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Zum Ende der Seite springen Hinter den feindlichen Linien - Season 7 - Zwischen Himmel und Hölle
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Tyr Svenson Tyr Svenson ist männlich
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‚Kein Gott und kein Herrscher – sondern durch den Rat der Edelsten‘
Ein Motto des frühantiken Reiches von Pan‘chra


„Hoheit…?!“
„Ich bin hier, Dan.“
Dan Qau orientierte sich kurz nach der Stimme seines Vorgesetzten. Dann wusste er, wohin er seine Schritte lenken musste. ‚Schon wieder…?‘
Tatsächlich, er hatte sich nicht geirrt. Dan Qau fand Rallis Thelam in dem kleinen, überfüllt wirkenden Zimmer, das mit den Stapeln teilweise antiker Bücher und den nachlässig arrangierten Schalen, Kleinstatuetten, antiken Waffen und anderen Artefakten an das Studienzimmer eines Hobbyhistorikers erinnerte und besser zu Lisson Thelam als zu Rallis gepasst hätte, und in das sich die beiden ungleichen Cousins bei Lissons seltenen Besuchen häufig zurückzogen. Angesichts der Umstände, unter denen Dan Qau das letzte Mal dieses Zimmer betreten hatte – das war nach dem Tod von Tobarii Jockham gewesen – fühlte Dan Qau eine düstere Vorahnung in sich aufsteigen.
„Hoheit, es gibt Neuigkeiten aus dem Draned-Sektor…“
Der Prinz drehte sich nicht sofort um: „Eins nach dem anderen, mein Junge. Zuerst muss ich diese Sache hier zu Ende bringen.“
‚Diese Sache‘ schien ein Packen eng beschriebener Seiten zu sein – was schon eine Rarität an sich war, verwendete man doch heutzutage in der Regel elektronische Datenspeichersysteme, E-Papier oder zumindest Ausdrucke derselben. Wenn jemand etwas handschriftlich festhalten wollte… ‘Ich nehme nicht an, dass es sich um einen Liebesbrief handelt. Dazu wäre das vielleicht etwas umfangreich. Und ansonsten…‘ Ein Vorteil von handschriftlichen Notizen war, dass sie keine elektronischen Spuren hinterließen und damit einen Großteil der modernen Überwachungsmethoden unterliefen: „Was habt Ihr da, Hoheit?“

Jetzt drehte sich Rallis Thelam um, ein geisterhaftes Lächeln auf den Lippen: „Das, mein lieber Qau, ist das verbale Äquivalent zu einer Nuklearmine.“
„Ich verstehe nicht ganz…“
„Das macht nichts. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob selbst die Verfasser dieses kleinen Traktats über dessen Sprengkraft im Klaren sind.
Du weißt, dass einige im Adelsrat meinen, dass der Rat mehr Macht erhalten und öfter zusammentreten – vielleicht sogar in Permanenz tagen sollte.“
Dan Qau warf einen Blick auf die neben dem Schriftstück liegenden aufgeschlagenen Bücher – anscheinend eine Sammlung antiker Reden – während er versuchte zu ergründen versuchte, was der Prinz diesmal von ihm wollte: „Ich hörte davon…“
„Nun einige…Idealisten sind offenbar der Meinung, dass man sich nicht mit der Welt der Sterblichen begnügen, sondern gleich die Tore des Himmels stürmen sollte.“
Irgendwoher kam Dan diese Formulierung bekannt vor. Dennoch…: „Hoheit, es ist schon spät.“
„Hm? Ich verstehe, dann will ich es dir mal etwas leichter machen.“ Der Prinz lächelte kurz:
„Im Prinzip ist es ganz einfach. Du weißt wahrscheinlich, dass auf Akar – im Gegensatz zu dem, was manche gerne behaupten – die kaiserliche Herrschaft keineswegs schon immer die einzige Regierungsform war. Nicht einmal im Herzen des Imperiums.“
„Ihr meint das erste Reich von Pan‘chra? Aber das war in der frühen Eisenzeit – vor tausenden von Jahren…“
„Aber es ist nicht in Vergessenheit geraten, dass damals ein Rat der Edlen für 300 Jahre die Geschicke des Reiches lenkte. Und es waren nicht die schlechtesten Jahre. Damals wurde der Grundstock für die spätere Größe von Pan’chra gelegt. Und selbst nachdem man sich dann in Pan’chra für die Herrschaft eines Einzelnen entschied, behielt der Adelsrat noch eine ganze Weile seinen Einfluss.
Weißt du, dass Tanis Katall, der als einer der größten antiken Rhetoriker gilt, fast dreißig Jahre seines Lebens dem Kampf gegen die Herrschaft eines Einzelnen über Pan’chra widmete? Zu seinem und zu unserem Glück war der erste Imperator von Pan’chra klug genug, ihn nicht zu ermorden, sondern schickte ihn ins Exil. Sonst wäre er natürlich nie in der Lage gewesen, seine und die Reden seiner Gegner aufzuschreiben und damit den bleibenden Ruf seines Hauses zu begründen.
Auch wenn der Adelrat seitdem viel von seiner Macht eingebüßt hat, gibt genug Adlige, die sich mehr oder wenig heimlich wünschen, die Uhr zurückzudrehen – oder sich bei ihren Visionen der Zukunft doch sehr stark an unserer Vergangenheit orientieren. Das ist das Schöne an der Geschichte. Sie bietet Argumente für JEDEN.“
„Aber derartige Ambitionen sind doch kein Geheimnis. Sogar ich weiß, dass viele Ratsmitglieder unzufrieden damit sind, immer nur beim Tod eines Imperators zusammengerufen zu werden. Ich verstehe nicht…“
„Weil du nicht weißt, wie weit diese kleine Kopfgeburt hier geht. Wenn das bekannt würde – also an Stelle der Autoren würde ich zumindest die MÖGLICHKEIT in Betracht ziehen, dass sie damit die Verschickung ins Exil riskieren. Oder in ein Irrenhaus. Oder gleich vor die Läufe eines Erschießungspeloton. Falls wir nicht wieder die Tradition zum Leben erwecken, dass Hochverräter mit der blanken Klinge gerichtet werden.“
Dan Qau wusste, dass Rallis manchmal zu sehr farbigen Metaphern neigte. Dennoch…: „Findet Ihr nicht, dass ihr da etwas übertreibt, Hoheit?“
„Hör dir das erst mal an, Dan. Und dann sage mir, ob ich Recht habe.
Laut dieser Gedankenskizze soll der Adelsrat künftig ständig tagen und zudem von etwas mehr als 500 auf 600 Mitglieder vergrößert werden.“
„Das ist nicht besonders unerwartet oder revolutionär…“
„Du solltest noch etwas mit deinem Urteil warten. Der Adelsrat soll zukünftig jeder Entscheidung bezüglich der Thronfolge zustimmen und hat, wenn die Thronfolge strittig ist – also etwa eine direkte Thronnachfolge nicht mehr möglich – die Entscheidungsgewalt. Jeder Imperator muss bei seiner Thronbesteigung die Zustimmung des Adelsrates haben, auch wenn dieser ihn zuvor als Thronnachfolger akzeptiert hat. UND der Adelsrat kann alternative Kandidaten für die Thronfolge vorschlagen. Sogar WENN es direkte Nachkommen des herrschenden Imperators gibt.“
Dan Qau fühlte, wie sein Hals trocken wurde: „Aber…“
„Warte, warte, es geht noch weiter. Natürlich ist es auch in der Hand des Adelsrates eventuelle Regenten, Vormunde minderjähriger Thronfolger und sogar die Kanzler und Ministerposten zu bestätigen. Er kann im zivilen Bereich Gesetze einbringen und muss sie bestätigen, wie auch das Militärbudgets – und ja, auch in der Frage von Krieg und Frieden muss der Rat gefragt werden.“
„Aber dann ist der Imperator ja nur noch eine repräsentative Figur! Er hat ja fast nur noch ein…Vorschlagsrecht! Kein Imperator würde dem jemals zustimmen!“
„Wir haben momentan nun einmal keinen Imperator. Und noch nicht einmal einen richtigen Regenten. Nur einen ungeborenen Imperator mit höchst…spannender Herkunft, eine Prinzessregentin mit einem genau deshalb etwas beschädigten Ruf und den überambitionierten Erzeuger des besagten Embryo-Imperators. UND wir haben einen Krieg, den wir zu verlieren scheinen.
Und all das haben wir Jor zu verdanken. Ich kann es fast verstehen, warum unsere Freunde hier auf die Idee kommen, dass der Imperator und seine Politik stärker kontrolliert werden muss. FAST.“
Außerdem soll es neben dem Adelsrat noch eine weitere, sehr viel größere Kammer, deren Mitglieder – man höre und staune – GEWÄHLT werden sollen. Gewissermaßen eine…Volksversammlung, mit Repräsentanten von jedem Planeten des Imperiums. Allerdings hat dieses Haus vor allem eine beobachtende und beratende Funktion. Aber immerhin, es hat ein aufschiebendes Zustimmungsrecht für zivile Gesetze, die es übrigens auch selber einbringen kann.“
„Nun, das klingt eigentlich nicht so extrem…“
„Ich hatte vergessen zu erwähnen, dass angedacht ist, die Vertreter der Planeten aus der jeweiligen Bevölkerungsmehrheit zu rekrutieren.“
„WAS?!“
„Du hast mich richtig verstanden.“
„In der gesamten Geschichte des Imperiums…“
„Du vergisst die Nalori, denen wir eine Reihe von Privilegien gewährt haben. Deren Fürstentochter wurde sogar in die Kaiserfamilie adoptiert. Und da du vorhin schon den Draned-Sektor erwähnst…du weißt, dass inzwischen in der Kolonialverwaltung und selbst im Militär immer mehr für eine Flexibilisierung im Umgang mit unterworfen Völkern plädieren. Ganz einfach, weil wir es uns nicht mehr leisten können, so viele unserer Ressourcen für die Unterdrückung von Aufständen und die Kontrolle rebellischer Untertanen zu verschwenden, die wir viel besser für den Krieg gegen die Menschen nutzen könnten. Wenn die T’rr im Austausch für einige Privilegien statt gegen uns FÜR das Imperium kämpfen würden…“
„Das ist doch etwas völlig anderes! Und da Ihr schon die die Nalori erwähnt...das hat Jor I. de facto den Thron gekostet hat und legte die Herrschaft in die Hand von Regenten.“
„Sehr FÄHIGEN Regenten, deren Herrschaft dem Reich einige gute Jahrzehnte bescherte. Hmm…, wenn das keine interessante Analogie ist. Und damit meine ich nicht nur die Namen der kaiserlichen Prinzen, die damals und in der Gegenwart eine so prominente Rolle spielten.“
„Und was wollt Ihr nun tun?“ In Wirklichkeit war sich Dan Qau sich nicht sicher, ob er das wirklich wissen wollte. Sein Vorgesetzter und Mentor hatte ihn in den letzten Monaten schon mehr als einmal unangenehm überrascht.
„Jedenfalls nicht das, was du befürchtest, Dan. Du kannst dich entspannen. Ich bin immer noch ein Thelam. Selbst wenn ich niemals selber den Thron innehaben sollte, bin ich nicht gewillt, ein Privileg aufzugeben, das seit Jahrhunderten im Besitz unseres Haus war.
Und ich bin auch nicht lebensmüde. Wer auch immer sich an die Spitze dieser Initiative setzen würde, der hat sein Todesurteil oder seinen Exilerlass bereits unterzeichnet.
Selbst WENN die in diesem Entwurf skizzierte Machtfülle des Adelsrates für manches Haus verlocken klingen mag…und obwohl die Idee einer ‚Volksversammlung‘ einigen hoffnungslos versponnen Idealisten aus dem Reformerlager gefallen könnte…geht dieser Plan doch weit über das hinaus, was möglichst ist. Traditionalisten, Expansionisten und selbst die Offiziersfronde, die momentan nun wirklich nicht wählerisch sein kann, würden mich kaltlächelnd erdolchen, wenn sie meinen sollten, ich würde dieses…Projekt anführen, initiieren oder auch nur ernsthaft unterstützen.“

Dan Qau atmete erleichtert auf, runzelte dann allerdings die Stirn: „Ihr habt gesagt, was Ihr NICHT tun werdet. Aber was WOLLT Ihr tun?“
„Zuerst einmal nicht viel. Aber ich frage mich…was würden die Allecars tun oder denken, wenn sie von dieser kleinen Denkschrift erfahren?“
‚Sie werden es als direkten Angriff gegen ihre Ambitionen verstehen. Zumindest Meliac Allecar. Sein Sohn Dero…schwierig. Er hat manchmal wirklich merkwürdige Ideen unterstützt oder durchgedrückt.‘ Dan Qau warf dem Prinzen einen misstrauischen Blick zu: ‚Ich frage mich…ist es ein Zufall, dass du dieses Schriftstück gerade jetzt in die Hände bekommst? Oder ist es nicht etwas zu günstig, dass dir das Schicksal ausgerechnet jetzt ein weiteres Werkzeug in die Hand gibt, mit dem du die Allecars verunsichern kannst?‘ Allerdings wusste er, dass er auf diese Frage keine Antwort erhalten würde. Und in dem breiten, zu einem leichten sardonischen Lächeln verzogenen Gesicht des Prinzen konnte er nicht mehr herauslesen, als aus einem Blick in einen blinden Spiegel.
„Aber du erwähntest den Draned-Sektor. Was gibt es Neues? Hat dieser junge Taran-Admiral, statt seinem Ruf nach Akar zu folgen, eine T’rr-Prinzessin geheiratet und sich zum Imperator des Draned-Sektors ausrufen lassen?“

Diese zugegebenermaßen absurde Idee schaffte es sogar, Dan Qau zum Grinsen zu bringen: „Nein. Er ist auf dem Weg hierher zurück. Aber vor seinem Weggang hat er nicht nur die politischen Kontakte mit den rebellischen T’rr intensiviert sondern offenbar auch mehrere geheimdienstliche Operationen gegen die Separatisten initiieren lassen. Sollten das Früchte tragen, werden die neuen Kommandeure des Draned-Sektors eine sehr viel günstigere Ausgangslage vorfinden als bisher. Und angesichts Ihres Interesses für den Draned-Sektors und für Prinz Navarr Thelam, der ja ebenfalls dorthin unterwegs ist…“
13.05.2018 17:45 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
Tyr Svenson Tyr Svenson ist männlich
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‚Pack die Leute bei den Eiern und ihre Herzen und Gedanken werden dir folgen.‘
Sprichwort der US-Streitkräfte in Vietnam – und vermutlich einer der Gründe, warum sie den Krieg verloren.


„Madame Präsident, John Tyler ist hier.“
„Schicken Sie ihn rein.“
Tyler war ein aufsteigender Stern in der republikanischen Behörde für Information, dem Federal Republic Information Service (FRIS). Er hatte sich als Journalist und PR-Experte einen Ruf erworben, auch wegen seiner Bereitschaft, Risiken einzugehen und unangenehme und gefährliche Aufträge zu übernehmen, unter anderem auf der aufständischen Provinzwelt Pandora. Dann hatte er sich in der für die Konföderation verantwortlichen Abteilung bewährt – auch wenn das inzwischen nicht mehr unbedingt als Empfehlung gelten konnte – und besaß gute Kontakte zu Militär und Außenministerium. Allerdings galt er aber ob seines ätzenden Humors und hohen Ansprüchen als nicht immer einfach. Eine Einschätzung, die Birmingham nachvollziehen konnte, da sie in den letzten Monaten viel Zeit mit ihm verbracht hatte. Denn Tyler, der führende Kopf der für Terra selber zuständigen FRIS-Abteilung, war einer ihrer inoffiziellen Wahlkampfberater. Und an DIESER Front waren in der letzten Zeit genauso viele Siege zu vermelden gewesen, wie an der Front im Weltraum…

„Madame Präsident, wollen Sie zuerst die gute oder die schlechte Nachricht hören?“
Eine solche Begrüßung war typisch für Tyler: „Nehmen Sie schon Platz, Tyler. Und da Sie fragen – fangen Sie mit der guten Nachricht an.“
„Es sind sogar zwei: Zum einen brauchen wir uns wohl keine Sorgen mehr zu machen, dass uns jemand die Wegnahme der konföderierten Schiffe übelnimmt. Nach der letzter Glanzleistung der CC schreien die meisten Leute nach Blut und Vergeltung. Und sehen die Beschlagnahmung als kluge Voraussicht, da die CC sich so offensichtlich den Imperialen andient und die ihnen bei ihrem Angriff offenbar Schützenhilfe geleistet haben. Cochrane und Okamba sind dabei, Judas Ischariot und Benedict Arnold Konkurrenz auf der Beliebtheitsskala zu machen. Schade, dass Girad sich bei Sterntor hat ausmanövrieren lassen. Ansonsten könnten wir sie jetzt für so ziemlich jeden Posten einsetzen.
Und Sie führen immer noch in den Umfragen. Wenn auch nur knapp.“
Birmingham musterte ihren Gegenüber skeptisch: „Und was ist die schlechte Nachricht?“
„Zumindest der zweite Teil könnte sich sehr schnell ändern. Und dann können wir auch aus Teil Eins keinen Vorteil mehr ziehen.“
„Ich höre. Was haben die Republikaner vor? Machen sie wegen der letzten Misserfolge mobil?“
„Wenigsten können wir hier die Dinge beim Namen nennen. Ich dachte schon, dass irgendjemand auf die Idee kommt, den charmanten Terminus ‚Frontverkürzung‘ zu reaktivieren…“
Birmingham bezweifelte, dass viele Leute die Anspielung verstanden hätten. Sie wusste natürlich, was Tyler damit meinte.
„Leider sind die Republikaner nicht so dumm, direkt gegen das Militär vorzugehen und ihm Versagen vorzuwerfen. Das kommt in Kriegszeiten selten gut an – und vor allem können Soldaten ja schließlich auch wählen. Aber rechnen Sie lieber damit, dass in nächster Zukunft die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses gefordert wird, der überprüfen soll, inwieweit ‚die politischen Vorgaben und die Rüstungs- und Beschaffungspolitik der Regierung zu einer Überdehnung der Frontlinien und Sicherungsverbände, zu falschen taktischen Entscheidungen sowie einer kritischen Unterversorgung der Streitkräfte geführt haben.‘ Also, ob die bösen Politiker mal wieder unseren Helden in Blau, Grün und Grau den sicheren Sieg gekostet haben.“
„Das wird gut ankommen.“
„Ich will ja nicht sagen, dass ich Sie gewarnt habe…“
„Aber Sie haben mich gewarnt.“
„Das zieht nun einmal. Bei Zivilisten UND Soldaten. Irgendjemand MUSS für die Rückschläge verantwortlich sein. Wenn man dann auf die politische Führung zeigt, ist das allemal bequemer, als die Schuld bei der unbefriedigenden Performance der eigenen Streitkräfte oder – viel schlimmer noch – bei den Fähigkeiten des Gegners zu suchen. Vor allem da das Problem in dem Fall sehr viel schwieriger zu beseitigen ist. Da ist es doch angenehmer zu glauben, dass es reicht, ein halbes Dutzend Leute auszutauschen, ohne deren Versagen man natürlich längst schon gesiegt hätte. Diese Strategie war schon uralt, als das Wort ‚Dolchstoßlegende‘ erfunden wurde…“, Tyler hielt kurz inne, konnte sich aber eine letzte Spitze nicht verkneifen: „Auch wenn man früher meist damit gewartet hat, bis der Krieg zu Ende war und die abgehalfterten Generäle ihre Memoiren über ‚Verlorene Siege‘ zu schreiben begannen.“
„Ihr Streifzug durch die menschliche Psyche und Geschichte ist ja faszinierend, aber haben Sie auch eine Idee, was wir dagegen tun können?“
„Abgesehen davon, ein paar ECHTE Siege vorzuweisen? Das wird schwierig. Noch vor ein paar Monaten hätte ich geraten, es mit einer diplomatischen Offensive gegenüber der Konföderation zu versuchen, aber das Ei haben die Konföderierten in die Pfanne gehauen. Momentan hätten Sie vermutlich größere Chancen, Ihre Umfragewerte mit einer MILITÄRISCHEN Offensive in diese Richtung zu verbessern.“
„Ich fange doch nicht noch einen Krieg an, weil meine Beliebtheit in den Keller rutscht. Mir reicht der Konflikt, den wir momentan am Hals haben.“
„Sie wären zwar nicht der Erste, der so etwas versucht, aber ich applaudiere Ihnen zu ihrem Altruismus. Allerdings gewinnt man damit keine Wahlen.
Was Sie auf keinen Fall tun sollten, ist, nach einem Sündenbock in den Streitkräften zu suchen. Girad hat für ihr fragwürdiges Patt bei Sterntor viel Kritik eingefahren, aber wie gesagt – auf einmal ist ihre Flottenwegnahme wieder ein Pluspunkt. Wenn wir sie jetzt wegen Sterntor aufs Korn nehmen, könnte das als Beschwichtigungsgeste in Richtung CC verstanden werden. Und so etwas ist momentan nicht populär. E gibt ohnehin bereits Gerüchte, dass die Konföderierten ihren letzten Stunt nur durchziehen konnten, weil es eine Art ‚Gentleman Agreement‘ zwischen Noltze und Okamba gab.“
„Das ist doch Schwachsinn. Dafür ist doch wohl etwas zu viel Blut geflossen.“
„Natürlich. Aber es wird dennoch geglaubt.
Und falls Ihnen jemand rät, deshalb an Noltze ein Exempel zu statuieren – verzichten Sie dankend. Zum einen würde das auch als Suche nach einem Sündenbock gedeutet werden. Und wäre möglicherweise genau das, was die Republikaner brauchen, um einen Keil zwischen Sie und die Streitkräfte zu treiben. Außerdem haben wir ganz einfach nicht mehr so viele fähige Admiräle, dass wir derart verschwenderisch mit ihnen umgehen können.“
„Sie meine also, ich soll stattdessen die imperiale Karte spielen.“
„Zumindest was DIESE Schlappe angeht. Betonen wir die Bedrohung, die Ilis darstellt. Und dass Noltze verantwortungsvoll gehandelt hat, als sie unnötige Verluste vermied, um ihre Streitkräfte schlagkräftig und einsatzbereit zu halten und ein zweites Sterntor zu verhindern.“
„Und was, wenn Ilis ‚Vorstoß‘ auch nicht viel mehr ist, als eine gewaltiges Ablenkungsmanöver für die neuesten Lieblingslakaien des Imperiums? So ähnlich wie die Sterntor-Offensive, die uns von der Hauptoffensive der Akarii ablenken sollte.“
„Für ein Ablenkungsmanöver war das ein wenig kostspielig.“
„Auch für uns. Es ist schon schwer genug, Sterntor als Patt zu verkaufen, geschweige denn als Sieg. Unsere Bevölkerung ist inzwischen Besseres gewöhnt.“
„Ach, der vergängliche Rausch der Siege…“

Die Präsidentin verkniff sich ein Augenrollen. DIESES Thema hatte schon öfters auf der Tagungsordnung gestanden. Allerdings war in diesem Fall das Wissen um die Ursache des Problems nicht viel wert – solange die nötigen Siege ausblieben. Und da sah es momentan schlecht aus.
Die ‚Große Armada‘ – der Name war inzwischen auf beiden Seiten der Front gebräuchlich – würde in absehbarer Zeit kaum zu umfassenden Offensivoperationen in der Lage sein. Und auch an anderen Fronten wie etwa dem Peshten-Konkordat sah es momentan nach Stillstand und Abnützungskrieg aus. Und diese Art von Krieg war noch nie populär gewesen. Falls Ilis tatsächlich so klug war, auf seiner Seite der Frontlinie zu bleiben, konnte er – nach Girad –womöglich eine weitere TSN-Admiralin ‚abschießen‘, ohne auch nur ein Geschütz auf sie abzufeuern. Wenn er allerdings ein ähnliches ‚Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand‘-Manöver vorhatte, wie bei Hannover, dann würde er schon noch lernen, dass die TSN nicht so leicht einknickte wie die Konföderierten…
Falls er sich tatsächlich zurückzog, war es vielleicht an der Zeit, zu alternativen Strategien zu greifen. Vor kurzem war dem Flottenoberkommando eine Initiative vorgelegt worden, die möglicherweise dazu beitragen konnte, das Imperium mit begrenzten Mitteln unter Druck zu setzen und vor allem neue Siegesnachrichten zu produzieren. Der Lingchi-Plan zielte auf das Hinterland der Imperialen, das durch schnelle Vorstöße kleinerer Trägerverbände verheert werden sollte, die sich gegenseitig Deckung gaben.
Auch wenn einige der Vorschläge des ‚Todes durch tausend Schnitte‘ – etwa der Einsatz von Biowaffen gegen Acker- und Viehwirtschaft – vielfach abgelehnt wurden, politisch kaum durchsetzbar und technologisch nur schwer umsetzbar waren, hatte die Idee von konzentrierten Schlägen gegen industrielle und infrastrukturelle Knotenpunkte ausgewählter Akarii-Planeten viele Befürworter. Zwar wurde die Wirkung und Effizienz solcher Angriffe sehr kontrovers beurteilt – schon um Vergeltungsschlägen des Feindes zu entgehen, würden die Angriffs- und Deckungsverbände selten länger als ein bis zwei Tage über einem feindlichen Planeten verbleiben können – war auch der potentielle politische Gewinn verführerisch. Und zwar beim Gegner und an der terranischer Heimatfront. Aber das würde sie nicht mit ihrem Wahlkampfberater besprechen.

„Gibt es etwas Neues von Nkuma?“
Tyler hatte auch in dieser Hinsicht Recht behalten. Inzwischen war Patrice Nkuma als Präsidentschaftskandidat der Republikaner bestätigt worden, was die heiße Phase des Wahlkampfs eingeleitet hatte. Der ehemalige Marines-General, der den von Admiral Tarans Raid schwer verwüsteten Planeten Masters im Senat vertrat, hatte sowohl im Militär als auch in der Wirtschaft Rückhalt und war genau der vermeintliche ‚Fels in der Brandung‘, den so mancher jetzt herbeisehnen mochte.
„Abgesehen davon, dass er den erwähnten Untersuchungsausschuss unterstützen aber ihm nicht beitreten wird? Offensichtlich wollen die Republikaner die ‚ich-stehe-über-den-Niederungen-der-Politik‘-Karte spielen. Zumindest offiziell. Was in Kriegszeiten nicht das dümmste ist, vor allem wenn sie sich einen überparteilichen Anstrich geben wollen. Rechnen Sie aber lieber damit, dass mehr als ein Dirty-Tricks-Team nach Dreck über Sie und die Mitglieder Ihres Kabinetts gräbt. Auch wenn Nkuma sich offiziell solcher Methoden enthalten will, werden sie nicht darauf verzichten wollen.“
„Natürlich. Halten Sie mich für naiv? Wir machen es ja genauso.“
„Wenn es allerdings zu einem direkten Schlagabtausch kommt, sollten Sie Nkuma besser nicht unterschätzen. Er ist ein Marines. Er weiß, wie man schmutzig kämpft.
Die Republikaner haben außerdem ihr neues Verteidigungsprogramm fast fertig. Der Name ist von geradezu bestrickender Bescheidenheit – VICTORY-Programm.“
„Und wie will Nkuma den Krieg gewinnen?“
„Mal abgesehen davon, dass er ein Unterstützer des Lingchi-Programms ist…“
„Das überrascht mich nicht. Immerhin wurde dieser Plan als Reaktion auf den Angriff der Akarii auf Master entwickelt.“
„Nun vor allem will er mehr von allem, würde ich sagen. Mehr Soldaten, Schiffe, Kanonen. Leider habe ich noch nicht die Einzelheiten herausfinden können, aber…“
„Dann habe ich Ihnen ja diesmal etwas voraus.“
„Es besteht wohl nicht die Aussicht, dass er aus alter Loyalität die Marines zuungunsten der Army und Navy bevorzugt?“
„Leider nicht, auch wenn sich die Marines über zehn Angriffsschiffe der Normandy-Klasse plus mindestens zwei neue Divisionen und eine entsprechende Anzahl Unterstützungseinheiten freuen können.
Aber die Navy soll mindestens acht neue Flottenträger und die doppelte Anzahl leichter Träger der CAVOUR-Klasse erhalten, die ja ohnehin in absehbarer Zeit die MAJESTIC-Klasse ersetzen sollen. Dazu kommen die entsprechende Anzahl leichterer Begleitschiffe, schwere Kommandokreuzer der NIKOLEI KUSNEZOW-Klasse, mindestens ein Dutzend Eskortträger der VIRKANT-Klasse um unsere alten STRIKE und CARRACK zu ersetzen, die an die Nationalgarden, die Peshten und sogar einige der größeren Transportfirmen gehen…“
John Tyler schnaubte abfällig: „Ich verstehe nur die Hälfte von dem, was Sie sagen, aber ich nehme mal an, für die Rüstungsindustrie und unser Militär klingt das alles unheimlich aufregend. Wissen die Republikaner auch, wie sie das bezahlen wollen? Ganz abgesehen von den Kosten für den Bau der Schiffe sprechen wir immerhin von – wie viel…mehreren hunderttausend Mann?!“
„Das haben Sie ganz gut geschätzt, Tyler. Aber sein Sie doch nicht naiv. Was die Republikaner JETZT versprechen um Stimmen zu gewinnen, und was sie dann später in Auftrag geben, sind zwei völlig verschiedene Dinge.“
„Wir werden doch aber wohl fragen dürfen, wie sie dieses ganze Eisen finanzieren?“
„Natürlich werden wir das. Und wie Sie sich denken werden, wird die Antwort nicht ‚durch Steuererhöhungen‘ sein.
Die Republikaner wollen die Industrie nicht verschrecken. Aber dadurch können wir vielleicht wenigstens auf all jene rechnen, denen die Gewinnmargen der Rüstungsindustrie vielleicht doch etwas zu fantastisch sind.“
„Das Thema sollten wir besser nicht übertreiben. Sonst denken die Menschen noch, Sie wollen den Neokommunismus einführen.“
„Halten Sie mich für eine Idiotin?“
„Für eine Idiotin würde ich nicht arbeiten.“
„Ich wäre ja geschmeichelt über ihre uneigennützige Hilfe, wenn ich nicht wüsste, wie Nkuma einen Teil seiner Geschenke für die Rüstungswirtschaft und unsere Streitkräfte bezahlen will. Oder es zumindest den Leuten weismachen will. Und Sie wissen es auch.“
Es war ein kleiner, seltener Triumph für Birmingham, ihren zynischen Walkampfberater und Propagandaexperten in Verlegenheit gebracht zu haben.
„Seinen Sie nicht so geknickt, Tyler. Sie wissen doch, dass niemand unsere Informationsabteilung mag. Nicht mal die anderen Ministerien – und ganz bestimmt nicht die Opposition. Die denken doch sowieso, dass Sie mir nur die Wiederwahl sichern sollen.“
„Eine völlig abwegige Idee.“ Offenbar hatte sich Tyler bereits wieder gefangen.
„Und unsere republikanischen Betonköpfe verstehen sowieso nicht, warum wir Geld dafür ausgeben sollten, um unseren Verbündeten, den neutralen Sternenreichen oder gar unseren Gegnern unsere Motive und Ziele zu erklären.“
„Auch wenn ich nachvollziehen kann, dass das Geld das wir in die Konföderation gesteckt haben momentan wie ziemlich zum Fenster herausgeworfen wirkt, ist das doch Schwachsinn! Was glauben die denn, wie viel Geld wir bekommen? Das Gesamtbudget des FRIS reicht vermutlich nicht einmal, um einen einzigen Flottenträger zu bauen.“
„Jetzt sind Sie es, die naiv klingen. Es geht doch hier nicht um Zahlen.
Außerdem wollen die Republikaner die gesamte Kulturpolitik zusammenstreichen, nicht nur den FRIS.“
„Es wird trotzdem nicht einmal annähernd reichen. Und da sie wie gesagt ganz bestimmt keine Steuererhöhungen ankündigen wollen…“
„Nun zum Gutteil soll vor allem das Imperium für unsere Aufrüstung bezahlen.“
„Also weiter Schulden machen, in der Hoffnung, dass wir diese nach dem Sieg erstattet bekommen.“
„Im Wesentlichen, ja. Sie wissen, wie beliebt derartige Forderungen sind. Viele Menschen…“
„Viele Menschen glauben auch noch an GOTT. Deshalb holen wir noch lange nicht die Heilige Lanze aus dem Museum, um sie bei unserer nächsten Offensive vor uns herzutragen.
Die Rüstung noch stärker auf Pump zu finanzieren, ist die beste Garantie, auf eine allgemeine Wirtschaftskrise hinzuarbeiten. Die nur mit VIEL Glück erst dann eintritt, wenn wir den Krieg bereits gewonnen haben. Ansonsten…“
„Sie brauchen mir keine Nachhilfe in Ökonomie zu geben. Aber Sie wissen doch selber, dass wir mit weiteren Steuererhöhungen die Wahlen verlieren werden. Einige Mitglieder der Friedensbewegung haben ja ihr Lieblingsprojekt von einer ‚Besteuerung der Kriegsgewinnler‘ und einem Art Kriegskommunismus…“
„Aber das ist ungefähr so realistisch wie die klassenloses Gesellschaft. Doch da wir schon von der Friedensbewegung reden…wenigstens dürften wir sie jetzt sicher haben. Denn denen wird klar sein, dass die ‚Lasst-den-Feind-nach-dem-Sieg-bezahlen‘-Attitüde der Republikaner jeden Verhandlungsfrieden obsolet macht.“
„Bleibt nur die Frage, ob das reicht…“

In das kurze Schweigen schrillte der Signalton des Tisch-Kommunikators. Die Präsidentin warf einen Blick auf den Anrufer, signalisierte ihrem Gast zu schweigen, aktivierte das Gerät und lauschte einige Augenblicke. Es arbeitete in ihrem Gesicht, doch Tyler war sich nicht ganz sicher, was er von den Emotionen halten sollte, die in rascher Folge über Biminghams Gesicht huschten: Überraschung, Nervosität, Erwartung?
„Und das ist sicher?“ fragte sie den unsichtbaren Anrufer um dann fortzufahren: „Gut. Sagen Sie, ich bin in Kürze bei ihnen.“
„Madame Präsident…“
„Offensichtlich müssen wir unser Gespräch über die anstehenden Wahlen etwas nach hinten schieben. Wie es aussieht hat Ilis wohl doch nicht vor, uns nur an der Nase herumzuführen. Es gibt Neuigkeiten von der Front…“
13.05.2018 17:46 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Einige Wochen früher, Peshten-Raum

Die Shuttles flogen mit offenen Seitentüren und kamen viel zu tief rein, sodass eines die Wipfel der niedrigen Bäume streifte. Der Pilot schaffte es mit knapper Mühe, die Maschine zu stabilisieren. Immer noch gefährlich hin und her schwankend sank es über einen kleinen Lichtung auf eine Höhe von knapp drei Metern herab und gepanzerte Soldaten booteten hastig aus, während schwenkbare Schnellfeuerlaser Deckungsfeuer gaben. Ein Unteroffizier stieß einen zögernden Soldaten kurzerhand aus der Luke, sodass dieser fast unkontrolliert auf dem Boden aufschlug. Allerdings blieb er nicht lange liegen, weil eine Soldatin ihn hochzerrte und voranstieß in das Chaos aus Schreien und Laserblitzen.
Es war ein Inferno aus Schreien, Licht und Dreck. Männer und Frauen – Peshten, T’rr, Akarii, Menschen und Mitglieder anderer Rassen – stolperten über den aufgerissenen Boden während ihnen aus kaum sichtbaren Deckungslöchern und Gräben Sperrfeuer entgegenschlug. Eine Peshten-Soldatin bekam einen Treffer in das Helmvisier und ging schreiend zu Boden, während eine menschliche Kameradin eine Granate aus dem Unterlaufwerfer ihrer Waffe in die Schützenstellung feuerte und sie zum Schweigen brachte. Eine Kette aus Explosionen überschüttete die Vorrückenden mit Dreck, Steinen und Holzsplittern.
Als einer der Verteidiger die Nerven verlor, vor den vorrückenden Angreifern zu flüchten versuchte und um ein Weniges zu langsam aus seinem Schützenloch kam, rannte ihn ein an der Spitze der Sturmkolonne befindlicher T’rr einfach über den Haufen und fällte ihn mit einem brutalen Kolbenhieb gegen den Kopf.

„Aufzeichnung anhalten.“ Der hoch gewachsene, muskulöse Offizier mit dem weißblonden Marines-Haarschnitt warf der ihm gegenübersitzenden Peshten einen düsteren Blick zu, der gestandene Marineinfanteristen erbleichen lassen konnte, diesmal aber keine nennenswerte Wirkung zu zeigen schien. Was möglicherweise auch an der für Menschen, T’rr und Akarii gleichermaßen verunsichernden Dreiäugigkeit der Peshten lag.
„Ich verstehe nicht ganz, was Sie für ein Problem haben, Ausbilder Schiermer.“
Der Angesprochene schnaubte kurz und abfällig: „Mein Problem ist, dass Sie aus der Ausbildung meines Regiments eine verdammte Zirkusnummer machen!“
Ausbilderin Tesh’ta schnalzte spöttisch: „Das ist nicht Ihr Regiment. Sie bilden diese Einheit nur aus. Wenn überhaupt, dann ist es MEIN Regiment.“
„Heißt das, Sie haben DAS gebilligt?“

DAS war unter anderem die Aufnahme einer scheinbar endlosen Linie von Soldaten aus einem halben Dutzend Völkern und Spezies mit verdreckten Panzerungen und Gesichtern und müden Augen, die ein getragenes Lied in einer Sprache sangen, die die meisten von ihnen nicht einmal verstanden:
Vive la Légion étrangère
Et quand défilent les képis blancs
Si leur allure n’est pas légère
Ils portent tous tête haute et fière…
Die nächste Aufnahme, das gleiche Lied und die gleichen Soldaten, diesmal marschierend.

„Wäre es zu viel verlangt gewesen, unsere neuen Soldaten ein PESHTEN-Lied singen zu lassen?“
„Angesichts der Zusammensetzung meiner Truppe, der Aufgabe, die sie übernehmen soll und der Verluste, mit denen wir rechnen müssen, dachte ich, das würde passen. Ich konnte ja nicht wissen, dass Sie eine beschissene Reality-Show daraus machen. Dann hätte ich ja nach einer Play-List der neusten Schlager fragen können.“
„Wir haben die Rechte an allen Aufnahmen der Überwachungs- und Helmkameras. Was wir damit machen, ist unsere Sache.“

Weitere Aufnahmen folgten. Einige zeigten Schiermer – sein Gesicht aus einer nicht gerade vorteilhaften Entfernung von etwa zehn Zentimetern, während er einen Soldaten anbrüllte. Mit einem Lasergewehr in der Hand bei einem Platoon am Schießstand.
Im Laufschritt neben einer Kolonne mit Marschgepäck und voller Gefechtsrüstung, die Männer und Frauen mit einem Schwall von Obszönitäten überschüttend und sie gnadenlos vorwärts treibend. Mit einem menschlichen Soldaten – allen Anschein nach zwanzig Jahre jünger und zehn Kilo Muskelmasse schwerer – beim Nahkampftraining und ihn mit einer Abfolge ebenso effektiver wie schmutziger Griffe fertigmachend…

„Finden Sie nicht, dass Sie ihren persönlichen Einsatz – sowohl verbal als auch physisch – etwas übertreiben? Sie sind kein Sergeant mehr.“
„Sie wollen, dass ich in drei Monaten aus diesen Männern und Frauen Sturmsoldaten mache. Ich weiß, sie alle haben ihre Grundausbildung hinter sich und viele verfügen ohnehin über eine militärische oder paramilitärische Vergangenheit…
Aber wenn Sie wollen, dass diese Soldaten sich einer angreifenden Akarii-Division in den Weg stellen, einen gepanzerten imperialen Angriffskeil abschneiden oder unsere Frontverbände im Fall eines feindliches Durchbruchs stabilisieren können, dann schaffe ich das nicht, wenn ich auf dem Feldherrenhügel bleibe.
Und deshalb kann ich es auch nicht gebrauchen, wenn meine Soldaten die Statisten für eine Reality-Show spielen. Das lenkt sie nur ab. Wollen Sie eine Angriffsdivision oder Kanonenfutter?“
„Lassen Sie das mal besser nicht Ihre Untergebenen hören. Die könnten sonst denken, dass sie Ihnen tatsächlich etwas bedeuten. Auch wenn das schwer zu glauben ist. Unsere Ausbildungseinheit hat eine Ausschussquote von fast fünfzig Prozent. Und ich rede hier gar nicht von den Ausfällen. Einer, der beinahe ertrunken ist, drei mit Rückgratverletzungen durch Unfälle beim Absetzen, zwei mit schweren Augenverletzungen weil sie eine leistungsgeminderte Lasersalve ins Visier kassierten – und mehr Knochenbrüche und schwere Verletzungen bei Nahkampfübungen, Manövern und Geländemärschen, als ich zählen kann.“
„Ich tue meinen Jungs und Mädchen keinen Gefallen, wenn ich sie verzärtele. Wenn Sie ihre neue Division in den Fleischwolf schicken wollen, dann verdammt noch mal mit der besten und härtesten Ausbildung, die sie bekommen kann. Sie haben mich nicht für eine Wohlfühlausbildung rekrutiert. Und den Ausschuss können Sie immer noch für Sicherungsdivisionen und die zweitrangigen Verbände verwenden. Aber ich will sie nicht bei den Ungeborenen haben.“

Dieser Name verwies auf die Peshten-Mythologie – eine schier unbesiegbare Einheit zum Leben erweckter Statuen. Ein stolzer Name für eine der neuen ‚Sturmdivisionen‘, deren Aufstellung der auf schnelle Frontdurchstöße und Bewegungskrieg zielenden Doktrin der imperialen Streitkräfte geschuldet war und sich nicht zuletzt auch bei den gleichnamigen Verbänden der Akarii bediente. Allerdings waren die Peshten-Sturmdivisionen mit etwa 10.000 Mann kleiner, aber mobiler und schneller.

„Ihre Ausbildungsmethoden kosten uns ein Vermögen. Es gab schon Beschwerden…“
„Ich dachte, dass alle Rekruten über ihren Sold versichert sind und sie sich gegen weitere Forderungen rechtlich abgesichert haben.“
„Natürlich haben wir das. Aber wenn Sie weiter in der Geschwindigkeit Verletzungen produzieren, werden noch die Beiträge hochgesetzt.“
Der Mensch öffnete den Mund, hielt dann kurz inne und fixierte seine Vorgesetzte. Dann grinste er schwach: „Sie machen einen Witz.“
„Das es Beschwerden gab? Nein. Aber sogar die Nachschubs- und Logistikabteilung unserer Armee weiß, dass es weitaus kostspieliger wäre, wenn die Soldaten im ECHTEN Einsatz ausfallen, weil wir an der Ausbildung sparen. Also werden wir nichts an den Ausbildungsrichtlinien ändern. Aber Sie sollten sich darüber im Klaren sein, dass ihre Marines- und Fremdenlegionsmethoden nicht bei jedem auf Zustimmung stoßen. Zum Glück sind die meisten Soldaten der Ungeborenen keine Peshten.
Aber die hohen Kosten der Ausbildung war einer der Gründe, diese kleine…‚Reality-Show‘ zu produzieren. Und glauben Sie bloß nicht, dass ihre Einheit die einzige ist. Wir verkaufen das Material sogar über die Grenzen des Peshten-Raums hinaus.“
„Es geht hier aber nicht wirklich nur um Geld für Senderechte?“
„Darum geht es doch immer bei den geldgierigen Peshten, oder etwa nicht?“
„Verkaufen Sie mich nicht für dumm.“
„Sie haben natürlich Recht.“ Die Ausbilderin nickte langsam und schnalzte wieder amüsiert: „Auch wenn Sie wiederum nicht intelligent genug sind, um die wahren Beweggründe zu verstehen. Sonst würden Sie sich nicht so aufregen.“
„Ich will nicht, dass meine Jungs und Mädchen abgelenkt werden. Dass jemand anfängt, die Primaballerina zu spielen. Oder vielleicht irgendwelche irren Stunts ausprobiert, weil er vor der Kamera eine tolle Figur machen will.“
„Wer das will, ist vielleicht doch etwas zu dämlich, um für unsere Einheiten von Nutzen zu sein. Immerhin schneiden wir das Material aus tausenden von Materialstunden von Dutzenden von Einheiten zusammen. Aber was die Frage nach dem WARUM angeht…
Wir wollen unseren Bürgern, unseren Verbündeten, den Neutralen – und ja, auch unseren FEINDEN, sowohl denen im Inneren als auch denen jenseits der Grenzen des Concordats – begreiflich machen, wofür wir unser Geld ausgeben. Es geht darum, einen Eindruck von der Schlagkraft und Effizienz unserer Streitkräfte zu vermitteln. Das Verteidigungsetat des Concordats war und ist umstritten – wie auch der Einsatz von so vielen Nicht-Peshten.“
„Und Sie glauben, dass es die Leute überzeugt, wenn Sie sehen, wie ich einem Peshten-Rekruten die Knochen nummeriere?“
„Nicht in erster Linie, aber es geht da auch nicht nur um solche Aufnahmen…“

Tesh’ta tippte kurz auf das Aufnahmegerät und eine Abfolge anderer Aufnahmen war zu sehen: eine T’rr und ein Mensch, die einem geschwächten Peshten-Kameraden bei der Überquerung eines Flusses halfen, Männer und Frauen von einem halben Dutzend Rassen, die vereint um ein schwach in einer Erdmulde glimmendes Feuer saßen, während ein Akarii und eine Peshten sich auf ihren Postengang vorbereiteten…

„Das sollen die Leute auch sehen. Und es ist allemal besser, als einige andere Bilder.“

Wieder ein Tippen auf die Kontrollen. Die nun abgespielten Aufnahmen stammten anscheinend von einem Handgelenk-Gerät und waren verwackelter und weniger klar als die von hochauflösenden Überwachungs-, Gun- und Helm-Cams aufgezeichneten Bilder. Rauch und Gasschaden erschwerten die Sicht zusätzlich. Dennoch war sie klar genug, um Peshten-Sicherheitskräfte in schwerer Aufruhrbekämpfungsrüstung zu erkennen, die in einer geschlossenen Formation vorrückten, Sicherheitschilde in den Händen und mit Elektroschockern, Stun-Schlagstöcken, Gasgranaten- und Infraschallwerfern bewaffnet. Steine und Brandsätze prallten auf den Schildwall der Sicherheitskräfte.

„Das stammt aus dem Hinterland von Gamma-Eridon. Wir haben nicht nur mit einer Invasion zu kämpfen, wissen Sie.
Wir brauchen positive Bilder. Und eine Ablenkung von der Tatsache, dass wir am Rande eines Bürgerkriegs stehen.“
„Und es schadet auch nicht, wenn Sie Ihren Möchtegern-Dissidenten und heimatgeborenen Terroristen klar machen, dass das Peshten-Concordat bald über ein paar zehntausend Elite-Söldner mehr verfügt…“
Die Ausbilderin warf ihrem Untergebenen einen ausdruckslosen Blick zu: „Da wir schon bei ‚Bald‘ sind – Ihnen ist doch klar, dass dieser Ausbildungsturnus in Kürze vorbei ist.“
„Zwei Wochen noch, ich weiß.“
„Plus ein zweiwöchiges Manöver in Divisionsstärke.“
„Gut. Wir haben nicht genug Übung im Einsatz jenseits der Regimentsstärke. Meine Jungs und Mädchen könnten noch mindestens einen weiteren Monat zusätzliches Training gebrauchen…
Nein, Sie brauchen nichts zu sagen. Ich weiß, dass das unmöglich ist. Und dann…“
„Und dann Gamma Eridon. Wir haben die Akarii gestoppt. Aber das hat uns viel Blut gekostet. Die Ungeborenen werden Teil eines mobilen Korps sein, das wir hinter der Front formieren, um etwaige Vorstöße der Imperialen rasch abblocken zu können. Dafür wurden die Sturmdivisionen ja überhaupt erst entworfen.
Die Aufstellung des Korps umfasst neben den Ungeborenen noch mehrere selbständige Regimenter, die nach Gamma Eridon in Marsch gesetzt und dem Verband angegliedert werden. Dazu kommen Einheiten, die wir aus der Front herausgezogen und aufgefrischt haben.“
„Ein bisschen knapp für ein Korps. Und ich hoffe, Ihre Vorgesetzten denken daran, dass auch ihr großartiges mobiles Korps seinen Einsatz als Verband erst noch ÜBEN muss.“
„Soll das eine Bewerbung sein?“
Schiermer antwortete nicht direkt: „Also feindliche Vorstöße stoppen. Und…“
„Und wenn die Zeit gekommen ist, werden wir zum Gegenangriff übergehen.“

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Schockwellen III


Neukronstadt, Hannover, Colonial Confederation

Der uralte Transportschweber, bei seinen Nutzern unter dem Namen "Mürrischer Akiti" bekannt, ließ seinen Antrieb aufheulen, als er die Kurve mit mörderischer Geschwindigkeit nahm. Die Insassen an Bord des betagten Fahrzeugs - ein ehemaliges Militärmodell, das man vor Jahren ausgemustert, mit einem einheitlich blauen Anstrich versehen und der planetaren Polizei von Hannover zugeteilt hatte - klammerten sich krampfhaft fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Wie die gesamte Bevölkerung der Konföderation waren sie ein bunt gemischter Haufen, auch wenn die Menschen überwogen - der leitende Lieutenant aber war ein Akarii, die Fahrerin eine Soridachi, und unter den Polizisten war auch ein Tonari. Die sperrigen Gefechtsanzüge in identischen Farben, vor allem aber die Helme gaben ihnen ein gewisses Maß an...nun ja Uniformität. Und ließen sie bedrohlich wirken - vor allem wenn man die Waffen hinzunahm, die sie mit sich führten. Die meisten waren zwar nonlethal - Sonarschocker, Schrotflinten zum Verschießen von Tränengas- und Gummigeschossen, Schlagstöcke, die auch Elektroschocks austeilen konnten, dazu kamen ein Satz massiver, einseitig verspiegelter Kunststoffschilde. Aber wer auch immer die Ausrüstung konstruiert hatte, er hatte definitiv Einschüchterung im Sinn gehabt.
Die Männer und Frauen starrten blicklos vor sich hin, denn im Inneren ihrer Helme wurden ihnen gerade die taktische Lage ihres Einsatzgebietes und eine Einweisung des Operationsleiters eingeblendet.
Die Polizeien der Konföderation waren wie so vieles primär auf planetarer Ebene organisiert. Es gab auch eine übergeordnete gesamtstaatliche Behörde, aber deren Befugnisse waren sehr begrenzt. Die übliche Polizeiarbeit - von der Verfolgung von Kleinkriminalität und Verkehrsdelikten bis zu Schwerverbrechen wie Mord - fiel in den Bereich der planetaren Sicherheits- und Kriminalpolizeien, wobei die Planeten auch über Bereitschaftshundertschaften verfügte, die für besondere Notfälle gedacht waren. Sie waren nicht mit den paramilitärischen Formationen des Zivilschutzes zu verwechseln, der Bereitschaftsmiliz, obwohl sie einiges gemeinsam hatten. Aber die Miliz war nicht in erster Linie polizeilich geschult.
Alles in allem war die Zahl der Einwohner je Polizist in der Konföderation einiges höher als in der Bundesrepublik, selbst auf den Welten, die nicht ganz so...bunt waren wie einige eher periphere Planeten. Man wollte peinlich alles vermeiden, was nach einem Polizeistaat aussah. Schließlich definierte sich die Konföderation innenpolitisch auch aus ihren Unterschieden zur Bundesrepublik und - vor allem in den letzten hundert Jahren - besonders zum Imperium der Akarii. Man hatte freilich frühzeitig gelernt, die personelle Schwäche durch den rigorosen Einsatz von Drohnen für Aufgaben wie die Verkehrskontrolle oder die Überwachung Verdächtiger zu kompensieren. Auch das innerhalb rechtlicher Grenzen, versteht sich.

Im Moment haperte es freilich mit diesem Standbein, und nicht nur mit dem. Als die kaiserlichen Streitkräfte Hannover überfallen hatten, war auch die Polizei - angefangen vom höchsten Offizier bis herunter zur letzten Drohne - in den Dienst der Verteidigung gestellt worden. Die Polizeikräfte der Hauptstadt hatten ihre kleinen, mobilen Rotordrohnen sogar mit einigem Erfolg zur Aufklärung einsetzen können und damit einen taktischen Vorteil gegenüber den Invasoren gehabt. Bis die Imperialen nach einigen Rückschlägen lernten, und die Drohnen abzuschießen begannen. Die Dritte Hundertschaft, zu der "Mürrischer Akiti" gehörte, war eigentlich in Neukronstadt stationiert gewesen, einer Drei-Millionen-Stadt zweihundert Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Sie hatten es gerade noch rechtzeitig zur Invasion "geschafft", und hatten in den folgenden Kämpfen 13 Tote und 28 Verwundete zu beklagen gehabt. Ähnlich schlimm sah es auch bei allen anderen Polizeieinheiten aus, die man an der Invasionszone Hannovers zusammengezogen hatte - und die Polizeikräfte im Rest des Planeten waren ausgedünnt worden, um die Lücken zu stopfen. Die Dritte war inzwischen wieder in Neukronstadt eingetroffen, aber wie die Konföderation als Ganzes fand sie auch dort keine Ruhe.

Polizeileutnant Aran Korrek fragte sich nicht zum ersten Mal, wie es hatte so weit kommen können. Die letzten Monate waren der reinste Alptraum gewesen. Erst die grauenhaften Schlachten gegen die Kaiserlichen, eine Hölle aus Lärm, Feuer und Rauch. Er war sich ziemlich sicher, dass er mindestens einen feindlichen Marine erschossen oder zumindest schwer verwundet hatte - es war ja nicht so, dass man die Gelegenheit hatte, eine Strecke zu legen. Aber sei dem wie es sei - das war kein Trost dafür, dass er den Tod so vieler Kameraden hatte mit ansehen müssen, die schweren Verwüstungen der Hauptstadt aus erster Hand miterlebt hatte, das unermessliche Leid, das der Mord an gut 10.000 Zivilisten und noch viel mehr Soldaten, Matrosen, Polizisten und Milizionären durch die imperialen Streitkräfte verursacht hatte. Als konföderierter Akarii hatte er den überraschenden Friedensschluss mit den Angreifern mit Reserviertheit aufgenommen. Wenn es etwas gab, was man als Nachkomme von Exilanten mit Sicherheit wusste, dann, dass man dem Kaiserreich nicht trauen konnte. Aber natürlich war er froh gewesen, dass seiner Heimatwelt schlimmere Zerstörungen erspart geblieben waren. Die Verrenkungen Cochranes, den gesamten Krieg als eine Art Irrtum hinzustellen, war freilich bei Korrek wie bei vielen Einwohnern der Konföderation alles andere als gut angekommen. Dieses Verhalten hatte zwar weniger dem Frieden, wohl aber Cochrane und seinen Anhängern eine Menge Sympathie gekostet, die sie durch die Beendigung des Krieges errungen haben mochten.
Doch die wenigsten hätten sich ausmalen können, welche verrückten Kapriolen die Politik und Strategie der Konföderation in den folgenden Monaten noch geschlagen hatten.

Der Einmarsch von drei Trägerkampfgruppen der Colonial Navy in das Gebiet der FRT hatte zu Reaktionen geführt, die man nur noch als Hysterie bezeichnen konnte. Auf zahllosen Welten hatten Demonstrationszüge, die Medien und auch aufgebrachte Regionalparlamente von den lokalen Regierungsoberhäuptern, den Gouverneuren, Aufklärung gefordert. Immerhin bildeten diese das Zentralparlament, das Council, das wiederum den Generalgouverneur wählte, über die Gesetzgebung wachte und mithin für die Regierungspolitik mitverantwortlich war. Es war nur natürlich, dass vor allem die Bürger an der Grenze zur Bundesrepublik aufgebracht waren, schließlich würde jede terranische Reaktion sie zuerst treffen. Und die Beziehungen zur FRT - bis hin zu grenzübergreifenden Familienbanden - waren dort stets besonders dicht gewesen. Die Gouverneure ihrerseits hatten das tun müssen, was für einen Regierungschef fast noch schlimmer war als einen Fehler oder ein Verbrechen zuzugeben. Sie hatten eingestehen müssen, dass sie gar nicht gefragt worden, dass sie macht- und ahnungslos geblieben waren und von dem Einmarsch erst aus den terranischen Medien erfahren hatten - praktisch zeitgleich mit der offiziellen Note der Bundesrepublik. Wie eine Medienkommentator es ausgedrückt hatte, hatten sie wie Idioten dagestanden, Nickesel, die nichts mehr zu melden hatten, während Hannover über ihre Köpfe hinweg einen intergalaktischen Krieg riskierte.

Die Reaktion der FRT war von einer schneidenden Schärfe gewesen, die nur knapp unterhalb einer offiziellen Kriegserklärung geblieben war. Mit der Unterstützung fast aller Senatoren hatte Präsidentin Birmingham erklären lassen, nur die lange gemeinsame Geschichte, das brüderlich geteilte Leid während des Krieges gegen das Imperium und der aufopferungsvolle Kampf der CAV an der Seite der TSN halte sie davon ab, ob des inflagranten Kriegsaktes unverzüglich umfassende Vergeltungsmaßnahmen gegen die Colonial Navy anzuordnen. Man behalte es sich aber natürlich vor, auf den feigen und hinterhältigen Angriff mit angemessenen Schritten zu reagieren, um das konföderierte Militär dauerhaft daran zu hindern, die Grenze und Interessen der Bundesrepublik jemals wieder in vergleichbarer Weise zu verletzen.
Nicht wenige Vertreter von Medien, Politik und Öffentlichkeit in der FRT hatte ohnehin wesentlich weitergehende Gegenmaßnahmen gefordert. Der Tod von mehreren Dutzend terranischer Matrosen, die gefallen waren, als ihre Schiffe von konföderierten Einheiten angegriffen wurden, die sich als flüchtende FRT-Frachter ausgaben, war nichts, was die terranische Öffentlichkeit leichthin akzeptieren konnte. Selbst jene Terries, die bisher für den Separatfrieden der Konföderation Verständnis geäußert hatten - ein sehr unpopuläres und extrem seltenes Verhalten - schwiegen, oder verurteilten die Aktionen der CN auf das schärfste. Und gerade Birminghams republikanischer Rivale hatte ihr Entscheidungsschwäche und schwere Fehler in der Regierungsführung vorgeworfen, schließlich war sie ja de jure auch Oberkommandierende der Streitkräfte. Der Subtext war klar - mit ihm als Regierungschef wäre es nie so weit gekommen, und Birmingham habe auch nicht die nötige Kompetenz, um die Krise weiterhin zu managen. Es war nicht so, dass die Menschen in Nkuma mit einmal den Retter in der Not erblickten, aber seine Aktien waren jedenfalls gestiegen. Die Voraussagen über den Ausgang der anstehenden Wahl wurden immer widersprüchlicher. Nahezu alle Analysten der Bundesrepublik und Konföderation waren sich jedoch einig, dass ein Wahlsieg des republikanischen Kandidaten einiges wahrscheinlicher geworden war. Und dass dieser die Möglichkeit einer militärischen Eskalation zwischen den Nachbarstaaten eher erhöhen würde.
Natürlich hatte dies etliche Konföderierte gegen die FRT aufgebracht, schließlich sah man die Verschlechterung der Beziehungen vielfach als Schuld der Terries. Allerdings waren noch mehr Colonials der Ansicht, dass man genau diese Art von Reaktion hätte vorausahnen können, ja müssen, und dass die Konföderation weiß Gott nicht gerade in einer Situation war, in der es wünschenswert oder weise erschien, ihrem Nachbarn ins Gesicht zu schlagen.

Die Einwohner der Konföderation waren nur zu gut darüber informiert, was sich in der Bundesrepublik tat - schließlich empfingen sie auch deren Überlicht-Nachrichtensendungen. Gerade auf den Welten an der terranisch-konföderierten Grenze fragte man sich, was unter den erwähnten ,angemessenen Reaktionen' zu verstehen war. Eine Verstärkung der Grenzsicherung? Das Verminen von Sprungpunkten? Oder aber präventive Aktionen gegen Verbände der konföderierten Flotte und deren Infrastruktur? Vor wenigen Monaten noch hätte man dergleichen nicht für möglich gehalten. Doch die Zeit der Gewissheiten war vorüber.
Die Einwohner der Konföderation waren stark, und sie hatten sechs Jahre blutigen Krieges durchgehalten. Aber nach dem überraschenden und brutalen Angriff der kaiserlichen Flotte auf Hannover und der Verkrüppelung ihrer Verteidigungsstreitkräfte durch Schlachten und terranische Internierung, angesichts eines vollkommen unerwartet drohenden Krieges gegen einen langjährigen Freund und Nachbarn, zeigten sie Nerven. Gerüchte über massive Flottenbewegungen auf terranischer Seite steigerten die Nervosität nur noch weiter. Es hieß, die TSN ziehe Kreuzer und Zerstörer zu einer mobilen Kampfgruppe unter dem Befehl eines kampferprobten und hoch dekorierten Veteranen zusammen - genau der Sorte Kommandeur, dem man einen Blitzangriff auf Ziele in der Konföderation anvertrauen würde.

Der Verlauf des Angriffs der Konföderation hatte nur zeitweise zur Beruhigung beigetragen. Viele waren natürlich erleichtert gewesen, dass die große Schlacht - zumindest vorerst - ausgeblieben war. Nicht wenige feierten die Befreiung von gut 40.000 Internierten aus der Hand der Terraner. Die regierungsnahen Medien schlugen denn auch kräftig Kapital aus diesem Ergebnis. Allerdings war die Medienlandschaft der Konföderation noch nie ,stromlinienförmig' gewesen, hatte nie mit nur einer Stimme gesprochen. Viele Planeten hatten ihre eigenen Formate, die auf der Heimatwelt, aber auch auf Nachbarplaneten empfangen wurden. Nachrichtensender, die die ganze Konföderation gleichermaßen erfassten, gab es nur wenige, und gerade sie waren auf ihre Unabhängigkeit bedacht. Dass die öffentliche Meinung ebenso wie die Mehrheit der Nachrichtensender in der Vergangenheit die Regierungspolitik mitgetragen hatte, hatte zu einem großen Teil an gemeinsamen Überzeugungen und der flankierenden Unterstützung der Terraner gelegen. Diese Kooperation aber war spätestens mit dem Separatfrieden der Konföderation zerbrochen - auch innerhalb der Konföderation. Und deshalb stimmten viele der regionalen Nachrichtensender nicht wirklich oder zumindest nicht vorbehaltlos in den Jubel ein. Dies betraf sowohl die Welten an der Grenze zur Bundesrepublik, als auch solche an der Grenze zum Imperium. Sie hatten am meisten unter dem Krieg gelitten, und waren deshalb nicht glücklich über etwas, das den Kriegsanstrengungen des Kaiserreiches half. Und diese Welten waren besonders kriegsmüde.
Der Verlust eines der wenigen verbleibenden konföderierten Träger war natürlich auch nichts, was Begeisterung auslöste, auch wenn es viel schlimmer hätte kommen können. Die Verluste der Operation waren mit ca. 200 Toten und Verwundeten schmerzhaft, aber überschaubar. Das minderte natürlich wenig das Leid der Familien, die Angehörige verloren hatten.

Da waren zunächst einmal vor allem die Toten an Bord der ROBERT DELANY, und zu diesen kamen einige Besatzungsmitglieder und zum Teil auch Passagiere an Bord einiger der Shuttles, beschädigt oder zerstört worden waren. Einige waren bei der Abwehr terranischer Atomraketen durch Sekundärexplosionen beschädigt oder zerstört worden, die meisten aber waren während der überhasteten Evakuierungsoperation ausgefallen. Um ein komplettes Infanterieregiment und ein verstärktes Panzerbataillon auf die Oberfläche eines Planeten zu befördern UND postwendend wieder abzuholen, dazu noch 40.000 ehemalige Gefangene, waren mehr als 1.000 Hin- oder Rückflüge nötig gewesen. Dazu war dieser logistische Alptraum in einem Bruchteil der Zeit zu bewältigen gewesen, die die Terraner gehabt hatten, um die Gefangenen erst einmal abzuliefern. Die besten Shuttlepiloten der Einsatzgruppe waren als Raketenabwehrspezialisten im Einsatz gewesen. Ihre Kollegen hatten in größter Hast starten und landen, ihre Maschinen be- und entladen sowie betanken müssen, in einem System, das sie nicht kannten - bei vier, fünf Flügen nacheinander, alle geflogen mit der maximalen vertretbaren Geschwindigkeit und zum Teil riskanten Flugmanövern. Es war ja auch nicht auszuschließen, dass ein Terry mit einer portablen SAM oder einem Schnellfeuerlaser verrückt spielte. Deshalb hatte es gerade in der letzten Phase der Evakuierung einige Unfälle gegeben.

In der gesamten Konföderation hatte man angstvoll auf die terranische Reaktion gewartet - eine Angst, die die beruhigenden Botschaften aus den eigenen Regierungskreisen keineswegs zerstreuen konnten. Auch die kaiserliche...Begünstigung der konföderierten Operationen hatte nicht wirklich zur Besserung der Stimmung beigetragen. Das Imperium, und ganz besonders Führer wie Admiral Ilis, war verhasst, und die meisten Konföderierten hatten zumindest ein schlechtes Gefühl, wenn konföderierte und imperiale Streitkräfte von den Operationen des jeweils anderen gegen die Bundesrepublik profitieren. Bei aller Verbitterung über terranische Rechtsbrüche und Arroganz, die zahllosen Toten des Krieges mit dem Kaiserreich waren unvergessen.
Als dann freilich tatsächlich terranische Truppen in Marsch gesetzt wurden und auch erste Schüsse fielen, waren es nicht die, mit denen die Analysten gerechnet hatten.
Die Einwohner der Konföderation neigten dazu, die FRT oft als einen monolithischen Block zu betrachten, der von der allmächtigen Zentrale auf Terra gelenkt wurde, die die Interessen der Bewohner der Randsektoren oft ignorierte. Das war ja schließlich der Gründungsmythos der CC - die Lossagung von einer Regierung, die zu sehr von den Interessen der Zentralwelten und Wirtschaftsgiganten geprägt war. Ein Erbe, das zu dem Regierungssystem der Konföderation geführt hatte, in dem jeder Planet große Teile seiner Verwaltung selbst organisierte und gleichberechtigt im Council der Gouverneure vertreten war. Diese Sicht hatte einen wahren Kern, aber wie viele Gemeinplätze bot sie nur ein unvollständiges Bild. Denn die terranischen Ministerpräsidenten - die gewählten Oberhäupter der vielleicht 170 bis 180 Verwaltungsbezirke, die mitunter mehrere Planeten, oft ein System und im Falle der Erde mitunter auch "nur" den Teil eines Kontinents umfassten - waren keineswegs nur ohnmächtige Befehlsempfänger der Präsidentin oder des Senats. Die Krise von Sterntor hatte nach Ansicht vieler Experten als so etwas wie ein Weckruf für die Regionalregierungen fungiert. Der Einmarsch konföderierter Truppen in die FRT wurde zu ihrer ersten richtigen Bewährungsprobe.

Binnen einer Woche hatte ein ad-hoc-Bündnis von mehreren Dutzend Ministerpräsidenten, deren Regierungsbezirke direkt an der Grenze zur Konföderation oder im Hinterland dieser Sektoren lagen, eine machtvolle Reaktion in Gang gesetzt. Aus dem Inneren der FRT, weit weg von den Grenzen oder der Front zum Imperium, hatte man eine Flotte aus gut 30 Kriegsschiffen der Nationalgarde zusammengetrommelt und an die konföderierte Grenze verlegt. Es waren zwar zumeist nur betagte Korvetten und Fregatten, unterstützt durch einige Hilfsschiffe, alle in einem echten Gefechtseinsatz von geringem Werte. Dazu kam ein gemischtes Geschwader aus drei Staffeln Mirage-Jagdbombern und neun Staffeln Jägern, meist vom Typ Typhoon, Phantom und Griphen B, sowie ein Hilfsgeschwader mit zwölf Staffeln Shuttles. Es war fast schon ein Wunder, dass sie es geschafft hatten, die Maschinen so schnell an ihren neuen Stationierungsorten einsatzbereit zu machen und dies auch auf Dauer durchzuhalten. Zweifellos war das nur durch die Hilfe der lokalen Nationalgarden und der TSN gelungen.
Unterstützt durch Einheiten des Zolls und der lokalen Nationalgarden hatte diese zusammengestückelte Flotte schlagartig nahezu jeglichen noch existenten Grenzverkehr mit der Konföderation unterbunden. Unbewohnte Systeme wurden mit Überwachungssonden gespickt, die bei Kontakt die Grenzpatrouillen alarmierten. Und die Wächter - Kampfflieger, Kriegsschiffe oder zu Hilfskanonenbooten aufgerüstete Shuttles, die zu zweit oder dritt patrouillierten - schossen schnell und scharf, wofür sie auch den Einsatz konföderierter Q-Schiffe als Rechtfertigung anführten. Sie machten wenig Unterschiede, ob ein terranisches Schiff illegal in das Gebiet der Konföderation vordringen wollte, oder ein konföderiertes Schiff in den Raum der Bundesrepublik.
Der Schmuggel, der zumindest in begrenztem Umfang den Handel zwischen den Nachbarreichen auch nach der konföderierten Annäherung an das Imperium aufrecht erhalten hatte, war fast vollkommen zusammen gebrochen. Gerüchten zufolge verlangten die wenigen Wagemutigen, die immer noch ausliefen, exorbitante Preise. Ein gutes halbes Dutzend Frachter und Großraumshuttles konföderierter Händler war aufgebracht, ihre Besatzung als Kriminelle interniert worden. Mehr als ein Dutzend Einwohner der CC waren ums Leben gekommen - bei der Enterung ihrer Schiffe und bei der Zerstörung eines besonders wagemutigen (oder dummen) Trampfrachters, der geglaubt hatte, sich seinen Weg an einem Wing Griphen vorbei freischießen zu können. Den Gefangenen drohten der Prozess wegen Grenzverletzung, Zollvergehen - und es gab auch Stimmen, die forderten, zumindest gegen die Kapitäne den Tatbestand der Spionage in die Anklage aufzunehmen. Eine Forderung, der sich die terranische Justiz und Politik im Moment noch verweigerte. Doch niemand wusste, ob es dabei bleiben würde.
Zugleich waren die terranische planetare und die Bundespolizei scharf gegen alle Händler in der FRT vorgegangen, die illegal Geschäfte mit der Konföderation machten - sei es, dass sie Schiffe für den Schmuggel einsetzten, Schmuggelware weiter vertrieben, oder sensible beziehungsweise ,dual-use' Güter an Konföderierte verkauften. Unternehmen, denen man solche Vergehen nachweisen konnte, wurden in schwereren Fällen unverzüglich unter Zwangsverwaltung gestellt, was für ein gutes Dutzend zum Teil sehr angesehener und traditionsreicher Firmen das zeitweise, vielleicht auch endgültige Aus bedeutete.

Natürlich war der Schmuggel kein wichtiger Bestandteil der konföderierten Handelsbilanz gewesen. Er war aber für einige Welten an der Grenze zur FRT von Belang, da er geholfen hatte den massiven Export- und Importeinbruch abzufedern, und hatte zum Teil Material geliefert, dass die Konföderation selber nicht in ausreichender Menge und Qualität herstellen konnte. Es hatte ja seit Jahrzehnten keinen Grund zu vollkommener Autarkie gegeben, und die FRT hatte seit jeher auf vielen Gebieten einen technologischen oder zumindest Kostenvorteil besessen. Doch auf gesamtwirtschaftlicher Ebene relativierten sich die Folgen.
Allerdings war zugleich noch ein weiterer Schlag gegen die konföderierte Wirtschaft erfolgt. Nacheinander hatten zuerst die Peshten, dann auch die Kodak und die Pandeanische Konföderation sowie einige unabhängige Planeten - sowohl solche, die von Nichtmenschen bewohnt wurden, als auch einige unabhängige von Menschen dominierte Welten an der Peripherie der CC und FRT - den Handel mit der Konföderation auf Eis gelegt. Sie alle hatten unverhohlen ihr Missfallen über das Vorgehen der Colonial Navy Ausdruck verliehen und bekundet, sie wollten auf keinen Fall in einen Konflikt mit den Terranern hineingezogen werden. Eine Nation, die einseitig und unter Missachtung elementarster diplomatischer und militärischer Gepflogenheiten derartig massive Zwangsmaßnahmen einsetze, sei momentan kein verlässlicher Partner.
Es war anzunehmen, dass dies nicht ohne terranischen Einfluss geschah - doch die Folgen waren für den ohnehin erheblich geschwächten Außenhandel der Konföderation schwerwiegend. Die Wirtschaftsprognosen wurden momentan geradezu täglich nach unten korrigiert. Bundes- oder regionale Staatsanleihen waren nicht mal mehr die Plaste und Elektronik wert, aus denen ihre Zertifikate bestanden. Nicht wenige Unternehmen hatten bereits betriebsbedingte Kündigungen in Aussicht gestellt, einer großen Zahl kleinerer und mittlerer Firmen drohte die Zahlungsunfähigkeit oder sie war schon eingetreten - und weder die Zentral-, noch die planetaren Regierungen konnten effektiv darauf reagieren. Zahllose regionale Börsen waren derart abgestürzt, dass sie geschlossen werden mussten, und auch die Zentralbörse der Konföderation hatte mehrfach tageweise den Betrieb einstellen müssen, als die Kurseinbrüche durch wilde Gerüchte angeheizt vollkommen außer Kontrolle gerieten. Zwar wurden manche der Einbrüche wieder ausgeglichen, sobald die wildesten Parolen entkräftet werden konnten, aber die Kapitalverluste waren gigantisch.
Zugleich ächzte das ohnehin angeschlagene interplanetare Transportsystem der Konföderation, weil tausende Menschen aus Angst vor TSN-Angriffen von Welten an der Grenze zur Bundesrepublik flohen, während die Rückführung der Flüchtlinge des letzten Krieges noch lange nicht abgeschlossen war. All dies trug zu regionalen Lieferengpässen bei.

Auf mehr als einem Dutzend Welten war es zu heftigen Tumulten gekommen. Die Zivilbevölkerung kaufte die Märkte leer, um sich für den Fall eines terranischen Angriffs oder Blockade mit dem Nötigsten einzudecken. Immer wieder gerieten solche ,Anstürme' außer Kontrolle und arteten zu regelrechten Plünderungen aus. Wenn dann Polizei ausrückte, um Ordnung zu schaffen, kam es regelmäßig zu schweren Zusammenstößen. Nicht wenige Menschen waren wütend über die gesamtstaatliche aber auch planetare Regierung, die sie nicht ausreichend versorgen oder beschützen konnte. Manche Geschäftsinhaber griffen ihrerseits zur Waffe, um Hab und Gut zu schützen.
Auch Banken wurden förmlich gestürmt, als die Einwohner versuchten ihre Einlagen zu Bargeld zu machen. Vielfach hatte man sie wegschicken müssen, weil einfach kein Geld mehr vorhanden war, und auch dies hatte zu Tumulten geführt. Angriffe richteten sich auch gegen Aktienmärkte - es war schon ein ganz eigener Anblick, wenn eine Meute aus Kleinanlegern, eigentlich gut situierte Männer und Frauen verschiedenster Spezies, ob des Verlustes ihrer gesamten Altersvorsorge oder der Rücklagen für ihre Kinder wie eine Meute Anarchisten randalierte und Computerterminals zerschlug.

Und natürlich hatte es zahlreiche Demonstrationen gegen-, aber auch für die Regierung Cochrane gegeben, für eine Abspaltung dieses oder jenes Planeten von der Konföderation, aber auch dagegen, für und wider den Frieden mit dem Imperium. In der angeheizten Lage waren die Teilnehmer der verschiedenen Lager nur zu oft aneinander geraten, auch weil die Polizei einfach nicht mehr in der Lage war, sie zu trennen. Die Leidenschaften, die die Konföderation einst geschaffen und ihr politisches Leben so lange geformt und getragen hatten - Unabhängigkeit, Individualismus, ein relativ zurückhaltender Staat und eine große Pluralität der Meinungen - zeigten jetzt in einer als existenziell empfundenen Krise ihre Schattenseiten.
Hannover war von all dem besonders hart betroffen. Zwar lag die Welt ein gutes Stück entfernt von der Grenze zur Bundesrepublik, aber wie kaum ein anderer Planet der Konföderation - mit Ausnahme der erst kürzlich von den imperialen Besatzern geräumten Welten - hatte sie gelitten. Zu den zivilen Toten, die Admiral Ilis' Angriff verursacht hatte, kamen noch mehrere tausend Einwohner Hannovers, die in der Raumschlacht oder während der Bodenkämpfe als Angehörige von Navy, Army, Polizei und Zivilschutz getötet worden waren. Ihr Verlust hatte eine tiefe Wunde in der Seele der Gesellschaft hinterlassen, und das Vertrauen vieler Einwohner in ihre Regierungen zerrüttet. Einige Menschen verehrten Cochrane geradezu, weil er den Planeten vor dem Schlimmsten bewahrt hatte, doch andere sahen in ihm nur einen Versager oder Verräter. Und da die Geduld der Menschen und Nichtmenschen auf der Hauptwelt der Konföderation aufgebraucht waren, reagierten sie besonders gewaltsam.

Und das war der Grund, warum die ,Dritte' einmal mehr in den Einsatz geschickt wurde, das vierte Mal in den letzten zwei Wochen. Das Briefing des Einsatzleiters klang fast schon routiniert: "Die Position der Ziele können Sie den Karten entnehmen. Ihre Zahl wird auf etwa 300 geschätzt, kleine Gruppen stoßen ständig hinzu oder verlassen den Hauptpulk. Ihre Aufgabe ist es, den Pulk vom Primärziel abzudrängen und aufzulösen. Verhaftungen sind auf Grund unserer geringen Mannschaftsstärke vor Ort nur vorzunehmen, wenn die Umstände günstig sind - wir identifizieren die Beteiligten nach Möglichkeit anhand der Aufzeichnungen, unsere Kollegen werden sie dann verhaften. Es kommen die Teams drei, vier und neun von..."
Der Transporter stoppte abrupt. Die elektronisch verstärkte Stimme, die die Menschen aufforderte nach Hause zu gehen, war selbst im Inneren des Fahrzeugs und unter den Helmen zu hören. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Kleine Geschosse - Steine, Flaschen und wohl auch Feuerwerkskörper - prasselten wie ein Hagelschauer auf die Außenhaut. Die Zeit, in der verbale Appelle gefruchtet hatten, war schon lange vorbei.
Korrek warf seinen Kameraden einen letzten Blick, dann strafft er sich: "Rampe öffnen!"
Die Bereitschaftspolizisten stürmten aus ihrem Transporter. Schildträger formierten sofort eine Kette, die gegen die Menschenmenge vorrückte. Weitere Trupps aus anderen MTW's schlossen sich an. Über die Schilde hinweg wurden die ersten Tränengasgranaten abgefeuert, giftgrüne oder tiefrote Rauchschwaden waberten durch die Straßen - das Gas war zum Teil mit Markierungsstoffen versetzt, um die Beteiligten später identifizieren zu können. In einer Kakophonie von Schreien und Flüchen trafen die Zivilisten und die Polizei aufeinander.

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Die Stunde der Wahrheit und der Lügen

An einem unbekannten Ort, Hannover, Colonial Confederation

Edward Cochrane hasste es, zu warten. Nicht das Warten an sich, natürlich - er sah sich eigentlich nicht als sonderlich ungeduldigen Menschen. Nein, das Warten, an das er sich in den letzten Wochen hatte gewöhnen müssen. Das Warten darauf, dass seine Leibwächter ihm signalisierten, dass alles frei war, und er sein Fahrzeug verlassen konnte. Wobei es sich bei dem Schweber um einen unmarkierten, dezent modifizierten VIP-Transporter handelte. Die Tage, an denen er sich in einer regulären Regierungsmaschine oder gar zu Fuß durch die Straßen der Hauptstadt bewegen konnte, waren erst einmal vorbei - und er zweifelte langsam daran, dass sie jemals wieder kommen würden.
Als er den Befehl zu Operation Raccon gegeben hatte, da hatte er dies in dem Glauben getan, damit sowohl die Streitkräfte, vor allem aber auch die Bevölkerung der Konföderation vereinen zu können. Sie von dem Alpdruck der Internierung zehntausender ihrer Landsleute zu befreien, ihnen etwas zu geben, worauf sie stolz sein könnten - und vielleicht gar einen Schlussstrich unter die Konflikte innerhalb der Konföderation ziehen zu können, wenn schon nicht unter den Krieg mit dem Imperium und dem Zerwürfnis mit der Bundesrepublik, das dem Ende des Krieges gefolgt war. Inzwischen war klar, dass er damit auf ganzer Linie gescheitert war.
Es war nicht so, dass seine Politik einhellig abgelehnt und verdammt wurde. Es gab immer noch Menschen und einige Nichtmenschen - von den einfachen Bürgern bis zu hochrangigen Entscheidungsträgern und Wirtschaft, Politik und Militär - die sein Verhalten für richtig hielten. Doch es gab mindestens ebenso viele, die alles was er getan hatte, alles wofür er stand, erbittert ablehnten. Und was zunächst als politische Meinungsverschiedenheit begonnen hatte, das schlug inzwischen nicht selten in offene Gewalt um. Wenn man mit ansehen musste, wie Puppen mit dem eigenen Namen in effigie verbrannt wurden, wenn die reale Gefahr bestand, dass schon das Gerücht, man sei da oder dort gesehen worden, zu wütenden Demonstrationen und Gegendemonstrationen führen und gewaltsame Ausschreitungen provozieren konnte, nun, das veränderte einen Menschen.

Er hatte zunächst den ,Aufstand' im Council für einen politischen Machtkampf gehalten - doch die folgenden gut zwei Wochen hatten ihn schnell eines anderen belehrt. Die Anklagen gegen seine Politik waren auf ein breites Echo gestoßen. Dies fing bereits in den Streitkräften an. Die Desertionen, die vor wenigen Wochen praktisch ganz aufgehört hatten, waren wieder zu Rekordzahlen empor geschnellt. Der einzige Unterschied war, dass diesmal nur sehr wenige Konföderierte sich bemühten, die Grenze zur Bundesrepublik zu überschreiten. Um so mehr aber verkündeten die feste Absicht, ihre Dienstverträge zum nächstmöglichen Zeitpunkt auslaufen zu lassen, oder verschwanden sang- und klanglos, wenn sich die Gelegenheit bot. Auf mehreren Schiffen war es zu Beinahe-Meuterein gekommen. Viele Offiziere und Mannschaften, ganz besonders solche aus den Reihen der T'rr, Soridachi, Tonari und Akari, reagierten erbittert auf eine Politik, die in ihren Augen nicht nur kriminell riskant war, sondern darüber hinaus ein offener Rechtsbruch. Als Begründung für ihr Handeln nannten die meisten, dass sie sich gemeldet hatten, um die Konföderation vor Angriffen zu schützen und ihre Verfassung zu bewahren. Nicht aber, um besagte Verfassung auszuhebeln und ihre Heimat in den nächsten Krieg zu stürzen. Lautstarke Stimmen in Politik und Militär stellten bereits alles, was an Integration in der Colonial Navy in den letzten sechs Jahren erreicht worden war, in Frage. Zu Anfang des Krieges war die CN im Grunde eine Streitmacht gewesen, die von der Struktur - freilich nicht von der Ausrüstung und Ausbildung - her stark der terranischen Nationalgarde geähnelt hatte. Erst der Krieg hatte die Colonials dazu gebracht, sich wirklich als eine überstaatliche Streitmacht zu empfinden. Doch nun forderten zahlreiche Gouverneure wieder entschieden ihr Recht auf Mitbestimmung ein, forderten, über die Verwendung der Mittel und Mannschaften verfügen zu können, die ihr Planet beisteuerte, ja über die Stationierung von Schiffen mitentscheiden zu können. Besonders lautstark wurde diese Forderung von den Grenzwelten erhoben. Sie fanden deutlichen Rückhalt bei zahlreichen Soldaten und Offizieren.
Die Zahl der neuen Rekruten hingegen war deutlich gesunken. Das war freilich wenig verwunderlich - sechs Jahre Krieg hatten einen Großteil der Dienstwilligen bereits zu den Fahnen gerufen. Die Bevölkerung war in der Mehrheit kriegsmüde, und für einen potentiellen Waffengang mit den Terranern ließ sich kaum jemand begeistern. Allerdings benötigten die konföderierte Armee und Flotte ohnehin momentan weniger ein Massenaufgebot untrainierter Rekruten, als vielmehr anderthalb bis zwei Jahre Zeit, um die Verluste von Krieg und Desertionen durch gut ausgebildete Neuzugänge zu ersetzen.

Politische und wirtschaftliche Separationsbewegungen hatten ebenfalls Konjunktur. Noch hatte sich kein Gouverneur offen an ihre Spitze gestellt, aber etliche - zu viele - schwiegen oder bekundeten zumindest Verständnis mit den Wünschen der Protestierenden. Es mochte verführerisch klingen, gravierende Wirtschaftsprobleme oder die Angst vor einem Krieg mit den Terranern - oder einer schleichenden imperialen Übernahme - durch einen Anschluss an die Bundesrepublik oder eine Unabhängigkeitserklärung zu bekämpfen. Ob das tatsächlich die beste Option war, stand auf einem anderen Blatt, aber die Stimmen dafür waren nun einmal da, und sie wurden lauter. Nicht auszuschließen, dass dezente terranische Einflussnahmen die Situation noch anheizten, obwohl der Großteil der Krise zweifellos hausgemacht war.
Auch die großen Unternehmen und die Vertretungsorganisationen der verschiedenen Wirtschaftsgruppen waren gespalten. Manche sahen in der anlaufenden Verständigung mit dem Imperium eine Chance für die Zukunft oder wollten die Konföderation autarker machen, Vorteil aus dem Wegfall der terranischen Konkurrenz ziehen. Andere hingegen lehnten diese Schritte entschieden ab und plädierten für eine pro-terranische Kurskorrektur, um den Handel mit der Bundesrepublik zumindest mittelfristig wiederzubeleben. Diese Fraktion vertrat die Ansichten der Mehrheit, denn die meisten Wirtschaftsvertreter waren sich einig, dass die Konföderation bewaffnete Konflikte mit der Bundesrepublik um jeden Preis vermeiden musste - und eine Zusammenarbeit mit dem Imperium nicht nur schwierig war, sondern angesichts der militärischen Entwicklung und politischen Unruhen im Imperium auch auf mittelfristige Sicht nicht sehr vielversprechend.
Wo auch immer die Sympathien lagen, in der augenblicklichen schweren Wirtschaftskrise hatten auch die Unternehmen eine Stimme, die Gehör fand und vielleicht den Ausschlag geben konnte.
Im Zuge des sich anbahnenden Misstrauensvotums gegen die Regierung Cochrane, der entscheidenden Abstimmung darüber, ob ein Amtsenthebungsverfahren in Gang gesetzt und eine Untersuchungsausschuss gegen die militärische und politische Spitze einberufen werden sollte, hatten all diese Kampagnen und Debatten an Fahrt und Schärfe gewonnen. Es fehlte nicht viel, und einige Gouverneure wären im Council mit den Fäusten aufeinander losgegangen.

Edward Cochrane hatte sich in den letzten Wochen manchmal gefragt, ob es das überhaupt wert war. Die aufreibenden, endlosen Arbeitstage zehrten ebenso an seinen Kräften wie der unverhohlene Hass, der ihm so oft entgegenschlug. Natürlich wusste er, dass weder er noch sein Stellvertreter Gerold Holmes unersetzlich waren. Aber aufzugeben hätte sehr wahrscheinlich bedeutet, seinen Gegnern das Feld zu überlassen. Und das konnte er nicht, nicht zuletzt weil nicht auszuschließen war, dass das Imperium überreagieren würde. Die Signale, die von der konföderierten Botschaft auf der kaiserlichen Zentralwelt kamen, waren alles andere als beruhigend. Da war es vielleicht sogar von Vorteil, dass es im Kaiserhaus im Moment drunter und drüber ging. Dennoch, er MUSSTE die Dinge unter Kontrolle bekommen, und das, bevor das Kaiserreich oder die Bundesrepublik einen weiteren, vielleicht fatalen Schritt unternahmen.
Und deshalb war er hier, um Unterstützung zu mobilisieren. Eine Handvoll Gouverneure stand zweifelsfrei hinter ihm, aber das waren bei weitem zu wenig. Andere stellten zumindest Bedingungen, schwankten noch oder ließen sich nicht anmerken, wie sie sich positionieren würden - zweifellos um erst einmal abzuwarten, wie sich die Mehrheitsverhältnisse entwickelten. Cochrane wusste, dass er Hilfe brauchte, und deshalb war er hier, um mit dem Gros der eher zweifelhaften Kandidaten zu verhandeln. In zwei Tagen sollte die entscheidende Abstimmung über seine Amtsenthebung stattfinden, und noch immer war nicht ansatzweise abzusehen, wer sich durchsetzen würde.

Bereits die Zahl der Personenschützer war ein deutlicher Hinweis, wie hochkarätig das Treffen besetzt war. Die Teilnehmenden waren natürlich nur mit einem Minimum an Gefolge gekommen, aber ganz auf Eigensicherung konnte man gerade in diesen Tagen auch nicht verzichten. Anders als im Fall von Cochrane handelte es sich bei ihrem Geleit nicht um Angehörige der Präsidentengarde, die von regulären Soldaten der Stormin' Presidents gebildet wurde. Die Gouverneure hatten das Recht auf eigene Personenschützer, die zumeist den Polizeiverbänden ihrer Heimatwelten entstammten. Auch das war ein Erbe der Vergangenheit - die unmittelbare Sicherheit der Regierungsvertreter der Einzelwelten unterstand keiner gesamtstaatlichen Einheit. Natürlich handelte es sich bei den Menschen - auf Unterstützung nichtmenschlicher Gouverneure konnte Cochrane nicht mehr rechnen - nicht durch die Bank weg um Gouverneure. Viele von diesen amtierten auf ihren Planeten und waren im Council beziehungsweise bei diesem Treffen durch stimmberechtigte, wenngleich weisungsgebundene Stellvertreter präsent. Doch ob echte Regierungschefs oder Stellvertreter, die meisten der Männer und Frauen machten einen erschöpften, überarbeiteten Eindruck. Schon die Aufgabe, die Konföderation als Gesamtstaat wie auf planetarer Ebene am Laufen zu halten, war unter den gegebenen Umständen eine kaum zu bewältigende Aufgabe. In den letzten Wochen aber war fast jede Debatte zu einer Generalabrechnung mit den politischen Gegnern mutiert. Die Legislative hatte sich de facto selbst lahmgelegt - ein im Grunde unzumutbarer Zustand. Dass sie sich konspirativ trafen war sowohl Symptom, in gewisser Weise aber auch Ursache der Krise.
Dennoch war in dem umfunktionierten Kongresssaal eine Auswahl der Elite der konföderierten Politik vertreten. Cochrane wollte freilich nicht zu sehr darüber nachdenken, ob nicht im selben Moment irgendwo auf Hannover ein vergleichbares Treffen der ,Aufständischen' stattfand - und wie gut das besucht sein mochte.

Das Zentrum des Treffens - bis zu Cochranes Ankunft - war leicht auszumachen. Mia Zhai war eine Frau mittleren Alters, eigentlich nur ein Persönchen - keine 1,60 groß und vielleicht knapp 90 Pfund schwer. Mit dem schmalen, eher aufgeweckten als hübschen Gesicht, wachen dunkelbraunen Augen, das lange schwarze Haar zu einer formellen Frisur hochgesteckt, wirkte sie nicht gerade dominierend. Aber sie war nicht nur eine der Gouverneurinnen, die persönlich anwesend waren, und vertrat mit Newport eine bedeutende Welt. Sie trug zudem nicht umsonst den ehrenvollen Spitznamen "Mia die Gnadenlose". Das lag zum einen an ihrem familiären Hintergrund, zum Teil war es eine Anspielung auf eine recht populäre Comicfigur des 20. und 21. Jahrhunderts, und außerdem hatte sie auf ihrer Heimatwelt über die Jahre einige Rivalen ausmanövriert, und während des Krieges viele nicht sehr populäre Maßnahmen hatte durchpeitschen helfen - einschließlich der nachträglichen Absegnung des Friedensschlusses. Freilich war dies zumeist auf dem Verhandlungswege geschehen - normalerweise zog sie es vor, einen Konsens herzustellen. Doch man wollte sie gewiss nicht als Gegnerin haben.
Das alles hieß nicht, dass Edward Cochrane sie als Freundin betrachtete, aber sie hatten in den letzten Jahren in einer Atmosphäre gegenseitigen Respekts zusammengearbeitet.
Mia war ein spezifisch konföderiertes Unikum. In den meisten Sternenreichen hätte es einer Politikerin gewiss nicht zum Vorteil gereicht, dass sie aus einer Händler- und Rednerfamilie stammte, deren Gründervater Offizier an Bord eines Piratenschiffes gewesen war, dem Vernehmen nach gar der illegitime Spross einer Freibeuter-,Königin' aus den Totenkopfkriegen. Aber die Konföderation, und speziell Newport, waren nicht wie die anderen Sternenreiche und Planeten. ,Lady Mia', Führerin eines Flottenverbandes von Freibeutern, hatte vor mehr als 80 Jahren während des Höhepunktes der Totenkopfkriege mit der Regierung Newports ein Abkommen geschlossen, als die Welt während dieser turbulenten Epoche konföderierter Geschichte den Austritt aus dem Staatenbund erklärt hatte. Der Gouverneur Newports sah sein Heil seinerzeit darin, die Welt als Freihafen zu etablieren, und seine Wähler hatten ihn dabei unterstützt. Der Versuch war auf schreckliche Art und Weise gescheitert, weil ein Bündnis anderer Piratenbanden Newport überfallen und teilweise verheert hatte. Doch die Schiffe und Crews von Lady Mia hatten bei der Verteidigung ihrer neuen Heimat wie auch bei der Befreiung durch die Truppen der Konföderation tapfer auf Seite der Einheimischen gekämpft. Lady Mia galt als verschollen, war aber zumindest auf Newport bis heute eine Volksheldin. Und Mia Zhai trug nicht umsonst den Namen ihrer - angeblichen - Vorfahrin, sie hatte auch deren Entschlossenheit, Verhandlungsgeschick und Killerinstinkte geerbt. Auch wenn sie diese auf einem neuen Schlachtfeld einsetzte.

Sie war die Architektin dieses Treffens gewesen. Wenngleich die Gouverneure de jure alle gleichberechtigt waren, so hatte das Wort mancher eben doch mehr Gewicht. Und Gouverneurin Zhai hatte viel Einfluss bei den Randwelten, die weder direkt an das Imperium noch an die Bundesrepublik grenzten. Diese Planeten hatten in den letzten Jahren mitunter beklagt, dass sie weder so viel von der Kooperation mit den Terraner profitierten, noch ihre Interessen wie jene der Frontwelten im Krieg mit dem Imperium vorrangig behandelt worden waren. Nicht, dass irgendeine geistig gesunde Person Welten beneidete, die direkt vom Krieg betroffen worden waren. Aber bei den begrenzten Ressourcen der Konföderation hatte das ,Frontierland', das weder an den überlebenswichtigen Handelsrouten in die FRT lag noch als Kernwelten des Staatenbundes oder frontnahe Bastionen von entscheidender Bedeutung war, doch zurückstecken müssen. Die Gnadenlose hatte es verstanden, die daraus resultierenden Spannungen abzumildern und durch unermüdliches Networking viel Druck von Hannover zu nehmen. Es überraschte wenig, dass die Randwelten auf diesem Treffen stark vertreten waren. Die Zahl der dem Imperium und der Bundesrepublik benachbarten Welten, die sich im de facto gespaltenen Council noch nicht eindeutig für eine Seite erklärt hatten, war hingegen begrenzt, dort war nur noch wenig zu gewinnen und zu verlieren. So stellten sie vielleicht ein Viertel der hier versammelten gut zwei Dutzend Repräsentanten.
Edward Cochrane wurde in der Runde nicht gerade begeistert oder herzlich begrüßt. Bestenfalls bei einem Drittel der Anwesenden war er sich ihrer Stimmen bereits relativ sicher, auch wenn es vielleicht noch einzelne offene Punkte zu klären gab. Aber er war ja auch nicht auf einer Jubelfeier seiner überzeugten Unterstützer. Selbst die Unentschlossenen oder jene, die teilweise seinem Standpunkt zuzuneigen schienen, machten ihm vielfach den Vorwurf, seine Politik sei ungeschickt und unsensibel gewesen, habe die Revolte unter den Gouverneuren wie die Empörung unter Teilen der Bevölkerung, Wirtschaftsvertreter und Militär geradezu provoziert. Dennoch musste er gerade jene für sich gewinnen, die zwar Vorbehalte gegen seinen Kurs hatten, aber nicht bereits fest im Lager seiner offenen Gegner standen.

Als die halblauten Gespräche erstarben, war der Generalgouverneur vorbereitet. Er wusste, es würde keine einfache Verhandlung werde. Er wollte bereits das Wort ergreifen, als ihm Gouverneurin Zhai zuvorkam: "Wenn Sie erlauben, Edward, bitte ich darum, noch ein wenig zu warten. Uns fehlt noch ein wichtiger Teilnehmer unseres Treffens." Cochrane nickte, obwohl er sich nicht sicher war, wen sie damit meinte. Ihm fiel auf, dass keiner der anderen Teilnehmer Ungeduld zeigte, obwohl einige von ihnen sichtlich nervös waren.
Selbst durch die geschlossene Tür war zu hören, dass der letzte Teilnehmer offenkundig eingetroffen war. Wer es auch war, er sorgte offenbar für einige Unruhe bei den Personenschützern. Noch ehe Cochrane auch nur daran denken konnte, seine Schlussfolgerungen zu ziehen, ging die Tür auf - und darin stand der Gouverneur von Ariane, Émile Haigneré, alias der Unbestechliche. Der Anführer des konstitutionellen Aufstandes.

Edward Cochrane wunderte sich ein Stück weit über sich selbst, dass es ihm gelang, ruhig zu bleiben. Er brauchte nur einen Blick in die Runde um zu erkennen, was die Stunde geschlagen hatte. Haigneré ließ sich zwar nicht so weit gehen, dass er ein höhnisches Lächeln aufgesetzt hätte, aber er war nicht nur vollkommen selbstsicher, sondern wirkte auch entspannt. Nicht wie jemand, der mit einer schwere Auseinandersetzung rechnet, sondern eher wie jemand, der bereits den Ausgang kannte. Zudem galt sein Blick ALLEIN dem Generalgouverneur - die anderen Anwesenden nahm er offenbar nicht als potentielle Gegner wahr.
Und selbst wenn dies nicht Hinweis genug gewesen wäre, die abwesenden, kalten Mienen, mit denen die übrigen Gouverneure und stellvertretenden Gouverneure mit einmal ihr Regierungsoberhaupt musterten, waren dazu angetan, letzte Zweifel zu beseitigen.
Der Generalgouverneur blieb gelassen, obwohl er innerlich um Fassung ringen musste. Er hatte so etwas immer insgeheim befürchtet. Er fixierte Gouverneurin Zhai, und seine Stimme klang überraschend ruhig: "Dürfte ich erfahren, was das werden soll?"
Falls die Gouverneurin von Newport ein schlechtes Gewissen verspürte, so beherrschte sie die Kunst dies zu maskieren meisterhaft: "Genau das, was Sie sicher schon vermuten. Wir sind nicht hier, um mit Ihnen über den Ausgang der Abstimmung zu sprechen. Wir sind hier, um Ihnen ein Ultimatum zu stellen, das Ihnen eine letzte Möglichkeit lässt, diese Abstimmung und ihre potentiell katastrophalen Folgen für die Konföderation zu vermeiden."
"Und dafür verschwören Sie sich mit denen, die die Konföderation spalten wollen?"
Émile Haigneré schnaubte angesichts dieser an ihn adressierten Worte nur verächtlich, doch er dachte nicht im Traum daran, Mia Zhai zu unterbrechen.
Der Blick der Gnadenlosen wurde noch etwas kälter: "SIE sind derjenige, der die Konföderation gespalten hat. Wir haben Ihnen vertraut, haben ihnen eine längere Regierungszeit und weit mehr Vollmachten zugestanden als irgendjemanden in der Geschichte unseres Staatenbundes. Und Sie haben dieses Vertrauen verraten und missbraucht. Es spielt keine Rolle, ob Sie dachten es sei richtig so oder Sie hätten keine andere Wahl gehabt - und ich habe auch nicht vor, hier mit Ihnen darüber zu rechten. Das ist die Sache anderer Instanzen, und letzten Endes der Geschichtsbücher. Wir müssen nur zuerst sicherstellen, dass es noch eine Konföderation gibt, in der Geschichtsbücher geschrieben werden und dass die Institutionen intakt bleiben."
"Und dafür inszenieren Sie eine...Schmierenkomödie wie diese? Lassen mich glauben, Sie würden mit mir über politische Entscheidungen verhandeln wollen, sichern mir bis gestern Unterstützung zu um...was? Mich unter Druck zu setzen, wenn ich nicht einwillige? Mich einzuschüchtern? Haben Sie solche Angst vor einer offenen Debatte, dass Sie mich hierher locken zu einem handverlesenen Rund ihrer Mitverschwörer unter Ausschluss der Öffentlichkeit!"
Zhai schien die Anklage in Cochranes Worten nicht mal zu spüren. Sie musterte ihn mit einer Mischung aus gelindem Bedauern und Verachtung. Einige andere Anwesende wirkten vielleicht peinlich berührt, aber das war natürlich zu wenig, um einen wirklichen Effekt zu erzielen.

Das langsame, theatralische Klatschen schnitt durch die Stille wie ein Messer durch Butter - ein höhnischer Applaus. Und er verfehlte seine Wirkung nicht, denn die Mienen derjenigen, die sich vielleicht etwas unbehaglich gefühlt hatten, verhärteten sich wieder. Der Unbestechliche schüttelte verächtlich den Kopf, während er Cochrane applaudierte: "Nicht sehr originell, aber ich muss Ihnen zu ihrem Mut gratulieren. Anderen vorzuwerfen, sie hätten hinter Ihrem Rücken gehandelt, eine offene Debatte über wichtige Themen gescheut - aus diesem Mund ist das wirklich ein starkes Stück. Außerdem können Sie sich die Dramatik sparen. Wir sind nicht hier, um Sie physisch zu bedrohen. Sie werden nichts unterzeichnen müssen - es hätte ja auch wenig Bindekraft - und nachdem Sie sich angehört haben, was WIR zu sagen haben..." er betonte, dass die Anwesenden offenbar gemeinsam handelten: "…können Sie ihrer Wege gehen. Dieses Treffen dient nur dazu, Ihnen die Mehrheitsverhältnisse klarzumachen. Einen letzten Ausweg, gewiss kein sehr angenehmer, aber einer, bei dem Sie ihrer Heimat einen Dienst erweisen können, dazu versüßt mit Zugeständnissen, die von den Gouverneuren ausgehandelt wurden, die endgültig genug von Ihnen haben, oder aber zumindest von den Folgen Ihrer Politik."
Der Generalgouverneur warf Haigneré einen vernichtenden Blick zu: "Das aus dem Munde des Chefkonspirateurs?"
Gouverneurin Zhai sah sich veranlasst zu intervenieren: "Sie irren, Edward. Das hier war nicht Émiles Idee, sondern meine. Sie können natürlich auf unbelehrbar schalten und sich weigern uns anzuhören. Aber ich garantiere Ihnen, das wird hier niemanden beeindrucken. Es wird nur die Argumente derer stärken, die der Meinung sind, dass wir Ihnen sowieso zu viele Zugeständnisse offerieren wollen."

Sie wartete nicht, ob Cochrane Einverständnis signalisierte, sondern begann die Punkte vorzutragen: "Sie, ihr Stellvertreter und ihr Kabinett treten von allen politischen Ämtern zurück, sei es gesamtstaatlich oder planetar. Glauben Sie nicht, dass man sich auf Hannover hinter Sie stellen wird - wir würden Ihnen das nicht nahelegen, wenn wir nicht mit den Vertretern der meisten politischen Parteien, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden geredet hätten. Auf Hannover werden also nach Ihrem Rücktritt Neuwahlen für den Posten des Gouverneurs abgehalten, wie natürlich im Council für den Generalgouverneur. Im Gegenzug werden wir - die hier Anwesenden, wie auch jene Gouverneure, die Émile ihre Zustimmung zugesichert haben - Ihnen garantieren, dass wir nicht nur weiterhin hinter dem Frieden mit dem Imperium stehen, inklusive der Handelsabkommen. Wir werden zwar alles Mögliche tun, um die Verhältnisse mit der Bundesrepublik zu normalisieren und die restlichen Internierten freizubekommen, aber wir werden keinen Wiedereintritt in den Krieg befürworten. Dieses Ihr Werk - was immer wir im Einzelnen auch davon halten - bleibt also unangetastet. Wir werden zudem darauf hinwirken, dass die wahrscheinlich bald eingesetzte Untersuchungskommission keine Anklagen gegen Mitglieder Ihres Kabinetts erhebt - doch diese Zusicherung gilt explizit nicht für Sie, ihren Stellvertreter Gerold Holmes und die Ministerposten für Verteidigung, Inneres und Außenpolitik. In diesen Punkten entscheidet allein die Justiz, und wir werden uns ihr nicht einmal indirekt oder verbal in den Weg stellen. Wir werden ferner darauf hinwirken, dass nach der Wahl eines neuen Generalgouverneurs die Admiräle Narun Kalad und Elliot Okama unverzüglich unehrenhaft aus den Streitkräften entlassen werden. Admiral Lak Tokas und die Generäle Gerald Tucson und Arielle McCormick werden ohne Bezüge beurlaubt. Eine Untersuchungskommission des Council und des Militärs wird über weitere Maßnahmen wie eine Anklageerhebung beziehungsweise im Fall der Beurlaubten alternativ über eine mögliche Degradierung oder Entlassung entscheiden, falls die Schuld als nur geringfügig eingeschätzt wird. Aber wir werden darauf hinarbeiten, dass keine weiteren Offiziere der Kampfgruppe Raccon mit Sanktionen zu rechnen haben - und es wird mit uns keine Auslieferung der Q-Schiff-Kapitäne oder anderer Offiziere als Kriegsverbrecher an die Bundesrepublik geben." Das war eine recht lautstark in der FRT geäußerte Bedingung für eine Normalisierung der Beziehungen gewesen, auch wenn die terranische Regierung das vermutlich nicht zu einem Punkt hochstilisieren würde, über den nicht verhandelt werden konnte.

Cochrane brauchte eine Weile, um die leidenschaftslos vorgetragene Liste von Ankündigungen zu verdauen. Zhai war zudem nicht gewillt, ihm viel Bedenkzeit zu geben: "Diese Bedingungen sind nicht verhandelbar. Und Sie können mir glauben, die Forderungen der Gouverneure um Émile gingen noch einiges weiter. Wenn Sie ablehnen und es auf eine Kampfabstimmung im Council über Ihre Absetzung ankommen lassen, werden wir den Misstrauensantrag geschlossen unterstützen. Ich denke, die Mehrheitsverhältnisse sind Ihnen klar. Jegliche hier gemachten Zugeständnisse mit Ausnahme des Bekenntnisses zum Frieden sind dann selbstverständlich vom Tisch." Klar war allerdings, dass die hier Anwesenden zusammen mit den offenen Unterstützern des Unbestechlichen gut die Hälfte der Councilmitglieder repräsentierten. Zählte man noch einzelne ,Umfaller' hinzu, die ihre Meinung ändern würden, wenn klar würde, wie viele sich an dem ,Aufstand' beteiligten, mochte sie vielleicht gar zwei Drittel repräsentieren. Und der Rest stand alles andere als geschlossen hinter Cochrane, mehrere würden sich zweifellos ihrer Stimme enthalten..

"Das ist doch Wahnsinn! Sie können nicht Militärs dafür bestrafen, dass sie ihrem Land gedient haben! Wir mussten handeln, um unsere Leute zurückzuholen..."
Zhai schüttelte nur den Kopf, sacht, aber unerbittlich: "Diese Militärs hätten die Pflicht gehabt, die erteilten Befehle zu hinterfragen, ja sie zu verweigern - Befehle, die zu erteilen SIE nicht ermächtigt waren. Einem Kapitän, vielleicht auch einem Schwadronschef kann man durchgehen lassen, dass er sich auf das Urteil seiner Vorgesetzten verlässt. Ein General oder Admiral ist erfahren genug und hat so viel Verantwortung zu tragen, dass diese Entschuldigung für ihn nicht greift. Sonst hätte er Kapitän bleiben sollen. In der Konföderation entscheidet immer noch das Parlament über die Politik. Nicht das Militär - und auch nicht der Generalgouverneur im Alleingang. Das müssen wir ein für allemal klarstellen. Auf eine Art und Weise, die dauerhaft in Erinnerung bleibt, als abschreckendes Beispiel. Und ,unsere Leute heimzuholen' ist ja ein nobles Ziel. Aber verwechseln Sie die Wirklichkeit nicht mit einem billigen Patriotismus-Drama. Es ist KEIN Freibrief für jeden denkbaren Verfassungsbruch, und um nichts anderes geht es hier. Diese Männer und Frauen waren keine Gefangenen eines irren Piratenkönigs oder verblendeten Terroristenchefs - und auch nicht in einem imperialen Gefangenenlager. Sondern Internierte der Bundesrepublik, die sich zur Genfer Konvention bekennt und diese in Bezug auf unsere Leute auch eingehalten hat. Es bestand keinerlei akute Gefahr für Leib und Leben, die ein unverzügliches Handeln erfordert und legitimiert hätte. Und die Aktion wurde mit so viel zeitlichem Vorlauf realisiert, dass Ihnen genug Zeit geblieben wäre, uns um Autorisierung zu bitten. Die Ihnen angesichts der Umstände natürlich nicht erteilt worden wäre." Ihr Ton machte klar, dass sie an einer Diskussion zu dem Thema nicht interessiert war.
Cochrane lachte verächtlich: "Und was Ihre Zusicherungen für die übrigen Militärs und mein Kabinett angeht - wieso sollte ich Ihnen glauben? Dass Ihr Wort nicht viel wert ist, haben sie ja gerade bewiesen!“
Die Gouverneurin zuckte nur mit den Schultern, erstaunlich nonchalant: "Was Ihr Vertrauen in unsere Worte betrifft...es gibt genügend, die denken einen Grund zu haben, Sie zu hassen und zu verabscheuen. Aber es geht hier nicht um Gefühle, und das ist auch Émiles Unterstützern klar. Es geht um die Interessen und das Überleben unserer Nation, und dies verlangt keinen blindwütigen Rachefeldzug. Sie benötigen einen scharfen Schnitt mit der bisherigen Politik und einen glaubhaften Neuanfang."
"Und diesen Neuanfang soll wer führen? Der Unbestechliche? Glauben Sie, das Kaiserreich wird es hinnehmen, wenn Sie das gesamte Kabinett stürzen, das für den Frieden steht, und an seine Stelle Personen setzen, die zum Teil offene Sympathie für die CAV bekundet haben? Wollen Sie Ilis' Schiffe wieder über unseren Köpfen sehen? Noch einmal wird das Imperium sich nicht so generös zeigen!"

Diese Worte brachten Cochrane zahlreiche hasserfüllte Blicke ein. Natürlich - Ilis' wurde allgemein verabscheut, und die wenigsten Gouverneure, gleichgültig ob sie für den Frieden waren oder nicht, waren der Ansicht, die kaiserliche Politik wäre irgendwie generös gewesen.
Gouverneurin Zhai aber waren solche Emotionen offenkundig fremd, wenngleich gewiss nicht aus Sympathie zum Kaiserreich und seinen Admirälen: "Die imperialen Truppen sind offenkundig im Moment anderweitig beschäftigt. Und es wäre ein trauriger Tag, an dem wir unsere Entscheidungen allein davon diktieren lassern, was im kaiserlichen Palast gnädig aufgenommen wird und was nicht. Ich glaube nicht, dass wer-immer-auch-das-Imperium-jetzt-oder-in-Zukunft-regiert zunächst einmal etwas anderes tun wird als Weihrauch abzubrennen in dem verzweifelten Wunsch, dass wir uns an den Friedensvertrag halten. Die Bundesrepublik mag einige Rückschläge erlitten haben, aber sie steht noch immer tief auf dem Gebiet des Kaiserreiches."
Cochrane war jedoch nicht bereit, so leicht aufzugeben: "Wir haben Ilis einmal unterschätzt, diesen Fehler sollten wir nicht noch einmal machen. Das neue Kabinett sollte zumindest einige Vertreter der bisherigen Regierung einschließen, als Geste an das Imperium. Nehmen Sie etwa Terrence Redwin Fisher, den Wirtschaftsminister. Er ist fachlich versiert, bei uns und im Kaiserreich angesehen und..."
"Inakzeptabel." Die Stimme des Unbestechlichen klang so unerbittlich und schneidend wie das Beil der Guillotine, die sein Namensvetter so weidlich genutzt hatte. "Da er den...zweifelhaften...und übrigens ebenfalls erst nachträglich dem Council vorgelegten Frieden mit dem Kaiserreich von Anfang an unterstützt und mit eingefädelt hat, ist er sowieso ein rotes Tuch für alle Kritiker der Kapitulation und natürlich auch für die Terraner. Die werden wohl kaum die Wirtschaftsbeziehungen mit uns normalisieren, solange der Architekt unserer neuen Kooperation mit dem Kaiserreich die Fäden zieht. Wir brauchen aber Verträge mit BEIDEN Staaten, um unsere Wirtschaft wieder auf die Beine zu bringen. Das Kaiserreich ist auf unser Wohlverhalten im Moment weit mehr angewiesen als die Republik. Vor allem aber ist Fisher nicht hinnehmbar, weil er schon fast Beifall geklatscht hat, als Sie mit dem Einmarsch in der FRT unsere Verfassung mit Füßen getreten haben." Er lächelte geringschätzig und fügte hinzu, eine Redewendung Fishers abwandelnd: "Es gibt keine Alternative - das Schwein soll fliegen." Das brachte ihm boshaftes Gelächter ein.

Zhai hob die Hand, und mit einem entschuldigenden Nicken verstummte der Gouverneur von Ariane: "Auch wenn ich dem Tonfall meines Kollegen nicht beipflichte, vom Inhalt her hat er Recht. Man schafft keinen Neuanfang, indem man jemanden an prominente Stelle setzt, der für den alten Kurs steht. Deshalb werden wir dem neuen Generalgouverneur dringend nahelegen, von solchen Gesten abzusehen. Das wäre im Moment genauso kontraproduktiv wie unsere weibliche de Gaulle zur Verteidigungsministerin zu machen - obwohl sie zweifelsohne innerhalb der Konföderation weniger kontrovers wäre. Aber die Botschaft an das Imperium wäre die falsche." Nach der Art, wie Émile Haigneré seine Lippen verzog, hatte der Vorschlag tatsächlich im Raum gestanden. Dass Zhai nicht den pejorativen Spitznamen ,Tokio Rose' für Admiral Jacqueline Bouisseau benutzte, die Führerin der Freiwilligen in terranischen Diensten, war natürlich auch vielsagend. Vor allem, weil es Cochrane eine bestimmte historische Analogie-Rolle zuschrieb.
Der Generagouverneur lachte bitter: "Und wer soll bitteschön dieser neue Regierungschef werden? Ich bin sicher diese kleine Verschwörerrunde hat da schon sehr genaue Vorstellungen. Sie vielleicht, Émile? Ist das Ihr Weg an die Spitze?"
Der so Gescholtene lächelte sacht: "Im Gegensatz zu Ihnen, Edward, treffen wir keine Entscheidungen, die das Council bestenfalls nachträglich absegnen darf. Es ist im Moment ja noch nicht abzusehen, wen das Council wählen wird. Mein Vorschlag wäre, und den werde ich natürlich auch meinen Verbündeten ans Herz legen, jemanden zu wählen, der nicht so eindeutig für eine der Seiten dieses Konflikts steht UND verfassungsmäßig unbelastet ist. Gouverneurin Zhai erschiene mir als die beste Kandidatin. Doch das muss das Council entscheiden..."
Und Zhai würde sich voraussichtlich erkenntlich zeigen, und einen Vertreter der ,Aufständischen' als Stellvertreter berufen, als Geste an all die Unzufriedenen und die Terraner. Das mochte sogar klappen - wenn die Kaiserlichen mitspielten.

Cochrane war klar, dass eine Diskussion in diesem Kreis wenig Sinn machte. Die Haltung der Gouverneure beziehungsweise ihrer Sprecher war zu geschlossen. Zweifellos hatte es langer, heimlicher vier-bis-zehn-Augen-Gespräche bedurft, um diese Fronde zu formen. Aber im Moment ließen sich keine Sollbruchstellen und Risse erkennen.
"Wenn Sie sich Ihres Sieges so sicher sind, dass Sie Bedingungen diktieren, wozu dann diese Farce von einem Treffen? Nur, damit ich es Ihnen einfach mache und sie nicht als die Verschwörer dastehen, die Sie sind?"
Die Gandenlose zeigte das erste Mal Emotionen: "Verstehen Sie dass denn nicht? Eine Kampfabstimmung im Council würde unsere Nation nur noch mehr spalten! Das Kaiserreich - und in einem geringeren Maße auch die Terraner - üben jetzt schon mit schlecht verhohlenen Drohungen Druck auf die Gouverneure aus. Auch deshalb brauchen wir einen zügigen Neuanfang. Egal ob Sie die Abstimmung verlieren - was nahezu sicher ist - oder sich doch noch irgendwie aus der Schlinge ziehen, die Konföderation stünde als gespalten da. Die Gefahr einer Separation eines oder mehrerer Planeten, vielleicht gar eines Bürgerkrieges würde um ein Vielfaches steigen - einem Bürgerkrieg, in dem wahrscheinlich unsere BEIDEN Nachbarn intervenieren würden. Das könnte noch mehr Planeten verheeren als der Krieg mit dem Kaiserreich! Und selbst wenn wir das verhindern können, ein offener Bruch im Council würde zweifellos zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Ihren Anhängern, deren Gegnern und den Sicherheitskräften führen. Zu neuen Plünderungen, neuen Negativschlagzeilen. Die Bevölkerung der Konföderation verdient etwas anderes in den Nachrichten zu sehen als Polizisten, die auf Unruhestifter oder Demonstranten einprügeln! In den letzten Wochen hat es mehr als ein Dutzend Tote gegeben! Soll sich die Zahl verdrei-, vervier-, verhundertfachen?! Wir haben lange zusammengearbeitet, Edward. Wenn Sie wirklich ihrem Amtseid treu sind, dem Wohle der Konföderation zu dienen, dann sehen Sie endlich ein, dass Sie das nur noch auf einem Weg tun können. Indem Sie aufgeben! Wer wüsste besser als wir Newporter, was ein Zerfall der Konföderation, was Separation bedeuten kann? Wenn Sie es auf einen Kampf ankommen lassen, bin ich sicher Sie werden verlieren. Sie mögen das vielleicht anders sehen. Vor allem aber wird das erste Opfer der Rest Zusammenhalt und Hoffnung sein, den es in der Konföderation noch gibt." Und, aber das sprach sie nicht laut aus, das würde sie niemals zulassen.
"Wie ich schon sagte, wir werden Sie nicht mit vorgehaltener Waffe dazu zwingen zurückzutreten - oder den Arm auf dem Rücken verdrehen, bis Sie eine Vereinbarung unterschreiben. Aber machen Sie sich klar, was auf dem Spiel steht. Das ist Ihre letzte Chance, zumindest etwas von den Verdiensten zu retten, die Sie für sich in Anspruch nehmen können. Ich erwarte Ihre Antwort bis morgen Mittag."

Der Generalgouverneur wusste, er würde sich mit seinen Verbündeten beraten müssen. Einige mochten ihm raten zu kämpfen, nach Rissen im gegnerischen Lager zu suchen. Gewiss war die Fronde nicht so monolithisch wie sie sich hier präsentierte. Doch es war ebenfalls nicht auszuschließen, dass einige Gouverneure, die bisher in seinem Lager gestanden hatten, ihn zum Nachgeben auffordern würden - aus ehrlicher Überzeugung oder um angesichts der Mehrheitsverhältnisse eine offene Niederlage zu vermeiden. Er wusste, er würde heute nach kaum Schlaf finden, wie immer seine Entscheidung auch ausfallen würde. Er fragte sich einmal mehr, wie sich alle hatten so sehr entzweien können, wessen Schuld es war - wenn man von Schuld sprechen konnte.
Doch ganz konnte er seine Bitterkeit nicht zügeln, angesichts dessen, wie man ihn behandelt hatte: "Nun denn. Ich werde Ihnen mitteilen, ob ich dieses Ultimatum - ,Angebot' kann man es nicht nennen - annehmen werde. Ich kann nur sagen, dass es den Gipfel der Niedertracht darstellt, wie Sie es präsentiert haben. Dass Sie mir, nachdem ich unserer Heimat so lange gedient habe in so schweren Zeiten, nur die ,Wahl' lassen, mich enthaupten zu lassen oder aber mich selbst in mein Schwert zu stürzen, scheint mir doch eine merkwürdige Art des Dankes."
Einige der Anwesenden wirkten peinlich berührt - ob wegen Cochrane Emotionalität oder weil sie tatsächlich ein schlechtes Gewissen hatten, musste offen bleiben. Die meisten aber musterten ihn nur kalt, abwartend, emotionslos. Und der Unbestechliche konnte es sich natürlich nicht versagen, eine letzte Spitze anzubringen: "Wenn Sie Letzteres als Ausweg in Erwägung ziehen und meinen, dass es der Konföderation dient, ihr ehemaliges Staatsoberhaupt nicht unter Anklage stellen zu müssen...nun, Sie sind immer noch Herr ihrer Entscheidungen. Von den Versammelten wird Ihnen vermutlich niemand in den Arm fallen..."

***

Gouverneurin Mia Zhai verneigte sich leicht vor dem letzten ihrer Verbündeten, der den improvisierten Konferenzraum verließ. Jetzt war nur noch Émile Haigneré anwesend. Sie musterte die scharf geschnittenen Gesichtszüge ihres Mitverschwörers: "Sie sind nicht einverstanden." Das war keine Frage.
Der Gouverneur lächelte müde: "Nein, natürlich nicht. Ich bin immer noch der Meinung, wir hätten Cochrane übermorgen in der Abstimmung vor vollendete Tatsachen stellen sollen. Ihn vorzuwarnen ist ehrenhaft, aber ich halte es für zu riskant."
"Glauben Sie wirklich, er kann die Mehrheitsverhältnisse noch kippen? In nicht einmal 48 Stunden? Oder fürchten Sie etwas...anderes?"
Der Unbestechliche schnaubte: "Was ich glaube und meine, und wofür ich vorausplanen muss, sind zwei Dinge. GLAUBE ich, dass Cochrane eine ausreichende Zahl Gouverneure aus dem Hut zaubern kann, jetzt, wo er weiß wo die Fronten verlaufen? Nein.
Halte ich es für wahrscheinlich, dass er die kaiserliche Armee um Hilfe bittet oder den Truppen diesmal den Marschbefehl gegen UNS gibt, sich vor die Kameras stellt und davon schwafelt, eine ganz kleine Bande gewissenloser und zugleich verbrecherisch dummer Verschwörer habe es unternommen, ihn und mit ihm zugleich eine Anzahl führende Militärs aus dem Weg zu schaffen..." Er registrierte den leicht genervten Blick seiner Verbündeten angesichts dieser Reminiszenz und lächelte ein wenig reumütig: "Natürlich glaube ich auch das nicht. Aber ich hätte auch vor einem halben Jahr nicht geglaubt, dass wir vor denen zu Kreuze kriechen würden müssen, die hunderttausende unserer Landsleute ermordet und verstümmelt haben. Vor EINEM MONAT hätte ich nicht geglaubt, dass ein Generalgouverneur ohne Kriegserklärung oder eine Konsultation des Councils den Einmarsch in das Gebiet eines Nachbarstaates anordnet und uns der Gefahr eines ausgewachsenen Großkrieges aussetzt, mit einem Plan, der bestenfalls tollkühn, wenn nicht ganz und gar wahnwitzig zu nennen ist. Wie wir beide wissen, hätte ich mit beiden Annahmen vollkommen falsch gelegen. Es steht viel zu viel auf dem Spiel, als dass wir uns auf das verlassen können, was wir GLAUBEN zu wissen."
Die Gouverneurin seufzte: "Edward hat viel für die Konföderation geleistet. In einer Situation wie dieser sollten wir über seine Fehler - und Schlimmeres - der letzten Monate nicht die Verdienste vieler Jahre vergessen. Und wir brauchen nicht noch mehr öffentlichen Streit. Er verdiente eine Chance, zumindest mit einem Rest von Würde abzutreten - und nicht in Handschellen hinausgeschleift zu werden. Ich musste ihm diese Chance einfach geben. Wenn er tut, was richtig ist, kann unsere Nation schneller, besser heilen."
Der Unbestechliche verzog die Lippen: "Wenn er immer daran gedacht hätte, was richtig ist, wären wir heute nicht hier."
Zhai zögerte, dann nickte sie: "Sie haben natürlich Recht. Wir müssen auch vorbereitet sein, falls das Undenkbare geschieht. Ich habe mich darum gekümmert, dass wir gesicherte Nachrichtenverbindungen haben, planetar wie darüber hinaus. Ich nehme an, Sie haben Ihrerseits mit einigen verlässlichen Personen gesprochen?"
Der Gouverneur von Ariane hob die Hände in einer beinahe resignierten Geste: "Noch etwas, was ich nie für möglich gehalten hätte...aber ja. Ich habe Vorsorge getroffen, dass ein eventueller Marschbefehl für die Truppen oder Polizei nicht so prompt befolgt werden wird, wie der Generalgouverneur es vermutlich erwartet. Und einige Frauen und Männer in den richtigen Positionen daran erinnert, dass ihre Loyalität bei der Verfassung und dem Council zu liegen hat, nicht bei einer Einzelperson. Und ganz bestimmt nicht bei den Interessen des Imperiums. Und, was für Schlussfolgerungen unter bestimmten Bedingungen zu ziehen wären... "
"Hoffen wir nur, dass es nicht dazu kommt. Morgen. Morgen werden wir wissen, wie sich Cochrane entschieden hat, ob er kämpfen will oder nachgibt. Dann kommt die Stunde der Wahrheit."
"Oder der Lügen."
29.05.2018 16:09 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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‚Nichts Neues jenseits von Besh Phe.‘
Kurzmeldung der staatlichen Nachrichtensender von Gamma Eridon



CV COLUMBIA, Gamma Eridon-System

Das halbe Dutzend Piloten war ein gemischter Haufen – da waren Sugar, Flyboy, Rerun und Kano von den Butcher Bears sowie Lilja und Imp von den Grünen. Sie alle lauschten – je nach Gemüt aufmerksam oder etwas routiniert – den Worten eines Mannes in der braunen Uniform der republikanischen Armee.
Inzwischen waren die vorbereitenden Einsatzbesprechungen Routine geworden und die fünf Offiziere, die als Liaisonkräfte an Bord gekommen waren, erregten kein besonderes Aufsehen mehr. Bei Peshten wäre dies vielleicht anders gewesen, doch obwohl ein Großteil der Truppen am Boden vom Konkordat gestellt wurde – von denen ein beträchtlicher Teil allerdings aus menschlichen Söldnern, T’rr, Akarii oder anderen Aliens bestand – hielt man die Präsenz von Konkordats-Offizieren an Bord der COLUMBIA offenbar für unnötig. Die Streitkräfte der TSN achteten ganz unverhohlenen auf einen deutlichen Abstand zu ihren Verbündeten. Je nach Stimmung der Offiziere wurde diese Politik, die Blackhawk ungewohnt gallig als ‚getrennt aber alliiert‘ bezeichnete, mit Erleichterung, Unverständnis, leichter Enttäuschung oder totaler Gleichgültigkeit hingenommen.
Der einzige direkte Kontakt mit Konkordats-Bodenstreitkräften war bisher ein streng abgeschirmter Kurzbesuch einer T’rr gewesen, deren Zuständigkeit allerdings erstaunlich unklar definiert war und die bisher noch unbestätigten Gerüchten zufolge die Spezialeinheiten der auf Gamma Eridon eingesetzten Konkordats-Streitkräfte vertrat, in denen die T’rr aufgrund ihrer vielen Peshten, Menschen und auch Akarii überlegenen Physis, ihrer skrupellosen Kampfdoktrin und ihrer jahrzehntelangen Erfahrungen im Kampf mit und gegen das Imperium einen unverhältnismäßig großen Prozentteil stellten. Die meisten Piloten hatten ihr Kommen und Gehen nicht einmal bemerkt.

„…Patrouille in den Frontlinie-Sektoren vier und fünf, die von Einheiten der Armee beziehungsweise der Marines gehalten werden. Momentan ist in diesem Bereich keine offensive Feindaktivität zu vermelden, abgesehen von vereinzeltem Mörser- und Artilleriebeschuss sowie Stoßtruppaktivitäten. Im gegnerischen Hinterland sind Truppenbewegungen gemeldet, doch aufgrund der zahlreich vorhandenen Boden-Luft-Batterien – neben Raketen automatische Lasergeschütze – sind Vorstöße in den feindlichen Luftraum riskant. Feindliche Luftverbände sind zurzeit weniger präsent als vor einigen Tagen, abgesehen von Drohnen. Das spricht dafür, dass die feindlichen Fliegerverbände überdehnt sind….“
„Vielleicht wollen die Imperialen auch einfach freie Schussbahn für ihre Flak und SAM haben.“ warf Lilja ein: „Und wenn ich Sie recht verstehe, ist das schon wieder nur ein verdammter Show-of-Force-Einsatz.“ Ungeachtet des Wortlauts blieb ihre Stimme ruhig, fast geschäftsmäßig.

Die Einsätze, die die Angry Angels in den letzten Tagen geflogen waren, waren inzwischen fast schon Routine – so sehr, dass einige Piloten bereits etwas unruhig wurden. Doch die Fronten waren erstarrt.Keine der beiden Seiten hatte die Luftüberlegenheit. Kurze Vorstöße ins Niemandsland und der Langstreckenbeschuss feindlicher Truppenbewegungen und Stellungen auf Maximalreichweite der Hydra-Kassettenwerfer, Flugkörper und gelenkten Bomben waren ein nicht unwichtiger aber wenig spektakulärer Beitrag zur Kriegsführung.
Normalerweise operierten die Angry Angels sektionsweise, manchmal aber auch in größeren Verbänden, wobei Abfangjäger oder gelegentlich auch die Griphen Geleitschutz gaben. Mitunter wurden dabei – wie heute – die Flightpaare etwas durcheinander geworfen. Imp hatte sich schon darüber mokiert, wie viel Glück die Schwarzen hatten, von der Staffelchefin UND der XO der Grünen beschützt zu werden.
Die schweren Bomber – die nicht atmosphärentauglich waren – blieben an Bord. Ansonsten waren alle Schwadronen abwechselnd im Einsatz, auch wenn üblicherweise mindestens eine Abfangjägerstaffel und meist noch eine weitere Jäger- oder Jagbomberschwadron in Reserve verblieben.
Bisher hatten die etwa einhundert Maschinen des Geschwaders nicht mehr als eine Handvoll feindlicher Fahrzeuge und Stellungen vernichtet oder beschädigt. Heftigere Zusammenstöße mit feindlichen Fliegern waren die Seltenheit geblieben. So würde es nicht bleiben, das war den meisten Piloten klar – irgendwann würden entweder die Akarii wieder in die Offensive gehen oder die Alliierten versuchen, verlorenes Territorium zurückzuerobern. Und dann würde die Stunde der Luftwaffe schlagen und die Verluste in die Höhe schnellen.

Kano räusperte sich: „Wir tragen gemischte Bewaffnung. Flyboy und ich jeweils zehn Rockeye-Bomben, Sugar und Rerun Hydra-Werfer. Dazu wie üblich sechs Raketen – vier Amram und zwei Sidewinder.“

Die Hydra-Werfer waren mit ihren ungelenkten Raketen besonders zum Einsatz gegen unbewegliche oder relativ langsame Ziele geeignet und konnten – mit dann freilich deutlicher Trefferstreuung – sogar aus der Kurve abgefeuert werden. Sie verlangten allerdings von dem Piloten deutlich mehr Können, als andere, ‚intelligentere‘ Waffensysteme.
Weniger beliebt bei den meisten Angry Angels waren die Paveway-Smartbomben. Zwar verfügten sie über eine unvergleichlich höhere Vernichtungskraft und durch ihre Laserlenkung eine weitaus bessere Trefferquote – wenn man es schaffte, die Zielerfassung aufrecht zu erhalten. Bei den meisten imperialen Bodenzielen wäre das kein Problem gewesen – außer man musste jeden Augenblick damit rechnen, von einer feindlichen Boden-Luftrakete aufgefasst zu werden. Dennoch waren sie gegen schwere Panzer, Bunker, Brücken und andere, schwer zerstörbare Hochprioritätsziele die Waffe der Wahl.
Für ‚halbfeste‘ Ziele ungleich beliebter waren die Rockeye-Streubomben. Zwar musste man diese direkt über dem Ziel oder zumindest in unmittelbarer Nähe abwerfen, aber sie waren klassische Fire-and-Forget-Waffen. Einmal ausgelöst, zerplatzten sie in der Luft und gaben eine Wolke von Sprengkörpern ab, die – durch ein Bilderfassungssystem gelenkt – feindliche Fahrzeuge, Geschütze und auch Infanteristen ins Visier nahmen. Auch wenn ein direkter Treffer einen Panzer bestenfalls beschädigte, mehrere Treffer konnten selbst schwere Gefechtsfahrzeuge ausschalten. Wegen ihrer Streuwirkung und der immer wieder fehlerhaften Bilderkennung hatte ihr Einsatz allerdings wohl schon wiederholt zu zivilen Verlusten geführt. Während des ‚Antiterror-Einsatzes‘ der republikanischen Streitkräfte auf Pandora hatte ein unglücklicher Rockeye-Einsatz einmal einem Captain den Job und einem Lokalgouverneur die Chance auf ein planetares Amt zersprengt, obwohl keiner der beiden auch nur in der Nähe der Abwurfstelle gewesen war.

Die vor für den Raumkampf und Einsatz gegen feindliche Kampfflieger entwickelten Lenkraketen waren hingegen nur bedingt für den Einsatz gegen Bodenziele geeignet und hatten sich auf Gamma Eridon auch aus anderen Gründen als nicht immer verlässlich erwiesen. Die Sidewinder immerhin konnten nach einem Software-Update ungeachtet der relativ langen Aufschaltzeit dank ihres Wärmezielkopf auch relativ gut gegen viel Abwärme produzierende Fahrzeuge eingesetzt werden konnten. Hingegen machten die Freund-Feind-Erkennungs-Systeme der Amrams und die Bilderkennungssysteme der Sparrows beim Einsatz gegen Bodenziele notorische Schwierigkeiten, wobei auch etliche Updates nur bedingt geholfen hatten.
Schlimmer war, dass die üblicherweise sehr zuverlässige Sparrow aufgrund der sehr ähnlichen Silhouetten und verwirrenden Vielfalt der von Peshten, Akarii und Erdstreitkräften eingesetzten Raumjäger und bodengestützten Flugzeugen selbst im Luftkampf wiederholt bei der Aufschaltung Probleme gemacht oder ‚fremdgegangen‘ waren, also bei der Verfolgung einer Feindmaschine auf ein anderes Ziel eingeschwenkt waren. Noch hatten die Angry Angels keinen fatalen Blue-on-Blue erlebt, aber es war mehrmals knapp gewesen. Deshalb hatten einige Kommandeure – auch Kano – die sonst so beliebten Sparrow-Lenkflugkörper erst einmal aus dem Arsenal verbannt.
Natürlich konnte man die Lenkwaffen auch ‚dummschalten‘ und damit zu ungelenkten Raketen machen – aber das machte nur gegen stationäre oder zumindest langsame Ziele Sinn und eigentlich waren die Hightech-Flugkörper auch ein klein wenig kostspielig dafür.
Derartige Probleme waren auf Gamma Eridon schon früher aufgetreten, durch die elektronische Kriegführung der Akarii und die Verstärkung der Luftstreitkräfte – einschließlich der Angry Angels – aber noch schlimmer geworden, da dadurch die Verwechslungsgefahr weiter gestiegen war.
Aus diesem Grund – und einem gewissen Minderwertigkeitskomplex auf der einen und der auf dem Status als Elitegeschwader basierenden Arroganz auf der anderen Seite – war das Verhältnis zwischen den bodengestützten Fliegerverbänden der Republik und den Angry Angels nicht immer ganz unproblematisch. Noch komplizierter war es mit den Fliegern des Konkordats, die einen besonders hohen Anteil an Söldnern hatten und anscheinend der Meinung waren, dass SIE sehr viel besser darüber Bescheid wussten, wie man einen planetaren Luftkrieg führte.
Mit dieser Situation gingen die Offiziere der Angry Angels unterschiedlich um. Einige versuchten die Rivalität zu nutzen, um ihre Untergebenen zu Höchstleistungen anzuspornen. Blackhawk hingegen schien eher auf einen kooperativen Ansatz zu setzen, ein Vorbild dem Kano teilweise folgte. Und Lilja hatte bei vor einigen Tagen einem renitenten Untergebenen und jedem in Hörweite körperliche Gewalt angedroht, falls er nicht ‚diese affigen Schwanzvergleiche‘ sein lassen würde.

„Haben wir Satellitenunterstützung?“ Sugars scheinbar harmlose Frage wurde von Lilja, Imp und sogar Rerun je nach Temperament mit einem abfälligen Schnauben, spöttischen Auflachen oder frustrierenden Augenrollen quittiert, während der Verbindungsoffizier leicht pikiert wirkte. Kano enthielt sich einer Gefühlsregung, auch wenn er ebenfalls einen leichten Anflug von Frustration verspürte.

Theoretisch waren Aufklärungssatelliten das perfekte Mittel der Wahl, um feindliche Truppenbewegungen zu beobachten und Ziele zu identifizieren. Nur wussten dies beide Seiten und da weder die Imperialen noch die Alliierten den Himmel und den Weltraum um Gamma Eridon sicher kontrollierten, waren die üblicherweise kaum gepanzerten, unbewaffneten und in der Regel auf einem festen Kurs um den Planeten oder aber einer mit der Umdrehung von Gamma Eridon synchronisierten Parkposition lancierten Himmelskörper ein allzu leichtes Ziel. Es hatte sich als fast unmöglich erwiesen, abgesetzten Satelliten dauerhaft Schutz zu bieten. Die Alliierten – und vermutlich auch das Imperium - hatten einige kleine Spionage-Einheiten, deren unauffällige Radarsignatur beziehungsweise bewusst ein Stück ‚Weltraumschrott‘ simulierende Struktur eine Entdeckung bisher verhindert hatten, doch deren an den Erfordernissen der Unauffälligkeit orientierten Sensoren und Orbitalposition lieferten oft unbefriedigend vage und nicht immer aktuelle Informationen.
Der Einsatz von im Orbit fliegenden Shuttles, Aufklärungsjägern oder gar leichten Kriegsschiffen wäre eine Alternative gewesen, war allerdings angesichts der fast gleichstarken Luftstreitkräfte beider Seiten ebenfalls nur eingeschränkt möglich. Bei jedem Erkundungsflug musste mit einem Angriff feindlicher Kampfflieger gerechnet werden, und angesichts der auf beiden Seiten insgesamt doch begrenzten Ressourcen war es ganz einfach nicht möglich, regelmäßige Aufklärungseinsätze mit hinreichend starkem Begleitschutz zu versehen, was derartige Einsätze auf Einzelaktionen oder Blitzvorstöße schneller Aufklärungsjäger beschränkte. Dazu kamen die im eigenen Hinterland operierenden Spähflieger, Aufklärungsballons und Sensorstationen. Im Niemandsland und den frontnahen Gebieten des jeweiligen Gegners kamen zudem in Bodennähe operierende Minidrohnen – die kleinsten kaum größer als einige lokale Insektenarten – zum Einsatz, die allerdings relativ langsam waren und nur eine begrenzte Reichweite hatten. Noch primitiver und in ihrer Reichweite eingeschränkt waren getarnte Miniatur-Sensorpods, die beim Rückzug der Peshten zurückgelassen, von Spähtrupps platziert, von Drohnen oder Kampffliegern abgeworfen oder sogar mit speziellen Raketen verschossen wurden.

All diese jeweils mit spezifischen Vor- und Nachteilen belasteten Aufklärungsmethoden, die von der Funkaufklärung und sogar im jeweiligen Hinterland stationierten Agenten ergänzt wurden – in diesem Punkt immerhin hatten die Peshten die Nase vorne – versorgten die Kontrahenten mit einem zwar facettenreichen aber gleichzeitig lückenhaften, teilweise widersprüchlichen und für Spekulationen offenen Feindbild. Für die Alliierten erschwerte die nicht immer reibungslose Kooperation und Kommunikation der Dienste und Aufklärungseinheiten die umfassende Auswertung der gesammelten Informationen zusätzlich. Dass diese Situation allzu leicht zu Missverständnissen, Doppelstrukturen und Informationslücken führen konnten, war auch den Mitgliedern der Angry Angels bekannt und wurde teilweise höchst bissig kommentiert.
Aber sogar daran begannen sich die Angry Angels zu gewöhnen – zumindest die ‚alten Hasen‘, die im Verlauf von ‚Operation Husar‘ und den darauf folgenden terranischen und imperialen Offensiven Erfahrungen mit den Problemen und der ‚Zuverlässigkeit‘ der Feindaufklärung hatten sammeln können.

„Verbindung zur Bodenleit- und Sensorzentrale läuft über den üblichen Kanal. Verschlüsselcode Delta-Alpha-24.“

Die rege elektronische Kriegführung beider Seiten verlangte nach einer regelmäßigen Änderung der Verschlüsselungen, wenn man nicht wollte, dass der Gegner mithörte oder – schlimmer noch – falsche Befehle und Informationen in den Funkverkehr einschleuste. In diesem Punkt hatte sich angeblich die Peshten-Geheimdienste bereits einen beeindruckenden Ruf erworben, was auch damit zusammenhing, dass die Peshten Gerüchten zufolge aus den imperialen Kolonialstreitkräften desertierte T’rr und auch einige Akarii einsetzten. In der TSN sah man diese Praxis mit einer gewissen Skepsis und traute den so ermittelten Daten nur eingeschränkt – wenn man denn überhaupt Zugriff erhielt.
Wenigsten stellte die mangelnde Kooperation der Alliierten mit ihrem reichlichen Dutzend Institutionen – Armee, Flotte und Marines der FRT, dazu die entsprechenden Teilstreitkräfte des Peshten-Konkordats, sowie die diversen alliierten Geheimdienste und auch noch die Peshten-Zivilverwaltung – auch die Imperialen vor zusätzliche geheimdienstliche Probleme, war jedoch auch immer wieder eine Quelle für Missverständnisse, Fehler und Datenverluste, die es den Akarii erleichtern konnte, zeitweilig in den ein oder anderen Code einzubrechen.

„Das wäre soweit alles. Wir sehen uns im Raum – und viel Glück.“ Kano nickte Lijla knapp zu, die mit Imp den Geleitschutz für die Sektion fliegen würde, was diese ebenso knapp mit einem erhobenen Daumen quittierte. Zum Glück bekam sie nicht mit, dass Sugar die Geste nachäffte, indem sie mit einem herrischen Gesichtsausdruck ihren Daumen nach unten streckte. Imp allerdings konnte sich ein Prusten nicht verkneifen, während die meisten anderen mit Unverständnis und Kano mit einem drohenden Blick reagierten. ‚Da kann ich mich wohl bei Huntress bedanken. Ich sollte dem einen Riegel vorschieben.‘
Und deshalb hielt er Sugar kurz zurück: „Noch mal so etwas – und Sie können in Ihrer Freizeit den Bordtechs beim Betanken helfen.“
„Was? Das ist nicht fair! Huntress…“
„Und was bringt Sie zu der Ansicht, dass das, was ich meiner Stellvertreterin durchgehen lasse, automatisch auch für Sie gilt? Ganz zu schweigen davon, dass Sie sich Huntress in DIESER Hinsicht lieber nicht zum Vorbild nehmen sollten.“ ‚Denn du hast keine milliardenschwere Familie mit Beziehungen in die Regierung und die Flottenführung.‘
Das gefiel ihm zwar ganz und gar nicht und deshalb sagte er es auch nicht, aber Sugar war intelligent genug, um es auch so zu verstehen. Allerdings war der Rotschopf schon immer ziemlich vorlaut gewesen und kaum zu bremsen, wenn es gegen die Akari ging. Was das betraf...: „Sugar, wenn Sie das nächste Mal einen Bodenangriff fliegen, gehen Sie etwas sparsamer mit Ihren Hydras um. Sie brauchen nicht den gesamten Kampfsatz auf einen einzelnen APC zu verschwenden.“ Von dem Transportpanzer war nicht viel mehr geblieben als ein paar verbogene Metallteile, aus denen man nicht einmal einen Kochtopf schmieden konnte.
„Tut mir wirklich leid…“, für einen kurzen Augenblick wirkte Sugar ernsthaft zerknirscht, auch wenn Kano davon ausging, dass das vor allem Theater war. Und tatsächlich: „…aber es hat funktioniert! Und wenn ich keinen Bombenteppich legen darf wie unser schweigender Tod von Oben…“, Sugar klopfte Flyboy anerkennend auf die Schultern, die sofort rot wurde, „…dann muss ich eben manchmal auf Nummer Sicher gehen.“
Tatsächlich hatte sich die stille, introvertierte Flyboy, die im Umgang mit Menschen – nicht zuletzt ihrer extrovertierten Rottenführerin – klare Defizite aufwies, sich als ein Naturtalent im Bombeneinsatz erwiesen und führte im staffelinternen Kill Score.
„Zwei Raketen – oder meinetwegen vier – hätten auch gereicht. Denken Sie daran, dann können Sie noch mehr Akarii töten.“ Dem seltsamen Glanz zufolge, den Kano kurz in Sugars Augen zu sehen glaubte, war das die richtige Argumentationsweise. Ob sie sich allerdings in der Hitze des Gefechts an die Worte ihres Staffelchefs erinnern würde, blieb abzuwarten.

Zehn Minuten später starteten die sechs Maschinen, formierten sich und steuerten den im Licht der fernen Sonne glänzenden Planeten an.
„Ich frage mich, wann der nächste Akarii-Konvoi ansteht. DEN zu knacken wäre mal was anderes als dieses läppische Bulettenschmeißen.“ Sugar machte kein Geheimnis aus ihrer Blutrünstigkeit. Von Lija erntete sie ein zustimmendes Knurren. Aber auch etliche andere waren derselben Meinung.
„Soviel ich weiß ist er langsam überfällig.“, warf Imp ein: „Du kannst darauf wetten, dass die Bomberjockeys – und unsere Führung - jeden möglichen Termin mit roter Tinte angekreuzt haben. Und vermutlich die Tarotkarten befragen.“ Das brachte ihr ein paar Lacher ein.
„Wenn wir schon unsere neuen Eier an Bord haben und die auch funktionieren…“, legte Sugar nach.
„Und wenn Sie weiter über Dinge schwatzen, die nicht für den Bordfunk geeignet sind...“ warf Kano unheilverkündend ein. Nicht, dass er nicht Verständnis hatte, aber die neuen, auch für Jäger geeigneten Arrow-Atomraketen, waren nichts, worüber man über den Staffelfunk reden sollte, Verschlüsselung oder nicht. Zumal Commander Decker ohnehin auf 180 war, weil die Raketen nicht ganz so funktionierten, wie sie sollten.
„Schon gut, ich…“, in Sugars vermutlich nicht ganz ernstgemeinte Entschuldigung schnitt ein Annäherungsalarm und ein vermutlich ziemlich obszönes „Poshel ty!“ Liljas, das Kano zum Glück nicht verstand, aber nicht zum ersten Mal hörte.
Kano selber zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen, als ein Quartett gedrungener Silhouetten über die Formation hinwegzischten, während aus dem Breitbandfunk eine spöttische, eindeutig nichtmenschliche Stimme erschallte: „Nak, Nak, Nak!“
Während bei den Angry Angels Flüche laut wurden, sparte sich Kano den Atem. Dafür war seine Stimme so warm wie flüssiger Sauerstoff: „Flugdisziplin!“
„Dürfen Sie auf einmal doch mit uns reden, Commander Ohka?“, natürlich war es Staffelkapitän Dalan Galit, der sich bereits einen gewissen Ruf erworben hatte und offenbar über die ‚Segregationspolitik‘ der Alliierten ebenso wenig erbaut war, wie etliche der Angry Angels: „Und entspannen Sie sich. Wir wollten nur sehen, ob Sie wach sind.“
„Indem Sie uns über den Haufen fliegen?!“, polterte Lija los: „Heben Sie sich ihre Spielchen für die Imperialen auf!“

Kano blendete das Hin und Her aus. Die Peshten-Piloten der mobilen Werft PASHET-IV waren unruhig. Auch dank einer durch ihre teilweise anscheinend beträchtliche Flug- und Kampferfahrung genährten Arroganz – wenn auch nicht immer auf derselben Seite der Kriege der letzten Jahre erworben -, ausgerüstet mit dem neuesten Jäger der alliierten Streitkräfte, aber gleichzeitig auf der spartanischen Mobilwerft eingepfercht und üblicherweise auf monotone Patrouilleeinsätzen beschränkt, provozierten sie nicht zum ersten Mal ihre glamourösen ‚Kollegen‘ von den Angry Angels. Überhaupt gab es in den Konkordats-Streitkräften, auch wenn oder vielleicht gerade weil sie in einem so großen Umfang auf die Unterstützung der FRT-Streitkräfte angewiesen waren, gewisse Ressentiments gegenüber dem ‚großen Bruder‘. Was vielleicht ein weiterer Grund für die in Kanos Augen sinnlos bis schädlichen Kommunikationsschranken und Kontaktverbote war, die man zwischen den verbündeten Streitkräften errichtet hatte, wechselseitigen Spannungen und Frustrationen aber auch Vorschub gab.

Lilja sandte den sich inzwischen wieder entfernenden Hornet-Abfangjägern noch einige russische ‚Höflichkeiten‘ hinterher. Aber Kano war sich sicher, dass sie keine Beschwerden einlegen würde. Was ohnehin nicht viel gebracht hätte.
„Du solltest dich mit Galit mal im Simulator verabreden, Lilja.“, schlug Imp vor: „Dann würde der verdammte T’rr vielleicht mal etwas kleinere Brötchen backen.“ Die russische Staffelchefin begnügte sich mit einem abfälligen Schnauben.
„…oder du kannst Ace fragen. Ich habe gehört, der stand früher auf so etwas.“ Aus unerfindlichen Gründen klang Imps Stimme jetzt fast anzüglich, während Lilja einen weiteren Fluch hinterherschickte.
„Hast du etwa Angst, dass du nicht mit ihm fertig wirst?“, stichelte Imp.
„Von wem reden wir jetzt? Ace oder Galit? Nicht, dass das für meine Antwort eine Rolle spielen würde. Die Antwort wäre in jedem Fall ‚Nein‘.“, konterte Lilja im Brustton der Überzeugung.
„Aber deine Idee hat was für sich. Das klingt nach einer Win-Win-Situation. Entweder Ace stutzt Galit zurecht – oder der holt Ace von seinem hohen Ross. So oder so wär’s ein Gewinn.“
„Und vielleicht können wir Galit bei der Gelegenheit auch dazu bringen, die Spezifikation dieses neuen Superfighters in unseren Simulator zu laden. Ich wüsste ja wirklich gerne, wie sich dieses Ding fliegt.“
„Eh die uns in die Simulatoren von PASHET IV lassen – oder Galit auf die COLUMBIA – friert die Hölle ein. Und ich traue dem Typen nicht.“
Die Retourkutsche kam ebenso prompt wie erwartet: „Fängst du jetzt auch schon davon an wie unsere glorreiche Führung? Und von wem redest du jetzt eigentlich, wenn du sagst, du traust ihm nicht? Ace oder…“
„Ha, ha, du Scherzkanone. Aber mal im Ernst. Unsere ‚Kollegen‘ von den Konkordats-Streitkräften…“
„Ich dachte, du findest das toll. Akarii, T’rr, Menschen, Peshten und ich weiß nicht wer nicht wer noch – und alle kämpfen sie gegen die Imperialen.“
„Du vergisst, dass das Söldner sind. Die machen das nicht – wie die Konföderierten die auf unserer Seite weiterkämpfen – aus Überzeugung, sondern weil sie dafür bezahlt werden. Und wie verlässlich ist ein Lohnscheck als Motivation?
Zumal ich gehört habe, dass etliche unserer ‚Kollegen‘ ihre Kampferfahrung nicht gegen die Imperialen sondern FÜR sie gesammelt haben. Und falls du es nicht gemerkt hast – ich glaube, Galit hat uns auf Akarii verspottet. Was glaubst du, wo er das gelernt hat?“
„Hör doch auf!“, winkte Sugar ab: „Egal was unsere Propaganda uns weiß zu machen versucht, SO niedrig ist die Moral bei den kaiserlichen Streitkräften auch noch nicht, dass ausgerechnet ihre Piloten desertieren würde. Das wäre ja schön aber…“
Kano glaubte Liljas Schulterzucken zu hören: „Ich weiß, dass die verdammten Faschisten nicht so schnell aufgeben. Aber wer seine Kampferfahrung an den Meistbietenden verkauft, der hat häufig einen verdammt triftigen Grund, warum er von zu Hause wegwollte.“
„Hmpf. Das gibt’s bei uns auch – oder denkst du, unsere Jungs und Mädels von den Peripherieplaneten und aus den Slums sind alle aus patriotischer Begeisterung bei der TSN, der Army, den Marines, geschweige denn der Fremdenlegion eingestiegen?“
„Der Punkt geht an dich. Aber ich habe außerdem gehört, dass wir möglicherweise bei unseren Verbündeten auch mit dem einen oder anderen Ex-Piraten rechnen können. Und DAS gefällt mir auch nicht viel besser!“
Sugar gluckste amüsiert: „Ich dachte, daran hast du dich inzwischen gewöhnt, denn…“

‚Nicht DAS schon wieder!‘, dachte Kano genervt. Einige Piloten ließen wirklich keine Gelegenheit aus, diese alte Geschichte über Noname/Stuntman/Joystick Cartmell wieder aufzuwärmen. Auch wenn der Pilot mit seinem ‚sonnigen‘ Gemüt und dem auf manchen etwas selbstgerecht oder larmoyant wirkenden Auftreten vielleicht nicht ganz unschuldig war.

Liljas sarkastisches Schnauben war vermutlich nicht angetan, Sugar zu entmutigen, die jedoch schon ein neues Ziel anvisierte: „Hey, Rerun was hältst du von unseren Multi-Spezies-Verbündeten?“ Kanos Flügelmann blieb eine Antwort schuldig, was aber Sugar nur noch anzustacheln schien: „Sag bloß, du bist von unserer geballten Weiblichkeit zu sehr eingeschüchtert, um deine Meinung zu sagen.“ Von dem halben Dutzend Piloten waren vier Frauen.
Imp lachte: „Ja, ich war schon immer der Meinung, dass Flyboy echt furchteinflößend ist.“

Jetzt schob Kano einen Riegel vor: „Haben Sie genug über Ihre Kollegen gelästert, Marten und Richter? Falls Sie unter Beschäftigungsmangel oder geistiger Unterforderung leiden sollten…“
„Schon gut, schon gut. Jesses, sind Sie heute aber gut gelaunt. Mit irgendetwas müssen wir uns doch die Zeit vertreiben, bis wir den Planeten erreichen.“
„Dann spekulieren sie doch lieber darüber, wann der nächste imperiale Konvoi eintrifft.“

Das war und blieb das Traumziel der Bomber und Jagdbomber der Angry Angels. Und auch die Butcher Bears wollten nichts lieber, als die ihrer Staffel zugeteilten Arrow-Atomraketen auf ein ‚echtes‘ Ziel loszuwerden, statt immer nur im Simulator zu üben oder – wie bei dem ersten ‚scharfen‘ Einsatz der neuen Waffe vor ein paar Wochen – mit einem nur halb befriedigenden Ergebnis zwei Piratenschiffe aufs Korn zu nehmen.
Ein feindlicher Konvoi versprach nicht nur Ziele im Überfluss – ihn am Durchbruch zu hindern oder gar aufzureiben, konnte dem Bodenkrieg im Gamma Eridon-System die entscheidende Wende geben und den ersten Schritt für eine Gegenoffensive der Alliierten darstellen.

„Hauptsache, bis dahin ist Bunny wieder voll auf dem Damm.“ warf Sugar ein. Der schiitische Pilot mit dem täuschenden Callsign war bei dem Einsatz gegen die Piraten verletzt worden und noch immer nicht ganz wieder hergestellt, was die effektive Kampfkraft der Butcher Bears auf elf Maschinen reduzierte und Phoenix zwang, vorerst meist alleine zu fliegen. Zum Glück war der Ex-Marines-Pilot erfahren genug dafür.
.
.
.

„Achtung, wir nähern uns dem Planeten. Warschau auf Minen.“

Auch das war Routine. Beide Seiten hatten bei dem Kampf um die Luftherrschaft des Planeten und gegen die Versorgungskonvois der jeweils anderen Seite Minen eingesetzt. Die Bedrohung war zwar gering, aber vorhanden. Alle Kampfflieger hatten Anweisung, bei der Annäherung an den Planeten besonders wachsam zu sein. Die mangelnde Kommunikation zwischen den alliierten Streitkräften – und die leicht chaotische Situation, die vor dem Eintreffen der terranischen Verstärkung geherrscht hatte, als es so aussah, als stünden die Akarii vor einem echten Durchbruch – hatten dazu geführt, dass die Alliierten sich auch vor den EIGENEN Minen vorsehen mussten.
Deren Aufspüren war auch deshalb schwierig – und ein ‚Verstecken‘ von Spionagesatteliten überhaupt möglich – weil die Umlaufbahn des Planeten durch eine Vielzahl von Trümmern und Weltraumschrot übersät war, den Überresten der Kämpfe der letzten Monate. Zahlreiche Trümmerstücke stammten von dem vernichteten Weltraumlift von Gamma Eridon. Es hatte sich zwar nur um ein ‚kleines‘ Modell gehandelt, doch die Möglichkeit, Truppen und Material direkt aus der Umlaufbahn auf den Boden zu schicken, war ein allzu verlockendes Ziel für die Akarii gewesen, die die ‚Kopfstation‘ des Lifts deshalb kurz vor der Besh Phe-Offensive in einem ebenso schneidigen wie verlustreichen Luftangriff vernichtet und das in den Orbit reichende ‚Liftkabel‘ an mehreren Stellen zertrennt hatten. Die Operation hatte fast fünfzig imperiale Kampfflieger gekostet, doch auf Seiten der Peshten waren über tausend Männer und Frauen bei der Verteidigung, in der gesprengten Raumstation oder durch auf die Planetenoberfläche einschlagende Trümmer verletzt oder getötet worden. Der Schaden für die Versorgung des Planeten und die Moral und die Logistik der Verteidiger war immens gewesen. Manche meinten, dass ohne diese Operation die kaiserliche Besh Phe-Offensive komplett gescheitert wäre und die Imperialen niemals auch nur einen Schritt über die den Fluss hätten setzen können.

Aus dem Orbit wirkte der Planet reichlich ‚gewöhnlich‘ – eine grün-braun-blau-weiße Kugel, der Erde nicht unähnlich, mochten die Landmassen auch anders verteilt und statt von einem großen von zwei kleineren Monden umkreist.

„Verbindung zu Bodenleitstelle…steht.“
„Bestätigt, Flight Schwarz Alpha.“ Erklang die Stimme einer Frau, die dem Akzent nach ursprünglich vom Mars kam: „Synchronisation der aktuellen Radarmeldungen läuft. Flugroute und -zeiten werden weitergeleitet und aktualisiert. Sie sind im Plan. Einschwenken auf Flugroute…“

Ungeachtet der hochmodernen Radar-, Bild- und Freund-Feind-Erkennungssystemen, die theoretisch eine Verwechslung unmöglich machen sollten, blieb die Gefahr eines Blue-on-Blue – wie auch die Möglichkeit, dass imperiale Piloten unter Ausnutzung dessen versuchen könnten, sich in den alliierten Flugraum einzuschleichen.

Im Gegensatz zu anderen Kriegen war es im Gamma Eridon-System (noch) nicht zu einem monatelangen Abnützungskrieg mit starren Fronten gekommen. Angriff und Gegenangriff hatten sich – unter teilweise horrenden Verlusten – abgewechselt, aber die Front hatte sich immer wieder verlagert. Es hatte zahlreiche Tote unter der Zivilbevölkerung gegeben, im Verlauf der Kämpfe zerschossene oder beim Rückzug gesprengte Gebäude, Straßen und Brücken – aber nicht in einem derartigen Ausmaß, dass die Piloten es bei einem Überflug mitbekommen hätten. Allerdings hatten sie ohnehin anderes zu tun, als über die gegeneinander aufgewandte Vernichtungskraft zu reflektieren:
„Lilja, wir nähern uns der Patrouillenroute. Standardformation.“
„Bestätigt und ausgeführt.“
Während die vier Nighthawks in relativer Bodennähe blieben, um dem feindlichen Radar die Auffassung zu erschweren, stiegen die beiden Abfangjäger steil nach oben, um ihre etwas langsameren und für den Bodenangriff ausgerüsteten Kollegen abzuschirmen.

Und wieder einmal fiel Kano auf, wie geradezu unauffällig der Krieg sein konnte. Tief unter ihnen waren zwar einige Fahrzeugkolonnen und gelegentlich auch größere oder kleinere Gruppen Uniformierter zu sehen. Aber die schienen ‚Vorne‘ immer weniger zu werden und die Front selber war keine klar erkennbare Linie aus Schützen- und Verbindungsgräben, sondern bestand anscheinend vor allem aus getarnten Feuerstellungen, die das Niemandsland durch sich überschneidende Schussfelder und unsichtbare Sensorpods und Minengürtel kontrollierten. Die angerichtete Zerstörung erschien zumindest aus der Luft betrachtet begrenzt – nicht vergleichbar mit den Kraterlandschaften der Materialschlachten auf anderen Planeten oder den großen Kriegen der terranischen Geschichte. Irgendwo hinter der Front lauerten sicherlich zahlreiche Panzerfahrzeuge, Raketen- und Artilleriestellungen auf den Einsatzbefehl, aber sie blieben dem Auge verborgen. Kano wusste, dass die Angry Angels bei manchen Einsätzen nicht eine einzige Explosionswolke zu Gesicht bekommen hatten.
Außer denjenigen, die sie selber mit oft ungewissem Resultat produzierten. Und wenn dann freilich die feindlichen SAM sie ins Visier nahmen…

„Achtung, Schwarz Alpha! Ich rufe Schwarz Alpha!“ In der Stimme – zu Kanos Überraschung dem Klang nach ein Peshten – lag eine solche Dringlichkeit, fast schon Panik, dass Kano beinahe zusammengezuckt und den Steuerknüppel verrissen hätte. Bisher hatte er es an den Fingern EINER Hand abzählen können, wie oft ein Angry Angels in seinem Beisein Direktverbindung mit einem Mitglied der Konkordats-Streitkräfte gehabt hatte: „Hier Schwarz Alpha.“
„Einsatz abbrechen, wiederhole abbrechen.
Wir brauchen Sie in Sektor 9! Flugfreigabe für neue Koordinaten erteilt. Gehen Sie auf Kurs…“
‚Sektor Neun?‘ Dieser Bereich der Front wurde von den Peshten gehalten, lag mehrere Flugminuten entfernt und war bisher eigentlich in der Regel ruhig gewesen. Und was das anging: „Achtung, Leitzentrale, wir haben eine Einsatzanforderung.“
„Wir haben Sie gehört, Alpha Schwarz. Autorisierung läuft, Bewertung folgt…“
„Wie wäre es mit etwas mehr Tempo?!“, schnappte Lilja wütend, und Kano war geneigt, ihr zuzustimmen.
Während Kano er die übermittelten Flugkoordinaten und den Freigabecode speicherte, zerbrach er sich den Kopf, was geschehen sein konnte: ‚Gehen die Akarii in die Offensive?‘ Aber das ergab wenig Sinn. Sektor Neun lag zwar in einem Frontvorsprung, der sich theoretisch für eine Zangenoperation anbot. Aber das dahinter liegende, bis auf ein paar Pisten selbst für Kettenfahrzeuge unwegsame Gelände und das teils sumpfige teils stark verminte Niemandsland VOR der alliierten Frontlinie, machten den Sektor zu einem wenig attraktiven Ziel: „Greifen die Imperialen an?“
„Negativ. Aber dort sollte eine Einheit aus dem Frontverlauf gelöst und ersetzt werden. Wir stehen unter schwerem Feuer! Weiß der…“, die nächsten Worte verstand Kano nicht, vermutlich den Namen irgendeines Peshten-Gottes, „…wie sie so viele Geschütze in Stellung bringen konnten. Bringen Sie sie zum Schweigen!“
„Schwarz Alpha, die Identifizierung ist korrekt. Die Bewertung läuft. Halten Sie die Position…“
„WIR HABEN NICHT DIE ZEIT!! Muss bei Ihnen alles nach Ihrer gesh’ek Dienstvorschrift laufen?! SIE MÜSSEN HELFEN!!“
„Nur wir?“ schaltete sich Sugar etwas vorlaut ein, aber Kano hätte vermutlich eine ähnliche Frage gestellt. Ihr Gegenüber nahm jedenfalls keinen Anstoß: „Eine Rotte Erdkampfflugzeuge im Anflug. Wir sehen zu, was wir noch zusammenkratzen können, aber bis dahin…
Beeilen Sie sich! Wir erleiden hohe Verluste!“
„Verstanden. Wir sind auf dem Weg!“
„Hören Sie, Schwarz Alpha…“
„Sie haben es gehört! Wir können nicht länger warten!“
„Ich bin nicht autorisiert, eine Freigabe…“
„Dann holen Sie sich jemanden, der das ist. Wir fliegen.“
„Schwarz Alpha…“
„Lilja?“
„Bestätige, wir sind dabei. Aber bist du dir sicher…
Übrigens ziemliche Schweinerei, dass sie ihre Ablösung nicht anständig abgesichert haben.“
Kano zuckte mit den Schultern: „Vielleicht hatten sie gehofft, das Ganze geheim zu halten. Je mehr zusätzliche Kräfte oder gar Lufteinheiten man zusammenzieht, desto eher ist der Feind vorgewarnt.“
„Na das hat ja wunderbar funktioniert!“ Lilja fluchte unflätig.
„Achtung, Schwarz Alpha…“
„Achtung Leitzentrale! Autorisierungscode Delta-Vier-Alpha!“ eine weitere Peshten-Stimme schaltete sich ein, leise und doch autoritär: „Der Hilfseinsatz ist freigegeben. Ich wiederhole, IST FREIGEGEBEN. Schicken Sie ihre Flieger los!“
„Wer…“
„Hier ist…“, die nächsten Worte gingen in einem kurzen Statikrauschen unter, „…general. Ich schlage vor, Sie führen die Anordnung aus!“
Kano war das Hickhack egal – endlich hatte er eine Freigabe, mochten die am Boden sich auch noch über die Zuständigkeit streiten. Das war jetzt nicht sein Problem: „Butcher Bears, Lilja – wir haben einen Auftrag.“ Das klang fast abwesend, denn der japanische Pilot war bereits dabei, auf den neuen Kurs einzuschwenken.

Zwei Minuten später meldete sich Lilja zu Wort: „Ein Glück, dass jemand offenbar die nötigen Strippen gezogen hat. Diese lächerliche Isolationspolitik wird uns noch den Krieg auf diesem Planeten kosten. Es hat noch NIE geklappt, wenn zwei Streitkräfte denselben Feldzug führen wollen, aber jeder sein eigenes Ding durchziehen möchte.“
Kano nickte abwesend: „Irgendjemand hat mal gesagt, dass man nur gemeinsam siegen oder einzeln hängen kann.“
„Wer es war, er hatte Recht.“ Dann: „Wärst du auch…“
Kano überlegte kurz: „Vermutlich.“
„Es geschehen Zeiten und Wunder.“ Lilja lachte gallig und fügte dann nachdenklich hinzu: „Ich kriege die ersten Daten rein. Keine feindlichen Jäger.“
„Bisher.“
„Meinst du, sie halten ihre Reserven zurück? Oder schlagen woanders zu?“
„Möglich…oder es ist, wie du es vorher gesagt hast. Sie wollen freies Schussfeld.“
„So oder so, sie müssen wissen, dass wir kommen.“
„Aber sie wissen noch nicht von wo und wie viele. Achtung, ich erbitte Verbindung zu den Erdkampffliegern…“
16.07.2018 17:46 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Gamma Eridon, alliierter Frontsektor Neun

Die letzten Monate waren hart gewesen für die Männer und Frauen der 13. Sturmbrigade. Die Einheit war aufgestellt worden, als das Konzept mobiler Sturmverbände noch ganz neu war. Kommandiert von einem Offizier, der vor dem, was viele Peshten beschönigend ‚den Wandel‘ nannten – den blutigen Putsch, der das Konkordat in die Allianz mit der FRT zwang – gerade einmal eine Kompanie befehligt hatte, hatten sie in der blutigen Abwehrschlacht von Besh Phe ihre wahre Feuertaufe erhalten. Die aus einem Panzerregiment, einem mobilen Infanterieregiment und einem auf Selbstfahrlafetten motorisierten Artillerie-/Flugabwehr-Bataillon bestehende Einheit hatte sich gut geschlagen und einmal eine über den Fluss vorgestoßene Panzerbrigade durch einen Flankenangriff abgeschnitten und fast vollständig aufgerieben. Aber dabei, dem zeitweiligen Rückzug und der nach dem Eintreffen der terranischen Verstärkung eingeleiteten Gegenoffensive der Alliierten hatten sie auch enorme Verluste erlitten. Letzten Endes waren die Reste des Infanterieregiments in Sektor 9 gelandet, der im Soldatenjargon nur ‚die Beule‘ genannt wurde.
Irgendwann war es der Konkordatsführung dann aufgefallen, dass man etliche hundert in der Tankabwehr und der infanteristischen Zusammenarbeit mit gepanzerten Verbänden ausgebildete Männer und Frauen sinnvoller einsetzten konnte, denn als Sperreinheit in einem halbvergessenen Frontabschnitt. Also war der Befehl ergangen, die Männer aus der Front zu lösen, sie mit ihren ebenfalls zurückgenommenen und auf volle Mannschafts- und Fahrzeugstärke gebrachten ehemaligen Brigadekameraden zu vereinen und dem neu aufzustellenden Mobilkorps zuzuteilen. Die ‚Beule‘ sollte von dem auf Gamma Eridon neu aufgestellten 10. Regiment der Territorialstreitkräfte übernommen werden, die in dem vergleichsweise ruhigen Frontabschnitt Erfahrung sammeln würden.

So war es geplant gewesen. Während des Austauschs der Verbände hätte das Ab- und Anrücken der Verbände ineinander greifen sollen, wie Zahnräder – doch die Akarii hatten offensichtlich andere Pläne. Eine Kombination aus erfolgreicher feindlicher Aufklärung sowie Koordinationsfehlern und Staus bei der Truppenablösung führte dazu, dass sich die Männer und Frauen der 13., die teilweise bereits aus ihren Stellungen zurückzuweichen begannen und ihre Kameraden von der 10., die auf den wenigen Transportpisten und Marschpfaden vorrückten, von dem feindlichen Feuerüberfall kalt erwischt wurden. Die Werfer des Sturmregiments und der 10. waren bereits abgebaut oder noch auf dem Transport und konnten deshalb keinen Feuerschutz geben. Die im Hinterland befindliche schwere Artillerie war angesichts der geringen strategischen Bedeutung der ‚Beule‘ in den letzten Wochen schrittweise reduziert worden – offensichtlich zu sehr, denn ihr Unterstützungsfeuer fiel viel zu schwach aus und dazu waren die Geschütze auch noch teilweise zu weit hinten stationiert.

Besonders die Transportfahrzeuge des Territorialregimentes wurden schwer getroffen. Zwar zerstörten die im Hinterland stationierten und entlang den Transportkolonnen verteilten Impulslaser viele abgefeuerte Raketen noch in der Luft, aber die die durchkamen, verwandelten zusammen mit den einschlagenden Granaten und Werfergeschossen das Aufmarschgebiet in einen Hexenkessel. Die Männer und Frauen des Sturmregiments und der Territorialstreitkräfte booteten verzweifelt aus ihren Transportern aus, rannten um ihr Leben, warfen sich in Schützenlöcher, hinter Bodenwellen oder Gesteinsbrocken oder einfach in den Schlamm, warteten auf Unterstützung und fluchten auf die eigene Artillerie und Luftwaffe.

Die war indes näher, als sie dachten.
„ETA eine Minute. Einspeisung läuft. Mögliche Ziele…“ Kanos Stimme klang ruhig und ausdruckslos, ein Produkt der von ihm praktizierten eisernen Selbstdisziplin und stoischen Gelassenheit, um die ihn einige seiner Kameraden beneideten oder die sie in den Wahnsinn trieben.
Momentan flogen die vier Maschinen der Butcher Bears im Konturenflug – also dem, was normale Menschen als Tiefflug bezeichneten. Noch nicht einmal drei Dutzend Meter trennte die Nighthawks von einem tödlichen Rendezvous mit Mutter Erde – es gab höhere Bäume. In dieser Höhe konnten die Maschinen nur sehr schwer vom Feindradar erfasst werden. Kurz schoss Kano der Gedanke durch den Kopf, was wohl die Infanteristen empfinden mochten, wenn ein Quartett Raumjäger über ihre Köpfe hinwegschoss. Der Lärm musste ohrenbetäubend sein. ‚Unwichtig. Solange sie nicht auch noch auf uns schießen.‘ Schultergestützte Luftabwehrraketen hatten zwar nur eine begrenzte Reichweite und Durchschlagskraft, mehrere Treffer konnten aber die Schilde ernsthaft schwächen oder sie gar durchschlagen. Und in der Höhe brauchte ein Pilot nur einmal falsch zu reagieren, und er und seine Maschinen waren nur noch ein Krater im Erdboden.

„Mindestens ein Dutzend potentielle Ziele. Aber die Peilungen… Wir kriegen abweichende Daten von den Bodenbeobachtern. Und der Datenfluss schwankt. Soviel zu guter Zusammenarbeit! Mögliche Abweichung bis zu fünfzig Meter. Chert!“ Das kam von Lilja, die etwas weiter hinten mit Imp in mittlerer Höhe flog und wahrscheinlich am liebsten selber einen Bodenangriff geflogen hätte: „Blyad'! Wir werden angepeilt. Die fangen aber früh an.“
‚Natürlich.‘
„SAM in der Luft! Ausweichmanöver!“
„Sugar, Rerun, JETZT!“
„Bestätigt.“ das war Rerun.
„Tally ho!“ kam es wesentlich leidenschaftlicher von Sugar. Und sie war es auch, die als erste ihren Jäger abrupt in die Höhe schnellen ließ und ihn in eine fast unmögliche Kurve zwang: „Erfasse Abschussstelle – Raketen los! Los!“
„Raketen los!“ erklang Reruns Stimme, der ihr mit leichter Verzögerung gefolgt war. Der Einschlag von einem halben Dutzend hochexplosiver Hydra-Gefechtsköpfe ließ die feindliche Luftabwehrstellung in einem Inferno aus Qualm, Feuer und durch die Luft wirbelnden Steinen, Erdbrocken und Vegetationsresten verschwinden. Unter anderen Umständen hätten die Piloten vielleicht versucht, die feindliche Leitzentrale zu identifizieren, statt die vermutlich unbemannte Abschussrampe. Aber dafür blieb keine Zeit, war die Gefahr, selber zum Opfer zu werden, zu groß.
„Das hat gesessen, YIHAA!!“

Aber damit war es natürlich nicht vorbei: „Weitere Aufschaltungen! SAM in der Luft! SAM in der Luft!“ Irgendwo am Himmel erblühte die charakteristische Explosionswolke einer imperialen Boden-Luft-Rakete, ob an einem Täuschkörper oder einer Maschine der Angry Angels, konnte Kano im Augenblick nicht feststellen: „Lilja…“
„Ich habe zu tun!“
„Werde angepeilt! SAM hat mich erfasst!“ Das war Rerun, der seinen Anflug auf eine weitere Luftabwehrstellung abbrach und in einen panischen Zickzackkurs wechselte, während seine Maschine eine Garbe Täuschkörper ausstieß.
„Reiß dich zusammen und geh mit der Schnauze nach unten!“ Liljas in ihrer Entschlossenheit fasst brutal klingende Stimme überschlug sich beinahe: „Ohka, Erfassung steht! Steht! Schmeißt eure Eier und verschwindet!“
„Bestätigt.“ Kanos Augen klebten an dem Bodenzielschirm, auf dessen Reliefdarstellung die von Liljas und Imps Maschine gesammelten Sensordaten mit denen der alliierten Artilleriebeobachter am Boden jetzt mehr als ein halbes Dutzend einwandfrei identifizierter oder zumindest vermuteter Geschütz-, Granat- oder Salvenwerfer anzeigten.
Ein leises Pingen informierte Kano, dass die Zielelektronik für die unter den Flügeln der Nighthawk hängenden zehn Lenkbomben das erste Ziel erfasst hatte: „ANGRIFF!“

Die vier Maschinen – die beiden Nighthawks und zwei etwas veraltete Eagle-Schlachtflieger - griffen fast auf Wipfelhöhe an. Damit unterflogen sie zwar die vorgeschriebene Mindestflughöhe für den Bombeneinsatz und verletzten mindestens zwei Einsatzrichtlinien – aber um den Feind zu überraschen und das feindliche Flugabwehrradar zu unterfliegen, war Kano bereit, das Risiko einzugehen. Während die beiden Eagle ihre jeweiligen Ziele mit ungelenkten Hellfire-Raketen angriffen, lösten Flyboy und Kano fast gleichzeitig jeweils zwei Bomben aus: „Nachbrenner!“ Kano ging mit gutem Beispiel voran und gab Maximalschub, während sich hinter ihm und Flyboy die Streubombenkanister öffneten und eine Wolke Sprengkörper freigaben, die eine Schneise der Verwüstung schlugen, während Kano seine Maschine in eine scharfe Kurve zwang und das Alarmsignal ignorierte, das ihn davon informierte, dass Explosionssplitter und Geröll auf seine Bordschilde prasselten. Vier weitere Bomben segelten zu Boden – wenn auch diesmal nur auf ein vermutetes, kein sicheres Ziel. Erneut die Nachbrenner einschalten, gegensteuern und…
„FLYBOY!“

Es war Pech – aber vielleicht auch Ignoranz, dass die Piloten der Angry Angels vor allem die feindlichen Boden-Luft-Raketen als Gefahr ansahen und glaubten, dass der Feind den Artillerieüberfall nur mit ein paar mobilen SAM-Lafetten sichern würde. Doch die Imperialen hatten offensichtlich mit einem Luftangriff gerechnet. Und da sie vorerst auf den Einsatz eigener Jäger verzichtet hatten, konnten sie auf alles schießen, was flog.
Flyboy hatte nach ihrem ersten Bombenangriff bereits ein zweites Ziel angepeilt und drückte auf den Abwurfknopf, als ein schrilles Doppelping erklang. In derselben Sekunde, noch bevor sie reagieren oder auch nur daran denken konnte, wurde ihre Maschine brutal durchgerüttelt. Aus einer, dann zwei Richtungen wurde die Nighthawk von einem Oktett aus Laserstrahlen eingegabelt. Die Luftabwehrkanonen machten kurzen Prozess mit ihren Schilden, zernarbte die darunter liegende Panzerung und ließen sich auch nicht abschütteln, als sie ihre Maschine fast senkrecht in die Höhe steigen ließ. Schlimmer noch, ein weiterer Signalton informierte sie mit maschineller Gleichgültigkeit, dass mindestens eine Flugabwehrrakete sie aufgefasst hatte. Und wie ein böser Nachsatz zu der Hiobsbotschaft stiegen auch noch ein, zwei, drei schultergestützte SAM auf.

Die junge Pandoranerin war für ihre Schüchternheit und Zurückhaltung bekannt. Nicht selten wurde sie übersehen, konnte an einer Staffelsitzung teilnehmen, ohne auch nur ein einziges Mal den Mund aufzumachen – wenn es nicht Sugar gelang, ihre Flügelfrau und Zimmergenossin aus der Reserve zu locken. Aber jetzt war an Flyboys schriller, sich überschlagender Stimme nichts Zurückhaltendes: „Triebwerk getroffen, Schilde fallen aus! Kann sie nicht abschütteln! STEIGE…“
„FLYBOY!!!“
Auf Sugars Aufschrei erfolgte keine Antwort – nur die Feuerblume einer explodierenden SA-7.
„Verdammte Schweine!“ Die Pilotin, deren Hass auf die Akarii nach dem Tod zweier Brüder ohnehin keine Grenzen kannte, schien in einen regelrechten Blutrausch zu verfallen und stürzte sich auf die feindliche SAM-Stellung, auf einen Schlag sämtliche Bordkanonen und die verbliebenen Hydras auslösend. Die gegnerische Raketenstellung verging in einem wahren Feuerorkan – aber nicht, bevor sie nicht zurückschlagen konnte, denn durch Rauch und feurige Explosionswolken stieß eine weitere SA-7, die diesmal auf Sugar zielte.
„AUSWEICHEN, VERDAMMT!“
Im letzten Augenblick warf die junge Pilotin ihre Maschine auf die Seite und entging so einem direkten Treffer. Die Explosion reichte aber dennoch aus, um ihre Schilde teilweise zu durchbrechen: „BIN GETROFFEN!!“
Einer der feindlichen Flugabwehrlaser nahm jetzt Sugar aufs Korn, konnte ihrem radikalen Abwehrmanöver aber nur partiell folgen oder wurde durch die Flares und Explosionswolken abgelenkt. Der andere nahm offensichtlich Kano aufs Korn, erfasste ihn aber aufgrund seiner niedrigen Flughöhe nur kurz. Dennoch reichte es für ein halbes Dutzend Treffer, die Kanos Schilde weiter schwächten und teilweise durchschlugen.

Der japanische Pilot biss die Zähne zusammen. Sie hatten mindestens ein halbes Dutzend vermutete oder sichere Feuerstellungen bombardiert und wahrscheinlich zwei SAM-Batterien ausgeschaltet. Aber auf der anderen Seite hatten sie eine Nighthawk verloren, mindestens zwei weitere waren beschädigt, ebenso mindestens eine Eagle – und ein Großteil ihres Gefechtssatzes war verbraucht. Der Feind hatte noch mindestens zwei Luftabwehrpanzer oder automatische Flak im Einsatz, dazu etliche Infanteristen mit Schulter-SAM – und falls die Imperialen hier eine komplette motorisierte SAM-Abteilung zusammengezogen hatten, dann hatten sie außerdem noch mehrere schwere SA-6 und SA-7 Raketenwerfer in Bereitschaft.
„Rückzug! Rückzug! Wir ziehen uns zurück - Konturflug!“ Kano ließ seinen Worten Taten folgen und drückte seine Maschine noch ein paar Meter weiter in Richtung Boden. Rerun und Sugar folgten, auch wenn die junge Deutsche pausenlos Verwünschungen ausstieß und den verbleibenden Imperialen Tod und Vergeltung androhte. Kano ließ ihr ihre Wut. Er selber musste weiter funktionieren. Mit ruhiger, fast ausdrucksloser Stimme informierte er die Bodenstellen – terranische UND Peshten – von dem Abschuss der Nighthawk und verlangte die sofortige Einleitung von Such- und Rettungsmaßnahmen.

„…verstanden Schwarz Alpha. Aber wie ich schon sagte, das Konkordat ist verständigt. Wir können nicht…“
„Lizat' menya!“, fluchte Lilja: „Unsere Amphibienfreunde haben Recht! Bei euch muss immer alles nach der Scheiß-Dienstvorschrift gehen. DA DRAUSSEN IST EINE VON UNS! Also bekommen Sie Ihren Arsch hoch und…“
„WIR HABEN KEINE EINHEITEN VOR ORT! Ich sagte doch schon, Sektor 9 ist Peshten-Angelegenheit! Das Konkordat ist informiert. Sie haben uns zugesichert, dass Drohnen unterwegs und die Bodentruppen informiert sind. Die von ihnen angegebenen möglichen Absturz- und Ausstiegskoordinaten wurden weitergegeben. Da sie allerdings sehr ungenau waren...“
„Wir waren mitten in einem Einsatz um unseren Verbündeten die Haut zu retten!“ schnappte Sugar wütend: „Tut mir leid, dass wir nicht auch noch Stecknadeln in eine Karte stecken konnten! Kapieren Sie das – und sagen Sie das auch den Peshten!“
Die Offizierin aus der Bodenleitstelle blieb eine Antwort schuldig. Vermutlich hatte sie sich entschlossen, den Ausbruch zu ignorieren.
„Sugar, das reicht! Das hilft uns nicht weiter. Lilja…“
„Immer noch keine Feindjäger in der Luft. Ohka, wir bleiben über dem Zielgebiet und leiten die Koordinaten möglicher verbliebener Luftabwehr- und Artilleriepositionen an die Artillerie weiter. Außerdem sind noch zwei Rotten Erdkampfflugzeuge im Anflug. Diesmal welche von unseren. Wie es aussieht sind wir nicht die einzigen TSN-Flieger, die endlich ihren Arsch hoch bekommen. Vielleicht macht das Beispiel das nächste Mal ja Schule, anstatt dass wir hier einzeln ankleckern und uns die Imperialen der Reihe nach aufs Korn nehmen können.“

„Nur etwas spät!“ schäumte Sugar, wurde aber von ihren Vorgesetzten ignoriert.
„…außerdem werden wir die Augen nach Flyboy offenhalten. Und können einer möglichen Rettungsmission Geleitschutz geben.“
„Bestätigung, Lilja – und danke. Sugar, Statusbericht.“
„Es geht!“ schnappte diese wütend. Der Staffelchef der Butcher Bears unterdrückte den Impuls, mit den Augen zu rollen. Nicht, dass er sie nicht verstand, aber dennoch…irgendwann war Schluss. Die Stimme des japanischen Piloten gefror zu purem Eis: „Es reicht! Geben Sie Meldung! Statusbericht!“
Die erste Reaktion war eine Art Schnaufen – Kano war sich nicht sicher, ob Sugar Wut schnob oder mit den Tränen kämpfte. Ihre Stimme klang rau und emotionsgeladen: „Eine Steuerdüse ist ausgefallen, außerdem der Backbord-Flare-Werfer. Integrität des Backbordtanks bei sechzig Prozent. Ich…“
„Sie fliegen nicht zur COLUMBIA zurück, bevor wir das nicht durchgecheckt und gesichert haben.“
„Ich bin mit schon mit größeren Schäden zum Träger zurückgeflogen. Und SIE auch.“
„Weil es keine andere Möglichkeit gab. Das ist diesmal anders. Ich will sie nicht mit einer halb manövrierfähigen Maschine mit undichtem Tank auf dem Träger landen lassen. Wenn etwas schief geht…“
Nur zu gut erinnerte er sich daran, wie zwei Piloten seiner Staffel bei einer missglückten Landung zusammengestoßen und gestorben waren. Er hatte damals mit ‚Monty‘ Terrano einen geschätzten Vorgesetzten verloren.
„Sie könnten auf Feldflugplatz Neun landen.“ Schaltete sich einer der Eagle-Piloten ein: „Wenn Sie das dürfen.“ Kalda Vier, der Pilot der bei dem Bombenangriff ebenfalls beschädigten Eagle, war der Stimme nach ein Peshten. Sein Callsign bedeutete, dass er zur ersten Sektion der Staffel Kalda gehörte. Die Peshten verwendeten keine individuellen Callsing, sondern eine Kombination aus Zahlen und Staffelnamen.
„Sind die Landebahnen lange genug für einen Raumjäger?“
„Entspannen Sie sich, Schwarz-Alpha. Unsere Flugplätze sind auch für Transportflugzeuge und Raumjäger ausgelegt. Ich gebe Bescheid, dass wir mit ein paar Gästen kommen. Wir sind keine Anfänger.“
„Natürlich. Entschuldigung.“ Er durfte nicht vergessen, dass die Peshten diesen Krieg schon eine ganze Weile führten. Auch wenn einige ihrer neuen Verbände noch unerfahren und die Koordination manchmal ausbaufähig sein mochte – wobei da die Schuld mindestens zu gleichen Teilen bei den republikanischen Streitkräften und ihrer in Kanos Augen ebenso unklugen wie paranoiden Abschottungsstrategie lag – wenn die Peshten etwas beherrschten, dann Logistik: „Sie zeigen den Weg.“
„Sind Sie sicher…“, das war Rerun.
„Aber Flyboy…“, kam es von Sugar
Kano unterdrückte ein Seufzen: „Ich bin mir sicher. Ich werde nicht die dreifache Strecke fliegen, nur damit wir auf einem rein menschlichen Flugplatz landen. Wir haben für unsere Verbündeten unseren Hals riskiert – da können wir auch mal ihre Hilfe in Anspruch nehmen.
Und Sugar…wir können im Augenblick nichts tun. Wir erfahren Flyboys Schicksal auch nicht früher, wenn wir hier hängenbleiben, bis unser Treibstoff alles ist.. Und du hilfst ihr ganz bestimmt nicht, wenn du deine Maschine in die Bordwand der COLUMBIA rammst.“
„…verstanden.“
Wieder musste Kano ein Seufzen unterdrücken. Er machte sich auch Sorgen um Flyboy, die sich trotz ihrer Schüchternheit als eine gute und verlässliche Pilotin erwiesen hatte. Außerdem bedeutete ihr Ausfall, dass die Butcher Bears nach der Zerstörung von Bunnys Jäger bei der Schlacht mit den Piraten bereits die Hälfte ihrer Reservemaschinen eingebüßt hatten. Wenn es in diesem Tempo weiterging, würde er bald Piloten am Boden lassen müssen: „Kalda Vier, zeigen Sie den Weg.“
„Versuchen Sie mitzuhalten.“

Feldflugplatz Neun – sicher nach dem Frontsektor in dessen Rücken er sich befand benannt – entpuppte sich als drei in Form eines gleichseitigen Dreiecks angeordnete Landestreifen aus mit schwerem Pioniergerät hochverdichteter Erde, über die man Bahnen eines speziellen Nanomaterials ausgerollt hatte. Darum herum standen getarnte Modular-Hangar, Reparaturanlagen und Truppenunterkünften sowie einer Flug- und Luftabwehr-Leitzentrale, in den Boden versenkten Treibstofftanks und einer Reihe automatisierter FLAR- und FLAK-Stellungen in einem willkürlich wirkenden Muster, das sich deutlich von den starren Linien vergleichbarer terranischer Installationen unterschied. Trotz Kanos Skepsis bezüglich der Bauweise der Bahnen klappte die Landung reibungslos – ein weiteres Zeichen dafür, dass es den Peshten zumindest nicht an der nötigen Technik und Findigkeit mangelte.

Kalda-Vier hatte wie versprochen bereits Bescheid gegeben, denn die landenden Angry Angels sahen sich sofort von einer Gruppe Techs umringt – hauptsächlich Peshten, aber auch einige Mitglieder anderer Alien-Rassen – die sich an Sugars Maschine zu schaffen machten, noch ehe sie aus dem Cockpit geklettert war. Andere Teams kümmerten sich um Kanos und Reruns Maschine, die es deutlich weniger schwer erwischt hatte. Was Kano bei ihren Verbündeten sofort auffiel, war die sehr…kommunikative Art der Arbeit. Es herrschte ein verwirrendes Durcheinander von Stimmen, gelegentlich in Englisch, meistens aber in einer Peshten-Mundart. Etwas überraschend war, wie wenig Interesse die Techs an den Piloten zeigten. Wenn eine Sektion Aliens auf einer TSN-Flugbahn gelandet wäre, hätte das garantiert mehr neugierige Blicke hervorgerufen. Allerdings waren die Peshten mit ihrer sehr…liberalen Rekrutierungsphilosophie und ihrer Tradition als interstellare Zulieferer und Großhändler vermutlich den Anblick fremder Spezies gewöhnt.

Unter anderen Umständen hätte Sugar vermutlich verlangt, die Wartung ihres Jägers persönlich zu überwachen und Kano hätte möglicherweise ein Auge auf die Techs gehabt – Alliierte hin oder her, er war sich nicht sicher, ob die TSN den Peshten unbeaufsichtigten Zugang zu einem ihrer modernsten Jäger gewähren wollte. Aber Sugar war ganz offensichtlich mit den Gedanken woanders, und kaum dass Kano beide Füße auf dem Boden hatte, sah er sich einer Peshten-Offizierin gegenüber, die nach Menschenart salutierte: „Commander? Willkommen.“
Kano erwiderte den Gruß automatisch: „Ich muss an ein Kommgerät…“
„Ich habe ohnehin Anweisung, Sie zur Kommandozentrale zu bringen. Wenn Sie mir bitte folgen würden?“
Kanos sah sich um: „Meine Leute…“
„Auch sie können mir folgen.“ Kano überlegte kurz, entschloss sich dann aber, der Aufforderung nachzukommen. Sugar hätte er vermutlich ohnehin nicht zurückhalten können, die sofort begriffen hatte, warum er nach einem Kommunikationsgerät verlange. Rerun schien immer noch etwas erschüttert durch das Gefecht, auch wenn er es ohne größere Schäden an seiner Maschine geschafft hatte. Kano wollte ihn im Auge behalten. Außerdem hatte er als ehemaliger Handelsmatrose vermutlich mehr Praxis im Umgang mit Aliens, als Sugar und Kano zusammen.
Sugar…bei aller vordergründigen Entschlossenheit hatte sie etwas…Verlorenes an sich. Aber das glaubte Kano zu verstehen – er hatte schließlich auch schon mal mit dem Abschuss eines Wingman umgehen müssen. ‚Hoffentlich geht es Flyboy gut.‘ Aber im Augenblick konnten sie nicht viel tun. Vielleicht konnten sie ja in der Kommandozentrale mehr erfahren...

Das Flugplatz-HQ erwies sich als ein getarnter, kastenförmiger Bau in Modulbauweise – und als ein Schock für die ohnehin angespannten Nerven der Piloten. Neben dem Piepen und Klacken der verschiedenen Geräte, herrschte ein verwirrendes Durcheinander von Peshten-Stimmen, unter die sich ein Mensch, ein T’rr und zwei Mitglieder einer Alienspezies gesellten, von der Kano nicht einmal den Namen kannte.
Wenn dieses Chaos einer Ordnung folgte, dann einer, die Kano nicht verstand. Er sah Männer und Frauen in den – glaubte er – Uniformen der Luftwaffe des Konkordats, aber auch etliche, die anscheinend der Armee angehörten. Dazu kamen einige, die entweder insignienlose Dienstuniformen oder Zivilkleidung trugen und deren Funktion Kano völlig schleierhaft blieb. Niemand schien etwas über Flyboy zu wissen oder konnte oder wollte über den Verlauf der Suche Auskunft geben. Es war, als wenn er in eine laute, scheinbar nachgiebige Wand stoßen, die sich aber bei jeder Berührung aus unbekannten Gründen verfestigte. Oder sich in Nebel auflöste und sofort an einer anderen Stelle neu bildete.

Schließlich wandte sich Kano in seiner Frustration an den einzigen anderen Menschen im Raum, auch wenn der eine Armeeuniform trug und sich momentan in Schwierigkeiten zu befinden schien, wie seine angespannte Körperhaltung, die ungehaltene Miene und natürlich die Worte verrieten, die er in einen Kommunikator bellte: „Ja, wir wissen, dass die Artillerie streut, wenn sie auf maximaler Rohrüberhöhung feuert! Es gab Einschläge auf eigenem Gebiet?! Aber die meisten Granaten sind schließlich bei den Imperialen heruntergekommen?! Na also! Sie wollten Feuerunterstützung, wir haben diese eingewiesen! Es hieß DAS – oder gar nichts!
Wer mir die Kompetenzen gegeben hat, den Feuereinsatz zu befehlen?! Ich muss mich nicht vor einem Dreckkriecher rechtfertigen, der eben noch um Hilfe geschrien hat und sich jetzt beschwert, weil wir kein Wunder wirken. Sie können…?“
„Sagen Sie ihm, dass ich den Befehl gegeben habe.“ Die Stimme klang leise und fast weich – und dennoch lag in ihr genug unterschwellige Autorität, um mühelos das akustische Chaos zu übertönen. Der Sprecher war ein Peshten – für ein männliches Exemplar seiner Gattung relativ groß. Im mittleren Alter, schlaksig wirkend und in einer nüchternen Dienstuniform mit flacher Mütze, die das auf der Stirn befindliche dritte Auge nicht verdeckte, wirkte er wenig beeindruckend.
Aber soweit Kano das einschätzen konnte, signalisierten die Rangabzeichen, dass er einen General vor sich hatte. Unwillkürlich nahm er Haltung an – genauso wie der menschliche Offizier, der eben noch in den Kommunikator gebrüllt hatte und jetzt mit etwas gemäßigter Stimme sprach: „Der Befehl kam von General Horoks. Ich wiederhole, General Bri’an Horoks vom 30. Mobilen Korps. Hallo…?“, er drehte sich um: „Er hat aufgelegt.“
„Damit wäre das geklärt. Und so kann ich es mir auch sparen, mich ihren Pilotenkollegen von der TSN vorzustellen. Commander, Lieutenants…willkommen auf der Oberfläche von Gamma Eridon. Willkommen in unserem Krieg.“

Kano war sich nicht sicher, was er von der Begrüßung halten sollte. Und das 30. Korps sagte ihm nichts – dabei hatte er sich bemüht, alle auf dem Planeten eingesetzten Großverbände zumindest dem Namen oder der Nummer nach zu kennen.

Falls es General Horoks gelang, durch Kanos wie üblich ausdruckslos gehaltene Miene zu blicken, bewies er mehr Empathie als viele menschliche Offiziere. Jedenfalls fühlte er sich zu einer Erläuterung bemüßigt: „Wir sind noch in der Aufstellung begriffen. Aber die 13. Sturmbrigade – dessen Infanterie Sie zu retten halfen – und zwei weitere Brigaden werden zusammen mit zwei Bataillonen Kommandotruppen und der nach Gamma Eridon verlegenden 4. Sturmdivision das 30. Mobilkorps bilden.
Eigentlich war ich nur hier, um meine neuen Soldaten zu inspizieren und zu sehen, was für eine Figur sie nach einem halben Jahr an der Front noch machen. Alles Weitere kam…ein wenig überraschend.“
Kano glaubte nicht, dass Horoks häufig überrascht wurde. Er hatte etwas an sich – eine selbstsichere Arroganz, eine auf jahre- oder jahrzehntelangen Dienst in den Streitkräften hindeutende kontrolliert, wachsam, immer um Haltung bemühte Art sich zu bewegen – die Kano an Männer wie Monty und Mithel erinnerte.
„Ich muss Ihnen danken. Sie sind in einem sehr…dramatischen Augenblick eingetroffen – aber genau rechtzeitig. Ihnen und unserer Fernartillerie haben wir es zu verdanken, dass es noch ein Infanterieregiment der 13. Brigade GIBT. Ich danke für Ihren Einsatz. Das lief ja insgesamt recht gut. Wir konnten unsere Verluste in einem akzeptablen Rahmen halten.“
Neben Kano ließ Sugar einen unterdrückten Laut hören, den er nicht ganz ein einordnen konnte. Ein Blick in ihre Richtung alarmierte Kano – aber es war zu spät: „Gut?! Akzeptabel?! Flyboy ist abgeschossen, vielleicht tot…“
„LIEUTENANT!“ Kanos Stimme war scharf wie ein Peitschenknall, doch diesmal ließ sich Sugar nicht zurückhalten.
„…und Sie bombardieren ihre eigenen Leute?! Was ist bitteschön daran gut? Was ist AKZEPTABEL?!“
„ES REICHT!!“ Kano packte seine Untergebene hart an der Schulter: „REISSEN SIE SICH ZUSAMMEN, PILOT!!“

Korpskommandeur Horoks legte den Kopf zur Seite um Sugar mit dem rechten Auge und dem auf seiner Stirn zu fixieren und entblößte beunruhigend scharfe Zähne. Seine Stimme blieb leise, doch auf einmal lag ein scharfer Ton darin: „Was wissen Sie vom Krieg, Menschenfrau?! Was von dem, was wir akzeptieren mussten?!
Bei der Schlacht von Besh Phe kostete es die Akarii achtzigtausend Tote und Verletzte, über den Fluss zu setzen. Sie überquerten den Strom praktisch auf einem Damm aus Leichen. Wir hatten fast sechzigtausend Mann Verluste. Und das war vor der alliierten Gegenoffensive, die uns und die Republik noch einmal zehntausende Tote, Verstümmelte und Verletzte kostete. Glauben Sie denn, wir können uns da den Luxus leisten, ein Leben oder auch ein paar Dutzend zu schonen, wenn uns das den Sieg kosten könnte?! Wachen Sie auf!! Sie haben zu lange in der kostbaren Seifenblase ihres Geschwaders gelebt, wo man die eigenen Toten vielleicht nach Dutzenden zählt. Willkommen in der Wirklichkeit!!“

Kano hatte halb erwartet, dass Sugar jetzt endgültig in die Luft gehen würde. Aber sie überraschte ihn schon wieder, denn sie brach ganz einfach in Tränen aus.
Der japanische Offizier starrte einige Herzschläge unschlüssig auf die junge Rothaarige, deren Körper von Schluchzern geschüttelt wurde. Ein anderer Offizier hätte Sugar vielleicht umarmt. Aber dafür war Kano nicht der Richtige. Er lockerte allerdings den Griff um ihren Oberarm: „Schon gut, Petra. Schon gut. Gehen wir ins Freie…“, er wandte sich halb zu Horoks um: „Entschuldigen Sie, General. Aber wir nehmen Verluste nicht leicht. Wir brauchen jeden Piloten. Wenn Flyboy…“
Der Peshten musterte die beiden Menschen mit einer Miene, die Kano nicht deuten konnte: Mitleid, Unverständnis, Verachtung? Seine Stimme jedenfalls war wieder leise und fast weich: „Schon gut, Commander. Ich…verstehe. Ich werde sehen, was ich tun kann. Ich schulde Ihnen immerhin etwas. Gehen Sie ruhig. Es war zweifellos ein harter Tag.“ Als Kano, gefolgt von einem peinlich berührt wirkenden Rerun sich zur Tür wandte, glaubte er noch einmal Horoks leise Stimme zu hören: „Es werden weitere folgen…“

Die drei Piloten warteten bei ihren Maschinen, während diese überprüft und zumindest behelfsmäßig gewartet wurden. Eigentlich hätte Kano Rerun bereits vorausschicken können, dessen Maschine nur leichte Schäden erlitten hatte. Aber das hätte bedeutet, dass der Neuling alleine zur COLUMBIA fliegen würde. Und seitdem ein anderer Pilot der Anry Angels bei einem Soloflug spurlos verschwunden war, wollte Kano dieses Risiko nicht noch einmal eingehen, wenn es nicht unbedingt nötig war.
Unter anderen Umständen hätte er Sugar gehörig die Leviten gelesen, aber die Pilotin bot solch ein Bild des Elends, dass nicht einmal Kano das übers Herz brachte. Sugar hatte schon einmal ihren Rottenkameraden eingebüßt. Das und der nie verarbeitete Tod ihrer Brüder…
Kano würde sie im Auge behalten müssen.
Rerun hatte sich unter Feindbeschuss relativ gut geschlagen, trotzdem er kurz beinahe in Panik verfallen war. Jetzt beobachtete er interessiert die Arbeit der peshtischen Techs, wage sich sogar in das Chaos um die Maschinen und griff helfend zu, was von dem alliierten Bodenpersonal durchaus gewürdigt wurde.
Kano teilte seine Aufmerksamkeit zwischen seinen Untergebenen und der Arbeit der Techniker. Ein-, zweimal versuchte er über die Leitzentrale, Neues über Flyboy zu erfahren, doch vergeblich. Eine kleine Erleichterung war die Nachricht, dass Lilja und Imp inzwischen auf dem Rückweg zur COLUMBIA waren.
Die beiden Eagles, die mit ihnen gelandet waren, wurden betankt, gewartet, bestückt und hoben wieder ab. Die Schnelligkeit, mit der die Verbündeten der Republik arbeiteten, beeindruckte Kano erneut. Was vielleicht etwas arrogant war und ihn einmal mehr davon überzeugte, dass die Separationspolitik der FRT-Streitkräfte unklug war. Abgesehen von dem Informationsverlust und möglichen Missverständnissen, Kompetenzüberschneidungen und überflüssigen Doppelstrukturen – wie sollten die Männer und Frauen der alliierten Streitkräfte Vertrauen und Achtung voreinander empfinden, wenn man sie strikt getrennt hielt? Berichte, Propaganda und offizielle Kommuniqués waren das eine. Sie ersetzten jedoch nicht den persönlichen Kontakt.

Eher am Rand registrierte er, dass General Horoks mit einer kleinen gepanzerten Eskorte in Richtung Front abfuhr – vermutlich um seine neuen Untergebene aufzusuchen. Oder das, was von ihnen übrig war. Er hatte sich nicht noch einmal bei den Piloten gemeldet, schien aber einen Augenblick lang in ihre Richtung zu blicken. Soweit man das bei dem Mitglied einer Spezies sagen konnte, die drei Augen und ein Sichtfeld von angeblich fast 260 Grad besaßen.

Nach dem Start der Erdkampfflugzeuge lagen die Landebahnen wieder fast verlassen da. Auf einer Bahn wurde ein Transporter gewartet, während anderswo zwei Drohen bestückt wurden – eine davon anscheinend ein für den Kampf geeignetes Modell, das mit Bomben einer leichteren Varianten der Paveway und zwei Raumkampfraketen bestückt wurde.

Der Einsatz von Drohnen für Kampfzwecke war umstritten. Gegen moderne Atmosphären- oder gar Raumjäger hatten sie keine echte Chance und auch gegen schultergestützte Luftabwehrraketen oder gar die schweren Luftabwehrsysteme der letzten Generation waren sie sehr empfindlich, wurde ihre unauffällige Radarsilhouette doch durch eine geringere Geschwindigkeit und deutlich schwächere Panzerung und Schilde erkauft. Dazu kam die Furcht vor einem Hackangriff oder einem Versagen gegen die moderne ECM-Technik des Imperiums. Dafür waren sie natürlich billiger als ein Erdkampfflugzeug oder gar ein Raumjäger. Und ein Abschuss kostete keinem Kampfpiloten das Leben, in dessen Ausbildung man Jahre investieren musste. Drohnenpiloten lebten ziemlich sicher – und waren deutlich kostengünstiger. Irgendwann würde vermutlich endlich die von einer KI gesteuerte, autonom agierende, voll luft- und raumkampftaugliche Kampfdrohne kommen – aber vorerst waren das nur der Traum mancher Militärs und der Albtraum von Piloten, Paranoikern und Technikfeinden.

Doch abgesehen davon – und natürlich den drei kantigen Nighthawk-Raumjägern und den an ihnen arbeiteten Technikern – lag der Feldflugplatz scheinbar wie ausgestorben da, ein Eindruck der durch die Tarnung der Hangars und Unterkünfte noch verstärkt wurde. Für Kano, der abgesehen von Miramar bisher fast ausschließlich die immer etwas überfüllten, höhlenartigen Hangars von Trägern, Raumstationen oder der Marsakademie kennengelernt hatte, waren die langen, fast leeren Landebahnen mit dem sie überwölbenden scheinbar grenzenlosen Himmel ein mehr als ungewohnter Anblick.

Der japanische Pilot warf einen Blick auf seine Uhr. Zwar hatten sie fast vier Stunden eingebüßt, aber er hoffte, dass man ihm diese Verzögerung nachsehen würde. Er hatte die Butcher Bears zu oft beschädigte Maschinen auf dem Rückweg zum Träger verlieren sehen, um das Risiko einzugehen. Ein Blick zum Himmel…‘Vorausgesetzt, die Akarii schicken nicht ausgerechnet jetzt einen Versorgungskonvoi zum Planeten. Oder kommen auf die Idee, diesen Flugplatz mit einem Luftschlag oder Fernbeschuss zu belegen.‘ Dann konnte Kanos Entscheidung ihm auch sehr schnell seinen Posten kosten.

Aber das leise Dröhnen, dass durch seine Gedanken schnitt, stammte zum Glück nicht von einer anfliegenden Akarii-Rotte, sondern von einem einzelnen, armierten Schweber, der mit seiner fast organisch fließend wirkenden, mattschwarzen Massivpanzerung, den Aufhängungen für gelenkte und ungelenkte Raketen und den beweglichen, im Bug und den Seitentüren befestigen Schnellfeuerlasern eher wie ein Schlachtflieger als wie ein Transporter wirkte. Die in der geöffneten Backbordluke sitzenden Gestalten – zwei T’rr die ihre Beine lässig im Freien baumeln ließen und zu ihrer irregulär wirkenden Kombination aus Tarnkleidung und Panzerteilen ein ganzes Arsenal an Waffen trugen – verstärkten den martialischen Anblick noch.
Kano musterte die landende Maschine und den buntscheckigen Haufen, der mit der Arroganz und Lässigkeit jahrelanger Übung ausbootete, kaum dass die Maschine den Boden berührte. Weitere T’rr, zwei Akarii, einige Peshten – alle gleich nur in der Uneinheitlichkeit ihrer Ausrüstung. Und was war das? Das Wesen hatte die Größe, den massiven Körperbau und die Reißzähne eines schweren Kampfhundes, allerdings kein Fell sondern eine Schuppenhaut, über die eine Art Panzerweste geschnallt war. Verwirrend wirkten die langen, fast an Finger erinnernden Zehen der Vorderbeine, die beim Gehen eigenartig nach Oben gebogen wurden, die fledermausartigen, sich ständig bewegenden Ohren und vor allem die wachsamen, beunruhigend intelligenten Augen.
Der bizarre Anblick weckte sogar Sugar aus ihrem Elend: „Was zum Teufel…?!“
„Ein Geit-Hund.“ Wusste Rerun zu berichten: „Von denen habe ich in meiner Zeit bei der Transportflotte gehört. Sie kommen aus dem Peshten- oder Akarii-Raum, glaube ich. Manche behaupten, sie seien im Labor gezüchtet. Die sind mörderisch. Nicht nur ein überragender Geruchs-, Hör- und Sehsinn, sie jagen auch noch mit Ultraschall. Und sie können einfache Werkzeuge benutzen können. Angeblich sind sie intelligenter als Schimpansen. Deshalb ist der Handel mit ihnen oder das Abrichten zu Kampf- oder Wachzwecken in der Republik und der Konföderation verboten.“
„Im Konkordat sieht man das offenbar nicht so eng.“
Das Auftreten und die Ausrüstung des Trupps, zusammen mit der Ausstattung der Maschine und der Tatsache, dass er sie sehr viel später gehört hatte, als dies bei einem normalen Shuttle der Fall gewesen wäre, ließ für Kano nur einen Schluss zu: „Vermutlich Spezialeinheiten.“

Angesichts dieses Kaleidoskops martialischer Individualität hätten die Piloten beinahe die zierliche Gestalt übersehen, die, von einer T’rr gestützt, etwas unbeholfen aus dem Schweber kletterte und deren verdreckter Fliegeroverall so gar nicht zu den Tarnuniformen in ihrer Umgebung passte. Doch dann war es ausgerechnet Sugar, die sie zuerst entdeckte: „PHUONG!!“
Die Kommandos mussten zur Seite weichen, sonst hätte Sugar sie vermutlich über den Haufen gerannt. Sie taten es mit einem Grinsen, halblautem Gelächter und amüsierten Bemerkungen, von denen Kano nur die Hälfte verstand. Sugar nahm sie gar nicht wahr. Sie war zu sehr damit beschäftigt, die völlig überraschte und schlagartig knallrot werdende Flyboy in die Arme zu schließen, sie in die Luft zur reißen und herum zu wirbeln.
„DU LEBST! Verdammte Scheiße, weißt du, was ich mir für Sorgen gemacht habe!“
Selbst Kano erlaubte sich ein halbes Lächeln angesichts von Sugars beeindruckenden Demonstration von Überschwang, der freilich nur möglich war, weil Flyboy mindestens einen halben Kopf kleiner als Sugar und so zierlich war, dass die TSN für ihren Raumanzug angeblich eigens ein Modell in Kindergröße hatte entwickeln müssen.
„Mach das bloß nicht noch einmal, hörst du?!“ Falls Flyboy etwas antwortete, dann war ihre Stimme zu leise, als dass Kano sie verstehen konnte, der Sugar in einem etwas gesetzteren Tempo folgte. Er nahm sich die Zeit, den die kleine Einheit kommandierenden Peshten-Lieutenant zu grüßen, der den Salut lässig erwiderte, seinen Namen allerdings schuldig blieb.
Und ebenfalls im Gegensatz zu Sugar verzichtete er darauf, die gerettete Pilotin zu umarmen, weil er annahm, dass das der notorisch schüchternen Pandoranerin vermutlich noch peinlicher gewesen wäre. Aber er ließ es sich nehmen, ihre Hand zu ergreifen, sie dann allerdings loszulassen und sich leicht zu verbeugen: „Lieutenant An, willkommen zurück. Es ist gut, Sie wieder bei uns zu haben. Ich freue mich, dass Sie sicher zurückgefunden haben. Keiner möchte auf Sie verzichten.“
Sugar prustete los: „Sie brauchen ein Schwert im Gürtel, wenn Sie sich so verbeugen!“
Sie schlang einen Arm um Flyboys Schulter: „Jetzt musst du aber erzählen, wie du unter den Spezialeinheiten gelandet bist.“
Flyboy war die geballte Aufmerksamkeit sichtlich peinlich. Immer noch tiefrot, schlug sie die Augen nieder, ihre Stimme kaum hörbar: „Ich hatte Glück, dass ich über dem Niemandsland
ausgestiegen bin. Ich habe mich verkrochen und das Notsignal aktiviert. Das war schon alles…“
„Ein bisschen mehr war es schon.“ Schaltete sich der Peshten-Offizier ein: „Im Niemandsland kam eine ganze Menge Streuschüsse runter. Und Ihre Pilotin hatte Glück, dass einige von uns während dem Abzug der 13. als vorgeschobene Artilleriebeobachter fungieren sollten. Dadurch waren wir als Erste vor Ort. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Imperialen den Notruf auch empfangen oder zumindest angepeilt haben. Zum Glück waren sie etwas zu langsam damit, einen Artillerieschlag zu befehlen oder ein Kommando loszuschicken.“
Flyboy zeigte erstaunlich wenig Emotionen – vielleicht hatten die Kommandos ihr diese Alternativen bereits erläutert oder sie hatte sich einfach gut im Griff – aber Sugar sah aus, als würde ihr entweder übel oder als würde sie dem Offizier der Spezialeinheiten am liebsten eine runterhauen.
Kano warf ihr einen warnenden Blick zu: „Ein Grund mehr, Ihnen und Ihrem Team dankbar zu sein.“
„Das ist eine unserer Aufgaben, Commander. Und immerhin hat ihre kleine Freundin, haben Sie alle die Haut für unsere Jungs und Mädchen riskiert. Das ist schon mal was Besonderes – und deshalb sind wir quitt, würde ich sagen.“
Kano warf einen Blick zu den Nighthawks – die Techs schienen ihre Wartungsarbeiten inzwischen abgeschlossen zu haben: „Ich glaube, es ist Zeit, dass wir nach Hause fliegen.“
„Bevor noch jemand einen Suchtrupp losschickt oder man uns Fraternisation mit dem Verbündeten vorwerfen will!“ kalauerte Sugar: „Verdammt, wir brauchen einen Transport für dich, Phuong! Außer natürlich, du willst auf meinem Schoß fliegen, wie es Joystick und Ace gemacht haben.“ Sie stupste Flyboy freundlich an die Schulter, die schon wieder rot angelaufen war.

Aber das war nicht nötig. Keine halbe Stunde später landete ein TSN-Shuttle. Entweder der Flotte lag wirklich etwas an ihren Piloten oder man war der Meinung, dass die vier Angry Angels sich schon viel zu lange mit den Peshten abgegeben hatten. Kano bereitete sich bereits innerlich darauf vor, dass die Sache ein Nachspiel haben würde.
Er war gerade dabei, einen letzten Check bei seiner inzwischen startfähigen Maschine durchzuführen, als ihn ein Räuspern innehalten ließ, dem man anhörte, dass der Sprecher mit dieser menschlichen Lautäußerung wenig vertraut war: „Commander?“ Hinter ihm stand die Peshten-Offizierin, die sie begrüßt und zur Kommandozentrale geleitet hatte.
„Entschuldigen Sie, ich sollte mich wohl formell abmelden…“
„Kein Problem. Ihre Leitstelle und Vorgesetzten haben uns informiert. Flugvektoren und Freigaben sind übermittelt, unsere eigenen Luft- und Luftabwehreinheiten informiert.“
„Dann Danke auch dafür.“
„Wir kämpfen denselben Krieg.“ Irrte er sich, oder schwang in den Worten eine leise Frage oder leichter Spott mit? „Und wir schuldeten Ihnen etwas. Deshalb…wollte General Horoks Ihnen und Ihren Leuten auch das hier geben. Ein kleines…Danke.“
In dem halben Dutzend schildförmiger Metallplaketten, die die Peshten ihm hinhielt, war eine Figur eingraviert, bei der Kano sich trotz der ebenso filigranen wie detaillierten Darstellung nicht ganz sicher war, ob diese einen Peshten, einen T’rr oder gar einen Akarii, Mensch oder die Götter was sonst darstellen sollte. Je nachdem, wie er das Metallstück drehte, schien die Gestalt sich zu verändern. Ein etwas beunruhigender Effekt: „Vielen Dank. Wenn ich fragen darf, was…“
„Das ist das Emblem des 30. Korps, das es von der 4. Sturmdivision übernommen hat. Das ist ein Niegeborener. Eine für den Kampf zum Leben erweckte Statue. Die Niegeborenen kennen keinen Schmerz und keine Furcht. Sie werden niemals aufgeben. Sie werden niemals zurückweichen. Für sie gibt es nur den Sieg – oder den Untergang.“
16.07.2018 17:50 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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TRS Columbia, Gamma Eridon-System

Eda Waskiewisz verabscheute Befehle wie diesen. Sie konnte damit leben, dass man ihr nicht genau erklärte, WARUM sie etwas zu tun hatte. Das war nun einmal das Schicksal niederer Dienstgrade - in den Streitkräften generell, und im NIC erst Recht. So sehr man den Nachrichtendienstlern beigebracht hatte, nicht leichtfertig zu vertrauen, so sehr mussten sie sich auf ihre Vorgesetzten verlassen können, und diese auf ihre Untergebenen. Und Eda war eine gute Offizierin. Man bekam den Rang eines First Lieutenant des NIC nicht hinterher geworfen, und auch nicht einen Posten an Bord eines Flottenträgers. Vor allem, wenn man nicht bereits vor Beginn der Ausbildung studierte Juristin war, Psychologin, versierte Sprachwissenschaftlerin oder dergleichen mehr - Akademiker hatten gewisse Startvorteile. Aber sie gehörte nicht zu diesen Senkrechtstartern. Sie hatte sich durch unermüdliche Arbeit hochgedient, und durch ihre Fähigkeiten, einen wachen Verstand und vielleicht auch etwas Glück Klippen umschifft, an denen manch andere gescheitert waren. Eine gesunde Portion Zynismus und Misstrauen waren freilich auch hilfreich gewesen. Ihre letzte Beförderung verdankte sie dem Umstand, dass ausgerechnet sie herausgefunden hatte, dass ein hoch dekorierter Kriegsheld Informationen weitergegeben hatte. Nicht an den Feind, er hatte einfach seine Verbindungen genutzt, um Transportunternehmen und Zulieferern bei Ausschreibungen von Regierungsverträgen zu "helfen". Die geflossene Bezahlung war über so viele Zwischenstationen verschleiert worden, dass selbst versierte Finanzprüfer zunächst nichts hatten entdecken können. Ihr Vorgesetzter hatte den Verdacht deshalb auch zunächst abgetan - und war über sein Fehlurteil gestolpert. Jetzt durfte er seinen Dienst in den besetzten Gebieten des Imperiums verrichten, auf einem Planeten, den die meisten Menschen nie im Leben auf einer Sternenkarte gefunden hätten. Eda aber war befördert worden, und kurz darauf auf die Columbia abkommandiert worden.

Doch gerade weil sie eine gute Nachrichtendienstlerin war, verabscheute sie ihre momentane Aufgabe. Da gab es nun weiß Gott wichtigeres. Sie verabscheute Aufträge, die so offensichtlich nach Blödsinn klangen - was daran liegen mochte, dass dieser anscheinend nicht vom NIC kam, sondern ein Gefallen für jemand anderen war. Wen, das wusste sie nicht, denn Ross war noch verschlossener gewesen als sonst - was einiges heißen wollte.

Sie hätte sich lieber mit ihrem Projekt Noname befasst - dieses Stück Piratendreck endgültig zu knacken. Seit sie das erste Mal seine Akte gelesen hatten, waren die Alarmsirenen in ihrem Kopf losgegangen. Das lag nicht daran, dass er menschlich gesehen ein Stück Dreck war, das war nur ein Aspekt dabei. Charakterschweine gab es viele, aber die waren zumeist nicht auch noch offenkundig kriminell. Sicher, sie verabscheute Kerle wie ihn ohnehin. Wenn sie Haare wie gesponnene Seide gehabt hätte, ein Gesicht wie ein Modell, die nötige Oberweite und was dergleichen mehr war, hätte er sicher nichts dagegen gehabt, wenn sie sich mit ihm befasst hatte. Aber sie war nun einmal mit einem unsymetrischen Gesicht, etlichen Pfunden zu viel und unansehnlich strähnigen braunen Haaren gesegnet. Sogar heutzutage gab es Kerle, die sich recht gut anmerken ließen, wie sehr sie Frauen eben auch nach ihrem Aussehen beurteilten, und Noname war ein Paradebeispiel für diese...nun, sie Neandertaler zu nennen, wäre vermutlich eine Beleidigung für die menschlichen Vorfahren gewesen. Aber nein, sie verabscheute ihn nicht in erster Linie deshalb, weil er ein gewaltbereites, psychisch instabiles, sexistisches Stück Dreck war.
Sondern weil sie sich sicher war, dass er auch heute noch kriminell und eine Gefahr war. Sie selbst glaubte natürlich nicht ALLES was sie ihm vorwarf, auch wenn es ihr ganz Recht war, dass ER das offenbar annahm - alte Verhörtaktik. Aber dass ihn und die Piraten während seiner ,Gefangenschaft' weit mehr verbunden hatte als er zugab, das war für sie sicher. Und sein Verhalten seit seiner Begnadigung nährte den Argwohn nur, dass dieses Kapitel keineswegs schon abgeschlossen war. Etwa, dass er sich ausgerechnet an Clifford Davis und dessen Schwester herangewanzt hatte - Kinder einer vergleichsweise wohlhabenden, aber doch etwas zwielichtigen Familie. Einer Familie, deren Geschäfte lukrative Regierungsaufträge umfassten, die aber dennoch gelegentlich in sehr trübem Wasser in der Peripherie fischten und mirakulöserweise sehr gut versichert gewesen waren, als sich der neue Black Buccaneer bei seinem ersten Überfall ausgerechnet eine IHRER Ladungen gekrallt hatte. Was es doch für Zufälle gab, nicht wahr? Nein, dieser Cartmell war in etwa so sauber wie ein Schlammbad.
Seine Akte voller Disziplinlosigkeiten und Regelverstöße ließen sie einmal mehr am Verstand der Verantwortlichen in den Streitkräften zweifeln. Er mochte ein passabler Pilot sein, aber von denen gab es viele, und 99,9 Prozent davon waren nicht annähernd so sozial gestörte, unsichere Kantonisten. Nein, das war eine Spur, die man besser verfolgte. Wenn es ihr gelang, Cartmells Arsch an die Wand zu nageln - woran er als Knastbruder gewohnt sein musste - war für sie vielleicht die nächste Beförderung oder zumindest ein lobender Eintrag in der Akte drin. Denn wenn es etwas gab, was sie fast so sehr liebte wie ihre Arbeit gut zu machen, dann die Belohnung dafür einzustreichen.
Aber nichts da, sie musste das und ihre ganze übrige Arbeit - Dinge, von denen Leben abhängen mochten, wie die Auswertung von imperialen Funksprüchen, die dekodiert worden waren - beiseite legen für diesen...Blödsinn.
Einmal mehr arbeitete sie mit Julia Gallaso von der psychologischen Abteilung zusammen. Obwohl ihr - und vermutlich auch dem Commander - nicht ganz klar war, WARUM sie eigentlich zusammenarbeiten mussten. Und das ,gegen' jemanden, der vermutlich mindestens ein so harter Brocken war, wie Noname. Wenn nicht sogar aus mehreren Gründen noch wesentlich schwerer zu bearbeiten.

Tatjana Michailowa Pawlitschenko alias Tanja, alias Lilja, alias eine Menge zumeist unschöner Spitznamen war in etwa so unzufrieden wie ihre beiden Gegenüber. Sie war, und sie wurde nicht müde das zu betonen, eine viel beschäftigte Frau. Ihre eigenen Leute am Leben zu erhalten und den Kaiserlichen selbiges abzukürzen oder zumindest zu vermiesen war ein Vollzeitjob. Die Einsätze der letzten Tage waren nicht nur für die Stallions ein ermüdendes Katz-und-Maus-Spiel gewesen. Weder die imperialen noch die terranischen Jäger bzw. die Peshten-Verbündeten konnten riskieren, tief in den Luftraum der anderen Seite vorzustoßen. Zu dicht war das Netz an hochentwickelten SAM-Batterien, das beide Seiten aufgebaut hatten. Die Peshten, die um die relative Schwäche ihrer Fliegerstreitkräfte wussten - gute Piloten auszubilden kostete viel Zeit, und man bekam sie nicht leicht auf dem Söldnermarkt - hatten entsprechende Anstrengungen unternommen, um diese Schwäche zu kompensieren. Und die kaiserlichen Truppen waren traditionell gut abgesichert - vor allem, weil ihre Armeen inzwischen gelernt hatten, mit feindlicher Luftüberlegenheit umzugehen. So konnte man auf beiden Seiten in erster Linie nur eigene begrenzte Angriffe unterstützen und hoffe, dass der Gegner sich aus der Deckung wagte. Glücklicherweise hatte sich Stafford den Argumenten, die Kali vorgebracht hatte, nicht verschlossen, und die Staffeln konnten zumeist in Arbeitsteilung operieren. Auf einem Flottenträger war weniger ,Hansdampf in allen Gassen' nötig als auf einem Majestic, und die Falcons wären in Bodenangriffen einfach verschwendet gewesen.

Die Grünen und Blauen hatten sich folglich mit dem Schutz der Columbia und Absicherung der Bodenangriffe anderer Schwadronen abgewechselt. Die Falcons hatten darüber hinaus mitunter auch Begleitschutz für bemannte oder unbemannte Luftaufklärer geflogen. Alles in allem war es eine wenig glorreiche und gefährliche, ermüdende Kriegsarbeit gewesen. Aber sie musste erledigt werden, und wenn es etwas gab, das man von Lilja sagen konnte, dann dass sie sich auch in schwierige Aufgaben reinknien konnte, um das beste daraus zu machen.
Nicht, dass ihre Staffel sonderlich hatte glänzen können. Die Grünen hatten in der ganzen Zeit gerade einmal zwei Erdkampfflieger vom Typ Cockroach abgeschossen, die bei den Akarii Kalleeh-ta hießen. Lilja hatte einen der Siege für sich reklamieren können. Im Gegenzug waren mehrere der Falcons beschädigt worden, und Hellcat hatte einen schweren Treffer kassiert, der ihn zur Notlandung zwang, glücklicherweise ziemlich weit auf eigenem Gebiet. Er kurierte im Moment noch einige Frakturen aus, die er sich bei dem unsanften Landemanöver zugezogen hatte - genau so wie sein Jäger noch in "Behandlung" war, um ihn wenn möglich wieder einsatzbereit zu machen. Kurz und gut, es gab mehr als genug zu tun.

So hatte sie die Bitte des NIC um ein Gespräch mit Widerwillen quittiert. Sie wollte freilich nicht auf direkte Konfrontation schalten. Liljas Beziehung zum NIC war...kompliziert. Selbstverständlich hatte sie über die Jahre immer wieder mit Mitgliedern des Flottennachrichtendienstes zu tun gehabt. Sie hatte als Typhoon- und Falcon-Pilotin mehr als einmal heikle Aufklärungsmissionen übernommen, und was sie dabei gesehen hatte, war manchmal auch für den Nachrichtendienst von Interesse. Etwa der Kontakt mit seltenen Schiffen und Kampffliegern des Imperiums, ein oder zweimal auch die Expertise zum feindlichen Flugverhalten, wenn Grund zur Annahme bestand, sie habe die Klingen mit einem feindlichen Ass oder Angehörigen eines besonders berüchtigten Geschwaders gekreuzt. Einzelne ihrer Missionen hatten von vorneherein eine NIC-Komponente gehabt, etwa Daten von anderen Aufklärungseinheiten bergen oder diese absichern. Und die Russin kultivierte nicht die von einigen Piloten gehegte Abneigung gegen die "Etappenhengste" des NIC. Immerhin hatte sie vor allem mit deren Personal an Bord der Columbia zu tun, und die gingen ein erhebliches Risiko ein - der Flottenträger war kein sicheres Refugium, eher eine gigantische Zielscheibe. Allerdings war ihr Verhältnis zum Nachrichtendienst etwas belastet worden, seitdem man sie im Sterntor-System eine Zeitlang inhaftiert hatte. Dennoch oder gerade deswegen war sie brav erschienen - in so weit man bei ihr von brav sprechen konnte. Beim Anblick von Commander Gallaso stellten sich allerdings sofort die Nackenhaare der Russin auf. Seitdem man sie zu Anfang des Krieges eine Weile lang in die Etappe versetzt hatte, war sie gegenüber Beurteilungen psychologischer Art misstrauisch. Außerdem war die ,Hirnstocherin' ranghöher, also konnte sie sich nicht auf ihre Position berufen, wenn ihr das Gespräch unangenehm wurde.

Da sie aber nun einmal war, wer sie war, ging die Russin vorsichtshalber gleich zum Angriff über, kaum, dass sie sich gesetzt hatte: "Ich nehme mal an, dass Sie mich nicht hergebeten haben, weil jemand glaubt, dass ICH wegen irgend welcher Verbindungen zu irgend welchen Piraten einer Flugtauglichkeitsprüfung zu unterziehen sei, so wie Joystick." Das brachte ihr schon mal zwei leicht genervte Blick ein, freilich von Seiten von First Lieutenant Waskiewisz mit einem leichten Lächeln verbunden. Den beiden Offizierinnen war klar, dass der Zwischenfall mit Cartmell vor der Piratenjagd die Runde gemacht hatte. An Bord blieb wenig geheim. Dass Noname eine Weile vom Flugbetrieb zurückgestellt gewesen war, ließ sich einfach nicht verbergen.
Aber Eda erkannte auch, dass Lilja ihr durch die Blume signalisieren wollte, dass sie nicht gerade zu dem - sehr kleinen - Fanklub des ehemaligen Sträflings gehörte. Weshalb sie den boshaften Spitznamen für ihn benutzte, der ihm nach seinem...Tandemflug...mit Clifford Davis von einigen übelmeinenden Kameraden verpasst worden war.

"Nichts dergleichen, Commander, und danke, dass Sie sich Zeit genommen haben. Wir wissen das angesichts Ihrer zahlreichen und wichtigen Aufgaben zu schätzen."
Eda glaubte für einen Moment, sie hätte etwas zu dick aufgetragen, aber Lilja schluckte den Köder - obwohl ihr schiefes Grinsen sagte, dass sie sehr wohl verstand, dass man ihr Honig ums Maul schmierte, damit sie kooperierte. Aber das hieß ja nicht, dass man sich den nicht schmecken lassen konnte, oder?
"Dies ist nur eine reine Routinebefragung, die mit einer Ihrer früheren Missionen zu tun hat, die der Geheimhaltung unterliegt."
Die Russin lachte sardonisch: "Da müssen Sie schon etwas genauer werden, das gilt nämlich für mehrere...und bei einigen davon soll ich mich nicht mal daran erinnern, das ich was darüber wusste."
Eda musste einen Fluch unterdrücken, denn die Staffelchefin hatte ironischerweise einen wunden Punkt getroffen. Man hatte ihr nicht mal genau gesagt, WARUM und zu welcher Sache die Pilotin speziell befragt werden sollte. Oder besser, man hatte ihr nur einen Fragekatalog geliefert und eine Begründung, die so sehr nach Vorwand stank, dass man es zehn Meilen gegen den Wind roch.
"Es geht um einige Nachforschungen, die Sie angestellt haben, namentlich zu...etwas exotischen Themen. Uralte Archäologie, Mythen und Legende und so weiter..."

Lilja hatte in den letzten Jahren eine Menge gelernt, und das meiste waren Dinge, auf die man im normalen Leben kaum stolz sein konnte. Sie hatte gelernt zu gehorchen und auch zu befehlen, zu töten und Schmerzen zu ertragen. Und sie hatte gelernt zu lügen - nicht zuletzt, um ihre dunklen Geheimnisse, und davon gab es einige, zu beschützen.
Genau diesem Praxistraining verdankte sie es, dass sie nicht spürbar zusammenzuckte. Das lag nicht einmal daran, dass der NIC über ihre kleinen Recherchen Bescheid wusste. Mit dem Eintritt in die Streitkräfte hatte sie ihr Recht auf Privatsphäre weitestgehend aufgegeben, zumindest so lange sie an Bord eines Kriegsschiffes war und einen an Bord befindlichen Computer benutzte. Sicher las der Nachrichtendienst nicht ALLES mit - aber er konnte. Und er durfte das auch, abgesehen von Dingen, die der ärztlichen und juristischen Schweigepflicht unterlagen. Die las er - wie man so munkelte - selbstverständlich auch...
Also wurde NATÜRLICH das überwacht was sie so trieb. Sie hatte nur nicht damit gerechnet, dass ihre Nachforschungen irgendjemanden interessieren würden, deshalb hatte sie mit dieser Frage nun gerade nicht hier und heute gerechnet, und musste folglich improvisieren. Sie fragte sich, ob sie Tremane oder einem der Kerle beim NIC, die ihm am Ende in die Suppe gespuckt hatten, diese Fragerunde verdankte. Im Grunde spielte es keine Rolle was zutraf, sie musste so oder so sehen, wie sie sich möglichst elegant aus der Affäre zog. Selbst in ihren Augen klang ihre Erklärung zunächst etwas lahm: "Ach, so, das...ist nur ein kleines Hobby. Ein Steckenpferd, ich kann ja nicht immer nur Dienstpläne durchkauen, oder mir selbst auf dem Bildschirm zusehen." Damit spielte sie auf die Filmserie zur Columbia an, in der ihr Widerpart eine kleine, aber markante Rolle spielte.
"Deshalb...braucht frau so etwas, um mal abzuschalten - ein Mädchen kann sich ja nicht nur besaufen oder durch das Schiff vögeln, so wie einige, die ich benennen..." Sie fasste sich: "Das bleibt aber unter uns...? Als kleines Kind habe ich immer davon geträumt, den Weltraum zu erforschen. Nicht einfach nur Raketen und Geschützfeuer zu transportieren und auszuliefern, RICHTIG zu forschen. Mal irgendwo die erste zu sein...nun, von meiner Neugier auf fremde Kulturen bin ich durch sechs Jahre Krieg zwar größtenteils geheilt worden, aber es gibt ja nicht nur Akarii. Wieso die Frage eigentlich? Das ist doch nichts Verbotenes oder so..."

,Gute Frage.' dachte Lieutenant Waskiewisz. Sie war sich auch nicht sicher, was daran interessant sein sollte. Es war ja nicht so, dass Lilja ihren Sold verspielte, exotische und abartige Sexualpraktiken ausprobierte oder der Akarii-Religion anhing. Dass man dabei mal hinschauen musste, hätte sie noch verstanden. Aber das hier...? Folglich spulte sie die Begründung ab, die Ross ihr geliefert hatte, ohne wirklich davon überzeugt oder interessiert zu sein: "Oh, wie gesagt nur eine Routinefrage. Sehen Sie, einige Angehörige der Streitkräfte - oder des TIS - haben in der Vergangenheit Mittel und Ressourcen für solche Hobbies verwendet, die eigentlich zweckgebunden waren. Haben sich etwas sehr da hineingesteigert...angebliche Artefakte gekauft...manche haben sogar eine regelrechte Verschwörungstheorie-Psychose entwickelt, Sie verstehen?"

Die Russin nickte, mit einem leicht boshaften Zug um die Mundwinkel: "Nur zu gut. Kann sogar sein, dass ich so jemanden schon mal über den Weg gelaufen bin. Aber ich denke, Sie können leicht feststellen, dass ich mitnichten jede freie Minute - geschweige denn einen Teil meiner Dienstzeit - mit meinen...Privatinteressen...verplempere. Vielleicht ein paar Stunden in der Woche, wenn es hoch kommt. Und nein, ich glaube auch nicht, dass die FRT-Präsidentin in Wahrheit aus dem Andromedanebel kommt und gesandt wurde, um uns zu unterjochen."
Eda nickte, sie verzog nicht einmal das Gesicht: "Natürlich. Wobei, das mit der Präsidentin...also wenn man manche ihre Gegner so hört..." Das brachte ihr ein Grinsen von Lilja.
"Gibt es ein spezifisches Feld, das Sie besonders interessiert, und wenn ja warum?"
Lilja schnaubte: "Sagen wir, ich habe ein paar interessante Dinge von einem ansonsten ein bisschen durchgeknallten Wissenschaftler gehört, mit dem ich mal zu tun hatte. Und obwohl ich die Hälfte seines Geschwafels für Schwachsinn halte, geben sie ein gutes Steckenpferd ab. Aber das wissen Sie ja sicher schon, schließlich ist ja kein Geheimnis, welche Artikel ich mir angeschaut hatte."

Eda war diese nutzlosen Gestochers müde. Mochten alle menschlichen Götter und auch einige Alien-Entitäten wissen, welcher Teufel Ross geritten hatte, sie mit so unsinnigen, irrelevanten Fragen loszuschicken. Eine allerdings gab es noch, und obwohl sie eine der dämlicheren war, musste sie eine Antwort vorweisen. Und so fügte sie, möglichst beiläufig, hinzu: "Nur eines noch, Commander. Sie haben daneben auch noch gezielt nach Trinärstern-Systemen gesucht, und zwar mit sehr spezifischen Eigenschaften. Hat das einen speziellen Sinn? Mir erschließt sich nicht, was das mit ihrem...Hobby...zu tun haben soll."

Seit Beginn des Gesprächs hatte Lilja sich genau vor dieser Frage gefürchtet, aber auch mit ihr gerechnet. Alle andere Recherchen konnte sie mit Georges' Vorträgen erklären, mit simpler Neugier. Aber das nicht - glücklicherweise hatte sie eine Ausrede parat, die nicht vollkommen idiotisch klang. Denn sie hätte sich eher die Zunge abgebissen als damit rauszurücken, dass sie davon auf recht beunruhigende Art und Weise geträumt hatte - inzwischen mehr als einmal.
"Wissen Sie, als ich mich das erste Mal mit dem ganzen Kram beschäftigt habe, als ich noch jung und dumm und mein Gesicht glatt wie ein Pfirsich und nicht wie Borke war, bin ich auf eine ziemliche obskure Kran-Legende gestoßen. Ich glaube das war in einem Buch, das ich vor Jahren mal gelesen habe, und das mir irgendwie wieder in den Sinn kam. Ist schon komisch, wie ein Gedächtnis funktioniert, denn ich erinnere mich nicht mal mehr an alle Gesichter von den Jungs und Mädchen aus meiner Staffel, die gefallen sind. Aber so geht es manchmal... Da war jedenfalls die Rede von einer uralten Göttin, die von den Sternen herabgestiegen ist, und die in große Pyramiden verehrte worden sein soll. Sie wissen schon, genau die Art Pyramiden die einige Wissenschaftler überall entdeckt haben wollen. Und sie wurde laut einiger Geschichten durch drei Lichter gekrönt, zwei blaue und ein goldenes. Klar war das alles sehr lückenhaft, wir wissen ja nicht viel von den Kran, ehe alle krepiert sind... Nun, im Lichte dessen was ich später gehört habe, habe ich darüber nachgedacht, ob das nicht für ein Sternsystem stehen könnte. Klar, diese ,Götter waren Aliens' Story ist ziemlich dämlich und ausgelutscht, aber wer sagt, dass sie nicht IRGENDWANN und IRGENDWO mal gestimmt hat? Wenn eines unserer Schiffe bei einem Haufen von Primitiven runterkäme, ich bin sicher, das würde Eindruck hinterlassen - wenn auch vielleicht nicht SO bleibend.. Aber verraten Sie bloß keinem, dass ich auf so etwas was gebe, sonst ist mein Ruf als taffe, eiskalte Ved'ma...wie sagt ihr?...ah ja, Hexe flöten, und an dem liegt mir WIRKLICH etwas."

Die Russin witterte offenbar, dass die Fragerei sich dem Ende näherte. Sie fixierte nun Julia Gallaso: "Nicht, dass ich mich beschwören möchte, Genossin Commander - aber was ist eigentlich Ihre Rolle bei unserer kleinen Plauderei?"
Die Psychologin zuckte nur mit den Schultern: "Moralische Unterstützung? Nein, das ich hier bin hat einen anderen Grund. Sehen Sie, ich sollte mir ein Bild von Ihnen machen, ob Sie sich da vielleicht in etwas hineingesteigert haben."
Die Russin grinste fast schon etwas frech: "Müssten Sie, um in mein Innerstes blicken zu können, nicht ein paar mehr Fragerunden mit mir absolvieren? Oder mich an einen Polygraphen anschließen, oder die Fingernägel ziehen?"
Julia blieb todernst: "Wünschen Sie das denn?"
Und tatsächlich schaffte sie es so, dass der Staffelchefin die Kinnlade herunterklappte. Erst als sie das fast unmerkliche Schmunzeln ihrer Gegenüber registrierte, brach sie in ein erleichtertes Gelächter aus.
"Grundsätzlich haben Sie natürlich Recht, Lieutenant Commander - abgesehen von der Sache mit der Nagelzange. Da fasele ich doch lieber auf jemanden ein, bis er oder sie zusammenbricht. Aber ich denke, ich kann ganz gut einschätzen, dass Sie nicht zu exzessivem Verhalten neigen. Was ganz gut ist, denn ich habe ein eigenes Anliegen an Sie."
Die Russin nickte - blieb aber etwas auf der Hut: "Heutzutage will IMMER jemand was von einem. Worum geht es?"
"Nun, Sie haben sich ja in der Vergangenheit mehrfach medizinisch untersuchen lassen..." als ob sie erkennen könne, dass sich Liljas Miene unmerklich verfinsterte, fügte Commander Gallaso fast hastig hinzu: "Ich meine, während Ihrer Zeit im Sterntor-System. Auch wenn ich nichts über die genauen Umstände weiß...aber ich vermute, wenn ich das täte, müsste irgend jemand mich umbringen..." Lilja schnaubte, was man so oder so verstehen konnte. Bedachte man, wie affig sich der TIS wie auch der NIC damals aufgeführt hatten, war das vielleicht nicht mal so abwegig. Deshalb hütete sie sich auch, irgendjemanden von ihrem kleinen Abenteuer zu erzählen. Und mit der einzigen Person mit der sie darüber hätte reden können...das hätte erst Recht gefehlt!

"Nein, ich brauche auch keine Details - Sie sind nur wegen dieser Daten eine gute Vergleichsperson. Ich würde eigentlich gerne die Untersuchungen wieder aufnehmen - um zu untersuchen, wie Sie auf den Stress reagieren, jetzt im Einsatz als auch bei der Konfrontation mit einer schwierigen Situation und einer fremden Kultur. Wir haben so etwas noch nicht ausreichend untersucht. Es gibt schon lange Testreihen mit Menschen, die in eine fremdsprachige Umgebung gebracht wurden oder eine fremde Kultur - aber nur auf menschlichem Level. Sehen Sie, in den von uns kontrollierten Gebieten des Imperiums und hier bei den Peshten sind unsere Jungs und Mädchen mit etwas konfrontiert, was die meisten sich nicht mal ansatzweise ausgemalt haben. Löst dies besonderen Stress aus? Hat es längerfristige Auswirkungen? Sie wären perfekt, weil wir Referenzwerte zu vorher hätten... Es ist natürlich freiwillig. Und, wie soll ich sagen, Sie würden einen wichtigen Beitrag leisten."
Die Russin verzog die Lippen: "Die letzten paar Male, wo ich so was gehört habe, landete ich entweder in einem verdammten Selbstmordkommando, irgendeiner unkoscheren Sache oder..." Sie verschluckte den Rest - natürlich hatte Tremane sie mit genau so einer Ansprache geködert. Was Julia nicht wissen konnte. Sicher, es machte ein Stück weit Sinn, aber sie war aus Schaden klug geworden und nahm Vorgesetzten keineswegs mehr JEDE Geschichte ab. Vor allem wenn sie diese nicht wirklich gut kannte.
"Müssten Sie dann unser blaues Wunder nicht ebenfalls auf den Seziertisch legen, wo er doch ähnliche...Routineuntersuchungen...absolviert hat? Der würde sich vermutlich über soviel Aufmerksamkeit freuen. Außerdem wäre es wahrscheinlich das erste Mal in seinem Leben, das sich eine Frau dafür interessiert, was er im Kopf hat."
Nervosität brachte nicht unbedingt Liljas beste Charaktereigenschaften zum Vorschein, und so lange es keine ernsthaften Auswirkungen hatte, machte es ihr nichts aus, Ace als Ablenkung zu missbrauchen.
Julia Gallaso blieb gelassen, obwohl die Russin sie damit auf dem falschen Fuß erwischt hatte. Man hatte sie nur sehr unvollständig gebrieft, warum eine Überprüfung der Staffelchefin der Stallions von Interesse war. Also bluffte sie: "Das wäre mein nächster Schritt gewesen."

Die Russin entspannte sich ein wenig, in dem Irrglauben, dass es nicht SIE allein war, die im Fokus das Interesse stand. Wie man so schön sagte, der schnellste Floh landete als erstes im Kamm.
"Na gut. Ich sehe zu, ob ich es einrichten kann. Aber ich kann für nichts garantieren. Ich habe hier eine Krieg mitzuführen, und der Stress, von dem Sie reden - der hält mich wirklich in Atem. Die Operationen gehen vor."
In Wahrheit freilich überlegte sie, ob sie nicht besser diesen Untersuchungen ganz aus dem Weg gehen sollte, indem sie Ausreden erfand. Eigentlich ging es ihr gesundheitlich besser als zu irgend einem anderen Zeitpunkt seit dem Anfang des Krieges. Diese...seltsamen...Träume, die sie mitunter hatte, kamen sehr selten, maximal einmal die Woche oder so. Eine deutliche Verbesserung zu früher, wo sie mehrmals die Woche nachts in Schweiß gebadet aus ihrer ganz eigenen Hölle aufgewacht war. Aber sie glaubte die Deckgeschichte nicht wirklich, mit der man ihr die neuen Tests schmackhaft machen wollte. Und sie wollte ganz bestimmt keine Laborratte für Tremane, seine Gegner oder sonst jemanden spielen. Vor allem...gab es vielleicht Gründe, bei ihr sei WIRKLICH was zu finden? Klang eigentlich absurd, sie war ja die alte geblieben...aber konnte sie sich da zu 100 Prozent sicher sein?
Es war nicht zuletzt diese Unsicherheit, die sie motivierte, noch eine weitere Rauchbombe zu schmeißen.
"Apropos, da ich schon mal die Gelegenheit habe zu fragen - ist Joystick nun eigentlich ernsthaft in Verdacht, dass er noch heute Dreck am Stecken hat, oder nicht? Ich meine, schließlich fliegen meine Jungs und Mädchen oft genug mit ihm. Da ist es kein sehr beruhigender Gedanke, dass Sie Grund haben, ihn unter Beobachtung zu behalten..."
Julia Gallaso wollte offenbar keinen Kommentar abgeben. Eda Waskiewisz konnte freilich der Gelegenheit nicht widerstehen: "Halten SIE ihn denn für eine Gefahr? Oder denken Sie, dass seine Anwesenheit ein Störfaktor ist? Wenn eine Staffelkommandeurin Bedenken gegen Cartmell hatte - auch wenn sie nicht seine Staffel kommandierte...“
Aber so leicht wollte Lilja es ihr denn doch nicht machen: "Sagen Sie es mir! Sie sind doch die Tschekistin...in dem Fall im wahrsten Sinne des Wortes." Diese historische Perle war freilich wohl verschwendet.
Die Russin hielt freilich mit ihrer Meinung nicht ganz hinter dem Berg: "Aber Hand aufs Herz, wenn ich der Meinung wäre, er wäre eine Gefahr, hätte ich vermutlich schon mein Stiefelmesser an ihm ausprobiert. Oder gleich meine Pistole - ich bin nicht so dumm, mich auf eine Schlägerei mit einem Quartalsprügler einzulassen." Womit sie zart andeutete, dass Cartmell in unregelmäßigen aber nicht ZU großen Abständen immer mal wieder mit jemanden aneinander geriet - auch gewaltsam. "Für einen Noch-immer-Piraten halte ich ihn ja nicht. Aber ich bin eben auch keine Spezialistin. Allerdings, wenn ich Sie wäre und der Meinung, er wäre eine Gefahr, würde ich nicht nach der Taube auf dem Dach angeln, sondern beim Spatz in der Hand bleiben. Bei seinem Naturell und Akte könnte man ihn doch leicht aus dem Verkehr ziehen. Einfach ein paar seiner Übertretungen aufs Tapet bringen...ist ja nicht so, als ob er NUR das Fraterinisierungsverbot nicht beachtet..."

Eda hatte tatsächlich schon selbst darüber nachgedacht, mit Cartmell ,den Scarface zu machen' - ein Manöver, das nach dem historischen Gangster Al Capone benannt war. Wenn man jemanden sein eigentliches Verbrechen nicht nachweisen konnte, konzentrierte man sich auf die, die man ihm verlässlich anlasten konnte. Selbst wenn sie einiges geringfügiger waren, sie erlaubten es, den Schuldigen aus dem Verkehr zu ziehen.
"Eigentlich keine schlechte Idee. Nur...bräuchte ich dabei vielleicht etwas Hilfe..."
Die Russin zögerte kurz: "Nun, ich habe Joystick mal vor LANGER Zeit einen Vortrag gehalten, betreffs seines Verhaltens. Der beinhaltete auch ein kleines Ultimatum. Er hat geruht, das offenkundig zu ignorieren, also schulde ich ihm nichts. Aber denken Sie gründlich nach, bevor sie diesen Weg bis zu Ende gehen. Aus mir unverständlichen Gründen hat er tatsächlich ein paar Freunde, und ein, zwei davon sind nicht ganz ohne Einfluss. Und ich weiß nicht, wie Stafford dazu steht. Aber wenn Sie sich WIRKLICH sicher sind, was ihn angeht...Bedrohungen für meine Leute räume ich mit Vergnügen aus dem Weg. Egal, welche Uniform sie tragen."
Und das war für Eda erst einmal genug.

Ende

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‚Wenn dir das Leben nur Zitronen gibt, dann mach eben Limonade daraus.‘
Menschliches Sprichwort


Terra, ein Büro des Naval Science Corps

Der Mann am Schreibtisch war so sehr in seine Arbeit vertieft, dass er nicht bemerkte, wie die Tür lautlos aufglitt. Erst als ein Schatten auf den Holoschirm fiel, realisierte er, dass er nicht mehr alleine war. Und zuckte zusammen: „Verdammt Jean! Ich sollte dich festbinden!“
„Ich wusste nicht, dass du so experimentierfreudig bist. Aber falls du mal etwas Neues ausprobieren willst…“, das anzügliche Grinsen der blonden Geheimdienstlerin verblasste und sie kniff misstrauisch die Augen zusammen: „Was ist das?“
„Das sind die Finanzen der Davis-Familie.“
„Kannst du in deiner Freizeit nicht Pornos ansehen, wie jeder normale Mann, der einen anonymisierten Computer mit Geheimdienst-Software hat? Reicht dir nicht Medusa, als du unbedingt Clifford Davis für diesen irren Bergungstrip im Niemandsland rekrutieren musstest?“
„Ein ‚Trip‘ der mehr als berechtigt war. Der uns einen Schritt näher an das Ziel der COPERNIKUS brachte. An die STARDANCER, die MOTRONOS, die MARY C…“
„Schon gut, schon gut! ICH WAR DABEI! Du brauchst mich nicht daran zu erinnern!“

Tatsächlich war Jean Falkner spätestens bei dem ‚Trip‘ ins Medusa-System zu dem Schluss gekommen, dass sie ungeachtet ihres Auftrags – der einiges darüber hinausging, was ihr Vorgesetzter, Mitverschwörer und gelegentlicher Bettgefährte wusste - vielleicht gar nicht alles über jenes Geheimnis wissen WOLLTE, dem Tremane sein Leben verschrieben hatte. Ein Geheimnis, das alleine in den letzten vier Jahren mindestens hundert Menschen und Akarii das Leben gekostet hatte. ‚Manche Dinge sollten begraben bleiben.‘ Aber davon würde sie Tremane niemals überzeugen können, dessen Vater zu den Opfern der COPERNIKUS gehörte und der mit einer die Grenzen zur Besessenheit längst überschreitenden Entschlossenheit die Wahrheit über das Gespensterschiff ergründen wollte. Und erst recht nicht die kaltherzigen Männer und Frauen, die hinter ihm und Falkner standen. Auch wenn Tremane nichts von ihnen und ihren Motiven wusste – aber vermutlich einiges ahnte. Dass Tremanes Kreuzzug seine und Falkners Karriere gefährdete, war noch das kleinste Problem. Wenn er jetzt Zivilisten - und ausgerechnet DIESE Zivilisten mit ins Boot holte…

„Das letzte Mal, als wir mit dem Davis-Clan zu tun hatten, sind wir beinahe von ein paar übereifrigen NIC-Deppen und Flotten-Bullen einkassiert worden! Ach was, die hätten uns fast zusammengeballert, weil sie nicht mit ihren Köpfen denken konnten!
Und das alles, weil du unbedingt deine eigene Black Ops aufziehen und ein paar von diesen Piloten-Superhelden rekrutieren musstest. Weil du Ace Davis dabei haben wolltest! Der von der COPERNIKUS nicht viel mehr wusste, als dass es sie GIBT. Ich habe dir schon mal gesagt, du verrennst dich!“
„Meinst du? Und warum stoße ich dann immer wieder auf diesen Clan von Weltraumvagabunden? Das fing mit der STARDANCER an, die einem Davis gehörte, als sie der COPERNIKUS begegnete und verschwand.“ Tremanes Vater war Offizier auf der STARDANCER gewesen und mit ihr verschwunden. „Dann stolpert ausgerechnet Clifford Davis' Träger über die COPERNIKUS – bisher das einzige Mal, dass ein Schiff so eine Begegnung überlebte. Dann die Medusa-Operation…“
„Das war deine Idee…
Ist übrigens was dabei raus gekommen, als der NIC bei dieser Palitschenko nachbohrt hat, warum sie auf einmal nach einem System mit einer Sonnenkonstellation sucht, das zufälligerweise der Zielpunkt der COPERNIKUS und der im Medusa-system verschwundenen MARY C sein könnte?“
„Ein Haufen Mist. Wenn man dem NIC mal eine Aufgabe überlässt! Und ich dachte tatsächlich, die wären EINMAL in der Lage, auch mal ihren Job zu erfüllen. Statt immer nur angebliche Spione zu jagen und Pseudoverschwörungen zu verfolgen. Oder sich in Dinge einzumischen, die über ihren beschränkten Verstand gehen. Aber nein…“

Tremane war immer noch fuchsteufelswild darüber, wie der NIC seine Black Ops im Medusa-System ‚sabotiert und gekapert‘ hatte. Seine Ausdrucksweise, nicht Falkners – auch wenn sie von der Performance ihrer ‚Kollegen‘ vom Flottennachrichtendienst alles andere als erbaut gewesen war. Aber es brachte nichts, wenn Tremane schon wieder jemanden vor den Kopf stieß: „Ich hoffe, das hast du nicht so den NIC’lern an Bord der COLUMBIA an den Latz geknallt.“
Tremane winkte wütend ab: „Ich war in der Lage, meine professionelle Meinung für mich zu behalten. Aber letztendlich war das vor allem eine gewaltige Zeitverschwendung. Pawlitschenkos ‚Antworten‘ stinken zum Himmel. Aber wir werden den Mist dennoch verifizieren müssen. Und wenn wir Glück haben und sie ganz höflich bitten, lässt sich unsere Weltraumballerina VIELLEICHT sogar dazu herab, sich noch mal medizinisch durchchecken zu lassen.“
„Und Clifford Davies? Willst du den auch noch mal durchchecken lassen?“ Falkners Stimme machte deutlich, was sie davon hielt.
„Davies Verhalten – wie seine Werte während der Medusa-Operation – waren wesentlich unauffälliger.“
„Das würde ihn bestimmt ganz doll wehtun, wo er sich doch für so einen Hecht hält.“ Spottete die blonde Geheimdienstlerin.
„Aber um Vergleichswerte zu erhalten, würde ich ihn gerne weiter im Auge behalten. Bloß fehlt mir da die Handhabe und an ihm sind der NIC und der TIS etwas sehr interessiert. Da könnte es schnell passieren, dass einer von diesen Dilettanten meint, ich würde in seinen Vorgarten pinkeln. Und was wir jetzt gerade nicht gebrauchen können, ist ein Haufen von Halbintelligenzlern, die sich in Dinge einmischen, die sie nicht verstehen können.“ Offenbar färbte Falkners Ausdrucksweise teilweise auf Tremane ab. Vor allem, wenn er verärgert war und etwas nicht nach Plan lief. Was in letzter Zeit öfters der Fall gewesen war: „Ein Grund, warum ich es mir verkniffen habe, diesen NIC-Vollpfosten auf der COLUMBIA die Meinung zu geigen. Ich brauche sie noch. Vielleicht kommt ja doch was dabei heraus. Irgendetwas stimmt jedenfalls nicht mit Pawlitschenko, seitdem sie über diesen Mond im Medusa-System geflogen ist...
NOCH JEMAND, der seine Nase in meine Angelegenheiten steckt. Und ausgerechnet jetzt stöbern die Davis ja auch noch auf Godeka-IV herum.“

Godeka IV war ein im Nirgendwo liegendes System, bekannt für eine auf der Grenze der Legalität operierende Raumstation, eine rätselhafte galaktogeographische Vergangenheit und extraarchäologische Artefakte fragwürdiger Provenienz. Was auch der Grund für Tremanes Interessen an dem System gewesen war, seitdem er zu der nicht nur von Falkner für grenzwertig gehaltenen Schlussfolgerung neigte, dass die COPERNIKUS in irgendeiner Beziehung zu einer vor mehreren tausend Jahren verschwundenen Zivilisation stand.

„Wenn du in DEM Zusammenhang einem gut vernetzten Zulieferer der TSN ans Zeug flicken willst und dabei schon wieder die Geheimdienstkarte ausspielst…
Irgendwann werde ich dich nicht mehr aus der Scheiße herausziehen können, in die du dich immer wieder hinein manövrierst. Du wirst die COPERNIKUS nicht finden wenn du im Gefängnis sitzt. Oder im Irrenhaus. Falls sie uns das nächste Mal nicht einfach aus dem All schießen!“
„Das Thema hatten wir schon ein paar Mal.“
„Vielleicht sollte ich dir meine Worte ja auf die Innenseiten deiner Augenlider tätowieren. Zum letzten Mal, wenn du gegen die Davis vorgehst…“
„Es steht dir, wenn du wütend bist. Hat dir das schon mal jemand gesagt?“
„Ja. Der musste aber anschließend permanent ein paar Tonlagen höher singen.“
„Im Übrigen kannst du dich entspannen. Ich will die Davis-Familie nicht aufs Korn nehmen. Jedenfalls nicht so, wie du das denkst. Ich will sie rekrutieren.“
„Du willst WAS?“
„Die Davis-Familie ist dank des Krieges fett geworden und scheint nicht zu wissen, wohin mit dem Geld. Sie haben offenbar so viel, dass sie es für Luxusspielereien und Geheimdienstallüren verschwenden können. Nun, da kann ich ihnen helfen. Ich bin es nämlich leid, um jeden verdammten Credit betteln zu müssen.“
„Das wäre nicht der Fall, wenn du unsere Operationen nicht so verdammt weit gespannt hättest. Wir versuchen in mindestens einem halben Dutzend Systeme, Artefakte aufzukaufen, obwohl die Verbindungen zur COPERNIKUS meist bestenfalls vage sind. Dann natürlich unsere Recherchen nach der COPERNIKUS selber und den verschwundenen Schiffen und Mannschaften. Die Untersuchung der gesammelten Ergebnisse und Artefakte. Wenn wir denn die Hand darauf halten können. Deine Vorstöße in den Bereich Sprungpunktforschung, inklusive des Versuchs, die TESLA für uns zu aktivieren. Das hat uns sicherlich noch beliebter gemacht…“
„Noch so ein Punkt, wo man uns mit halbgaren Versprechungen und lausigen Vertröstungen abspeist. Weil unsere Militärs einfach zu borniert sind, um über ihren kläglichen Tellerrand hinauszublicken.“
„Sie müssen einen Krieg führen…“
„Wenn das, was wir vermuten, stimmt…dann ist unser Schlagabtausch mit den Akarii nicht viel mehr als ein Schauraufen.“
„Ich hör nur immer ‚wir‘. Und was vor 4.000 Jahren passiert ist, das interessiert heute niemanden. WENN es denn passiert ist.“ Diese Aussage war natürlich nur zur Hälfte wahr, denn ohne eine ganze Reihe ebenso einflussreicher wie auf Geheimhaltung bedachter Männer und Frauen wären Tremane und Falkner niemals so weit gekommen, sich vermutlich nicht einmal begegnet. Was in Falkner immer mal wieder die beunruhigende Frage aufkommen ließ, was ihre Auftraggeber wussten – oder zu wissen glaubten – was sie selber nicht wusste. Dennoch…: „Wir sind nun mal keine Schatzsucher, die ein paar geistig minderbemittelte Sponsoren suchen, um ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen!“ Auch wenn sie sich manchmal fragte, wo einige ihrer Auftraggeber bezüglich ihrer mentalen Stabilität zu verorten waren.
„Wir sind offiziell Mitglieder des Naval Science Corps. Die versuchen andauernd, private Sponsoren zu finden. Und viele ihrer Projekte sind auch nicht viel besser, als eine Schatzsuche.“

Da war das NSC vermutlich anderer Ansicht. Aber Falkner würde nicht ihren Atem dafür verschwenden, eine Lanze für das Wissenschaftskorps zu brechen, das ihnen seit mehreren Jahren als Tarnung für die Suche nach der COPERNIKUS diente. Tremane war nie so recht mit seinen neuen ‚Arbeitgebern‘ warm geworden. Trotz der halboffiziellen ‚Umwidmung‘ seiner früheren TIS-Abteilung unter den Schirm des NSC waren sie beide immer noch Mitglieder des Geheimdienstes, was vermutlich ein weiterer Grund dafür war, dass die NSC-Führung den ‚Geisterjäger‘ nicht einmal mit einer Kohlenzange anfassen würde – obwohl oder vielleicht gerade WEIL die NSC-Spitze nur sehr nebelhaft über Tremanes Projekt informiert war. ‚Außer, einige von denen gehören zu meinen Brötchengebern.‘

„Du kannst den Davis nicht trauen. Nicht Ace mit seinem Kreuzritterkomplex und seiner ständigen Selbstüberschätzung – und schon gar nicht seiner rostigen Verwandtschaft, die ihre Finger in wer weiß was für krummen Geschäften haben und wie ihr blauer Wunderspross offenbar glauben, sie könnten auf dem Wasser wandeln.“
„Trauen? Ich traue keinem von denen so weit, wie ich eines ihrer Schiffe WERFEN kann. Aber Sie haben Geld. Und sie haben Beziehung. Bei der Flotte, im zivilen Transportsektor und sogar in der Peripherie. Dinge, die ich momentan nicht habe.“
„Woran mag das wohl liegen?!“ spotte Falkner gallig: „Du vergisst, da Davis bei Medusa dabei war, kannst du ihn nicht einfach für dumm verkaufen. Und wenn er IRGENDETWAS ausgeplaudert hat…“
„Er musste eine Geheimhaltungsklausel unterschreiben. Und wurde dann auch noch vom NIC zum Schweigen vergattert.“
„Und er ist ja bekannt dafür, immer nach den Vorschriften zu handeln und seinen Mund halten zu können!“

„Das ist sogar ein Vorteil, weißt du. Ich weiß, was er weiß und was er GLAUBT zu wissen – und das macht ihn und seine Familie beeinflussbar. Niemand ist so leicht zu belügen, wie der, der glaubt alles zu wissen. Und sollte er Geheimhaltungsvorschriften verletzen…dann macht ihn das gleich noch ein bisschen besser zu kontrollieren. Hochverrat ist eine hässliche Sache.“
„Sei dir selber besser nicht zu sicher. Wenn du Ace und seine Bagage mal nicht unterschätzt. Ich fasse ja nicht, dass ich das sage, aber die sind vielleicht nicht so dumm, wie du denkst. Und unterschätze auch nicht ihre Verbindungen.“
„Ihre Verbindungen kann ich benutzen. Aber sie helfen ihnen hier nichts. Und ganz bestimmt nicht, um etwas zu erfahren, was sie nicht wissen sollten.“
„Glaubst du? Vor einem Jahr hätte ich dir ja zugestimmt. Aber nach Medusa sind mir zu viele Fische in diesem Teich. Es sind zwar überwiegend Karpfen und Gründlinge, die nur glauben, Hechte zu sein, aber…“
„Du denkst doch wohl nicht, dass der NIC oder unsere verhinderten Flottenbullen gegenüber ein paar Spacern plaudern?!“
„Wenn die genug zahlen? Und selbst wenn nicht. Es gibt noch andere Risiken.“
Falkner entschloss sich für eine neue Angriffsrichtung, auch wenn die ihrer vorherigen Argumentation teilweise widersprach: „Typen wie unser blaues Wunder sind ein Risiko. Selbst wenn sie nichts wissen - oder gerade dann. In ihrer grandiosen Selbstüberschätzung überlegen sie nämlich nicht ein zweites Mal, bevor sie auf einen Knopf drücken, von dem sie besser die Finger lassen sollten. Denk an die Probleme, die wir jetzt mit Pawlitschenko haben. Die Davis wären noch um einiges lästiger, denn bei denen kannst du dich nicht darauf verlassen, dass sie alles für sich behalten und hübsch die Klappe halten, wenn du die Dienstrangkarte spielst oder ihnen was von einem ‚kriegswichtigen Projekt‘ vorlügst. Du hattest doch selber gesagt, dass es gefährlich ist, mit Dingen zu spielen, die man nicht versteht. WIR verstehen nicht mal die Hälfte. Und dann willst du ein paar Zivilisten und Weltraumjockeys im Dunkeln stochern lassen? Sie vielleicht auch noch auf eine Mission mit potentiellem Kontaktrisiko mitnehmen?“
„Ein Risiko, dass ich bereit bin, einzugehen. Wenn das bedeutet, dass wir endlich eine CHANCE haben, weiterzukommen…“

Falkner hätte Tremane am liebsten eine geknallt. Oder die Hände über den Kopf zusammengeschlagen. Aber sie wusste, wann sie ihre Energie verschwendete – Andrew Tremane auf dem Kriegspfad war ein solcher Fall. Und wenn ihre Vorgesetzten die Situation ähnlich einschätzten wie er…
Aber das war vielleicht ihre Chance. Falls sie überzeugend genug war, konnte sie vielleicht die selbsternannten Götter im Schatten dazu bringen, Tremanes Idee einen Riegel vorzuschieben. Sie müsste nur mit dem Gefühl fertig werden, Andrew in den Rücken zu fallen.
Aber wenn sie sich vorstellte, sich eines Tages einem vielleicht viertausend Jahre alten Geheimnis zu stellen, das immer noch töten, sprengen, in den Wahnsinn treiben und ganze Schiffe mitsamt ihrer Mannschaft verschwinden lassen konnte – und das ausgerechnet mit Clifford ‚Ace‘ Davis oder seiner Familie an ihrer Seite…
Dann wurde die Stimme ihres Gewissens schlagartig leiser. Tremane war gewillt, barfuß über eine Straße aus zerbrochenem Gras zu laufen, wenn an ihrem Ende die COPERNIKUS wartete. Falkner hingegen maß dem Leben einen etwas größeren Wert bei. Zumindest ihrem eigenen - und dem ihres frustrierenden Vorgesetzten, auf dessen Unversehrtheit sie irritierenderweise mehr Wert legte, als es für ihren Auftrag eigentlich nötig war…
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Das war es also. Der große Einsatz bei den Peshten. War ich eigentlich der Einzige an Bord, der dachte, dass man Atmosphärentaugliche Jäger nicht wie Atmosphärengebundene Jäger einsetzen sollte? Zugegeben, wir warteten auf den ganz großen Knall, wenn die Akarii ihren nächsten Nachschubkonvoi durch das von ihnen kontrollierte Wurmloch brachten und versuchten, ihn nach Gamma Eridon durchzubringen. Das war die Stunde der COLUMBIA, das war die Zeit der Bordstaffeln. Das war die Zeit der Weltraumtauglichen Flugmaschinen. Wir würden versuchen, den Konvoi zu dezimieren, zu stoppen, zu vernichten. Irgendwas zwischen erstem und letztem. Und bis dahin... Bis dahin spielten wir Atmosphärejäger. Übernahmen Bodenangriffe, kurbelten mit feindlichen Fliegern unter Luftdrcukbedingungen, warfen Eier ins Feld, ärgerten uns mit dem Flugabwehrmaßnahmen der Akarii herum, die naturgegeben gut ausgebaut waren. Wir waren dabei, ihre SAM-Sites zu vernichten, aber noch schienen die Kaiserlichen keine Probleme damit zu haben, zerstörte SAM und abgefeuerte Raketen zu ersetzen. Bei den Jägern hingegen war ein Rückgang zu verzeichnen, wenngleich der nicht so rasant voran ging, wie man es bei der Peshten-Führung vielleicht haben wollte. Und mit dem nächsten Konvoi wuchs dann die Gefahr, dass sie ihr Jägerkorps wieder auf Soll brachte. Man musste das verstehen; das Armeekorps der Akarii auf Gamma Eridon konnte eine gewisse Anzahl Maschinen aktiv halten, und das nur für einen gewissen Zeitraum, wenn kein Nachschub kam. Einfach mehr Maschinen und mehr Piloten „runter“ zu bringen, ohne die komplette Infrastruktur aus Versorgung und Bodenverteidigung, servierte uns die Flieger aus dem Silbertablett.
Das hieß natürlich für die Falcons, dass wir uns darum kümmerten, dass die größeren Vögel ihre Eier abwerfen konnten, während wir den Luftraum deckten. Was wieder nicht so einfach war, denn natürlich versuchten die Akarii, uns über ihre Luftabwehr zu ziehen, genau jene, die wir zu zerstören trachteten. Dazu gehörte natürlich für jeden Einsatz auf dem Planeten ein Abstieg und ein Aufstieg durch die Atmosphäre, was unser Material stark belastete. Noch kam die Wartung dabei mit, aber ich fürchtete den Tag, an dem die erste Maschine vorzeitig wegen Ermüdungserscheinungen aus dem Verkehr gezogen werden musste.

Es gab eine Menge Einsätze, und, als schöne Abwechslung für uns Blaue, endlich Missionen mit Feindkontakt an der Front, und nicht hinten in der Schiffsverteidigung. Stressig, gefährlich, aber bisher waren meine Blauen ohne Verluste durchgekommen. Wäre auch eine schöne Ironie gewesen, dass der Überfall auf Sterntor mich nur Verletzte gekostet hatte, aber der reguläre Einsatz, auf den wir uns Wochen hatten vorbereiten können, Tote gefordert hätte, bevor wir uns mit den Akarii im Weltraum prügeln konnten. Oh, mir war klar, dass nun einmal Krieg herrschte. Mir war klar, dass im Krieg Menschen starben. Oder Akarii. Oder Peshten. Oder weiß wer sonst. Aber meine Aufgabe war es, diese Zahl auf meiner Seite gering und auf der anderen Seite groß zu halten. Also tat ich mein Möglichstes, um meine Blauen auf die Einsätze und die allgemeinen Gefahren vorzubereiten, indem ich akribisch die Einsatzberichte, den Einsatzfunk, die Radarbilder und die Bordvideos studierte; natürlich nur jene, in denen unsere Flieger von SAM beschossen worden waren oder mit Feindfliegern gekämpft hatten, so etwas halt, sonst wäre ich aus meinem Studierzimmer gar nicht mehr raus gekommen. Aber immerhin, immerhin hatten meine Blauen bisher nur zwei Jägerverluste zu beklagen, aber keine Ausfälle gehabt. Wäre ja auch noch schöner, denn offiziell war meine Staffel noch immer nicht auf Soll. Ein Beinbruch würde eine solche Bresche in die Personaldecke der Blauen reißen, dass ich es schwer haben würde, unsere Einsätze mit genug Personal zu bestücken. Deshalb war ich recht froh darüber, dass wir in Gemischtstaffel-Teams da runter gingen, in die Grav-Hölle des Planeten. Aber es belastete natürlich meinen Fundus an Maschinen, und ich wusste ganz genau, dass Lilja, sobald sie am Limit war, Mittel und Wege finden würde, um an meine Reserve-Falcons zu kommen, oder noch schlimmer, versuchen würde, an meine aktiven Maschinen zu kommen. Ich arbeitete daher seit einiger Zeit daran, narrensichere Strategien zu entwickeln, um diesen Mundraub zu verhindern.

Viel, viel Arbeit und wirklich wenig Freizeit, und deshalb war ich froh, dass ich mir ein paar Termine in der Woche hatte freihalten können, in denen es weder um meine Staffel oder die COLUMBIA ging, noch um irgendeinen dienstlichen Aspekt. Ein oder zwei Bier mit Commander Decker.
Als ich das Casino betrat, stand Decker an der Bar, eine Flasche in der Hand und dreinschauend, als wäre er gegen seinen Willen auf dem Boden angekettet worden. Als er mich sah, winkte er kurz, ließ sich ein zweites Bier geben und setzte sich an einen Tisch.
„Hi“, sagte ich, gab ihm die Hand und nahm ihm dann das zweite Bier ab.
„Hi“, wiederholte er. „Langer Tag?“
„Drei Einsätze mit Gold, Rot und Silber. Bei zweien bin ich selbst geflogen.“ Ich nahm einen Schluck Bier und dankte der Vorsehung, dass niemand auf die Idee gekommen war, die Alkohollimitierung gegen alkoholfreies Bier auszutauschen. Die meisten dieser Biere schmeckten irgendwann nach faulem Obst.
„Respekt“, sagte Decker.
Ich winkte ab. „Mir macht die Materialermüdung Sorgen. Dieses ständige Auf und Ab durch die Atmosphäre ist Stress. Schutzschilde hin, Schutzschilde her.“
„Ich weiß“, sagte er und nahm auch einen Schluck Bier. „Ich bin an der Sache dran und verfolge die Ermüdungserscheinungen quasi live.“
„Warnen Sie mich vor, bevor der Ärger losgeht?“, fragte ich.
Decker nickte. „Natürlich. Immerhin interessieren Sie sich nicht nur für diese Dinge, Sie haben auch genug Ahnung davon.“
„Danke. Hobby oder Forschungsauftrag?“
„Wenn Sie wissen willen, ob jemand in Berlin schlau genug war, die Gelegenheit zu nutzen und den Stress zu untersuchen, den der Atmosphäreabstieg auf Falcons, Crusader und Typhoons haben wird, muss ich Sie enttäuschen, Ace. Das ist ein reines Hobby von mir. Aber ich reiche die Ergebnisse natürlich weiter. Und ich werde auch Dobson und seinen Schraubern rechtzeitig eine Warnung geben, Man ist ja Mensch.“

Was sicher nicht wenige an Bord bei Decker bezweifeln würden. Er hatte ein äußerst arrogantes Auftreten, das ihm schon viel Gegenwind eingebracht hatte. Wenn man ihn allerdings näher kannte, merkte man, woher die Arroganz kam. Der Mann war ein Könner auf seinem Gebiet. Kein Einstein, kein Tesla, kein Wong, aber gut in dem, was er tat.
Ich erinnerte mich daran, wie es dazu gekommen war, dass wir gemeinsam Bier getrunken hatten. Während des Einsatzes gegen die Piraten hatte ich das Gros seiner arroganten Art an mir abprallen lassen und mich darauf konzentriert, ihn und die Rafale wieder heile nach Hause zu bringen. Übrigens war seine große Klappe der Grund dafür gewesen, dass wir auf dem dritten Platz niemanden mitgenommen hatten. Das Fehlen des Bordschützen hatte mich nicht weiter behindert, aber Decker ein potentielles verbales Opfer vorenthalten.
Während des gesamten Rückflugs hatte er die Klappe gehalten, weil er die Daten über den „missglückten Versuch“ gesichtet hatte. Als wir gelandet waren, hatte ich gedacht, dass ich damit erlöst worden wäre, stattdessen hatte ich ein zweifelhaftes Kompliment bekommen. „Ace, ganz ehrlich, unter all den Möchtegern-Halbgöttern von Piloten hier an Bord, all den Stümpern, dem Kanonenfutter und den Primadonnen sind Sie noch ein halbwegs erträgliches Exemplar.“
Ich hatte das mit einem kurz angebundenen „Danke“ entgegen genommen. Bevor ich jedoch das Feld hatte räumen können, hatte er mich auf ein Bier eingeladen, und überrascht wie ich war, hatte ich zugestimmt.
Im Casino war er dann mir gegenüber ein wenig aufgetaut, und ich hatte beschlossen, eine Gegeneinladung auszusprechen. Nicht für mich, aber für ihn, denn ich bezweifelte, dass Decker auch nur einen Menschen hatte, mit dem er außerhalb des Dienstes sprach, weder in seinem Team, noch mit dem Rest der Menschen an Bord.

„Sehr löblich“, nahm ich den Faden auf. „Dobson ist ein guter Mann, auch wenn er nur Unteroffizier ist.“
„Das habe ich nie bezweifelt. Aber wie die meisten Unteroffiziere denkt er auch, dass wir Offiziere uns das Material und die Soldaten von ihnen nur borgen.“
Ich lachte auf. Oh ja, das kannte ich nur zu gut. Es war ein Kreuz damit, sich gegenüber einem Unteroffizier durchzusetzen, der auf stur gestellt hatte. Die klassische Situation: Auf der einen Seite der altgediente Unteroffizier mit zwanzig Dienstjahren oder mehr, und auf der anderen Seite der Offizier, im Rang vier Stufen über dem Unteroffizier, aber erst fünf oder sechs Jahre dabei. „Davon könnte ich ein lustiges Lied singen...“, murmelte ich in mein Bier.
„Lustig sicher für den Bosun“, grummelte Decker. „Wenn ich daran denke, um wie viel schwerer einige meiner Projekte geworden sind, nur weil mir ein übereifriger Petty Officer Daten vorenthalten oder der Bosun eines Schiffs mir Zutritt zu bestimmten Bereichen verweigert hat, dann könnte ich eine ganze Badewanne Wodka gebrauchen. Es ist ermüdend, immer wieder das gleiche Spiel zu spielen, langsam Vertrauen aufzubauen und seine Kompetenz zu beweisen. Da ist es doch wesentlich einfacher, mit einem Rammbock die Tür einzuschlagen und von vorne herein klar zu machen, wer wer ist und wer was zu tun hat.“
Ich nickte zustimmend. „Ja, das kann man machen. Wenn man ohnehin nur für eine gewisse Zeit an Bord ist und schnell Ergebnisse braucht. Wenn man wie ich aber mehrere Jahre an Bord ist, dann reicht es nicht, den höheren Rang rauszuholen und auf den Dienstweg zu verweisen.“
„Versuchen Sie mir etwa zu erklären, wie ich mit Leute umzugehen habe, die nicht zu meinem Team gehören, Ace?“, fragte er. Als ich allerdings aufsah, grinste er und sagte: „Nur ein Witz. Ich verstehe Ihre Situation. Und Sie verstehen auch meine. Dieser dämliche Softwarefehler, nur weil sich einer von Dobsons Leuten so furchtbar schlau vorgekommen ist, hätte vermieden werden können. Na, passiert ist passiert, und dank dieser Panne können meine Leute eine Subroutine schreiben, die zu neunzig Prozent einen weiteren Fehler dieser Art verhindern wird.“
„Dann haben wir bald eine funktionsfähige Waffe.“
„Ich gebe keine Details“, sagte Decker.
„Ich habe keine Frage gestellt.“
Wir grinsten uns an. Wirklich, wenn man Decker näher kannte, war er gar nicht so übel. Aber vermutlich war ich auch einfach nur abgehärtet, weil ich mich mit Radio angelegt hatte, meine Zeiten mit Skunk hatte verbringen müssen, und weil ich mich wieder und wieder und wieder an Lilja abarbeitete. Gegen die war Decker ein geradezu freundlicher Sonnenschein, ein süßes blondes Mädchen im himmelblauen Sommerkleid, das auf einer sonnenbeschienenen Wiese mit einem weißen Fluffball von Hund herumtollte. Vor allem, wenn ich ihn mit Lilja verglich.
Ich hustete verlegen, als ich in Gedanken dieses blonde Mädchen über die Wiese tollen sah – und es war Tanja.
„Wir verstehen uns, Davis“, sagte Decker und stieß bei mir an.
Ich nickte erneut. Ja, wir verstanden uns.

„Entschuldigen Sie, meine Herren. Was dagegen, wenn ich mich dazu setze?“
Wir sahen auf. Commander Stacy stand dort, ebenfalls ein Bier in der Hand.
„Als ich zuletzt nachgeschaut habe, war dies immer noch ein republikanischer Träger, auf dem wir alle Freiheiten der Demokratie genießen können“, sagte Decker. „Bitte platzen Sie, Stacy.“
Der Eins O der COLUMBIA setzte sich mit einem gemurmelten Dankeschön. Wie ausgerechnet er zu unserer kleinen Gruppe gestoßen war, denn es war nicht das erste Mal, dass er sich zu uns setzte, lag augenscheinlich an zwei Faktoren. Einerseits galt er als kompromisslos, humorlos und verliebt in die Vorschriften. Andererseits waren seine sozialen Fähigkeiten gegenüber jenen als Offizier im besten Falle fragwürdig. Ich war mir sicher, wäre ich immer noch First Lieutenant, hätte er sich nie zu uns gesetzt. So aber, mit dem halben Ring mehr am Ärmel, war ich endlich Teil eines erlesenen, relativ kleinen Kreis sowohl an Bord des Trägers, als auch in der Flotte. Es bedeutete etwas, dieses Commander nach meinem Lieutenant. Man betrat eine vollkommen neue Welt. Ein First Lieutenant reichte nicht als Eintrittskarte, auch wenn diese offiziell eine Staffel kommandieren durften, was ich lange genug getan hatte. Offiziell und inoffiziell, als Skunk mir und Kali die ganze Arbeit aufgehalst hatte, die die Führung einer Staffel eben so mit sich brachte.
„Und, Ace, wie geht es denn der jungen Dame, der ich meinen neuen Posten zu verdanken habe?“, fragte Stacy mit Sarkasmus in der Stimme.
Für einen Moment war ich irritiert, dann begriff ich. „Gut. Es geht Mahou erstaunlich gut. Sie hat einige ihrer natürlichen Fähigkeiten eingebüßt, die durch den vorübergehenden Sauerstoffmangel im Gehirn hervorgerufen wurden, aber ihr Gedächtnis und ihre Persönlichkeit wurden weitestgehend verschont.“
„Und mit weitestgehend meinen Sie was?“
„Sie hat motorische Schäden erlitten, ihr Sprachzentrum hat was abbekommen, und der Hirnbalken hat gelitten, was natürlich nicht so gut ist, da das dem Gehirn erschwert, Schäden in der einen Gehirnhälfte mit der anderen auszugleichen.“
„Ups, das klingt nicht so gut. Frauen nutzen beide Gehirnhälften gleich stark“, sagte Decker. „Wenn dann die Vernetzung gestört ist, ist das mehr als eine kleine Beeinträchtigung. Was hat Ichigo noch abbekommen?“
„Das war es im Großen und Ganzen. Sie wurde vor zwei Wochen aufgetaut und zeigt gute Werte. Die Navy war nicht sehr nett zu ihr, weil sie sich umbringen wollte. So was gefällt dem Medical Corps nie. Aber ihre Therapie ist durch, und sie bekommt wohl einen Chip ins Gehirn gepflanzt, mit dessen Hilfe sie ihre motorischen Schäden nach und nach kompensieren kann. Außerdem hat sie Unterstützung von meinem kleinen Bruder und seiner Verlobten. Die beiden haben bei Sterntor Körperteile verloren und sind eh auf Rekon.“
„Es entwickelt sich doch recht positiv“, murmelte Stacy. „Ich wünschte mir natürlich, ich wäre anders zu so einem Job gekommen als durch den dämlichsten Fehler, den ein Eins O in dieser Flotte je gemacht hat. Und das meine ich nicht persönlich. Ich hoffe, Commander Long kriegt die Gelegenheit, diesen Fehler wieder auszuwetzen.“
Das war natürlich zu wünschen, auch, dass er aus seinem Fehler gelernt hatte. Allerdings war es nicht nur Longs Fehler gewesen. Er hatte die Analyse herausgegeben, dass der feindliche Dummy-Träger „seine Jäger bisher nur sparsam eingesetzt hat und dass es gefährlich wird, wenn er es tut“, und alle in der Befehlskette hatten das gefressen und unterstützt. Kein Wunder, dass er nach der Schlacht so schnell fallengelassen wurde, als würde er in ein Schwarzes Loch stürzen. Es lenkte von den anderen ab, die involviert waren. Mahou hatte das aber so nicht hinnehmen können. Ich konnte mir vorstellen, wie sie nach der Schlacht ruhelos in ihrer Kabine auf-, und abgegangen war und mit sich gehadert hatte, weil sie ihre Meinung gegenüber dem Commander einfach nur nicht besser durchgesetzt hatte, nur um dann die Verantwortung ganz in der Tradition der Samurai übernehmen zu wollen: Durch Seppuku. Ich konnte nur hoffen, dass die Psychologen und Ian ihr Bestes gaben, um ihr ihren Lebenswillen zurückzugeben.
„Sein Vater hat ihn doch weich aufgefangen“, sagte Decker.
„Das hat er zwar, aber es ist sicher keine Lösung für die Ewigkeit“, erwiderte ich. „Ich bin sicher, wenn er seine Chance kriegt, wird er sie nutzen.“ Long war im Gegensatz zu Charles Stacy ein sehr umgänglicher Typ, so eine Art Kumpel-Vorgesetzter, ohne irgendwem in den Arsch zu kriechen. Er hatte diese Art der Kommandoführung beherrscht, ohne den stahlharten Vorgesetzten hervorkramen zu müssen. Er war beliebt gewesen. Es war also kein Wunder, dass Stacy einen sehr schwierigen Start gehabt hatte. Vielleicht auch einer der Gründe, warum er sich unserer kleinen Commander-Sitzgruppe angeschlossen hatte.
„Wir werden sehen, was passiert. Das Hier und Jetzt ist wichtiger. Ace, haben Sie schon diesem T'rr gehört, der auf der Werftplattform stationiert ist? Der Lieutenant Commander auf der Hornet?“
„Dalin Galat. Wie war noch mal sein Callsign?“
„Da kann ich leider nicht helfen.“
„Und mir fällt es gerade nicht ein. Was ist mit ihm?“
„Sechs unserer Maschinen sind gerade unten“, sagte er. Unten, das war der Planet. „Ohka und Lilja mit insgesamt sechs Maschinen. Search and Destroy.“
„Ich kenne den Flugplan. Weiter.“
„Nun, während des Abstiegs ist Galat mit seinem Leuten unterhalb des Sicherheitsabstand in den Passierflug gegangen. Unangekündigt.“
„Mir scheint, der Gute leidet unter Langeweile“, sagte ich grinsend. „Jemand sollte ihm mal die Schuppen polieren.“
Decker grinste schief. „Übernehme ich gerne.“
„Nicht verbal“, erwiderte ich grinsend.
„Ich habe es nicht verbal gemeint“, sagte Decker.
„WIE DEM AUCH SEI“, meldete sich Stacy wieder zu Wort, „während des Vorbeiflugs hat er etwas auf Sekurr gerufen.“
Ich sah den XO in die Augen. „Sie haben meine volle Aufmerksamkeit.“
„Nak, nak, nak.“
Ich spürte, wie mir die Bierflasche entglitt. Sie starb nur keinen Heldentod, weil sie nur wenige Zentimeter über dem Tisch geschwebt hatte. Decker war so nett, sie vor dem Umstürzen zu retten, denn im Moment war sie mir sehr egal. Ich merkte, wie ich ein wenig blass wurde. „Das hat er getan?“
„Laut unserem Bordwörterbuch heißt es entweder Krieg oder Bratwurst.“
„Es ist etwas komplizierter. Es ist ein Wort wie Banzai aus dem Japanischen, das seine Bedeutung erst dann bekommt, wenn es in bestimmten Situationen oder von bestimmten Personen ausgesprochen wird. Es ist außerdem Sekurr, die Soldatensprache, etwas, womit sich die Kriegerkaste vom gemeinen Volk abgrenzt. Nicht, dass die kein Sekurr sprechen können, sie dürfen es nur nicht.“
„Was also hat Commander Galat also gesagt“, hakte Stacy nach.
„Wortgemäß nicht viel. Mord, Mord, Mord. Aber sinngemäß... Nak, nak, nak ist ein beliebter Spruch der Akarii-Piloten, mit denen sie früher, in der Anfangsphase des Krieges, versucht haben, uns menschliche Piloten zu reizen. Bis sie gemerkt haben, dass wir kein Sekurr können. Also haben sie menschliche Schimpfworte erlernt. Später.“
„Und was ist die sinngemäße Übersetzung?“, fragte Decker und nahm einen Schluck Bier.
„Die sinngemäße Übersetzung ist etwas länger. Wenn ich es richtig zusammenkriege, dann heißt das: „Ich, der überlegene Akarii, werde dich haarlosen Affen ganz langsam umbringen.“
Decker verschluckte sich an seinem Bier und musste husten. Stacy zog eine Augenbraue hoch, was für ihn schon ein emotionaler Ausbruch war, der einem Wutanfall von Lilja gleich kam.
„Das hat er...? Können Sie mir das verbürgen, Ace?“
„Natürlich kann ich das, aber bedenken Sie, Galat ist T'rr, und ich weiß nicht, wie gut er Sekurr beherrscht. Wenn er es aus dem Zusammenhang gerissen verwendet, dann weiß er einfach nicht, was er sagt. Bedenklich ist aber in jedem Fall, dass er aus Akarii-Sicht gesprochen hat. Und ich bezweifle, dass er so wenig von der Akarii-Kultur weiß, um damit durchzukommen, dass er nur wiederholt hat, was die Akarii am Anfang des Krieges über Funk gerufen haben.“
Stacys Zähne mahlten deutlich sichtbar. „Egal, wie wir das sehen wollen, das geht so oder so zu weit. Ich werde...“
„Sollten die Peshten und ihre Söldner nicht unsere Verbündeten sein?“, fuhr ihm Decker ins Wort. „Eigentlich doch schon, oder? Jemand muss diesem Commander mal etwas Boden unter den Füßen bereiten!“
„Oh, und das werden wir“, sagte ich grinsend, denn ich hatte eine sehr gute Idee. „Commander, was halten Sie davon, wenn wir Dalan Galat auf die COLUMBIA einladen, um, sagen wir, ein Übungsgefecht in unseren Simulatoren abzuhalten?“
„Und dabei ein paar Leistungsdaten der Hornet abgraben können, sobald er ihre Spezifikationen in unsere Sims hochlädt“, sprang Decker mir bei. Das war gut mitgedacht.
„Und wer soll gegen ihn fliegen?“
Ich zuckte die Schultern. „Ich. Als jüngster Staffelkommandeur darf ich durchaus verlieren, ohne groß an Gesicht zu verlieren. Wenn ich aber gewinne, dann können wir Galat einen Tritt in den Arsch geben, der ihn aus seiner Langeweile holt. Und ich werde gewinnen, das verspreche ich.“
Stacy nahm einen Schluck Bier, und für einen Moment, nur für einen kurzen Moment war da ein Lächeln auf seinem Gesicht. „Aber das können Sie mir garantieren, oder, Ace? Dass Sie gewinnen, meine ich.“
„Natürlich, Commander.“
„Dann sehe ich doch mal zu, was sich da arrangieren lässt. Ich...“ Sein Kom ging los. „Stacy. Aha. Aha? Was? Okay. Ich komme.“ Er erhob sich, ohne sein Bier auszutrinken. „Einer der Butcher Bears wurde abgeschossen und ist MIA im Feindesland.“
Ich spürte etwas Eisiges nach meinem Magen greifen. Verdammt, Ohka.
„Ich muss in die CIC. Die Peshten wollen ein SAR-Team schicken.“
„Ich komme mit“, sagte ich, trank mein Bier aus und stellte die leere Flasche auf den Tisch. „Sicher, dass es einer von Ohkas Leuten ist?“
„Soweit wir es wissen, hat es Flyboy erwischt.“
Das beruhigte mich für einen Moment, weil es nicht Kano war. Aber eben nur für einen Moment, denn hinter den feindlichen Linien abzustürzen war immer eine schlimme Geschichte. Gerade für jemanden, der relativ neu im Krieg war. „Sorry, Decker. Die Arbeit ruft.“
Der Waffenforscher schnaubte leise. „Sagen Sie mir später, wie es ausgegangen ist, Ace. Ach, und beim Duell wäre ich auch gerne dabei.“
„Mache ich.“ Ich folgte Stacy aus dem Casino. Ja, verdammt, der halbe Extraring war wie eine Eintrittskarte in ein neues Universum. Vielleicht sollte ich den Perisher machen und den Captains-Rang anstreben, ging es mir durch den Kopf. Vielleicht.
***
Man sollte nicht glauben, was alles möglich war, wenn man mit dem XO eines Trägers gut stand. So gelang es mir zum Beispiel, ungestört in die CIC zu kommen, was mir als Staffelchef natürlich jederzeit erlaubt war, aber ohne bemerkt zu werden, denn selbstverständlich galt die Aufmerksamkeit der Anwesenden – Ahn, unser Skipper, Stafford, der CAG, Raven, seine Stellvertreterin und ein paar Dienstgrade für Kommunikation und Technik – dem Commander.
„Meine Damen und Herren“, sagte Commander Stacy, als er eintrat, grüßend. Ich folgte in seinem Kielwasser und grüßte ebenfalls, aber bekam keine bemerkenswerte Reaktion.
Stacy trat an den Kartentisch. „Was wissen wir?“
Stafford runzelte die Stirn. „Der eigentliche kombinierte Einsatz von Teilen der Schwarzen und Grünen Staffeln wurde durch einen Notruf unterbrochen. Eine sich zurückziehende Einheit der Peshten war aufgeklärt worden und kam unter Feuer, während sie auf dem Marsch war und die Ablöseeinheit ihre Positionen noch nicht erreicht hatte. Lilja wurde auf Anweisung eines Zwei Sterne-Generals gebeten, die Artillerie aufzuklären und zu bombardieren.
Wie es ausschaut, ist der Teil des Plans, kurzfristig zusammengestoppelt, sehr gut aufgegangen. Grüne und Schwarze konnten einen Teil der Artillerie ausheben und den anderen Teil in Deckung zwingen. Sie wurden allerdings mit Manpad und SAM bekämpft. Ein Butcher Bear wurde abgeschossen und stürzte über Feindgebiet.“
Ich fühlte mich plötzlich wie eiskalt geduscht. Denn obwohl ich das schon wusste, stand nun kurz bevor, wer abgeschossen worden war, und ehrlich gesagt machte ich mir Sorgen um Kano. Denn bei allem Respekt seinen fliegerischen Fähigkeiten gegenüber, über Feindesland abschmieren war nicht nur eine heikle Geschichte, sondern eine Lebensbedrohende. Falls der Pilot den Absturz überlebt hatte.
„Wen?“, fragte Stacy knapp und akkurat.
„Flyboy“, antwortete der CAG.
Stacy ließ einen Laut ertönen, der ärgerlich klang. „Das ist nicht gut.“
Ahn fühlte sich genötigt, auch etwas zu sagen. „Unsere Verbündeten haben bereits ein SAR losgeschickt, um Flyboy zu bergen. Der Rest der Sektion unter Commander Nakakura ist auf einem nahen Feldflughafen niedergegangen. Dort warten sie den Erfolg der Aktion ab. Zudem reparieren die Techniker bereits Gefechtsschäden an den Nighthawks. Flyboys Maschine hingegen müssen wir abschreiben – so oder so.“ Als niemand antwortete, sah Ahn auf. „Was? Ich bin nur realistisch. Außerdem stehe ich hier und hoffe ebenso wie Sie alle auf gute Neuigkeiten über Flyboy.“
„Schon gut“, sagte der CAG. „Die Akarii werden uns kaum erlauben, die Maschine zu bergen, da haben Sie schon Recht, Skipper. Es kam etwas merkwürdig rüber.“
„Sie hat nur ein Faktum aufgeführt“, sagte Stacy in genau jenem Tonfall, der ihm eine gewisse Gefühlslosigkeit unterstellt hatte. Ich verstand. Er sprang Ahn bei, ganz nach dem Motto. Wenn Ihr jemanden hassen wollt, dann eben mich.“
„Wie stehen die Möglichkeiten, die Nighthawk zu vernichten, damit sie den Akarii nicht in die Hände fällt?“, fragte ich. „Natürlich nachdem wir Flyboy da rausgeholt haben.“
Ahn sah mich überrascht an. „Ace, wo kommen Sie denn her?“
„Sorry, Skipper. Ich kam mit Commander Stacy. Wir saßen gerade bei einem Bier zusammen, als er die Nachricht vom Abschuss eines Butcher Bears erhielt. Da habe ich mich angeschlossen.“ Ein perfider Gedanke ging durch meinen Kopf. „Und ich bin mir nicht ganz sicher, ob wir dieses, hm, Desaster nicht einem Verbündeten zu verdanken haben.“
„Raus damit, Davis, was geht Ihnen durch den Kopf?“, fragte Ahn so direkt wie sie konnte.
„Einer der Piloten von der Werft hat Ärger gemacht.“
Sie sah Stafford an. „Wissen wir das?“
„Ich habe Ihnen einen Bericht geschickt. Er hat einen ungenehmigten Passierflug gemacht und dabei einen Akarii-Kampfschrei ausgestoßen. Anschließend hat er noch ein wenig mit unseren Piloten, nun, konversiert und ist weitergeflogen. Das passierte, als sie gerade in die Atmosphäre hinabsteigen wollten.“
Ahns asiatisch kleine Augen wurden ganz groß, und dann superschmal. „Ace, wollen Sie sagen, dieser Pilot hat die Konzentration oder das Karma oder sonst irgendwas gestört, als er sich an meine Piloten angeschlichen hat?“
Für einen Moment sah Stafford so aus, als wolle er etwas zur Wortwahl der Asiatin sagen, aber dann behielt er es doch für sich. Schließlich war er auch einer von Ahns Piloten.
„Ich sage, dass es nicht förderlich für die Konzentration ist, vor so einem gefährlichen Manöver derart aus dem Konzept gebracht zu werden. Verstehen Sie mich nicht falsch. Sowohl Ohka aus auch Lilja haben Eis in den Adern. Aber die wurden ja auch nicht abgeschossen. Alles in allem unterstelle ich Commander Galit eine mittlere Frechheit.“
„Wie sehen Sie das, CAG?“
„Ich denke, wir sollten Verbündete sein und uns derartige Freshman-Spielchen für die neuen Piloten auf den Akademien bewahren, aber nicht für den Einsatz in einem Kriegsgebiet.“
„Commander Stacy, setzen Sie eine Protestnote an, ohne auf den Abschuss einzugehen. Sagen Sie dem Kommandeur der Werft, dass ich das Verhalten von Galit als Frechheit ansehe.“
„Dalan Galit ist T'rr, Ma'am“, sagte ich.
„Und das soll was an der Situation ändern? Er fliegt für die Peshten, und damit untersteht er ihrem Kommando.“
„Nun, ich denke, da er Söldner ist, wird das nicht reichen.“ Ich atmete aus. „Wir sollten ihm persönlich begreiflich machen, dass wir Verbündete sind. Nützliche Verbündete.“
„Ace, wird mir gefallen, worauf das hinausläuft?“, fragte sie mit Schärfe in der Stimme. „Wenn Sie hier einen Code Red planen, dann haben Sie mal eine Staffel gehabt.“
„Na, das sicher nicht“, sagte Stafford. „Wenn doch, sollten Sie jetzt ganz schnell eine Ausrede parat haben, Ace.“
Ich lachte auf. „Kein Code Red. Gibt es das überhaupt noch in der Flotte?“ Ich stutzte kurz, als ich mich daran erinnerte, einmal auf der RED ein Ehrengericht gegen Radio initiiert zu haben, weil er Lone Wolf auf sehr unprofessionelle Art und Weise – wie das Arschloch, das er gewesen war – in den Rücken gefallen war. „Ich habe vor, Commander Galit herauszufordern, Ma'am. Zu einem Simgefecht. Und in dem Simgefecht werde ich ihm beweisen, dass wir Terraner fliegen können. Wenn ich Ihren Segen habe, Skipper. Und Ihren, CAG.“
„Und das soll exakt was bringen?“, hakte Stafford nach.
„Nun, es ist offensichtlich, dass er noch nie gegen Terraner geflogen ist. Seine Sprüche, seine Sticheleien und die Verwendung eines populären Akarii-Fluchs beim Passieren von Lilja und Ohka laufen darauf hinaus. Er will gegen uns fliegen. Füttern wir ihn. Eventuell ist dann ein wenig mehr Ruhe im Weltraum. Vor allem, wenn ich ihn aus seiner Hornet putze.“
Ahn musterte mich skeptisch. „Werden Sie ihn denn aus seiner Hornet putzen?“
„Ich glaube schon, dass ich das schaffe. Zugegeben, wir kennen die Referenzwerte der Hornet erst, wenn die Peshten sie in unsere Simulatoren speisen, damit das Duell stattfinden kann“, legte ich meinen wichtigsten Köder aus, „und Galit soll ein erfahrener Pilot sein, ein mehrfaches Ass. Aber ich bin auch nicht gerade ein grüner Junge und zudem einer, der den Krieg direkt nach dem Fall Manticores mitgemacht hat. Mit einer kleinen Pause. Das sollte ihn ermutigen, das Duell anzunehmen, Ma'am, Sir.“
Stafford grinste breit. „Es gibt einige hier an Bord, die sind besser als Sie, Clifford. Warum also sollten Sie den ganzen Spaß haben?“
Ich grinste zurück. „Weil wir Galit beleidigen, wenn wir einen normalen Piloten nominieren. Und weil wir ihn nicht damit erhöhen wollen, indem wir unsere besten Piloten, und ich zähle hier nur die Jägerpiloten, schicken.“ Ich entschloss mich zu einem letzten Anstoß. „Über mir sehe ich ohnehin nur Sie, Sir, und Lilja.“ Letzteres musste ich mir fast mit einem Zähneknirschen abringen. „Zumindest, was Falcon-, und Nighthawk-Piloten betrifft. Mit anderen Maschinen sollten wir nicht gegen die Hornet antreten.“
„Über Ihre Rangliste reden wir noch mal in Ruhe und beizeiten, Ace“, sagte der CAG in einem amüsierten Ton. „Aber ich unterstütze einen meiner besten Piloten bei seinem Antrag, Skipper.“
Ahn sah ihn an, dann mich und schließlich Stacy.
„Okay, Sie kriegen Ihr Duell, Ace... Wenn Flyboy lebend und unverletzt binnen dieser Stunde geborgen wird.“
„Warum das?“, fragte ich erstaunt.
„Sie haben das Glück des Teufels. Vielleicht fällt auf diese Weise ein wenig auf das arme Mädchen...“
„Skipper! Nachricht von der Oberfläche! Das Peshten-Team hat Flyboy unverletzt aufgesammelt und zum Feldflughafen gebracht, auf dem die Schwarze Staffel ihre Maschinen repariert!“
„Danke Petty Officer. Das sind sehr gute Neuigkeiten.“ Wieder sah sie mich an und seufzte. Tief lang und schwer. Dann ging ihr Blick zu Stacy.
„Commander, fügen Sie dem Brief an, dass ich mir ein Duell zwischen dem Commander und einem unserer Top-Leute wünsche, namentlich Lieutenant Commander Clifford Ace Davis, um Dampf aus der Sache zu nehmen. Wenn es machbar ist, lassen Sie Details über Flyboys Absturz und Rettung in Richtung Werft gehen, um Druck aufzubauen.“ Stacy zeigte eines seiner seltenen Grinsen. „Aye, Skipper.“
Sie wandte sich Stafford zu. „Sie leiten alles Nötige in die Wege.“
„Sicher, Skipper.“
„Und Sie“, sagte Ahn, wieder an mich gewandt, „klatschen mir den T'rr schön heftig an die nächste Wand, damit er lernt, dass man mit der Terran Space Navy und ihren Piloten keine Spielchen spielt.“
„Ich gebe mir Mühe, Ma'am.“
Missmutig sah sie mich an. „Ace?“
„Natürlich werde ich ihn an die nächste Wand klatschen, Ma'am.“
„Schon besser. Ich bin auf der Brücke.“ Mit diesen Worten verließ sie die CIC. Jetzt musste ich nur noch gegen Dalan Galit gewinnen.

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T’rr, Urwald, Rebellengebiet

Eine schwache Schockwelle informierte den Jäger, dass etwas in sein Territorium eingedrungen war. Die Wasseroberfläche mochte sich nur wenig kräuseln, aber zusammen mit den Veränderungen im elektrischen Feld waren die unsichtbaren Druckwellen genug, um den Jäger über Größe, Position und Bewegung des Eindringlings zu informieren. Beute. Lautlos löste sich der Jäger vom Boden und glitt auf sein ahnungsloses Opfer zu. Fünfzehn Meter, zehn…fünf. Fast in Schlagweite. Ein seltsam peitschendes Zischen von rechts – ein grüner Blitz, kurzer Schmerz. Dann Schwärze.

‚Harpune! Mach schon, MENSCH!“ Arima kletterte aus dem träge dahinströmenden Wasser und griff nach den Kleidungsstücken, die sie abgelegt hatte, bevor sie ins Wasser gestiegen war: „Glaubst du, das Biest zieht sich selbst an Land?“
Goliath wandte den Blick ab, bevor es peinlich wurde - genauer bevor es IHM peinlich wurde: „Entschuldigung.“ Er bückte sich und reichte dem neben ihm stehenden T’rr die auf dem Boden liegende Wurflanze, deren mörderische, wiederhakenbesetzte Dreikantspitze selbst Captain Ahab und die heidnischen Harpuniere der PEQUOD beeindruckt hätte.
„Und guter Schuss. Ich war ein bisschen nervös, dass du dich vielleicht ablenken lassen würdest.“ Die junge T‘rr klackte amüsiert mit ihrem beeindruckenden Raubtiergebiss. Also HATTE sie es bemerkt. Sie war natürlich nicht völlig nackt ins Wasser gegangen. Aber doch mit wenig genug, dass man gut erkennen konnte, wo sich der Körperbau der T’rr von den Menschen unterschied – weibliche T’rr brauchten keinen BH – und wo er erstaunlich ähnlich war. ‚Vermutlich bin einfach viel zu lange auf diesem Planeten.‘: „Kannst du mir noch mal erklären, warum du unbedingt Köder spielen musstest?“
„Der Kashak ist ein vorsichtiger Jäger und da er vor kurzem…gefressen hat, wollten wir ihm keine zu große und schwere Beute präsentieren. Und wenn er dich…gerochen hätte, dann wäre er vermutlich so weit wie nur möglich geflohen. Hm. Das wäre ein Idee gewesen.“
Goliath ignorierte die Stichelei. Aber immer dann, wenn er vergaß wie gefährlich der Dschungel von T’rr war, wurde er daran erinnert, dass die T’rr sich in dem berüchtigten Urwald von Pandora vermutlich wie zu Hause fühlen würden. Als ob die loyalistischen Truppen und die imperiale Armee nicht Bedrohung gewesen wären. Aber andernfalls wären die Guerillas vermutlich schon längst zu Paaren getrieben worden.
Der…Kashak…hatte vor drei Tagen einen Guerilla angefallen und dem Mann praktisch einen kompletten Arm und das halbe rechte Bein abgerissen. Ein Mensch wäre an den Wunden vermutlich gestorben, aber der T’rr hatte überlebt. Auch wenn er sich wünschen mochte, gestorben zu sein.
„Und wir haben Laser benutzt. Wenn wir auf traditionelle Weise gejagt hätten, dann hätte ich eine Klinge gehabt und ihr…die Harpunen.“
Goliath betrachtete den Körper, den seine T’rr Kameraden mit vereinten Kräften an Land zogen mit leichtem Grauen: „Ihr seid ja verrückt.“ Der Kashak wirkte wie eine monströse Mischung aus Fisch, Schnappschildkröte und Kaulquappe. Ein etwa drei Meter langer, geradezu grotesk massiger Körper endete in einem unverhältnismäßig kurzen Schwanz mit einer muskulösen Flosse. Vier Bauchflossen, die eher an die von Robben denn an einen Fisch erinnerten, ragten aus dem Körper, der in Richtung des flachen Schädels immer stärker mit Knochenplatten gepanzert war. Das disproportional breite Maul hatte keine Zähne, stattdessen bildeten die Knochenplatten rasiermesserscharfe Schneideflächen nach der Art einer Metallschneidemaschine.
„Wenn es einfach wäre, hätte die Jagd keinen Sinn.“ Da war sie wieder, diese auf das Ertragen von Strapazen, Gefahren und Schmerzen, auf Herausforderungen und Wettkampf ausgerichtete Weltsicht der T’rr, die ganz sicher einer der Gründe dafür war, dass die T’rr, obwohl sie weder die zahlreichsten noch technologisch am weitesten fortgeschrittenen Untertanen des Imperiums waren, einen unverhältnismäßig großen Anteil an Kolonialtruppen banden, die Einrichtung eines eigenen Militärbezirks erzwungen und sogar die ‚Ehre‘ erfahren hatten, Hilfstruppen für die imperiale Armee zu stellen, die sich einen fast legendär-furchteinflößenden Ruf erworben hatten: „Eigentlich bevorzugen sie breitere und tiefere Gewässer. Aber der war ja noch nicht mal voll ausgewachsen. Vielleicht haben ihn andere Artgenossen verjagt. Sie vertragen sich nicht.“
„Noch nicht ganz ausgewachsen?! Wie groß werden diese Viecher denn?“
Arima zuckte mit den Schultern – eine sehr menschliche Geste, die sie von Goliath übernommen hatte: „Doppelt so groß?“
Goliath hoffte, dass sie ihn nur auf den Arm nahm: „Und was macht ihr mit diesem Monstrum?“
„Na was wohl? Wir werden es essen.“
Goliath erinnerte sich daran, was das Biest vor kurzem gefressen hatte: „Ich verzichte.“
„Mehr für uns.“ Arima klopfte ihm auf die Schulter – eine weitere menschliche Geste, die sie sich von ihm abgeschaut hatte, und die so gar nicht zu den bei Körperkontakt äußerst zurückhaltenden T’rr passte: „Entspann dich. Du brauchst nichts zu beweisen. Das hast du schon.“
Goliath lächelte flüchtig: „Danke.“
„Soweit das für eine schwächliche Weichhaut überhaupt möglich ist.“
Goliath versuchte, nach ihr zu schlagen, aber Arima wich seiner Hand problemlos aus.

Das Paradoxe war – die Jagd, bei der die junge T‘rr ihr Leben oder zumindest ihre Gesundheit riskiert hatte, war nur möglich, weil die Imperialen und loyalistischen T’rr sich in ihre Stützpunkte, die Städte und als ‚sicher‘ geltenden Gebiete zurückgezogen hatten. An einigen Stellen waren angeblich sogar informelle Waffenruhen in Kraft getreten. Die Imperialen und ihre Verbündeten schienen unschlüssig, wie es weitergehen sollte. Doch das galt auch für die Guerillas, denn die imperiale Gegenoffensive und der Fall der Konföderation hatten den anscheinend unaufhaltsamen Vormarsch der Republik gestoppt. Deshalb waren auch die Aufständischen nicht in die Offensive gegangen, sondern nutzten die Atempause, um sich zu reorganisieren. Zumindest für den Augenblick schien der sich ständig wiederholende Kreislauf von Überfällen, Strafaktionen, Anschlägen und Vergeltung zum Stillstand zu kommen.
Die vor allem aus abtrünnigen Kolonialtruppen und Loyalisten bestehende Guerillagruppe, zu der Goliath gestoßen war, hatte ihre Verbindungen zu verbündeten Einheiten ausgebaut und widmete sich der Aufstockung ihrer Nahrungsvorräte – wobei sie unbeabsichtigt in das Jagdgebiet des Kashak geraten waren.

Goliath hätte sich denken können, dass die T‘rr mehrere hundert Kilo Fleisch nicht einfach umkommen lassen konnten. Fleisch war bei den aus Karnivoren hervorgegangenen T’rr die bevorzugte Nahrung, stand allerdings nur relativ selten auf dem Speiseplan. Die Guerillas jagten, fischten und hielten sich Insekten, Amphibien und Reptilien, aber das reichte natürlich nicht einmal annähernd – weshalb die Guerillas weitaus häufiger vegetarisch aßen. Eine Diät, die in der traditionellen T’rr-Gesellschaft für die unteren Schichten typisch war und einer der Gründe, warum loyalistischen T’rr die Guerillas abfällig ‚Garag‘ nannten – das T’rr Wort für Komposthaufen. Oder Bauern, was bewies welch ‚hohen‘ Stellenwert diese in der T’rr-Gesellschaft hatten.
Selbstverständlich legten die Guerillas keine Felder an – das wäre im Urwald zu mühselig und vor allem zu auffällig gewesen, hatte der Gegner doch die fast totale Luftherrschaft. Stattdessen griffen sie auf eine Technik zurück, die schon ihre steinzeitlichen Vorfahren erfunden hatten – sie nutzten die fruchttragende Sträucher, Wurzelgewächse und Bäume des Urwalds, pflanzten diese sogar gezielt, ohne dabei jedoch regelrechte Felder oder Plantagen zu schaffen, die aus der Luft aufzuspüren waren. Natürlich war diese Form der Nahrungsgewinnung ziemlich platzaufwändig und gefährlich, denn zu der Bedrohung durch Luftangriffe und im Urwald abgesetzte Spezialeinheiten, die allerdings in letzter Zeit nachgelassen hatte, kamen die zahlreichen tödlichen Tiere des Waldes, von denen der Kashak nicht das gefährlichste war.

Aber wenn schon die Imperialen und die T’rr – die beide aus verschiedenen Gründen diese Welt als ihr Eigen bezeichneten – nicht genau wussten, was die Zukunft bringen mochte, dann galt das umso mehr für die wenigen Menschen, die eine im Nachhinein allzu ambitionierte und blauäugig optimistische Prognose der TSN auf den Planeten gebracht hatte. Schon der Fall der Konföderation war ein schwerer Schlag gewesen, waren damit doch viele der von den konföderierten Diensten mühsam im Lauf der letzten Jahre etablierten Nachschubs- und Informationslinien abgeschnitten oder kompromittiert worden.
Natürlich war die Kapitulation für die auf T’rr aktiven Mitglieder des konföderierten Geheimdienste – in der Regel T’rr oder Akarii - noch verheerender gewesen. Manche hatten sich von dem Einknicken ihrer Vorgesetzten angewidert selbstständig gemacht oder waren endgültig auf die Seite der Guerillas gewechselt, mit denen sie teilweise schon seit einem Jahrzehnt zusammen kämpften und töteten. Die übrigen…wer Glück hatte, wurde von den Imperialen stillschweigend nach Hause abgeschoben. Einige hatten weniger Glück und waren in kaiserlichen Gefängnissen verschwunden. Und ein paar waren von eher…traditionell eingestellten T’rr in die Konföderation zurückgeschickt worden. Allerdings in handliche Einzelteile verpackt, hieß es.
Die paar Dutzend Menschen auf T’rr - republikanische Geheimdienstler, Green Berets, Recon Forces der Marines und SAS/SEAS-Kommandosoldaten sowie ein einzelner Ex-Marines-/Navy-Pilot hatten sich so gut es ging abgeduckt und weitergemacht. In dem unangenehmen Wissen, dass nicht alle ihrer neuen ‚Freunde‘ einen großen Unterschied zwischen der Konföderation und der Republik sahen. Und standen nun vor der Frage was geschehen würde, falls sich die verwirrenden Gerüchte über lokale Waffenstillstände, eine neue imperiale Kolonialpolitik und diplomatische Offensive gegenüber den aufständischen T’rr bewahrheiten sollten. Es schien kaum glaubhaft, dass der jahrzehnte-, ja jahrhundertelange Konflikt in irgendeiner Form von Übereinkunft enden konnte – und dennoch…

Deshalb war Goliath erleichtert gewesen, als man ihn auf diesen ‚Jagdausflug‘ eingeladen hatte. Immerhin bewies das, dass man ihm immer noch vertraute. Und außerdem…seit den Wochen, die er sich mit Arima durchgeschlagen hatte, hatte er auf eine verdrehte Art und Weise den Dschungel von T’rr zu respektieren gelernt. Das war ein Gegenüber der nichts vergab – gefährlich und völlig gleichgültig gegenüber den Wesen, die sich anmaßten, den Planeten für sich zu beanspruchen. Aber in ihm steckte auch eine abweisende, rätselhafte Schönheit – möglicherweise einer der Gründe, warum die T’rr trotz gelegentlicher Kampfpausen und einer von Gnaden des Imperiums regierenden Dynastie, die es mehrere Jahrzehnte lang verstanden hatte, einen brüchigen Frieden zu wahren, niemals bereit gewesen waren zu akzeptieren, dass diese Welt nicht mehr ihnen alleine gehörte. Es konnte natürlich auch einfach sein, dass er langsam verrückt wurde oder eine Art Stockholmsyndrom entwickelte.

Den Kashak zu erlegen hatte fast zwei Tage gedauert. Ihn zu ZERlegen brauchte weniger als zwei Stunden, denn andere Mitglieder des Jagdtrupps hatten bereits mehrere große Fässer herangeschafft, in denen bis etwa zur halben Höhe eine salzige Lake schwappte, in der das erlegte Tier Stück für Stück verschwand. Eine ziemlich stinkende Angelegenheit, die den Guerillas aber nichts auszumachen schien – vermutlich weil regelmäßig ein frisch abgeschnittenes Stück des sehnigen Muskelfleisches in ihren Mündern verschwand. Eine offensichtliche Delikatesse, auf die der gestrandete Pilot allerdings gerne verzichtete. Er war damit zufrieden, Wache zu halten. Nicht alleine wegen der natürlich immer noch präsenten Gefahr imperialer Angreifer oder Luftpatrouillen – auch wenn ein in einer Baumkrone verborgener weiterer Spähposten mit einem Radardetektor sie theoretisch vor dieser Gefahr beschützen sollte – sondern weil der Geruch der getöteten Bestie andere Raubtiere anziehen konnte. Aus diesem Grund vergruben die Guerillas auch den Großteil des Skeletts und diejenigen Eingeweide, die nicht in die Fässer wanderten.
Nach getaner Arbeit wurden die Fässer auf die T’rr-Äquivalente der irdischen Fahrräder geschnallt – ein Beispiel paralleler Technikentwicklung, der manchen Extra-Ethologen vermutlich begeistert hätte. Und dann…: „Du solltest vielleicht vorne laufen, Mensch. Sonst verlierst du den Anschluss.“
Goliath knurrte eine Obszönität, die er von einigen der Guerillas aufgeschnappt hatte – in DER Hinsicht war andere T’rr bessere Lehrmeister als Arima gewesen, die sich mit ihrem intellektuellen Hintergrund meist ETWAS gewählter ausdrückte. Es war allerdings wirklich frustrierend, dass anscheinend achtzig Prozent der T’rr, denen er auf diesem Planeten begegnet war, zäher, flinker oder stärker als Goliath waren – wenn nicht sogar alles drei. Natürlich waren sie alle durch eine harte Schule gegangen – aber ohne sein Training bei den Marines wäre Goliath gnadenlos untergegangen. Sich vorzustellen, wie einige seiner ganz besonders von sich überzeugten Kameraden von den Angry Angels hier etwas Demut lernen könnten, hatte ihm gelegentlich die Zeit vertrieben – wenn es nicht zu schmerzhaft war, an früher zu denken.

Tatsächlich marschierte Goliath am Anfang der Kolonne und übernahm zusammen mit Arima die Voraussicherung. Dann kam die Transportkolonne und am Schluss noch einmal zwei Kämpfer, die die Nachhut bildeten. Dass die Guerillas in so großer Zahl so lange unterwegs waren, nur um zu jagen – der Rückweg würde den ganzen verbliebenen Tag dauern – war ein weiterer Beweis dafür, dass der auf ihnen lastende Druck nachgelassen hatte. Tatsächlich war es mehrere Wochen her, dass Goliath das letzte Mal das charakteristische Summen eines Schwebers oder das unheilverkündende Dröhnen eines Kampfflugzeuges gehört hatte. Und auch diesmal glänzte der Gegner mit Abwesenheit. Man hätte fast vergessen können, dass auf diesem Planeten seit mehr als einem Jahrzehnt ein blutiger Bürgerkrieg tobte – der auch nur eine besonders ‚heiße‘ Phase der zweihundert Jahre dauernden, immer wieder von Aufständen, Unruhen und Anschlägen gekennzeichneten imperialen Besatzung des Planeten darstellte. ‚Und davor haben sich die T’rr ja auch immer wieder wacker gegenseitig bekämpft.‘ So viel Goliath von der lokalen Geschichte mitbekommen hatte, war selbst die Zeit einer einheitlichen Planetenregierung, als ein Teil der anscheinend der Kultur der T’rr inhärenten Gewalt in die Errichtung eines kurzlebigen interstellaren Imperiums kanalisiert worden war, alles andere als friedlich gewesen. Und davor…‘Aber wir Menschen sollten vielleicht nicht gerade den Stab über die Konfliktbewältigung anderer Spezies brechen…‘
Der Dschungel hatte all diese Kämpfe gesehen und Waffen, Soldaten und Befestigungen verschluckt. Vermutlich würde er auch weiterbestehen, wenn das Imperium der Akarii längst untergegangen war. ‚Nicht, dass es momentan so aussieht, als ob wir da auf einem guten Weg wären…‘ Aber wenn ihm der Krieg und seine Zeit auf T’rr etwas gelehrt hatte, dann das zu verdrängen, was er nicht ändern konnte. Also verlor er sich lieber in der Routine des Marsches – dem langsamen, kraftsparenden Marschritt, dem Hin- und Herwandern der Augen auf der Suche nach möglichen Bedrohungen, während der Lauf der Waffe automatisch den Blicken folgte, die fast vertraut gewordenen aber immer noch fremdartigen Geräusche des Urwaldes und das schweigende Gefühl der Kameradschaft, dass ihn mit den Guerillas und vor allem mit der jungen T’rr auf der anderen Seite des schmalen Pfades verband.

Als sie das Hauptquartier erreichten – oder genauer den Teil des mehrstöckigen sich über dutzende von Quadratkilometern erstreckenden, teils natürlichen, teils gegrabenen Tunnel- und Höhlensystem, der gerade als Unterkünfte genutzt wurde – war bereits die Nacht hereingebrochen. Es erstaunte Goliath immer wieder, wie perfekt die Eingänge getarnt waren.

Während die Räder und die zerlegte Beute unter der Erde verschwanden, rückten die Nachtposten aus, die in der Umgebung paarweise in Lauerstellung oder Patrouille gehen würden. Ein kurzer Gruß, vielleicht auch einmal ein paar hin- und herfliegende Bemerkungen und bei wirklich engen Freunden vielleicht auch eine schnelle Berührung, dann verschmolzen die Wachposten mit der nächtlichen Dunkelheit.
Ein weiterer – Goliath allerdings nicht willkommener Ankömmling - war Truppkommandant Rent, einer der Offiziere, die für die Einteilung und Führung der Sicherungsposten und -patrouillen verantwortlich war. Wie viele der höheren Offiziere in dieser Einheit hatte Rent in den T’rr-Hilfstruppen der imperialen Armee gedient, angeblich in einer Spezialeinheit. Er war zweifellos ein erfahrener Offizier, der seinen Job verstand – aber aus irgendeinem Grund schien er von Goliath nicht viel zu halten und hatte auch keine Hemmungen das zu zeigen.
Momentan zeigte er allerdings wenig Interesse an ihm, sondern redete energisch aber leise auf Arima ein – als Goliath näher treten wollte, winkte Rent ihn mit einer schneidenden Handbewegung und einem gebellten Befehl fort. Allerdings schien er bei der jungen Guerilla und Sprachexpertin nicht viel Erfolg zu haben. Das Ergebnis der unhörbaren Unterhaltung war eine gezischte Obszönität ihrerseits, die Goliath immerhin partiell verstand – vermutlich hätte Radio davon rote Ohren bekommen – dann stolzierte die junge T’rr beleidigt davon.
Goliath wollte ihr folgen, als ihn die heute besonders unangenehm klingende Stimme Rents innehalten ließ: „Mitkommen, MENSCH!“ Noch so etwas, was ihn an dem Truppkommandanten irritierte. Seine Kommunikation mit Goliath schien sich auf Beleidigungen und barsche Halbsätze zu beschränken. Aber er war ein ranghöherer Offizier und angesichts von Goliath unsicheren Status konnte er sich keine der Allüren leisten, mit denen Arima aufgrund ihrer Kenntnisse der Akarii-Sprachen (und inzwischen auch dem Englischen) offenbar durchkam.

Es wurde ein ermüdender Trip, vor allem da Goliath bereits vor dem Morgengrauen aufgestanden und den größten Teil des Tages marschiert war. Aber darauf nahm Rent natürlich keine Rücksicht und Goliath wäre lieber bewusstlos zusammengebrochen, als um eine Pause zu bitten. Also folgte er dem Truppenführer durch die schmalen, niedrigen, immer schlechter und spärlicher beleuchteten Gänge, zwängte sich durch die in die Tunnel eingelassenen Brand- und Gasschutztüren, kroch gefühlte fünfzehn Minuten durch einen steil nach oben führenden Stollen, nachdem er eine aus einer Art Bambus bestehenden Steckleiter hinabgeklettert war…
Immerhin blieb es ihm erspart, durch eine der u-förmigen, mit Wasser gefüllten Abschnitte zu tauchen, die auf den unteren Ebenen des Tunnellabyrinths zu finden waren und angeblich noch aus der Zeit vor der imperialen Besatzung stammten, als irgendeine Fraktion in einem längst vergessenen Bürgerkrieg hier die ersten Gänge angelegt und sich so gegen Angriffe mit Gas oder Flammenwerfern geschützt hatte. Obwohl er jetzt seit vielen Monaten – einem Jahr? – auf T’rr war, war er sich ziemlich sicher, dass er diesen Teil des Labyrinths bisher noch nicht betreten hatte. Nach seiner Schätzungen mussten sie bereits mehrere Kilometer und mehrere Dutzend, vielleicht sogar hundert Meter Höhenunterschied hinter sich haben. Wäre Rent hinter ihm gegangen, Goliath wäre inzwischen zu dem Schluss gekommen, dass der ihn in einen wirklich abgelegenen Teil der Basis dirigieren wollte, um ihm das T’rr-Äquivalent des ‚Heiligen Geistes‘ zu verpassen. Oder Schlimmeres. Aber Rent hatte ihn weder entwaffnet, noch sah er sich um. Gelegentlich bellte er ein verärgertes: „SCHNELLER!“, aber das war auch alles. Goliath antwortete halblaut mit einem „Los, Los, Los!“ auf Deutsch. Aber die Anspielung hätte nicht mal Arima verstanden. Immerhin, irgendwann hatte er sich wieder an die stickige, feuchte Untergrundluft gewöhnt, denn sie wirkte nicht mehr ganz so unerträglich. Und dann wurde Rent sogar langsamer und winkte ihn neben sich, als er einen weiteren Raum betrat: „Bewegung.“
‚Erfahre ich jetzt, vielleicht, was das soll…‘ Abgelenkt durch diesen Gedanken und erschöpft durch die stundenlange Strapazen und den Parcours durch das Tunnellabyrinth reagierte Golaith um einen Bruchteil zu langsam, als sich Rent jäh zu ihm umwandte, während seine Hände nach vorne schnellten. Goliaths Rechte konnte nur einen Schlag ablocken, der andere erwischte ihn seitlich am Kopf und raubte ihm das Gleichgewicht. Ein Sicheltritt riss ihm die Beine unterm Leib und der Aufprall trieb ihm die Luft aus den Lungen. Die Überraschung, unerwarteter Schmerz – und vor allem die Scham, derart leicht überrumpelt worden zu sein, trieben ihm die Tränen in die Augen. Er revanchierte sich mit einem Handkantenschlag, in den er alle Wut und Enttäuschung legte, die in ihm hochloderten und fühlte mit einem Anflug grimmiger Genugtuung, wie irgendetwas knirschend nachgab…
Dann explodierte eine Woge von Schmerz in seinem Rücken und seinem Kopf, während sein rechter Arm brutal nach oben gerissen wurde – und ihm wurde schwarz vor Augen.
‚Warum…‘ war sein letzter bewusster Gedanke.
25.08.2018 10:41 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Es war eine Überraschung für Goliath, dass er tatsächlich wieder wach wurde. KEINE Überraschung war, dass er an Händen und Füßen gefesselt war. Und womit er auf keinen Fall gerechnet hätte, war die Anwesenheit von Major Tular. Der ihn mit seinem typisch vernarbten Grinsen musterte. Und schwieg.
Also war es Goliath, der zuerst das Wort ergriff: „Wenn Sie mich sprechen wollen, hätten Sie auch einfach FRAGEN können.“
Tular klackte kurz mit den Zähnen: „Es bestand die Befürchtung, dass Sie auf das Thema dieser…Unterhaltung möglicherweise…emotional reagieren würden. Sie und einige andere.“
‚Damit meint er vermutlich Arima.‘ Goliath bildete sich ein zu wissen, wie sie auf diese Angelegenheit reagiert hätte. Jetzt verstand er auch, warum Rent sie weggeschickt hatte: „War das Rents Idee?“
Wieder das kurze Klacken: „Nehmen Sie sich nicht so wichtig. Truppkommandant Rent hat das getan, was er tun sollte.“ Tular hielt kurz inne: „Auch wenn er vielleicht manche Aufgaben etwas enthusiastischer erfüllt als andere.“
Goliaths Antwort war ein Slangausdruck bezüglich der sexuellen Vorlieben von Rents Eltern, was der mit einer nur geringfügig gewählteren Geste konterte. Tular schnalzte abfällig: „Sie haben mehr gemeinsam, als Sie beide denken.“ Das kam weder bei Goliath noch bei Rent gut an. „Ich nehme an, Sie wollen wissen, warum?“
Goliath schnaubte, während er versuchte, sich in eine etwas bequemere Position zu wälzen: „Lassen Sie mich raten, Major. Der Wind hat begonnen, in eine andere Richtung zu wehen.“
Noch ein Klacken: „Manchmal vergesse ich, wie lange Sie schon bei uns sind. Arima war eine gute Lehrerin.“ Rent murmelte etwas, verstummte aber auf Tulars knappen Wink hin: „Sie haben natürlich Recht. Das kann Sie doch nicht überraschen. Ich habe Ihnen schon mal gesagt, dass Sie…etwas an Wert eingebüßt haben. Was nicht Ihre Schuld ist. Aber das spielt keine Rolle. Ja, der Wind hat sich gedreht. Und er weht nicht mehr in Ihre Richtung.“
„Also wollen Sie mich loswerden.“ Die resignierte Ruhe in Goliaths Stimme überraschte ihn selber.
„Was ich WILL, spielt keine Rolle. Hier geht es darum, was ich tun MUSS.“
„DIE Entschuldigung habe ich schon das ein oder andere Mal gehört.“
Rent zischte irgendetwas, so leise und schnell, das Goliath es nicht verstand, aber Tular winkte ab: „Ruhig, Rent. Wir haben Zeit. Und ich…schulde unserem Menschen zumindest eine Antwort.“ Reit schnaufte abfällig, stieß sich von der Wand ab und verließ den Raum.
„Wie Sie wissen, sind wir nur ein Teil einer…breiteren Front. Aber die alten Bündnisse – und Feindschaften – sie ändern sich. Die Imperialen sind kriegsmüde. Die Loyalisten ebenso. Aber das gilt auch für viele von uns. Außerdem…müssen wir erkennen, dass uns die Verbündeten verloren gehen. Die Konföderierten haben uns verraten. Und die Republik…“
„Wird niemals kapitulieren.“
„Vielleicht. Aber kann sie gewinnen? Und kann sie uns helfen? Der Draned-Militärsektor scheint nicht mehr so hoch auf der Prioritätsliste der TSN zu stehen. Und selbst an anderen Fronten geht es eher zurück als vorwärts. Worte und eine Handvoll Berater sind da etwas wenig.“
„Entschuldigen Sie mich, wenn ich Ihre Sorgen…nicht richtig würdigen kann.“ Ätzte Goliath, während er an den Fesseln zerrte, die seine Hände auf seinem Rücken hielten. Keine Chance, Rent war ein Arschloch, aber er verstand offenbar auch etwas von Fesseln.
„Was die Akarii auch immer wollen – ob sie sich zurückziehen, um uns in falscher Sicherheit zu wiegen, ob sie tatsächlich verhandeln wollen, oder ganz einfach den Kampfwillen verloren haben…wir brauchen neue Verbündete. Und einer dieser potentiellen Verbündeten…ist Generalin Lis da’Tan.“
„Sie machen Witze.“ Goliath erinnerte sich nur zu gut an seinen ersten Kontakt mit der Truppe der Generalin. Immerhin hatten deren Kämpfer ihn beinahe entführt, Arima um ein Haar getötet – und bei diesem Versuch etliche andere Guerillas umgebracht. Im Gegensatz zu einem großen Teil von Tulars Einheit bestand da’Tans Verband nicht aus ehemaligen loyalistischen Verbänden und Hilfstruppen der Akariis, sondern repräsentierte eine ‚ältere‘ Generation von Widerstandskämpfern. Sie beanspruchten, niemals vor dem Imperium kapituliert oder gar für es gekämpft zu haben: „Und Ihre Toten wollen Sie einfach vergessen.“
„Tote hat es auf beiden Seiten gegeben.“
„Und was jetzt – ich bin der…“, Goliath wusste nicht, ob die T’rr ein Äquivalent zum irdischen Olivenzweig hatten, deshalb brauchte er, bis er eine passende Wortkonstruktion fand: „…das Versöhnungsgeschenk? Aber warum? Da’Tan lebt ja vielleicht geistig in einem anderen Jahrhundert, aber selbst sie sollte kapiert haben, dass ihr ein persönlicher Hof-Mensch nicht mehr viel bringt, nachdem die Scheiß-Konfeds übergelaufen sind und die Republik auf andere Fronten schielt.“ Ihm kam ein furchtbarer Verdacht: „Oder haben die jetzt etwa doch noch Verhandlungen mit den Akarii angeleiert und brauchen ein Präsent? Ich dachte die alte Garde würde niemals mit den Imperialen gemeinsame Sache machen.“
„Was das angeht…wer weiß? Auf jeden Fall hat unser Oberkommando Gespräche mit Lis angefangen. UND mit einigen Leuten im Lager der Loyalisten. Und all das bedeutet – Sie sind endgültig zu einer Belastung geworden. Zu einer Zielmarkierung. Und das können wir nicht gebrauchen, gerade jetzt nicht. Denn ob die Imperialen nun verhandeln wollen oder einfach nur eine neue Offensive vorbereiten – dem Krieg endlich eine Wende geben werden wir nur können, wenn wir uns einigen. Und dabei sind Sie auf einmal ein Problem. Also müssen Sie weg.“
„Das Ausmaß Ihrer Loyalität ist wirklich atemberaubend!“ spottete Goliath.
Zu seiner Überraschung brauste Tular nicht auf. Er wurde nicht mal laut, was vermutlich bewies, dass er tatsächlich so etwas wie Bedauern empfand: „Meine Loyalität hat meinem Volk zu gelten. Und unserer Freiheit. Alles weitere…ist zweitrangig. Wir haben Ihnen Unterschlupf und Unterstützung gewährt. Ohne uns wären Sie längst gefangen, tot – oder verrückt. Sie haben uns in unserem Kampf geholfen. In dieser Hinsicht…sind wir quitt. Versuchen Sie nicht, mir irgendeine Schuld einzureden. Das schaffen Sie nicht.“
„Was ist mit Arima?“
„Was soll mit ihr sein?“, wieder dieses knappe Klacken der Zähne.
Darauf hätte Goliath einiges antworten können, auch wenn er die Worte teilweise nicht wusste. Und auch nicht, ob er je den Mut aufgebracht hätte, sie auszusprechen: „Sagen Sie ihr…Sagen Sie ihr…“ Er schüttelte den Kopf. Das hatte keinen Sinn. Hätte es vorher nicht gehabt, geschweige denn jetzt.
„Ich…verstehe, Pilot.“ Der T’rr-Offizier musterte seinen ehemaligen Mitkämpfer kurz: „Aber Sie fragen gar nicht, wo wir Sie hinbringen.“
Goliath schnaubte: „Das würde ich tun, wenn ich glauben würde, dass Sie mir die Wahrheit sagen.“
Ein erneutes Klicken. Offenbar fand Tular irgendetwas an der Situation wirklich komisch. Aber die T’rr hatten einen recht schwarzen Sinn für Humor: „Es sind nicht die Akarii. Und auch nicht die Loyalisten. SOVIEL schulden wir Ihnen tatsächlich.“
‚Also irgendeine der größeren, schlagkräftigeren Guerillagruppen. Damit DIE mich dann an den Meistbietenden verkaufen können. Und Tular spielt den Pilatus.‘ Eine interessante Variation zum Thema der Loyalität und des Ehrverständnis der T’rr. ‚Wir haben wirklich viel gemeinsam.‘
„Sie wollen mir also sagen, dass ich bestenfalls damit rechnen kann, in irgendeinem Loch zu versauern. Schlimmstenfalls…“, Goliath schloss kurz die Augen. Er war stolz, dass seine Stimme ruhig und fatalistisch blieb, wie es ein alter Staffelkamerad es nicht besser hätte hinkriegen können: „…schlimmstenfalls werde ich sterben.“
Diesmal blieb der Major eine direkte Antwort schuldig: „Es wird Zeit.“
Goliath war sich nicht sicher, ob die Worte ihm oder dem Kommunikator galt, den Tular in der Hand hielt, aber nur wenige Augenblicke später erschienen Rent und ein Goliath unbekannter Guerilla, anscheinend ein einfacher Kämpfer. Wortlos zerrten sie den Piloten auf die Beine. Kurz spielte Goliath mit dem Gedanken, Widerstand zu leisten. Aber das wäre sinnlos gewesen. Rent verstand WIRKLICH etwas von Fesseln. ‚Spar dir deine Kräfte, Soldat.‘ Auch wenn er nicht genau wusste, wofür.

Wie sich herausstellte, befand sich der Ort an dem Rent Goliath so fachgerecht hintergangen, zusammengeschlagen und verschnürt hatte, in unmittelbarer Nähe eines der zahllosen getarnten Tunnelausgänge. Das war wohl nur logisch – für den Fall, dass seine ehemaligen ‚Freunde‘ den ebenso muskulösen wie hochgewachsenen Piloten hätten heraustragen müssen. Ebenso logisch wenn auch ein klein wenig beleidigend war, dass die drei T’rr alleine waren. Offenbar waren sie – zu Recht – sicher gewesen, mit Goliath fertig zu werden und hatten auf zusätzliche Zeugen verzichtet, die vielleicht von Tulars Entscheidung nicht begeistert gewesen wären. DER Gedanke war tatsächlich ein kleiner Trost.
Dass die Guerillas für den Transport einen leichten, elektrogetriebenen Geländewagen benutzen wollten, war eine kleine Überraschung. Nicht das Modell, denn wenn die Guerillas tatsächlich Fahrzeuge benutzten, dann mit Vorliebe Elektroautos, die wesentlich leiser effizienter und ‚kühler‘ waren – und damit aus der Luft schwieriger aufzuspüren. Aber das bedeutete auf jeden Fall, dass sie eine beträchtliche Strecke vor sich hatten. Und dass Tular und Rent zuversichtlich waren, keine Probleme mit der gegnerischen Luftwaffe zu bekommen. Entweder, wegen der deutlich zurückgegangenen Flugaktivitäten der Akarii und Loyalisten – oder…

Es gab keinen Abschied, keine letzten Worte. Nur die beiden T’rr, die den menschlichen Piloten in das Fahrzeug zerrten, seine Fesseln noch einmal überprüften und das Gefährt starteten. Und Tular, der, ohne sich noch einmal umzublicken, in dem getarnten Tunneleingang verschwand.
Auch wenn er der Meinung war, dass er sich bisher ziemlich gut gehalten hatte, fühlte Goliath jetzt Panik in sich aufsteigen und hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Und das lag nicht an der Art und Weise, wie man ihn in den schmalen Stauraum gestopft hatte. Nein, es war das Gefühl, dass etwas unwiderruflich zu Ende ging, was nicht so hätte enden sollen, nicht so enden hätte DÜRFEN. Er biss sich auf die Lippen um stumm zu bleiben, während seine Augen hektisch, fast verzweifelt die ringsum stehenden Bäume, den schmalen Pfad und die so unscheinbar wirkende Hügelkette absuchten, unter der sich die Basis der Rebellen verbarg. Aber da war niemand, nur der gleichgültig schweigende Urwald. Er war alleine. Mit einem leisen Surren fuhr das Fahrzeug an.

***

Von der Fahrt bekam Goliath nur Bruchstücke mit, auch weil er auf der holprigen Dschungelpiste hin- und hergeworfen wurde und wieder und wieder mit Schultern, Rücken oder Kopf gegen die Fahrzeugwände stieß. Wie lange das dauerte, wusste er nicht – eine Stunde, vielleicht mehr? Jedenfalls dämmerte bereits der Morgen herauf. Immerhin schaffte er es, stumm zu bleiben – er hätte sich lieber die Zunge abgebissen, statt einen Laut des Protestes, der Schmerzen oder gar eine Bitte zu äußern. Nicht, dass das auf die beiden T’rr vor ihm irgendeinen Eindruck zu machen schien, abgesehen davon, dass Rent sich von Zeit zu Zeit kurz nach ihm umsah, ohne ein Wort zu sagen. Bis jetzt: „Festhalten.“
„Was…“
Goliath kam nie dazu, seine Frage zu Ende zu formulieren, denn im nächsten Augenblick scherte der Wagen jäh zur Seite aus und geriet derart ins Schleudern, dass er sich beinahe überschlagen hätte. Aber der Soldat an der Steuerung schaffte es irgendwie, alle vier Räder auf dem Boden zu halten, auch wenn der Wagen sich um beinahe 360 Grad drehte, bevor er mit einem brutalen Ruck zum Stehen kam.

Für ein paar Augenblicke herrschte Schweigen – die T’rr nahmen die Beinahe-Katastrophe offenbar gelassen. Goliath fehlte ganz einfach die Luft, um laut zu werden.
Dann glitt Rent aus dem Fahrzeug und war mit zwei Schritten bei der Heckklappe: „Raus.“
Während Goliath sich abmühte, sich mit den auf dem Rücken zusammengebunden Händen aus dem Stauraum zu winden, ohne unsanft auf dem Boden zu landen, kam ihm ein grausamer Verdacht. Wenn Tular wollte, dass er aus der Gleichung genommen wurde – oder wenn Rent eine dauerhafte ‚Problemlösung‘ bevorzugte – jetzt war dafür die perfekte Gelegenheit. Hier, fernab aller Augenzeugen, inmitten des Urwalds, der jeden Laut, jeden Schrei – und jede Leiche verschlucken würde.
Unmerklich spannte er die Muskeln an und überprüfte noch einmal die Handfesseln – keine Chance. Also blieb ihm nur noch eine Möglichkeit. Er musste Rent zu Boden bringen und flüchten, bevor der zweite Guerilla ausgestiegen war. Dann im Urwald verschwinden…
Während Goliath den Abstand zwischen sich und dem T’rr abschätze und versuchte, dessen Reaktionsschnelligkeit abzuschätzen – immerhin, Rent hatte noch keine Waffe gezogen – schoss ihm der seltsame Gedanke durch den Kopf, dass er dass alles doch schon einmal erlebt hatte…

„Ruhig, Soldat. Sonst erschreckt du unseren Freund.“ Diese Worte – und vor allem diese Stimme – kamen so überraschend, dass Goliath um ein Haar den Halt verloren und wenig heldenhaft hingeschlagen wäre: „Wie zum Teufel kommst DU hierher?!“
Arima klackte mit den Zähnen: „Einen Teil der Strecke bin ich gelaufen.“ Sie trat hinter Goliath und löste seine Handfesseln. Irgendetwas schien sie dabei zu ärgern, sie musterte ihn scharf, fuhr prüfend über seinen Rücken und drehte sein Gesicht kurz zur Seite. Der Pilot fühlte, wie er rot wurde und verfluchte sich dafür lautlos. Nicht, dass seine Verlegenheit Arima diesmal aufzufallen schien, die sich stattdessen zu Rent umwandte und ihm in erbosten Tonfall eine Redewendung zu zischte, die irgendetwas mit seinen Freizeitaktivitäten und einem Taki zu tun hatte – eine mehrere Tonnen schwere Echse von T’rr, die traditionell sowohl als Fleischlieferant wie als Transportmittel Verwendung fand. Rent zuckte mit den Schultern und drehte sich einfach weg. Arimas Gesichtsausdruck zufolge war das reichlich gewagt von ihm, aber dann riss sie sich zusammen und wandte sich wieder Goliath zu: „Sie haben dich ganz schön rangenommen.“
„Wir hatten richtig Spaß.“
„DAS kann ich mir vorstellen.“ Arima fuhr ihm noch einmal prüfend, nein fast zärtlich über seinen Arm, trat dann zurück, bückte sich und reichte Goliath einen Rucksack und einen Laserkarabiner: „Die Energiezellen gebe ich dir später. Damit du jetzt keine Dummheit machst.“
Goliath schnaubte kurz, während ein Gefühl der Verärgerung und Irritation seine Erleichterung verdrängte: „Und sagst du mir auch, was das alles überhaupt sollte?! Was war das – eines von Tulars dämlichen Spielen?! Oder war das Rent?!“
„Rent? Also wenn es nach ihm gegangen wäre…
Nein, das war Tular. Aber das verstehst du nicht. Ich nehme an, er hat dir erzählt, dass du für uns zu einer Belastung geworden ist?“
Rent murmelte etwas, was offenbar mit einer alternativen Bedeutungsebene des Wortes ‚Belastung‘ und Arimas persönlichen Vorlieben zu tun hatte, was sie mit einer obszönen Geste konterte: „Da hat er nicht gelogen. Das Problem ist…nach dem Abfall der Konföderation ist auch der Marktwert der Republik für uns gefallen. Und bei den Verhandlungen mit einigen der…traditionellen Gruppen – und erst Recht bei Gesprächen mit loyalistischen Fraktionen oder gar dem Imperium seid ihr nicht mehr erwünscht. Jedenfalls nicht mehr als gleichberechtigte Mitkämpfer. Sondern bestenfalls als Faustpfand oder Verhandlungsmasse.“
„Das hat mir Tular schon erzählt.“
Hat er dir auch erzählt, dass er da nicht mitmachen wollte? UND er wollte nicht warten, bis er keine Wahl mehr hat. Du kannst ihm dankbar sein.“
„Oh ja, das bin ich ganz gewiss! Und die Lösung ist…“
„Dass du im Urwald verschwindest. Offiziell wollte er dich an den Zentralen Kriegsrat weiterreichen, damit die über dein weiteres Schicksal entscheiden.“

Trotz des großartigen Namen kontrollierte dieses Gremium keineswegs alle T’rr-Guerillas oder auch nur alle auf diesem Kontinent. Aber immerhin vereinte der Rat eine Anzahl Gruppen mit insgesamt mehreren zehntausend Kämpfern gegen die Loyalisten und Imperialen wie auch gegen konkurrierende Guerillagruppen. Es gab mehrere ähnliche Bündnisse auf dem Planeten und den anderen von T’rr bewohnten Welten. Aber die große, alle Planeten und Guerillagruppen der T’rr umspannende Kommandozentrale, die gab es nicht – höchstens in der Phantasie einiger Akarii oder den Wunschträumen der jeweiligen T’rr-Kommandanten, die freilich fast alle sehr individuelle Vorstellungen davon hatten, wer diesem Kontrollgremium vorstehen sollte. Die Uneinigkeit des Wiederstandes war vermutlich einer der Gründe, warum das Imperium immer noch die Kontrolle innehatte – verhinderte allerdings auch, dass selbst der elaborierteste ‚Enthauptungsschlag‘ mehr als nur regionale Bedeutung hatte.

„Jetzt kann er sagen, dass er genau das getan hat. Und dass offenbar jemand, der damit nicht einverstanden war, den Transport abgefangen hat.“
„Und das bist du.“ Goliath hütete sich davor, dass als Frage zu formulieren. Arima hatte viele positive Eigenschaften. Aber sie war nicht immer unbedingt ausgeglichen, vor allem wenn sie das Gefühl hatte, das man ihr nicht genug zutraute.
„Allerdings. Und da wir schon dabei sind…“, die junge Trr wandte sich zu Rent um und murmelte ihm leise irgendetwas zu. Der Offizier winkte verächtlich ab, ließ die Arme sinken – und mit einer jähen Bewegung rammte Arima ihm den Kolben ihres Laserkarabiners ins Gesicht. Um ein Haar wäre er zu Boden gegangen, doch ein Seitenschritt stabilisierte seinen Stand. Rent spuckte aus, murmelte eine weitere Obszönität und ging weg, eine sichtlich zufriedene Arima zurücklassend: „Und SO wirkt das Ganze etwas glaubwürdiger.“
„Verdammt, das hätte ich doch übernehmen können.“
„DAS glaube ich dir. Genug gespielt. Es wird Zeit, dass wir uns auf den Weg machen.“
Goliath, der seinen Rucksack aufgenommen hatte und mit den Gurten beschäftigt war, hielt inne: „Und wohin?“
„Glaubst du, du bist der einzige Mensch, für den es auf diesem Planeten brenzlig wird? Oder dass nur Tular der Meinung ist, dass ihr trotz allem mehr seid, als ein Verhandlungspfand?“ Sie hielt kurz inne und fügte zynisch hinzu: „Oder die meinen, dass man für alle Fälle bei der Republik noch einen Gefallen offen haben sollte?“
„Du willst sagen, dass einige etwas weitsichtigere Kommandeure…“
„Oder vielmehr diejenigen, die sich dafür halten…“
„Eine Option offenhalten wollen, indem sie nicht alle Brücken hinter sich verbrennen.“
„Ich verstehe noch immer nicht alle eure Metaphern, aber ich glaube, darauf läuft es hinaus.“
„Also, wie soll das gehen? Sie werden sich dennoch an den Verhandlungen mit anderen Gruppen – und vielleicht sogar den Loyalisten – beteiligen wollen. Und da stören wir doch.“
„Solange ihr auf diesem Planeten seid. Ihr…du hast mit uns zusammen gekämpft. Jetzt ist die Zeit für eine Revanche. Es ist Zeit, dass du nach Hause kommst.“
Kurz verspürte Goliath den irrationalen Drang, Arima zu sagen, dass seine Heimat auf T’rr war. Bei ihr. Aber das war unmöglich – und nicht nur wegen dem, was in den letzten Stunden geschehen und ihn wieder einmal mitten ins Nirgendwo katapultiert hatte. Auch weil zu vieles unausgesprochen geblieben war. Nicht, dass das nötig gewesen wäre, dem Ausdruck in Arimas Augen nach. Jäh wandte sie sich ab und widmete sich ihrer eigenen Ausrüstung.
Und Goliath…rette sich ebenfalls auf das sichere Feld des Praktischen: „Also, was ist das Ziel? Ganz praktisch, geographisch meine ich.“
„Ein aufgegebener Stützpunkt am Fuße der Gal’shanat-Bergen. Ein Sammelpunkt. Dort, wo die Akarii sich niemals dauerhaft festsetzen konnten, weil es einfach zu abgelegen und zu lebensfeindlich war.“

Goliath wusste nur wenig über die Gebirgskette, die – bar jeglicher für den Abbau interessanter Erze und mitten im Dschungel gelegen – in den Mythen der T’rr ungefähr einer auf einem LSD-Trip befindlichen Kombination von Bermuda-Dreieck und Himalaya entsprach. Geschichten über Monster, Geister, Portale zu einer Welt jenseits der Realität…und natürlich die Ne’Shanatir, diese seltsamen Ruinen unbekannter Herkunft, die man gelegentlich im Urwald fand und die dem Gebirge einen Teil seines Namens gegeben hatten.

„Und du…“
„Natürlich komme ich mit. Du würdest dich doch verlaufen, kaum dass du zwanzig Schritt gemacht hättest. Geschweige denn, dass du über 50 gal’cashin eine Richtung halten kannst.“

Eine Gal’cashin war – nach einer eher verwirrenden T’rr-tradition, Entfernungsangaben von der Fortbewegungsart abhängig zu machen - die Strecke, die man an einem Tag zu Fuß im Dschungel zurücklegen konnte.

Unwillkürlich musste Goliath ein idiotisches Grinsen unterdrücken – und das nicht nur deswegen, weil die Aussicht bestand, andere Menschen und sogar die Republik wiederzusehen, vielleicht gar zur COLUMBIA zurückzukehren. Auch wenn sein alter Träger nach so vielen Monaten auf T’rr nur noch merkwürdig verschwommen erschien. Ähnlich wie die Erde, die Goliath vor ZWEI gefühlten Ewigkeiten das letzte Mal gesehen hatte, lange bevor er auf die COLUMBIA gekommen war.
50 Dschungelmarschtage, das bedeutete aus dem Urwald zu leben, das bedeutete Strapazen und Gefahren. Aber es war auch ein Aufschub. Es war eine Gelegenheit. ‚Und das beweist vermutlich, dass ich wirklich viel zu lange auf diesem Planeten bin.‘
Aber vielleicht…nur vielleicht würde er in dieser Zeit doch noch den Mut finden, einige Dinge auszusprechen, die ihm schon lange auf der Zunge und dem Herzen lagen.
Aber auch wenn manche Menschen immer sagten, dass keine Gelegenheit so günstig war, wie der Augenblick – jetzt war jedenfalls nicht der richtige Zeitpunkt. Ganz bestimmt nicht im Blickfeld und der Hörweite des momentan leicht lädierten und mehr als nur ein wenig verärgerten Truppkommandanten Rent.
Also tat Goliath das, was er gewohnt war: er überprüfte noch einmal den Sitz des Rucksacks, schulterte den Laserkarabiner und folgte Arima, die sich wie immer an die Spitze gesetzt hatte. Keiner der beiden schaute zurück. Nur wenige Sekunden später hatte der Urwald sie verschluckt, als wären sie niemals hier gewesen.

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Persönlich und wichtig

Planetarer Orbit, Gamma-Eridon System

Die Stimme aus dem Funkgerät klang seltsam verzerrt, so dass Lilja sich konzentrieren musste, um die Worte zu verstehen: „Deckungsgruppe…keine Konta…Grünes Lich…hole… s Licht.“ Die Russin unterdrückte einen ihrer berühmt-berüchtigten Mutterflüche. Noch so eine Besonderheit der Operationen in diesem System war die unglaublich ,dicke Luft‘, die hier herrschte. Die Kaiserlichen, die Peshten und die TSN taten ihr Bestes, die gegnerischen Sensorerfassungen und den Funkverkehr zu stören. Da beide Seiten in etwa gleichstark waren, sowohl technisch als auch zahlenmäßig, sorgte das dafür, dass in elektronischer Hinsicht in manchen Gegenden Zustände herrschten wie mitten in einer ausgewachsenen Raumschlacht. Boden- und raumgestützte ECM- und ECCM-Systeme wetteiferten miteinander, und dazu kam der Schrott aus den vorangegangenen Kämpfen. Nicht zu vergessen der Umstand, dass drei unterschiedliche Streitkräfte um die Frequenzen konkurrierten. Folglich gab es zumindest in der Nähe des Planeten immer mal wieder Aussetzer in der Kommunikation und Sensorik. Der einzige Trost war, dass es dem Gegner nicht viel besser ging. Aber der Gedanke an gegnerische Probleme – etwas, das Lilja sonst zuverlässig aufheiterte – half wenig, wenn man einen Job hatte, bei dem es auf gute Kommunikation und Zielerfassung ankam.

Im Moment war eine Sektion der Fighting Stallions ausnahmsweise mal zu etwas anderem als Tiefraum- oder Defensivpatrouillen beziehungsweise Geleitschutzaufgaben in der Atmosphäre abkommandiert worden. Es gab Hinweise, dass die kaiserlichen Truppen in den letzten Tagen über deutlich verbesserte Sensordaten verfügten, nach denen sie ihr Artilleriefeuer dirigieren konnten. Dafür gab es eigentlich nur zwei Möglichkeiten – es war ja nicht so, dass sie sich einfach ein paar Kristallkugeln von ihrer Heimatwelt kommen lassen konnten.
Entweder, es gab einen (oder mehrere) neue Verräter in den Reihen der Peshten, oder die Echsen hatten eine Möglichkeit gefunden, ein, zwei Spähsatelliten durchzuschleusen. Nicht, dass Verrat auszuschließen war, selbst wenn man die ganzen Vorurteile von den „verräterischen Peshten“ mal beiseiteließ. Aber ungeachtet ihrer russischen Herkunft und ihrem manchmal an den Tag gelegten Verhalten war Lilja nun einmal keine Tschekistin. Die ein, zwei Male, wo sie sich auf dem Feld versucht hatte, waren die Erfolge…nun, seien wir ehrlich doch sehr begrenzt gewesen. Also konnte sie sich nicht mit DIESEM Problem beschäftigen. Aber sie konnte ihr Möglichstes tun, um nach getarnten Satelliten zu suchen.

Und deshalb waren sie hier. Ein Flight – Marine und Shoki – fungierte als Rückendeckung, in deutlichem Abstand vom Planeten und deshalb weitaus besser geeignet, potentielle Angreifer oder Raketen zu entdecken, die die Atmosphäre und Planetenkrümmung als Deckung benutzten. Lilja und ihr Wingkamerad Knight führten die eigentliche Suche in einem deutlich tieferen Orbit durch, was sie einer erheblich größeren Gefahr von Beschuss aussetzte. Um mögliche getarnte Satelliten aufzuspüren, waren ihre Kampfflieger mit zusätzlichen Sensorpods ausgestattet worden. Bisher hatten sie jedoch nichts finden können.
Natürlich war es nur naheliegend, dass die Echsen ihre unbemannten Spione möglichst gut tarnten. Bei dem ganzen Schrott hier war ein Objekt, das passiv ortete, zur Aufklärung gegen Bodenziele vor allem auf Hochleistungsoptik setzte und keine Positionskorrekturen durchführte, nur sehr schwer zu orten. Vor allem wenn man seine äußere Hülle unauffällig gestaltet hatte. Man musste versuchen, den verdammten Schnüffler beim Datentransfer zu überraschen. Aus diesem Grunde…
Die Russin atmete tief durch: „Achtung Grün Zwei, bereitmachen…starte Countdown zum Schaulaufen ab JETZT…Zehn…Neun…“
Sie fühlte sich verdächtig an ihren Einsatz gegen die Piraten erinnert – genau wie damals ging es darum, genau das zu erreichen, was ein kluger Jagdpilot normalerweise so weit als möglich vermied: Gesehen und geortet zu werden.
Das Kalkül war natürlich denkbar simpel. Man wollte die Spähsatelliten genug zu sehen geben, so dass sie sich veranlasst sahen, eine Nachricht abzuschicken. Eine Botschaft, die zumindest auf kurze Distanz angepeilt werden konnte. Nicht umsonst verfügte die Falcon über exzellente Sensoren.

In dem Moment, als sie heruntergezählte hatte, beschleunigte die Russin ihren Kampflieger abrupt. Während sie ein kunstvolles Ballett von Manövern, Brems- und Beschleunigungssequenzen abspulte, schaltete sie zugleich ihre Aktivortung auf volle Leistung – nicht nur, damit ihr nichts entging, auch um passive Beobachter von ihrer Gegenwart in Kenntnis zu setzen. Manchmal klopfte man an die Tür, und manchmal benutzte man einen Vorschlaghammer um sich anzukündigen – oder eine Abrissbirne.
Ihre Finger huschten über die Anzeigen. In einem unablässigen Wechsel feuerte sie Täuschkörper ab, einen Misch aus Infrarot-, Radar- und FFI-Köder. Für die ,dummen‘ Beobachter – Satelliten waren meist mit einer rudimentären KI ausgestattet, die freilich nicht wirklich INTELLIGENT war – musste das hoffentlich so aussehen, als fände hier ein Luftkampf statt, als wäre mindestens eine Staffel TSN-Flieger unterwegs. Wenn alles glatt ging. Es blieb nur zu hoffen, dass ihnen nicht der extrem kurze, komprimierte Datentransfer – wenn der Spitzel gerade in Reichweite war – entging. Die Gefahr wuchs natürlich, je länger sie ihren Zirkus veranstaltete, denn die Manöver zehrten an den Nerven.
Es war ihre langjährige Erfahrung als Aufklärerin, die Jahre an Praxis auf unzähligen Patrouille- und Erkundungsflügen, die sie auch diesmal nicht im Stich ließen. Es war nur ein minimaler Ausschlag ihrer durch den Sensorpod zusätzlich verbesserten „Augen und Ohren“, der einer anderen vielleicht entgangen wäre. Blitzschnell stellte sie ein paar Messungen an, verglich ihre Anzeigen und Erfahrungswerte…Das war gekommen von…genau DA!
Die Russin ließ ihren Kampfflieger fast um sich selbst rotieren: „KONTAKT…Sensordaten folgen…Gehe zum Angriff über!“ Es mochte nur eine Blechbüchse sein, die sie zu vaporisieren im Begriff war, aber das trübte ihre Stimmung nicht im Geringsten. Wie so oft jagte das Adrenalin durch ihre Adern. Manche Menschen lebten für die Jagd – doch Lilja fieberte nur dem Moment des Abschusses entgegen.
Binnen weniger Sekunden hatte sie ihr Ziel erfasst. Sie würde zwei Raketen starten – sicherheitshalber auch noch ihre Kanonen abfeuern. Es war ja nicht auszuschließen, dass die Echsen den Satelliten mit Täuschkörpern ausgestattet hatten. Sie durfte allerdings auch nicht zu nahe heranfliegen, denn es war EBENFALLS möglich, dass der verdammte fliegende Kühlschrank vermint war, um eine Bergung zu verhindern.
Die Staffelchefin der Fighting Stallions führte die nötigen Handgriffe fast schon so automatisch aus, wie jemand anderes atmete. Ein Ziel zu erfassen und zu vernichten war ihr gewissermaßen in Fleisch und Blut übergegangen. Schnelligkeit und Präzision – die Grundvoraussetzungen für den Erfolg. Mit einem schmalen Lächeln betätigte sie die Feuerknöpfe, verfolgte die Bahn der Flugkörper…

Lilja gehörte zu den besten Piloten der Angry Angels – wenn auch zum Gutteil nur deshalb, weil einige ihr wahrscheinlich überlegene Piloten inzwischen nicht mehr im Geschwader weilten. Sie hatte den Krieg vom ersten Tag an mitgemacht, unterbrochen nur durch Phasen gesundheitlich bedingter Dienstuntauglichkeit. Aber wenn es eine Lektion gab, die sie immer wieder auf die harte Tour gelernt hatte, dann dass man sich nie auf irgendetwas verlassen konnte. Am allerwenigsten darauf, den Gegner wirklich zu kennen. Stets galt es Acht zu geben, dass der nicht irgendeinen neuen, niederträchtigen Trick aus dem Hut zauberte. Wie sie es einmal in der für sie typischen, charmanten Art und Weise ausgedrückt hatte: „Der Tag, an dem der alte Hund aufhört, neue Tricks zu lernen, ist der Tag, an dem er ein toter Hund ist.“ Es war einmal mehr Zeit, dass sie diese Lektion wieder eingeprügelt bekam.
Das Heulen des Alarms schnitt durch die Stille in ihrem Cockpit wie ein Messer durch Butter. Ein halbes Dutzend Anzeigen leuchteten hektisch auf. Lilja handelte instinktiv, wenn auch in für sie typische Art und Weise – sie betätigte noch einmal den Feuerknopf für ihre Raketen, schickte zwei weitere Flugkörper auf die Reise. Fast zeitgleich hieb sie auf den Nachbrenner, während sie die Steuerdüsen malträtierte und wie wild Störkörper abfeuerte – doch diesmal nicht, um Aufmerksamkeit zu erregen. Das rettete sie nicht, erkaufte ihr aber wertvolle Zeit, und wenn es nur ein paar Sekunden waren.
Das Bild, das ihr die Sensoren boten war wahrhaft beängstigend. Offenbar hatten sich die Echsen nicht damit begnügt, ihren Spion mit einer Mine zu impfen. Sie hatten sie zudem bis an die Zähne bewaffnet – eine letzte Rückversicherung für den Fall, dass der Spionagesatellit geortet wurde. In dem Moment, in dem ihre Zielerfassung scharfgemacht worden war, hatte die KI den bevorstehenden Angriff registriert und Gegenmaßnahmen eingeleitet – einschließlich einem halben Dutzend Raketen, die auf den Angreifer abgefeuert wurden. Und die schlossen nun zu Lilja auf.
„Knight – Ausweichmanöver, Kurs 90 Grad zu mir!“ Es mochte nicht sehr edel sein, ihren Wingman aufzufordern, nach Möglichkeit ein oder zwei Raketen auf sich zu ziehen, aber es war folgerichtig. Ein Jäger, der von sechs Raketen verfolgt wurde, hatte kaum eine Chance. Waren es zwei, hatte er hingegen noch ganz gute Karten – und bei vier zumindest einen Rest Hoffnung. Wenn sie die Zeit gehabt hätte, hätte sie vielleicht ihre Rückendeckung auch noch herangepfiffen, damit diese mit ihren Täuschkörpern die Raketen verwirrten, aber zum einen flogen die feindlichen Raketen relativ dicht beieinander – sollten sie gemeinsam einen ihrer Untergeben auffassen konnte das übel ausgehen. Und sie würde vermutlich nicht genug Zeit haben, um so eine Rochade zu versuchen.

Eine Explosion weit hinter ihr kündete davon, dass mindestens einer ihrer Störkörper seinen Zweck erfüllt hatte. Das war freilich nur ein kleiner Trost – ihr Vorrat ging nämlich langsam zur Neige, aufgrund der Schauvorstellung, die sie zuvor abgezogen hatte. Nur bei den IR-Störkörpern sah es noch etwas besser aus, aber da die feindlichen Raketen sie frontal angepeilt hatten, nicht ihr Heck, konnte es sich ohnehin nicht um Wärmesucher handeln. Was bedeutete, bei der Hund-und-Hasenjagd, die ihr bevorstand, konnte sie den wesentlich schnelleren Hunden kaum Knüppel zwischen die Beine schmeißen. Aber das war kein Grund, aufzugeben. Die Russin biss die Zähne zusammen, dann beschleunigte sie einmal mehr ihren Jäger.
Die nächsten Sekunden – zwanzig, höchstens dreißig – zogen sich hin wie eine Ewigkeit. Ihr Jäger führte Manöver aus, die Zivilisten, unerfahrene Piloten und vielleicht sogar die Konstrukteure der Maschine für kaum möglich gehalten hätten. Eine Handbreit vom sofortigen Tod in der feurigen Umarmung der Raketenexplosionen entfernt, und eine Fingernagelbreite von einer nicht minder tödlichen Ohnmacht tanzte die Falcon mit den Flugkörpern. Die Zielsuchköpfe hatten mit den irrwitzigen Pirouetten des Jägers zu kämpfen, ebenso mit den verbleibenden Täuschkörpern, die die Russin abfeuerte. Eine Rakete war gleich zu Beginn der Verfolgungsjagd detoniert, eine weitere war von Knight abgelenkt worden. Eine dritte hatte sie abschütteln können. Blieben noch drei. Und das waren definitiv zu viele für ihre Schilde, selbst wenn sie jedes Fitzelchen Energie auf die Heckschilde umleitete. Was bedeutete, sie war geliefert, wenn nicht…

Ein Plan, eher der Entwurf eines Planes nahm in ihrem Kopf Gestalt an, zusammengesetzt aus eigenen Erfahrungen – einen ähnlichen Stunt hatte sie schon einmal gewagt – und dem, was sie von Kameraden gehört hatte. Sie wusste, sie würde niemals die Zeit haben, das bis zum Ende zu durchdenken. Manchmal musste man eben etwas riskieren.
Ihre Stimme überschlug sich förmlich, als sie eine Funkverbindung öffnete: „Stallion Leader an alle, auf mein Zeichen alle Sidwinders auf meine Position abfeuern! DREI…ZWEI…EINS – JETZT!“
Es war wohl nur ihrem Ruf als furchterregende Kommandeurin zu verdanken, dass ihre Untergebenen gehorchten – das, und dem Umstand, dass gut zu erkennen war, wie verzweifelt ihre Situation war.
Sechs wärmesuchende Kurzstreckenraketen lösten sich von den Falcons, die in sicherem Abstand ihre Flucht begleitet hatten. Die Russin feuerte ihrerseits zwei weitere Raketen auf einem vorprogrammierten Kurs ab. Andere Leute hätten vielleicht gebetet, aber Lilja fauchte nur einen unflätigen Fluch, als sie den Nachbrenner erneut malträtierte, wohl wissend, dass ihre Treibstoffvorräte das nicht mehr ewig mitmachen würden.
Die Maschine machte einen Satz nach vorne, Liljas Körper wurde mit mörderischer Wucht in den Sessel gedrückt, als sie den Nachbrenner bis zum Anschlag ausreizte. Sie kreuzte gedanklich die Finger, und…

Die Kette von Explosionen ließ ihren Kampfflieger erzittern, sich förmlich überschlagen. Im Weltall, wo es kaum Gas oder Flüssigkeit gab, die den Druck leiteten, wollte das wahrlich etwas heißen. So musste sich ein Lachs oder Hase fühlen, wenn er im Maul des Bären steckte. Warnlichter leuchteten auf, Alarmtöne gellten – aber das Flackern von Feuer oder das tödliche Zischen entweichender Atmosphäre blieben aus.

Lilja brauchte einen Moment, bis sie sich einen Überblick verschaffen konnte. Es war gut, dass sie ohnehin saß, sie war sich nämlich ziemlich sicher, dass ihre Beine sie nicht getragen hätten. Erst schrittweise realisierte sie, dass ihr Plan geglückt war. Sie hatte ihren Kameraden befohlen, die Sidewinder auf ihre Position abzufeuern, da sie wusste, dass die IR-Suchköpfe einen Jäger im Weltraum nur dann verlässlich erfassen konnten, wenn sie auf sein Heck zielten. In dem Moment, als sie beschleunigte, hätte sie eine volle Breitseite IR-Täuschkörper ausgestoßen. Die sechs Kurzstreckenraketen – ergänzt um ihre eigenen zwei Sidewinder, die sie als programmierte Kreisläufer abgefeuert hatte, hatten dann auch diesem Angebot an Ködern nicht widerstehen können. Sie waren dicht hinter ihrem Heck detoniert – und das hatte Lilja auch die imperialen Raketen vom Hals geschafft, die besagtem Heck schon sehr nahe gewesen waren. Sie waren direkt in die Kette von Explosionen hineingeflogen.
Erst im Nachhinein wurde ihr klar, was für einen Mordsdusel sie gehabt hatte. Schließlich hatte die Explosion der Sidewinder ihre Schilde ebenfalls geschwächt. Wäre nur eine der feindlichen Raketen dem Inferno entgangen und auf Kurs geblieben…lieber nicht darüber nachdenken.
Aber sie wusste, was sie sich schuldig war, auch wenn sie innerlich mit den Zähnen klapperte. Sich bloß nichts anmerken lassen. Das schuldete sie ihrem eigenen Ego, viel mehr aber ihren Untergebenen. Schließlich mussten die sich auf ihre Chefin verlassen können: „Also…Green Leader, einsatzbereit. Danke…ihr habt was bei mir gut. Hat jemand von euch den verdammten Spähsat auf dem Radar?“
Marines Stimme klang betont sachlich – wie Lilja war sie keine Frau, die Gefühle besonders gerne öffentlich zeigte: „Der ist hin. Deine Raketen haben ihn pulverisiert, kaum, dass er gefeuert hatte.“ Sie zögerte, und nun klang ihre Stimme geradezu verdächtig trocken: „Wollen wir die Suche fortsetzen? Es könnten ja noch mehr von der Sorte draußen sein?“
Lilja knirschte mit den Zähnen. Natürlich, wer den Schaden hatte, brauchte für den Spott nicht zu sorgen. Aber sie würde nicht der Pilotin über den Mund fahren, die ihren Teil beigetragen hatte, ihren Hintern zu retten: „Für heute reicht es mir. Meine Maschine braucht eine gründliche Überprüfung, mit Maniküre und Pediküre ist das nicht getan. Und dann sollten wir eine Warnung rausgeben, was die Drecksechsen sich als neue Schweinerei ausgedacht haben…“
Sie hatte gesiegt – wieder einmal. Es war knapp gewesen – wie so oft. Und einmal mehr fragte sie sich, wie viele ihrer…waren es sieben oder neun?...Leben sie inzwischen aufgebraucht hatte. ,Vermutlich zwölf….oder eher fünfzehn.‘

******

TRS Columbia, Gamma-Eridon System, einen halben Tag später

Dr. Khady Diatta, ihres Zeichens Juniorärztin im Team der Columbia, war entgegen ihres inoffiziellen Titels keineswegs unerfahren. Gewiss, sie war noch nicht so lange an Bord des Trägers wie die meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen, und das schloss auch das Pflegepersonal mit ein. Es gab zwar immer mal wieder Fluktuationen – einige Mitarbeiter qualifizierten sich für verantwortungsvollere Posten auf anderen Schiffen, manche waren auch nach mehreren Jahren Einsatz ganz einfach „abgeflogen“ und brauchten eine Luftveränderung. Selbst die TSN tauschte hin und wieder Männer und Frauen an Bord der Frontschiffe aus, wenn es sich machen ließ und er oder sie ein wenig Glück und Hilfe hatte…
Aber im Großen und Ganzen war das vor der Jungfernfahrt des Trägers zusammengestellte Team relativ stabil geblieben, sah man von dem kleineren Erdbeben ab, das den „Sturz“ von Dr. Langenscheidt begleitet hatte. Langenscheidts Weggang hatte auch mittelbar zu einigen anderen Veränderungen geführt. Dr. Diatta, die erst im Zuge besagten Umbruchs an Bord gekommen war, kam gerade rechtzeitig für die Schlacht um Sterntor. Aber das hieß nicht, dass dies ihr erstes Rodeo gewesen war. Sie hatte nach ihrem Abschluss als vollwertige Flottenärztin und einer kurzen Probezeit als Assistenzkraft zwei Jahre an Bord einer Patrouillenkorvette in der imperiumsfernen Peripherie der FRT gearbeitet. Derartige Posten galten als gute Probe für den Ernstfall an der Front. Zwar musste man selten mit einer größeren Zahl von Verwundeten fertig werden, wenn es nicht einen schweren Unfall an Bord eines Militär- oder Zivilschiffes gab. Aber man lernte eigenverantwortlich zu handeln, mit Engpässen umzugehen und musste geistig beweglich bleiben. Viele der Patrouillenschiffe hatten nur eine Ärztin und zwei, drei Sanitäter an Bord, die damit für Aufgaben von Anästhesie bis Zahnmedizin benötigt wurden.
Danach hatte sie mehr als ein Jahr auf einem Frontzerstörer gearbeitet, und schließlich das große Los gezogen – Ärztin auf einem Flottenträger. Sie besaß also durchaus Einsatzerfahrung.

Sie hatte folglich angenommen, dass sie nichts so schnell überraschen könnte. Aber dann hatte man ihr eine neue Aufgabe aufs Auge gedrückt. Zunächst hatte es nur nach etwas Extraarbeit ausgesehen, lästig, aber mehr auch nicht. Inzwischen aber musste sie zugeben, dass ihr irgendetwas an der Sache ziemlich spanisch vorkam…
Angefangen hatte es eigentlich harmlos, wenn auch ein wenig merkwürdig. Man hatte ihr von vorgesetzter Stelle zu verstehen gegeben, dass sie bei einer der Pilotinnen – und vielleicht künftig auch noch bei ein, zwei anderen Besatzungsmitgliedern – Hirnscans vornehmen sollte. Man hatte betont, dass die Untersuchungen freiwillig waren und sie sich größtmöglicher Höflichkeit zu befleißigen hatte. Als Erklärung hatte man ihr etwas über eine Stresstest-Studie erzählt, was verdächtig nach Bullshit roch, denn eigentlich war die Zielgruppe zu klein und die TSN nicht gerade dafür bekannt, Geld und Personal für derartig ‚weiche‘ Aufgaben zu verschwenden. Und vor allem begann man solche Studien nicht mitten im Einsatz. Aber als „Frischling“ stand es ihr nicht an, Anweisungen in Frage zu stellen. Nicht, wenn sie von einer Vorgesetzten kamen, die in der Ranghierarchie mehrere Stufen über ihr stand. Also hatte sie Order pariert. Glücklicherweise ging es im Moment nicht ZU hektisch zu. Die Zahl der Gefechtsverletzungen war minimal, und die Crew arbeitete – noch – nicht in der für eine Schlacht typischen Atmosphäre von tagelangem Dauerstress, die unweigerlich zu Erschöpfungszuständen, psychosomatischen Erkrankungen und den unvermeidlichen Unfällen führte. Doch ihre Zuversicht hatte bald einen gehörigen Dämpfer verpasst bekommen – angefangen mit dem Objekt der Untersuchung.

Lilja hatte eine ganze Weile mit sich gerungen, ehe sie sich schließlich dazu durchgerungen hatte, zu einer der gewünschten medizinischen Untersuchungen aufzukreuzen. Schließlich hatte sie sich aber doch eines ‚Besseren‘ besonnen.
Zum einen wollte sie vermeiden, durch zu bockiges Verhalten negativ aufzufallen. Und zum anderen hatte sie sich kundig gemacht, dass Gehirnscans eben doch kein echtes Gedankenlesen waren, schon gar nicht ein Kramen in den Erinnerungen. Sprich, wenn sie nicht gerade an einem Tag hinging, an dem sie auf Grund intensiver nächtlicher Alpträume oder eines besonders stressigen Einsatzfluges angeschlagen war, bestand nach gesundem Menschenverstand keine Gefahr, dass bei ihr irgendwelche auffälligen Befunde festgestellt wurden. Totalverweigerung mochte mehr Aufmerksamkeit und Misstrauen erregen, als ein wenig Schummelei.
Sie hatte das in ihren Augen Überflüssige mit dem Notwendigen verbunden und zugleich einen Routine-Check-up erbeten. Solche Überprüfungen mussten die Piloten ohnehin in regelmäßigen Abständen absolvieren. Schließlich muteten sie sich einiges zu und übernahmen zugleich die Verantwortung für Ausrüstung im Wert von mehreren Millionen Credits - und oft auch für mehr als ,nur‘ ihr eigenes Leben. Da waren Störfaktoren möglichst auszuschalten. In Krisensituationen sah das freilich anders aus, dann wurden nicht selten übermüdete, nur ungenügend ausgeheilte Männer und Frauen in den Einsatz geschickt.
Böse Zungen meinten, Piloten wie Lilja – und mehr noch Ohka – wären um eine Menge solcher Untersuchungen herumgekommen, weil sie sich so oft mit echten Verwundungen auf die Krankenstation befördern ließen, dass man dort stets über ein aktuelles Gesundheitsprofil verfügte. Sie blieben einfach nicht lange genug gesund, um irgendwelche neuartigen Befunde abseits vom Offensichtlichen – ein Beinbruch, Verbrennungen, Schrapnellverletzungen – zu entwickeln.
Es war ja auch nicht völlig auszuschließen, dass sie im Zuge des letzten Einsatzes leicht lädiert worden war. Also warum den Punkt nicht gleich auf ihrer Liste abhaken?
Der Befund, den sie erhalten hatte, war jedoch ein völlig unerwarteter gewesen. Die Interpretation der Hirnscans war für sich schon interessant genug, doch das war etwas für Fachleute. Nein, was der Ärztin wirklich Sorgen bereitete, war etwas anderes.

Dr. Diatta hatte in ihrer Laufbahn schon mehrfach schlechte oder überraschende Nachrichten überbringen müssen. Patienten reagierten darauf meist mit einer Variation von einigen wenigen Bewältigungsstrategien. Wenn der Befund wirklich nicht in den Kram passte, gab es die Optionen Verzweiflung und Fassungslosigkeit, Verweigerung, Zweckoptimismus und Stoizismus, nicht selten gewürzt mit einer Prise Galgenhumor. Diesmal hatte sie es mit einem Lehrbuchbeispiel für Stoizismus zu tun, angereichert mit Widerborstigkeit.
Ihre Patientin hatte kaum mit der Wimper gezuckt, als sie die Diagnose erhalten hatte. Es musste überraschend für sie gekommen sein, aber sie hatte den Schock erstaunlich gut weggesteckt. Und wenn man ihren Ruf bedachte, war ihre erste Frage nun wirklich keine Überraschung: „Wie wird sich das auf meine Einsatzbereitschaft auswirken?“
Die Ärztin war viel zu professionell, um die Augen zu verdrehen oder den Mund zu verziehen: „Unmittelbar erst einmal gar nicht. Ihre Kennziffern sind alle im grünen Bereich – tatsächlich liegen die Leistungsparameter sogar ein bisschen über denen des letzten Checks.“
Was an und für sich schon ungewöhnlich war, und etwas, das sie nicht ganz verstand.
„Aber Sie dürfen das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Auch wenn es nicht sofort Auswirkungen hat, Sie müssen möglicherweise große Teile ihres künftigen Lebens überdenk…“
Die Staffelchefin der Grünen hob ihre Hand – zweifellos hatte sie die Geste, mit der sie jemand anderen das Wort abschnitt, im Laufe der Jahre perfektioniert.
„Das lassen Sie mal getrost meine Sorge sein. Es ist nicht Ihre Aufgabe, mir bei meiner Lebensplanung zu helfen. Sondern mich einsatzbereit zu halten und mir zu helfen, mit allem fertigzuwerden, was dem entgegensteht.“ Sie machte eine weitere abrupte Handbewegung: „Einschließlich DAS.“

DAS – die medizinischen Parameter – zeichneten ein Bild, wie Dr. Diatta es in dieser Form noch nicht erlebt hatte.
Als sie die Russin überprüfte hatte, waren ihr einige Anomalien im Blutbild und auf den Scanneraufnahmen sogleich ins Auge gefallen. Krebsvorsorge war ein Punkt, auf den man bei der TSN großen Wert legte. Piloten setzten sich der Strahlung des Weltraums in ungleich stärkerem Maße aus als die Crew eines Schiffes und waren oft nahebei, wenn Dutzende Atombomben mit der Sprengkraft von jeweils einigen Megatonnen explodierten. Ihre Anzüge, die Hüllen ihrer Jäger und vor allem deren Schilde fungierten als relativ verlässlicher Schutz – doch die Betonung lag auf relativ. Die TSN hatte im Zuge des Krieges ihre medizinische Betreuung deutlich modifizieren müssen – niemals zuvor hatten so viele Menschen so lange nahezu ununterbrochen im Weltraum unter Extrembedingungen „gearbeitet“, oft ohne die dringend empfohlenen „Abklingzeiten“ auf einem Planeten. Inzwischen war man ein ganzes Stückchen weiter – und dennoch offenkundig noch immer nicht vor Überraschungen gefeit.
Eine gründliche Überprüfung von Lilja inklusive einiger Biopsien hatte eine deutlich erhöhte Mutationsrate in ihren Zellen gezeigt. Sicher, sie hatte laut ihrem Flugbuch in den letzten drei Monaten einige verrückte Missionen durchgezogen. Während des Aufenthalts der Columbia in Sterntor, in einer Zeit als die meisten Besatzungsmitglieder nur atmosphärisch gefilterte Sonnenstrahlen am Strand getankt hatten, waren für die Russin mehrere Langstreckenflüge in starkverstrahltem Umfeld vermerkt worden – ohne die geringste Angabe, wo genau sich das ereignet hatte. Von daher waren trotz der Medikamente, die Piloten wie sie vielfach wie Hustenbonbons lutschten, gewisse Auswirkungen zu erwarten gewesen. Aber Dr. Diatta hatte noch nie jemanden außerhalb eines Reaktorunglücks gesehen, dessen Zellen so eine hohe Mutationsrate aufwiesen. Betroffen waren vor allem Gensequenzen, die normalerweise die Blutbildung, das Zellwachstum und die Gehirnentwicklung beeinflussen – wobei letztere eigentlich vor allem für Embryonen wichtig waren. Was die Sache noch grotesker machte – was bisher vollkommen fehlte, waren Anzeichen von potentiell bösartigen Mutationen, mit denen eigentlich zu rechnen gewesen wäre. Es gab ein paar neue Pigmentnävi, und einige wenige gutartige Tumore, die aber bemerkenswert problemlos in den Körper der Pilotin integriert waren und offenkundig noch nicht einmal geringfügige Beschwerden verursacht hatten. Angesichts des Blutbildes, das auch einige auffällige hormonelle Veränderungen aufwies, war eigentlich mit deutlichen Beschwerden zu rechnen gewesen, aber es fand sich nichts dergleichen. Irgendwie, vielleicht durch Veranlagung oder sehr wahrscheinlich einfach nur unglaubliches Glück schien der Körper der Russin bisher bestens weiter zu funktionieren. Das war an und für sich nichts Schlechtes – nur extrem unwahrscheinlich, und noch lange kein Grund zur Entwarnung.

„Commander, ich kann Sie nur dringlich warnen, Sie dürfen das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Selbstverständlich kann ich Sie medikamentös betreuen und überwachen, damit wir jede mögliche bösartige Neubildung frühzeitig entdecken. Aber damit ist es nicht getan. Die Veränderungen in Ihren Zellen und davon ausgehend auch ihren inneren Organen werden nicht einfach verschwinden, auch wenn sich bisher kein krankhafter Verlauf zeigt. Was Sie brauchen, ist eine umfassende genetische Therapie. Sonst wird das mit Sicherheit Konsequenzen haben, und diese sind vielleicht nicht mehr korrigierbar.“
Die Russin schnaubte sarkastisch: „Stellen Sie sich vor, nur weil ich meinen de-facto-Doktor nicht in Medizin sondern auf dem Feld Astrogation und im technischen Bereich habe, heißt das nicht, dass ich DÄMLICH bin. Ich habe ziemlich gute Vorstellungen, was das möglicherweise bedeutet…“
Sie stand auf und marschierte im Behandlungszimmer auf und ab: „Wenn ich mir diese Therapie aufschwatzen ließe, von der Sie reden, wäre ich…wie lange? Sechs Monate? Ein dreiviertel Jahr?...weg vom Fenster. Die Rückreise nach Terra oder ein System wie Sterntor, einen Platz finden – so viele Kliniken mit dem richtigen Equipment gibt es ja auch nicht – dann die Therapie selber, die nötige Erholungsphase, die Rückreise… Denken Sie, der Krieg wartet auf mich?“
Sie schnitt einen möglichen Einspruch gleich ab: „Oh, ich weiß, dass Sieg und Niederlage nicht an mir hängen. Aber das Leben von meinen Untergebenen, von Leuten die ich beschützen kann – in dem ich sie rette oder die Chui*-Echsen kille, die sonst wer weiß wie viele von unseren Jungs und Mädels töten würden – DAFÜR bin ich verantwortlich. Da kann ich doch nicht einfach mal Pause machen und kuren gehen wie eine feige Suka**. Nicht, so lange mein Leben nicht wirklich in Gefahr ist – oder ich nicht mehr fliegen KANN. Es gibt einen Unterschied zwischen wichtig – und das ist mein Einsatz – und persönlich, was nur mich was angeht. Ich gehe sowieso das Risiko ein, getötet und verletzt zu werden, wie jeder hier an Bord. Da macht es wirklich keinen Unterschied, was mit meinen Zellen in ein paar Jahren geschehen KÖNNTE.“
Sie lachte bellend, und ihre Stimme hatte mit einmal einen schneidenden Unterton: „Und was die möglichen Konsequenzen angeht…einen Krebs würden Sie ja wohl auch hier rechtzeitig entdecken, da? Oder wenn ich irgendwie abbaue – in DEM Moment gehe ich natürlich zurück. Ein drittes Auge oder ein zweites Arschloch wird mir sicher auch nicht wachsen…
Was andere Folgen betrifft…wir leben im 27. Jahrhundert. Der Wert und Sinn eines Lebens wird ja wohl heute hoffentlich etwas anders beurteilt als im MITTELALTER. Ich bleibe lieber hier und töte ein, zwei Dutzend Akarii, rette ein paar Menschen und Peshten, als dass ich mir einen lauen Lenz mache, nur um mir um jeden Preis die Möglichkeit zu erhalten, irgendwann mal einen Balg ausbrüten zu können.“
Es sprach für Dr. Diatta, dass sie ob der rüden Wortwahl ihrer Patientin nicht mal mit der Wimper zuckte. Die Ärztin konnte das natürlich nicht wissen, aber das war ein – wenn auch keineswegs der einzige – wunder Punkt in Liljas Befindlichkeiten. Vor einigen Jahren, so hieß es, hatte sie einem anderen Offizier, der dummerweise in ihrer Gegenwart etwas von der natürlichen, allem anderen überlegenen Verantwortung der Frau als künftige Mutter gefaselt hatte, erst verbal und später auch in einer Sparringsrunde die Füße unterm Leib weggeschlagen. Zu seiner Verteidigung musste man sagen, das der arme Tropf etwas angesäuselt gewesen war, aber das hatte ihn vor Liljas (selbst)gerechtem Zorn nicht bewahrt. Eitelkeit gehörte nicht gerade zu Tatjanas langer Liste von Schwächen, aber eine Herabsetzung ihrer Art zu leben war nichts, was sie auf die leichte Schulter nahm. Wenn jemand in Liljas Gegenwart andeutete, die Rolle als Mutter sei irgendwie ,besser‘ als das aufreibende Leben einer pflichtfixierten Vorzeigepilotin im Kriegseinsatz, musste der oder diejenige schon zu nahezu suizidalen Anwandlungen neigen – falls er nicht zu einer handverlesenen KLEINEN Runde von Personen gehörte, von der sie sich so etwas anhörte ohne gleich ihre Krallen auszufahren.

Wenn es etwas gab, was Khady Diatta im Laufe der Jahre gelernt hatte, dann zu erkennen, wann ein Kampf sinnlos war. Das hier war so eine Gelegenheit. Sie hatte von den Schreiwettbewerben gehört, die sich Lilja in der Vergangenheit mit anderen Ärzten geliefert hatte: „Ich kann Ihnen nur raten, das noch mal zu überdenken…aber ich helfe selbstverständlich, egal wie Sie sich entscheiden. Sie müssen natürlich weiterhin regelmäßig zur Untersuchung kommen, und zwar in deutlich kürzeren Intervallen. Und ich passe Ihre Medikamente an.“
Die Russin nickte. Ihre Stimme klang ein WENIG freundlicher: „Das bleibt jetzt aber unter uns? Ich meine, so lange meine Diensttauglichkeit nicht eingeschränkt oder bedroht ist…“
Die Doktorin seufzte: „Natürlich. Aber in dem Moment wo es der Flugtauglichkeit in die Quere kommen könnte, muss ich es natürlich melden.“
Die Pilotin kicherte sardonisch: „Eine bewundernswerte Haltung! Ich wünschte, alle meine Ärzte würden die Einsatzbereitschaft immer über alle andere Erwägungen stellen. Also dann…man sieht sich ja bald wieder – leider, muss ich sagen“ Natürlich – die Eisprinzessin war schon verschiedentlich mit Ärzten aneinandergeraten, wenn sie vorzeitig die Krankenstation verlassen oder einen ihrer Untergebenen loseisen wollte. Oder, kaum genesen, zumindest Schreibarbeit von ihrem Krankenbett aus erledigte, ob ihr nun Ruhe verordnet worden war oder nicht.

Erst in sicherer Entfernung von der Krankenstation gestattete Lilja sich selbst, etwas von der unnachgiebigen Haltung abzuweichen, die sie an den Tag gelegt hatte. Glücklicherweise war der Gang gerade leer. Sonst hätte jemand gesehen, wie die unbezwingbare Chefin der Grünen mit hängenden Schultern an der Wand lehnte, und gegen ein hysterisches Schluchzen kämpfte.
Es war nicht so sehr die Diagnose und ihre möglichen Konsequenzen, die ihr Angst machten. Es war das Gefühl, dass ihr eigener Körper erneut drohte, sie im Stich zu lassen – wie damals, bei ihrem Zusammenbruch im ersten Kriegsjahr. Gegen einen Feind konnte sie ankämpfen, und zur Not mit gebleckten Zähnen und einem Fluch auf den Lippen bis zum bitteren Ende fechten. Aber was, wenn die Gefahr bestand, dass sie diese Stärke zu kämpfen verlor? Was blieb ihr dann noch?
Manchmal erschien Lilja die Erinnerung an die Zeit vor ihrem Dienst bei der TSN, ja sogar ihr ganzes Leben vor dem 7. September 2632 so verschwommen, dass sie sich mitunter fragte, was davon eigentlich real und was Einbildung war, zusammengesetzt aus Erzählungen und Wunschbildern. Jetzt war der Krieg ihre Realität – und sie wusste nicht, was werden sollte, wenn diese Realität zerbrechen sollte. Sie hatte immer gewusst, dass sie in diesem Krieg sterben konnte. Aber nicht mehr kämpfen zu können, nur noch zusehen zu müssen, ängstigte sie vielleicht noch mehr als der mögliche Tod.

Ratlos starrte sie auf die Innenseite ihrer Unterarme. Eine halbe Fingerspann unter ihrem rechten Handgelenk zeichneten sich einige dunkle Pigmentflecken ab, die ein Muster zu bilden schienen. Die waren vor ein, zwei Monaten noch nicht da gewesen. Sie hatte sich zunächst nichts dabei gedacht. Und was hatte es zu bedeuten, das auf ihrem LINKEN Unterarm an genau derselben Stelle ebenfalls erste Spuren von Hautveränderungen zu sehen waren? In genau demselben Muster? Was stimmte nicht mit ihr?
Sicher, es gab mögliche Erklärungen, aber über die wollte sie lieber erst gar nicht genauer nachdenken. War es möglich, dass sie an einer milderen Form dessen litt, was die Männer auf der Mary C umgebracht hatte? Auch wenn die ‚hohen Tiere‘ an Bord der JADE und ebenso die noch höheren Dienstränge, die die ganze Operation nach der Rückkehr nach Sterntor unter Quarantäne gestellt und übernommen hatten, nicht besonders gesprächig gewesen waren. Lilja hatte im Medusa-System zweifellos eine Menge Strahlung geschluckt, auch von der exotischen Sorte. Vielleicht hatte ihr Körper das – bisher – besser verkraftet, weil es bei ihr nicht so viel, über einen längeren Zeitraum verteilt gewesen war. Sie hatte die Leichen nicht selber gesehen, aber sie hatte genug gehört oder sich zusammengereimt, um Angst zu verspüren. Und das ließ natürlich die Möglichkeit offen, dass es anderen Besatzungsmitgliedern ähnlich erging.
Wobei…wenn man es genau betrachtete, war niemand so lange und so weit draußen geblieben wie sie, nicht mal Ace. Aber vielleicht sollte sie einen Grund finden, ihn ebenfalls zu einem Check-up zu überreden. Aber wie, ohne dass er misstrauisch wurde? Er war ja manchmal Lieutenant Commander Simpelton, aber SO dämlich war auch er nicht.

Aber dann verbannte sie all diese Gedanken, straffte ihren Körper, biss die Zähne zusammen, rieb sich wütend die Augen, um jede Spur von Tränen zu vertreiben. Diese…Krankheit?...war einfach nur ein weiteres Problem in einer langen Liste von Dingen, mit der hatte fertig werden müssen. Eines, von dem sie sich nicht kleinkriegen lassen durfte. Gejammer und Flennen hatten noch nie jemanden geheilt. Und sie würde bestimmt nicht losziehen, und sich bei irgendjemandem ausheulen.
Hm…ach ja, da gab es ja was, das sie stattdessen tun konnte. Ein wenig Ablenkung hatte noch nie geschadet, und wenn man sich selbst schon nicht gut fühlte, konnte man dieses Unwohlsein ja auch an andere weiterverteilen – vorzugsweise an jemanden, der es entweder verdiente oder davon profitieren konnte. Und wie der Zufall es wollte, hatte sie gerade den PERFEKTEN Kandidaten an der Hand.
Lilja war fast die Kinnlade heruntergefallen als sie gehört hatte, dass Ace wegen dem Zwischenfall mit diesem aufgeblasenen Arsch von T’rr-Söldner bis zu Stafford UND der Trägerkommandatin gerannt war – obwohl er nicht mal dabei gewesen war. Und die hatten nicht nur darauf verzichtet, ihn hochkant rauszuschmeißen, sondern ihm auch noch grünes Licht für seinen Egotrip gegeben. Sicher, Lilja hatte darüber nachgedacht, diesem dämlichen Söldner persönlich eine Lektion zu erteilen oder Ace in seine Richtung zu schubsen, aber ihr wäre nie eingefallen, einen solchen Wirbel zu veranstalten.
Ja, es gehörte zu den besseren Eigenschaften von Commander Blauhaar, dass er sich ständig um andere sorgte und für sie zuständig fühlte. Das konnte Leben retten und war mitunter wirklich bewundernswert, wie etwa bei dieser Sensoroffizierin, und es hatte sowohl Lilja als auch Ohka hin und wieder Gesundheit oder Leben gerettet – auch wenn die Russin sich schwertat, das auszusprechen. Sein Verhalten war aber manchmal auch vollkommen fehl am Platze gewesen und kam dem gesunden Menschenverstand und wichtiger noch der Mission in die Quere – wie etwa damals, als Lone Wolf nach Pinpoints Tod Ace hatte niederschlagen müssen. Oder es war einfach nur peinlich, wie sein ,Amoklauf‘ als er erfahren hatte, dass seine kleine Schwester nicht mehr nur mit den Puppen ins Bett ging.

Lilja hatte die mehr als vage Befürchtung, dass das hier eher in die letzte Kategorie fiel.
,Manche Leute nehmen sich einfach zu wichtig.‘ Ace’s Sprachkenntnisse in Ehren, aber Lilja hatte die erste Zeit nach dem Abschluss der Ausbildung bei den Red Hawks verbracht, einer Staffel, deren Piloten fast alle aus der Sowjetischen Konföderation stammten, auch wenn es nicht alles Russen waren. Die russische Vulgärsprache, die Mat, hatte dort fast zum guten Ton gehört – man musste nur daran denken, gegenüber den Eltern und zivilen Bekannten den Mund immer mit Seife auszuwaschen, sozusagen. Die junge Pilotin hatte sich damals ,bestens‘ angepasst – schließlich hatte sie in der Grundausbildung und vorher in ihrer paramilitärischen Ausbildung einiges aufgeschnappt. In den späteren Jahren, als sie als Offizierin aufstieg, hatte sie ihr Vokabular etwas verfeinert, aber auch heute brachen die alten Gewohnheiten hin und wieder durch.
,Hm, wenn er uns damals gehört hätte, wäre er vermutlich zum Schluss gekommen, wir würden einen Putsch vorbereiten oder so…‘
Soldaten – und Offiziere – redeten nun einmal häufig Stuss. Oder Dreck. Häufiger noch beides zugleich. Das durfte man nicht so wichtig nehmen. Einige wussten nicht mal, WAS sie sagten, sie mochten einfach den Klang bestimmter Worte. Es lebe die Völkerverständigung, auch wenn sie vor allem über die Aneignung der Fäkalsprache und…anderen blumigen Ausdrücken funktionierte.
Nun ja, jetzt war es zu spät zu intervenieren. Wenn er bloß zu ihr gekommen wäre, anstatt sich nur mit ,Miss Stacy‘ zu unterhalten und dann gleich den Olymp zu erstürmen…
Aber es war, wie es war. Da die Sache nun schon einmal so sehr aus dem Ruder gelaufen war, konnte sie genauso gut zusehen, dass sie nicht vorm Baum landete. Wenn man einen Kampf anzettelte, hatte man auch die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, ihn zu gewinnen. Und wer außer ihr wäre besser geeignet, Ace zu demonstrieren, wie er am besten gegen einen Gegner mit überlegener Beweglichkeit kämpfte und was er in dem Fall besser NICHT tun sollte? Ihre Falcon konnte es wahrscheinlich nicht ganz mit diesem bizarren neuen Peshten-Jäger aufnehmen, aber sie oder ein kaiserlicher Reaper kamen dem zumindest nahe. Und ein paar Runden im Simulator würden sie auf andere Gedanken bringen. Mit diesem Gedanken machte sie sich auf den Weg. Ihre Befürchtungen hatte sie schon fast wieder verdrängt.

*****

‘* Vulgärrussisch für „Schwanz“.
‘** Hündin, aber auch Hure

Ende
13.10.2018 20:48 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Peshten-Raum, Hauptquartier der Vierten Sturmdivision


Die Dunkelheit war hereingebrochen und wie so häufig um diese Uhrzeit regnete es. Die schweren Tropfen hämmerten auf die Wände und Dächer der Militärbaracken und brachten die straff gespannten Stachel- und Signaldrähte zum Klingen. Sie prasselten auch auf die kleine Gruppe Männer und Frauen, die auf dem Appellplatz wartete, je nach Spezies und persönliche Vorlieben die Kapuzen der Regenumhänge entweder zurückgeschlagen oder tief in die Stirn geschoben.
Clas Schiermer war kein Mann für Sentimentalitäten und das Wetter war einer der Gründe, warum er diesen Planeten nicht vermissen würde. Die Peshten mochten das Klima – sie bevorzugten tropische Temperaturen und hohe Luftfeuchtigkeit, weil sie Kälte und vor allem Trockenheit nicht gut vertrugen. Und auch die T’rr und Akarii kamen gut zurecht, immerhin stammten sie von reptiloiden Wesen ab, die vor allem in tropischen und subtropischen Breiten heimisch gewesen waren. Für die meisten Menschen hingegen war das feuchtheiße Dschungelklima eine Tortur. Und selbst Schiermer, der mehrere Jahre Dienst in der Urwaldhölle von Pandora hinter sich hatte, merkte gelegentlich, dass er keine fünfundzwanzig mehr war. Ein paar tausend Mann in Gefechtsbereitschaft zu bringen und in eine funktionierende Sturmdivision zu formen war ein Vollzeitjob. Weshalb er lieber ein paar Stunden Schlaf gefunden hätte. Stattdessen…

Regimentskommandeurin Tesh’ta wirkte im Gegensatz zu ihrem Stellvertreter hellwach und fast zufrieden: „Gutes Wetter.“
„Was?“
„Wenn die Blitze fallen und der Donner rollt, dann sprechen die Götter.“
Schiermer warf seiner Vorgesetzten einen kurzen Blick zu: „Na wenn Sie meinen…“
„Entspannen Sie sich. Ich will Sie nicht bekehren. Noch irgendeinen anderen in dieser Division. Aber was heute geschieht, das IST wichtig.“
„Sollten wir dann nicht vielleicht ein paar mehr sein?“ Schiermer blickte sich um. Er sah die anderen Regimentskommandeure und ihre Stellvertreter, die ranghöchsten Stabsoffiziere – überwiegend Peshten, aber auch etliche Menschen, T’rr, Akarii und Mitglieder anderer Rassen. Was fehlte, waren Offiziere mit niedrigeren Rängen. Nicht einmal die Bataillonsbefehlshaber waren anwesend.
Ebenfalls abwesend war der oder die Divisionsbefehlhaber/in. Denn dieser Posten war noch immer unbesetzt, nachdem ein vermeintlich sicherer Kandidat nach nur zwei Wochen ohne Begründung abgelöst worden war. Gerüchten zufolge hatte das mit seinen politischen oder religiösen Affiliationen zu tun gehabt – wenn es da überhaupt einen Unterscheid gab.
„Alles zu seiner Zeit.“

Als wäre dies das Stichwort, tauchte eine kleine Kolonne auf – ein gepanzerter Transporter, der von zwei Schützenpanzern eskortiert wurde, auf denen Soldaten mit schussbereiten Waffen aufgesessen waren.
„Ziemlich viel Metall.“
„Was dieser Transporter bringt, hat einen Wert von mehreren hundert Millionen Credit. Und spirituell und historisch…ist es praktisch unbezahlbar.“
Schiermer kniff die Augen zusammen. Entweder aus Unglauben, oder weil ihm Regenwasser in die Augen lief. Seine Antwort wurde teilweise von dem rollenden Donner übertönt, der wie ferner Gefechtslärm klang: „…zum Teufel?“
„Warten und sehen Sie.“ lautete Tesh’tas kryptische Antwort.

Inzwischen war der Transporter zum Stehen gekommen, immer noch flankiert von den beiden Schützenpanzerwagen, deren Turm-Schnellfeuerlaser langsam hin und her wanderten. Die aufgesessenen Soldaten – dem Körperbau nach anscheinend alles Peshten in schweren Gefechtsrüstungen ohne Rang- oder Einheitsabzeichen – sprangen ab und formten schweigend einen schützenden Ring, die gepanzerten Gesichter und schussbereiten Waffen nach außen gerichtet. Lautlos glitten die Seitenklappen des Transporters auf und gaben den Weg frei für drei weitere Peshten. Zwei von ihnen waren ebenfalls gepanzert, doch wirkten die aus einem ledrigen, teilweise durch Metallplatten verstärktem Material bestehenden Rüstungen ebenso archaisch wie die Vollhelme, deren wie Gesichter geformte Visiere in Schiermers Augen eine etwas verstörende Mischung von Peshten-, T’rr-, Akarii- und vielleicht gar menschlichen Merkmalen verbanden.
Und die dritte, an der Spitze der Prozession – war das richtige Wort dafür – schreitende Gestalt…
Der oder die Peshten – Schiermer war sich nicht sicher – wirkte zwar nicht so martialisch wie ihre oder seine Begleiter und dennoch…zweifellos war das die unheimlichste Figur in dieser Runde.

Das fing schon damit an, dass die weiten Gewänder, die die hochgewachsene Gestalt umflossen, in dem Wechsel aus Schatten, Dunkelheit und dem grellen Licht der Fahrzeugscheinwerfer beständig die Farbe zu wechseln schienen und ihren Träger verschwimmen ließen. Der Regen schien an dem Stoff abzugleiten – oder fiel er ganz einfach hindurch? Und der weite Schnitt der Kleidung kaschierte nicht nur die Geschlechtsmerkmale des Trägers, dessen Gesicht eine Maske ähnlich der seiner beiden Begleiter verbarg, die jedoch ständigen Veränderungen unterworfen zu sein schien, sondern auch seine Bewegungen. Fast schien es, als würde die Gestalt über den Boden…fließen. Schiermer war nicht gläubig – er hatte zu viel gesehen – und eigentlich auch nicht besonders abergläubisch. Aber jetzt spürte er, dass ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief. Und das lag nicht daran, dass das Regenwasser einen Weg unter seinen Mantel gefunden hatte. SO musste ein Geist aussehen. Oder der gestaltgewordene Tod, den einige alte Soldaten behaupteten nach dem Kampf über das Schlachtfeld wandern gesehen zu haben.
Allerdings trug diese Gestalt keine Hippe in den Händen, auch wenn der Gegenstand kaum weniger beunruhigend schien. Auf einem Schaft aus blutrot glänzendem…Holz? prangte ein von einer vierfingrigen Metallkralle gehaltener, ovaler, etwa faustgroßer Stein, der in der Dunkelheit schwachgrün zu pulsieren schien.
„Was…“
„Später!“ zischte Tesh’ta, und diesmal war sie es, die Nerven zeigte. Wie auch die anderen Peshten-Offiziere, die die Prozession mit einer Mischung aus Anspannung und…Erwartung? musterten. Für ihre nicht-peshtischen Untergebenen galt das offensichtlich weniger, auch wenn Schiermer nicht der einzige war, dem dieser Auftritt an die Nieren ging. ‚Man kann über die Dreiaugen sagen, was man will – sie können eine Vorstellung aufziehen...‘

Die Prozession schritt inzwischen die Angetretenen ab, wenn man das seltsam unnatürlich wirkende…Gleiten des Standartenträgers – den nach Schiermers Meinung musste es sich bei dem Gegenstand in seinen Händen um ein Feldzeichen handeln – so nennen konnte. Die Peshten passierten die angetretene Reihe, kehrten um und wiederholten den Vorgang – das alles in völligem Schweigen.
Und dann hielten sie an, nur wenige Schritte von Schiermer entfernt. Doch der Standartenträger blieb ebenso schemenhaft wie vorher – ein sich bewegender Schatten. Ein Schatten, der das Feldzeichen mit einer fließenden Bewegung in die Hände von Kommandantin Tesh’ta gleiten ließ, die vorgetreten war, ohne dass Schiermer es bewusst wahrgenommen hätte.

Schiermer begriff nicht sofort, was das bedeutete. Und dem Gesichtsausdruck der anderen Nicht-Peshten zufolge – soweit er das sehen konnte – ging es ihnen so ähnlich. Die Peshten allerdings…
Er hatte immer noch Schwierigkeiten, die für menschliche Augen recht ungewöhnliche Physiognomie der Peshten zu deuten. Aber jetzt glaubte er bei seiner Vorgesetzten Stolz und Triumph zu erkennen. Und bei ihren Kollegen…
Enttäuschung, fast Feindseligkeit bei einigen. Zufriedenheit und kalte Genugtuung bei anderen. Schiermer war kein Genie, aber er konnte Eins und Eins zusammenzählen. Über das Gesicht des Marines huschte ein zynisches Lächeln. ‚Da ist wohl ein Glückwunsch angebracht.‘

***

Etwa eine Stunde später


„Also, warum?“
Kommandantin – nein, Divisionsgeneralin Tesh’ta blickte kurz auf: „Sie meinen nicht, dass ich einfach die beste für den Posten bin?“ Sie fuhr damit fort, den auf dem Feldzeichen befestigten Stein mit einem einfachen, grauen Tuch zu reinigen, wobei sie darauf achtete, ihn niemals mit der nackten Haut zu berühren. Immer noch war der Stein von einem geisterhaft-grünlichen, leicht pulsierenden Leuchten erfüllt, der Schiermer eine Gänsehaut über den Rücken jagte.
„Ich bin zu lange beim Militär um zu glauben, dass das genügt.“ Schiermer litt unter einem leichten Anflug von Klaustrophobie. Der kleine, unterirdische Raum – nicht mehr als zwei auf drei auf zwei Meter – hatte das Ambiente eines Verlieses. Oder einer Grabkammer. Das kleine Feuer, das in der kupfernen Schale flackerte, erfüllte die Luft mit einem unangenehmen Brandgeruch. Schiermer konnte nur hoffen, dass die Peshten daran gedacht hatten, eine angemessene Belüftung einzubauen. Es wäre der Gipfel der Ironie gewesen, wenn die frisch ernannte Divisionskommandeurin – und ihr menschlicher Berater – einer Rauchvergiftung zum Opfer fallen würden. ‚Allerdings bin ich sowieso nicht sehr beliebt. Und Tesh’ta war vermutlich auch schon mal populärer.‘
„Sie haben natürlich Recht, es geht hier auch um Politik. Aber ich will Sie nicht mit den Feinheiten der Kabalen unseres Offizierskorps belästigen.“
„Glauben Sie, dass ich diese nicht verstehen würde? Oder fürchten Sie, dass ich meine Ideale verliere?“ spottete Schiermer.
„Ich wüsste nicht, dass Sie so etwas überhaupt HABEN.“ konterte Tesh’ta nicht weniger sarkastisch.
„Was ich ganz bestimmt nicht will, ist in ein offenes Messer zu rennen, das für Sie bestimmt ist.“ gab Schiermer bissig zurück.
„Und da soll noch einer sagen, die Ritterlichkeit der Menschen sei tot. Aber ich kann Ihnen ja ein Schaudiagramm zeichnen, wenn es dadurch klarer wird.“
„Sagen Sie mir einfach nur, wer auf Ihren Rücken zielen könnte.“
„Damit Sie aus der Schusslinie kommen?“
„Oder damit ich mit einem Präventivschlag kontern kann.“
„Danke.“
„Purer Eigennutz. Wenn Sie untergehen, könnte ich sehr leicht mitgezogen werden.“
„Das könnte wahrer sein, als Sie vielleicht glauben. Denn in meinem Regiment ist jetzt natürlich ein Platz freigeworden, der schleunigst gefüllt werden muss.“
Damit schaffte Sie es, Schiermer zu überraschen: „Das meinen Sie ernst?“
„So witzig sind Sie nicht, dass ich damit scherzen würde. Oder wären Sie etwa überfordert?“
„Das haben Sie ja schon beantwortet. Alles was ich sagen könnte, würde entweder ziemlich anmaßend oder unglaubwürdig bescheiden klingen.“ Schiermer hielt kurz inne: „Allerdings dachte ich, Sie halten nicht viel von meinen Methoden.“
„Sie bringen Resultate. Sie wissen, wie man führt. Und darauf kommt es an. Und es ist ja nicht so, dass wir allzu viel Alternativen hätten. Für die Stabsarbeit haben Sie Ihre Adjutanten. Ich brauche Ihre taktischen Kenntnisse und Kommandofertigkeiten.
Wir haben zu viele erfahrene Offiziere verloren – ob im Krieg oder durch…interne Gründe.“

Damit spielte Tesh’ta auf die politischen Grabenkämpfe der Peshten an, die teilweise buchstäblich bis aufs Blut geführt worden waren. Ganz besonders die forcierte Abrüstung vor dem Krieg – und der blutige Umsturz, der das Konkordat dann auf die Seite der Republik zwang – hatten die Reihen gelichtet. Selbst jetzt, Jahre später, waren die Folgen nicht vollkommen überwunden.

„Und es kann nicht schaden, wenn Sie einen menschlichen Regimentskommandeur haben. Politisch meine ich. Vor allem einen, der auch schon Erfahrung mit der…schmutzigeren Seite der Kolonialpolitik gesammelt hat.“
„Das wurde ebenfalls in die Rechnung einbezogen. Und ja, wir BRAUCHEN die Hilfe der TSN. Gegen unsere äußeren wie unsere inneren Feinde.“
„Ich bin Marine.“
„Die brauchen wir auch.“
„Also gut. Und nun…was ist das eigentlich?“ fragte Schiermer und deutete auf die Standarte in Tesh’tas Händen.
„Was glauben Sie denn?“
„Für einen Marschallsstab ist es etwas zu groß. Die Divisionsstandarte, nehme ich mal an. So was wie die Adler der Franzosen und Römer.“
„Davon müssen Sie mir bei Gelegenheit mal mehr erzählen. Aber Sie irren sich. Das ist sehr viel mehr. Das ist das Herz eines Niegeborenen.“

Die ‚Niegeborenen‘ waren eine legendäre Militärformation der Peshten-Vergangenheit. Eine Einheit zum Leben erweckter Statuen – unbesiegbar, furcht- und gnadenlos. Eigentlich war die Geschichte der Peshten nicht übertrieben blutrünstig – zumindest, was militärische Konflikte anging und wenn man sie mit der der Menschen, Akarii oder T’rr verglich – aber vielleicht hatten die Niegeborenen auch deswegen einen derart furchterregenden Ruf erworben. Auch wenn es inzwischen umstritten war, ob es sie jemals gegeben hatte – und wie sie zu ihrem Ruf gekommen waren. Schiermer tippte auf eine Art Kriegerorden oder aus Militärsklaven rekrutierte Schockinfanterie, deren schwere Rüstungen und Helme in Kombination mit dem Fehlen von Eltern und Familie im Laufe der Zeit zu dem Märchen mit den belebten Statuen umgeformt worden war.

„Na, wenn Sie es sagen.“
„Seien Sie nicht so verdammt arrogant. Ihr Volk ist mit Mumien als Feldzeichen in die Schlacht gezogen. Oder mit den einbalsamierten…Teilen irgendeines Zimmermanns. Und das waren auch noch Fälschungen.“
Schiermer schnaubte amüsiert: „Wenn ich gläubig wäre, hätten Sie jetzt einen Volltreffer gelandet. Also was soll dieser…Herzstein sein – der Sitz ihrer Seele? Oder halt, das waren ja Statuen. Also vielleicht doch eher eine Art Batterie?“
„Witzig, dass Sie das sagen. Was meinen Sie, warum der Stein leuchtet? Er ist radioaktiv.“
Unwillkürlich wich Schiermer einen Schritt zurück: „Zum Teufel…“
„Entspannen Sie sich. Sie sollten ihn nicht unbedingt in die Hosentasche stecken, aber ansonsten haben Sie nichts zu befürchten. Ursprünglich sah das zwar anders aus, aber auch wenn das Material eine Halbwertszeit von etlichen hundert Jahren hat, ist inzwischen nicht mehr viel übrig. Ich frage mich wie hell einer dieser Steine damals gestrahlt hat…“
„Verstehe. Die Dinger sind selten, denn wie viele leuchtende, radioaktive Edelsteine kann es wohl geben…“
„Soweit ich weiß existieren nur noch drei. Jedenfalls von denen, deren Aufbewahrungsort gesichert ist.“
„Alt…“
„Nach den meisten Schätzungen mindestens drei- und viertausend Jahre, vielleicht aber auch sehr viel mehr.“
„Und deshalb sind sie wertvoll.“
„Sie begreifen es immer noch nicht ganz. Das ist das Geschenk eines Gottes. Glauben Sie denn, die ‚Niegeborenen‘ seien das Werk von Sterblichen? Sie sind ein Werk von Cipik Tai‘fal, hinter den Sternen verborgen.“
„Wer ist der?“
„Ich vergesse immer wieder, was für eine gründliche kulturelle Schulung ihr Menschen erhaltet, bevor man euch hierherschickt.“ spottete die Divisionskommandeurin, aber es klang nicht verbittert: „Cipik Tai’fal – ob nun Mann oder Frau, da gibt es verschiedene Geschichten und manchmal wechselte Cipik auch sein Geschlecht nach Belieben – ist einer unserer wichtigsten Schöpfergötter. Laut einigen Sagen brachte er uns das Feuer, die Töpferkunst, Schrift…
Aber sein Charakter ist genauso wechselhaft wie sein Geschlecht. Für manche unserer Religionen ist er ein Trickser – boshaft, aber hilfreich. Und für andere…ist er wie euer Feuerbringer.“
„Prometheus?“
„Ich meine Luzifer. DER Name sagt Ihnen doch etwas.“
„Ich habe ihn schon mal gehört. Und warum kriegen ausgerechnet wir dieses Göttergeschenk? Oder hat jede Division einen Glücksbringer, der ein paar Milliarden wert ist?“
„Es geht mal wieder um Politik. Wir verlegen nach Gamma Eridon. Wie Sie wissen, stecken wir dort in einer verdammten Patt-Situation fest, die uns schon mehrere zehntausend Soldaten gekostet hat. Das kann so nicht weitergehen. Wir müssen die Initiative gewinnen – und das bald. Die Bildung eines Mobilkorps als bewegliche Reserve ist ein Schritt dazu. Und dieses Korps muss mehr sein, als eine neue Einheit. Dieser Verband muss das Wort ‚Sieg‘ auf seinem Banner und den Flanken seiner Panzer tragen. Und es darf kein Zweifel daran bestehen, dass er mit dem Segen der Götter angreift. Und deshalb…“
„Gibt es für unsere Division keinen besseren Namen, als Ihre legendären ‚Ungeborenen‘.“
„Das heißt ‚Niegeborene.‘ ‚Ungeboren‘…das ist die Bezeichnung für einen Embryo.
Aber ansonsten haben Sie Recht. Und das ist auch der Grund, warum der Name unserer Division von dem gesamten 30. Korps übernommen wurde. Und in DEM Fall ist es schon eher gerechtfertigt, ein…Artefakt wie einen von drei verbliebenen Herzsteinen an uns weiterzureichen, finden Sie nicht?“
„Eine Kopie hätte es auch getan.“
„Das verstehen Sie nicht. Und Sie verstehen UNS nicht. Das wäre irgendwann herausgekommen. Und selbst wenn Cipik Tai’fal das vermutlich lustig finden würde, wären einige Gläubige und die Medien – und jeder, der daraus politisches Kapital schlagen will – weniger nachsichtig.“
„Wie auch immer. Hoffen wir einfach mal, dass das nicht zu viele Vorschusslorbeeren sind. Aber wenn wir jetzt von einem Korps reden, dann meinen Sie…“
„Natürlich unsere 4. Sturmdivision. Dazu zwei Sturmbrigaden, die 13. und die 20., mit jeweils einem Panzer- und gepanzerten Infanterieregiment sowie Unterstützungseinheiten. Und die auf Schützenpanzern motorisierte 40. Mobilbrigade, die ebenfalls über motorisierte Artillerie und Flugabwehr verfügt. Alles luftverlastbar. Zusätzlich zwei Bataillone Spezialeinheiten.“
„Das klingt trotzdem ziemlich dünn. Wir reden hier von wie viel…neun Regimentern zusätzlich zu unserer Division?“
„Eher zehn. Zusammen mit uns also etwa 22.000 Kämpfer.“
„Auf der Erde wären das nicht mal zwei Divisionen. Etwas wenig für ein Korps.“
„Wir sind aber nicht auf der Erde. Und nach den bisherigen Verlusten…“
„Und den Säuberungen kurz vor dem Krieg…“
„Es fehlt uns an Soldaten. Was meinen Sie, warum wir so viele Söldner rekrutieren?“
„Weil Sie sich sicher sein wollen, dass Ihre Truppen in die richtige Richtung feuern?“ spöttelte Schiermer und erntete einen wütenden Blick.
„Und wer wird unsere Heldenschar kommandieren? Oder wird das auch erst von den Göttern bestimmt?“
„Seien Sie nicht so selbstgerecht. Ihre Regierung ist dafür bekannt, ihre besten Admiräle reihenweise zu verheizen. Und in der Konföderation…“
„Wir sind nicht die Konföderierten.“
„Ganz ehrlich? Für uns seht ihr alle ziemlich gleich aus.“
„Also, wer wird Korpskommandeur?“
„Bri’an Horoks.“
„Ein wahrhaft Gläubiger?“ spöttelte Schiermer.
Tesh’ta schnaufte abfällig: „Wohl kaum. Bri’an glaubt an keine Götter. Nur an sich selbst. An die Armee. Und an den Krieg.“
„Und wie hat er es dann geschafft, diesen Posten zu bekommen? Ist er so gut?“
„Das werden wir ja noch sehen, nicht wahr? Aber er IST fähig. Einer der wenigen hochrangigen Offiziere, die sowohl die Abrüstung als die Säuberungen überstanden haben. Auch wenn die Desarmierung bei den Bodenstreitkräften nie so extrem war, wie bei den Raumstreitkräften, die bis auf die Sicherungsverbände und die Raumpatrouille fast völlig aufgelöst wurden. Seine…Sporen, so sagt man wohl bei euch, hat er sich bei Konterguerillaeinsätzen erworben. Dann war er zwei Jahre…beurlaubt.“
„Söldner?“

Schiermer war bezüglich der Konkordats-Streitkräfte und deren intergalaktische Politik nicht gerade beschlagen, aber sogar er wusste, dass die Peshten früher eine recht…liberale Verteidigungsstrategie betrieben hatten. Sie hatten nicht nur in beträchtlichem Umfang Waffen exportiert – nicht besonders hochentwickelt, aber billig und zuverlässig – sondern immer wieder auch ‚Ausbilder‘, ‚Instrukteure‘ und ‚technische Fachleute‘ und teilweise auch Spezialeinheiten auf Mietbasis zur Verfügung gestellt. Das war eine kosteneffektive und gleichzeitig abstreitbare Möglichkeit gewaltsamer Außenpolitik unterhalb der Basis einer direkten Intervention oder gar eines richtigen Krieg gewesen. Außerdem konnten ihre Offiziere so Erfahrungen sammeln – und Gerüchten zufolge auch wertvolle Informationen über die potentiellen Gegner von Morgen...

„Wenn Sie es so nennen wollen…
Sein Steckenpferd war das Studium der imperialen Streitkräfte, besonders der Marineinfanterie und Armee.“
„Naheliegend.“
„Allerdings war klug genug, nicht zu sehr den Mund aufzureißen. Deshalb behielt er seinen Posten als wir unsere Streitkräfte abrüsteten. Als dann der Putsch abrollte, führte er eine Ausbildungsdivision.“
„Lassen Sie mich raten. Er war vorne mit dabei, die alte Regierung auszulöschen.“
„Ich sehe schon, Sie kennen ihn wirklich nicht. Er ist ein…Legalist. Er meutert nicht. Als einige Offiziere ihm die Pistole auf die Brust setzen wollten, ließ er sie verhaften und zwei von ihnen erschießen.“
„Und er wurde nach dem Sieg der Putschisten nicht an die Wand gestellt?“
„Die Geschichte war ja noch nicht zu Ende. Denn als die angegriffene Regierung ihm befahl, gegen die Putschisten vorzurücken – da weigerte er sich, auf seine Kameraden zu schießen.“
„Langsam verstehe ich, warum er überlebt hat. Ein verdammt gefährliches Spiel.“
„Aber der Erfolg gab ihm Recht. Sehen Sie, Horoks mangelnder Glaube ist dahingehend für ihn ein Problem, dass er keine der Glaubensgemeinschaften hinter sich hat. Ihm fehlt politische Unterstützung. Deshalb wird er niemals einen Kriegsschauplatz befehligen, eine planetare Streitkraft oder gar einen Sektor. Weil das immer auch eine politische Komponente hat, und er dazu Rückendeckung bräuchte, die er nicht hat. Aber ein Korps, vielleicht sogar eine Armee…das ist etwas anderes. Und dass er keiner Fraktion, keiner der Kirchen verpflichtet ist, macht ihn für mehr als eine von diesen zu einem guten Kandidaten für ein Militärkommando. Wenn er scheitert, fällt es nicht auf sie zurück. Und wenn er gewinnt…nun, dann kann auch keine andere Gruppe den Gewinn einfahren.“
„Das klingt so, als würden Sie nicht wirklich damit rechnen, dass er Erfolg hat. Und ich dachte, unser neues Korps sei unbesiegbar.“
„Ich KANN rechnen. Und ob das Herz eines Niegeborenen ausreicht, um dieses Defizit auszugleichen…“
„Und was wird euer Trickser-Gott davon halten, dass ihr einem Ungläubigen das Herz seines/ihres Lieblingsspielzeugs schenkt?“
„Wie gesagt, Cipik sähe darin vemrutlich einen grandiosen Spaß. Da haben wir nichts zu befürchten. Wenn ich Horoks das Feldzeichen überreiche, wird ‚hinter den Sternen verborgen‘ lachen.“
„Und alle anderen? Vorhin sagten Sie…“
„Der Unterschied ist, Horoks macht kein Geheimnisaus seinem Nicht-Glauben. Und zumindest offiziell darf der Glauben – oder Unglauben – keine Rolle spielen, bei der Besetzung von Posten.“
„Ich gebe nicht vor, dass zu verstehen.“
„Und ich werde nicht so tun, als ob mir an Ihrem Verständnis oder sogar Ihrer Zustimmung etwas liegt. Solange Sie ihren Job tun und sich bei der Übergabe der Standarte zusammenreißen.“
„Ich werde mich beherrschen. Sind Sie jetzt fertig?“

Tesh’ta Handbewegungen waren tatsächlich immer langsamer geworden. Wie auf ein Stichwort rammte sie die Standarte in ein im Boden der kleinen Kammer befindliches Loch und warf das Tuch, mit dem sie den ‚Herzstein‘ gesäubert und abgetrocknet hatte, in das Feuerbecken. Sofort füllte beißender Gestank und Qualm den Raum, der aber fast sofort durch unsichtbare Ventilatorschlitze abgesaugt wurde. Also HATTEN die Peshten an eine Belüftung gedacht: „Ich habe gerade erst angefangen. Aber Sie werden hier nicht mehr benötigt. Gehen Sie schon, Sie brauchen den Schlaf…alter Mensch.“
Schiermer öffnete den Mund zu einer bissigen Antwort – und überlegte es sich dann anders. Auch wenn er es niemals zugegeben hätte, dieser ganze Hokuspokus verunsicherte ihn. Und er WAR müde. Also beschränkte er sich auf einen knappen, etwas spöttischen Salut und wandte sich zum Gehen. Das letzte Bild, das er von seiner ehemaligen Regimentskommandeurin mitnahm, zeigte sie auf den Knien, die Arme in einer merkwürdig feierlich-herausfordernden Geste erhoben, die Finger merkwürdig zusammengelegt und klauenartig gekrümmt. Immer noch pulste der Stein in einem langsamen Takt, der tatsächlich an das Schlag eines Herzen gemahnte. Der Schatten, den sein Schein und die Flammen der Feuerschale auf die Wand der kleinen Kammer warfen, war um ein vielfaches größer als Tesh’ta selber. Und schien nicht der einer Peshten zu sein. Clas Schiermer unterdrückte ein Zusammenzucken und einen Fluch. In den wenigen verbliebenen Stunden bis zum Morgengrauen würde er BESTIMMT nicht gut schlafen…

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Die Nachricht, dass Kapitän Ahns Duellaufforderung tatsächlich die Genehmigung der Peshten bekommen hatte – natürlich nicht als Duell ausformuliert, sondern als Softwaretest zum gegenseitigen Nutzen beider Verbündeten – erreichte mich Minuten nach einem Patrouillenflug über planetarem Frontgebiet, den mein Vogel leicht gerupft überstanden hatte. Meine Sektion selbst hatte kaum etwas eingesteckt, weil die Laserabwehr hauptsächlich meine Maschine an der Spitze der Formation anvisiert hatte. Aber wie gesagt, marginale Schäden, da der Fokus eines Waffenlasers in einer Atmosphäre ab einer gewissen Distanz auf einem sich bewegenden Objekt so viele Irritationen zuließ, dass die reine Waffenenergie der Treffer bestenfalls ein Drittel der abgeschossenen Energie auf meine Falcon losgelassen hatte. Nur ein geringer Teil war durchgeschlagen, und das war auch noch der Schildbelastung durch die Atmosphäre geschuldet und nicht wirklich ein Problem. Jedenfalls würde Dodson keinen Trauermarsch wegen unerwarteter zusätzlicher Arbeit anstimmen. Und ich, ich freute mich auf meine zusätzliche Arbeit, um mich auf das Duell vorzubereiten, auch wenn dies bedeutete, dass ich in nächster Zeit erheblich weniger Freizeit haben würde.
Ich hatte also trotz meiner knapper und knapper werdenden Zeit – nicht, dass ich das nicht schon gewohnt war, seit Skunk die ganze Staffelarbeit auf mich abgeschoben hatte – relativ gute Laune, als ich meine Maschine als Letzter aufsetzte. Aber alle guten Dinge endeten einmal irgendwann, so auch dieser. Denn als meine Maschine ausrollte und in die Parknische gezogen wurde, erkannte ich Lilja in Dienstuniform, die mich und meinen Vogel fixierte, als wäre ich ein Akarii mit Afro-Perücke. Afro-Perücken, ob die wohl auf Akar ein Verkaufsschlager werden würden? Oder ob man die Akarii mit dem Abwurf von Afro-Perücken demoralisieren konnte? Vielleicht erreichte man das Gegenteil? Ich wusste, dass die Leibgarde des postantiken Herrschers Napoleon hohe Turmmützen aus Bärenfell getragen hatten. Nachdem er besiegt worden war, hatte einer der Könige, die ihn besiegt hatten, die Bärenfellmützen adoptiert und sie fortan seine eigene Leibgarde tragen lassen. Das war sogar bis in unsere Tage noch so. Ob die Akarii auch zu solchen Adaptionen neigten? Man musste sich das nur mal vorstellen: Ein Sturmangriff der Akarii, und alle Soldaten trugen Afro-Perücken. Was musste das für ein Schauspiel sein.

„Du hast garantiert keinen Grund zum Lachen, Cliff“, klang Liljas nüchterne Stimme auf und entriss mich der Gedankenwelt, in die ich mich geflohen hatte.
„Tanja. Was verschafft mir die Ehre deines Besuchs?“ Ich drückte einem der Techniker meinen Helm in die Hand und händigte ihm zusätzlich die Liste aus, die ich während des Flugs über den Zustand der Maschine geschrieben hatte. Das erleichterte die Reparaturen gewöhnlich erheblich. Aber im Anschluss würde ich mit dem Wartungschef meiner Staffel noch mal im Detail über meine Maschine sehen. Doch Lilja hatte andere Pläne. „Komm, geh duschen, zieh dich um, und das mal ein bisschen hurtig. Wir haben heute nur zwei Stunden als Zeitfenster. Morgen konnte ich dir drei Stunden freischaufeln, also sein dankbar.“
Verwirrt sah ich sie an. „Was, bitte?“
Die Russin tat etwas, das ich nicht erwartet hatte. Sie lächelte. Es war allerdings ein sehr gespenstisches Lächeln, und das nicht wegen ihrer Narben auf der rechten Gesichtshälfte. „Ich habe außerdem mit Dodson gesprochen. Für die nächste Zeit und eine Kiste Scotch übernimmt er die Nachsicht deiner Falcon und garantiert dir das gleiche Ergebnis, wie wenn du selbst mit rum gehst. Und mach dir um deine Staffel keine Sorgen. Ich habe auch mit Chip gesprochen. Er übernimmt den größten Teil deiner Arbeiten, die anfallen würden, wenn wir gemeinsam Freizeit haben. Und keine Sorge, für ein etwas größeres Versprechen habe ich Ina, nun, überzeugt, ihm zur Hand zu gehen, wobei ich meine, er müsste langsam dazu in der Lage sein, eine Staffel selbst zu führen, aber man weiß halt nie.“ Sie sah mich an, der sie entgeistert anstarrte, sah weg und sah mir in die Augen. „Hast du Tomaten auf den Ohren, Ace? Ab unter die Dusche! Wir haben nicht viel Zeit bis zur Geschwaderbesprechung, und das ist unser Limit!“
Ich merkte, dass mein Mund offen stand, also stieg ich die Leiter hinab, zog die Handschuhe ab und umfasste Lilja an den Schultern. „Tatjana, bitte beantworte mir eine Sache: Was wird das hier?“
Sie warf mir einen Blick zu, der deutlich: Ist das nicht total offensichtlich? sagte, und für sie ganz offensichtlich war sie fest davon überzeugt, dass die Geschichte selbst erklärend war. Ich hingegen spürte etwas mehr als Irritation, das ging schon langsam in Richtung Zorn. Ich war nahe dran, sie durchzuschütteln und anschließend ins Lazarett zu schleppen, um nachschauen zu lassen, ob ein Gehirntumor auf ihre wichtigsten kognitiven Zentren drückte. War sie nicht ohnehin ständig in Untersuchungen? Drohte sie durch die Medusa-Geschichte Krebs zu entwickeln? Ich hatte, kaum aus der Gefangenschaft befreit, die Zeit bekommen, meinen Krebs ein für allemal auszukurieren. Aber diese Arbeit würde sich Lilja wohl kaum machen. Ich bekam einen Moment Angst um sie, und dadurch zitterten meine Hände.
Sie bemerkte das. Ihr Blick wurde ärgerlich. „Ich möchte an dieser Stelle kurz sagen, dass ich deine Idee von einem Duell mit diesem Galle nicht gut finde, ich denke sogar, sie ist reichlich dämlich! Aber ich weiß es zu schätzen, dass du dir um Kano und mich Sorgen gemacht hast, ob du es glaubst oder nicht. Ich meine, immerhin sind wir Freunde. Was dich und Kano verbindet, außer Miss Sonnenschein, das weiß ich freilich nicht.“
Fassungslos starrte ich sie an. Hatte... hatte sie auch eine... eine irgendwie SÜßE Seite? Wieder bebten meine Hände, aber diesmal, weil ich ein Auflachen unterdrückte.

Wütend sah sie mich wieder an. „Hör auf zu lachen, Ace Davis! Ich muss das hier nicht tun, aber immerhin denkt meine Mutter jetzt, ich hätte dich adoptiert und wir würden aufeinander ständig Acht geben, so oft wie sie mich über dich ausfragt. Also ist es ja nur natürlich, dass, wenn du wegen mir ein dämliches Duell mit Dalin Galle anfängst, dass ich dir dann als Erfahrenere zur Hand gehe und dich vorbereite. Immerhin bin ich dienstälter auf der Falcon und habe meinen halben Streifen auch schon sehr viel länger als du.“
„Dalan Galit“, korrigierte ich sie.
„Wie auch immer. Jedenfalls will ich nicht sehen, dass du verlierst und damit das ganze Geschwader schlecht aussehen lässt. Deshalb habe ich dafür gesorgt, dass wir jeden Tag bis zum Duell überschneidende Freizeit haben und diese nutzen, damit ich dir am Tisch und im Sim mehr über die Falcon beibringe. Also sei gefälligst dankbar, Cliff!“, sagte sie laut und zornig und mit einem Blick, den ich nicht wirklich definieren konnte. Wollte sie... gelobt werden? Gewiss, unsere Termine als Staffelchefs abzustimmen, gerade bei der Grünen und meiner Blauen, war ein enormer Arbeitsaufwand, vor allem auch, weil wir die beiden Falcon-Staffeln an Bord hatten und daher rollierend eingesetzt wurde. Da noch freie Zeit und eventuell Zeit in den Simulatoren zu finden oder freizumachen musste eine mörderische Arbeit gewesen sein.
„Äh, aus genau dem Grund wollte ich mit einer Nighthawk antreten. Die fliege ich ja schon über zwei Jahre, und...“
Der Blick, den sie mir diesmal zuwarf, hätte einen schwächeren Mann als mich zu einem wimmernden Häufchen Elend zusammensinken lassen, dass sie, wie ein Kleinkind Rotz und Wasser heulend, um Verzeihung angebettelt hätte. Aber ich war sie schon wie viele Jahre gewohnt? Genügend.
Als ihr dämmerte, dass ihr schlimmster Blick nicht die erhoffte Wirkung zeigte, hob sie ihre Hände, wischte die meinen von ihren Schultern, griff mir in den Kragen und zog mich so dicht zu sich heran, dass sich fast unsere Nasen berührten. Ich war nur einen Fingerbreit davon entfernt, sie zu küssen, und das machte mich immer noch viel zu nervös, seit ich wusste, dass es ihr Bruder gewesen war, den ich sie auf Seafort hatte küssen sehen. „Clifford Trumanowitsch Davis, du bist verdammter Staffelkapitän einer Falcon-Staffel, und deshalb wirst du gegen Galle in einer verdammten Falcon antreten! Hast du mich verstanden, Clifford Trumanowitsch?“
„D-deine Nähe verwirrt mich“, stammelte ich.
Überrascht ließ sie mich los. Dann warf sie die Arme hoch und rief: „Nicht das schon wieder! Wird dieses „Ich liebe Lilja“-Gerede nicht langsam alt?“
Ihre Worte hallten durch den Hangar, und ich spürte, wie ich rot wurde. Nicht knallrot aber rot genug. Sie griff nach meiner Rechten, wandte sich um und zog mich hinter sich her. „Du wirst jetzt duschen, Cliff. Dann ziehst du deine Dienstuniform an und gehst mit mir in Besprechungsraum eins, den kleinen. Duschen, Cliff. Wichtig. Ich will nicht zwei Stunden in deinem Mief sitzen, verstanden? Dort schule ich dich in einigen theoretischen Belangen der Manöver, die wir zusammen üben werden. Du hast doch Manöver geplant, und nicht irgend so einen Blödsinn wie eine volle Breitseite in einer dir genehmen Simulationsumwelt, um einen schnellen Sieg zu erringen?“
Nun brannten meine Wangen. Verdammt, wie gut kannte diese Frau mich eigentlich?
„Anschließend haben wir noch Zeit für einen Snack in der Kantine, bevor wir zur Geschwaderbesprechung müssen. Da können wir noch mal ein Resümee ziehen. Morgen die drei Stunden sind wir dann im Simulator. Fragen?“

Ich war mir bewusst, dass der ganze Hangar uns anstarrte. Hatten sich nicht sogar zwei MP vorsichtig in unsere Richtung bewegt gehabt, als sie mich am Kragen gepackt hatte, um eingreifen zu können? Zwei tapfere Soldaten. Sehr, sehr tapfere Soldaten. Und hatte nicht jeder, von den drei Piloten meiner Staffel bis zum Flightmaster und der die Flugdeckcrew jeder mitgekriegt, was Lilja über mich gesagt hatte? Und dann wieder einmal ihre übliche Arroganz, mit der sie davon ausging, dass es ohne sie nicht ging... Gut, so unrichtig war das nicht, aber die ganze Zeit, die sie opferte, um mir was beizubringen, würde... Würde wie ein Date sein. Heute, morgen, den Tag darauf, den danach, den nach danach, und, und, und. Wir würden Zeit verbringen und miteinander essen. Sie würde das tun, was sie am liebsten machte, nämlich über das reden, was sie wirklich gut konnte, und ich würde bis auf einige wenige Rückfragen hauptsächlich zuhören. Und hatte sie mich nicht einen Freund genannt? Mehr und mehr war ich dankbar für diese Gelegenheit. Die ganze Woche Dates mit Lilja. Nun, zumindest war dies etwas, was einem Date mit ihr so nahe wie möglich kam. Zumindest so möglich, wie es mir war. Freilich nur, bis sie davon Wind bekam.
„Keine Fragen, Tatjana. Und... danke, dass du dir die Zeit nimmst, obwohl du selbst so viel um die Ohren hast.“
Kurz sah sie zu mir zurück, während sie mich durch den Flur zu den Umkleideräumen zerrte. Da war ein wenig Misstrauen in ihrem Blick, so als würde sie dem Braten nicht trauen und von mir wesentlich mehr Widerstand erwarten. Aber der Moment währte nur kurz, dann gurrte sie ein gutturales Wort in ihrer Heimatsprache, das wie wohlmeinende Zustimmung klang. Dann öffnete sie mit der Linken das Schott zum Umkleideraum der Männer und ließ meinen Ärmel los. „Du hast zehn Minuten. Die ganze Erklärerei geht von unserer kostbaren Zeit ab, Cliff. Du verstehst?“
Natürlich verstand ich. Und als ich an ihr vorbei in die Duschräume ging, versprach ich mir selbst, nur sieben zu brauchen.
***
Wie ich erwartet hatte, war es keine angenehme Sache, normalen Dienst zu schieben und sich auf ein Duell vorzubereiten. Der Druck war natürlich schnell grotesk enorm, das Wort „verlieren“ wurde nur in den Mund genommen, wenn mich jemand verspotten wollte. „Gewinnen“ war wie ein Zwang, eine Pflicht. Die Peshten waren mit ihren militärischen Informationen nicht gerade freigiebig, weil es vor allem die TSN gewesen war, die ihre „Karten nicht zu früh aufdecken“ wollte und deshalb mit eigenen Informationen spartanisch bis hin zur Selbstzerstörung gegeizt hatte, denn man wusste ja nie, was mit den Informationen passierte, die man den Peshten gab. Das hatten die Peshten dann natürlich auch so gehalten, obwohl eigentlich sicher war, dass der gemeinsame Feind der gemeinsame Feind bleiben würde, und deshalb wussten wir recht wenig über einzelne Parameter ihrer Kampfschiffe und Flieger. In meinem Fall ging es um die Hornet und im Speziellen um Lieutenant Commander Dalan Galit, einem Söldner, der aus dem T'rr-Raum geflohen und danach in die Dienste der Peshten eingetreten war. Deshalb hatte ich so ziemlich jeden Gefallen eingefordert, den mir irgendjemand in der Flotte schuldete, Lilja hatten ihren Bruder und seine Verbindungen benutzt, um an belastbares Material über die Hornet und Galat im Besonderen heranzukommen, und nach und nach war ein kleiner Schatz entstanden, den ich unter anderem Commander Decker hatte übergeben können, den er trotz seiner regulären Arbeit mit seinem Team auseinandernahm und uns wieder aufbereitet zur Verfügung stellte. Und natürlich arbeitete er an einem Dossier über Hornet und Pilot, was seinen Ruf festigen würde, einer der Gründe, warum er nicht nur alleine, sondern mit seinem Team über den Daten brütete. Ein anderer war, dass ich ihm nun tatsächlich einen handfesten Gefallen schuldete für jede dieser Videodateien, die er uns zur Verfügung stellte.
Somit bestand ein Teil meiner Vorbereitung darin, mir diese Daten meist in Form von Videos anzuschauen. Mit Lilja.

„Siehst du? Siehst du das?“, fragte sie, und klopfte mir dabei mit ihrer rechten Hand gegen den linken Oberarm. „Die Hornet geht in den Slide. Und dies unter nicht gerade perfekten Bedingungen in der oberen Mesopause. Der Stress auf die Schirme ist enorm, und seien wir ehrlich, der vierflüglige Aufbau hat da nichts verloren. Aber er nutzt die leichte Beharrung zu seinem Vorteil, richtig?“ Sie beugte sich ein Stück vor, um die eingespielten Daten zu betrachten, die Galit im Dogfight mit einem Akarii-Reaper zeigte. „Bei zanzigtausend Stundenkilometer. Ohne Schilde hätte die Hornet erhebliche Probleme bekommen.“ Sie kicherte amüsiert, als der Reaper getroffen und brennend dem Planeten entgegentaumelte. „So hat es nur den Kaiserlichen erwischt.“
Ich hüstelte ein wenig verlegen, da ich nicht nur ein Auge auf die kleine Leinwand des Besprechungsraum hatte, sondern auch... Nun. Wir kamen frisch aus dem Sim, hatten dort geschwitzt und anschließend geduscht. Wir trugen, aufgeheizt vom Duschwasser, beide nur unsere Shirts, und ich war mir ziemlich sicher, dass Lilja keinen BH trug. Eigentlich musste ich nur, wenn ich mich etwas vorbeugte, nur ein wenig zur Seite neigen, und...
„Hast du das gesehen?“, fragte sie unvermittelt, mit ihrer Nasenspitze nur einen Zentimeter von meiner entfernt.
Ich schrak zurück. „Ich habe gar nichts gesehen!“, beteuerte ich.
Lilja legte die Stirn in Falten. Das konnte für jemanden, der ihre Narben nicht gewohnt war, schon gespenstisch aussehen. „Jetzt sag nicht, du hast geschlafen.“
„Nein, nein, das Manöver habe ich gesehen. Ich bin sicher, Decker hat sich echt Mühe gegeben, das Material für mich aufzubereiten.“
„Decker ist wohl dein neuer bester Freund“, murmelte sie ein wenig knurrig. Der Waffenspezialist war nicht beliebt an Bord, weil er arrogant, intelligent und auch noch gut in seinem Job war. Aber man konnte gut mit ihm auskommen, wenn man ihn zu nehmen wusste. Wenn man es schaffte, durch seine diversen Schutzschilde zu brechen, was mir eher aus Zufall gelungen war. Genau wie bei ihr, bei Lilja. Irgendwann im letzten Jahr, irgendwann während der Medusa-Geschichte musste ich durch ihre Schilde gebrochen sein, um auf ihrer guten Seite zu landen. Ein Ort, den ich einige Zeit in meinem Leben nie hatte sehen wollen. Das hatte sich erst mit meiner Zeit im Camp Hellmountain geändert, als ich gegenüber Akarii... weniger neutral geworden war, um es mal vorsichtiger auszudrücken. Es gab jetzt einen Score, und ich hatte vor, ihn auszugleichen. Wenngleich ich nicht vorhatte, diesen ganz speziellen Hass anders zu betreiben als all die Jahre zuvor meine Pflicht.
„Man kann mit ihm auskommen. Und er ist ohne Zweifel intelligent und kompetent.“
„Und er sieht gut aus.“
„Und er sieht gu... Tanja!“
Sie griente mich an. „Nur ein Witz. Wenn ausgerechnet du schwul wärst, wüsste das schon der ganze Träger. Eins neunzig große Blauhaarmänner fallen auch in dunklen Ecken auf.“
Ich verzog meine Miene skeptisch. In solchen dunklen Ecken hatte ich nach Radios Tod auf der alten REDEMPTION meinen heiklen Teil des Schwarzhandels erledigt, den ich auf dem Schiff betrieben hatte. Ein dämliches Erbe, aber manche Dinge brauchte ein Soldat nun mal, die er legal nicht bekommen konnte, und darunter waren ein paar ziemlich starke Neuroblocker gewesen, die ich für Lilja besorgt und in besagter dunkler Ecke mehr als einmal übergeben hatte. Und einige Painkiller, die so für die Flotte nicht zugelassen waren.
„Manchmal übersieht man sie auch“, stellte ich fest. „Jedenfalls habe ich das Flugmanöver gesehen. Aber ich habe nicht in deinen Ausschnitt geschaut.“

Verblüfft sah sie mich an. „In meinen Ausschnitt?“ Sie nahm den Kopf ein kleines Stück zurück, dann griff sie sich mit beiden Händen an ihren Busen. „Du meinst damit die Zwillinge?“ Ich sah es ihr an, am liebsten hätte sie losgeprustet. „Ach, komm, Ace, niemand in der Flotte will ausgerechnet die sehen. Nicht von Lilja, der Eisprinzessin mit dem Narbengesicht. Ha, meinetwegen könnten die ruhig alle betrachten. Meinetwegen könnten wir Unisexduschen und Unisex-Umkleideräume einführen, damit alle genug gucken können. Würde vielleicht einige Spannungen abbauen. Aber keiner würde freiwillig nachgucken, was denn Oma Pawlischenko so zu bieten hat.“
Ich zuckte die Achseln. „Das Video ist durch. Lass uns essen gehen.“
Auf einmal war sie ganz nahe vor meinem Gesicht und grinste von einem Ohr bis zum anderen. „Willst du sie sehen?“
Erschrocken sah ich sie an. „Was?“
Sie nestelte an ihrem Shirt, das in der Bundhose steckte und zog am Stoff. „Ich habe dich gefragt, ob du die Zwillinge sehen willst. Okay, es sind ein paar Narben seit Jollahran drauf. Nicht dass ich davon nicht schon vorher genug gehabt hätte. Nicht, dass ich eine attraktive Frau wäre. Nicht, dass ich eine Frau wäre, aber...“
Für einen Moment war ich ehrlich erschrocken. Dann aber erinnerte ich mich daran, dass Russen ihre Geschwister küssten, und ich wusste über Lilja Jugend wenig genug, um zu wissen, ob sie zur vielgepriesenen „Generation nackt“ gehörte, die auf Terra an den Stränden des Schwarzen Meeres Freikörperkultur betrieb. Oder aber das war ein Witz von ihr, ihre Form von Schalk, denn seit wann scherte Lilja Sexualität und dergleichen? Ich erhob mich. „Danke, nein, mein russischer Engel. Wenn du sie auspackst, will ich sie nur anfassen, und das würde selbst dir als Russin zu weit gehen.“
Ich reichte ihr die Hand, um ihr beim Aufstehen zu helfen.
Sie griff zu und ließ sich hochziehen. „Danke. Man wird nicht jünger.“
„Danke ist eigentlich mein Text, Frau Lehrerin.“
Sie grinste schief. „Siehst du. Ich sagte doch, die Zwillinge will keiner sehen.“
„Wie auch immer. Lass uns essen.“
„Und dabei gehen wir noch mal die Leistungsdaten der Hornet durch.“
„Natürlich tun wir das.“ Ich ging voran, hielt ihr die Tür auf, und die zwei Sekunden, die ich stehenbleiben konnte und sie im Gang verschwand, nutzte ich, um meinen Kragen zu lüften. Ich musste verdammt, verdammt aufpassen, dass Lilja nicht merkte, dass ich unsere gemeinsame Zeit nicht nur zu schätzen wusste, sondern sogar weit mehr genoss, als ich eigentlich durfte.
„Noch vier Tage musst du dich anstrengen, Captain Blauhaar“, klang ihre spöttische Stimme im Gang auf. „Verschwende die Zeit nicht.“
Ich trat ebenfalls auf den Gang hinaus und schloss die Tür zum Besprechungsraum der Blauen Staffel hinter mir. Sie trug wirklich keinen BH.
***
Beim Essen, das, wäre es nach mir gegangen, ein Filet Mignon in einem Separee mit Kerzenschein und einem guten Arlington Blackwater Nero beinhaltet hätte, studierten wir beide die Akten, die wir bisher über die Hornet und ihre Möglichkeiten und über Lieutenant Commander Galits Fähigkeiten in dieser Maschine zusammengestellt hatten. Ich las ihre Akte, sie las meine. Wir hatten beide das gleiche Dossier, aber wir hatten mit dem Lux-Stift Anmerkungen gemacht, die wir nun verglichen. Nebenbei aßen wir unser Mittagessen, ziemlich europäische Filetstreifen auf Reis in Wildpilzsauße, bei Frau Russland ergänzt durch ein paar russische Teigtaschen. Dazu tranken wir nichtalkoholische Getränke mit hohem Kaloriengehalt, die gute alte Berlin Cola. Wenn es etwas in der Flotte genug gab, dann waren das Fleisch und Berlin Cola, zumindest behauptete das der Grabenfunk.
Also, wir steckten uns ab und an eine Gabel mit Essen in den Mund, tranken einen oder zwei Schlucke aus den bauchigen zwanzig Unzen-Gläsern, wunderten uns ab und zu, dass uns alles von der Gabel gefallen war, dann kicherten wir und schauten beim nächsten Bissen wenigstens hin, und lasen die Anmerkungen des Anderen durch. Und Lilja hatte viele Anmerkungen.
Ich verschluckte mich fast, als ich eine dieser Anmerkungen sah. Neben der Zahl von Galits bestätigten Abschüssen hatte Lilja zwei ineinander verschlungene Ringe gezeichnet. Okay, Dalan Galit war vermutlich eines ihrer Besten mit dreiundzwanzig bestätigten Abschüssen, einundvierzig Assists und fünf Assists auf Kriegsschiffe, die die Peshten abgeschossen hatten, und so eine Zahl beeindruckte auch Lilja. Aber...
„Ist was?“, fragte sie.
Ich zeigte ihr die Seite. „Du hast da Ringe hingemalt.“
„Und?“
Das machte mich für einen Moment sprachlos. „Wie, und?“
„Das war Ina. Sie hat den Killscore gesehen und gemeint, dass das doch ein Mann wäre, den ich mit Kusshand heiraten würde.“ Sie schüttelte wie eine Grundschullehrerin den Kopf, die vor ihrer Rasselbande kapitulierte. „Ina ist ja manchmal noch so ein Kind. Natürlich bräuchte er erst das Flying Cross in Silber, damit ich mich für ihn interessiere.“
„Ach so“, machte ich, absichtlich nicht über ihren Witz lachend, und legte die Akte wieder auf den Tisch. Vielleicht war das gar nicht so kindisch von Imp gewesen. Vielleicht wusste sie, dass ich Liljas Exemplar lesen würde, so wie sie gerade meines las. Vielleicht hatte sie gewollt, dass ich die Ringe sehe. Vielleicht... Okay, das führte zu weit. Frau Richter und ich waren bestimmt nicht das, was man Freunde nannte. Und sie war es gewesen, die Lilja am meisten getriezt hatte, als ich sie als Ergebnis einer gewonnenen Wette auf der guten alten RED zum Essen ausgeführt hatte. Was mir damals peinlicher als der Russin gewesen war. Dachte ich.
Lilja begann leise zu kichern. Und das lag nur teilweise an der Pelmeni, die ihr von der Gabel gefallen war. Sie sah zu mir herüber, und dabei lächelte sie. „Weißt du, was mir gerade eingefallen ist? Ina fragt mich jedes mal, wenn wir uns sehen, wie denn mein aktuelles Date mit dir gelaufen ist. Und ich erkläre ihr dann jedes mal, dass wir beide hart arbeiten, und dass das nichts mit einem Date zu tun hat.“
„Oh“, machte ich. Es sah ganz so aus, als sollte ich mir mal Fräulein Richter vornehmen, bevor sie mir die letzten vier Tage Training mit Lilja versaute. Und das meinte ich nicht nur wegen der Flugvorbereitungen. „Natürlich arbeiten wir hart“, rutschte es mir raus, „aber ich müsste lügen, würde ich sagen, dass es mir keinen Spaß machen würde. Wir sind ein gutes Team, Frau Lehrerin.“
„Was denn? Erwartest du jetzt ein Lob von mir?“, fragte sie amüsiert. „Na gut, aber nur eines. Weil du doch ein ganz gelehriger Schüler bist, Captain Blauhaar.“ Sie erhob sich leicht vom Stuhl, beugte sich zu mir herüber und küsste mich. „So in Ordnung?“
„Ich beginne, es zu mögen, auf deiner guten Seite zu sein.“
Sie lachte hell auf, wie über einen wirklich, wirklich guten Witz. „Das sage ich dir doch schon seit Jahren.“ Sie kicherte leise und sagte dann: „Erinnert mich an diesen altterranischen Klassiker, den ich neulich mit Ina gesehen habe. Da versucht ein dunkler Lord, seinen Sohn für seine Seite zu verführen... Ist das bei uns nicht ebenso?“ Sie räusperte sich und sagte dann mit ihrer dunkelsten Stimme: „Komm auf die gute Seite von Tanja, Cliff Davis.“
Ich prustete auf, wenn auch nur für einen Moment. Wirklich, ich mochte unsere Zusammenarbeit. Und ich mochte sie eindeutig zu sehr... Sie zeigte mir eine Lilja, die ich so erst kennengelernt hatte, als wir uns im Zuge der Medusa-Mission in meiner Kabine betrunken und zwanglos geredet hatten. Ach, hätten wir in unserer freien Zeit nur belanglosen Sex gehabt, anstatt uns kennenzulernen...

Als ihre Gabel auf den Teller fiel, ging mir das durchs Mark. „Moment mal, Ace, erzähl mir nicht, dass... Ich meine, wir arbeiten viel zu viel, als dass das irgendjemand als Date durchgehen lassen würde. Aber du wirst doch nicht... Du siehst das doch nicht etwa als Date an? Mit mir?“
Ich fühlte mich ertappt, aber auch wieder nicht. „Was ist falsch daran, dass ich dabei Spaß habe? Ich lerne eine Menge, und du bist beileibe kein unangenehmer Mensch. Vor allem, wenn man dich näher kennt. Und wenn man kein Akarii ist, natürlich.“
„Sehr witzig, Ace. Beides. Du nimmst also unsere Arbeitsessen nach dem Training als was? Als Dating-Ersatz? Dann sind das aber ziemlich erbärmliche Dates, lass dir das mal gesagt sein. Ich habe gehört, du hast Huntress Zwo in Sterntor ausgeführt und bist mit ihr in ein Drei Sterne-Restaurant gegangen. Aber dafür bin ich vielleicht zu bauerntrampelig.“
„Ich sehe sie nicht als Dating-Ersatz. Ich mag es nur, mit dir Zeit zu verbringen, und ich habe Spaß dabei“, erwiderte ich.
„Du magst es nur, mit mir Zeit zu verbringen. Bist du jetzt der Psycho, oder immer noch ich?“, fragte sie trocken.
Ich schwieg sie an. Was hätte ich auch darauf erwidern sollen?

Sie nahm ihre Gabel wieder auf und stocherte in den Teigtaschen herum. Schließlich sah sie mich an. „Ich muss das mal klarstellen, Clifford. Du weißt, ich schätze dich. Du weißt, ich mag dich sogar. In einem gewissen Rahmen. Du hast mir geholfen, ich habe dir geholfen, wir sind Veteranen der RED, und wir passen aufeinander auf. Wir waren zusammen in... diesem Einsatz. Wir haben viel zusammen erlebt. Du bist ein... Okay. Du bist ein Freund. Nicht mein bester, nicht mein innigster, aber ein Freund. Was ich nicht gebrauchen kann, das ist ein fester Freund. Jemand, der mich Zeit kostet, der von mir fordert, in den ich investieren muss. Auch wenn dieser Jemand so nett ist, über meine Narben hinweg zu sehen, ich führe hier einen Krieg. Und in diesem Krieg töte ich Akarii. So viele, wie ich kann. Da gehen unsere Meinungen schon auseinander, oder?Und das, obwohl du in diesem Höllenberg gesessen hast, und nicht ich, und du das Gespenst geworden bist, und nicht ich. Zumindest deinen neuen rechter Arm muss es doch jucken, Akarii zu töten... Jedenfalls will ich mich nicht verändern und ich will mich nicht angleichen. Du sollst auch nicht meinen Standpunkt übernehmen, jedenfalls nicht ganz. Das war früher mal so, als ich noch dachte, ich allein wäre im Besitz der Wahrheit, oder diese Narben würden mir Sonderrechte geben.“ Sie strich mit der Rechten über das Geflecht der Linien auf ihrem Gesicht. „Aber ich werde mehr und ich wachse. Du hast mir dabei geholfen, und ich will dir jetzt helfen... weil wir Freunde sind. Aber ich werde nicht... Ich kann nicht zulassen, dass mich irgendetwas oder irgendjemand ablenkt.“ Sie sah mich an, sah in meine Augen. „Akzeptiere das, und wir bleiben Freunde. Akzeptiere es nicht, und wir werden wieder Feinde.“
Ich spürte viele Gefühle in mir aufsteigen. „Ich habe unsere Sitzungen nicht als Dates missbraucht“, sagte ich trotzig.
„Willst du mich daten?“, fragte sie geradeheraus.
Daten, das bedeutete mehr als Freunde zu sein. Das bedeutete, einiges übereinander heraus zu finden und zu schauen, ob es passte. „Ja.“
„Nicht in diesem Leben, Captain Blauhaar.“ Sie erhob sich, nahm mir ihre Akte ab und gab mir meine zurück, nahm ihr Tablett mit dem Teller und der Cola in die Hand. „Vielleicht nach dem Krieg. Ich weiß es nicht. Falls ich so lange lebe.“ Sie wandte sich ab, ging zum nächsten Trolly und stellte ihr Geschirr ein. Dann sah sie noch einmal herüber, grinste schief und sagte: „Aber da ich jetzt berühmt und begehrt bin und wegen der Fernsehserie hundertfache Fanmail erhalte, wirst du wohl eine Nummer ziehen und darauf warten müssen, an die Reihe zu kommen, Cliff.“
„Vielleicht werde ich das tun“, antwortete ich eine Spur zu ernst.
Sie zögerte einen winzigen Moment, das Grinsen verschwand, und dann seufzte sie lang und tief. „Vergiss unseren Termin morgen um eins vierhundert nicht. Wir wollen im Sim noch mal durch das Asteroidenfeld, oder nicht?“
„Das werde ich nicht“, versprach ich. Das entlockte ihr ein sehr kurzes, feines Lächeln. Dann wandte sie sich um und ging.
Ich blickte ihr nur nach. In mir stritten die Gefühle. Aber ich wusste, dass ich morgen um vierzehn Uhr Bordzeit am Sim stehen und auf sie warten würde.

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„Die Zukunft vorhersagen zu wollen, ist wie der Blick in einen blinden Spiegel.“
Der antike Akarii-General Gorlan Rikata


Zentralsystem des Akarii-Imperiums

Das Schiff wechselte in den Normalraum. Die Energiesignatur, die es dabei hinterließ, war für seine Größe erstaunlich unspektakulär. Selbst einige Shuttles waren leichter zu orten. Aber das war Absicht. Die XAN war kein gewöhnliches Schiff, nicht mal ein ‚normales‘ Kurierschiffe. Tatsächlich waren bei ihrem Umbau die modernsten Tarntechnologien des Imperiums zum Einsatz gekommen. Ursprünglich dazu gedacht, Kommandoeinheiten, Spione, Spähsatelliten oder gegebenenfalls Minen in feindliches Territorium zu bringen, hatte die XAN in den letzten Jahren unter anderem auch die Aufgabe übernommen, den Kontakt mit zeitweilig vom Restimperium abgeschnittenen Gebieten aufrecht zu erhalten und besonders sensible oder wertvolle Frachtgüter zu transportieren. Eine ebenso wichtige wie riskante Aufgabe, die keinen Fehler zuließ.
So auch in diesem Fall, obwohl die Meinungen über den ‚Wert‘ der aktuellen Ladung auseinandergehen mochten.

„Die Verteidigungsstation meldet sich. Wir haben Freigabe, Captain.“
Ord Okami, der Kommandant des Kurierschiffes winkte bestätigend, doch statt einen Befehl zu geben, wandte er sich leicht zu der schlanken Gestalt um, die neben seinem Sitz stand – und ablehnend mit dem Kopf schüttelte. Der Captain hätte am liebsten mit den Zähnen geknirscht, riss sich aber zusammen: „Kurs fortsetzen. Und wir bleiben in Gefechtsbereitschaft.“
„Ich werde den Admiral informieren. SIE informieren mich, wenn irgendetwas Ungewöhnliches geschieht. IRGENDETWAS.“
„Natürlich, Captain Los.“
Die ebenso hinreißend attraktive wie im Augenblick absolut nervtötend autoritär auftretende Offizierin salutierte – der Captain der XAN war sich nicht ganz sicher, ob kollegial oder ironisch – und verließ die kleine Brücke.
Die Sensoroffizierin, die eben die Freigabecodes durchgegeben und die Bestätigung weitergeleitet hatte, wartete, bis sich Brückenschott hinter Captain Los schloss. Dann wartete sie noch ein paar Augenblicke. Und dann: „Ich verstehe nicht, warum Sie sich das von diesem arroganten Miststück gefallen lassen. Sie ist auch nur ein Captain – und SIE befehligen dieses Schiff.“
„Vielleicht, weil sie nur einen Komruf von einem Admiral entfernt ist, den einige schon als den zukünftigen Vors Jilat sehen?“

Vors Jilat war ein legendärer General aus der Zeit des Ersten Imperiums, der während der ‚Zwölf Jahre ohne Kaiser’ die letzten Überlebenden der rechtmäßigen Dynastie beschützt und nach deren Sieg zum zweiten Mann im Imperium aufgestiegen war.

„Glauben Sie, die beiden…“
„Spielt das eine Rolle?“ Captain Okami wandte sich zu dem Waffenoffizier um: „Sie haben es gehört. Volle Gefechtsbereitschaft, bis Gegenbefehl kommt.“
„Will uns Los einfach nur auf Trab halten – oder…“
„Darüber sollten Sie sich lieber nicht den Kopf zerbrechen.“ beantwortete der Kapitän die unvollendete Frage. Auch wenn er wusste, dass das ein vergeblicher Ratschlag war. Jeder, der auch nur bruchstückhaft über die Vorgänge am kaiserlichen Hof informiert war – oder über die Rolle, die der an Bord der XAN reisende Admiral bei einigen Ereignissen der jüngsten Vergangenheit gehabt hatte – wusste, dass sie in gefährlichen Gewässern segelten. Und zwar nicht nur, weil sie sich auf ihrer Mission zweimal durch ein Gebiet hatten schleichen müssen, das noch vor kurzem vom Gegner kotrolliert wurde und das auch jetzt noch BESTENFALLS Niemandsland war. Addierte man dann noch dazu, welche Rolle der Admiral eventuell noch in der Zukunft spielen KONNTE…
Dann konnten sie vermutlich dankbar sein, dass die Kampfstation am Sprungpunkt sie kommentarlos durchgewinkt hatte und sie auch nicht von ein oder zwei Kreuzern abgefangen und warnungslos zusammengeschossen worden waren. Was natürlich immer noch passieren konnte. ‚Ich werde den Göttern danken, wenn der Admiral, das arrogante Miststück in seinem Schlepptau und ihre gesamte Bagage endlich von Bord ist.‘ Aber das sagte Okami natürlich nicht laut. Persönlich würde er allerdings vermutlich lieber hinter die feindlichen Linien fliegen, um eine Kommandoeinheit der Cha’kal…
Okami führte diesen Gedanken lieber nicht zu Ende. An die Cha’kal auch nur zu DENKEN, reichte angeblich aus, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Er selber hatte erst einmal eine Handvoll…Passagiere transportiert, bei denen es sich VIELLEICHT um Cha’kal gehandelt hatte. Und obwohl sie ziemlich pflegeleichte Gäste gewesen waren – sie hatten kein einziges Mal ihre Quartiere verlassen – hatte ihre bloße Anwesenheit gereicht, um einigen Besatzungsmitgliedern Albträume zu bescheren…

Captain Thera Los fand Admiral Taran in einem der kleinen Besprechungsräume der XAN, die mit Sensorflächen ausgestattet waren, mit denen man Hüllenfenster simulieren konnte, wie sie bei größeren Schiffen tatsächlich immer noch häufig eingebaut wurden. Er war nicht alleine. Vor der Tür standen zwei Marineinfanteristen und in dem Raum…
‚Schon wieder diese Menschling-Frau.‘

Wäre Theras Los Beziehung zu Admiral Taran eine andere gewesen und hätte sie ihn nicht so gut gekannt, vielleicht hätte sie tatsächlich so etwas wie Misstrauen verspürt oder sich einige der eher abwegigen Theorien angehört, die hier und da von einigen Mitgliedern der Mannschaft scherzhaft gesponnen wurden.
Aber Mokas Taran empfand gegenüber der ehemaligen Geschwaderkommandeurin Samatha ‚Raven‘ Burr ganz bestimmt keine wie auch immer geartete Zuneigung. Auch keine Bewunderung oder Vertrauen. Deshalb war sie auch nicht – im Gegensatz zu Los – in den ‚Genuss‘ von Tarans gelegentlichen historisch-philosophischen Reflektionen gekommen. Nein, der Admiral empfand Burr gegenüber eher einen wiederwilligen, mit Vorsicht getränkten Respekt, wie er ihn auch anderen hartnäckigen Gegnern wie beispielsweise den aufrührerischen T’rr gegenüber zeigte.
Taran wusste auch um seine eigenen Schwächen. Und – wie bei vielen seiner Kollegen – die immer noch unbefriedigende Kenntnis des Feindes gehörte zu diesen Schwächen. Zumal Taran bei dem Angriff auf das Parrak-System zum ersten Mal überhaupt den Terranern direkt gegenübergestanden und ein hohes Lehrgeld bezahlt hatte. Commander Burr hatte damals eine wichtige Rolle bei dem Verlust eines der eigentlich unersetzlichen Flottenträger gespielt. Ihre Kampfflieger hatten die CHA’KAL so schwer beschädigt, dass sie eine leichte Beute für die terranischen Kriegsschiffe geworden war. Taran hatte diesen Verlust und den Tod von Kapitän Lukat nicht vergessen. Und er wusste, dass er noch viel von seinem Gegner lernen konnte, um den erlittenen Schaden eines Tages mit Zinsen zurückzuzahlen. Was der Hauptgrund dafür war, dass er den an Bord der XAN befindlichen Top-Gefangenen so viel Aufmerksamkeit widmete. ‚Dass – oder er will schon mal vorsorgen, falls er ins Exil gehen muss.‘ dachte Los sarkastisch. Das war natürlich ein Witz. Auch wenn Taran eine sehr eigene Definition von Loyalität hatte – immerhin hatte er zu den Verschwörern gehört, die Prinz Jor hatten entmachten wollen, falls seine Pläne nicht noch sehr viel weiter gegangen waren. Aber seine Treue galt dem Imperium, der Flotte und seiner Familie – in dieser Reihenfolge? – auch wenn das bedeutete, dass er Dinge tun musste, die andere als Hochverrat bezeichnen mochten. ‚Aber da befindet er sich vermutlich in guter Gesellschaft.‘ Immerhin war die erfolglose Offiziersfronde jedenfalls nicht an einem Mangel an Mitgliedern gescheitert…

Allerdings machte sich Samantha Burr offenbar ebenfalls keine Illusionen. Sie war keine einfache Informationsquelle und gab gerne Konter. Was Taran aber nicht entmutigte, da er der Meinung war, auch dabei immer noch etwas lernen zu können. Deshalb klang er jetzt auch eher sarkastisch als genervt: „Machen Sie sich keine Illusionen. Die einzigen Menschen, die diesen Anblick je genießen werden, sind Gefangene wie Sie. Und Unterhändler…vielleicht.“
„Sie sind ja immer noch sehr siegessicher.“
„Die TSN hat in letzter Zeit nicht eben mit Siegen geglänzt. Nicht mal gegen ihre ehemaligen Verbündeten.“
Damit hatte Taran einen Treffer gelandet. NATÜRLICH hatte er es sich nicht nehmen lassen, den höherrangigen TSN-Offizieren an Bord ausgewählte Einzelheiten über die jüngste konföderierte Militäraktion gegen deren ehemaligen Waffengefährten zu verraten. Die Reaktionen – nach dem anfänglichen Unglauben und Leugnen einer derartigen Wahnsinnstat – waren sehr…farbig gewesen. Aber Burr war hart im Nehmen. Sie fasste sich rasch: „Und was jetzt?“
„Sie und Ihre Kameraden kommen in ein VIP-Kriegsgefangenlager auf einem der Monde von Kara’ra’Karrg. Eine ehemalige Minenkolonie.“

Kara’ra’Karrg war einer der Gasriesen des Akar-Systems, benannt nach der ‚Herrin der Drachen‘, einer mächtigen Göttin der Akarii-Mythologie und Schirmherren einer der größten bronzezeitlichen Stadtstaaten.

„Natürlich wird es weitere Verhöre geben. Der Militärgeheimdienst übernimmt das. Dann…sehen wir weiter. Es tut mir leid.“ Taran klang FAST ehrlich.
Andere hätten bei der Aussicht auf ‚vertiefende Gespräche‘ mit dem imperialen Militärgeheimdienst vermutlich die Nerven verloren. Aber Samantha Burr war aus härterem Holz geschnitzt. Und sie war nicht dumm, hatte vermutlich gewusst, dass das kommen würde: „Wie vorhersehbar!“ spottete sie, „Ich hatte erwartet, dass ich in irgendeiner Arena um mein Leben kämpfen muss oder bei Ihrem Triumphzug mitgeschleppt und anschließend zum Ruhme Ihrer Götter erdrosselt werde!“ Sie bemerkte es nicht, aber Taran zuckte fast unmerklich zusammen. Genauso wie Captain Los, die die Menschlingsfrau wachsam musterte. Sie war bei den meisten Gesprächen zwischen dem Admiral und der Geschwaderchefin anwesend gewesen oder hatte sich die Aufzeichnungen angesehen. WOHER wusste Burr von Tarans Schwäche für den trotz der inzwischen einsetzenden Renaissance immer noch recht selten gewordenen Glauben an die Lebendigen Götter der Sternenlehre?
Allerdings fing sich der Admiral sofort wieder: „Macht ihr Menschen das mit euren Gefangenen?“ Selbst die veraltete Translatorsoftware war in der Lage, etwas von der in seiner Stimme mitschwingenden Amüsiertheit zu übersetzen, auch wenn sie gespielt war.
„Einige von uns. Vor sehr langer Zeit.“
„Wie…faszinierend. Vielleicht haben diejenigen doch Recht, die meinen, dass Sie und Wir doch nicht SO unterschiedlich sind. Aber was Ihre Frage angeht…nein, man würde sie nicht erdrosseln. Wir sind schließlich keine Barbaren.“
„Da bin ich aber erleichtert.“
„Besonders wichtige Gefangene wurden traditionell mit dem Schwert hingerichtet.“ Der Admiral tippte auf sein Handgelenk-Komm und die beiden Marineinfanteristen traten ein, um mit inzwischen routinierter Professionalität die menschliche Offizierin zu den Gefangenquartieren zu eskortieren. Aber etwas musste sie offenbar noch loswerden: „Noch mal danke für das Essen. Ich hoffe meine Kameraden werden sich angemessen revanchieren. Wenn SIE in Kriegsgefangenschaft gehen.“
Ausnahmsweise sparte sich Taran eine Antwort, wenn man von einem spöttischen Salut absah. Wenige Augenblicke später waren er und Thera Los alleine.
„Captain?“
„Wir haben alle erforderlichen Freigaben erhalten. Und keine Kriegsschiffe geortet, die auf Abfangkurs gegangen sind.“
„Immerhin etwas.“
„Aber abgesehen davon…Nichts Neues.“

Der Admiral nickte langsam und ein wenig abwesend. Auch wenn er es nicht zeigte, wusste Thera Los, dass die in den letzten Wochen auf ihnen lastete Ungewissheit an ihm nagte. Taran wusste um die Bedeutung nachrichtendienstlicher Überlegenheit und versuchte stets, potentiellen und tatsächlichen Gegnern um einige Schritte voraus zu sein. Und deshalb musste ihn das Schweigen beunruhigen, das ihren Flug nach Akar begleitet hatte. Natürlich machte es Sinn, den Kommandowechsel im Draned-Sektor geheim zu halten, bot ein solcher Übergang Gegnern doch immer eine günstige Gelegenheit zum Losschlagen – ob es sich nun um Akarii-Meuterer, rebellische T’rr oder die TSN handelte. Von dem Risiko, dass einer dieser Gegner sich zu einem Enthauptungsschlag gegen den scheidenden Kommandeur inspiriert fühlte, einmal abgesehen.
Deshalb hatten sie – wie befohlen – Funkstille bewahrt, während die XAN den Draned-Sektor und das Niemandsland durchquerte, das Admiral Tarans bisherigen Kommandobereich vom Restimperium trennte. Doch das angeordnete Schweigen war auch nicht gelüftet worden, nachdem sie das Kernimperium erreicht hatten. Abgesehen von den für die Freigabe des Weiterfluges notwendigen Kurzstrecken-Funksprüchen hatte jede aktive Kommunikation unterbleiben müssen. Natürlich hatten sie auf die offiziellen Nachrichtenkanäle, Standart-Informationsfeeds und Breitband-Kommuniqués der zivilen und militärischen Dienststellen zugreifen können. Aber was Tarans Aufgaben oder Schicksal auf Akar anging, den eigentlichen GRUND seiner Abkommandierung – Nichts.
Thera Los hatte schließlich den Verdacht geäußert, dass man auf Akar ganz einfach noch nicht WUSSTE, was mit Taran geschehen sollte, weil die Admiralität, das Kriegsministerium und der kaiserliche Hof zu sehr damit beschäftigt waren, sich nach den politischen Umwälzungen der letzten Wochen und Monate neu zu ordnen. Ihr Schicksal hing davon ab, welche der verschiedenen, sich teilweise überschneidenden oder in mehr oder weniger stabilen Allianzen stehenden Mächtegruppierungen durchsetzen würde. Und was diese von Taran erhoffen oder befürchten würden.

Da gab es natürlich die Überreste der gegen den unbeweint verstorbenen Kronprinzen Jor gerichteten Fronde: Überwiegend Offiziere und Beamte der mittleren und höheren Rangebenen, vielfach moderat reformorientiert aber auch einige enttäuschte Traditionalisten und Expansionisten. Taran hatte zu der Verschwörung gehört und nach Jors Tod hatte man auf Akar notgedrungen erkennen müssen, dass man sich nicht länger den Luxus leisten konnte, eine ganze Reihe fähiger Offiziere auf zweitrangigen Kommandos versauern zu lassen. Diese Fraktion auf seiner Seite zu wissen, konnte sich für Taran allerdings als eine sehr zweischneidige Waffe erweisen…
Wichtiger – und weitaus geschlossener – als die ohnehin mehr eine Zuordnungskategorie als echte Fraktionen oder geschlossene Lager darstellenden Traditionalisten, Progressiven und Expansionisten in Verwaltung, Streitkräften und Adel, waren da die Gefolgschaften der Thronprätendenten Karrak, Rallis und Navarr Thelam. Thera Los wusste nicht, wie sie im Augenblick zueinander oder zu ihrem Vorgesetzten standen. Sahen sie in Taran einen potentiellen Verbündeten? Oder eine Bedrohung? Und hatten sie in diesem Fall die nötigen Machtmittel, um diese Gefahr aus dem Spiel zu nehmen?
Das galt auch für Linai Thelam, die als Mutter des künftigen Imperators auch nach dem Tod ihres Gemahls und den etwas…fragwürdigen Umständen ihrer Schwangerschaft immer noch ein Machtfaktor war. Taran hatte der Prinzessin schon früh seine Loyalität versichert – ohne eine definitive Antwort zu erhalten. Da sein Haus kaiserliches Blut in den Adern und mindestens einmal beim Sturz eines Imperators eine entscheidende Rolle gespielt hatte, bestand zumindest die Möglichkeit, dass auch oder GERADE Linai mit dem Gedanken spielte, eine mögliche Bedrohung ihres ungeborenen Sohns beseitigen zu wollen.
Es hatte in der Geschichte des Imperiums schon eine Reihe von Kindkaisern gegeben – von denen etliche nicht sehr alt geworden waren, wobei die kaiserlichen Streitkräfte und Männer (und Frauen) wie Taran nicht immer eine rühmliche Rolle gespielt hatten.
Und zuletzt waren da noch die Allecars, die binnen wenigen Monaten vom Status einer zwar ehrwürdigen aber nicht allzu einflussreichen Familie zum angeblich zweitmächtigsten Haus des Imperiums aufgestiegen waren und denen man Ambitionen auf den Kaiserthron zutraute. Der Admiral war in seiner Jugend mit Dero Allecar befreundet gewesen. Aber das war lange her. Sicherlich hatte keiner der beiden sich vorstellen können, dass der junge Allecar eines Tages als kaiserlicher Sondergesandter die Kapitulation eines feindlichen Sternenreiches verhandeln, eine – verheiratete – Prinzessin schwängern, öffentlich die Vaterschaft für seinen ungeborenen Sohn beanspruchen und den Ehemann besagter Prinzessin im Duell töten würde. Und Mokas Tarans war an der Ausarbeitung mehrerer wichtiger Offensivpläne beteiligt gewesen, bevor sein rascher Aufstieg durch die Beteiligung an der gegen Kronprinz Jor gerichteten Verschwörung ins Stocken geraten war. In den Draned-Sektor abgeschoben, hatte er nach Prinz Jors Tod das vom Rest des Imperiums abgeschnittene Gebiet unter seine Kontrolle gebracht, die verstreuten Flotteneinheiten reorganisiert, tief in feindliches Territorium geführt und sogar den größten Teil wieder zurück gebracht.
Beide jungen Männer hatten sich auf ihre Art und Weise bewiesen – aber auch Dinge getan, die Ihnen die Ablehnung oder Verachtung zumindest von Teilen des Establishments garantierten. Wie sie sich in dem momentan auf Akar tobenden Machtkampf positionieren beziehungsweise schlagen würden, blieb noch abzuwarten. Und ob ihre lockere Freundschaft diese Belastung überleben würde…Das würde sich zeigen, ‚Spätestens, wenn die Allecars uns bei der Landung verhaften lassen.‘

Ein Signalton von Thera Los Handgelenk-Kommunikator schnitt durch diese nicht unbedingt angenehmen Gedanken: „Was ist, Captain?“ Sie lauschte einige Augenblicke und wandte sich dann an Ihren Vorgesetzten: „Offenbar bekommen wir Besuch.“
Der Admiral hielt kurz inne, aber seine Stimme blieb ruhig und gleichmäßig, egal was er bei dieser Ankündigung denken mochte: „Und von wem?“
„Sie senden einen Identifikationscode des Flottenstabes. Es handelt sich um ein Shuttle.“ Das hätte sie als erstes sagen sollen. Der Admiral schien sich etwas zu entspannen. An Bord der XAN befand sich ein kompletter Zug handverlesener Marineinfanteristen. Vorgeblich, um die an Bord internierten VIP-Kriegsgefangenen zu bewachen. Was natürlich nur EIN Grund war.
„Wie lange, bis sie uns erreichen?“
„Sie fliegen mit Höchstgeschwindigkeit. Etwa sechs Stunden.“
„Nun gut, das gibt uns noch etwas Zeit. Sie sollten bis dahin etwas schlafen. Sie werden unsere…Freunde empfangen und zu mir bringen.“ Der Admiral überlegte kurz: „Eine Ehrengarde von vier Mann erscheint mir angemessen. Informieren Sie den Kommandeur der Marines, dass seine Truppe ansonsten Dienst wie angeordnet absolvieren soll.“
„Jawohl, Admiral.“ Tarans Anordnungen klangen harmlos – wenn man nicht wusste, dass die Marines sich in voller Gefechtsbereitschaft befanden. Taran rechnete offenbar nicht mit einem Enterkommando, wollte aber auf alles vorbereitet sein. ‚Indem er nicht selber beim Andockmanöver anwesend ist…will er damit seinen Status als Admiral hervorheben – oder bin ich das Versuchsziel?‘ Thera Los verdrängte diesen wenig angenehmen Gedanken, während der Admiral fortfuhr: „Es wäre vielleicht besser, falls Sie bei dem folgenden Gespräch nicht dabei sind.“
„Admiral…“ Das klang gar nicht gut.
„Nur eine Vorsichtsmaßnahme.“ Admiral Taran blickte kurz auf und so etwas wie ein Lächeln huschte über seine Lippen: „Das wäre erst einmal alles. Sie können wegtreten, Captain.“
„Admiral.“ Thera Los hatte noch nie viel vom imperialen Reglement gehalten, aber gewisse Routinen waren auch ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Also salutierte sie, wandte sich zum Gehen…doch die Stimme des Admirals ließ sie noch einmal kurz innehalten.
„Und…was ich Ihnen eigentlich schon viel früher hätte sagen sollen – ohne Sie wäre ich nicht so weit gekommen. Wir haben den Draned-Sektor zusammengehalten und wir haben den Gegner bluten lassen. Zwei Dinge, die viele für kaum möglich gehalten hätten. Wir…Sie können stolz auf das Erreichte sein. Vergessen Sie das niemals.“
Thera Los fühlte ein seltsam würgendes Gefühl in ihrer Kehle hochsteigen. ‚Du verdammter Idiot.‘ Der Admiral erwartete kein Enterkommando. Aber die Funkstille, das einzelne Shuttle...
Es gab andere Möglichkeiten, einen missliebigen Rivalen aus dem Spiel zu nehmen, als eine Bombe, einen Attentäter oder ein Erschießungskommando. Elegantere…traditionelle Methoden. Zumindest, wenn es sich bei besagtem Rivalen um einen Adligen handelte, dem seine Familie etwas bedeutete. Aber darüber sprach man nicht. Und wenn Sie Tarans Worte richtig deutete…dann würde sie auch ihren Atem verschwenden. Dennoch: „Vermutlich geht es nur um neue Befehle, Admiral. Oder ein neues Frontkommando.“ Sie hasste den aufgesetzt optimistischen Ton ihrer eigenen Stimme. Natürlich liebte sie Taran nicht – im Augenblick war sie sich nicht einmal sicher, ob sie ihn überhaupt MOCHTE. Aber das hier...
„Sicherlich haben Sie Recht. Also dann…bis nachher.“
Thera Loss biss sich auf die Lippen. ‚Egal. Das verdient er.‘: „Es war…es IST mir eine Ehre, unter ihrem Kommando zu kämpfen, Admiral. Ich sehe Sie dann, wenn die neuen Befehle eingetroffen sind.“ Und damit verließ sie den Raum. Ohne sich noch einmal umzusehen, ohne noch einmal innezuhalten.
04.12.2018 17:35 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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Die Peshten machten absichtlich nicht auf großes Trara. Lieutenant Commander Galit kam mit relativ kleinem Gefolge an Bord, seinem Flügelmann, dem Rest seiner Sektion, seinem Staffelchef und dem Bereichsleiter der Werftverteidigung, dem Galits Staffel unterstand. Alles in allem ein First Lieutenant, zwei Jagyees, ein Captain und ein Commodore. Die Juniors waren Peshten, der Flügelmann Terraner, Galit natürlich T'rr, die anderen beiden Peshten. Immerhin waren sie alle Militärs.
Empfangen wurden sie von Captain Ahn persönlich, ihrem Stellvertreter, dem CAG und mir; dazu kam eine Abordnung Marines, die die Verbündeten mit militärische Ehren empfing. Natürlich nur mit dem kleinen Trara, ohne Flaggen, ohne Musik, einfach nur ein Zug Marines in Dienstuniform ohne Waffen, die salutierten, als die Gäste das Hangardeck betreten wollten. Auf Nationalhymnen und dergleichen hatte Ahn auch verzichtet, aber ich wusste, sie wäre dazu bereit gewesen, genauso wie kurzfristig einen größeren Bahnhof anzuberaumen, je nachdem wer sich an Bord des Shuttles befunden hätte, so ab zwei Sterne aufwärts. Aber da die Peshten den Ball ebenso flach halten wollten wie wir, bestand dazu keine Veranlassung.
Der Commodore salutierte am untersten Rand der Treppe seines Shuttles in Richtung der kleinen Asiatin. Seine Leute, einen Schritt hinter ihm, salutierten ebenfalls, und das überaus korrekt. „Bitte um Erlaubnis, mit kleinem Gefolge an Bord kommen zu dürfen, Captain Ahn.“
Die schlanke Frau erwiderte den Salut, ebenso wie wir, ihr Gefolge an Offizieren. „Erlaubnis erteilt, Commodore Grid. Willkommen auf der COLUMBIA.“
„Danke, Ma'am.“ Er trat vor und reichte ihr die Hand, eine raue, mit Narben übersäte Pranke, die nicht danach aussah, als wäre die Organisation der Verteidigung einer Werft eine Schreibtischsache. Ahn schüttelte sie unbeeindruckt, obwohl ihre Hand in der des Peshten verschwand, als würde sie ihm einen Armstumpf reichen.
„Es ist mir eine Ehre, Ahn Ho-Yun.“
Interessiert hob ich eine Augenbraue. Es gab nicht sehr viele Leute, die einerseits die richtige Reihenfolge des vietnamesischen Namens des Skippers beherrschten oder sich gar dafür interessierten, nicht mal auf Terra, und noch weniger, die den Namen so korrekt aussprachen, als wären sie Muttersprachler.
Captain Ahn lächelte, wenngleich schwach. „Ebenso, Malik Grid. Die Blasterwunde belastet Sie noch?“
Der große Peshte lachte zu ihren Worten und bewegte die rechte Schulter. „Sie sollten mal den Akarii sehen!“, sagte er laut genug, dass es im Hangar widerhallte. Von den Marines kam anerkennendes Gelächter. Wie ich später erfahren sollte, spielte Ahn damit auf ein kurzes und sehr heftiges Feuergefecht in der Werft an, das durch einen Trupp Saboteure verursacht worden war. Commodore Grid war selbst direkt an der Front gewesen und hatte die Elitesoldaten mit niedergekämpft. Das war vor unserer Ankunft gewesen, allerdings noch keinen Monat her, war aber nie wirklich großartig verbreitet worden. Vor allem weil die Akarii aufgehalten worden waren, bevor sie ihren Auftrag hatten ausführen können. Aber es war bezeichnend, dass sie auf seine Verletzung anspielte. Sie hatte sich gut informiert.

„Ich darf Ihnen meine Leute vorstellen. Homte Letik'la, Kommandeur der 1. Hornet-Staffel, den Jolltischen Qöllen.“
„Freut mich, Captain“, sagte der etwas kleinere Peshte, der neben seinem Commodore geradezu zierlich aussah; aber Ahn wirkte auch noch neben ihm zerbrechlich.
„Freut mich ebenso, Commodore Letik'la.“
Der Peshte schüttelte den Kopf. „Nein, Ma'am, ich bin nur Captain.“
Ein Lächeln ging über Ahns Gesicht, und ich ahnte, dass die beiden hier ein kleines Schauspiel abhielten, das für Entspannung sorgen sollte. „An Bord eines terranischen Schiffs gibt es nur einen Captain, merken Sie sich das, Commodore Letik'la“, sagte sie betont, aber ohne wirklichen Ernst in der Stimme. „Also erfreuen Sie sich an Ihrer temporären Beförderung. Immerhin dürften Sie ganz formell auf eine Admiralskabine hoffen, würde Ihr Aufenthalt an Bord länger dauern.“
Er prustete kurz auf. „Wie sagt Ihr Terraner doch immer? Andere Länder, andere Sitten. Ich gehorche und passe mich an... Captain.“
Es hätte nur noch gefehlt, dass sie sich verschwörerisch zugeblinzelt hätten, aber das war wohl sogar den beiden übertrieben erschienen. „Es stört Sie doch nicht, dass wir Aufnahmen machen?“, fragte der frisch beförderte Commodore und deutete auf seine Bodycam. Es war bekannt, dass die Peshten noch medialer waren als wir Menschen, und das wollte schon etwas heißen. Bedeutete allerdings auch, dass sie von ihrem Krieg wesentlich mehr Bildmaterial hatten, als es für uns Terraner üblich war. Je nachdem wie das Duell verlaufen würde, war ich mir zudem sicher, würden die Peshten von den Aufnahmen profitieren, indem sie entweder ein Lehrvideo daraus machten oder die Aufnahmen an ihre Sender verkauften. Oder beides.
„Sein bester Pilot“, sagte Commodore Grid. „Lieutenant Commander Dalan Galit, der Stein unseres Anstoßes.“ Das war schon fast frech offen gewesen, und mir war klar, dass der Commodore der Kommandantin des Trägers damit zu verstehen gegeben hatte, wie die Peshten den weiteren Verlauf sahen und wie sie meinten, dass die Terraner es zu sehen hatten.
„Dalan Galit, Ma'am“, sagte der selbst für einen T'rr groß gewachsene Pilot, reichte ihr aber eine erstaunlich lange und grazile Hand. Wahrscheinlich wäre Galit ohne die Notwendigkeit eines Krieges ein guter Musiker geworden, ging es mir durch den Kopf, und dafür schämte ich mich im gleichen Moment. Sein Ärmel verrutschte bei der Bewegung, und ich sah auf seiner schwarzen Schuppenhaut zwei kräftige rote Flecken. Alte Wunden vermutlich, umgeben von einem kleinen Netz feinerer Linien.
„Freut mich, Commander. Sie sind also der hiesige Imperialen-Schreck?“ Sie sagte bewusst nicht Akarii-Schreck, denn unter den Söldnern, die bei den Peshten dienten, waren auch akariische Renegaten von diversen imperialen Welten. Ich fand das subtil und angemessen. Und ich ahnte, dass, während ich trainiert hatte, ein paar Gespräche stattgefunden haben mussten, damit beide Seiten vorbereitet waren und beide Seiten ein Maximum aus dem Duell ziehen konnten.
Der große T'rr lachte wie über einen guten Witz auf. Das klang erstaunlich menschlich, fand ich. „Man tut, was man kann, Captain. Man tut, was man kann.“
„Sein Flügelmann, First Lieutenant Elvis Dekker.“
„Freut mich, Ma'am.“
„Ebenfalls, Dekker. Colonials?“
Der blasshäutige, stämmige Mann grinste schief. „Was hat mich verraten? Mein Akzent?“
Ahn nickte lächelnd. „Sie rollen das R genauso wie mein CAG.“
Der Blick des Lieutenants ging kurz zu Commander Stafford, aber er sprach ihn noch nicht an. Das Protokoll verlangte, dass Ahn ihre Leute vorstellte. „Aus manchen Gewohnheiten kommt man halt nicht raus, Ma'am“, sagte er grinsend, das R kräftig betonend, dass sogar der CAG grinsen musste.
„Die Lieutenants Pek'tor und L'anhai“, sagte der Commodore. „Einerseits hier, um endlich mal was zu lernen, andererseits, um ihrem Sektionsführer Rückendeckung zu geben, wie Ihr Terraner sagt.“
„Angenehm, Lieutenant Pek'tor, angenehm, Lieutenant L'anhai.“ Sie reichte dem jungen Mann und der etwas älteren Frau die Hand. „Darf ich Ihnen nun meine Leute vorstellen?“ Sie deutete zur Seite. „Commander Stacy, stellvertretender Kommandant der COLUMBIA.“
„Freut mich, Sir“, sagte Stacy und reichte erst dem Commodore die Hand, dann dem zwangsbeförderten Captain, anschließend dem T'rr, dem Colonial und den beiden Peshten. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen hatten alle einen annehmbaren Händedruck, denn sein starres Lächeln verschob sich nicht um einen Millimeter.
„Commander Stafford, mein CAG.“
„Freut mich, Commander. Ihr Geschwader ist ja einigermaßen ungerupft aus der Sterntorsache rausgegangen, was für uns natürlich gut war“, sagte der Commodore, während er die Hand des Menschen schüttelte.
„Nicht mein Verdienst. Ich kam als Ersatz für Commander Burr, die während der Kämpfe gefangen genommen wurde. Ich konnte ein gut aufgestelltes und relativ unlädiertes Kommando übernehmen, und das nicht zuletzt wegen ihrer guten Führung.“
„Dass Sie Ihr Geschäft verstehen, sehen wir jeden Tag bei den Einsätzen“, widersprach Captain Letik'la, als Stafford ihm als Nächsten die Hand reichte. „Also stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Steinvorsprung, Commander.“
Die beiden tauschten ein dünnes Lächeln aus, das ich nur identifizieren konnte, weil ich mich mit der Physiognomie der Peshten schon in jungen Jahren hatte beschäftigen müssen. Zwei, drei Frachtfahrten meiner Eltern waren auch in den Peshten-Raum gegangen. Und beim Handeln war es wichtig, den Gegenüber lesen zu können, wenn er schon eine Emotion offen zeigte. Die beiden schienen sich auf Anhieb zu verstehen.
„Und natürlich der Stein unseres Anstoßes bei unserem inoffiziellen Treffens, der Kommandeur der Blauen Staffel der Angry Angels, den Jokers for Redemption, Lieutenant Commander Clifford Davis.“
„Freut mich, Commodore“, sagte ich, dem großen Peshten die Hand drückend. Er hatte einen sehr kräftigen Händedruck, und das wollte etwas heißen; ich war einiges gewohnt.
„Commodore“, sagte ich zu Leitk'la korrekt.
Dann war Galit an der Reihe. Ich griff nach seiner grazilen Künstlerhand, die nur wenig hinter Grids Händedruck zurückstecken musste. „Commander.“
„So, so. Sie sind also das Gespenst. Freuen Sie sich, Commander, wir teilen eine Gemeinsamkeit.“
Offensichtlich war dies nicht, einen Lieutenant Commander der Höflichkeit halber wie einen Voll-Commander anzusprechen. „Und das wäre?“, fragte ich mit dünnem Lächeln.
„Auch ich war in Kriegsgefangenschaft der Akarii, wenngleich nicht so lange. Und ich wurde auch nicht von einer atomaren Explosion halb durchgebraten.“
Wenn er erwartet hatte, dass das detaillierte Wissen über meine Vergangenheit etwas bei mir bewirkte, dann hatte er falsch erwartet. „Das kann nicht schlimmer gewesen sein als Ihre Gefangenschaft bei den T'rr-Loyalisten der Kundo-Truppen, Commander Galit. Man erzählt sich, dass man aus einem Kundo-Gefängnis nie wieder rauskommt. Wie haben Sie es geschafft?“
Für einen Moment zeigte der T'rr vor mir eine Menge Gefühle auf einen Schlag. Mein Wissen und speziell meine Frage musste ihn erschreckt haben, und das nicht gerade leicht. Aber nach ein paar bangen Sekunden merkte er wohl, dass ich ihm nichts unterstellen wollte, sondern tatsächlich nur gefragt hatte.
„Das ist... eine etwas längere Geschichte. Hier die Kurzform: Der Graf von Monte Christo.“
Erstaunt sah ich ihn an. Das war terranische Literatur aus dem neunzehnten Jahrhundert, also prästellar. Natürlich kannte ich das Buch, immerhin war es seit Jahren auf meinem Pad gespeichert. Und natürlich wusste ich, wie der junge Edmond Dantès seinem Schicksal als ewiger Gefangener der Inselfestung d'If hatte entkommen können: Indem er mit einem Toten den Platz getauscht und sich im Meer hatte bestatten lassen, nur um aus eigener Kraft zu entkommen. „Die Geschichte müssen Sie mir beizeiten erzählen.“
„Eventuell kommen wir dazu. Dann erzählen Sie mir aber, wie Sie es geschafft haben, Camp Hellmountain zu überleben, und das mit multiplem Krebs und einem Arm weniger.“
„Eventuell kommen wir dazu.“ Ich konnte mir nicht helfen, aber irgendwie mochte ich Galit auf Anhieb. Daher war ich auch sehr höflich zu seinem Flügelmann und den beiden Sektionspiloten, denen ich überdies ein paar kurze, aber sehr interessante Fragen beantwortete.

„Kommen wir zum Programm“, sagte Ahn. „Ich habe einen kleinen Snack vorbereiten lassen, und Admiral Girad wird uns entweder dort, spätestens aber am Simulator die Ehre geben. Die Sim-Zeit ist auf fünfzehnhundert festgelegt, wir sollten also in etwa fünfzig Minuten dort sein.“
Für Navy-Begriffe war das tatsächlich nur ein kurzer Snack. „Bei den Sims werden dann auch noch ein paar weitere Schaulustige hinzu kommen. Zumindest einige Soldaten auf Freiwache.“
Wir verließen den Hangar, die Marines traten wieder ab, und ein kleiner Elektrowagen brachte uns durch den halben Träger bis zu den Kabinen der Schiffsführung. Ahn würde den kleinen Speisesaal nutzen, der dort für solche Anlässe verortet war. Nebenbei zeigte sie einen erheblichen Teil ihres Schiffes her, natürlich keine sensiblen Bereiche. Aber es hatte schon etwas von Mutterstolz, als sie während der Fahrt Commodore Grid die verschiedenen Bereiche erklärte und mit beiden Händen gestikulierte, während sie etwas erklärte.
Dalan Galit hatte neben mir Platz genommen und hörte den Ausführungen Ahns nur mit einem Viertelohr zu, schaute aber recht interessiert in alle Richtungen und ignorierte das laute Geschwätz der Mitglieder seiner Sektion auf den Bänken hinter uns.
„Hand auf die Herzen, Ace“, sagte er plötzlich zu mir, recht leise geraunt, damit die höheren Offiziere weiter vorne nichts davon mitbekamen: „Warum dieses Duell? Nur, weil ich Ihre Freundin erschreckt habe? Dann tut es mir leid.“
Die rohe Offenheit entgeisterte mich ein wenig. „Sie meinen Lilja?“
„Commander Pawlischenko, Ja. Oder, wie wir sie nennen: Altal Tur. Tödliche Blume.“
Das musste ich Lilja weiter erzählen. Das würde ihr definitiv gefallen. „Sie interessieren sich für unsere Top-Piloten? Dienstlich?“
„Nicht ablenken, Ace“, raunte er mir zu. „Natürlich haben wir uns alle im Vorfeld damit beschäftigt, wer da zu unserer Verstärkung geschickt wurde, und was wir von wem zu erwarten haben. Aber nicht jeder hat das Aufsehen in dem Maße wie Commander Pawlischenko oder den einzigen Träger des goldenen Flying Cross, Commander Durfee.“
„Habe ich auch die Ehre, nun, bekannter zu sein?“
„Darauf antworte ich, wenn Sie meine Frage beantworten. Warum wollen Sie sich mit mir duellieren?“
Ich atmete ein wenig kräftig aus. „Zuerst einmal ist Lilja nicht meine Freundin, nur eine Freundin, was wirklich nicht viele Menschen ruhigen Gewissens sagen können. Und ja, ich habe mich über Sie geärgert, Commander. Sie wissen, was „nak, nak, nak“ heißt, richtig?“
Verdutzt sah er mich an. „Sie wissen das auch?“
„Hören Sie, ich habe das Flottenhandbuch über Sekurr geschrieben, zumindest die erste Kladde, mit der erstmals Akarii-Soldaten verhört werden konnten. Natürlich weiß ich, was diese Worte bedeuten.“
„Das stand nicht in Ihrer Akte“, gestand Galit. „Ehrlich gesagt habe ich mir nichts dabei gedacht. Es ist üblich bei Peshten-Piloten, dass sie die Gängeleien der Akarii nachahmen und gegen diese einsetzen. Sie wissen meist nicht einmal, was sie sagen, und ihre Aussprache ist schauderlich, aber anfangs hat es tatsächlich einige der jüngeren Piloten außer sich gebracht. Das färbt dann natürlich irgendwann auf alle Piloten ab. Hören Sie, ich habe keinesfalls gemeint, was ich da gesagt habe. Ich habe mir nichts dabei gedacht. Und ich habe auch nicht damit gerechnet, dass die COLUMBIA einen Spezialisten für Sekurr an Bord hat. Es war eine ganz harmlose Gängelei.“
„Harmlose Gängelei“, wiederholte ich.
„Ihr TSN-Flottisten seid ein so verschlossener Haufen, dass man sich schon manchmal fragt, ob wir tatsächlich Verbündete sind“, merkte er an. Dies tat er auf Sekurr.
Ich ging darauf ein. „Und genau deshalb unsere kleine Sim-Übung, Commander Galit. Ich gebe zu, anfangs war ich einfach nur ärgerlich, aber dann habe ich das Potential gesehen, das hinter unserer Sitzung steckt. Sie wollen doch sicher Daten über die Falcon im optimalen Einsatz haben, wenn sie von einem Top-Piloten gesteuert wird, oder nicht?“
„Und Sie wollen gerne sehen, wie sich die Hornet in einem idealen Umfeld bewegt, gesteuert von mir“, folgerte Galit.
Ich grinste. Er grinste. Ich musste auf ihn ebenso wie ein Raubtier wirken wie er auf mich. „Ich sehe, wir verstehen uns. Und ich will mich für den Schrecken revanchieren, den Sie meinen Kameraden gespielt haben.“
„Also doch.“
„Ja, es spielt eine Rolle.“
„Danke, dass Sie ehrlich sind, Ace. Oder Zombie oder Gespenst, wie man Sie hierzulande nennt.“
Ich zog eine Augenbraue hoch. „Wegen der Atombombengeschichte?“
„Wegen der Atombombengeschichte. Ich denke nicht, dass jemals jemand überlebt hat, der so nahe dran war wie Sie, Commander Davis.“
Ich wechselte wieder auf Englisch. Galit beherrschte Sekurr fließend, das war etwas, was ich unserem Geheimdienst stecken musste. Ein paar gemeinsame Sitzungen mit den Peshten zum Thema Sekurr würde sich für die Arbeit der Schlapphüte enorm auszahlen, selbst wenn es nur dazu führte, dass unser Verständnis der Kriegersprache vertieft wurde. „Zugegeben, ich kenne auch niemanden.“ Ich hielt ihm meine rechte Hand hin. „Hier.“
„Hier, was?“, fragte er irritiert.
„Das ist der Arm, der mir notamputiert wurde. Dieses Exemplar wurde aus meinen Stammzellen gezogen und später angesetzt. Jeder, mit dem ich mich über den Vorfall unterhalte, will ihn zumindest anfassen.“
„Darf ich wirklich...?“
„Nur zu“, ermunterte ich den Commander.
Der ließ sich nicht zweimal bitten und betastete den Arm ausgiebig. „Fühlt sich nicht gerade merkwürdig an. Nur so... Normal.“ Er sah kurz auf die hinteren Sitzreihen, wo seine Piloten schon seit einiger Zeit schwiegen. „Habt Ihr nichts zu tun?“
Geschäftig nahmen der Mensch und die beiden Peshten ihre Unterhaltung wieder auf.

„Gute Kinder, aber etwas sehr neugierig. Bei Erwachsenengesprächen sollten sie nicht unbedingt zuhören. Jedenfalls nicht so auffällig“, spöttelte Galit. Er ließ meinen Arm los. „Interessant. Das macht mir Hoffnung, falls es mal einen Körperteil von mir erwischt.“
Ich zog die Hand zurück. „Man nennt mich hierzulande also Gespenst.“
„Auch. Sie müssen verstehen, dass wir zwar Krieg führen, aber keinen so großen wie die Terraner es tun. Gäbe es die terranische Linie nicht, hätte Akar hier Truppen und Verbände auffahren können, die uns schon lange hinweggefegt hätten. Aber dank der TSN ist das nicht der Fall. Die Folge ist, hm, eine einseitige Verehrung unter den Peshten. Es gibt so ungefähr einhundert terranische Militärs, die niemals im Peshten-Raum waren, aber die man hier kennt. Natürlich ist eine lebende Leiche unter ihnen. Ich warne Sie nur vor, Ace. Sollten Sie mal Landgang haben und ihn in der Hauptstadt verbringen, kaufen Sie sich kein SmaHo mit Ihrem Bild drauf.“
„Ein SmaHo?“
„Ein Smart Hologram, eines der hier typischen Spielzeuge, eine Art transpartenter Kasten, der ein dreidimensionales Filmchen zeigt. Ihres zeigt Sie in einem Zeitrafferfilm vor der Bombe, während der Bombe und nach der Bombe. Natürlich mit viel künstlerischer Freiheit. Soll angeblich die Moral stützen nach dem Motto: Wenn man will, überlebt man alles.“
„Interessant. Wäre eine Tantiemenklage gewinnbringend?“
Der T'rr lachte abgehackt. „Was denn? Haben Sie Ihre Peshten-Hausaufgaben gemacht?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin Spacer aus einer Händlerfamilie.“
„Oh. Dann müssen Sie sich unter Peshten wohl fühlen, glaube ich.“
„Macht mich diese Holo-Geschichte schon berühmt?“
Galit sah mich an. „Sagen wir es so: da Sie der Pilot sind, der unser Duell beantragt hat, wurde die Anfrage nicht ignoriert. Ich bin mir sicher, genau jetzt überredet der Alte Ihren Skipper dazu, seine Stabsärzte in Ihre Krankenakte schauen zu lassen. Sind Sie eigentlich sterilisiert?“
„Meine Hoden funktionieren normal und sind noch immer funktionell, Commander. Allerdings sollte ich auf rein natürlichem Wege besser keine Kinder zeugen, zumindest nicht medizinisch unbegleitet. Beantwortet das Ihre Frage?“
„Hm.“
„Die Hauptlast der Strahlung ging durch meinen Arm. Die Sekundärlast erfolgte durch weitere Mikroschäden, einen Hirntumor und einige Tochtergeschwüre. Keines davon lag nahe am Hoden. Glücklicherweise. Also, wie ist das mit der Klage?“
„Die Peshten werden Sie lieben, wenn Sie den Hersteller verklagen, das steht fest“, erwiderte der T'rr.

„Was gibt es denn zu essen? Ich darf doch auf ein terranisches Buffet hoffen, nicht auf Zeug, das ich schon kenne.“
Ich lächelte verschmitzt. „Unsere Küche hat sich an Peshten-Gerichten probiert, aber nur zum Teil. Auf meine Anregung hin wurden terranische Gerichte mit hohem Fleischgehalt ausgewählt. Und das wird der Nachtisch.“ Ich öffnete meine Dienstjacke und zog einen Plastikzylinder hervor.
Nun war es an Dalan Galit, entgeistert zu schauen. „Das ist doch nicht etwa...“
„Tabak von T'rr, sehr wohl. Fünf Zigarillos. Huoti nok Kalem, wie die Akarii sie nennen. Keine zwei Jahre alt. Und wir haben einen Raucherraum neben dem Besprechungsraum.“
„Ich bin Nichtraucher, aber den Tabak von Zuhause würde ich gerne wieder riechen.“
Ich reichte ihm das Röhrchen. „Ich kann einen meiner Untergebenen bitten...“
„Nicht nötig.“ Galit nahm das Röhrchen an. „Hey, Dekker, du kriegst nachher was ganz feines zum Rauchen, echten T'rr-Tabak. Wehe, du paffst den, dann gibt es Ärger mit Vati.“
„Wow! Echter T'rr-Tabak?“ Der koloniale First Lieutenant zwängte sich sichtlich begeistert zwischen mir und dem T'rr nach vorne. „Ist das der mit der Nelkennote, oder der mit dem Honig?“
„Besser, Dekker, viel besser. Das ist der mit dem Nussaroma. Wie sind Sie da eigentlich drangekommen?“
„Den habe ich gestohlen. Aus unserer Asservatenkammer. Vergessen Sie nicht, gegen wen wir in Sterntor gekämpft haben.“ Als ich das leichte Entsetzen in den Augen des Senior Lieutenant sah, grinste ich. „Nur die Ruhe, Lieutenant. Der Tabak wurde aus einem abgeschossenen Begleitschiff von Tarans Flotte geborgen, ich als Spezialist wurde hinzu gebeten, und bei der Gelegenheit habe ich eine Kiste der Prise von der Flotte erworben. Zum Sonderpreis, weil man meine Hilfe als Kaufmann brauchte, nicht als Soldat.“
„Ich sagte es schon. Die Peshten werden Sie lieben, Davis“, sagte Galit.

Wir kamen an und betraten den kleinen Besprechungsraum. Weitere Offiziere der COLUMBIA erwarteten uns bereits, unter ihnen Lilja und Ohka. Also sprach ich kurz den Vorfall an und involvierte die beiden. Somit bekam Galit die Gelegenheit, sich auch bei ihnen zu entschuldigen und zu versichern, dass er die Worte nicht in ihrem tieferen akariischen Sinne gemeint hatte. Nicht, dass ich den beiden diesen Sinn erklärt hätte. Auch Decker war anwesend, hielt sich allerdings zurück. Jedoch nicht am Buffet. Vor allem die Peshten-Speisen hatten es ihm angetan.
Das Buffet war gut, das musste ich zugeben. Während ich mich mit Captain Homte Letik'la unterhielt, weil Ohka Galit im Beschlag genommen hatte, probierte ich einige der Speisen und fand sie fast authentisch. Man konnte sagen, was man wollte, aber die Küche der COLUMBIA war jener der REDEMPTION weit überlegen.
Plötzlich war Lilja an meiner Seite und zog mich ein Stück vom Captain weg, der ohnehin gerade mit Ahn sprach. „Lass dich nicht zu sehr mit Galit ein“, mahnte sie mich. „Wenn du positive Emotionen für ihn entwickelst, dann hindert dich das nur daran, im entscheidenden Moment auf den Feuerknopf zu drücken.“
„Ich werde mir Mühe geben, das unter Kontrolle zu halten“, versprach ich. „Und? Freust du dich schon auf den Kampf?“
„Ich freue mich, wenn du gesiegt hast, keine Sekunde früher. Also wage es nicht, wage es ja nicht, auch nur die Möglichkeit in Betracht zu ziehen zu verlieren.“
Ich grinste burschikos. „Das habe ich nicht, und das werde ich auch nicht.“

Nach dem Essen, exakte fünfzig Minuten nach Ankunft unserer Gäste, bat Kapitän Ahn ihre Gäste zu den Simulatoren, während Galit und ich in den Umkleideraum gingen. Schweigend zogen wir unsere Raumanzüge über. Ich das neueste terranische Modell, das sogar als Kleinstrettungsboot fungieren konnte, er das aktuelle Peshten-Modell, das etliche Ideen bei den Akarii geklaut hatte.
Mit unseren Helmen in den Armbeugen betraten wir den Sim-Saal. Die Zahl der Gäste hatte sich noch einmal leicht erhöht, unter ihnen war auch Admiral Girad. Auf einem großen Bildschirm war unser Schlachtfeld zu sehen. Ein Asteroidenfeld. Ein synthetisches, das rein zufällig zusammengestellt worden war, um weder mir noch dem T'rr einen Vorteil zu verschaffen. Gerade wurden die Leistungsdaten der Hornet in den Computer gespeist und der Simulation hinzugefügt. Ein Punkt weniger auf der Liste. Dies schien auch Decker so zu sehen, denn sichtlich zufrieden nickte er mir zu. Ich erwiderte das Nicken, dann zog ich den Helm auf, salutierte vor Galit, und er vor mir, dann bestiegen wir unsere Sims.
„Dies ist eine Übung“, klang die ruhige Stimme des Simulatorstand-Chiefs in meinem Helm auf. „Daher gelten für diese Simulationen die Bedingungen eines realen Gefechts. Beide Piloten werden zeitgleich in einem Asteroidenfeld mit zwei Lichtsekunden Durchmesser an willkürlichen Punkten ausgesetzt. Das Feld hat Kugelform. Die Maschinen können das Feld nicht verlassen. Die Brocken variieren von Mikrometeoriten bis hin zu mehrere hundert Meter durchmessenden Trümmerstücken. Die Simulation wird gewonnen durch die Vernichtung des gegnerischen Jägers, oder aber indem der Pilot den Kampf überlebt, der Gegner aber nicht. Haben Sie das verstanden, Lieutenant Commander Galit, Lieutenant Commander Davis?“
Wir bejahten.
„Dann kann es losgehen.“

Ein Countdown erschien auf meinem Hauptbildschirm. Ich konnte nicht umhin, ich fühlte eine unangebrachte Aufregung. Wahrscheinlich hätte ich vorher noch mal auf Toilette gehen sollen.
Als der Counter die Eins erreicht hatte, spannte ich mich unwillkürlich an, dann erwachten alle Monitore zum Leben, und ich suchte nach den Lebenszeichen der Hornet. Die Nahbereichsortung blieb stumm, also bestand derzeit keine Gefahr, mit einem der Trümmerstücke zu kollidieren.
Immerhin etwas. Allerdings hatte ich auch nicht mal den leisesten Ping von Galit auf der Anzeige.
Nun waren sechshunderttausend Kilometer Durchmesser für ein virtuelles Schlachtfeld im Weltall nicht gerade viel. Kosmisch gesehen und die Marschfähigkeiten der Falcon vorausgesetzt ein mittlerer Spaziergang. Aber es war keine leere Kugel, sondern eine gut gefüllte. Trotzdem blieb die Frage, ob ich mich im Deckschatten eines der größeren Brocken auf die Lauer legen sollte, oder besser aktiv suchte. Das Schlachtfeld war klein genug, um darauf zu hoffen, dass Galit auf der Suche nach mir in Waffenreichweite kam. Dann war ich als emissionsloser Schatten unter einem Trümmerstück in einer nahezu idealen Position. Falls er nicht genau in meiner Sechs auftauchte. Oder aber ich suchte aktiv nach ihm und erwartete entweder, dass er ebenfalls aktiv nach mir suchte, oder seinerseits mir auflauerte. Dann musste ich natürlich alle größeren Brocken, die der vierarmigen Hornet Deckung bieten konnten, gesondert betrachten.
Und wenn ich dies tat, machte ich es dann langsam, tastete mich vor, oder ritt ich einfach durch das Asteroidenfeld hindurch in der Hoffnung, zu schnell zu sein, als dass seine Schusslösung meine Falcon ins Visier bekam oder ich seine Raketen ausreiten konnte? Fragen über Fragen.

Ich trat die Schubdüsen durch. Die Maschine ruckte an, oder vielmehr legte sich der Simulator schräg nach hinten, um Andruck zu simulieren. Meine Maschine machte einen Satz, und dort, wo ich gewesen wäre, hätte ich nicht rapide beschleunigt, maß mein Bordcomputer Geschützfeuer an. Galit hatte mich gefunden. Das bedeutete, dass er wohl von Anfang an in meinem Rücken platziert wurde. Gut für ihn, schlecht für mich. Die Raketenwarnung schlug an, als er mir zwei Sidewinder hinterher schickte. Ich wartete eine günstige Gelegenheit ab, zog um einen größeren Trümmerbrocken herum und entließ meine Abwehrmaßnahmen. Dann strebte ich, den Brocken möglichst zwischen mir und Galit haltend, von ihm weg, sodass er kein freies Schussfeld auf mich hatte. Dies war keine Situation, um meine Antriebsdüsen aus dem Spiel zu nehmen, zum Beispiel indem ich auf die Slidebremse trat. Damit hatte mein Gegner nur noch vier Raketen in den Aufhängungen. Ich hatte noch alle acht. Wie gut mir das nützen würde, musste sich erst zeigen. Die Hornet hatte einige Besonderheiten, die sowohl für sie sprachen, als auch gegen sie gewendet werden konnten. Dazu zählte der extrem schmale Rumpf von sechs Metern Länge, der einen Teil der Technologie und Tank und Waffen in die sich kreuzförmig aufspannenden, sechzehn Meter langen Flügel ausgelagert hatte. Das bedeutete, dass das bissige kleine Insekt keine Seitenschilde hatte, weil Front-, und Heckschirm einander umspannten. Das war normalerweise auch bei unseren terranischen Modellen so, da unsere Jäger aber länger waren, gab es für uns Zwischenschilde. Und wir konnten die Schildstärke modulieren, also willkürlich verlagern. Diese Fähigkeit hatte die Hornet nicht, und das machte die Seite zu einer Schwachstelle. Hofften Lilja und ich zumindest.
Als ich genug Entfernung zum Felsbrocken eingenommen hatte, nutzte ich den nächsten größeren Brocken mit mehreren hundert Metern Durchmesser, um an ihm zu umrunden. Ich würde direkt angreifen und versuchen, mich durch den Brennpunkt von Bug-, und Heckschilden zu nagen.
Galit würde das wissen. Ich musste in den Slide gehen, um seine Flanke beschießen zu können. Die Hornet hatte das beste Slide-System des Universums, den aufgegebenen Trackball. Ein Umstand, der mir nicht wirklich Freude bereitete, hatte ich doch nie die Erlaubnis erhalten, sie in meine Falcon einzubauen. Und dieses Trackballsystem war es nun, das verhinderte, dass ich während der zwei, drei Hundertstel Sekunden, die ich theoretisch ein offenes Schussfeld hatte, tatsächlich auch zwischen die Schilde schießen konnte. Galit würde mir so lange die Front zugedreht lassen, bis meine Schussfenster obsolet war. Dann erst, wenn er seine Antriebsdüsen wieder in der richtigen Position brauchte, würde er den Jäger zurücksliden. Und das war mein eigentliches Aktionsfenster.

Als ich um den Trümmerbrocken herum kam, ortete ich die Hornet sofort. Galit war mir gefolgt und pingte mich scharf an. Ich erwiderte den Gefallen, erfasste ihn mit der Waffenortung und schickte ihm als kleinen Gruß zwei meiner vier Sidewinder auf etwa zweitausend Kilometer Distanz entgegen. Seine Tachyonengeschütze feuerten und trafen frecherweise meinen Bugschirm. Ich erwiderte den Gruß mit beiden Lasern, aber eher, um seine Konzentration für die Sidewinder zu schwächen, nicht in der Hoffnung, mich durch den Schirm zu nagen. Aber immerhin, ich hatte noch vier Amram und zwei Sidewinder, nicht zu vergessen meine beiden Protonengeschütze. Mein Schild war bei sechsundachtzig Prozent. Ich nahm das als Warnung an.
Galit schoss eine der Raketen ab und warf für die andere Täuschkörper ab. Die Sidewinder ging viel zu leicht darauf ein. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir einander fast erreicht und sausten nur fünfzig Kilometer voneinander entfernt aneinander vorbei. Wir gingen beide in den Slide. Sein Tachyonengeschütze hämmerten in meinen Bug. Ich revanchierte mich mit den Photonengeschützen und jagte, als ich ihn passiert hatte und er wieder eindrehte, die Laser auch noch hinterher. Seine Schilde schwächten sich kurz auf fast sechundsiebzig Prozent, ein Durchbruch zwischen den Schilden war mir allerdings nicht gelungen.
Wieder nutzte ich den nächstgrößeren Brocken als Umrundungspunkt, darauf bedacht, Kurs und Geschwindigkeit ab jenem Zeitpunkt im Kopf zu haben, zu dem er aus meiner Ortung verschwand, um ungefähr sagen zu können, wo er sich befinden konnte, kam ich um den Brocken wieder herum.
Als ich herum war, hatte auch er eingedreht. Das fand ich bedenklich, denn er hätte genug Möglichkeiten gehabt, sich hinter einem der größeren Brocken zu verstecken und mich rankommen zu lassen, was seinen Geschützen gegenüber meinen Raketen einen Vorteil verschafft hätte. Wieder feuerten wir unsere Geschütze, wieder hielt ich die Laser zurück, wieder drehten wir in den Slide, und während wir Auge in Auge aneinander vorbei flogen, haute ich zwei Amram raus. Er schickte mir zwei Sidewinder entgegen. Ich nutzte die Laser und die Abwehrmaßnahmen, erwischte eine Rakete, die andere explodierte in meinen Seitenschilden. Ich jagte ihm die Laser hinterher, als er eindrehte, um seinen Hauptantrieb wieder zu benutzen. Vier Raketen ich, zwei Raketen er.
Diesmal nutzte ich keinen größeren Brocken als Deckung. Er suchte die Entscheidung, ich suchte die Entscheidung. Auch er wendete ohne Deckung. Seine Schilde hatten sich trotz Regeneration bei sechzig Prozent Bug eingefunden. Meine Schilde standen bei einundsiebzig Prozent Bug, sechzig Prozent Seite.
Wir passierten einander erneut, tauschten harte Schläge aus. Ich kassierte seine letzten beiden Sidewinder, mein Gruß an ihn beinhaltete das zweite Paar Sidewinder meines Arsenals. Unsere Geschütze erledigten den Rest, um uns gegenseitig sturmreif zu schießen. Sein Bugschild droppte auf knapp unter dreißig Prozent, die Seite aber, mein Hauptziel, schien fast einen eigenen Schild zu haben. Meine Schilde büßten weitere achtzehn Prozent vorne und zwanzig Prozent an der Seite ein. Ich transferierte ergo die Heckschilde nach vorne.
So. Er hatte keine Raketen mehr. Das bedeutete, ich konnte in den Kurvenkampf gehen, ihm meine letzten beiden Amrams reinjagen und ihn mit meinen vier Geschützen gängeln, bis er explodierte. Falls ich hinter ihn kam. So konnte man es auch machen, sich nach und nach durch seine Schilde nagen. Das ganze schöne Training erwies sich als für die Katz', aber zugegeben, die „echte“ Hornet war auch zäher als das, was Lilja und ich in unseren Sims benutzt hatten.

Wieder drehte ich ein, bereit, in den Kurvenkampf zu gehen, aber Galit verschwand diesmal hinter einem Felsbrocken. Als er wieder in meiner Ortung auftauchte, hielt er direkt auf mich zu. Also gut, einmal noch. Ich hielt ebenfalls auf ihn zu, mit einem Auge auf die Ortung. Bugschild unter dreißig, da ging was. Ich feuerte die Photonengeschütze und traf. Die Anzeige sank nicht. Das irritierte mich für einen Moment. Ich setzte die Laser hinterher, hatte den Finger auf dem Raketenknopf, als ich plötzlich meinen Fehler erkannte. Der verdammte Bastard zeigte mir seinen Arsch! Er hatte sich um hundertachtzig Grad gedreht und präsentierte mir seine Heckschilde! Und das konnte nur bedeuten, dass er mich näher zu sich heranlotsen wollte! Die Zusatztanks! Das waren keine Zusatztanks, das waren Hydrawerfer! Galit warf seine Maschine im Slide herum, so schnell konnte ich kaum reagieren, und kaum dass ich seine hässliche Front sah, feuerten auch schon die Dartraketenwerfer ihr gesamtes Feld ab, und seine Tachyonengeschütze sangen in meinem Schirm. Ich transferierte alle Energie, die mir blieb, in die Bugschilde, aber auf diese Distanz hatte ich nicht wirklich zu irgendwas eine Chance, nicht bei meiner derzeitigen Geschwindigkeit. Ich feuerte meine letzten Raketen ab, die beiden Amrams, schoss meine Geschütze, so lange ich konnte, dann, eine Sekunde vor dem Ende, löste ich den Schleudersitz aus.

Mein Bildschirm wurde schwarz. Die Kabine ging wieder in Ruhestellung. Ich hatte verloren. Verdammt, ich hatte verloren! Nun war es keine Schande, gegen einen Piloten wie Galit zu verlieren, aber Teufel auch, was hatte ich dieses Duell gewinnen wollen.
Tja. Geschlagen von einem T'rr, geschlagen von einer Hornet. Interessante Strategie hatte er benutzt, der Echsenabkömmling. Respekt hatte er sich erworben. Bei mir, und hoffentlich auch bei anderen.
Die Simkabine wurde geöffnet, eine helfende Hand streckte sich mir entgegen. Ich löste die Gurte und ließ mich hoch ziehen. In der Halle herrschte eine Stille, die man fast in Tüten verpacken konnte.
„Die Übung ist beendet“, klang wieder die Stimme des Simstandleiters auf. „Das Ergebnis: Unentschieden.“
Aufgeregtes erfreutes Raunen klang auf den Rängen auf, zumindest bei meinen Kameraden.
Über den großen Bildschirm flimmerten zwei Szenen. Die Vernichtung meiner Falcon durch die Dartraketen, kurz nachdem der Ausstieg meines Pilotenarschs simuliert worden war. Dann die Hornet, die von meinen Photonengeschützen getroffen und der Bugschirme beraubt wurde. Danach schlugen die Amrams ein. Zurück blieb ein manövrierunfähiges Wrack.
„Lieutenant Commander Galit und Lieutenant Commander Davis haben beide eines der Ziele für den Sieg in der Simulation erreicht. Lieutenant Commander Galit hat den gegnerischen Jäger zuerst zerstört. Aber Lieutenant Commander Davis hat überlebt, während Lieutenant Commander Galit beim Einschlag der Amrams getötet worden wäre.“
Ich nahm das Ergebnis mit einer gewissen unbewegten inneren Ruhe zur Kenntnis. Auch Galit wurde aus dem Sim geholfen, und er kam sofort zu mir herüber. „Guter Kampf, Cliff.“
„Guter Kampf, Dalan.“
Wir reichten einander die Hände, während auf den Rängen geklatscht wurde. Unentschieden. War vielleicht das beste Ergebnis, auf das wir hatten hoffen können.
Captain Ahns Stimme erfüllte den Raum. „Wir bitten alle Beteiligten und alle Interessierten in den Besprechungsraum des Geschwaders. Dort werden wir die Simulation Revue passieren lassen und ausgiebig diskutieren. Im Anschluss bitte ich alle Anwesenden zu einem leichten Abendessen in der Hauptmesse.“
Ich grinste schief. Das konnte die Navy wirklich, aus jeder Gelegenheit eine Essensschlacht zu machen.
Blieb für mich nur noch eine Frage. Würden meine Kameraden mit meiner Leistung zufrieden sein? Ehrlich gesagt gab es gerade für mich Schlimmeres, als dass Lilja beschloss, mich noch einmal von Anfang an auf der Falcon zu trainieren.
„Wollen Sie mir jetzt sagen, wie Sie Hellmountain überlebt haben?“, fragte Galit.
„Und Sie mir erzählen, was diese roten Flecken auf den Unterarmen sind?“, fragte ich.
„Ich sehe, wir haben noch einiges zu bereden“, sagte er, und ich musste zustimmen. Ich mochte diesen T'rr.

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An Bord des TSN-Trägers COLUMBIA, Beta Eridon-System

Abgesehen von der Zeit, wenn der Träger ‚vor Anker‘ lag oder kurze Phasen der Marschfahrten, war im Hangar der COLUMBIA eigentlich immer etwas los. Kampfflieger starteten oder landeten, wurden betankt, gewartet oder repariert. Und ganz besonders galt das für eine Situation wie die jetzige, wenn mehrere Staffeln der Angry Angels abwechselnd Einsätze flogen, während die übrigen Maschinen den Geleitschutz oder die Sicherung des Trägers und der mobilen Werft übernahmen.
Natürlich war es meistens das Wartungs- und Reparaturpersonal, das den Hangar bevölkerte. Aber häufig konnte man hier auch Piloten finden, die an ihren Maschinen schraubten, auf den Einsatz oder einen landenden Kameraden warteten – oder das Bodenpersonal nervten. Je nach Naturell und Anliegen wurden sie von ihren Kollegen der nachrangigen Dienste als Bereicherung, Ablenkung – oder als eine verdammte Belastung angesehen. Gerüchten zufolge hatte Chief Dodsen wegen diesem ‚Besucherrummel‘ schon einmal einen Nervenzusammenbruch erlitten oder mit Meuterei gedroht. Nicht, dass das etwas geändert hätte.
Und genau deshalb war Sugar hier. Tatsächlich fand sie die gesuchte Person bei deren Maschine. Auch wenn in DIESEM Fall zumindest die meisten männlichen Mitglieder der Bodencrew vermutlich nichts gegen die Anwesenheit der von Sugar Gesuchten hatten.
Sie wusste nicht, wie Agyris das hinbekam, aber die stellvertretende Staffelchefin der Butcher Bears konnte sogar der modisch wenig ansprechenden Dienstuniform des Fliegerkorps einen Hauch von Eleganz und Exotik verleihen. Ob es an ihrem wie immer blendenden Aussehen lag, der Art wie sie ihre Haare nicht ganz vorschriftsmäßig hochgesteckt hatte – oder der Fähigkeit, selbst lässig an der Tragfläche Ihrer Nighthawk lehnend gleichzeitig herausfordernd, verführerisch und ein klein wenig einschüchternd zu wirken. Nun ja, wenn man zu den oberen Zehntausend gehörte, bekam man das vermutlich von einer Privatlehrerin beigebracht. ‚Ob die ihr auch das Kickboxen gelehrt hat?‘ fragte sich Petra Martens flüchtig. Aber deswegen war sie nicht hier: „Ich wollte Sie fragen…“
„Einen Augenblick. Sagen Sie mir zuerst, was Sie davon halten.“

DAS war das Wappenbild auf der Seite der Nighthawk, etwas hinter der Staffel-Bugbemalung in Form eines Bärenkopfes mit aufgerissenem Maul und klauenbesetzten Pranken. Huntress war angenehm angetan gewesen, wie sich die Burcher Bears mit ihrer speziellen Jägerbemalung von anderen Staffeln abhoben. Das kam ihrem Sugars Meinung nach leicht narzisstischen Charakterzug entgegen, immer etwas Besonderes sein zu wollen.
Aber deswegen hatte sie vermutlich auch lange gezögert, bis sie ein eigenes Wappen gewählt – und dieses dann mindestens schon einmal gewechselt hatte. Und jetzt war offenbar etwas Neues fällig.
Das Bild, das ein Tech gerade mit vor Konzentration zusammengekniffenen Augen abschloss, zeigte eine gepanzerte Kriegerin mit mediterranem Teint und lang wehenden, schwarzen Haaren. Sie war mit einem Hoplon, einen griechischen Rundschild und einem Langschwert bewaffnet. Die in Rot, Blau und Gold gefärbte Kleidung und Rüstung überließ der Phantasie nur wenig Spielraum.

„Sehr…eindrucksvoll.“ Sugar konzentrierte sich auf das Gesicht und den Hautton der Figur, blickte zu Huntress und musste unwillkürlich grinsen: „Sie haben keine Angst, dass das ein klein wenig unbescheiden ist?“
„Ich fliege den modernsten und teuersten Jäger der TSN. Bescheidenheit ist was fürs Mittelmaß. Und findest du nicht, das passt zu meinem Callsign?“
‚Jedenfalls nicht zu deinem Männerverschleiß.‘ wäre eine passende Retourkutsche gewesen, aber Sugar verkniff sich das. Vermutlich hätte Huntress nur gelacht, aber heute stand ihr der Sinn nicht nach einem der üblichen Verbalgeplänkel, die Huntress so sehr liebte und mit denen sie ihre Kollegen – und ihren stoischen Staffelchef – regelmäßig nervte oder zum Lachen brachte. Was heißen sollte, dass Ohka meist NUR genervt war, während die anderen sich ein Lachen verkneifen mussten. Auch wenn er Huntress Spitzen vielleicht manchmal ein wenig ZU schnell zurückgab, um völlig glaubwürdig zu sein. ‚Du schindest Zeit, Mädchen! Komm auf den Punkt!‘ Sugar räusperte sich und warf dem Tech einen Blick zu, der sie seinerseits aus den Augenwinkeln beobachtete, während er sein Werkzeug zusammenpackte: „Kann ich Sie jetzt sprechen?“
„Das tust du doch bereits.“
„Ich meine unter vier Augen.“ präzisierte Sugar und fühlte, wie sich eine leichte Schärfe in ihre Stimme schlich.
„Nur die Ruhe, Pilotin.“ spöttelte Huntress. Sie nickte dem Tech knapp zu und drückte ihm ein kleines Päckchen in der Hand.
„Was…“
„Was denkst du denn…meine gebrauchte Unterwäsche? Das ist eine kleine Gratifikation, die ich über den Bordschwarzmarkt besorgt habe. Eine Sache, für die unser blaues Wunder gut ist, wenn er sich mal nicht von unseren Verbündeten virtuell zusammenschießen lässt. Oder glaubst du, mein Freund hier…“, sie wies mit dem Daumen auf den sich entfernenden Tech: „Würde für einen Handdruck in seiner Freizeit arbeiten?“
„Kommt drauf an, was man drückt.“
Huntress kicherte dreckig: „Den muss ich mir merken. Vielleicht etwas unter meinem Niveau, aber…“
Sugar war insgeheim dankbar für den Aufschub, zumal das Thema peinlich genug werden würde: „Also sind Sie bei Ace…“
„Behalte deine Gedanken über der Gürtellinie. Auch wenn er es nötig hätte, mal ordentlich durchgenommen zu werden. Immerhin leidet er schon dermaßen unter Fruststau, dass er es an unseren Verbündeten auslassen muss. Denk nur an den Rummel, den er letztlich losgetreten hat. Reine Übertragshandlung.“
Sugar grinste gehässig: „Das hat ja nicht so toll geklappt. Wollen Sie ihm eine Trostrunde spendieren?“
„Ich hoffe sehr, dass du damit einen Simulator-Fight meinst. Ansonsten…Ich habe keine Lust, schon wieder den heiligen Zorn der Blauen auf mich zu ziehen, weil ich das hehre Ansehen meiner Namenspatronin beschmutze. Außerdem wäre ich dann die zweite Huntress, die mit Ace in die Falle hüpft. Und ich bin NIEMALS die Nummer Zwei.
Aber du bist doch nicht hierhergekommen, um über Clifford Davies zu lästern.“

Sugar räusperte sich. Das alles fiel ihr nicht leicht. Erst recht nicht angesichts des sardonischen Grinsen, das um Huntress so verdammt perfekten Mund geisterte: „Es geht um jemanden in der Staffel.“
„Falls du dich über jemanden beschweren willst, gehen wir besser gleich zu Kano. Unser Samurai wirkt ja immer, als hätte er einen Stock verschluckt, aber in dem Fall hätte das seine Vorteile. Ich habe ihm ja vieles voraus, aber ich könnte NIEMALS so gut wie er eines von unseren Testosteronmonstern zusammenfalten.“ Sie überlegte kurz: „Nicht, ohne dem Betreffenden in die Eier zu treten. Also, hat sich jemand daneben benommen?“
„Äh nein, so was meine ich nicht. Ich habe mit niemandem Schwierigkeiten. Ich glaube eher, dass sie ein Problem hat.“
„Wenn es um La Reine geht, die kann ruhig für sich selber sprechen. Und ich denke, dass ich mir schon genug von ihr anhören musste.“

Sugar musste ein Grinsen unterdrücken. Es war ein offenes Geheimnis, dass La Reine unzufrieden darüber war, wie Huntress auf der Karriereleiter an ihr vorbeigezogen war. Die offensichtliche Spannung zwischen La Reine und Kanos Stellvertreterin war für viele Butcher Bears ein Quell heimlichen oder nicht so heimlichen Vergnügens, hatte inzwischen allerdings etwas nachgelassen.

Allerdings hatte Sugar das Gefühl, dass Huntress sie ernsthaft auf den Arm nahm: „Es geht um Flyboy.“
Huntress wölbte spöttisch eine elegant geschwungene Augenbraue: „Du willst, dass ich dir mit unserer kleinen Pandoranerin helfe? Wie könnte die Probleme machen? Das ist doch, als ob man nicht mit einem Kätzchen zurande käme.“
„Können Sie nicht mal ernst sein?“, fauchte Sugar.
„Können Sie nicht mal ernst sein…“
„Lieutenant.“
„Na also. Und was die Frage angeht, wo bleibt denn da der Spaß.“ Huntress winkte beschwichtigend ab: „Schon gut, schon gut, kein Grund, mir ins Gesicht zu springen. Also was ist mit Flyboy?“, Huntress grinste kurz: „Klappt es nicht in der Rotte?“
Sugar winkte verärgert ab: „Nein, im Einsatz ist alles in Ordnung. Ansonsten wär das auch eher was für Ohka.“
„Das würdest du Flyboy antun?“
„SO schlimm ist er nicht.“
„Aber nur im Vergleich zu jemandem wie Lilja. Für einen Neuling kann unser Samurai ziemlich einschüchternd sein.“
Sugar war schon mehrmals auf der falschen Seite von DIESER Seite ihres Staffelchefs gewesen und gab Huntress insgeheim Recht: „Mag sein, aber ich will auch nicht über Ohka reden.“
„Und sie…“
„Ich weiß auch nicht. Sie war noch nie ein Partygirl. Aber seitdem sie abgeschossen wurde… Sie sieht mich nicht an, spricht kaum ein Wort.“
„Hm. Ich…verstehe.“
„Wirklich? Ich verstehe es nämlich nicht. Das ist jedenfalls nichts Kulturelles. Wir hatten schon mal einen anderen Pandoraner. Und der war mit seinen Gefühlen mehr als offenherzig. Fehlte nicht viel, und er wäre Ohka oder Phoenix an die Kehle gegangen.“
„Und, hat er es versucht?“
„Natürlich nicht. Sonst wäre er mit gebrochenen Knochen in die Etappe zurückgeschickt worden. Wäre vielleicht besser gewesen, denn er ist dann bei einem vermeidbaren Unfall draufgegangen und hat einen guten Offizier mitgenommen. Aber Flyboy…“
„Na schön. Das geht dich zwar nichts an, aber da du dir Sorgen machst…
Flyboy hatte es nicht immer einfach. Es gab Schwierigkeiten in ihrer alten Staffel.“
„Schwierigkeiten? Mit Flyboy?“
„Sag ich doch. Als würde man ein Kätzchen schlagen. Aber offensichtlich hat ein abgewiesener Verehrer gegen sie Stimmung gemacht. Und andere Piloten – und Pilotinnen – haben mitgezogenen. Sie war wohl nicht sehr beliebt. Pandoranerin, immer für sich…“
„Was für Arschlöcher!“
„Da sind wir ja endlich mal einer Meinung.“
„Aber ich habe ihr doch nichts getan!“, empörte sich Sugar, „Warum macht sie dann ausgerechnet bei mir dicht!“

Huntress grinste kurz und für Sugars Gefühl viel zu wissend – aber das war bei ihr ja eigentlich immer so: „Hey, so darfst du das nicht verstehen! Ich habe dir das nur erzählt, damit du kapierst, dass sie sich eben schwer tut, jemanden zu vertrauen. Und jetzt…nicht jeder kann mit der eigenen Sterblichkeit so kaltschnäuzig umgehen, wie Phoenix, Ohka, Ace, Lilja oder einer unserer anderen Untoten. Sie ist aus dem Himmel geschossen worden und kam mit knapper Not aus ihrer abstürzenden Maschine raus. Das kann selbst die stärksten Charaktere fertig machen. Dann kommt sie mitten im Niemandsland runter und sitzt fest, während wir und unsere Nachbarn von der anderen Feldpostnummer einander wacker mit Raketen, Bomben und Granaten bepflastern. Und sie kommt nur um die Gefangennahme – oder schlimmeres – herum, weil eine Bande hochbezahlter Killer sie den Akarii vor der Nase wegschnappt. Das alles hat sie vermutlich etwas aus der Bahn geworfen. Denk dran, bisher war sie vor allem gegen Piraten im Einsatz. Das ist nicht dasselbe.“
„Und was soll ich machen? Wenn Sie mir jetzt damit kommen, dass ich ihr Freiraum lassen soll, dann werde ich…“
„Keinen Grund, gleich die Krallen auszufahren...“
„Gut.“
„Auch wenn mein Ratschlag mindestens ebenso klischeehaft ist. Du solltest etwas Geduld mit ihr haben…“
„Ich sagte doch…“
„UND – ich fasse es nicht, dass ich das sage – versuch, sie etwas aus ihrem Schneckenhaus herauszuholen. Rede mit ihr. Niemand sollte so etwas mit sich alleine ausmachen müssen. Denn selbst wenn man es schafft, es bleiben auf jeden Fall Narben. Was meinst du, warum ihr so viele Charakterperlen habt. Lilja, Joystick…“

Sugar schnaubte verächtlich. Dass ausgerechnet FLYBOY ähnlich asoziale Charakterzüge wie Cartmell entwickeln könnte, war so grotesk, dass es schon wieder komisch war: „Und das ist Ihr Ratschlag?“
„Den besten, den ich dir geben kann. Solange du nicht auf die Idee kommst, irgendeinen Seelenklempner auf Flyboy loszulassen. So sehr hasse ich sie nämlich nicht. Und aus dem gleichen Grund lass auch unseren Bordpastor außen vor, ja? Der dürfte ohnehin nicht gut auf sie zu sprechen sein.“
Sugar winkte verächtlich ab, obwohl sie den letzten Satz nicht verstand. Huntress Skepsis war verständlich, ihr Lebensstil war vermutlich den meisten konservativen Seelsorgern ein Dorn im Auge. Aber Flyboy…
„Wenn das alles ist, was Sie mir raten können…“
„Das ist mehr, als Kano je in den Sinn kommen würde. Unser kleiner Japs hat seine Vorzüge, aber Einfühlsamkeit und zwischenmenschliche Beziehungen gehören nicht dazu. Eigentlich komisch, man sollte meinen, dass das für einen Staffelchef wichtig ist.“
„Dafür hat er Sie.“, spottete Sugar und fügte nach kurzem Überlegen hinzu: „Und Lilja hat Imp. Skunk hatte Kali….“
„Hmm. Ich erkenne da ein Muster. Dann habe ich ja auch noch was gelernt.“
„Freut mich, dass ich zu Ihrer Fortbildung beitragen konnte.“ ätzte Sugar.
„Und WIEDER werden die Krallen ausgefahren...“
Sugar winkte ab: „Wie käme ich dazu, Ihre kostbare Zeit weiter in Anspruch zu nehmen?“ und stolzierte davon.

Huntress blickte ihr hinterher, während es um ihren sinnlich geschwungenen Mund zuckte: ‚Du arme Närrin. Dir steht noch die eine oder andere Überraschung bevor.‘ Kurz verspürte sie FAST so etwas wie Gewissensbisse. Vielleicht hätte sie Sugar ja ALLE Gründe für Flyboys Verhalten offenlegen sollen. Doch…Nein. ‚Das muss sie schon selber herausfinden. Außerdem fehlt mir der Babyspeck, um Cupido zu spielen.‘
Und sie würde es genießen, dabei zuzusehen. Solange Sugar nicht mitbekam, dass Huntress ihr etwas vorenthalten hatte. Dann würde der Teufel los sein.

**********

Ungefähr zur gleichen Zeit, nicht sehr weit entfernt


„Ich verstehe nicht genau, was Sie von mir wollen.“ Commander Stafford lehnte sich mit einem leicht spöttischen Gesichtsausdruck zurück.
„Alles, was Sie mir dazu sagen können, wie sich ihre Kameraden aus der CN jetzt verhalten werden.“ Commander Ross lächelte nicht. Sein Gesichtsausdruck ließ zweifelhaft erscheinen, dass er das überhaupt jemals tat.
„Nachdem das Bündnis zwischen Konföderation und Republik…abkühlte, haben mich Ihre Kollegen schon einem Röstgang dritten Grades unterzogen. Wieso meinen Sie, ausgerechnet jetzt noch etwas Neues erfahren zu können? Und ich bin kein Mitglied der…Freikonföderierten.“

Dieser halb spöttische und halb respektvolle Titel für die weiterhin auf Seiten der Republik kämpfenden Konföderierten war einer Episode der menschlichen Vergangenheit entlehnt, als Kämpfer aus von einem erbarmungslosen Feind besetzten Staaten sich geweigert hatten, die Kapitulation oder gar die Kollaboration ihrer Heimat hinzunehmen, obwohl sie zu Hause teilweise als Verräter geschmäht worden waren. Sie hatten weitergekämpft, bis der scheinbar unbesiegbare Feind bezwungen war und sie als Helden und Befreier nach Hause zurückkehrten. So jedenfalls ging die Legende.

„Es hat sich einiges verändert seitdem. Die Konföderation hat uns angegriffen und dabei Rückendeckung von den Akarii erhalten.“
„Um zu wissen, wie DAS bei meinen Kameraden aufgenommen wird – wie dieses ganze sinnlose Blutvergießen – brauchen Sie doch nicht ausgerechnet mich. Vor allem, da Cochrane ausgerechnet der Schlächter von Hannover beigesprungen ist.“
„Aber wie ist es mit dem, was aus dieser Operation resultierte? Wie es aussieht, bekommen Cochrane und seine Militärkamarilla jetzt die Rechnung präsentiert. Wir wissen nicht, ob das in einem Bürgerkrieg endet, ob die Imperialen intervenieren, um ihre Marionette an der Macht zu halten…“
Stafford seufzte leise, nicht nur wegen der Wortwahl von Ross: „Dann gibt es auf jeden Fall einen Bürgerkrieg. Der Großteil unseres Militärs mag ja bisher loyal geblieben sein, aber wenn Cochrane so etwas durchzieht…
Aber Sie brauchen doch nicht ausgerechnet mich, um Ihnen das zu sagen.“
„Nein.“
„Vermutlich wünschen Sie sich das ja sogar.“
„Noch mal nein. Was ich mir WÜNSCHEN würde, wäre, dass die Konföderation die paar Tage länger ausgehalten hätte, die es gebraucht hätte, die Falle dicht zu machen und Ilis in Fetzen zu reißen.“
„Die Gelegenheit haben wir verpasst. Und es bringt nichts, wieder und wieder das ‚Was-wäre-Wenn‘ durchzuspielen. Zumal wir beide dazu eigentlich einen etwas zu niedrigen Rang haben.“
Ross zuckte mit einem Gesichtsausdruck mit den Schultern, der VIELLEICHT so etwas wie Zustimmung ausdrücken sollte: „Aber was werden Ihre Kameraden machen, wenn Cochrane jetzt tatsächlich gestürzt wird?“
„Falls das zu einem Bürgerkrieg führt oder wenn die Imperialen intervenieren? Dann werden sie kämpfen wollen.“
Es zuckte kurz in Ross Gesicht. Fast unmerklich, aber Stafford hatte inzwischen gelernt, aus ihm zu lesen: „Und dass ist es, was Sie hören wollten.“ Natürlich erhielt er keine Antwort. Also vervollständigte er den Gedanken: „Denn dann hätte die Republik eine Legitimation, um ihrerseits einzugreifen, ohne als Invasor dazustehen. Zur Hölle, auf einer Menge Planeten würden die Freikonföderierten – und vermutlich sogar die Republik – dann als Befreier begrüßt werden.“
„Und wenn alles friedlich abgeht und Cochrane einfach durch eine neue Regierung ersetzt wird? Eine, die NICHT so offensichtlich ein Marionettenregime ist?“
„Ich glaube nicht, dass Cochrane sich als eine Puppe der Imperialen sieht.“
„So denken alle Marionetten. Petain und Quisling waren sicherlich auch der Meinung, nur das Beste für ihr Land zu wollen.“
Stafford verzichtete darauf, die historische Analogie zu kommentieren: „Was Ihre Frage angeht…ich weiß es nicht. Das ist eine Frage, die Sie jedem einzelnen meiner Kameraden stellen müssten. Einige werden vermutlich nach Hause wollen, um beim Wiederaufbau zu helfen.“
„Hm…“
„Und die Republik sollte sie dann auch GEHEN lassen. Sie erneut zu internieren wäre genau das falsche Signal.“
Ross nickte millimeterknapp – unklar, ob als Zustimmung oder nur als Zeichen, die Botschaft verstanden zu haben.
„Und andere werden weiterkämpfen. So wie ich. In dem Wissen, dass sie dadurch die Konföderation verteidigen. Denn wenn die Republik verliert…dann ist es letztlich gleichgültig, welche Regierung auf Hannover sitzt. Dann wird die Konföderation auf Zeit und Ewigkeit nicht mehr sein, als ein Vasall des Kaiserreichs, wenn auch vielleicht nicht dem Namen nach. Aber die Imperialen vergessen niemals. Und für sie gibt es keine ebenbürtigen Partner. Nur Unterworfene, bestenfalls Vasallen – und diejenigen, die es noch werden müssen.“
Kurz huschte so etwas wie ein Lächeln über das Gesicht des Sicherheitsoffiziers: „Ich wusste ja gar nicht, dass Sie so eloquent sein können. Das sollten Sie mal vor einem größeren Publikum wiederholen.“
Stafford zuckte mit den Schultern: „Ich habe einen Ruf zu verlieren.“ Er tippte den Hut an, den er zu Beginn der ‚Unterhaltung‘ zu Ross gelinder Irritation auf dem Tisch abgelegt hatte: „Außerdem dachte ich, dass ich so schneller fertig bin. Falls Sie es nicht wissen, ich habe noch einen Termin. Also wenn ich jetzt gehen kann…“
Ross musterte den Geschwaderchef der Angry Angels ein paar Herzschläge mit leicht zur Seite geneigtem Kopf. Diesmal wurde Stafford aus seiner Miene nicht ganz schlau – vielleicht hatte Ross ja bei Kano Nachhilfeunterricht genommen, der die Maske des emotionslosen, stoischen Offiziers fast zu einer Kunstform entwickelt hatte. Dann nickte Ross noch einmal: „Selbstverständlich können Sie das. Dies ist schließlich kein Verhör…“
‚Und was willst du damit jetzt wieder andeuten?‘
„Aber zuvor – ich sollte mich wohl bei Ihnen bedanken.“
„Bitte?“
„Einer Ihrer Piloten hat sich einen kleinen Simulator-Zweikampf mit einem T’rr geleistet. So haben wir einige interessante, aktuelle Daten zu der neuen Hornet erhalten. Das ist zwar ein Kooperationsprojekt, aber so erfahren wir auch mehr zu der Trainingssoftware und dem Flugreglement, dass die Peshten verwenden.“
„Ich freue mich, dass wir Ihnen behilflich sein konnten.“, erwiderte Stafford säuerlich. Er war sich nicht so sicher, was er von der ganzen Sache halten sollte. Nicht, dass zwischen den Angry Angels und ihren Verbündeten auf eine echte Konkurrenzsituation hinauslief, die rasch aus dem Ruder laufen konnte. Immerhin, wenn es bedeutete, dass Ross künftig Ace etwas weniger auf dem Kieker hatte, dann war das immerhin ein kleiner Trost. Stafford wusste nicht so genau, woher Ross Vorbehalte herkamen, aber sie waren manchmal schon etwas lästig.
„Nachdem das geklärt ist…am besten, ich komme gleich mit Ihnen, Commander Stafford. Lassen wir Admiral Girad nicht warten.“
‚Woher…‘, dann unterbrach Stafford seinen eigenen Gedankengang. Ross war immerhin der oberste NIC-Offizier an Bord. Natürlich war er mit im Boot: „Na dann…“

***

Ein wenig später

Es war eine sehr exklusive Runde, die sich versammelt hatte: Admiralin Girard, Captain Ahn, Commander Ross und natürlich Stafford. Die Tatsache, dass weder er noch die Trägerkommandantin ihre Stellvertreter mitbringen sollten, erfüllte Stafford mit dem vagen Gefühl nahenden Unheils. Das, und die Tatsache, dass er nicht einmal hatte erfahren dürfen, WORUM es bei dem Treffen ging. Nach seiner Erfahrung kam bei solchen Geheimoperationen selten etwas Gutes heraus. Zwar hatten Girards erste Worte relativ harmlos geklungen, dennoch…: „Von was für einer Truppenstärke reden wir hier?“
Es war Ahn, die antwortete: „Eine komplette Sturmdivision, dazu kleinere Verbände, Nachschubpersonal, Waffen, Ausrüstung, Munition. Insgesamt etwa 12.000 Mann. Wir erwarten vier Nassau-Truppentransporter sowie acht Altair-Frachter.“
„Und die Eskorte…“
„Das ist eines der Probleme. Soweit ich weiß, zwei Fregatten der Brandenburg-Klasse.“
„Sie machen Witze.“
Ahns nonverbale Antwort war ein Blick, der mehr sagte als viele Worte.
„Jemand sollte unseren Freunden sagen, dass wir Krieg haben.“
Girard winkte verärgert ab: „Wir haben momentan nicht mehr so viele Verbündete, dass wir ihnen Vorhaltungen machen können. Die Peshten stehen mit dem Rücken zur Wand – weshalb wir schließlich hier sind. Und es mangelt ihnen ganz besonders an kapitalen Schiffen. Es sind einfach nicht genug Einheiten, um immer den TSN-Richtlinien für einen angemessenen Geleitschutz zu entsprechen.“
„Und wenn die Akarii den Konvoi über den Haufen schießen, dann haben sie eine Schlacht gewonnen, ohne einen einzigen Infanteristen zu riskieren.“
„Sie können das ja gerne unseren Verbündeten mitteilen. Wenn Sie erst einmal einen entsprechenden Rang erreicht haben. Bis dahin konzentrieren Sie sich lieber darauf, unsere Kollegen sicher nach Gamma Eridon zu bringen.“
‚Wo sie dann das Glück haben werden, mit der kaiserlichen Armee zu kämpfen.‘, hätte Stafford antworten können. Aber das verkniff er sich: „Wie ich das sehe, hat der Konvoi zwar wenigstens eine halbwegs anständige Flugabwehrkapazität, kann aber von zwei Flottenzerstörern in Fetzen gerissen werden.“
„Und da kommen wir ins Spiel. Unsere Aufgabe wird es sein, dem Konvoi vom Sprungpunkt bis zum Ausladepunkt Geleitschutz zu geben.“
„Das sollte für die Angry Angels kein Problem sein.“
„Etwas komplexer ist die Situation schon.“ warf Ahn ein: „Denn das bedeutet, dass wir zu einem Großteil für mehrere Tage für den Bodeneinsatz ausfallen. Unglücklicherweise werden wir das kaum geheim halten können. Deshalb besteht auf jeden Fall die Gefahr, dass die Akarii versuchen, die veränderte Situation auszunutzen. Auf jeden Fall hätten sie eine größere Freiheit bei der Verlagerung und Versorgung ihrer Bodentruppen. Sie könnten ihre eigenen Luftangriffe intensivieren. Schlimmstenfalls schicken Sie einen eigenen Verstärkungskonvoi, den wir dann nicht werden abfangen können.“
Die Admiralin nickte knapp: „Das ist uns allen bewusst. Wir müssen versuchen, dieses…Schwächephase so kurz wie möglich zu halten.“
„Und wie wollen wir das tun?“, fragte Stafford: „Die Frachter sind relativ langsam. Selbst wenn sie mit Höchstgeschwindigkeit fliegen und wir uns auf Langstreckeneinsätze unserer Flieger beschränken…“
„Was nicht nur eine ziemliche Treibstoffverschwendung wäre, sondern auch die Zahl der über dem Konvoi befindlichen Einheiten stark herabsetzen würde.“
„Immer noch besser, als die COLUMBIA zu detachieren. Hingegen einige unserer Geleitschiffe…“
„Wir könnten auch versuchen, Falschmeldungen zu lancieren. Durchsickern lassen, dass das eine Falle ist. Das wir WOLLEN, dass sie einen Konvoi losschicken.“
„Spätestens, wenn unsere Kollegen beim Sprungpunkt auftauchen...“
„Aber dann ist es zu spät, um einen Versorgungskonvoi loszuschicken. Wenn es nicht gerade der Tokio-Express ist.“

Nicht alle verstanden die Anspielung auf eine fast ausschließlich durch schnelle Zerstörer befahrene Versorgungsroute der japanischen Marine im Zweiten Weltkrieg.

Ahn nickte: „Vielleicht könnten wir auch schon einige Tage vorher die Columbia etwas kreuzen lassen. Das wird die Imperialen möglicherweise zusätzlich verunsichern.“
Girard nickte, wenn auch vorsichtig: „Das würde allerdings die Logistik und die Koordination der Bombenangriffe erschweren. Schaffen Ihre Leute das?“
Stafford wusste, dass es darauf eigentlich nur eine Antwort geben konnte: „Natürlich.“
„Ansonsten…“, Ross überlegte einen Augenblick: „Die Idee, einen Teil unserer Eskortverbände zu detachieren, gefällt mir.“
„Sie wollen die COLUMBIA ohne vollständigen Schutz über dem Planeten lassen?“ Ahn klang nicht begeistert.
Ross zuckte mit den Schultern: „Ich bin ja auch an Bord. Ich kann Ihnen versichern, mein Enthusiasmus und Altruismus geht nicht soweit, dass ich unser Schiff einem unnötigen Risiko aussetzen will. Aber seien wir doch mal ehrlich – von welchen möglichen Bedrohungen für den Konvoi sprechen wir hier?“
„Jedenfalls keinem ausgewachsenen Großangriff einer imperialen Trägergruppe.“, musste Captain Ahn einräumen: „Zumal die Akarii nach meinem Wissen nicht einmal einen derartigen Verband in diesem System HABEN. Ein Angriff durch eine Kreuzerdivision und ein oder zwei Zerstörerverbände…“
„Schon eher wahrscheinlich, aber das Risiko werden sie wohl kaum eingehen.“, urteilte Girard: „Eine solche Streitmacht würden wir frühzeitig bemerken und könnten sie mit unseren Kampffliegern zusammenschießen.“
„Und warum müssen wir dann überhaupt…“, Stafford hielt inne: „Sie befürchten einen Schleichangriff.“
Admiralin Girard nickte: „Ein kleiner Verband Kriegsschiffe KÖNNTE an unseren Patrouillen vorbeikommen. Denken Sie an unsere Fregatten der MIDWAY-Klasse. Die Imperialen sind uns auch in diesem Bereich vermutlich immer noch überlegen – Sie erinnern sich an diesen Tarnsatteliten, den wir praktisch überfahren mussten, ehe wir ihn bemerkt haben. Es gibt zudem schon lange Gerüchte, dass die Akarii an getarnten Jägern und auch Kapitalschiffen entwickeln.
Sie haben es selbst gesagt – wenn die Akarii diesen Konvoi vernichten, dann gewinnen sie eine Feldschlacht, ohne einen einzigen Panzer oder Infanteristen einzusetzen. Wir können uns keine Nachlässigkeiten leisten. Auch aus politischer Sicht nicht. Wenn jetzt auch noch die Peshten den Eindruck gewinnen, dass wir sie nicht ausreichend unterstützen…“
Ross schnaubte kurz: „Die Peshten sind nicht die Konföderation. Und sie haben zu ihrem und unseren Glück auch keinen Cochrane.“ Er ignorierte den schrägen Blick, den Commander Stafford ihm zuwarf: „Sie haben einen kaiserlichen Prinzen ERMORDET. Das Konkordat wird nicht kapitulieren.“
„Aus politischen Spekulationen halte ich mich heraus.“, warf Stafford ein: „Aber ich denke ja eher, dass wir uns vor allem vor Minen in Acht nehmen sollten. Wenn die Akarii tatsächlich einzelne Schiffe in den von uns gehaltenen Raum einsickern lassen könnten, wäre das die beste Methode, um uns weh zu tun. Vielleicht nicht sehr spektakulär, aber wirkungsvoll – und verlustarmer für die Imps. Oder sie schießen die Minen kalt raus und lassen sie uns vor den Bug driften.“
Ahn winkte ab: „Das wäre ein bisschen so, als würde man auf einem Fußballfeld mit Murmeln spielen. Aber wir schicken natürlich einige Minenräumer.“
„Die kritischste Phase wird sowieso eintreten, wenn der Konvoi in Schlagreichweite des Planeten ist. Denn dann müssen wir zu jeder Zeit mit einem Großangriff rechnen.“
„Falls die Armeeluftwaffe und unsere Verbündeten auf Zack sind, können die Angry Angels einen Abwehrschirm aufbauen, den nichts und niemand durchbrechen kann.“
„Starke Worte.“ In Girards Stimme schwang leise Skepsis mit.
„Sie kennen die Leistungen der Angry Angels.“
„Das war früher.“, schaltete sich Ross ein. Und obwohl er es nicht aussprach, schwang ein ‚Und da hatten sie andere Kommandanten.‘ in seinen Worten mit: „Wir sollten nicht zu selbstsicher sein.“
„Und deswegen sind wir schließlich hier.“, konterte Stafford, konnte sich aber ein kleine Spitze nicht verkneifen: „Genauer gesagt, deswegen sind Admiral Girard, Captain Ahn und ich hier. Weswegen Sie zu uns gestoßen sind…“
Ross schnaubte kurz: „Meine Aufgabe ist es, die flankierenden nachrichtendienstlichen Maßnahmen zu koordinieren. Sie wissen schon: ‚Erscheine fern, wenn du in der Nähe bist - und nah, wenn du entfernt bist.‘ Schon mal gehört?“
„Wenn Sie damit fertig sind, Sun Tzu zu paraphrasieren, sollten wir uns vielleicht wieder der Frage zuwenden, wie wir 100 Jäger aus der Gleichung nehmen können, ohne dass die Akarii das ausnutzen.“
„Zum Glück sind die Akarii momentan nicht allzu rege. Wenn es uns gelingt, sie über unsere Pläne im Unklaren zu lassen…“

‚Und wenn nicht, dann servieren wir Ihnen die Gelegenheit zu einer kleinen Offensive auf dem Silbertablett.‘ Aber das sprach Stafford nicht aus. Er wusste, dass jeder an diesem Tisch das Gleiche dachte. Andererseits – eine komplette Division mit Panzern und Artillerie konnte zumindest auf lokaler Ebene das Kräftegleichgewicht signifikant verändern und bei einer Offensive – oder der Abwehr einer solchen – eine wichtige Rolle spielen. Von der psychologischen Bedeutung zusätzlicher Verstärkung ganz abgesehen. Kein Wunder, dass die Peshten und die TSN den Konvoi unbedingt sicher durchbringen wollten. ‚Nur, dann hätten sie ihn gleich mit ein paar zusätzlichen Geleitschiffen losschicken sollen.‘ Aber das brachte sie nicht weiter. Auch wenn die TSN bis vor kurzem auf der Gewinnerstraße zu fahren schien – wieder einmal würde es darum gehen, aus dem Vorhandenen das Beste zu machen…
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