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Zum Ende der Seite springen Hinter den feindlichen Linien - Season 7 - Zwischen Himmel und Hölle
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Ace Kaiser Ace Kaiser ist männlich
Lieutenant General


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Dabei seit: 01.05.2002
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Chaos. Lärm. Flackernde Beleuchtung. Vibrationen, die den gesamten Schiffskörper erschütterten. In einem Moment Notbeleuchtung, im nächsten totale Finsternis, wieder und wieder.
Dann, eine Stimme, voller Ruhe und Selbstbewusstsein: „Statusbericht, Mr. Gyrich.“
Und als hätte die Stimme damit einen Zauberspruch gesprochen, etablierte sich die Notbeleuchtung, und das Schiff kam zu relativer Ruhe.
„Sir, ich kriege Meldungen von allen Stationen, von allen Decks. Wir haben Schäden, wir haben Verletzte, aber keine austretende Atmosphäre, und keine Todesfälle, Hüllensensoren melden volle Integrität.“
„Gut“, sagte Justus Schneider. „Wir gehen auf Gelben Alarm zurück. Ms. Juga, verzeichnen Sie Funkaktivität?“
„Sir?“ „Verzeichnen Sie Funkaktivität?“
„Ja, Sir. Auf den Akarii-Frequenzen ist eine Menge los.“
Justus Schneider schnallte sich ab und erhob sich vom Kapitänsstuhl. „Mr. Rondo, wo befinden wir uns?“
Der First Lieutenant an der Ortungsstation machte sofort Meldung. „Die Sonne dieses Systems ist identisch mit Manticore, Sir. Ebenso habe ich Trafalgar, Minsk und Babylon identifiziert.“
„Und wann sind wir, Mr. Rondo?“
Der schmale, aber große Mann antwortete wieder ohne ein Zögern. „Anhand der Tatsache, dass wir Trafalgar aus unserer Position dabei beobachten, dass der Planet gerade im vollen Umfang hinter Manticore herum gekommen ist, befindet sich der Planet genau da, wo er genau jetzt sein sollte. Eine Extrapolation mit den anderen ortbaren Planeten Minsk und Babylon verifiziert meine erste Vermutung: Wir unterliegen keiner temporalen Verzerrung, sondern haben den Sprung in Echtzeit gemacht. Eine Diagnose der Sternkonstellationen läuft, aber ich stehe zu meiner ersten Einschätzung.“
Justus' Kiefer mahlten für den Hauch eines Moment, bevor er wieder ein lächelndes Gesicht aufsetzte. „Wie sieht die nähere Umgebung aus, Mr. Rondo?“
„Die Wracks der WARDRUM, der SPRUANCE und der LOOKOUT begleiten uns, Sir. Die ersten Bilder lassen auf Totalzerstörung schließen.“
„Unser Gegenstück und ihr Begleitschutz?“, fragte Justus Schneider.
„Ich messe fünf weitere Wracks in einiger Entfernung an, drei davon Fregatten oder Korvetten, zwei von der Größe eines Leichten Kreuzers beziehungsweise achtzig Prozent davon. Genauso deformiert wie unsere Begleitschiffe, Sir.“
Schneider nickte. Dann nahm er wieder Platz. „Professor Jorgensson, können Sie mich hören?“
„Laut und deutlich, Skipper.“
„Wie sieht es in Ihrer Abteilung aus?“
„Wir sind fast vollständig einsatzbereit. Es gab ein paar Verletzte und Verwüstungen, aber nichts wirklich ernstes.“
„Räumen Sie die Abteilung auf, so schnell es geht. Dann soll Commander Jamison-Bowyer berechnen, ob das Manticore-Texas-Wurmloch stabil genug für eine Rückkehr ist, beziehungsweise ob es von uns mit Bordmitteln stabilisiert werden kann.“
„Mel hier. Ich verstehe, worauf du hinaus willst. Ich mache mich gleich an die Arbeit.“
„Mit Verlaub, Sir, warum versuchen wir nicht, sofort zurückzuspringen?“, fragte Gyrich, aber so leise, dass nur sie zwei es verstehen konnten.
„Einerseits müssen wir erst mal feststellen, ob das Wurmloch überhaupt passierbar ist.“
„Jede Sekunde könnte kostbar sein“, hielt Gyrich dagegen. „Emitter und Antriebe sind nur leicht bis mittel beschädigt.“
„Aber wir wissen es nicht“, entgegnete Schneider. „Mel wird das für uns herausfinden. Und wenn sie sagt, unsere einzige Chance ist es, sofort zurückzukehren, dann tun wir das auch.“
„Aye, Sir. Und wenn wir das Wurmloch nicht benutzen können?“
„Dann haben wir fast einen Tag lang Zeit, bevor Entsatz für die Wachflotte von Trafalgar eintrifft. Sogar noch mehr, wenn sie von anderen Wurmlöchern Wachschiffe abziehen. Elon, lassen Sie nach Minen suchen. Es würde mich nicht wundern, wenn die Akarii sich nicht dieser preiswerten Methode bedient hätten, um ein normalerweise nicht nutzbares Wurmloch abzusichern. Und es wäre wirklich schlecht für uns, wenn wir auf ein Minenfeld laufen würden, das nicht von den gravitatorischen Wellen zerquetscht wurde wie die akariischen Schiffe da draußen.“
„Aye, Aye. Ich nehme an, wir bleiben deshalb erst einmal in der Rinne der Gravo-Wellen?“
Justus grinste leicht. „Sehr gut erkannt, Elon. Ms. Juga?“
„Sir?“ „Rufen Sie unsere Begleitschiffe. Und rufen Sie auch die fünf Akarii.“ „Sir?“
„Führen Sie den Befehl aus, Lieutenant“, sagte Gyrich eine Spur zu scharf.
„Jawohl, Sir.“ Sofort machte sie sich an die Arbeit, teilte ihre Signalmaate auf und ließ sie gezielt funken. Nach einigen Minuten wandte sie sich wieder den beiden Männern zu. „Skipper? Eins O?“
„Schießen Sie los, Ms. Juga.“
Die junge Frau war blass, trotz ihres natürlichen dunklen Teints, aber was sollte man nach so einem Erlebnis und solch einem Anblick denn sonst sein? „Keine Reaktion, kein Notsignal, weder von unseren, noch von den feindlichen Schiffen.“
„Gut. Halten Sie weiter die Ohren auf. Und Sie, Mr. Rondo, halten die Augen auf und suchen nach Schiffen, die Kurs auf das Wurmloch gesetzt haben.“
„Aye, Aye, Skipper.“

„Justus, hier ist Mel. Sieht ganz so aus, als hättest du genug Zeit, um ein paar Rettungsmannschaften auf die anderen Schiffe zu schicken. Das Wurmloch ist genauso dicht wie vor unserem Experiment. Heißt, ohne Emitter auf der anderen Seite passiert hier gar nichts, und falls es einen Emitter gibt, kann es zu den gleichen Phänomenen kommen, die wir bereits erlebt haben, will sagen, eine Seite wird verlieren. Aber das ist müßig, weil es keinen Emitter auf der anderen Seite gibt.“
„Danke, Mel. Sie haben die Lieutenant Commander gehört, Mr. Gyrich. Organisieren Sie Bergungstrupps, die auf die terranischen Wracks gehen.“
„Jawohl, Sir.“
„Und schicken Sie die Marines auf die Akarii-Schiffe.“
„Sir?“
„Sie haben mich verstanden. Falls irgendjemand auf einem dieser Schiffe überlebt hat, sind wir seine oder ihre einzige Chance auf Rettung.“
„Aber... Aber Sir, das sind Akarii-Schiffe! Unsere Feinde!“
„Und genau deshalb sollen Sie die Marines schicken, Elon. Geben Sie Anweisung, dass die eigene Sicherheit Vorrang vor allem anderen hat. Sollten sie unter Feuer geraten, können sie das betreffende Schiff komplett ignorieren. Wer seine Leute zu einer Verteidigungsphalanx ordnen kann, kann sich auch selbst retten.“
„Verstanden, Skipper.“ Gyrich sagte so laut, dass alle es in der Zentrale hören konnten, und damit es auch über die interne Kommunikation an alle Empfänger ging: „Schätze, wenn die Situation umgekehrt wäre, und wir in einem Wrack sitzen würden und die Akarii in der funktionsfähigen Schiffseinheit, wäre ich froh darüber, wenn sie versuchen würden, von uns zu retten, was zu retten ist.“
So etwas wie zustimmendes Gemurmel ging durch die Brückencrew.
„Danke, Elon“, raunte Justus. „Ich schulde Ihnen was.“
Der Eins O der ALBERT zuckte nur kurz mit der Augenbraue. „Erstens: Sie haben ja Recht. Und zweitens: Ist eine ganz miese Zeit, um das Vertrauen in den Kapitän durch zu viel Zögern zu unterminieren.“
„Ich sagte doch, ich schulde Ihnen was“, erwiderte Schneider zufrieden. Er hatte das Gefühl, sich auf diesen Mann verlassen zu können.
***
Sarud Hadimi hatte es wahrlich nicht leicht. Seine letztes Jahr erfolgte Versetzung nach Manticore, des einzigen Terraner-Systems, das sie hielten, hatte eine Beförderung beinhaltet, vom Vize-Admiral zum Volladmiral. Verbunden damit war das Kommando über die Besatzungsflotte Manticore, die immerhin selbst in schlechtesten Zeiten über zwei volle Trägerverbände verfügte, während der Rest der Marine des Kaiserreichs oft genug von der Kralle im Rachen leben musste. Als er allerdings erfahren hatte, warum der Posten neu besetzt wurde, war es ihm mehr wie eine Bestrafung vorgekommen, nicht mehr wie eine Beförderung auf den wichtigsten Vorposten Akars. Sein Vorgänger, Admiral Zorgeste Davlin, war von einem durchgehenden terranischen Marine während einer diplomatischen Mission der Glatthäute getötet worden. Und keiner seiner Soldaten, kein Leibwächter war dazu in der Lage gewesen, dies zu verhindern. Dass die Terraner die aufkeimenden Gespräche quasi selbst vernichtet hatten, war deren eigene Schuld. Andererseits hatten sie ein durchaus aussagekräftiges Zeichen gesetzt, wozu ihre Soldaten fähig waren. Selbstverständlich hatte der Marine das Attentat nicht überlebt, aber es wäre natürlich von Vorteil gewesen, hätte Saruds Vorgänger Davlin überlebt.

Das war schon ein schlechtes Zeichen gewesen, auch wenn er nie abergläubisch gewesen war. Dann aber war auf der Heimat alles drunter und drüber gegangen. Dero hatte sich mit Tobarii um das Kind der Prinzessin duelliert, und das Ergebnis war ein toter Kriegsminister, ein fehlgegangener Putsch, ein genauso fehlgegangener Gegenputsch, weil die Palastgarde und die wichtigsten Militärzentren inklusive allen wichtigen paramilitärischen Streitkräften fest zu Linai standen. Aber ihr Ehemann war tot, und Dero lebte und beanspruchte ihr ungeborenes Kind als das Seine. Was ohne weiteres möglich war, denn der junge Fürst war lange Jahre ihr „Erster Partner“ gewesen, also der erste männliche Akarii, mit dem ihr Beischlaf erlaubt worden war. Man sagte, die Bindung zum Ersten Partner würde immer besonders sein, und auch ein Kind von ihm war keinesfalls eine Schande. Es war allerdings ungewöhnlich, wenn dieser Erste Partner das Kind für sich reklamierte, wenngleich nicht zu ungewöhnlich. Vor allem, wenn der Preis, der dabei heraussprang, die Kontrolle über das Kaiserreich war. Und genau danach hatte Deros Vater gegriffen: Nach der Kanzlerschaft in Vertretung seines Enkelsohns.
Das Problem dabei war, dass Haus Hadimi, dem er nicht gerade in wichtiger Funktion angehörte, aber unausweichlich ein Teil von war, ein Unterhaus der Allecar-Familie war. Auch hier wieder kein bedeutendes, sie hatten vor über eintausend Jahren für die Allecar einen Planeten regiert und verwalteten heutzutage in der nachherzöglichen Zeit die riesigen Ländereien des Hauses Hadimi/Allecar auf dem Planeten. Aber Allecar war Allecar, egal wie abgelegen der Heimatplanet war. Deshalb rechnete Sarud eigentlich täglich damit, abberufen oder am besten gleich ermordet zu werden, denn zu diesem Zeitpunkt verfügte er mit der Heimatflotte Manticore über eine beachtliche Hausmacht.
Natürlich wusste jeder Trottel und jeder Idiot, dass das Entblößen Manticores von dieser Flotte das sofortige Ende der Besetzung war, sobald die Glatthäute davon Wind bekamen. Und das würden sie. Und natürlich würde Sarud niemals seinen eigenen Namen als denjenigen in die Geschichtsbücher schreiben, der Manticore wieder verloren gegeben hatte, selbst wenn ihm seine beiden Flottenträger bei einem Angriff oder zumindest einer Machtdemonstration nach Akar folgen würden, um die Ansprüche Haus Allecars durchzusetzen. Und auch sein Großonkel hatte bisher nichts in dieser Richtung verlangt – wobei er nicht mal dem Befehl von Urgroßonkel Sordat für solch eine Tat folgen würde, nicht mal seinem eigenen Familienoberhaupt. Aber er konnte sich vorstellen, dass die Gegner der Allecar auf Nummer sicher gehen wollen würden. Und er war sich relativ sicher, dass er für das Flottenoberkommando auf einem Schleudersitz saß, der ihn aus seinem Kommando katapultieren würde, sobald er auch nur das geringste politische Interesse erkennen ließ. Wenn sie ihn nicht sowieso ablösten.
Tja, und dann kam noch das neueste Problem dazu.

Trafalgar, die Welt der Terraner und ehemals Sitz der 2. Flotte, bestand im Großen und Ganzen nur aus militärischem und zivilem Raumhafen, der Hauptstadt, und einigen wenigen kleinen und größeren Siedlungen. Der ganze Planet war vollkommen am Anfang seiner Erschließung und über neunundneunzig Prozent der Oberfläche nicht einmal bewohnt. Die Angehörigen der Flotte lebten weiterhin in der Stadt, überwacht, kontrolliert, aber doch relativ frei. Das Faustpfand für ihr gutes Benehmen waren die Militärangehörigen, die von Saruds Vorgänger an einem zentralen Ort, einem zentralen Camp gesammelt worden waren, auf der Île de Fornace. Die Insel inmitten des subtropischen Ozeans war vulkanischen Ursprungs und bot gerade genug Platz für das Camp der zehntausenden Kriegsgefangenen. Ihre Ufer fielen an allen Rändern steil ab, und in jede Richtung war sie mindestens eintausend Kilometer von jedwelchen anderen Inseln oder gar dem Festland entfernt, geschweige denn der Hauptstadt, was jede Flucht illusorisch machte. Angewiesen war es auf Lieferung von Nahrung und Dingen des täglichen Bedarfs per Shuttle, und das war das Druckmittel, um die Soldaten in Schach zu halten. Keine Kooperation, keine Nahrungsmittel. So einfach war das. Es gab zwar eine akariische Wachmannschaft, aber die Terraner waren zu schlau zu glauben, deren Gefangennahme würde das akariische Oberkommando zu irgend etwas anderem bewegen als einer harten, rücksichtslosen Befreiungsaktion.
Es gab nur eine Form von Ausnahmen, und das waren jene Kriegsgefangenen, die für eine Schicht von der Insel zu ihren Arbeitsplätzen pendelten, oder für längere Projekte wie Erntevorhaben für einige Tage in Ausweichscamps interniert wurden, die natürlich strenger bewacht waren. Alles in allem hatte die Besatzungsmacht die Lage im Griff, von einigen unbelehrbaren Versprengten abgesehen, die aber zumindest nicht so viel Ärger machten, dass eine Strafexpedition gegen die Zivilgesellschaft hätte angeordnet werden müssen.
Nichts außer einer Invasion von außen würde diesen Zustand jemals ändern. Außer vielleicht einem Friedensvertrag und die Repatriierung der Terraner in die Republik. Es hatte dazu im Grabenfunk Gerüchte gegeben, wenngleich vor Wochen.
Aber die Invasion war vielleicht viel realer, als ihm lieb war.

Es hatte mit einem mulmigen Gefühl in seinen Grabog begonnen, als die CULIFER eingetroffen war, ein Top Notch Forschungsschiff der Flotte, ausgerechnet befehligt von einem Ilis, das am Wurmloch herumdoktern wollte, welches mit Hilfe einer Antimaterieentladung von ihren Wissenschaftlern geschlossen worden war. Ein künstlich geschlossenes Wurmloch war ein grandioses Forschungsobjekt, und das Militär erhoffte sich Erkenntnisse, vor allem darüber, kleine und kleinste Wurmlöcher für den Durchflug zu stabilisieren, was die kaiserliche Flotte zu einem verdammten Phantom gemacht hätte, die überall, jederzeit, an jedem Ort zuschlagen konnte, wann immer sie es nur wollte. Nicht, dass Sarud der CULIFER die Forschung hätte untersagen können. Also hatte er das getan, wozu er in der Lage war, und den drei Fregatten, die am Wurmloch symbolisch Wache hielten, einen Leichten Kreuzer zugeteilt, der der CULIFER nicht von der Seite weichen sollte, die LAGHOS.

Tja, und dann war das Experiment begonnen worden, die Ereignisse hatten sich überschlagen, sie hatten Neutrinomessungen hereinbekommen, die von ihrer Ausschüttung eigentlich einem Massentransit von einer ganzen verdammten Terranerflotte stammen hätte müssen, was schlichtweg unmöglich war, denn wie sollten die Terraner drei, vier Trägerverbände zusammenziehen können, ohne, dass die Akarii darauf aufmerksam wurden?
Also hatte er die Invasion im supergroßen Stil angezweifelt, aber woran er nicht zweifelte, das war, dass die CULIFER da tatsächlich auf etwas gestoßen war und in Schwierigkeiten steckte. Und dass etwas durch das eigentlich geschlossene Manticore-Texas-Wurmloch kommen würde. Entweder zu ihnen oder nach Texas. Per Lichtfunk hatte er im War Room in der Flottenzentrale alles gesehen und gehört, was an Funkmeldungen vom Wurmloch gekommen war, musste Zeuge der Vernichtung der Wachflotte werden, bestätigte den Eingang des Sensorlogs der CULIFER und sah anschließend die Bildschirme schwarz werden und hörte den Funk verstummen. Seine erste Handlung war gewesen, sofort eine Meldung ans Oberkommando abzugeben, denn die Experten hatten gesagt, dass sich das Wurmloch erst über Jahrzehnte, vielleicht erst Jahrhunderte für die Passage wieder stabilisieren würde. Und trotzdem hatte es diese Neutrinoausschüttung gegeben, die überhaupt nicht sein durfte. Dann die Worte des leitenden Wissenschaftlers, die Terraner „hatten die gleiche Idee“. Man musste kein Wissenschaftler sein, um zu verstehen, was Doktor Hoser gemeint hatte. Und man musste kein Statistiker sein, um die Wahrscheinlichkeit zu berechnen, dass auf beiden Seiten des Wurmlochs zwei Forschungsprojekte zum gleichen Zeitpunkt daran arbeiteten, das geschlossene Wurmloch zu erforschen. Aber sie war nicht Null. Die Wissenschaftler in seiner Flotte und natürlich im Hauptquartier würden an den Datenpaketen vermutlich ihre reine Freude haben, weil sie die Wurmlochphysik erheblich voranbringen würden, aber das änderte nichts daran, dass die Wachflotte vernichtet war und er keine Ahnung hatte, ob und was durch dieses Wurmloch gekommen war.

„Admiral?“, fragte Ter Hanaugh, seine Stabschefin.
Admiral Hadimi atmete tief ein und wieder aus. „Kapitänin Wonn soll mit ihrer Gruppe zum Wurmloch fliegen. Ihre schnellen Einheiten vorweg, die Lage sondieren. Ich will wissen, ob etwas durch das Wurmloch gekommen ist, und dafür brauchen wir wegen der Neutrinoemissionen des Wurmlochs Nahaufnahmen. Und wenn ob eintritt, will ich wissen, was durchgekommen ist. Sollte Wonn in der Lage sein, den Fall „ob“ zu handhaben, soll sie den Konflikt suchen. Sollte sie es nicht handhaben können, müssen wir weitere Hilfe schicken.“
„Verstanden, Admiral. Befehl an die 341. Kampfgruppe. Ausrücken zum Wurmloch für aktive Erkundung.“ Der Befehl löste emsige Betriebsamkeit im Warroom aus und schickte anschließend acht Marine-Einheiten, davon vier Fregatten, zwei Zerstörer, einen Leichten Kreuzer und einen Trägerkreuzer, mit Alarmfahrt zum Wurmloch. Und egal, wie die Erkundung ausfallen würde, Hadimi ahnte, spürte, wusste, hier wurde gerade Geschichte geschrieben. Ihm war nur noch nicht klar, ob diese Geschichte eine Seite bevorzugen würde, und wenn ja, wie sehr. Und ob es seine Seite war, die bevorzugt werden würde.

__________________
Ace Kaiser,
Angry Eagles

Corrand Lewis,
Clan Blood Spirit

Ace bloggt!

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26.01.2021 12:32 Ace Kaiser ist offline E-Mail an Ace Kaiser senden Beiträge von Ace Kaiser suchen Nehmen Sie Ace Kaiser in Ihre Freundesliste auf
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Captain


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Kriegssplitter I

TRS COLUMBIA, Gamma-Eridon-System

Die Tage nach der fehlgeschlagenen Bombardierung der Rijen-Brücke waren nicht einfach. Natürlich hatte die Schwarze Staffel schon früher versagt und Piloten verloren. Aber das Wissen, dass der Angriff mit besserer Planung oder einer größeren Anzahl Maschinen wahrscheinlich ein Erfolg gewesen wäre und weniger Verluste gefordert hätte, nagte nicht nur an den Überlebenden des Einsatzes, auch wenn sich weder Kano noch Phoenix viel anmerken ließen.
Dazu kam das ungewisse Schicksal der beiden Abgeschossenen. Das Wissen, dass Rerun und Bunny vielleicht noch da draußen waren – abgeschossen und vielleicht verwundet, aber am Leben, auf der Flucht oder in Kriegsgefangenschaft – belastete die Butcher Bears.
Und an dieser Ungewissheit würde sich nichts ändern. Es gab keinerlei Kommunikation zwischen den kaiserlichen Streitkräften, den Peshten und Terranern, um Informationen über die Kriegsgefangenen der anderen Seite auszutauschen. Bunny war viel zu nahe an der Rijen-Brücke heruntergekommen, als dass Aussicht auf eine Rettungsmission bestanden hätte. Wenn er Glück hatte, war er in Kriegsgefangenschaft gelandet, auch wenn manche Piloten vermutlich den Tod vorgezogen hätten. Bei Lilja konnte Kano sich das gut vorstellen und Phoenix war ein weiterer Kandidat. Kano selber...auch wenn er in einer Kultur großgeworden war, die eine Kapitulation teilweise immer noch als zutiefst ehrlos verurteilte, er wusste nicht, ob er in der Lage gewesen wäre, im Ernstfall daraus die logische Konsequenz zu ziehen.
Bei Rerun bestand zumindest die Möglichkeit, dass er den eventuellen Suchtrupps der Akarii hatte entgehen können. Es fragte sich nur wie lange...
Deshalb hatten Kano und Phoenix nach ihrer Rückkehr zur COLUMBIA sofort einen detaillierten Bericht über den Absturz mitsamt Reruns Absturzkoordinaten weitergeleitet.
Doch auch wenn Kano mehrmals nachhakte: Es würde keine Suchflüge geben. Zu frontnahe war die Absturzstelle, zu groß das Risiko, weitere Maschinen zu verlieren – und zu unwichtig ein einzelner Pilot. Auch wenn das natürlich keiner aussprach. Aus dem gleichen Grund würde es diesmal auch keine Rettung durch alliierte Spezialeinheiten geben – die vermutlich ohnehin alle im Einsatz waren, um die imperiale Offensive zu verlangsamen. Es war nicht das erste Mal, dass das oft beschworene Motto ‚keinen Mann zurückzulassen‘ sich für einen Piloten der Angry Angels als hohle Floskel entpuppte. Aber die bittere Wahrheit schmeckte trotzdem kein bisschen besser.

Rerun war erst vor kurzer Zeit zur Staffel gestoßen und zu schüchtern gewesen, um sich Freunde oder Feinde zu machen. Einige Veteranen hatten es vermutlich ohnehin vermieden, den ‚Neuling‘ an sich heran zu lassen. Unerfahrene Piloten lebten gefährlich. Wer wollte sich schon mit jemandem anfreunden, der möglicherweise nur von geborgter Zeit lebte? Allerdings war Rerun bereits über das ‚Magische erste Dutzend‘ hinaus gewesen – die ersten, besonders riskanten Feindmissionen eines Piloten. Wer erst einmal so weit gekommen war, der hatte statistisch gesehen eine ziemlich gute Überlebenschance. Deshalb war Reruns und Bunnys Schicksal auch eine bittere Erinnerung daran, dass es im Krieg keine Gewissheiten gab und jeder Augenblick der letzte sein konnte.
Rerun war Kanos Flügelmann gewesen und damit seine Verantwortung. Eine Verantwortung, bei der Kano versagt hatte. Genauso wie bei der Mission, die erfolgreich durchzuführen seine Pflicht gewesen wäre. Und den Preis für sein Versagen hatten nicht nur zwei seiner Männer und ein Peshten-Piloten gezahlt – sondern auch all die Männer und Frauen, die sterben würden, weil der imperiale Nachschub weiterhin ungehindert über den Rijen floss.
Die Tatsache, dass Rerun einmal bei der Piloten-Eignungsprüfung versagt hatte und nur dank den in den letzten Jahren deutlich gelockerten Standards beim Kampffliegerkorps aufgenommen worden war, erfüllte Kano mit einer seltsamen, sinn- und ziellosen Wut. ‚Was hat es ihm gebracht? Er hätte bei der Zivilflotte bleiben sollen…‘
Dann hatte er sich selber zurechtgewiesen. Ein solcher Gedanke war weder seiner noch Reruns würdig. Er musste dessen Entscheidung und Hartnäckigkeit ehren. Reruns Entschlossenheit ein Pilot zu wurden, war das einzige, was zählte – ungeachtet seines Schicksals.
Und Bunny…Bunny WAR ein Veteran gewesen, ein Fliegerass und ein guter Pilot. Mochten ihm auch die Starqualitäten einiger Top-Asse fehlen, Männer (und Frauen) wie er waren das Rückgrat der Streitkräfte und eine Voraussetzung für den Erfolg jeder Mission. Der auf Texas geborene, schweigsame und fast immer ernste Pilot, der sein so unpassendes Callsign einem längst vergessenen Scherz seiner Kollegen verdankte, würde den Butcher Bears fehlen…

Zum Glück hatte Kano eine Methode entwickelt, mit Zweifeln umzugehen – unermüdliche Arbeit. Zuerst hatte die Staffel umorganisiert werden müssen. Fürs erste würde Phoenix als Kanos Flügelmann fungieren, auch wenn das nicht unbedingt eine ideale Paarung war. Zwar hatte Phoenix die „Zurückstufung“ vom Rottenführer zum Katschmarek mit einem Schulterzucken akzeptiert, aber Kano befürchtete, dass der Veteran kein einfacher Flügelmann sein würde. Dazu flog er zu offensiv, war zu sehr auf Akariiblut aus.
Dass La Reines Sektion nun nur noch aus zwei Maschinen bestand, war ein Handikap, den die temperamentvolle Pilotin bissig kommentiert hatte. Kano verstand sie, aber die Staffel in der augenblicklichen Situation noch weiter umzumodeln, barg das Risiko, weitere Verluste herauszufordern.
Ein weiteres Problem war der gefährlich gesunkene Bestand an Ersatzmaschinen. Nach den Verlusten bei der Piratenjagd und dem Abschuss von Flyboys Maschine hatten sie noch immer keinen Ersatz erhalten. Und da Kano wie Ace immer noch zu den ‚Neulingen‘ unter den Staffelführern der Angry Angels zählte, standen die Chancen schlecht, eine Ersatzmaschine einer anderen Staffel organisieren zu können. Vor allem wenn man bedachte, dass die zweite Nighthawk-Staffel der COLUMBIA dem Geschwaderchef ‚gehörte‘. Mit Nachschub aus der FRT war auch erst einmal nicht zu rechnen. Und ob man den Peshten ein paar Ersatzmaschinen würde abschwatzen können, stand in den Sternen.
Nicht zum ersten Mal glaubte Kano zu ahnen, warum so viele Staffelführer im persönlichen Umgang eher…herbe Naturen waren. Neben dem frustrierenden Logistik- und Papierkram und der Tatsache, dass sie natürlich auch noch selber flogen, mussten sie auch noch mindestens ein Dutzend Männer und Frauen mit teilweise sehr eigenen Ansichten und Charakterzügen managen – eine aufreibende Fleißarbeit.

Andere Piloten hätten bei Bekannten Rat gesucht. Aber die Schlachten der letzten Monate hatten die ohnehin nicht große Zahl der Personen, die Kano Freunde oder Vertraute nennen konnte, deutlich reduziert. Und die, die es noch gab… Lilja und Ace waren ebenfalls Staffelchefs und hatten ihr eigenes Päckchen zu tragen – nicht nur in dienstlicher Hinsicht.
Und Kali….
Sie war abgesehen von seiner Schwester Sakura vermutlich die einzige Person an Bord der COLUMBIA, die Kanos Maske aus stoischem Gleichmut und nüchterner Pflichterfüllung mühelos durchschaute. Sie hatten sich beide schon einmal am Boden gesehen und gegenseitig geholfen, wieder auf die Beine zu kommen. Dass war einer der Gründe, warum ihre Beziehung trotz all des Drucks, dem Stress und der Todesgefahr gehalten hatte. Aber Kali hatte genug damit zu tun, die Rote Staffel am Laufen zu halten und er wollte sie nicht noch weiter belasten. Zudem bekam er sie dank der Rund-um-die-Uhr-Einsätze der Angry Angels ohnehin kaum zu Gesicht. Ein paar gestohlene Minuten, eine flüchtige Umarmung – dann rief schon wieder die Pflicht.

Aber wie es der viel zu früh verstorbene Miguel ‚Monty‘ Terrano ausgedrückt hatte: ‚Wenn du vom Pferd fällst, halte dich nicht damit auf herum zu jammern. Steig einfach wieder auf und versuche es noch einmal.‘
Keine acht Stunden nach dem Ende der gescheiterten Mission flogen Phoenix und Kano schon den nächsten Einsatz. Und auch wenn es nur ein ‚gewöhnlicher‘ Bombeneinsatz war, bei denen die Nighthawks kaum identifizierbare Bodenziele bombardierten – es war ein gutes Gefühl, wieder hinter dem Steuerknüppel zu sitzen.
Natürlich war Kano nicht gewillt, die Niederlage auf sich beruhen zu lassen. Er hatte mit Phoenix‘ Unterstützung einen provisorischen Plan für einen erneuten, massierten Angriff mehrerer Staffeln Bomber und Begleitjäger auf die Rijen-Brücke mit gleichzeitigem Niederkämpfen der Luftabwehr ausgearbeitet. Die Eckpunkte hatten sie Irons in der Hoffnung vorgelegt, dass sich die Geschwader-XO als altgediente Bomber-Pilotin für die Idee erwärmen und helfen würde, den Plan Stafford nahezubringen. Und wenn der Druck machte…
Aber so weit war es nie gekommen. Einen Tag später hatte Irons brüsk mitgeteilt, dass daraus nichts würden werde. Weitere Diskussionen hatte sie niedergebügelt. Anscheinend lagen auch bei den höheren Diensträngen die Nerven blank. Die durch die imperiale Großoffensive verursachte Dauerbelastung zeigte offenbar Wirkung.

Deshalb war Kano überrascht, dass er jetzt von Irons herbeizitiert wurde.
„Ich habe einen Auftrag für Sie.“
„Natürlich, Commander.“ Da er als einziger anwesend war, ging Kano davon aus, dass es NICHT um einen erneuten Angriff auf die Rijen-Brücke ging.
„Sie übernehmen einen Erkundungsflug. Das Zielgebiet liegt etwa 100 Kilometer hinter der Front. Annäherung im Konturflug, Rasterüberflug, dann Rückkehr wieder im Tiefflug.“
Das kam etwas überraschend: „Verzeihen Sie die Frage, aber wäre eine leichte Maschine dazu nicht besser geeignet? Ein Abfangjäger der Blauen oder Grünen Staffel, eine Griphen…“
„Trauen Sie es sich nicht zu, den Auftrag zu übernehmen?“, aus irgendeinem Grund schien Irons gereizt oder beunruhigt und Kano hatte den Eindruck, dass das nicht nur mit der angespannten Frontlage zusammenhing.
„Das war nicht meine Frage, Commander. Natürlich übernehme ich den Auftrag.“ Vielleicht lag es an Kanos ausdrucksloser Stimme oder die sonst eigentlich eher umgängliche Geschwader-XO hatte realisiert, dass sie auf den Falschen schoss: „Schon gut, kein Grund, sich gleich in Ihr Schwert zu stürzen. Wir mussten die Sensorpods etwas aufrüsten und für einen Abfangjäger wäre es vielleicht etwas viel. Außerdem brauchen wir Lilja am Konvoi und Ace…“, Sie schürzte kurz die Lippen: „…der stellt mir zu viele Fragen.“

Kano war sich nicht sicher, ob das eine nicht sehr subtile Warnung war oder ob mal wieder Aces farbige Historie angeblicher Geheimdienst-Kontakte, Spionage- und Hochverratsvorwürfe ins Spiel gekommen war. Aber Irons Worte verrieten ihm auf jeden Fall, dass dieser Einsatz nur für höhere Dienstränge oder besonders gute Piloten bestimmt war. Denn nach Ravens und Lone Wolfs Ausfall gehörten sowohl er als auch Lilja und Ace zu den Top-Assen des Geschwaders.

„Ace ist gut – aber als Abfangjäger ist er in letzter Zeit meistens in höheren Fluglagen und mit leichter Beladung unterwegs gewesen. Die Butcher Bears waren vor allem mit voller Waffenlast und als Schlachtflieger und Jagdbomber in niedriger Flughöhe im Einsatz.
Ich habe mir die Aufnahmen des Rijen-Einsatzes angesehen. Ihre Bordelektronik zeigte praktisch Nullhöhe – eigentlich hätten Sie sich in den Boden gravieren müssen. Kein Wunder, dass die Akarii sie nicht erwischt haben.“ Sie zögerte kurz und grinste: „Oder sagen wir eher, dass sie Sie nicht abgeschossen haben. Löcher hatte Ihr Flieger genug. Denken Sie daran, dass Ersatzmaschinen knapp sind. Nein, Ace soll erst mal Schutzengel für unsere Bomber spielen.“

In den folgenden fünfzehn Minuten ging Irons mit Kano Schritt für Schritt die Einsatzparameter durch. Sie sagte allerdings nicht, was Ziel und Zweck der Aufnahmen war. Und Kano fragte auch nicht nach. Er hätte vermutlich ohnehin keine Antwort erhalten.

*

Nur ein wenig später beobachtete Kano im Hangar der COLUMBIA, wie seine Maschine bestückt wurde, während er im Geist noch einmal die Einsatzparameter durchging. Der Flug würde mehre Stunden dauern und einmal mehr sollte Feindkontakt wenn möglich vermieden werden. Hoffentlich würde das diesmal besser funktionieren. Was die Einsatzzone anging, so hatte er immer noch keine Ahnung, warum dieses Gebiet – weit hinter der Front und bis auf eine Ausweich-Landebahn kilometerweit von potentiellen Zielen entfernt – von Interesse für die Alliierten sein sollte.

Seine Nighthawk würde mit zwei Amram-Kurzstreckenraketen nur leicht bewaffnet sein. Umso prominenter waren die voluminösen Sensorpods, die gerade befestigt wurden. Kano war kein Waffenwart oder Sensorexperte. Aber er sah sofort, dass es sich dabei nicht um die Standardvariante sondern um ein aufgerüstetes Modell handelte. Der Art und Weise zufolge, wie die Bodencrew mit den Pods hantierten, waren sie auch wesentlich schwerer. Das würde er beim Fliegen berücksichtigen müssen.
„Hallo, Ace.“ Der japanische Pilot drehte sich zu dem Kommandanten der Blauen Staffel um, der sich mit dem Fliegerhelm unter dem Arm näherte, während seine Maschine ebenfalls bestückt wurde.
„Also schicken Sie dich auch raus.“
Kano lächelte flüchtig: „Keine Ruhe für die Besten.“ Er warf einen Blick zu den anderen Maschinen, die gerade gewartet wurden: „Du fliegst mit den Silbernen?“
„Ein Angriff auf ein Truppensammelpunkt, etwa 50 Klicks hinter der Front. Also nichts Neues unter der Sonne. Ich hoffe nur, dass bringt endlich mal etwas. Bisher konnten wir die Imperialen höchstens verlangsamen. Was ist es bei dir?“
„Nur eine Aufklärungsmission. Nicht gerade kriegsentscheidend.“ Auch wenn Kano im Gegensatz zu einigen anderen Piloten nichts auf die Gerüchte gab, die über Ace immer mal wieder in Umlauf gewesen waren, wollte er nicht über den Einsatz reden. Irons hatte ihm eingeschärft, dass für den Flug die höchste Geheimhaltungsstufe galt. Ein weiteres Rätsel.
„Dann viel Glück.“, Ace schien zu merken, dass Kano nicht über die Mission sprechen wollte und verzichtete diesmal darauf nachzubohren. Er grinste kurz: „Wir sehen uns am Boden.“
Kano grüßte ungewohnt lässig mit zwei Fingern: „Erst mal sehen wir uns im Weltraum. Das heißt, wenn sie die Maschinen endlich fertig bestückt haben.“ Das brachte ihm einen leicht sardonischen Blick eines Waffenwarts ein. Die Anspruchshaltung der Piloten an die Bodencrew hatte Chief Dodson schon mal zu einem ausgewachsenen Wutanfall angestachelt, was von den meisten Piloten allerdings bestenfalls sarkastisch kommentiert worden war.
Eine Viertelstunde später startete die Nighthawk, beinahe gleichzeitig wie die acht Maschinen unter Ace‘s Kommando. Ein letzter Gruß und, ein Tippen des Steuerknüppels und der Triebwerksteuerungen und er war auf dem Weg zum Planeten.

**

Der Flug erinnerte ihn auf irritierende Weise an die Rijen-Mission. Allerdings schien sich in der kurzen Zeit, die seit diesem verhängnisvollen Flug vergangen war, die dunkle Gewitterbank der Frontlinie noch weiter in das Peshten-Hinterland vorgeschoben zu haben. Trotz des dichten Flugverkehrs erhielt er fast sofort Freigabe und Sinkvektor und wieder ging er schon über eigenem Territorium in den Tiefflug über. Zum Glück führte ihn seine Flugroute nicht über terranische oder peshtische Soldaten mit nervösen Zeigefingern hinweg und so erreichte er die Frontlinie ohne Eigenbeschuss. ‚Man muss für die kleinen Dinge dankbar sein…‘
Beinahe automatisch brachte er die Maschine noch dichter über den Boden, während unter ihm die Frontlinie vorbeiraste – oder vielmehr das aus der Luft fast unsichtbare System aus Schützen- und Vorpostenstellungen, das die Schützengräben früherer Jahrhunderte ersetzt hatte.

Diesmal hatte er weniger Glück als beim letzten Mal. Der Zielerfassungsalarm schrillte los und praktisch sofort wurde die Maschine von einer Nahexplosion durchgeschüttelt. Kano biss die Zähne zusammen. Statt gegenzusteuern folgte er mit dem Steuerknüppel dem Explosionsstoß, bis die Nighthawk praktisch auf der Seite lag und aktivierte den Nachbrenner, während er gleichzeitig eine Täuschkörper-Salve abfeuerte. Irgendwo hinter ihm erfolgte eine weitere Explosion, aber entfernt, sodass die Maschine nur leicht erzitterte. Dann verstummte der Warnton. Die feindlichen Raketenschützen – vermutlich imperiale Infanteristen mit schultergestützten Boden-Luft-Raketen – hatten ihn aus der Zielerfassung verloren. Ein kurzer Blick auf die Instrumente: die Maschine war nur leicht beschädigt worden. Antrieb, Waffen und Sensoren schienen weiterhin funktionsfähig. Aber er hatte Zeit verloren – und vor allem war der Feind jetzt alarmiert. ‚Nicht zu ändern.‘ Kano brachte Maschine wieder in einen stabilen Tiefflug und gab noch einmal Vollschub. ‚Jetzt ist es wohl ein Wettrennen.‘

Die nächsten Minuten dehnten sich endlos, aber kein neuer Raketen- oder Zielerfassungsalarm ertönte. Auch das Radar zeigte keine feindlichen Jäger, die sich auf Abfangkurs näherten. Die Akarii maßen einem einzelnen Feindjäger vielleicht keine große Bedeutung bei oder brauchten ihre Jäger an anderer Stelle. Es konnte natürlich auch sein, dass es bei der Reaktionszeit haperte oder die Alarmmeldung auf dem Dienstweg hängengeblieben war. Schließlich waren nicht nur die Alliierten anfällig für Pannen und Verzögerungen.
Was auch immer der Grund war, vorerst blieb die einsame Nighthawk unbehelligt.

Es war ein eigenartiges Gefühl, völlig alleine hinter den feindlichen Linien zu operieren, ohne Begleitschutz oder wenigstens einen Flügelmann, der Kano den Rücken deckte. Niemand würde ihn vor einer drohenden Gefahr warnen oder in einem Kampf zu Seite stehen können. Und dennoch war es gleichzeitig fast befreiend, nur für sich selbst verantwortlich zu sein.
Wer auch immer die Flugroute berechnet hatte, er oder sie hatten offenbar gute Arbeit geleistet. Während die Nighthawk einem komplizierten Zickzackkurs folgte, blieb das Terrain unter ihren Flügen weitestgehend leer und unbewohnt. Nur selten huschten in einiger Entfernung die Silhouetten von kleinen Siedlungen oder Feldern vorbei, musste er eine Straße oder Schienentrasse queren. Zwei- oder dreimal informierte ihn ein Warnton, dass feindliches Radar ihn zu erfassen drohte. Ein schnelles Ausweichmanöver und der Tiefflug in Wipfelhöhe ließen den Alarm schnell verstummen, ohne dass ein Angriff erfolgte. Kano kniff nachdenklich die Augen zusammen. Egal wie gut der Routenplaner gewesen war – die Leere im feindlichen Hinterland war eigenartig. Vielleicht stimmte es ja, dass die imperialen Streitkräfte infolge ihrer Offensive gefährlich nah am Rande der Überdehnung standen…

Ein leises Pingen informierte ihn, dass er das Zielgebiet erreicht hatte. Ein Knopfdruck aktivierte die Sensorpods, während Kano die Maschine auf das ihm vorgegebene Rastermuster lenkte. So niedrig wie er im Augenblick flog, SOLLTE er eigentlich vor feindlichem Radar sicher sein – aber die niedrige Flughöhe schützte ihn natürlich nicht vor Augen und Ohren am Boden. Und was diese Notlandebahn anging, die die Akarii am Rande der Zielzone errichtet hatten und der er gefährlich nahekommen würde…
Ein erneuter Signalton informierte ihn, dass er die erste Rasterschleife abgeflogen hatte und automatisch lenkte Kano die Maschine auf ihren neuen Kurs.

Er hatte bereits mehr als die Hälfte des Zielgebiets abgeflogen, als die Mission schieflief.
Es begann mit dem inzwischen vertrauten Alarmsignal einer feindlichen Radarerfassung. Als Kano seine Maschine zur Seite riss um eine Reihe höherstehende Bäume als Deckung zu nutzen, brach das Signal fast sofort wieder ab – aber eigentlich hätte er in dieser Höhe gar nicht erfasst werden dürfen. ‚Wo kommt das her?‘
Ein Blick auf die Instrumente zeigte ihm weder feindliche Lufteinheiten noch Bodenfahrzeuge, auch wenn es natürlich sein konnte, dass ein Gegner am Boden einfach zu gut getarnt war. Und dann war da natürlich noch der in der Nähe gelegene Notlandeplatz als mögliche Quelle des Radarsignals. ‚Aber dürfte ein Ausweichflughafen überhaupt die Technik haben, um mich in dieser geringen Höhe zu erfassen?‘ Und wie würden die Akarii reagieren?

Nur eine halbe Minute später erhielt er auf diese Frage eine Antwort, als die Sensoren der Nighthawk ihn über einen Start auf dem Notflughafen informierten. ‚Seit wann haben die dort eine Alarmeinheit?‘ Kano hatte mehr und mehr den Eindruck, als hätte jemand die Akarii unterschätzt. Mal wieder.
Fieberhaft überdachte er seine Optionen. Abbrechen und fliehen? Das war riskant. Die voluminösen Sensorpods verlangsamten die Nighthawk und machten sie zu einem leichten Ziel. Andererseits hatte ihm Irons eingeschärft, dass er die Pods auf keinen Fall über feindlichem Territorium abwerfen dürfe. Blieb noch…

Die beiden Erdkampfflieger der Akarii hoben fast synchron vom Boden ab. Vor weniger als einer Minute hatte die Leitstelle sie über einen möglichen feindlichen Radarkontakt informiert, der freilich sofort wieder verschwunden war. Gut möglich, dass es sich um einen Fehlalarm handelte. Aber ihr Kommandeur hatte kein Risiko eingehen wollen. Also waren sowohl die Flugabwehr als auch die Alarmrotte aktiviert worden. Wenn dort draußen wirklich eine alliierte Maschine sein sollte…

Der Angriff kam ebenso überraschend wie brutal und erwischte eine der startenden Maschinen, kaum dass sie auf Baumwipfelhöhe war. Der Angreifer, praktisch auf derselben Flughöhe angreifend, überschüttete den imperialen Jäger mit einem Feuerhagel aus seinen Bordkanonen, die binnen Sekunden Rumpf und Tragfläche der leichteren Maschine zerfetzten und sie in Richtung Boden schickten. Der zweite Imperiale hatte mehr Glück. Er rettete sich durch ein rasantes Ausweichmanöver, bei dem seine Flügelspitzen die Blätter der Baumwipfel zerfetzten. Eine Kaskade von Täuschkörpern blendete die auf ihn abgefeuerten Luft-Luft-Raketen. Allerdings waren die Explosionen immer noch nahe genug, um seine Panzerung zu verwüsten und ihn beinahe zum Absturz zu bringen.
Obwohl einer ihrer Jäger immer noch in der Luft war, waren die Mehrfachexplosion zu viel für die Flugabwehrschützen des Flughafen: schlagartig eröffneten mehrere schwere Schnellfeuerlaser ein wildes Sperrfeuer, in das auch noch zahlreiche Infanteriewaffen einfielen.
Kano unterdrückte den Impuls, sich zu ducken und warf einen Blick auf seine Instrumente. Auch wenn er den angeordneten Rasterüberflug noch nicht vollständig absolviert hatte, die Mission war vorbei. Spätestens jetzt wusste der Feind mit absoluter Sicherheit, dass er da war. Und wenn ihn nicht die Luftabwehrlaser und – möglicherweise vorhandenen – Boden-Luft-Raketen des imperialen Flugfeldes erwischten, die Akarii würden Verstärkung herbeirufen. Und dann war da natürlich noch der überlebende imperiale Jäger. Nein, länger über dem Zielgebiet zu verweilen, wäre töricht. Jedenfalls mit einem Jäger, der keine Raketen hatte und derart schwerfällig zu fliegen war. ‚Hoffentlich reichen die Aufnahmen, die ich bisher machen konnte.‘ Während er die Maschine noch etwas tiefer in Richtung Baumwipfel drückte, berechnete er einen Kurs, der ihn zurück zur alliierten Frontlinie führen würde. ‚Zeit, die Zelte abzubrechen.‘ Ein Tippen auf den Nachbrenner beschleunigte die Maschine und brachte ihn aus der unmittelbaren Reichweite der feindlichen Flugabwehr.

***

Als Kano seinen Jäger mehr als eine Stunde später in den Hangar der COLUMBIA lenkte, war er sich selbst nicht so ganz sicher, wie er sich fühlte. Er hatte seine Mission nur teilweise erfüllen können und der Abschuss einer feindlichen Maschine – Kanos fünfundvierzigster in diesem Krieg – glich das nicht aus. Und dennoch, die feindliche Maschine zu Boden zu schicken, das war ein…befreiendes Gefühl gewesen, nach den Selbstzweifeln und -vorwürfen der letzten Tage. Er…
Doch während der Traktorstrahl seine Maschine auf dem Hangarboden absetzte, registrierte Kano, das offensichtlich etwas vorgefallen sein musste. Etliche Piloten der Blauen Staffel umstanden Chip, der sich mit Irons stritt oder von dieser abgekanzelt wurde. Am Rande der Gruppe erblickte er Kali, die mit einem erleichterten Gesichtsausdruck zu seiner Maschine herüberwinkte. Gleich darauf allerdings verdüsterte sich ihre Miene wieder…
29.01.2021 09:23 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Angriffsvorbereitungen

TRS COLUMBIA, Gamma Eridon

Ein letztes Mal beugte sich Lilja über ihr Datenpad, las den Text aufmerksam durch. Nein, es schien in der Tat alles in Ordnung. Wie schon bei den beiden letzten Kontrolllesungen hatte sie nichts gefunden, was ihr Missfallen erregte. Dennoch zögerte sie – was reichlich untypisch für die Russin war.
Der Türmelder riss sie aus ihrem Brüten: „Einen Moment!“
Für eine Sekunde zögerte sie noch, doch dann speicherte sie die Datei ab und schickte eine verschlüsselte Kopie an die richtige Adresse im Schiffsrechner. Sie wusste, bei der nächsten Routineübertragung in die FRT würde eine weitere Kopie des Datenpakets an einen – oder eher mehrere – Flottenspeicher gehen. Dumm nur, dass sie sich nicht wirklich besser fühlte. Mit einem mentalen Kopfschütteln verbannte Lilja die unerfreulichen Gedanken, warf das Datenpad auf ihr Bett, und marschierte zur Tür.
Draußen stand ihre XO und beste Freundin, Ina ,Imp‘ Richter – was nicht überraschend war. Wer mit der Chefin der Grünen Staffel sprechen wollte, war selten so töricht, ihr in der extrem knappen Freizeit zur Last zu fallen. Denn falls er oder sie nicht zu der handverlesenen Schar ihrer Freunde gehörte oder etwas wirklich wichtig Dienstliches anstand, war das ein Patentrezept für eine reichlich unterkühlte Abfuhr.
Imp war so gut gelaunt wie eigentlich meistens und grüßte ihre Vorgesetzte höchst vorschriftswidrig mit einem Knuff gegen die Schulter: „Wie steht‘s, wie geht’s? Weinst du dir immer noch die Augen wegen Ace aus? Es ist trotzdem Zeit für unser Mittagessen, du weißt ja, wir werden unsere Kräfte noch brauchen.“
Lilja fletschte die Zähne, was wohl nur ein Blinder für ein Lächeln gehalten hätte, während sie die Freundin kurz umarmte: „Irgendwann nutzt sich der Witz aber wirklich ab. Und ja, ich bin gleich soweit.“ Sie musterte prüfend ihre Dienstuniform – ja, der Sitz war angemessen.

Es war nicht das erste Mal – nicht in den letzten Wochen und auch vorher nicht – dass ihre XO sich die Mühe gemacht hatte, die Russin daran zu erinnern, regelmäßige Mahlzeiten einzuhalten. Die Chefin der der Stallions betrieb zwar nicht gezielt Raubbau an ihrer Gesundheit, aber sie behandelte Erholung, Schlaf und Nahrungsaufnahme oft mit einer ,klinischen‘ Mentalität. Als etwas, das erledigt werden musste, um einsatzbereit zu bleiben, aber zugleich auch ein Stück weit Ablenkung von ihren Pflichten war. Und so konnte es leicht passieren, dass sie sich in ihrer Arbeit verlor und dann bestenfalls irgendetwas eilig herunterschlang.

Der Abschuss von Clifford Davis trug in der Tat ein gutes Stück dazu bei, Lilja Kopfzerbrechen zu bereiten. Sie neigte zwar nicht zu einer erdrückenden Fürsorge, wie sie der blauhaarige Pilot mitunter gegenüber Personen in seinem Umfeld inklusive ihr an den Tag legte. Aber auch wenn kurze Zeit nach der Verlustmeldung eine Nachricht von den Peshten gekommen war, dass er sich in der Hand von lokalen Guerillas befand – das war nicht wirklich beruhigend, in mehr als einer Hinsicht. Die Russin hatte größten Respekt vor Partisanen, möglicherweise auch aus nicht ganz rationalen Gründen, schließlich war sie mit einigen Heldengeschichten von Untergrundkämpfern in lange zurückliegenden Kriegen großgeworden. Aber sie war realistisch genug um zu wissen, dass der Chef der Blauen Staffel in erheblicher Gefahr war, bis man ihn rausholen konnte. Und auch wenn sie sich oft genug über Ace ärgerte oder von seinen Eskapaden genervt war, sie wünschte wirklich nicht, dass ihm etwas zustieß. Nicht auszumalen, was seine Eltern denken würden, sollte man sie über seine Notlandung informieren. Aber vermutlich würde das Geschwader die Nachricht unter Verschluss halten, bis Davis geborgen war, oder…
Und sie vermisste ihn als Piloten. Auch hier kam es vor, dass sie sich über seine gelegentlich aufblitzende prahlerische Ader ärgerte, aber sie respektierte die Ergebnisse, die er erzielte. Außerdem hatte er sich zwar nicht als herausragender aber als akzeptabler Staffelchef erwiesen – und das war keine Einschätzung, welche die Chefin der Fighting Stallions leichtfertig vergab.
Was Lilja aber ebenfalls Sorgen bereitete war der Umstand, dass sie den XO der Blauen für alles andere als kompetent für den Posten des Interimsstaffelchefs hielt. Christian Harris alias Chip – manche nannten ihn hinter seinem Rücken gerne auch Chimp – hatte sich in der Vergangenheit mehr als einmal als überfordert erwiesen, wenn er Ace’s Schuhe zeitweilig hatte ausfüllen müssen. Obwohl die nun SO groß nicht waren, wie manche spotteten – jedenfalls nicht so groß, wie Ace vielleicht dachte.
Tatsächlich hatte es schon unmittelbar nach der Rückkehr der restlichen Maschinen nach Ace‘ gescheitertem Einsatz eine Auseinandersetzung gegeben, als Chip stante pede eine Rettungsmission starten wollte und dafür ein Shuttle und Startfreigabe für den Rest der Blauen verlangte. Irons – und später Stafford – hatten ihn jedoch entschieden abgebügelt, dass man erst nähere Informationen einholen müsse und man nicht Maschinen in eine potentielle Falle schicken würde. So sehr die zufällig anwesende Lilja gerade dem Geschwaderchef auch in einigen Punkten misstraute, in dieser Sache hatten die Kommandeure vollkommen Recht gehabt. Ace zu retten war wichtig, aber das musste man mit Verstand und Geduld angehen und durfte nicht mehrere Piloten opfern um möglicherweise einen herauszuholen.

So hatten Bedenken über die Performance der arg gebeulten und inzwischen auf gerade einmal neun Piloten reduzierten Blauen Staffel Lilja ein gutes Stück zusätzliche Arbeit und Nerven gekostet – denn natürlich würde ihre Staffel, und in gewissem Ausmaß auch Blackhawks Gelbe Schwadron die Lücke ausfüllen müssen.
Angesichts dessen war es geradezu frappierend, dass es in ihren Schreibübungen, die sie so gefesselt hatten, diesmal nicht um dienstliche Fragen ging. Und unglücklicherweise entging das dem Adlerauge ihrer Freundin nicht: „Ich hatte ja gedacht, ich finde dich über einem neuen Einsatzplan brütend. Aber was haben wir denn hier…“ Imp entwischte Lilja, die sie abfangen wollte und schnappte sich das Datenpad. Grinsend tänzelte sie außer Reichweite der Hände ihrer Staffelchefin: „Was haben wir denn hier? Schmökerst du in einem Liebesroman? Oder ist das vielleicht Post von einem Verehrer…“ Sie las ein paar Sätze und zuckte zusammen. Die Stimmungskanone der Stallions klang mit einmal sehr kleinlaut: „Oh…“
Lilja hatte die Arme vor der Brust verschränkt, und als sie nun die Hand hob, händigte Imp ihre Beute anstandslos aus. Die Russin warf einen letzten Blick auf die Überschrift des Textes: ,Testament Tatjana Michailowa Pawlitschenko‘
Für einen Moment weidete sie sich ein wenig an die Verlegenheit ihrer Freundin, doch dann erbarmte Lilja sich: „Nun nimm es nicht so schwer, du konntest ja nicht wissen, was es genau ist.“
Es gab gewisse Dinge, die Piloten wie der Teufel das Weihwasser mieden. Und zu diesen gehörten vielfach die Testamente, die sie laut geltenden Vorschriften bei Beginn ihrer Dienstzeit schreiben mussten und die bei der Truppenverwaltung abgelegt wurden. Viele betrachteten dies als ein böses Omen – schließlich waren die meisten von ihnen jung und hielten sich für praktisch unverwundbar. Man beschäftigte sich nicht gerne mit der eigenen Sterblichkeit oder der von Kameraden. Gar ohne deren ausdrücklichen Wunsch und Einverständnis den letzten Willen einer Freundin zu lesen galt als eine ultimative Grenzverletzung, und manche hielten es überdies für ein schlechtes Vorzeichen. Nicht, dass Imp oder Lilja gemeinhin zu den besonders abergläubischen Naturen gehörten.

Die XO der Grünen Staffel war denn auch angemessen peinlich berührt: „Ähm…tschuldigung. Ich habe wirklich nicht gedacht…ich meine…“
„Ich sagte doch, es ist gut.“ Wiegelte Lilja ab. Eine kleine Spitze konnte sie sich natürlich nicht versagen: „Nimm es als Mahnung, nicht immer gleich zuzulangen, und damit hat es sich.“
Doch Imp war nicht so leicht zu beruhigen, wenngleich das jetzt andere Gründe hatte: „Aber du hast doch schon lange den Wisch verfasst, wie wir alle. Warum hast du dich dann nochmal drangesetzt?“
Lilja seufzte. Da das Thema wie erwähnt ein heikles war, entging Imp warum die Russin wirklich verlegen wirkte: „Sagen wir, die Ereignisse der letzten Zeit und das was vor uns steht haben mich dazu gebracht, noch einmal über einige Dinge nachzudenken, und das wollte ich in Ordnung bringen. Nein, ich habe keine Vorahnungen, oder Befürchtungen, nicht mehr als sonst. Aber wir sind bereits gebeutelt worden, und dabei ist noch nicht abzusehen, was uns noch alles bevorsteht. Mit der Möglichkeit…“ sie sprach es nicht aus, aber es war klar, was sie meinte: „…rechnen wir ja, seit Beginn des Krieges. Ich meine, wer wüsste es besser als wir, nach all der Scheiße, die wir seit dem Anfang mitgemacht haben?“
„Verstehe.“ Und Imp klang so, als täte sie das wirklich: „Aber wenn du jemanden zum Reden brauchst deswegen…“
„Na klar, wenn ich mit jemanden reden würde, dann mit dir. Zumindest über das meiste.“ Das war aufrichtig gemeint und brachte Imp wieder zum Lächeln. Das Lächeln verging ihr freilich, als Lilja fortfuhr: „Und es wäre ja beim größten Teil des Testaments nicht mal schlimm, wenn du es gelesen hättest. Vieles ist ja sowieso für dich und Sokol bestimmt. Ich meine, abgesehen von ein paar Andenken für meine Familie und meine Heimatstadt, was habe ich schon zu verschenken?“ Lilja war dafür bekannt, dass sie einen großen Teil ihres Soldes für den Krieg spendete, und als Soldatin reiste sie ohnehin mit leichtem Gepäck. Manche hätten es wirklich niederschmetternd gefunden, wie wenig von einem Pilotenleben meist blieb.
„Siehst du, auch deshalb denke ich schon eine Weile über ein paar Dinge nach in Bezug auf das was bisher passiert ist und was noch kommt. Wie auch immer das weitergeht …“

Ina Richter ließ es sich nicht anmerken, aber ihr gefiel es ganz und gar nicht, ihre Freundin so nachdenklich zu sehen. Sie hatte immer gewusst, dass die Russin den eigenen Tod als eine durchaus plausible Möglichkeit einkalkulierte, und davor – anders als viele – weder die Augen verschloss, noch zurückschreckte. Aber es war etwas beunruhigend, Lilja darüber so offen reden zu hören. Normalerweise tat sie das eher auf sarkastische Art und Weise, gleich überleitend zu ihrem Willen, vor dem Ableben möglichst viele Akarii umzubringen.
,Bloß gut, dass ich nicht abergläubisch bin. Na ja, nicht sehr zumindest…Aber das hier ist ja schließlich kein dämlicher Filmstreifen. In denen ist das ja meistens eine Vorankündigung für die nächste Sterbeszene. Ach, Blödsinn!‘
Sicherheitshalber umarmte sie Lilja gleich noch mal, und da die Russin dies erwiderte beruhigte Imp sich wieder etwas. Ihre Vorgesetzte wirkte jetzt nicht unbedingt wie jemand, der Todesahnungen hatte. Dennoch nahm sie sich vor, in den nächsten Tagen noch etwas besser auf ihre Freundin aufzupassen. Als sie sich beide auf den Weg zur Messe machten, registrierte sie mit Erleichterung, dass die Russin zwar zurückhaltend, aber durchaus bereitwillig auf den Smalltalk reagierte. Vielleicht würde ja später die Gelegenheit für ein weiteres Gespräch kommen…

Was Imp nicht ahnte war, dass Lilja nicht wirklich mit dem Gedanken an ihre eigene Sterblichkeit zu kämpfen hatte – und dennoch wegen ihres überarbeiteten Testaments düsteren Gedanken nachhing. Imp verstand die Russin gut, besser vielleicht als irgendjemand sonst, kannte sie doch Aspekte von Liljas Persönlichkeit, welche diese sogar vor der eigenen Familie verbarg. Und doch gab es etwas, das Inas Vorgesetzte sogar vor der besten Freundin geheim hielt, und das zugleich den größten Teil des überarbeiteten Testaments ausmachte.
Einige Zeit nach der Rückkehr aus dem Medusa-System hatte Lilja begonnen, ihre wirren, aber inhaltlich beunruhigend konstanten Alpträume aufzuzeichnen, die sie seitdem geplagt hatten, und dann davon ausgehend Nachforschungen angestellt – in ihrer spärlichen Freizeit, natürlich. Ein Hobby, das sie inzwischen erst einmal deutlich hatte einschränken müssen, sah man von der Aktualisierung ihres Traum-Tagebuchs ab.
Zunächst war das nur eine Art Bewältigungsstrategie für sie gewesen, doch spätestens seitdem die letzte Routineüberprüfung einige irritierende medizinische Befunde erbracht hatte, hatte sie sich zunehmend Gedanken gemacht. Was, wenn sie nicht einfach nur ein klein wenig übergeschnappt war? Wenn das, was sie erlebt hatte, möglicherweise physische Auswirkungen auf ihren Körper hatte, waren die psychischen Folgen nicht auch ernst zu nehmen? War es dann nicht verantwortungslos, all dies für sich zu behalten?
Natürlich dachte Lilja nicht wirklich daran, jemanden ins Vertrauen zu ziehen. Selbst ihre Freunde wollte sie nicht mit einer SO wilden Geschichte konfrontieren. Aber sie hatte ihre Träume systematisch zusammengefasst, hatte besonders die Inschriften, Bauwerke, Statuen und dergleichen mehr, die immer wieder prominent aufgetaucht waren so gut es ging nachgezeichnet, und gesondert ihre bescheidenen Rechercheergebnisse dargelegt, die auf den Träumen basierten. Dazu kamen einige unausgegorene Theorien, mit denen sie zu erklären versuchte, warum sie nicht wahnsinnig war. Nicht, dass das für sie sonderlich plausibel klang…
Jedenfalls würde im Fall ihres Todes ein umfangreiches Paket an Daten an Dr. Lucas Georges gehen, und ebenso an das NSC. Sie war sich ziemlich sicher, dass man sie schallend auslachen würde – gut, der Doktor würde vermutlich nicht lachen, der hatte selber eine blühende Phantasie. Aber man würde sie ja wohl nicht rückwirkend für verrückt erklären, also würde ihr bescheidener Nachruhm unbeschädigt bleiben. Damit war ihr Gewissen erst einmal beruhigt – sah man davon ab, dass sie sich Vorwürfe machte, dass sie ihre Freunde belog, sei es direkt oder durch Verschweigen.
,Es wäre wirklich schön, wenn ich jemanden hätte, mit dem ich darüber reden kann. Aber es reicht, mir das mitleidige Kopfschütteln der NSC’ler NACH meinem Ableben vorzustellen, so was möchte ich nicht von jemanden hier an Bord zu Lebzeiten sehen.‘
Mit diesem Gedanken hakte sie das Thema vorerst ab – nun, bis zum nächsten Alptraum zumindest. Sie hatte einen Krieg zu führen, und egal ob sie nun wirklich die Geister eines lange untergegangenen Imperiums hörte, wie sie in ihren Grabstätten noch Jahrtausende später flüsterten, oder doch ein paar Schrauben locker hatte, die kommende Schlacht hatte Priorität.

*****

JSS NAKANO TAKEKO, einige Stunden später

Ein kurzes Trompetensignal aus dem Bordlautsprecher forderte Aufmerksamkeit. USMC-Corporal Mariza de Menezes Cordeiro alias Urutu alias deMeCo hatte sich in den letzten Tagen ausreichend an die örtlichen Gepflogenheiten gewöhnt, dass sie nicht mehr irritiert reagierte. Sie konzentrierte sich hingegen auf die folgende Durchsage: „Gefechtsbereitschaft. Gefechtsbereitschaft. Noch 15 Minuten bis zum Einsatz. Alle auf ihre Positionen.“
Urutu atmete tief durch, während sie ein letztes Mal ihren Anzug überprüfte. Der Raum-Gefechtsanzug den sie trug war nicht nur nützliches Werkzeug, sondern ein stückweit auch ein Privileg. Kaum einer der durcheinandergewürfelten Marineinfanteristen, die gleich ihr auf dem Nationalgardekreuzer gestrandet waren, hatte so ein gutes Stück bei sich gehabt. Die Bordkompanie verfügte ihrerseits abgesehen von ihrem Sollbestand nur über wenige Reservestücke. Und diese wurden nicht an jeden der Gäste ausgeteilt.
Urutus Transport war nicht der letzte gewesen. Inzwischen befanden sich fast 150 reguläre Marines auf dem Kreuzer, was für einige Enge in den Quartieren sorgte. Glücklicherweise verfügte der Kreuzer über Reservequartiere, da er als Flaggschiff der Nationalgarde auch auf die Beförderung von Delegationen und ihrer Ehrengarde vorbereitet war.
Ein knappes Drittel ihrer Kameraden waren Angehörige der nachrangigen Dienste, die aber ebenso intensiv gedrillt wurden, wie die zwei unterbesetzten Gefechtskompanien die man aus dem Rest formiert hatte. Die letzten Tage war ein einziger Parcours gewesen, in dem die Marines die Zusammenarbeit mit den Nationalgardisten und vor allem das Funktionieren ihrer Alarmeinheiten trainierten. Es ging nicht darum, ihnen neue Fähigkeiten zu vermitteln, schließlich waren sie alle ausgebildete Soldaten, vielfach Veteranen. Aber es mangelte noch immer an dem fast traumwandlerischen Zusammenspiel einer kohärenten Einheit, die ähnlich wichtig wie die Fähigkeiten des Einzelnen war. Die Offiziere mussten ein möglichst gutes Bild von ihren Untergebenen gewinnen, und diese ein Grundvertrauen zu ihren Vorgesetzten aufbauen.
Einige ihrer Kameraden scharrten bereits mit den Hufen und wollten wieder in den Einsatz am Boden, aber deMeCo verstand, warum ihre Offiziere sich damit noch Zeit ließen. Allerdings waren die Planspiele in letzter Zeit immer spezifischer geworden – auch wenn die Hügel, Ortschaften und Wasserläufe auf den Mappen noch keine Namen und Koordinaten trugen. Besonders die Veteranen waren sich sicher, dass ihr Einsatz unmittelbar bevorstand. Und einigen unkten abergläubisch, dass es kein gutes Zeichen war, dass man so zurückhaltend mit den Details blieb.
Im Moment freilich hatte man Urutu von der Ausbildung abgestellt. Der Kreuzer bereitete sich auf einen Gefechtseinsatz vor, und dafür musste sich jeder Marine bereitmachen, insbesondere wer einen Raumanzug zur Verfügung hatte. Nicht, dass man mit einem feindlichen Enterversuch rechnete – das wäre angesichts des mehr als verdoppelten Marineinfanteriekontingents auch eine üble Überraschung für den Angreifer geworden. Aber im Schadensfall mussten die Soldaten den Reparaturtrupps beispringen. Ihre eigene Bereitschaftsstation lag auf dem Shuttledeck.
Als sie dort ankam, registrierte Urutu, dass bereits drei andere Marines der „Gastkompanien“ anwesend waren, dazu kam eine Handvoll Bordmarines. Es war freilich nicht dieser Anblick, der sie etwas überraschte.
Angetreten – in Einsatzmontur, aber noch ohne Helme, waren auch die Besatzungen der Shuttles, die aufgereiht bereitstanden. Männer und Frauen standen stramm, und just in der Sekunde, in der Urutu den Hangar erreichte, klang Musik aus den Bordlautsprechern. Und die Piloten und Bordschützen fielen in das Lied ein.

Auf der Brücke der NAKANO TAKEKO erhob sich Captain Keiko Amato in ihrem Kommandosessel, als die ersten Takte zu hören waren. Sie stand nicht stramm, wie viele der Brückencrew, aber sie respektierte die Tradition. Und auch auf der Brücke stimmten nahezu alle Offiziere und Mannschaftsdienstgrade inbrünstig ein, was auf einem TSN-Schiff kaum vorstellbar gewesen wäre. Das Lied – der Gunkan Koshinkyoku* – war mehr als 600 Jahre alt. Die Worte von Kohlenrauch und dem donnergleichen Geschützfeuer waren gewiss antiquiert, und die postulierte ungebrochene Traditionslinie problematisch. Doch in gewisser Weise existierte das Kaiserreich noch immer, das die Sänger schworen zu verteidigen. An wenigen Orten war das besser zu spüren als an Bord dieses Schiffes, auf dem ein Angehöriger der kaiserlichen Familie Japans gefallen war. Allerdings musste Keiko ein Schaudern unterdrücken, als im Anschluss an die zweite Strophe das traditionelle Umi Yukaba** folgte. Schließlich ließ sich der Text in etwa wie folgt ins Englische übersetzten:

At sea be my body water-soaked,
On land be it with grass overgrown.
Let me die by the side of my Sovereign!
Never will I look back.

Die letzten Worte waren kaum verhallt, als sich Captain Amato selber zu Wort meldete: “Meldung Stationen?“
Eine nach der anderen kamen die Klarmeldung – die Waffenstationen, Maschinenraum, Hangar…
Keiko wusste, ein Stück weit war dies auch eine Bewährungsprobe, für das Schiff und auch für sie selbst. Die NAKANO TAKEKO zog erstmals ins Gefecht gegen die kaiserliche Flotte, erfüllt von der Tradition einer anderen kaiserlichen Streitmacht – wenn das nicht eine köstliche Ironie war…

Die Mission war simpel – zumindest soweit die Crew informiert war. Die TSN-Kreuzer würden zu einem orbitalen Bombardement ausrücken. Dies war als Test deklariert, um die Kooperation zwischen den Peshten- und terranischen Bodentruppen und die Präzision des Beschusses zu erproben. Zudem sollte neben den Bordgeschützen die Effektivität einiger konventioneller Marschflugkörper getestet werden, die im Bordbetrieb von atomaren zu konventionellen Gefechtsköpfen umgerüstet worden waren. Man würde neben Kampffliegern auch Shuttles ausschleusen, damit diese einen inneren Schutzbring bildeten – um Havaristen zu bergen, die Sensorerfassung zu verbessern und im Fall der Sturmshuttles als leichte Feuerunterstützung gegen feindliche Marschflugkörper zu fungieren.
In Wahrheit war der Einsatz in der Tat ein Test, doch nicht für den Einsatz der Schiffsgeschütze. Vielmehr wollten man testen, wie die kaiserlichen Truppen auf einen Vorstoß von Großkampfschiffen reagierten – wie stark sie den Invasionsraum bereits mit bodengestützten Antischiff-Raketen und Minen gesichert hatten, wie schnell und von welchen Startbahnen ihre Kampflieger zur Abwehr starteten und dergleichen mehr. Zudem hoffte man, dass die Imperialen den nächsten Vorstoß – die Landung – zu Anfang einfach für eine Wiederholung der heutigen Operation halten würden. Deshalb auch die ausgeschleusten Shuttles – beim nächsten Mal würden sie natürlich aus einem ganz anderen Grund unterwegs sein. Und schließlich war von Anfang an vorgesehen, den Angriff beim geringsten Anzeichen ernster Gegenwehr abzubrechen – auch das ein Täuschungsmanöver, um die Kaiserlichen hinters Licht zu führen, was die Entschlossenheit ihrer Gegner betraf.
Doch all das wusste an Bord der TSN-Schiffe nur eine Handvoll Offiziere. Captain Amato widerstrebte es, ihre Untergebenen unter Vortäuschung falscher Tatsachen ins Gefecht zu führen, doch sie sah die Notwendigkeit in diesem Fall ein.
Selbstverständlich ließ Keiko sich nichts von ihren Gedanken oder gar ihrer Nervosität anmerken: „Halbe Kraft…VORAUS!“
Langsam zunächst, doch dann mit rasch wachsender Geschwindigkeit lösten sich die drei bei der COLUMBIA befindlichen Kreuzer – Keikos Schiff sowie die INDOMITABLE und die TATANKA YOTANKA – von dem Flottenträger. Begleitet von zwei Zerstörern und zwei Fregatten rückten sie vor, während die um die COLUMBIA kreisenden Kampfflieger sich neu formierten. Rund 30 schlossen sich dem Kreuzerverband an, dazu kamen die Shuttles, die in rascher Folge von den terranischen Schiffen starteten – auch vom Träger und seinen verbleibenden Begleitschiffen.

***

TSN-Angriffsverband, zur selben Zeit

Lieutenant Commander Pawlitschenko fühlte, wie sich ihr Herz förmlich weitete, als der Gefechtsverband vorrückte. Das waren die Momente, für die es sich zu leben lohnte. Sie hatte ihre komplette verbliebene Staffel im Einsatz – der Schutz des Konvois und der Columbia war den Blauen und Gelben plus Detachements anderer Staffeln übertragen. Neben den Grünen begleiteten Sektionen der Roten und Schwarzen Schwadronen und Jagdbomber der Staffeln Silber und Gold mit leichter Raketenbestückung den Verband.
Die Falcons übernahmen die Voraussicherung. Es würde auch ihre Aufgabe sein, nach feindlichen Minen zu spüren. Es war zu hoffen, dass die verdammten Echsen den Raum über dem Invasionsraum noch nicht hatten ,befestigen‘ können. Schließlich mussten die Minen in geosynchrone Positionen gebracht werden um effektiven Schutz zu bieten, und das dauerte, wenn man zugleich intensiv am Boden kämpfte. Aufgrund ihrer Position – tausende Kilometer über dem Erdboden – mussten sich die terranischen Kriege nicht wirklich weit in das besetzte Gebiet hineinwagen. Trotz der Erdkrümmung hatten sie einen guten Blick – wenn man das so nennen könnte. Denn natürlich wurde die optische Zielerfassung durch den ,Nebel des Krieges‘ beeinflusst, und andere Sensoren wie Radar, Thermorezeptoren, Magnetanomaliedetektoren würde der Gegner nach Kräften stören. Und so hing viel von den Augen und Ohren am Boden ab. Und es würde auch an den Jägern der TSN liegen, den Kreuzern eine ungestörte Zielerfassung zu ermöglichen.
„Achtung! Minenerfassung voraus. Zielmarkierung läuft!“ Einige hundert Kilometer entfernt spuckten die Bordgeschütze einer Falcon eine Salve aus, die von einer Explosion belohnt wurde. Das Gefecht hatte begonnen.
Lilja ließ ihren Jäger beschleunigen. Ihre Anzeigen begannen zu leuchten, eine nach der anderen: „Multiple Zielerfassung…Mustererkennung läuft. Radarerfassung von der Oberfläche…vermute durch fliegende Ortungsstationen.“ Die Spotter für die feindlichen Batterien waren offenbar auf dem Posten. Mit fliegenden Fingern markierte die Russin die nächsten zwei Minen in ihrem Sektor. Bald, sehr bald würde sie sich um weit mehr als das Sorgen machen müssen: „Stallions – VORWÄRTS!“

***

JSS NAKANO TAKEKO, kurz darauf

Die vier Drillingsgeschütztürme des alten Kirow-Kreuzers spien Tod und Vernichtung, ein nicht enden wollender Strom von Energieimpulsen. Zusammen mit den übrigen Schiffen des Verbandes hämmerten gut 60 Laserkanonen auf die Planquadrate, die ihnen die Peshten lieferten. Das war genug Feuerkraft, um eine Kleinstadt binnen weniger Minuten in eine Flammenhölle zu verwandeln. Leider war selbst mit den leistungsstarken Sensoren an Bord des Kreuzers nicht genau zu erkennen, was sie anrichteten, so dass der Kampfeinsatz eigentümlich klinisch wirkte. Keiko, die ihre Brückenoffiziere beobachtete – vor allem jene an den Waffenstationen – ahnte, dass diese sich glorreiche Visionen ausmalten von gegnerischen Panzern, die im Beschuss zerfetzt wurden, von imperialen Soldaten die panisch in Deckung gingen. Einmal mehr rief sie sich ins Gedächtnis, dass es für viele der erste richtige Kampfeinsatz war. Aber sie war sich dessen bewusst, vermutlich als einzige an Bord, dass sie nicht hier waren, um die feindliche Offensive im Alleingang zu stoppen. Zudem waren die Echsen natürlich auf so einen Fall vorbereitet gewesen. Sie rückten nicht in eng gestaffelten Angriffskolonnen vor, und vermutlich hatten sich ihre Verbände zusätzlich aufgelockert, sowie Nachricht vom Vorrücken der Terraner gekommen war. Dennoch, der Schaden am Boden war hoffentlich beachtlich. Schließlich sollte der Gegner ihnen die Vorstellung auch abnehmen…
„Gegnerische Zielerfassung…STEHT! Melde multiple Starts!“
Keiko beugte sich vor. Also würde es so laufen. Die imperialen Kommandeure standen natürlich vor einem Dilemma. Sie hatten über dem Planeten keine Gefechtsraumer stehen, was ihnen drei Möglichkeiten der Verteidigung ließ: Minen, bodengestützte Marschflugkörper und raumtaugliche Jagdbomber, Bomber und Schnellboote. Am besten war es natürlich, wenn diese Werkzeuge abgestimmt aufeinander eingesetzt wurden. Aber das bedurfte der Vorbereitung – die Kampfflieger mussten bestückt werden und dann auch noch Gefechtshöhe erreichen, sich in Verbänden sammeln. In dieser Zeit konnten die Terraner fast unangefochten feuern. Eröffneten jedoch die mobilen imperialen Abwehrbatterien vorzeitig das Feuer, hielten sie die Angreifer zwar in Atem, setzten sich aber auch Gegenangriffen aus, sei es aus dem Orbit oder durch die Peshten.
Offenkundig hatte sich der Gegner – oder EINER von ihnen, denn nach allem was Keiko wusste, litten die imperialen Streitkräfte an einem gewissen Dualismus zwischen Flotte und Heer – entschlossen, die zweite Variante zu wählen. Tatsächlich waren die bodengestützten Marschflugkörper die größte Gefahr für Kampfraumer, wenn der Gegner nicht über eigene Kriegsschiffe verfügte. Ihre Feuerkraft war weit größer als die der von Jagdbombern und Bombern gestarteten Anti-Schiff-Raketen, und sie konnten oft in größerer Zahl gestartet werden als diese – schließlich war nicht damit zu rechnen, dass die Kaiserlichen stets eine komplette atomar bestückte Jabostaffel einsatzbereit hatten.
Die Stimme der Kapitänin blieb ruhig: „Leichte Raketenwerfer und Impulslaser bereit zur Abwehr, ebenso die Geschütztürme – und ich will eine Peilung der kaiserlichen Raketenbatterien. Exocett-Werfer, verbleibende konventionelle Raketen für Konterbeschuss laden – Feuern Sie, sobald sie bereit sind.“
Captain Amato spürte förmlich die Frustration unter den Offizieren, dass sie das Schiff in den Verteidigungsmodus versetzte, die Feuerkraft vom Bodenbeschuss weg dirigierte. Nun, bald würde die Crew verstehen, warum man so defensiv agierte. Bis dahin musste sie sich auf den antrainierten Gehorsam verlassen.
In diesem Moment kündigte sich auch die letzte Komponente der imperialen Gegenwehr an: „Feindliche Jäger im Anflug – geschätzte Ankunftszeit…zwei Minuten!“

***

TSN-Angriffsverband, fünf Minuten später

Liljas Jäger schüttelte sich unter dem Feindbeschuss. Die Pilotin ließ ihre Maschine in scheinbar zufälligen Intervallen ausweichen, allerdings blieben ihre Feinde – ein Paar Bloodhawks – unbeirrt an ihr dran. Hin und wieder konnte sie so weit einkurven, dass ihr eine schnelle Salve auf einen der Verfolger glückte, weniger um echten Schaden anzurichten, als vielmehr um sie nervös zu machen. Bisher war es ihr gelungen, einen tödlichen Treffer zu vermeiden, aber das würde wohl nicht auf Dauer funktionieren. Dass sie so lange durchgehalten hatte, verdankte sie neben ihrer Erfahrung auch dem Umstand, dass sie den Echsen einen Teil ihres Schneids abgekauft hatte, indem sie kurz hintereinander zwei Paar lageunabhängige Raketen als Kreisläufer abgefeuert hatte. Mindestens einer der Imperialen war beschädigt worden und konnte mit Sicherheit keinen weiteren Treffer riskieren. Dennoch, das konnte nicht ewig so weitergehen. Lautlos zählte sie die Sekunden herunter…
JETZT!
Sie hieb auf die Feuerknöpfe und feuerte zwei weitere Raketen ab – ihre letzten. Zugleich betätigte sie den Nachbrenner. Die Maschine machte einen Satz, kam frei von ihren Feinden, die weggebrochen waren um den Flugkörpern auszuweichen. Die kaiserlichen Piloten würden gleich merken, dass dies Sidewinder waren, die sie bei der momentanen Flugbahn gar nicht erfassen konnten, aber für ein paar Sekunden waren sie abgehängt. Lilja entfesselte ein wahren Sperrfeuer von Täuschkörpern, registrierte, wie die beiden Bloodhawks ihrerseits beschleunigten, zu ihr aufschlossen…
Wie so oft kam das Ende schnell, und von dem Jäger, den man NICHT sah. Knights Kampfflieger, der auf Liljas Befehl auf Abstand gegangen war, schoss von der Seite heran, und ein Paar Raketen zerschmetterte die eine Bloodhawk. Lilja warf ihre Maschine herum, und im Sperrfeuer der beiden Falcons schaffte es der zweite kaiserliche Jäger nur um Haaresbreite, sich abzusetzen – zweifellos deutlich beschädigt.

Lilja hätte ihm am liebsten nachgesetzt, aber sie wusste, was ihr Auftrag war. Nachdem die feindlichen Kampfflieger in Reichweite gekommen waren, war es an den Jägern gewesen, sie zu beschäftigen – das hieß die feindlichen Jäger in Gefechte zu verwickeln, damit die schwereren TSN-Maschinen sich um die gegnerischen Bomber und Schnellboote kümmern konnten. Und ein havarierter Akarii, der das Gefecht abbrach, war fast ebenso gut wie einer, der nur noch in Einzelteilen unten ankam.
Ein etwas undankbarer Job für die Abfangjäger, gefährlich, aber notwendig. Immerhin hatten die Stallions insgesamt zwei feindliche Jäger abschießen und mehrere weitere beschädigen und abdrängen können. Fidai hatte leider aussteigen müssen, war aber aufgesammelt worden.
Routinehalber überprüfte Lilja ihre Anzeigen – es sah nicht so aus, als ob Knights Gegner hatte aussteigen können, und die Überreste der Bloodhawk waren in denkbar schlechtem Zustand, also konnte sie sich wohl die Mühe sparen, ihm den Rest zu geben. Doch dann jagte die Russin sicherheitshalber doch noch ein paar Salven in das Wrack. Sie war nicht in der Stimmung, Risiken einzugehen – in mehr als einer Hinsicht. Vor Beginn des Gefechts hatte Lilja ihren Piloten eingeschärft, auf jeden feindlichen Jäger zu schießen, bis er mit Sicherheit vollständig vernichtet war. Sie hatte sogar eine überzeugende Begründung parat gehabt, die irgendwelche moralisierenden Tugendwächter beruhigen würde – obwohl es ihr natürlich in erster Linie darum ging, zu verhindern, dass die feindlichen Piloten lebend geborgen wurden. Aber schließlich würden sie über einem befreundeten Planeten kämpfen, und da galt es unbedingt zu vermeiden, dass größere Trümmerstücke herunterkamen. Eine 12-Tonnen-Bloodhawk konnte einigen Schaden anrichten, wenn sie mit Endgeschwindigkeit aufschlug. Wahrscheinlich würde sie zwar beim Eintritt zerbrechen und die Teile verglühen, aber ,wahrscheinlich‘ bedeutete nicht ,sicher‘.

Das Gefecht lief nicht gut – nicht katastrophal, aber auch nicht gut. Die Terraner waren auf dem Rückzug, das Feuer auf den feindlichen Frontabschnitt war praktisch eingestellt worden, sah man von sporadischem Konterbatteriebeschuss mit den schweren Raketenwerfern ab. Sehr sporadischem, denn der Vorrat an ,konvertierten‘ Marschflugkörpern war offenkundig praktisch aufgebraucht. Lautlos schnitt die Russin eine Grimasse. Gut gemeint war eben nicht gut umgesetzt, und das galt für dieses Gefecht mit Sicherheit. Warum nur hatte man nicht mehr Hilfe von den Peshten organisiert? Sicher, Kriegsschiffe ließen sich nicht ungesehen zusammenziehen, aber zwei Staffeln zusätzlicher Abfangjäger hätten ausgereicht, um die Angriff der Akarii weit vor dem TSN-Verband abzufangen, so dass sich die Großraumer in ihrer Abwehr allein auf die bodengestützten Batterien hätten beschränken können. So aber waren – trotz energischer Abwehr der terranischen Jäger und ernsten Verlusten – einige imperiale Maschinen durchgebrochen. Die verzettelte Abwehr der TSN barg Gefahren – und so war der Rückzug befohlen worden.
„Stallions – sammeln. Sieht so aus, als hätten die Echsen erst einmal genug. Achtet auf Langstreckenbeschuss von den Schnellbooten und vom Boden. Ich will, dass keine verfickte Atomrakete durchkommt, da?“
Innerlich verwünschte sie den enttäuschenden Verlauf der Schlacht. Wenn sie die Echsen stoppen wollten, am Boden wie im All, dann lag offenbar noch ein langer Weg vor ihnen…

JSS NAKANO TAKEKO

„Frage Feindjäger?“
Die Antwort kam, vielleicht ein wenig aufgeregter als wünschenswert gewesen wäre, aber bisher hatte die Crew des Nationalgarde-Kreuzers sich gut geschlagen: „Haben Angriff vorerst eingestellt, sie sammeln sich aber. Weitere Starts gemeldet, geschätzte Ankunftszeit in Staffelstärke plus in fünf Minuten.“
Die Kapitänin nickte. Die kaiserliche Abwehr tat sich schwer, ausreichend Maschinen zu mobilisieren – kein Wunder, schließlich mussten sie ja auch einen Bodenkrieg führen. In fünf Minuten würden die terranischen Schiffe weit genug von der Besatzungszone der Imperialen entfernt sein, dass jeder Angriff zu einem Himmelfahrtskommando wurde – denn dann würde nicht nur die COLUMBIA und ihre verbleibenden Begleitschiffe, sondern auch Peshten-Jäger bereitstehen.
„Wie steht es mit den Bodenbatterien?“ Dank der Unterstützung der Shuttles waren die meisten Marschflugkörper bisher abgefangen worden, doch die wenigen, die durchgekommen waren, hatten die Schilde der Schiffe empfindlich geschwächt.
„Weiterhin drei…vier Feuerstellungen ausgemacht – Gegenfeuer nicht mehr möglich, aber wir funken die Koordinaten an die Peshten.“
Keiko machte sich keine Illusionen, was den Schaden am Boden anging. Mit Sicherheit hatte man einige Verwüstungen angerichtet, und die Verluste des Feindes gingen in die hunderte, dazu kamen zerstörte Fahrzeuge und Vorräte, insbesondere eine Reihe Abschussrampen für die orbitale Verteidigung, die von den Kriegsschiffen und den Peshten-Bodentruppen angepeilt und unter Beschuss genommen worden waren. Der Gegner hatte zudem eine Anzahl Jäger und Shuttles verloren – und auch die NAKANO TAKEKO hatte ihre ersten zwei Abschüsse verbuchen können. Das war schon etwas anderes als der abstrakte Schaden am Boden, und Keiko konnte den Stolz ihrer Brückencrew förmlich mit Händen greifen – was gut war, da es über die Enttäuschung wegen des verfrühten Abbruchs der Operation hinweghalf. Aber gemessen an der eingesetzten Feuerkraft und dem Risiko war das Ergebnis nicht gerade berauschend.

Mitten in diese Gedanken hinein schnitt der gefürchtete Alarmschrei: „Einschlag!“ Die Stimme gellte über die Brücke, und Keiko umklammerte unwillkürlich ihre Armlehnen – obwohl es natürlich nicht an der begrenzten Kraft ihrer Arme, sondern den soliden Sicherheitsgurte war, zu verhindern, dass der Impuls sie aus dem Kommandosessel warf oder gar über die halbe Brücke katapultierte.
Sie brauchte eine Sekunde um zu realisieren, dass der Warnruf sich nicht auf ihr Schiff bezog. Ein Stück abgesetzt von den Kreuzer – gewissermaßen ,vor‘ ihnen, weil er rasanter beschleunigen konnte – driftete der NORFOLK-Zerstörer FRANZ VON MERCY. Die Antriebs- und Manöverdüsen waren erloschen, so dass die beschleunigenden Kreuzer dem Schiff – obwohl es immer noch mit seiner ursprünglichen Geschwindigkeit weiterflog – rasch näher kamen. Die Panzerung im Heckbereich war sichtbar gezeichnet, ein schwerer Treffer, offenbar von einer vom Boden abgefeuerten Rakete – der zweifellos den Maschinenraum in Mitleidenschaft gezogen hatte. Flammen leckten entlang der Löcher, Anzeichen für austretenden Sauerstoff.

Unter anderen Umständen wäre eine Rettung wohl möglich gewesen, wenn es gelang, die Ausbreitung des Feuers zu stoppen. Man hätte versuchen können, das Schiff mit Traktorstrahlen zu stabilisieren und in Schlepp zu nehmen. Doch angesichts der ständig wachsenden Zahl imperialer Kampfflieger und immer noch im Feuerbereich der verbleibenden Batterien am Boden, angesichts der Anziehungskraft des Planeten, die den wracken Zerstörer zu sich zurückzog, war dies keine Option.
Und offenbar hatte man das auch auf der FRANZ VON MERCY erkannt. Dutzende von Rettungskapseln starteten, die sofort von den Shuttles des Verbandes in Schlepp genommen wurden. Zugleich machten sich die übrigen TSN-Schiffe bereit, das Wrack zu zerstören. Die Kaiserlichen ließen sie ziehen.

Keiko Amato fühlte den ernüchternden Geschmack der Niederlage auf den Lippen. Dies war ein hoher Preis für einen Angriff, der eigentlich nur der Angriffsvorbereitung, der Aufklärung und Täuschung des Gegners dienen sollte. Ein kostbarer Zerstörer verloren, Dutzende, vielleicht auch hundert oder mehr Männer und Frauen verwundet oder tot. Es blieb nur zu hoffen, dass es das wert gewesen war. Die Landung MUSSTE glücken!

*****

* Der „Gunkan Koshinkyoku“ oder „Schlachtschiff-Marsch“ entstand Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts und wurde zur Hymne der Kaiserlichen Japanischen Flotte. Von den neu gegründeten japanischen Seestreitkräften reaktiviert, wurde er später von der Nationalgarde übernommen. Im 27. Jahrhundert existieren auch modernisierte Textfassungen und mindestens drei populäre Anime-Versionen. Die Nationalgarde bevorzugt aber die traditionelle Form.

** Ursprünglich Teil eines Mitte des 8. Jahrhunderts entstandenen Gedichts, das an die vergangene Größe und die Loyalität des Otomo-Clans erinnert, wurde dieser Abschnitt einige Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg mit Noten versehen und ebenfalls frühzeitig von den japanischen Seestreitkräften übernommen. Er wird seit langem in Verbindung mit dem Schlachtschiff-Marsch gespielt und gesungen, zunächst zwischen der ersten und zweiten Strophe, später als Abschluss.

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Kriegssplitter II

Gamma-Eridon, ca. 10 Kilometer hinter der alliierten Frontlinie


Das leichte Bodenfahrzeug schlingerte und wäre beinahe umgekippt, als es einem Konvoi aus schweren Armeetransportern auswich, der die Straße blockierte. Aber die Fahrerin war keine Anfängerin. Ohne zu verlangsamen brachte sie den Wagen durch geschicktes Gegensteuern ins Gleichgewicht und passierte das Hindernis, während Grasfetzen und Schlammbrocken nach allen Seiten geschleudert wurden. Die drahtige Peshten in dem insignienlosen Tarnanzug hatte ihre drei Augen konzentriert zusammengekniffen und die Zähne in dem eine schmale Linie bildenden Mund fest zusammengebissen. Sie hatte fast die gesamte Fahrt über geschwiegen. Zu groß wäre bei ihrem Fahrstil sonst die Gefahr gewesen, sich die eigene Zunge abzubeißen. Auch ihr Fahrgast blieb stumm. Der schlanke, hochgewachsene Mensch konzentrierte sich stattdessen auf den Bildschirm, mit dem der auf dem Dach des gepanzerten Wagens befestigte Schnellfeuerlaser gesteuert wurde. Im Fall eines Luftangriffes würde diese Waffe allerdings nur einen unzureichenden Schutz bieten.
Ein Ruck, und das Fahrzeug war wieder auf der unbefestigten Piste. In der nächsten Viertelstunde mussten sie noch zweimal einem entgegenkommenden Konvoi ausweichen. Einmal passierten sie eine Reihe ausgebrannter Fahrzeuge, die vermutlich von Räumpanzern von der Fahrbahn geschoben worden waren. Die Wracks qualmten noch, und Lieutenant Marcus glaubte kurz den Geruch von ausgeglühtem Metall, verbranntem Kunststoff, Treibstoff und Fleisch wahrzunehmen. Das dumpfe Grollen der Front machten den Anblick noch bedrohlicher, als er ohnehin schon war.

Dann kam das Fahrzeug mit einem dumpfen Knirschen zum Stopp: „Wir sind da.“
Lieutenant Marcus war bereits zu diesem Schluss gekommen und griff nach seinem Rucksack, während er die Fahrzeugtür öffnete, ausstieg und abwesend die blauen Flecke zählte, die ihm die Fahrt gekostet hatte: „Danke für die Mitfahrgelegenheit.“
Die Peshten, die ihm ihren Namen schuldig geblieben war, schnalzte spöttisch, während sie ein voluminöses Packet von der Rückbank zerrte: „Sie sind schließlich hier, oder? Ich kann mich außerdem nicht erinnern, dass sich sonst jemand darum gerissen hat, Sie in DIESE Richtung zu fahren, nachdem dieser Schweber von dem Colonel requiriert wurde. Sie können mir dankbar sein. Zwei Stunden später und Sie hätten hier vermutlich niemand mehr angetroffen.“

Marcus blickte sich um und musste ihr Recht geben. Kein Wunder, dass sie auf ihrer Fahrt so häufig mit Material und Mannschaften besetzten Transportkonvois hatten ausweichen müssen. Das am Rande eines ausgedehnten Marschlandes gelegene Camp Bekat-Eins wurde geräumt. Vor ihnen entfaltete sich das Chaos eines Armeelagers in Auflösung. Während eine Reihe wartender Transporter hastig beladen wurde, waren an anderer Stelle Soldaten damit beschäftigt, Zelte und vorgefertigte Baracken abzubauen, Stacheldraht aufzurollen und Sensoren und anderes Equipment zu demontieren. An einigen Stellen machten sich Uniformierte an Gerät und Installationen zu schaffen, die anscheinend zu sperrig oder zu alt waren, um sie zu demontieren. Die Männer und Frauen hantierten vorsichtig mit verdächtig aussehenden Päckchen und legten offenbar großen Wert darauf, die Spuren ihrer Manipulationen anschließend wieder zu verwischen.
Auf Marcus fragenden Blick zuckte seine namenlose Fahrerin mit den Schultern: „Ein paar Willkommensgeschenke für die Imperialen.“

Ihr Wagen hatte die Aufmerksamkeit des Torpostens geweckt. Die wachhabende Lieutenant näherte sich mit erhobener Hand: „Was bei den Göttern wollen Sie hier? Wir räumen!“
Marcus sparte sich die Antwort und reichte ihr einen Datenblock, den die Wachkommandantin kurz studierte. Sie blinzelte irritiert mit ihrem dritten Auge: „Was zum…“, dann winkte sie ab: „Nicht mein Problem.“ Sie warf einen Blick auf Marcus Fahrzeug: „Aber ihren Wagen können wir gebrauchen. Ich werde…“
„Sie lassen schön die Finger von meinem Wagen. Außer ich sage etwas anderes.“, schaltete sich die Fahrerin barsch ein, die Hand wenig subtil auf dem Kolben ihrer Laserpistole ruhend. Marcus glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Gleichzeitig brauste die Wachhabende auf: „Sind Sie wahnsinnig, Sie…“ Doch dann verstummte sie und musterte die Fahrerin. Dann wandte sie sich jäh ab: „Ach gehen Sie doch zu den achtundachtzig Höllen.“ Und dann ging sie.

Marcus wandte sich zu seiner Fahrerin um: „Was verdammt noch mal sollte das?“
Die zuckte nur mit den Schultern: „Kommen Sie schon, ich liefere Sie ab.“
Der Lieutenant fixierte seine Gegenüber misstrauisch: „Ich habe Ihnen gar nicht gesagt, zu wem ich will.“
Die Fahrerin drehte sich nicht um: „Nein, das haben Sie nicht. Aber ich weiß es trotzdem.“
Der Lieutenant zögerte kurz, während er die Puzzlestücke sortierte: „Sie waren nicht wirklich nur zufällig in derselben Richtung unterwegs. Und Sie sind auch keine Fahrerin.“
„Ich bin Fahrerin. Allerdings nicht nur für Transporter. Kommen Sie schon, wir sind überfällig.“
„Hey!“, das war noch einmal die wachhabende Offizierin, die ihnen mit einem nicht sehr freundlichen Gesichtsausdruck hinterherwinkte: „Bleiben Sie auf den Hauptwegen. Die Seitengassen werden vermint.“

Es war ein beklemmendes Gefühl, durch das in Auflösung begriffene Armeecamp zu gehen. Kaum einer der noch anwesenden Soldaten und Techniker beachtete sie.
„Das war es also.“ Lieutenant Marcus bemühte sich, seine Stimme frei vor Emotionen und Urteilen zu halten.
„Was haben Sie erwartet? Eine Schlacht bis aufs Messer? Nicht um dieses Camp. Das war ein Nachschubdepot. Wir haben hier weder die schweren Waffen noch die Befestigungen für eine Verteidigung. Oder glauben Sie, dass Wachtürme, Stacheldraht und ein paar Sandsackverhaue die imperialen Panzerspitzen aufhalten?“
„Also schaffen Sie weg was geht, verminen den Rest und verschwinden?“
„Nicht ganz.“, die immer noch Namenlose deutete auf eine Gruppe Soldaten, die inmitten von aufgebrochenen Munitions-, Ausrüstungs- und Waffenkisten damit beschäftigt waren, die Taschen ihrer Tarnanzüge und ihre Rucksäcke mit Energiezellen, Granaten, Erste-Hilfe-Packs und Notrationen zu füllen: „Ein paar werden bleiben. Nicht mal die Imperialen können die Bekat-Sümpfen kontrollieren. Auf die Akarii warten ein paar Überraschungen.“
Marcus nickte. „Ich verstehe. Ich habe…“
„Wir sind da.“

‚Da‘ war ein durch Sandsäcke und Stacheldraht von dem Rest des Camps abgetrennter Lagerbereich. Marcus fielen sofort die Unterschiede auf. Es fehlten die üblichen Markierungen und Beschriftungen. Und anscheinend hatte man es schon vor der Räumung des Camps mit der für ein Armeelager üblichen Ordnung nicht allzu genau gehalten. Die Zelte und Baracken wirkten ungepflegt, weniger präzise ausgerichtet – und an mindestens einer Stelle hatte sich jemand die Zeit genommen, die Wand einer Baracke mit dem Bild einer surreal wirkenden Schattenlandschaft zu verzieren.

Und hier fanden sie diejenigen, die sie beide suchten, versammelt um einen Schweber, der mit seiner fast organisch wirkenden, mattschwarzen Massivpanzerung, den Aufhängungen für gelenkte und ungelenkte Raketen und den beweglichen, im Bug und den Seitentüren befestigen Schnellfeuerlasern eher wie ein Schlachtflieger denn ein Transporter wirkte.
Die Gruppe erschien selbst für die Peshten-Streitkräfte, die wesentlich weniger Wert auf Uniformität legten als die terranischen Streitkräfte, recht…bunt. Keiner der acht Männer und Frauen trug Rangabzeichen auf der chaotisch wirkenden Mischung aus Tarnuniformen und Panzerungsteilen. Neben vier T’rr gehörten offenbar zwei Peshten und ein Paar Akarii zu der Gruppe. Ähnlich wie die Soldaten, die sich im Schutz der Bekat-Sümpfe von den feindlichen Truppen überrollen lassen sollten, waren sie damit beschäftigt, Taschen und Rucksäcke mit Munition, Granaten, Verbandsmaterial und Rationen zu füllen.
Ihre Ausrüstung stellte ein Durcheinander aus imperialen, terranischen und peshtischen Waffen dar. Lieutenant Marcus zählte zwei Scharfschützenlaser und zwei Schnellfeuerlaser. Die anderen Kämpfer trugen Sturmgewehre mit integrierten Granatwerfern. Dazu kamen Handfeuerlaser verschiedener Herkunft und diverse Nahkampfwaffen.

„Da sind Sie ja.“ Der Sprecher war ein männlicher Peshten. Kleingewachsen und muskulös, wäre er in einer Gruppe vermutlich nicht besonders aufgefallen. Auch seine Stimme klang unauffällig. Sein Englisch war bis auf einen leichten Akzent fehlerlos: „Willkommen bei Team Pashka-Vier. Und da wir jetzt dem 30. Korps angegliedert wurden – willkommen bei den Niegeborenen.“
Marcus salutierte: „Lieutenant Jan Marcus, Terran Intelligence Service. Ich soll…”
Der Peshten winkte ab: “Ich weiß, was Sie wollen. Wir wurden bereits gebrieft.
Und was Ihren Namen angeht…wir verwenden so etwas nicht. Neuer. Sie sind Neuer.“

Das entwickelte sich nicht, wie er es erwartet hatte. Aber Marcus hatte schon gehört, dass die peshtischen Spezialeinheiten ein eigenwilliger Haufen waren. Während der Zeit, die er als terranischer Verbindungsoffizier für die Unterstützung des auf Gamma Eridon von den Peshten initiierten Guerillakrieges verbracht hatte, hatte er schon einige Erfahrungen sammeln können. Dennoch…: „Und Sie sind...“
„Nennen Sie mich Tai’fal.“ Der Truppführer grinste flüchtig. Trotz der Tatsache, dass sein Kriegsname einer peshtischen Gottheit entlehnt war, die nach Marcus‘ Kenntnis einer Kombination aus Prometheus, Loki und Luzifer entsprach, wirkte er nicht arrogant.
„Vacani haben Sie ja schon kennengelernt. Sie ist unsere Fahrerin und Technikexpertin.“
Marcus Fahrerin zuckte mit den Schultern. Wenn es einen besonderen Grund gab, warum sie den Namen eines fleischfressenden Raubinsekts der Peshten als Kriegsnamen trug, blieb er unerwähnt. Stattdessen öffnete sie das voluminöse Packet, das bei der Fahrt hierher ihr einziges Gepäck gewesen war. Zu Marcus Überraschung hatte sie anscheinend einen Delikatessenladen geplündert. Er sah Schokoladetafeln, T’rr-Kautabak, Konserven mit Taki-Fleisch…

Während die Mitglieder der Spezialeinheit unter lautem ‚Hallo‘ die Köstlichkeiten verteilten, fuhr der Truppführer fort: „Taku-Taku ist mein Stellvertreter.“ Der breitschultrige Akari zuckte unverbindlich mit den Schultern. Seinen Namen hatte er von einem Alienoffizier aus einer beliebten wenn auch betagten terranischen Science-Fiction-Serie, die anscheinend auch bei den Peshten lief.
„Dak und Aka sind unsere Scharschützen“. Die beiden T’rr waren wohl ein weiterer Beweis für den ‚Humor‘, der die Spezialeinheit auszeichnete, denn nach Marcus limitierten Peshten-Kenntnissen bedeuteten beide Namen in unterschiedlichen Peshten-Dialekten ‚Eins‘. Für Nicht-T’rr waren die beiden allerdings wirklich nur schwer auseinanderzuhalten.
„Dreeh ist Sprengstoffexpertin und Technikerin.“ Die hagere Akarii mit den scharfgeschnittenen Gesichtszügen nickte knapp. Für einen Akarii hatte sie eine ungewöhnlich dunkle, grauschwarze Schuppenfärbung. In ihrem Fall war es recht naheliegend, warum sie ausgerechnet DIESEN Namen trug, angesichts des Akarii-Kriegerschwerschwertes auf ihrem Rücken.
„Und das ist Schara..“, das bedeutete ‚Geist‘ oder ‚Schatten‘, „Sie ist unsere Sanitäterin.“ Marcus fragte sich kurz, ob es Zufall war, dass die hochgewachsene T’rr eine so ‚weibliche‘ Funktion hatte. Er wurde korrigiert, als Tai’fal fortfuhr: „Außerdem ist sie unsere Verhörspezialistin. Sie sollten sie nicht verärgern.“ Die Soldatin klackte leicht mit den Zähnen.

Während ihm die letzten beiden Mitglieder des Trupps vorgestellt wurden – eine Peshten und eine T’rr – wurde Marcus von dem plötzlichen Auftauchen eines bizarren Wesens abgelenkt, das bisher hinter einer der Munitionskisten verborgen gelegen hatte. Es (?) hatte die Größe und den massiven Körperbau eines schweren Kampfhundes, allerdings kein Fell sondern eine grau-braune Schuppenhaut, über die eine Art Panzerweste geschnallt war. Verwirrend, zumindest für die Augen eines Menschen, wirkten die langen, fast an Finger erinnernden Zehen der Vorderbeine, die beim Stehen eigenartig nach Oben gebogen wurden, und die fledermausartigen Ohren, die sich wie Sensorschüsseln ständig unabhängig voneinander zu bewegen schienen. Die wachsamen, dunklen Augen wirkten beunruhigend intelligent und musterten den Lieutenant mit einer ungewöhnlichen Intensität.
„Was…“
„Das ist Huan. Unser Geit-Hund.“

Marcus hatte schon von diesen Tieren gehört, die angeblich von den Akarii oder Peshten für militärische und Sicherheitsaufgaben gezüchtet worden waren. Sie hatten nicht nur einen hervorragenden Geruchs-, Hör- und Sehsinn, sondern jagen auch noch mit Ultraschall. Ihre Intelligenz kam angeblich mindestens der von Delphinen oder Schimpansen gleich oder übertraf diese sogar. Geit-Hunde konnten sogar einfache Werkzeuge benutzen, einfache Sätze verstehen und sich mehrere hundert Kommandos merken.
Deshalb und wegen ihrer Gefährlichkeit war der Handel mit ihnen oder der Besitz in der Republik und der Konföderation nur mit Sondererlaubnis gestattet oder gänzlich verboten.

„Eigenartiger Name.“
„War die Idee von einem anderen Neuen. Einer ihrer Landsleute. Er sagte, Huan sei ein Tier gewesen, das sogar einen Gott angegriffen hat.“ Der Geit-Hund schien bei der Erwähnung seines Namens zu grinsen und entblößte dabei Zähne, wie sie Marcus bei einem Tiger oder vielleicht einer Bärenfalle erwartet hätte. Allerdings behielt der Geit-Hund den menschlichen Offizier weiterhin im Blick.
„Entspann dich Huan. Das ist Neuer. Er gehört jetzt zu uns.“
Der Hund legte den Kopf schief, gähnte auf beunruhigend Art und Weise und legte sich wieder hin.
Marcus ließ sich die letzten Worte des Truppführers noch einmal durch den Kopf gehen: „Sie sagten, ‚einem anderen Neuen‘?“
Vacani kicherte boshaft: „Haben Sie das nicht gewusst? Bei uns heißen alle Frischlinge ‚Neuer‘. Wozu sich einen Namen merken, wenn…“
„Danke, ich weiß, was Sie meinen.“, warf Marcus trocken ein.
„Genug der Verbindlichkeiten.“, unterbrach sie Tai’fal: „Wir haben genug Zeit vertrödelt. Neuer, lassen Sie sich von Schara beim Ausrüsten helfen. Panzerung, Waffen – das übliche. Wenn Sie irgendwelche Lebensmittelallergien haben, lassen Sie sie das wissen.“
„Ich habe selber…“
„Das Zeug, was sie im Hauptquartier ausgeben? Pffh…wir haben Besseres.“ Der Truppführer hielt kurz inne: „Sie können doch schießen, oder?“
Marcus nickte etwas brüsk: „Ich hab schon das ein oder andere mal eine Waffe in der Hand gehalten. Falls es das ist, was Sie fragen wollen.“
Tai’fal musterte ihn kurz und die Intensität des Blicks erinnerte den Geheimdienstoffizier an Huan – als der Geit-Hund anscheinend noch mit dem Gedanken gespielt hatte, ob er ihm den Kopf abbeißen sollte. Dann nickte der Truppführer knapp und wandte sich jäh ab: „Vacani, Zeit den Transporter durchzuchecken. In zwei Stunden wird es dunkel. Dann will ich in der Luft sein. Auch wenn mir noch niemand gesagt hat, warum wir ein paar Quadratkilometer im feindlichen Hinterland auskundschaften sollen…“
„Mein Flieger kann sofort starten.“, die Peshten klang ernsthaft beleidigt.
„Na dann wird der Check-up ja umso schneller gehen, nicht wahr?“, konterte Tai’fal.
„Dann muss aber noch jemandem der Torwache Bescheid geben, dass sie unser Bodenfahrzeug jetzt doch benutzen können. Ich war da vielleicht etwas knapp mit der Wachhabenden…“
Das ließ leises Gelächter aufflackern.
Marcus fühlte, wie ihn jemand von der Seite anrempelte. Es war Schara, die ihn skeptisch musterte: „Kommen Sie mit, ich glaube, bei Team Drei haben wir noch Menschlings-Ausrüstung in Ihrer Größe.“ Sie warf einen Blick auf seine Kampfstiefel und schnaubte herablassend: „Und bessere Schuhe. Die werden sie nämlich brauchen…“
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Kriegssplitter III


Gamma-Eridon, Hauptquartier des 30. Korps ‚Die Niegeborenen‘


Die nach Gamma-Eridon verlegende 4. Sturmdivision würde die entscheidende Rolle bei General Horoks Gegenoffensive spielen. Doch alle Fäden der Planung liefen hier zusammen: im Hauptquartier des 30. Korps, zu der sowohl die 4. Sturmdivisionen gehörte, als auch die drei Brigaden, die in Koordination mit der Landung zum Angriff auf die Flanke der imperialen Offensive antreten würden.
Es blieb nur noch eine halbe Woche bis zum Tag X. Angesichts der Größe der geplanten Operation war das eine beinahe grotesk kurze Frist. Nicht nur musste die Landung koordiniert und die ursprünglich gar nicht für eine Gefechtslandung vorgesehene Vierte in die Lage versetzt werden, einhundert Kilometer hinter den feindlichen Linien zu landen, sich im Verlauf von nicht mehr als drei Tagen zu den eigenen Linien durchzuschlagen und dabei das feindliche Hinterland zu verwüsten. Gleichzeitig mussten die dezimierte beziehungsweise erst vor kurzem aufgestellte 13. und 20. Sturmbrigade sowie die 40. Mobilbrigade vervollständigt, aufmunitioniert und in Stellung gebracht werden. Und das alles unter strengster Geheimhaltung. Und als ob das noch nicht genug war, hatten Horoks und sein Stab auch noch damit zu kämpfen, alle Forderungen abzublocken, die für die Offensive vorgesehenen Verbände zur Stabilisierung an die bröckelnde Hauptfront zu werfen.

Keiner der Männer und Frauen im Korpshauptquartier hatten in den letzten Tagen viel Zeit zum Schlafen gefunden. Und für ihren Kommandeur galt das in ganz besonderem Maße. General Horoks schien den Korpsnamen ernst zu nehmen. Denn die ‚Niegeborenen‘, eine legendäre Einheit zum Leben erweckter Statuen der Peshten-Mythologie, hatten auch keinen Schlaf benötigt.

„Das interessiert mich nicht. Wir brauchen diesen Treibstoff. Oder sollen meine Panzer ihre Tanks mit heißer Luft und Gebeten füllen? Dann wird das eine sehr kurze Offensive werden!“
Der General drehte sich jäh zu der Offizierin um, die näher getreten war: „Was gibt es?“
„Die Spezialeinheiten sind unterwegs.“
„Wenigstens ETWAS, das nach Zeitplan verläuft. Wie viele Trupps?“
„Erst einmal drei. Zwei weitere können binnen vierundzwanzig Stunden folgen.“
Der General schnalzte abfällig: „Nicht eben viel.“
„Wir brauchen sie auch zur Vorbereitung des Flankenstoßes und bei der Unterstützung der Guerilla...“
„Ich weiß. Aber gerade mal ein halbes Hundert Special Forces zur Vorbereitung der Landung…“, Horoks zögerte kurz, dann winkte er ab: „Es muss reichen. Und umso mehr wir jetzt absetzen, umso größer ist die Gefahr, dass die Imperialen vorzeitig aufmerksam werden.“ Das war auch der Grund dafür, dass die Spezialeinheiten bestenfalls Bruchstücke des Planes kannten, den auszuführen sie entsandt worden waren. Horoks zögerte: „Ist sonst noch etwas?“
„Es gibt unbestätigte Berichte von Truppenkonzentrationen im feindlichen Hinterland. Diverse Funksprüche der Guerilla melden getarnte Panzerfahrzeuge und Luftabwehrbatterien.“
„Ist mir bekannt. Vermutlich nachrangige Einheiten, die die Akarii für die Offensive nach vorne verlegen. Oder Reparatureinheiten. Die Verluste der Imperialen sind hoch. Falls unsere Aufklärung nicht ohnehin mal wieder Gespenster sieht.“
„Diese Gespenster haben mindestens einen Luftangriff abgeschlagen. Überhaupt bleibt die Fluglage extrem instabil. Die Luftherrschaft wechselt teilweise im Stundentakt.“
„Erzählen Sie mir etwas, was ich noch nicht weiß…“ Aber das war ernst. Der Erfolg der Offensive hing auch von der Luftherrschaft ab. Im offenen Gelände operierende Verbände waren besonders empfindlich für Angriffe durch Bomber und Schlachtflieger. Zwar verfügten sowohl die Vierte Sturmdivision als auch die übrigen Verbände des 30. Korps über eigene Flugabwehreinheiten. Aber das würde nicht reichen, wenn nicht gleichzeitig die alliierten Luftstreitkräfte die imperialen Flieger banden oder besser noch vernichteten.

„General, ein Update von der Hauptfront. Die Bekat-Linie musste endgültig aufgegeben werden. Der Feind hat Bekat-Eins erreicht. Unsere Truppen ziehen sich hinter die Sümpfe zurück.“ Das kam von einem der Kommunikationsoffiziere. Auf dem in der Mitte des Raums schwebenden Hologramm verschob sich die rote Linie der Front weiter ins peshtische Hinterland.
Horoks fluchte leise. Es war abzusehen gewesen, dass der Feind die Bekat-Sümpfe erreichen würde. Aber nicht so schnell: „Hoffen wir, dass Morast und Schlamm sie zumindest etwas verlangsamen…“ Strategisch war der Verlust der Bekat-Sümpfe zu verkraften, erlaubte sogar eine Verkürzung der Frontlinie, da das unwegsame Gelände die Imperialen dazu zwingen würde, den Angriffskorridor zu verengen. Schwebepanzer waren zwar durch Morast nicht so leicht aufzuhalten, aber andere Fahrzeuge und Infanterie dafür umso mehr.
Doch Horoks wusste, auch wenn jeder weiterer Kilometer vorwärts die Logistik und den Zusammenhalt der Angreifer belastete – jeder Schritt zurück untergrub gleichzeitig die Moral der Verteidiger. Eine Armee konnte nicht unbegrenzt lange zurückgehen. Und jeder Rückzugsbefehl, jede Frontverkürzung barg die Gefahr, dass die Order zu spät gegeben wurden, dass kostbare Ressourcen und Stellungen in die Hand des Feindes fielen, alliierte Verbände abgeschnitten, eingekesselt oder überrannt wurden.

„Was ist mit den Aufnahmen des letzten Aufklärungsfluges?“
„Leider war das Raster unvollständig. Wir können nur von etwa 70 Prozent der Landezone topografische 3D-Aufnahmen und Hologramme in der gewünschten Auflösung anfertigen. Deshalb müssen wir für die Datenpakete für Ziel- und Navigationscomputer teilweise auf Satteliten- oder ältere zivile Luftaufnahmen zurückgreifen. Auch die Analyse der Bodentragfähigkeit in der LZ und den Aufmarschzonen kann partiell nur mit Näherungswerten arbeiten.“
„Schlamperei. Das kann kostbare Zeit und Material kosten. Wozu ist die TSN und ihre Superflieger gut, wenn sie nicht einmal einen einfachen Aufklärungsflug hinbekommen?“
„Der Erfolg wäre vielleicht größer gewesen, wenn wir spezifiziert hätten, was genau der Sinn des Einsatzes ist.“
„Und riskieren, dass sich einer der Terraner verplappert oder der Pilot des Aufklärungsfliegers abgeschossen wird und den Imperialen unseren Offensivplan auf einem Silbertablett serviert? Wohl kaum.“
„Der Einsatz zeigte außerdem, dass diese Notlandebahn der Akarii stärker bestückt ist, als wir angenommen haben. Wir müssen von einem Infanteriekontingent mindestens in Kompaniegröße, wenigstens einer Batterie Flugabwehrlaser und einer Sektion Atmosphärenjäger ausgehen.“
„Das schaffen wir.“
„Wollen Sie einen weiteren Aufklärungseinsatz um die Datenlücken zu schließen?“
„Nein, wir wollen schließlich nicht, dass die Imperialen misstrauisch werden. Mal sehen, was für Informationen uns die Spezialeinheiten und ihre Kurzstreckendrohnen beschaffen können.“ Der General hielt inne und musterte die dreidimensionale Holografie der Landezone, die auf einem der anderen Taktik-Tische schimmerte und gerade aktualisiert wurde: „Wer hat diesen Einsatz geflogen?“
„Ein Pilot der Angry Angels. Der Staffelchef einer Nighthawk-Schwadron, Callsign ‚Ohka‘.“
„Sie machen wohl Witze. Das ist doch der arme Idiot, der diesen blödsinnigen Angriff auf die Rijen-Brücke geflogen und dabei seine halbe Einheit verloren hat.“ Der General pfiff durch die Zähne: „Ich könnte fast Mitleid mit ihm haben.“ Der Vorfall hatte für einige unfreundliche Funksprüche zwischen verschiedenen Dienststellen der peshtischen Streitkräfte und der TSN gesorgt. „Hoffentlich war das das letzte Mal, dass die Menschen versuchen, eine der Marschrouten für die Vierte in die Luft zu jagen.“
„Um fair zu sein, es war nicht die Schuld der Angry Angels, dass sie eine veraltete Missionsvorgabe erhalten haben. Dieser Fehler…“
„Ich weiß, und der verantwortliche Verbindungsoffizier tut sich jetzt auch sehr leid. Aber dennoch…eine MEINER Brücken sprengen! Wir brauchen den Rijen-Übergang möglicherweise noch für die Vierte. Und wenn wir die Brücke sprengen oder mit Artillerie zusammenschießen müssen, dann würde ich das lieber machen, NACHDEM unsere Sturmdivision auf der anderen Seite des Flusses ist. Zum Glück konnten wir den Menschen ausreden, es gleich noch einmal zu versuchen. Das fehlte noch, dass die Akarii sich auf diesen Abschnitt ihres Hinterlandes konzentrieren oder sogar noch zusätzliche Kräfte dorthin verlegen…“
12.02.2021 07:30 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Erde

„Ich verstehe nicht, warum Sie mir keine klare Antwort geben wollen.“, Andrew Tremane lehnte sich zurück, während er die Arme ablehnend vor der Brust verschränkte. Seine Stimme klang nicht viel einladender.
„Sie schießen auf die Falsche.“, die Stimme der Kommunikationsoffizierin hatte einen leicht bissigen Unterton: „Ich befolge nur Befehle. Und um Ihnen die gewünschte Auskunft zu geben, fehlt Ihnen die nötige Freigabe. Also machen Sie den Anruf oder wollen Sie weiter auf stur schalten?“
„Schon gut.“, der offiziell dem Naval Science Corps angehörende Geheimdienstoffizier winkte ab. ‚Wenn ich bedenke, dass ich gedacht habe, die Umfirmierung meiner Dienststelle erspart mir einen Teil dieser Spinnereien...‘
Tremane beendete die Verbindung und aktivierte seinen Handgelenk-Komm: „Jean…“
„Bist du Hellseher oder überwachst du mich?“, kam es amüsiert zurück: „Ich wollte gerade zu dir.“
„Was…das kann warten. Komm in den Kommunikationsraum. Irgendjemand Wichtiges will etwas von uns.“
Wenige Augenblicke später erschien Tremanes Partnerin. Ein Blick auf sein Gesicht ließ sie die spöttische Bemerkung herunterschlucken, die ihr vermutlich auf der Zunge lag. Tremane adjustierte das Langstrecken-Kommunikationsgerät, aktivierte die vorgegebene Verschlüsselungs-Software und öffnete den avisierten Kanal.

Das Gesicht das erschien – oder genauer die Uniform, die dazu gehörte – ließ ihn beinahe Haltung annehmen: „Commodore Antonelli. Was verschafft mir das Vergnügen?“ Tatsächlich hätte Tremanes Stimme und Gesichtsausdruck von ‚Vergnügen‘ kaum weiter entfernt sein können.
„Sparen Sie sich das, Commander.“, der sonst umgängliche Antonelli klang angespannt: „Verraten Sie mir lieber, was Sie mit der TESLA und der ALBERT EINSTEIN wollten.“
Tremanes Gesichtsausdruck veränderte sich nicht: „Ich muss zugeben, ich verstehe nicht ganz.“
„Muss ich Ihre Erinnerung auffrischen? Sie haben den Antrag auf eine…Umwidmung der Einsatzparameter unseres jüngsten Wurmlochtests gestellt. Und das nur wenige Tage, nachdem der Spezialeinsatz zur Stabilisierung kollabierter oder instabiler Wurmlöcher beschlossen wurde. Ich will gar nicht fragen, wie Sie so schnell von einer streng geheimen Operation erfahren haben. Was ich wissen will, ist, was Sie mit ihrem Einsatz bezweckten.“
Tremane lehnte sich zurück: „Mein Antrag listete die Spezifikation des Alternativziels in allen Details auf. Im Übrigen war ich nicht der einzige…“
„Ja, ich habe Ihren Antrag gelesen. Und ich weiß, dass eine ganze Reihe Alternativen für den Testversuch vorgeschlagen wurden.“, der Commodore holte kurz Luft: „Und die entsprechenden Stellen haben wir auch schon kontaktiert. Aber was Sie angeht…“
Er musterte den Commander scharf: „Aus Ihnen bin ich nicht ganz schlau geworden. Ganz besonders im Licht Ihrer jüngsten Eskapaden im Medusa-System. Die Jagd nach den Resten vorzeitlicher Sternenimperien? Glauben Sie wirklich, dass man aus der Analyse vorgeschichtlicher Artefakte einen militärischen Nutzen für den Krieg der Gegenwart ziehen kann?“
Tremane hätte am liebsten die Augen verdreht. Dieser verdammte Medusa-Expedition entwickelte sich zu einem Stein an seinen Füßen: „Ich scheine nicht der Einzige zu sein, der dieser Meinung ist.“
„Ich muss außerdem sagen, ich fand den Mangel an Details irritierend, die in Bezug auf Ihre kleine Spezialoperation zu finden sind. Sowohl hinsichtlich der Finanzierung als auch der dahinter stehenden Stellen und der Operativziele.“ Der Commodore zögerte kurz: „Sie wollen mich vielleicht erleuchten?“
„Es tut mir leid, doch ich fürchte, ich bin nicht autorisiert, diese Frage zu beantworten.“, Tremanes Stimme war so ausdruckslos, dass er nach Falkners Meinung Antonelli auch gleich hätte nahelegen können, er könne ihn mal kreuzweise.
„Wollen Sie Spielchen treiben?! Falls Sie es noch nicht wissen, einer unserer modernsten Forschungskreuzer samt Begleitschutz ist verschwunden. Und das bei einem Einsatz, dessen Ziel Sie zuvor…umwidmen wollten.“

Von Tremanes Gesicht war nichts abzulesen: „Ich weiß nicht genau, wie Sie glauben, dass ich Ihnen helfen kann.“
„Die EINSTEIN ist verschwunden. Unter Umständen, die immer noch ungeklärt sind. Und wissen Sie was ich festgestellt habe? Wenn ich den Gerüchten nachgehe, die über Sie in Umlauf sind…
Dann geht es immer wieder um Schiffe, die unter seltsamen Umständen verschwunden sind. Sie stöbern in Akten und Untersuchungsreihen zu interstellaren Phänomenen, die als ‚ungeklärt‘ eingestuft werden oder das Steckenpferd von Hobby-Extraarchäologen und Verschwörungsspinnern sind. Erkennen Sie da ein Muster?“
„Ich bedauere, aber wie gesagt bin ich nicht autorisiert, derartige Fragen zu beantworten.“
„Und WER ist autorisiert?“
„Auch in dieser Hinsicht bin ich nicht befugt, Auskunft zu geben.“
„Ernsthaft? Es geht um einen unserer modernsten Forschungskreuzer samt Begleitschiffen. Um mehr als 1.000 Männer und Frauen! Und Sie kommen mir so?“, der Commodore fixierte Tremane: „Sind Sie nicht autorisiert, mir Auskunft zu geben, wollen Sie es nicht – oder WISSEN Sie ganz einfach nicht, wer Ihre Strippen zieht?“
„Das einzige, was ich weiß, ist dass die EINSTEIN bei der Untersuchung eines mit dem Manticore-System verbundenen Sprungpunkt verschwunden ist. Da die Akarii diesen gesprengt haben, ist es naheliegend, die Ursache für den jüngsten Vorfall beim Imperium zu suchen...“
Antonelli winkte ab: „So weit sind wir auch schon.“
Tremane fuhr ungerührt fort: „…oder bei einem katastrophalen Testfehlschlag. Ein Risiko, mit dem jeder rechnen muss, der mit Kräften spielt, die er nicht versteht.“
Jean Falkner gab ein leises, etwas erstickt wirkendes Schnauben von sich, aber Antonelli bekam das nicht mit: „Sparen Sie sich diese Weisheiten! Ich will die Daten, die Ihrem Operationsantrag zugrunde gelegen haben. Ihre Geisterjagd interessiert mich nicht. Aber ich will unsere Schiffe wiederfinden. Falls die Imperialen hinter ihrer Vernichtung stecken oder gar eine Möglichkeit gefunden haben, Schiffe gegen ihren Willen durch einen Sprungpunkt zu ziehen, könnte das von kriegsentscheidender Bedeutung sein.“
„Ich bezweifle doch sehr stark, dass das Imperium das kann. Die Wurmlochforschung ist sowohl im Imperium als auch in der Republik noch nicht einmal annährend so weit.“
Antonelli fuhr unbeirrt fort: „Und sollte ich herausfinden, dass Sie uns Informationen vorenthalten, die zur Klärung der Situation beitragen oder gar das Verschwinden der EINSTEIN und ihrer Begleitschiffe hätten verhindern können…
Dann werde ich es zu meiner persönlichen Mission machen, Sie zur Strecke zu bringen. Ich weiß nicht, welche Protektion Sie zu haben glauben, aber die wird Sie nicht schützen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“
„Absolut.“, Tremanes Stimme klang kühl aber nicht eingeschüchtert. Hinter ihm beugte sich Falkner leicht vor, um einen besseren Blick auf den Bildschirm zu erhaschen. Antonelli schien kurz davor zu sein, zu explodieren.
Aber die erwartete Explosion blieb aus. Stattdessen schaltete der Commodore einfach ab.

„Das war es wohl mit der Hoffnung, uns irgendwann einen Forschungskreuzer ausleihen zu können. Nach DEM Debakel ist das Wurmloch-Stabilisierungsprogramm vermutlich offiziell tot.“
„Und du hast dir wieder einen neuen Freund gemacht.“
Andrew Tremane winkte ab: „Ich denke, das ist nichts weiter als ein Schachzug in dem üblichen Blamegame. Die EINSTEIN ist verschwunden. Jetzt geht es darum, auf wen man die Schuld dafür abwälzen kann.“
„Ein bisschen mehr steckt wohl schon dahinter. Wie dem auch sei – wenn Antonelli tatsächlich weiter herumschnüffeln sollte, kann uns das gefährlich werden.“
„Er weiß gar nichts.“
„Tatsächlich? Er glaubt jedenfalls etwas zu wissen. Und Halbwissen kann in unserem Spiel verdammt riskant sein. Deine eigenen Worte. Du solltest dir besser überlegen, was für Brotkrumen wir an ihn verfüttern können, damit er uns nicht an den Hacken klebt.
Und ich sollte vielleicht mal einen Anruf machen.“
„Vermutlich.“, wie häufig, wenn es um Falkners etwas schattenhaft bleibenden Vorgesetzten ging, reagierte Tremane kurz etwas schmallippig. Antonelli war was das anging der Wahrheit näher gekommen, als er es selbst vermutlich wusste. ‚Zumindest hoffe ich das für ihn. Oder sollte er am Ende gar…Nein. Dann würde er hier nicht anrufen. Oder nur mit einer anderen Verschlüsselung.‘
„Andrew?“, Jean Falkners Stimme klang jetzt vorsichtig, als würde sie sich auf unsicherem Terrain bewegen.
„Ja?“
„Bekomm das jetzt nicht in den falschen Hals, aber du gehst doch wohl auch davon aus, dass Antonelli hier nur im Trüben fischt. Das Verschwinden der EINSTEIN und der anderen Schiffe hat doch nicht wirklich etwas mit unserem Projekt zu tun?“
Tremane blickte kurz auf und schüttelte dann den Kopf: „Ich denke nicht SO eingleisig. Wenn das bei der Untersuchung eines der instabilen Wurmlöcher passiert wäre, die ich als Alternativziel vorgeschlagen hatte, dann…
Aber das Manticore-Wurmloch spielt bei keiner unserer Untersuchungen eine Rolle. Es gab keine Spuren, Sichtungen oder Anomalien, die mit unserer Suche korrelieren. Mehr noch, die Systeme auf beiden Seiten der Verbindung sind bestens erforscht. Nein, ich denke, das war das Imperium. Oder ganz einfach menschliche Inkompetenz. Das kommt davon, wenn man einem relegierten Ex-Fregattenkapitän einen Forschungskreuzer anvertraut.“

Jean Falkner musste sich auf die Lippen beißen, um ein Prusten zu unterdrücken. Tremane war auf besagten Kapitän nicht gut zu sprechen. Es hatte wohl etwas mit seinen Beziehungen zum Davis-Clan zu tun, den Tremane für das Verschwinden seines Vaters verantwortlich machte. Immerhin hatte ein Davis das Schiff kommandiert, mit dem Andrews Vater verschwunden war, als sich ihr Kurs mit dem des Gespensterschiffs COPERNIKUS kreuzte….
„Was Neues zu unserem Projekt auf den imperialen Kanälen?“
Der abrupte Themenwechsel überraschte Falkner kurz: „Äh...nein, da herrscht Stille. Vermutlich haben sie die Suche nach der COPERNIKUS aufgegeben, auch wenn die sie einen Hilfskreuzer gekostet hat.“
„Vielleicht.“ Oder das Imperium hatte die Geheimhaltungsstufe der entsprechenden Untersuchungen auf ein Level gesetzt, an dem sich die terranischen Dekodierer die Zähne ausbissen. ‚Was wisst ihr? Was GLAUBT ihr zu wissen? Und was wollt ihr mit diesem Wissen tun?‘

Während Falkner sich abwandte, fuhr sich Tremane nachdenklich durch die Haare: „Einen Augenblick, Jean. Apropos Anruf: Was wolltest du mir sagen, bevor Antonelli hier reinplatzen musste?“
Sie zögerte: „Das kann vermutlich warten.“
Tremane blickte irritiert auf. Das hatte etwas zu beiläufig geklungen: „Lass schon hören.“
„Aber nur, wenn du mir versprichst, nicht gleich wieder auszurasten.“
Tremane unterdrückte ein Augenrollen: „Jean…“
„Schon gut, schon gut. Du hattest doch Anweisung gegeben, dass wir unsere Schäflein von der Medusa-Expedition im Auge behalten. Besonders auch Pawkitschenko, weil die angefangen hat, eigene Nachforschungen anzustellen.“
„Ist sie auf etwas gestoßen?“
„Da bin ich mir nicht sicher. Jedenfalls hat sie kürzlich ein ziemlich umfangreiches Datenpaket als ihren Letzten Willen hinterlegt. Es hat ein bisschen gedauert, wegen der Verschlüsselung, aber…sieh es dir am besten selber an.“
Die Geheimdienstlerin aktivierte die Großbildschirm-Wiedergabeeinheit, winkte Tremane näher und begann einen lautlosen Countdown.
Sie musste nicht weit zählen: „DAS MISTSTÜCK HAT UNS ANGELOGEN!!“
„Ich sagte, du sollst nicht gleich in die Luft gehen. Und wenn man es genau nimmt, ist das so nicht ganz richtig. Diese…Träume, die sie schildert – und ihre Nachforschungen – stammen fast ausnahmslos aus der Zeit NACH Medusa.“
Tremane schnaubte unwirsch und scrollte mit wachsendem Ingrimm durch das voluminöse Konvolut aus Pawlitschenkows Recherchen, Traumnotizen und Vermutungen: „Wir reißen uns den Arsch auf, um neue Spuren zu finden und sie…“
„Das können alles auch nur Ausgeburten einer überbordenden Phantasie sein. Wir reden immerhin von jemandem mit einer ganzen Wagenladung unaufgearbeiteter Traumata. Dazu das, was während der Medusa-Operation geschehen ist und Lucas Georges Theorien…“
„Das glaubst du doch nicht wirklich!“
Falkner zögerte kurz. Dann schüttelte sie widerwillig den Kopf: „Nein, nicht so richtig. Was hältst du von ihrer Theorie, ihre Albträume hingen möglicherweise damit zusammen, dass sie einer Art antiken Botschaft oder Aufzeichnung ausgesetzt gewesen war, die sich an das Bewusstsein des Empfängers richtet? Ich war schon damals der Meinung, dass sie die cleverere von unseren beiden Raumjockeys ist. Wenn sie sich nur nicht immer mit ihrer Dickköpfigkeit und diesem obsessiven Hass auf das Imperium selber im Wege stehen würde.“
Tremane winkte ab: „Sie ist da, wo wir vor einem halben Jahr waren. Nach dem, was wir bei der Autopsie der Toten der MARY C festgestellt haben…“
„Und dem armen Irren, der sich vor unseren Augen die eigene Kehle durchgeschnitten hat….“
„…den Veränderungen auf genetischer Ebene, geht das über eine einfache Botschaft hinaus.“
„Hast du schon einmal darüber nachgedacht, dass es mehr als einen…Trigger…geben könnte? Verschiedene Quellen, die unterschiedliche Auswirkungen haben? Und auch wenn nicht…Ich würde Pawlitschenkows Material trotzdem nicht abtun. Sie hat da bemerkenswert viel Energie und Recherchen hineingesteckt.“
Ihr Vorgesetzter zuckte nur halb überzeugt mit den Schultern: „Meinethalben. Setz Georges darauf an. Aber ohne, dass er weiß, wer das geschrieben hat.
Und wir haben Wichtigeres zu tun. Pawlitschenkow hatte nur ganz kurzen und entfernten Kontakt zu…“
„Was-auch-immer.“
„Es stellt sich die Frage, inwieweit sie – und die anderen Expeditionsteilnehmer – möglicherweise noch beeinflusst wurden. Und wie sich das noch äußern kann.“
„Ist dir klar, dass das auch uns betrifft? Wir waren schließlich auch dabei – wenn auch vielleicht nicht ganz so nahe an einigen der…Ereignisse, wie andere.“
„Ist mir bewusst.“, Falls Tremane das beunruhigte, was Falkners Frage implizieren konnte, verbarg er es gut: „Wir werden uns BEIDE noch einmal einem kompletten Check-up unterziehen. DNS-Analyse, Gehirnwellen-Scan, REM-Wellen…das ganze Programm. Und dann müssen wir das auch bei den anderen durchführen.“
„Nach dem Aufwand, den wir beim letzten Mal betreiben mussten? Und das waren längst nicht so umfassende Tests. Vergiss nicht, die Navy hat dich ohnehin auf dem Kieker. Und die EMERALD und ihre Crew müssten wir überhaupt erst einmal finden…“
„Was das Navy-Personal und die Marines angeht, können wir einen Teil der Untersuchungen vielleicht im Rahmen der üblichen Gesundheitsüberprüfungen kaschieren. Angebliche stichprobenartige psychische Belastungstests. Was auch immer. Ansonsten…
Nachdem uns diese Idioten von der Navy bei unserer Rückkehr ins Sterntor-System unter Quarantäne gestellt haben, sollte es doch wohl möglich sein, noch mal eine ‚Nachuntersuchung‘ anzustoßen.“
„Ohne dass jemand misstrauisch wird?“
„Der einzige Vorteil davon, dass unsere kleine Herde in alle Ecken der Galaxie verstreut ist. Mit etwas Glück wird niemand falsche Schlüsse ziehen.“ ‚Oder vielmehr die richtigen…‘
„Ich werde auf jeden Fall einen Anruf machen müssen.“
„Richte schöne Grüße aus.“ Aber Tremanes Stimme klang eher abwesend als bissig. Stattdessen hatte er sich in Pawlitschenkows Aufzeichnungen vertieft. Jean grinste kurz und wandte sich zum Gehen.

***

Seit hunderten Jahren machten die Wurmloch-Sprungpunkte die interstellare Raumfahrt und damit auch die Existenz von Reichen, die dutzende oder hunderte Sternensysteme umfassten, überhaupt erst möglich. Und dennoch gaben sie Forschern und Wissenschaftlerinnen immer noch Rätsel auf, waren sie das Zentrum erbitterter Debatten und wissenschaftlicher Kontroversen.
Eine verbreitete Theorie ging davon aus, dass die Milliarden von Sprungpunkten, die einen Großteil der bekannten Galaxie zu verbinden schienen, tatsächlich ein gigantisches, in gegenseitiger Wechselwirkung stehendes Netzwerk bildeten. Jedes Zupfen an einem der Fäden – oder gar das Zerschneiden eines Knoten, wie es die Zerstörung des Manticore-Sprunpunkts gewesen war – würde dieser Theorie zufolge auch die Wurmlochverbindungen benachbarter Systeme beeinflussen. Bisher war diese Theorie freilich noch unbewiesen. Was zum Teil daran liegen mochte, dass die menschlichen Geräte einfach noch nicht präzise genug waren.

Hätte die Menschheit oder die Akariis allerdings über die nötige Technik verfügt, vielleicht hätten sie dann festgestellt, dass die Sprengung des Manticore-Sprungpunktes – und die anschließenden Versuche der beiden Sternenimperien, den angerichteten Schaden zu reparieren und zusammengebrochene Wurmlöcher wieder zu stabilisieren – nicht ohne Konsequenzen geblieben waren. Dass sie, wie ein Stein, der in einen Teich geworfen wurde, Wellen schlugen und unsichtbare Schockwellen aussandten. Wellen, die vielleicht etwas aufstören konnten, das auf dem Grund dieses Teiches ruhte.
Etwas, das schon so lange geschlafen hatte, dass es für den Rest der Galaxis seit Jahrtausenden tot und vergessen war. Etwas, dass unter dem Eis driftender Asteroiden, in den Trümmern verwüsteter Planeten langsam zu erwachen begann…

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„Ah, Hallas. Sie habe ich gesucht.“
Ry Hallas, ehemaliger Pilot und mittlerweile Mitglied des Marinegeheimdienstes, sah auf. „Und Sie haben mich gefunden, Doktor Hazun. Was kann ich für Sie tun?“
Die große Akarii-Frau lachte fauchend. „Was Sie für mich tun können? Wie meinen Sie das? Sie sind hier, weil Ihr großer Patron Tobarii Jockham ins Gras gebissen hat, und Sie irgendwo hin abgeschoben werden mussten. Und Sie können sich noch glücklich schätzen, dass die Admirälin Sie aufgenommen hat, obwohl Sie keinerlei Qualifikation für Geheimdienstarbeit mitbringen.“
Säuerlich sah Hallas die Wissenschaftlerin an. „Ich bin nicht so vermessen zu glauben, für Sie in meiner derzeitigen Position etwas zu tun. Mir ist bewusst, dass dies ein Gnadenplatz ist.“
„Na, so bescheiden brauchen Sie nun auch nicht zu sein, mein lieber Major. Immerhin haben Sie bewiesen, dass Sie keine völlige Fehlentscheidung für die Arbeit eines Geists sind. Datenauswertung liegt Ihnen zumindest besser, als erkaltend in einem Graben zu enden.“
„Auch das meine ich nicht. Sie haben mich gesucht. Und da ich davon ausgehe, dass Ihnen der Paarungsakt mit mir fern ist, muss es etwas anderes sein, was Sie von mir erwarten.“
„Was? Ach das. Ja.“ Sie beugte sich ein Stück vor, bis sie mit dem sitzenden Ry auf Augenhöhe war. „Ich brauche jemanden vollkommen Verrückten der einen gewissen Clifford Davis kennt.“
Hallas legte die Stirnschuppen in Falten. „Ich bin Ihr Mann. Was also soll ich tun?“
„Na, dann rede ich doch nicht lange um den heißen Brei herum. Colonel Lun hat gesagt, ich kann Sie sofort mitnehmen. Sie sind für den Dienst in der Geheimdienstzentrale suspendiert, das heißt, Sie haben keinen Zugriff auf aktuelle Informationen mehr, und nach Ende der Aktion müssen Sie den üblichen Bericht schreiben, bevor Sie wieder Freigabe kriegen.“
„Das klingt heftig“, sagte Hallas skeptisch.
„Oh, wir werden weit von Akar entfernt sein. Deshalb ist es nur verständlich, dass Ihr Zugang auf Eis gelegt wird. Packen Sie ein, was Sie brauchen, den Rest lassen Sie hier, Major. Sie werden wieder zurückkehren, wenn wir überleben.“
Ry Hallas schnaubte leise. „Sie hatten meine Kuriosität, Doktor, doch jetzt haben Sie meine Aufmerksamkeit.“

***

Der Besprechungsraum, in den Doktor Helli Hazun ihn führte, gehörte de facto nicht mehr zum Geheimdienst, sondern zu den sogenannten interdisziplinären Räumen zwischen Geheimdienst und Flottenhauptquartier. Zu besonderen Gelegenheiten trafen sich untere Ränge verschiedener Fraktionen von Geheimdienst, Flotte, Heer, Polizei, Forschungsministerium, der imperialen Verwaltung und wer noch alles Interesse an einer Teilnahme hatte, in solch einem Konferenzraum auf „neutralem“ Boden. Hallas fand die Einrichtung dieser neutralen Räume, die von mehreren Fraktionen regelmäßig auf Manipulationen und Abhöreinrichtungen geprüft wurden, für positiv für die Zusammenarbeit, aber schlecht, dass es solche Räume wegen dem Misstrauen der Einrichtungen untereinander überhaupt geben musste. Der Raum, in den er eintrat, war ein kleiner Besprechungsraum, für nicht mehr als zwanzig Personen gestaltet, einer der kleinsten seiner Art, und damit auch einer der sichersten.
Hazun ging als Erste hinein und rief mit lauter, ins Schrille abgleitenden Stimme: „So, er hat zugesagt. Damit wären wir vollständig!“
„Das sind gute Nachrichten, Professor. Es wäre ein schlechter Anfang gewesen, hätten wir ihm die Teilnahme befehlen müssen“, antwortete eine Frauenstimme in angenehmen Alt-Ton.

Hallas betrat den Raum. Er identifizierte die Besitzerin der Stimme sofort. Kapitänin Jahallea Thelam, ausgerechnet. Eine Thelam vom Namen her, die sich dieses Umstands bediente, falls er einen Nutzen versprach, aber weit genug von der Hauptlinie um Linai entfernt, um nicht in den aktuellen Hexenkessel der Imperatorennachfolge hineingezogen zu werden. Sie war gerade nahe genug mit den Herrscherhaus verwandt, um den Familiennamen zu tragen, aber genügend Verwandtschaftsgrad entfernt, um den verschiedenen streitenden Thelam-Strömungen zu nichts verpflichtet zu sein. Doktor Hazun galt schon als Querkopf, als Ärgernis auf zwei Beinen, auf die tatsächlich schon mal jemand geschossen hatte, weil sie ihm zu sehr auf die Nerven gegangen war. Jahallea jedoch benutzte ihren Nachnamen wie einen Panzerschild, wenn es ihr sinnvoll erschien. Und einer Thelam widersprach man nicht so ohne weiteres. Ihre Störrigkeit war ihre beste Eigenschaft und hatte dazu geführt, dass sie aus dem aktiven Frontdienst abgezogen worden war, kaum dass man die noch lebenden Mitglieder der Offiziersfronde nach Jors Tod rehabilitiert hatte. Nicht, dass sie Jor besonders nahe gestanden hatte. Angeblich war er ihr Neffe sechsten Grades gewesen, was durchaus aufzeigte, wie weit verzweigt eine akariische Adelsfamilie der Oberschicht war. Aber ihr Abzug von der Front, bei der jemand den Spieß umgedreht und nun einige Jor-Anhänger in die Etappe versetzt und die Flottenführung umgebaut hatte, war für diese Person nur ein Vorwand gewesen, die nervige, wenngleich tapfere Jahallea gleich mit abzuschieben. Die Geschichte hatte über den Grabenfunk so oft die Runde gemacht, und Jahallea hatte seit ihrer Rückkehr in die Hauptstadt so viele Titelbilder als „Frau und Vorzeigesoldatin“ geführt, dass selbst Hallas sich mit dem Themenkomplex und vor allem ihrer Person beschäftigt hatte. Mit dem Abzug von der Front verbunden war eine Beförderung zur Voll-Kapitänin gewesen, um sie ruhig zu stellen. Angeblich ein Schreibtischjob im Flottenhauptquartier. So wie es ausschaute, hatte sie einen Weg hinaus gefunden.
„Kapitän“, grüßte Hallas die Frau, die kaum einen Tag älter als er sein konnte. Und er war schon jung für einen Major.
„Major Hallas. Setzen Sie sich. Du auch, Schatz.“
Die quirlige Hazun setzte sich so gehorsam hin wie eine farblose Musterschülerin auf den Befehl ihres Lieblingslehrers. Dabei strahlte sie über ihr ganzes Gesicht.
„Bitte, Hallas, setzen Sie sich neben sie.“
Gehorsam nahm Ry Platz.

„Ich fange an mit einer schnellen Vorstellungsrunde. Sie wissen vielleicht, dass Helli, ich meine Professor Doktor Hazun Historikerin ist. Aber neu dürfte für Sie sein, dass sie auch im archäologischen Bereich tätig ist. Was mich gleich zu Doktor Strom bringt.“ Sie deutete auf einen großen, kräftigen Akarii, dem sein Schöpfer viel zu viel Grazie und Schönheit in die Wiege gelegt hatte. „Angenehm, Ry. Ich darf Sie doch Ry nennen?“, sagte er mit einer Stimme, die wie flüssiges Karamell auf Eis klang. „Ich bitte darum, Doktor Strom.“
„Dann sagen Sie Jehl zu mir, Ry. Ich bestehe darauf.“ Das Lächeln, das seine Worte begleitete, ließ Ry seine sexuelle Orientierung in Frage stellen, wenngleich nur für einen Moment.
„Jehl“, sagte er, um dem Doktor einen Gefallen zu tun.
„Jehl, ich meine Doktor Strom ist unser Archäologe. Damit ergänzt er Doktor Hazun, die als interdisziplinäre Verbindung arbeitet. Bei ihr laufen alle Forschungsimpulse zusammen und sie macht daraus etwas Vorzeigbares. Wenn wir etwas finden, was sich lohnt zu berichten. Weiter. Die Herren Goj, Ratranu und Lemni sowie die Dame Hulang sind Doktoranden aus dem gleichen Stall wie Jehl, ich meine Doktor Strom. Sie unterstützen seine Arbeit. Um exakt zu sein, Herr Goj und Frau Hulang sind Xenoarchäologen, Herr Ratrau ist Metallurge und Herr Lemni ist Physiker mit der Fachrichtung Strahlung.“
Ry tauschte Begrüßungen mit den Doktoranden aus, richtete sich dabei auf und rückte ein Stück näher an den Tisch. Eine Historikerin, eine Thelam, ein Archäologe mit komplettem, interdisziplinärem Team, es fing an, interessant zu werden.
„Dann haben wir noch ein in Ungnade gefallenen Pflänzchen der Kaiserlichen Garde, das zu ein paar Monaten, besser ein paar Jahren Tapetenwechsel jenseits der Hauptstadt angehalten wurde“, spöttelte Thelam. „Und wir sind ihre beste Gelegenheit, dies zu tun, ohne dass sie auf einen langweiligen Garnisonsdienst abgeschoben wird. Hauptmann Taleki Obrot.“
Eine Akarii, die etwas kräftiger war, als auf Akar dem Ideal „hübsch“ entsprach, grunzte ärgerlich bei diesen Worten. „Sollst du lügen, Jahi? Glauben Sie ihr kein Wort, Hallas. Als sie sich mit diesem wahnsinnigen Projekt in ihrer typischen Mischung aus Nörgelei, wüsten Flüchen, Drohungen und fachlicher Kompetenz weit über der Norm durchgesetzt hat, wurde von Mokas Taran beschlossen, dass sie aufgrund ihres Namens zu wichtig ist, um da draußen einfach zu sterben. Aber nicht wichtig genug, um ihr diese Exkursion zu verbieten, Sie verstehen? Deshalb hat das Projekt eine Leibwache in Form einer halben Kompanie der Kaiserlichen Garde.“
„Du kannst auch nie einen Spaß mitmachen, Tal“, beschwerte sich Jallahea gespielt. „Das war schon in der Krabbelgruppe im Kindergarten so. Kaum hast du von mir einen mit der Rassel gekriegt, hast du gepetzt.“
„Und das ist so typisch für dich, Jahi. Ich würde mich ja nicht beschweren, wenn du es nicht lieben würdest, deine Scherze mit anderen zu treiben, aber immer noch Mord und Totschlag brüllst, wenn das jemand mit dir tut“, konterte sie.
Die Kapitänin räusperte sich überführt.

„Und dann bleibe wohl nur noch ich übrig. Ich stehe übrigens nicht formell unter dem Kommando von Kapitän Thelam, aber ich habe ihr nichts zu sagen, wenn man es so will. Kaiserlicher Oberinspektor Robore Kusagi vom Außenministerium. Ich begleite die Mission als neutraler Beobachter. Das heißt, ich werde sofort die Regierung darüber informieren, was immer wir finden“, sagte der Letzte am Tisch, ein relativ alter Mann, dem man ansah, dass er die wildesten Lebensjahre bereits hinter sich hatte. „Und bevor Sie fragen, der Geheimdienst-Otrok, der auf uns alle aufpassen und der alten Frau in ihrem Informantennetz seinerseits alles brühwarm erzählt, sind Sie, Hallas. Ich denke, daran gab es keine Zweifel, ebenso wenig wie daran, dass wir irgendwo noch einen inoffiziellen Geheimdienstmitarbeiter sitzen haben, der der Frau im Informantennetz all das berichtet, was immer Sie vergessen oder für nicht erwähnenswert erachten.“
„Herr Staatssekretär“, sagte Hallas und nickte in seine Richtung. „Das alles wirft eine Frage auf: Was mache ausgerechnet ich hier?“

Kapitänin Thelam lachte. „Gleich zum Punkt. Das freut mich. Dann werde ich Sie doch mal erhellen, Ry Hallas. Ihnen sagt doch der Name Clifford Davis etwas?“
Hallas hätte darauf vorbereitet sein sollen, seit Cliffs Name schon im Geheimdiensthauptquartier gefallen war, aber jetzt fühlte er sich doch überrumpelt. Zum Glück konnte er sich beherrschen, bevor er etwas Dummes tun konnte wie nach dem Verbleib eines Feindes zu fragen, der zufällig sein Freund war. „Ihnen sollte klar sein, dass das eine scheinheilige Frage ist“, sagte er stattdessen.
„Sie haben ihn also nicht vergessen. Dann wissen Sie sicherlich auch, dass er eine Zeitlang in unserer Kriegsgefangenschaft war. Stark verstrahlt, mehrere Tumore, der rechte Arm musste ihm amputiert werden, wurde mit dem Rest der zentral internierten Terraner befreit und führt wieder Flottendienst aus. Soweit auf der Höhe?“
Hallas nickte.
„Was ich Ihnen jetzt sage, Ry, wissen Sie noch nicht, garantiert nicht einmal vom Flottengeheimdienst. Davis war vor einiger Zeit auf unserem Territorium. Es handelte sich um ein unkultiviertes Sonnensystem, das wir bisher noch nicht aufgesucht haben, am Rand unserer Interessensphäre. Genauer ging es um Sonne siebzehn des Korobus-Clusters. Die Terraner nennen sie Medusa, und ich finde, das hat was.“
„Uns wurde keine Trägeraktivität berichtet“, sagte Hallas.
„Es gab auch keine Trägeraktivität. Wie es ausschaut, war Mr. Davis, ich spreche den Namen doch richtig aus, ja? Also, Mr. Davis war nicht mit einem Flottenträger in dem System, sondern mit einem terranischen Ziviltransporter, aber auch zwei Jägern vom Typ Falcon. Eines unserer Dünnschiffe brachte das Schiff auf, konnte es aber nicht stellen. Ein Enterversuch mit einem militärischen Shuttle scheiterte. Die gesamte Entermannschaft ging verloren, trotz nachgewiesenem Hüllenbruch, deshalb vermuten wir, dass an Bord des Frachters auch eine Strike Unit war. Letztendlich hat der Frachter bessere Beschleunigungswerte als unser Schiff gehabt, und die sicher geglaubte Beute und die angreifende Rauminfanterie wurden verloren gegeben. Übrigens ein Umstand, für den der Kapitän sein Kommando verloren hat, und wie ich finde, zu Recht. Jedenfalls waren nicht alle Offiziere so wertlos wie ihr Kommandeur. Vor allem die Ortungsabteilung und die Funkabteilung brachte einiges an Daten mit zurück, und daher konnten wir nach der Dekodierung des Funkverkehrs Mr. Davis und seine Flügelleaderin, Ms. Tatjana Pawlischenkow, identifizieren. Ja, genau, diese Pawlischenkow, die einen Kampfnahmen erhalten hat. Gorod Schin.“
„Narbentod.“
„Spricht man das so auf terranisch aus?“
„Nicht auf terrranisch. Auf Englisch. Die Terraner haben etwas über achthundert Sprachen und Dialekte in der Republik, aber Englisch gilt bei den Raumfahrern als Transitsprache.“
„Danke für die Nachhilfe, Hallas. Jedenfalls hat der Kapitän nicht alles falsch gemacht und nach der Vertreibung des Frachters versucht herauszufinden, was dieses maskierte Kommando überhaupt im System gewollt hat. Die Ergebnisse waren…uneindeutig, erschwert durch das stark schwankenden Strahlungslevel in dem System. Wir verloren mehrere Drohnen und ein Shuttle hätte sich beinahe ungebremst in den Boden eines der Monde gebohrt. Es gab einige sehr…merkwürdige Ortungen. Dann musste die Operation allerdings wegen…logistischen Problemen abgebrochen werden. Außerdem schien die Sensortechnik immer schlechter zu funktionieren.“, Captain Thelam räusperte sich: „Oder beziehungsweise deren Bedienung.“
„Interessant“, sagte Hallas. „Ich nehme an, ich bin der Einzige hier, dem das alles neu ist?“
„Korrekt. Ja, wir wiederholen gerade das ganze Briefing nur für Sie. Jedenfalls, noch während der Untersuchung des Systems fing der Ärger erst richtig an. Einige Mannschaftsmitglieder berichteten von Wachträumen, fieberten ohne Infektion und bekamen Schuppenräude, die nicht behandelbar war, wieder andere träumten wirres Zeug. Und einer brachten sich um. Die Ergebnisse der Befragungen, aber vor allem das persönliche Logbuch des Toten und die Ergebnisse der Autopsie, sind so ähnlich schon vorgekommen.“ Thelam nickte Hazun zu, die sofort übernahm.

„Es gibt zwei weitere Ereignisse, bei denen anscheinend ähnliche Dinge an Bord von kaiserlichen Raumschiffen stattfanden. Und sechs Fälle bei denen dies naheliegt, wir aber aufgrund der Totalzerstörung oder dem Verschwinden des entsprechenden Schiffes nicht sicher sein können. Alle Daten, die wir in diesem Zusammenhang haben, weisen gewisse Parallelen auf. Alle acht kaiserlichen Einheiten trafen entweder mit einem terranischen Wrack auf Niemandsflug namens STARDANCER zusammen, einem, nun, Geisterschiff, oder aber, in den meisten Fällen, nämlich sechs, mit einem anderen Geisterschiff, der COPERNICUS. Die STARDANCER treibt ihr Unwesen anscheinend schon seit Jahrzehnten. Wir glauben inzwischen eine gewisse Ahnung über ihren Kurs zu haben. Aber wie erwähnt führten alle früheren Versuche, sie zu entern zu einer Katastrophe. Die COPERNICUS ist offensichtlich deutlich älter, aber die letzte Sichtung war erst vor wenigen Jahren. Das kostete uns einen Hilfskreuzer, die MOTRONOS. Obwohl es eine Überlebende gab, sind die Umstände des Vorfalls immer noch…unklar. Aber wie es aussieht kam es auch hier zu Massenwahnsinn und Selbstmorden.“
Hazun sah so aus, als wollte sie etwas einwerfen, aber ein warnender Blick von Thelam ließ sie stumm bleiben.
„Bei der Autopsie der Toten, die wir bergen konnten, wurden ähnlich wie bei dem Selbstmörder des Patrouillenschiffs veränderte Hirnstrukturen festgestellt. Verstehen Sie das, Ry? Und auch die Akarii, die sich weder selbst umgebracht hatten, noch gestorben sind, aber diese Träume hatten, wiesen Modifikationen in ihren Gehirnen auf! Keinen Krebs und auch keine mechanischen Verformungen. Funktionale Modifikationen, vor allem in den Bereichen für kognitive Verarbeitung und für das Langzeitgedächtnis.
Es gibt da gewisse Ansätze, die von unseren Wissenschaftlern aus diesen Forschungen übernommen wurden, man munkelt von Teilübertragung von Gehirnarealen und anderem verrückten Zeugs, und dass es unter Geheimhaltung steht, beantwortet keine Fragen, sondern mehrt sie nur. Einmal bin ich bei meinen Recherchen sogar auf einen sehr verrückten Wissenschaftler gestoßen, der aufgrund der Daten der veränderten Gehirne an Bewusstseintransfers gearbeitet haben soll. Aber da begeben wir uns wohl restlos in den Bereich der Science Fiction. Zurück zum Thema.
Denn das Beste kommt noch. Über die Konföderation haben wir niederschwellige Ermittlungen betrieben, um so viel wie möglich über STARDANCER und COPERNICUS herauszufinden. Was immer uns hilfreich sein konnte: Mannschaftslisten, Fracht, letztes bekanntes Ziel, letzte bekannte Route. Es waren keine wirklich sensiblen Daten, und die Terraner erforschen das Schicksal der beiden Schiffe nicht. Und jetzt halten Sie sich fest. Der Kapitän der STARDANCER war ein Davis. Richtig. Ein Onkel Dritten Grades von Clifford Davis!“
Ry blinzelte hektisch. „Und dieser Clifford Davis war im Medusa-System. So als ob er nach seinem Onkel suchen würde.“
„Sie verstehen ja wirklich“, lobte Thelam. „Allerdings gibt es keinen Hinweis, dass die STARDANCER jemals in dem System war. Es liegt auch nicht auf ihrem vermuteten Kurs. Dennoch ist das eine Koinzidenz, die zu auffällig ist, um nur ein Zufall zu sein. Trotzdem verstehen Sie jetzt , dass wir Sie im Team haben wollen. Erstens sind Sie im Hauptquartier überflüssig. Zweitens sind Sie mit Clifford Davis zusammen gewesen, als Sie ihm Sekurr beigebracht haben und können ihn besser einschätzen als jeder andere lebende Akarii. Das könnte noch einmal wichtig werden. Und drittens, und das ist am wichtigsten, Sie waren auf Terra. Nicht nur in Gefangenschaft, sondern auf der Hauptwelt. Sie waren näher dran an ihrer Kultur als jeder andere von uns. Viele kennen das soziale und politische Leben der Colonials. Aber das unterscheidet sich in vielen Punkten von dem der Terraner. Derjenige, der den tiefsten Einblick überhaupt in die Art der Terraner bekommen hat, das sind Sie, Ry. Sie allein. Und deshalb hat Jockham, möge er am Fluss stehen und Münzen für die Ruderer haben, Sie durch die feine Gesellschaft geschickt, um für die Terraner zu werben. Wir brauchen Sie zur Interpretation unserer terranischen Quellen. So, das ist in etwa die grobe Einführung. Noch Fragen?“
„Wohin werden wir uns zuerst wenden? Jagen wir einem der beiden Schiffe hinterher, oder untersuchen wir das Medusa-System?“
„Weder noch. Trotzdem wir einige Vermutungen bezüglich ihres Kurses haben, sind das noch immer zwei winzige Nadeln in einem galaktischen Heuhaufen. Und Sie dürfen nicht vergessen, was mit der MOTRONOS und den anderen Schiffen passiert ist. Was Medusa angeht… es gibt Anzeichen dafür, dass eine Explosion stattgefunden hat. Ein anderes terranisches Schiff hat etwas gefunden und sich dann selbst vernichtet. Die Terraner mit Davis hatten nicht die Zeit, um den ganzen Vorfall zu untersuchen. Aber wir haben sie. Und je nachdem, ob wir etwas finden, und was wir finden, werden wir entscheiden, wie wir weiter vorgehen.“
„Darf ich vielleicht ergänzen“, sagte Jehl Strom mit seiner viel zu angenehmen Stimme. „Sie wissen noch nicht, warum wir uns so sehr für diesen Komplex interessieren, abgesehen davon, dass Ihr Freund Clifford Davis in mehr als einer Hinsicht involviert ist.“ Er beugte sich ein Stück vor, und seine erstaunlich klaren Augen funkelten Hallas geradezu an. „Was sagte Ihnen das Thema Dolan’vTar, Ry?“
„Um ehrlich zu sein, gar nichts, bedaure.“

„Dann muss ich wohl noch ein wenig ausholen. In jener Zeit unserer Entwicklung, die wir die Antike nennen, gab es für einen kurzen Zeitpunkt eine Gruppierung, die einen beachtlichen, aber nicht unerklärlichen Aufschwung in Technologie und Wissenschaft erfahren hat. Diese Gruppe nannte sich Dolan’vTar, oder auch die Wesen von außen. Es ist überliefert, dass diese Gruppierung behauptete, ihren Wissenssprung von außerhalb des Akar-Runds erhalten zu haben. Sie existierte nicht lange und wurde nach rund zwanzig Jahren assimiliert und teilweise ausgelöscht, und ihre Vorsprünge wurden in die führenden damaligen Kulturen aufgenommen. Was diese zugegeben kurze Phase für uns interessant macht, ist der Historiker Phal Halet.“
„Von ihm haben ich auch noch nie gehört“, sagte Hallas bedauernd.
„Das ist nicht weiter verwunderlich, denn er kam zu spät, um die Geschichtsforschung per se zu begründen, und zu früh für eine empirische Einordnung dessen, was er recherchierte. Man kann sagen, er war einer von mehreren und ragte nicht hervor. Aber er war der einzige Historiker, der für Maana Alapha arbeitete, einer auch eher unbedeutenden Tyrannin eines größeren Reiches, das einige Zeit relativ ungestört durch die Geschichte driftete, bis ihr Sohn gleich nach ihrem Tod entmachtet und die Demokratie in ihrem Reich eingeführt wurde. Aber auch das, nur Fußnoten, die den Durchschnittsakarii nicht interessieren. Warum also interessiere ich mich für ihn? Nun, er war nicht nur Historiker, sondern auch der Feldscher der Tyrannin, also ihr Leibarzt. In dieser Eigenschaft führte er eine gut aufgezeichnete Autopsie an einem am Galgen ermordeten Aufrührer durch. Genauer gesagt nahm er eine der exaktesten Autopsien vor, die die damalige Zeit kannte. Während er dies tat, dokumentierte er Abweichungen an der Gehirnstruktur des Toten, schob dies aber dem Umstand zu, dass er von außerhalb gekommen war.“
„Gehirnstruktur?“ Hallas beugte sich vor. „Wie genau war denn diese Dokumentation?“
„Ich sehe, Sie merken, worauf ich hinaus will. In der Tat gibt es Kopien dieser Arbeit auch heute noch, wenngleich sie eher unter den „Die Götter haben gelebt, sie kamen auf Akar herab und brachten uns das Licht“-Spinnern verbreitet werden, was die „Die Akarii haben sich ganz aus eigener Kraft aus der Asche erhoben und sind nur mit den eigenen Fähigkeiten den Weg bis zu den Sternen gegangen“-Idioten natürlich nicht so gerne sehen.“
„Ich kenne diese Konflikte, wenngleich sie für meine Geheimdienstarbeit keine Rolle gespielt haben. Sie sind unterschwellig und bedeuten derzeit nichts“, sagte Ry. „Aber was Sie mir wirklich sagen wollen, das ist, dass die Aufzeichnungen über die Abweichungen der Gehirnstrukturen jenen ähneln, die sie von den Opfern der COPERNICUS kennen, richtig? Und außerdem war der tote Aufrührer ein Dolan’vTar, richtig?“

Jahallea Thelam grinste spitzbübisch. „Also, ich finde, er hat es besser aufgenommen als ich. Oder Sie, Jehl.“ Der Archäologe schmunzelte.
Die Kapitänin wandte sich wieder dem ehemaligen Jägerpiloten zu. „Keiner hier am Tisch hat je daran geglaubt, dass die Dolan’vTar jemals existiert, geschweige denn etwas hinterlassen haben, Ry. Wir alle hielten sie für Ammenmärchen. Und als wir an den Themenkomplex der COPERNICUS gegangen sind, geschah dies zuerst von Doktor Hazun und mir unter dem Gesichtspunkt, es mit einer besonderen Terranerwaffe zu tun zu habe. Dann aber sprach ich mit einem Ingenieur, es war ein reiner Zufall, und er erzählte mir, die derzeitige Legierung unserer Schiffe ginge auf ein Metallurgie-Verfahrens zur Sinterung von Metallen zurück, das eine preiswertere Version eines uralten Rezepts sei, das von Archäologen entdeckt worden war, vor etwa eintausend Jahren. Seit wir diese Panzerung haben und sie billiger, und damit auch schlechter, aber eben auch schneller produzierbar einsetzen, beherrschen wir diesen Raumsektor. Verstehen Sie mich nicht falsch. Es geht nur um ein, zwei Faktoren, aber die hatten bereits eine messbare Wirkung.“
„Ist das jetzt Science Fiction, oder diese Prä-Astronautik?“, beschwerte sich Hallas.

„Sehen Sie, Ry“, begann die Kapitänin wieder, „es mag nicht gerne umstritten sein, dass wir Akarii uns aus eigener Kraft ins Weltall aufgemacht haben und allen anderen Lebensformen so sehr überlegen sind, dass wir dazu auserwählt wurden, sie zu beherrschen, oder auch sie zu vernichten, wann immer wir es wollen. Sie können dieser Denkschule ja gerne anhängen – allein, ich kann es nicht. Nicht mehr. Es steht eindeutig fest, dass die COPERNICUS, die STARDANCER, und auch das Medusa-System vielleicht zwei einzelne Geheimnisse sind, vielleicht ein einziges bilden, und es gibt einen Hinweis auf eine Zeit, in der wir uns eben noch nicht zu den Sternen aufgeschwungen haben, die von einem möglichen Kontakt mit einer älteren Spezies berichten. Sehen Sie, der normale Akarii, sogar der normale Adlige kann es sich leisten, die Mär von der überlegenen Herrenrasse zu glauben, die als Erste die galaktische Bühne betreten hat und die seither unangefochten herrscht. Ich aber kann es nicht. Ich darf es nicht. Nicht nach den ersten Zweifeln. Nicht nach den ersten Hinweisen. Denn was, denken Sie, wird mit uns als Spezies passieren, wenn wir auch nur einen Hauch von der Technologie jener Spezies erhaschen können, die es vielleicht gegeben hat? Wenn wir zum Beispiel diese Selbstmordgeschichte als Waffe gegen die Terraner verwenden können?
Aber was ist, wenn die Terraner näher dran sind als wir? Wie wir seit Troffen wissen, haben zumindest einige von ihnen keine großen Probleme damit, mal eben eine planetare Bevölkerung auszurotten. War Ihr Freund Clifford Davis nicht auch dabei? Aber egal.
Jedenfalls gibt es da draußen irgendetwas, das alles tötet, was sich für es zu interessieren beginnt. Und deshalb will ich wissen, wie man den Part mit dem Sterben verhindern kann. Und dann will ich das, was dieses Sterben auslöst, im Dienste Akars sehen. Dabei ist es mir egal, ob es die Dolan’vTar oder die Mec'Tovrir oder sonst eine untergegangene Spezies war, die es angeblich nicht geben darf. Selbst dem konservativsten Akarii sollte klar sein, dass die zwanzig Milliarden Jahre,die dieses Sternenrad bereits existiert, mehr als genug Zeit war, um Dutzende, Hunderte, wenn nicht Millionen Zivilisationen zuzulassen, die gekommen, den Weltraum bereist und wieder verschwunden sind. Ich habe jahrelang nur zu gerne geglaubt, dass wir die Ersten seien, die Privilegierten, die Auserwählten. Aber im Militär habe ich gelernt, dass man sich nicht auf die Propaganda verlassen darf, sie nicht als Wahrheit sehen darf. Dass man seine Schlüsse ziehen muss, um zu überleben. Und auch jetzt ziehe ich meine Schlüsse. Und wenn es eine Möglichkeit gibt, dass da draußen die Hinterlassenschaften einer untergegangenen Zivilisation herumschwirren, die uns einerseits bedrohen, uns aber andererseits in die Lage versetzen können, Technologie oder irgend etwas anderes in unseren Besitz, in den Besitz der Akarii zu bekommen, das uns einen Vorteil verschafft, dann ignoriere ich das nicht. Ich kann es nicht beschönigen, als ich die Gelder und die Einheiten für die Mission zusammengeklaubt habe, hat mir oft genug nur mein Name geholfen, und eher selten konnte ich jemanden von der Möglichkeit, der Chance überzeugen, dass es mehr da draußen gibt als etwas, das unsere Leute ermordet, wenn es mit ihnen zusammentrifft. Es gibt mehr. Denn diese Morde, die Träume, die veränderten Gehirne, das hat eine Ursache. Und diese Ursache muss in die Hand der Akarii kommen. Oder wir müssen es vernichten, bevor die Menschen uns zuvor kommen.“

Sie räusperte sich, nahm einen Schluck Wasser und verkündete: „Ich und alle hier am Tisch haben einen Plan. Einen Plan, der vielleicht nie zu einem Erfolg führt. Aber wir führen ihn aus. Das haben wir beschlossen. Ich sage, es gibt einen Weg, diese Hinterlassenschaften zu entdecken. Und wenn wir das geschafft haben, dann gibt es auch eine Möglichkeit, den Überresten ihre Geheimnisse zu entreißen. Die Terraner, so berichtete man mir, haben neulich einen metallurgischen Sprung gemacht, der selbst unserer Reinformel überlegen ist, und das nach dem Vorfall im Medusa-System. Natürlich dauert es noch Jahre, bis aus der Erkenntnis etwas wird, das Schiffe panzert, und das im Zeitalter der Energieschirme. Aber verstehen Sie, worum es mir geht, Ry Hallas? Verstehen Sie?“
Ry runzelte die Stirnschuppen. „Sagen Sie doch gleich, dass Sie ein Selbstmordkommando zusammenstellen. Ich bin dabei.“
„Nicht, dass Sie eine andere Wahl gehabt hätten, aber freiwillige Mitarbeit ist immer besser als erzwungene Mitarbeit“, sagte sie zufrieden.
Ry Hallas hieb sich auf die Oberschenkel. „Schön, dass Sie das gesagt haben. Wo geht es zuerst hin? Und wenn das Thema schon mal auf dem Tisch ist, auch mit einem Frachter, wie die Terraner?“
„Eventuell nach Medusa“, half Hazun aus. „Wir haben bereits Vorbereitungen getroffen. Wir werden, sollte sich die Notwendigkeit ergeben, im System zu forschen, diverse Schutzmaßnahmen für Technologie und für Akarii ausprobieren. Für den Zweck haben wir die Todestrakte zweier Gefängnisse nach Freiwilligen abgesucht, mit Erfolg.“
„Aha. Falls sie überleben, kommen sie frei?“
„Falls sie überleben, wird die Todesstrafe nicht ausgeführt und in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt“, sagte Thelam. „Und sie leisten einen Dienst am akariischen Volke, der ihre Familien von ihren Sünden rehabilitiert.
„Na immerhin.“
„Was mich zum zweiten Teil der Frage bringt. Womit fliegen wir?“
Nun war es an der Kapitänin zu lächeln. „Mit meinem Geschwader natürlich. Und mit dem Forschungsschiff YOL ILIS. Wenn, dann wollen wir es richtig machen. Die YOL ILIS wird für die Mission auch mein Flaggschiff sein, und wir werden dort alle unterkommen, denn hier spielt die Musik.“ Sie erhob sich, kaum um den Tisch herum und streckte Ry Hallas die Rechte entgegen. „Sie werden ein wichtiger Eckpfeiler in dieser Arbeit sein. Sie haben sich bereits als Pilot erfolgreich in die Geheimdienstarbeit eingearbeitet. Ich erwarte ähnliches auch in diesem Fall von Ihnen, Ry. Und Sie sind unser Trumpf gegenüber den Terranern, weil Sie sie besser kennen als jeder andere Akarii. Willkommen im Team.“
Hallas erhob sich und ergriff die Hand. „Ich habe schon lange nichts Verrücktes mehr gemacht, was mich an die Schwelle des Todes gebracht hat. Danke, dass ich dabei sein darf.“ Er sah ins Rund. „Ich habe das Gefühl, hier passe ich genau rein.“
„Ist das jetzt gut oder schlecht?“, lachte der Historiker.

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Draned-Sektor, Imperialer Flugdeckkreuzer KALLEH


Auf der Sekundärbrücke des Kreuzers herrschte das gedämpfte Licht des Gefechtsalarms. Die Bildschirme der Gefechtsstationen waren die stärksten Lichtquellen und beleuchteten die Gesichter der jungen Männer und Frauen, die sie besetzt hatten.
„Sensoren erfassen drei, ich korrigiere fünf nicht identifizierte Schiffe.“
„Zielaufschaltung. Und unsere Jägersicherung soll sich das ansehen.“
„Identifizierung läuft…ich melde einen terranischen Leichten Träger der MAJESTIC-Klasse sowie vier Zerstörer.“
„Der Feind schleust Jäger und Bomber aus.“
„Alarmstart für unsere Jäger. Signal an unsere beiden Geleitschiffe – Rückzug zum Sprungpunkt.“
Das kam überraschend für einige: „Rückzug?“
Der Befehlshabende richtete sich unwillkürlich auf: „Unser Auftrag lautete, die gegnerischen Flottenbewegungen aufzuklären und schwächere Feindformationen anzugreifen. Dieser Verband ist uns an Feuerkraft und bezüglich der Stärke des Raumfliegerkontingents um fast das Doppelte überlegen. Dafür sind wir schneller. Ich werde keinen unnötigen Kampf riskieren, den ich nicht gewinnen kann.“
„Aber…“
„Ihr Einspruch wurde zur Kenntnis genommen. Führen Sie jetzt den Befehl aus.“
„Der Feind nimmt die Verfolgung auf. Die feindlichen Kampfflieger holen auf.“
„Handelt es sich um Jagdbomber oder…“ Die neueste Variante der MAJESTIC-Klasse konnte auch schwere Bomber einsetzen.
„Es sind…eine Staffel Thunderbolts und zwei Staffeln Nighthawks. Eine Abfangjägerschwadron scheint bei dem Trägerverband zu bleiben.“
„Ausgezeichnet. Damit werden wir fertig. Befehl an Begleitschiffe, Abwehrformation…“

„Simulation Stopp.“ Schlagartig schalteten die gedimmten Lichter eine Stufe höher. Navarr Thelam blinzelte geblendet. Er brauchte ein paar Herzschläge um sich auf die Realität zu konzentrieren, die in Gestalt von Captain Zanni im Brückeneingang stand.
Die Kreuzerkommandantin sah ihn mit einer ausdruckslosen Miene an: „Wenn Sie sich zurückziehen, Lieutenant, werden Sie wenig Ruhm erwerben.“
Navarr richtete sich aus dem Kommandosessel auf und fühlte, wie ihm das Blut in die Wangen stieg: „Captain, meine Entscheidung…“
„Immer mit der Ruhe. Wenn Ihr Schiff vernichtet wird, können Sie natürlich noch viel weniger Ruhm ernten. Sie haben richtig gehandelt.“ Ihr Blick wanderte weiter und spießte einen anderen Übungsteilnehmer auf: „Kritisches Feedback ist wichtig, aber wenn Sie die Befehle ihres Captains während des Gefechtsalarms auf offener Brücke diskutieren wollen, begeben Sie sich auf EXTREM dünnes Eis. Sie sollten sich hundertprozentig sicher sein, dass es das wert ist.“, dann wanderte ihr Blick zurück zu Navarr: „Kommen Sie mit, Thelam.
Mengar, Sie übernehmen das Kommando und machen weiter. Mal sehen, ob Sie mein Schiff sicher nach Hause bringen können.“
Während Navarr Mengar Platz machte, warf der dem Prinzen einen fragenden Blick zu, was Navarr mit einem Schulterzucken beantwortete. Er wusste auch nicht, warum Zanni die Übung unterbrach, die sie selber angeordnet hatte.
Hinter ihm wurde die Brückenbeleuchtung wieder schwächer, während Mengar mit ausdrucksloser Stimme den Brückenoffizieren Anweisungen gab.
„Es war richtig, dass Sie ihr Handeln erläutern. Immerhin sollen Sie und Ihre Kameraden voneinander lernen. Aber das dürfen Sie auch nicht übertreiben.“, Zannis Stimme klang beiläufig.
„Captain?“
„Passen Sie auf, dass Sie nicht anfangen, sich zu rechtfertigen. Das kostet Zeit, die Sie möglicherweise nicht haben. Und es lässt Sie schwach wirken, untergräbt Ihre Autorität, was tödlich sein kann.“
„Ich verstehe Captain…“, das war nur zur Hälfte richtig: „Und…was genau ist in diesem Fall der Unterschied zwischen Erklärung und Rechtfertigung?“
Die Kreuzerkapitänin lachte kurz auf: „Das zu lernen sind Sie hier.“
„Darf ich erfahren, warum ich…“
„Warum wohl?“, Zanni schnaubte: „Der Admiral will Sie sehen. Und bevor Sie weiterfragen, NEIN er hat mir nicht gesagt, worum es geht.“
Navarr schluckte die nächste Frage – warum Zanni ihn persönlich abholte und das nicht per Kommlink getan oder die Aufgabe einem Untergebenen übertragen hatte – herunter.

Ihr Weg führte sie nicht zur Hauptbrücke, sondern zu einem der daneben befindlichen Besprechungsräume. Die versammelte Runde war klein: außer Admiral Rau, Captain Zanni und Navarr, der sich mit seinem Leutnantsrang sehr deplatziert vorkam, war nur der Kommandeur des Marineinfanteriekontingents der KALLEH anwesend.
„Da sind Sie ja. Gut. Wie haben sich unsere jungen Offiziere geschlagen?“
Zanni winkte ab: „Wir waren noch gar nicht zum ‚Schlagen‘ gekommen, als ich Lieutenant Thelam aus der Runde geholt habe. Aber die Reaktionszeiten waren gut.“
Rau nickte und grinste flüchtig: „Nun, der Lieutenant wird noch genug Gelegenheiten bekommen, sich zu beweisen.
Sie fragen sich sicherlich, warum ich Sie zusammengerufen habe.“
„Ich vermute, es hat etwas mit dem verschlüsselten Funkspruch zu tun hat, der vor kurzem von T‘rr eingegangen ist.“, konterte Zanni.
Der Admiral warf der Kreuzerkapitänin einen prüfenden Blick zu: „In der Tat. Captain Zanni, die KALLEH wird die Kampfgruppe mit Ziel T’rr verlassen. In der Zwischenzeit wird Captain Matir das Kommando der Flotte übernehmen.“
„Darf ich fragen, was der Grund für unseren…Ausflug ist? Wir wollen doch sicherlich nicht nur Marschall Parin einen Besuch abstatten.“ Zannis Frage balancierte gefährlich nahe am Rande der Insubordination. Vermutlich war sie sich dessen auch bewusst, denn sie fügte hinzu: „Wie Sie wissen, ist die Stimmung in der Flotte etwas…angespannt.“
„Nicht nur in der Flotte.“, räumte Kjani Rau ein: „Aber ich bin sicher, dass Matir alles im Griff haben wird. Was Ihre Frage angeht…Sie werden in Kürze informiert werden.“
„Aber nicht jetzt.“
„Nicht, solange wir noch im Flottenverband fliegen. Die Mission hat einige eher…politische Aspekte, die ein gewisses Maß an Geheimhaltung bedingen.“
Zanni sah so aus, als wollte sie nachbohren, aber nach einem schweigenden Blickduell mit ihrem Vorgesetzten, gab sie klein bei.
Der wandte sich inzwischen dem Marines-Kommandeur zu: „Ich will, dass Sie ein zwölfköpfiges Einsatzteam zusammenstellen. Erfahrene Männer und Frauen – verschwiegen und nicht zu schießwütig. Und sie sollten Erfahrung im Umgang mit Betäubungswaffen haben.“
Diesmal gab es keine Fragen, nur ein knappes, bestätigendes Nicken. Die imperiale Marieninfanterie war dafür bekannt, Aufträge ungefragt zu erledigen.
„Was Sie angeht…“, das galt Navarr, „Sie werden in den nächsten Tagen ein paar zusätzliche Stunden in ihrem Tagesplan finden müssen. Ich will, dass Sie ihre Infanterie-Grundausbildung auffrischen. Sie werden das Einsatzteam begleiten und einen der drei Trupps leiten.“
Navarr Thelam lag mindestens ein halbes Dutzend Fragen auf der Zunge, aber er blieb stumm. Kaiserlicher Prinz oder nicht – nachdem Captain Zanni auf Granit gestoßen und der Marieninfanterie-Offizier seinen Auftrag fraglos akzeptiert hatte, war es selbstverständlich undenkbar, dass ausgerechnet er jetzt nachhakte.
Natürlich war die Besprechung damit noch nicht beendet, auch wenn Admiral Rau sich bezüglich der Dauer und dem Ziel der anstehenden Mission weiter ausschwieg. Navarr hielt den Mund, hörte zu und versuchte zu lernen, wie es vermutlich von Rau beabsichtigt war. Eine Dreiviertelstunde später hob der Admiral die Runde auf. Auch wenn Zanni immer noch nicht zufrieden wirkte, unterließ sie es, weiter nachzubohren.

„Einen Augenblick noch, Lieutenant.“
Navarr hielt inne: „Admiral?“
„Sie fragen sich sicherlich ebenfalls, was das Ziel unseres Ausflugs ist.“
„Da Sie politische Implikationen erwähnten, vermute ich, es hat etwas mit der Befriedung der T’rr-Rebellion zu tun.“
Der Admiral lächelte flüchtig: „Sehr gut, wenn auch naheliegend. Sie haben Recht. Auch dank der imperialen Siege der letzten Zeit – und dem schicksalhaft günstigen Ableben von ‚Hochlord‘ Qulat – haben sich die imperialen Separatisten in diesem Sektor weitestgehend selber neutralisiert. Was bleibt, sind vor allem Säuberungs-, Sicherungs- und Stabilisierungsoperationen. Teilweise langwierig und potentiell nicht ungefährlich, aber relativ unproblematisch. Und die TSN wird voraussichtlich für das nächste halbe Jahr nicht zu größeren Vorstößen in den Draned-Sektor in der Lage sein. Damit sind die T’rr unser drängendstes Problem. Wie so häufig.“
„Ich verstehe allerdings nicht, wie Ihre Anwesenheit auf dem Planeten dieses Problem lösen soll. Oder wollen Sie persönlich mit den T’rr verhandeln? Das…“
„Wäre gewagt und würde möglicherweise unsere Freunde von der Armee verärgern? Das hat mich noch nie von etwas abgehalten, zudem haben Parin und ich besseres zu tun, als mit dem traditionellen Gezänk zwischen den Streitkräften unsere Zeit zu vergeuden. Uns beiden geht es um ERGEBNISSE. Das größere Problem ist, zu entscheiden, MIT WEM wir eigentlich verhandeln wollen. Es gibt hunderte Guerillagruppen und mindestens ein halbes Dutzend größere Allianzen. Bündnisse, die sich teilweise nicht nur über mehrere Kontinente, sondern über etliche Sternensysteme erstrecken. Und die sich teilweise zutiefst misstrauisch wenn nicht sogar feindselig gegenüberstehen. Wenn wir Frieden – einen ECHTEN Frieden – aushandeln wollen, brauchen wir erst einmal den richtigen Gesprächspartner."
„Sie meinen einen, der die verschiedenen Guerillagruppen vereint?“
„Bleiben wir doch realistisch: jemanden, der zumindest für GENUG Gruppen spricht, damit andere nachziehen. Jemanden, der tatsächlich ALLE Widerstandsgruppen vereint, den wird es bei diesem Volk niemals geben. Zu unserem Glück, denn er oder sie wären viel zu gefährlich.“
„Aber wie wollen Sie den von ihnen gewünschten Gesprächspartner finden?“
Der Admiral lächelte wieder: „Das verrate ich Ihnen noch nicht. Nur so viel: der Einsatz, auf den Sie sich jetzt vorbereiten, wurde von langer Hand vorbereitet. Admiral Taran hat gewissermaßen den Grundstein gelegt und Marschall Parin und ich haben dann darauf aufgebaut. Aber finalisieren konnten wir die Operationsplanung erst dank unserer kleinen Geheimoperation, die Sie vor einiger Zeit kritisiert haben.“
„Sie meinen, als wir die terranischen Spezialeinheiten unter unseren Augen von dem Planeten verschwinden ließen? Wie…“
„Wie ich Ihnen schon damals sagte, ging es dabei vor allem auch darum, Vertrauen aufzubauen. Vertrauen, das in Informationen umgetauscht werden konnte.“
„Und diese Informationen…“
„Betreffen eine Person, die bei der Insatallation eines geeigneten Gesprächspartners eine möglicherweise entscheidende Rolle spielen kann.“
„Und dazu brauchen wir ein Einsatzteam Marines?“
„In erster Linie eine Vorsichtsmaßnahme, die auch Ihrer Sicherheit dienen soll. Immerhin werden wir uns an einen nicht ganz ungefährlichen Ort begeben, den vermutlich noch kein kaiserlicher Prinz jemals betreten hat.“ Um Kjani Raus Mundwinkel zuckte es verräterisch: „Oder waren Sie zufälligerweise schon einmal in einem T’rr-Bordell?“
20.03.2021 07:11 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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T’rr, Etliche Tage später

Die Luft in dem Mannschaftstransporter schmeckte abgestanden – nach Nervosität und altem Luftaustauscher. Die zu hohe Luftfeuchtigkeit und Temperatur war ein weiterer Hinweis, dass die Klimaanlage des APC schon bessere Tage gesehen hatte. Auf Navarr Thelam lastete das Gewicht des Gefechtshelmes und der Panzerung, die nur dem Namen nach ‚leicht‘ war. Bewaffnet war er mit einem Schockgewehr: einer halbautomatischen Waffe, die elektrisch geladene Geschosse verfeuerte. Dazu kamen eine Laserpistole und das Standard-Seitengewehr als Reservewaffen. Die Männer und Frauen des Einsatztrupps waren ähnlich bewaffnet. Einige schienen zu dösen, zwei waren in eine letzte Überprüfung ihrer Ausrüstung vertieft. Eine Soldatin überwachte den 360-Grad-Bildschirm des ferngesteuerten Schnellfeuerlasers, der auf dem Dach des Chr’Chr-Transporters montiert war und dessen Lauf langsam von rechts nach links wanderte. Die aus drei Truppentransportern bestehende Kolonne vereinte genug Feuerkraft, um eine Kompanie auszulöschen. Draußen war es dunkel – bis zum Sonnenaufgang blieben noch fast drei Stunden. Keiner der zwölf Marines in dem APC schien die Anspannung und Nervosität zu spüren, die Navarr fühlte. Aber vielleicht verbargen sie es auch nur gut. Navarr wechselte einen Blick mit der drahtigen Lieutenant, die den Einsatztrupp kommandierte. Er wusste nur wenig über die Frau: jedenfalls hatte sie sich aus dem Mannschaftsdienstrang hochgearbeitet und fast zwanzig Jahre Einsatzerfahrung. Falls es sie irritierte, dass der knapp halb so alte Navarr denselben Rang wie sie hatte, ließ sie es sich jedenfalls nicht anmerken.

Es knackte und dann drang die raue Stimme des APC-Fahrers aus den Helmempfängern: „Passieren jetzt Perimetersicherung.“
Navarr konnte es sich nicht verkneifen, sich umzudrehen und einen Blick aus der Schießscharte der Heckluke zu werfen. Aus einer Seitenstraße, die sie soeben passierten, rollte ein Chr’Chr-Spähpanzer in den Farben der Armee, gefolgt von einer Kolonne loyalistischer T’rr-Gendarmerie, die die Kreuzung abriegelte.
„Wenigstens sind die Schlammstampfer und die Verkehrspolizei pünktlich.“, kommentierte eine der Marines, was mit leisem Gelächter quittiert wurde.

Die Rivalität zwischen Armee und Navy – und damit auch der dieser angegliederten Marineinfanterie – waren legendär und wahrscheinlich älter als das Imperium. Als Navarr Admiral Rau in einer ruhigeren Minute gefragt hatte, warum nicht Marschall Parin einen Trupp der auf T’rr stationierten Armeeverbände oder den Heeres-Spezialverbänden mit dem Zugriff betraut hatte, hatte Rau freilich einen anderen Grund genannt, als Navarr erwartet hatte:
‚Ich habe das mit dem Marschall besprochen. Die Armee hat mehr Einsatzerfahrung und stellt den größten Teil der hiesigen Garnison. Aber genau das ist das Problem. Sie haben sich in den letzten Jahrzehnten einen ziemlich schlechten Ruf erworben. Nicht, dass die Marines beliebt sind, aber sie stehen nicht so sehr im Fokus der allgemeinen Abscheu. Auf der anderen Seite sind viele der hier stationierten Verbände einfach schon zu lange auf T‘rr. So etwas bleibt nicht ohne Folgen. Zu viele Offiziere und auch Soldaten haben politische oder persönliche Verbindungen geknüpft. Es bestünde die Gefahr, dass etwas durchsickert. Oder jemand sein eigenes Süppchen kochen will. Armee, Polizei und Spezialeinheiten sichern und geben uns Rückendeckung, aber das ist auch alles. Für den eigentlichen Zugriff brauchen wir Leute ohne lokale Verbindungen.‘

Die Häuser, an denen der APC vorbeirollte, waren eine Überraschung. Sie wirkten wohlhabend und modern, wie die Kleidung der wenigen Männer und Frauen, die zu dieser Stunde unterwegs waren. Die Leute beobachteten das Fahrzeug wachsam und misstrauisch. ‚Und das sind vermutlich diejenigen, denen es unter der Besatzung gut geht.‘
„Wir sind da.“, die Lieutenant kam auf die Beine und packte einen Haltegriff: „Bereitmachen!“
Das Anwesen, das das Ziel der Operation war, war ebenfalls eine Überraschung. Das momentan nur schwach erleuchtete Gebäude wirkte wie die Landvilla einer adligen Familie und hätte abgesehen von einigen architektonischen Eigenheiten auch auf einer Akarii-Welt stehen können. Wie viele imperiale Adelsvillen war es umgeben von einer üppigen Parklandschaft mit Bäumen, blühenden Sträuchern und kleinen Wasserläufen. Und wie diese war es gesichert, in diesem Fall mit einer doppelt mannhohen, mit Metallspitzen gekrönten Mauer.
Der Fahrer des ersten APC hielt sich nicht damit auf zu warten, ob sich das doppelflügelige Tor öffnete, sondern walzte es einfach nieder. Unmittelbar hinter dem Tor schwenkte das Führungsfahrzeug zur Seite. Noch bevor es zum Stehen gekommen war, flogen die Seiten- und Heckluken auf und spuckten seine Ladung aus: Ein Dutzend schwerbewaffnete T’rr und Akarii. Die Männer und Frauen, die mit der Effizienz und Rücksichtslosigkeit erfahrener Profis Torbereich und Gelände sicherten und die nur leicht bewaffneten Wachposten blitzschnell überwältigten, gehörten zu den Da’rra, einer Spezialeinheit, die ihren Namen einem berüchtigten Raubtier des T’rr-Dschungels verdankten. Sie bildeten eine der wenigen gemischten Spezialeinheiten, bei der nicht nur die Offiziere oder Verbindungsleute, sondern sogar Truppführer und Spezialisten Akarii waren. Von traditionalistischen Offizieren und Beamten verachtet, operierten sie im Schattenbereich zwischen Polizei, Streitkräften und Geheimdiensten und waren für diesen Einsatz Navarss Einsatzteam beigefügt worden. Er hoffte, auf ihre Hilfe nicht angewiesen zu sein. Wenn sie diese Männer und Frauen ins Gebäude rufen mussten, dann nur weil der Einsatz völlig aus dem Ruder gelaufen war. Dann würde es Tote geben. Vermutlich sehr viele – die Da’rra hatten einen ziemlich üblen Ruf.

Navarrs Transporter und der ebenfalls von den Da’rra besetzte dritte APC kamen beim Hauptgebäude zum Stehen. Während die Spezialeinheit die Außensicherung übernahm, folgte Navarr den ausbootenden Marines, die Waffe schussbereit im Anschlag. Die fokussierten Lichtstrahlen der Gewehrkameras zuckten durch die Dunkelheit und suchten nach Zielen. Die schwarz-weißen Kieselsteine, die um den Säulengang gestreut worden waren, der das Gebäude umgab, knirschten leise unter den Panzerstiefeln der Soldaten und schufen zusammen mit den halblauten Befehlen und dem Schaben von Waffen und Rüstungsteilen einen eigenartigen Hintergrundton. Die Marines bildeten drei Teams und rückten in das Gebäude vor.

Die folgenden Minuten waren chaotisch aber überraschend gewaltarm. Nach dem, was Navarr von den T’rr gehört hatte, hatte er mehr Widerstand erwartet. Aber das Sicherheitspersonal wusste es offenbar besser, als sich imperialen Marines entgegenzustellen. Eine T’rr-Wachfrau kassierte eine Elektrosalve, einer ihrer Kollegen machte Bekanntschaft mit dem Gewehrkolben und der Faust einer Marineinfanteristin, ein paar Zivilisten – Navarr war sich nicht sicher, ob das ‚Kunden‘ oder das ‚Inventar‘ des Bordells waren – reagierten zu langsam und wurden unsanft herumgeschupst oder zur Seite gedrängt, als klar wurde, dass keiner von ihnen die Zielperson war. Aber es floss kein Blut. Die Marines waren gut ausgewählt worden. Oder die T’rr, die vermutlich zu dem Teil der Bevölkerung gehörten, der als ‚loyal‘ galt, hatten gelernt, keinen Widerstand zu leisten. ‚Nach heute Nacht werden sie uns sicherlich ganz besonders lieben…‘
„Ziel identifiziert und gesichert. Ich wiederhole, Ziel identifiziert und gesichert.“ Die Stimme der Lieutenant klang etwas atemlos aus Navarrs Helmlautsprecher. Der Prinz zuckte unwillkürlich, dann riss er sich zusammen: „Verstanden und bestätigt. Wir stoßen zu Ihnen.“

Er fand den anderen Trupp in einer Zimmerflucht, deren luxuriöses aber nicht überladenes Interieur durch die aufgebrochene Tür und ein zertrümmertes Tischarrangement beeinträchtigt wurde. Und durch den muskulösen T’rr, der gefesselt und blutend in einer Zimmerecke lag.
„Gab es Probleme?“
Der Unteroffizier, der mit einer Kameradin den Eingang bewachte, schnaufte: „Keine, mit denen wir nicht fertig werden konnten.“
„Und unsere Zielperson…“
Der Unteroffizier deutete über die Schulter: „Nebenan.“
Navarr nickte und bedeutende den Männern und Frauen seines Trupps, dass sie warten sollten. Dann schulterte er seine Waffe und folgte dem Wink des Unteroffiziers. Das konnte heikel werden…
„Seien Sie vorsichtig, Lieutenant Navarr. Sie könnte beißen und kratzen.“
Navarr unterdrückte den Impuls, mit den Augen zu rollen: „Witzig. Behalten Sie den Gang im Auge. Und halten Sie den Mund.“
Der nächste Raum war ebenso elegant eingerichtet wie das Eingangszimmer und deutlich weniger verwüstet. Hier fand er die Lieutenant, eine weitere Soldatin – und ihre Zielperson.

Die T’rr war sicherlich noch keine zwanzig Jahre alt und wirkte recht zierlich, auch wenn Navarr wusste, dass dieser Eindruck täuschen konnte. Er war sich nicht sicher, ob er sie hübsch nennen sollte – die Faszinationen, die manche Akarii für die T‘rr empfanden, hatte er nie verstanden. Das Mädchen war gut aber schmucklos gekleidet – nicht gerade ein Kleidungsstil, der in ein Bordell passte. Und obwohl sie mitten in der Nacht von gepanzerten Akarii-Marines aus dem Schlaf gerissen worden war, wirkte sie nicht eingeschüchtert. Angespannt, wachsam und misstrauisch – aber seltsamerweise nicht furchtsam. ‚Entweder sie weiß Bescheid oder sie ist aus härterem Holz geschnitzt. Gut. Das macht die Sache hoffentlich einfacher.‘
Navarr räusperte sich und versicherte sich, dass der Helmtranslator lief: „Verzeihen Sie die…Begleitumstände unseres Auftreten. Ich bin Lieutenant Navarr Thelam. Sie stehen ab jetzt unter dem direkten Schutz des Imperiums. Ich muss Sie bitten, mit mir zu kommen.“
„Thelam…Das ist wegen meinem Vater, nicht wahr?“
Navarr musste blinzeln. Die Stimme der jungen T’rr klang ein wenig rau und hatte einen deutlichen Akzent, aber sie hatte fast fehlerfreies Heklar gesprochen – ein imperialer Idiom, den nicht einmal alle Akarii beherrschten. ‚Interessant.‘ „Admiral Kjani Rau wird Ihnen unser Ansinnen erläutern. Wenn Sie mir nun bitte folgen würden...“
Die junge Frau musste wissen, dass sie nicht wirklich eine Wahl hatte, egal wie Navarr auch immer seine Aufforderung formulierte. Also verschwendete sie weder Zeit noch Atem. Stattdessen stand sie auf und strich kurz über ihr robenartiges Kleid: „Gehen Sie voran, Hoheit.“

Als sie das Vorzimmer betraten, hatte sich dort nichts verändert. Der zusammengeschlagene T’rr-Wachposten hockte immer noch wie hingeworfen in der Ecke und die übrigen Marines der beiden Zugrifftrupps schienen sich ebenfalls kaum vom Fleck bewegt zu haben.
„Wir haben, was wir gesucht haben. Abmarsch in Verteidigungsformation.“ Die Lieutenant, die sich etwas im Hintergrund gehalten hatte, dirigierte die Marines so, dass sie um Navarr und ihren ‚Gast‘ eine sich überlappende Abwehrformation bildeten. Kurz darauf stieß auch der dritte Trupp zu ihnen. Niemand stellte sich ihnen in den Weg.
Als sie das Gebäude freilich verließen und zu der Spezialeinheit aufschlossen, die die Außensicherung übernommen hatten, realisierte Navarr, dass Admiral Rau und Parin die Operation vielleicht doch nicht so gut durchdacht hatten. Es war nicht so sehr das, was die sichernden T’rr und Akarii taten – sondern ihre Blicke und halblauten Bemerkungen und höhnischen Mienen, die der jungen T’rr galten. Er warf der Lieutenant einen Blick zu, aber die schien das zu ignorieren. Ihr ‚Gast‘ gab sich Mühe, das gleiche zu tun. Aber egal wie couragiert sie sein mochte, sie war immer noch kaum erwachsen. Und das sah man ihr an. ‚Das kann so nicht weitergehen…‘ Der erste Eindruck war entscheidend.
Kurzentschlossen traf Navarr seine Entscheidung und aktivierte die Komm-Verbindung zu den Da’rra: „ACHtung! STILLgestanden! PRÄSENtiert das Gewehr!“
Ein paar Augenblicke geschah gar nichts. In Navarr stieg der fürchterliche Verdacht auf, dass er nichts weiter erreichen würde, als sich auch noch vor den Spezialeinheitlern und den Marines lächerlich zu machen.
Aber dann griff die Lieutenant seine Anordnung auf: „AUSFÜHRUNG!!“
Und – zuerst einer, zwei, dann immer mehr der T’rr und Akarii kamen dem Befehl nach. Auch die Marines der KALLEH schienen sich zu straffen, legten mehr Energie in ihre Schritte.
Durch das Spalier der Darrah, die für einen kurzen Augenblick fast wie eine Ehrenformation wirkten, erreichten sie den APC. Navarr drehte sich um, salutierte zackig und reichte ihrem ‚Gast‘ die Hand, um ihr beim Einsteigen zu helfen. Natürlich hätte sie das auch ohne Hilfe geschafft, aber die junge Frau hatte offenbar ebenfalls begriffen, worauf es jetzt ankam. Mit einem leichten, fast hoheitsvollen Nicken reichte sie dem kaiserlichen Prinzen die Hand.
‚Das hätten wir also.‘ Der erste Teil der Operation war geglückt. Hoffentlich würde Admiral Rau sich jetzt endlich dazu bequemen, ihn vollständig in den Plan einzuweihen, den Rau, Marschall Parin und vor ihnen offenbar bereits Admiral Taran ausgeheckt hatten…
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Einen halben Tag später, an Bord der KALLEH


Navarr Thelam unterdrückte ein Gähnen, während er sich fragte, was er eigentlich hier sollte. Vor zwei Stunden hatte das Shuttle mit Navarr, dem Marines-Einsatzteam und ihrem ‚Gast‘ an dem Flugdeckkreuzer angedockt. Kapitänin Zanni und eine Ehrenformation Marines hatten sie in Empfang genommen. Die Kreuzerkommandantin hatte das T’rr-Mädchen mit einer zackigen Verbeugung begrüßt – allerdings mit einem Gesicht, als hätte sie auf etwas Saures gebissen. Die junge T’rr, die sich bisher bemerkenswert gut gehalten hatte, schien von dem Empfang und dem allgemeinen Ambiente etwas überwältigt. Verständlich, falls sie – wie Navarr vermutete – noch nie ihren Heimatplaneten verlassen, geschweige denn ein imperiales Kriegsschiff betreten hatte.
Er hatte kaum Gelegenheit gehabt, ihr einige beruhigende Worte zuzuflüstern, da war sie auch schon von einem Medic-Team entführt worden. Die Marines hatte Zanni noch einmal zu strengstem Stillschweigen vergattert. Navarr war nichts anderes übrig geblieben, als Zannis herrischer Geste zu folgen und sich ihr anzuschließen.

Und jetzt standen sie beide in Admiral Rau‘s Quartier und warteten, während dieser über das Tischkomm mit der leitenden Ärztin der KALLEH sprach: „…eine komplette medizinische Untersuchung des Mädchens. Parasiten, genetische Defekte. Krankheiten – die gesamte Palette. Einschließlich Geschlechtskrankheiten.“
Navarr zuckte zusammen, während Zanni neben ihm losprustete.
Offenbar fand die Chefärztin das weniger amüsant: „Sie heißt Jerra, auch wenn ihnen das vermutlich gleichgültig ist. Und um das arme Mädchen vollständig zu traumatisieren, soll auch gleich noch feststellen, ob sie noch Jungfrau ist?“
„Das ist mir gleichgültig. Aber…stellen Sie auf jeden Fall sicher, dass sie – Jerra, sagen Sie? – nicht schwanger ist.“
Das ließ Zanni jäh verstummen, während Navarr sich fragte, ob er sich verhört hatte. Wollte Rau der Chefärztin tatsächlich zu verstehen geben, dass sie im Fall einer Schwangerschaft…
Offenbar hatte auch die Ärztin die Andeutung verstanden, denn ihre Stimme war pures Eis: „Sie erwarten nicht ernsthaft von mir…“
„Ich erwarte, dass Sie Befehle befolgen und tun, was notwendig ist. Hoffen wir einfach, dass Jerras ‚Gastgeber‘ sie für zu wertvoll gehalten und ihre…Finger bei sich behalten haben. Das wäre alles.“ Der Admiral schaltete das Komm ab und fuhr an Zanni und Navarr gewandt fort: „In dem Fall müssten wir diese Idioten natürlich liquidieren. Und auch wenn es um ein paar kriminelle T’rr nicht schade wäre, können wir so etwas gerade nicht gebrauchen. Aber auf keinem Fall will ich, dass wir uns im Draned-Sektor mit denselben infantilen Sperenzchen herumschlagen müssen, wie auf Akar.“

Navarr war sich nicht ganz sicher, was Rau damit meinte. Falls er auf die imperiale Thronkrise anspielte, die in dem Tod von Prinzessin Linai‘s Ehemann durch die Hand ihres Geliebten und Vater des potentiellen Thronfolgers resultierte hatte, dann war das selbst für Rau ziemlich kaltschnäuzig. Die beiläufige Art des Admirals ließ Navarr Thelam das Blut in die Wangen schießen. ‚Ach Linai, Linai… Das wird man unsere Familie wohl niemals vergessen lassen…‘
Natürlich entging Rau nicht, was seinen jungen Protegé aufwühlte. Der Admiral lächelte halb entschuldigend, halb amüsiert: „Schon gut, Lieutenant. Kein Grund, mich vor Ihre Klinge zu fordern.“
‚Wenn ich jeden fordern würde, der über Linai, Dero und Tobarii spottet, hätte ich nicht mal mehr Zeit zu schlafen.‘ Außerdem war Navarr nicht so dumm anzunehmen, dass er ausgerechnet gegen Kjani Rau im Zweikampf bestehen könne. Dennoch tat es weh…: „Wenn Sie mir stattdessen einfach erklären könnten, WEN wir da eigentlich gekidnappt haben?“
„Dazu kommen wir gleich. Zuerst einmal: Was für einen Eindruck haben Sie von unserem Gast?“

Diese Frage kam für Navarr überraschend, aber er fasste sich schnell: „Den Umständen entsprechend war sie sehr gefasst. Keine Tränen, kein Theater. Sie hat also auf jeden Fall Mumm. Sie scheint auch eine schnelle Auffassungsgabe zu haben. Und sie beherrscht Heklar fast perfekt und anscheinend auch Sekkur. Daraus schließe ich, dass sie auch ziemlich intelligent und gebildet ist.“
„Ausgezeichnet. Und Ihre Manieren?“
Navarr zuckte mit den Schultern: „Sehr kultiviert, schätze ich.“
„Hübsch?“
„Äh…ja, ich glaube schon. Aber ich bin mir nicht ganz sicher, warum Sie mich das…“
Der Admiral lächelte kurz: „Sie wird eine Weile unser Gast sein. Da ist es doch beruhigend zu wissen, dass diese Jerra kein Bauerntrampel ist. Und Sie werden ihr helfen, an Bord zurechtzukommen.“
„Ich? Aber…WARUM wird sie noch eine Weile an Bord sein?“
„Ich bin sicher, Sie haben schon eine Vermutung. Aber na gut. Sind Sie mit der jüngeren Vergangenheit von T’rr vertraut?“
„Einigermaßen...“
„Das wird schon reichen. Mehr weiß ich nämlich auch nicht. Dann teilen Sie uns mal mit, was Sie über die T’rr-Herrscher wissen.“

Navarr räusperte sich unsicher – auch wegen dem, was diese Aufforderung in Bezug auf ihren ‚Gast‘ implizierte. ‚Aber das kann doch nicht sein…‘: „Wie wir lebten die T’rr ursprünglich in einer Monarchie, wenn auch ihre Herrscher nie so uneingeschränkt herrschten, wie die Kaiser des Akarii-Imperiums...“
Kapitän Zanni schnaufte abfällig, während der Admiral sich mit einem sarkastischen Lächeln begnügte, sich aber eines verbalen Kommentars enthielt.
„Die Dynastie wurde im Krieg gegen das Imperium schwer dezimiert und nach der Eroberung von T’rr entmachtet. Danach übernahmen für ein Jahrhundert imperiale Gouverneure die direkte Kontrolle über die Planeten des ehemaligen T’rr-Imperiums.“
„Und wir wissen alle, wie gut DAS funktioniert hat.“, warf Zanni ein.
„Vor etwa einhundert Jahren wurde dann ein entfernter Verwandter des letzten unabhängigen T’rr-Kaisers auf den verwaisten Thron gesetzt. Die Hoffnung war, dass eine etwas…indirektere Kontrolle die Kosten der Besatzung und die immer wieder aufflackernden Aufstände eindämmen würde. Das funktionierte auch mehr als achtzig Jahre ziemlich gut. Dann kam es allerdings erneut zu einem Anwachsen der Widerstandsaktivitäten, auch wegen der verstärkten Aufrüstung unserer Streitkräfte, die für die T’rr mit beträchtlichen Steuererhöhungen, einer forcierten Rohstoffgewinnung und einem teilweise auf Kosten anderer Wirtschaftszweige gehendem Ausbau der militärischen Schwerindustrie verbunden war.“
„Man könnte auch sagen, dass wir die T’rr-Planeten wie eine Rishi-Frucht* ausgepresst haben.“, kommentierte Admiral Rau.
„Eine wachsende Zahl von Terroranschlägen und Guerillaaktionen richteten sich ebenso gegen uns wie gegen loyale T‘rr. Der Krieg gegen die Menschen ließ die Situation endgültig eskalieren. Als der T’rr-Kaiser dann das Kriegsrecht verhängte, antworteten die Rebellen mit einer Terrorwelle. Keinen Monat später war der Herrscher tot…“
„…wofür wahlweise die Guerilla, politische Gegner oder natürlich wir verantwortlich gemacht wurden.“, vollendete Zanni den Satz.
Admiral Rau winkte ab: „Unwichtig. Was Ihnen möglicherweise nicht bekannt war, ist die Tatsache, dass der Anschlag auch eine Reihe seiner Verwandten das Leben kostete. Auch wegen der recht…turbulenten Innenpolitik der T’rr und der Paranoia des letzten Kaisers wie auch unserer Geheimdienste war die Zugehörigkeit zur kaiserlichen Blutlinie allerdings bereits zuvor und erst recht nach diesem Enthauptungsschlag nicht gerade förderlich für eine hohe Lebenserwartung. Kurz und gut, die von uns gerade mal drei Generationen zuvor wiederinstallierte T’rr-Dynastie wurde drastisch ausgedünnt. Was einer der Gründe war, warum der Thron bis heute unbesetzt blieb.“
Navarrs sah seinen ersten Verdacht bestätigt: „Und Jerra…“
„Der letzte von unseren Gnaden installierte T’rr-Kaiser war weder besonders stark noch besonders klug. Das war vermutlich auch der Grund für seine aus Unsicherheit resultierende Brutalität gegenüber vermeintlichen oder tatsächlichen Gegnern und Rivalen. Seine einzige Tugend – wenn man das denn eine Tugend nennen will – war seine Ablehnung der schöneren Dinge des Lebens.“
„Vermutlich weil er befürchtete, dass seine Speisen und Getränke vergiftet oder er im Schlaf ermordet werden könnte.“, warf Zanni ein: „Ich habe gehört, dass er immer mehrere Teams von Leibwächtern um sich hatte, die sich mindestens ebenso sehr gegenseitig im Auge behalten sollten, wie die Umgebung.“
„Sein jüngerer Bruder hingegen war Vergnügungen keineswegs abgeneigt. Alkohol, Drogen, Glücksspiel, Frauen – vor allem Frauen.“
„Vermutlich reine Überlebensstrategie.“, spottete Zanni gut gelaunt: „So stellte er sicher, dass sein Bruder ihn nicht als eine Gefahr sah.“

Navar hätte fast gelächelt, hielt dann aber irritiert inne. Diese Beschreibung erinnerte ihn an Rallis Thelam, der seine Ambitionen und seine Intelligenz hinter der Maske eines jovialen Schwerenöters und Lebemanns zu verstecken pflegte.

„Möglicherweise – auch wenn ich kaum glaube, dass jemand SO überzeugend schauspielern kann. Jedenfalls hatte er neben seiner Ehefrau mindestens ein halbes Dutzend…Spielzeuge. Und eine Vorliebe für…Frischfleisch. Je jünger, desto besser.“, jetzt klang der Admiral leicht angewidert, obwohl er selber in den knapp vierzig Jahren seines Lebens nicht nur drei Ehefrauen, sondern angeblich auch zwei Dutzend Affären gesammelt hatte: „Und eines Tages wurde eines dieser Mädchen schwanger…“
„Und das soll ein Zufall gewesen sein?“, entfuhr es Navarr.
„Wer weiß. Was das angeht, sind unsere Quellen etwas vage, aber jedenfalls blieb die Schwangerschaft anscheinend ein Geheimnis…“
„Und das Ergebnis war Jerra. Und was geschah dann mit ihr?“
„Erst mal gar nichts. IRGENDJEMAND zahlte jedenfalls für ihren Unterhalt. Ich weiß nicht, ob das der T’rr-Hof war oder jemand anderes Pläne mit ihr hatte.“
„Und wie bei den Göttern landete sie dann ausgerechnet in diesem…Haus?“
„Sagen Sie es doch: in einem Bordell.
Der Anschlag der den letzten T’rr-Kaiser tötete, kostete auch seinen Bruder und dessen Sohn das Leben. Danach…geriet die Lage etwas außer Kontrolle.“
„Ein schöner Ausdruck.“, spottete Zanni: „Der halbe Planet wurde zur Kriegszone. Wir mussten Panzer und Lufteinheiten einsetzen, um auch nur die Hauptstraßen der Hauptstadt sichern zu können.“
Rau nickte etwas abschätzig: „Die imperialen Besatzungstruppen gingen ziemlich grobschlächtig vor. Als sich der Staub endlich gelegt hatte, war Jerra jedenfalls verschwunden. Ob da jemand einen Aktivposten in Sicherheit bringen wollte oder einfach eine günstige Gelegenheit nutzte, weiß ich nicht. Auf jeden Fall geriet sie dann in die Hände des Katik-Kartells.“

Navarrs etwas ratlose Miene veranlasste den Admiral zu einem leicht verärgerten Seufzer: „Parin könnte Ihnen das besser erklären. Oder Taran, wenn man den nicht wieder nach Akar zurückgeschickt hätte.“
Zanni nickte: „Ja, diese ganze Dolch-und-Chark**-Geschichte fände er bestimmt lustig.“
„Die Katik sind eine von der gleichnamigen Familie geführte Unterweltorganisation: Drogen, Schutzgeld, Prostitution, Schmuggel. Nicht unbedingt die größte Organisation, aber ziemlich finanzstark und skrupellos. Formell sind sie Loyalisten – und wir haben uns derartiger Formationen schon öfters bedient – aber sie unterhalten auf jeden Fall auch Kontakte zu diversen Widerstandgruppen. Und sie schmuggeln ganz bestimmt nicht nur Luxuswaren.
Wir sind uns nicht ganz sicher, was sie mit dem Mädchen vorhatten. Ob sie Jerra einfach an eine Rebellen- oder Loyalistenfraktion verkaufen wollten oder eigene Pläne hatten. Jedenfalls brachten die Katik Jerra unter und sorgten für ihre Ausbildung.“
„In einem Bordell?“
„Ihre moralische Entrüstung ist entzückend. Aber dieses Haus war ja nun nicht gerade ein Truppenbordell. Man erwartet von dem dortigen…Personal etwas mehr – ein gewisses Niveau, Bildung, Manieren – und Sprachkenntnis. Wie Sie ja bereits bemerkt haben dürften. Oder denken Sie etwa, dass dort nur T’rr zu Gast sind?“ Der Admiral grinste angesichts von Navarrs Unbehagen und fuhr dann fort: „Im Übrigen wäre es nach unseren Informationen nicht das erste Mal, dass ein adliger Bastard in einem solchen Etablissement landet. Auch wenn die Situation in Jerra‘s Fall eine etwas andere war. Aber jedenfalls war das Etablissement eine gute Tarnung. Auf jeden Fall besser, als sie in einem schwer bewachten Einzelanwesen einzusperren. Oder in irgendeinem Keller.“
Navarr runzelte die Stirn: „Und warum dann eine komplette Militäraktion, um Jerra in unsere Hand zu bekommen? Wir hätten sie doch einfach freikaufen können.“
„In einem gewissen Sinne werden wir das – nachträglich. Die Katik werden eine finanzielle Kompensation erhalten. Aber wir standen unter einem gewissen Zeitdruck, da diese Ganoven offenbar bereits Verhandlungen mit anderen Konfliktparteien initiiert hatten. Ein imperiales Interesse an dem Mädchen – alleine die Information, dass wir über ihre Existenz Bescheid wissen – hätte ihr möglicherweise das Leben gekostet. Oder die Katik animiert, eine verdammte Versteigerung zu veranstalten. Dass hätte genau die Art von Interesse an Jerra geweckt, die wir nicht gebrauchen können. Nein. So erinnern wir diese Halbweltgestalten gleich noch einmal daran, wer die stärkeren Bataillone hat. Und die Rettung unserer kleinen Bastardprinzessin durch eine imperiale Spezialeinheit ist allemal eine bessere Geschichte, als sie einfach zu KAUFEN. Das IST wichtig.“
„Nur ein wenig riskant.“, wagte Navarr einzuwerfen, was der Admiral mit einer wegwerfenden Handbewegung abtat.

Doch davon ließ sich Navarr nicht einschüchtern: „Und was jetzt? Sie wollen Jerra doch nicht wirklich auf den Thron hieven? Ein Bastardmädchen, das in einem Bordell großgeworden ist?“ Er hatte fast ein schlechtes Gewissen bei seinen abschätzigen Worten. Das hatte Jerra nicht verdient, die sich den Umständen entsprechend sehr mutig – ja man könnte fast sagen ‚königlich’ verhalten hatte. Aber dann erinnerte er sich daran, dass sein Einwand eigentlich nur in ihrem Interesse war. Jerra war immer noch ein halbes Kind. Sie auf einen Thron zu setzen, der derartig gefährlich war…: „Es muss doch Alternativen geben. Einen Älteren, Erfahreneren.“
„Nein, einen solchen Mann oder eine solche Frau gibt es auf T’rr nicht. Nicht mit derart engen verwandtschaftlichen Beziehungen zum letzten Kaiser.“
„Und Sie glauben wirklich, dass Jerra das Symbol sein kann, hinter dem sich die T’rr sammeln?“
„Sie alleine? Nein, auf keinen Fall.
Aber sie hat das Potential. Sie ist ein guter Anfang.“
Langsam war es Navarr leid. Er wollte endlich eindeutige Antworten: „Und wenn Jerra der Anfang ist, wie geht es dann jetzt weiter?“
Das spöttische Lächeln des Admirals vertiefte sich, während er seinen jungen Protegé fixierte: „Das ist doch ganz logisch. Wir haben die Prinzessin gerettet. Und um die Geschichte weiterzuspinnen, muss sie natürlich einen Prinzen heiraten…“

*****

* die dickwandige, stachelbesetzten Frucht einer Wüsten- und Steppenpflanze von Akar, mit einem harten Kern und zahlreichen kleineren Samenkapseln in dem saftig roten Fruchtfleisch.

** Handgemenge- und Meuchlerwaffe, die aus einem waagerechten Griff besteht, von dem ein bis drei 10-15 Zentimeter lange, leicht gebogene Klingen im rechten Winkel abstehen. Die üblicherweise spitz zulaufenden, einseitig geschliffenen Klingen ragen zwischen den geschlossenen Fingern der zur Faust geballten Hand hervor.
09.05.2021 09:49 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Der Tempel von Dara‘Arcon war eines der ältesten Gebäude in Pan’chra, älter als das Adelskonvent. Es war nicht einmal mehr bekannt, wer ihm seinen Namen gegeben hatte – oder was dieser bedeutete. Seit Akarii-Gedenken war der Tempel den Herrschergöttern der drei mächtigsten bronzezeitlichen Stadtstaaten Akars geweiht. Ihr Bündnis hatte einst einen beträchtlichen Teil des Hauptkontinents von Akar dominiert und wurde von manchen Historikern als Vorgänger des ersten Imperiums angesehen. Damals – so die Legende – waren lebendige Götter unter den Sterblichen gewandelt. Wesen, die aus dem Abgrund hinter den Sternen hervorgetreten waren. Pan’chra war zu dieser Zeit nicht mehr als ein befestigter Vorposten des Dreierbündnisses gewesen, der aber immerhin von einem Halbgott gegründet worden war.

Das Bauwerk wirkte seltsam fremdartig neben den gleichzeitig massiven wie anmutigen Bauten der klassischen Akarii-Antike, den hochaufragenden und filigranen Palästen der Neuzeit und den aus einer Verbindung von klassischen Formen mit moderner Technik und Baustoffen hervorgegangenen Gebäuden der Moderne.
Der Tempel hatte die Gestalt einer dreiseitigen, stumpfen Pyramide und bestand aus dem berühmten schwarzroten Blutmarmor, der schon in der Antike kostbar und heute praktisch unbezahlbar war. Doch obwohl schon viele alte Bauwerke der Gier nach dem begehrten Stein zum Opfer gefallen waren, hatte nicht einmal der verworfenste Usurpator gewagt, Hand an den Tempel zu legen um seine eigenen Bauwerke zu vollenden. Für etliche Jahrtausende war die Pyramide das höchste Gebäude von ganz Pan’chra gewesen. Angeblich hatten mehrere Baumeister – und ein Kaiser – einen Verstoß gegen diesen Brauch mit dem Tod bezahlt. Bis mindestens in die Akarii-Spätantike waren hier Blutopfer zelebriert worden. Wenigstens ein glückloser Imperator und mehrere Möchtegern-Thronräuber hatten auf den Stufen des Tempels mit ihren verbliebenen Getreuen ihr Leben ausgehaucht, in einer letzten, hoffnungslosen Verteidigung gegen ihre Feinde. Und angeblich wurden immer noch Duelle am Fuße, auf der Spitze und auf den Stufen der Tempelpyramide ausgetragen.

Den Kanten der fast einhundertachtzig Akarii-Fuß hohen Stufenpyramide hatte der unbekannte Architekt des Temples die Gestalt gigantischer Schlangen gegeben, die ihre gepanzerten Köpfe zum Himmel emporstreckten. Und im Schatten der Häupter der gigantischen Ungeheuer standen die Statuen der Götter, denen das Bauwerk geweiht war:
Dur’dashar – das Schwarzherz.
Canta’r’Karrg – die Herrin der Drachen.
Giban – der göttliche Täuscher.
Die drei mächtigsten der lebendigen Götter.
Obwohl der Tempel im Palastbezirk lag und die Götter, denen er gewidmet war, immer noch verehrt wurden und in den letzten Jahren sogar teilweise eine Renaissance erlebt hatten, waren müßige Besucher selten. Vielleicht lag es an den düsteren Geschichten, die über den Tempel in Umlauf waren, an den Strömen von Blut, die in früheren Jahrtausenden über seine Stufen geflossen waren. Das war auch einer der Gründe, warum Dara‘Arcon immer noch für Duelle genutzt wurde. Und gelegentlich auch für Gespräche, die unbeobachtet bleiben sollten. Nicht einmal der imperiale Geheimdienst hätte es gewagt, in diesem Bauwerk Überwachungsgeräte zu installieren.

Rallis Thelam hatte ganz bewusst diesen Ort für sein Treffen gewählt. Komm-Anrufe waren eine heikle Angelegenheit. Man wusste nie, wer mithörte und aufzeichnete. Zwar konnten Mitglieder der kaiserlichen Familie auf die Palastsicherheit zurückgreifen und damit auf Verschlüsslungstechnik, die sogar die beim Militär verwendete Tech in den Schatten stellte. Aber letztendlich blieb natürlich die Frage, wer die Wächter der Geheimnisse bewachte. Und wo ihre Loyalität lag. Manche Dinge wurden besser von Angesicht zu Angesicht geklärt. Und nicht zuletzt würde die Wahl des Treffpunkts seinem Gast zu denken geben…
Rallis lächelte flüchtig, während er seine Augen über die Rundsäule wandern ließ, die in der Mitte der auf der Spitze der Pyramide befindlichen Plattform aufragte. Das Reliefband, das bis zur Spitze der Säule lief, war wie der ganze Tempel aus Blutmarmor geformte und zeigte Akarii, Dämonen, Götter und Ungeheuer, die in einer endlosen Schlacht erstarrt schienen.

Sich nähernden Schritte ließen den Thronprätendenten sich umwenden: „Ah, Kanzler. Wie schön, dass Sie es einrichten konnten.“
Alet Qau wirkte angespannt. Die über achtzig Jahre, die der alte Akarii im Staatsdienst verbracht hatte, schienen heute besonders schwer auf ihm zu lasten: „Sie haben mir auch nicht wirklich eine Wahl gelassen, Hoheit.“
„Man hat immer eine Wahl. Und sei es nur die, das zu tun, wozu sich Prinzessin Linai entschlossen hat. Nämlich gar nichts.“
„Die Prinzessin trauert immer noch um ihren Gatten. Und ihre Schwangerschaft…“
„Ersparen Sie mir das, Kanzler. Ich soll ernsthaft glauben, dass meine geliebte Cousine ein derart zart gewachsenes Pflänzchen ist? Wir Thelams sind aus härterem Holz geschnitzt.“
„Was erwarten Sie denn? Und warum sind Sie der Meinung, dass ausgerechnet ich das weiß?“
„Vielleicht irre ich mich ja. Aber ich hatte den Eindruck, dass Sie einer der wenigen wären, die Linai noch nicht verlassen haben und ihr weiterhin die Treue halten. Sie und vielleicht noch dieser junge Admiral Ramal.“, der Prinz lächelte süffisant: „Auch wenn ich hoffe, dass Ihre Beweggründe verschieden sind.“

Qau überging diese Anspielung mit Schweigen. Er ließ sich nicht so leicht ködern. Was auch immer Rallis Thelam über Kern Ramal, dessen Herkunft oder seine Gefühle für Prinzessin Linai wusste, Qau würde es weder bestätigen noch dementieren. Stumm passte er seine Schritte denen von Rallis an, der zwischen den Statuen hin- und herwanderte, die an den Ecken der Plattform standen. Das prunkvolle Gewand des Prinzen hob sich deutlich von dem Schwarzrot des Bauwerks ab, dennoch wirkte der etwas füllige Akarii nicht fehl am Platz. Der antikisierende Schnitt seiner Kleidung, der seit einiger Zeit wieder in Mode war, ließen Rallis fast wie einen der Priester oder Würdenträger aus einer der Lieder und Legenden erscheinen, die auf diesem Tempel begonnen oder geendet hatten. Alte Geschichten voller Gewalt, Blut, Intrigen und Verrat. Als der Prinz kurz vor die inzwischen beinahe hinter dem Horizont verschwundene Sonne trat, schien sein Gewand für einen Augenblick vollständig aus Gold und Blut zu bestehen. Der Kanzler unterdrückte ein Erschauern.

„Aber was Ihre erste Frage angeht, Kanzler…ich erwarte, dass Linai IRGENDETWAS tut. Sich tot zu stellen ist keine Option. Dazu sind sowohl sie als auch ihr ungeborenes Kind einfach zu wertvoll. Jeden Tag, den sie verstreichen lässt, während sich der Einfluss der Allecars weiter ausbreitet, wird ihr Handlungsspielraum kleiner. Bald wird sie, bald werden die Thelams bestenfalls noch Gäste in ihrem eigenen Palast sein.“
„Wissen Sie etwas, was mir unbekannt ist? Bisher haben weder Lord Meliac Allecar noch sein Sohn Dero irgendeinen Posten verlangt.“
„Abgesehen davon, dass der alte Allecar beansprucht, dass sein Sohn den nächsten Imperator gezeugt hat.“
„Es ist nicht nötig, mich DARAN zu erinnern. Aber seitdem haben sich beide zurückgehalten.“
„Na ja, vielleicht will Meliac nicht den Bogen überspannen, auch wenn das von mehr Klugheit und Augenmaß zeugen würde, als ich ihm zuzustehen bereit bin. Aber wollen Sie sich ernsthaft DARAUF verlassen? Ein Raubtier ist immer dann am stillsten, bevor es zuschlägt.“
Der Prinz legte den Kopf in den Nacken und warf einen bedeutungsschweren Blick auf eines der steinernen Schlangenhäupter, das sich keine fünf Schritt entfernt über den Rand der Pyramide wölbte. Alet Qau verzog den Mund. Ihm hatte der bronzezeitliche Stil noch nie zugesagt. Zu fremdartig in seiner drohenden Wuchtigkeit, mit all den Ungeheuern, Göttern und Halbgöttern, die eher einem Albtraum als den in Worte und Lieder gegossenen Hoffnungen und Träumen der Akarii entsprungen schienen. Die Akarii-Bronzezeit mochte ein historischer und kultureller Höhepunkt der Frühgeschichte gewesen sein, der Akar bis in die Gegenwart hinein prägte und manches spätere Jahrhundert in den Schatten stellte. Aber für Qau waren diese Seiten der Geschichtsbücher zu oft mit Blut geschrieben worden.

„Vielleicht haben die Allecars auch einfach erkannt, dass es ihnen an Stärke fehlt. Das war wohl auch der Grund dafür, dass sie Ihnen ein Bündnis vorgeschlagen haben.“
Falls Rallis über Qaus Wissen überrascht war, dann verbarg er es: „Eigentlich wollte Meliac Allecar erst einmal ‚nur‘ über mich für seinen Sohn um die Hand von Prinzessin Linai anhalten. Und da Sie von seiner Anfrage Kenntnis haben, wissen Sie auch sicherlich, dass ich recht deutlich gemacht habe, dass ich mich nicht zum Fürsprecher dieser…Mesalliance machen lassen werde.
Damit und mit dem Auszug aus dem Adelskonvent habe ich ziemlich deutlich Stellung bezogen. Und Linai etwas Zeit erkauft. Zeit, die mit jedem weiteren Herzschlag knapper wird. Das müsst Ihr der Prinzessin endlich begreiflich machen.“
„Und Euer Handeln war natürlich rein selbstlos.“
„Das haben wir doch schon einmal diskutiert. Und immerhin habe ich so verhindert, dass die Allecars Prinzessin Linai vor den Traualtar zerren. Oder Meliac Allecar und sein missratener Sohn sich vor einem vereinten Adelskonvent den Anspruch auf den Thronerben bestätigen und Haus Allecar mit der Regentschaft betrauen lassen konnten. Nach dem Duelltod von Linais Ehemann hätten sie das möglicherweise geschafft.“
„Dafür haben wir jetzt ein gespaltenes Adelsforum. Etwas, was das letzte Mal…
Ehrlich gesagt weiß ich nicht einmal, wann das schon einmal geschehen ist.“
„Immer noch besser, als ein Bürgerkrieg.“
„Sie müssen doch erkennen, dass diese Spaltung Gift für das Imperium ist!“
„Für wen sprechen Sie eigentlich? Das hätten auch Meliac Allecars Worte sein können.“
„Ich lasse mich nicht von IHNEN über Loyalität belehren! Ich diene dem Reich und der Krone!“
„Dem Reich diene auch ich. Doch ich beuge mich keinem Emporkömmling! Die Marionette der Allecars zu sein…oder auch ihr Kanzler…das ist es mir nicht wert.“
Das saß. Qau wurde leicht übel: „Was…sagen Sie da?“
„Sie müssen sich doch auch schon gefragt haben, womit die Allecars meine Unterstützung erkaufen könnten. Was wäre naheliegender…“
„Treiben Sie keine Spielchen!“
„ALLES ist ein Spiel. Aber ich würde dieses Angebot natürlich ablehnen. Der Preis wäre zu hoch. Unter einem Allecar würde ich nicht Kanzler sein wollen.“

Alet Qau hätte am liebsten mit den Zähnen geknirscht. War das ein Köder, mit dem Rallis ihn aus der Reserve locken wollte? Ganz gewiss hatten die Allecars Rallis doch nicht angeboten, ihm Qaus Amt als Kanzler zu verschaffen. Diese Macht hatten sie nicht! Oder…noch nicht? War das eine verkappte Drohung? Ein Angebot, dass Rallis es sich durchaus vorstellen konnte, unter einem anderen Herrscher Kanzler zu werden? ‚Aber warum hat er dann ausgerechnet mich als Überbringer dieser Botschaft ausgewählt? Ist das ein Test? Will er Zwietracht zwischen mir und Linai sähen?‘ Wieder einmal musste Alet Qau frustriert zugeben, dass er aus Rallis Thelam nicht schlau wurde. Auch wenn der Prinz seiner Meinung nach längst nicht so gerissen war, wie er selber glaubte. Manchmal schien das alles für Rallis tatsächlich nur ein gigantisches Spiel zu sein. Dessen Regel er nach Belieben ändern und umgehen zu können beanspruchte.
Wie um dieser Vermutung Nahrung zu geben, hielt der Prinz neben der Statue von Giban, dem göttlichen Täuscher inne. Das mokante Grinsen auf Rallis Gesicht schien sich in beunruhigender Art und Weise in den steinernen, fremdartigen Zügen des betrügerischen Gottes zu spiegeln.

„Ich bin nicht hierhergekommen...Dieses Treffen war ein Fehler.“
„Ein Fehler wäre es, nichts zu tun! Begreifen Sie das endlich – und sagen Sie es der Prinzessin. Wenn sie sich, wenn sie das REICH aus dem Netz befreien will, in das uns die Allecars einspinnen, muss sie handeln. Und dazu braucht sie mich. Und diejenigen Mitglieder des Adelskonventes, die sich noch nicht von diesen Emporkömmlingen haben einwickeln lassen. Aber sie muss sich ENTSCHEIDEN. Auch, was ihr meine Hilfe wert ist…“
„Also doch...“
„Glauben Sie denn, ich kann die Thelam-Dynastie aus der hohlen Hand retten? Etwas mehr ist schon vonnöten. Aber wir haben noch Zeit. Zeit, um die Einsetzung eines Regentschaftsrates durchzusetzen. Und zu entscheiden, wer dazugehören soll...“
„Und Sie würden an der Spitze dieses Rates stehen.“ Es war keine Frage.
„Warum denn nicht? Wäre das nicht naheliegend? Es müsste ein Rat sein, der die Einheit der kaiserlichen Dynastie beweist und der zeigt, dass wir uns der tödlichen Bedrohung bewusst sind, der das Imperium gegenübersteht. Ein neu ernannter Kriegsminister, der Kanzler und zumindest nominell auch die Großadmiralin…so könnten wir die Allecars in die Schranken weisen. Natürlich muss auch Linai dem Regentschaftsrat angehören. Immerhin ist sie die Mutter des künftigen Kaisers und keiner wird erwarten, dass sie seine Erziehung alleine dem Rat überlässt. Und wahrscheinlich sollte auch der Vater des Kindes dazugehören.“
„Dero Allecar?! Aber Ihr verabscheut ihn doch!“
„Das darf keine Rolle spielen. Und nachdem er seinen Anspruch im Duellrund bewiesen hat…“, In Rallis stimme schwang sowohl zynische Belustigung als auch kaltes Kalkül mit: „Ihn mit einzubeziehen, würde es Meliac erschweren, sich gegen die Einrichtung des Regentschaftsrats zu stellen. Und Dero ist…handhabbar.“, das sollte wohl heißen, er rangierte für Rallis Thelam in der Kategorie ‚nützlicher Idiot‘, „…und er wäre mir allemal lieber, als sein verdammter Vater. Es wäre riskant…aber es KÖNNTE klappen. Allerdings nur, wenn wir das schnell genug durchziehen, bevor die Machtverhältnisse im Konvent endgültig kippen. Den alten Allecar müssen wir dann natürlich irgendwohin abschieben, wo er keinen Schaden anrichten kann…“

Kurz spielte Qau das von Rallis Thelam entworfene Szenario im Geiste durch. Das klang verlockend und hatte Potential – das Risiko allerdings…: „Sie haben eine sehr hohe Meinung von sich selbst. Und eine sehr geringe von den Allecars. Ich frage mich, ob Sie sich nicht zu viel zutrauen. Außerdem sind Sie nicht der einzige Thronprätendent…“
„Nein, da sind auch noch Karrek und Navarr Thelam. Und Lisson, aber um unseren Bücherwurm brauchen wir uns wohl keine Sorgen zu machen. Natürlich seine Töchter…es wird Zeit, dass die endlich politisch klug unter die Haube kommen. Bevor auch sie sich irgendeinen potentiellen Möchtegern-Usurpator angeln.“

Qau lag die Frage auf der Zunge, ob Rallis sich als einen der ‚politisch klugen‘ Heiratskandidaten sah - oder als potentiellen Usurpator. Außerdem bezweifelte er, dass Lissons Töchter Rallis‘ Einschätzung zu würdigen wussten. Allerdings…es gab Gerüchte, dass Jassia und Diaara Thelam keineswegs das politische Desinteresse ihres Vaters Lisson teilten. Waren Rallis‘ Worte also eine Warnung, ein Angebot oder ein Vorschlag? Natürlich hatte der Prinz Recht, schon manche Heirat einer Prinzessin mit einem aufsteigenden Staatsmann oder Militär hatte diesen an das Kaiserhaus gebunden – oder aber die Lunte für die nächste Usurpation gelegt…

„Und da Sie schon Navarr und Karrek erwähnen…
Navarr vertraut mir.“, der Prinz hielt kurz inne: „Zumindest ein bisschen. Aber er sitzt momentan im Draned-Sektor fest. Und der gehört nur noch gerade so zum Imperium und die dortigen Flottenverbände sind mit der Sicherung der Grenze zu den Menschen gebunden. Außerdem kenne ich Navarr. Ihm fehlen der Ehrgeiz und die Skrupellosigkeit, mit Gewalt nach dem Thron zu greifen. Dazu hat er ein zu…idealistisches Konzept von Pflicht und Familienehre. Was die Kommandeure des Draned-Sektors angeht…
Admiral Kjani Rau ist bei all seinen Fehlern zu loyal, um zu rebellieren. Er verachtet politische Manöver. Rau ist ja nicht mal dann der Fronde gegen Jor beigetreten, als der ihn abschieben ließ.
Und Marschall Parin…“
„Parin WAR Mitglied der Offiziersfronde.“
„Aber auch ihm geht die Pflichterfüllung und das Reich über alles. Was das angeht, ist er bestrickend altmodisch. Und er ist Pragmatiker. Er wird keine Dummheiten machen, solange die Grenze brennt und er jeden Augenblick mit einem terranischen Angriff, einer Offensive der T’rr-Guerilla oder einem erneuten Separationsversuch eines planetaren Gouverneurs rechnen muss.
Karrek allerdings… Wäre er nicht unserem vorzeitig verschiedenen Kronprinzen Jor so furchtbar ähnlich, wäre er der wohl aussichtsreichste und beste Kandidat für den Thron. Aber was wir jetzt ganz bestimmt nicht brauchen, ist ein neuer Jor. Der verstorbene Kronprinz hat uns immerhin in diesen verdammten Krieg geführt und dann sein Möglichstes getan, damit wir ihn verlieren.
Andererseits steht Karrek unter dem Schutz von Großadmiralin Rian, die einen Großteil der verbliebenen Offensivkraft unserer Flotte kommandiert. Und deshalb muss die Großadmiralin in die Zukunft des Reiches eingebunden werden, bevor sie auf die Idee kommt, selber dafür zu sorgen.
Aber habt Ihr euch mal überlegt, was passieren könnte, falls der Ehrgeiz von Haus Allecar darüber hinausgeht, nur den ERZEUGER des nächsten Imperators zu stellen? Oder wenn sie der Meinung sein sollten, dass die beiden Prinzen eine zu große Bedrohung für ihre Pläne sind? Das würden vermutlich auch Parin und Rau kaum so einfach hinnehmen. Und Rian schon gar nicht.“
„Glauben Sie ernsthaft, Meliac Allecar könnte so dumm sein?“
„Auf jeden Fall dumm genug, um zu meinen, er könnte mit so etwas durchzukommen. Und vielleicht auch dumm genug, um diejenigen Militärs loswerden zu wollen, unter deren Schutz die Prinzen stehen. Und was DAS bedeuten würde, das brauche ich Euch wohl nicht auszumahlen.“

Dies war in der Tat unnötig. Großadmiralin Lay Rian war nach der Gefangennahme von Admiral Ilis für viele die letzte Hoffnung auf einen militärischen Sieg. Admiral Kjani Rau mochte bei vielen Adligen ob seiner Arroganz und seines Lebendwandels nicht beliebt sein. Beim einfachen Volk und in der Flotte war er es dafür umso mehr. Seine tollkühnen Raids ins feindliche Hinterland waren legendär. Er war eine der wenigen lebenden Helden, die dem Imperium verblieben waren. Und Parin mochte für manche eher ein Mann vergangener Zeiten sein, aber mit Rau zusammen hielt er den instabilen Draned-Sektor unter Kontrolle. Als eines der ranghöchsten Mitglieder der Offiziersfronde war seine Reaktivierung ein wichtiges politisches Signal gewesen. Wenn einer dieser drei – oder gar alle – den Machtallüren der Allecars zum Opfer fielen oder wenn sie sich dadurch bedroht sahen…
Rebellion, Aufstand…Bürgerkrieg.

Der alte Kanzler schüttelte langsam den Kopf: „Und werden Sie mir auch verraten, was von ihren Worten wirklich ernst gemeint und WAHR ist?“
Rallis Thelam lächelte schmal und drehte sich um, sodass er das erste Mal Qau frontal gegenüberstand. Inzwischen brach bereits die Nacht herein und tauchte die Gestalt des Prinzen in Schatten: „Das werden Sie selbst herausfinden müssen. Und selbst wenn ich es Ihnen sagen würde – würden Sie mir denn glauben? Nicht, dass es wirklich eine Rolle spielt.
Wichtiger ist die Frage, ob Sie und Linai das Risiko eingehen können, dass ich tatsächlich die Wahrheit sage. Denken Sie darüber nach. Und vor allem…
Reden Sie mit der Prinzessin. Und dann handeln Sie.“ Der Prinz hob die offenen Hände in einer seltsam unbekümmerten Geste: „Oder lassen Sie es bleiben und tragen Sie die Konsequenzen.
Sehen wir uns morgen wieder, Kanzler?“
Qau schnaubte: „Wohl kaum. Aber ich lasse es Sie wissen, wenn es etwas zu besprechen gibt, Hoheit.“
„Sie sollten damit nicht zu lange zögern. Ansonsten könnte es sein, dass die Entscheidung nicht mehr in Ihren Händen liegt.“
„Ist das…“
„Eine Drohung? Nein. Es ist eine WARNUNG…“


***

Imperiale Hauptstadt Pan‘chra, Anwesen des Hauses Allecar


Lord Meliac Allecar beugte sich über die Platte seines Arbeitstisches, die Fingerspitzen vor dem Gesicht zusammengepresst: „Berichten Sie!“
„Das Treffen zwischen dem Prinzen und dem Kanzler dauerte eine knappe Stunde. Beide sprachen ohne Zeugen miteinander. Prinz Rallis kam als erster, blieb nach Kanzler Qaus Weggang noch etwa eine Viertelstunde vor Ort und seine Leibwache übernahm die Sicherung des Geländes. Es ist also davon auszugehen, dass er das Treffen initiiert hat.“
„Oder es lag daran, dass die Kaiserliche Garde sein Sicherheitspersonal stellt. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die vor Qaus Team zurückstecken würden. Die Garde ist natürlich auch weitaus kompetenter. Und worüber haben der fette Weiberheld und das alte Fossil denn nun parliert?“
„Die Außensicherung des Treffens war sehr gründlich. Eine Drohne wäre zu riskant gewesen.
Abhörgeräte konnten wegen der Kurzfristigkeit des Rendezvous nicht installiert werden. Auch einen Spion einzuschleusen war deshalb…“
„Ich will nicht wissen, was NICHT möglich war.“
„Wir waren auf den Einsatz eines sehr entfernt aufgebauten Richtmikrofons angewiesen. Die Aufnahme wurde bereits nachbearbeitet, aber die Aufnahmequalität bleibt…wechselhaft. Wir vermuten ein Störgerät oder…Interferenzen.“
Der Berichterstatter wirkte bei den letzten Worten etwas unbehaglich. Meliac Allecar fragte sich, ob er nur seine Inkompetenz bemänteln wollte oder an die alten Geschichten glaubte, nach denen Unglück und Tod denen drohte, die das alte Heiligtum mit dem Einsatz moderner Technik entweihten: „Lassen Sie schon hören!“

In der Tat war die Qualität der Aufnahme schlecht. Die Lautstärke schwankte und immer wieder wurden die verständlichen Halbsätze und Wortfetzen von einem an- und abschwellenden Rauschen und Knistern überlagert, dass abergläubischere Naturen an das Wispern von Geistern denken lassen mochte. Aber Meliac Allecar war nicht abergläubisch. Und was er verstand, war genug. Er winkte den Chef seines Sicherheitsteams fort und aktivierte einen Komm-Kontakt.
„Was gibt es, Vater? Es ist…“
„Nicht über einen Komm-Kanal, Dero. Du musst herkommen. Wir haben zu reden. Deine Ruhepause ist vorbei.“ Ohne die Bestätigung abzuwarten, deaktivierte der Lord des Hauses Allecars die Kommverbindung und lehnte sich in seinem Sitz zurück. Dann, langsam, verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln. Es war kein angenehmes Lächeln…
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Das Falsche und das Richtige

TRS COLUMBIA, Gamma-Eridon-System

Die Einsatzzentrale eines Trägers war selbst zu den besten Zeiten ein Ort emsiger Geschäftigkeit. Die Koordination von zwischen knapp 60 und 140 Kampffliegern und Shuttles, aus denen ein TSN-Einsatzgeschwader üblicherweise bestand, und von denen ständig wenigstens ein Drittel im Einsatz war oder für den nächsten Flug bereitgemacht wurde, verlangte unausgesetzte Aufmerksamkeit. Umso mehr, wenn der Einsatz mit anderen Schiffen oder Bodenstationen abgestimmt werden musste – kein Träger operierte allein. Doch das war nichts verglichen mit dem Nonstop-Chaos der letzten Tage. Der Raum brummte förmlich vor Aktivität, auf den Bildschirmen flitzten die Symbole nur so hin und her, ständig kamen Meldungen herein, wurden aktualisiert, Befehle erteilt – und gelegentlich auch in Frage gestellt, etwa wenn es zu einem „Meinungsaustausch“ zwischen der Kommandozentrale und dem Flugdeck kam, wie schnell wie viele Maschinen wieder einsatzbereit zu sein hatten. Die Staffelchefs gaben mitunter auch noch ihren Senf dazu.
Das Geschwader war an mindestens drei Schauplätzen gleichzeig aktiv. Da musste der Eigenschutz des Trägers und seiner Begleitschiffe organisiert, gelegentlich auch Begleiter für besonders wichtige Shuttles detachiert werden. So dicht an den feindlichen Flugplätzen konnte man es sich nicht leisten, nachlässig zu werden. Die Schnellboot- und Jagdbomberangriffe der letzten Tage bewiesen einmal mehr, dass wenn auch die Dickschiffe der Imperialen sich nicht näher an den Planeten heranwagten, die leichten Einheiten desto aktiver waren.
Natürlich kam die Konvoibegleitung hinzu, die ihrerseits den Eigenschutz des TSN-Trägers schwächte. Sowohl die Abgabe des Flakkreuzers der Kampfgruppe als auch der Einsatz einer beträchtlichen Zahl von Jägern machte die COLUMBIA verwundbar. Diese Aufgabe zumindest schien sich dem Ende zuzuneigen, denn es hieß, die Vierte Sturmdivision bereite sich darauf vor, ausgeladen zu werden, um dann ihre Fahrt zu Front anzutreten.
Besonders aber der Erdeinsatz des Geschwaders an der bröckelnden Bodenfront hatte sich als belastend erwiesen – und der Umstand, dass die Einsätze mit den terranischen und Konkordats-Bodentruppen und Heeresfliegern abgestimmt werden musste, machte das nicht unbedingt leichter…

Commander Jules „Cowboy“ Stafford rieb sich das Kinn, das definitiv wieder einer Rasur bedurfte. So dringend, wie sein Körper mal wieder sechs, sieben Stunden Schlaf am Stück vertragen konnte. Aber es sah nicht so aus, als ob er das so bald bekommen würde. Als Geschwaderchef musste er natürlich nicht ständig in der Kommandozentrale präsent sein – er hatte ja auch noch eine Staffel zu leiten und zu fliegen. Aber er konnte auch nicht alles an den Operationsoffizier delegieren, der ebenfalls Flugdienst zu leisten hatte. Inzwischen hatte Lieutenant Commander Grover sich recht gut eingearbeitet, doch auch er musste mal schlafen. Zudem war Jules nervös, und das nicht nur wegen der ständigen Einsätze. Irgendetwas war im Busch, das spürte er, etwas Großes. Er konnte den Finger nicht darauf legen, warum er sich dessen sicher war. Aber da war etwas im Anmarsch, und vermutlich nichts Gutes. Und deshalb würde er nicht so schnell zur Ruhe kommen. In einer Stunde stand sein nächster eigener Einsatz an, und da hielt er sich lieber hier auf, auch um ein Gefühl für die Situation am Boden zu bekommen. Für ausführliche Briefings blieb inzwischen nur noch selten Zeit.

Auf den Anzeigetafeln herrschte das übliche Durcheinander. Falcons eskortierten die COLUMBIA oder deckten den näherrückenden Konvoi, unterstützt durch wechselnde Detachements anderer Staffeln. Und zugleich starteten und landeten Kampfflieger für den Einsatz über der Front. Meistens waren ihnen konkrete Ziele zugewiesen, die sie zu bombardieren hatten, aber in begrenztem Umfang flogen die Angels auch Begleiteinsätze für terranische und Konkordats-Atmosphärenmaschinen oder agierten als Feuerwehr, die flexibel angefordert werden konnte. Bei der momentanen Frontlage mussten sie nie lange warten, bis jemand um Hilfe bat.
Commander Stafford wusste nicht genau, nach welchen Entscheidungen die Peshten ihre Verbindungsoffiziere auswählten – und das irritierte ihn etwas. Erst vor kurzem war der bisherige Verbindungsoffizier ausgewechselt worden. Alien-Physiognomie und Linguistik war für einen Menschen, der sich nicht zufällig mit der jeweiligen Spezies und dem entsprechenden Idiom gut auskannte immer schwer zu interpretieren. Jules hatte als Konföderierter weit mehr Erfahrung mit Aliens als 90 Prozent seiner Untergebenen, wenn auch nicht so viel mit den Peshten. Und er hatte definitiv den Eindruck gehabt, dass der Austausch der Verbindungsoffiziere nicht harmonisch verlaufen war.

Commander Tarash’tar war kein schlechter Ersatz. Wie viele Peshten seines Ranges war er eigentlich viel zu jung, ohne Zweifel nach den Säuberungen und im Krieg rasch die Rangleiter emporgeklommen. Er war selbst für einen Peshten kleingewachsen, mit grauer Haut, bei der zu erkennen war, dass sie an einigen Stellen zu unterschiedlichen Zeiten unter Zeitdruck durch geklontes Gewebe ersetzt worden war – Andenken an mehrere Gefechtsverletzungen. Der Peshte war wohl selber Pilot und Staffelchef einer Jagdbombereinheit gewesen, bevor er im dritten Jahr des Krieges aus dem Fronteinsatz geholt worden war – vermutlich als Teil seiner Rekonvaleszenz nach einer Verwundung. Er war in der Etappe geblieben, wo das Konkordat offenkundig seine Fähigkeiten mindestens so dringend benötigte wie im Cockpit. Tarash’tar schien sein Handwerk jedenfalls zu verstehen und die Angels konnten sich eigentlich über die Zusammenarbeit nicht beklagen.
Natürlich war die Präsenz eines Aliens an Bord der COLUMBIA noch immer ein Hingucker, denn abgesehen von einigen ‚unter Verschluss gehaltenen‘ Kriegsgefangenen hatte es das auf dem Träger und seinem Vorgänger REDEMPTION praktisch nicht gegeben.
Im Moment hielt der Konkordats-Commander sich jedenfalls zurück und beschränkte sich darauf, bei Verständigungsfragen einzugreifen – etwas im Zuge der Kommunikation zwischen den Angels und den Peshten-Bodentruppen. Trotz des Status als Exot vermochte er es mitunter, geradezu mit dem Hintergrund zu verschmelzen, möglicherweise auch um die Terraner nicht zu sehr zu irritieren.

Stafford hütete sich, seinen Untergebenen dazwischenzufunken was die eher mundanen Aspekte des Flugbetriebs anging. Er hatte gelernt, dass die TSN solche Dinge etwas formaler sah als die Konföderierten, also koordinierte er primär den Staffeleinsatz und behielt das Gesamtbild im Auge.
Mehr als zwanzig Angels – Kampfflieger und Shuttles – eskortierten noch immer den Konvoi mit der Vierten Sturmdivision. Ein gutes Dutzend plus zwei Shuttles flog Absicherung für die COLUMBIA. Gestern hatte man die Infanteriefähren der grauen Staffel – wie auch einige weitere Shuttles der Begleitschiffe – abkommandiert, um verstärkt im Hinterland der Front Transportaufgaben wahrzunehmen. Stafford hatte die Maschinen ungern ziehen lassen, aber der Befehl war von ganz oben gekommen.
Und gut zwei Dutzend Maschinen – mehrheitlich Nighthawks und Thunderbolts – flogen Atmosphärenmissionen oder waren auf dem Rückweg von einer solchen.
Die Anzeigen des Geschwaders zeichneten ein düsteres Bild – wenn auch nicht annähernd so düster wie die strategischen und taktischen Anzeigen für die Bodenkämpfe. Aber der Einsatz im Gamma-Eridon-System hatte die Angels einiges gekostet. Die Blauen und Grünen kamen zusammen noch auf 20 einsatzfähige Piloten. Die zwei Jagdbomberstaffeln Gold und Silber hatten vier Maschinen verloren – drei davon in der letzten Woche. Nur die Hälfte der Crews hatte überlebt oder war geborgen worden. Auch die Roten und Schwarzen wiesen nicht mehr die volle Staffelstärke aus. Staffel Bronze, wiewohl durch ihre Maschinen daran gehindert, tiefer in die Atmosphäre vorzudringen, hatte inzwischen drei Crusader-Bomber verschlissen und damit praktisch keine Ersatzmaschinen mehr. Wenigstens hatten ihre Crews bisher Glück gehabt, es hatte nur einige Leichtverletzte gegeben, die auf dem Weg der Besserung waren. Die Gelben hatten zwei Maschinen verloren, einer der Piloten konnte eine Ersatzmaschine übernehmen, die andere allerdings war auf Wochen ausgefallen. Wenn es in dem Tempo weiterging, würde das Geschwader nicht mehr lange einsatzbereit sein…

Im Moment waren zwei Sektionen Thunderbolts auf dem Rückweg von einem Einsatz. Die Jabos hatten Bombenteppiche auf die Angriffskorridore der Imperialen geworfen und waren dabei von Nighthawks der Schwarzen Staffel beschützt worden. Eine Sektion der Roten flog Gefechtspatrouille zur Abwehr imperialen Kampfflieger…
In diese Gedanken Staffords hinein schnitt ein gekünsteltes Räuspern, das klang, als müsse sich der Verantwortlich erst einmal erinnern, wie das eigentlich geht. Jules dreht den Kopf – neben ihm stand Commander Tarash’tar: „Sir? Könnte ich Sie für einen Moment sprechen?“
Jules nickte. Es kam nicht oft vor, dass der Peshten außerhalb taktisch-strategischer Besprechungen von sich aus die Initiative ergriff – vermutlich, um Reibungen mit den Terranern zu minimieren.
„Ich habe soeben aktualisierte Informationen aus dem Kampfgebiet bekommen. Dank der Funkaufklärung haben wir einige Meldungen des Gegners decodieren können – was uns unter anderem den momentanen Aufenthaltsort von Generaloberst Tyrosch Anwhar, des feindlichen Armeechefs verrät. Er besichtigt wohl im Moment eine Instandsetzungseinrichtung. Im Hinterland Leider haben wir keine eigenen Maschinen in der Nähe, und es besteht die Gefahr, dass das schmale Zeitfenster sich schließt und er uns entwischt. Können Sie das übernehmen?“
Jules war beeindruckt, denn so ein Fang gelang der Flottenaufklärung nur selten. Er konsultierte den Flugplan: „Wir machen gerade eine Sektion Thunderbolts startklar, ich könnte sie umdirigieren…sie tragen genug Smartbomben um… Dann bräuchten wir noch Geleitschutz…“
Der Konkordatscommander blinzelte mit allen drei Augen gleichzeitig, ein immer noch sehr gewöhnungsbedürftiger Anblick. Er drehte den Kopf leicht und senkte die Stimme: "Ich bitte Sie, Commander, eine schnellere Alternative zu suchen. Es ist nicht auszuschließen, dass Anwhar bald seinen Standort wechselt, gerade im Moment, wo seine Truppen auf dem Vormarsch sind. Die Chance können wir uns nicht entgehen lassen.“
Stafford verstand die Beweggründe seines Gegenübers, aber er war natürlich nicht glücklich, seine Leute ohne ausreichenden Schutz gegen ein potentiell so gefährliches Ziel zu schicke. Allerdings, ein bisschen Goodwill gegenüber den Verbündeten könnte nicht schaden, und wenn der feindliche Kommandeur wirklich ausgeschaltet werden konnte...
„Können Sie das Ziel einblenden? Ich sehe zu, was sich machen lässt.“
Der Peshte verneigte sich leicht: „Sofort.“

Der Verbindungsoffizier trat zu einem der Bildschirme und begann Daten einzugeben. Kurz flackerte die Karte und zeigte dann ein Gebiet außerhalb der Haupteinsatzgebiete der letzten Tage. Stafford war einen kurzen Blick darauf, dann konsultierte er die Anzeigen des Geschwaders: „Hm…keine Feindjäger in der Nähe, wie Sie melden? Das ist gut. Ja…eine Sektion der Jaguars hat ihre Bomben noch nicht geworfen, sie fliegen Bodenangriffsbereitschaft über dem Angriffskorridor. Sie haben Smartbomben, aber nur zwei pro Maschine.“ Das hieß, die Sektion verfügte in etwa über so viel Abwurflast wie eine voll beladene Thunderbolt – keine sehr beeindruckende Menge.
Commander Tarash’tar schien einen Moment nachzudenken: „Das sollte funktionieren. Ich lasse einen Kurs berechnen, dank unserer Guerilla wissen wir ein wenig über die Sensorabdeckung des Gegners. Ich grenze Ihnen zudem die Angriffsziele ausgehend von unserer Aufklärung ein.“ Er schien für einen Moment nachzudenken, dann fügte er hastig hinzu: „Der Komplex ist uns noch aus der Vorkriegszeit in groben Zügen vertraut. Ich werde eine Simulation laufen lassen, wo die aussichtsreichsten Ziele sind. Ich rate aber, dass Ihre Piloten nach Möglichkeit auch ihre Sidewinders einsetzen. Ich sehe zu, dass wir auf die Schnelle noch eine Satellitenaufnahme bekommen – vielleicht lässt sich etwas zu möglichen Flugabwehrstellungen ermitteln.“

***

Frontgebiet, kurz darauf

First Lieutenant Elisabeth „Fox“ Lisiewicz verkniff sich ein genervtes Augenrollen, als sie die neuen Befehle entgegennahm – obwohl ihr Gesprächspartner ihr Gesicht natürlich ohnehin nicht sehen konnte. Sie liebte keine Überraschungen, selbst wenn diese eine fette Beute versprach, die Art Einsatz, für die man einen Orden bekommen konnte. Fox wusste, dass manche ihrer Vorgesetzten sie für etwas am Lehrbuch haftend hielten. Aber sie hatte oft genug gesehen, dass erste Regungen und Ahnungen auch die letzten waren, wenn man sich verschätzte. Sie konnte nichts Falsches daran erkennen, sich am Erfahrungsschatz anderer Piloten zu orientieren. Es war dieses methodische Vorgehen – da war sie sich sicher – die ihr das Überleben ermöglicht hatte, während Piloten, die ihr einiges voraus hatten wie Lady Death oder Tigre auf die eine oder andere Art und Weise vom Krieg verschlungen worden waren. Sicher, mit ihren sieben Abschüssen war sie für eine Angel alles andere als überdurchschnittlich. Es gab rangniedere Piloten, die ihr einiges voraushatten, und dies zudem in deutlich kürzerer Zeit erreicht hatten. Aber sie war schon immer der Meinung gewesen, dass es töricht war auf die Schnauze zu fallen, weil man zu sehr nach den Sternen schielte, und zu wenig auf das achtete, was vor den eigenen Füßen lag.
Sei dem wie es sei, sie mochte es nicht, mitten in ihrer Mission zu einem Sondereinsatz abkommandiert zu werden – dazu zu einem, der Präzisionsfliegerei am Rande des Treibstoffvorrates verlangte. Genau dies aber war geschehen. Die Flugroute, die man ihr diktierte, verlangte nach extremem Tiefflug. Und der Zeitplan war sehr eng getaktet, die Informationen über die Luftverteidigung über dem Ziel blieben bisher dürftig. Und das bei einem Ziel, das so klang als würden die Echsen es wirklich gut verteidigen. Da mochte es noch so sehr heißen, mit feindlichen Jägern sei erst einmal nicht zu rechnen. Aber wenn die da oben sich etwas ausdachten, musste man springen.
„Also dann, Jaguars. Ihr habt eure Fluginformationen. Es wird Zeit für ein wenig Stalking.“

***

TRS Columbia, zur gleichen Zeit

Commander Stafford war sich nicht sicher, was genau ihn verunsicherte. Er wusste nur, dass er ein mieses Gefühl bei der ganzen Sache hatte. Dabei schien bisher alles erstaunlich glatt zu laufen. Die Sektion der Gelben flog soweit sich dies beurteilen ließ geradezu mustergültig. Die Staffel stand zwar bezüglich ihrer Abschusszahlen seit langem an letzter, nur selten einmal an vorletzter Stelle, wenn man sie mit anderen Jägerschwadronen verglich, doch über das fliegerische Können der Piloten ließ sich nichts Schlechtes sagen. Und bisher hatten sich auch keine unerfreulichen Überraschungen gezeigt wie unplanmäßige Jägerpatrouillen oder Flugabwehrstellungen der Imperialen. Das würde sich über dem Ziel ohne Zweifel ändern, aber bis dahin…
Commander Tarash’tar trat lautlos zu dem Geschwaderchef: „Ich übermittle Ihnen hiermit die Zielangaben und Flakpositionen.“ Die Anzeigen auf dem Hauptbildschirm wandelten sich…
Jules pfiff lautlos – das waren ziemlich konkrete Vorgaben. Das Bild war zweifellos ein wenig beunruhigend, aber nicht dramatischer als mehrere Missionen, die von Piloten seines Geschwaders zuvor erfolgreich geflogen worden waren.

Die Ziele erschienen zerstörbar, selbst wenn man die begrenzte Zahl an Bomben berücksichtigte. Die Peshten hatten zwei Gebäude markiert – eines sah wie ein altes Lagerhaus aus, das andere wie ein ehemaliger Wirtschaftsbau. Beide sollten nach Möglichkeit mit vier Smartbomben getroffen werden, am besten kurz hintereinander. Zudem waren mehrere Luftabwehrpanzer als Ziele für die terranischen Raketen und Bordwaffen markiert, die um den Stützpunkt verteilt standen. Primärziel war ein „Spotter“ auf einem Hügelkamm, drei weitere SAM-Panzerfahrzeuge waren im Gelände eingezeichnet. Zudem war mit weiteren gepanzerten Fahrzeugen mit leichten Bordwaffen auf dem Gelände zu rechnen, vielleicht ein halbes Dutzend.
„Sind diese Angaben verlässlich?“
„Soweit sich dies im Krieg sagen lässt – ja.“
„Gut, ich übermittle die Angaben an unsere Piloten.“

Wenige Minuten und eine Bestätigung von den Gelben später plagte sich der Kommandeur der Angels immer noch mit seinen unklaren Bedenken. Der finale Countdown kam immer näher. Doch was war es nur…
Er musste sich geradezu dazu zwingen, die Augen von den Anzeigen zu lösen – schließlich verlangte das übrige Geschwader ebenfalls Aufmerksamkeit. Die Fighting Stallions spulten gerade wieder einmal eine Statusmeldung über zerstörte und geortete Minen ab, und das war nicht ganz unwichtig, schließlich hatte sich die Anreise der 4. Sturmdivision bisher holprig genug gestaltet.
Doch weiterhin wurde Commander Staffords Blicke und Gedanken geradezu magisch von dem Bildschirm angezogen, auf dem die Symbole der Jaguars ihrem Ziel entgegenkrochen.

Doch die Erleuchtung – wenn man das so nennen konnte – kam nicht allein von den Sensordaten.
Es war zum einen, was zu fehlen schien. Die Absicherung der Anlage erschien nicht sehr schwer. Sicher, der Feind hatte in den letzten Tagen seine rückwärtigen Gebiete ausgekämmt um den Flakschutz der vorrückenden Verbände abzusichern – das war viel Gelände, und die Imperialen hatten ja auch Verluste erlitten. Aber dennoch, eine Instandsetzungsanlage sollte gerade beim Besuch eines imperialen Generals eigentlich besser gesichert sein. Außer natürlich, dieser wollte nicht auffallen.
Und dann fehlten auch klare Anzeichen, dass die Anlage regelmäßig von schweren Einheiten frequentiert wurde. Schweber brauchten keine Straßen und hinterließen keine Kettenspuren, aber für viele Transportfahrzeuge und Schleppmaschinen galt das nicht, und auch wenn die Echsen sich bemühten, solche offenkundigen Spuren zu verwischen…es war merkwürdig, dass sich auf den Luftbildern so wenig erkennen ließ.
Dann war da noch die schweigsame Gestalt von Commander Tarash’tar, der selbst immer wieder auf den Bildschirm starrte. Immer wieder – wenn auch nur für Bruchteile von Sekunden – schloss der Peshte alle drei Augen, senkte leicht den Kopf, bewegten sich seine Finger fast unmerklich. Einem Terraner wäre wohl nicht viel aufgefallen, aber als Konföderierter hatte Jules ein wesentlich besseres Auge für solche Dinge – und er hatte schon in seiner Kindheit in der Schule mehr über die Peshten gelernt als die meisten Offiziere der FRT in ihrem ganzen Leben. Der Verbindungsoffizier betete, geradezu inbrünstig, wollte sich dies aber um keinen Preis anmerken lassen – so wenig wie seine wachsende Nervosität. Doch warum? Sicher, das Ziel war wertvoll, die Mission nicht ohne Risiko, aber er schien noch weit darüber hinaus besorgt.

Nun konnte man natürlich schwerlich einem Gleichrangigen einfach so auf den Zahn fühlen, schon gar nicht wenn dieser Verbindungsoffizier war. Schließlich waren die Beziehungen zwischen der FRT und dem Konkordat heikel genug. Nicht umsonst hatten die TSN-Kommandeure einschließlich Stafford persönlich wieder und wieder die Notwendigkeit der Kooperation und mustergültiges Verhalten gegenüber den Verbündeten gepredigt.
Aber eine Option blieb Jules. Mit gemessenen Schritten – sorgsam darauf achtend, sich seine Gedanken nicht anmerken zu lassen – schritt er zu einer der Stationen.
Die Kommunikationsoffizierin nahm unwillkürlich Haltung an.
„Ensign, ich will, dass Sie das Ziel der Dritten Sektion der Stalking Jaguars überprüfen.“
Die junge Frau warf einen Blick auf den großen Bildschirm und runzelte die Stirn.
„Ich weiß – aber prüfen Sie bitte alle Informationen, die aktuellen und die älteren. Sagen Sie mir nur Bescheid, wenn etwas irregulär erscheint.“
Jules war sich bewusst, dass er sich damit etwas aus dem Fenster lehnte. Zum einen war seine direkte Befehlsgewalt über Besatzungsmitglieder außerhalb seines Geschwaders begrenzt – die Schiffsoffiziere sahen es nicht gerne, wenn die Flieger ihre Kreise störten. Und zum anderen war seine Angabe recht unklar. Aber er konnte es nun einmal nicht konkreter formulieren.
Mit diesen Gedanken wandte er sich ab und wieder den Hauptbildschirmen zu, auf denen die Einsätze und der Bereitschaftsstand des Geschwaders abgebildet waren. Lieutenant Commander Pawlitschenko erwartete zweifellos eine Rückmeldung von der Columbia.

***

Besetztes Gebiet

Fox starrte angestrengt auf die Symbole, welche die potentiellen Ziele symbolisierten. Noch hatten sie keinen direkten Sichtkontakt, doch das würde sich in wenigen Minuten ändern.
Sie wandte sich an die Führerin des zweiten Flights: „Octo, ihr kommt vom Westen und pustet den Flakpanzer auf der Anhöhe weg. Für den haben wir relativ gute Angaben, und er müsste zu erkennen sein. Ohne ihn kriegen die restlichen Mistkerle keine klare Erfassung bis wir über ihnen sind. Wir schmeißen die Bomben nach Kartenpeilung, ihr auf Zielgebäude Eins – ein Glück, dass die Peshten so gute Karten geliefert haben. Mein Flight fliegt von Süden an und versucht nach dem Abwurf auf Gebäude Nummer Zwei beim Überflug noch ein bisschen Zunder für die restlichen Flakpanzer zu geben. Aber ich fürchte, die werden sich abducken. Also müssen die Bomben hinhauen, oder wir brauchen einen zweiten Anflug.“
Sie erwartete sowieso halb und halb, dass man ihr auftragen würde, noch jedes letzte Panzerfahrzeug und Deckungsloch umzupflügen um sicherzugehen, dass das Ziel getroffen worden war. Und das würde bedeuten, dass sie erst die Luftabwehr niederkämpfen mussten, ehe sie mit ihren Bordwaffen das Zerstörungswerk vollenden konnten. Leider waren die Positionen der SAM-Fahrzeuge innerhalb der Anlage nicht präzise genug um sie praktisch blind anzugreifen, und sie führten nicht genug Lenkbomben und Raketen mit, um das Areal flächendeckend zu bombardieren.
Ihre Untergebene bestätigte: „Copy.“, dann drückte sie ihre Griphen noch etwas tiefer und scherte zusammen mit ihrem Flügelmann leicht aus. Auch Fox versuchte ihre Maschine noch ein wenig enger an das Terrain anzupassen. Wenn sie schnell und hart genug zuschlugen, von zwei Seiten gleichzeitig, bestand Hoffnung, dass sie ihre Mission erfüllen konnten, ehe der Gegner sich von der Überraschung erholte.
Während die Kilometer und Sekunden immer weiter herunterzählten, machte Fox ihre Bomben scharf und begann bereits Zielkoordinaten für das GPS/INS-Navigationssystem einzugeben…

***

TRS COLUMBIA

Commander Stafford hatte ganz gehofft und halb erwartet, dass nichts passieren würde – schließlich war es durchaus möglich, dass er das Verhalten des Verbindungsoffiziers missinterpretierte. Und selbst soweit er Komplikationen einkalkuliert hatte, so hatte er doch nichts wahrlich Dramatisches erwartet. Das war ein Irrtum.
Es begann mit einem scharfen: „Sir!“ – einer Meldung der Ensign, die sich offenbar nicht darum kümmerte, dass der Commander sie zuvor heimlich angesprochen hatte. Das war schon einmal kein gutes Zeichen.
Die junge Frau gestikulierte wild, und mit einmal flackerten auf dem Bildschirm, der die Jaguars und ihr Ziel zeigte, neue Symbole auf.
„Das Ziel, Commander – das wurde uns von den Peshten letzte Woche als imperiales Feldlazarett gemeldet!“
Der Geschwaderchef zuckte zusammen. Er starrte den Konkordats-Verbindungsoffizier an. DAS war nun wirklich nichts, womit er gerechnet hatte.
Für einen Moment zögerte Commander Tarash’tar – einen Moment zu lange, um glaubhaft behaupten zu können, dass alles ein Irrtum sei oder aber das Lazarett verlegt worden war.
Stattdessen nahm der Peshte Haltung an und kam jeder Frage oder Vorwurf zuvor: „Das ist irrelevant. Ja, dort befindet sich ein Lazarett. Aber zugleich, in diesem Moment, laut der bestätigten Meldung eines Patrioten vor Ort, auch der Kommandeur der gesamten imperialen Bodenstreitkräfte. Damit ist es ein legitimes Ziel, ein EINMALIGES Ziel.“

Jules brauchte einen Moment um das zu verdauen, dann musste er an sich halten, um nicht laut zu werden. Anders als die Imperialen aber auch etliche konföderierte und noch mehr terranische Kommandeure, nahm er es auch nach sechs Jahren Krieg mit den Regeln der Kriegsführung noch genau.
„WAS? Es ist irrelevant, dass Sie uns ein Kriegsverbrechen unterschieben wollen? Ensign, rufen Sie die Jaguars…!“
„Halt!“ Die Stimme des Peshten klang eindringlich, beinahe flehend: „Sir, es war nicht korrekt, Sie darüber im Unklaren zu halten, aber so hätte die alleinige Verantwortung bei unserer Aufklärung gelegen.“
Was stimmen mochte, oder nicht, vermutlich hatten die Peshten ebenfalls geschwiegen, um sich genauso eine Situation wie die jetzige zu ersparen.
„So eine Chance ergibt sich nur einmal! Wir können die gesamte feindliche Armee enthaupten! Das kann tausende, vielleicht zehntausende Leben retten – menschliche wie Peshten, Soldaten UND Zivilisten! Sie wissen doch nur zu gut, wie es an der Front aussieht! Und Sie kennen die Verwüstung, die die imperialen Streitkräfte anrichten. Kriegsverbrechen? Was ist denn das größte Verbrechen, wenn nicht Krieg auf einem fremden Planeten zu führen, dem Planeten einer Nation, die einen nie angegriffen hat, oder das auch nur plante? Wir haben nur diese Chance…“
„Unter meiner Führung werden die Angels kein Kriegsverbrechen begehen! Das könnte dutzenden, vielleicht hunderten Verwundeten und Angehörigen des medizinischen Personals das Leben kosten!“
Stafford war lauter geworden, aber auch der Peshte zeigte Nerven: „Bei Nag’Sadovs ewigem Zorn! Muss denn bei Ihnen immer alles nach der Vorschrift gehen!?“
„Ensign, ich sagte, rufen Sie die Jaguars zurück.“
Für einen Moment zögerte die junge Frau – vielleicht weil sie Zweifel hatte, vielleicht wegen des flehentlichen Untertons in der Stimme des Verbindungsoffiziers. Doch als dieser dazwischen gehen wollte, und Jules eingriff, brach dies den Bann: „Commander, halten Sie sich zurück, oder ich lasse Sie von einer Wache hinausbegleiten! Ensign, Sie haben Befehle.“
„Jawohl, Sir!“

***

Besetztes Gebiet

Fox unterdrückte einen saftigen Fluch. Sie hatte nicht gedacht, dass sie SO richtig liegen würde mit ihren Befürchtungen. Da hatte man sie tief in feindliches Gebiet hineinfliegen lassen, und nun sollten sie unverrichteter Dinge umkehren!
Sie konnte sich zusammenreimen, was an Bord der Columbia passiert war, zumindest halbwegs, und das ließ sie wünschen, jemand anderes wäre hier. Jemand wie Lilja – da war sie sich sicher – hätte den Einsatz dennoch durchgeführt, und sich mit den Konsequenzen später befasst. Andere Piloten hätten vielleicht etwas Kreatives versucht wie eine ,Entenjagd‘, auch ,Knock-knock-Angriff‘ genannt, bei der man Ziele NEBEN dem Lazarett beschoss und darauf hoffte, dass die Echse in einen der Schützenpanzer flüchtete – und dann die Evakuierungskolonne bombardiert.
Aber sie war nicht einer dieser Offiziere. Sie hatte Befehle, und diese waren klar. Also entschied sie sich für das, was nach allen gelten Regeln das Richtige war.
„Achtung, Jaguars, der Einsatz ist abgebrochen. Flugvektor folgt, lasst uns hier schleunigst verschwinden.“
Sie überhörte die Kommentare ihrer Untergebenen und betete, nicht nur heil nach Hause zu kommen, sondern auch, dass sie nicht mit ihrer Entscheidung falsch lag.

**

TRS COLUMBIA

„Bestätige, Abbruch. Abbruch. Abbruch.“
Die leicht verzerrte Stimme aus dem Lautsprecher ließ Commander Stafford für einen Moment erleichtert aufatmen. Er hatte eine Katastrophe verhindert.
Die Erleichterung war jedoch nur von kurzer Dauer.
Der Gesichtsausdruck mit dem Commander Tarash’tar den ehemaligen Konföderierten anstarrte, war wohl selbst für jene leicht zu lesen, die keine Experten in Xenophysiognomie waren. Es war pure Abscheu. Es fehlte nicht viel und er hätte ausgespuckt, oder Schlimmeres: „DAS werden Sie bereuen, MENSCH. Und nicht nur um meinetwillen oder wegen dem Blut der Peshten, das an ihren Händen klebt, weil Sie zu feige waren, ein paar Imperiale umzubringen! Wenn das die Hilfe der FRT und TSN ist, dann…“
„Commander! Ich verstehe Ihre Enttäuschung. Aber ich bin ebenso wenig bereit, Ihre Tiraden zu dulden, wie ich bereit bin, die Gebote der Genfer Konvention zu brechen. Sie können Beschwerde über mich einlegen, und Ihre persönliche Meinung zu mir ist ihnen überlassen. Aber ich erwarte, dass Sie ein professionelles Verhalten an den Tag legen, oder die Flugzentrale verlassen.“
Der Peshte fletschte die Zähne, was vieles bedeuten konnte. Dann drehte er sich abrupt um und ging wortlos.
Als Jules Stafford ihm nachschaute, bemerkte er, dass etliche der Mannschaftsmitglieder peinlich berührt zu Boden blickten. Der oder die eine oder andere musterte den Geschwaderchef mit Respekt, mit Zustimmung. Mehr als einer der TSN-Angehörigen jedoch starrte ihn an mit einer Miene, die nicht viel weniger Abscheu ausdrückte als jene des Konkordats-Offiziers.
Er ahnte, dass dies noch nicht ausgestanden war. Möglich, dass Tarash’tar tatsächlich Beschwerde einlegen würde.
Doch selbst wenn nicht – dies konnte leicht zu der Bewährungsprobe werden, ob er es wirklich schaffen würde, die Angry Angels anzuführen. Er war sich keineswegs sicher, wie das ausgehen mochte.
Und für einen Moment fragte er sich, ob er wirklich das Richtige getan hatte – oder das Falsche, wenn auch aus den richtigen Gründen.
19.06.2021 19:19 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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‚England erwartet, dass jeder Mann seine Pflicht tut!‘
Der englische Admiral Horatio Nelson vor der Seeschlacht von Trafalgar


Gamma-Eridon, 4 Stunden vor Beginn der Operation ‚Markat‘
Mehr als 100 Kilometer im imperialen Hinterland


Die von kleinen Baum- und Strauchgruppen unterbrochene Grasebene erstreckte sich über mehrere Meilen. Der felsige Boden war zu karg für den Ackerbau und bar aller Bodenschätze, weshalb sich nie jemand für dieses Gebiet interessiert hatte. Weder die Peshten noch die Akarii hatten diesen Flecken Erde für hinreichend wertvoll befunden, um darum zu kämpfen. Eine staubige Piste für Bodenfahrzeuge war das einzige sichtbare Anzeichen der Zivilisation. Und auch diese Fahrbahn lag momentan reglos und verlassen, beschienen von den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne von Gamma-Eridon.
Eine Sonne, die für viele Männer und Frauen zum letzten Mal aufgehen würde.

Lieutenant Marcus vom TIS unterdrückte den Impuls, sich den Schweiß abzuwischen, der ihm über das Gesicht rann. Obwohl die Ausrüstung, die er bei seinem ‚Antritt‘ bei Team Pashka-Vier erhalten hatte, erstaunlich leicht war, schwitzte er mörderisch unter dem mit Panzerplatten gefütterten Tarnoverall und dem Tarnnetz, das ihn theoretisch sowohl vor feindlichen Augen als auch vor Sensorscans schützen sollte. Schon in der Nacht waren es über zwanzig Grad Celsius gewesen und mit jedem Zentimeter, den sich die rotgoldene Sonne über den Horizont schob, schien es heißer zu werden.
Er schluckte einen Fluch herunter. Marcus hatte sich mehr von seinem Einsatz erhofft, als das. Aber sie waren personell verdammt dünn aufgestellt. Weshalb das Kommandoteam abkommandiert worden war, LZ I eins zu sichern, während andere Spezialeinheiten jene Plätze auskundschafteten, welche die Landung eines Großteil des schweren Geräts gewährleisten sollten. Marcus hatte seine Vermutungen über den Ort, aber wenn jemand seiner neuen Kameraden etwas Genaueres wusste, hatten sie dieses Wissen für sich behalten. Offiziell kannten sie die genauen Koordinaten der anderen Landezonen nicht. Eine nachvollziehbare, aber wenig ermutigende Vorsichtsmaßnahme für den Fall, dass ihr Team von den Imperialen gefasst wurde. Die anderen Einsatzteams würden zudem Ziele für alliierte Luftschläge und den Angriff der gelandeten Truppen identifizieren und anpeilen. Eine Aufgabe, die ebenso riskant wie wichtig war. Gleichzeitig überwachten andere Kommandotrupps naheliegende Angriffsziele, bereiteten Anschläge auf Kommunikationseinrichtungen vor und verminten Zufahrtswege.
Und er…
„Neuer, Bewegung auf der Straße, Sektor Neun.“ Scharras Stimme war nur ein Wispern, drang aber erstaunlich störungsfrei aus dem Kurzstrecken-Komm. Sorgfältig darauf achtend, hastige Bewegungen zu vermeiden, drehte Marcus den Kopf: „Wo? Ich sehe nichts.“
„Das kam von Huan. Er hat wohl was gehört.“
„Hm…“, Marcus hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt, sich auf die Sinneswahrnehmungen eines TIERES zu verlassen. Drohnen und Sensorpakete – klar. Aber das…
Zumal er sich immer noch nicht so ganz sicher war, wie die Kommunikation zwischen dem Geit-Hund und den Spezialeinheitlern funktionierte – und wieviel Huan tatsächlich verstand.

Ein paar Sekunden später bestätigte ihm das leise, langsam anschwellende Dröhnen eines Bodenfahrzeug-Motors, dass der ‚Hund‘ mal wieder Recht gehabt hatte. Die Quelle der Geräusche waren zwei vierrädrige, gepanzerte Fahrzeuge, die mit drehbaren Zwillingslasern und leichten Raketenwerfer-Kassetten bestückt waren. Sie fuhren relativ langsam – nicht mehr als fünfzig Stundenkilometer, während die Lasertürme sich bedächtig von einer Seite zur anderen drehten. ‚Vermutlich nur wieder eine Patrouille. Aber nicht im Zeitplan. Gestern kamen die doch erst eine Stunde später. Sicherlich wieder von dem Flugfeld in der Nähe.‘
Weniger als eine Minute später waren sie wieder alleine und Marcus erlaube es sich, sich wieder etwas zu entspannen.
„Wie lange…“
„Noch drei Stunden bis wir die Landemarker aktivieren.“, kam es von Tai’fal.

Eigentlich sollten die in ihren Nav-Computern gespeicherten Karten die Sturmfähren und Panzertransporter zuverlässig zu den vorgesehen Landepunkten dirigieren. Aber eine Gefechtslandung war eine heikle Angelegenheit. Es musste immer mit feindlichen ECM-Maßnahmen, meteorologischen Störungen, Flugabwehrfeuer, Gefechtsschäden und ähnlichen unvorhergesehenen Problemen gerechnet werden. Deshalb hatten die im imperialen Hinterland eingesetzten Spezialeinheiten Signalbaken aufgebaut und Granaten mit farbigem Raum platziert, die die Einweisung und Koordination der landenden Einheiten unterstützen sollten. Natürlich war das ein Risiko, denn höchstwahrscheinlich würden die Imperialen die Richtsignale ebenfalls bemerken und anpeilen können. Deshalb durften die Signalgeber erst ganz kurz vor der Landung eingeschaltet werden.

Lieutenant Marcus seufzte leise. Drei weitere verdammte Stunden unter diesem Tarnnetz – und das war die GUTE Alternative.
„Du kriegst schon noch genug Action, Neuer. Und jetzt sei still. Du denkst zu laut.“


***


Zeitgleich, im planetaren Orbit von Gamma-Eridon

In dem riesigen Hangar der KIRKU, einem Transporter der NASSAU-Klasse, herrschte das organisierte Chaos einer anlaufenden Gefechtslandung.
An den Hangarwänden warteten die Marines in langen Reihen auf die Einschiffung. In ihren klobigen Gefechtspanzern, die Gesichter unter schweren Vollvisierhelmen verborgen, beladen mit Laserwaffen, Raketenwerfern und Ausrüstung wirkten sie kaum noch menschlich – oder welcher Spezies sie auch angehören mochten. Zwischen den angetretenen Männern und Frauen waren die Unteroffiziere der einzelnen Trupps und Züge zugange und kontrollierten noch einmal die Ausrüstung ihrer Untergebenen. Der Ton war laut, rau, fast aufgekratzt – und sei es auch nur, um die Angst zu übertönen, die manchen an der Kehle gepackt hatte.
In der Mitte des Hangars wurden die Panzerlandungsfähren auf den Start vorbereitet, welche die Gefechts- und Transportfahrzeuge der ersten Welle auf den Boden bringen würden.

„Ich belade schon seit zwanzig Jahren Fähren und weiß, wie das geht!“
„Aber…“
„So wird das gemacht, oder ihr könnt das Scheißding selber vertäuen!“
„Sie…“
„Lassen Sie die Frau Ihre Arbeit tun.“, Clas Schiermer duckte sich unter dem Flügel der Transportfähre hindurch: „Es ist mir scheißegal, wie sie das Ding an Bord bringen, solange wir im Zeitplan bleiben.“
„Colonel…“
Aber der Regimentskommandeur war schon weitergegangen, während seine kalten, harten Augen von einer Seite des Hangars zur anderen wanderten: „Bewegung da drüben! Die C-Kompanie sollte schon vor fünf Minuten an Bord sein.
Und wenn dieser Sharp nicht in zehn Minuten verladen ist, schiebt das Scheißding aus dem Hangartor! Oder kann mir mal einer erklären, wie wir durch einen verdammten PANZER starten wollen?!“

„Kommen Sie runter, Schiermer. Sie müssen nicht jeden Augenblick Ihres Lebens das Arschloch spielen.“
Der Ex-Marines salutierte zackig: „Lieutenant General.“
Divisionskommandeurin Tesh’ta winkte lässig ab: „Sparen Sie sich die Formalitäten. Wie läuft es?“
„Wir sind im Zeitplan, aber nur gerade so. Ich will meine Jungs und Mädchen in den Fähren haben, bevor die Akarii kapieren, dass wir nicht im alliierten Hinterland runterkommen werden…
Vorsicht, Vorsicht, da vorne! Das ist Treibstoff und kein Orangensaft! Wenn Sie ihre Wichsgriffel nicht ruhig halten können, schieben Sie sich die in den eigenen Arsch…“
Der Regimentschef wandte sich wieder seiner Vorgesetzten zu: „Wie steht es mit den anderen Regimentern?“
„Ortas Infanteristen sind bereits verladen. Sie werden langsam, Schiermer.
Gabanis Truppe hinkt etwas hinterher, aber von denen kriegen wir sowieso nicht alle mit der ersten Welle auf den Boden.“
„Ich muss meinen Leuten wohl Beine…ACHTUNG! Was glaubst, was das hier ist?! Ein verdammter Paradezirkus?! Schafft die Leute endlich an Bord!“
„Hamats Panzer sind ebenfalls bereits verladen. Jedenfalls diejenigen, die wir mit der ersten Welle auf den Boden bekommen. Morkas Artillerie, Gai’its technische Abteilung und den größten Teil von Lossas Nachschubfahrzeugen können wir erst auf den Boden bringen, sobald wir LZ III gesichert haben.“
„Sie meinen, FALLS wir LZ III gesichert haben.“
„SOBALD. Hören Sie endlich auf, Schwarzzusehen. Sie erschrecken noch die Kinder.“
„Die Kinder sind ein bisschen zu alt, als dass man ihnen etwas vormachen kann.“
Tesh’ta winkte ab: „Und Ihr Sturmverband?“
Schiermer nickte knapp, während es kurz in seinem ausdruckslosen Gesicht arbeitete: „Verladen und instruiert.“
Das auf Späh- und Schützenpanzern motorisierte Bataillon sollte sofort nach der Landung den imperialen Notflughafen einnehmen, der als Landezone Drei fungieren würde.
„Gut. Frosts Pioniere…melden Bereitschaft. Also läuft alles nach Plan.“

Clas Schiermer schnaufte abfällig, verkniff sich aber ein Kommentar. Sie beide wussten um die Risiken und Defizite des Operationsplans. Sie kannten die weiterhin bestehenden Probleme, die auch in den letzten Tagen nicht mehr hatten gelöst werden können: begrenzte Munitions- und Treibstoffreserven, zu wenig schwere Landungsfähren, ungenügende Kenntnisse der feindlichen Truppenstärke und -bewegungen, ein sehr ehrgeizig und knapp kalkulierter Operationsplan…
All das war in den letzten Tagen wieder und wieder zur Sprache gekommen. Aber das spielte jetzt keine Rolle mehr. Die Landung würde stattfinden.

Der Colonel nickte knapp und salutierte: „Lieutenant General…“
„Werden Sie mir jetzt bloß nicht sentimental, Schiermer. Wir sehen uns am Boden.“ Die Peshten erwiderte den Salut. Dann drehte sie sich um, während von der Seite ihr Adjutant aufschloss, der bisher respektvoll Abstand gehalten hatte und Tesh‘ta jetzt einen Datentablett reichte.
Clas Schiermer folgte der Divisionskommandeurin noch ein paar Augenblick mit den Augen, dann wandte er sich ab: „Was zum Teufel haltet ihr Maulaffen feil?! Diese Raketenwerfer verladen sich nicht von alleine! Schwingt eure faulen Ärsche, eh ich euch Beine mache!“


***


Zeitgleich, Im Hauptquartier des 30. Korps ‚Die Niegeborenen‘

„General, Meldung von der Vierten Sturmdivision: Die erste Welle ist in den Landungsfähren.“
„Na endlich. Wir sind also noch im Zeitplan. Was ist mit den Luftstreitkräften?“
„Der Countdown für Phase Eins der Luftschläge läuft. Klarmeldungen der Staffeln gehen ein, Erster Start in…einer Viertelstunde.“
„Hoffen wir, dass unsere terranischen Verbündeten wenigstens DIESMAL in der Lage sind, ihre Aufgabe zu erfüllen und ihre Ziele zu treffen.“ Das klang eher abwesend als boshaft, aber alle Anwesenden wussten, dass General Horoks das Versagen der Angry Angels weder vergessen noch vergeben hatte.

Nachdem Commander Stafford die Mission gegen den feindlichen Oberbefehlshaber sabotiert hatte, war es unmöglich gewesen, die verlorene Zeit wieder gut zu machen. Natürlich waren die TSN-Maschinen geortet worden. Tyrosch Anwahr hatte das Feldlazarett kurz nach dem abgebrochenen Angriff verlassen – lange bevor eine andere, diesmal aus peshtischen Kampffliegern bestehende Formation auch nur in die NÄHE der Zielzone gelangt war. Für den Einsatz von Fernartillerie war die Distanz ohnehin zu groß gewesen. Und ein Einsatz der peshtischen Raketenartillerie – oder gar ein Orbitalangriff – hatte sich ebenfalls aus Zeitgründen verboten. Also war Tyrosch Anwhar unversehrt entkommen.

Doch momentan gab es drängendere Probleme, als sich dafür zu revanchieren, dass die Menschen das Konkordat wieder einmal im Stich gelassen hatten: „Neuigkeiten von der Front?“
„Das Imperium erweitert den jüngsten Einbruch jenseits der Bekat-Sümpfe und setzt auch seine übrigen Angriffe fort, wenn auch mit verringerter Intensität. Vermutlich haben sie langsam Nachschubprobleme.“
General Horoks presste die Lippen zusammen, als er sich an die Worte erinnerte, die Sub-Administrator Kolkan vor einer Woche gebraucht hatte: ‚Ihre Helden rennen so schnell davon, dass die Imperialen nicht hinterherkommen!‘

„Ein Anruf vom Hauptquartier: Generalin Mathar will Sie sprechen.“ Für einen kurzen Augenblick keimte in Horoks der irrationale Verdacht auf, dass die Oberbefehlshaberin der auf Gamma-Eridon kämpfenden Konkordats-Streitkräfte wolle in letzter Minute das Ganze abblasen. Und er war sich nicht einmal sicher, ob er bei diesem Gedanken erleichtert oder enttäuscht war. Aber das war Wahnsinn. Dafür war Operation Markat schon viel zu weit fortgeschritten, war die Lage am Boden zu verzweifelt. Markat würde stattfinden. Und niemand würde das jetzt noch aufhalten können.
Also was wollte Ri Mathar von ihm? Sicherlich ging es doch nicht nur um ein paar anfeuernde Worte oder die überflüssige Erinnerung daran, wie wichtig die Operation war: „Befehlshaberin, was kann ich für Sie tun? Operation Markat hat planmäßig…“
„Sparen Sie sich das. Ich habe etwas Besseres zu tun, als Ihnen die Hand zu halten. Sie müssen den Angriff ihrer Bodentruppen vorverlegen.“
„Wie bitte?“
„Spreche ich vielleicht undeutlich? Haben Sie verfolgt, wie der imperiale Angriff verläuft?“
„Die Front hält…“
„Verkaufen Sie mich nicht für dumm! Ich lese dieselben Berichte wie Sie! Und noch ein paar, zu denen Sie keinen Zugriff haben. Uns steht das Wasser bis zum Hals. Ich kann nicht länger drei komplette Brigaden sich die Beine in den Bauch stehen lassen. Sie müssen angreifen!“
„Aber ich kann erst vorrücken, wenn die erste Phase der Operation abgelaufen ist! Die Luftlandetruppen müssen das feindliche Hinterland verwüsten, die imperialen Nachschublinien, Depots und Flugplätze angreifen. Wenn der feindliche Vormarsch stockt, ihr Luftabwehrschirm zusammenbricht und sie ihre Fronteinheiten umdirigieren, DANN müssen wir zu schlagen. In zwei Tagen…“
„Mir sind die Grundlagen Ihres Planes vertraut. Aber wir HABEN keine zwei Tage! Ihre großartige Operation ist nichts wert, wenn unsere Frontlinie vorher zusammenbricht. Uns fehlt es inzwischen an fast allem: an Munition, Truppen, Panzern...“
„Die Land- und Selbstschutzverbände…“
„Werden von den Akarii ganz einfach niedergewalzt. Es reicht nicht. Und ich werde nicht die erste Befehlshaberin sein, die um die Front zu stabilisieren einen Atomschlag auf eigenem Boden ausführen lässt!“

Das war die letzte Option, für den Fall eines imperialen Durchbruchs. Eine unsichtbare rote Linie, bei deren Überschreiten die Imperialen nur noch mit Nuklearminen, Atomgranaten und -bomben gestoppt werden konnten. Natürlich würden die Akarii, die auf jeden Fall die Kapazitäten für einen nuklearen Gegenschlag hatten, entsprechend antworten…
‚Wie lautet noch mal diese Akarii-Redensart? Die Welt in Brand setzen, um über die Asche zu regieren…‘
Der General schloss kurz die Augen. Er hatte befürchtet, dass es dazu kommen würde: „Wieviel Zeit habe ich?“
„Sie haben EINEN Tag, bestenfalls. Von jetzt an. Dann müssen Sie angreifen, egal wie sich die Vierte schlägt. Haben Sie mich verstanden?“
„Glasklar.“
Der Kommkanal blieb für ein paar Herzschläge stumm. Vielleicht war die Befehlshaberin überrascht, dass der als widerspenstig geltende Panzergeneral so schnell klein beigegeben hatte. Als ob Horoks eine Wahl gehabt hätte. Dann meldete sich Mathar wieder zu Wort: „Was ist mit den terranischen Marines?“
„Sie werden gebrieft. Aufgrund unserer knappen Transportkapazitäten werden wir sie allerdings nicht mit der ersten oder zweiten Welle landen können. Wenn alles glatt geht vielleicht morgen.“
„Sehen Sie nur zu, dass Sie sie auf den Boden bekommen. Wenn auch ihre eigenen Leute den Kopf in der Schlinge haben, vielleicht legen sich unsere Alliierten dann wenigstens richtig ins Zeug.“
General Horoks wünschte sich, die Befehlshaberin hätte nicht ausgerechnet DAS Bild verwendet. Aber sie hatte Recht: „Wenn das alles wäre…“
„Keinen Grund, beleidigt zu sein. Wir alle tun nur dass, was notwendig ist…
Und geben Sie es durch, wenn ihre Brigaden angriffsbereit sind.“
„Selbstverständlich.“

Nachdem die Kommverbindung getrennt worden war, blieb der General noch ein paar Sekunden sitzen, während er sich müde mit der Hand über seine drei Augen fuhr und lautlos Ri Mathar und ihre Ahnen verfluchte. Dann wurde er sich der Stille bewusst, die sich in der Kommandozentrale breit gemacht hatte. Horoks schluckte einen Fluch herunter, packte die Tischplatte mit beiden Händen und erhob sich ruckartig: „Ich will eine Verbindung zu den Kommandeuren der 13., der 20. und der 40. Brigade. Und geben Sie allgemeine Gefechtsbereitschaft. Sie haben die Befehlshaberin gehört. In zwanzig Stunden rücken wir aus.“


***


„Soldatinnen und Soldaten des 30. Korps! Sturmsoldaten – Niegeborene!
Zu lange hat das Imperium diese Welt verwüstet und eure Brüder und Schwestern abgeschlachtet! Zu lange konnte der Feind sich in dem Glauben wiegen, dass Gamma-Eridon eines Tages in seine Hand fallen würde! Dass dieser Planet tatsächlich ein Trittstein für den Sieg des Imperiums sein könnte – und nicht nur ein Grabmal für die Invasoren.
Kameradinnen und Kameraden! Ihr seid Teil der größten Gefechtslandung in der Geschichte des Konkordats! Heute seit ihr mit mehr als 10.000 Mann und fast 300 Kampf- und rtilleriepanzern angetreten, um den Akarii ein für alle Mal klarzumachen: KEINEN SCHRITT WEITER! Auf diesem Planeten wartet auf das Imperium NICHTS ALS DER TOD!
Während ihr Chaos und Vernichtung im Rücken der feindlichen Linien sähen und die kaiserlichen Nachschublinien, Versorgungslager und Flugplätze vernichten werdet, stehen eure Kameraden bereit, um sich wie ein Dolch in die überdehnte Flanke der imperialen Angriffsfront zu bohren und die blasphemischen Hoffnungen unsres Gegners in seinem eigenen Blut zu ertränken!
Vereint werden die Armee, die Marineinfanterie und die Flotte des Konkordats und der Terranischen Republik das heutige Datum zu einem Tag machen, an das man sich auch in tausend Jahren noch erinnern wird! An den Tag, an dem Gamma-Eridon gerettet und der Angriffswillen des Imperiums endgültig gebrochen wurde! Wir werden den Feind angreifen, wir werden ihn zurückschlagen, wir werden ihm keine Ruhe gönnen. Und mit der Gnade unserer Götter werden wir siegen!“

Ri Mathar, Kommandantin der Konkordats-Streitkräfte auf dem Planeten Gamma-Eridon

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Eine meiner angenehmsten Arbeiten, seit ich abgestürzt war, bestand für mich im Waffenputzen. Diese Tätigkeit, den Intellekt nur wenig fordernd, aber so herrlich stumpfsinnig, dass sie schon fast einer Meditation gleichkam, half mir, mich zu fokussieren und für ein paar Minuten meine Umwelt zu verdrängen. Und es bedeutete, dass das Langgewehr akariischer Fertigung, das ich als Scharfschützenwaffe zugewiesen bekommen hatte, noch für weitere Einsätze bereit stand. Das eigentlich primitive Projektilgewehr wurde mit panzerbrechenden Patronen mit Titankern geladen; dies versetzte sie in die Lage, leichte Panzerung und die Panzerwesten der Akarii-Infanteristen zu durchschlagen. Ich hatte ein gewisses Talent fürs Snipern gezeigt, und die Einheit hatte keinen guten Scharfschützen, sodass ich Galeni Orbak, einen meiner peshtschen Beschützer, von „der Position hinter den Linien“ hatte befreien können, sodass er sich heldenhaft wie der Rest dieses zusammengewürfelten Haufens direkt in die Schlacht werfen konnte. Mir sollte es recht sein. Meine mehr als rudimentäre Infanterieausbildung alleine hätte verhindern sollen, dass ich überhaupt an Kampfeinsätzen teilnahm, immerhin war ich nur ein abgeschossener Pilot, der auf seine Chance lauerte, wieder zur COLUMBIA zurückkehren zu können. Aber ich konnte und wollte nicht daneben stehen und zuschauen, wenn das kleine Guerilla-Kommando sich die Hände blutig machte und ich nicht.

Es rappelte laut, als neben meinen Füßen eine Munitionskiste abgesetzt wurde. Erfreut nahm ich den Blick von meinem Langgewehr. „Ist sie voll?“, fragte ich meinen Gönner, den Major Urahl Bogenas, der Mann, der mich damals von der Wiese gepflückt hatte, kurz nach meinem Abschuss.
Der Peshte verzog sein Gesicht zu einem Grinsen. Obwohl ich erst eine gute Woche bei ihnen war, konnte ich die peshtische Mimik mittlerweile ganz gut lesen. „Schau einfach rein.“
Ich nahm die Kiste hoch und öffnete sie. Grob durchgezählt waren das fünfzig Schuss für mein Gewehr. Gelobt sei die akariische Art des Nachschubs selbst für Waffen, die sie nicht gerne benutzten. Jeder Transport mit Munition hatte garantiert auch ein paar Schuss für diese geradezu antiquierte, aber bei einigen Scharfschützen beliebte Waffe dabei. Zumindest war dies bei den beiden Konvois so gewesen, die wir gestern gestoppt und zerstört hatten. Heute wieder. Das bedeutete, dass ich jetzt auf rund zweihundertzehn Kugeln kam. Genug, um einigen Ärger zu verursachen. „Reicht“, kommentierte ich trocken. Ich sah kurz auf, überblickte das kleine Schlachtfeld, das wir verursacht haben. Die Offensive westlich von uns verschlang so viel Nachschub, dass die Akarii ihre Transportlaster mittlerweile auch ohne oder mit viel zu wenig Begleitschutz losschickten, obwohl sie wussten, dass ihr Hinterland Guerillagebiet war.
Bogenas nutzte das natürlich eiskalt aus. Das Ergebnis waren fünf Transportschweber, von denen wir zwei mitnehmen würden, den Rest verbrannten wir, sowie ein zerschossener leichter Infanteriepanzer, dessen Fahrer ich auf sechshundert Meter Entfernung erschossen hatte. Wir hatten sieben Akarii im kurzen, aber heftigen Kampf getötet, neun verletzt und weitere drei gefangen genommen, die sich ergeben hatten, bevor wir sie verletzen konnten. Alle drei bekamen gerade eine gute alte Kugel ins Bein, wurden anschließend verbunden und dann mit einigen Vorräten an Ort und Stelle liegengelassen. Immerhin, Bogenas war kein Vertreter der Verbrannte Erde-Philosophie.
Als ich dieses Verhalten das erste Mal beobachtet hatte, da war der Peshte zu mir getreten und hatte mir erklärt: „Ein toter Akarii beschäftigt nur einen Soldaten für einen halben Tag, der seine Grube aushebt, und zwanzig weitere für fünf Minuten bei den Salutschüssen. Aber ein verletzter Akarii nimmt ein Krankenhausbett ein, bindet Ärzte, Pfleger, Sanitäter, weitere Soldaten und Fachkräfte in der Verwaltung auf Monate. Deshalb sehen wir zu, dass wir ihnen schwer zu heilende, aber keine lebensgefährliche Verletzungen beibringen. Denn sobald die Akarii sich nicht mehr um ihre Verletzten kümmern, ist dies der Anfang vom Ende für sie auf diesem schönen Planeten.“
Immerhin, es war humaner, als sie einfach niederzuschießen. Und mitnehmen konnten die Guerilla sie ja schließlich auch nicht.

„Wir sind hier fertig!“, rief Okion Radabelt hastig, erklomm ihren leichten Scoutschweber und winkte ihren Trupp heran. Der Major war irritiert vom Verhalten seiner Stellvertreterin, aber die Guerilla-Bande hatte bisher nur überlebt, weil sie schnell handelte, einander vertraute und langwierige Erklärungen auf später verschob. Also schnappte er sich die erbeutete Munition, während ich das schwere Gewehr schulterte, um gemeinsam mit dem Rest vom Trupp, immerhin zwanzig Mann, zu den drei offenen Sportschwebern zu laufen, die uns neben zwei leicht gepanzerten Tanks als Transport-, und Angriffsvehikel zur Verfügung standen. Ich warf mich in den hinteren Wagen und hielt die Waffe so, dass sie nicht unnötig Platz einnahm, andererseits aber schnell einsetzbar war. Kaum waren die letzten Kombattanten an Bord sowie Jelot und Harris verstaut worden, hoben die Antigravfelder die Maschinen an. Ohne zu zögern folgten die drei Fahrer Radabelt, die auf den nächsten Urwald zuhielt.

„Was hast du für mich, Okion?“, fragte der Major über Kurzstrecken-Funk.
„Frag das deinen Terry“, fauchte sie zurück. Das war absolut nicht ihre Art, also musste etwas interessantes passiert sein. „Welchen der beiden?“, fragte Bogenas ungerührt.
„Den Piloten! Ich … Wir haben Sektorwarnung für den Bereich zwischen Lydland und Tellorm.“
„Das ist ein recht großes Gebiet für eine Sektorwarnung“, gab der Major zurück, während sich die insgesamt zwölf Fahrzeuge zwischen den Dutzende Meter hohen Pflanzen, die hierzulande als Bäume durchgingen, hindurchschlängelten, um in Sicherheit zu kommen. „Lager F“, fügte er an.
„Lager F“, erwiderte Radabelt, und nach ihr die anderen Fahrer. Falls wir getrennt werden würden, kannte jeder den Sammelpunkt. Das war schon ein paarmal passiert, zum Beispiel durch Luftangriffe, aber bisher war die Meute des Majors immer nur gewachsen, nie geschrumpft. Zumindest nicht, seit die Akarii ihre neue Offensive begonnen hatten; es liefen genügend versprengte Peshten und Söldner in der Gegend herum, die nur zu gerne die Gelegenheit nutzten, sich einer kämpfenden Einheit anschließen zu können. Die meisten leitete der Major weiter, aber einige behielt er bei sich, aus verschiedenen Gründen. Einige wie mich und den mittelschwer verletzten Harris – Beindurchschuss – weil für uns die Option bestand, in naher Zukunft durch ein Kommando rausgeholt zu werden.
Warum er selbst nicht rausgeholt werden wollte, hatte ich ihn gefragt. Da hatte er mich angesehen und nur erwidert, dass er sofort in Therapie kommen würde, wenn er das Hinterland verließe, und dafür war nun wirklich keine Zeit. Es gab schlimmere Gründe, auch weniger nachvollziehbare.

„Warum gab es denn jetzt eine Sektorwarnung?“, fragte ich, mich in den Funk einmischend, weil Okion mich erwähnt hatte.
„Deine lieben Kollegen von der COLUMBIA“, fauchte sie mich an, als hätte ich ihr angeboten, meinen Hintern und einen Phallus nach ihrem Gutdünken zu benutzen, „sollten einen Angriff auf ein Lazarett fliegen!“
„Cowboy wird das nicht erfreut haben“, erwiderte ich stirnrunzelnd. Unmöglich, dass er da zugestimmt hatte. Selbst Lilja traute ich das ohne zwingenden Grund nicht zu, vor allem, weil bei Lazaretten immer die Möglichkeit bestand, dass dort eigene Leute versorgt wurden.
„In dem Lager wurde die Anwesenheit von Tyrosch Anhwar erwartet“, erklärte sie nun mit wesentlich ruhigerer Stimme.
Ich pfiff leise. Generaloberst Anwhar galt als Exekutiv-Kommandeur, der den direkten Befehl über die Operationen von Gamma Epsilon inne hatte. Ein lohnendes Ziel. Ein sehr lohnendes Ziel.
„Lass mich raten. Cowboy hat die Vögel trotzdem nicht fliegen lassen.“
„Etwas in der Art. Auf jeden Fall sind die Akarii rund um das Feldlazarett in heller Aufregung. Einige Beobachter haben über freie Sender davor gewarnt, dass neben den observierten Luftabwehrstellungen und SAM-Einheiten noch einige dazu gekommen sind, die zuvor nicht observiert wurden, also zusätzlich errichtet worden sind. Die Terries hätten einen viel wärmeren Empfang gehabt als erwartet. Und jetzt wird spekuliert, ob Anwhar überhaupt da war, oder ob es sich um eine Falle gehandelt hat, vor allem weil unsere Späher keine größeren Fahrzeugbewegungen gesichtet haben, die darauf schließen lassen, dass sich eine größere Gruppe abgesetzt hat oder absetzen will.“
„Den Generaloberst in Sicherheit bringen“, schloss ich.
„Genau. Entweder hat der Mann Eis in den Adern und wartet darauf, dass eine peshtische Lufteinheit versucht, nachzuholen, was die Terries nicht gewagt haben, oder er ist mit einem der regulären Krankentransporter raus gefahren. Auf jeden Fall wurde ein Geschwader luftgestützter Akarii-Einheiten, hauptsächlich Nurflügler und VTOL, zurückbeordert, um das Gelände zwischen Lydland und Tellorm zu reinigen. Das kommt sehr ungelegen für unsere Einheiten.“
Ich nickte und nahm mich aus dem Kurzstreckenfunk wieder raus. Die Einheit hatte Befehle, ihre Störangriffe weiter fortzusetzen, aber dennoch ein bestimmtes Gebiet in einer bestimmten Zeit zu erreichen. Welches das war, wussten wir noch nicht, aber immerhin hatte die vorgesetzte Instanz angekündigt, wir seien bereits in der Nähe. Oberst Parma würde persönlich herüberkommen, um die Details direkt mit dem Major zu besprechen. Das war keine übertriebene Geheimhaltung bei den Guerillas. Es war das übliche Vorgehen, nicht nur um Verrat zu verhindern, sondern auch, um unsere Bewegungen ein wenig erratisch zu halten, damit die Kaiserlichen unsere Ziele nicht zu früh ahnten. Denn was wir als allerletztes gebrauchen konnten, war das dringende Bedürfnis bei den Akarii, ihr Hinterland besser abzusichern, denn Erfolg hin, Erfolg her, die Guerillas waren nur sehr kleine Einheiten in Zugstärke, leicht bewaffnet und hoch mobil, aber einer gleich großen, doch besser ausgerüsteten Einheit nicht gewachsen. Aber wir waren bereits in der Nähe des Einsatzgebietes, und es gab nicht besonders viele lohnende Ziele zwischen Lydland und Tellorm. Vor der Attacke waren hier Teile der Frontlinie verlaufen, und manche Trupps des Widerstands stoppelten die alten HQ's, die Stellungen und die aufgegebenen Warenhäuser ab oder versuchten sich an den nachgerückten Versorgern, wie wir es gerade getan hatten.
Aber das lohnendste Ziel war die aktuelle Frontlinie des Akarii-Großangriffs beziehungsweise der Rückraum der großen Blase, die der feindliche Angriff in Peshtengebiet getrieben hatte. Das machte mich etwas nervös. Für Störangriffe oder Attacken auf Infanterie waren wir gut ausgerüstet. Dank der großzügigen Versorgung mit Panzerfäusten und Luftfäusten waren wir auch für Panzer und atmosphäregebundene Jäger eine böse Überraschung. Es war eine mittlerweile sehr beliebte, etablierte Taktik, mit der die Kaiserlichen eher nicht oder kaum klar kamen, ihren Panzerkonvois aufzulauern, dem Führungsfahrzeug zwei, drei Panzerfäuste in die Flanke zu jagen – dankenswerterweise markierten die Akarii ihre Führungspanzer mit lichtfunktauglichen Antennen – und dann stiften zu gehen, um an der übernächsten Biegung einen weiteren Angriff dieser Art vorzunehmen. Klappte ganz hervorragend, wenn man sich nicht zwischen zwei Einheiten zerquetschen ließ. Und es klappte auch nur solange hervorragend, wie wir genügend Panzerfäuste dabei hatten. Glücklicherweise kamen selten Panzerkonvois durch unser Einzugsgebiet, und wenn doch, war ich Teil der Absicherung, nicht der Schweber, die die Attacken flogen. Aber es klappte, und wir waren mehr als ein Ärgernis für die Akarii. Ein Grund mehr dafür, dass wir die Warnung sehr ernst nehmen mussten, denn sobald die Echsen auch nur eine Ahnung hatten, wo sich eine unserer Einheiten herum trieb, schlugen sie schnell und hart zu. Wenn sie die Kapazitäten frei hatten. Was die Frage aufwarf, was unser Ziel sein würde, und was wir dort würden tun sollen. Sabotage, Raidangriffe, Beobachtung, Vernichtung von Ressourcen, das waren Dinge, die gut für uns liefen. Ich war sehr gespannt und ehrlich gesagt auch verdammt nervös. Als Fliegerjunge war mir der Boden ohnehin nicht geheuer, und als Raumgeborener war mir ein Stahldeck über dem Kopf lieber als die endlose Weite einer planetaren Atmosphäre.

Der Sportschweber raste zwischen den Riesen hindurch, schnell hatten wir einen Kilometer gemacht, dann noch einen. Als wir das gut getarnte Lager erreichten, waren wir vier Kilometer tief im Wald und dank der ausladenden Baumkronen zumindest gegen Luftangriffe geschützt. Sofort wurden alle Wagen stillgelegt und unter Thermoplanen verborgen, um keine fetten roten Flecken auf den Displays der Infrarotortungen der Feindjäger zu bieten. Auch die Peshten und die Söldner hasteten zu den Vehikeln oder zu den Mannlöchern, wo sie ebenfalls unter die Planen schlüpfen konnten. Es dauerte dann auch nicht lange, und wir hörten das zornige Brummen mehrerer Rotten VTOLs, die über dem Wald kreisten und versuchten, irgend etwas zu erhaschen, was sich zum Beschießen lohnte. Kurz darauf klang Raketenfeuer auf, und ein oder zwei Hektar uralten Baumbestandes bekamen eine wirklich ruppige Behandlung. Für Fälle wie diese gab es natürlich falsche Ziele, in diesem Fall ein paar alte Thermokocher, die per Funkbefehl aktiviert werden konnten und ein relativ vages Ziel boten, gerade gut genug, dass die Piloten sie finden und beschießen konnten. Danach wurde ihr Rotorengeräusch leiser und verstummte irgendwann ganz. Grund genug für uns, die Mannlöcher und die Fahrzeugplanen wieder zu verlassen. Hätten die VTOL uns gefunden, wäre es zwar auch für sie heftig geworden, denn wenn es uns an einem nicht mangelte, dann waren es die selbstlenkende Raketen gegen Flugzeuge und Panzereinheiten, aber dann hätte es mit Sicherheit auch auf unserer Seite vermeidbare Verluste gegeben.
Nachdem die Situation gesichert war, zog der Major uns zusammen und gab einen kurzen Bericht über unseren Überfall und die weitere Situation ab. Es blieb eigentlich alles beim Alten. Weiter marschieren, bis wir unser Zielgebiet erreichten. Dort sollten wir dann Position beziehen und ab einem bestimmten Zeitpunkt den Kampf mit möglicherweise vor Ort vorhandenen Akarii aufnehmen. Seine Rede wurde nur modifiziert, als es um unsere Verwundeten ging. Sie würden zum zentralen, geheimen Lazarett gebracht werden, und das bedeutete, es konnten Freiwillige nachrücken. Wie ich schon sagte, daran mangelte es uns nicht. Eine der anderen Einheiten hatte sogar vor kurzem einen Treck von Kriegsgefangenen aufgebracht, die zu Fuß eine Strecke von siebzig Kilometern in zwei Tagen hatten bewältigen sollen, nur leicht bewacht mit Infanterie und motorisierten Anti-Infanterieeinheiten. Die befreiten zweihundert Soldaten hatten sich anschließend größtenteils dem Widerstand angeschlossen, und einige warteten noch auf ihre Chance, dies zu tun, denn die Kommandeure waren vorsichtig dabei, wen und wie viele Soldaten sie in ihre Aufstellung ließen. Effizienz stand klar vor Feuerkraft, immerhin wollten sie das Imperium noch eine sehr lange Zeit ärgern.

Als die Nachfolger für die Verletzten aus den Reihen der Freiwilligen bestimmt waren, nahm Bogenas mich beiseite. „Ace, wenn du willst, kannst du mit den beiden Verwundeten zum Zentrallazarett gehen. Von dort hast du die Chance, in ein, zwei Monaten auf die andere Seite der Grenze geschafft zu werden. Ein Pilot gehört an den Steuerstick, nicht an eine Scharfschützenwaffe.“
„Ich freue mich über dein Angebot. Aber ich warte lieber auf eine Chance, selbst über die Linie zu kommen und mich drüben einer größeren Einheit anzuschließen. Das ist gefährlicher, aber es wird mich wesentlich schneller auf die COLUMBIA zurückbringen.“
Der Peshte klopfte mir auf die Schulter. „Ich wollte es dir angeboten haben.“
„Und ich weiß das zu schätzen.“ Ich grinste schief. „Bleibe ich euch noch eine Zeit erhalten.“
„Du gehst ein höheres Risiko, Terraner, das birgt Gefahren, aber auch Chancen. Wenn der Colonel nachher kommt, möchte ich, dass du an der Besprechung teilnimmst.“
Ich stutzte. „Ist das nicht gegen deine Geheimhaltungsregeln, Major?“
Der Peshte lachte mit heller Stimme auf. „Was das angeht, so bin ich mir ziemlich sicher, dass ein Pilot der Terraner, der mir hinter den Akarii-Linien vom Himmel fast vor die Füße stürzt, und der im Peshtenraum zudem eine gewisse Bekanntheit erreicht hat, eher kein Spion ist.“
„Das klingt logisch genug“, schloss ich. Das erklärte allerdings auch, warum er mir mehr zu vertrauen schien als all jenen Soldaten, die wir zufällig aufgegabelt hatten oder befreien konnten.

Nachdem wir die Abendverpflegung eingenommen hatten, nein, es nahm niemand Rücksicht auf meinen terranischen Magen, aber als Spacer war ich da ohnehin einiges gewöhnt, dauerte es auch nicht mehr lange, bis der Colonel eintraf. Dafür wurde er an unserer Peripherie zu einem Posten gelotst, der seine Identität feststellte, und dann erst zu unserem Lager geführt, das nur unserer Gruppe bekannt war. Oberst Parma war kein besonders beeindruckender Mann, für einen Peshten geradezu winzig, aber das machte es ihm leicht, die paar Male, die er selbst die einzelnen Einheiten aufsuchen musste, mit seinem Hoverbike abzuklappern und dabei ein möglichst kleines Ziel für Akarii abzugeben. Die paar Male, richtig. Der erfahrene Veteran und Haudegen kam nur sehr selten selbst oder gar alleine. Das hieß natürlich nichts Gutes für unsere nächste Aufgabe.
Als der Colonel eintraf und zum Major gebracht wurde, dauerte es nicht lange, bis eine raue Peshtenstimme nach mir rief: „ACE!“
Ich beeilte mich, dazu zu kommen, schlang noch schnell einen letzten Rest von meiner Feldration runter und betrat dann den Erdbunker, der Bogenas in diesem Versteck als Unterstand diente.

„Ah, Major Davis. Es freut mich, dass Sie Ihren Urlaub bei uns genießen“, sagte Parma, als ich die kleine aus Erde geschnittene Treppe herunterkam und in die spotartige Beleuchtung eintrat.
„Es hält in Form, Sir“, erwiderte ich, ignorierend, dass er meinen Navy-Rang in einen Armee-Rang umgemünzt hatte. So war er einfach. Navy-Offiziersränge waren zu abstrakt für die Guerilla, behauptete er, deshalb nahm er lieber die Army-Entsprechung. Wahrscheinlich, um die Leute daran zu erinnern, was ich woanders schon geleistet hatte. „Aber langsam könnte ich mal wieder auf einem Pilotensitz Platz nehmen.“ Der Colonel wusste, dass ich sowohl für VTOL als auch für atmosphäregebundene Jäger qualifiziert war, wenn auch mit nur wenigen Flugstunden, hauptsächlich in der Sim. Meine Hoffnung, dass wir eine Akarii-Maschine erobern würden, mit der ich dann unter nichtsahnenden Akarii Ärger machen konnte, war bisher enttäuscht worden.
„Sie kriegen da vielleicht Ihre Chance. Morgen brechen Sie in die Verfügung auf. Ihr Ziel ist Arta'Rijen.“
Ich pfiff anerkennend. „Das ist ein großes Ziel.“
„Hoffentlich sollen wir die Stadt nicht alleine zurückerobern. Mehr als fünfzig Akarii schaffe ich nicht allein“, scherzte Major Bogenas.
„Nein, natürlich nicht. Aber da Sie wie viele unserer Einheiten auf der linken Seite des Rijen sind, prädestiniert Sie das geradezu für die Aufgabe: Aufklärung und Vernichtung von SAM und deren Schutzeinheiten.“ Der Colonel deutete auf die Karte, die zwischen den Offizieren des wilden Haufens ausgebreitet war. „Hier, hier und hier sind SAM-Nester, das wissen wir vom gescheiterten Angriff der Angry Angels auf die Brücke über den Rijen. Auf der anderen Uferseite sind hier und hier SAM-Einheiten aufgeklärt. Wir vermuten, dass die Akarii mittlerweile zum Schutz der Brücke mindestens eine weitere SAM aufgebaut und mehrere Flakpanzer in die Stadt und an die Brücke gebracht haben. In der Stadt selbst halten sich begrenzte Guerilla-Kräfte bereit, um die Flakpanzer mit Panzerfäusten anzugreifen, zumindest soweit sie aufgeklärt werden können. Die Garnison der Akarii ist groß, aber nicht sehr stark. Was sie vor Ort haben, ist zweitklassig, und selbst von denen schaffen sie alles nach vorne, was es schafft, eine gerade Linie zu laufen. Ihr Ziel ist diese SAM, also das Hauptquartier und die fünf Stellungen jeweils zwei Kilometer vor der Linie. Wie Sie es machen, Bogenas, ist Ihre Sache. Aber um Null Dreihundert müssen sechsundsechzig Prozent der Stellungen zerstört sein, besser noch alle inklusive der Steuerzentrale. Falls Sie dann noch Zeit und Lust haben, können Sie entweder in die Stadt gehen, oder bei den anderen SAM's helfen. Aber um Null Fünfhundert sollten Sie raus aus der Stadt und raus aus dem Gebiet sein. Hier ist Ihr Sammelpunkt, wo Sie nach gelaufener Aktion neue Anweisungen erhalten.“
Der Colonel sah auf, jedem einzelnen in die Augen. „Ich weiß, jeder hier spekuliert jetzt, wozu dieser Angriff dient, warum die Guerilla ihn ausführt, was mit den SAM-Einheiten auf der rechten Seite des Flusses ist, und so weiter. Ich sage Ihnen, tun Sie das nicht. Erfüllen Sie den Auftrag, meine Damen und Herren, und dann verschwinden Sie wieder. In sechsundzwanzig Stunden müssen Sie im Aufmarschgebiet sein. Bogenas?“
„Problemlos zu schaffen. Kriege ich einen Überblick, auf welche Guerilla-Einheiten wir treffen können?“
„Sie kriegen nur die Information, wer an Ihrer Westflanke sein wird. Das ist Gord'Rakesh und sein verrückter Haufen.“
„Verrückter Haufen trifft es. Weiß Gord'Rakesh bereits, dass wir an seiner Ostflanke sind und dass er bitte zweimal hinschaut, bevor er schießen lässt?“, fragte Radabelt mit sehr sarkastischem Tonfall.
„Wenn alles ideal läuft, attackieren Ihre und seine Einheit die Ziele und verlassen das Gebiet wieder, ohne voneinander mehr zu sehen als die Explosionen vernichteter akariischer Boden-Luft-Raketen. Und wie ich sagte, nach dem Erreichen der Ziele werden wir angepasst an die Situation neue Befehle ausgeben. Dafür verwenden wir Funk. Die Scrambler werden während des Einsatzes auf Delta gestellt sein, aber von unserer Seite gibt es nur die neuen Befehle nach dem Einsatz. Und von Ihnen, Bogenas, Radabelt, will ich nur etwas vor Ablauf dieser Zeit hören, wenn Sie ihre Minimalziele nicht erreichen konnten. Verstanden?“
Die beiden Peshten strafften sich wie junge Kadetten. „Verstanden“, sagten sie leise, aber durchaus respektvoll.
„Was uns jetzt zu Ihnen bringt, Major Davis. In relativer Nähe ist ein Behelfsflughafen der Akarii, den wir bisher nicht auf dem Schirm hatten. Meine eigene Einheit wird dort angreifen und ihre Flieger, wenn alles glatt geht, auf den Boden pinnen. Falls mir dabei etwas in die Hände fällt, was fliegen kann, werde ich Sie rüber holen.“
Auch ich straffte mich ein wenig. Das war eine False Flag-Operation, wenn ich in einer Akarii-Maschine mit Akarii-Transponder flog, aber egal was Lilja über mein Verhältnis zu den Akarii dachte, ich würde mir diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. Weder die zu fliegen als die, den Kaiserlichen ein paar Nadelstiche versetzen zu können.“
„Gut. Dann war es das für mich. Ich fahre weiter zu Mulkat. Meine Damen, meine Herren“, sagte der Oberst.
„Sir!“ Wieder nahmen die Offiziere Haltung an, und diesmal taten es alle, einschließlich mir. Der Oberst war ein tapferer Bursche, und wagemutig noch dazu. Er sammelte sein Material ein, verstaute es in seiner besonderen Tasche, die ihren Inhalt vernichten würde, wenn sein Herz nicht mehr schlug oder er einen bestimmten Knopf drückte, salutierte, nahm den Gegensalut entgegen und verließ den Bunker wieder.
„Ihr habt ihn gehört. Morgen ist Bummelsonntag. Wir brechen mit dem letzten Tageslicht auf und rauschen in unsere Verfügung. Holt euch so viel Schlaf wie möglich. Ich glaube nicht, dass wir morgen Nacht besonders viel davon bekommen werden. Außerdem teilen wir Feldrationen aus und die Nichtkombattanten ziehen sich für die ganze Aktion in Lager A zurück. Verstanden?“
Die Offiziere nickten zustimmend. „Dann Ausführung. Ace, Sie bleiben noch.“
Der Gefechtsstand leerte sich sehr schnell, bis nur noch der Peshte und ich übrig waren. „Die Brücke also“, sagte er.
Ich nickte. „Natürlich die Brücke.“
„Was denkst du werden sie machen? Bombardieren?“
„Sehr wahrscheinlich. Die Brücke zu nehmen, zu halten, würde am ersten Tag eine kleine Armee erfordern und am zweiten Tag eine große. Wenn wir die SAM ausschalten, können die Angels womöglich diesmal erfolgreich sein. Und nachts ist auch nicht damit zu rechnen, dass es viel Verkehr auf der Brücke gibt, geschweige denn Gefangenenkolonnen.“
„Denkst du, wir sollten helfen? Sprengstoff wäre genug da, und ein ferngesteuerter Wagen, den wir auf die Brücke schicken und dort zünden, sollte einigen Schaden verursachen.“
Ich dachte kurz darüber nach, dann schüttelte ich den Kopf. „Der Wagen müsste durch eine Stadt gesteuert werden, in der die Akarii herumlaufen wie aufgescheuchte Hühner. Die Chance, dass er abgeschossen wird, bevor er sein Ziel erreicht, ist relativ hoch. Und ich weiß nicht, wie du es siehst, aber ich will den Sprengstoff nicht neben einem Wohnhaus hochgehen sehen.“
„Gut. Danke für den Einwand. Das war alles. Ach, und Ace? Ich drücke die Daumen, dass du bald wieder aufsteigen kannst.“
Das lockte mir ein Lächeln auf die Züge. „Danke, Urahl.“ Dann verließ in den Unterstand. Bummelsonntag bedeutete, wir mussten alle Kraft schöpfen und uns erholen. Und da ich immer noch mit Rückenschmerzen von meinem Absturz zu kämpfen hatte, war es eine hoch willkommene Pause für mich. Was danach kam, ich würde es sehen.

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Theirs not to make reply,
Theirs not to reason why,
Theirs but to do and die.
The Charge of the Light Brigade, von Alfred, Lord Tennyson


Gamma-Eridon, Zeitpunkt: Beginn der Operation ‚Markat‘


Im Orbit des Planeten

Das Magnetkatapult der COLUMBIA schleuderte die schweren Raumjäger ins All. Wenige Sekunden später folgten die nächsten: „Achtung, Butcher Bears. Sammeln auf vorgegebenen Koordinaten. Bereitschaft melden, wenn alle Systeme Grün.“ Das war eine fast überflüssige Anweisung, aber Kano hatte schon erlebt, wie vermeintlich unwichtige Fehlfunktionen Piloten das Leben gekostet hatten. Der Weltraum verzieh keine Nachlässigkeiten, mochten sie auch noch so unbedeutend erscheinen.
Der japanische Pilot ließ noch einmal seinen Blick über die Cockpitanzeigen wandern: „Alle Systeme einwandfrei.“ Unwillkürlich berührte Kano die Stelle, an der unter dem schweren Pilotenanzug sein Verlobungsring hing. Er und Kali hatten sich in dem üblichen Chaos der Startvorbereitungen nur kurz verabschieden können: eine schnelle Umarmung und ein Kuss, nur wenige Worte…
Und schon damit verstießen sie gegen die veralteten Verhaltensrichtlinien der TSN, auch wenn sich inzwischen nur noch wenige Vorgesetzte um solche Kleinigkeiten kümmerten.

„Phoenix hier, alles Grün.“, meldete sich Kanos neuer Flügelmann so schnell, dass der Staffelchef unwillkürlich dem neben seiner Maschine im All schwebenden Jäger einen misstrauischen Blick zuwarf. Der ehemalige Marinekorps-Pilot brannte darauf, Akarii zu töten und wäre vermutlich nicht darüber erhaben, ein etwaiges technisches Problem zu verheimlichen.
„Sugar, alles klar.“, Petra Martens war mindestens genauso auf Akarii-Blut aus wie Phoenix.
„Flyboy…bereit.“, die Stimme von Sugars Flügelfrau war so leise, dass Kano sie beinahe überhört hätte. Nach all den Monaten an Bord der COLUMBIA war die junge Asiatin immer noch extrem zurückhaltend, auch wenn sie zumindest gegenüber ihrer Rottenführerin etwas aufzutauen schien.
„Hier Huntress, von mir aus kann es losgehen. Wird Zeit, dass wir uns ein paar neue Abschussmarkierungen verdienen.“, Maria Agyris klang leicht belustigt. Kanos Stellvertreterin hatte noch nie an mangelnder Selbstsicherheit gelitten. Als mehrfaches Fliegerass hatte sie auch Grund dafür, ging Kano allerdings oft gehörig auf die Nerven.
„Denken Sie daran, unsere Aufgabe ist zuallererst der Schutz der Landefähren. Die Zahl der Abschüsse ist hingegen sekundär.“
„Kein Grund, gleich grantig zu werden. Ich meine ja nur – ein abgeschossener Imperialer kann unseren Schlammhüpfern schließlich nicht mehr gefährlich werden. Falls das nicht die Gefühle von jemandem verletzt.“

Der Geschwaderkommandeur der Angry Angels war bei der Einsatzbesprechung sehr eindeutig gewesen. Nachdem sich die Aufregung der Piloten über die Größe und Bedeutung ihres Auftrages erst einmal etwas gelegt hatte, war Commander Stafford sehr schnell zum ‚Geschäftlichen‘ übergegangen: „Die Bronce Schwadron bleibt in Reserve, abgesehen von je einer Rafale beim Träger und dem Landungsverband. Staffel Blau und Grün sichern den Träger. Lilja, Sie haben die Leitung. Staffel Rot, Schwarz und Gelb übernehmen die Sicherung der Landung. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, dass es von entscheidender Bedeutung ist, die Infanterie- und Panzerlandungsfähren sicher auf den Boden zu bringen. Der Schutz der Transporter hat absolute Priorität. Denken Sie immer daran, dass jeder durchkommende feindliche Jäger eine tödliche Bedrohung für hunderte unserer Alliierten ist. Die Akarii werden alles in ihrer Macht stehende tun, um die Landung zu verhindern und die Sturmfähren abzuschießen. DAS DARF IHNEN NICHT GELINGEN.
Staffel Silber und Gold werden Sie begleiten und beim Geleitschutz helfen. Dann unterstützen sie die Landung mit Angriffen auf feindliche Stellungen, Truppenansammlungen und Installationen…“

„Hier Spacer, alles bereit.“ Jin-Ho Lee, ein ‚Sternengeborener‘, war an Bord eines Raumschiffs zur Welt gekommen und großgeworden. Er war seit Sterntor bei den Butcher Bears. Was ihm immer noch an Feuerdisziplin mangelte, machte der Pilot durch sein instinktives Verständnis für den Weltraumkampf wett.
„Top Gun, alle Systeme laufen perfekt.”, der ehemalige Konföderierte, dessen Verwandtschaft mit dem inzwischen abgesetzten und inhaftierten konföderierten Generalgouverneur immer noch für gelegentlichen Spott sorgte, schien sich auf den Einsatz zu freuen. Er gehörte zu den besten Piloten der Butcher Bears.
„Ja, DAS behaupten alle Männer.“, stichelte Huntress, was ein allgemeines genervtes Aufstöhnen hervorrief. Es war kein Geheimnis, dass Top Gun zu der langen Liste ihrer ‚Abschüsse‘ gehörte.
„Funkdisziplin, Huntress.“, Kanos Stimme klang abwesend. Er wusste, dass Geplänkel vor der Schlacht war ein Weg, mit der Anspannung umzugehen: „Submarine?“
„Moment…alles klar.“ Anna Gore, die von einer der unterseeischen Stationen auf dem Mond Europa stammte, gehörte inzwischen zu den Veteranen der Staffel. Anfangs beinahe so schüchtern wie Flyboy, hatte das Fliegerass inzwischen deutlich an Selbstvertrauen gewonnen.
„La Reine, Sektion Drei ist bereit.“ Ania Obasanjos Stimme klang kämpferisch. Sie war vermutlich immer noch verärgert, dass ihr Schwarm nach der durch die Verluste der letzten Woche bedingten Neuorganisation der Staffel auf zwei Maschinen zusammengeschrumpft war. La Reine war sehr ehrgeizig und nahm solche Dinge leicht persönlich. Dass anstatt ihr Huntress Staffel-XO geworden war – und das auch wegen der Beziehungen ihrer Familie – hatte ihr auch nicht gefallen…
„Marat, einsatzbereit.“, meldete sich der letzte Pilot der Butcher Bears. Der früher etwas leichtsinnige und dickköpfige Ex-Garnisonspilot war inzwischen deutlich verlässlicher und ausgeglichener als bei seiner Ankunft bei den Butcher Bears. Kano wünschte sich, dass das auch bei einigen anderen Piloten der Staffel der Fall gewesen wäre. ‘Ein paar wären dann wahrscheinlich noch am Leben…’

Kano warf einen Blick auf die Zeitanzeige. Sie waren gut im Zeitplan: „Marschformation bilden. Ohka für Cowboy, die Butcher Bears sind einsatzbereit.“ Die Stimme des japanischen Piloten klang dabei noch etwas formeller als üblich. Irgendetwas war vor kurzem mit dem Geschwaderchef vorgefallen und der ‚Buschfunk‘ an Bord der COLUMBIA machte Überstunden. Angeblich hatte Stafford einen Einsatz abgebrochen und sich beinahe mit dem Verbindungsoffizier der Peshten-Streitkräfte geprügelt. Der erst vor Beginn dieser Feindfahrt an Bord der COLUMBIA versetzte Ex-Konföderierte hatte bei vielen Piloten sowieso immer noch ‚Bewährungsstatus‘. Vor allem bei denjenigen, die sich selber oder andere Veteranen der ‚Angry Angels‘ für Staffords Posten geeignet hielten oder sich an seinem Führungsstil stießen. Einige der Gerüchte über den gescheiterten Einsatz waren dementsprechend alles andere als schmeichelhaft…
Aber falls Stafford davon wusste oder es ihn bekümmerte, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken: „Bestätigung, Ohka.“ Staffords eigene Sektion schien bereits ihren Checkup durchlaufen zu haben, während der Rest seiner Staffel ohnehin bereits dem Truppenkonvoi Geleitschutz gab und in Kürze von mehreren Hornet-Sektionen der Peshten abgelöst werden sollte. Kurz darauf meldete auch Blackhawk die Gelbe Schwadron als einsatzbereit. Die Jagbomber von Staffel Gold und Silber wurden gerade ausgeschleust. Zusammen mit den mit der Trägersicherung beauftragten Abfangjägern – momentan zwei Sektionen der Blauen Staffel – waren jetzt etwa fünfzig Maschinen um die COLUMBIA versammelt. Kano hätte fast gelächelt, wenn er sich vorstellte, was die Akarii angesichts der derart zusammengezogen Vernichtungskraft empfinden mochten. ‚Und sie haben keine Ahnung…‘

Der Transit-Flug zu den Truppentransportern verlief irritierend ereignislos. Kano musste sich ein paarmal dazu ermahnen, nicht in seiner Wachsamkeit nachzulassen. Vermutlich behielten die Imperialen ihre Raumjäger in Reserve und warteten auf den geeigneten Moment, um loszuschlagen. Ein Angriff auf landende Transporter konnte leicht verheerende Folgen haben. ‚Natürlich haben Sie keine Ahnung, was diese Transporter wirklich vorhaben.‘ Das hoffte Kano jedenfalls. Ansonsten würde diese Luftlandeoffensive eine sehr kurze werden…
„Achtung, mehrere Shuttlestarts bei unseren dicken Pötten…es geht los.“, kam es von Blackhawk. Selbst in der Stimme des sonst so in sich ruhenden Veteranen, der den meisten ‚Angry Angels‘ sowohl an Alter als auch Dienstzeit deutlich voraus war, schwang so etwas wie Anspannung, vielleicht sogar Lampenfieber mit.
Tatsächlich hatten die schweren Nassau-Truppentransporter, die das Herzstück des Landungsverbandes bildeten, fast synchron damit begonnen, Infanterieshuttles und Panzerlandungsfähren auszustoßen. Etliche der Maschinen hatten terranische FFI-Kennungen: Leihgaben von den Schiffen des COLUMBIA-Verbandes.
„Seht euch das an! Das müssen hunderte sein!“, Sugars Stimme überschlug sich fast vor Begeisterung: „Den Akarii muss jetzt echt der Arsch auf Grundeis gehen!“
Auch Kano erlaubte sich ein kurzes Lächeln angesichts des geradezu ehrfurchtgebietenden Anblicks. Aber er wurde sofort wieder ernst: „Butcher Bears, auffächern und Geleitschutzformation einnehmen. Augen auf – wenn die Imps das nicht bemerken, müssen sie blind sein.“ Zwar sollten die Shuttles einen falschen Kurs einschlagen, der scheinbar in das alliierte Hinterland führte, bevor sie kurz vor dem Eintritt in die Atmosphäre auf ihren eigentlichen Landekurs gehen würden. Aber Kano bezweifelte, dass sich die Imperialen lange in die Irre führen lassen würden…


***


Zur gleichen Zeit, ganz in der Nähe

Im Innenraum der Panzerlandungsfähre herrschte eine klaustrophobische Enge. Die vier Sharp-Schützenpanzer und das Paar Mercury-Spähpanzer füllten den Platz, der sonst für vier Kampfpanzer vorgesehen war, mehr als aus. Für weitere Ausrüstung oder gar Lebewesen war in dem Laderaum kein Platz. Außer in den mit Magnetklammern befestigten Panzern, die ihren Insassen zudem wenigstens etwas zusätzlichen Schutz gegen Flugturbulenzen und Beschuss boten. In den Transportpanzern drängten sich zusätzlich zu der Besatzung jeweils zwölf Soldatinnen und Soldaten. Je nach Naturell und Erfahrung waren sie damit beschäftigt, wieder und wieder ihre Ausrüstung durchzuchecken oder starrten scheinbar stoisch ins Leere. Andere überspielten ihre Nervosität durch Forschheit und bemühte Witze. Allerdings wurden mit jeder Minute die Satzpausen länger. Ein paar besonders abgebrühte Männer und Frauen dösten sogar oder taten zumindest so. Wer in diesem Augenblick tatsächlich dazu in der Lage war zu schlafen, der war zu beneiden. Vermutlich würde keiner der Männer und Frauen in den nächsten Tagen viel Zeit zum Ausruhen finden. Die Luft in den Panzern roch nach Schweiß, altem Metall, Kunststoff und Anspannung.

Ein Insasse eines der Transportpanzer war Colonel Clas Schiermer. Der ehemalige Marineinfanterist war momentan nur über sein Helm-Komm und einen kleinen Handgelenk-Bildschirm mit der Außenwelt verbunden, den er mit ausdruckslosem Gesicht studierte. Die Infanterie- und Panzerlandungsfähren der ersten Welle hatten offenbar fast planmäßig ihre Mutterschiffe verlassen und waren auf dem Weg in die Atmosphäre. Ein Tippen mit dem Finger zeigte ihm den Status der startenden Fähren, ein weiterer die Karte der designierten Landungszone. Alles schien nach Plan zu laufen. ‚Bleibt abzuwarten, wie lange das so bleibt…‘
Keiner seiner Untergebenen wagte es, den Regimentskommandeur anzusprechen. Unter anderen Umständen hätte er mit ein paar kernigen Worten oder einem geschmacklosen Witz die Lage entspannt. Aber der Colonel-Rang schuf eine gewisse Distanz, die durch Schiermers nicht sehr einnehmenden Charakter noch vergrößert wurde. Die Bürde des Kommandos…

Ein leichtes Ruckeln durchlief das Innere des Schützenpanzers, als würde er durch einen Sandsturm fahren. Schlagartig stieg die Anspannung der Insassen und einige prüften noch einmal die Gute, die sie an ihren Plätzen hielten. Die letzten Gespräche verstummten. Das Rütteln wurde immer stärker, ließ einige nach zusätzlichem Halt suchen. Schiermer tippte kurz auf den Bildschirm und kniff die Augen zusammen. Wie als Antwort darauf erwachte mit einem Knacken sein Komm zum Leben und übertrug die Stimme der Shuttle-Pilotin: „Achtung, wir nähern uns der Atmosphäre! Bitte das Rauchen einstellen, die Sitze hochklappen und gut festhalten. Wir kriegen Gesellschaft.“


***


Im Orbit des Planeten Gamma-Eridon

„Tally Ho!“, es war Huntress, die die feindlichen Jäger zuerst bemerkte. Zum Glück beschränkte sie sich nicht nur auf den aus der Fuchsjagd entlehnten Ausruf, sondern fügte sofort hinzu: „Orte fünfzehn, korrigiere ZWANZIG feindliche Jäger auf Abfangkurs.“
Andere Piloten meldeten fast gleichzeitig ihre Sichtungen. Kein Zweifel: etwa dreißig imperiale Raumjäger – meist Bloodhawks und Reaper – näherten sich im Steigflug dem Landungsverband.
Die Wolken und die Atmosphärenschichtung behinderten Kanos Erfassung des Luftraums von Gamma-Eridon selber. Aber dem Wirrwarr aus Alarm- und Warnmeldungen zufolge, waren auch mehrere Staffeln imperiale Atmosphärenjäger in der Luft und auf dem Weg zur Zielzone des Landungsverbands. Allerdings schienen sie zurückzuhängen. Vielleicht hatte der letzte Kurswechsel der Landungsfähren also tatsächlich etwas gebracht. Dennoch würde es knapp werden. Es bestand die Gefahr, dass der von den Angry Angels eskortierte Verband zwischen zwei Feuer geriet. ‚Hoffentlich sind UNSERE Atmosphärenjäger rechtzeitig zur Stelle…‘

„Achtung, Angry Angels…“, kam es von Stafford: „Staffel Rot und Schwarz – Angriff auf die Raumjäger. Abfangen, bevor sie in Raketenreichweite zu unseren Landungsfähren sind. Staffel Gelb, Gold und Silber sichern weiter die Shuttles.“
„Bestätigung.“, kam es von Blackhawk. Der erfahrene Pilot klang nicht viel aufgeregter, als wenn er in der Messe eine Mahlzeit bestellte. Die Meldungen der Jabo-Staffelführer folgten fast zeitgleich.
„Verstanden.“, schloss sich Kano an: „Butcher Bears – mir nach! Alphaschlag mit Langstreckenraketen auf mein Kommando auf markierte Ziele Alpha bis Epsilon. Aufschaltung läuft…“
Ein Chor von ‚Bestätigt‘ antwortete.
Unwillkürlich packte Kano den Steuerknüppel fester und unterdrückte den Impuls zu blinzeln. Sein Gesicht gefror zu einer Maske, während die Sekunden zu einer Ewigkeit gerannen. ‚Noch nicht…Noch nicht…Noch…‘ „FEUER FREI! RAKETEN LOS!!“
Fast gleichzeitig feuerten auch Stafffords Maschinen ihre Langstreckenraketen ab. Natürlich bemerkten die heranjagenden Feindflieger die Gefahr. Blitzschnell fächerten die pfeilschnellen Reaper-Abfangjäger und die nur wenig langsameren Bloodhawks auf, während sie ganze Serien von Täusch- und Blendkörpern abfeuerten. Dennoch fanden mehrere der schweren Langstreckenraketen ihr Ziel und rissen Lücken in die durcheinandergeratene Formation. Lücken, in die die Jäger der Roten und der Schwarzen Staffel hineinstießen.

Kano hatte kein Glück mit seinen Phoenix-Raketen gehabt und nur Nahtreffer erzielt. Andere Piloten der Butcher Bears waren erfolgreicher, aber darauf konnte Kano jetzt nicht achten: „RANN!“
Das Reaper-Trio, das er und Phoenix aufs Korn genommen hatten, revanchierte sich mit einem Schwarm Kurzstreckenraketen. Kano machte seinerseits zwei Amraams scharf und feuerte sie ab, während er ein halsbrecherisches Ausweichmanöver flog, bei dem er den Jäger unter Einsatz des Nachbrenners nach ‚Unten‘ – also in Richtung Planeten – wegbrechen ließ. Gleichzeitig schoss er eine Kaskade Täuschkörper ab. Das Ausweichmanöver war nur partiell erfolgreich. Die Nighthawk wurde brutal durchgeschüttelt und die Instrumente meldeten einen Schildverlust von fünfzig Prozent. Die Abfangjäger zischten an ihm vorbei und beharkten den ein wenig langsameren Phoenix mit ihren leichten Bordkanonen.
Ob die Akarii zu sehr auf Kanos Flügelmann fixiert waren oder zu den Landungsshuttles durchbrechen wollten – sie wurden jedenfalls kalt erwischt, als Kano die schwere Nighthawk um die eigene Querachse rotieren ließ und ‚rückwärts‘ fliegend das Feuer mit allen vier Bordkanonen eröffnete, deren Strahlenbahnen er zwei Amraam-Sofortfeuerraketen folgen ließ.
Plötzlich fanden sich die leichten Reaper im Kreuzfeuer wieder. Der Jäger, den Kano aufs Korn genommen hatte, explodierte in einem spektakulären Feuerball, während einer seiner Kameraden durch Phoenix eine komplette Tragfläche verlor und in Richtung Planetenoberfläche wegsackte. Der dritte Reaper hatte offenbar genug und brach zur Seite weg, während Phoenix ihn aus allen Bordkanonen beharkte.

Gleichzeitig allerdings meldete sich Zielerfassungswarnung und informierte Kano, dass jemand ihn ins Visier genommen hatte. Ein Korkenzieher-Manöver verschaffte ihm etwas Luft, aber der feindliche Bloodhawk-Pilot war offensichtlich kein Anfänger, sondern blieb an Kanos Heck. Seine beiden Raketen explodierten relativ harmlos an den von Kano abgefeuerten Täuschkörpern, doch dafür lag sein Bordwaffenfeuer unangenehm genau. Binnen Sekunden war Kanos Schildenergie auf zwanzig Prozent herunter. Eine Energiesalve durchschlug die Schutzschilde und verwüstete seine rechte Tragfläche: „PHOENIX!“
Kano gab Gegenschub und ließ die Maschine einmal mehr um die eigene Querachse rotieren, aber diesmal funktionierte das Manöver nicht wie gewünscht.
Die feindliche Bloodhawk reagierte genauso, wie Kano es getan hätte: der Einsatz der Nachbrenner brachten den Feindjäger aus Kanos Zielerfassung und dann war es der Akarii, der seine Maschine rotieren ließ, um Kano wieder ins Visier zu nehmen.
Der japanische Pilot biss die Zähne zusammen und gab Vollschub, während er den Steuerknüppel zur Seite riss. Seine Schilde waren zu schwach, um ein Kopf-an-Kopf-Manöver zu riskieren – zumindest wenn er weiter im Gefecht bleiben wollte: „PHOENIX, VERDAMMT…“

Im nächsten Augenblick zischte eine terranische Maschine so dicht über Kanos Nighthawk hinweg, dass er glaubte die Unterseite des Jägers mit ausgestrecktem Arm berühren zu können. Der Akarii kassierte eine Serie schwerer Treffer. Der feindliche Pilot musste aussteigen, nur Sekundenbruchteile, bevor seine Maschine explodierte.
„Danke!“
„Keine Ursache, Ohka. Ich hoffe, du bist nicht enttäuscht, dass ich nicht Phoenix bin.“, kam Kalis etwas atemlose und leicht amüsierte Stimme aus dem Bordfunk: „Du solltest deinen Katschmarek zurückpfeifen. Er will diesen Reaper offenbar bis nach Hause jagen.“
Ein scharfer Befehl Kanos holte Phoenix zurück, der sich bei der Verfolgung des feindlichen Abfangjägers zu weit von Kano entfernt hatte. ‚Das musste ja so kommen.‘ Das war der Nachteil, wenn man einen ehemaligen Rottenführer als Flügelmann einsetzte…
„Kali…“
„Jederzeit. Ich hoffe nur, dass wir damit nicht gegen das Fraternisierungsverbot verstoßen.“ Dann schoss ihre Maschine davon, dorthin wo die Rote Staffel in eine wütende Kurbelei mit einer knappen Schwadron Bloodhawks verwickelt war.
Kano musste kurz grinsen, während er sich einen Überblick über den Gefechtsverlauf verschaffte. Die Butcher Bears schlugen sich gut. Huntress war mit einigen Bloodhawks aneinandergeraten und schien in Schwierigkeiten zu stecken, aber als Kano und Phoenix dazu stießen, drehten die Imperialen ab. Gemeinsam schlossen sie zu La Reine auf, die mit ihrem Flügelmann ebenfalls einen feindlichen Jäger abgeschossen und einen weiteren beschädigt hatte. Ein weiterer Abschuss ging offenbar auf Flyboys Konto, die ihrer Rottenführerin einen Reaper praktisch vom Nacken weggeschossen hatte, weil Sugar sich zu sehr auf einen anderen Imperialen konzentriert hatte. Die anderen…‘Verdammt!‘ „Was ist mit Spacer?“
„Musste aussteigen. Was meinst du, warum ich alleine herumkurven musste? Keine Sorge, er ist sauber rausgekommen.“, kam es von Huntress: „Nicht, dass die Echse, die ihn abgeschossen hat, sehr viel Freude daran gehabt hätte. Der müsste nämlich auch hier irgendwo im All treiben.“

Mit einer abgeschossenen und mehreren beschädigten Maschinen sowie einer stark zusammengeschmolzenen Raketenbestückung, waren die Butcher Bears angeschlagen aber relativ intakt aus dem Schlagabtausch herausgekommen. Und sie hatten ihre Flanke der Abfangformation gehalten und konnten jetzt den zwei Sektionen der Roten Staffel zu Hilfe kommen, die die Hauptlast des Angriffs abbekommen und deshalb zu kämpfen hatten. Die Verstärkung entschied den Ausgang des Gefechts. Die verbliebenen Imperialen suchten das Weite.
Nur wenigen Akarii war der Durchbruch durch die Nighthawks gelungen. Die meisten waren Blackhawks Griphen, den Jagdbombern von Staffel Gold und Silber und den Bordwaffen der Landungsshuttles zum Opfer gefallen oder hatten abdrehen müssen. Allerdings nicht alle: mindestens ein Shuttle driftete als Wrack in Richtung Atmosphäre, während andere Schäden aufwiesen.
Doch für den Augenblick schien der feindliche Angriff abgeschlagen: „Cowboy für Ohka, wieder Abwehrformation einnehmen. Es ist noch nicht vorbei.“
„Verstanden…“, der Staffelführer überflog die Anzeigen seiner Staffelkameraden: „Huntress, haben Sie Spacers Ausstiegspunkt weitergegeben?“
„Natürlich. Und ich habe auch die abgeschossene Echse markiert. Wir wollen ja nicht, dass ihn seine eigenen Leute auffischen.“
‚Nein, das wollen wir nicht…‘: „Gut. Sie fliegen zurück.“
„WAS?!“
„Ihre Maschine ist beschädigt. Das kann ich sogar mit bloßem Auge erkennen.“
„Ist Ihre Mühle doch auch!“
„Aber nicht so schwer. Für Sie ist der Kampf vorbei.“
„Ich habe noch nicht mal angefangen zu kämpfen. Glauben Sie, der eine Abschuss reicht mir…“
„Das ist ein Befehl. Top Gun, Submarine – Sie schließen sich La Reine an.
Huntress…schaffen Sie es bis zur COLUMBIA?“
„Das werde ich gerade noch hinkriegen.“, kam es etwas schnippisch.
Um Kanos Lippen zuckte es: „Koordinieren Sie sich mit den Hornets der Peshten. Sie können Ihnen Geleitschutz geben.“
„Ich bin kein kleines...“
„Wir gehen auf Nummer sicher. Und prüfen Sie, ob noch ein anderer Angel zurückfliegen muss.“ Kano war nicht gewillt, ein Risiko einzugehen. Nicht, seitdem ein Pilot, den Kano in einer früheren Schlacht beschädigt zurückgeschickt hatte, spurlos verschwunden war.
Er ignorierte Huntress letzte Retourkutsche und aktualisierte die Geleitformation seiner Staffel. Durch den Ausfall von zwei Maschinen durfte keine zu große Lücke entstehen.

Ein erneuter Blick auf den Radarschirm zeigte ihm, dass die imperialen Raumjäger offenbar wirklich zurückgeschlagen worden waren – zumindest vorerst. ‚Aber die Truppen sind noch nicht auf dem Boden.‘
Tatsächlich stand ihnen der riskanteste Teil der Landung noch bevor: der Flug durch die Atmosphäre und das Absetzen der Truppen. Die Nighthawks, Griphen und Thunderbolts der Angry Angels verloren in der Atmosphäre an Wendigkeit und die Landungsfähren waren sogar noch schwerfälliger als ohnehin. Eigentlich sollten sie in der Atmosphäre zusätzlichen Begleitschutz durch alliierte Atmosphärenjäger erhalten, aber… „Cowboy, unsere Verstärkung…“
„Ich sehe es, Ohka.“
Ihr zusätzlicher Begleitschutz war bereits in ein wütendes Kurbeln mit den feindlichen Atmosphärenjägern verwickelt. Dadurch hinderten sie diese daran, die inzwischen in die Atmosphäre eintretenden Landungsfähren abzufangen. Allerdings sah nicht gut für die zahlenmäßig unterlegenen Alliierten aus. Vor Kanos Augen schmierte schon wieder ein Alliierter ab, gefolgt von noch einem…
„Bitte Erlaubnis, einzugreifen, Cowboy.“
„Unsere Aufgabe ist der Schutz der Landungsfähren.“
„Und am besten schützen wir sie, wenn die feindlichen Atmosphärenjäger erst gar keine Gelegenheit haben, den Landungsverband anzugreifen. Außerdem helfen wir so den Jagdbombern, die unseren Landungstruppen den Weg frei räumen.“ Kano realisierte, dass er praktisch Huntress Argumentation wiederholte. Er konnte nur hoffen, dass sie nicht davon Wind bekam. Huntress würde ihm das bestimmt nicht so einfach durchgehen lassen...
Die Kommverbindung blieb für einige quälend lange Sekunden stumm. Kanos um den Steuerknüppel gekrampfte Rechte zuckte leicht. Wenn der Befehl nicht kam, sollte er dann…
„Sie haben Freigabe für EINE ihrer Sektionen. Falls ich Ihnen den Befehl dazu gebe, lösen Sie sich sofort und kehren zurück, verstanden?“
„Verstanden…und danke, Sir.“
„Lassen Sie es mich nicht bedauern…Gute Jagd.“
Kano aktivierte den Staffelkanal: „La Reine, Ihre Sektion bleibt hier…“
„Warum bin ich bloß nicht überrascht?“
Der Staffelchef hätte am liebsten die Augen verdreht: „Dafür, dass Sie sich ständig mit Huntress streiten, werden Sie ihr Tag für Tag immer ähnlicher. Und jetzt genug mit dem Gerede.“
Vermutlich hatte es La Reine ob dieser ungeheuerlich Unterstellung ganz einfach die Sprache verschlagen. Jedenfalls blieb La Reine stumm, während Kano die anderen Pilotinnen und Piloten seiner Sektion einwies: „…deshalb muss es gleich beim ersten Anflug klappen. Wir haben nicht die Zeit, uns auf Kurvenkämpfe einzulassen. Außerdem haben die Imperialen da sowieso die besseren Karten. Noch Fragen?...Gut. Ausführung!“ Die vier Nighthawks trennten sich von dem langsam der Planetenoberfläche entgegensinkenden Pulk aus Sturmshuttles, Panzerlandungsfähren und Eskortfliegern und beschleunigten.

Tatsächlich waren die Atmosphärenjäger der Akarii wendiger als die schweren Raumjäger, wenn auch auf Kosten von Feuerkraft und Beschussfestigkeit. Aber ihre überlegene Wendigkeit nützte den Imperialen wenig, als sich die vier Nighthawks aus der Überhöhung in das Gefecht stürzten.
Wie von Kano befohlen visierten seine Untergebenen die ihnen zugewiesenen Ziele erst im letzten Augenblick an, sodass die Imperialen nicht vorzeitig durch die Aufschaltung des Zielerfassungsradars alarmiert wurden. Unter anderen Umständen hätte dies und die ‚Deckung‘ durch Wolken und Luftschichtung sicher nicht gereicht, um den Butcher Bears die Überraschung zu garantieren. Aber die Imperialen waren in ein heftiges Gefecht verwickelt, das sie zu gewinnen schienen. Deshalb bemerkten sie die auf sie herabstürzende Gefahr zu spät.
Der koordinierte Bordwaffenbeschuss der Nighthawks fegte zwei Atmosphärenjäger vom Himmel und beschädigte einen weiteren. Kano blieb kaum Zeit, seinen zweiten Abschuss in diesem Einsatz zu registrieren, denn die Imperialen reagierten sofort. Zwei Atmosphärenjäger nutzten ihre überlegene Wendigkeit um dem Schicksal ihrer Kameraden zu entgehen. Von einer weiteren Rotte unterstützt gingen sie in den Steigflug, während sie gleichzeitig mit Bordwaffen und Luft-Luft-Raketen das Feuer eröffneten. Kanos Maschine wurde heftig durchgerüttelt und ein Warnton informierte ihn, dass seine immer noch geschwächten Schilde zusammenzubrechen drohten. Der japanische Pilot riss den Steuerknüppel jäh nach rechts, feuerte eine Kaskade Täuschkörper ab und gab sofort Gegenschub, wobei ihm kurz schummrig vor den Augen wurde.
Diesmal ließ sich Phoenix nicht durch ein verlockendes Ziel ablenken, sondern hielt Kano den Rücken frei, wie es auch Flyboy bei Sugar tat. Kurz sah es dennoch so aus, als könnte die Situation kippen, denn im Kurvenkampf konnten die Imperialen ihre Wendigkeit voll ausspielen, zumal die Nighthawks ihre Raketen meist schon verschossen hatten und die agilen Atmosphärenjäger nicht vor ihre Bordkanonen bekamen. Kano kassierte weitere Treffer, während er seine Maschine am Rand ihrer Belastbarkeit flog. Nur die überlegene Beschleunigung und Panzerung seiner Maschine verhinderte Schlimmeres, auch wenn die Anzahl der roten Warnlampen gefährlich zunahm.

Diesmal waren es die alliierten Atmosphärenjäger, die ihren schwereren Kameraden zu Hilfe kamen, deren Einsatz ihnen die nötige Luft verschafft hatte. In die Zange genommen kamen die imperialen Flieger offenbar zu der Ansicht, dass ihre Erfolgschancen das Risiko nicht wert waren. Die Akarii zogen sich zurück. Ein Blick auf den Radarschirm informierte Kano, dass die Landungsfähren bereits im Landeanflug waren, während weiter entfernt die alliierten Jagdbomber und Bomber anflogen, die die Landung unterstützen sollten.
Die Peshten und ihre terranischen Alliierten hatten offenbar alles aufgeboten: raum- und atmosphärentaugliche Jagdbomber, Erdkampfflugzeuge – sogar für den Bodenangriff umgerüstete Shuttles.
Allerdings war der Kampf noch nicht vorbei, mochte den Akarii auch momentan die Stärke fehlen, sich den Landungsfähren in den Weg zu stellen. Am Rande des Gefechtsfeldes lauerten immer noch feindliche Jäger. Und Kanos Radarschirm und der hektische Sprechfunkverkehr informierten ihn darüber, dass an anderen Stellen noch immer verbittert gekämpft wurde und besonders die imperiale Luftabwehr unangenehm genau schoss. Die Landezone allerdings schien frei…

Dass das ein Irrtum war, realisierte Kano in dem Augenblick, als der Zielerfassungsalarm losheulte. Reflexartig flog er eine scharfe Linkskurve und feuerte Täuschkörper ab. Die Bordanzeige informierte ihn, dass er bereits fast die Hälfte seines Vorrats verbraucht hatte. Aber so leicht ließ sich der Gegner diesmal nicht täuschen. Die folgende Explosion war gefährlich nah und brachte den Jäger ins Trudeln, während Kano das Gefühl hatte, als würde ihm jemand mit einem glühenden Messer in die Schulter stechen: „Was…“
„Fla-Raketen! Der verdammte Flughafen!“
Und tatsächlich, zwei über dem lichten Wald aufgestiegene Rauchsäulen verrieten die Herkunft der feindlichen Projektile: der imperiale Notflughafen, auf den Kano bei seinem jüngsten Aufklärungsflug gestoßen war. Sugars farbenprächtiger Ausdrucksweise zufolge war Kano offenbar nicht der einzige gewesen, den die die Akarii aufs Korn genommen hatten. ‚Na wenigstens KANN sie noch fluchen. Aber seit wann haben die Imperialen denn dort Boden-Luft-Raketen? Und sollte der Flugplatz nicht bombardiert werden?‘
Diese Gedanken schossen Kano etwas zusammenhanglos durch den Kopf, während er die Zähne zusammenbiss und mit den Kontrollen seines Jägers kämpfte, der sich um die eigene Achse drehend absackte: „SCHAFFT UNS VERDAMMT NOCH MAL DIESE KERLE VOM HALS!“
„OHKA – AUSTEIGEN!“
„ICH SCHAFFE DAS!“
„VERDA…“
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Die Würfel sind geworfen

„Iacta alea est“
Gaius Julius Caesar vor der Überschreitung des Rubikon und dem Beginn des Bürgerkrieges (laut Gaius Suetonius Tranquillus)

TRS COLUMBIA, Gamma-Eridon-System

Äußerlich bot Lieutenant Commander Tatjana ‚Lilja‘ Pawlitschenko ein Bild der Professionalität und Gelassenheit. Sie saß auf einem Stuhl am Rande der gigantischen Hangarhalle des Trägers, behielt mit einem Auge ihre Staffelkameraden im Blick, die sich in der Nähe herumtrieben, und beobachtete den Start des Geschwaders. Ihre eigene Maschine war zusammen mit den übrigen Stallions am Rande des Flugdecks geparkt, bereits aufgetankt und munitioniert, aber noch nicht startbereit. Dies würde sich ändern, sowie die anderen Maschinen gestartet waren.
Neben den Falcons ragten die massigen Rümpfe der Crusader-Bomber der COLUMBIA auf. Normalerweise wäre für das gesamte Geschwader kaum Platz auf dem Flugdeck gewesen, aber die Angels operierten wieder einmal unter Sollstärke, zudem war die Blaue Staffel – oder was davon übrig war – ohnehin bereits draußen und flog Geleitschutz für den Trägerverband.

Nicht wenige Piloten – erst Recht, falls sie zu der Handvoll Glücklichen zählten, die so dicht vor der magischen 50 in ihrem Abschusskonto standen wie Lilja – hätten es wohl als Zurücksetzung empfunden, mit einem Babysitter-Job abgespeist zu werden, während der Großteil des Geschwaders einem ebenso wichtigen wie dramatischen Kampfeinsatz entgegen zog. Doch ungeachtet ihrer bekannten Blutgier, wenn es um Imperiale ging, verstand die Russin vollkommen, warum Stafford sie zum Schutz des Trägers abkommandiert hatte.
,Ein blindes Huhn findet eben doch auch hin und wieder ein Korn.‘ wie sie insgeheim spottete.
Aber wem sollte er dies auch sonst anvertrauen? Dem Reservestaffelchef Chip und seinen übel dezimierten Blauen? Wohl kaum…
Zudem musste Lilja trotz ihrer Voreingenommenheit zugunsten ihrer geliebten Abfangjäger zugeben, dass die Nighthawk- und Thunderbolt-Staffeln und sogar die Griphen für die kommende Landungsoperation besser geeignet waren, während die Geschwindigkeit und Wendigkeit der Falcons in der Atmosphäre nicht voll zur Wirkung kommen konnte.

Nein, sie konnte damit leben, zum Schutz der COLUMBIA zurückzubleiben. Ja, sie fieberte nach dem Kampf, aber der Schutz des Mutterschiffes hatte im Zweifelsfall Vorrang. Lilja hatte ohnehin das Gefühl, dass auch für sie die Stunde des Einsatzes noch kommen würde. Was einer der Gründe war, warum sie den Blauen den Vortritt bei der Patrouille gelassen hatte – wenn ein Gegenangriff der Kaiserlichen zu erwarten war, dann kam er vermutlich nicht zu Beginn der Schlacht. Und dann wollte sie einsatzbereit sein, und nicht mit fast leeren Tanks im Raum herumhängen.
Um aber auch den Blauen eine möglichst lange Einsatzbereitschaft zu ermöglichen, hatte Lilja durchsetzen können, dass sich zwei Tankshuttle in Bereitschaft hielten. Die Crusaders der Bronze-Staffel waren für den Kampf gegen feindliche Kriegsschiffe bestückt – wobei Lilja Zweifel geäußert hatte, dass der Gegner seine zahlenmäßig unterlegenen Dickschiffe einsetzen würde. Nun ja, wenigstens trugen die Bronce-Maschinen auch eine anständige Mischung an leichten Raketen, so dass die behäbigen Bomber nötigenfalls gegen feindliche Kampfflieger Feuerunterstützung leisten konnten. In einem Dogfight waren sie jedenfalls kaum zu gebrauchen… Während zwei der Rafale der Bomberstaffel den Landungsverband begleiteten, waren die beiden anderen beim Träger geblieben, um nötigenfalls bei der Abwehr feindlicher Raketen zu helfen. Sie würden starten, sowie das geringste Anzeichen von Gefahr bestand und mochten sich am Ende nützlicher erweisen als ihre zahlenmäßig weit überlegenen Brüder.
Lilja hatte auch angeregt, die verbleibenden Reservemaschinen aller Staffeln einsatzbereit zu machen, damit heimkehrende Havaristen sofort wieder starten konnten. Aber damit hatte die Russin sich nicht durchsetzen können. Es war riskant, so viele aufgetankte und -munitionierte Maschinen im Hangar herumstehen zu lassen.

Wenngleich also der Dienstauftrag die Russin nicht aus dem Gleichgewicht brachte, so fraß sie aus anderen Gründen einiges an Frustration in sich herein. Die Gerüchteküche an Bord der COLUMBIA köchelte mal wieder hoch. Und der Geruch der sich ausbreitete gefiel ihr ganz und gar nicht. Ausnahmsweise ging es um etwas weitaus ernsteres als die Frage, wen Huntress oder Bobcat zum Frühstück vernascht oder mit wem sich Joystick diesmal geprügelt hatte, denn derartige Neuigkeiten gab es gefühlt einmal die Woche.
Nachdem erste Geschichten die Runde gemacht hatten was in der Flugleitzentrale geschehen war – eine Story wilder als die nächste – hatte die Russin Imp darauf angesetzt, genauer nachzuhaken. Lilja gab üblicherweise nicht allzu viel auf Gerüchte, aber es klang ernst genug um auf Nummer sicher zu gehen. Ina Richter war gut vernetzt und generell wohlgelitten, auch jenseits der Piloten des Geschwaders – was man von ihrer Vorgesetzten gewiss nicht behaupten konnte.
Just bevor die Staffeln für die Invasion starteten, hatte die getreue XO einen ersten Zwischenbericht abgeliefert. Und der war derart gehalten, dass Lilja die Fäuste ballte und die Zähne zusammenbiss. Wenn stimmte, was ihr Imp erzählt hatte – und in neun von zehn Fällen kam Ina der Wahrheit ziemlich nahe – dann hatte sich der neue Kommandeur der Angels als genau die Art kurzsichtiger, ehrpussliger und regelversessener Vollidiot erwiesen, der dem Geschwader zu seinem Unglück noch gefehlt hatte.
Allein die Vorstellung, einen feindlichen General entwischen zu lassen, nur weil ein paar imperiale Verwundete im Weg waren…
Doch leider konnte man ihm dafür schwerlich etwas ans Zeug flicken. Jedenfalls nicht direkt. Den Buchstaben nach hatte er korrekt gehandelt, so dämlich sein Verhalten auch sein mochte. Allein die absehbaren Friktionen in der Zusammenarbeit mit den Peshten würden dem Geschwader zweifellos noch Probleme bereiten.
,Es muss ja schön sein, wenn man an seinen Überzeugungen und dem Selbstbild moralischer Überlegenheit festhalten kann, so lange nur andere den Preis dafür bezahlen müssen.‘ dachte sie bissig. In solchen Momenten vermisste sie Cunningham besonders. Selbst Darkness hätte zweifellos getan was notwendig war, und sich mit den Folgen für sein Gewissen später auseinandergesetzt. Doch leider, leider…
Stafford hatte in der Vergangenheit schon mehr als eine zweifelhafte Entscheidung getroffen, doch das schoss wirklich den Vogel ab. Welcher Idiot hatte ihn nur zum Geschwaderchef gemacht? Und dann auch noch in diesem Geschwader!
Sicher, nicht alle Angels teilten Liljas erbarmungslose Sichtweise der Dinge – aber nicht einmal Ace oder solche…hm, merkwürdigen…Geschwaderkameraden wie der verblichene Martell hatten versucht einzugreifen an dem wohl dunkelsten Tag der Angels. Dem Tag, an dem sie Zeugen geworden waren wie Troffen von den Begleitschiffen ihres Trägers mit Atomwaffen bombardiert wurde. Es war etwas worüber die überlebenden Crew- und Geschwadermitglieder normalerweise nicht redeten, aber vergessen hatten sie es natürlich nicht – und die Neulinge hatten zweifellos früher oder später auch die eine oder andere Version zu hören bekommen. Das gleiche galt für die Erinnerung an den Opfergang von Jollahran, der furchtbare Zustand der befreiten Gefangenen aus Camp Hellmountain und so weiter, und so weiter…

Kein Wunder, dass jemand, der einen großen Teil des Krieges in der Etappe verbracht hatte nicht ansatzweise nachfühlen konnte, was das bedeutete. ,Obwohl man doch annehmen müsste, ein Konföderierter sollte nachdem was man seiner Zentralwelt angetan hat nicht solche bescheuerten Skrupel haben!‘
Aber jetzt war nicht der rechte Zeitpunkt um darüber nachzusinnen – oder was man tun konnte, tun musste, damit Stafford nicht noch mehr Unheil anrichtete.
Es gab eine Schlacht zu führen. Und fürs erste blieb Lilja und ihren Piloten keine andere Wahl als abzuwarten.
Zu warten, bis sie die Blauen abzulösen hatten – die natürlich weiter in Bereitschaft bleiben würden.
Zu warten, ob die Echsen sich regten, oder ob diese Schlacht allein in Planetennähe und der Atmosphäre ausgefochten wurde.
Abzuwarten, wie katastrophal die Folgen von Staffords Dummheit ausfallen würden.
Sie warf einen Blick auf ihren Handgelenkkommunikator.
„Stallions – bereit machen. Erste Sektion zu mir. Wird Zeit, dass wir die Blauen verstärken.“

***

JSS NAKANO TAKEKO

Um Corporal Mariza de Menezes Cordeiro alias Urutu herum regierte das Chaos. Der sensorische Overload war fast zu viel, selbst für eine erfahrene Soldatin wie sie. Anweisungen und Warnungen in einem halben Dutzend Sprachen, metallisches Klirren und Scheppern, dazu kamen Dunst, Rauch, Flammen und ein überwältigendes Wirrwarr von Gerüchen. Wild entschlossen schwang sie das blanke Messer, scharf genug, um selbst Knochen zu durchtrennen, und blendete alles andere aus, einschließlich ihrer Zweifel, ob sie sich diesmal nicht mehr zugemutet hatte, als sie bewältigen konnte.
„DeMeCo!“ Ihr anderer Spitzname, mit einiger Lautstärke geschrien, weckte schließlich doch die Aufmerksamkeit der Scharfschützin.
Zolin Morientes, einer ihrer Mitstreiter, kämpfte sich durch das Chaos, immer wieder nur knapp einer Katastrophe entgehend. Schließlich erreichte er Urutus Position, die ihm etwas Deckung bot. Das breite Gesicht mit den fremdartigen Jaguar-Tattoo und dem kupfernem Teint war von einem zufriedenen Grinsen geradezu zerteilt. Triumphierend schwenkte er seine Last: Eine große Schüssel Tomaten – echten Tomaten!
Die Marine starrte ihren Kameraden erstaunt an: „Wo hast du DIE denn herbekommen? Ich dachte schon, ich müsste Ketchup nehmen!“
Der Sprengstoffexperte lachte: „Ist immer gut, wenn man einen Landsmann auf einem anderen Schiff kennt. Auf der COLUMBIA hatten sie tatsächlich noch ein paar von den Schätzchen parat, die mit dem letzten Nachschubstransport vakuumversiegelt ankamen. Und da habe ich mir mit dem letzten Shuttleflug was rüberschicken lassen.“
„Her damit!“ Und ehe noch jemand auf die Idee kommen konnte, sich das kostbare Beutegut anzueignen, schnappte deMeCo sich die kostbaren Früchte.
In was war sie da nur hineingeraten…

Angefangen hatte es ernst – aber normal – genug. Es war keine 48 Stunden her, dass man die Katze aus dem Sack gelassen hatte. Man hatte die versprengten Marines nicht zum Flottenverband zurückverlegt, um sie wie ursprünglich behauptet auf einen Einsatz an der Frontlinie vorzubereiten. Stattdessen sollten die ad-hoc-Kompanien Teil einer Landungsoperation werden. Urutus Kompanie und ihre Schwestereinheit auf der INDOMITABLE – jede ca. 50 bis 60 Männer und Frauen stark – würden die beiden Schiffskompanien verstärken. Und allem Vernehmen würde nicht viel Zeit bis zum Abflug bleiben. Sowie genug Landungsboote zur Verfügung standen, sprich die Großlandung der Konkordatstruppen ausreichend Fortschritte gemacht hatte, sollte es losgehen.
Natürlich hatte die Ankündigung Soldaten und Offiziere in fieberhafte Aktivitäten gestürzt. In einem Minimum an Zeit musste ein Maximum an Vorbereitung erreicht werden. Glücklicherweise waren die Waffensätze und das Sturmgepäck schon in den Tagen zuvor zusammengestellt worden – damals noch unter dem Vorwand, es solle dem Einsatz an der Hauptfront dienen. Das erklärte auch, warum man mit der Begründung, es hake mit dem Nachschub, ungewöhnlich viel Munition und Proviant ausgeteilt hatte…
Wenn jemand Sorgen ob der Eile hegte, mit der die Operation stattfand oder angesichts einiger anderer Details, dann behielt er oder sie es für sich – oder betäubte die Befürchtungen durch blindwütigen Aktionismus.

Doch nicht alle Vorkehrungen waren derart martialisch. Es hatte sich schnell herumgesprochen, dass die Köche der NAKANO TAKEKO ein besonderes Abschiedsmahl vorbereiteten. Sarkastische Gemüter hätten wohl auch von einer Henkersmahlzeit gesprochen. Und deshalb war die Scharfschützin hier. Man konnte schließlich ihren Kameraden – viele von ihnen aus dem lateinamerikanischen Gebieten Terras oder entsprechend geprägten Koloniewelten – nicht japanische oder alternativ nordeuropäisch-amerikanische Kost zumuten, wenn man ihnen eine Freude machen wollte. Deshalb hatte sich eine Handvoll Freiwillige mobilisiert, die für Alternativen sorgen wollte. Und so würde deMeCo sich an dem Nationalgericht ihrer brasilianischen Heimatregion versuchen, Moqueca Capixaba – einem Eintopf aus Tomaten, Fischfilets, Kokosmilch und Olivenöl. Die Zutaten zusammenzubekommen war ein halber Alptraum gewesen, nicht nur was die Gewürze betraf.
Doch inzwischen war sie auf dem besten Weg. Auch dies war ein Wettlauf gegen die Zeit, aber einer, den sie gewinnen konnte.
Und so blendete sie das Durcheinander ihrer Kameraden aus, die wohl ebenso enthusiastisch bis frustriert ihrerseits versuchten, ihren eigenen Erwartungen und denen ihrer Kameraden gerecht zu werden, und konzentrierte sich ganz auf ihre Aufgabe.

*

Santo Kaisa Hanzo Nagata, Kommandeur der 2. Kompanie der 1. Kaigun Tokubetsu Rikusentai an Bord der NAKANO TAKEKO, verneigte sich tief.
Nicht alle seine Untergebenen hätten ihn verstanden – vor allem jene, die nicht wie er und meisten Soldaten der Nationalgarde tief in der japanischen Tradition verwurzelt waren. Anders als vermutlich für viele Peshten war der Ahnenkult und die Verehrung gefallener Soldaten als lebende Götter für die meisten Terraner inzwischen etwas fremdartig-archaisches. Doch nicht für Hanzo, und nicht für viele seiner Landsleute.
Hier, am Altar der Schiffsheiligen, war er sich der Aufmerksamkeit der Götter gewiss – von der Namensgeberin des Kreuzers selber, deren Abbild den Schrein zierte, ebenso wie der vor gut 70 Jahren gefallene Toyonari von Akishino, Spross eines Zweiges der kaiserlichen Familie, und all jener Soldaten und Soldatinnen, die im Laufe der Dienstzeit des Schiffes ehrenvoll den Tod gefunden hatten.
Er suchte keinen Rat, doch es half ihm immer, sich zu sammeln und auf das Wesentliche zu fokussieren, wenn er zu diesem Ort kam.

Hanzo hatte etwas mehr Zeit als seine Untergebenen gehabt, sich auf die kommende Schlacht vorzubereiten, auch wenn ihr konkretes Ziel erst vor kurzem offenbart worden war. Es war fordernd genug gewesen, aus den unterschiedlichen Einheiten zumindest ansatzweise so etwas wie eine Einheit zu machen.
Die leichte ad-hoc Brigade des Trägerverbandes gliederte sich in fünf Gefechtsbataillone. Das Führungsbataillon würde die COLUMBIA stellen. Die leichten Begleitschiffe steuerten insgesamt zwei Bataillone bei. Die Kreuzer schließlich würden zwei weitere Bataillone aufstellen, eines bestehend aus einer Kompanie CAV-Infanteristen und den Marines der PHILOKETES, das andere aus seinen Nationalgardisten und der Kompanie der INDOMITABLE. Beide Bataillone wurden durch jeweils gut hundert „ausgekämmte“ terranische Marines verstärkt, die in den letzten Tagen aus dem Fronthinterland an Bord der Kreuzer verlegt worden waren. Insgesamt würde die Brigade vielleicht 1.500 Männer und Frauen an Kampftruppen umfassen. Dazu hatte man noch gut 300 Unterstützungskräfte zusammengerafft, die mit ihnen in den Einsatz gehen würden. Techniker, medizinische Kräfte und dergleichen mehr.
Major Ariane Schlüter, Kommandeurin der nach ihr benannten Brigade, hatte es sich nicht nehmen lassen, die Führungsoffiziere über ihre Einsatzziele direkt aufzuklären.

„Sie sehen, wo die 4. Sturmdivision landen wird. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass das 30. Korps schnell genug vorstoßen kann, um die Landungstruppen zu entsetzen, und dazu brauchen beide Einheiten unsere Hilfe – damit wir ihnen bei einem neuralgischen Punkt ihrer Marschroute helfen. Nur so kann es gelingen, die Schlinge um den Hals der Imperialen schnell und straff genug zuzuziehen – ehe diese sich herausmanövrieren können…“ Sie brauchte nicht hinzuzufügen, dass es noch eine andere drohende Alternative gab: dass es den Imperialen nicht gelingen durfte, die 4. Division einzukesseln und aufzureiben. Selbst wenn der Verlust der Einheit verschmerzbar gewesen wäre, die Moral der Peshten-Truppen auf Gamma Erdion würde einen erneuten Tiefschlag wohl schwerlich verkraften, vom unvermeidlichen Blame-Game und den ebenso unausweichlichen Entlassungen ranghoher Offiziere ganz zu schweigen.
„Deshalb ist dies der Preis: Arta’Rijen und die Brücke über den Rijen. Die müssen wir nehmen und halten. Es ist letztlich alles eine Frage der Brücke.“
In den Zeiten von Schweberpanzern waren Straßen und Brücken zwar weitaus weniger wichtig als in früheren Jahrhunderten. Aber sowohl die imperialen als auch die Peshten-Streitkräfte konnten unmöglich ihre gesamten Verbände und vor allem den Nachschub mit Schwebern oder gar auf dem Luftweg transportieren. Arta’Rijen und seine Brücke waren für das schnelle Verlagern von Verbänden durch die Imperialen – sei es auf dem Rückzug oder im Angriff – ebenso wichtig wie für eine Gegenoffensive des Konkordats.
„Dank eines fehlgeschlagenen Luftangriffs der Angels wissen wir recht gut Bescheid, was die Verteidigungsstellungen in der Gegend betrifft. Die Peshten haben uns zudem Material ihrer Agenten geliefert, da immer noch Zivilisten und Versprengte in der Region präsent sind – und während des Bodenbeschusses unserer Kreuzer über dem Frontgebiet konnten wir auch noch zusätzlich selber Aufnahmen machen. Wir rechnen mit einer gemischten Luftabwehrabteilung, etwa einem Infanteriebataillon in der Stadt und vielleicht 500 bis 1.000 Echsen in Nachschubs- und Reparatureinheiten.“

An der Stelle hatte sich Captain Enrico Fini von der INDOMITABLE eingeschaltet: „Das heißt, wenn wir mit ein paar durchreisenden ,Passanten‘ rechnen müssen, sind uns die Echsen bei der Landung numerisch mindestens ebenbürtig bis drei zu zwei überlegen.“ Es klang nicht anklagend oder eingeschüchtert, er stellte es lediglich fest. Es sprach Bände, dass Schlüter den Einwand nicht überging, sondern darauf antwortete. Ungeachtet der zelebrierten Mentalität terranischer Marines ,First to go, last to know’ nahm sie die durchklingende Besorgnis ernst oder teilte sie.
„Ja, aber zum einen sind beispielsweise die kaiserlichen Infanteristen unweigerlich geographisch erheblich verteilt – sicher einige bei der Brücke, andere aber auf Posten in der Stadt, in ihrem Quartier…und zum anderen werden wir bei der Landung massierte Hilfe durch die Sturmshuttles und vor allem die Angels haben, die mit Bomben und Raketen Bodenziele angreifen werden.“
CAV-Major Manabe Ashiihi von der TATANKA YOTANKA – wie Hanzo zur Bataillonskommandeurin befördert – hatte geschnaubt: „Dann hoffen wir mal, dass sie diesmal auch wirklich angreifen, und nicht irgendeinen Grund finden, abzubrechen!“
Major Schlüter hatte diese wenig verhohlene Kritik an den Piloten ihres Mutterschiffes ignoriert. Es war unklar, wie sie über das Versagen der Angels dachte, den feindlichen Oberbefehlshaber auszuschalten.
„Und zudem sind das mehrheitlich keine Frontkaliber-Truppen. Die Kaiserlichen mussten ihre Verbände für die Offensive erheblich ausdünnen. Mitunter setzen sie wohl schon Genesende oder auch Peshten-Hilfstruppen in rückwärtigen Gebieten ein, gerade ihre nachrangigen Einheiten wie Transport- und Instandsetzungsbataillone sind überaltert oder nur dürftig infanteristisch ausgebildet. Und da wir zeitlich nach der 4. Sturmdivision landen, werden sie wahrscheinlich ohnehin weitere Truppen abgezogen haben, um die Landungszonen abzuriegeln. Sie werden verzweifelt nach jedem Geschütz und jedem Schützen rufen, den sie zusammenkratzen können.“
Schlüter hatte eine Karte von Arta’Rijen aufgerufen. Der Grundriss der Stadt bildete fast so etwas wie einen Kegel, dessen Grundfläche auf dem Flussufer ruhte.
„Unsere unmittelbare Landungszone konzentriert sich auf das südöstliche Ufer. Das 1. Bataillon…“, Schlüters eigene Einheit, „…landet im Ai’Shan-Park, das ist ausreichend Platz, nicht weit vom Südende der Brücke entfernt. Und aufgrund peshtischer Bauvorschriften – um den Tempel der namensgebenden Sonnengöttin nicht zu überschatten – gibt es keine Hochhäuser in der Nähe, was den Anflug erleichtert.“ Dann hatte sie ausgeführt, dass eines der Kleinschiffbataillone flankierend am Flussufer landen würde, wo ausreichend Überflutungsraum gelassen worden war.
„Bataillon 3 und 4…“, das zweite Kleinschiffbataillon und der CAV-geführte Verband, „…werden HIER niedergehen. Der Maglev-Bahnhof weist ausreichend benachbarte Grün- und andere freie Flächen auf. Von hier können sie die wichtigsten Straßen der Stadt kontrollieren und nötigenfalls durch Feuer sperren. Und im Notfall beträgt die Entfernung zur Landungszone Eins nur etwa einen Kilometer, so dass wir uns gegenseitig durch Mörserfeuer unterstützen können. Die Zonen sollten zügig vereinigt werden.“

Hanzo hatte schon gemutmaßt, dass das dicke Ende noch kam, als sein Bataillon als letztes genannt wurde: „Das Fünfte landet hier.“ Schlüter rief ein neues Kartenstück auf.
„Auf der anderen Seite des Flusses?“
Die Majorin nickte knapp: „Wir müssen die Brücke schnell und verlässlich sichern, auch von der Seite, von der die Sturmdivision kommen soll. Ich kann aber meine Leute nicht rüberschicken, wenn der Feind sie mit Schnellfeuerlasern verteidigt, falls er sie nicht ohnehin in die Luft jagen würde. Und deshalb müssen wir die Brückengarnison von zwei Seiten in die Zange nehmen. Sie landen in Nera’Rijen, so heißt der Vorort. War wohl ursprünglich eine eigenständige Stadt, als es noch keine Brücke, sondern nur eine Fähre gab. Wir setzen Sie in den Uferwiesen ab, von da haben die Marines schnellen Zugriff auf die Brücke.“
Hanzo hatte die Karte gemustert. Nera’Rijen wies nicht die typischen Wolkenkratzer peshtischer Großstädte auf, aber ein größere Zahl mehrstöckiger Wohnblocks und ein halbes Dutzend massiver Sakralbauten – recht viel für eine Siedlung von früher vielleicht zehntausend Einwohnern und maximal anderthalb Quadratmeilen Fläche.
„In der Stadt liegen nach unseren Aufklärungsdaten keine weiteren Garnisonstruppen, sieht man von der Brückensicherung ab. Kommen wir nun zu den Details was den Zeitplan und die Koordination mit den Angels und übrigen Verbänden betrifft…“
Schlüter hatte zweifellos gespürt, dass es nur Professionalität und Wissen um den Ernst der Lage war, der ihre Untergebenen davon abhielt, ihre Befürchtungen deutlicher zu formulieren – Bedenken, die sie durchaus teilte. Doch ihnen allen blieb ohnehin keine Wahl. Und so hatten sie alle gute Miene zum riskanten Spiel gemacht.
Schlüter hatte sich sogar dazu durchgerungen, ein paar Witze zu reißen, obwohl sie sich zwingen musste darüber zu lachen: „Am Ende wird es ablaufen wie damals in Hellmountain – wie in einer Geschichte, in einem dieser Filme. Sicher, die Vierte und wir sind die Helden, die sich den bösen Jungs stellen müssen. Aber die Kavallerie, das 30. Korps, sie werden rechtzeitig zu unserer Rettung kommen – wenn wir ihnen den Weg dafür bereiten. Und ich bin fest überzeugt, dass wir das können.“

Und so bereitete sich denn das fünfte Bataillon darauf vor, in die Schlacht zu ziehen, getrennt vom Rest der Brigade nicht nur durch ein paar hundert Meter Luftlinien, sondern auch einen mindestens hundert Meter breiten Fluss. Wie die ganze Brigade Kilometer und Kilometer von der 4. Sturmbrigade oder dem 30. Korps entfernt war.
Eine ehrenvoll und notwendige Aufgabe, aber sollte sich herausstellen, dass der Feind stärker war als angenommen…
Hanzo hoffte auf die Unterstützung der terranischen und Konkordats-Kampfflieger, auf die Waffenbrüder des 30. Korps. Er vertraute auf die Vorbereitung, auch wenn sie überhastet verlief. Vor allem aber verließ er sich auf seine Leute. Auf seine eigenen Soldaten – bestens gedrillt und vorbereitet, wenn auch mehrheitlich ohne Kampferfahrung. Auf die Marines der INDOMITABLE, vielfach erfahren in Enterkämpfen, aber lange nicht mehr am Boden im Einsatz gewesen. Und auf die gut 100 Marines der ad-hoc-Kompanien, Veteranen der Kämpfe auf Gamma Eridon – die aus einem halben Dutzend unterschiedlicher Brigaden stammten, erst seit wenigen Tagen darauf hinarbeiteten, zu einer echten Einheit zu werden.
Er wusste, wie viel schief gehen konnte. Und so betete er, die Götter mochten ihnen gewogen sein. Sonst würde die Zahl der Namen jener, derer hier gedacht und die an diesem Schrein angerufen wurden, bald noch einmal deutlich anwachsen.
Doch für Bedenken war es ohnehin zu spät. Die Würfel waren geworfen – und nun blieb abzuwarten, wie sie fallen würden, und ob Gewinn einzustreichen oder Verlust zu verzeichnen sein würde.

*

Im Messesaal der Marines ging es hoch her – nicht zuletzt, weil dieser mehr als doppelt so stark belegt war als üblicherweise. Zwar hatten die Konstrukteure des Schweren Kreuzers mit einer Überbelegung gerechnet, dennoch ging es recht beengt zu.
Doch natürlich beschwerte sich keiner. Morgen würden sie vielleicht schon Rationsriegel kauen und ihren Durst mit chemisch desinfiziertem Schlammwasser stillen müssen. Stattdessen herrschte bemüht aufgeräumtes Hallo, als man auftischte. Und es ließ sich durchaus sehen, was man anbot.
Urutu fühlte einigen Stolz als sie sah, wie ihre Kameraden sich nach dem Fischeintopf anstellten, den sie zusammengekocht hatte. Andere drängelten sich um den Pastel de Choclo, einem chilenischen gebackenen Schichtenauflauf aus Rindfleisch mit Eiern, Rosinen, Zwiebeln und einem Dutzend Gewürze, abgedeckt durch einen Brei aus Maiskörnern in Milch. Und einzelne waren schon beim Dessert angelangt, peruanischem Limettenkuchen mit einer dicken Cremeschicht. Zusehens verwischten sich freilich die Grenzen zwischen den terranischen Marines und den Nationalgardisten, und auch die Gerichte wurden brüderlich-schwesterlich ausgetauscht. Schade, dass es nicht einmal ein Bier gab, aber das war vor einem Gefechtseinsatz natürlich außer Frage.
Die Offiziere hatten sich unter die Männer und Frauen gemischt – die Zugführer, aber auch der Chef der Nationalgardisten und die beiden Marines-Kompaniechefs. Da war Rui Graca, ein Landsmann von De MeCo, der ihre Kompanie leitete. Wie die Scharfschützin war der Captain ursprünglich im Hinterland als Ausbilder im Einsatz gewesen. Und dann war da noch Frédéric Devedjian, ein First Lieutenant, der überhastet aus einer Rehaabteilung im Hinterland geholt worden war.
Vielleicht würde man sie alle morgen schon ins Feuer jagen, aber im Moment genossen sie es, für eine kleine Weile nicht an die Schlacht zu denken, der sie entgegenfieberten, die sie aber zugleich auch fürchteten.
12.07.2021 10:15 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Gamma-Eridon, zwei Stunden nach Beginn der Operation ‚Markat‘


Landezone I, mehr als 100 Kilometer im imperialen Hinterland

Ihrem Zeitplan folgend hatten die Mitglieder von Trupp Pashka-Vier die Peilsender aktiviert. Wer allerdings auf sich warten ließ, das waren die avisierten Landungsshuttles. Während die Sekunden langsam zu Minuten und dann Viertelstunden zerrannen, fluchte Lieutenant Jan Marcus lautlos und unterdrückte den Impuls, ständig den Nacken zu verrenken um in den immer noch leeren Himmel zu starren. Er vermutete, dass es den anderen Mitgliedern der Spezialeinheit ähnlich ging.

Letztendlich waren es dann nicht die alliierten Streitkräfte, die als erste auf die Funksignale reagierten.
„Achtung, wir kriegen Gesellschaft! Imperiale Bodenfahrzeuge!“ Diesmal kam die Meldung von Vacani. Die Stimme der Peshten verriet ihre Anspannung: „Zähle drei Einheiten mit aufgesessener Infanterie.“
‚Verdammt, das ist mehr als die übliche Patrouille…‘ „Tai’fal?“
„Abwarten.“, die Stimme des peshtischen Anführers des Trupps blieb ruhig.
Die angespannte Situation verwandelte sich in eine kritische, als neben dem das Dröhnen der herannahenden Bodenfahrzeugen ein anderer, dunklerer Ton zu hören war: Düsentriebwerke.
„Sind das unsere?“, kam es von Taku-Taku. Tai’fals Stellvertreter und einer der beiden Akarii im Team war sich vermutlich nicht bewusst, dass seine Frage zumindest manche Terraner ziemlich verwirrt hätte.
„Nicht aus dieser Richtung.“, Shana’s Stimme war nur ein Wispern. Die T’rr-Sanitäterin und Verhörspezialistin war keine Frau vieler Worte.
„Zu viele, als dass es nur Luftsicherung für unsere neuen Freunde sein kann. Es geht los.“, urteilte Taku-Taku

Jetzt konnte Marcus die imperialen Bodentruppen sehen. Die leicht gepanzerten Spähfahrzeuge näherten sich schnell, nur um dann etwa vierhundert Meter von seinem Standpunkt abrupt zum Stehen zu kommen. Marcus registrierte, dass die Halteposition der Fahrzeuge keineswegs zufällig war. Sie standen weit genug auseinander, um nicht durch eine einzelne Explosion ausgeschaltet werden zu können – blieben aber nahe genug beieinander, um sich gegenseitig und den ausbootenden Infanteristen Feuerschutz geben zu können. Und natürlich hatten die Imperialen ihre leichten Radpanzer so platziert, dass sie sich beim Anfahren nicht gegenseitig im Weg sein würden.
Trotzdem schien zumindest Tai’fal wenig beeindruckt: „Sicherungstruppen. Minderwertig.“
„Ein Dutzend Infanteristen, leichte bis mittelschwere Bewaffnung. Aber auch zwei schultergestützte Raketenwerfer.“, das kam von Dak. Oder Aka – Marcus schaffte es noch immer nicht, die beiden T’rr-Scharfschützen auseinanderzuhalten.
„Sie machen sich marschfertig…die wollen zu einem der Sender.“, Marcus Stimme überschlug sich beinahe.
„Nein sowas.“, spottete Vacani: „Neuer ist aber ein ganz Schlauer. Und ich dachte, die wollten nur Erdfrüchte sammeln.“
„Wir können die doch nicht einfach…“
„Still.“, das war wieder Tai’fal: „Werden wir auch nicht. Taku-Taku, Drehh: Standortverlegung wie folgt…“ Die beiden Akarii des Teams – Tai’fals Stellvertreter und die Sprengstoff-/Technikexpertin – bestätigten ihre neuen Befehle, während Tai’fal den übrigen Teammitgliedern Anweisungen gab. Dabei blieb seine Stimme so ruhig, als würde er in einer Bar einen Drink bestellen.
Marcus Kehle fühlte sich an wie ausgetrocknet und auch mehrmaliges Schlucken konnte nichts an der Enge in seinem Hals ändern. Das war nicht sein erster Feindkontakt. Dennoch…

Falls die Imperialen tatsächlich die Sender angepeilt hatten und das alles nicht nur ein verdammter Zufall war, mussten sie mit Ärger gerechnet haben. Irgendjemand hatte die Sender ja schließlich aufgestellt. Dennoch wurden sie überrascht.
Die beiden Raketenwerferträger brachen praktisch gleichzeitig zusammen, als hätte jemand bei einer Marionette die Schnüre gekappt. Die Alarmrufe ihrer Kameraden gingen unter in dem Fauchen der Laserwaffen und Unterlaufgranatwerfer, als die Mitglieder von Pashka-Vier schlagartig das Feuer eröffneten.
Marcus war sich nicht sicher, ob er den von ihm anvisierten Soldaten tatsächlich erledigt hatte. Er glaubte zumindest einen Treffer gelandet zu haben, obwohl auf diese Entfernung die Gefechtspanzerung den Soldaten vermutlich vor einer tödlichen Verletzung bewahren würde. Immerhin hatte der Mann aber den Raketenwerfer wegwerfen müssen, den er eben erst aufgehoben hatte.

Während zwei Schnellfeuerlaser und die Scharfschützen der Spezialeinheit sich auf die Infanteristen einschossen, nahmen die übrigen Teammitglieder die Bodenfahrzeuge aufs Korn. Auf 400-500 Meter waren ihre Unterlaufgranatwerfer allerdings wenig zielgenau. Und selbst ein direkter Treffer würde die Fahrzeugpanzerung nicht durchschlagen. Aber er konnte Waffen, Sensorik und Räder beschädigen, die Besatzungen verwirren. Und Vacanis Multifunktions-Raketenwerfer konnte noch weitaus mehr als das.
Das Lenkgeschoss traf den am nächsten stehenden Radpanzer nicht perfekt, zerfetzte aber den Fahrzeugbug und ließ den aufheulenden Motor jäh verstummen. Allerdings war das Fahrzeug noch nicht aus dem Gefecht, wie das Laserfeuer bewies, das nach Vacanis Stellung tastete. Die beiden anderen Fahrzeuge reagierten schnell, legten einen Kavalleriestart hin und preschten im Zickzack über die Ebene, während ihre Bordwaffen Sperrfeuer gaben. Vacanis aus einer neuen Feuerstellung abgefeuerte Rakete erzielte diesmal nur einen Nahtreffer. Allerdings war die Explosion immer noch stark genug, dass sich das Ziel beinahe überschlug, zur Seite ausscherte und in einer gigantischen Staubwolke zum Halten kam.
In die Vacani wenige Augenblicke später ihre dritte – und vorletzte – Rakete feuerte. Die folgende Explosion und der schwarz aufsteigende Rauch informierten die Mitglieder der Spezialeinheit, dass auch dieser Radpanzer vernichtet oder zumindest beschädigt war.

Doch jetzt drohte die Situation zu kippen. Die Mannschaft des dritten Radpanzers hatte es offenbar geschafft, die Position von Team Pashka-Vier anzupeilen. Auch wenn das Fahrzeug zum Glück nicht über einen Raketenwerfer verfügte – das Feuer seines Schnellfeuerlasers und des fahrzeugmontierten Granatwerfers lag unangenehm genau. Gleichzeitig hatten sich die überlebenden imperialen Infanteristen gefasst. Sich gegenseitig Feuerschutz gebend, rückten sie gegen die Spezialeinheit vor. Und nachdem jetzt das Überraschungsmoment verloren war, waren die Chancen jetzt sehr viel ausgeglichener…

Lieutenant Marcus duckte sich und hastete zurück, während über seinen Kopf die Lichtimpulse der feindlichen Laserwaffen zuckten. Mit der Linken hakte er eine Nebelgranate los und ließ sie hinter sich zu Boden fallen, ohne sich umzublicken.
Keine zehn Schritt neben ihm schlug eine Granate ein und überschüttete Marcus mit einem Wirbelwind aus Dreck und Schrapnells. Sein Körperpanzer rette ihm das Leben, aber nicht vor dem Luftdruck, der ihn beiseite schleuderte, wie ein verzogenes Kind eine beschädigte Puppe. Plötzlich fand sich der Lieutenant auf dem Boden wieder. Benommen auf den Boden starrend, versuchte Marcus, wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Er musste sich bewegen. Konnte hier nicht bleiben…
Über das Pochen in seinen Ohren drang Shanas scharfe Stimme: „Neuer, verdammt! Beweg deinen Arsch!“
„Ich…“
„Mach mir jetzt bloß nicht schlapp! Verdammt, ich komme zu dir.“

Als die Sanitäterin des Trupps einige Herzschläge später geduckt zwischen den anderthalb Meter hohen Grasstengeln auftauchte, fand sie Marcus auf den Knien vor. Die T’rr pfiff durch die Zähne: „Das war wohl etwas knapp.“
„Werde ich…“
„Kein Grund, dein Testament zu aktualisieren. Das wird schon wieder. Aber wir müssen hier weg.“ Die Sanitäterin rammte dem Geheimdienstoffizier einen Injektions-Stift in den Oberschenkel, begleitet von der Aufforderung, er ‚solle sich jetzt nicht so haben‘.
Mit Shanas Hilfe kam Marcus auf die Beine, auch wenn er mehr taumelte als lief. Mit seiner Wunde würde er nicht angeben können: leider hatte der Körperpanzer seinen verlängerten Rücken offenbar nicht vollständig schützen können.
Die T’rr klackte mit den Zähnen: „Beim ‚ich-zeig-dir-meine-wenn-du-mir-deine-zeigst‘ wirst du aber echt abräumen können.“ Offenbar fand sie seine Verwundung amüsant.
Ein Vergnügen, dass Marcus nicht wirklich teilen konnte: „Die Imperialen…“
Wieder das leise Klacken ihrer spitzen Zähne: „Hast du das nicht mitbekommen? Die haben jetzt andere Sorgen.“

Jetzt erst begriff Marcus, dass das Dröhnen in seinen Ohren nicht nur eine Nachwirkung der Explosion, dass der Himmel nicht länger mehr leer war. Instinktiv duckte er sich, als mit einem ohrenbetäubenden Brüllen der Strahltriebwerke ein Kampfflieger über ihre Köpfe hinwegdonnerte. Dann erkannte Marcus die Markierungen der konföderierten Luftwaffe auf den Tragflächen. Auch wenn es kindisch sein mochte, konnte er es sich nicht verkneifen, zu winken. Und vielleicht war das ja nur Einbildung, aber er glaubte, dass der alliierte Jagdbomber mit einem Wackeln der Tragflächen zurückgrüßte…


***


Einige Kilometer über Landezone I

Wieder wurde der im Bauch der Landungsfähre steckende Schützenpanzerwagen durchgerüttelt. Colonel Clas Schiermer zerbiss einen halblauten Fluch zwischen den Zähnen. Seine Stimme wurde lauter und gewann einen harten Unterton: „Dann fragen Sie doch diesen dämlichen Navy-Commander, ob es seinen Einsatzparametern entspricht, wenn meine Leute als Konfetti über die Landezone verteilt werden!“.
Der Regimentskommandeur wartete die Antwort nicht ab, sondern schaltete auf einen anderen Kanal um: „NIEGEBORENE, ACHTUNG! Noch fünf Minuten bis Bodenkontakt!“ ‚Hoffentlich nicht doch früher und in Einzelteilen…‘
Wieder warf er einen Blick auf den Handgelenkschirm. Auch wenn die Kampfgruppe, mit der er nach der Landung den nahegelegenen Flugplatz sichern sollte, noch weitestgehend intakt war, galt das nicht für alle Truppen der Ersten Welle. Es hatte Verluste unter den Shuttles gegeben. Einige weitere hatten beschädigt umdrehen müssen.
‚Dämliche Pilotenjockeys! Wofür kriegen die eigentlich ihre Top-Gehälter?!‘
Das war vermutlich etwas ungerecht. Immerhin taten die alliierten Raum- und Atmosphärenjäger ihr Möglichstes, um die Landefähren zu schützen. Wenn man aber selber im Bauch eines dieser fliegenden Scheunentore steckte und sah, wie die Funksignale anderer Landungsfähren erloschen oder zurückfielen…dann neigte man nun einmal nicht zu Fairness.

Erneut wurde die Panzerfähre durchgeschüttelt – aber diesmal war es ein schnelleres, fast rhythmisches Rütteln, das sich langsam steigerte und die ganze Fähre vibrieren ließ.
„NOCH DREI MINUTEN! BEREITMACHEN ZUR LANDUNG!!“
Jetzt gaben die Bremstriebwerke der Fähre Vollschub. Selbst im Inneren des Panzerfahrzeugs war der Lärm ohrenbetäubend und machte endgültig jede Form von Unterhaltung unmöglich. Die meisten der angeschnallten Männer und Frauen saßen wie erstarrt in ihren Sitzen, die Gesichter unter ihren Gefechtshelmen verborgen.
Während Schiermers Hand sich um den Rand seines Sitzes verkrampfte, verzerrte sich das Gesicht des Regimentsführers zu einer angespannten Fratze, die wahrhaft furchteinflößend gewesen wäre, wenn das Helmvisier sie nicht verdeckt hätte. Er spürte sie wieder, diese unverwechselbare Mischung aus Anspannung, Todesangst, Wut, Erwartung und einem fast euphorischen Gefühl der Erleichterung darüber, dass das Warten endlich vorbei war.
Schiermers Kehle entrang sich ein animalisches, fast tierhaftes Heulen, das kaum etwas menschliches mehr in sich hatte und in das die Männer und Frauen rings um ihn instinktiv einstimmten. Sie schrien ihre eigene Todesangst nieder.

Der Schrei brach abrupt ab, als die Landefähre mit einem letzten Aufheulen der Triebwerksdüsen jäh aufsetzte. Die Soldaten wurden gegen die Gurte geworfen, die sie auf ihren Sitzen hielten und jetzt Knochenbrüche und Prellungen verhinderten. Zumindest meistens: mindestens ein Soldat knallte mit dem Hinterkopf gegen die Bordwand und sackte halb bewusstlos in seinen Gurten zusammen.
Aber darum konnte sich Schiermer jetzt nicht kümmern: „Cockpit?“
„Wir sind sauber gelandet. Rampe geht runter in fünf…vier…drei…zwei…eins…JETZT!“
Und tatsächlich, durch die schmalen Seitenluken des Schützenpanzerwagens drang auf einmal Licht, das nicht künstlichen Ursprungs war.
Schiermer aktivierte die Verbindung zu der Panzerbesatzung: „Bringt die Scheißkiste raus!“
„Bestätigung…Magnetklammern gelöst….festhalten.“
Der Transportpanzer ruckte einmal, zweimal nach vorne, machte einen jähen Satz…und dann waren sie im Freien. Die übrigen Schützen- und Spähpanzern der Landungsfähre folgten wenige Sekunden später.

Schiermer warf einen Blick auf die jetzt aktivierten Bildschirme der Außenbordkameras und die taktische Gefechtsanzeige. Unweit von ihnen waren andere Fähren gelandet, die ebenfalls ihre Last aus Panzerfahrzeugen und Sturminfanteristen ausspuckten.
Offenbar war die Landung allerdings nicht überall glatt gelungen: Schiermer sah an mehreren Stellen Flammen und dunklen Rauch aufsteigen. Von irgendwoher zuckten Laserimpulse durch die Luft, auf ein unbekanntes Ziel gerichtet.
„Sturmkommando Schiermer – sammeln bei Punkt Alpha! Klarmeldung! Abrücken auf Ziel in zehn Minuten. Und wer zu spät kommt, dem reiße ich persönlich die Eingeweide heraus!“
Die 4. Sturmdivision war auf Gamma-Eridon gelandet. Und die Schlacht hatte begonnen.


***


Im Luftraum über Landezone I

Es war Kano gelungen, seine angeschlagene Maschine dicht über den Baumwipfeln zu stabilisieren, aber nur knapp. Sein rechter Arm fühlte sich jetzt merkwürdig taub an und er hatte die Linke zu Hilfe nehmen müssen, um den Steuerknüppel ruhig zu halten.
Außerdem gefiel ihm das Geräusch nicht, das seine Triebwerke von sich gaben. Ein Blick nach hinten bestätigte dem japanischen Piloten, dass er eine dicke Rauchschleppe hinter sich herzog. Kein Wunder, dass die Maschine auf die Bewegungen des Steuerknüppels nur noch schwammig zu reagieren schien.
Normalerweise hätte er jetzt Höhe gewonnen. Aber solange er nicht sicher sein konnte, dass die feindlichen Boden-Luft-Raketen ausgeschaltet worden waren, wäre dies Selbstmord gewesen. In dieser Höhe und mit beschädigtem Triebwerk war er zwar auch eine leichte Beute für jeden opportunistischen Akarii-Piloten, aber zum Glück waren die Imperialen zumindest zeitweise aus dem Feld geschlagen worden.
Während die alliierten Jagdbomber auffächerten und gedeckt von Atmosphärenjägern ihre Ziele angriffen – darunter ENDLICH auch den Notflughafen, dessen Flugabwehrraketen Kano so zu schaffen gemacht hatten – kamen die Meldungen der übrigen Piloten seiner Sektion herein. Offenbar hatte Sugar mehr Glück gehabt als Kano und war mit moderaten Beschädigungen davongekommen. Flyboy und Phoenix meldeten nur leichte Schäden. Kano selber allerdings…
Zusätzlich zu dem beschädigten Triebwerk verlängerte eine kurze Bestandsaufnahme die Schadensliste um eine perforierte Cockpitverglasung und einen von Splittern durchlöcherten Raumanzug. Das eingearbeitete Panzergewebe hatte Kano aber anscheinend vor einer schwereren Verwundung bewahrt. Wenn Sehnen, der Knochen oder gar eine Arterie verletzt worden wären…so hatte offenbar nur der Muskel etwas abbekommen.

Während er die Wunde untersuchte und notdürftig verarztete, traf Kano eine rasche Entscheidung: „Phoenix, Flyboy – ihr schließt euch dem Rest der Angry Angels an und deckt die Landung. La Reine hat das Kommando.“
„Aber was ist mit euch? Wir können euch doch nicht einfach hier hängen lassen!“, protestierte ausgerechnet Flyboy, womit sie Kano, ihre Rottenführerin und vielleicht auch sich selber überraschte.
„Sugar, du begleitest die beiden bis zum Hauptpulk, dann fliegst du zur COLUMBIA zurück. Ich will deine angeschossene Mühle nicht noch mal in einem Luftkampf sehen.“ Im Gegensatz zu ihrer Flügelfrau und zu Huntress kurz zuvor akzeptierte Sugar den Befehl. Vielleicht hatte sie der Raketennahtreffer doch etwas erschüttert. Allerdings konnte sie es sich nicht verkneifen, nachzubohren: „Und Sie kommen nicht mit?“
„Nicht mit diesem Triebwerk, mit durchlöcherter Cockpitverglasung und einem beschädigtem Anzug. Auch mit der Selbstversiegelung ist mir das Risiko zu groß. Ich sehe lieber zu, dass ich auf alliiertes Territorium komme und dort einen Landeplatz finde.“
„Mit DER Maschine wollen Sie die Front überfliegen? Ich weiß nicht, ob das so viel sicherer ist.“, schaltete sich Phoenix ein. Er klang nicht besorgt, stellte nur eine Tatsache fest.
„Ich schließe mich unseren Atmosphärenjägern an.“

Vorher allerdings informierte er La Reine von dem Kommandowechsel. Sie klang noch immer etwas kurz angebunden.
Und Stafford schien auch nicht übermäßig erbaut, dass die Hälfte von Kanos Sektion binnen weniger Minuten kampfunfähig geschossen worden war: „Wenn das so weiter geht, haben wir bald nicht mehr genug Maschinen um die Landungsfähren zu beschützen. Zumal das nur die ERSTE Welle ist.“
„Immerhin fliegen auch etliche Akarii nicht mehr. Und wäre es Ihnen lieber, wenn die Imperialen unsere Kameraden zusammengeschossen hätten und sich jetzt auf Sie konzentrieren würden?“
„Hm. Der wievielte Abschuss war das eigentlich für Sie?“
Kano blinzelte überrascht: „Der…Siebenundvierzigste.“
„Gratulation. Aber wir sollten Ihnen vielleicht die Maschinen abziehen, die sie andauernd verschleißen. Vielleicht wären Sie dann etwas vorsichtiger.“ Das klang eher amüsiert als bissig. Dennoch war Kano gerade nicht in der Stimmung für Wortgeplänkel. Auch und besonders nicht von Seiten des Geschwaderchefs: „Ich kenne meine Pflicht, Sir.“
Cowboy schnaubte sarkastisch: „Schon gut, Ohka. Kommen Sie gut nach Hause.“

Das erwies sich als nicht so einfach. Während er Anschluss an eine der alliierten Jäger- oder Jagdbomberformationen zu finden suchte, konnte Kano aber immerhin von einem Logenplatz aus das beeindruckende Panorama der Luftlandeoperation bewundern.
Gedeckt von den verbliebenen Raum- und Atmosphärenjägern steuerten die Sturm- und Panzerfähren ihre Ziele an, während Jagdbomber der COLUMBIA, der Peshten sowie der terranischen Armee- und Marinekorps-Luftstreitkräfte unterstützende Angriffe flogen. Immer wieder stürzten sich die Maschinen auf für Kano unsichtbare Ziele, feuerten Bordkanonen und Raketen ab. Einschläge gelenkter und ungelenkter Spreng-, Splitter- und Streubomben ließen rotgelbe Feuerblumen aufblühen – manchmal vereinzelt, manchmal zu einem halben Dutzend dicht nebeneinander. Tiefschwarze Rauchsäulen kündeten von der Treffsicherheit und der Intensität der Bombenangriffe.
Und dann setzten die Landefähren auf, öffneten sich Seitentüren und Heckrampen, gaben den Weg frei für Sturminfanteristen, Gefechtstanks und gepanzerte Fahrzeuge. Aus der Luft sah das täuschend harmlos, fast spielerisch aus. Die Soldaten wirkten auf diese Entfernung kaum größer als Ameisen, ihre Fahrzeuge wie schwerfällige Käfer. Ameisen und Käfer, die allerdings Feuer spuckten.

Und dieser Feuerzauber war keineswegs eine einseitige Angelegenheit. Die hektischen Funksprüche auf Breitband- und Geschwaderkanal, das am Boden aufflackernde Gefechtsfeuer, die Laserbahnen und die Rauchsäulen aufsteigender Boden-Luft-Raketen verrieten Kano, dass die Imperialen zwar verzettelten aber dennoch hartnäckigen Widerstand leisteten. Und am Rande des Gefechtsfeldes lauerten immer noch die feindlichen Jäger, die mit schnellen Vorstößen und Feuerüberfällen wie ein hungriges Wolfsrudel nach den Flanken der Alliierten schnappten. Es zuckte Kano in allen Gliedern, seinen Kameradinnen und Kameraden zu Hilfe zu kommen. Aber in seinem Zustand und mit dieser Maschine wäre er nur eine Belastung gewesen. Er musste einen sicheren Landeplatz erreichen, die wracke Maschine auf den Boden bringen, sich richtig verarzten und seinen Jäger reparieren lassen. Dann – vermutlich nicht vor morgen – würde er wieder an dem Kampf teilnehmen können. Bis dahin konnte er nur hoffen, dass seine Untergebenen – und diejenigen, die seine Freunde und in Kalis Fall so viel mehr waren – überlebten. Kano warf noch einmal einen Blick auf den Radarschirm, auf das tödliche Ballett der Jagdmaschinen, in dem Helen und die anderen Mitglieder der Angry Angels steckten, dann aktivierte er wieder den Kommkanal: „Achtung, hier ist Ohka, Staffel Schwarz. Ich suche…“

Letztendlich konnte er sich an eine Jagdbomber-Sektion der terranischen Armeeluftwaffe hängen, die leergeschossen auf dem Rückflug war. Die Piloten ließen es sich nicht nehmen, einige sarkastische Bemerkungen darüber loszuwerden, dass die Atmosphäreneinheiten immer nur als ‚arme Brüder‘ der Weltraumjäger wahrgenommen wurden, ungeachtet ihrer größeren Zahl, ihrer Bedeutung für die Bodenkämpfe und ihren beeindruckenden Feindflugstatistiken. Kano wusste, dass sie nicht unrecht hatten, war allerdings weder in der Stimmung noch der Verfassung für die internen Rangstreitigkeiten der terranischen Streitkräfte. Sein knapper Hinweis auf seine Verwundung und die zwei von ihm bei diesem Einsatz abgeschossenen Feindmaschinen stimmte die Armeeflieger etwas gnädiger.

Der Rückflug wurde spannender als es Kano gehofft hatte. Nicht, dass feindliche Jäger aufgetaucht wären. Die hatten momentan an anderer Stelle genug zu tun. Und auch die feindliche Bodenabwehr blieb vorerst stumm. Aber selbst unter diesen eigentlich guten Bedingungen war es für den verletzten Piloten Schwerstarbeit, den Jäger in der Luft zu halten. Das Triebwerk lief mit jeder verstreichenden Minute unregelmäßiger, stotterte immer wieder und setzte dann sogar aus, was Kano in einen ziemlich unglücklichen ‚Gleitflug‘ zwang. Zum Glück erwachten die Antriebsdüsen dann wieder zum Leben, aber Kano wusste, dass er nur noch auf geborgte Zeit flog. Er musste so schnell wie möglich landen.
Der Steuerknüppel reagierte immer schwerfälliger und bald konnte er nur mit zusammengebissenen Zähnen und unter Zuhilfenahme beider Hände den Jäger auf Kurs halten. Binnen kurzem war Kano schweißgebadet. Trotz einer reichlichen Dosis Schmerzmittel meldete sich angesichts der Dauerbelastung auch seine Schulter mit einem bohrenden Schmerz, der nach wenigen Augenblicken den ganzen Arm, die Schulter und dann auch Nacken und Rücken erfasste. ‚Die Splitter gingen doch wohl etwas tiefer als gedacht…‘

„Geht es noch, Ohka? Ihre Maschine…“
„Knapp…“, die Stimme des japanischen Piloten klang atemlos: „Wie…weit noch?“
„Drei Minuten bis zur Frontlinie. Dann noch mal zehn bis zum nächsten Notflughafen. Schaffen Sie das?“, in der Stimme des die Jabo-Sektion führenden Lieutenant schwang fast so etwas wie Sorge mit.
„Muss wohl…Flughafen schon Bescheid sagen…wird raue Landung...“
„Machen Sie bloß nicht auf den letzten Metern schlapp, Navy-Junge!“
Kanos Antwort war ein schnaubendes Husten, von dem er selber nicht genau wusste, ob es ein Lachen oder ein Nach-Luft-Schnappen war.

Endlich kam die Frontlinie in Sicht – an dieser Stelle ein eher ruhigerer Abschnitt, an dem es in den letzten Tagen nur Stoßtruppgefechte, sporadische Schusswechsel und gelegentlich ein kurzes Artillerieduell gegeben hatte. Das war allerdings VOR dem Beginn der Operation ‚Markat‘ gewesen. Angesichts einer massierten Luftlandung alliierter Truppen im imperialen Hinterland waren die Akarii jetzt in höchster Alarmbereitschaft. Und als ein halbes Dutzend feindlicher Maschinen auftauchte, eröffneten sie das Feuer.

„Verfluchte Scheiße!“
Es waren überwiegend leichte Waffen: Schnellfeuerlaser, ein paar schultergestützte Boden-Luft-Raketenwerfer, sogar Infanteriewaffen. Aber ihr Feuer lag gut. Die agilen Jagdbomber fächerten blitzartig auf, feuerten Störkörper ab und entgingen so einem Großteil des Feindbeschusses.
Kano allerdings hatte weniger Glück. Seine schwere Maschine mit der deutlichen Rauchschleppe zog den Feindbeschuss geradezu magisch an. Und auch wenn er jetzt den Rest seines Täuschkörper-Bestandes rausjagte, sein Ausweichmanöver gelang reichlich schwerfällig. Und die Panzerung und Schilde der Nighthawk war in einem kaum besseren Zustand als das Triebwerk. Die Maschine wurde gnadenlos durchgeschüttelt und ein Alarm nach dem anderen heulte los und warnte vor dem Ausfall von immer mehr Bordsystemen.
Und dann setzte das Triebwerk schon wieder aus. Erwachte stotternd zum Leben. Verstummte wieder. Sprang wieder an…
„Verdammt…“, Kano wusste, dass es vorbei war. Wenn er Glück hatte, blieben ihm vielleicht noch ein paar Sekunden. ‚Noch…‘
Mit wütend gefletschten Zähnen riss er den Steuerknüppel herum, während der inzwischen fast vertraute Schmerz in seiner Schulter noch stärker aufloderte. Kurz wurde ihm schwarz vor den Augen. Aber mit purer Willenskraft hielt er durch, hielt den Kurs. Gab Vollschub. Eine Sekunde, zwei, drei…
Dann knallte es im Heck der Maschine, das nur noch hustende Triebwerk verstummte endgültig und die Maschine sackte nach unten.
„OHKA, SCHEISSE…!“

Im letzten Augenblick schlug der japanische Pilot auf den Auslöser des Schleudersitzes. Mit einem Knall wurde er aus der in die Tiefe taumelnden Maschine geschleudert, die nur wenige Herzschläge später in einem Feuerball am Boden zerschellte.
Kano bekam das nur am Rande mit, während er von dem sich entfaltenden Fallschirm durchgeschüttelt wurde. ‚Helen wird mit den Kopf abreißen‘, war ein Gedanke. ‚Ich frage mich, ob mir Stafford das in Rechnung stellt?‘ war eingedenk der früheren Worte des Geschwaderchefs der nächste. Das ‚Hoffentlich bin ich auf der richtigen Seite der Front ausgestiegen‘ und ‚Hauptsache, die Imperialen schießen mich nicht aus den Seilen‘ wären eigentlich näher liegende Befürchtungen gewesen, aber seltsamerweise kamen sie ihm erst mit Verspätung in den Sinn.

Aber ob er nun richtig kalkuliert hatte oder die Imperialen gnädig gestimmt waren – Kano blieb von weiterem Feindbeschuss verschont. Vielleicht waren die Akarii auch einfach nicht schnell genug, denn nach nicht mal zehn Sekunden in der Luft knallte der Schleudersitz auf den Erdboden. Auch wenn der stabile Pilotensitz auch für einen solchen Fall konstruiert worden war und der Fallschirm sich fehlerfrei geöffnet hatte, reichte der Aufprall dennoch, um Kano diesmal wirklich das Bewusstsein verlieren zu lassen.

Als er wieder zu sich kam, konnten nur wenige Sekunden vergangen sein, denn hoch am Himmel über ihm sah er einen der Armee-Jagdbomber kreisen und dann mit einem Flügelwackeln abdrehen.
Sich aus den Sitzgurten zu lösen kostete Kano den Großteil der ihm noch verbliebenen Kraftreserven. An Aufstehen oder gar Laufen war nicht zu denken. Dennoch fand er irgendwie die Kraft, zu überprüfen, ob der Signalgeber aktiviert war, der seinen Standort an verbündete Soldaten weitergeben sollte. Der Sender funktionierte.
Dann blieb eigentlich nur noch eines zu tun. Ungeschickt öffnete Kano mit der Linken den an seinem Gürtel befestigten Pistolenholster und zog die Waffe, die zur Standardausrüstung eines Piloten gehörte.
Kurz wurde ihm wieder schwarz vor Augen. Aber jetzt hatte der Schmerz doch etwas Gutes. Er hielt ihn wach. Die Laserpistole in der schwankenden Hand, wartete er. Darauf, welche Uniform die Männer und Frauen tragen würden, die die Absturzstelle erreichten. Wenn denn überhaupt jemand kam. Sein eigener, keuchender Atem klang ungewöhnlich laut in Kanos Ohren…
18.07.2021 18:50 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Gamma-Eridon, wenige Stunden nach Beginn von Operation ‚Markat‘


Imperialer Notflughafen Alek-Zwei, in Landezone Zwei der Operation ‚Markat‘


Der Flughafen brannte. Rauch stieg aus zerschossenen Gebäuden, aus einem Transportschweber, dessen Wrack neben der Landebahn schwelte, aus einem gesprengten Gefechtsstand. Aus einem Schützenpanzer mit Konkordatsabzeichen, der knapp außerhalb des den Flughafen umgebenden Stacheldrahtzaunes auf der Seite lag. Die Luft schmeckte bitter: nach Feuer, verkohltem Kunststoff, heißem Metall. Nach einem plötzlichen, brutalen Tod.
Dennoch gab es Leben. Sogar einige der imperialen Soldaten des Flughafens lebten noch, obwohl die Soldaten der Vierten Sturmdivision nur wenige Gefangene gemacht hatten. Die überlebenden Verteidiger hockten als ein müder, demoralisierter Haufen am Boden, scharf bewacht von schwer bewaffneten alliierten Soldaten.
An anderer Stelle waren weitere Sturmsoldaten damit beschäftigt, die Trümmer des Notflughafens nach versteckten Verteidigern sowie nach verwertbaren Informationen und Material zu durchsuchen. Vor allem aber waren sie unter dem Kommando eines drahtigen menschlichen Colonels dabei – teils mit schwerem Pioniergerät, teils aber auch mit bloßen Händen –, die Landebahnen von Alek-Zwei frei zu räumen. Zwei Kampfpanzer, Schützenpanzerwagen und mehrere Flugabwehrfahrzeuge sicherten die Arbeiten. Außerdem hatte man eine eroberte imperiale Flugabwehrstellung besetzt. Immer wieder gingen die Blicke der Soldatinnen und Soldaten zum Himmel. Wachsam, misstrauisch – aber auch hoffnungsvoll. Denn von dort sollte die nächste Landungswelle kommen. Panzer, Material, schwere Transportfahrzeuge…
All das an Bord von Frachtschiffen, die die Landebahn brauchten um ihre kostbare Fracht ausladen zu können.

Aber das interessierte Lieutenant Marcus nur am Rande. Er hatte drängendere Sorgen, als sich den Kopf über die ‚große Lage‘ oder andere Dinge zu zerbrechen, die sowieso nicht in seiner Hand lagen. Während er einen der zusammengeschossenen Hangars ansteuerte, war er sich unangenehm seines Hinkens bewusst. Die Splitterwunde oberhalb seines Oberschenkels war inzwischen versorgt und genäht worden. Sie war zu unbedeutend, um ihn aus dem Einsatz zu nehmen. Aber sie verlangsamte ihn, und das konnte tödlich sein.
Außerdem war die Verletzung ein Quell ständiger Erheiterung für seine neuen ‚Kollegen‘ von der Spezialeinheit Pashka-Vier. Ganz besonders für die ihm folgende Peshten-Soldatin. Vacani war eine der Technikerinnen und die Fahrerin des Teams. Und im Gegensatz zu ihren meist eher verschlossenen Kameraden wirkte sie manchmal fast geschwätzig, wenn ihre Kommentare und Bemerkungen auch meist von der bissigen Art waren. Aber im Augenblick blieb sie zum Glück stumm. Vermutlich bereitete sie die nächste Breitseite vor.
Der Nachrichtenoffizier duckte sich unter dem schief in seinen Schienen hängenden Tor hindurch: „Da ist es. Was meinst du?“

‚Es‘ war ein vierrädriger Akarii-Radpanzer von der Sorte, die Pashka-Vier vor nur wenigen Stunden noch bekämpft hatte. Es handelte sich um einen ‚armen Bruder‘ des imperialen Chr’Chr- Schützenpanzerwagen. Langsamer, kleiner und leichter bewaffnet, wurde dieses billigere Modell vor allem von Garnisons- und nachrangigen Einheiten verwendet. Das Fahrzeug war mit einem drehbaren Schnellfeuer-Laser und einem koaxialen halbautomatischen Werfer für 50-Millimenter-Granaten ausgestattet. Marcus hatte bereits nähere Bekanntschaft mit diesen Projektilen gemacht, als ihm lieb war.

Die Peshtin ließ sich Zeit und wanderte langsam um das Fahrzeug herum. Als das halbe Dach des Hangars eingebrochen war, hatte auch der Spähpanzer einige Trümmerteile abbekommen. Vacani duckte sich, um die Fahrzeugwanne zu inspizieren, befühlte die beschusssicheren Reifen…: „Hrrm…“
„Ist das abendfüllend? Ich habe was Besseres zu tun, als mir die Beine in den Bauch zu stehen.“
Vacani schnaubte: „Du könntest dich auch einfach hinsetzen.“
Marcus knirschte mit den Zähnen, während Vacani, zufrieden damit einen Punkt erzielt zu haben, mit ihrer Inspektion fortfuhr. Dann richtete sie sich auf: „Etwas eng für unseren Trupp, auch ohne Nik.“

Nik, ein peshtisches Mitglied von Pashka-Vier, hatte das Landungsgefecht nicht überlebt. Einer der vermeintlich nur zweitwertigen imperialen Sicherungssoldaten hatte ihn mit einer Lasersalve mitten in das Visier seines Gefechtshelmes erwischt. Marcus wurde sich der Tatsache bewusst, dass er außer dem Codenamen praktisch nichts von dem kleingewachsenen, stämmigen Kommandosoldaten gewusst hatte. Er war schweigsam gewesen und hatte fast immer einen Streifen Kautabak im Mund gehabt. Ansonsten…
Jetzt begriff er, warum die Kommandosoldaten jeden Neuzugang ihrer Einheit erst einmal generell nur ‚Neuer‘ oder ‚Neue‘ nannten…

„Vielleicht können wir ja einen Schuhlöffel benutzen, damit alle reinpassen.“
Vacani kicherte: „Neuer, du wirst ja richtig witzig, wenn dir jemand in den Hintern schießt. Das ist ja ein ganz neues Talent!“
„Du weißt, was Tai’fal wissen will: Kannst du das Ding fahren?“
„Ich bin von der Pashka-Vier. Ich kann alles fahren.“
Marcus verdrehte die Augen. So etwas hatte kommen müssen. Spezialeinheiten und ihre ‚Wir-schaffen-alles‘-Attitüde…
Dann runzelte er kurz die Stirn. Eigenartig, dass er das bisher nicht gefragt hatte: „Was bedeutet eigentlich Pashka-Vier?“
Die Peshten blinzelte mit ihrem mittleren Auge: „Das weißt du nicht? Ihr Terraner…“
„Mythologie ist nicht so mein Ding.“
„Na wenigstens das weißt du.
Pashka war eine…Bekannte von Cipik Tai’fal.“
„Du willst mir sagen, dass eure Einheit nach der Schnalle eines bisexuellen Trickstergottes mit variablem Geschlecht benannt ist?“
„Na und? Ihr Menschen seid so verklemmt! Außerdem war Pashka schon etwas mehr. Sie war die Einzige, die Cipik jemals bestohlen hat. Und als er von den anderen Göttern verstoßen wurde, da schlich sie in das Heim von Cipiks größtem Feind und…“, eine schneidende Handbewegung, „…sagen wir es so, der konnte anschließend keine Kinder mehr zeugen.“
Marcus schnaubte amüsiert. Dann erinnerte er sich, was über einige irdische Götter für Geschichten im Umlauf waren, und sparte sich eine Bemerkung: „O. K., das macht Sinn.“
„Du weißt gar nicht, was mir das bedeutet. Und die Ziffer Vier: Wir sind das vierte Team von insgesamt 20.“
„Nicht gerade reichlich.“
„Nein, mit Ausbildungs-, Logistik-, Reserve- und Transportkontingent kommen wir nur auf unter 500. Aber im Konkordat setzen wir lieber auf Klasse als auf Masse.“

Da war sich Marcus nicht so sicher, wenn er sich die Vielzahl der peshtischen Spezialeinheiten vergegenwärtigte, die von der Navy, der Armee über das Innenministerium bis hin zum Finanz- und dem Kultur-/Religionsministerium unterhalten wurden. Von den diversen Nachrichtendiensten ganz zu schweigen.
Vermutlich hatte es eher mit der sehr…komplexen politischen Situation im Konkordat zu tun.

„Sie sind also die Bande, die meinen Panzer stehlen will.“
Lieutenant Marcus drehte sich um. Der schleifende Unterton in der rauen Stimme und ein Blick auf den Neuankömmling veranlassten ihn, sich die bissige Antwort zu verkneifen, die ihm auf der Zunge lag. Der Offizier überragte in seiner rußgeschwärzten Infanteriepanzerung auch ohne Helm Marcus um einen halben Kopf und war fast doppelt so breit. Die hellblonden Haare trug er kurzgeschoren und die blassblauen, kalten Augen wirkten einschüchternd.
Vacani ließ sich allerdings nicht beeindrucken: „Der Befehl kam von ganz oben. Also entspannen Sie sich Sturm-Colonel, dann tut’s auch nicht so weh.“
Der Infanterieoffizier schnaubte nur mäßig amüsiert: „Ich denke, Sie schulden uns trotzdem etwas. Immerhin haben wir diesen verdammten Flughafen gestürmt.“
„Und was? Wollen Sie, dass ich ihren Leuten zur Hand gehe…“, die Geste der Kommandosoldatin war reichlich rüde. Die schmalen Lippen des Colonels zuckten: „Ich dachte eher an eine etwas…praktischere Belohnung für meine Leute. Sie haben doch heute früh ein paar imperiale Raketenwerfer erbeutet.“
Die Kommandosoldatin musterte ihren Gegenüber ein paar Augenblicke, dann seufzte sie: „Aber nur, wenn Sie mir bei dem Werkzeug für dieses Baby hier helfen. Und wir brauchen Granaten. Wenn möglich imperiale 50-Millimeter, aber zur Not kann ich auch auf unsere 40er umrohren. Und Treibstoff – und zwar das gute, imperiale Zeug. Nicht den Mist, den wir verwenden. Sonst säuft mir der Motor noch mitten auf der Piste ab.“
„Ganz schön unbescheiden.“
„Wir können noch Taki-Fleisch, Tabak und Schokolade auf unseren Teil des Handels drauflegen.“
„Das Taki können Sie behalten, da haben wir erst eben einen ganzen Konservenstapel gefunden. Aber wir nehmen die Schokolade und den Tabak.“
„Deal. Neuer…“
„Aber…“
„Mach mir das Leben nicht schwer! Sag Tai’fal Bescheid, er soll das gute Zeug zu den Schlammhüpfern schaffen lassen.“
„Immer ein Vergnügen, mit den Spezialeinheiten ein Geschäft zu machen.“
„Immer ein Vergnügen, euch den Weg freizumachen.“
Der Commander schnaubte noch einmal und ging weg.
Vacani beugte sich wieder unter die Motorluke des Radpanzers: „Unsere Selbstmordmission entwickelt sich zu einer ziemlich teuren Angelegenheit.“
„Passt dir der Auftrag nicht? Ich dachte, du bist froh, von der Vierten weg zu sein. Die Marschkolonne wird ein einziges wanderndes Ziel für die Imperialen sein. Nicht gerade die Sorte Krieg, die nach eurem Geschmack sein dürfte.“
„Ach…Mensch. Du bist noch nicht mal eine Woche bei uns…“
„Auf dem Planeten bin ich schon ein bisschen länger…“
„Was weißt du schon von unserer Sorte Krieg? Und hundert Klicks durch feindliches Gelände zu gondeln, immer in der Hoffnung, dass uns nicht die eigenen Leute zusammenballern? Und wenn wir auf eine imperiale Sperrstellung stoßen? Wir haben Taku-Taku und Dreeh, um die Imperialen in die Irre zu führen. Aber wenn die es nicht schaffen, unsere ‚Kollegen‘ zu beschwatzen und die mal einen Blick IN den Panzer werfen...
Du gibst einen echt lausigen Akarii ab.
Und wozu das alles?“
„Du warst bei der Einsatzbesprechung dabei. Gelände und Marschroute erkunden, Kontakt mit der Guerilla herstellen, ihren Angriff auf Arta’Rijen koordinieren und unterstützen.“
„Und müssen wir diesen ‚Freiheitskämpfern‘ vielleicht auch noch den Hintern abwischen?“

Die offene Verachtung der Paska-Vier-Kämpfer für die lokale Guerilla hatte Lieutenant Marcus etwas überrascht. Natürlich, die Spezieleinheitler bildeten sich ein, dass eigentlich nur sie es verstanden, den Krieg ‚richtig‘ zu führen und alle anderen Waffengattungen bestenfalls wohlmeinende Amateure waren. Und bei den T’rr und Akarii der Einheit mochte vielleicht auch ein gewisses wechselseitiges Misstrauen und ein latenter Rassismus eine Rolle spielen. Allerdings waren die peshtischen Mitglieder von Pashka-Vier keinen Deut besser. Vermutlich lag es an dem generell angespannten Verhältnis zwischen Guerilla und Spezialeinheiten.

„Du kannst bei den Schlammkriechern mal etwas Druck machen, dass ich den Treibstoff und das Werkzeug noch heute brauche. Bevor die Akarii dieses Gebiet mit einer Stecknadel auf ihren Artilleriezielkarten markieren.“
„Genau das werde ich ihnen sagen.“
Vacani kicherte kurz: „Das würde ich gerne hören. Und sag den anderen Bescheid, dass wir in zwei Stunden abrücken können. Wenn ich mein Material bekomme. Tai’fal kann ruhig auch etwas Druck machen. Wir sollten bei Anbruch der Dunkelheit unterwegs sein.
Noch Fragen?“
„Nur eine. Der Flughafen hier, der heißt doch Alek-Zwei.“
„Und?“
„Hast du eine Ahnung, was aus Nummer Eins geworden ist?“
Markus wartete die Antwort nicht ab, sondern machte sich auf den Weg. Er behielt seine Kameradin allerdings im Auge. Deshalb konnte er auch trotz seines leichten Hinkens der Schraube ausweichen, die sie ihm hinterherwarf.



***


Vereinigtes Hauptquartier der 17. und 22. Heeresgruppe der imperialen Armee

Inzwischen war es fast vier Stunden her, dass erste Meldungen über im imperialen Hinterland landende alliierte Einheiten eingegangen waren. Seitdem war keiner der anwesenden Kommunikationsoffiziere zu Atem gekommen. In der Kommandozentrale herrschte die Atmosphäre eines Insektenstocks, den jemand mit einem Stein zerstört hatte.
„NEIN, ich will Generalin Jeron sprechen!“
„Dann versuchen Sie es noch mal!“
„Kommen wir jetzt durch…“
„ Nein verdammt! General Bû!“
„Ich brauche Meldung von den Jägern…“
„Wie viele! Sind Sie sicher? Also gut, ich wiederhole…“
Inmitten dieses Chaos – und es gleichzeitig ignorierend – beugte sich der Oberkommandierende der imperialen Streitkräfte auf dem Planeten über einen Holo-Tisch. Unterstützt von den Berichten seiner Stabsoffiziere zeichnete sich nach und nach ein aktuelles Lagebild ab. Es war kein schönes Bild…

„Inzwischen können wir es als gesichert ansehen, dass der Feind die gesamte 4. Sturmdivision sowie Unterstützungsverbände hinter unseren Linien abgesetzt hat. Da jetzt die Einnahme des Notflughafen Alek-Zwei bestätigt wurde, haben die Alliierten auch eine Möglichkeit, weitere Verstärkung und schweres Gerät zu landen. Oder es wieder zu verladen.“
„Die Vierte wird wohl kaum einfach wieder einpacken und abfliegen.“
„Die feindliche Landezone erstreckt sich nach bisherigen Schätzungen über eine Fläche von mindestens zwanzig Quadratkilometern, mit zwei, möglicherweise drei Schwerpunkten hier, hier und hier. Dem Feind ist es anscheinend auch gelungen, Kontakt zwischen den verschiedenen Absatzpunkten herzustellen.“ Ein vage dreieckiges Stück Landschaft färbte sich rot: „Es gibt unbestätigte Berichte, dass sich der Feind in Bewegung gesetzt hat und seine Truppen zusammenzieht.“
Der Generaloberst nickte: „Feindliche Luftsicherung?“
„Ist sehr stark. Offenbar setzen die Alliierten ihre Reserven ein und nehmen dabei in Kauf, den Luftabwehrschirm an anderen Stellen zu schwächen. Feindliche Atmosphärenflieger und atmosphärentaugliche Raummaschinen sicherten die Landung und führten konzentrierte Luftschläge gegen nahe gelegene Kommunikations- und Transportknotenpunkte sowie Flugfelder, Truppenansammlungen und Nachschubbasen durch. Sie werden dabei durch Fern- beziehungsweise Raketenartillerie sowohl von den alliierten Hauptstreitkräften als auch den gelandeten Verbänden unterstützt. Diese massierten Angriffe führten zu hohen Verlusten unserer Jagd- und Kampffliegerverbände. In Kombination mit der Notwendigkeit, Flieger von durch Beschuss oder feindliche Luftlandetruppen bedrohten Flugplätzen auf sichere Ausweichfelder zu verlegen, verschafft dies den Alliierten eine temporäre Luftüberlegenheit. Aber wir verlegen bereits zusätzliche Flugabwehreinheiten und Reserveflieger in das Kampfgebiet.“
„Wie sieht es auf dem Boden aus?“
„Bei den im Kampfgebiet bisher stationierten Einheiten handelt es sich überwiegend um Sicherungs- und nachrangige Einheiten in Kompanie- und Bataillonsstärke und ohne schwerere Waffen. Darüber hinaus…“
„Sie können es ganz offen sagen. Die Alliierten haben uns mit heruntergelassenen Hosen erwischt.“
„Äh…so könnte man es ausdrücken.“
„Also müssen wir zusehen, wie wir aus diesem Durcheinander schlagkräftige Einheiten formen und die Initiative wieder zurückgewinnen können.
Ich will, dass alle verfügbaren Kräfte in Marsch gesetzt werden: Reservetruppen, Sicherungsverbände, wiederauffrischende Einheiten. Jeder Mann und jede Frau, die ein Geschütz richten oder eine Waffe halten kann. Vor allem Panzer. Wie ich sehe haben wir…hier zwei Kompanien des 3. Schweren Regiments und…dort ein auffrischendes gepanzertes Bataillon der Marineinfanterie. Führen Sie die Verbände zusammen – hier. Und dann sollen sie angreifen. Ich will Luft- und Artillerieschläge auf die Landezonen – besonders auf Alek-Zwei. Die Alliierten dürfen diesen Flughafen nicht zu ihrer Nachschubbasis machen. Die Koordinaten haben wir ja.“
„Da wir unsere Luftverbände und Artillerieeinheiten erst umdirigieren müssen und angesichts der feindlichen Luft- und Artillerieschläge…“
„Ich weiß, dass es nicht einfach wird. Aber ich will nicht wissen, wie schwer es ist. Nur, dass es erledigt wird.“
„Die Koordination und Heranführung von Verbänden wird dadurch erschwert, dass aus dem weiträumigen Umfeld der Landezone zahlreiche Meldungen von Feuerüberfällen, Sprengstoffanschlägen und Sabotageaktionen gehen ein. Möglicherweise handelt es sich um versprengte Luftlandetruppen…“
„Vermutlich eher Guerillas und Spezialeinheiten. Ich habe mich schon gewundert, warum die in den letzten Tagen so ruhig waren.“, korrigierte Generaloberst Tyrosch Anwhar abwesend: „Was gibt es für Neuigkeiten von der Hauptfront?“
„Äh…Generalin Jerons Vorstoß jenseits der Bekat-Sümpfe läuft weiter nach Zeitplan. Sie lässt anfragen, ob sie den Angriff fortsetzen soll und erbittet weitere Verstärkung. Die Truppen von General Bû mussten den Vormarsch zeitweilig einstellen. Er versichert…“
„Davon bin ich überzeugt. Aber ich fürchte, ich brauche die ‚Herolde des Todes‘ an einer anderen Stelle. Geben Sie an Jeron weiter, dass sie weiter angreifen soll und Verstärkung auf dem Weg ist.“
„Aber…welche Verstärkung? Wir brauchen die Reserven…“
„Um die Luftlandetruppen zu stoppen, ich weiß. Deshalb soll Bû vorerst in die Verteidigung übergehen und sich eingraben. Vorerst nur Vorstöße in Stoßtruppstärke und Störfeuer. Leiten Sie seine Panzerverbände zu Jerons Imperialen Rangers um. Kein Sinn, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, wenn wir an anderer Stelle schon die Tür eingetreten haben.
Gibt es Neuigkeiten vom Rest von Horoks 30. Korps?“
Diesmal kam die Antwort von der Vertreterin des Heeresnachrichtendienstes: „Wir haben Funksprüche der 13. und 20. Sturm- sowie der 40. Mobilbrigade hinter der feindlichen Hauptfront aufgefangen. Dazu kommen Meldungen, dass unsere vorrückenden Truppen wiederholt Fahrzeuge und Ausrüstungskisten mit entsprechenden Markierungen gefunden oder gesichtet haben. Aber nicht in großer Zahl.
Das, in Kombination mit einer in mehreren teilentschlüsselten Funksprüchen erwähnten ‚Roten Linie‘, lässt uns vermuten, dass Horoks übrige Verbände als Reserve für den Notfall zurückbehalten werden. Möglicherweise für eine Gegenoffensive gegen unsere Angriffsfront.“
„So, das vermuten Sie…“, der Generaloberst klang nicht wirklich überzeugt.
„Nun, sie werden kaum versuchen, die Brigaden auf dem Luftweg zu den in unserem Hinterland gelandeten Einheiten des 30. Korps zu verlegen. Dazu fehlt ihnen die Transportkapazität.“
„Wahrscheinlich. Hm…“, der Oberbefehlshaber musterte noch einmal skeptisch den Frontverlauf, hinter dem wie eine hässliche, blutende Wunde das von den feindlichen Luftlandetruppen besetzte Gebiet verzeichnet war. Und er zeichnete mit der Hand nachdenklich die in den letzten zwei Wochen erzielten Gebietsgewinne nach, die einen tiefen Keil in das peshtische Hinterland getrieben hatten: „Die entscheidende Frage ist natürlich, was hat Tesh’tas Vierte Sturmdivision vor? Sie können wohl kaum bleiben, wo sie sind. Dazu stehen sie zu weit in unserem Hinterland und das Gelände ist nicht gerade günstig für eine Rundumverteidigung. Selbst mit dem eroberten Flughafen wird ihr Nachschub bald knapp. Also…“, er überlegte kurz.
„Sie werden sich zu ihren eigenen Linien durschlagen.“, kam es von einem der Offiziere.
„Oder der Stoßrichtung einer von der alliierten Hauptfront gestarteten Offensive entgegenmarschieren. Also brauchen wir Informationen, wo sie hinwollen. Wir brauchen verlässlichere Luftbilder. Sehen Sie zu, welche unserer Satelliten in einer günstigen Position sind. Und wenn die Luftlage zu riskant für Aufklärungsflugzeuge ist, dann setzen Sie Drohnen ein. Ein paar Gefangene wären auch nicht schlecht. Geben Sie das an die Fronttruppen weiter.
Und machen Sie noch mal Druck bei Admiralin Morr. Wir brauchen diese Verstärkung – und das schnell!“

Auch wenn Generaloberst Tyrosch Anwhar es nicht wusste, waren die meisten der in der Nähe der Luftlandetruppen stationierten imperialen Verbände bereits dabei, einen seiner Befehle zu erfüllen. Ob Marineinfanterie oder Heer: ihrer Erfahrung und den Traditionen der imperialen Streitkräfte folgend, leerten sie Munitions- und Nachschublager, tankten ihre Fahrzeuge auf und setzten sich in die Richtung in Marsch, die ihnen der Kampflärm und die fernen Rauch- und Staubsäulen der Schlacht wiesen. Sie schossen sich mit Guerillas, Spezialeinheiten und einzelnen Versprengten der Luftlandetruppen herum, bildeten Widerstandnester und griffen in immer stärkerer Zahl die alliierten Landezonen an. Das Imperium setzte zum Gegenschlag an.


***

Imperiales Flottenhauptquartier im Gamma-Eridon Sektor


„Bericht.“
„Inzwischen wurde bestätigt, dass die Alliierten eine massive Landungsoperation hinter den Linien unserer Bodentruppen durchgeführt haben. Offenbar haben sie die gesamte 4. Sturmdivision auf den Boden gebracht. Generaloberst Tyrosh Anwhar verlangt…“
Admiralin Pherci Morr schnaufte ungnädig. Ihr scharf formulierter Vorschlag, was der General mit seiner Forderung machen könne, war anatomisch unmöglich aber eindeutig genug, um ihren Untergebenen verstummen zu lassen. Normalerweise befleißigte sich die Befehlshaberin des im Gamma-Eridon operierenden Flottenverbandes des Imperiums einer gewählteren Ausdrucksweise: „Ich weiß, was er will. Soldaten, Geschütze, Munition und Panzer. Und da wir schon dabei sind, sollen wir vermutlich auch noch den TSN-Träger wegpusten, der über Gamma-Eridon hängt.“ Morr fügte noch ein paar ausgewählte Flüche hinzu.
Unter anderen Umständen hätte sie es fast amüsant gefunden, wie Tyrosch Anwhar, den einige übereifrige Propagandisten schon als den nächsten Maktakaleluta präsentiert hatten, von der alliierten Landung überrascht worden war. Sie gönnte es dem alten Fossil, das sich immer so erhaben über der Politik dünkte, dass er etwas zurechtgestutzt wurde. Allerdings nicht zu diesen Kosten…
Außerdem wusste sie natürlich auch, wie das laufen würde. Falls die tollkühne alliierte Landung tatsächlich glücken und Tyroschs Offensive stoppen sollte, dann würde die Armee die Schuld für ihr Versagen auf die Flotte abzuwälzen. Denn die hatte es nicht geschafft, den feindlichen Landungsverband auf seinem Marsch nach Gamma-Eridon zu stoppen oder zu vernichten. Sie hatte den ‚heldenhaft kämpfenden‘ Armeeeinheiten viel zu wenig Unterstützung geleistet, nicht genug Nachschub und Verstärkung durch die feindliche Blockade gebracht. Und so weiter. ‚Aber nicht mit mir!‘

„Wie schnell könnten wir einen Konvoi losschicken? Und wie viele Schiffe Begleitschutz haben wir zur Verfügung?“
Morrs Stabschef wirkte nicht zufrieden. „Nach den Schäden bei unserer letzten Geleitoperation und bei dem Ablenkungsangriff, als wir die Jagdbomber durch die feindliche Überwachung geschleust haben…
Neben Ihrem Flaggschiff, dem Flugdeckkreuzer TURAM, können wir eine knappe Kreuzerdivision freistellen: drei Schwere und einen Leichten Kreuzer. Mehr, und wir riskieren, die Verteidigung des Sprungpunktes und unserer Station zu stark zu schwächen.
An leichten Einheiten…acht Zerstörer und Fregatten sowie sechs Korvetten, auch wenn die eher für Geleitaufgaben geeignet sind.“
„Nicht eben üppig, nachdem die Terraner jetzt einen Flottenträger hierher verlegt haben. Wenigstens hat die COLUMBIA nur wenige Kreuzer als Unterstützung. Aber sie können uns immer noch bequem mit ihren Bombern und Jagdbombern dezimieren, bevor wir in Schlagweite sind.“
„Was das angeht…wir haben immer noch die GALAS.“
„Einen Hilfsträger? Da werden sich die Terraner aber fürchten.“
„Und wir haben Nachricht erhalten, dass in acht Stunden die ASHIGACO ins System springen wird. Das ist…“
„Ich weiß, dass das einer unserer neuen Leichten Träger ist. Es wäre fantastisch, wenn uns das Oberkommando diese Verstärkung schon etwas früher geschickt hätte. Dann wäre dieser verdammte Landungsverband vielleicht gar nicht erst durchgekommen.
Na gut. Damit kommen wir auf wieviel…knapp acht Staffeln Kampfflieger?“
„In der Tat. Aber nur zwei Schwadronen können Atomwaffen tragen. Und auch das sind nur Jagdbomber. Unsere Schnellboote…“
„Nein, die verbliebenen will ich als Sicherung unserer Sprungpunkt-Station. Es nutzt uns nichts, wenn wir den Konvoi durchbringen und die Alliierten uns dafür in diesem System abschneiden.“ Morr hasste es, unter Druck gesetzt zu werden, aber sie hatte keine Wahl. Die Flotte MUSSTE Generaloberst Tyrosch Anwhar zu Hilfe kommen. Oder es zumindest versuchen.

„Wie sieht es mit den Transportern aus? Und haben wir überhaupt genug Material, um sie zu füllen?“ Mit Anlaufen von Tyroschs Offensive war auch die Nachschubmenge größer geworden, die nach Gamma-Eridon geliefert wurde. NOCH etwas, dass das Oberkommando schon deutlich früher hätte in die Wege leiten müssen. ‚Aber die Idioten in Pan’chra waren viel zu beschäftigt, sich um den leeren Thron zu raufen.‘ Das war nur ein Grund, warum Prinz Jors Tod eine Katastrophe gewesen war. Nicht nur, dass sich jetzt all die Ex-Frondeure, die vom Prinzen abgeschobenen Bürgerlichen und ähnliche Gestalten wieder in der Flotte breit machten. Der Streit um den Thron und die Machtspielchen der Thronprätendenten und ihrer Anhänger sorgten auch für reichlich Sand im Getriebe der Streitkräfte. ‚Man hätte diese Verräter erschießen sollen.‘ Stattdessen musste Morr jetzt sogar mit ihnen ZUSAMMENARBEITEN. Und konnte nur hoffen, dass sie den Säuberungen nicht zum Opfer fiel, die vermutlich spätestens dann anstanden, wenn sich einer der Prätendenten durchsetzte. Wenn Jor doch einen Sohn oder sein Vater Eliak statt einer Prinzessin noch einen weiteren männlichen Nachfahren gehabt hätte…

„Transporter haben wir genug. Was Truppen angeht, können wir etwas mehr als 8.000 Mann mobilisieren. In zwei Wochen können es fast doppelt so viel sein, wenn die zusätzlich versprochenen Kontingente eintreffen.“
„Wir haben keine zwei Wochen. Ich weiß nicht mal, ob wir zwei TAGE haben.“
„Was die Kampferfahrung der Soldaten angeht…“
„Ich weiß.“ Zu viele der auf die Verlegung nach Gamma-Eridon wartenden Soldaten waren junge Rekruten. Oder sie waren beim Auskämmen von Nachschubs-, Garnisons- und Sicherungseinheiten im Rechen hängengeblieben. Morr hatte sogar angeordnet, die Marines-Kontingente ihrer Kriegsschiffe für einen Bodeneinsatz zusammenzuziehen. ‚Wir pfeifen wirklich aus dem letzten Loch…‘
„Wie sieht es mit schweren Waffen aus?“
„Etwas besser – wir können genug Panzer für fast zwei komplette Regimenter verlegen. Bei Artillerie- und Flakpanzern sieht es leider schlecht aus und Transportpanzer haben wir nicht einmal genug für die Hälfte der Soldaten. Dazu kommen fünfzig Atmosphärenmaschinen und zwanzig Raumjäger. Aber nur ein knappes Dutzend Piloten. Auch da warten wir noch…“
„Können wir nicht. Munition, Raketen und so weiter…“
„Leider nicht viel mehr als das Kontingent, das wir ohnehin mit dem nächsten Konvoi schicken wollten. Das gleiche gilt für den Treibstoff. Die Produktion auf Gamma-Eridon selber wurde zwar in den letzten Monaten gesteigert…“
„Machen Sie unseren Logistikern noch mal klar, dass es nichts bringt, wenn unsere Streitkräfte auf dem Trockenen liegenbleiben.“
„Immerhin konnte die Armee mehrere Nachschublager des Feindes erobern…“
„Das minderwertige Zeug? Na ja, das ist nicht mein Problem. Und wir können ohnehin nicht viel länger warten. Sonst können wir es uns auch gleich sparen, abzulegen.“

Kurz überlegte Morr, ob das nicht vielleicht das Beste wäre. Sie hatte der feindlichen Kommandeurin noch nicht im Kampf gegenübergestanden. Aber sie war sich nicht sicher, ob sie Admiral Tarans Kunststück wiederholen und Girad ausmanövrieren konnte. ‚Auch wenn der nur ein verdammter Frondeur ist.‘
Es wäre zu schön, wenn sie Girad den Rest geben und damit diesen Jungspund Taran zurechtweisen würde, der es durch irgendwelche Hinterzimmerdeals geschafft hatte, aus der Verbannung in den Flottenstab aufzusteigen. Aber Taran hatte zwei vollwertige Flottenträger zur Verfügung gehabt…
„Die Operation muss in spätestens zwanzig Stunden anlaufen. Wir haben also nicht viel Zeit. Ich will einen fertigen Einsatzplan in zwölf Stunden. Inklusive Operativmöglichkeiten für die zurückbleibenden Sicherungsverbände. Sie müssen Ablenkungsangriffe gegen die alliierte Perimetersicherheit starten. Der Feind darf erst im letzten Augenblick erkennen, wo wir seinen Überwachungsschirm durchbrechen…“
25.07.2021 07:01 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Gamma-Eridon, kurz hinter der imperialen Front, etliche Stunden nach Beginn der Operation ‚Markat‘


Der Schlag erwischte Kano direkt in der Magengrube. Da er an seinen Stuhl gefesselt war, konnte er auch nicht ausweichen. Nur versuchen, die Muskeln anzuspannen um dem Hieb etwas von seiner Wucht zu nehmen. Der Schlag war dennoch stark genug, um ihn nach Luft japsend in den Fesseln nach vorne kippen zu lassen. Der japanische Pilot würgte und schmeckte saure Magenflüssigkeit in seiner Kehle, schaffte es aber, den Würgereflex zu unterdrücken. Seine Stimme klang rau und schwankend: „Lieutenant Commander…Kano Nakakura…Dienstnummer….“
Da traf ihn schon der nächste Schlag an genau derselben Stelle. Und diesmal konnte er den Würgereiz nicht mehr unterdrücken und erbrach sich über die verdreckten Reste des Raumanzug-Unterzeugs.

Als er wenige Stunden zuvor aus einer kurzen, durch Erschöpfung und Blutverlust verursachten Ohnmacht erwacht war und in die Mündung eines Laserkarabiners starrte, den ihm ein nervöser imperialer Soldat ins Gesicht streckte, hatte er gewusst, dass er in großen Schwierigkeiten steckte.
Vermutlich hatte er es den Geschwader- und Offiziersabzeichen auf seinem Pilotenanzug zu verdanken, dass man ihn nicht einfach sofort abknallte. Es gab mehr als genug Gerüchte, gerade was den imperialen Umgang mit verwundeten Gegnern betraf. Aber wahrscheinlich fingen die Akarii auch nicht jeden Tag einen Staffelchef eines Elitegeschwaders.
Nachdem die imperialen Infanteristen ihn ziemlich ruppig aus seinem Schutzanzug gepellt, durchsucht und dann unter scharfer Bewachung zu ihrem Kommandoposten geführt hatten, fand er sich kurz darauf in einem Feldlazarett wieder, wo seine Wunde notdürftig versorgt wurde.
Der imperiale Arzt hatte keine zwei Worte mit ihm gewechselt. Stattdessen hatte er ihm eine Kanüle in den Arm gerammt, an die erst ein Blutbeutel und später eine Kochsalzlösung angeschlossen wurde und ihm etwas gespritzt, was wie Kano hoffte ein Breitbandantibiotikum war. Immerhin war es beruhigend, dass die Imperialen gewisse wenn auch offenbar sehr knapp bemessene Vorräte für die Behandlung von Nicht-Akarii bereithielten. Dann hatte der Arzt die Wunde gesäubert, desinfiziert und genäht. Den Piloten zu betäuben hatte er dafür anscheinend nicht für notwendig gehalten, oder er wollte Schmerzmittel sparen. Schon da wäre Kano beinahe wieder in Ohnmacht gefallen, aber er hatte sich die Lippen blutig gebissen und durchgehalten. Das hatte ihm etwas wie ein beifälliges Nicken eingebracht. Aber bevor er auch nur daran denken konnte, vielleicht eine Frage zu stellen, waren zwei breitschultrige Infanteristen aufgetaucht, die ihn ohne ein weiteres Wort gepackt und HIERHER gebracht hatten. Und dann…

„Sind weitere Angriffswellen geplant? Was ist das Ziel der Luftlandungen? Welche Objekte und Koordinaten soll Ihr Geschwader angreifen?“, die Stimme, die aus den auf dem vor ihm stehenden Tisch befestigen Lautsprechern drang, klang irritierend emotionslos, während sie wieder und wieder dieselben Fragen stellte.
Die Kano wieder und wieder auf dieselbe Art und Weise beantwortete: „Lieutenant Commander Kano Nakakura…Dienst…“.
Diesmal erwischte ihn der Schlag am Kinn und schleuderte seinen Kopf zur Seite. Hustend spuckte er Blut, Speichel und Reste von Erbrochenem auf den Boden.
Die auf der anderen Seite des Tischs sitzende Akarii-Offizierin sah irritiert auf und herrschte ihren übereifrigen Untergebenen kurz an. Vielleicht ging es darum, dass der Gefangene die Fragen wohl kaum mit gebrochenem Kiefer beantworten konnte.
Ein paar Minuten geschah gar nichts, war Kanos keuchender Atem das einzige Geräusch in dem kleinen Raum, der ungefähr die Hälfte eines ‚umgewidmeten‘ Transportcontainers einnahm. Dann stieß die ihm gegenübersitzende Lieutenant zischend die Luft aus, mit einem Geräusch, das irritierend einem menschlichen Seufzen ähnelte. Die imperiale Offizierin tippte an das Gerät, das an ihrer linken Gesichtshälfte befestigt war. Ihre nächsten Worte wurden in fehlerfreies wenn auch emotionsloses Englisch übersetzt: „Warum machen Sie es sich so schwer? Sie wissen schon, dass Sie irgendwann reden werden.“

Sie hatte Recht. Ganz egal, was die Unterhaltungsmedien behaupteten, letztlich hatte jeder – oder zumindest fast jeder – seine Bruchstelle. Und Kano war nicht so überheblich zu glauben, dass er da eine Ausnahme bildete.
‚Ich hätte mich gar nicht erst gefangen nehmen lassen sollen…‘
Das Gefühl des Versagens war fast so schlimm wie der immer noch in seiner Schulter tobende Schmerz – wenn auch nicht so schmerzhaft wie die Prügel, die er in den letzten Minuten bezogen hatte. Wäre er nicht nach seiner Notlandung in Ohnmacht gefallen, dann wäre es seine Pflicht gewesen, sich bis zum letzten Atemzug mit seiner Laserpistole zu verteidigen, die nun den Gürtel eines imperialen Soldaten schmückte. Und nach seiner Gefangennahme…andere hätten die Stärke aufgebracht, sich die Zunge abzubeißen, um am eigenen Blut zu ersticken. Oder einen von vorneherein zum Tode verurteilten Fluchtversuch unternommen.
Aber dazu hatte Kano weder die Kraft noch den Mut aufgebracht. Egal, was er seit seiner Kindheit als Ideal angesehen hatte, er wollte leben. Er wollte zu seiner Familie zurückkehren und zu Helen.
Und dennoch…wenn er schon zu feige war, die logische Konsequenz aus seiner Lage zu ziehen, so konnte er doch auch nicht klein beigeben. Wenn er schon nicht dem Vorbild seiner Vorfahren gerecht werden konnte, die den Tod der Kapitulation vorgezogen hatten, dann musste er doch wenigstens dies versuchen. Durchalten, solange er konnte. Und deshalb wiederholte er erneut, wie eine auf endlos geschaltete Aufnahme, dieselben Worte, wie ein Mantra, das ihm die Kraft gab: „Lieutenant…Commander…“
„Jaja, das hatten wir schon.“, die Verhöroffizierin winkte ab, während sie die Gegenstände musterte, die auf dem Tisch vor ihr ausgebreitet waren. Sie fischte etwas aus Kanos spärlichen Besitztümern und hielt es ihm hin. Der Pilot biss sich auf die Lippen und schmeckte Blut. Es war sein Verlobungsring, den er als ‚Glücksbringer‘ unter dem Anzug getragen hatte.
„Das gehört…wem? Frau, Freundin, Freund?“
Kano gab keine Antwort. Er fürchtete, wenn er erst mal mit der Akarii-Offizierin zu reden begann, würde er vielleicht nicht in der Lage sein, zu stoppen. Es wäre so einfach gewesen, nachzugeben.
„Wer es auch ist, Sie wissen, dass es ganz alleine bei Ihnen liegt, wann oder wie es für Sie ein Wiedersehen gibt. Oder in was für einem Zustand Sie dann sein werden.“
Kano schüttelte mühsam den Kopf. Er durfte sich nicht auf die Spielchen der Akarii einlassen: „Lieutenant Commander…“
Die Offizierin schüttelte den Kopf. Eine flüchtige Handbewegung und der nächste Schlag traf Kano ins Gesicht. Er war nicht mal besonders kraftvoll – mehr eine heftige Ohrfeige, als ein richtiger Hieb. Aber er war stark genug, um den japanischen Piloten verstummen zu lassen.
„Sie vergeuden meine Zeit.“
Diesmal blieb Kano stumm, aber anscheinend erwartete seine namenlose Gegenüber auch erst einmal keine Antwort. Stattdessen fuhr sie fort, Kanos Besitztümer durchzusehen. Jetzt hob sie mit spitzen Fingern das Hachimaki hoch, das Kano unter dem Helm getragen hatte. Das weiße Tuch mit der roten Sonne zwischen Daumen und Zeigefinger haltend, drehte sie das Stirnband ein paar Augenblicke hin und her, um es dann achtlos auf den Boden zu werfen.
Wieder musste Kano sich auf die Lippen beißen. Jetzt war er dankbar für die über Jahre antrainierte Fähigkeit, Gefühle und Emotionen unter einer ausdrucklosen Maske zu verbergen.
Noch einmal stieß die Akarii dieses seltsame zischende Seufzen aus, als hätte sie das alles schon dutzendfach erlebt und sei es gründlich leid: „Also noch einmal…“

*

Eine Stunde später

Kano hätte nicht damit gerechnet, den imperialen Doktor so schnell wiederzusehen. Dieser allerdings wirkte kaum überrascht, insoweit Kano in dem fremdartigen Aliengesicht lesen konnte. Außerdem war er offenbar wenig erfreut. Während er die Abschürfungen, Platzwunden und blauen Flecke examinierte, die seit ihrer letzten Begegnung dazugekommen waren, zischte er irgendetwas vage unfreundlich Klingendes in die Richtung von Kanos Bewachern. Einer der Soldaten antwortete mit ein paar eher beiläufig klingenden Worten, was der Mediziner mit einem Schnaufen quittierte.
Dann trat der Arzt zurück und nickte den beiden Soldaten knapp zu. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, zerrten sie Kano auf die Beine und bugsierten ihn nach draußen. Nur wenige der Soldatinnen und Soldaten in der kleinen Basis warfen dem Trio einen zweiten Blick zu.
Halb geschoben, falls getragen, fand sich Kano nur wenige Augenblicke später auf der Ladefläche eines Transportwagens wieder, eingezwängt zwischen einen Haufen Kisten.
Die Akarii waren offenbar nicht gewillt, ein Risiko einzugehen: Nicht nur, dass sie die Hände des japanischen Piloten an eine Verstrebung des Wagenkastens banden, außer ihm nahm auch noch einer seiner Bewacher auf der Ladefläche Platz, einen Laserkarabiner auf den Knien. Als der Wagen in einer Staubwolke anfuhr, erinnerte sich Kano an die letzten, eher beiläufigen Worte der Verhöroffizierin: „Bilden Sie sich nichts darauf ein, stumm geblieben zu sein. Sie mögen vielleicht jetzt nichts gesagt haben, aber nur weil mir die Zeit fehlt. Das alles hier…das war noch gar nichts, Lieutenant Commander Nakakura. Nur ein Vorgeschmack. Wo Sie hingehen, da werden ganz andere Saiten aufgezogen.“
Er konnte sich vorstellen, was sie meinte: Schlafentzug, Hunger, Lärm-, Hitze- und Kältefolter, Verhördrogen – und das waren nur die ‚nicht physischen‘ Verhörmethoden. Die Akarii waren eine alte Zivilisation, mit einer reichen und komplexen Geschichte und Militärtradition. Nur waren weder die Genfer Konvention noch die Haager Landkriegsordnung Teil davon. Sie würden ihn – hoffentlich – wohl nicht töten oder in kleine Stücke schneiden. Aber abgesehen davon…

Erst eine halbe Stunde später fiel ihm ein, dass die Verhöroffizierin noch etwas zu ihren Untergebenen gesagt hatte, nachdem sie die Übersetzersoftware deaktiviert hatte. Etwas, was Kano halb verstanden hatte, auch wenn er keine der verschiedenen Akarii-Idiome fließend verstand. Von dem notdürftigen Sprachunterricht durch Ace vor der Schlacht von Karrashin war wenig im Gedächtnis geblieben. Verstanden hatte er aber doch etwas, den Namen eines Ortes, den Kano kannte – wenn auch nur aus der Luft, in der Zieloptik seines Jägers: Arta’Rijen. Die Brücke über den Fluss Rijen.
09.08.2021 21:40 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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