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Zum Ende der Seite springen Hinter den feindlichen Linien - Season 7 - Zwischen Himmel und Hölle
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Ironheart Ironheart ist männlich
Lieutenant


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TSN COLUMBIA
Kurz vor Beginn der Ordensverleihung

Die Männer und Frauen der Schwarzen Schwadron waren in einer Linie angetreten. Sie alle trugen die Galauniform, die für feierliche Anlässe wie eine Ordensverleihung obligatorisch waren. Kano schritt langsam die Reihe ab, natürlich ebenfalls in Ausgehuniform. Falls einer der Piloten nach einer Nachlässigkeit oder einem Makel im Äußeren ihres Vorgesetzten suchte, so war das ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen. Sogar die Dienstmütze saß in exakt dem vorgeschriebenen Winkel.
Kano hingegen wurde mehrmals fündig, während er jeden einzelnen seiner Untergebenen kritisch musterte: „Sehr gut, Lieutenant An. Martens auch…aber schminken Sie sich das Grinsen ab. Zumindest bis der gesellige Teil der Zeremonie beginnt. Lieutenant Lee…Ihr oberster Knopf wirkt etwas matt. Lieutenant Gore…der Kragen ist schief.
Lieutenant Lenoir…“, Kano tippte Marat an die Schulter: „Stehen Sie gerade, wir sind nicht die Miliz…So ist es besser.“ Er erreichte seine Stellvertreterin, musterte Huntress kurz, öffnete den Mund…
Aber Sie war natürlich mal wieder schneller: „Wenn Sie mir jetzt irgendwohin tippen, könnte man das falsch verstehen. Nicht, dass man Ihnen sexuelle Belästigung vorwirft, Sir.“
Kurz flackerte Gelächter auf. Kano lächelte nicht einmal: „Aber es wäre keine sexuelle Belästigung, wenn ich Ihnen zwei zusätzliche Runden Simulatortraining und ein paar Bereitschaftswachen aufbrumme, oder? Außerdem wollte ich eigentlich nur sagen, dass Sie präsentabel aussehen. Aber vielleicht sollten Sie versuchen, zusätzlich den Mund zu halten.“
„Ich dachte über dergleichen Geschlechterrollen wären wir inzwischen…,“ Huntress hielt kurz inne, als ihr Kano einen seiner berühmten eisigen Blicke zukommen ließ, und fuhr dann: „Schon verstanden, SIR.“
„Das bezweifle ich. Aber gut.“ Kano trat zwei Schritt zurück und musterte noch einmal seine Schwadron: „Ich weiß, dass einige von Ihnen das überflüssig finden. Und Sie sind ja schließlich alle schon ein paar Jahre aus dem Kindergarten heraus und somit in der Lage, sich alleine anzuziehen. Aber heute geht es um das Ansehen unseres Geschwaders. Außerdem…“, in Kanos Stimme schwang kurz ein zynischer Unterton mit, „…kann die TSN ein paar Glanzaufnahmen aus dem Sterntor-System gebrauchen.“ ‚Da wir uns in den letzten Wochen ansonsten ja nicht so besonders hervorgetan haben’. „Wir sind nicht Teil der Schauflugsformation, also müssen wir uns darauf beschränken, durch unser Auftreten hervorzustechen. Unsere Disziplin, unsere Souveränität, die Orden und Auszeichnungen, die wir uns verdient haben. All das macht deutlich, was wir bisher für das Geschwader und die TSN geleistet haben. Dass wir die beste Staffel der Angry Angels sind.“ Das war etwas unbescheiden, aber Kano gehörte zu denen, für die ein hoher Anspruch auch zu großen Leistungen motivierte. „Und deshalb erwarte ich von Ihnen, dass sie sich zumindest während des offiziellen Teils auch dementsprechend benehmen. Danach…“ Kano wusste, dass er von seinen Untergebenen kaum verlangen konnte, während der gesamten Feier Zucht und Ordnung zu wahren. Immerhin bestanden die Mannschaften und Offiziersgrade der TSN oft aus (relativ) jungen Männer und Frauen, die sich ihrer eigenen Sterblichkeit nur zu bewusst waren. Und deshalb dazu neigten, bei sich bietenden Gelegenheit über die Stränge zu schlagen. Kano erinnerte sich an die eine oder andere Feier, die ziemlich aus dem Ruder gelaufen war. Bereits legendär war die von der DAUNTLESS-Besatzung auf Seafort organisierte Party, die angeblich in eine regelrechte Orgie ausgeartet war. Deshalb konnte er es sich nicht verkneifen, hinzuzufügen: „Aber vielleicht bringen Sie es fertig, nicht in die Blumenkübel zu kotzen.
Ich weiß nicht, ob heute Piloten unserer Schwadron ausgezeichnet werden. Aber wenn Sie kein gesteigertes Interesse daran haben, meine Phantasie bei der Zumessung von Strafwachen und Extraaufgaben auszutesten, werden sie sich bis zum Ende der Ordensverleihung so verhalten, als wären sie für die Parlamentary Medal of Valor nominiert.“
„Also grenzdebil grinsen?“, spottete La Reine: „Oder am besten tot sein?“ Diese Medaille wurde meist nur postum vergeben.
Kano fixierte auch diese renitente Untergebene ausdruckslos: „Ich meinte eigentlich verantwortungsbewusst und würdevoll. Sie können diese Worte in einem Wörterbuch nachschlagen. Und glauben Sie, mein Angebot mit der Strafarbeit würde nicht auch für Sie gelten?“
La Reine blickte ihrem Vorgesetzten mit einem rebellischen Funkeln in die Augen, beließ es aber bei einem: „Nein, Sir.“
„Also gut. Nachdem das geklärt wäre…“, Kano erlaubte sich ein dünnes Lächeln: „Haben Sie Spaß.“


****

Einige Stunden später

Top Gun verkniff sich ein irritiertes Stirnrunzeln. Spätestens seitdem sein Onkel, Generalgouverneur Edward Cochrane, die Konföderation an die Akarii ausgeliefert hatte, hatte er es aufgegeben, jeden politischen Winkelzug verstehen zu wollen. Natürlich wusste er, dass sein Seitenwechsel vor allem wegen seinem berühmten Verwandten für TSN ein propagandistischer Hauptgewinn gewesen war. Und dass das seiner Kariere bestimmt nicht geschadet hatte. Aber er hatte dennoch nicht damit gerechnet, an einem Tag zweimal auf der Bühne zu stehen.

Zuerst hatte er einen der wenigen der für die Schlacht von Sterntor an die Angry Angels verliehenen Bronce Stars erhalten. Andere Piloten, die so eine Auszeichnung ebenfalls verdient hätten, waren leer ausgegangen. Er neigte nicht zu falscher Bescheidenheit, stellte sich aber doch die Frage, ob man ihm die Auszeichnung wegen seinen Leistungen verliehen hatte – oder aus propagandistischen Gründen. Falls seine neuen Kameraden zu dieser Schlussfolgerung kommen sollten, würde es Ärger geben. Er hatte schon genug Frotzeleien zu hören bekommen, weil der neue Geschwaderchef ebenfalls ein Konföderierter war.
Ansonsten hatten die Butcher Bears bei der Ordensverleihung bisher wenig Glück gehabt. Noch nicht einmal das Gerücht, dass Lieutenant Nakakura endlich Lieutenant Commander werden sollte, hatte sich bisher bestätigt. Und das, obwohl er die Schwarze Staffel inzwischen schon eine ganze Weile führte. Falls das Kano ärgerte oder beunruhigte, hielt er seine Gefühle gut hinter jener schwer durchschaubaren Maske beherrschter Professionalität und stoischer Pflichterfüllung verborgen, die er Außenstehenden meist präsentierte.

Nach der Ordensverleihung hatte eigentlich der geselligere Teil des Abends beginnen sollen. Aber Hanifa Jergian, die Ministerpräsidentin von Masters, hatte beschlossen, ihre kurze Rede auszuweiten.
Natürlich hatte sie die Opfer erwähnt, die der Sieg über Admiral Taran gekostet hatte. ‚Falls man das einen Sieg nennen kann, wenn dieser verdammte Akarii ein ganzes System verwüsten und gegen einen überlegenen Gegner ungefähr gleiche Verluste herausschlagen kann.’
Besonders Masters hatte schwer bluten müssen, und Jergian hatte das sehr deutlich gemacht – mehr, als es vielen vermutlich lieb war. Wahrscheinlich war sie der Meinung, dass die Republik nicht vergessen sollte, was das Zu-Spät-Kommen der TSN ihren Heimatplaneten gekostet hatte. Wenigsten hatte die Ministerpräsidentin darauf verzichtet, Girard direkt anzugreifen, obwohl selbst in der Flotte mancher der Meinung war, dass sich die Admiralin von Taran hatte ausmanövrieren lassen. Und Jergian hatte auch viele lobende Worte für die TSN gefunden, wie es sich für diesen Anlass gehörte. Dann aber hatte sie – offenbar mit niemandem abgesprochen – Top Gun nach vorne gebeten.

Es war ihm fast peinlich gewesen, noch einmal im Mittelpunkt zu stehen und zuzuhören, wie die Ministerpräsidentin eines der am dichtesten besiedelten Planeten dieses der Republik seine Entschlossenheit lobte, auch nach der Kapitulation der Konföderation weiter gegen die Akarii zu kämpfen.
Von da hatte sie den Bogen geschlagen zu den Piloten, die nach dem Untergang der planetaren Verteidigungsverbände von Masters erneut in ihren beschädigten Jägern gestartet waren, um sich zur TSN durchzuschlagen. Top Gun war einer dieser Verrückten gewesen – und einer der wenigen, die es geschafft hatten. Zusammen mit einer Pilotin des Marinekorps hatte er die COLUMBIA erreicht. Dann waren sie mit den Butcher Bears erneut in die Schlacht gestartet. Er war zurückgekehrt. Jenna ‚Killer’ Duncan blieb verschollen.
„...und deshalb ist es mir eine besondere Ehre, Jenna Duncan und Robert Cochrane das Geschenk eines dankbaren Sternensystems zu überreichen. Für ihren Wagemut, ihre Leistungen und ihre Opferbereitschaft, die sie aus der Schar der Tapferen heraushebt und als Vorbild auszeichnet, verleihe ich ihnen hiermit im Namen der Regierungen von Masters und Seafort den Sternentor-Orden in Silber.“
Präsidentin Jergian befestigte die Medaille, die zwei achtzackige Sterne unter einem mit Kristallen besetzten Bogen zeigte, an Top Guns Uniform und hob eine gleichartige Auszeichnung hoch: "Lieutenant Duncan ist leider nicht hier, um persönlich ausgezeichnet zu werden. Ihr Schicksal ist ungewiss, wie das von vielen anderen ihrer Kameraden, denen keine sichere Landung vergönnt war. Der Orden wird deshalb ihrer Familie überreicht werden, in der Hoffnung dass sie ihn nach ihrer sicheren Heimkehr mit Stolz tragen wird. Und wie wir die Hoffnung nicht aufgeben, dass wir unsere verschollenen Brüder und Schwestern wieder in die Arme schließen werden, wird uns auch nicht die Gewissheit verlassen, dass wir diesen Krieg siegreich bis zum Ende führen werden. Dem Ende der brutalen und heimtückischen Aggression, die uns vom Imperium aufgezwungen wurde..."
Top Gun war sich nicht sicher, ob der sich an Jergians Coup anschließende Applaus wirklich von allen ernst gemeint war, aber er war zumindest kräftig und lang anhaltend.

***

Noch etwas später

La Reine war auf dem Weg zu ihrem Quartier. Alleine, sie war nicht in Stimmung für Gesellschaft, auch wenn sie die offizielle ‚Ansehen-aber-nicht-Anfassen'-Regel der TSN für idiotisch hielt. Betrunken war sie nicht, aber zumindest angetrunken. Eigentlich hatte sie gehofft, so ihrer Situation etwas Positives abgewinnen zu können. Das hatte nicht funktioniert, und der Ärger darüber und über ihr Selbstmitleid hatte sie am Weitertrinken gehindert. Es fuchste sie immer noch, dass Huntress stellvertretende Staffelchefin der Butcher Bears geworden war. Und das nur, weil die Familie des arroganten Miststücks in Geld und Regierungsaufträgen schwamm und die richtigen Beziehungen hatte.

Natürlich war La Reine bei der Ordensverleihung leer ausgegangen, während Top Gun - noch so ein Neuling mit dem passenden Stallgeruch und dem richtigen Namen - gleich zweimal ausgezeichnet wurde. Sogar Kano und Ace waren letztendlich doch noch befördert worden, wenn auch auf reichlich unzeremonielle Art und Weise. Kurz zuvor hatte es noch so ausgesehen, als würden die beiden auf ewig Lieutenants bleiben. Aber nun war auch die letzte Chance dahin, dass Kano die Schwarze Staffel verlieren und der neue Staffelchef vielleicht La Reine zur Stellvertreterin ernennen würde. Sie hatte zumindest kurz mit dieser Möglichkeit gespielt, auch wenn sie unrealistisch gewesen war. Und zudem so egoistisch, dass sie sich dafür schämte, denn eigentlich mochte sie Kano. Meistens, irgendwie. Soweit das bei jemandem möglich war, der ständig einen Stock im Hintern und Eiswasser statt Blut in den Adern hatte. Aber auch wenn sie nicht so ganz begriff, was zum Beispiel ausgerechnet die extrovertierte und gefühlsbetonte Kali an dem zurückhaltenden Japaner fand – er war ein guter Staffelchef. Besser als einige andere, die sie benennen könnte. Aber dennoch…

Und plötzlich, wie durch ihre nicht gerade freundlichen Gedanken herbeibeschworen, stand der Kommandeur der Butcher Bears vor ihr.
„Lieutenant. Oh Verzeihung, Lieutenant COMMANDER. Was treibt Sie zu mir? Ich dachte Sie feiern ihre Beförderung mit…“
„Ich hatte Sie für den Bronce Star vorgeschlagen.“
Das ließ sie kurz innehalten und den Halbsatz hinunterschlucken, der ihr eigentlich auf der Zunge lag: „Das hat ja toll funktioniert.“
Ihr Vorgesetzter presste kurz die Lippen zusammen: „Ich müsste Ihnen das nicht erzählen. Und ganz gewiss muss ich mich nicht vor Ihnen rechtfertigen.“
„Also ist es meine Schuld?!“
Ein schattenhaftes Halblächeln spielte um Kanos Mundwinkel: „Falls Sie damit darauf anspielen, dass Sie es geschafft haben, sich einen Kreuzerkapitän der TSN zum Feind zu machen – ja, das spielte eine Rolle. Aber Sie haben Crusader gerettet. Einen Freund. Und wie Sie wahrscheinlich wissen, habe ich davon nicht allzu viele. Ohne Ihre…Hartnäckigkeit...
Und das war einer der Gründe, warum ich Sie für eine Auszeichnung vorgeschlagen habe.
Allerdings wurde meine Beurteilung an höherer Stelle leider nicht geteilt.“
„Und das war’s? Pech gehabt? Das tröstet mich ja sehr. Also, wenn das Ihr Gewissen beruhigt hat, können Sie jetzt gehen und…“ Sie hasste den halb streitsüchtig, halb wehleidigen Tonfall, der sich in ihre Stimme geschlichen hatte.
„Nein, das war es noch nicht. Kommen Sie mit. Und da Sie momentan offenbar nicht viel auf meine Meinung geben…es gibt da ein paar Leute, die mit Ihnen reden wollen. Sie sind nämlich nicht der einzige, der die Ordensverleihung ein klein wenig unfair fand.“
Kurz spielte La Reine mit dem Gedanken, Kano zu ignorieren. Aber sich in ihrer Kabine zu verkriechen war auch keine besonders vielversprechende Perspektive. Außerdem schien Kano das hier wirklich am Herzen zu liegen und selbst halbbetrunken wollte sie es sich nicht völlig mit ihm verscherzen, wenn der sich mal ausnahmsweise menschlich gab.
„Na schön, wenn Sie eine verdammte Überraschungsparty schmeißen wollen…“

Das Ziel war einer der Aussichtsgalerien, die der Besatzung der COLUMBIA den Luxus eines atemberaubenden Panoramas des Sternenhimmels boten, selbst an Bord einer derart auf Effizienz und Effektivität ausgerichteten Waffenplattform.
Es überraschte La Reine nicht, die anderen Piloten der Butcher Bears anzutreffen, auch wenn sie auf Huntress Anwesenheit gerne hätte verzichten können. Wenigstens hielt sie sich ungewöhnlich dezent im Hintergrund.
Nach einer Party sah diese Zusammenkunft allerdings nicht aus. Es fehlte an Musik, Getränken und der passenden Beleuchtung. Stattdessen wirkten die Piloten ungewöhnlich…feierlich. Es unterblieben sogar die launigen Begrüßungen, mit denen La Reine gerechnet hatte. Aber dass ihre Kameraden hier zusammengekommen waren, statt die knapp bemessene Freizeit zu genießen, sagte auch schon etwas aus.

Kano räusperte sich und fing etwas übergangslos an: „Wir alle wissen, was Lieutenant Obasanjo für diese Staffel – für uns – geleistet hat. Ich rede jetzt nicht von der Anzahl der abgeschossenen Akarii, oder dass sie seit der Gründung der Butcher Bears mit dabei war. Dass sie niemals zurückgewichen ist, niemals schwankend, niemals zögernd. Dass sie zur Speerspitze jedes Angriffs gehörte.“ Er lächelte flüchtig: „Dass es für manchen von uns verdammt schwer war, immer mit ihr Schritt zu halten. Und dass ich und ein paar andere Staffelchefs daran verzweifelten, sie an die Leine zu legen.“ Das ließ ein paar Lacher aufflackern. La Reine gehörte zu den Feuerköpfen der Butcher Bears. Und zumindest Darkness, Monty und Ohka hatten sie mehr als einmal zurückgepfiffen.
„Ich rede vor allem davon, dass sie einen von uns gerettet hat. Und wenn sie dafür einen TSN-Shuttlepiloten drohen musste, sein Shuttle abzuschießen, dann war das kein zu hoher Preis für Crusaders Leben. Es wird Sie vielleicht überraschen, das aus meinem Mund zu hören – aber manchmal muss man eine Regel auch brechen. Den Pfad verlassen, den die Dienstordnung und das Reglement vorgibt. Und zu seiner Entscheidung stehen.“ Die letzte Einschränkung konnte er sich nicht verkneifen. Für Kano gehörten Pflichterfüllung und Gehorsam zu den Tugenden eines guten Soldaten. Ein Abweichen von diesen Maximen war erlaubt – aber nur, wenn man bereit war die Konsequenzen zu tragen.
„Aber auch wenn Ihre…kreative Motivationsmethode dafür gesorgt hat, dass Sie für ihre Heldentat niemals einen Orden bekommen werden, finden wir doch, dass Sie nicht nur unseren Dank verdient haben. Dass Worte nicht genug sind.“

Kano drehte sich um und Sugar reichte ihm breit grinsend ein kleines Holzkästchen. Ihr schien das Ganze einen Riesenspaß zu machen.
Kano drehte sich wieder zu La Reine um: „In einer der besten und glorreichsten Armeen der Erdgeschichte gab es eine Tradition für jene Soldaten, die einen Kameraden gerettet hatten. Man verlieh Ihnen die ‚corona civica’, eine Krone aus Eichenlaub. Das war eine der begehrtesten Auszeichnungen überhaupt. Wer sie trug, der durfte bei öffentlichen Veranstaltungen bei den höchsten Würdenträgern sitzen und andere Bürger mussten sich bei seinem Eintreten erheben. Diese Auszeichnung war an keinen Rang gebunden, sie konnte ebenso einem Feldherren und Staatsmann verliehen werden, wie einem einfachen Soldaten.“
Kano lächelte kurz: „Es steht uns nicht zu, derartige Privilegien zu verleihen, aber es gibt schlechtere Traditionen an die man anknüpfen kann.“ Bei diesen Worten öffnete er das Kästchen. Auf rotem Samt lag darin eine Eichenlaubkrone: „Sie müssen sie natürlich nicht tragen, aber wir alle – und besonders Crusader, auch wenn er heute nicht hier ist – würden uns freuen, wenn sie unser gemeinsames Geschenk annehmen.“ Seine letzten Worte gingen in dem Gejohle und dem Beifall der anderen Piloten unter.
La Reine spürte, wie ihre Augen unwillkürlich feucht wurden. Und obwohl sie sich sonst - wie so viele andere - Mühe gab, das Image der taffen, zynischen Pilotin zu kultivieren, schämte sie sich seltsamerweise nicht einmal dafür. Und sie verzichtete sogar auf eine bissige Bemerkung, als sich Huntress der Reihe von Gratulanten anschloss.

So ihr entging auch Kanos kurzer Wortwechsel mit Top Gun: „Offenbar war Ihre Idee die richtige, Cochrane. Ich war mir da nicht so sicher.“
Der konföderierte Pilot grinste kurz: „Ich dachte, in Ihrer Kultur steht man auf Traditionen.“
„Ein weit verbreitetes Vorurteil, dass in meinem Fall zufälligerweise stimmt. Aber ich hätte nicht gedacht, dass La Reine so etwas zu schätzen weiß. Zumal es ja nicht einmal eine Tradition ihres Landes ist. Aber es ist die Geste, die zählt.“
„In erster Linie. Oder warum sollte sich sonst jemand etwas darauf geben, ob man ihm – oder ihr – eine Metallplakette an die Brust heftet? In unserem Fall ist es wenigstens Silber.“
„Sie müssen mir aber noch mal erklären, woher Sie Ihre Geschichtskenntnisse haben.“
Top Gun zuckte mit den Schultern: „Ich…kannte mal einen Lieutenant von der KONSTANTIN, einem leichten Kreuzer. Sie hat sich in ihrer Freizeit ziemlich für so altes Zeug interessiert. Offenbar ist etwas hängengeblieben.“

__________________
"Das Leben ist das was einem passiert, während man andere Pläne schmiedet." John Lennon

Mitglied der Autorenkooperationen "Dantons Chevaliers" und "Hinter den feindlichen Linien"
15.11.2015 14:37 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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Auf der COLUMBIA, ein paar Decks tiefer als bei der Feier des Bordgeschwaders, genauer gesagt in einer Messe der Marines, ging es etwas ruhiger zu. Ruhiger nicht, weil sich die Leute besser zu benehmen wussten, als die Piloten beim Dinner, sondern weil sie einfach weniger waren. Rund zwanzig Marines hatten sich hier zusammengefunden, um einem von ihnen das Farewell zu geben – mit einem großen Fressen und einem noch größeren Besäufnis. Nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.
„Und darum, Ladies und Gentlemen“, ereiferte sich Corporal Maggie Hagerty, „wollen wir unserem Professor alles Gute wünschen, und hoffen, dass sie mit Sternen auf der Schulter zu uns zurückkommt!“
Die Anwesenden hoben ihre Getränke und prosteten Sergeant Jean Davis, genannt Professor, von den Männern hinter vorgehaltener Hand manchmal auch Eisprinzessin, wenn sie außer Hörweite war, zu.
Die Angesprochene wirkte peinlich berührt. „Danke, Freunde. Was Ihr hier heute aufgezogen habt, wie Ihr mich verabschiedet, das bedeutet mir eine Menge. Und selbst wenn ich den Lehrgang schaffe, wenn ich tatsächlich aus Lieutenant zurückkehre, verspreche ich, nichts wird sich zwischen uns ändern.“
„Natürlich nicht“, sagte Landsdale. „Du wirst uns weiterhin rumkommandieren.“
Zustimmendes Gelächter der Anwesenden erklang.
Jean Davis grinste. „Du hast es erfasst.“ Sie hob ihr Glas. „Semper fi, Marines!“
„SEMPER FI!“, erwiderten ihre Gäste. Sie stießen an und tranken.
„Ich gebe ja zu“, sagte Ho (noch immer einer der „Neuen“, obwohl er schon fast zwei Jahre mit ihnen diente), „wir hatten nicht wirklich viel oder Gefährliches zu tun, seit wir Jor gestellt haben. Und ehrlich gesagt hätte ich mir mehr zu tun gewünscht und diesen Taran in seinem eigenen Kahn ausgeräuchert. Was aber aus unerfindlichen Gründen von unseren Kometen so nicht arrangiert wurde.“ Die Marines murmelten zustimmend. Kometen war das Slangwort für Admiralsränge. DeKerrs Vorgehensweise war bei den Marines Anlass für verdammt harsche Kritik, und Girad, die nach ihrem Tod das Kommando übernommen hatte, kam nur unwesentlich besser weg, weil auf ihr Konto das Masters-Desaster ging.
„Aber“, fuhr Ho fort, „wir werden dich vermissen, Jean. Und ausgerechnet wenn du weg bist, werden wir dich, dein Können, deine Kampferfahrung und vor allem deinen lieblichen Anblick furchtbar vermissen, weil wir dich garantiert furchtbar brauchen werden.“
Die Anwesenden lachten lauthals.
„Vorsicht“, wandte Hagerty ein, „sag ihr sowas nicht, wenn sie ein Sternchen geworden ist. Es könnte ihr gegenüber den anderen Sternchen peinlich sein.“
„Als wenn mich so etwas jemals geschert hätte“, brummte Jean. „Mich interessiert nur, in Zukunft noch mehr von euch Schäfchen bemuttern zu können.“
Wieder wurde gelacht, wenn auch nicht sehr laut. Es gab schlimmere Vorgesetzte als den Professor. Oder, wie sie früher unter Männern genannt wurde, Eisprinzessin.
„Apropos Sternchen“, sagte Maggie und legte ihren rechten Arm um Jeans Schulter, „wo ist denn eigentlich dein Brüderchen bei einer so wichtigen Feier? Er hat doch auch sonst keinerlei Probleme damit, sich zu uns Schlammkriechern zu setzen.“
„Wo sollte er schon sein? Natürlich oben, bei der Feier des Geschwaders“, erwiderte Jean. „Ich habe da so was läuten hören, dass es für ihn wichtig werden könnte, also kann ich ihm das ja kaum wegnehmen.“ Obwohl es schon schade für sie war. Ian war ja schon nicht mehr an Bord, auf dem Weg zur Erde, um seinen abgetrennten Arm ersetzen zu lassen, aber Cliff war hier und hätte jetzt da sein können, um mit ihnen zu scherzen und zu trinken. Aber...
„Oho? Weißt du was genaueres?“, hakte Lansdale nach.
„Ach, nur etwas Grabenfunk. Angeblich hat einer der Stewards den Auftrag, zwei Sets der Abzeichen eines Lieutenant Commanders bereitzuhalten, für die weiße Gala-Uniform“, sagte Jean, „und wenn man dann eins und eins zusammenzählt, könnte das durchaus dafür gedacht sein, um zwei First Lieutenants, die zwei Staffeln kommandieren, endlich mit dem richtigen Rang zu legitimieren.“
„Das habe ich auch gehört“, sagte Maggie. Sie bewies damit, dass der sogenannte Latrinenfunk an Bord der COLUMBIA perfekt funktionierte. „Heißt das, der andere ist auch da oben? Oder kommt er noch runter, um sich zu verabschieden?“
„Der andere?“, fragte Jean überrascht. „Der andere wer?“
„Na, dein Neuer. Wie nennen sie ihn doch gleich? Noname.“
Jean prustete das Bier wieder aus, von dem sie gerade einen Schluck genommen hatte. „Er ist NICHT mein Neuer! Außerdem lautet sein Callsign Stuntman, nicht Noname!“
Jean sah die Freundin bissig an, fest entschlossen, das Callsign bis zum bitteren Ende zu verteidigen.
„Ach ja, Stuntman. Wofür hat er das gleich noch mal bekommen?“, säuselte die ältere Marine. „Ach ja. Als er sich mit Cliff in ein Ein Mann-Cockpit gekuschelt hat. Weißt du eigentlich, wer oben und wer unten war?“
Jean spürte ihre Wangen rot werden. „Was, bitte?“
Ho lachte lauthals. „Tja, Professor, scheint so, als wäre dein Bruder Lieutenant Cartmell näher gekommen als du.“
„So kann man das sehen“, sagte Maggie. Ihr Grinsen war schief und fies.
„Ich sag's nochmal, ich habe NICHTS mit ihm.“
„Aber du würdest gerne, was?“, neckte Maggie.
Jean öffnete den Mund, um etwas zu sagen, trank dann aber lieber einen Schluck Bier, um Zeit zu kaufen. Dann setzte sie an, aber...
„Eisprinzessin, hast du mal einen Moment? Ich hätte dich gerne etwas für mich“, sagte Lansdale. Er erhob sich und deutete mit dem rechten Daumen auf die Tür zum Korridor.
Das überraschte Jean schon ein wenig. „Natürlich. Wenn es nur ein Moment ist...“ Sie sah verlegen in die Runde aus nun nur noch achtzehn Marines. „Wir sind gleich zurück. Er hat es ja selbst gesagt, es dauert nur einen Moment.“ Sie folgte Lansdale nach draußen. Als hinter ihr das Schott zur Messe zufuhr, zuckte sie leicht zusammen. Na, das konnte ja was werden...

„Hast du was mit Stuntman?“, fragte Lansdale geradeheraus.
„Sag mal, was ist das denn für eine Frage?“, protestierte sie. „Natürlich habe ich NICHTS mit Stuntman, und...“
„Warum nicht?“
Verblüfft sah sie ihren Kameraden an, der schon seit einiger Zeit ein guter Freund für sie war. „Was? Weil... Weil...“
„Ach, komm, Jean. Jeder, der Augen im Kopf hat, um zu sehen, weiß, dass du ihn magst. Und jeder, der schlau genug ist, um eine Frau von einem Mann zu unterscheiden, weiß, dass Cartmell für dich über glühende Kohlen laufen würde. Er war auf deiner Familienfeier, und das nicht nur, weil Cliff ihm einen Job in der Firma deiner Eltern besorgt hat, oder?“
„Ich... Ich...“
„Hör mal, ich habe mich ein wenig mit einer deiner Freundinnen unterhalten. Stacy, deine Cousine dritten Grades. Sie hat mir erzählt, dass du früher nie ein Kind von Traurigkeit warst und auch gerne mehr gemacht hast als zu flirten. Ihr Originalton war, dass du Männer wie Hemden benutzt und dann weggeschmissen hast, wenn sie dir zu zerknittert waren.“
„Das hat sie gesagt? Stacy Reilley, das wirst du mir büßen!“
„Stimmt es etwa nicht?“
„Gut, ich hatte früher so eine wilde Phase. Ist ja nicht so, dass man heutzutage große Folgen befürchten müsste. Und Geschlechtskrankheiten sind nur in den Randgebieten ein Problem, und so. Außerdem, warum sollen nur die Männer den Spaß haben?“
„Das hat sich geändert, als du zu uns gekommen bist, nicht?“ Lansdale lächelte verschmitzt. „Wir haben dich nicht umsonst Eisprinzessin genannt.“
„Ich hatte wichtigeres zu tun, als mich mit Männern abzugeben“, erwiderte sie schroff. „Oder mit den kleinen Jungs, die hier rumlaufen, bevor sie überhaupt eine Chance hatten, Männer zu werden.“
„Bis auf Ken.“
„Ach, Ken... Ich habe ihn vom ersten Moment an gehasst. Ein Großmaul, ein Schaumschläger, der nichts ernst nehmen kann. Und niemanden. Ein schrecklicher Mensch. Das Negativ-Klischee davon, wie sich die Menschen einen Marine vorstellen.“
„Aber?“, fragte Lansdale amüsiert.
„Aber er war hartnäckig. Hat sich geändert. Für mich.“ Jean fiel ins Nuscheln. „Außer meinen Brüdern hat noch nie ein Mann so viel getan, um mich glücklich zu machen. Und ja, ich fing an, ihn zu mögen. Und dann...“
„Und dann habt ihr zwei in einer Nacht und Nebel-Aktion beschlossen, zu heiraten.“
„Ja, ich meine, Ken, ausgerechnet Ken! Er hat was für seine Zukunft geplant! Er hat weitergedacht als bis zum nächsten Tag! Er hat gesagt, dass er mich braucht! Dass er keinen Tag mehr ohne mich sein wollte! Alle anderen Männer haben mir süße Dinge nur ins Ohr gesäuselt, um mich ins Bett zu kriegen. Aber Ken hat hart gearbeitet, hat sich angestrengt, hat alles getan, alles für mich... Sag mir das Mädchen, dass da nicht nachdenklich wird.“
Lansdale lächelte, aber es war ein wehmütiges Lächeln. „Ihr habt nie wirklich zusammengepasst, Schatz.“
„Was, bitte?“
„Ihr spieltet in vollkommen unterschiedlichen Ligen. Ich meine nicht wegen der Familie, sondern rein intellektuell. Du bist ein kleines wandelndes Genie mit Interesse an Literatur, an Geschichte, hörst dir Opern an und zeichnest gerne. Ken Howards größte Anstrengung auf dem Gebiet der Kultur war es, Akarii-Waffen zu sammeln und zu lernen, mit ihnen umzugehen. Ich gebe es gerne zu, wenn man ihn näher und länger kannte, merkte man, dass der Draufgänger und Schürzenjäger nur eine Fassade war. Und dumm war er auch nicht, hat als einer der Besten den Lehrgang zum Sergeant abgeschlossen. Aber jedes Mal, wenn du ihm ein Buch oder eine Lesespule gegeben hast, ist für ihn die Welt untergegangen. Er hat jedes einzelne Buch gelesen, aber er hat keinen Spaß dabei gehabt.
Man sagt, in einer guten Beziehung sollte man zwei Dritteln gemeinsame Interessen und ein Drittel unterschiedliche Interessen haben. Euer einziges gemeinsames Interesse waren die Marines, und das auch nur, weil du keine vier Jahre Zeit erübrigen konntest, um Pilot zu werden. Okay, unser aller Glück, denn du bist ein verdammt guter Marine. Und wir alle freuen uns auf dich als Offizier. Aber du und Ken... Nein, Jean, das war nichts. Aber, und das werde ich noch meinen Enkeln erzählen, er hat sich den Arsch aufgerissen und dir letztendlich dein Leben gerettet und seins geopfert. Geliebt hat er dich, mehr als sein eigenes Leben.“
Tränen standen in den Augen der jungen Davis.
Lansdale legte ihr die Rechte auf die Schulter. „Ja, er war ein feiner Kerl. Und dich zu bekommen, mit dir sein Leben zu verbringen war ein höheres Ziel als er je gehofft hatte erreichen zu können. Aber jetzt ist er nicht mehr da, Jean. Er ist tot.“
Für einen Moment entgleisten ihre Gesichtszüge. Dann ließ sie den Kopf gegen die Brust des zwei Meter-Manns sinken und schluchzte leise.
„Wir haben Krieg, Jean. Jeder von uns kann jederzeit sterben. Du, ich, Cartmell, dein Bruder. Und viele sind schon gestorben. Bis auf Maggie hat es im Camp Hellmountain deine ganze Stube erwischt, weißt du noch? Es kann mit uns allen jederzeit vorbei sein. Deshalb hat es keinen Sinn, auf der Stelle zu treten. Wir müssen voran schreiten und das Leben auskosten, so oft wie es uns die Chance dazu bietet. Und wenn das bedeutet, auszuprobieren, ob aus dir und Donovan Cartmell was werden kann, dann solltest du das tun, Jean. Ich weiß eines ganz genau: Ken würde sich in seinem nichtvorhandenen Grab umdrehen, bis die Erde um ihn herum weißglühend ist, wenn du beschließt, aufzuhören zu leben, Jean.“
„Das wird nichts werden“, flüsterte sie. „Vor meinem Abflug sehe ich ihn nicht mehr. Und danach...“
„Danach kann er tot sein, ja, abgeschossen oder bei einem Wartungsunfall getötet. Aber wozu haben wir ein Postsystem? Und die Chance, dass er doch nicht stirbt, existiert doch auch. Nur, weil du das Schiff für einige Zeit verlässt, bedeutet nicht, dass die Geschichte hier endet. Und außerdem hat dein Bruder dir gesagt, du sollst ihm nicht das Herz brechen. Ihm ein Herz zu geben hat er dir nicht verboten.“
„Hä? Woher weißt du das denn?“, fragte sie erstaunt.
„Nun, Eisprinzessin, seit der gute Cliff hier bei uns reingestürmt gekommen ist, um Ken bei lebendigem Leib in Fetzen zu reißen, pflegen er und ich eine Freundschaft auf Basis gegenseitigen Respekts. Und er hat mir gesagt, ich soll ein Auge darauf haben, dass du die Sache mit Donovan nicht versaust. Wir sind in dem Thema nämlich einer Meinung, weißt du?“
„Ach. Mein Bruder und du, Teil einer Verschwörung?“
„Für das Wohl eines Menschen, der uns beiden sehr wichtig ist, Marine.“ Sein Lächeln war ehrlich und tief. „Du hast mich nie verraten, nie in Stich gelassen, nie hintergangen. Du warst immer du, wenn es um mich ging. Und diesen Menschen... Liebe ich sehr.“ Er schnaubte aus. „Platonisch, Jean, nur um das klarzustellen. Und dafür würde ich jederzeit an einer Verschwörung teilnehmen.“
Die beiden sahen sich an, Jean löste sich. „Und was mache ich jetzt?“
Lansdale prustete leise. „In die Messe gehen und weiterfeiern. Der Rest ergibt sich dann schon mit genügend Zeit.“
„Jawohl, Sarge.“ Sie salutierte gespielt. Vor allem, um ihre Dankbarkeit zu überspielen, die sie in diesem Moment für diesen Mann empfand. Gemeinsam traten sie wieder in die Messe ein und ließen die üblichen Witze über ihre lange Abwesenheit über sich ergehen, bevor sie verbal zurückschlugen. Marines eben.

***

Gut, es war viel zu tun, VERDAMMT viel zu tun. Meine Staffel musste wieder auf Vordermann gebracht, der Neuzugang trainiert und eingearbeitet und der neue CAG verdaut werden, und das, während ich immer noch auf der Abschussliste stand; ohne den halben Ring, der mich als Lieutenant Commander kennzeichnete, würde ich über kurz oder lang meine Staffel verlieren, womöglich an einen der vielen hundelosen Commander und Lieutenant Commander der anderen Staffeln, die im Gegensatz zu den Angels viel fieser zusammengeprügelt worden waren. Natürlich hatten vor allem die besten Piloten überlebt, und das waren? Richtig, die Sektions-, und Staffelführer. Und dann war da noch die Flugshow und die Verleihung des höchsten militärischen Orden mit großer Gala an Tatjana in drei Tagen. Es war wirklich, wirklich viel zu tun.
Dennoch gab es eine Sache, die ich mir nicht nehmen ließ, und die stillschweigend vom CAG geduldet wurde. Das erste Mal, seit ich die Zeit dafür erübrigen konnte, flog ich runter nach Seafort, um einen Krankenbesuch zu machen. Nichts hätte mich davon abhalten können, jetzt, wo ich mir endlich, endlich die Zeit hatte freischaufeln können. Und ich wäre verdammt noch mal öfter gekommen, wenn meine Arbeit es zugelassen hätte.

Mein Ziel war die Betty Ford-Klinik, das wahrscheinlich beste Traumazentrum im Sonnensystem, das zudem eine Neuro-Abteilung besaß, nach der sich selbst Terra die Finger geleckt hätte. Ich kannte es ziemlich gut, denn für Spacer war ein funktionierendes Gehirn das A und O, und obwohl wir Lichtjahre davon entfernt waren, uns wie im zwanzigsten Jahrhundert durch den einfachen Aufenthalt im Weltall unheilbar zu verstrahlen, so nahmen wir im Laufe unserer Leben eben doch höhere Strahlendosen auf. Und die Davis-Familie setzte auf Prävention. Das bedeutete, dass im Verdachtsfall, spätestens aber alle fünf Jahre ein CRT und ein Genscreening gemacht werden musste. Bei mir fiel das übrigens jedes Halbjahr an, eine Folge meiner fast tödlichen Verstrahlung beim Untergang der REDEMPTION. Was Doktor Pfeiffer damals mit primitiven Mitteln zustande gebracht hatte, um mich zu retten, hatte selbst die Professoren in der Betty Ford-Klinik erstaunt. Von Rechts wegen, so ihre einhellige Meinung, müsste ich tot sein. Ich hatte bisher tunlichst vermieden, diese Einschätzung dem Geheimdienst zu Ohren kommen zu lassen, sonst hätten sie mich zum siebten Mal darauf getestet, ob ich ein Klon, ein umgedrehter Agent aus den Colonials oder irgendetwas anderes sein könnte, was die Akarii der Menschheit untergeschoben hatten... Nichts gegen Paranoia, aber sie hatte mir einige harte Zeiten beschert. Und das Trara, das sie gemacht hatten, als ich vom Trip mit Lilja ins Grenzland zurückgekehrt war, daran wollte ich nicht einmal denken. Ich hatte so kurz davor gestanden, entweder liquidiert oder vollends vom Geheimdienst rekrutiert zu werden... Na, Schwamm drüber.

Wie gesagt, ich kannte den Laden, und die Navy kannte ihn auch. Nicht umsonst schickte sie ihre schwersten Fälle hierher, sowohl Trauma-Patienten als auch Neuro-Schäden. Einer dieser Patienten war Ichigo Mahou, eine meiner Freundinnen, und seit einiger Zeit an Neuroschäden im Zuge eines Selbstmordversuchs leidend. Sie hatte sich nicht umbringen können und wäre langsam am eigenen Blut erstickt; durch die Unterversorgung des Gehirns hatte sie die Schäden erlitten. Und seither hoffte und bangte ich auf gute Nachrichten. Endlich gute Nachrichten.

Ich stand also hier, einen Blick in ihr Behandlungszimmer werfend, und wünschte mir, dass die Japanerin – diese verdammten Japaner und ihre merkwürdige Geschichte, in der Selbstmord etwas Ehrenhaftes war – den Arm hob und zu mir rüber winkte. Aber das tat sie nicht. Das konnte sie nicht. Seitdem sie eingeliefert worden war, lag sie in einem künstlichen Koma, während die Ärzte ein dreidimensionales Abbild ihres Gehirns anfertigten, um jene Zonen zu identifizieren, die geschädigt worden waren. Und dann würden sie entscheiden, welche Regionen reparabel waren, welche geklont und ausgetauscht werden konnten, welche von Gehirn abgeklemmt werden konnten, weil andere Gehirnbereiche ihre Aufgaben übernehmen würden, und welche unrettbar verloren waren. Fest stand nach dem ersten Screening vor allem eins: Ihr Kleinhirn hatte ordentlich was abbekommen. Das war verwunderlich, denn das Kleinhirn selbst war hauptsächlich für Motorik und das vegetative Nervensystem zuständig. Es stand nicht unbedingt auf der Top-Liste der Versorgung. Es gab wichtigere Bereiche im Großhirn: Stirnlappen, Talamus, Stammhirn, bla, bla, bla, ich hatte nie richtig zugehört. Größere Schäden waren damals nicht festgestellt worden, aber es konnte kleinere geben, die sich, sollte man sie aufwecken, wie eine Staffette Dominosteine in eine richtige Katastrophe verwandeln würden. Das „große“ Screening würde selbst mit den Hochleistungscomputern des Hospitals noch über eine Woche dauern. Dann aber würde man quasi durch ihr Gehirn spazieren können. Zumindest am Computerbildschirm, und das in einem Maßstab, der den Betrachter noch kleiner machte als ein rotes Blutplättchen. Dann würde es noch Wochen oder Monate dauern, bis man die eigentlichen Schäden gefunden und vielleicht auch schon behoben hatte... Oh, ich konnte nur hoffen, dass es gut ausging. Ich würde es nicht ertragen können, Mahou auch noch zu verlieren. Dafür war sie mir zu wichtig. Nicht auf diese Weise wichtig, aber seit wir uns kannten, seit sie Jean unter ihre Fittiche genommen hatte, war sie für mich wie Familie.
Die Worte eines ihrer Ärzte, einem übermüdeten Burschen mit roten Augen, dem ich am liebsten meine Faust auf die Nase gedroschen hätte, klangen noch immer in mir nach, als ich das erste Mal nach ihrer Einlieferung angerufen hatte, um Informationen zu bekommen, irgendwelche Informationen. „Wir wissen definitiv zwei Dinge. Erstens: Sichtbar geschädigt ist nur das Kleinhirn. Zweitens: Das Profil lässt auf weitere Schäden schließen, und zwar eine ganze Menge, die wir erst mit dem großen Scan finden werden. Wissen Sie was? Vom Standpunkt der Navy aus gesehen wäre diese Frau besser tot, denn der Aufwand und die Ressourcen, die sie jetzt nach ihrem Selbstmordversuch kostet, geht weit darüber hinaus, was sie normalerweise in eine Rekonvaleszenz zu investieren bereit ist. Wahrscheinlich ist sie für die Navy tatsächlich schon so gut wie tot...“

Okay, ich hatte darauf verzichtet, ihm die Nase einzuebnen, hauptsächlich, weil Seafort und Masters drei astronomische Einheiten voneinander entfernt waren. Stattdessen hatte ich ein paar Freunde bequatscht und mir zumindest die Information besorgt, dass Mahou immer noch in den Navy-Akten geführt wurde. Was mich nicht daran gehindert hatte, einen unauffälligen Betrag für die Anschaffung eines kleineren, aber wichtigen medizinischen Instruments zu spenden und dem Herrn Professor, der mein Geld gern entgegengenommen hatte, durch die Blume darauf hinzuweisen, dass, sollte die Navy tatsächlich Arschloch genug sein, um sie fallen zu lassen, Clifford Davis ohne zu zögern zahlen würde. Ich meine, fünf Jahre Soldzahlungen, und ich hatte kaum einen Cent davon verbraucht – hauptsächlich, weil ich in Akarii-Gefangenschaft gewesen, in Rekonvaleszenz gewesen oder einfach zu beschäftigt gewesen war, um auch nur daran zu denken, Geld auszugeben. Wenigstens konnte ich es hier für das Leben einer Freundin einsetzen.
Eine Woche also, und dann würde sich alles entscheiden. Was, wenn die Navy sie entließ, weil ihre Schädigungen nicht so gut repariert werden konnten, sodass sie wieder aktiven Dienst verrichten konnte? Würde sie es akzeptieren, fortan für die Davis Holding zu arbeiten?
Meine Hand, die sich auf das kalte Glas gelegt hatte, krampfte sich zusammen. Ich schwor mir, diesen Menschen, diesen einen Menschen, der mir so viel bedeutete, zu retten, auch gegen ihren verdammten Willen.

„Lieutenant Davis. Clifford!“
Wie ein ertappter Schuljunge fuhr ich herum. Diese Stimme kannte ich, und mein erster Reflex war immer noch, mein Gewissen auf mögliche Fehler und Uneinsichtigkeiten zu überprüfen, die ich mir in ihren Augen möglicherweise geleistet haben könnte. Sie, das war Captain Melissa Auson-Cunningham, die Frau von Lone Wolf.
„Ma'am“, sagte ich und setzte zu einem Salut an, aber sie trug keine Uniform.
„Lassen Sie den förmlichen Kram, Clifford“, sagte sie und reichte mir die Hand. „Wir kennen uns lange genug. Nicht lange genug für ein du, aber lange genug, dass Sie mich bei meinem Vornamen rufen können.“
Ich ergriff die Hand, lächelte und drückte sie kräftig. „Melissa. Es ist mir eine Ehre. Wie geht es Lone Wolf?“ Ich stutzte, während ich ihre Hand fahren ließ. „Ich meine Commander Cunningham.“
Sie musterte mich für eine Sekunde, dann seufzte sie tief durch. „Den Umständen entsprechend. Sie machen ein großes Screening, wie sie es nennen. Nächste Woche soll er wahrscheinlich aus dem Koma geweckt werden, bis dahin soll eine endgültige Diagnose und eine Therapie stehen. Ich will mich nicht in falschen Hoffnungen verrennen, aber zumindest einer der behandelnden Ärzte ist sehr zuversichtlich.“
„Was seine vollständige Genesung angeht?“, fragte ich.
„Was sein Überleben angeht“, schränkte sie ein.
Also, sie steckte das verdammt gut weg. Aber immerhin war dies auch Melissa Auson, die Offizierin, die auf der Brücke der REDEMPTION als Erster Offizier gedient hatte. Und sie hatte immer einen guten Job gemacht und schwerste Situationen immer mit Gleichmut behandelt, und dann die richtigen Entscheidungen getroffen. Diese Fähigkeit kam ihr nun, da es um ihren Ehemann ging, zugute.
„Ach was“, sagte ich und winkte ab. „Cunningham ist zäh wie Stiefelleder. Ich und jeder Angry Angel, den ich kenne, sind uns vollkommen sicher, der Alte wird schon wieder.“
Sie musterte mich eindringlich. „Nun, dann will ich Sie und jeden Angry Angel, den Sie kennen, mal beim Wort nehmen und vorsichtigen Optimismus entwickeln.“ Sie trat neben mich. „Ihre Freundin?“
„Ja, Ma'am, ich meine, Melissa. Eine sehr gute Freundin, eigentlich schon Familie.“
„Pilotin?“
„Brücke der COLUMBIA.“
Melissa zog eine Augenbraue hoch. „Mir ist nichts zu Ohren gekommen, was auf der Brücke der COLUMBIA zu einer Verletzung führen konnte, die sie hierher ins beste Traumazentrum des Planeten bringen könnte.“
Kurz wog ich ab, was ich erzählen durfte und was nicht. Auf jeden Fall war Auson eine Frau, die schlau genug war, um aus Andeutungen eine Geschichte zu machen. „Sie erinnern sich an Commander Long?“
„Ja, den Sohn vom alten Raumhai. Hat Mist gebaut, und dafür hat sich Girad seinen Kopf geholt. Sein alter Herr hat ihn aber schon wieder für seinen Stab reaktiviert, wie ich höre. Hängt sie da mit drin?“
Ich nickte. „Mahou war Gruppenführerin in der Ortungsabteilung. Nach der Schlacht wollte sie, ganz Japanerin, für ihren Fehler mit dem Tode sühnen.“
„Fehler?“, fragte sie interessiert. „Wurde sie degradiert und vor ihrer Familie entehrt?“
„Nein, sie hat kaum noch Familie. Degradiert wurde sie auch nicht. Tatsächlich hat sie gar keinen Fehler gemacht. Den einzigen Vorwurf, den man ihr machen könnte, wäre, dass sie nicht hartnäckig genug gewesen ist. Aber dann muss man auch sämtlichen Ortungsleuten der ganzen Flotte und vor allem dem Marinegeheimdienst einen großen Vorwurf machen. Jedenfalls hat sie sich die Sache verdammt zu Herzen genommen.“
Auch die andere Augenbraue wanderte in die Höhe. „Verstehe. Sie hat entdeckt, dass der dritte Träger, den uns Taran als Flaggschiff vorgespielt hat, ein Dummy war. Nein, warten Sie, Cliff, so dumm ist Long nicht. Hätte es dafür einen Beweis gegeben, wäre ihm die nächste Beförderung sicher gewesen. Sie hat Hinweise drauf entdeckt, dass etwas mit den Träger nicht stimmt, richtig? Und Long hat es nicht weiter verfolgt.“
„Tut mir leid, Captain, aber ich unterliege in dieser Sache dem Dienstgeheimnis“, sagte ich, allerdings mit einem anerkennenden Lächeln, um ihr zu zeigen, dass sie richtig lag.
Auson-Cunningham nickte leicht. „Sie haben Recht, man kann und muss dem Geheimdienst einen Vorwurf machen. Er hat eigene Abteilungen, die nur dafür da sind, um Informationen über Feindschiffe auszuwerten, gerade in einer Abwehrschlacht in einem unserer Kernsysteme. Also, entweder sind hinter den Kulissen noch etliche weitere Köpfe gerollt, oder man war sich einig, dass es mit dem Kopf eines Admiralssohn eigentlich genug war. Oder irgendwas dazwischen.“
„Eher dazwischen“, entfuhr es mir. Nicht, dass ich ausgerechnet aus Geheimdienstkreisen Informationen darüber gehabt hätte. Außer natürlich jenen aus dem Latrinenfunk.
„Und wie geht es jetzt weiter? Mit Ihrer Freundin, meine ich.“
„Ich habe gehört, ihre Behandlung könnte der Navy eventuell zu teuer werden, vor allem, da sie als Selbstmörderin als labil und damit nicht mehr dienstfähig angesehen werden könnte.“
„Das glauben Sie doch selbst nicht. Ich meine, ich verstehe den Selbstmordversuch nicht, aber ich verstehe, dass sie sich die Sache zu Herzen genommen hat. Hätte sie direkt mit Girad oder Ahn gesprochen... Ja, ich verstehe, dass sie sich die Sache zu Herzen genommen hat. Also, Cliff, was, wenn es tatsächlich so ist und die Navy sie in die Abstellkammer eines Veteranenheims verschiebt und dort vergisst?“
„Ich werde mich um sie kümmern. Ich und meine Familie.“ Ein Gedanke ging mir durch den Kopf. „Lucas... Ist bei ihm alles in Ordnung?“
Für einen Moment musterte sie mich fragend, bevor sie verstand. „Ach... Machen Sie sich keinen Kopf darum, Cliff. Erstens ist mein Mann ein wichtiger, bekannter Kriegsheld. Die Navy würde sich ins eigene Fleisch schneiden, wenn sie nicht alles tun würde, um ihn wieder zusammenzuflicken und in den aktiven Dienst zu kriegen. Und davon abgesehen ist er der Ehemann eines hoch dekorierten Captains der Navy und der Schwiegersohn eines verdammten Admirals. Nein, machen Sie sich keine Sorgen, jedenfalls nicht um seine Behandlung.“
„Das beruhigt mich“, gestand ich.
Ich deutete auf ihren Bauch. „Und bei Ihnen, Melissa? Ist soweit...?“
Unwillkürlich strich eine ihrer Hände über ihren Leib. „An der Front ist alles so, wie es sein soll. Seien Sie unbesorgt.“
„Auch das beruhigt mich“, sagte ich lächelnd. „Aber falls der honorige Captain und Tochter eines verdammten Admirals Rat oder Tat benötigt, zögern Sie nicht, mich zu fragen.“
„Danke“, erwiderte sie. „Ihre Worte freuen mich sehr.“
Wir nickten einander knapp zu, dann sah ich auf meinen Chronometer und musste feststellen, dass die Pflicht mich wieder hatte. „Melissa, ich muss los. Vor der Ordensverleihung in drei Tagen muss ich noch eine Menge tun.“
„Ordensverleihung?“, fragte sie interessiert.
„Lilja kriegt die Medal of Honor.“
Also, DAS beeindruckte Captain Auson. Immerhin war dies der höchste zu vergebene militärische Orden. „Was hat sie gemacht? Drei Bloodhawks mit einer Zwille abgeschossen?“
Für einen Moment spürte ich ein wenig Unwillen in mir aufkommen. Immerhin hatte ich für meinen Opfergang bei der Rettung der REDEMPTION damals nur die Defense Meritorious Service Medal verliehen bekommen, und Lilja war lediglich... Nun. Kein Grund, neidisch zu werden.
„Nicht ganz. Sie ist mit gebrochenem Bein ohne Narkose in ihre Falcon gestiegen und hat das ganze Gefecht durchgestanden.“
Melissa Auson-Cunningham nickte. „Ja, das klingt nach ihr. Bei so einer Auszeichnung, da hat sie sicher zur Zeit fast so was wie gute Laune, oder?“
„Etwas in der Art“, sagte ich, in ihren milden Spott einfallend. Wir lachten kurz, gaben einander die Hand und gingen auseinander. Es erschien wahrscheinlich, dass wir, solange die COLUMBIA im System blieb und ich meine Besuche fortsetzen konnte, noch öfters aufeinander treffen würden. Und das war gut so. Die Lasten, die wir beide trugen, sollte niemand alleine heben müssen.

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15.11.2015 14:37 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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An Bord der Columbia
Sterntor-System

Second Lieutenant Sharon „Bobcat“ Rogers genoss die ihr zuteil gewordene Aufmerksamkeit in vollen Zügen. Dog, Kid und Sonnyboy standen alle um sie herum und flirteten, das sich die Balken bogen. Sie war zwar ein paar Jahre älter als die drei, aber ihre jugendliche, frische Art machte das spielend wieder Wett. Dog erzählte gerade ausführlich von seinen eigenen Heldentaten während der letzten Schlacht, wohl in dem plumpen und zum Scheitern verurteilten Versuch Bobcat damit beeindrucken zu wollen.
Sie lächelte während seiner etwas langatmigen Ausführungen zwar weiter und nickte hier und da während Dog weiter über seinen Abschuss schwadronierte, als wäre das eine Glanzleistung Bobcat hörte ihm eigentlich schon seit einer Minute nicht mehr zu und ließ ihn gewähren ohne ihn auf ihre eigenen zwei Abschüsse während der zahlreichen Kampfeinsätze der Verteidigung von Sterntor hinzuweisen. Oder dass ihr Abschusskonto damit auf insgesamt 8 angestiegen war, was sie immerhin in das untere Mittelfeld der Angels Kampfpiloten katapultierte auch wenn sie damit immer noch sehr weit weg von den besten Assen war.
Stattdessen machte sie gute Miene zum langweiligen Spiel, nippte an ihrem Drink und sah sich in der Messe um.
Im Augenblick waren alle Piloten auf den diversen Feierlichkeiten rund um die „Krönung der Eiskönigin“ – wie Spötter die Ordensverleihung an Commander Pawlitschenko auch despektierlich nannten – versammelt und ließen mehr oder weniger gepflegt die Sau raus. Lilja schien bis auf einen engen Kreis an Freunden nicht sonderlich beliebt zu sein, schon ihr bisheriger Spitzname als Eisprinzessin war nicht positiv gemeint wie Sharon schon berichtet worden war. Allerdings konnte sie bislang noch nicht sagen, woran das genau lag, denn im Augenblick schien sie auf Bobcat eine recht fröhliche, freundliche Ausstrahlung zu haben. Aber vielleicht lag das auch nur an den momentanen Umständen. Lilja war aber auch nicht die einzige, die heute eine Auszeichnung erhalten hatte.
Bobcats Blick wanderte weiter zu dem etwas weiter entfernt stehenden Cabbie, der gerade Glückwünsche entgegen nahm, da neben anderen auch ihm ein Bronce Star verliehen worden war und das obwohl er gleich bei seinem allerersten Einsatz aus der Maschine geschossen worden war. Doch das er sich dann freiwillig als Shuttlepilot gemeldet hatte und dann dieses auch noch vor der Zerstörung bewahrt und damit etlichen Kameraden das Leben gerettet hatte, hatte ihm diese Auszeichnung und ebenfalls eine despektierlich gemeinte Callsignänderung eingebracht. Kampfpiloten waren schon ein seltsames, von Neid zerfressenes und besonders kompetitives Völkchen. Sharon hatte ihm zumindest von Herzem gratuliert, auch wenn Cabbies Erwiderung etwas steif, kühl und zurückhaltend ausgefallen war. Entweder war er schwul oder hatte einen Stock verschluckt. Sharon nahm sich vor, das bei Gelegenheit herauszufinden.

Etwas weiter entfernt standen und Titan, Too-Tall und Stuntman miteinander. Der früher mal Noname genannte Pilot hatte sich ihr gegenüber recht kühl gezeigt. Bobcat war ihm nicht böse, denn im Grunde hatte sie ihn natürlich vor dem Rest der Staffel ziemlich bloß gestellt und wohl ziemlich auf dem falschen Fuß erwischt. Das war nicht ihre Absicht gewesen, sie hatte ihn eigentlich nur etwas necken wollen, aber vielleicht war sie damit auch etwas zu weit gegangen und würde sich wohl noch bei ihm dafür entschuldigen müssen. Denn im Grunde fand sie Donovan immer noch sehr attraktiv und interessant, im Augenblick weitaus interessanter als das lechzende Junggemüse direkt vor ihrer Nase. Während sie Cartmell beobachtete, fiel ihr auf, dass sie von Titan beobachtet wurde. Deren Blick konnte sie nicht deuten. War das Ablehnung, Abneigung, Missbilligung? Oder hatte es sogar etwas mit Stuntman zu tun? Immerhin schienen die beiden recht viel Zeit miteinander zu verbringen. Bobcat nahm sich in Gedanken vor, auch das etwas näher zu beobachten.

Im Moment allerdings drängte sie diesen Gedanken beiseite und lachte über einen Witz von Kid. Nach all den Strapazen der Schlachten im Sterntor-System rund um Seafort und Masters tat es auch einfach nur mal ganz gut etwas zu feiern. Viele Kameraden waren verwundet, vermisst oder gefallen. Allein auf der Derflinger war die Staffel um mehr als die Hälfte dezimiert worden, zählte man die freiwilligen Abgänge wie Kali und sie selbst dazu. Es war Bobcat auf der einen Seite nicht leicht gefallen, den Flying Circus zu verlassen nach all den Jahren und den kürzlichen Verlusten. Doch sie wusste auch, dass sie Papa Bear und Demolisher beim Wiederaufbau aufgrund ihres mangelden Talents und Interesses an Führungsaufgaben keine Hilfe sein würde. Erst recht nicht, nachdem Kali sich dagegen entschieden hatte, Conti´s Stelle als Staffelführer nach dessen Tod einzunehmen. Und da Piloten an der Front gerade händeringend gebraucht wurden, hatte sie die einmalige Chance wahrgenommen und war nun selbst ein Teil der legendären Angry Angels geworden. Etwas von dem die schon seit geraumer Zeit geträumt hatte und nun war sie hier inmitten dieser Elite, mittendrin zwischen ihrer früheren Helden und Haudegen. Lilja, Razor, Ace, Kano, Kali, Irons, Stuntman, Imp, Trash & Ferret… Die Anzahl der Asse und Helden war immer noch groß, auch wenn die Angels selbst über die Jahre ebenfalls viele ihrer großen Idole im Kampf oder anderweitig verloren hatten – Lone Wolf, Raven, Darkness, Lightning, Huntress, Radio, Skunk, Hammer nur um einige zu nennen.
Sie konnte nur hoffen sie würde sich dieses schweren Erbes würdig erweisen.


***

Sie wurde jäh aus ihren Gedanken gerissen, als sie freundlich aber bestimmt am Arm gezogen und herumgewirbelt wurde. Ein glockenhelles Lachen ließ auch Bobcat strahlen, denn vor ihr stand Maria „Huntress“ Agyris und nahm sie gleich ohne viel Federlesens in den Arm.
„Oh, ist das schön dich zu sein.“ Das freudige Lachen in Huntress Gesicht war nicht gespielt und beide Frauen drückten sich herzlich. Sie hatten sich bisher zwar nur ein einziges Mal vor den Sterntor-Schlachten gesehen, aber sie hatten beide sofort gemerkt, dass sie auf einer Wellenlänge funkten. „Ich habe schon mit viel Freude vernommen, dass du jetzt bei uns bist und mir helfen willst, diesen Laden hier mal etwas aufzumischen.“ Wie es schien hatte Huntress schon einen kleinen Vorsprung in Sachen Alkohol und der Schwips war ihr schon ein wenig anzumerken.
Die drei Jungfüchse der Roten Staffel beschwerten sich lauthals wie kleine Jungs, denen gerade ihr Lieblingsspielzeug weggenommen worden war – was im Grunde ja auch stimmte. „Shhh, Shhh, Shhh, seid lieb und geht spielen Jungs, während sich Erwachsene unterhalten…“ Dann zog sie Sharon hinter sich her und in einen anderen Bereich der Messe, der im Moment weniger gefüllt war. „Mit was gibst du dich denn da ab?“
„Nachwuchsförderung! Jemand muss der Jugend ja schließlich mal zeigen, wo der Hase langläuft.“
Huntress legte den Kopf schief. „Wusste gar nicht, dass du so eine soziale Ader hast.“
„Ist nicht ganz uneigennützig, weißt du? Und außerdem sehen die alle drei doch gar nicht mal so schlecht aus, oder?“
„Kaum hier und schon auf der Jagd, oder wie?“
Bobcat nickte. „Du weißt doch wie es heißt: Die Katze lässt das Mausen nicht! Werden wir beide damit Probleme kriegen?“
„Meinst du mit unseren CO´s oder zwischen uns?“
„Beides“
„Mit unseren CO´s nicht, solange es nicht öffentlich wird und keine Tränen und kein Blut fließt. Wie ich hörte ging es im Circus recht bunt zu. Der Laden hier ist da deutlich konservativer.“
„Gut zu wissen. Und zwischen uns?“ Bobcat hoffte inständig, dass das kein Problem darstellen würde, denn sie wollte nicht zwischen einer Freundin und ihren eigenen Bedürfnissen wählen müssen.
Agyris grinste breit. „Teilen und herrschen, Süße! Ein bisschen Wettbewerb tut immer gut und stachelt die Leistungsfähigkeit an.“
Sharon musste ob der Doppeldeutigkeit grinsen. „Das hört sich gut an. Irgendwelche Empfehlungen, positive oder negative?“
„Na, das können wir lieber unter uns bei einem Kaffee in etwas weniger disponierter Lage besprechen. Glaub mir, Kleines, dieser Raum hat eine Menge Ohren. Aber nur eines schon mal vorweg…“ Sie rückte etwas näher und flüsterte ihr ins Ohr, was einen wohligen Schauer bei Sharon auslöste. „Siehst du den gutaussehenden Piloten dort hinten auf meiner Acht?“
„Den, der immer wieder äußerst auffällig unauffällig in unsere Richtung schaut? Der einen formvollendeten Hundeblick aufgesetzt hat, so als ob er gerade erst von seiner Herrin ausgesetzt worden wäre?“
Huntress musste laut auflachen. „Gut beobachtet, genauso in etwa sieht es tatsächlich aus. Ich musste ihn kürzlich leider abservieren.“
„Den?“
„Ja, genau den.“
„Wow, der sieht aber wirklich lecker aus? Und warum? Nicht gut genug?“
„Nein, das war es nicht. Lange Geschichte…“
Sharon nickte und beließ es dabei. Wenn die Zeit kommen würde, würde es Huntress ihr schon erzählen. „Schade, einen kurzen Moment lang dachte ich seine Aufmerksamkeit würde mir gelten.“
„Träum weiter, Süße!“ Huntress lachte auf und Bobcat fiel ebenfalls in das silberhelle Lachen ein.
Nun war sie es, die sich zu Huntress Halsbeuge lehnte. Ihr Geruch war betörend und Sharon musste sich zusammenreißen um nicht unvermittelt an ihren Ohrläppchen zu knabbern. „Keine Sorge, ich lasse ihn erst einmal außen vor. Und wenn ER den ersten Schritt machen sollte, lasse ich es dich vorher wissen, ist das so in Ordnung?“
Huntress lächelte huldvoll. „Das klingt fair, meine Liebe.“
Sharon musste grinsen. Obwohl sie und Huntress eigentlich aufgrund ihrer Lebensart und –Einstellung Konkurrentinnen hätten sein müssen, schien es zumindest bis jetzt so, als ob sie wirklich Freunde werden könnten. Insgeheim fragte sich Sharon, ob sie vielleicht auch Lust auf mehr haben könnte. Aber dafür wollte sie sich noch Zeit lassen, denn solche Dinge sollte man nicht überstürzen.
Trotzdem war sie jetzt erotisch extrem aufgeladen und würde sich zurückhalten müssen um nicht den nächstbesten süßen Typen in ihre Koje zu zerren. Doch auf der anderen Seite, wer wusste schon, was der Rest des noch jungen Abends bringen würde.

Und damit ging Bobcat lächelnd auf die Pirsch. Es würde nicht lange dauern bis sie Beute machen würde, das wusste sie. Und es würde auch nicht lange dauern, bis es sich rumgesprochen hatte, wieso sie dieses Callsign bekommen hatte.

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15.11.2015 14:39 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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Sterntorsystem
2 AE Systemauswärts von Masters

Lehrstunden hatten es werden sollen. Waren es auch geworden, für ihn. Jules Stafford blickte in die Unendlichkeit. Fünfmal hatten sie ihm jetzt in den Arsch getreten. Lilja hatte ihn erwischt, dann Ace, im Anschluss daran Kano, Vince Gambretti von den Stalking Jaguars und schließlich die Bomberjockeys Trash und Ferret.
Es waren wirkliche Lehrstunden gewesen. Jules war sich sicher, jeden von ihnen zumindest nochmal überrascht zu haben, doch die Kampferfahrung gepaart mit ihren besseren Reflexen und vielleicht auch dem bisschen mehr Talent hatten ihn alt aussehen lassen.
„Einschwenken auf null-zwo-neun“, hörte er sich selbst sagen.
Kurz darauf kamen die Bestätigungen der Staffelführer von Bronce, Silber und Gold.
Gott, zumindest hatte er sich in Sachen Strategie und Taktik nicht blamiert. Wobei er den Kommentar von Razor ´Gradlinig, schnörkellos´ nicht ganz einsortieren konnte.
„Bronce Leader für Red Leader, sind in Position.“
Die Bestätigung erfolgte über zweimaliges Klicken mit dem Funk.


Die CIC der Columbia war in seichtes Blau gehüllt. Der Träger und seine Begleitschiffe hatten ihre Besatzungen auf die Gefechtsstationen gerufen.
Vanessa Girad blickte ihre amtierende CAG, Lilja, nachdenklich an. Die jüngere Frau stand ihr am Kartentisch gegenüber und war gespannt wie eine Feder.
Natürlich hatten auch sie die Geschichten über die russische Pilotin erreicht, doch bisher hatte sie sich kein Bild von dieser machen können.
Das diese ihren Raumanzug trug war vielleicht ein klein wenig geschummelt bei dieser Übung. Natürlich war auch die erhöhte Alarmbereitschaft geschummelt.
Aber es brachte absolut gar nichts so zu tun, als wüsste man nicht, dass da draußen ein Gegner lauerte.
Stafford hatte neben seiner eigenen Schwadron alle drei Bomberschwadronen mitgenommen, sowie sämtliche Tankshuttles. Dazu befand sich irgendwo dort draußen ein Zerstörer, als Versorgungsschiff.
„Und Commander, ihre Analyse?“
Lilja schoss augenblicklich in die Höhe: „Ma’am?“
„Ich hätte gerne ihre Meinung zur taktischen Situation?“
Einen Augenblick wanderten die Augen der Russin über die Karte: „Ich kann den CAG noch nicht wirklich einschätzen und habe mit dieser Aufteilung der Kräfte nicht gerechnet. Er stellt zwar maximale Schlagkraft auf, hat aber nur ungenügenden Jagdschutz, während er die Schlagkraft der Verteidiger quasi maximiert.“
„Sie hätten also die Verbände anders aufgestellt?“
Die Pilotin nickte abgehackt: „Ich hätte die Silberne Schwadron den Verteidigern zugeteilt und eine weitere Jagdfliegerschwadron für den Angriff herangezogen, Ma‘am.“
„So, warum die Silberne Schwadron?“
„Nun, die Goldene hat mit Vladimir Czemek einen neuen Kommandeur und muss neu eingearbeitet werden“, Lilja stockte kurz, konnte man dies doch von allen Staffeln für Stafford geltend machen, „die Silberne verkauft sich bei Übungen im Regelfall unter Wert.“
Girad hob fragend eine Augenbraue.
Etwas unbehaglich zuckte Lilja die Schultern: „Ich weiß auch nicht, wie das zustande kommt, hat sich die Silberne Schwadron immer als erstklassige Kampfeinheit erwiesen.“
„Ma’am“, der Chef der Kommunikationsabteilung Lieutenant Commander Borschberg näherte sich dem Kartentisch, „wir haben Funksignale unserer verlorenen Küken aufgefangen.“
Der Schweizeraktzent des für seinen Rang recht jungen Offiziers war ziemlich markant.
Einige Eingaben veränderten das Bild auf dem Kartentisch: „An Steuerbord voraus wurden Funksignale reflektiert. Laut Astrogation werden wir die Trümmerstücke eines akariischen leichten Kreuzers passieren. Wir konnten zwei Stimmen identifizieren: Irons und möglicherweise den CAG.“
Girad aktivierte die Sprechverbindung zur Brücke: „Ho-Yun, die Kommunikation glaubt Cowboy’s Angriffsverband gefunden zu haben, ich überspiele Ihnen die Daten.“
„Ja, Ma’am, ich sehe es. Ziemlich ausgefallen, nach allem was man bisher von ihm zu sehen bekommen hat.“
„Wie würden Sie reagieren, Captain“, fragte Girad ohne auf die Spitze gegen ihren CAG einzugehen.
„Ich schlage vor ihn direkt mit unseren Jägern zu attackieren und in die Enge zu treiben. Zusätzlich würde ich leicht nach backbord Abdrehen um den Verband von den Bombern weiter fern zu halten.“
Die Admiralin biss sich auf die Unterlippe und blickte auf die taktische Karte. Damit hätten sie quasi Masters im Rücken, was bei interplanetarer Lage bedeuten würde Rückendeckung zu haben, wenn die Geschwader von Masters bei der Übung eine Rolle spielen würden. Sehr konventionelles Vorgehen: „Ihre Meinung, Tatjana?“
Die Russin verschluckte sich fast am eigenem Atem als sie von der Admiralin mit Vornamen angesprochen wurde: „Ich stimme mit dem Captain weitestgehend überein. Ich würde drei der zur Verfügung stehenden Staffeln, Grün, Gelb und Schwarz, an den Feind heranführen. Eine Sektion meiner Stallions unterstützt von einer Sektion der Jaguars als Vorhut aussenden um den Feind aufzuscheuchen und mit den Butcher Bears als Zentrum den Feind geschlossen angreifen. Die Joker würde ich zur Flottenverteidigung und als taktische Reserve einsetzen.“
„In Ordnung, Commander, rücken sie aus.“
Lilja salutierte zackig und trat ab.
„Astrogation: Flottenmanöver in zehn Minuten fünf Grad backbord.“
„Aye, aye, Ma’am.“

***

Matt Dodson begutachtete wie nach und nach die aufmunitionierten Jäger zu den Startröhren gezogen wurden. Seiner Meinung nach verlief die ganze Angelegenheit noch etwas träge aber die neuen Männer mussten erst noch eingearbeitet werden. Tatsächlich hatte es der CAG geschafft Auson, Admiral Auson, zu bequatschen ihnen Navytechniker zuzuschieben und dem neuen Geschwader von Crawford die Marines, welche noch auf Masters festsaßen.
Alles was es gebraucht hatte, war eine Flasche Aldebaran Wodka aus dem Maschinenraum der Columbia um den zuständigen Postoffizier zu bestechen, Lone Wolfs persönliche Effekte herauszugeben, damit Cowboy diese dem Admiral abseits des Trubels hatte übergeben können um den langen und stressigen und unzuverlässigen Postweg der Navy zu umgehen.
Der Veteran schüttelte den Kopf; eigentlich hätte kein simpler Commander mehr in der Lage sein dürfen, ihm noch etwas beizubringen.
„CHIEF!“
Die Eisprinzessin. Dodson musste sein Schmunzeln ernsthaft unterdrücken. Natürlich hatte er Commander Pawlitschenko zu ihrem Orden gratuliert. Natürlich nicht so wie er es gerne gemacht hätte, das wäre unangemessen.
Die Russin gehörte zu den Piloten und Offizieren, die er am meisten respektierte. Aber das musste man ja niemanden unter die Nase reiben.
Er setzte also ein gelangweiltes Gesicht auf und trabte zu ihr rüber, wo er so etwas Ähnliches wie Haltung annahm: „Ma’am.“
Dann nickte er dem zweiten Piloten zu, der neben Lilja stand. Wie sich Ace als Staffelführer entwickeln würde, fand er ziemlich spannend.
Der blauhaarige Commander war ein hervorragender Pilot und ein besserer Soldat als es vielleicht im ersten Moment den Anschein machte aber ob er sich als Kommandeur wirklich durchsetzen kann, dass blieb abzuwarten.
Stonewall Jackson sagte einst: Um ein guter Soldat zu sein, muss man die Armee lieben und um ein guter Kommandeur zu sein, muss man jene, die man liebt in den Tod schicken.
„Chief“, begann Lilja ihre abschließende Besprechung, „ich will dass die an Bord verbleibenden acht Jäger der Joker voll bestückt und sofort startbereit in und direkt vor den Startröhren positioniert werden.“
„Natürlich, Ma’am“, Dodson sparte sich alle Argumente, die es dagegen gab. Angefangen mit den Vorschriften für den Dienstbetrieb, die nur ein echter Alarm außer Kraft setzen konnte.
„Ace“, wandte sich dann die Russin an den anderen Falcon-Kommandanten, „Commander Davis, meine ich, eine Sektion wird ständig als CAP draußen sein und alle vierzig Minuten ausgewechselt.“
Das rief bei den beiden Männern eine hochgezogene Augenbraue hervor.
„Die Joker dienen auch als taktische Reserve und da uns kein Tanker mehr zur Verfügung steht, können wir es uns nicht erlauben, dass ein Drittel der Staffel mit halbleeren Tanks im Einsatz ist. Außerdem hält dass deine Piloten auf Zack.“
Ace atmete tief durch: „Diese Befehle müssen mir nicht gefallen oder?“
„Nein, müssen sie nicht“, da war wieder dieses wölfische Grinsen, „solange du sie ausführst, können sie dir missfallen wie es dir beliebt.“

Gelächter einiger Piloten, die das Flugfeld betraten, erregte ihre Aufmerksamkeit. Die Butcher Bears waren jetzt dran ihre Maschinen zu besteigen.
„Diesmal nagel‘ ich mir den Cowboy an die Wand!“
„Welche Art von Nageln meinst Du denn?“ wollte ein männlicher Pilot, den Lilja als den neuen Konföderierten in Kanos Staffel identifizierte, wissen.
„Die schmerzhafte Art!“
Es entging der Russin nicht, dass sich Ace‘ Gesichtsausdruck verdüsterte und das sicherlich nicht, weil die Sprecherin fliegerisch in der Lage war Stafford abzuschießen.
Die beiden Falcon-Kommandeure sahen zu, wie Kano seine Staffel zu den Maschinen trieb. Die Butcher Bears schienen sich des Ausgang der Übung gewiss und hatten eigentlich auch jeden Grund dazu. Im direkten Vergleich war die Red Sun Spirit ihrer Schwesterstaffel ein ganzes Stück unterlegen.
Was aber die Lieutenants vergaßen, war das mit Irons und Razor zwei wirklich erfahrene Staffelführer auf der anderen Seite standen. Ebenso war Vladimir Czemek kein unbeschriebenes Blatt. Und auch wenn sie es nicht direkt zugeben wollte, brauchte sich das was Stafford bisher strategisch und taktisch gezeigt hatte hinter niemandem verstecken oder war zumindest ganz passabel.
Sie blickte von Ace zu dem kleineren Dodson und nickte den beiden zum Abschied zu. Ihre eigene Staffel wartete.
Sie hatte alle Staffelführer angewiesen ihre Zusammenstellungen nicht durch rotieren zu lassen. Egal wie vernünftig diese Anweisung war, heute würden die Piloten unter ihrem Kommando Bestleistung zeigen.

***

Kali fletschte unter ihrem Helm die Zähne. Stafford hatte ihr quasi eine Zielmarkierung auf den Rücken gemalt. Der Rest von dem Plan war auch nichts anderes als BS. Viel zu kompliziert war noch das höflichste, was sie dazu sagen konnte.
Der CAG hatte sich alles angehört, was sie ihm in der stillen Ecke dazu zu sagen hatte. Er hatte genickt und ihr zugestimmt. Dann hatte er ihr verschwörerisch den Arm über die Schultern gelegt und ihr minutiös dargelegt, was, wie, wann passieren würde.
Bislang hatte Stafford recht gehabt, drei Schwadronen waren auf direkten Weg zu ihr und die Columbia hatte exakt in die Richtung gedreht, wie vorhergesagt.

***

„Captain: Wir haben Treibstoffsignaturen auf zwo-drei-zwo!“
Ahn Ho-Yun war sofort zur Stelle und blickte dem Radargasten über die Schulter: „Wie intensiv.“
„Genug für ein halbes Geschwader Ma’am“, der Lieutenant öffnete eine neues Fenster auf seinem Monitor und zeigte den Verlaufswinkel.
Die erfahrene Offizierin brauchte nicht lange um die Daten zu deuten, die Columbia hielt wahrscheinlich direkt auf einen feindlichen Verband zu, der mit Minimalenergie im All trieb.
Zwei schnelle Schritte brachten sie zurück zum Kartentisch, wo sie die Sprechanlage aktivierte: „Brücke für CIC.“
„CIC“, meldete sich Admiral Girad ohne Umschweife.
„Admiral, ich glaube wir laufen direkt auf den gegnerischen Hauptverband zu. Haben sie die Daten?“
„Sie werden gerade eingespielt, ja ich sehe es.“ Dann eindeutig nicht an Ho-Yun gewandt. „Flottenastrogation: Alles halt, Maschinen ein Drittel zurück!“
Captain Ahn wechselte den Kanal auf die Flugdecklautsprecheranlage: „5-MC, hier spricht der Captain, Alarmstart für alle Jäger! Blaue Staffel: Sichern sie den vorderen Quadranten! Wahrscheinlicher Feindkontakt!“

***

Ina Richter hörte den Meldungen der Columbia nur mit halbem Ohr zu. Sie befehligte die führende Sektion der Stallions und flog Flankensicherung für Sean Grovers Sektion der Stalking Jaguars.
Die Strahlungsreste des Akariiwracks machten ihren Sensoren auf kürzere Distanz schon arg zu schaffen. Hätten die Funksprüche den Angriffsverband nicht verraten, wäre die Columbia direkt dran vorbeigefahren.
Aber nun waren sie die Jäger, der elliptische Anmarschweg sollte sie selbst vor der Entdeckung durch die Sensoren der Bomber beschützen.
„KONTAKT!“ Grovers Stimme riss sie sofort wieder ins hier und jetzt.
Ihr Radarschirm fing an verrückt zu spielen. Raketenfeuer blitzte auf. Im Schatten des riesigen Kreuzers zündeten Jäger und Bomber ihre Triebwerke. Mindestens zwei Sektionen Nighthawks feuerte Phoenix Raketen ab. Fünf oder mehr Crusader und Rafael zündeten ihre Düsen und drehten ab, während eine Gruppe Thunderbolt Jagdbomber um die Trümmer herum auf sie zu kamen.
Der erste Feuerüberfall kostete Grovers Sektion drei Maschinen.
„Alle Mann ausbrechen! Nichts wie weg hier!“
Sechzehn als feindlich deklarierte Maschinen hielten unter Vollschub auf ihren kleinen Verband zu. Vorweg eine Nighthawk mit den Insignien des Geschwaderführers.
Da dies eine Übung war, fiel ihr die Entscheidung nicht schwer und Imp gab ihrer Falcon die Sporen. Wenn sie dem Feind den Kopf abschlug, würde seine Falle in sich zusammenbrechen und Lilja konnte zum ausputzen kommen.
Mit einem wilden Spin wich sie zwei für sie bestimmten Raketen aus, richtete ihre Nase auf den CAG-Bird und eröffnete das Feuer.
Dieser wich ihren Schüssen aus, verdammt knapp aber immerhin. In einem brutalen Looping steuerte die Nighthawk auf sie zu und brachte die eigenen Energiewaffen zum Tragen.
Es war ein kaltblütiges Manöver gewesen, welches man eher Skunk oder Darkness zugestanden hätte. Stafford flog eher etwas verspielt, wie Lone Wolf ohne auch nur ansatzweise dessen Fähigkeiten und Reflexe widerzuspiegeln.
Als die Energiewaffen der Nighthawk die kleine Falcon durchschüttelten wurde Imp klar, dass jemand anderes im CAG-Bird sitzen musste. Stuntman vielleicht, nein eher Kali.
Dann war die Übung für sie auch schon vorbei.

***

Zufrieden hatte Cowboy Kalis Angriffsmeldung zur Kenntnis genommen und beobachtete von seiner Flügelmannposition aus, wie die Columbia im Rückwärtsgang auf seinen zweiten Verband zuhielt. Masters im Rücken.
Kalis Ablenkungsverband war gerade groß genug um Lilja lange genug zu beschäftigen, dass seine Bomber ihr Tagwerk verrichten konnten. Seine junge XO hatte natürlich Recht, der Plan war zu kompliziert und unter realen Gefechtsbedingungen schon fast unmöglich.
Aber er hatte seine Piloten und Offiziere gut genug lesen können, sein bisher bescheidenes abschneiden hatte eine gewisse Arroganz aufkommen lassen. Zu gern hätte er behauptet, dies wäre sein Ziel gewesen aber leider hatte er während seiner Zeit in der Etappe etwas verloren.
Ob man das jetzt den Biss nannte oder Ehrgeiz oder wie auch immer, er musste an sich arbeiten und zu alter Form zurückfinden.
Aber als allererstes musste er seinen Staffelführern und Piloten zeigen, dass er keine totale Flasche war. Dafür hatte er ganz tief in die eigene Trickkiste greifen müssen. In dem Wissen, wie gut die taktische Abteilung der Columbia war hatte er Kali aufgezeichnete Nachrichten von sich und Irons mitgegeben, die diese über Funk abgestrahlt hatte. Daher war Kalis Teil des Hinterhalts aufgeflogen.
Der zweite Teil war, eine Gruppe Tank-Shuttles eine Bahn ziehen lassen, Flugbenzin ablassen und zünden zu lassen, dass die Sensorabteilung der Columbia Kondenzspuhren auffangen musste und seinen zweiten Verband an falscher Stelle vermutete und die Reserve am falschen Ende der Flotte aufmarschieren ließ.
Mit vier Sektionen Jagdbombern und zehn Crusadern sowie seiner Sektion Nighthawks dürfte genügend Feuerkraft vorhanden sein um dem Verband der Columbia ernsthaften Schaden zuzufügen, ohne das die verbliebene Falcon-Staffel viel dagegen ausrichten konnte.
„Cowboy, Stuntman: Sie driften ab, schon wieder.“
Jules grinste, heute flog er als Cartmells Flügelmann, sprich als Nummer vier in der dritten Sektion seiner eigenen Staffel: „Verstanden, Boss.“
Mit zwei geübten Handgriffen ging er wieder in exakte Position: „Renegade-Verband, Cowboy: Zeit unseren Job zu erledigen.“
Irons, Meltdown und Razor bestätigten nacheinander und Jagdbomber und Bomber fuhren ihre Energie hoch.

__________________
"Das Leben ist das was einem passiert, während man andere Pläne schmiedet." John Lennon

Mitglied der Autorenkooperationen "Dantons Chevaliers" und "Hinter den feindlichen Linien"
29.11.2015 14:20 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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Blumen der Trauer und des Hasses

Baha’ullah, Hauptstadt des FRT-Planeten Masters, Sterntor-System

Es war eine weit verbreitete und alte Binsenweisheit, dass das menschliche Wesen, der menschliche Charakter, noch immer rätselhaft waren - selbst nach all den Jahrhunderten Hirn- und Mentalitätsforschung. Noch immer fiel es schwer mit einiger Sicherheit vorherzusagen, wie zwei Menschen sich in einer ähnlichen oder gar identischen Situation verhalten würden. Wie sie auf gute Nachricht reagierten, auf Schicksalsschläge, wie Liebe, Hass, Trauer und Freude ihr Handeln bestimmten, wie schnell sie in der Lage waren, ihre Emotionen dem rationellen Denken unterzuordnen (oder umgedreht, wie manche Zyniker behauptet hätten). Auch der Umgang mit lastender Verantwortung ließ sich schwer vorhersagen. Doch wie auch immer andere Menschen handeln mochten, Hanifa Jergian, Ministerpräsidentin von Masters, gläubige Muslima, eine der mächtigsten Frauen der FRT, hatte sich in den letzten Wochen angewöhnt, Einkehr zu halten an einem Ort, den wohl die wenigsten für geeignet hätten - in einem großen Holo-Kino im Zentrum der Hauptstadt.
Nach dem schweren Angriff der Akarii hatte man das Kino kurz entschlossen beschlagnahmt und zweckentfremdet. Hanifa Jergian hatte nicht gezögert, die exekutiven Befugnisse, die ihr im Zuge des Katastrophenfalls zugestanden worden waren, entschlossen zu nutzen.

Die hochauflösenden Bildwerfer des Kinos hatten fast militärische Qualität - und das bezog sich auf die Hauptquartiere der regulären Streitkräfte, nicht die veralteten Anlagen der Nationalgarde. Das prädestinierte sie dazu, anhand von holographischer Simulationen Hilfsmaßnahmen, Situationsanalysen wie auch den Wiederaufbau zu koordinieren. Das Drücken einiger Tasten verwandelte naturgetreue Abbilder der beschädigten oder zerstörten Militär- und Industrieanlagen von Masters - und der in erheblichem Maße in Mitleidenschaft gezogenen zivilen Bezirke - in Visionen der zukünftigen Nutzung. Materialmengen ließen sich relativ verlässlich kalkulieren, der Baufortgang überprüfen. An den Beratungen nahmen neben Vertretern der betroffenen Städte auch Militärs und Wirtschaftsfachleute teil. Dem Wiederaufbau war oberste Priorität eingeräumt worden. Hier ging es um mehr, als Trümmer wegzuräumen und vernichtete Verteidigungsanlagen und Wirtschaftsstandorte zu ersetzen. Es ging - symbolisch gesprochen - darum, sich selbst, der ganzen Republik, dem Feind, ja der ganzen Galaxis und den Göttern zu beweisen, dass Masters vielleicht bis in Mark getroffen worden war, aber unbesiegt.
Und das war der Grund, warum ein ganzer Saal, in dem einmal mehrere hundert Menschen die neusten Holovids der Republik verfolgt hatten, einem Ort gewidmet worden war, den es nicht mehr gab, und vielleicht nie mehr geben würde - der Stadt Baji. Man könnte aber auch sagen, dass Hanifa Jergian Trost fand in einem Ort, den es NOCH nicht gab - der zentralen Gedenkstätte für die Schlacht um Masters.

Die Wahl des Ortes für das Mahnmal mochte manchem auf den ersten Blick nicht sehr einleuchtend erscheinen. Baji war niemals ein Zentrum gewesen, das für die Geschicke von Masters eine große Rolle gespielt hatte. Die mittelgroße Stadt lag an einer der zentralen Magnetschwebebahn-Trassen des kleinen Südkontinents des Planeten, in einem von wohlwollenden Betrachtern als idyllisch beschriebenen Flusstal, eingerahmt von zwei Gebirgszügen von vielleicht 500, 600 Meter Höhe und einer grünblauen Bucht des Tränenmeers. So hieß der größte Ozean von Masters, der wegen seiner gigantischen Korallenriffe - sie übertrafen das Große Barriereriff auf der Erde um ein erhebliches - und der Artenvielfalt der dort lebenden Tiere einen gewissen Ruf genoss.
Zwar war die Stadt mit ihren gut 60.000 Einwohnern für die eher agrarisch geprägten Verhältnisse des Planeten ein echtes Industriezentrum gewesen und verfügte über mehrere Minen. Zwei örtliche Fabriken, jede beschäftigte mehr als tausend Arbeiter, hatten die geförderten Metalle weiterverarbeitet. In regelmäßigen Abständen waren Transporte von Baji zu den Werften von Seafort gegangen - aber insgesamt betrachtet war der Beitrag, den die Stadt für die Kriegsmaschinerie des Sterntor-Systems leistete, überschaubar gewesen. Es gab eine Ingenieursfachhochschule, die in der FRT einen gewissen Ruf genossen hatte, Fachleute von dort arbeiten in einigen Dutzend Systemen in der ganzen Republik. In besseren Zeiten hatten sogar ein paar "Ausländer" und Exoten - Konföderierte und einige Aliens von FRT- oder sogar unabhängigen Planeten - dort gelehrt und gelernt. Es war keine perfekte Stadt gewesen - aber wo gab es so etwas schon? Hin und wieder hatte es wegen tatsächlich oder vermeintlich schlechter Berücksichtigung von Umwelt- und Arbeitsschutzbestimmungen Auseinandersetzungen gegeben, gelegentlich einen Korruptionsskandal, dazu die ganz alltäglichen Spannungen einer mittelgroßen Stadt. Vor nunmehr dreißig Jahren Baji sogar Schauplatz erbitterter Zusammenstöße während eines großen Industriearbeiterstreiks gewesen, und zwei Brücken waren nach den beiden Toten der Unruhen benannt worden - einem Polizisten und einer Arbeiterin. Aber es war eine lebendige Stadt gewesen, eine mit Charakter, wie man so sagte, keine Diva, eher eine hart arbeitende Mutter mit einer großen aber doch alles in allem ganz glücklichen Familie.
Doch dann waren die Akarii gekommen. Als die planetare Regierung eine Invasionswarnung herausgab, hatte die Stadtverwaltung ihr Bestes getan, die Bevölkerung zu evakuieren, denn man hatte Baji zu Recht für gefährdet gehalten. Aber die Mittel waren natürlich begrenzt gewesen, immerhin gab es auf dem ganzen Planeten unzählige potentielle Ziele, und man hatte schrecklich wenig Zeit gehabt. Denn wer hätte schon damit gerechnet, angesichts der Stärke der TSN im System? Es grenzte an ein Wunder, dass ein großer Teil der Zivilisten rechtzeitig aus dem Umfeld der wahrscheinlichsten Ziele abtransportiert werden konnte. Ein Teil der Arbeiter - verstärkt durch Freiwillige und sowie Studenten und Personal der Hochschule - hatte sogar eine Evakuierung abgelehnt, um möglichst viel von den Produktionsanlagen, den Rohstoffen und Fertigprodukten der Fabriken in Sicherheit zu bringen.

Der Tod war schnell gekommen, ohne Warnung. Zu dem Zeitpunkt war die Verteidigung von Masters bereits zusammengebrochen, einschließlich der Raumüberwachungs-Satelliten und Tiefraum-Radaranlagen. Und selbst die Anlagen, die noch funktionierten - etwa optische Beobachtungsposten - hatten ihre Warnungen aufgrund der überlasteten Kommunikationssysteme nicht weitergeben können. Die Akarii hatten die Fabriken von Baji mit ein paar beleidigend beiläufigen Salven in Schutt und Asche gelegt. Heldenmut und Opferbereitschaft vermochten wenig gegen überschwere Schiffskanonen. Es hatte fast zweihundert Tote gegeben, unter ihnen viele Angehörige von Polizei, Feuerwehr und des Katastrophenschutzes, und noch mehr Menschen waren verletzt worden. Ein Viertel der Gebäude von Baji war an diesem Tag zerstört oder schwer beschädigt worden, durch Beschuss, durch Sekundärexplosionen, durch Brände, die man tagelang nicht unter Kontrolle bekommen hatte, ja allein durch die seismischen Erschütterungen, die den Einschlag der feindlichen Salven begleiteten. An einigen Stellen waren Gebäude nicht einmal eingestürzt oder verbrannt, sie waren im Beschuss geschmolzen und in bizarren Formen erstarrt. Inzwischen war man teilweise dazu übergegangen, die glasierten Trümmersteine - versehen mit patriotischen oder religiösen Inschriften aus dem Koran oder der Bibel - als Andenken gegen eine Spende für den Wiederaufbau zu verkaufen.
Das surreale Bild, wie die schimmernden Brücken über den Fluss, der Baji teilte, schwankten und dann fast zeitgleich in die brodelnden, kochenden Fluten stürzten, war geeignet, einen Menschen für viele Jahre bis in die Träume zu verfolgen. Ebenso die Wogen des Meeres, bedeckt mit einem breiigen Überzug aus Staub und Asche, in dem unzählige tote Fische und andere Lebewesen schwammen, wie sie an verbrannte Strände schlugen...
Doch das war nicht das Schlimmste gewesen.

Es musste offen bleiben - und spielte letztendlich keine Rolle - ob die Akarii mit Absicht gehandelt hatten oder nicht, als ihre Kanoniere auch die großen Schienentunnel der Magnetschwebebahn ins Visier genommen hatten, die unweit der Stadt die angrenzenden Gebirgszüge durchschnitten. Es war Hanifa Jergian herzlich gleichgültig, ob die Akarii nicht gewusst hatten - nicht hatten wissen können - dass diese Tunnel als Behelfsunterstände für tausende Zivilisten gedient hatten. Und sie war auch nicht geneigt milder über die Angreifer zu urteilen, weil sie ihr Zerstörungswerk eher beiläufig und nachlässig versehen hatten, so als wollten sie vielleicht gerade einmal die Tunnelmündungen zusprengen. Einer der Tunnel hatte glücklicherweise standgehalten, doch der andere war teilweise eingestürzt. Hunderte, tausende Menschen waren gefangen gewesen, in kleinen Höhlen, nicht zusammengebrochenen Tunnelabschnitten, Evakuierungsschächten, ohne Licht, ohne eine Kommunikationsverbindung nach draußen, ohne Wasser - und zum Teil auch ohne Luft. Rettung von außen hatte auf sich warten lassen. Wie konnte es auch anders sein, wo auf dem Planeten unzählige Brände loderten? Wer von den Einwohnern noch in der Lage war, hatte mit einfachsten Mitteln, ja wortwörtlich mit bloßen Händen angepackt - und doch war diese Hilfe oft zu spät gekommen.

Die Ministerpräsidentin brauchte nur die Augen zu schließen, um diese Bilder wieder heraufzubeschwören, und das tat sie, Tag für Tag, wieder und wieder, egal wie schmerzhaft es war. Die endlose Reihe von Helfern, staubbedeckt, übermüdet, zum Teil verwundet, mit Gesichtern, die nicht nur wegen des Drecks eigenartig maskenhaft wirkten, wie sie ameisengleich sich mühten, Trümmer beiseite räumten, Leichen bargen und in langen Reihen ablegten. Tote Männer, Frauen, alte Menschen - und Kinder, viele Kinder. Manche der Leichen wirkten, als würden sie nur schlafen, andere waren von den einstürzenden Tunnelmauern bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt worden. Man hatte...Hanifa würde diese Zahl wohl nie vergessen...sechshundertdreiundzwanzig Leichen aus dem Tunnel geborgen, darunter einhundertvierundachtzig Kinder und Jugendliche unter achtzehn Jahren. Es hatte auch an anderen Orten Leid und Zerstörung gegeben, aber die Toten von Baji stellten gut ein Viertel ALLER ziviler Opfer des Planeten dar, wenn man die Crews von militarisierten Frachtern beiseite lies. Man hatte nicht mehr tun können als die Toten zu nummerieren, Gewebeproben für eine spätere Identifizierung zu nehmen und sie schleunigst in langen Reihengräbern beizusetzen - nicht nur, weil die Glaubensvorschriften ihrer Familien in vielen Fällen eine Beisetzung binnen eines Tages verlangten, sondern weil die Leichen zu verwesen drohten.
Zu den Toten kamen die Verwundeten - auf ganz Masters waren es gut 15.000, gut ein Drittel davon Schwerverletzte. Die moderne Medizin war leistungsfähig und konnte die meisten Verstümmelungen, sogar schwerste Wirbelsäulenschäden und verlorene Gliedmaßen oder Augen, wieder heilen. Das sagte natürlich wenig darüber aus, wie langwierig und mühsam der Weg zur Genesung war, wie qualvoll, und welche seelische Narben zurückblieben.
Das Sterben hatte mit dem Rückzug der Akarii nicht aufgehört. Masters war ein großer Planet, mit ausreichend Krankenhäusern, Ärzten, Vorräten - an Unterversorgung litt schon relativ bald nach der Schlacht niemand mehr. Aber nicht alle Wunden konnte man mit einem Pflaster oder auch einem Regenationszentrum heilen, nicht alle Wunden waren sichtbar und konnten relativ schnell diagnostiziert werden. Soweit die Ministerpräsidentin wusste, hatte es allein in Baji gut ein Dutzend "vollzogener" Selbstmorde gegeben, und mehrere Dutzend vereitelter Versuche. Planetenweit lag die Zahl noch einiges höher, und da die meisten Religionen die Selbsttötung ablehnten, war die Dunkelziffer sicherlich nicht gering. Der Schock über den Verlust geliebter Menschen - das Kind, das durch den Orbitalgeschuss gestorben war, die Schwester, die bei der verzweifelten Verteidigung ihrer Heimatwelt an Bord eines der Schiffe der Nationalgarde verbrannte - über die Zerstörung des Zuhauses, die Ungewissheit, was die Schlachten im Sterntor-System für den ganzen Krieg bedeuteten, all das überstieg für manchen das, was er oder sie meinte ertragen zu können.

Die Bilder der Zerstörung, die endlosen Gräberreihen von Baji und aus anderen Orten waren durch die Medien gegangen, zumindest auf Masters und Sterntor. Der Federal Republic Information Service hatte entschieden, dass sie für eine republikweite Ausstrahlung nicht geeignet war, angeblich aus Gründen der Pietät. Hanifa Jergian hatte da ihre Zweifel - möglicherweise machte man sich weit mehr Sorgen, wie solche Bilder die Flotte (und die Präsidentin als Oberkommandierende) dastehen lassen würden. Oder ob sich das nicht sogar negativ auf die allgemeine Stimmung auswirken würde, wo man den Krieg bis vor wenigen Monaten ja angeblich so gut wie gewonnen gehabt hatte...
Natürlich war eine vollkommene Medienkontrolle nicht realisierbar, aber da die Verbreitung "nicht autorisierter" Nachrichten aus Gründen der nationalen Sicherheit mit harten Geld- oder gar Haftstrafen belegt werden konnten, was in der Vergangenheit schon ein paar Mal vorgekommen war, überlegten es sich die meisten Sender zweimal, ehe sie ein Wagnis eingingen - Ethos von Pressefreiheit und Recht auf Information hin oder her.
Es gab freilich Gerüchte, das derselbe FRIS besagtes Material in die Konföderation und sogar zu einigen ausgewählten blockfreien Welten weitergeleitet hatte. Da die Konföderierten auf ihrer Hauptwelt etwas vergleichbares wie Masters erlitten hatten - die Zahl der Toten und Verletzten war dort sogar einiges höher gewesen, und die Zerstörungen konzentrierten sich auf die Hauptstadt - waren solche Bilder gut geeignet, den Kooperations- und Kollaborationskurs gegenüber den Akarii, den der gegenwärtige Generalgouverneur vertrat, zu unterminieren. Und auch im Kampf um die Meinung unabhängiger Welten mochte Abscheu über das Vorgehen des Imperiums Wirkung zeigen - wenngleich so eine Botschaft leicht auch als Warnung verstanden werden konnte, die kaiserlichen Streitkräfte nicht herauszufordern.

Manchmal spürte die Ministerpräsidentin so etwas wie Selbstekel, wenn sie bemerkte, dass sie kalkulierend über menschliches Leid und Tragödien nachdachte, danach, wie sie sich auswirkten, wie mit ihnen umzugehen, ja sie sogar auszunutzen waren. So etwas gehörte dazu, wenn man Verantwortung übernahm - wer das nicht vermochte, musste sich von Führungspositionen fernhalten, besonders in Zeiten wie diesen - schon allein im Interesse derer, die noch lebten. Aber nicht das erste Mal fragte sie sich, wie weit sie noch gehen würde. Und wie immer gab sie sich selbst die Antwort. ,So weit wie es nötig ist. Und vielleicht noch ein Stückchen weiter...'
Selbst wenn das bedeutete, dass sie die Trauer und den Schmerz in ein Werkzeug, besser noch eine Waffe verwandelte.
Aber da war sie nicht die einzige, und die Motive der Handelnden waren keineswegs immer lauter zu nennen - falls man das überhaupt von ihr selber sagen konnte.
Eine Katastrophe brachte jedenfalls keineswegs automatisch die besten Wesenzüge der Menschen zum Vorschein, wie man einmal mehr hatte beobachten können. Masters' Sicherheitsstreitkräfte hatten in den Tagen und Wochen nach dem Angriff zum Teil hart gegen Plünderer durchgreifen müssen - aber besser so, als dass sich vielleicht gar Selbstschutzmilizen bildeten, es zu Lynchmorden kam. Und das waren nicht die einzigen Zwischenfälle geblieben. Mehr als ein religiöser Führer hatte in dem Schicksalsschlag eine Chance gesehen, seine Gläubigen zur gedanklichen Einkehr und erneuerter Frömmigkeit aufzurufen - was ja an und für sich nichts schlechtes war. Wenn man allerdings die Schicksalsschläge als Mahnung oder gar Strafe Gottes hinstellte, den Toten oder Lebenden wenn auch nur implizit eine Mitschuld einräumte, dann überschritt man nicht nur in Hanifa Jergians Augen eine Grenze. Einige der Prediger hatten freilich lernen müssen, dass die Wirkung solcher Worte auf ihre potentiellen Gläubigen sehr schwer vorherzusagen waren. Einem christlichen Priester, er gehörte wohl irgendeiner Erweckungskirche an, war der Arm gebrochen worden, ehe ihn die Polizei in Sicherheit brachte. Wobei man davon ausgehen konnte, dass auch die Beamten vermutlich nicht sehr zimperlich mit dem Mann umgesprungen waren. Und ein islamischer Geistlicher wäre unter ähnlichem Umständen um ein Haar von einer Menschenmenge gesteinigt worden. Seitdem hatte in der Hinsicht erst einmal Ruhe geherrscht.

Auch das war einer der Gründe, aus dem es die Ministerpräsidentin für angezeigt hielt, Trauer, Schmerz und Wut in die richtigen Bahnen zu lenken. Nach einem alten Sprichwort, herrschte der, der die Gegenwart regierte auch über die Vergangenheit - und damit über die Zukunft. Das war natürlich nicht immer so einfach, hatte aber einen wahren Kern. Und Hanifa Jergian war entschlossen, das, was sie an Einfluss auf die Gegenwart hatte zu nutzen, um die Zukunft zu gestalten - eine Zukunft, in der noch mancher Akarii den Angriff auf Master bereuen mochte, wenn es nach ihr ging. Der Schock des Angriff hatte nach einer Reaktion verlangt. Der wirtschaftliche und militärische Wiederaufbau von Masters war Teil dieser Reaktion gewesen, wie auch die enorme Steigerung des Kriegsanteils, den der Planet zu erbringen bereit war. Doch damit nicht genug. Die höchsten christlichen und muslimischen Religionsführer des Planeten hatten ihre Aussagen zur Rechtmäßigkeit des Verteidigungskrieges erneuert, und republikweit um Zustimmung geworben, nicht ohne Erfolg. Und schließlich hatte das Parlament von Masters im Eilverfahren einen Gesetzentwurf durchgepeitscht, der jedem Konföderierten - und optional auch Bürgern anderer Nationen - die sich von ihren Regierungen lossagten und aktiv gegen das Kaiserreich kämpften, die Möglichkeit offeriert, sich um eine Einbürgerung zu bewerben, mit der Aussicht auf schnelle, unbürokratische Zustimmung und eine zügige Eingliederung. Mehr noch, es waren sogar demonstrativ im Wiederaufbauplan bereits mehrere tausend Wohneinheiten "auf Vorrat" - teils als eigenständige Siedlungen, teils als Erweiterung bereits bestehender Stadtviertel - für potentielle Neubürger eingeplant worden.
Auch das war noch nicht alles gewesen. Die Schlacht um Sterntor war verpflichtend als Thema im Unterricht verankert worden - eine Maßnahme, die natürlich erst in Zukunft Wirkung zeigen würde - und man hatte den Tag des Bombardements zum planetaren Trauertag erklärt. Und schließlich hatte man sich daran gemacht, eine geeignete Kulisse des Gedenkens zu schaffen, eine Stein gewordene Mahnung und Verpflichtung - Trauerstätte wie Ort für Racheschwüre zugleich.

Entschlüsse waren gefasst worden, in hitzigen, aber kurz entschlossenen Debatten. Die wichtigsten politischen Führer und Religionsgelehrte hatten sich beraten, und dann einzelne, handverlesene Künstler und Architekten hinzugezogen. Kosten hatten keine Rolle gespielt, das meinte man sich selbst und der Lage schuldig zu sein, und ohnehin hatte in dieser Situation keiner hinter den anderen zurückbleiben, als kleinlich, von Bedenken belastet erscheinen wollen. Und so war in Rekordzeit ein Entwurf für das Mahnmal entstanden, und in Rekordzeit wurde jetzt daran gearbeitet, es fertig zu stellen.
Man hatte als Standort den Campus der Ingenieursschule von Baji gewählt. Das Areal - aus logischen Gründen mitten im industriellen Zentrum der Stadt gelegen, hin zu einem der beiden Gebirgszüge, in enger Nachbarschaft zu Fabriken und Minenanlagen - war durch Voll- und Beinahetreffer sowie die sekundären Folgen des Beschusses nahezu vollständig verwüstet worden. Man hatte sich entschieden, die Schule an anderer Stelle wieder aufzubauen, wie generell das neue Baji in vielem eine Stadt mit verändertem Antlitz sein würde. Ein Herzstück - wenn auch mit einem räumlichen Abstand - sollte die geplante Anlage sein, die von den Planern als dreigliedriger Komplex entworfen worden. Angedacht war, natürlich, auch ein zentrales Museum und Informationsstätte, in der sich der Angriff auf Masters und die Schlachten im Sterntor-System detailliert nachverfolgen ließen. Natürlich sollte auch der bisherige Gesamtkriegsverlauf - und kommende Ereignisse - nicht zu kurz kommen. Zweitens waren Unterkünfte und Lehrgebäude für ein pädagogisch-wissenschaftliches Institut in Planung. Hier sollte die Geschichte des Krieges und die daraus zu ziehenden militärischen und politischen Konsequenzen gelehrt und darüber diskutiert werden.
Und da war schließlich das eigentliche Mahnmal, gelegen auf einem hügeligen Areal, das zu den Bergen hin anstieg. Alles an der Anlage war sehr großzügig bemessen - nicht für die individuelle Trauer, obwohl es auch dafür Platz geben sollte, sondern eher für kollektive Rituale, für tausende Besucher, die sich gleichzeitig als Teil eines Ganzen empfinden, ohne aber überall von Menschenmassen erdrückt werden sollten.

Der Eingangsbereich war als gigantischer Platz gedacht, auf dem auch Massenkundgebungen stattfinden konnten. Einzelne Personen schrumpften hier zu Zwergen. Den Geboten vieler Religionen folgend, kam die eigentliche Gedenkstätte weitestgehend ohne Bilder aus, aber hier hatte man eine Ausnahme gemacht. In den versiegelten Boden waren Mosaike eingelassen, die die Flagge des Imperiums und die Gesichter prominenter Akarii zeigten. Da waren Mitglieder der Kaiserfamilie wie Eliak, Jor, Admiral Taran, Linai und ihr Ehemann, aber auch andere zentrale Persönlichkeiten wie Dero Allecar oder Admiral Ilis und andere hochrangige Militärs. Kurz gesagt, all jene, denen von den Terranern und den Konföderierten Kriegsverbrechen vorgeworfen wurden, oder die als wesentliche Akteure des Krieges galten. Egal ob während einer Massenversammlung oder im Falle eines individuellen Besuches, wer immer das Areal betrat, würde die Abbilder zwangsläufig mit Füßen treten - in der Kultur Masters eine tödliche Beleidigung.
Wenn man weiterging, würde sich das Erscheinungsbild rasch ändern. Die Architekten und Künstler hatten mehrere Wege ins Herz der Anlage geplant, breit genug für vier bis sechs Menschen nebeneinander. Sie verliefen jedoch nicht geradlinig, sondern verschlungen, zum Teil in gegenläufigen Spiralen, so dass ihre jeweilige Weglänge bis zum Zentrum stark variierte. Immer wieder waren die Sichtachsen durchbrochen oder versperrt, zum Teil zweigten kleine Seitenwege ab. Hier konnte auch eine relativ große Menschenmenge sich verlaufen, verlieren, was den Besuchern Platz zum Alleinsein bot. Zwischen den Wegen würden Gärten entstehen mit Bäumen, Sträuchern, Blumenbeten. Ein Teil der Fläche war für die Familien reserviert, die Angehörige verloren hatten. Sie durften - jede auf einer kleinen Parzelle von vielleicht einem Quadratmeter - entscheiden, was dort wachsen sollte, und auf Wunsch konnten sie auch die Pflege übernehmen. Eingebettet in die Gärten und den Park würden - im Laufe der Zeit von Ranken überwucherte - Wracks ihre Ruhestätte finden, die Überreste zerstörter Akarii-Kriegsmaschinen. Im Zentrum der Anlage würde man gar einen in zwei Teile zerbrochenen imperialen Kreuzer platzieren. Geborsten und vernichtet würden diese Relikte an den Preis erinnern, den die Imperialen für ihren Sieg gezahlt hatten, und die sie überwuchernden Pflanzen standen für den Sieg des Lebens über den Tod - und damit der Menschen über die Angreifer. Der Tod, der auch unter den Terraner reiche Ernte gehalten hatte, sollte freilich nicht vergessen werden. Über die ganze Anlage verstreut waren Steintafeln und kleine Mauern geplant, in die die Namen der Toten der Schlachten um Sterntor eingraviert standen, dazu Gebete ihrer Angehörigen. Nach hitzigen Debatten hatte man sich entschieden, die Toten ALLER Gefechte einzubeziehen, auch wenn nicht wenige Menschen auf Masters der TSN Versagen während der Schlacht vorwarfen. Aber das, so hatte man entschieden, sollte sich nicht auf jene erstrecken die ihr Leben auch für Masters gegeben hatten. Und so hatten diese Namen ihren Platz neben den getöteten Zivilisten von Masters gefunden, während zum Zentrum der Anlage hin die Namen der gefallenen Verteidiger des Planeten - namentlich Angehörige der Nationalgarde und des Marine Corps einschließlich der Freiwilligen für die Kamikaze-Angriffe - zu finden waren.
Im Herzen der Anlage trafen die Wege aufeinander in einem ringförmigen Platz, in deren Zentrum eine große Wiese - darauf das Wrack der kaiserlichen Kreuzers und Mauern oder kleine Steintafeln mit den Namen von über tausend Gefallenen - und ein Teich lagen. Aus dem Gewässer würde eine Fontäne Wasserstaub weit hinauf in de Himmel schleudern, den selbst ein leichter Wind als symbolische Tränen vom Wind über das Areal verteilen konnte.
Unter dem Areal des Mahnmals sollten sich ausgedehnte Katakomben erstrecken, teils wenige Meter, teils tief unter der Erde, ein künstliches Höhlensystem, das fast bis zu den Magnetschwebebahn-Tunneln reichte. Auch hier waren die Wege verschlungen angelegt und verzweigten sich durch mal schmalere, mal breitere Gänge, durch kleine Grotten und große Kavernen, vorbei an Wasserläufen und scheinbar endlos tiefen Felsspalten. Die ganze Anlage war so konzipiert, dass rechts und links der Wege herabtröpfelndes Wasser im Laufe der Jahre, Jahrzehnte, oder gar Jahrhunderte Tropfsteine formen würde. Spalten reichten bis zur Oberfläche, und der Wind in ihnen würde ein beständiges Murmeln und Klagen erzeugen, dazu sollten versteckte Lautsprecher unablässig im Flüsterton die Namen gefallener Soldaten und Zivilisten von Master wiederholen.

Soweit die Planung. Die Arbeiten - von der planetaren Regierung finanziert und von einem Heer an Freiwilligen unterstützt - kamen rasch voran und würden aller Voraussicht nach noch vor dem ersten Jahrestag des Angriffs auf Masters vollendet sein. Natürlich würde die Anlage dann noch lange nicht so aussehen wie in den Projektionen, die sich anheischig machten, fünf, zehn, zwanzig Jahre in die Zukunft zu schauen. Aber es wäre ein Anfang, und vielleicht mochte er dazu beitragen, dass diese Zukunft sich in etwa so gestaltete, wie viele auf Masters es sich vorstellten. Zumindest war das die feste Absicht von Hanifa Jergian. Sie wusste um die Macht von Symbolen, von Ritualen. Die menschliche Geschichte bot dafür zahlreiche Beispiele. Diese mochten auch eine Warnung beinhalten - die wenigsten Mahnmale hatten auch nur 50, geschweige denn 100 Jahre nach ihrer Einrichtung noch annähernd die Bedeutung, die man ihnen ursprünglich zugedacht hatte. Das hatten nur einige religiöse Monumente vermocht, die auch nach 2.000 oder 2.500 Jahre eine große, wenngleich oft gewandelte Bedeutung behalten hatten. Damit, das war klar, konnte niemand konkurrieren. Und selbst die größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte, die grandiosesten Leistungen oder ruhmreichsten Schlachten verloren irgendwann an zugeschriebener oder tatsächlicher Aktualität. Sie wurden zunehmend zu einem Kapitel neben anderen in den Geschichtsbüchern, Dinge, an die man sich zwar erinnerte, die aber kaum noch berührten, überlagert in der Bedeutung von späteren Ereignissen, ohne...Aktualität oder Anwendbarkeit. Doch für eine begrenzte Zeitdauer mochte das anders sein. Für fünf, für zehn, für zwanzig, ja fünfzig Jahre - vielleicht. Wenig angesichts der Länge der menschlichen Geschichte oder jener der Akarii. Nicht einmal ein Wimpernschlag in den Zeitläufen der Galaxis. Doch lange genug, um im Hier und Heute einen Unterschied zu machen. Um anzuspornen, alle Kräfte zu bündeln, um faule Kompromisse zu torpedieren, um Standpunkte zu untermauern oder aber zu delegitimieren. Um im Kampf um die Deutungshoheit einen Vorteil zu gewinnen - und damit letztlich auch die Zukunft zu gestalten. Denn was war Gedenken, was Trauer, wenn sie keine Konsequenzen und keine Wirkung hatten? Allein durch seine Existenz würde das Mahnmal ein mächtiges Argument sein, in der Republik, aber vielleicht auch darüber hinaus. Denn wie konnte es auf die Einwohner Hannovers wirken, die mehr als zehnmal so viele zivile Opfer wie in Baji, mehr als dreimal so viel wie auf ganz Masters zu beklagen hatten?
Und so lange es in der Macht der Ministerpräsidentin lag, würde sie dafür Sorge tragen, dass die Blumen der Trauer und des Hasses, die von den Akarii unwissentlich so reichlich gesät worden waren - nicht nur auf Masters, sondern an vielen Orten - Blüten hervorbrachten und ihre Samen verbreiten konnten, weit über den Planeten hinaus.

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"Das Leben ist das was einem passiert, während man andere Pläne schmiedet." John Lennon

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Drei Feiern und ein Todesfall 2

„Vom Parlament der Bundesrepublik Terra an alle Einheiten, Besatzungen, Schiffe und Einrichtungen der Streitkräfte.
Hiermit wird Lieutenant Commander Tatjana Pawlitschenko durch das Parlament der Republik die Parlamentary Medal of Valor verliehen.
Lieutenant Commander Pawlitschenko zeichnete sich am 22. Mai 2636 durch Handlungen weit über den Ruf der Pflicht hinaus aus.
Lieutenant Commander Pawlitschenko bestieg einen Raumjäger, um trotz vorangegangener eigener Verwundung bei der Raumschlacht in Karraschin ihre Kameraden zu unterstützen und ihr Trägerschiff TRS Columbia CV 44 zu verteidigen.
Lieutenant Commander Pawlitschenkos Handlungen und Leistungen, ihr herausragendes Heldentum und ihre Hingabe an die Pflicht stehen im Einklang mit den höchsten Standards der Terranen Streitkräfte und sind eine Zierde für sie persönlich, ihr Geschwader und die Terran Space Navy.
Gezeichnet Ibrahim Ashobi, Präsident des Parlaments der Bundesrepublik Terra.“
Als ich diese Worte hörte, in voller Montur, mit meinen Orden behangen, vor meiner Staffel stehend – hah!, meine Staffel, wer wusste, wie lange noch? – musste ich gestehen, dass ein Stich von Neid durch mein Herz ging. Nicht, dass ich Lilja diese Auszeichnung nicht gönnte, denn die meisten Empfänger der Parlamentary Medal of Valor erhielten sie posthum, und die wenigen Lebenden konnte man an einer Hand abzählen. Es war ein sehr exklusiver Club, und Teufel auch, ja, ich wäre gerne dabei. Neid, so tröstete ich mich, war zumindest besser als Missgunst.
„Bitte nehmen Sie diesen Orden als Zeichen der Dankbarkeit einer stolzen Nation entgegen“, sagte die Präsidentin von Masters und hängte ihr das bunte Band um den Hals. Liljas Miene verriet nichts, als sie sich leicht vorbeugte, um den Orden zu empfangen. Aber ich konnte beinahe fühlen, schmecken, atmen, wie es in ihr brodelte. Sie quoll förmlich über vor Stolz. Stolz auf sich, stolz auf den Orden, stolz auf ihre Handlung. Dies war übrigens der Punkt, an dem ich nur zu gerne die Reihe verlassen hätte, um das Podium hinaufzuspringen, Lilja zu schnappen und sie auf dem nächstbesten Stuhl übers Knie zu legen, um ihr einzubläuen, dass sie mit ihrem Husarenritt zwar einige Leben gerettet hatte, ihr eigenes aber hatte sie über jede Gebühr gefährdet. Aber das war auch das einzige, was ich ihr vorwarf. Weil ich ständig um sie besorgt war. Als Freu... Nein, nicht als Freund. Ich gehörte nicht zu diesem Kreis an Menschen, den man, wie die Träger der Parlamentary Medal of Valor an einer Hand abzählen konnte. Ich war eher ein geduldeter entfernter Bekannter, jemand, dem man gezwungenermaßen ausgesetzt war, ab und zu, weil man ihm nicht entkommen konnte und weil man ihn legal nicht töten durfte. Und als potentieller Liebhaber? Beinahe hätte ich meine Miene verzogen, anstatt sie starr zu halten, wie es bei eingeschalteten Fernsehkameras besser war. Nein, in dem Punkt konnte ich froh sein, dass sie überhaupt wusste, dass ich existierte. Wann genau hatte ich mich in sie verliebt? Nun, das war allerdings sowas von gegessen, als ich sie mitten in der Stadt diesen großen, gut aussehenden Kerl hatte küssen sehen. Verdammt, verdammt, verdammt. Es schien ganz so, als hätte ich diese Flamme doch noch nicht erstickt. Vielleicht konnte ich sie mit einem Bombenteppich auslöschen? Oder Lilja doch übers Knie legen? Das würde definitiv sicherstellen, dass sie mich niemals würde haben wollen, aus neunundneunzig Komma neun neun würden solide einhundert Prozent werden. Das war die Sache beinahe wert. Ein Zucken des Mundwinkels huschte durch, als ich an die Miene ihrer beiden Eltern dachte, die sie machen würden, wenn jemand vor dem Geschwader, vor den geladenen Ehrengästen ihrer Tochter den Hintern versohlte und ihr dabei einbläute, nicht so leichtfertig das eigene Leben zu riskieren. Aber ich schaffte es, diese Gefühlswallung zu unterdrücken. Und während Lilja Shake Hands machte und für Fotos mit Girad und Auson posierte, konnte ich mich endlich wieder voll darauf konzentrieren, was jetzt meine Aufgabe war. Nichts zu tun, bis der Zeitpunkt gekommen war, meine Leute aus dem Hangar zu führen.

Das Dinner war schon erheblich mehr nach meinen Geschmack. Ein Gala-Diner, zu dem der CAG geladen hatte. Deshalb, wegen archaischer Sitten der prästellaren Erde, war er heute der Gastgeber, und seine Tischdame, Admiral Girad, die Vice President. Dementsprechend war er als Gastgeber der erste Ansprechpartner am Ort, und das machte es in der ersten Essenspause unmöglich, an ihn heran zu kommen und ihn Auge in Auge zu fragen, was er denn nun mit meiner Staffel vorhatte. Bei der Gelegenheit konnte ich dann auch gleich für Ohka ein gutes Wort einlegen, denn wenn ich im Arsch war, wegen Pflichtvergessenheit und Fahnenflucht und demnächst als XO meiner eigenen Staffel oder sogar nur als, schauder, Sektionschef endete, sollte wenigstens Kano Nakakura endlich den Rang erhalten, den er sich erarbeitet und verdammt noch mal auch verdient hatte. Aber das konnte ich wohl getrost auf die nächste Essenspause verschieben, denn Cowboy rief zurück zum Essen.
„Mr. President, ich fürchte ich habe Meldung zu machen.“, ging eine Stimme durch den Raum, während wir eigentlich alle wieder Platz genommen hatten. Es war Stacy, der XO der COLUMBIA.
Jules Stafford sah missmutig aus und legte die Serviette beiseite: „Können wir darauf heute nicht verzichten, Commander?“
Das sah nicht abgesprochen aus, aber ich wusste aus eigener leidvoller Erfahrung, dass solche Anlässe, vor allem der informelle Teil, gerne für Witzchen und kleinere Spiele genutzt wurden, auch mal für einen eher derben Streich. Ob jetzt irgendeiner Stuntmans und meine Höllenflucht auf die Spitze nahm? Oder wagte es jemand, Lilja, den Ehrengast, durch den Kakao zu ziehen? Allerdings war der XO ein so trockener Mann, dass Chief Dodson ihn unter einem Vorwand immer dann in den Hangar lockte, wenn ein Flieger neu lackiert worden war, damit die Farbe schneller trocknete. Ich beugte mich interessiert vor. Was immer es war, es würde interessant sein.
„Ich fürchte nicht, Mr. President“, antwortete der XO der COLUMBIA lakonisch.
„Nun, gut, Commander, dann machen sie Meldung.“
„Mr. President, zwei ihrer Piloten sind nicht in ordnungsgemäßer Uniform erschienen.“
„Tatsächlich, Um wen handelt es sich?“
„Mr. Nakakura und Mr. Davis, Mr. President.”
Als mein Name fiel, richtete ich mich kerzengerade auf. Bedeutete das etwa...?
Der CAG richtete sich in seinem Stuhl etwas auf: „Mr. Nakakura, Mr. Davis, vor die Front!“
Ich erhob mich, traf mich auf halber Strecke mit Ohka und ging neben ihm vor den Tisch des Mr. President. Ohka warf mir einen fragenden Blick zu, denn er war sich nicht nur sicher, er WUSSTE, dass er zu einhundert Prozent in ordnungsgemäßer Uniform erschienen war. Ich war versucht, ihm einen Wink zu geben, aber einem Geschwaderführer versaute man seine Spiele nicht. Zugleich aber kämpfte ich meine Hoffnungen nieder, denn auch wenn ich mir sicher war, ich wusste nicht, dass ich meinen halben Ring bekommen würde, der mich endlich zum Lieutenant Commander machen würde. Daher bemühte ich mich, eine starre Miene zu behalten und meine Augen nicht zu hoffnungsvoll funkeln zu lassen.
Stafford musterte uns eingehend und nickte demonstrativ. „Ich sehe was sie meinen, Commander, leider hat die Navy die angemessene Form von Bestrafung, die administrative Bestrafung, niemals eingeführt.“
Neben mir zuckte leicht Ohkas rechte Hand. Das hatte ihn getroffen. Ich hingegen war mir nun ganz sicher, was hier passierte.
„Mr. President“, meldete sich Girad.
„Ja, Madam Vice?“
„Unter Umständen könnte ich etwas dazu beitragen, was man als mildernde Umstände für die beiden Gentlemen ansehen könnte. Ich habe die beiden Urkunden heute zwischen Tür und Angel Admiral Auson zur Unterschrift vorgelegt und konnte diese noch nicht an Sie weiterleiten, Mr. President, daher wissen die beiden Lieutenant Commander noch nicht von ihrer Beförderung.“
„Das kann man fast gelten lassen, Madam Vice.“
Der CAG erhob sich und nahm von Chief Hellinger zwei Dokumentenmappen entgegen. Er öffnete die erste und las vor: „Auf Befehl des kommandierenden Admirals Fünfte Flotte wird Lieutenant Kano Nakakura mit heutigen Datum zum Lieutenant Commander befördert. Einhergehend mit dieser Beförderung wird er als kommandierender Offizier VF zwölf-siebenundsiebzig mit allen dazugehörigen Rechten, Privilegien und Pflichten bestätigt. Gezeichnet George Auson, Admiral.“
Jules nickte Irons zu, welche sich zusammen mit dem Count erhob, ein Paar Rangabzeichen hervorzauberte und Kano mit diesen ausstaffierte.
Nun wäre mir beinahe doch ein Grinsen entkommen, denn ich gönnte es Ohka, ich gönnte es ihm fast so sehr wie mir. Meine Miene blieb starr, aber meine Gedanken schrien: Schneller, schneller, schneller, schneller, und dann her mit dem halben Ring!
Stafford öffnete die zweite Dokumentenmappe. „Auf Befehl des kommandierenden Admirals Fünfte Flotte wird Lieutenant Clifford Davis mit heutigen Datum zum Lieutenant Commander befördert. Einhergehend mit dieser Beförderung wird er als kommandierender Offizier VF zwölf-vierundsiebzig mit allen dazugehörigen Rechten, Privilegien und Pflichten bestätigt. Gezeichnet George Auson, Admiral.“
Irons und der Count legten auch mir die Rangabzeichen an, und Irons flüsterte mir dabei ins Ohr: „Jetzt sind Sie im Club, Ace.“ Ich nickte dabei unmerklich und musste mir auf die Zunge beißen, damit ich nicht doch noch wie ein glücklicher Idiot zu grinsen begann.
„Meinen Glückwunsch, Gentlemen, und mögen die Götter an die Sie glauben, ihren Seelen gnädig sein.“ Merkwürdig, der CAG wirkte dabei wirklich zufrieden. Warum, offenbarte sich, als Girad ihn böse ansah und sagte: „Auch von mir meinen Glückwunsch. Damit habe ich hoffentlich endlich Ruhe von Ihnen.“
„Meine Anforderungsliste ist lang, Madam Vice“, sagte Stafford und hatte die Lacher auf seiner Seite. Und ich war in diesem Moment, in diesem einen Moment bereit, Jules durch die Tore zur Hölle zu folgen, mit oder ohne Jet.
Sein zufriedener Blick ging von Girad zu uns. „Aber kommen wir aufs eigentliche Thema. Für das nicht ordnungsgemäße Erscheinen hier verurteile ich Sie beide der Staffel des jeweils anderen eine Kiste Bier auszugeben. Sie können abtreten, Commanders.“
Ohka und ich salutierten so exakt wie Kadetten im Ersten Jahr, und ich schwor mir, die Schwarze Staffel würde keine Kiste kriegen, ich würde ihr tatsächlich einen Pool mit Bier füllen.

Nach dem Essen, ich stand inmitten meiner Leute, und noch immer wurde mir gratuliert, kam ein Versäumnis auf mich zu. Genauer gesagt war es Lilja, und sie erinnerte mich daran, dass ich noch nicht im Heer der Gratulanten gewesen war. Also holte ich das nun nach. "Herzlichen Glückwunsch, Lilja. Das hast du dir wirklich hart genug verdient." Aber ich behielt mir vor, die Hosenboden-Geschichte wieder aufzugreifen. Irgendwann einmal.
Die Russin grinste spöttisch: "Ich bin ja geneigt, dir zuzustimmen, solange man mir das nicht als Eitelkeit auslegt. Auch wenn ich vermute, nicht jeder wird das genau so sehen wie du..."
Ja, zum Beispiel diverse Ärzte, die sie beinahe mit Waffengewalt davon hatten abbringen wollen, mit einem gebrochenen Bein in eine Falcon zu steigen.
Was sie dann aber sagte, war so unerwartet, dass ich befürchtete, ich würde das alles nur träumen. "Danke. Und ich will mal nicht so sein und das Kompliment ehrlich zurückgeben. Und ich danke dir nicht nur für deine Gratulation - wenn in Medusa nicht alles glatt gelaufen wäre, wenn wir da nicht so gut zusammengearbeitet hätten, dann wäre der Orden meinen Eltern wohl stellvertretend überreicht worden, während ich möglicherweise in einem Gefangenenlager versauert wäre."
Ja, von wegen Gefangenenlager. Eher hätte sie sich die Pulsadern aufgeschnitten. Aber ein Lob von ihr, dazu über unsere gemeinsame Zeit auf der EMERALD JADE? War das wirklich Lilja, oder eine Schauspielerin, die sie ersetzte und ihre Rolle nicht studiert hatte? "Das klingt ja fast wie ein wirkliches Dankeschön von deiner Seite."
"Einfach annehmen ist wohl nicht? Soll ich dir meinen Dank demnächst mit dem Messer eingravieren?", fuhr sie mich an, und ich wusste, das war die Echte, die Eine, die einzigartige Lilja. Und ich hatte mir durch mein Verhalten die Möglichkeit genommen, nett zu ihr zu sein und auch mal was Nettes von ihr zu hören. Verdammt.
Aber dann erwachten meine Zweifel über ihre Identität erneut, denn sie lachte und sagte: "Freut mich, dass ich dich immer noch drankriegen kann..."
Dann packte sie mich unvermittelt am Ärmel: "Komm mit, ich will dir jemand vorstellen."
Mit diesen Worten riss sie mich aus der Mitte meiner Staffel raus und zog mich, als wäre ich an ihrem Gängelband befestigt, durch den halben Saal mit sich. War sicher ein Anblick für die Götter, und machte mir sehr deutlich klar, was mit mir passieren würde, wenn der unwahrscheinlichste Fall aller Fälle eintreten würde, und ausgerechnet die größte Akarii-Hasserin der Galaxis und ein humanistischer Menschen-, und Akarii-Freund wie ich zusammenkommen würden. Sie würde mich am Gängelband führen. Immer.

Das Ziel waren drei Personen, die ein Stück abseits standen. Zwei ältere Zivilisten und... Und der Kerl von Seafort, der sie geküsst hatte. Natürlich, wenn er nicht zu ihrem Ehrentag kam, wann dann? Ich spürte Eifersucht in mir hochkochen, aber ich zwang sie nieder. Er konnte nichts dafür. Selbst Lilja konnte nichts dafür. Keiner außer mir konnte etwas für meine Gefühle.
Lilja strahlte unverkennbar übers ganze Gesicht: "Darf ich vorstellen - Mutter, Vater, das hier ist, seit Neuestem zumindest - Lieutenant Commander Clifford Davis, alias Ace. Urgestein der Angry Angels seit der Neuaufstellung, Chef der Blauen Staffel. Er hat mir schon mindestens ein-, zweimal die Haut gerettet, wie ich auch ihm." Dass die beiden ihre Eltern waren, hatte ich schon von der Ordensverleihung gewusst, aber dass sie mich so über den grünen Klee loben würde, war beinahe ein Schock für mich.
Sie deutete strahlend auf die beiden. "Ace, das ist mein Vater Michail, er sorgt dafür, dass in meiner Heimatstadt alles läuft, sprich, er arbeitet in der Lokalverwaltung. Zweifellos habe ich von ihm meine Verwaltungsfähigkeiten, dank derer ich meine Staffel überhaupt am Laufen halten kann. Und hier ist Mutter, will sagen Ljudmilla Pawlitschenko. Sie ist Physikerin für das Heer, also zweimal so clever wie ihr Töchterchen, das vor allem Dinge auseinander nimmt, anstatt zu verstehen, wie sie funktionieren, und außerdem arbeitet sie an so geheimen Projekten, dass sie mich vermutlich umbringen müsste, wenn ich davon wüsste..."
Wenn sie erwartet hatte, dass ich einen Verwalter gering schätzte, so hatte ich sie hoffentlich angenehm enttäuscht. Sein Händedruck war trocken und fest und sein Blick ehrlich. Wirklich, ich freute mich, ihn kennenzulernen. Auch die Frau Mama, die Physikerin, hatte trockene Hände, allerdings weiche, zarte, fast wie unbenutzt. Und ihr Griff war dennoch fest, beinahe zögerte sie, meine Hand wieder loszulassen. So etwas wie Sorge flammte in ihren Augen auf, und es war absolut klar, wem die Sorge galt und wie berechtigt sie war.

Dann schubste mich Lilja auch schon weiter zu IHM. Immerhin, er war Commander, hoch dekoriert und trug wie ich und sie das Kampagnenband von Husar. Einer von uns, also, aber kein Pilot.
Als er Tatjana ergriff und sie küsste, regte sich das, was ich eigentlich unterdrücken wollte, zugleich mit einer großen Portion Neid, weil er bekam, was ich nie kriegen würde, alles gemixt mit der Scham, dass ich den beiden ihr junges Glück nicht gönnte. Ich meine, Lilja, wenn jemand einen Funken normales Leben, also einen festen Freund etwa, verdient hatte, dann sie.
Nach dem Kuss lächelte sie und löste sich von ihm. "Ace - das ist Walja, will sagen Lieutenant Commander Walentin Pawlitschenko vom CAV-Kreuzer Tatanka Yotanka, Chef der Bug-Waffenabteilung."
Es dauerte einen Moment, bis ich begriff. Ich meine, kurz nahmen meine Gedanken eine Abzweigung und ich fragte mich, ob Lilja womöglich heimlich geheiratet hatte. Dann aber traf mich die Erkenntnis wie ein Hammerschlag auf die Stirn. "Du meinst...er ist dein BRUDER?"
Lilja schnaubte: "Natürlich. Was dachtest du denn? Mein Ehemann etwa? Sag bloß nicht, du hast ihn für meinen SOHN gehalten, denn dann setzt es was, Freudentag hin oder her!"
Lieutenant Commander Pawlischenko, also ihr Bruder jetzt, lachte schallend auf, während ich das dümmste Gesicht zu machen schien, zu dem ich fähig war. "Ähm...nein, natürlich nicht. Ich wusste nur nicht, dass du einen Bruder hast."
Natürlich, jetzt machte einiges Sinn, wenn sich die beiden immer so begrüßten. Und vor allem wusste ich jetzt, WER der Mensch von der TATANKA war, um den sie sich sorgte.
Lilja begnügte sich mit einem sarkastischen Kichern: "Ja, es gibt tatsächlich mehr als einen von meiner Sorte - auch wenn mein Bruder kein Pilot werden, sondern lieber gleich mit den ganz großen Kanonen spielen wollte. Aber das kennst du ja."
Sie nickte ihren Eltern und ihrem Bruder und sogar mir zu: "Ich gehe dann mal noch ein paar Hände schütteln. Hol mir noch ein paar Lobhudeleien und Glückwünsche ab. Immerhin bekommt man diese nicht so oft. Und ich passe besser auf, dass meine Jungs und Mädchen sich nicht daneben benehmen. Wir sehen uns dann." Mit diesen Worten war sie verschwunden.
„Äh“, druckste ich verlegen, „ich sollte dann auch...“ Aber eine feine, schlanke Hand legte sich um meinen linken Unterarm. Liljas Mutter lächelte mich an. „Bleiben Sie doch noch, Clifford, und plaudern Sie mal ein wenig aus dem Nähkästchen für uns. Vor allem die Dinge, die sie nicht nach Hause schreibt.“
„Das muss ich hören“, sagte ihr Bruder grinsend und klopfte mir auf die Schulter. „Fangen Sie mit den peinlichen Geheimnissen an, Ace.“
Ich musste gestehen, ich fühlte mich auf einmal, als sogar der Vater zustimmend grunzte, fast wie von dieser Familie adoptiert. Zumindest aber anerkannt. Seltsam, wie verschieden Lilja von ihrer Familie war. Oder war sie einst auch so gewesen, und der Krieg hatte sie so zugerichtet? „Vieles unterliegt natürlich der Geheimhaltung“, begann ich, im Gedächtnis nach ein paar Anekdoten kramend, die ich erzählen durfte, „aber es gab da wirklich mal...“

Gut eine Viertelstunde später kam Lilja zurück, in ihrem Anhang – natürlich – Imp und Sokol, um ihren Eltern die beiden vorzustellen. Dann verschwand sie wieder, um Ohka anzuschleppen, der sich, ganz Japaner, der Ehre mehr als bewusst war, den Eltern seiner ehemaligen Wingleaderin vorgestellt zu werden und dementsprechend steif und ehrfurchtsvoll blieb. Aber schnell war auch Lilja wieder verschwunden, um womöglich noch einen „Freund“ aufzutreiben. Mir ging kurz ein Stich durchs Herz, als mir etliche Personen einfielen, die zumindest als ihre freundlichen Bekannten gegolten hätten, aber leider heute nicht hier sein konnten, weil sie verletzt oder tot waren. Aber Lilja würde nicht umher gehen, wenn sie nicht auch ein Ziel hätte. „Verdammt, ich habe sie noch nie so glücklich gesehen“, murmelte ich mehr für mich selbst. Aber ihr Bruder hatte mich gehört und meine Worte als Frage aufgenommen. "Das glaube ich gerne. Nicht nur, weil sie gerade die höchste militärische Auszeichnung der Republik erhalten hat. Es ist auch das, wofür der Orden steht - dass sie ihre Sache gut gemacht hat. Tanjuschka ist...nun, sie war eigentlich schon immer so, aber seit dem Krieg merkt man es noch deutlicher. Wenn sie sich etwas in den Kopf setzt, wirklich hinter einer Sache steht, dann gibt es für sie nichts anderes. Dann ist keine Entbehrung zu groß, kein Furcht, kein Hindernis unüberwindlich - und sie wird niemals aufgeben. Alles andere hat dann zurückzustehen, selbst die Freunde, die Familie, alles. Ein Befehl, und schon ist sie weiß Gott wo, je nachdem wohin man sie schickt. Sie hat sich im ganzen Krieg nicht EINMAL wirklich darum bemüht, zusätzlichen Urlaub auf der Erde zu bekommen - nur, wenn ihr Dienst es erlaubte oder ihre Gesundheit ihr keine andere Wahl ließ. Ich mache ihr natürlich keinen Vorwurf, wie könnte ich? Aber es ist manchmal schon ein wenig einschüchternd - aber das dürfte man als Geschwaderkamerad mitbekommen haben, oder? Sie ist nicht nur Soldatin, manchmal glaube ich, für sie ist es mehr als das. Manchmal erscheint sie mir eher wie eine echte Aktivistin, eine Berufsrevolutionärin, oder wie eine Gläubige, das hier ist ihr Kreuzzug, ihr heiliger Auftrag. Und da möchte man ihr lieber nicht im Wege stehen..."
Ja, das klang absolut nach Lilja. Ab-so-lut.

Imp hatte daraufhin spöttisch gekichert und mit den Augen geklimpert: "Ich wette, das wissen alle hier, stimmt's nicht, Ace?" Wobei sie dankenswerterweise offen ließ, WAS sie genau meinte. Dass man Lilja besser nicht im Weg stand, oder dass es für die Russin kaum etwas anderes als ihren Auftrag gab. Leider. Oder meinte sie etwa... Ich erinnerte mich daran, dass Imp sich nicht zu schade gewesen war, eine Zeitlang Gerüchte über mich, Lilja und eine Liaison zu verbreiten. Wohl in der Hoffnung zu sehen, was passierte, wenn die Gerüchte uns erreichten. Das wäre übrigens auch ein Grund gewesen, um Ina mal kräftig übers Knie zu legen. Ich nahm nur davon Abstand, weil es ihr höchstwahrscheinlich GEFALLEN hätte...
Liljas Mutter sah ernst von einem von uns zum anderen. Dann sagte sie: "Tanja hat natürlich Recht gehabt, als sie sagte, ohne viele andere hätte sie es nie so weit gebracht. Ich nehme an, sie hat ihrerseits auch anderen sehr geholfen, wie das eben so ist im Krieg. Das mag jetzt sehr viel verlangt sein, und oft liegt es außerhalb der Macht des Einzelnen...aber würden Sie, bitte, versuchen, auf unsere Tochter aufzupassen." Was zum Teufel machte ich seit Jahren anderes?, ging es mir durch den Kopf, aber ich sprach es nicht aus, beließ es bei einem Nicken, vor allem, um die arme Mutter zu beruhigen, die gerade hier war, weil ihre Tochter mit einem gebrochenen Bein in einen Kampfjet gestiegen war. Auch Imp und Sokol nickten, während Ohka, ganz Japaner, eine Verbeugung andeutete. Für einen Moment stockte mir der Atem. War ich damit in den exklusiven Kreis von Liljas Freunden aufgenommen worden, war ich jetzt einer der Menschen, die sie schätzte, vielleicht liebte?
Walja durchbrach meine bedeutungsschweren Gedanken mit einer simplen Feststellung, die wie eine kalte Dusche wirkte: "Tja, fürs erste solltet ihr wohl aufpassen, dass euer Schützling in spe nichts davon mitbekommt. Denn könnt ihr euch ausmalen, was Tanjuschka von Leuten hält, die auf sie acht geben sollen...?"
Was der Auslöser für gut gemeintes Gelächter unsererseits war.
Ljudmilla Pawlischenko hingegen war nicht amüsiert. Wieder lag ihre Hand auf meinem Unterarm. Sie krallte sich mit einer Kraft, die ich der zarten Person nicht zugetraut hatte, richtig hinein. Ihr Blick traf meinen, und ich konnte nicht anders. Ich legte meine Hand beruhigend auf ihre und lächelte. Natürlich. Auch wenn sie mich dafür hassen würde, ich würde Lilja helfen, wann immer ich konnte. Und zum Hass würde sie bald wieder zurückkehren, wie ich befürchtete. Also konnte ich nichts verlieren. Oder doch? Aber es war egal. Ich hatte ohnehin nur versprochen, was ich schon immer getan hatte, wann immer es mir möglich gewesen war.
Ihre Hand löste sich, sie zog sie zurück, aber nicht aus Enttäuschung. Sie sah mich seltsam zufrieden an. Das wäre ich auch, wenn gleich vier Fliegerasse versprochen hätten, auf die eigene Tochter abzugeben. Oder hatte ihre Zufriedenheit einen anderen Grund? Es wäre eine unglaubliche Blamage für mich geworden, hätte ihre Mutter, ausgerechnet ihre Mutter geahnt, was ich an Gefühlsballast für ihre Tochter mit mir herumschleppte – oder wenn sie es ihr womöglich noch erzählte. Aber das würde nicht passieren. Ich hatte mich gut genug maskiert. Hoffte ich.

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29.11.2015 14:22 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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Tyr

"Lächeln kann ich, und lächeln während ich morde..."
Richard III



Palastbezirk der Ewige Stadt Pan’chra, Akarii-Hauptwelt

„Und das haben sie wirklich von Linai gefordert? Ramals Kopf? Wäre die Cen’chan* meines tragischerweise verblichenen Onkels nicht ein passender Wunsch?“ Rallis Thelams Stimme klang angewidert und ungläubig. Sein Adjutant zuckte angesichts der Wortwahl des Akarii-Prinzen zusammen und entschloss sich, nur auf die ersten beiden Fragen zu antworten: „Ja. So hat man mir zumindest gesagt. Ich kann mich nicht für die Zuverlässigkeit der Quelle verbürgen…“
„Oh, ich glaube es schon. Das ist genau die Art von hirnrissigem Stolz, die ich von den Dechanara erwarte. Man sollte ihnen begreiflich machen, dass wir nicht mehr in den ruhmreichen Tagen des Ersten Imperiums leben. Inzwischen haben wir nicht nur die Dampfmaschine erfunden, sondern auch noch Alien-Invasoren vor unserer Haustür.“
„Ich dachte, es freut Sie, dass Linais Gefolgschaft uneins ist.“
„Sollte es das? Nun ja, vielleicht. Aber ich kann nur ein begrenztes Ausmaß von Dummheit ertragen, selbst wenn sie meinen Zwecken dienlich ist. Und in unserer Situation derart lächerliche Befindlichkeiten zu hätscheln – und sie dann auch noch an einem Ziel auszulassen, das nun wirklich nichts dafür kann…Das ist einfach nur erbärmlich.“
„Wenn die Gerüchte über Kern Ramals Herkunft stimmen…“
„Oh, das tun sie, glaube mir. Mein geliebter und inzwischen vergöttlichter Onkel war auch nur ein Sterblicher. Und nicht der erste Imperator, der in dieser Hinsicht gefehlt hätte. Einige KAISER waren schließlich die Bastardsöhne von Imperatoren.“
„Woran Sie Ramal erinnert haben, oder nicht?“
„Irgendjemand hätte das auf jeden Fall getan.“ Rallis grinste kurz, schüttelte dann aber den Kopf: „Leider zeigt er einen beklagenswerten Mangel an Ambitionen. Integrität kann manchmal doch zu lästig sein. Und was bringt es ihm?
Jedenfalls hat er keine Ehe gebrochen. Noch nicht. Sein einziges Verbrechen in diesem…delikaten Fall ist es, geboren worden zu sein. Ich würde es mir doch sehr stark überlegen, ob DAS genug ist, um das Leben eines fähigen jungen Offiziers zu fordern.“
„Aber als Ihr diese Gerüchte über Prinzessin Linai und Lord Dero geschürt habt…“
„Habe ich das?“ Rallis Thelam streckte beide Hände mit einer täuschend glaubhaften Miene der Abwehr und Entrüstung von sich: „Mein lieber Dan, warum sollte ich so etwas…Unappetitliches tun? Ich würde doch niemals wagen, meine geliebte Cousine, ihren persönlichen Favoriten oder ihren von mir über alles geschätzten Ehemann derart in Verlegenheit zu bringen.“ Das war so schamlos gelogen, dass nicht einmal Rallis Adjutant den Köder schluckte.

„Ramal ist nur ein einzelner Mann. Wenn sein Tod Linai die Unterstützung von Haus Dechanara sichert…“
„Dass sie von ihr so etwas fordern ist ein böses Zeichen. Linai ist schließlich nicht nur eine halbe Dechanara, sie ist auch kaiserliche Prinzessin. Sie derart unter Druck zu setzen…das lässt alle Thelams schwach aussehen. Was werden jene fordern, die Haus Thelam noch viel weniger eng verbunden sind? Und an wen wenden sie sich, wenn Liani – oder wer auch immer aus unserem Haus – nicht gewillt ist, ihre Wünsche zu erfüllen?“
„Aber hat Linai eine Wahl? Sie braucht die Dechanaras. Wenn nicht einmal das Haus ihrer Mutter sie unterstützt...“
„Da hast du Recht. Aber andererseits…Kann Sie es sich leisten, ‚JA’ zu sagen?
Ramal ist ihr treu ergeben. Dieser arme Narr. Und sie…schätzt ihn auch.“ Wieder war da kurz dieses boshafte Lächeln: „Wenn sie Ramal ihrer Staatsraison opfert, setzt sie ein starkes Zeichen. Dafür, was sie für den Sieg zu opfern gewillt ist. Aber wer in ihrem Gefolge kann sich dann noch sicher sein, nicht auch eines Tages als entbehrlich angesehen zu werden?
Und Ramal hat auch Freunde in der Flotte. Wie würde die wohl reagieren, wenn man seinen Kopf den Dechanaras auf einem Silbertablett serviert? Für manche ist er zu sehr ein Geschöpf Jors, das ist natürlich wahr. Aber er ist klug, fähig - und er ist loyal. Wir haben zu viele Admiräle verloren, als das wir verschwenderisch mit ihnen umgehen könnten. Denk daran, dass das Imperium den gesamten Draned-Sektor einem Admiral zweiten Ranges unterstellt hat - ganz einfach, weil wir damals in diesem Sektor außer Taran keinen anderen Flottenbefehlshaber hatten. Ramal zu opfern, wegen so einer...Bettgeschichte, wäre ein Schlag ins Gesicht der Institution, die sich als Schild und Schwert des Imperiums gegen die Barbaren versteht. Sogar jetzt noch gibt es Militärs, die meinem so unzeitig spät verblichenen Cousin die Treue halten. Für die ist Ramals Aufstieg unter Jor kein Makel, sondern eine Auszeichnung. Manche sind genauso bereit, eine Leiche als Banner vor sich herzutragen, wie einem Lebenden zu folgen. “

Dan Qau hielt dieses Bild für reichlich abgeschmackt, auch wenn er wusste, dass dergleichen bei manchen primitiven Akarii-Kulturen durchaus üblich gewesen war.

Und das gleiche könnte man auch von einer nicht gar so kleinen Fraktion im Adelsrat sagen, für die dieses…pikante Detail in Ramals Stammbaum eher eine Empfehlung als ein Makel ist. Was werden die sagen, wenn man Ramal aus dem Weg räumt? Für viele wäre es ein Zeichen, dass Linai gegen jeden loszuschlagen bereit ist, der durch seine Herkunft eine Bedrohung für den Thronanspruch ihres ungeborenen Kindes ist. Und bei unserer langen, blutigen und verworrenen Geschichte von auf- und untergehenden Dynastien, Putschen, Revolten und falschen und echten Thronansprüchen würde das für ziemlich viele Adelshäuser gelten.
Niemand will eine Regentin, die sich wie Xias der Blutige gebärdet. Zumal Ramals Tod so…sinnlos erscheinen würde. Seine…Loyalität für Linai sorgt dafür, dass er keine direkte Gefahr für sie ist. Niemand könnte ihn gegen Linai aufbauen, da würde er niemals mitmachen.
Aber wenn er geopfert wird, wem werden sich Ramals Freunde dann zuwenden?“
„Vielleicht Euch. Aber falls Linai dem Wunsch der Dechanara auf…verschwiegene Art und Weise nachkommt, sodass niemand den wahren Grund seines Todes kennt… Oder gar jemand anderes der Schuldige ist…“

Rallis Thelam musterte seinen Adjutanten überrascht: „Dan, Dan…ich war ein besserer Lehrmeister, als ich dachte. Was für ein erfrischend ruchloser Gedanke…
Du hast Recht, ich könnte so oder so der Gewinner sein. Aber warum habe ich dann das Gefühl, das dieser Sieg vielleicht zu teuer bezahlt wäre? Wenn sich Linais Lager zerfleischt, was, wenn sie sich dann erst Recht den Allecars an den Hals wirft? Wenn sie ihren Halt in der Flotte verspielt…
Ich bin eigentlich etwas zu bequem ums ins Exil zu gehen. Und zu zivil, um die Grenzarmeen zu sammeln.“

Damit spielte Rallis auf einige turbulente Epochen der Akarii-Vergangenheit an. In der inzwischen von Legenden und Sagen umrankten Zeit des Ersten Imperiums hatten die Grenzarmeen eine oft entscheidende wenn auch nicht immer ruhmreiche Rolle bei der Inthronisation der Herrscher gespielt. Und in den ersten Jahrhunderten der interstellaren Expansion des Imperiums war es mehr als einmal zu ähnlichen Ereignissen gekommen.

„Was werden wir tun?“
„Ich habe Linai mehr als einmal meine Hilfe angeboten. Aber bisher scheint sie der Meinung zu sein, dass sie sehr gut alleine zurechtkommt. Oder so ‚alleine’, wie sie mit diesem Schwarm von ‚wahren‘ Freunden und fragwürdigen Gefolgsleuten sein kann, die am Saum ihrer Robe zerren.
Die Aasfresser wittern Beute – und ihre Mahlzeit könnte leicht der Kadaver des Imperiums sein. Oder das, was von der Thelam-Dynastie übrig ist. Ich möchte nicht erleben, wie unsere Linie ausgerechnet von den ALLECARS ersetzt wird.“
„Ihr könntet Ramal warnen.“
„Aber würde er mir glauben? Und selbst wenn er das tut, was sollte er schon machen? Er ist Linai sehr ergeben…“, wieder dieses etwas anzügliche Grinsen, „…wenn sie ihn fragt, würde er sich mit Freuden in sein Schwert stürzen. Was für eine Verschwendung! Noch jemand, der zu sehr in unserer glorreichen Vergangenheit lebt.
Aber um auf deine Frage zurückzukommen…hm. Ich muss mehr darüber erfahren, wie die Kräfteverhältnisse im Haus Dechanara sind. Der Lord ist noch relativ jung – umso erstaunlicher ist sein Beharren auf derart verknöcherte Ehrvorstellung. Die waren schon antiquiert, bevor wir das erste Mal die Oberfläche dieses Planeten verließen.“
Dan unterließ den Hinweis, dass Rallis Thelam vor kurzem keine Hemmungen gehabt hatte, eine mindest ebenso veraltete Geste der öffentlichen Verdammung zu nutzen, um eine Sitzung des Adelsrates zu sprengen und Lord Allecar zu brüskieren.
„Andererseits…vielleicht liegt es genau daran. Der junge Lord Dechanara muss Stärke zeigen. In jedem Adelshaus gibt es ambitionierte Verwandte, die auf ein Zeichen der Schwäche lauern, weil sie sich für sehr viel besser zur Herrschaft geeignet wähnen.“ Rallis Thelams lächelte mokant. Ihm war klar, dass er sich damit auch selber beschrieben hatte: „Es muss doch einen Hebel geben, den man bei den Dechanaras ansetzen könnte. Geld, Posten, Macht…
Blut ist ein so…flüchtiges Gut. Und eigentlich etwas zu kostbar, um wegen so einer Lappalie vergossen zu werden.“
„Und falls Ihr ihn findet, diesen Hebel?“
„Wer weiß. Vielleicht werde ich ihn dann an Linai weiterreichen. Sie müsste mir dann dankbar sein. Und sie wird die Unterstützung brauchen, wenn sie die Dechanaras disziplinieren will, ohne sie zu verlieren.
Oder vielleicht bin ich es, der Ramal rette? Wie käme er wohl damit klar, dass er mir sein Leben schuldet? Und könnte Linai ihm dann noch trauen? Würden die Dechanaras ihr dann noch die Treue halten? Oder…“ Rallis winkte ab: „Wir werden sehen. Aber wie ein gutes Mahl – oder die Rache – braucht so etwas Zeit.“
„Ihr hattet für heute noch einen Termin mit dem Rat der kaiserlichen Militärakademie. Es geht um das Budget des nächsten Jahres…“
„Und den Termin will ich auf keinen Fall verpassen.“ Rallis zögerte kurz und fuhr mit einem dünnen Lächeln fort: „Und da du inzwischen so einen überraschenden Durchblick entwickelt hast, kannst du mir doch auch sicherlich sagen, warum die Akademie so wichtig ist.“

Dan überlegte nur kurz: „Viele im Lehrkörper sind ziemlich traditionell.“
„Besonders die Älteren. Denn wer nicht mehr Kommandieren kann, der lehrt.“ warf Rallis Thelam maliziös ein: „Das kannst du besser, Dan.“
„…aber der Oberste Rat der Militärakademie ist in sich gespalten, das war er schon immer. Weder Traditionalisten, noch Expansionisten oder Modernisierer haben eine Mehrheit.“
„In dieser Hinsicht ähnelt die Akademie dem Adelsrat. Kein Wunder – die Akademiespitze wird immer noch zu einem beträchtlichen Teil von den alten Häusern dominiert.“ In Rallis Thelams Stimme schwang ein spöttischer Unterton mit: „Weiter.“
„Ihr wollt euch in Erinnerung halten. In eurer Rolle bei der Finanzierung der Akademie, als Vertreter des Hauses Thelam, als Thronprätendent – und als eine der Hoffnung der Modernisierer im Imperium. Wer bei dem Akademie-Budget mitbestimmt, der hat Einfluss. Und es geht nicht nur um die Verbindungen des Akademierates zu den alten Häusern und dem Militär. Hier werden auch die künftigen Führer unserer Streitkräfte ausgebildet. Einer davon ist Navarr…“
„Ganz ausgezeichnet, wenn auch recht offensichtlich.“
„Obwohl politisch gespalten, war die Akademie auch immer wieder ein Ort, um Neuerungen durchzusetzen, Innovationen zu entwickeln. Neue Strategien und Ansichten. Grenzen zu überschreiten. Sogar einige T’rr-Offiziere durften Gastvorlesungen über den Dschungel- und Guerillakrieg halten.“
„Und das war schon immer so. Wir Akarii waren noch nie zu schade, vom Gegner zu lernen. Einige gescheiterte Aufrührer und Putschisten haben ihr Leben retten können, weil man ihr Wissen und Können für künftige Generationen bewahren wollte.“
Dan holte tief Luft. Die nächsten Worte kamen langsam über seine Lippen: „Und die Akademie…ist eine Armee. Die Kadetten, die Übungsverbände, die Ausbilder und Wachtruppen. Gepanzerte Fahrzeuge, Artillerie, Atmosphären- und Raumjäger, Bomber und sogar ein Kontingent leichter Kriegsschiffe und mehrere armierte Raumstationen. Von den engen Verbindungen der Akademie zur kaiserlichen Garde und zahlreichen Feld- und Garnisonsverbänden ganz zu schweigen. Die Akademie…“
„Hat bei mehr als einem Putsch eine entscheidende Rolle gespielt. Und sie hat es dabei meistens verstanden, auf den Sieger zu setzen. Deshalb gibt es sie auch noch immer.“
„Aber seit Jahrhunderten steht sie loyal zum Hause Thelam. Also…“
„Genau.“ Ralis Thelam grinste boshaft: „Und obwohl es dort sehr viele Befürworter für Linais Frieden mit der Konföderation gibt, haben sie bestimmt noch nicht vergessen, dass sich Dero Allecar zu fein dazu war, in die Akademie einzutreten. Nein, er spielte lieber den einfachen Fußsoldaten, als wären die Kadetten nur ein Haufen degenerierter Spielzeugsoldaten, die von verkalkten Greisen und Hinterzimmerstrategen verzogen werden.“
Dan Qau bezweifelte stark, dass Dero Allecar seinen Entschluss als einfacher Soldat zu dienen jemals derart eindeutig begründet hatte. Aber er wusste, dass der Eindruck – oder die Interpretation einer Handlung – oft wichtiger war als ihre eigentliche Intention. Vor allem, wenn Männer wie Rallis Thelam die Deutung übernahmen. Der Prinz verstand sich sehr gut darauf, das Handeln seiner Gegner in das…richtige Licht zu rücken.
„Natürlich weiß auch Linai um die Bedeutung der Akademie. Allerdings weiß ich nicht, ob sie zwischen den Regierungsgeschäften, ihrem geliebten Ehemann, ihrem…Favoriten und neuerdings auch den Wünschen von Haus Dechanara diesem Faktor die nötige Aufmerksamkeit widmen kann. Ich werde es auf jeden Fall tun.“
Damit hatte Rallis ein Problem angesprochen, das freilich auch ihn betraf. Manchmal fragte sich Dan, wann sein ‚Mentor‘ überhaupt noch zum Schlafen kam. Auch wenn Rallis Thelam genauso jovial auftrat wie üblich, glaubte Dan Qau in seinen Augen manchmal einen merkwürdig abwesenden, müden, fast gehetzten Eindruck zu sehen. Der Thronprinz mochte nach Außen glaubhaft den Eindruck erwecken, dass Politik und Intrigen sein Lebenselixier waren – aber das war eine vergiftete Speise. ‚Allerdings glaube ich nicht, dass Linai, Herzog Allecar, Dero oder Tobarii Jockham sehr viel mehr Ruhe finden. Nicht zuletzt, weil Rallis vermutlich alles unternimmt, um sie auf Trab zu halten. Und Tobarii und Dero müssen sich auch noch auf ihr närrisches Duell vorbereiten.‘ Im Gegensatz zu vielen anderen jungen Adligen hielt Dan Qau dergleichen für idiotisch. Vielleicht, weil er selber einen Dreeh oder einen Sirash nicht einmal anfassen konnte, ohne sich zu schneiden.
„Das Staatsschiff nimmt vor unseren Augen immer mehr Fahrt auf. Wir müssen aufpassen, dass wir alle an Deck bleiben und nicht im Kielwasser der Ereignisse ertrinken.“ Bei dem Gesicht, das Rallis Thelam bei diesen Worten zog, schien er allerdings der Meinung zu sein, dass ein paar ihm bekannte Persönlichkeiten ruhig über Bord gehen konnten.
„Und was diese Köstlichkeit angeht, von der du mir berichtet hast…sprich noch mal mit unserem Kontakt bei Haus Deschanara. Und vorher gehst du unsere Datenbanken dazu durch, was wir zu dieser Familie haben. Es kann doch nicht alleine die Rache und ihre idiotische Ehre sein, die sie antreibt. Irgendwo muss es einen Punkt geben, an dem wir notfalls ansetzen können.“
„Und bis wann…“
„Am besten bis gestern, mein lieber Dan. Am besten bis gestern.

************************************************** **********************
* eine Drüse im unteren Hüftbereich, die nur bei männlichen Akaraii zu finden ist. Galt in der antiken Heilkunde und Organlehre als Sitz männlicher Tatkraft und Entschlossenheit (weswegen auf einige Verbrechen die Entfernung der Drüse stand – eine Prozedur, die allerdings nur die Hälfte der Verurteilten überlebte). Neuere Forschungen haben ergeben, dass die Drüse tatsächlich einige Hormone produziert, die bei der Fortpflanzung eine – allerdings nur nebensächliche – Rolle spielen.
29.11.2015 14:40 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cunningham/Cattaneo

Lektionen

Sterntor-System, Trümmerfeld

Lieutenant Commander Helen "Kali" Mitra ließ ihre Maschine taumeln und abschmieren. Gerade noch rechtzeitig, denn über ihren Jäger hinweg ergoss sich eine wahre und ungemein spektakuläre - wenn auch ungefährliche - Kaskade von niederenergetischen Entladungen. Sofort danach riss sie ihre Maschine in einen brutalen Steigflug, der zu einer Rolle wurde. Die Beschleunigung raubte ihr fast die Sinne. Und wieder entging sie nur um ein Haar den Salven ihrer Verfolgers. Die Bordwaffen der Jäger waren natürlich heruntergeregelt worden, aber es sollte schon echt aussehen, und das tat es auch. Ganz ungefährlich waren solche Übungen dennoch nicht, denn wenn zwei Jäger beim Kurvenkampf ineinander krachten oder jemand mit einem Trümmerstück kollidierte - so etwas war in der relativen Weite des Weltalls zwar sehr unwahrscheinlich, aber schon vorgekommen - konnte das selbst einen Jäger mit intakten Schilden beschädigen oder gar zerstören. Die Schildstärke nahm während der Übungsgefechte natürlich nur simuliert ab. Gefechtsschäden freilich wie eine ausgefallene Manöverdüse wurden vielfach tatsächlich von den Bordcomputern simuliert, also besagte Manöverdüse zeitweilig eingefroren, und konnten nur über einen Notcode freigeschaltet werden.
Commander Staffords Plan hatte funktioniert - vielleicht sogar etwas zu gut. Kalis Verband aus Nighthawks der Roten Staffel und einigen Jagdbombern von Silber und Gold hatte die feindliche Vorhut, zwei Sektionen der Stalking Jaguars und Fighting Stallions gehörig rupfen können. Aber das war ein kurzes Vergnügen gewesen - denn dann war die Vergeltung über sie hereingebrochen. Kali hatte sich diebisch darauf gefreut, dass ihre "Gegner" zwischen ihren Maschinen und der Columbia hin und her hetzen würden, ihren Sprit verbrennen, oder viel zu erreichen - aber so ganz hatte das leider nicht geklappt. Aus irgendeinem Grund hatte Lilja, die die Verteidiger kommandierte, sich entschieden, zumindest Kalis Jäger als "Trostpreis" einzuheimsen, wenn sie schon ihren Träger nicht schützen konnte. Nun, eigentlich kam das nicht sehr überraschend. Die Inderin hatte schon früh gelernt, das Lilja, ihrem einschüchternden Ruf zum Trotze, gewiss nicht unbesiegbar war. Nervig war bloß ihre Angewohnheit so lange auf stur zu schalten, bis ihr Gegner den Sieg nicht wirklich genießen konnte...

Und wenn Kali etwas hasste, dann als Trostpreis behandelt zu werden. Eines musste man der Russin freilich lassen, wenn sie einen Angriff kommandierte, dann fühlte sich das Ziel in etwa wie ein Metallrohling in der Schmiede. Man wurde zwischen Hammer und Amboss förmlich aufgerieben, in Form gehämmert, plattgemacht. Die Angreifer hatten ihren Vorteil daraus gezogen, dass Kalis Verband durch die Verfolgung der gegnerischen Vorhut etwas auseinander gezogen worden, außerdem hatte die Russin schnell geschaltet und ihrerseits einige ihrer Falcons im Schatten des zerstörten Akarii-Kreuzers flankierend vorrücken lassen. Den ersten Angriff hatten die Nighthawks der Schwarzen Staffel geführt - wohl wissend, dass Kalis Maschinen einen Großteil ihrer Langstreckenraketen bereits verschossen hatten. Die Butcher Bears waren die einzige Staffel in diesem Reigen, die noch vollzählig in den Kampf gezogen war, und leider hatte Kano sie gut aufgestellt. Während Kalis Rote und die sie unterstützende Handvoll Thunderbolts noch kurbelten, um dem simulierten Phönix-Raketen auszuweichen, waren die agilen Falcons über sie hergefallen. Unterstützt von den Schwarzen waren sie zahlenmäßig etwa zwei zu eins überlegen gewesen.
Und, warum es beschönigen, einige von Kalis Piloten hatten sich vielleicht etwas zu sehr durch den Sieg über die feindliche Vorhut hinreißen lassen und nicht schnell genug wieder zum Verband zurückgefunden. Diese versprengten Schäfchen waren als erste von den Wölfen, pardon Bären, gefressen worden. Und so konnte Kali nicht viel mehr tun als sich so teuer wie möglich zu verkaufen - und dabei zu verfolgen, wie einer ihrer Untergebenen nach dem anderen aus dem Spiel schied. Nicht kampflos und ohne Gegenwehr, auch die Schwarzen und Grünen steckten ein, aber ihre Piloten verloren doch schneller als ihr lieb sein konnte.

Und was ihre eigene Situation betraf...sie peitschte ihre Maschine in ein geradezu schmerzhaft brutales Von-Bein Mannöver. Sie musste die überlegene Feuerkraft und Beschussfestigkeit ihrer Maschine ausspielen, das war ihre einzige Chance diesen Kampf zu "überleben", vielleicht gar zu gewinnen. Denn wer immer an ihr dranhing, er beherrschte seine Maschine. Fast blindlings hieb sie auf die Feuerknöpfe - Kanonen, Raketen, was noch vorhanden war feuerte, und stieß gleichzeitig Störkörper aus, weil sie damit rechnete, dass ihr Gegner ihr zumindest einige Passiertreffer verpassen würde. Nur um zu erleben, wie die verfolgende Falcon vor ihrem Bug mit einer beneidenswerten Eleganz abtauchte, als hätte der Pilot gewusst, welches Manöver sie als nächstes ausführen würde. Die Falcon passierte sie so knappe, dass die simulierten Raketen schon aus Selbstschutz das Ziel verloren beziehungsweise in der dichten Wolke aus Gegenmitteln - Kalis und die ihres Verfolgers - detonierten. Nah, verdammt nah. Gehorsam blendete der Computer sie durch eine kurzfristige Polarisation ihres Helmvisiers und schaltete eine Reihe Bildschirme zumindest zeitweilig aus.
Wütend blinzelte sie die Schweißperlen weg, die ihr in den Augen brannten und unterdrückte den Impuls, auf die Anzeigen einzuhämmern. Sie musste...
In diesem Moment klärte sich sowohl ihr Sichtfeld als auch die Bildschirme wieder. Und Kali erstarrte. Denn vor ihr hing im Raum - kopfüber - die "feindliche" Falcon. Die Maschine musste einen unglaublich engen Looping geflogen sein, selbst für so einen agilen Abfangjäger, und hatte auf dem letzten Teil dann auch noch brutal abgebremst.
In einer resignierten Anwandlung schloss Kali die Augen. Das Heulen des Bordcomputers, der ihr gezielten Beschuss anzeigte, einen tödlichen Feuerhagel der sich direkt auf das Cockpit richtete und ihr simulierten Ich zu Asche verbrannte, ließ denn auch nicht auf sich warten.
Das war schlimm. Sicher, es war nur eine Übung, und irgendwann verlor jeder mal - und sie konnte von sich sagen, dass sie weit öfter gewann als verlor. Aber es war dennoch nicht angenehm. Und ebenso schlimm war, dass die ihr unterstellten Jäger inzwischen weitestgehend aufgerieben worden waren - zum Teufel mit Staffords tollem, genialen, HIRNVERBRANNTEM Plan, bei dem er ihr eine Zielscheibe auf den Hintern gepappt und sie quer über den Schießstand geschickt hatte.
Aber das alles war vielleicht noch nicht mal das schlimmste. Vielleicht der Höhe- oder eher Tiefpunkt war erreicht, als die Falcon die sie abgeschossen hatte, einen Funkkanal öffnete, und Kali, wie konnte es auch anders sein, jene ihr nur zu bekannte und nicht sonderlich geschätzte Stimme hörte. Die leicht raue, unterkühlte, vielleicht einen Hauch herablassende Stimme von Lieutenant Commander Tatjana "Lilja" Pawlitschenko.
"Gut geflogen, Commander. Es hätte beinahe funktioniert." Oh ja, in dem Moment hasste sie Stafford. Und Lilja. Und das Universum auch...

Tiefer Raum, etwa zur gleichen Zeit

Der Warnton, der eine gegnerische Zielerfassung ankündigte, heulte ein letztes Mal auf und verstummte dann. Da draußen befanden sich jetzt zwei Rafale und zwei Crusader, die tot spielen mussten. Eine weitere Rafale hatte sich waidwund absetzen können, und die Stalking Jaguars hatten sie ziehen lassen - wenn alles glatt ging, würde sie ohnehin nicht mehr weit kommen. Blackhawk war dennoch nicht unbedingt glücklich. Als die leistungsfähigen Sensoren der Griphen D die schwereren Maschinen erfassten, hatte er nicht gezögert. Obwohl ihm klar gewesen war, dass der Gegner ihn natürlich auch auf den Anzeigen haben würde - die Rafale waren da einfach zu gut. Nun, er hatte sich doch durchsetzen können und mit diesen "Abschüssen" die Bilanz seiner Staffel aufgebessert - ohne Verluste war es aber nicht abgegangen. Rafale und Crusader waren im Kurvenkampf allen TSN-Jägern, und natürlich noch mehr den Akarii-Maschinen, hoffnungslos unterlegen, und ohnehin fünf zu acht in der Unterzahl gewesen. Aber sie trugen ein beeindruckendes Arsenal an Raumkampfraketen und Kanonen - auch wenn ihre Piloten es nicht gewöhnt waren, völlig ohne Geleitschutz zu operieren. Folglich war der Zusammenstoß nicht ohne Verluste für seine Gelben abgegangen - inzwischen kommandierte er nur noch sechs Maschinen, und die waren zum Gutteil verschossen. Nahm man den Auftakt des Manövers hinzu, dann stand seine Staffel nicht gut da. Von den Jaguars waren drei Maschinen bereits aus der Übung genommen worden, ohne mehr geleistet zu haben als einige simulierte Phönix zu schlucken. Die vierte, der einzige "Überlebende" der Sektion, die er zur Aufklärung beigesteuert hatte, wies simulierte Schäden in beachtlicher Höhe auf und hinkte irgendwo in Liljas Kampfverband hinterher. Für all dies mochte man der Einsatzführung die Schuld geben, aber so einfach war es natürlich nicht. Wenn man ein bisschen besser auf die Anzeigen geachtet hätte...und wenn man ein bisschen besser geflogen wäre...und wenn das Wörtchen wenn nicht wäre...
Nun, im Moment hatte er noch einen Auftrag und den würde er auch erfüllen. Man mochte darüber streiten ob es richtig war, eine Übung so ernst zu nehmen, aber hier ging es eben nicht nur darum, dass die Staffeln miteinander wetteiferten. Es war zugleich eine Einstandsvorstellung - für den neuen CAG, um zu zeigen was er konnte. Für Admiral Girad, für die ähnliches galt, nicht zuletzt, weil ihr einige bei den letzten Gefechten Fehlverhalten unterstellten. Und für die Angry Angels die sich sowohl gegenüber ihrem neuen Chef als auch gegenüber dem Admiral zu beweisen. Blieb nur das Problem, dass irgendjemand zwangsläufig verlieren musste.

Pflichtbewusst meldete er seinen Standpunkt an den Hauptverband. Der komprimierte Kurzfunkspruch war äußerst schwer anzupeilen, und so konnte simuliert werden, dass die Columbia-Kampfgruppe, oder besser das, was davon noch übrig war, ein Bergungsshuttle schickte um die eigenen Piloten und "Gegner" einzusammeln. Er hoffte fast, dass Stafford den Funkspruch mit seiner einen verbliebenen Rafale auffing, auch wenn er ihn nicht würde entschlüsseln können. Inzwischen musste dem CAG klar geworden sein, was Lilja plante. Die Russin hatte sich eingestanden, dass sie nicht rechtzeitig und mit den nötigen Gefechtsstärke zur Columbia zurückkehren konnte, nicht so lange Kalis vier Sektionen - zwei Nighthawk- und zwei Thunderbolt-Gruppen - ihr im Nacken saßen, auch wenn die im Kampf gegen Liljas Vorhut den ein oder anderen Verlust hatten einstecken müssen. Also hatte die Russin beschlossen, sich auf Kalis Maschinen zu stürzen. Blackhawk aber sollte die Tankshuttles von Staffords Verband "abstauben", während Lilja Sorge trug, dass die Roten und ihre Jagdbomberfreunde Blackhawk dabei nicht störten. Was bedeutete, dass der Angriffsverband des CAG zwar vorerst ungeschoren blieb, sah man davon ab, was die Blauen und die Begleitschiffe der Columbia ihnen angetan hatten, aber zwangsläufig mit leeren Tanks irgendwo hängengeblieben wäre, wenn das ein echter Kampf gewesen wäre. Nicht gerade eine beeindruckende Leistung für die Verteidiger, denn die Columbia hatte schwerste simulierte Treffer kassiert und war wohl verloren, soweit er das mitbekommen hatte. Aber so konnte die angreifende Seite förmlich kastriert werden. Und da der Columbia-Verband zwar hart angeschlagen war, aber noch über eine ganze Reihe von Dickschiffen verfügte, konnte er theoretisch ein paar Shuttles detachieren um die eigene und feindliche Jäger und deren Besatzungen einzusammeln.
Soweit die Theorie, nur musste ER dafür erst noch die Shuttles finden. Allerdings...
Das war eben der Nachteil mit den Ablenkungsmanövern. Um eine Spur zu hinterlassen, auf die jemand reinfallen konnte, musste man eben einen Köder benutzen. In dem Fall offenbar die Tunkshuttles. Und wenn er annahm, dass die Rafale und Crusader ihn vermutlich von den Shuttles hatten ablenken wollen, dann musste er nur...Mit ein wenig Rechnerei...

"Jaguars, Kurs korrigieren. Zehn Grad Steuerbord, Marschgeschwindigkeit einnehmen. Suchfächer bilden, Abstand 30.000" Die sechs verbleibenden Griphen deckten so - auch dank ihrer verbesserten Elektronik - einen beeindruckenden Streifen Raum ab. Ihm war klar, dass ihr eigener Treibstoffvorrat besorgniserregend gering war und schnell sank, trotz ökonomischer Flugweise. Glücklicherweise hatte der Kampf mit der gemischten Crusader- und Rafale-Sektion, über die sie gestolpert waren, nicht so viel Kurbelei benötigt wie ein Kampf mit Jägern und Jagdbombern.
Und tatsächlich, keine zehn Minuten später meldete einer der Außenfeger die Shuttles. Blackhawk grinste dünn. Es mochte zwar etwas kindisch sein aber...
Er öffnete einen Funkanal zu den Shuttles und gleichzeitig zur Columbia: "PENG - ihr seid tot." teilte er gut gelaunt den Shuttles mit. Für einen Moment hörte sich der Protest der Shuttlepiloten so an, als würde man das Gefecht tatsächlich "ausspielen" müssen. Ein Tankshuttle führte zwar nur zwei Laserkanonen und war selbst leer kein echter Gegner für einen Kampfflieger, aber zahlenmäßig waren die Verhältnisse fast ausgeglichen. Aber dann schaltete sich die Einsatzzentrale der Columbia ein: "Bestätigt, Shuttles gelten als vernichtet. Jaguars - Treibstoffstatus?" Blackhawk verzog gequält die Lippen: "Rückflug zum Teil nur noch ballistisch möglich." Das hieß, die Jäger würden zum Teil beschleunigen und dann den Impuls für einen Teil des Fluges nutzen, anstatt konstant Schub und Gegenschub zu geben. "Wir müssten also ein Rendezvous mit einem Tankshuttle durchführen, oder wir brauchen ein paar Sturmfähren, die uns einsammeln." Tja, das hätte nun wirklich besser laufen können. Aber vielleicht war so sogar das Unmöglich möglich geworden - eine Übung, bei der alle ein Stück weit verloren, aber auch irgendwie gewannen...

Jäger-Verband der Columbia, Sterntor-System

Lilja hätte am liebsten ein paar saftige Mutterflüche herausgehauen, aber sie schaffte es, sich zu beherrschen. Mit knappen Befehlen sammelte sie, was von den Schwarzen und Blauen noch übrig war. Der Sieg über Kalis Staffel war wirklich nicht leicht gefallen, das musste man den Roten und ihren Jabofreunden lassen. Sie hatten am Ende insgesamt neben drei Griphen noch fünf Falcons und vier von Kanos Nighthawks als Abschüsse verbuchen können, und etliche andere Maschinen galten als ziemlich schwer beschädigt. Das war, um es offen zu sagen, nicht gerade ein sehr eindrucksvoller Einstand als zeitweilige "Geschwaderchefin". Es nagte an ihrem Selbstwertgefühl, dass sie sich hatte übertölpeln lassen - gleichgültig, dass dies nicht nur ihr so gegangen war. Stillschweigend kam sie zu der Ansicht, dass sie den neuen CAG vielleicht in Sachen taktischem Geschick ein wenig unterschätzt hatte. Vielleicht wohlgemerkt, so ein Taschenspielerstück, so innovativ und vergleichsweise erfolgreich es gelaufen war, reichte nicht aus, um Stafford in eine Reihe mit Lone Wolf oder Darkness zu katapultieren. Und natürlich war es nicht nur das Fachliche gewesen, was ihr an dem neuen Geschwaderchef Bauchgrimmen bereitet. Aber er hatte bewiesen, dass er akzeptabel fliegen konnte - was freilich für eine gute Anzahl lebende und noch mehr tote Piloten galt - und taktisch führen konnte. Alles weitere nun, das musste sich erst noch zeigen.
Blieb die Frage, wie er - und mindestens ebenso wichtig, Admiral Girad - das Abschneiden der Angels und natürlich auch ihr Abschneiden bewerteten. Denn das mochte eine Rolle spielen, wie man sie "da oben" künftig einschätzte, welche Funktion im Geschwader sie spielen sollte. Das war auch EIN Grund gewesen, warum sie zu einer, sagen wir innovativen, Lösung gegriffen hatte. Sie hatte Stafford auch daran erinnern, ihm vor Augen führen wollen, wie sehr sich der Krieg in den letzten Jahren geändert hatte. Neben fliegerischer Brillanz und taktischer Finesse war ein Punkt immer wichtiger geworden - nicht den Gegner nur zu schlagen, sondern ihn nach Möglichkeit zu VERNICHTEN. Sieg und Niederlage waren - mehr als eine Schlacht hatte es bewiesen - zum Teil neu definiert worden. Und mehr als einmal hatten menschliche oder auch imperiale Kommandeure ein für Vorkriegszeiten unvorstellbares Maß an Wagemut und eine schon fast kriminell zu nennende Gleichgültigkeit gegenüber eigenen Verlusten an den Tag gelegt, nur um dem Gegner möglichst schwer zu schaden. Ein gegnerischer Pyrrhussieg - ein Sieg, der den "Gewinner" der vom momentanen Verlierer erhofften endgültigen Niederlage näher brachte - war inzwischen schon geradezu ein erstrebenswertes Ziel geworden. Sie hatte selber an mehr als einer solchen Schlacht teilgenommen. Manchmal fragte sie sich, ob Stafford das ebenfalls realisiert hatte.
Aber dazu waren Übungen da. Man musste die Kränkung, die Belehrung, die Niederlage runterschlucken und sie als Lektion akzeptieren. Denn eines hatte sie gelernt - Fehler im Krieg kamen einem sehr viel teurer zu stehen...




TRS Columbia, Sterntor, FRT
Nach der Übung


Kenneth Ross betrat den Besprechungsraum für die rote Staffel. Die Piloten hatten sich schon zum Teil in kleinen Runden zusammengefunden und tratschten wie wild über die letzte Übung.
Das ungewöhnliche war, dass die meisten von ihnen eine Dose Bier in der Hand hielten. Dass die Piloten von ihm kaum Notiz nahmen, war für ihn nicht neu. Er war hier im Pilotenland und die meisten von ihnen versuchten noch vom Adrenalin des Kampfes herunter zu kommen.
„Wo finde ich Commander Stafford?“
Einer der jüngeren deutete auf die Umkleide: „Noch beim Duschen, der Alte brauch dafür etwas länger… ähm, Sir.“
Ross warf dem Lieutenant einen finsteren Blick zu, der nur dazu führte, dass die jungen Piloten über ihn lachten, als er in die Umkleide ging.
Commander Stafford war gerade dabei sein Uniformhemd zuzuknöpfen. Auch er schien eine Bierdose im Gebrauch zu haben: „Commander Ross, was kann ich für sie tun?“
Ross hatte sich sämtliche Informationen über den neuen CAG besorgt an die er herangekommen war. Man wusste ja nie. Darunter waren auch alle offiziellen Dokumente zur Untersuchung bezüglich Lieutenant Carlyles Tod.
Die Flugschreiberaufzeichnungen machten eine Sache deutlich, welche die Piloten draußen noch nicht erkannt hatten: Unter diesem unscheinbaren Trottel war irgendwo ein echter Killer versteckt.
„Sind sie nicht im Dienst, Sir?“
Stafford nahm seine Bierdose von der Bank und leerte sie in einem langen Zug: „Ich habe fast zwanzig Stunden im Cockpit hinter mir, wir haben uns das AFB* redlich verdient. Was kann ich für sie tun?“
„Ich möchte mit Ihnen über die Interviews von Commander Pawlitschenkow und Commander Davis sprechen.“
„Gibt es da irgendwelche Probleme?“
„Commander Davis ist da etwas problematisch“, druckste Ross ein wenig herum.
Stafford hob fragend eine Augenbraue.
„Davis hat gewisse Verbindungen zum Geheimdienst, die nicht unbedingt so gut verlaufen sind.“
„Und das hat was mit der Präsidentschaftswahl zu tun?“
Commander Ross rieb sich das Kinn: „Ich fürchte seine etwas negative Einstellung könnte da einfließen.“
„Ernsthaft?“ Stafford wirkte leicht misstrauisch.
„Ich würde nicht hier stehen und es zur Sprache bringen, wenn ich nicht meine Bedenken hätte CAG“, versicherte Ross jovial.
Stafford spielte kurz mit seiner leeren Bierdose, ehe er sie zusammenknüllte und in basketballermanier in einen der Mülleimer versenkte: „Dann lassen sie sich die Fragen zur Genehmigung vorlegen.“
„Über die Fragen mache ich mir keine Sorgen, eher über die Antworten.“
„Wenn sie Fragen finden, die sensible Themen ansprechen, schicken sie Davis und Pawlitschenko eine entsprechende Notiz zu und weisen beide nochmal darauf hin, dass klassifiziertes Material tabu ist.“
Nun konnte der Geheimdienstler deutliche Ablehnung in der Körpersprache des Geschwaderkommandanten lesen und er wusste, dass er hier nicht mehr erreichen würde. Allgemein zeigte die Akte von Stafford, dass sein Verhältnis zum Nachrichtendienst der Flotte bestenfalls über höfliche Professionalität nicht hinausging: „In Ordnung, werde ich machen.“


Fast vierzig Minuten später war Jules Nachbesprechung mit dem Admiralstab beendet und es war an der Zeit mit seinen Staffelführern fortzufahren. Ein bisschen zu seinem Unmut wollten sowohl Girad als auch Captain Ahn bei der Besprechung dabei sein.
Im Besprechungsraum der Black Rain Staffel hatten sich alle Staffelführer mit ihren Stellvertretern sowie weiteren Spezialisten eingefunden.
Jules trat ein, machte einen schnellen Schritt zur Seite, damit Girad vorbeitreten konnte: „Achtung: Admiral an Deck!“
Es entstand einiges an Plätze rücken und zwei weitere Lieutenants blieben ohne Stuhl übrig.
Dieser Raum gehörte zum Pilotenland und hier war er alleiniger Herrscher. Während Jules nach vorne zum Pult ging, von dem aus normalerweise Irons ihre Bomberpiloten einwies, krempelte er seine Hemdsärmel wieder hoch, die Captain Ahn erst vor kurzem befohlen hatte runter zu krempeln.
Am Pult angekommen steckte er ganz ungeniert die Hände in die Taschen: „Als erstes möchte ich Ihnen allen zu den hervorragenden Einzelleistungen ihrer Staffeln und ihrer Piloten gratulieren. Sie haben die Neuzugänge in Rekordzeit eingearbeitet und die Leistungen jeder einzelnen Staffel war mehr als nur ein bisschen beeindruckend.“
Jules blickte zum Wandbildschirm, der das Ergebnis der Übung zeigte: „Davon abgesehen, haben wir aber kein wirklich befriedigendes Ergebnis. Der Computer hat berechnet, dass das Primärziel der Angreifer nicht mehr einsatzbereit ist und wahrscheinlich sogar aufgegeben werden müsste. Und wenn ich Primärziel sage, spreche ich von diesem Träger. TRS Columbia mit über viertausend Frauen und Männer an Bord.“
„Aber auch nur, weil das Taktikhandbuch gegen uns verwendet wurde.“
Die Stimme kannte er nicht, konnte sie dennoch einer Frau zuordnen, die sich schon reichlich mit ihrer Meinung über ihn zu Wort gemeldet hatte. So hatte er es zumindest zu Ohren bekommen aus zweiter und sogar dritter Hand.
„Lieutenant Commander Pawlitschenko“, alle Anwesenden wirkten überrascht, dass er Lilja ansprach und nicht Huntress, die unverfroren dazwischen gequatscht hatte: „Sie und ihr Flügelmann befinden sich auf einer vorgeschobenen Patrouille. Sie treffen auf vier Bloodhawk, was werden die Akarii versuchen?“
Lilja war als er sie angesprochen hatte aus dem Stuhl hochgefedert und stand stramm wie ein Ladestock: „Die Akarii werden aggressiv angreifen, versuchen mich und meinen Flügelmann zu trennen und uns dann in Überzahl angreifen und versuchen auszuschalten.“
„Danke, Commander“, Jules entließ sie mit einem Nicken, „Lieutenant Commander Hauenberg, wie ist die Standartzusammenstellung eines Akariigeschwaders?“
Der Count erhob sich ebenfalls aber bei weiten nicht so zackig wie Liljas: „Im Regelfall ist es um einen Kern von zwei bis drei Bomberstaffeln gebildet, die von ein oder zwei Jagdbomberstaffeln unterstütz werden, eine Staffel Deltavögel und zwei Staffeln Bloodhawks und zwei Staffeln Reaper zur Aufklärung und für Jagdschutzaufgaben.“
Jules nickte auch dem Count zu: „Lieutenant Harris, welches sind die ersten drei Maxime des akariischen Fliegercorps?“
Chip Harris sprang auf wie Lilja: „Sir, die ersten drei Maxime des akariischen Fliegercorps lauten Teamwork, aggressives Vorgehen, punktuelle Überlegenheit suchen, Sir.“
„Danke Lieutenant, sie sind hier nicht vor einer Prüfungskommission“, damit hatte Jules die Lacher auf seiner Seite ohne dafür Harris runter zu machen.
Chip nahm wieder Platz und warf einen Blick in Richtung Girad: „Ich dachte bei dem hohen Besuch gebe ich mir besonders Mühe.“
„Keine Umstände meinetwegen“, antwortete Girad, „eifern sie einfach ihrem CAG nach und tun sie so als wäre ich gar nicht da.“
Jules nahm den Rat auch für sich einfach an und ignorierte den leisen Tadel: „Also, nach sieben Jahren Krieg kennen wir die Akarii ziemlich gut und sie alle können davon ausgehen, dass der Feind auch ganz gut über unsere Taktiken und Vorgehensweisen Bescheid weiß und das Dossier der Angry Angels dürfte nicht gerade klein sein.“
Nach diesem kleinen Vorspiel begann eine fast halbstündige Nachbesprechung, wo jeder noch so kleiner Fehler angesprochen und analysiert wurde.
Seine Offiziere begannen Jules Respekt zu erarbeiten, weder ließen sie sich bei der Besprechung von seinem Rang einschüchtern, sondern diskutierten im Zweifel gegen seine Kritik an aber kaum einer beharrte auf einem Standpunkt, weil er seiner war sondern nahmen die fachliche Kompetenz der Kameraden an und schließlich auch seine. Natürlich wurde ein gewisser Ideologischer Unterschied deutlich, den er so nicht durchgehen lassen wollte.
Allen voran Lilja und Meltdown vertraten die Ansicht, dass das Töten der Akarii im Zweifel ganz oben auf der Prioritätenliste zu stehen hat. Und damit standen sie nicht allein auf weiter Flur.
„Abschließend zur Nachbesprechung muss ich noch ein Fazit ziehen. In absehbarer Zeit werden zwangsläufig einige von Ihnen auf Kommandoposten vorrücken, wo sie die Prioritäten für ein Geschwader selbst festlegen können. Das gehört zu den Privilegien eines CAG. Die ranghöheren und erfahreneren von ihnen werde ich nicht mehr prägen können. Meine Vorgänger und die zurückliegenden Kriegsjahre haben das übernommen.
Daher werde ich ihnen jetzt demonstrieren, wie ein CAG seine Privilegien war nimmt.“
Jules versuchte seine Worte durch ein sorgenvolles Lächeln zu untermalen: „Bei einer Verteidigungsmission liegt unsere oberste Priorität in dem Schutz der Flotte, nicht im Nachjagen hinter Akarii. Nicht immer ist Angriff die beste Verteidigung. Und auch ein verzweifelter Versuch die Großkampfschiffe zu schützen ist wichtiger, als vierzig Akariimaschinen abzuschießen. Ist das angekommen?“
Die ‚Ja-Sirs‘ waren alles andere als entusiastisch.
Dies überging er mit dem Themenwechsel: „Kommen wir zum nächsten Auftrag unserer Einsatzgruppe.“
Jules hackte auf die Tastatur des Rednerpults ein: „Wir werden in knapp zwei Wochen nach Gamma Eridon aufbrechen und zwei leichte Träger der ersten Flotte ablösen. Wir werden dort Luftunterstützung für unser fünfte Armeecorps und die zweite Armee der Selbstverteidigungsstreitkräfte des Concordats von Peshten fliegen.“
Die Stimmung wurde nicht besser und dem CAG fiel auf, wie Girad ihn prüfend begutachtete.
„Herrschaften, mir ist der schlechte Ruf der Peshten genau so bekannt wie ihnen. Aber nach dem Weckbruch der Konföderation ist das Concordat unserer einziger interstellarer Verbündeter, der ernsthaft zu unseren Kriegsanstrengungen beitragen kann.“
Jules öffnete eine Sternenkarte von Gamma Eridon: „Wie sie sehen, ist unser Einsatzgebiet hart umkämpft. Die Akariische Raumflotte hält den zentralen Wurmlochknoten und ist mit zwei Heeresgruppen auf dem Planeten aktiv. Wir halten mit der Raumstation Fort Ranger ein außen gelegenes Wurmloch, in der Nähe des Asteroidengürtels.
Unsere Hauptaufgabe wird es sein, die Nachschubroute vom Fort zum Planeten zu sichern sowie nach Bedarf die Botentruppen mit Aufklärung und Luftangriffen zu unterstützen.
Das bedeutete, dass wir uns mit den Spezifikationen der akariischen Heeresluftwaffen und Luftabwehr vertraut machen müssen.
Mr. Grover, sie sind doch unser Wild-Weasel-Experte?“
„Das ist korrekt, gehe ich richtig davon aus, dass ich Informationsmaterial für die Staffeln zusammenstellen soll, CAG?“
„Richtig, Commander, sowie zwei Wild-Weasel-Übungen pro Staffel.“
„Wird erledigt, Sir.“
„Gut, dass wär es dann für heute. Das Kasino hat einige Kästen AFB* bereitgestellt, aber ich empfehle es in Maßen zu genießen, wegtreten.“
Seine Offiziere erhoben sich, einige jetzt wo die Muskeln abgekühlt waren recht steif.
„Eine Kleinigkeit noch, sie können sich schon mal seelisch darauf vorbereiten, dass ich in den nächsten zwei Wochen bei jeder Staffel mindestens eine Übung mitfliege, eher mehr.“
Die letzte Mitteilung sorgte nicht wirklich für Erheiterung.


Tief im Bauch der Columbia betrachtete Mike Ramius die eng zusammen stehenden Maschinen der Roten Staffel. Er war früh zum Senior Chief Petty Officer befördert worden und hatte eigentlich viel zu Jung die Leitung eines Staffelwartungsteams übernommen. Seitdem saß er gerade wegen seiner guten Leistungen auf diesem Posten fest, was unter Harvey Jones nicht gerade ein Vergnügen gewesen war. Gut, dieser hatte sich aber für seine Unzulänglichkeiten in Verwaltung auf andere Art und Weise erkenntlich gezeigt. Mantis hatte ihm freie Hand gelassen. Lone Wolf Cunningham war eine harte Umgewöhnung, ihm hatte Ramius persönlich Bericht erstatten müssen und schon kleine Fehler hatten ernste Konsequenzen nach sich gezogen.
Nach diesem auf und ab begrüßte er die neue Regelung. Der CAG hatte sich fast dafür entschuldigt, dass er eine enge Zusammenarbeit leider nicht leisten konnte und dann auf Kali verwiesen, die faktisch die Red Sun Spirit befehligte. Und mit Kali hatte er endlich einen Vorgesetzten, zu dem er mit Problemen hingehen konnte, ohne dass ihm der Kopf abgerissen wurde und der selbst nicht nur kompetent sondern auch fleißig war. Eine Kombination, die sich für Kali wohl nach der Maxime eines alten deutschen Generals** als nicht förderlich erweisen würde und sie auf ewig in irgendwelchen Stabsposten in zweiter Reihe festhalten würde.
Als Ramius so über Konsequenzen nachdachte fiel sein Blick auf den CAG-Bird der roten Staffel und in seinem Magen bildete sich ein bleierner Klumpen. Was er sah, würde für irgendwen ernste Konsequenzen nach sich ziehen. Hoffentlich war das keiner von seinen Leuten gewesen.



*AFB: After-Flight-Bier, früher arg verpönt und auf Kriegsschiffen illegal.

**Kurt von Hammerstein-Equord:

„Ich unterscheide vier Arten. Es gibt kluge, fleißige, dumme und faule Offiziere. Meist treffen zwei Eigenschaften zusammen. Die einen sind klug und fleißig, die müssen in den Generalstab. Die nächsten sind dumm und faul; sie machen in jeder Armee 90 % aus und sind für Routineaufgaben geeignet. Wer klug ist und gleichzeitig faul, qualifiziert sich für die höchsten Führungsaufgaben, denn er bringt die geistige Klarheit und die Nervenstärke für schwere Entscheidungen mit. Hüten muss man sich vor dem, der gleichzeitig dumm und fleißig ist; dem darf man keine Verantwortung übertragen, denn er wird immer nur Unheil anrichten.“
29.11.2015 14:42 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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„Schon der Gruß eines Peshten ist eine Lüge.“
Akarii-Sprichwort

„Wenn Du mit einem Peshten verhandelst, behalte eine Hand an der Waffe, die andere auf der Geldbörse und den Rücken an der Wand.“
ein menschlicher Händler.

„Vor dreihundert Jahren waren die Peshten in der Lage Raumstationen zu bauen, von denen unsere Ingenieure noch lange träumen werden, und doch ist von ihnen nur ihr schlechter Ruf bekannt.“
terranischer Ingenieur-Offizier.

„Politischer Mord ist nur eine von vielen natürlichen Todesursachen bei den Peshten.“
Prinz-Admiral Kossak Thelam

„Wir waren eine große Nation, eine große Kultur! Und heute, besuchen Sie das Concordat von Peschten, geöffnet von neun bis fünf – Terra-Normzeit!“
peshtianischer Diplomat.

„Den größten Gefallen, den wir den einfachen Leuten hier tun könnten, wäre sie der Gnade der Akarii ausliefern.“
Jules Stafford, in naher Zukunft.

***************

TRS COLUMBIA

Lieutenant Commander Ross warf einen Blick in die Runde und unterdrückte ein verärgertes Augenrollen. Er hatte keine Hemmung, vor Publikum zu sprechen – aber er hielt so etwas für Zeitverschwendung. Und wenn er in die Gesichter der versammelten Piloten sah, dann waren etliche offenbar ähnlicher Ansicht. Außerdem würde er dieses Theater noch mindestens einma wiederholen müssen, da der Dienstbetrieb natürlich nicht von so etwas Unbedeutendem unterbrochen werden durfte, wie einem Informationsvortrag zu der Zivilisation, in deren Kämpfe die Angry Angels eingreifen sollten..
‚Warum nicht einfach ein verdammtes Memo an die Staffelführer schicken? Möglichst mit vielen bunten Bildern und einem Preisquiz am Ende.‘ Aber das war unfair – zumindest ein Drittel der Versammelten war auch geistig präsent. Und die meisten der anwesenden Staffelchefs und der Geschwaderkommandeur zeigten sogar echtes Interesse.

„Das Peshten-Concordat zählt zu den kleineren raumfahrenden Nationen, auch wenn seine Handels- und Wirtschaftskraft beträchtlich ist. Es besteht aus 18 Systemen mit 24 bewohnbaren Planeten und drei weiteren Systemen mit, in denen die Peshten große Raumhabitate errichtet haben.“
Ein automatischer Holoprojektor untermalte Ross Worte, indem er eine strategische Karte des Weltalls in den Versammlungsraum projizierte, begleitet von ein paar kurzen Impressionsbildern aus einzelnen Sternensystemen. Der Anblick eines gigantischen, kugelförmigen Peshten-Wektraumhabitat veranlasste ein paar Piloten zu einem anerkennenden Pfiff und Lieutenant Cartmell zu einem: „Das Ding kann doch wohl nicht echt sein, oder?“
Ace drehte sich zu seinem Freund um: „Oh doch, die sind echt. Ich habe erst einmal so eine Station aus nächster Nähe gesehen, aber im Vergleich dazu ist Fort Lexington ein Zwerg. Weder wir noch die Akarii können so etwas Großes bauen.“ Fort Lexikon war ein zwölf hoher und breiter und etwa zwanzig Kilometer langer Asteroid, der, in eine gigantische Kampfstation umgebaut, in der Erdumlaufbahn schwebte.
„Die Peshten inzwischen auch nicht mehr.“ spottete Huntress etwas abfällig, „Sonst bräuchten sie wohl kaum unsere Hilfe.“
„Aber die ist so groß. Und auch noch grün!“
„Ein echter Weltraum-Hulk.“ spottete Bobcat, die damit ein paar Lacher kassierte. Allerdings war Cartmells Behauptung nur teilweise wahr. In der Nähe des Äquators zum Beispiel wurde die grüne Färbung durch einen etwa einen Quadratkilometer großen Kollektor unterbrochen.

Ace fasste Cartmells und Bobcats Äußerungen offenbar als Aufforderung zu einigen Erläuterungen auf: „Die Habitate werden durch mehrere Hüllen geschützt. Ganz außen liegt eine doppelwandige Schicht, die zum Weltall hin durchsichtig ist. Die Peshten züchten dort eine Algenart, die sie speziell für diesen Zweck designt haben. Sie schützt vor Strahlung – ich glaube sogar, dass die Weltallstrahlung das Wachstum beschleunigt - verwandelt Kohlendioxid in Sauerstoff und recycelt zudem einen Teil des Wassers und…andere Abfälle. Die Habitate sind quasi autark. Sie haben mehrere Millionen Einwohner, produzieren ihre eigene Nahrung, Sauerstoff, Wasser - Alles. Förderstationen im Astertoidengürtel und im Orbit der Gasplaneten liefern Rohstoffe.
Die Energie der Stationen kommt aus Fusionsreaktoren, vor allem aber von der lokalen Sonne, in deren Orbit riesige Kollektoren-Stationen positioniert sind, die das Licht auffangen, bündeln und als Richtstrahl zur Station schicken.“ Ace lächelte flüchtig und sah auf einmal erstaunlich jung aus: „Die Sonnenkollektoren…sie sehen aus wie gigantische Silberblumen, die im All treiben. Ich würde gerne mal einen Vorbeiflug in einem Jäger machen…“

Aber seine nostalgischen Gefühle wurden nur von wenigen geteilt. Lilja schien sich für etwas ganz anderes zu interessieren: „Heißt das, die Peshten haben eine Batterie Superlaser in diesen Systemen?“
„Das sind keine Gefechtslaser. Es dauert viel zu lange, um sie auszurichten und sie können kein schnell bewegliches Ziel verfolgen – und die Akarii werden wohl kaum stillhalten, bis ihre Schilde verdampft sind. Ich habe gehört, dass die Peshten die Sonnenlaser bereits mit Erfolg zur Asteroidenabwehr eingesetzt haben. Aber Asteroiden haben keine Manöverdüsen.“
Ross hielt die Zeit für gekommen, einzugreifen: „Ihre…Fachkenntnisse in allen Ehren, Davis, aber wie wäre es wenn Sie erst mal zuhören, bevor Sie mit Ihren Anekdoten glänzen?“ Sein Verhältnis zu dem blauhaarigen Piloten war nie spannungsfrei gewesen.
„Die Habitate sind jedenfalls keineswegs wehrlos. Ursprünglich nur mit einigen Laserbatterien und Magnetkanonen zur Asteroidenabwehr ausgestattet, verfügen sie heute über eine Feuerkraft, die der einer kompletten Angriffsflotte entspricht. Dazu kommen mehrere Geschwader Jäger, Bomber, Patrouille-Shuttles und überlappende Energieschilde, die stärker sind als die eines Uniform-Trägers.
Neben ihren großen Habitaten sind die Peshten zudem bekannt für den umfassenden Einsatz von Weltraumliften. Jeder bewohnte Planet hat einen, einige zwei, was den Transport von Material in den Orbit extrem erleichtert und verbilligt.“

Das Befördern von Großlasten in den Orbit mithilfe von bis in den Weltraum reichenden, auf Nanotech basierenden Kabeln war ein Lieblingsprojekt zahlloser Science Fiction-Propheten aus der Frühzeit der Weltraumforschung gewesen. Auf der Erde hatten die hohen Kosten und notwendigen politischen Konstellationen eines derartigen Konstruktes und dann die rasanten Fortschritte in der Shuttle- und Raumschifftechnologie den Bau eines Weltraumliftes verhindert, aber immer noch gab es in der Republik Stimmen, die den Einsatz dieser Technik propagierten. Die in den letzten Jahrzehnten immer wichtiger werdenden Sicherheitsbedenken, der Kalte Krieg mit den Akarii und dann der Beginn des ‚Heißen‘ Krieges aber hatten dafür gesorgt, dass den Plänen wenige Taten folgten.

„Die dominante Spezies des Concordats sind die Peshten, die über 90 Prozent der Bevölkerung stellen.“
Jetzt zeigte der Holoprojektor mehrere Humanoide mit grauer bis dunkelbrauner, schwarzgeäderter Haut. Sie waren etwas kleiner und schlanker gebaut als Menschen.
„Lassen Sie sich von der Statur nicht täuschen, Peshten sind erstaunlich kräftig und reaktionsschneller als ein durchschnittlicher Mensch.“
Die Alien wirkten nur auf den ersten Blick relativ menschlich. Sie waren haarlos und hatten jeweils vier statt fünf flexible Zehen und Finger an Beinen und Armen: „Für den Fall, dass Sie sich das fragen, Nicht-Peshten fällt es sehr schwer, zwischen männlichen und weiblichen Peshten zu unterscheiden. Im Gegensatz zu Akarii, T’rr und Menschen sind Peshten-Frauen übrigens etwas größer und kräftiger als Männer.
Nach einigen Thesen hängt das damit zusammen, dass die weiblichen Peshten früher die Kinder und Vorräte beschützten, während die Männer das Sammeln, Jagen und Erkunden übernahmen.“
„Das ist so nicht ganz richtig.“ Schaltete sich überraschend Stafford ein, der bisher schweigend zugehört hatte. „Jedenfalls wird das jeder sagen, der sich schon mal mit ein paar Peshten geprügelt hat. Die Frauen sind diejenigen, die einem die Knochen brechen, während die Männer von den Flanken angreifen. Ich glaube, das hängt mit ihren früheren Jagdtaktiken zusammen. Ich habe gehört, dass die Peshten so auch gerne ihre Jäger und Kriegsschiffe einsetzen.“
„Klassische Cannae-Taktik.“ warf Knight, ein. „Und was Prügeleien mit den Peshten angeht…“
Lilja räusperte sich und schaffte es, diesen Laut gleichzeitig abfällig und leicht bedrohlich klingen zu lassen, während ihr Blick ihren Untergebenen beinahe aufspießte: „Wenn sich irgendjemand mit den Peshten prügeln sollte, werden DIE sein geringstes Problem sein.
Ich nehme an, dass ist in Ihrem Sinn…Sir.“ Das ging an Stafford und klang fast herausfordernd.
Der Geschwaderchef grinste flüchtig: „Ich bewundere Ihre diplomatische Ader, Pawlitschenko.“

Ross nickte Lilja knapp zu, denn er erkannte eine verwandte Seele: „Zurück zum Thema. Hände und Füße der Peshten sind sehr gelenkig und können auf eine Art Weise gebogen werden, die einem Menschen unmöglich ist. Nicht, dass sie das in einem Zweikampf oder…anderen Kontaktaktivitäten austesten sollten.“ Das brachte ihm ein paar Lacher ein: „Außerdem sollten sie beim Landgang auf ihre Taschen achten. Die Peshten sind nicht unehrlicher als andere Völker…“
„Und besser als die Akarii und eine Menge Menschen, vermute ich mal.“ bemerkte Lilja bissig.
„…aber diejenigen, die sich auf Diebstahl verlegt haben, sind GUT. Was Klettern, Feinmechanik und Kunsthandwerk angeht, gelten die Peshten vielfach als unübertroffen.“ Ross neigte nicht zu der Xenophilie mancher Spinner, die jede fremde Zivilisation bis zum Gegenbeweis für überlegen und bewundernswert hielten. Aber die gängigen Klischees über die Peshten wiederaufzuwärmen, wäre kontraproduktiv gewesen.

Die Köpfe der Peshten, die nach oben deutlich breiter wurden, dominierten eine hohe, leicht vorgewölbte Stirn und eine vorspringende Mundpartie. Das Gebiss wirkte – trotz der scharfen Vorderzähne – ‚menschlicher‘ als bei den Akarii und den T’rr. Statt einer Nase hatten die Peshten vier durch Hautlappen geschützte Atem- und Riechöffnungen. Auffällig waren zudem die vier seitlich rechts und links am Hals befindlichen Atemschlitze. Am ungewöhnlichsten waren allerdings die Augen der Peshten, denn sie hatten nicht etwa zwei Augen, wie bei Akarii, T’rr, Menschen und vielen anderen Lebewesen üblich - sondern drei.

„Die beiden seitlich am Kopf sitzenden ‚Hauptaugen‘ geben den Peshten eine sehr gute Rundumsicht, während das dritte, deutlich kleinere und auf der Stirn befindliche Auge in Kombination mit dem rechten beziehungsweise linken Auge für die räumliche ‚Scharfeinstellung‘ verantwortlich ist. Die Ohren sitzen, wie Sie sehen, hinter den Augen ziemlich weit hinten am Kopf. Sie sind eingeschränkt flexibel, was eine Fokussierung des Gehörs ermöglicht. Wundern Sie sich nicht, wenn ein Peshten während eines Gespräches den Kopf zur Seite dreht. Das zeigt, dass er genauer hinhören will.
Versuchen Sie niemals, einen Peshten zu überraschen. Ihre sehr gut entwickelten Sinne - Sicht, Geruchsinn und Gehör - in Kombination mit ihren schnellen Reflexen machen das zu einem fruchtlosen Unterfangen.
Aber egal was Sie vielleicht gehört haben – drei Augen hin oder her – die Peshten können NICHT Gedanken lesen.“ Das war ein weiteres Klischee, das nicht unbedingt dem Ansehen der Peshten gut getan hatte, zumal er meist mit dem Vorwurf einherging, diese angebliche Fähigkeit für unredliche Zwecke zu nutzen.

„Die innere Körpertemperatur liegt infolge des schnellen Stoffwechsels deutlich über der von Menschen, auch wenn ihre sehr gut isolierte Haut sich kühl anfühlt. Überflüssige Wärme wird durch beschleunigte Atmung abgegeben, wozu auch die Atemschlitze am Hals genutzt werden. So erkennen Sie, ob ihr Gegenüber nervös ist. Die Stimmen der Peshten klingen schnell und oft recht emotional, aber Sie werden sich daran gewöhnen.“
Der Lautsprecher des Holoprojektors spuckte eine schnelle Tonfolge eigenartig pfeifender und dennoch melodiöser Worte aus.
„Übrigens können in den Streitkräften viele zumindest rudimentär Englisch.
Noch etwas. Die Peshten mögen schneller als Menschen sein, aber das hat seinen biologischen Preis. Ihre durchschnittliche Lebenserwartung liegt mit etwa 60 Erdenjahren deutlich unter der der Menschen. Diese Zeitspanne kann durch Gen-Technik etwas verlängert werden – ein Gebiet, in dem die Peshten das Niveau der Menschen und Akarii erreicht oder gar übertroffen haben - aber nur begrenzt.
Allerdings werden sie auch schneller erwachsen. Es ist völlig normal, dass Peshten sich mit zehn bis zwölf Jahren bei den Streitkräften oder in anderen Berufen einschreiben. Und glauben Sie nicht, dass sie es in so einem Fall mit Halbwüchsigen zu tun haben - mal ganz abgesehen davon, dass der durchschnittliche IQ der Peshten ohnehin über unserem Durschnitt liegt. Also machen Sie uns keine Schande.“

Einige weitere Details ließ Ross erst einmal aus, auch wenn sie in dem Papier standen, das er erhalten hatte. Er hielt es für ziemlich irrelevant, dass die Peshten sich aus halbamphibisch lebenden Rudeltieren entwickelt hatten, die die ausgedehnten tropischen und subtropischen Archipele ihres Heimatplaneten besiedelten. Ebenso unwichtig war in seinen Augen die Tatsache, dass sie Allesfresser waren, bei denen tierische (und vor allem aquatische) Nahrung einen zentralen Bestandteil des Speiseplans ausmachte.
Gleichfalls belanglos war wohl, dass die Peshten lebendgebärend waren. Und dass die Embryos in bis zu vier flexiblen Eiern heranreiften, noch im Mutterleib schlüpften und aufgrund des häufigen embryonalen Kannibalismus meist nur ein Kind geboren wurde...
‚Es gibt auch ein Zuviel an Informationen. Wenn das jemanden interessiert, soll er sich selber informieren. Und ich mache hier keine verschissene Biologiestunde, um Ressentiments zu schüren.‘ Ross war Pragmatiker. Es war ihm egal, dass die bei den Peshten seltenen Zwillings- bis Vierlingsgeburten früher teilweise als Unglück galten, was in einigen Peshten-Kulturen im Aussetzen oder gar Kindstötungen resultiert hatte. Außerdem war dieser Brauch schon seit Jahrhunderten aus der Mode gekommen und heute verboten. Allerdings waren gewisse Vorurteile und entsprechende Anspielungen und Beleidigungen immer noch verbreitet, obwohl einige Peshten-Religionen Mehrlingsgeburten sogar als Glücksfall und Gnade der Götter priesen.

„Neben den Peshten lebt auch eine nennenswerte Anzahl T’rr, Menschen sowie Mitglieder anderer Alien-Rassen im Concordat. Sie haben kein Wahl- aber fast alle übrigen Bürgerrechte. Sowohl die T’rr als auch menschliche Söldner sind in den Peshten-Streitkräften mit mehreren zehntausend Personen vertreten, sowohl in separaten Einheiten, als auch als Teil multirassischer Crews und Verbände. Dazu kommen die Berater, die die TSN stellt.“
Huntress lachte spöttisch: „Wir sind also die Söldner, die das Ewige Rom vor dem Ansturm der Barbaren beschützen sollen.“
Im Gegensatz zu Ross, Kano, Lilja und einigen anderen militärgeschichtlich interessierten Anwesenden verstanden die meisten der Piloten diese Anspielung nicht.
Ross schnaubte abfällig – er hielt sich für ziemlich immun gegen den Charme der Pilotin. Allerdings war er in Bezug auf sein Privatleben derart zurückhaltend, dass angeblich ein unbekanntes Besatzungsmitglied der COLUMBIA einen Preis für denjenigen ausgelobt hatte, der eindeutige Beweise dafür lieferte, dass Ross hetero, schwul – oder doch eine Maschine war.
„Ich bewundere Ihre klassische Bildung, Lieutenant Agyris. Wenn ich nun fortfahren dürfte – diesmal ohne Unterbrechung…
Die Peshten hatten schon lange vor den Menschen Kontakt mit den Akarii. Vermutlich hatten sie anfangs einfach Glück, dass das Imperium zu diesem Zeitpunkt an einer Offensive in diesem Raumsektor nicht interessiert war. Einige sehr vorteilhafte Handelsverträge könnten ebenfalls dazu beigetragen haben, auch wenn das wohl eher kaum kaschierte Tributzahlungen waren. Oder vielmehr Bestechungen an bestimmte Gruppierungen im Akarii-Imperium.“
„Erbärmlich.“ Lilja machte aus ihrer Verachtung wenig Hehl: „Und außerdem dumm. Haben sie im Ernst geglaubt, auf Dauer so überleben zu können?“
„Bei den damaligen Kräfteverhalten hätten andere Lösungsversuche – etwa eine massive Flottenaufrüstung – noch viel weniger Aussicht auf Erfolg gehabt. Und hätten vermutlich zu einer Katastrophe geführt. Vergessen Sie nicht, dass etliche Sektoren der Akarii mehr bewohnte Planeten haben, als das gesamte Concordat. Wenn vielleicht auch nicht dieselbe Wirtschaftskraft.
30 Jahre vor dem Krieg haben sich die Peshten weitestgehend selbst demilitarisiert, um von den Akarii nicht als Bedrohung angesehen zu werden. Wir wissen nicht genau, ob das eine politische Entscheidung war, teilweise auch wirtschaftliche Gründe hatte, oder das Imperium Druck ausgeübt hat. Jedenfalls hat das erst einmal dazu geführt, dass sich die Akarii um aggressivere Konkurrenten kümmerten.
Als sich das Imperium dann wieder den Peshten zuwandte, hatten diese bereits umfassende diplomatische und wirtschaftliche Kontakte zur Republik geknüpft. Also versuchten auch die Akarii, die Situation erst einmal durch eine Intensivierung der bis dahin bestenfalls sporadischen diplomatischen Kontakte genauer auszuloten.
Offenbar war der Peshten-Führung schon frühzeitig klargeworden, dass es letztendlich zu einem Krieg zwischen den Menschen und Akarii kommen würde…“

„Dann hätten wir vielleicht lieber einen von denen zum Präsidenten wählen sollen!“ kam es von hinten, was spöttisches Gelächter auslöste.
„Das wäre angesichts der politischen Verhältnisse bei den Peshten wohl kaum eine gute Idee gewesen.“ bemerkte Stafford knapp, der offenbar im Gegensatz zu seinen Untergebenen über die politischen Ereignisse im Peshten-Raum Bescheid wusste.

„In der Tat. Das Peshten-Concordat kann sowohl auf planetarer als auch interplanetarer Eben kaum als stabil bezeichnet werden. Die damalige Opposition kam offensichtlich zu dem Schluss, dass es doch viel besser sei, auf Seiten der siegreichen Akarii zu stehen. Es erfolgte ein Putsch, der die damalige Regierung komplett ausradierte. Allerdings kam bei den Kämpfen auch ein Akarii-Offizier ums Leben, der zu Staatsbesuch war. Dieser Offizier hieß Kossek Thelam. Er war der jüngere Bruder von Imperator Eliak und Vater von Karrek Thelam, einem der momentanen Thronanwärter.“
„Das nenne ich einen verdammt guten Anfang.“ warf Lilja ein.
„Nur, wenn die Peshten alle Brücken hinter sich verbrennen und genau die Entscheidung erzwingen wollten, die sie seit ihrem ersten Kontakt mit den Akarii zu verhindern versucht hatten. Obwohl die Akarii-Politik manchmal sehr…pragmatisch ist, eine derartige Beleidigung konnte das Imperium nicht hinnehmen. Selbst wenn es das gewollt hätte. Und zudem gab es offenbar eine wachsende Zahl Akarii-Militärs, die nur auf eine solche Gelegenheit warteten.
Die imperiale Marine und Armee zogen ein halbes Dutzend Trägerkampfgruppen und mehrere Armeekorps zusammen, was allerdings durch Konflikte an anderen Fronten, Polizeiaufgaben und die Abstellung von Verbänden für die Grenze zur Republik und Konföderation verzögert und behindert wurde.
Die erfolgreichen Peshten-Putschisten wandten sich mit einem Hilfegesuch an die FRT. Angesichts der strategischen Bedeutung des Concordats und gab die Republik eine Beistandserklärung ab.“

Das war eine etwas geschönte Darstellung der Situation. Tatsächlich hatte auch der damals gerade in der Republik laufende Wahlkampf um das Präsidentenamt eine Rolle gespielt. Ross hatte zudem Gerüchte gehört, dass Teile des Militärs und Geheimdienstes eine höchst undurchsichtige Rolle gespielt hatten. Angebliche gab es in diesen Kreisen schon damals eine recht starke Fraktion, die auf einen Casus Belli mit dem Imperium spekulierte.

„Die TSN machte mobil und stand drei Monate in voller Gefechtsstärke den Akarii gegenüber. Die Peshten-Krise war die größte – und letzte – Konfrontation zwischen den Menschen und Akarii vor dem Kriegsausbruch, die unblutig beigelegt wurde.“

Insgeheim hatte sich Ross schon einmal gefragt, ob dieser ‚verschobene Krieg‘ nicht endgültig die Weichen für den Angriff des Imperiums gestellt hatte. Und für den anfänglich katastrophalen Verlauf des Krieges. Die TSN hatte sich in dem Irrglauben gewiegt, die Akarii niedergestarrt zu haben. Und das Unheil nahm seinen Lauf…

„Die Peshten machten sich allerdings offenbar keine Illusionen, dass die Akarii vergessen würden. Armee und Flotte wurden umgehend wieder aufgestockt – und das in einem wahrhaft atemberaubenden Tempo. Auch aufgrund gewisser…Säuberungen im Verlauf der Abrüstung, während und nach dem Putsch sowie nach dem politischen Umschwenken zur Republik bestanden Generalstab und Admiralität nun fast ausschließlich aus subalternen Offizieren oder Neuabgängern der Akademien.“

„Das sollte dir doch bekannt vorkommen, Lilja.“ stichelte Huntress: „Das klingt so…russisch.“
„Wir haben trotzdem die Faschisten zur Hölle geschickt, Lieutenant.“ war die unterkühlte Antwort.

„Die Organisation von Flotte und Heer wurde der Republik angeglichen, auch weil viele leichtere Einheiten der Flotte - Korvetten, Fregatten und Zerstörer – modernisierte terranische Baumuster sind oder auf ihnen basieren. Schwerere Einheiten werden selbst hergestellt und stehen fast auf gleicher Stufe mit modernen Ticonderoga-Kreuzern, die meisten sind weniger als zehn Jahre alt. Schlechter sieht es bei der Trägerwaffe aus. Die Peshten haben zwar ein relativ starkes Fliegerkorps, aber das ist überwiegend boden- und stationengestützt. An Trägerschiffen besitzen sie vor allem eine Reihe umgebauter Frachter mit ein bis anderthalb Staffeln Jägern und Jagdbombern, die vor allem für Patrouilleaufgaben und den Konvoischutz genutzt werden. Dazu kommt eine kleine Anzahl umgebauter Nassau-Truppentransporter, die jeweils drei Staffeln Jäger und Jagdbomber verfügen und im Gegensatz zu den leichteren Hilfsträgern auch eine relativ gute Bewaffnung und Panzerung haben.“

Ross räusperte sich kurz. Er näherte sich langsam einem etwas…heiklen Punkt. Doch bevor er dazu kam…: „Noch einige Informationen, die für Sie von Interesse sein könnten und ihnen helfen werden, in Gesprächen Fauxpas zu vermeiden. Die Familienstrukturen der Peshten unterscheiden sich von denen der Menschen und Akarii. So kennen sie beispielsweise keine Ehe – es ist völlig normal, dass die Kinder derselben Mutter von verschiedenen Vätern sind. Entscheidend für die Abstammung ist die Mutter, ansonsten herrscht aber weitestgehend Gleichberechtigung.
Die wichtigste soziale Struktur sind die sogenannten Pashat, was man vielleicht am besten mit ‚Gemeinschaft‘ oder ‚Clan‘ übersetzen kann. Diese können von einigen wenigen hundert bis mehreren tausend oder zehntausend Individuen umfassen, auch wenn in diesen Fällen wiederum Untereinheiten existieren. Die Zugehörigkeit wird üblicherweise durch Herkunft und/oder Verwandtschaft bestimmt, wobei allerdings auch die in einem Clan üblicherweise gleiche Religion eine wichtige Rolle spielt – übrigens auch als Motiv für Neuzugänge oder Austritte. Dementsprechend setzen sich die Peshten-Namen üblicherweise aus Eigen-, Mutter- und Clan-Namen zusammen.
Da wir schon beim Glauben sind…Wie schon der Name Peshten-Concordat verdeutlicht – natürlich eine Übersetzung – spielt Religion eine wichtige Rolle. Die Peshten haben eine Vielzahl anerkannter Kulte, auch wenn innerhalb der einzelnen Clans abweichende Glaubensvorstellungen üblicherweise nicht gerne gesehen werden, was oft ein Grund für Wechsel oder Neugründungen von Clans sind.
Die meisten Religionen sind polytheistisch zu nennen, und üblicherweise nicht gewaltsam. Zumindest wenn man sie mit vielen irdischen Religionen vergleicht.“ fügte Ross bissig hinzu, dessen Verhältnis zum Glauben und seinen Vertretern nicht immer spannungsfrei war.
„Viele Religionen sind von einem Ahnenkult geprägt, was teilweise so weit geht, dass besonders angesehene Mitglieder mumifiziert oder kryogenisiert werden.“

„Ziemlich barbarisch.“ äußerte Bobcat.
Ross zuckte knapp mit den Schultern: „Als Mitglieder einer Rasse, deren populärste Glaubensrichtungen teilweise immer noch irgendwelche Körperteile anbeten, die angeblich historisch nicht nachweisbaren Heiligen gehört haben, sollten wir vielleicht etwas weniger von Oben herab urteilen. Ich weiß auch nicht, ob bei den Peshten – nur als Beispiel – die Frage, ob zu den Gottesdienten Wein UND Brot gereicht werden darf, Anlass für Massaker und Kriege war.
Auf jeden Fall gibt es auch Religionen, die sich da um einen wesentlich…moderneren Ansatz bemühen. Beispielsweise gibt es bei einigen…nun, das sind wohl eher Kulte… das Bestreben, das Wissen und – irgendwann – auch das Wesen von Mitgliedern auf elektronischem Weg zu bewahren. Basierend auf dem Wissen und den Aufzeichnungen der Mitglieder versucht man KIs zu schaffen, die als Bewahrer der Erinnerung fungieren sollen.“
Diesmal gab es keine abfälligen Bemerkungen. Die Idee, irgendwann den ‚Geist‘ eines Menschen in des Cybernetz ‚hochladen‘ zu können, war auch in der Republik ein populäres, wenn auch kontrovers beurteiltes Projekt. Und auch in der Republik gab es einige ähnliche Glaubensrichtung unterschiedlicher Popularität, die man als Singularismus bezeichnete.

„Andere Religionen basieren auf dem Glauben an die Reinkarnation besonders verdienter Ahnen. Und eine weitere – allerdings zeitweilig heftig umstrittene – huldigt der Vorstellung, dass die Peshten die ausgesetzten oder verstoßenen ‚Kinder‘ allmächtiger Wesenheiten sind, die einst die Galaxis beherrschten.“

Das provozierte schon eher Heiterkeit und ein paar launige Bemerkungen – allerdings auch eine etwas überraschende Reaktion. Ross registrierte, dass er bei Lieutenant Commander Pawlitschenko und Davis offenbar einen Nerv getroffen hatte. Beide zuckten zusammen, wechselten einen irgendwie betroffenen Blick und schauten dann bemüht in entgegengesetzte Richtungen. ‚Merkwürdig.‘ Ross fiel ein, dass es unter anderem diese beiden Piloten gewesen waren, die er – mit einer eher vagen Begründung - für diesen merkwürdigen Sicherheitsdienst/Geheimdienst-Offizier, der Ace und Lilja für eine ziemlich fragwürdige Geheimoperation rekrutiert hatte, im Auge hatte behalten sollen. Aber das musste warten.

„…die Religionsgemeinschaften der Peshten übernehmen viele soziale Aufgaben. Das Verhältnis mit den Staatsorganen ist durch eine Reihe Verträge gesichert. Den Namen ‚Concordat‘ – beziehungsweise das Peshten-Äquivalent dieses Wortes – geht auf die Tatsache zurück, dass die Autonomiebestrebungen der ersten Peshten-Kolonien auch eine stark religiöse Konnotation hatten. Es kam zu bewaffneten Zusammenstößen, den sogenannten ‚Sternenkriegen‘, aber Verhandlungen und Verträge sorgten für eine Beruhigung der Lage und leiteten die Goldene Ära der Peshten-Expansion ein.
Zeigen Sie also Respekt gegenüber den Bräuchen und Glaubensvorstellungen der Peshten, auch wenn sie Ihnen vielleicht teilweise merkwürdig vorkommen mögen. Denken Sie daran, wie einige irdische Kulte in ihren Augen wirken dürften.
Eine umfangreichere Liste der einzelnen Kulte und größten Religionsgemeinschaften finden Sie in Ihren Unterlagen.“

Wieder räusperte sich Ross kurz. Er hatte das lange genug hinausgezögert. Zeit, den…etwas komplizierteren Teil in Angriff zu nehmen: „Wie ich schon sagte sind die Peshten großartige Baumeister, Erfinder und Ingenieure. Ihre Weltraumhabitate, die Jahrhunderte alt sind, können weder von Menschen noch Akarii nachgebaut werden. Kunst, Philosophie und Wissenschaft stehen auf einem ähnlich hohen Niveau, ebenso wie das politische System, das jedem Bürger umfassende Rechte und Freiheiten gewährt.“
Das war ziemlich geschönt, auch wenn die Verfassung der Peshten tatsächlich – zumindest auf dem Papier - die FRT wie einen totalitären Überwachungsstaat aussehen ließ.
„Ich dachte, die Peshten werden durch eine Putschistenkamarilla regiert?!“ schaltete sich Huntress spöttisch ein.
„Und die Prätorianer oder Republikanischen Garden – oder wie die uniformierten Leibwächter des Oberputschisten heißen – sind fast ausschließlich Menschen, T’rr und andere Aliens.“ sekundierte Marat.

Ross wünschte sich insgeheim, dass einige Piloten der Angry Angels weniger aufmerksam wären – und weniger vorlaut. Zum Glück gab es auch genug Piloten, die das Auge für das wesentliche hatten: „Es ist doch egal ob ein Präsident, General, Diktator oder von mir aus auch Gottkaiser die Peshten regiert. Hauptsache, sie bringen Akarii um. Ihre Innenpolitik ist ihre Sache.“ warf Phoenix ein.
„Solange sich nicht die nächste Putschistenregierung dem Imperium an den Hals wirft, gebe ich dir Recht.“ Warf Lilja ein. „Wir hatten ja schon mal so was Ähnliches.“
Wahrscheinlich war das nicht in erster Linie als Spitze gegen den Geschwaderchef gemeint, doch der aus der Konföderation stammende Stafford fühlte sich dennoch bemüßigt, sich zu äußern: „Ich glaube, diesen Ausweg haben sich die Peshten verbaut, als sie diesen Akarii-Prinzling ermordet haben. Außerdem war die Konföderation für die Imperialen ein sehr viel besserer Fang. Und sie standen auch noch mit dem Rücken zur Wand und mussten schnell einen Waffenstillstand schließen, bevor die Vereinigten Flotten über Ilis Kampfgruppe hereinbrechen konnten, wie ein zusammengestürztes Gebäude.“

„Sie haben beide bis zu einem gewissen Grad Recht. Das dürfte auch einer der Gründe sein, warum die COLUMBIA-Kampfgruppe in das Concordat verlegt wird.“ Ross griff wieder den Faden auf: „Die Peshten stehen vor einer Reihe von ernsten inneren und äußeren Problemen, die Stabilisierungsmaßnahmen dringend notwendig machen. Neben dem militärischen und geheimdienstlichen Druck des Imperiums liegt das auch in der Gesellschaftsform der Peshten begründet. Diese ist sehr…leistungs- und konkurrenzorientiert. Putsche und ähnliche politische Intrigen waren auch schon in der Vergangenheit keine Seltenheit, und die Peshten-Gesellschaft ist sehr schnell bereit, einer erfolg- oder glücklosen Regierung das Vertrauen zu entziehen.
Die Bedrohung durch die Akarii und jetzt der Krieg haben das Concordat in den letzten Jahren vor ernsthaften internen Konflikten bewahrt, aber diese keineswegs beseitigt. Deshalb rate ich Ihnen allen eindringlich, sich in Bezug auf…politische Äußerungen sehr zurückzuhalten. Die TSN unterstützt die amtierende Regierung in ihrem Krieg gegen die imperialen Aggressoren. Innere Belange des Concordats haben uns weder zu interessieren, noch sollen sie gegenüber Bürgern und Bewohner des Concordats, Zivilisten der Republik, Vertretern der Presse oder Bürgern anderer Nationen diskutiert oder kommentiert werden.“
Clifford Davis runzelte etwas irritiert die Stirn: „Ich wusste nicht, dass es so schlimm ist. Das klingt ja wie eine direkte Dienstanweisung.“
Ross fixierte den blauhaarigen Piloten ausdruckslos: „Das ist es auch. Ernste Verstöße können disziplinarisch bestraft werden.“
Das Zünden dieser verbalen Sprengladung sorgte für Unruhe bei den Piloten. Einige nahmen die Anweisung ziemlich gleichmütig hin, andere hielten eindeutig wenig von einem derartigen Maulkorb-Gebot, und wieder andere waren zumindest über die Art und Weise pikiert. Der eine oder andere blickte zu Commander Stafford, aber der quittierte Ross‘ Ausführungen nur mit einem Schulterzucken und behielt seine Gedanken für sich. Natürlich hatte Ross ihn vorher informiert.

„Dies gilt natürlich auch für die Weitergabe des Inhalts dieser Anweisung.“ Ross wollte keine Unklarheiten lassen: „Haben Sie sonst noch Fragen?“
„Solange wir dafür nicht auch vergattert werden können…“ ätzte Cartmell bissig: „Wie wäre es mit noch ein paar Informationen zu den Peshten? Oder war ihr völkerkundlicher Vortrag nur die Verpackung für den Maulkorb?“
Ross fixierte den ehemaligen Sträfling kurz, schluckte aber die bissige Bemerkung hinunter, die ihm auf der Zunge lag: „Sie erhalten wie bereits angekündigt ein umfangreiches Dossier zur Geschichte, Kultur und den Streitkräften der Peshten.
Aber bevor ich sie dem Selbststudium überlasse, vielleicht noch ein paar weitere Hinweise…“
Ross verdrehte innerlich die Augen. ‚Ich klinge schon, wie ein verdammter Reiseführer.‘

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TRS COLUMBIA

Commander Decker beobachte mit Argusaugen, wie zwei Techs einen Arrow-Marschflugkörper an Kanos Nighthawk befestigten. Oder vielmehr einen Flugkörper der Maße, Gewicht und Elektronik eines Arrows besaß - aber keinen Sprengkopf. Diese von einigen Piloten respektlos ‚Darts‘ getauften Übungsraketen waren ein weiteres Mitbringsel Deckers. Die ‚echten‘ Arrows waren so knapp, dass der Commander sie erst für einen ‚echten‘ Einsatz freigeben würde. Decker war da ganz eindeutig gewesen.
Kano bedauerte das, denn in der Vergangenheit hatte es unliebsame Ereignisse mit ‚Wunderwaffen‘ der TSN gegeben. Aber er musste dankbar sein, dass die Butcher Bears wenigstens genug Zeit bekommen hatten, den Einsatz der Arrows im Simulator zu üben und jetzt mit den von Decker entworfenen ‚Darts‘ das Starten, Fliegen, Landen und sogar den Abschuss außerhalb des Simulators trainieren konnten. Das war mehr, als bei Einführung der Hydra-Werfer möglich gewesen war. ‚Allerdings hatten die Hydras auch keine Atomsprengköpfe…‘

Außerdem konnten die Techs der COLUMBIA so Erfahrung mit den Arrows sammeln, ohne gleich eine ‚scharfe‘ Waffe anzufassen. Das hatte jedenfalls Commander Stafford gemeint. Decker war nicht erbaut gewesen, die Techs an seine Spielzeuge zu lassen. Das kostete Zeit und war in seinen Augen ein Verstoß gegen die Geheimhaltung. Und das hatte er deutlich gemacht, ohne sich freilich durchzusetzen. Stafford hatte Deckers Kritik ungerührt zur Kenntnis genommen und ihm anheimgestellt, sich bei Admiral Girard zu beschweren. Was Decker zu tun versprochen hatte. Kano bezweifelte das insgeheim. Angeblich hatte Girard Decker bereits einmal sehr deutlich abblitzen lassen.
Stafford hatte zudem argumentiert, dass die neue Mission einen baldigen Feldeinsatz der Arrows wahrscheinlich machten und im Ernstfall vielleicht keine Zeit sein würde, die Handhabung der Arrows Deckers Team zu überlassen. Damit hatte er einen Stich gesetzt, denn Decker war anschließend auffallend ruhig gewesen. Zumindest für ein paar Minuten, bis das in seinen Augen zu langsame und ungeschickte Hantieren der Techs seinen Unwillen erregten.

Was den neuen Einsatz anging…im ganzen Geschwader kursierten die wildesten Gerüchte. Die Informationen waren etwas vage, aber Kano war froh, dass es wieder losging. Angesichts der neuen Offensive der Akarii hätte er sich geschämt, wenn ausgerechnet ein Elitegeschwader wie die Angry Angels in der Etappe verblieben wäre.
Außerdem hatte er egoistische Gründe, sich über den Marschbefehl zu freuen. Er wollte sich seinem neuen Rang als Lieutenant Commander als würdig erweisen. Er hatte den Rang zwar schneller erhalten als andere – Ace zum Beispiel – aber dennoch langsamer als etliche seiner Kameraden. Und wenn er in diesem Krieg noch sein eigenes Geschwader erhalten wollte – und diesen Ehrgeiz hatten selbst fünf Jahre Kampf und zahlreiche Verletzungen nicht auslöschen können – dann musste er sich im Einsatz bewähren. Zumal ihm die politischen Verbindungen und das Patronage-Netzwerk fehlten, denen andere ihr Vorrankommen verdankten.
‚Außerdem hätten wir mit einem neuen Einsatz rechnen müssen. Neue Piloten, viele Veteranen, Beförderungen, Auszeichnungen, neue Maschinen UND Waffen…
Die TSN hat nicht so viel in uns investiert, damit wir eine Routinemission übernehmen.‘ Anscheinend war der Ruf der Angry Angels immer noch etwas wert, trotz des mittelmäßigen Abschneidens gegen Admiral Taran.

Was allerdings die Animositäten zwischen Commander Decker und Stafford anging…
Kano war sich nicht sicher, ob die gegenseitige Abneigung verschiedenen Dienstauffassungen oder einfach zwei zu gut ausgebildeten Egos geschuldet war. Auf jeden Fall war das Hickhack eine lästige Zeitverschwendung, auch wenn einige Angry Angels wie Huntress, Marat und Bobcat die ‚Showeinlagen‘ amüsant fanden.
Er selber kam mit Decker zurecht. Der Mann war arrogant, ungeduldig und unsensibel – aber er verstand sein Fach und zeigte eine unermüdliche Energie. Gewiss, Decker betonte etwas oft, dass die Übungs-Arrows seine Erfindung waren – aber immerhin hatte er daran gedacht, dass die Piloten mit den neuen ‚Wunderwaffen‘ nicht nur in der Theorie und im Simulator üben wollten. Ein Feigling war er auch nicht. Abgesehen davon, dass er täglich mit Atomsprengköpfen hantierte, beschäftigte ihn die Nachricht, dass die COLUMBIA an die Front ging, nicht mehr als die letzten Sportergebnisse. Ja, Decker schien sich über den neuen Auftrag zu freuen, bot er doch möglicherweise die Chance, die Arrows im Einsatz gegen Raum- wie Bodenziele zu testen.

Stafford war scheinbar ein wesentlich unkomplizierterer Charakter als Decker, an dem sich freilich die Geister schieden. Kano wurde nicht ganz schlau aus ihm und begegnete dem Ex-Konföderierten mit einer Strategie, die ihm schon bei vielen Vorgesetzten geholfen hatte. Man versah seinen Dienst mit dem angemessenen Perfektionismus und ließ jeden eventuellen verbalen Ausbruch des Vorgesetzten an einer stoischen Maske kühler Pflichterfüllung abprallen. Selbst schwierige Persönlichkeiten wie Lone Wolf oder Miguel ‚Monty‘ Terrano verloren dann irgendwann die Lust.
Ob die Strategie auch bei Stafford greifen würde, blieb abzuwarten. Kano fand, dass der ‚Neue‘ zu leger auftrat und fragte sich kurz, ob der Geschwaderchef Kanos manchmal etwas übergenau wirkendes Auftreten als Kritik empfand. Neue Vorgesetzte waren manchmal ziemlich ichbezogen und witterten leicht einen persönlichen Tort. Angesichts dessen, wie Stafford allerdings mit dem ‚lustigen Willkommensgruß‘ einiger Piloten umgegangen war, waren solche Befürchtungen vermutlich unbegründet. ‚Ihm fehlt es vielleicht an Empathie und Korpsgeist, aber nicht an Selbstsicherheit.‘
Es hätte schlimmer kommen können. Ein von Minderwertigkeitsgefühlen geplagter Kommandeur, der sich um jeden Preis zu etablieren suchte, konnte nicht nur das Klima im Geschwader vergiften, er konnte Karieren vernichten. Und Leben. ‚Also eine Sorge weniger. Da ist diese…Cowboy-Attitüde und Trinken im Dienst vermutlich die bessere Alternative.‘
Was nicht hieß, das Kano glücklich über Staffords Auftreten war. Kano hatte seinen Untergebenen gegenüber klargemacht, dass – egal was der Geschwaderkommandeur für akzeptabel hielt – in den Einsatzbesprechungen der Butcher Bears Alkohol nichts zu suchen hatte. Und nicht einmal Huntress hatte diesmal Wiederworte gegeben.

„Ich werde die Übung vom Shuttle aus beaufsichtigen und koordinieren.“ fühlte sich Commander Decker bemüßigt mitzuteilen. Kano nickte knapp: „Natürlich, Sir.“ Das war keine Überraschung. Aber es stimmte ihn nicht unbedingt froh, denn Huntress, die ihren Patrouilleflug beendet hatte und mal wieder im richtigen Augenblick vorbeischaute, fühlte sich bemüßigt, hinzuzufügen: „Perfekt. Commander Stafford hat sich ebenfalls angemeldet. Er sagte so etwas, als wir seinen Flight passierten. Bei so viel Kompetenz…“
Wenn Deckers Blicke hätten töten könnten, wäre von der Pilotin nur noch verkohlte Überreste geblieben.

Eine halbe Stunde später, nachdem die Techs von Decker eine recht harsche Bewertung ihrer Performance erhalten hatten, konnten die Maschinen endlich starten. Diesmal flogen Kano und Phoenix zusammen.
Vielleicht war das nur Einbildung, aber Kano glaubte zu spüren, dass sich die Maschine mit den schweren Marschflugkörpern beim Start anders ‚anfühlte‘ und zögerlicher beschleunigte. Bei Start (und Landung, falls sie die Raketen nicht loswurden) würden sie aufpassen müssen, damit die – trotz ihres Namens nicht gerade schlanken – Arrows nicht irgendwo aneckten. Bei den Simulatorflügen hatte es schon den einen oder anderen Bodenkontakt gegeben. Und in der Realität würde die empfindliche Elektronik der Marschflugkörper das vermutlich nicht honorieren.

Wie angekündigt wurden sie im Raum von Commander Stafford erwartet, der seinen Flügelmann bereits hatte landen lassen und sich nach einer knappen Begrüßung neben die beiden Nighthawks setzte: „Wo ist das Übungsgebiet?“
„Das Trümmerfeld Backbord, Sir. Überreste der Schlacht.“
„Als wir es vorhin passierten, stöberte da ein ziviler Frachter herum. Vermutlich so ein Restausschlachter.“

Die Bergung von zerschossenen Kriegsschiffswracks und dem sonstigen Weltraumschrott einer Raumschlacht war eine komplexe, zeitaufwendige und mühevolle Angelegenheit, an der die verschiedensten Organisationen beteiligt waren – nicht immer einvernehmlich. Als erstes kam natürlich in der Regel die TSN und der Nachrichten-/Geheimdienst zum Zuge, aber angesichts des Umfangs der Arbeit waren oft auch die lokalen System-Regierungen und diverse Subunternehmen involviert. Diese hatten allerdings nicht immer den besten Ruf, da sie kostenorientiert arbeiten. Geschichten von ‚entsorgten‘ Leichnamen von TSN-Angehörigen und auf den Schwarzmarkt verschobenen Akarii-‚Souveniers‘ und –Technologie waren weit verbreitet, und hatten vielen der privaten Bergungsfirmen und Kleinunternehmen den Ruf von Leichenfledderern eingebracht.

Das galt offenbar auch für Commander Stafford: „Wollen wir diese Rostlaube als Zielschiff verwenden? Das dürfte diese Aasgeier auf Trab bringen.“
Bei der Vorstellung, was die Mannschaft des Bergungsfrachters davon halten würde, zum Ziel von Übungs-Marschflugkörpern zu werden, hätte Kano beinahe gelächelt. Aber bevor er antworten konnte, schaltete sich Commander Decker barsch über den unverschlüsselten Breitbandkanal ein: „Frachter AISCHA, hier ist das TSN-Shuttle MIDGET, Commander Decker. Sie stören eine Flottenübung. Verlassen Sie sofort das Zielgebiet und halten Sie einen Mindestabstand von 10.000 Klicks bis sie Freigabe erhalten. Jede Annäherung oder aktive Ortung wird als Verstoß gegen die Sicherheitsrichtlinien der TSN gewertet und zum Entzug Ihrer Bergungslizenz führen. Haben Sie mich verstanden?“
Die Antwort erfolgte ebenso schnell wie überrascht: „Wir verstehen Sie, Commander. Aber wir haben…“
„Sie haben fünf Minuten, um den Befehl auszuführen. Und die Uhr läuft.“
„Jawohl, Commander. Wir ziehen uns zurück.“
Stafford hatte dem Schlagabtausch schweigend zugehört, konnte sich dann aber einen Kommentar nicht verkneifen: „Finden Sie nicht, dass Sie etwas hart sind, Decker?“
„Darf ich Sie daran erinnern, dass meine Mission unter die Geheimhaltung fällt? Der Erfolg der ARROWS wäre deutlich gemildert, wenn die Akarii sich eine Aufnahme unserer Übung auf dem Schwarzmarkt kaufen oder einfach aus den sozialen Medien ziehen können.“ Damit hatte er natürlich Recht.

Während der Bergungsfrachter sich entfernte, inspizierte Kano noch einmal das Übungsareal. Hier hatte eine der letzten Schlachten im Sterntor-System stattgefunden. Die Akarii waren bereits auf dem Rückzug gewesen, nachdem sie ihr vermutetes Ziel – möglichst viel Zerstörung anrichten und die TSN von der Offensive der imperialen Hauptstreitmacht ablenken – erreicht hatten. Allerdings war dieser Rückzug kostspieliger geworden, als das Imperium es erhofft hatte. Nur durch die den zurückweichenden Akarii zugefügten Verluste war es der TSN möglich gewesen, eine bestenfalls unentschiedene Schlacht als Sieg zu verkaufen.

„Nehmen Sie sich den geborstenen Akarii-Zerstörer auf Drei Uhr vor. Er ist groß genug. Und auf der der Flotte abgewandten Seite des Trümmerfeldes.“ Deckers Stimme klang angespannt. Bei der vorletzten Übung hatte das ‚Einfangen‘ der Übungs-Flugkörper nicht wie geplant funktioniert. Der Kapitän der TATANKA YOTANKA war nicht amüsiert gewesen, als zwei Testraketen Kurs auf sein Schiff nahmen. Aus naheliegenden Gründen waren die Ex-Konföderierten in dieser Hinsicht etwas dünnhäutig.

Kano bestätigte knapp und wandte sich dann an Phoenix: „Wir starten einen Zangenangriff mit überlappenden Anflugs- und Schussvektoren. Im Ernstfall sollte das Abwehr- und Ausweichmaßnahmen erschweren.“
„Verstanden.“
Kano zögerte kurz, schaltete dann auf Staffords Frequenz um: „Commander, wären Sie bereit, einen flankierenden Angriff zu fliegen?“
„Ich dachte schon, Sie fragen gar nicht mehr. Nur zusehen macht auf die Dauer keinen Spaß.“
Phoenix lachte schnaubend: „Deshalb stehe ich auch weder auf Pornos, noch auf Strip-Clubs.“ Kano hätte beinahe die Augen verdreht. ‚Marines-Humor.‘
„Und was ist der Sinn dabei?“ schaltete sich Decker ein.
„Ich denke, wir sollten die Übung so realistisch wie möglich machen. Wir werden wahrscheinlich nicht nur mit zwei Maschinen angreifen. Außer ein bereits beschädigtes oder sehr dünnhäutiges Ziel.“
„Hmph. Solange mir das nicht die Werte verdirbt.“ Für Deckers Verhältnisse war das eine fast schon enthusiastische Zustimmung.

Die drei Jäger fächerten auf, um ihr Ziel in die Zange zu nehmen. Kano absolvierte die inzwischen fast schon vertraut gewordene Routine, um die Darts gefechtsklar
zu schalten. Ihm missfiel die relativ lange Aufschaltzeit und – für Marschflugkörper – kurze Reichweite, denn in einer echten Schlacht konnte beides tödliche Folgen haben. Aber andererseits war das taktische Potential einer für Jäger geeigneten Schiff-Schiff-Atomrakete kaum zu überschätzen.

„Achtung, Phoenix, Cowboy, beginne Angriff beginnt in zehn.“ Kano brachte seinen Jäger in einen Kurs, der ihn parallel am Ziel vorbeiführte, zählte lautlos herunter, und…“Angriff!“
Mit beeindruckender Präzision wendeten die drei Maschinen fast gleichzeitig und griffen den ‚Feind‘ an. Während Kano die Marschflugkörper auf das Akarii-Wrack aufschaltete, hörte er mit halbem Ohr Deckers Stimme: „Daten kommen rein…minimale Signalstörung, Telemetriedaten korrekt, Zielerfassung läuft, Verzögerung bei zehn Prozent…“
Ein Signalton informierte den japanischen Piloten, dass die Aufschaltung abgeschlossen war und Kano feuerte die Marschflugkörper ab, unmittelbar gefolgt von Phoenix.
Zufrieden registrierte der japanische Pilot, dass alle Raketen das Ziel erfasst hatten, wenn auch langsamer als vorgesehen. Offenbar brauchte die Software noch einige Feinjustierungen. Er verlangsamte den Jäger bis er praktisch reglos im All schwebte und verfolgte den endlich einmal fehlerlosen Zielanflug der Marschflugkörper. ‚Wenn das ein echtes Akarii-Schiff wäre…‘
Nun ja, dann hätten die Echsen inzwischen wahrscheinlich Gegenmaßnahmen und Ausweichmanöver eingeleitet. Und ganz sicher nicht ohne Gegenwehr abgewartet, bis Kano und Phoenix ihren Anflug vollendeten. Dennoch war es ein guter Anfang.
„Testlauf soweit erfolgreich.“ erklang Deckers Stimme, die beinahe zufrieden klang: „Das war es. Wir deaktivieren die Triebwerke der Raketen und sammeln sie…“

In diesem Augenblick schrillte in Kanos Cockpit ein Alarm los. Der Pilot reagierte automatisch, gab vollen Schub auf die Manöverdüsen und ließ den schweren Jäger zur Seite wegbrechen.
„Ohka, verdammt! Was ist los?!“
„Beschuss!“ Das war heraus, bevor Kano nachdenken konnte, und er hätte die Worte gerne zurückgenommen.
„Beschuss?! Von wem? Hier ist doch niemand. Wir sind nicht einmal dicht genug zusammen für einen Blue-on-Blue. Also was soll der Unsinn?!“ Commander Deckers Stimme klang bissig.
„Laut den Sensoren…“, Kano hielt verwirrt inne, während er die Maschine stabilisierte und die Anzeigen überflog. Laut den Sensoren waren seine Schilde unter Beschuss geraten, aber dennoch waren sie immer noch auf 100 Prozent. Selbst ein Treffer mit einer Laserkanone – der schwächsten Bordwaffe die in Gebrauch war – hätte die Schilde zumindest etwas schwächen müssen: „Vielleicht…vielleicht war es auch ein Mikro-Trümmerstück.“
„Vielleicht hat einer Ihrer Techs bei der Wartung Mist gebaut.“ Ließ sich Decker ungehalten hören: „Ich war sowieso der Meinung, dass die Qualifikation…“
Das erneute Losheulen des Alarms schnitt durch Deckers Worte.
Mit einem lautlosen Fluch unterdrückte Kano den Impuls, ein Ausweichmanöver einzuleiten.
„Erneuter Beschussalarm…“
„Ich sage es doch, Ihre Bordelektronik spinnt. Aber falls irgendjemand auf die Arrows-Software schieben will, kann ich nur sagen…“
„Ohka, können Sie feststellen, woher der…Beschuss kommt?“ schaltete sich Stafford ein.
„Ich bin dabei, Sir.“ Kanos Stimme klang etwas frostig. Dann, während er die Bordinstrumente kontrollierte, schlich sich so etwas wie Verwunderung in seine Stimme ein: „Irgendetwas hat meine Backbordschilde getroffen, mehrmals. Niederenergetische Laserstrahlen. Keine Flugabwehrwaffen, dazu ist es zu schwach. Aber…“ Er runzelte die Stirn: „Anscheinend immer aus dem selben Vektor, Ausgangspunkt dicht neben dem zusammengeschossenen Akarii. Vielleicht ein auf Autofeuer geschalteter Impulslaser? Aber woher kommt dann die Energie? Das Schiff ist tot.“
„Da wäre ich mir nicht so sicher.“, war Staffords Antwort: „Und ich glaube auch nicht, dass es sich um eine automatisierte Abwehrstellung handelt…Wir sollten uns das näher ansehen.“
„Stafford…“ meldete sich Decker.
„Sie sollten Ihre Spielzeuge einsammeln. Das hier könnte noch etwas dauern.“

Doch nur fünfzehn Minuten später zeigte sich, dass Staffords Vermutung richtig war, auch wenn es nicht er sondern Phoenix war, der die entscheidende Entdeckung macht: „Sie haben Recht, Commander. Ich orte eine Rettungskapsel, minimale Energiesignatur. Und…verdammt, mindestens eine Person in einem Raumanzug auf Außenspaziergang.“
„Ein cleverer Hund.“ Staffords Stimme klang bewundernd: „Vermutlich hat ihre Funkanlage versagt, aber sie hatten noch funktionsfähige Sensoren. Als sie uns geortet haben, haben sie jemanden außenbords geschickt, der Ohkas Maschine aufs Korn genommen hat, um unsere Aufmerksamkeit zu erregen. Funken mit einem Infanterielaser. Na ja, immer noch besser, als es mit Handzeichen zu versuchen.“
„Es sind Akariis.“ Phoenixs Stimme war bar jedes positiven Gefühls: „Wir sollten Sie hierlassen. Oder als Übungsziele benutzen.“
Stafford schwieg ein paar Herzschläge. Seine Antwort klang ebenso kalt wie Phoenixs Stimme: „Ich bin bereit, dass als einen schlechten Witz anzusehen. Und Sie sollten daran denken, wie sie sich fühlen würden, wenn sie in der gleichen Lage wären.“
„Ich würde mich jedenfalls nicht von den verdammten Imperialen gefangen nehmen lassen. Lieber gehe ich drauf.“
„Das mag ja Ihre Vorstellung von…“
„Ich schlage vor, dass wir ein Bergungsshuttle einweisen.“ Schaltete sich Kano ein: „Und dass die Gefangenen isoliert werden. Immerhin haben sie aus nächster Nähe einen Test für eine streng geheime TSN-Waffe begutachten können. Commander Decker…“
„Wird vor Begeisterung über diese Zaungäste eckige Eier legen.“ bemerkte Stafford mit – in Kanos Augen unangebrachtem – Amüsement: „Kümmern Sie sich darum, Ohka.“
„Verstanden, Sir.“

Anderthalb Stunden später befanden sich zwei Matrosen und eine Offiziersanwärterin der imperialen Raummarine im Gewahrsam der TSN. Sie waren verdreckt, dehydriert und offenbar nur noch zwei Tage vom Erstickungstod entfernt gewesen. Aber sie hatten überlebt.
Unwillkürlich tauchten vor Kanos Auge die Gesichter der Angry Angels-Piloten auf, die in den letzten Jahren als im Einsatz vermisst gemeldet worden waren. Einige – wie etwa Goliath – hatte er gut gekannt. Andere – wie Skunk – waren zwar unvergessen, wurden aber nur von wenigen vermisst. Doch wie auch immer, Kano hoffte dass einige von ihnen ähnlich viel Glück gehabt und sich als ebenso findig erwiesen hatten, wie die drei Akarii.
26.12.2015 17:49 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Kein leichter Auftrag, Teil I

TRS Columbia, Besprechungsraum der Fighting Stallions

Selbst die "gefechtsfernen" Briefings bei den Fighting Stallions waren bekanntermaßen kein Vergnügen, seitdem Lilja das Kommando der Staffel übernommen hatte. Sie war allerdings schon als XO der sprichwörtliche Schmerz im Steiß gewesen. Die Russin war sparsam mit Lob, beißend im Tadel und anspruchsvoll in ihren Forderungen. Und dass sie bei Übungen wie bei Einsätzen immer zu 100 Prozent mit von der Partie war, machte die Sache auch nicht besser. Wer wollte schon ständig unter Überwachung stehen, verfolgt von schwarzen, argwöhnischen Augen, denen kaum ein Fehler entging? Boshafte Zungen witzelten, dass Liljas Augen weniger denen eines Menschen als vielmehr eines grausamen Raubvogels glichen - und ein anonymer Witzbold hatte vor inzwischen über einem Jahr ein Spottgedicht verfasst und an das Schwarze Brett der Staffel gespickt, in dem er die Augen der Russin nicht sehr vorteilhaft mit denen eines Raben, eines Hais und einer Schlange verglichen hatte. Man munkelte, dass Lilja insgeheim immer noch auf der Suche nach dem Schuldigen war und furchtbare Rache geschworen hatte.
Man konnte also sagen, dass die Fighting Stallions von ihrer zwar respektierten, vielleicht auch geachteten aber nur von wenigen geliebten Staffelchefin einiges gewohnt waren. Aber irgendwie schaffte die Russin es immer wieder, selbst ihre hartgesottenen Untergebenen zu verblüffen und zu überraschen.

So auch diesmal. Die Mienen einiger Piloten hätten einem Betrachter durchaus als Studienobjekte für Skizzen mit der Überschrift "Fassungslosigkeit" dienen können. Dabei hatte die Besprechung wenig überraschend angefangen. Die "Alte" – diesen mal mehr, mal minder boshaften Spitznamen teilte sich Lilja praktisch mit jeder Staffelchefin, Kapitänin oder Kompaniechefin, und dabei war es egal, ob die betreffende Frau jünger oder älter war als ihre Untergebenen – war das Übungspensum für die nächsten Wochen durchgegangen. Neben den üblichen, zumeist im Simulator zu absolvierenden Verbandsübungen, Staffelmanövern, die vor allem die Neuzugänge an ihre neuen Kameraden gewöhnen und die Kooperation zwischen den Veteranen noch verbessern sollten, hatte die Russin es sich nicht nehmen lassen, etliche Atmosphärenmissionen und Bodenangriffe anzuordnen. Natürlich wurden auch die voraussichtlich nur simuliert, denn es war nicht davon auszugehen, dass die Columbia lange genug in Sterntor blieb, um die örtlichen Einrichtungen nutzen zu können.
Und war man erst einmal bei den Peshten...nun, so wie der Krieg gerade stand, war nicht zu erwarten, dass die TSN oder ihre Verbündeten den Angry Angels den Luxus einer Akklimatisierung gönnen würden. Die Russin sah denn auch erheblichen Nachholbedarf, denn viele Piloten hatten das letzte Mal während ihrer Ausbildung ihre Maschinen mit einer Bestückung aus Rockeye-Bomben geflogen, oder diese gar abgeworfen. Zwar hatten die Angry Angels in den vergangenen Jahren den einen oder anderen planetaren Angriff unterstützt, aber Bodeangriffe waren eher Sache der Griphen und Mirage/Thunderbolts gewesen. Die Stallions hatten dergleichen meist nur aus der Luft abgesichert.
Lilja hatte Marine und Knight zu ihren Stellvertretern ernannt, was die Übungsmissionen anging. Oder, wie man so schön sagte, sie zur rechten und linken Hand des Teufels erhoben. Marine hatte bereits in ihrer Ausbildung bei den Luftstreitkräften des Corps eine deutlich erweitere Einweisung in die Materie des Schlachtfliegereinsatzes erhalten, und Knight hatte sich auf Pandora bereits im Kampf "bewährt", bevor er im Gefängnis gelandet war. Das war zwar in beiden Fällen schon eine Weile her, und beide hatten wie der Rest der Staffel in den letzten Kriegsjahren kaum Erfahrung im Einsatz gegen Bodenstreitkräfte und Atmosphärenflieger der Akarii sammeln können. Aber ihre Ausbildung und Praxis hob beide Piloten von den meisten Stallions ab, die eher Raumeinsätze gewöhnt waren.

Da Lilja nun einmal Lilja war, war sie freilich nicht gewillt, sich bei der Vorbereitung auf mögliche planetare Missionen allein auf die offiziellen Trainingseinheiten zu verlassen. Man konnte zwar relativ sicher sein, dass die wesentlichen Einsatzparameter rechtzeitig mitgeteilt und in die Simulatorprogramme eingespeist wurden. Zumindest, wenn es um solche Dinge wie Schwerkraft und Atmosphärenzusammensetzung ging, um hinreichend genaue Modelle der feindlichen Kampfflieger und Boden-Luft-Abwehrsysteme, wenn man Glück hatte sogar unter Berücksichtigung beliebter Einsatzdoktrinen und Flugmanöver, wenn diese bekannt waren.

Die planetaren Grundkonstanten waren für die Vorbereitung von Atmosphäreneinsätzen überlebenswichtig, denn Piloten verließen sich ungern darauf, dass die Software ihres Jägers Variablen wie Luftdruck und Schwerkraft ausreichend ausglich. Sie wollten ein "Gefühl" dafür entwickeln, wie ihre Maschine reagierte, was man selber und was der Gegner konnte, und damit fing man besser nicht erst im Einsatz an. Das war auch der Grund, warum Lilja noch ein Stück weiter gegangen war. Sie hatte angeordnet, dass die Piloten alles erreichbare Material zusammentragen sollten, um die Simulatoreinsätze für Peshten zu präzisieren. Denn worauf man sich NICHT verlassen konnte, war, dass die zuständigen Stellen der TSN solche Details berücksichtigten wie typische Wolkenhöhe und -dichte, vorherrschende Windsysteme, geschweige denn genauere Terrainsimulationen. Angefangen von dominanten Bergketten bis hin zur Architektur und Vegetation – all das mochte manchem Offizier an der Heimatfront als unwichtig erscheinen oder fiel der Überarbeitung zum Opfer. Denn so dicht gesät waren die versierten Offiziere auch in den rückwärtigen Frontbereichen nicht. Für die Einsatzpiloten aber war dergleichen möglicherweise missionsentscheidend oder überlebenswichtig. Ob man einen Gegner aus einer Peshten-, einer terranischen oder einen Akarii-Stadt herausbomben sollte, konnte nämlich einen deutlichen Unterschied machen. Da ging es um Fragen wie etwa: Wie stabil waren die Gebäude, wo könnte der Gegner Deckung suchen, welche Möglichkeiten hatten seine mobilen und stationären Luftabwehreinheiten und dergleichen mehr...

Und so hatte die Russin es sich nicht nehmen lassen, als erste Einstimmung auf die kommenden Übungen eine wahre Flut von Bildern aus einigen der größten Pesten-Städte auf Gamma Eridon vorzuführen. Die Architektur der Nichtmenschen war funktional aber auch beeindruckend. Es gab wenige spielerische Elemente. In den Bevölkerungszentren dominierten zumeist endlose Reihen von Hochhäusern, zwischen denen häufig Highways verliefen, während sich am Boden Grünanlagen erstreckten, zum Teil unterbrochen durch natürliche oder künstlich angelegte Wasserläufe und –flächen. Die Hochhäuser waren häufig abgestuft, manchmal ragten ganze Etagen weit über unter Geschosse hinaus, und vielfach waren die Häuser nicht nur auf einer Straßenseite durch geschlossene oder halboffene Brücken verbunden, sondern auch Gebäude gegenüberliegender Straßenseiten. Nicht wenige der Brücken verfügten über Transportbänder.
Die Russin hatte eigentlich auch geplant, Bilder von typischen „Kirchen“ – oder Tempeln, oder wie man das auch nannte – der Peshten zu zeigen. Denn bei der großen Bedeutung, den der Glauben für die Nichtmenschen hatte, wollte sie nach Möglichkeit versehentliche Beschädigungen vermeiden, sollten ihre Piloten in Peshten-Städten zum Kampfeinsatz kommen. Das Vorhaben war jedoch daran gescheitert, dass es so etwas wie eine archetypische Peshten-Sakralarchitektur gar nicht gab. Die verschiedenen Glaubensrichtungen, zum Teil aber auch geographisch oder soziale voneinander getrennte Gruppen von Peshten derselben Glaubensrichtung hatten vielfach ganz eigene Bauten errichtet, die es einem Außenstehenden schwer machten, den Überblick zu behalten.

Lilja wusste so wenig wie der Rest des Geschwaders über ihre Aufgaben bei den Peshten. Eine reine Show of Force erschien unwahrscheinlich – dazu brauchte man kein Elitegeschwader, selbst wenn es abgekämpft war. Luftunterstützung fliegen, das konnte alles mögliche bedeuten, von der Erringung der Raum- über die Sicherung der Luftherrschaft bis zur direkten Bekämpfung bereits gelandete Invasoren. Aber was verlangte man genau, wie waren die internen Konflikte der Peshten beschaffen, bei denen man möglicherweise eine demonstrative oder auch ganz handfeste Unterstützung erwartete?
Bisher wusste keiner wirklich etwas Genaues, doch die Staffelchefs bemühten sich, ihre Piloten auf alle möglichen Eventualitäten vorzubereiten, und nicht nur Lilja schwor dabei auf die alte Regel "Schweiß spart Blut".
Es hatte zwar Gemurre über die zusätzlichen "Hausaufgaben" gegeben, aber das war verhalten geblieben. Die Notwendigkeit sah schließlich jeder ein. Doch damit hatte es die Russin nicht bewenden lassen. Sie hatte angekündigt, die Piloten sollten während des Transitfluges wechselseitig Kurzreferate vorbereiten und halten, die noch einmal wesentliche Kapitel aus der Geschichte, Religion, Kultur und Gebräuchen der Peshten thematisierten. Ja, sie hatte sogar herumgehorcht, und zwei Besatzungsmitglieder ausfindig gemacht, die tatsächlich schon mal auf Peshten gewesen waren. Diese – und, wenn er sich dazu bereit fand, Clifford ,Ace' Davis – sollten ebenfalls eine kurze Gastrolle in der Fortgeschrittenenschulung übernehmen. Und als wäre das noch nicht genug, hatte sie schließlich verlangt, dass jeder Pilot zumindest ein paar der gängigsten Peshten-Redensarten vom Klang her erkannte und auch selber aussprechen konnte, ebenso ein paar grundlegende nonverbale Gesten.
DAS hatte nun wirklich für Überraschung gesorgt. Kulturelle Aufgeschlossenheit gehörte nicht gerade zu Liljas Tugenden. Und das nicht nur wegen ihres nur zu bekannten und oft auch verbal artikulierten Hasses auf die Akarii und dem mangelnden Kontakt mit anderen Aliens, den sie mit 95 Prozent aller FRT-Bürger gemein hatte. Trotz mehreren Jahrhunderten Kontakt mit nichtmenschlichen Rassen kannten die meisten Terraner andere Völker nur aus Filmen. Die Russin hätschelte ja mitunter sogar gegenüber einigen nicht-russischen terranischen oder Koloniewelt-Gebräuchen und Kulturen gewisse Vorbehalte, die sie nach Lust, Laune und wie es gerade ihrer Ansicht nach praktisch war entweder rigoros unterdrückte oder aber genüsslich und unverhohlen zelebrierte.

Wohl auch deshalb sah sich die Russin genötigt, ihr Verhalten knapp zu erklären, was sie sonst eher selten tat: "Ja, das bedeutet einige Mehrarbeit. Aber wenn ihr euch fragt, was ich mir davon verspreche, nun..."
Sie begann vor der versammelten Truppen hin und her zu stolzieren, den Finger erhoben. Eine dozierende Lilja war manchmal ebenso schwer zu ertragen wie eine fauchende und polternde.
"Zum einen sind wir ein Stückweit Botschafter der Föderation. Ja, wir alle, so ungeeignet unsere Bande von handwerklich hochqualifizierten aber sozial verarmten Totschlägern dafür erscheint.“ Das war nur zur Hälfte ein Witz – denn wer jahrelang in der Treibhauskultur eines Trägers im Einsatz lebte, der hatte ja mitunter schon Probleme, mit den eigenen Leuten zu Hause klarzukommen.
„Wir werden – nehme ich zumindest an – Seite an Seite mit Piloten, Flottensoldaten und Bodentruppen der Peshten kämpfen. Und die Republik hat inzwischen nicht mehr viele Freunde, also sollten wir die verbliebenen pfleglich behandeln. Also nichts da von wegen ‚das sind doch nur eine Handvoll Aliens, ein Steinhaufen im Vergleich zum Imperium und der Bundesrepublik‘. Egal was wir von den kämpferischen und sonstigen Qualitäten der Peshten halten mögen, ihre Wirtschaftskraft ist nicht zu unterschätzen. Und wir wollen doch keinen schlechten Eindruck von der TSN oder auch nur den Angels hinterlassen, oder? Man bezahlt uns ja weiß Gott genug, da müssen wir schon bereit sein, durch den einen oder anderen Reifen zu springen."
Sie hob ihre Hände, wie um Einwände abzuwehren: "Natürlich halte ich nicht mal UNS für fähig, wirklich tiefgreifende negative Eindrücke zu hinterlassen, aber wie man so schön sagt, tausend Tropfen sind am Ende doch eine ziemliche Welle. Einige werden sagen, gekillte Echsen sind ohnehin der beste Beweis und die schönste Visitenkarte, und damit können wir ja wahrlich aufwarten. Aber wenn wir uns wie die letzten Barbaren aufführen, wird man uns auch genau so ansehen. Wir werden die Peshten nicht so einfach dazu kriegen können, uns zu MÖGEN. Aber wir können vermeiden, dass sie uns verachten. Und vielleicht werden sie uns sogar respektieren, und erkennen, was für ein Vertrauensbeweis es ist, dass die Prinzenkiller bei ihnen zu Gast sind. Aber auch den besten Jagd- und Kampfhund setzt man vor die Tür, wenn er auf den Teppich pinkelt. Ich will nicht riskieren, dass irgendein vermeidbarer Irrtum passiert."

Knight schnaubte ungläubig: "Ich glaube ja nicht, dass Cockroach und seine Bande von Feiglingen zu Kreuz gekrochen sind, weil wir nicht nett genug zu ihnen gewesen sind und all das. Bei dem, was wir ihnen allen spendiert haben, und wie sehr sich unsere Jungs und Mädel in den letzten Jahren den Arsch aufgerissen haben, um die Konföderation zu verteidigen... Und hofiert haben wir sie ja wohl auch genug, schlimmer als ein pickeliger Nerd die Cheerleaderin vor dem Abschlussball."
Lilja zog eine Augenbraue hoch, überging dann aber großmütig, dass der ehemalige Bewährungspilot in letzter Zeit aus irgendeinem Grund den Namen von Generalgouverneur Cochrane – oder eher die Verballhornung, die sich in der TSN, bei der FRT-Zivilbevölkerung und den Medien zunehmender Beliebtheit erfreute, auch wenn sie nirgendwo offiziell benutzt wurde – mit noch mehr Abscheu aussprach, als die anderen Stallions. "Zugegeben – wobei ich mal nicht nachfrage, aus welcher Erfahrung du deine Vergleiche schöpfst. Aber...Freundlichkeit hat noch nie geschadet und kostet wenig. Den Knüppel kann man im Notfall immer noch herausholen. Kooperation fußt auf Respekt, zumindest wenn sie andauern soll – weswegen ich nicht glaube, dass die Kakerlaken mit ihren neuen Freunden wirklich dauerhaft glücklich werden. Die Peshten jedenfalls haben noch nie sehr viel Respekt bekommen, ganz bestimmt nicht von den Akarii. Aber das ist auch kein Wunder, denn es gibt nur EINE Möglichkeit, wie dich eine imperiale Echse mit Respekt behandelt, wenn du nicht selber eine möglich höherrangige imperiale Echse bist..."
"Jaja, ich weiß." kam es von Imp. Die Pilotin gestikulierte mit den Fingern, die eine Pistole zu formen schienen, und presste sie gegen ihre Schläfe. "WÜRDEST DU MICH BITTE RESPEKTIEREN?!...Der Witz war schon vor Manticore soooo was von alt..."
"Zweitens..." nahm Lilja den Faden wieder auf, wobei sie ein sprödes Lächeln unterdrückte: "ist es nicht nur so, dass die Republik die Peshten als Freunde braucht – und wir ihre Hilfe, wenn wir bei ihnen operieren wollen. Was uns die Sache etwas erleichtern dürfte ist, dass die Peshten an die Gegenwart von Menschen – und anderen Nicht-Peshten – schon gewöhnt sind, nicht nur als Händler oder auch mal Touristen, sondern weil eine Menge in ihren Streitkräften dienen. Ihr Material ist ja zu einem Gutteil auch terranischen Ursprungs. Da sollten wir uns auch etwas firm machen, wie die ganzen Auswärtigen so leben."
"Hoffentlich orientieren sie sich aber in Sachen menschliches Vorbild eher uns UNS, und nicht an der Konföderation." witzelte Knight. Das brachte ihm einen der berüchtigten eisigen Blicke von Lilja ein: "So etwas solltest du ab einer Distanz von weniger als drei Parsec zum Peshten-Raum nicht mal denken. Und in meiner Gegenwart schon gar nicht sagen, wenn du weiß, was gut für dich ist! Meiner Ansicht nach VERDIENEN die Peshten einfach, dass wir uns Mühe geben. Sie mögen ja nur notgedrungen gegen die Echsen gestellt haben, aber dafür braucht man in jedem Fall Mut. Das wissen wir wohl alle. Und wenn jetzt jemand sagt, sie sind ja nur Aliens...mir ist ein Alien – zum Donnerwetter, sogar ein verdammter AKARII – doch deutlich lieber, der gegen das Kaiserreich kämpft, als ein Mensch, der vor ihm kriecht."
Sie klopfte mit den Fingernagel gegen die Liste, die sie an die Wand projiziert hatte: "Wir werden also wie folgt vorgehen..."

***

Shuttle R-1, Sterntor-System

Das VIP-Shuttle der Relentless war wie viele seiner Schwesterschiffe ein modifiziertes S-41-Landungsboot. Damit war es schwer gepanzert und bewaffnet, allerdings hatte man den Innenraum wesentlich komfortabler gestaltet, schließlich mussten hier nicht 80 bis 100 Männer und Frauen samt Ausrüstung befördert werden, sondern maximal vielleicht ein Viertel dieser Anzahl. Zudem verfügte es über eine leicht gesteigerte Reichweite und eine bessere Kommunikations- und ECM-Ausrüstung. Es gab gewisse Geschichten, dass es einige Kapitäne und mehr noch Flaggenoffiziere mit dem Luxus bei der individuellen Gestaltung ihrer persönlichen "Raumkutschen" übertrieben hatten – wiewohl viele der Erzählungen wohl eher etwas über die Gerüchteköche als über die Ziele der Behauptungen aussagte, denn wer glaubte schon ernsthaft, dass ein Kapitän oder eine Admirälin wirklich einen Whirlpool installieren ließ, oder einen Schnaps- beziehungsweise Weinschrank, der es mit einem hochkarätigen Restaurant aufnehmen konnte?
Die meisten Kommandeure hatten jedoch einfach keinen Sinn für derartige Spielereien. Rear-Admiral Chris Mithel gehörte gewiss nicht zu den Leuten, die viele Gedanken für solche Dinge verschwendeten. Selbst das VIP-Shuttle der Relentless war folglich in erster Linie funktional konzipiert worden. Es sollte geehrten Gästen einen behaglichen, vor allem aber sicheren und schnellen Flug gewährleisten, nicht mehr und nicht weniger. Und wenn es nicht gerade dafür gebraucht wurde, dann wurde es ohne Bedenken für andere Aufgaben verwendet – sodass das Shuttle während des Krieges bereits zwei Abschüsse zu verzeichnen gehabt hatte, mehrfach bei Bergungsmissionen geholfen und einmal einhundert dicht gepackte Akarii-Kriegsgefangene transportiert hatte.

Neben Mithel und der Crew, die routinemäßig auch ein paar Marines als Sicherheitsteam umfasste, befanden sich im Moment nur einige niederrangige Besatzungsmitglieder von der Relentless und anderen Kreuzern der Schwadron 2.3 an Bord, die vermutlich sämtlich das erste Mal in so einer "Bonzenschaukel" kutschiert wurden, und sich angemessen beeindruckt zeigten – aber vielleicht war das auch nur der Gegenwart des Admirals geschuldet. Beide Parteien ignorierten sich weitestgehend. Mithels respektierte seine Untergebenen, auch die Mannschaftsdienstgrade, doch er plauderte kaum einmal zwangslos mit jemand von ihnen. Nicht, dass er sich wirklich für etwas Besseres hielt, schließlich hatte er selber ziemlich weit unten angefangen. Aber die Rangtabelle war nun einmal dafür da, beachtet zu werden, und er glaubte daran, dass etwas Distanz dem gegenseitigen Respekt nicht abträglich war.
Er hatte aber kein Problem damit, ein paar "Mitfahrer" zu befördern, wozu Treibstoff und Mannstunden vergeuden, um extra zwei Shuttles zu schicken, wenn in seinem genug Platz war.
Seine Untergebenen freilich zeigten eine verständliche Scheu vor einem Mann, der in der flotteninternen Hackordnung so weit über ihnen stand und zudem einen gewissen Ruf genoss. Was sie nicht wussten, nicht wissen konnten, war, dass die Aura souveräner Selbstbeherrschung, die Rear-Admiral Chris Mithel an den Tag legte, zum Gutteil nur Fassade war.

Der Kommandeur des Geschwaders 2.3 gehörte gewiss nicht zu den Menschen, die zu Unsicherheit neigten, geschweige denn zeigten. Er trat gegenüber Untergebenen, Gleichrangigen und Vorgesetzten im Bewusstsein seiner durch Rang und Erfahrung erworbenen Autorität auf. Nicht wenige hielten ihn deshalb für steif, manche für anachronistisch, aufgeblasen, verknöchert oder dergleichen mehr – wobei er freilich in mindestens neun von zehn Fällen einfach nur die gemäß den Traditionen der Flotte als angemessen geltenden Umgangsformen beachtete. Deshalb wären die meisten Menschen wohl erstaunt gewesen, hätten sie gewusst, wie unsicher und nervös der Admiral sich im Moment fühlte, wobei er dies freilich recht gekonnt kaschierte. Ja, die Traditionen der Flotte waren nicht nur ehrwürdiges Erbe, sondern auch eine elegante und verlässliche Hilfe. Kompliziert wurde es nur in den wenigen Fällen, wo die normalen Regeln nicht griffen, so wie jetzt. Denn wie trat man einem Mann gegenüber auf, der über Monate ein respektierter, ja geschätzter und dazu auch noch dienstälterer Vorgesetzter gewesen war, zudem während eines wichtigen Abschnitts der eigenen Karriere, wenn man diesen inzwischen in der Rangleiter überholt hatte?

Captain Henning Schupp hatte die Kreuzerschwadron 2.3, deren Bestandteil Mithels Relentless von der Aufstellung der Columbia-Kampfgruppe an gewesen war, buchstäblich durch die Hölle geführt. Kurz nach den siegreichen Schlachten von Graxxon/Corsfield war er dann auch verdienterweise zum Commodore ernannt worden. Es waren freilich auch diese Schlachten gewesen, die langfristig einen Knick in der Karriere des erfahrenen Flottenoffiziers bedeutet hatten – zu Unrecht, wenn man Mithel gefragt hätte. Einige Untergebene und Kollegen hatten insgeheim Schupp Führungsdefizite vorgeworfen, weil er angeblich vorzeitig sein havariertes Schiff verlassen und seine Flagge auf einem anderen Kreuzer gesetzt hatte. Es hatte natürlich nie eine offizielle Anklage gegeben, aber vier Monate nach dem Ende der Doppelschlacht war er auf ein anderes Kommando versetzt worden – aus nicht ganz geklärten Gründen. Es war keine offenkundige Degradierung oder Zurücksetzung gewesen, und Mithel und Schupp waren als gute Kollegen, ja fast als Freunde auseinandergegangen. Sie hatten kriegsbedingt danach nur noch sporadisch Kontakt gehalten. Wenn man gut elf Monate im Jahr unter streng reglementierten Kommunikationsbedingungen operierte, musste man Prioritäten setzen. Und Kommandeur eines Kriegsschiffsverbandes zu sein, war ohnehin ein 24/7-Job, wie man so sagte. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, da litt selbst die durchaus wichtige Kontaktpflege.

Während Mithel als Kommandeur der Relentless und von Schwadron 2.3 die Columbia in den folgenden Jahren durch die meisten Entscheidungsschlachten des Krieges begleitet und dabei Karriere gemacht hatte, hatte man Schupp ein neues Schiff übergeben, die Indomitable. Der Ticonderoga-Kreuzer hatte wenige Monate vor der Schlacht um Graxxon seinen Kapitän und einen beträchtlichen Teil der Crew bei einem tollkühnen imperialen Enterversuch verloren. Getreu des Schiffsnamens hatte das Bordkontingent der Marines zusammen mit den Flottensoldaten die kaiserlichen Truppen aufgerieben, doch nicht, bevor diese schwerste Verwüstungen angerichtet hatten. Schupp hatte ein Kommando übernommen, bei dem er gezwungen war, mit einer Crew zu arbeiten, die zu gut einem Drittel aus Neuzugängen bestand. Er war mit seinem neuen Schiff an die konföderierte Front versetzt und damit – mit Absicht oder nicht – in Bezug auf weitere Aufstiegschancen kaltgestellt worden. Denn dort hatte der Krieg über den größten Teil der letzten Jahre einen wesentlich anderen Charakter gehabt. Statt der großen Schlachten, mit denen die TSN das Kriegsgeschick zumindest für lange Zeit zu ihren Gunsten gewendet hatte, und die hohe Verluste, aber auch rasche Beförderungen mit sich brachten, fanden die meisten Kampfhandlungen an der Konföderationsfront in den Jahren zwischen Ende 2634 und Anfang 2367 in Form begrenzter Vorstöße statt. Weder die Imperialen noch ihre Gegner, die alliierten konföderierten und terranischen Verbände, hatten wirklich die Mittel für größere Operationen aufbringen können, weil ein Großteil des neusten Materials und Nachschubs an der terranischen Hauptfront gebraucht wurde. Man hatte manövriert, versucht, den Gegner zu überlisten, doch lange Zeit hatte keine von beiden Seiten Möglichkeiten und Mittel für eine Großoffensive zusammenbringen können, so dass der Frontverlauf fast unverändert geblieben war. Und das galt auch für den Rang vieler Offiziere, die dorthin abkommandiert worden waren. Aber diese Art von Kriegführung erschien eben nicht unbedingt sonderlich beeindruckend, wenn man sie mit den großen Schlachten in der Gefechtslinie verglich, den Zweikämpfen von Kreuzern und Trägern. Was nicht hieß, dass sie einfach oder risikoarm war.

Natürlich konnte Mithel jetzt nicht einfach zu dem früheren Verhalten zurückkehren. Schupp aber streng nach dem Zeremoniell der Flotte als niederrangigen Offizier zu behandeln, das mochte beleidigend wirken, und wohl war dem noch recht dienstjungen Admiral bei dem Gedanken schon gar nicht. Zudem blieb da noch die Frage, wie der ehemalige Schwadronschef die Karriere Mithels – und dessen Verhalten in den letzten Jahren – beurteilte. Schupp wäre nicht der erste "überholte" Offizier gewesen, der sich in Bitterkeit flüchtete. Und das wäre angesichts der heiklen Natur von Schupps nächster Mission wahrlich fatal gewesen.
Mithel hatte sich sowohl deshalb wie auch aus Respekt vor seinem ehemaligen Vorgesetzten dafür entschieden, ihm gewissermaßen ein Stück weit entgegenzukommen. Deshalb hatte er Schupp nicht zu sich an Bord der Relentless gebeten, sondern würde sich auf dessen Territorium begeben, als sein hoffentlich geehrter und, ja, auch ranghöherer Gast – aber eben nur als Gast. Folglich trug er eine Galauniform, hatte es aber unterlassen, mit seinen Auszeichnungen zu prunken.
Die Stimme der Shuttle-Co-Pilotin schnitt durch die Gedanken Mithels und das kaum hörbare Wispern der Flottensoldaten: "Flugzeit bis Indomitable noch eine Minute." Natürlich verkniff sie sich irgendwelche launigen Kommentare.
Mithel nutzte die Gelegenheit für einen letzten Blick aus dem Bullauge. Auch wenn er ein erfahrener Offizier war, der buchstäblich Jahrzehnte an Bord terranischer Kriegsschiffe verbracht hatte, ein Andockmanöver auf einem schweren Kreuzer war immer noch etwas Besonderes. Langsam wuchs der 30.000-Tonnen-Gigant beim Näherkommen, bis er mit seinen knapp 500 Metern Länge wie eine Wand vor dem Shuttle aufragte. Die mehr als zwei Dutzend Laser-, Tachyonen- und Impulslasertürme gaben dem Schiff zusammen mit dem guten halben Dutzend vielrohriger Schiff-Schiff- und Anti-Jägerraketenwerfern eine Aura geballter Macht, waren eine unverhüllte Drohung. Trotz seiner Nervosität musste der Admiral ein leichtes Lächeln unterdrücken. Es mochte Leute geben, für die ein ECHTES Kommando erst mit einem Majestic (oder mehr) anfing, oder mit dem Posten eines Schwadronschefs. Aber für ihn waren stets die leichten und besonders die schweren Kreuzer der Innbegriff dessen gewesen, wovon ein Raumfahrer träumte. Sie waren die wahren Arbeitspferde der TSN, wo die Träger vielleicht die Titanen der Rennbahn waren – aber eben auch oft mit Starallüren behaftet. Alles darüber hinaus war natürlich ehrenvoll und eine Verpflichtung. Aber es konnte sich nur schwer mit dem messen, was er gefühlt hatte, als er das erste Mal an Bord der Relentless gegangen war, oder an den schmerzlichen Abschied von der Hydra.

Das Shuttle hatte inzwischen seine Geschwindigkeit so weit verlangsamt, dass es beinahe nur noch zu kriechen schien. Dann, mit einer bemerkenswerten Eleganz und von sicherer Hand gesteuert, durchbrach es den Atmosphärenschild des höhlenartigen Hangars. Für einen Moment schwebte es über dem Boden, dann setzte es mit einem kaum spürbaren Rück auf.
Der Rear-Admiral nickte leicht vor sich hin: "Ausgezeichnet geflogen, danke."
Dann straffte er sich. Seine Begleiter und das Sicherheitsteam nahmen wortlos Haltung an, links und rechts der Shuttlewände aufgereiht, in einer Steifheit, die an Statuen erinnerte.
Mit einem leichten hydraulischen Zischen öffnete sich die Rampe des Shuttles. An seinen Untergebenen vorbei schritt der Admiral, energisch, aber nicht eilig. Er wusste in etwa, welcher Anblick ihn erwartete, schließlich hatte er schon oft einem höherrangigen Gast einen ehrenvollen Empfang bereitet, und hin und wieder hatte er selber – wenn auch fast immer als Mann in der zweiten Reihe – einen solchen genossen. Aber nichts desto trotz schlugen ihn solche Momente immer wieder aufs Neue in den Bann.

Das knappe Dutzend Shuttles der Indomitable war an den Flanken des Hangars aufgereiht worden um ausreichend Platz für den Gast zu schaffen, und auch wenn den kleinen Raumschiffen die schnittige Eleganz von Kampffliegern und Bombern fehlte, boten sie doch einen beeindruckenden Anblick. Dies galt umso mehr für die Formation, die davor angetreten war. Da waren die gepanzerten und bewaffneten Marines des Kreuzers – eine Einheit, wie Mithel wusste, die nicht nur die Verteidigung ihres Schiffes gegen imperiale Entertruppen gemeistert hatte, sondern in den Jahren unter Schupps Kommando so oft zum Einsatz gekommen war wie nur wenige andere schiffsgestützte Formationen. Die Art der Kriegsführung an der ehemaligen konföderierten Front hatte das mit sich gebracht. Daneben in Schwarz Angehörige der Shuttle-Schwadron, in Braun Mannschaftsdienstgrade des Schiffs und schließlich in Weiß einige Offiziere in Galauniformen. Manche waren der Ansicht, man sollte sich von solchen Äußerlichkeiten nicht beeinflussen lassen, aber Rear-Admiral Mithel hatte schon immer gemeint, wer in solchen Momenten ungerührt blieb, der zollte den Traditionen der Flotte und allem wofür sie standen einfach nicht genug Achtung.
Er schritt die Formation ab, hinter sich, in respektvollem Abstand, seine Flottensoldaten. Die Marines würden natürlich an Bord des Shuttles bleiben – an Bord eines terranischen Schiffes waren sie überflüssig. Sie hatten ihn nur begleitet, weil es in grauer Vorzeit tatsächlich den einen oder anderen Versuch gegeben hatte, einen TSN-Flaggenoffizier während eines Shuttlefluges zu kidnappen.

Commodore Schupp war nur ein paar Jahre älter als sein ehemaliger Untergebener, doch sein Haupthaar und der sorgfältig geschnittene Bart waren bereits vollkommen weiß. Aber er hielt sich aufrecht, war unübersehbar das Zentrum des Empfangkomitees und bewegte sich mit einer Energie, die sein Alter Lügen zu strafen schien. In seiner Galauniform bot er einen beeindruckenden Anblick.
Der Commodore ließ für einen Moment seine Augen über die angetretenen Reihen schweifen, und kurz huschte ein Lächeln über seine Züge. Dann salutierte er: "Admiral, willkommen an Bord der Indomitable. Es freut mich, Sie auf ihrem neuen Posten wiederzusehen. Herzlichen Glückwunsch."
Mithel erwiderte den Gruß: „Commodore...vielen Dank. Auch ich bin erfreut, wieder mit Ihnen zusammenzuarbeiten.“
Innerlich atmete er auf, denn er hatte genug Menschenkenntnis, um zu erkennen, dass hier nicht jemand vor ihm stand, der sich zurückgesetzt fühlte. Der ältere Offizier schien vielmehr mit sich und der Welt im Reinen zu sein – was bestimmt nicht jedem geglückt wäre, der drei Jahre rangmäßig auf der Stelle getreten hatte.
Eskortiert von zwei Marines der Indomitable machten die beiden Flaggenoffiziere sich auf den Weg zum Besprechungsraum.

Entgegen seiner Gewohnheiten, Persönliches so gut wie nie anzusprechen, erlaubte sich Mithel diesmal eine Ausnahme: "Wenn Sie mir die Bemerkung erlauben, Sie sehen gut aus."
Schupp lachte leise: "Sie meinen – wollen es aber nicht sagen – für mein Alter? Tja, glücklicherweise gilt für Flottenoffiziere nicht der alte Ausspruch, man solle den betagten Gaul bei Zeiten aus dem Geschirr lösen, damit er nicht stolpere, und zum Gespött werde..." womit er einmal mehr seiner bekannten, von manchen Leuten auch bespöttelten Angewohnheit frönte, alte Sprichwörter, Zitate oder dergleichen mehr anzubringen.
Mithel protestierte höflich: "Ich würde Sie niemals mit einem alten Gaul vergleichen..."
Der Commodore lachte noch etwas lauter: „Wissen Sie, was man auch sagt? Dass es keinen Mann gibt, der nicht senil wird, wenn er auf die 60 zugeht. Und wenn er glaubt, das würde für ihn nicht gelten, ist er schon senil.“ Angesichts dessen, dass er noch älter war als Mithel, war das ziemlich selbstkritisch.
„Aber machen Sie sich darüber keine Gedanken. Mir ist in den letzten Monaten noch ganz anderes an den Kopf geworfen worden, wenn auch nicht von Angesicht zu Angesicht."
Das veranlasste Mithel zu einem schiefen Grinsen, denn er wusste natürlich, wovon der ältere Offizier sprach. Er fragte sich, was seine Crew denken würde, wenn sie ihn und Schupp jetzt hören könnte: "Wie ist es denn so, das Piratenleben, senil oder nicht?"
Schupp lächelte spöttisch: "Jetzt, wo Sie fragen, ich habe tatsächlich schon überlegt, mir einen Papagei zuzulegen, wo es zu Holzbein und Augenklappe schon nicht reicht."

Commodore Schupp hatte sich auf seinem neuen Posten bewährt. Er hatte über den Großteil der letzten Jahre eine mobile, weitestgehend autonom operierende Halbschwadron – oder Division – von TSN-Kampfkreuzern befehligt, meistens zwei schwere und zwei leichte Kreuzer plus ein Flakkreuzer. Sein Verband hatte ,Feuerwehr‘ für CN-Einheiten gespielt, als Deckungsgruppe für andere Verbände und wichtige Geleitzüge fungiert, imperiale Raider abgefangen und Vorstöße in kaiserliche Systeme unternommen – aggressive Minenunternehmen, Strangulationsangriffe gegen den feindlichen Nachschub und dergleichen mehr.
Mehr als einmal hatte er, wie sich die konföderierte Presse ausdrückte "Admiral Ilis die Schwanzschuppen versengt" – es hatte da tatsächlich ein paar recht gelungene Karikaturen gegeben. Schupp hatte sich zwei terranische Bronzestars und auch einige Auszeichnungen der Konföderation verdient. Laut einigen Gerüchten hatte er sogar kurz vor der Beförderung zum Rear-Admiral gestanden. Die Bezeichnung "Pirat" hatte er aber nicht der imperialen Propaganda zu verdanken, die die wenigstens konföderierten oder terranischen Kommandeure überhaupt einmal namentlich erwähnte – vermutlich, weil sie dies für zuviel der Ehre hielt.
Nein, diese spezielle Bezeichnung hatte er sich erst erworben, als die Konföderation kapitulierte, was den gesamten Kriegsschauplatz auf den Kopf stellte. Schupp hatte wie viele andere die Anordnungen von Admiral Girad zum Vorgehen gegen konföderierte Schiffe erhalten, und er hatte sie mit einer Effektivität und Entschlossenheit durchgesetzt wie kaum ein zweiter semiautonomer Flottenkommandeur. Viele Terraner hatten erst einmal abgewartet, nachgefragt, sich darauf beschränkt, in ihrem augenblicklichen Operationssystem zu handeln. Nicht so Schupp. Der Commodore hatte sich umgehend mit den lokalen NIC- und TIS-Dienststellen in Verbindung gesetzt, hatte das zivile Nachrichtennetz angezapft, und dann losgeschlagen. Seine Schiffe hatten nach kurzem Kampf einen kompletten Geleitzug der Konföderation aufgebracht, der gerade das Gebiet der FRT verlassen wollte. Zwei Korvetten, zwei Fregatten und ein Dutzend Frachter voller Militärgüter – Atomraketen, Gefechtsfahrzeuge, Material für Großkampfschiffe aus FRT-Fabriken und dergleichen mehr – hatten kapitulieren müssen, die Besatzungen waren interniert worden. Kurz darauf hatte er einen einzelnen konföderierten Zerstörer abgefangen und mit chirurgischer Präzision manövrierunfähig geschossen, der auf Schleichrouten versuchte, heimatliche Gefilde zu erreichen.

Es war ihm sicher nicht leicht gefallen, gegen diejenigen vorzugehen, die über Jahre seine Mitstreiter gewesen waren, schließlich war er dem Vernehmen nach mit etlichen konföderierten Kommandeuren befreundet gewesen. Aber er hatte getan, was er für das Richtige hielt, und nicht etwa halbherzig, sondern mit aller Entschlossenheit. In Folge dessen nahm er auf der Liste der terranischen Offiziere, deren Auslieferung und Bestrafung die Konföderation ebenso anmaßend wie fruchtlos forderte, einen Ehrenplatz ein, dicht hinter Admiral Vanessa Girad und Commander Lukas Wagner – der Frau, die die erste und größte Internierungsaktion gegen die konföderierte Flotte angeordnet, und dem Interimschef eines Ticonderoga, der dabei einen CN-Kreuzer kampfunfähig geschossen hatte. Einige konföderierte Hitzköpfe – ob auf Anregung ihrer neuen imperialen Freunde oder nicht – hatten gegen ihn wie im Falle anderer TSN-Angehörigen auf eine Anklage wegen Piraterie plädiert, einem Verbrechen, für das einige Planeten der CC die Verhängung der Todesstrafe erlaubten. Wie in den anderen Fällen war die Gefahr einer Auslieferung Schupps jedoch praktisch nicht gegeben. Aber wie seine Kameraden durfte er damit rechnen, dass seine persönlichen Karrierechancen zumindest vorläufig gegen Null tendierten. Denn auch wenn die FRT vorgab, sich wenig um die Befindlichkeiten des unzuverlässigen ehemaligen Verbündeten zu kümmern, man wollte ihn auch nicht unbedingt unnötig direkt brüskieren. Die Operationen gegen die CN, zumal jene, bei denen Blut geflossen war, wurden darüber hinaus von einigen terranischen Flottenangehörigen als Schande betrachtet, und vielen anderen waren sie zumindest peinlich. Aber wenn Schupp noch ein schlechtes Gewissen wegen der Vorfälle hatte, dann konnte er das gut unterdrücken.

Erst als die beiden Kommandeure im Besprechungsraum allein waren, wurde das Gespräch wieder ernster. Manche Dinge beredete man eben besser unter vier Augen.
"Sie fragen sich sicher, warum wir uns auf diese Weise treffen?" erkundigte sich Mithel.
"Der Gedanke kam mir. Man hat mir bisher nur sehr nebulöse Hinweise gegeben, was meine eigentliche Aufgabe sein soll."
Der Brite nickte knapp: "Ihre offiziellen Anweisungen erhalten Sie natürlich noch, und das Vergnügen wird die Verbandskommandeurin haben, aber ich darf Ihnen schon einen kurzen Einblick geben. Nun, kurz und gut, ich werde die ehrenvolle Aufgabe, die Columbia zu beschützen, vertrauensvoll wieder in Ihre Hände legen – jedenfalls für eine Weile. Sagen wir es so, dass man mir neue Aufgaben zugewiesen hat, und deshalb trennen sich die Wege der Kreuzerschwadron 2.3 und ihres Schützlings zumindest zeitweilig. Sie übernehmen eine vollkommen neue Halbschwadron von Kreuzern, welche die Columbia auf ihrer nächsten Mission zur Unterstützung der Peshten eskortiert. Wie Ihre genauen Aufgaben über diesen Schutzauftrag hinaus aussehen – Eingreifen in die Bodenkämpfe, einen Vorstoß gegen den feindlichen Nachschub, vielleicht gar eine offene Konfrontation mit Peshten-Putschisten oder kaiserlichen Truppen – das lässt sich im Moment noch nicht absehen. Offen gestanden bezweifle ich, dass selbst Admiral Girad das in allen Einzelheiten weiß oder vorausberechnen kann. Zugleich brauchen wir Sie, um ein bisschen Nebel zu verbreiten, was den genauen Aufenthaltsort der Kreuzer des bisherigen Columbia-Geschwaders angeht. Am besten wäre es, wenn die Echsen glauben, wir wären teils im Dock, teils bei der Columbia. Man wird entsprechend verlauten lassen, dass es auch darum geht, die Erfahrungen aus den letzten Schlachten – Karrashin und Sterntor – zu evaluieren, und einige Kreuzer sollten aufgewertet oder repariert werden, ich selber wäre zur Erde abberufen... Und nicht zuletzt werden auch eine Handvoll Kommunikationsoffiziere meiner Schwadron an Bord Ihrer Schiffe sein, um die Akarii ein wenig in die Irre zu führen – wie auch andere in unserem Hinterland bei der Arbeit sind."
Schupp war erfahren genug, nicht genauer nachzufragen. Ihm schwante warum man offenbar brennend interessiert war, den genauen Standort und das Treiben der Schwadron 2.3 zu verschleiern. Das roch nach irgendeinem Sonderauftrag.
"Sie als ehemaliger Chef der Schwadron sind natürlich der beste Kandidat, dem Gegner etwas Sand in die Augen zu streuen. Nicht zuletzt, da man sich an Ihren Namen erinnern wird. Ob Ihre Aufgabe zum Schutz der Columbia von Dauer sein wird, steht noch nicht fest, aber gehen wir sicherheitshalber mal davon aus. Dafür sind Sie selbstverständlich besser als jeder andere geeignet, bei ihrer Erfahrung bei Graxxon und Corsfield." Mithel neigte nicht gerade zu Lobhudeleien, wenn er es nicht auch so meinte, fühlte sich aber auch etwas veranlasst, Schupp moralischen Beifall zu spenden. Immerhin würde der deutlich weniger Schiffe zur Verfügung haben als eine klassische Kreuzerschwadron.

Während er auf einige Schiffs- und Personalakten deutete, die Schupp vor sich liegen hatte, fuhr Mithel fort: "Gewissermaßen ist der Auftrag passgenau auf Ihre Erfahrungen zugeschnitten. Es wird nicht einfach werden, denn Sie müssen eine Schwadron aus sehr unterschiedlichen Schiffen kommandieren, unter zumindest heikel zu nennenden Umständen, mitten in einem diplomatischen Wespennest. Aber mit Ihren Erfahrungen bei der Zusammenarbeit mit den Konföderierten, auch mit Nichtmenschen, sind Sie einer der besten Kandidaten in der TSN für so eine Aufgabe. Das Konkordat ist natürlich nicht die Konföderation, aber dennoch wird Ihnen die Erfahrung bei der Zusammenarbeit mit einer anderen Streitmacht gute Dienste leisten. Und natürlich sind Sie und Girad auch eine Botschaft an die Peshten..." Auch das führte er nicht aus. Man konnte das unterschiedlich verstehen. Girad und – in geringerem Maße – Schupp standen für die Fähigkeit der Terraner, sich flexibel an rapide ändernde Bedingungen anzupassen und unter widrigsten Umständen das Beste zu erreichen. Aber gerade Girad war natürlich auch Symbol für den harten Kurs der FRT gegenüber wankelmütigen Verbündeten. Und das konnte, und sollte man wohl auch, als dezente Warnung an die Peshten verstehen, falls es dort Kreise gab, die ebenfalls an einen Kurswechsel in der Außenpolitik dachten.
"Ich wollte Sie persönlich über diese Aspekte ihrer Mission informieren, und was ihre neuen Kommandanten angeht...da gibt es einige Dinge, die wir bedenken sollten. Bis sie eintreffen, haben wir ja noch etwas Zeit..."

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Kein leichter Auftrag, Teil II

TSN-Kreuzer Indomitable, einige Zeit später

Die beiden Offiziere, die Seite an Seite durch die Gänge der Indomitable schritten, hätten unterschiedlicher kaum sein können. Captain Keiko Amato war nicht viel über fünf Fuß hoch und von zierlichem Körperbau. Sie trug die schwarzen Haare nackenlang, und ihre dunklen Augen wirkten prüfend, manchmal etwas argwöhnisch. Als gebürtige Terranerin, die aus einer Arbeiterfamilie stammte, war ihr ihr ganzes Leben lang wenig geschenkt worden, und auch heute musste sie sorgsam mit ihrem Sold umgehen. Sie hatte sich mit Beharrlichkeit und Talent die Rangleiter emporgearbeitet und dabei selten Kompromisse gemacht. Die inzwischen fünfzehnjährige Tochter der ledigen Japanerin war in erster Linie von den Großeltern erzogen worden. In den letzten gut sechs Jahren hatten Mutter und Kind nicht einmal ebenso viele Monate miteinander verbracht. Auch wenn Keiko sich bolzengerade hielt und zielstrebig und energisch ausschritt, wirkte sie mitunter, etwa beim Abschreiten einer Ehrenformation, schon fast zerbrechlich. Ihr Alter – sie war ein paar Jahre über 40 – sah man ihr nicht an. Und was sie vielleicht am meisten von ihrem Kameraden abhob – ihre Uniform wich aus gutem Grund in einigen Punkten von der üblichen TSN-Galauniform ab.

Der Mann neben ihr hingegen, Captain Narendra Mathradas Nanda, maß deutlich über sechs Fuß, und wirkte durch seinen eher fülligen Körperbau neben seiner zierlichen Kollegin noch dominanter. Er war Ende 50, in seinem sorgfältig geschnittenen Vollbart zeigten sich wie in seinen Kopfhaaren bereits graue Strähnen. Die dunkelbraunen Augen in dem faltigen Gesicht blickten gemütlich, ja fast vergnügt in die Welt. Er kam aus einer Familie, die in gleich mehrfacher Hinsicht fast schon „adlig“ zu nennen war. Zum einen hatte sie eine lange und stolze Flottentradition, die ihre Wurzeln bis prä-bundesrepublikanische Zeiten zurückverfolgen konnte. Sie hatten praktisch von der Gründung der TSN an Offiziere gestellt, und ein gutes halbes Dutzend hatte es bis in den Rang eines Flaggoffiziers gebracht. Und damit nicht genug – seinem Familienzweig gehörten mit Abstand der meiste Landbesitz und drei Viertel der Agrofarmen und –fabriken auf New-Harappa, einer mittelgroßen Siedlerwelt, deren Einwohner mehrheitlich vom indischen Subkontinent stammten. Er war seit über 30 Jahren angemessen verheiratet, hatte vier Kinder und inzwischen neun Enkelkinder. Wenn man ihn so sah, gehüllt in eine Aura von Selbstsicherheit, konnte man sich gut vorstellen, dass er sowohl die Brücke eines TSN-Kriegsschiffes als auch eine beliebige zivile Veranstaltung oder Gesprächsrunde zu dominieren vermochte.

Commodore Schupp war natürlich bestens darüber informiert, wen er zu erwarten hatte. Personalakten mochten nicht JEDEN Aspekt einer Persönlichkeit einfangen, aber gerade bei Kommandooffizieren gaben sie doch ein recht umfassendes Bild, bis hin zu psychologischen Profilen und Beurteilungen. Nicht, dass es da nicht Raum für Irrtümer und Manipulationen gegeben hätte, aber im allgemeinen waren sie doch recht verlässlich, und mussten es auch sein.
Die Entscheidung ob jemand ein neues Kommando übernahm, einer bestimmten Schwadron zugeteilt wurde, fiel selbstverständlich in erster Linie auf dem „Gipfel des Olymps“, vielleicht bei den Flottenbefehlshabern, vor allem aber im Personalbüro der TSN – nicht bei den Schwadronschefs. Diese konnten natürlich Vorschläge unterbreiten oder auch Einspruch erheben. Doch wenn sie keine gute „Hausmacht“ besaßen, es ihnen an Verbindungen mangelte, konnten sie nicht viel mitbestimmen. Ein Kommandeur, der mit den ihm unterstellten Kapitänen nicht klarkam, war zwar durchaus in der Lage, diesen ihre Karriere zu vermiesen, aber wenn das zu oft vorkam, warf dies kein gutes Licht auf seine eigenen Führungsqualitäten. Die TSN erwartete, dass sich Untergebene an ihre Vorgesetzten anpassten, und die Vorgesetzten ihre Untergebenen angemessen zu behandeln wussten.
Obwohl also das kommende Gespräch deshalb zum Teil eine Formalität war, nahmen es alle Beteiligten sehr ernst. Der erste Eindruck war oft wenn schon nicht entscheidend, so doch prägend. Und voraussichtlich würden man in den nächsten Wochen und Monaten aufeinander angewiesen sein. Eine Schwadron mochte zwar auch durch Befehl und Gehorsam funktionieren, aber sie arbeitete wesentlich effektiver, wenn der Schwadronschef und seine Untergebenen ein Team bildeten. Dabei war es meist nicht zweifelhaft, wer das Sagen hatte, aber ein guter Kommandeur kannte die Stärken seine Untergebenen, gab ihnen die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten zu entfalten und hörte sich wenn möglich ihre Meinung an. Und gute Kapitäne wussten, wie ihr Vorgesetzter sich voraussichtlich verhalten würde, was man ihm vorschlagen konnte, und was man besser für sich behielt.

Captain Nanda hatte gewissermaßen die Führung übernommen – er trat zuerst ein, und er salutierte auch zuerst, als er und Captain Amato das Besprechungszimmer betraten. Das lag weniger an dem angeblichen Patriarchat innerhalb der Navy, das manchmal noch beklagt wurde, als an dem – ebenfalls vielfach kritisierten – überlieferten Senioritätsprinzip, denn er war nun einmal der dienstältere der beiden Offiziere.
Henning Schupp nickte knapp, aber freundlich, und bedeutete seinen künftigen Untergebenen, Platz zu nehmen: „Willkommen, Captain Nanda, Captain Amato. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen. Rear-Admiral Mithel als bisheriger Wachhund der Columbia wollte an dieser Besprechung teilnehmen, auch aus praktischen Gründen. Die operativen Einzelheiten Ihres Auftrags werden wir noch erörtern…“ Er musterte die Neuankömmlinge, und da er dabei nach Kräften von Chris Mithel unterstützt wurde, hätte so mancher Kapitän sicher äußerst unbehaglich gefühlt. Seine neuen Untergebenen aber konnten entweder ihre Gefühle gut unter Kontrolle zu halten, oder ruhten ausreichend in sich selbst.

„Captain Nanda, zunächst zu Ihnen. Sie haben die Philoketes erst vor drei Monaten übernommen. Ist Ihr Flakkreuzer angesichts dessen, dass das Schiff quasi frisch aus der Werft kommt, nach ihrer Einschätzung kampfbereit?“ So eine Frage war natürlich immer ein Stück weit heimtückisch. Sagte der Kommandant ja, und es erwies sich, dass er etwas zu optimistisch gewesen war, bedeutete dies oft das Todesurteil für seine Karriere – mitunter auch für ihn und sein Schiff. Sagte er nein, warf das Fragen zu seinen Führungsqualitäten und Einsatzbereitschaft auf. Der Inder schien aber keine Zweifel zu haben: „In Anbetracht der kriegsmäßigen Standards ist das Schiff gefechtsbereit, Commodore. Die Bewertungsparameter für taktische Bewegung, die Trefferergebnisse wie auch die elektronische Kriegsführung, Schadensbekämpfung und dergleichen liegen zwischen siebzig und achtzig Prozent, und ich gehe davon aus, dass wir sie noch steigern können. Auch die sekundären Unterstützungseinheiten wie die Marines-Kompanie und die sechs Bordshuttles sind voll gefechtsbereit und in die Einsatzvorbereitungen umfassend integriert worden. Die Crew verfügt über einen erfahrenen Mannschaftsstamm von fast einem Drittel kampferprobter Veteranen, Männer und Frauen von leichten Einheiten oder Havaristen. Weniger als wünschenswert wäre, aber unter den gegebenen Umständen das Beste, worauf man hoffen konnte. Etwas mehr Übung kann natürlich nie schaden.“
Schnupp spitzte nachdenklich die Lippen: „Und der Versetzungsgesuch Ihres Ersten Offiziers? Ist das nicht etwas…ungewöhnlich zu dieser Stunde?“
„Commander Turner ist eine fähige und versierte Offizierin. Sie hat möglicherweise selber gehofft, das Kommando zu erhalten, da sie ihren Perisher-Abschluss frisch in der Tasche hat. Ich habe ihr jedoch klar gemacht, dass sie ihren Posten als Chance verstehen sollte, auch wenn sie ihren Kapitän vielleicht für etwas…altmodisch hält.“
Der Commodore lächelte dünn. Möglicherweise malte er sich aus, wie der neben ihm sitzende Rear-Admiral mit einer Untergebenen, die sich so verhielt, umgegangen wäre.
„Wie Sie meinen. Ich vertraue Ihrem Urteil, dass dem auch wirklich und auf Dauer so ist. Gerade als Kapitän Ihres Schiffes wissen sie zweifellos, dass eine schwärende Wunde sehr langwierig und schmerzhaft sein kann, aber wenn dies keine ist…*“

Captain Nanda grinste – er hatte zweifellos von Schupps Marotte gehört, seine Worte mit solchen Anspielungen zu würzen.
Er wurde aber sofort ernst, als Rear-Admiral Mithel das Wort ergriff: „Captain, Sie haben in den acht Jahren vor dem Krieg erst eine Korvette, dann eine Fregatte kommandiert.“ Manche hätten diese Worte als verdeckte Kritik aufgefasst, aber vor dem Krieg war die Karriere eines TSN-Kapitäns meistens sehr schleppend verlaufen. Ein Postenwechsel war die Ausnahme, neue Schiffe wurden nur in überschaubarem Maße in Dienst gestellt, und wer erst einmal auf einem Kommandostuhl saß, fiel nur bei gröbster Inkompetenz wieder herunter. Erst der Krieg hatte zu wesentlich…rasanteren Karriereverläufen beigetragen.
„Sie haben dann im zweiten Kriegsjahr einen Zerstörer übernommen. Ihre Beurteilungen sowohl beim Konvoidienst, als auch später im offensiven Gefechtseinsatz sind über jeden Zweifel erhaben, sonst hätte man Ihnen keinen neuen Kreuzer anvertraut. Dennoch…Sie haben zweimal vor dem Krieg ein Jahr als Erster Offizier auf einem Kampfkreuzer gedient. Sie waren auch im Gespräch für das Kommando eines solchen Schiffes. Haben Sie nicht gehofft, ein Schiff übernehmen zu können, das eine…aktivere Rolle im Gefecht übernimmt?“ Damit spielte Mithel darauf an, dass manche Offiziere einen Flakkreuzer im Vergleich zu anderen Schiffen für ein etwas weniger ruhmreiches Kommando hielten. Die Dauntless-Kreuzer hatten primär eine Unterstützungsrolle, und brillierten neben der elektronischen Kriegführung besonders bei der Abwehr feindlicher Jäger und Marschflugkörper. Direkte Kampfeinsätze waren aufgrund der mangelnden Bestückung mit Schiff-Schiff-Raketen hochriskant, und die reine Vernichtungsbilanz der Schiffe fiel natürlich deutlich hinter denen der Kampfkreuzer ab, was sich nicht selten auch auf die Karriere der Kommandeure und Crew auswirkte. Doch Captain Nanda war zu vorsichtig, um in diese Falle zu tappen: „Sir, als Captain im Geleitdienst wie später im offensiven Kampfeinsatz habe ich Aufgaben wie sie künftig von mir erwartet werden bereits mehrfach übernommen. Ob nun die Versenkungszahlen auf mein Konto gehen, oder auf das der Schiffe in meinem Verband, spielt keine Rolle. Nach sechs Jahren Krieg denke ich, dass mich zwar direkte Kampfeinsätze nicht mehr schrecken, aber noch viel weniger sehne ich sie so sehr herbei, dass ich darüber meine EIGENTLICHE Aufgabe vergesse.“ Er klang so, als würde er das auch ernst meinen – und das war es wohl auch, was die höherrangigen Offiziere hören wollten. Mithel nickte lächelnd: „Eine Weisheit, die manch anderem abgeht. Freut mich, dass mein ehemaliger Schützling bei Ihnen in guten Händen ist.“

An dieser Stelle übernahm wieder Schupp die Gesprächsführung, indem er sich an den zweiten der beiden dienstjüngeren Kapitäne wandte: „Captain Amato, Sie haben Ihr Perisher-Patent vor nicht viel mehr als einem Vierteljahr erhalten. Aufgrund…besonderer Umstände haben Sie ihr augenblickliches Kommando vor nunmehr zweieinhalb Monaten angetreten.“ Die Stimme des Commodore blieb bewusst neutral, aber ein guter Beobachter hätte erkennen können, dass diese „besonderen Umstände“ offenbar für Keiko Amato zu den eher unangenehmen Erinnerungen gehörten.
„Selbstverständlich respektiere ich die Einschätzung der zuständigen Stellen über die Einsatzbereitschaft Ihres Schiffes. Ich hätte aber gerne auch Ihre offene Einschätzung, angesichts der ungewöhnlichen Umstände. Ist die Nakano Takeko wirklich für einen Gefechtseinsatz bereit?“

Schupps Frage kam nicht von ungefähr, und war nicht eine derartige Unterstellung, wie seine angedeuteten Bedenken normalerweise suggeriert hätten. Die Nakano Takeko war gewissermaßen ein Anachronismus, und es mochte Kommandeure geben, die ihre Gegenwart bei einer TSN-Operation aus mehreren Gründen vehement abgelehnt hätten. Zunächst einmal war sie gar kein Schiff der terranischen Flotte, sondern gehörte zur Spaceguard der Republik Japan. Ihr Einsatz war damit – und das mochte bei etlichen TSN-Offizieren zusätzlich zu den teils verdeckten, teils offen ausgesprochenen Zweifeln beitragen – Teil des politischen Erdbebens, das von den Rückschlägen der letzten Monate ausgelöst worden war. Insbesondere die Kapitulation der Konföderation und der drohende Konflikt mit den ehemaligen Verbündeten, aber auch die Schlacht um beziehungsweise Beschießung von Masters hatten eingeschlagen wie die sprichwörtliche Bombe. Die Frage nach der Einbindung der Streitkräfte der Bundesstaaten in den Krieg war jetzt Gegenstand intensiver Diskussionen. Einige Ministerpräsidenten nahmen das, was man mitunter den „Verrat von Masters“ nannte – den taktischen Rückzug in der ersten Sterntor-Schlacht, die die Beschießung der Welt durch die kaiserliche Flotte ermöglicht hatte – zum Anlass, um die Nationalgarden ihrer Welten drastisch aufzurüsten.
Natürlich kostete das Zeit. Selbst wenn man sich darauf beschränkte, die stationäre Verteidigung durch Minenfelder, Gefechtssatelliten und bodengestützte Batterien zu verstärken und zusätzliche Raumjägerstaffeln aufzustellen oder zumindest zu modernisieren, musste das Material beschafft, die Besatzungen rekrutiert und geschult werden. Mehrere Bundesstaaten waren nicht bereit zu warten, bis die mitunter etwas schwerfällige Rüstungsindustrie der FRT ihnen das lieferte, was sie wünschten. Sie waren dabei, eigene Kapazitäten, die sonst für den Bau von Shuttles und Frachtern genutzt wurden, für die Lizenzfertigung von Jägern oder leichten Kriegsschiffen umzurüsten. Auch die Schulungseinrichtungen der Nationalgarden wurden zum Teil erheblich ausgebaut, und nach der Erfahrung des Angriffs auf Hannover wurden auch Bodenkämpfe für wesentlich wahrscheinlicher erachtet, als noch vor einem halben Jahr. Viele Bundesstaaten bauten deshalb auch ihre bodengestützten Streitkräfte aus. Einige Zyniker meinten, dies geschehe auch, weil man so noch zu den vergleichsweise geringsten Kosten den Einwohnern und Wählern ein Gefühl vermitteln könne, es werde etwas getan.

Andere Ministerpräsidenten, und dabei nahmen die Regierungschefs von Seafort und Masters eine Schlüsselrolle ein, mahnten eine aktivere Beteiligung der Nationalgarden an den Kriegsanstrengungen an, verbunden mit einem gewissen Mitspracherecht über ihre Verwendung. Das Vertrauen in die Zentralregierung war durch die letzten Ereignisse ernsthaft erschüttert worden. Zwar hatten die Nationalgarden bisher bereits einen beachtlichen, wenn auch vielfach eher übersehenen Beitrag zu den Kriegsanstrengungen geleistet. Sie hatten Personal – vor allem Piloten und geschulte Besatzungsangehörige – dauerhaft oder im Rahmen eines Rotationsverfahrens an die TSN überstellt. Im Zuge der terranischen Offensiven der letzten Jahre waren eine Reihe von Infanterie- und Panzerbrigaden wie auch paramilitärische Polizeieinheiten und Angehörige polizeilicher oder militärischer Spezialkommandos der Bundesstaaten als Besatzungstruppen oder für den direkten Kampfeinsatz auf Akarii-Welten verlegt worden, dazu mehrere Dutzend Heeresfliegerstaffeln. Kriegsschiffe der Nationalgarden hatten gelegentlich Geleitschutzdienste übernommen, sowohl innerhalb der TSN als auch in den besetzten Gebieten, und waren Teil von Aktionen gegen die wieder erstarkten Piraten an der Peripherie der TSN gewesen. Doch nun ging es um eine drastische Steigerung des Engagements. Allein Masters hatte signalisiert, binnen kürzester Zeit neun Infanterie- und drei Panzerbrigaden, gut zehntausend Polizeikräfte, Eliteeinheiten sowie ein halbes Dutzend Staffeln Heeresflieger zum Einsatz auf Akariiwelten zur Verfügung zu stellen.

Auch einige Bundesstaaten des Sol-System wollten da nicht zurückstehen. Und deshalb hatte die Republik Japan nicht nur eine Division leichter Schiffe in Gestalt von je zwei Zerstörern, Fregatten und Korvetten für den Konvoidienst detachiert, sondern war auch bereit, ihr Flaggschiff in den Krieg zu schicken.
Der altehrwürdige Kirow-Kreuzer war unter dem Namen St. Olga Yelena**, damals ein Stück State-of-the-art der ersten Generation, gerade rechtzeitig vom Stapel gelaufen, um an den so genannten Totenkopf-Kriegen teilzunehmen, den blutigen, langwierigen Kämpfen mit den Piratenlords, die im Regulus-Feldzug gegen Galen Cox ihren würdigen Abschluss gefunden hatten. Vielen Menschen in der gegenwärtigen FRT und TSN konnten mit den Namen der meisten Schlachten dieses halb vergessenen Krieges nichts mehr anfangen, es sei denn, sie hatten sich irgendwann einmal in einer vermutlich stark dramatisierten und zumeist etwas verfremdeten Fassung für die Trivialliteratur oder den Film festgelesen beziehungsweise „verguckt“. Keiner wollte gerne daran erinnert werden, dass jahrelang Banden von Gesetzlosen an den Grenzen der FRT fast nach Belieben zugeschlagen und die TSN tausende von Männern und Frauen in diesen Kämpfen verloren hatte – gegen Kriminelle.
Den TSN-Kreuzer St. Olga Yelena hatte zufällig ein entfernter Verwandter des damaligen Tenno kommandiert, des japanischen Kaisers. Er war bei einer Geleitzugschlacht im Kampf gegen mehrere Piratenzerstörer auf ihrer Brücke schwer verwundet worden, sein Schiff hatte fast einhundert tote oder verletzte Besatzungsmitglieder gezählt. Doch sie hatten das Schiff zum Sieg geführt, obwohl ihr Kapitän zwei Tage nach dem Gefecht seinen Wunden erlegen war. Vermutlich war das einer der Gründe gewesen, warum Jahre später, als die Flotte die in die Jahre kommenden Kirows ausmusterte, die Republik Japan den Kreuzer erworben hatte. Er war umgetauft und zum Flaggschiff der Nationalgarde geworden, gewissermaßen geheiligter Boden durch das vergossene Blut des Kaiserhauses, als Vermächtnis der auf ihm gefallenen Männer und Frauen, die wie viele andere japanische Kriegstoten aus fast 900 Jahren im Schrein von Yasukuni als Götter verehrt wurden. Deshalb war er auch vor dem Schicksal der meisten seiner Schwesterschiffe bewahrt worden, der schmählichen Abwrackung oder Abrüstung. Vielmehr war das Schiff mehrfach „vom Mastkorb bis zum Kiel“ überholt, modernisiert und aufgewertet worden. Böse Zungen behaupteten, für das Geld, das dabei aufgewendet worden war, hätte sich die japanische Nationalgarde leicht zwei moderne Ticonderoga kaufen können, und es wäre noch eine Menge übrig geblieben. Aber das japanische Militär war nun einmal recht traditionsbewusst. Und so war die Nakano Takeko der wohl kampfstärkste Kirow-Kreuzer den es momentan gab. Mit 850 Mann Besatzung, einer Geschwindigkeit, die noch bei alten Höchstwerten lag, zwölf der modernsten Schiffs- und acht Impulslasern, drei zwölfrohrigen Exocet II-Raketenwerfer und vier Sparrow-15er Werfern war sie gut bewaffnet, und ihre Schilde und elektronische Ausrüstung waren hochmodern.
Die Entscheidung, das Schiff ausgerechnet in diesen Einsatz zu schicken, war jedenfalls nach reiflicher Überlegung gefallen. Nicht zuletzt durch die Fürsprache von Rear-Admiral Mithel – die Nakano Takeko sollte ursprünglich seiner Schwadron zugeteilt werden – war sie für den Einsatz bei den Peshten abkommandiert. Dabei spielten mehrere Faktoren eine Rolle. Die Tradition des Kreuzers als „kaiserliches“ Schiff, das eng mit dem japanischen Totenkult verknüpft war, kam einigen der in mancher Hinsicht erstaunlich ähnlichen Ahnenkulten der Peshten entgegen.

Wie ihr Kamerad war sich Captain Amato nur zu bewusst, wie heikel die Frage war – und jede mögliche Antwort. Dies galt in ihrem Fall sogar noch in höherem Maße. Einige TSN-Kommandeure opponierten entschieden gegen eine Beteiligung der Nationalgarde an den Kampfhandlungen, wenn diese über die reine Zurverfügungstellung von Personal hinausging. Die Versuche der Einflussnahme durch die Ministerpräsidenten stießen nicht unbedingt auf Gegenliebe, fremdelte ein Teil des Offizierskorps doch schon gelegentlich mit den Entscheidungen der Bundesregierung. Andere Kommandeure – und zu denen zählte bekanntermaßen Rear-Admiral Mithel – hingegen waren wesentlich offener, ja befürworteten die Einbindung der Bundesstaaten und ihrer Streitkräfte vehement.
„Die Nakano Takeko hat während des Krieges bereits an einem halben Dutzend Geleitzugeinsätze teilgenommen, auch wenn es dabei nicht zu nennenswerten Kämpfen kam. Zudem haben zahlreiche Besatzungsmitglieder aller Ränge im Zuge eines Austauschs an Bord von terranischen und konföderierten Schiffen gekämpft. Unsere…“ sie betonte das Worte „…Leistungen bei Gefechtsübungen waren stets gut, oft auch sehr gut. Dies mag kein vollwertiger Ersatz für einen Einsatz des Schiffes in einem Gefecht sein…“, der letzte aktive Kampfeinsatz ihres Kreuzers lag bereits 30 Jahre zurück, als das Schiff in den Randsektoren der FRT über ein glückloses Piratenschiff gestolpert war, „…doch gilt dies natürlich für jedes neugebaute oder reaktivierte Schiff, das frisch zu einer Gefechtseinheit stößt. Die Crew ist hoch motiviert und bestens geschult, das Schiff ist in erstklassigem Zustand.“
Damit hatte sie zweifellos Recht, denn die Schiffe der Nationalgarde litten nicht unter dem Kriegsverschleiß, dem Wartungsstau, der bei vielen TSN-Einheiten wie auch bei der konföderierten und imperialen Flotte zu beobachten war. „Das Schiff und seine Crew sind vollkommen einsatzbereit. Die JSS*** Nakano Takeko wird ihre Pflicht tun.“
Schupp starrte der jüngeren Offizierin für einen Moment wortlos in die Augen. Es mochte kein direktes Duell der Blicke sein, aber Captain Amato musste sich schon ein Stück weit dazu zwingen, ihre Augen nicht zu senken. Sie wandelte praktisch seit Monaten auf der Schneide eines Dolches, und es gab nur eine Sache, die ihr schmerzhafter erschien, als das Balancieren. Die Möglichkeit, abzustürzen. Schließlich nickte der Commodore knapp: „Nun gut. Das war es, was ich von Ihnen beiden zu hören gehofft hatte.“ Er lächelte knapp.

„Ehe wir in den Einsatz gehen – was sehr bald geschehen kann – werden Sie auf jeden Fall noch die Gelegenheit für ein paar Übungseinsätze erhalten. Ich denke, die können wir alle gebrauchen, immerhin haben wir bisher noch nicht zusammengearbeitet. Und ich freue mich schon darauf, Ihnen den Vierten im Bunde vorstellen zu können. Wir treffen ihn heute Abend an Bord seines Schiffes, die Einzelheiten finden Sie in ihren Unterlagen, wie auch die für die kommende Operation gewählten Codes, ebenso eine Übersicht über die geplanten Manövereinheiten.“ Er deutete auf zwei Datenträger, die bereit lagen. Manche Dinge wurden auch in der TSN am liebsten direkt übergeben, denn die wichtigsten Verschlüsselungs- und Autorisierungscodes durften um keinen Preis in feindliche Hände geraten.
„Ich möchte Sie bitten, mir ihre Gedanken zu Thema Übungen möglichst umgehend mitzuteilen, so wie Sie Zeit hatten, sich damit vertraut zu machen. Sie wissen sicher selber am besten, wo wir die Übungen entsprechend anpassen können, damit sie den Stärken aber auch möglichen Schwächen ihrer Schiffe am besten entsprechen.“ Er grinste knapp: „Die Kooperation seitens von Admiral Mithel und seinen Schiffen können Sie voraussetzen, und auch seitens der Columbia wird man sich bemühen, uns im Rahmen des Möglichen entgegenzukommen. Die Angels benötigen nach den Verlusten der letzten Schlachten einiges an Übung, um die Neulinge zu integrieren. Ich habe zudem veranlasst, dass wir bevorzugt neuversorgt werden – wir können noch nicht mit Sicherheit sagen, wie lange unser Auftrag dauern wird, und da wir uns darauf einstellen müssen, flexibel zu reagieren, will ich, dass wir so gut als möglich vorbereitet sind. Das heißt, neben den Selbstverständlichkeiten…“, als da waren Munition, Ersatzteile medizinische Güter und dergleichen mehr, „…sollten wir auch auf mögliche Sondereinsätze vorbereitet sein. Minen, ausreichend Lebensmittel für eine längere autonome Operation, vielleicht sogar Hilfseinsätze für notleidende Pesten-Welten oder einen Kampfauftrag unserer Bordmarines. Wir können nicht für ALLES bereit sein. Aber wir müssen uns wie Profis verhalten – und das heißt, wir beschäftigen uns mit Logistik, nicht nur mit Taktik…“

Da das Treffen offenkundig vorbei war, erhoben sich die beiden Kapitäne und salutierten. Auch die beiden ranghöheren Offiziere erhoben sich. Doch überraschenderweise schaltete sich Mithel an dieser Stelle noch einmal ein: „Mit Ihrer Erlaubnis, Commodore…Captain Amato, wenn Sie noch einen Moment bleiben könnten?“ Schupp nickte knapp, und Keiko Amato erstarrte zwar nicht, schien sich aber doch leicht zu versteifen. Ihr Kamerad nickte noch einmal freundlich in die Runde, dann ging er.
Mithel ließ das Schweigen einen Augenblick lang andauern – ob er absichtlich wartete, bis eine etwas unbehagliche Atmosphäre entstand oder noch nach den richtigen Worte suchte, ließ sich schwer sagen. Er begann ruhig, beinahe leise.
„Captain, ein Punkt interessiert mich doch noch – und ich nehme an, dies gilt auch für den Commodore. Sie haben gesagt, dass Crew und Schiff bereit sind. Aber sind SIE auch bereit? Und damit meine ich nicht nur, dass Sie ihre Pflicht im engeren Sinne erfüllen.“ Keiko lief rot an, aber vermutlich eher vor Ärger als vor Verlegenheit. Das war genau die Frage, die sie in den Augen so vieler gesehen, im Unterton der Worte so vieler gehört hatte. Nur hatte es kaum jemand so direkt ausgesprochen. Sie hob zu einer Antwort an, die sie möglicherweise in ernste Schwierigkeiten gebracht hätte, aber eine abrupte Handbewegung des Rear-Admirals stoppte sie. Seine Stimme klang jetzt scharf.
„Sie haben erstklassige Ergebnisse während des Perisher-Kurses erzielt, ein Erfolg war Ihnen praktisch sicher – und das passiert selten genug. Ihre Dienstakte für die Zeit davor war makellos. Sie haben sowohl in Friedenszeiten als auch während des Krieges stets Bestleistungen gebracht und es darüber hinaus auf bewundernswerte Weise verstanden, Beruf und Privatleben zu trennen. Sie waren in jeder Hinsicht die Keiko Amato, an die ich mich erinnere.“
Schupp zog unwillkürlich die Augenbrauen hoch. Dass sein ehemaliger Untergebener und der Captain sich bereits kannten gehörte zu den Dingen, die ihm neu waren.
„Aber dann haben Sie unmittelbar vor den abschließenden Prüfungen einen…Fehler begangen, der nicht nur einen tadelnden Eintrag in ihre Akte bedeutete, sondern Sie dazu auch noch in den Augen ihrer meisten Kollegen praktisch zu einer Unberührbaren gemacht hat. Sie haben gemeinsam mit zwei Kollegen ausgehend von den Anregungen und Ansichten zweier ihrer Lehrer eine Denkschrift verfasst, die eine Niederlage der terranisch-konföderierten Allianz vorhersagte. Die verantwortlichen Lehrer haben das Material nicht etwa nur intern bewertet, sondern es mit ihren eigenen Ansichten ergänzt, im zentralen Perrisher-Netz freigegeben und an das Oberkommando weitergeleitet, mithin es also praktisch zumindest TSN-intern öffentlich gemacht. Sie wurden für diese, und ich kann es nicht anders sagen, DUMMHEIT umgehend – und zu Recht – vom Lehrbetrieb suspendiert, was für sich schon ein denkwürdiges Ereignis war. Solche eine ,Ehre‘ wird einem normalerweise nur für Dinge wie Trunkenheit im Dienst, eine Schlägerei mit einem Kollegen, die Weitergabe von Prüfungsdetails oder die sexuelle Belästigung eines untergebenen Offiziers zuteil. Sie selber und ihre zwei Kollegen durften zwar ohne Restriktionen an der Prüfung teilnehmen, wurden aber ernsthaft verwarnt und wegen Fehlverhaltens getadelt, obwohl keine direkte Strafe wegen Fehlverhaltens verhängt wurde, oder Schlimmeres, wenngleich dies als möglich im Raum stand.“

Mithels Stimme bekam einen leicht spöttischen Unterton, als er fortfuhr: „Sprechen wir erst einmal über die handwerklichen Aspekte. Wir alle haben schon Denkschriften fabriziert und weitergegeben, und wir alle sind damit wohl schon einmal angeeckt, weil wir nicht ganz dem Dienstweg gefolgt sind. Aber normalerweise glauben drei Commander nicht nach nicht einmal einem Monat Arbeit, sie könnten das GESAMTBILD des Krieges besser beurteilen als Männer und Frauen, die seit Jahren mit dieser Aufgabe betraut sind. Oh, einiges klingt durchaus einleuchtend. Aber…Sie haben diese Analyse verfasst auf die…Anregungen eines Rear-Admirals und eines Commodore hin, wobei letzterer nie mehr als eine leichte Schwadron befehligt hat, und das in einer Operation, die man wohl kaum als taktisch-strategische Meisterleistung bezeichnen kann.“ Wieder unterbrach Mithel einen möglichen Protest der jüngeren Offizierin: „Oh, ich bin gar nicht der Meinung, dass Rear-Admiral Kilian Haysen und Commodore Vijad Singh in Bezug auf ihre militärischen Fähigkeiten inkompetent wären. Beide haben ihren Wert unter Beweis gestellt. Ich finde in der Dienstlaufbahn der beiden bei allem gebührenden kollegialem Respekt jedoch nichts, aber auch gar nichts, was von Brillanz kündet, in ihnen gar strategisch-politisch-logistische Meisterhirne vermuten lässt.“
Der Brite lächelte ironisch: „Sie stehen im Moment ebenfalls einem Commodore und einem Rear-Admiral gegenüber. Denken Sie wirklich, wir beiden – brillant will ich uns erprobte Streitrösser nicht nennen, aber auch wir haben unseren Wert mehr als einmal bewiesen – wären so viel DÜMMER als Ihre zwei Lehrer? Und all die Vize-Admiräle und Volladmiräle bis hoch zum Chief of Naval Operations und zum Verteidigungsminister und der Präsidentin? Glauben Sie das? Hätten Sie nicht vielleicht daran einen Gedanken verschwenden sollen?“
Der Rear-Admiral schüttelte den Kopf: „Und kommen Sie nicht auf die Idee, die Rückschläge der letzten Monate als Beweis für Ihre gemeinsamen Thesen zu betrachten, wie es einer ihrer…Leidensgenossen offenkundig getan hat. Sie sind besser als das. Was geschehen ist, war nicht Folge irgendeiner ehernen Gesetzmäßigkeit. Chaotische Faktoren, nicht lineare Ereignisketten – Dinge, die man nicht berechnen oder voraussehen kann – haben ganz erheblich dazu beigetragen. Eine der letzten Entscheidungen eines dahinsiechenden Völkermörders und Despoten, sich einer fähigen, aber vor Jahren aufs Abstellgleis geschobenen Kommandeurin zu erinnern. Das Versagen der politischen und militärischen Führung der Konföderation in einer Kampagne, die rechnerisch gar nicht hätte verloren gehen können. Diesmal ging dies zu unseren Ungunsten aus – aber mitunter haben die Menschen in den vergangenen Jahren auch von solchen Faktoren profitiert. Jors strategisch-taktische Fehlentscheidungen, die Offiziersfronde in der imperialen Flotte, die zur Entfernung einiger der fähigsten Nachwuchsoffiziere führte – all das hat den Kriegsverlauf beeinflusst. Es hat ihn nicht entschieden, aber es sollte uns daran gemahnen, wie wenig berechenbar Krieg ist. Wissen Sie, was die Analysen, verfasst von den besten Experten aus einem halben Dutzend neutraler Staaten, zu Anfang dieses Krieges prophezeit haben? Dass die Menschen kein halbes Jahr durchhalten, ehe sie kniefällig um Gnade bitten müssen. Bei den Akarii gab es einige, die glaubten, es dauert nur ACHT WOCHEN.“

Henning Schupp, der kein Problem damit zu haben schien, dass Mithel im Moment das Treffen dominierte, konnte es sich natürlich nicht verkneifen, an dem Punkt etwas einzuwerfen: „Ja, ich wette, im kaiserlichen Palast werden so einige geglaubt haben, man brauche nur die Tür einzutreten, und das ganze morsche Gebäude bricht zusammen…“
Mithel verzog die Lippen zu einer höhnischen Grimasse. Er verstand natürlich Schupps Anspielung. „In der Tat. Nun, wie wir inzwischen wissen, lag man mit dieser Ansicht falsch, wieder einmal. Und das, Captain Amato, ist es auch, woran die Analysen Ihrer Lehrer und ihre eigene Studie kranken, so brillant sie in mancher Hinsicht auch ist. Weil Sie glauben, Krieg sei etwas, das sich mathematisch genau berechnen lässt. Das ist nicht nur vermessen, es ist auch ganz und gar unrealistisch. Wir erleben das gerade eben wieder. Jede Kristallkugel ist im Moment trübe. Wird bei den Akarii ein Bürgerkrieg ausbrechen? Werden die Sezessionen sich ausweiten und der Draned-Sektor implodieren, nachdem die Flotte von Admiral Taran geschwächt ist und monatelang abwesend war? Wer wird den Thron auf der kaiserlichen Zentralwelt einnehmen, und wie lange wird er sich dort halten können? Wie wird er mit seinen unterlegenen Rivalen und deren Anhang verfahren? Wo stehen und wie lange halten sich die inzwischen doch schon deutlich überalteten Kommandeure des Imperiums, Ilis und Rian? Sie gehören eher zur Generation Eliaks, als in die Gegenwart. Wer wird bei UNS als nächstes regieren? Wird er oder sie strategische, wirtschaftliche und personelle Korrekturen und Veränderungen vornehmen, und wie werden sich diese auswirken? Wird in der Konföderation Generalgouverneur Cochrane stürzen, vielleicht nachdem – oder hoffentlich bevor – er seine Leute in einen bewaffneten Konflikt mit der TSN führt? Und wenn ja, welche Politik wird sein Nachfolger betreiben, wie wird das Kaiserreich, wie die FRT darauf reagieren? Wie verhalten sich die neutralen Staaten? Alles das sind nichtmilitärische Faktoren, die man kaum abschätzen, geschweige denn berechnen kann. Wir können den Gang der Geschichte ein Stück weit versuchen zu beeinflussen. Wir tun dies Tag für Tag. Ihn aber mit Sicherheit vorhersagen, ihn über jeden Zweifel erhaben dominieren, das können wir nicht. Soviel Demut sollten wir denn doch zeigen.
Sie müssen meine Ansicht nicht teilen. Wie gesagt, einige Ihrer Ansätze sind überzeugend, ja brillant, und wir können Denker wie Sie gut gebrauchen. Aber Sie müssen auch lernen, wo die Grenzen dessen liegen, was man kalkulieren kann.“

Mithel musterte die jüngere Frau eindringlich: „Doch das war nicht Ihr eigentlicher Fehler. Auch bei den genannten Versäumnissen war Ihre gemeinsame Analyse im Rahmen der Perisher-Kurse eine gute Arbeit. Was das eigentlich Verheerende war, war wie Ihre Lehrer und Sie drei damit umgegangen sind. Die Hauptverantwortung dafür trifft natürlich Ihre Lehrer, aber Sie und ihre Kollegen hätten sich über die Konsequenzen von vorneherein klar sein müssen. Dieses Material offen Ihren Kollegen im Perisher, dem Oberkommando und damit mittelbar einer breiteren Öffentlichkeit in der Navy zugänglich zu machen, war nicht nur beleidigend und für Ihre Karrieren extrem schädigend. Es hatte zudem das Potential, es Ihnen künftig unmöglich zu machen, ihre Pflicht zu erfüllen und ihrem Eid, dem Sie wie wir alle mehr als alles andere verpflichtet sind, treu zu bleiben. Denn mit dieser Denkschrift, mit ihrer Publizierung standen Sie in den Augen ihrer künftigen Mitkameraden, ihrer Vorgesetzten und – denn in der Navy bleibt wenig geheim – ihrer Untergebenen da als Defätisten. Als Feiglinge. Angesichts dessen – glauben Sie wirklich, dass Kapitän eines Kreuzers – zumal eines wie des Ihren – immer noch der richtige Platz für Sie ist?“ Die letzten Worte klangen wie ein Peitschenknall.

Keiko Amato hatte offenbar genug. Sie wusste natürlich, dass es keinem Offizier gut anstand, mit einem höherrangigen Offizier zu streiten, ob man ihn von früher kannte oder nicht. Aber nicht zuletzt aufgrund ihrer besonderen Situation als Nationalgarde-Offizierin war es eher der Respekt vor dem Rang und der Person als Angst um ihre – perspektivisch sowieso nicht mehr sehr vielversprechende – Karriere, die sie im Zaum gehalten hatte: „Sie selber, Chris, haben von nicht-linearen Ereignisketten gesprochen! Wie ist es dann mit nicht-linearem Denken? Ist es nicht auch unsere Pflicht, das scheinbar Undenkbare zu denken, auch wenn es unbequem erscheint? Und was meinen Mut angeht, nun, wenn man zu seinen Überzeugungen steht, verlangt dies nicht mehr Mut, als einzuknicken, andere vorangehen zu lassen? Und was die Frage angeht, ob die Brücke eines Kreuzers noch der rechte Platz für mich ist – würde ich das nicht glauben, wäre ich nicht hier! Ich weiß, wo meine Pflicht liegt. Und das Oberkommando der Japanischen Spaceguard hat offenbar keine Zweifel an mir. Zollen Sie DENEN auch etwas Respekt. Meine Ansichten über die strategischen Gegebenheiten tun dem keinen Abbruch.“
Der Admiral lächelte schmal: „Wohl wahr. Und ich teile die bei etlichen TSN-Offizieren vorherrschende Einschätzung von Ihnen und ihren Kollegen nicht, sonst hätte ich mich mit Zähnen und Klauen dagegen gewehrt, Sie auch nur auf einen Parsec Entfernung an ein Schiff unter meinem Kommando oder an die Columbia heranzulassen. Ich habe schließlich bei Jollahran erlebt was Feigheit in der Schlacht bewirken kann. Und konnte nur mit der Hand an der Hosennaht dastehen und die Katastrophe beobachten, wahrlich keine Sternstunde meiner Charakterstärke. Nein, das glaube ich nicht von Ihnen. Und nicht nur weil ich Sie und ihre Vergangenheit kenne. Man hat Ihnen zu verstehen gegeben, dass für Sie in der TSN auf absehbare Zeit kein Platz ist, der ihrem Rang und ihren Fähigkeiten entspricht. Sie haben sofort reagiert und ein Angebot der Nationalgarde Ihrer Heimat angenommen, die einen kampferprobten Offizier suchte, jemanden, er einen Kreuzer auch in Krisensituationen führen kann, und offenbar war man dort bereit, Ihnen zu vertrauen. Das zeigt, dass Sie sehr wohl Kampfgeist haben. Und von Ihrem Wert überzeugt sind.
Aber dennoch…wie konnten Sie nur so einen Fehler begehen? Es spielt doch nicht nur eine Rolle, was STIMMT. Das Urteil anderer, deren Einschätzung zu Ihrer Person – das ist nicht nur eine Frage möglicher Beliebtheitswerte.“

Der Admiral hatte die Arme hinter dem Körper verschränkt. Er hätte ein gutes Bild für einen Marinerichter abgegeben, und sein Gegenüber für die zu allem entschlossene Verteidigerin, oder auch Angeklagte, mit geballten Fäusten. Sie war offenbar nicht bereit, klein beizugeben, obwohl sie innerlich wanken mochte.
„Wissen Sie wirklich, wo Ihre Pflicht liegt? Immer und zu jeder Zeit? Als Kapitän sind Sie die erste Person an Bord ihres Schiffes, direkt hinter dem Herrgott – wenn es denn einen gäbe. Sie tragen die Last und das Privileg der Verantwortung für hunderte von Leben. Es gibt kaum etwas schwereres, und kaum etwas großartigeres. Sie führen sie in den Kampf. Sie befehligen eine der technisch perfektesten, tödlichsten Maschinen, die Menschen je erschaffen haben. Aber was denken Sie, wie es auf die Männer und Frauen an Bord eines Schiffes wirkt, wenn sie in eine Schlacht ziehen, wissend, ihre Befehlshaberin glaubt nicht an den Sieg, hält eine Niederlage für wahrscheinlich, vielleicht gar sicher! Das ist pures Gift für jene schwer mess- und definierbare Eigenschaft, die man Kampfgeist nennt. Wie wirkt es dann wohl, wenn ihre Befehlshaberin gar von einer Niederlage im ganzen KRIEG überzeugt ist? Gleichgültig was Sie denken, gleichgültig was für Sie…logisch erscheint, für ihre Untergebenen müssen Sie stets auch in moralischer Hinsicht ein unerschütterlicher Rückhalt sein. Und das beweist man bestimmt nicht auf diese Weise. So verlieren Sie nur das Vertrauen ihrer Kollegen, ihrer Vorgesetzten – ihrer Untergebenen. Und am Ende wahrscheinlich auch noch das in sich selbst. Für das Auftreten gegenüber unseren Verbündeten gilt dies natürlich in gleicher Weise, wenn nicht sogar in höherem Maße. Sie sollten nicht nur nicht an unserer Fähigkeit zweifeln, diesen Krieg zu einem zufriedenstellenden Ende durchzukämpfen – sie sollten auch nicht glauben, dass wir Zweifel HABEN. Denn wenn wir das tun, mit all unseren Ressourcen und Waffen und Erfolgen – wieso sollten sie dann mit ihren doch deutlich geringeren Mitteln etwas ausrichten können? Wieso sich opfern?
Sie kennen die Geschichte der Namensgeberin**** ihres Kreuzers. Aber Sie müssen auch bereit sein, denselben Weg wie sie zu gehen, bis zur letzten Konsequenz. Kämpfen, Kommandieren, nötigenfalls auch gegen einen überlegenen, übermächtigen Feind. Und wenn Sie vielleicht Zweifel an der Möglichkeit eines Sieges haben, dann müssen Sie diese so tief in sich einschließen, dass Sie selber kaum wissen, wo dieser Zweifel verborgen liegt. Nach draußen aber darf da nichts anderes sein als Zuversicht. Trotz. Einsatzbereitschaft. Und der Glaube an die Untergebenen, die Vorgesetzten und sich selbst. An den Sieg.“
Es gab nicht wenige Offiziere, die all dies gewiss eher als Zumutung, wenn nicht gar als schlechtes Omen betrachtet hätten. Das Schicksal der Namenpatronin des JSS-Kreuzers war nun wahrhaftig nichts, was man als erstrebenswert betrachten konnte. Sie hatte ihren Nachruhm durch die Jahrhunderte mit einer Lebensspanne von nicht einmal zweiundzwanzig Jahren bezahlt, und auch zahlreiche ihrer Mitstreiterinnen hatten den höchsten Preis für ihren Einsatz zahlen müssen. Für eine Japanerin, die mit den Geschichten von den alten Helden groß geworden war, sah das hingegen etwas anders aus. Captain Amato salutierte nur schweigend. Wenn das als Antwort nicht reichte, so dachte sie, mochte Mithel ihretwegen in diesem Moment zur Hölle fahren.

Der Admiral schien ihre Geste zu verstehen. Er lächelte, und diesmal das erste Mal geradezu herzlich: „Sie kennen meinen Grundsatz, das, was ich meinen Untergebenen auf den Weg mitgebe. Und wonach ich auch immer versucht habe, selber zu leben. Jeder kann Fehler machen, und jeder WIRD Fehler machen. Ich, Sie, wir alle. Wenn man Glück hat, viel Glück – leider ist das viel zu selten im Krieg – dann überlebt man diese Fehler, und sie kosten auch keine anderen Leben. Doch Fehler werden erst dann zu einem schuldhaften Versagen, wenn man sich weigert, sie zu korrigieren. Sie haben jetzt die Möglichkeit, ihren Fehler zu korrigieren. Ich vertraue darauf, dass Sie das tun. Aber ich musste mich überzeugen, wie Sie sich unter Druck verhalten – denn sie werden auch weiterhin beobachtet, vielleicht auch vorschnell verurteilt werden für das, was Sie geschrieben haben. Auch von Leuten, die Ihnen vielleicht aus anderen Gründen nicht wohlwollen. Ich bin aber überzeugt, dass Sie das bewältigen können.“ Und anstatt selber zu salutieren oder der Kapitänin die Hand zu geben, verneigte er sich nach den japanischen Höflichkeitsregeln: „Ich lasse die Columbia in der bewährten Obhut von Commodore Schupp – und in der Ihren. Willkommen zurück an der Front.“

***************************

* Philoketes war ein griechischer Sagenheld, ein Gefährte des Halbgottes Herakles, dessen Bogen und vergifteten Pfeile er erbte. Die bekannteste Geschichte über ihn stammt aus dem Umfeld der Dichtung um den Trojanischen Krieg, wenn auch nicht aus Ilias oder Odyssee. Er wurde mit einer schwärenden Wunde in Folge eines Schlangenbisses von den eigenen Kameraden ausgesetzt. Seine Rückkehr in den Kampf nach zehn Jahren der Leidens war eine der Voraussetzungen für den griechischen Sieg. Es war sein Pfeil, der den trojanischen Königssohn Paris tödlich verwundete.

** St. Olga (verm. 890-969) war eine Herrscherin der Kiewer Rus. Nachdem ihr Mann, Fürst Igor I, ermordet worden war, regierte sie von 945-ca. 963 als Regentin für ihren minderjährigen Sohn. Während ihrer Regentschaft ging mit äußerster Härte und Tücke gegen die Mörder ihres Mannes und andere Gegner vor. Sie trat als erste Herrscherin der Rus zum Christentum über, auch wenn die generelle Christianisierung erst später erfolgte, und nahm den Taufnahmen Yelena an. Auch nachdem ihr Sohn die Regierung übernommen hatte, fungierte sie in seiner Abwesenheit als Verwalterin von Kiew.

*** Japanese Spaceguard Ship, Kürzel für Einheiten der Nationalgarde der Republik Japan (mitunter von Spaßvögeln auch als ISS – Imperial Space Ship – verballhornt). Auch die Schiffe der anderen Nationalgarden verwenden nicht die Navy-Kennung für ihre Schiffe.

**** Nakano Takeko (1847-1868 ) war eine begnadete japanische Kämpferin der Aizu-Region, die nach der Adoption durch ihren Lehrer auch selbst in der Ausbildung tätig gewesen war. Während der Kämpfe zwischen dem Shogunat und dem japanischen Kaiser führte sie eine Gruppe weiblicher Kämpfer in einem berühmten Angriff auf die kaiserlichen Truppen. Sie tötete mehrere Feinde, bevor sie erschossen wurde. Ihre Schwester enthauptete mit Hilfe eines Kameraden den Leichnam, damit der Kopf nicht als Trophäe erbeutet werden konnte. An sie und die anderen Aizu-Frauen wird in Japan bis heute ehrend erinnert.

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„Was waren die letzten Worte von Prinz Dur‘an? – Graaaang!“
Alter akariischer Witz

Der Winter war früh gekommen dieses Jahr. Ein schlechtes Zeichen in vielen Kulturen. Auf Akarr sagt man: Einem frühen Winter folgt ein früher Frühling.
Ein früher Frühling, dass hatte Kern Ramal sich in seiner Jugend immer gewünscht. Der Frühling ließ scheinbar die Kleider der Damenwelt schrumpfen.
Heute fragte er sich, ob er seinen letzten Frühling schon hinter sich hatte. Ob sie alle, die mit Linai verbunden waren ihren letzten Frühling schon hinter sich hatten.
„Erklärt mir nochmal, wie der Besuch einer heruntergekommenen Spielunke für mein Duell mit Dero entscheidend sein soll.“
Kern blickte den Kriegsminister kritisch an. Dieser trug wie er selbst eine Marineuniform aus den subalternen Rängen. Gerade gut genug um das Noblesse zu erklären, dass sie beide umwehte aber niedrig genug, dass sie im Rotlichtviertel der Hauptstadt nicht weiter auffielen.
„Jor pflegte dieses Ritual mit mir, wenn ich vor einem Duell stand und jetzt pflege ich es mit Euch, was ist so schwer daran zu verstehen?“
„Sollte dabei nicht ein Gefühl der Kameradschaft herrschen, wenn man zechen geht?“
Kern seufzte: „Vielleicht wird sich dieses Gefühl ja einstellen, wenn wir beide erstmal was getrunken haben.“
„Wenn ihr meint“, der Kriegsminister wirkte nicht sehr überzeugt, folgte ihm jedoch durch die engen Gassen.
Ihr Ziel war „Der schwarze Dolch“, eine Kaschemme von übler Reputation. Jedoch war es ein offenes Geheimnis, dass Jor in ihr ein und aus gegangen war. Tatsächlich hatte der Prinz dort auch den einen oder anderen Kampf ausgetragen. Seiner Zeit auf Leben und Tod. Ohne doppelten Boden. Währen jemals Geschichten darüber öffentlich geworden, hätte der Imperator wohl zu drakonischen Strafen gegriffen und sie beide hätten ihre Ausflüge bitterlich bereut.
Das ein oder andere Mal war es auch wirklich eng gewesen und hatte sie eine Menge Bestechungsgeld gekostet, dass ein Marinearzt sie zusammenflickte ohne dass es die Runde machte.
Der Imperator hätte wohl das halbe Viertel niederbrennen lassen, hätte er erfahren, dass ein Gast des schwarzen Dolchs im Streit um eine Wette mit einem Messer auf seinen Sohn und Erben losgegangen war.
Wobei, wenn Kern es sich genau überlegte, wäre ein reinigendes Feuer genau dass, was dieses Viertel aufwerten würde. Hin und wieder kann etwas Tod und Vernichtung zu einer reinigen Zäsur führen.

Es waren zwei stämmige Akarii, die ihn aus seinen Gedanken rissen. Ihre Kleidung mochte einst imposant und nobel gewirkt haben, doch die dunklen Jacken wirkten heute stumpf und abgetragen. Die Stiefel hatten schon länger keine Politur mehr erfahren.
Für einen Kenner waren jedoch die Waffen am hervorstechendsten. Gepflegt und gut in Schuss gehalten, wirkten sowohl das Dreh des kleineren als auch das Sirrash des größeren als hätten sie schon das ein oder andere Mal Blut eingefordert.
Wie ein Handwerker nun eben seine Instrumente in Schuss hält.
„Guten Abend meine Herren Leutnants“, ergriff der kleinere das Wort. Sein Akzent kennzeichnete ihn als einen Bewohner dieses Distrikts. Das konnten auch seine vornehm gewählten Worte nicht übertünchen.
„Meine Herren“, Tobarii streckte den Rücken durch und versuchte eine aggressive Pose.
Kern stellte sich leicht schräg hinter den Kriegsminister, so dass die anderen beiden zumindest nicht sahen, dass er sein eigenes Dreh in der Scheide lockerte.
„Können wir Euch helfen Mylords“, noch immer sprach der kleinere, während der größere sich ebenfalls in Positur warf und ein mordlüsternes Grinsen zeigte.
Er war gut eine Hand breit größer als der Kriegsminister und hätte jemand anderen als Kern durch seine pure körperliche Präsenz einschüchtern können.
„Ihr seht etwas verloren aus, für eine kleine Aufwandsentschädigung könnten wir Euch den Weg zu Eurem Ziel weisen.“
„Wir kennen den Weg durchaus, daher danke für dieses großzügige Angebot aber nein danke.“
Tobarii antwortete an abfälliges Schnauben: „Diese Gassen sind dunkel und gefährlich. Vielleicht sollten Ihre Lordschaften es sich gut überlegen, ob unsere Dienste nicht … zur Erhaltung der Gesundheit beitragen.“
„Wir sind wehrhaft genug“, knurrte Tobarii und zog mit einer flüssigen Bewegung sein Dreh. Ein Blut anheizendes Schling begleitete diese Bewegung.

Der einzige, der seine Waffe vor dem Kriegsminister gezogen hatte war Kern selbst, welcher einen Schritt zurück machte.
Tobarii besaß einen guten Instinkt und war sich scheinbar auch klar, dass man eine Waffe nicht nur zur Drohung ziehen durfte. Er attackierte den kleineren und ließ diesen zurückweichen um sofort die Spitze des Drehs in den größeren zu rammen, während dieser noch dabei war sein Sirrash zu ziehen.
Während dieser seine Waffe vergaß und zurücktaumelte, um seine Wunde zu bedecken wandte sich Tobarii wieder dem Wortführer zu, der mit einem wütenden Fauchen angriff.
Der Kriegsminister musste hastig ein paar gekonnte Attacken abwehren und leicht zurückweichen, ehe er nach einer geschickten Parade zum Gegenangriff überging.
Das Klirren von Stahl auf Stahl war wie Gesang in Kerns Ohren, der etwas weiter in den Schatten zurückwich, seinen Blick auf den größeren der beiden Strauchdiebe, der noch mit seiner eigenen Wunde beschäftigt war.
Ja, musste der Admiral eingestehen, wäre Tobarii im Training gewesen, hätte er ein formidabler Gegner sein können. Vielleicht nicht so gut wie Jor, doch wer außer Kern selbst konnte das von sich behaupten.
Tobarii durchbrach wild die feindliche Deckung, kassierte dafür einen Schnitt am linken Arm und durchbohrte seinen Kontrahenten. Das saftige schmatzen, wie die Klinge in den Körper glitte, verschwand fast unter dem Wutgebrüll des Ministers.

Der schon verletzte Dieb ließ seine Wunde, Wunde sein und zog mit einer beeindruckenden Behändigkeit sein Sirrash. Der hieb war zwar eindeutig schlecht gezielt, doch der scher atmende Tobarii konnte nur knapp ausweichen.
Als dieser dann versuchte einen defensiven Stand einzunehmen, nahm der größere Akarii seinen Körper zu Hilfe und rammte den Kriegsminister mit der linken Schulter.
Tobarii stolperte Rückwärts und konnte sich gerade so an die nächste Wand retten um nicht umzukippen.
Dieser umfasste den Griff seines Dreh mit beiden Händen und zog die Klinge von links unten nach rechts oben durch, mitten in den Sturmangriff seines Angreifers, welcher versuchte Tobarii mit seinem Sirrash aufzuspießen.
Der Kriegsminister drehte die Klinge seiner Waffe kurz und zog sie dem erstaunten Wegelager von rechts nach links über den Hals.
Mit einem röchelnden Gurgeln ging der zweite Räuber zu Boden.

Kern senkte seine eigene Waffe, ein Fehler, wie er bemerkte als er lächelnd auf Tobarii zutrat um diesen zu gratulieren.
Der Kriegsminister drehte sich zu ihm um, reine Mordlust in den Augen: „Für die beiden seid Ihr verantwortlich!“
„Natürlich…“, weiter kam Kern nicht, sondern musste den ersten Angriff von Tobarii parieren.
Die Hiebe seines Schülers waren wild und dennoch präzise. Bis es ihm gelang eine wirkungsvolle Verteidigung aufzubauen wurde er die halbe Gasse runter getrieben.
Manch weniger geübten Schwertkämpfer hätte Tobarii einfach überrannt.
Das Klirren von Stahl auf Stahl und die Gewissheit im Augenblick um das eigene Leben zu kämpfen ließ Kerns Blut aufkochen. Er wich schnell zwei weitere Schritte zurück und nahm eine hohe Defensivposition ein.
Als Tobarii angriff wehrte er geschickt den ersten Schlag ab, indem er ihn er ihn nach unten hin ablenkte um den zweiten, weniger genauen brachial zu blocken.
Dann setzte er seine gesamte Körperkraft ein, um Tobarii gegen die nächst gelegene Wand zu drücken, bis die beiden klingen flach zwischen ihren beiden Körpern eingeklemmt waren.
Der Kriegsminister starrte ihn voller Blutdurst an und Kern wusste, dass er genauso zurückblickte.
Wie die Angelegenheit geendet hätte, würde er nie erfahren, denn das bösartige Summen einer Strahlenpistole, die entsichert wurde, holte ihn zurück ins hier und jetzt.
Kern musste nicht hingucken um zu wissen, dass es sich um Tobariis Leibwache handelte. Schusswaffen waren dem Militär und dem hohen Adel vorbehalten. Kein krimineller würde sich damit erwischen lassen, wenn ihm das Leben lieb war.
„Wenn ihr den Prinzen bitten los lassen würdet, Admiral“, höflich formuliert für jemanden, der eine Waffe auf Kerns Kopf richtete.
„Natürlich Leutnant“, Kern stieß sich ab und brachte einigen Spielraum zwischen sich und Tobarii, falls dieser eine Dummheit plante.
Der Kriegsminister schien tatsächlich einen Augenblick mit dem Gedanken zu spielen und als er letztlich sprach war seine Stimme ein wütendes Fauchen: „Ein Test?“
Kern schnaubte abfällig: „Eine Generalprobe. Ihr wollt in den nächsten Tagen jemanden töten, der darin etwas mehr Erfahrung hat. So etwas sollte man nicht in Angriff nehmen ohne vorher etwas Blut vergossen zu haben.“
„Vielleicht könnten wir die Diskussion verschieben, Mylords“, merkte der Gardeleutnant an, „es könnte sein, dass hier demnächst die Stadtpolizei auftaucht und die Prinzessin wünscht, dass diese … Eskapade nicht bekannt wird.“
Tobarii schob sein Dreh zurück in die Scheide und blickte die zivil gekleideten Gardisten an und nickte: „Gut, dann sollten wir uns jetzt zum Schwarzen Dolch begeben.“
Kern Ramal kam nicht umhin aufzulachen. Der Gardeleutnant wirkte weniger Glücklich.
Dennoch setzte sich die kleine Gruppe in Bewegung.
Kern blieb nochmal bei dem kleineren der beiden Angreifer stehen und suchte nach der Geldkarte, die er ihm gestern gegeben hatte.
„Wieviel habt ihr ihm für meinen Tod bezahlt?“
„Genug, dass wir uns heute Abend gut betrinken können und wir im Anschluss noch einen Arzt bestechen können. Der Mord an einem Marineleutnant ist heut zu tage nicht ganz billig.“


TRS Columbia

Der Nachbesprechung war ein schnelles Abendessen gefolgt und im Anschluss hatte Jules eigentlich etwas Papierkram zur Entspannung geplant gehabt.
Wäre ihm nicht Razor über den Weg gelaufen. Der Jagdbomber-Kommandeur war bleich, fast käsig gewesen und schien irgendwie wackelig auf den Beinen zu sein.
Zwar hatte Durfee beteuert, alles wäre in Ordnung, doch Jules hatte entschieden dem nicht zu glauben.
Nach einer kurzen Verhandlung waren die beiden übereingekommen, dass Jules den anderen Piloten zu seiner Kabine brachte und zumindest ins Bett steckte.
Eigentlich wäre Durfee ein Fall für die Krankenstation gewesen, dass bestätigte sich vor allem, als er jetzt schwitzend und stoßweise Atmend in seine Koje lag.
„Was … überlegen Sie, … CAG?“
„Ob ich erst den Fliegerarzt hole oder sie gleich von der Flugliste nehme“, gestand Jules in simpler Ehrlichkeit.
„Hab … hab … hab mich nur überanstrengt“, Razor versuchte ein Grinsen, dass aber deutlich misslang.
„Überanstrengt? Bei einer Übung“, Jules setzte sich aufs Fußende der Koje.
„Kommt … hin und wieder vor.“
Der CAG runzelte die Stirn; „Ihre Akte ist was das angeht ja alarmierend wage und die letzten Tage machten sie eine wirklich guten Eindruck, was mache ich mit Ihnen, Martin?“
„Lassen … Sie, lassen Sie mich einfach auf meinem Posten. Wenn jetzt Alarm gegeben würde…, wäre ich … sofort wieder auf … den Beinen.“
„Das hat Ihnen ein Arzt so bestätigt?“
„Das … sind Erfahrungswerte, CAG … wenn mein Körper nach schweren Kampfhandlungen die Zeit hat abzuschalten, … dann tritt diese Stressreaktion immer mal wieder zu tage.“
Jules sah deutlich, wie sich Razor langsam wieder entspannte, die Atmung ruhiger wurde und auch das schwitzen nachließ: „Gibt es sonst noch etwas, was ich wissen sollte?“
„Nicht nur Pilot… sondern auch Psychiater?“
„Nein, Commander, ich bin ihr Kommandierender Offizier, der gerade darüber entscheidet, ob er sie weiter fliegen lässt oder sie an einen Schreibtisch versetzt“, normalerweise hätte so ein Satz scharf geklungen, doch Jules konnte sein Mitleid nicht aus seiner Stimme verbannen. Das war nicht gut, die meisten Piloten hatten eine gehörige Portion Stolz, die schon beim kleinsten bisschen mächtige Kratzer bekommen konnte.
Martin Durfee setzte sich etwas in seinem Bett auf und Trauer oder Scharm flackerte durch seine Augen: „Nicht jeder von uns ist ein gewissenloser Killer!“
Jules blinzelte etwas überrascht und beugte sich vor: „Mache ich solch einen Eindruck auf sie?“
„Nein, eigentlich nicht, sorry. Das war auch nicht auf sie gemünzt, sondern allgemein, auf das Fliegercorps, auf die Angels. Ich bin Patriot, wie jeder andere aber mir macht das Töten keinen Spaß. Ich hebe nicht die Tassen und stoße auf die toten Feinde an.“
Jules schnitt eine Grimasse, dies war nicht unbedingt eines seiner Lieblingsthemen. Er selbst hatte Akarii wie auch Menschen getötet, bei Siegesfeiern mitgemacht und große Reden geschwungen. Und natürlich hatte es für ihn schlaflose Nächte gegeben, als ihn die Geister der Toten heimsuchten.
„Aber um ihre Frage zu beantworten: Ich habe in unregelmäßigen Abständen Albträume, ziemlich heftige und auch Schlafstörungen, weil mein Hirn nicht zur Ruhe kommen will. Die großen Zusammenbrüche habe ich dank meiner Staffel hinter mir.“
„Ihre Staffel weiß davon?“
Razor nickte und strich sich das Haar gerade: „Jeder weiß davon, der nicht total blöde oder blind ist.“
„Das macht es nicht gerade besser“, Jules erhob sich und lehnte sich an die Bett- und Schrankkombination.
„Lassen Sie mich weiter fliegen, Boss“, Razor setzte sich jetzt ganz auf und stützte sich mit den Unterarmen auf den Beinen ab, „ich würde es nicht ertragen, meine Leute raus gehen zu sehen und irgendwo an einem gemütlichen Schreibtisch zu sitzen.“
„In Ordnung, Razor, ich werde das so lange gestatten, wie ich kann aber ich behalte sie im Auge und sollten sie selbst irgendwann das Gefühl haben, es kippt, dann melden sie sich bei mir. Sofort!“
Der Staffelführer der Royal Flush Gang nickte: „Wird gemacht, Skipper.“
„Gut“, Jules klopfte ihm auf die Schulter, „aber vielleicht legen sie sich wieder hin und ruhen sich aus, ich bin mir sicher, ihr XO kann den Papierkram übernehmen.“
„Das macht Saunders sowieso und ich wird‘ nur noch kurz Zähne putzen und mich dann hinhauen.“
„Alles klar“, Jules erhob sich und wandte sich zum Gehen.
„Ach, Skipper…“ – „Ja?“ – „…danke.“

Der CAG der Angry Angels hatte gerade Razors Kabinentür hinter sich geschlossen und entschieden, seinen eigenen Ratschlag zu befolgen, da lief er Kali in die Hände.
Die Inderin sah reichlich verärgert aus: „Sie habe ich gesucht, CAG.“
„Das hat keine Zeit bis morgen oder?“
Sie antwortete mit einem Kopfschütteln: „Nein, Sir, Irons erwartet uns in der CATCC.“
„Wer braucht schon schlaf“, Jules bedeutete der Staffel-XO ihm zu folgen, „wie ernst ist es?“
„Das kommt auf den Standpunkt drauf an aber hören sie sich das besser mal von Irons selbst an.“
Die Flugkontrolle der Columbia war relativ ruhig. Coopers Deputy sprach mit einigen seiner Offiziere die morgigen Operationen durch.
Am mittig gelegenen Kartentisch, der hauptsächlich Hangar und Flugdeck des Trägers darstellte standen Irons, ihr XO, Chief Dodson und Chief Ramius, der leitende Techniker der roten Staffel.
Alle vier machten recht lange Gesichter. Die beiden Bomberjockeys wirkten peinlich berührt, Ramius eingeschüchtert und Dodson, Dodson sah aus, als wäre ihm der Kragen geplatzt.
Jules stellte sich ihnen gegenüber und stützte sich mit den Unterarmen auf dem abgeschalteten Kartentisch ab: „Stacy oder Decker?“
Irons warf Kali einen kurzen Blick zu, der leichten Frust andeutete.
„Wissen Sie, was das ist, Cowboy?“ Irons schob ihm eine kleine Parkette rüber.
„Das ist eine Abschussmarkierung, für ein Blue-on-Blue, der wird in der Pilotenausbildung verwendet, wenn man im realen Training versehentlich einen der eigenen Seite abschießt.“
Irons nickte, doch es war Mike Ramius, der das Wort ergriff: „Den habe ich vorhin an ihrer Maschine gefunden, Sir.“
Jules holte scharf Luft und blickte in die Runde und selbst Irons konnte seinem Blick nicht standhalten. Als er jedoch sprach, versuchte er jegliche Wut aus seiner Stimme herauszuhalten: „Sie haben schon ermittelt?“
„Ja, Sir“, antwortete ihm Irons, „Chief Ramius hat denjenigen gefunden, der die Plakette angebracht hat und dieser hat auch erzählt, wer ihm diese gegeben hat und ihn dazu angestiftet hat…“
„Jetzt lassen sie mich einfach mal raten“, unterbrach Jules seine XO, „der Übeltäter gehört zum Wartungspersonal der roten Staffel und der andere, ist der gleiche, der mich am Tag meiner Ankunft in die CIC geschickt hat.“
Irons nickte.
„Hatten sie das mit dem Piloten nicht geklärt?“
„Doch, Sir, ich hatte mir den entsprechenden zur Brust genommen.“
„Wer?“
Die Frage sorgte bei Kali und den beiden Chiefs für hochgezogene Augenbrauen.
Die Bomberkommandeurin schluckte: „Weapons-Specialist zweiter Klasse Spencer Kendrix aber der wirklich verantwortliche ist Lieutenant Senior-Grade James Proctor aus meiner Staffel.“
Jules verschränkte jetzt die Arme vor der Brust: „Vorschläge?“
Ihm antwortete Schweigen, wussten sie doch alle in welcher prekären Situation sich ihr CAG befand. Dieser konnte keinen der beiden selbst bestrafen, da er das Opfer dieses Streichs war. Auch konnte er sich schlecht an Admiral Girad wenden, da diese ihm dann unterstellen konnte sein Geschwader nicht unter Kontrolle zu haben.
Für ein Anruf beim JAG, war die Sache an sich etwas zu harmlos.
Es war letztlich der Count, der das Wort ergriff: „Ich denke, wenn Mister Kendrix‘ Bewertungen es zulassen, könnten wir die Sache entweder Chief Dodson überlassen oder an den Bosun weiterreichen, um damit zu verfahren.“
Die Blicke richteten sich auf Ramius.
„Kendrix ist fleißig und zuverlässig. Darüber hinaus war er vorhin schon kurz davor sich in die Hosen zu machen. Ich denke, wenn Chief Dodson als übergeordneter Vorgesetzter ihm ein zusätzliches Ar… ihm kräftig in den Hintern tritt, sollte ihn das, zusammen mit etwas Extradienst, wieder auf Kurs bringen.“
Der CAG nickte: „In Ordnung aber lassen sie ihn wissen, dass er nur wegen ihrer Führsprache so glimpflich wegkommt und es zukünftig besser für ihn wäre, wenn ich seinen Namen nur noch positiv zu hören bekomme.“
„Natürlich, Sir“, beeilte sich Ramius zu versichern.
Jules fixierte Irons: „Das ich nicht bereit bin, Mister Proctor ähnlich generös davonkommen zu lassen, das wissen sie oder?“
Irons nickte wieder: „Ich würde einen Captains Mast vorschlagen.“
„Und den soll wer abhalten?“ Wollte Jules wissen.
„Nach Dienstvorschrift, wäre das in einem solchen Fall ihr Stellvertreter, Sir“, warf Kali ein und blickte zu der unglücklichen Irons.
Diese straffte sich und sah Jules in die Augen: „Wenn sie mir das nochmal gestatten würden.“
„Und diesmal wird es klappen?“ Fragte Jules, während er mit der Abschussplakette spielte.
„Der JAG bekommt eine Notiz über die Disziplinarmaßnahmen und wenn Proctor nochmal muckt, dann war es das führ ihn“, in Irons Stimme hatte sich ein Hauch von Stahl eingeschlichen.

__________________
5th Syrtis Fusiliers - Pillage and looting since first succession war


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Kein leichter Auftrag III

CAV-Kreuzer der Hunley-Klasse Tatanka Yotanka, Sterntor-System

Lieutenant Commander Walentin Pawlitschenko schritt zielstrebig und energisch aus. Erheblich energischer, als er sich fühlte, denn eigentlich wünschte er sich nur noch, möglichst bald in seiner Koje zu kollabieren. Die letzte Schicht war dann doch einiges länger geraten, als er geplant hatte. Aber eine Sache gab es noch zu erledigen. Er wusste, wohin er wollte, und da er dienstlich unterwegs war, wollte er auch angemessen auftreten. Die letzten Stunden waren turbulent verlaufen, was mit daran schuld war, dass er auf dem Zahnfleisch kroch. Dass der neue Divisionschef mit zwei weiteren Kreuzerkommandanten den CAV-Kreuzer besuchte, bedeutete einiges an zusätzlicher Arbeit, schließlich wollte man einen angemessenen Eindruck hinterlassen.
Außerdem summte das Schiff ohnehin vor Geschäftigkeit, und das betraf natürlich auch Waljas Station, die Bug-Waffenabteilung. Noch war nicht offiziell schiffsweit bekanntgegeben worden, wohin sie die nächste Mission führen würde, aber die Gerüchteküche brodelte bereits, und es deutete alles darauf hin, dass es dabei nicht nur um Geleitzugssicherung oder einen Garnisonsauftrag gehen würde. Dass der Kreuzer mit Hochdruck wieder voll einsatzbereit gemacht werden sollte, war offensichtlich.
Außerdem ging es an Bord sowieso hoch her, seit vor nunmehr zwei Wochen eine neue Kommandantin eingetroffen war. Im Oberkommando der TSN war anscheinend endlich die Entscheidung gefallen, die CAV-Schiffe künftig auch von konföderierten Kapitänen befehligen zu lassen, zumindest insoweit man ausreichend qualifiziertes Personal fand. Das war sicher nicht ohne längere Debatten beschlossen worden, denn einige TSN-Offiziere misstrauten den Überläufern.
Letztlich aber hatte sich glücklicherweise die Ansicht durchgesetzt, dass man die CAV nicht als Soldaten zweiter Klasse behandeln durfte. Immerhin erwartete man, dass sie den Kampf gegen das Kaiserreich fortzusetzen, ohne zu wissen, wann und ob sie überhaupt ohne Gefahr eines Prozesses heimkehren durften. Da musste man ihnen schon etwas bieten, und das schloss eigene Kommandooffiziere ein.

Natürlich war Walja nicht Teil der „Auserwählten“ gewesen, die bei der Besprechung der Kommandeure dabei sein durften. Das war etwas für Erste Offiziere, vielleicht auch mal für jemanden vom NIC, aber nicht für einen der Lieutenant Commander, von denen es an Bord etliche gab. Aber er hatte zum „Empfangskomitee“ gehört und so einen Blick auf Henning Schupp und die anderen Kommandeure und ihre Begleitung erhaschen können. Alle machten einen recht kompetenten Eindruck, und Schupp schien sich darauf zu verstehen, mit Soldaten umzugehen. Walja hatte insgeheim so seine Zweifel gehabt, ob es weise war, ausgerechnet einen Offizier den Verband kommandieren zu lassen, der engagiert an Internierungsaktionen gegen die Konföderation teilgenommen hatte. Aber andererseits genoss der Commodore Ansehen bei denjenigen Keffs, die sich an seine Rolle in den Kämpfen der letzten Jahre erinnerten. Und er hatte eine gewinnende Ader. Etwas, was vielen anderen hochrangigen TSN- und CN-Offizieren abging. Der Commodore hatte eine kleine Stegreif-Rede vor den angetretenen Vertretern der verschiedenen Schiffsstationen gehalten, und es tatsächlich geschafft, aus der Geschichte JEDER der vertretenen Rassen einen berühmten Ausspruch oder ein geflügeltes Wort zu zitieren – und nicht etwa so, dass es bemüht wirkte, nein, er hatte es mit beachtlichem Geschick an der richtigen Stelle eingeflochten. Sei es eine Zeile aus dem letzten Funkspruch der Soridachi-Hauptwelt, bevor die Schlachtflotten des Imperiums mit der Beschießung und dem Auslanden von Bodentruppen begannen, oder das Motto eines antiken T’rr-Generals – man merkte, dass ihn das wirklich interessierte. Und so viel kulturelle Offenheit und Sensibilität hatte außerhalb der Konföderation geradezu Seltenheitswert.

Aber dass sich die oberen Ränge trafen, bedeutete natürlich nicht, dass die „unteren“ nicht genug mit den routinemäßigen Aufgaben zu tun hatten. Und das wiederum bedeutete, dass Walja als Kommandeur der Bug-Waffenstation und als einer der wenigen leitenden Waffenoffiziere turnusmäßig auch die Bestückung der Magazine zu übernehmen hatte. Und wenn es da etwas zu melden gab, dann widersprach es jedem Brauch, das einfach verbal über das Kommunikationssystem des Schiffs weiterzugeben, oder der Kapitänin eine Nachricht über das bordinterne Netz zu schicken. Wenn man etwas von Wichtigkeit zu melden hatte, dann ging man und teilte das von Angesicht zu Angesicht mit – oder es war nicht wichtig. Er wusste, wo er die Kommandantin zu dieser Stunde finden würde.
An Bord eines von Konföderierten dominierten Schiffes liefen viele Dinge etwas anders als auf einem TSN-Schiff, das hatte Walja schnell gelernt. So gab es etwa an Bord eines terranischen Schiffes zumeist einen Bordgeistlichen. Das war in etwa sechs oder sieben von zehn Fällen ein christlicher Priester, ob katholisch, evangelisch oder orthodox, freilich jemand, der anderen Glaubensrichtungen und Religionen gegenüber sehr offen und in ihren Gebräuchen beschlagen war. Etwa 30 bis 40 Prozent der TSN-Bordgeistlichen waren Muslime, Hindus oder Vertreter anderer großer Religionen. Nun, grundsätzlich war dies auf CN-Schiffen nicht anders. Nur, dass dort die unterschiedlichsten Glaubensrichtungen von einem halben Dutzend nichtmenschlichen Rassen noch etwas mehr Vielfalt hineinbrachten, zudem war man in der CC offener gegenüber einer Reihe von Glaubensrichtungen, die in der FRT vielfach ignoriert wurden. Deshalb hatten CN-Schiff ab einer gewissen Größe eher zwei als einen Geistlichen, und traditionell war einer davon ein Nichtmensch. Ironischerweise konnte es freilich vorkommen, dass der oder die nichtmenschliche Priester oder Priesterin primär einer MENSCHLICHEN Religion, der Mensch aber einer Alien-Glaubensrichtung anhing.
Die Einrichtung, die Walja gerade aufzusuchen im Begriff war, waren hingegen eher eine Besonderheit weniger der konföderierten als gerade der CAV-Schiffe. Es war nicht ganz klar, wer zuerst auf die Idee gekommen war, vielleicht war es zeitgleich auf mehreren Schiffen geschehen – jedenfalls hatte sich der Brauch schnell ausgebreitet und gehörte inzwischen praktisch fest zu allen Freiwilligenschiffen – der Raum der Mahnung und der Erinnerung.

Die Männer und Frauen der CAV, Nichtmenschen wie Menschen, standen natürlich unter großem psychischem Druck. Neben den Dingen, die sie mit ihren terranischen Mitstreitern und imperialen Gegnern teilten – der Stress und die Beschränkungen des Dienstes und die fast immer latent vorhandene Sorge vor der nächsten Schlacht, vor Verwundung, Gefangennahme und Tod – kam bei ihnen noch hinzu, dass sie für das zweifelhafte Privileg, Teil einer Flotte im Kampfeinsatz zu sein, mit ihrer eigenen Regierung und ihren Vorgesetzten hatten brechen müssen. Und wo schon viele reguläre CN- oder TSN-Angehörige kaum einmal in ein, zwei Jahren nach Hause kommen konnten, da war die Perspektive für sie noch düsterer. Selbst wenn ihnen die TSN Urlaub gewähren würde, war es ja nicht nur so, dass die Reiseverbindungen zwischen FRT und CC im Moment gekappt waren.
Den Freiwilligen mochte zudem im Falle einer Heimkehr eine Verhaftung und Anklage wegen Desertion drohen, wenn nicht gar wegen „Feindbegünstigung“ oder „Hochverrat“, wenn man berücksichtigte, wie Cochrane und einige seiner Speichellecker gegen die Bundesrepublik Gift und Galle spuckten. Das war – natürlich – ein heftig diskutiertes Thema in der Konföderation. Eine ganze Reihe von Einzelplaneten hatte bereits erklärt, dass Freiwillige auf Heimaturlaub willkommen wären. Das galt namentlich für die Akarii-Planeten, aber keineswegs nur sie. Diese Welten hatten auch angeboten, Familienzusammenführungen für Freiwillige von anderen CC-Welten zu organisieren und diese logistisch wie finanziell zu unterstützen. Andere Welten hingegen drohten ab einem bestimmten Stichtag allen Bürgern, die in Diensten einer fremden Streitmacht standen, welche feindselige Akte gegen die Konföderation unternommen hatte, den Entzug ihrer Staatsbürgerschaft und Anklageerhebung an. Die erheblichen Eigenbefugnisse der Einzelplaneten in der Konföderation zeigten sich hier wieder einmal in ihrer ganzen zweifelhaften Pracht. Noch war unklar, wie das ausgehen würde, da offenbar auch im Council of Gouverneurs erbittert gestritten wurde, aber Fakt war, dass wegen der unsicheren rechtlichen Lage, dem Kurs der CC-Zentralregierung, den Truppenbewegungen der traurigen Reste der konföderierten Flotte hin zur FRT-Grenze und der zu vermutenden Aktivitäten des imperialen Geheimdienstes auf dem Gebiet ihres neusten quasi-Protektorats an einen Heimaturlaub für die Freiwilligen auf absehbare Zeit nicht zu denken war. Wie lange das andauern mochte, war vollkommen offen, aber die CAV mussten sich darauf einstellen, für Jahre bestenfalls – überwachten – Fernkontakt mit ihren Angehörigen zu halten. Und sogar dafür fehlte im Moment noch einiges an Grundlagen.

Dazu standen sie natürlich im Fokus eines erbitterten Propagandakrieges. Die offizielle konföderierte Lesart war zwar nicht direkt feindselig gegenüber den „einfachen Soldaten“, die ja nur von Fanatikern und den üblen Terranern verführt worden waren, den ach so sinnlosen Krieg gegen das noble Imperium fortzusetzen. Man betonte, wie wundervoll jetzt alles sei, wo der Krieg zu Ende wäre, und wie dringend man alle zu Hause bräuchte – nie ohne Verweis auf jene Konföderierten, die sich eben NICHT freiwillig gemeldet hatten und immer noch in freilich recht komfortablen terranischen Internierungslagern schmorten. Die bekannteren Frontfrauen und –männer der CAV kamen natürlich weniger gut weg als ihre Untergebenen, auch wenn sich die wenigsten konföderierten Mediensprecher derartige niveaulose Entgleisungen wie ihr Regierungschef leisteten. Der hatte der Chefin der CAVs vorgeworfen, sie könne es nicht lassen „ihre Hosen runter zu lassen und sich für die Terrys zu bücken“. Diese Wortwahl hatte sogar in der Konföderation für einiges an Hohn und Spott gesorgt. Eine Nachrichtensprecherin, die von einem der Planeten stammte, die eine Invasion, schwere Bodenkämpfe und mehrere Jahre imperiale Besatzungsverwaltung inklusive erbarmungsloser Gefechte zwischen kaiserlichen Truppen und konföderierter Guerilla durchzustehen hatten, hatte denn auch einen ätzenden Kommentar abgegeben. Wenn der Generalgouverneur schon meinte, Handlungen anderer in solch sexualisierter Art und Weise interpretieren zu müssen, wie würde man dann wohl seine plötzlich entdeckte Neigung zu einem Einverständnis mit dem Kaiserreich „übersetzten“, just nachdem dieses Teile der Hauptstadt in Schutt und Asche gelegt und ihm nicht nur metaphorisch eine Waffe an den Kopf gehalten hatte? Jemand anders hatte angemerkt, Cochrane würde wie ein betrunkener Raumhafenarbeiter reden, oder wie ein typischer „dirty old man“, ein schmutziger alter Mann – mitunter nannte man ihn nun „Mr. Dom“.
Die Terraner wiederrum ließen nichts unversucht, die Freiwilligen in ihrem Entschluss zu bestärken, da man ihre Kampfmoral erhalten und möglichst weitere Unterstützer gewinnen wollte, gingen dabei allerdings mal mehr und mal weniger geschickt vor. Einige CAVs hatten gewitzelt, sie wüssten langsam, wie sich ein Seil beim Tauziehen anfühlte, ständig in diese oder jene Richtung gezerrt.

Aber auch wenn sie darüber scherzten, für den inneren Seelenfrieden war der Meinungswettstreit – von dem man die Leute auch nicht völlig isolieren konnte – und der mangelnde Kontakt nach Hause eine schwere Belastung. Es machte es ihnen nicht leicht, sich wirklich sicher zu sein, wohin sie gehörten. Sie versuchten auf ihre Weise, damit umzugehen. Der Raum der Mahnung und Erinnerung, oft waren es auch zwei Räume, sollte sie zum einen daran erinnern, wofür sie kämpften. Man hatte das Zimmer so eingerichtet, dass es einen Blick auf das erlaubte, was sie zurückgelassen hatten. Decke und Wände waren als Bildgeber gestaltet – diese Technik war erstmals in der Mitte des 21. Jahrhunderts für Fensterscheiben und dann auch für Wände einsatztauglich geworden und in den folgenden Jahrhunderten deutlich verbessert und kostengünstiger geworden. So konnte man eine täuschend echtes Bild von einer beliebigen Landschaft, einem Himmels oder auch einer Stadt erzeugen. Man konnte sogar den Eindruck erwecken, als würde man über die Hügel wandern oder in das Meer eintauchen. Natürlich konnte man nicht wirklich gehen, der Raum war nicht sehr groß, und es blieben eben nur Bilder. Aber sie erzeugten eine angemessen gute Illusion der Wirklichkeit, und damit eine Möglichkeit, jene Orte heraufzubeschwören, von denen die Männer und Frauen Lichtjahre entfernt waren und die sie vielleicht nie mehr in diesem Leben wiedersehen würden.
Aber der Raum – oder wie im Fall der Tatanka Yotanka ein zweiter, ihm benachbarter – diente auch weit weniger unschuldigen Zwecken. Dieses Zimmer diente dazu, die CAV zu mahnen, warum sie kämpften, weshalb dieser Krieg notwendig, unvermeidlich war und bis zum Ende durchgekämpft werden musste.

Die Kapitänin war offenbar nicht im Propagandazimmer, und Walja nahm sich kaum Zeit, die Aufnahmen zu betrachten. Er kann sie ohnehin bestens. Nicht nur, weil ihn das interessierte – immerhin lag ihm an diesem Krieg auch etwas. Da er nun einmal ein Auge auf die Einsatzmoral der ehemaligen Konföderierten werfen sollte, ging ihn das auch beruflich etwas an. Und wiewohl er Terraner im wahrsten Sinne des Wortes war, verfehlte die Propaganda auch bei ihm ihren Zweck nicht.
Es gab Aufnahmen, zum Teil etwas verwackelt und von Störungen überlagert. Sie zeigten konföderierte Schiffe im Todeskampf oder das Bombardement von Hannover. Aufnahmen, die direkt aus kaiserlichen Nachrichtensendungen auch sechs Jahren Krieg stammten und Kolonnen gedemütigter, abgerissener Kriegsgefangener zeigten, oder die Hinrichtung von Untergrundaktivisten, die gegen die imperiale Herrschaft gekämpft hatten, Aufnahmen von Anschlägen der konföderierten Guerilla auf den zeitweilig besetzten Welten. Und es gab Informationsclips – den Begriff Propagandafilm mied man tunlichst in der Öffentlichkeit, auch wenn er ehrlicher gewesen wäre – eine endlose Flut, aus denen man auswählen konnte.
So mancher der Kurzfilme mochte inzwischen vielleicht schon Millionen-, vielleicht auch Milliardenfach in den planetaren und intergalaktischen Netzen der CC und FRT abgespielt worden sein, bevor sie hier gelandet waren. Titel und Machart waren vom technischen Standpunkt aus vielfach relativ simpel, aber wer immer das geschnitten und komponiert hatte, er oder sie war oft Meister des Fachs gewesen.

Da war ein Clip der anfing wie eine Werbeunterbrechung im Abendprogramm. Man sah ein architektonisch gekonnt konstruiertes und wohl auch teures Haus, eine Einfamilienvilla mit einem großen grünen Garten. Pflanzen von einem halben Dutzend Planeten prangten mit ihren farbenfrohen Blüten, Früchten und Blättern. Zwei Dutzend Kinder unterschiedlicher Rassen wuselten umher – offenbar wurde gerade ein Geburtstag oder so etwas gefeiert. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stand ein vielleicht zehnjähriges, dunkelhäutiges hübsches Mädchen in stilsicher gewählten, und zweifellos auch teuren Kleidungsstücken. Ihre Ohrringe und die Halskette waren nicht protzig, zeugten aber von Geschmack – und Geld – ihrer Familie. Lachend hielt sie ein junges Tentek, ein Reptil, das ursprünglich bei den Soridachi die Funktion terranischer Hunde oder Katzen übernommen hatte, in die Kamera. Neben ihr stand eine etwa gleichaltrige T'rr, deutlich einfacher gekleidet als die anderen Jungen und Mädchen, aber doch sauber und adrett herausgeputzt. Sie ließ ihr Gebiss in einem typischen T'rr-Lachen klicken. Kurz kamen die Eltern des Menschenmädchens ins Bild, die Bildunterschrift wie sie als Universitätsdoktorin und Architekten aus. Eine T'rr in einer Art Bedienstetenkleidung – offenbar die Mutter des zweiten Mädchens – hielt sich im Hintergrund. All das dauerte vielleicht zehn oder fünfzehn Sekunden.
Dann kam der Bildwechsel. Nur mit Mühe war zu erkennen, dass es sich um dieselbe Adresse handelte. Die Bäume waren nur noch verbrannte Stümpfe, die Sträucher hatten alle Blätter und jede einzelne Blüte verloren. Von dem Haus stand noch eine einzelne Mauer, der Rest waren verkohlte Trümmer. Vor der Ruine standen das Menschenmädchen und die junge T'rr, in verdreckten, zerrissenen Kleidungsstücken, die ihnen einige Nummern zu groß waren. Sie klammerten sich aneinander, und hielten zwischen sich das Tentek, das mit großen Augen die Zerstörung anstarrte. Dann flammten – in verschiedenen Sprachen – die Worte auf: "Wo ist Mama? Wo ist Papa?" und kleiner darunter "Tarisha Atzek – tot geborgen. Manuela und Patrick Odanga – verschollen, für tot erklärt."

Die meisten der Clips verzichteten weitestgehend auf Stimmen aus dem Off, verließen sich allein auf die Kraft der Bilder, zumeist Vorher-Nachher-Kollagen.

Da war die Aufnahme des Denkmals für FRT-Präsident Philip Schulz, das einzige eines terranischen Politikers, das an prominenter Stelle in der Hauptstadt der CC errichtet worden war. Wie durch ein Wunder stand es noch, doch der helle Stein war rußgeschwärzt, pockennarbig und rissig von der Hitze, das Metallschild, das über Schulz‘ Lebensdaten und Grund der Ehrung Auskunft gab – er war von meuternden TSN-Offizieren ermordet worden, als er einen Krieg zwischen der FRT und CC verhindern wollte – halb geschmolzen und unleserlich.
Da war der "Park der Brüder", auf der ersten Aufnahme ein sorgsames und zweifellos beeindruckendes Arrangement, auf möglichen Zuwachs konzipiert, mit je einem endemischen, emblematischen Baum für jede der Welten, die einen Vertreter im Council of Gouverneurs hatten. Einige der Bäume stammten von Akar, T'rr oder von einer Welt der Soridachi und waren mit deren Bewohnern "ins Exil gegangen", bevor sie in der CC eine neue Heimat gefunden hatten. Von den Giganten – die meisten gut 50, einige gar 200 Jahre alt – waren im zweiten Teil des Films vielfach kaum noch Stümpfe übrig. Der See im Zentrum der Anlage – auf der ersten Aufnahme eine schillernde Oase, auf der Wasserpflanzen in allen Farben des Regenbogens leuchteten – war nicht viel mehr als eine schlammige Kloake, in der die Überreste eines imperialen Erdkampfflugzeugs vor sich hin schwelten.
Da gab es Aufnahmen ganzer Straßenzüge, jedes Haus in den Auges eines Architekten oder auch einer Maklerin vermutlich ein Kleinod, sorgfältig konstruiert und farblich aufeinander abgestimmt – und dann, wenige Sekunden später, sah man sie wieder. Alle verbrannt, zerschossen, tot.
Und da war der zentrale Heldenfriedhof der konföderierten Hauptstadt, endlose Reihen von Grabsteinen mit Aufschriften in Dutzenden Sprachen von einem halben Dutzend unterschiedlicher Rassen. Die Inschriften wie die entlang der Wege errichteten Statuen besonders geehrter Helden sowohl der Krieges als auch des Friedens – die sämtlich dort begraben lagen – repräsentierten einmal mehr die Vielfalt der Bevölkerung der Konföderation. Viele waren in den Konflikten früherer Jahrzehnte und Jahrhunderte gefallen – einige wenige bei den kurzen Konflikten mit der FRT als die künftige Konföderation ihre Unabhängigkeit gewann, die meisten im Kampf gegen Piraten. Ein Teil hatte das Leben bei Hilfseinsätzen nach Naturkatastrophen oder Industrieunfällen riskiert und verloren. Liquidatoren, die man dorthin geschickt hatte, wo kein Roboter hinkam. Da waren Ärzte, die bei der Erforschung exotischer Krankheiten gestorben waren, Exploratoren, die die Entdeckung eines neuen Planeten mit dem Leben bezahlten... Aber eine beträchtliche Anzahl der Statuten wie der Grabsteine war ganz offenbar neueren Datums, und stammte zweifellos aus dem Krieg gegen das Kaiserreich.
Doch wo schon die Häuser der Lebenden in Schutt und Asche sanken, da konnte man natürlich nicht erwarten, dass man die Ruhe der Toten respektierte. Der Friedhof sah aus, als hätte ein trunkener Riese sich ausgetobt. Grabsteine, vielfach bis zur Unkenntlichkeit zerschmolzen, in Stücke gesprengt, lagen umgestürzt im Dreck. Neun von zehn Statuen waren wohl nur noch von einem Ortskundigen mit einiger Sicherheit zu identifizieren, und die wenigen, die wie durch ein Wunder unbeschadet geblieben waren, wirkten in all der Zerstörung um so anklagender. Die Aufnahme war – vielleicht zufällig, vermutlich aber mit voller Absicht – just in dem Moment gemacht worden, als eine Kolonne imperialer Bodenfahrzeuge an dem verwüsteten Totenacker vorbeigefahren war. Die Abzeichen der kaiserlichen Garde waren nur zu deutlich zu erkennen.
Einer der Clips bestand im Grund nur aus einer Karte der konföderierten Hauptstadt vor dem Angriff. Straßen, Parks und Gebäude waren eingezeichnet. Dann leuchteten mit einem Mal stilisierte Flammen auf. Um das Regierungszentrum war ein Ring von drei Kilometern Durchmesser in blutigen Rot gehüllt, der für die zehn Quadratkilometer Stadtgebiet stand, die vollständig in Schutt und Asche gelegt worden waren. In der gesamten übrigen Stadt flackerten immer wieder einzelne Flammen auf – mal isoliert, als hätte es nur ein einzelnes Gebäude getroffen, doch nicht selten erfassten sie mehrere Straßenzüge. Darunter wurde penibel aufgelistet:
"Zerstört beim Beschuss des Regierungsviertels:
- Armeekasernengelände – eines, zuvor ausreichend für zwei Bataillone a 500 Mann
- Polizeiwachen – zwei, jede ausreichend für maximal 100 Mann, Ist-Besatzung zum Zeitpunkt des Angriffs jeweils 40
- Luftüberwachungs- und -verteidigungszentren – eines, Bewaffnung drei vierrohrige SAM-Werfer
- Zivilschutzstationen – zwei, primär ausgerichtet auf Brand- und sonstigen Katastrophenschutz, zuständig für jeweils vier verstärkte Milizkompanien a 200 Mann
- Botschaften nicht kriegsführender Staaten – sechs
- Galerien und Museen – vierzehn, Gesamtwert der zerstörten Kunstwerke geschätzt 32 Milliarden
- Krankenhäuser – drei, frühere Aufnahmekapazität: 2.000 Patienten
- niedergelassene Arztpraxen – dreiundzwanzig
- Kindergärten und Schulen – sechs, frühere Aufnahmekapazität: 3.000 Kinder und Jugendliche von drei bis sechzehn Jahren
- Altersheime – drei, frühere Aufnahmekapazität: 450 Personen, einschließlich 50 Palliativfälle
- 126 Geschäfte (darunter ein Waffenladen)
Darunter prangte die Unterschrift:
"Wie gut, dass die Kaiserlichen nur auf militärische Ziele schießen!"
Vermutlich von demselben Schöpfer gab es auch eine knappe Aufzählung unter der Überschrift: "Das Kaiserreich – das kleinere von zwei Übeln?
- Vom Militär und Polizei der Bundesrepublik Terra in 200 Jahren getötete Bürger der Konföderation - 3.478 Angehörige der Streitkräfte, 689 Zivilisten (Liste wird ergänzt)
- Vom Militär der Kaiserreichs der Akarii im Celeste-System in 200 Stunden getötete Bürger der Konföderation - 22.519 Angehörige der Streitkräfte, Polizei und des Zivilschutzes, 10.309 Zivilisten (vorläufige Zahlen einschließlich Vermisste, Liste wird ergänzt), dazu 615 Bürger der Bundesrepublik und 228 Bürger anderer Staaten (inklusive Botschaftspersonal)"

Dabei stammte ein beträchtlicher Teil des Materials eben nicht aus der FRT. Die schlug natürlich auch Kapital aus dem Thema, aber für sie war die Konföderation weiterhin ein Nebenschauplatz, der augenblicklich tobende Wahlkampf und die Bemühungen, die eigene Bevölkerung angesichts der Rückschläge bei der Stange zu halten, rangierten deutlich weiter oben in der Prioritätsliste. Aber die notorisch unabhängige und zerklüftete Mediengemeinschaft – falls Gemeinschaft nicht bereits zu einheitlich klang – der Konföderation war ein regelrechter Brutkasten für solches Material. Denn selbst viele, die den Frieden akzeptierten, vielleicht gar begrüßten, waren mit dem Wie und Warum der Kapitulation zutiefst unglücklich. Insbesondere ein Teil der nichtmenschlichen Planeten und Bevölkerungsgruppen der Konföderation – aber auch nicht wenige der besten Medienkräften des Staatenbundes, die auf Hannover den imperialen Angriff „live und in Farbe“ miterlebt hatten – hatten einiges an Energie und Können in diese Arbeit gesteckt. Und ihre Zentralregierung hatte praktisch keine Handhabung, ihnen in den Arm zu fallen.
Natürlich war die hier gezeigte Auswahl sehr selektiv. Es gab auch mehr als genug Material, das den Frieden feierte und befürwortete, doch das suchte man hier vergebens.

Walja fand die Kapitänin im Raum der Erinnerung. Die hochgewachsene, schlanke Gestalt in der braunen Dienstuniform war unschwer zu erkennen. Offenbar betrachtete die Kommandeurin Bilder einer Wüstenwelt. Braun-, Gelb- und Rottöne überwogen, bizarre Felsformationen ragten empor. Eine gigantische blaue Sonne – schwächer als das terranische Gestirn, aber ein vielfaches größer – tauchte die Landschaft in fremdartiges Licht. Direkt vor den Füßen der Kapitänin fiel der Boden scheinbar steil ab und öffnete sich zu einem kreisrunden Tal von vielleicht einem Kilometer Durchmesser, in dem ein See leuchtete. Das Blau des Wassers und das Grün der Vegetation an den Ufern wirkten in dieser Umgebung geradezu surreal. Die Wände des Tals waren übersäht mit Türen und Fensteröffnungen, genug, um eine ganze Stadt zu bilden. Eine vermutlich mehrspurige Maglevbahn verband den…Ort? Die Stadt?...offenbar mit weit entfernten Zielen.
Allerdings blieb Walja nicht viel Zeit, die Aufnahmen zu betrachten, denn anscheinend war er gehört worden. Mit einer fließenden, geschmeidigen Bewegung drehte sich seine Vorgesetzte um.

Wie schon in der Vergangenheit brauchte Walja seine gesamte mühsam erarbeitete Selbstbeherrschung, um sich ein gewisses Unbehagen nicht anmerken zu lassen, das ihn unwillkürlich ergriff. Captain Rana Achtev war eine Frau, die in der FRT wohl als „Freak“ gegolten hätte, im Imperium geradezu als ein Monstrum. Sie war ein Mensch, gerade mal ein paar Jahre über 30 – ihre Mutter aber war eine Akarii, ihr Vater ein Soridachi.
Diese biologische Unmöglichkeit war begründet in den toleranten Gesetzen der Konföderation. Diese billigte Ehen zwischen Angehörigen verschiedener Rassen (gleichgültig ob unterschiedlichem oder gleichen Geschlechts) volle rechtliche Gleichheit zu, und die konföderierte Gesellschaft akzeptierte diese Partnerschafften gleichermaßen bereitwillig. Natürlich waren die wenigsten Rassen anatomisch oder gar genetisch kompatibel – letzteres galt primär für die Lokter und Emphfter, die immerhin vom selben Heimatplaneten stammten und sich aus gemeinsamen Vorfahren entwickelt hatten. Aber die Konföderation ging noch weiter, sie gab ALLEN verheirateten Paaren – und vielfach auch Alleinerziehenden – volle Adoptionsrechte, auch für Kinder anderer Rassen. In der Konföderation gab es praktisch keine Waisenhäuser, ja es hieß, die Konföderation sei bereit, auch elternlosen Kindern aus der FRT ein neues Zuhause zu vermitteln. Diese Politik war ein Erbe der Gründungsphase, als man sich über das zahlenmäßige Ungleichgewicht im Vergleich zur Bundesrepublik Sorgen machte. Deshalb gab es so etwas wie unerwünschte Kinder in der Konföderation praktisch nicht, die Familie ging vielen über alles.
Diese Haltung hatte angeblich auch ihre dunklen Seiten, wenn man einige Gerüchten glaubte, die von geheimen Kreuzungsversuchen zwischen verschiedenen Rassen, dem Ankauf von entführten Kindern aus dunklen Kanälen oder von Klonbabys munkelten, die man bis zum Säuglingsalter heranreifen ließ und dann an adoptionswillige Familien weitergab. Bewiesen hatte man etwas davon noch nie.
In der FRT sorgten die konföderierten Ehe- und Adoptionsgesetze zumindest für hochgezogene Augenbrauen – und eine Menge dumme Kommentare, die von witzig bis zu borniert und plump rassistisch reichten. Für viele kaiserliche Akarii hingegen, die nun einmal in Elternhaus, Schule und Medien im Sinne eines teils kulturell, teil genetisch „fundiertem“ Rassismus umfassend indoktriniert worden waren, war das der Beweis für die Minderwertigkeit der konföderierten und generell der menschlichen Gesellschaft als Ganzes, die solche Perversionen duldete oder gar guthieß.

Aber selbst Walja, der sich eher für weltoffen hielt, fand einiges an seiner Kapitänin beunruhigend. Nicht, dass er etwa Zweifel an ihren Fähigkeiten gehabt hätte. Die aus einer mittelständischen Familie stammende Offizierin, die ihren Vornamen nach einer halb historisch-halb legendarischen Akarii-Heldin und ihren Familienname nach ihrem Soridachi-Vater erhalten hatte, hatte bei Kriegsausbruch als Erster Offizier auf einem Patrouillenschiff gedient. Sie hatte umgehend den Kapitänsposten auf einem Hilfsminenleger der Colonial Navy übernommen – nicht mehr als ein aufgerüsteter und modifizierter Merkur-X-Frachter – und sich an Bord des Schiffes ihre Sporen verdient. Zwei Jahre lang hatte sie sich allein oder mit einigen anderen Schiffen ihres Schlages über verschlungene Pfade weit hinter die feindlichen Linien geschlichen und Minen auf den Nachschubwegen der Akarii gelegt. Ihr Glanzstück war ein Unternehmen, bei dem sie ein halbes Dutzend speziell modifizierter Sprengkörper mitten in einem feindlichen System auf eine genau berechnete Bahn gebracht hatte, ohne dass der Gegner etwas davon bemerkte. Zehn Tage später – die Konföderierten waren da schon lange weg – landeten die Minen im ballistischen Flug genau im Ziel und zerstörten ein Abbauzentrum und eine automatisierte Erzschmelze im Asteroidengürtel des Zielsystems. Auf das Konto ihres Schiffes gingen zudem die Vernichtung von zwei kleinen Kriegsschiffen der Echsen sowie gut anderthalb Dutzend Frachter. Danach war sie Kapitänin einer Korvette und noch anderthalb Jahre später schließlich Kommandeurin einer Fregatte geworden. Sie hatte auch diese Schiffe mit beachtlichem Erfolg geführt.
Rana war bei Admiral Girads großem Schlag mit ihrem Schiff interniert worden, hatte sich aber praktisch bereits am ersten Tag ihrer Gefangenschaft bereit erklärt, für die Terraner zu arbeiten. Und im Verlauf von anderthalb Monaten war es ihr gelungen etliche ihrer Kollegen sowie fast die Hälfte ihrer alten Crew zu überzeugen, mitzumachen.
Sie sprach fließend Englisch, Mandarin, zwei Soridachi-Sprachen sowie Sekurr und Terrekarii. Rana formulierte manche Worte vielleicht etwas merkwürdig und betonte einige Silben anders als gewöhnlich, aber das war es nicht, was sie etwas…exotisch wirken ließ. An fremdartig klingende Dialekte des Englischen gewöhnte man sich in einer multinationalen Streitmacht schnell, zumal wenn man kein anglophoner Muttersprachler war.
Ihr Äußeres hingegen war bereits gewöhnungsbedürftig. So hatte sie keine Haare auf dem Kopf, nicht einmal Wimpern oder Augenbrauen – vermutlich hatte sie sich das als Kind von zwei Reptilien abgewöhnt. Aber was Walja am meisten irritierte, war, dass sie nicht nur die Sprechweise, sondern auch sehr viel von der Mimik und Gestik ihrer Eltern übernommen hatte. Sie blinzelte selten, und wenn, dann geschah dies mitunter fast ruckartig, als müsse sie sich daran erinnern es zu tun. Und mit ihren wimperlosen Augen sah es auch sehr…merkwürdig aus. Auch zeigte ihre Miene selten eine Emotion, die Bewegungen ihres Kopfes und ihre Gesten wirkten vielfach einfach…fremd. Nun ja, durch seinen mehrmonatigen Dienst mit Nichtmenschen hatte er sich zumindest etwas vorbereiten können, aber manchmal machte es einem zu schaffen. Dass man nie recht wusste, was der Captain dachte, war schon etwas irritierend.

Er nahm Haltung an und salutierte: „Captain…“ Die Frau musterte ihn einen Augenblick, natürlich ohne eine Emotion zu zeigen. Dann nickte sie ruckartig: „Ja, Commander?“
Walja hob seinen Datenträger: „Ma’am, ich wollte Ihnen die letzten Zahlen der primären und sekundären Gefechtsstände mitteilen. Unsere Kampfsätze an Schiff-Schiff- und Anti-Jäger-Raketen sind komplett aufgefüllt, auch die Bestände für die raketenbewaffneten Bordshuttles. Wir haben 50 SM-3A und 10 MSM-7D-Minen übernommen…“ Captain Achtev legte den Kopf leicht schräg. Sie leckte sich ruckartig über die Unterlippe – noch so eine irritierende Angewohnheit: „Das sind nur 60 Prozent unserer Magazinkapazität.“ Stellte sie nüchtern fest.
Walja nahm unwillkürlich Haltung. Er konnte zwar nichts dafür, aber niemand machte gerne bei einem Vorgesetzten Meldung über einen Misserfolg: „Leider ist die Nachfrage zu groß, Angesichts der letzten Erfahrungen will man wohl die Minenfelder in diesem und anderen Systemen komplettieren. Außerdem rangiert die Lieferung von Sperrmitteln für unsere Schiffe nicht gerade weit oben auf der Prioritätsliste angesichts unseres unklaren Missionsprofils. Ich soll melden, wir haben dafür ersatzweise zwei Dutzend Dummies geladen…“damit waren leere Hüllen gemeint, die echten Minen täuschend ähnelten, bis zu dem Punkt, dass sie eine leichte Strahlung abgaben „und außerdem ein Dutzend provisorischer Selbstschuss-Satelliten. Offenbar will man auf Masters gerne wissen, ob die Dinger sich im Einsatz bewähren.“ Bei den Satelliten handelte es sich um simple Konstruktionen, die als passiv ortende Abschussbasis für eine einzelne Salve von zwei bis sechs Anti-Jäger-Raketen dienten. Masters hatte versucht, sich gegen die imperiale Invasion mit solchen Notbehelfen zu schützen, aber die Akarii hatten darauf verzichtet, ihre Bomber und Jäger in Planetennähe einzusetzen. Die Kapitänin schien sich das durch den Kopf gehen zu lassen, dann nickte sie wieder ruckartig: „Vielleicht können die ja zu etwas nütze sein…“
„Ansonsten…wir hatten einige Mühe, die Ausrüstung der Marines zu komplettieren, für den Fall, dass die zum Bodeneinsatz kommen. Das Kontingent des Kreuzers ist ja nicht gerade für so etwas gedacht. Energiezellen für Laser, auch Zugangssprengladungen und selbst Handgranaten sind weniger das Problem, da hatten wir noch genug. Aber schweres Gerät…wir haben aber inzwischen auf Seafort zwei Mörser mit je 60 Granaten, alles Sprenggeschosse, und zwei schultergestützte Raketenwerfer mit je anderthalb Dutzend Napalm- und panzerbrechenden Raketen und acht SAM loseisen können. Und wir haben ein paar Dutzend Bodenminen und zweihundert Kilogramm Sprengstoff in unseren Magazinen.“
Captain Achtev verzog die Lippen zu einem gespenstischem Grinsen, das definitiv zu viel Zähne zeigte: „Das sollte für eine kleine Party reichen, wenn auch nicht für eine LANGE. Und ich will gar nicht wissen, was Sie und ihre Kollegen tun mussten, um die Sammlung zusammenzubekommen.“
„Und dann bräuchte ich noch Ihre Genehmigung, was die Übungspläne angeht – Feuerdrill, Schadenssimulationen…“
Die Kapitänin nickte abwesend, diesmal eine für ihre Verhältnisse irritierend menschliche Geste, während sie die Angaben auf dem Datenträger überflog: „Genehmigt. Wir setzen für morgen während der Nachtschicht einen verschärften Gefechtsdrill an – das darf aber an niemanden auf den unteren Rängen durchsickern.“ Sie grinste wieder auf ihre eigentümliche Art und Weise: „Wir werden zusammen mit der Indomitable einen Überraschungsangriff auf unsere zwei Schwesterschiffe imitieren. Mal sehen, wie unsere Neuzugänge sich schlagen. Und dann sollten Sie mal Pause machen, Lieutenant Commander – Sie sehen aus, als hätten sie es nötig.“

„Danke, Ma’am.“ das klang fast sarkastisch, wie Walja klar wurde, als der Captain die Lippen zu einem schiefen Lächeln verzog und ihm auf ihre eigenartige Art und Weise zuzwinkerte. Hastig verbesserte er sich „Ähm, ich meinte natürlich nur, Danke für die Autorisierung und ich gehe dann mal und…äh.“ Rana Achtev nickte wieder abgehackt.
„Ach, und Commander…“
„Ma’am?“
„Wie ist eigentlich Ihr Eindruck als TSN-Offizier von ihrer Crew?“ Diese in fast müßigem Tonfall gestellte Frage trieb Walja mal wieder den Schweiß auf die Stirn. Er wusste nicht, ob die Kapitänin in seinen geheimen Spähauftrag eingeweiht war. War dem so, dann konnte es gut sein, dass sie sich über ihn lustig machte. Wusste sie es aber nicht oder ahnte sie es nur, dann konnte er in Teufels Küche kommen, wenn sie es herausfand – sowohl von ihrer Seite als auch seitens seiner NIC-Führungsoffiziere.
Mit Unbehagen registrierte er, dass die CAV-Offizierin ihn wachsam musterte. Noch etwas, was ihm aufgefallen war – die Kapitänin schwitzte vielleicht wenn sie in der Sporthalle trainierte, aber nie aus Nervosität.
„Nun, ich bin natürlich kein Psychologe, aber ich habe den Eindruck, dass die Einsatzmoral gerade nach der letzten Schlacht sehr hoch ist. Wenn ich das sagen kann, vielleicht sogar noch höher als auf den meisten TSN-Schiffen. Das ist eigentlich auch nicht verwunderlich, denn es sind ja alles Freiwillige – keiner, der nur hier gelandet ist, weil er in Friedenszeiten dachte, er könnte so die Galaxis sehen. Oder der sich vielleicht aus einer Gefühlsregung zum Militär gemeldet hat, aber inzwischen den Einsatzwillen verloren hat. Die Mannschaft ist gewissermaßen doppelt gesiebt. Sie sind freiwillig in die CN eingetreten, und dann als Freiwillige zur CAV gekommen. Und die Menschen und Nichtmenschen ergänzen sich erstaunlich gut. Die gelegentlich auftretenden…Startschwierigkeiten bei der Zusammenarbeit unserer Leute und Ihren scheinen inzwischen überwunden. Und wir hatten Zeit, uns aneinander zu gewöhnen.“
Die Kapitänin neigte leicht den Kopf: „Gut. Das werden wir auch brauchen. Und nicht nur im Kampfeinsatz.“ Natürlich – sie wusste bereits Bescheid, wo es hingehen würde.
Die Kapitänin schien erst jetzt den verstohlen-neugierigen Blick zu bemerken, den Walja dem Landschaftsbild zuwarf, das sie betrachtet hatte. Sie lächelte rätselhaft: „Sie fragen sich, was für eine Welt das ist?“
„Nun, es geht mich natürlich nichts an, der Raum gehört Ihnen und ihren Leuten. Nur…ich weiß ein bisschen was über die CC-Welten, und von so einer habe ich noch nie gehört. Für eine eher unbekannte Koloniewelt ist das technische Niveau zu hoch, glaube ich.“
„Sehr gut beobachtet, für einen Waffenoffizier. Sie nehmen ihre Aufgabe offenbar ernst, mehr über uns zu lernen.“ ,Wieder so eine Bemerkung, die man so oder so verstehen kann.'
Die Kapitänin drehte sich um. Ihre Stimme klang noch immer emotionslos, aber irgendetwas vermittelte ein Gefühl der Schwermut, vielleicht, wie sie den Kopf neigte: „Das ist auch keine CC-Welt. Es ist eine Welt, die kein heute in der Konföderation Lebender jemals gesehen hat.“
Sie zischte ein Wort in einer Fremdsprache – es war kein Akarii-Dialekt, und fließend blendeten die Bilder über in eine neue Szenerie. Es war derselbe Ort, aber jetzt schienen mit einmal am Himmel hunderte Sternschnuppen dahinzuwandern. Es war, als ob ein Ozean voller lumineszierender Lebewesen Wogen schlüge. Für einen Moment bot sich ein Anblick überwältigender Schönheit.
Dann begannen die Sterne zu fallen. Mit flammendem Schweif stürzen sie herab, zerrissen die dünne Wolkendecke. Wo sie auf den Erdboden trafen, schmolzen Sand und Stein und wurden zu glühender Lava, die emporgeschleudert wurde und fast wieder mit der Weite des feurigen Himmels zu verschmelzen schien – bis auch sie herabstürzte und das Inferno am Erdboden noch vergrößerte. Alles verschwand in einem Malstrom aus Explosionen, Rauch und Feuer.
„Das ist…das war die Hauptwelt des Volkes meines Vaters. Auch er hat sie nie gesehen, genau so wenig seine Eltern, nur diese Aufnahmen, aber DEREN Eltern, die erinnerten sich. Sie waren nicht dort, als die imperialen Streitkräfte kamen, und die Verteidigung mit ihren Bordgeschützen und Massebeschleunigern zerschlugen. Aber sie kannten die Welt. Kannten die Städte. Und sie kannten einige Männer und Frauen von den zehn Millionen, die damals ums Leben kamen. Von den fünfundzwanzig Millionen, die verwundet wurden. Und von den drei Milliarden, die allein auf diesem Planeten unter die imperiale Herrschaft fielen.“

Walja hatte natürlich die dürren Fakten der Ereignisse gekannt, von denen Rana sprach. Die Grenzlandkriege oder auch Eliaks Kreuzzug nannte man die Reihe bewaffneter Konflikte, mit denen die Reiche der Soridachi und Tonari vom Kaiserreich erst geschwächt und dann vernichtet worden waren. Vor allem die Tonari hatten so grauenhafte Verluste erlitten, dass viele von einem interstellaren Genozid sprachen – vielleicht, weil die imperialen Streitkräfte in den ersten Schlachten empfindliche Schlappen hatten hinnehmen müssen. Dabei galt diese Kette von Eroberungszügen gar nicht einmal als eine der „richtigen“ Wellen der Akarii-Expansion. Für die betroffenen Völker aber war es…nun, „traumatisch“ war eigentlich noch ein zu mildes Wort.

Langsam drehte sich die Kapitänin um und schaute ihren Untergeben an. Natürlich zeigte ihr Gesicht wieder einmal keine Gefühlsregung: „Sehen Sie, DAS ist einer der Gründe für unsere Einsatzbereitschaft. Vor allem von vielen der Nichtmenschen. Das müssen Sie verstehen, wenn sie Teil dieser Crew sind.“ Wenn man ihr Verhalten bedachte, zählte sie sich vermutlich eher zu den Aliens.
„Wir haben diesen Krieg mit dem Imperium natürlich nicht gewollt. Aber es gab nicht wenige von uns, die ihn irgendwann ERWARTET haben. Und als er dann kam…hatten wir einen Traum. Einen Traum, dass aus all dem Schrecken, all dem Leid, doch etwas Gutes erstehen könnte. Eine Chance, zurückzugewinnen, was wir verloren haben. Zumindest einige der Welten der Soridachi. Freiheit für die T’rr. Ein oder zwei Planeten der Tonari, damit sie – langsam – anfangen können, wieder aufzubauen, was damals alles vernichtet wurde, nicht mehr immer nur Gäste sind in der FRT und CC. Ja, wir sind in unserer neuen Heimat angekommen, aber ein Stück weit erinnern wir uns noch, und träumen. Und bei den Akarii…meine Mutter hatte keine Erinnerung an das Leben im Kaiserreich, aber ihre Eltern, die waren dabei, als die Flucht begann. Und viele von uns hofften, dass dieser Krieg uns die Möglichkeit geben würde, einige Gründe für diese Flucht zu beseitigen. Ja, es war nur ein Traum. Aber ich denke, es war ein schöner.
Und DAS werden viele von uns Ilis und diesem Allecar nie vergessen und nie vergeben können, dass sie unsere Hoffnungen zunichte gemacht haben in den Trümmerbergen auf Hannover und mit ihren Drohungen und Lügen und falschen Versprechungen. Und auch Cochrane werden wir nicht vergessen. Dass er unsere Träume, unser vergossenes Blut und unser Leid aus sechs Jahren Krieg – und das, was so viele Menschen und Nichtmenschen anderer Völker geopfert haben – einfach WEGGEWORFEN hat, als wäre es wertlos. Dass er nicht einmal wissen wollte, oder verdrängt hat, wofür wir auch gekämpft haben, über die Verteidigung unserer Heimat gegen einen heimtückischen Angriff hinaus. Aber wir werden ihn daran erinnern…“
Und mit einem freundlichen Nicken drehte sich Rana Achtev wieder um und starrte auf die Bilder eines Planeten, den sie nie gesehen hatte außer auf Aufnahmen. Und in ihren Träumen.

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„Legionäre, ihr seid hierhergekommen, um zu sterben. Und ich werde euch dorthin schicken, wo ihr sterben könnt.“
Der französische General Négrier


Etwa vor einem halben Jahr, Erde

„Stehen Sie bequem.“
Der derart Angewiesene schien sich nur unwesentlich zu entspannen. Das kantige Gesicht blieb ausdruckslos, während die blassblauen Augen seinen Gegenüber wachsam musterten. Das weißblonde Haar, in das sich bereits Grau mischte, war nach Art der Marines kurz geschnitten und verliehen dem Mann in Kombination mit beeindruckenden zwei Metern muskulöser Körpermasse und einer Aura kontrollierter Aggressivität das Auftreten eines perfekten Marines – wenn man sich an zweitklassigen Action-Dramen orientierte.
Aber Master Sergeant Clas Schiermer war TATSÄCHLICH ein hoch dekorierter Marineinfanterist. Als ‚perfekt’ hätte er sich allerdings nicht einmal selber bezeichnet.

„Eine interessante Akte haben Sie, Sergeant. Ihr Einsatz auf Pandora, wo Sie ihre ersten Auszeichnungen erhielten, Ehrenmitglied der Fremdenlegion wurden…“
„Danke, Sir.“
„Die auf Pandora ihrem zweifelhaften Ruf alle Ehre gemacht hat. Wie es aussieht, haben Sie viel von ihren Freunden gelernt. Auf Pandora wurde auch das erste Mal gegen Sie wegen Verstößen gegen das Kriegsrecht ermittelt.“
„Diese Anklage wurde fallengelassen, Sir.“
Ein abfälliges Schnauben war die Antwort. Beide wussten, wie unabhängig die Militärjustiz wirklich war – und auf welche Art und Weise in Kolonialkriegen das Kriegsrecht gebeugt und oft auch gebrochen wurde.
„Dann diverse Einsätze, wie auf Pandora teilweise klassifiziert, immer wieder Auszeichnungen und Belobigungen, Beförderung zum Master Sergeant…
Aber auch immer wieder Beschwerden einzelner Soldaten und Offizieren, dass Sie – wie drückte es ein JAG-Offizier aus? – ‚Teil jenes unguten Korpsgeistes sind, der die vermeintlichen Interessen und Traditionen des Marinekorps über die Gesetze und demokratischen Traditionen der Republik stellt.‘ Starke Worte.“
„Nach meinem Dafürhalten etwas zu stark. Aber jeder muss Kariere machen.“
„Dann sind Sie also das Opfer eines ehrgeizigen JAG, der sein Vorankommen durch einen möglichst spektakulären Fall beflügeln wollte? Mir kommen die Tränen.“
„Ich meinte eher, dass sich da jemand zu wichtig genommen hat. Und auch mich für zu wichtig hielt.“
„Natürlich. Sie sind die Seele Ihres Platoons, nicht wahr?
Sie gelten als harter Hund, selbst für das Marinekorps. Ihre Ausbildungsmethoden…dabei und bei Ihren Einsätzen hat man Ihnen immer wieder sehr viel Spielraum gelassen. Sowohl auf dem Boden wie während der Zeit auf der REDEMPTION und COLUMBIA. Ich habe den Eindruck, dass Sie sich zu sehr daran gewöhnt haben.“
„Das zu beurteilen steht mir nicht zu, Sir.“
„Aber mir. Ihr aktiver Einsatz im Akarii-Krieg war ebenfalls recht…beeindruckend. Überlebender der Schlacht von Hellmountain, mehrfach belobigt, weitere Auszeichnungen...
Aber auch die Verwicklung in eine rechtlich fragwürdige ‚Hilfsaktion’ des Korps bei der Jagd nach mehreren Deserteuren. Dieser…Vorfall bei der Bergung eines imperialen Shuttles, der zum Tod von Akarii-Zivilisten führte.“
„Das war ein verdammter Rekrut mit einem lockeren Zeigefinger. Vielleicht habe ich ihn nicht hart genug rangenommen.“
„Oder Sie waren ZU erfolgreich dabei, unsere Jungs und Mädchen zu Killern zu machen.
Und als ob das nicht genug ist, taucht Ihr Name auch noch im Zusammenhang mit diversen Schwarzmarktgeschäften mit…Kriegs-Memorabilien auf. Und ich rede jetzt nicht nur von ein paar gebrauchten Energiezellen, sondern von Verstößen gegen die Vorschriften zum Umgang mit Akarii-Waffen und…Biomaterial.
Und warum habe ich den Eindruck, dass das alles nur die Spitze des Eisberges ist?“
„Es steht mir nicht zu, darüber zu spekulieren, Sir. Aber wenn das Korps und der JAG Zeit haben, sich mit dergleichen Bagatellen zu beschäftigen…“
„Bagatellen? Es geht um Verstöße gegen das Militär- und Kriegsrecht, egal wie weit Sie das auszulegen zu können glauben. Sie denken wohl, Ihre Orden und ihre Einsatzliste machen Sie unantastbar, Master Sergeant? Aber da täuschen Sie sich, denn das sind Sie nicht! Sie sind nichts weiter als ein Relikt. Genauso wie die Fremdenlegion und diese lächerlichen Ehrengerichte der Navy und des Korps. Überbleibsel aus einer schmutzigeren Vergangenheit, mit deren fragwürdigen Überresten nur deshalb noch nicht aufgeräumt wurde, weil der Krieg dazwischenkam. Aber der wird nicht ewig dauern. Und Sie und ihresgleichen haben keine Zukunft.“
Der Marineinfanterist schien kurz zu überlegen: „Erlaubnis, frei zu sprechen, Sir?“
„Wenn Sie etwas Konstruktives zu sagen haben – ja. Falls Sie mir aber mit einem Sermon über Politiker, Frontkämpfer und die Art und Weise, wie der Krieg zu führen ist, kommen…“
„Was wollen Sie von mir, Sir?“

Die Antwort war Schweigen, allerdings nur ein kurzes: „Ich will Ihnen klar machen, dass Sie den Bogen zu oft überspannt haben. Und dass Sie nicht unangreifbar sind, Master Sergeant. Dass die Art und Weise, wie Sie und ihresgleichen den Krieg führen, nicht auf ewig geduldet werden wird.“
„Aber es gibt eine Alternative, Sir. Einen Ausweg. Eine Möglichkeit, wie ich meine Akte säubern kann. Können wir uns also den Part mit den Drohungen sparen und gleich zur Sache kommen, Sir?“
„Sie mieser…“
„Wenn Sie mit mir ins Kino gehen wollen, brauchen Sie mir keine Blumen zu schenken. Solange der Film gut ist…“

Im Gegensatz zu dem, womit Schiermer gerechnet hatte, war die Reaktion auf seine respektlose Volte kein Wutausbruch. Vielleicht brauchte sein Gegenüber ein wenig, um die Anspielung zu verstehen. ‚Ins Kino gehen’ war ein bei der Fremdenlegion üblicher Ausdruck für eine gefährliche Mission. Oder aber sein Gegenüber hatte erkannt, dass er mit klassischen Drohungen nicht weiterkam, und dass er sich den Theaterdonner sparen konnte.

„Sie halten sich wohl für sehr schlau, Maser Sergeant.“
„Nein, Sir. Aber ich bin schon eine Weile beim Militär. Und wie Sie anhand meiner Akte feststellen konnten, habe ich Erfahrungen mit den…Randbereichen des Militärs gesammelt. Mit jenen Aspekten der Kriegführung, die sich mit dem Einsatz der Geheimdienste überschneiden. Deshalb hat man mich auch von Bord der COLUMBIA abgezogen und in ein Spezialprogramm der Recon Forces des Marinekorps integriert, in dem die Zusammenarbeit mit irregulären und auch nichtmenschlichen Truppen trainiert wurde.“
„Ja, das hätte Ihnen vermutlich gut gefallen. Ein Einsatz auf T’rr, fernab von den Augen des JAG, wo Sie und ihresgleichen sich ihr eigenes kleines Reich der Finsternis aufbauen könnten.“
„Nach allem was ich von den T’rr weiß, wären wir Menschen wohl kaum in der Lage, ihnen da irgendetwas beizubringen.“
„Sie hätten sich bestimmt prächtig mit diesen kaltblütigen Killern verstanden. Aber nachdem die Konföderierten uns verraten haben und die T’rr anscheinend auf einmal auf mehreren Hochzeiten tanzen wollen, hängen Sie in der Luft, nicht wahr? Auf einmal gibt es keine Geheimmission mehr, für die man Sie unbedingt braucht. Stattdessen fragt man sich im Korps, ob Sie die zusätzliche Zeit und Geld überhaupt wert waren oder ob Sie ihre Haltbarkeit nicht etwas überschritten haben.“

„Ich bin mir sicher, darüber hat man sich bereits hinreichend Gedanken gemacht. Sonst wären Sie wohl kaum hier. Falls ich damit falsch liege, entschuldige ich mich, Sir.
Falls aber nicht, schlage ich vor, Sie kommen zum eigentlichen Kern ihres Anliegens. Wofür benötigen Sie mich, Sir?“


***********

Einige Monate später

2.000 Männer und Frauen waren angetreten - Peshten, Menschen, T’rr, Akarii und Mitglieder anderer Rassen. Solange die Rekruten physisch und psychisch halbwegs geeignet schienen, hatte das Militär des Konkordats da keine Berührungsängste. Vor allem, wenn die Rekruten bereits Kampferfahrung hatten. In der Republik und Konföderation erzählte man sich, dass bei den Rekrutierungsbüros der Peshten sogar diejenigen eine Chance bekamen, die von der Fremdenlegion ablehnt wurden. Aber das Konkordat, von einer ausgewachsenen Invasion sowie politischen Spannungen bedroht, die zunehmend in gewaltsamen Protesten, ja blutigen Zusammenstößen eskalierten, musste einen Großteil seines Militärs neu aufstellen und hohe Verluste ausgleichen. Angesichts dessen glaubte man offenbar, nicht wählerisch sein zu dürfen.
Allerdings blieb noch abzuwarten, ob dieses Konzept – verbunden mit dem Zuckerbrot einer großzügigen Bezahlung und der Peitsche drakonischer Disziplinarstrafen – aufgehen würde.

„ACHTUNG!“ Die Reihen erstarrten beim Erscheinen einer Peshten mit ruhigen, kontrollierten Bewegungen, die von dem neben ihm schreitenden Menschen bei weitem überragt wurde.

„STURMINFANTERIE-REKRUTEN, STILLGESTANDEN!!“ in der scharfen Stimme des stellvertretenden Ausbilders schwang ein jahrzehntelanger Drillton, der nicht einmal von der Übersetzungssoftware herausgefiltert werden konnte. Die Reihen strafften sich. Auf ein knappes Nicken der Befehlshaberin fuhr ihr Stellvertreter fort: „Willkommen bei den Niegeborenen, Rekruten der Vierten Sturmdivision!“

Die ‚Niegeborenen‘ waren eine legendäre Einheit der eigentlich nicht übertrieben kriegerischen Peshten-Mythologie – eine Armee unbesiegbarer, zum Leben erweckter Statuen. Ein würdiges Symbol für die Sturmdivisionen, eine Antwort auf die Vorliebe der kaiserlichen Armee für schnelle Angriffseinheiten und überraschende Schwerpunktbildung. Die neu aufgestellten Einheiten sollten feindlichen Angriffskeilen in die Flanke fallen, Fronteinbrüche abriegeln und wenn möglich in die Gegenoffensive gehen.
Sturmdivisionen waren nicht besonders groß – etwa 10.000 Soldaten, die jedoch komplett mit Angriffstransportschwebern und Grav-Schützenpanzern motorisiert und von schnellen Grav-Kampfpanzern, -Raketenwerfern und -Sturmgeschützen unterstützt wurden. Dazu kamen mehrere Schwadronen Kampfshuttles, Atmosphärenflugzeuge oder gar raumkampftaugliche Jagdbomber, die zusätzliche Luftunterstützung gewährleisten sollten.
Zudem waren die Einheiten darauf ausgelegt, binnen kürzester Zeit auch mit Sturmfähren und Großraumshuttles verlegt werden zu können, um eine maximale Mobilität zu gewährleisten. Das machte sie zur ‚Frontfeuerwehr‘, aber auch zur möglichen Speerspitze für den Fall, dass das Konkordat seinen Krieg auf andere Planeten tragen wollte.

„Ihr habt die Tauglichkeitsprüfung und die Fragen der Musterungskommission bestanden. Ihr tragt nun die Uniform des Konkordates.
Aber das macht euch noch nicht zu vollwertigen Sturminfanteristen! Nicht, solange ihr euch noch nicht im Kampf bewährt habt. Und nicht, solange ihr es in den kommenden einhundertzwanzig Tagen nicht schafft, mich und Ausbilderin Tesh’ta zu überzeugen, dass ihr auch nur einen verdammten Credit wert seid!
Viele von euch haben in einer Militär-, Sicherheits- oder Söldnereinheit gedient. Viele haben Kampferfahrung – auch in Gefechten, bei denen ihr auf verschiedenen Seiten standet.
Aber auch das spielt jetzt keine Rolle mehr! Wer oder was ihr gewesen seid, wem ihr zuvor die Treue geschworen, wen ihr getötet oder warum ihr in die Armee des Konkordat eingetreten seid, hat für uns weder Bedeutung noch einen Wert. Euer altes Leben ist für uns ausgelöscht. Ihr seid wiedergeboren, um für das Konkordat zu töten.“ Der Mann lächelte kurz und hässlich: „Aber glaubt besser nicht, dass das mit der Wiedergeburt noch mal funktioniert.
Bedeutung hat für uns nur der Eid, den ihr dem Konkordat geleistet habt. Haltet ihn – und das Konkordat wird euch niemals im Stich lassen. Die beste Ausrüstung und Waffen, die es gibt. Ruhm, Orden und Ehre, wenn ihr auf so etwas steht. Eine Bezahlung, von der ein Infanterist in der Republik, der Konföderation oder dem Imperium nur träumen kann. Ihr verdient in einer Woche mehr, als ein normaler Soldat in einem Monat. Brecht den Eid – und ihr werdet zerbrochen.“ Der Offizier grinste ausgesprochen widerlich: „ICH werde euch brechen.
Noch etwas. Bei der Sturminfanterie gibt es keine feigen Dreiaugen, verdammten Glatthäute, Scheißechsen oder blutige T’rr-Barbaren. Ihr seid Sturmsoldaten, und es spielt keine Rolle mehr, wie viele Augen oder Finger oder was für eine Haut ihr habt. Euren Feinden ist es auf jeden Fall egal.
Die Männer und Frauen neben euch sind jetzt eure neue Familie – und mehr als das. Denn in ihren Händen werdet ihr euer Leben legen. An ihnen liegt es, ob ihr überlebt. So, wie ihr Leben in euren Händen liegt. Begreift das, LEBT ES – und ihr werdet siegen und kommt vielleicht nach Hause. Kämpft für euch alleine, und ihr werdet auch alleine sterben. Entweder, weil der Feind euch erwischt, oder weil ihr auf eurem Solokreuzzug irgendwann Scheiße baut, der euch vor ein Erschießungspeloton bringt!
Aber das nur am Rand. Denn in den nächsten Wochen müsst ihr euch keine Sorgen wegen den Imperialen machen. Soweit seid ihr noch nicht. Bevor wir euch in den Kampf senden, werden wir euch durch die Kreise der Hölle schicken. Ihr werdet Blut und Wasser schwitzen. Ihr werdet hungern, frieren und weder Schlaf noch Ruhe finden. Und ihr wisst, dass ihr das jederzeit beenden könnt. Ein Wort, und ihr müsst euch nicht weiter abquälen. Ihr seid jederzeit frei zu gehen. Natürlich würde das bedeuten, dass ihr weder eure Uniform noch euer Handgeld wert seid. Denn wir haben keine Verwendung für Schwächlinge. Es gibt keinen Platz für Versager bei den Niegeborenen. Wer also in den nächsten Wochen scheitert oder aufgibt – der kann zum Teufel gehen. Sein Leben den lebenden Göttern der Sternenleere zum Opfer bringen. Oder wo auch immer in eurer Mythologie ein Platz für Versager ist. Mir ist egal, woran ihr glaubt – ICH selber jedenfalls glaube nicht an zweite Chancen.
Vielleicht habt ihr eine ähnlich motivierende Rede schon einmal gehört. Vielleicht denkt ihr, dass das alles nur Unsinn ist. Um euch einzuschüchtern. Ich werde meinen Atem nicht darauf verschwenden, euch vom Gegenteil zu überzeugen. Das werdet ihr schon früh genug herausfinden.
Ihr werdet mich hassen und verfluchen. Vielleicht wird der eine oder andere von euch mich umbringen wollen. Aber eines verspreche ich euch – ich bin kein leichtes Ziel. Und ich werde euch nichts vormachen. Ich werde nie so tun, als wäre ich ‚einer von euch‘, euer Kamerad oder euer Freund. Denn das bin ich nicht und werde es nie sein. Ich bin der Mann, der euch bis zur Verzweiflung und darüber hinaus treibt. Ich bin derjenige, der euch in das feindliche Feuer schicken wird, ohne zu zögern. Aber ich werde nicht zurückbleiben.“ Der Offizier ließ wieder sein unangenehmes Grinsen aufblitzen: „Für den Fall, dass sich einer von euch deswegen falsche Hoffnungen machen sollte – man sagt von mir, dass ich auch Augen im Rücken habe.“
Langsam schritt der Offizier die Reihen ab. Falls sich einige der Rekruten wunderten, warum die befehlshabende Ausbilderin in Schweigen verharrte, zeigte es niemand.
„Ihr glaubt vielleicht, dass das Konkordat so dringend neue Soldaten braucht, dass es bei der Auswahl nicht zu streng sein kann. Aber auch da irrt ihr euch. Wir schmieden hier eine Eliteeinheit. Wir brauchen keinen Ausschuss oder unzuverlässiges Kanonenfutter. Und ich ziehe lieber mit einer halben Einheit in den Kampf, auf die ich mich verlassen kann, als mit einem doppelten so großen Verband von Versagern und Halbsoldaten. Und es gibt genug Freiwillige – wir haben Spielraum, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Und für den Fall, dass einer von euch immer noch denkt, dass ich hier meinen Atem verschwende…“, der Offizier blickte auf sein Handgelenk-Chrono: „Ihr habt fünf Minuten Zeit, um in feldmarschmäßiger Ausrüstung anzutreten. Der oder die letzte kann gleich zum Tor hinausmarschieren, denn für ihn oder sie gibt es hier keinen Platz. Die Zeit läuft ab…JETZT!“

Binnen weniger als einer halben Minute war der Platz leer. Zurück blieben nur der Mensch und die Peshten, die ihren Stellvertreterin mit einer Mischung aus gelinder Verachtung und Amüsement musterte, den Kopf leicht zur Seite gelegt, um ihn mit dem linken und ihrem mittleren Auge zu fixieren: „Das also verstehen die Menschen unter einer Motivationsrede. Sehr ermutigend und aufbauend.“
„Das hat Tradition bei uns, glauben Sie mir. In einer unserer Kulturen definierte man übrigens den Weg des Kriegers als die unbedingte Bereitschaft, den Tod zu wählen. Ich denke, ich habe mich zurückgehalten.“
„Kein Wunder, dass die Akarii euch unterwerfen wollen. Ihr seid Ihnen zu ähnlich. Außerdem dachte ich, Sie wollen kein Kanonenfutter.“
Ihr Stellvertreter grinste kurz: „Aber ich will auch keine Bürger in Uniform. SIE wollen das nicht. Wir werden diese Männer und Frauen ins Feuer führen. Das ist praktisch die Definition der Sturmdivisionen. Und das ist etwas ganz anderes, als eine Stellung zu halten. Professionalität ist das eine. Aber wir werden nicht gewinnen, wenn diese Männer und Frauen zuerst an die eigene Sicherheit denken. Wir brauchen mehr als das – einen anderen, einen in bestimmten Situationen…vormodernen Kampfgeist.
Es gibt nur wenige Dinge, die einen Soldaten zuverlässig dazu bewegen, notfalls die sichere Deckung zu verlassen und für das Gelingen der Mission das eigene Leben zu opfern. Da sind zum einen Glauben und Patriotismus. Eine starke Motivation. Aber dieser Haufen besteht fast zur Hälfte aus Nicht-Peshten. Ich bezweifle nicht, dass unter ihren Landsleuten Patrioten sind. Und vielleicht gibt es sogar ein paar wahrhaftige Kreuzritter…“
„Dieser Terminus sagt mir nichts.“
„Aber angesichts der momentanen politischen Situation im Konkordat dürfte die Zahl gering sein. Andernfalls würden Sie nicht so viele Aliens anheuern.“
Die Peshten-Kommandeurin sagte nichts. Es war nicht nötig.
„Außerdem erwarten Sie ganz bestimmt nicht ausgerechnet von MIR, Ihren Landsleuten Patriotismus beizubringen. Dergleichen Dummheiten hat es in der menschlichen Geschichte zwar schon gegeben, aber ich halte Sie und ihre Vorgesetzten für klüger.
Dann gibt es noch jene Sorte von Draufgängern, Todesengeln und Morituri-Kandidaten, die dem eigenen Leben keine Bedeutung beimessen. Viel dieser Typen gehen zu den Streitkräften, werden dann aber Söldner, weil sie mit dem regulären Militär nicht klarkommen. Also könnten wir unter unseren Rekruten eine hübsche Auswahl haben. Aber das sind einfach zu wenig – und oft sind das nicht unbedingt gute Soldaten.
Damit bleibt für den Rest unserer Rekruten noch drei Gründe, aus denen sie bei Bedarf ohne Zögern ins feindliche Feuer vorrücken: zum einen Kameradschaft. Das ist ein starkes Band, und es ist oft abhängig von Glauben oder Rasse. Dann ist da die…Motivation, dass man die eigenen Offiziere mehr fürchtet als den Feind. Und zu guter Letzt, kann der Selbsterhaltungstrieb auch…abtrainiert werden.
Und all das erreicht man, wenn man genügend Druck ausübt. Ich gebe unseren Jungen und Mädchen jemanden, den sie gemeinsam verabscheuen können. Und den sie mehr fürchten, als das Imperium.“
„Sie haben eine hohe Meinung von sich selbst!“ spottete die Kommandantin.
„Ich war schon immer der Meinung, dass falsche Bescheidenheit verfehlt ist. Und ich habe von den besten gelernt. Vom Marinekorps, dessen Recon Forces – und von der Legion. Ich weiß, wie man Soldaten zerbricht und wieder aufbaut.“
„Und darauf sind Sie stolz.“
„Es ist etwas, was ich sehr gut kann. Deshalb habe ich schließlich diesen Posten bekommen. Wie wäre es mit einer Wette? In vier Monaten haben wir zwei Bataillone Schocktruppen, mit denen ich die die Tore der Hölle stürmen kann.“
„Oder einer Ihrer ‚Schützlinge‘ bringt Sie um.“
„Ich habe Pandora überlebt, und die Schlacht um Camp Hellmountain. Das Risiko, dass Sie erwähnen – bereitet mir keine schlaflosen Nächte.“
„Und wann habe ich Gelegenheit, mit meinen Untergebenen zu reden? Nachdem ich eingewilligt habe, dass Sie den Anfang machen?“
„Heute Abend, nachdem ich die ersten von diesen Schlappohren ausgesiebt habe. Es ist gut, wenn wir sie erst einmal mit dem Gesicht in den Dreck drücken. Das lehrt sie etwas Demut. Nachdem ich ihnen dann schon einmal einen Vorgeschmack darauf gegeben habe, was sie erwartet, schlagen Sie dann eine etwas ruhigere Tonart an. So wird der Stahl gehärtet.“
Falls Kommandantin Tesh’ta noch etwas hatte sagen wollen, wurde es durch die Ankunft der ersten Rekruten unterbrochen, die in den Hof stürzten, während sie im Rennen noch an ihren Gefechtsrucksäcken, Teilen ihrer Panzeranzüge oder den Übungswaffen nestelten und versuchten, nicht übereinander oder ihre Ausrüstung zu stolpern. Wäre der Anlass nicht so ernst, wäre der Anblick ziemlich amüsant gewesen.
„Was für ein Haufen…“, murmelte der Ex-Marine Schiermer: „DAS IST KEIN VERDAMMTER ZIRKUS, IHR HALBSOLDATEN!“

Diese Szene wiederholte sich zur gleichen Zeit so oder so ähnlich auf zahlreichen Peshten-Welten – dutzend-, vielleicht hundertmal. Das Konkordat bereitete sich für den Krieg vor, den größten in seiner Geschichte.

Dieser Beitrag wurde 2 mal editiert, zum letzten Mal von Tyr Svenson: 15.08.2016 18:30.

11.03.2016 17:31 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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An Bord der CV Pegasus, Niemandsland zwischen Republik und ColCon, Flaggschiff der Eingreiftruppe Badger.

„Ma'am“, sagte Rear Admiral Kilian Scotland, genannt Scotty, „ich habe hier Neues über unsere verschwundenen Col-Navy-Leute.“
Maike Noltze sah den Untergebenen missmutig an, aber immerhin, sie hatte schon drei starke Kaffee im Blut und fühlte sich gut gelaunt genug, um auch eine schlechte Neuigkeit hinzunehmen. „Und zwar, Scotty?“
„Es ist so: Ich habe über General Tyson auf Deneb einen Kontakt auf London aktiviert, den es vorher nicht gab. Der hat mir Gelegenheit gegeben, bei Staatssekretär Yorand auf Hannover vorzusprechen.“
„Himmel, Scotty, wollen Sie mir hier erzählen, Sie hätten an die ColCon eine ganz offizielle Anfrage gestellt, was diese mit der Operation Raccoon zu tun gedenkt?“, fragte Noltze mit weit aufgerissenen Augen. „Und, hat es funktioniert?“
„Zu eins: Nein, Ma'am. Ich pflege mir noch immer nicht die Uniformhosen mit einem Thermostrahler zu vernieten. Zu zwei: Ja, es hat etwas gebracht.“
„Erzählen Sie mir mehr.“
„Nun, wie Sie wissen, zensieren wir zwar den Nachrichtenverkehr von allem, was die ColCon verlässt. Und das ist nicht viel, von den Nachrichtenmagazinen und gelegentlich einem Blockadebrecher oder einem Deserteur mal abgesehen. Aber wir zensieren nicht das, was hinein geht. Sonst wäre unsere Tokio Rose ja auch nur halb so viel wert.“
„Und deshalb?“
„Deshalb habe ich einen ganz inoffiziellen Kontakt mit einem hochrangigen Staatsdiener aufnehmen können, der im Wirtschaftsministerium unter Fish arbeitet.“ Scotty räusperte sich leise. „Minister Fisher, oder wie man ihn seit neuesten nennt: Der Mann, der Schweine zum Fliegen bringt.“
„Sie haben also verraten, dass wir von Operation Raccoon wissen, richtig?“
„Ja und nein, Ma'am. Es ist zu erwarten gewesen, dass das Oberkommando und vor allem die alte Echse, also Admiral Norad, damit rechnen musste, dass die Existenz seiner Einsatzflotte mit insgesamt drei Trägern vor uns nicht lange verheimlicht werden konnte. Und es war ihm sicher auch klar, dass wir unsere Agenten und unsere Sympathisanten in seinem Haus haben, sodass wir relativ schnell den Namen der Operation herausgefunden haben. Ich kann Ihnen daher mit Sicherheit sagen, dass nur ein Dutzend Leute auf Hannover überhaupt nur ansatzweise darüber informiert ist, was Operation Raccoon eigentlich ist. Die Kapitäne der Schiffe, die dafür zusammengezogen wurden, werden erst während der Operation über ihre Ziele informiert.“
„Absolute Geheimhaltung. Hat Ihr Staatssekretär etwas dazu sagen können?“, fragte Maike, und schenkte sich aus der bauchigen Kanne eine neue Tasse Kaffee ein. „Auch einen, Scotty?“
„Danke, ja, Ma'am. Wie ich schon sagte, weiß im Ministerium nur Fish Bescheid, was Raccoon ist. Aber der Staatssekretär ist kein Idiot und hat einige frühere Besprechungen und die derzeitige Situation, sprich die abgezogenen Einheiten mit den Anforderungen älterer Planspiele verglichen und... Nun, wir können sagen, dass er ein loyaler Verfechter des Terra-Hannover-Bündnis ist und lieber heute als morgen sehen würde, wie die ColNavy den Echsen wieder in den Arsch tritt und an unsere Seite zurückkehrt. Da er mir also geantwortet hat, gehe ich davon aus, dass es schon mal keinen Angriff auf Deneb geben wird. Neu Hessen schließe ich auch aus.“
„Sie sagen also Shifang? Die ColNavy will ihr interniertes Personal raushauen?“
„So war unsere Vermutung von Anfang an, Ma'am. Weshalb wir hier sind, im übrigen.“
„Im Übrigen“, echote Noltze und meinte damit einen Pegasus-Träger, und die beiden Majestics-Träger ihrer Gruppe, unterstützt von einem zusammengestoppelten, aber schlagkräftigen Verband aus Dick-, und Dünnschiffen. Sie schien nachdenklich. „Hat Ihr Staatssekretär das bestätigt? Ich denke, nur die Minister wissen Konkretes.“
„Richtig. Und deshalb konnte mein Kontakt mir auch nur sagen, welche der jüngeren Planspiele welche Einheiten erfordern würden. Es waren sehr viele Planspiele für einen Angriff auf Deneb dabei, und wer könnte das der ColCon übel nehmen, so wie wir sie gerade behandeln?“
„Nachdem sie uns mit wehenden Fahnen in Stich gelassen und uns den Akarii überantwortet haben“, maulte Noltze. „Erst hauen die Colonials ab, dann kriegen wir in Sterntor von einem aufgeblasenen Nachwuchsadmiral so richtig auf die Fresse, schließlich kommt auch noch Kal Ilis zurück und greift stichprobenartig unsere Grenze an, und jetzt will die Navy also auch noch ihr Personal zurückholen.“
„Das wir, wenn ich es recht betrachte, wider jedes Vertrages illegal interniert halten, Ma'am.“ Scotty hob abwehrend beide Hände. „Ich sage nur, wie es ist. Nach den internationalen Verträgen, die wir mit der ColCon nach ihrer Abspaltung abgeschlossen haben, und für den Fall der Neutralität einer Partei in einem Konflikt, hat die neutrale Partei das Recht und sogar die Pflicht, Kriegsschiffe einer kriegsführenden Partei auf ihrem Gebiet zu internieren. Nicht aber eine kriegsführende Partei jene Kriegsschiffe einer neutralen Partei. Das bedeutet, unsere Schiffe und die der Akarii, so sie nicht unter diplomatischer Flagge reisen, können und müssen interniert werden. Was wir hier machen, ist nichts weiter als ein Akt hochmoderner Piraterie.“
Noltze wollte auffahren. Doch dann seufzte sie nur und nickte. „Aber was sollen wir machen? Wir brauchen die Schiffe der ColNavy. Und wir brauchen das Navy-Personal, und zwar so viele ausgebildete und erfahrene Leute wie irgend möglich.“
„Da stimme ich Ihnen vollkommen zu, Ma'am. Was mich zum zweiten Grund meines Besuchs bringt.“ Scotty legte ihr eine große, ausgedruckte Akte auf den Schreibtisch.
„Und das ist?“
„Die Freigaben, Ma'am. Etwa zweihundert von über zehntausend.“
Sie zog eine Augenbraue hoch, als sie Scottys schelmisch funkelnden Augen ansah. „Welche Freigaben?“
„Meine Spooks haben nicht nur Überstunden geschoben, um die drei Träger zu finden. Sie haben auch alles in die Wege geleitet, um die persönlichen und militärischen Hintergründe von rund zehntausend Freiwilligen der Navy zu beleuchten. Neuntausendachthundert haben eine unbegrenzte Freigabe erhalten, weitere sechshundert eine bedingte Freigabe, und etwa einhundert wurden als zu bedenklich abgelehnt.“
„Über zehntausend erfahrene Leute also?“ Maike Noltze öffnete die Akte. Sie erstarrte. Las das erste Blatt. Dann das zweite. Blätterte tiefer. „Scotty?“
„Ja, Ma'am?“
„Das sind alles verdammt noch mal Akarii!“
„Ja, Ma'am.“
„Akarii, verdammt!“
„Akarii, die sofort, ich betone das, sofort eingesetzt werden können, um ColNavy-Schiffe zu bemannen, oder von den Akarii erbeutete Schiffe und Träger. Alle haben sich freiwillig gemeldet. Und wie ich sagte, meine Spooks haben all diese Echsen für den Dienst freigegeben.“
„Wissen Sie, was man auf Terra mit mir macht, wenn ich damit ankomme? Was Frost mit mir macht, wenn ich ihm sage, dass...“
„Dass Sie auf einen Schlag eine Trägerflotte mit Begleitschutz ausheben können? Und das wäre nur der Anfang. Wenn wir tatsächlich Akarii-Personal akzeptieren, könnte die Zahl der Desertionen hochgradig ansteigen, und wir könnten das Personal zusammenbekommen, das wir dringend brauchen, aber nicht selbst heranbilden können, gerade nach dem Aderlass der 2. Flotte und dem Desaster in Sterntor.“ Das Lächeln des Rear Admirals war so schalkhaft, es ärgerte Maike maßlos.
„Und bedenken Sie, was sich noch alles daraus machen lässt. Etliche T'rr haben sich schon freiwillig gemeldet, um in unserer Navy oder der Armee dienen zu dürfen, um für die Freiheit ihres Heimatplaneten zu kämpfen. Würden wir Colonial Akarii zulassen, und würden sie sich bewähren und als zuverlässig erweisen, könnten wir weitere Fremdspezies akzeptieren. Und es gibt eine ganze Menge Völker, die sich von den Akarii bedroht fühlen und es gerne sehen würden, wenn wir Terraner ihnen eine verpassen.“
„Eine verdammte Fremdenlegionsflotte“, knurrte Maike angriffslustig. Plötzlich aber musste sie grinsen. „Keine schlechte Idee.“
„Ich bin sicher, wenn man es Frost richtig aufarbeitet und wenn man es Präsidentin Birmingham richtig verkauft, dann könnte dies als Zeichen der Hoffnung gewertet werden. Und es wäre ein Signal an die wieder erstarkten Imperialen, dass Terra nicht länger alleine steht.“
„Die Sache hat nur einen Haken.“ Maike Noltze erhob sich, verschränkte die Arme auf dem Rücken und betrachtet die große Sternenkarte hinter ihrem Schreibtisch. „Wenn Sie Recht haben, und die ColNavy will die Internierten in Shifang rausholen, dann haben wir mit unseren Schiffen eine Macht, die zwei Sprünge entfernt ist, um den Deckel drauf zu machen, wenn die Navy ins System springt.“
„Einheiten, die wir dank Kal Ilis nur unter allergrößter Mühe haben konzentrieren können, und die wir nicht verlieren sollten“, sagte Scotty.
„Richtig. Allerdings hat die Verteidigung eines Wurmlochs verdammt viele Vorteile für den Verteidiger zu bieten, wie uns die Geschichte am Karrashin-Wurmloch wieder einmal gelehrt hat. Aber wenn wir den Deckel zumachen und die letzten Großkampfschiffe der Navy stellen, wird es zum Kampf kommen. Und wie werden sich Ihre Freiwilligen dann entscheiden, Scotty? Und die, die bereits im Dienst sind?“
„Die Frage, die wir uns stellen müssen, Ma'am, nachdem wir nun sicher sind, dass Shifang die richtige Wahl war, ist: Was nützt der Republik am meisten? Ich denke, ein Massaker an der ColNavy gehört da nicht zu den richtigen Antworten, vor allem nicht, wenn sie sich auf einer Rettungsmission befinden.“
„Ganz abgesehen davon, dass sie auf einer Rettungsmission sind: Okamba und Toras sind keine Idioten. Sie werden für den Fall, dass jemand einen Korken in beide Wurmlöcher von Shifang steckt, einen Ausweichplan haben. Zeit ist hier wieder entscheidend, denn was geht schneller? Dass Okamba hinter seine Seite der Grenze kommt, oder dass wir genügend Reserven heranführen können, um ihn vorher zu stellen und zu vernichten?“
Noltze setzte sich wieder und trommelte mit der rechten Hand in einem Takt zu einem Musikstück, das nur sie selbst hörte. „Scotty, warnen Sie das Systemkommando vor. Wir haben nichts davon, wenn unsere kleine Verteidigungsflotte massakriert wird. Also warnen Sie General Alexander vor einer möglichen Invasion der ColNavy und sagen Sie ihm eindringlich, er soll solange absolut kooperieren, bis wir da sind. Ab jenem Moment sind die Karten dann neu gemischt.“
„Jawohl, Ma'am.“
„Ach, und sicherheitshalber sollten Sie die freiwilligen Akarii schon mal im großen Stil nach Deneb verlegen. Mit Frost rede ich schon.“
Der Rear Admiral nickte. „Verstanden, Admiral.“
„Shifang also“, murmelte Noltze, nachdem sie wieder alleine war. „Eier haben sie ja, das muss man Cochraine und seinen Echsen lassen.“ Sie trank ihren Kaffee aus und griff nach der Tasse, die sie Scotty eingeschenkt, die dieser aber nicht angerührt hatte. „Verdammte Verschwendung, Scotty.“
Und sie war ein erklärter Gegner von Verschwendung.
***
CNS ROBER DELANY
Republikanischer Raum.
Zwei Sprünge von Shifang entfernt.

Okamba und Adorny musterten stumm die Daten, die vor ihnen auf dem Taktiktisch aufbereitet wurden. Schließlich sagte der Vice Admiral: „Jenna, wenn Sie die Güte hätten...“
Jenna McBride, eine stämmige, schwarzhaarige Frau mit tadellosem Ruf auf dem Gebiet der Datenverarbeitung, sah interessiert herüber. „Die Güte wofür?“
„Uns zu erklären, was wir hier sehen, Commander“, sagte Adorny.
McBride deutete auf die Darstellung des Vegas-Systems, das sie mit dem nächsten Sprung erreichen wollten, eines der beiden Tore zur Rattenfalle Shifang, wie intern gemunkelt wurde. „Wie Sie sehen, sehen Sie nichts. Das Vegas-System hat kaum Ressourcen, kaum Eis, keine Planeten. Nur eine stabile Schwerkraftsenke dank des Roten Riesen Vegas, und fünf mehr oder weniger stabile Wurmlöcher, die wir nutzen können. Wir nehmen eines, das dem Shifang-Wurmloch so nahe wie möglich liegt, sodass wir binnen zehn Stunden zum Sprung bereit sein können. Die Daten, die Sie hier einsehen, haben wir mit Hilfe des Cunningham-Maleetschev-Verfahren gewonnen, also dem CMV, das uns erlaubt, durch das Wurmloch hindurch in das angrenzende Sonnensystem zu spähen, ohne die Sonde wirklich transistieren zu lassen.“
„Das CMV-Verfahren? Also hat es jetzt einen Namen?“
McBride nickte bestätigend. „Diese Methode, basierend auf den Commander Cunningham und Maleetschev, war ursprünglich nur ein Provisorium, mit dem die COLUMBIA hoffte, ins angrenzende Karrashin-System blicken zu können, um notfalls vor der vereinbarten Zeit eingreifen zu können. Es wurde analysiert, verbessert, feineingestellt und schließlich zur Serienreife gebracht. Zwar, zugegeben, stört ein Wurmloch auf vielfältige Weise die Ortung, aber auch darauf kann man sich einstellen. Weshalb ich Ihnen sagen kann, dass Vegas leergeputzt ist. So leer, wie ein System sein kann, dessen Sonne sich zum Roten Riesen aufgebläht und seine Planeten verschlungen hat.“
„Schließt das auch Schiffe auf Schleichfahrt mit hochgefahrenem ECM ein?“, fragte Adorny.
„Nein, Sir, natürlich nicht.“
„Sie wollen mir also sagen, dass rein theoretisch eine ganze Flotte in Schleichfahrt auf uns lauern könnte, sobald wir aus dem Wurmloch kommen?“
„Ja, Sir, das kann so sein. Allein die Störung „unseres“ Wurmlochs könnte in der Tat eine ganze Flotte vor uns verbergen. Das Risiko hierfür, oder auch nur für ein paar einzelne Schiffe, halte ich jedoch nach Analyse der Wahrscheinlichkeit für unter neun Prozent.“
„Das heißt, Sie können in das ganze Vegas-System schauen, aber nicht in die nähere Umgebung des Wurmlochs?“
„Jetzt werden Sie ungerecht, Admiral“, tadelte McBride. „Das Vegas-System ist relativ klein, da wie gesagt die Sonne bereits zum Roten Riesen gewachsen ist und alle eventuellen Planeten verschlungen hat. Wir können daher recht genau schauen, was im freien Raum auf uns wartet, aber wir können nicht auf die andere Seite der Sonne schauen, oder gar in die anderen Wurmlöcher. Zudem haben meine Spezialisten bei der Nahortung rund um den Ausgang des Vegas-Wurmlochs speziell auf ECM-Emissionen oder auf Täuschbilder geachtet, sodass ich jetzt vor Ihnen stehen und sagen kann: Dank des CMV bin ich mir verdammt sicher, dass das Vegas-System frei von Schiffen ist und uns kein Hinterhalt erwartet. Freilich gebe ich keine Garantie dafür, dass dies während unseres Marschs zum Shifang-Wurmloch so bleibt.“ Sie räusperte sich. „Das CMV ist so nützlich für uns, wie es irgend sein kann. Kein Allheilmittel, aber effektiver, als hätten wir es nicht.“
„Dann ist es überaus praktisch, dass unsere ehemaligen Verbündeten uns das Prinzip zur Verfügung gestellt haben“, sagte Adorny nicht ohne Sarkasmus in der Stimme.
„Sir, das ist so nicht richtig“, korrigierte McBride. „Sie haben uns zwar mitgeteilt, dass sie ein neuartiges Ortungsverfahren entwickelt haben, aber sie haben uns nichts über die Prinzipien verraten. Die Admiralität war sich darüber einig, dass uns lediglich fabrikneue, verplompte und in Serie produzierte Sonden zur Verfügung gestellt werden sollten, damit die TSN diesen Vorteil exklusiv beanspruchen kann.“
„Und wie sind wir dann in den Besitz des Verfahrens gelangt?“, fragte Okamba erstaunt.
„Desertion, Admiral.“
„Desertion?“
„Ja, Sir. Es ist nicht so, dass ausschließlich ColNavy-Personal in die FRT desertiert, um weiterhin gegen die Akarii kämpfen zu können. Wir haben auch den Fall von ColNavy-Personal auf dem Gebiet der Republik, das zum Beispiel an wichtigen Projekten mitgearbeitet hat und interniert werden sollte, sich aber dem Zugriff entziehen und nach Hause fliehen konnte. Dazu kommen weitere terranische Flüchtlinge, die jetzt, wo wir Frieden mit dem Imperium geschlossen haben, Vorteil aus diesem Frieden ziehen wollen. Und dabei ist es passiert, dass einer dieser Deserteure zuvor am CMV mitgearbeitet hat. Das grobe Arbeitsprinzip war uns schon zuvor bekannt. Das Problem war es, das Ziel zu erreichen. Dank der Mitarbeit von Mrs. Sung Li konnten wir unseren eigenen Prototyp recht schnell zur Reife bringen. Und wie ich sagen kann, relativ unbemerkt von den Terranern. Unsere Spione meldeten in diesem Zusammenhang jedenfalls nichts, was einer angemessenen Aufregung gleichkommt.“
„Wir haben Spione in der FRT?“
„Natürlich, Admiral. Genau so wie die Terraner Spione in unseren Reihen haben“, sagte McBride. „Es gibt ein Reihe offener Spione, ein ganzer Haufen Sympathisanten, und ein paar wirkliche Hardcore-Spione, die jederzeit zum Beispiel für einen politischen Mord eingesetzt werden können. Der Einsatz Ersterer ist jetzt leider nicht mehr möglich.“
„Die Terraner haben Mörder auf unseren Planeten?“, fragte Adorny entsetzt.
„Ich sprach von unseren Strukturen, Commodore, nicht von denen der Terraner“, entgegnete die Geheimdienstfrau. „Entgegen dem, was sich die Terraner wünschen, neigen wir nicht dazu, sie erst um Erlaubnis zu fragen, wenn wir auf Toilette gehen wollen. Und natürlich wissen wir in einem gewissen Maße, wie stark sie uns infiltriert haben. Zwangsläufig.“
„Und diese Spione sagen, dass der Verlust dieser Spezialistin ignoriert wird?“, hakte der Admiral nach.
„Ja, Sir. Sie war beteiligte zivile Wissenschaftlerin, kein Navy-Personal. Hat selbstständig für einen Teil des Projekts gearbeitet. Der Rest war zwar Top Secret, aber wenn man einen Teil einer Maschine sieht, kann man sich theoretisch den Rest denken. Der Erfolg gibt ihr Recht.““
„Ich verstehe. Und ich bin dankbar dafür. Gibt es noch etwas, was wir wissen sollten?“
„Ja, Sir. Soweit wir es feststellen können, wird das Vegas-Shifang-Wurmloch nicht von einem CMV überwacht. Will sagen, wir können nach Vegas reinschauen, aber die Terraner tun dies nicht.“
„Tun sie es nicht im Moment?“, fragte der Commodore.
„Möglich. Aber wir beobachten das System nun schon seit sechs Stunden, und das Emissionsbild hat sich nicht nach Vorgabe des Einsatz eines CMV verändert.
Will sagen, wenn wir rüberspringen und unser ECM auf Maximum drehen, können die Terraner bestenfalls feststellen, dass etwas kommt, sollten sie doch ein CMV haben, aber nicht, WAS kommt. Und wenn sie kein CMV haben, was nicht unwahrscheinlich ist, da die Serienproduktion gerade erst angelaufen ist und die ersten Geräte an die Flotte gehen und nicht ins Hinterland, dann merken sie erst, dass etwas kommt, wenn wir nach Shifang springen.“
„Danke für die Aufklärung, Commander. Das ist gute Arbeit.“
„Danke, Admiral.“

„Weiter im Text. Wie gehen wir daraufhin vor?“
Commodore Sasha Kurosz, die Stabschefin Okambas, räusperte sich vernehmlich. „Dazu ist folgendes zu sagen, Ladies und Gentlemen. Unsere Geheimdienstberichte sprechen von einem befestigten Orbitalfort und einer Handvoll Dünnschiffe, von denen jeweils zwei an den Wurmlöchern Wache schieben. Ein Regiment terranischer Bodentruppen steht auf Vallis Chroma und bewacht Camp Alabaster. Alles in allem haben wir es nicht mit wirklich viel Gegenwehr zu tun. Es ist alles eine Frage der Zeit. Wir können die Bewacher des Shifang-Systems relativ leicht ausschalten oder sogar vernichten, wenn wir dies wünschen. Allerdings ist der Oberbefehlshaber, General Alexander, ein umsichtiger Mann, der nichts für Last Man Standings übrig hat. Ob freilich die Flotte auf ihn hören wird, wenn es hart auf hart geht, ist fraglich.“
„Wir sprechen von wie vielen Schiffen? Jenna?“
„Laut unseren Erhebungen sprechen wir von sechs Fregatten, einem Zerstörer und einem der umgebauten Frachter für Jagdflieger, der von der Hinterlandfront abgelöst wurde, seit die Terraner für diese Aufgabe Ultraleichtträger bauen und in den Einsatz schicken. Vier Geschwader Jäger und Jagdbomber, nicht mehr. Crew und Piloten wurden komplett ausgetauscht, da Kampferfahrung. Das Regiment Bodentruppen umfasst etwa dreitausend Mann in fünf Bataillonen. Ein Panzerbataillon, vier Bataillone Marines. Das ist der letzte Stand, der uns erreicht hat, bevor wir die Heimat verlassen haben.“
„Das ist für ein Gefangenenlager ja geradezu paranoid viel Bewachung“, sagte Adorny.
„Wir müssen damit rechnen, dass man auf Neu Hessen mittlerweile mitgekriegt hat, dass wir Schiffe und Träger zusammengezogen haben“, sagte Okamba. „Und wir müssen damit rechnen, dass sie mittlerweile wissen, dass weder Neu Hessen noch Deneb unser Ziel sind. Noltze ist keine Idiotin, und Scotty ist der beste Spook, den es auf dieser Seite von Terra gibt.“
„Heißt, Admiral?“
„Dass wir mit unserem CMV erst einmal nach Shifang reinblinzeln. Ist alles so, wie wir es erwartet haben, zumindest so weit wir es sehen können, dann geht es los. Ab dann muss es schnell gehen, richtig schnell. Denn wenn wir drin sind und Noltze macht auch nur eins unserer beiden Wurmlöcher dicht, haben wir ein großes Problem. Wenn sie genug mit zum Spielen bringt, und wir müssen über das Wurmloch ausweichen, das tiefer in die Republik führt, kann für uns das große Desaster beginnen.“
„Sir“, meldete sich Erica French zu Wort, „und das bedeutet für den Einsatz unserer Q-Schiffe was?“
„Sie wissen, der ursprüngliche Plan sah vor, dass Sie und Saunders ins System springen und aus direkter Nähe die Wachschiffe ausschalten oder zumindest so lange beschäftigt halten, bis das Gros der Flotte den Sprung geschafft hat.“
„Ja, Sir, und ich bin bereit dazu.“
„Das freut mich zu hören, Captain, denn an dem Teil des Plans hat sich nichts geändert. French, Saunders, Ihre Vorbereitungen sind abgeschlossen?“
Derek Saundes nickte zustimmend, French tat dies wesentlich enthusiastischer. „Wir haben alles mehrfach geübt, Admiral. Ich bin sicher, wir können die Geschichte durchziehen. Und da Geschwindigkeit für uns überlebenswichtig ist, würde ich vorschlagen, dass wir anfangen.“
Okamba nickte nun ebenfalls. „Wir springen wie geplant in einer halben Stunde. Sollte das CM-Verfahren dies nötig machen, gibt es vor dem Sprung unserer Q-Schiffe noch eine letzte Lichtspruch-Besprechung und eine etwaige Aufteilung der Aufgaben. Sollte dies nicht nötig sein, brechen wir durch, sichern den Orbit von Vallis Chroma und lassen unsere Armee-Einheiten auf Camp Alabaster niederregnen. Dann beginnt der wichtige Part: Alle, die willens und dazu in der Lage sind, auf unsere Truppentransporter zu schaffen. Und dann beginnt der wirklich schwierige Part: Alle nach Hause zu bringen.“
***
Shifang-Vegas-Wurmloch
An Bord der TSN VIKING
Zehn Minuten vor Stunde X

„Guten Morgen“, sagte der Captain, als er die Brücke der VIKING betrat.
„Morgen, Sir“, erwiderte der Wachhabende Offizier. Natürlich war es nicht wirklich Morgen an Bord der TSN-Fregatte. Im Weltraum gab es solche Feinheiten nicht, und an Bord eines Raumschiffs war sowieso rund um die Uhr was zu tun. In der alten Wet Navy hatte dieser Umstand dazu geführt, dass Tag und Nacht in Wachen eingeteilt worden waren, sodass mancher Offizier manches Mal nur zwei Stunden Schlaf am Stück bekommen hatte. Aber es hatte sich psychologisch als günstig ausgewirkt, wenn man einen künstlichen Rhythmus beibehielt und vier Wachen lang – also acht von vierundzwanzig Stunden – in den Quartierbereichen ein gedämpftes Licht nutzte, um eine „Nacht“ zu simulieren. Davon abgesehen orientierte sich die Schiffszeit an der terranischen MEZ, der Mitteleuropäischen Standardzeit, und dort war es nun mal gerade morgens, daheim auf Terra.
Gut gelaunt ließ sich Makani Power im Kommandantensitz nieder, den der WO für ihn freigemacht hatte. „Was besonderes zu berichten, Rodriguez?“
Der Brasilianer schüttelte den Kopf. „Alles ruhig, Skipper. Kein Mucks, kein außerplanmäßiges Schiff, das Wurmloch hat nicht mal gerülpst. Auch von Vallis Chroma kein Mucks. Admirals Order dürfte jede Sekunde eintreffen.“
Admirals Order, so nannte man die tägliche Depesche mit zeitnahen Befehlen, die morgens und abends mit Nachrichten über den Kriegsverlauf eintrafen. Die Geschichte hatte gelehrt, je besser die Schiffskommandanten über die Gesamtlage eines Krieges informiert waren, desto besser konnten sie reagieren. Denn obwohl es sich bei der VIKING und ihrer Schwester, der STUBBORNNESS, nur um zwei simple Brandenburg MKII handelte, die lediglich im Hinterland und bei der Piratenjagd Verwendung fanden, so war ein Schiff doch ein Schiff und eine Rakete eine Rakete. Ein Schiff am richtigen Ort zur richtigen Zeit und eine Rakete, zum rechten Moment auf das richtige Ziel abgefeuert, konnten Wunder bewirken.
Rodriguez Armano Vasquez dela Vega räusperte sich leise, nachdem er lange Zeit keine Antwort seines Skippers bekommen hatte. „Denken Sie, wir bekommen eine Chance auf...“
Makani sah den Mann von der Seite an. Rodriguez war jung und unerfahren. Von Nationalstolz erfüllt und im Zuge der Kriegswerbung erst in die Navy gekommen und dann, dank viel versprechender Anlagen, zum Offiziersanwärter ausgebildet worden. Der gute Mann diente jetzt ein Dreivierteljahr auf der VIKING und hatte den Rang eine Ensign nicht überschritten. Noch nicht. Wenn der Krieg länger dauerte, was dank der Colonials wohl leider so aussah, würde der junge Mann mehr als seine Gelegenheit bekommen, in den Krieg zu ziehen.
„Ich denke nicht, Rodriguez. Wir haben hier eine wichtige Aufgabe zu erfüllen, und wir werden sie erfüllen.“
„Strafgefangenenwärter zu spielen ist jetzt nicht so wichtig“, murrte der Ensign fast unhörbar.
„Haben Sie etwas gesagt, Ensign?“, fragte Makani scharf.
Der junge Mann zuckte merklich zusammen. „N-nein, Sir.“
„Gut. Sonst hätte ich nämlich angenommen, dass Sie mit Ihrem Dienstposten, auf dem Sie vor allem Erfahrungen in der Führung eines Schiffs sammeln sollen, unzufrieden sind. Und seine Arbeit als Offizier zu beherrschen ist die Grundvoraussetzung für einen Einsatz in der Grenzverteidigung oder in einer kämpfenden Einheit.“
„Ja, Sir“, erwiderte der junge Mann betreten. „Ich wollte mich auch nicht beschweren. Und ja, es ist wichtig zu verhindern, dass die internierten Colonials fliehen und wieder bereit sind, gegen uns zur Waffe zu greifen. Und ich weiß ja, was Fronteinsatz bedeutet: Tod und Vernichtung. Aber...“
Makani nickte leicht. „Sie werden Ihre Gelegenheit bekommen, Rodriguez, da bin ich mir sicher. Bis dahin aber lernen Sie, ein feiner Offizier und ein guter Menschenführer zu werden. Wenn Sie können, was Sie können sollen, dann folgen Ihnen auch die Leute.“
„Ja, Sir.“ Er zögerte einen Moment. „Erlaubnis, eine persönliche Frage stellen zu dürfen.“
„Erteilt.“
„Sir, juckt es Sie nicht, wieder...“
„Da raus zu gehen und es den Akarii zu zeigen?“ Der Hawaiianer lächelte. Aber es war ein stilles, schmales Lächeln. „Nein, nicht im Moment.“
„Aber Sir, ich...“
„Und ich sage Ihnen auch, warum das so ist. Die VIKING ist mein erstes Kommando, und dafür wurde ich vom First Lieutenant direkt zum Commander befördert, wegen großer Tapferkeit gegen einen überlegenen Gegner. Ich durfte den Perisher machen und bekam vom Fleck weg dieses Kommando. Zwar sind wir hier etwas im Hinterland, und die Brandenburg-Klasse ist sicher nicht der beste Fregattentyp, den die TSN hat, aber es ist ein Kommando, auf dem ich mich bewähren und empfehlen kann. Denn wie soll ich mich für ein Frontschiff empfehlen, wenn ich schon hier versage?“
„Niemand sagt, dass Sie versagen, Skipper, falls Sie das denken“, sagte der Brasilianer hastig. „Aber es ist doch eine Tatsache, dass man an der Front eher zu einer Beförderung kommt. Oder einer Chance, sich zu beweisen.“
„Das ist richtig. Allerdings muss man sich viele Dinge auch erst verdienen. Und wenn die TSN denkt, dass sie den jungen Mann, den sie zum Commander befördert und dem sie eine Fregatte der zweiten Linie anvertraut hat, erst einmal auf seine Fähigkeiten testen muss, dann ist selbst die Bewachung eines Wurmlochs, das zum zweitgrößten Kriegsgefangenenlager der TSN führt, ein Sprungbrett zu mehr. Sicher, es gibt wichtigere Aufgaben, gefährlichere allemal. Aber die Arbeit hier muss auch getan werden, denken Sie nicht? Hier müssen Sie und ich beweisen, dass wir das Zeug zu mehr haben. Und dass wir die Geduld haben, die Offiziere der TSN auszeichnet.“
„Etwas ungerecht, Sir, wenn ich an meine Klassenkamerade denke, die gerade an der Front dienen.“
„Jeder nimmt sich seiner Chancen selbst an, Rodriguez. Seien Sie nicht so ungeduldig und tun Sie Ihr Bestes dort, wo Sie hingestellt werden.“
„Ja, Skipper“, erwiderte der Wachoffizier säuerlich. „Aber was, wenn der Krieg vorbei ist, bevor ich meine Chance kriege?“
Der Hawaiianer hätte beinahe aufgelacht. „Dann, junger Mann, haben Sie eine gute Chance, mit dem Leben davon zu kommen und einer Verwundung zu entgehen.“ Er zeigte seinen linken Arm. „Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich spreche. Gelobt sei die Medizin der Republik, die verhindert hat, dass ich mit einer Robotprothese herumlaufen muss, aber alles in allem hätte ich gerne auf die Erfahrung eines nachgezüchteten Arms verzichtet. Also seinen Sie vorsichtig mit dem, was Sie sich wünschen.“
„Ja, Sir“, sagte der Brasilianer immer noch säuerlich.

Was der gebürtige Hawaiianer ihm verschwieg, das war der Umstand, dass Makani Power ernsthafte Zweifel daran hatte, jemals sehenden Auges wieder in einer Gefechtssituation stehen zu können. Er hatte über Beta Boeralis nicht nur seinen linken Arm verloren, sondern auch etwas bekommen, nämlich ein handfestes Trauma. Er hatte immer wieder all seine Handlungen, all seine Befehle reflektiert, sich selbst mit den Möglichkeiten gegeißelt, die die Sache besser gemacht hätten, und er hatte als einer der wenigen Überlebenden die Schuld getragen. Warum hatte er es geschafft, und andere nicht? Das würde er nie verstehen, und allein dieser Gedanke ließ ihn manchmal inne halten, ihn zu Salzsäure erstarren und unfähig machen, auch nur einen einzigen Laut von sich zu geben. Er wusste, es war Angst davor, erneut wieder für Leben und Tod verantwortlich zu sein, erneut Befehle geben zu müssen, die Leute töten würden. Seine Leute.

„Ortung!“
„Was gibt es, Prizlik?“
„Etwas kommt durch das Shifang-Vegas-Wurmloch!“
„Haben wir etwas auf dem Zeitplan, Ensign?“
Dela Vega schüttelte den Kopf. „Nein, Sir. Keine Ankunft avisiert.“
Für einen Moment fühlte sich Power erstarren. Da war sie also, die Angst, für die Leben seiner Leute verantwortlich sein zu müssen.
„Klar Schiff zum Gefecht. Signal an die STUBBORNNESS: Klar Schiff zum Gefecht, mir folgen.“
„Aye, Sir.“
Die Alarmsirenen gellten auf und riefen die Freiwache auf die Stationen. Die VIKING war das Führungsschiff, also oblag ihm nicht nur die Verantwortung für seine Leute, sondern auch für das zweite Schiff der Brandenburg-Klasse.
„Was immer da durchkommt, es ist groß genug für einen Träger“, raunte der polnische Ortungsfachmann.
Power rechnete im Kopf nach. Fünf Minuten, bis das Schiff klar zum Gefecht war, acht Minuten, bis, was immer da durch kam, mit Marschgeschwindigkeit bei ihnen sein konnte. Ein Träger konnte es nicht sein, es fehlten die Begleitschiffe. Und für einen Massentransit war zu wenig Masse im Spiel.
„Ortungen kommen rein. Anzahl: Zwei. Identifiziert als Whale-Frachter. Keine IFF, ich wiederhole, keine IFF. Identifiziere sie als Bandit Alpha und Bravo.“ Der Ortungsfachmann sah herüber. „Skipper, auf Kontakt Bravo ist augenscheinlich gerade etwas explodiert!“
Was? „WAS?“
„Und der andere Kontakt scheint zu brennen. Hat ein paar unschöne Treffer abbekommen. Beide Schiffe haben nur noch einen Teil der Schilde, meistens die Frontschilde.“
„SOS kommt rein“, meldete der Funk. „Bandit Alpha identifiziert sich als MORGAINE, privater Transporter.“
„Der zweite?“
„Kein Kontakt bisher.“
„Skipper, entgegenfahren?“
Powers Zähne mahlten. „Kurs der Schiffe?“
„Alpha und Bravo fahren innersystemwärts und kommen zwangsläufig an uns vorbei.“
„Wir bleiben, wo wir sind. Meldung über beide Bandits an das Systemkommando. Stetig aktualisieren. Rufen Sie die Bandits. Ich will einen Kontakt haben.“

Kurz darauf flammte ein Hilfsbildschirm auf und zeigte das Bild der Brücke eines zivilen Frachters. Die Kapitänin starrte ihn aus winzig kleinen, übernächtigten Augen an, tiefe Schatten und Falten zeugten davon, dass sie nicht gerade viel Schlaf gehabt hatte in letzter Zeit. Ihr langes blondes Haar war so fettig, es hing ihr wie ein Hanfseil am Kopf herab. Die Männer und Frauen, die von der Kamera erfasst wurden, sahen nicht viel besser aus.
„Keine langen Erklärungen“, sagte die Frau hastig. „Aber ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie alles, was nach uns durch dieses Wurmloch kommt, unter Feuer nehmen würden. Falls etwas kommt, denn ich wage es eigentlich zu bezweifeln, dass sie sich in ein System trauen, das von der TSN bewacht wird.“
„Kapitän Power von der VIKING. Ma'am, hätten Sie die Güte, sich und Ihr Begleitschiff zu identifizieren und zu erklären, was zum Teufel hier vorgeht?“
„Natürlich, Kapitän Power. Dies hier ist der zivile Frachter MORGAINE. Ich bin Kapitän Hellingsdottir. Unser Begleiter ist die FREEDOM unter Kapitän Iakutsk. Wir wenden uns an Sie in einer direkten Notlage.“
„Diese Notlage ist?“
„Konföderierte.“
Power zog eine Augenbraue hoch. „Was, bitte?“
„Ein ganzer Schwarm von ihnen. Ein Leichter Kreuzer, zwei Zerstörer und vier Fregatten. Wollten uns aufbringen. Haben uns aufgefordert zu stoppen, beizudrehen und Prisenmannschaften an Bord zu lassen. Das hat mir und Sergej, ich meine Kapitän Iakutsk nicht so sonderlich gefallen, und als die Confies die HEATHER konfisziert haben, sind die MORGAINE und die FREEDOM durchgestartet, um durchs glüchlicherweise nahe nächste Wurmloch zu kommen. Das hat uns nach Vegas gebracht, und dort wurden wir auch relativ schnell von den Fregatten eingeholt. Aber wir hatten nur zehn Stunden Marsch bis zum Vegas-Shifang-Wurmloch, und Sergej hat sich dran erinnert, dass hier TSN-Einheiten stehen. Das hat den Confies nicht gefallen. Sie haben versucht, unsere Antriebe auszupusten, das hat aber nicht so gut geklappt. Eingesteckt haben wir trotzdem, und zwar mächtig.“
„Sie sagen also, theoretisch könnte Ihnen eine Flottille Colonial Navy-Schiffe folgen?“
„Zumindest die Fregatten, die waren knapp hinter uns.“ Das Bild wackelte kurz, als im Hintergrund eine Explosion zu hören war. Verzweiflung huschte über das Gesicht der Frachterkapitänin. „Wenn es Ihnen also nichts ausmachen würde, etwas für meine Steuergelder zu tun, dann hätte ich gerne Ihren Schutz, Kapitän Power.“
„Das lässt sich einrichten. Wie weit waren die Fregatten hinter Ihnen?“
„Keine Ahnung. Zwanzigtausend, fünfundzwanzigtausend Kilometer. Ich müsste schauen, ob das automatische Logbuch noch funktioniert.“
„Nein, wie viele Minuten?“
„Minuten?“
„Wann sind Sie gesprungen, wo standen die Fregatten da und welche Geschwindigkeit hatten sie?“
„Vor etwa zwei Minuten, die Fregatten waren rund fünfundzwanzigtausend Kilometer hinter uns und fuhren mit etwas unter zweihundert Km/S, stark reduzierend.“
„Drei Minuten. Höchstens“, meldete sich dela Vega zu Wort. „Vier, je nachdem wie stark sie reduziert haben, um sicher springen zu können.“
„Falls sie springen. Sie müssen wissen, dass hier das Shifang-System ist und dass hier Wachschiffe stehen. Verbindung zur STUBBORNNESS. Kapitän Hellingsdottir, ich melde mich gleich wieder bei Ihnen.“
Die alte Verbindung erlosch und sofort erschien das Bild von Kapitän Hue auf dem Bildschirm. „Ihre Befehle?“
Makani Power überlegte mich lange. „Wir rücken vor bis zur Minenlinie. Wenn die Fregatten durchkommen, werden sie desorientiert sein, zumindest für eine halbe Minute oder mehr. In der Zeit machen wir die Minen scharf und geben ihnen Saures.“
„Die Frachter?“
„Falls in zehn Minuten noch nichts durch dieses Wurmloch gekommen ist, gehen wir zurück und leisten beiden Schiffen Hilfe. Sicherheitshalber fordern wir aber Verstärkung aus dem System an.“
„Einverstanden. Ich halte mich an Ihrer Seite, Makani.“
„Danke, Ellen. Ruder, schneller Marsch zur Minengrenze.“
Power schaltete die alte Verbindung wieder auf. „Ziehen Sie mit Ihrem Schwesterschiff tiefer ins System. Wir leisten Ihnen Hilfe bei den Bergungs-, und Löscharbeiten, wenn Ihnen niemand folgt. Falls wir das nicht können, fordern wir Hilfe im Systeminneren für Sie an.“
„Danke, Kapitän. Sie haben einen gut bei mir.“
„Ich tue nur was für die Steuergelder, die Sie bezahlen“, scherzte Power, und die blonde Frau lachte tatsächlich für einen Moment.
„Funk, Signal an General Alexander mit einem Anhang unserer bisherigen Erkenntnisse. Melden uns bei Feindkontakt wieder, oder wenn wir die Vorhutstellung wieder aufgeben.“
„Aye, Skipper.“

Als die beiden Fregatten die Whales passierten, konnte Power einen guten Blick auf die Beschädigungen werfen. Die hochauflösenden Optiken seiner Beobachtungskameras holten ihm fast die Schiffshülle heran. Wie um ihn zu belohnen erfolgte eine weitere Explosion, die Hülle riss auf, und eine einsame Gestalt wurde mit Atemluft und Debris ins All gezogen. Sie trug keinen Schutzanzug. Power krampfte die Hände um die Lehnen. Das war kein schöner Tod. Und auch kein schöner Anblick. Aus einer Morbidität heraus zoomte er den Todgeweihten näher heran, bis...
Power wurde bleich. Etwas in seinem Kopf machte Klick. „HINTERE SCHILDE VERSTÄRKEN!
GESCHÜTZE FEUER FREI AUF MORGAINE UND FREEDOM! WARNT DIE STUBBORNNESS!“
Seine Befehle wurden ohne Diskussion ausgeführt. Lediglich dela Vega sah ihn fragend an. Aber er sah nicht, was Power sah, nämlich das Gesicht des unglücklichen Raumfahrers. Es war eine Puppe, ein Schaufenstermannequin. Und die konnten nun mal nicht dehydrieren und daran erfrieren. Die lächelten auch tiefgefroren bis in alle Ewigkeiten.
Leider kam die Maßnahme zu spät, das spürte Power, als erste Erschütterungen durch sein Schiff gingen. Sein Schiff eröffnete das Feuer auf beide Frachter, aber zu spät. Die STUBBORNNESS kam nicht mal dazu, zu feuern, da wurde ihr Heckschirm von zwei Raketen aus kürzester Distanz davon geblasen, und mehrere Lasersalven kastrierten ihren Antrieb.
„Heckschild zusammengebrochen!“, rief jemand.
„HECK EVAKUIEREN!“, blaffte der Skipper. Kurz darauf wurde auch seinem Antrieb ein Ende gesetzt. Q-Schiffe! Gottverdammte Q-Schiffe! Und er war auf sie hereingefallen wie ein blutiger... Nein, das stimmte nicht. Er war drauf reingefallen, aber auf diese Schmierenkomödie wäre selbst Nathan Frost reingefallen.
„Wir werden gerufen!“
„Durchstellen.“
Wieder erschien die blonde Frau. Ihre Miene war steinern. „Hier spricht Commander Erica French vom Colonial Navy Ship TROIA. Ich rufe die VIKING und die STUBBORNNESS. Übergeben Sie sofort Ihre Schiffe, und ich stelle das Feuer auf Sie ein. Tun Sie das nicht, werde ich weiterfeuern lassen, bis Sie nicht länger kampffähig sind.“
„Den Teufel werden wir tun, und Sie...!“, begehrte dela Vega auf, aber Makani legte ihm eine Hand auf die Schulter.
„Unser Antrieb ist vernichtet, der Feind ist hinter uns und unsere Schilde sind nicht mehr existent. Hier spricht Makani Power von der TRS VIKING. Ma'am, ich kapituliere und übergebe Ihnen mein Schiff.“
„Hier spricht Kapitän Hue von der STUBBORNNESS. Ich übergebe ebenfalls mein Schiff, Kapitän Power.“
Die falsche Hellingsdottir atmete sichtlich auf. „VIKING, STUBBORNNESS, bereit halten. Wir schicken von der TROIA und der MASQUERADE Hilfsmannschaften herüber, die Ihnen helfen werden, Ihre Verwundeten zu bergen und die zweifellos an Bord ausgebrochenen Feuer zu löschen.“
„Das ist sehr großzügig von Ihnen, Ma'am. Das habe ich nicht erwartet“, gestand Hue.
„Nun. Wir sind ja auch keine Terraner. Ich habe Ihrer beider Wort für die Unversehrtheit meiner Leute?“
„Das haben Sie“, sagte Power. „Was geschieht ab hier mit uns?“
„Wir schleppen Ihr Schiff und die STUBBORNNESS nach Vallis Chroma und überlassen Sie dann Ihren Reparaturen.“
Verwirrt blinzelte Power. „Was?“
„Wie Sie sich denken können, sind meine beiden Q-Schiffe nur ein Vorauskommando. Uns folgt ein Trägerverband. Unser Auftrag ist, unser Navy-Personal aus Camp Alabaster heraus zu holen, nicht herumzufliegen und Beuteschiffe aufzugabeln.“
„Das klingt logisch. Und ich bedanke mich dafür. Aber eines noch: Wurden Ihre Q-Schiffe tatsächlich TROIA und MASQUERADE genannt?“
„Das sind die offiziellen Namen im Flottenregister, ja.“
Power sah die blonde Frau amüsiert an. „Ihre Vorgesetzten haben Humor.“
„Natürlich“, erwiderte sie. „Wie ich schon sagte, wir sind schließlich keine Terraner.“

Damit erlosch die Verbindung, und wäre die Situation nicht so ernst gewesen, Makani Power hätte laut gelacht. „Gefechtsalarm beenden. Wir setzen all unsere Kräfte für die Rettungsarbeiten ein. Nachricht über unsere Kapitulation an das Systemkommando.“
„Skipper, die Admirals Order ist gerade eingetroffen.“
„Lesen Sie vor, Dick.“
„Von: CO 4. Flotte an das Navy-Personal und alle Kapitäne der TSN im Shifang-System.
Text: Befürchten massiven Angriff auf Shifang-System. Wenn Sie einer Übermacht gegenüber stehen, kooperieren Sie bis zum Eintreffen meiner ausgesendeten Verstärkungen. Vermeiden Sie unnötige Verluste und unnötige Tote.
Gezeichnet: Admiral Noltze.“
„Ein bisschen spät“, kommentierte irgendjemand, aber Power war nicht in der Stimmung, ihn oder sie zu tadeln.
„Da kommt noch was durchs Wurmloch, Skipper, und wie es scheint, ist es diesmal ein ganzer Trägerverband.“
Power erhob sich, ging ins Rund der Zentrale und sagte: „Wir haben Befehl dazu erhalten, in vollem Umfang mit der Übermacht zu kooperieren, bis Verstärkung eintrifft! Ich lasse jeden zweimal kielholen, der in diesem Raum ist und der auch nur ansatzweise oder in Gedanken andeutet, dass diese Verstärkung auf dem Weg ist! Haben das alle verstanden?“
„Aye, Aye, Skipper.“
„Ms. Hudagabi, löschen Sie den Core.“
„Aye, Skipper, lösche den Core. Nachricht an die STUBBORNNESS?“
„So schlau wird Hue schon selbst sein. Stoßen wir die Colonials nicht extra mit der Nase drauf. Ensign dela Vega, holen Sie unsere Gäste ein, sobald sie übersetzen. Sie haben ja selbst gesagt, dass sie nicht bleiben wollen.“
„Aye, Skipper.“
„An die Arbeit, Leute!“
„Aye, Aye!“
Damit waren zwei Dinge geklärt. Nummer eins: Die VIKING würde ihn noch eine längere Zeit begleiten, als er noch vor ein paar Minuten erwartet hatte. Nummer zwei: Er konnte unter Gefechtsbedingungen noch Befehle geben. Beides war... Beruhigend.

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An Bord der Columbia
Sterntor-System, Im Orbit um Seafort

Nun war es also soweit, der Tag des Abschieds war gekommen. Sergeant Jean Davis hatte ihren Seesack geschultert und wurde von fast ihrem gesamten Platoon zur extern angedockten Fähre gebracht, die sie zum Offizierslehrgang nach Seafort bringen würde.
Sie hatte einen dicken Kloß im Hals und mußte sich schon arg zusammen reißen um nicht jetzt schon heulen zu müssen. Auf der einen Seite freute sie sich auf den Lehrgang und die damit einhergehenden Aufgaben. Aber auf der anderen Seite fühlte sie sich so, als ob sie ihre Freunde im Stich lassen. Während die Columbia und alle Männer und Frauen an Bord in eine ungewisse Zukunft aufbrechen würden, kehrte sie diesem Schiff den Rücken zu.
Ihre Mutter hatte ihr damals mit Tränen in den Augen gesagt, dass nur ein schmerzhafter Abschied ein guter Abschied sei. Damals hatte sie den Ernst dieser Worte nicht verstanden, war noch zu jung und zu unerfahren gewesen und zu sehr voller Tatendrang gewesen um wirklich zu verstehen, was ihre Mutter gemeint hatte.
Doch nun, nach dem immer noch schmerzhaften Verlust ihres Verlobten, nach dem Beinahe-Verlust ihres Bruders, nach dem Zerwürfnis mit Donovan und dem nahendem Abschied von ihrem Platoon, wusste sie erst wirklich, was ein schmerzhafter Abschied war.
Und die Wucht dieses Abschieds riss ein gewaltiges Loch in ihr Herz. Wortlos näherte sie sich mit ihrer gesamten Entourage dem Schott. Die gesamte Kaiserliche Garde wäre nicht imstande gewesen Lansdale, Haggerty, Ho und all die anderen davon abzuhalten, Jean persönlich zu verabschieden.

Und als sie sich dem Schott näherten erkannte Jean, dass das offenbar noch für zwei weitere Menschen an Bord der Columbia galt. Von ihrem Bruder hatte sie das ja natürlich schon erwartet. Doch von der zweiten Person hatte sie es sich nicht mehr zu wünschen gewagt, seitdem sie sich das letzte Mal zufällig in der Messe getroffen hatten. Sie warf kurz ihren Seesack beiseite und nahm erstmal ihren Bruder fest in die Arme. Clifford Davis, der frischgebackene Lt. Commander, hob sie hoch und nahm sie fest in die Arme. Viel zu sagen hatten sie sich nicht, der Worte waren schon viele gewechselt worden. „Pass auf dich auf, Cliff!“ presste sie mühsam hervor.
„Keine Sorge, du weißt ja wie das mit uns Davis so ist. Nicht mal atomare Sprengköpfe können uns etwas anhaben. Und wenn ich doch Hilfe brauche, habe ich ja immer noch den Griesgram hier.“ Ace machte eine Kopfbewegung Richtung Donovan, der mit verschränkten Armen und knapp drei Meter entfernt von Ihnen stand.
„Danke, dass du ihn dazu bewegt hast, herzukommen.“ Sie machte sich keine Illusionen mehr, Donovan machte den Eindruck als wäre er auf einen Strafeinsatz geschleift worden. „Wie hast du das geschafft?“
„Naja, das übliche halt: Täuschung, Bestechung, Androhung von körperlicher Gewalt…“
Jean Davis lächelte gequält, löste sich von ihrem Bruder und näherte sich Stuntman langsam umd schüchtern lächelnd.

Doch je näher sie ihm kam, desto mehr konnte sie in seinem Gesicht erkennen: `Ich habe ihn verloren!!! Ich habe ihn endgültig verloren!` Ein furchtbarer Stich schoss Jean Davis ins Herz als sie den kühlen Gesichtsausdruck und die halbherzige Umarmung von Donovan spürte. Am liebsten hätte sie jetzt mit ihm gesprochen, ihm alles erklärt und ihren Fehler wieder ausgebügelt, doch dazu war keine Zeit mehr. Dann gab sie sich dennoch einen Ruck, beugte sich zu ihm hinüber und flüsterte ihm ins Ohr. „Pass auf dich auf, Donovan! Ich… ich möchte dich wiedersehen, hörst du?“
Sie hauchte ihm diese Worte so zärtlich wie möglich ins Ohr und schaute ihm dann lächelnd ins Gesicht, in der Hoffnung, dass er wenigstens jetzt zurücklächeln würde. Für einen kurzen Augenblick schien das auch so zu sein, seine Gesichtszüge wurden für einen sehr kurzen Moment weicher, doch dann kam wieder die Härte zurück. „Viel Glück, Jean!“
Jean Davis blickte ihn noch einen Augenblick an, beinahe flehentlich, doch dieser große, dumme Trottel reagierte einfach nicht. Und sie spürte wie gleichzeitig Tränen der Trauer und des Zorns in ihr hochstiegen. Daher wandte sie sich lieber von ihm ab, ging noch einmal zu ihrem Bruder und ließ sich wieder fest in den Arm nehmen.
Dann streckte sie sich noch einmal, salutierte feierlich vor ihren Kameraden, die den Salut zackig erwiderten und schritt durch das Schott in Richtung der Fähre und verließ die Columbia.

***

Als sich das Schott hinter Sergeant Jean Davis geschlossen hatte, blickte Ace zu seinem Freund ihm hinüber und schüttelte den Kopf.
„Was?“
„Idiot!“
„Wie bitte?“
„Du bist ein verdammter Idiot, Donovan! Da wirft sich meine Schwester dir förmlich an den Hals und du weist sie von dir!?“
„Sie hat mir deutlich zu verstehen gegeben, dass sie kein Interesse an mir hat.“
„Ach wirklich? Das sah mir aber anders aus!“
„Du warst damals nicht dabei, vor Ians Krankenstation, kurz vor der Schlacht. Du hast nicht ihre Worte gehört…“
„Mein Gott, sie war verwirrt, sie war verängstigt. Wir leben im Krieg, in ständiger Angst unsere Familien, unsere Freunde und unsere Kameraden zu verlieren. Sie ist in Panik geraten und hat im Augenblick einer Kurzschlussreaktion einen Fehler gemacht. Kein Grund sich deswegen wie ein bockiges Kind zu benehmen und sie deswegen so brüsk zurückzuweisen.“
Stuntman hatte weiter die Arme verschränkt und blickte Ace finster an, während die Marines um sie herumstanden. Natürlich konnte er es nicht ausstehen gerade vor denen von seinem Freund so angefahren zu werden.
Und sein Zorn wuchs umso mehr als sich einer von ihnen aus der Gruppe löste und sich auch noch in die Diskussion einmischte. „Ich muß dem Commander zustimmen, Lieutenant“ begann dieser höflicher als es Donovan von einem Corporal der Marines erwartet hätte. „Sie haben Sergeant Davis und ihre Freundschaft nicht verdient, wenn sie nicht erkennen können, was da gerade vor sich gegangen ist.“
„Vorsicht, Freundchen! Ace lasse ich solche Frechheiten vielleicht durchgehen, aber dir…“ Donovan baute sich vor dem Marine auf, der ihn allerdings eher spöttisch belächelte, wohlwissend, dass ihm knapp 20 seiner Kameraden beistehen würden, während auf Stuntmans Seite gerade mal Ace stand um Schlimmeres zu vermeiden.
Doch Donovan wäre nicht Donovan, wenn er sich darum scheren würde. „Grins nicht so blöd oder…“
Jetzt wurde es aber auch dem Marines namens Lansdale zu bunt. „Oder was…?“
Donovan blickte über die Schulter des halben Kopf größeren und deutlich breiteren Marines. „Große Klappe, was? Hast du die auch, wenn nicht dein ganzes Platoon hinter dir steht?“
Das Grinsen des Marine wurde noch breiter. „Morgen Abend 1800, Boxring Trainingsanlage 2. Wenn sie genug Mumm haben aufzutauchen.“
Donovan nickte nur knapp und Lansdale und seine Marines machten sich schulterklopfend auf den Rückweg zu ihrem Quartier.

„Dir ist schon klar, dass dich dieser Schrank vermöbeln wird, oder?“
„Ach was, den mach ich fertig!“
Ace schüttelte den Kopf. „Naja, eine allzu hübsche Visage hast du ohnehin nie gehabt. Aber vielleicht schafft es Lansdale ja, dir wieder ein wenig Vernunft einzuhämmern.“ Ace seufzte kurz. „Das eigentlich tragische ist aber, das das alles nicht darüber hinwegtäuscht, dass du Jean ein für allemal verloren hast.“
Und mit diesen Worten drehte sich Ace um und ließ Donovan alleine am Schott zurück. Frustiert blickte dieser eine Weile auf die Schutzwand, durch die Jean das Schiff und ihn verlassen hatte.
Und das vermutlich für immer.

***

Second Lieutenant Sharon „Bobcat“ Rogers pfiff fröhlich vor sich hin als sie in ihre Kabine eintrat, die sie sich mit ihrer Vorgesetzten und Staffel-XO der Red Sun Spirits teilte.
Kali blickte kurz von ihrem Terminal auf und verdrehte die Augen. „Wo bist du denn schon wieder gewesen.“ Doch kaum hatte sie es gesagt, hob sie auch schon den Zeigefinger. „Halt, warte, nein. Sag es mir lieber nicht…“ Sie rieb sich müde die Augen und sank in ihren Stuhl zurück und versuchte nicht einmal das herzhafte Gähnen zu unterdrücken. „Uuaaahhh… Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass ich es besser nicht wissen sollte. Nur zwei Fragen: Männlich oder weiblich? Und Geschwader oder Schiffsbesatzung?“
„Männlich und Schiffsbesatzung!“
„Gut, danke. Erspare mir bitte weitere Details:“ Wieder gähnte ihre Vorgesetzte und Freundin herzhaft.
Bobcat grinste lässig und begann sich ihrer etwas zerknitterten Dienstkleidung zu entledigen. „TsTsTs, Kali, hast du etwa wieder die Nacht durchgearbeitet? Du klappst noch zusammen, du musst mal etwas ausspannen und durchatmen, vielleicht mit Kano…?“
Kali schüttelte den Kopf und ging nicht weiter auf die Doppeldeutigkeit ein. “Der hat sich noch mehr Arbeit aufgehalst, jetzt wo er befördert worden ist. Scheint ihm einen Energieschub gegeben zu haben.“
„Das könnte man auch anderweitig nutzen…!?“
„Herrgott, Sharon! Muss es sich bei dir immer nur um das eine drehen?“Kali wirkte nicht nur angespannt sondern auch leicht reizbar.
Bobcat zuckte nur entschuldigend die Schultern, schnappte sich ein Handtuch aus ihrem Schrank, öffnete die Nasszelle und wollte kurz duschen gehen. „Ok, Ok, ist ja gut. Ich will ja nur helfen.“
„Wenn du mir und uns helfen willst, solltest du endlich anfangen mehr Verantwortung zu übernehmen.“
Bobcat trat unverrichteter Dinge wieder aus der Nasszelle „Ach Kali, das hatten wir doch schon zigmal. Ich will ja gerne helfen, aber bei meinem nichtvorhandenen Talent in Führungsaufgaben würde ich mehr Schaden anrichten als Nutzen stiften.“
„Das ist jetzt nicht mehr eine Frage des Wollens, Sharon, sondern des Müssens!“
Bobcat runzelte die Stirn. „Wie meinst du das?“
„Cowboy hat sich unsere Staffelaufstellung vorgeknöpft und alles auf den Kopf gestellt.“ Kali wirkte nicht sonderlich glücklich über die Änderungen und Bobcat schwante auch schon Übles.
„Was heißt das genau?“
„Ab sofort bist du nicht mehr meine Flügelfrau sondern übernimmst den zweiten Wing unserer ersten Sektion.“
„WAAS?“ Bobcat keuchte laut auf und hätte fast ihr Handtuch fallen lassen. „Das kann nicht euer Ernst sein!?“
„Doch!“ Kali nickte bestimmt.
Bobcat schüttelte den Kopf. „Wer soll dann der arme Wurm als mein Wingman sein?“
„Dog!“
„Den hatte ich eher vor zu VERführen und nicht ANZUführen.“ Kali blickte sie wieder böse an. „Ja, ja, schon gut, hab verstanden. Und wer verliert seinen Spot als Wingleader?“
„Artist!“
„Das wird Lydia aber nicht besonders toll finden.“
„Seit den Masters-Schlachten ist sie nicht mehr ganz die Alte und wir glauben sie muß etwas geschont werden. Sie wird meine Flügelfrau werden.“
„Das heißt du degradierst sie, du vertraust ihr nicht mehr voll und ganz und dann soll sie dir zum Dank auch noch den Rücken freihalten? Das schmeckt mir aber gar nicht!“
„Wir sind Profis, wie sind die Angels. Lydia wird ihren Job machen und weder mein noch ihr eigenes Leben unnötigerweise riskieren. Ausserdem habe ich schon mit ihr gesprochen. Ihr schien eher eine Last vom Herzen gefallen zu sein und sie sah es sogar als Ehre an, dass ich ihr meine Sechs anbiete.“
„Hmmm, scheint eine gute Lügnerin zu sein…!“ Sharon überlegte fieberhaft, wie sie aus dieser Situation wieder rauskommen könnte. Und wie es schien, konnte Kali Gedanken lesen.
„Vergiss es, Sharon! Du kommst aus dieser Kiste nicht mehr raus. Der Skipper hat seine Entscheidung gefällt und du weißt auch, dass sie richtig ist. Tulip, Dog, Kid, Cabbie und Sonnyboy sind alle noch nicht soweit einen Wing anzuführen. Und es wird endlich Zeit, dass du erwachsen wirst. Wir sind im Krieg und du bist eine erfahrene Veteranin. Du kannst dich nicht auf ewig hinter deinem California-Girl-Gehabe verstecken und dich vor deiner Verantwortung drücken!“
Bobcat blickte betreten auf den Boden. „Keine Chance?“
Kali schüttelte den Kopf. „Keine!“
Zähneknirschend fügte sie sich ihrem Schicksal. „Na gut, ich werde es versuchen und mein Bestes geben. Aber glaub ja nicht, dass ich jetzt enthaltsam werde.“
„Solange du nicht in der eigenen Staffel… Und am besten auch nicht im Geschwader…“
„Jetzt übertreibst du aber. Und ausserdem unterschätzt du kollosal, welche Wirkung ich auf meine Umwelt habe. Ist schwer genug, mich im Zaum zu halten, wenn mir 50% an Bord dieses Schiffes an die Wäsche gehen wollen.“ Bobcat grinste schon wieder. Eine Frohnatur wie sie war nicht so einfach aus der Bahn zu werfen.
Kali schüttelte auch einfach nur den Kopf. „Nun mach, dass Du unter die Dusche kommst.“
„Aye, Madam! Zu Befehl, Madam“ säuselte Bobcat und hüpfte fröhlich lachend in die Nasszelle.
Doch kaum hatte sie die Tür geschlossen, fiel die Maske der Ausgelassenheit schlagartig von ihrem Gesicht und sie musste sich zusammenreissen um nicht nochmal laut aufzukeuchen. Ihr Magen verkrampfte sich und sie musste ein paar Mal tief und fest Luft holen um sich nicht in die Waschschüssel zu übergeben.
Sharon „Bobcat“ Rogers überfiel ein Gefühl des Grauens und sie hatte furchtbare Angst vor der Verantwortung, die sie ungefragt und ungewollt hatte aufgebürdet bekommen.
Bis vor kurzem hatte sie ihren CAG noch schnuckelig gefunden, doch jetzt hätte sie ihm am liebsten die hübschen Augen ausgekratzt.
Doch dann schüttelte sie sich kurz und nahm vor dem Spiegel Haltung an. Kali hatte Recht, sie hatte sich vor der Verantwortung gedrückt, in der zweiten Reihe versteckt und bloß immer nur blöde Kommentare von den billigen Plätzen abgegeben. Nicht dass sie vorhatte damit aufzuhören, aber sie würde wohl oder übel erwachsen werden müssen.
Ob sie nun wollte oder nicht.

***

__________________
"Das Leben ist das was einem passiert, während man andere Pläne schmiedet." John Lennon

Mitglied der Autorenkooperationen "Dantons Chevaliers" und "Hinter den feindlichen Linien"

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Cattaneo
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Vielleicht (k)ein guter Ratschlag

Das Kasino der Columbia war in den vergangenen fast vier Jahren, die der Flottenträger in Dienst war, Schauplatz einer Menge mal mehr, mal weniger denkwürdiger Ereignisse gewesen. Geradezu legendäre – oder berüchtigte – Persönlichkeiten hatten hier das Zepter (und große Reden) geschwungen. Damals hatten sie auf einige Neulinge wohl direkt überlebensgroß gewirkt. Als überlebensgroße Ekelpakete, wie einige fanden. Doch das hatte nicht bedeutet, dass ihr ÜBERLEBEN sicher war. Und das der Neulinge schon gar nicht. Allein wenn man das fliegende Personal der Columbia betrachtete – neun Staffeln Jäger, Bomber und Shuttles mit insgesamt gut 180-190 Piloten, Copiloten, Bordschützen, Radar- und Elektronikoffizieren und dergleichen – waren in diesen vier Jahren viele, sehr viele gekommen und gegangen, vielleicht insgesamt 600 oder mehr. Nur eine Handvoll von den Männern und Frauen im Bordgeschwader erinnerte sich noch an den Stapellauf. Versetzungen, Verwundung und Tod hatten immer wieder Lücken geschlagen, die gefüllt werden mussten. Und sie alle waren hier gewesen, Menschen aus der ganzen Bundesrepublik und einige von außerhalb, so unterschiedlich an Aussehen, Herkunft und Charakter, wie man sie sich nur vorstellen konnte.
Das Kasino hatte Schlägereien erlebt, an denen mitunter fast ein Dutzend Männer und Frauen beteiligt gewesen waren. Und wie so manches kollektive Besäufnis hatten sie nicht selten auf der Krankenstation oder im Arrest geendet. Hier waren vermutlich mehr – eigentlich verbotene* – „Fraternisierungen“ vom flüchtigen Flirt bis zur jahrelangen stabilen Beziehung angebahnt worden, als an irgendeinem anderen Ort an Bord des Schiffes. Und hier hatten viele von ihnen auch wieder ihr Ende gefunden. Die inoffizielle Chronik des Kasinos verzeichnete überdies drei angenommene und zwei abgewiesene Heiratsanträge – stets, wenn einer oder beide Beteiligte versetzt werden sollten. Hier waren kleinere und größere Erfolge, Auszeichnungen und Beförderungen, ja war das Leben selbst gefeiert worden. Dies galt für wirkliche und „Kriegsgeburtstage“**, für die Geburt einer Nichte oder eines Neffen, manchmal auch eines eigenen Kindes, wenn der Glückliche eine Frau zu Hause hatte, oder auch eines Enkelkindes. Hier hatten Feindschaften wie Freundschaften ihren Anfang oder ihr Ende genommen. Und nur zu oft hatte man hier auch den Tod zelebriert. Den Tod des Feindes – das Erreichen einer runden Abschusszahl oder ein vernichtetes Großkampfschiff war immer ein guter Anlass*** – aber allzu oft hatte man hier auch an den Tod von Kameraden erinnert. Männer und Frauen aus der eigenen Staffel, gute Bekannte aus einer anderen, Angehörige der übrigen Besatzung, vernichtete Begleitschiffe, ihnen allen hatte man hier mit Besäufnissen, Tränen, Ansprachen und Anekdoten oder blutigen Racheschwüren gedacht.

Aber abgesehen von diesen wichtigen und mannigfaltigen sozialen Funktionen war es einer der wenigen Orte, wo man sich – zumindest wenn gerade keine Bereitschaft angeordnet war – zivilisiert besaufen und in Selbstmitleid suhlen konnte, wenn man das nicht – Gipfel der Tristesse – allein in seinem Quartier machen wollte.
Sir Evan Harold Alexander alias Knight hatte an diesem Tag und zu dieser Stunde – nach Bordzeit war es später Abend – eigentlich Grund zum Feiern. Gestern war seine „Bewährungszeit“ zu Ende gegangen, das hieß, Lilja hatte ihn vom Haken gelassen. Der Strafdienst, den sie ihm aufgebrummt hatte, nachdem er Commander Stacy patzig gekommen war, war beendet, sein zweiwöchiges Alkoholverbot aufgehoben. Und die Russin hatte dezent und verbunden mit ihrem unnachahmlichen mach-ja-keinen-neuen-Scheiß-Tonfall angemerkt, dass es jetzt wohl doch mit seiner Beförderung zum First Lieutenant klappen würde, wobei da noch ein Fragezeichen davorstand. Tja, was war er doch für ein Glückspilz!

Im Grunde war dem ehemaligen Bewährungspiloten natürlich klar, dass er sich ziemlich idiotisch benahm, so wie er jetzt Trübsal blies. Unreif, kindisch, lächerlich, dämlich…die Liste der Adjektive, die ihm einfielen, war ebenso lang wie unerfreulich. Aber er konnte einfach nichts daran ändern. Man sollte ja meinen, der knappe Monat, der vergangen war, seitdem Huntress ihm den Laufpass gegeben hatte, hätte ausgereicht, um über diese Beziehung hinwegzukommen. Aber dem war eben nicht so. Er brauchte ihr nur über den Weg zu laufen, ihre Stimme zu hören oder einfach nur an sie zu denken, und die Erkenntnis, dass es aus war, traf ihn wie der berühmte Ziegelstein. Knight graute davor, was er jetzt mit der Freizeit anfangen sollte, die ihm nun wieder zur Verfügung stand, seitdem Lilja ihn nicht mehr mit Strafarbeiten auf Trab hielt und am Nachdenken hinderte. Unter Leute gehen wollte er nicht recht. Nicht, weil er ungesellig war, aber im Moment war ihm nicht nach sozialer Kontaktpflege zumute. Ging es den anderen schlecht, zog ihn das nur noch weiter runter, ging es ihnen aber gut…na ja, lieber nicht daran denken, Neid und Missgunst waren keine Zierde eines Charakters. Auch das war ein Verhalten, für das er sich im Grunde schämte. Er hätte ja auch mal was Nettes tun können, etwa für Shoki da sein, die sich von ihrer Verletzung erholte. Aber er brachte einfach nicht die Energie auf, das Richtige zu tun.
Und es war ja nicht nur, dass Huntress ihn abserviert hatte, und damit offenbar blendend zurechtkam, es gab da auch noch andere Gerüchte, die ihm die Galle hochkommen ließen.

Auf eine rationelle Art und Weise wusste er, dass er im Begriff war, wieder mal einen Riesenfehler zu machen. Er hatte eigentlich nicht viel getrunken, denn er war nicht mit der Absicht hergekommen, gleich wieder negativ aufzufallen. Aber wenn man reichlich zwei Wochen abstinent gelebt und nichts im Magen hatte, entwickelten bereits ein paar Biere eine erstaunliche Durchschlagskraft. Knight fühlte, wie er langsam, nein, nicht die Kontrolle verlor – er näherte sich vielmehr einem Zustand an, in dem es ihm einfach nichts mehr ausmachte, was sein Tun für Konsequenzen haben würde.
Schließlich warf er einen Blick auf seine Uhr. Ja, genau jetzt müsste eigentlich…Sporthalle, genau, da musste er hin. Er stand auf, vielleicht ein klitzekleines bisschen schwankend, und machte sich auf den Weg, in etwa so langsam aber auch unheilschwanger wie ein Eisberg, der sich anschickte, auf eine dicht befahrene Schifffahrtsroute zu driften.

Später, viel später, fragte er sich, was er sich eigentlich dabei gedacht hatte. Nicht nur, weil er nicht darüber nachgedacht hatte was passiert wäre, wenn er denn sein Ziel erreicht hätte, sondern auch, wieso er nur so vermessen gewesen war zu glauben, dass er überhaupt ankommen würde.
Irgendwo tief in seinem Inneren war er nicht einmal sehr überrascht, als er ein ganzes Stück vor den Trainingsräumen die schlanke Gestalt bemerkte, die ein Stück voraus nonchalant an der Wand lehnte, die Arme vor der Brust verschränkt. Eine braune Dienstuniform, welche die Trägerin als Lieutenant Commander auswies, als wenn das selbstsichere Auftreten nicht ausgereicht hätte. Ein vernarbtes Gesicht mit Augen, die sich wie schwarze Diamantbohrer in den Kopf des Gegenübers zu fräsen schienen – ein Wunder, dass man davon keine Migräne bekam. Kurz und gut, Lilja wie sie leibte und lebte, beziehungsweise wie sie wahrscheinlich durch die Alpträume einiger Untergebenen und anderen Leuten wandelte, mit denen sie ernstlich aneinandergeraten war. Die Russin entschied selber, wann sie mit jemandem fertig war, und bis dahin gab es kaum einen Weg sie abzuschütteln. Ihr Gesichtsausdruck war ähnlich vernichtend wie ihr Blick, ihre Stimme troff geradezu vor Sarkasmus: „Na, wen haben wir denn da? Und wohin sind wir wohl unterwegs?“
Knight schaute zuerst einmal prüfend in Liljas Richtung und ließ den Kopf von einer Seite zur anderen wandern. Dann blickte er über seine Schulter hinter sich und wiederholte den Vorgang. Als er Lilja wieder fixierte, hatte sich ihre Miene noch mehr verdüstert, wenn das denn möglich war, und seine leicht verwaschen klingenden Worte änderten daran gewiss nichts: „So wie du mit Personalpronomen um dich schmeißt, könnte man ja meinen, hier würde ganze Völkerscharen aufeinandertreffen. Ich sehe hier nur zwei Personen, mich eingerechnet.“
Der ohnehin nicht immer belastbare Sinn der Russin für Humor wurde durch diese Worte offenbar etwas strapaziert: „Komm mir bloß nicht blöd, Knight! Du bist wirklich nicht in der Verfassung dafür. Meinst du, ich kann mir nicht denken, wo du hin willst und was für eine Dämlichkeit du im Schilde führst?“
„Ich fühle mich geehrt von deiner Fürsorge und dem tiefen Einblick in meine Persönlichkeit, den du dir zuschreibst. Stehst du auf einen Verdacht hin seit gestern hier Wache?“
Lilja schnaubte: „Nicht ganz. Ich habe nur dafür gesorgt, dass mir jemand Bescheid sagt, sobald du im Kasino auftauchst. Denn wenn du erst mal zu saufen anfängst und deine verbleibenden Gehirnzellen in Alkohol tauchst, gab es im Grunde nur zwei Möglichkeiten, wie das enden würde. Ich musste nur ein paar Dienstpläne im Auge behalten, dann wusste ich, wann du wo hingehen könntest und wo ich dich besser aufhalte.“
„Wird nur eine kleine…Trainingseinheit. Muss mich doch fit halten.“
Die Russin lachte sarkastisch: „Sicher doch. Und anschließend ein Ausnüchterungsaufenthalt im Arrest oder auf der Krankenstation? Denn so würde es totsicher enden.“
Knight blickte auf seine Fäuste, die er unwillkürlich geballt hatte. Ihm dämmerte, dass er Lilja wohl nichts vormachen konnte: „Selbst wenn, kommt vor allem darauf an, wie der andere aussieht.“

Lilja seufzte, sichtlich genervt und gottergeben: „Könnt ihr Kerle eure Probleme denn nie auf andere Art und Weise klären? Da wäre es mir ja noch lieber, du hättest Variante zwei gewählt und wärst losgezogen um Huntress anzubetteln, es sich noch mal zu überlegen. Du kannst sehen, dass ich dich nicht ganz aufgeben habe, denn dass du IHR versuchst eine reinzuwürgen, dazu bist du zu gut, das weiß ich. Aber jetzt willst du also hin, und Klein-Cochrane an die Kehle. Nur auf den Verdacht hin, dass es stimmen könnte, was man sich so erzählt.“ Das reichte, um die schwarze Wut in Knight wieder hochkochen zu lassen. Oh ja, es war geradezu erniedrigend wie sogar eine nicht unbedingt für ihre Empathie bekannte Person wie Lilja ihn meinte durchschauen zu können. Leider hatte sie damit vollkommen Recht. Er hatte nicht lange gebraucht um herauszufinden, woher die teils spöttischen, teils abschätzigen und teils mitleidigen Blicke rührten, die ihm einige Kollegen zuwarfen. Es wurde gemunkelt, Huntress habe sich recht schnell einen Ersatz gesucht, nachdem sie ihn abserviert hatte. Und Top Gun passte so perfekt in ihr Beuteschema, dass Knight in seinem gegenwärtigen Zustand nicht bereit war, erst mal nachzuforschen, ob das überhaupt stimmte, ehe er versuchte, dem ehemaligen Konföderierten die eigenen Zähne schlucken zu lassen.

„Das geht dich nichts an!“ blaffte er wütend. Die Retourkutsche kam natürlich prompt: „Und ob es mich was angeht! Denkst du ich sehe zu, wie sich zwei unserer Asse die Scheiße aus dem Hirn prügeln und dann natürlich verknackt werden oder vielleicht verletzt? Was wäre ich denn da für eine Staffelchefin? Cochrane ist gerade erst doppelt ausgezeichnet worden, du stehst einen Schritt vor der Beförderung – wollt ihr euch wirklich mit Macht blamieren und beweisen, wie wenig ihr das Vertrauen wert seid, das man in euch setzt? Und das so kurz vor dem nächsten Einsatz! Ich lasse nicht zu, dass du deine Zukunft endgültig ruinierst, obwohl ich sagen muss, das ist ein harten Stück Arbeit!“
Knight wusste, er sollte ihr eigentlich dankbar sein, aber in seiner momentanen Verfassung war er nicht Recht in der Lage, Liljas Bemühungen angemessen zu würden: „Vielleicht ist mir meine berufliche Zukunft in der TSN auch scheißegal! Dreht sich bei dir eigentlich immer alles nur um Pflicht, Karriere und den ganzen Mist? Geht es nicht in deinen Kopf, dass es auch was Wichtigeres gibt?“

Lilja ging ihm zu seiner eigenen Überraschung für diese Worte NICHT an die Kehle. Aber die Geringschätzung, die in ihren Worten lag, war fast genauso schlimm: „Was Wichtigeres? Ist gekränkte Eitelkeit oder Eifersucht denn wichtiger? Denn sag mir nicht, dass es um LIEBE geht.“ Das Wort spuckte sie verächtlich aus.
„Vielleicht hast du Huntress geliebt – oder zumindest geglaubt sie zu lieben. Aber was hat das damit zu tun, dass du auf Top Gun losgehst, der vielleicht den Platz in ihrem Leben eingenommen hat – vorläufig – den du gerne hättest?“
Sie stieß sich von der Wand ab und baute sich vor Knight auf, und obwohl sie einen halben Kopf kleiner war, wirkte sie, als könne sie auf ihn herabblicken.
„Nehmen wir mal an, du ziehst los und prügelst dich mit Top Gun. Und nehmen wir mal an, du gewinnst.“ Ihr Tonfall deutete an, dass sie da erhebliche Zweifel hatte: „Was würde dir das bringen, außer die idiotische Genugtuung, ihm Schmerzen zugefügt zu haben? Denkst du, Huntress wäre von deiner demonstrierten Macho-Männlichkeit so beeindruckt, dass sie wieder dir den Vorzug gibt? Dass sie sich wie ein Wanderpokal für den entscheidet, der in einem dämlichen Wettbewerb gewinnt? Ich bin ja vielleicht nicht gerade ein Fan von ihr, aber SO oberflächlich ist sie dann doch nicht. Ich glaube nicht mal, dass sie sich geschmeichelt fühlen würde. Eher wärst du für sie endgültig als Idiot abgeschrieben.“ Sie verzog ihre Lippen zu einer Grimasse: „Und wenn ich da falsch liegen sollte…dann würde sie es gar nicht verdienen, dass irgendjemand sich wegen ihr prügelt. Du hast dir ihre Zuneigung ja wohl auch verdient, weil du das richtige getan hast, als die Blauen ihren Affenzirkus aufgeführt und sie geschnitten haben. Wenn du jetzt auf Cochrane losgehst, bist du nicht besser als Chip und seine Meute. Du hast vielleicht einen besseren Grund auf Top Gun sauer zu sein – aber die sind nicht so tief gesunken, sich zu prügeln.“ Dann grinste sie gehässig: „Allerdings hätte Ihnen Kano und die schwarze Schwadron ihnen dann auch heimgeleuchtet.“

Liljas Worte taten weh. Denn die traurige Wahrheit war, die Russin hatte vermutlich Recht. Offenkundig sah sie, dass sie getroffen hatte, denn sie legte prompt nach: „Eine Prügelei hilft dir nicht weiter. Vielleicht fühlst du dich im Moment besser, aber nachher? Dann wirst du es bereuen, und zwar ziemlich lange. Und willst du Stacy die Genugtuung geben, damit rumzuprotzen, dass er es ja gewusst habe? Mir kommt die Galle hoch, wenn ich mir das nur vorstelle! Und offen gestanden, unsere Staffel kann so etwas im Moment wirklich nicht gebrauchen. Wir brauchen dich. Und zwar nicht im Arrest. Wir haben in der letzten Schlacht genug mitgemacht. Ich will nicht, dass wir vor der nächsten vielleicht noch auf dich verzichten müssen.“
Knight dachte nach. Ziemlich lange. Er schwankte sichtbar: „Und was, wenn ich meine, dass mir das alles egal ist?“
Lilja schnaubte: „Dann habe ich mich offenbar in dir getäuscht, und zwar bei wirklichen vielen wichtigen Dingen.“ Sie grinste: „Aber, wie es Crusader ausdrücken würde, gilt dann trotzdem: DU-KANNST-NICHT-VORBEI.“ Knight starrte die zehn Zentimeter kleinere und gut zehn Kilogramm leichtere Russin an: „Und DU würdest mich aufhalten?“
Liljas Lächeln hätte ihm eigentlich eine Warnung sein sollen, denn so strahlen tat sie eigentlich nie. Aber als sie handelte, überraschte sie den Piloten dennoch. Mit einem geschmeidigen Satz überbrückte sie den Abstand, dann landete ihre eine Faust in einem angedeuteten Schlag in seiner Magengrube, die Finger der anderen Hand schnippten ihm gegen die Stirn. Ehe Knight auch nur daran denken konnte, zu reagieren, war sie schon wieder aus seiner Reichweite gewirbelt: „In deinem augenblicklichen Zustand? Ohne Probleme. Ich bin vielleicht nicht die beste Nahkämpferin im Geschwader. Aber es fehlt nicht viel. Und mit einer Bierflasche wie dir werde ich allemal fertig.“ Und auch das klang bedauerlicherweise plausibel.

Mit einem Seufzen ließ Knight seine Schultern nach unten sacken. Genauer betrachtet kam ihm seine Idee, Top Gun zu vermöbeln, inzwischen ziemlich dämlich vor, nicht nur wegen der zu erwartenden Konsequenzen. Und sich dann auch noch von seiner Staffelchefin auf die Bretter schicken zu lassen…Es wäre nur…ja, es wäre die Möglichkeit gewesen, IRGENDETWAS zu tun.
„Na schön, Botschaft verstanden. Und, noch irgendwelche weisen Ratschläge?“ knurrte er – denn so weit, Lilja für ihre ruppige Art der Fürsorge zu danken, war er noch lange nicht.
Die Russin schnaubt: „Bin ich dein Psychiater oder deine Mutter? In die Sporthalle solltest du besser nicht zum Abreagieren gehen, sonst vergisst du deine guten Vorsätze noch. Du kannst natürlich noch mehr trinken, aber da gibt es dasselbe Problem. Du könntest aber auch in dein Quartier gehen und den Kopf ins Waschbecken stecken. Das ist es, wozu ich dir rate, denn dann wirst du vermutlich morgen nicht den Wunsch verspüren, mit dem Schädel ein paarmal gegen die Wand zu rennen.“
Sie verzog ihre Lippen zu einer Grimasse: „Was ich dir definitiv NICHT raten kann, ist dir ein Vorbild an deinem Kollegen Cartmell zu nehmen.“ Womit sie darauf anspielte, dass dieser wie Knight nicht nur Pilot, sondern auch ein Ex-Sträfling war: „Ich weiß nicht, welche Laus dem mal wieder über die Leber gelaufen ist. Aber nach meiner Rechnung hat er sich seit Karrashin mindestens zweimal geprügelt, und da zähle ich nur die Fälle im Geschwader, von denen ich weiß. Hol es der Teufel, ich verstehe nicht, wieso Ace oder die kleine Davis‘ solange sie dazu Zeit hatte ihn nicht mal – vorzugsweise mit ein paar Tritten – auf den Boden der Tatsachen geschickt haben. Ich meine, wo sie ihn doch halb adoptiert haben. Auch so eine komische Idee, wo man sich ja Freunde aussuchen kann, Familie aber nicht. Ich weiß, beide haben genug zu tun, aber wenn ihnen an dem Kerl was liegt…“
Knight grinste schief: „Solltest du IHM nicht dann den Vortrag halten, den du mir verpasst hast?“
Die Russin schnaubte nur: „Ich habe Cartmell, Noname, Stuntman, Joystick oder wie er auch heißt, sich nennt oder von anderen getauft wurde meine aufrichtige Meinung schon einmal gesagt, vor geraumer Zeit und mit allem Ernst und großer Deutlichkeit. Wer nicht hören kann…“
Sie winkte ab: „Er IST ein guter Pilot, vielleicht sogar ein sehr guter, aber in DER Hinsicht teile ich die Meinung unserer Vorgesetzten nicht. Als First Lieutenant würde ich eher einen Schimpansen vorschlagen. Und gar mehr als das…also da würde man mit einem Schimpansen wohl tatsächlich auch bessere Ergebnisse erzielen.“
„Du magst ihn nicht, den Eindruck könnte man gewinnen.“
„Wie könnte ich? Er ist aufbrausend, wehleidig, hat sich kaum unter Kontrolle und kommt mit Dingen durch, die schon besseren Piloten die Karriere gekostet haben. Und ich verstehe einfach nicht, warum er in letzter Zeit so permanent sauer ist. Und wieso er sich so gehen lässt.“
Knight lächelte schief: „Na ja, ich glaube, das hat bei ihm ähnliche Gründe wie bei mir.“
„Hä?“
„Na, er und die kleine Davis…“

Lilja prustete los und konnte sich offenbar gar nicht wieder einkriegen: „Wenn du mich verarschen willst, musst du das schon besser anstellen! Seit Jean mir damals den echten Abschiedsbrief nach dem nicht echten Tod ihres Bruders brachte, bin ich ja nun nicht gerade ihre Freundin geworden. Aber das? So ein Blödsinn! Ihr Verlobter ist gerade mal ein Vierteljahr oder so tot! Glaubst du, sie will sich einen Ersatz zu suchen, so kurz nachdem der Typ, mit dem sie den ganzen In-guten-wie-in-schlechten-Zeiten-bis-dass-der-Tod-uns-scheide-Kram versuchen wollte, heldenhaft bei ihrer Rettung draufgegangen ist? Die beiden waren ja nicht nur zusammen, sie waren VERLOBT. Nenn mich altmodisch, aber ich halte das für eine ziemlich große Sache. Ich meine, klar erwartet niemand von ihr, dass sie ins Kloster geht, aber SO schnell? Heilige Scheiße, ich kenne Leute denen fällt es schwerer den Verlust eines Paars gut eingelaufener Stiefel abzuhaken! Und dann auch noch mit Cartmell?! Unmöglich! Mann, wenn ICH mir jemanden anlachen würde, der so viele Jahre jünger ist wie sie im Vergleich zu unserem ewig mies gelaunten Hitzkopf, wäre ich wegen dem Missbrauch eines Minderjährigen dran! Von seinen charakterlichen Qualitäten ganz zu schweigen…“

Knight öffnete schon den Mund für eine Entgegnung, besann sich dann aber eines Besseren. Irgendwie war es tröstlich, dass die Russin, die hin und wieder auch erstaunlich scharfsinnig und…na ja nicht direkt einfühlsam aber zumindest aufmerksam sein konnte, was die Gefühle anderer anging, und der man nur selten etwas vormachen konnte, in anderen Fällen gerade beim Zwischenmenschlichen so deutlich daneben lag. Und es ging ihn ja auch nichts an, ob sie nun die Wahrheit über Cartmell und Jean Davis wusste. Wenn es da eine Wahrheit gab. Er fragte sich, ob diese „Betriebsblindheit“ der Russin auch in anderer Hinsicht galt.
,Sie würde es vermutlich erst merken, wenn jemand ernsthaft in SIE verliebt ist, wenn er ihr eine schriftliche Erklärung mit Aufzählung der Gründe in dreifacher Ausfertigung schickt. Außerhalb der Dienstzeit natürlich, sonst würde sie ihn wegen Bruch des Protokolls zusammenfalten.‘

Die immer noch vor sich hin kichernde Lilja wurde übergangslos wieder ernst: „Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, Wege aus der Krise. Jetzt hör mal Knight, ich kann mir vorstellen, dass es dir mies geht. Aber du hast eine Verurteilung und den Knast überstanden, du hast es ausgehalten wie man nach deiner Reaktivierung auf die rumgetrampelt hat – und du hast das besser verdaut als eine Menge anderer Strafniki. An Bord anwesende eingeschlossen. Mal ganz abgesehen von wiederholten Bemühungen der Echsen, dich kaltzumachen. Wirf nicht einfach weg, was du mit viel Glück und dank deiner Fähigkeiten erreicht hast. Das mag jetzt ja dämlich klingen, aber was anderes kann ich dir nicht raten: Finde einen Weg, irgendeinen, damit klar zu kommen. Und zwar grundlegend. Komm drüber hinweg. Sonst ist nicht nur deine Karriere Geschichte, sondern unter Umständen deine Gesundheit gleich mit. Zuviel mentaler Ballast hat schon fast so viele Piloten erledigt wie Sauferei und Drogen.“
„Na, das ist doch mal ein toller Ratschlag. Und was soll ich nach deiner Meinung zur Ablenkung machen? Origamifalten?“
Die Russin lachte spöttisch: „Streng mal dein Gehirn an, dazu ist es doch da. Dann fällt dir sicher noch was Besseres ein.“

***

Einige Zeit später in derselben Nacht

Während er die heruntergerutschte Decke seines Bettes aufhob, warf Knight einen verstohlenen Blick auf die Pilotin. Die junge Offizierin war dabei, ungeniert seinen Schrank zu inspizieren, angeblich auf der Suche nach einem unbenutzten Handtuch. Sie kommentierte ebenso gut gelaunt wie bissig ihre Funde. Dass sie dabei nicht einen Fetzen Stoff am Leib hatte, schien sie nicht im Geringsten zu stören, wie sie generell genau die Sorte aggressives Selbstbewusstsein an den Tag legte, für das sie bekannt war. Ihr Aufzug oder eher das Fehlen eines solchen machte es dem rangniederen Piloten allerdings nicht gerade leicht, sich auf ihre Worte zu konzentrieren.
Er hatte ja schon einige Tage erlebt, die seinem Leben eine unerwartete Wendung gegeben hatten. Seine Versetzung nach Pandora als Möglichkeit, sich zu einem „besseren“ Offizier zu entwickeln – und das nur wegen einer kleinen Prügelei und ähnlichen Lappalien. Oder die Verhaftung und Verurteilung wegen Schwarzmarktgeschäften, seine Entlassung aus der Haft als Teil des Bewährungseinheit-Programms… Der heutige Tag mochte vielleicht nicht derjenige mit der größten Auswirkung sein, aber doch wohl der mit den meisten unerwarteten Wendungen. Erst war er dämlicher Weise losgezogen, um sich mit dem wirklichen oder vermeintlichen Freund seiner Ex-Freundin zu prügeln, dann hatte ihm seine Vorgesetzte ins Gewissen geredet und ihn damit und der Androhung physischer Gewalt von seinem Vorhaben abgebracht, und dann…Nun, er war sich ziemlich sicher, dass Lilja mit ihrem Ratschlag, er solle über seinen verletzten Gefühle hinwegkommen, nicht DAS gemeint hatte.

Entgegen des Ratschlags der Russin hatte er sich nämlich entschieden, noch mal an die Bar zu…ähm…wanken. Weniger um sich weiter zu besaufen, aber sein Quartier erschien ihm denn doch zu trostlos. Also hatte er sich an einem alkoholfreien Drink festgehalten und still und leise seine schlechte Laune gepflegt. Glücklicherweise war er nicht wie von seiner Staffelchefin befürchtet auf die Idee gekommen, sein früheres Vorhaben doch noch in die Tat umzusetzen. Denn damit hätte er sich wohl nur blamiert. Als er sich schon langsam auf den Weg in sein Quartier machen wollte, war La Reine aufgetaucht, unübersehbar auf Krawall gebürstet – wie des Öfteren in den letzten Wochen. Unter anderen Umständen hätte die Pilotin möglicherweise die Gelegenheit genutzt, auf ihm herumzutrampeln, denn immerhin war er mit dem Grund ihrer Verbitterung sehr eng ähm befreundet gewesen. Die Betonung lag freilich auf GEWESEN, und so niedergeschlagen wie er wirkte, war er wohl doch als kein würdiges Ziel erschienen. Wie sollte man jemand auch niederschlagen, der ohnehin am Boden lag…
Stattdessen hatte die Pilotin ihm, nachdem sie sich mit einer Flasche Bier erst einmal in Fahrt gebracht hatte, zur nicht geringen Freude einiger leicht angesäuselter Bargäste einen ebenso eindringlichen wie drastisch formulierten Vortrag gehalten, wie dumm er sei. Er solle froh sein, dass die…hier hatten sich einige nicht druckreife Substantive und Adjektive angeschlossen…mit ihm Schluss gemacht habe. Huntress halte sich für besser als alle, aber in Wahrheit sei sie doch nur eine…und an dieser Stelle folgten noch einige ausgesuchte Obszönitäten.
Er wusste nicht recht wie es gekommen war, aber ihre zähneknirschende Wut hatte ihn dazu gebracht, mit der Pilotin um die Wette über Huntress herzuziehen. Und über Top Gun, den La Reine ebenfalls nicht mochte, vermutlich weil er sich so gut mit Huntress verstand. Und den Orden bekommen hatte, für den Kano sie vorgeschlagen hatte. Es hatte richtig gut getan, gemeinsam abzulästern. Auch ein wenig über ihre Staffelchefs. Denn sowohl Lilja als auch Kano kümmerten sich schon um ihre Untergebenen, das musste man zugeben. Und eigentlich hatten sowohl La Reine als auch er Grund, ihnen dankbar zu sein. Und natürlich waren beide auf geradezu unerträgliche Art und Weise Vorzeigesoldaten. Wenn die Vorgesetzten nur nicht immer solche perfektionistischen Spaßbremsen gewesen wären, die leider auch noch viel zu gut wussten, was ihren Untergebenen über die Leber gelaufen war, und was für Mist sie schon gebaut hatten…
So hatten sie eine erstaunlich angenehme Stunde verbracht. Irgendwann hatten sie eingesehen, dass es auch mal genug war. Tja, und irgendwie, irgendwann waren sie beim gemeinsamen ins-Bett-stolpern dann im SELBEN Bett gelandet, in diesem Fall in seinem. Inzwischen hatte sich der leichte Alkoholnebel etwas gelichtet, und Knight fragte sich, ob und wie sehr er sich vor sich selbst wie vor anderen zum Idioten gemacht hatte.

La Reine schien hingegen nicht von irgendwelchen Zweifeln geplagt, sonst hätte sie wohl kaum die Gelegenheit zu einer Schrankdurchsuchung genutzt. Von Nachdenklichkeit oder gar Verlegenheit war bei ihr nichts zu bemerken.
„Was für ein hübsches Sammelsurium von Weltraumklamotten.“ konstatierte sie respektlos das Ergebnis ihrer Inspektion. Das galt Knights Andenkensammlung, eine Kollektion von in kleinen gepolsterten und säuberlich etikettierten Kunststoffbehältern verstauten Gesteinsbrocken von den verschiedenen Planeten, die er im Laufe seines Lebens besucht hatte. Ein Stück rotes Obsidian von der Erde, intensiv grünes Mars-Tiefengestein, das dem irdischen Olivin ähnelte, ein kleiner Brocken schwarzblauer Pandorabasalt, den Knight bei einer „Besichtigungstour“ neben einem von ihm zerstörten Felsenbunker der einheimische Guerilla aufgeklaubt hatte, und so weiter und so fort. Dazu kamen einige Stücke, die direkt aus dem Weltall stammten.
„Jeder braucht ein Hobby. Und über die Jahre sammelt sich eben einiges an – glücklicherweise haben sie das ältere Zeug nicht weggeschmissen, während ich…ähm…verhindert war.“
Die Offizierin schnaubte, drehte sich aber nicht um: „Sehr sentimental. Richtig süß. Hm, obwohl…also, manche würden es ja direkt etwas krank finden, dass du dir sogar aus deiner Strafkolonie was mitgebracht hast.“ Damit meinte sie ein Stück schwarzen Armalcolit mit tiefroten Einsprengseln, dessen Aufschrift lautete: ,Fort Guayana, Mond al-Lat, Neu-Hessen-System, Februar 2633.‘
Fort Guayana war eine bekannte Strafkolonie, wenngleich besser als ihr Name vermuten ließ, und eher für mittelschwere Fälle gedacht. Der Mond al-Lat war der dünnbesiedelte Satellit eines Gasriesen im Neu-Hessen-System, der gerade noch so in der habitablen Zone lag. Temperaturunterschiede von mitunter bis zu 30 Grad zwischen Tag und Nacht und häufige Stürme machten den Wüstenmond nicht gerade zu einem Urlaubsparadies, aber es gab einige wertvolle Metalle und Seltene Erden. Eine aufgegebene Minensiedlung war schon vor über 100 Jahren in ein Strafgefangenenlager umgewandelt worden. Man musste nur die unterirdischen Arbeiterquartiere etwas umbauen.
Knight räusperte sich: „Na ja, da wir mit dem Graben unseres Fluchttunnels nicht recht vorankamen, dachte ich, ich nehme mir wenigstens ein Andenken mit. Ich meine, wenn man schon mit dem Löffel zu Gange ist…“ Das wurde mit einem schallenden Gelächter belohnt: „Und was für Erzählungen willst du sonst noch zum Besten geben, wenn du den Brocken herumzeigst?“
„Jedenfalls keine, die nicht jugendfrei sind. Glaub nur nicht alles, was man so über den Knast hört. Na ja, wie ich meine Familie kenne, spielt es ohnehin keine Rolle. Die wollen sowieso nichts darüber hören, dass ihr Sprössling im Kittchen war.“
„Na, dann nimm dir ein Beispiel an deiner berühmten Verwandten, die hat es doch tatsächlich geschafft, ZWEIMAL bei den Akarii einzufahren, und einmal so halbwegs bei uns. Zumindest die ersten beiden Male scheint sie ganz gut verdaut zu haben.“
Diesmal lachten beide zusammen. Knights warmherzige Gefühle für Admiral Alexander oder vielmehr des vollkommene Fehlen derselben waren geschwaderweit bekannt.

Inzwischen hatte die junge Frau schon wieder etwas Neues entdeckt, was ihr Interesse reizte. Sie pfiff leise durch die Zähne als sie ihren nächsten Fund untersuchte. Neben einigen Übungsklingen aus Holz und Kunststoff, alles Degen oder Fechtsäbel, lag in einem der Fächer ein kurzes chinesisches Jian, ein grades zweischneidiges Schwert von etwa 60 Zentimeter Länge und weniger als anderthalb Pfund Gewicht mit einer schwarzlackierten und mit spärlichen Metallbeschlägen versehen Scheide.
Kurz entschlossen griff sie zu und drehte sich um, wobei sie mit einer einzigen fließenden Bewegung die Klinge zog, die mit einem Geräusch nicht viel lauter als das Rascheln feuchter Blätter freikam. Anerkennend begutachtete sie, wie fein die Waffe ausbalanciert war, die sie in ihrer Hand rotieren ließ. So bemerkte sie erst etwas verspätet, dass der Pilot sie anstarrte. Sie grinste breit und unverkennbar spöttisch: „Was denn? Man könnte meinen, du hättest mich noch nicht nackt gesehen. Oder ist es die Nacktheit in Verbindung mit der Waffe? Ihre Kerle seit da ja…“ Knight lief knallrot an, was ihm sonst eher nicht passierte.
Er war dankbar, dass die junge Frau abrupt wieder das Thema wechselte: „Ich habe dich gar nicht für einen Fechter gehalten.“
„Tja, ich bin halt ein Mann mit vielen, wenn auch verborgenen Talenten…“ die Antwort darauf war ein sarkastisches Kichern „aber die Wahrheit ist, ich hänge das nicht an die große Glocke. Das liegt ein Stück weit daran, dass ich mich vom Kendo eher etwas fernhalte. Fechten IST eines meiner Hobbies, und ich denke, ich bin nicht mal schlecht, aber eben eher einhändig, und in einem etwas anderen Stil als Kano, Crusader, Cartmell und die anderen es praktizieren. Damit gehöre ich nun mal zu einer eher kleinen Gruppe hier an Bord, und sein wir ehrlich, es macht nicht so viel her. Und mit einer echten Klinge kann man nun mal schlecht posieren gehen. Das Ding da habe ich übrigens von meiner Familie als Abschlussgeschenk für die Fliegerschule bekommen, kurz vor meinem Marschbefehl nach Pandora. Soll nach den traditionellen Methoden gefertigt worden sein, teuer genug war es jedenfalls. Sie dachten wohl, das sei mal was anderes als ein britischer Kavalleriesäbel, wie er eigentlich standesgemäß gewesen wäre.“ Jetzt war es an La Reine, ein wenig peinlich berührt zu reagieren. Solche möglicherweise auch in sentimentaler Hinsicht bedeutsamen Dinge grabschte man eigentlich nach dem ungeschriebenen Soldatenkomment nur nach vorheriger Erlaubnis an. Sie überspielte ihre Verlegenheit, indem sie die Waffe wieder sorgfältig ablegte, endlich ein Handtuch ergriff, ihre Kleidungsstücke zusammenraffte und im Badezimmer verschwand.

Als sie in Rekordzeit wieder erschien, trug sie bereits wieder die braune Dienstuniform. Sie lächelte burschikos: „Na dann, Soldat…“
Knight seufzte theatralisch: „Also wenn man als Kerl gleich davonrennt, wird einem das nicht gut angerechnet.“ stichelte er
„Tja, also DA hast du wohl Erfahrung?“
„Touché. Wiewohl…entgegen meinem Ruf eigentlich gar nicht SO sehr. Und ich hatte gehofft, du würdest doch eine Weile bleiben. Dank des Dienstplans unserer geschätzten Sklaventreiberin habe ich doch tatsächlich mal sturmfreie Bude.“
„Na, du weißt ja, wie das ist, ihr seid ja nicht die einzigen mit einem Sklaventreiber. Nicht nur für die Bösen gibt es keine Ruhe. Kano wird uns morgen in aller Frühe losscheuchen. Außerdem…“ sie grinste wieder: „Will ich nicht zweimal unter die Dusche.“
„Wir hätten ja reden können.“ meinte Knight, und das war nicht so daher gesagt.
„Na, wir haben ja vorhin in der Bar geredet. Und du siehst ja, wo uns das hingeführt hat…“ Sie musterte ihn prüfend: „Du wirst mir doch jetzt keine Probleme machen? Nicht gefühlvoll werden oder so? Dagegen gibt es Pillen, habe ich gehört.“
„Autsch. Ich seh‘ schon, wer behauptet, Frauen wären der sentimentalere Teil der Bevölkerung, der hat bewiesen, wieviel Ahnung er hatte…“
„…nämlich gar keine, ganz genau.“ Vollendete die Butcher-Bear-Pilotin den Satz. Sie baute sich vor ihm auf und verpasste ihm einen Stups mit dem Zeigefinger: „Was ist? Fragst du dich ob es eine blöde Idee war? Wegen des Zeitpunkts, oder der Umstände? Oder weil es mit MIR war?“ Die letzte Frage klang recht drohend, wobei sich nicht sagen ließ, ob sie es ernst meinte.
Der Pilot hob beschwichtigend die Hände: „Also ein ganz klares Nein zur dritten Frage, da kannst du beruhigt sein. Ich meine, du bist schön, mutig, klug, tapfer, schlagfertig, eine Eins-A-Pilotin…“
„He Soldat, wir WAREN schon im Bett, kein Grund mehr Süßholz zu raspeln!“
„Du kannst nur mit Komplimenten nicht so gut umgehen, aber das ist ja eher eine Tugend. Frage eins und zwei, na ja, wir beide waren nicht ganz nüchtern. Und wir waren wütend und verletzt und deshalb…“
„Also wenn du jetzt den Grund sagst, aus dem wir uns betrunken haben, zeige ich dir, WIE schlagfertig ich wirklich sein kann! Weißt du was? Ich glaube, du denkst zu viel. Übrigens etwas, dass ich nicht geglaubt habe, mal zu einem Mann sagen zu müssen. Es gibt keinen Grund etwas zu bereuen. Oder zu viel Gewese darum zu machen. Oder es über Gebühr zu analysieren. Wir beide haben jemand zum Reden gebraucht, und danach…tja, das passiert halt. Wir sind ja beide erwachsen. Ich habe das abgehakt, und das solltest du auch tun.“ Und mit diesen Worten beugte sie sich vor und gab ihm einen Abschiedskuss. Das zog sich eine Weile hin, aber dann machte sie sich los und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Knight aber starrte noch eine lange Zeit die geschlossene Tür an. Er fragte sich wirklich, ob das eine Dummheit gewesen war. Und wie es nun weitergehen sollte. Aber er fand einfach keine Antwort auf diese Fragen.

********************************************

* Das Fraternisierungsverbot – der Umstand, dass Beziehungen zwischen Besatzungsangehörigen bzw. Mitgliedern einer Einheit eigentlich untersagt sind, ganz zu schweigen von einer Ehe – gehört mit zu den umstrittensten Bestimmungen in der TSN, schon weil sich seine Befolgung unmöglich verlässlich kontrollieren und durchsetzen lässt. Viele Kritiker verweisen nicht ohne Berechtigung darauf, dass solche Verbote bei einer Reihe terranischer Streitkräfte, die Vorläufer der TSN und der Army waren, bereits im 20./21. Jahrhundert aufgehoben worden waren, und auch bei den Nationalgarden etlicher Bundesstaaten nicht mehr gelten, ohne dass dies negative Folgen hatte.

** Kriegsgeburtstage sind Feiertage für Ereignisse, die der betroffene eigentlich nicht hätte überleben können, oder an denen er gegen alle Wahrscheinlichkeiten aus Gefangenschaft oder nach schwerster Verwundung zurückkehrte. Viele Soldaten feiern solche Jubiläen nicht weniger als echte Geburtstage, andere ignorieren sie standhaft – in beiden Fällen nicht selten eine Folge von traditionellem Aberglauben.

*** In manchen TSN-Staffeln aber auch bei Scharfschützen und in einigen anderen Einheiten ist es Brauch, dass jeder, der erstmalig oder wieder einmal eine durch fünf teilbare Abschusszahl erreicht, je eine Runde für seine Staffel- oder Teamkameraden – entweder Bier oder ein kleines Glas Schnaps – für jede „Hand“ an Feinden (also zum Beispiel pro fünf abgeschossene Jäger) zu spendieren hat, die er aufweisen kann. Und natürlich ist der alte russische Kriegsbrauch legendär, eine Auszeichnung in einem Glas Alkohol zu versenken, das der Empfänger austrinken muss, um seinen Orden mit den Zähnen herauszufischen.

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Vereinigtes Hauptquartier
17. und 22. Heeresgruppe der imperialen Armee
Gamma Eridon, Konkordat von Peshten

Generaloberst Tyrosch Anwhar versuchte sich zu entspannen und es einfach laufen zu lassen, doch nichts geschah, obwohl seine Blase ihm eindeutig mitteilte, dass sie voll wäre.
Er saß nun schon zum dritten Mal in dieser Nacht auf der Toilette und nichts passierte. Im Stillen verfluchte er alle Götter und hoffte, dass Menschen und Peshten im Alter ein ähnliches Schicksal erleiden mochte, wie in die Jahre gekommene Akarii.
Dreiundsiebzig Jahre waren aber für einen Akarii nun eigentlich doch gar nicht so viel. Er war fitter als manch anderer Offizier. Sein Versorgungsoffizier war ein fetter, fast schon liebenswerter Kerl, der seine Untergebenen zwang ihn als Zeugmeister-General anzusprechen, statt mit seinem eigentlichen Dienstgrad, Oberst.
Aber Versorgungsoffiziere mussten eine gute Portion Übergewicht haben und zumindest war dieser angemessen kompetent, nicht so wie die neueste Kommandeurin der Marineeinheiten in Gamma Eridon, Lady Admiral Pherci Morr, just aus dem Hauptquartier der Marine hierher ins Exil geschickt. Leider politisch viel zu gut vernetzt um sie in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen.
Säuberungen, nichts als Säuberungen. Erst hatte Jor sie vorgenommen um diese dämliche Offiziersfronde auszumerzen und jetzt Lay Rian um Jors nutzlose Clique loszuwerden.
Gerade hatte er sich Morrs Vorgänger erzogen, war dieser winkend in einen Kurier gesprungen und zu einem wichtigen Stabsposten im HQ zurückzukehren. Admiral zweiten Ranges Azet Pern war ein ausgezeichneter und fähiger Offizier gewesen, soweit man so etwas in der Flotte fand und von Jor hierher verbannt worden.
Fast zwei Jahre lang hatte Tyrosch nun gebraucht den jüngeren Flottenoffizier auf Linie zu bringen und mit ihm, einem entschiedenen Gegner der Offiziersfronde zusammenzuarbeiten.
Tyrosch seufzte und sackte etwas in sich zusammen, da geschah das Wunder: es lief.
Zumindest hatten seine Gegenspieler ähnliche Probleme, der Kommandierende General der Menschenlinge hatte zwar keine Inkompetenten Untergebenen, so doch eine übergeordnete Befehlshaberin der Peshten, die militärisch zwar nicht ganz unbedarft war, sich mit ihren politischen Spielchen mehr als nur ein Bein stellte.
Ein Blick auf seinen Compblock und er wusste wieder was er an Ri Mathar hatte. Dem Nachrichtendienst zufolge hatte sie kürzlich einen ihrer fähigeren Brigadekommandeure an die Wand stellen lassen.
Tyrosch machte sich eine Notiz, herauszufinden, an welchen Frontabschnitt jetzt dieses Talent fehlte und wie man wieder etwas Bewegung in die Sache bringen konnte.
Die Sache, er schnaufte, es war Krieg in seiner reinsten Form, wie die Akarii ihn schon lange nicht mehr erlebt hatten. Flotten entschieden jetzt den Krieg, so besagte es die Doktrin der Akarii, der Menschenlinge, des Mischlingsreiches der Konföderation, ja sogar der Peshten.
Gefechtserfahrung war quasi Mangelware gewesen als die Imperiale Armee mit dreihundertsiebzigtausend Soldaten auf Gamma Eridon gelandet war. Gut ausgebildet und bestens ausgerüstet, das waren sie wohl gewesen und mit Verachtung hatte man nicht nur auf die Menschenlinge oder die Peshten heruntergeblickt, sondern auch auf die eigenen Garnisonstruppen, die im Draned Sektor in Kolonialkriegen mit Aufständischen Truppen Hasch Mich gespielt hatten.
Es war ein Glück für seinen Vorgänger gewesen, dass die terranen Truppen, die als Entsatz gekommen waren keine Pandora-Veteranen gewesen waren, sondern ebenso unerprobt.
Ein Prädikat, was keine der beiden Parteien mehr für sich in Anspruch nehmen konnte. Die Schlacht von Besh-Phe hatte jede Form von Unerfahrenheit aus den Armeen herausgewaschen. Es hatte zwei bittere Wochen gedauert den Fluss zu überqueren. Fast achtzigtausend akariische Infanteristen waren gefallen, neun Oberste und zwei Generale waren mit ihren Brigaden untergegangen, als das terranische Expeditionsheer die Gegenoffensive startete um sie wieder in den Fluss zurückzutreiben, den die Akarii gerade auf den Rücken der Peshten überquert hatten.
Er hatte auf seinem Weg nach Gamma Eridon von der Bluttaufe von Besh-Phe gehört, wie die Peshten es nannten. Die erste wirkliche Schlacht, die eine peshtianische Armee seit zweihundert Jahren gefochten hatte.
Varrick Orr, sein Vorgänger hatte ihn mit aller Höflichkeit Empfangen und erst unter vier Augen über diese Schlacht gesprochen: „Mein Lord, sie dürften die Peshten ruhig verachten, wie es auf Akarr so üblich ist. Bei den Göttern, wir hier tun es auch noch aber wenn ihnen Berichte über die mangelnde Kampfkraft der Peshten unterkommen, dann vergessen sie diese schnell wieder. Ihre Offiziere mögen gegeneinander Intrigieren bis das Blut fließt aber auf dem Schlachtfeld sind sie weit besser als ihr Ruf.“
„Und die Menschenlinge?“
Varrick hatte geschnaubt: „Die sehen nur, was ihre Verbündeten falsch machen und sind in dem Irrglauben es dann richten zu müssen. Deren Kampfkraft ist zwar auf dem Papier besser als die der Peshten aber es hat sich ein Demoralisierungseffekt in den Rängen der Terraner ausgebreitet, dass deren Rückgrat schneller bricht als man glauben mag.“
Ein Umstand, den General Mathar bis heute noch nicht erkannt hatte oder schlicht als Problem der Menschenlinge abtat oder nach reiner innerer Logik eines Peshten sich sagte: Ein schwacher Verbündeter ist ein fügsamer Verbündeter.
Er schrieb eine kurze Nachricht an seinen Nachrichtendienstchef, herauszufinden, wo die Menschenlinge ihre Linie schwächten, um Mathars Fehler einen erfahrenen Brigadekommandeur zu erschießen, auszugleichen. Eine kleine Verlegung von Truppen mochte die Menschenlinge zu einer Überreaktion provozieren und er konnte an anderer Stelle mit aller Macht angreifen.
Auf dem Rückweg ins Bett seufzte er schwer, wenn die Flotte doch jetzt wieder den Nachschub besser durchbekäme. Pern war so herrlich Kompetent und zuverlässig gewesen und bei weitem nicht so sehr mit der Pflege seines Egos bedacht gewesen.


Büro des Staffelführers VA 1278
TRS Columbia, Sterntor, FRT

James Proctor hatte seinen großen Dienstanzug wie befohlen angelegt und sich mehr als Rechtzeitig vor Irons Büro eingefunden. So hatte er erneut mit Befriedigung feststellen können, dass sein neuer Geschwaderkommandeur weniger Ribbons an der Brust trug, als dieser kurz vor der entsprechenden Uhrzeit ebenfalls erschienen war.
Pflichtschuldigst hatte Proctor Haltung angenommen und salutiert als Stafford an ihm vorbei gegangen war und Irons Büro betreten hatte.
Der CAG hatte den Salut korrekt erwidert, ohne auch nur die leiseste Regung bezüglich des Captains Mast zu zeigen.
Als Stafford die Tür zu Irons Büro geöffnet hatte, konnte Proctor kurz einen Blick hineinwerfen und auch die Stimmen, die von drinnen kamen machten deutlich, dass sich schon andere Offiziere versammelt hatten.
Captains Mast waren Anhörungen für Disziplinarprobleme, die im Regelfall in einer Messe abgehalten wurden. Der traditionelle Tag für derartiges war eigentlich der Donnerstag und soweit er wusste kam es eher selten vor, dass ein Offizier zu einem Mast erscheinen musste.
Eventuell errang er gerade auch traurige Berühmtheit als erster Angry Angel vor den Captains Mast zitiert zu werden. In Pilotenkreisen wurden Disziplinarprobleme eher anders geregelt.
Natürlich hatte er sich gestern Abend noch schlau gemacht, was ihm passieren konnte. Da Irons dem Mast vorsaß und er selbst Offizier war, konnte er entweder Ermahnt oder einen Verweis in die Dienstakte bekommen. Darüber hinaus war es möglich, dass Irons seine Freizeit für bis zu dreißig Tage auf sein Quartier beschränkte.
Abgesehen vom Verweis war das alles halb so schlimm, wobei 30 Tage Stubenarrest schon ziemlich ätzend wären.
Leider hatte er aber auch weitergelesen und herausgefunden, was mit Spencer Kendrix passieren konnte und er hoffte ehrlich, dass Kali oder jemand rangniedrigeres sich dieser Sache annehmen würde, denn Irons als auch der CAG konnten Kendrix echt in den Arsch treten. Verringerte Ration oder drei Tage bei Wasser und Brot klangen ja noch witzig, vor allem im Vergleich zu 30 Tage Haft oder Kürzung von zwei Monatssolden um die Hälfte.
Das Schott von Irons Büro wurde geöffnet und Jim wurde aus seinen Gedanken gerissen.
Der Count bedeutete ihm mit dem Zeigefinger hereinzukommen.
Jim trat ein und orientierte sich kurz. Irons saß hinter ihrem Schreibtisch, der CAG rechts der Tür in einer kleinen Sitzecke, linke Hand stand Kali in Rührt-Euch-Stellung, der Count blieb an seiner Seite.
Alle vier Offiziere hatten den großen Dienstanzug an. Wieder schlich sich etwas Belustigung ein, dass der CAG am wenigsten Lametta trug.
„Dann kommen wir zum ersten und einzigen Fall heute“, begann Irons.
Natürlich der Captains Mast war eigentlich eine Massenveranstaltung und soweit er wusste, kam niemand ungeschoren davon.
„Ma’am“, begann der Count, „Lieutenant James Proctor, VA zwölf-achtundsiebzig hat Waffenspezialisten zweiter Klasse Spencer Kendrix vom Supportpersonal von VF zwölf-einundsiebzig dazu angestiftet an der Maschine des Geschwaderführers eine Blue-on-Blue Abschussmarkierung anzubringen und sich dadurch der Insubordination schuldig gemacht und gleichzeitig die militärische Befehlskette untergraben.“
Irons blickte ihn an und Jim erschrak. Seine Staffelführerin war ein kampferfahrener Profi, der im Laufe der Einsätze sich den Ruf erworben hatte Eiswasser in den Adern zu haben, ruhig und gewissenhaft zu sein, doch wenn Blicke töten könnten hätte es ihn wohl gerade erwischt. Sein gesamter Plan einfach die Aussage zu verweigern und die Bestrafung über sich ergehen zu lassen, brach gerade zusammen.
„Haben sie etwas dazu zu sagen, Lieutenant?“
„Ich, … äh, ja, ich habe Specialist Kendrix dazu angestiftet und ich trage dafür die volle Verantwortung, Ma’am, ich bin auch der einzige, der dafür bestraft werden sollte“, er wusste selbst nicht so wirklich, warum er diesen Blödsinn herausblubberte, natürlich wollte er nicht bestraft werden aber großartig herumlamentieren würde Irons höchstens noch wütender machen.
„Möchten sie uns etwas über ihre Motivation sagen, Lieutenant?“
Das war der schwierige Punkt an der Sache, abgesehen davon, dass er den Scherz gestern noch witzig gefunden hatte, was konnte er schon über Stafford sagen. Abgesehen von den Geschichten kannte er ihn ja gar nicht und nach Ed Carlyle war jetzt nicht so der dicke Freund von ihm gewesen.
„Nein?“ hakte Irons nach und er schüttelte den Kopf.
„Nun gut, Lieutenant“, und zum ersten Mal ließ Irons so etwas wie Wut in ihre Stimme einfließen, „abgesehen davon, dass sie mich persönlich blamiert haben, haben sie Schande über ihre Staffel und das Geschwader als solches gebracht. Sie haben die Autorität ihres Geschwaderführers, ihres Kommandierenden Offiziers, direkt angegriffen und oben drein haben sie sich für ihre Drecksarbeit auch noch einen Mannschaftsdienstgrad gesucht und das ist ziemlich erbärmlich für einen fronterfahrenen Piloten, wie sie es sind.
Ihre Freizeit wird für die nächsten zwanzig Tage auf ihr Quartier beschränkt und sie erhalten einen schriftlichen Verweis. Darüber hinaus, werde ich den leitenden JAG-Offizier der Columbia über diesen und den vorherigen Vorfall in Kenntnis setzen, so dass dieser beim nächsten Mal bereits um die Vorgeschichte weiß.
Sie können wegtreten.“
Jim setzte die Schirmmütze wieder auf, machte einen halben Schritt zurück und drehte auf der Stelle um. Das waren deutliche Worte gewesen.
„Kannten sie Mister Carlyle gut, Lieutenant?“
Der CAG blickte ihn von seinem Platz aus, bar jeder Befriedigung, an.
„Nicht wirklich, Sir, wir verkehrten in den gleichen Kreisen. Unsere Eltern waren politisch irgendwie verbunden.“
Stafford nickte, als würde er verstehen: „Und sie glaubten, wenn sie es mir so richtig zeigten, würde was geschehen? Dann würde irgendwas gerichtet werden? Ein Unrecht würde dann wieder gut gemacht werden? Oder dass Senator Carlyles Schmerz über den Verlust seines Sohnes gemildert würde?“
„Ich weiß nicht, Sir, ich glaube ich habe überhaupt nicht gedacht“, die Spannung entwich aus seinen Schultern.
Der CAG stieß eine Mischung aus Lachen und Schnaufen aus: „Das Mister Proctor, ist das dümmste, was ein Pilot tun kann und ein Blick auf ihre Brust sagt mir, dass sie eigentlich gar nicht so dumm sein können.“
Nun war es an ihm, ein Schnaufen auszustoßen.
„Ich gebe ihnen einen Rat mit auf dem Weg“, fuhr Stafford fort, „fokussieren sie sich wieder auf das wesentliche. Es gibt für sie wichtigeres und gewinnbringenderes als mir ans Bein zu pinkeln. Sie haben einen anstrengenden Job und vor uns allen liegt eine schwere Aufgabe. Belasten sie sich nicht mit einem Kampf, der längst zu Ende ist und den alle beteiligten mehr als reichlich verloren haben.“
„Aye, Sir“, was sollte er auch anderes sagen.
Jim wurde dann mit einem Nicken entlassen.

Nachdem James Proctor Irons Büro verlassen hatte herrsche kurz Schweigen.
Kali blickte in die Runde und machte dicke Backen, unschlüssig, was jetzt kommen würde.
„Dumm wie ein Stück Brot“, durchbrach der Count letztlich das Schweigen.
Irons rieb sich die Augen: „Unsere Familien waren politisch irgendwie verwunden, ich fass es nicht und letztlich können wir noch froh sein, dass da kein persönlicher Groll hinter steckt.“
Jules erhob sich und streckte sich: „Hören sie bloß auf, ich habe mir heute Morgen schon angehört, wie Chief Dodson dem armen Kendrix ein zweites Arschloch verpasst hat.“
„Traumatisches Erlebnis, Skipper?“ wollte Kali wissen.
„Ich habe Worte gehört, die kannte ich vorher nicht einmal. Aber genug davon, für uns steht heute noch eine Übung mit scharfer Munition an, Kali.“
„Und das wo einer unser besten Waffentechniker gerade den Kopf gewaschen bekam“, der Sarkasmus seiner Staffel-XO war mehr als deutlich, doch Jules antwortete mit nicht mehr als einem Achselzucken.
Als die beiden Irons Büro verließen räusperte sich Kali: „Einen Kampf, den alle beteiligten mehr als reichlich verloren haben, Sir?“
„Oh-ja“, war Staffords kryptische Antowrt.
„Würden sie mir erzählen, was genau geschehen ist?“
Stafford blieb stehen: „Nein!“
„Ich bin nicht neugierig oder geschwätzig, Boss, aber es könnte mir bei den Truppen hilfreich sein, die Geschichte zu kennen.“
Der CAG schüttelte den Kopf: „Die Geschichte ist, dass einer meiner Piloten tot ist und dass ich verantwortlich bin und das mehr als dass ich nur abgedrückt habe. Aber, … aber, ich werde ganz sicherlich nicht vor ihnen oder sonst jemanden hier an Bord über einen toten Piloten, der früher unter meinem Kommando stand herziehen.“
„Verstehe“, Kali blickte kurz überlegend zu Boden, „aber darf ich ihnen mal einen Ratschlag geben, Cowboy.“
„Niemand kann mich davon abhalten Ratschläge in den Wind zu schlagen“, antwortete er grinsend, „also, nur zu.“
Kali blickte sich kurz um, ob sie wirklich allein waren.
„Sie sollten sich mehr anstrengen, Sir“, Blattschuss, das der gesessen hatte wusste sie sofort.
Jules verschränkte die Arme vor der Brust und blickte auf sie hinunter: „Wie bitte?“
„Ich glaube, dass Geschwader kann noch keinen netten Onkel gebrauchen, Sir. Sie sollten sich in Gegenwart des kommandierenden Admirals nicht die Hemdsärmel hochkrempeln oder jemanden wie The Kid im Spaß Prügel androhen. Das bekommt dem silbernen Eigenlaub nicht so gut.“
„So, meinen sie.“
„Ja, Sir, die Angry Angels sind ein Elitegeschwader und keine Garnisonseinheit.“
Als Antwort kam erstmal ein ziemlich vernichtender Blick: „Wenn sie glauben, dass ich mir auf meine alten Tage noch Starallüren zulege, bloß weil ich den Patch der Angels auf meiner Jacke trage, dann haben sie sich geschnitten.“
„Das verlangt ja niemand, nur vielleicht eine etwas strengere Grundhaltung, Sir. Ich fürchte einige von uns brachen etwas mehr als taktische Brillants.“
Jules hob den Zeigefinger: „Glauben sie ja nicht, dass sie jetzt schleimen können.“
„Das habe ich nicht nötig, Sir“, sie ließ ein leichtes Grinsen einfließen, „bitte, denken sie einfach über meinen Ratschlag nach.“
Jules setzte sich wieder in Bewegung: „Als CAG ist es mein Privileg Ratschläge…“
„… einfach in den Wind zu schlagen“, vervollständigte sie seinen Satz.
Er versuchte zwar ernst zu bleiben aber Kali wusste, dass sie ihn wieder milde gestimmt hatten: „Schön, dass wir uns da verstehen, Lieutenant Commander.“

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5th Syrtis Fusiliers - Pillage and looting since first succession war


23.03.2016 16:21 Cunningham ist offline E-Mail an Cunningham senden Homepage von Cunningham Beiträge von Cunningham suchen Nehmen Sie Cunningham in Ihre Freundesliste auf
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„Krieg ist ein zu ernstes Geschäft, als dass man ihn den Generälen überlassen dürfte.“
Der französische Politiker Clemenceau

***

Manticore, Akarii-Kommandozone

Ry Hallas folgte dem diensthabenden Offizier, dessen durchgedrückter Rücken und eckige Bewegungen von unterdrückter Verärgerung und kaum kaschierter Ablehnung zu vibrieren schienen. Und er war sich nur zu deutlich der feindseligen Blicken der beiden hinter ihm marschierenden Soldaten bewusst.
Egal, was Kriegsminister Tobarii Jockham sich davon erhofft hatte, als er den ehemaligen Piloten in seine persönlichen Dienste nahm und auszeichnete – für jeden Offizier, der bereit war, Hallas Bericht über seine Gefangenschaft bei den Menschen zuzuhören, gab es zwei, die ihn für genau diese Erfahrung verachteten. Naiverweise hatte er gehofft, dass das vielleicht nur für Akar gelten würde. Für diejenigen, die den Krieg nicht selber erlebt hatten.
Da hatte er sich geirrt.

Seine Reise nach Manticore war lange, mühsam und nur mit einem beträchtlichen Umweg möglich gewesen. Mehr als einmal hatten sie Sprungpunkte passiert, die unter normalen Umständen als zu unsicher oder instabil für eine Benutzung eingestuft worden wären. Und letzten Endes verdankte Ry Hallas seine unbeschadete Ankunft wohl vor allem der Tatsache, dass die TSN durch mehrere imperiale Offensiven abgelenkt worden war.
Und jetzt war er hier, auf dem Planeten, der das Hauptziel der ersten imperialen Offensive in diesem Krieg gewesen war, und den die kaiserlichen Streitkräfte trotz aller Rückschläge und Verluste immer noch verbissen hielten. Manticore war zu einem Symbol geworden, und dadurch viel wichtiger, als seine tatsächliche strategische Bedeutung.

Sie passierten einen weiteren Checkpoint, der von einem ganzen Trupp gepanzerter Posten bewacht wurde. Auch wenn der bewaffnete Widerstand der Menschen auf Manticore inzwischen angeblich auf ein paar im Hinterland operierende Banden beschränkt worden war, gingen die Garnisonstruppen offenbar kein Risiko ein. Kurz fragte sich Hallas, ob ihn der Wachoffizier vielleicht absichtlich im Kreis führte und sie bis in die alle Ewigkeit durch immer die gleichen Straßen wandern würden – für ihn sah dieser fünf Jahre nach seiner Eroberung immer noch an vielen Stellen zerstörte Haufen wenig eindrucksvoller und meist rein funktionaler Gebäude furchtbar eintönig aus.

Aber jetzt hatten sie offenbar ihr Ziel erreicht – einen ehemaligen Schulungskomplex, der inzwischen von den imperialen Besatzungstruppen als Logistikgelände genutzt wurde. Und als Aufenthaltsort für einige zivilinternierte Menschen, die in einem Nebengebäude untergebracht waren, in dem man früher vielleicht Personal, weniger wichtige Gäste oder Studenten untergebracht hatte. Der Komplex war durch einen zusätzlichen, mit Sensoren bestückten Zaun gesichert worden, wobei man auf martialische Accessoires wie Wachtürme, Schnellfeuerlaser, Selbstschussanlagen oder Starkstrom verzichtet hatte. Aber Ry Hallas wusste, dass kein Mensch – oder Akarii – diesen Komplex betrat oder verließ, ohne von den Wachen erfasst, gescannt und als für sein Hiersein autorisiert eingestuft zu werden.

Der Mensch, zu dem Hallas wollte, war nicht so berühmt wie Admiralin Alexander, die nach ihrem katastrophal gescheiterten Verhandlungsversuch ein zweites Mal auf Manticore in imperiale Gefangenschaft gegangen war. Merkwürdigerweise hatte man sie diesmal nicht in ein Hochsicherheitsgefängnis geworfen, sondern in ihrer alten Wohnung unter Hausarrest gestellt. Gerne hätte Hallas mit Admiral Alexander gesprochen, aber der für ihre Bewachung verantwortliche Offizier, im Vergleich zu dem der junge Lieutenant vor Hallas geradezu freundlich wirkte, hatte ihm unter vier Augen – und wahrscheinlich mehr als nur halbernst – versichert, ihn erschießen zu lassen, falls er mit den von Kriegsminister Jockham unterzeichneten Vollmachten und Befehlen auch nur in die Nähe von Alexander kam. Mochten auch viele traditionell eingestellte Akarii-Offiziere Alexander dafür verachten, dass sie nicht nur einmal sondern sogar zweimal in Kriegsgefangenschaft gegangen war – sie war eine wertvolle Trophäe.

Und deshalb…
Vor Ry Hallas gab der letzte Posten zwischen ihm und seinem Ziel den Weg mit einem in seiner Lässigkeit an Insubordination grenzenden Salut frei und aktivierte die Türautomatik. Commander Hallas blickte in einen kleinen Arbeitsraum, Teil einer karg wirkenden Zwei-Zimmer-Wohnung.
An dem schmalen Multifunktionstisch, dessen Kommunikationselektronik natürlich deaktiviert oder eingeschränkt war, hob ein hagerer Mann den Kopf und blickte ihn aus dunklen, ruhigen Augen an. Das weiße, zurückweichende Haar und der kurze ergraute Vollbart zeugten von einem hohen Alter. Dennoch hielt sich der Gefangene aufrecht. Ry Hallas glaubte hinter dem wachsamen Blick und dem leicht ironischen Lächeln eine ruhige Stärke zu erkennen – anders als der trotzige Stolz eines Generals oder Kampfpiloten, aber nicht weniger widerstandsfähig. Unwillkürlich fühlte sich Ry Hallas an Mitglieder des Adelsrats erinnert, denen er während seines Dienstes für Kriegsminister Jockham begegnet war. Dieser Mann war kein Krieger, aber man durfte ihn nicht unterschätzen. Auf gewisse Art und Weise war er genauso gefährlich wie ein Soldat – vielleicht sogar gefährlicher.

„Senator Joseph Mansfield.“
Das ironische Lächeln vertiefte sich: „Nur bis zur nächsten Wahl, vermute ich. Wie ich sehe, sind Sie befördert worden, Commander.“
Immer noch klang sein neuer Rang in Ry Hallas Ohren unvertraut. Vermutlich auch, weil ihm schon viele Akarii mehr oder weniger deutlich zu verstehen gegeben hatten, das sie ihn dieser Beförderung nicht für würdig erachteten. Wie der Lieutenant neben ihm, der Mansfield Worte mit einem abfälligen Schnauben quittierte. Offenbar hatte er nicht gewusst, dass der Gefangene und Hallas sich kannten. Senator Mansfield war das dritte leitende Mitglied der gescheiterten Friedensmission von Admiral Alexander gewesen, die Ry Hallas nach Hause gebracht hatte. In gewisser Weise war Mansfield auch der Initiator der Friedensgespräche, da er im irdischen Senat vor einigen Jahren erstmals offen und vehement für Verhandlungen mit dem Imperium eingetreten war.
„Es ist eine Weile her.“
„Und Sie sind hier, um mich abzuholen.“
„Woher…“
„Sie sind ganz offensichtlich nicht auf Manticore geblieben und haben Ihren neuen Rang noch nicht lange. Das heißt, Sie kommen aus dem Kernimperium. Und trotz Ihrer Erfahrung mit uns Menschen – sie sind sicherlich nicht nur hier, um mich zu verhören. Zumal mein Wissen von begrenztem Nutzen ist und von Tag zu Tag bedeutungsloser wird.“
„Sie sollten sich nicht zu gering schätzen.“

Joseph Mansfield war als einer der jüngsten Abgeordneten der Demokraten in den Senat eingetreten und in den folgenden mehr als vierzig Jahren zu einem wichtigen
Mitglied seiner Partei aufgestiegen. Insgesamt dreimal hatte er den Posten eines planetaren Gouverneurs innegehabt, wobei es sich zweimal um Krisenfälle gehandelt hatte, bei denen er mit bewaffneten Unruhen oder einer aktiven Guerilla hatte umgehen müssen. Viermal hatte er in ähnlichen Fällen als Vermittler und Berater der Lokalregierung fungiert. In den ersten Jahren des Krieges war er zum Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses des Senates aufgestiegen, dann aber über seine ‚Friedensinitiative‘ gestolpert. Mansfield war weich gefallen, denn man hatte ihn zum Botschafter in der Konföderation ernannt. Allerdings hatte er diesen Posten nur einige Monate innegehabt, dann hatte ihn Präsidentin Birmingham auf Druck der Kriegsbefürworter im Senat abgelöst und de facto aufs Abstellgleis geschickt. Bis man ihn für Alexanders Friedensinitiative reaktivierte, was für Mansfield in der imperialen Gefangenschaft endete.

„Ich hoffe, es ist Ihnen in den letzten Monaten den Umständen entsprechend gut gegangen.“ Ry Hallas fühlte sich etwas unwohl bei diesen Worten, aber Mansfield zuckte mit den Schultern: „Ich habe keine Familie, die mich vermisst. Nach einem halben Jahrhundert im Senat und der Kolonialverwaltung habe ich gelernt, mich anzupassen.
Und so habe ich wenigstens Zeit, mich der Geschichte des Akarii-Imperiums zu widmen. Wofür ich auch Lieutenant Relek danken muss.“
Der letzte Satz galt dem jungen Offizier neben Ry Hallas, der von Mansfield Worten peinlich berührt schien und Hallas einen wütenden Blick zuwarf.
Der besann sich wieder auf den eigentlichen Sinn seiner Mission: „Ich soll Sie im Namen von Kriegsminister Tobarii Jockham nach Akar eskortieren.“
„Sie haben WIRKLICH Kariere gemacht, Commander Hallas. Und – wenn ich das fragen darf – was will der Kriegsminister und Prinzessgemahl des Akarii-Imperiums von mir?“
„Sie sind nicht der Einzige, der das Scheitern ihrer Verhandlungsmission bedauert…“

Ry Hallas erinnerte sich an seine letzte Besprechung mit dem Kriegsminister. Das war kurze Zeit nach jener denkwürdigen Adelsratssitzung gewesen, in deren Verlauf die Herausforderung zwischen Tobarii Jockham und Dero Allecar ausgesprochen worden war. Das – und der anschließende Tumult im Rat, in dessen Verlauf es zu Handgreiflichkeiten kam und Rallis Thelam eine überraschend große Fraktion von Ratsmitgliedern in einer Geste des Protests und der Ablehnung gegenüber Dero Allecar und dessen Vater aus der der Tagungskammer führte – hatten eine Schockwelle durch das ganze Imperium geschickt.
Tobarii Jockham war bleich, angespannt und doch gefasst gewesen, als er Ry Hallas seine Mission erläuterte. Und warum er Mansfield wollte, und nicht Alexander: „…für das Militär – und besonders die Manticore-Garnison – ist sie eine zu wichtige Trophäe. Sie werden sie nicht einfach hergeben.“
„Sie würden es tatsächlich wagen, Ihnen Alexanders Überstellung zu verweigern, Hoheit?“
Der Kriegsminister schüttelte langsam den Kopf: „Vielleicht doch nicht. Aber ich kann es mir auch nicht leisten, das zu riskieren. Oder die Kommandeure eines derart bedeutenden Bollwerks unserer Verteidigung zu brüskieren. Nicht in der augenblicklichen…Situation. Vor allem, da ja die reale Chance besteht, dass ich Alexander irgendwann nach Hause schicken müsste. Möglicherweise ohne adäquate Gegenleistung. Das hängt ganz davon ab, wie sich etwaige Gesprächsanbahnungen entwickeln. Und was das Militär DAVON halten würde…
Auf der anderen Seite…gibt es zu viele Militärs und Adlige, die Alexander dafür verachten, dass sie zweimal in Kriegsgefangenschaft gegangen ist. Für viele Traditionalisten ist das mindestens einmal zu viel. Spöttisch nennen manche sie schon ‚Kapitulations-Alexander‘. Und diese Männer und Frauen werden alleine deshalb gegen jede Friedensinitiative votieren, in die sie involviert ist.“
„Verzeiht, Hoheit, aber würden sie das nicht sowieso?“
Tobarii Jockham überraschte seinen Schützling mit einem angesichts seiner momentanen Lage unerwarteten Auflachen: „Aber ich muss es ihnen nicht noch extra erleichtern, einen Vorwand zu finden.
Nein, dieser Menschen-Senator ist die bessere Wahl. Er ist Zivilist und hat keinen derartigen Ruf wie Alexander – im Guten wie im Schlechten. Zumindest bei uns.
Und im Gegensatz zu Alexander hat Mansfield Erfahrungen in Verhandlungsfragen – auch mit Parteien, die…keinen guten Ruf in der Republik haben. Immerhin hat er Waffenstillstande mit Rebellengruppen ausgehandelt, die von einem Großteil der terranischen Öffentlichkeit – und den Streitkräften – als eine Bande von Kriminellen angesehen wurden.“
„Aber uns hassen sie noch sehr viel mehr.“
„Natürlich tun sie das. Immerhin haben wir sie beinahe besiegt.
Und dann ist da noch Mansfield Zeit in der Konföderation. Er hat eine Reihe wertvollerer Kontakte bei unseren neuen…Freunden. Das könnte sich als nützlich erweisen.
„Ich kann verstehen, warum Ihr Mansfield nach Akar holen wollt. Aber warum schickt Ihr mich jetzt, Hoheit? Sollte ich nicht…“
„Wenn Ihr mir jetzt anbietet, in den Duellkreis zu treten – oder einen Ersatzkämpfer zu finden – gefährdet ihr das, was ich gerne Freundschaft nennen würde. Ich habe es satt, dass andere meine Kämpfe ausfechten wollen.“
„Ihr seid zu wichtig, um euer Leben zu riskieren. Für das Imperium, für euer Volk…“
„Wie kann ich meinem Volk oder dem Imperium dienen, wenn ich nicht einmal meine eigene Ehre bewahren kann? Manche Kämpfe muss man austragen.
Und was die Frage nach dem Zeitpunkt angeht…
Gerade der Zeitpunkt ist einer der Gründe. Das Interesse unseres Volkes muss immer wichtiger sein, als dieses…Hauen und Stechen in Pan‘chra. Wer wäre ich, wenn ich jetzt nur meine eigenen Interessen gelten lassen ließe? Was würde das über mich aussagen?
Wir müssen handeln, solange die Kriegsmaschinerie der Terraner aus dem Takt ist. Das ist der beste Zeitpunkt, um einen Frieden auszuhandeln. Der EINZIGE Zeitpunkt.“

Kurz war Ry Hallas der unwillkommene Gedanke gekommen, dass Tobarii Jockham eine etwas zu hohe Meinung von seiner eigenen Weitsicht und Wichtigkeit hatte, und sich etwas zu viel aufbürdete.
Die nächsten Worte des Kriegsministers hatten diese zynische Stimme im Ohr des jungen Offiziers zum Verstummen gebracht. „Ich habe es in der Hand, etwas zu bewirken, Ry. Noch. Was die Zukunft bringt…
Und wenn…es keine Zukunft für mich gibt, dann will ich etwas hinterlassen, das einen Wert hat. Und ein Frieden mit den Menschen, das ist viel mehr als ein paar unvollendete Reformen. Und der Spott des Hofes.
Und deshalb musst du gehen. Jetzt. Solange es in meiner Macht steht, etwas in Bewegung zu setzen.“
Die nächsten Worte schienen Tobarii noch schwerer über die Lippen zu kommen: „Es ist…vielleicht ganz gut, wenn du die nächste Zeit fern von Pan’chra verbringst. Wenigstens solange, bis sich die Situation geklärt hat. Es könnte sich als…problematisch erweisen, zu meinem Gefolge zu gehören. Deine Position und Beförderung kann sich in eine Zielscheibe verwandeln.“
‚Er rechnet mit der Möglichkeit, dass er das Duell verliert.‘ Das hätte für Ry Hallas keine Überraschung sein dürfen. Tobarii Jockham war ein Idealist, in manchen Dingen vielleicht auch weltfremd – aber kein Idiot. Dennoch, den fatalistischen Unterton, der in der Stimme des Kriegsministers mitschwang, hätte Hallas nicht erwartet. ‚Habe ich das nicht schon mal irgendwo gehört?‘ Doch obwohl Ry Hallas insgeheim manche der ungeschriebenen aber ehernen Comments ablehnte oder zumindest kritisierte, die die imperialen Traditionen diktierten, und obwohl das vielleicht einer der Gründe gewesen war, warum Tobarii Jockham, gerade ihn, den unerfahrenen Leutnant aus der TSN-Gefangenschaft ausgewählt hatte… Ry Hallas, wusste, wie er jetzt antworten musste: „Ich habe keine Angst, auf Pan’chra zu bleiben. Ich bin nicht in Eure Dienste getreten, weil das der einfachste Weg war, Hoheit.“
„Das weiß ich. Aber das ändert nichts an meinem Entschluss. Oder der Wichtigkeit der Mission, auf die ich dich schicke.
Und falls…falls ich nicht in der Lage sein sollte, das fortzuführen, was wir damit beginnen, muss die Friedensinitiative dennoch fortgesetzt werden. Dann musst du jemanden finden, der sich dieses Ziel zu Eigen macht.“
Einen kurzen, verrückten Augenblick glaubte Ry Hallas, Jockham würde Dero Allecar meinen. Aber der Kriegsminister war auch nur ein Sterblicher. Und natürlich konnte er nicht jenem Mann sein Vermächtnis anvertrauen, der ihn entehrt und gedemütigt hatte – und ihn vielleicht töten würde.
„Das Beste ist, du wendest dich in diesem Fall an Rallis.“
„Rallis?!“
„Er hat den Verstand und die Mittel, um diese Mission fortzusetzen. Wenn er glaubt, dass es ihm und dem Imperium nützt. In dieser Reihenfolge, vermute ich…“

„Commander?“, Senator Mansfields Frage brachte Hallas wieder in die Gegenwart zurück: „Habe ich Zeit, meine Sachen zu packen?“
Ry Hallas schüttelte kurz den Kopf und verdrängte die Stimmen der Vergangenheit: „Selbstverständlich.“
Der Wachlieutenant schnaubte kurz: „Ich werde das Nötige veranlassen, Senator. Falls Sie sich von den anderen Internierten verabschieden wollen…denken Sie daran, dies ist nur unter Aufsicht möglich. Und Sie dürfen nichts über den Grund oder das Ziel Ihrer Verlegung äußern.“
Mit diesen Worten drehte er sich um und ging, vermutlich bewusst die Tatsache ignorierend, dass er vor seinem Abgang vor Ry Hallas hätte salutieren müssen.
Senator blickte dem jungen Offizier mit einem halben Lächeln hinterher und wandte sich dann an wieder an Hallas: „Lieutenant Relek ist ein wütender junger Mann, der immer noch davon träumt, in diesem Krieg Ehre zu gewinnen. Er hat noch nicht begriffen, dass man diese nicht auf dem Schlachtfeld finden kann.
Und ich hoffe für ihn, dass er das nie lernen muss…“

****

Hannover, Konföderierte Hauptwelt

Wenn es stimmt, dass die Stunde vor der Morgendämmerung die dunkelste war, dann erwartete Generalgouverneur Cochrane ein herrlicher Sonnenaufgang. Aber natürlich wusste er, dass das nur ein dummes Sprichwort aus der irdischen Vergangenheit war.

Die meisten Meinungsumfragen der Medien zeichneten ein düsteres Bild, das durch die kaum behinderte Verbreitung der Daten zudem den Charakter einer selbsterfüllenden Prophezeiung annahm.
Zwar befürworteten ein großer Teil konföderierten Bevölkerung den Frieden – doch fast genauso viele lehnten das mit dem Imperium geschlossene Bündnis ab. Das war auch nur natürlich, denn trotz früherer und gegenwärtiger Spannungen sowie der teilweise blutig abgelaufenen Beschlagnahmung der konföderierten Flotte durch die TSN rangierte die Republik in der Beliebtheit immer noch weit vor dem Kaiserreich.
Hunderttausende Tote und Verletzte, hunderte zerstörte und zusammengeschossene Schiffe und Dutzende besetzte oder durch Blockaden und Überfälle betroffene Planeten wogen allzu schwer. ‚Und unsere und die TSN-Propaganda haben es den Bürgern leicht gemacht, das Imperium zu hassen.‘ Viele der in der Konföderation lebende Aliens – vor allem die Soridachi, Tonari, T’rr und viele der konföderierten Akarii – brauchten ohnehin niemanden, der ihnen das beibrachte. Immerhin war es die kaiserlichen Truppen und Sicherheitskräfte gewesen, die sie oder ihre Vorfahren aus ihrer Heimat vertrieben hatten. Jetzt bedauerte es Cochrane, dass er vor Jahren einen rücksichtslosen Propagandakrieg gegen die Friedensbewegung der Republik entfesselt hatte. Unter anderen Umständen hätte diese Bewegung – wie Cochranes mit Linais Favoriten Dero geknüpften Kontakte – ein wertvolles Werkzeug bei dem Versuch sein können, sich dem Imperium UND der Republik als ehrlicher Makler anzubieten, um diesen sinnlosen Krieg zu beenden. ‚Auch wenn irgendein terranischer Politiker ja mal behauptet hat, dass es keine ehrlichen Makler gibt.‘
Aber inzwischen schien die Friedensbewegung ihn fast ebenso sehr zu verabscheuen, wie die republikanischen Eisenfresser. Und im Imperium gingen sich nach den letzten Berichten zwei der wichtigsten Befürworter des Friedens mit der Konföderation an die Kehle. Wortwörtlich. Die innenpolitischen Turbulenzen auf Akar hatten Cochrane und das diplomatische Korps der Konföderation kalt erwischt. In dem Hauen und Stechen um die Nachfolge auf dem imperialen Thron konnte die Konföderation leicht auf der Strecke bleiben. Wenn irgendein Prätendent sich auf Kosten des ehemaligen Kriegsgegnern zu etablieren beschloss…

Als ein weiteres Problem für die öffentliche Meinung – und die Stabilität von Cochranes Regierung – erwiesen sich zudem die Bürger, Unternehmen, ja ganze Planeten, die den seit Jahrzehnten gewachsenen Wirtschaftsbeziehungen mit der Republik ihren Lebensunterhalt verdankten. Beziehungen, die im Laufe des Krieges noch enger geworden waren und jetzt schwer zu ersetzen waren. Dass auch die Republik unter dem Abbruch der Handelsbeziehungen litt, war da kein echter Trost.
Und als ob das nicht schon schlimm genug war, war dem Frieden auch eine beträchtliche Gegnerschaft in den Reihen der konföderierten Bürger erwachsen, die in den letzten Jahren die harsche Militärverwaltung des Imperiums kennengelernt hatten. Das Imperium hatte viele Errungenschaften aufzuweisen – in Kultur, Technik und Medizin. Der rücksichtsvolle Umgang mit unterworfenen oder besiegten Völkern gehörte allerdings kaum dazu. Auf jeden geistig flexiblen Kommandeur und Militärverwalter, der statt auf Zwang und Einschüchterung auf Kooperation und Ausgleich setzte, kamen mindestens zwei, die in den Unterworfenen und Besetzten bestenfalls eine Ressource und schlimmstenfalls eine genetisch und kulturell inferiore potentielle Bedrohung sahen.
Angesichts der Verluste und Einschränkungen der letzten Jahre und der Erfahrungen, die viele konföderierte Bürger mit den Imperialen gemacht hatten, war es kaum verwunderlich, dass es auf den wieder der Konföderation rückübereigneten Welten zu Übergriffen und Lynchaktionen gegen Bürger gekommen war, die angeblich oder tatsächlich mit den imperialen Besatzungstruppen zusammengearbeitet hatten. Derartige Exzesse waren eine Schande für jede zivilisierte Nation, erst Recht für eine, die auf gute Beziehungen und eine Intensivierung des Handels mit dem Imperium angewiesen war. Aber es lag in der Hand der Systemgouverneure, dagegen vorzugehen, und die verfolgten oft eine vorsichtige Linie, waren sie doch auf die öffentliche Unterstützung angewiesen.

Die meisten Konföderierten, das hatten die Umfragen deutlich gemacht, wollten vor allen Dingen Frieden – der einzige Grund, warum sich Cochranes Regierung nach dem verlorenen Krieg, der Verwüstung Hannovers, einer verlorengegangenen Flotte und einer katastrophalen Handels- und Finanzbilanz immer noch einer gewissen Beliebtheit erfreute.
Und die Bürger wollten, dass die von der TSN internierten Flottenangehörigen wieder nach Hause zurückkehrten. Aber nur sehr wenige meinten, dass dieses Ziel einen direkten Konflikt mit der militärisch überlegenen TSN wert war. Die Konföderation war kriegsmüde, und selbst in den Streitkräften zweifelte man an der eigenen Stärke und Kampfkraft. Dass die Konföderation von dem schwer angeschlagenen Imperium und der unter hohem Druck stehenden TSN ausmanövriert worden war, nagte am Selbstbewusstsein der Bürger und Soldaten. Die wachsende Stärke der auf Seite der Republik gegen das Imperium kämpfenden ‚Freiwilligenarmee‘ machte das alles nur noch schlimmer, spalte Gesellschaft, Familien und Streitkräfte. Das galt auch für Cochranes eigene Familie.

Deshalb waren die Meinungsanalysten auch sehr eindeutig dabei gewesen, was erneut ausbrechende Kampfhandlungen – ob nun mit der TSN oder den Akarii – für Cochranes Popularität bedeuten würde. Dass man auf englischsprachigen konföderierten Welten inzwischen Akarii-Kollaborateure mit einem kruden Wortspiel als ‚Kakerlaken‘, also ‚Cockroaches‘ bezeichnete, war ein sehr eindeutiger Warnhinweis. Dergleichen Wortspiele hatten bereits den Weg in die Medien und die Populärkultur gefunden – wie auch Witze über ‚den einfachsten Weg, einen Krieg, eine Flotte und einen Neffen zu verlieren‘. Zu einer anderen Stunde hätte Cochrane darüber ja fast lachen können. Noch gefährlich waren die gleichzeitig im Umlauf befindlichen Wortspiele um ‚Cochrane‘ und ‚Cartwright‘ – einen früheren Generalgouverneur der Konföderation, der versucht hatte, durch einen Staatsstreich das lockere Staatengebilde der Konföderation in eine durch eine starke Zentralregierung gelenktes Sternenreich zu verwandeln. Inzwischen wurden immer mehr Vorwürfe laut, dass Cochrane zu lange im Amt sei und der Gouverneursrat einen neuen Generalgouverneur ernennen sollte. Gefährlich wurden dergleichen Vorwürfe durch die Verdächtigung, dass Cochrane seine Beziehungen zum Imperium oder die Krisensituation mit der TSN benutzen wollte, um seine Amtszeit zu verlängern oder gar die Verfassung auszuhebeln.

Und zu allem Überfluss erreichten Hannover beunruhigende Nachrichten aus dem Peshten-Konkordat. Offenbar beabsichtigte die TSN, weitere ‚Berater‘ und sogar Kriegsschiffe zu entsenden. Die Peshten-Regierung war nach dem Waffenstillstand zwischen Imperium und Konföderation sofort auf Distanz zu Hannover gegangen. Zwar waren die Peshten Pragmatiker, die wenig Zeit für tatsächliche oder vorgetäuschte Empörung vergeudeten. Und eine positive Handelsbilanz spielte in der Peshten-Außenpolitik seit jeher eine große Rolle. Aber im Konkordat wusste man auch, was man vom Imperium zu erwarten hatte. Und dass man auf sich alleine gestellt keine Chance hatte.
Wenn nun die TSN ihre Präsenz im Konkordat verstärkte, konnte dies das Aus für die noch bestehenden Handelsbeziehungen zwischen Konföderation und Peshten bedeuten. Und falls das Beispiel auch bei anderen Handelspartnern der Konföderation Schule machte, die dem Imperium ebenfalls misstrauten – nicht zuletzt, weil Ilis bei seinem Angriff auf Hannover ihre Botschaften bombardiert hatte…
‚Wir können uns nicht auf Akar verlassen. Nicht wirtschaftlich, nicht politisch – und ganz bestimmt auch nicht militärisch.‘ Aber wie sollte die Konföderation wieder zu einem eigenständigen Spieler auf der interstellaren Bühne werden, mit einem hochverschuldeten Staatshaushalt, einem innen- und außenpolitisch unter Druck stehenden ‚neuen Freunden‘, der ein ehemaliger Feind war – und einem ehemaligen Verbündeten, der sich zu einem De-facto-Feind entwickelt hatte? Dazu kam eine auf ein Skelet reduzierte, demoralisierte Flotte, innenpolitische Spannungen am Rande eines Bürgerkrieges – und eine scheinbar mit jedem Tag abnehmende Zahl von Handelspartnern. Manchmal fragte sich Cochrane, ob es das wirklich wert war. Ob er nicht einfach hinschmeißen, und diesen gewaltigen Scherbenhaufen seinem Nachfolger überlassen sollte. Aber die Furcht davor, was dies vielleicht für die Konföderation – und auch für ihn persönlich – bedeuten konnte, hatte ihn bisher von diesem Schritt Abstand nehmen lassen. ‚Ich muss diesen Weg zu Ende gehen. Auch wenn ich nicht weiß, wo er hinführt.‘

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