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Zum Ende der Seite springen Hinter den feindlichen Linien - Season 7 - Zwischen Himmel und Hölle
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Tyr Svenson Tyr Svenson ist männlich
Captain


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„Nimm vor des Märzen Idus dich in Acht“
Shakespeare, „Julius Cäsar“


Anwesen der Taran-Familie in Pan’chra

Yelak Taran zog das Dreeh einen Fußbreit aus der Scheide und musterte kurz die über das Metall huschenden Lichtreflexionen. Er prüfte nicht die Schärfe der Klinge. Er kannte diese Waffe, pflegte und schärfte sie regelmäßig. ‚Unwahrscheinlich, dass ich mich heute DARAUF werde verlassen müssen, aber wer weiß…‘ Er wollte auf alles vorbereitet sein.
Die auf seinem Bett liegende Laserpistole und die leichte Panzerweste mochten vielleicht nicht den Status und die emotionale Bedeutung des Dreehs haben, doch dafür war es deutlich wahrscheinlicher, dass er sie brauchen würde. Alles war bereit…

Ein Klopfen unterbrach seine Gedanken. Der junge Akarii runzelte die Stirn, während er eine Decke über die Waffen warf. Seine Eltern hatten sich schon für die Nacht zurückgezogen und den Bediensteten hatte er gesagt, dass er nicht gestört werden wollte: „Was ist?“
Zu seiner Überraschung war es der Kommandant der Taran-Wachtruppen, begleitet von einem seiner Offiziere: „Euer Vater wünscht euch zu sprechen.“
„Was will er jetzt noch?“
Der im Dienst der Familie alt gewordene Soldat zuckte mit den Schultern: „Ich gehe davon aus, dass es um Politik geht. Tut es das nicht immer in den letzten Tagen?“
Yelak lag eine bissige Antwort auf der Zunge. Nach seiner Meinung hatte der Lord von Haus Taran sich eher zu wenig der Politik gewidmet – jedenfalls wenn es darum ging, das Richtige zu tun. Aber mit dergleichen konnte er wohl kaum punkten. Manchmal war es ziemlich lästig, der jüngste Sohn eines Adelshauses zu sein, vor allem wenn sein Vater im Adelsrat war und sein Erbe – und Yelaks älterer Bruder – immerhin einen ganzen Raumsektor kontrollierte und laut der imperialen Propaganda den Menschen das Fürchten lehrte.

Wenige Augenblicke stand er im Arbeitszimmer seines Vaters: „Da bist du ja. Es gibt Neuigkeiten aus dem Palast. Tobarii Jockham ist tot…“, der alte Akarii hielt kurz inne und musterte seinen Sohn: „…aber das weißt du natürlich schon.“
Yelak Taran hatte Mühe, seine Überraschung zu verbergen. Der entsprechende Anruf war erst vor zehn Minuten eingegangen und der Grund, warum Yelak die Waffen hervorgeholt hatte, die schon seit einigen Wochen für diesen Augenblick bereit lagen.
„Darf ich erfahren, wo mein Zweitgeborener in dieser Situation und zu dieser Stunde hin will?“
„Mich mit ein paar Freunden betrinken. Dann muss ich wenigstens nicht nüchtern miterleben, wie sich die Allecars im Palast breitmachen.“
„Spar dir deine selbstgerechte Entrüstung. Die Allecars sind fast so alt wie unser eigenes Haus! Zusammen haben wir das Imperium groß gemacht…“
„Und Xias den Blutigen gestürzt, ICH WEISS! Diese Geschichte musste ich mir oft genug anhören. Und vor welchem furchtbaren Schicksal haben die Allecars das Imperium heute bewahrt?“
„Wovor wollten du und deine Freunde das Imperium bewahren? Oh ja, ich weiß Bescheid über eure dilettantischen Pläne. Glaubt ihr ernsthaft, mit großen Worten, ein paar jungen Heißspornen und leichten Waffen könnt ihr Haus Allecar stürzen? Oder euch gegen die kaiserliche Garde durchsetzen?!“
„Die Garde…“
„Beschützt die kaiserliche Familie. Die GANZE kaiserliche Familie. Was auch den biologischen Vater des künftigen Imperators einschließt. Sie ergreift nicht Partei. Jedenfalls nicht für euch. Ein paar einfache Gardisten und niedrigrangige Offiziere unter euch Möchtegern-Verschwören werden daran nichts ändern.“
„Woher…“
„Ich weiß es eben. Was dir beweisen sollte, wie schlecht vorbereitet ihr tatsächlich seid. Hat euch das Scheitern beim letzten Mal nicht gereicht, als ihr ausgerechnet Prinz Jor herausfordern musstet? Viele unserer talentiertesten jungen Männer und Frauen, die Hoffnung unserer Streitkräfte, wurden damals degradiert oder endeten in einem zweitrangigen Front- oder Kolonialkommando, während wir sie doch viel dringender auf Pan’chra und in den Führungsstäben und Flottenkommandos gebraucht hätten. Mokas…“
„‘Kas wurde Militärbefehlshaber eines ganzen Militärbezirks.“
„Nach JAHREN und nachdem alle Alternativkandidaten tot waren oder gemeutert hatten! Und um seine Degradierung oder den Ausschluss aus den Streitkräften zu verhindern, mussten ich und die Familie seiner Verlobten vorher so ziemlich jeden politischen Gefallen einfordern, den Haus Taran und Haus Koo hatten. AUCH bei den Allecars!“
Yelak Taran kam ein furchtbarer Verdacht: „Hast du deshalb im Adelsrat…“
„Ich habe mich für eine möglichst friedliche Lösung dieses ganzen…Debakels eingesetzt, weil ich nicht will, dass auch mein zweiter Sohn in einem Quasi-Exil endet. Oder gleich vor einem Erschießungskommando! Er – und ein paar hundert andere junge Narren, die sich für unbesiegbar halten.“
„Ich diene dem Reich. Nicht, weil man mich bezahlt oder weil ein Herrscher es mir befielt. Sondern weil ich es WILL.“
„Was?“
„Sagte das nicht der Ahn unseres Hauses, als er sich mit einer Schar Gebirgskrieger in den Dienst der ersten Dynastie stellte? Mokas und ich haben diese Worte so oft gehört, dass wir sie im Schlaf aufsagen konnten.“
„Ich habe euch nicht großgezogen, damit ihr euer Leben für irgendein luftiges Ideal wegwerft! Ihr habt eine Verantwortung gegenüber eurer Familie! Deren Zukunft du mit derartigen Dummheiten gefährdest – SCHON WIEDER. Ich verstehe euch sowieso nicht. Hattest du so eine hohe Meinung von Tobarii Jockham, dass du unbedingt seinen Tod rächen willst? Der nebenbei bemerkt besser war, als ich es erwartet hätte. Er ist sehr…ehrenvoll gestorben.“
„Tobarii? Tobarii war ein Narr und ein halber Verräter. Kaum besser als Dero mit seinem widerlichen Seid-nett-zu-den-Menschen. Aber wenigstens kannte er seinen Platz und hat nicht versucht, den Thron zu usurpieren. Ich…WIR…tun das für das IMPERIUM.“

Mit Verspätung erkannte Yelak an dem grimmigen Nicken seines Vaters, dass er mit seinen Worten offenbar die Befürchtungen des Taran-Lords bestätigt hatte: „Das musste ich wohl noch einmal von dir persönlich hören. Aber noch bin ich der Lord dieses Hauses.“
„Was…“
„Ich habe ein paar Tage Urlaub für dich beantragt und diesem Antrag wurde stattgegeben. Im Admiralitätsstab wirst du also vorerst nicht benötigt. Du wirst das Anwesen nicht verlassen. Nicht heute, nicht morgen – solange, bis du mich davon überzeugt hast, dass du dein Leben nicht in dem sinnlosen Versuch wegwirfst, einen Palastputsch gegen die Allecars zu initiieren. Und das auch noch ohne eine schlagkräftige Streitmacht oder einen Thronprätendenten!“
„Rallis oder Navarr…“
„Rallis wird bei einem solchen Selbstmordkommando niemals mitmachen. Nicht, wenn er weder die Garde noch die regulären Streitkräfte hinter sich weiß. Dafür ist er zu klug.“
„Woher willst du das wissen? Welche unfassbare Weisheit verleiht dir…“
„Weil ich mit ihm geredet habe.
Und was Navarr angeht…nun, du wirst schon bald sehen, dass er für eure Pläne nicht zur Verfügung steht. Wofür das Imperium dankbar sein kann! Es sind nicht mehr so viele Prinzen übrig, dass wir derart verschwenderisch mit ihnen sein können.“
„Du kannst mich nicht einfach auf mein Zimmer schicken. Ich bin kein Kind mehr!“
„Dann handele gefälligst auch nicht wie eines! Also – wirst du jetzt gehen, oder muss ich dich von unseren Wachen abführen lassen? Und falls du irgendwelche Dummheiten machen willst – dein kleines Waffenlager habe ich bereits beiseite räumen lassen.“
Yelak unterdrückte den kurzen Drang, seinen eigenen Vater zu schlagen. Und dennoch… „Glaubst du wirklich, dass du irgendetwas änderst, wenn du mich einsperrst? Die Allecars…“
„Wenn du Glück hast, werden sie nicht einmal BEMERKEN, was heute Nacht beinahe passiert wäre. Glaubst du etwa, ich wäre der einzige Vater, der sein Kind nicht an dessen eigene Torheit und ein hohles Ideal verlieren will?“
„Was…“
„Das wirst du bald genug erfahren.“
‚Irgendjemand muss uns verraten haben. Wenn das stimmt…‘ Mit einmal fühlte sich Yelak, als alle Kraft und Energie seinen Körper verlassen. Er wollte fluchen, um sich schlagen, etwas tun – aber das einzige was ihm blieb war ohnmächtige Wut.
„Wir MÜSSEN handeln! Egal wie gering die Chancen für einen Erfolg sind. Wie sollen wir uns sonst künftig noch im Spiegel ansehen?! Jemand muss sich den Allecars entgegenstellen! Selbst wenn wir ohne jede Chance wären, so muss es dennoch versucht werden! Das Imperium…“
„Das Imperium hat schon ganz andere Dinge überstanden. Solange unsere Streitkräfte einig sind, solange der Adelsrat sich nicht zerfleischt…ist es eigentlich fast zweitrangig, wer auf dem Thron sitzt. Das werden auch die Allecars begreifen, wenn sie es nicht schon wissen. Was auch immer Meliac will, was auch immer Dero antreibt – wobei ich meine Zweifel habe, dass es bei beiden dasselbe ist – sie brauchen Verbündete. Und das ist unsere Chance. Eine Chance, dass das Haus Taran sich einmal mehr als einer der Pfeiler beweist, auf denen das Imperium ruht. Dein Bruder ist von einem exilierten Admiral zum Hoffnungsträger des Reiches geworden. Der sich zudem auch noch bald mit dem Haus Koo verbinden wird und den eine alte Freundschaft mit dem Vater des künftigen Imperators verbindet. Und auf meine Stimme hört man im Adelsrat.“
„Mein Bruder? Das einzige was ich weiß ist, dass man ihn auf eine Selbstmordmission geschickt hat. Und dass er jetzt mit einer zusammengeschossenen Flotte einen Sektor sichern und verteidigen soll, in dem es von Rebellen und Putschisten wimmelt und der von den Menschen eingekreist ist!“
„Du bist nicht mehr auf dem Laufenden, mein Sohn. Offenbar hat die Flotte Großes mit ihm vor. Und du kannst ein Teil davon sein. Wenn du es schaffst, dich nicht umbringen zu lassen…“

***

Residenz der Allecars

Es hätte für Lord Meliac Allecar ein Tag des ungetrübten Triumphs sein müssen. Sein Sohn hatte erneut die in ihn gestellten Erwartungen erfüllt und Tobarii Jockham im Zweikampf niedergestreckt. Nicht, dass Meliac Zweifel am Ausgang des Duells gehabt hätte. Aber insgeheim hatte er bis zuletzt gefürchtet, dass der Kriegsminister sich irgendwie herauswinden oder einen erfahreneren Kämpfer in den Kampfkreis schicken würde. Doch letztendlich hatte Tobarii seiner gekränkten Ehre und offensichtlichen Selbstüberschätzung den Vorzug vor Vernunft und Selbsterhaltung gegeben. Und alles hatte sich so entwickelt, wie Lord Allecar es vorausgeplant hatte. Fast alles.

Er hatte nicht damit gerechnet, dass Tobarii tatsächlich in der Lage sein würde, Dero zu verletzen. Das war eine unangenehme Überraschung gewesen. Kurz hatte Meliac Allecar gefühlt, wie die kalten Finger der Angst nach seinem Herz griffen, als er sich vergegenwärtigte, was er alles hätte verlieren können. Doch inzwischen hatte er sich zu der Erkenntnis durchgerungen, dass diese Verletzung sogar etwas Gutes hatte. Sie schützte Dero vor dem Vorwurf, einen kampfuntauglichen Halbzivilisten niedergemäht zu haben. Vergossenes Eigenblut untermauerte Deros durch Tobariis Tod erhobenen Anspruch auf die Vaterschaft des künftigen Imperators. ‚Und vielleicht wird Deros Verletzung auch Linai etwas milder stimmen. Immerhin HAT sie ihn geliebt. Was mehr sein könnte, als sie mit Tobarii verband. Oder es bietet ihr zumindest einen Vorwand so zu tun, ohne ihr Gefolge und einige eher wertekonservative Adelshäuser zu brüskieren.‘

Es gingen bereits die ersten Glückwünsche anderer Adelshäuser ein – auch von etlichen, die sich vorher bedeckt gehalten, einen anderen Thronprätendenten unterstützt oder sogar für Tobarii Jockham Partei ergriffen hatten. Meliac Allecar würde die damit verbundenen Angebote zur Zusammenarbeit huldvoll annehmen – zumindest in den meisten Fällen. ‚Es könnte sich auch lohnen, bei einigen in einem eher zweifelhaften Ansehen stehenden Adelshäusern wählerisch zu sein.‘ Wenn sie keine nützlichen Ressourcen oder Verbindungen mitbrachten.

Alle Warnungen vor einer drohende Einheitsfront des Adels oder gar einem von einem der anderen Thronprätendenten initiierten Militärputsch hatten sich als unbegründet erwiesen. Und dennoch…

Eine Reihe großer Adelshäuser war offensichtlich entschlossen, weiterhin Distanz, ja sogar offene Feindschaft zu den Allecars zu demonstrieren. Die Otranos, die Nellans…und nachdem Großerzogin Zuunis Schützling sich dazu hergegeben hatte, für Tobarii Jockham den Sekundanten zu spielen, musste Meliac mit der Möglichkeit rechnen, auch die Großherzogin und ihre weitreichenden Verbindungen zum Feind zu haben.
Wie Linai Thelam darauf regieren würde, dass ihr ehemaliger Geliebter ihren Ehemann umgebracht hatte, und wohin sie diejenigen Häuser führen würde, die ihr weiterhin die Treue hielten oder aus dem nun quasi verwaisten Tobraii-Lager zu ihr wechseln würden, war noch völlig ungewiss.

Und dann waren da natürlich noch die anderen Thronprätendenten.
Lisson Thelam war noch am harmlosesten, aufgrund seiner wenig martialischen Natur und fehlenden Machtbasis maximal als Marionette irgendeiner Parteiung gefährlich. Immerhin konnte er schon erwachsene Töchter vorweisen. Das legte nicht nur nahe, dass er auch einen Thronfolger zeugen konnte, seine Töchter waren auch ein wertvolles Unterpfand für Bündnisse, die immer noch häufig durch Heiraten zwischen den Adelshäusern besiegelt wurden. Lord Allecar hatte deshalb Maßnahmen ergriffen, um den Historiker im Auge zu behalten und genau so etwas zu verhindern.
Kerrak Thelam diente seit etlichen Monaten unter Admiralin Rian in der Flotte, weitab von Pan’chra und seinen politischen Grabenkämpfen. Damit war er jedoch nur scheinbar aus dem Spiel. Denn falls sich das Flottenoberkommando oder auch nur Admiralin Rian entschließen sollten, dass die Marine eine aktivere Rolle in der Innenpolitik übernehmen müsse…
Rallis Thelam hatte das Potential und auch das Format, sich als mehr als nur ein Ärgernis zu erweisen. Es war unmöglich abzusehen, was er als nächstes tun würde. Leicht konnte er zu einem Sammelpunkt jener reformorientierten Kräfte im Adel und den Streitkräften werden, denen die von Meliacs Sohn etwas unbesonnen angestoßene Versöhnungspolitik mit dem Menschen zu weit ging, oder – weitaus zahlreicher – die aus höchst eigennützigen Gründen dem Aufstieg der Allecars feindlich gegenüberstanden. Bestens vernetzt und extrem vorsichtig, bot der füllige Akarii-Prinz mit dem Ruf eines Schwerenöters und amüsanten Sarkastikers ein schwieriges Ziel. ‚Zumindest vorerst hätte ich ihn lieber als Verbündeten denn als Gegner.‘ Meliac hatte da auch schon etwas in die Wege geleitet, dennoch… ‘Bleibt abzuwarten, ob er sich einfangen lässt.‘
Und Navarr Thelam...
Jung, gutaussehend, Flottenkadett mit hervorragenden Anlagen. Nicht so weltfremd wie Lisson, nicht so arrogant wie Karrek. Genau die Figur, für die sich der Pöbel und auch viele Mitglieder des Adelsrates erwärmen könnten. Schon mehr als halb in Rallis Lager und damit doppelt gefährlich und zudem im Augenblick inmitten einer Manöverkampfgruppe, die nicht nur genug Schlagpotential für einen Militärputsch hatte, sondern mit Marschall Parin als ‚Berater‘ auch jemanden, dem Meliac so eine Tollkühnheit zutraute. Und der…

„Sie haben sie AUS DEN AUGEN VERLOREN?! Man verliert doch nicht einfach einen imperialen Marschall und einen Thronfolger aus den Augen!“
Der abgekanzelte Armee-Major war zweifellos froh über die Entfernung, die zwischen ihm und dem Unwillen von Lord Allecar lagen: „Verzeiht, aber als die gesamte Manövergruppe in Alarmbereitschaft versetzt wurde, dachte ich…“
„Sie sollen nicht denken, sondern Parin und Navarr im Auge behalten. Schlimm genug, dass sich dieser junge Narr von Rallis hat einwickeln lassen. Wenn ihn jetzt auch noch einer dieser verfluchten Frondeure unter die Fittiche nimmt…“

Nicht, dass Meliac Allecar die vor einigen Jahren spektakulär gescheiterten Offiziersverschwörer aus Prinzip verabscheute. Im Gegenteil, er konnte ihre Abneigung gegen Jor nachvollziehen. Und ohne den misslungenen Sturz des Kronprinzen, die anschließenden Säuberungen und alle damit verbundenen Nachbeben und politischen Verwerfungen wäre es Haus Allecar vermutlich sehr viel schwerer gefallen, nach der Macht zu greifen. Nur leider waren die ehemaligen Verschwörer überwiegend in anderen politischen Lagern zu finden und leisteten sich den Luxus, Haus Allecars legitimen Machtanspruch als Angriff auf die Interessen des Imperiums und Dero Allecars Versöhnungsoffensive gegenüber der Konföderation als zumindest ehrenrührig, übertrieben oder geschmacklos zu verurteilen.
Und wie Rallis waren die meist jungen Offiziere und Adlige, die behaupteten ihre Loyalität für ein modernes, starkes Imperium vor die Treue zu einer einzelnen Person zu stellen, gut vernetzt. Trotz Frontversetzungen, Degradierungen, Beförderungssperren und Entlassungen schienen der Fronde deshalb wie einem Ungeheuer aus den alten Sagen auch nach ihrer Niederlage gegen Jor immer wieder neue Köpfe und Arme zu wachsen.

„Etwa anderthalb Stunden nach dem Duell traf hier ein Militärshuttle ein. Offiziell mit Versorgungsgütern aus einer nahelegenden Basis. Laut den Radaraufzeichnungen aber aus der Hauptstadt….“ ‚Vermutlich wussten sie, dass der Funkverkehr abgehört wurde.‘ „…und fast sofort nach der Ankunft wurde Großalarm gegeben. Ich dachte, Parin mobilisiert…“
„Was habe ich Ihnen über das Denken gesagt?!“
„Verzeiht, mein Lord. Kurz zuvor führte die Kommandozentrale der Manövergruppe zudem eine längere Kommunikation mit einer Station, die zum Armeeoberkommando gehört. Angeblich neue Übungsbefehle…“, ‚Was bedeutet das nun? Ein Zufall oder eine weitere Partei die im Spiel mitmischt?, „…und tatsächlich wurden alle bereits aufgestellten Manöverpläne annulliert. Die neu angesetzten Alarmübungen beinhalteten zahlreiche weit verstreute Luftlandungen, Langstreckenflüge und simulierte Luftangriffe auf Bodenziele, über den Bereich der Manöverzone Gorlan-Vier hinaus. Als ich feststellte, dass sowohl Marschall Parin als auch Navarr Thelam anscheinend das Lager verlassen hatten, war deshalb unmöglich zu verifizieren, ob und wie sie dies getan hatten.
Ich habe versucht, weitere Informationen zu sammeln. Marschall Parin war nur als Berater hier…“
„Aber sicher doch!“
„Deshalb unterstand er nicht direkt dem Kommando der Manöverleitung. Es scheint aber, als sei er vom Generalsstab einberufen worden. Allerdings konnte ich auch das noch nicht bestätigen.“
„Das lassen Sie mal meine Sorge sein!“ Meliac Allecar mäßigte seine Stimme etwas. Immerhin bedeutete das Verschwinden der beiden, dass sie sich NICHT zusammen mit mehreren tausend Soldaten in Richtung Pan’chra in Bewegung setzten: „Was ist mit Navarr?“
„Es gibt eine Weisung, dass er mit zwei Kompanien Rekruten und Luftlandetruppen auf einen Langstrecken-Survival-Einsatz geschickt wurde, unter absoluter Funkstille...“
„Wie passend. Mit welchem Ziel?“
„Die nördliche Gebirgskette von Karrg’anat…“
„Sie wollen mich wohl für dumm verkaufen?! Wollen Sie sagen, dass man Navarr unter Ihren Augen auf einen anderen KONTINENT verfrachtet hat? Und Sie haben nicht mehr als eine Gebirgsregion?! Das sind ein paar tausend Quadratmeilen!“

Karrg’anat, das ‚Heim der Drachen‘, war der kleinste Kontinent von Akar. Weitab von anderen Landmassen, war er erst in der Moderne entdeckt worden und immer noch kaum erschlossen. Eine Zeitlang hatte der rohstoffarme Kontinent für das vermeintlich wohlwollende Imperium als Abladeort für renitente Eingeborenen-Stämme gedient, die sich dem Vormarsch der Zivilisation entgegenstellten und denen man die Möglichkeit geben wollte, ihr traditionelles Leben zu führen, statt sie zu unterwerfen oder einfach auszurotten. Inzwischen wurde die ‚Große Deportation‘ eher kritisch gesehen. Die vielfach sehr lebensfeindliche Wildnis jenseits der wenigen Küstenstädte beherbergte einige der gefährlichsten Raubtiere Akars. Vermutlich war das einer der Gründe, warum imperiale Spezialeinheiten und Gardetruppen Karrg’anat gerne für Überlebensübungen nutzten und die dorthin deportierten Nomaden als besonders gute Rekruten für die Armee galten.

„Vermutlich SOLLTEN Sie diese Informationen finden. Sie und jeder andere, der Navarr hinterherspürt.“ ‚Es sei denn, sie denken wirklich, dass Navarr in der Wildnis sicherer ist als beispielsweise in Pan‘chra.‘ Was gar nicht einmal unplausibel war.
„Und was ist mit Navarrs Leibwächtern? Sind die ebenfalls ‚verschwunden‘?!“ Eigentlich wurde jedes Mitglied der kaiserlichen Familie durch die Kaiserliche Garde beschützt.
„Wie Sie wissen gelten für Familienmitglieder, die in den Streitkräften dienen, besondere Richtlinien, um den Dienst nicht unnötig zu behindern und eine unangemessene Bevorzugung zu vermeiden. Zumindest solange sie keine Kommandofunktion haben – und keine unmittelbare Lebensgefahr besteht – setzt die Garde auf einen eher unauffälligen Schutz aus der Ferne.“ Meliac Allecar schürzte abfällig die Lippen. Er hielt das vor allem für Theater. ‚Als ob ein Thelam je ein ‚einfacher‘ Soldat oder Kadett sein könnte.‘
„Anscheinend gab es da Verwirrung, was eine angeordnete Ablösung der für den Schutz Navarrs abgestellten Gardisten anging…“
Allecar fragte sich, wer dahintersteckte. Die Fronde? Rallis? Linai? Oder der Kommandeur der Garde höchstpersönlich? Die Kaiserliche Garde…

Das Fenster des Zimmers ging auf einen Innenhof hinaus, aber dennoch wusste Lord Meliac Allecar, was vor seinem Anwesen vor sich ging – so als würde er es mit eigenen Augen sehen. Vor wenigen Stunden, kurz nachdem ihn die erhoffte Nachricht von Tobarii Jockhams Ableben erreicht hatte, war eine gepanzerte Kolonne der Garde vorgefahren. Beinahe hätte es ein Blutbad geben. Auch wenn die Wachtruppen der Allecars zahlenmäßig überlegen, gut ausgerüstet und ausgebildet waren, hätten sie in einem Kampf mit der kaiserlichen Garde vermutlich nicht viel mehr tun können, als mit Ehre zu sterben. Selbst wenn sie die Einheit aufgerieben hätten, die Vergeltung wäre ebenso unvermeidlich wie gnadenlos gewesen.
Aber die Gardisten hatten nicht angegriffen. Nach einer knappen Mitteilung, dass sie Ruhe und Ordnung gewährleisten und die Familie des biologischen Vaters des künftigen Kaisers beschützen würden, hatten sie stattdessen einen Sperrposten errichtet und das Gelände um die Residenz gesichert. Meliac Allecar hatte seine hochgradig nervösen Wachtruppen beruhigt und angewiesen, den Gardisten bei Gelegenheit heiße Getränke und Essen zu bringen.
Aber er war kein Narr. Das Auftauchen der Garde konnte man auch anders interpretieren. Als wenig dezenten Hinweis auf die Macht der Gardetruppen. Als Warnung an jene, die dem Haus Allecar Gefolgschaft schwören wollten. Als Mahnung an Meliac selber, dass er unter Beobachtung stand. Der Kommandant der Allear-Wachtruppen hatte Meliacs Verdacht bestätigt, dass die meisten der Gardetruppen zwar das Anwesen nach außen sicherten – mindestens ein Drittel aber die Gebäude und Wacheinheiten der Residenz im Auge behielt. Außerdem hatten sie eine Rundumverteidigung eingerichtet – der ‚Schutz‘ konnte sehr schnell zu einer Blockade oder gar Belagerung werden. ‚Und Panzerfahrzeuge können in mehr als nur eine Richtung schießen...‘

***

Zur gleichen Zeit, unweit entfernt

Sergeant Len von der Kaiserlichen Garde hob in einer routinierten, tausendfach geübten Bewegung die Hand und signalisierte dem nähernden Fahrzeug, anzuhalten. Er war nicht alarmiert - der leicht gepanzerte Wagen trug die Insignien der Garde - aber es galt die Regeln zu beachten. Während er nähertrat musterte er die Insassen – ein junger Leutnant, ein etwa gleichaltriger Soldat sowie eine kampferfahren wirkende Unteroffizierin – und salutierte flüchtig: „Lieutenant?“
„Wir haben eine Nachricht für Lord Allecar.“
Len schürzte die Lippen. Ihm missfiel das undurchsichtige Spiel, auf das sich die Kaiserliche Garde hatte einlassen müssen. Wer war nun Freund und wer Feind? Er bevorzugte klare Fronten und eindeutige Befehle. Doch heute war nichts mehr eindeutig und die Fronten fließend und undurchsichtig. ‚Im Vergleich dazu war der Krieg auf T’rr eine einfache Sache.‘ Dort hatte man sich noch darauf verlassen können, dass zumindest alle AKARII auf derselben Seite standen: „„Ihre Autorisation?“
„Na…natürlich.“ Der Lieutenant aktivierte sein Komm und hielt es Len entgegen. Eine eigentlich überflüssige Geste. Der Sergeant wartete, bis sich die beiden Geräte synchronisierten, überprüfte den Code – und hielt inne: „Es gibt da eine kleine Unstimmigkeit, Lieutenant…“, er wandte sich halb zu seinen Kameraden um: „Ich muss…“
Der Strahl eines Handlasers erwischte Len zwischen Halsansatz und Schulter – vermutlich ließ ein schlechtes Gewissen oder Nervosität die Hand des Schützen zittern und einen eigentlich todsicheren Schuss verreißen. Während Len zurückstolperte, beschleunigte das von Lieutenant Renik befehligte Fahrzeug, schrammte mit einem widerlich hohen, metallischen Kreischen an dem quer zur Fahrbahn stehenden Schützenpanzer vorbei und schoss auf den Haupteingang des Allecar-Anwesens zu. Die eben noch scheinbar entspannt auf dem Rücksitz sitzende Unteroffizierin beugte sich aus dem Seitenfenster und eröffnete das Feuer auf die Alleacar-Gardisten, die das Haupttor bewachten und kalt erwischt wurden. Der neben Renik befindliche Soldat tastete wesentlich weniger kaltblütig nach einem zwischen seinen Füßen platzierten Rucksack, während er gleichzeitig versuchte, seinen Handlaser zu ziehen. Seine Nervosität mochte damit zusammenhängen, dass sich in dem Rucksack mehrere Sprengladungen befanden, jede stark genug um ein gepanzertes Fahrzeug oder eine schwere Sicherheitstür zu knacken.

Renik fixierte das immer näherkommende Metalltor, während er lautlos fluchte. Alles war schiefgegangen! Nach seinem vergeblichen Besuch bei Marschall Parin und Prinz Navarr hatte er an dem für den Angriff auf das Allecar-Anwesen vereinbarten Treffpunkt vergeblich auf die vereinbarte Verstärkung gewartet. Seine Kontakte hatten entweder nicht geantwortet oder verwirrende Informationen darüber geliefert, ob sich Dero UND Meliac Allecar auf dem Anwesen ihrer Familie aufhielten. Die angelaufene Abriegelung des Palastviertels und der Zufahrtsstraßen, die die Verschwörer doch eigentlich für sich hatten nutzen wollen, war zu einem ernsten Hindernis geworden, als Renik feststellte, dass weder er noch die Verschwörer in den Reihen der Garde, die er hatte erreichen können, Zugriff auf die neuesten Autorisierungscodes und die geänderten Passwörter hatten. All das hatte in Renik einen bösen Verdacht gweckt, der noch verstärkt wurde, als einer der Verbindungsmänner zu Rallis Thelam die Warnung geschickt hatte, dass sie sofort untertauchen sollten – und dann mit gutem Beispiel voranging. Er hatte schon vorher registriert, dass die ‚alten Männer‘ die Sache als hoffnungslos ansahen, aber dass nun…
So war ihm am Ende nur noch eines geblieben – ein tollkühner Versuch, zumindest Lord Meliac auszuschalten, um ein Signal zu setzen. Wenn Meliac Allecar starb oder zumindest verwundet wurde, wenn die Garde und die Allecar-Truppen das Feuer aufeinander eröffneten…dann konnte sich das Blatt immer noch wenden.

„Sobald wir durchs Tor sind – Zugangstür sprengen! Dann…“ Renik sah nicht, wie der Turm des hinter ihnen stehenden Schützenpanzers herumschwenkte, während sich die Mündung der Strahlenkanone wie ein suchendes Auge senkte.

***

Meliac Allecar hielt inne, als ein ferner Alarmruf durch seine Gedanken schnitt, abrupt durch aufflackerndes Kleinwaffenfeuer abgeschnitten, in den sich wenige Augenblicke später das charakteristische Fauchen eines schweren Schnellfeuerlasers mischte: „Was zum…“
Die Tür des Zimmers folg auf und drei von Meliacs Gardisten stürzten ins Zimmer. Während eine Soldatin mit angelegtem Lasergewehr am Fenster in Stellung ging, riss ihr breitschultriger Kamerad Lord Allecar von seinem Stuhl und schob in hinter sich in Richtung Tür, dieweil der dritte Soldat den Gang sicherte: „Sie müssen weg.“
„Ziel ist unversehrt und auf dem Weg in den Bunker.“ Wie die meisten Residenzen hatte auch das Allecar-Anwesen nicht nur mehrere sichere Räume, sondern auch einen unterirdischen Luftschutzbunker, der Angriffen mit den meisten konventionellen Waffen sowie biologischen und chemischen Kampfstoffen widerstehen konnte – sogar einem Nahtreffer mit einem taktischen Atomsprengkopf.
„Weg frei. Wiederhole, Weg frei. Zusätzliche Kräfte treffen ein in…“
„Stopp!“ Zum Glück gehorchte der Gardist. Lord Allecar hätte nur ungern den ebenso würde- wie chancenlosen Versuch unternommen, seinen ‚Beschützer‘ zu stoppen: „Was bei den Höllen ist los?!“
„Es gab einen Vorfall beim Haupttor. Angreifer mit automatischen Waffen.“
„Am Haupttor? Greift die Garde an?“
„Wir wissen nicht…“
„Natürlich ist es nicht die Garde. Dann wären Sie längst durchgebrochen. Nein. Also werde ich mich nicht verkriechen.“
„Mein Lord, bis die Lage geklärt ist…“
„Ich habe Ihre Bedenken zur Kenntnis genommen. Nehmen Sie meine Befehle zur Kenntnis.“
Der Soldat musterte seinen Lord ein paar Augenblicke: „Sucht wenigstens einen geschützten Raum auf, mein Lord. Bis die Lage geklärt ist.“
Meliac Allecar überlegte kurz. Er wusste die professionelle Besorgnis seiner Leibgarde durchaus zu schätzen, und es empfahl sich, ihnen zu signalisieren, dass er ihre Sorge auch ernst nahm. In einem der Schutzräume war Meliac zumindest vor Angreifern mit Kleinwaffen und leichten Sprengsätzen sicher. Außerdem gab es dort eine autarke Luftversorgung für zwölf Stunden, eine gesicherte, redundant funktionierende Kommunikationseinrichtung sowie Wasser und Lebensmittel: „Meinetwegen. Aber ich will umgehend informiert werden, sobald die Lage geklärt ist. Und ich will wissen, dass es meinem Sohn gut geht. Und noch etwas – NIEMAND schießt auf die kaiserliche Garde, es sei denn, Sie dringen in das Haupthaus ein. Und selbst dann Feuererlaubnis nur nach meiner ausdrücklichen Genehmigung. Geben Sie das weiter!“
„Selbstverständlich mein Lord. Wenn Ihr mir folgen würdet…“

Vor dem Haupttor des Anwesens war das kurze aber heftige Feuergefecht inzwischen vorbei. ‚Nicht, dass da ein Zweifel bestanden hätte.‘ dachte Lieutenant Ajanni, Kommandantin der zur Bewachung des Allecar-Anwesenden abgestellten Gardeeinheit. Doch sie fühlte keine Genugtuung.
Die drei Angreifer in den Uniformen der Kaiserlichen Garde waren tot, wie ihr leichtgepanzertes Fahrzeug von zahllosen Treffern durchsiebt.
„Die Allecars wollen wissen, was verdammt noch mal eigentlich los ist. Ihre Worte.“
Ajanni wandte ihren Blick von den verbrannten Leichen der Angreifer ab: „Sagen Sie ihnen, es hat ein Missverständnis gegeben. Die Lage ist unter Kontrolle.“
„Ein MISSVERSTÄNDNISS?! Wir haben einen Schwerverwundeten, zwei Allecar-Gardisten sind tot, ein dritter überlebt vielleicht nicht die Nacht! Die Angreifer waren Mitglieder der Garde! Und ich soll ihm sagen, dass – was?! Dass diese drei Arschlöcher sich verfahren haben und das falsche Anwesen stürmen wollten?!“
„Na und?! Wir haben einen toten Kriegsminister und Gardisten, die auf ihre Kameraden schießen, nur weil ein paar Adlige nicht im eigenen Bett schlafen können! Also sagen Sie den Allecars, was sie wollen! Aber wir werden das Ansehen der Garde nicht durch den Dreck ziehen, nur damit ausgerechnet Meliac Allecar und sein Söhnchen besser schlafen können!“
„Dero Allecar ist…“
„Ich weiß, was er ist. Und auch, was er NICHT ist. Ich habe für ihn auf meine Brüder und Schwestern geschossen!“
Ihr Ausbruch schien an dem steinernen Gesicht ihres Stellvertreters abzuprallen. Dennoch waren seine nächsten Worte leiser: „Das weiß ich. Ich habe es auch getan. Und ich würde es wieder tun. Sergeant Len ist auch unser Bruder – und dennoch haben die Angreifer ihn niedergeschossen. Und wenn Gardisten sich anmaßen, darüber zu entscheiden, welche Mitglieder der kaiserlichen Familie es verdienen zu leben und welche sterben sollen…“
„Die Allecars…“, Ajanni schluckte herunter, was sie hatte sagen wollen. Wie auch den Hinweis darauf, dass die Garde mehr als einmal noch viel weiter gegangen war als diese drei Narren.
„Das Oberkommando wird wissen wollen, was passiert ist.“
„Und das soll es auch erfahren. Aber das geht nur die Garde etwas an. Niemanden sonst.“
„Und…das hier?“ Die Handbewegung ihres Untergebenen umfasst das zerschossene Fahrzeug, die zugedeckten Leichname und verstreuten Waffen.
„Räumt das weg. Wir wollen doch nicht, dass LORD Allecar sieht, wer die Rechnung für seinen Ehrgeiz bezahlt.“
Während Ajannis Stellvertreter sich entfernte, kehrte der Blick der Gardeoffizierin zu der Rettungsdecke zurück, die den Leichnam des Anführers der Attentäter verbarg. Leutnant Renik war in ihrem Alter gewesen. ‚Warum, du Idiot? Warum? War es das wert? Dass Garde jetzt auf Garde schießt?!‘ Natürlich erhielt sie keine Antwort. Die Toten blieben stumm.

Dieser Beitrag wurde 1 mal editiert, zum letzten Mal von Tyr Svenson: 22.07.2017 18:53.

22.07.2017 16:42 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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"Aber Brutus ist ein ehrenhafter Mann!"
Shakespeare, "Julius Cäsar"


Anwesen von Prinz Rallis Thelam,

„Wie lange wollt Ihr euren…Gast warten lassen?“ Dan Qaus Stimme klang etwas unsicher. Vermutlich erinnerte er sich an die erste Reaktion des Thronprätendenten, als er Gilat Allecar angekündigt hatte, eine Nichte von Lord Meliac Allecar. Rallis, der eben erfahren hatte, wie das Duell zwischen Dero und Linais Ehemann ausgegangen war, hatte einige recht farbige Wörter bezüglich der Herkunft und Sexualgewohnheiten von Lord Meliac, seinem Sohn und den Angehörigen von Haus Allecar generell gebraucht. Und hinzugefügt, dass Meliac sehr gut daran getan hätte, keinen männlichen Vertreter seines Hauses zu schicken. Denn in diesem Fall wäre Rallis doch sehr versucht gewesen, den Boten einfach zu Lord Allecar zurückzuschicken. Natürlich mit seinem Kopf in einem separaten Behälter.
Inzwischen hatte sich der Prinz und Thronprätendent allerdings beruhigt. Er schürzte lediglich kurz die Lippen: „Ich WILL sie warten lassen, bis Dero Allecar an Altersschwäche eingegangen ist. Aber da es leider nicht darum geht, was ich will, gib mir noch zwanzig Minuten. Damit bleibe ich noch gerade im Rahmen dessen, was als höflich gelten kann. Auch wenn ich Wichtigeres zu tun habe, als mich mit dieser Bande von Emporkömmlingen abzugeben. Gibt es irgendetwas Neues?“
Er brauchte nicht genauer zu werden. Dan Qau wusste, was sein Lehrmeister und Arbeitgeber meinte und spannte sich unwillkürlich an: „Offenbar wird die Nacht ruhig bleiben. Abgesehen von dem Zwischenfall beim Anwesen der Allecars…“
„Was für eine sinnlose, vergebliche Verschwendung.“ In Rallis Thelams Stimme schwang echtes Bedauern mit. Allerdings war sich Dan Qau ziemlich sicher, was Rallis wirklich bedauerte: „Aber wir müssen uns wohl damit zufriedengeben, dass das große Blutvergießen verhindert werden konnte.“

Dan Qau wusste noch immer nicht, was es gewesen war, dass Rallis Entschluss herbeigeführt hatte. Waren es die Treffen mit Vertretern der Admiralität und des Generalstabes gewesen? Das gestrige Gespräch mit dem Kommandeur der Kaiserlichen Garde? Oder die vertrauliche Zusammenkunft des Prinzen mit dem Kanzler, die Dan Qau mit großem Widerwillen arrangiert hatte – bedeutete es doch, dass er Boten zwischen den beiden Menschen spielen musste, die er am meisten zu enttäuschen fürchtete – seinen Onkel und seinen Dienstherren. Hatte Rallis am Ende Angst vor der eigenen Courage bekommen, als er erkannte, wie weit die Putschpläne der Offiziersfrondeure und heißblütigen Jungadligen auch durch Rallis heimliche Unterstützung und gegen die Allecars, Kriegsminister Jockham und gleichzeitig auch die eher reaktionär und expansionistisch gestimmten Teile des Adelsrates gerichteten Intrigen gediehen waren? Hatte er nie vorgehabt, es so weit kommen zu lassen? Hatte das alles nur dem Ziel gedient, das Entstehen einer Drohkulisse zu inszenieren, um Rallis Weg nach Oben zu ebnen?

Falls das der Plan des Prinzen gewesen war, so war er gescheitert. Und in den letzten zwei Dutzend Stunden hatten Rallis, Dan und zahllose andere Akarii, die längst nicht alle zu den Gefolgsleuten des Thronprätendenten gehörten, alles in ihrer Macht stehende unternommen, damit der geplante Putsch nicht stattfand – ohne jedoch die jungen Möchtegernrebellen ans Messer zu liefern. Dass das irgendwie zumindest halbwegs funktioniert hatte, lag paradoxerweise auch daran, dass die Offiziersfronde und die gegen den Aufstieg der Allecars aufbegehrenden jungen Adligen so viele Sympathisanten und Verbindungen hatten. Das Netzwerk aus gegenseitigen Verpflichtungen und Freundschaften, alten Bündnissen und Allianzen, das das gesamte Imperium und seine Führungsinstanzen durchzog und das im Verlauf der Jahrtausende immer komplexer und dichter geworden war, hatte es den angehenden Putschisten erlaubt, ihre Planungen gefährlich weit voranzutreiben, gleichzeitig zumindest Teile ihrer Planungen durchsickern lassen – jedoch auch sichergestellt, dass selbst viele derjenigen, die einen Putsch kategorisch ablehnten, nicht daran interessiert waren, zu viel Blut zu vergießen. Immerhin konnte es sehr leicht das eines Verwandten oder zukünftigen oder früheren Verbündeten sein…
Das bedeutete natürlich nicht, dass das alles nur ein Spiel war – schon immer war der Kampf der Häuser mit Gewalt verbunden gewesen. Aber die gegenseitigen Abhängigkeiten hatten sich zumindest in den letzten paar hundert Jahren zu einer informellen Kontrollinstanz dafür entwickelt, dass ein gewisses Maß gehalten wurde. Was ein Grund war, warum sich der imperiale Adel noch nicht gegenseitig ausgerottet hatte und Familien wie die Thelams, die Tarans und die Allecars trotz aller Umstürze, Intrigen und politischen Wirrungen ihre Herkunft bis in die Akarii-Antike zurückverfolgen konnten.
Mochten auch in den letzten paar hundert Jahren immer wieder adlige Verschwörer (oder die Ziele der nämlichen Verschwörungen) ermordet, hingerichtet oder verbannt worden sein – das waren Machtmittel, die mit Bedacht eingesetzt worden waren. Ein ganzes Haus zum Untergang zu verdammen, blutige Säuberungen abrollen zu lassen, wie sie in der Geschichte der Menschheit üblich waren – all das hatte es früher gegeben, doch galten derartige Maßnahmen und ihre langfristigen Folgen im Imperium inzwischen immer mehr als ein warnendes Beispiel.
Denn viele, die es beim Einsatz der ihnen zur Verfügung stehenden Gewalt an Augenmaß missen ließen – wie etwa Imperator Xias der Blutige und andere legendäre Tyrannen – hatten am Ende erkennen müssen, dass sich das im Überfluss vergossene Blut gegen sie wandte.
Allerdings war sich Dan Qau sich nicht sicher, ob diese ungeschriebenen Regeln immer noch galten. Die Jahrzehnte der Aufrüstung und des Klingenrasselns, die Abschottung gegenüber den benachbarten Reichen, wachsende Spannungen und Revolten in den kaiserlichen Provinzen und vor allem der immer erbitterter geführte Krieg gegen die menschliche Sternenrepublik hatten eine Generation großwerden lassen, denen die in den letzten Jahrhunderten etablierten Regeln immer weniger galten. Die entweder bereit waren, diese umzustoßen – oder die sich von einer älteren, blutigeren Vergangenheit inspirieren ließen. Die wachsende Popularität der Duellkultur war ein Indiz dafür, wie auch die Renaissance des in den Streitkräften nie ganz aus der Mode gekommenen Glaubens an die grausamen Götter der Sternenleere.

Und deshalb beschränkte sich Dans Antwort auf Rallis Thelams Äußerung, dass man ein Blutvergießen verhindert hätte, auf ein knappes „Vorerst…“.
Sein Dienstherr überrasche ihn mit einem jähen Auflachen: „Mein lieber Dan, du entwickelst dich ja zu einem echten Zyniker. Was gibt es Neues von Parin und seiner…Begleitung?“
„Sie dürften den Planeten bereits verlassen haben…in diesem Augenblick, ja. Bisher verläuft alles planmäßig. Wenigstens dieses eine Mal.“
„Gut. Die Zeit spielt dabei eine entscheidende Rolle. Die Allecars mögen de facto die Position des Prinzessgemahls einnehmen, aber wenigstens gibt ihnen das keine direkte Kontrolle über die Streitkräfte. Zumindest vorerst nicht. Also nur noch ein wenig Zeit…und die Allecars werden da nicht mehr eingreifen können, selbst WENN sie es schaffen sollten, sich das nun vakante Kriegsministerium zu sichern. Wenn sie es nicht riskieren wollen, die Armeeführung gegen sich zu mobilisieren. Und DAS können sie sich nicht leisten. Noch lange nicht. Im Militär hat Dero ja nun wirklich wenig Bewunderer.
Und deshalb…wird es Zeit, dass ich mich unserer ungebetenen Besucherin widme.“
„Wollt Ihr sie hier empfangen?“ Dan Qau sah sich in dem kleinen und ziemlich überfüllt wirkenden Zimmer um, dass ihn mit den Stapeln teilweise antiker Bücher und den nachlässig arrangierten Schalen, Kleinstatueten, antiken Waffen und anderen Artefakten eher an das Studienzimmer eines Hobbyhistorikers erinnerte und seiner Meinung nach besser zu Lisson als zu Rallis passte. Aber vielleicht war das der Grund – bei dessen seltenen Besuchen zogen sich die beiden Cousins meist in dieses Zimmer zurück. Was allerdings die Frage offenließ, warum Rallis sich ausgerechnet JETZT hier verkrochen hatte.
„Du hast natürlich Recht, das geht nicht. Nein, auch nicht in einem der Audienzräume – das würde dem Ganzen eine etwas zu offizielle Note geben. Außerdem würde Gilat dort damit rechnen, dass ihre Worte aufgezeichnet werden.“
„Davon wird sie sowieso ausgehen.“
„Mal sehen. Bring sie in einen der Innenhöfe.“
„Aber es stürmt immer noch.“
Rallis Thelam seufzte leicht gereizt, während er eine etwas protzige Brosche an dem Kragen seiner Robe befestigte: „Natürlich. Dann denkt sie vielleicht, dass Donner und Regen etwaige Aufzeichnungsgeräte behindern. Und ja, wir wollen natürlich nicht, dass sie nass wird. Also führe sie zum Dritten Hof, der hat einen Säulengang.“

Als Rallis das Zimmer verließ, riskierte Dan Qau einen raschen Blick auf die neben dem Holoschirm des Kommunikators verstreut lagen. Er konnte nicht alle Titel lesen, denn sein Alt-Heklar war ziemlich eingerostet. ‚Die Kinder der Schwarzen Woge‘ – er hatte keine Ahnung, was damit gemeint war. ‚Söhne Dur’dashars und Töchter Kara’ra’Karrgs‘ – das hatte etwas mit zwei der ältesten Göttern zu tun, die immer noch verehrt wurden.
Dass Rallis Thelam, der nach Dan Qaus Einschätzung an nichts und niemand glaubte, es für nötig hielt, sich mit derartig esoterischen Dingen zu beschäftigen, war etwas beunruhigend. Und die letzten Bücher, dessen Titel er lesen konnte…‘Der Prinz und die Cha’kal‘ und ‚Krieger ohne Gesicht‘.

Nun, DAS ergab Sinn, auch wenn er Dan Qau ganz und gar nicht gefiel. Die Cha’kal waren eine Eliteformation, die noch exklusiver als die Kaiserliche Garde war. Weder die Namen noch die Herkunft – nicht einmal die Zahl – ihrer Mitglieder waren bekannt. Die meisten Schätzungen gingen von nicht mehr als eintausend Männern und Frauen aus – mit einem Budget, das für mehrere Armeedivisionen und Großkampfschiffe gereicht hätte. Die Cha’kal unterstanden der direkten Kontrolle des Imperators. Sie kamen bei Missionen zum Einsatz, die für die Garde und die ‚normalen‘ Spezialeinheiten zu heikel waren. Wozu auch Attentate, Anschläge und politischer Terror gehörten. Und das war eigentlich auch schon alles, was halbwegs sicher bekannt war.
Weniger validen Gerüchten zufolge hatten die Cha’kal mehr als einmal einem in ihren Augen ‚unwürdigen‘ Imperator ihre Unterstützung verweigert oder entzogen – was in der Regel sein baldiges Ableben nach sich gezogen hatte. Selbst ‚glaubhafte‘ Vermutungen über ihre Ausrüstung und Rekrutierung drehten sich um zu gnadenlosen Killern trainierten Waisenkinder, genetische und kybernetische Modifikationen sowie Waffen, die für die regulären Streitkräfte noch Jahre von der Einsatzreife entfernt waren. Aber immerhin gingen diese Vermutungen davon aus, dass die Cha’kal Akarii – oder zumindest sterblich waren. Phantasievollere Quellen sprachen von einem ‚inneren Zirkel der Cha‘kal‘, der weder das eine noch das andere war, und zogen Linien zu den dämonischen Sagengestalten der Akarii-Antike, die der Einheit ihren Namen gegeben hatten.
In gewisser Hinsicht fast genauso fantastisch waren jene Zweifler, die meinten, die Cha‘kal seien in Wahrheit nur ein imaginäres Schreckgespenst, eine Schimäre der imperialen Propaganda, um Feinde und Dissidenten einzuschüchtern.
Dan Qau unterdrückte ein Zusammenzucken. Für einen Augenblick hatte er das Gefühl gehabt, dass er in dem leeren Raum nicht alleine war. Hastig drehte er sich um und eilte seinem Dienstherren hinterher.

Falls Gilat Allecar, die ein paar Jahre jünger als Dero war, über den Ort des Gesprächs überrascht war, überspielte sie das gut. Ebenso wie die Tatsache, dass der Thronprätendent sie nur knapp wenn auch höflich grüßte, und dann seinen Blick wieder in die Mitte des Innenhofes wandte, auf die von immergrünen Gewächsen halb verdeckte Statue eines sitzenden Akarii in antiken Gewändern. Angesichts der Tatsache, dass Gilat – jung, weiblich, attraktiv und nach allem was Dan Qau wusste auch nicht dumm – eigentlich in Rallis Beuteschema passte, war das eine kleine Überraschung. Allerdings war der Thronprätendent in den letzten zwanzig Stunden damit beschäftigt gewesen, ein Blutvergießen zu verhindern. Und hatte realisieren müssen, dass die auch von ihm selber angestoßenen Intrigen auf die fast schlimmstmögliche Art und Weise aufgegangen waren. Das reichte vermutlich aus, um auch das lebhafteste Libido zu zügeln.

„Erkennen Sie ihn, Gilat?“
„Ich bin nicht ganz sicher, Hoheit…“
„Imperator Clodus hätte sich bestimmt nie träumen lassen, dass er von einem Gelegenheitshistoriker und Freizeitgelehrten zu einem der besten Kaiser in einer sehr…turbulenten Zeit aufsteigen würde. Und dass nur, weil er als einziger Thronprätendent einen Putschversuch überlebte…“
Dan Quaus Meinung nach war das vielleicht doch schon etwas zu vordergründig. ‚Oder willst du jetzt darauf hinweisen, dass du einen neuen Spieler ins Rennen bringen willst?‘
Nach der Art und Weise, wie Gilat Allecar den Prinzen von der Seite musterte, hatte sie die Anspielung verstanden. Zumal Rallis auch noch nachlegte: „Und hätte Clodus bei seiner Familienpolitik und den Entscheidungen des Herzens dieselbe Weisheit bewiesen wie als Herrscher und Historiker, er wäre vielleicht in die Geschichte eingegangen als einer der wahrhaft Großen. Aber so werden all seine Weisheit und seine Leistungen verdunkelt durch den Bürgerkrieg, der nach seinem Tod ausbrach und der Xias den Blutigen auf den Thron brachte.“
„Das alles mag für Historiker gewiss faszinierend sein, aber vielleicht wollt Ihr euch doch eher der Gegenwart zuwenden, um die Zukunft zu gestalten.“ Die Stimme der jungen Adligen klang etwas angespannt. Offenbar fühlte sie sich recht unwohl und war nicht in der Stimmung für Rallis' Spielchen.
„Ich denke ja, dass wir der Geschichte gedenken sollten. GERADE wenn wir die Zukunft gestalten wollen. Wir riskieren sonst, die Vergangenheit zu wiederholen…“
„Lord Meliac Allecar wendet sich an Euch in eurer Funktion als ältester der unmittelbaren Angehörigen unserer geliebten Prinzessin…“, Rallis reagierte auf die Einleitung mit einem Laut der verdächtig nach einem ungnädigen Schnaufen klang. Und sogar Dan Qau war der Meinung, dass die Allecars etwas dick auftrugen. ‚Dass Linai so vielgeliebt ist, ist ja wohl das eigentliche Problem.‘
„Lord Allecar ist sich sehr wohl bewusst, dass zwischen seinem Haus und euch eine gewisse…Missstimmung besteht. Ich bin hier, weil ich Euch versichern soll, dass dies niemals in seiner Absicht lag. Oder in der seines Sohnes.“
„Hm. Und warum will keiner von ihnen mir das persönlich mitteilen?“
„Dero Allecar ist verwundet. Und Lord Allecar…lässt Euch ausrichten, dass er euch auch als Gegner zu sehr achtet, um persönlich uneingeladen hier zu erscheinen.“ Dan Qau zuckte leicht zusammen, als Rallis Thelam jäh auflachte. Vermutlich hatte Gilat – oder ihr Onkel – auf genauso eine Reaktion gehofft. Allerdings war Rallis Belustigung nur kurzlebig: „Lord Allecar muss wissen, dass er nach seinen Tun beurteilt wird. Irgendwann können Worte da nichts mehr ändern.“
„Worte können genauso machtvoll sein wie Taten. Und tiefere Wunden schlagen als eine Klinge. Wie Ihr nur zu gut wisst, Hoheit.“
„Sind das ebenfalls Meliac Allecars Worte? Oder Eure eigenen, Gilat?“
„Das spielt keine Rolle. Hier und heute bin ich die Stimme des Hauses Allecar.“
Dan Qau biss sich auf die Lippen. Irgendwie hatte er das Gefühl, diese Sätze schon einmal gehört zu haben. Das Hin und Her, die Richtung in die das Gespräch steuerte, erinnerte ihn an eine der alten Historienbücher, die er als Junge gelesen hatte. Und meist hatten die in einem großen Blutvergießen geendet.
„Und was will die Stimme des Hauses Allecars mir ausrichten? Eine Warnung? Eine Drohung?“, kurz schien Rallis Thelams Maske aus sarkastischer Abgeklärtheit zu verrutschen: „Ich bin ein Mitglied des Hauses Thelam. Ich habe keine Angst. Nicht vor dem Haus Allecar und auch nicht vor einer noch so großen Anzahl Opportunisten, die sich heute oder morgen plötzlich dessen Gefolgsleute nennen. Meine Vorfahren haben das Imperium groß gemacht. Wir haben die Akarii zu den Sternen geführt! Und wir werden auch noch in tausend Jahren regieren!“
„Und nichts anderes will Haus Allecar. Wir sind bereit, all unsere Macht, unseren Reichtum und unser Können in den Dienst des künftigen Imperators zu stellen, um zu garantieren, dass die Herrschaft des Hauses Thelams anhält. Und um diese Herrschaft zu sichern und zu erhalten, bis sie in die Hände von Prinzessin Linais ungeborenem Sohn gelegt werden kann, müssen wir uns zusammenschließen und alle vergangenen Kränkungen vergessen. Stabilität und Sicherheit haben jetzt Vorrang.“
„Die niemals derart in Zweifel stehen würden, wenn Haus Allecar gegenüber dem Prinzessgemahl nicht auf derart…spektakuläre Art und Weise seinen Anspruch durchgesetzt hätte.“
„Umso mehr braucht jetzt das Reich eine stabile, verlässliche und breite Führung, die im Interesse seines künftigen Herrschers handelt. Und um diese zu garantieren ist Haus Allecar bereit, Euch einmal mehr die Hand entgegenzustrecken.
Alle…Spannungen der letzten Wochen und Monate, alle Bestrebungen unseres Hauses zielten niemals gegen das Haus Thelam oder gegen Euch. Sondern sollten nur garantieren, dass die Herrschaft des künftigen Imperators nicht auf einer Lüge gegründet ist. Und dass er von der Familie seines WAHREN Vaters unterstützt wird. In Übereinstimmung mit den Traditionen des Reiches und der Götter.“
Rallis Thelam schnaubte kurz: „Lasst die Götter aus dem Spiel. Ihr seid zu jung, als dass ich euch das abnehmen würde. Wenn Meliac und sein Sohn den Griff nach der Macht ausgerechnet DAMIT legitimieren wollen, sollten sie zumindest den Anstand haben, dieses…Schmierentheater gegenüber denjenigen zu unterlassen, die es besser wissen.“
Nach Dan Qaus Meinung hielt sich Gilat Allecar recht gut, dafür dass ihre Mission mehr und mehr zu scheitern drohte. Offenbar war sie noch immer nicht gewillt, aufzugeben: „Lord Meliac Allecar ist sich dessen bewusst, dass die berechtigten Ambitionen seines Hauses euch und andere Mitglieder der Thelams verärgert haben…“
„Seine ‚berechtigten‘ Ambitionen haben bereits das Leben des Prinzessgemahls gekostet. Vergebt mir, wenn ich nun etwas misstrauisch bin und mich frage, wer vielleicht noch neben Tobarii Jockham auf der Liste steht. Gerade in meiner Funktion als eines der Familienoberhäupter des Hauses Thelam habe ich eine Verpflichtung für die…Unversehrtheit der Leben und der Ehre meiner Verwandten und Gefolgsleute.“

Das war nach Dan Qaus Meinung etwas unverschämt. Immerhin hatte Rallis in den letzten Monaten alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das Beziehungsdreieck Tobarii-Dero-Linai gegeneinander auszuspielen und sein eigenes politisches Ranking auf ihre Kosten auszubauen. Und auch gegenüber männlichen Angehörigen des Hauses Thelams war sich Rallis keiner Intrige zu schade gewesen, wovon der inzwischen verstorbene Jor und Karrek ein Lied hätten singen können. Aber ob Gilat Allecar dies wusste oder nicht, sie würde es nie ansprechen.

„Die letzten Monate haben zu dem ein oder anderen…Missverständnis geführt. Und auch Euer Verhalten war nicht immer das freundschaftlichste.“
„Hm. Vielleicht hatte ich ja so eine Ahnung wohin das alles führen könnte. Dero und Tobarii hingegen…eine Zeitlang schienen die beiden dieselbe Meinung zu teilen, was unsere Politik gegenüber den Menschen angeht. Aber das hat ja nicht so lange vorgehalten.“
‚Weil sie eben nicht nur Ansichten geteilt haben.‘ ergänzte Dan Qau in Gedanken. Aber nicht einmal Rallis war so unhöflich, das auszusprechen.
„Haus Allecar ist weiterhin zuversichtlich, Euch von seinen guten Absichten überzeugen zu können.“
„Das sollte vor allem auch von seinem künftigen Verhalten und Taten abhängen, findet Ihr nicht, Gilat Allecar? Worte können mächtig sein, und sie können verletzen – aber sie sind auch sehr billig.“
„Und einen ersten Schritt dazu möchte ich heute machen. Indem ich im Namen meines Onkels Meliac Allecar und meines Cousins Dero Allecar bei euch um die Hand eurer Cousine anhalte.“ Und damit schaffte Gilat Allecar etwas, dass im allgemeinen nur sehr wenigen gelang. Für ein paar Herzschläge war Rallis Thelam sprachlos. Und dem dann hervorgestoßenen „Was?!“ mangelte es ebenfalls an der oft boshaften Eloquenz, für die Rallis berühmt war.
„Wie erwähnt – Ihr seid der älteste männliche Angehörige von Prinzessin Linai. Und deshalb verlangt es die Tradition, dass ein solches Ersuchen zuerst an euch gerichtet wird.“
„Ich habe schon einmal gesagt, dass ich Meliacs…Interpretation unserer Traditionen nicht allzu viel abgewinnen kann. Und zweifellos habt weder Ihr noch euer Onkel vergessen, dass ich erst vor wenigen Wochen im Adelsform auf…traditionelle Art und Weise deutlich gemacht habe, was ich von Deros Anspruch halte.“

Auch Dan Qau erinnerte sich noch sehr gut an die Szene, als sein Dienstherr mit einer seit der Antike üblichen Geste der Verachtung Meliac Allecar als einen Frevler und Verräter am Imperium geziehen, damit eine bereits am Rande des Chaos stehende Sitzung des Adelsforums gesprengt und ein Drittel oder mehr der Tagenden zum Auszug angestiftet hatte.

„Und genau deswegen will das Haus Allecar darauf verzichten, diese Fehde fortzusetzen. Statt uns im Kampf gegeneinander aufzureiben wäre es so viel sinnvoller, gemeinsam an der Gestaltung der Zukunft zu arbeiten. Zumal so sichergestellt werden könnte, dass nicht andere, weniger…würdevolle Gewinn daraus ziehen und vielleicht Posten und Würden übernehmen, die Mitgliedern des Hauses Thelam gebühren.“
Auch Dan Qau erkannte diese Worte als das was sie waren. Ein Köder – aber auch eine Drohung. Die allerdings Rallis Thelam nicht allzu sehr die Ruhe zu rauben schienen: „Wenn ich meine Meinung jetzt ändern würde, nur weil die Würfel des Schicksals nicht so gefallen sind, wie es vielleicht erwartet wurde…damit würde ich meiner Familie wenig Ehre machen.“
„Heißt das, Ihr werdet…“
„Das heißt, ich nehme das Ersuchen von Haus Allecar zur Kenntnis. Ich werde es sogar an meine Cousine weitergeben, sobald sie ihre Trauer beendet hat. Aber erwartet nicht, dass ihr in mir einen Fürsprecher habt. Dafür ist zu viel geschehen. Oder zu wenig. Alles weitere…muss die Zeit erweisen.“
„Ihr meint…“
Wieder ließ Rallis seine junge Gegenüber nicht ausreden: „Richtet Meliac Allecar genau diese Worte aus. Er kann sich gerne seinen eigenen Reim daraus machen. Und erinnert Ihn noch einmal daran, dass ich ein Mitglied des Hauses Thelam bin. Und was das bedeutet. Wir dienen dem Imperator. Niemanden sonst. Und mit weniger werde ich mich nicht zufrieden geben.
Dan, unsere bezaubernde Besucherin muss gehen. Geleite sie zum Haupttor und stelle sicher, dass sie gut durch den Kontrollposten gelangt. Ich habe gehört, dass es da heute schon ein…Missverständnis gegeben hat.“ Gilat Allecars leicht verwirrter Miene nach hatte sie noch nichts von dem gescheiterten Anschlag auf das Anwesen ihrer Familie gehört. Sie schien wenig glücklich, einfach weggeschickt zu werden. Aber da Rallis Thelam sich wieder der Statue von Imperator Clodus zugewandt hatte, kam Dan Qau in den Genuss ihres bemerkenswert willensstarken Blickes. Er seufzte innerlich. Diesmal hatte Rallis legendärer Charme offensichtlich versorgt: „Wenn Ihr mir bitte folgen würdet…“

Als er nach einer knappen Viertelstunde zurückkehrte, fand er seinen Dienstherren immer noch an derselben Stelle vor: „Hoheit?“
„Clodus Vermächtnis sind seine Bettangelegenheiten zum Verhängnis geworden. Seine Gelehrtheit hat ihm da wenig geholfen. Ich frage mich, ob er das jetzt lustig finden oder über unsere Dummheit weinen würde.“
Der ‚weinende Imperator‘ war eine häufig verwendete Figur in traditionellen Akarii-Dramen, die dem Untergang einer Dynastie oder einer Armee eine persönlichere Note verleihen sollte.
„Verzeiht Hoheit, aber Ihr wart ziemlich…direkt. Und fast unhöflich.“
„Findest du? Ich denke ja, dass ich mich sehr zurückgehalten habe. Aber ich hatte schon immer eine Schwäche für ein hübsches Gesicht. Und mit den Allecars muss man direkt sprechen. Vor allem, wenn sie glauben auf der Siegerstraße zu sein.“
„Ich glaube nicht, dass Gilat Allecar das so sehen wird.“
„Nun, mit dieser verpassten Chance werde ich wohl leben müssen. Hm…ich frage mich, ob mir Meliac Allecar mit Absicht eine seiner unverheirateten Nichten geschickt hat. Oder…“, der Thronprätendent grinste flüchtig, „…vielleicht hat er ja auch an dich gedacht.“
„Mich?“
„Mach dich nicht unbedeutender als du bist. Immerhin kommst du aus der Familie des Kanzlers. Und das macht dich zu einer guten Partie.“
„Statt über meine Chancen auf dem Heiratsmarkt zu spekulieren…“, Dan Qau holte kurz Luft: „Könnte Ihr mir nicht lieber verraten, warum Ihr so…brüsk wart? Ich behaupte nicht, dass ich das Spiel schon perfekt beherrsche, aber für mich klang es so, als würde Allecar euch seine Zusammenarbeit anbieten. Und einen Posten.“
„Und wie großzügig Meliac doch mit der Macht ist, die er sich anzueignen im Begriff ist. Und das soll ich durch meine Zustimmung legitimieren? Nein. Nicht so schnell. Du musst das verstehen, Dan. Ich habe Meliac Allecar ins Gesicht gespuckt und den halben Adelsrat gegen ihn mobilisiert. Wenn ich jetzt die Seiten wechsele – wie stehe ich denn dann da?
All jene, die sich gegen den halben Putsch der Allecars verschworen haben – oder es zumindest gerne getan hätten - würden mich als einen ganzen Verräter ansehen. Alles was ich in den letzten Jahren aufgebaut habe wäre wertlos. Und was würde das für ein Signal für all jene sein, die jetzt noch unentschieden sind oder schwanken? Binnen kürzester Zeit stünde ich ziemlich alleine und verlassen da, während das Lager der Allecars immer weiter wachsen würde. Bald wäre ich nicht viel mehr als ein…Anhängsel. Ein Aushängeschild. Ohne echte Macht oder Druckmittel. Nein. Wenn ich es auch nur erwägen will, mich dem Allecar-Lager anzuschließen, dann aus einer stärkeren Position. Und für mehr als nur ein paar vage Worte.“
„Aber so riskiert Ihr es, dass die Allecars sich woanders Unterstützung suchen.“
Rallis Thelam schnaubte verächtlich: „Na, das möchte ich mal sehen. Wen von den alten Häusern haben sie denn auf ihrer Seite? Die Zuuni? Ganz gewiss nicht. Die Taran? Da erwartet sie möglicherweise noch die ein oder andere Überraschung. Und ansonsten…werden sie bald bemerken, dass sie vielleicht eine Schlacht gewonnen haben, aber nicht den Krieg. Und dass sie sich in ein Gewässer gewagt haben, in dem auch noch ganz andere Raubfische schwimmen. Und dann sind da noch die Flotte, die Armee und die Garden. Glaub mir, Dan, es ist noch lange nicht vorbei. Es hat gerade erst angefangen…“
29.08.2017 18:44 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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TRS Columbia
Sterntor-System

„Wir haben die Umlaufbahn verlassen und das Gravitationsfeld von Masters verlassen“, meldete der Rudergänger
„Maschinen ein Drittel voraus“, befahl Commander Charles Stacy, „Kurs zwo-null-acht.“
Der Rudergänger wiederholte die Befehle und führte sie dabei sofort aus.
„Signaloffizier, Funkspruch an Kampfverband: Eskortpositionen einnehmen.“
Auch der Signaloffizier gab den ihm gegebenen Befehl wieder.
Es war eine alte Navytratdition, die Befehle zu wiederholen. Es war wichtig, dass der Offizier der den Befehl ausgegeben hatte wusste, dass er verstanden worden war.
Redundanz beherrschte die Marine im Weltall noch mehr als in den blauen Ozeanen der menschlichen Heimatwelt.
Als Stacy auf den Kartentisch blickte kam er nicht umhin den Mund zu verziehen. Die Eskorte für die Columbia war geradezu schwach. Ein schwerer Kreuzer, dazu ein leichter und zwei Flak-kreuzer. Sechs Zerstörer und vier Fregatten.
Die Schlacht von Sterntor hatte ihren Tribut gefordert und der Einsatz der Columbia hatte nicht die Priorität um eine Battlegroup aus mehreren Schwadronen zu bilden.
Doch auch in seiner Welt als Kreuzerfahrer war ein Flottenträger eigentlich zu wertvoll als dass man bei seiner Verteidigung halbe Sachen machte.
Ihn erreichte die Meldung, dass die FORCAP gestartet worden war und zwei weitere Symbole erschienen auf dem Kartentisch, die als Falcons der grünen Schwadron markiert wurden.
Zumindest war der CAG unter all seinem Gehabe Profi genug, den Dienstbetrieb ordentlich organisiert zu bekommen.
Staffords neueste Eskapade war ihm natürlich auch zu Ohren gekommen. Vor einigen Mannschaften hatte dieser freimütig seine Meinung über Stacy kundgetan. Nicht das Charles Stacy nicht darüber stehen würde, was dieser Provinz-Pilot über ihn dachte aber Kommandooffiziere sollten zumindest einen gewissen Grad an Professionellen Zusammenhalt besitzen. Gut, vielleicht war es wirklich mal an der Zeit etwas aufzutauen und den Stock aus den Arsch zu ziehen, wie Stafford postuliert hatte. Nun vielleicht mit einem kleinen Scherz und Charles Stacy wusste schon ganz genau, auf wessen Kosten dieser gehen würde.


Es gab Orte an Bord eines Flottenträgers, den ein Admiral so gut wie nie betrat. Das Hangardeck, wo die Jäger, Jagdbomber, Bomber und Shuttles geparkt oder repariert wurden war ganz eindeutig einer dieser Orte.
In der Reparaturbucht stand ein riesiger Crusader-Bomber; vor im Ausgebreitet zwei Revolvermagazine für unterschiedliche Bestückung.
„Admiral and Gentlemen“, begann Trisha McGill, „dies ist mein kleines Privatprojekt, dass ich während des Landurlaubs auf Seafort begonnen habe.“
„Sie basteln in ihrer Freizeit an Waffensystemen herum?“ Jules Stafford klang hauptsächlich amüsiert und nur ein klein wenig tadelnd.
„Das ist korrekt, ich bin Raumfahrtingenieurin und endlich mal wieder etwas zu kreieren, nachdem ich ansonsten dafür bezahlt werde Dinge in die Luft zu jagen war tatsächlich nötig und zumindest für mich sehr entspannend.“
„Dürfen wir uns jetzt vielleicht auch noch ihr Poesiealbum angucken, bevor sie zum Punkt kommen?“ schnappte Commander Decker. Der Projektleiter für die Arrow-Test wirkte mehr als nur verstimmt.
„Das ist nicht nötig, Sir“, Irons deutete auf eines der Revolvermagazine, „hierbei handelt es sich um einen von zwei Prototypen, der dazu gedacht ist, die Crusader mit acht Phoenix Langstrecken Raumkampfraketen zu bestücken, statt der üblichen sechs Maverick Anti-Schiff-Rakteten. Einige Meiner Piloten und ich, sowie etwas Unterstützungspersonal der Harponeers haben die Magazine entwickelt, gebaut und die entsprechende Software programmiert.
Die Umsetzung im Simulator hat uns zwar vor einige Hürden gestellt, doch nachdem diese behoben waren, konnten wir fünfundzwanzig Gefechtseinsätze simulieren, von denen zwanzig ein Erfolg waren, drei nur gemischte Ergebnisse lieferte und zwei als Reinfall gelten müssen.“
Während Admiral Girad fragend die Augenbraue hob verschränkte Stafford die Arme vor der Brust: „Definieren sie bitte Erfolg, Irons.“
„Wir haben die Fehlerquote auf hundert beim Abschuss von Phönix Raketen bei der älteren Phantom genommen, sowie die Fehlzündungsquote von Mavericks beim Abschuss aus einem Trommelmagazin und das ganze dann mit drei Multipliziert.“
„Darf ich fragen, warum sie diese Quote noch multipliziert haben“, Deckers Tonlage war von Verärgert zu vage interessiert gewandert.
„Nun, da die Fehlerquote bei Mavericks von einer Crusader abgefeuert bei weniger als 0,5 auf hundert Raketen kommt und bei Phantomen auf zwei von hundert, erschien es mir etwas vermessen bei einem neuen Waffensystem eine Fehlerquote von zwo Komma fünf oder gar eins Komme zwo fünf anzupeilen.
Und wie sie wissen, wenn es mehr als acht Fehlzündungen auf hundert abgefeuerte Raketen gibt, wird ein Waffensystem von der Navy nicht in Dienst genommen.
Die ersten fünf Tests haben wir mit nur einem Vogel vorgenommen und es kam leider zu katastrophalen Ergebnissen bei den ersten beiden Tests. Test drei bis fünf waren nicht im Ansatz bei unter acht Fehlern aber wenigstens hat der Simulator uns nicht gesagt, dass wir uns selbst in die Luft gejagt haben.“
„Auf welche Anzahl von Fehlschüssen sind sie gekommen, Commander?“ Girad nahm das neue Trommelmagazin in Augenschein.
„Auf knapp elf von hundert, Ma‘am.“
„Bei wie vielen Testschüssen“, hakte Decker nach, „zweitausendfünfhundert?“
„Nicht ganz so viele, wie gesagt, die ersten fünf Durchgänge waren quasi nur zum Fehler finden da. Wir haben eintausenddreihundert simulierte Abschüsse. Davon zwölf in einer Gefechtssimulation.“
„Wie war die Fehlerquote in der Gefechtssimulation“, wollte Stafford wissen.
„Eine Rakete hat nicht gezündet, Boss. Dafür haben die Leitsysteme der abgefeuerten Raketen gut mit dem Zielsystem der Crusader zusammengearbeitet.“
„Also wäre jetzt der nächste Schritt für einen Feldtest“, stellte Girad fest.
„Richtig, Admiral und dafür brauche ich die nötigen Genehmigungen.“
Girad war Stafford einen fragenden Blick zu. Dieser warf wiederum einen Blick auf das Datapad, dass Irons zu beginn der Besprechung ausgehändigt hatte.
„Commander Decker“, begann der CAG, „könnten sie sich vielleicht die Zeit nehmen und die Zahlen und Daten von Commander McGill gegenprüfen?“
Dieser blickte den CAG kurz ungläubig an, ehe sich ein arrogantes Grinsen auf seine Lippen stahl: „Ich? Wieso fragen sie da ausgerechnet mich?“
„Sie sind der Experte von der Waffenentwicklung und da sie mit den Tests für die Arrows beauftragt wurden, dürfte dies doch eigentlich exakt ihr Spezialgebiet sein.“
„Das stimmt schon aber meine Zeit ist leider auch begrenzt, so interessant ich die vorgebrachten Zahlen auch finde...“
„Ich kann auch Chief Dodson die Daten durchgehen lassen, doch der Verfügt sicherlich nicht über die gleiche Expertise wie sie, Commander“, Stafford zuckte mit den Schultern.
„Außerdem hätte dessen Name nicht so viel Gewicht, wenn die Pläne beim Technologieausschuss der Navy eingereicht würden, wie ihrer“, setzte Irons nach.
„Na gut“, lenkte Decker ein, „ich werde mir ihre Daten als Nachtlektüre mitnehmen, Commander.“
„Danke.“
„Nachdem das geklärt wäre“, Stafford warf Decker das Datapad zu, „sollte Commander Decker die Daten bestätigen und für belastbar halten, erhalten sie von mir die Genehmigung, dass zwei ihrer Besatzungen, einen Waffentest unter Realbedingungen durchführen dürfen.“
Irons starrte ihren Geschwaderführer durchdringend an: „Zwei meiner Besatzungen?“
„Das sagte ich gerade.“
„Gut, dann werde ich schon mal nach Freiwilligen fragen.“ Irons wandte sich an Girad und nickte ihr zu: „Admiral.“
„Commander.“

Girad blickte der davoneilenden Kommandeurin der schweren Bomber der Angry Angels hinterher: „Ich nehme an, sie hat ihren Test bestanden, Cowboy.“
„Das hat sie, Ma‘am.“
„Welchen Test“, verlangte Decker zu wissen.
„Sie hat nicht darauf bestanden, den Feldtest selbst vorzunehmen. Das bedeutet, dass sie ihren eigenen Zahlen und Programmierungen soweit vertraut, dass sie andere damit hinaus schickt.“
Der Entwickler schnaufte amüsiert: „Ist das nicht genau ihr Job, Soldaten in den Kampf zu schicken.“
Sowohl Girad als auch Stafford drehten sich zu ihn um und besonders der Blick der Admiralin war nicht gerade angenehm.
„Ich bin Soldat wie sie beide“, herrschte schließlich Decker los, „ich bin es leid mit diesem Blick bedacht zu werden.“
„Wenn ich mit ihren Fähigkeiten gesegnet wäre“, antwortete Stafford, während Girad weiterhin schwieg, „würde ich wahrscheinlich wie sie auch im Hinterland meinen Teil beitragen, der wenn die Arrows funktionieren unschätzbar ist. Aber ihre Arbeit hat sich vor einem Aspekt des Kommandierens bewahrt, den man sich nicht theoretisch aneignen kann.
Wenn man Briefe an die Hinterbliebenen schreiben muss, überlegt man sich ganz genau, welchen Risiken man seine Untergebenen aussetzt. Und viele der besten Offiziere, die ich kennen lernen durfte und von denen ich lernen durfte waren bereit hohe persönliche Risiken einzugehen, Risiken über die sie mehr als einmal nachgedacht haben, wenn man diese jemand anderen aufbürdet.“
Decker sah aus wie jemand, der drauf und dran war auf durchzug zu stellen.
„Naja, vielleicht haben sie diesen Blödsinn schon tausend mal gehört“, lenkte Jules ein, „was halten sie davon, wenn ich ihnen zum Dank einen im Kasino ausgebe.“
„Dank, wofür?“
„Dafür, dass sie sich die Mühe machen, Irons Entwicklung zu prüfen.“
„Na, ich hoffe, ihr Kasino hat einen anständigen Vodka.“
„Das kann ich nicht versprechen.“
Die beiden Commander verabschiedeten sich von Admiral Girad. Die entschieden hatte, sich etwas mehr für die im Hangar stehende Crusader zu interessieren, statt Decker für seinen Ausbruch zusammenzustutzen.


Gintalaviertel unweit des imperialen Palast
Die ewige Stadt von Pan'chra, Akar

Kern Ramal blickte hinaus auf dem Hinterhof. Das Haus war einst eine Kaserne gewesen, dann war es zu einer Stadtvilla für ein auf dem Land ansässiges Adelshaus umgebaut worden und vor dreißig Jahren zu einem Wohnhaus mit großzügigen Apartments für die jüngeren Sprösslinge reicher und adliger Familien.
Natürlich besaß seine Gastgeberin ein Penthouse hier und die luxuriösen Möbel und Bilder zeugten von einer Pracht, die einem Mitglied der imperialen Familie würdig waren.
Jassia Thelam war die jüngste Tochter von Prinz Lisson Thelam und nach allem, was die Gesellschaft wusste eine brave und gehorsame Tochter, gut nicht gerade ihrem Vater gegenüber, so doch ihrer ältesten Schwester Diaara.
„So nachdenklich?“
Der Duft ihres Parfums, von Schweiß und von frischen Bettlaken wehte mit ihrer Stimme herüber.
„Ich frage mich immer noch, was uns glauben gemacht hat, dass Tobarii in der Lage sein könnte Dero zu schlagen.“
„Nun, meine Cousine, Deine Schwester und auch Cousine, wenn man genau darüber nachdenkt, was der alte Eliak so getrieben hat, war schon immer sehr von ihren eigenen Ideen überzeugt“, Jassia kicherte, „ist sie sehr in Panik geraten, als sie hörte, dass ihr hmm, geliebter Ehemann auf dem Feld der Ehre geblieben ist?“
„Das kannst Du Dir gar nicht vorstellen.“
„Dann erhelle mich“, verlangte sie zu wissen.
Kern drehte sich um und beobachtete seine Gastgeberin einen Augenblick. Jassia war kleiner als Linai und jünger, deutlich zarter gebaut, ein Erbe ihrer Mutter. Dennoch war da eine gewisse Ähnlichkeit, die über das familiäre hinausging.
Persönlicher stolz und Erhabenheit.
„Sie hat mich gebeten, ja geradezu angebettelt, sie auf der Stelle zu Heiraten und Dero umzubringen.“
„Du hast abgelehnt, nehme ich an.“
„Ich habe sie geschlagen.“
Jassia öffnete den Mund und schloss in wieder. Schüttelte den Kopf: „Du hast was?“
„Ich habe ihr eine Backpfeife verpasst und ihr gesagt, wenn sie einen vernünftigeren Plan hat, solle sie sich bei mir melden.“
„Und wie hat sie reagiert?“
„Zuerst hat so ähnlich wie du eben“, Kern stieß sich von der Fensterbank ab und ging in Richtung der Küche, „dann hat sie mich rausgeworfen und mir gedroht, sollte ich mich nochmal sehen lassen, würde sie mir den Kopf abschlagen lassen. Dann hat sie geweint.“
„Hm, sie hat wirklich nicht damit gerechnet, dass Tobarii getötet werden könnte. Glaubt sie etwas, dass Dero sich einfach in Tobariis Klinge stürzen würde, damit ihr Plan aufgeht?“
„Du hättest Tobarii sehen sollen, er hat gut gekämpft, wirklich gut.“
„Er hat verloren.“
Kern setzte Wasser auf und suchte Tee heraus: „Ich sagte ja, Du hättest ihn sehen sollen.“
Sie ging hinüber ins Wohnzimmer und aktivierte den Monitor, der im Couchtisch eingelassen war um die neuesten Nachrichten zu sehen, stellte aber sofort auf lautlos: „Er ist gestorben und plötzlich respektierst du ihn?“
„Ja, ich glaube schon.“
„Und wenn er gewonnen hätte, würdest Du ihn dann ebenfalls respektieren?“
„Nein, wohl nicht. Dann würde ich seinen Erfolg vielleicht mit Glück relativieren.“
„Männer“, kommentierte Jassia, „aber wie dem auch sei, die Allecars verlieren keine Zeit. Meliac hat eine seiner Nichten zu meinem Onkel Rallis geschickt und für Dero um Linais Hand angehalten, damit der zukünftige Imperator nicht als Bastard zur Welt kommt.“
„Zu Rallis? Nicht zu Deinem Vater?“
„Nun, zum einen sind wir nur eine Cadet-Branch des Hauses Thelam und Rallis entstammt der Hauptlinie. Und Diaara hätte keinen lebenden Allecar zu unserem Vater vorgelassen und Du weißt so gut wie ich, weil Du es von mir weißt, das in Hause Lisson Thelam nichts ohne Diaaras wissen geschieht.“
„So wirklich gar nichts?“
„Gar nichts. Guck nicht so erschrocken, meine Schwester kann Dich gut leiden und Vater, naja Vater ist nicht umsonst bei Eliak in Ungnade gefallen.“
„Und was wird Dein Onkel machen?“
„Den Preis hochtreiben und gerade noch rechtzeitig mit den Allecars gemeinsame Sache machen, wenn es in seinem Interesse ist, das Linais Sohn Imperator wird. Andererseits kann man Linai jetzt ganz einfach vom politischen Tisch verbannen, indem man jegwelche Hochzeitspläne sabotiert. Wenn Dero vor einer Hochzeit einen Unfall hat...“
„Und was dann? Wieder zwischen vier Prinzen wählen, von denen einer nicht will, einer alt einer jung und der vierte zu sehr Jor ist?“
„Ich dachte Du warst ein so guter Freund von Jor.“
„Das macht mich noch lange nicht blind“, herrschte Kern sie an, „er ist leider nicht der Prinz geworden, der er bestimmt war zu sein. Man hat ihn klein gehalten, klein geredet und ihm nicht das gelehrt, was nötig war und hätte man auf ihn und Kerrak gehört, hätte man sich dem terranischen Problem viel früher gestellt.“
Jassai verdrehte die Augen, sorgte aber dafür das Kern dies nicht sah: „Diaara könnte ja auch endlich mal heiraten und dann könnte man ihren Ehemann auf den Sternenthron hiefen. Wenn dieser Taran-Bursche nicht so weit weg geschickt worden wäre und er nicht so schrecklich verlobt wäre...“
„Hast Du sonst noch Ideen meine Liebe?“
„Oh, da wäre noch dieser schüchterne junge Admiral, den Großadmiral Rian dem Kriegsministerium überstellt hat.“
„Den würde deine Schwester mit Schuppen und Kamm verspeisen“, dennoch konnte Kern nicht anders als bei dieser Idee herzhaft zu lachen.

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5th Syrtis Fusiliers - Pillage and looting since first succession war


17.09.2017 01:13 Cunningham ist offline E-Mail an Cunningham senden Homepage von Cunningham Beiträge von Cunningham suchen Nehmen Sie Cunningham in Ihre Freundesliste auf
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„Eine Armee ist ein Wesen mit tausend Herzen und zehntausend Gliedmaßen. Aber sie kann immer nur einen Kopf haben.“
Der antike Akarii-General Gorlan Rikata


T’rr, Draned-Militärsektor

Die Rikata-Kampfgruppe war zurückgekehrt. Auf den lange Zeit fast verwaisten Werft- und Andockplätzen der Raumstationen, die den für undurchdringliche Dschungel, eines der kriegerischsten und rebellischsten Völker des Imperiums sowie eine gewöhnungsbedürftige Küche bekannten Planeten umkreisten, drängten sich zahllose Kreuzer, Zerstörer und andere Einheiten. Obwohl viele der Schiffe beschädigt waren und die Flotte bei ihrem waghalsigen Vorstoß auf das Territorium der Terranischen Republik hohe Verluste erlitten hatte – nicht zuletzt einen der unersetzlichen Flottenträger – stellte sie immer noch eine furchteinflößende Streitmacht dar. Mit genug Feuerkraft, um einen Planeten in eine unbewohnbare Wüste zu verwandeln. Und diese Feuerkraft gehorchte – genauso wie die zehntausenden Männer und Frauen an Bord der Kriegsschiffe – den Befehlen eines einzelnen Mannes.

Admiral Zweiter Klasse Mokas Taran stand in einem der Besprechungsräume des Flottenträgers KAHAL und starrte auf die blaugrüne Oberfläche des Planeten T’rr – ein in den Jahren seines Quasi-Exils im Draned-Sektor vertraut gewordener Anblick. In solchen Augenblicken kam es ihm manchmal so vor, als wäre die Zeit, bevor er die Verantwortung für den ganzen Raumsektor und eine komplette imperiale Kampfgruppe übernommen hatte, trotz aller Verbitterung und Frustration die bessere gewesen. Die Bürden des Oberkommandos…
„Admiral? Die anderen sind eingetroffen.“
Taran drehte sich zu Captain Thera Los um: „Sie sollen eintreten. Und bevor Sie sich zu uns gesellen…überzeugen Sie sich, dass wir nicht gestört werden.“
Die attraktive Offizierin, die inzwischen gelernt hatte mit ihrer Rolle als Stabschefin, Adjutantin und Beraterin umzugehen, nickte knapp: „Die Bordsicherheit ist informiert. Alle Überwachungs- und Aufzeichnungsgeräte werden abgeschaltet, Abschirmmaßnahmen sind eingeleitet. Ich überprüfe das noch einmal.“ Was nicht bedeutete, dass sie oder Taran der Sicherheitsabteilung die Kompetenz absprachen. Es ging vielmehr darum, die Wächter zu bewachen. Eine traurige Konsequenz der Sezessionen im Draned-Sektor und dem auf der Hauptwelt ausgebrochenen politischen Machtkampf.

Der Admiral musterte die eintretenden Kapitäne. Inzwischen kannte er jeden von ihnen gut. Etliche hätten längst ebenfalls in den Admiralsrang erhoben werden sollen oder übernahmen Aufgaben, die jenseits ihres Dienstranges lagen. Aber dass der Draned-Sektor zeitweilig fast völlig vom Restimperium abgeschnitten worden war, seine Rolle als ‚Abladeort‘ für renitente Offiziere und das durch diverse Separationsversuche nicht eben gestiegene Ansehen der im Sektor stationierten Streitkräfte hatten viele Beförderungen blockiert. Weshalb Taran noch immer der ranghöchste Flottenoffizier im ganzen Sektor war. Zumindest der letzte, der am Leben und loyal gegenüber dem Imperium war. Nun ja, zumindest hinreichend loyal…

Zuerst kam Kapitän Wor Matir, Kommandant von Tarans Flagschiff KAHAL. Der zynische und leicht aufbrausende Offizier hatte ein nicht immer reibungsfreies Verhältnis zu Taran, aber beide hatten gelernt, miteinander auszukommen.
Kapitänin Zanni befehligte den Flugdeckkreuzer KALLEH. Trotz ihrer Jugend hatte sie bereits mehrfach Erfahrung im Kampf mit der TSN sammeln können. Ihre Leistungen im Verlauf der letzten Kampagne hatten ihr Talent erneut bewiesen. Taran hatte sich in den letzten Schlachten auf sie verlassen können.
Kapitän Ka’wal stand auf einem anderen Blatt. Zwar war er ebenfalls jung, ehrgeizig und talentiert, entstammte jedoch im Gegensatz zu Zanni dem Hochadel. Seine Herkunft und die Beziehungen seiner Familie hatten ihm den Weg in die Flotte geebnet und rasche Beförderungen garantiert. Das wäre kein Problem gewesen – Taran hatte auf einen ähnlichen Karrierevorteil aufgebaut. Aber Ka’wal war ein glühender Anhänger des verstorbenen Kronprinzen Jor. Das hatte ihm nicht nur Freunde verschafft und sein Verhältnis zu Taran – der keinerlei Hehl aus seiner Abneigung gegenüber Jor machte – war bestenfalls angespannt. Seitdem er als Kommandeur einer Kreuzer-Division zur Rikata-Kampfgruppe gestoßen war, hatte es immer wieder Ärger gegeben, was im Verlauf der jüngsten Gefechte nicht besser geworden war.
Kapitän Gelek fungierte als Koordinator der nachrangigen Einheiten und dirigierte die Außensicherung der Flotte. Der hagere, nicht mehr junge Offizier war ein Traditionalist, aber zu routiniert und abgeklärt, um sich in die politischen Streitigkeiten einzumischen, die in den Streitkräften in den letzten Jahren immer größere Kreise gezogen hatten.
Vorcas war der älteste der Anwesenden und eigentlich schon vor zehn Jahren in den Ruhestand getreten, bevor der Krieg mit den Menschen seine Reaktivierung erzwungen hatte. Ähnlich wie Taran hielt der alte Offizier nicht viel von dem verstorbenen Kronprinzen, hatte aber eine Beteiligung an der Offiziersfronde gegen Jor Thelam vermieden. In Tarans Abwesenheit Interimskommandant der imperialen Raumstreitkräfte im Draned-Sektor, hatte er einige wenig glückliche Operationen gegen die lokale Separatistenbewegung initiiert, sich ansonsten aber auf den Ausbau der Kriegswirtschaft und die Verbesserung der Verteidigungsbereitschaft konzentriert. Angesichts der knappen Ressourcen waren seine Möglichkeiten und Resultate allerdings auch in diesem Bereich begrenzt geblieben. Man sah dem alternden Krieger seine Jahre an.
Der letzte Teilnehmer der Runde, der sich über eine Fernverbindung zuschaltete, war nur ein paar Jahre jünger als Vorcas und wirkte älter als dieser. In dem ausgezehrt wirkendem Gesicht von Colar Ras, dem Generalgouverneur des Draned-Sektors, hatten die Krisen der letzten Zeit Spuren hinterlassen. Als ranghöchster Zivilbeamter im gesamten Sektor war Colar Ras theoretisch Taran gleichgestellt, jedoch keine starke Persönlichkeit. Lange vor Ausbruch des Krieges war der alte Mann wegen irgendeinem politischen Fauxpas auf diesen wichtigen aber peripheren Posten abgeschoben worden. Es war ihm nie gelungen, die Gouverneure und Standortkommandeure mit fester Hand zu regieren, was möglicherweise den Separationsbestrebungen und Aufständen im Draned-Sektor den Weg geebnet hatte. Um seine Gesundheit stand es nicht zum Besten. Scharfsichtige Beobachter meinten, dass er zu oft in die Erinnerungen an eine bessere Zeit abzugleiten drohte.
Und dann war da natürlich Captain Thera Los. Früher Angehörige von Jors Stab, war sie von diesem aus nicht ganz eindeutigen Gründen an Bord der KAHAL abgeschoben worden, was schon einmal eine gute Basis für ihre Zusammenarbeit mit Taran geworden war. Skrupellos – Gerüchten zufolge verdankte sie ihre Kariere auch dem kaltblütigen Ausnutzen ihrer persönlichen Reize – aber talentiert, intelligent und mit einem Gespür für politische Schachzüge, war sie für Taran zu einer wertvollen Verbündeten geworden, der er vertrauen konnte. Zumindest bisher.

Taran wurde sich bewusst, dass er das Unvermeidliche nur hinauszögerte. ‚Zeit, reinen Wein einzuschenken.‘ Unwillkürlich straffte er sich: „Es gibt Neuigkeiten von Pan’chra. Binnen kurzem werden alle Angehörigen der Flotte davon erfahren. Allerdings halte ich es für angemessen, die Neuigkeiten erst einmal in einer…kleineren Runde zu besprechen.“ Ein Blick ringsum zeigte ihm, dass etliche zumindest ahnten, worum es ging. ‚Keinen Sinn, weiter darum herum zu reden.‘
Taran holte kurz Luft: „Ich muss Sie über den Tod des Kriegsministers informieren. Lord Tobarii Jockham fiel bei einem Duell mit Sonderbotschafter Dero Allecar…“, es gab wirklich keine Möglichkeit, das besser zu verpacken, dennoch verzog Taran kurz den Mund als hätte er auf eine saure Frucht gebissen, „…der ihn bezüglich der Vaterschaftsfrage des künftigen Imperators herausgefordert hatte. Das Duell verlief ehrenhaft und entsprach allen Traditionen und geltenden Richtlinien. Damit ist der Anspruch des Hauses Allecars auf die Vaterschaft des ungeborenen Sohnes von Prinzessin Linai formell bestätigt und für rechtens befunden. Die kaiserliche Garde wie auch die regulären Streitkräfte stellen sicher, dass Ruhe und Ordnung aufrecht erhalten bleiben. Alle Garnisons- und operativen Verbände sowie die zivilen Verwaltungsorgane sind aufgerufen, diesem Beispiel zu folgen. Unsere Aufgabe bleibt dieselbe. Das Reich beschützen und jeden Schaden von seinen Grenzen abzuhalten.“

Ein paar Herzschläge herrschte Schweigen. Außer Taran hatten nur Thera Los und der Generalgouverneur von dem Ausgang des Duells gewusst – und was ihn anging, so hatte Taran schon Aufgebahrte gesehen, die einen lebendigeren Eindruck machten. Seine übrigen Untergebenen hingegen…
Matir eröffnete mit einer Obszönität, von der Taran nur hoffen konnte, dass sie nicht an Prinzessin Linais Adresse gerichtet war, hätte dies doch den Tatbestand der Majestätsbeleidigung erfüllt. Vorcas war nur ein wenig langsamer und äußerte sich wesentlich ausführlicher mit Redewendungen, wie sie nur altgediente Soldaten kannten. Gelek und Zanni blieben stumm, wobei der Ältere einfach nur geschockt wirkte, während um den Mund der jungen Flugdeckkreuzer-Kommandeurin kurz ein zynisch-verächtliches Lächeln spielte, als hätte diese Nachricht irgendeine Erwartung erfüllt. Und Ka’wal…in seiner Stimme lag pures Gift: „Was für eine Groteske. Ist in diesem Fall vielleicht ein Glückwunsch angebracht, ADMIRAL?!“
‚Das musste ja kommen…‘ „Wie Sie vielleicht noch wissen, war ich während dieser…Ereignisse damit beschäftigt, die Kampfgruppe im Einsatz zu leiten. Ich hatte wohl kaum die Zeit, ein Duell zwischen Kriegsminister Jockham und dem Sonderbotschafter einzufädeln.“
„Der Ihr alter Freund ist, nicht wahr?“
„Ich habe Sonderbotschafter Allecar gut gekannt. Vor vielen Jahren. Seitdem hatte ich noch ein paar Mal mit ihm zu tun, zuletzt in seiner Funktion als Botschafter in der Konföderation. Wenn damit Ihr Interesse befriedigt ist, können wir uns Wichtigerem zuwenden.“
„Oh nein, so einfach geht das nicht! Wie konnte die Kaiserfamilie nur so tief sinken? Wie konnte Prinzessin Linai sich derart entehren?! Prinz Jor war der einzige…“
„Ist das das einzige, was Sie umtreibt?“, Kapitän Matir hatte nach seiner anfänglichen Überraschung offensichtlich rasch wieder zu seinem üblichen Naturell gefunden: „Dann hat Dero Allecar eben unter Beweis gestellt, dass er das kann, wozu Tobarii nicht in der Lage war. Na und? Ehre oder nicht. Wichtiger ist nur, was das für uns bedeutet.“
„Aber Prinz Jor hätte niemals…“
„Prinz Jor IST TOT!“, schaltete sich Taran wieder ein: „Ebenso wie der Kriegsminister. Unsere Aufgabe ist es nicht, uns das Maul über Ereignisse in der Palaststadt zu zerreißen, sondern die Grenzen des Imperiums zu verteidigen!“
„Verteidigen? Mit Was?!“ überraschenderweise war es Generalgouverneur Ras, der jetzt das Wort ergriff, einen gehetzten Ausdruck in den Augen: „Während man sich Pan’chra um den leeren Thron prügelt, wer wird den Draned-Sektor schützen, wenn die Menschen angreifen oder die Verräter in unseren Reihen weitere Stücke aus dem Imperium herausreißen wollen?“
‚Noch vor wenigen Monaten wolltest du, dass das von mir verhängte Kriegsrecht aufgehoben wird, weil eben diese Gefahr angeblich nicht mehr bestand.‘ „Wer den Draned-Sektor schützen wird? Diese Flotte. Was auch immer in Pan’chra geschieht, die Flotten und Armeen der Grenzprovinzen erfüllen ihre Pflicht. So wie es immer schon war. Im Übrigen überschätzen Sie die Separatisten. Sie haben nicht die Stärke, um in die Offensive zu gehen. Sonst hätten sie angegriffen, während die Kampfgruppe abwesend war.“, antwortete Taran und spürte den irrationalen Drang zu lachen. Tatsächlich, die Geschichte des Imperiums schien sich in Kreisen zu bewegen. Was das allerdings für sein Schicksal bedeuten mochte…
Vorcas schüttelte den Kopf: „Da mögen Sie recht haben, aber das wird nicht reichen. Wir sind zu schwach, den Sektor gegen einen möglichen Angriff der Republik zu sichern, gleichzeitig gegen die Separatisten in die Offensive zu gehen und unsere rebellischen Nicht-Akarii-Untertanen unter Kontrolle zu halten.“
„Die Menschen haben ebenfalls hohe Verluste erlitten. Zum ersten Mal seit Jahren mussten sie ihre Front zurücknehmen. Ihr Blick wird auf die Hauptkampflinie gerichtet sein. Dort wird ihr nächster großer Schlag erfolgen. Uns…wird man vergessen.“
„Sie werden vielleicht keine Invasionsstreitmacht schicken. Aber schon ein paar leichte Träger oder Kreuzerverbände könnten schwerste Schäden anrichten. Den Separatisten und den Rebellen Aufwind verschaffen. Und der Republik einige dringend benötigte Siege verschaffen.
Die T’rr mögen dank unserer…diplomatischen Initiativen momentan etwas zurückhaltender agieren. Aber wenn sie und unsere übrigen rebellischen Untertanen Schwäche spüren, wenn sie sehen, dass das imperiale Zentrum mit sich selber beschäftigt ist, während die Glatthäute unsere Welten verheeren und die Separatisten weiterhin unbehelligt imperiales Recht und Autorität mit Füßen treten…dann werden sie zuschlagen. Und dann werden alle bisherigen Aufstände nicht viel mehr als Vorspiel sein.“
„Pan’chra hat uns nicht vergessen.“ Taran sah den Zweifel in den Gesichtern seiner Untergebenen. Ka’wal lachte hämisch auf: „Was denn? Wird Ihr Allecar-‚Freund‘ auf den Sternenwinden herangeritten kommen und die T’rr und Separatisten in Freunde verwandeln? Wird dann das Blutvergießen der letzten Jahre auch nur ein ‚Missverständnis‘ sein, in das uns die böse Republik gelockt hat?! Oh, ich sehe es schon! Gleich nachdem Dero Feldherrin Ranas, Prinz Taku und die 15. Karrg aus den Nebeln der Zeit herausgeführt und aus der Hand der Lebendigen Götter die Krone des ewigen Throns erhalten hat! Ein bescheidener Plan! Kaum einer, für den er die Hilfe gewöhnlicher Sterblicher benötigt!“
„Und was ist, wenn ich Ihnen sage, dass in diesem Augenblick Schiffe und Truppen zusammengezogen werden, um wieder eine dauerhafte Brücke zum Rest des Imperiums zu schlagen und unsere Kampfgruppe auf alte Stärke zu bringen? Ich rede von je einem schweren und leichten Träger, einem halben Dutzend Kreuzer und fast 30 Zerstörern, Fregatten, Korvetten und Hilfsschiffen. Dazu Bodentruppen und schweres Gerät – und ja, auch die Autorität und die Mannschaften um mit unseren rebellischen Kolonialvölkern zu verhandeln. Und die Verräter in unseren eigenen Reihen zu bestrafen.“
Das nahm Ka‘wal etwas den Wind aus den Segeln, aber er gab noch nicht auf: „Dann würde ich sagen, dass es sich offenbar auszahlt mit dem…“, er schluckte das Wort herunter, das ihm auf der Zunge lag, „…dem ‚Begleiter‘ der Prinzessin randaliert zu haben. Oder wollen die Allecars einfach nur IHR Imperium wieder etwas ausweiten? Sich einen sicheren Hafen schaffen, falls der Griff nach der Macht scheitern sollte?“
„Bei den Göttern, Ka’wal – es reicht!“ in Captain Matirs Stimme schwang Verdruss, aber auch eine Spur Spot mit. Und die Autorität von mehreren Jahrzehnten Flottendienst: „Der Admiral hat Recht. Prinz Jor ist tot. Es ist sinnlos, wenn Sie DIESE Schlacht immer wieder von neuem schlagen wollen. Davon wird niemand lebendig.“
„Aber es würde mich schon interessieren, was für Befehle mit der Verstärkung bekommen.“, schaltete sich Zanni ein: „Heißt das, wir werden uns endlich die Meuterer vornehmen? Mit diesen Schiffen hätten wir wieder die Schlagkraft, in einer Blitzaktion die meisten der abgefallenen Akarii-Welten zurückzuerobern.“
„Und ein Blutbad am Boden riskieren?“ Generalgouverneur Ras schüttelte den Kopf: „Warum sollen Akarii auf Akarii schießen, wenn gleichzeitig die Menschen an unseren Grenzen stehen und die T’rr den Aufstand proben.“
Taran schüttelte den Kopf: „Neben der Bedrohung durch die Menschen sind die Separatisten das größte Problem – wenn auch nicht militärisch. Und eines, bei dem jede Verhandlungslösung verheerende Folgen hätte, wenn sie nicht auf eine bedingungslose Kapitulation hinausläuft. Denn es geht hier vor allem auch um das Vorbild, dass die Meuterer geben. Das Imperium wird zusammengehalten durch die Loyalität und Stärke der Streitkräfte und Verwaltung. Brechen diese Pfeiler weg, dann fällt das Imperium. Die T’rr mögen eine größere militärische Schlagkraft haben…“
„Und was ist, wenn das Beispiel der T’rr Schule macht? Wenn weitere unterworfene Völker auf die Idee kommen, sich mit Waffengewalt Sonderrechte oder gar die Unabhängigkeit erkämpfen zu können?!“, konterte Ka’wal: „Diese Schwäche kann uns allen noch teuer zu stehen bekommen!“ Tatsächlich waren die T'rr nicht die einzigen, die mit Waffengewalt für die Unabhängigkeit oder zumindest weitergehende Autonomierechte kämpften, auch wenn keiner der anderen Aufstände auch nur ansatzweise die Wucht der T’rr-Revolte entwickelt hatte.
Bevor Taran etwas erwidern konnte, ergriff Vorcas das Wort. Als Interimsbefehlshaber des Draned-Sektors war er dafür verantwortlich gewesen, Tarans Politik der vorsichtigen Deeskalation des T’rr-Aufstandes und der Anbahnung erster Verhandlungskontakte in die Wege zu leiten: „Die T’rr waren schon immer ein Sonderfall. Ich glaube nicht, dass noch mehr von ihren Nachbarn diesem Beispiel folgen wollen. Dazu haben sie einen viel zu hohen Preis gezahlt. Und nur wenige der von uns unterworfenen Völker haben dieselbe…spezielle Einstellung bezüglich des Wertes des eigenen Lebens. Auf jeden Fall nicht diejenigen, die den T’rr während ihrer Expansivphase unter die Stiefel geraten sind. Ich denke, etlichen der anderen Kolonialvölker wird es vor allem darum gehen, dass wir sie vor den T’rr beschützen. Während deren Einsatz als Hilfstruppen haben sich die T’rr einen…ganz besonderen Ruf erworben. Außerdem wäre es nicht das erste Mal, dass unterworfene Völker Privilegien zugesprochen werden.“
„Üblicherweise als eine vom Sieger gewährte Gnade. Nicht als eine Belohnung für Rebellen.“
Zanni winkte ab: „Wir leben nicht mehr in der guten alten Zeit. Mir persönlich ist es ja egal, wie in Pan’chra gerade duelliert und intrigiert wird. Aber sogar Sie sollten mitbekommen haben, Ka’wal, dass die Zeichen auf Reform stehen. Gerade in der Kolonialpolitik. Die Zivilverwaltung ist ohnehin schon seit langem unzufrieden damit, wie viel des Kolonialbudgets in die militärische Aufstandsbekämpfung fließt. Und selbst in der Flotte und der Armee…“
„Ich wusste ja nicht, dass Sie auch zu den Friedensengeln gehören. Oder hängen Sie Ihr Banner einfach immer nach dem Wind der gerade weht?!“
„Sie können mich mal, Ka’wal. Bloß weil Sie mit einem goldenen Löffel im…Mund geboren wurden, müssen Sie sich nicht immer wie ein Arschloch benehmen! Ich habe es ganz einfach satt, T’rr zu jagen, während die Grenzen des Imperiums brennen. Vor allem, wenn wir besagte T’rr auch gegen die Menschen schicken könnten. Ich weiß zwar nicht, wie Linais Position in dieser Sache ist…“, das sorgte für böse oder amüsierte Blicke, denn die junge Kapitänin hatte ein Wort gebraucht, dass auch eine sexuelle Konnotation haben konnte, „…aber sowohl Jockham als auch Dero standen dahinter. Sogar etwas zu sehr, würde ich sagen. Aber das bedeutet, es wird sich nichts ändern, egal wer die Strippen zieht.
Deshalb würde mich interessieren, welche Order Sie bezüglich der Verhandlungen bekommen haben, Admiral.“
‚Jetzt also das.‘ Taran holte Luft. Der nächste Teil seiner Instruktionen verunsicherte ihn mehr als nur ein wenig: „Ich werde diese Verhandlungen nicht koordinieren. Mit der Verstärkung wird auch das neue Oberkommando für den Draned-Sektor eintreffen.“
Auf Ka’wals Gesicht erblühte ein regelrecht bösartiges Grinsen. Bei den anderen…es tröstete Taran etwas, in mehr als einem Antlitz Bedauern zu sehen. ‚Zeit, Ka’wals Hoffnungen etwas zu dämpfen‘: „Was meine Person angeht, so soll ich mich dem Flottenoberkommando zur Verfügung stellen. Doch hält man es für besser, die Verhandlungen mit den T’rr in Hände zu legen, die in den letzten Jahren nicht in die Bekämpfung der Aufständischen involviert waren. Und die gleichzeitig demonstrieren, wie viel Bedeutung das Imperium dem Draned-Sektor zumisst. Das Kommando über die Kampfgruppe übernimmt Admiral Kjani Rau.“
„Sie schicken uns Gibit?“ Matir lachte jäh auf: „Will man uns belohnen oder ihn bestrafen?“

Kjani Rau hatte als Kommandeur einer schlagkräftigen Kampfgruppe von Flugdeckkreuzern, Kreuzern und Zerstörern die Republik das Fürchten gelernt und dem terranischen Nachschub schwere Schläge versetzt. Sein flexibler, unorthodoxer Verstand und aggressiver Kampfgeist sowie die Fähigkeit, den Gegner – Gerüchten zufolge aber auch die eigenen Untergeben und das Akarii-Oberkommando – zu überraschen und zu verwirren, hatten ihm seinen Spitznamen eingebracht, der auf eine Art Kobold, boshaften Geist oder Halbgott der Akarii-Mythologie zurückging. Für einige Zeit hatte der Admiral fast die einzige Hoffnung des Imperiums verkörpert. Seine Leistungen hatten ihm eine Beförderung und hohe Belobigungen eingebracht.
Doch es war nie mehr daraus geworden, und vor einiger Zeit war Kjani auf einen vergleichsweise unwichtigen Posten abgeschoben worden. Es gab unterschiedliche Ansichten, woran das liegen mochte. Manche meinten, es läge an seiner Herkunft, denn Kjani war von niedriger Herkunft und stammte von einer eher unzivilisierten Peripheriewelt des Imperiums.
Nach einigen Theorien hatte Kjani Raus Popularität Jors Eifersucht oder Misstrauen geweckt, obwohl er sich im Gegensatz zu anderen vielversprechenden Offizieren nicht an der gegen Kronprinz Jor gerichteten Verschwörung beteiligt hatte – wie auch Raus Milde gegenüber unterlegenen Feinden. Andere meinten, dass sehr gut entwickelte Ego des Admirals, der einem Bonmot eines Akarii-Prinzen zufolge sich zwar nicht ohne Grund aber ohne Ende seiner Taten zu rühmen pflegte, hätte eine Rolle gespielt. Oder die Tatsache, dass der mehrmals verheiratete Kjani mit seinen zahlreichen Affären und Duellen gerade bei eher traditionell eingestellten Offizieren und Adligen keinen guten Ruf genoss. Seine persönliche Freundschaft mit Admiral Hahdas Gren, der kurz nach Jors Tod aus immer noch umstrittenen Motiven Kanzler Gor ermordet hatte, hatte vermutlich zusätzlich dazu beigetragen, dass sich auch in den letzten Monaten kein neuer Posten für Rau gefunden hatte. Doch offensichtlich war es damit vorbei…

„Auf jeden Fall heißt das wohl, dass die Verhandlungen mit den T’rr weitergehen sollen. Ansonsten hätten sie vermutlich einen Feuerkopf wie Admiralin Ras geschickt.“ Vorcas warf dem Generalgouverneur des Draned-Sektors einen kurzen Blick zu, aber der blieb stumm, obwohl die Admiralin eine entfernte Verwandte von Colar Ras war. Vorcas fuhr fort: „Oder sie hätten vielleicht sogar Admiral Morello Hagun hierher abgeschoben. Er glaubt doch tatsächlich noch immer, dass der Sieg auf Manticore alleine sein Verdienst ist.“ Das war in der Flotte ein offenes Geheimnis und Anlass für etliche bissige Bemerkungen gewesen. Vor allem aufgrund der hohen Verluste bei Manticore und der jüngsten Performance Haguns bei der Doppelschlacht von Karrashin.
„Nachdem er den Vorstoß der Manticore-Flotte spektakulär von einem quasi sicheren Sieg in ein blutiges Patt verwandelt hat? Wohl kaum.“ warf Zanni ein: „Vielleicht ist es ja auch ein Signal an die Separatisten. Da Kjani ja sogar gegenüber den MENSCHEN Gnade zeigt, sollen sie sich vielleicht auch Hoffnungen machen…“
Taran presste kurz die Lippen zusammen. Er hatte kein Geheimnis daraus gemacht, dass für ihn die rebellierenden Akarii nicht viel mehr als lebende Leichen waren, deren Todesurteil nur noch nicht vollstreckt worden waren: „Außerdem schicken Sie Marschall Parin.“
Ka’wal schnaubte abfällig: „Noch einer ihrer Frondeure! Denn wenn der Draned-Sektor etwas braucht, dann sind es noch mehr gefallene Helden. Die ihre Haltbarkeit bereits überschritten haben.“

Marschall Parin hatte in seiner langen Dienstzeit mehr Planeten befriedet und Aufstände niedergeschlagen, als viele Offiziere aufzählen konnten. Doch obwohl er einer der am höchsten dekorierten Armeeoffiziere war, hatte er im Krieg gegen die Terraner kein Feldkommando erhalten, sondern war im Generalsstab und der Ausbildung verblieben. Vielleicht lag es an seinem Alter – doch weit mehr glaubten, dass es an seiner Kritik gegen den seiner Meinung nach zu riskanten und überhastet begonnenen Krieg lag. Oder weil er Prinz Jor genauso wenig ausstehen konnte, wie dieser ihn. Fast folgerichtig hatte sich Parin an der sich nach den ersten großen Niederlagen formierenden Offiziersverschwörung gegen Jor beteiligt, war bei deren Scheitern in den Ruhestand genötigt worden und hatte erst nach dem Tod des Thronfolgers wieder eine aktivere Rolle zu spielen begonnen.

„Was kümmert mich das!“ schnappte der Generalgouverneur ungewöhnlich energisch, wurde aber von Admiral Taran unterbrochen: „Parins Erfahrung und Prestige bei den Bodentruppen wird uns sehr zupass kommen, um die planetare Verteidigungsfähigkeit des Draned-Sektors zu erhöhen. Und er weiß, wie man mit Rebellen umgeht und einen Planeten sichert.“
„Wenn er nicht gerade selber meutert!“ ätzte Ka’wal: „Und glauben Sie wirklich, dass die T’rr begeistert sein werden, einen alten Kolonialkrieger vorgesetzt zu bekommen?“
Der Admiral drehte sich halb zu seiner Stabschefin um: „Los, Sie können Ihren Kameraden doch sicherlich von seinen Sorgen befreien.“
Thera Los räusperte sich kurz: „Wie Sie vielleicht wissen hat die…heiße Phase der jüngsten T’rr-Rebellion vor zehn Jahren begonnen. Davor gab es für mehrere Jahrzehnte nur vergleichsweise überschaubare Kampfhandlungen, die zudem zu einem großen Teil von loyalen T’rr ausgefochten worden.“
„Ein Widerspruch an sich!“ schnaubte Generalgouverneur Ras, wurde aber ignoriert. Auch weil dieser Spruch schon fast so alt war wie die Herrschaft des Imperiums über die renitenten T’rr.
„Marschall Parin war vor allem auf anderen Schauplätzen eingesetzt. Wobei er – auch bei etlichen Einsätzen im Draned-Sektor - regelmäßig T’rr-Hilfstruppen befehligte und ein recht gutes Verhältnis zu ihnen entwickelte.“ Thera Los überlegte kurz, ob sie auch noch erwähnen sollte, dass Parin angeblich bei Ausbruch der neuen T’rr-Revolte für ein….geschmeidigeres Vorgehen argumentiert hatte, was ein weiterer Grund dafür gewesen war, dass seine Kariere aus dem Takt geriet. Sie konnte es sich allerdings nicht verkneifen hinzuzufügen: „Offenbar ist er mit einer Reihe T’rr-Guerillaführer persönlich bekannt. Nämlich denjenigen, die zuvor für UNS gekämpft haben.“
„Ich war schon immer der Meinung, dass es Wahnsinn war, diesen Bestien imperiale Waffen und Training zukommen zu lassen! Jetzt bezahlen wir für diese Torheit!“ warf Colar Ras ein.
„Nur ein bisschen spät!“ spottete Vorcas: „Spielen Sie nicht im Nachhinein den Propheten! Zumindest EINIGE in dieser Runde sind alt genug um sich an die Zeit vor der Rebellion und dem Krieg zu erinnern. Und daran, wer wirklich gewarnt hat – und wer nicht.“
„Und zu guter Letzt kennt Parin auch General Ressan, den ehemaligen Kommandeur der 14. Armee-Garde, der momentan den Avon-Mond kommandiert und dem deshalb eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen zukommen dürfte. Soviel ich weiß haben sie einige Zeit in derselben Einheit gedient. Parin hat Ressans Kariere gefördert. Als er das noch konnte.“

Der Mond, der so gewohnheitsmäßig als ‚Gefängnismond von Avon‘ bezeichnet wurde, dass sein Eigenname fast in Vergessenheit geraten war, war eine unwirtliche, halbgefrorene Felskugel, auf der Leben nur sehr schwer mehr möglich war. Dennoch – oder vielmehr genau deswegen – war der Trabant von einer gescheiterten Bergbaubasis zum zentralen Verbannungsort im Draned-Sektor mutiert, der seinem schaurig-berüchtigten Ruf alle Ehre machte.

„Bin ich der Einzige, der meint, dass Pan’chra besser nur einen Kommandeur schicken sollte, als ein Paar? Das letzte, was der Draned-Sektor oder wir brauchen, sind zwei alte Männer, die sich nicht einigen können, wer führt.“ warf Ka’wal ein.
„Die Kompetenzen sind klar verteilt und beide sollten erwachsen genug sein, um sich nicht mit irgendwelchen Status-Petitessen aufzuhalten. Es wird ohnehin genug für BEIDE zu tun geben. Im Übrigen verstehe ich Ihr Misstrauen nicht, Ka’wal…“, die Stimme des Admirals gewann einen bissigen Unterton: „Für Sie muss doch mit meiner Abberufung ein Traum wahr werden. Also freuen Sie sich – Sie haben bekommen, was Sie wollen.“
Der junge Adlige schüttelte den Kopf: „Was ich will…was ich will…“
„Nichts davon bringt uns weiter.“ schaltete sich Gelek ein: „Wir sollten uns lieber darauf konzentrieren, dass der Übergang so reibungslos und unbemerkt wie möglich vonstattengeht. Womit ich meine, dass unsere rebellischen Landsleute, die aufständischen Kolonialvölker und ganz besonders die Menschen erst von dem Wechsel erfahren, nachdem er stattgefunden hat und die Verstärkungen eingetroffen sind. Nicht, dass sie Torschlusspanik bekommen und meinen, eine günstige Gelegenheit nützen zu müssen, bevor sie vorbei ist.“
„Hm.“ Taran verkniff sich die Antwort, dass er es begrüßen würde, wenn die vom Imperium abgefallenen Akarii-Befehlshaber ihre Köpfe aus den Löchern herausstreckten, in denen sie sich eingegraben hatten. Ab er mit Wünschen gewann man keine Kriege: „Aus diesem Grund sind wir schließlich hier. Kapitän Los, was die geheimdienstliche Abschirmung angeht…“

***

Einige Stunden später

„Das ging glatter, als ich erwartet hatte.“
Thera Los blickte von dem Bildschirm auf, den sie studierte, und nickte abwesend: „Wenn Ka’wal sein Ego vergisst, Vorcas seine Verbitterung und Generalgouverneur Ras sich daran erinnert, dass wir nicht mehr in der guten alten Zeit leben – wann immer das auch gewesen sein mag – können Sie gut zusammenarbeiten.“
Admiral Taran schnaubte kurz: „Zumindest in zwei von drei Fällen gebe ich Ihnen Recht.“
Thera Los brauchte nicht zu fragen, wen Taran meinte. Sie lachte boshaft auf: „Ka’wal ist ja richtig poetisch geworden. Ich wusste gar nicht, dass er das in sich hat.“
„Der Vorteil einer klassischen Bildung.“
„Und was genau haben Sie den anderen verschwiegen?“ bohrte Thera Los nach.
„Wie bitte?“ Tarans Überraschung fehlte es etwas an Überzeugungskraft.
‚Falls du bei Hof Kariere machen willst, musst du lernen, besser zu lügen.‘: „Wenn Sie mich damit überzeugen wollen, hätten Sie weniger Zeit mit mir verbringen sollen. Übrigens glaube ich, dass auch Matir bemerkt hat, dass Sie in einigen Punkten etwas ausweichend waren. Also was wollten Sie lieber noch für sich behalten?“
„Es wäre vielleicht für die Zuversicht unserer Kapitäne nicht so gut, wenn ich lauthals verkündet hätte, dass der versprochene Leichte Träger noch nicht vollständig ausgetestet und mit einem frisch aufgestellten Geschwader bemannt ist. Diese neue Ashigaco-Klasse ist in der Theorie ja recht beeindruckend - knapp 50 Kampfflieger, ein Dutzend Geschütztürme, ein halbes Dutzend Flugabwehrraketenwerfer und zwei Zwillings-Werfern für Nuklearraketen. Aber diese umgebauten Marineinfanterie-Transporter sind noch nicht im Einsatz erprobt. Bei der Fertigstellung wurde gewaltig Druck gemacht und deshalb dürften sie noch die eine oder andere Schwachstelle haben.
Und der Flottenträger…ist ein Beuteschiff, dass immer noch die Spuren seiner letzten Raumschlacht trägt und das zu führen und zu handhaben die Besatzung erst noch lernen muss. Dass sie dafür jetzt nur den Marsch und dann gleich den Einsatz haben werden…“
„Also hat sich eure Freundschaft mit Dero auf jeden Fall ausgezahlt. Das war doch eines seiner Mitbringsel von Hannover?“
„Ein Grund mehr, diese Detail gegenüber Ka’wal unerwähnt zu lassen. Er denkt doch ohnehin, dass Dero und ich einen dämonischen Plan hegen, der uns über die Leiche des vergöttlichten Jor Thelam an die Spitze des Imperiums bringen soll.“
Thera verkniff sich den Hinweis, dass Dero immerhin bereit gewesen war, für seinen Ehrgeiz den Ehemann seiner Geliebten niederzumetzeln. Und dass Taran als Mitglied der Offiziersfronde zumindest versucht hatte, Prinz Jor zu STÜRZEN: „Ich nehme mal an, dieser Beuteträger ist schlechter als ein Standartträger?“
„Nicht einmal sehr. Der Träger ist größer und schwerer als einer von unseren, aber fast so schnell und ähnlich gut gepanzert. Und mit fast vierzig Geschütztürmen, einem halben Dutzend Raketen- und vier mehrrohrigen Lenkwaffenwerfern sowie einem knapp einhundert Maschinen starken Bordgeschwader ist er erstaunlich kampfstark.“
„Das war aber nicht alles, oder?“
Der Admiral überlegte kurz und zuckte dann mit den Schultern: „Ich hätte es Ihnen sowieso mitgeteilt, auch wenn es für die strategische Besprechung wenig Belang hat. Wir bewegen uns dabei nämlich eher im politischen Bereich. Und was das angeht, hatten wir heute schon genug Streitigkeiten…“
„Wirklich? An wem mag das wohl liegen?“, spottete Thera Los.
„Ich hielt es für sicherer, nicht zu erwähnen, wer Marschall Parin begleitet und bei möglichen Verhandlungen mit den T’rr – und vermutlich auch den Separatisten – assistieren wird.“ Taran zögerte kurz und nickte dann: „Aber das wird vielleicht einiges klarer machen. Es ist Navarr Thelam.“
Thera Los verdaute die Nachricht gut. Schneller, als Taran selber: „Ich gehe mal davon aus, dass Pan’chra WIRKLICH daran interessiert ist, dass die Verhandlungen mit den T’rr vorankommen. Ein kaiserlicher Prinz…das ist schon etwas Besonderes. UND das könnte auch eine Rolle dabei spielen, wenn Kjani und Parin sich die Separatisten vornehmen. Aufständisch oder nicht, es gibt nicht viele ex-imperiale Soldaten, die bereit sind, auf einen Prinzen zu feuern. Und dafür umso mehr, die von einem Prinzen gestütztes Amnestieangebot verlockend finden werden.“
„Hm.“, Tarans Antwort war etwas unverbindlich, vielleicht weil er daran denken musste, wie er und zahlreiche andere Offiziere sich gegen einen kaiserlichen Prinzen verschworen hatten. Auch wenn außerhalb der Fronde vermutlich niemand ahnte, wie weit die Pläne einiger Verschwörer wirklich gegangen waren…: „Aber das nicht vollkommen zu Ende gedacht. Wir wissen schließlich nicht, wer am Ende den Thron besteigen wird und wie er sich dann zu Navarr und den von ihm geschlossenen oder unterstützten Abkommen stellt. Wird er sie anerkennen? Oder werden sie für ihn nichtig sein?“
„Wenn Linais Sohn…“
„WENN er den Thron besteigt, dann werden bis dahin noch viele Jahre vergehen. Wer wird bis dahin die Kontrolle haben? Die Allecars, Linai als die Frau hinter einem leeren Thron? Einer der anderen Prinzen? Ein Regentschaftsrat?
Ich frage mich, ob Ka’wal nicht in gewisser Art und Weise Recht hat, dass der Draned-Sektor zu einem Rückzugsgebiet werden könnte. Allerdings nicht unbedingt für die Allecars. Sondern für einen Prinzen in Wartestellung. Weitab von Pan’chra, seinen Gefahren und seinen niemals schlafenden Augen – dafür mit einer Flotte, die sich eines Tages das Zünglein an der Waage erweisen könnte. Und mit einer Gelegenheit, Ansehen und Gefolgschaft zu gewinnen.“
„Das wäre aber sehr langfristig gedacht. Und wer sollte hinter diesem Masterplan stecken?“
„Das weiß ich nicht…vielleicht derselbe, der meine Rückkommandierung nach Pan’chra beauftragt hat?“
„Also denken Sie nicht, dass es die Idee der Allecars war, Sie nach Hause zu holen?“
Taran lächelte kurz: „Ich war vor langer Zeit mit Dero Allecar befreundet, aber das ist wohl kaum ein ausreichender Grund, um mich nach Hause zu beordern. Vor allem, da die Allecars wohl eher ein Interesse daran haben dürften, mich hier zu belassen und so den Draned-Sektor zu sichern. Außerdem muss mein Marschbefehl unmittelbar nach – oder vielleicht sogar VOR – dem Duell herausgegangen sein. Ich weiß nicht, wie sich Dero in den letzten Jahren verändert hat, aber SO schnell ist er nicht – und auch nicht sein Vater. Nein, das muss jemand mit großem Einfluss in der Flotte und der Armee gewesen sein. Jemand, der es angesichts der veränderten Umstände für angeraten hält, dass der Kommandant im Draned-Sektor weder ein potentieller Dero-Anhänger ist, noch ein Admiral mit vielleicht etwas zu viel kaiserlichem Blut in den Adern.“
„Sie meinen…“
„Kjani ist politisch ein Legitimist, soviel ich weiß – und von zu niedriger Herkunft, um sich Hoffnungen auf den Thron machen zu können. Wenn er einen Ehrgeiz hat, der über seinen persönlichen Ruhm, seine…Eroberungen, den Admiralsrang und VILLEICHT die Aufnahme in den Adelsstand hinausgeht, dann hat er ihn sehr gut verborgen. Und Parin…ist zu alt und hat keine Erben. Er kann vielleicht der Berater oder Mentor eines künftigen Imperators sein, doch nicht mehr.“
„Und Sie sind nicht der Meinung, dass Sie ein bisschen zu viel in einen Haufen Spekulationen, vagen Gerüchten und veralteten Informationen hineindeuten, Admiral?“
„Vielleicht. Die Frage ist nur, kann ich es mir LEISTEN, diese Möglichkeit nicht in Betracht zu ziehen?“
„Wenn jemand wirklich so viel Macht hätte – warum sitzt er dann nicht schon längst selber auf dem Thron? Keiner der Prinzen…“
„Ganz Recht. Keiner der Prinzen hat diese Macht. Jedenfalls momentan. Deshalb glaube ich auch nicht, dass einer von Ihnen dahinter steckt. Oder zumindest nicht alleine. Nein, ich glaube, dieser Schachzug wurde in der Admiralität und dem Armeeoberkommando ersonnen.“
„Ich dachte, die hätten sich auf die Linie zurückgezogen, Ruhe und Ordnung zu bewahren, dieses…Theaterstück der Allecars zu ignorieren und sich auf die unbedeutende Tatsache zu konzentrieren, dass wir einen Krieg zu führen haben.“
„Ja, so haben sie und die Kaiserliche Garde es verkündet. Aber zu behaupten, nicht an dem Streit um den Thron teilzunehmen war schon immer ein Schachzug IN diesem Spiel. Ich weiß nicht, ob eine potentielle Unruhequelle von Pan’chra – und aus dem Draned-Sektor entfernt werden soll oder ob da jemand sich eine Art…Faustpfand oder Reserve schaffen will, falls es in der Ewigen Stadt nicht nach seinen Wünschen läuft. Vielleicht geht es aber auch darum, einen einflussreichen Ex-Frondeur wie Parin etwas aus dem Zentrum der Macht zu entfernen – oder aber ihn wieder in eine Schlüsselposition zu bringen…“
‚Wohl kaum, denn da sie dich gleichzeitig nach Hause holen ist das für die Fronde nur ein Postenwechsel. Ihr seid beide Teil der Verschwörung gegen Jor gewesen.‘
„Keine dieser Fragen kann hier und heute beantwortet werden. Und sie sollten ohnehin nicht an oberster Stelle auf Ihrer Prioritätenliste stehen.“
„Mag sein. Aber eine Frage kann heute beantwortet werden. Wollen Sie mitkommen?“
Die Frage traf Captain Thera Los etwas überraschend: „Sie lassen mir die Wahl?“
„Natürlich. Schon weil ich sie nicht hatte.“ ‚Nicht, solange ich nicht die Truppen des Draned-Sektors selber in die Rebellion führe.‘

Für einen kurzen, verrückten Augenblick hatte Admiral Mokas Taran tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, als er sich gefragt hatte, ob seine Abberufung ihn nicht auf den direkten Weg vor ein Erschießungskommando oder in die Klinge eines Assassinen führen mochte. Aber er würde diesen Schritt nicht gehen – und das nicht nur, weil er bezweifelte, dass die Männer und Frauen unter seinem Kommando bereit sein würden, ihm geschlossen auf diesem Weg zu folgen. ‚Als man mich ins Exil schickte, habe ich der Admiralität mein zerbrochenes Ehrenschwert zurückgeschickt. Ob sie mir nun ein neues in die Hand drücken oder mich mit der geborstenen Klinge ausweiden wollen – ich werde ihnen ganz gewiss nicht das Vergnügen bereiten, Angst zu zeigen. Falls du mich sehen kannst, Jor, wo immer du auch bist – ich spucke auf dein Grab!‘
„Ich kann jemanden gebrauchen, auf den ich mich verlassen kann – gerade in der Admiralität und in der ewigen Stadt. Aber wenn Sie Ihre Zukunft eher im Draned-Sektor sehen…“

Kapitänin Thera nahm sich die Zeit, den Gedanken weiterzuverfolgen. Die letzten Monate als Stabschefin und Adjutantin des Admirals konnten ihrer Kariere zweifellos nutzen und dazu beitragen, aus dem Tief herauszukommen, in das sie die Versetzung durch Prinz Jor geschossen hatte. Wenn Sie im Draned-Sektor blieb, würde ihre Kariere vermutlich in den üblichen Bahnen verlaufen. Mit ein wenig Glück würde sie relativ bald zum Zweiten, dann zum Ersten Offizier eines Trägers oder Kreuzers aufsteigen und dann – oder vielleicht über den Umweg eines Zerstörerkommandos – ihr eigenes Großkampfschiff bekommen. Einige Jahre später könnte sie dann zum Admiral Zweiter Klasse aufsteigen. Vielleicht. Es wäre wahrscheinlich ein langsamer aber sicherer Aufstieg, zumal wenn der Draned-Sektor weiterhin fernab von der Hauptkampflinie des Krieges verbleiben würde. Die Möglichkeiten, ihre Kariere voranzutreiben, würden begrenzt sein. Nicht, dass sie zögern würde, auch in Zukunft auf mehr als nur ihr Können und ihre Fähigkeiten zu setzen. Sie hatte auch schon früher ihr Aussehen und ihren Körper eingesetzt. Aber Kjani Rau hatte den Ruf eines Mannes, der ihr in diesem Spiel wahrscheinlich gewachsen war. Parin war ein Armeeoffizier, dessen Leidenschaft alleine dem Imperium, den Streitkräften und seiner persönlichen Vorstellung von Pflicht und Ehre galt – Rivalen, gegen die man nur schwer bestehen konnte.
Und der dritte in diesem Bund…
Navar Thelam war zwar von kaiserlichem Blut, hatte aber noch nicht einmal seine Ausbildung an der Akademie beendet. Zudem war er etliche Jahre jünger als Thera und jede Frau, die ein Auge auf diese kostbare Beute geworfen hatte, würde ihre Rivalinnen mit einem Knüppel wegprügeln müssen. Und außerdem…‘Ich habe erst einmal genug von Thelam-Prinzen. Das letzte Mal hat mir das eine Verschickung ins Quasi-Exil eingebracht.‘

Tarans Angebot hingegen…
Sie war sich immer noch nicht ganz sicher, wie sie ihre Beziehung zu dem Admiral beschreiben sollte. Es war kein Verhältnis auf Augenhöhe, aber es war dennoch eine angenehme Abwechslung, in erster Linie für Ihre Fähigkeiten geschätzt zu werden. Gewiss, der Admiral benutzte sie auch als Resonanzkörper für seine philosophischen Anwandlungen, die für einen kommandierenden Offizier vielleicht manchmal etwas zu ambivalent und melancholisch waren. Er hörte sich zweifellos gerne reden und einige seiner religiös angehauchten Grübeleien waren ihr entweder zu hoch oder zu versponnen. Aber sie hatte schon Schlimmeres hingenommen um voranzukommen. Und wenigstens war er auch bereit, Kritik hinzunehmen.
Und – nicht zuletzt durch die geteilte Todesgefahr, die gemeinsame Abneigung für den verstorbenen Prinz Jor und die aufreibende Aufgabe, eine Flotte zu führen und zu kommandieren, hatte sich zwischen ihnen ein Vertrauensverhältnis gebildet. Taran war ein paar Jahre älter und stand im Rang über Thera. Trotzdem sah sie in ihm manchmal fast so etwas wie einen älteren – wenn auch nicht unbedingt klügeren – Bruder. Auch wenn sie sich natürlich hütete, das laut zu sagen. Ebenso wie der Admiral niemals deutlicher geäußert hatte, wie er ihr Verhältnis interpretierte. Aber natürlich sagte das Angebot, ihn nach Pan’chra zu begleiten, ebenfalls Einiges aus.
Wenn der Ruf in die Heimat wirklich die Aufnahme in die höheren Ränge der Admiralität bedeutete, dann hatte Taran die Chance auf einen rasanten Aufstieg. Auch wenn er das selber vielleicht nicht so einschätzte, Thera Los attestierte dem jungen Mann eine bemerkenswerte Fähigkeit, auf die Füße zu fallen. Sie wusste, er war an der Planung der Manticore- und Rau-Offensive beteiligt gewesen. Nachdem er wegen seiner Beteiligung an der Offiziersverschwörung gegen Prinz Jor in den Draned-Sektor verbannt worden war, hatte er es verstanden, das durch die vorrückenden Terraner, diverse Rebellionen und dann durch Prinz Jors Tod entstandene Machtvakuum zu nutzen, um die Kontrolle über den ganzen Sektor zu übernehmen. Er hatte aus den dezimierten Überresten mehrerer Trägerkampfgruppen und der lokalen Garnisonsflotten eine kampfstarke Flotte geformt, diese auf eine von manchen als fast selbstmörderisch eingeschätzte Mission geführt und – gegen einige der erfahrensten menschlichen Kommandeure und Einheiten – immerhin ein achtbares Patt erzielt, dass die imperiale Propaganda als einen Sieg verkaufen konnte. Er hatte sogar einen Großteil der ihm unterstellten Schiffe wieder nach Hause gebracht. Und gleichzeitig hatte er, die politischen Veränderungen auf Pan’chra ausnutzend, die Weichen für eine grundlegende Revision der Kolonialpolitik im Draned-Sektor gestellt – mit einer potentiellen Langzeitwirkung, die noch nicht einmal abzuschätzen war.
Als Protegé des verstorbenen aber immer noch hoch angesehenen Großadmirals Nahil Koo und künftiger angeheirateter Verwandter der Koo-Familie verfügte er über gute Kontakte – vor allem, wenn man das Ansehen und das Patronage- und Bündnis-Netzwerk der Taran-Familie selber mit einbezog. Wenn er nun auf seinen Leistungen und Beziehungen aufbauen konnte, war ihm die nächste Beförderung fast sicher – und ein prestigeträchtiger Posten, entweder in der Admiralität oder an der Front. Und Sie würde mit ihm aufsteigen können…
Allerdings galt das alles natürlich nur, wenn Tarans ‚Abberufung zur Admiralität‘ nicht nur ein Vorwand war. Die durch seine frühere Tätigkeit in der Admiralität, die Beteiligung an der Offiziersverschwörung, die Übernahme des Draned-Sektors, Führung der Kampfgruppe und die angestoßenen Verhandlungen mit den T’rr bewiesene Selbstständigkeit und Ambitionen konnten sich allzu leicht auch als eine gefährliche Hypothek erweisen – GANZ BESONDERS wenn man den Einfluss der Tarans und das in ihren Adern fließende kaiserliche Blut bedachte. Wenn eine Fraktion – und Thera Los war nicht bereit, die Allecars da auszunehmen, auch wenn der Admiral und der junge Dero Allecar früher einmal gemeinsam die Umgebung des Palastviertels unsicher gemacht hatten – zu der Ansicht kam, dass Tarans Ambitionen, Fähigkeiten und politischen Ressourcen zu gefährlich werden konnten…
Dann konnte der ‚Ruf in die Heimat‘ sich schnell in eine Fanfare verwandeln, die Tarans Degradierung, Verbannung oder gar seinen Tod verkündete. Und Thera Los würde höchstwahrscheinlich mit ihm fallen. Das hatte es alles schon gegeben. Was dem Admiral natürlich bewusst sein musste, den sonst hätte er sie vermutlich nicht vor die Wahl gestellt.

All diese Gedanken schossen der jungen Akarii-Offizierin durch den Kopf. Und dennoch vergingen nur wenige Herzschläge, bis Sie den Kopf hob und ihre Lippen sich zu einem leichten, fast spöttischen Lächeln verzogen: „Sie haben Glück, dass ich nur mit leichtem Gepäck an Bord gekommen bin. Geben Sie mir ein paar Stunden und ich bin bereit zur Abreise.“ Sie überlegte kurz: „Auch wenn das Ka’wal möglicherweise gleich doppelt das Herz brechen wird. Ich hatte immer schon den Eindruck, dass er mich etwas zu häufig ansieht.“
Der Admiral erwiderte das Lächeln, auch wenn darin auch ein wenig Nervosität und Anspannung liegen mochte: „Dann ist es also beschlossene Sache. Ob nun Aufstieg und Ruhm oder Schande und Untergang – unser Schicksal entscheidet sich auf Pan’chra, in der ewigen Stadt. Und noch etwas Kapitän Los…ich glaube, ich könnte mir keine bessere Gesellschaft auf diesem Weg wünschen.“
21.09.2017 18:56 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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„Dies sind die härtesten Lehrmeister für einen jungen Geist: der Krieg, das Exil – und der Verrat.“
Der antike Akarii-General Gorlan Rikata


Es war nicht das erste Mal, dass er die Oberfläche von Akar aus dem Orbit betrachtete und die grün-blaue Kugel des Heimatplaneten kleiner und kleiner werden sah. Denn natürlich hatte es in seiner Kindheit und Jugend Flüge zu den verschiedenen Raum- und planetaren Stationen des Sonnensystems gegeben. Mehrere Sommer hatte er auf der ‚Blumenwelt‘ Damar Zwei oder anderen Planeten verbracht, auf der seine Familie Anwesen besaßen. Und in den letzten zwei Jahren waren etliche Tage oder gar Wochen dauernde Raumeinsätze Bestandteil seiner Ausbildung gewesen. Aber dennoch war es heute etwas anderes. Denn diesmal wusste er nicht, wann er seinen Fuß wieder auf den Erdboden Akars setzen würde. Was ihn dann erwartete – und ob dieser Tag überhaupt kommen würde.
„Hoheit. Die anderen warten.“
Prinz Navar Thelam drehte sich um und nickte dem wenige Jahre älteren Offizier zu: „Es ist gut. Ich komme.“ Während er Dical Katall durch die schmucklosen Gänge des Infanterietransporters folgte, fragte sich der junge Prinz, ob er das Richtige tat oder im Begriff war, einen kolossalen Fehler zu begehen. In den letzten paar Stunden war viel passiert…

Die Eröffnung, dass er als Marschall Parins - Adjutant? Schüler? – diesem in den Draned-Sektor folgen sollte, war überraschend gekommen. Zumal er bereits halb erwartet, halb befürchtet und vielleicht, nur vielleicht auch heimlich ein ganz kleines bisschen erhofft hatte, dass Marschall Parin, Prinz Rallis – oder wer weiß sonst – mit der Aufforderung an ihn herantreten würde, dass er an der Spitze einer Streitmacht nach Pan’chra vorrücken solle, um den Thron für sich einzufordern. Doch dieses Hirngespinst – dass dadurch nicht weniger beunruhigend wurde, dass er offensichtlich nicht der einzige gewesen war, der es gehegt hatte – hatte sich verflüchtigt wie ein Albtraum der vergangen Nacht. Und wie dieser hatte er nicht viel mehr hinterlassen als einen schlechten Nachgeschmack und quälende Gedanken.
Doch die Admiralität, der Generalstab, die Kaiserliche Garde und deshalb offensichtlich auch sein Cousin Rallis und Marschall Parin hatten anders entschieden. Es war ernüchternd gewesen, wie schnell sich die Situation geändert hatte – und wie sehr er von den Entscheidungen anderer, älterer Männer und Frauen abhängig war. Gegen die Entscheidung, ihn mit Parin in Richtung Peripherie zu schicken, hatte Navarr nicht ernsthaft Einspruch erheben können, wenn er es nicht wie ein trotziger Halbwüchsiger wirken wollte. Zumal er sehr wohl begriff, welche Motive hinter dieser Entscheidung standen. Dero Allecars Duellsieg – und die zumindest stillschweigende Billigung oder Akzeptanz des Anspruchs Allecars durch die Streitkräfte und die Kaiserliche Garde – hatten Pan’chra mit einmal zu einem sehr viel gefährlicheren Pflaster für ihn gemacht.
Dass er nicht der Einzige war, der sich dieser bitteren Erkenntnis stellen musste, machte die Sache nur unwesentlich besser. An Bord des Transporters hatte er eine Reihe anderer junger Kadetten, Offiziere und Adlige getroffen, denen es offenbar ähnlich ergangen war. Wie Navarr waren sie im Verlauf der letzten Nacht in Richtung Draned-Sektor abgeschoben worden – einige anscheinend noch nicht einmal mit einer Begründung.
Einer von ihnen war Commander Dical Katall, Spross eines seit der Antike für seine Redner und Dichter bekannten Hauses, dessen Familienoberhaupt erst kürzlich im Adelsforum mit einer Brandrede gegen Lord Meliac Allecar bewiesen hatte, dass das alte Feuer noch immer brannte. Dical hatte sich rasch als einer der Anführer in dem zusammengewürfelten Haufen junger Akarii erwiesen. Ob es nun an der Überzeugungskraft seiner Familie lag oder an der in dem jungen Offizier brodelnden Energie, die freilich vor kurzem einen ordentlichen Dämpfer erfahren haben musste. Und der vermutlich auch deshalb bereit gewesen war, auf Navarrs Worte zu hören. Und er war nicht der Einzige…

Als sie beide den einfach eingerichteten Besprechungsraum betraten, der angesichts der Anzahl der hier Versammelten etwas überfüllt wirkte, kreuzte sich Navarrs Blick mit dem von Maran Otrano, die ihm mit einem unmerklichen Lächeln kurz zunickte. Dass die junge Adlige und Kadettin einer Kolonialwelt-Militärakademie, die Navarr auf einer von Rallis Thelams Festen kennengelernt hatte – vor einer halben Ewigkeit, als Tobarii Jockham noch lebte und mit Dero Allecar an einem Strang zu ziehen schien – ebenfalls Marschall Parins Transporter beigeordert wurde, war eine angenehme Überraschung für Navarr gewesen. Die gelegentlichen Treffen mit ihr waren in den letzten Wochen eine der wenigen Gelegenheiten gewesen, das Spiel um den Thron zu vergessen. Denn obwohl die Otranos ein altes Haus waren und sowohl zu der mächtigen Großherzogin Zuuni als auch zu Haus Thelam Beziehungen unterhielten, schien Otrano selber relativ wenig von dem Tanz zu halten, dass andere Adelshäuser um die Thronprätendenten aufführten und begegnete Navarr mit einem erfrischenden Mangel an Ehrerbietung und Berechnung. Und es waren auch die Gespräche mit ihr gewesen, die ihn in dem Entschluss bestärkt hatten, den er jetzt im Begriff war umzusetzen.

„Danke, dass ihr meiner Einladung gefolgt seid, auch wenn die Küche nicht mit einem Empfang bei Hofe mithalten kann.“ Navarr wies auf die auf dem Tisch verteilten Wasserflaschen und den Teller mit graubraunen Rationsplätzchen, die offensichtlich die Überbleibsel von abgelaufenen Feldrationen waren. Er hoffte, dass sein Grinsen nicht so künstlich wirkte, wie es sich für ihn anfühlte. Aber das hier und da aufflackernde Lachen schien anzudeuten, dass der kümmerliche Scherz zumindest bei einigen ankam.
Allerdings nicht bei allen: „Es ist ja nicht so, als ob wir groß Alternativen hätten, HOHEIT. Zumal wir unter absoluter Funk- und Kontaktsperre fliegen. Woran oder an wem mag das wohl liegen, frage ich mich?!“
Navarr ärgerte sich, dass er den Nachnamen des breitschultrigen, etwas massig wirkenden Offiziers vergessen hatte, dessen sarkastisches Naturell er schon kennengelernt hatte. Er wusste nur, dass Mengar ein fähiger Fechter war und von Dero Allecar nicht viel hielt, obwohl er auch für die Traditionalisten und konservativen Kräfte am Hofe nur Geringschätzung zu empfinden schien. Dumm war er jedenfalls nicht, denn vermutlich sollte die verordnete Funkstille tatsächlich verhindern, dass Navarrs Anwesenheit bekannt wurde. Was ein interessantes Licht auf die Befürchtungen derjenigen warf, die sie alle auf dieses Schiff verbracht hatten. Ansonsten war Mengar offensichtlich ein guter Bekannter von Dical. Und dieser war es auch, der ihm jetzt Konter gab: „Komm schon, Mengar. Dann musst du dich halt bei deinen…Freizeit-Trids auf die beschränken, die du abgespeichert hast. Und ich will hören, was der Prinz zu sagen hat.“
„Wir alle haben es uns nicht ausgesucht, hier zu sein. Wir sind hier, weil andere für uns entschieden haben.“
„Sogar Ihr?“ kam es von weiter hinten.
„Ganz besonders ich.“
„So weit ist es also mit der Macht der Thelams…“, spottete Mengar, verkniff sich aber auf einen warnenden Blick seines Freundes das, was er noch hinzufügen wollte. Wahrscheinlich irgendetwas anzügliches bezüglich Prinzessin Linai und Dero Allecar, vermutete Navarr. Hoffentlich beherrschte sich Mengar auch in Zukunft. Ihn fordern zu müssen würde Navarr nicht unbedingt weiterhelfen. Mal abgesehen von der Frage, ob er überhaupt gewinnen konnte…
„Einige von uns sind hier, weil diejenigen die sich für klüger halten, um unsere Sicherheit fürchten und denken, dass wir an der Peripherie, zwischen Rebellen und Meuterern sicherer sein werden. Andere sind hier wegen dem, was sie getan haben, was sie tun wollten – oder dem, was sie vielleicht tun könnten.“ Er sah wie Dical und Mengar einen Blick wechselten. Und sie waren nicht die Einzigen. ‚Ja, ganz Recht. Ich weiß, dass auch Angehörige der Fronde an Bord sind.‘: „Aber was uns alle verbindet ist die Tatsache, dass wir nicht aus freiem Willen Pan’chra verlassen. Ich habe keine Angst vor dem was uns im Draned-Sektor erwartet…“, das entsprach nicht ganz den Tatsachen. Aber das konnte er natürlich nicht zugeben – genauso wenig, wie einer der anderen jungen Männer und Frauen offen über die Befürchtungen sprechen würde, die sie quälen mussten, „…aber ich bin es leid, hin und hergeschoben zu werden, wie eine Figur auf einem Spielfeld.
‚Wartet ab‘ heißt es. ‚Hört auf diejenigen, die es besser wissen.‘ ‚Eure Zeit wird kommen – aber nur wenn ihr das tut, was wir euch sagen.‘ Nun, ich möchte nicht länger warten.“
„Und was schwebt euch vor, HOHEIT?!“ Das war wieder Mengar: „Wollte Ihr das Schiff kraft der euren Vorfahren von den Göttern übertragenen Autorität übernehmen und umdrehen? Das möchte ich gerne sehen!“
„Natürlich nicht. Das wäre Meuterei und würde bedeuten, dass ich mich meiner Pflicht als Soldat und Prinz entziehen würde. Auch wenn meine Pflicht im Augenblick darin liegen mag, einen Frieden mit den rebellischen T’rr auszuhandeln. Nein, ich will nicht, dass wir das Schiff zum Umdrehen zwingen…“
„Als ob wir das könnten!“
„Aber ich will, dass wir selber über unser Schicksal bestimmen. Ich habe zu lange darauf gehört, was andere von mir wollten. Und ich glaube, euch allen geht es genauso. Wir alle wollen die Zukunft selber gestalten. Unsere…und die des Imperiums.“
„Und Ihr meint nicht, dass Ihr euch da etwas viel vorgenommen habt? Vor allem, da wir momentan alle nur Befehlsempfänger sind…“, der Sprecher, ein breit gebauter Lieutenant der Armee musterte Navarrs Kadetten-Uniform: ,…einige noch mehr als andere.“
‚Das musste ja irgendwann erwähnt werden‘: „Umso mehr ein Grund, irgendwo anzufangen. Wir alle wissen, wie das Imperium funktioniert. Leistung ist das eine. Gute Kontakte und ein Netzwerk von Verbündeten etwas anderes. Ich weiß nicht, wie weit einige von uns bereits damit waren…“, das stimmte nicht ganz, tatsächlich wusste Navarr so einiges und vermutete noch mehr, „…aber keiner von ihnen sollte die Unterstützung eines Thelam-Prinzen leichtfertig verschmähen.“
„Der gerade in die Peripherie abgeschoben wird?“ spottete eine der Kadettinnen. Wenn Navarr darauf etwas gegeben hätte, hätte er es traurig gefunden, dass die von einer konkurrierenden Akademie kommende Maran Otrano fester zu ihm stand, als viele seiner Kameraden.
„Genauso wie wir alle. Was dann ja wohl bedeutet, dass wer immer hinter uns steht, momentan NICHT die Oberhand hat.“
„Das mag ja alles sein…“, Mengar wiegte etwas spöttisch den Kopf: „Aber wollt Ihr nur darauf basierend, dass wir euch jetzt die Treue schwören? Die Planken dieser Brücke erscheinen mir dann doch etwas dünn…“
Navarr Thelam schüttelte verneinend den Kopf: „Einen Treueschwur? Nein. Eure Treue – unser alle Treue – gehört zuallererst dem Imperium. Was bei vielen auch der Grund ist, warum wir uns jetzt auf diesem Schiff befinden. Ich dachte eher an eine Art…Beistandspakt.“
Mengar beugte sich vor: „Und was genau sollte ich mir davon versprechen? Für mich und das Imperium…“

Und damit war der Grundstein gelegt, auch wenn das Hin und Her der Worte noch über eine Stunde weiterging. Aber als er eine ganze Weile später wieder an dem Aussichtsfenster stand und dorthin blickte, wo Akar nun nur noch zu erahnen war, erlaubte er sich ein Gefühl vorsichtigen Optimismus.
„Das ging ja leichter als ich dachte.“
Navarr drehte sich zu Dical Katall um, der zusammen mit Maran Otrano den Raum betrat: „Ja, ich war auch überrascht.“
„Es liegt uns im Blut.“ Maran Otrano zuckte mit den Schultern: „Wir wünschen uns alle jemanden, der unserer Treue würdig ist. Jemanden, an den wir glauben können. Einen Prinzen, der uns anführt, wie in den alten Geschichten, mit denen wir groß geworden sind.“
Kurz hatte Navarr das Gefühl, als ob eine unsichtbare Hand ihm die Luft abschnürte. Weniger wegen dem, was Maran gesagt hatte. Sondern wegen dem, was er selber mit diesen Worten verband. Und was in ihnen mitschwang. Aber bevor er etwas erwidern konnte, was für einen jungen Kadetten vermutlich viel zu pathetisch geklungen hätte, fuhr die junge Akarii fort, während sie Katall einen kurzen Seitenblick zuwarf: „Und deshalb ist unsere Enttäuschung, unser Hass und unsere Wut umso größer, wenn wir enttäuscht werden. Oder das Gefühl haben, verraten zu werden.“
Dical Katalls Miene verdüsterte sich kurz: „Wir reden jetzt nicht von unserem Freund hier, nicht wahr? Falls du auf einen anderen Prinzen anspielt der…nicht mehr unter uns ist, würde ich vorschlagen, dass du dich doch lieber um deinen eigenen Kram kümmerst.“ Ein spöttisches Grinsen huschte über sein Gesicht: „Und deinen eigenen Prinzen.“
Navarr Thelam räusperte sich: „Wie auch immer. Ich möchte euch danken. Ohne eure Hilfe hätte ich es nicht geschafft.“
Dical Katall schnaubte amüsiert: „Wir geben ein hübsches Triumvirat ab. Ein abgeschobener Prinz, die Tochter einer Grenzdynastie und ein Katall. Zweifellos wird es einst meine Aufgabe sein, unsere Geschichte der Nachwelt zu erzählen.“ Er zögert und fügte dann bissig hinzu: „Oder uns vor dem kaiserlichen Gerichtshof zu verteidigen.
Aber was Ihr heute erreicht habt, das ist nur ein Anfang. Was WIR daraus machen können, hängt nicht zuletzt von Euch ab.“ Dical Katalls Gesicht verdüsterte für einen Augenblick: „Und was das angeht, solltet Ihr Marans Worte besser nicht vergessen. Wir vergeben unsere Loyalität nicht leichtfertig. Und wenn dieses Vertrauen enttäuscht wird…“
Maran verdrehte die Augen: „Kein Wunder, dass die Mitglieder deiner Familie so leicht Freunde finden.“
Dical zuckte mit den Schultern: „Der Preis unserer Brillanz. Aber im Ernst. Ihr habt es geschafft, von Pan’chra verbannt zu werden. VERMUTLICH ohne eigenes Verschulden. Aber dieses Exil ist auch eine Chance für Euch. Seht nur zu, dass Ihr sie auch nutzt. Eine weitere wird es vermutlich nicht geben.“
Navarr musterte den etwas älteren Offizier lange: „Soll das eine Warnung sein – oder eine Drohung?“
„Warum nicht beides? Aber vermutlich eher eine Warnung. Immerhin sitze ich in demselben Boot.“
Navarrs Blick wanderte zu Maran Otrano: ‚Das tun wir alle. Und ich bete darum, dass ich in der Lage sein werde, es in einen sicheren Hafen zu lenken…'
13.10.2017 08:02 Tyr Svenson ist offline E-Mail an Tyr Svenson senden Beiträge von Tyr Svenson suchen Nehmen Sie Tyr Svenson in Ihre Freundesliste auf
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„Piraten sind Feinde der gesamten Menschheit.“
Römisches Sprichwort

Das schrille Fiepen eines Handgelenk-Komms riss Kano aus dem Halbschlaf, in dem es keinen Krieg gab. Als er noch benommen hochfuhr, bohrte sich ein Ellbogen in seine Seite und weckte ihn endgültig. Allerdings konnte das auch dem unterdrückten Fluch Kalis liegen, die sich aus dem Bett rollte und auf die Füße kam: „Khoonee narak!“
Auch wenn er ihr zustimmen wollte, aktivierte er lieber das Komm, nachdem er es im Halbdunkel gefunden hatte: „Hier Lieutenant Commander Nakakura. Was ist los? Ich habe keine Bereitschaft.“ Als Pilot und Staffelführer war er es inzwischen gewohnt, ohne sichere Ruhezeiten zu arbeiten, aber manchmal musste man eine Grenze ziehen. Wegen den von Commander Stafford durchgedrückten Sonderübungen und der nach dem Verlassen des Sterntorsystems gestrafften Patrouille-Pläne für die Angry Angels hatten sie ziemlich wenig Zeit für einander finden können. Außerdem war Kali nach der von Kano für die Roten Staffel organisierten ‚Überraschung‘ einige Zeit etwas angefressen gewesen, zumal es schon das zweite Mal war, dass sie von anderen Angry Angels bei einer Übung hinters Licht geführt worden war. Das letzte Mal war gewesen, als sie auf der DERFLINGER diente und von Raven hereingelegt worden war. Es hatte Kano einige Mühe gekostet, das wieder hinzukriegen.

Im Komm blieb ein paar Augenblicke still. Dann kam die Antwort: „Gut, dass ich Sie erwische, Nakakura. Hier ist McGill. Sie werden beim ersten Flug nach unserem Sprung in das Hellas-System dabei sein.“
„Ich dachte, eigentlich sollte …“
„Stafford wird die Einweisung übernommen. Das heißt vermutlich, dass er mitfliegt. Schließlich will er, dass wir keinen Rost ansetzen. Seine Worte, nicht meine.“ Kali, die mitlauschte, murmelte etwas, was zum Glück unverständlich blieb.
Kano presste kurz die Lippen zusammen: „Schon wieder? Er könnte etwas mehr Zeit für seine eigene Staffel gebrauchen.“ Das brachte Kano einen Schulterrempler von Kali ein. Aber Staffords Angewohnheit, regelmäßig bei anderen Staffeln mitzufliegen, kam nicht überall gut an. Manche fassten die häufigen ‚Stippvisiten‘ als Misstrauensvotum auf, vor allem wenn sie – so wie Kanos Schwarze Staffel und Aces Blaue Schwadron – besonders häufig in diesen Genuss kamen.
„Schieben Sie es auf die nuklearen Ostereier, die Ihnen Decker und seine Freunde von der Waffenerprobung beschert haben. Wenn die Butcher Bears schon unsere neueste Wunderwaffe testen dürfen, dann soll es auch klappen. Oder es liegt an der kleinen Überraschungsparty, die Ihr Dreckiges Dutzend für den Commander organisiert hat.“ McGill klang amüsiert, was sich bei ihren folgenden Worten noch verstärkte: „Und falls Sie Kali…sehen, sagen Sie ihr, dass sie ebenfalls bei der Einweisung dabei sein wird.“
Vermutlich war Kalis gemurmelter Kommentar für diese Neuigkeit auch nicht wohlwollender als das vorherige.
„Falls ich Sie sehe…“
„Das will ich doch hoffen.“ Trisha McGills Stimme gewann eine sarkastische Note: „Immerhin sprechen Sie in ihr Kommlink. Eigentlich wollte ich erst Commander Mitra anrufen und dann Sie. Danke, dass Sie mir die Zeit gespart haben.“ Und damit kappte McGill die Verbindung.

Diesmal war es Kano, der fluchte. Kalis Stimme hingegen war erstaunlich gleichmütig: „Wir sollten uns verschiedene Signaltöne zulegen.“ Sie registrierte Kanos Gesichtsausdruck und zuckte mit den Schultern: „Entspann dich, Samurai. Jeder an Bord weiß Bescheid.“
„Es zu wissen und einen Beweis geliefert zu bekommen sind zwei verschiedene Dinge. Wenn Stafford…“
„Stafford kann mich mal. Außerdem schuldet er mir was. Immerhin halte ich seine Schwadron in Topform, damit er ungestört die anderen Staffeln abklappern kann, ohne unter seinem dämlichen Cowboyhut ins Schwitzen zu geraten.“ Kali hegte einen leisen Groll gegen ihren Vorgesetzten, weil seine Präsenz ihre Hoffnungen auf das Kommando der Roten Staffel blockierte: „Und McGill ist nicht SO scharf darauf, Extrapunkte zu sammeln, dass sie zum Alten rennt.“
Kano nickte nur halb überzeugt: „Ich sollte dann wohl besser gehen…“
Kali lächelte boshaft: „Findest du nicht, dass es ein wenig spät ist, um Gewissensbisse zu…“
Sie kam nicht dazu, den Satz zu beenden, weil Kano ihren Mund mit seinen Lippen verschloss. Als sie sich voneinander lösten, waren beide außer Atem: „Also ich muss sagen…du hast ja doch etwas gelernt, Samurai.“
Diesmal war es Kano der grinste: „In mehr als einer Hinsicht. Ich hatte eine gute Lehrerin. Also zum Teufel mit Stafford, und was er von uns halten könnte.“
„Wenn deine Leute dich jetzt hören könnten, wären sie ein paar Illusionen ärmer.“
„Da die meisten ohnehin Bescheid wissen, vermutlich gar nicht so sehr.“ Kano zögerte kurz: „Aber wir sollten Stafford wohl besser dennoch keinen Vorwand liefern.“
„Du meinst, falls er seinen Blue-on-Blue kompensieren will? Tja was das angeht, gefällt mir unsere Variante sehr viel besser.“
„Du hattest zu lange mit Radio zu tun. Seine Ausdrucksweise hat abgefärbt.“
„Bah! Wenn DAS der Fall wäre, müsste ich jeden Tag mit Seife gurgeln.“ Kali warf den Kopf zurück und stolzierte in die Nasszelle. Sie musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass Kano ihr mit den Augen folgte. „Na dann? Zeit, dass du einen unauffälligen Abgang machst, bevor Stafford eine Blitzrazzia einleitet?“
Falls Kano etwas auf ihre Spitze antwortete, ging es im Rauschen des Wassers unter. Vielleicht hatte er sich aber auch zu der Erkenntnis durchgerungen, dass Taten eine deutlichere Sprache sprachen als Worte, denn plötzlich spürte Kali, dass sie nicht mehr alleine in der Dusche war.
„Du hast aber schnell deine Meinung geändert. Sagtest du nicht, dass Stafford...“
„Den können die Oni holen. Außerdem…wir haben vielleicht noch ein halbe Stunde. Willst du die wirklich nutzen, um über den Alten zu reden?“
Kali sparte sich die Antwort. Stattdessen lehnte sie sich mit geschlossenen Augen zurück, in Kanos Arme.

***

Etwa eine Stunde später

Die Runde, die Kano in dem Besprechungsraum vorfand, war der erste Hinweis dafür, dass etwas Ungewöhnliches ablief. Da waren McGill, Stafford, Kali und auch noch Lilja – bei weitem zu viele Offiziere für eine gewöhnliche Patrouillen-Einsatzbesprechung. Und dann waren da noch Commander Decker, der mit den neuen Arrow-Atomraketen an Bord gekommen war – und Ross, der oberste NIC-Offizier der COLUMBIA. ‚Was wird hier gespielt?‘
Obwohl er pünktlich war, fühlte sich Decker zu einem Kommentar bemüßigt: „Beinahe nicht rechtzeitig!“
„Entspannen Sie sich Decker, sonst kriegt Ihr makelloses Postergesicht noch Falten!“ stichelte Kali und blickte demonstrativ auf ihr Handgelenk: „Und wie ich das sehe, ist Ohka genau rechtzeitig gekommen.“ Kano warf ihr einen bemüht ausdruckslosen Blick zu, während McGill plötzlich husten musste: „Genug gequatscht. Vielleicht erfahren wir jetzt endlich, worum es hier geht.“
Das galt offenbar Stafford, der den Ball weiterspielte: „Ross. Fangen Sie an.“
Der Geheimdienstoffizier erhob sich ruckartig: „Ich gehe davon aus, dass Sie alle mit den grundlegenden Informationen zum Hellas-System vertraut sind.“

Kano zumindest war es, auch wenn es nicht viel zu wissen gab. Hellas war eine weiße Sonne, die von drei Gasplaneten – Mykene, Sparta und Athen – umkreist wurde. Laut Berechnungen und Theorien hatte noch vor wenigen tausend Jahren ein vierter Gasplanet den Stern umkreist, bis dieser Himmelskörper – Ilium genannt – aus dem System herausgeschleudert und zu einem ‚Wanderplaneten‘ geworden war. Aber das war nur eine Theorie, wie auch Iliums Status als ‚Brauner Zwerg‘, was Hellas zu einem verhinderten Doppelstern-System gemacht hätte. Die politischen und militärischen Turbulenzen der letzten Jahrzehnte hatten das Zustandekommen einer Expedition verhindert, die dem (nur für Astrophysiker faszinierenden) ‚Rätsel des verschollenen Planeten‘ nachgehen konnte.
Soweit bekannt, hatte Hellas kein Leben hervorgebracht. Zwei an den Hauptsprungpunkten betriebene zivile Raumstationen – KASTOR und POLLUX – waren zwanzig Jahre die einzige Form der Besiedlung gewesen. Die Stationen dienten vor allem als Transit- und Wartungsstationen auf dem Weg von oder zum Konkordat oder der Peripherie der Republik, und als Basis für den Bergbau im Asteroidengürtel des Systems.
Die politischen Umbrüche im Konkordat kurz vor dem Akarii-Krieg und dann der Krieg selber hatten die Betreiber der Stationen in wirtschaftliche Schwierigkeiten gebracht. Ein imperialer Raid hatte das Ende des Projektes bedeutet. POLLUX war zerstört und KASTOR aufgegeben worden. Pläne, die Station als Basis für die TSN auszurüsten, waren an den Kosten gescheitert – und der Tatsache, dass der Krieg an anderen Fronten geschlagen wurde. ‚Aber das kann sich ja jetzt ändern…‘

„Wie Sie wahrscheinlich ebenfalls wissen, haben die Piratenaktivitäten seit Kriegsbeginn zugenommen, begünstigt durch die Schwächung der lokalen Garnisons- und Patrouilleneinheiten.“
„Und der Tatsache, dass beide Seiten diese Weltraumgeier für sich fliegen lassen.“ warf Commander Stafford spöttisch ein.
Ross presste kurz die Lippen zusammen: „Im Gegensatz zu den entsprechenden Aktivitäten des Imperiums sind derartige Anschuldigen gegenüber der Republik niemals verifiziert worden. Und sind nichts, was ein Offizier der TSN leichtfertig weitererzählen sollte.“ Der Geschwaderchef schnaubte nur.
„Zwar verfügen die momentan operierenden Banden nicht über eine mit den sogenannten Piraten- oder Totenkopfkriegen vergleichbare Schlagkraft und Stärke, sondern stützen sich praktisch ausschließlich auf armierte Frachter und Großraumshuttles sowie auf gestohlene, erbeutete, beziehungsweise auf dem grauen oder Schwarzmarkt erworbene Jäger. Aber für unseren Nachschub und die zivile Raumfahrt stellen sie dennoch eine ernste Gefahr dar. Außerdem sind viele Piraten auch in Aktivitäten wie Schmuggel, Menschen-, Waffen- und Drogenhandel sowie Schutzgelderpressung verwickelt. In peripheren Gebieten waren sie mehrfach in diverse Rebellionen oder Putschversuche verwickelt.
Nach einem zeitweiligen Rückgang der Piratenaktivitäten – vor allem durch den verstärkten Einsatz von Hilfskreuzern, der Aufstockung lokaler Verbände und einem von einigen Systemen und Firmen eingeführten Konvoi-System – ist die Zahl der Angriffe in den letzten Monaten erneut gestiegen. Unter anderem wegen den erneuerten Offensiven des Imperiums und vor allem der veränderten Situation in der Konföderation. Unsere Dienste gehen davon aus, dass die Akarii und ihre neuen…Freunde verstärkt Anstrengungen unternehmen, Piratenbanden zu rekrutieren und aufzurüsten. Allerdings leidet die Konföderation wohl selber unter Angriffen, da ihre Streitkräfte erheblich dezimiert wurden.“
McGill konnte sich eine sarkastische Zwischenbemerkung nicht verkneifen: „Dann war es ja zweifellos der richtige Zeitpunkt für Cockroach, einen großen Teil seiner noch verbliebenen Schiffe an die Grenze zur Republik zu verlegen.“
Ross ließ sich durch die Unterbrechung nicht aus der Ruhe bringen: „Durch die politisch instabile Situation in der Konföderation, aber auch Teilen des imperialen Raums, ist zudem der illegale Zufluss von Waffen und Ausrüstung angestiegen. Und an Mannschaften und Schiffen – überwiegend Deserteuren.“
„Ja, Piraterie passt zu unseren ehemaligen ‚Freunden‘ von der Konföderation.“ Lilja machte kein Geheimnis aus ihrer Abneigung: „Ziele angreifen, die sich nicht wehren können. Und den Schwanz einkneifen und davonrennen, wenn sie auf ECHTEN Widerstand stoßen! Zusammenarbeit mit diesem Gesindel hat ja beinahe Tradition...“
Kano erwartete halb, dass Stafford Lilja in die Parade fahren würde, aber der beschränkte sich auf ein spöttisches: „Ungeachtet Ihrer strategisch-psychologischen Expertise würde ich es vorziehen, wenn Commander Ross endlich zum Kern seines Anliegens kommen könnte.“
„Selbstverständlich behalten sowohl wir als auch das Konkordat die verschiedenen Gruppen im Auge. Unsere Geheimdienstinformationen legen nahe, dass das Hellas-System von einer Piratenbande als Versteck genutzt wird – offenbar haben sie sich auf der KASTOR-Station festgesetzt.“
„Ich dachte, die wurde bei der Räumung gesprengt?“ mischte sich Kali ein.
„Das wäre das Standardprozedere gewesen und wurde auch so gemeldet. Aber die Station wurde zivil betrieben. Ob durch bloße Inkompetenz oder in der Hoffnung, die Anlage später zu reaktivieren, offenbar verlief die…Stilllegung nachlässig. Jedenfalls scheinen genügend Anlagen und Elektronik übrig geblieben zu sein, damit die Station für die Piratenbande, die sich übrigens ‚Black Flag‘ nennt, eine attraktive Basis abgab.“
„Diese Typen sind ja so was von einfallsreich bei ihren Namen!“ witzelte Kali.
„Abgesehen von den naheliegenden Gründen hängt die Namensgebung vermutlich damit zusammen, dass etliche Mitglieder der ‚Black Flag‘ früher zur Bande des ‚Black Buccaneers‘ gehörten, sich aber vor dessen – angenommener – Vernichtung selbstständig gemacht haben.“
„Na dann haben wir ja einen Experten an Bord!“ ätzte Lilja. Cartmell, der unter von einigen immer noch als verdächtig angesehenen Umständen Gefangener des Black Bucanners gewesen war, gehörte nicht gerade zu ihren wenigen Freunden. Dann runzelte sie die Stirn: „Moment mal. War DAS der Grund, dass Joystick bei unserer letzten Übung Staffelübung durch Abwesenheit geglänzt hat? Haben Sie Angst, dass er Heimweh bekommt?!“
Kurz zuckte es um Ross Mundwinkel, der ebenfalls seine Probleme mit dem ehemaligen Bewährungspiloten gehabt hatte und für den der von einigen Piloten in Umlauf gebrachte Spitzname für Cartmell alias ‚Noname‘, alias ‚Stuntman‘, alias eben ‚Joystick‘ offenbar ein Quell der Erheiterung war: „Lieutenant Cartmell wurde noch einmal befragt, das ist richtig. Allerdings war er wie immer nicht besonders hilfreich.“
„Ich wundere mich, dass der NIC nicht schon wieder jemanden auf bloßen Verdacht hin verhaften lassen will.“ Stichelte Lilja, die damit vermutlich auf ihre zeitweilige Festnahme durch den NIC im Zuge einer etwas undurchsichtigen Geheimoperation im Medusa-System anspielte: „Sie haben wirklich so eine Art, sich beliebt zu machen.“
„Das kommt jetzt ausgerechnet von Ihnen, Lilja.“ parierte Ross.
„Könntet ihr beide das Balzen einstellen und wieder zur Sache kommen?“ schaltete sich Kali ein, was ihr ein beifälliges Nicken und Grinsen von Stafford einbrachte, sie aber einem Kreuzfeuer eisiger Missbilligung seitens Ross und Liljas aussetzte. Das ihr allerdings ziemlich gleichgültig zu sein schien.

Aber auch die Russin schaltete jetzt wieder auf ‚dienstlich‘ um: „Von wie vielen Piraten reden wir?“
„Geschätzt etwa 200 auf zwei armierten Albatros-Frachtern – der RAGE und der FURY. Und dem zum Kanonenträger umgerüsteten Merkur-Transporter LIGTHNING. Die Albatrosse sind für den Jägertransport modifiziert. Alle Schiffe verfügen über zusätzliche Geschütze und Raketenwerfer, verstärkte Panzerung und Schilde, bleiben in ihrer Gefechtsstärke aber unter der von militärisch umgerüsteten Transportern. Wir gehen, davon aus, dass die Piraten über ein halbes Dutzend Angriffsshuttles sowie knapp zwanzig Kampfflieger verfügen – überwiegend Mustang-Jäger und Intruder-Jagdbomber, aber möglicherweise auch ältere Phantome und Griphen.“
„Intruders?“ Lilja runzelte die Stirn: „Sie wollen uns jetzt aber nicht erzählen, dass diese Halsabschneider auch über nukleare Schiff-Schiff-Raketen verfügen?“
„So viel wir wissen, sind die Intruders überwiegend mit ungelenkten Salvenwerfern ähnlich unserem Hydra-System armiert. Dazu kommen die Anti-Jäger-Raketen der vorletzten Generation, aber keine schwereren Kaliber oder Langstreckenraketen.“

Da das vor einigen Jahren von der TSN eingeführte Hydra-Waffensystem im Einsatz hinter den Erwartungen zurückgeblieben war, war die TSN nicht allzu restriktiv damit umgegangen. Die Konföderation hatte eine Lizenzvariante erhalten, eine Exportvariante war für das Konkordat und andere Handelspartner der Republik entwickelt worden, und auch zivile ‚Sicherheitsfirmen‘ setzten es ein. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis das Waffensystem auf dem Schwarzmarkt angeboten wurde.
Im Gegensatz dazu stand der Umgang der TSN mit ihren Atomraketen – immerhin konnten selbst die ‚kleinen‘, kampffliegergestützten Modelle eine Großstadt vernichten. Dementsprechend streng war die Gesetzgebung und Handhabung. Diebstahl, Unterschlagung, Weitergabe oder Besitz galten als Schwerverbrechen beziehungsweise – für Bürger der Republik oder Konföderation – als Hochverrat, worauf theoretisch die Todesstrafe, zumindest aber eine lebenslängliche Gefängnisstrafe stand. Unbestätigten Gerüchten zufolge waren die Sicherheits- und Geheimdienste der Republik zudem sehr…nachdrücklich bei der Verfolgung derartiger Vergehen. Regeln oder Budgetbegrenzung gab es für die ‚Broken Arrow‘-Einheiten, wie man die Ermittlerteams nach einer alten irdischen Codebezeichnung für eine verlorengegangene Atomwaffe nannte, nicht. Angeblich schreckten TIS und NIC bei ihrer Jagd auch nicht vor Folter oder illegalen Tötungen zurück – immerhin ging es um Waffen, die millionenfachen Tod bringen konnten.
Das war die ‚Peitsche‘, die jedem drohte, der seine Hand nach Nuklearwaffen ausstreckte. Anderseits gab es auch Gerüchte, dass die Republik gleichzeitig als ‚Zuckerbrot‘ ein illegales Rückkaufprogramm unterhielt, das für Atomraketen, die von Schlachtfeldplünderern und anderen halb- und illegalen Gruppen gefunden und an die TSN zurückgegeben wurden, geradezu obszön hohe Summen zahlte.

„Der Merkur-Frachter ist offenbar mit zwei Schiffslaserbatterien armiert, was ihm eine enorme Feuerkraft und Schlagreichweite verleiht.“
„Wie sind denn PIRATEN…“, Lilja hielt inne und beantwortete ihre Frage, bevor sie sie fertig gestellt hatte: „Vermutlich Bergungsgut. Aber ist eigentlich auch egal. Eine Fregatte kann diese Blecheimer problemlos zur Hölle schicken.“
„Allerdings werden wir keine Fregatte schicken.“, schaltete sich Stafford ein: „Wir gehen davon aus, dass die Piraten erst einmal toter Mann spielen werden, wenn wir in das System springen. In der Hoffnung, dass wir sie nicht bemerken. Aber wenn wir Großkampfschiffe detachieren, werden sie versuchen sich aufzuteilen und abzusetzen, was ihnen VIELLEICHT auch gelingen könnte, wenn wir nicht einen aufwendigen Langstreckeneinsatz fliegen.
Außerdem ist KASTOR offenbar in den Asteroidengürtel gedriftet – falls die Piraten die Station nicht absichtlich dorthin geschleppt haben. Das und die Tatsache, dass die Piraten möglicherweise im Stationsreaktor spaltbares Material für einige primitive Atomminen oder sogar ein paar selbstgebaute Nuklear-Raketen gefunden haben, macht den Einsatz eines Kriegsschiffes zu einem unnötigen Risiko.“
„Deshalb sollen wir das Rattennest ausheben.“ Schaltete sich Trisha McGill ein: „Und ich nehme mal an, Schwadron Bronze soll den Job übernehmen.“
„Sie haben zumindest teilweise Recht.“, meldete sich Decker zu Wort.
Kano ahnte, was er meinte: „Sie wollen, dass wir die Arrows testen. Die Grüne und die Rote Schwadron sichern uns ab. Und die Bomber stehen bereit, falls wir es nicht schaffen.“ Decker sparte sich die Antwort.
„Genauer gesagt schicken wir nur eine Sektion von Staffel Bronce aus. Das reicht allemal, selbst wenn die Arrows versagen.“
„Was sie nicht tun werden.“ Warf Decker selbstbewusst ein.
„Ist das nicht immer noch ein bisschen Overkill? Wir schicken gut vierzig Kampfflieger los und verschwenden unsere neue Wunderwaffe auf ein paar Halsabschneider?“ Lilja klang etwas spöttisch. Sie hielt nicht unbedingt viel von Decker, der sich mit seiner Arroganz wenig Freunde gemacht hatte.
Es war Ross, der Decker zur Seite sprang: „Ich sehe das als eine gute Gelegenheit, noch einmal die Zusammenarbeit mehrere Staffeln auszutesten. Staffel Gelb und Blau übernehmen den Schutz der COLUMBIA. Und da Gold, Silber und der größte Teil von Bronze zurückbleiben, haben wir auch noch genug Schlagkraft in Reserve.“
„Warum fliegen wir nicht gleich einen Alphaschlag?“ fragte Lilja leicht sarkastisch: „Die Gelben sind gerade erst neu aufgestellt worden. Und auch die Blauen können etwas mehr Übung gebrauchen.“
„Prinzipiell haben Sie Recht, aber ich will die COLUMBIA nicht völlig entblößen. Außerdem hoffen wir, dass einen Einsatz dieser Größe zumindest für den größten Teil des Anflugs immer noch den Eindruck erwecken können, dass das nur ein Übungsflug ist. Je mehr wir losschicken, desto unwahrscheinlicher ist, dass die Piraten uns das abkaufen. Andererseits will ich aber, dass wir genug Feuerkraft haben, um den Gegner mit Leichtigkeit zu vernichten. Ein Zahlenverhältnis von Eins zu Zwei sollte das sicherstellen.“
Lilja nickte etwas widerwillig, worauf Stafford fortfuhr: „An diesem Ziel können wir die Arrows unter realen Gefechtsbedingungen testen – aber in einer Situation und Umfeld, die wir weitestgehend kontrollieren. Kein Risiko, dass die Sensordaten des ersten Testes in imperiale Hände geraten oder Gegner entkommen. Sie haben Recht, unsere Ziele sind Abschaum.“
„Und deswegen können wir sie wegsperren, bis sie schwarz werden.“, nahm Decker den Faden auf: „Kriegsgefangene werden gemäß geltenden Konventionen behandelt, haben Kontakt zu anderen POWs – und werden eines Tages vielleicht sogar ausgetauscht oder können Nachrichten nach Hause schicken.
Piraten – Mörder, Vergewaltiger, Menschen-, Waffen- und Drogenhändler – können wir in Isolationshaft halten, bis sie verfaulen. Keiner interessiert sich für sie. Wir könnten Sie durch die nächste Luftschleuse schieben und es würde kein Hahn nach ihnen krähen.“
„Charmant und eloquent wie immer, Commander.“ Kali’s Gesichtsausdruck entsprach ungefähr dem, was man für etwas reservierte, das unter einem feuchten Stein hervorgekrochen kam. Andere im Raum – etwa Ross und Lilja – schienen sehr viel weniger Probleme mit Deckers Ansichten zu haben.
„Nehmen wir Marines-Shuttles mit? Immerhin KÖNNTE es sein, dass die Piraten kapitulieren. Oder es Überlebende in Rettungskapseln gibt.“
Stafford nickte und beantwortete Liljas Frage: „Vier Sturmshuttles werden vorbereitet. Aber sie werden erst später starten. Wir wollen nicht, dass die Piraten misstrauisch werden oder unser Vormarsch verlangsamt wird.“
Decker warf Irons einen Blick zu, der nicht unbedingt wohlwollend sondern eher herausfordernd war: „Wollen Sie eigentlich auch gleich ihr neues Bomber-Spielzeug testen, für das ich mir die Nacht um die Ohren schlagen musste? Wäre doch eine nette Überraschung für unsere Möchtegern-Blackbeards, wenn ihnen die Jäger Atombomben um die Ohren hauen, und die Bomber ein paar Dutzend Langstreckenraketen.“
„Ohne das System gründlich durchzutesten und ausgiebig ‚trocken‘ und an Übungszielen auszuprobieren? Auf keinen Fall.“ Die stellvertretende Geschwaderchefin schüttelte den Kopf und bedachte den Offizier von der Waffenentwicklung mit einem spöttischen Grinsen: „Trotzdem schön zu hören, dass Sie meiner Erfindung vertrauen. Auch wenn es nicht Ihr Leben wäre, das auf dem Spiel stände.“
Decker schnaubte kurz: „Ihrer…Bastelei würde ich unbesehen nicht mal einen Test-Dummie anvertrauen. Aber ich habe es mir erlaubt, Mechanik und Software zu optimieren. Und ich und mein Team machen keine Fehler.“
Diesmal war es Stafford, der husten musste, was vermutlich etwas mit Irons Gesichtsausdruck zu tun hatte: „Nichts desto trotz, heben wir uns DIESE Premiere doch lieber für eine etwas weniger riskante Gelegenheit auf. Es ist schon spannend genug, EINE neue Erfindung zu testen.“
„Wie viele Jäger sollen mit Arrows bestückt werden?“ meldete sich Kano.
„Die Anzahl der potentiellen Ziele ist begrenzt. Außerdem möchte ich nicht alle Eier in einen Korb legen. Bestücken Sie eine Sektion mit Arrows, den Rest mit konventionellen Raketen. Die Auswahl der Piloten…“
„Liegt bei mir, Commander Decker.“ antwortete Kano ruhig aber bestimmt: „Ich kenne meine Untergebenen besser, als jede Statistik oder Bewertung es wiedergeben kann.“
Decker fixierte den jüngeren Offizier ein paar Augenblicke lang wortlos. Dann zuckte er mit den Schultern: „Es ist Ihre Verantwortung. Ich verlange aber, dass mir Ihre Entscheidung vorgelegt wird.“
„Ich…“
„Es sind MEINE Waffen. Stafford, machen Sie ihrem Untergebenen klar, dass Sie es sich nicht mit dem Waffenerprobungsamt der Flotte verscherzen wollen.“
Der Geschwaderchef schnaubte kurz: „Hören Sie, Decker…“
„Wir liefen Ihnen die Waffen, mit denen Sie siegen. Und es ist MEINE Verantwortung, dass diese Waffen effektiv getestet werden. Und wir nicht eine ganze Erprobungsserie wiederholen müssen, weil einer Ihrer Leute Mist gebaut hat.
Wollen Sie die Arrows haben? Jederzeit – aber dann habe ich da mitzureden.“
Stafford schwieg kurz, dann zuckte er mit den Schultern: „Wenn es Sie glücklich macht, kriegen Sie die Namensliste von Nakakura vorgelegt. Aber dann will ich auch eine verdammt gute Begründung haben, falls Sie jemanden ablehnen.“
„Ich werde eine gegebenenfalls nötige Begründung so halten, dass sie auch von…Fachfremden verstanden wird.“
„Kein Wunder, dass Sie nicht häufig auf Partys eingeladen werden.“ Spottete Irons, während Kali abwinkte: „Warten wir doch erst mal, ob Sie mit Ohkas Wahl einverstanden sind, bevor Sie hier auf die Brust trommeln, Decker.“

Bevor Decker das antworten konnte, was ihm anscheinend auf der Zunge lag, schaltete sich Stafford ein: „Ich gehe davon aus, dass Sie der ganzen Operation persönlich beiwohnen wollen.“
„Das ist der Sinn.“
„Und deshalb war das auch keine Frage. Wollen Sie ein Spähshuttle benutzen?“
„Zu langsam und ein zu leichtes Ziel. Ich ziehe es vor, nicht in einer Zielscheibe zu fliegen.“
Es zuckte um Kalis Mundwinkel, aber sie blieb stumm, während Decker fortfuhr: „Geben Sie mir einen Ihrer Rafales. Die sind zwar nicht optimal, aber wenn wir sie mit Sensorpods aufrüsten und die Software anpassen, sollte das gehen.“
„Sie wollen selber fliegen?“ McGill klang überrascht und nicht unbedingt erfreut.
„Wer, glauben Sie denn, testet neue Waffen, bevor wir sie dann unter Gefechtsbedingungen überprüfen lassen?“
„Ein paar Übungs- und Testflüge sind das Eine.“ warf Lilja ein: „Ein Gefechtseinsatz ist etwas völlig anderes.“
„Ihre Fürsorge ist wirklich rührend.“ Spottete Decker.
„Da machen Sie sich mal keine falschen Hoffnungen, Decker. Ich will nur nicht, dass wir permanent auf Sie aufpassen müssen. Oder schlimmer noch, dass Sie uns im falschen Augenblick vor die Rohre fliegen. Wir können keinen Blue-on-Blue gebrauchen. Stimmen Sie mir zu, Commander Stafford?“
Dessen Antwort wurde von Kalis jähem Auflachen übertönt. Lilja musterte die jüngere Pilotin konsterniert, warf dem Geschwaderchef dann einen kurzen Blick zu und errötet beinahe. Der tat ihr den Gefallen, ihre Bemerkung nicht als Anspielung darauf zu verstehen, dass er selber in einen Friendly-Fire-Vorfall verwickelt gewesen war. Irons hingegen warf sowohl Lilja als auch Kali einen höchst unheilverkündenden Blick zu, dessen Wirkung freilich ungewiss blieb.
Decker verstand diese Szene entweder nicht oder wollte sie nicht verstehen: „Ich weiß nicht, worum es geht, aber ich bin sicher, dass es unheimlich witzig ist. Aber um auf Lieutenant Commander Pawlitschenkos Frage zurückzukommen…Ich habe bereits Copiloteinsätze unter Gefechtsbedingungen absolviert. Auf Pandora. Es ging um den Test von Gefechtselektronik und Aufklärungssensoren. Und JA, dabei geriet ich auch unter Feindbeschuss.“
„Man hat einen COMMANDER der Waffenabteilung in Guerillaterritorium geschickt?“ McGill klang mehr als etwas ungläubig.
„Ich bin nicht als Commander geboren worden. Damals war ich Lieutenant.“
„Und vermutlich auch schon ein Arschloch…“ murmelte Kali Ohka zu, der sich eine Antwort sparte, während Decker in diesem arrogant-ungeduldigen Tonfall fortfuhr, den er so gut beherrschte: „Ich hoffe, das reicht als Qualifikation.“
Stafford überlegte kurz: „Selber sind Sie aber noch keine Kampfeinsätze geflogen?"
"Ich sagte doch..."
"Dann tut es mir leid. Sie können gerne in einer Rafale mitfliegen, aber sie übernehmen nicht das Steuer. So können Sie sich auf ihre Messungen konzentrieren und müssen nicht gleichzeitig auch noch darauf achten, am Leben zu bleiben."
"Hören Sie..."
"Nein, was das angeht hören SIE auf MICH. Sie sind zu wertvoll um zu riskieren, dass irgendein Weltraumgangster Sie aus dem All pustet, weil Sie gerade abgelenkt sind. Das ist mein letztes Wort."
"Darf ich Sie daran erinnern, COMMANDER, dass mein Dienstrang und mein Auftrag..."
"Und darf ich Sie daran erinnern, dass es immer noch MEIN Geschwader ist? Die Planung des Einsatzes liegt immer noch bei mir. Ebenso wie die Verantwortung für meine Piloten und die Sicherheit aller Beteiligten, Sie eingeschlossen. Wenn es Sie glücklich macht, können Sie Ihren Protest vermerken lassen."
Die übrigen Offiziere verfolgten den Schlagabtausch wie ein Ballspiel.
"Da Sie schon mit den Verantwortlichkeiten kommen, darf ich Sie daran erinnern, dass ich den Einsatz der Arrows auch aussetzen könnte?"
"Kommen Sie Decker! Wir wissen beide, dass Sie ihre Wunderwaffen unbedingt testen wollen. Und eine solche Gelegenheit finden wir nicht noch einmal bevor wir den Peshten-Raum erreichen. Wollen Sie diese Chance verstreichen lassen?"
der Waffenoffizier schwieg einige Sekunden lang, während Ego und Professionalität miteinander rangen. Dann nickte er wiederwillig: "Also gut. Aber ich kann nur hoffen, dass ihr Pilot auch wirklich etwas drauf hat, denn ich will den Lenkwaffeneinsatz aus nächster Nähe beobachten."
"Meine Leute sind Profis." antwortete McGill knapp: "Sie sagen, wohin sie wollen, und wir bringen sie sicher hin. Und auch wieder zurück."
Stafford nickte kurz: "Da das nun geklärt ist kommen wir zu den taktischen Details des Einsatzes…“

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„Wer weder sich selbst noch den Feind kennt, der wird niemals siegen. Wer sich selbst oder seinen Feind kennt, der wird manchmal siegen. Wer aber sich selbst und den Feind kennt, der wird immer siegen.“
Der antike Akarii-General Gorlan Rikata

***

Im Hangar des republikanischen Flottenträgers COLUMBIA bereiteten sich die Piloten der ANGRY ANGELS auf die Schlacht vor. Kampfflieger wurden betankt, mit Raketen, Zusatztanks und Marschflugkörpern bestückt und ein letztes Mal auf Herz und Nieren geprüft. Besondere Aufmerksamkeit erfuhren die acht Arrow-Atomraketen, die eine Sektion Nighthawks der Schwarzen Staffel in die kommende Schlacht tragen sollte. Commander Decker, der binnen kürzester Zeit den Ruf eines sprichwörtlichen Schmerz im Steiß erworben hatte, überwachte die Wartung und den Ladeprozess seiner ‚Schmuckstücke‘ mit Argusaugen und sparte nicht mit zwar nicht unbegründeten aber meist unwillkommenen Anweisungen. Einer der Gründe, warum Kano einen gewissen Abstand hielt. Langsam hatte er genug von dem Mann, auch wenn er nicht bestreiten konnte, dass er sein Handwerk verstand und ihm der Erfolg seiner Mission am Herzen lag. Wenn Decker nur auch ein Mindestmaß an Geduld und Verbindlichkeit mitgebracht hätte…
Der zweite Grund für Kanos selbstgewählten Abstand zu Commander Decker war allerdings ein bisschen egoistisch. Er nahm es ihm übel, dass er ausgerechnet Kano von der Liste der vier Arrow-Träger gestrichen hatte. Oh, er hatte dafür Gründe genannt – dass Kano als Kommandeur der Staffel sich auf die Koordinierung der Einheit konzentrieren solle, dass seine Ergebnisse beim Raketeneinsatz meistens nur mittelmäßig waren, und dass Decker einen Piloten wie Kano lieber als zusätzlichen Geleitschutz denn als Marschflugkörper-Träger sehen würde. Kanos Gegenargument, dass er immerhin schon zwei (erfolgreiche) Einsätze mit einem Jagdbomber geflogen hatte, hatte Decker natürlich nicht gelten lassen.

Also hatte Kano wohl oder übel noch einmal umdirigieren müssen. Die vier Piloten, die nun die Arrows tragen sollten, waren Phoenix, Bunny, La Reine und Huntress.
Die ersten drei waren ohnehin Kanos erste Wahl gewesen. Phoenix hatte als ehemaliger Marineskorps-Pilot bereits Erfahrung mit Kampffliegereinsätzen, wenn auch in der Regel nur gegen Bodenziele. Wie Bunny prädestinierten ihn zudem seine ruhige, überlegte Flugweise für den Einsatz, der angesichts der langen Aufschaltzeit der Flugkörper und der durch sie bedingten schwerfälligeren Flugweise Kaltblütigkeit und viel Erfahrung verlangte. La Reine war zwar ein Feuerkopf, aber inzwischen eine der erfahrensten Pilotinnen der Staffel, die besonders für ihre ruhige Hand bekannt war. Und was Kanos ‚Ersatzfrau‘ und Stellvertreterin Huntress anging…
Sie flog aggressiv aber immer beherrscht, mit schnellen Reflexen, sicherem Auge und einer hervorragenden Intuition. Dass sie und La Reine nicht gut miteinander auskamen, war bedauerlich, aber Kano hoffte, dass sie das auch bei diesem Einsatz beiseitelegen konnten.

Im Hangar herrschte die übliche Mischung aus Angst, Nervosität und Erwartung, die die meisten Piloten vor einem Kampfeinsatz verspürten. Was ungewöhnlich war, war der zuversichtliche, bei manchen fast aufgekratzte Unterton. Immerhin ging es diesmal gegen einen klar unterlegenen Feind, der weder technologisch noch an Zahl eine Chance haben würde. Eine angenehme Abwechslung zu vielen Schlachten mit den Akarii. Und deshalb fühlte Kano auch einen ungewöhnlichen Unterton in der im Hangar herrschenden Stimmung. Heute war da eine fast übermütige Zuversicht.
Vielleicht war das auch einer der Gründe gewesen, warum Stafford diesen Einsatz so schnell und umstandslos abgenickt hatte. Ein einfacher Sieg würde viele Niederlagen und blutige Patts der jüngsten Vergangenheit vergessen machen. ‚Solange wir jetzt oder in der Zukunft dadurch nicht ZU übermütig werden.‘ Kano nahm sich vor, die Männer und Frauen in seiner Staffel noch einmal daran zu erinnern, dass jeder Gegner – auch wenn es nur Piraten waren – ernstgenommen werden musste.
Offenbar war er allerdings nicht der einzige im Hangar, der sich nicht von der Aussicht auf einen leichten Sieg mitreißen ließ, denn Kano sah, dass Decker nach der Bestückung der ARROWS-Marschflugkörper den Weg zu ‚seiner‘ Maschine gefunden hatte – eine der Rafales der Bronze-Staffel, deren elektronische Aufrüstung nach Deckers Vorgaben vor einer halben Stunde abgeschlossen worden war. Der Commander stand neben der Leiter, die zum Cockpit führte und war seinen Gesten zufolge offenbar damit beschäftigt, Ace die Leviten zu lesen. Kurz zuckte es um Kanos Mundwinkel: ‚Besser er als ich.‘ Es war eine angenehme Abwechslung, wenn Decker seinen ‚Charme‘ auf jemand anderen konzentrierte.

Kano fuhr unwillkürlich zusammen, als ihn jemand anrempelte. Es überraschte ihn allerdings nicht, dass es Kali war, der es gelungen war, ihn zu überraschen: „Du lässt nach, Samurai.“
„Du kennst mich einfach zu gut.“
Sie grinste kurz: „Das möchte ich doch wohl hoffen. Falls du es nicht nur im biblischen Sinne meinst…“
Kano verdrehte kurz die Augen: „Nicht gerade DAS Buch, nach dem ich mein Leben ausrichte. Du übrigens auch nicht.“
Übergangslos wurde sie ernst: „Eine Menge Jungs und Mädchen auf der Skalpjagd, heute.“
„Dir ist es also auch schon aufgefallen.“
„Wir werden wohl ein bisschen aufpassen müssen, dass niemand zu übermütig wird.“ Sie warf verstohlen Decker und dann auch noch dem Geschwaderchef einen Blick zu: „Und ich meine NIEMAND.“ Kano kommentierte das nicht, er wusste, dass Kali wie viele der Angry Angels-Veteranen immer noch leichte Vorurteile gegenüber Stafford hegte. ‚Vielleicht bessert sich das ja, wenn er sich bei seiner ersten Kampfmission in unserem Geschwader bewährt.‘ Kano sah aus den Blickwinkel, wie Lilja die Piloten ihrer Staffel um sich versammelt hatte und ihnen mit energischen Gesten letzte Anweisungen gab. ‚Offenbar sind wir nicht die einzigen, die das nicht auf die leichte Schulter nehmen.‘ „Wir werden einfach ein waches Auge auf die Hitzköpfe haben müssen. Und immerhin, wir sind dem Gegner weit überlegen.“
„Sagt der Geheimdienst. Und wir wissen ja alle, dass der sich noch NIE geirrt hat.“
„Gutes Argument.“
Kano berührte ihn kurz an der Schulter – vermutlich die intimste Art der Berührung, die für die verklemmten Richtlinien der TSN gerade noch statthaft war: „Aber es ist ein verdammt gutes Gefühl, wieder bei der Truppe zu sein. Zusammen zu fliegen.“ Kano wusste, dass sie jetzt nicht nur die Angry Angels meinte. Er lächelte und erwiderte die Geste: „Wir sehen uns dann am Boden.“
„Wir sehen uns am Boden.“
In diesem täuschend banalen Satz lag sehr viel mehr als die Worte aussagen. Denn es schwang auch ein ‚Bleib am Leben.‘ und die Bitte ‚Komm zu mir zurück…‘ mit. Das wussten sie beide – und deshalb gab es auch nichts mehr zu sagen.

Wenige Minuten später war es Kano, der seine Untergebene um sich versammelte: „Unsere Aufgabe kennen Sie ja bereits. Hier noch ein paar Einzelheiten. Dodson hat darauf bestanden, dass die Arrows-Maschinen als letzte starten.“
La Reine schnaubte nur und Huntress grinste spöttisch: „Noch jemand, den unser Freund vom Waffenerprobungsamt auf die lange Liste seiner ‚persönlichen Freunde‘ geschickt hat? Decker sollte echt lernen, dass er so seine Tanzkarte niemals vollbekommt.“
„Um diese Anspielung zu verstehen fehlt mir vermutlich Ihre Erziehung.“ Bemerkte Kano lakonisch: „Es geht darum, dass der Hangar dann leer ist. Sollte es Probleme beim Start geben, hält das nicht die anderen Einheiten auf, die notfalls auch den Einsatz alleine durchziehen können. Und sollten die Probleme…ernsthafter sein, dann ist es gut, wenn der Hangar so leer wie möglich ist.“ Bei einigen der Veteranen verdüsterten sich kurz die Gesichter. Vermutlich erinnerten sie sich wie Kano daran erinnerten wie ein ein Unfall – der tödliche Zusammenstoß zwischen Monty und Renegade oder in einem anderen Fall eine durch Sabotage zur Explosion gebrachte Rumkampfrakete – einen kompletten Hangar lahmgelegt und zahlreiche Tote und Verletzte gefordert hatten. Falls allerdings eine der Arrows explodieren sollten…
‚Das könnte den halben Träger auseinanderreißen.‘ Unter diesen Gesichtspunkten betrachtet verstand er sowohl Dodson Bedenken als auch Deckers nervige Kontrollsucht. Aber das lag nicht in ihren Händen – und Kano war froh darüber: „Sobald wir alle Draußen sind, Flug in offener Formation. Da wir keinen direkten Kurs fliegen, sollten Sie sich auf einen längeren Einsatz gefasst machen.“
„Was ist eigentlich mit Sturm- oder Bergungsshuttles? Werden wir die Station erobern und durchsuchen, oder einfach in die Luft jagen? Und Immerhin KÖNNTE es beim Gegner auch Überlebende…“ Marat sprach es nicht aus, aber Kano vermutete, dass es ihm nicht nur darum ging, ausgestiegene PIRATEN aufzusammeln.
„Wenn wir Shuttles mitnehmen, würde uns dies sehr verlangsamen und den Gegner vermutlich frühzeitig vorwarnen. Immerhin sollen sie glauben, dass wir nur eine Übung fliegen – und dabei sind nur selten Shuttles dabei. Die Shuttles werden mit Zeitverzögerung starten und uns auf direktem Weg folgen. Dann wird es für die Piraten zu spät sein, um noch zu flüchten.“
„Und Sie glauben wirklich, dass diese Halsabschneider auf unsere Scharade reinfallen?“ Sugar machte kein Geheimnis aus ihrer Skepsis.
„Das ist der Plan. Und falls sie es nicht tun…“, Kano überraschte sich und seine Untergebenen mit einem grimmigen Lächeln: „Haben wir Befehl, die Bomber zurückzulassen und ohne sie auf die Jagd zu gehen. Dann liegt es also ganz und gar bei uns, die Schiffe zu stellen und zu vernichten. Das heißt, wir jagen sie, bis wir sie haben. Wenn es sein muss bis zum Sprungpunkt. Ich möchte den Frachter sehen, der uns entkommen kann.“
„Falls Sie sich nicht aufteilen oder im Asteroidenfeld verstecken.“ warf Phoenix ein.
Huntress winkte ab, ausnahmsweise derselben Meinung wie ihr Vorgesetzter: „Den Frachter möchte ich sehen, der uns entkommen oder vor uns verbergen kann. Das sind keine Akarii-Kriegsraumer oder auf Heimlichkeit gebaute Aufklärungseinheiten. Wir reden hier von total veralteten, überladenen und vermutlich seit Jahren nicht mehr richtig gewarteten Frachtern, die eine deutlichere Spur hinterlassen als ein wrackgeschossener Akarii-Träger.“
Tatsächlich war sich Kano da nicht so ganz sicher. Eine erfahrene Crew und ein fähiger Kapitän konnten einen leichten Frachter tatsächlich in einem Asteroidenfeld verbergen – wenn sie genug Zeit hatten. Aber die würden die Piraten nicht haben. Außerdem war ihm etwas anderes wichtiger: „Ich weiß Ihre Zuversicht zu schätzen, Lieutenant. Aber vergessen Sie nicht – vergessen Sie alle nicht – dass wir diesen Gegner nicht unterschätzen sollten, auch wenn er unterlegen ist. Rechnen wir mit heftigem Widerstand. Die Piraten wissen, was sie erwartet und entsprechend verbissen werden sie kämpfen. Passen Sie auf ihre Kameraden auf, seien Sie wachsam – und kommen Sie alle heil wieder zurück. Viel Glück.“
Kaum zwanzig Minuten später schleuderten die Katapulte der COLUMBIA Kanos Raumjäger ins All.

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An Bord der Columbia
Auf dem Weg ins Peshten-Konkordat, Kurz vor dem Hellas-System

1st Lieutenant Donovan „Stuntman“ Cartmell betrat den Besprechungsraum, in den er von Kali gerufen worden war, mit einem mulmigen Gefühl und einer gewissen Vorahnung. Er wusste zwar nicht, um was es genau gehen sollte. Aber auf seine Frage hin hatte Kali genug Anstand gehabt um ihm mit einem knappen „Klassifiziert“ zu antworten.
Und damit wusste Donovan automatisch, dass es sich um Ross und seine NIC-Schergen handeln musste.
Er war schon viel zu häufig einbestellt worden, aus den verschiedensten Gründen, so dass er nicht wirklich überrascht gewesen war. Am Anfang vor einigen Jahren, war es ihm wie Schikane vorgekommen, und das war doch auch häufig genug wohl auch genau das gewesen. Aber im Laufe der Jahre hatte er sich irgendwie daran gewöhnt. War er noch am Anfang verschlossen und aggressiv ob der ständigen Fragerei gewesen, so war er heutzutage schon deutlich entspannter, auch wenn er immer noch auf der Hut war bei jedem dieser „Besprechungen“. Es war nie sonderlich amüsant, eher so etwas wie ein Besuch beim Zahnarzt.
Also hatte er nur geseufzt und sich kommentarlos in sein Schicksal gefügt.
Als er den Raum betrat, war er zunächst alleine. Er setzte sich hin und musste erstmal herzhaft gähnen. Die zusätzlichen Simulatorübungen mit den vier Musketieren und Titan begannen ihm langsam Spaß zu machen aber sie zehrten auch an seiner Substanz. Es gab noch viel zu tun um die Jungs auf Vordermann zu bringen, aber man konnte doch tatsächlich eine positive Entwicklung sehen. Vor allem bei Sonnyboy, der förmlich aufzublühen schien. Er saugte alles auf, was er an Tipps & Tricks von ihm und Titan zu hören bekam. Dog und Kid waren solide und lernten auch dazu, aber weder in dem Tempo noch mit demselben Potenzial. Und was Cabbie anging... Nun ja, der Junge kannte jedes Handbuch auswendig, war aber der lebende Beweis dafür, das Wissen haben und Wissen nutzen können zwei vollkommen unterschiedliche Dinge waren. Cabbie war ein Theoretiker und als solcher flog er seine Maschine auch. Donovan machte sich durchaus Sorgen, ob der junge Pilot seinen nächsten Dogfight mit einem Akarii überleben würde. Wenn er auch nur in die Nähe eines erfahrenen Veteranen kommen sollte, dann würde er wahrscheinlich wieder aus seiner Maschine geschossen werden. Donavon fragte sich insgeheim schon, ob es für Cabbie nicht besser gewesen wäre, nach dem Bronce-Star, den er für seinen Einsatz bei den Shuttle-Piloten bekommen hatte nicht doch besser in den Admiralitätsstab zu wechseln wäre. Keiner hätte es ihm verübelt. Donovan respektierte zwar, dass Cabbie es sich und allen anderen beweisen wollte, dass er es drauf hatte. Aber was brachte ihm das, wenn er Tod war oder in Gefangenschaft gehen würde?

Sein Blick wanderte gelangweilt im leeren NIC-Besprechungsraum umher und blieb kurz an dem großen Wandspiegel im Raum hängen. Er musste den Impuls unterdrücken um nicht hinüberzuwinken. Natürlich wusste er, dass er beobachtet und aufgezeichnet wurde. Und er wusste auch, dass sie ihn bewußt warten ließen. Fünf bis zehn Minuten waren Standard und sollten ihn nervös machen. Doch diese Taktik verfing schon lange nicht mehr bei ihm. Dafür hatte er schon zuviele dieser Psychotricks mitgemacht.
Also schloss er die Augen und tat das, um was ihn die meisten seiner Kollegen zutiefst beneideten. Er machte es sich in seinem Stuhl so bequem wie möglich und legte den Kopf auf die Brust und es dauerte keine drei Atemzüge, und schon war er weggedöst. Dieser Sekundenschlaf war herrlich erfrischend und half ihm immer wieder auch in langen Einsätzen einen erfrischenden Power-Nap einlegen zu können um danach frisch zu sein.
Donovan hatte keine Ahnung wie lange er gedöst hatte, wahrscheinlich weniger als eine Minute, als ihn das Öffnen der Tür sofort wieder weckte. Ruckartig richtete er sich auf und jetzt runzelte Donovan doch kurz die Stirn, als die Traube an Offizieren den Raum betrat.
Neben Ross, dem Chef des NIC an Bord der Columbia, traten noch sowohl Kali als auch Stafford ein. Beide nahmen sich wie Ross Stühle und setzten sich in die zweite Reihe. An den Tisch setzten sich eine weißhaarige Frau, die Donovan bisher noch nicht kannte und die er auf Mitte Fünfig schätzte. Ihrer Uniform nach zu urteilen, handelte es sich um eine J. Gallasso, die zum medizinischen Stab der Columbia gehörte. Neben sie setzte sich eine alte Bekannte, auch wenn diese deutlich jünger war als Commander Gallasso. 1st Lieutenant Eda Waskiewisz und er hatten schon des öfteren miteinander zu tun gehabt. Und sie gehörte zu der sehr, sehr langen Liste an Leuten an Bord der Colimbia, die Donovan nicht ausstehen konnten. Und das beruhte auf absoluter Gegenseitigkeit. Lt. Waskiewisz war nicht nur unsympathisch, humorlos und karrieregeil. Sondern dazu auch noch fett und potthässlich. Sie war vielleicht durchaus kompetent, aber ihre paranoide Art war unglaublich und ihr fester Entschluss, Donavan „das Handwerk zu legen“ hatte schon etwas von Wahnvorstellungen. In ihren Augen war Donovan nicht nur der alte Black Buccaneer, sondern auch der erst kürzlich wieder auferstandene Neue Black Buccaneer. Und das obwohl Donovan permanent an Bord der Columbia gewesen war, und schon daher gar nicht in der Lage gewesen wäre, der berüchtigte neue Pirat zu sein.
Doch das focht Waskiewisz nicht an. Sie vermutete, dass er sich unbemerkt davon schlich, von allen anderen gedeckt wurde, durch Erpressung, Bestechung und Täuschung alle zum Narren hielt. Diese Anschuldigungen waren so absurd, dass sich Donovan fragte, wie sich diese Frau in ihrem Job halten konnte.
Aber nun war sie hier und sie legte auch schon sofort furios los. „Lt. Cartmell, sie wissen ja genau, warum wir sie hier einberufen haben, oder?“
Donovan schüttelte den Kopf. „Nein, Lieutenant, um ehrlich zu sein, weiß ich das nicht genau. Vor diesem Termin dachte ich an eine ihrer Standardbefragungen zu unserem gemeinsamen Lieblingsthema.“ Donovan grinste gequält, doch sein Lächeln wurde von Lt. Waskiewisz nicht erwidert. “Aber, da auch mein XO und CO als auch Cmdr Ross anwesend sind, bin ich mir im Moment nicht mehr so sicher.“ Und damit schaute er hinüber zu Cmdr Gallaso und lächelte sie zaghaft an. Ein nur recht kümmerlich zaghafter Versuch einer Charmeoffensive, wie ihm bewußt war. Aber vielleicht nützte es ja etwas.
Diese erwiderte seinen Blick, freundlich aber auch bestimmt. „Lt. Cartmell, wir hatten bisher nicht das Vergnügen. Ich bin Commander Julia Gallaso und die neue Leiterin der Psychologischen Abteilung an Bord der Columbia.“
Donovan versuchte ein neutrales Gesicht aufrecht zu erhalten, doch er war sich nicht sicher, ob ihm das gelang. ‚Psychologische Abteilung... Das hatten wir auch schon lange nicht mehr.‘ „Ich bin von Cmdr Ross und Lt. Waskiewisz darum gebeten worden, sie einer eingehenden psychologischen Untersuchung zu unterziehen.“
„Was denn, schon wieder?“ Er versuchte seine Gefühle im Zaum zu halten. Er spürte förmlich mal wieder, wie der Ärger in ihm hochstieg und sein Blick ging hinüber zu Kali und Cowboy. Erstere hatte ein neutralen Gesichtsausdruck. Aber Cowboy war deutlich anzumerken, das ihm die Ganze Sache auch nicht zu schmecken schien. Donovan atmete ein paar Mal ein und aus und fragte dann so höflich und freundlich wie möglich. „Darf ich fragen, warum?“
Statt Cmdr Gallaso antwortete Lt. Waskiewisz in dem sie ein paar Bilder an die Holowand projezierte. „Darum!“
Die Bilder zeigten ein paar dunkle Gestalten, Monster aus seiner tiefsten Vergangenheit. Es war eine halbe Ewigkeit her, dass Donovan in den Händern der Hooker´s Pirates gewesen war, so dass die Erinnerungen langsam verblassten und die seelischen als auch körperlich Wunden schon lange verheilt waren. Doch die Narben blieben und brachen in solchen Augenblicken doch jedes Mal wieder aufs Neue aus.
Donovan schluckte, verdrängte die aufkommenden Wut und unterdrückte die Erinnerung an den Schmerz. „Was... Was bedeutet das?“
„Ihre Piratenfreunde haben sich im Hellas-System breit gemacht und wir werden dieses Rattennest ausheben. Wir glauben, sie kennen einige dieser Halunken und ich persönlich bin felsenfest davon überzeugt, dass sie mit denen immer noch unter einer Decke stecken. Jedenfalls... Wir können ihnen zwar noch nichts nachweisen aber wir können natürlich auch nicht riskieren, dass sie uns vorab verraten können. Ich würde sie ja auf alle Fälle einbuchten, aber...“
Commander Ross unterbrach seine Untergebene. „Ich stimme Lt Waskiewisz zu, dass sie unter den immer noch ungeklärten Umständen ihrer Gefangenschaft bei den Hooker´s Pirates auch weiterhin noch ein Sicherheitsrisiko darstellen. Aber auf Bitte von Cmdr Stafford und Lt. Cmdr Mitra werden sie einer psychologischen Untersuchung unterzogen werden und sind bis dahin als flugunfähig eingestuft.“
„WAS?“ Donovan schnaufte, doch ein warnender Blick von Stafford genügte um einen etwaigen Wutausbruch gleich im Keim zu ersticken. „Wie lange?“
„Eine Woche. Und das heißt auch, dass sie die Staffelübung verpassen werden.“ Lt. Waskiewisz lächelte süffisant und es war klar, dass es ihr Spass machte, ihm diese Nachricht aufs Butterbrot zu schmieren.
Donovan verschränkte die Arme vor der Brust und sein Blick ging wieder hinüber zu seinem Staffel-XO und zu seinem Geschwaderkommandanten. Während Kali Mitra noch immer ein ehere ausdruckloses Gesicht zur Schau stellte, blickte ihn Stafford doch eher mit einem leicht entschuldigenden aber auch mahnenden Ausdruck in seinem Gesicht an. Donovan atmete ein paar Mal tief ein und wieder aus bevor er wieder antwortete. „Gut, worauf warten wir noch, wann ist die erste Sitzung?“

Als ein paar Minuten später die Details geklärt worden waren, verliessen Ross, Waskiewisz und Gallaso das Besprechungszimmer. Doch Cowboy, Kali und Stuntman blieben noch sitzen.
Kaum war die Tür zu, begann Donovan zu fluchen. „So eine verfickte Scheisse, warum immer wieder ich? Warum kann es nicht mal jemanden anderen treffen?“
Stafford blickte kurz hinüber zum Spiegel um Donovan klar zu machen, dass er vorsichtig sein musste, mit dem was er sagte. Denn es war nicht ausgeschlossen, dass die Aufzeichnungsgeräte des NIC weiterliefen, auch wenn das illegal wäre. Donovan hatte den Blick registriert, doch sein eigener Blick fixierte seine Staffel-XO. Kali hatte in der gesamten Besprechung noch kein einziges Wort gesagt und mittlerweile war sich Donovan auch sicher, dass sie zu dem Kreis derjenigen gehörte, die ihn zwar nicht offen ablehnten, aber im zumindest insgeheim nicht voll zu vertrauen schienen. Anders war ihr Schweigen nicht zu interpretieren.
„Sie hätten mir heute helfen können, aber stattdessen sitzen sie beide nur da und schweigen.“
Stafford schüttelte den Kopf und antwortete bevor Kali es tun konnte.
„Was glauben Sie, warum wir heute beide hier erschienen sind, hm? Ich hätte auch nur Kali schicken können – die im übrigen viel ihrer Freizeit für sie geopfert hat, um diesen Deal mit Commander Ross auszuarbeiten. Der NIC hatte nämlich ursprünglich vor, ihre Flugtauglichkeitsuntersuchung noch weiter auszudehnen, so dass sie wahrscheinlich erst im Peshten-System wieder ein Cockpit von innen gesehen hätten.“ Donovan blickte hinüber zu Kali. Stand sie etwa doch auf seiner Seite?
Stafford fuhr fort. „Oder wir hätten sogar beide wegbleiben können. Aber wir haben vor dieser Sitzung bereits so gut geholfen, wie es ging und waren hier um sie zu unterstützen und den ihnen so gut es ging den Rücken freizuhalten. “ Donovan verzog das Gesicht doch Stafford hob sofort die Hände. „Ja, ich weiß, es wäre noch besser gewesen, wenn wir diese Untersuchung hätten vermeiden können. Aber wir mussten einen Kompromiss finden. Sie machen diese Untersuchung mit, verpassen zwar die Staffelübung, aber wenn sie die Untersuchung überstehen, wovon ich jetzt mal ausgehe, dann wird es auch niemanden in der Staffel geben, der ihre Einsatzfähigkeit in Zweifel ziehen kann.
Jetzt musste Donovan doch laut auflachen. „Das glauben sie doch selbst nicht, Skipper. Die Gerüchte hören nie auf. Es gibt immer welche, die mir nicht glauben, die stur auf ihren Clichées beharren und mir nicht vertrauen werden, egal was ich sage oder tue!“
Stafford nickte. „Das weiß ich sehr genau, Lieutenant. Das weiß ich sogar nur allzu gut, wie sie wissen, oder?“ Donovan nickte. Ja, der CAG wusste sehr wohl, was es hieß unter einem ständigen Gerücht und Verdacht zu agieren.
„Wie kommen sie damit klar, Sir?“
„Einfach weglächeln! Und wie ich schon einmal sagte: Vertrauen kriegt man nicht geschenkt, man muss es sich hart verdienen. Sie werden auch dieses Mal schräg angeschaut werden und sie werden es schlucken und weiter machen, verstanden? Und wenn sie diese Befragung überstehen, dann gebe ich ihnen mein Wort. Sie werden ihre Chance auf Vergeltung, auf Rache erhalten. Aber nur unter einer Bedingung!“
„Welcher, Sir?“
„Keine Dummheiten, strikt nach Vorschrift und sie befolgen ihre Befehle. Oder sie werden nie wieder in einem Cockpit sitzen, verstanden?“
„Verstanden, Sir!“
Cowboy stand auf und reichte ihm die Hand, um auf das Wort einzuschlagen und Donovan stand ebenfalls auf, schaute seinem Kommandeur fest in die Augen und schlug spontan ein. In diesem Augenblick spürte Donovan dass er dem CAG vertrauen würde und dass dieser Mann es wert war ihm zu folgen.

***

Marines Ausbildungskaserne Fort Kendrick, In der Nähe von Neu Kapstadt,
Seafort, Sterntor, FRT

1st Lieutenant McKenna blickte düster in die Runde der Ausbilder, die alle im Besprechungsraum zusammengekommen waren um über den momentanen Status der Ausbildung zu berichten.
McKenna fand diese Besprechungen äußerst bedrückend, wenn auch nicht aufgrund des Inhalts. Sondern wegen der Tatsache, das er jedes Mal hundsmüde wurde aund immer wieder Probleme hatte wach zu bleiben. In den letzten Wochen waren regelmäßig auftretende Schlafprobleme aufgetreten. Nächte, in denen er sich hin- und her wälzte und einfach nicht einschlafen konnte. In denen er vor lauter Kopfschmerzen kein Auge zu bekam und die ständige Schlaflosigkeit ihn schier um den Verstand zu bringen schien. Schmerz- und Schlaftabletten nützten schon lange nichts mehr und McKenna wollte seine Ärzte auch nicht mehr um welche bitten. Diese verfluchten Quacksalber konnten ihm bei seinen Problemen nicht helfen, auch wenn sie zig Tests mit ihm gemacht hatten. Und sie waren schon stutzig geworden und hätten ihn sicher aus dem Verkehr gezogen, ihn in ein Sanatorium oder gleich in eine Klapsmühle geschickt, wenn sie spitz kriegen würden, wie es ihm wirklich ging. Posttraumatischer Stress hatten sie es genannt, aber McKenna wusste es besser. Denn es waren ja nicht nur die Schlaflosigkeit und die Kopfschmerzen die ihn quälten. Denn selbst wenn er einmal doch länger als eine Stunde am Stück schlafen konnte, kamen die Albträume, Visionen und Horrorbilder. Und das schlimmste daran war, das McKenna langsam nicht mehr wusste, was davon Traum war und was er wirklich davon erlebt hatte. Er sah Bilder von zerfetzten Leichen und er hörte Geräusche, die einem das Blut in den Adern gefrieren liessen. Hatte er das erlebt? Oder waren es nur merkwürdige Träume? Er konnte es nicht sagen. Und er sah Dinge, die er nicht mal beschreiben konnte, die ihn aber immer wieder keuchend aufwachen liessen.

Medusa... Das war der Anfang gewesen.
Seit diesem gottverdammten Einsatz war nichts mehr so gewesen, wie es einst mal gewesen war. Erst hatte er es nicht wirklich wahr genommen. Nur vage am Rande und er hatte es auf ein unbestimmtes Unwohlsein geschoben. Doch dann wurde es kontinuierlich immer schlimmer. Als dann Hue Xha Bao ankündigte, die Jumpin Devils zu verlassen und noch ein paar Ausbilder suchte, hatte er sich – natürlich sehr zum Verdruß von Colonel Hammersmith – freiwilling gemeldet in der Hoffnung, dass es vielleicht weit hinter den Frontlinien fernab von jeglicher Gefahr besser werden würde.
Aber das war leider nicht so eingetreten. Im Gegenteil, es war stetig schlimmer geworden. Und mittlerweile war es kaum noch auszuhalten. Das einzige, was einigermaßen half, war Bewegung und Aktivität. Nur wenn er mit seinen Leuten arbeitete und sich ablenkte, dann schaffte er es die Schmerzen zu unterdrücken. Das hatte ihm den Ruf eines Workaholics eingebracht und selbst Lt. Col Hue hatte ihn ermahnt es etwas ruhiger angehen zu lassen. Wenn er gewußt hätte, was wirklich der Grund für seine Arbeitswut war, dann hätte er sicher Probleme bekommen. Aber bislang war es noch nicht allzu stark aufgefallen. Doch McKenna musste aufpassen, denn seine Schalflosigkeit und seine Kopfschmerzen zehrten an seinen Kräften.

Er hatte sich gefragt, ob es den anderen Teilnehmern der Operation Medusa vielleicht auch so ergangen war. Aber das konnte er mittlerweile nicht mehr herausfinden. Die Marines, die ihn begleitet hatten, waren alle bei den Jumpin´ Devils geblieben, die Piloten bei den Angry Angels und die Geheimdienstler, Wissenschaftler und die Crew waren wer weiß wo verstreut. Vielleicht hatten einige von ihnen genauso solche Symptome wie er?
Als er Jean Davis gesehen hatte, waren die Erinnerungen schlagartig noch stärker zurückgekehrt. Sie hatte zwar nicht direkt mit dem Einsatz zu tun gehabt, aber ihre schiere Anwesenheit erinnerte ihn an Clifford „Ace“ Davis, und damit auch wieder an Medusa. Das war der Grund für sein schroffes Verhalten ihr gegenüber gewesen. Und auch wenn er versuchte ihr so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen, so ließ es sich nun mal nicht immer umgehen.

„Mitch... Mitch.“ McKenna blinzelte ein paar Augenblicke bevor er bemerkte, dass ihn seine Stellvertreterin Lt. Parminda Brahnamurti förmlich in den Arm zwickte um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. „Bitte?“
Parminda nickte nur rüber zum Eingang und da stand tatsächlich Sergeant Jean Davis, wem man an den Teufel dachte.
Den fragenden Blick seiner Stellvertreterin konnte er entnehmen, das auch sie nicht wusste warum Davis da war. Flüsternd fragte ihn Parminda: „Was macht die hier?“ McKenna zuckte mit den Schultern und schüttelte mit dem Kopf.
Es war Lt Colonel Hue Xha Bao der den Neuankömmling begrüßte. „Sergeant Davis, schön dass sie hier sind. Lt. McKenna, ich hätte sie vermutlich informieren sollen, entschuldigen sie bitte, aber Sergeant Davis hat kürzlich mir gegenüber eine Idee aufgebracht, die wir uns finde ich anhören sollten.“
Mitch nickte nur und versuchte sich seinen Ärger nicht anmerken zu lassen.
Jean Davis salutierte zackig und betrat den Raum. Sie erschien sehr gefestigt, reif und selbstsicher als sie ihre kurze Ansprache begann.
„Madam´, Sirs! Danke dass ich Ihnen meine Idee vorstellen darf. Dieser Ausbildungslehrgang ist für mich etwas ganz besonderes, weil er mir zeigt, was ich alles hätte lernen können, wenn ich vor ein paar Jahren etwas geduldiger gewesen wäre und statt lieber direkt in den Krieg zu ziehen auf die Militärakademie gegangen wäre. Bei manchen meiner Kollegen liegen die Lebensgeschichten und Beweggründe vielleicht anders aber uns alle eint, dass wir Offiziere des Space Marines Corps werden wollen.“ Sie machte eine kurze Pause und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. ´Ich will so sein wir ihr´ schwang in ihrer Rede mit, aber sie sagte es nicht. Rhetorisch brillant aber Mitch durschaute die kleine Hexe als was sie war, eine Schleimerin die sich hinter seinem Rücken an seinen obersten Vorgesetzten gewandt hatte.
„Doch warum wollen wir Offiziere werden? Warum bleiben wir nicht Unteroffiziere, zweifellos auch ein wichtiger Rang in den Streitkräften und streben eine Karriere als NCO* an?“
Wieder eine effektheischende Pause. „Die Antwort ist, das wir alle glauben etwas anzustreben, das den maßgeblichen Unterschied zwischen dem Offizierskorps und dem NCO-Corps ausmacht – und damit meine ich nicht das Pfirsicheis im Offizierskasino.“ Damit hatte die zierliche Marine die Lacher auf ihrer Seite. Ein Teil von McKenna musste zugeben, dass sie gut war, richtig gut. Aber ein anderer Teil wollte das nicht, konnte das nicht wahrhaben. Wieder spürte er die stechenden Kopfschmerzen hochkommen und musste sich zusammenreissen um nicht laut aufstöhnen zu müssen. Er wusste zwar, dass Jean Davis seine Schmerzen nicht verursachte, konnte aber nicht anders als ihr eine Mitschuld zu geben. Seit ihrer Anwesenheit war es immer schlimmer geworden und wer wußte schon, ob es da nicht doch einen Zusammenhang gab? Er versuchte den Gedanken beiseite zu drängen, aber es gelang ihm nicht wirklich.
Inzwischen fuhr Davis in ihrem kleinen Vortrag fort. „Der Unterschied ist, dass Unteroffiziere Befehle AUSFÜHREN und darin sind sie wirklich gut. Aber Offiziere FÜHREN...!!! Sie führen indem sie Befehle geben. Aber dass ist noch nicht mal das wichtigste dabei. Sie führen indem sie voran gehen, indem sie ein Beispiel sind.“
Einige der anwesenden Offiziere nickten. „Sie bringen uns hier alle erforderlichen Grundkenntnisse bei, die wir als angehende Offiziere brauchen. Sie drillen uns und machen Manöver mit uns – alles sinnvolle Aufgabe – aber die Führung von Soldaten bleibt reine Theorie. Ob jemand in der Lage ist unter Druck ist einen Haufen Soldaten inklusive ein paar störrischer Unteroffiziere zu führen, dass bringen sie uns hier leider nicht bei. Und es gibt mit Sicherheit den einen oder anderen meiner Kollegen – vielleicht sogar ich selbst – die tolle Sergeants sind, aber niemals das Zeug haben eine Führungspersönlichkeit zu werden. Und wie wollen sie das herausfinden, wenn sie uns niemanden zum Führen geben? Das wird sich dann frühestens im Feld zeigen und die Leidtragenden werden diese Führungsschwäche ihres Offiziers vielleicht mit dem Leben bezahlen. Darum bitte ich sie uns die Gelegenheit zu geben, uns als Offiziere zu beweisen.“
„Und wie stellen sie sich das vor?“ fragte Lieutenant Wu Chen, einer von McKenna´s Kollegen.
„Nun, wir könnten gemeinsame Manöver mit den Rekruten des Fort Kendrick durchführen. Manöver bei denen wir sowohl von Ihnen als auch von den Ausbildern der zukünftigen Marines begleitet würden. Aber natürlich nur von den Rekruten, die kurz vor ihrem Abschluss stehen. Somit hätten beide Seiten etwas davon.“
„An wieviele Manövereinsätze hatten sie gedacht?“
„So in etwa 3-4 und auch in unterschiedlichen Umgebungen. Wir könnten einmal hier in der Nähe im Changara-Dschungel, einmal im All auf einem unserer Schiffe, einmal am Nordkap und vielleicht einmal in der Plain Lands-Wüste üben. Damit wären auch gleichzeitig Erfahrungen in verschiedenen Klimazonen und unter unterschiedlichen Widrigkeiten abgedeckt.“
Das Gemurmel im Raum wurde intensiver, weil Davis Vorschlag sowohl auf Zustimmung als auch auf Skepsis stieß.
Wu Chen schien nicht überzeugt. „Haben sie eine Ahnung, wieviel Organisationsarbeit das Ganze bedeutet. Jean Davis nickte. „Aye, Sir. Eine Menge Arbeit. Aber ich habe schon mit einigen meiner Kollegen gesprochen, und sie waren Feuer und Flamme und würden gerne große Teile der Organisation in unserer Freizeit übernehmen.“
„Freizeit in der sie sich regenerien sollten.“
„Das stimmt, Sir. Aber da wir einige Freiwillige haben, wird die Last auf mehreren Schultern verteilt sein. Wir bräuchten aber auch Hilfe von Ihnen, das will ich nicht verhehlen.“
Wieder kam Gemurmel auf, doch Lt. Colonel Hue Xha Bao schob dem gleich seinen Riegel vor. „Damit das schon mal klar ist, ich unterstütze Sergeant Davis Idee uneingeschränkt. Das heißt, Sergeant Davis fragt hier nicht um Erlaubnis, denn die habe ich ihr schon gegeben. Und ich habe diese Idee auch schon mit den Colonels Maputo und Gustafsson abgestimmt, die diese Initiative auch gutheißen. Es geht also nicht um die Frage „Ob“ sondern vielmehr um das „Wie“. Also, haben wir unter Ihnen auch Freiwillige, die Sergeant Davis unterstützen werden?“
Augenblicklich gingen ein paar Hände hoch, wenn auch nicht alle. Wenig überraschend auch die Hand seiner Stellvertrerin, die ihn etwas entschuldigend anguckte. McKenna lächelte ihr etwas gequält zu um ihr zu bedeuten, dass das schon in Ordnung sei.
Dann wurden noch ein paar erste Fragen beantwortet, ein paar erste Arbeitspakete aufgeteilt und die Besprechung schließlich formell beendet.
Sergeant Davis kam zu ihm herüber. „Sir, ich hoffe sie sind mir nicht böse, aber Colonel Hue wollte sich erst mit seinen Kollegen abstimmen bevor ich meinen Vorschlag einbringen durfte. Er hat mir nicht gesagt, dass er sie nicht informiert hatte, sonst hätte ich das natürlich getan.“
Sergeant Jean Davis war sichtlich nervös und unwohl zumute. Und das war auch gut so. „Schon gut, Davis. Der Colonel wird schon seine Gründe gehabt haben.“ Davis war ein schlaues Mädchen und ihr musste klar sein, dass Mitch sie nicht mochte, auch wenn sie die Gründe dafür sicherlich nicht kannte.
Sie versuchte daher erst gar nicht Süßholz mit ihm zu raspeln, sondern salutierte nur kurz und entfernte sich wieder.

„Lt. McKenna, Lt. Brahnamurti, könnten sie bitte vielleicht noch auf ein Wort bleiben?“ Lt. Colonel Hue Xha Bao war schon immer sehr höflich mit seinen Befehlen gewesen. Es sei denn sie waren im Einsatz und dort konnte er auch sehr direkt werden.
Als die beiden Offiere vor ihrem Kommandeur Aufstellung genommen hatten, kam er ohne Umschweife direkt zum Punkt: „Was halten sie beiden von Sergeant Davis?“
„Sie ist gut, in allen Belangen, Sir.“ McKenna wusste genau, dass sie Col. Hue mit Davis Profil und bisherigen Leistungen befasst haben musste. Von daher wäre es äußerst dumm gewesen, sie vor ihm schlecht zu reden. Seine Stellvertreterin stimmte ihm zu, schränkte aber auch ein, dass sie natürlich Defizite im Nahkampf hatte. Das war aber aufgrund ihrer vergleichsweise geringen Körpergröße und -statur auch nicht weiter verwunderlich.
Der Colonel nickte. „Ich denke sogar, sie ist exzellent und hat gute Chance Jahrgangsbeste zu werden, glauben sie nicht auch?“
„Ja, Sir. Das wäre durchaus möglich.“
„Gut, in dem Falle würde das auch positiv auf sie beide zurückfallen. Gute Arbeit, weitermachen.“
McKenna und Brahnamurti salutierten und verliessen den Besprechungsraum. `Na toll`schnaufte Mitch McKenna frustiert. Jetzt wurde diese Davis auch noch hochgelobt und, dabei war sie diejenige, die seine Kopfschmerzen und seine Schlaflosigkeit noch beförderte.
McKenna´s Laune vedüsterte sich noch zunehmend und er würde sich schon was einfallen lassen um Jean Davis das Leben in Fort Kendrick zur Hölle zu machen.

*NCO = Non Commission Officer, Normalerweise die Ränge vom Sergeant aufwärts

__________________
"Das Leben ist das was einem passiert, während man andere Pläne schmiedet." John Lennon

Mitglied der Autorenkooperationen "Dantons Chevaliers" und "Hinter den feindlichen Linien"

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Cattaneo
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Die Jagd beginnt

TRS Columbia, Hellas-System

Ein letztes Mal ließ Lilja einen prüfenden Blick über ihre Untergebenen schweifen. Natürlich waren die wesentlichen Details der kommenden Mission schon vorher besprochen worden. Die Russin hatte sich mit Feuereifer in die Vorbereitung des Einsatzes gestürzt. Nicht, weil sie es gar nicht erwarten konnte, noch die eine oder andere Abschussmarkierung zu sammeln. Sie verabscheute Piraten, auch wenn sie Kriminelle nicht derart inbrünstig hasste wie die Akarii. Aber hier ging es vielmehr darum, den Einsatz möglichst reibungslos über die Bühne zu bringen. Ein Stück weit war sie froh, dass der Probelauf des Geschwaders nach den hohen Verlusten auf Sterntor - und unter einem neuen Kommandanten - gegen einen Gegner erfolgte, der voraussichtlich zahlenmäßig und technisch deutlich unterlegen war.
Nicht, dass sie deshalb nachlässig geworden wäre. Sie hatte denn auch eine ihrer üblichen Standpauken gehalten: "Denkt daran - den Gegner zu unterschätzen ist genau so gefährlich, wie ihm zuviel zuzutrauen. Ja, sie haben vermutlich nur stark veraltete Jäger und eine Handvoll Raketen. Sie haben weniger Gefechtserfahrung als viele unserer Piloten. Aber sie kennen das Terrain, sie wissen, dass auf sie nur ein, zwei Jahrzehnte in einer Strafkolonie warten. Und sie brauchen nur EINMAL Glück, um einen unserer Jäger ernsthaft zu beschädigen oder gar zu zerstören. Ich will keine Piloten bei einem kurzen Polizeieinsatz verlieren..."
An der Stelle hatte sich Shoki eingemischt, die für ihren Rang immer recht kess war: "Da solltest du dir mal Knight anschauen. Die Polizeiaktion an der er teilgenommen hat, geht nun schon ein paar Jahrzehnte." Das hatte für Gekicher und seitens der Russin für einen pikierten Blick gesorgt. Pandora gehörte nicht zu den Dingen, über die Patrioten wie Lilja gerne sprachen.

"Haltet euch an eure Rollen. Wir geben den Schwarzen Deckung, zusammen mit den Roten." Lilja sprach es nicht aus, aber sie hatte insgeheim gewisse Befürchtungen, was die kommende Mission betraf. Für ihren Geschmack mischte sich der neue Geschwaderchef zu oft und zu detailliert in die Führung der einzelnen Schwadronen ein. Etwas, was sich kein Staffelchef gerne aus der Hand nehmen ließ, besonders mitten im Gefecht.
"Imp, du als meine beste Pilotin hast den gefährlichsten Part." Die XO der Fighting Stallions hatte einen Sonderauftrag aufgebrummt bekommen, wofür sie sich bei Lilja ,bedanken' konnte - und dies auch getan hatte. Die Russin hatte im Vorfeld des Einsatzes erfolgreich angeregt, eine Sektion der Grünen für einen Flankenangriff zu detachieren. Imp und Sokol mit ihrer Flügelmännern würden - die Maschinen für den Langstreckenflug getrimmt - den Pulk frühzeitig verlassen. Nach Möglichkeit im Sichtschutz der Asteroiden und einiger Strahlungsanomalien sollten sie versuchen, unbeachtet den Gegner im Rücken zu fassen, wenn der Hauptangriff erfolgte. Lilja rechnete fest damit, dass die Piraten schnell zusammenbrechen würden, und sie wollte möglichst wenige entkommen lassen. Außerdem schätzte sie das Stehvermögen der gegnerischen Kampfmoral als ziemlich gering ein. Ein Flankenstoß mit nur vier Falcons war riskant, sogar gegen die veralteten Jäger der Piraten. Allerdings waren die modernen Kampfflieger weit schneller und verfügten über deutlich bessere Sensoren als alles, was die Freibeuter aufzubieten hatten. Oder haben sollten, denn falls inzwischen etwa die Konföderierten Material an Kriminelle wie diese lieferten, mochte sich das ändern...
Es blieb aber zu hoffen, dass Imps Gruppe einen feindlichen Hinterhalt rechtzeitig bemerken und ihm nötigenfalls ausweichen konnte. Die Russin hatte vollstes Vertrauen in ihre XO und in Sokol. Deutlich weniger hielt sie von deren Untergebenen - Bad Luck und besonders Kicker hatten sich bisher nicht gerade als Elitepiloten der Stallions beweisen können. Aber es musste eben so gehen... Und sie würden in einem hoffentlich nicht zu riskanten Einsatz zeigen können, was in ihnen steckte, ohne das ein Fehler so gravierende Konsequenzen hatte, wie in einem Gefecht mit imperialen Jägern.

Die Kampfflieger der Stallion waren entsprechend des Missionsprofils armiert. Mit Ausnahme von Imps Sektion trugen die Falcons sechs Sparrow oder Amraam-Raketen und nur zwei Kurzstrecken-Sidewinder. Schließlich war es nicht ihre Aufgabe, feindliche Frachter zu knacken oder Bomber zu jagen. Da keine eigenen Großkampfschiffe mit von der Partie waren, musste man sich weniger Sorgen um die feindlichen Jagdbomber machen, und die Aufgabe der ,Dosenöffner' sollten diesmal andere Staffeln übernehmen. Sidewinder waren im Kampf gegen agile, wendige Jäger nur von begrenztem Nutzen. Die ,Schleicher' unter Imps Kommando trugen nur sechs Raketen pro Jäger, da sie Zusatztanks benötigen, und auch hier überwogen Mittelstreckenraketen. Ihre Schlagkraft lag dennoch weit über dem, was die Piraten laut den Berichten in ihrem Arsenal hatten.
"Bei der Vorstellung heute haben die Schwarzen vielleicht die Starplätze..." das rief einiges gutmütige Murren hervor, denn die Staffeln konkurrierten natürlich miteinander: "…aber an uns liegt es, dass die Operation wie geplant abläuft. Ein Drittel der Butcher Bears ist unterbewaffnet, weil sie diese neuen Knallfrösche schleppen sollen. Und wir wissen alle, dass sie unseren Schutz sowieso brauchen. Auch wenn sie es nicht zugeben wollen - stellen wir sicher, dass alle zurückkehren. Und der Commander kann uns endlich mal im richtigen Einsatz erleben!"
Jubel gab es - natürlich - keinen. Stafford hatte noch immer nicht das Vertrauen der Angry Angels erworben, und während die meisten Piloten ihre früheren Kommandeuren respektiert, einige sie sogar bewundert hatten, waren viele immer noch unsicher, was sie von dem ,Neuen' eigentlich halten sollten.

Ein wenig würde man noch warten müssen - mit Ausnahme der Arrow-Träger sollten die schwarze Staffel, die Roten und die Sektion Jagdbomber zuerst starten. Die spurtschnellen Abfangjäger der Stallions konnten leicht aufholen.
Lilja vertrieb sich die Zeit des Wartens in der ihr gewohnten Art und Weise - mit Stirnrunzeln. Marine und Imp, die sich neben der Staffelchefin auf einen Wartungswagen gefläzt hatten, kicherten albern, als sie darüber debattierten, WAS genau den Unmut ihrer BFF - für Imp - oder - im Fall von Marine - der tyrannischen, überfürsorglichen und bevormundenden älteren Adoptivschwester erregt hatte. Shoki sah so aus, als würde sie gerne mitmachen, aber da sie Liljas Rückendeckung zu schätzen wusste, wenn ihr Bruder mal wieder den Beschützer herauskehrte, hielt sie sich normalerweise damit zurück, die Russin direkt zu triezen. Aber es fiel ihr schwer.
"Sie ist vielleicht neidisch..." kommentierte Imp im lauten ,Flüsterton', während sie schamlos den Abschied von Kali und Kano beobachtete. Nicht, dass da irgendetwas unpassendes vor sich ging, aber wer genau hinsah konnte vermuten, dass der ,Schwarze' und die ,Rote' nicht nur Freunde waren. Und natürlich war ihre Beziehung innerhalb des Geschwaders kein wirkliches Geheimnis. Marine lachte schallend, und antwortete keinen Deut leiser: "Neidisch auf Kano? Ich dachte, du wärst die einzige Frau, für die Lilja Augen hat?"
Knight, der sich ebenfalls in der Nähe herumtrieb, biss sich in den Handschuh seines Raumanzugs, um nicht vernehmlich loszuprusten. Er beglückwünschte sich zu seiner Selbstbeherrschung, als er den antarktischen Blick der Staffelchefin in Richtung ihrer ,albernen Kampfhennen' - Originalton Lilja - bemerkte.
Die Stimme der Russin blieb staubtrocken: "Neidisch? Wohl kaum. Es ist ja bewundernswert, wenn so etwas so lange dauert - UND die beiden dabei nicht ihre Pflicht vernachlässigen...", für Lilja der Dreh- und Angelpunkt jeder Beziehung beim Militär: "Aber wir wissen alle, dass die langfristigen Aussichten nicht die besten sind. Kriegsbeziehungen sind nun einmal wie Treibhauspflanzen. In einem normalen Umfeld...
Denn wir führen schließlich kein normales Leben, schon seit fast zehn Jahren, wenn man die Ausbildung mitrechnet. Mit dem Leben nach dem Sieg klarzukommen, im Frieden, in einem neuen Job, das wird nicht leicht sein. Und eine Beziehung, die hier entstanden ist, dauerhaft rüberzuretten? Das wird noch schwerer werden."
Sie klang nicht mal boshaft oder missbilligend, einfach schrecklich...nüchtern und unromantisch. Imp zog einen Flunsch - immerhin war sie mit Liljas bestem Freund zusammen. Sie wusste, dass die Russin ihnen beiden nur das Beste wünschte, kannte aber Liljas generelle Skeptik. Und verzweifelte schier bei der gelegentlichen Bemühung, die Staffelchefin zu ermuntern, auch mal etwas Spaß zu haben.
Marine, ganz die ehemalige Jarhead, gab nicht so leicht auf. Sie grinste schief: "Du scheinst ja felsenfest davon überzeugt zu sein, dass wir siegen."
Liljas Tonfall wurde noch etwas trockener: "Sagen wir zumindest, das ist der einzige Fall, an dem es sich überhaupt für uns alle lohnt, über ein SPÄTER nachzudenken."
Womit sie auf die ihr übliche penetrante und verbissene Art und Weise Recht hatte. Betrachtete man die Geschichte der Angels, ihre hohen Verluste in den erbitterten Schlachten der ersten Kriegshälfte und der letzten Monate, dann würden im Fall eines Sieges der Imperialen - oder auch nur eines sich noch lange hinziehenden Ermattungskrieges - letztendlich nicht mehr viele Geschwadermitglieder vor der Notwendigkeit stehen, sich Gedanken über ihr weiteres Leben zu machen.

Lilja fehlte möglicherweise das Feingefühl um zu erkennen, wie solche Sprüche auf Neulinge wirken konnten. Wahrscheinlicher allerdings war, dass sie es sehr wohl wusste, sich aber einfach nicht darum kümmerte. Die Russin hatte zumindest gegenüber ihren Untergebenen und Kollegen mitunter eine geradezu brutal ehrliche Art und Weise. Vielleicht, weil sie selber durch eine harte Schule gegangen war, in den ersten Monaten des Krieges.
Sie runzelte die Stirn und kam unverhofft wieder auf das ursprüngliche Thema des Gespräches zurück: "Wenn ihr schon wissen wollt, was mich stört..." Sie nickte zur anderen Seite des Hangars, wo gerade eine E/A 105 A Rafale startklar gemacht wurde. Lieutenant Commander Davis und Commander Decker machten sich einsatzbereit.
Imp - eine der wenigen, die sich derartiges erlauben konnte, ohne furchtbarer Vergeltung gewärtig sein zu müssen - säuselte spöttisch: "Was denn? Du machst dir doch nicht etwa Sorgen um Ace...oder um Decker?"
Liljas Blick hätte sie eigentlich zur Salzsäule erstarren lassen müssen, aber die beiden hatten nicht umsonst lange Zeit eine Kabine geteilt. Imp war sich Liljas Zuneigung und Loyalität einfach zu sicher und wusste, dass die Russin sie zwar gelegentlich anbellte, aber niemals biss.
"Was Decker angeht schon mal gar nicht! Obwohl es wohl kaum gut für die Angels wäre, wenn diese Primaballerina unter unserer Obhut draufgeht. Und Ace, nun wir haben ja genug durchgemacht, und er ist ein ganz passabler Pilot, wenn er nur nicht immer so mondsüchtig weichherzig wäre..." Sie merkte, wie zahm das für ihre Begriffe klang und fügte grimmig hinzu: "Außerdem kann er ja wohl auf sich selber aufpassen!"
Sie mäßigte ihre Stimme etwas, damit nicht das halbe Flugdeck ihre Ansichten mitbekam: "Aber es ist schon eine Meisterleistung, zwei Leute in eine Kiste zu sperren, die vorher noch nie zusammen geflogen sind und die wenig Übung und praktische Erfahrung mit dem Maschinentyp haben, sich aber dennoch für die Größten halten." Das hatte sie schon während der Besprechung gedacht. Aber sie konnte es ja wohl Decker kaum ins Gesicht sagen, nachdem sie ihn vor nicht allzu langer Zeit geradezu hatte anbetteln müssen, Knight nicht anzuschwärzen. Und einem anderen Staffelchef fuhr man auch nicht ohne weiteres in die Parade, namentlich vor einem Geschwaderkommandeur, bei dem man sich nicht über die Reaktion sicher sein konnte.
"Und darüber hinaus ist es auch ein seltener Geniestreich, einen Staffelchef als besseren Kutscher abzustellen. Ich meine, es ist ja nicht so, dass Ace der beste Schwadronskommandeur des Geschwaders ist. Aber verglichen mit seinem XO ist er geradezu eine Offenbahrung!" Dieses Lob lag nicht unbedingt daran, dass Lilja von Ace als Einheitschef so viel, als dass sie von Chip sehr wenig hielt.
"Unser Geschwaderchef fliegt bei der Mission mit, ebenso Kano, meine Wenigkeit und dann auch noch Ace. Sollten Echsen aufkreuzen - und das ist hier zwar unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich - dann haben wir gerade mal zwei Jägerstaffeln zur Abwehr und nur EINEN guten Staffelchef, um sie zu führen. Und unser Geleitschutz ist sowieso schon mächtig ausgedünnt." Sie sprach es nicht laut aus, aber insgeheim kreidete sie das in ihren Augen gewagte Missionsprofil selbstverständlich Stafford an. Dafür war er schließlich Geschwaderkommandeur. Sie konnte natürlich nachvollziehen, dass die Arrows erprobt werden sollten, aber das rechtfertigte in ihren Augen keine vermeidbaren Risiken. Die Akarii hatten ihre hässlichen Fratzen in den letzten Wochen und Monaten zu oft dort gezeigt, wo sie nicht hingehörten. Sollte das wieder geschehen... Rache an der Columbia und an den Angels, die einen gewissen Ruf als "Prinzenkiller" und "Trägerknacker" hatten, stand gewiss nicht an erster Stelle auf dem imperialen Wunschzettel, aber doch recht weit oben.
Aber gut, es blieb nur, das Beste aus der Situation zu machen. Die Mission so schnell und erfolgreich durchzuziehen wie irgend möglich, am besten ohne wirklich Verluste.
Die Russin atmete tief durch, straffte sich und erhob ihre Stimme: "Auf, auf! Es geht gleich los! Viel Glück - und ich verlasse mich darauf, dass ich eure hässlichen Visagen ALLE nach der Mission wiedersehe!"
Marine lachte lauthals: "Wir LIEEEBEN dich auch, Mom!"
An ihrer Seite setzte Imp ihren Raumfahrerhelm auf, ließ das Visier aber noch offen. Mit einmal begann sie die Staffelhymne zu singen, und einer nach dem anderen stimmten ihre Kameraden ein, auch Lilja:

When you soar in space in a fighter-crowd
And you'r scraping with a Bloodhawk and your guns fall out
Well, get overthrust, 'til the engine burn out
'Cos you haven't got a hope in the morning.

For a batman woke me from my bed
I had a thick night an a very sore head
And I said to myself, to myself I said
Oh! We haven't got a hope in the morning!

We were intercepting bombers, twenty-two
Hadn't a notion what to do
So we shot down six Deltas and two Phantoms too!
'Cos they hadn't got a hope in morning.

We attack a cruiser all in vain
The Crusaders said, 'We must explain,
Our missiles get lost; we must do it again,'
Oh! We haven't got a hope in the morning!

Kurz darauf waren sie alle gestartet. Während Imp ihre Gruppe langsam vom Verband absonderte, formierten sich die übrigen Falcons in zwei Sektionen, um ihre etwas behäbigeren Kameraden in den Nighthawks und die wenigen schweren Maschinen zu flankieren. Sie flogen etwas dichter beieinander als bei einem normalen Gefechtsflug, aber man wollte ja keinen Verdacht erwecken. Jetzt konnten sie nur noch abwarten, ob die Piraten frühzeitig Verdacht schöpfen würden...

****

Offener Raum, Hellas-System - einige Zeit später

Natürlich war davon auszugehen, dass bei den Piraten die Alarmsirenen losgeheult hatten, sowie die TSN-Kampfgruppe ins System gesprungen war. Die waren mit Sicherheit nicht so dumm, dass sie nicht achtgaben, was in Hellas vor sich ging. Ihre Möglichkeiten mochten begrenzt sein, aber simple Überwachungssatteliten dürften ihr Budget kaum überfordern, dergleichen war sogar auf dem zivilen Markt zu haben. Die Strahlungsanomalien am Sprungpunkt stellten eine gewisse Tarnung dar, vor allem für diejenigen, die sich in dem System nicht auskannten. Aber die Gesetzlosen saßen hier schon geraume Zeit. Und selbst wenn sie den Sprung verpasst hatten, es wäre töricht anzunehmen, dass sie die Kampfgruppe nicht auf dem Transitkurs durch das System gesichtet hatten. Ein vorsichtiger Piratenkommandeur wäre vielleicht gleich davon gestoben, sowie er gesehen hätte, was da vor seiner Haustür vorbeidampfte - nach einem Wechsel der Unterwäsche, möglicherweise - doch das war nicht ohne Risiko. Eine Flucht mochte erst Recht Aufmerksamkeit erregen, und es war anzunehmen, dass die Piraten kaum ihre ganze Beute und personellen Anhang binnen kürzester Zeit in die Frachter verladen konnten. Und waren sie erst mal auf dem Marsch, konnten sie leichter gesichtet werden als wenn sie auf der vermeintlich verlassenen oder gesprengten Station Mäuschen spielten. Wer weglief, hatte etwas zu verbergen, und seit Beginn des Krieges hatte die TSN nicht gerade den Ruf erworben, zu genau hinzuschauen, bevor sie schoss. Die Frachter der Piraten waren nicht so schnell, dass sie mühelos TSN-Jagdbombern entwischen konnten...

Und dennoch, es bestand immer noch Gefahr, dass die Piraten sich aus dem Staub machten, nur um später zurückzukehren oder ihr Treiben anderswo fortzusetzen. Die TSN musste die Freibeuter möglichst lange in trügerischer Sicherheit wiegen, dass sie hier nur einen Trainingsflug absolvierte. Und da kamen die Stallions ins Spiel.
"Achtung, bereithalten für Ballett." Liljas Stimme ließ nicht erkennen, wie nervös sie war. Dieses kleine Täuschungsmanöver mochte den Terranern ein wenig Zeit erkaufen, mehr nicht.
"Drei, zwei...EINS!"
Die acht Falcons der Grünen teilten sich in Paare auf, die sich mit maximaler Geschwindigkeit vom Verband entfernten. Über die Staffelfrequenz ertönte ein wildes ,Geschnatter' - simulierter Gefechtsfunk, der mögliche Lauscher überzeugen sollte, dass man hier nicht etwa einem Kampfeinsatz entgegen flog und sich um Funkstille bemühte.
Die Falcons brauchten nur etwa eine Minute, um sich mehr als 30.000 Kilometer vom Hauptverband zu entfernen. Auf einem knappen Befehl von Lilja hin drehten sie ein und begannen einen Zangenangriff. Die Maschinen flogen nicht nur mit Höchstgeschwindigkeit, gelegentlich benutzten sie sogar ihre Nachbrenner, als wenn sie simulierten Raketen ausweichen müssten. Für einen Beobachter - und Lilja rechnete fest damit, dass sie beobachtet wurden - musste das so aussehen, als ob die Terraner hier den Angriff auf einen Jägerverband simulierten, ein Manöver, das zum Standartrepertoire in den Übungen der TSN gehörte, sowohl in der Rolle als Angreifer wie als Verteidiger. Auch einige Sektionen der Nighthawks reagierten entsprechend. Und apropos Simulationen...

Lilja atmete tief durch, als sie sich auf den gewagtesten Teil der Vorstellung vorbereitete: "Freigabe ,Theaterdonner'?" fragte sie auf der Frequenz, die für die Kommunikation mit dem Geschwaderchef reserviert war. Stafford klang absolut gelassen: "Freigabe...erteilt!" Blieb nur abzuwarten, ob er in einem echten Gefecht ebenso professionell auftreten würde.
Lilja konzentrierte sich auf ihre Anzeigen - ihr Zielsystem arbeitete gewissermaßen auf Hochtouren. Sie zielte sorgfältig, dann eröffnete sie das Feuer.
Energie-, Teilchen- und Plasmabahnen lösten sich von den Bordwaffen der Falcons und einiger anderer Maschinen, erfüllte den leeren Raum mit Tod. Dies hier waren - anders als bei ,echten' Manövern - nicht etwa heruntergeregelte Geschütze, die einen Jäger nicht wirklich beschädigen konnten. Nein, die Waffen arbeiteten auf voller Stärke, denn man konnte die Einstellung nicht einfach während des Fluges ändern. Sollten sie einen eigenen Jäger treffen, konnte das ernste Folgen haben. Was der Grund dafür war, dass nur eine Handvoll Piloten bei den ,Angreifern' wie den ,Verteidigern' die Freigabe zum Waffengebrauch hatte. Diejenigen, die als erfahren genug galten, um dicht genug vorbei zu schießen, um für die Piraten ein glaubhaftes Schauspiel zu bieten - ohne dabei eigene Maschinen zu beschädigen.

Die folgenden Minuten kamen der Russin wie eine Ewigkeit vor. Sie ging ganz in den Flugmanövern auf - wich simulierten wie echtem Beschuss auf, immer besorgt, aus Versehen in die Schussbahn einer Kanone zu geraten. ,Verrückt eigentlich, ich meine, ich mache ja die letzten sechs, sieben Jahre nichts anderes, als auf mich schießen zu lassen.' dachte sie säuerlich. ,Aber es ist doch was anderes, wenn ein Treffer reine Blödheit wäre und von einem Kameraden kommt...'
Selber flog sie einen Scheinangriff nach dem nächsten, bemühte sich, die Bewegungen ihres ,Ziels' vorauszuahnen, um knapp vorbei zu schießen. Nun, Gefechtserfahrung war doch etwas Tolles - sie musste nur aufpassen, dass ihre alten Reflexe nicht die Oberhand gewannen. Lilja war berüchtigt für Präzision und Geschick im Kurvenkampf, weit mehr als für ihre Zielsicherheit mit den Raketen, an der sie lange hatte arbeiten müssen.
Auf Seiten der Angreifer und Verteidiger waren es insgesamt vielleicht ein knappes Dutzend Maschinen, die tatsächlich schossen, aber für Langstreckenscanner würden sie mit Sicherheit ein auffälliges und beruhigendes Schauspiel bieten. So verhielt sich einfach kein Angriffsgeschwader - und da auf der Gegenseite sicher der eine oder andere ehemalige Konföderierte oder ,Terry' zu finden war, musste das den Piraten klar sein.

Aber natürlich konnte es nicht ewig so weitergehen. Irgendwann versagte auch die beste Täuschung, oder die Freibeuter wurden einfach nervös, während die Terraner immer näher kamen.
"Achtung, Achtung! Bestätigen Aktivitäten beim Primärziel. Zahlen folgen."
Lilja brach abrupt ihre Flugmanöver ab. Mit ein paar knappen Befehlen hatte sie die Stallions geordnet - und beschleunigte auf Höchstgeschwindigkeit. Es blieb zu hoffen, dass die terranischen Kampfflieger schon so nahe waren, dass sich eine Flucht der Piraten als aussichtslos erwies. Lilja starrte angestrengt auf die Anzeigen...es würde knapp werden. Sie versagte sich besorgte Gedanken bezüglich von Imp und Sokol - die beiden konnten gut auf sich selbst aufpassen. Wenn sie nur rechtzeitig ankamen.
Während die konstante Beschleunigung die Russin in den Sitz ihrer Maschine presste, musste sie unwillkürlich unter ihrem Helm grinsen - kein schönes Lächeln, soviel war sicher.
,Komisch, ich bin bei der Aussicht auf ein echtes Gefecht weit weniger nervös als angesichts unserer Showeinlage vorhin...'
Die Stallions schwärmten aus, dem Kampf entgegen.

Ende

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05.02.2018 17:17 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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„Ace. Auf ein Wort.“
Als ich die Stimme meines neuen Herrn und Meisters hörte, vor allem als ich den Tonfall vernahm, sagte mir meine langjährige Erfahrung, die ich mir unter Piloten wie Darkness, Lone Wolf und Monti erworben hatte, dass Stafford etwas von mir wollte, was mir womöglich nicht gefallen wollte. Ich wandte mich also der Stimme zu. „Was gibt es, Boss?“
„Wir haben in zwei Stunden eine Besprechung für einen möglichen Einsatz im Hellas-System. Decker und ich werden sie abhalten. Lilja, Ohka, McGill und Kali kriegen was zu tun.“
Das weckte schon ein wenig Neid in mir. Die Rolle meiner Blauen war traditionell der Schiffsverteidigung. Das bedeutete, wenn Lilja in den Einsatz ging, würde ich das Haus hüten. Ein Umstand, der sich erst ändern würde, wenn meine Staffel bessere Leistungen zeigte als die Grünen. Etwas, was nicht so schnell der Fall sein würde. Als guter Pilot fürchtete ich natürlich, Seite an Seite mit den Grünen eingesetzt zu sein, ohne dass es um die Verteidigung der COLUMBIA ging, denn das bedeutete, etwas war wirklich schief gelaufen. „Wie schön für sie.“
„Sie werden dabei sein.“
„Sir?“
„Ich sagte, Sie werden dabei sein. Sie setzen sich mit in den Besprechungsraum, nach ganz hinten, halten den Mund und hören nur zu. Danach melden Sie sich sofort bei mir.“
Ich unterließ es, noch einmal wie ein schwerhöriger Rekrut zu fragen. „Ja, Sir. Welcher?“
„Grüne Staffel. Wir sind ein kleiner, aber feiner Kreis. Freuen Sie sich, es geht gegen Piraten.“
„Soll ich noch was dazu lernen?“, fragte ich mit sarkastischem Ton. Was ich nicht so gut aufnehmen würde, just nachdem meine Beförderung und meine Kommandobestätigung durch waren.
„Auch. Kommen Sie einfach und spielen Sie Mäuschen. Dafür sollten Sie zwanzig Minuten früher da sein, denke ich. Okay?“
Ich musste zugeben, ich war interessiert. Er wollte etwas von mir, er wollte definitiv etwas von mir. „Okay, Boss. Ich bin der Erste, der reingeht.“
„Das wollte ich hören. Wir sehen uns nach der Besprechung.“ Mit diesen Worten ließ er mich stehen.
Ich zuckte die Achseln und tat das, was ich ursprünglich vorgehabt hatte: Mittag essen. Es war sicher eine gute Idee, nicht allzu hungrig in diese Besprechung zu gehen.
***
Als ich zwanzig Minuten vor der Zeit in den Besprechungsraum der Grünen Staffel kam, war ich zu meinem Erstaunen nicht der Erste. Commander Decker war schon da und studierte eingehend eine System-Karte. Er sah auf, als ich eintrat. „Was wollen Sie denn hier, Davis?“
„Befehl vom Alten. Ich soll mich dazu setzen und was lernen.“
Irritiert sah er mich an, irritiert sah ich zurück. Er deutete auf die hinterste Reihe. „Etwas dazu lernen zu wollen ist immer ein gutes Argument. Setzen Sie sich nach ganz hinten und stören Sie uns nicht.“
Selten hatte jemand „Halt bloß die Schnauze“ so nett ausgedrückt zu mir gesagt. Ich nickte. „Sir.“ Dann suchte ich mir die hinterste und dunkelste Ecke aus und übte mich in Schweigsamkeit. Decker war auf jeden Fall ein Arsch. Den Haken auf meiner Liste hatte er weg.
Fünf Minuten nach mir traf der CAG ein, suchte mich kurz, nickte mir zu und hatte ein sehr kurzes und heftiges Gespräch wegen mir mit Decker, das er mit einem „Weil ICH der CAG bin!“ beendete. Decker verkniff das Gesicht und ignorierte mich ab dato.
McGill trat ein, sah aber nicht zu mir herüber. Danach kam unser Schlapphut Ross. Lilja sah mich, als sie eintrat, aber außer einen Stirnrunzeln sagte sie nicht. Kali übersah mich glatt.

Eine gute Minute vor dem Termin traf nun auch Ohka ein, was ihm sofort einen Anraunzer von Decker einbrachte: „Beinahe nicht rechtzeitig!“
Kali warf ein: „Entspannen Sie sich Decker, sonst kriegt Ihr makelloses Postergesicht noch Falten!Und wie ich das sehe, ist Ohka genau rechtzeitig gekommen.“
Bevor sich daraus eine Diskussion über einen Staffelchef der Angry Eagles entspannen konnte, sagte McGill durchaus etwas hastig: „Genug gequatscht. Vielleicht erfahren wir jetzt endlich, worum es hier geht.“
Das interessierte mich auch. Stafford aber gab den Ball weiter. „Ross. Fangen Sie an.“
Der Schlapphut stand auf. „Ich gehe davon aus, dass Sie alle mit den grundlegenden Informationen zum Hellas-System vertraut sind.“ Er aktivierte erneut die schematische Darstellung des Hellas-Systems, die Decker bei meinem Eintreten betrachtet hatte und sagte erläuternd: „Wie Sie wahrscheinlich ebenfalls wissen, haben die Piratenaktivitäten seit Kriegsbeginn zugenommen, begünstigt durch die Schwächung der lokalen Garnisons- und Patrouilleneinheiten.“
„Und der Tatsache, dass beide Seiten diese Weltraumgeier für sich fliegen lassen“, warf Commander Stafford spöttisch ein.
„Im Gegensatz zu den entsprechenden Aktivitäten des Imperiums sind derartige Anschuldigen gegenüber der Republik niemals verifiziert worden. Und sind nichts, was ein Offizier der TSN leichtfertig weitererzählen sollte“, erwiderte Ross mit einem leisen Schnauben, seiner einzigen Reaktion.
Das von Stafford war wesentlich deutlicher zu sehen, der das ganz und gar nicht so sah.
Ross fuhr fort. „Zwar verfügen die momentan operierenden Banden nicht über eine mit den sogenannten Piraten- oder Totenkopfkriegen vergleichbare Schlagkraft und Stärke, sondern stützen sich praktisch ausschließlich auf armierte Frachter und Großraumshuttles sowie auf gestohlene, erbeutete, beziehungsweise auf dem grauen oder Schwarzmarkt erworbene Jäger. Aber für unseren Nachschub und die zivile Raumfahrt stellen sie dennoch eine ernste Gefahr dar. Außerdem sind viele Piraten auch in Aktivitäten wie Schmuggel, Menschen-, Waffen- und Drogenhandel sowie Schutzgelderpressung verwickelt. In peripheren Gebieten waren sie mehrfach in diverse Rebellionen oder Putschversuche verwickelt.
Nach einem zeitweiligen Rückgang der Piratenaktivitäten – vor allem durch den verstärkten Einsatz von Hilfskreuzern, der Aufstockung lokaler Verbände und einem von einigen Systemen und Firmen eingeführten Konvoi-System – ist die Zahl der Angriffe in den letzten Monaten erneut gestiegen. Unter anderem wegen den erneuerten Offensiven des Imperiums und vor allem der veränderten Situation in der Konföderation. Unsere Dienste gehen davon aus, dass die Akarii und ihre neuen…Freunde verstärkt Anstrengungen unternehmen, Piratenbanden zu rekrutieren und aufzurüsten. Allerdings leidet die Konföderation wohl selber unter Angriffen, da ihre Streitkräfte erheblich dezimiert wurden.“
McGill sagte bissig: „Dann war es ja zweifellos der richtige Zeitpunkt für Cockroach, einen großen Teil seiner noch verbliebenen Schiffe an die Grenze zur Republik zu verlegen.“
Ross ließ sich durch die Unterbrechung nicht aus der Ruhe bringen: „Durch die politisch instabile Situation in der Konföderation, aber auch Teilen des imperialen Raums, ist zudem der illegale Zufluss von Waffen und Ausrüstung angestiegen. Und an Mannschaften und Schiffen – überwiegend Deserteuren.“
„Ja, Piraterie passt zu unseren ehemaligen ‚Freunden‘ von der Konföderation. Ziele angreifen, die sich nicht wehren können. Und den Schwanz einkneifen und davonrennen, wenn sie auf ECHTEN Widerstand stoßen! Zusammenarbeit mit diesem Gesindel hat ja beinahe Tradition...“
Es fiel mir etwas schwer, bei Liljas üblichem Gebelle nicht aufzufahren und ihr verbal in die Parade zu fahren. Und es ärgerte mich, dass Stafford alle Verdienste der ColNavy kommentarlos in den Staub reden ließ. Stattdessen sagte er: „Ungeachtet Ihrer strategisch-psychologischen Expertise würde ich es vorziehen, wenn Commander Ross endlich zum Kern seines Anliegens kommen könnte.“
„Selbstverständlich behalten sowohl wir als auch das Konkordat die verschiedenen Gruppen im Auge. Unsere Geheimdienstinformationen legen nahe, dass das Hellas-System von einer Piratenbande als Versteck genutzt wird – offenbar haben sie sich auf der KASTOR-Station festgesetzt.“
„Ich dachte, die wurde bei der Räumung gesprengt?“, mischte sich Kali ein.
„Das wäre das Standardprocedere gewesen und wurde auch so gemeldet. Aber die Station wurde zivil betrieben. Ob durch bloße Inkompetenz oder in der Hoffnung, die Anlage später zu reaktivieren, offenbar verlief die… Stilllegung nachlässig. Jedenfalls scheinen genügend Anlagen und Elektronik übrig geblieben zu sein, damit die Station für die Piratenbande, die sich übrigens ‚Black Flag‘ nennt, eine attraktive Basis abgab.“
„Diese Typen sind ja so was von einfallsreich bei ihren Namen!“, witzelte Kali.
„Abgesehen von den naheliegenden Gründen hängt die Namensgebung vermutlich damit zusammen, dass etliche Mitglieder der ‚Black Flag‘ früher zur Bande des ‚Black Buccaneers‘ gehörten, sich aber vor dessen – angenommener – Vernichtung selbstständig gemacht haben.“
„Na dann haben wir ja einen Experten an Bord!“, ätzte Lilja. Weider musste ich mit mir kämpfen, denn ich verdankte Donovan mein Leben und fand die Despektierlichkeit nicht nett, Lilja hin, Lilja her. „Moment mal. War DAS der Grund, dass Joystick bei unserer letzten Übung Staffelübung durch Abwesenheit geglänzt hat? Haben Sie Angst, dass er Heimweh bekommt?“, fügte sie an, was Ross tatsächlich kurz im Ansatz schmunzeln ließ. Ich machte mir eine geistige Notiz Hinter Ross' Namen.
„Ich wundere mich, dass der NIC nicht schon wieder jemanden auf bloßen Verdacht hin verhaften lassen will. Sie haben wirklich so eine Art, sich beliebt zu machen“, fügte Lilja an. Sie spielte damit auf unsere gemeinsame Mission an, ohne auch nur eine Sekunde daran zu denken, dass diese Erwähnung ausgerechnet jetzt eher schädlich als hilfreich für sie war. Der Flottengeheimdienst hatte nicht gerade geglänzt, und seine Sesselhelden waren extrem nachtragend und hatten gute Gedächtnisse. Dementsprechend ätzte Ross: „Das kommt jetzt ausgerechnet von Ihnen, Lilja.“
„Könntet Ihr beide das Balzen einstellen und wieder zur Sache kommen?“, schaltete sich Kali ein, was ihr ein beifälliges Nicken und Grinsen von Stafford einbrachte. Ich konnte nicht anders, beim Wort „balzen“ einen bösen Blick an sie zu richten, denn beim Gedanken, Lilja könnte sich jetzt plötzlich romantisch für Männer interessieren, war mir ein Stich durchs Herz gegangen. Dankenswerterweise sahen das die Russin und der Schlapphut ähnlich, wenn man ihre Blicke deutete.
Lilja verfolgte das jedoch nicht weiter und fragte: „Von wie vielen Piraten reden wir?“
„Geschätzt etwa 200 auf zwei armierten Albatros-Frachtern – der RAGE und der FURY. Und dem zum Kanonenträger umgerüsteten Merkur-Transporter LIGTHNING. Die Albatrosse sind für den Jägertransport modifiziert. Alle Schiffe verfügen über zusätzliche Geschütze und Raketenwerfer, verstärkte Panzerung und Schilde, bleiben in ihrer Gefechtsstärke aber unter der von militärisch umgerüsteten Transportern. Wir gehen, davon aus, dass die Piraten über ein halbes Dutzend Angriffsshuttles sowie knapp zwanzig Kampfflieger verfügen – überwiegend Mustang-Jäger und Intruder-Jagdbomber, aber möglicherweise auch ältere Phantome und Griphen.“
„Intruders? Sie wollen uns jetzt aber nicht erzählen, dass diese Halsabschneider auch über nukleare Schiff-Schiff-Raketen verfügen?“
„So viel wir wissen, sind die Intruders überwiegend mit ungelenkten Salvenwerfern ähnlich unserem Hydra-System armiert. Dazu kommen die Anti-Jäger-Raketen der vorletzten Generation, aber keine schwereren Kaliber oder Langstreckenraketen“, sagte Ross in beruhigendem Ton.
Hydras in der Hand von Piraten. Manchmal war die Gute etwas sehr paranoid. Ich meine, nicht mal die Confederation hatte ihre Hand auf Hydras legen können, und die hatten mehr als ein paar Piraten, bestochene Beamte und mehr Glück als Verstand.
„Der Merkur-Frachter ist offenbar mit zwei Schiffslaserbatterien armiert, was ihm eine enorme Feuerkraft und Schlagreichweite verleiht.“
„Wie sind denn PIRATEN…“, begann Lilja, stockte aber sofort wieder. „Vermutlich Bergungsgut. Aber ist eigentlich auch egal. Eine Fregatte kann diese Blecheimer problemlos zur Hölle schicken.“
„Allerdings werden wir keine Fregatte schicken“, schaltete sich Stafford ein. „Wir gehen davon aus, dass die Piraten erst einmal toter Mann spielen werden, wenn wir in das System springen. In der Hoffnung, dass wir sie nicht bemerken. Aber wenn wir Großkampfschiffe detachieren, werden sie versuchen sich aufzuteilen und abzusetzen, was ihnen VIELLEICHT auch gelingen könnte, wenn wir nicht einen aufwendigen Langstreckeneinsatz fliegen.
Außerdem ist KASTOR offenbar in den Asteroidengürtel gedriftet – falls die Piraten die Station nicht absichtlich dorthin geschleppt haben. Das und die Tatsache, dass die Piraten möglicherweise im Stationsreaktor spaltbares Material für einige primitive Atomminen oder sogar ein paar selbstgebaute Nuklear-Raketen gefunden haben, macht den Einsatz eines Kriegsschiffes zu einem unnötigen Risiko.“
Trisha sagte mit fester Stimme: „Deshalb sollen wir das Rattennest ausheben. Und ich nehme mal an, Schwadron Bronze soll den Job übernehmen.“
„Sie haben zumindest teilweise Recht“, sagte Decker.
Kano sagte: „Sie wollen, dass wir die Arrows testen. Die Grüne und die Rote Schwadron sichern uns ab. Und die Bomber stehen bereit, falls wir es nicht schaffen.“
Decker sparte sich die Antwort, aber sein Blick sagte genug.
„Genauer gesagt schicken wir nur eine Sektion von Staffel Bronze aus. Das reicht allemal, selbst wenn die Arrows versagen.“
„Was sie nicht tun werden.“ Natürlich. Decker war von seinem Spielzeug überzeugt. Und ich war Stafford dankbar für seinen Befehl, denn ich lernte hier tatsächlich gerade was.
„Ist das nicht immer noch ein bisschen Overkill? Wir schicken gut vierzig Kampfflieger los und verschwenden unsere neue Wunderwaffe auf ein paar Halsabschneider?“, klagte Lilja mit Spott in der Stimme. Das konnte sie gut, verdammt gut sogar.
Ross erwiderte: „Ich sehe das als eine gute Gelegenheit, noch einmal die Zusammenarbeit mehrere Staffeln auszutesten. Staffel Gelb und Blau übernehmen den Schutz der COLUMBIA. Und da Gold, Silber und der größte Teil von Bronze zurückbleiben, haben wir auch noch genug Schlagkraft in Reserve.“
Aber Lilja ließ nicht locker. „Warum fliegen wir nicht gleich einen Alphaschlag? Die Gelben sind gerade erst neu aufgestellt worden. Und auch die Blauen können etwas mehr Übung gebrauchen.“
Oho, das war ein interessantes Argument. Weil sie Recht hatte und weil ich solch einen Einsatz für meine Blauen für eine gute Idee hielt.
„Prinzipiell haben Sie Recht, aber ich will die COLUMBIA nicht völlig entblößen. Außerdem hoffen wir, dass einen Einsatz dieser Größe zumindest für den größten Teil des Anflugs immer noch den Eindruck erwecken können, dass das nur ein Übungsflug ist. Je mehr wir losschicken, desto unwahrscheinlicher ist, dass die Piraten uns das abkaufen. Andererseits will ich aber, dass wir genug Feuerkraft haben, um den Gegner mit Leichtigkeit zu vernichten. Ein Zahlenverhältnis von Eins zu Zwei sollte das sicherstellen. An diesem Ziel können wir die Arrows unter realen Gefechtsbedingungen testen – aber in einer Situation und Umfeld, die wir weitestgehend kontrollieren. Kein Risiko, dass die Sensordaten des ersten Testes in imperiale Hände geraten oder Gegner entkommen. Sie haben Recht, unsere Ziele sind Abschaum.“
„Und deswegen können wir sie wegsperren, bis sie schwarz werden“, sagte Decker in arrogantem Ton. „Kriegsgefangene werden gemäß geltenden Konventionen behandelt, haben Kontakt zu anderen POWs – und werden eines Tages vielleicht sogar ausgetauscht oder können Nachrichten nach Hause schicken. Piraten – Mörder, Vergewaltiger, Menschen-, Waffen- und Drogenhändler – können wir in Isolationshaft halten, bis sie verfaulen. Keiner interessiert sich für sie. Wir könnten Sie durch die nächste Luftschleuse schieben und es würde kein Hahn nach ihnen krähen.“
Das stimmte natürlich nicht, und ich nahm mir fest vor, dem arroganten Arsch bei nächstbester Gelegenheit etwas über Rechtsstaatlichkeit beizubringen. Notfalls auf die harte Tour.
„Charmant und eloquent wie immer, Commander.“ Kalis Stimme klang genau so, wie ich mich gerade fühlte. Sehr verärgert.
„Nehmen wir Marines-Shuttles mit? Immerhin KÖNNTE es sein, dass die Piraten kapitulieren. Oder es Überlebende in Rettungskapseln gibt“, sagte Lilja zu meiner Verwunderung. Bis ich mich daran erinnerte, dass sie zwar jederzeit dazu in der Lage gewesen wäre, einen Akarii roh zu fressen und jeden Colonial, der nicht bei uns als Söldner diente, mit ihrem Stiefelmesser zu tranchieren, aber dass sie all dies ertrug, um die normalen Menschen so gut es ging zu schützen. Ja, sie hatte auch eine liebenswerte Seite, meine Lilja, und sie hatte verdammt noch mal Recht.
„Vier Sturmshuttles werden vorbereitet“, sagte Stafford. „Aber sie werden erst später starten. Wir wollen nicht, dass die Piraten misstrauisch werden oder unser Vormarsch verlangsamt wird.“
Decker sah zu McGill herüber. „Wollen Sie eigentlich auch gleich ihr neues Bomber-Spielzeug testen, für das ich mir die Nacht um die Ohren schlagen musste? Wäre doch eine nette Überraschung für unsere Möchtegern-Blackbeards, wenn ihnen die Jäger Atombomben um die Ohren hauen, und die Bomber ein paar Dutzend Langstreckenraketen.“
„Ohne das System gründlich durchzutesten und ausgiebig ‚trocken‘ und an Übungszielen auszuprobieren? Auf keinen Fall.“ Die Frau hieß nicht nur Irons, weil sie glaubte, sie sei unsterblich. Sie beharrte auch eisern darauf, dass sie ihre Staffel führte, und niemand sonst. Schade. Sie hätte auch einen guten CAG abgegeben. „Trotzdem schön zu hören, dass Sie meiner Erfindung vertrauen. Auch wenn es nicht Ihr Leben wäre, das auf dem Spiel stände.“
Decker erwiderte: „Ihrer…Bastelei würde ich unbesehen nicht mal einen Test-Dummie anvertrauen. Aber ich habe es mir erlaubt, Mechanik und Software zu optimieren. Und ich und mein Team machen keine Fehler.“
Der CAG hustete demonstrativ. „Nichts desto trotz, heben wir uns DIESE Premiere doch lieber für eine etwas weniger riskante Gelegenheit auf. Es ist schon spannend genug, EINE neue Erfindung zu testen.“
„Wie viele Jäger sollen mit Arrows bestückt werden?“, fragte Kano.
„Die Anzahl der potentiellen Ziele ist begrenzt. Außerdem möchte ich nicht alle Eier in einen Korb legen. Bestücken Sie eine Sektion mit Arrows, den Rest mit konventionellen Raketen. Die Auswahl der Piloten…“
„Liegt bei mir, Commander Decker“, antwortete Kano ruhig aber bestimmt: „Ich kenne meine Untergebenen besser, als jede Statistik oder Bewertung es wiedergeben kann.“
Decker zuckte mit den Schultern: „Es ist Ihre Verantwortung. Ich verlange aber, dass mir Ihre Entscheidung vorgelegt wird.“ Das war ein Einknicken, das ich so nicht erwartet hatte.
„Ich…“
„Es sind MEINE Waffen. Stafford, machen Sie ihrem Untergebenen klar, dass Sie es sich nicht mit dem Waffenerprobungsamt der Flotte verscherzen wollen.“
Stafford räusperte sich deutlich. „Hören Sie, Decker…“
„Wir liefen Ihnen die Waffen, mit denen Sie siegen. Und es ist MEINE Verantwortung, dass diese Waffen effektiv getestet werden. Und wir nicht eine ganze Erprobungsserie wiederholen müssen, weil einer Ihrer Leute Mist gebaut hat. Wollen Sie die Arrows haben? Jederzeit – aber dann habe ich da mitzureden.“
Stafford sah kurz, nur ganz kurz in meine Richtung, dann zuckte er die Achseln. „Wenn es Sie glücklich macht, kriegen Sie die Namensliste von Nakakura vorgelegt. Aber dann will ich auch eine verdammt gute Begründung haben, falls Sie jemanden ablehnen.“
„Ich werde eine gegebenenfalls nötige Begründung so halten, dass sie auch von…Fachfremden verstanden wird.“ Haken Nummer zwei hinter seinem Namen. Wirklich, ich musste mich mal dringend mit ihm unterhalten. Was Arroganz anging, war er allerdings eindeutig zweite Wahl, wenn man Lilja kannte.
„Kein Wunder, dass Sie nicht häufig auf Partys eingeladen werden“, spottete Irons.
Kali sagte nonchalant: „Warten wir doch erst mal, ob Sie mit Ohkas Wahl einverstanden sind, bevor Sie hier auf die Brust trommeln, Decker.“
Er schien etwas sagen zu wollen, aber der CAG warf schnell ein: „Ich gehe davon aus, dass Sie der ganzen Operation persönlich beiwohnen wollen.“
„Das ist der Sinn.“
Ein Mundwinkel zuckte bei ihm. „Und deshalb war das auch keine Frage. Wollen Sie ein Spähshuttle benutzen?“
„Zu langsam und ein zu leichtes Ziel. Ich ziehe es vor, nicht in einer Zielscheibe zu fliegen. Geben Sie mir einen Ihrer Rafales. Die sind zwar nicht optimal, aber wenn wir sie mit Sensorpods aufrüsten und die Software anpassen, sollte das gehen.“
„Sie wollen selber fliegen?“ McGill klang überrascht und nicht unbedingt erfreut.
„Wer, glauben Sie denn, testet neue Waffen, bevor wir sie dann unter Gefechtsbedingungen überprüfen lassen?“
„Ein paar Übungs- und Testflüge sind das Eine“, warf Lilja ein. „Ein Gefechtseinsatz ist etwas völlig anderes.“
„Ihre Fürsorge ist wirklich rührend“, spottete Decker. Anscheinend verstand er nicht, dass ihre Sorge dem Material und seiner wahrscheinlichen Verschwendung galt, nicht ihm.
„Da machen Sie sich mal keine falschen Hoffnungen, Decker. Ich will nur nicht, dass wir permanent auf Sie aufpassen müssen. Oder schlimmer noch, dass Sie uns im falschen Augenblick vor die Rohre fliegen. Wir können keinen Blue-on-Blue gebrauchen. Stimmen Sie mir zu, Commander Stafford?“
Kali lachte auf, und enthob den CAG damit einer sofortigen Antwort. Es gab ein paar Blicke zwischen den Teilnehmern, bevor Decker pikiert sagte: „Ich weiß nicht, worum es geht, aber ich bin sicher, dass es unheimlich witzig ist. Aber um auf Lieutenant Commander Pawlitschenkos Frage zurückzukommen…Ich habe bereits Copiloteinsätze unter Gefechtsbedingungen absolviert. Auf Pandora. Es ging um den Test von Gefechtselektronik und Aufklärungssensoren. Und JA, dabei geriet ich auch unter Feindbeschuss.“
Irons sah aus, als wolle sie aufspringen. „Man hat einen COMMANDER der Waffenabteilung in Guerillaterritorium geschickt?“
„Ich bin nicht als Commander geboren worden. Damals war ich Lieutenant. Ich hoffe, das reicht als Qualifikation.“
Ich sah die steile Falte auf Ohkas Stirn, und beinahe glaubte ich zu hören, was er dachte. Wahrscheinlich das Gleiche wie ich. Decker war ein blöder Arsch.
Stafford fragte: „Selber sind Sie aber noch keine Kampfeinsätze geflogen?"
"Ich sagte doch..."
"Dann tut es mir leid. Sie können gerne in einer Rafale mitfliegen, aber sie übernehmen nicht das Steuer. So können Sie sich auf ihre Messungen konzentrieren und müssen nicht gleichzeitig auch noch darauf achten, am Leben zu bleiben."
"Hören Sie..."
"Nein, was das angeht hören SIE auf MICH. Sie sind zu wertvoll um zu riskieren, dass irgendein Weltraumgangster Sie aus dem All pustet, weil Sie gerade abgelenkt sind. Das ist mein letztes Wort."
"Darf ich Sie daran erinnern, COMMANDER, dass mein Dienstrang und mein Auftrag..."
"Und darf ich Sie daran erinnern, dass es immer noch MEIN Geschwader ist? Die Planung des Einsatzes liegt immer noch bei mir. Ebenso wie die Verantwortung für meine Piloten und die Sicherheit aller Beteiligten, Sie eingeschlossen. Wenn es Sie glücklich macht, können Sie Ihren Protest vermerken lassen."
Decker plusterte sich auf. "Da Sie schon mit den Verantwortlichkeiten kommen, darf ich Sie daran erinnern, dass ich den Einsatz der Arrows auch aussetzen könnte?"
Stafford ließ sich nicht beeindrucken. "Kommen Sie, Decker! Wir wissen beide, dass Sie ihre Wunderwaffen unbedingt testen wollen. Und eine solche Gelegenheit finden wir nicht noch einmal bevor wir den Peshten-Raum erreichen. Wollen Sie diese Chance verstreichen lassen?"
Decker schwieg einen Moment lang und sagte dann widerwillig: "Also gut. Aber ich kann nur hoffen, dass Ihr Pilot auch wirklich etwas drauf hat, denn ich will den Lenkwaffeneinsatz aus nächster Nähe beobachten."
"Meine Leute sind Profis", antwortete McGill knapp: "Sie sagen, wohin sie wollen, und wir bringen sie sicher hin. Und auch wieder zurück."
Stafford nickte kurz: "Da das nun geklärt ist kommen wir zu den taktischen Details des Einsatzes…“ Dabei warf er wie zufällig einen Blick in meine Richtung. Und er grinste.
***
„Melde mich wie befohlen, Boss.“
Stafford sah mich an und grinste erneut. „Fragen?“
„Ja, Sir. Warum ich?“
„Sie kennen Decker. Denken Sie, es wäre eine gute Idee, ihm einen von Irons' Piloten zum Fraß vorzuwerfen? Ich will hier kein menschliches Wrack erschaffen. Aber das ist nur einer der Gründe.“
„Zum Beispiel?“
„Nun, ich habe mir sagen lassen, dass Sie Chip den Arsch pudern, seit Sie nach der Schlacht am Wurmloch so unverhofft wieder aufgetaucht sind. Und das, obwohl Sie da noch die Verantwortung für die Roten hatten. Ich denke, jetzt ist eine gute Zeit, um ihm ein wenig Leine zu geben, Ace.“
„Okay, das sehe ich ein. Was noch?“
„Decker wird es versuchen, aber er kann Sie nicht fressen. Nicht Sie. Sie sind der Kerl, der eine Atomexplosion überlebt hat, der Kerl, der aus der Kriegsgefangenschaft entkommen ist, der, der sich wieder in den aktiven Dienst gekämpft hat. Ich bin mir sicher, wenn er vor dem Gespenst auch keine Angst hat, so wird er aber doch Respekt vor Ihnen haben, Ace. Und letztendlich sind Sie jetzt Lieutenant Commander und Staffelchef. Er muss Sie respektieren, ob er will oder nicht. Das heißt, er wird nicht ZU weit gehen.“
„Na, danke. Also spiele ich das Taxi für Decker bei der Aktion. Na, es gibt Schlimmeres.“
„Schön, dass Sie es so leicht aufnehmen, Commander. Der wichtigste Grund aber ist der hier.“ Er drehte sein Computerterminal und zeigte es mir. Darauf stand meine Flugbilanz. „Bei Ihrem Neutraining haben Sie auf der Rafale zweihundert Flugstunden geschoben, davon die Hälfte nicht im Sim. Wollten Sie so dringend wieder in den Kampf?“
Ich grinste matt. „Ich wollte vor allem zurück zu den Angels. Und ich dachte mir, dass ich größere Chancen haben werde, wenn ich auf der Griphen und der Rafale ein paar Flugstunden vorzuweisen habe. Auf die Crusader hat man mich nicht gelassen. Nicht, dass ich dafür auch noch Zeit gehabt hätte.“
„Sehen Sie“, sagte er in einem genüsslichen Ton. „Ihre Erfahrung zahlt sich jetzt aus – für mich.“
„Gern geschehen, Sir. Das war es?“
„Sie haben alles gehört, was Sie hören sollten. Sorgen Sie dafür, dass Sie dem Scheingefecht fern bleiben, halten Sie Decker aber in einer guten Beobachtungsposition. Und falls sich jemand für Sie interessiert, ducken Sie sich hinter einem verbündeten Flieger oder, falls es schlimm kommt, gehen Sie stiften. Ich sage das nicht gerne, aber im Moment ist der Commander so wichtig wie ein Staffelführer. Okay?“
„Habe verstanden, Boss. Ach, und...“ „Ja?“ „Danke, dass Sie nicht versucht haben, mich mit meiner Staffel zu erpressen, Boss.“
„Hätte es denn etwas gebracht?“, fragte er ironisch. „Sagen Sie Chip Bescheid, und dann gehen Sie zu Decker und sagen ihm, Sie sind sein Pilot.“ In seinen Augen blitzte der Schalk. „Würde mich freuen, wenn er sich bei mir darüber beschwert, ausgerechnet von einem mehrfachen Ass chauffiert zu werden.“
„Verstehe, Sir.“ Ich erlaubte mir nun auch ein kleines Grinsen. Wirklich, es hatte sich gelohnt, herzukommen. Wieder mal Rafale fliegen war ein nettes Extra.
***
Während rund um uns die Hektik des bevorstehenden Einsatzes herrschte, checkte ich die Rafale, die ich von Irons nur bekommen hatte, nachdem ich ihr einen unverkratzten Lack versprochen hatte. Wegen Decker musste ich ihr übrigens nichts versprechen. Beim Check redete mein Fahrgast vom Landedeck aus auf mich ein. Oh, er hatte sich beschwert. Bei Kapitän Ahn. Und die hatte ihm genau das gesagt, was Stafford ihm eigentlich hatte sage wollen: „Sie beschweren sich, von einem der besten Piloten, einem mehrfachen Ass, mit genug Flugerfahrung auf der Rafale geflogen zu werden? Ich bitte Sie.“ Und genau diese relativ nüchternen Worte der schlanken Asiatin zum Schluss hatten ihm den Rest gegeben. Und nun ließ er es an mir aus. Ich bin sicher, hätte ich nicht ab und an geantwortet und hier und da ein Danke oder Ja, Sir von mir gegeben, hätte ihn schon der Schlaganfall ereilt. Eigentlich war er ein amüsanter Bursche, wenn man ihn nicht allzu ernst nehmen musste. Aber ich hütete mich, ihm das zu sagen.
Mein Blick ging wie zufällig zu Lilja, genau in dem Moment, als sie, von Teilen ihrer Staffel umringt, zu mir herüber sah. Ausnahmsweise war da nicht Wut oder Ärger – auf mich – in ihrem Blick. Eher Irritation. Gut, sie wusste ja auch nicht, dass ich auf der Rafale qualifiziert war. Irgendwie berührte mich das auf einer Ebene, die... Seit ich in den Kreis jener Menschen erhoben worden war, der sie nicht sofort ihr Stiefelmesser in den Hals jagen wollte, sobald ich sie nervte, machte sie sich jetzt tatsächlich Sorgen um mich? Ich war nicht sicher, ob mir das gefiel, meine Gefühle für sie hin oder her.
„...sie eingesetzt wird, will ich das sehen. Von einem Logenplatz aus, Ace, haben Sie verstanden?“, sagte Decker.
„Ich habe strikte Anweisungen vom CAG, diesbezüglich“, sagte ich, in seine Richtung blickend. Zeit, es ein wenig aufzubauschen. „Ich gebe Ihnen Ihren Logenplatz. So lange und so gut ich es kann, Commander. Aber sollten wir auch nur ansatzweise drohen, in Ärger zu geraten, gehen wir stiften.“
„Sie haben doch nicht etwa Angst vor ein paar Piraten in altertümlichen Maschinen, Ace?“, spottete er.
„Nein, Sir, natürlich nicht.“ Ich verschwieg wohlweislich, dass ich ihm als RIO auf der Rafale nicht viel zutraute und wir naturgemäß auch nicht aufeinander eingespielt waren. Meinen Vorschlag, eine Stunde Simulatorzeit zu nehmen hatte er als Kritik an seinen Fähigkeiten missverstanden.
„Also?“, fragte er bissig.
„Aber der CAG sagt, Sie sind derzeit das Wertvollste, was wir in dieser Schlacht verlieren können, und deshalb hat Ihr Schutz oberste Priorität, Sir.“
Für einen Moment war er sprachlos. Dann aber setzte sich zornige Röte auf sein Gesicht. „NATÜRLICH ist er das! Da hat Stafford ja verdammt noch mal Recht. Und trotzdem bringen Sie mich auf meinen Logenplatz, Lieutenant Commander Davis!“
„Jawohl, Sir.“ Ich musterte sein zufriedenes Gesicht. „Im Rahmen meiner Befehle.“ Ich beließ es dabei, aber Decker schien durchaus in der Lage zu sein, darüber noch länger zu diskutieren. Zu meiner Überraschung ließ er es. „Machen wir die Mühle bereit.“ Er kletterte auf den RIO-Platz und begann seinen Teil des Checkup. Immerhin.

Kurz ging mein Blick zu den Roten rüber. Wehmütige Gedanken kamen in mir hoch. Aber ich wusste, dass Kali Frau genug war, um die Bande im Griff und am Leben zu halten. Dann sah ich zu Ohka herüber, der stoischer als sonst wirkte. Sein Part schien ihm nicht so recht zu schmecken, zumindest wirkte er so auf mich. Oder es war etwas passiert, was anderweitig an ihm nagte. Das musste dann aber gewaltig sein, wenn er es während des Dienstes so offen zeigte. Nagte es immer noch an ihm, dass er einen Ruf von Irons mit Kalis Kommunikator beantwortet hatte? Die Geschichte war natürlich schon einmal durch im Träger. Ihre Beziehung war allerdings auch kein wirkliches Geheimnis. Kurz sah er zu mir herüber, suchte aber keinen Augenkontakt. Stattdessen scheuchte er seine Leute zu den Maschinen. Dann erst sah er zu mir herüber und nickte. Ich nickte zurück. Dann schaute ich zu den Marines-Shuttles herüber, die sich bereit machten, nach Beginn der Party auszuschleusen und die Station zu entern. Ich war irgendwie froh, dass Jean nicht unter ihnen war. Ach ja, Jean. Und Donovan. Noch so eine Baustelle.
Mein letzter Blick ging zu meiner eigenen Staffel. Chip beendete gerade sein Briefing, sah mich herüberschauen und zeigte mir einen gehobenen Daumen. „Na, dann zeig mal was du kannst“, murmelte ich mehr zu mir selbst.
„Und ob ich das werde“, brummte Decker hinter mir.
Ich rollte die Augen. Was für ein Egozentriker.
***
Nach unserem Täuschungsmanöver, das unsere Einheiten „überraschend“ in die Nähe der „aufgegebenen“ Station bringen sollte, waren wir tatsächlich auf Kurs und in Schlagweite.
Ich musste zugeben, dass ich, obwohl zum Beobachten verurteilt, ein wenig Jagdfieber verspürte, denn für mich als Händlersohn waren handelsübliche Piraten das Schlimmste, was ich mir vorstellen konnte. Wenn man wie ich Spacer war, dann hatte man wenig für die übliche Piratenromantik der Planetengebundenen übrig. Man bekam einfach viel zu viel mit. Man hörte und sah von viel zu vielen Verbrechen. Und auch wenn die Gerüchteküche übertrieb und aufbauschte, das was man hörte ließ „Das blaue Band“ wie ein schöngefärbtes Theaterstück wirken.
„Da ist was“, murmelte Decker vom hintersten Sitz. „An der Station. Reagieren ja etwas spät.“
Ich warf einen Blick nach hinten, über den leeren Co-Pilotensitz hinweg. Natürlich wäre ein Co-Pilot mit Deckers Ego überhaupt nicht zu vereinbaren gewesen, und ich war dankbar dafür, denn der Chef hatte in einem Recht: Mich konnte er nicht so drangsalieren und fertig machen, wie er es wollte, weil ich zweieinhalb Ringe am Ärmel hatte. Eine arme Sau im Lieutenantsrang auf dem Sitz zwischen uns aber hätte wohl anschließend in psychiatrische Behandlung gemusst. „Copy“, sagte ich nach einem Blick auf die Anzeigen. „Bei der Masse müssen das die Frachter sein. Hm, es ist noch nichts im Funk. Wir sind die Ersten, die sie sehen. Meldung.“
„Copy that.“ Decker schaltete professionell die Geschwaderfrequenz auf und meldete: „Achtung, ich orte Bewegungen bei der Station.“
„Jägerstarts?“ Staffords Stimme klang angespannt. „Nein. Ein, korrigiere zwei Schiffe lösen sich von der Station. Beschleunigen“, sagte Commander Decker.
„Die Mistkerle gehen stiften!“ Natürlich war das Liljas einzige Sorge, als ihre Stimme zornig über Funk erklang
Dann klang wieder Stafforts ruhige Stimme auf: „An alle – Aktivortung aufschalten. Hat keinen Sinn mehr, jetzt noch zu tun als würden wir nichts von ihnen wissen. Meldung an COLUMBIA – Berge- und Sturmshuttles starten und mit Maximalgeschwindigkeit aufschließen. Und…Vollschub. Jetzt wird es ernst.“
„Richtig“, murmelte Decker über den internen Funk. „Gehe auf Frequenz der Butcher Bears.“
„Roger that.“ Falls etwas anlag, würde ich es also weitermelden würden. Noch gab es ja auch nicht viel zu tun. Und Decker hatte seine Arbeit zu erledigen, auch wenn es Kano nicht gefiel. Nacheinander funkte er jeden einzelnen der vier Butcher Bears an, die das neue Waffensystem trugen und ging mit ihnen seine Checkliste durch. Erstaunlicherweise schaffte er das vollkommen sachlich. Ich war verblüfft.

„Commander, ich schlage vor, dass wir jetzt meine Sektion detachieren, solange die Feinde mit dem Start beschäftigt sind.“ Das war wieder Lilja. Ihrer Natur entsprechend wollte sie dem „Feind“ an die Kehle gehen. Und das in einer Situation, in der wir nur Vermutungen über die Stärke des Gegners hatten. Allerdings waren ihr Falcons am Besten dazu geeignet, um sich aus jedwelcherr Falle wieder hervor zu winden. Es gab wohl in diesem Sonnensystem nichts Schnelleres.
„Und Sie glauben wirklich, diese Halsabschneider heben brav die Hände, wenn vier leichte Jäger aus der Deckung kommen! Finden Sie nicht, dass Sie ihre Chancen etwas zu skeptisch bewerten?“, höhnte Decker: „Wir verschwenden nur Zeit!“
Okay, soviel zu seiner sachlichen Seite.
Staffort machte dem ein Ende. „Machen Sie es wie besprochen, Lilja. In zwei Minuten umformieren zu Angriffsformation, das sollte den Gegner hoffentlich etwas ablenken.“

Die Daten wurden besser. Weder die Station noch die beiden Frachter, die wir im Besitz der Piraten vermuteten, starteten ELOKA. Je näher wir kamen, desto genauer wurden die optischen Informationen. „Es sind die beiden Schiffe“, sagte Decker. „Moment. Negativ.“
„Was ist?“, fragte ich und lud mir die Ortungsdaten auf mein Display. „Das sind ein Albatros und ein Merkur, wie es scheint.“
„Das ist nicht das, was wir erwartet haben. Melde es weiter.“
„Roger.“
Decker ging auf die Geschwaderfrequenz: „Bestätige zwei Schiffe – Klasse Albatros und Merkur.“
Daraufhin klang der liebliche Sopran von Huntress Nummer zwo auf, die wie immer ihre eigene Meinung für unverzichtbar hielt: „Entweder der Geheimdienst hat Mist gebaut, oder einer dieser Seelenverkäufer ist gerade auf Kaperfahrt. Hoffentlich werden wir unsere Überraschungseier auch alle los.“
Ich machte mir ja mehr Sorgen um mögliche Gefangene als um das Arrow-System. Wenn es gut war, würde es sich durchsetzen. So einfach war das.
La Reine lachte spöttisch: „Irgendein Piratencaptain kann den heutigen Tag künftig als zweiten Geburtstag feiern.“
„Und darüber freut sie sich auch noch“, sagte Decker. „Pilotinnen.“
Ich grinste bei mir. Ich fand ihren Sarkasmus auch fehl am Platz. „Weitere Bewegungen.“
„Was meinen Sie, Ace?“
„An der Station. Etwas startet.“
„Tatsächlich. Ich habe die Anzeige gerade aufgeschaltet. Mache Meldung.“
„Roger.“
„Zähle 16 bis 18 Jäger und etwa ein halbes Dutzend Shuttles. Das…“
„Das dürfte eigentlich nicht sein“, schaltete sich McGill: „So viele Einheiten kann ein Albatros gar nicht tragen.“
Decker verzog die Miene, als er unterbrochen wurde, aber er beherrschte sich.
„Vermutlich Reserveeinheiten von der Station“, warf Stuntman ein.
„Vielen Dank für die Insiderinformationen, Joystick!“, schnappte Lilja.
Ich unterdrückte das Verlangen, Donovan verbal beizustehen, denn der Job ging jetzt in die heiße Phase, und ein Streit mit Lilja über Funk würde nicht hilfreich sein. Allerdings schlug auch Donovan nicht zurück, trotz ihrer Piratenanspielung. Nanu, wuchs mein alter Freund etwa doch noch? Das war erfreulich.
„Da wir schon bei Merkwürdigkeiten sind…“, meldete sich wieder Decker zu Wort: „…laut Analysemustern des Schrotteimers, in den sie mich gesteckt haben, handelt es sich um ein knappes Dutzend Mustangs und eine Sektion Intruder. Die übrigen…bei denen melden die Sensoren etwas verwirrende Daten“, sagte Decker und setzte seine unterbrochene Meldung fort. Er zeigte jetzt sogar Professionalität.
„Können Sie nicht klarer sein?“, kam es von McGill.
„Ich schlage vor, Sie fliegen hin und schauen selber nach“, gab er zurück. Guter Konter.
„Genug!“, schnitt Staffords Stimme dazwischen „Da tut sich etwas. Die Shuttles…“
„Beschleunigen auf Maximalgeschwindigkeit und setzen sich ab“, vervollständigte Stuntman.
Sugar sagte: „Wenn sie sich vom Hauptpulk trennen, machen Sie sich zu leichten Zielen.“
Ja, schon, aber wenn sie sich aufteilten, mussten wir das auch tun. Ich verzichtete darauf, das laut zu sagen.
Decker fasste das ähnlich zusammen. „Aber Sie haben eine Chance, zu entkommen. Zumindest wenn wir uns auf die Frachter konzentrieren, die ja tatsächlich unser Hauptziel sind. Shuttles können springen. Jäger nicht. Sie können nur darauf hoffen, von den größeren Schiffen aufgesammelt zu werden, falls sie uns zurückschlagen.“
„Nicht in diesem Leben. Und so viel zur Ganovenehre!“
„Neue Befehle für Sie, Lilja.“ Staffords Stimme behielt immer noch diesen eigentümlich beiläufigen Tonfall: „Detachieren Sie eine zusätzlich eine Sektion, um die Shuttle zu verfolgen. Das verschleiert außerdem zusätzlich Ihren kleinen Horizontschleicher.“
„Verstanden…“, Lilja zögerte kurz: „Darf ich Sie aber darauf hinweisen, dass Sie dann nur noch vier Abfangjäger haben? Vielleicht wäre eine Rotte ausreichend, um die Shuttles zu jagen.“
„Wir haben immer noch alle Maschinen der Roten Staffel und acht Jäger der Butcher Bears, die keine Arrows tragen. Und wir haben Langstreckenraketen. Das wird reichen. Ausführung des Manövers in dreißig Sekunden“, sagte Stafford. Erstaunlicherweise ließ er sich dazu herab, Lilja seine Strategie zu erklären. Nett.

Kano räusperte sich: „Sir, wir könnten den Feindverband wesentlich schneller erreichen, wenn wir die Bomber zurücklassen.“
Irons schnaubte kurz: „Sie scheinen sich Ihrer selbst ja sehr sicher zu sein.“
„Es ist nicht das erste Mal, dass es alleine auf die Butcher Bears ankommt“, sagte er voller Selbstvertrauen. Zu Recht, wie ich fand.
„Und haben Sie vergessen, dass dieser Einsatz der ERPROBUNG der Arrows dient?“, meldete sich Decker zu Wort: „Ich kann wohl kaum den Einsatz analysieren, wenn meine Rafale zusammen mit diesen fliegenden Scheunentoren irgendwo in der Etappe herumkriecht.“
Womit er einen Punkt getroffen hatte. Aber zugegeben, wir hatten immer noch die besten Sensoren im Einsatz.
„Wir könnten unsere Sensoraufzeichnungen an Sie weiterleiten…“, bot Kano an. Das brachte mich kurz zum Prusten.
„Nein! Hören Sie, Weltraumjockey…“
„Beruhigen Sie sich, Decker.“ Staffords Stimme klang milde amüsiert: „Wir lassen Sie nicht zurück. Und die feindlichen Transporter erreichen wir auch so rechtzeitig. Außerdem, wenn wir zu schnell fliegen, klappt das Timing mit der grünen Sektion nicht, die den Piraten in die Flanke fallen soll.“
„Verstanden.“ Vorschlag abgeschmettert. Das steckte Kano gut weg, fand ich. Hinter mir atmete Decker erleichtert auf. Erstaunlich, dass er zu so einer Gemütsregung fähig war. Vielleicht sollte ich mal ein Bier mit ihm trinken und schauen, ob hinter der Arroganz und Überheblichkeit ein Offizier steckte, der in seiner Arbeit zu oft behindert wurde und dieses Verhalten als Schutzschild benutzte. Vielleicht.
„Gut. Neue Formation in dreißig…“

Während des Anflugs veränderten die Angry Angels die Formation, begannen sich nach Aufgaben aufzuteilen. Unsere Sensoren lieferten zuverlässig die Daten. Wirklich, die Frachter und die Shuttles streuten. Das würde... Interessant werden. Und ich war auf einen Logenplatz verbannt. Ach ja. Dieser Gedanke kühlte mein Jagdfieber wieder etwas ab. Ich musste darauf aufpassen, dass Decker wieder auf die COLUMBIA kam. Lebendig.
“Langsam sollten Sie begreifen, dass Sie nicht entkommen können und sich ergeben“, sagte Stuntman.
„Würdest du das im gleichen Fall tun, Joystick? Nein, bitte antworte nicht. Ich kenne die Antwort“, fühlte sich Huntress genötigt zu antworten.
Da platzte selbst dem neuen Donovan der Kragen. „Hör mal, du High Society-Göre, dass…“
„Schluss, alle beide!“, schaltete sich Kano ein, hart, laut und autoritär. Interessanterweise nützte es etwas. Beide hielten die Klappe.
„Danke“, Staffords Stimme klang leicht amüsiert. „Ich habe ja schon viele Übungen der Angry Angels mitgeflogen, aber dass auch im Einsatz…“
„Unser berühmter Esprit du Corps, Sir“, warf Huntress ein.
Als wenn Huntress mit unserem Esprit de Corps irgendetwas zu tun hatte. Noch nicht, Mädchen, noch nicht.
„Etwas Neues über die Maschinen mit dem merkwürdigen Flugverhalten?“
Decker meldete prompt: „Bisher nicht.Wir sind nicht die einzigen, die Staub fahren. Und in diesem verdammten Asteroidenfeld kriege ich keine klare Erfassung. Die Kennungen passen zu alten Mustangs, aber ich will verdammt sein…“

„Wie es aussieht haben sie erkannt, dass sie uns nicht davonfliegen können.“ In Irons Stimme schwang eine grimmige Befriedigung mit, als sich die Piraten neu formierten. „Das sieht nach einer Abwehrformation aus. Mit den Frachtern im Zentrum.“
„Wenn sie kämpfen wollen, können sie das haben. Huntress, La Reine, Phoenix und Bunny – zurückfallen. Nachdem der Weg frei ist, geht ihr ran. Jeweils zwei pro Ziel.
Huntress und La Reine, ihr greift den Albatros an. Phoenix und Bunny – den Merkur.“
„Hey, wir kriegen den Größten!“
„Ich dachte, es kommt nicht auf die Größe an.“
„Ja, das höre ich auch immer wieder…“
„Bevor sie sich gegenseitig zu der…Größe ihres künftigen Abschusses gratulieren, bieten wir unseren Freunden doch noch eine Option“, sagte der Alte, bevor er auf dem offenen Kanal zu hören war. „Achtung, nicht identifizierte Schiffe, hier ist Commander Stafford vom 127. Fighter Wing des TSN-Trägers COLUMBIA. Sie befinden sich in republikanischem Raum, haben sich durch die Besetzung einer Raumstation unerlaubt fremdes Eigentum angeeignet und verfügen zudem unseren Sensoren zufolge über offensichtlich illegal beschaffte Militärtechnologie. Des Weiteren stehen Sie im Verdacht, sich der Piraterie, des Waffenschmuggels, des Raubes, Mordes sowie zahlreicher anderer Verbrechen schuldig gemacht zu haben.
Deaktivieren Sie Ihre Antriebe und Waffen und erlauben Sie, dass ein armiertes Kommando an Bord kommt, um ihre Papiere, Personalien, Ladung und Ausrüstung zu überprüfen. Wenn Sie sich weigern, müssen wir sie als feindlich einstufen und sind gemäß geltenden Kriegsrechts und den bei Kriegsbeginn den republikanischen Streitkräften übertragenen Sondervollmachten autorisiert, von unseren Waffen Gebrauch zu machen. Sie…“

„Hier spricht Captain Skull. Wenn du Hurensohn glaubst, dass wir auf diesen Bockmist eingehen, dann muss dich irgendein Marines dummgevögelt haben, Arschloch. Ich habe schon Terrys kalt gemacht, als du noch in Hosen geschissen hast. Und ich sage dir…“, es folgte ein weiterer Schwall von Obszönitäten, der nach zwanzig Sekunden jäh von einem schrillen Störsignal ersetzt wurde. „Nun, ich schätze das war eindeutig“, sagte Kano.
Ich verdrehte die Augen. Captain Skull, ausgerechnet Captain Skull. Bei welcher Trivid-Serie hatte sich denn dieser Bursche bedient? In mir wuchs der Verdacht, dass die Piraten die Frachter zu opfern bereit waren.
Huntress musste natürlich ihren Senf hinzu geben. „Ja, das würde ich sagen, auch wenn Sie vielleicht bei einigen seiner Formulierungen ein Wörterbuch brauchen dürften. Aber warum das Störsignal? Ich hatte schon angefangen, mich an seine Vorschläge zu gewöhnen und wollte mir Notizen machen. Irgendeine Ahnung, Joystick?“
Statt ihm antwortete Flyboy. „Vielleicht…wollen sie so verhindern, dass einzelne Piloten aufgeben…“
„…denn als nächstes hätte ich ihnen genau das vorgeschlagen“, vollendete Stafford. „Nun, dann werden wir das wohl auf die altmodische Art machen. Offene Angriffsformation.“
„Diese syphilitischen Schweinehunde!“, rief Decker hinter mir. Mein Blick ging sofort zu den Ortungsdaten. Mein Blutdruck ging hoch, als ich das neueste Datenupdate sah. Akarii-Jäger. Hier? Möglich. Das Konkordat hatte Krieg mit ihnen, und da mochten ein paar Jets abhanden gekommen sein. Aber Piraten, die sie fliegen, die sie warten konnten? Was für eine Scheiße wurde hier gespielt?
„Was…“
„Wir haben endlich genaue Daten von den unidentifizierten Jägern. Es sind Imperiale!“, rief Decker aufgeregt.
„Sind Sie sicher?“
„Können Sie fliegen?“, raunzte Decker zurück: „Natürlich bin ich mir sicher! Es sind ältere Baureihen und diese Mistkerle haben an den Maschinen herumgedoktert und mit den Transpondern gespielt. Aber ja…ich ortete zwei, korrigiere drei Deathhawk und einen Rex.“
„Ein bisschen viel für einen Zufall“, kommentierte Kano. „Ich glaube nicht, dass sie diese Einheiten alle auf dem Schwarzmarkt gekauft haben. Oder gar erbeutet.“
Phoenix sagte: „Wie es aussieht haben unsere Schlapphüte also doch Recht. Das Imperium rüstet die Piraten auf. Aber das werden wir schon noch herausfinden, wenn wir die Überlebenden verhören. FALLS es Überlebende gibt.“
„War wohl ganz gut, dass wir nur Kampfflieger einsetzen“, kommentierte Irons. „Wenn die Akarii unsere Freunde auch noch mit Atomraketen bewaffnen sollten…“
„Nein. Nicht mal die Imperialen wären so dumm.“ Stafford klang überraschend sicher. Ich war es nicht. „Letztendlich ändert das auch nicht viel. Angriff wie besprochen. Ausführung!“

Kanos vertraute Stimme klang auf, konzentriert und ruhig. „Achtung, wir eröffnen mit den Phönix-Langstreckenraketen. Rottenweiser Angriff auf folgende Ziele…“
Für einen Moment ließ ich mich davon beinahe ablenken, aber ein merkwürdiger Sensorwert weckte meine Aufmerksamkeit. Alarmiert meldete ich: „Ich orte ein, korrigiere, zwei Flugkörper!“ Wir hatten Boogies im Wasser.
Kano ergänzte: „Geschwindigkeit passt zu keinem bekannten Raketentyp der Republik oder des Imperiums. Gewicht entspricht einem Marschflugkörper…“
„Ein selbstgebauter Sprengkopf? Vielleicht mit Splitterwirkung.“ Eine Stimme, die ich nicht erkannte. Oder aber ein Sprengkopf mit spaltbarem Material. Hatte die Station nicht einen Reaktor als Kern? Mit ein wenig Erfahrung oder ein wenig Skrupellosigkeit konnte man durchaus an spaltbares Material kommen, gerade genug für eine kleinere atomare Explosion.
„Formation auffächern und Feindflug verfolgen“, befahl Stafford.
„Sie sollten zielen lernen. Die gehen doch meilenweit vorbei!“, spottete Stuntman.
„Vielleicht wollen Sie einen Tipp…“, begann Huntress.
Das ergab keinen Sinn. „Mit den Dingern stimmt was nicht, Commander. Wie ist ihr Kurs?“
„Ich extrapoliere. Keine Sorge, Ace, die Dinger landen in den Asteroiden. Sie...“
Ich erschrak. Wenn diese Dinge tatsächlich atomar waren, dann kamen sie den Butcher Bears sehr, sehr nahe und würden...
„Die Asteroiden! AUSWEICHMANÖVER! Minus 40 Grad!! AUSFÜHRUNG!“, rief Kano.
„Folgen!“ Das kam von der Grünen Staffel.
„Was zum…“
Irons gab auch ihre Befehle. Alle hatten geschaltet. Fast alle. „Bronce Staffel, Fünfzig Grad Lateral, Minus Dreißig Grad Horizontal! Rote Staffel…“

Dann schlugen die Marschflugkörper ein. Nicht in die Angriffsformation, sondern in zwei kleine Asteroiden, die seitlich vor dem Verband der Angry Angels durch das All taumelten und nun in einer doppelten Nuklearexplosion zerbarsten.
Mit Entsetzen starrte ich auf die Ortungsdaten. Natürlich hatten die Piraten gewusst, dass wir Raketen, die direkt auf uns abgeschossen würden, mit Sicherheit abfangen würden. Darum hatten sie den Umweg über die Asteroiden gewählt, sie atomar vernichtet und uns einem hochbeschleunigten Trümmerregen ausgesetzt. Die waren jetzt teilweise mit einem sechs Kilometern die Sekunde unterwegs und wirkten wie Schrappnell. Ungenaues Schrappnell, aber es richtete Schaden an.
„Schilde bei achtzig Prozent!“
„Bin getroffen!“
„Schadensmeldung…“
„Iilahi! Schwerer Treffer! Steige…“
Laut meiner Daten hatte es die Schwarzen mit den Arrows, ein paar der Roten peripher und die Bomber leicht bis mittelschwer erwischt. Der letzte Schrei war von einem Butcher Bear gekommen. Das Signal seines Jets wechselte auf Eject.
„Aufpicksignal mit Position an die SAR“, sagte ich zu Decker.
„Melde Aufpicksignal. Wie geht es uns, Ace?“
Oh, er rief mich beim Callsign. Welche Ehre. „So la la. Wir haben dreißig Prozent Schildleistung verloren, aber unsere Wiederaufbaurate ist hoch. In zwei Minuten haben wir wieder hundert Prozent. Wenn nichts dazwischen kommt.“
„Was soll denn dazwischen kommen?“, fragte Decker.
„SIE KOMMEN!“
Ich ließ mich zu einem Schnauben herab. „Zum Beispiel, dass die Jagdflieger angreifen, während wir unsere Wunden lecken wollen.“
„Ace, ich verspreche Ihnen, wenn Sie jetzt abdrehen, dann werde ich...“
„Ruhig Blut, Commander. Wir fallen ein Stück hinter die Bomber zurück, allerdings nur, um ihnen Deckung zu geben. Wir bleiben auf dem Logenplatz, versprochen. Aber es ist besser, wenn wir Irons lahmen Vögeln den Arsch decken, meinen Sie nicht?“
„Sie sind der Pilot.“
Dieses Eingeständnis überraschte mich dann doch.

„Butcher Bears – Abfangformation! Arrow-Sektion, hinter uns sammeln!“ Kurz nach Kanos Befehl feuerten die Butcher Bears und die Aces for Redemption eine Wand aus Raketen ab. Das würde den Piraten mit ihren Fliegern aus zweiter und dritter Hand, aus den vorigen Generationen der Jagdfliegertechnik wirklich, wirklich weh tun.
„LILJA!! IHRE SEKTION!“, rief Stafford.
„Ist da.“

Es kam zu ersten Treffern und Verlusten bei den Piraten. Kano bereitete professionell den Angriff der Arrows vor. „Sektion Zwei, die Arrow-Träger schützen. Sektion Eins – Angriff! Rerun, halt mir den Rücken frei!“ Kurz darauf ging es für alle in den Kurvenkampf. Grund genug für mich, die Befehle Deckers, ah, neu zu interpretieren. Nein, ich würde mich nicht absetzen, nicht so kurz vor dem Angriff der Arrows. Und nicht, solange meine Kameraden in den Bombern gefährdet waren.
„OHKA!“
„RERUN!! ICH SAGTE, HALT MIR DEN RÜCKEN FREI!“
„Die Frachter!“
Was war mit den Frachtern? Noch spielte keiner mit den Bombern, daher würde ich wohl auch das Versprechen mit dem unzerkratzen Lack einhalten können. Aber was war mit ihnen? Oh. Sie feuerten. Spielten Flak-Plattformen. Recht präzise, wie ich fand. Etwas zu präzise für Stafford, der brüllte: „OHKA!! NEHMEN SIE ENDLICH DIESE SCHIFFE AUS DEM SPIEL!!“
„Arrow-Träger! ANGRIFF!“
Ein ungünstiger Zeitpunkt für mich, denn ausgerechnet jetzt drückte sich einer der Piraten in Schussposition zu den Bombern. Logisch, er konnte ja nicht wissen, dass die Butcher Bears die eigentliche Bedrohung waren. Ich schaltete die Raketen auf, setzte mich kurz vor die Formation und bekam eine klare Erfassung. „Fox two!“ Zwei Phoenix sollten das Problem lösen, bevor der Mustang ein Problem für Irons werden würde.
„Verdammt, halten Sie die Maschine ruhig, ich kriege keine anständige Werte!“, blaffte Decker von hinten.
„Jawohl, Sir“, antwortete ich, nachdem eine der beiden Phoenix in den Piratenjet eingeschlagen war. Der schwache Schirm kollabierte, aber die Maschine wurde nicht zerstört. Ich hätte sie leicht ins Nirvana schicken können, aber das war nicht meine Aufgabe. Einer der Bomber setzte eine Rakete hinterher und gab ihr den Rest. Grund genug für mich, meine alte Position einzunehmen.
„ARROW LOS!“ Huntress Stimme überschlug sich, dicht gefolgt von La Reines Ausruf: „ARROWS FREI!! FAHRT ZUR HÖLLE!!“
„Phoenix…“
„Ziel erfasst…Abschuss. Was…Arrows nicht gezündet!“
„Können Sie nicht mal einen verdammten Knopf drücken, Superflieger?“ Decker war wieder im alten Modus. „Nochmal!“
„Keine Reaktion! Werde angepeilt…“
„NOCHMAL!!“
„Keine Reaktion! Schwerer Treffer, Schilde bei…“
„BUTCHER BEARS! Angriff auf den Merkur! Alles was drin ist!“
Der zweite Raketenangriff war gescheitert, und Ohka tat das einzig Richtige. Er hetzte seine Flieger auf den verbliebenen Gegner. Das wäre nicht der erste Frachter, den die Butcher Bears abschießen würden, ganz konventionell.

In diesem Augenblick schlugen die von Huntress und La Reine abgefeuerten Arrows auf dem zum Trägerschiff umgebauten Albatros ein. Und im Gegensatz zu Phoenix Kampfsatz erfüllten Sie ihre Aufgabe mit tödlicher Vernichtungskraft. In einem Augenblick pflügte das Piratenschiff noch aus allen Rohren feuernd durchs All – im nächsten Augenblick entfalteten sich an ein, zwei, drei Stellen des Rumpfes die unverkennbaren grellweißen Feuerblüten einer Nuklearexplosion.
„DASS HAT GESESSEN!“
„VOLLTREFFER!!“
Ich enthielt mich eines Kommentars zu Huntress' und La Reines emotionalen Ausbruch. Jemand anderes nicht.
„Ruhe! Kümmert euch um den Merkur. Irons, die Bomber…“
Oder aber er forderte die verfügbaren Bomber an, was für Ohkas Ego einen erheblichen Bruch darstellen musste.
„Ja, dann werden wir wohl mal aufräumen. Achtung, wir fliegen einen Zangenangriff!“, meldete Irons.
Zeit für mich, die Position bei den Bombern zu verlassen und eine bessere Beobachtungsposition aufzusuchen. Mein Job war erledigt, der halb erledigte Auftrag war sensorisch erfasst und gespeichert. Der Rest war die Auswertung.
Hinter mir fluchte Decker. „Nur einer von zwei, verdammt, nur einer von zwei. Was ist da passiert? Wenn das in einem richtigen Einsatz passiert...“
Erstaunlich. Machte er sich Sorgen um die Piloten, oder nur um sein Resumée?
„Butcher Bears! Wir gehen wieder ran!“, rief Kano über Funk. „Irons…“
„Ich weiß, wie ich meine Arbeit zu machen habe!“
Und das wusste sie tatsächlich. Die verbliebenen drei Bomber stießen vor, durchbrachen von ihren leichteren Kameraden unterstützt den feindlichen Abwehrschirm, visierten den Merkur von zwei Seiten an…
Und das Sperrfeuer des Piratenfrachters verstummte, während eine unbekannte, sich fast überschlagende Stimme über Breitbandkanal ertönte: „AN ALLE! AN ALLE! NICHT FEUERN! WIR ERGEBEN UNS! ICH WIEDERHOLE, WIR ERGEBEN UNS!! STELLEN SIE DAS FEUER EIN!!“
Tatsächlich erlosch der Schild des Frachters, die Flaks stellten das Feuer ein, und mehr und mehr der feindlichen Jäger, die bis dato überlebt hatten, löschten ihre Transponder und gaben Peilimpulse aus. Die berühmte weiße Fahne. Ich gestattete mir, für einen winzigen Moment zu entspannen.
Der Rest war jetzt Sache für die Marines und für Liljas Leute, die die Shuttles verfolgten.
„Zurück nach Hause, Commander?“, fragte ich mit erstaunlich guter Laune nach hinten.
„Zurück nach Hause, Commander“, erwiderte er. „Die Daten analysieren sich nicht von selbst. Und das Ergebnis der Analyse wird einigen sicher nicht schmecken. Mir schmeckt sie jetzt schon nicht. Totalausfall einer Arrow-Einheit, das darf es nicht geben.“
„Da stimme ich Ihnen zu.“ Ich meldete mich beim CAG ab, bei der COLUMBIA an und wendete. Kampfhandlungen oder einen Hinterhalt erwartete ich nicht, aber bei dem, was ich bei den Piraten gesehen hatte, fühlte ich mich durchaus in der Lage, es mit jedem ihrer Piloten aufzunehmen, falls noch einer übrig war. Fast wünschte ich es mir, dass er eine einsam nach Hause fliegende Rafale angreifen würde...
„Ace?“, klang Deckers Stimme auf.
„Commander?“
„Danke für den Flug.“
Das erstaunte mich, überraschte mich und fühlte sich auch noch gut an. „Gern geschehen. Danke, dass ich die gute Rafale mal wieder fliegen durfte.“
„Geschenkt. Ich bedanke mich beizeiten mit einem Bier, wenn's Recht ist.“
Ich zögerte für einen Moment. „Nur ein Bier?“, fragte ich.
Decker schnaubte. „Man hat mich vor Ihrer Krämerseele gewarnt. Also gut, zwei Bier.“
„Das klingt doch schon besser und ist dankend angenommen.“

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„Kein Plan überlebt die erste Feindberührung“
Der preußische Feldherr von Moltke


Der Kampffliegerverband der COLUMBIA hatte noch nicht einmal zwei Drittel seines Weges zu der angeblich von Piraten besetzten Raumstation zurückgelegt, als es die ersten Anzeichen gab, dass etwas nicht nach Plan verlief. Kurz nach einem zur Ablenkung inszenierten ‚Raumballett‘ meldete sich Deckers gewohnt arrogante Stimme: „Achtung, ich orte Bewegungen bei der Station.“
„Jägerstarts?“ Staffords Stimme klang angespannt. Das war verständlich. Die Piraten mussten das Eintreffen der COLUMBIA-Trägergruppe und den Start des Fliegerverbandes bemerkt haben. Von Rechts wegen müssten sie jetzt eigentlich ‚Toter Mann‘ spielen.
„Nein. Ein, korrigiere zwei Schiffe lösen sich von der Station. Beschleunigen.“ kam es wieder von Commander Decker. Natürlich, als Copilot der umgerüsteten Rafale hatte er Zugriff auf die besten Sensoren der ganzen Formation.
„Die Mistkerle gehen stiften!“ das war Lilja.
„An alle – Aktivortung aufschalten. Hat keinen Sinn mehr, jetzt noch zu tun als würden wir nichts von ihnen wissen. Meldung an COLUMBIA – Berge- und Sturmshuttles starten und mit Maximalgeschwindigkeit aufschließen. Und…Vollschub. Jetzt wird es ernst.“ Trotz seiner Worte blieb Staffords Stimme ruhig.
Allerdings waren nicht alle so entspannt. Während die Maschinen weisungsgemäß auf Höchstgeschwindigkeit beschleunigten und über den Staffelkanal der Schwarzen Staffel Deckers scharfe Stimme den Arrow-Trägern ein paar unliebsame ‚Ratschläge‘ bezüglich ihres Flugverhaltens erteilte, meldete sich noch mal Lilja: „Commander, ich schlage vor, dass wir jetzt meine Sektion detachieren, solange die Feinde mit dem Start beschäftigt sind.“
„Und Sie glauben wirklich, diese Halsabschneider heben brav die Hände, wenn vier leichte Jäger aus der Deckung kommen! Finden Sie nicht, dass Sie ihre Chancen etwas zu skeptisch bewerten?“ höhnte Decker: „Wir verschwenden nur Zeit…“
„Machen Sie es wie besprochen, Lilja. In zwei Minuten umformieren zu Angriffsformation, das sollte den Gegner hoffentlich etwas ablenken.“

Noch bevor die Zeit um war, kamen präzisiere Informationen herein. Teilweise von Aces Rafale, aber da sie jetzt alle aktiv orteten, konnten auch die anderen Jäger sich ein besseres Bild vom Gegner machen: „Bestätige zwei Schiffe – Klasse Albatros und Merkur.“
„Entweder der Geheimdienst hat Mist gebaut, oder einer dieser Seelenverkäufer ist gerade auf Kaperfahrt.“ Huntress klang leicht frustriert: „Hoffentlich werden wir unsere Überraschungseier auch alle los.“
La Reine lachte spöttisch: „Irgendein Piratencaptain kann den heutigen Tag künftig als zweiten Geburtstag feiern.“
„Zähle 16 bis 18 Jäger und etwa ein halbes Dutzend Shuttles. Das…“
„Das dürfte eigentlich nicht sein.“ schaltete sich McGill: „So viele Einheiten kann ein Albatros gar nicht tragen.“
„Vermutlich Reserveeinheiten von der Station.“ warf Stuntman ein.
„Vielen Dank für die Insiderinformationen, Joystick!“ schnappte Lilja. Stuntman enthielt sich einer Antwort.
„Da wir schon bei Merkwürdigkeiten sind…“, meldete sich wieder Decker zu Wort: „…laut Analysemustern des Schrotteimers, in den sie mich gesteckt haben, handelt es sich um ein knappes Dutzend Mustangs und eine Sektion Intruder. Die übrigen…bei denen melden die Sensoren etwas verwirrende Daten.“
„Können Sie nicht klarer sein?“ kam es von McGill.
„Ich schlage vor Sie fliegen hin und schauen selber nach.“
„Genug.“ Stafford mochte einen relativ lockeren Führungsstil pflegen, aber auch er kannte eine Grenze: „Da tut sich etwas. Die Shuttles…“
„Beschleunigen auf Maximalgeschwindigkeit und setzen sich ab.“ vervollständigte Stuntman.
„Wenn sie sich vom Hauptpulk trennen, machen Sie sich zu leichten Zielen.“ Sugar klang verwirrt.
„Aber Sie haben eine Chance, zu entkommen. Zumindest wenn wir uns auf die Frachter konzentrieren, die ja tatsächlich unser Hauptziel sind. Shuttles können springen. Jäger nicht. Sie können nur darauf hoffen, von den größeren Schiffen aufgesammelt zu werden, falls sie uns zurückschlagen.“
„Nicht in diesem Leben. Und so viel zur Ganovenehre!“ Liljas Stimme klang so, als würde sie am liebsten ausspucken.
„Neue Befehle für Sie, Lilja.“ Staffords Stimme behielt immer noch diesen eigentümlich beiläufigen Tonfall: „Detachieren Sie eine zusätzlich eine Sektion, um die Shuttle zu verfolgen. Das verschleiert außerdem zusätzlich Ihren kleinen Horizontschleicher.“
„Verstanden…“, Lilja zögerte kurz: „Darf ich Sie aber darauf hinweisen, dass Sie dann nur noch vier Abfangjäger haben? Vielleicht wäre eine Rotte ausreichend um die Shuttles zu jagen.“
„Wir haben immer noch alle Maschinen der Roten Staffel und acht Jäger der Butcher Bears, die keine Arrows tragen. Und wir haben Langstreckenraketen. Das wird reichen. Ausführung des Manövers in dreißig Sekunden.“
Kurz darauf setzte der Kampffliegerverband, durch die detachierten Abfangjäger inzwischen um acht Maschinen schwächer, seinen Weg mit Höchstgeschwindigkeit fort. Allerdings nur der Maximalgeschwindigkeit der schweren Bomber. ‚Das dauert zu lange…‘, Kano räusperte sich: „Sir, wir könnten den Feindverband wesentlich schneller erreichen, wenn wir die Bomber zurücklassen.“
Irons schnaubte kurz: „Sie scheinen sich Ihrer selbst ja sehr sicher zu sein.“
„Es ist nicht das erste Mal, dass es alleine auf die Butcher Bears ankommt.“
„Und haben Sie vergessen, dass dieser Einsatz der ERPROBUNG der Arrows dient?!“, meldete sich Decker zu Wort: „Ich kann wohl kaum den Einsatz analysieren, wenn meine Rafale zusammen mit diesen fliegenden Scheunentoren irgendwo in der Etappe herumkriecht.“
‚Immer für ein Kompliment gut. Selbst zu den Leuten, die eigentlich deiner Meinung sind.‘: „Wir könnten unsere Sensoraufzeichnungen an Sie weiterleiten…“
„Nein! Hören Sie, Weltraumjockey…“
„Beruhigen Sie sich, Decker.“ Staffords Stimme klang milde amüsiert: „Wir lassen Sie nicht zurück. Und die feindlichen Transporter erreichen wir auch so rechtzeitig. Außerdem, wenn wir zu schnell fliegen, klappt das Timing mit der grünen Sektion nicht, die den Piraten in die Flanke fallen soll.“
„Verstanden.“ Kanos Stimme war genauso ausdruckslos wie immer. Niemand der ihn nicht sehr genau kannte, hätte aus seinen Worten herausgehört, dass er verstanden hatte, aber nicht EINverstanden war.
„Gut. Neue Formation in dreißig…“

In den nächsten Minuten änderten die Angry Angels noch mehrmals die Formation, um von der Tatsache abzulenken, dass vier ihrer Maschinen sich durch das Asteroidenfeld anschlichen. Das verringerte zwar ihre Geschwindigkeit, erschwerte dem Gegner aber auch die genaue Ortung und Analyse des Jägerverbandes. Irgendwo weit hinten ihnen war inzwischen ein ganzer Schwarm Angriff- und Bergungsshuttles gestartet, wobei die Angriffsfähren, die die feindliche Raumstation sichern sollten, von einer Sektion der Gelben Staffel begleitet wurden – eine Sicherheitsmaßnahme, die Stafford kurzfristig angeordnet hatte.

Und die Piraten…“Langsam sollten Sie begreifen, dass Sie nicht entkommen können und sich ergeben.“ äußerte sich Stuntman.
„Würdest du das im gleichen Fall tun, Joystick? Nein, bitte antworte nicht. Ich kenne die Antwort.“, fühlte sich Huntress genötigt zu antworten. Kano verdrehte die Augen.
„Hör mal, du High Society-Göre, dass…“
„Schluss, alle beide.“ Schaltete sich Kano ein, auch wenn Stuntman nicht zu seiner Staffel gehörte.
„Danke.“, Staffords Stimme klang leicht amüsiert. „Ich habe ja schon viele Übungen der Angry Angels mitgeflogen, aber dass auch im Einsatz…“
„Unser berühmter Esprit du Corps, Sir.“, warf Huntress ein, als wäre sie seit Anfang des Krieges Geschwadermitglied. Diesmal verkniff sich Kano eine Antwort. Wenn er sich an einige frühere Gefechte erinnerte – besonders an diverse Dialoge in der Blauen und Roten Staffel, musste er ihr sogar Recht geben. ‚Ich sollte aufpassen, dass das bei uns nicht zu sehr einreißt…‘ „Etwas Neues über die Maschinen mit dem merkwürdigen Flugverhalten?“
„Bisher nicht.“ Diesmal klang Decker eher frustriert: „Wir sind nicht die einzigen, die Staub fahren. Und in diesem verdammten Asteroidenfeld kriege ich keine klare Erfassung. Die Kennungen passen zu alten Mustangs, aber ich will verdammt sein…“

Nur einige Minuten später, wie als Antwort auf Stuntmans Bemerkung, verringerten die Piraten ihre Geschwindigkeit, wendeten und formierten sich neu.
„Wie es aussieht haben sie erkannt, dass sie uns nicht davonfliegen können.“ In Irons Stimme schwang eine grimmige Befriedigung mit: „Das sieht nach einer Abwehrformation aus. Mit den Frachtern im Zentrum.“
Kano lächelte kalt: „Wenn sie kämpfen wollen, können sie das haben. Huntress, La Reine, Phoenix und Bunny – zurückfallen. Nachdem der Weg frei ist, geht ihr ran. Jeweils zwei pro Ziel.
Huntress und La Reine, ihr greift den Albatros an. Phoenix und Bunny – den Merkur.“
„Hey, wir kriegen den Größten!“ Kano konnte Huntress Grinsen förmlich sehen. Er verdrehte wieder die Augen und wartete auf die unvermeidliche Retourkutsche. Die natürlich kam: „Ich dachte, es kommt nicht auf die Größe an.“
„Ja, das höre ich auch immer wieder…“
„Bevor sie sich gegenseitig zu der…Größe ihres künftigen Abschusses gratulieren, bieten wir unseren Freunden doch noch eine Option.“ Stafford aktivierte einen unverschlüsselten Breitbandkanal: „Achtung, nicht identifizierte Schiffe, hier ist Commander Stafford vom 127. Fighter Wing des TSN-Trägers COLUMBIA. Sie befinden sich in republikanischem Raum, haben sich durch die Besetzung einer Raumstation unerlaubt fremdes Eigentum angeeignet und verfügen zudem unseren Sensoren zufolge über offensichtlich illegal beschaffte Militärtechnologie. Des Weiteren stehen Sie im Verdacht, sich der Piraterie, des Waffenschmuggels, des Raubes, Mordes sowie zahlreicher anderer Verbrechen schuldig gemacht zu haben.
Deaktivieren Sie Ihre Antriebe und Waffen und erlauben Sie, dass ein armiertes Kommando an Bord kommt, um ihre Papiere, Personalien, Ladung und Ausrüstung zu überprüfen. Wenn Sie sich weigern, müssen wir sie als feindlich einstufen und sind gemäß geltenden Kriegsrechts und den bei Kriegsbeginn den republikanischen Streitkräften übertragenen Sondervollmachten autorisiert, von unseren Waffen Gebrauch zu machen. Sie…“

Weiter war der gegnerische Kapitän offensichtlich nicht gewillt mitzuhören. Staffords Worte wurden durch eine raue Stimme übertönt: „Hier spricht Captain Skull. Wenn du Hurensohn glaubst, dass wir auf diesen Bockmist eingehen, dann muss dich irgendein Marines dummgevögelt haben, Arschloch. Ich habe schon Terrys kalt gemacht, als du noch in Hosen geschissen hast. Und ich sage dir…“, es folgte ein weiterer Schwall von Obszönitäten, der nach zwanzig Sekunden jäh von einem schrillen Störsignal ersetzt wurde, der Kano unwillkürlich zusammenzucken ließ: „Nun, ich schätze das war eindeutig.“
„Ja, das würde ich sagen, auch wenn Sie vielleicht bei einigen seiner Formulierungen ein Wörterbuch brauchen dürften.“, das war natürlich wieder Huntress: „Aber warum das Störsignal? Ich hatte schon angefangen, mich an seine Vorschläge zu gewöhnen und wollte mir Notizen machen. Irgendeine Ahnung, Joystick?“
Der war offensichtlich entschlossen, die Sticheleien zu ignorieren. Denn es zur allgemeinen Überraschung Flyboy, die sich leise zu Wort meldete: „Vielleicht…wollen sie so verhindern, dass einzelne Piloten aufgeben…“
„…denn als nächstes hätte ich Ihnen genau das vorgeschlagen.“ vollendete Stafford grimmig: „Nun, dann werden wir das wohl auf die altmodische Art machen. Offene Angriffsformation…“
Er wurde durch einen erstaunlich farbigen Fluch von Decker unterbrochen: „Diese syphilitischen Schweinehunde!“
„Was…“
„Wir haben endlich genaue Daten von den unidentifizierten Jägern. Es sind Imperiale!“
„Sind Sie sicher?“
„Können Sie fliegen?!“ raunzte Decker zurück: „Natürlich bin ich mir sicher! Es sind ältere Baureihen und diese Mistkerle haben an den Maschinen herumgedoktert und mit den Transpondern gespielt. Aber ja…ich ortete zwei, korrigiere drei Deathhawk und einen Rex.“
„Ein bisschen viel für einen Zufall.“ kommentierte Kano: „Ich glaube nicht, dass Sie diese Einheiten alle auf dem Schwarzmarkt gekauft haben. Oder gar erbeutet.“
„Wie es aussieht haben unsere Schlapphüte also doch Recht. Das Imperium rüstet die Piraten auf.“ Äußerte sich Phoenix: „Aber das werden wir schon noch herausfinden, wenn wir die Überlebenden verhören. FALLS es Überlebende gibt.“
„War wohl ganz gut, dass wir nur Kampfflieger einsetzen.“ kommentierte Irons: „Wenn die Akarii unsere Freunde auch noch mit Atomraketen bewaffnen sollten…“
„Nein. Nicht mal die Imperialen wären so dumm.“ Stafford klang überraschend sicher: „Letztendlich ändert das auch nicht viel. Angriff wie besprochen. Ausführung!“

Während die Maschinen auffächerten und beschleunigten, öffnete Kano einen privaten Kanal zu seiner Stellvertreterin: „Bevor ich es vergesse…
Noch mehr von Ihren rhetorischen Perlen, und ich garantiere Ihnen, dass Sie in zwei Wochen nicht mal mehr die BEDEUTUNG des Wortes ‚Freizeit‘ kennen. Ich habe Sie zu meiner XO gemacht und eine gewisse Narrenfreiheit eingeräumt. Aber übertreiben Sie es nicht.“
Huntress Stimme klang ungewöhnlich konziliant, vielleicht weil sie spürte, dass es Kano ernst war: „Aber…nichts davon ging gegen Sie.“
Kano ließ die letzten Minuten Revue passieren und musste Huntress Recht geben: „Mag sein. Aber es lässt uns – lässt mich – unprofessionell wirken. Und das ist fast genauso schlimm. Es kümmert mich nicht, was in anderen Staffeln oder Geschwadern üblich ist. Meine Einheit – meine Regeln.“
„Ich habe verstanden, Boss.“
Dass bezweifelte er nicht. Was er allerdings bezweifelte war, dass der Anpfiff lange vorhalten würde. So war Huntress nun einmal. Wäre sie nicht so gut gewesen... ‚Und so gut vernetzt…‘
Aber das war jetzt sekundär: „Achtung, wir eröffnen mit den Phönix-Langstreckenraketen. Rottenweiser Angriff auf folgende Ziele…“

Doch es waren die Piraten, die den Kampf begannen. Noch bevor die Jäger in Schussreichweite für ihre Phoenix-Langstreckenraketen kamen, eröffnete der umgebaute Merkur-Frachter LIGHTNING das Feuer. Allerdings setzte er nicht seine Geschützbatterie ein.
„Ich orte ein, korrigiere zwei Flugkörper!“ Ace‘s Stimme vibrierte vor Anspannung.
Kano warf einen Blick auf die Anzeigen und klopfte gegen den Bildschirm: „Geschwindigkeit passt zu keinem bekannten Raketentyp der Republik oder des Imperiums. Gewicht entspricht einem Marschflugkörper…“
„Ein selbstgebauter Sprengkopf? Vielleicht mit Splitterwirkung…“, mutmaßte ein Pilot der Roten Schwadron.
„Formation auffächern und Feindflug verfolgen…“ befahl Stafford.
„Sie sollten Zielen lernen. Die gehen doch meilenweit vorbei!“ spottete Stuntman.
„Vielleicht wollen Sie einen Tipp…“, begann Huntress, verstummte dann aber abrupt. Kano unterdrückte ein Grinsen, während er den Kurs der Flugkörper verfolgte. Wie es aussah, hatte der Ex-Sträfling Recht. Allerdings…Kano erinnerte sich daran, was während der Einsatzbesprechung noch diskutiert worden war, verglich noch einmal den Kurs der Raketen…
Dann begriff er: „Die Asteroiden! AUSWEICHMANÖVER! Minus 40 Grad!! AUSFÜHRUNG!“
„Folgen!“ Das kam von der Grünen Staffel. Offenbar galt Kanos Wort bei seiner alten Einheit immer noch. Oder er war nicht der einzige, der verstanden hatte.
Leider war nicht jeder so schnell: „Was zum…“
Bevor Kano seine Befürchtung deutlicher artikulieren konnte, hatte auch Irons begriffen: „Bronce Staffel, Fünfzig Grad Lateral, Minus Dreißig Grad Horizontal! Rote Staffel…“

Dann schlugen die Marschflugkörper ein. Nicht in die Angriffsformation, die gar nicht ihr Ziel gewesen war. Sondern in zwei kleine Asteroiden, die seitlich vor dem Verband der Angry Angels durch das All taumelten. Und nun in einer doppelten Nuklearexplosion zerbarsten.
‚Offenbar haben sie wirklich den Reaktor geplündert…‘, dieser momentan eigentlich unwichtige Gedanke schoss Kano durch den Kopf, während er den Steuerknüppel noch weiter nach vorne schob und zusammenzuckte, als die ersten Staubpartikel und Steinsplitter die Schilde trafen und zum Glühen brachten.
Die beim Hauptverband verbliebenen Abfangjäger der Grünen Staffel entkamen dem Splitterregen vollständig. Allerdings hatten nicht alle ihrer Kameraden so viel Glück.
Mehrere Mitglieder der Roten Schwadron wurden getroffen:
„Schilde bei achtzig Prozent…“
„Bin getroffen!“
„Schadensmeldung…“
Die Bomber und die mit den Arrows bestückten Nighthawks, die aufgrund ihrer schweren Zuladung weniger wendig waren, traf es am schwersten Zum Glück hatten sie leistungsfähige Schilde und waren vergleichsweise schwer gepanzert. So überstanden die meisten Flieger das Bombardement vergleichsweise gut. Allerdings nicht alle.
„Iilahi! Schwerer Treffer! Steige…“, Bunnys sonst immer ruhige und beherrschte Stimme überschlug sich, bevor die Übertragung jäh abriss. Kano zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen, der die meisten seiner Kollegen überrascht hätte: „Was…“, doch dann schnitt Phoenix Stimme durch Kanos unvollständige Frage: „SIE KOMMEN!!“

Kano reagierte reflexartig, noch bevor sein Verstand realisiert hatte, wer ‚SIE‘ waren. Nicht dass es hier draußen viele Möglichkeiten gab. Er verdrängte den Gedanken, dass er schon wieder eine Maschine und vielleicht auch einen Piloten seiner Staffel verloren hatte, riss den Steuerknüppel zurück und zwang die Maschine auf ihren alten Kurs: „Butcher Bears – Abfangformation! Arrow-Sektion, hinter uns sammeln!“
Die Piraten hatten aus einer scheinbar ausweglosen Lage das Beste gemacht und einen kühnen Plan entwickelt, um das Blatt vielleicht doch noch zu ihren Gunsten zu wenden. Es war ein guter Plan, einer der funktionieren konnte.
Aber sie hatten die Rechnung ohne ihren Gegner gemacht. Trotz der Verluste der letzten Monate, die Angry Angels waren immer noch ein Elitegeschwader, weitaus besser als die normalen Fliegerverbände der TSN. Und ganz bestimmt besser, als ein Haufen Raumpiraten.
Und so stießen die Black Flags auf eine Wand aus Feuer. Die erste Phoenix-Salve war vielleicht unregelmäßig und schwächer als üblich, entfaltete aber immer noch eine verheerende Wirkung. Ihrem Training und Anweisungen folgend konzentrierten die Piloten der Angry Angels sich auf einige Piratenjäger. Binnen weniger Herzschläge wurden drei Angreifer vernichtet und weitere beschädigt, was den verzweifelten Sturmlauf der Black Flags kurz aufhielt.
„LILJA!! IHRE SEKTION….“
„Ist da.“
Das war alles, was die Piloten der Angry Angels benötigten, die sich nun vereint auf den Gegner warfen, der sie eben noch so unerwartet hart getroffen hatte.

Kanos Raketen hatten ihr Ziel nur beschädigt. Aber das war im Augenblick genug: „Sektion Zwei, die Arrow-Träger schützen. Sektion Eins – Angriff!“ Kano gab Vollschub: „Rerun, halt mir den Rücken frei!“
Sein Ziel war der feindliche Rex, der offensichtlich entschlossen war, zu den Bombern durchzubrechen. Was Sinn machte, mussten doch die Piraten davon ausgehen, dass diese die Hauptbedrohung für ihr Großschiffe waren. ‚Nun, da haben wir eine Überraschung für in petto…‘
Eine scharf geflogene Kurve brachte die Flanke des feindlichen Sturmjägers in die Schusslinie von Kanos Bordwaffen. Der Pirat war kein Anfänger und kaum, dass der japanische Pilot das Feuer eröffnet hatte, wurde seine Maschine von Treffern durch die Geschütze im Rücken und Bauch der feindlichen Maschine durchgeschüttelt. Aber Kano war auch kein Neuling. Ein Korkenziehermanöver trug ihn aus dem Schussbereich der Bauchkanone heraus. Dann gab er kurz Gegenschub und zwang die Maschine für ein paar Sekunden auf ihren alten Kurs – lange genug um ein volles Quartett Kurz- und Mittelstreckenraketen abzufeuern. Auch wenn er damit fast seinen gesamten verbliebenen Kampfsatz verbrauchte, die Wirkung war durchschlagend. Der ex-imperiale Sturmjäger flog ein hastiges Ausweichmanöver und stieß eine Salve Täuschkörper aus, doch eine doppelte Explosion riss ihn schwer beschädigt und sich überschlagend aus seinem Flugvektor. Eine kurze Korrektur am Steuerknüppel und Kanos Bordwaffen gaben der feindlichen Maschine den Rest, während sich die Besatzung aus dem totgeweihten Jäger katapultierte.
„OHKA!“ Reruns Warnruf kam einen Sekundenbruchteil zu spät und Kanos Maschine wurde brutal durchgeschüttelt, als mehrere schwere Treffer die Schilde zusammenbrechen ließen.
Reflexartig warf er die Nighthawk auf den Rücken und tauchte weg: „RERUN!! ICH SAGTE, HALT MIR DEN RÜCKEN FREI!“
„Die Frachter!“

Tatsächlich hatten die feindlichen Schiffe in den Kampf eingegriffen. Zum Glück verfügten sie nur über relativ wenige Raketenwerfer und setzten offenbar stärker auf Salvenwerfer und Laser, denen es teilweise an Präzision oder Durchschlagskraft fehlte. Sehr viel gefährlicher waren die Schiffslaser des einen Piratenschiffs, auch wenn sie eigentlich nicht für den Einsatz gegen Kampfflieger gedacht waren. Dennoch rasierte ein sorgfältig gezielter oder vom Glück begünstigter Feuerstoß einer von irons Maschinen die komplette Tragfläche ab und warf den Bomber aus dem Gefecht: „OHKA!! NEHMEN SIE ENDLICH DIESE SCHIFFE AUS DEM SPIEL!!“
Kano erfasste die Gefechtssituation. Trotz des Eingreifens der feindlichen Frachter war - auch dank des Eingreifens der detachierten Sektion der Grünen Staffel - bereits mehr als die Hälfte der feindlichen Jäger ausgeschaltet worden oder zog sich schwer beschädigt zurück. Der Rest war zerstreut und kämpfte gegen die jetzt zahlenmäßig weit überlegenen Angry Angels ums Überleben.
„Arrow-Träger! ANGRIFF!“ Kano flog einen Looping, entkam so endlich der Zielerfassung des feindlichen Merkurs und nahm dafür den feindlichen Albatros aufs Korn, während La Reine und Huntress an ihm vorbeizogen und ihren Zielanflug begannen. Zeitgleich visierte Phoenix den Merkur an. Kano löste seine letzten Raketen und eröffnete das Feuer mit den Bordkanonen, obwohl er noch außerhalb der optimalen Schussreichweite war. Aber darauf kam es nicht an, er wollte den Gegner nur ablenken. ‚Kommt schon, kommt schon!‘
„Verdammt, halten Sie die Maschine ruhig, ich kriege keine anständige Werte!“ blaffte Decker. Das galt vermutlich Ace - der Commander hatte in der Hitze des Gefechts wahrscheinlich ausversehen den Staffelfunk benutzt.
„ARROW LOS!“ Huntress Stimme überschlug sich förmlich, ob vor Anspannung oder Jagdfieber war nicht festzustellen, dicht gefolgt von La Reines nicht weniger aufgeregten Ausruf: „ARROWS FREI!! FAHRT ZUR HÖLLE!!“
„Phoenix…“
„Ziel erfasst…Abschuss.“ Im Gegensatz zu Huntress und La Reine blieb die Stimme des ehemaligen Marines-Piloten eiskalt und beherrscht, obwohl die Strahlenbahnen mehrerer feindlicher Geschütze nach ihm tasteten. Doch dann war es mit der Ruhe vorbei: „Was…Arrows nicht gezündet!“
„Können Sie nicht mal einen verdammten Knopf drücken, Superflieger?!“ Das war Decker, in dessen Stimme Wut und Unglauben vibrierten: „Nochmal!“
„Keine Reaktion! Werde angepeilt…“
„NOCHMAL!!“
„Keine Reaktion! Schwerer Treffer, Schilde bei…“
Kano zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen. Das hatte ja so kommen müssen: „BUTCHER BEARS! Angriff auf den Merkur! Alles was drin ist!!“ Er ließ den Worten Taten folgen. Der feindliche Kanonenträger sah sich auf einmal im Zentrum eines ebenso wütenden wie zielgenauen Kreuzfeuers. Aber Kano wusste, dass Ihnen die Feuerkraft fehlte um den aufgerüsteten Frachter zu vernichten.

In diesem Augenblick schlugen die von Huntress und La Reine abgefeuerten Arrows auf dem zum Trägerschiff umgebauten Albatros ein. Und im Gegensatz zu Phoenix Kampfsatz erfüllten Sie ihre Aufgabe mit tödlicher Vernichtungskraft. In einem Augenblick pflügte das Piratenschiff noch aus allen Rohren feuernd durchs All – im nächsten Augenblick entfalteten sich an ein, zwei, drei Stellen des Rumpfes die unverkennbaren grellweißen Feuerblüten einer Nuklearexplosion. Sie wirkten kleiner und schwächer als üblich – und waren doch mehr als genug. Fraßen sich in Sekundenbruchteilen in das Rumpfinnere, zerschmolzen massive Panzerplatten und Sicherheitsschotts wie Feuer eine Wachskerze. Übrig blieb nur ein deformiertes, aufgerissenes, halb zerfetztes Wrack, dass mehr einer bizarren Schrottskulptur als einem Raumschiff glich. Kano bezweifelte, dass es an Bord noch viele Überlebende gab. Wenn überhaupt. Die Vernichtung war ebenso schnell wie überraschend gekommen – und aus einer Richtung, die die Piraten nicht hatten vorhersehen können.
Für ein, zwei Herzschläge schien das Gefecht kurz zu stoppen – und dann erschallte über den Staffelfunk der doppelte Triumphschrei von Huntress und La Reine: „DASS HAT GESESSEN!“
„VOLLTREFFER!!“
„Ruhe! Kümmert euch um den Merkur…“, die nächsten Worte fielen Kano ungewöhnlich schwer: „Irons, die Bomber…“
„Ja, dann werden wir wohl mal aufräumen.“ In der Stimme der Stellvertretenden Geschwaderführerin schwang ein ungewöhnliches Maß an Zufriedenheit mit. Natürlich erinnerte sie sich noch an Kanos frühere Worte: „Achtung, wir fliegen einen Zangenangriff!“
Während Phoenix von seinen Kameraden gedeckt den angeschlagenen Jäger aus der unmittelbaren Gefahrenzone heraussteuerte, warfen sich die Piloten der Grünen und der Roten Schwadron mit einem durch die Vernichtung des feindlichen Trägerschiffs noch beflügelten Elan auf die verbliebenen Piratenjäger um den Bombern den Weg frei zu machen. Doch auch die Piraten waren anscheinend noch nicht am Boden. Der zum Kanonenboot umgerüstete Frachter feuerte unbeirrt aus allen Rohren und versuchte, die Bomber aufs Korn zu nehmen – eine Absicht, die durch Irons Manöver erschwert wurde.
Dennoch…

Kano überflog die Zustandsmeldungen seiner Schwadron. Bunny war ausgefallen und Phoenixs Maschine schwer beschädigt. Aber abgesehen davon hatten die meisten seiner Untergebenen nur leichte bis mittlere Schäden erlitten. ‚Da können wir doch noch mehr leisten‘: „Butcher Bears! Wir gehen wieder ran.“
Er wartete nicht auf die Bestätigung, vergewisserte sich nur mit einem Blick, dass Rerun immer noch an seiner Seite war, und warf die Maschine herum. Er hatte keine Raketen mehr, die Schilde waren nur bei zwanzig Prozent, aber da waren immer noch seine Bordwaffen. Sobald die Kanonen den feindlichen Frachter aufgefasst hatte, eröffnete er das Feuer, ließ den Jäger nach wenigen Sekunden zur Seite ausbrechen, nur um gleich darauf wieder Gegenschub zu geben und das Manöver zu wiederholen. Auch wenn der feindliche Frachter über eine für seine Größe beachtliche Anzahl von Flugabwehrgeschützen verfügte und relativ gut gepanzert war, zeigte der Beschuss langsam Wirkung.
„Irons…“
„Ich weiß, wie ich meine Arbeit zu machen habe!“

Und das wusste sie tatsächlich. Die verbliebenen drei Bomber stießen vor, durchbrachen von ihren leichteren Kameraden unterstützt den feindlichen Abwehrschirm, visierten den Merkur von zwei Seiten an…
Und das Sperrfeuer des Piratenfrachters verstummte, während eine unbekannte, sich fast überschlagende Stimme über Breitbandkanal ertönte: „AN ALLE! AN ALLE! NICHT FEUERN! WIR ERGEBEN UNS! ICH WIEDERHOLE, WIR ERGEBEN UNS!! STELLEN SIE DAS FEUER EIN!!“

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An Bord der Columbia
Auf dem Weg ins Peshten-Konkordat, Im Hellas-System

Ein paar Tage vor dem Einsatz gegen die Piraten

Bobcat räkelte sich zufrieden in ihrer Koje, verschwitzt und außer Atem aber äußerst zufrieden. Sie lächelte Donovan Cartmell an, der neben ihr lag und auch recht aufgekratzt zu sein schien. Seit ein paar Wochen waren sie beide nun mehr oder weniger zusammen. Was in ihrem Falle hieß, das sie ab und an miteinander geschlafen hatten, wenn es ihr Terminkalender erlaubt hatte. Und wenn entweder Kali oder Too-Tall nicht da waren. Also nicht besonders häufig, aber häufig genug um sich schon etwas vertrauter zu fühlen.
„Das war sehr schön, vielen Dank, Donovan.“
Stuntman lächelte ein bisschen verlegen. „Danke selbst.“
„Es tut so gut ab und an den Kopf freizukriegen und sich ein bisschen abzulenken.“
„Ein bisschen Ablenkung nennst du das also? Du weißt, was hier an Bord alle über dich reden, stimmt´s?“
Sie lächelte. „Du meinst das mich alle für eine Schlampe und ein Flittchen halten?“
Donovan nickte. „Und das macht dir nichts aus?“
„Ach, weißt du, Klatschmäuler wie die vertrocknete Eisprinzessin verstecken sich hinter dem antiquierten Fraternisierungsgebot, weil sie im Grunde verklempt sind. Mag sein, dass sie eine gute Pilotin ist, aber menschlich sind wir halt einfach... anders. Sie ist arrogant, ignorant, selbstherrlich, selbstverliebt und glaubt sich immer im Recht und das allerschlimmste ist, das sie in dieser Hinsicht keinerlei Selbstreflektion besitzt. Typischer Fall von Narzissmus, der aber bei karrieristisch, egomansichen Offizieren ihres Kalibers immer wieder vorkommt. Der Erfolg den sie hat, lässt sie nur noch mehr denken, sie sei im Recht und alle anderen im Unrecht. Man kann sich eigentlich nur wünschen, dass sie nicht noch weiter die Karierreleiter hochfällt, denn das würde ihr Ego noch weiter anschwellen lassen. Aber sie ist auch eine verdammt gute Pilotin, das muß der Neid ihr lassen. Und sie hat auch Freunde wie z.B. Imp – und die ist wirklich in Ordnung - und das bedeutet, das sie auch eine menschliche Seite an sich haben muss.“
„Die zeigt sie aber äußerst selten.“
„Naja, sie hat halt ihre Prinzipien und wenn du gegen diese verstößt bist du bei ihr eben einfach schnell unten durch.“
Donovan schüttelte den Kopf. „Du bist viel tiefgründiger als ich dachte.“
„Tja, stille Wasser sind tief!„ Sie lächelte.
„Bis du etwa eifersüchtig auf Lilja´s Erfolg?“
Bobcat streichelte seine muskulöse Brust. „Nein, eigentlich ist mir das nicht wirklich wichtig. Diese Art von Erfolg kann mir wirklich gestohlen bleiben. Wenn zu dem Erfolg dazu gehört, dass einen deutlich mehr Leute nicht ausstehen können, als sie mit dir befreundet sind, dass will ich nicht haben.“
„Hmmm, naja, sei mir jetzt nicht böse, aber es ist jetzt nicht so, als ob du super beliebt wärst. Die eine Hälfte will dich nur vögeln und die andere Hälfte ist entweder neidisch, eifersüchtig, gekränkt weil du sie hast sitzen lassen oder hält dich für ein Flittchen. Bei Lilja sind die Umstände andere, aber das Resultat ist das Gleiche.“ Donovans Worte waren sehr hart. Aber an seinem Gesichtsausdruck konnte sie erkennen, dass er nur eine nüchterne Analyse abgab. Und vermutlich selbst genau wusste, von was er da sprach.
Trotzdem konnte sie nicht umhin ihn zu necken. „Das sagt ja genau der Richtige...! Pirat, Schläger, Neanderthaler... Bei deinem Hintergrund ist es ein Wunder, dass du überhaupt Freunde gefunden hast.“
„Das stimmt“ gab Donovan unumwunden zu. „Ich würde mich wahrscheinlich auch nicht mögen.“ Er grinste schief.
Bobcat richtete sich auf einen Ellenbogen, damit sie Donovan besser ansehen konnte. Das dadurch die leichte Bettdecke verrutschte – die ihrer beider Nacktheit ohnehin nur spärlich bedeckte – nahm sie nicht nur in Kauf sondern lächelte, als ihr Donovans bewundernder Blick auf ihre wohlgeformten Brüste fiel. Am Ende des Tages war auch sie nur ein Mädchen, dass sich nach Bestätigung sehnte und wenn es auch nur so oberflächliche Dinge wie ihr attraktives Erscheinungsbild war.
„Irgendwie bin ich verwirrt!? Das ist nicht der Donovan, den ich kennengelernt habe und vor dem mich alle gewarnt haben? Ich würde ja gerne glauben, dass das an mir und meiner Anwesenheit liegt. Aber irgendetwas sagt mir, dass das an etwas anderem liegen muss. Also raus mit der Sprache, welche Pillen nimmst du?“
Donovan musste laut lachen, Sharon Rodgers konnte tatsächlich sehr witzig sein. „Nein, keine Pillen, selbst wenn das Commander Gallasso und Lt. Waskiewisz wohl gerne sehen würden.“
„Jaja, unsere liebe Seelenklempnerin und die Geheimdienstschnecke...“
„Du kennst die beiden?“
„Naja, Gallasso nur vom Hörensagen, aber Waskiewisz hat mich auch vorgeladen.“
„Wegen mir?“
„Ja, du kamst in unserem Gespräch auch vor. Ich habe natürlich nur das allerschlimmste von dir zu berichten gehabt.“ Donovan wurde gespielt sauer und kitzelte Bobcat, die auch gleich das Kichern begann. “Zum Beispiel, dass du mich kitzelst und zwar an den unmöglichsten Stellen.“ Den letzten Teil des Satzes hauchte sich ihm fast ins Ohr und Donovans Körper reagierte natürlich wieder automatisch, wie sie schnell bemerkte. Lächelnd fuhr sie fort. „Aber eigentlich ging es eher um meine Promiskuität.“
„Ehrlich?“
„Na klar, wie schon gesagt, das ist ja kein wirkliches Geheimnis. Anders als Huntress und ich fügen sich die meisten Schäfchen diesem althergebrachten Fraternisierungsgebot und sorgen sich um ihren Ruf und im ihre Karriere. Aber wenn du wüsstest, wer alles mit wem, vor allem in den Mannschaftsrängen... Also eigentlich ein Witz, die Prüden sind deutlich in der Unterzahl, aber eben sehr einflußreich. Beim Flying Circus war das alles anders, dort war es viel lockerer und offener, was keine Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Truppe hatte. Aber hier fühle ich die prüde Kälte der Eisprinzessin und ihrer Lakaien. Brrr. Wenn ich schon bald drauf gehen könnte, dann will ich doch vorher mein Leben genossen haben. Aber du hast meine Frage nicht beantwortet.“
„Häh, welche Frage?“
„Warum bist du in letzter Zeit so vergleichsweise locker?“
„Achso, das. Also, um ehrlich zu sein, liegt das an Sonnyboy und den anderen Jungspunden.“
„Die selbsternannten vier Musketiere?“
„Genau. Titan und ich trainieren ja seit einiger Zeit extra mit den Jungs und das macht irgendwie Spaß. Sie machen spürbare Fortschritte im Dogfight und wir haben Extraschichten für den Athmosphärenkampf eingelegt.“
„Und das reicht um aus dir ein handzahmes Kätzchen zu machen? Das glaube ich ja im Leben nicht.“
„Doch, es macht echt Spaß. Und Sonnyboy ist ein guter Zuhörer, besser als jeder Seelenklempner.“
„Echt? Das hätte ich gar nicht gedacht. Vielleicht sollte ich in mir mal zur Brust nehmen?“
Bobcat lächelte anzüglich so dass Donovan die Augen verdrehte. „Erstens hattest du das doch ohnehin vor und zweitens warte doch wenigstens, bis ich aus dem Bett bin.“
„Also komm, wir hatten eine klare Abmachung zwischen uns beiden, schon vergessen?“
„Nein, habe ich nicht vergessen. Friends with Benefits, ich weiß.”
“Genau. Weil du immer noch in Jean Davis verliebt bist.“
„Bin ich nicht“ log Donovan.
„Erzähl das Sonnyboy, aber ich weiß, dass es nicht stimmt.“ Jetzt zog er sich grummelnd zurück. „He, sei nicht gleich beleidigt. Ich wollte nicht gemein sein, o.k.?“
Donovan verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte an die Decke. Die eben noch vorhandene angenehm erotische Stimmung war mit einem Mal verschwunden und Bobcat ärgerte sich über sich selbst und ihr loses Mundwerk.
Also half da nur eines: Das Thema wechseln und auf später hoffen. Sie hatten noch einiges an Zeit bis Kali wiederkommen würde.
„Na gut. Ich sehe schon, der Herr ist sauer.“
„Bin ich nicht.“
„Ist zwar wieder gelogen, aber ich tue jetzt mal so, als ob ich dir glaube. Viel wichtiger ist aber die Frage, wie es dir vor dem Kampfeinsatz geht? Jetzt da du wieder eine Flugfreigabe erhalten hast?“
„Was meinst du, wie es mir geht?“
„Naja, wegen dem Pirateneinsatz, der vor uns liegt. Wegen deinem zwischenzeitlichen „Ausfall“ und natürlich wegen deiner Vergangenheit. Du hast mir nie die ganze Geschichte erzählt. Ich kenne nur die verschiedensten Flurfunkvarianten.“
„Und wie lauten diese?“
Bobcat hatte sich nun auf den Bauch gelegt und sich auf ihre Oberarne gestützt. „Also auf der einen Seite des Spektrums haben wir da den bedauernswerten, blutjungen, talentierten Offizier der in jahrelanger Gefangenschaft viele körperliche als auch seelische Misshandlungen erfahren hat bis die Navy ihn endlich befreite. Und auf der anderen Seite gibt es das hartnäckige Gerücht, dass der zunächst Gefangene sich nicht nur mit den Piraten fraternisiert hat, sondern auch als Black Buccaneer ins Cockpit gestiegen ist und damit für den Tod einiger Kameraden und Zivilisten verantwortlich ist.“
„Und welche der Versionen glaubst du?“
Bobcat zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, sag du es mir!“
Stuntman seufzte. „Du lässt nicht locker, oder?“
„Naja, du musst wissen, ob du es mir erzählen willst oder nicht.“
Cartmell schwieg eine Weile, bevor er wieder antwortete. „Weißt du, mir fällt das nicht leicht. Ob du es glauben willst oder nicht, aber die Erinnerungen sind recht schmerzhaft und es gibt nicht allzu viele, die die Geschichte komplett kennen. Der NIC kennt sie, aber die haben mir von Anfang an nicht geglaubt. Die Gerichte kannten sie, aber auch die haben es mir nicht geglaubt. Und meine Kameraden... manche mochten mir glauben, die meisten aber nicht.“
Dann schien er sich einen Ruck zu geben und fing an seine Geschichte zu erzählen.

***

Marines Ausbildungskaserne Fort Kendrick, In der Nähe von Neu Kapstadt,
Seafort, Sterntor, FRT

Sergeant Jean Davis war hart im Nehmen. Sie hatte die Marinesausbildung mit Bravour bestanden, hatte darüber hinaus das Zusatztraining als Marinessniper geschafft. Sie hatte Hellmountain überlebt und hatte sich im Kampf bewiesen. Sie hatte zwar nur einer Bordeinheit angehört und war nicht bei Eliteeinheiten wie der SAS, den Navy SEALS oder den Jumpin´ Devils gewesen. Aber dennoch hatte sie nicht nur die Fähigkeiten sondern auch den eisernen Willen gezeigt sich mit den Besten der Besten zu messen. Das Space Marines Corps der Freien Republik Terra gehörte mit zu den stärksten Einheiten, die die Bundesrepublik vorzuweisen hatte. Und Jean gehörte mit Sicherheit zu den wenigen, die sich von der Masse abhoben. Sie war sich dessen nie wirklich bewußt gewesen und hatte ihre eigenen Fähigkeiten immer ein wenig unterschätzt. Die Hinweise ihrer Eltern, Brüder, Freunde das sie nach mehr streben sollte als ein simpler Marine zu sein, hatte sie immer als pflichtschuldige Lobhudelei abgetan. Doch jetzt, während dieser zusätzlichen Ausbildung auf Sterntor merkte sie erst richtig, wie gut sie eigentlich war. Sie musste aufpassen, nicht abzuheben, nicht arrogant zu werden. Aber sie erledigte alle Herausforderungen immer mindestens unter den besten 10% ihres Ausbildungsjahrgangs, in vielen Fällen sogar als Jahrgangsbeste. Sie stieß zwar auch langsam an ihre körperlichen und geistigen Grenzen, durchgehende maximale und körperliche Anstrengung mit nur 4-5 Stunden Schlaf pro Tag zehrten an ihren Reserven. Aber der Erfolg gab ihr so einen unglaublichen Motivationsschub, dass sie dieses Tempo nun schon seit fast zwei Wochen aufrecht erhalten konnte.
Und diese Energie steckte sowohl sie als auch den Rest ihrer Stube an. Von den ursprünglichen 11 weiteren Kameraden auf ihrer Stube waren zwar schon 2 ausgeschieden, aber das war immer noch deutlich besser als in den anderen Gruppen. Ein guter Teil dieses guten Abschneidens lag in der hohen Motivation, die sie auf ihrer Stube teilten. Fast alle zogen bei ihrer Sonderaufgabe mit und mittlerweile kamen einige weitere Kameraden zu den morgendlichen Sondereinheiten auf dem Trainingsparcour mit.
Allerdings war auch ein weiterer Teil das herausfordernde Training von Lt. McKenna, der sich als extremer Schinder erwies. McKenna mochte Jean aus irgendwelchen Gründen nicht und mittlerweile beruhte das auf Gegenseitigkeit. Das unberechenbare, harte Training war alles andere als angenehm aber gleichzeitig merkte sie, dass der Kotzbrocken sie doch tatsächlich zu mehr Leistung antrieb, so paradox das auch klingen mochte. Jean hatte das natürlich in einigen Psychologiebüchern gelesen. Es gab sowohl positive als auch negative Motivation und McKenna gehört ganz eindeutig zur zweiten Kategorie. Keiner wollte sich von ihm brechen lassen, keiner wollte klein beigeben, keiner wollte aufgeben. Und selbst wenn einer mal zusammenbrach oder eine Schwächephase hatte, so halfen sie sich alle gegenseitig.

Jean Davis schaute sich in dem kleinen Büro um, das ihnen von ihrem Kommandeur zur Verfügung gestellt worden war. Fünf ihrer Kollegen saßen an den Schreibtischen und Terminals und machten zahllose Anrufe, Material- und Transportanfragen, Manöverfreigaben und vieles mehr. Es gab jede Menge Papierkram zu erledigen um eine solche Manöveraufgabe zu bewältigen und Jean war sich über den ganzen Koordinationsaufwand wirklich nicht im Klaren gewesen als sie diese Aufgabe vorgeschlagen und angenommen hatte. Ein Teil von ihr bereute, dass sie sich hierfür freiwillig gemeldet hatte, ein anderer Teil war Feuer und Flamme ob dieser Herausforderung. Sie hörte ihren Kollegen dabei zu wie sie um Transportkapazitäten bettelten, Resourcen freischaufelten und die Zeit und Terminpläne klärten.
Wenn man Einsätze im Changara-Dschungel, einmal im All auf einem Raumschiff, einmal am Nordkap und in der Plain Lands-Wüste plante, dann war das ein enormer Aufwand.
In diesem Augenblick kam First Sergeant Jon Krister Daggermark in die Stube mit einem Tablett voller Kaffee und Teebecher. Ein erfreutes Raunen ging durch die Gruppe und Jon Krister hatte mal wieder alle Herzen im Sturm erobert.
Als er Jean das Tablett hinhielt nahm die dankbar einen grünen Tee und lächelte ihren Kameraden freundschaftlich an.
„Danke, Jon! Genau was ich jetzt gebraucht habe.“
Jon grinste verschmitzt. „Ich weiß.“
Er setzte an etwas weiteres zu sagen, doch bevor er etwas sagen konnte, schnellte eine ihrer Kameradinnen mit einem zackigen Salut und einem lauten „ACHTung“ hoch.
Lt. Colonel Hue Xha Bao betrat lächelnd das Büro mit einem wie immer mürrisch dreinblickenden 1st Lt. Mitch McKenna im Schlepptau. Alle anderen Unteroffiziere schnellten auch hoch und salutierten. Der Oberstleutnant erwiderte den Gruß. „Rühren. Und wie kommen wir voran?“
Jean Davis wusste mittlerweile dass der Colonel kein Freund von langem Small Talk war, also kam sie auch direkt und ohne Umschweife zur Sache. „Sir, wir machen gute Fortschritte. Die Planaungen für Changara sind so gut wie fertig, das Nordkap ist auch in gutem Zustand, wir brauchen nur noch die Freigabe des dortigen Kommandeurs. Aber unser Orbit Einsatz und die Plain Lands machen mir noch etwas Sorge.“
„Und das nennen sie gut?“ ätzte McKenna aber Davis ließ sich nicht provozieren.
„Wir haben leider immer noch kein Schiff finden können, welches bereit wäre ein Kontingent Space Marines für ein Manöver aufzunehmen.“
Hue Xha Bao nickte nur kurz. „Und die Plain Lands?“
„Bei den Plain Lands haben wir zwar die Transporthubschrauber für unseren Einsatz gesichert, aber der dortige Kommandeur rät uns von einem Manövereinsatz dennoch ab.“
„Warum nehmen wir keine Shuttles für den Einsatz?“ hakte McKenna nach.
„Die Shuttles sind selbst recht rar und ausserdem selbst an unseren Manövertagen im eigenen Manövereinsatz gebunden. Die Transporthubschrauber sind im Augenblick die beste Option. Darüberhinaus auch vielleicht eine gute Abwechslung mal auch für ein paar Stunden in einem Hubrschrauber zu einem Einsatz zu fliegen.“
Hue Xha Bao nickte nur kurz und Davis wusste, dass das hiermit genehmigt war. „Ich spreche mit Colonel Pepperham, der Leiterin von Fort Hayes in den Plain Lands.“
„Danke, Sir! Und was das Schiff für den Orbiteinsatz angeht...“ Doch weiter kam Jean Davis, denn der Colonel hob sanft seine Hand und unterbrach sie schon. „Machen sie sich um das Schiff keine Sorgen, Sergeant. Ich habe da genau das richtige für sie. Seien sie in drei Tagen um 0600 am Shuttlelandeplatz!“
„Aye, Sir!“
„Weitermachen, Ladies & Gentleman, gute Arbeit.“
Und damit machte sich der Ausbildungskommandant wieder auf den Weg. McKenna blickte Davis noch für einen Augenblick eiskalt an, doch drehte er sich dann um und folgte seinem Kommandanten.
Jon Krister war der Erste, der in die Hände klatschte, als die beiden Offiziere gegangen waren. „Na, das lief ja vorzüglich, damit wären ja alle unsere Probleme gelöst, oder?“
Jean lächelte etwas gequält und nickte.
‚Oder sie fangen gerade erst an‘

***

Im Anflug an die Piratenbasis
Hellas-System

1st Lieutenant Donovan „Stuntman“ Cartmell war ein Veteran vieler Schlachten, er hatte viele Feinde getötet und er hatte noch mehr Feinde überlebt. Doch in diesem Augenblick, im Anflug auf die Basis der Hellas-Piraten war er nervöser als sonst. Man kämpft nunmal nicht alle Tage gegen die Dämonen aus seiner Vergangenheit, die man seit Jahren versuchte zu verdrängen.
Donovan brauchte etwas Zeit, um sich das einzugestehen und hatte zum Glück mit Sonnyboy über dieses Thema gesprochen. Der junge Kerl war wirklich bemerkenswert und nach Jean Davis und Sharon „Bobcat“ Rodgers erst die dritte Person an Bord der Columbia, die seine komplette Geschichte kannte. Und Jean Davis war nicht mal da. Wieder wanderten seine Gedanken an die jüngere Schwester von Ace und er merkte, dass er sie vermisste.
Kurz schüttelte Donovan den Kopf und versuchte sich wieder auf seine Anzeigen zu konzentrieren. Doch noch waren sie mindestens 15 Minuten unterwegs bis sie in Schlagweite sein würden.
Und wieder wanderten seine Gedanken zurück an Sonnyboy, der schon fast wie ein Therapeut für Donovan war. Im Gegenzug hatte Donovan zusammen mit Titan ihm und den anderen drei Jungspunden in ihrer Staffel so viel wie möglich über Dogfights beigebracht. Donovan hoffte inständig, dass es reichen würde, gerade für Sonnyboy. Der junge Kerl wuchs ihm tatsächlich ans Herz und Donovan würde alles tun um seinen Wingman zu schützen.
Dann wanderten seine Gedanken an Sharon „Bobcat“ Rodgers, die ihm in den letzten paar Wochen auch irgendwie nahe gekommen war, näher als es er es geplant hatte und näher als ihm lieb war. Er versuchte weiter krampfhaft sich nicht in sie zu verlieben, denn ihre Reputation war nun einmal ganz klar und Bobcat machte auch keinen Hehl daraus, dass sie nur auf eine Freundschaft Plus Beziehung aus war. Doch irgendwie faszinierte sie ihn dennoch. Natürlich war da zunächst einmal die körperlich, sexuelle Anziehungskraft, die sie auf ihn ausübte. Aber darüberhinaus war da noch deutlich mehr. Er spürte, dass Bobcat viel tiefgründiger, intelligenter und vielschichtiger war, als es den Anschein hatte. Natürlich sahen alle anderen zunächst einmal nur ihr attraktives Äußeres und ihr provokantes Liebesleben. Doch Donovan begann zu verstehen, dass das nur ein Teil von Bobcat war. Und obwohl seine Gefühle für Jean Davis auch da waren, war Sharon eine willkommene Abwechslung, Er spürte einen Stich des schlechten Gewissens, doch auf der anderen Seite, war er nicht mit Jean zusammen und schuldete ihr keine Treue, oder?
Doch bevor er seinen Gedanken zu Ende bringen konnte, kam von Decker die Ortung von Bewegungen auf der Piratenstation.
Grimmig schalteten sich Donovans Gedanken wieder zurück auf diesen Einsatz, auf den ein Teil von ihm sein halbes Leben gewartet hatte. Und auf den eine andere Hälfte von ihm Angst hatte. Jagd auf seine Peiniger zu machen und es ihnen Heim zu zahlen war lange Zeit ein großer Teil seiner Rachegedanken gewesen. Und nachdem Ross und Waskiewisz ihn kurzzeitig ausser Gefecht gesetzt hatten, brannte er umso besessener darauf es allen zu zeigen und so hart und unbarmherzig zuzuschlagen, wie er nur konnte.
Doch gleichzeitig dachte er auch an Sonnyboy und auch das Versprechen, dass er Cowboy und Kali gegeben hatte. Er würde keine Alleingänge machen und unnötige Risiken eingehen. Und mit diesem Gedanken im Hinterkopf beschleunigte er seinen Kampfflieger und zog in die ungleiche Schlacht.

***

Versteckte Piratenbasis
Hellas-System

2nd Lieutenant Josiah „Sonnyboy“ Scott war wie immer beeindruckt von der fast spielerisch anmutenden Eleganz mit der Stuntman seine Kampfmaschine in die Schlacht warf. Er hatte Schwierigkeiten seinem Wingleader zu folgen und auf seiner Sechs zu bleiben während sie in den Dogfight mit einem hoffnungslos unterlegenen Mustang der Piraten gingen.
Innerlich schüttelte Sonnyboy den Kopf über diese Dummheit. Die Piraten waren hoffnungslos unterlegen, langsamer, schlechter ausgerüstet und trotzdem gaben sie nicht auf sondern kämpften weiter, nur um einigen von Ihnen ein Entkommen zu ermöglichen. Josiah war immer davon ausgegangen, dass es bei Freibeutern um ein feiges, ehrloses Gesindel handelte, die wehrlosen Handelsschiffen auflauerten und die bei jeglichem Anzeichen von Gefahr für eigenes Leben möglichst bald reißaus nehmen und ihre Kameraden im Stich lassen würden. Aber nicht hier, diese Piraten blieben und kämpften bis aufs Blut und wohl auch bis zum Tod. Und es gab nur zwei mögliche Begründungen, die durch Sonnyboys Kopf schossen, während er dem wilden Gekurbel von Stuntman und der Mustang Maschine folgte.
Entweder verteidigten diese Piraten tatsächlich ihre Familien und ihre Freunde – oder sie wollten tatsächlich so viele TSN-Piloten wie möglich töten.
Was auch dieser Mustang Pilot vorgehabt hatte, würde niemand je erfahren, denn nachdem Stuntman der Mustang mit einigen gut getimten Raketen die Schilde zertrümmert hatte, zerfetzten seine Kanonen die Piratenmaschine so gründlich, dass Josiah unwillkürlich an Konfetti denken musste.
„Stuntman, ich glaube der hat genug.“
„Hmmpff.“
Josiah wusste gegen welche Dämonen Donovan ankämpfen musste, erst Recht als er erkannte, dass die Mustang die letzte Maschine gewesen war, die Donovan an diesem erwischen würde. Alle anderen Kampfflieger der Piraten waren mittlerweile entweder zerschossen, bewegungsunfähig oder zu weit weg. Die grüne Staffel verfolgte ein paar Shuttles, war aber schon zu weit weg um eine Verfolgung durch die Rote Staffel zu rechtfertigen.
Josiah war froh auch dieses Gefecht unbeschadet überstanden zu haben. Und auch wenn er nur ein paar vereinzelte Schüsse abgegeben hatte, als der Mustang in sein Schussfeld geraten war und ihm daher weiter sein zweiter Abschuss verwehrt blieb, so war er dennoch froh nicht weiter hatte eingreifen zu müssen. Anders als seine Kollegen brannte Sonnyboy nicht unbedingt darauf möglichst viele Abschüsse zu erzwingen und damit Karriere zu machen. Ihm reichte es schon seine Aufträge gewissenhaft zu erfüllen, seine Kameraden zu beschützen und diesen verdammten Krieg irgendwann zu überleben.
Über den Funk bekam er schnell mit, das auch Kid, Dog und Cabbie leer ausgegangen waren, aber auch keinem von Ihnen irgendetwas zugestossen war. Und Josiah war richtig froh darüber dass alle seine Freunde überlebt hatten. Irgendwie hatte er das unbestimmte Gefühl, dass das nicht immer so bleiben würde und er erschauderte bei dem Gedanken. Als er in den Militärdienst eingetreten war, war das nicht aus idealistischen Gründen gewesen. Er kam aus ziemlich ärmlichen Verhältnissen, hatte aber nicht genug Schulisches Talent beweisen können um ein Universitätsstipendium zu gewinnen. Also hatte er einen Test im örtlichen Musterungsbüro gemacht – Krieg hin, Krieg her – und hatte deutlich besser abgeschnitten. Nicht gut genug um sich für den medizinischen Dienst zu qualifizieren, was er ursprünglich gewollt habe, aber gut genug um dann schliesslich nach etlichen Tests für das Pilotenprogramm genommen zu werden.
Nicht schlecht für jemanden, der eigentlich in einem Slum aufgewachsen war.
Und nun sass er in einem mehrere Millionen Credits teuren Raumkampfflieger und flog gerade einen majestätisch in der Schwärze des Alls hängendes Kriegsmonster an. Nicht, das man die Columbia hätte mit bloßem Auge sehen können, erst recht nicht ohne die Infrarot-Restlichtverstärker seiner Helmansicht. Aber sein Helm zeigte ihm eine künstlich illuminierte Version der Columbia. Als ihn das automatische Landesystem endlich erfasst hatte, brauchte er sich nur nur zurüczulehnen und bestaunte mal wieder das gewaltige Stahlungetüm, das seine neue Heimat war. Die Landung war wie fast immer butterweich und nachdem er vom automatischen Schienensystem an seine Landebucht gefahren worden war, machte er noch einen letzten vorgeschriebenen Systemcheck und öffnete sein Cockpit. Augenblicklich empfing ihn das laute Kreischen von Metall aus Metall, mechanische Ansagen, laute Rufe, Flüche, vereinzeltes Stimmengemurmel.
Als er seinen Flieger verließ, wurde er schon von einem Techniker empfangen, der sich seinen Jäger gleich nochmal genau anschauen würde.
Josiah nickte dem jungen Mann kurz zu und machte sich auf den Weg zu seinem Quartier, wo ihn hoffentlich eine warme Dusche erwarten würde.
Als er sich umsah, erfasste ihn wieder dieses merkwürdige Gefühl, eine merkwürdige Angst, dass alles um ihn herum so fragil war und in einem kurzen Augenblick weg sein konnte, weil er in jedem Einsatz fallen konnte.
Er schüttelte seinen Kopf und versuchte diesen Gedanken zu verdrängen, während er um eine Ecke bog, nur um dort direkt und mit voller Wucht in einen anderen Piloten zu rauschen, der zudem dämlicherweise seinen Helm aufbehalten halte. Mit einem lauten „PENG“ knallte Josiah mit der Stirn gegen das geschlossene, voll verspiegelte Visier um dann benommen von diesem direkten Treffer rücklings auf den Boden zu krachen. Zu allem Überfluß schlug er da auch noch mit dem Hinterkopf auf dem harten Stahlboden auf und dann wurde es dunkel um ihn herum.

Josiah hatte keine Ahnung wie lange er da auf dem Stahlboden gelegen hatte, doch als er die Augen öffnete, musste er mit Erstaunen erkennen, dass er zu schweben schien. Oder die Stahldecke bewegte sich über ihm.
Eines von beiden.
Als er dann aber den leichten Fahrtwind wahrnahm, wusste er, dass er auf einem der elektrischen und damit fast lautlosen Krankentransportwagen fuhr.
Er stöhnte laut und wollte sich aufrappeln, doch wurde er daran von einem hünenhaften Sanitäter gestoppt. Der Stiernacken hätte sich sehr gut auf jedem Marines-Plakat gemacht können und seine warme weiche Stimme stand in totalem Kontrast zu seinem muskulösem Äüßerem.
„Hoho, Lieutenant, das lassen wir mal schön bleiben, in Ordnung? Wir müssen erstmal ihren Nacken auf Verletzungen untersuchen.“
Sonnyboy wollte etwas erwidern, doch in diesem Augenblick merkte er den stechenden Schmerz in seinem Kopf und die Erinnerung an seinen Sturz kam wieder zurück und ein leichtes Stöhnen entfuhr seinem Mund.
„Wer behält denn bitte nach einem Einsatz seinen Helm auf?“ hörte er eine dunkle, männliche Stimme hinter sich zischen und bemerkte jetzt erst, das zwei Piloten auf den umgedrehten Sitzen am Heck des Krankentransporters saßen. Er verrenkte seinen Kopf ein kleines bisschen, bis ihn wieder ein grauenhafter Schmerz durchzuckte und erkannte jeweils Stuntmans und Bobcats Hinterköpfe und Rücken, da die beiden entgegen der Fahrtrichtung saßen. Sie hob gerade beschwichtigend die Hände. „Tut mir leid, ich war in Gedanken... und außerdem wollte ich unerkannt in meine Kabine.“
„Als wärst du so eine Berühmtheit.“
„Naja, zumindest deutlich beliebter als du...“
„Na, woran das wohl liegt.“
„Was soll das denn heißen? Bist du etwa eifersüchtig?“ Bobcats Stimme bekam einen neckischen Tonfall, der Sonnyboy trotz seiner Kopfschmerzen aufhorchen ließ.
Stuntman antwortete nur mit einem undefinierbarem Grunzen.
„Du bist tatsächlich eifersüchtig... Och, wie süß ist das denn?“ Bobcat musste kurz auflachen und Sonnyboy dämmerte nun, dass die Gerüchte also stimmten und die beiden eine Affäre hatten. Und er wunderte sich auch nicht darüber. Wer wäre nicht gerne mit Sharon „Bobcat“ Rogers zusammen? Und Donovan Cartmell sah auch nicht übel aus, wenn man mal von seiner grummeligen Art absah.
„Lass das“ zischte Donovan. „Mach dir lieber mal Gedanken, wie du diesen Unfall erklären willst.“
„Was gibt es da groß zu erklären? Der junge Hengst hier ist im Galopp um die Ecke gebogen und voll in mich reingerasselt. Ganz ehrlich bin ich froh, dass ich meinen Helm aufhatte. Sonst läge ich jetzt wahrscheinlich neben ihm auf der Trage. Und wahrscheinlich auch mit einer großen Beule oder anderen schlimmerem Verletzungen, die dieses hübsche Gesicht dann jetzt verunstalten würden.“
Donovan sagte nichts mehr, das Argument schien ihn überzeugt zu haben.
„Nun komm schon, du Grummelbär. Sei nicht sauer, das ich eines deiner Spielzeuge kaputt gemacht habe. Was hältst du davon, dass wir uns in einer Stunde bei dir treffen und ein wenig Zeit verbringen?“
„Geht nicht, Too-Tall und Kali haben beide frei.“
„Als ob das die einzigen Plätze an Bord wären, an denen wir uns treffen könnten.“
Donovan schien zu überlegen, doch es dauerte nicht lange, bis er überzeugt war. „Na gut.“
„So ist´s brav. Ich kümmere mich erstmal um den Kleinen hier, mach mich dann frisch und hole dich dann ab.“
„Nein, wir treffen uns in der Kantine, ich muss erstmal was ordentliches Essen.“
„Auch gut, je mehr du dich stärkst, desto besser...“ Sonnyboy konnte Bobcats Gesicht nicht sehen, konnte sich aber ihr anzügliches Lächeln förmlich vorstellen.
Und dann hatte er ihr Gesicht mit einem Mal und vollkommen unerwartet direkt vor seinem. „Na sieh mal an, der Kleine ist ja wach.“ Bobcat lächelte zuckersüß und streichelte ihm sanft über seine Stirnhaare. „Und? Haben wir auch schön brav gelauscht?“
Sonnyboy fühlte sich automatisch ertappt und spürte sofort, wie er errötete. Alles was er zustande brachte war ein schüchternes Gebrabbel, welches Bobcat ohnehin ignorierte und sofort weiterflötete. „Was machen die Kopfschmerzen? Der liebe Sani hier wird sicher gut auf dich achtgeben. Und ich komme dich mal besuchen, ok mein Süßer?“ Sie zwinkerte ihm zu und jagte weitere Wellen der Errötung durch sein Gesicht.
„So wir werden hier mal aussteigen, bevor du dem Kleinen noch komplett den Kopf verdrehst“ meckerte Donovan und beugte sich seinerseits zu ihm runter. „Halt die Ohren steif, Sonnyboy, du bist bestimmt bald wieder auf den Beinen.“
„Der wird wohl eher woanders steif sein für eine Weile.“
„Bobcat...!!!“
„Was denn?“ Sie lachte schallend auf. „Ich meinte doch seinen Nacken...!!!“
Die beiden sprangen von dem Fahrzeug ab, gerade als der den Fahrstuhl erreicht hatte, der zur Krankenstation führte und verabschiedeten sich kurz von ihm.
Josiah hätte fast gelacht über die skurillen Ereignisse, wenn er nicht so starke Kopfschmerzen hätte. Und er war sich sicher, dass sich seine Kameraden sicher über sein Missgeschick kaputt lachen würden, denn Schadenfreude war noch immer die größte Freude.
Solange Sharon „Bobcat“ Rogers ihn auf der Krankenstation besuchen würde, würde es ihm egal sein. Und damit wurde er trotz seines Schädelbrummens mit einem Lächeln in seinem Gesicht in die Krankenstation gefahren.

***

Marines Ausbildungskaserne Fort Kendrick, In der Nähe von Neu Kapstadt,
Seafort, Sterntor, FRT

Wie von Lt. Colonel Hue Xha Bao gefordert stand Sergeant Jean Davis pünktlich um 0600 am Shuttlelandeplatz von Fort Kendrick und freute sich schon auf die willkommene Abwechslung eines Ausflugs ins All. Wie alle Mitglieder des Davis-Clans gehörte auch sie zu den Sternenkindern, die sich eigentlich so an das Leben an Bord eines Raumschiffs gewöhnt hatten, dass sie zumindest Heimweh nach der künstlichen Schwerkraft, der Terra-Normalzeit und der unerbittlichen Kälte und Schwärze des Alls hatte.
Seafort verfügte zwar über eine erdähnliche Gravitation, die lag aber dennoch knapp 10% höher als die auf Terra geeichte künstliche Schwerelosigkeit an Bord aller terranischen Raumschiffe. Und somit fühlte sich das auch nach mehreren Wochen immer noch ungewohnt an. Alles war ein kleines bisschen schwerer, man sprang niedriger und auch weniger weit, daran musste man sich auch erstmal gewöhnen.
Dafür gab es auf Seafort aber genauso wie an Bord von Raumschiffen keine Jahreszeiten, da die Achsneigung des Planeten bei mickrigen 1% lag und damit insgesamt nur sehr geringe saisonale Schwankungen mit sich brachten.
Doch was Jean am meisten zu schaffen machte, waren die die Tages- und Nachtzeiten auf diesem Planeten. Diese bereiteten allen Fremdweltlern Schwierigkeiten, denn sie waren mit knapp 35 Stunden fast 50% über der Terranormalzeit. Das bedeutete, dass die Armee zwar immer noch mit 24 Stunden und 1440 Minuten und 86400 Sekunden pro Tag agierte, aber jede Sekunde eigentlich 1,5 Sekunden lang war. Das wiederum hieß, das die meisten Fremdweltler Probleme mit ihrem Bio-Rhytmus bekamen, da die jeweiligen Tage und Nächte damit nunmal deutlich länger waren, als man es gewohnt war.
Und damit war man am frühen Nachmittag Seafort-Time schon müde, was ja dann schon spät Abends Terra-Normalzeit war. Und dann wachte man beizeiten mitten in der Nacht hellwach auf, da zu Terranormalzeit dann schon der Tag längst angebrochen war.
Jean hatte gehört, dass es bei manchen Fremdweltlern Jahre gedauert hatte, bis sich der Bio-Rhytmus entsprechend eingestellt hatte. Und manche kamen nie mit dieser Umstellung zurecht.
Jedenfalls stand Jean Davis pünktlich am vereinbarten Treffpunkt und gähnte herzhaft, als ausgerechnet in diesem Augenblick Lt. Col. Hue Xha Bao mit seinem persönlichen Adjudanten – Corporal Sanjeev Argawal um die Ecke bog und auf sie zukam. Sofort stand Davis stramm und versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Doch auch der Lt. Colonel ging nicht weiter darauf ein, sondern begrüßte sie knapp aber freundlich.
Kurze Zeit später waren sie an Bord ihres Shuttles welches zügig abhob und schnell in den Himmel katapultierte. Jeans Magen rebellierte kurz, als sie der Anpressdruck in den Sitz presste kurz bevor die Trägheitsdämpfer volle Leistung aufgenommen hatten und damit den Druck im Shuttle wieder auf Terranormal-G brachten. Doch selbst diese kurze Phase ließ Jean seufzen und als sie aus den Shuttle Bullaugen hinausblickte und die Oberfläche des Planeten unter sich schneller entfernte musste sie Grinsen.
„Dachte ich mir doch, dass ihnen das Gefallen wird.“
„Wie bitte, Sir?“
„Ein Ausflug ins All... Ich dachte mir doch, dass jemand aus dem Davis-Clan sich förmlich ins All wünschen müsste.“
Jean Davis lächelte kurz und nickte. „Ja, Sir. Das All liegt uns nunmal im Blut.“
„Erklären sie mir doch bitte zwei Sachen, Sergeant.“
„Gerne, Sir.“
„Erstens, warum sind sie zum Marines Corp gegangen und nicht zur Schiffsmarine oder zu den Jagdfliegern oder zumindest in die Offiziersausbildung. Und zweitens, warum sind sie nicht zu den Jumpin Devils gewechselt als sie die Gelegnheit hatten?“
Davis stockte einen Augenblick, da sie erkannte, das der Colonel offensichtlich Erkundigungen über sie eingeholt haben musste. „Sir, um eine lange Geschichte abzukürzen: Die Ausbildungen der anderen Truppengattungen waren mir einfach zu langwierig und ich wollte so schnell wie möglich an die Front und in den Einsatz. Und die Jumpin` Devils... waren verlockend, aber ich habe dann doch festgestellt, dass ich zu Höherem streben möchte. Und die Aussicht auf die Offizierslaufbahn war ebenfalls reizvoll. Wenn ich es schaffen sollte, dann hätte ich im Grunde kaum Zeit verloren, denn die Ausbildung zum Lieutenant Junior Grade hätte ich wahrscheinlich auch erst vor einem halben Jahr beendet. Aber so konnte ich vorher schon unglaublich viel Erfahrung sammeln. Ich denke, dass das mir und meinen Leuten zugute kommen dürfte, wenn ich als bereits kampferprobter Lieutenant ein Platoon übernehme.“
„Zweifellos. Sie scheinen eine ordentliche Portion Energie und Ehrgeiz zu verfügen. Das schätzen wir sehr.“
Jean Davis spürte, wie sie sich gleichzeitig über dieses Lob sehr freute und verlegen wurde. „Danke, Sir.“ Sie räusperte sich, um ihre Verlegenheit zu überspielen. „Darf ich fragen, wohin wir eigentlich fliegen, Sir.“
„Sicher Seargent, entschuldingen sie meine Zerstreutheit. Wir sind auf dem Weg zur Vho Nguyen Giap, einer unserer Fregatten, die die Sterntorbasis beschützen. Die VNG hat es in einem früheren Einsatz schwer erwischt und kämpft immer noch mit den Folgen und Reperaturmaßnahmen. Eine Weile sah es so aus, als ob das Schiff aufgegeben und verschrottet werden müsste, aber seit neuestem scheint es wieder aufwärts zu gehen. Eigentlich gehörte sie zum Geleitschutz der Columbia Kampfgruppe, aber nach deren Abmarsch Richtung Peshten-Gebiet blieb der Fregatte nichts anderes übrig als zurückzubleiben und erstmal wieder auf die Beine zu kommen. Der Captain an Bord ist ein alter Kamerad von mir aus früheren Zeiten, Commander Igor Maleetschev. Also habe ich ihn gebeten, ob er uns sein Schiff zu Manöverübungen zur Verfügung stellen kann.“
„Maleetschev? Hat der Commander etwas mit der Cunningham-Maleetschev-Methode zu tun?“
Hue Xha Boa lachte kurz auf. „Er ist der gemeinsame Erfinder des Ganzen, zusammen mit ihrem früheren CAG, Lucas „Lone Wolf“ Cunningham. Aber woher kennen sie die Methode.“
„Nun, Sir, Zufall. Ich lese eben viel.“
Hue Xha Bao nickte, lächelte immer noch, aber hatte jetzt noch einen anderen Gesichtsausdruck. „Zufall würde ich das nicht nennen. Erklären sie mir die Methode doch einmal kurz, ich habe sie nie wirklich ganz verstanden.“
Jean Davis erkannte sofort, dass das eine Falle war. Sie glaubte nicht einen Augenblick, dass jemand von der Intelligenz eines Hue Xha Bao die Methode nicht verstanden hatte, zumindest die praktischen Bestandteile. Und so erklärte sie in kurzen knappen Ausführungen, dass die Cunningham-Maleetschev-Methode im Grunde ein Wurmloch-Spähmanöver war, welches zwar nicht grundsätzlich neu war, aber in der Ausführung und Effektivität so simpel, dass es sich im Laufe des Krieges als Standardspähmanöver etabliert hatte und es mittlerweile auf vielen Kriegsschiffen Cunningham-Maleetschev-Sonden gab und dass diese CM-Sonden immer ausgefeilter wurden, seit neuestem sogar mit Tarntechnologie ausgestattet wurden und an einigen Wurmlöchern mittlerweile als permanente „Torwächter“ fungierten. Als Jean mit ihren Ausführung geendet hatte, wartete sie auf die Reaktion des Oberstleutnants.
„Eindrucksvoll, Sergeant. Danke für diese leicht verständlichen Ausführungen.“
Nun musste Jean Davis wieder verlegen lächeln. Sie fühlte sich geschmeichelt, wusste aber nicht, ob ihr das in ihrer Ausbildung zum Vorteil gereichen würde. Bisher war sie mit ihrem Wissen und ihrer Wissbegierde immer etwas vorsichtig gewesen, denn bei den Marines waren – vor allem in den Mannschaftsrängen – Klugscheisser nicht besonders beliebt gewesen. Das hatte Jean einige Male deutlich zu hören und auch zu spüren bekommen. Aber jetzt blühte sie förmlich auf, denn im Offizierslehrgang schienen ihre Fertigkeiten endlich geschätzt zu werden.
Der Rest des Fluges verlief mit taktischen Gesprächen zu dem bevorstehenden Manövereinsatz an Bord der Vho Nguyen Giap und schien Davis im wahrsten Sinne des Fluges zu verfliegen.

Die Landung im Fährenhangar der Vho Nguyen Giap verlief reibungslos und an der Fährenrampe wurden sie von einem viel zu jung- aber auch gutaussehenden und breit grinsenden Commander begrüßt. Nachdem Oberstleutnant Hue von einem „alten“ Kameraden gesprochen hatte, war Jean von einem viel älteren Kommandeur ausgegangen. Sie war sehr überrascht und hoffte, dass ihr diese Überraschung nicht anzusehen war.
Militärisch zackig begrüßte der Captain der Vho Nguyen Giap den Lt. Colonel, nur um ihn dann kurz darauf mit einem kräftigen Handschlag freundschaftlich in den Arm zu nehmen.
„Schön dich zu sehen, Bao. Wurde aber auch mal Zeit, dass du uns mal wieder einen Besuch abstattest“.
„Ja, Igor. Du hast Recht, aber du weißt ja, wie das mit der Pflicht ist. Sanjeev kennst du ja, aber darf ich dir bitte Sergeant Jean Davis vorstellen?“
Wieder ein militärisch zackiger Gruß, den Jean erwiderte. Und Jean ertappte sich bei dem flüchtigen Gedanken, dass es schade war, dass sie keine innige Umarmung bekam. „Willkommen an Bord der VNG, Sergeant, Corporal.“
„Danke, Captain.“
Igor lächelte kurz und wandte sich dann wieder an den Colonel. „So, dann lasst uns mal direkt zu Tisch streiten, ich habe einen Bärenhunger.“
„Igor, keine Umstände, lass uns lieber direkt die Manöverbesprechung durchführen, wir müssen uns ohnehin in 4 Stunden wieder auf den Rückweg machen.“
Maleetschev schüttelte den Kopf. „Unsinn, Bao. Die Manöverbesprechung können wir auch kürzer handhaben und uns erstmal ordentlich stärken. Die VNG hat nicht allzu häufig hohen Besuch, unser Kantinenchef hat darauf bestanden, ein Admiralsmenü kochen zu dürfen.“
„Und wo ist der Admiral?“ Hue Xha Bao blickte verwundert hinter sich.
„Für die Dauer deines Aufenthalts hier an Bord befördere ich dich hiermit zum Admiral ehrenhalber.“
Hue Xha Bao lachte kurz auf, nickte dann aber erfreut. „Na, dann kann ich ja wohl nicht Nein sagen, oder?“
Der Skipper der VNG lachte zurück und bedeutete seinen Gästen, dass sie ihm folgen sollten.

Während des gesamten Essens war der Commander äußerst aufmerksam, hörte geduldig zu, stellte kluge Fragen und noch klügere Rückfragen. Und er machte viele sinnvolle Anmerkungen. Jean Davis war beeindruckt von seiner Kreativität, Sachkenntnis und schnellen Auffassungsgabe. Kein Wunder, dass er trotz seines vergleichsweise jungen Alters schon so schnell befördert worden war. Die CM-Methode tat sicher sein Übriges um ihm einiges an Reputation zu bringen. Und damit lag natürlich die Frage auf der Hand, warum er immer noch auf der VNG war, wo es doch seinen eigenen Schilderungen nach fast offensichtlich war, dass das Schiff nicht so bald einen Kampfeinsatz erleben würde, wenn überhaupt noch.
Nach dem Essen machten sie mit der Planungsbesprechung in einem der Konferenzräume an Bord weiter, besprachen Detailpläne, Aufgabenlisten und Zeitplanungen. Und schließlich schlug Commander Maleetschev einen Schiffsrundgang vor.
Und bei diesem Rundgang fielen tatsächlich die massiven Probleme des Schiffes ins Auge, überall waren offene Kabelschächte, fehlende Abschirmungen, defekte Türanlagen usw. Als sie dann nach dem Schiffsrundgang auf die Brücke kamen, sahen sie eine Vielzahl blutjunger Kadetten, Ensigns und JayGees und fragte sich instinktiv, ob das Schiff einen Jungbrunnen hatte? Denn so wie es schien war jede einzelne Station mit einem viel zu niedrigen Rang besetzt, nur ganz wenige erfahrene Offiziere schienen die unerfahrenen zu begutachten.
Als der Captain schließlich eine kleine Pause bei seinen Ausführungen einlegte, fasste sich Jean ein Herz und fragte den eloquenten Schiffskapitän mit den strahlend blauen Augen „Sir, ich hoffe ich bin nicht zu direkt, aber ist ihre Crew nicht ein wenig... ähm... sehr jung und ähm... eventuell unerfahren?“
Der Commander lächelte wieder breit und sein Blick huschte ganz kurz hinüber zum Lt. Colonel und Jean Davis fragte sich, ob sie nicht doch etwas zu forsch gewesen war mir ihrer Frage. Doch warum sollte er dann lächeln.“
„Nun, Sergeant, dass haben sie gut beobachtet. Ja, in der Tat ist der Großteil der Crew äußerst jung und das liegt daran, dass mir meine ursprüngliche Crew aufgrund der Reperaturmaßnahmen einer nach dem anderen abhanden gekommen ist.“ Maleetschev machte eine kurze Pause und es huschte ein kurzer Augenblick des Schmerzes und der Enttäuschung über seinen Gesichtsausdruck, Es war Jean sofort klar, dass unter diesen Offizieren seiner ursprünglichen Crew mit Sicherheit welche dabei gewesen sein mussten, die er nicht hatte ziehen lassen wollen. „Nun ja, jedenfalls ist die Vho Nguyen Giap im Augenblick eher ein Ausbildungsschiff in Reperatur als ein vollwertiges Kampfschiff der TSN.“
„Das tut mir leid, Sir!“
Er winkte ab. „Das muss ihnen nicht leid tun, Sergeant Davis. Sie können ja nichts dafür.“
Und außerdem, wenn es nicht so wäre, würden sie wohl kaum hier stehen, oder?“
„Das stimmt, Sir. Aber warum wird ihr Schiff nicht in der Sterntorwerft repariert?“
„Das hat man versucht, aber die Bordverkabelung und die Rauchgasanlagen sind irreperabel beschädigt und müssten komplett ausgewechselt werden. Das Schiff hat einen Gesamtfunktionsgrad von knapp 75% - zu viel um es zu verschrotten aber zu wenig um auf Feindfahrt gehen zu können. Also hat man das Schiff als mobile Geschützbatterie und Geleitschutz der Sterntorbasis detachiert. Und da man dafür nun mal keine komplett ausgebildete Crew benötigt, hat man meine Senioroffizieren abgezogen und das Schiff gleich noch in ein Ausbildungsschiff umfunktioniert.“
Jean Davis nickte und es kam ihr automatisch eine Frage in den Kopf, doch Lt. Col. Hue war schneller.
„Und warum bist du dann noch hier, Igor?“
Maleetschev lächelte ein wenig gequält. „Du weißt doch, Bao, der Skipper geht als letztes von Bord. Und außerdem war noch nicht das richtige Angebot dabei.“
In diesem Augenblick erreichten sie die Messe und waren erstaunt, was der Skipper und sein Chefkoch alles an Köstlichkeiten aufgefahren hatte. Maleetschev versicherte, dass die Crew im Nachgang ebenfalls das Vergnügen haben würden, aber in Augenblick hatten sie ein luxuriöses Essen nur zu sechst: Der Kapitan, sein XO und der Bosun der Vho Nguyen Giap und Lt. Col Hue, Corporal Argawal und Jean Davis.
Während sie aßen besprachen sie den bevorstehenden Manövereinsatz in allen Details, doch Jean bemerkte, dass es doch sehr viel Details gab, an die sie bislang noch gar nicht gedacht hatte. Sie versuchte alles so gut wir möglich zu beantworten, doch sie spürte, dass sie nicht alles unter Kontrolle hatte. Als ihre Zeit dann abgelaufen war, waren sich alle Anwesenden im Raum bewußt, dass es noch einiges an Koordinationsaufwand gab.
Hue Xha Bao kam gleich zur Sache ohne um den heißen Brei herumzureden. „Nun, Igor, was hältst du von der Sache?“
„Mir gefällt diese Idee, vor allem, da es sich hierbei sowohl für die Kadetten der Marines als auch meiner Junioroffiziere ein wichtiges Szenario ist, das man üben sollte. Und wenn dieses Manöver gut funktioniert, könnte man es als permanente Institution zwischen unseren beiden Einheiten etablieren. Aber es sind noch wahnsinnig viele Fragen offen. Ich befürchte, wir brauchen noch viel mehr Zeit zur Vorbereitung!“
„Ich verstehe. Und was schlägst du vor?“
„Nun, ganz einfach. Der Einsatz soll in 10 Wochen über die Bühne gehen, Sergeant Davis – die in allen Belangen über das meiset Wissen zu verfügen scheint - könnte in drei Wochen für eine Woche an Bord der VNG kommen und mit uns alles vorbereiten.“
„Unmöglich, Sir, in 3 Wochen haben wir unseren ersten Manövereinsatz im Changara-Dschungel.“
„Gut, dann kommen sie eben in 4 Wochen.“
„Aber ich muß Kurse besuchen...“
„Das können sie auch von hier aus, wir haben hier eine exzellente Videokonferenzanlage, eine der wenigen Dinge, die hier an Bord einwandfrei funktionieren, ich halte meine CM-Methoden-Vorträge auf diese Weise.“
„Aber ich muß auch die anderen Manövereinsätze noch planen, die brauchen mich da unten...“
Maleetschev schien zunehmend irritiert zu sein, blieb aber höflich. „Diese können sie bestimmt an ihre Kollegen deligieren, auch eine wichtige Fähigkeit, die es als Offizier zu lernen gilt. Sergeant Davis, so langsam gewinne ich den Eindruck, sie wollen nicht an Bord meines Schiffes bleiben. Bitte sagen sie ja, sonst nehme ich das alsbald persönlich.“ Maleetschev grinste breit und jetzt konnte auch Jean sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Nein, das ist es nicht Captain, alleine schon der Gedanke wieder eine Woche auf einem Schiff zu sein ist reizvoll...“
Maleetschev nickte wissend. „Das habe ich mir bei ihrem Hintergrund auch gedacht.“
Jean Davis stockte schon wieder. Kannte hier etwa jeder ihre Verbindung zur Davis Spacefreight Corporation?
Nach kurzem Zögern führ Jean fort. „Ich würde ja gerne, aber es liegt nicht in meiner Hand das zu entscheiden, oder, Sir?“ Und damit blickte sie ihren Kommandeur an.
Hue Xha Bao zuckte kurz mit den Schultern. „Ich sehe nicht was dagegen sprechen würde, Sergeant.“
Maleetschev klatschte erfreut in die Hände. „Na also, dann wäre das ja geklärt. Wir erwarten sie dann in 4 Wochen an Bord der VNG, Sergeant Davis.“
„Aye, aye, Sir. Und ich freue mich schon darauf.“
Und das meinte Jean Davis genauso, wie sie es sagte. Endlich mal wieder eine Woche an Bord eines Kampfschiffes zu sein, auch wenn es mit irre viel Arbeit verbunden sein würde, das würde sie sehr genießen.

__________________
"Das Leben ist das was einem passiert, während man andere Pläne schmiedet." John Lennon

Mitglied der Autorenkooperationen "Dantons Chevaliers" und "Hinter den feindlichen Linien"

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Bewährungsprobe

Asteroidengürtel, Hellas-System

Für einen Moment musste Lilja mit der vertrauten Übelkeit kämpfen, als sie ihre Falcon in eine fast unmögliche Kurve zwang. Selbst mit den leistungsfähigen Trägheitsdämpfern gab es Manöver, die an die Grenzen dessen stießen, was ein menschlicher Körper ertragen konnte. Doch wer im Krieg überleben wollte, hatte lernen müssen, immer wieder bis zu diesen Grenzen zu gehen - und mitunter auch darüber hinaus.
Die Anzeigen ihres Jägers flackerten, ihrerseits bis auf das Äußerste strapaziert durch das vertraute Höllenspektakel. Dutzende Jäger, die einander mit Höchstgeschwindigkeit umtanzten, explodierende Raketen, Bordwaffenfeuer, abgefeuerte Störkörper - und dazu noch die Nachwirkungen der zwei Atomexplosionen. Lilja wollte lieber nicht darüber nachdenken, was das für Piloten in den beschädigten Maschinen bedeuten konnte. Eine Strahlenüberdosis war sogar heutzutage kein Vergnügen, auch wenn die Medizin große Fortschritte gemacht hatte.
Es war der Russin gelungen, ihre Piloten nach dem Ausweichmanöver wieder in Gefechtsformation zu versammeln. Das Training machte sich eben bezahlt, obwohl Lilja daran zweifelte, dass ihre Piloten ihr die Schinderei in den Simulatorkabinen danken würden. Die Kampfflieger der Grünen - das waren im Moment gerade mal Liljas eigene Sektion, nachdem sie Marine und Yànzi mit ihren Flügelpiloten zur Jagd auf die gegnerischen Shuttles detachiert hatte - hatten das Gefecht mit den feindlichen Jägern auf Befehl der Russin mit einem brutalen Alphaschlag begonnen. Sobald die feindlichen Piloten in Reichweite der Sparrow- und Amram-Mittelstreckenraketen waren, feuerten die vier Stallions nicht weniger als zwei Dutzend Raketen ab. Das ließ ihnen nur noch je ein Paar der im Jägerkampf weniger effektiven Sidewinder, aber die Russin war fest überzeugt, dass dies kein langwieriger Dogfight werden würde wie gegen eine imperiale Streitmacht. Die Piraten waren zahlenmäßig und technisch unterlegen - ein, zwei harte Nackenschläge, und ihre Moral würde unweigerlich zusammenbrechen.

Der Erfolg schien Lilja Recht zu geben. Zwar war nur eine Mustang spektakulär vom Feuer ihrer Stallions zerfetzt worden. Das war ein Erfolg von Crow, dessen Jubelschreie noch immer über die Staffelfrequenz tönten, trotz des unwirschen Anraunzers seitens der Staffelchefin. Aber zwei weitere Piraten waren erheblich beschädigt worden, und die durch den "Phönix-Hagel" der Schwarzen und Roten bereits zersprengte Formation der Gegner hatte sich praktisch aufgelöst. Was hieß, dass vielfach sogar die aufeinander eingespielten Paare aus Wingleader und Wingman voneinander getrennt waren - und Lilja hatte nicht vor, ihnen die Zeit zu lassen, sich wieder zu sammeln. Das Eintreffen von Imp und ihrer Sektion machte das Chaos perfekt.
Liljas XO bewies einmal mehr, warum sie sechs Jahre Krieg überstanden und sich nicht nur die Freundschaft, sondern auch die Hochachtung der gegenwärtigen Kommandeurin der Grünen verdient hatte. Beides war nichts, was man leicht erringen konnte. Imps Falcon fielen den Piraten just in dem Moment in den Rücken, als diese in denkbar schlechter Verfassung für die Abwehr einen Zweifronten-Angriffes waren. Zwei weitere Piraten - einer davon schon bereits angeschlagen - überlebten den Blitzangriff der vier Grünen nicht, ihre Maschinen explodierten, ehe jemand aussteigen konnte.
Natürlich war der Kampf nicht vollkommen einseitig. Bad Luck hatte zwei Lenkraketen ausweichen müssen - dabei hatten die Piraten davon offenkundig nur sehr wenige. Während er eine hatte abschütteln könnte, hatte die andere seinen Jäger schwer beschädigt. Glücklicherweise hatte ihn seine Wingleaderin Imp herausgehauen, und er konnte lädiert nach Hause humpeln. ,Wir sollten ihm vielleicht wirklich einen neuen Spitznamen geben, das wird ja langsam zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung...'

Bedauerlicherweise waren die feindlichen Jäger aber nicht das einzige Problem in diesem Kampf. Die gegnerischen Schiffe waren zwar nur aufgerüstete Frachter, aber sogar die Russin musste anerkennen, dass die Mechaniker und Richtschützen der Freibeuter ihr Handwerk verstanden. Das Geschützfeuer war frustrierend akkurat. Und die feindlichen Salvenwerfer spien ganze Schwärme ,ungelenkter' Raketen aus. Natürlich wurden sie nicht einfach nur aufs Geradewohl abgefeuert. Die feindlichen Zielcomputer analysierten die Flugbahn des anvisierten Jägers, dann schickten sie die Raketen auf vorberechnete Bahnen. Wenn die Waffenoffiziere ihr Handwerk verstanden, feuerten sie zudem Raketen auf die wahrscheinlichsten Ausweichrouten des Ziels. Es war also immer ein Wettkampf, wer wen überlistete. Und das hieß, dass Lilja einmal mehr ihrem Jäger und sich selbst viel, fast zuviel zumuten musste. Und natürlich durfte sie dabei nicht die Fühlung zu ihrem Flügelmann verlieren.

Lilja hatte gehofft, der gegnerischen Salve entgehen zu können, doch eine heftige und unangenehm nahe Doppelexplosion bewies ihr, dass entweder die gegnerischen Richtschützen ihr Handwerk WIRKLICH gut verstanden, oder die ,dummen' Raketen bereits zur zweiten Generation gehörten. Diese Sorte Gefechtsköpfe verfügte über primitive IR- oder Radarsensoren, die auch im Fall einer Annäherung an ein Ziel eine Detonation auslösten. Die Raketen verfügten nicht über die Computerhirne und Manöverdüsen echter Lenkwaffen, waren aber deutlich effektiver als Raketen mit reinen Aufschlagzündern.
Die Staffelchefin der Grünen brauchte einen Moment, bevor sie wieder klar sehen konnte. Glücklicherweise war sie angeschnallt und trug einen Helm, sonst wäre ihr Gesicht vermutlich Matsch gewesen. Aber auch so war sie mit der Innenseite ihres Raumhelms kollidiert, was dafür sorgte, dass sie sich die Nase angeschlagen hatte, ihre Lippe blutete und auf ihrer Stirn vermutlich eine kolossale Beule im Entstehen begriffen war.
Ein schneller Blick auf ihre Anzeigen gab ihr noch mehr Grund zum Fluchen. Ihre Schilde hielten zwar, waren aber deutlich geschwächt. Noch einmal sollte so etwas besser nicht passieren. Zudem leuchteten einige Anzeigen im warnenden Gelb - vermutlich hatte die Erschütterung zu leichten internen Schäden an ihrer Maschine geführt. Aber sie war noch immer im Geschäft.
Die Russin war zu erfahren, um sich nach Knight UMZUSCHAUEN. Ihre Anzeigen arbeiteten selbst im Chaos der Schlacht wesentlich genauer als das menschliche Auge, und verrieten ihr, dass ihre Rückendeckung mithielt.

Es war die Fähigkeit, mehrere Bedrohungen und potentielle Ziele gleichzeitig im Auge zu behalten und die eigene Taktik entsprechend anzupassen, die eine exzellente Pilotin ausmachte, wie Lilja nie müde wurde zu betonen.
Die Russin registrierte einerseits, dass sie es fürs erste geschafft hatte, aus dem Feuervektor des feindlichen Frachters zu entkommen. Es gab ja auch genug andere Angels in Reichweite, und eine Falcon die so irrwitzige Manöver flog wie die ihre war einfach ein sehr unattraktives Ziel. Zweitens fiel ihr auf, dass vor ihr eine feindliche Mustang mit einer Nighthawk kurbelte - einer Maschine der Roten Staffel, welche genau erkannte sie auf die Schnelle nicht. Der Pirat schien einen leichten Vorteil zu haben, zumindest im Moment - seine Maschine hatte einen schwächeren Antrieb, aber da sie einiges leichter als die Nighthawk war, gerade einmal zwölf im Vergleich zu den 17 Tonnen der TSN-Maschine, schaffte sie es, in der ,Sechs' ihres Gegners zu bleiben. Die Flügelmaschine der Nighthawk war offenbar im Durcheinander von ihrem Vorgesetzten getrennt worden.
Darauf vertrauend, dass Knight IHR den Rücken freihielt, kurvte Lilja ein. Sie wusste, sie hatte vermutlich nur zehn, vielleicht fünfzehn Sekunden, bis die verdammten Frachter sie wieder ins Visier nehmen konnte. Aber das müsste eigentlich reichen...
Die Falcon beschleunigte, als die Chefin der Grünen den Nachbrenner betätigte. Gleichzeitig malträtierte sie die Manöverdüsen erbarmungslos. Ihre Maschine machte einen Satz, drehte sich um beinahe 90 Grad um die eigene Achse und flog gewissermaßen seitwärts. Dann sprachen die Kanonen. Laser- und Photonenbahnen tasteten nach der gegnerischen Jäger. Ihr Opfer war gut - sonst hätte diese Salve bereits sein Ende bedeutet. Die Mustang war ein veraltetes Modell, ihre Schilde deutlich schwächer als die moderner Maschinen - und vor allem hatten die meisten Piraten schon Federn lassen müssen. Liljas Gegner rettet sich durch ein fast planlos anmutendes Hakenschlagen.

Die Russin lächelte grausam, fast geringschätzig. Respekt vor einem Feind gehörte nicht zu ihren Lastern - und sie hatte schon Gegner erledigt, die wesentlich bessere Maschinen flogen, bessere Piloten waren. Sie beschleunigte erneut, wobei sie einen ganzen Schwarm an Täuschkörpern ausstieß. Das galt vor allem den gegnerischen Frachtern - sie musste es ihnen ja nicht zu leicht machen. Als der Zielerfassungsalarm aufheulte, war sie vorbereitet.
Vielleicht hatte der Mustang-Pilot damit gerechnet, dass seine Mutterschiffe ihn heraushauen würden. Wenn dem so war, wurden seine Hoffnungen bitter enttäuscht. Die Frachter feuerten zwar einige Salven ab, aber sie schienen massive Probleme zu haben, die Falcon zu erfassen. Dass deren Pilotin wieder einmal einer Ohnmacht nahe war, konnten sie ja nicht wissen.
Lilja zog vollen Vorteil aus den Fähigkeiten ihres Maschine. Die Falcon schlug Haken in jede denkbare Richtung, kurvte aber nach jedem "Hüpfer" wieder ein, mal über, mal unter oder auch seitlich von der Mustang. Wann immer der terranische Abfangjäger durch ein Ausweichmanöver kurzzeitig den Kontakt zum Piratenjäger verlor - die überlegene Beschleunigung und Geschwindigkeit brachten ihn wieder in eine Schussposition. Mit gezielten Salven verhinderte Lilja, dass die Mustang ausbrechen konnte, engte ihren Bewegungsspielraum immer weiter ein. Hin und wieder gelangen ihr Treffer, und das Ende für die Mustang war abzusehen. Sie wollte gerade zum finalen Angriff einkurven, als die Nighthawk, die sie kurz zuvor rausgeboxt hatte, mit dem Abschuss von zwei Amram-Raketen aus v kurzer Entfernung den Kampf beendete. Der Pirat, zu sehr auf die ,Falkin' in seinem Nacken fixiert, schaffte es gerade noch auszusteigen, ehe seine Maschine in einem Feuerball verging.

Für einen Moment fühlte Lilja fast so etwas wie Frustration, doch dann rief sie sich rasch zur Ordnung. Es kam in diesem Gefecht - in JEDEM Gefecht - nicht darauf an, wer den Feind erledigte. Wichtig war nur, dass er so schnell und effektiv wie möglich vernichtet wurde. Abschusszahlen waren ein wichtiger Maßstab für den Erfolg, aber die Russin hatte stets den Sieg der Staffel, ja des ganzen Geschwaders für wichtiger gehalten. Und das hier war ja nur ein Pirat, der Abschuss bedeutete also nicht einmal ein weiteres Ausgleichen der Rechnung, die sie mit den Echsen offen hatte.
Reflexartig ihre Frustration unterdrückend bellte sie der Nighthawk einen unwirschen Gruß herüber und markierte die Stelle des Abschusses für die Bergungsshuttles. Ein schneller Blick auf die Anzeigen, dann drehte sie ab. Es gab noch Ziele genug...

*****

First Lieutenant Sharon Taylor alias Marine - ihre eigentlich überfällige Beförderung war vor zwei Wochen endlich bestätigt worden - hatte es weit gebracht für jemanden, der ursprünglich als Seiteneinsteiger in das Raumjägercorps gegolten und nach dem ersten scharfen Kampfeinsatz ziemlich dumm aus der Wäsche geschaut hatte. Sie war bei der Neuformierung der Angels nach dem Verlust der Redemption zum Geschwader gestoßen und hatte sich mit einer Portion Glück, einigem an Begabung, viel Mühe und einer großen Portion Halsstarrigkeit und Sturheit emporgearbeitet. Vermutlich hätte sie schon früher Sektionschefin und First Lieutenant werden können. Aber nahezu ihre gesamte Zielstrebigkeit hatte der Bemühung gegolten, eine erstklassige Pilotin zu werden. Tja, wenn sie zusätzlich ihre Corps-Allüren und ihre mitunter etwas große beziehungsweise rüde Klappe gelegentlich gezügelt hätte...
Aber im Grund war sie sich nicht so sicher, ob sie ihren Ehrgeiz auf mehr als ihre gegenwärtigen Position richten sollte und wollte. Kommandoverantwortung war kein leichtes Brot, selbst wenn man nur XO einer Staffel war - wie sie sehr wohl wusste, schließlich war sie mit Ina ‚Imp‘ Richter befreundet. Und was weitergehende Pläne anging, nun, nahezu jeder Staffelchef der Angels hatte für seine Karriere einen verdammt hohen Preis gezahlt. In ihrer jetzigen Position tat sie, was sie gut konnte und was ihr Freude machte - Jäger fliegen und Echsen töten. Und um mehr zu werden als sie jetzt war, würde sie voraussichtlich die Angels verlassen müssen.
Was natürlich nicht hieß, dass sie nicht alles in ihrer Macht stehende tat, um ihre Sache wirklich, WIRKLICH gut zu machen. Das war sie sich schuldig.

Die vier Falcons von Marines Sektion hatten die Verfolgung der gegnerischen Shuttles mit Höchstgeschwindigkeit aufgenommen - zunächst. Aber da ihre Ziele den Asteroidengürtel als Deckung nutzten, mussten die Abfangjäger schon bald vom Gas herunter gehen. Zwar war immer noch reichlich ,Platz' zwischen den Materiewolken und den Gesteinsbrocken, aber wenn man mit einigen hundert Kilometern in der Sekunde durchs All düste, war ,reichlich' Platz nicht immer genug. Außerdem bedeutete höhere Geschwindigkeit, dass die reichlich vorhandenen Mikropartikel mit entsprechend höherer Wucht auf die Schilde knallten - was auf die Dauer sogar einen Kampfflieger in Bedrängnis bringen, in jedem Fall aber zu unangenehmen Kursschwankungen und Störungen der Sensoren führen konnte. Und schließlich hatten die Piraten bereits bewiesen, dass sie ziemlich einfallsreich waren - der Hauptverband der Angels hatte unerwartet viele Probleme, soviel bekam Marine auch auf die Entfernung mit.
Marine hatte eine Weile gebraucht, bis sie die gegnerischen Maschinen einordnen konnte. Natürlich störten die Freibeuter die Sensoren - was die Verfolgung nicht gerade erleichterte. In unregelmäßigen Abständen feuerten sie einzelne Täuschkörper ab. IR- und Radartäuscher waren ja dazu konstruiert, um den elektronischen Augen, Ohren und Hirnen von Lenkwaffen ein Ziel vorzugaukeln. Das hieß, sie waren auch mehr als ausreichend, die Sensoren eines Kampffliegers zu verwirren, zumindest in dieser Umgebung, wo Interferenzen häufig und Deckungsmöglichkeiten vorhanden waren. Zwar erbrachte eine kurze Kurkorrektur meist schnell Klarheit, ob man tatsächlich einem Shuttle hinterherhetzte oder nur einem Köder - aber auch nur ein paar Sekunden Unsicherheit bedeuteten einige tausend Kilometer Flugstrecke. Doch ungeachtet aller Widrigkeiten und kleinen Tricks ihrer Ziele kamen die TSN-Jäger den Piratenshuttles immer näher, und das mit erfreulicher Geschwindigkeit.

"Hier Stallion elf. Ich habe eine klarere Anzeige, was unsere Ziele betrifft." Yànzis Stimme ließ nicht die geringste Emotion erkennen. Ganz gewiss keine Furcht angesichts des Fluges durch das Asteroidenfeld, keine Nervosität vor dem nahenden Gefecht - aber auch keine Vorfreude, ausgelöst durch den Adrenalinrausch. Sie hätte genau so gut über ihr Frühstücksmenü sprechen können. Sharon war sich immer noch nicht sicher, was sie von ihrer neuen Untergebenen eigentlich halten sollte. Die ehemaliger Gunrider-Pilotin war schrecklich kompetent und konnte mit inzwischen knapp 30 Abschüssen, darunter drei Frachtern, auf eine furchteinflößende Abschussliste verweisen, die Marines Erfolge um einiges überstieg. Sie hatte aber bisher keine Starallüren an den Tag gelegt und schien kein Problem damit zu haben, der jüngeren Pilotin zu gehorchen, obwohl sie dienstälter war.
"Zwei sind S-52, vier...nein fünf S-41. Ich vermute, dass die Maschinen teilweise modifiziert wurden."
Marine knurrte eine Obszönität, die ihrer Wingfrau Shoki mit Sicherheit ein Kichern entlockt hätte, hätte die Sektionschefin einen offenen Kanal benutzt. Marine hatte gehofft, das es sich bei den Shuttles der Piraten um zivile Modelle handeln würde - mit leichten Laserkanonen bewaffnet, aber vermutlich ohne Lenkraketenwerfer. Aber bei modifizierten Modellen - darunter vielleicht ein oder zwei Sturm-Landungsbooten zum Angriff auf Frachter - konnte man sich nicht so sicher sein.

Die eigentliche Schlacht weit in ihrem Rücken strebte dem Höhepunkt entgegen. Marine hoffte insgeheim, dass die schlechten Nachrichten - etwas anderes als eine schnelle, endgültige und totale Niederlage der Jäger und Frachter der Freibeuter war nach ihrer Meinung nicht zu erwarten - die Shuttles dazu bringen würden, aufzugeben. Sie konnten ja wohl nicht hoffen wegzurennen. Und sieben Shuttles gegen vier schwer bewaffnete TSN-Abfangjäger war zwar keineswegs ein völlig chancenloser Kampf. Aber die Piraten konnten selbst im günstigsten Fall und bei völliger Überschätzung ihrer eigenen Fähigkeiten nicht auf einen Sieg hoffen, bei dem mehr als ein oder zwei von ihren Schiffen in einem Stück blieben. Wenn sie also nicht total "Gung-ho" waren - wie Yànzi sich ausgedrückt hatte - würden sie vermutlich einsehen, dass Nachgiebigkeit die klügere Wahl...
Gerade als Marine bei diesem Gedanken angekommen war, und sich überlegte, ob sie erst einen Angriff anordnen oder ihre Gegner zunächst zur Kapitulation auffordern sollte - sie waren fast in Feuerreichweite der Mittelstreckenraketen - zeigten ihr ihre Sensoren an, dass sie von einem der Shuttles angefunkt wurde.
Die junge Sektionschefin straffte sich: "Hier First Lieutenant Sharon Taylor, F..." Weiter kam sie nicht.
Die Frauenstimme am anderen Ende der Verbindung war verzerrt, es war unklar, wie alt die Sprecherin war - oder ob sie überhaupt menschlich war, was das anging: "F...ick dich selbst, Terryschlampe. Ich brauche dein Gesabbel nicht, hier sage ICH, wo es langgeht, und dein Name interessiert mich schon gar nicht! Du kommst dir wohl sehr stark vor? Nun, dann solltest du wissen, dass wir ein Shuttle voll mit Gefangenen in unserem kleinen Konvoi haben. Eine Rückversicherung unsererseits. Also bleibt auf Abstand, und wir lassen sie euch hier wenn wir springen. Greift an, und wir schießen Luftlöcher in die Hülle. Glaube nicht, dass die lange genug den Atem anhalten können. Ich würde dich sie ja fragen lassen..." Für einen Moment wurde die Funkverbindung unterbrochen. Marines Augen huschten unwillkürlich über die Anzeigen - offenbar kam die nächste Übertragung von einem anderen Shuttle. Doch anders als die...strukturierte...Ansprache der Piratin war alles, was die TSN-Pilotin nun hören konnte, ein chaotisches Konzert von Schreien - es klang wie gut ein Dutzend Männer und Frauen unterschiedlichen Alters, ein oder zwei Kindern waren wohl auch dabei. Und alle jammerten und schrien in den verschiedensten Sprachen um Hilfe, bettelten um Gnade.
Ebenso plötzlich verstummte der Chor und die Piratin meldete sich zurück: "Hehe, ich glaube nicht, dass einer von denen genug Mumm oder Verstand hat, auch nur klar zu antworten. Die scheißen sich wohl gerade alle ein. Na, wie gefällt dir das, Terry? Wenn du nicht zuhören willst, wie diese erbärmlichen Heulsusen ihren letzten Atemzug rausröcheln, tust du besser was ich dir sage. Daran solltest du als Militär-Matratze ja gewöhnt sein."

Für einen Moment war Marine perplex. Nicht wegen der Sprache, natürlich. So etwas hatte sie in der Grundausbildung jeden Morgen zum Frühstück, Mittag und Abendessen serviert bekommen, oft mit einem ordentlichen Nachschlag mitten in der Nacht. Aber eine Geiselsituation? Auf so etwas war sie nun wirklich nicht vorbereitet gewesen. Doch dann übernahmen ihre Reflexe und ihr Training, wenn auch gewiss nicht ihre Selbstbeherrschung: "Du mieses Stück Weltraumscheiße! Denkst du, du kannst dich hinter Geiseln verstecken? Das läuft so nicht! Gib auf, und ich garantiere dir eine anständige Behandlung. Aber glaub bloß nicht, dass ich dich einfach abschwirren lasse. Ich traue dir nicht so weit, wie ich deinen fetten Arsch treten kann. Überleg lieber, was wir mit DEINEN Leuten machen, wenn ihr den Gefangenen etwas antut! Denn ich garantier dir, dann mach ich die höchstpersönlich alle!"
Und ohne die Funkverbindung abzubrechen bellte sie Kommandos zu ihren Untergebenen: "Höchstgeschwindigkeits-Flankierungsmanöver vorbereiten! Gemeinsame Ziele für Wings folgen, je ein Paar Raketen auf jedes Ziel."
Sollte sie das umsetzen, war abzusehen, dass die beiden anvisierten Shuttles vermutlich einfach zerfetzt worden wären, wenn sie nicht viel Glück hatten. Denn zwei Raketen konnte ein Shuttle vielleicht ausweichen oder sie abschießen. Bei vier Lenkwaffen auf einmal standen die Chancen hingegen sehr, sehr schlecht. Nicht, dass Marine keine Bauchschmerzen bei der Aktion hatte. Wenn die Piraten ihre Drohung wahrmachten, würde sie sich das vermutlich für den Rest ihres Lebens vorwerfen. Aber sie war Soldatin der TSN, und die Befehle waren eindeutig - die Piraten mussten ausgeschaltet werden.

Die Freibeuter feuerten nicht auf eines der eigenen Shuttle wie angedroht. Aber sie gaben auch nicht auf.
"Na schön, du Heldin. Dann zeig mal, was du kannst. Überleg dir schon mal, was du auf den Grabstein von dem Kroppzeug schreibst - wenn sie einen kriegen!"
Nach diesen Worten brach mit einer bedrohlichen Plötzlichkeit der Funkverkehr zu den Freibeutern ab, gleichzeitig scherte plötzlich eines der kleinen Raumschiffe - genau das, von dem Marine zuvor den kurzen Funkspruch mit den Hilfeschreien empfangen hatte - aus dem losen Verband aus. In einem erratisch zu nennenden Kurs steuerte es direkt in die vergleichsweise "dichten" Regionen des Asteroidenfelds - und beschleunigte konstant.

Marine fluchte erstickt. Natürlich, daran hätte sie denken können. Die Piraten hatten vermutlich von Anfang an damit gerechnet, dieses Shuttle zu opfern - sei es dass sie es zerstörten oder zurückließen - und deshalb darauf verzichtet eine Crew an Bord zurückzulassen. Stattdessen hatten sie es vermutlich ferngesteuert. Das war machbar, so lange das Befehlsschiff in relativer Nähe blieb. Und jetzt hatten sie den Autopiloten aktiviert und schickten das Shuttle auf einen Kurs, der es in den Untergang führen musste. Es ging nicht nur um die Gefahr, dass das Shuttle sich in einen Asteroiden gravierte, was die offenkundigste, aber auch am wenigsten wahrscheinliche Gefahr war. Bei der konstanten Beschleunigung - die sich im Raum ja praktisch aufaddierte - würde es irgendwann die Konstruktionsgeschwindigkeit erreichen, jenseits derer eine konstante Gefahr bestand, dass die Trägheitsdämpfer ausfielen. Was einen sehr unschönen Tod für die Insassen bedeutete. Nahm man die unausweichlichen Kollisionen mit kleinen Gesteinsbrocken und Materiewolken hinzu...auch das würde irgendwann fatale Folgen. Und zu guter Letzt - wenn das Shuttle so viel ,Stoff' gab wie im Moment, dann würde es irgendwann so weit weg sein, dass eine Bergung auch angesichts der Geschwindigkeit nicht mehr möglich war, einfach weil die TSN-Shuttles nicht schnell genug aufschließen konnten. So oder so, die Insassen wären in jedem Fall Toast.
,Hm, angesichts Option eins und zwei vielleicht nicht die beste Wortwahl.'
Die Sektionschefin hatte nur ein paar Sekunden Zeit zu überlegen - jedes Zögern bedeutete noch mehr Vorsprung in Distanz und Geschwindigkeit für den Irrläufer.
" Yànzi - schnapp dir den Ausreißer! Schieß das Ding flügellahm, aber du musst es genau im richtigen Moment machen, wenn es nicht gerade auf einen Asteroiden zusteuert."
Den Antrieb zu zerstören bedeutete Präzisionsarbeit - der Einsatz von Raketen verbot sich von selbst, wollte man nicht riskieren, dass es zu einem Hüllenbruch kam. Das würde das Shuttle natürlich nicht stoppen - es würde mit der Geschwindigkeit im Moment des Treffers weiterfliegen - aber zumindest weitere Kursänderungen und Beschleunigung verhindern.
"Und pass auf. Die Schweine haben vermutlich nicht nur den Autopiloten aktiviert, sondern auch die Lasergeschütze auf selbstständige Zielerfassung geschaltet." Automatische Zielerfassung mochte nicht unbedingt von überlegener Präzision sein, wenn man auf ein Ziel wie einen Abfangjäger ballerte, aber sie bedeutete doch eine Gefahr.
Die ältere Pilotin verstand sofort: "Soll ich Fidai bei dir lassen?"
Marine zögerte. Sie konnte einen dritten Jäger gut gebrauchen. Aber auch Yànzi brauchte jedes Quäntchen Sachverstand und Feuerkraft um ihr Ziel im richtigen Moment mit der richtigen Wucht zu treffen. Sie wusste, Lilja hätte Yànzi alleine losgeschickt, oder gar eines der ,Küken' zur Rettungsmission detachiert. Aber Marine war nicht Lilja. Sie wusste selber nicht, was aus ihrer Familie geworden war - ähnlich wie vermutlich die meisten Angehörigen der Geiseln...
"Negativ. Beeilt euch. Kommt uns zu Hilfe, wenn ihr fertig seid. Und wir euch was übriglassen."
Mit diesen Worten beschleunigte sie ihren Jäger - in Richtung auf den Shuttlekonvoi der Piraten.

Shoki, die sich sofort ihre Position an der Seite ihrer Vorgesetzten eingenommen hatte, konnte natürlich wieder einmal ihre Klappe nicht halten: "Sag mal, Stallion Neun - findest du ,zwei zu sechs' nicht ein bisschen unsportlich? Ich meine für die armen Piraten..."
Marine schnitt unter ihrem Helm eine Grimasse - glücklicherweise sah es niemand. Die jüngere Pilotin hatte natürlich Recht.
"In Ordnung, das müssen wir mit Verstand angehen. Wir nutzen unsere Mittelstrecken-Lenkwaffen und picken uns erst einmal ein paar von diesen fliegenden Scheunentoren raus...Zwei-Seiten-Angriff, aber auf dasselbe Ziel. Mit etwas Fingerspitzengefühl sollten wir außer Reichweite der Kanonen bleiben können, bis wir zwei oder drei dieser Bastarde erledigt oder waidwund geschossen haben. Dann sehen wir weiter - wir haben ja auch noch jeder zwei Sidewinder." Die IR-Lenkwaffen waren freilich für diese Art Gefecht nur von begrenztem Nutzen. Sie ließen sich viel leichter verwirren, brauchten deutlich länger zur Erfassung und man musste viel dichter an das Ziel heran. Außerdem funktionierten sie gegen so kleine Gegner nur, wenn man sich im Moment des Abschusses in einem Feuerbereichskegel von etwa 45 Grad hinter den Triebwerken des Ziels befand. Ihr größter Vorteil war die vernichtende Feuerkraft.
"Könnte funktionieren. Und anschließend ein paar Blitzangriffe, bei denen wir uns den Rest vorknöpfen..." Marine überging großmütig, dass Shoki - vorlaut wie immer - ihre Meinung zu den Befehlen abgeben musste, anstatt sie einfach nur zu bestätigen.
"In zehn Sekunden Beginn erster Angriffsflug - häng dich an meine primäre Zielmarkierung. Zehn...Neun..."

Sobald sie bei ,Eins' angekommen war, betätigte Marine den Nachbrenner. Ihre Falcon machte förmlich einen Satz. Für einen Moment WAR glich sie wortwörtlich ihrem Namensgeber - ein Wanderfalke im tödlichen Sturzflug, das schnellste terranische Tier überhaupt.
Doch wie Tauben und andere Beutetiere des Falken waren die Shuttles der Piraten ihrem Schicksal nicht vollkommen wehrlos ausgeliefert. Nachdem sie durch den Einsatz des Gefangenenshuttles die Zahl ihrer Verfolger halbiert hatten und auch Marine und Shoki etwas zurückgefallen waren, versuchten die Piraten die Deckung einzelner Asteroiden zu nutzen, um die Verfolgung und Zielerfassung zu erschweren. Wie in den antiken Luftkämpfen auf der Erde im 20. Jahrhundert, als verfolgte Flugzeuge von Wolke zu Wolke geflüchtet waren, um ihre Jäger abzuschütteln, bemühten sie sich, stets einen soliden Gesteinsbrocken oder ein besonders dichtes Trümmerfeld zwischen die eigene Maschine und die Falcons zu bringen. Das konnte aber nicht auf Dauer gut gehen - nicht, wenn die Verfolger sich aufspalteten.
Dennoch war die Verfolgung ein tödliches Katz-und-Maus-Spiel, das sowohl Präzision in der Beherrschung der Maschinen als auch ein gutes Auge für die Sensoren erforderte. Glücklicherweise besaßen Shoki und Marine beides.

Mit grimmiger Genugtuung verfolgte Marine, wie die Distanzangaben immer weiter sanken. Sie hatte wegen der Gegenmaßnahmen ihrer Ziele nie alle sechs Shuttles auf dem Schirm, aber dass sie näherkam war unübersehbar. Die Pilotin wollte natürlich nicht auf Maximaldistanz feuern - kein Grund, dem Feind zuviel Zeit für Gegenmaßnahmen zu geben. Zwölf- bis Fünfzehntausend Kilometer sollten ausreichen. Als erstes Ziel hatte sie ein S-52-Großraumshuttle auserkoren. Sie rechnete damit, dass es gut besetzt war, und obwohl relativ schwer bewaffnet, war es weniger agil als die kleineren S-41 und damit ein leichteres Ziel.
Doch gerade, als sie den finalen Angriff starten wollte, meldete sich etwas, was sie in Ermangelung einer besseren Bezeichnung ihren Sechsten Sinn nannte - eine Mischung aus Erfahrung, Intuition und vielleicht auch Glück, die alle guten Piloten auszeichnete. Irgendetwas stimmte nicht, da war sie mit einmal sicher. Selbst wenn man die Schwierigkeiten bei der Zielerfassung berücksichtigte, eines der gegnerischen Shuttles hatte sie schon ZU lange nicht mehr gesichtet, und das konnte nur heißen, dass...im nächsten Moment handelte sie schon:
"AUSWEICHMANÖVER!"
Shoki, die ein paar tausend Kilometer ,seitlich' von Marine flog, reagierte sofort, ohne auch nur eine Frage zu stellen. Se feuerte eine ganze Salve von Störkörpern ab, während sie ihre Maschine in eine brutale Wende peitschte. Und das rettete ihr vermutlich das Leben.

Das feindliche Shuttle musste dicht über einem größeren Asteroiden ,geparkt' haben. Mit heruntergefahrenen Triebwerken, die Sensoren im Passivmodus - darauf vertrauend, dass seine Kameraden die Terries ausreichend markierten - war es fast unsichtbar gewesen. Jetzt beschleunigte es rasant und eröffnete das Feuer.
Zwei Lenkraketen überbrückten die Distanz zu Shokis Falcon in wenigen Sekunden. Sie mochten alt sein - vielleicht AIM-7, die über eine Kombination aus IR- und halbaktiven Radarzielsystem verfügten - aber sie waren immer noch tödlich. Und zugleich feuerte das Shuttle ganze Schwärme aus ungelenkten Raketen ab, tasteten die ultraheißen Strahlenbahnen eines leichten Plasmageschützes durch den Raum - eine Waffe, die die Peshten vertrieben.
Die Warnung hatte Shoki gerade genug Zeit gegeben, dem Schlimmsten zu entgehen. Eine der Lenkraketen detonierte harmlos an einem Täuschkörper, doch die zweite traf ihr Ziel. Wenigstens verfehlten die ungelenkten Raketen und das Geschützfeuer die Falcon.
Die junge Pilotin ließ ihre Maschine rotieren, dabei den Impuls des Einschlages der gegnerischen Rakete ausnutzend, und fast unbewusst hieb sie auf die Feuerknöpfe. Ihre Amram-Raketen konnte sie lageunabhängig abschießen, und das FFI-Zielsuchersystem erledigte die Erfassung praktisch von allein.
Doch das gegnerische Shuttle war offenkundig massiv modifiziert worden. Vermutlich hatte die Piraten ihr bestes Pferd im Stall für diese gefährliche Mission abgestellt. Nicht nur verfügte es über eine beeindruckende Palette an Störkörper-Werfern, es manövrierte auch einiges agiler als ein normales S-41 - und beide Lenkwaffen verfehlten ihr Ziel.
Shokis Falcon und das Sturmshuttle tauschten wütend Salven, während sie sich wie wild umtanzten. Immer wieder feuerte der Pirat ungelenkte Raketen ab, um die Bewegungsfreiheit seiner Gegnerin einzuengen. Shoki war weniger verschwenderisch mit ihrer Munition, schließlich lohnte es sich nicht, Raketen zu verschwenden. Aber ihre Laser- und Photonenkanonen waren ebenfalls nicht zu unterschätzen, auch wenn das Shuttle über stabile Schilde und eine verstärkte Panzerung verfügte.

Marine hatte ihre Maschine sofort beschleunigt, um ihrer Kameradin zu Hilfe zu kommen. Sie feuerte zwei Sparrow-Bilderkennungsraketen ab, doch wie durch ein Wunder entging ihr Feind seinem Untergang, indem er eine ganze Kaskade an Blitztäuschkörpern ausstieß. Diese überlasteten das Zielsystem der Lenkwaffen, so dass der Pirat ausweichen konnte. Im Gegenzug feuerte er seinerseits zwei Lenkraketen ab.
,Hoffentlich waren das seine letzten...'
Marine wich nicht etwa aus, sondern beschleunigte abrupt, was ihre Maschine in gefährliche Nähe zu ihrem Gegner brachte. Aber wie sie es sich gedacht hatte, waren dessen ungelenkte Raketen und die veralteten Lenkwaffen in einem echten Nahkampf nicht sehr effektiv. Allerdings kassierte ihre Falcon eine ganze Serie von Treffern durch das feindliche Plasmageschütz. ,Das alles dauert einfach zu lange!'
"Shoki, in zehn Sekunden teilen wir uns für Scheinrückzug auf, fünf Sekunden danach Von Bein..."
Sie wartete die Bestätigung ihrer Untergebenen nicht ab. Marine wich einem weiteren Schwarm ungelenkter Raketen aus, dann betätigte sie den Nachbrenner. Für den Piraten musste es so aussehen als ob sie und Shoki sich von ihm absetzten, zweifellos um ihre überlegene Mittelstreckenbewaffnung und Beweglichkeit voll zur Geltung zu bringen. Das Shuttle drehte ab, und zumindest etwas Schutz hinter dem Asteroiden zu finden...
Im nächsten Moment rotierten die beiden TSN-Kampfflieger um ihre eigene Achse. Marine, die sich in der richtigen Position befand, feuerte ihre zwei Sidewinder ab. Shoki unterstützte dies durch einen Feuerhagel aus ihren Geschützen. Die Piraten hatten bisher fast alles richtig gemacht, abgesehen natürlich von dem Fehler, überhaupt einen Kampf zu wagen. Doch ihr erster großer Fehler war auch ihr letzter. Gefangen im Kreuzfeuer wichen sie nicht mehr rechtzeitig aus. Eine der Sidewinder traf, Shokis Kanonen trugen zum Vernichtungswerk noch bei. Das Wrack taumelte durchs All, nur um Sekunden später auf dem Asteroiden aufzuschlagen und zu zerschellen.

Erst in diesem Moment merkte Marine, dass sie schweißgebadet war. Der Kampf hatte ihr einiges abverlangt. Wer auch immer in dem Shuttle gesessen hatte, er oder sie hatte einiges vom Handwerk verstanden.
Einen Moment lang atmetet sie einfach nur ein und aus, um sich etwas zu beruhigen. Ein Blinken auf ihren Anzeigen signalisierte ihr eine Nachricht von Yànzi: "Irrläufer lahmgeschossen, Flugbahn ist stabil." 'Wenigstens EINE Sache, die wie gewünscht funktioniert hat.'
"Bestätige - gute Arbeit. Ich sorge dafür, dass das Shuttle aufgesammelt wird."
"Verfolgen wir den Rest?" Shoki hörte sich in etwa so erschöpft an, wie Marine sich fühlte. Die Sektionschefin überflog die Anzeigen. Sie und Shoki hatten einiges an Munition und Treibstoff verpulvert, und vor allem Zeit verloren. Nahm man noch die Schäden hinzu, die vor allem Shoki erlitten hatte, und überschlug die Entfernung zu den fliehenden Shuttles, den Umstand, dass ihre Maschinen eben NICHT mit Zusatztanks gestartet waren und kein Tankshuttle bei der Hand war...
"Negativ." Marine hatte definitiv einen schlechten Geschmack im Mund. Das war nicht gut gelaufen, jedenfalls nicht so gut wie es hätte laufen SOLLEN.
Dass ihr ihre Untergebene Recht gab merkte man, dass sie ausnahmsweise keine altkluge Bemerkung auf Lager hatte: "Hm, wer kann sich eigentlich den Abschuss gutschreiben?"
Marine spürte eine albernes Kichern in ihrer Kehle aufsteigen - zweifellos eine Folge des überstandenen Kampfes: "Den teilen wir schwesterlich."

Ende

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TSN-Träger COLUMBIA


„Also, warum?“
Commander Decker presste die Lippen kurz zusammen und ließ seinen Blick über die Anwesenden wandern. Die Runde war nicht ganz dieselbe wie vor der Operation im Hellas-System. Natürlich Commander Stafford, die stellvertretende Geschwaderchefin, Kano als Kommandeur der Schwarzen Staffel sowie Ross für den NIC.
Neu waren hingegen mit Captain Ahn die Kommandantin des Trägers und Chief Dodson, der allerdings wirkte, als hätte er auf diese ‚Ehre‘ auch verzichten können. Dafür fehlten Lilja, Kali und Ace. Es war Decker gewesen, der auf eine möglichst kleine Runde bestanden hatte. Auch wenn es in Liljas Fall vermutlich auch noch einen anderen Grund gab…
Es war Decker, der jetzt auf Staffords Frage antwortete: „Es lag jedenfalls nicht an unserer Hardware.“
„Ja was denn?“ brauste Irons auf, die ohnehin nicht viel von Decker hielt: „Waren es vielleicht Kobolde? Irgendeinen Grund muss es schließlich geben! Oder waren Sie ganz einfach nicht in der Lage, ihn zu finden?!“
„Sie sagen mir nicht, wie ich meinen Job zu tun habe!“, brauste Decker auf: „Meine Leute und ich haben rund um die Uhr gearbeitet, während Sie ihren bedeutungslosen Sieg über einen Haufen Weltraumabschaum feiern konnten! Und dabei haben Ihre Weltraumjockeys sogar das vergeigt!“

Nach konventionellen Maßstäben war der Einsatz ein Erfolg gewesen. Die Angry Angels hatten unter minimalen Verlusten anderthalb Staffeln, zwei armierte Shuttles und zwei aufgerüstete Frachter vernichtet oder gekapert. Mehrere Dutzend Piraten waren inhaftiert worden. Nicht zu vergessen die 'zurückeroberte' Raumstation, auch wenn die bei der Enterung durch die Marineinfanterie bereits verlassen und in einem schauderhaften Zustand war.
Laut der Meinung des kommandierenden Marines-Offiziers war es ein Wunder, dass die Piraten sich noch nicht selbst in die Luft gejagt, verstrahlt oder durch explosive Dekompression umgebracht hatten. Man hatte sogar einiges von der Piratenbeute an Bord lassen müssen, weil die Bergung als zu riskant eingeschätzt worden war. Das und der straffe Zeitplan der COLUMBIA-Kampfgruppe hatte auch den Umfang der forensischen und geheimdienstlichen Ausbeute der Enteraktion begrenzt. Nach nur wenigen Stunden waren die Marines und NIC-Beamten die an Bord der Station gegangen waren wieder abgezogen. Die Station hatte man gesprengt. Sie sollte nicht noch einmal als Basis für Piraten dienen oder Wrackplünderer anlocken.
Ross war alles andere als erbaut gewesen, hatte er sich von der Enteraktion doch Auskunft darüber erhofft, wie zur Hölle die Piraten es geschafft hatten, aus dem Reaktormaterial der Stationzwei zwar primitive, furchtbar ineffektive und relativ 'schwache' - aber immerhin offensichtlich funktionstüchtige Atombomben zu basteln. Die dafür nötige Technik - und das Know How - fand man normalerweise NICHT auf dem Schwarzmarkt. Ross hatte das nicht näher ausgeführt, aber es war klar, was er befürchtete. Falls die Piraten vom Imperium oder der Konföderation 'Schützenhilfe' im Nuklearbereich erhalten hatten, dann war das weitaus gefährlicher als ein paar alte Raumjäger, ausgemusterte Schiffe oder überzählige Handfeuerwaffen. Die Alternativen - gestohlene oder auf dem Schwarzmarkt verschobene Technik aus TSN-Beständen oder entsprechend ausgebildetes Fachpersonal, das seine Fähigkeiten bereit war in der Schattenwirtschaft anzubieten - war nicht viel besser.
Da die geheimdienstliche Ausbeute der Enteraktion relativ unbefriedigend geblieben war, hatte sich der NIC-Repräsentant der COLUMBIA auf die eingebrachten Gefangenen gestürzt hatte, wie ein Hai auf einen blutenden Schwimmer.
Was möglicherweise ein Grund dafür war, dass er bei diesem Treffen nicht dabei war. Gerüchten zufolge befand sich Ross zur Zeit in einer vierundzwanzigstündigen Marathon-'Sitzung' mit einem der Offiziere des aufgebrachten Piratenfrachters. Der sich inzwischen vielleicht wünschte, man hätte sein Schiff einfach in die Luft gejagt...

Ross war allerdings nicht der eiinzige, der Grund zur Unzufriedenheit hatte. Immerhin hatten sich fünf Piraten-Shuttles absetzen können, nachdem sie ihre Verfolger nach allen Regeln der Kunst vorgeführt hatten. Nicht, dass Marine mit der Präzisionsarbeit ihrer Sektion geprahlt hatte, dank der es gelungen war, das auf Autopilot geschaltete Shuttle mit den Geiseln erst lahm zu schießen und dann seine Flugbahn zu sichern. Aber sie war wohl recht zufrieden mit sich gewesen. Etwa so lange, bis ein Shuttle der COLUMBIA den Irrläufer geentert hatte. Da hatte sich herausgestellt, dass es gar keine Geiseln gegeben hatte. Die Piraten hatten einfach ein leeres Shuttle auf Autopilot losgeschickt. Wie der ‚Chor der Verdammten‘ den Marine über Funk gehörte hatte, war das alles eine einzige Scharade gewesen, ein offenbar kurzfristig aber mit einigem Geschick aufgezogenes Täuschungsmanöver. Nun ja, das Shuttle war nicht GANZ leer gewesen – man hatte einiges an Beute der Piraten gefunden, die sie wohl für den Fall mitgeschleppt hatten, dass sie das ferngesteuerte Shuttle doch mitnehmen konnten. Aber das war kein Trost dafür, dass die anderen Shuttles entwischt waren.
Nach Deckers Meinung war schon dies – Geiseln hin, Geiseln her – ein halber Fehlschlag, hatte doch eigentlich kein Pirat entkommen sollen. Nun gab es gleich mehrere Dutzend potentieller Augenzeugen, dass ein Piratenschiff mit von Jägern abgefeuerten Atomraketen vernichtet worden war. Wenn sie dieses Wissen weitergaben, wenn sie vielleicht sogar Aufzeichnungen von dem Angriff besaßen…
Lilja und Decker waren deswegen ziemlich aneinandergeraten. Obwohl die russische Pilotin ihre Untergebenen hart rannahm und bei Fehlern eine Nulltoleranzpolitik vertrat, stellte sie sich im Zweifelsfall vor ihre Leute. Sie hatte Deckers Vorwürfe mit dem Hinweis gekontert, dass die Piraten kaum die Muße gehabt hatten auszuknobeln, welche Maschine die fraglichen Atomraketen abgefeuert hatten. Und während des Arrow-Angriffs sowieso weitab vom eigentlichen Geschehen gewesen waren. Decker hatte gekontert, dass er doch gerne die Geheimhaltung der neuesten TSN-Waffe nicht auf die Inkompetenz und mangelhafte Ausrüstung des Gegners stützen würde. Und so weiter.
Stafford und Irons hatten eingreifen müssen, bevor die Sache eskaliert war.
Aber Decker hatte auch andere Gründe für seine schlechte Laune gehabt. Selbst wenn man die Geheimhaltung außer Acht ließ, Hauptziel des Einsatzes war nun einmal der Test der neuen Arrow-Lenkwaffen gewesen, deren Entwicklung die Waffenforschungsabteilung der TSN mehrere Jahre und etliche Milliarden Credits gekostet hatte. Doch das Ergebnis des Feldtests war keineswegs das Erhoffte gewesen. Fünfzig Prozent der abgefeuerten Waffen hatten versagt. Deshalb war diese zusätzliche Nachbesprechung unvermeidlich gewesen. Und das war auch der Grund, weshalb bei den Anwesenden die Nerven blank lagen. Deckers Naturell war natürlich auch schon vorher nicht unbedingt verträglich gewesen.

„Bleiben wir sachlich.“, schaltete sich Stafford ein: „Und wenn Sie sagen, dass es nicht an Ihrer Hardware lag, Decker, dann gehe ich davon aus, dass Sie das beweisen können. Und den wirklichen Grund gefunden habe.“
„Ja zu beiden Punkten, COMMANDER.“, offenbar wollte Decker wieder darauf hinweisen, dass er den gleichen Rang bekleidete wie der Geschwaderchef: „Und wenn ich fortfahren darf, dann kann ich das auch so erklären, dass alle Anwesenden es verstehen.“
„Sie arroganter…“
Diesmal war es Captain Ahn, die eingriff: „Benehmen wir uns wie Erwachsene. Wir ALLE, Decker. Also, was war denn nun der Grund für die Fehlfunktion der Arrows? Wenn unsere neueste Hightech-Waffe nicht funktioniert, dann brauchen wir mehr als nur eine Liste dessen was…“, sie zögerte kurz und in ihrer Stimme schwang ein unausgesprochenes ‚angeblich‘ mit, „…NICHT für die Fehlfunktion verantwortlich war.“
„Vielleicht fragen Sie das lieber Chief Dodson.“
Der so Angegangene wollte seinerseits hochfahren, hielt sich aber nach einem scharfen Blick Ahns zurück, deren Stimme ruhig aber bestimmt blieb: „Lassen Sie die Andeutungen und kommen Sie auf den Punkt. Möglichst ohne noch mehr Ihrer Kollegen zu beleidigen.“
Diesmal war es Decker der sich – ausnahmsweise – etwas zu verkneifen schien. Vielleicht, dass er niemand hier als seinen Kollegen ansah. Es wäre ihm zuzutrauen gewesen. Stattdessen betätigte er das vor ihm liegende Wiedergabegerät und auf den Sichtschirmen der Versammelten tauchte eine Abfolge von Text- und Codezeilen auf: „Wie Sie vermutlich alle wissen, wird die Bordsoftware unserer Maschinen regelmäßig modernisiert. Das ist Standardprozedur. Sie sehen hier das Updateprotokoll der fraglichen Maschinen.“
Chief Dodson konnte nicht mehr an sich halten: „Wollen Sie uns sagen, dass Ihre Wunderwaffe ein Update nicht verkraftet hat? Dann waren SIE es, die hier Mist gebaut haben und nicht...“
„Wenn Sie mich bitte ausreden lassen würden, CHIEF? Und sich die Uhrzeit und Statusangaben zu dem Update ansehen würden?“ Deckers Stimme klang frostig: „Selbstverständlich wird auch die Software der Arrows regelmäßig modernisiert und ist darauf ausgelegt, sich mit der Aktualisierung der Jägerbordprogramme zu synchronisieren.
Wie Sie allerdings sehen können, gab es bei den Updateprotokollen der Arrow-Träger eine zeitliche Diskrepanz.“
Chief Dodson musterte die über den Bildschirm flimmernden Zeilen ein paar Augenblicke: „Ich sehe was Sie meinen, aber ich sehe nicht, was das…“
„Außerdem wurde der erste Updateversuch bei Lieutenant Jeanpierres Maschine abgebrochen. Erst der zweite Versuch war erfolgreich. Zumindest laut Datenprotokoll. Und es handelte sich dabei um ein manuell durchgeführtes Update.“
Kano runzelte die Stirn: „Wollen Sie damit sagen…“
„Offensichtlich gab es bei der routinemäßigen Wartung der Maschine ein Updateproblem. Und der verantwortliche Techniker entschloss sich, dass Problem manuell zu lösen. Ohne Meldung zu machen.“
„Heißt dass, Sie geben MEINEN Leuten die Schuld?“
„Ich würde sagen, die Implikationen sind eindeutig.“ feuerte Decker zurück: „Ich weiß natürlich, wie es an Bord eines Trägers zugeht. Der Zeitdruck ist hoch und Sie haben immer zu wenige Leute für viel zu viele Maschinen und Aufgaben.“ Der scheinbar verständnisvolle Wortlaut wurde durch Deckers bissigen Tonfall konterkariert.
„Vor allem, wenn uns auch noch ein Haufen Primaballerinas über die Schultern schauen, die die zu wartenden Maschinen ständig mit Beschlag belegen und wenn meine Leute für jeden Handgriff erst eine Erlaubnis oder Sicherheitsfreigabe einholen müssen.“
„Ach auf einmal ist es meine Schuld?!“ explodierte Decker: „Ich sage Ihnen was, die Inkompetenz ihrer Leute beweist, dass wir Ihnen tatsächlich zu viel Spielraum gelassen haben! Das hätte niemals passieren dürfen! Der Mann hätte sofort Meldung machen müssen, in dem Augenblick als das Update nicht sofort implementiert wurde. Und auf keinen Fall hätte er sich da einfach…durchwurschteln und die Software manuell aufspielen dürfen. Wir reden hier von einem Jäger der TSN, der außerdem als Träger für die Erprobung eines neuen Waffensystems fungiert – und nicht eine verdammte Freizeitdrohne!“
„Vielleicht hätte er das ja auch gemacht, wenn Sie nicht so ein Arschloch wären und meine Leute mit dem Respekt behandeln würden, die sie verdienen!“
„Respekt muss man sich VERDIENEN. Das einzige, was man sich mit diesem Dilettantismus verdienen kann ist ein Rauswurf!“
„Und Sie verdienen meinen Fuß in Ihrem…“
„Das reicht, Chief!“ schnappte Ahn, und ihre ungewöhnlich scharfe Stimme schnitt durch Dodsons Wut wie ein Messer aus kaltem Stahl: „Einer Ihrer Techs hat ganz offensichtlich Mist gebaut und gegen das geltende Wartungsprotokoll verstoßen. Der Grund ist egal.“ Dann drehte sie den Kopf knapp in Deckers Richtung: „Und Sie hätten das nicht erst im Nachhinein feststellen dürfen. Ich wäre davon ausgegangen, dass Sie alle Updateprotokolle überprüfen. Zumindest bevor Sie die Maschinen armieren und rauschicken.“
Decker presste die Lippen zusammen und warf der Trägerkommandantin einen mörderischen Blick zu, aber überraschenderweise blieb die erwartete Explosion aus. ‚Decker hat tatsächlich so etwas wie ein schlechtes Gewissen‘, registrierte Kano. Er hatte nicht gedacht, dass der Mann zu so etwas überhaupt fähig war.
„Wir haben vor dem Start natürlich ein Analyseprogramm laufen lassen. Allerdings hat dieses nur die Anzahl der Updates verglichen und einen Routinecheck der Befehlscodes absolviert.“
„Und was ist nun schiefgelaufen, wenn die Befehlscodes intakt waren?“
„Offenbar gab es ein Problem bei der Kennung der Startbefehle der Arrows. Die interne Firewall erkannte sie nicht als legitim an und blockte sie ab. Eine Sicherheitsfunktion gegen externe Hackerzugriffe, die in diesem Fall aktiviert wurde.“
„Und Sie meinen, dass das an der manuellen Aufspielung des Updates lag?“
„Ich WEISS es. Die dadurch geschaffene Divergenz war minimal aber wie sie gesehen haben…war die Wirkung durchschlagend.“
„Sagen SIE!“ Dodson war offenbar nicht bereit klein beizugeben. Aber Decker schnaubte nur abfällig, während er eine neue Simulation aufrief: „Ich habe mir erlaubt, die Sequenz noch einmal zu simulieren. Wenn Sie sich das bitte ansehen würden. Wie Sie sehen, ist das Ergebnis in zwanzig Prozent der Fälle dasselbe. Ich denke, das ist Beweis genug.“
Dodson sparte sich eine Antwort.

Kapitän Ahn lehnte sich zurück und schloss kurz die Augen, während sie mit Daumen und Zeigefinger ihren Nasenrücken massierte: „Also gut. Was bedeutet das für die Einsatzfähigkeit der Arrows?“
„Wir werden die Software anpassen müssen. Und die Sicherheitsprotokolle. Zum Glück haben wir Erfahrung mit derartigen Aufgaben. Meine Leute sind Profis. Und zuletzt…haben wir ein Notverfahren entwickelt, mit dem man die Firewall im Einsatz umgehen kann, falls so ein Fehler dennoch noch einmal auftritt.“ Der Commander verzog seinen Mund zu einem sardonischen Grinsen: „Sie brauchen mir nicht dafür zu danken, dass wir Ihre Arbeit machen, Chief.“
Nach Dodsons Gesichtsausdruck war Dankbarkeit das letzte, was er gegenüber Decker empfand.
„Aber das ist natürlich nur der erste Schritt. Wir müssen unsere Modifikationen und neuen Richtlinien gegenprüfen lassen. Dazu kommt ein erneutes Bewilligungsverfahren…
Das kann die Implementierung des ganzen Projektes um Monate zurückwerfen. Wenn wir Glück haben.“
Stafford zuckte mit den Schultern: „Dann sollten Sie froh sein.“
„FROH?!“
„Immer noch besser, wir finden den Fehler jetzt. Stellen Sie sich vor was wäre, wenn wir dieses Problem erst bemerkt hätten, wenn die Waffe fester Bestandteil unseres Waffenarsenals ist. Oder beim ersten Großeinsatz. Das wäre wirklich…peinlich.“
„Es wäre eine verdammte Katastrophe.“ Attestierte Dodson, in dessen Stimme ein etwas unpassender, hämischer Unterton mitschwang: „Sie können meinen Leuten…“
„Tut mir leid, Chief, aber damit machen Sie es sich zu einfach.“ Ahns ruhige Stimme kam Deckers verbaler Explosion um entscheidende Sekunden zuvor und verhinderte so, dass es schon wieder laut wurde: „Ihr Untergebener hat gegen geltende Richtlinien verstoßen. Und er war schlampig. Das IST ein Fakt. Sie werden den Mann zur Rechenschaft ziehen.“ Kano war sich nicht sicher, ob Ahns Worten der Tatsache geschuldet waren, dass sie großen Wert auf eine korrekte Diensterfüllung legte – oder dazu dienen sollten, Decker ruhig zu stellen. Letzten Endes war es auch gleichgültig: „Was bedeutet das für den Einsatz meiner Staffel?“
Wieder kam Ahn Decker zuvor: „Bis zur Implementierung und Erprobung der von Commander Deckers Team entwickelten Verbesserungen sind alle Versuche mit den Arrows natürlich ausgesetzt. Danach – und wenn wir von Oben Freigabe erhalten – sind alle weiteren Erprobungsflüge dem Kommando der Trägerkampfgruppe vorzulegen, dass über eine Bewilligung entscheiden wird.“
„Captain…“
Die Trägerkommandantin schüttelte den Kopf: „Nein, Decker. Sie wollen nicht, dass da noch einmal geschlampt wird? Das will ich auch. Und deshalb läuft es in Zukunft so.“
Der Commander der Waffenabteilung schien mit sich zu ringen, aber vermutlich wusste sogar Decker, wann er einen Kampf vorerst verloren geben musste. Aber natürlich konnte er nicht einfach klein beigeben: „Also noch mehr Verzögerung, wunderbar. Wenn wir in der Geschwindigkeit weitermachen, dann werden die Arrows erst im Fronteinsatz sein, wenn dieser Krieg vorbei ist. Wie auch immer. Da wäre es ja noch besser, wenn die Arrows eine Peshten-Erfindung wären. Die haben wenigstens die Eier, die Entwicklung einer neuen Waffe zügig voranzutreiben und sie auch zu implementieren.“
„Wann haben die Peshten denn mal was erfunden?“, spottete Irons: „Abgesehen von immer neuen Möglichkeiten, ihren Handelspartnern das Fell über die Ohren zu ziehen. Und was ihre Rüstung angeht, so weiß ich nur, dass sie es geschafft haben, sich in ein paar Jahren praktisch selbst zu kastrieren. Keine sonderlich beeindruckende Bilanz.“
Decker überraschte sie mit einem sardonischen Grinsen: „Vielleicht werden Sie da noch die eine oder andere Überraschung erleben…“

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Schockwellen I

Peshten-Konkordat, System Gamma Eridon, TSN-Träger Columbia

Für Lilja hatte die Ankunft im Gamma Eridon-System begonnen wie viele Kriegstage. Nervöse, potentiell gewaltgeladene Anspannung, dann hektische Aktivität, gefolgt von monotoner Langeweile. Die Chefin der Grünen hatte es sich natürlich nicht nehmen lassen, sich selbst zum Dienst an vorderster Front einzuteilen. Möglicherweise war sie der Meinung, ihre Staffel habe nach der Schlacht gegen die Piraten etwas gutzumachen, da ihnen leider die gegnerischen Shuttles entwischt waren. Nicht, dass die Russin wirklich unzufrieden mit der Leistung ihrer Untergebenen war, aber ihr ging es auch darum, wie die Vorgesetzten die Stallions einschätzten. Deshalb hatte sie nicht nur ihr ambitioniertes Ausbildungsprogramm aufrecht erhalten, sondern auch selber eifrig Flugstunden gesammelt.
Während Liljas XO Imp mit zwei Sektionen der Fighting Stallions zusammen mit der Roten und Schwarzen Staffel Nahverteidigung beziehungsweise Reserveaufgaben für die Columbia übernahm, hatte die Russin Flight Eins und Zwei der Staffel zur Tiefraumaufklärung abkommandiert, eine Ehre, die sie sich mit zwei Flights der Blauen teilten. Als spurtschnelle Abfangjäger waren die Falcons gut für solche Einsätze geeignet.
Sie waren mit für Langstreckenpatrouillen konfigurierten Jägern - versehen mit Sensorpods und Zusatztanks - gestartet, kaum dass die Columbia ins System gesprungen war. Glücklicherweise war die benutzte Sprungverbindung wie angekündigt sicher gewesen. Kein Akarii-Abfangverband hatte auf sie gewartet, kein Minenfeld bedrohte sie. Statt dessen hatte man planmäßig bei Fort Ranger Position bezogen, was wohl einerseits letzten Absprachen mit den lokalen TSN- und Peshten-Verbänden und andererseits einer gründlichen Situationsanalyse diente. Nachschub brauchte die Columbia selbstverständlich nicht, der Träger hatte in den letzten Jahren wesentlich längere Reisen weitab von den eigenen Linien unternommen als die paar Wochen von Sterntor nach Gamma Eridon.
Natürlich war all dies kein Grund, nachlässig zu werden. Die Echsen hatten sich in den letzten Monaten so widerspenstig bis irrsinnig verhalten, dass man lieber auf Nummer sicher ging. Und insgeheim mochte man bei der TSN auch bezüglich der Verlässlichkeit der eigenen Verbündeten etwas unsicher geworden sein. Der Verrat durch die Konföderation steckte den Terranern noch immer mächtig in den Knochen, und nahm man hinzu, dass die Peshten nicht unbedingt für ihre stabile Regierung oder unverbrüchliche Treue zu einem bestimmten Standpunkt bekannt waren (ob zu Recht oder Unrecht)...

Die letzten Ereignisse waren nicht geneigt, diese Einstellung zu ändern. Berichte über einen mit mehreren leichten Trägerverbänden durchgeführten konföderierten Vorstoß auf FRT-Gebiet hatten eingeschlagen wie die sprichwörtliche Bombe. Noch war wenig Genaues bekannt, aber was die Runde machte, klang mehr als beunruhigend. Es hatte zweifelsohne bereits Gefechte gegeben, und weitere würden folgen.
Natürlich war keiner an Bord der Columbia begierig auf einen Krieg mit der Konföderation, aber zugleich war die Empörung förmlich mit den Händen zu greifen. Egal was man über die gewaltsamen Internierungen konföderierter Schiffe durch die TSN nach der Kapitulation dachte, die letzten Aktionen der Colonial Navy und wie diese durchgeführt worden waren, das wurde einhellig und scharf verurteilt. Die meisten Besatzungsmitglieder und Piloten hofften darauf, dass man den Verrätern eine Abfuhr erteilen würde, die sich gewaschen hatte. Wenn es vielleicht einzelne gab, die das insgeheim anders sahen, taten sie gut daran, diese Meinung für sich zu behalten.
Das alles machte das Leben für einige Besatzungsmitglieder nicht eben leichter. Top Gun - nicht nur ein Konföderierter, sondern sogar Verwandter von Generalgouverneur Cochrane - hatte manch schiefen Seitenblick und manche wenn auch bisher halbwegs zahme Stänkerei abbekommen. Es war wohl vor allem seinen Leistungen in der letzten Schlacht zu verdanken, dass ihn niemand verbal oder wortwörtlich richtig an die Kehle gegangen war. Und natürlich hatte der Kommandeur der Schwarzen Staffel durchblicken lassen, was er mit denen machen würde, die sich an seinem Untergebenen vergriffen. Lieutenant Commander Kano Nakakura war nicht annähernd so gefürchtet oder verhasst wie manch anderer Staffelchef vor ihm, aber mit ihm anlegen wollte sich kaum jemand.

Apropos anlegen...das Gemurre über den neuen Geschwaderchef der Angels hatte sich nach dem doch halbwegs erfolgreichen Gefecht gegen die Piraten zwar etwas abgemildert, durch den letzten Schicksalsschlag an der FRT/CC-Grenze noch einmal gewaltig Auftrieb bekommen. Stafford mochte seiner neuen Heimat treu geblieben sein, aber auch er WAR nun einmal gebürtiger Konföderierter. Und da es im Moment danach aussah, als könnte es tatsächlich zu einem echten Schießkrieg mit der Colonial Navy kommen, fragten sich viele, ob er die richtige Person als Kommandeur eines Elitegeschwaders war - eines Geschwaders, das mehr als einmal in den letzten Jahren Feuerwehr gespielt hatte. Was, wenn ihre nächste Mission sich gegen die Konföderation richtete? Würde er in der Lage und fähig sein, seine Landsleute zu bekämpfen? Und würde der drohende Konflikt nicht bereits jetzt seine Loyalität gefährden oder zumindest seine Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, wo er diese doch allein auf die gegenwärtige Mission richten sollte? Schließlich war das sein erster Einsatz mit den Angels, sein erster Fronteinsatz seit längerem überdies. Lilja hatte sich - wie alle anderen Staffelchefs - bemüht, dem Gemaule und Spekulationen einen Riegel vorzuschieben. Weniger aus unverbrüchlicher Loyalität zum neuen Geschwaderchef, den sie ja alle nicht wirklich kannten. Doch zu viel Zweifel waren Gift für die Einsatzmoral. Aber das Denken konnte sie den Leuten nun mal schwerlich verbieten. Nicht, dass es ihr nicht zuzutrauen gewesen wäre, genau das zu versuchen...

Es war eine gewisse Erleichterung, dass im Gamm-Eridon-System bisher alles nach Plan zu verlaufen schien. Der Erstkontakt mit den Einheimischen - eine Sektion Peshten-Piloten in modifizierten Typhoon-Jägern, die von den Aliens offenbar angepasst, modernisiert und in Lizenz produziert wurden - war reibungslos vonstatten gegangen. Die verbündeten Kampfflieger verstanden offenbar ihr Handwerk und flogen ihre Maschinen mit einer Präzision, die selbst der mäkeligen Russin Respekt abnötigte. Auch die Kommunikation hatte ganz gut funktioniert. Die Peshten, oder zumindest etliche von ihnen, sprachen akzeptables Englisch - wenig überraschend, wenn man berücksichtigte, dass in ihren Streitkräften nicht wenige Menschen und andere Nicht-Peshten dienten. Ausgehend von der Bedeutung der terranischen Reiche und des Imperiums waren Englisch, Spanisch, Han-Chinesisch, in beschränktem Umfang auch Französisch, sowie Drom, Hara und Terrekarii fast so etwas wie intergalaktische Sprachen, und wer bei intergalaktischen Reisen zurechtkommen wollte, beherrschte mindestens eine, besser zwei davon halbwegs fließend. Eine einheitliche lingua franca des galaktischen Handels gab es jedoch nicht, und Bemühungen, aus den oben genannten eine gemeinsame Sprache zu kreieren, waren nicht zuletzt an der Eiszeit zwischen den großen Machtblöcken gescheitert.
Die Peshten hatten sich dann auch angemessen geschmeichelt gefühlt, dass die Führerin des terranischen Aufklärungsschwarms tatsächlich ein paar Brocken ihrer Sprache zu sprechen schien. Oder sie hatten großzügig darüber hinweggesehen, wie sehr Lilja ihre Sprache ungewollt verschandelte - wer wusste das schon? Jedenfalls war der Erkundungsflug ansonsten erfreulich ereignislos verlaufen. Aus dieser Entfernung ließ sich von den Akarii nichts auffangen, obwohl eine begrenzte Präsenz im System bestätigt war. Aber so weit trauten sich die Aufklärer der Echsen im Moment wohl nicht vor.

Jetzt gerade waren die Aufklärer der Stallions dabei, in der Kantine ,aufzutanken'. Nach der Prä-Sprung-Bereitschaft gefolgt von einem mehrstündigen Einsatz hatten sie es alle genossen, sich ein wenig aufs Ohr zu hauen, doch im Moment hieß es, sich wieder einsatzbereit zu machen. Und das bedeutete Essen und Trinken. Während Crow, Hellcat und Knight den starken Kaffee in sich hineinkippten, der geradezu eine Volksdroge in den Streitkräften war, kehrte Lilja mal wieder ihre Herkunft heraus. Sie trank viel öfter Tee als Kaffee, in Situationen wie diesen sehr stark und sehr süß - Kalorienbombe und Muntermacher in einem, das Gegenstück zum Treibstoff für ihren Jäger, wie sie gerne behauptete. Wie zu anderen Gelegenheiten auch ging sie so weit und verwendete als Dreigabe nicht nur Zitrone, sondern auch Milch und sogar Marmelade. Manche behaupteten, die Pilotin habe es geschafft, mit ihrer russischen ,Teezeremonie' mehr als einen Feinschmecker zu vergraulen, einfach indem sie ihr in vielen Augen widernatürliches Gesöff vor aller Augen zubereitete und mit Genuss herunterschluckte. Sonderbarerweise handelte es sich dabei immer um Kameraden, mit denen die Russin gerade Streit hatte...

Auch ihr Frühstück war gewöhnungsbedürftig. Die Versorgung auf der Columbia, die der auf der alten Redemption einiges voraus hatte, war schon aus dem Grund gut und vielfältig, weil in Folge der Schichtrotation und unregelmäßigen Einsatzzeiten fast IMMER für jemanden Frühstücks-, Mittagessen- oder Abendbrotzeit war. Soldaten hatten einen guten Appetit, da es passieren konnte, dass sie schon mal acht Stunden keinen Bissen zu sich nehmen konnten. Sicherlich war das Essen nicht für alle zufriedenstellend - schließlich hatten die Männer und Frauen oft sehr unterschiedliche kulturelle und damit auch kulinarische Hintergründe. Aber man gab sich Mühe, für alle etwas anzubieten. Das hatte aber mitunter auch ungewollte Nebenwirkungen.
Die anderen Piloten der Stallions etwa schaufelten zum Frühstück zumeist europäische oder nordamerikanische Kost wie Sandwichs, Ei oder Würstchen in sich hinein, oder auch gezuckerte, mit flüssiger Butter, Marmelade oder Sirup übergossene Pancakes. Lilja verputzte neben belegten Broten - wobei sie eher Schwarz- als Weißbrot schätze - ebenfalls nicht selten Eierkuchen. Nur bestrich sie die nicht nur mit Butter oder Quark, was ja noch gegangen wäre. Oft aber kam ein gesalzenes und gepfeffertes Gemisch aus Wurst, Schinken oder Hackfleisch zum Einsatz, und selbst manch erfahrenem Fahrensmann wurde am ,Morgen' oder nach einem anstrengende Einsatz flau im Magen, wenn die Chefin der Stallions sich irgendwie aus dem Speisesortiment stark gesalzene Sprotten, Heringe oder zumindest Fischpaste besorgte, um ihre Eierkuchen - oder besser Bliny, wie sie sie nannte - damit zu belegen, und anschließend wie ein Scheunendrescher reinhaute. Ein Pilot hatte einmal scherzhaft gefragt, ob Lilja schwanger sei, als er sie das erste Mal futtern sah. Zu seinem Glück waren diese Worte nicht an das Ohr der Russin gedrungen, und wohlmeinende Kameraden hatten ihn aufgeklärt, was für Konsequenzen drohten, sollte sich das einmal ändern...

Natürlich hätten die meisten Grünen lieber die eigene Zunge verschluckt, als mit ihrer Kommandeurin DESWEGEN Streit anzufangen. Sie sahen also - wenn sie gerade aus irgend einem Grund zartbesaitet waren - nur betont zur Seite. Und litten stumm.
Trotz eifriger Nahrungsaufnahme war Lilja nicht unbedingt eine Freundin des Schweigens bei Tische, auch wenn ihre Themenvielfalt mitunter etwas eintönig war. Viele Freizeitaktivitäten ihrer Kameraden interessierten sie nicht sonderlich, und eine Freundin von Smalltalk und Klatsch war sie nur bedingt. Also ging es meist um dienstliche Belange, um Politik oder aber den Krieg, häufiger noch eine Mischung aus allem zusammen.
Folglich kauten die vier im Moment vor allem taktische Erörterungen durch, sei es in Bezug auf die Peshten oder die Konföderation. Die Manöver und Einsatzdoktrinen der ehemals verbündeten Streitkräfte boten ein dankbares Feld. Allerdings hatten nur wenige Angels bisher jemals einen gemeinsamen Flug mit Konföderierten absolviert, und wenn es um Peshten ging, brauchte man nicht mal die Finger EINER Hand um jene abzuzählen, die bereits einen verbündeten Alienpiloten im Einsatz erlebt hatten. Lilja sah großzügig über Knights Sticheleien hinweg, die sich einmal mehr gegen Top Gun richteten. Etwa über die Frage, ob man ihn und Stafford nicht auffordern sollte, ein wenig aus dem Nähkästchen zu plaudern was die Tricks der Colonial-Piloten betraf. Das mochte ja demnächst noch von Nutzen im Einsatz sein...

Allerdings hatte Knight es im Moment auch selber nicht gerade leicht. Bei den Stallions warf ihm inzwischen kaum noch jemand seine Knastvergangenheit vor. Er behauptete gern, das läge an seinem umwerfenden Charme und seinem einnehmenden Wesen - eine nicht sehr subtile Stichelei gegenüber dem anderen Bewährungspiloten des Geschwaders, der trotz deutlich längerer Dienstzeit im Geschwader erheblich weniger Freude hatte. Wie dem auch sei, aufgrund der letzten Ereignisse hatten einige Kameraden boshafte Sticheleien wegen seines Familienhintergrunds nicht unterdrücken können. General Hamish Alexanders Verhalten im Shifang-System, wo er überstürzt und unterwürfig mit den heimtückischen Angreifern aus der Konföderation kooperierte, hatte schnell die Runde gemacht und einige alte Witze reanimiert. Etwa, dass Napoleon ja gesagt hätte, jeder Soldat trage den Stab des Marschalls im Tornister. Jeder Alexander hingegen würde wohl vorsorglich die weiße Fahne der Kapitulation einpacken. Anstatt sich nun die - wahrscheinlich hoffnungslose - Verteidigung der Familienehre auf die Fahnen zu schreiben oder die Sache einfach auszuwittern, hatte sich Knight für ein ähnliches Verfahren wie gegenüber dem anderen tiefschwarzen Schaf der Familie, Ex-Vizeadmiral Melissa Alexander, entschieden. Er hatte auch dieses Familienmitglied vor dem ersten Hahnenschrei dreimal verleugnet, es in verbaler Hinsicht gewissermaßen vor den Bus geschubst und ein paar böse Bemerkungen zum Besten gegeben. So hatte er etwa demonstrativ beklagt, dass er sich nun wohl jede Chance darauf abschminken könne, jemals Staffelchef zu werden. Jede Beförderungskommission müsse nur einen Blick in seine Akte werfen - einem Alexander würden sie bestimmt keine noch so geringe autonome Befehlsgewalt geben. Oder, dass er sich langsam ein Formblatt erstellen sollte, mit dem er sich von einem Familienmitglied lossagen könne, dann müsse er nur noch den Namen einfügen, das spare ihm eine Menge Arbeit. Wenn das so weitergehe, wäre am Ende nur ein Ex-Knacki wie er noch als Träger und Bewahrer der Familienehre übrig... Damit hatte er erreicht, dass man MIT und nicht ÜBER ihn spottete.

Die Russin lachte gerade über einen Vorschlag Knights und bewies, dass sie unter Umständen bezüglich der Meckerei ihrer Untergebenen auch kulant sein konnte: "Nein, ich glaube nicht, dass es was bringen würde, wenn Stafford oder Top Gun eine Rede vor dem Geschwader halten. Ich meine, was soll das denn bringen? ,Bitte, bitte, vertraut mir?' Wenn es nicht reicht, dass sie HIER und nicht DORT sind, ändern ein paar Worte auch nichts. Top Gun hat in den Schlachten bei Masters bei einem verdammten Selbstmordkommando mitgemacht. Ich weiß ja, es gibt immer diese Geschichten von den teuflischen Doppelagenten, aber SO weit geht deren Einsatzwille denn doch nicht. Der braucht für mich nichts mehr zu beweisen. Ich nehme sowieso an, er haut nach den letzten Ereignissen sowieso seinen Kopf gegen die Wand vor Frustration."
"Zu wünschen wäre es." moserte Knight, der noch immer nicht über seine Abneigung hinweg war. Hellcat grinste maliziös: "Kommt darauf an was für eine ART von Frustration unsere Anführerin meint, denn nicht für jede Sorte gibt es Grund..."
Ein vieräugiger böser Blick von Lilja und Knight brachte den Piloten zum Verstummen. Eine Anspielung auf eine eingebildete oder tatsächliche Beziehung zwischen Top Gun und Huntress die Zweite war in dieser Runde kein gutes Thema.
"Andererseits..." nahm die Russin den Faden wieder auf: "...wenn Stafford bei so etwas wie einem offenen Brief mitmachen würde, der dem Generalgouverneur oder so sagt, was für eine Dämlichkeit er begeht, das würde vielleicht schon Sinn machen. Nicht, dass Cockroach darauf hören würde, Vernunft, Würde und Ehre hat der Mann ja schon in die Sonne geschossen. Aber so sehr wie er gegen alle geifert, die mal nicht seiner Meinung sind - sei es früher die Friedensbewegung...", das sagte freilich die richtige!: "...und die Imperialen, heute aber die FRT und CAV - würde er vermutlich wieder im Quadrat springen. Das hat nicht nur Unterhaltungswert, sondern würde auch ein Zeichen setzen." Es war Lilja zuzutrauen, dass sie mit so einem Vorschlag bei ihrem Geschwaderchef anklopfte - immerhin hatte sie vor Jahren auf der Redemption eine mäßig erfolgreiche Spendenaktion für den Kriegseinsatz initiiert.

"Wie wird die Sache denn ausgehen, was meint ihr?" erkundigte sich Crow. Als ,Junior' der Gruppe - die drei anderen waren mehrfache Asse und hatten ihm damit einiges voraus - neigte er dazu, sich etwas zurückzuhalten.
Lilja schnaubte: "Also aus meiner Sicht kann es nur einen Ausgang geben. Wer als Feind in unser Gebiet kommt, der verdient eine Abfuhr. Eine, die ihm einbläut, dass das eine verdammt dämliche Idee war. Und da macht es wenig Unterschied, ob es eine Echse ist oder ein Konföderierter. Wer unter Waffen und ohne Einladung in unser Gebiet kommt, ist einfach ein Feind - ob Imperialer, Pirat oder sonst was. Verdammt, mir ist ein Akarii oder T'rr der CN, der sich den CAV schließt oder wenigstens aus der CN austritt, weil er diesen neusten Schwachsinn nicht mitmacht, zehnmal lieber als ein Mensch, der aus falsch verstandenem Pflichtgefühl Cockroach gehorcht. Damit erledigt er im Moment nur die Arbeit für diese Drecksschlampe Linai." Nicht, dass der Russin die eheliche Treue der Akarii-Prinzessin nicht vollkommen gleichgültig war. Aber gegenüber Personen, die sie hasste, war ihre Sprachwahl nicht gerade stubenrein.
"Ich sag das nicht gerade gerne, aber wir müssen diesen Irren zeigen, wie dumm es ist, die Spannungen so sehr zu eskalieren. Ich meine ja nicht, dass wir auf ihrem Gebiet zurückschlagen und ihrer kriecherischen Exzellenz dem Generalgouverneur den Verräterlohn zukommen lassen, den er verdient." Es war nicht schwer zu erraten, in welchen Bahnen ihre Gedanken verliefen, wenn es um die richtige Währung für Cochranes Verhalten ging.
"Aber wir können sie auch nicht einfach davonkommen lassen. Nicht, nachdem sie ohne sich auch nur als Konföderierte zu erkennen gegeben haben auf unsere Leute geschossen haben. So handeln dreckige Piraten, und sogar DIE hissen mitunter erst die schwarze Flagge oder geben ihrem Gegenüber eine Chance zum Kapitulieren BEVOR sie schießen. Und wer da mitmacht, verdient es auch, wie ein Pirat behandelt zu werden. Nicht als Kriegsgefangener, sondern als Verbrecher. Also sollten wir sie mit blutigen Köpfen zurückschicken. Alles andere wäre ein verdammt falsches Signal an unsere Feinde, an unsere Freunde und die Neutralen. An unsere eigenen Leute übrigens auch."

Knight rieb sich das Kinn: "Ich hab schon mal einen Bürgerkrieg erlebt...." er hatte vor seiner Verurteilung bekanntlich auf Pandora Dienst getan: "Ich will mir so was nicht auch noch auf die galaktische Ebene potenziert vorstellen."
"Bah! Ich wünschte, Cockroach hätte sich das mal überlegt." meinte Hellcat ungnädig. "Ich werde einfach nicht schlau daraus, was der Generalkollaborateur sich von der Aktion verspricht. Um als starker Regierungschef dazustehen - nach einem verlorenem Krieg - ist es ja wohl kaum eine gute Idee, den traurigen Rest deiner Flotte auch noch zu verheizen. Vabanque spielen ist ja wohl kein Ausdruck für die Art Taktik..."
Lilja schnaubte: "Na ja, vielleicht glaubt er, nur so die Leute auf seinen ,die Terries sind BÖSE'-Scheiß einschwören zu können. Wenn wir ihnen noch einen Tritt in die Kronjuwelen verpassen...was einiges blutiger werden könnte als die Internierungsaktion... Und die CAV müssen sich dann wirklich fragen, ob sie bei uns bleiben wollen, wo es doch nach Krieg aussieht zwischen ihren alten und neuen Kameraden."
Knight grinste schief: "Willst du DAS Top Gun fragen?"
Lilja schüttelte den Kopf: "Meine Meinung über ihn kennst du. Und selbst wenn nicht, das wäre Kanos Sache. Ich vertraue ja vielleicht nicht IMMER seiner Kompetenz wenn es um die Wahl seiner...Freunde...geht." Womit sie darauf anspielte, dass der Chef der Schwarzen Staffel für ihren Geschmack zuviel Zeit auf Noname alias Stuntman alias Joystick vergeudete, für den sie mitunter noch ganz andere Namen verwendet hatte. Und ihre...Differenzen...mit Kanos langjährigen festen Partnerin Kali waren ebenfalls nur zu bekannt: "Aber an ihm als Offizier habe ich nun rein gar nichts auszusetzen." Und selbst wenn sie das hftte, sie hätte es natürlich nicht so öffentlich gesagt.
Ihr Flügelmann verzog die Lippen zu einer Grimasse: "Na, dann hoffen wir mal, dass sich Top Gun noch nicht ZUVIEL von seinem Kommandeur abgeschaut hat, was die Lösung von Gewissenskonflikten angeht. NOCH einen Selbstmord auf der Columbia können wir nicht brauchen. Und das wünsche ich nicht mal Top Gun..."

"Hahaha..." knurrte Lilja, die natürlich die Anspielung auf Kanos japanische Herkunft auf Anhieb verstand. Ritueller Selbstmord war in der Tat eine Option, mit der manch ein Samurai - aber auch der eine oder andere Japaner späterer Jahrhunderte - sich aus den Fesseln einander widersprechende Treueschwüre und Verpflichtungen befreit hatte, ohne dabei seine persönliche Integrität zu opfern.
Eine Warnung konnte sie sich aber nicht verkneifen: "Wenn einer von euch Komikern auf die Idee kommt, eine, IRGENDEINE Bemerkung in diese Richtung in Staffords Hörweite zu machen, schwöre ich euch, ihr werdet euch fühlen als sei Skunk noch unter uns und hinter euch her!" Zweifelsohne eine furchterregende Drohung, obwohl inzwischen manche ahnungslose Neulinge insgeheim meinten, der legendäre Staffelchef könne SO schlimm auch nicht gewesen sein.
"Aber es ist ja auch nicht unsere Aufgabe, uns den Kopf über solche Dinge zu zerbrechen. Dafür ist der NIC da." Lilja ignorierte, dass sie selber in der Vergangenheit durchaus nicht immer ihren eigenen Worten gefolgt war. Zudem fühlte sie sich genötigt hinzuzufügen: "Wiewohl die Schlapphüte ja auch mal falsch liegen können..." Ihr eigener Respekt vor den ,Flotten-Tschekisten' hatte bekanntlich gelitten, als sie erst von einem TIS-Agenten zu einer ziemlich dubiosen Mission überredet und deswegen dann einige Tage vom NCID unter Beteiligung des JAG und NIC inhaftiert worden war. Anschließend hatte man sie mit verdächtiger Freundlichkeit laufen lassen. Selbst jemandem, der auf dem Gebiet so wenig Erfahrung hatte wie Lilja musste klar sein, dass da in mehrfacher Hinsicht einiges schief gegangen war, um so ein Durcheinander zu verursachen.

Inzwischen waren die reichhaltig beladenen Tabletts weitestgehend leergefuttert. Lilja ignorierte natürlich die schockierten Blicke, als sie ihren letzten Happen zusammengerollten Eierkuchens verputzte, aus dem ein Fischschwanz hervorragte. Sie spülte mit einigen Schlucken Tee nach: "So, genug geschwatzt. Denkt daran, in zwei Stunden geht es wieder raus, und wir müssen vorher noch das Einsatzbriefing absolvieren. Und nach den Jägern schauen." Kaum ein Pilot stieg in seine Maschine, ohne sie vorher noch einmal gründlich zu begutachten. Weniger aus Misstrauen gegenüber den Techs als um sich selber zu beruhigen, das alles in Ordnung sei, und um ein paar individuelle abergläubische Rituale zu absolvieren, derer er sich vor jedem Einsatzflug unterzog.
"Irgendwelche Rückmeldung wegen Ihres Vorschlages, Commander?" erkundigte sich Crow. Lilja zuckte mit den Schultern: "Bisher noch nicht. Das werden wir wohl auf dem Briefing erfahren."
Sie hatte vorgeschlagen, künftig auf den Nahbereich- und Langstreckenpatrouillen gemischte Verbände einzusetzen, je einen Flight der Lokalstreitkräfte und der Columbia. Schließlich würde man wahrscheinlich gemeinsam mit den Peshten und ihren Söldnern ins Gefecht ziehen. Und die Einsatzdoktrinen der Streitkräfte unterschieden sich mehr als etwa zwischen der TSN und der Nationalgarde oder auch der terranischen Flotte und der Konföderation. Es erschien Lilja sinnvoll, wenn beide Seiten ein besseres Gefühl füreinander bekamen, so lange es noch nicht um Leben und Tod ging. Davon würden vor allem die Angels profitieren, denn die Peshten hatten vermutlich schon gewisse Erfahrungen sammeln können. Aber ob man die Idee aufgreifen würde, war noch unklar.
"Wir sehen uns in einer Stunde im Besprechungsraum - bis dann."
Mit diesen Worten hatte sich die Fast-Kameradin Tatjana, die mit ihrem Kameraden am Frühstückstisch gesessen und sogar etwas gewitzelt und geplaudert hatte, wieder vollkommen in die eiskalte Staffelchefin verwandelt. Als sie davon marschierte, hielt sie sich bolzengerade und hatte einen Eindruck im Gesicht, der rangniedere Piloten und Besatzungsmitglieder schleunigst Platz machen ließ...

Ende
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Cattaneo
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Schockwellen II

Colonial Confederation, Celeste-System, Hannover, provisorischer Regierungssitz des Council of Gouverneurs

Generalgouverneur Edward Cochrane hatte inzwischen bereits dreimal erleben müssen, wie alles was er für sicher und normal hielt mit einmal in Frage gestellt und bedroht wurde, bedroht von einem Schlag, den er nicht, den niemand hatte kommen sehen.
Da war zum einen der heimtückische Überfall des Akarii-Kaiserreiches auf die Konföderation und die Terranische Bundesrepublik gewesen, der die Konföderation Schiffe und für mehrere Jahre auch drei Planeten gekostet hatte, auch wenn man schnell zum Gegenangriff übergegangen war und seinerseits Welten des Gegners besetzt hatte.
Dann natürlich der imperiale Überraschungsangriff auf Hannover, für den es ebenfalls keine Vorwarnung gegeben hatte. Er hatte die Konföderation mehr als 30.000 Leben gekostet, fast ein Drittel davon Zivilisten, und eine Zeitlang hatte er selber halb und halb erwartet, zusammen mit dem Rest der militärischen und politischen Führungsschicht zu sterben.
Und schließlich die hinterhältige und gewaltsame Internierung Dutzender konföderierter Kriegs- und Transportschiffe durch die bisher verbündeten Terraner in dem Moment, in dem er mit dem kaiserlichen Emissär über eine Separatfrieden verhandelt hatte. Ein Schlag, der die ohnehin stark geschwächte CN noch einmal beinahe halbiert hatte und zehntausende Männer und Frauen aus fast einem Dutzend Völker in die terranischen Internierungslager gebracht hatte.
Doch ungeachtet dieser bitteren Erfahrungen hatte er nicht damit gerechnet, ausgerechnet hier und auf diese Weise erneut überrascht zu werden.

Das Council of Gouverneurs war ein Entscheidungsgremium, das sich deutlich vom Senat der FRT unterschied. Es war viel kleiner, und die Vertreter der CC-Welten waren nicht in festen Fraktionen, in Parteiblöcken organisiert. Jeder der Männer und Frauen, ob es sich nun um den Gouverneur persönlich oder an seiner Stelle um den stellvertretenden Gouverneur handelte - Menschen wie Nichtmenschen - nahm zunächst einmal die Interessen der Bewohner "seiner" Welt, und dann die der Konföderation wahr. Das Regierungsoberhaupt des Gesamtstaates wurde in direkter Wahl im Council bestimmt, und in Friedenszeiten waren seine Befugnisse recht eingeschränkt. Der Krieg mit dem Imperium hatte Cochrane freilich einige Sonderrechte verliehen, doch nichts desto trotz war seine Position bei weitem weniger machtvoll wie etwa die der terranischen Präsidentin - vom Kaiser der Akarii ganz zu schweigen. Auch wenn die Gouverneure Partikularinteressen in der Stunde der Not zurückstellen konnten, legten viele doch Wert darauf, dass ihr eigentlicher Auftrag und ihr Selbstverständnis sich nicht gewandelt hatte. Natürlich gab es bei aller demonstrativ erklärten Gleichheit im Council - ein Mann/eine Frau/ein Alien gleich eine Stimme, egal für wie viele Bürger der jeweilige planetare Vertreter sprach - doch gewisse Unterschiede. Einige größere Welten konnten sich darauf verlassen, dass ihre kleineren Nachbarn es sich gut überlegten, ob sie ihrem Vorbild folgten oder nicht. Denn das konnte ernste wirtschaftliche Folgen haben. Aber dennoch, es gab im Council anders als in der Republik keine "Hinterbänkler", die in mindestens neun von zehn Fällen den Stimmempfehlungen ihrer Fraktionsvorsitzenden folgten. Und diese Abneigung gegen Respektpersonen schloss den Generalgouverneur und seinen Stellvertreter selbstverständlich ein. So hatte denn das Council in den letzten Jahren mehr als eine erhitzte Debatte erlebt, die - soweit es nicht um wirklich geheime Dinge ging - oft auch life ausgestrahlt wurden. Und tatsächlich auch von einem nicht kleinen Personenkreis verfolgt wurden. In der CC galt Interesse an der Politik keineswegs als merkwürdiges Hobby, und auf manchen Randwelten war der lokale Gouverneur in gewisser Weise auch nur so etwas wie ein Nachbar oder Bürgermeister, zumindest sahen die Leute ihn so.

All das war Cochrane natürlich klar, und auch wenn die Debatten nervenaufreibend waren, normalerweise war er stolz auf diesen Beweis der staatsbürgerlichen Gesinnung in der Konföderation, die auch nach Jahrhunderten noch von einem ähnlichen individualistischen Geist geprägt wie zu der Zeit, als man sich von der FRT abspaltete. Doch was er hier und jetzt erlebte, hatte er nicht kommen sehen - und es drohte ihm förmlich die Füße unterm Leib wegzureißen.
Émile Haigneré war der amtierende Gouverneur von Ariane, einer mittelgroßen Welt mit ca. 90 Millionen Einwohnern, dicht an der Grenze zur Bundesrepublik gelegen. Seine Familie pflegte eine langjährige Tradition des Staatsdienstes, sowohl planetar als auch darüber hinaus, und kam einer Politikerdynastie so nahe, wie das in der Konföderation überhaupt möglich war. Émile, der studierter Jurist war, hatte vor vielen Jahren als Finanzminister beziehungsweise Wirtschaftsminister von zwei aufeinander folgenden Generalgouverneuren fungiert, und sich dabei den schönen Beinamen "der Unbestechliche" verdient, der jedoch keineswegs nur als Lob gemeint gewesen war. Anschließend war er in die lokale Politik zurückgekehrt, was nur eine begrenzte Änderung seiner Zuständigkeiten bedeutete, denn Ariane war ein wichtiger Handels- und Industrieknotenpunkt, der sehr von der sich entwickelnden Zusammenarbeit zwischen der Konföderation und der Bundesrepublik profitiert hatte - bereits lange vor dem Krieg, und währenddessen noch mehr. Erst als stellvertretender, dann als amtierender Generalgouverneur war er im Council über lange Jahre eine Stimme der ökonomischen Vernunft gewesen, kühl rechnend, kalkulierend, vielleicht nicht immer inspirierend, aber verlässlich.
Im Moment freilich machte er seinem Spitznamen alle Ehre, den einst der große Revolutionär Maximilien Robespierre getragen hatte. Hoch aufgerichtet, hager, mit scharfer, ja peitschender Stimme, schneidendem Spott und abgehackten Gesten, eine wie die andere wohldosiert, bot er einen furchterregenden Anblick. Und wie bei seinem Namensvetter hatte seine Rede vor allem ein Ziel - den zu vernichten, den er als Feind der Sache und des Volkes ansah.

Die Sitzung des Council hatte mit einer Debatte über die wirtschaftliche Lage begonnen, und es war dies genau die Vorlage gewesen, die Émile Haigneré gebraucht hatte. Wie wenige andere war er Experte auf diesem Gebiet und genoss Vertrauen weit über die Welten an der terranisch-konföderierten Grenze hinaus. Es war nur logisch, dass man ihn anhörte. Seine Rede war von Anfang an voll beißender Schärfe gewesen, obwohl er zunächst nur Fakten darlegte. Die freilich waren schlimm genug. Die Konföderation hatte zwar Frieden mit dem Imperium geschlossen, doch wo schon die Flotte in einem katastrophalen Zustand war, ging es ihrer Wirtschaft fast noch schlechter.

Es war noch das geringste Problem, dass die Kapitulation vor dem Kaiserreich jede in den letzten Jahren öffentlich gehätschelte Hoffnung beendet hatte, durch Kriegskontributionen oder Grenzkorrekturen für die enormen Kosten des jahrelangen Konfliktes entschädigt zu werden. Die Chancen dafür waren nie sehr groß gewesen - wenn das Imperium besiegt worden wäre, dann sicher erst nach einem gründlichen militärischen und finanziellen Bankrott, der gerade auch viele seiner Grenzwelten betroffen hätte - aber auch in der Finanzwelt starb die Hoffnung zuletzt. Jedenfalls hatten die staatlichen Wertpapiere der Konföderationen seit kurzem rapide an Kurs verloren, um so mehr, als natürlich keinerlei Hoffnung mehr bestand, dass die Terraner in einer Notlage helfend eingreifen würden. Das war aber nur die Spitze des Eisbergs.
Dazu kam, dass der Binnenhandel der Konföderation schwächelte - nicht nur waren zahlreiche Frachter bei der verzweifelten Verteidigung Hannovers von den imperialen Angreifern zerstört worden, die Dezimierung der Colonial Navy durch Krieg und Internierung läutete anscheinend zugleich eine zeitweilige Renaissance des Piratenunwesens ein, wie es sie seit den "Totenkopfkriegen" nicht mehr gegeben hatte. Émile hatte vorgerechnet, dass die Zahl der Angriffe sich in den letzten Monaten verdreifacht hatte, weshalb natürlich Fracht- und Versicherungskosten in die Höhe geschossen waren.
Der Außenhandel der Konföderation war geradezu zusammengebrochen, wo doch nicht weniger als gut zwei Drittel der Im- und Exporte mit der Bundesrepublik abgewickelt, und weitere zehn bis fünfzehn Prozent über ihr Territorium in die Gebiete anderer Nationen transportiert wurden. Man musste davon ausgehen, dass unter Hand weiterhin gehandelt wurde, aber die Verluste waren enorm - und ein Teil dieses informellen Handels geschah natürlich ohnehin am Fiskus vorbei. Die ersten, zum Teil durchaus ermutigenden Handelskontakte zum Imperium konnten die Einbußen nicht einmal ansatzweise kompensieren. Wo in der langen und gewiss wechselhaften Geschichte der menschlich dominierten Reiche längst stabile Beziehungsgeflechte und Abhängigkeiten entstanden waren, hatten Konföderation und Kaiserreich einander nie als Partner betrachtet, hatte es nie einen Handel gegeben, der der Rede wert gewesen wäre. Folglich stellten die Grenz- wie auch die Kernwelten der Konföderation wenig her, was auf imperialen Welten benötigt wurde, und umgedreht war es nicht anders. Natürlich war auch die Handelsflotte des Imperiums erheblich zusammengeschmolzen und wurde innerhalb des Kaiserreiches benötigt. Mehr noch, weder waren die konföderierten noch die kaiserlichen Häfen wirklich darauf eingerichtet, Schiffe der anderen Seite in nennenswerter Zahl zu beherbergen und abzufertigen. Die ersten Kontakte zwischen zwei über Jahrzehnte weitestgehend voneinander abgegrenzte Wirtschaftsräumen mochten Ergebnisse bringen - um wirklich einen volkswirtschaftlich relevanten Effekt zu haben würde es Jahre brauchen. Zudem gab es auf beiden Seiten der Grenze genug Personen, die dem neuen Frieden und den neuen Partnern GAR NICHT trauten und sehr zurückhaltend waren, Geschäfte zu machen. Ungezählte Fragen, die mit den Terranern vor Jahrzehnten geklärt worden waren - nach den Bedingungen des Devisenaustausches, geltenden Rechten, der Frage nach gegenseitiger Spionage, der Justizhoheit über fremde Staatsbürger auf dem eigenen Gebiet und, und, und...mussten dringend geklärt werden. Aber das konnte viele Monate, wenn nicht Jahre dauern.
Dass das terranische Grenzland ebenfalls empfindlich unter dem Abbruch der Beziehungen litt, war ein geringer Trost. Die Bundesrepublik war nun einmal sehr viel größer, wirtschaftlich stärker und zum Teil auch technisch fortgeschrittener und deshalb weit weniger auf den Handel mit der Konföderation angewiesen als umgedreht. Gewiss stand und fiel die Wirtschaft der Colonials nicht mit dem intergalaktischen Handel, viele ihrer Welten waren halbwegs autark. Aber selbst vorsichtige Schätzungen rechneten mit einer nationsweiten Rezession von zehn, eher zwölf bis fünfzehn Prozent in diesem und hohen einstelligen Prozentzahlen in den nächsten zwei Jahren.

All das wäre schon ausreichend für eine ernste Krise gewesen. Was aber noch hinzukam war, dass der Staatshaushalt der Konföderation vor Herausforderungen stand, die ihn schier zu überwältigenden drohten. Ein Staatshaushalt, der überdies einiges empfindlicher war als der des Imperiums oder der Bundesrepublik. Denn in der Konföderation lagen die meisten Aufgaben auf planetarer Ebene. Nur wirklich übergreifende Projekte wie neuerdings die Landesverteidigung wurden staatenweit finanziert, und das führte dazu, dass solche Ausgaben stets das Ergebnis ausgedehnter Debatten waren - und viele Welten sich begreiflicherweise scheuten, zuviel des Geldes ihrer Steuerzahler für die Belange anderer Planeten abzuzweigen. Der Individualismus und Freiheitswillen der Konföderierten hatte eben auch seine Schattenseiten...
Die Aufgaben aber waren gigantisch. Da war, natürlich, die Notwendigkeit, die Flotte zumindest ansatzweise wieder aufzurüsten und auf alte Stärke zu bringen. Ein Prozess der schon deshalb Jahre dauern würde, weil die Colonial Navy gar nicht die Möglichkeiten hatte, kurzfristig ausreichend qualifizierte Mannschaften und Offiziere auszubilden, um die schrecklichen Verluste der Schlacht im Hannover zu ersetzen. Dennoch war es für das Überleben der Konföderation unerlässlich. Es ging darum, dem Piratenunwesen Herr zu werden UND die Grenzen zu verteidigen - unmöglich mit einer Flotte, die viele ihrer besten Schiffe verloren hatte. Da es natürlich keine Hoffnung mehr gab, in großer Zahl Kriegsschiffe und Jäger zu zumindest günstigen Konditionen von der Bundesrepublik zu erhalten, würden konföderierte Werften die Last schultern müssen - eine Last, die bei weitem zu schwer schien. Nicht umsonst waren ältere, gebrauchte terranische Modelle schon immer ein wichtiger Bestandteil der Colonial Navy gewesen. Zwar hatte man in den letzten Jahren eine ganze Reihe durchaus schlagkräftiger Schiffe entwickelt und in beachtlicher Zahl auch auf eigenen Werften gebaut. Doch um auch nur die Flotte auf Vorkriegsstand zu bringen würden enorme Ausgaben nötig sein - von der Kriegsstärke der Navy vor Hannover ganz zu schweigen. Zwar gab es Überlegungen, das Imperium um Hilfe zu bitten. Aber zum einen brauchten die kaiserlichen Streitkräfte ihre Schiffe selber, nach den hohen Verlusten der letzten Jahre und angesichts verwundbarer Versorgungslinien. Und einige argwöhnten, es sei gar nicht im Interesse des Kaiserreiches, die Konföderation wieder erstarken zu lassen.
Dazu kam die Notwendigkeit, die drei von den Kaiserlichen geräumten Planeten wieder zu integrieren. Die imperialen Streitkräfte hatten sie nicht wirklich ausgeplündert und verwüstet, doch die Wirtschaft der Planeten war doch recht umfangreich für die Versorgung der Besatzungstruppen ausgenutzt worden. Und beim Rückzug der Kaiserlichen hatten diese - möglicherweise zum Gutteil auf individuelle Initiative - einen Gutteil dessen demoliert, was sie zurückließen. Beschwerden und Ersatzforderungen kamen schon deshalb aber nicht in Frage, weil es etliche konföderierte Kommandeure auf den an das Kaiserreich zurückgegebenen Welten nicht viel anders gehalten hatten. Zudem hatten auf den besetzten konföderierten Planeten jahrelange erbitterte Guerillakonflikte und die harte Hand der Besatzer unübersehbar Spuren hinterlassen. In Folge dessen drohten nicht nur Versorgungsengpässe, sondern auch erhebliche soziale Konflikte. Die Überlebenden der Widerstandsbewegungen und die Angehörigen der Gefallenen und Internierten bestanden auf harten Strafen für alle, die in ihren Augen zu sehr mit den Besatzern kollaboriert hatten - während diese sich auf den Friedensvertrag und die neue Koexistenz-Politik der Regierung beriefen. Wie jeder Partisanenkampf hatten die Konflikte Anklänge eines Bürgerkriegs gehabt, und es galt zu verhindern, dass dieser gerade jetzt erneut aufflammte.
Und zuletzt - aber nicht an letzter Stelle - kam die Notwendigkeit, die Hauptstadt der Konföderation nach dem brutalen Bombardement der kaiserlichen Truppen wieder aufzubauen. Wohl war es zügig gelungen, die mehr als hunderttausend Obdachlosen schnell und kompetent unterzubringen und zu versorgen. Die Bewohner Hannovers hatten geradezu mustergültig ihren Landsleuten geholfen, über die in der Konföderation ohnehin nachrangigen Grenzen von Glaube und Spezies - und die nicht ganz so unwichtigen sozialen Schranken - hinweg. Aber diesen Menschen und Nichtmenschen wieder ein dauerhaftes Zuhause zu geben, die Narbe in der Hauptstadt sowie die Schäden an der lokalen Wirtschaft, Industrie und Infrastruktur in angemessener Weise zu schließen - das würde viele weitere Milliarden kosten. Geld, das die Konföderation eigentlich nicht hatte.

All dies hatte der "Unbestechliche" schonungslos aufgezählt. Das war natürlich sein gutes Recht, sprach er doch nicht wenigen Gouverneuren aus der Seele, vor allem von Welten an der Grenze zur Bundesrepublik. Zu spät hatte Cochrane, hatten seine verlässlichsten Verbündeten realisiert, dass diese Ausführungen nicht etwa nur dazu dienten, eine neue Runde im alten Feilschen zwischen Einzelplaneten und der Gesamtregierung zu untermauern. Gouverneur Haigneré hatte sich nur für einen vernichtenden Angriff auf Cochrane selber warmgelaufen. Cochrane hätte das vielleicht kommen sehen müssen, aber die Sorgen der letzten Wochen - weitere Verhandlungen mit den Akarii, erst Recht das Anlaufen von Operation Raccoon - hatten ihn abgelenkt.
Als jetzt offenkundig wurde, was hier geschah, hatten die Verbündeten des Generalgouverneurs versucht, die Sitzung zu vertagen, oder zumindest sie zu einer nichtöffentlichen zu machen. Sie waren gescheitert - offenkundig war die Aktion gut vorbereitet worden, und selbst viele nicht einbezogene Gouverneure hatten sich geweigert, den "Aufständischen" in den Arm zu fallen.

Der Gouverneur von Ariane setzte im Moment zum großen Finale an: "Angesichts dieser verzweifelten Situation muss man die Frage nach der Verantwortlichkeit stellen. Gewiss, es ist nicht die Schuld des Generalgouverneurs, dass das Kaiserreich uns heimtückisch angriff. Es ist nicht seine Schuld, dass Admiral Ilis sich entschied, in verbrecherischer Weise Tod und Verwüstung auf das Herz unserer Hauptstadt herabregnen zu lassen. Und es ist nicht seine Schuld, dass das Militär der Bundesrepublik so rücksichtslos auf unsere Verhandlungen mit dem Kaiserhaus und unsere Kapitulation reagierte. Doch als Regierungschef und Oberkommandierender der Streitkräfte trägt er eine hohe Verantwortung. Als Edward Cochrane gewählt wurde, lebten wir in Freundschaft mit der Bundesrepublik, mit dem Imperium befanden wir uns in einem Zustand, den man angespannte, wachsame Neutralität nennen kann. Dieses Council, diese Regierung war niemals gewillt, von sich aus einen Krieg vom Zaun zu brechen, so sehr das politische System, die Ziele und Methoden der Kaiserreiches auch unseren Werten widersprachen. Heute aber stehen wir am Ende eines jahrelangen Krieges, der hunderttausende Leben gekostet hat oder sie für immer überschatten wird. Unsere Beziehungen mit der Bundesrepublik sind am Tiefpunkt, unsere Wirtschaft ist schwer angeschlagen. Das erste Mal in unserer ganzen Geschichte sehen tausende unserer Soldaten das Wohl der Konföderation nicht mehr in der Erfüllung des Diensteides, sondern in dessen bewussten Bruch, um an der Seite der Föderierten gegen das Imperium zu kämpfen. Und, ich muss es mit aller Deutlichkeit sagen, es gibt eine wachsende Minderheit nicht nur auf meinem, sondern auf einer ganzen Reihe von Planeten, die ernsthaft die Frage stellt, ob es wirklich dem Wohl ihrer Heimat dient, weiterhin Teil unseres Staatenbundes zu bleiben. Sei es, um sich der Bundesrepublik anzuschließen, sei es, um eigenständig ihren Weg zu gehen."

Das emotional aufgeladene Wort "Heimat" definierte sich in der Tat in der Konföderation primär über den jeweiligen Planeten, weniger über die Konföderation als Ganzes. Der Austritt eines Planeten war in der Tat schon vorgekommen - wenn auch extrem selten. Diese Option war verfassungsrechtlich verankert und geregelt.
"Nun, wie steht es also mit Verantwortlichkeit? Ich will nicht leugnen, dass diese Regierung ihre Verdienste hat, und diese sind nicht gering zu nennen. Wir haben den Krieg, den uns das Kaiserreich durch seinen heimtückischen Angriff aufgezwungen hat, jahrelang durchgehalten, haben uns behauptet, mit Ehre gekämpft, und große Siege errungen. Natürlich gebührt das Lob dafür zuerst den Soldaten und Offizieren, gebührt den Bürgerinnen und Bürgern, die all die Strapazen und Entbehrungen erduldet haben. Aber diese Regierung hat Anteil, hat sie doch die Verteidigung organisiert. Nur...darf uns das nicht die Augen blenden vor ihren Fehlern, ihren Versäumnissen.
Wer Generalgouverneur Cochrane in den letzten Wochen gehört hat, möchte glauben, der Krieg mit dem Kaiserreich wäre ein einziges ,Missverständnis' gewesen. Ich frage - und ich denke, mit mir fragen all die Millionen verwitweten, verwaisten, ihrer Freunde und Verwandten beraubten Bürger, all jene, deren nächste Angehörigen verstümmelt und verletzt wurden - wie konnte es denn dann sein, dass die Regierung des Generalgouverneurs dieses ,Missverständnis' nicht von vorneherein unterbinden konnte? Unsere Truppen haben bewundernswert gekämpft, vom ersten Tag des Krieges an - und doch konnten wir hohe Verluste, Verwüstungen, die Besetzung von DREI unserer Planeten nicht verhindern. Hat nicht diese Regierung, dieser Generalgouverneur dabei versagt, den Krieg zu vermeiden, oder uns zumindest besser auf ihn vorzubereiten? Tragen sie nicht die Verantwortung, dass der Feind unsere Reihen - in einem Augenblick seiner Schwäche, als er jahrelang von unseren Soldaten und den Soldaten unseres Verbündeten zurückgeschlagen und gedemütigt worden war - durchbrechen und Hannover verwüsten konnte? Wo ist Verantwortlichkeit für das totale Versagen unserer Aufklärung, die eine solche gigantische Zusammenrottung der imperialen Streitkräfte übersah? Es übersah, dass es Verräter gab, die den feigen, heimtückischen und grausamen Angreifern halfen, unsere Verteidigungslinien zu überwinden, so dass ein Massenmörder und Kriegsverbrecher wie Admiral Ilis zehntausend unschuldige Zivilisten auf Hannover ermorden lassen konnte! Taten für die dieser Schlächter sich wohl nie wird verantworten müssen, jedenfalls vor keinem UNSERER Gerichte!
Und schließlich und endlich unterliefen Generalgouverneur Cochrane schwere Fehler bei der Art und Weise, wie er das Ausscheiden der Konföderation aus dem Krieg verhandelte und organisierte. Einmal mehr wurde die Lage vollkommen falsch eingeschätzt, was erneut den Tod von Bürgern der Konföderation, gigantische Materialverluste und die Gefangenschaft zehntausender unserer Landsleute mit sich brachte. Offen gestanden - mir fällt in unserer gesamten Geschichte nicht EIN Generalgouverneur ein, der ein so beeindruckendes Schauspiel von Fehleinschätzungen und gravierender Inkompetenz geboten hat, abgesehen vielleicht von Peter Edward Cartwright."

Der "Unbestechliche" hatte diese Aufzählung nach Art eines Anklagevertreters gegliedert, als wäre dies ein Geschworenengericht, und als würde bereits das Urteil über die Regierung gesprochen. Und es war abzusehen, welch ein Urteil ER fordern würde. Dass er Cochrane mit Generalgouverneur Cartwright in eine Reihe stellte, war bereits ein tödlicher Vorwurf. Ob nun zu Recht oder Unrecht galt dieser, Kriegsheld im Ersten Piratenkrieg und dritter Generalgouverneur seit der Unabhängigkeit von der FRT, als jemand, der um ein Haar einen Staatsstreich inszeniert und die Konföderation nach seinen Vorstellungen umgestaltet hatte. Für viele Konföderierte war er so sehr Inbegriff des Verräters wie etwa Judas Ischariot, Benedikt Arnold, Andrej Wlassow oder Vidkun Quisling.
"Aber wir reden ja nicht nur von Nachlässigkeit, von Fehlern...von VERSAGEN. Dies allein wäre schon schwerwiegend genug. Nein, es geht um sogar noch schwere Vergehen!"
Er gestikulierte gleichsam wegwerfend: "Übersehen wir einmal, dass Generalgouverneur Cochrane die Kapitulation vor dem Kaiserreich verhandelte, ohne das Council vorher zu konsultieren, sondern die Genehmigung erst nachträglich einholte. Das war, gelinde gesagt, eine gewagte Interpretation seiner Sondervollmachten, aber wir wollen ihm zugute halte, dass er in einer Krisensituation handelte. Angesichts des von den Aggressoren inszenierten bestialischen Massenmordes in unseren Straßen und der Furcht um das eigene Leben ist es durchaus denkbar, dass der Generalgouverneur aufrichtig meinte, das Richtige zu tun in einer akuten Notsituation - oder auch etwas die Nerven verlor.
Nein, daraus wollen wir ihm keinen Strick drehen. Doch was ist mit seinen folgenden Handlungen? Als er sich konfrontiert sah mit der illegalen und verurteilenswerten Handlungsweise unseres ehemaligen Verbündeten, handelte er da wie ein wahrer Staatsmann? Behielt er das Wohl der Konföderation und der Soldaten, deren Oberbefehlshaber er war, im Auge? Verhandelte er sofort ernsthaft und gewissenhaft um ihre Freilassung, eine wie auch immer geartete Normalisierung unserer Beziehungen zur Bundesrepublik? Denn machen wir uns nichts vor - wir müssen die Handlungen des terranischen Militärs und ihrer politischen Führungsschicht natürlich verurteilen. Wir können und sollen ihre Rechtsbrüche nicht vergessen. Aber ebenso wenig den Umstand, dass die Konföderation und die Bundesrepublik nicht nur Nachbarn sind, sondern dass wir einen großen Teil unserer Werte, unserer Überzeugungen und unserer Geschichte miteinander teilen. Dass wir sechs Jahre lang gegen einen grausamen Feind Seite an Seite gekämpft, Lasten und Opfer geteilt, Siege gemeinsam gefeiert haben. Das wiegt nicht alles auf, aber letzten Endes müssen wir MITEINANDER leben. Über das WIE und WANN mag man geteilter Meinung sein, das OB aber steht außer Frage."

Eben noch hatte die Stimme des Gouverneurs sanft und harmonisch geklungen, als er die Gemeinsamkeiten von Bundesrepublik und Konföderation beschwor. Nun wurde sie wieder scharf und schneidend: "Was aber tat Generalgouverneur Cochrane? Nicht nur, dass er eben NICHT umfassend verhandelte, um die Freilassung der Internierten zu erreichen - er plante und begann anstatt dessen einen Angriff, einen Überfall auf das Gebiet der Bundesrepublik! Manche werden sagen, er tat dies, um unsere internierten Brüder und Schwestern zu befreien. Ein nobles Ziel - aber wann hat schon der Zweck JEDES Mittel geheiligt? Vor allem, da nachweislich eben NICHT alle friedlichen Mittel ausgeschöpft wurden - wo doch Krieg immer das LETZTE Mittel bleiben muss, nicht das ERSTE. Aber nein, Cochrane wollte seinen Angriff, und zur unsterblichen Schande von Flotte und Armee muss man einräumen, dass er genug Helfer in unserem Militär fand, um diesen Schlag auszuführen. Einen heimtückischen Schlag, ohne ein vorheriges Ultimatum, eine formelle Kriegserklärung, IRGEND ETWAS, was den Grundregeln zivilisierter Kriegsführung oder internationaler Beziehungen entspräche! Ein Schlag, der die Kriegsmaschinerie der Bundesrepublik - deren Schlagkraft wir nur zu gut kennen - gegen uns richten kann, und wohl auch wird! Er handelte eher wie ein machttrunkener und kriegslüsterner Akarii-Kaiser, und das in mehr als einer Hinsicht! Denn ich frage, wer hat ihn dazu ermächtigt? Wir erfuhren von diesem seinen Handeln erst aus den bundesrepublikanischen Medien! Ich frage - wer hat ihm die Krone des Königs, das Diadem des Kaisers, die Marschallsstab des Diktators verliehen, dass er ohne Rücksprache und Zustimmung des Council nach Lust und Laune über Krieg und Frieden entscheiden kann? Dass er nach einem verlorenen Krieg gleich den nächsten riskiert, wiewohl unsere Streitkräfte ausgeblutet und geschwächt sind? Wie auch immer diese irrwitzige Operation ausgehen wird, der angerichtete Schaden wird immens sein, und uns auf Jahre wie ein böser Fluch begleiten. Nicht nur in Bezug auf unsere Beziehungen mit der Bundesrepublik, die uns nun wahrlich Lakaien des Imperium schimpfen kann. Nein, noch wichtiger, weil jeder verwundete und gefallene Soldat - ob Konföderierter oder Terraner - ein nutzloses, unnötiges Opfer sein wird. Und weil diese verachtenswerte Tat einen gefährlichen Präzedenzfall schafft, auf die sich jeder Generalgouverneur künftig berufen kann, wenn er das Council in solch einer Frage über Leben und Tod, über die Zukunft unserer Staatengemeinschaft einfach übergeht! Wir haben uns von der Bundesrepublik getrennt, weil wir nicht von einer fernen Zentrale regiert werden wollten, die nicht unsere Interessen im Auge hat. Wir haben gegen das Imperium stand gehalten, weil wir uns nicht einer Dynastie beugen wollten, deren Legitimität in nichts anderem besteht als einem wertlosen Geburtsrecht. Sollen wir uns da der Tyrannei eines EINZELNEN unterwerfen, der in seiner Hybris meint allein entscheiden zu können, was für mehr als sieben Milliarden vernunftbegabte Wesen das Richtige ist, ohne auf die Kontrollinstanzen zu hören, die unsere Vorfahren geschaffen haben?"

Geradezu beschwörend hob der Gouverneur die Hände, als wolle er die Götter als seine Zeugen anrufen: "Die Zeit für Worte allein ist vorbei! Generalgouverneur Cochrane hat eine Grenze überschritten, die so weit jenseits dessen liegt, was mit den Interessen und Werten der Konföderation vereinbar ist, dass die Konsequenzen ebenso hart sein wie unverzüglich folgen müssen. Angesichts dieses Schauspiels unerträglicher Inkompetenz und schier unglaublicher Rechtsbeugungen oder -brüche müssen wir handeln - JETZT! Und deshalb beantrage ich, umgehend eine Abstimmung über den Beginn eines Amtsenthebungsverfahrens gegen Generalgouverneur Cochrane anzuberaumen, wie auch über die Absetzung seines Stellvertreters und seiner gesamten Regierung! An ihre Stelle müssen Personen treten, die die Interessen und Werte der Konföderation achten und respektieren! Und schließlich beantrage ich eine Abstimmung über die Einsetzung einer Sonderuntersuchungskommission, die gegen den Generalgouverneur, die Vertreter seiner Regierung und gegen das Oberkommando der Streitkräfte ermitteln, um ein für allemal festzustellen, wie es so weit kommen konnte! Um die Schuldigen für Versäumnisse und Fehler zu identifizieren, und jene zu bestrafen, die unsere Gesetze mit Füßen traten! Um ein für allemal festzustellen, ob die Handlungen von Generalgouverneur Cochrane und seinen zivilen wie militärischen Vertrauten denn nun Dummheit waren - oder VERRAT!"

In diesem Moment brach endgültig Chaos aus. Diejenigen, die Émile Haigneré beipflichteten, riefen lauthals: "Beides!", Cochranes Unterstützer antworteten mit einem Durcheinander empörter Stimmen, und die "Neutralen" sahen in der Mehrzahl zu, einige machten ihrem Unmut über das Durcheinander Luft.
Edward Cochrane hatte geglaubt, mit seiner Entscheidung für den Frieden die Konföderation gerettet zu haben. Im Moment aber musste er sich fragen, ob diese in ihrer jetzigen Form auch nur die nächsten Monate überstehen würde - oder ob der Schlachtruf der rebellierenden Gouverneure zu ihrem Abgesang werden würde: "Dummheit UND Verrat! Dummheit UND Verrat! DUMMHEIT UND VERRAT!"

Ende

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TRS Columbia
Gamma Erridon, Sprungpunkt Beta
Terranisch kontrollierter Sektor


Für die heutige Besprechung hatte Stafford den Raum der Crusader-Kutscher Rekrutiert. Black Rain war mit zwei bis drei Mann Besatzung je Maschine und sechzehn statt zwölf Maschinen die stärkste Staffel der Angels und hatten somit Anspruch auf den Größten Bereitschaftsraum.
Da heute alle Staffelführer, deren Stellvertreter und sonstiges wichtiges Personal über die neuesten Gegebenheiten auf Gamma Eridon auf den aktuellen Stand gebracht werden sollten, würde selbst dieser Besprechungsraum nicht ausreichen.
„Admiral“, begrüßte er Girad, die wohl als eine der ersten zur Besprechung gekommen war und in der hintersten Reihe Platz genommen hatte. Eine ungewöhnliche Entscheidung für einen Flaggoffizier.
Aber an Vanessa Girad war nichts gewöhnlich. Die Kommandantin der Columbia Kampfgruppe befehligte nicht, sie führte an. Jules Stafford war tatsächlich ein bisschen verwundert. Zum einen, darüber dass Girad es in der TSN soweit gebracht hatte. Ähnliche Kaliber, die er hatten kennen lernen dürfen, wie Richard Collins, den Skipper der Shiloh, steckten auf ihren Posten fest, obwohl sie das Zeug zu viel mehr hatten.
Zum anderen über sich selbst. Er hatte sich für zu abgeklärt gehalten um nochmal vor jemanden Ehrfurcht zu empfinden, doch genau dies war bei Girad der Fall.
Girad verkörperte vieles, was er bewundernswert empfand, Fleiß, Intelligenz und Hingabe. Hingabe der Navy gegenüber und den Offizieren und Mannschaften gegenüber, die unter ihr dienten.
„Ich habe gehört Commander Stacy hat sich einen recht gelungenen Scherzt mit ihnen erlaubt, CAG“, begrüßte sie ihn und riss ihn gleichzeitig aus seinen Gedanken.
„Ja, der XO hat mich ganz schön dran gekriegt. Ich fürchte ich muss mich für meinen Kommentar bezüglich seines Humors entschuldigen“, gestand Jules ein, während er neben Girad Platz nahm.
„Sie haben also höchstpersönlich einem Chief das Gepäck durch die Flure der Columbia getragen?“
Jules musste selbst schmunzeln, als er sich an das Gesicht des Para-Rescue-Jumpers erinnerte: „Selbstverständlich, immerhin wird dieser Mann, im Falle des Falles, mit einem Fallschirm hinter feindlichen Linien abspringen um mich zu bergen. Commander Stacys Gesichte war glaubwürdig.“
Girad lachte auf, was ihnen die verstörten Blicke einiger Staffelführer einbrachte.
Die Admiralin machte einen wegwischende Handbewegung: „Augen gerade aus, Herrschaften, die Besprechung fängt gleich an.“
Wie aufs Stichwort trat ein bulliger Pilot des Marines Corps ans Rednerpult: „Verzeihen sie mir, dass ich nicht weiß ob ich guten Morgen oder guten Abend sagen soll, meine innere Uhr ist noch auf Zulu-Zeit des Planeten eingestellt, dort an der Wand steht etwas von achtzehn dreißig Flottenzeit, von daher wohl guten Abend. Mein Name ist Jaques DeHavel, zwo-siebenundsiebzigster Tactical Fighter Wing und ich soll sie über die aktuellen Fähigkeiten unserer Gegner informieren, die nicht in den allgemeinen Briefings stehen.
Mein Geschwader ist seit den Anfangstagen der Kampfhandlungen auf Gamma Eridon stationiert und von allen Einheiten haben wir die höchste Abschussquote akarrischer Luft- als auch Bodeneinheiten.“
„Das wird sich ja nun ändern, Major“, Huntress sprach natürlich aus, was alle anwesenden Piloten der Angry Angels, Jules eingeschlossen, dachten.
„Das mag zwar schon die richtige Einstellung sein, Lieutenant aber gucken wir doch mal ob ihr Ego die nächsten zwei Wochen überlebt.“
„Deren Ego muss man doch nach ihrem ableben gesondert totschlagen“, murmelte Chip, der direkt vor Stafford saß und sich dafür das Knie im Rücken einfing. Natürlich abgemildert durch die komfortable Rückenlehne.
Dieser drehte sich zu einer wütenden Erwiderung, schluckte diese jedoch herunter als er bemerkte, dass er sich vor seinem Geschwaderführer und dem kommandierenden Admiral gesetzt hatte. Was ihm aber wirklich aus dem Konzept brachte war, dass genau diese beiden sich durch Fingerzeig gegenseitig beschuldigten der Übeltäter gewesen zu sein.
„Wie ihnen bekannt sein dürfte haben die Akarii zwei Armeegruppen auf dem Planeten. Jede dieser Armeegruppen besteht aus drei Divisionen, jede Division aus drei Brigaden. Jede Brigade je nach Aufgabe, Einsatzbereitschaft und Truppentyp aus drei bis vier Regimentern. akariische Regimenter bestehen in der Regel aus zwei bis fünf Kampfbataillonen plus Kampfunterstützungs- und Unterstützungstruppen.
Um ihnen einen Überblick über die Kampfkraft zu vermitteln zeige ich Ihnen hier die fünf-siebenunddreißigste Sturmbrigade, genannt die Herolde des Todes, auf, die vor acht Tagen auf Gamma Eridon gelandet ist und am ehesten an Sollstärke herankommt.
Fünf-siebenunddreißig ist eine komplett mechanisierte Brigade mit zwei Angriffsregimentern vornämlich mit schweren Kampfpanzern bestickt. Jedes dieser beiden Regimenter hat drei Panzerbataillone und ein Panzergrenadierbataillon. Ergänzt werden diese Truppen von einem Aufklärungsregiment mit zwei Bataillonen leichter Spähpanzer, einem Panzergrenadierregiment und zwei unabhängigen Bataillonen, ein Artilleriebataillon und ein Heeresfliegerbataillon. Das ergibt eine gesamtstärke von zwohundertvierzig bis zwohundertsechzig schweren Kampfpanzern, etwa achtzig leichten Spähpanzern, sowie zwohundert Schützenpanzern mit Infanterie. Als Unterstützung stehen dem Verband schätzungsweise sechsundzwanzig Artilleriegeschütze und vierzig Erdkampfflugzeuge zur Verfügung.“
Der Major nahm nach diesem Monolog erstmal einen Schluck Wasser und gab somit den versammelten Piloten Zeit zu reagieren.
Es war natürlich Lilja, die die entscheidende Frage in den Raum warf: „Und so einem Verband hat man die Landung einfach so erlaubt?“
DeHavel machte ein unglückliches Gesicht: „Die Akarii haben den Abzug der beiden leichten Träger perfekt ausgenutzt.
Der Nachrichtendient geht davon aus, dass die fünf-siebenunddreißigste die vierundsechzigsten Imperial Ranger an vorderster Front ablösen werden, welche bis dato die Speerspitze des Angriffs gebildet haben.
Beide akariischen Armeegruppen verfügen über gut ausgebaute Luftabwehrstellungen. Im Frontbereich Boden-Luftraketen-Batterien des Typs SA-6 und SA-7.
Die SA-6er sind mobile Starter mit acht Raketen je Fahrzeug, vier Fahrzeuge plus zwei Lenkeinrichtungen bilden eine Batterie. Es werden Raketen mit halbaktiven Radar abgefeuert, die bis zu sechsfacher Schallgeschwindigkeit erreichen können. Der Sprengkopf ist groß genug, um zumindest die Schilde der leichten Jäger, wie Falcons und Griphens zu knacken und noch verheerenden Schaden anrichten zu können.
Ihr gravierender Nachteil ist ihre geringe Manövrierbarkeit und ihr eingeschränkter eigener Radarsuchwinkel. Sie auszumanövrieren ist relativ einfach, der Trick ist es sie passiert zu haben, bevor die Rakete auf das eigene Radar umgeschaltet hat. Ist dies jedoch der Fall, viel Glück, der Annäherungszünder der SA-6 ist ziemlich akkurat.
Ein ganz anderes Kaliber sind die SA-7 Raketenbatterien: Diese bestehen aus fünf Fahrzeugen mit ebenfalls je acht Raketen. In der Regel sind drei Fahrzeuge mit SA-7R’s bestückt. Diese verfügen über einen voll aktiven Radarsuchkopf, mit Bilderkenner und müssen nicht erst von einem Radarleitsystem ans Ziel herangeführt werden, die Chance, dass diese ein eigenes Flugzeug angreifen ist fast ausgeschlossen.
Sie sind wendiger und genauer als die SA-6, haben aber einen fast vierzig Prozent kleineren Gefechtskopf, der im Regelfall die Schilde einer Falcon oder Griphen nicht durchlagen kann, sie aber stark schwächt.
Die restlichen zwei Fahrzeuge sind mit SA-7HS ausgestattet. Dies ist die hässliche Schwester der sieben-R, ebenso wendig aber mit einem stärkeren Gefechtskopf ausgestattet. Ihr Ortungssystem ist ein exzellenter Wärmesuchkopf. Und machen sie sich keine Hoffnungen, diese muss nicht von hinten auf sie abgefeuert werden, im Atmosphärenflug strahlen ihre Maschinen genug Hitze ab, dass die SA-7HS sie aus jedem Winkel anvisieren kann.
Das positive ist, sie unterscheidet nicht zwischen uns und den Echsen, sie geht in der Regel auf das wärmste Ziel los.
Da kommen wir zum nächsten Problem: Ein Großteil der fliegenden Verbände der Akarii sind Heeresfliegereinheiten, die mit Flugzeugen und nicht Starfightern unterwegs sind.“
Jules konnte nicht anders als dreckig schmunzeln und auch von mehr als einem seiner Staffelführer war ein verächtliches Schnaufen zu hören.
„Das haben ich mir gedacht“, war DeHavels trockene Antwort auf die Reaktion der Navypiloten und er war ein Geschwaderabzeichen auf den Bildschirm. Ein Greifvogel im Sturzflug umringt von akariischen Schriftzeichen.
„Dies Herrschaften, ist das neunhundertsiebzehnte Taktische Reservegeschwader des akariischen Heeres.“
Ace setzte sich gerade auf: „Das ist doch Englisch!“
„Das ist richtig, Commander, können sie das lesen?“
„Wenn ich die Zeichen richtig deute: Death on Call.“
Jetzt war auch Jules Interesse geweckt: „Ist es Zufall, dass die Akarii den gleichen Geschwaderbeinamen haben wir ihr Geschwader, Major?“
„Nein, neun-siebzehn hatte keinen Beinamen, als es auf Gamma Eridon ankam. Als wir hierher versetzt wurden haben wir neun-siebzehn in drei Monaten fast ausgelöscht. Ein halbes Jahr war nichts mehr von ihnen zu hören. Als sie neu aufgestellt wieder gegen uns und andere Einheiten ins Feld zogen, haben sie in vier von fünf Luftkämpfen den Sieg davon getragen. Sie haben mehr Panzer zerstört als jede andere akariische Lufteinheit auf Gamma Eridon.“
„Sie klingen eingeschüchtert, Major.“
„Ganz und gar nicht, Lieutenant, ich weiß was ich kann und Mano-a-Mano knall ich jeden von denen ab. Aber ich weiß, dass meine Typhoon, nicht so wendig ist, wie einer deren Interceptor und ich weiß, dass ich nicht so weit runter gehen kann wie diese. Die haben gelernt ihre eigenen Schwächen zu ihren Stärken zu machen. Darüber hinaus ist es nicht deren Aufgabe Jagdflieger abzuschießen. Deren Job ist es Bomben zu werden und Panzer zu knacken. Die werden versuchen sich dem Kampf zu entziehen, wenn die auf sie treffen und mein Tipp ist, nicht hinterherlaufen. Die wissen ganz genau, wo ihre eigenen Flaggstellungen liegen.“
„Und wie kommen diese jetzt zu ihrem Namen?“
„Die haben uns am Boden überrascht, unser und das peshtianische Radar unterflogen und alle Stützpunkte meines Geschwaders simultan angegriffen. Haben fünfzig Prozent unserer Maschinen und vierzig Prozent unseres Personals erwischt. Unsere Alarmrotten haben sie dann im Nahkampf vom Himmel geholt. Mein Rat an sie ist, unterschätzen sie die Piloten und Maschinen der akariischen Heeresluftwaffe nicht und machen sie sich mit den Leistungsdaten der Interceptoren bekannt.“
„Danke Major DeHavel“, übernahm Razor als leitender Operationsoffizier das Pult, „das allgemeine NATOPs* wurde mit den neuesten Daten über die Luftwaffe der Akarii ergänzt und steht allen zum Download zur Verfügung.
Abgesehen von Einheiten für den Luftkampf, sind in Gamma Eridon auch mehrere Geschwader der akariischen Marine stationiert. Hier werden wir auf die üblichen Maschinen und Taktiken stoßen. Nach allen uns zur Verfügung stehenden Erkenntnisse handelt es sich dabei um nichts, was die Akarii selbst als erste Garnitur bezeichnen würden. In wie weit man dieser Einschätzung Vertrauen schenken darf wage ich aber zu bezweifeln.
Auch wenn keine der Einheiten über einen illustren Ruf verfügt, so haben sie viel Einsatzerfahrung gesammelt und ich persönlich würde die Piloten als kampferfahrene Veteranen einschätzen, auch wenn die Maschinen eher ältere Modelle und nicht dem geforderten Wartungsstand entsprechen.“
„Wie viele unsere Maschinen ebenso“, murmelte Jules und fing sich dafür einen bösen Blick von Girad ein.
„Die akarrischen Raumstreitkräfte kontrollieren den zentralen Wurmlochknoten über eine Raumstation der Bastionklasse, verstärkt um einige vorgeschobene Forts und eine doch recht ansehnliche Zahl von Großkampfschiffen“. fuhr Razor fort, „von dort aus werden die Bodentruppen der Akarii immer wieder mit Nachschub versorgt. Eine ständige Überwachung der feindlichen Einrichtungen ist nicht gewährleistet. Konvois werden über verschiedene Nachschubwege los geschickt und stark bewacht.
Zu einer Entscheidungsschlacht im All hat man die Akarii bislang nicht provozieren können; nicht dass man es bislang großartig versucht hätte.
Zusammenstellungen über die uns im All gegenüberstehenden Verbände entnehmen sie den ausgeteilten Mappen. Natürlich wie immer ohne Gewehr.“
Razor folgte dann ein drahtiger Master Chief Petty Officer der Para-Rescue-Jumper. Einer Spezialeinheit aus Mitgliedern des Heeresfliegerkommandos der Army, der Marines und Navy, deren Aufgabe es war abgeschossene Piloten zu finden und zu bergen und dazu nötigenfalls mit dem Fallschirm hinter feindlichen Linien absprangen.
Ihr Motto lautet: That others my live.
Nun erhielten die Staffelführer der Angels und ihre Stellvertreter eine Einführung in die Flora und Fauna von Gamma Eridon. Was ein Mensch essen konnte, was er vermeiden sollte, was für Akarii schädlich war.
Dann folgten eine Phrasen in der Sprache der Peshten, falls man auf eine von deren Einheiten stieß während man sich durchs Unterholz schlug.
Nachdem auch dieser Vortrag zu Ende war erhob sich Jules und schritt nach vorne.

„Nachdem wir jetzt alle den Spaßigen Teil der Veranstaltung genossen haben, kommen wir zu dem, das den Job richtig schwer machen“, leitete Jules ein, „die Regeln für den Kampfeinsatz. Und auch, wenn einige dieser Regeln eine Selbstverständlichkeit sein sollte, werde ich sie alle der Vollständigkeit halber vortragen:
1. Größere Städte sind für uns eine No-Fly-Area, darüber werden wir keine Luftkämpfe ausfechten und auch keine Bomben oder Zusatztanks abwerfen. Sollte der Feind versuchen sie über stark bewohntem Gebiet in Luftkämpfe zu verwickeln, haben sie sich aus dem Gefecht zu lösen.
2. Feindliche Interceptoren oder Erdkampfflugzeuge oder ähnliches Gerät sind vor Beschuss visuell zu identifizieren.
3. Feindliche Raumjäger werden wie üblich elektronisch identifiziert und dürfen auch außerhalb der eigenen Sicht bekämpft werden.
4. Lazarette, Krankenhäuser oder ähnliche Einrichtungen sind gemäß UNSEREN Kriegskonventionen nicht anzugreifen.
5. Krankentransporter ob nun zu Boden, Luft, Wasser oder im Weltraum sind gemäß UNSEREN Kriegskonventionen nicht anzugreifen.
6. Für kleiner zivile Ansiedlungen gilt ein Schutzradius für den Bodenbeschuss von 3 Kilometer.
7. Sollten Peshten versehentlich auf uns das Feuer eröffnen, wird dieses nicht erwidert und sich zurückgezogen.“
Gerade die ersten beiden Punkte hatte nicht dazu beigetragen die Stimmung aufzuheitern.
Und Huntress hatte wohl etwas gemurmelt, dass ihr nicht nur böse von Kano einbrachten sondern auch Irons dazu veranlasste sich umzudrehen und etwas zu ihr zu sagen, dass die vorlaute Pilotin erbleichen ließ.
„Zu unseren Operationen“, fuhr der CAG fort, nachdem die ROE** erstmal gesackt waren, „das Einsatzgebiet der Columbia befindet sich um Gamma-Eridon III herum, auf der so genannten Yankee-Station.“
Gamma-Eridon III erschien mit einem projizierten Lokalraum drum herum. Bekannte Sattelten wurden angezeigt und eine kleine Gruppe terranischer Großkampfschiffe die noch Position bezogen hatten.
„Als erstes werden wir einen Schutzradius um die Position der Columbia herum errichten und sicherstellen, dass keine Echsen zu nah an uns dran sind.
Anschließend beginnen wir mit Kampfpatrolien im Gebiet der Hauptkampflinie auf dem Planeten in Zweier- und Viererformationen und werden für vorgeschobenen Luftbeobachter auf Abruf bereit stehen und Luft-Boden-Unterstützung für alle alliierten Verbände fliegen, die uns anfordern.
Das bedeutet, dass alle unsere Jäger, auch die Falcons für den Bodenangriff mitbestückt werden. Die Viererformationen werden als gemischte Einheiten aufgestellt. Welche Staffel mit welcher zusammenarbeitet, entnehmen sie den Anhängen.“
Die ersten seiner Offiziere begannen schon auf ihren Tablets zu scrollen.
„Armee- und Marinenachrichtendienst gehen davon aus, dass mit der Landung der“, er musste kurz nachsehen, „fünf-siebenunddreißigsten Sturmbrigade eine neue Offensive der Akarii nicht lange auf sich warten lassen wird, von daher werden uns noch keine spezifischen Ziele zugewiesen, da sich diese noch in der Entwicklung befinden.“
Hinter Jules wurden Luftbilder der verschiedenen Frontabschnitte angezeigt. Rote, blaue und grüne Symbole zeigte Feind und Freund.
„Commander Ross hat ihnen Kartenmatereal über die vier Hauptversorgungsrouten des Feindes zusammengestellt, gekennzeichnet als Atlantic, Vegas, Reno und Tijuana.
Diese Routen werden stark frequentiert werden, wenn die drei-siebenunddreißigste in die Stellungen einrückt und eine andere Einheit herausrotiert.
Wir gehen davon aus, dass dies unser erster Großeinsatz sein wird um zu einem kritischen Zeitpunkt größtmöglichen Schaden beim Feind anzurichten, wenn uns die höheren Mächte gnädig sind.“
Jules blickte nochmal über seine Staffelführer und deren Stellvertreter: „Morgen beginnen wir mit der Verlegung ins Einsatzgebiet. Sehen sie daher zu, dass ihre Leute genügend Schlaf und Ruhe bekommen. Keine umfangreichen Übungen mehr, keine Sonderschichten, wenn es sich vermeiden lässt, die an unserer Substanz zehren. Personal und Material wird früh genug der Belastungsprobe ausgesetzt.
Aber dass brauche ich ihnen eigentlich nicht zu erzählen, sie alle kennen ihren Job und ihre Leute kennen sie weit besser als ich.
Auch wenn das Schlachtfeld für die meisten von uns neu ist,


*NATOPs: Naval Aviation Tactical Operations Procedure, Handbuch über die Fähigkeiten, Einsatzgebiete und Grundtaktiken der verschiedenen Flugzeugmuster.

**Rules of Engagement: Regeln für den Kampfeinsatz.



**************


TRS Columbia
Gamma Eridon
On Route

Die Stimmung in der CATCC war angespannt bis gereizt. Die Regeln für den Kampfeinsatz waren nicht nur bei Jules und seinen Staffelführern auf wenig Gegenliebe gestoßen. In den unteren Rängen war das Gemecker teilweise sehr enthusiastisch ausgefallen.
Als Dreingabe hatte sich dann heute Morgen Katapult Nummer drei aus der Verpflegung gemeldet. Was sich nach Sachlage eigentlich schon seit einigen Tagen angekündigt haben dürfte, so hätte zumindest den verantwortlichen Besatzungen auffallen müssen, dass die Leistung des Katapults zwar konstant aber am unteren Ende der Leistungsskala war.
Da die Columbia noch über gute altmodische Dampfkatapulte verfügte und die Reaktoren des Trägers genügend Dampf durch die Wasserkühlung bereitstellen konnten, war nach Jules Meinung eigentlich jeder Schimpanse dazu in der Lage das Problem auszumachen.
Die Zuführungsleitungen! Natürlich war Jules Meinung bei der Schiffs-Technischen Abteilung nicht wirklich gefragt gewesen. Gerade auch, weil er sie recht deutlich dem Verantwortlichen ins Gesicht gesagt hatte.
Weitere Eingaben, wie dass man jetzt erstmal nicht das ganze Leitungssystem kontrollieren müsste, sondern nur die letzten fünfundzwanzig Meter, da ja die anderen Katapulte einwandfrei liefen, waren natürlich auch nicht gewünscht gewesen und letztlich mit einen Verweis auf die Befehlskette quittiert worden.
Statt die offizielle Befehlskette zu befolgen, hatte Jules die Abkürzung zu den Herren und Meister des Flugdecks genommen und Red Cooper, den Airboss der Columbia und Master Chief Petty Officer Mario Atti, den Bosun in der Angelegenheit konsultiert.
Cooper als Chef des Airtraffic Departments des Trägers stand natürlich außerhalb Jules Kommandokette und konnte wie kein anderer an Bord dem CAG echte Schwierigkeiten bereiten und mit einem Unteroffizier von Attis Kaliber sollte man sich nicht unter Sternen am Revers anlegen.
Dennoch kam der CAG nicht umhin beiden mit einer gewissen Schärfe sein Missfallen zur Kenntnis zu geben.
Am Ende versprach ihm zwar Atti, dass Kat Nummer drei spätestens am Nachmittag wieder in Betrieb wäre, doch der Zeitplan des Geschwaders war gründlich im Eimer und das bei einer Routineoperation.
Dies wiederum führte dazu, dass Jules zur Kenntnis gebracht wurde, dass derartige Verzögerungen weder von Admiral Girad noch Captain Ahn gern gesehen wurden.
Mit anderen Worten, der Tag war für ihn schon morgens im Arsch.
Der Flugbetrieb war für die nächsten Tage überschaubar. Blau und Grün Flogen in sechs Schichten a vier Stunden Sektionsweise CAP für den Träger. Auf Katapult vier stand eine Nighthawk der Butcher Bears als Ready-5 in Bereitschaft, der Flügelmann würde mit fünfzehn Sekunden Verzögerung starten. Zwei weitere Bears standen auf Ready-15 parat.
Die Unterstützungsschwadron, die Rawhides, hatte einen voll bestückten Tanker in Bereitschaft und der Staffelführer Lieutenant Commander Arrosev würde die ForCAP mit einem SWACS-Shuttle begleiten.
Jules und sein Flügelmann kontrollierten die Hardpoints ihrer beiden F-117 Nighthawk. Cabbie hatte sechs Sparrow Mittelstreckenraketen und vier Sidewinder mit Hitzesuchkopf für den Nahkampf. Die Maschine des Geschwaderführers trug vier Phönix Langstreckenraketen, zwei Sparrows und ebenfalls vier Sidewinder.
Zu Beginn des Krieges war die Nighthawk der State-off-the-Art Überlegenheitsjäger der TSN gewesen und die älteren Phantome stellten noch fünfundsiebzig Prozent des fliegenden Geräts in den Überlegenheitsstaffeln.
Nach Jahren des Krieges hatte sich die Nighthawk als solides Arbeitstier erwiesen, dass angemessen beweglich, gut gepanzert und schwer bewaffnet jedem akariischen Modell gewachsen war.
„Spirit sieben-null-null, Cowboy auf der Columbia Wachfrequenz, alle Checks sind durch, Maschine ist auf grün. Klar für den Start.“
„Cowboy, Columbia, Callsign Black Market, Clearance für Kat eins, sie werden in Schlepp genommen.
“Black Market, Cowboy, Roger.”
Dann erwachte das Traktorstrahlsystem des Flugdecks zum Leben und zog die Nighthawk in Richtung Startröhre.
Dicht darauf folgte Cabbie.
Die beiden Raumjäger wurden auf die Katapulte gezogen, wo Matrosen in gelben Raumanzügen sie befestigen.
„Black Market, Cowboy, auf Kat eins, alle Systeme nominal, startbereit.
„Cowboy, Black Market, Roger, Startfreigabe, gute Jagd.“
Jules schob den Geschwindigkeitsregler ganz nach vorne und seine Nighthawk begann am Katapultschlitten zu zerren. Dann salutierte er dem Katapultoffizier, was dieser erwiderte, sich aufs linke Knie fallen ließ und mit ausgestrecktem Arm zum Bug der Columbia deutete.
Dies war für den CAG der Angry Angels nur noch eine verschwommene Bewegung, seine Nighthawk wurde aus der Startröhre geschossen und er selbst in den Sitz gedrückt.

Dann war er wieder im All und zog leicht nach backbord um die Flugbahn der Columbia zu verlassen. Das Radar zeigte den Flottenträger und seine Begleitschiffe, voraus und über ihm zwei Falcons und achtern und unter ihm zwei weitere Falcons; die CAP.
Im Einsatzgebiet würde er diese noch um einen BarrierCAP verstärken müssen, um Bomber, denen der Begleitschutz fehlte oder abhandengekommen war decken zu können.
Von steuerbord schloss Cabbie zu ihm auf. Voraus flog dass SWACS-Shuttle der Rawhides.
„Slick, Cowboy, wir sind jetzt hinter ihnen und schließen auf.“
„Cowboy, Slick, ich hatte schon gedacht, dass man mich hier draußen vergessen hätte.“
Jules schnaufte: „Slick, Cowboy, sie wissen doch, ich komme aus der Konföderation, da schlafen wir gerne etwas länger.“
Die Antwort des SWACS-Piloten war ungläubiges Gelächter.
Schnell hatten die beiden Überlegenheitsjäger aufgeschlossen und nahmen Eskortposition beim Shuttle ein.
„Black Market, Cowboy, Recon-Flight rückt aus, wir gehen jetzt auf Kurs Base plus dreihundert. Over.“
Base war in Gamma Eridon eine sich täglich ändernde Gradangabe zwischen null und dreihundertsechzig. Um den Akarii das Abhören oder vielmehr das entschlüsseln zu erschweren wurden Kursangaben hier immer mit Base plus angegeben.
„Cowboy, Black Market, guten Flug. Out.“


Die Dreierrotte mit dem SWACS im Zentrum flog weit aufgefächert der Flotte voraus. Manch einer hätte die drei Maschinen so weit zusammengezogen, dass eine der Nighthawks vom SWACS auf feindlichen Sensoren verschluckt worden wäre, um so die Schlagkraft zu verschleiern.
Jules hingegen setzte mehr auf Abschreckung, in der wohl irrigen Annahme, dass jedes Gefecht, das er mit dem unbeweglichen SWACS-Shuttle vermeiden konnte ein gutes Gefecht war.
Mehr als zwei Stunden vergingen, zäh wie ein ausgelutschtes Kaugummi. Cabbie war niemand, der großartig Gespräch zu führen vermochte.
Für Jules wäre es schlicht unangemessen gewesen, den jungen Lieutenant in ein Gespräch zu verwickeln. Er musste hier draußen den Profi herauskehren.
Lange Weile, den eigen Atem hören, reine Routine, die einen langsam aber sicher dazu verleitete fahrig zu werden und Fehler zu begehen. Und die man sobald sie vorbei war, wie einen Rettungsring herbei sehnte.
„Cowboy, Slick, wir hatten da gerade einen Ping an Steuerbord auf drei, acht Komma zwo, können sie bestätigen.“
Jules checkte seine Instrumente gegen: „Slick, Cowboy, negativ, ich habe nichts aufgefangen. Cabbie, sie irgendwas?“
„Cowboy, Cabbie, ebenfalls negativ.“
„Und wieder ein Ping, CAG, irgendwas ist da an Steuerbord.“
„Geht es auch etwas genauer, Slick!“ Jules war jetzt voll da, Adrenalin pumpte durch sein System und sein Körper bereitete sich auf die mögliche Konfrontation vor. Wieder eine Chance auf Verletzung und Tod oder schlimmer noch Versagen.
„Negativ, Cowboy, ich kriege keine klare Identifizierung, nur eine einzelne Reflexzion auf den Sensorschirmen, nichts Eindeutiges.“
„Verstanden, Slick.“ Sensorequipment für über zwanzig Millionen Credits und die Erkenntnis, da muss irgendwas sein. Irgendwas, von einem alten Trümmerstück bis hin zu einem bisher unbekannten Stealthfighter der Akarii. Und die Pflicht für eine Entscheidung.
Sie konnten gemeinsam den Kurs wechseln und nachsehen, was das Shuttle in eine potenzielle Gefahrenzone bringen würde.
Die beiden Nighthawk könnten das Shuttle alleine lassen und gemeinsam nachsehen, wenn das eine ausgeklügelte Falle war, stand das Shuttle mit heruntergelassenen Hosen da.
Er konnte eine Nighthawk losschicken und entweder Cabbie nachforschen lassen oder selbst gehen. Was jeweils die falsche Entscheidung sein konnte oder die falsche Botschaft für das Geschwader.
Natürlich konnte man solche Sachen auch zu Tode analysieren und als Entscheidungsschwach darstellen.
„Slick, Cowboy, der kleine und ich sehen uns das mal an. Sie schalten für dreißig Sekunden die Nachbrenner ein und gehen dann auf Schleichfahrt. Zwei Minuten später führen sie einen Irren Ivan aus und drehen auf uns zu.“
„In zweieinhalb Minuten, Boss?“
„Dann werden wir zumindest was aufgescheucht haben, wenn es sich nicht um irgendwelche Trümmerstücke handelt. Cabbie, wir scheren aus und sie formieren sich an meinem linken Flügel in drei… zwo… eins.“
Die beiden Nighthawk zogen eine brutale Rechtskurve, während das SWACS seinen Nachbrenner aufdrehte.
Jules war erstaunt, dass er an diesem einfachen Manöver erkennen konnte, dass Cabbie trotz Gefechtserfahrung und Kalis Training noch einige Jahre Routine fehlten.
„Cowboy, Cabbie und was wenn das irgendwelche Peshten sind?“
„Dann sollten diese sich zu erkennen geben, bevor wir sie abknallen.“
Daraufhin antwortete ihm nur schweigen. Cowboy hatte keine Ahnung, wie gut Cabbie mit der Gerüchteküche der Columbia vernetzt war und was er von den mittlerweile nicht mehr vorkommenden „Scherzen“ seiner Kameraden wusste, dennoch musste auch er ein rudimentäres und wahrscheinlich sehr falsche Wissen über Jules‘ Karriere besitzen.
„Cabbie, Cowboy, Nachbrenner aus und aktiven Suchvorgang einleiten!“ Er selbst tat wie gerade befohlen und das Radar der Nighthawk erhellte das Sonnensystem vor ihm. Nein, nur einen viel zu kleinen Teil.
Sekunden der Ungewissheit, dann für einen Wimpernschlag ein kleiner Punkt, nur um dann sofort wieder weg zu sein.
„Cabbie, haben sie das auch gesehen?“
„Negativ, Cowboy.“
„Doch, doch, da war was, wir müssen es auch schon passiert haben. Starke Wende, sie nach rechts, ich links.“
Beide Nighthawks zogen wieder ihre Kurven und näherten sich dem Ort, wo Jules glaubte etwas aufgefangen zu haben. Nichts, nichts, nichts, eine kleine Verschiebung in der Wirklichkeit.
„Cabbie, Cowboy, ich eröffne das Feuer!“ Jules presste den Auslöser und die beiden leichteren in der Nase verbauten Energiegeschütze spien Lichtstrahlen. Kein Treffer, dafür jedoch eine mattschwarze Reflektion. Ein zylindrisches Gebilde, größer als eine Sparrow, kleiner als eine Maverick. Nicht viel. Keine geraden Kanten, sofern er es richtig erfasste. Radarstrahlen wurden abgelenkt in alle möglichen Richtungen, nur nicht dahin, wo sie herkamen, wahrscheinlich auch teilweise geschluckt. Keinerlei Energieemissionen.
„Cabbie, haben sie das gesehen?“
„Negativ“, ein kleines Zögern, „ich bin mir nicht sicher, meine Instrumente zeigen nichts an und ich kann keine Bewegung erkennen!“
„Kommen sie auf meine Höhe Runter und fliegen meinen letzten Weg nach, ich versuche von oben ihre Radarstrahlen aufzufangen.“
„Verstanden, Skipper.“
Es brauchte drei Anläufe, ehe Jules so etwas wie eine Erfassung hin bekam. Sperrfeuer setzte dem Objekt ein Ende.


„Und wenn es ein Überwachungssatellit der Peshten gewesen ist?“ Merkte Ahn Ho-Yun an.
Die Bilder aus Jules Geschützkamera zeigte jetzt, nach mehrstündiger Bearbeitung durch die Nachrichtendienstabteilung der Columbia, ein zylindrisches Objekt. Kantig, mit vielen Ecken, in der Rekonstruktion mit einer Teleskoplinse ausgerichtet auf einen Punkt, den die Columbia schon passiert hatte, als der Satellit noch nicht mal von Slick entdeckt worden war.
„Ist es nicht“, antworteten Cabbie und einer der Aufklärungsspezialisten aus Commander Arrosevs Shuttle-Schwadron.
Kenneth Ross warf beiden einen missbilligen Blick zu; dies war der Erwachsenentisch.
Um den Kartentisch der CIC stand die Hautevolee des Trägers, Admiral Girad, Captain Ahn, deren erster Offizier, Ross, dessen eigener Analysespezialist sowie Jules Stafford und Trisha McGill für das Geschwader. Für manch einen unvorstellbar, dass ein Lieutenant JG und ein einfacher Unteroffizier ungefragt den Mund aufmachten.
„Vielleicht lassen sie die Streber erstmal ausreden, bevor sie dazwischenfahren“, warf Jules ein, mit einem milden Lächeln um das Streber anerkennend klingen zu lassen.
Eine Mühe, die auf Cabbie wohl verschwendet war, der Petty-Officer aus der Shuttle-Schwadron nahm die Geste hingegen wohlwollend hin.
„Der Satellit ist für die Peshten deutlich zu klein um wirklich effektiv zu sein. Funk, Sensoren, Kameras, Steuereinheit, für all dieses wäre mit der Technik der Peshten bei der uns gezeigten Abschirmung kein Platz mehr. Dabei muss es sich um Akarii-Tech handeln.“
„Haben wir eine Einschätzung, wie gut die Erkenntnisse der Akarii über unsere Trägergruppe sind?“ Vanessa Girad klang fast gelangweilt, beiläufig.
Es war der Spezialist aus Commander Ross Abteilung, der antwortete: „Um das auch nur im Ansatz einschätzen zu können, bräuchten wir so ein Gerät um es auseinander zu nehmen.“
„Gibt es einen Weg diese Satelliten ausfindig zu machen“, wollte Girad wissen, „außer mit purem Glück?“
Jules verzog das Gesicht, als hätte er auf eine Zitrone gebissen: „Außer mit mehr Glück als uns eigentlich zusteht, ich fürchte nicht, Ma’am.“
„Na wie gut, dass wir den einen abgeschossen haben“, murmelte Ross.
„Der Explosion nach, verfügte der Satellit über einen Sprengkopf, vielleicht ein Selbstzerstörungsmechanismus, der für ein feindliches Bergungsteam gedacht ist“, entgegnete Charles Stacy, der erste Offizier der Columbia.
„Und auch das werden wir nicht mehr herausfinden“, schnappte Ross.
Stacy verschränkte die Arme vor der Brust und nahm beim Geheimdienstler Maß. Jeder an Bord der Columbia hatte mittlerweile gelernt, dass dieser Blick nichts Gutes verheißen ließ; seiner Reaktion nach auch Kenneth Ross.
„In Ordnung, Herrschaften, wir müssen nun davon ausgehen, dass die Akarii ein weit gestreutes Satellitennetz im System hat und jeden unserer Schritte beobachtet. Ich brauche Ideen, wie wir uns dagegen schützen. Commander Ross, sie versuchen beim Nachrichtendienst der Army und der Peshten Informationen einzuholen, vielleicht wissen unsere Verbündeten ja schon etwas über diese Satelliten, dass uns hilft.“

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5th Syrtis Fusiliers - Pillage and looting since first succession war


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Erus City
Camp Alabaster
Vallis Chroma, Shifang-System

Irgendwie war es gespenstisch still auf dem großen Exerzierbereich, obwohl achtundvierzigtausend Soldaten in Dutzenden Quadraten anstanden; normalerweise war ein solches Antreten nicht angedacht, aber durch Zuhilfenahme der Sportanlagen, die die Navy ihnen großzügigerweise spendiert hatte, hatte dieses Novum funktioniert. Benjamin Yukono wunderte sich zu Recht, dass diese Riesenmenge kaum einen Laut von sich gab. Die Spannung war geradezu anfassbar.
Als der Admiral auf das Podest schritt, gellten scharfe Befehle auf, und achtundvierzigtausend Männer und Frauen nahmen jene Position ein, die „stillgestanden“ hieß. Der Laut von achtundvierzigtausend synchronen Militärstiefeln hallte über die Freifläche wie ein kleiner Donnerschlag.
„Lassen Sie rühren“, wies er die Offiziere an. Wieder der synchrone Schlag.
„Soldaten“, sprach er in sein Mikrofonfeld, welches seine Worte über das hervorragende Lautsprechersystem auch bis in die letzte Reihe trug, „Ihr seid heute angetreten, weil ich euch sagen muss, dass eure Befreiung...“
Weiter kam er nicht, denn die Disziplin zerbracht fast augenblicklich bis zu einem gewissen Grad, als Freudenschreie und Jubel über den Platz hallten und sich einige Leute sogar in den Armen lagen.
Yukono ließ sie gewähren und wartete, bis die übliche strenge Disziplin der ColNavy wieder griff. „In diesem Moment schwenkt die ROBERT DELANY und ihre Kampfgruppe, begleitet von der KEVIN JOHNSTON und ihrer Kampfgruppe, in den Orbit um Vallis Chroma ein, um uns zu evakuieren und wieder in die Konföderation zu bringen!“ Diesmal blieb der Jubel aus, aber dafür hingen rund fünfzigtausend Menschen, Akarii und andere an seinen Lippen.
„Wie Ihr vielleicht bemerkt habt, hat der Wachschutz das Camp komplett aufgegeben. Colonel von Hitzelsberger hat es mir vollständig übergeben, und ich habe vor, eine schnelle und vor allem sichere Evakuierung zu gewährleisten. Daher erwarte ich jede Sekunde die Kontaktaufnahme mit dem Kommandeur der Bodeneinheit, die in diesem Augeblick die Landung vorbereitet.“ Er machte eine Pause und sah in die vielen Gesichter, menschliche wie nichtmenschliche, Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften, für die er die Verantwortung trug. „Das bedeutet auch, dass Ihr euch alle genau jetzt entscheiden müsst, ob Ihr in die Dienste der Terran Space Navy eintretet oder nicht! Alle, die heimkehren wollen, gehen packen und kommen im Verlauf der nächsten halben Stunde wieder hierher zurück. Sie werden von ihren bisherigen Offizieren gesammelt, eingeteilt und so aufgeteilt, dass Einheiten entstehen, die der Platzzahl der Transporter entsprechen wird, mit denen wir zum Raumhafen evakuiert werden.
Alle, die fortan in der Terran Space Navy dienen wollen, versammeln sich am Westtor. Bleibt im Camp, solange es geht und gebt euch auf Nachfrage als Wechsler zu erkennen. Vergesst nicht, der Generalgouverneur hat eine umfassende Amnestie für alle ausgesprochen. Aber die Entscheidung liegt bei euch allen, nicht bei mir.
Lassen Sie wegtreten.“
Die Offiziere übernahmen, brüllten ihre Befehle, und ließen die Mannschaften, wieder voll diszipliniert, zum packen abtreten. Vielleicht war eine halbe Stunde etwas knapp gewählt, aber Yukono war sich sicher, dass die ColArmy unmöglich so viele Shuttlefahrzeuge aufbringen konnte, um alle achtundvierzigtausend Soldaten auf einen Schlag zum Raumhafen zu schaffen; genauso problematisch sah er eine Gefechtslandung im Camp, die wirklich nur unter Feuer hätte gewählt werden können. Während die Soldaten den Platz in Richtung der Barackenstadt verließen, fragte sich Yukono, wie viele von ihnen mit ihm hierbleiben würden.
***
„Ich finde das nicht richtig“, murrte Johann Goratschin vor sich hin. „Ich finde das einfach nicht richtig.“
„Finden Sie, was immer Sie wollen, Corporal, aber tun Sie, was man Ihnen sagt.“ Lieutenant Mbuno tat gelassen, aber der Army-Mann war innerlich stark angespannt. Wegen dem Georgier. Jeder im Team wusste, dass Goratschin ein Arsch war, ein Sadist und ein Menschenschinder. Ein degradierter Sergeant, der wegen Grausamkeit gegen Kriegsgefangene Akarii degradiert worden war, und das nach zwanzig Dienstjahren. Und man musste schon sehr, sehr grausam zu Akarii-Gefangenen sein, damit die Army überhaupt hinsah, geschweige denn einen Vorfall registrierte oder sogar ahndete.
„Ja, ja, LT, alles für die Army, alles für die Republik.“ Ob gehorsam oder ungehorsam, Corporal Goratschin von der Campsicherung Alabaster stieg wie alle anderen Soldaten in den Truppentransporter, der sie aus dem Camp und in die Stadt zur Kaserne bringen würde. Und damit das Camp komplett den Konföderierten überließ. Ein Umstand, den auch Mbuno nicht sehr erbaulich fand. Aber zwei Expeditionsbrigaden, die gerade aus dem Himmel von Vallis Chroma auf die Stadt fielen, waren ein sehr gutes Argument, auch mal die Füße stillzuhalten. Der große Schwarze aus Beijing wusste recht genau, dass General Alexander die Evakuierung aus gutem Grund befohlen hatte. Die rund eintausend leichten Infanteristen und Militärpolizisten, die das Camp unter Lt. Colonel von Hitzelsberger bewacht hatten – Goratschin dabei immer schön bei der Außensicherung, aber nie innerhalb des Camps, weil sich in seiner Akte ein sehr unschöner Vermerk über eine bestätigte Vergewaltigung einer Akarii-Pilotin befand, und niemand, nicht Mbuno, nicht von Hitzelsberger, hatten gewollt, dass Goratschin erneut Gelegenheit für eine solche Tat erhielt, und diesmal womöglich bei einer richtigen Frau. Man konnte davon ausgehen, dass es lediglich sein Bronce Star war, der ihn vor einer unehrenhaften Entlassung oder gar einem Erschießungskommando gerettet hatte, nicht aber vor einer Degradierung, die Mbuno aber für übertrieben hielt, wenn es wirklich nur eine Echsenfrau gewesen war. Vergewaltigung war es ja nur, wenn die Gefahr bestand, dass mit Zwang ein Balg gezeugt wurde, und Menschen und Akarii waren glücklicherweise nicht kompatibel.
„Wir könnten uns auf die Lauer legen“, sagte Goratschin noch immer mürrisch, als der Wagen anfuhr. „In den Häusern verstecken, mit Snipern. Ihre Anführer ausknipsen, sobald sie mit der Verladung anfangen.“
Mbuno fühlte eine dicke Zornesader auf seiner Stirn pulsieren. „Sicher. Tun Sie das. Suchen Sie sich jemanden, der für Sie spottet und holen Sie sich in der Kaserne eine Scharfschützenausrüstung. Dann legen Sie sich auf die Lauer und schießen Sie jeden im Camp Alabaster ab, der vor Ihre Flinte kommt.“
Sergeant Ellig, nicht gerade als Freund des „Kriegshelden“ bekannt, wollte aufbegehren, aber sie verstummte, bevor sie auch nur einen Laut hervor brachte.
„Ha, ha, sehr komisch, LT. Man kann von keinem einzigen Punkt in Erus City ins Camp reinschauen. Geschweige denn schießen.“
Ellig grinste breit, aber so, dass der Corporal es nicht sehen konnte. Er war aus gutem Grund unbeliebt, und einer der Gründe war ein Verhalten, das stark an Mobbing grenzte.
„Dann legen Sie sich eben so auf die Lauer und schießen Sie auf die ColArmy, wenn sie kommt, um das Camp zu leeren. Irgendjemand wird sich da schon eine Blöße geben. Ein Panzerkommandeur, ein hoher Offizier, irgendeiner, den Sie gut identifizieren können. Da könnte diesmal der Silver Star für Sie drin sein, Goratschin.“
„Ja, und der Goldene Löwe“, brummte er missmutig. „Gleich nach dem ersten Schuss wird meine Position unter Feuer genommen werden, und ich bin dann vermutlich tot.“
„Aber Sie wollten doch raus, sich auf die Lauer legen, was tun, Corporal“, sagte Mbuno mit gespieltem Erstaunen. „Da gebe ich Ihnen die Möglichkeit, und dann wollen Sie nicht. Gehen Sie in ein Wohnhaus, konfiszieren Sie eine Wohnung. Machen Sie es von da aus. Sie könnten zu drei, vier Schüssen kommen, bevor sich die ColArmy dazu entschließt, auf ein Zivilhaus zu schießen.“
„Uff, da wäre dann wirklich der Silver Star drin“, murmelte jemand. Aber es klang so sarkastisch, dass sich der Beijinger keine Sorgen darum machte, die Person wolle den Plan wirklich ausführen.
„Halt die Klappe!“, knurrte Goratschin. „Ich mach doch kein verficktes Selbstmordkommando!“
„Ach, und eben wolltest du dich noch auf die Lauer legen.“
„Nicht ich. Wir alle. Wenn wir viele Ziele bieten...“
„Dann hast du bessere Chancen, zu entkommen nach dem ersten Schuss“, schloss Ellig messerscharf. „Haste dir ja fein ausgedacht.“
Goratschin sah die Frau und Vorgesetzte mit bösem Blick an, sagte aber nichts.
Mbuno erinnerte sich an einen Akteneintrag, der besagte, der Corporal würde, war er dazu in der Lage, stets andere einsetzen, um seine Aufgaben zu erfüllen. Erreichte er dies nicht durch Befehlsgewalt, dann durch subtile Manipulation.
„Tja, es ist eben schwierig, wenn zwei ganze Brigaden vom Himmel fallen und neben einhundertsechzig Panzern, Haubitzen und FlakPanzern auch noch viertausend Mann Leichte und Schwere Infanterie auf den Boden bringen“, fuhr Ellig fort. „Da haben sie genügend Leute, um uns und der Garnison in der Kaserne zwei Aufpasser pro Mann hinzustellen.“
„Was denn, Lina, gibst du auf?“, spottete jemand.
„Bei dieser Ausrüstung? Tonfa und Handfeuerwaffen? Klar. Das mag für das Camp gereicht haben. Die Collies sind ja auch ein sehr disziplinierter Haufen, vor allem die Fremdweltler. Aber gegen eine Army Group?“
Goratschin lachte gehässig. „Wenn du die Fremdweltler so magst, steig doch mal auf einen. Fühlt sich bestimmt gut an.“
Ellig wandte sich ihm zu und kam ihm so nahe, dass kein Blatt Papier mehr zwischen ihre Nasen passten. „Du musst es ja wissen, du mieses Arschloch.“

Ein lautes Donnern unterbrach die beiden Unteroffiziere, bevor Schlimmeres passieren würde als der Versetzungsgesuch, den Mbuno heute noch für Goratschin schreiben würde. Er trat an eine Sichtluke, öffnete sie und sah vier Typhoons hinterher, die mit Überschallgeschwindigkeit durch die Tropospause flogen, um der Garnison sehr, sehr eindrücklich klar zu machen, dass sie jederzeit zum Spielen für sie da waren. Davor, am Raumhafen, gingen die Lander nieder wie ein Regen aus Stahl. Es wurde allerhöchste Zeit, hier zu verschwinden. Denn ja, ihre Ausrüstung war einer Invasion dieses Ausmaßes nicht gewachsen.
„Aufhören, beide“, sagte Mbuno, als sich die Streithähne anschickten, ihre „Unterredung“ wieder aufzunehmen. „Auf Ihren Platz, Ellig. Wenn wir in der Kaserne sind, gehen wir sofort zur Materialausgabe und nehmen Einsatzausrüstung auf. Befehl vom General.“
„Geht es doch gegen die Echsen?“, fragte jemand ängstlich.
„Ob und was passiert, liegt nicht in unserer Entscheidung und nicht in unserer Macht, Private. Aber falls sich die Collies eine Blöße geben, falls wir eine Gelegenheit bekommen, dann werden wir bereit sein.“ Aber er hoffte doch aus vollstem Herzen, dass das eben nicht der Fall sein würde. Einem Selbstmordangriff nach russischer Manier auf eine überlegene Panzereinheit, die auch noch massive Luftunterstützung durch zwei leichte Träger hatte, würde er nicht ausführen. Nicht ausführen wollen.
***
In der Kaserne herrsche helle Aufregung. Die eintreffenden vierhundert Mann des Campwachdienst, die vor Ort gewesen waren, wurden sofort aus den Mannschaftswagen geholt und von Schreibern entsprechend ihrer Fähigkeiten, die sie vor ihrer Zeit auf Vallis Chroma erworben hatten, mit ihren sechshundert Kameraden – Schichtdienst - neu instruiert und bewaffnet. Da die meisten zur Leichten Infanterie gehört hatten, hatte Anatol von Hitzelsberger so gesehen einen leichten Job. Aber keinen guten. Die Garnison war eine verstärkte Brigade mit rund eintausend Mann; ausgerüstet mit leichten Truppenfahrzeugen, leichten Panzern, einigen VTOL, nichts, was ihnen würde helfen können, eine planetare Invasion abzuwehren. Es gab eine Menge Manpads und Airpads, um Krieg Light zu führen, aber es gab keinen Plan, wie man zwei Brigaden abwehren konnte. Die Analytiker in Berlin hatten die verschiedensten Szenarien für Shifang durchgespielt, aber nie einen schwereren Fall angenommen als ein paar Einsatzteams, die bestimmte, handverlesene Gefangene befreien würden. Dementsprechend waren seine Leute für den Schleichkrieg ausgebildet, hatten kriminalistische Zusatzausbildungen erhalten, und, wenn jemand dafür geeignet war, soziologische Schulungen, um bei unvermeidbaren Konflikten unter den Gefangenen als Regulatoren eingreifen zu können – und natürlich als Werber. Ausgebildete Soldaten, die terranische Raumschiffe und Panzer bedienen konnten, waren hochwillkommen, Cockroach hin, Cockroach her. Auch jetzt noch, während das Camp sich auf die Räumung vorbereitete, verbreiteten die überall installierten Monitorfolien das Angebot an die konföderierten Soldaten, sich für den Dienst in der Republik und damit gegen den Kuschelkurs von Gouvernor Cochrane zu entscheiden.
„Ani.“
„Hannah.“ Von Hitzelsberger gab Colonel Montblanc die Rechte. „Was wissen wir schon?“, fragte er die Kommandeurin der Garnison.
„Dass es eine sehr gute Idee von Alexander gewesen ist, Sie abzuziehen, Ani. Das, was da runter kommt, sind die 4. und die 5. Expeditionsbrigade unter Gerald Tucson und Arielle McCormick. Rund zehntausend Fronterfahrene Leute, gerade erst von den umkämpften Planeten abgezogen.“
„Die gehören mit zu dem Besten, was die Konföderation noch hat. Ihnen muss es verdammt ernst sein“, sinnierte Anatol.
„Wundert Sie das, Ani? Dass die ColNavy tatsächlich in das Rattenloch Shifang reinfliegt, das wundert mich. Alle müssen wissen, dass ihr Anflug nie völlig unbemerkt sein kann und dass Noltze schon mit den Reserveverbänden auf dem Weg ist. Und sie müssen auch wissen, dass Noltze ihnen notfalls bis in die ColCon folgt, um sie bluten zu lassen. Womit sollten sie sie auch aufhalten? Aber es wundert mich keineswegs, dass sie es versuchen. Ihre Arbeit in allen Ehren, Ani, aber ich fand die Idee, achtzigtausend Colonials zu internieren, nie für besonders gut. Geschweige denn ihnen die Schiffe abzunehmen, oder auf sie zu schießen. Auch wenn dreißigtausend von ihnen nunbei uns Dienst tun und uns offensichtlich vergeben haben.“
„Das ist nichts, was wir zu entscheiden hatten oder beurteilen sollten, Hannah“, mahnte von Hitzelsberger. „Konzentrieren wir uns auf das, was wir können. Wenn es geht, sollte das aber nicht beinhalten, sich mit zwei Veteranenverbänden in Brigadenstärke anzulegen.“
„Oh, wir sollen uns bereithalten. Falls sich die ColArmy eine Blöße gibt. So sollen wir deutliche Präsenz am Stadtrand zeigen, aber außer Schussweite von Raumhafen und Camp Alabaster bleiben, falls einem von denen der Zeigefinger juckt. Offiziell, um die Stadt zu schützen. Was also können Sie mir dafür zur Verfügung stellen?“
„Die MP werde ich nehmen, um nach dem Abzug der ColCon das Camp wieder zu übernehmen und die zu erfassen, die zurückgeblieben sind, offiziell, um sie dem Dienst in der Navy zu überstellen. Das heißt, ich kann Ihnen rund sechshundert Leute anbieten, die hauptsächlich Leichte und Schwere Infanterie betrieben haben, bevor sie aus welchen Gründen auch immer hierher versetzt wurden.“
„Ich gebe zu, das passt mir in den Kram, Ani. Ich bin eh etwas knapp an Schlammstampfern. Sie wissen ja, eine Panzertruppe ohne Infanterie ist wie ein Schwert ohne Schneide. Was ist mit dem Navypersonal, das bleiben will? Haben Sie Mittel, um ihnen zu ermöglichen, hier zu bleiben und nicht gezwungen zu werden, in die Konföderation heimzukehren?“
Von Hitzelsberger grunzte grimmig. „Der General meinte, Okamba würde keine Zeit haben, um sie zu zwingen, nicht mit Noltze im Nacken. Aber ich habe die Osttore in Richtung Stadt offengelassen und ein paar Fahrzeuge bereit gestellt. Zudem habe ich einen Trupp MP auf der Seite der Stadt platziert, falls es ein paar Collies gibt, die meinen, sie müssten in der Stadt untertauchen. Meine Leute werden sie einweisen und verbergen. Der Rest liegt dann bei Admiral Noltze.“
„Gute Plan. Nachdem dieser Riesenhaufen Akarii abgezogen wurde, rechnen sie mit vielen Leuten, die zurückbleiben? Ich dachte eigentlich, wir hätten dieses Potential mittlerweile ausgeschöpft.“
„Es sind noch knapp fünfzigtausend Soldaten im Camp. Ich schätze, drei-, bis viertausend werden sich für uns entscheiden. Admiral Yukonu wird sie anführen, nehme ich an. Der Pechvogel wird vieles tun, aber sicher nicht in die Konföderation zurückkehren und sich dem stellen, was ihn erwartet. Nur durch seinen Fingerzeig an uns konnte die Flotte die ColNavy daran hindern, in ihren eigenen Raum zurückzuspringen. Und wir hätten dann erheblich weniger Schiffe und Mannschaften.“
Montblanc lachte leise. „Schöne pragmatische Sichtweise.“
„Eine intakte Konföderation, die weiter an unserer Seite gekämpft hätte, gerade jetzt, wo es ausschaute, als könnten wir gewinnen, wäre mir natürlich lieber gewesen. Aber hey, es ist halt nicht so, und Ice Cube tut gut daran, zu nehmen, was immer er kriegen kann.“
„Ice Cube?“
„Admiral Frost.“
„Lassen Sie ihn das nie hören, Ani.“
Von Hitzelsberger lachte. „Ich werde wohl eher nie in meinem Leben in die Verlegenheit kommen, ausgerechnet dem Oberkommandierenden der Navy unter die Augen zu kommen.“
„Wer weiß, wer weiß.“ Sie runzelte die Stirn. „Wie sicher können Sie die Operation machen?“
„Was?“
„Sie haben nicht nur Veteranen in Ihren Reihen, die den Posten im Camp Alabaster als Altersruhesitz oder Erholungspause bekommen haben, sondern auch ein paar ausgesprochene Soziopathen. Wie sicher haben Sie die im Griff, Ani?“
Von Hitzelsberger räusperte sich. Natürlich kannte er alle seine Problemkinder. Und natürlich versuchte er, genau diese im Griff zu behalten. Das Letzte, was er wollte, war ein vollkommen unnötiges Gefecht mitten in der Stadt, das auf seine Kosten ging und unnütz Leben kostete. „Ich habe entsprechende Anordnungen gegeben. Außerdem halte ich die auffälligen Leute sowohl von der Fluchtroute fern, als auch vom Sperrriegel, den wir vor der Stadt bilden werden.“
„Wenn doch was passiert...“
„Werde ich hoffentlich schnell genug Tucson ans Rohr kriegen, um mich zu entschuldigen, bevor er meine Einheit zusammenschießt. Sie sollten da auch was tun, Hannah.“
„Schon klar, auch ich habe ein paar Spezialisten in meinen Reihen, die nicht zur Erholung hierher geschickt wurden. Auch ich tue, was ich kann, damit die Situation gar nicht erst scharf wird.“ Sie deutete nach Norden zum Raumhafen, wo gerade die letzten Lander aufsetzten, um ihre Last, bis an die Zähne bewaffnete Schwere Infanterie, auszuspeien. „Der Rest liegt nicht mehr bei uns.“
***
Begleitet von zwanzig leichten und schweren Panzern fuhren jeweils zwanzig gepanzerte Transporter vom Raumhafen in Richtung Camp Alabaster. Das Camp, das seinen Namen wegen seiner schmutzigweißen Mauern erhalten hatte, war etwa vier Kilometer entfernt. Diesmal waren die Transporter voll beladen, mit Infanterie, die die Bewachung des Camps übernehmen würde. Da es augenscheinlich eher nicht zu einer heißen Phase kommen würde, setzte General Tucson nur etwa eintausend Soldaten ein, durchweg Kampferprobte Veteranen. Je weniger er ins Camp schaffte, desto weniger musste er wieder an Bord der Lander und in den Orbit schaffen. Aber er hatte noch weitere zweitausend Infanteristen und seine restlichen Panzer gelandet und konnte es jederzeit mit der Garnison aufnehmen, falls sie danach fragte. Und die Lufthoheit hatte er ohnehin.
Die erste Fahrt verlief mehr als ruhig, es war beinahe eine gemütliche Spazierfahrt. Tucson und McCormick hatten ihren Leuten aber eingeschärft, sich einerseits nicht darauf zu verlassen, dass nicht doch auf sie geschossen wurde, und andererseits das Feuer erst zu erwidern, wenn Lebensgefahr drohte. Die Panzer würden die Transporter notfalls decken und das Feuer als Schutzschilde blocken. Tucson hatte weder vor, sich von Idioten bei den Terrys, und davon hatten die jede Menge, zu einem Stadtkampf provozieren zu lassen und Erus City zur Kampfzone mit Tausenden Toten zu machen. Zurückgefeuert wurde erst, wenn sie Verluste hatten. Das war der Plan. Und ein Plan und Realität...
Tucson schob den negativen Gedanken fort und schaute wieder in Fahrtrichtung, wo das Haupttor des Camps immer näher kam. Wenn wirklich Yukono das Kommando hatte, dann würden die ersten zweitausend Internierten schon bereit stehen, um evakuiert zu werden. Nach fünf Fahrten würden sie genug Leute am Raumhafen haben, dass die Landungseinheiten starten und die ersten zehntausend Evakuierten ins All bringen konnte. Das würden sie sechsmal machen. Fünfmal, um die Kriegsgefangenen in Sicherheit zu bringen, und einmal, um ihre gesammelten Truppen inklusive der Ausrüstung hochzuschaffen. Eine normale Einheit würde hierfür sechs, sieben, vielleicht acht Stunden brauchen. Tucson würde den Terries zeigen, dass es in unter fünf zu schaffen war. Und er hatte so ein Jucken auf der Nase, das ihm sagte, dass sie womöglich noch weniger Zeit hatten.

Sie fuhren in das Camp ein, die Panzer schwärmten aus, die ersten Luken der Transporter öffneten sich, während die anderen Transporter weiter fuhren, um ihre Last an anderen Stellen rauszulassen, näher am Einsatzort der Soldaten. Tatsächlich standen schon zehntausende Kriegsgefangene ordentlich in Fünfzigergruppen aufgereiht da, um sich evakuieren zu lassen. Weitere kamen in einem stetigen Strom dazu und ließen sich ebenfalls diszipliniert aufteilen.
Sein Transporter hielt an, und er schwang sich aus dem Vehikel. Vom fünften Wagen in der Kolonne kam McCormick, die Befehlshaberin der 5., zu ihm herüber.
Beinahe sofort entdeckte Tucson Yukono und eine ganze Reihe namhafter Offiziere. „Ben!“, rief er bereits vom Weiten.
Yukono wandte sich um, erkannte den Neuankömmling. „Gerry! Die Rangleiter raufgefallen, wie ich sehe!“
Tucson trat mit McCormick näher. „Es geht so. Ich durfte nicht mein ganzes Spielzeug mitbringen, aber das, was ich dabei habe, wird schon reichen. Sie kennen Arielle?“, fragte er nach einem Händedruck, bevor er auch die anderen Offiziere begrüßte.
„Noch nicht. Ist mir eine Ehre, Ma'am.“
„Ganz meinerseits. Wir sind ganz froh, dass wir Sie lebend sehen. In der Admiralität hat man schon befürchtet, Sie hätten sich was angetan.“
Yukono wurde sichtbar blass. „Hat man das?“
„Und es hätte uns einen fähigen Stabsoffizier gekostet“, schob Tucson eilig nach. „Ihr Land braucht Sie, Ben, und Ihr Land braucht Sie genau jetzt. Die Terries hätten eh rausgekriegt, was wir vorgehabt haben, also machen Sie sich darum keinen Kopf.“
„Leichter gesagt als getan, Gerry.“ Er deutete auf die angetretenen Soldaten. „Ich nehme an, wir schaffen immer zweitausend auf einen Schlag fort. Ich habe entsprechend antreten lassen.“
Tucson gab seinen Leuten einen Wink, und sofort sammelten sich die Transportwagen wieder am Haupteingang. Die ersten zweitausend Soldaten wurden auf die zwanzig Vehikel verteilt und nach und nach reingequetscht.
„Es sind sechsundvierzigtausend und ein paar“, sagte Yukono. „Rund zweitausend haben sich entschieden, hierzubleiben und zu den Terranern zu gehen. Cochranes Generalamnestie gilt noch?“
„Wir werden sie nicht zwingen“, versicherte Tucson. „Allerdings weiß ich nicht, wie viel Zeit wir haben.“
„Ich habe das in Rechnung genommen und die Leute so gestaffelt, sodass wir mit den ersten beiden Dritteln jene Leute in den Orbit schaffen können, die bereits Lagerkoller und ähnliches haben. Im letzten Drittel sind viele der neueren Kriegsgefangenen und solche, die sich auch dafür entscheiden könnten, noch eine Zeitlang zurückzubleiben oder doch zu den Terranern zu gehen. Aber wir sollten genug Zeit haben, solange noch kein Eingreifverband im System ist.“
„Das ist alles relativ. Seien Sie versichert, dass wir nicht vorhaben, auch nur einen Einzigen hier zurückzulassen, Ben.“
„Aber keine Planung übersteht den Feindkontakt, ich weiß. Ich werde übrigens ebenfalls hierbleiben.“
Konsterniert sah Tucson den Admiral an. „Das... ist überraschend.“
„Ich denke nicht, dass ich schon genug getan habe, um meinen Fehler wieder gutzumachen. Vielleicht, wenn die Terraner zwei, drei Stunden später begriffen hätten, wie unsere Befehle lauten, wären nicht so viele Soldaten wegen mir gestorben. Ich ziehe die Generalamnestie und den Kampf gegen das Imperium vor.“
Tucson legte die Stirn kraus. McCormicks Stimme klang ärgerlich, als sie sagte: „Ihre Entscheidung, Benjamin, aber ich wiederhole, was Gerard gesagt hat: Ihr Land braucht Sie, braucht Sie jetzt! Überlegen Sie es sich bitte noch einmal.“
„Und während Sie da tun, Ben...“ Tucson winkte einen der Infanteristen heran. „Willi, kümmern Sie sich um die Sache.“
Der Mann, Mensch und Major der Spezialeinheiten, nickte. „Ja, Sir.“ Er wandte sich um und gab einem Trupp bereit stehender Soldaten einen sehr knappen Befehl. Daraufhin verstreuten sie sich.
„Sniper?“
Tucson nickte. „Zur Beobachtung. Aber falls es tatsächlich ein paar terranische Idioten geben sollte, die auf uns schießen, will ich Fachleute in Position haben, die mir sagen, ob sie eine Bedrohung darstellen oder nicht.“ Und die terranische Sniper und Spotter ausschalten würden, aber das sprach er nicht aus. Ein Gefecht mit Lasergewehren war zum Glück lautlos. Und es war ein Kampf, der zum Glück unter der Schwelle dessen lag, was er selbst als Provokation oder eröffnete Kampfhandlungen empfand.
„Gerard, die erste Rutsche ist raus“, meldete McCormick.
„Zweitausend Sorgen weniger.“ Beladen, entladen, mit Höchstgeschwindigkeit zwischen Raumhafen und Lager hin und her fahren, das alles dauerte etwa acht Minuten. Wenn sie nicht beschossen wurden. Wenn kein Fahrzeug versagte. Wenn die Disziplin im Camp Alabaster hielt. Machte rund vierzig Minuten, bis genug Kriegsgefangene auf dem Raumhafen waren, um in den Orbit geschafft zu werden.Für den Anflug, das Andocken und die Entladung brauchten sie etwa eine halbe Stunde. Für die Rückkehr nach Vallis Chroma rund achtzehn Minuten, solange es nicht unter Gefechtsbedingungen erfolgte. Dann waren bereits viertausend weitere Soldaten am Hafen, um geboardet zu werden. Dreiundzwanzig Fahrten dieser Art, fünf Shuttleflüge á achtundvierzig Minuten... Fünf Stunden, wenn alles glatt lief. Tucson hätte seine Sterne für die Gewissheit hergegeben, dass tatsächlich alles gelang, zumindest an seinem Ende der Fahnenstange.
Unwillkürlich sah er auf, aber die Positionslichter der Flotte über seinem Kopf waren am hellichten Tag natürlich nicht zu sehen. Ach ja, ein wichtiger Punkt auf der Haben-Seite: In diesen fünf Stunden würden sie auf jeden Fall Tageslicht haben. Um den Rest musste sich Admiral Okamba kümmern.
***
An Bord der CV Pegasus,
Flaggschiff der Eingreiftruppe Badger
Lourdes-Shifang-Wurmloch
Shifang-System

„Sprung geglückt, Admiral.“
„Das sehe ich, Scotty. Was sehe ich noch?“
„Die aktive Ortung kommt gerade rein. Ohauerha. Da hat sich jemand nicht lumpen lassen. Die ConFeds stören uns, aber wir können doch einiges erkennen. Da stehen, summa summarum, die ROBERT DELANY, die KEVIN JOHNSTON, also leichte Träger, zwei vollständige Kreuzerschwadronen, vier Zerstörerschwadronen, drei Fregattenschwadronen, sieben Truppentransporter, drei Lazarettschiffe und vier Trossschiffe, wobei zwei von ihnen die Q-Schiffe sein müssen, mit denen die ConFeds die Haustür aufgehebelt haben.“ Grinsend sah Rear Admiral Scotland von seinen Zahlen auf. „Nichts, worüber wir uns Sorgen machen müssten. Mit einem großen und zwei leichten Trägern bringen wir auf jeden Fall mehr Boogies mit als Okamba.“
„Irgendwo da draußen ist noch Luckie, vergessen Sie das nicht. Er wird Okamba die Tür aufhalten.
„Lak Tokas hat einen Flottenträger und acht Kampfschiffe in Begleitung. Die nützen aber auch nur etwas, solange sie zu einem Kampf eilen können. Ma'am, wir haben ebenfalls zwei Schwadronen Kreuzer, drei Zerstörerschwadronen und fünf Trossschiffe, aber dank der Fregatten, die Alexander zum Wurmloch befohlen hat, kommen zu unseren acht Fregatten noch einmal vier dazu, was zwölf macht. Selbst wenn er flieht, können wir ihm eine nette Tranche an Dünnschiffen hinterherjagen, die ihn so lange beschäftigt, bis wir unsere Dickschiffe nachziehen konnten.“
Noltze grunzte ärgerlich. „Man erlegt den Bären erst, bevor man sein Fell verteilt. Was macht der Feind?“
„Augenscheinlich den Luftraum und den Weltraum über Vallis Chroma beherrschen und das Camp evakuieren.“
„Geben Sie mir General Alexander.“
„Aye, Ma'am. Verbindung zu Fort Kinsley, A to A.“
„Aye, Aye.“
„Fort Kinsley, General Alexander.“
„CV Pegasus, Admiral Noltze. Hamish, wie sieht es aus bei Ihnen?“
„Unverändert. Status der Beladung: Zwanzig Prozent. So wie ich das sehe, und wenn die ConNavy nicht merklich nachlässt, brauchen sie noch gut vier Stunden, um alle Leute inklusive der Truppen zu evakuieren.“
Noltze und Scotland wechselten einen schnellen Blick. „Hören Sie, Hamish, selbst mit Höchstfahrt brauche ich neun Stunden, um nach Vallis Chroma zu kommen. Ich werde Ihnen also nicht zu Hilfe kommen können. Stattdessen schneide ich Okamba den Fluchtweg ab.“
Der General murmelte ein paar Zahlen und sagte: „Das wird nicht reichen. Sie brauchen elf Stunden zum Shifang-Vegas-Wurmloch, Okamba nur sechs. Das bedeutet, dass Ihnen eine Stunde fehlt, in der er in aller Ruhe fertig laden kann.“
„Das ist mir leider bewusst. Haben Sie Gegenvorschläge?“
„Schicken Sie die Fregatten vor. Die können in vier Stunden hier sein und mitten in die Abmarschvorbereitungen platzen.“
„Das wäre ein besseres Selbstmordkommando“, gab Scotty zu bedenken. „Können Sie die Aktivitäten der ColNavy beobachten, General? Legen sie Minen oder andere Schweinereien aus?“
„Sie haben etwa vierzig Shuttles detachiert, die die planetare Umlaufbahn verlassen haben. Mehr Aktivitäten sind nicht zu beobachten.“
„Shuttles?“
„Vermutlich Ortungseinheiten. Okamba will ganz genau wissen, was wann aus welcher Richtung kommt“, sagte Scotland.
„Vermutlich. Also befürchten wir eher nicht, auf Minen zu laufen. Das ist doch schon mal was. Was können Sie noch für uns tun, Hamish?“
„Auf Ihr Zeichen kann ich die fünf Truppentransporter beschießen und ihre Antriebe ausschalten.“
„Mit Hilfe der Bewaffnung von Fort Kinsley?“
„Mit Hilfe der Bewaffnung von Fort Kinsley.“
„Das kapituliert hat.“
„Ja, Ma'am, aber seien wir ehrlich. Die Verluste an Bord der Transporter dürften eher marginal sein, Fort Kinsley wird danach das Feuer wieder einstellen und sich erneut ergeben, und meine Karriere ist ohnehin den Bach runter.“
Erneut schauten sich die beiden Admiräle an. Noltze schüttelte schließlich nachdrücklich den Kopf. „Über Ihre Karriere reden wir später mal in Ruhe, Hamish. Und über die von Stitch im Besonderen. Scheint ja bisher einen guten Job da unten zu machen.“
„Ja, das denke ich auch. Wäre echt schade um Anatol, wenn die ganze Geschichte ihm schaden würde.“
„Deshalb befehle ich Ihnen, meinen ersten Befehl uneingeschränkt zu befolgen. Sie schießen mit einem Fort, das sich ergeben hat, nicht auf die Streitkräfte der ColNavy, verstanden, Hamish? Es hätte noch gefehlt, dass wir ihnen Futter für ihre Propaganda liefern. Es wundert mich sowieso, dass sie so ruhig bleiben, während wir Dissidenten und Deserteure für sie singen lassen.“
„Ich habe verstanden, Admiral, aber ich weise darauf hin, dass, sollten Sie Ihre Meinung ändern, ich jederzeit dazu bereit bin.“
„Danke, Hamish. Ich werde das im Logbuch ausdrücklich vermerken und im Bericht lobend erwähnen. Aber jetzt folgen wir erst mal Ihrem ersten Plan. Wir schicken die Fregatten vor.“
„Wenn Sie meinen Rat haben wollen, übergeben Sie das Kommando einem Ihrer Kapitäne. Mein dienstältester Kapitän da draußen ist Weng von der HUE BA, und der ist ein verdammter Hitzkopf.“
„Danke für die Warnung. Commander Guiliano wird das Kommando führen. Scotty, sagen Sie es ihr gleich.“
„Ja, Ma'am.“
„Jenny, geben Sie mir den CAG. Ich plane einen Langstreckenabschuss für seine Bomber.“
„Aye, Aye, Admiral.
***
Okamba starrte auf den taktischen Bildschirm. „Schlecht. Sie haben ihre Fregatten vorgeschickt. Bomber begleiten sie. Das sieht ganz danach aus, als plane Maike einen Fernbeschuss.“
Commodore Adorny bemerkte: „Das haben wir erwartet, oder nicht?“
„Halb und halb. Auf jeden Fall wäre es mir lieber gewesen, Maike wäre später oder noch besser gar nicht gekommen. Aber man kann nicht alles haben im Leben. Philip, sagen Sie General Tucson Bescheid, dass er mit weniger Flügen mehr Leute hochschicken muss, oder wir müssen Mannschaften und Geräte zurücklassen. Ich traue mich gar nicht, mir vorzustellen, was passiert, wenn bei der letzten regulären Fahrt plötzlich Feindfeuer aufkommt.“
„Ich werde es weiterleiten, Sir.“
„Und halten Sie das ECM scharf. Ich will nicht, dass Maike merkt, was hier wirklich gespielt wird.“
Adorny lächelte dünnlippig. „Aye, Sir.“

Drei Stunden später
Die Evakuierung war zu diesem Zeitpunkt relativ reibungslos abgelaufen. Relativ bedeutete, dass die Arbeiten nicht hatten gestoppt werden müssen, aber im ersten Schwung hatten sie durch einen dummen Koordinierungsfehler wertvolle Zeit verloren. Fälle dieser Art häuften sich naturgemäß, sodass sich Tucson von seinem Ziel, unter fünf Stunden zu bleiben, getrost verabschieden konnte. Beendet war die Evakuierung noch nicht, aber es war der Fall abzusehen, wann die Tour zum Raumhafen das letzte Mal gemacht werden würde.
Zugleich waren die zwölf Fregatten mit ihrer Begleitung, fünf Staffeln Mirage-Bombern, voll bestückt und feuerbereit, in die Kernschussweite für Langstreckenraketenbeschuss eingetreten. Dies war die äußerste Grenze, die eine Rakete mit Treibstoff fliegen würde und damit noch lenkbar war, beispielsweise, um Abwehrfeuer auszuweichen oder einem Ziel zu folgen, das eine Kursänderung vornahm. Commander Maria Guiliano biss sich ein wenig auf die Unterlippe, während sie die taktische Anzeige betrachtete. Die Bomber und die zwölf Fregatten würden gleich alles feuern, was ihre Raketenlafetten hergaben, und das würde eine ganze Menge sein. Die Confeds waren derart dicht gepackt im Orbit um Vallis Chroma aufgestellt, sie konnte sich nicht vorstellen, dass der Beschuss erfolglos bleiben würde. Oder folgenlos für Erus City, in dessen Orbit die Flotte stand. Aber es war nicht ihr Job, sich Gedanken über Kollateralschäden zu machen. Es war ihr Job, ihren Job zu machen. Und genau das tat sie fünf Minuten später, was den Raketen noch mehr Manövrierspielraum gegeben hatte. „An alle Schiffe, an alle Bomber: Feuer.“
Bestätigungen von Bombern und Waffenleitständen der anderen Fregatten trafen ein, dann erhoben sich die Raketen von den Schiffen und von den Lafetten der Bomber, die nach ihrem Alpha-Abschuss abdrehten, um sich auf ihren Trägern neue Raketen zu holen; in der Zeit würden sie relativ alleine agieren.
„Merkwürdig, dass Okamba weder seine Jäger, noch seine Fregatten raus schickt“, sagte Lieutenant Kinsley, ihr Zweiter Offizier. „Ich hätte erwartet, dass er wenigstens versuchen würde, unseren Langstreckenbeschuss abzufangen.“
„Das sind Schiffe, die er erst wieder zurückholen muss und das sind Jäger, die erst wieder landen müssen“, erwiderte sie.
Die taktische Karte zeigte in schönen Schraffuren, wie die Antischiffsraketen auf die feindliche Flotte zuhielten. Jede einzelne hatte eine eigene Kennung. Die Fregatten setzten nach diesem Schuss bereits eine weitere Salve hinterher, sobald sie bereit waren. Das machte jetzt schon zweihundert Raketen. Eine normale Raketenverteidigung, die nicht von einem Flakkreuzer geleitet wurde, oder einem vergleichbaren System, das die ColNavy nicht hatte, konnte, wenn die eigenen Schiffe so dicht an dicht standen, alleine damit erhebliche Probleme bekommen. Und es standen noch fünf weitere Salven aus, die die TSN-Fregatten abfeuern würden. Sie würden den Verband damit sicher nicht zu Klump schießen können, denn die ECM-Maßnahmen waren effektiv. Aber sie zweifelte nicht daran, dass sie etwas, irgendetwas verdammt schwer treffen würden. Dann hatten die Raketen drei Viertel der Strecke nach Vallis Chroma geschafft. Und sie verschwanden. Eine nach der anderen. Aufgeregtes Raunen ging durch die Zentrale.
„Skipper, wir haben in drei Minuten rund einhundert Raketen verloren! Nur zwanzig der ersten Salve gehen durch!“
„Was, zum Henker, ist da passiert?“
„Ich weiß es nicht, Skipper!“
„Finden Sie es heraus!“
„Ma'am, ich weiß, was das ist“, sagte Kinsley. „Sie benutzen die gleiche Taktik, die die Akarii in Sterntor benutzt haben. Die vierzig Shuttles, Sie erinnern sich?“
„Sie meinen...?“
„Ja, Ma'am. Okamba hat vierzig Shuttles zu Antiraketenbooten umbauen lassen.“
„Totaler Verlust der zweiten Salve, Ma'am!“
„An alle Schiffe: Feuer einstellen. Bereithalten für eigene Gegenmaßnahmen. Aktiver Scan nach diesen Shuttles.“
„Kein Gegenfeuer bisher, Ma'am.“
Misstrauisch hob sie eine Augenbraue. „Wenn sie in unserer Kernschussreichweite sind, dann sind wir das auch in ihrer. Aber sie feuern nicht?“
„Nein, Ma'am. Alle Schiffe der Flotte sind illuminiert, aber noch gibt es keine Abschüsse.“
„Das ist eine Warnung“, mischte sich nun Commander Bont ein, ihr Erster Offizier. „Es ist offensichtlich, dass Okamba die Sache hier mit so wenigen Verlusten wie möglich beenden will – auf beiden Seiten. Er hätte die Chance, jetzt das Feuer auf uns zu eröffnen, und er illuminiert uns auch, aber er feuert nicht. Noch nicht.“
„Das ist eine ziemlich eindeutige Ansage. Lasst mich in Ruhe abziehen. Würden Sie dem zustimmen, Eins O?“
„Ja, Ma'am. Noch etwas: Wenn wir noch näher kommen, wird er feuern. Unsere Aufgabe war es, die Evakuierung zu behindern und den Abzug zu verlangsamen, damit der Admiral mehr Zeit hat, um die Flotte heranzubringen. Dies können wir nun nicht mehr erfüllen.“
„Verstehe. Was raten Sie mir, Jannis?“
„Irgendwann wird Okamba die Shuttles zurückpfeifen. Sie werden zur Flotte zurückkehren. Das wäre dann der Augenblick für eine zweite Salve.“
„Dazu müssen wir die Shuttles aber erst mal finden. Befehl an die Flotte: Relativ zu Vallis Chroma stoppen, auf weitere Befehle warten. Kelly, geben Sie mir den Admiral.“
„Aye, Aye.“

„Und das ist die Lage. Mittlerweile ist es uns gelungen elf Shuttles anzuleuchten. Wir können also sehen, wenn Admiral Okamba sie zurückzieht. Ihre Befehle, Admiral?“
„Bleiben Sie, wo Sie sind. Warten Sie auf die Flotte, auf meinen Befehl, oder aber auf eine gute Gelegenheit für einen heftigen Schlag.“
„Und eine gute Gelegenheit für einen heftigen Schlag ist, Admiral?“
Maike Noltze grinste schmallippig. „Das überlasse ich Ihrer Einschätzung, Commander.“
„Habe verstanden, Ma'am.“
Scotland starrte auf den mittlerweile erloschenen Bildschirm. „Wir können auf Abfangkurs gehen, aber uns wird eine halbe Stunde fehlen, die wir hinterher eiern, bevor Okamba springt. Er hat jetzt über zwei Drittel der Leute im Orbit. Wir müssen also entscheiden, ob wir ihm hinterherlaufen werden, oder ob wir jetzt etwas tun können. Zum Beispiel darauf warten, dass er seine Gunboats noch zurückzieht und damit die Reaktionszeit seines Antiraketenschilds weiter reduziert.“
„Die Bomber sollen sofort wieder aufsteigen, sobald sie aufmunitioniert sind. Hauen Sie auch die Crusader mit raus. Die Jäger sollen sich bereit halten. Außerdem will ich zwei Rafale entlang seines Kurses zum Wurmloch sehen. Der CAG soll ein paar Leute ohne Nerven aussuchen.“
„Aye, Admiral.“
„Und ich will eine Verbindung zu Fort Kinsley.“
„Steht, Ma'am.“
„Hamish, sind Sie da?“
„Ich bin hier und bereit.“
„Hamish, es besteht zu befürchten, dass die ColNavy zurückfeuert, sobald Sie schießen.“
Scotland erstarrte bei ihren Worten. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen.
„Ich habe bereits die meisten auf die Oberfläche runtergeschickt und sitze hier oben mit einer Notmannschaft. Ich kann sie jederzeit in die Fluchtkapseln setzen und aus einer dieser Kapseln auf den roten Knopf drücken.“
„Wird Fort Kinsley auf Erus City fallen, Hamish?“
„Ich habe soeben begonnen, es driften zu lassen. Wenn Sie etwas von mir wollen, dann müssen Sie es jetzt tun, Admiral.“
„Okay. Schießen Sie, sobald Sie selbst in einer Rettungskapsel sitzen, Hamish.“
„Jawohl, Admiral.“
„Aber nicht auf die Truppentransporter.“
„Ma'am?“
„Feuern Sie auf die ROBERT DELANY. In die Antriebe.“
„Als hätte ich es geahnt. Es ist alles vorbereitet.“
„Sie haben gewusst, dass...?“
„Admiral, meine Leute langweilen sich. Also habe ich die Kanoniere verschiedene Beschusspläne ausarbeiten lassen, die ich alle selbst aktivieren kann. Ich evakuiere dann, Ma'am.“
„Möge Gott mit Ihnen sein, Hamish. Und über Ihre Karriere reden wir wirklich noch mal.“
„Möge das Licht des unendlichen Alls auf Sie leuchten, Admiral.“
Die Verbindung starb ab.

War es Zufall? War es der Willen einer höheren Macht? Fest stand, dass die ROBERT DELANY zum denkbar günstigsten Zeitpunkt Fort Kinsley passierte. Das Driften der Station war bemerkt worden und Okamba hatte einen guten Blick auf das alte Fort haben wollen. Dann, kaum dass der Heckbereich im Feuerwinkel der Tachyonenwerfer war, starteten etwa zehn Rettungskapseln vom Fort. Kurz darauf feuerten zwei überschwere Werfer jeder genau eine Salve ab. Die Wirkung war effektiv, aber nicht verheerend. Es gab eine sofortige Antwort; eine Antischiffsrakete wurde abgefeuert, dann eine zweite, eine dritte. Als die erste mit ihrer atomaren Last einschlug, wurden die anderen beiden gesprengt. Der Treffer auf der ROBERT DELANY hatte das komplette Steuerbordtriebwerk ausgeschaltet, Sekundärexplosionen von Energiemeilern und Schildgeneratoren fügten dem Schiff überschaubare Schäden zu, was nicht nur zu Kollateralschäden, sondern auch zu einigen Toten und mehreren Verletzten unter der Besatzung führte.
Der Treffer an Bord des Forts war atomar erfolgt, etwa mit einer Gigatonne. Die Explosion hatte die ROBERT DELANY nicht gefährden können, die selbst über fünfzig Kilometer entfernt gewesen war, und auch die Rettungskapseln waren im Deckschatten des eigenen Forts gewesen. Der Treffer aber hatte ein mehrere hundert Meter großes Loch in das Bollwerk gerissen, das für genau diesen einen Überraschungsschlag die starken Schilde nicht eingeschaltet hatte. Fort Kinsley war verwundet worden, aber es flog noch und folgte weiter seiner Drift, weiter weg von Erus City, einen steten Strom an Trümmern hinter sich her ziehend, die aufzuräumen eine stramme Aufgabe für einen strafversetzten Kadetten war. Der Körper glühte, ein großer Teil war radioaktiv verstrahlt, aber die Wabenbauweise hatte das Schlimmste verhindert.

„Wie schlimm ist es?“, fragte Okamba.
„Nicht so schlimm wie zuerst befürchtet, Admiral“, antwortete Adorny. „Rechte Düse und ein Teil des Energieliefernetzes ist zerstört. Macht fünfundzwanzig Prozent Leistungsverlust. Uns sind allerdings auch zwei Schildgeneratoren durchgegangen, macht acht Prozent weniger am Heck.“
Elliot Okamba fluchte verärgert. „Ich wusste, es läuft zu gut. Viel zu gut. Dass General Alexander aber tatsächlich den letzten Rest an internationaler Glaubwürdigkeit über Bord wirft, habe ich nicht erwartet. Wie lange dauern die Reparaturen?“
„Sir, wir fahren auf fünfundsiebzig Prozent, bis die ROBERT eine Werft besucht.“
„Das habe ich befürchtet. Geben Sie unsere Lage per Lichtspruch weiter. Schätze, Maike hat uns gerade effektiv auf den Umhang getreten.“
„Das fürchte ich auch.“
„Die JOHNSTON soll uns in Schlepp nehmen. Wir brechen sofort auf. Die Flotte soll uns einholen, sobald sie hier fertig ist.“
„Aye, Admiral. Spruch an die Admiralität ist raus. Was ist mit den Shuttles?“
„Bleiben so lange draußen wie möglich. Wenn die Flotte aufbricht, ziehen wir sie so nahe ran wie nötig. Betankung und Aufmunitionierung mit Hilfe der Nachschubtender.“
„Aye, Sir.“
„Stand der Evakuierung?“
„Wir bringen jetzt gerade die vierten Zehntausend rein. Fünfundzwanzig Minuten, bis die Lander wieder runter gehen können.“
Okamba fluchte unbeherrscht, wie es nur ein alter Raumhai konnte. „Da passt man eine Sekunde nicht auf, und die ganze Mission ist gefährdet. Wir haben nicht genug Platz für unser Material, die Bodentruppen und die Kriegsgefangenen auf dieser letzten Tour.“
„Nein, haben wir nicht, Admiral.“
„Das ist verdammter Mist. Kann es noch schlimmer kommen?“
„Startsignaturen von der PEGASUS!“
Adorny verzog seine Miene zu einem „Hättest du das besser nicht gesagt“-Gesicht.
***
Mit brennenden Augen sah Maike Noltze dabei zu, wie in der Computerdarstellung die DELANY von der JOHNSTON in Schlepp genommen wurde. Ein großer Teil ihrer Integrität war für dieses Bild draufgegangen, aber es hatte sich gelohnt. Sie hatte die Colonials noch nicht besiegt, aber sie hatte Okamba an den Eiern. Was sehr schade war, denn im Gegensatz zu vielen überheblichen Kollegen in der Flotte hatte sie die ColNavy-Konterparts immer hoch geschätzt. Jetzt war die Mobilität der ganzen Flotte stark eingeschränkt, und es spielte auch keine Rolle mehr, ob Lucky – Admiral Lak Tokas, einer der besten Flottenkommandeure, die sie die Ehre gehabt hatte je kennenzulernen – mit seinem Träger noch auftauchte oder nicht. Okamba würde sich stellen müssen, der Kampf würde hart werden, aber letztendlich würde die republikanische Navy siegen.
Sie würde...
„Admiral Noltze!“
„Scotty, schreien Sie doch nicht so. Ich stehe direkt neben Ihnen.“
„Verzeihung, Ma'am, aber Sie haben nicht reagiert.“ Er hielt ihr Pad hin. „Lichtspruch von Deneb. Nur Text.“
„Scotty, wo zum Teufel steckt Kal Ilis genau jetzt?“
Der Rear Admiral wurde blass. „Wieso fragen Sie?“
„Weil HQ sagt, dass Ilis ausgerückt ist!“
Scotland wurde noch eine Spur bleicher. „Ich überprüfe das sofort!“
Während ihr Geheimdienstchef verschwand, las sie den Rest der Depesche.
„Admiral, es wurde bestätigt. Ilis hat Ibari mit einer starken Flotte verlassen. Das war vor achtzehn Stunden. Ich habe keine Ahnung, warum mich eine Meldung dieser Wichtigkeit nicht erreicht hat!“
„Ruhig, Scotty, Ilis ist fünf Sprünge von der ColCon entfernt, sechs von unserer Grenze, und acht von Deneb. Verbindung zu Okamba. Actual zu Actual.“
„Aye, Ma'am.“
***
„Sir, Lichtspruch von Hauptquartier. Admiral Kal Ilis hat Ibari Richtung Deneb verlassen.“
„Wie überaus interessant. Wenn wir es wissen, dann...“, sinnierte Okamba.
„Admiral, Ruf von der PEGASUS, Actual zu Actual!“
„Stellen Sie durch, Petty Officer. Maike, es ist eine Freude, Sie zu sehen.“
„Ich bin sicher, das war es vor fünf Minuten noch nicht, Elliot.“
„Ich bin lediglich höflich zu Ihnen, Maike. Ich weiß, dass Sie mir weh tun werden.“
Die Admirälin verzog die Miene trotzig. „Ich werde es zumindest versuchen. Sie haben wie viele Ihrer Leute jetzt an Bord?“
„Nicht ganz achtunddreißigtausend durch die üblichen Verzögerungen und Probleme, die Auftankarbeiten und den zeitweiligen Ausfall von zwei Landern.“
„Die ROBERT DELANY ist beschränkt fahrtauglich?“
„Sie hat drei Viertel des Unterlichtantriebs. General Alexanders Verrat war heftig und erfolgreich.“
„Das müssen Sie verstehen. Es war die letzte Chance, seine Karriere noch mal voran zu bringen.“
Okamba erwiderte kalt: „Schlechte Witze bringen uns hier nicht weiter, Maike.“
„Okay, hier ist der Deal. Sie starten sofort mit allem, was Sie haben und verschwinden aus meinem System. Alles, was noch unten auf Vallis Chroma ist, bleibt dort unten. Eventuell können wir später über eine Repatriierung reden. Der Rest zieht sofort und ohne Widerspruch ab. Ach, und die ROBERT DELANY lassen Sie bitte hier. Ohne Personal, versteht sich. Sie bekommen acht Stunden, um Personal und Material zu evakuieren. Ihre Jäger können Sie auf der JOHNSTON mitnehmen, da bin ich nicht scharf drauf.“
„Sie können die DELANY haben. Sie würde mich im Moment sowieso eher behindern. Aber ich weiß nicht, ob ich Ihnen trauen soll, nachdem Sie Alexander zum Wortbruch getrieben haben.“
Noltzes Augen funkelten wütend, aber sie sagte nichts, bis sie sich wieder im Griff hatte. „Ich gebe Ihnen mein persönliches, hochheiliges Ehrenwort, dass Sie abziehen können. Und ich verspreche Ihnen ganz persönlich, dass Sie noch gut dabei wegkommen. Also tun Sie es einfach.“
„Maike, das reicht mir nicht.“
„Vorsicht, Elliot, ich bin hier diejenige mit dem größeren Spielzeug!“
„Das ist mir bewusst. Mir ist aber auch bewusst, dass Ihnen Kal Ilis im Nacken sitzt und Sie sich einen Verlust an Schiffen gar nicht leisten können.“
Die Admirälin schlug heftig auf ihr Pult. Sie beugte sich soweit vor, dass es aussah, als wolle sie aus dem Monitor, der sie abbildete, herauskommen, um Okamba persönlich zu erwürgen. Aber auch diesmal fasste sie sich wieder. „Also gut. Was wollen Sie, Elliot?“
„Lassen Sie die Hälfte meiner Lander ein letztes Mal runter gehen. Wir stopfen rein, was reingeht und fliegen danach ab und überlassen Ihnen die ROBERT DELANY mit allen Zugangsdaten zum Schiffsrechner.“
„Sie sind nicht in der Lage, zu...!“, fuhr sie auf. „Okay. Sie kriegen einen Lander, der runter gehen darf. Was Sie da nicht reinkriegen, geht an mich. Material, Soldaten, alles, was übrig bleibt.“
„Vier.“
„Drei.“
„Abgemacht. Alle Leute und alles Material, das ich reingestopft kriege, der Rest ist für Sie.“
„Abgemacht.“
Die Verbindung erlosch.
„Sie haben Admiral Noltze gehört. Schicken Sie die ersten drei Lander runter, sobald sie wieder klar sind. Wie viele können wir reinstopfen?“
„Die normale Kapazität wäre dreitausend Mann Plus ein paar Zerquetschte. Das reicht gerade für das, was Tucson an Soldaten unten hat. Ohne Gerät.“
Okamba atmete tief durch. „Und wenn wir sie stapeln?“
„Die Lebenserhaltungssysteme schaffen bestenfalls weitere achthundert.“ Adorny sah sich bemüßigt, seinem Admiral moralisch beizustehen. „Sir, wir wussten, dass es so kommen könnte. Unsere Leute da unten wussten, dass es so kommen könnte. Die letzten Achttausend da unten sind genau für so einen Fall noch unten geblieben.“
„Wenn wir unser ganzes Material zurücklassen, wie viele können wir dann reinstopfen?“
„Noch mal vierhundert mehr, Sir.“
„Also müssen wir fast siebentausend Offiziere und Mannschaften da unten zurücklassen. Was ist mit Yukono?“
„Er ist bisher nicht unter den Evakuierten. Soll ich eine MP-Einheit nach ihm aussenden?“
„Nein. Nein, Commodore, lassen Sie ihn unten. Ich respektiere seine Entscheidungen. Lassen Sie den Leuten da unten mitteilen, dass der schlimmste Fall eingetreten ist, und dass wir noch gut eintausend Plätze haben. Sie sollen sich jetzt entscheiden, wer noch mit will. Meinetwegen sollen sie losen.“
„Aye, Sir.“
***
Tucson war nicht wohl, als er vor die letzten rund achttausend und ein paar Zerquetschte Konföderierte Offiziere und Mannschaften traf und die Lage erklärte. Letztendlich aber waren es nur fünfhundert und ein paar, die nicht zurückbleiben wollten. Das bedeutete, dass sie auch noch etwas vom Material mitnehmen konnten. Tucson und McCormick würden die moderneren Panzer mitnehmen und die Transporter und leichten Panzer zurücklassen.
Froh darüber, dass seine Kameraden so erwachsen reagierten, aber innerlich tief erschrocken, dass er sie hatte vor die Wahl stellen müssen, trat er ein letztes Mal zu Yukono herüber. „Sir, es wird Zeit. Ich muss Ihre Entscheidung wissen.“
Der große, hagere Mann ballte die Hände zu Fäusten. Er rang mit sich. Dann aber atmete er aus, wie als wäre eine große Erleichterung über ihn gekommen. „Ich habe mich entschieden. Ich denke, ich diene meinem Land am besten, wenn ich weiterhin gegen das Kaiserreich kämpfe.“ Er reichte Tucson und McCormik die Hand. „Ihnen viel Glück da draußen. Das ist die letzte Fahrt.“ Kurz sah er auf die alabasterfarbene Außenmauer. „Sie haben noch nicht alle Soldaten zurückgezogen.“
„Einige werden bleiben, gut zweihundert Mann. Sie wollen Kaiserliche töten.“
„Ich werde dafür sorgen, dass sie diese Chance erhalten. Und jetzt sehen Sie zu, dass Sie zum Raumhafen kommen. Alexander ist auf dem Planeten, wissen Sie? Und der Mann ist unberechenbar.“
Die beiden Generäle lachten abgehackt. Dann gab Tucson den Befehl zum Sammeln. Alle, die noch mitwollten, kletterten in die Transporter. Dann fuhr der Konvoi ab, über zehntausend Offiziere und Mannschaften zurücklassend.

Am Stadtrand, unter einem Gebüsch, lag ein Army-Soldat. Offiziell war der Kampf vorbei, offiziell war die Sache erledigt, aber er hatte noch nicht töten können, und das wurmte ihn. Also hatte er sich eine Sniperrifle von der Waffenkammer erpresst, offiziell ausgeliehen aber hatte er ein paar Handwaffen für Schießübungen. Es war die ältestes Waffe im Arsenal, deshalb würde das Winchester AR-40 Laserrifle nicht so schnell vermisst werden. Einen Spotter hatte er nicht mitgenommen, weil er niemandem weit genug vertraute, nicht von ihm verpfiffen zu werden. Nun war er hier, in Tarnkleidung, rund zwei Kilometer vom Campeingang entfernt und hatte ein wirklich gutes Schussfeld in einen Teil des Innenhofes, wo die verdammten Colonials angetreten waren. Sein großer Augenblick würde kommen, wenn die Anführer in den vordersten Transporter steigen würden. Dann brauchte er nur maßnehmen, abdrücken und dabei zusehen, wie das Chaos rund um ihn ausbrach. Und dann würde er bald genug genügend Ziele haben, auf die er schießen konnte. Ein Laserrifle war dafür natürlich super geeignet, weil der Schütze sich nicht an Ballistik halten musste; Licht folgte der Schwerkraft nicht in dem Maße.
Im Innenhof brach Aufregung aus. Es war soweit. Er stemmte sich in den Kolben, nicht wegen eines Rückschlags, sondern um ruhiger schießen zu können. Als er dies aber tat, fühlte er einen heißen Fleck auf seiner Stirn. Kurz darauf huschte etwas Rotes über sein linkes Auge, und danach brannte es auf der Stirn weiter. Ein Zielerfassungslaser. Einer der Colonial Sniper hatte ihn entdeckt, markiert, und warnte ihn. Zögernd nahm er die Hand zurück vom Abzug. Der Schmerz erlosch. Dann aber sah er den feindlichen Anführer, und wenn er schnell war, ganz schnell, schießen, abrollen, aufspringen, zwischen die Häuser laufen, dann... Dann...
***
„Ja, Sir. Hier muss er liegen. Hier habe ich abgedrückt.“
„Das kann ich bestätigen. Er trug republikanisches Fleckentarnmuster, Fleckentarnmütze, aber hatte keine Infrarothemmende Bemalung aufgelegt. Daher war er leicht zu finden, wenn man gesucht hat.“
Anatol von Hitzelsberger besah sich den Schützen und seinen Spotter. Dann ging er auf das Gebüsch zu, hob die Zweige an, die teilweise verbrannt waren, und sah dann darunter einen Mann liegen, das Gesicht noch im Tode verkniffen, die Hand am Abzug, und in der Stirn eine dunkle, klaffende Wunde, die noch immer rauchte. Anatol besah sich den Toten genau und auch den Winkel, aus dem der Schuss gekommen war. Das verglich er mit der Position des Teams, das sie auf der Mauer innegehabt hatten. Es waren vier Kilometer. Eine ungeheure Distanz, die enorme Konzentration erforderte. Und dann wollten sie ihn auch noch vorgewarnt haben, damit er nicht schoss. Waren diese Leute Roboter? „Corporal Lee und Corporal Maier, richtig?“
„Ja, Sir.“
„Sie wollen Akarii töten, hat man mir gesagt.“
„Äh, nein, Sir“, sagte Lee. „Wir wollen Kaiserliche töten.“
„Oh. Ja, verstehe. Entschuldigen Sie. Kaiserliche. Ich denke, ich werde Ihnen dafür ein gutes Zeugnis ausstellen können. Bevor Sie sich versehen, sind Sie und Ihre Kameraden an der Front.“
Das ließ die beiden erfreut aufraunen.
„Sie können wegtreten.“ Von Hitzelsberger besah sich den Toten noch einmal, dann seufzte er. „Mbuno.“
„Sir?“
„Sie hatten Recht. Es ist Goratschin.“
Die Miene des Lieutenants verzog sich ein wenig. „Gut. Ein Problem weniger.“
„Wir alle haben ein Problem weniger, Mbuno“, sagte Stitch. „Wir alle.“
***
Nach exakt acht Stunden verließen die letzten Fähren und Transporter die ROBERT DELANY. Die Notmannschaft der Republik war bereits an Bord gekommen und das Schiff war in voller Funktion übergeben worden. Mit der letzten Fähre, Fahne und Logbuch sowie die Chiffrierkodes, die nicht zerstört werden musste, flogen Commodore Adorny und Admiral Okamba zur KEVIN JOHNSTON. Nachdem sie eingeschleust waren, setzte sich der Verband in Bewegung, Kurs auf der Shifang-Vegas-Wurmloch.
Maike Noltze zweifelte keine Sekunde daran, dass Admiral Takas mit seinem Träger und seinen Einheiten auf der anderen Seite lauerte und dass er bereit gewesen wäre, jederzeit ins System zu kommen, hätte er geglaubt, die Lage erfordere es. Noltze ließ den Verband in gebührendem Abstand von vier Fregatten unter dem Kommando von Guiliano. Die junge Frau hatte sich als Kommandeurin bewährt und ein paar gute Entscheidungen getroffen. Es würde sich lohnen, sie im Auge zu behalten.
„Und, Scotty? Zufrieden?“
„Im Anbetracht der Tatsache, dass wir keine größeren Verluste zu verzeichnen haben, während die alte Mordechse über die Grenze zu kommen droht, ja, Ma'am.“ Er räusperte sich. „Sie werden sicher vor einen Untersuchungsausschuss müssen.“
„Dem sehe ich gelassen entgegen. Ich denke, die ROBERT DELANY ist kein schlechter Tausch für vierzigtausend Kriegsgefangene. Und ein paar haben wir ja noch. Sehen wir es ein, die ColCon hat längst überfällige Fakten geschaffen, und wir können ganz froh sein, dass die Geschichte so glimpflich abgelaufen ist. Nicht, dass ich nicht dazu bereit gewesen wäre, es auszukämpfen.“
Scotland klopfte ihr auf die Schulter. „Das wissen wir alle, Maike. Ich werde mich darum kümmern, dass die ROBERT DELANY nach Deneb kommt. Dort wird sie repariert und neu bestückt werden. Wir brauchen auch einen Kapitän und einen CAG für sie.“
„Sie wäre die gute Grundlage für einen leichten Jagdverband. Sie, ein paar Fregatten, ein paar Zerstörer, dazu vielleicht eine Schwadron Kreuzer. Eine Aufgabe, die Admiral Yukono liegen könnte. Ich werde das in meinem Bericht erwähnen.“
Sie sah wieder auf ihren Monitor, der derzeit die Schäden an Fort Kinsley zeigte. Es war nicht so, als wäre alles gut für die Terran Space Navy verlaufen. Aber eben gut genug. Und sie hatte keine Schiffe eingebüßt. Sogar die beiden Fregatten, die den Q-Schiffen zum Opfer gefallen waren, würden wiederhergestellt werden. „Was hat uns dieser Sieg gekostet, Scotty?“
„Nicht so viel, wie er hätte kosten können.“
„Ich weiß.“
„Denken Sie, Admiral, jetzt, wo Berlin diese vierzigtausend Kriegsgefangenen nicht mehr hat, kann es endlich zu Gesprächen kommen?
„Weil sie als Druckmittel fehlen? Oder als eine Art Schild? Wir werden sehen. Jedenfalls scheint es einen Kontakt zu geben. Und wer immer diesen Kontakt hat, wird diktieren, was in Zukunft zwischen uns und der ColCon passieren wird.“ Sie lächelte verschmitzt. „Zurück zur Arbeit, Scotty. Wir wollen wieder abfliegen. Ich will in Deneb sein, bevor Kal Ilis über die Grenze kommt.“
„Aye, Aye, Ma'am.“

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„Wenn du Raubwespen jagen willst, versuche nicht, jedes einzelne Tier zu fangen.
Finde ihr Nest und räuchere sie aus.“
Der antike Akarii-Admiral Gorlan Rikata



TRS COLUMBIA, Gamma-Eridon, einige Stunden nach der Besprechung

Commander Stafford war kein Mann, der an mangelndem Selbstvertrauen litt. Dennoch, hätte er von diesem Treffen gewusst, vielleicht hätte er angefangen, sich Sorgen zu machen oder disziplinarische Schritte zu erwägen. Immerhin hatte sich mehr als die Hälfte der Staffelchefs der Angry Angels und einige Stellvertreter zusammengefunden. Und das nicht für eine Pokerrunde.

„Also, was ist?“ Helen ‚Kali‘ Mitra klang leicht misstrauisch. Sie und Lilja hatten noch nie die beste Beziehung gehabt, auch wenn der Grund inzwischen in Vergessenheit geraten war.
„Du hast uns doch nicht nur zusammengerufen, um dich zu beklagen, dass wir uns mit den ROE die Sache unnötig schwer machen.“ Im Gegensatz zu Kali klang Ace eher etwas resigniert. Vermutlich weil er und die russische Pilotin praktisch seit ihrem ersten Zusammentreffen in dieser Hinsicht immer wieder zusammengestoßen waren.
„Und warum sollte ich da was auszusetzen haben?“, spottete Lilja: „Es ist ja herzerwärmend wenn jemand denkt, dass wir über das Wasser wandeln können, aber ich habe den Eindruck, dass besagte Person Opfer der eigenen Propaganda geworden ist. Was er oder sie hingegen vergessen haben ist, dass man kein Omelett backen kann, ohne ein paar Eier zu zerbrechen.“
„Wir wollen die Peshten für uns gewinnen und sie nicht in die Luft jagen!“ konterte Ace
„Und du denkst, die werden beeindruckt sein, wenn wir uns von den Akarii massakrieren lassen?“ meldete sich Imp, was von ihrer Freundin und Vorgesetzten sofort aufgegriffen wurde: „Das ist bestimmt die Botschaft, auf die sie gewartet haben. Wenn die Imperialen durchbrechen, weil wir mit einem – mit ZWEI auf den Rücken gebundenen Armen kämpfen müssen – dann werden noch sehr viel mehr Peshten sterben!“
„Jetzt übertreib mal nicht.“, schaltete sich Razor wieder ein: „Auf Pandora haben wir ähnliche Einsatzrichtlinien. Denkt ihr etwa, meine Piloten werden gerne mit gedrosselter Leistung fliegen? Aber es muss sein! Ich habe gehört, vor einigen Monaten hat ein Pilot ein paar Böller für Flugabwehrraketen gehalten und eine Festgemeinschaft bombardiert. Und – schlimmer noch – kurz darauf identifizierte ein anderer Idiot eine harmlose Signallasershow, die irgendein Tempel für einen der Peshten-Götter veranstaltet hat, als Flugabwehrlaser und legte das Gebäude in Schutt und Asche.“
„In dem Fall hätten wir unsere Liaisonoffiziere austauschen und sicherstellen sollen, dass solche Lichtshows ANGEMELDET werden!“ konterte Lilja: „Außerdem geht es mir gar nicht um die Bombardierungsregeln. Deren Sinn kann ich ja noch irgendwie verstehen.
Auch wenn sie eine Einladung für die Imperialen sind, sich in dem nächstbesten Dorf einzugraben. Und wenn wir sie dann mit unseren Bodentruppen rausschmeißen müssen, dann werden natürlich KEINE Zivilisten sterben, ist ja klar.
Und komm nicht mit Pandora. Dort kämpfen wir einen verdammten Konterguerillaeinsatz gegen einen technisch unterlegenen Gegner der nicht mal eine richtige Luftwaffe HAT. Und trotzdem dauert das jetzt schon JAHRE. Nicht gerade ein ermutigendes Beispiel. Aber gegen so einen Gegner kann man es sich LEISTEN, pingelig zu sein. Auf Gamma Eridon treten wir gegen das verdammte Imperium an, gegen einen technologisch und möglicherweise sogar zahlenmäßig überlegenen Gegner. DAS ist eine ganz andere Partie!
Und wenn es nur die Bombardierungsregeln wären…
Die ROE für den Jägerkampf sind auch nicht viel besser. So können wir damit rechnen, dass unsere Freunde von der anderen Feldpostnummer fast immer als erste am Drücker sind.“
„Es hat zu viele Blue-on-Blue-Vorfälle gegeben. Und es wurde dabei nicht nur Peshten-Kampfflieger abgeschossen, sondern leider auch Zivilmaschinen.“
„Das ist ohne Zweifel tragisch.“ konterte Lilja. Vermutlich meinte sie das sogar ernst. Ihren Hass und ihre Vorurteile reservierte sie überwiegend für die Imperialen: „Dann sollten wir die Kontrolle der zivilen Luftfahrt verbessern und unsere Kommunikation und Abstimmung mit den Peshten ausbauen.“
„Leider ist die Flugdisziplin und -kontrolle der Peshten wohl nicht immer die beste.“, warf Blackhawk ein: „Vermutlich ein Ergebnis der überhasteten Wiederaufrüstung. Zudem sind wir nicht überall beliebt, was wohl die Wahrscheinlichkeit von…Missverständnissen und mangelnder Kooperation erhört.“
„Und von gezielten Fehlinformationen?“, schoss Kali ins Blaue.
„Ich bin ja auch nicht glücklich darüber, aber wir können wohl kaum die Bestimmungen des Oberkommandos beeinflussen.“ fuhr Razor fort: „So viel Einfluss haben wir nicht. Nicht mal Sie, Pawlitschenko – Medal of Valor oder nicht. Außerdem solltest du vielleicht erst mal zu Stafford gehen und ihn fragen, was er davon hält, bevor du hier eine kleine Verschwörung anzettelst."
"Wer sagt denn hier Verschwörung? Ich will nur wissen, wo ihr da steht."
"Stafford könnte das anders sehen." konterte Razor.
"Denn wie wir alle wissen, sitzt niemand so hoch im Sattel, wie der Reiter, der den Weg nicht weiß."spöttelte Huntress.
"Das habe ich nicht gesagt. Hör auf, mir die Worte im Mund herumzudrehen!"
"Entspann dich, Razor. Ich habe nicht vor, über Staffords Kopf hinwegzugehen. Aber ich dachte, wir sollten mal zumindest die Köpfe zusammenstecken."
"Wenn er das mitbekommt..."
"Nur wenn einer von uns hier eine Plaudertasche ist.
Außerdem will ich das ROE-Rad ja nicht neu erfinden. Auch wenn es etwas eckig geraten ist. Der Alte schien ja auch nicht sehr begeistert zu sein, auch wenn er das dem Jarhead ruhig etwas deutlich hätte klarmachen können."
"Und deshalb führt er ein Geschwader und du nicht...", stichelte Kali.
"Entschuldigung, aber das ist doch wohl ein Witz. Er hat immerhin..."
"Nicht das schon wieder!", fiel Kano seiner Stellvertreterin ins Wort: "Was habe ich Ihnen gesagt?"
Lilja zuckte mit den Schultern: "Jedenfalls sollten wir dankbar sein, dass es höchstwahrscheinlich nur die Erdkampf- und Atmosphärenjäger der Imperialen sein werden, denen wir so zuvorkommend den ersten Schuss überlassen...“
„Komm endlich auf den Punkt, Lilja. WOMIT willst du zum Alten gehen und was sollen wir unterschreiben.“, fiel ihr Kali ins Wort.
„Unterschreiben? Gar nichts. Und mir geht es um die neue taktische Einsatzorder.“
„Und was passt dir daran nicht?“ hakte Razor nach.
„Das jemand nicht richtig nachgedacht hat, vielleicht?“, spottete Lilja: „Alle Staffeln im Erdeinsatz? Auch die Falcons?“
„Das schaffen wir.“, verkündete Ace selbstsicher.
„Und WANN genau haben die Blauen das letzte Mal umfassend und über einen längeren Zeitraum Bodenangriffe geübt? Das bisschen Auffrischung im Sterntor-System reicht jedenfalls nicht. Ich habe meine Staffel ja auf Trab gehalten, aber seien wir doch ehrlich – du und vor dir Huntress haben das etwas schleifen lassen.“ Ein lautes Räuspern von der Person neben Kano ließ sie kurz innehalten und sich verbessern: „Ich meine JULIANE. Kein Grund, sich aufzuplustern, Agyris.“
„Auch wenn ich das durchaus zu schätzen weiß!“, warf Chip ein, der bisher stumm geblieben war, und nun auf einen Punkt blickte, der ungefähr einen Kopf unterhalb von Maria ‚Huntress‘ Agyris Augen lag. Die zeigte ihm einen ganz bestimmten Finger.
„Außerdem hat unser Jarhead-Freund doch erzählt, dass Falcons im Erdkampf doch etwas fragil sind. Sie können weniger Bomben schleppen, sie haben schwächere Kanonen, Panzerung und Schilde. Also warum sie als Schlachtflieger einsetzen? Wäre es so nicht sinnvoller, sie rotten- oder sektionsweise zur Sicherung der Erdkampfangriffe einzusetzen? ÜBER den Schlachtfliegern. Wir müssen dreidimensional denken!“
„Das hätte den Vorteil, dass sie potentiell feindliche Maschinen eher bemerken, sie früher identifizieren, abfangen und so vielleicht auch diese leidigen Niedriggeschwindigkeits-Kurbeleien auf geringer Höhe minimieren können, vor denen uns der Major gewarnt hat. Konturflug macht gleich etwas wenig Sinn, wenn man von Oben beschossen wird.“ warf Kano ein.
„Meine Idee! Und falls Stafford nicht selber diese Möglichkeit einfällt, sollte jemand mal anfragen. Und wenn dieser jemand sich sicher sein kann, dass einige ihrer Kollegen der gleichen Meinung sind...
Was sagst du Ace? Willst du lieber den Schutzengel für die anderen Staffeln spielen und dich mit Akarii-Jägern balgen – oder willst du mit Boden-Luft-Raketen Haschmich im Tiefflug spielen?“
„Wenn du es so ausdrückst…“
„Du meinst, das wäre eher etwas für uns.“ wie fast immer war Kanos Stimme und Gesichtsausdruck kaum zu entnehmen, was er dachte.
„Du hast den Jarhead gehört. Die Nighthawks haben bessere Chancen, einen SAM-Treffer wegzustecken. Und auch die Griphen sind robuster als unsere Falcons. Dazu eure schwerere Bewaffnung…also ja. Und da die Griphen immer noch keine Phoenix schleppen können, sind sie als Abfang- und Überlegenheitsjäger ohnehin weniger gut geeignet.“ Kano
schien kurz zu überlegen, blickte zu Blackhawk, der mit den Schultern zuckte und nickte dann: „Mag sein.“
„Außerdem sind die Butcher Bears doch so stolz darauf, als Schlachtflieger zu fliegen. Und die Roten geben immer noch mit ihrem Ergebnis bei den letzten Bomberübungen an.“
„Nicht mehr so sehr…“, stichelte Huntress, was ihr einen bösen Blick von Kali einbrachte, der zu Kano weiterwanderte. Die indische Pilotin hatte nicht vergessen, dass die Schwarze Staffel der Roten Schwadron als ‚Rache‘ für ihr schlechtes Abschneiden bei einer folgenden Übung eine böse Überraschung serviert und Staffords und Kalis Staffel ziemlich vorgeführt hatten.
„Egal.“, winkte Lilja ab, der diese alten Kamellen egal waren: „Deshalb sage ich, wir sollten Arbeitsteilung betreiben. Die Nighthawks, die Griphen und die schwereren Koffer im Bodeneinsatz, und wir als Rückendeckung eine Etage darüber.“
Razor grinste kurz: „Wir würden uns gleich viel sicherer fühlen.“ Der Blick den er Lilja und Ace zuwarf, ließ offen, ob er das nicht nur sarkastisch meinte
„Und dafür würdest du wirklich auf das Vergnügen verzichten, die Akarii am Boden in kleine Stücke bomben zu können, Lilja?“ kam es von Kali: „Das ist doch kaum möglich!“
„Solange ihr eure Arbeit dadurch besser machen könnt...“, der Blick, den sie Ace zuwarf, war nicht unbedingt herzlich zu nennen: „Und du müsstest dich doch ganz besonders darüber freuen, weiter den edlen Ritter der Lüfte spielen zu können!“
„Lilja, wie oft soll ich dir noch sagen…“
„Nicht das schon wieder!“, stöhnte Huntress: „Ihr zwei solltet euch echt mal…“
Sie kam nicht dazu, den Satz zu vollenden, weil ihr Staffelkommandeur herumfuhr und ruckartig den rechten Arm mit ausgestrecktem Zeigefinger hob. Tatsächlich geschah das Unerwartete – Huntress verzichtete darauf, den Satz zu vollenden.

Blackhawk hatte das Ganze mit einem leichten Grinsen verfolgt: „Wie dem auch sei. Wenn wir es so machen könnten, könnten wir vermutlich auch die Gefechtslast der Bodenangriffs-Maschinen erhöhen. Und das geplante Durcheinanderwürfeln der Staffeln etwas minimieren. Davon halte ich ohnehin nicht viel. Unterschiedliche Maschinentypen in ad-hoc Sektionen fliegen zu lassen, garantiert Ärger.“
„Willst du etwa sagen, wir haben ganz umsonst in den letzten Wochen unsere Kommandokette durcheinandergeworfen?“, spottete Kali.
„Das war auf keinen Fall umsonst.“, erwiderte Blackhawk: „Nämlich falls besagte Kette ausfällt. In einem NOTFALL. Aber seien wir realistisch – solche Spielereien bedeuten immer einen Verlust an Koordination und Effektivität. Sogar innerhalb einer Staffel. Und garantiert, wenn die Piloten und Maschinen von verschiedenen Schwadronen zusammengeworfen werden. Außerdem haben wir haben ein bisschen zu viele Alphatiere.“
„Ach, wirklich?“
„Wer das nicht zugeben will, macht sich etwas vor.“
„Und deswegen sollten wir den Mund aufmachen und etwas sagen!“ schloss Lilja energisch.
„Und was genau schwebt dir vor?“ fragte Ace.
„Jedenfalls keine pompöse Denkschrift, der zufolge unsere großen Tiere geistig minderbemittelt sind.“ spotte Lilja und fuhr dann ernst vor: „Zuerst mal brauche ich eure Zustimmung.“
Kano war der erste, der nickte – knapp, aber entschlossen. Dann folgte Blackhawk, den Mund zu einem leicht ironischen Grinsen verzogen, während er zwischen Lilja und Kano hin und her blickte: „Mache ich die Regenbogenkoalition komplett.“
Als nächstes zuckte Razor mit den Schultern: „Wenn ich dadurch dafür sorgen kann, dass mehr von meinen Leuten zurückkommen...“ Dann kam Ace.
Kali zögerte am längsten: „Ich nehme an, ich soll Stafford weichklopfen.“ Sie klang nicht gerade begeistert.
"Du kennst ihn gut und könntest ja das Thema mal ganz zwanglos anreißen. Und wenn dass nicht zieht, und als nächstes einer unserer größten Lamettaträger lähnliche Vorbehalte anbringt...“, Huntress gestikulierte nicht gerade respektvoll von Lilja über Razor zu Ace: „…dann fällt es ihm vermutlich schon ein bisschen schwerer, ‚Nein‘ zu sagen.“
„Wenn er sich dadurch nicht angegriffen fühlt. Oder wir damit in den Pool irgendeines wirklich großen Tiers kotzen. Und uns einen mordsmäßigen Anschiss einhandeln, weil wir zu viel denken.“ warnte Chip.
„Was wollen sie tun? Uns ins feindliche Feuer schicken?“, spottete Huntress: „Aber das machen sie ja sowieso!“
„Wir sind uns also einig. Dann…“
„Dann Hand in Hand zur Hölle!“ schloss Huntress.

*****

TRS COLUMBIA, Eridon Gamma-Ssystem, noch einige Stunden später

Die beiden Piloten hatten ein straffes Tempo angeschlagen, obwohl sie bereits ihre schweren Raumanzüge trugen und es einem der beiden – größer und breiter gebaut als der andere – schwer fiel, Schritt zu halten: „Wie…geht es Bunny?“
Kano sah sich nicht um: „Der Arm heilt gut.“

Bunnys Maschine hatte zu den wenigen Verlusten der Schlacht im Hellas-System gehört. Zwar hatte der ernste, zurückhaltende Pilot mit dem irreführenden Callsign aussteigen können, aber das war nicht ohne Komplikationen abgegangen. Zum einen hatte er eine gefährliche Strahlendosis abbekommen und würde noch eine Weile eine ganze Menge Medikamente schlucken müssen. Außerdem hatte er sich beim Aussteigen den linken Arm gebrochen – was leider immer noch viel zu häufig bei dem Einsatz des Schleudersitzes vorkam, auch wenn zumindest die letzten Generationen von Pilotenanzügen nicht mehr so anfällig dafür waren, zu reißen beziehungsweise sich in so einem Fall automatisch versiegelten.
So würde Bunny in ein paar Wochen wieder einsatzfähig sein. Aber bis dahin würde die schwarze Staffel mit elf Piloten fliegen, was bedeutete, dass die dritte Sektion nur aus drei Maschinen bestand.

Rerun räusperte sich nervös: „Gut.“
Kano warf ihm einen Blick zu: „Entspannen Sie sich. Sie müssen nicht versuchen, Smalltalk zu machen. Und es ist völlig normal, wenn Sie beim ersten Flug in einem umkämpften System nervös sind. Wichtig ist es nur, dass Sie sich davon nicht beherrschen lassen.
Außerdem fliegen wir im tiefen Raum. Selbst WENN Akarii so weit draußen unterwegs wären, wir werden sie rechtzeitig sehen. Und wir haben eine ganze Flotte im Rücken. Das ist nur eine Aufklärungspatrouille…“
„Ich…verstehe.“
„Was natürlich nicht heißt, dass man sich sicher fühlen sollte. Bleiben Sie wachsam.“
Rerun nickte, antwortete aber nicht, sondern schloss stattdessen das Visier seines Flughelmes. Aber Kano wusste ohnehin, was er in dem Gesicht seines neuen Flügelmanns hätte sehen können. Diese spezielle Mischung aus Angst, Erwartung, Nervosität und Euphorie, die typisch war für den ersten Flug mit möglichem Feindkontakt.
Kano nickte ihm noch einmal zu und wandte sich zu seiner Maschine. Wie Reruns Nighthawk trug sie Zusatztanks. Zusätzlich waren noch zwei Sensorpods befestigt. Während Kano mit der Sicherheit jahrelanger Übung die Leiter zum Cockpit erklomm, rekapitulierte er noch einmal den Einsatzbefehl. Nicht, dass der besonders anspruchsvoll waren. Langwierig – die Langstreckenpatrouille würde mehrere Stunden dauern – aber eigentlich nicht besonders riskant. ‚Zumindest wenn alles nach Plan verläuft. Allerdings…wann ist das schon mal der Fall.‘
Nur wenige Minuten später starteten die Maschinen.

„Das wird niemals gewöhnlich werden.“ In Reruns Stimme schwang fast so etwas wie Ehrfurcht mit.
„Funkdisziplin. Aber…ich weiß, was Sie meinen.“ Auch wenn Kanos Stimme ausdruckslos blieb, musste er ein Lächeln unterdrücken, während er sich umblickte.
Die schweigende, von nur wenigen Sternen erhellte Unendlichkeit des Alls, die fernen Planeten und die gelbe Sonne des Gamma Eridon-Systems – und rings um sie, die tonnenschweren Jäger zu Zwergen degradierend, die Phalanx der terranischen Kriegsschiffe.
Der kantige, gedrungene Rumpf der COLUMBIA, die schildförmige PHILOKETES, die schlankeren und dennoch machtvollen INDOMITABLE und TATANKA YOTANKA und die etwas altmodisch wirkende NAKANO TAKEKO. Kano blickte zu dem Kreuzer der japanischen Nationalgarde und salutierte schweigend, während er sich fragte, ob er Kali schon die Geschichte erzählt hatte, die hinter diesem Namen stand. ‚Sie würde ihr gefallen. Na ja, bis auf das Ende…‘
Und zu der Phalanx aus Kreuzern kamen noch die Zerstörer und leichteren Begleitschiffe der Trägerkampfgruppe, sowie eine Anzahl weiterer republikanischer Kriegsschiffe, die hier auf die COLUMBIA gewartet hatten.

Und sie alle überragend, schwebte eine bizarre Struktur im Weltall: aus einem dutzende Meter dicken und mehrere hundert Meter langen Holm wuchsen in unregelmäßigen Abständen im rechten Winkel dünnere Arme, die dem Gebilde zusammen mit der kantigen Sektion an einem Ende des Hauptholms das verwirrende Aussehen eines im All driftenden Skeletts irgendeines gigantischen, vorzeitlichen Ungeheuers gaben.
PASHET-IV, benannt nach einem hilfreichen Geist oder Kobold der Peshten-Mythologie war eine mobile Raumstation und demonstrierte einmal mehr die pragmatische Art und Weise, mit der die Peshten ihren Krieg führten. Infolge der Abrüstung der letzten Jahre herrschte nicht nur ein Mangel an Schiffen, erfahrenen Offizieren und Mannschaften, sondern auch an militärischen Werftstationen. Zeit, Geld und Baumaterial waren knapp.
Die mobilen Werften waren ein Mittel, diesem Problem abzuhelfen. Sie bestanden aus nicht viel mehr als einem Metallgerippe, in und auf dem die nötigen Leitungen sowie Transport- und Geräteschienen verlegt worden waren, um Schiffe bis zur Größe eines leichten Trägers zu warten, zu versorgen und leichtere Schäden zu beheben. Treibstoff, Nachschub und Reparaturmaterial wurden in Containern auf der Oberfläche der Struktur gelagert. Für eine begrenzte Menge besonders empfindlicher Güter bot die Wohnsektion, in der die Wartungscrews untergebracht waren, einige Lagerräume. Dort befanden sich auch die Hangars für Transport- und Wartungsshuttles sowie ein kleines Kontingent Raumjäger. Allerdings fragte sich Kano mit einem Blick auf die sehr gedrungen wirkende Hangarsektion, wie viele Maschinen dort überhaupt Platz fanden. ‚Zusammen mit den Shuttles reicht das doch höchsten für ein oder zwei Sektionen…‘
Die mobilen Werften waren kaum gepanzert und höchstens leicht bewaffnet. Die Lebensbedingungen der – häufig aus angeheuerten Nicht-Peshten bestehenden – Mannschaften waren bestenfalls spartanisch. Schiffscrews, die hier versorgt wurden, mussten damit rechnen, nur die nötigsten Reparaturen zu erhalten und mit einem sehr begrenzten Menü auf Basis vakuumtauglicher Rationen auskommen zu müssen. Aber das war immer noch besser als die Alternative und garantierte, dass die ‚richtigen‘ Werften für Neubauten und schwer beschädigte Kriegsschiffe frei blieben.
Zudem konnte man die mobilen Werften relativ problemlos innerhalb eines Systems verlagern – wobei jedes Schiff ab Korvettengröße als Schleppmaschine geeignet war. Sogar ein Hypersprung war möglich, auch wenn dazu die Reparaturholme eingeholt werden und die Werft an einem speziellen ‚Hyperraumschlepper‘ andocken musste.
Jetzt wusste Kano, wie vor der COLMBIA zwei leichte Trägerkampfgruppen über einen längeren Zeitraum in dem System hatten operieren können, ohne unter Versorgungsproblemen zu leiden.
Die mobilen Werften waren billig, sie waren hässlich – und sie erfüllten ihren Job.

„Achtung PHILOKETES, hier ist Patrouillenflug Schwarz Eins. Schalte Sensorübertragung auf.“
„Bestätigung. Vernetzung läuft…und steht. Sie sind ins Netzwerk integriert. Guten Flug.“
„Danke.“ Kano brachte die Maschine auf Kurs zum ersten Flugpunkt, vergewisserte sich, dass Rerun seine Position auf Vier Uhr und den vorschriftsmäßigen Abstand einhielt und lehnte sich zurück: ‚Das kann jetzt etwas dauern.‘
.
.
.
Tatsächlich verlief der Flug irritierend ereignislos und in fast völligem Schweigen. Von Zeit zu Zeit korrigierte Kano den Flugvektor, behielt die Sensoranzeigen im Auge und gab hin und wieder kurze Anweisungen an Rerun weiter, die dieser mit beruhigender Schnelligkeit befolgte. Man merkte, dass der neue Pilot bereits etliche Jahre bei der Handelsmarine hinter sich hatte. Er mochte bei Einsatzflügen immer noch etwas nervös sein, aber er hatte mehr Routine, als jemand der frisch von der Akademie kam. Das Ausbleiben irgendwelcher Probleme konnte natürlich auch daran liegen, dass ihre Route weitab des von den Akarii gehaltenen Weltraumabschnitts im Gamma Eridon-System verlief. Und so viel Glück, einen der Konvois aufzuspüren, mit denen die Imperialen ihre gelandeten Truppen versorgten, würden sie nicht ausgerechnet bei ihrem ersten Flug haben.

Also blieb Kano genug Zeit zum Überlegen. Es gab einiges zu bedenken. Liljas kleines Projekt war angelaufen. Und vielleicht lag es ja an ihrem Vorstoß, aber irgendetwas nagte an Kano, wenn er an die Situation im Gamma Eridon-System dachte. Er war kein Stratege, aber in seinen Augen widersprach sowohl das Vorgehen der Akarii als auch der Alliierten der elementaren Logik.
‚Es war geschickt von den Akarii, den Abzug unserer leichten Trägerkampfgruppen abzuwarten, um ihre Truppen zu landen. Aber solange sie nicht den Raum kontrollieren, bleibt ihr Nachschub extrem verwundbar. Eigentlich müssten sie versuchen, die Raumüberlegenheit zu erkämpfen. Dann könnten sie so viel Nachschub und Verstärkung schicken, wie sie wollen. Zusätzliche Truppen landen, WO sie wollen. Und unsere Einheiten aus dem Orbit bombardieren. Aber so können sie das nicht – oder jedenfalls nicht ohne ein großes Risiko einzugehen. Kann ja sein, dass ihnen einfach die Kräfte fehlen. Aber warum sind sie dann mit so vielen Truppen gelandet? Die Versorgung muss ein Albtraum sein. Und wenn Ihnen die Kräfte fehlen, den Raum zu sichern…
Dann glaube ich nicht, dass sie jedem Konvoi genug Einheiten mitschicken können, um ihn gegen den Angriff eines kompletten Kampfgeschwaders abzusichern. Vor allem wenn es von Kriegsschiffen unterstützt würde. DAS sollten wir tun. Statt Akariipanzer einzeln am Boden zu jagen, sollten wir dafür sorgen, dass sie gar nicht erst ANKOMMEN. Und die Munition und der Treibstoff, den die Imperialen brauchen. Für – wie viel? – 80.000 bis 100.000 Mann am Boden benötigen sie Unmengen an Nachschub.
Aber vor allem sollten wir den zentralen Sprungpunkt, den die Akarii besetzt haben, erobern. Wenn wir den einnehmen und sichern, dann säßen zwei komplette Armeegruppen in der Falle. Das wäre UNSER Manticore. Ein zweites Stalingrad. Aber wenn wir abwarten und uns im Bodenkampf verschleißen, werden die Imperialen den Sprungpunkt immer stärker ausbauen und befestigen. Noch mehr Kampfstationen und Minenfelder…
Und selbst WENN wir dann im Bodenkampf siegen SOLLTEN, hätten sie immer noch den Fuß in der Tür und könnten es jederzeit noch einmal versuchen.
Oder den Planeten bei passender Gelegenheit in die Steinzeit bomben.‘
Allerdings waren die republikanischen Streitkräfte im Augenblick vermutlich ihrerseits zu schwach, um die Akarii-Flotte aus dem System zu werfen.
‚Das ist grotesk. Warum haben wir nicht mehr von den bei Sterntor formierten Verbänden hierher geschickt? Zumindest solange, bis wir den Sprungpunkt freigekämpft und durch eigene Stationen und Minenfelder gesichert haben? Stattdessen werden wir uns am Boden und im All ausbluten und am Ende vermutlich mehr Verluste haben, als wenn wir mit voller Macht zuschlagen würden. Außer natürlich, diese Ausblutungsstrategie ist Absicht. Oder es hat irgendetwas mit Politik zu tun. Ob bei uns oder den Akarii…‘

Er nahm sich vor, seine Gedanken nach der Rückkehr zur COLUMBIA mit einigen seiner Kollegen zu teilen. Und vielleicht gegebenenfalls auch einmal vorsichtig bei Stafford vorzufühlen, ob er den Grund kannte. Und falls er keine Antworten erhielt oder jedenfalls keine, die plausibel waren…
‚Dann müssen wir vielleicht etwas sagen.‘ Er schnaubte innerlich: ‚Auch wenn das wohl kaum etwas ändern wird. Denn wir alle wissen ja, wie die Kommandoebene auf Initiativen von Unten reagiert.‘ Aber sie – zur Not Kano alleine – würden es einfach versuchen müssen. Das war er seinem Gewissen und seiner Selbstachtung schuldig. ‚Und wenn ich jemals ein Geschwader führen will, dann gehört das wohl auch dazu.‘ Das Beste würde allerdings sein, dass er sich im Fall des Falles einige Verbündete suchte, wie es auch Lilja getan hatte. ‚Aber eins nach dem anderen.‘

Sie waren bereits wieder auf dem Rückflug und nur noch einige Minuten von der COLUMBIA entfernt, als eine Bewegung auf dem Radarschirm doch noch Kanos Aufmerksamkeit weckte: „PASHET-IV startet Jäger. Zwei, korrigiere vier Stück.“ Kano Augen verengten sich leicht. Das war ungewöhnlich. Zum einen müsste dies nach seiner Berechnung die gesamte oder wenigstens die Hälfte der Belegschaft sein – so etwas war im normalen Dienstbetrieb höchst unüblich. ‚Außer es wird Gefechtsalarm gegeben. Oder die Maschinen sind für eine Mission vorgesehen.‘ Was nach dem ihm zur Verfügung gestellten Flugplan nicht der Fall war. Und er konnte auch keinen anrückenden Feind erkennen, der das gerechtfertigt hätte. Was hatte Blackhawk gesagt? Irgendetwas von einer mangelhaften Kommunikation und Koordination, was wiederholt zu…Missverständnissen geführt hatte.
Zudem verwirrten ihn die Radaranzeigen. Er hätte mit Falcons oder vielleicht auch Griphen gerechnet. Tatsächlich aber schienen die Maschinen wesentlich kleiner und leichter zu sein. Die Abmessungen und Flugmuster…passten zu keinem Jägermodell, das Kano kannte. Jedenfalls keinem terranischen.
„PHILOKETES, die Peshten-Flieger...“
„Entspannen Sie sich, Schwarz-Führer. Alles genehmigt. Standardpatrouille für die Nahsicherung.“
‚Mit vier unbekannten Maschinen?‘ Kano korrigierte seinen Kurs geringfügig, sodass ihn sein Flug zur COLUMBIA dichter an den vier Peshten-Maschinen vorbeibringen würde.
„Kano, irgendetwas stimmt nicht mit meinen Sensoren…“
„Ich weiß.“ In diesem Augenblick vollführten die unbekannten Raumjäger ein verwirrendes Zickzackmanöver, sich dabei um die eigene Achse drehend und Gegenschub gebend, sodass sie in nur ein paar hundert Metern Entfernung an Kanos und Reruns Jäger vorbei schossen.
Dadurch hatte Kano einen guten Blick auf die passierenden Maschinen.
Noch nie in seinem Leben hatte er etwas Vergleichbares gesehen. Die Jäger hatten keine der üblichen Flügel und auch keinen konventionellen Rumpf. Stattdessen bestanden sie aus einer gedrungenen, vage oval-kantigen Pilotenkanzel, von der jeweils in einem Winkel von 45 Grad vier Arme abgingen, an deren Ende Schubdüsen saßen.
Kano Finger zuckten bei dem Manöver, dass er vielleicht von einer Abteilung imperialer Reaper-Jäger erwartet hätte, unwillkürlich nach den Knöpfen der Bordkanonen. Doch zum Glück beherrschte er sich und hielt seinen Kurs. Reruns Jäger sackte hingegen zur Seite weg und es dauerte ein paar Sekunden, bevor er wieder aufschloss. Die Peshten-Jäger waren inzwischen längst vorbei.
„Was zum…“
„Genug gesehen, Mensch?“ Die leicht angeraute Stimme kam über einen offenen Kanal und war eindeutig nicht menschlich. ‚Angeber gibt es wohl auch bei den Peshten. Falls das nicht einer ihrer Söldner ist…‘
Bevor Kano antworten konnte, platzte es aus Rerun heraus: „Was zur Hölle fliegen Sie da?“
„Die neueste Errungenschaft der Kooperation zwischen Concordat und Republik. Die Peshten nennen ihn Vacani. Ich glaube, ihr nennt die Maschine…Hornet.“
Währenddessen absolvierten die vier Jäger eine erneute Blitzwende und strebten von dem Flottenverband weg: „Mein Name ist…Lieutenant Commander Dalan Galit, Staffelkommandeur. Ihr Geschwader hat einen guten Ruf. Ich bin gespannt, ob er berechtigt ist. Und ich WEISS, dass einige Ihrer Piloten gut sind. Ich freue mich darauf, mit den Angry Angels zu fliegen.“
Kano folgte den sich entfernenden Jägern mit den Augen: „Die Freude ist auf meiner Seite…“, Seine Stimme klang fast abwesend, während er die Anzeigen seiner Sensoren überflog. ‚Kaum zu glauben, wie wendig und schnell diese Dinger sind. Aber ich frage mich, worauf sie dafür alles verzichten mussten.‘ Die Maschine war ganz offensichtlich nur für den Einsatz im Weltraum gedacht. ‚Vermutlich sind auch nicht sehr schwer gepanzert und bewaffnet. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie bei diesem Design eine große Reichweite haben.‘
„Dieser Irre hätte mich beinahe über den Haufen geflogen…“, Reruns Stimme klang trotz seiner Worte nicht verärgert. Eher verwundert und beeindruckt. Kano unterdrückte ein Lächeln. ‚Da hat sich wohl jemand in die Maschine verliebt.‘
Dann rief er sich zur Ordnung: „COLUMBIA, wir kommen rein.“
„Bestätigung. Nachdem Sie und unsere Freunde ihre kleine Kunstflugeinlage hinter sich haben…die nächste Patrouille ist startbereit.“
Kano unterdrückte mühelos den Impuls einer bissigen Antwort „Im Anflug. Winkel bestätigt. Geschwindigkeit wird angeglichen…“, dann packte ihn der vertraute unsichtbare Griff des Traktorstrahls. Unwillkürlich blickte sich Kano noch einmal zu den inzwischen längst aus seinem Sichtfeld verschwundenen Hornets um: ‚Die würde ich gerne einmal probefliegen…‘

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“Ein Wort kann tödlicher sein, als jede Waffe.”
Der antike Akarii-General Gorlan Rikata


Akar, Zentrale des Flottennachrichtendienstes

Als Ry Hallas in die Dienste von Kriegsminister Tobarii Jockham getreten und die Aufgabe erhalten hatte, vor ausgewählten Funktionären und Offizieren über seine positiven Erfahrungen in der Gefangenschaft zu erzählen, hatte er gewusst, dass dies Aufmerksamkeit erregen würde. Das war ja auch die Absicht gewesen. Und doch…in Augenblicken wie diesen wünschte er sich unwillkürlich, etwas weniger Interesse auf sich gezogen zu haben. Zum Beispiel von Seiten der Frau, die ihm hinter einem breiten, kunstvoll geschnitzten Tisch aus Pi’ri-Holz gegenüber saß und mit dunklen, ablehnenden Augen musterte. Mit einem Gesichtsausdruck, den sie normalerweise vermutlich für etwas reservierte, das aus einem verfaulten Baumstamm gekrochen kam. Abgesehen von dem Tisch – vermutlich einem Geschenk oder Erinnerungsstück – war das Büro ein Beispiel einschüchternder Perfektion und Funktionalität und harmonierte damit gut mit dem Ruf der Besitzerin.

Kenai Ras war der jüngste weibliche Admiral ersten Ranges in der imperialen Flotte. Gewiss, dass sie aus einer Familie mit guten Beziehungen stammte, deren einer Zweig unter anderem den Generalgouverneur des Draned-Sektors stellte, mochte bei ihrem Aufstieg eine Rolle gespielt haben. Aber eben nur einen kleinen Teil – immerhin gab es mehr als genug Offiziere mit Protektion in der Flotte. Und man wurde nicht nur durch Beziehungen Chefin des Flottennachrichtendienstes. Admiralin Ras war berühmt für ihre rasche Auffassungsgabe und Kompetenz – sowie für ihre Abneigung gegenüber den Menschen. Und berüchtigt für ihre Skrupellosigkeit und ihr aufbrausendes Naturell. Was insgesamt eine für Ry Hallas äußerst brisante Mischung ergab: „Diesen…Senator-Menschen, den Sie…eskortiert haben übernimmt der Nachrichtendienst, Commander. Sie haben sich nicht mehr um ihn zu bekümmern.“

Hallas hatte Senator Mansfield auf der Reise von Manticore nach Akar schätzen gelernt. Sein Wissen, seinen trockenen Humor, seine Offenheit – soweit man so etwas von einem Politiker erwarten konnte – und seine Überzeugungen, dass nur ein Frieden auf Augenhöhe diesen Krieg beenden konnte. Sie hatten allerdings auch genug Zeit zum Kennenlerne gehabt, weil die Reise immer wieder durch die gefährdeten Verbindungsrouten verlangsamt und durch höher priorisierte Material- und Truppentransporte aufgehalten worden war.
Und dann hatten Hallas Neuigkeiten von Akar erreicht, die ihn beinahe dazu veranlasst hatten, die Reise ganz aufzugeben. Obwohl er es eigentlich hätte kommen sehen müssen. Und dennoch, dennoch…
Letztendlich hatte er sich zusammengerissen und weitergemacht. Und das hatte ihn hierher gebracht. Und deshalb…: „Meine Befehle von Kriegsminister Jockham…“
Ras schnaubte kurz: „Sind die Befehle eines toten Mannes. An Ihrer Stelle würde ich mich nicht darauf berufen. Momentan hat auf Akar jemand anderes das Sagen.
Sie sollten sich lieber fragen, was mit IHNEN geschieht.“
„Hallas richtete sich auf. Er kannte die Antwort: „Ich diene dem Imperium.“
„Tun Sie das wirklich, Commander?“ fragte Ras mit abschätzig verzogenen Lippen: „Ihre Kariere sagt etwas anderes. Ausbildung zum Piloten. Dann Dienst in der Flotte. Soweit so gut, wenn auch keineswegs herausragend. Einsätze…Hm.
Ich muss Sie das fragen, ‚Frontoffizier‘. HABEN Sie eigentlich jemals einen Menschen getötet?“
Ry Hallas war versucht, dies mit einer Gegenfrage zu beantworten. Aber das wäre einerseits undenkbar gewesen. Und außerdem gab es Gerüchte bezüglich Ras, die so einen Vorstoß leicht in eine Klinge verwandeln konnten, die ins eigene Fleisch schnitt. „Ich habe gekämpft. Und ich habe einen feindlichen Jäger abgeschossen.“
„Und wurden kurz darauf selber abgeschossen. Dann haben Sie die nächsten Jahre in Kriegsgefangenschaft verbracht. Sich mit MENSCHEN angefreundet. Einem das Leben gerettet. Ist DAS ihre Vorstellung vom Dienst am Imperium?“
„Ich…“
„Ich bin noch nicht fertig. Dann kommen Sie frei. Sie unter wie vielen – Zehntausenden? Offenbar sind die Terraner bestenfalls der Meinung, dass Sie keine Bedrohung darstellen. Schlimmstenfalls denke sie, dass Sie ihnen in Freiheit nützlicher sind denn als Gefangener. Können Sie sich vorstellen, wie uns DAS erscheinen muss?
Und zu allem Überfluss kommen Sie im Zuge dieser verrückten Alexander-Mission zurück, die uns Admiral Zorgeste kostet, einen hoch dekorierten Veteran der imperialen Marine. Halten Sie das für einen fairen Tausch?“
„Ich wusste nichts von dem Attentat! Genauso wenig wie Admiralin Alexander!“
„Natürlich wussten SIE nichts davon. Sonst wären Sie nicht hier. Admiralin Alexander hingegen…Nein, die wusste auch nichts davon. Schon weil das ein Ausmaß an Selbstaufopferung verlangt hätte, die von dieser Frau nicht zu erwarten ist.
Dann…wecken Sie das Interesse von Kriegsminister Jockham. Das ist vielleicht sogar verständlich, denn Sie SIND nun einmal eines der wenigen Flottenmitglieder, die aus TSN-Gefangenschaft freikamen. Er holte Sie nach Akar und beförderte Sie.
Können Sie mir sagen, auf welcher LEISTUNG diese Beförderung beruhte?“
Ry Hallas öffnete den Mund. Und hielt dann inne. Er erinnerte sich daran, was er damals gesagt hatte. Sollte er es wiederholen? Hatte er überhaupt eine Wahl? „Ich habe überlebt.“
„Sie haben überlebt.
Das ist zweifellos eine frohe Botschaft für Sie selber. Für ihre Familie. Aber ist es das, was man Sie auf der Akademie gelehrt hat? Ist es das, wofür unsere Streitkräfte stehen?“

Kriegsgefangenschaft war eine Schande, immer noch. Kampf bis zum Letzten eine Tugend. Vielleicht nicht mehr eine Selbstverständlichkeit oder Pflicht. Aber ein Ideal, festgeschrieben durch Jahrtausende der Tradition. Die in eine Zeit zurückreichte, als der Krieg noch mit Dreeh, Sirash und Norik geführt wurde. Als Lieder den Ruhm von Kriegern besangen, die – von einem überlegenen Feind umzingelt – um ihre Standarten eine Festung aus Klingen, Schildern und Leibern geformt hatten und kämpfend untergegangen waren.

„Und dann schickt Tobarii Sie auf diese verrückte ‚Gutwillen-Tour‘, bei der Sie unseren Männern und Frauen die frohe Botschaft verkünden, wie ehrenhaft die Glatthäute sein können. Wie…‘menschlich‘.“ Das letzte Wort formulierte Ras, als hätte sie den Geschmack von Fäulnis auf der Zunge: „Und wie wundervoll es Ihnen in der Kriegsgefangenschaft ergehen kann.
Können Sie sich eigentlich vorstellen, was für einen potentiellen Schaden Sie mit diesem Schwachsinn hätten anrichten können, wenn nicht das Schicksal dem so rasch einen Riegel vorgeschoben hätte? In solchen Augenblicken bin ich FAST geneigt an die Hand der Götter oder die Gnade der Vorhersehung zu glauben.“
Ry Hallas biss die Zähne zusammen. Auch wenn in den letzten Worten unüberhörbar Sarkasmus mitschwang…: „Wollen Sie damit sagen, dass der Tod von PRINZESSGEMAHL Jockham…“
„Entspannen Sie sich, COMMANDER. Und hören sie auf, den Kamm aufzustellen! Über Ihren Gönner werden sie noch ganz andere Dinge zu hören bekommen. Dero Allecar hat ihm seine Ehre, seine Frau und seinen Erben genommen. Vor aller Augen! Und während hier auf Akar das Hauen und Stechen losgeht, rücken die Menschen weiter vor, für die Sie, Tobarii – und um der Farce noch die Krone aufzusetzen – ausgerechnet DERO ALLECAR so viel Verständnis aufbringen. Ich muss mich berichtigen – WENN es Götter geben sollte, dann beweist das, dass sie Sadisten sind.
Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass Sie, Jockham und der junge Allecar von einigen inzwischen als Paradebeispiel des Terraner-Kriegs-Syndrom angesehen werden?“
„Was?“
„Einer geistigen Erkrankung, aus der Unfähigkeit resultierend, mit den zeitweiligen militärischen Rückschlägen umzugehen. Der oder die Betreffende steigert sich in die Vorstellung hinein, dass dies ein Beweis der Überlegenheit der Menschen in militärischer, aber auch geistiger und politischer Hinsicht ist. Und macht sich in dem unbewussten Versuch, sich der vermeintlich ‚überlegenen‘ Seite anzuschließen, deren Positionen zu Eigen. Ein ähnliches Phänomen mit umgekehrten Vorzeichen kann man heute in der Konföderation beobachten.“
„Mit Verlaub, aber das ist Schwachsinn!“
„Ist es das? Dann erklären Sie mir mal, wie jemand wie Jockham, wie der junge Allecar mit ihrer idiotischen Seid-Nett-zu-den-Glatthäuten-Attitüde sich derart ins politische Abseits dirigieren konnten? Und nicht nur die Traditionalisten und Expansionisten – eigentlich jeden, für den die Borealis-Doktrin mehr als ein Haufen in den Wind gebrüllte Worte ist – brüskieren konnten, sondern auch einen Gutteil der sogenannten ‚Reformer‘ und ‚Progressiven‘? Was natürlich nicht das Schlechteste ist. Wenn nicht der potentielle Schaden noch viel größer wäre.
Soldaten müssen HASSEN. Sie müssen von der Gerechtigkeit ihrer Sache, von der Überlegenheit ihrer Seite überzeugt sein. Keine Zweifel, kein Zögern. Denn das ist tödlicher, als eine auf das Herz gerichtete Waffe. Nehmt den Streitkräften den Glauben, der ihnen seit ihrer Kindheit – seit GENERATIONEN, seit der Geburt des Ersten Imperiums anerzogen wurde – und Ihr habt nur noch einen jederzeit zum Umkippen oder zur Meuterei bereiten Mob. Einen Mob, der mit Atomwaffen bewaffnet ist.“
„Das ist nicht wahr! Wenn wir den Gegner als die Wesen erkennen, die sie wirklich sind, dann können wir diesen Krieg…“
„Verlieren, wollen Sie vermutlich sagen? Ist Ihnen bekannt, dass zum ersten Mal seit Jahrhunderten wieder ganze STERNENSYSTEME vom Imperium abgefallen sind? Und dass diese Verräter jetzt bei den MENSCHEN um Schutz und Unterstützung anfragen? Das ist es, was uns erwartet, wenn der Glauben an das Imperium und seine Überlegenheit zerbricht. Wenn wir aufhören, die Menschen zu verabscheuen. Nur noch sehr viel schlimmer. Und das lasse ich nicht zu.“
Die Admiralin die das Gesicht kurz abgewandt hatte, schüttelte langsam den Kopf und fixierte den jungen Offizier erneut: „Ich habe Sie nicht überzeugt, Hallas.“
„Ich…nein, Admiralin.“
Und dann überraschte die Chefin Ry Hallas mit einem kurzen, amüsierten Auflachen: „Wenigstens sind Sie nicht so dumm, mich anlügen zu wollen.
Nun, zum Glück bin ich nicht darauf angewiesen, sie zu überzeugen. Ich will nur, dass Sie gehorchen.
Also zurück zum Ausgangspunkt unseres…Gesprächs. Der Frage, was mit Ihnen geschehen soll. Manche meinen, man sollte Sie aus den Streitkräften werfen. Sie auf irgendeinen bedeutungslosen Verwaltungsposten abschieben. Oder – und das hätte eine gewisse Poesie – Sie an die Front schicken, damit Sie beweisen können, dass Sie auch noch in der Lage sind, einen Menschen zu TÖTEN.
Aber ich denke, dass man Ihre Fähigkeiten produktiver nutzen kann. Sie sind seit Jahren nicht mehr geflogen. Und Sie sind zum Commander befördert worden, ohne die dafür nötige Leistung erbracht zu haben. Sie taugen also weder als Stabsoffizier noch als Staffelchef…“

Ry Hallas biss die Zähne zusammen. Nur die Gewissheit, dass die Admiralin noch nicht zu Ende war, dass Sie ihn nicht zu sich gerufen und ihm eine halbe Stunde ihrer wertvollen Zeit geopfert hatte, um ihn zu beleidigen und zu verhöhnen – und die Befürchtung, dass Sie vielleicht nur darauf wartete, dass er die Beherrschung verlor – ließen ihn still halten. Das und natürlich die Prägung durch die Traditionen der imperialen Streitkräfte.

„WAS Sie auszeichnet, ist Ihre Kenntnis der terranischen Sprache, Gebräuche und Kultur. Und diese Fähigkeiten braucht der Nachrichtendienst.
Natürlich werden Sie nicht mit Gefangenen zu tun haben. Selbst wenn ich das wollte, wäre das das falsche Zeichen. Ich will weder das Protestgeheul der Betonköpfe ertragen noch einigen...fehlgeleiteten 'Idealisten' die Botschaft vermitteln, der Nachrichtendienst sei auf Ihrer Seite.
Nein. Sie werden in unserer Abteilung für Feindpropaganda und Feindinformation arbeiten. Also bei der Auswertung der feindlichen Nachrichten und Propagandabotschaften und – wer weiß – auch beim Entwerfen eigener…Nachrichten für den Gegner. Sie behalten Ihren Rang als Commander.
Sehen Sie es als Chance, sich dem Imperium und Ihree jüngsten Beförderung endlich auch als WÜRDIG erweisen zu können.
Und noch etwas, COMMANDER. Sollte mir zu Ohren kommen, dass Sie weiterhin unseren Feind glorifizieren und dadurch die Moral meiner Streitkräfte untergraben…stelle ich Sie vor ein Kriegsgericht.“

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