuzzeichen der Terraner, waren aber gut genug zu erkennen.
,Ich zweifle allerdings, dass ihnen das bei den Akarii viel nützen würde.‘

Die Majorin nahm sich Zeit um den getöteten Peshten Tribut zu zollen, und die Trauer in ihrer Miene war nicht geheuchelt, obwohl sie auch aus Berechnung hier war. Alles was das Bund zwischen Konkordat und Bundesrepublik festigte – und was war besser geeignet als vergossenes Blut – war von Vorteil, und sie war entschlossen, jede Möglichkeit auszunutzen.
Doch dann musste sie sich ihrer eigentlichen Verpflichtung zuzuwenden. Und die galt den Lebenden, nicht den Toten. Und, um es brutal auszudrücken, der Erfüllung ihres Kampfauftrags, nicht in erster Linie dem Schutz der Zivilisten. Ihr Tod war eine Tragödie, doch wenn sie abwägen musste... Eine scheußliche Situation.

Die Runde im Kommandostand war klein. Alle wirkten abgekämpft, niedergedrückt durch Erschöpfung und Rückschläge. Ariane konnte nur hoffen, dass sie alle durchhielten, denn die Belastungen würden gewiss nicht so schnell nachlassen.
Sie verfügte natürlich über keinen vollwertigen Brigadestab. Die Bataillonskommandeure waren bei ihren Einheiten und koordinierten den Ausbau der Abwehrstellungen, mit Ausnahme von Major Tash. Anwesend war freilich eine Handvoll Kommunikationsexperten und die Leiter der kleinen Logistik- und medizinischen Abteilung. Eine stabile Echtzeitkommunikation mit der COLUMBIA oder gar dem Hauptquartier stand angesichts der unvermeidlichen Störungen und den feindlichen ECM außer Frage. Bei Übertragungen hätte zudem stets die Gefahr bestanden, dass der Feind die Nachricht abfing und entschlüsselte – oder den Senderort anpeilte.
Im Grunde gab es auch nicht viel zu besprechen, denn die Lage war eindeutig. Die Übersichtsdarstellung der Logistiker ließ sich rasch zusammenfassen: „Wir brauchen dringend Verstärkung, und vor allem Munition und schwere Waffen.“
Das war der Kern des Problems. In dem Maße wie sich abzeichnete, dass die Ankunft der 4. Sturmdivision oder gar des 30. Korps sich noch eine Weile verzögern würden, machte sich die leichte Ausrüstung der Brigade schmerzlich bemerkbar. Es war nicht damit zu rechnen, dass weitere Beutefahrzeuge in nächster Zukunft einsatzbereit gemacht werden konnten, außerdem war die Munition für die wenigen schweren Beutewaffen knapp bemessen. Für die terranischen Mörser und schultergestützten Raketenwerfer sah es nicht viel besser aus.
Doch mit dem Nachschub haperte es. Der letzte Versuch, zwei Shuttles durchzubringen, war gescheitert. Die feindliche Luftabwehr war inzwischen so stark, dass das eine Shuttle hatte abdrehen müssen – dem anderen war mit Mühe und Not eine Landung in Nera’Rijen geglückt. Dort war es halbwegs sicher, aber an die Evakuierung von Verwundeten und Zivilisten und an eine gesicherte Versorgung mit Munition, Sprengstoff und dergleichen war unter solchen Bedingungen nicht zu denken.

Ariane nickte Tash zu: „Ich habe versucht, der COLUMBIA wie auch dem Oberkommando – Ihrem und unserem – klarzumachen, dass wir dringend Hilfe benötigen, wenn wir bis zu Ankunft der Vierten halten sollen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich damit wirklich durchgedrungen bin. Ich habe das Gefühl, es gibt im Moment wichtigere Sorgen für unsere Vorgesetzten.“
Tash gab einen Laut von sich, bei dem es sich wohl um das peshtische Äquivalent eines Schnaubens handelte: „Ich lasse meine Leute aus den feindlichen Fahrzeugen, an die wir herankommen, bergen was nur möglich ist. Und ich habe ein Kommando losgeschickt, um die Blindgänger Ihrer Bomben und der imperialen Artillerieraketen zu entschärfen, ebenso die imperialen Minen, die wir nicht liegenlassen können. Den Sprengstoff werden wir noch brauchen.“
„Gute Idee. Ich wusste nur nicht, dass Sie Pioniere unter ihren Leuten haben.“
„Habe ich auch nicht. Aber bei einem der Züge meines Bataillons hat es so etwas wie eine Panik gegeben. Zivilisten und Guerillas sind eben keine echten Soldaten – und ein paar Leute haben versucht sich ins Innere des Kessels zu verdrücken. Sollen die ihre Feigheit auf diese Weise wieder wettmachen.“
Die Majorin nickte düster. In der populären Darstellung war es ein gern und oft wiedergekäuter Topoi, wie waghalsige Guerillakämpfer und patriotische Zivilisten sich einer erdrückenden feindlichen Übermacht spärlich bewaffnet in den Weg stellten und natürlich am Ende siegreich blieben. Die Wirklichkeit war da weitaus prosaischer. Unprofessionelle Kämpfer hatten oft unverhältnismäßig hohe Verluste, wenn sie es mit regulären Fronteinheiten mit schweren Waffen zu tun bekamen. Und sie brachen unter konzentriertem Beschuss oder angesichts feindlicher Panzer wesentlich leichter zusammen als ausgebildete Soldaten. Sie wusste, dass die Peshten mit ihrer Armee, die sich noch nicht voll von dem schwierigen Start in den Krieg erholt hatte, mitunter auf harsche Disziplinierungsmaßnahmen zurückgreifen mussten: „Und wenn sie noch einmal versuchen zu türmen?“ Blindgänger entschärfen war kaum weniger gefährlich als ein direkter Fronteinsatz.
Der Peshte schloss die drei Augen gleichzeitig, weniger ein Blinzeln, als eine Geste der Resignation: „Die Wachen haben die Freigabe, bei Fluchtversuch zu schießen. Ich möchte darauf verzichten, meine eigenen Leute zu töten, aber für Drückeberger ist in Arta‘Rijen kein Platz.“
Die Marine betete insgeheim, dass sie bei ihren eigenen Leuten nicht würde ebenso weit gehen müssen: „Gut. Was an Sprengstoff geborgen werden kann, verwenden wir für die Herstellung von Sprengfallen. Ich denke wir legen vor allem hier…hier…und dort Sperren an. Vielleicht sollten wir auch ein paar Hochhäuser prophylaktisch sprengen um die gegnerischen Angriffsrouten einzuengen…“ Das mochte die feindliche Infanterie und Kettenfahrzeuge wohl nur verlangsamen, aber Radpanzer und Schweber würden auf Räumfahrzeuge warten müssen. Und in Trümmern ließen sich mühelos Sprengladungen verstecken.
Schritt für Schritt ging Ariane Schlüter die nächsten Schritte durch. Die Kampfgruppe war angeschlagen, aber sie war noch nicht besiegt. Nach den ursprünglichen Plänen hätte Entsatz durch die alliierten Bodentruppen bereits nahe sein müssen. Die Terraner hatten die Brücke nehmen und halten sollen, doch ursprünglich nur für kurze Zeit. Inzwischen sah es so aus, als würde der Kampf weit langwieriger und blutiger werden als angenommen. Die Marines und ihre Verbündeten mussten ihre Ziele neu wählen, denn jetzt hieß es durchzuhalten, und um jeden Preis die Brücke für die Vierte Sturmdivision offen zu halten. Und die Terraner waren entschlossen, den Kaiserlichen einen hohen Blutzoll für weitere Bodengewinne abzufordern.

***

Etwas später, TRS COLUMBIA, Gamma Eridon-System

Einmal mehr waren die Staffelkommandeure der Angels und ihre Stellvertreter versammelt – Ohka glänzte freilich durch Abwesenheit. Bis der Japaner wieder einsatzbereit sein würde, würden wohl noch einige Tage verstreichen. Da an Bord des Trägers gerade auf der Krankenstation nicht sehr viel geheim blieb, hatten bereits einige Gerüchte die Runde gemacht, dass die Imperialen ihn ziemlich durch die Mangel gedreht hatten. Der Chef der Blauen hatte seinerseits erst kürzlich seine Freigabe vom NIC bekommen und vermutlich zumindest einen medizinischen Check-up absolviert, schließlich durfte er keine außerirdischen Krankheitskeime einschleppen, die er sich in seiner Zeit bei der Guerilla eingefangenen haben konnte.
Lieutenant Commander Tatjana Pawlitschenko alias Lilja war froh, dass die beiden für das Gefecht gegen den feindlichen Konvoi zur Verfügung stehen würden. Kano war nun einmal einer der besten Flieger des Geschwaders. Ace war nicht sehr viel schlechter – und als Staffelchef zwar in den Augen der Russin eine nicht immer unproblematische Besetzung, aber weit besser als sein XO.
Sei dem wie es sei, die Einsatzbesprechung war für sie ein Stück weit auch eine Demütigung. Denn Stafford ging im Moment die letzten beiden Einsätze durch, die über Arta’Rijen geflogen worden waren. Und die waren wirklich nicht sehr gut gelaufen.
,Ich hätte es wissen müssen, nicht umsonst heißt es schließlich: kostenlosen Käse gibt es nur in der Mausefalle.‘ – nicht, dass das verbreitete Sprichwort aus ihrer Heimat der Staffelchefin sonderlich Trost bot. Ihre Gedanken wanderten zurück…

*

Im ersten Moment hatte Lilja fast so etwas wie Freude verspürt, als der Einsatzbefehl gekommen war. Sie hatte in den letzten Tagen gehorsam ihre Pflicht getan, die COLUMBIA zu beschützen, auch wenn sie sich danach gesehnt hatte, aktiv in die Luftkämpfe über der feindlichen Invasionsfront, der Landungszone der Vierten Sturmdivision und der Brigade Schlüter einzugreifen. Die Patrouillen waren ereignislos verlaufen. Nun aber hatte es so ausgesehen, als würde sich ihr Wunsch erfüllen – nur nicht so, wie sie gehofft und gedacht hatte.

Der Alarm war überraschend gekommen, ein Hilferuf der gelandeten Marineinfanteristen, der von einem massierten feindlichen Angriff kündete. Normalerweise hätten die Angels darauf mit Stärke reagiert – doch im Moment war gar nichts normal. Die Unterstützung der peshtischen Truppen an gleich zwei Fronten und die Verteidigung des Mutterschiffes waren für sich genommen schon aufreibende Verpflichtungen. Zumindest blieb die Hoffnung, dass die Angels so wieder ein wenig Boden bei den Peshten gutmachen konnten. Denn begreiflicherweise knirschte es nach Staffords kurzsichtiger Paragraphenreiterei und der Verweigerung, den feindlichen Oberkommandierenden auszuschalten, ganz erheblich zwischen den Verbündeten. Die Terraner hatten massiv an Ansehen eingebüßt. ,Wir dürfen uns den Arsch aufreißen – und die Marines bekommen ihren aufgerissen – weil dieser Schwachkopf ein reines Gewissen haben will!‘ war Liljas bitteres inneres Mantra, und zweifellos nicht nur das ihre.
Zusätzlich zu dem ohnehin vollen Programm kamen die aufreibenden Geleitschutzeinsätze. Natürlich für die Shuttles, welche die einzige Verbindung zu den Truppen in Arta’Rijen darstellten – oder bisher dargestellt hatten. Zum Teil aber auch für jene Landungsboote, welche die evakuierten Gefangenen, Verwundeten und Zivilisten von der COLUMBIA weitertransportierten. Man konnte schließlich nicht eine Hundertschaft feindlicher Soldaten längere Zeit auf einem Träger internieren, auf dem es keine volle Kompanie Marines mehr gab. Liljas nur halb scherzhaft gemeinter, rabiater Lösungsvorschlag für dieses Problem war natürlich nicht aufgegriffen worden. Genau so wenig konnten tausend oder mehr peshtische Flüchtlinge an Bord vernünftig untergebracht und betreut werden.
Und so war die Flugbereitschaft geradezu schandhaft gering gewesen. Lilja, die sich gerade von einem weiteren ereignislosen Wachflug erholte, war die einzige Staffelchefin gewesen, die auf die Schnelle alarmiert werden konnte. Und so hatte man acht verfügbare Stallions – Fidai musste nach seinem Abschuss vor wenigen Tagen noch eine Reihenuntersuchung durchlaufen, Marine war auf Dauer ausgefallen, und Sokol und Kicker eskortierten gerade ein paar Shuttles auf dem Flug zu einem peshtischen Raumhafen – sowie sechs Thunderbolts eilends einsatzbereit gemacht und losgeschickt. Während die Abfangjäger je vier Raketen und sechs Streubomben mitführten, waren die Jabos sämtlich mit Lenkbomben bewaffnet worden.

Die Russin hatte sich von vorneherein ausgerechnet, dass die Luftabwehr hart werden würde – schließlich hatte sie die Einsatzberichte vom ersten Angriff auf die Stadt ausgewertet, und es war klar gewesen, dass die Echsen ihre Panzer nicht schutzlos angreifen lassen würden. Doch damit hatte sie nur halb richtig gelegen.
Die Angels waren noch ein gutes Stück von der Stadt entfernt gewesen, als der Alarm losging – freilich nicht bei ihnen, sondern durch einen Funkspruch von der COLUMBIA: „Achtung, feindliche Maschinen auf 3 Uhr näherkommend im Tiefflug, mindestens acht. “
Natürlich – der Gegner machte sich zu Nutze, dass seine Maschinen noch wendiger waren als die terranischen Maschinen, noch besser für den „Konturflug“ geeignet. Die Cockroach-Kampfflieger oder ganz einfach Kakerlaken, wie die Menschen sie nannten, konnten eine vergleichbare Raketenlast wie menschliche und imperiale Kampfflieger mitführen, ihre Bordwaffen waren aber leicht unterlegen. Vor allem fehlten ihnen Schilde. Ihre Beweglichkeit war jedoch unübertroffen – und deshalb taten sie gut daran, nicht den Kampf in größerer Höhe zu suchen, wo die Terraner ihre überlegene Feuerkraft voll ausnutzen konnten.
Lilja hatte vor einem Dilemma gestanden. Wenn sie sich von den Jagdbombern absetzte, waren diese zwar nicht schutzlos – die Thunderbolt konnte sich ziemlich gut ihrer Haut wehren – doch waren die Jabos ein wenig schwerfälliger, und natürlich gehandicapt durch die schwere Bombenlast und ihren Kampfauftrag. Aber wenn sie den Verband geschlossen hielt, gab sie den Vorteil der Beweglichkeit auf und riskierte einen wüsten Nahkampf, in der die in Arta‘Rijen dringend benötigten Jabos zum Ziel werden konnten und in jedem Fall erst einmal festsaßen.
Folglich…
„Können Sie bestätigen, dass das die einzigen sind? Oder sind noch mehr Echsen unterwegs?“
Die Antwort war weit weniger eindeutig als gehofft: „Wir haben nur unvollständige Sensordaten. Soweit wir das beurteilen können sind das aber alle. Aber der Gegner stört die Sensoren. Und es ist ja nicht so, als ob wir direkt über dem Schlachtfeld hocken und uns alles in Ruhe anschauen können.“

Lilja hatte schnell entscheiden müssen: „Imp – nimm den Rest der Staffel und fang die Mistkerle ab. Greift sie am besten von oben an, gleich eine volle Salve mit den Raketen, die ihr habt. Wenn der Kurvenkampf erst einmal losgeht, werdet ihr kaum eine gute Zielerfassung kriegen. Viel Glück.“
Sie hatte sich nicht gut gefühlt, ihre XO und beste Freundin loszuschicken, aber sie konnte auch die Jabos nicht vollkommen allein lassen. Sechs Falcons, davon drei Mehrfachasse, sollten in der Lage sein, acht bis zehn Kakerlaken zu verscheuchen.
Lilja hatte ihre eigene Maschine aufsteigen lassen, um sich und ihren Sensoren ein besseres Sichtfeld zu verschaffen. Damit riskierte sie natürlich die Erfassung durch Langstrecken-SAM, war aber andererseits sicherer vor den verfluchten schultergestützten Raketen und leichten Luftabwehrkanonen, welche die Echsen neuerdings aus jedem verdammten Busch abzufeuern schienen.

„Zielerfassung!“ Der Aufschrei fiel zusammen mit dem Warnheulen ihres Jägers, und Lilja handelte automatisch – und glücklicherweise richtig. Sie ließ ihre Maschine ein paar hundert Meter absacken und brach dann seitlich aus, während sie zeitgleich Täuschkörper abfeuerte. Ihre Anzeigen wurden förmlich von neuen Kontakten überflutet. Da waren natürlich Imp und die fünf anderen Stallions, die es in der Tat geschafft hatten, die feindlichen Kampfflieger abzudrängen, und mindestens zwei mit der ersten massiven Raketensalve ausgeschaltet hatten.
Doch offenbar hatten die Echsen auch noch ein paar zusätzliche Asse im Ärmel gehabt. Sehr wahrscheinlich hatten sie zusammengekratzt, was an Maschinen zur Verfügung stand. Der Angriff auf Arta’Rijen war für sie wohl ähnlich wichtig wie für die Terraner. Und ob sie nun von Anfang an vorgehabt hatten, einen Angriff der Angels abzuwehren oder ursprünglich ihre eigenen Truppen am Boden unterstützen wollten, in dem Moment in dem sie die Angels geortet hatten, hatten sie offenbar entschieden, dass diese das wichtigere Ziel waren.
Die Angreifer waren eine Handvoll Bed Bugs, Kampfhelikopter, für die Sensoren sehr schwer zu erfassen und in der Lage, im extremen Tiefflug zu operieren. Im Luftkampf hatten sie einen schweren Stand, doch waren sie wie keine zweite Maschine geeignet, um überraschend zuzuschlagen. Sie hatten das Terrain ausgenutzt um sich ungesehen zu nähern – dann hatten sie hochgezogen und ihre Luft-Luft-Raketen in einem vernichtenden Alphaschlag ausgelöst.

Eine Thunderbolt zerbarst sofort spektakulär in einem Feuerball, und mindestens zwei weitere waren sichtlich beschädigt. Die Piloten warfen – ob aus Panik oder Berechnung – ihre Lenkbomben ab, um ihre Maschinen leichter und wendiger zu machen. Knight hatte einen Treffer kassiert, doch seine Schilde schienen zu halten.
Lilja wütete wortstark, während sie versuchte, die Gegner ins Visier zu bekommen. Die Hälfte ihres Raketenarsenals – zwei Sidewinder – waren gegen die Stealth-Hubschrauber wenig wert. Die Kanonenbewaffnung der Bed Bugs war vernachlässigbar, denn die Feuerkraft ihrer Impulslaser kam in etwa einer Laserkanone gleich, auch wenn die Feuergeschwindigkeit einiges höher war. Es waren die bis zu acht Lenkraketen, welche die Helis so gefährlich machten.
Das Fadenkreuz der Falcon wanderte über eine Heli, der versuchte sich wieder unsichtbar zu machen. Jahrelange Kampferfahrung in rasanten Kurvenkämpfen machte sich bezahlt, und im letzten Moment hieb die Russin auf den Feuerknopf. Ihre Kanonen sprachen, und eine deutliche Rauchspur kündete von Treffern – offenkundig tödlichen.
Ihre eigene Maschine wurde durchgeschüttelt, als ein Bed Bug in einem verspäteten Versuch seinem Kameraden zu helfen sie mit Lasersalven überschüttete, doch die Russin ließ sich davon nicht irritieren. Sie wusste, ihre Schilde konnten eine ganze Reihe Treffer von den leichten Waffen der Helikopter aushalten.

Die folgenden Minuten hatten sich als ein enervierendes Katz- und Mausspiel gestaltet, bei dem die feindlichen Helikopter immer wieder aus der Deckung von Hügeln und Wäldern hervorgestoßen waren, mit ihren Bordwaffen feuerten und einzelne Lenkwaffen einsetzten. Offenbar wurde auch bei ihnen die Munition knapp, vielleicht, weil sie zum Teil für den Einsatz gegen Bodenziele konfiguriert worden waren. Aber sie hielten die Terraner in Atem, und unterstützten gekonnt die feindliche Luftabwehr. Ein gewagtes Spiel, schließlich waren sie gegen Eigenbeschuss nicht gefeit. Aber es war dem Feind gelungen, einen zweiten Jagdbomber tödlich zu treffen. Dass Knight und die Jabos je einen weiteren Heli herunterholten war da ein geringer Trost.
Als die feindlichen Kampfflieger und Helis schließlich abdrehten, war der Angriffsverband der Angels deutlich gerupft gewesen. Die verbliebenen vier Thunderbolts hatten praktisch alle ihre Lenkbomben verloren und waren mehr oder minder leicht beschädigt, und auch Liljas Staffel war nicht ohne Verluste davongekommen. Lieutenant Cheng Gao alias Crow hatte aussteigen müssen, als eine Kakerlake seinen Jäger mit zwei Raketen getroffen hatte. Sein Schicksal war ungewiss. Mehrere Stallions waren blessiert. Der Feind hatte drei Helikopter und zwei Kampfflieger verloren, mehrere weitere waren beschädigt worden. Aber selbst Lilja war klar gewesen, dass sie mit dem was sie hatte nicht effektiv in die Straßenkämpfe eingreifen konnte. Streubomben waren nicht gerade die Waffe der Wahl, wenn der Gegner und die eigenen Truppen im Nahkampf standen.

Am Ende hatte sie das Beste getan, was möglich war, und im Umfeld von Arta’Rijen einige Stellungen mit den wenigen verbliebenen Bomben und Bordwaffen angegriffen. Das war mehr Augenwischerei und diente dazu, den Gegner zu verunsichern, als dass sie schweren Schaden anrichten konnte.

*

Die Besprechung nach der Rückkehr auf die COLUMBIA war natürlich eine Tortur gewesen. Nicht, dass Stafford sie richtig heruntergemacht hätte. Damit hätte er sich im Moment nur noch angreifbarer gemacht, und gegenüber den eigenen Leuten war er nicht ungerechnet. ,Solange er sie nicht gerade erschießt.‘
Aber Lilja machte sich selber schwere Vorwürfe. Sie hatte mit dem Kampfauftrag versagt, und die Marines in Arta’Rijen hatten die Folgen tragen müssen. All die Auszeichnungen, Kampferfahrung und Abschüsse, die sie über die Jahre angesammelt hatte, waren Beweis, dass sie Besseres leisten konnte.
Letztlich blieb ihr natürlich nichts anderes, als die Zähne zusammenzubeißen. Es tröstete keineswegs, dass der nächste Einsatz über der Stadt – die verpatzte letzte Shuttlemission – nicht auch noch auf ihre Kappe ging.
Sie horchte auf, als Stafford seine Rekapitulation ENDLICH beendete.
„Wir haben nicht mehr lange die Möglichkeit, direkt in die Schlacht einzugreifen. Der Abmarsch in Richtung des feindlichen Raumkonvois steht bevor, und dann werden wir uns mit jeder Sekunde 100 oder mehr Kilometer vom Planeten entfernen. Was bedeutet, jeder Rückflug wird noch einmal ein gutes Stück länger. Deshalb müssen die letzten Einsätze zählen.“
Er rief einige Projektionen auf: „Dies wird ein Einsatz mit allem was fliegt und was wir entbehren können. An Jägern und Jagdbombern, aber auch an Shuttles. Es geht einerseits darum, den Marines noch einmal Luft zu verschaffen – was bedeutet, die Thunderbolts, aber auch Griphen und Nighthawks tragen partiell Lenkwaffen. Grün und Blau bleiben zum großen Teil zum Trägerschutz zurück beziehungsweise geben Deckung gegen mögliche Feindflieger. Die Peshten haben angekündigt, uns einige ihrer Jäger als zusätzliche Absicherung für die COLUMBIA zu schicken. Aber ebenso wichtig wie der Kampfeinsatz ist, dass wir an Landungsbooten durchbringen, was fliegen kann. Sie haben Munition, Medikamente und sonstigen Nachschub geladen, für die Marines und für die Vierte, aber auch einige Verstärkungstruppen.“

Lilja musste an sich halten um nicht sarkastisch zu schnauben. Sie war alles andere als eine Defätistin, aber sie war auch nicht blind. Die Vierte würde mit Sicherheit früher oder später Arta’Rijen erreichen, doch in welcher Verfassung, das war die große Frage. Und Nachschub für die Kampfgruppe Schlüter war zweifellos wichtig, doch was die so genannte Verstärkung anging…nach dem, was sie mitbekommen hatte, hatte die nicht viel Substanz. Schließlich wurden die Shuttles zum Gutteil über die COLUMBIA abgewickelt, und da bekam man einen ganz guten Eindruck.
Mehr als ein oder zwei Dutzend genesende und versprengte terranische Marines, und vielleicht das Doppelte an Peshten war wohl kaum zu erwarten. Schließlich schrien auch die alliierten Bodentruppen an der Hauptfront verzweifelt nach Ersatz.
„Auf dem Rückweg – und ich kann die Wichtigkeit der Mission nicht genug betonen – nehmen die Shuttles mit, was an Verwundeten und auch an Zivilisten reinpasst. Wir müssen davon ausgehen, dass es nach unserem Flug eine Weile dauern wird, bis wieder Maschinen in Arta’Rijen landen und starten können. Die Peshten – und auch die terranischen Heeresflieger – haben schon durchblicken lassen, dass in der Hinsicht erst einmal kaum etwas zu erwarten ist. Das ist also die letzte Chance, eine Evakuierung durchzuführen, bis die Vierte oder gar bis das 30. Korps eintrifft. Auch deshalb ist der Luftangriff wichtig – wir müssen nach Möglichkeit die feindliche Abwehr ausdünnen, damit die Shuttles sicher abfliegen können.“
Was leichter klang, als es war, denn ein großer Teil der feindlichen Gefechtsfahrzeuge – angefangen bei vielen Standard-Schützenpanzern bis zu den Artillerieschwebern und Kampfpanzern – konnten Luftabwehrraketen abfeuern.
„Unsere Informationen besagen folgendes…“

„In zwei Stunden geht es los. Bereiten Sie die Staffeln vor.“ Mit diesen Worten schloss Commander Stafford die Besprechung. Auch wenn seine Untergebenen wenig Enthusiasmus zeigten – die letzten Tage waren aufreibend gewesen – wirkten sie Mann für Frau entschlossen. Bei aller Rivalität der Waffengattungen war es ein befreiender Gedanke, den Marines am Boden direkt helfen zu können. Die Frage, wer diesmal nicht zurückkehren würde, verdrängte man – wie so oft.
„Blackhawk und Lilja – Sie bleiben noch hier.“
Die beiden Staffelkommandeure sahen sich verwundert an, aber sie waren erfahren genug, keine Fragen zu stellen. Freilich waren sie beide mehr als angespannt. Lilja war immer noch geplagt von Selbstvorwürfen, und ihr Kamerad, der bei allem Pflichtbewusstsein nicht ganz den fanatischen Diensteifer der Russin aufbrachte, wusste nur zu gut, dass Besprechungen unter vier, Pardon sechs Augen so gut wie nie etwas Gutes bedeuteten.
„Es gibt eine Anfrage von den Peshten für einen Sondereinsatz. Wir haben das überprüft, und es macht diesmal Sinn.“ Lilja musste sehr an sich halten, um ihr Gesicht nicht angewidert zu verziehen, denn Staffords unterschwellige Kritik gegenüber den Verbündeten erinnerte sie natürlich an den verpatzten Enthauptungsschlag – und was sie darüber dachte. Die Art und Weise, wie sie die Lippen zusammenpresste, war an sich schon vielsagend.
„Ich will, dass Sie das übernehmen. Sie gehören zu den erfahrensten Piloten und ihre Maschinen sind schnell und wendig. Und ich gehe davon aus, Ihre XO’s kommen auch ohne sie gut zurecht.“ Er warf Lilja einen Blick zu, nicht direkt hämisch, aber seine Worte konnte man sehr wohl als Kritik auffassen: „Ich nehme an und hoffe, diesmal werden Sie die Mission hinbekommen.“
Natürlich, auch der Geschwaderchef der Angels war nur ein Mensch und Liljas sauertöpfisches Gehabe und permanente unausgesprochene Kritik mussten ihm auf den Geist gehen. Hätte er freilich geahnt, mit welcher Inbrunst die Pilotin ihn in diesem Moment hasste, er hätte es sich vielleicht doch lieber verkniffen.
Diesmal hatte die Russin ihre Miene unter Kontrolle, ihre Stimme klang sehr kühl, aber gelassen. Ihre Worte konnte man freilich in unterschiedlicher Art und Weise deuten: „In meiner Heimat gibt es ein altes Sprichwort, und ich denke, das haben viele unserer Feinde auf die harte Tour lernen müssen. Wir Russen spannen vielleicht langsam an. Aber wir reiten schnell. Und nun – was für ein Zielwechsel erwartet uns?“

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„Drum fasst ein Herz euch, Brüder, Schwestern!
Wenn sie uns heute auch Verräter heißen,
schon morgen feiert jeder uns als Helden…“

Aus dem antiken Akarii-Drama ‚Der Bastardprinz‘


Mond von Avon

Navarr Thelam duckte sich in den schneidend kalten Wind. Trotz der beheizten Thermokleidung fror er erbärmlich. Vor zwölf Stunden war sein Shuttle auf dem Gefangenenmond gelandet. Kaum, dass sich die Luke geöffnet hatte, war Navarr zu der Erkenntnis gekommen, dass er den Göttern danken würde, sobald er diese trostlose, gefrorene Dreckkugel wieder verlassen konnte. Was allerdings noch etwas dauern würde. Alleine vier Stunden hatte die Fahrt von der nächstgelegenen imperialen Basis bis zu dem aufgegebenen Stützpunkt gedauert, der ihr Ziel war. Mit dem Shuttle am Zielpunkt zu landen wäre zu riskant gewesen: nicht nur wegen den in oberen und mittleren Höhenlagen drohenden Sturmwinden und den gefährlichen Böen in Bodennähe, sondern vor allem, weil der ehemalige imperiale Posten in umstrittenem Territorium lag. Und es konnte nicht ausgeschlossen werden, dass einige der Banden, die das Gebiet kontrollierten, über Flugabwehrwaffen verfügten.
Das war auch der Grund, warum Navarr Thelam von einem kompletten Infanteriezug und einer halben Kompanie Schützen- und Spähpanzer begleitet wurde. Und dennoch ein Risiko einging, das für ein Mitglied der kaiserlichen Familie und potentiellen Imperator unter anderen Umständen undenkbar gewesen wäre. Nur waren es eben keine normalen Umstände.

Der junge Akariiprinz warf einen sehnsüchtigen Blick zu den hinter ihm wartenden Schützenpanzern. Insgeheim beneidete er die Besatzungen, die im Warmen bleiben konnten. Nachlässig durften sie allerdings nicht werden: die Geschütztürme der leichten Panzerfahrzeuge wiesen auf die sie umgebenden Bergketten und waren in ständiger, suchender Bewegung – eine wenig subtile Demonstration militärischer Schlagkraft und Wachsamkeit. Es blieb zu hoffen, dass sich diejenigen, mit denen sich die Delegation hier treffen sollte, davon nicht ebenfalls abschrecken ließen.
Navarr Thelam rief sich in Erinnerung, was er über die Strafgefangenen wusste, die Avon bevölkerten: überwiegend als Aufständische und potentielle Unruhestifter verbannte T’rr, die das Imperium seit über einhundert Jahren auf diesem Mond abgeladen hatte. Nein, er glaubte nicht, dass sich diejenigen, die durch die Überlebensschule von Avon gegangen waren, einschüchtern ließen.

‚Wenn wir schon von Leuten sprechen, die sich nicht so leicht einschüchtern lassen…‘, Navarr warf einen Blick zu den beiden Gestalten hinter ihm, die – ob zufällig oder mit Absicht – einen gewissen Abstand hielten, ohne den Sicherheitsschirm der die kleine Gruppe umgebenden Infanteristen zu verlassen. Eine der beiden Gestalten war Jerra: ein Bastard aus der Familie des unter umstrittenen Umständen zu Beginn des Terraner-Krieges ums Leben gekommen T’rr-Kaisers. Nachdem sie in imperiale ‚Obhut‘ genommen worden war, sollte sie nun der Schlüssel für den verrückten Plan sein, der dem Draned-Sektor endlich so etwas wie Frieden bringen sollte.
Die andere Gestalt…Maran Otrano gehörte zu den jungen Akarii-Adligen, die Navarr in den Draned-Sektor begleitet hatte. Der spöttische Blick, dem sie ihm zuwarf, war fast so kühl wie der Wind von Avon.

Navarr unterdrückte ein Seufzen. Maran war nicht erfreut gewesen, als sie über die anstehende Operation im Dunkeln gehalten worden war. Oder über die Gerüchte, die an Bord der KALLEH über die T’rr-‚Prinzessin‘ und Navarr die Runde gemacht hatten und die er aufgrund der Geheimhaltung nicht einmal hatte entkräften können. Allerdings hatte das Navarr auch etwas verwirrt. Maran war zu intelligent und zu selbstsicher, um sich von Sticheleien und anzüglichen Gerüchten aus der Ruhe bringen zu lassen. Oder konnte es sein, dass er irgendetwas übersehen hatte?
Admiral Rau war keine Hilfe gewesen. Ihn hatten die wuchernden Gerüchte offensichtlich köstliche amüsiert. Allerdings hatte er den jungen Offizieren nachdrücklich eingeschärft, die junge T’rr mit Respekt zu behandeln.
Tatsächlich war das kein großes Problem gewesen. Die meisten der jungen ‚Halbexilanten‘ gehörten zum Reformlager und standen der Borealis-Doktrin, die die genetische Überlegenheit und galaktische Dominanz der Akarii-Rasse postulierte, meist eher leidenschaftslos bis skeptisch gegenüber. Da keiner von ihnen durch die brutale Schule der T’rr-Rebellionen hatte gehen müssen, empfanden sie gegenüber dem wohl rebellischsten Untertanenvolk des Imperiums keinen Hass, sondern eher eine Mischung aus herablassender Faszination und widerwilligem Respekt.

Das galt auch für Maran Otrano, die sich seltsamerweise trotz der an Bord grassierenden Gerüchte mit Jerra angefreundet hatte. Gegenüber Navarr zeigte sie sich allerdings nicht so tolerant, sondern ihm vielmehr die kalte Schulter. ‚Na ja, kalt genug ist es ohnehin.‘
Navarr rekapitulierte kurz den Pfad, den seine Gedanken in den letzten Minuten abgeschritten hatten und kam zu der Entscheidung, dass er schleunigst den Kurs ändern musste. Sonst würde ihn das noch zu einem Mann machen, der er nicht sein wollte.
Also wandte er sich zu dem Truppführer, der den Nahsicherungstrupp kommandierte und sich bisher in mürrisches Schweigen gehüllt hatte: „Hat es hier Kämpfe gegeben?“
Ein paar Herzschläge blieb der Unteroffizier die Antwort schuldig. Dann bequemte er sich zu einer Antwort, auch wenn der verdrossene Ton fast an Insubordination grenzte – was Navarr ignorierte: „Ein paar Scharmützel. Und immer wieder Ärger mit dem Pack, das hier um Nahrung gebettelt hat. Abschaum. Wir mussten ein paar erschießen, weil sie nicht begreifen wollten, dass wir kaum genug für uns selber hatten…vor allem nachdem irgendein Idiot dafür gesorgt hat, dass diese Wilden moderne Waffen in die Hände bekommen.“
‚Damit dürfte wohl der frühere Gouverneur gemeint sein, der geglaubt hat, mit einer ‚Teile-und-Herrsche‘-Politik die T’rr in Schach halten zu können.‘
„…richtig hässlich wurde es, als der Stützpunkt geräumt werden sollte. Wegen dem Wetter musste das auf dem Landweg geschehen und die T’rr waren über uns, ehe wir ganz aus dem Tor raus waren.“
„Hohe Verluste?“
„Fast ein Dutzend Soldaten. Wenigstens haben die T’rr dafür teuer bezahlen müssen.“
Navarr sah sich suchend um, während er überlegte, wie jemand – selbst Admiral Rau mit seiner überwältigenden Persönlichkeit – angesichts der in den Streitkräften so verbreiteten Vorurteile die angedachte Einigung mit den T’rr würde durchsetzen können.
„Falls Sie nach Leichen suchen, die werden Sie nicht finden. Die haben die Viecher mitgeschleppt. Vermutlich um sie aufzufressen.“
Navarr verkniff sich ein Augenrollen oder ein Kommentar. Jerra hingegen…die junge T’rr klackte mit den Zähnen als ob der Soldat einen Witz gemacht hätte.
Vielleicht war das für die T’rr ja auch so.

Es war Maran, die das Schweigen brach: „Wie sind nur ausgerechnet Sie für diesen Auftrag ausgewählt worden?“
„Vielleicht, weil ich seit fünf Jahren auf dieser Eiskugel diene? Und nicht als Stationswächter, sondern bei den mobilen Eingreiftruppen und den Spähern.“
Das brachte Maran kurz zum Schweigen. ‚Treffer.‘ Aber so leicht ließ sie sich nicht abschrecken: „Hauptsache, wir sind nicht umsonst angetanzt. Wenn die T’rr jetzt mit Abwesenheit glänzen...“
Der Sergeant schnaubte verächtlich: „Oh, die sind da. Die Frage ist nur, ob sie reden wollen. Und uns nicht einfach über den Haufen knallen.“
„Dann werde ich versuchen, Sie zwischen mir und der nächsten potentiellen Feuerstellung zu halten.“, schoss Maran zurück, der die Frontkämpferattitüde des Unteroffiziers offenbar zunehmend auf den Geist ging.
„Was meinen Sie, was meine Aufgabe ist?“, konterte der lakonisch. Ein leichtes Zusammenzucken des Unteroffiziers ließ Navarr sich umsehen und nach seiner Waffe tasten. Die nächsten Worte des Truppführers bestätigten seine Vermutung: „Bewegung an der Westflanke. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass die T’rr da sind. Und wie es aussieht haben Sie Glück. Die wollen, dass wir sie sehen…“
Die Navarr sichernden Infanteristen spannten sich an, die Waffen feuerbereit nach außen gerichtet. Auch Maran tastete nach ihrer Pistole, bevor sie die Hände betont energisch hinter dem Rücken verschränkte. Paradoxerweise schien ausgerechnet Jerra am ruhigsten, obwohl es doch gerade um ihre Zukunft ging.

Navarr erinnerte sich daran, wie Admiral Rau ihn in seinen reichlich…unorthodoxen Friedensplan eingeweiht hatte. Angefangen damit, dass Jerra als ‚Prinzessin‘ eben einen Prinzen heiraten müsse.
Nach dieser Eröffnung hatte der Admiral allerdings erst einmal eine halbe Minute lang lauthals gelacht, während Navarr fühlte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. Rau hatte sich gar nicht mehr beruhigen können: „Sie…hätten…Ihr…Gesicht…sehen sollen!“ Dann aber war er übergangslos wieder ernst geworden: „Entspannen Sie sich, Navarr. Ich plane nicht, Sie zum Hochzeitsaltar zu prügeln. Auch wenn das einigen auf der Heimatwelt gefallen würde…“
Navarr wusste, was sein Vorgesetzter meinte. Eine auch nur formale ‚Hochzeit‘ mit einer Nicht-Akarii würde ihm automatisch jede Chance auf die Thronfolge verwehren und wäre ein Geschenk für seine Konkurrenten.
„Jedenfalls brauchen wir Jerra für die loyalen T’rr – auch wenn diese Bezeichnung nach Meinung vieler unserer Landsleute ein Widerspruch in sich ist. Wir müssen den Loyalisten ein Zeichen geben, dass wir sie nicht im Stich lassen. Aber Jerra ist eben nur ein junges Mädchen.“
„Sie sollten sie nicht unterschätzen.“
„Haben Sie doch Gefallen an ihr gefunden? Egal…wir brauchen auch die T’rr-Rebellen, wenn wir Frieden haben wollen. Leider waren wir und unsere Loyalistenfreunde ziemlich gründlich dabei, widerspenstige Mitglieder der Kaiserfamilie aus dem Spiel zu nehmen. Sie zu töten…oder sie ins Exil zu schicken.“
Und deshalb waren Jerra, Navarr und Maran jetzt auf dieser von den Göttern verlassenen Eiskugel, wo das Imperium praktisch seit der Eroberung des T’rr-Imperiums Rebellen, Dissidenten und sonstige Unerwünschte abgeladen hatte.

„Meldung…es sind nur drei T’rr. Und sie tragen ihre Waffen geschultert.“, kam es etwas ungläubig von dem Truppführer.
Navarr räusperte sich: „Ich gehe davon aus, dass das bedeutet, dass sie tatsächlich reden wollen.“
„Möglicherweise.“, der Unteroffizier klang nicht überzeugt: „Aber sie können sicher sein, dass noch sehr viel mehr von denen da draußen sind und uns im Visier haben.“
‚Wie viele da draußen sind, sollte mir egal sein…‘ – war es natürlich nicht – ‚…wichtig ist, ob diejenigen dabei sind, auf die wir warten.‘ „Schärfen Sie Ihren Männern und Frauen ein, dass Sie die Finger vom Abzug lassen. Ich will nicht, dass das hier scheitert, weil irgendjemand nervös wird.‘
„Ja…HOHEIT.“, wieder schwang in der Stimme des Truppführers ein rebellischer Ton mit, den Navarr sich wieder zu ignorieren entschied – weil der Unteroffizier trotz seiner offensichtlichen Skepsis Navarrs Befehl dann ausführte. Ein Blick zu Maran, die neben die junge T’rr getreten war – um ihr moralische Unterstützung zu leisten oder selber welche zu finden, da war sich der junge Prinz nicht sicher – und auf Navarrs befehlende Handgeste öffnete sich der die drei jungen Adligen umgebende Schutzkreis in Richtung der aus den grauen Schneeschwaden auftauchenden T’rr.

„Das ist nah genug!“, warnte der Truppführer und tatsächlich stoppten die T’rr ihre Annäherung. Sie wirkten seltsam gleichförmig: hagere, hochgewachsene Gestalten, die Gesichter von Schutzmasken verdeckt, gekleidet in eine Mischung aus Militär-, Zivil- und Strafgefangenenkleidung, alles in einem aus verschiedenen Grauschattierungen zusammengesetzten Tarnmuster gefärbt.
„Es ist schwierig zu verhandeln, wenn wir uns anschreien müssen.“
Navarr war sich nicht sicher, welcher der T’rr sich zu Wort gemeldet hatte. Aber ihm war klar, dass er reagieren musste: „Lassen Sie sie durch.“
„Aber…“
„Ihre Bedenken habe ich zu Kenntnis genommen. Und jetzt machen Sie den Weg frei.“
Für ein paar Herzschläge blieb der Unteroffizier stumm und das Schweigen dehnte sich unangenehm in die Länge. Dann nickte er widerwillig: „Wie Sie befehlen.“
Navarr hoffte, dass er nicht den letzten Fehler seines Lebens gemacht hatte. Aber der T’rr hatte recht – er konnte nicht auf Schreidistanz verhandeln.

Die T’rr näherten sich. Navarr musterte sie, konnte aber nicht entscheiden, welcher der drei das Kommando haben mochte: „Wer spricht für Prinz Duran?“ Der phantomhaft bleibende Anführer der Verbannten, Nachfahre von auf den Strafmond verbannten Mitgliedern des T’rr-Herrscherhauses, würde kaum so dumm sein, sich seinen Kerkermeistern auf dem Präsentierteller vorzulegen.
„Sie sind der Thelam-Prinz?“
Navarr war sich nicht sicher, aber offenbar hatte sich jetzt ein anderer T’rr zu Wort gemeldet. Der rechte, glaubte er: „Ich…ich bin Prinz Navarr Thelam, ja.“ Er spürte, dass sich die Soldaten seiner Leibgarde anspannten. Es war ein allzu großes Risiko, einen kaiserlichen Prinzen derart zu exponieren. Aber der Einsatz war es wert. Das war jedenfalls Admiral Raus Meinung gewesen. Falls das Ganze nicht ein besonders komplexes Manöver war, um einen der Anwärter auf den Kaiserthron loszuwerden…
Das folgende Schweigen dehnte sich, bis Navarr erneut das Wort ergriff. „Da Sie nun wissen, wer ich bin, wäre es gut, falls Sie den Gefallen erwidern. Und mir mitteilen, ob Sie autorisiert sind, zu verhandeln.“
„Wir sind hier, um zu reden.“, war die nicht unbedingt befriedigende Antwort: „Aber vielleicht nicht hier draußen. Das könnte etwas dauern.“
Der die Eskorte kommandierende Unteroffizier mischte sich ungefragt ein: „Wenn Sie glauben, dass wir Ihnen zu ihrer…Höhle folgen, wie gemästete Kitiri auf dem Weg zur Schlachtbank…“
Einer der T’rr lachte lauthals: „Den Vergleich haben SIE gewählt. Aber keine Angst, wir hatten an einen näherliegenden Ort gedacht.“
„Ich habe KEINE…“
„Schon gut.“, mischte sich Navarr ein: „Und welchen Ort meinen Sie?“
Statt einer Antwort deutete einer der T’rr auf eines der verlassenen Gebäude.
Navarr gefiel das nicht. Aber er erinnerte sich daran, was Admiral Rau ihm gesagt hatte: das Imperium brauchte den Frieden mit den T’rr dringender, als die T’rr ihn brauchten. Sie erlitten deutlich höhere Verluste, aber der ‚Logik‘ des Guerillakrieges folgend gewannen sie, solange sie nicht verloren. Und das Imperium verlor, solange es nicht gewinnen konnte. Eine gefährliche Gesetzmäßigkeit, die durch den Terranerkrieg nur noch bedrohlicher wurde.
Navarr unterband den Protest des Kommandanten seiner Leibwächter mit einer Handbewegung: „Dann gehen Sie voran.“

Wenige Minuten später fand sich der kaiserliche Prinz in einem Raum wieder, der früher vermutlich die Befehlszentrale des Stützpunkts gewesen war. Die Kommunikationstechnik war verschwunden. Das halbe Dutzend Stühle schien noch aus imperialen Beständen zu stammen. Ein tragbares Heizgerät sorgte in Kombination mit den dicken Wänden und den verschalkten Sichtluken für ein Minimum an Wärme. Immerhin genug, damit Navarr endlich seine Schutzmaske abnehmen konnte. Er atmete erleichtert durch. Und registrierte, dass die T’rr seinem Beispiel noch nicht gefolgt waren, sondern ihn fast unisono musterten: „Ist etwas?“
„Sie sind wirklich der Prinz.“
„Was dachten Sie denn? Ein Doppelgänger? Ein Android?“
Das rief bei den T’rr spöttisches Zähneklacken hervor. Dann schienen sie kurz einen Blick zu wechseln – das war bei diesen unförmigen Schutzmasken schwer abzuschätzen – und auf ein knappes Nicken des mittleren T’rr nahmen sie ihrerseits der Reihe nach die Masken ab. Wie für die meisten Akarii, die nicht durch die Schule eines mehrjährigen Garnisonsdienstes auf einem der T’rr-Planeten gegangen waren, sahen für Navarr die meisten T’rr ziemlich gleich aus und er hatte Schwierigkeiten, in ihren Gesichtern zu lesen. Aber das machte nichts, er erkannte seinen Gegenüber auch so: „Sie sind das.“
Der mittlere T’rr, der kaum älter als Navarr sein konnte, klackte noch einmal mit den Zähnen: „Was dachten Sie denn? Das ich dieses Gespräch einem Untergebenen überlasse? Wenn sich schon ein imperialer Prinz auf unsere Welt verirrt, dann ist das wohl mindestens einen Gegenbesuch wert, geschätzter Bruder.“
Während er sich bisher dem bei vielen T’rr gebräuchlichen Mischmasch aus Drom und Harra bedient hatte, in das sich einige Brocken Sekurr und T’rr mengten, waren die letzten Worte in zwar akzentreichem aber ansonsten einwandfreiem Heklar. Was der Beleidigung, die die Anrede eigentlich darstellte, ein wenig von ihrer Anmaßung nahm.
„Sie hätten einen Berater schicken können.“
„Die habe ich. Kriegsherren, Kommandanten, Ratgeber. Und alle glauben zu wissen, was ich zu tun oder zu lassen habe.“
„Ich…verstehe.“ Und das tat Navarr wirklich. Der T’rr-Prinz musste demonstrieren, dass er mehr als nur eine Marionette seiner Berater war.
„Ich bin gespannt…was wäre dem Imperium der Frieden wert?“
„Ich dachte, Admiral Rau hätte Ihnen bereits einen Abriss unseres Angebots zukommen lassen.“
„Das hat er. Doch ich möchte es noch einmal aus dem Mund eines kaiserlichen Prinzen hören. Das macht es…wirklicher.“
Navarr war sich nicht sicher, welches Spiel ‚Prinz‘ Duran spielte. Aber er hatte wohl kaum eine andere Wahl, als mitzumachen.
„Zuerst einmal eine allgemeine Amnestie. Auf beiden Seiten.“
„Schließt das die Rückkehr der Verbannten mit ein? Und die Exilanten?“, bohrte Duran nach.
„Ja. Jedenfalls für alle Verbannten und für die in die Konföderation oder in neutrale Staaten Exilierte.“ Ob das tatsächliche viele T’rr zurück in den imperialen Raum locken würde, zumal während des Krieges, war zwar zweifelhaft aber letztlich fast irrelevant. „Was T’rr angeht, die in der FRT leben…das ist natürlich eine etwas andere Sache.“
„Natürlich.“
„Es darf keine Racheakte geben. Nicht gegen Loyalisten und ganz besonders nicht gegen andere Untertanen des Imperiums. Natürlich auch nicht von deren Seite gegen ehemalige Guerillas.“
„Natürlich.“
Langsam hatte Navarr den Eindruck dass sich der T’rr-Anführer über ihn lustig machte. Aber er konnte das fremdartige Gesicht nicht lesen.
„Alle während der Besatzungszeit verübten…Vorfälle gelten als verjährt.“
„Juristisch vielleicht…Ihnen ist doch klar, dass so etwas umzusetzen sehr viel schwieriger ist, als ein Dekret zu unterzeichnen.“
„Ich bin mir dessen bewusst. Aber wir haben Vertrauen in die neue T’rr-Regierung. Und in die Loyalität unserer Untertanen.“
Duran sah so aus, als wollte er ein drittes ‚Natürlich‘ hinterherschieben, verkniff es sich aber. Immerhin wusste er, wer die ‚neue T’rr-Regierung‘ sein sollte. Und dass beide Seiten keine andere Möglichkeit hatten, als es mit einer Strategie des ‚reinen Tisches‘ zu versuchen. Es war viel Blut geflossen. Das gegeneinander aufzurechnen, würde jede Chance auf einen Friedensprozess zunichtemachen oder zumindest bis in die Ewigkeit aufschieben. Ebenso selbstverständlich blieb unausgesprochen, dass sich nicht jeder an die Vereinbarung halten würde – was auf beiden Seiten noch zu harten Entscheidungen führen mochte.
„Was ist mit dem…materiellen und finanziellen Aspekt?“, fragte der T’rr-Prinz stattdessen. Damit meinte damit vermutlich vor allem die Beschlagnahmungen, Enteignungen und Verstaatlichungen, die ein fester Bestandteil der Kolonialpolitik gewesen waren und von denen die imperiale Staatsorgane, dessen bevorzugte Untertanen, aber auch zahlreiche T’rr-Loyalisten profitiert hatten.
„Die privaten Besitzverhältnisse bleiben wie sie momentan sind.“
„Das ist…“
„Aber das Imperium wird einen Fond einrichten, aus dem Entschädigungen für beschlagnahmtes Vermögen und Besitz gezahlt wird. Zwanzig Prozent des aktuellen Wertes. Was die Rückübereignung von momentan in Staatsbesitz befindlichen Grundstücken und Betrieben angeht, ist dies zumindest partiell möglich. Die genaue Regelung ist jedoch Verhandlungssache.“
Was er damit andeutete war klar – es würde davon abhängen, wie schnell und wieweit die T’rr dem Imperium entgegenkamen. Das Geld aufzutreiben würde freilich nicht leicht werden. Vor dem Dahinscheiden des letzten Kriegsministers hätte man darauf hoffen können, dass die Jockhams und ihre Anhänger sich beteiligen würden, schließlich hatte Jockham die Initiative unterstützt. Aber die momentane Zerrissenheit im Adelsforum würde für solche Appelle nicht eben förderlich sein.
„Die Militärstützpunkte und die Rüstungsindustrie?“
„Das Imperium behält ein halbes Dutzend Militärbasen am Boden inklusive Versorgungseinrichtungen und Übungsplätze. Ebenso bleibt die imperiale Hauptorbitalstation in unserer Hand. Die übrigen Bodenstützpunkte gehen an die T’rr-Streitkräfte. Ebenso drei Viertel der Fabriken für Panzerfahrzeuge, Bodenwaffen und Atmosphärenflieger sowie die Hälfte aller Produktionsanlagen für raumgestützte Waffen und Fahrzeuge. Allerdings werden langfristige Lieferverträge mit den imperialen Streitkräften geschlossen. Zudem übergibt das Imperium die Werften für Raumfrachter und leichte bis mittlere Kriegsschiffe. Auf den anderen T’rr-Planeten wird entsprechend verfahren.“
‚Prinz‘ Duran schwieg ein paar Augenblicke: „Das ist…sehr weitgehend.“
„Ich dachte, Admiral Rau hätte Ihnen die Grundlagen unseres Angebots bereits zukommen lassen.“
„Das hat er. Aber es aus dem Mund eines Thelam-Prinzen…“
Navarr musste ein Lächeln unterdrücken, auch wenn Durans Worte seinem Familiennamen und nicht ihm persönlich galten.
„Und unsere eigenen Streitkräfte…“
„Die T’rr erhalten uneingeschränkte Kontrolle über die planetaren Polizei-, Zoll- und Sicherheitskräfte. Dazu das Recht, bewaffnete Bodentruppen in der Größenordnung der Streitkräfte des alten T’rr-Imperiums aufzubauen. Das schließt auch schwere Waffen und Luftstreitkräfte mit ein.
Allerdings werden in allen Verbänden ab Brigadegröße imperiale Verbindungsoffiziere installiert.“
Der von Navarr erwartete Protest blieb aus. Vermutlich, weil auch dieser Punkt des Angebots bereits Bestandteil der Vorabinformationen gewesen war. Und weil die Offerte angesichts des Militarisierungsgrades des alten T’rr-Imperiums sehr großzügig war.
„Und im Raum?“
„Die Sicherheitsorgane können Einheiten bis zur Korvettengröße einsetzen. Dazu kommen zwei Leichte Trägerkampfgruppen plus Aufklärungs- und Unterstützungseinheiten – insgesamt etwa fünfzig Einheiten ab Fregattengröße.“
„Mit T’rr-Mannschaften und Offizieren?“
„Sogar mit T’rr-Admiralen. Aber natürlich mit imperialen Verbindungsoffizieren an Bord. Und selbstverständlich werden die T’rr-Streitkräfte und die Flotte ihren Beitrag für die Verteidigung und Sicherheit des Imperiums leisten.“
„Das heißt, wir dürfen zwar Streitkräfte aufstellen, aber nur als imperiale Hilfstruppen.“
„Etwas mehr als das. Die T‘rr werden ein Ausmaß an Autonomie besitzen, wie es kein Nicht-Akarii sie jemals besessen hat.“
„Hm. Und dafür soll ich dem Imperium die Treue schwören und den Herrscher von Ihren Gnaden spielen.“
„Der Thron von T’rr ist doch wohl einen Kniefall wert.“ Das kam nicht von Navarr oder Maran. Stattdessen hatte Jerra das Wort ergriffen, obwohl die junge T’rr-‚Prinzessin‘ die Verhandlungen bisher so stumm verfolgt hatte, dass Navarr ihre Präsenz beinahe vergessen hatte.
„Und das ist wohl meine loyalistische…Zukünftige, richtig?“
Wieder kam Navarr nicht dazu, zu antworten.
„Ich kann für mich selber sprechen. Und es ist ja nicht so, als ob du als Herrscher über diese Eiskugel unbedingt mein Traumprinz ist.“, schoss Jerra zurück. Prinz ‚Duran‘ klackte amüsiert mit den Zähnen. Er schien nicht beleidigt. Allerdings gab auch er nicht klein bei: „Du weißt aber schon, ‚Cousine‘, dass du ins Spiel gebracht worden bist, um meine loyalistischen Landsleute zu beruhigen. Als eine Art Versicherung, dass sie nicht ganz einfach massakriert werden, wenn…“, er warf Navarr einen Blick zu, „…FALLS ich mich als Imperator von Akars Gnaden auf den Thron setzen lasse.“
Navarr sah sich in seiner Einschätzung Jerras bestätigt, denn die junge T’rr ließ sich nicht einschüchtern: „Ich bin wohl nicht die Einzige, die das Gefühl kennt, nur als eine Marionette, als ein Symbol angesehen zu werden…“, Navarr war sich nicht sicher, ob sie damit ihn, Duran oder sie beide meinte, „…und umso schöner ist es, all diese Wohlmeinenden eines Besseren belehren zu können.“ Das halbe Lächeln, das kurz um ihre Lippen spielte wirkte kriegerisch.
„Nur ist der Preis etwas hoch. Nicht zuletzt besteht er darin, dass man mir vorwerfen wird, ich hätte das Erbe meiner Ahnen verraten. Und das alles für einen Thron, den mir schon der nächste Imperator wieder wegzunehmen versucht sein könnte.“, ein erneuter Blick zu Navarr, „Wer auch immer das dann sein mag.“

Der imperiale Thronprätendent presste die Lippen zusammen. Das MUSSTE natürlich wieder ein Thema sein: „Sie haben es selbst gesagt. Was Ihnen angeboten wird – Ihnen BEIDEN – das kommt aus dem Mund eines imperialen Prinzen. Aus MEINEM Mund. Und ich spreche auch im Namen von Rallis Thelam. Ganz abgesehen davon, dass mit Admiral Rau und Marschall Parin beide Kommandeure des Draned-Sektors hinter dem Angebot stehen.“
„Ja, ja – und vermutlich könnten Sie auch hinzufügen, dass zudem mit Admiral Taran der ehemalige Kommandeur dieses Sektors und momentane Operationschef der Admiralität an der Planung beteiligt war. Und dass Dero Allecar geradezu…ekstatisch wäre, wenn er seine ‚Wir-sind-doch-alle-gleich‘-Attitüde auf die T’rr ausdehnen könnte.
Was haben wir doch für ein Glück.“
Navarr erinnerte sich daran, dass selbst der Gefängnismond keine isolierte Insel war. Die Verbannten wussten über die Machtkämpfe am imperialen Hof Bescheid – offenbar besser, als er gedacht hatte.
„Für die Allecars kann ich nicht sprechen. Und ich würde an Ihrer Stelle nicht zu sehr auf deren Ansichten setzen.“, diese vielleicht etwas kleinliche Spitze konnte er sich nicht verkneifen, „Aber Sie haben dahingehend Recht, dass viele Männer und Frauen diesen Frieden wollen. Sie sollten diese Chance nutzen. JETZT. Lassen Sie uns gemeinsam Tatsachen schaffen, die auch ein Imperator nicht so einfach wieder ändern kann. Oder will.“
„Wenn das Imperium gewinnt. Wenn nicht, dann haben wir zur falschen Zeit auf das falsche Los gesetzt.“
„Das Imperium ist wieder in der Offensive. Wir haben eine ganze Kampffront beseitigt, den wichtigsten Verbündeten der Menschen geschlagen, den Draned-Sektor wieder mit dem Imperium verbunden und die Separatisten zu Paaren getrieben.
Ich bin ehrlich: Wir brauchen die T’rr. Und wir brauchen Sie und Jerra, so wie Sie einander brauchen werden. Denn nur so besteht die Chance, die T’rr zu einen. Rebellen UND Loyalisten.“
„Und wenn Ihnen das nicht reicht…“, mischte sich Maran Otrano ungefragt ein: „…dann sehen SIE BEIDE das auch als die Chance an, mehr als eine Spielfigur zu sein.“
Auch bei ihr war sich Navarr nicht sicher, ob die Worte wirklich nur an die beiden jungen T’rr gerichtet waren. Aber das war jetzt nicht wichtig: „Aber Sie sollten auch nicht zulange zögern, in der vagen Hoffnung, mehr herausholen zu können. Denn das könnte Sie alles kosten.“ Navarr verschwieg, dass jeder künftige militärische Rückschlag die Verhandlungsposition des Imperiums schwächen würde. Ein Grund mehr, den Frieden so schnell als möglich abzuschließen.
„Ist das so etwas wie eine Drohung?“, in der Stimme des T’rr-Prinzen schwang mehr als nur ein bisschen Spott mit. Navarr erinnerte sich daran, dass Duran durch eine sehr harte Schule gegangen war.
„Sie sind zu klug, um nicht zu wissen, dass ich Recht habe. Und ich bin zu klug, um unsere Zeit mit läppischen Drohungen zu vergeuden.“
‚Prinz‘ Duran musterte den imperialen Thronprätendenten mehrere Sekunden lang schweigend. Die Stille dehnte sich und wurde ungemütlich, aber Navarr war nicht gewillt, Schwäche zu zeigen und hielt dem prüfenden Blick seines Gegenübers stumm und mit ausdruckslosem Gesichtsausdruck stand. Dann nickte Duran langsam: „FALLS ich auf Ihr Angebot annehme, werde ich noch etwas mehr brauchen. Avon.“
„Wie bitte?“
„Ich will diesen Mond.“
„Avon war niemals Teil des alten T’rr-Imperiums…“
„Wir leben und sterben seit Generationen auf diesem Mond. Er ist unsere Heimat, unser Grabmal und unsere Prüfung. Wir haben ihn uns VERDIENT.
Und es ist ja nicht so, als hätte Avon für das Imperium einen großen Wert.“
Navarr musste Duran Recht geben. Auch wenn er nicht verstand, warum der Mond für die Verbannten so wichtig war. Aber immerhin ging es hier um die T’rr: „Wenn das wirklich alles ist...“
„Um die Einzelheiten bezüglich der Besteuerung und Zölle können wir uns später kümmern. Ihr momentanes Angebot ist eine gute Basis.“
Da gab Navarr dem T’rr-‚Prinzen‘ recht, denn die vorgeschlagenen Abgaben waren zwar höher als für Akarii – aber immer noch deutlich niedriger als für fast alle anderen unterworfenen Völker. Als er das gegenüber Admiral Ras und Marschall Parin geäußert hatte, war Parins knappe Antwort gewesen, dass die Hälfte von wenig immer noch mehr sei als das Doppelte von nichts.
„Ich kann dem Admiral also sagen…“
„Dass ich zustimmen werde. Aber das hat er vermutlich schon geahnt.“, noch einmal klickte Duran mit den Zähnen: „Natürlich muss die Unterzeichnung noch einmal feierlich vollzogen werden – in Anwesenheit der Sektorenkommandanten.“
„Selbstverständlich.“
„Aber bis dahin…“, Duran kam auf die Beine und machte einen Schritt auf Navarr zu. Ein scharfer Blick des Akarii-Prinzen hielt die Soldaten seiner Eskorte davon ab, etwas Dummes zu tun, während auch Navarr sich erhob, wenn auch zögernd. Und dann geschah das, was für gut zweihundert Jahre absolut undenkbar gewesen wäre. Ein Akarii- und ein T’rr-Prinz standen sich gegenüber und reichten sich die Hand in einem traditionellen, den Unterarm des Gegenübers umfassenden Akarii-Militärgruß. Einem Gruß nicht zwischen Sieger und Besiegtem, sondern zwischen beinahe Ebenbürtigen.
‚Hoffentlich ist es das wert.‘

***

Etwa drei Stunden später


Natürlich war es nicht mit einem Handschlag getan gewesen. Selbst die sehr provisorischen Vorverhandlungen hatte eine ganze Reihe Detailfragen beinhaltet, die noch geklärt werden mussten. Und Duran und Jerra hatten sich auch die Zeit genommen, zumindest ein paar Worte unter vier Augen zu wechseln. Navarr war sich nicht sicher, was das Ergebnis gewesen war. Aber auch wenn Jerra sich in Schweigen hüllte, schien sie nicht unzufrieden zu sein.
Die Mienen einiger Mitglieder des Begleitkommandos wirkten hingegen alles andere als glücklich. Und Navarr wusste, dass sich diese Skepsis nicht nur auf die Mannschaftsdienstgrade beschränken würde. Navarr, Rallis, Admiral Rau, Marschall Parin, Admiral Taran…alle, die eine Rolle bei Formulierung und Umsetzung dieser…unkonventionellen Initiative übernommen hatten, hatten gleichzeitig auch ihr Schicksal mit dem Gelingen des Friedensplans verknüpft. Und sie alle segelten jetzt in gefährlichen – oder vielmehr NOCH gefährlicheren Gewässern. Dennoch…: „Nun, das lief besser als erwartet.“

Maran warf ihm einen ungläubigen Blick zu und rollte mit den Augen: „Wenn du das sagst.
Aber sie hätten uns natürlich auch einfach erschießen können.“
„Auch das. Und Duran hat ‚Ja‘ gesagt. Ich habe bis zum letzten Augenblick geglaubt, dass er einen Rückzieher macht, egal was Admiral Rau glaubte zu wissen.“
„Duran haben wir vielleicht überzeugen können. Jetzt geht es allerdings auch noch um die Männer und Frauen hinter ihm.“ In Maran Otranos Stimme schwang ein merkwürdiger Unterton mit, aus dem Navarr nicht schlau wurde.
Er räusperte sich: „Können wir kurz über etwas anderes reden? Du…“
Die junge Adlige machte ein nicht sehr glückliches Gesicht: „Bist du dir sicher, dass du das Gespräch JETZT führen willst?“
„An Bord war dazu in den letzten Tagen irgendwie nie Gelegenheit dazu.“
„Sehr diplomatisch ausgedrückt. Du hängst zu viel mit deinem Cousin Rallis zusammen. Ich bin dir aus dem Weg gegangen.“
„Doch hoffentlich nicht wegen diesen idiotischen Gerüchten über Jerra und mich? Der Admiral konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen.“
„Ich bin nicht bescheuert. Außerdem hat mir Jerra erzählt, worum es wirklich geht.“
„Oh.“
„Habt ihr sie eigentlich mal gefragt, was SIE will?“
„Es ist ja nicht so, als ob das Ganze MEINE Idee gewesen wäre…“
„Das ist keine Antwort.“
„Aber ja, ich habe mich gefragt, was Jerra davon hält. Nur habe ich hier nicht viel zu entscheiden.“
„Du bist ein Thelam.“
„Und gerade mal Lieutenant. Ich habe weder in der Flotte noch der Verwaltung oder dem Adelsrat eine verlässliche Basis. NOCH nicht. Glaubst du wirklich, dass Parin, Rau – oder auch mein lieber Cousin Rallis – sich momentan davon beeindrucken lassen würden, was ich denke?“
Maran überlegte kurz: „Rallis würde…“
„Im Gegensatz zu Admiral Rau und Marschall Parin würde er mir nicht zu verstehen geben, dass ich mich nicht in ihre Kreise einzumischen habe, ja. Stattdessen würde er mir zuhören, nicken, Verständnis signalisieren und dann dafür sorgen, dass es doch nach seinen Vorstellungen abläuft.
Außerdem weißt du, wo wir Jerra gefunden habe. Sie war quasi die Geisel eines Verbrechersyndikats. Was hätte sie da zu erwarten gehabt, außer als ein Faustpfand oder als eine…Trophäe behandelt zu werden? Falls nicht jemand noch mehr dafür geboten hätte, sie ganz einfach zu beseitigen.“
„Sind wir denn anders?“
„Wir machen sie zur Kaiserin. Zum Garant von Frieden und Versöhnung auf einem blutgetränkten Planeten. Und mit den loyalistischen T’rr geben wir ihr eine Hausmacht, wie sie stärker kaum vorstellbar ist. Sie hat es selber gesagt: das ist einen Kniefall wert. Oder eine Hochzeit.“
„Oh ja, zumal wir ja auf Akar gerade erst gesehen haben, wie toll so eine für die Staatsraison arrangierte Ehe funktioniert.“ Das saß.
Navarr versuchte Marans Gesichtsausdruck zu lesen. Und diesmal glaubte er zu verstehen: „Es geht hier nicht nur um Jerra.“
„Ja. Das erinnert mich alles zu sehr an die Spielchen am Kaiserlichen Hof.“
„Und wir sind Figuren in diesem Spiel, ich weiß.
Aber das ist der Preis, den wir für unsere bevorzugte Geburt bezahlen. Und das Spiel des Hofes mitzumachen, ist die einzige Möglichkeit, das eigene Schicksal zumindest mitbestimmen zu können. Denn wer sich verweigert…der muss damit rechnen, als eine bloße Spielfigur anderer zu enden. Oder gar ganz aus der Partie genommen zu werden.“
Das war ohnehin ein heikles Thema. Egal, was er zu Duran gesagt hatte, solange nicht feststand, wer als nächster auf dem Thron saß, stand hinter dem Vertrag ein großes Fragezeichen. Ein Imperator Rallis würde ihn zweifelsfrei achten, doch sollte am Ende Kerrak gekrönt werden… Und auch wenn diese eigentlich undenkbare Abnormität, eine Allecar-Regentschaft für Linais ungeborenes Kind, Wahrheit werden würde, hing viel davon ab, ob Dero das Sagen hatte, oder aber sein Vater. Der konnte dergleichen im Zweifelsfall elegant hinauszögern, bis der ungeborene Imperator volljährig war, was den Todesstoß für das Projekt bedeuten würde.
„Dein Cousin Rallis scheint das wenig zu kümmern. Lisson ist mit seiner Rolle als Historiker zufrieden. Und Jor hatte…“
„Cousin Jor hat seine eigenen Regeln aufgestellt, ja. Aber wir wissen alle, was ihm das eingebracht hat. Und dem Imperium.
Lisson mag es nicht stören, dass niemand ihn ernst nimmt – außer als potentielle Marionette. Und Rallis…was meinst du, warum er es für notwendig hielt, mich in seine Ambitionen einzuspannen? Er weiß, dass er alleine kaum eine Chance auf den Thron haben würde.“

Maran wiegte den Kopf hin und her und hielt dann jäh inne: „Ist dir eigentlich der Gedanke gekommen, dass er dich ganz bewusst an den äußersten Rand des Imperiums abschiebt und dir diesen bestenfalls kontroversen Friedensplan mit den T’rr zugeschoben hat, um dich als Rivalen für den Thron auszuschalten?“
„Die Möglichkeit habe ich erwogen. Aber abgesehen davon, dass ich ungern glauben möchte, dass er so egoistisch ist…dieser Friedenvertrag liegt zu sehr auf seiner Linie, als dass er sich glaubhaft davon distanzieren könnte. Und glaubst du wirklich, er hätte mich ausgerechnet mit Männern wie Marschall Parin und Admiral Rau zusammengebracht, wenn er mich aus dem Spiel nehmen wollte?“
„Du solltest Rallis nicht unterschätzen. Aber du hast Recht, Admiral Rau pfeift ebenfalls auf die Konventionen. Er…“
„…lebt nur noch, weil er ein so guter Fechter ist. Sonst hätte ihn schon längst irgendein überspannter Adelsspross für eine echte oder vermeintliche Kränkung niedergestochen. Und er ist nur deshalb noch Admiral, weil er so brillant ist. Aber wir können nicht alle überlebensgroß sein. Er ist nicht gerade das Vorbild, dem ich folgen kann. Genauso wenig wie die unbekümmerte Arroganz der Tarans, die selbst entscheiden zu können meinen, was sie unter Loyalität für das Imperium verstehen. Und letztendlich…“, Navarr holte kurz Luft: „Letztendlich ist das doch egal. Weil ich meinen Weg gehen und meine eigenen Entscheidungen treffen muss.“
„Und sind sie das? Deine eigenen Entscheidungen? Oder doch das, was Rallis, Parin, Rau, Taran dir…uns vorgeben?“
„Das ist…“, Navarr zögerte kurz: „…ich hoffe, dass ich nicht so leicht zu manipulieren bin. Und Parin und Rallis…sind schon fast Männer von gestern oder vorgestern. Sie werden irgendwann Platz machen müssen.“
„Ich bin mir sicher, dass sie da ihre eigenen Vorstellungen haben.“
„Vielleicht werden sie dann keine Wahl mehr haben.“
Maran Otrano musterte den jungen Prinzen lange und eindringlich: „Da hast du dir aber etwas vorgenommen. Und du solltest lieber davon ausgehen, dass sie das wissen.“
„Das habe ich und das tue ich. Und wenn ich meine Karten richtig spiele, dann kann der heutige Tag ein wichtiger Schritt auf diesem Weg sein. Und ich habe gehofft…dass wir diesen Weg gemeinsam gehen werden.“
Kurz zuckte es um Marans Mundwinkel. Sie antwortete nicht sofort, aber es war kein ablehnendes Schweigen. Und dann, fast unmerklich, nickte sie.
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Straße des Lebens und des Todes

Frontlinie Arta’Rijen, Abend des dritten Tages der Operation ,Markat‘

Die Frontlinie verlief inzwischen mitten durch die Stadt, mitunter sogar durch ein und dasselbe Gebäude – obwohl man meistens versuchte, etwas mehr Abstand zu halten. Wenn einmal eine Feuerpause eintrat, wirkten die Straßen geradezu gespenstisch ausgestorben. Scharfschützen machte jede Bewegung im Freien zu einem Spiel um Leben und Tod. Doch nicht alles, was sich bewegte, lebte auch wirklich…

Bei der Drohne, die über eine mit ausgebrannten Fahrzeugwracks blockierte Straße schwebte, handelte es sich offenkundig um eine improvisierte Konstruktion – ein leichtes ziviles Rotormodell, das mit einem behelfsmäßigen Tarnanstrich versehen worden war und dessen Nutzlastmodul man erweitert hatte. Folglich war sie nicht sehr schnell, und die ruckhaften, mitunter fast taumelden Flugmanöver mochten an Überlastung liegen – oder daran, dass der Pilot beziehungsweise die primitive Pseudo-KI,* welche den Flug steuerte, überfordert waren.
Aus ihrem Versteck behielt Corporal Mariza de Menezes Cordeiro ebenso wie ihr Spotter aufmerksam die Szenerie im Blick. Die Soldatin bot einen etwas merkwürdigen Anblick, war ihr Gesicht doch ein Flickenteppich aus natürlicher und Kunsthaut, und über ihrem einen Ohr trug sie eine Art Kopfhörer. Beides war ein Andenken an die Granatexplosion während des ersten feindlichen Großangriffs, die ihr einige Schrammen und ein beschädigten Trommelfell als Andenken hinterlassen hatten. Sie auszufliegen hatte nicht einmal für einen Moment zur Debatte gestanden, und angesichts der Situation hatte der zuständige Arzt entschieden, dass auch Schonung der Verwundeten nicht in Frage kam. Also hatte man die Verletzungen notdürftig behandelt und sie wieder in den Einsatz geschickt.
Die beiden visierten wohlweißlich nicht die Drohne selber an. Denn um die ging es nicht wirklich – es ging darum, ob die Akarii sich verleiten lassen würden, auf den Lockvogel zu schießen und damit ihre Stellung preisgaben.
Denn um einen Lockvogel handelte es sich – eine in einem Elektronikladen erbeutete Drohne, die auf militärisch „aufgemotzt“ worden war, damit sie wie ein Aufklärungs- oder Kampfmodell wirkte. Der Gegner konnte sich schließlich nicht sicher sein, und auf gut Glück darauf zu vertrauen, dass der Flugkörper harmlos war, blieb riskant.
Eigentlich hätte deMeCo sich in Nera’Rijen bei ihrer Einheit aufhalten sollen. Aber da es in der Vorstadt auf dem Nordufer des Rijen bisher relativ ruhig geblieben war, während in der eigentlichen Stadt im wahrsten Sinne des Wortes die Bude brannte, war sie gewissermaßen ,ausgeliehen‘ worden.
Ein Stück weit ein Kompliment – hießt das doch, dass man sie und ihren Beobachter als wertvolle Experten schätzte. Aber zugleich auch ein höchst zweifelhaftes Vergnügen, da schon die Flussüberquerung ein Problem darstellte, seitdem die Kaiserlichen sporadisch die Brücke mit ihrer weitreichenden Raketenartillerie beschossen. So war ihr kleiner Trupp in einem beschlagnahmten Schweber abseits der Brücke über den Rijen gewechselt.

Und nun war sie also hier und spielte einmal mehr mit den Sturmtruppen des Kaisers Katz und Maus. Wobei man sich fragen musste, wer eigentlich die Maus war…
Doch als der Angriff kam, war er so schnell und entschlossen ausgeführt, dass die Scharfschützin nicht rechtzeitig reagieren konnte. Die zweite Drohne tauchte urplötzlich zwischen den rauchgeschwärzten Wänden eines Hochhauses auf. Sie flog weitaus souveräner und zielstrebiger, näherte sich der terranischen Maschine, die unbeholfen auszuweichen versuchte…im nächsten Moment dröhnte bereits die Explosion. Die Sprengladung, welche die imperiale Kamikazedrohne gezündet hatte, war nicht stark, sie entsprach vielleicht einer Handgranate. Aber die Splitterwirkung war enorm. Was von den beiden Drohnen blieb, ließ sich bestenfalls als Elektronikschrott bezeichnen – sehr kleiner Kleinschrott.

Mariza fluchte unterdrückt. Sie fragte nicht einmal, ob ihr Spotter den gegnerischen Operator gesichtet hatte – denn das hätte er ihr natürlich gesagt.
Also ein Misserfolg. Sicher, die Kaiserlichen hatten eine ihrer Drohnen für ein Scheinziel geopfert. Aber sie hatten auch mehr Material und konnten sich Einbußen leisten. Bei den Terranern hingegen waren Einsatzdrohnen so knapp wie schwere Waffen – und was sie in Arta’Rijen gefunden oder erbeutet hatten war wenig wert. Anders als in irgendwelchen dämlichen Filmen stolperte man in einer so verzweifelten Situation wie der ihren normalerweise NICHT genau über das, was man brauchte, um aus Klebeband und ein paar Bauteilen eine Superwaffe zusammenzubasteln. Klar, Notbehelfe wie diese und andere Drohnen und dergleichen mehr halfen. Aber ihre Auswirkung blieb doch sehr begrenzt, leider.
Denn verzweifelt war die Lage wirklich – nun, zumindest entwickelte sie sich in diese Richtung. Die Kaiserlichen hatten es zwar vorläufig aufgegeben, in einem einzigen machtvollen Sturmlauf zum Fluss vorzustoßen. Aber gestützt auf ihre überlegene Feuerkraft – zahlenmäßig waren sie den Terranern wohl nicht oder zumindest nicht sehr überlegen – engten sie den Brückenkopf in Arta’Rijen Schritt um Schritt weiter ein. Die Marines hatten weder die Mittel noch die Leute, um jeden Fußbreit Boden zu verteidigen. Aussichtslose Kämpfe mussten sie abbrechen – doch irgendwann, und zwar sehr bald, würde der Zeitpunkt kommen, an dem sie keinen Boden mehr hatten, den sie aufgeben konnten, ohne zu riskieren, dass Arta’Rijen in mehrere Kessel zerteilt bzw. die Brücke in direkten Feuerbereich der Kaiserlichen kommen würde.
Nicht, dass der Vormarsch der Imperialen ohne Verluste abging – davon konnten deMeCo und ihr Trefferbüchlein Zeugnis ablegen. Über die letzten 24 Stunden hatte sie drei gesicherte Abschüsse und ein ausgeschaltetes Räumfahrzeug hinzufügen können. Nicht schlecht – auch wenn der letzte Versuch den Feind hervorzukitzeln gescheitert war. Nun, es sah nicht so aus, als ob es in der nächsten Zeit an Chancen für weiteren Feindkontakt mangeln würde.

Ihr natürliches Gehör und das künstlich verstärkte des verwundeten Ohrs registrierten, dass das Hintergrundrauschen der Schlacht – sporadisches Schützenfeuer und das gelegentliche Rumpeln der Artillerie, beide Seiten mussten schließlich Munition sparen – geändert hatte. Irgendwo weiter weg heulten Raketenwerfer auf. Besorgt blickte sie gen Himmel. Starteten die Kaiserlichen einen massierten Artillerieschlag?
Doch dann begriff sie, dass der Beschuss offenbar nicht ihnen galt, oder überhaupt einem Ziel am Boden. Denn ein zweites Geräusch mischte sich in das Fauchen der imperialen Salvenwerfer – das Heulen schwerer Triebwerke. Die Angels waren zurückgekehrt!

***

Über Arta‘Rijen

First Lieutenant Ina „Imp“ Richter hatte zwar einen Logenplatz inne, dass sie diesen jedoch genoss konnte man schwerlich sagen. Sie führte eine Sektionen der Stallions an – die restlichen Maschinen des Geschwaders waren zum Schutz des Trägers zurückgeblieben, sah man einmal von Lilja ab, die irgendeine streng geheime Mission aufgebürstet bekommen hatte. Bisher sah es nicht so aus, als ob die Falcon viel bei ihrem Geleitschutzauftrag zu tun bekommen würden. Die Falcons der Fighting Stallions verfügten nicht über Lenkbomben, also konnten sie sich an den Bodenangriffen ohnehin nicht sehr effektiv beteiligen. Doch nichts deutete drauf hin, dass feindliche Kampfflieger im Anmarsch waren.
Genug Action gab es freilich auch so, denn die feindliche Luftabwehr war aktiv genug. Die kaiserlichen Luftabwehrschützen konzentrierten sich zwar auf lohnende Ziele, doch das hieß nicht, dass die Grünen und Blauen aus dem Schneider waren.
Imp flog ihre Maschine deshalb in einem reichlich erratisch wirkenden Zickzackkurs, und feuerte sporadisch Täuschkörper ab. Sie mochte Einsätze in der Atmosphäre nicht. Wenn man als Pilotin in neun von zehn Fällen in der Weite des Weltalls flog und daran gewohnt war, bestand bei aller Erfahrung und Professionalität immer ein Restrisiko, dass einem in Erdnähe eine kleiner, aber möglicherweise fataler Fehler unterlief.

Die Aussicht freilich war beeindruckend, vor allem wenn man ein Faible für solche Bilder wie „Triumph des Todes“ hatte. Am Himmel der surreale Funkentanz aus Laserimpulsen, Flares, Kampfflieger- und Raketentriebwerken, am Boden die dystopische Trümmerlandschaft des umkämpften Arta’Rijen, dazu Bombenexplosionen, lodernde Brände, Rauschwaden und Staubwolken…
Man durfte nur nicht vergessen, dass dort unten, und auch hier oben Menschen (und andere) kämpften und oft auch starben. Eine ferne Explosion kündete vom Tod eines Angel-Jägers, getroffen von einer feindlichen Luftabwehrrakete. Einschläge von Lenkbomben am Boden markierten die Angriffe auf feindliche Luftabwehrstellungen – und tatsächlich schienen die Angels die imperiale Abwehr mehr und mehr niederzuhalten. Es war Zeit für die schweren Koffer:
„Achtung, die Shuttles gehen rein. Stallions, ich will doppelte Wachsamkeit.“ Wenn der Gegner doch noch Kampfflieger sandte, dann wäre JETZT der geeignete Augenblick für eine Blitzattacke gewesen, ähnlich, wie Lilja sie bei ihrer letzten Mission erlebt hatte.
Mit einem Ohr lauschte die XO der Grünen Staffel auf die Meldungen der Blauen Piloten. Ace hatte die Führung seiner Staffel inzwischen wieder übernommen, und er kommandierte die Begleitsektion der Blauen persönlich, während sein XO beim Einsatz zum Schutz des Trägers zurückgeblieben war.
Trotzdem Imp wusste, dass sie voll konzentriert bleiben sollte, wanderten ihre Gedanken für einen Moment zu Lilja. Die Vorgesetzte und Freundin hatte kein Wort über ihre Aufgabe verloren – was typisch für die Russin war. Aber sie hatte Imp eingeschärfte, dass deren Aufgabe keinen Deut weniger wichtig war: „Denkt daran, die Shuttles, das ist unsere Doroga schisni**, unsere Straße des Lebens. Und wir, die wir die Shuttles verteidigen und ihnen den Weg ebnen, wir bauen und beschützen diese Straße. Wenn ihr scheitert, hat auch meine Mission wenig Sinn. Und…pass auf dich auf.“
Imp hatte gelacht: „Ich liebe dich auch, Eisprinzessin.“
Inzwischen wünschte sie sich fast, sie wäre etwas weniger flapsig gewesen…
Doch dann verdrängte sie diesen Gedanken. Die Shuttles schwebten ein, rund ein Dutzend oder so massive Vögel – die aus alles Rohren feuerten und das Chaos und die Verwüstung am Boden noch einmal steigerten.
,Hoffentlich scheißen sich die Echsen da unten so richtig schön ein.‘
„Stallions – wir bleiben an den Shuttles dran. Ein kurzer Stippangriff mit den landenden Shuttles, Zielgebiete folgen. Dann zurück auf Höhe und wieder Distanzsicherung.“
Bereits im Voraus hatten die beiden Falcon-Sektionen untereinander und mit Stafford abgesprochen, wer welchen Stadtabschnitt übernehmen würde, damit sie sich bei ihrem Hochgeschwindigkeitsangriff nicht in die Quere kamen. Ein wenig flexibel musste man natürlich agieren, da bis zuletzt Meldungen vom Boden eingetroffen waren was mögliche Feindstellung wie auch die Luftabwehr betraf: „Ace – was meinst du, teilen wir uns die Ziele wie folgt…“

***

Nera’Rijen

Lieutenant Reyna Nadal zog unwillkürlich den Kopf ein, als sie das ferne Jaulen hörte. Sie erkannte einen imperialen Salvenwerfer, wenn sie ihn hörte – und das Geräusch gehörte zu denen, welche die Soldaten der Kampfgruppe Schlüter fürchten gelernt hatten. Sie war nicht die einzige, der der Schreck in die Glieder fuhr. Mehr als einer der Peshten schaute sich panisch um, einzelne warfen sich gar zu Boden, nur um sich dann wieder aufzurappeln. Aber keiner floh, keiner wollte seinen oder ihren Platz in der Schlange aufgeben, in der Reihe der Wartenden, die sich um die Shuttles drängten, die sie aus der umkämpften Stadt bringen sollten.
Sie hasste dieses Gefühl des Ausgeliefertsein, bei dem jede ferne Explosion, jedes Abschussgeräusch einem in die Glieder fuhr. Aber nein, der feindliche Raketenwerfer feuerte im Moment wohl auf die Angels SAM’s ab, jedenfalls deutete nichts darauf hin, dass die Kaiserlichen im Moment die provisorische Landebahn angreifen würden.

Drei der Shuttles waren auf dem Nordufer des Rijen niedergegangen, und bisher waren sie von gegnerischem Beschuss verschon geblieben.
In fliegender Hast waren die Landungsboote entladen worden, und terranische Soldaten und ihre Verbündeten waren emsig beschäftigt, die Fracht zu verteilen, sie vor möglichem Feindbeschuss in Sicherheit zu bringen. Es war eine bunte Ladung gewesen – Lebensmittel, medizinische Güter, Munition, aber auch höchst improvisierte Frachtstücke, wie etwa zwei 1.000-Pfund-Streubomben, die man den Marines geliefert hatte, damit sie die Bomblets, die zu hunderten in den Stahlzylindern ruhten, zu improvisierten Schützenminen und Sprengfallen umbauen konnten. Oder die klobigen Raketenwerfer, üblicherweise für ungelenkten Beschuss mit Imp-Raketen an den Pylonen von Kampffliegern montiert. Man erwartete wohl, dass die Marines sich daraus eine Art Behelfsartillerie basteln konnten. Es mochte ja gut gemeint sein, aber dergleichen Notbehelfe verdeutlichen nur, wie überhastet das ganze Unternehmen durchgezogen worden war und wie ungenügend die Ausrüstung der Landungstruppen.

Das Sicherungskommando für die Shuttles bestand aus Peshten und Terranern – einerseits handelte es sich um menschliche Maschinen, und natürlich stellten die Terraner auch den Großteil der Truppen in der Stadt. Aber da ein Gutteil der Arbeit darin bestand, mit den peshtischen Arbeitskommandos zu kooperieren und die Evakuierung der Flüchtlinge zu handhaben, war Unterstützung durch Konkordatssoldaten unverzichtbar. Es erschien freilich recht vielsagend, dass die peshtischen Wachsoldaten in erster Linie mit alten Projektilwaffen ausgerüstet waren. Nicht nur, weil die besten Soldaten mit den besten Waffen in der Frontlinie bleiben mussten. Konventionelle Waffen eigneten sich zudem auch wesentlich besser, nötigenfalls panische Zivilisten durch ein paar Warnschüsse in die Luft zurückzuscheuchen. Das Knistern einer Laserwaffe – wiewohl mindestens ebenso tödlich – hatte einfach nicht denselben Effekt wie der peitschende Knall einer konventionellen Pistole…
Und tatsächlich war es mehr als einmal nötig gewesen, die nahezu panischen Zivilisten mit Gewaltandrohung zurückzutreiben. Bereits jetzt ließ sich absehen, dass der Platz nicht für alle reichen würde. Besonders kritisch war die Situation geworden, als eine Handvoll imperialer Gefangener evakuiert werden sollte. Begreiflicherweise war es für die Konkordatsbürger unerträglich, dass ihre Unterdrücker ihnen auch noch den Platz in den Rettungsbooten wegschnappten, umso mehr, als die Kriegsgefangenen aufgrund von Sicherheitsvorkehrungen und dem Umstand, dass ein Teil von ihnen verletzt war, deutlich mehr Platz benötigten…

Nur mühsam ließ sich so etwas wie Ordnung wahren: „Nicht drängeln! Zurück in die Reihe! Identifikationsdokumente bereithalten! Gepäck kann nicht mitgenommen werden, legen Sie es dort drüben ab! Keine Sorge, man wird sich am Zielort um Sie kümmern…“ Solche und ähnliche Anweisungen wurden in verschiedenen Sprachen gebrüllt.
Nadal hatte schon lange gelernt, sich nicht emotional zu sehr zu engagieren. Es ließ sich nichts ändern, wenn die eine Familie für erste zurückstehen musste, um ein Ehepaar vorzulassen, deren Sohn oder Tochter in der kämpfenden Truppe oder einem Arbeitskommando einen Beitrag zur Verteidigung von Arta’Rijen leistete. Und egal wie sehr die Peshten an den wenigen Besitztümern hingen, die sie mit sich gebracht hatten – ob es nun materielle Gründe hatte, emotionale oder spirituelle – es war unmöglich ihnen die Mitnahme zu erlauben. Man musste sein Herz verhärten gegen das Klagen und Betteln, das manchmal so schrecklich…menschlich…wirkte.
,Wer auch immer jemals gedacht hat, Krieg sei etwas ,Sauberes‘ zwischen bewaffneten Kämpfern und nach festen Regeln, ist entweder blind oder blöd.‘ Sie diente lange genug auf diesem geschundenen Dreckklumpen, um das verstanden zu haben.

Selbst mit ihren begrenzten Erfahrungen bezüglich der Peshten-Physiognomie erkannte die Offizierin die Nervosität ihres Kollegen der Konkordatsstreitkräfte. Der Offizier – er trug eine zusammengestückelt wirkende Uniform, wie sie für die befreiten Kriegsgefangenen und Guerillas typisch war – sprach ganz passabel Englisch: „Wir müssen die Geschwindigkeit erhöhen. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, bis die Maschinen starten müssen. Oder die Echsen hauen doch noch mit der Artillerie rein.“
Die Terranerin schnaubte: „Sie haben ja Recht, aber wie soll das gehen? Wenn wir die Sperren aufmachen, stürmen die Leute die Shuttles. Wir haben noch wie viel…vielleicht fünfzig, sechzig freie Plätze? Und selbst da müssen wir sie schon mit dem Schuhlöffel reindrücken. Hier stehen fünf- oder sechsmal so viele Leute.“
Die Situation war in Nera’Rijen einiges verzweifelter als im Süden des Flusses. Von den drei gelandeten Shuttles waren nur zwei startbereit, nachdem das dritte während des Landeanflugs einige Flaktreffer abbekommen hatte. Zudem war es unmöglich gewesen, die Zivilisten aus Nera’Rijen auf die andere Flussseite zu schaffen wo das Gros der Shuttles stand, da die Brücke bis vor kurzem noch unter Beschuss gestanden hatte. Jetzt war dafür einfach keine Zeit mehr, außerdem waren die knappen Transportkapazitäten der Belagerten mit militärischen Aufgaben mehr als ausgelastet.
Der Peshte schloss kurz die drei Augen, eine resignierend wirkende Geste: „Wir müssen es einfach drauf ankommen lassen. Wir machen eine Gasse, und lassen die Leute in Fünfer- bis Zehnergruppen durch, eine nach der anderen. Es wird scheußlich werden – aber wir haben keine Wahl.“
Die Marineinfanteristen holte tief Luft. Diskussionen hatten hier ohnehin keinen Zweck. Ihnen lief im wahrsten Sinne des Wortes die Zeit davon. Mit aller Macht ihre schlechten Vorahnungen niederkämpfend, begann sie Befehle zu erteilen.

„ZURÜCK!“ Der vielstimmige Schrei wurde durch einen Pistolenschuss untermalt. Einige Zivilisten duckten sich oder warfen sich gar zu Boden, aber andere drängten dennoch gegen die dünne Sperrlinie. Versuche, die Kette seitlich zu umgehen, waren drastisch geahndet worden – man hatte die Zivilisten ans Ende der wartenden Menge zurückgejagt, was effektiv bedeutete, dass sie nicht ausgeflogen würden. Die menschlichen und peshtischen Soldaten hatten ihre Gewehre umgedreht und schlugen mit den Kolben auf diejenigen Zivilisten ein, die am heftigsten gegen die Postenkette drängten – wenngleich darauf bedacht, eher zu erschrecken als richtige Treffer zu landen.
„Ordnung! Oder wir lassen überhaupt keinen mehr durch!“
Mühsam wurde wieder so etwas wie Ordnung hergestellt.
„Achtung, nächste Gruppe durchlassen!“
Eine Lücke bildete sich in der Postenkette. Sofort drängten die Zivilisten wieder vor, jene an der Spitze der Menge versuchten sich verzweifelt an ihre Angehörigen zu klammern, um in dem Gedränge nicht getrennt zu werden. Einer nach dem anderen ließ man sie durch.
Ein Peshtensoldat zählte laut mit: „Eins, Zwei…Acht, Neun, Zehn – Schluss!“ Im letzten Moment schubste ein Peshte noch ein Kind durch die Lücke.
„Zurücktreten! Ich sagte ZURÜCK!“
Die Kette schloss sich erneut mühsam gegen den Druck.
„Gepäck ablegen – los, los, Beeilung!“
Zwei Soldaten scheuchten die Zivilisten zum Shuttle, ohne sich groß um das Klagen über die verlorenen Habseligkeiten zu kümmern. Selbst Nadal sagte jedoch nichts, als einer ihrer Soldaten aus einem der Stapel zurückgelassener Habseligkeiten eine mechanische Puppe fischte und sie dem Peshtenkind zuwarf, das nur zögernd in der Gruppe mitlief und immer wieder zurück zu seinen Angehörigen schaute, die jenseits der Sperrkette gefangen waren.
Das Landungsboot war bereits mit deutlich mehr Insassen als seiner Normallast von ca. 100 Insassen beladen, aber darauf konnte man keine Rücksicht mehr nehmen.
„Nächste Gruppe.“ Nadal wusste, das war vermutlich die letzte, die sie durchlassen konnten, damit die Shuttles nicht gefährlich überladen und das Gedränge im Frachtraum zu groß wurde.

Diesmal mussten die Peshten gleich mehrere Warnschüsse abgeben, und die Soldaten hieben inzwischen mit voller Wucht mit den Kolben zu, ohne sich sonderlich darum zu kümmern, wen sie wo trafen. Die Verzweiflung und Panik der Zivilisten ließ sich förmlich mit Händen greifen. Doch es gelang noch einmal, die Kette zu schließen, und die zusammengeschmolzene Menge sogar ein paar Schritte zurückzudrängen – es galt um jeden Preis zu verhindern, dass im letzten Moment noch jemand durchbrach und den Startvorgang behinderte.
Das letzte glückliche Grüppchen wurde in Richtung der Shuttles geführt…
Nidal verstand die Worte nicht, die der Peshtensoldat ausstieß, aber sie sah, dass er einen der Zivilisten grob aus der Reihe zerrte. Es handelte sich wohl um eine Frau, die das lange Gewand einer Laienpriesterin einer der eher traditionellen Glaubensrichtungen des Konkordats trug.
„Was zum Teufel ist da los, haben wir nicht genug Probleme?“
Der Marine, der den Konkordatssoldaten begleitete, meldete sich via Funk: „Scheint so, als hätten wir hier einen jungen Kerl, der sich als Nonne verkleidet hat.“
Nadal seufzte. Nicht der erste Versuch, unter einem Vorwand evakuiert zu werden. Es war ja auch ein Stück weit verständlich.
„Können wir ihn nicht trotzdem durchlassen? Ich kann ohnehin keine einzelne Person mehr durchlassen, sonst haben wir einen echten Aufstand.“
Doch so viel Großmut würde es offenbar nicht geben. Der Konkordatssoldat schrie den Verkleideten wütend an, und dann, ebenso überraschend wie schockierend, schlug er ihm mit voller Wucht den Gewehrkolben in den Unterleib. Der Peshte klappte sofort zusammen.
Ohne sich weiter um den Gestürzten zu kümmern scheuchte man die übrigen Zivilisten zum Shuttle. Als die Rampe sich schloss, brachen viele der Zivilisten am Boden in langgezogenes Klagen aus. Allerdings – der Druck auf die Postenkette ließ sofort nach. Offenbar waren die Peshten vernünftig genug um zu erkennen, dass es nichts brachte, weiter in Richtung der Landebahn zu drängen.

Nadal verwehrte es sich, auf die Shuttles zu schauen, während diese sich für den Start bereit machten. Sie wusste, es gab kaum einen Terraner oder Konkordatssoldaten, der sich nicht ebenso heimlich wie sehnsüchtig gewünscht hätte mitzufliegen. Lieber nicht daran denken…
Sie wandte sich an ihren einheimischen Kollegen: „Was war denn da eigentlich los mit dem Verkleidungskünstler?“
Der Peshte legte den Kopf schief: „Ich glaube, mein Mann hält ihn für einen Deserteur aus einem der Arbeitskommando, der erst seine Familie evakuieren ließ und dann versucht hat in Verkleidung selber durchzukommen. Wir haben ein paar Abgänge unter den Arbeitern, und ich hatte die Beschreibung der Flüchtigen ausgegeben. Wenn das stimmt, kann er von Glück reden, wenn wir ihm nur ein paar Schläge verpassen. Es gibt hier keinen Notausgang für Helden.“
Die terranische Offizierin schluckte. Kein Zweifel, die Peshten führten den Krieg entschlossen.
„In Ordnung. Sehen wir zu, dass wir Ordnung in den verlorenen Haufen kriegen, der hierbleiben muss. Ich fürchte, so schnell wird es für die keinen Ausweg aus dem Kessel geben. Wir sollten zusehen, dass wir ihnen helfen so gut es geht.“
,Wenn die Kaiserlichen das nächste Mal angreifen.‘ Bisher war Nera’Rijen von schweren Kämpfen verschont geblieben. Aber das würde sich zweifellos bald ändern. Und ob die Terraner und ihre Verbündeten sich hielten oder nicht – die Zukunft sah düster aus für die Zivilisten, die in der Stadt gefangen waren…

***

Über Arta’Rijen, kurz darauf

Imp ließ ihre Maschine weiterhin Schlangenlinien fliegen und verhinderte so, dass sie die Geschwindigkeit zu stark reduzieren mussten, und doch halbwegs im Zielraum blieb. Die Echsen hatten sich letztlich doch nicht getraut, einen massierten Luftangriff zu fliegen. Die XO der Stallions hätte sich gerne eingebildet, dass dies an ihren Piloten lag – auch ja, die Blauen waren ja auch noch da – die während der ganzen Operation aus der Höhe Deckung gegeben hatte. Aber viel wahrscheinlicher war, dass die Kaiserlichen auf die Schnelle einfach nicht genug Maschinen hatten zusammenkratzen können, um mit Aussicht aus Erfolg gegen gut 50 Terraner anzutreten. Da war es klüger, die Ressourcen zu schonen, schließlich brauchte der Feind seine Maschinen zum Kampf gegen die 4. Sturmdivision und das 30. Korps.
Die Stallions waren abgesehen von einigen leichten Schäden ungeschoren davongekommen – die feindliche Luftabwehr hatte mehr als genug Ziele zu bekämpfen gehabt, und war zudem recht effektiv von den Terranern niedergehalten worden. Imps Staffel hatte freilich auch nicht viel zum Kampf beisteuern können. Da sie auf Höhe bleiben sollten, waren Tiefangriffe mit den Bordwaffen weitgehend ausgefallen. Imp hatte ihre Untergebenen die mitgeführten Streubomben eher auf Verdacht auf feindliche Bereitstellungsräume werfen lassen. Das machte eine Menge Dreck und die Explosionen sahen wirklich beeindruckend aus, aber ohne klare Zielangaben waren die konkreten Auswirkungen auf den Gegner wahrscheinlich doch recht begrenzt geblieben.

„Achtung, Stallions! Shuttles starten – achtet auf feindliche Kampfflieger.“ Imp glaubte nicht wirklich daran, dass der Gegner ausgerechnet jetzt noch einen Angriff versuchte – es wäre effektiver gewesen, die terranische Landungsboote anzugreifen, während sie im Anflug und voller Nachschubgüter waren, oder zumindest während sie entladen wurden und am Boden leichtere Ziele abgaben. Auf dem Abflug, eskortiert von den Angels, wäre ein Angriff riskant und würde auf den Ausgang der Schlacht wohl nur geringe Auswirkungen haben.
Aber natürlich konnte man sich nicht darauf verlassen, dass der Gegner genauso handelte, wie man vermutete oder wie es vernünftig war.
Doch tatsächlich – das Radar meldete keinerlei anfliegende Maschinen im weiten Umkreis.
Das hieß freilich nicht, dass jede Gefahr vorüber war. Die Angels hatten sich Mühe gegeben, die feindliche Flak niederzuhalten. Doch angesichts der Größe des Zielraums war das nicht so leicht.
„Achtung, melde Zielerfassung!“ Knights Stimme klang hörbar nervös: „Radarpeilung aus Südost, Entfernung 15 plus.“ Imp verrenkte unwillkürlich ihren Hals, ehe sie sich darauf besann, dass auf die Anzeigen wohl mehr Verlass war als auf ihre Augen.
Ah ja, natürlich. Dort gab es einiges an Hügeln und Waldstücken, ideales Terrain, wenn man etwa imperiale Schweber tarnen wollte. Gut möglich, dass die Kaiserlichen einen Teil ihrer Artillerie dort verborgen hatten. Und jetzt, da die Terraner im Abrücken waren, wagten sie sich zum Waldesrand in der Hoffnung, mit ihren SAM den einen oder anderen Treffer zu erzielen.
„Knight, du begleitest mich und Bad Luck.“ Sie hatte zwar keine Freigabe für einen Tiefflugangriff, aber sie konnte ja zumindest…

Der Waldrand ging spektakulär in Flammen auf, als ein Dutzend Energiekanonen ihn großzügig abstrichen. Die Entfernung war für Waffen, die im Raum über eine Distanz von tausenden Kilometern feuerten, kein Problem. Zugleich stießen die drei Falcons ganze Schwärme an Täuschkörpern aller Art aus, welche die feindliche Zielerfassung verwirren sollten.
Imp war sich nicht sicher, ob eines der Feuer, die in der Ferne aufloderten, von einem feindlichen Panzerfahrzeug stammte. Nun, man konnte ja träumen…
Doch nur zu schnell wurde sie daran erinnert, dass mehr als eine Gefahr auf die terranischen Maschinen lauerte. Die feindlichen Panzerfahrzeuge in der Stadt, soweit sie nicht im Zuge des Angriffs der Angels zerstört oder beschädigt worden waren, mochten sich fürs erste zurückhalten – angesichts von einigen Dutzend TSN-Kampffliegern über ihren Köpfen zweifelsohne ein weiser Entschluss. Aber das hieß nicht, dass den Kaiserlichen keine Optionen blieben.
Der Äther füllte sich mit dem Geschnatter von Piloten, die sich auf Gefahren aufmerksam machten, als die imperialen Infanteristen schultergestützte SAM-Raketen ins Spiel brachten. Obwohl ihre Durchschlagskraft und Reichweite begrenzt war – der Umstand, dass man sie blitzschnell abfeuern und sofort wieder in Deckung gehen konnte, machte sie zu einer ernsten Gefahr. Und offenbar hatte das feindliche Oberkommando eine mehr als ausreichende Zahl an Werfern verteilt.

„Achtung! Bin getroffen, Triebwerkschaden!“ Die Stimme des Shuttlepiloten klang leicht panisch – und aus gutem Grund. Im Weltall war ein solcher Treffer gefährlich, da er das Shuttle vielfach steuerlos in Richtung seines bisherigen Kurses driften ließ, weg vom Pulk, in die Weite des Alls hinaus. In der Atmosphäre aber, wo die Schwerkraft an der 34-Tonnen-Maschine zerrte…
Es ging viel zu schnell, als dass irgendjemand mit einem genialen oder idiotischen Plan hätte kommen können. Das Shuttle schlingerte, wild feuerten die Manöverdüsen im verzweifelten Versuch, ein wenig zusätzlichen Auftrieb zu verschaffen, um wenigstens so etwas wie eine halbwegs kontrollierte Bruchlandung hinzulegen. Doch wie ein blutender Gigant im Meer Raubfische anzieht, machten die offenkundigen Probleme des Landungsbootes es zur Zielscheibe. Zwei, drei weitere SAMs, abgefeuert aus den Ruinen, erfassten das Ziel – und mindestens eine von ihnen traf. Eine dicke Rauchwolke ausstoßend scherte das Shuttle seitlich aus…

Für einen Augenblick wollte Imp einfach nur die Augen schließen. Sie musste das ja nicht wirklich mit ansehen. Aber dann brachte sie es doch nicht fertig. Wenn sie schon nichts tun konnte um zu helfen, durfte sie doch zumindest nicht einfach wegsehen.
Der Aufprall, direkt außerhalb der Stadtgrenzen, war mörderisch, auch wenn das Shuttle nicht explodierte. Doch die Wucht des Sturzes allein reichte aus, um den Stahlgiganten auseinanderzureißen. Trümmerteile – Ina wollte gar nicht wissen, wie viele der ,Trümmer‘ in Wahrheit Passagiere waren – wurden Dutzende Meter weit geschleudert.
Für einen Moment herrschte betretenes Schweigen. Dann war die Stimme des Geschwaderchefs zu hören: „Angels…Abflug. Enge Sicherung der Shuttles. Grün und Blau, Höhensicherung übernehmen. Wir können uns keinen weiteren Verlust leisten.“
Die Mission mochte ein Erfolg gewesen sein. Sie hatten zweifellos eine Anzahl feindlicher Fahrzeuge und Stellungen zerstört, wichtigen Nachschub nach Arta’Rijen gebracht und neben weit über hundert terranischen und peshtischen Verwundeten eine Anzahl feindlicher Gefangener und tausende Zivilisten evakuiert. Wie ein Sieg fühlte es sich jedoch nicht an – und die „Straße des Lebens“ war zugleich zu einer Straße des Todes geworden.

*****

* Trotz einiger Bemühungen gelang es bisher weder den Terraner, noch den Akarii oder einer anderen Nation im bekannten Raum, eine voll funktionstüchtige autonome KI zu konstruieren (auch wenn es Witzbolde und Verschwörungstheoretiker gibt, die einzelne Spuren untergegangener Zivilisationen auf solch einen „Erfolg“ zurückführen). Semiautonome KIs existieren und werden für Routineaufgaben auch beim Einsatz von Drohnen im Frieden wie Krieg umfassend eingesetzt. Für komplexe Manöver wird aber weiterhin eine direkte Steuerung durch einen Drohnenpiloten benötigt.

** Doroga schisni, Straße des Lebens, war eine inoffizielle Bezeichnung für die Militärstraße 101, eine Eisstraße über den Ladogasee, über welche während des Zweiten Weltkriegs das von der Wehrmacht eingeschlossene Leningrad im Winter durch die sowjetischen Verteidiger versorgt wurde. Aufgrund deutscher Luftangriffe und der natürlichen Gefahren durch Eislöcher und Witterung waren die Verluste an Mensch und Material freilich beträchtlich.
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„Retter oder Eroberer, Held oder Schurke. All das könntest du sein – und doch bist du ein Nichts. Denn du dienst weder der Dunkelheit noch dem Licht. Und deshalb wirst du immer im Schatten stehen. Auf ewig einsam und allein…“
Umstrittene Neufassung des antiken Akarii-Dramas ‚Der Bastardprinz‘



Akar, Imperiale Hauptstadt, Allecar-Anwesen

„Wir haben Landefreigabe.“, die Stimme des Schweber-Piloten klang routiniert. Dennoch glaubte Dero Allecar, eine gewisse Anspannung herauszuhören.
„Schon gut, ich habe es nicht eilig.“

Eigentlich hätte Dero auch einen Bodenwagen nehmen oder selber den Schweber fliegen können. Aber er war nicht mehr nur der Ex-Unteroffizier und Zivilanwalt aus einem Adelshaus, das deutlich hinter seine frühere Macht zurückgefallen war. Jetzt war er der Mann, der von vielen als der Architekt des Friedens zwischen der Konföderation und dem Akarii-Imperium angesehen wurde. Er war der Ex-Liebhaber einer kaiserlichen Prinzessin, der deren Ehemann im Zweikampf getötet hatte. Der Vater eines Kindes, das einen Anspruch auf den Thron hatte. Er war der Mann, dem man Ambitionen auf eine Regentschaft, ja sogar die Krone nachsagte. Und das Haus Allecar war auf einmal zu einem Machtfaktor geworden, um das sich andere Adelsfamilien scharten – und gegen das noch mehr Häuser Front machten, da sie ihre eigene Position gefährdet sahen.
Unter diesen Umständen war eine Fahrt durch die teilweise recht unübersichtlichen Straßen der Hauptstadt ohne eine entsprechende Eskorte als zu riskant eingeschätzt worden. Ebenso wie die Idee, dass der Erbe von Haus Allecar eigenhändig einen Schweber steuerte. Dero war versucht gewesen, seine Eigenständigkeit durchzusetzen, hatte sich dann aber entschieden, eine solche Konfrontation für eine wichtigere Gelegenheit aufzusparen.

Das Fluggerät setzte so sanft auf, dass Dero kaum die Erschütterung verspürt. Das leise Summen der Triebwerke verstummte. Der Erbe des Haus Allecar nickte dem Piloten kurz zu, schwang sich aus der Luke – und sah sich mit einer weiteren Sicherheitsmaßnahme konfrontiert. Statt ein paar wartenden Technikern empfing ihn ein ganzes Team Sicherheitsleute auf dem kleinen Landeplatz.
Noch sehr viel furchteinflößender waren die um den Landeplatz postierten kaiserlichen Gardisten, die von einem ferngesteuerten Flugabwehrlaser und einem Zwillings-Abschussgerät für leichte Boden-Luft-Raketen unterstützt wurden. Wie fast immer trugen die Gardisten Gefechtshelme, deren verspiegelte Sichtvisiere ihre Gesichter verbargen. Aber auch ohne Helm wären ihre Gesichter vermutlich zu jenen gefühllosen Masken erstarrt gewesen, die die Soldatinnen und Soldaten wie eine zusätzliche Panzerschicht trugen.

Kurz nachdem die kaiserliche Garde es ungefragt übernommen hatten, das Allecar-Anwesen zu schützen, hatte Dero seinem Vater vorgeschlagen, das angespannte Nebeneinander der Allecar-Security und der Gardisten durch einige Gesten des guten Willens aufzulockern. Meliac Allecar hatte nur geschnaubt: „Glaub nur nicht, dass die Kaiserliche Garde unser Freund ist. Sie beschützt uns, weil du der Vater eines Thronprätendenten bist. Aber dieser ‚Schutz‘ könnte ganz leicht wieder entzogen oder in eine Bewachung verwandelt werden. Was meinst du, warum die Gardisten nicht mal Lebensmittel oder Getränke annehmen und weshalb die Wachtruppen regelmäßig ausgetauscht werden? Ich habe gehört, unsere neue ‚Leibwache‘ hat klare Anweisungen erhalten: ‚Wer einen Allecar beleidigt, wird zur Infanterie versetzt. Wer einem Allecar zujubelt, muss Strafdienst schieben.‘ SO sieht es aus.“

Die Gardisten und Sicherheitsleute waren freilich nicht die einzigen, die Dero erwarteten. Narhita Candras, seine Adjutantin, schien vor Ungeduld geradezu zu vibrieren: „Da sind Sie ja.“
„Sie hätten mitkommen können.“
„Ich fliege nicht gerne in so einer Nussschale. Außerdem hätte das ihrem Vater wohl nicht gefallen.“ Womit sie natürlich Recht hatte, denn Meliac Allecar hielt Candras für eine von Prinzessin Linai auf seinen Sohn angesetzte Spionin. Am liebsten wäre er sie so schnell wie möglich losgeworden, aber da hatte sich Dero durchgesetzt. Nicht nur mit dem Verweis auf Candras Effizienz, sondern auch mit dem Argument, dass ein enttarnter Spion allemal besser sei als einer, dessen Identität und Auftraggeber noch unbekannt waren.
„Irgendetwas Wichtiges?“
„Ihr Vater möchte Sie sprechen. Allein. Sie finden ihn im Zweiten Innengarten.“

Das Anwesen der Allecars war nicht der größte oder prunkvollste Adelspalais in der Hauptstadt – und weit entfernt von der Pracht und der Weitläufigkeit der kaiserlichen Paläste. Aber neben Unterkünften für Familienmitglieder, Vertraute, Bedienstete und Sicherheitskräfte und sogar einem heutzutage kaum genutzten Schrein für religiöse Zeremonien bot der Gebäudekomplex Raum für opulente Festlichkeiten, für zahlreiche Gäste und für vertrauliche Treffen. Zu dem Anwesen gehörten auch mehrere Innenhöfe, von denen zwei als Gärten gestaltet waren.
Der erste entsprach dem momentanen Palastideal: sorgfältig gepflegte Pflanzenarrangements umgaben klassische Statuen von Göttern, Sagengestalten und antiken Heroen. In diesem Fall handelte es sich vor allem um preisgünstige Kopien berühmter Originalstücke, sah man von einigen Werken ab, die antike oder frühneuzeitliche Mitglieder der Allecars darstellten und sich seit Generationen im Besitz der Familie befanden.
Der zweite, kleinere Innengarten hingegen wirkte wilder, fast ungepflegt. Hier war es den Sträuchern, kleinen Bäumen und den an ihnen hochkletternden Blütenranken erlaubt, fast uneingeschränkt zu wachsen. Ein geschickt angelegter Wasserlauf, der in einem kleinen Teich mündete, vervollständigte die Illusion einer natürlichen Oase. Der Garten war ein Rückzugsort für die Familie, zu dem nur enge Vertraute Zugang erhielten. Hierher kam auch Dero Allecars Vater Meliac, wenn er in angespannten Zeiten Ruhe und Entspannung suchte – eine Angewohnheit, die so gar nicht zu seinem gefürchteten Temperament und seiner ausgeprägten Persönlichkeit zu passen schien. Aber so war es und angesichts der dramatischen Ereignisse der letzten Monate war es wohl kein Wunder, dass Dero seinen Vater jetzt hier vorfand.

Das mehr gefürchtete als bewunderte Oberhaupt des Hauses Allecar saß mit übereinandergeschlagenen Beinen im hohen Gras. Neben ihm stand ein silbernes Tablett mit einem Becher eisgekühlten Rishi-Saft und einem Teller mit Raganöl-Paste bestrichener Pi’ri-Brotscheiben, die mit Looson-Knospen garniert waren.* Meliac wirkte ungewöhnlich in sich ruhend, aber Dero hatte so eine Ahnung, dass es damit bald vorbei sein würde.
„Wie lief dein Treffen?“
Dero unterdrückte ein Seufzen: „Wie zu erwarten und wie das halbe Dutzend, auf die du mich schon geschickt hast. Ein paar Adlige machen verklausulierte Unterstützungszusagen oder ergehen sich in wenig belastbaren Versprechungen, während der Großteil im Vagen bleibt. Und etliche sind gar nicht erst erschienen. Ich weiß nicht…“
„Ich erwarte gar nicht, dass jemand bei einer so…öffentlichen Veranstaltung dem Haus Allecar Gefolgschaft schwört, der es nicht schon längst getan hat. Nein, es geht darum, dass du dein Gesicht zeigst. Dass du, dass WIR Präsenz zeigen und die anderen Häuser registrieren, dass wir uns um sie bemühen. Und selbst das Fernbleiben einiger Gäste ist wichtig – denn es ist eine Stellungnahme. Das hilft uns, unsere Feinde zu erkennen.“
Jetzt seufzte Dero tatsächlich: „Feinde…“
Manchmal fragte er such ernsthaft, ob die Machtspiele am Hofe, in die er freilich tief involviert war, nicht zur Unzeit stattfanden. Es gab Feinde des Imperiums – an seinen Grenzen und innerhalb davon – denen es gleichgültig war, wer auf dem Thron saß…
„Mach dir keine Illusionen. Dieser Kampf wird vielleicht mehr mit Worten als mit Waffen geführt – auch wenn auch die häufig genug zum Einsatz kommen, wie du inzwischen begriffen haben solltest – aber das macht ihn nicht weniger gefährlich.
Hast du von diesen…‘Friedensgesprächen‘ im Draned-Sektor gehört?“
Der plötzliche Themenwechsel überraschte Dero: „Ah…Gerüchte. Das Kolonialministerium…“
„Hüllt sich in Schweigen, weil es von dieser Initiative der Streitkräfte kalt erwischt wurde. Verdammt.“
„Ich verstehe nicht, warum du dich ärgerst. Ein Frieden mit den T’rr gibt dem Imperium die Chance…“
„Mir geht es vor allem darum, was das für uns bedeutet. Und das solltest du auch bedenken. Dieser Frieden wird die Feuerköpfe in der Kolonialverwaltung UND in den Streitkräften mobilisieren, die ihre kostbare Beta-Borealis-Doktrin von der galaktischen Herrschaftsbestimmung der Akarii gefährdet sehen. Nur werden wir davon nicht profitieren, weil jeder weiß, wo du in dieser Angelegenheit stehst. All die verhinderten Imperialisten werden sich deshalb um Prinz Karrek Thelam scharen, der als einziger der Thronprätendenten uneingeschränkt auf der Seite der Expansionisten steht.“
„Und was ist mit den Gemäßigten und den Reformern in der Verwaltung und den Streitkräften? Sie werden von der Idee eines Friedens mit den T’rr begeistert sein.“
Meliac Allecar schnaubte spöttisch, was Dero dazu veranlasste, seinen letzten Satz etwas einzuschränken: „Oder sie werden ihn zumindest gutheißen.“
„Einige allerdings lieber nur heimlich.“, ätzte sein Vater: „Aber das ist egal, weil das für uns genauso gefährlich sein kann, wie die feuerspuckenden Betonköpfe. Weil nicht WIR es waren, die diesen Frieden ausgehandelt haben. Sondern Marschall Parin, Admiral Rau und vor allem dieser Jungprinz Navarr Thelam. Also ein verhinderter Ex-Putschist, ein Weiberheld und die Marionette von Prinz Rallis Thelam.“
„Du tust Navarr unrecht. Er ist vielleicht jung…“
„Und hängt an den Fäden, die diese alte Kröte Rallis geknüpft hat.“ Die ‚alte Kröte‘ war jünger als Meliac Allecar, wenn auch fülliger: „Ich weiß, dass dein alter Trinkfreund Taran diesen Friedensplan mit angestoßen hat. Hätte unser aufsteigender Stern der Admiralität nicht ein wenig warten können, statt diese Chance ausgerechnet der Rallis-Fraktion auf dem Silbertablett zu servieren?“
„Hätte ich ihm diese Frage stellen sollen?“
„Das wäre nicht das Schlechteste gewesen…“
„Und genau das würde ich auf keinen Fall tun. Wenn dir irgendetwas an den Tarans liegt, solltest du nicht versuchen, dich zwischen sie und das zu stellen, was sie für das Reich als notwendig ansehen. Wie Xias der Blutige lernen musste.“
„Wir Allecars waren mit dabei, als dieser Wahnsinnige vom Thron gestoßen wurde. Aber ich verstehe, was du meinst. Die Tarans und ihre ‚Wir-dienen-dem-Reich-und-erst-dann-dem-Herrscher‘-Attitüde, die sie wie ein Banner vor sich hertragen. Und zu allem Überfluss scheint dein Freund auch noch daran zu glauben…“
„Du hast mich doch nicht hierhergerufen, um über Mokas Taran herzuziehen.“
„Natürlich nicht – zumal die Tarans ihre Nützlichkeit haben. GANZ BESONDERS dein alter Bekannter. Wir haben sowieso nicht allzu viele Unterstützer im Militär. Noch weniger, nachdem Ilis sich einkassieren lassen musste.
Aber eigentlich wollte ich von dir wissen, wie du mit Prinzessin Linai vorankommst.“

Dero, der sich vorgebeugt hatte, um sich eine Pi’ri-Kruste zu angeln, richtete sich jäh auf. Der Appetit war ihm vergangen: „Ich weiß nicht, was du meinst.“
„Versuche nicht, mir auszuweichen. Hast du wenigstens mit ihr gesprochen?“
„Du meinst, nachdem ich ihren Ehemann erschlagen habe?“
„Das kannst du mir jetzt nicht vorwerfen. Ich habe dich nicht dazu gezwungen, mit ihr zu schlafen.“
„Nein, aber du hast mitten im Adelsrat für Haus Allecar Anspruch auf ihr ungeborenes Kind erhoben.“
„EUER ungeborenes Kind. Nachdem du unbedingt eine verheiratete kaiserliche Prinzessin schwängern musstest, war es an der Zeit, dass du auch die Verantwortung dafür übernimmst.“
„Darum geht es dir? Um Verantwortung?“
„Es geht mir um das Schicksal unseres Hauses. Und nachdem die Gerüchte über eure Affäre schon in aller Munde waren…“
„Ich frage mich, wieso eigentlich? Das war ja dann die passende Grundlage für deinen Auftritt im Adelsrat.“
„Ich habe die Gerüchte nicht in die Welt gesetzt. Diese Schuld kannst du nicht bei mir abladen. Entweder ihr wart nicht vorsichtig genug, oder…Hm. Ich weiß, wem es sehr gelegen kommen würde, wenn die Herkunft von Linais ungeborenen Kind auf der Seite des Vaters plötzlich zweifelhaft erscheint, auch wenn es die kaiserliche Mutter ist, die den Anspruch auf den Thron begründet. Und wer davon profitiert, dass du und Linais Ehemann Tobarii aufeinander losgehen. VOR ALLEM da ihr beide mit eurer menschenfreundlichen Politik bei den radikaleren Reformern gepunktet habt.“
„Du meinst…Karrek Thelam?“
„Weil er sich für einen wiedergeborenen Jor Thelam hält und all die Expansionisten und Kriegstreiber hinter sich schart? Naheliegend, aber ihm fehlt die Raffinesse. Ich glaube eher, dass es Rallis war.“
„Und ich glaube, dass deine Obsession mit ihm langsam lächerlich wird.“
„Du solltest Rallis nicht unterschätzen. Und endlich die Sache zwischen dir und Linai klären. Sie kann nicht ewig die trauernde Witwe spielen.“
„Was meinst du mit ‚spielen‘?“
„Ich bin mir bei diesem Mädchen nie so ganz sicher, was sie will. Und was bei ihr echt und was nur Theater ist. Hm.“
Dero musste sich auf die Zunge beißen, um nicht etwas zu sagen, was gegen die Regeln des Anstandes und des Respektes verstieß, die zwischen Vater und Sohn herrschen sollten. Dennoch klang seine Stimme sehr brüsk: „Ich will darüber nicht reden.“
„Und ich will, dass wir, dass DEIN Haus endlich wieder den Platz einnimmt, der uns zusteht. Nur geht das nicht ohne Linai.“
„Wenn es das war, weswegen du mich hast herkommen lassen…“
„Oh nein, auch wenn das wichtig ist. Ich habe die Zügel zu lange locker schleifen lassen. Es wird Zeit, dass wir die Gangart verschärfen.
Was würdest du von einem Posten im Kriegsministerium halten?“
„Wie bitte?“
„Es wird Zeit, dass deine Leistungen endlich die angemessene Würdigung erfahren. Und du hast dich lange genug vor einer ECHTEN Tätigkeit gedrückt.“
Dero knirschte unwillkürlich mit den Zähnen. ‚DAS schon wieder.‘: „Ich sehe das nicht so. Und ich dachte, du würdest endlich…“
„Was ich würde oder nicht spielt keine Rolle. Sondern, was die Mitglieder des Adelskonvents denken. Mit deiner Rolle als Sondergesandter bei der Konföderation hast du viele deine…Eskapaden als Unteroffizier und kleiner Zivilanwalt vergessen lassen. Aber jetzt musst du nachliefern. Erneut beweisen, dass du für Größeres geschaffen bist. Und deshalb…“
„Und weshalb willst du mich ausgerechnet im Kriegsministerium unterbringen? Nachdem du und so ziemlich jeder anderer mir zu verstehen gegeben hat, wie wenig vielen Armee- und vor allem Flottenangehörigen meine bisherigen militärischen Meriten gelten? Im Justizministerium oder als Diplomat…“
„Wir müssten taktisch denken. Wir haben nicht die Macht, dir in einem dieser Ministerien eine hochrangige Position zu verschaffen. NOCH nicht. Außerdem ist das Kriegsministerium einflussreicher. Und sowohl unserer leider vorfristig verstorbener Kronprinz Jor Thelam als auch Prinzessin Linai Thelams ebenso unzeitig verblichener Ehemann…“, Meliac Allecars Stimme war purer Hohn, „…hatten den Posten des Kriegsministers inne.“
Dero zuckte zusammen. Hatte er das richtig verstanden?: „Sag nicht, dass du vorhast…“
„NOCH nicht. Wenn wir jetzt versuchen, dich zum Kriegsminister zu machen, würden wir den Bogen überspannen. Und ich bin schon gar nicht für den Posten geeignet, weil dies das falsche Signal wäre. Nein. Ein gescheiterter Vorstoß würde uns zudem noch mehr schaden als wenn wir gar nichts täten. Alles zu seiner Zeit.
Aber der Posten des Kriegsministers IST schon zu lange verwaist. Wir dürfen nicht zulassen, dass dieses Vakuum weiter besteht oder gar von einem unserer Gegner ausgefüllt wird. Stattdessen muss jemand diesen Posten übernehmen, auf den wir zählen können. Der aber gleichzeitig sowohl für die Reformer als auch für die Traditionalisten zumindest akzeptabel ist. Und er darf natürlich nicht zu große eigene Ambitionen haben. Also…“

Dero überlegte. Die Niederlagen der letzten Jahre hatten die oberen Ränge der Streitkräfte ausgedünnt. Viele potentielle Kandidaten waren tot, in Gefangenschaft, hatten sich im politischen Hauen und Stechen am Hofe und in den Streitkräften zu eindeutig auf eine Seite geschlagen oder den eigenen Ruf durch erlittene Niederlagen ruiniert. Deshalb…: „Vermutlich nicht Taran.“
„Zu jung, als Angehöriger der Offiziersverschwörung zu kontrovers – und gerade erst in den Flottenstab befördert. Außerdem ist der Kriegsminister zwar ein politisches Schwergewicht aber kein Posten für einen Admiral, der selber eine Flotte führen oder taktische Entscheidungen treffen will. Ich glaube nicht, dass Taran schon so weit ist, das für einen Posten aufzugeben, der vor allem logistische und politische Aufgaben beinhaltet.“
Dero überlegte kurz und musste seinem Vater Recht geben. Auch wenn sein alter Freund Mokas Taran meist recht zurückhaltend wirkte, genoss er es vermutlich zu sehr, selber militärische Entscheidungen treffen zu können.

„Dann bleiben eigentlich nur noch zwei Möglichkeiten: Großadmiralin Rian oder Admiral Reik Latasch.“
„Etwas hast du also gelernt. Es wäre verführerisch, Rian die Treppe hinaufzubefördern – vor allem, da sie anscheinend einen Narren an Prinz Karrek Thelam gefressen und ihn unter seine Fittiche genommen hat. Sie aus dem aktiven Flottendienst herauszulösen würde das Risiko minimieren, dass die Flotte eines Tages in die falsche Richtung feuert.“
„Großadmiralin Rian würde niemals einen Bürgerkrieg vom Zaun brechen!“
„Meinst du? Naja…
Aber wie dem auch sei, ihr dafür das Kriegsministerium in die Hand zu geben, wäre ein etwas hoher Preis. Außerdem ist sie als Kommandeurin schwierig zu ersetzen. Wir bräuchten jemand, der genauso gut ist, von ihren Untergebenen akzeptiert wird UND nicht auf einmal eigene Ambitionen entwickelt. Und da Ilis sich hat wegfangen lassen…“
„Es ist ja nicht so, dass er es darauf angelegt hat! Und ich würde ihn noch nicht abschreiben…“
„Selbst wenn die Menschen so wahnsinnig wären, Ilis freizulassen, er wäre beschädigte Ware. Unsere glorreichen Streitkräfte verzeihen keine Kapitulation. Da müsste er sich schon mit bloßen Händen freikämpfen…
Nein, den müssen wir abschreiben. Und ohne einen geeigneten Ersatz brauchen wir Lay Rian vorerst weiter gegen die Menschen. Sie ist eine der wenigen, die unserem Gegner noch so etwas wie Achtung und unseren stolzen Kriegern noch etwas Siegeszuversicht einflößen kann.
Latasch hingegen…Latasch ist einer der wenigen hochrangigen Militärs, auf den wir WAHRSCHEINLICH zählen können. Er ist ein Traditionalist – aber pragmatisch genug, um auch von den Reformern akzeptiert zu werden. De facto leitet er das Kriegsministerium ohnehin seit Jahren. Und du kannst viel von ihm lernen. Zum Beispiel, dass Veränderungen und Reformen nur allmählich durchgesetzt werden können – um die Moderaten nicht zu verschrecken und die Traditionalisten nicht ZU SEHR vor den Kopf zu stoßen.
Es ist wie mit einer Steinkröte.** Wenn man sie in kochendes Wasser wirft, wird sie versuchen herauszukriechen, zappeln – und das Fleisch kann hart und übelschmeckend werden. Aber wenn man sie in einen Topf mit kaltem Wasser steckt und ihn ganz langsam erhitzt, bleibt das Fleisch zart. So müssen wir es machen.“
„Das ist ja widerlich.“
„Ganz im Gegenteil, das schmeckt sehr gut.“
„Hast du noch mehr kulinarische Weisheiten für mich? Und wenn die Akarii immer dieser Maxime des graduellen Fortschritts gefolgt wären, würden wir heute vermutlich gerade mal mit der Druckpresse experimentieren.“ Dann runzelte Dero die Stirn. In Meliacs Worten hatte so ein Unterton mitgeschwungen...: „Wofür soll ich genau von Latasch lernen?“
„Latasch hat viele Qualitäten – aber er ist ALT. Er wird nicht ewig Kriegsminister sein. Und in ein, zwei Jahren…wer könnte ihn dann besser ersetzen, als sein persönlicher Schützling? Vor allem, wenn er der Vater des künftigen Imperators ist…“
„Ist für dich eigentlich jeder nur eine Figur in deinem Spiel?“
„DU bist mir wichtig. Und das Schicksal unseres Hauses. Aber mach dir keine Illusionen. Wer die Regeln im Spiel der Häuser nicht begreift, der muss damit rechnen ALLES zu verlieren. Nicht nur die Partie. Das musst du begreifen. Als du die Friedensmission in der Konföderation übernommen, als du dich mit Linai eingelassen und erst Recht, indem du ihren Ehemann getötet hast, hast du alle Brücken zurück in die behagliche Anonymität deiner Vergangenheit abgebrochen. Du wirst jetzt immer derjenige sein, der einen Frieden geschlossen, eine kaiserliche Prinzessin geschwängert und ihren Ehemann erschlagen hat. Jetzt geht es nur noch darum, ob du dein Schicksal selber bestimmen willst. Oder ob du tatenlos abwartest, bis dir jemand, dessen Ambitionen du im Wege stehst, die Schlinge um den Hals legt und zuzieht. Und ich und alle deine Verwandten, unsere Gefolgsleute und Verbündeten…stecken ebenfalls in dieser Schlinge. Im Augenblick scheint es vielleicht, dass uns keine Gefahr droht. Aber glaube mir, dass kann sich binnen ein paar Tagen, ein paar Stunden ändern. Und je länger wir warten, desto größer wird die Gefahr. Schwäche und Zögern locken die Raubtiere an. Wir müssen in die Offensive gehen und klare Verhältnisse schaffen.
Und dafür musst du mit Linai ins Reine kommen!“
„Ich habe dich schon beim ersten Mal verstanden! Ich würde lieber…“
„Und mir wäre es lieber, Linai hätte dich geheiratet und nicht diesen Versager, dann hätten wir jetzt nicht dieses Problem.“
„Tobarii ist tapfer gestorben.“
„Na ja, von mir aus. Das macht deinen Sieg größer.“
„So habe ich das nicht gemeint…“, Dero winkte ab: „Wie willst du dein Personalmanöver eigentlich durchsetzen? Glaubst du wirklich, dass Kanzler Qau das mitträgt? Und der Adelsrat…“
„Vielleicht hat uns Rallis Thelam mit seinem dramatisch inszenierten Auszug aus dem Adelsrat sogar einen Gefallen getan. Dadurch haben wir jetzt eine Mehrheit.“
„Die Mehrheit von zwei Drittel ist keine Zwei-Drittel-Mehrheit des gesamten Adelsrates. Und damit ist er nicht beschlussfähig.“
„Vielleicht nicht, um einen Imperator zu bestimmen oder einen Regentschaftsrat einzurichten. Aber ansonsten…Hm.
Entscheidend ist sowieso die Admiralität.“
„Und die Armee.“
„Die Armee steht in diesem Krieg in der zweiten Reihe und das weiß sie. Der Krieg wird durch die Flotte entschieden. Es wäre momentan politisch höchst schwierig, ein Armeemitglied zum Kriegsminister zu machen. Später vielleicht…“

Dero konnte sich vorstellen, an wen sein Vater dabei dachte. Dass er den von jungen Adligen fast erwarteten Militärdienst bei der Armee abgeleistet hatte, im Gegensatz zu vielen seiner Altersgenossen aber auf eine Offizierslaufbahn verzichtet und es nur zum Unteroffizier gebracht hatte, war ein Quell wiederholter Streitigkeiten mit Meliac Allecar gewesen, der mehr von seinem Sohn erwartet hatte.

„…aber momentan schafft es die Armee ja nicht mal, auf Gamma Eridon einen Sieg einzufahren, der praktisch sicher war. So wie es aussieht, ist General Anwhars Offensive ins Stocken zu geraten.“
„Wie entwickelt sich die Lage?“
„Schlechter, als unsere Propaganda es glauben machen will. Die Armee übt sich in Zweckoptimismus, aber die Analysten der Flotte schätzen die Chance auf einen Sieg momentan noch auf sechzig-vierzig. Aber wie auch immer – ich glaube nicht, dass selbst die Eroberung von Gamma Eridon die Peshten aus dem Krieg werfen wird.“
„Vielleicht, wenn wir ihnen den richtigen Anreiz bieten.“
„Daran habe ich auch schon daran gedacht. Wenn du auch noch einen zweiten Frieden präsentieren könntest, hätten der Adelsrat und Linai kaum eine Wahl…“
„Es geht mir nicht nur um mein Standing am Hof!“
„…aber Verhandlungen mit den Peshten sind mehr als heikel. Und nachdem sie sogar einen kaiserlichen Prinzen ermordet haben, geht es in diesem Konflikt nicht nur um Sicherheitsinteressen und Einflusszonen. Das ist etwas…Persönliches. Die Konföderation war nur ein Anhängsel der Republik, lästig vor allem wegen ihrer Offene-Arme-Politik gegenüber Flüchtlingen und Exilanten aus dem Imperium.“
„Ich sehe die Konföderation nicht so. Und ich wäre bereit, dass Risiko mit den Peshten einzugehen.“
„Sehen wir erst einmal, wie sich die Lage auf Gamma Eridon weiter entwickelt. Ich will auf keinen Fall, dass du sinnlos dein Leben riskierst.“
Dero hätte wirklich gerne geglaubt, dass diese Sorge seiner Person galten und nicht der Rolle, die er in den ambitionierten Plänen seines Vaters spielen sollte. Falls es da für Meliac einen Unterschied gab.
„Um auf deine Frage zurückzukommen: Kanzler Qau kannst du meine Sorge sein lassen. Um den kümmere ich mich.“, Meliac Allecars Lächeln hatte eine grausame Note.

Bevor Dero nachhaken konnte, kam sein Vater zu einem anderen Punkt: „Aber wir müssen uns auch um Kern Ramal kümmern.“
„Was willst du vom Stabschef der Flotte?“ Das war eine eher rhetorische Frage.
„Das weißt du doch. Ich habe immerhin keinen Dummkopf großgezogen. Es ist ein offenes Geheimnis, wer sein Vater war.“
„Er mag Kaiser Eliaks unehelicher Sohn sein, aber der hat ihn niemals anerkannt.“
„Normalerweise würde ich dir Recht geben, vor allem da es noch so viele legitime Mitglieder der Thelam-Familie gibt. Aber wir leben nicht in normalen Zeiten. Ramal hat einige hochrangige Gönner. Und es gibt wohl einen Grund, warum IRGENDJEMAND kürzlich eine Neufassung des ‚Bastardprinzen‘*** herausgebracht hat.
Eine Aufführung, die mit dessen anfänglichen Erfolgen endet und sein…unschönes Ende ausblendet. In der es darum geht, dass Verantwortung nicht davon abhängig ist, auf welcher Seite der Bettdecke jemand geboren ist. Dass man gegen einen ‚Tyrannen‘ rebellieren muss, selbst wenn der der rechtmäßige Herrscher ist.“
„Der Bastardprinz ist blutig gescheitert. Auch weil die meisten Adelshäuser damals Xias dem Blutigen**** noch die Treue hielten. Auch die Tarans, obwohl ihr Erbe ein persönlicher Freund des Bastardprinzen war – und angeblich als Bote zwischen ihm und dessen kaiserlichen Halbschwester fungierte. UND sie später heirate, um sie vor dem Zorn Xias zu schützen.“
„Ich weiß, ich weiß. Ich kenne den Taran-Monolog und die Duellszene. Aber es heißt auch, dass der gescheiterte Aufstand des Bastardprinzen – und das Blutbad, das Xias anrichtete – der letzte Abstoß für die spätere Rebellion waren, die Xias die Krone kostete.
Wie gefällt dir das?“
„Ich glaube, du siehst Gespenster. Glaubst du ernsthaft, dass Ramal mit so einer…Posse das Wasser testen will?“
„Solche Possen können wirksamer sein als du denkst. Ein Lied kann einen Aufruhr entfachen. Ein Theaterstück kann das Ansehen eines Adelshauses ruinieren.
Aber du hast Recht, das ist nicht Ramals Stil. Ich denke da an jemand anderen.“
„Und wer…oh bitte! Nicht schon wieder Rallis!“
„Wer den sonst?! Ich weiß nur nicht, ob er damit dem kaiserlichen Bastard eine Option anbieten, einfach nur Unfrieden stiften oder Häusern wie den Tarans ein Angebot machen will.“
„Das wäre selbst für Rallis sehr um die Ecke gedacht. Und keiner der Tarans würde sich wegen irgendwelcher alten Geschichten ausgerechnet mit Kern Ramal zusammentun.“
„Vermutlich nicht. Ich habe Kern Ramal und Mokas Taran im Flottenstab beobachten können. Die beiden können sich nicht ausstehen. Wenn der eine rauf sagt, will der andere runter. Taran ist ein Reformer, während Ramal ein Expansionist ist. Taran hat gegen Prinz Jor rebelliert – und das hat ihm Kern Ramal nicht verziehen. Ramal träumt davon, den Krieg mit einem grandiosen Vernichtungsschlag gegen die Menschen entscheiden, Taran will das Reich konsolidieren und aus der Hinterhand kämpfen, mit einer Abnützungsstrategie und schnellen Schlägen gegen die Schwachpunkte des Gegners. Ramal will diesen Krieg unbedingt gewinnen. Taran will ihn vor allen Dingen beenden.“
„Genau wie ich…“, Dero zögerte kurz. „Und was glaubst du, welcher von beiden Recht hat?“
„Spielt das eine Rolle? Ich glaube, dass beide Recht haben – und beide Unrecht. Denn ich weiß nicht, ob wir Tarans Abnützungsstrategie durchhalten können. Allerdings habe ich auch meine Zweifel, ob wir überhaupt noch die Stärke haben, die für Ramals großartigen Entscheidungsschlag nötig ist. Egal. Wichtig ist, was wir aus der Tatsache machen, dass der Befehslhaber des Flottenstabs und der Chef seiner Planungsabteilung einander nicht grün sind.
Wo wir schon vom Bastardprinzen reden – ich brauche dich wohl nicht an Ramals…komplexes Verhältnis mit Prinzessin Linai erinnern?“

Dero war sich sicher, dass sein Vater DIESES Thema vor allem zur Sprache brachte, um ihn gegen Ramal aufzustacheln. Was durchaus funktionierte.

„Beziehst du deine Informationen ausschließlich aus dem Hofklatsch, Vater?“
„…auch wenn er sich inzwischen einen Ersatz gesucht hat.“
„Was?“
„Also interessiert es dich doch? Dem ‚Klatsch‘ zufolge hat Ramal etwas mit einer Tochter von Prinz Lisson Thelam. Dass sagt auch einiges aus. Über Lisson und über Ramal. Mit welcher der beiden Prinzessinnen, weiß ich allerdings nicht. Vielleicht beiden? Im Zweifelsfall würde ich aber annehmen mit der, die Linai am ähnlichsten sieht.“
„Das reicht!“, Dero wurde nur ungern laut, erst recht nicht gegenüber seinem Vater. Aber das ging langsam zu weit.
Offenbar erkannte das auch sein Vater: „Schon gut. Spar dir deinen gerechten Zorn für etwas Konstruktives auf.“
„Und was meinst du damit? Willst du, dass ich mich auch mit Ramal duelliere?“
Meliac Allecar verschluckte sich beinahe an dem Saftbecher, obwohl die Frage seines Sohnes naheliegend war: „AUF KEINEN FALL! Und das meine ich ernst. Das wäre dein Tod!“
„Ich habe immerhin Tobarii besiegt.“

Dero war verärgert über das leichte Zögern, das in seine Stimme mitschwang. Er dachte nicht gerne an den Zweikampf zurück, und an den Prinzgemahl, der im Schlamm des Duellrunds sein Leben ausgeblutet hatte. Die Erinnerung bescherte ihm immer noch Albträume. Natürlich war er eifersüchtig auf Tobarii gewesen, hatte ihn auch etwas verachtet, aber er hatte ihn nicht gehasst. Und er hasste auch Ramal nicht wirklich. Das beruhte allerdings kaum auf Gegenseitigkeit, jedenfalls soweit sich Dero an die wenigen Gelegenheiten erinnerte, bei denen er dem kaiserlichen Bastard persönlich begegnet war. Jedes Mal hatte Kern Ramal sehr überzeugend den Eindruck vermittelt, kaum dieselbe Luft wie Dero atmen zu wollen.

„Knapper, als es mir lieb war, mein Sohn. Und wir wissen beide, wie es um Tobarii Jockhams Fechtkunst bestellt war.“
„Er war besser, als du denkst.“
„Und nichts anderes werde ich sagen, falls man mich fragt.“, stimmte Meliac Allecar etwas sarkastisch zu: „Aber wenn dem so war, denk daran, dass Ramal ihn für den Kampf trainiert hat. Wenn er Tobarii in ein paar Wochen soweit bringen konnte, was meinst du, was das über Ramals Fechtkünste aussagt? Ramal hat weitaus mehr Duelle bestritten als du. Er ist seit seiner Kindheit dazu erzogen worden, seine Ehre mit der Klinge zu verteidigen. Wir sprechen von einem der wohl besten Schwertfechter deiner Generation. Und ich kann dir versichern, dass Ramals Opfer sein Gewissen nicht belasten.“
Dero presste die Lippen zusammen. Er durfte seinen Vater nicht unterschätzen. Auch wenn Meliac Allecar manchmal nur das zu sehen geruhte, was er auch sehen wollte, so war er auf keinen Fall dumm. Und er durchschaute Dero offenbar besser, als es dem lieb war: „Und was soll ich dann tun? Mich mit ihm anfreunden?“
„Wäre das doch bloß möglich…
Mir wäre ein kaiserlicher Bastard auf UNSERER Seite allemal lieber denn als unser Feind. Zumal ich für deine Cousine Gilat noch keinen geeigneten Ehemann gefunden habe.“
„Meinst du das ernst? Und weiß Gilat von diesen Überlegungen?“
„Es würde sowieso nicht funktionieren. Nein, ich fürchte wir werden Ramal auf traditionellere Art und Weise loswerden müssen.“
„Wie traditionell? Ich werde mich ganz bestimmt an keinem Mordkomplett beteiligen.“
„Für wen hältst du mich?! Das wäre denn doch sehr grobschlächtig und würde unseren Feinden den perfekten Vorwand liefern uns auszuschalten. Wenn es herauskommt.
Aber wie du ja erfahren hast, kommen Geheimnisse immer irgendwann an Tageslicht.
Nein, wir werden uns nicht die Hände schmutzig machen. Ramal hat genug andere Gegner.“

Dero verzog den Mund abschätzig, als würde er in eine übersaure Frucht beißen. Er wusste genau, was sein Vater meinte. Und das war nur graduell besser, als wenn die Allecars selber das Messer geführt hätten: „Mir gefällt das nicht. Ramal ist…“
„Er ist ein Mann von Ehre.“, Meliac Allecars Tonfall zufolge hätte er auch sagen können, ‚Er ist ein Dummkopf‘: „Auch wenn es die verbogene Ehre eines Bastards ist. Und das macht ihn berechenbar.“
„Und du willst das ausnützen.“
„Wir können es uns nicht leisten, nichts zu tun. Denn Ramal wird auf keinen Fall tatenlos bleiben. Ich schätze, er hat dich nur deshalb nicht selber gefordert, weil es seinem merkwürdigen Kodex widerspricht, nach dem Tod des Prinzessgemahls in seine Fußstapfen zu treten. Sonst kann ich mir jedenfalls keinen anderen Grund vorstellen.“
„Vielleicht hat er auch anerkannt, dass unser Anspruch gerechtfertigt war. Und akzeptiert, dass ich ihn mit der Klinge in der Hand erworben habe.“
„Das meinst du nicht wirklich ernst. Wenn das der Fall wäre, wäre er allerdings wirklich keine Gefahr. Weil er dann ganz einfach zu dumm wäre um eine Bedrohung darzustellen. Ich bin allerdings nicht bereit, dein und unser aller Leben darauf zu verwetten. Ich denke ja eher, dass er nicht genau weiß, wie er sich verhalten soll, da unsere geliebte Prinzessin Linai sich in Schweigen und Untätigkeit gefällt.“
„Lass Linai da raus!“
„Dafür ist es bei weitem zu spät. Ich weiß nicht, was dieses Mädchen will oder tun wird. Aber wie auch immer…weder dieser Bastard Ramal noch Rallis Thelam oder sein Cousin Karrek werden ebenfalls so untätig bleiben. Wenn sich eine günstige Gelegenheit ergibt…“
„Sollen wir keine Skrupel zeigen und sie gnadenlos ausnutzen?“
„Wir…ICH werde tun, was getan werden muss. Für unser Haus – und auch für dich. Aber ich kann uns nicht alleine über die Ziellinie tragen. Ich brauche dich. Wegen Linai, wegen unseren Verbündeten und Gefolgsleuten, die in dir die Zukunft unseres Hauses sehen. Und dann ist da noch Admiral Latasch, der dir den Weg im Kriegsministerium ebnen und endlich auch einen signifikanten Teil der Militärs auf unsere Seite bringen kann. Wenn wir…wenn DU alles richtig machen, dann bietet sich die Chance, das Imperium zu formen, wie kaum eine Familie außer den Thelams es vermocht hat.“

‚Und wenn ich das gar nicht will?‘ hätte Dero am liebsten gefragt. Aber das wäre sinnlos gewesen und außerdem eine halbe Lüge. Er WOLLTE das Imperium mit in die Zukunft führen. Und er WOLLTE Linai. Wenn auch nicht zu dem Preis, den sein Vater zu zahlen bereit war. Aber sich gegen seinen Vater zu stellen fiel ihm schwer. Und nicht nur, weil er wusste, dass Haus Allecar auf sein Oberhaupt angewiesen war. Dero war der Erbe des Hauses, viele würden sagen seine Zukunft – aber Hirn und Wille der Allecars war immer noch Lord Meliac.
Es war Dero schwer genug gefallen, sich gegen seinen Vater durchzusetzen, als es um seinen Dienst als einfacher Soldat der Streitkräfte ging. Und um seinen Entschluss, nach der juristischen Ausbildung weder einen Posten in der Verwaltung noch an einem der angesehenen Gerichtshöfe zu suchen, sondern als einfacher Zivilanwalt zu arbeiten. Er hatte sich damals durchsetzen können, wenn auch nur knapp.
Aber die Zeiten waren andere.
Seine Mutter war gestorben, die – in dieser Hinsicht den tradierten Vorstellungen des Akarii-Adels folgend – immer eine Stimme des Ausgleichs und der Mäßigung gewesen war. Vielleicht hatte ihr Tod auch Meliacs Bewusstsein für die eigene Sterblichkeit geweckt und sein Verlangen gestärkt, dem Hause Allecar ein bleibendes Andenken zu setzen und seine Zukunft dauerhaft zu sichern.
Gleichzeitig hatte der Krieg viele Häuser groß gemacht, wenn auch teilweise auf Kosten anderer Adelsfamilien. Und Haus Allecar hatte zu den ‚Verlierern‘ gehört. Auch wenn die Allecars sich nicht in die gegen Kronprinz Jor gerichtete Offiziersverschwörung hatten verwickeln lassen, politisch standen sie auf einer eher moderaten Linie. Während der de-facto-Herrschaft des Kronprinzen hatte ihnen das wenig Zuneigung von Seiten Jors und dessen Kamarilla eingebracht.
All das mochte dazu beigetragen haben, dass Meliac nur zu willig nach der Gelegenheit griff, die sich durch den Aufstieg seines Ältesten und dessen Affäre mit Prinzessin Linai geboten hatte.
Deros Verhältnis mit seinem Vater war immer kompliziert gewesen. Aber er wusste, wann es sinnlos war zu argumentieren. Einfache Akarii mochten den Adel für den Luxus und die Möglichkeiten beneiden, die das Leben ihm bot. Aber sie wussten wenig über die Zwänge, Erwartungen und Pflichten, die auf ihm lasteten. Besonders auf den erstgeborenen Söhnen.
Manche Zwänge konnte man aufbrechen, machen Erwartungen sich entgegenstellen. Aber wenn das Schicksal des ganzen Hauses, ja sogar des Imperiums auf dem Spiel standen welche Wahl hatte man da noch?


*****************************************

* Rishi: eine in den Trockengebieten des Hauptkontinents von Akar vorkommende Kulturpflanze, deren dickwandige, stachelbesetzte Früchte roh oder zu Mus gekocht verzehrt werden oder für Säfte Verwendung finden
Pi’ri: die bis zu einem halben Meter langen Früchte des bis zu fünfzig Schritt hohen Pi’ri-Baumes können roh oder gebacken verzehrt oder zu Mehl zermahlen werden. Der vielseitig nutzbare Baum gab einer ganzen Steinzeitkultur der Akarii ihren Namen.
Ragan: eine Küstenpflanze, deren faustgroße Früchte verzehrt oder zur Gewinnung eines vielseitigen Öls ausgepresst werden können.
Looson: die Knospen dieser vielseitig verwendbaren Seerose gelten als Delikatesse.

** Steinkröte: eine bis zu zwei Kilogramm schwere, insektenfressende Amphibie tropischer und subtropischer Regionen von Akar. Dieses als faul, gefräßig und ungeheuer fruchtbar bekannte Tier dient als Fleischlieferant. Seit der späten Steinzeit wurde sie auch gezüchtet. Heute gilt der Verzehr als bäuerlich, ist aber immer noch weit verbreitet.

*** ‚Der Bastardprinz‘: eine antike Akarii-Tragödie um Verrat, Intrigen, Mord und Inzest.

**** Xias ‚der Blutige‘: ein Imperator und berühmter Eroberer der Akarii-Antike. Seine zur Terrorherrschaft ausartende Regierungszeit wurde durch eine Adelsverschwörung beendet, an der die Häuser Taran und Allecar maßgeblich beteiligt waren.
17.10.2022 20:37 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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„Sergeant McEvedy“, begann Shanks, „das Blockhaus ist nicht der einzige Ort, den wir untersuchen möchten. Bringen Sie uns bitte doch zuerst zu jenem Ort, an dem Sie und die anderen Kriegsgefangenen ihr Nachtlager hatten.“
„Darf ich fragen, warum, Sir?“
„Es gibt noch eine weitere Anzeige wegen eines Kriegsverbrechens, Sarge. Der ausgewertete Funkverkehr der Akarii aus der Nacht hat ergeben, dass jemand „tötet jeden Zehnten“ befohlen hat, aber es ist reichlich verstümmelt und per Computer repariert worden, deshalb taugt es nichts als Beweismittel. Vielleicht aber kriegen wir eine Kopie des Funkverkehrs aus den Originalgeräten.“
Der Sergeant runzelte die Stirn. „Sie meinen das ernst?“
„Sarge, muss ich ihnen das Wesen eines Befehls erklären?“, fragte Shanks.
„Nein, Commander.“
„Aber weil Sie so ein netter Kerl sind, erkläre ich ihnen den Befehl. Ich untersuche hier alle möglichen Kriegsverbrechen, und allein die Androhung für die Erschießung von Kriegsgefangenen ist ein solches. Sehen Sie das anders?“
„Nein, Sir.“
„Also. Fahren Sie uns hin.“
„Ja, Sir.“ Er sprach kurz in sein Funkgerät und änderte seine Anmeldung am dritten Kontrollposten. „Der Umweg wird uns fünf Minuten kosten und zu einem anderen Kontrollposten führen.“
„Das ist in Ordnung, Sarge. Im Moment hat Justizia Zeit.“
Wong sah Shanks einen Moment irritiert an. Der Blick: Das war nicht abgesprochen!
Shanks wiegelte ab. „Gibt es derzeit eine Einheit auf dem Platz?“
„Soweit ich weiß, haben wir einen Reparaturplatz größtenteils aus Peshten-Material und Akarii-Gerät eingerichtet, und einige Leute arbeiten daran, zwei erbeutete Akarii-Panzer und anderes Gerät wieder kampfbereit zu bekommen.“
„Dann bringen Sie uns bitte hin.“
„Sofort, Sir.“

Auffordernd sah Shanks die Second Lieutenant an und deutete mit den Augen auf den Sergeant, der auf der Vorderbank saß und ein Funkgespräch führte.
Wong wusste absolut nicht, was Shanks von ihm wollte, also improvisierte sie. „Sarge, Sie werden gerade aufgenommen. Nennen Sie ihren Namen und ihre Einheit.“
„Bright McEvedy, First Sergeant, Terranische Freiwillige, 3. Korps, 1. Division, 5. Brigade. Brigadestab. Vorgeschobener Beobachter.“
„Sergeant, Sie waren letzte Nacht im Zug der Kriegsgefangenen, die in Arta'Rijen auf einem freien Platz campen mussten. Wie war der Weg auf dem Marsch für Sie? Haben Sie Kriegsverbrechen gegen Gefangene beobachtet? Wie erging es Verletzten?“
McEvedy verkrampfte die Hände merklich ums Steuerrad, welches bei den Peshten zweigeteilt war. „Nun, nachdem ich in meiner Beobachterposition nicht mehr rechtzeitig wegkam, wurde ich gefangen genommen. Die Infanterie-Einheit, die den Panzertrupp begleitete, der uns überrollt hat, behandelte uns gut, keine Beschwerden. Sie trennten die Offiziere von den Anderen und versorgten uns trotz knapper Versorgungslage mit einigen Akarii-Spezialitäten. Außerdem erlaubte uns Lieutenant Korr ausdrücklich, uns aus unseren, von ihnen eroberten Vorräten zu verpflegen. Er hat uns auch sehr unverblümt gesagt, was uns erwartet, und dass es nicht in seiner Macht liegt, daran etwas zu ändern. Allerdings war er recht großzügig dabei, einige seiner Gefangenen als verwundet zu erklären, was ihnen einen sicheren Transport ins Hauptlazarett einbrachte. Er war sich auch sicher, dass die Terraner und Peshten dort ankämen, denn anhalten, alle erschießen und in den nächsten Graben kippen sei bisher nie vorgekommen.“ McEvedy hielt an einem Kontrollpunkt und identifizierte sich. Der Diensthabende Offizier sah missmutig in den Wagen, aber als er hörte, wohin die beiden Offiziere wollten und warum, hellte sich seine Miene auf, und er ließ den Schweber passieren.

„Das Hauptlazarett, Sie wissen? Das, welches die Peshten bombardieren lassen wollten, weil der Akarii-Obermotz dort gewesen sein soll. Wäre doch pure Ironie gewesen, von den Akarii gut behandelt zu werden, und dann bomben die eigenen Leute drauf.“ Er schnaubte prustend und konzentrierte sich wieder auf die Fahrt. „Jedenfalls machte der Lieutenant uns klar, dass wir marschieren würden müssen. Und das sehr lang und ziemlich stramm. Dass das Verhältnis Gefangene zu Akarii ungefähr bei eins zu zehn lag und die Begleittruppen nervöse grüne Rekruten waren, sagte er uns auch und warnte uns davor, die Bewacher noch nervöser zu machen, denn Berichte über erschossene Kriegsgefangene auf solchen Märschen gebe es zuhauf.

Tatsächlich übernahm uns eine solche Kompanie, und wir waren rund fünfhundert Kriegsgefangene. Unser Zug ging über die Straßen, über die sehr wenig und teils nicht bewachter Nachschub rollte. Wir bildeten eine lange, dünne Kolonne auf der linken Seite, damit die rechte für den Gegenverkehr frei blieb. Einmal wollten die Wachen einen unserer Leute erschießen, als dieser zusammenbrach und nicht mehr in der Lage war, weiterzugehen. Wir hatten ein paar Peshten-Offiziere dabei, die noch nicht von den Mannschaften abgesondert worden waren, und einer von ihnen verhandelte mit den Kaiserlichen, die Abstrahlmündung eines Lasergewehrs auf der Stirn, darüber, dass seine Leute den Menschen tragen würden. Chuzpe ist das einzige, was den Akarii imponiert, also erlaubte der Kommandeur der Truppe den Transport und gestattete uns, mit zwei Feldtaschentüchern einen Tragering zu basteln, auf dem wir den Verletzten setzten und mit jeweils zwei Mann trugen. Jeden Kilometer übernahmen zwei andere den Transport. Die längste Strecke war dann in Rijen, bis wir unser Nachtlager erreichten. Dort wurde der Mann aussortiert, und auch alle anderen wurden auf ihre Fitness gecheckt. Ein Krankentransporter brachte etwa neun von ihnen weg, und ich hoffe doch sehr, dass sie am Lazarett angekommen sind.“
„Es gibt keine Anzeichen dafür, dass an den Fahrtwegen ungewöhnliche Anhäufungen von Peshten oder Menschen liegen“, warf Shanks ein. „Weiter. Sie erreichten den Lagerplatz und wurden flüchtig untersucht und sortiert.“
„Es gab eine öffentliche Toilette, die wir bewacht benutzen durften, und uns wurde Wasser gegeben, aus den Rijen, dekontaminiert. War trotzdem scheußlich. Dann wurden wir gezwungen, uns hinzulegen, und dort sollten wir laut den Kaiserlichen liegen bleiben, selbst wenn wir uns einscheißen sollten. Tja, dann geschah es.“
„Geschah was, Sarge?“, fragte Wong.
„Dann hielt dieser gepanzerte Transporter auf der Straße nördlich vom Platz, und ein Haufen Söldner stieg aus, die einen terranischen Piloten und einen Marine gefangen hatten. Sie wollten die beiden unserem Zug übergeben, aber nur gegen Auszahlung des Lösegelds. Sie hatten sogar einen von diesen genmanipulierten Gaid-Hunden dabei.“ Er deutete auf seine Nase. „Stank erbärmlich, das Vieh. Nächstes Mal sollten sie vor allem den Gestank genmanipulieren. Jedenfalls warfen die Söldner die beiden mitten zwischen uns, und der Pilot landete auf mir. Da merkte ich, dass etwas nicht stimmte, denn der Mann war vollgepackt mit Pistolen und Kampfdolchen, die er unauffällig unter uns verteilte. Ich hatte das Glück, eine Schusswaffe zu bekommen, eine Laserpistole. Derweil kamen die Söldner mit den Akarii in Streit über die Belohnung, und als unsere Wachen nicht bezahlen wollten, holte der Köter die beiden wieder aus der Menge heraus und warf sie in den Wagen zurück. Dann fuhren sie wieder ab. Kurz darauf wurden unsere Wachen sehr nervös, und das war für uns das Signal, mit den Waffen vom Piloten und vom Marine unsererseits anzugreifen. Also schlugen wir zu, erbeuteten weitere Waffen, rüsteten weitere Leute aus, und ruckzuck war der ganze Platz und die umliegenden Straßen in unserer Hand. Einer der Peshten-Offiziere übernahm das Kommando, was uns außerordentlich gut tat. Dass zugleich die Guerilla in der Stadt zuschlug, natürlich auch. Wir konnten uns koordinieren und wagten sogar einen Vorstoß zur Brücke selbst, aber …“ Der Sergeant deutete hinter sich. „Wir liefen in eine Falle. Der militärische Transporter, den ich fuhr, wurde getroffen und tötete einen Terraner und verletzte meinen Offizier lebensgefährlich. Keine Ahnung, ob er es geschafft hat.“

Der Wagen hielt am letzten Kontrollpunkt, und der dortige Kommandeur, ein Sergeant Major, war sehr viel freundlicher als der Offizier zuvor und deutete sogar in die richtige Richtung.
„Denken Sie, Sarge, dass die Kommunikationseinrichtung der Akarii-Einheit, welche Sie bewacht hat, noch intakt ist?“, fragte Wong.
„Wir haben sie nicht zerstört. Wir haben ein paar getötet und einen Teil überwältigt und gefangen genommen, ja, aber das Equipment sollte bis auf ein paar Fehlschüsse erhalten sein. Wahrscheinlich wird es sogar genutzt. Die Techs leben von der Hand im Mund, und schlachten alles aus, was bei drei nicht auf den Bäumen ist.“
Es dauerte nun nicht mehr lange, und McEvedy hielt den Wagen neben einem offenen Platz, auf dem Dutzende Schweißgeräte auf ebenso vielen Panzerfahrzeugen arbeiteten. Unterstützung hatten die Techniker dabei durch peshtische Exoskelette, die mangels schwerem Gerät die Hebearbeiten übernahmen. Eindeutig zivile Industriemodelle, die aus einer der nicht zerstörten Metallverarbeitungsfirmen stammen mussten. Der Sarge orientierte sich und deutete dann auf einen umfriedeten Container. „Da.“
„Danke, Sarge. Wir steigen aus?“
Der Marine musterte die Arbeiten, die Umgebung, und nickte dann. „Wir steigen aus. Die Gegend ist sicher. Alle Drohnen in der Luft sind terranische Modelle, also von Schlüters Leuten. Wäre eine imperiale darunter, wäre es ein wichtiges Warnsignal.“
Also stiegen sie aus. Der Platz war unbewacht, aber einige der Arbeiter hielten inne, um die Neuankömmlinge zu betrachten. Sie schienen den Sergeant jedoch zu erkennen und machten weiter.
„Sarge, mir scheint, Sie sind ein Türöffner“, sagte Shanks halb im Scherz.
„Ich tue, was ich kann, Sir.“

Sie betraten den Container. „McEvedy mit Commander Shanks und Lieutenant Wong von der COLUMBIA.“
Eine Peshtin mittleren Alters in einer vollkommen verdreckten Felduniform, die gerade einen Bericht las, während sie etwas trank, das nach gar nichts roch, aber zumindest eine Dampfwolke aufsteigen ließ, sah auf. Sie und zwei männliche Peshten und zwei Terraner waren die einzige Leute. „Und was wollen Commander Shanks und Lieutenant Wong von der COLUMBIA hier?“, fragte sie. „Staff Sergeant Ruyzs, derzeit eingeteilt für Reparaturarbeiten, eventuell zu ihren Diensten, Commander, Lieutenant.“
„Wir wollen wissen, ob Sie das Akarii-Kommunikationsequipment in Ruhe gelassen haben“, sagte Shanks.
„Das Kommunikationsequipment? Wieso das denn? Hier, das Ding da.“ Sie deutete auf einen technischen Aufbau.
Wong trat sofort darauf zu und scheuchte einen Terraner weg, der den dazu gehörigen Tisch für eine filigrane Bastelarbeit an einem Stück Computer benutzte. Glücklich war der Mann nicht, seinen Platz zu räumen und sich eine neue Stelle zu suchen. Immerhin gelang es ihm, ohne das Material zu gefährden.
Die Second Lieutenant setzte sich an den dazu gehörigen Terminal. Minuten vergingen. Dann erklang eine leicht verzerrte, aber gut verständliche Stimme eines Akarii über die Lautsprecher: „...hat der Major befohlen, jeden zehnten Gefangenen zu töten, als Warnung an die anderen.“
„Jeden Zehnten? Mitten in der Nacht? Wie stellt sich das der Major vor?“
„Sie haben ihre Befehle! Erfüllen Sie sie, bevor es zu einem Gefangenenaufstand kommt!“
„Jawohl, Lieutenant!“
„Ich schätze“, meinte Wong mit neutral klingender Stimme, „zusammen mit den Aufzeichnungen, welche Einheit hier stationiert war, ist das nicht nur ein eindeutiger Beweis, das reicht auch für eine konkrete Anklage.“
„Äh, der Kaiserliche Kommandeur ist tot“, warf McEvedy ein. „Er wollte sich nicht entwaffnen lassen, geschweige denn ergeben. Wir mussten ihn in seiner Deckung zusammenschießen.“
„Dann dokumentieren wir dies für den generellen Kriegsverbrecherprozess gegen das Kaiserreich. Komprimieren Sie das gesamte Funkprotokoll aus dem Speicher, Wong. Sergeant Ruyzs, können Sie das Datenpaket zu Schlüter schaffen?“
„Über Funk geht nicht. Die Akarii stören, wo sie können, das erlaubt nur schlechten Sprechfunk. Aber ich kann diverse Speicher ziehen und den Leuten mitgeben, die die Panzer zu Major Schlüter fahren. Ihr HQ ist dann in der Lage, über die Laserleitung alle Daten in den Orbit zu senden, von wo man sie zur COLUMBIA schicken kann.“
„Sehr gut. Also tun Sie das bitte, Sergeant. Was uns angeht, wir haben noch einen Ortstermin.“
Wong übergab das Speichermedium der Einheitskommandeurin, machte ein Duplikat für Shanks und steckte selbst das Original ein. „Komme, Sir.“
Draußen stiegen sie wieder in den zivilen Schweber. „Zum Blockhaus diesmal, Sarge.“
Die Stimmung des terranischen Marines hatte sich merklich verbessert. „Ja, Sir.“

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Zielwechsel III

TRS Columbia, Gamma-Eridon-System

Liljas Schritte waren bedächtig, nahezu voll Andacht, als sie die Runde um ihren Jäger drehte. Sie blendete das akustische und optische Chaos der betriebsamen Hangardecks geradezu reflexartig aus. Dieser Moment gehörte allein ihr und ihrem Jäger.
Wie die meisten Piloten betrachtete sie die Maschine als ihr eigen, obwohl sie natürlich Eigentum der TSN war, und es war gleichfalls selbstverständlich, dass sie wie nahezu alle Veteranen im Laufe der Jahre eine ganze Reihe Maschinen verschlissen hatte. Tatsächlich hätte die Russin Probleme gehabt, die genaue Anzahl auf Anhieb aus dem Gedächtnis anzugeben. Und dennoch war ihr Jäger, jede einzelne ihrer Maschinen etwas Besonderes für sie – durch Dinge wie ihr Symbol unter dem Cockpit, eine weiße Blüte, oder die Abschussmarkierungen, die getreulich auf jeder neuen Maschine angebracht wurden, sobald dazu Zeit war.

Dieser letzte Check-up vor dem Start war für Lilja inzwischen zu so etwas wie ihre zweite Natur geworden, so wie sich ihr Pilotenanzug manchmal wie eine zweite Haut anfühlte. Wenngleich mitunter eine Haut, die zu eng erschien oder fürchterlich juckte…
Doch auch nach all den Jahren wiederholte sie das Mantra, nicht nachlässig zu werden. Und so sehr sie sich auf die Bodencrew verlassen konnte, sie konnte einfach nicht anders als die Maschine vor dem Einsatz noch einmal selbst ins Auge zu nehmen, wann immer eine Minute Zeit blieb. Das war natürlich ebenso abergläubisches Ritual wie handfeste Überprüfung, und das wusste die Russin auch.
Unter Tragflächen und Rumpf hing heute eine gemischte Bestückung – zwei Amraam-Mittelstrecken und zwei wärmesuchende Sidewinder-Kurzstreckenraketen, und dazu sechs Rockeye-Streubombenbehälter. Die Falcon trug „leichte“ Bomben, jede 227 Kilogramm schwer und mit rund hundert Bomblets in ihrem Innern, teils panzerbrechende und teils hochexplosive Sprengkörper. Lilja hatte sich die Mühe gemacht, jeden der Abwurfbehälter eigens mit Inschriften zu verzieren. Es war zwar nicht sehr wahrscheinlich, dass der Gegner sie zu Gesicht bekommen würde, aber man musste die Tradition schließlich würdigen.
Ein Klassiker war natürlich „Sa Rodinu“*, doch sie hatte sich auch etwas individuellere Botschaften ausgedacht – teilweise sogar in zugegebenermaßen recht kruden Akarii-Schriftzeichen. „Gruß vom Narbentod“ spielte natürlich auf ihren Spitznamen bei den Kaiserlichen an, und „Rache für Pa’schuk“ auf die Stadt, deren Bombardierung sie aus der Luft erlebt hatte.
Nachdem Lilja ihre Runde beendet hatte, atmete sie noch einmal tief durch, und kletterte ins Cockpit.

Die Chefin der Grünen konzentrierte sich auf die letzten Handgriffe des Check-ups, prüfte Sensoren und Anzeigen. Alles schien reibungslos zu funktionieren – nun ja, Probleme kündigten sich meistens erst mitten im Einsatz an.
Mit dieser Beschäftigungstherapie unterdrückte Lilja zugleich ihre leichte Unsicherheit, weil Bodenangriffe und generell Atmosphärenflüge nun ausgerechnet die Sorte von Mission waren, die sie während all der Kriegsjahre am seltensten ausgeführt hatte. Selbst Angriffe auf feindliche Frachter und Kriegsschiffe waren häufiger vorgekommen, obwohl sie eigentlich nicht zum Profil von Abfangjägern gehörten. Und dazu kam natürlich Nervosität, weil viel davon abhing, dass sie die Mission nicht vergeigte, einschließlich – selbstverständlich – ihres Lebens.
Ihre Gedanken wanderten zur Einsatzbesprechung zurück…

***

Zwei Stunden zuvor

„Und das ist bestätigt?“ Blackhawks Stimme und Miene drückten gewisse Zweifel aus, was bei seiner Kollegin beinahe zu einem genervten Augenrollen geführt hätte. Sie beherrschte sich dennoch mühselig, denn eigentlich mochte sie Blackhawk, dessen ruhiger Professionalismus eine solide Grundlage für Zusammenarbeit war. Doch war sie sich ziemlich sicher zu wissen, warum sie von den drei anwesenden Offizieren die einzige war, die mit wirklichem Enthusiasmus bei der Sache war.
Stafford schmollte offenbar immer noch, weil ihn die Peshten beinahe dazu verleitet hätten, den feindlichen Oberkommandierenden bei einem Lazarettbesuch zu bombardieren. ,Dieser dämliche Schwanz von einem Arschloch.‘ dachte Lilja, ebenso aufrichtig wie anatomisch unplausibel.
Bei Blackhawk überwogen wohl ganz andere Gründe, die sie weit eher verstand, auch wenn sie diese nicht teilte. Was vor ihnen ausgebreitet wurde, trug buchstäblich die Aufschrift ,Selbstmordmission‘.
„Ace hält die Spezialeinheit, von der die Information kommt, für verlässlich. Er kennt sie von seinem Abstecher zu den Guerillas.“
Lilja nickte andächtig und in einer perfekten Darstellung gläubiger Zustimmung, wobei sie einmal mehr ihre Gedanken sorgsam für sich behielt. Clifford Davis war zweifellos ein guter Pilot, und auch kein schlechter Kerl, aber wie man schon an seiner Freundschaft mit Joystick sah, war es mit seiner Menschenkenntnis nicht weit her. Sie persönlich hatte leise Zweifel, dass man nach 24 bis 48 Stunden gemeinsamen Einsatz jemanden bereits wirklich einschätzen konnte. Aber das hätte sie natürlich niemals laut gesagt, schließlich wollte sie, dass der Einsatz unbedingt stattfand, und zur Hölle, falls die Peshten wieder etwas für den Erfolg der Mission unwichtiges weggelassen hatten. Glücklicherweise konnte sie überzeugend heucheln, wenn es darauf ankam.
Dennoch konzentrierte sie sich lieber auf die praktischen Details: „Wir reden also von gut drei Dutzend Tanklastern und dazu noch einmal ein paar unterirdische Reservoirs, die vermutlich zu einer eroberten Peshten-Anlage gehören und jetzt von den Imperialen genutzt werden. Drei oder vier Stück…, hm, zwei hin, eins im Sinn, ich denke, die Echsen haben da mindestens zwei Millionen Liter Treibstoff zusammengekarrt. Wenn sie das verlieren, bedeutet das eine Menge gestrandete Panzer. Aber das Ganze ist natürlich gesichert von mechanisierter Infanterie.“ Deren Mannschaftstransporter zweifellos über Luftabwehrraketen verfügten.

Stafford nickte: „Korrekt. Wir haben bisher keine bestätigte Sichtung von schweren Luftabwehrpanzern – die brauchen die Echsen zweifellos an der Front. Aber sie werden so ein Ziel auch nicht ungeschützt lassen. Ein paar fahrzeugmontierte Werfer, und einige schultergestützte – und natürlich sehen sie sich vor, dass ihnen die Guerilla nicht auf die Pelle rückt. Was überhaupt der Grund sein dürfte, warum sie relativ dicht beieinander bleiben. Langsam gehen ihnen die Leute aus, um ihren Nachschub abzusichern, vor allem können sie nicht jedem Fahrzeug eine Eskorte mitgeben. Aber dennoch, wir müssen schnell handeln, ehe sie den Treibstoff verteilen können oder die Peshten-Späher entdecken – ein Wunder überhaupt, dass die so dicht herangekommen sind. Und weder wir noch das Konkordat haben die Mittel für einen Großangriff. Der den Gegner sowieso vorwarnen würde. Also müssen zwei Maschinen ran, im extremen Tiefflug. Und der Großeinsatz über Arta’Rijen ist die perfekte Ablenkung.“
„Und Sie wollen wirklich zwei Staffelchefs schicken? Werden die nicht langsam knapp?“ Blackhawks Einwand hatte natürlich Hand und Fuß.
Stafford zuckte mit den Achseln: „Wir brauchen in jedem Fall eine Griphen oder eine andere Maschine mit Lenkbomben. Ginge es nur um Schnelligkeit, würde ich den Einsatz allein von Falcons fliegen lassen. Gegen die unterirdischen Tanks reichen Streubomben aber möglicherweise nicht aus. Wenigstens bekommen wir klare Zielangaben von unseren Leuten am Boden.“ Und natürlich waren die Staffelchefs vielfach die besten Piloten. Und da Ace und Ohka momentan aus dem Rennen waren…
„Die Peshten wollen auch zusehen, ob sie eine zusätzliche Ablenkung organisieren können, aber wer weiß, ob das funktioniert…“
Lilja zuckte mit den Achseln: „Über die Kanne Milch machen wir uns Sorgen, wenn sie vergossen ist, oder aber unserem Gegner an den Kopf geknallt wurde.“
Ihr Kamerad schnaubte: „Du würdest die Mission wohl auch allein fliegen.“
Die Russin lachte: „Natürlich.“ Was nicht einmal gelogen war: „Ich habe eine Menge Sterne an meiner Maschine und an meiner Brust – natürlich all die Abschüsse, und auch mal einen Bronzestern. Aber das hier kann nicht nur einen Silbernen Stern einbringen. Sondern vielleicht sogar einen in Gold. Denjenigen, auf den es WIRKLICH ankommt.“**
Der Kommandeur der Gelben war offenkundig weit weniger begeistert. Doch im Grund spielte es keine Rolle, was Blackhawk dachte, und das war ihm selbst auch klar. Er konnte Bedenken äußern, aber im Zweifelsfall würde er natürlich gehorchen. Zumal er von Lilja keine Rückendeckung gegen die Mission zu erwarten hatte.

***

Gegenwart

Hinter den Piloten lag das Chaos des Luftangriffs auf Arta’Rijen, ein Himmel voller Kampfflieger, Luftabwehrfeuer, Täuschkörper und Energieimpulse. Ein Durcheinander, das hoffentlich die feindlichen Luftbeobachter und Radarstationen ausreichend überlastete, dass sie nicht oder zumindest erst zu spät bemerkten, wie sich zwei Maschinen vom Pulk absetzten.
Blackhawk hatte die Führung übernommen, Liljas Maschine hielt sich ein Stück weiter hinten. Das hatte natürlich nichts mit Rang oder Führungsanspruch zu tun, doch die beiden Piloten hatten sich abgesprochen. Bei Blackhawks Lenkbomben kam es auf Genauigkeit an, während Liljas Streubomben praktisch blind abgeworfen werden konnten, gleichgültig ob Dreck und Rauch die Sicht blockierten. Die Bomblets verteilten sich ohnehin über eine Strecke von mehreren Fußballfeldern.
Die Zielverteilung war klar. Der Chef der Gelben würde versuchen die stationären unterirdischen Tanks auszuschalten, während die Russin die verstreut stehenden Transport bekämpfen würde.
Die Zielfindung für Blackhawk stellte sich freilich etwas kompliziert dar. Es wäre Selbstmord gewesen die Peshten-Kommandos aufzufordern, die Ziele direkt per Laser zu markieren. Viel zu groß war die Gefahr, dass ein Akarii mit seinem Sichtgerät den Laserstrahl entdeckte, und vor allem hätten sie vermutlich so dicht an das Ziel herangemusst, dass die zum Abwurf vorgesehenen Streubomben und die hoffentlich zu erwartende Explosionswolke die Kommandos fast unweigerlich erwischt hätte. Die von den Spähern gelieferten GPS-Koordinaten konnte man für die Programmierung der Lenkwaffen nutzen, doch sie waren keine Garantie für einen Treffer. Denn damit ein solches System funktionierte, brauchte man eine Anzahl Satelliten im Orbit, am besten für den ganzen Planeten. Nur waren selbstverständlich sowohl die Kaiserlichen als auch ihre Gegner bemüht, das Navigationssystem des jeweils anderen zu stören und die Relaissats auszuschalten. Die Genauigkeit schwankte deshalb unweigerlich. Die beiden Angels hatten natürlich gute topographische Karten, die mit ihren Sensoren gekoppelt waren und ihnen sowohl einen voraussichtlich sicheren Kurs selbst in geringster Flughöhe wie auch genaue Zielkoordinaten geben sollte. Die Betonung lag freilich auf ,sollten‘…

Der ältere Pilot atmete tief durch. Er und Lilja hatten nicht viel miteinander gesprochen, seit sie gestartet waren. Blackhawk wälzte düstere Gedanken, und Lilja war sowieso nicht unbedingt für ihre Redseligkeit im Einsatz bekannt. Zudem war es ratsam, Funksprüche auf ein Minimum zu reduzieren. Die waren natürlich verschlüsselt, aber man musste den Gegner ja nicht zusätzlich Gelegenheit geben zu erkennen, dass sich hier ein paar Terraner von der Herde getrennt hatten.
Ein letztes Mal – das wievielte? – kontrollierte Blackhawk die Positionsangaben und Karten, prüfte die Distanz zum Treibstoffdepot. Zwar waren sie noch viele Kilometer vom Ziel entfernt, doch mit ihren schnellen Maschinen war das kein langer Flug. Blieb nur abzuwarten, ob sie wirklich durchkommen würden, und ob sie das Ziel fanden…
Alle düsteren Gedanken verdrängend drückte er seine Maschine nach unten. Das Bodenradar, die gekoppelte Karte und all die anderen Sensoren sollten zusammen mit dem Autopiloten einen sicheren Flug in Baumwipfelhöhe garantieren. Natürlich hatte schon so mancher Flug IN einem Baumwipfel geendet. Sie hatten die Route noch um einige Kilometer verlängert, um jene Stellen zu meiden, bei denen Feindkontakt am wahrscheinlichsten war. Glücklicherweise war das Hinterland der kaiserlichen Front recht leer. Wenn man die Siedlungen und wichtigen Verkehrswege mied, bestand Hoffnung, dass man erst einmal unentdeckt bleiben konnte.
„Be…schleunigung!“
Die beiden Kampfflieger tauchten ab, während ihre Triebwerke aufheulten.

Lilja starrte gebannt auf die Anzeigen, ihre Hände um die Kontrollen gekrampft. So tief wie ihre Maschinen im Moment flogen, waren sie nur schwer zu orten. Und wer sie vom Boden aus sah, hatte wenig Zeit zu reagieren, bevor die Maschinen auch schon vorüber waren – was freilich keine Garantie darstellte, denn die feindlichen Luftabwehrraketen durfte man nicht unterschätzen. Vor allem aber wollte sie sich nicht allein auf den Autopiloten verlassen, wenn es darum ging, eine Bodenberührung zu vermeiden. Zweimal hatte sie bereits hektisch gegensteuern müssen – einmal auf eine knappe Warnung von Blackhawk hin, einmal war sie es, die eine potentielle Gefahr entdeckt hatte.
Wenigstens deutete bisher nichts darauf hin, dass der Feind sie entdeckt hatte – kein direktes ,Anpingen‘ durch Radar, kein überhasteter Beschuss vom Boden, kein Hinweis auf feindliche Flieger. Allerdings verrieten ihr die Sensoren, dass irgendwo vor ihnen feindliches Radar aktiv war, vermutlich sogar von mehreren Stationen, und der Funkscanner der Falcon fing hin und wieder verschlüsseltes Geschnatter des Feindes auf. Automatisch zählte sie die Kilometer herunter, rechnete um, wie viele Minuten, Sekunden noch bis zum Ziel vor ihnen lagen. Es wurde ernst.

***

Kurz darauf

Die Angreifer hatten sich aufgeteilt. Ihr Radar und die exzellente Steuerung erlaubten ihnen einen gefährlichen Tiefflug, nur wenige Meter über den Baumwipfeln. Die gedrungen Silhouetten waren für sich schon bedrohlich, dazu kamen die Waffen unter den Tragflächen. Furcht oder Zögern war ihnen fremd, sie hielten unbeirrt Kurs.
Und doch war diese Drohung zerbrechlich. Der Gegenschlag kam plötzlich und ohne Vorwarnung. Die vorderste Maschine ging unvermutet in Flammen auf, als eine Lenkrakete sie traf. Explodierender Treibstoff und die Gefechtsladung verwandelte die Maschine in einen Feuerball. Die zweite war gerade noch außerhalb des Explosionsradius, wich aus und ging in einen kurzen Steigflug. Sie rüttelte, um ein schlechteres Ziel abzugeben, während sie einzelne Flares ausstieß.
Der Akariijäger zog ebenfalls hoch, dann sprachen die Bordgeschütze. Die Abschussmarkierungen an den Flanken des Hyak – die Terraner wie Peshten nannten diese Maschinen Bloodhawk – wiesen den Piloten als ein Ass aus. Dennoch hatte er Mühe, das Ziel zu erfassen, denn sein Gegner flog so enge Ausweichmanöver, wie sie für einen Piloten gleich welcher Spezies nahezu unmöglich waren.
Wenn die feindliche Maschine das lange genug durchhielt, könnte sie…
Doch in diesem Moment hatte der kaiserliche Pilot ein Muster in den Ausweichmanövern seines Gegners erkannt, und seine nächste Salve lagt dort, wo sein Ziel voraussichtlich sein würde – Volltreffer!
Die zweite Maschine taumelte in als zerschmetterten Wack gen Boden, wo sie einen kurzlebigen Waldbrand entfachte.
Die Akarii drehten noch eine sichernde Runde – doch dann, mit einmal, beschleunigten sie abrupt und rasten einem neuen Ziel entgegen…

***

In einer besseren Welt hätte der Ablenkungsangriff der Peshten – die zwei Gefechtsdrohnen geopfert hatten, um die Kaiserlichen beschäftigt zu halten – den Weg für die terranischen Kampfflieger freigemacht. Und tatsächlich mochte dies geholfen haben. Aber die Akarii hatten trotz der Gefahr durch die Guerilla zumindest ein paar Vorposten im weiteren Umkreis um ihre Treibstoffdepot verteilt, und so hatten sie eine kurze Vorwarnzeit, als Blackhawk und Lilja im Tiefflug herandonnerten.
Die Anzeigen der Jäger wurden förmlich mit Informationen überflutet. Radarerfassungen, momentan noch ungezieltes Abwehrfeuer – vor allem aber versuchten einige der Transporter ihre Motoren zu starten. Das funktionierte natürlich nur, wenn die Fahrer gerade in den Fahrzeugen saßen oder sich nur wenige Meter entfernt aufhielten. Die kaiserlichen Gefechtsfahrzeuge feuerten aus ihren Nebelbechern, um ihren ungepanzerten Kameraden zumindest etwas Sichtschutz zu bieten.

Blackhawk ließ sich davon nicht beirren. Wie Lilja wusste er, dass er gar nicht die Zeit hatte auf Sicht zu zielen. Stattdessen zog er seine Maschine hoch, schoss an Täuschköpern ab, was nur ging, und klinkte seine zwei Lenkbomben aus, programmiert auf die Zielangaben, die ihm die Peshten-Kommandos gegeben hatten. Er hielt eisern Kurs, obwohl seine Maschine unter dem Abwehrfeuer leichter Laserkanonen erbebte. Er konnte nur hoffen, dass die kleinkalibrigen panzerbrechenden Sprengkörper die Lilja hinter ihm abwarf, ausreichen würden, auch die übrigen unterirdischen Tanks zu zerstören oder zumindest zu beschädigen. Dann beschleunigte Blackhawk, wohlwissend, dass die Verzögerungszündung seiner Bomben ihm nicht mehr viel Zeit ließ…
WUMMM!
Eine ganze Kette von Explosionen kündete von Treffern – die beiden Lenkwaffen hatten voll im Ziel gelegen. Die explodierenden Treibstofftanks spuckten Flammen hunderte von Metern in den Himmel. Nur die hohe Geschwindigkeit und starken Schilde der Griphen bewahrten den terranischen Piloten vor dem Schlimmsten. Er nahm sich keine Zeit, das Inferno am Boden zu bewundern. Sofort drückte er seine Maschine wieder näher zum Boden, um der Zielerfassung feindlicher Luftabwehrraketen zu entgehen. Zugleich suchte er auf den Anzeigen nach seiner Begleiterin. Er mochte sich gar nicht ausmalen, was sie gerade durchmachte…

Lilja biss krampfhaft die Zähne zusammen, während ihre Maschine wie wild bockte. Sie musste eine gewisse Mindesthöhe halten, damit die Streubomben sich ausreichend weit verteilen konnten, ehe sie – je nachdem ob es sich um Spreng- oder Splitterbomben handelte – beim Aufprall oder dicht über dem Boden nach Aktivierung des Annäherungszünders detonierten. Das freilich setzte sie dem feindlichen Abwehrfeuer aus. Schilde, Panzerung, Täuschkörper und vor allem die hohe Geschwindigkeit ihres Jägers boten einen gewissen Schutz, doch der erschien kaum ausreichend. Direkt vor ihr pilzte eine wahre Feuerwand auf, das Werk von Blackhawks Lenkbomben. Doch die Pilotin hielt unerbittlich Kurs. Wenigstens blendete das Inferno am Boden auch die feindlichen Schützen – falls sie überhaupt noch am Leben waren.
Warnsignale flackerten auf, während zugleich die Anzeige ihrer Schilde vor rapidem Energieverlust warnte. Fast blind huschten ihre Finger über die Anzeigen, klinkten die Streubomben aus, die nur Sekunden später das Inferno am Boden noch weiter anheizten.
Ein mörderischer Schlag traf ihre rechte Tragfläche – eine Luftabwehrrakete? Ein großes Trümmerstück, emporgeschleudert von einem detonierenden Tanklaster? Sie wusste es nicht, und es spielte auch keine Rolle. Der Jäger wurde nach linke gedrückt durch die Wucht des Einschlags, während ihr Triebwerk für einen schreckenerregenden Moment stotterte. Sie hieb auf die Manöverdüsen, stabilisierte mühsam den Flug, der im Moment eher ein unbeholfenes Taumeln darstellte. Wenn ihr Haupttriebwerk ausfiel…

Doch dann wanderten die Anzeigen wieder ins Grün, das Stottern der Triebwerke wich wieder dem steten Brausen, und mit einem Hieb auf den Nachbrenner raste die Maschine davon. Die Russin wusste, dass sie verschwenderisch mit dem Treibstoff umging, aber sie musste unbedingt Abstand zwischen sich und den Ort des Luftangriffs bringen. Ein sichernder Blick zeigte ihr Blackhawk, zwei Kilometer voraus. Sie atmete tief durch, dann wandte sie sich ihren Sensoren zu. War der Angriff ein Erfolg gewesen?

***

Kurze Zeit darauf

Die zwei terranischen Maschinen beschleunigten, während sie fast senkrecht in den Himmel rasten. Es war nicht ganz ohne Diskussionen abgegangen, denn Lilja hatte sich dafür eingesetzt, einen zweiten Überflug durchzuführen – um die Zerstörungen anhand einer zusätzlichen Serie von Aufnahmen besser bewerten zu können, wenn möglich auch noch erkennbare Ziele zu bekämpfen. Aber diesmal hatte sich Blackhawk mit Verweis auf die Blessuren an den Maschinen durchgesetzt. Zudem war damit zu rechnen, dass der Gegner so schnell wie möglich Jäger herbeirufen würde. Angesichts des Chaos am Boden – die Rauchwolke und Feuerschein waren auch noch in einigen Dutzend Kilometern Entfernung gut zu erkennen – war die Chance, gute Aufnahmen zu machen oder gar unzerstörte Tanklaster identifizieren und bekämpfen zu können, äußerst gering. Lilja, die sonst nicht dazu neigte leichthin nachzugeben, hatte sich diesmal überzeugen lassen. Was vermutlich an dem warmen und flauschigen Gefühl lag, dass sie empfand wenn sie an die Zerstörung dachte, die sie in dem imperialen Nachschubsdepot hinterlassen hatten. ,Eine Menge Echsen kross durchgebraten.‘
„Wie sieht es aus?“ Blackhawks Stimme verriet nichts von seiner Nervosität. Beide Jäger waren beschädigt, und sie verfügten nur über eine deutlich reduzierte Raketenbewaffnung.
„Zwei Kontakte, schließen schnell auf. Eine Minute bis Feuerreichweite.“
Der ältere Pilot warf einen prüfenden Blick auf die Anzeigen. In ihrem Zustand konnten sie sich kaum ein Wettrennen mit den Verfolgern – vermutlich Bloodhawks – liefern. Selbst die Falcon, mehr aber noch seine Griphen waren auch zu ihren besten Zeiten langsamer als die feindlichen Maschinen. Ein Kurvenkampf barg natürlich ebenfalls ein erhöhtes Risiko…
„Wir setzen Nachbrenner ein. Kurs folgt. Und hau raus, was du an Täuschkörpern hast.“

Die Triebwerke heulten auf, als die Jäger rasant beschleunigten. Nicht, dass ihre Feinde dies nicht kontern konnten, doch es würde sie rasch aus der Atmosphäre heraustragen, näher zu den Schiffen der Peshten und Terraner, weiter weg von dem Teil Gamma Eridons, der im Feuerbereich bodengestützter SAM-Batterien der imperialen Streitkräfte lag.
„Sie schließen auf.“ Liljas Stimme verriet keine Unsicherheit oder Panik. Ein Warnton kündigte von feindlicher Raketenerfassung. Noch waren die Gegner zu weit entfernt, um ihre Bordwaffen einzusetzen, doch das würde sich bald ändern. Die Kaiserlichen sparten mit Raketen – vermutlich trugen sie keinen vollen Kampfsatz und wollten nicht riskieren, diese an die Scheinziele zu verlieren, welche die beiden terranischen Jäger großzügig verteilten. Die Triebwerke der Jäger und das Feuerwerk der Täuschkörper boten eine bemerkenswerte Show, die einen fast vergessen ließ, dass es um Leben und Tod ging.
Liljas Finger huschten über die Finger. Sie peilte ihrerseits die feindlichen Jäger mit ihrem Zielsuchradar an. Selbst wenn das den Feind nur eine Sekunde zögern ließ, bedeutete dies ein gutes Stück weiter auf dem Weg in Sicherheit. Natürlich fielen erfahrene Piloten kaum auf so einen Trick herein. Es sei denn natürlich…

Die führende Bloodhawk wich gerade noch im letzten Moment aus und stieß ihrerseits eine Wolke von Täuschkörpern aus. Die zweite Maschine brach abrupt zur Seite weg, um aus dem Gefahrenbereich zu entkommen.
Keine Sekunde zu früh…eine der beiden Sidewinder-Raketen, abgefeuert von Lilja und programmiert eine 180-Grad-Wende zu fliegen, wurde erfolgreich abgelenkt. Die zweite kam ihren Ziel gefährlich nahe, ehe auch sie in einer Explosion verging, welche die Bloodhawk brutal durchschüttelte und ihre Schilde malträtierte. Der kaiserliche Jäger stabilisierte den Flug – und in dem Moment folgten zwei Amraam-Raketen, nur Sekunden nach den ersten beiden Raketen abgefeuert. Der kaiserliche Jäger schien förmlich in einem Flammenball zu verschwinden – Explosionen in der Atmosphäre waren ein beeindruckender Anblick. Als der schlanke Akarii-Jäger wieder sichtbar wurde, war er ein zerschmettertes Wrack. Trudelnd stürzte er zu Boden, erst im letzten Moment barst das beschädigte Cockpit und entließ den Piloten – gefährlich dicht über dem Boden. Die andere kaiserliche Maschinen scannte nach weiteren Raketen, jäh aus dem Verfolgungsmodus herausgerissen und daran erinnert, dass ihre Beute scharfe Zähne hatte.

Lilja Stimme troff förmlich vor Selbstzufriedenheit: „Ja, auch der Adler fliegt nicht höher als die Sonne. Die sehen wir nicht so schnell wieder, denke ich.“ Ihren kompletten Raketenvorrat zu opfern, war riskant, hatte ihnen aber Zeit verschafft. Nicht viel – doch gerade genug, um den Flugvektor der Angry Angels zu kreuzen, die sich auf dem Heimflug von Arta’Rijen befanden. Es sollte den Echsen schwerfallen, schnell genug weitere Jäger heranzubringen. Kein Akarii würde riskieren, gegen eine vielfache Übermacht anzutreten – dafür hatten die Echsen auf Gamma Eridon einfach nicht mehr ausreichend Jäger und vor allem nicht genug gute Piloten übrig. Vor die Alternative gestellt, entweder aufzugeben oder eine wenig erfolgreiche Verfolgung fortzusetzen und wahrscheinlich ohne gute Aussicht auf Erfolge weitere Bloodhawks zu verlieren, hatten ihre Verfolger sich für die sichere Variante entschieden.
Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass die Mission ein Erfolg gewesen war, UND sie beide allem Anschein nach heil, wenn auch nicht unversehrt zurückgekommen waren. In diesem Krieg und auf diesem Schlachtfeld war das ein seltener Glücksfall.
„Was denkst du, Lincoln – wenn wir zu Hause sind, werde ich die Peshten beknien, ob sie uns ein paar Trefferbilder schicken können. Wollen wir doch sehen, was der Zielwechsel gebracht hat.“
Der ältere Pilot schien einfach nur erleichtert, dass er die Mission überstanden hatte: „Alles, was du willst. Lass uns nur die Maschinen nach Hause bringen. Und beten, dass unsere Leute es ebenfalls heil heimgeschafft haben…“

Ende

*****

* „Für die Heimat!“, eine Parole die in den sowjetischen Streitkräften unter anderem während des Terranischen Zweiten Weltkrieges verwendet wurde und auch danach in Gebrauch blieb.

** Aufgemalte Sterne auf Kampffliegern der TSN, Army und des Marine Corps sind eine beliebte Art, Abschüsse des Piloten zu markieren – und stammen schon aus den Zeiten der nationalen Luftwaffen Terras. Bronce Star und Silver Star sind TSN-Auszeichnungen mittleren Ranges. Es gibt keine Auszeichnung, die explizit Golden Star heißt. Doch verwendet sowohl der TSN-Victory Star als auch der für Soldaten wie Lilja bedeutsame Orden des Helden der Sowjetischen Konföderation (der von diesem Teilstaat der FRT weiterhin verliehen wird) einen goldenen Stern als zentrales Element.
15.12.2022 21:08 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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‚So starb der Lord des Hauses Jockham.
Er fiel im Kampf – und das war seine größte Tat.
Denn er starb besser, als zu leben er wohl wusste…‘
Anonymes zeitgenössisches Spott-Kallat* aus der Akarii-Hauptstadt Pan‘chra


Admiral Kern Ramals Tage hatten zu wenig Stunden für all die Aufgaben, die mit der Leitung des Flottenstabes verbunden waren – vor allem, da durch den seit dem Duelltod von Prinzessgemahl Tobarii Jockham verwaisten Kriegsministerposten dem Flottenstab zusätzliche administrative Entscheidungen zufielen oder durch das Fehlen einer zentralen Instanz zumindest verzögert wurden. Dazu musste er mit selbstbewussten Untergebenen wie Admiral Taran umgehen, dem Chef des Planungsstabes, und nicht zuletzt die immer noch virulenten Auswirkungen der Offiziersverschwörung gegen Prinz Jor und die sich daran anschließenden ‚Säuberungen‘ ausgleichen. Und einen Krieg führen, der trotz jüngster Erfolge immer noch am Rande der Katastrophe balancierte.
Dennoch war Ramal fast dankbar für sein übervolles Arbeitspensum. All die Entscheidungen, Stabstreffen und Expertenberatungen gaben ihm das Gefühl etwas TUN, das Schicksal gestalten zu können – und lenkten ihn von anderen Dingen ab, die zu entscheiden nicht in seiner Macht lag.
Aber das war letztlich nur ein Aufschub, wie er es schon geahnt hatte. Wenn er auch nicht damit gerechnet hatte, dass der heutige Vorstoß aus DIESER Ecke kommen würde.

„Ich habe nicht erwartet, Sie wiederzusehen.“
Orris Yass zuckte mit den Schultern. Es wirkte fast nonchalant. Die neben ihm stehende Arish Lassat enthielt sich jedweder Gefühlsäußerung. Aber davon ließ sich Kern Ramal nicht täuschen. Keiner der beiden ehemaligen Sekundanten des im Duell gefallenen Prinzessregenten Tobarii Jockham wollte hier sein.
Und ihre Worte bestätigten Ramals Einschätzung: „Ich spreche nicht für das Haus Yass.“
„Und ich vertrete heute nicht das Haus Lassat.“
Die beiden Sekundanten tauschten einen Blick aus, der Übereinstimmung auszudrücken schien und vielleicht sogar mehr. Die nächsten Worte sprachen beide wie mit einer Stimme: „Wir sind nicht im Auftrag des Hauses Jockham hier.“
„Ich…verstehe.“
Tatsächlich war das keineswegs der Fall. Unwillkürlich fragte sich Ramal, ob es ein Fehler gewesen war, alleine und auch noch unbewaffnet zu diesem Treffen gekommen zu sein. Die Worte der beiden jungen Adligen, die einem Brauchtum folgten, das bis in die Akarii-Antike zurückreichte, klangen unheilverkündend ominös und erinnerten Ramal an die Geschichten von antiken Attentätern, die sich vor einem Mord von ihren Familien lossagten, um sie vor Vergeltung und Blutrache zu schützen.
„Und warum sind Sie dann hier?“
Wieder ein wechselseitiger Blick und erneut war es Yass, der das Wort ergriff. Vielleicht, weil seine Gefährtin Tobarii Jockhams Cousine war und deshalb das Reden lieber jemandem überlassen wollte, der dem toten Prinzessgemahl weniger nahe gestanden hatte: „Weil manche Dinge sein müssen.“
Dass Arish ihrem Mitsekundanten nicht nur Gesellschaft leistete, zeigte sich, als sie jetzt vortrat und das Tuch beiseite zog, das den länglichen Gegenstand in ihren Händen verbarg. Und bei dem es sich um ein Kampfschwert handelte.
Ramal unterdrückte ein Zusammenzucken oder eine Abwehrbewegung. Er kannte diese Waffe. Dieses Schwert hatte Tobarii Jockham an seinem Todestag geführt.
„Was…“
„Diese Klinge muss Linai Thelam übergeben werden.“
„Und warum wollen Sie, dass ich das übernehme?“, Ramal beäugte das Schwert wie ein giftiges Reptil. Er wollte die Waffe nicht anfassen. Auf Heft und Scheide glaubte er immer noch winzige, inzwischen schwarz verfärbte Blutspritzer zu sehen, auch wenn das vermutlich nur Einbildung war.
„Weil der Prinzessgemahl es so gewünscht hat.“, lautete Yass Antwort. Ramal blinzelte überrascht. Das hatte er nicht erwartet. Es passte nicht so recht zu dem eher pazifistischen Tobarii Jockham, der wenig mit den überalteten Bräuchen des Adels und den teilweise noch aus der Antike stammenden Duellregeln anfangen konnte.
„Und weil Haus Jockham keinen Kontakt mit Haus Thelam wünscht.“, fügte Arish widerwillig hinzu.
DAS war keine Überraschung. Seit dem Tod von Linais Gemahl hatte dessen Familie eine regelrechte Brandmauer zwischen sich und der Prinzessin errichtet. Es war ein offenes Geheimnis, dass sie weder zur Totenwache noch zur Beisetzung ihres Ehemanns geladen worden war. Natürlich hätte sie ihre Teilnahme erzwingen können. Doch darauf hatte Linai verzichtet – ob aus persönlichen Gründen oder weil sie wusste, was das für ein Bild in der Öffentlichkeit abgegeben hätte. Offiziell hatte sie sich ‚in ihre Trauer zurückgezogen‘, so eine traditionelle Umschreibung für eine nach einer Tragödie selbstgewählte Isolation und den Verzicht auf ein öffentliches Auftreten. Doch das war eine zunehmend fadenscheinig wirkende Entschuldigung.
„Ich…verstehe.“ Und diesmal stimmte es in mehr als einer Hinsicht. Denn Ramal verstand nicht nur die aus Tradition und Loyalität gestrickten Bande, die die beiden jungen Adligen vor ihm lenkten. Er begriff auch, dass ihm der verstorbene Prinzessgemahl Tobarii Jockham mit seinem Wunsch über den Tod hinaus auch eine Möglichkeit bot und gleichzeitig eine Verpflichtung auferlegte, der er sich nicht würde entziehen können.
Die beiden ehemaligen Sekundanten Jockhams verneigten sich leicht und fasst wie abgestimmt, wandten sich dann um und gingen. Sie sagten nicht auf Wiedersehen. Und sie blickten auch nicht zurück.

***

Einige Stunden später

Prinzessin Linais Palais gehörte nicht zu den ältesten der kaiserlichen Paläste. Dennoch war der Gebäudekomplex fast tausend Jahre alt, auch wenn er natürlich mehrfach modernisiert und umgebaut worden war. Zuerst eine außerhalb der immer weiter wachsenden Hauptstadt gelegene Sommerresidenz, hatte der Palast seit der frühen Neuzeit in der Regel die älteste Tochter oder Schwester des herrschenden Kaisers beherbergt. Inzwischen lag das Palais schon lange innerhalb der Stadtgrenzen, auch wenn er immer noch von ausgedehnten Parkanlagen umgeben war.
In besseren Tagen war der Park für die Öffentlichkeit oder zumindest Mitglieder der Oberschicht zugänglich gewesen, doch damit war es seit dem Tod von Prinzessin Linais Ehemann vorbei. Die Kaiserliche Garde, die sonst eher unauffällig agierte, hatte die Bewachung deutlich verschärft und das Gelände weiträumig abgeriegelt. Was hinter den neoklassischen, klar-kantigen und nur von wenigen Säulen- und Statuen-Ensembles aufgelockerten Gebäudemauern geschah, blieb ein Geheimnis. Seit dem Tag von Prinzessgemahl Tobarii Jockhams Tod hatte seine Ehefrau Linai das Gelände nicht mehr verlassen und nur wenige Gäste empfangen. Kern Ramal hatte nicht dazu gehört, auch wenn er darauf gewartet hatte. Tage, Wochen…Linai war stumm geblieben, der erwartete Ruf war nicht erfolgt.
Und jetzt…

„Das Ganze ist höchst ungewöhnlich. In mehr als einer Hinsicht“ Die Stimme der Offizierin der Kaiserlichen Garde blieb emotionsfrei. Falls es sie nervös machte, den Stabschef der Admiralität warten zu lassen, verbarg sie es geschickt – so wie das Visier des Helms ihr Gesicht verbarg.
„Dessen bin ich mir bewusst.“ Kern Ramals Stimme war ebenfalls ausdruckslos.
„Wenn es jemand anderes wäre, würde ich denken, dass Sie mich auf den Arm nehmen wollen. Oder dass das Ihr Ansinnen nur ein Vorwand ist. Und dass Sie auch noch DAS da mitnehmen wollen…“
‚DAS da‘ war das Kampfschwert, dass Kern Ramal nur wenige Stunden zuvor erhalten hatte und das die Offizierin jetzt in den Händen hin und her drehte, während sie wachsam das Gebinde inspizierte, welches die Klinge in der Scheide fixierte und ein schnelles Ziehen unmöglich machte. Dennoch war das natürlich mehr eine Geste als ein echter Schutz. Mit einem Messer, ja vermutlich sogar mit Zähnen und Klauen konnte die Klinge problemlos befreit werden.
Dann, mit einer jähen, fast abrupten Bewegung streckte die Offizierin das Schwert wieder Ramal entgegen: „Hier. Lassen Sie mich das nicht bereuen.“
Kern Ramal neigte den Kopf während die Wachoffizierin ihn durchwinkte. Er wusste, was dieses Entgegenkommen für einen Vertrauensbeweis darstellte. Allerdings reichte das Vertrauen nicht soweit, dass sie Ramal alleine weitergehen ließ. Stattdessen folgte sie dem Flottenstabschef persönlich. Die zwei Schritte Abstand mochten einer Ehrengarde angemessen sein. Sie sicherten aber auch, dass die Offizierin ihre Waffe jederzeit ziehen und abfeuern konnte.

Während die beiden die momentan verwaisten Gartenpfade passierten, musste Kern Ramal den Impuls unterdrücken, sich nach den Wachposten umzusehen, die wie er wusste auch den Park patrouillieren mussten. Und er dachte an die seltenen Gelegenheiten zurück, zu denen er das Anwesen früher besucht hatte. Das schien jetzt lange her, fast in einem anderen Leben. Zumindest er war ein anderer gewesen. Junger, hoffungsvoller…dümmer.
Ein kaiserlicher Bastard, dessen fragwürdige Herkunft ein Geheimnis und doch für zu viele bekannt war, der immer im Schatten seiner Geburt stand…

Kern Ramals melancholisches Abirren in den Gefilden der Vergangenheit wurde unterbrochen, als sie eine Seitentür des Hauptkomplexes erreichten, wo sie bereits erwartet wurden.
„Lassen Sie mich das nicht bedauern.“ Lady Cassei Merû’s Begrüßungsworte echoten die der Wachoffizierin und Kern Ramal begriff, wem er vermutlich die Entscheidung zu verdanken hatte, ihn überhaupt vorzulassen.

Er kannte die enge Vertraute und Freundin der Prinzessin nicht besonders gut, aber das konnten auch sonst nur sehr wenige von sich behaupten. Sie hatte wenige Freunde und schien über kein Privatleben zu verfügen – zumindest keines, das allgemein bekannt war. Fast dasselbe galt für ihre Vergangenheit, die deshalb umso mehr der Fokus von Gerüchten und Spekulationen war. Dass Cassei aus ärmlichen Verhältnissen stammte, war bekannt. Aber danach fingen die Ungewissheiten an. Manchen Gerüchten zufolge war sie ein Findelkind ohne bekannte Eltern, andere munkelten wahlweise von einer Slum-Prostituierten oder einer in Ungnade gefallenen Hof-Kurtisane als Mutter sowie von mehreren Geschwistern. Casseis Schönheit, ihr pragmatischer, durch einen unverstellten Blick auf die Realität geschärfter Verstand und ihre noch schärfere Zunge trugen dazu bei, diesen Gerüchten vermeintliche Plausibilität zu verleihen.
Angeblich war Cassei schon als Kind eine Begleiterin der fast gleichaltrigen Prinzessin und dann auch eine ihrer Jugendfreundinnen gewesen. Das zumindest war nicht so ungewöhnlich: In der Kaiserfamilie gab es seit langem die Tradition, die Prinzessinnen und Prinzen nicht nur mit Kindern der Oberschicht zusammen aufwachsen zu lassen. Spielkameraden und Freunde aus niedrigeren Klassen waren als keiner der großen Familien zugehörend…unkomplizierter. Sorgfältig ausgebildet und erzogen stellten sie später zuverlässige Adjutanten, Leibwächterinnen, Leibdiener, Vertraute und manchmal auch Geliebte. Andererseits konnten die sich eventuell anbahnenden Freundschaften, Feindschaften, Rivalitäten oder knospenden Romanzen viel weniger Gefahr laufen, sich zu politischen Komplikationen auszuwachsen und gegebenenfalls mit einem Minimum an Flurschaden unterbunden werden. Solche Weggefährten gaben überdies den künftigen Hoheiten Einblicke in die Welt, die im Kreis der Hofgesellschaft wohl kaum gewonnen werden konnten.
Natürlich gab es noch andere, fantasievollere Geschichten über Linais Hofdame. Die harmlosesten sprachen wahlweise von einer früheren Liebschaft Casseis mit Linai, ihrem verstorbenen Bruder Jor oder gar mit dem verblichenen Imperator.
Kern Ramal glaube nichts davon. Auch nicht, dass er in Cassei eine heimliche Halbschwester hatte, wie andere behaupteten. Und noch weniger glaubte er das wohl phantasievollste Gerücht, dass alle Vermutungen über Casseis Herkunft und Aufwachsen für Lügen erklärte und in der Hofdame eine in unmittelbarer Nähe der Prinzessin installiertes Mitglied der berüchtigten Cha’Kal-Eliteagenten zu erkennen behauptete, das deshalb vielleicht nicht einmal auf natürliche Weise geboren oder überhaupt ein sterbliches Wesen war.
Das bedeutete freilich nicht, dass er Cassei unterschätzt hätte. Ihre wachsamen, methodisch immer wieder die Umgebung absuchenden Blicke und die federnden, energischen Bewegungen ließen auf ein Training in Selbstverteidigung, wenn nicht eine Leibwächterausbildung schließen. Das ließ die Gerüchte, dass Linai ihre Hofdame dazu auserkoren hatte, als die Amme für Linais noch ungeborenen Sohn zu fungieren, umso wahrscheinlicher klingen.

Die Kern Ramal begleitende Wachoffizierin salutierte knapp und wandte sich nach einem knappen Nicken der Hofdame wortlos zum Gehen. ‚DEFINITIV ist Cassei nicht nur Linais Jugendfreundin.‘
Ein paar Augenblicke musterte Cassei Merû ihren Gegenüber schweigend, dann trat sie beiseite und bedeutete ihm, ihr zu folgen: „Unter anderen Umständen hätte ich Sie einfach fortgeschickt. Die Prinzessin will Sie eigentlich gar nicht sehen.“ Der nüchterne, fast ein wenig bedauernde Ton gab den Worten paradoxerweise zusätzliches Gewicht. Die Hofdame seufzte: „Aber Sie bringen DAS DA…Also bleibt mir wohl nichts anderes übrig. Sie lassen damit weder mir noch der Prinzessin eine echte Wahl. Ihr…Adligen und eure vorsintflutlichen Traditionen.“
Kern Ramal straffte sich leicht. DAS war eine Sichtweise auf die Situation, die ihm nicht unbedingt behagte: „Es war nicht meine Absicht, IRGENDJEMAND unter Druck zu setzen.“
Vielleicht lag es daran, dass sie den Palast durch einen der Seiteneingänge betreten hatten und die Hauptflure mieden, aber die beiden Adligen waren praktisch alleine, die langen Flure und Treppen schienen verwaist. Nur einmal glaubte Kern Ramal in einiger Entfernung sich entfernende Schritte zu hören, und vielleicht auch ein paar halblaute, unverständliche Worte. Der kaiserliche Bastard war nicht leicht einzuschüchtern. Dennoch spannte er sich unwillkürlich an. Der Palast wirkte so…leer. Verwaist bis auf die Geister verpasster Gelegenheiten und falscher Entscheidungen. Aber das war wohl auch nicht so überraschend. ‚Wie ein Haus, in dem jemand gestorben ist…‘


Auch wenn Cassei Merû’s Stimme leise blieb, schnitt sie doch unnatürlich laut durch die Stille: „Letzten Endes ist es vielleicht gut, dass Sie hier sind. Vielleicht kann ihr das den Abschluss geben, den sie braucht.“
„Verdanke ich diesem Umstand meinen Zutritt?“ Kern Ramal achtete darauf, seine Stimme frei von Ironie zu halten. Egal, als was Cassei Merû geboren war, als Vertraute der Prinzessin hatte sie zumindest im Augenblick die Macht, auch dem imperialen Flottenstabschef die Tür ins Gesicht zu schlagen.
„Das ist einer der Gründe. Der zweite ist, dass leider nur wenige bereit sind, einem Mitglied des Herrscherhauses das zu sagen, was es hören muss. Und nicht, was sie meinen, dass es hören WILL. Und noch weniger sind dazu bereit und nicht gleichzeitig eine potentielle Bedrohung. Der Platz auf der Spitze der Pyramide ist ein einsamer.“
Kern Ramal fragte sich, ob diese Worte auch eine kaschierte Warnung enthielten: „Und der dritte Grund?“

Statt einer Antwort klopfte Cassei an eine unauffällig lakierte, fast mit den Flurwänden verschwimmende Tür, die sie dann leise öffnete und Kern Ramal schweigend winkte, einzutreten. Der kaiserliche Bastard spürte kurz den irrationalen Drang, das Zimmer nicht zu betreten, überwand aber sofort die unpassende Anwandlung und trat ein. Cassei begleitete ihn nicht, sondern schloss die Tür fast unhörbar hinter ihm
Die Zimmerflucht, in der sich Kern Ramal wiederfand, war keine der hoheitlichen Suiten. Zwar war sie geräumig und ebenso geschmackvoll wie bequem eingerichtet, aber für eine Prinzessin wäre sie unter normalen Umständen als zu wenig repräsentativ angesehen worden. Und dennoch war es eine Prinzessin, die ihn hier erwartete.
Linai Thelam war allein. Kern Ramal wusste, was für einen großen Vertrauensbeweis auch dieser Umstand darstellte, obwohl er sich ziemlich sicher war, dass sich Leibwächter oder kaiserliche Gardisten in Rufweite befanden.
Die Prinzessin sah…nicht gut aus. Die Thelams neigte nicht zur Fülle. Linais verstorbener Bruder Jor war muskulös gewesen, ohne eine Unze überflüssiges Fett. Ähnliches konnte man von Karrek Thelam sagen. Selbst Rallis Thelam konnte nicht wirklich fett genannt werden und Linai war immer schlank gewesen, ohne zerbrechlich zu wirken. Doch jetzt wirkte sie abgehärmt, was die Zeichen ihrer Schwangerschaft deutlicher hervortreten ließen, als es deren Dauer hätte vermuten lassen. Ein unruhiger Ausdruck schimmerte in den müden Augen. Aber sie hielt sich sehr gerade und da war keine Schwäche in ihrem Blick.
„Admiral Ramal.“ Linais Stimme war rau, aber klar.
„Hoheit…“, Kern Ramal zögerte kurz. Aber egal, was er jetzt am liebsten gesagt hätte, zuerst hatte er einen Auftrag zu erfüllen, dem ihn ein Toter gegeben hatte. Er verneigte sich aus der Hüfte und ging dann auf ein Knie. Tobarii Jockhams Duellschwert streckte er dabei waagerecht vor sich, peinlich darauf bedacht, weder Griff noch Stichschutz zu berühren: „Ich bringe euch das Schwert eures Gatten. Kan Drehh’na’can.“ ‚Die Klinge ist nicht gebrochen.‘

Die Prinzessin musterte den vor ihr Knieenden und das Schwert in seinen Händen schweigend. Solange, dass die Stille unangenehm wurde. Doch dann, als sich Kern Ramal bereits fragte, ob Linai ihn für alle Ewigkeit auf dem mit einem klassisch-schlichten Mosaik geschmückten Boden knien zu lassen beabsichtigte, ergriff sie die ihr entgegengestreckte Waffe. Vorsichtig, als ob die Klinge aus Kristall und nicht aus gehärtetem Stahl geformt worden wäre. Ein paar weitere Augenblicke starrte sie auf das Schwert in ihren Händen, bevor sie es behutsam auf den runden, mit Schnitzwerk und zurückhaltenden Intarsien geschmückten Tisch ablegte. Dann wandte sie sich wieder dem Knienden zu. Und schlug ihm mit einer jähen Bewegung mit aller Kraft ins Gesicht.
Kern Ramal hatte nicht erwartet, mit offenen Armen erwartet zu werden. Aber DAS kam dennoch überraschend – wie auch die Wucht des Schlages. Linai hatte einen stärkeren Arm als er gedacht hätte.
„Du kannst dich wieder erheben.“ Trotz der vertraulichen Anrede schwang in der Stimme der Prinzessin keinerlei Freundlichkeit mit.
Kern Ramal erhob sich, während er mit der Zunge prüfend über seine Zähne fuhr. Ja, alle saßen noch fest: „Geht es dir jetzt besser?“
Die Prinzessin lachte jäh auf, ein beunruhigend trostloser Ton: „Besser?! Das kannst wirklich nur du sagen, nachdem du meinen Mann hast sterben lassen.“
„Ich habe nichts dergleichen getan. Ich habe versucht ihm beizubringen, wie er diesen Kampf GEWINNT.“
„Offenbar ohne Erfolg. Vielleicht bist du doch nicht so fähig, wie du selber meinst. Oder wolltest du es auch gar nicht sein?“
„Ich habe Tobarii auf das Duell vorbereitet, so gut das in der kurzen Zeit möglich war. Wenn das nicht genug war…“
„Dann hättest du ihm das klarmachen müssen!“
„Ich bin nicht allwissend. Ich dachte wirklich, dass er es schafft. Dero kann man schließlich auch nicht gerade ein Duell-Ass nennen.
Und ich bin auch nicht Tobariis Gefolgsmann. Oder deiner. Es ist nicht meine Aufgabe, für einen von euch zu denken oder ungefragt die Verantwortung für euer Handeln zu übernehmen. Das habe ich auch Rallis klargemacht.“
Das wäre ihm wohl besser nicht herausgerutscht, denn die Prinzessin versteifte sich sichtlich: „Was hat mein Cousin damit zu tun?“
„Ich habe ihn mal getroffen. Er hat mir – übrigens ungefragt – Interna über Deros frühere Duelle zugespielt. Ich habe das überprüft, das Material war authentisch. UND ich musste mir seine Anspielungen und Klassiker-Sentenzen anhören. Der Mann hört sich selber viel zu gerne reden. Er…“
„Er hat vorgeschlagen, dass du an Tobarii’s Stelle mit Dero die Klingen kreuzt?“
„Er hat so etwas angedeutet. Und du willst nicht wissen, was sonst noch alles.“
Die Prinzessin, deren kalter Blick bisher starr auf Kern Ramals Gesicht gerichtet gewesen war, blickte rasch zur Seite. Sie konnte sich ziemlich gut vorstellen, welche Gerüchte ihr verschlagener Cousin sonst noch angesprochen hatte. Aber die kurze Verlegenheit war keinesfalls genug, um ihre Wut zu ersticken: „Das ist wahr. Du hast dabei versagt, meinen Mann auf den Kampf vorzubereiten. Du hast einfach danebengestanden.“
„Hast du mir nicht zugehört? Ich habe sehr viel mehr getan als das! Ohne mich hätte er Dero nicht einmal eine Schuppe ritzen können. Ich habe dafür gesorgt, dass er eine ECHTE Chance hatte!
Und wenn dir das Wagnis zu groß war, wenn du Zweifel gehabt hast…warum hast DU es dann geschehen lassen? Warum hast du nichts gesagt? Und warum hast du mich nicht gefragt, ob ich den Zweikampf übernehme? Oder irgendjemand anderen? Es muss dutzende Fechter geben, die bereit gewesen wären, an Tobariis Stelle zu treten.“
„SEI STILL!“
Die Heftigkeit von Linais Ausbruch überraschte Kern erneut und ließ ihn seine nächsten Worte überdenken. Er erkannte ein schlechtes Gewissen. Es hatte keinen Sinn, Linai noch tiefer in den Morast zu drücken, in dem sie zu versinken drohte. Dafür empfand er immer noch zu viel für sie: „Nicht, dass es eine Rolle gespielt hätte. Nachdem die Herausforderung erst einmal ausgesprochen worden war, hätte Tobarii nicht mehr zurückgekonnt. Egal ob ich oder irgendein junger, aufstrebender Offizier bereit gewesen wäre, an seine Stelle zu treten. Dein Mann hätte das niemals zulassen können.“
„Aber jetzt ist er tot.“, Linais Stimme blieb unversöhnlich: „Und ich bin nicht die einzige, der sich jetzt fragt, ob es das war, was du wolltest. Worauf du gehofft hast. Damit du dann seinen Platz treten wolltest…“
„DAS IST NICHT WAR!“, jetzt wurde auch Kern Ramals Stimme lauter: „Das glaubst du doch selbst nicht. Du weißt, was ich wollte. Was ich niemals haben kann. Und ganz bestimmt nicht über den Leichnam deines Mannes!“
„Wirklich nicht? Und warum nicht? Dero…“
„Ich bin nicht Dero. Wirf mich nicht in einen Topf mit diesem…
Dann wär es mir schon lieber, wenn du mich einfach noch mal ins Gesicht schlägst.“
Die Prinzessin schnaubte wenig amüsiert: „Weißt du eigentlich, dass die Dechanaras mir ihre Unterstützung angeboten haben, im Ausgleich für deinen Kopf? Und ich habe abgelehnt. Wegen dem, was du für Tobarii zu tun behauptest hast. Wegen…Was war ich doch für eine Närrin.“

Das kam überraschend und doch eigentlich auch wieder nicht. Kern Ramal wusste natürlich, dass das in manchen Kreisen eher ignorierte als wirklich verborgenes Geheimnis seiner kaiserlichen Herkunft schon durch seine bloße Existenz eine tödliche Beleidigung für die Familie der verstorbenen Kaiserin darstellte. Er hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass die Familie von Linais Mutter so weit gehen würde. Und dass Linai sein Leben über die Macht und den politischen Einfluss des Hauses ihrer eigenen Mutter gesetzt hatte, erfüllte ihn kurz mit einem etwas unangebrachten Glücksgefühl. Das, und was diese Entscheidung über Linais Werte, über ihren eigenen Wert verriet. Allerdings ließ ihm diese Enthüllung wiederum eigentlich nur eine Wahl. Auch wenn er nicht Linais Gefolgsmann war.

„Wenn die Dechanaras meinen Kopf wollen, dann sollen sie ruhig versuchen, ihn zu beanspruchen. Wenn meine Prinzessin allerdings der Meinung ist, dass…“
„Lass das! Männer. Ihr und eure verdammte Ehre. So hätte das nicht ablaufen sollen.“, noch einmal Linai lachte freudlos auf: „Mein Mann ist für mich gestorben. Mein…Dero war bereit für mich zu töten. Und jetzt bietest du mir deinen Kopf an. Was habe ich doch für ein Glück.“
„Du musst…“
„Ich muss, ich muss…Das sagen mir alle. Rallis, Mukar Nellan und jetzt du. Ich soll etwas tun. Und meint damit doch nur das, was ihr für euch selber wollt. Als wäre ich eine Puppe, an deren Fäden man ziehen kann.“
„Ich will dir nicht sagen, WAS du tun sollst. Das steht mir nicht zu. Aber wenn meine Dienste für das Imperium, meine Rolle als Tobariis Fechtlehrer und Duellbegleiter und meine…unsere Vergangenheit und das Blut, das wir teilen…wenn das einen Wert hat, dann wohl genug, um dir zu sagen, dass du ETWAS tun musst.
Ob du dich mit den Allecars eine Übereinkunft triffst und Deros Anspruch auf dein Kind anerkennst. Ob du die Allecars zu Feinden des Imperiums erklärst und die Garde marschieren lässt. Ob du das Bündnis mit Rallis oder einem deiner anderen Cousins suchst. Es ist deine Entscheidung. Nur TU endlich etwas, bevor jemand anderes das Heft des Handelns an sich reißt.
Was du auch wählst, ich werde mich dir nicht in den Weg stellen. Und was auch immer für ein Gewicht mein Wort momentan in den Streitkräften und im Flottenstab hat…es steht dir zur Verfügung. DAS wollte ich dir sagen.“
Er erhielt keine Antwort. Die kaiserliche Prinzessin musterte ihn nur lange und eindringlich. Als würde sie zu ergründen versuchen, ob er seine Worte ernst meinte. Und was dahinter steckte. Aber sie hakte nicht nach: „Du hast mich nicht gefragt, wer der Vater meines Kindes ist.“
„Das steht mir nicht zu. Und es würde nichts an meiner Entscheidung ändern. Oder der Entschlossenheit, ihnen auch Taten folgen zu lassen.“ ‚Außerdem…wenn ich zu sehr darüber nachdenke, kann ich mich vielleicht nicht beherrschen, wenn ich dem nächsten Mal einem Allecar über den Weg laufe.‘ Auch wenn er Dero Allecars Mut und Können anerkennen musste, auch wenn dessen tödliches Duell mit Linais Ehemann ihm einen Anspruch auf ihr ungeborenes Kind geben mochte, hasste Ramal ihn dafür, mit einer Intensität, die ihn manchmal selber erschreckte. Was dadurch nicht besser wurde, dass es ihm nicht zustand.
„Versprechen sind billig. Ich denke, dass wissen wir beide inzwischen.“
Kern Ramal nickte langsam: „Doch wenn es irgendetwas gibt…“
„Deros Vater nimmt an den Treffen der Flottenführung teil.“ Das war keine Frage, trotzdem fühlte sich Kern Ramal bemüßigt zu antworten: „In der Tat. Wie der Kanzler uns mitteilte, auf Wunsch des Hofes.“
„Ich kann mir vorstellen, dass Kanzler Qau das gesagt hat. Aber es ist…kompliziert.“
„Soll das heißen…“
„Ich will wissen, wie Meliac Allecar in diesem Kreis aufgenommen wurde. Wie die Admiräle auf ihn reagiert haben.“
„Sicherlich hat man dir schon mittgeteilt…“
„Vielleicht. Ich will es aber von dir hören.“
‚Das ist ein erster Test.‘ Kern Ramal wählte seine nächsten Worte sehr sorgfältig: „Meliac Allecars Teilnahme blieb…nicht unkommentiert.
Admiralin Kenai Ras hätte ihn vermutlich am liebsten mit einem Tritt durch die nächste Luftschleuse befördert. Ich weiß nicht, ob wegen Deros ‚Seid-nett-zu-den-Menschen‘-Politik – denn sie hasst die Menschen mit einer Intensität, die selbst Prinz Jor in den Schatten stellt - oder weil sie die Ambitionen der Allecars als unnütze Ablenkung von den Kriegsanstrengungen ansieht. Seitdem die Menschen ihre Heimatwelt vernichtet haben, gibt es nichts, was für Ras wichtiger ist, als die Vergeltung. Und wer auch immer sich ihr auf dem Weg dahin in den Weg stellt, wird deshalb Ziel desselben Zorns.
Admiral Lann war kaum freundlicher, aber er ist ja auch ein Anhänger deines Cousins Rallis. Und wir wissen alle, was der von den Allecars hält.“
„Ja…Rallis. Mit dem werde ich mich noch mal beschäftigen müssen.“ Linais Stimme klang eher nachdenklich als drohend, trotzdem war sich Kern Ramal nicht sicher, was diese Ankündigung für den immer noch von vielen etwas unterschätzten Thronprätendenten bedeuten mochte.
„Bei Admiral Taran bin ich mir nicht sicher. Der Junge lässt sich ungern in die Karten schauen. Außerdem weiß ich bei dieser ‚Ich-diene-dem-Reich‘-Attitüde der Tarans nie so ganz genau, wie sie sich am Ende positionieren. Die Tarans und die Allecars haben eine lange gemeinsame Geschichte. Aber das hindert meinen Chef des Planungsstabes nicht, einige unangenehme Wahrheiten an den Mann zu bringen.“
„Und Admiral Reik Latasch?“, kam die Prinzessin zu dem wohl wichtigsten Mitglied des Flottenstabes.
„…war ungewöhnlich konziliant. Entweder weil er es für Zeitverschwendung hält, die Allecars zu konfrontieren – oder weil er glaubt die Zeichen an der Wand zu erkennen und auf die richtige Partie setzen will. Reik Latasch hat jetzt schon das Kriegsministerium praktisch in der Hand. Ich kann mir vorstellen…“
„Das er das offiziell machen möchte. Ja.“
Während Kern Ramlas Linais jetzt wieder gleichmäßiger und kühl überlegender Stimme lauschte, fühlte er so etwas wie Erleichterung, fast sogar Freude. Es war, als würde er durch all das Chaos und die Tragik der letzten Wochen und Monate wieder einen Blick auf die ‚alte‘ Linai erhaschen, die er aus der Ferne bewundert hatte. Und mehr als das. Sie war also immer noch da, trotz der Schicksalsschläge und Selbstvorwürfe. Und solange das der Fall war, gab es eine Hoffnung. Wenn auch vielleicht nicht für seine persönlichen Wünsche, aber dafür für das Reich.


*****

* ‚Kallats’ waren Sprechgesänge, mit denen sich die antiken Akarii auf die Schlacht einstimmten. Später wurde der Begriff für Gedichte gebräuchlich, die den Tod in der Schlacht, Ehre, Tapferkeit, einen ‚guten Tod’ oder die Bereitschaft zum Selbstopfer thematisieren. Die Kallats berühmter Feldherren, Dichter und Kaiser der Antike, verfasst vor oder nach einer Schlacht, im Angesichts einer Katastrophe oder des nahenden Todes, sollten die Gedanken, Gefühle ihrer Verfasser für die Ewigkeit festhalten. In einigen Militärakademien gehörte das Rezitieren und Verfassen immer noch zum Unterricht.
31.12.2022 09:38 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Kriegssplitter V


4:15 Uhr: Angriff auf Objekt 25 beginnt
5:09 Uhr: Objekt 25 weitestgehend in imperialer Hand. Feind hält obere Stockwerke und Keller
7:18 Uhr: Feindlicher Gegenstoß beginnt, unterstützt von Mörserbeschuss und Scharfschützen. Keine Verstärkung unserer Angriffstruppen möglich.
9:20 Uhr: Imperialer-Konterangriff bricht durch und wirft feindlichen Angriff zurück
12:10 Uhr: Objekt 25 vollständig in imperialer Hand. Gegner zurückgeschlagen oder vernichtet, Objekt schwer beschädigt.



Gamma-Eridon, im Stadtgebiet von Arta‘Rijen
Vierter Tag der Operation Markat

Die Explosion war so nahe, dass die massiven Kellerwände zu wanken schienen. Ein Schauer aus Betonbröckchen und Staub prasselte auf die Köpfe der Akarii-Infanteristen, doch nur wenige zuckten kurz zusammen. Die meisten der Gesichter hinter den hochgeklappten Helmvisieren waren angespannt aber ruhig. Die Mehrzahl dieser Männer und Frauen waren altgediente Veteranen des Terranerkrieges.
Was auch für die Frau galt, die vor ihnen stand. Majorin Danik ‚Die Totengräberin‘ Atara von den ‚Herolden des Todes‘ hielt sich sehr aufrecht, obwohl sie nur wenig Schlaf gefunden hatte und immer noch ihren verletzten Arm nicht richtig bewegen konnte. Aber von so etwas hatte sich die zur Kampfkommandantin von Arta’Rijen ernannte Panzeroffizierin noch nie aufhalten lassen. Ihr heftig vernarbtes Gesicht gab davon ein beredtes Zeugnis.
„Ich brauche wohl nicht zu sagen, wie wichtig es ist, dieses verdammte Hochhaus zu sichern. Mit Objekt 25 haben wir eine Position, die uns eine klare Sicht auf die Brücke und das vom Feind kontrollierte Gebiet gewährt. Mit der Einnahme dieses ehemaligen Büro- und Verwaltungshochhauses verwehren wir dem Gegner zudem eine günstige Position für Scharfschützen, Artilleriebeobachter und Zieleinweiser für Luftschläge. Und wir sind unserem Ziel, einen Keil in das von den Menschen gehaltene Territorium zu treiben und die Glatthäute und ihre Lakaien in mehrere Kessel aufzusplittern, einen großen Schritt nähergekommen. Der Feind weiß das natürlich und wollte Gebäude 25 schon einmal zurückerobern. Er kann es noch einmal versuchen. Also muss das Umfeld gesichert und die verbliebenen feindlichen Feuernester ausgeschaltet werden, die unsere Verbindungslinien bedrohen. Und an dem Punkt kommt ihr ins Spiel…“

Eigentlich war es nicht die Aufgabe einer Bezirks-Kampfkommandantin, einem Infanterie-Stoßtrupp kurz hinter der Hauptkampflinie eine persönliche Motivationsrede zu halten. Aber Atara war keine gewöhnliche Befehlshaberin und der Kampf um Arta’Rijen keine normale Schlacht. Es stand viel auf dem Spiel. Was auch der Grund war, warum die imperialen Truppen Tag und Nacht angriffen.

Als sie die Straße betraten, wandte sich die Kampfkommandantin noch einmal um und sah dem ausrückenden Angriffstrupp hinterher. Ein dumpfes Rattern übertönte die Schritte und halblauten Worte der Soldaten, als ein schweres Laka-Sturmgeschütz in die Straße einbog, dem zwei leichte Radpanzer folgten.
Während die Kommandantin sich auf dem Weg zu ihrem Transportpanzer machte, war sie mit ihren Gedanken allerdings offenbar schon wieder woanders: „Was ist mit der Feuerunterstützung durch unsere Artillerie?“
Lieutenant Haktar, den Atara von Hauptman Golis, dem früheren Kommandanten von Arta’Rijen ‚übernommen‘ hatte, räusperte sich und musste die Stimme erheben, um den vorbeirollenden Panzerjäger zu übertönen: „Werferabteilung Drei unterstützt den Angriff. Aber was die schwere Raketenartillerie angeht, warten wir immer noch auf Nachschub.“
„Ich dachte, der nächste Transport sollte inzwischen eingetroffen sein. Was ist passiert? Schon wieder ein Luftangriff, oder wurde unsere Munition umdirigiert?“
„Es…war die Guerilla.“
Danik Ataras Kommentar war so prägnant wie unflätig und verriet ihre Herkunft von der Panzertruppe.
„Die Hälfte der Transporter wurde vernichtet, die meisten übrigen beschädigt. Wir versuchen so viel wie möglich von der Ladung zu bergen, aber das…“
„Kostet Zeit, die wir nicht haben. Ich dachte, inzwischen hätten wir dieses Ungeziefer zurück in seine Löcher gejagt. Wie kann es sein, dass sie uns immer noch Probleme machen?“
Haktar war froh, wenigstens eine gute Nachricht weitergeben zu können; „Zumindest diese Einheit wird das nicht mehr tun. Die Guerillaeinheit wurde kurz nach dem Angriff gestellt und aufgerieben.“
„Besser wäre es gewesen, wenn das VOR ihrem Angriff passiert wäre, aber…wissen wir, zu welcher Einheit die Angreifer gehörten und wo sie ihre Basis hatten?“
„Die Leichen werden noch untersucht. Ein Turam*-Jagdkommando hat den Guerilla-Angriffstrupp gestellt und…es gab keine Überlebenden.“
Danik Atara zischte abschätzig: „Schlamperei. Erinnern Sie mich daran, dass ich diese Bande nie für die Bewachung von Gefangenen einsetze. Zumindest keinen, die vielleicht noch einen WERT besitzen. Wir…“

Ihre nächsten Worte wurden von einem schrillen, anschwellenden Pfeifen übertönt, das sich zu einem ohrenbetäubenden Heulen steigerte. Haktar duckte sich instinktiv neben der zerschossenen Hauswand zu seiner Rechten in die Knie und presste den Kopf mit weit geöffnetem Mund auf die Brust.
Die folgende Explosion konnte er ebenso hören, wie fühlen – fast schien es, als würde der Boden kurz zusammenzucken. Aber der Einschlag war zum Glück mindestens zweihundert Meter entfernt und mit einem lautlosen Fluch richtete er sich wieder auf. Die ‚Totengräberin‘ schien nicht einmal zusammengezuckt zu sein: „Entspannen Sie sich. Noch eine dieser verdammten Hydra-Raketen, die die Terraner als Artillerie umfunktioniert haben. Ein Glück, dass die Raketen ungelenkt sind und eher zum Sprengen gepanzerter Ziele konzipiert wurden.“
‚Sie machen uns auch so genug zu schaffen. Vor allem, da diese verfluchten Luftlandetruppen eigentlich gar keine schwere Artillerie haben DÜRFTEN.‘
„Was gibt es Neues von der anderen Seite des Flusses?“

Ataras Kampfauftrag wurde dadurch kompliziert, dass der Feind sich auf beiden Seiten des Rijen festgesetzt hatte. Dass die Menschen und ihre Verbündeten immer noch die Brücke über den Fluss hielten und von der einen Seite das 30. Peshten-Korps und von der anderen die im imperialen Hinterland gelandete 4. Peshten-Sturmdivision zu ihrer Verstärkung anrückten, machten die Mission der ‚Totengräberin‘ zu einem logistischen Albtraum.

„Wir machen Fortschritte. Aber auf der anderen Flussseite fehlt es noch stärker an Artillerie und Truppen, da die benötigt werden, um die 4. Sturmdivision aufzuhalten. Wir…“
„Ich bin mir dessen bewusst. Richten Sie Hauptmann Golis aus, dass er wegen dem Nachschub Druck machen soll. Wir brauchen mehr Munition und mehr Soldaten. Eigentlich auch noch Panzer, Artillerie und Luftunterstützung, aber ich kenne den Unterschied zwischen ‚schwierig‘ und ‚unmöglich‘.
Apropos Golis. Macht sein Pontonbrücken-Projekt Fortschritte?“
„Ah…die Arbeiten sind angelaufen. Und da die Einflüge der feindlichen Luftwaffe seit gestern deutlich nachgelassen haben, ist er zuversichtlich, dass die neue Rijen-Brücke termingerecht fertig sein wird.“
„Lieber wäre es mir, wir würden diese Ersatzbrücke nicht brauchen.“ Immerhin war es Danik Ataras Aufgabe, die ECHTE Rijen-Brücke wieder in imperiale Hand zu bringen. Auch wenn sich das als langwieriger erwies als gedacht: „Sonst noch etwas?“
„Eine Anfrage vom Oberkommando. Sie wollen wissen…“
„Ich kann mir vorstellen, was sie wollen. Generaloberst Tyrosch möchte erfahren, wann ich diese Eiterbeule endlich ausgedrückt habe. Sagen Sie ihm…Nein. Ich werde selber…“, sie deutete auf das etwas weiter die Straße hinunter stehende Kommandofahrzeug.

Wieder schnitt das Aufheulen eines abgefeuerten Hydra-Werfers durch Danik Ataras Worte, auch wenn es diesmal von einem anderen Ort zu kommen schien. Außerdem war das Kreischen diesmal schriller, lauter und schneidender.
„Verdammt.“, übergangslos sprintete die Kampfkommandantin los. Die Sohlen ihrer Kampfstiefel knallten über den mit Trümmern übersäten Straßenbelag. Ohne auf die ebenfalls in Deckung hechtenden Soldaten ihres Begleitkommandos zu achten, warf sich Atara unter das Panzerfahrzeug. Haktar war ihr auf den Fersen, strauchelte kurz – die Kommandantin zerrte ihn kurzerhand am Knöchel unter den Radpanzer: „Kopf runter!“
Dann versank die Welt in Dreck, Staub und Chaos.

Lieutenant Haktar wusste nicht, wann er das Bewusstsein zurückgewann. Vielleicht waren nur ein paar Sekunden, vielleicht Minuten oder sogar Stunden vergangen.
Die Umgebung war immer noch in das Grauschwarz der Explosionswolke getaucht. Dreck und Staub überzogen Haktars Panzeranzug, den Radpanzer, der ihm Schutz geboten und möglicherweise das Leben gerettet hatte, den zerschundenen Straßenbelag und die Reste des benachbarten Gebäudes, das halb in sich zusammengestürzt war. In dem unheimlichen Zwielicht schienen alle Konturen verzerrt und alle Geräusche gedämpft. Nur schemenhaft waren die Soldaten des Begleitkommandos zu erkennen, die sich wie in Zeitlupe durch den Qualm zu bewegen schienen.
Irgendjemand packte Haktar an der Schulter und rüttelte ihn, während er vergeblich versuchte seine Gedanken zu ordnen. Er musste…
Ein heftiger Schlag mitten ins Gesicht schleuderte seinen Kopf herum und riss ihn aus dem Wirrwarr unzusammenhängender Gedankenfetzen: „Reißen Sie sich zusammen!“
Mit Mühe fokussierte Haktar seinen Blick und seine Gedanken auf die vor ihm kniende ‚Totengräberin‘. Abgesehen von der Dreck- und Staubschicht, die sie von Kopf bis Fuß bedeckte, schien Danik Atara seltsam unberührt von dem Chaos: „Geht es wieder?“
„Was…“
„Ein Nahtreffer.“, in Danik Ataras Worten schwang fast so etwas wie grausame Belustigung mit: „Wir haben Glück gehabt. Zwei Leichtverletzte. Kommen Sie, wir verschwinden. Falls die Glatthäute uns auf Korn genommen haben sollten, wollen wir ihnen doch keine Gelegenheit bieten, es noch einmal zu versuchen. Unser kleiner Frontbesuch ist vorbei.“

Während ihr Adjutant etwas schwerfällig auf die Beine kam, kletterte die Kampfkommandantin bereits gewandt in das Kommandofahrzeug, auch wenn sie nur eine Hand gebrauchen konnte. Der Motor des Radpanzers erwachte zum Leben, während der Gefechtsturm eine Neunzig-Grad-Drehung vollführte – offenbar wollte sich die Besatzung überzeugen, dass die Turmmechanik nichts abbekommen hatte. Auch die Soldaten des Begleitkommandos kletterten auf ihren Schützenpanzer.
Haktar war kaum durch die Luke, als das Fahrzeug auch schon anrollte. Der Lieutenant riss sich den Helm vom Kopf und atmete gierig die gefilterte Luft des Panzers ein. Die stank allerdings ebenfalls noch nach Qualm und Staub. Er sah sich nach Kampfkommandantin Atara um, aber die ‚Totengräberin‘ war in das C3-Holo-Display vertieft, das die Stellungen und Frontlinien der Schlacht um Arta’Rijen zeigte. Natürlich hatte sie auch über ihr Helmdisplay darauf Zugriff, aber das ging auf Kosten des Detailreichtums.
„Stellen Sie eine Verbindung zur anderen Flussseite her. Die 4. Sturmdivision ist immer noch auf dem Weg hierher. Wir müssen auf jeden Fall verhindern, dass sie Anschluss an unsere Freunde hier gewinnen.“
„Ein erneuter Angriff? Die letzten Meldungen…“
„Sind mir bekannt. Ich weiß, wie wenige Truppen wir zur Verfügung haben. Aber die gegnerischen Einheiten sind schließlich auch nicht unbedingt Frontkaliber. Schalten Sie unsere Artillerie dazu – auf BEIDEN Seiten des Rijen. Mal sehen, ob ein paar konzentrierte Artillerieschläge etwas bringen. Und ja, ich weiß, wie knapp unsere Munition ist.“
„Die nächsten Angriffe auf dieser Flussseite…“
„Starten wie geplant. Wir müssen von beiden Seiten des Kessels Druck machen.“

Während Lieutenant Haktar sich an die diensthabende Kommunikations-Offizierin wandte, spürte er, wie der Radpanzer langsamer wurde und kurz zur Seite gelenkt wurde. Ein Blick aus dem Fenster verriet ihm den Grund: eine vorrückende Infanteriekolonne blockierte einen Großteil der Fahrbahn. Die meisten der Männer und Frauen trugen keine vollständigen Gefechtsanzüge, sondern lediglich Panzerwesten, Infanteriehelme und nur vereinzelt zusätzliche Panzerung an den Gliedmaßen. Aber immerhin waren sie gut bewaffnet. Neben Lasergewehren registrierte Haktar Schnellfeuerlaser, schultergestützte Raketen- und Granatwerfer, sogar mehrere Plasma-Flammenwerfer. Falls die Infanteristen das Kommandoabzeichen auf der Flanke des Radpanzers bemerkten, dann ignorierten sie es – bis auf einige, die spöttisch winkten oder sich sogar vereinzelt zu unflätigen Gesten hinreißen ließen. Doch Danik Atara war so sehr in die holografische Schlachtfelddarstellung vertieft, dass sie es nicht bemerkte. Und hätte sie es gesehen, sie hätte wahrscheinlich nur darüber gelacht.


**************


Gamma-Eridon, Vereinigtes Hauptquartier der 17. und 22. Heeresgruppe der imperialen Armee
Ungefähr zur selben Zeit


„Und das ist gesichert?“, Generaloberst Tyroschs Stimme klang ruhig, fast tonlos. Aber etwas in seinen Augen ließ den unglücklichen Stabsoffizier auf dem Bildschirm vor ihm schlucken.
„Kein Zweifel, was das Ausmaß der Zerstörung angeht. Das Treibstofflager wurde fast vollständig vernichtet. Nach den Bombenabwürfen kam es zu Sekundärexplosionen und bränden, die letztendlich fast das gesamte Areal erfassten. Weniger als zehn Prozent der Tanks wurden verschont oder konnten gesichert werden. Die Verluste an Tankfahrzeugen…“
„Wissen Sie auch, wie es dazu kommen konnte?“
„Ich verstehe nicht…“
„Wie konnte es passieren, dass – zwei? – Kampfflieger fast die Hälfte von Generalin Jerons Treibstoffreserven vernichten und dann sogar noch entkommen konnten? War das die Inkompetenz der Luftabwehr? Oder Verrat?“
Der Stabsoffizier versteifte sich: „Ich versichere Ihnen, dass niemand…“
„Also einfach nur Dummheit.“, der Oberkommandierende schwieg ein paar Herzschläge. Dann hatte er sich wieder im Griff und den unangemessenen Impuls unterdrückt, den unglücklichen Überbringer der schlechten Nachrichten verbal in Stücke zu reißen: „Wissen Sie, wer den Bombenangriff geflogen hat?“
„Nach unseren bisherigen Erkenntnissen war es eine kombinierte terranisch-peshtische Operation, mit mehreren flankierenden Einsätzen um den eigentlichen Schlag zu verschleiern. Den Luftschlag gegen das Tanklager haben Maschinen der ‚Angry Angels‘ geflogen.“
„Natürlich.“, Generaloberst Tyrosch kniff die Augen zusammen und unterdrückte einen weiteren Wutanfall: „Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie mir mitteilen sollen, dass Jerons Imperiale Ranger damit für die geplante Offensivoperation ausfallen?“
„Abgesehen von Aufklärungseinsätzen und kurzen Vorstößen auf Kompanieebene reichen unsere Reserven nur noch für Defensivoperationen. Das vorgesehene Umschwenken unserer Panzer- und mechanisierten Verbände gegen die Flanke des vorrückenden 30. Peshten-Korps ist hingegen unmöglich. Wenn wir nicht riskieren wollen, dass unsere Fahrzeuge auf dem Marsch oder schlimmer noch mitten in der Schlacht liegen bleiben.“
‚Ein bisschen Rückgrat hast du also doch, Junge.‘ „Und was gedenkt Generalin Jeron wegen dieses Problems zu unternehmen?“
„Wir haben bereits nach der Einnahme der Rijen-Brücke durch den Gegner begonnen, unsere Nachschublinien an die neue Situation anzupassen und diese Maßnahmen werden intensiviert. Die Reserven werden strikt rationiert. Lufttransporter und Schweber werden eingesetzt, um prioritär Munition und Treibstoff über den Rijen zu bringen. Aber die Luftangriffe der letzten Tage, die Landung der 4. Sturmdivision im imperialen Hinterland und die verstärkten Kommando- und Guerillaaktivitäten des Gegners haben unsere Transportkapazitäten stark dezimiert. Im Kommandobereich von Kampfkommandantin Atara wird zwar bereits an einer Pontonbrücke gearbeitet…“
„Die ‚Totengräberin‘ sollte sich lieber darauf konzentrieren, dass Arta’Rijen wieder in unsere Hand fällt.“, schnaubte Tyrosch, aber dieser Bemerkung fehlte es an Nachdruck.

Ein anderer Oberkommandierender hätte Generalin Jerons Schwierigkeiten und Kampfkommandantin Ataras Unvermögen, die Brücke über den Rijen gemäß dem ihr gesetzten Zeitplan zurückzuerobern, vielleicht als Beweis gewertet, dass Frauen doch nicht für Kommandoaufgaben geeignet waren.
Aber Generaloberst Tyrosch war zwar alt, aber nicht SO altmodisch – und auch nicht dumm. Er wusste um Generalin Jerons Leistungen. Und mit welchen begrenzten Mitteln er die ‚Totengräberin‘ in den Häuserkampf geschickt hatte.

„Sagen Sie Generalin Jeron, dass sie die Flanke des 30. Korps unter Druck setzen muss. Artillerieschläge, Infanterievorstöße – ja, auch mit Panzerunterstützung auf Kompanieebene. Wirbeln Sie Staub auf. Sie dürfen die Peshten nicht zur Ruhe kommen lassen.“
„Aber wir können unmöglich…“
„Das ist mir bewusst. Ich verlange nicht, dass Sie den Gegner werfen. Aber das kann er ja schließlich nicht wissen. Ich will, dass Peshten sich in keiner Sekunde sicher fühlen. Wir dürfen ihnen nicht erlauben, dass sie das Ausmaß von Jerons Treibstoffknappheit realisieren und Truppen an andere Frontabschnitte verlegen können.“
„Sie haben unser Treibstoffdepot wohl kaum zufällig angegriffen. Das war ein gezielter Schlag. Und was den Erfolg des Luftangriffs angeht…den können wir wohl schwerlich geheim halten. Einige Tanks brennen immer noch. Der Qualm ist dutzende Klicks weit zu sehen – vermutlich sogar aus dem Orbit. Die Peshten müssten blind sein…“
„Und dabei haben sie ja sogar drei Augen, jaja. Aber sie können eben nicht mit absoluter Sicherheit WISSEN, wie viel Treibstoff Jeron noch zur Verfügung hat. Sie können es nur vermuten. Wir müssen sie glauben machen, dass ein Angriff der Imperialen Rangers immer noch jederzeit erfolgen kann.“
„Glauben Sie wirklich, dass das funktioniert?“
„Was ich glaube, soll nicht Ihre Sorge sein. Aber wir haben die Peshten und die Menschen schon einmal überrascht. Sie sollen fürchten, dass das wieder geschieht. Also muss Jeron Druck machen.“
„Es wird Verluste geben.“
„Ich bin mir dessen bewusst. Sie haben Ihre Befehle. Geben Sie diese an Generalin Jeron weiter. Ich erwarte die Ausführung.“
Der Stabsoffizier salutierte unglücklich. Nicht, dass er wirklich eine Wahl gehabt hätte. Dann beendete er die Verbindung.

Generaloberst Tyrosch schloss kurz die Augen und erlaubte sich einige wenige Augenblicke der Ruhe. Am heutigen Tag spürte er die auf seinen Schultern lastende Bürde besonders deutlich. Er hatte diesen Befehl weder gerne noch leichtfertig gegeben, aber es hatte sein müssen. ‚Stellt sich nur die Frage, ob die Geschichte mir rechtgeben wird. Oder die Geister der Toten. Und ihre Familien…‘ Dann schob er diese Gedanken als sinnlos beiseite: „Verbinden Sie mich mit General Bû.“

Wenige Augenblicke später stand die Verbindung zum Befehlshaber der ‚Herolde des Todes‘, dessen Einheit zusammen mit den Imperial Rangers vor scheinbar so kurzer Zeit noch die Speerspitze des imperialen Streitkräfte gebildet hatte. Und die jetzt durch den Angriff des 30. Korps drohten, in zwei Teile gespalten zu werden: „General Bû, sind Ihre Truppen angriffsbereit?“
Der General wirkte übernächtigt, aber er wusste, was von ihm erwartet wurde: „Die Neuformierung unserer Angriffsverbände läuft planmäßig.“
„Es freut mich, dass alle Ihre Panzer wieder einsatzfähig sind.“ Diese kleine Spitze konnte sich Tyrosch nicht verkneifen. Als er vor wenigen Tagen General Bû befohlen hatte, den Großteil seiner Panzer zu Generalin Jeron zu verlagern, da deren Angriffskeile sich noch nicht in der alliierten Abwehrfront festgebissen hatte, hatte Bû eine verdächtig hohe Anzahl Fahrzeuge ‚nicht transportfähig‘ gemeldet. Nicht gewillt, seine Kampfwagen abzugeben, hatte Bû einen uralten Panzerfahrertrick angewendet. Seine Mechaniker hatten die Ketten und Schweberturbinen der Maschinen abmontiert – und schon konnten diese als ‚in Reparatur‘ zurückbehalten werden. Tyrosch hatte das Bû nicht einmal übelgenommen – höchstens die Tatsache, dass der General glaubte, seinen Vorgesetzten mit so einem billigen Trick hereinlegen zu können.
„Meine Techs haben ganze Arbeit geleistet.“, parierte Bû mit ausdrucksloser Miene: „Letzten Endes erweist sich das vielleicht sogar als Vorteil. So haben wir jetzt mehr Panzer, um das 30. Korps anzugreifen.“
Ungewollt spürte Tyrosch, wie es um seine Mundwinkel zuckte, während Bû fortfuhr: „Die ‚Herolde des Todes‘ sind angriffsbereit, wenn Sie den Befehl geben.“, der General zögerte kurz und fuhr dann fort: „Die ‚Imperialen Ranger‘…“
„Können leider nicht in der erhofften Stärke antreten. Aber Generalin Jeron wird alles in ihrer Macht stehende tun, um den Angriff gegen das 30. Korps zu unterstützen.“

Das Verhältnis zwischen Bû und Jeron war von einer kräftigen Dosis Rivalität gekennzeichnet gewesen. Aber jetzt hätte Bû wohl gerne die zusätzliche Unterstützung der ‚Rangers‘ gehabt: „Ein Aufschub des Angriffs…“
„Ist unmöglich – und das wissen Sie. Wir müssen jetzt zuschlagen und den feindlichen Vormarsch stoppen. Jede Stunde, die das 30. Korps vorrücken und gleichzeitig seine Flanken befestigen kann, bringt uns einer Katastrophe näher. Wenn sie es schaffen, nach Arta’Rijen vorzustoßen und sich mit den gelandeten Truppen und am Ende sogar der 4. Sturmdivision zu vereinigen, dann bekommen wir sie da nicht mehr weg. Dann steht alles auf dem Spiel, was wir in den letzten Wochen gewonnen haben. Und die ‚Imperialen Ranger‘ wären halb eingekesselt. Das darf nicht geschehen.“
‚Und wenn wir es nicht verhindern können?‘ Diese Frage äußerte General Bû nicht laut, aber seine Miene sagte mehr als tausend Worte.
„Deshalb müssen Sie angreifen und die Linien des 30. Korps durchbrechen. Schneiden Sie seine Panzerspitzen ab – oder stoppen Sie sie zumindest. JETZT, solange es noch nicht zu spät ist – und solange dem Gegner durch die Abkommandierung der COLUMBIA in den tiefen Raum ein komplettes Elitegeschwader fehlt.“
„Unsere vom Sprungpunkt aus anrückende Verstärkung…“
„Braucht zu lange. Wir können nicht warten. Ich vertraue unserer Flotte, dass sie sich ihren Weg an den feindlichen Raumstreitkräften vorbei freikämpfen kann.“, das war eine Lüge, tatsächlich waren Generaloberst Tyroschs Meinung nach die Chancen der anstehenden Raumschlacht zu ausgeglichen, um auf IRGENDETWAS zu vertrauen, „…aber bis sie hier sind, könnte es zu spät sein. Das 30. Korps DARF Arta’Rijen nicht erreichen.“
„Ich…verstehe.“
„Unsere Fernartillerie und Luftwaffe wird Ihren Angriff unterstützen.“, Tyrosch wusste, dass dieses Versprechen nicht viel bedeutete. Die imperiale Fernartillerie war nach den Frontverschiebungen der letzten Wochen und den Luftlandungen feindlicher Kräfte im imperialen Hinterland nicht in der besten Position um Bûs Gegenschlag zu unterstützen. Das gleiche galt für die notorisch überlasteten Luftstreitkräfte, die zudem hohe Verluste erlitten hatten. Und natürlich wusste das auch der General der ‚Herolde‘. „Ich werde das an die Männer und Frauen weitergeben.
Was die Schlacht um Arta’Rijen angeht…“
„Ich weiß, dass Sie Majorin Atara keine weiteren Frontlinientruppen zur Verfügung stellen können. Sie wird mit dem auskommen, was sie hat. Es wird Zeit, dass sie ihrem Ruf gerecht wird.“
„Die ‚Totengräberin‘ ist eine meiner besten Panzerkommandantinnen. Wir könnten Sie gut beim Durchstoßen der feindlichen Linien gebrauchen.“
‚Offensichtlich will jeder etwas, was er nicht haben kann…‘ „Atara ist momentan unabkömmlich. Ich brauche sie bei Arta’Rijen. Diese Schlacht ist fast genauso wichtig wie Ihre Aufgabe. Und ich werde nicht eine Kampfkommandantin ablösen, die gerade erst das Kommando übernommen hat.“ Dazu war die Situation bei der Schlacht um die strategisch entscheidende Stadt und die Brücke über den Rijen zu instabil. Und auch wenn Majorin Atara bisher Tyroschs Hoffnungen auf einen schnellen Sieg enttäuscht hatte, hatte sie eine potentiell außer Kontrolle geratene Lage stabilisiert und angefangen, den Gegner zurückzudrängen. Aber sie würde mehr Zeit brauchen. ‚Auch noch etwas, was ich nicht versprechen kann.‘
„Ich weiß, dass ich mich auf Sie verlassen kann, Bû. Und ich freue mich darauf, von Ihren Siegen zu hören.“, Tyrosch wusste, wie hohl diese Floskel in Bû’s Ohren klingen musste – aber mehr konnte er ihm im Augenblick nicht bieten. General Bû salutierte förmlich, schaltete ab und ließ Generaloberst Tyrosch mit einem unangenehmen Déjà-vu-Gefühl zurück.

Der Oberkommandierende der Akarii-Streitkräfte auf dem Planeten Gamma-Eridon wandte sich von dem dunkel gewordenen Bildschirm ab und konzentrierte sich wieder auf das Gefechtsfeld-Hologramm, das die gefährdete Lage der Imperialen veranschaulichte.
Da waren subtil eingefärbt die Gebiete, die sie vor so kurzer Zeit in einem vermeintlich unaufhaltsamen Sturmlauf erobert hatten. Da war der sich immer weiter vertiefende Keil, den der Konterangriff des 30. Korps in die Linien des Imperiums getrieben hatte. Und da waren, wie hässlich wuchernde Geschwüre in einem geschwächten Körper, die mitten im imperialen Hinterland aufpilzenden Positionen der feindlichen Luftlandetruppen. Binnen einer halben Woche hatte sich ein vermeintlicher Sieg in fragiles Patt verwandelt, das das das Risiko einer Katastrophe in sich barg. Die Lage mochte sich ein wenig stabilisiert haben – doch die nächsten Stunden und Tage würden entscheidend werden. ‚In einer Woche ist der Gegner geschlagen und auf dem Rückzug – oder wir haben unseren letzten Trumpf umsonst ausgespielt…‘
„Verbinden Sie mich mit Admiralin Morr.“
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* Auf Gamma-Eridon aufgestellte Einheit zur Guerillabekämpfung, berüchtigt für ihr rücksichtsloses Vorgehen.
01.02.2023 17:47 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Auf Abfangkurs

TRS COLUMBIA, Gamma Eridon

Für einen flüchtigen Moment erstrahlte eine zweite Sonne, als die Atomraketen ihr Ziel trafen. Die Schilde und Panzerung des imperialen Truppentransporters widerstanden für Sekundenbruchteile der Zerstörungskraft, dann gaben sie nach. Genährt vom Treibstoff und dem Sauerstoff im Innern des todgeweihten Schiffes expandierte der Feuerball in einem gloriosen wenn auch kurzlebigen Brandopfer, dann triumphierte die eisige Leere des Alls.
Der Bildschirm erlosch und die Computerstimme kündigte das Ende der Simulation an. Lilja reckte sich, dann kletterte sie aus der Kabine. Draußen erwarteten sie andere Angehörige ihrer Staffel und der Butcher Bears. Leider verfügte die COLUMBIA nicht annähernd über genug Simulatorenplätze, um komplette Geschwadereinsätze zu „fliegen“. So war Simulatorzeit ein kostbares Gut, gerade vor einem entscheidenden Einsatz. Da nahezu jeder Staffelchef der Angels in etwa denselben Rang hatte und nahezu alle hochdekorierte Kriegshelden waren, konnte selbst jemand wie Lilja schwerlich eine Vorzugsbehandlung durchboxen. Man musste buchstäblich Strohhalme ziehen oder einen Kuhhandel mit einem anderen Staffelchef abschließen.
Immerhin hatte die Russin sich etwas in den Vordergrund drängen können, indem sie einen speziellen Part des bevorstehenden Einsatzes stillschweigend für sich gekapert hatte – den Einsatz von Arrow-Atomraketen gegen den feindlichen Konvoi. Schließlich war dies ihre Idee gewesen, und auch wenn nicht die Fighting Stallions sondern die Butcher Bears die Arrows in Ziel bringen würden, würden sie Unterstützung benötigen. Wenn der Einsatz abgenickt werden würde – soweit Lilja wusste, hatte Commander Decker immer noch nicht das endgültige OK gegeben – dann musste er auf jeden Fall funktionieren. Und deshalb war Üben angesagt. Andere Piloten hätten sich vielleicht in ihrem Ruhm gesonnt – immerhin hatten Blackhawk und Lilja einiges Lob für ihr Bomber-Duo kassiert. Aber wenn es um das Töten von Akarii ging, war Lilja ein unersättlicher Workaholic.
Alle Feinde, aber auch ein Großteil der Maschinen der Angry Angels in der Simulation wurden vom Computer generiert und folgten eingespeicherten Parametern. Immerhin kam das dem wirklichen Gefecht nahe genug – und die simulierten Gegner flogen in etwa so gut wie die echten, da man üblicherweise erfahrene Piloten zum Vorbild nahm, nicht die Neulinge, die in wachsender Zahl auf beiden Seiten den Moloch Krieg mit ihrem Enthusiasmus und ihrem Blut fütterten.

Inmitten der Butcher Bears ragte Huntress hervor – nicht physisch, wohl aber mit ihrer Präsenz. Sie grinste der Chefin der Grünen etwas boshaft entgegen: „Ihr werdet ja immer besser dabei, uns den Weg in den feindlichen Verband zu sichern. Aber das ist das dritte Mal in einer deiner Simulationen, dass wir unseren Staffelchef verloren haben. Man könnte meinen du legst es darauf an, dass Kali dich NOCH MEHR hasst.“ Kano war nicht mitgeflogen, da er immer noch nicht ganz wiederhergestellt war. Doch es galt als sicher, dass er bis zum vorausberechneten Beginn der Schlacht gerade so eine Startfreigabe erhalten würde. Deshalb wurde das Verhalten seines Jägers anhand von Erfahrungswerten aus seinen vergangenen Simulatorflügen programmiert.
Huntress‘ Worte führten zu einigem genervten Kommentaren. Die Beziehung zwischen Kano und Kali war nicht gerade ein Geheimnis, wie auch die langjährige Antipathie zwischen Kali und der Chefin der Grünen – deren Ursache schon weitaus weniger bekannt war.
Lilja bleckte die Zähne in einer Grimasse, die man nicht wirklich ein Lächeln nennen konnte: „Da will wohl das Ei das Huhn belehren? Erstens, Kano wäre selber der erste, der den Erfolg einer wichtigen Mission über sein eigenes Wohl stellt…“ womit sie zweifellos Recht hatte: „…und zweitens solltest du vielleicht deine Freude über seinen simulierten Abschuss nicht ZU offen zeigen. Sonst bist du es, die sich Kalis Feindschaft zuzieht. An Kanos Stelle würde ich meine Maschine ohnehin gegen Sabotage bewachen lassen.“
Diesmal hatte sie die Lacher auf ihrer Seite – was in einem Schlagabtausch mit jemandem wie Huntress selten genug vorkam. Doch die Russin war natürlich nicht die einzige die bemerkt hatte, wie enthusiastisch Kanos XO ihre Rolle als Ersatz für den Chef der Schwarzen Staffel ausgefüllt hatte.

„Denkst du nicht, du machst uns und euch die Sache etwas zu schwer?“ Huntress hatte unverhofft wieder auf dienstlich geschaltet, und Lilja folgte ihr da ebenso nahtlos wie bereitwillig.
„Ich weiß, ich habe die Abwehr einiges stärker programmiert – von der Qualität wie Quantität – als unsere Aufklärung sie prognostiziert hat. Aber ich wette, die Echsen haben sich irgendetwas überlegt. Ich weiß nicht was, und das macht mich WIRKLICH nervös.“ Und das von einer Pilotin, deren Geringschätzung im Angesicht der Gefahr fast schon legendär war: „Ich meine, sie wissen schließlich, dass wir hier sind, und dass wir sie weit genug sowohl vom Planeten als auch von ihren Springpunkt-Garnisonen abfangen können, so dass sie keine Jäger von einem von beiden Stützpunkten als Unterstützung schicken können. Wir wären dämlich, würden wir nicht genau das tun, was wir tun, und sie wären noch dämlicher, wenn sie ihre Strategie auf unsere Dummheit aufgebaut hätten. Ein einziger Flugdeckkreuzer zur Absicherung vor einem Elitegeschwader wie den Angels ist ein bisschen wenig. Es ist ja nicht der erste, den wir abgetakelt haben. Ich wette also – und wenn du dich unbedingt von deinem unverdienten Reichtum trennen willst, kannst du gerne dagegenhalten – sie haben ein paar zusätzliche Vorkehrungen getroffen. Mehr Flakschiffe mitgeschickt, den Golf mit Jägern überbelegt – ich denke, man kann sicher zu Not eine weitere Staffel reinstopfen – und vor allem wette ich, dass sie welche von ihren beschissenen Schnell- und Kanonenboot-Shuttles dabeihaben. Ähnlich, wie sie es bei Sterntor gemacht haben. Die können ohne Probleme von ihren Truppentransportern mitgeführt werden, und wir kriegen sie erst mit, wenn es zu spät ist. Und deshalb habe ich bei der Simulation noch ordentlich was draufgelegt. Ja, wenn alles glatt geht, dann haben sie das nicht gemacht, oder zumindest nicht alles. Und sie werden sich auch nicht auf die Butcher Bears stürzen wie von mir programmiert, sondern auf die Bomber und Jagdbomber – obwohl sie vermutlich wissen, dass gerade die Nighthawk-Staffeln der Angels einen ziemlich guten Ruf haben, was das Abwracken von Transportschiffen und leichten Kriegsschiffen angeht…
Aber willst du dich darauf verlassen? Also üben wir unter verschärften Bedingungen.“
Sie atmete tief durch: „Wir haben noch eine halbe Stunde, bis wir die Simulatoren an die Blauen und Gelben übergeben müssen. Also nutzen wir die Zeit. Noch eine Runde – und anschließend sprechen wir die Übung.“
„Und wann können wir Pause machen?“, klang es etwas kläglich aus den Reihen.
„Wenn ihr tot seid.“, schnappte die Russin, milderte ihre Worte aber sofort ein Stück weit ab: „Vorzugsweise aber, wenn der GEGNER tot ist.“

*****

CAV-Kreuzer TATANKA YOTANKA, etwa zur selben Zeit

Lieutenant Commander Walentin Michailowitsch Pawlitschenko alias Walja lümmelte in der primären Waffenstation des Kreuzers auf seinem Sessel. Die leisen Gespräche und das gelegentliche Piepen der Sensoren schufen eine nicht hektische, aber doch angespannte Atmosphäre. Sie war nicht zu vergleichen mit dem Chaos mitten in einer Schlacht, doch war allen Anwesenden klar, dass es im Moment ebenfalls um Leben und Tod ging – wenn auch in erster Linie um das des Feindes.
Gespannt beobachtete der junge Offizier die Bildschirme vor ihm, wobei er sich bemühte, die auf ihm lastende Müdigkeit niederzukämpfen. ,Ich werde langsam zum Kaffeejunkie…‘
Die letzten Tage waren ein wahrer Marathonlauf gewesen – wie die anderen Menschen und Nichtmenschen der Waffenabteilung hatte er fast rund um die Uhr geschuftet, hier an den Anzeigen, aber auch im ‚Bauch‘ des Schiffes, in den Werkstätten, und im Shuttlehangar. Nur gelegentlich war der Einsatz unterbrochen worden von kurzen Schlaf- und Essenspausen. Er fragte sich unwillkürlich, wie die Kapitänin das durchhielt. Sie schien weder Ruhe noch Müdigkeit zu kennen.
Dass man ihn so umfassend heranzog war seiner Vergangenheit geschuldet, hatte er doch mehrere ausgedehnte Einsätze weit hinter den feindlichen Linien mitgemacht, auf Schleichfaden unterwegs, um die Nachschubrouten der Imperialen zu verminen. Er hatte auf diesen Missionen gelernt, zu improvisieren. Eine Fähigkeit, die jetzt einmal mehr von Nutzen war.
Auf den Anzeigen, die er so aufmerksam beobachtete, flackerten dutzende Symbole. Da war der feindliche Konvoi, der sich seinen Weg gen Gamma Eridon bahnte, da waren seine Außensicherung aus Shuttles und Jägern – von letzteren freilich nur ein gutes halbes Dutzend, was zweifellos der begrenzten Kapazität des feindlichen Flugdeckskreuzers geschuldet war – und der Verband der COLUMBIA, der sich unaufhaltsam zwischen die Kaiserlichen und ihr Ziel schob. Und da waren die errechneten Flugbahnen der Minen und anderen Überraschungen, welche man dem Feind entgegengeschickt hatte.
„Kette siebzehn driftet aus. Meldung an die Peshten, damit sie die künftige Flugbahn markieren können.“
Der junge Offizier bemühte sich, seine Frustration zu verbergen. Die TSN hatte so ziemliche alle Register gezogen um den feindlichen Konvoi zu schwächen. Sie hatten an Minen auf den Weg geschickt was sie besaßen – plus einige „Geschenke“ von den Peshten und improvisierte „Selbstschussanlagen“, die mit SAMs bestückt waren. Sie hatten aber auch Dummies treiben lassen, im Grunde nicht viel mehr als Schrottklumpen in der Form von Minen, mitunter sorgfältig mit ein wenig nuklearem Material präpariert, damit sie wie echte, wenn auch improvisierte Minen wirkten. Alles in der Hoffnung, der Feind könne so zu Ausweichmanövern gezwungen werden, seine Munition verschwenden oder inmitten der falschen die eingesprenkelten echten Sprengkörper übersehen. Doch viele, viel zu viele ihrer Minen wurden entweder rechtzeitig entdeckt oder kamen ihrem Ziel nicht einmal nahe. Zwar hielt der feindliche Verband im Großen und Ganzen einen konstanten Kurs. Doch selbst kleinere Kursänderungen – die mit Sicherheit wegen der Minengefahr erfolgten – bedeuteten in der dreidimensionalen Weite des Alls oft, dass die Imperialen in ausreichender Entfernung vorbeidampften. Es war ein Ratespiel mit zu vielen Variablen. Nun, zumindest kostete jeder Kurswechsel ein wenig Zeit, und das war etwas, was die Bodentruppen des Imperiums im Moment nicht eben reichlich hatten. Jede Stunde, die sie auf Verstärkung und Nachschub warten mussten, erhöhte die Chancen der Alliierten, auf Gamma Eridon Fortschritte zu machen.

So konzentrierte er seine Hoffnung auf die nächste Kette. Wenn der Gegner nicht erneut zackte…
„Entfernung zwischen Außensicherung und Kette achtzehn 30.000 Kilometer, rasch abnehmend.“ Natürlich bekam man die Ereignisse da draußen an Bord des Kreuzers erst mit einigen Sekunden Verspätung mit, schließlich reisten die Signale mit Lichtgeschwindigkeit – und der Gegner war noch etliche Millionen Meilen entfernt. So wurde das, was eigentlich Präzisionsarbeit sein sollte, zum Ratespiel.
Quälend langsam verrann die Zeit, während die Symbole aufeinander zu krochen. Monoton zählte die Entfernung herunter. Längst schwebte Walja Hand über einem Knopf am Pult. Er beobachtete die feindlichen Maschinen, wie sie manövrierten, versuchte aus den übermittelten Daten über ihre Sensorpeilungen schlau zu werden. Noch nicht, noch nicht…: „ZÜNDUNG!“
Für einen Moment tat sich gar nichts. Das Signal reiste, weckte weit, weit entfernt eine Reaktion… Dann kündete ein leichter Ausschlag auf den Anzeigen von feindlichem Waffenfeuer. Walja, der angespannt gewartet hatte, wollte schon enttäuscht fluchen – mit einmal schlugen die Anzeigen heftig aus: „Einschlag! Wir haben einen Einschlag.“ Es war nicht so, dass lauter Jubel ausbrach, aber die Crew – zumindest die CAV – tauschten beinahe rituell wirkende Handzeichen, zweifellos etwas, was sie von einer der Nichtmenschenrassen der Konföderation übernommen hatten.
Walja studierte die Anzeigen: „Selbstschussanlage ausgeschaltet, konnte aber vorher ihre Waffenlast abfeuern. Keine eindeutige Trefferwirkung, aber Explosion zu punktgenau um nur an Täuschkörpern erfolgt zu sein. Achtung, Kette Neunzehn wird aller Voraussicht nach Ziel verfehlen. Meldung an die Peshten vorbereiten. Und dann wollen wir mal der Brücke Bescheid geben, dass wir zumindest diesmal was getroffen haben. Könnte mir jemand mal im Hangar nachfragen, wie es mit den Werkstätten steht? Uns gehen langsam die Überraschungen für unsere Gäste aus…“

***

TRS COLUMBIA, einige Zeit später

Die Atmosphäre im Konferenzraum des Flottenträgers war zum Schneiden, und das lag nicht etwa daran, dass die Lebenserhaltungssysteme des Schiffes schwächelten.
„Das ist alles ziemlich enttäuschend.“ Vizeadmiral Girad machte aus ihrem Frust keinen Hehl. Commodore Schupp, dem ein Teil der Verärgerung galt, schien sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen zu lassen: „Es war von Anfang an unwahrscheinlich, dass unsere Nadelstiche viel bringen würden. Wir haben den Feind verlangsamt, ihn in Atem gehalten, und er hat einiges an Raketen verschossen. Immerhin gab es drei direkte Minentreffer im Konvoi – Erfolg leider nicht eindeutig zu bewerten. Und unsere Selbstschusssatelliten haben einige Jäger und Shuttles beschädigt oder zerstört, gerade eben hatten wir einen Doppeltreffer mit zwei Sidewindern. Wenn man bedenkt, wie überhastet wir die Operation aufziehen mussten, lässt sich das durchaus sehen.“ Mit dieser Einschätzung schien er freilich recht allein zu sein.
„Das spielt ohnehin keine Rolle. Wir sollten uns lieber auf den eigentlichen Einsatz konzentrieren.“ Manche mochten meinen, dass Commander Decker seine Teilnahme bei den Einsatzbesprechungen zu Kopf gestiegen war. Andere betrachteten diese Streicheleinheit für das Ego des Offiziers insgeheim als den Preis, den man für seine Kooperation in Sachen ,Einsatz der Arrows‘ zahlen musste.
Girad reagierte denn auch im Langmut: „Da der Einsatz der Arrows abgesegnet wurde…“, ihr Insistieren und Deckers wenngleich zögerliche Zustimmung hatten das Oberkommando letztlich überzeugt,: „…haben wir eine erfolgversprechende Option. Leider verfügen wir nicht über ausreichend Raketen um alle Butcher Bears mit ihnen zu bestücken.“
Decker runzelte die Stirn, als überlege er, ob dies eine versteckte Kritik an ihm und ,seinem‘ Projekt war. Mehrere der experimentellen Atomraketen waren bei der letzten Überprüfung sicherheitshalber aussortiert worden, und der technische Dienst der COLUMBIA war sich nicht sicher, ob man sie würde schnell genug einsatzbereit machen können. „Die zehn Raketen, die wir haben, sollten ausreichen.“, versetzte er leicht unterkühlt.
„Da ich kein Spartaner bin, frage ich nicht nur nach dem ,Wo?‘ der Feinde, sondern auch nach dem ,Wie viele?‘“, entgegnete Schupp: „Zehn Arrows sind weniger als mir lieb wären. Weniger als uns allen lieb sein sollten. Vor allem: ich möchte an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass es sinnvoll wäre, die Peshten endlich über unseren kleinen Joker zu informieren und wenn möglich ihre Hilfe zu rekrutieren, um die ausrangierten Arrows wieder einsatzbereit zu machen.“
„Auf keinen Fall!“ Decker klang etwas zu heftig als angemessen gewesen wäre, wenn man die Rangstufen zwischen ihm und dem Kreuzerkommandeur bedachte: „Nicht nur würde das riskieren, dass etwas über die Existenz unserer neuen Waffe durchsickert, ich will auch nicht, dass die Baupläne der Arrows nächstens auf dem Schwarzmarkt landen!“
„Ich zweifle ja daran, dass die Kaiserlichen einen Spion im Konkordats-Oberkommando haben, der ihnen täglich Bericht erstattet. Außerdem, Krieg ist nun einmal ein Risiko, und ich gehe lieber dieses Risiko ein – das mir kalkulierbar scheint – und erhöhe dafür unsere Chancen in der kommenden Schlacht, die letztlich über den Ausgang des Feldzugs im System entscheiden kann.“
„Diese Diskussion dreht sich im Kreis.“ beendete Girad den – wieder einmal – aufkeimenden Streit: „Ihre Standpunkte sind bekannt, und es gibt für beide Positionen triftige Gründe. Aber das terranische Oberkommando hat uns ohnehin nicht autorisiert, unseren Verbündeten allzu viel zu verraten.“
„Nach den letzten Ereignissen bin ich mir nicht sicher, wie viel wir den Peshten an Bruderschaft-auf-Armeslänge noch zumuten können.“ Schupp vermied es, den Geschwaderchef der Angels direkt anzuschauen, aber Stafford wusste natürlich, worauf der Commodore mit betonter Gleichmut anspielte.
„Es ist nie gut, wenn der Verbündete den Eindruck hat, man würde ihn als Partner zweiter Klasse behandeln, insbesondere wenn man von ihm hohe Opfer erwartet. Es wird sicher keinen Bellum Sociale* geben, noch glaube ich, dass das Konkordat so feige kneift wie Cochrane, aber schließlich erwarten wir von ihnen, dass sie uns tatkräftig in der Schlacht unterstützen. Und spätestens wenn die Arrows zünden, wissen sie ohnehin Bescheid. Manchmal ist es doch besser, wenn man NICHT um Verzeihung bitten muss. Wir sollten ihnen zumindest kurz vor dem Einsatz reinen Wein einschenken.“

Girad unterband Deckers zu erwartenden Protest, indem sie mahnend die Hand hob: „Ich werde diesbezüglich noch einmal nachfragen. Sie haben Recht, Commodore, jetzt, wo wir die Zusagen der Peshten haben, uns zumindest zwei Zerstörer – vier wären mir lieber gewesen, aber wir können nicht wählerisch sein – für unseren Flottenverband sowie zwei Fregatten und einen Hilfsträger für die Distanzsicherung der COLUMBIA zur Verfügung zu stellen, schulden wir ihnen etwas.“
Die Hilfe der Peshten – der Hilfsträger trug immerhin zwei Staffeln der neuen Abfangjäger und hatte zugesichert, die meisten davon zur Verteidigung der Columbia einzusetzen – würde den Kriegsschiffverband der Terraner verstärken und vor allem die Angels erheblich entlasten, so dass sie nahezu alle Maschinen ihres freilich inzwischen etwas ramponierten Geschwaders für den Angriff auf den Konvoi mobilisieren konnten.

Die Admirälin wandte sich an den Geschwaderchef der Angels: „Commander Stafford, es ist Zeit, dass wir uns den Details zuwenden.“
Über die Strategie der kommenden Schlacht war lange debattiert worden. Ursprünglich hatte man einen Angriff einzig mit den Kampffliegern favorisiert, doch hätte dieser dem Gegner die Möglichkeit gelassen, sich auf diese Gefahr zu konzentrieren. So war man schließlich übereingekommen, den Flottenverband auf ca. 250.000 Kilometer an den imperialen Konvoi heranzuführen. Das eröffnete die Möglichkeit, die Raketenartillerie einzusetzen, bot aber ausreichend Spielraum, um einem mörderischen Nahkampf mit den Energiewaffen auszuweichen. Zudem würde die vergleichsweise geringen Entfernungen zwischen den Verbänden es den Angels ermöglichen, zum Träger zurückzukehren und sich zügig für einen erneuten Angriff zu formieren, ohne dass die Piloten durch Langstreckenflüge ausgelaugt und ihre Maschinen leergeflogen waren.
Etwa zeitgleich mit dem einsetzenden Langstreckenbeschuss der alliierten Kriegsschiffe würden die Angels ihren Angriff starten, um die feindliche Abwehr zu zersplittern. Jagdbomber und Bomber sollten nach klassischer Taktik auf die feindlichen Kriegsschiffe zielen, genau das, womit der Gegner vermutlich rechnen würde – doch war dies zugleich als Ablenkung des Angriffs der Butcher Bears gedacht, die sich die schweren feindlichen Landungstransporter vorknöpfen sollten. Wenn es gelang, das Gros der feindlichen Bodentruppen noch im Raum zu vernichten oder zumindest ihre Transporter lahmzuschießen, würde dies einen Schlag für die imperiale Moral bedeuten, der tödlich wirken konnte. Blieb natürlich die Frage, ob man den Feind daran hindern konnte, den COLUMBIA-Verband aus dem Weg zu fegen und mit seinen verbleibenden Kriegsschiffen in die Schlacht um Gamma Eridon einzugreifen…

Stafford war erleichtert, dass nicht die GANZE Verantwortung auf den Schultern der Angels lasten würde. Dennoch hätte er sich insgeheim gewünscht, seine erste größere Schlacht wäre weniger knapp kalkuliert gewesen. Wenn etwas schief ging, bestünde die eigentliche Tragödie in den Verlusten im Raum und am Boden. Aber ebenso sicher war, dass er selbst als Geschwaderkommandeur dann einen kaum mehr haltbaren Stand haben würde. Gemessen an seinen fast schon legendären Vorgängern und konfrontiert mit Untergebenen, von denen etliche ihn bereits jetzt freundlich ausgedrückt als Narr und halben Verräter betrachteten…
Nun, darüber konnte er später nachdenken: „Jawohl, Admiral. Ich will mich kurz fassen. Die Angels werden ihren Angriff wie folgt gliedern…“

Ende

*********

* Der Bellum Sociale oder Bundesgenossenkrieg war ein Konflikt der späten römischen Republik, in dem sich eine Reihe langjähriger Verbündeter gegen Rom erhoben, unzufrieden über zunehmende Eingriffe in ihre inneren Angelegenheiten und die ungleiche Behandlung. Die Römer siegten letztlich mit einer Mischung aus militärischen Erfolgen und politischen Reformen.
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