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Zum Ende der Seite springen Hinter den feindlichen Linien - Season 7 - Zwischen Himmel und Hölle
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 Hinter den feindlichen Linien - Season 7 - Zwischen Himmel und Hölle Ironheart 11.11.2015 18:20
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Ironheart Ironheart ist männlich
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Hinter den feindlichen Linien - Season 7 - Zwischen Himmel und Hölle Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

„Heute Morgen wurde offiziell bestätigt, dass es bei Sigma Norell zum Gefecht zwischen der 2. Flotte und einer Flotte der akariischen Raumstreitkräfte kam, welche aus mehreren Großverbänden, unter anderem der akariischen Homefleet, zusammengezogen wurde, gekommen ist.
Quellen aus dem Hauptquartier der Navy informierten uns, dass es sich hierbei um den Höhepunkt der seit Monaten laufenden Gegenoffensive der Akarii handelt.
Unsere gut informierten Quellen, die aus dem Umfeld des Chief of Naval Operations stammen, gaben uns zu verstehen, dass die Akarii für diese Offensive etwa achtzig Prozent ihrer bestehenden Raumtruppen inklusive ihrer Reserven aufgewendet haben und trotz der erzielten Erfolge auf breiter Front kurz vor dem Kollaps stehen…“

Admiral Nathan Frost, Chief of Naval Operations der Terran Space Navy, hätte am liebsten seine Fernbedienung genommen und in den Fernseher geworfen. Nein, eher am zweitliebsten. Am liebsten hätte er sich denjenigen gegriffen, der angeblich aus seinem Umfeld kam und derartige Falschmeldungen verbreitete.
Ja, es war in Taori Majoris zum Gefecht zwischen der 2. Flotte und überlegenen Akariiverbänden gekommen. Ja, die Akarii hatten in den vergangenen Monaten etwa achtzig Prozent ihrer Offensivkapazität in die Schlacht geworfen. Ja, die Akarii hatten erhebliche Verluste einstecken müssen. Und ja, die Akarii hatten Erfolge errungen. Bedeutende Erfolge. Aber nein, die Akarii waren vom Kollaps weit entfernt. Heute weiter als in den letzten Jahren. All den ihm vorliegenden Berichten zufolge war die akariische Kampfmoral auf einem absoluten Hoch und die intakten Flotten der Akarii hatten sich in eine Verteidigungsposition zurückfallen lassen, sollte die TSN eine eigene Gegenoffensive starten.
Zurzeit jedoch musste sich die TSN auf breiter Front neu formieren. Die Verluste der 2. Flotte waren horrend. Wenn man die Columbia außen vor ließ, verfügte sie mit der Gettysburgh über nur noch einen einzigen einsatzfähigen Flottenträger. Die Corsfield war zerstört worden, die Melbourne nur noch ein Wrack. Hinzu kamen die Verluste dreier leichter Träger und über zwanzig Kreuzer. Ebenso mehr als ein Dutzend Zerstörer und Fregatten. Vierzig Prozent der Piloten waren gefallen oder vermisst, etliche verwundet. Davon einige der besten der ganzen Flotte. Die Verluste an Jägern und Bombern gingen darüber weit hinaus.
Und am Ende konnte man von Glück sprechen, das Renault es tatsächlich geschafft hatte, etwas von seiner Flotte zu retten.
Das würde Konsequenzen haben. Irgendwer würde schon nach Köpfen schreien aber erst mal galt es da jemanden zu finden, der allzu offenherzig mit der Presse plauderte. Frost griff nach seinem Telefonhörer und summte seinen Adjutanten an: „Felix, informieren Sie bitte den Inspector General, dass er umgehend in mein Büro kommen möchte.“


Roswell Station
Aldebaran FRT

Wie zwei elegante Pfeile zogen die beiden Falcon ihre Bahn durchs All. Weniger als eine Astronomische Einheit von Roswell Station entfernt. Combat Air Patrol nannte es das Handbuch der TSN, Lange Weile nannten es die Rookies im 231. Fighter Wing der TSN, besser bekannt unter dem Namen Red Harpys, Jules Stafford nannte es schlicht und ergreifend Entspannung. Es gab absolut nichts Besseres als eine lange, ereignislose Patrouille um sich von dem ganzen bürokratischen Wahnsinn zu entspannen, den der Job als CAG mit sich brachte. Darüber hinaus waren diese Einsätze besonders dafür geeignet junge Piloten auszubilden, vor allem diesen Zusätzliche Flugerfahrung zu verschaffen oder gar Kommandoerfahrung.
Fünfzig Prozent seiner Flugeinsätze verbrachte Cowboy mittlerweile damit zu als Flügelmann für einen jüngeren Piloten zu spielen.
Roswell Station und die umliegenden Sektoren waren Sperrgebiet und obwohl es abseits der Flugrouten in Aldebaran lag, wurden beständig Überwachungseinsätze geflogen. Die Harpys hatten für ein Geschwader im Hinterland überdurchschnittlich viele Flugstunden auf der Uhr. Die hohe Geheimhaltungsstufe von Roswell Station sorgte aber leider vor allem Verwaltungstechnisch für einen weit höheren Arbeitsaufwand. Führungsposten beim 231. waren nicht sonderlich beliebt in der Flotte.
Wohl einer der Gründe, warum er hier gelandet war, nach dem Zwischenfall auf der Shiloh.
„Racer vier-null-null, Racer vier-null-acht, habe einen Kontakt, Steuerbord auf eins-acht-null, Entfernung vierundzwanzigtausend Kilometer“, riss ihn Lieutenant Hanna Lindbergh aus seinen Gedanken. Die junge Piloten war heute zum ersten Mal Rottenführerin und hatte sich bisher beeindruckend unspektakulär geschlagen. Unspektakulär war dabei ein richtiges Kompliment. Sie hatte ihn nicht zu Tode gequatscht, hatte nicht versucht ihn zu beeindrucken und hatte hinter keinen Sensorschatten hinterher gejagt.
Wahrscheinlich waren die Scanner ihrer Falcon gerade über irgendwelche Trümmer von einer Übung gestolpert.
„Racer vier-null-acht, Racer vier-null-null, negativ, habe keinerlei Radarkontakt auf eins-acht-null.“
„Doch, Skipper, eben war es noch da!“
Cowboy rollte mit den Augen, unterließ es aber Lindbergh zu tadeln.
„Ich habe wieder einen Ping“, Nervosität und auch Hoffnung klangen deutlich durch.
„Bei mir wieder Negativ, Lieutenant.“
„Aber mein Radar…“
„Ich glaube schon, dass Ihr Radar etwas aufgefasst hat, ich glaube nur nicht, dass dort etwas ist.“
„Und was machen wir jetzt, Skipper?“
„Sie sind der Rottenführer, Lieutenant“, Jules war froh, dass sie sein gemeines Grinsen nicht sehen konnte und wartete dann die Antwort ab.
Es dauerte vier, fünf, vielleicht sechs kurze Sekunden, dann antwortete Lindbergh betont entschlossen klingend: „Wir werden nachsehen!“
Innerlich seufzte er, hätte sie doch nur etwas länger gezögert. Nachsehen war zwar immer die richtige Antwort, wenn es nach ihm ging, doch Lindbergh hatte weder nach Treibstoffstand gefragt noch ernsthaft in Betracht gezogen, dass sie irgendwelchen Geistern nachjagte.
Ein Blick auf die Treibstoffanzeige zeigt ihm, dass sie drei Stunden Zeit für die Suche hätten. Er entschloss sich dem Lieutenant fünfundvierzig Minuten Zeit zu geben.
„Catcher, Racer vier-null-acht, wir verlassen die Streifenroute und erkunden in Sektor zwölf einen unidentifizierten Kontakt.“
„Racer vier-null-acht, Catcher“, der Techniker in der Flugleitzentrale klang gehörig amüsiert, „dann viel Glück und stolpert nicht über Ektoplasma.“
„Danke, Catcher“, schnappte Lindbergh wütend.
Die beiden Falcon zogen eine lange Rechtskurve und wendeten auf den vermeintlichen Kontakt zu.
„Racer vier-null-null, Racer vier-null-acht, ausfächern, beziehen sie fünftausend Kilometer backbord Position.“
Cowboy ließ zur Bestätigung zweimal sein Com klicken und ging ungewollt in den Kampfmodus. Vergewisserte sich, dass sein Hauptwaffenschalter auf frei stand und wie der Status seiner Energiebewaffnung war. So ein Blödsinn.
Sein Waffenwarner schlug an und auf dem Scanner erschien ein roter Punkt hinter ihm. Ohne sich seiner Handlungen wirklich bewusst zu sein, drückte er den Schubhebel nach ganz vorne durch und zog die Falcon hart nach links: „Unidentifizierter Kontakt, versucht mich zu erfassen, breche weg!“
Rein aus Reflex stieß er zusätzlich zwei Täuschkörper aus. Na, wer ist jetzt der Idiot, alter Mann.
Mit halbem Ohr nahm er wahr, dass Lindbergh über Funk schrie, dass sie angriff.
Der Angreifer war für seinen Geschmack viel zu nah, konnte aber bei über tausend Kilometer die Sekunde mit den bloßen Augen kauf identifiziert werden. Der Bordcomputer seiner Falcon gab ihm noch keinerlei Identifikation.
Cowboy versuchte den Angreifer durch einen Schlenker nach links mit anschließender Wende nach rechts los zu werden, legte die Falcon auf den Rücken und jagte den kleinen Jäger in einen mörderischen Spin, der ihn in den Sitz presste und an den Rand seiner persönlichen Leistungsfähigkeit brachte. Die Falcon selbst wurde gerade erst warm. Das State-of-the-Art Fly-by-Wire System des modernen Abfangjägers war allem anderen im Arsenal der TSN überlegen und stellte natürlich größere Ansprüche an die Piloten als es die ältere Typhoon getan hatte.
Der Raketenwarner schrie immer noch auf, dass jemand versuchte ihn ins Visier zu nehmen. Das sein Gegner noch nicht auf seine Bordwaffen zurückgegriffen hatte, ließ entweder auf ein sehr geringes oder übermäßig großes Selbstvertrauen schließen.
Über neunzig Prozent aller Piloten, inklusive Cowboy selbst, hätten längst das Feuer eröffnet um den Gegenspieler unter Druck zu setzen oder in der Hoffnung auf Zufallstreffer.
Cowboy arbeitete seine Falcon innerhalb von achtzehn bis zwanzig Sekunden durch das halbe Repertoire an Fluchtmanövern, welches er aufbieten konnte, ohne seinen Gegner los zu werden.
Schließlich wurde der Warnton beständig, sein Feind hatte ihn erfasst, doch es erfolgte kein Raketenabschuss. Stattdessen bekam er das Lachen zweier nicht ganz Fremder Männer zu hören: „Bang, Cowboy, Sie sind tot!“
„Ihr gottverfluchten Arschlöcher!“ Adrenalin ging nicht so schnell wie es kommt. Jules schlug frustriert gegen das Kanzeldach.
„Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie alt werden CAG“, Harmon Green war ziviler Testpilot auf Roswell Station und sorgte seit geraumer Zeit für einiges an Unruhe in der Pilotengemeinschaft der Raumstation.
„FOX ONE!“ Verkündete Hanna Lindbergh mit einer kalten Stimme, die Jules der jungen Pilotin nicht zugetraut hatte.
Hinter ihm brach die moderne X-111 Nighthawk II nach rechts weg und warf selbst Täuschkörper ab.
„WAFFEN SICHERN! WAFFEN SICHERN! FEUER EINSTELLEN!“
Einen kurzen Moment überlegte Jules, ob der Feuerball im Rückspiegel gerade der klägliche Rest seiner Karriere war.


Rear Admiral Geoffrey Mikashi hatte selbst ein kalkweißes Gesicht, aber ein Blick auf seinen Geschwaderführer machte ihm deutlich, dass die Situation ganz leicht mit einem Mord enden konnte.
In Büro des Befehlshabenden Offiziers von Roswell Station hatten sich genügend Leute eingefunden um einen Plenarsaal zu füllen.
Prof. Dr. Degenhard, der zivile Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung war anwesend, begleitet von Captain Ward dem Chef über die Testpilotenstaffel, Harmon Green, sein Co-Pilot Lieutenant Commander Paolo Vico, Commander Jennifer Stark sine Stabsnachrichtendienstlerin, Commander Stafford und eine ziemlich unglücklich wirkende junge Pilotin, die sich scheinbar am liebsten hinter Stafford versteckt hätte.
Dieser hörte sich auf den ersten Blick noch gelassen die Triade von Captain Ward an, der ausgiebig Gebrauch von Wörtern wie inkompetent, schießwütig und Kontrollverlust machte. Wer dem CAG in die Augen blickte und ihn nur für ein oder zwei Sekunden beobachtete und eine größere Empathie besaß als eine Kaffeetasse oder in diesem Fall Ward, der konnte ganz deutlich sehen, dass Jules Stafford eigentlich schon der Kragen geplatzt war.
Viele Leute machten immer wieder den Fehler Mikashi die asiatische Ruhe zuzuschreiben. Tatsächlich besaß er das Temperament eines Chicagoer Bears-Fan, der einzig wahren Sportmannschaft seiner Heimatstadt, und als Ward kurz Luft holte, um seinem Wutausbruch neue Kraft zu verleihen, nahm Mikashi das erst Beste, was er in die Hand bekommen konnte von seinem Schreibtisch, was seine eigene Kaffeetasse war und schmiss diese an die Wand.
Sofort herrschte Schweigen.
„Wenn ich dann mal zusammenfassen dürfte“, begann Mikashi, der seine Stimme kaum unter Kontrolle halten konnte, „haben wir einen beschädigten Prototypen, der aber noch aus eigener Kraft landen konnte.“
„Ja, Sir“, bestätigte Lieutenant Commander Vico eilig.
„Wir haben eine versehentlich abgefeuerte Ammram-Raketen, von der fast täglich hunderte verschossen werden, die wenn auch nicht billig eigentlich nicht ins Gewicht fällt.“
„Korrekt, Sir“, oh, ja Stafford klang ernsthaft wütend.
„Woran hat das gelegen…“
Ward wollte schon den Mund aufmachen.
„… Lieutenant Lindbergh, bitte Sie haben geschossen, Sie erklären mir, was da passiert ist.“
Lindbergh erbleichte, sehr zur augenscheinlichen Freude von Captain Ward und nahm Haltung an: „Sir, Commander Stafford und ich befanden uns auf einer Routinepatrouille, zur Sicherung des Lokalraumes von Roswell Station. Nach etwa einem Drittel der Strecke fing mein Radar etwas auf, dem ich als Rottenführer beschloss nachzugehen, Sir.
Wir brachten nicht lange zu suchen, etwa eine viertel Stunde nach dem ersten Radarkontakt tauchten Mr. Green und Commander Vico in einer Nighthawk II. auf, die zu dem Moment weder von Commander Stafford noch von mir visuell identifiziert worden war. Da die Datenbänke der hier stationierten Jäger und ihre Blackboxes auf Grund der Geheimhaltung nach jedem Flug gelöscht werden, konnte auch unser Bordcomputer den Kontakt nicht als Freundlich identifizieren.
Der Kontakt griff, so musste ich vermuten, Commander Stafford an. Ich versuchte ein klassisches Zangenmanöver und schoss sobald ich konnte eine Rakete auf den vermeintlichen Angreifer ab, Sir. Erst nach dem Raketenabschuss wurde mir bewusst, dass es sich bei dem Angreifer um ein befreundetes Ziel handelt.“
„Bullshit!“ knurrte Ward.
„Bullshit?“ fauchte Stafford zurück, „Ihre beiden Clowns haben uns überrascht und ohne Vorankündigung oder Warnung Angriffsmanöver geflogen! Wir können froh sein, dass nichts Schlimmeres passiert ist, als das der Nighthawk das Leitwerk verkohlt wurde! Wenn Green und sein Beifahrer sich an die Vorschriften gehalten hätten…“
„Green und Vico hatten sich Ihnen gegenüber Identifiziert bevor die Rakete abgeschossen wurde“, schoss Ward zurück.
„Einen Scheiß haben die beiden Helden!“
„War Ihnen bewusst, dass es sich um keinen Feind handelte bevor der Schuss erfolgte oder nicht?“
Stafford ballte die Fäuste: „Mir schon aber…“
„Nichts aber…“
„Lieutenant Lindbergh!“ fuhr Mikashi dazwischen, „sind Ihnen die ROE ein Begriff?“
„Sir, selbstverständlich, Sir. Die Regeln für den Kampfeinsatz werden zu jeder ATO ausgegeben.“
„Bitte, klären Sie uns auf.“
„Die ausgegebenen ROE für den heutigen Tag sind Code Alpha-zwo. Sämtliche nicht identifizierten Flugobjekte sind als feindlich einzustufen. Sie sind abzufangen, wenn möglich zu identifizieren und dürfen ohne vorhergehende Warnung angegriffen und zerstört werden, Sir.“
„Exakt, Lieutenant“, Mikashi warf den beiden Testpiloten einen vielsagenden Blick zu und wandte sich dann Stafford zu, „und CAG, welchen Fehler hat Lieutenant Lindbergh begangen?“
Stafford öffnete den Mund, schloss ihn aber gleich darauf wieder und legte kurz den Kopf schräg: „Sie ist beim Wenden zu stark nach backbord gedriftet. Hätte sie die Kurve enger gezogen, wäre sie früher in Schussposition gewesen und hätte mich rausboxen können.“
Lieutenant Commander Vico wurde bleich.
„Dann…“, Professor Degenhart räusperte sich, „dann hätte der Lieutenant aber möglicherweise einen unserer Prototypen abgeschossen.“
„Das hätten wir aber erst in der Nachbesprechung erfahren“, entgegnete Mikashi süffisant, „also, Captain Ward, Informieren Sie alle Ihre Testpiloten, sich die ROE noch einmal genauer anzusehen! Und wenn einer von Ihnen mit Commander Stafford oder einem seiner Piloten in den Ring steigen möchte, soll er das im Simulator tun! Ist das angekommen?“
„Ja, Sir.“
„Und Sie beiden Helden“, richtete Mikashi sich an Green und Vico, „Sie melden sich in der technischen Abteilung und gehen den Ingenieuren bei dem Schlamassel zur Hand, dass Sie verzapft haben.“
„Aye, aye, Sir!“ Bellte Vico.
Green hingegen funkelte nur wütend zurück.
„Lieutenant Lindbergh, Sie machen eine Extraschicht im Simulator mit Schwerpunkt auf den Kurvenkampf.“
„Aye, Sir!“
„Das wäre es dann, alle außer Commander Stafford können gehen.“

„Jules, Sie wissen gar nicht, wie viel Glück Sie eigentlich gerade gehabt haben“, begann der Admiral, nachdem der Rest sein Büro verlassen hatte, „aber setzen Sie sich erst einmal.“
„Glück?“ Jules tat wie ihm geheißen, „den beiden Arschlöchern wäre es ganz recht geschehen, wenn Lindbergh ihnen den Vogel unter den Arsch weggeschossen hätte.“
„Egal wie sehr sie im Recht gewesen wäre, das hätte ihre junge Karriere nicht überlebt und Ihre auch nicht, dass wissen Sie.“
Der Geschwaderführer schnaufte: „Ich habe mich damit abgefunden bis zum Ende des Krieges hier meine Zeit abzusitzen und dieses Kommando ist eigentlich schon weit besser als ich je zu hoffen gewagt habe.“
„Dann werden Ihnen die Befehle nicht gefallen, die ich erhalten habe. Drei Staffeln der Harpys werden an die Front verlegt. In einer Woche trifft die Liberty ein und sammelt sie samt Maschinen ein.“
„Drei Staffeln, das sind mehr als vierzig Prozent.“
Mikashi nickte: „Richtig, es geht nach Sterntor, die brauchen dort Ersatz, Piloten, Maschinen, Ersatzteile, Geschwaderführer…“
„Herrje, ich weiß noch gar nicht wer von den jungen Hüpfer… Moment, sagten Sie gerade Geschwaderführer, Sir?“
„Ja, Jules, Sie sind auch dabei. Man hat Sie persönlich angefordert.“
„Himmelfahrtskommando?“
„So in etwa, irgendwer scheint auf die Schlaue Idee gekommen zu sein, Ihnen wieder ein Frontkommando zu geben. Ich weiß gar nicht, wie Sie dazu kommen und Carlyle Senior sitzt immer noch im Finanzausschuss, auch wenn er kaum noch Freunde hat. Sie bekommen die Angry Angels, meinen Glückwunsch.“
Es war selten, so war sich Geoff Mikashi sicher, dass einem von Pilotenseite Sprachlosigkeit antwortete.

__________________
"Das Leben ist das was einem passiert, während man andere Pläne schmiedet." John Lennon

Mitglied der Autorenkooperationen "Dantons Chevaliers" und "Hinter den feindlichen Linien"
11.11.2015 18:20 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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TRS COLUMBIA, Sterntor-System

Eine der Lehren, die Kano von Lone Wolf, Darkness und Monty über die Führung einer Fliegereinheit gelernt hatte, war, dass fliegerisches Können alleine nicht genügte. Selbst gute Einsatzführung war noch längst nicht alles. Fast genauso wichtig für das Funktionieren einer Staffel war die Meisterung des unvermeidlichen Papierkriegs – auch wenn er heutzutage überwiegend elektronisch oder mit E-Papier geführt wurde.
Kein Offizier konnte diesen Aspekt seines Dienstes völlig ausblenden oder ignorieren, selbst wenn er diese lästige Pflicht auf einen Untergebenen abwälzte. Und zumindest Monty war der Ansicht gewesen, dass man sich gefälligst selber um die Dinge kümmern müsse, die ordentlich erledigt werden sollten. Ein Vorbild, dem Kano nachzueifern versuchte.
Wie Ace konnte er seine Position keinesfalls als gesichert ansehen. Ihre Beförderung zum Lieutenant Commander stand weiterhin in den Sternen. Normalerweise wurden Lieutenants, die eine Staffel übernahmen, relativ zügig befördert. Geschah das nicht in absehbarer Zeit, konnten sie ihre Staffeln leicht wieder verlieren. Und um diesem Schicksal zu entgehen, musste man durch Leistung überzeugen.
Auch deshalb konnte er es sich nicht leisten, Themen wie die Ersatzmaschinen- und Pilotenzuteilung zu delegieren. ‚Sonst ist Lone Wolf nicht der einzige, der sich auf Kosten der Schwarzen saniert.‘ Aber dieser Gedanke hatte neuerdings einen ungewohnt reuigen Unterton. Seitdem Cunningham schwerverletzt von Bord geschafft worden war, fiel es Kano schwer, sein Ressentiment aufrechtzuerhalten. ‚Aber das ist jetzt so oder so Vergangenheit. Zeit, nach vorne zu sehen.‘

Obwohl die Republik rund fünf Jahre Zeit gehabt hatte, sich auf die Kriegswirtschaft umzustellen, haperte es immer noch beim Nachschub. Der beste Beweis dafür war, wie schleppend neue Kampfflieger reinkamen. Kurz fragte sich Kano, ob dies vielleicht eine wenig subtile Art der Bestrafung dafür war, dass die Angels diesmal ihrem Ruf nicht gerecht geworden waren. Dann schob er den Gedanken beiseite. So kleinlich war die TSN nun wieder auch nicht.
Doch selbst bei der Versorgung mit Ersatzteilen und Raketen kam es noch gelegentlich zu Engpässen, obwohl sich die Situation in den letzten Jahren gebessert hatte. ‚Dennoch, im fünften Kriegsjahr…
Kein Wunder, dass Birmingham um ihre Wiederwahl fürchtet.‘

Die Butcher Bears hatten Glück im Unglück gehabt. Mit Top Gun hatten sie ein Ass bekommen, das ihre Verluste zumindest in fliegerischer Hinsicht wettmachte. Blieb zu hoffen, dass sie ihren neuen Star auch behalten konnten. Es gab Gerüchte, dass Crawford nach seinem Gastspiel an Bord der COLUMBIA mit einer ‚Aktion Heldenklau‘ für sein eigenes Geschwader begonnen hatte. Andere Gerüchte sahen in ihm immer noch den neuen Geschwaderchef der Angry Angels – eine Perspektive, die in Kano sehr gemischte Gefühle weckte. In der letzten Schlacht hatten viele Leute Fehler gemacht. Crawford hatte dazugehört, und das war kein guter Einstand. Außerdem hatte er es verstanden, in bemerkenswert kurzer Zeit eine Reihe altgedienter Piloten gegen sich aufzubringen. In der Hinsicht ähnelte er Lone Wolf, doch fehlte ihm leider dessen Charisma und draufgängerischer Charme. Gewiss, er war erfahren und – ungeachtet einiger zweifelhafter Entscheidungen in der letzten Schlacht – fähig. Doch war das genug, um die Wunden zu heilen, die Lone Wolfs und Ravens Ausfall geschlagen hatten?
‚Aber um das Geschwader kann ich mir so viele Gedanken machen wie ich will. Es liegt nicht in meiner Macht, etwas zu tun.‘
Immerhin konnte er vielleicht dazu beitragen, dass die Angry Angels die Scharte auswetzten, die der Schlagabtausch mit Admiral Taran in ihrem so lange makellosen Ehrenschild hinterlassen hatte. Und dazu brauchte er Top Gun. Er erhöhte die Chancen der Schwarzen Schwadron, wieder in Führung zu gehen. Außerdem waren die Butcher Bears dadurch eine der Staffeln mit dem geringsten Fehlbestand an Piloten. Das war die Chance, die Staffelarbeit intensiv zu trainieren.
Top Gun passte sich gut ein, und wenn – ‚nun ja, ich sollte wohl lieber ‚Falls‘ sagen‘ – die TSN nicht einen Katastrophenpiloten schickte, sollte der relativ gut integriert werden.

‚Da wir schon dabei sind…Ich hoffe, meine Stellvertreterin und die Chefin der dritten Sektion bringen sich nicht gegenseitig um.‘
Wie erwartet hatte es La Reine schlecht aufgenommen, als statt ihr Huntress Staffel-XO geworden war. Sie hatte einige nicht sehr schmeichelhafte Vermutungen darüber geäußert, wie Agyris Kano von ihrer ‚Eignung‘ überzeugt hatte. Dass das nicht der Wahrheit entsprach, nützte ihm wenig.
Es hatte damit geendet, dass Kano La Reine vor versammelter Mannschaft zusammenstauchte, wobei er knapp die Oberhand behalten hatte. Seitdem herrschte Eiszeit, obwohl La Reine wenigstens ihre Aufgaben zuverlässig erfüllte.
‚Das ist schon mal mehr, als ich von einigen anderen Primadonna-Piloten erwarten könnte. Vielleicht hätte ich erwähnen sollen, dass ich sie für den Bronce Star vorgeschlagen habe.‘ Aber solange der Antrag nicht durch war, wollte Kano keine falschen Hoffnungen wecken.
Das Verhältnis zwischen La Reine und Huntress hatte sich natürlich ebenfalls drastisch verschlechtert, und die verbalen Gefechte der beiden erfreuten sich inzwischen bei einigen Geschwadermitgliedern wachsender Beliebtheit als Pausenunterhaltung. Gerüchten zufolge kursierten unter den Piloten sogar Aufnahmen der Auseinandersetzungen. Wenigstens war La Reine noch nicht handgreiflich geworden. Kano hatte ihr außerdem klar gemacht, dass er während des Trainings oder im Einsatz jede Aufmüpfigkeit gegenüber der Staffel-XO persönlich nehmen würde.
Die anderen Staffelpiloten nahmen Huntress Beförderung gelassen oder mit Humor. ‚Und von ihnen glaubt auch keiner, ich hätte Huntress nur deshalb befördert, weil ich meinen persönlichen Harem will. Oder sie zeigen es wenigstens nicht.‘
Abgesehen davon hatte sich Huntress Beförderung tatsächlich als Gewinn erwiesen. Kanos hatte sie richtig eingeschätzt – Agyris HATTE Potential. Sie war eine anspruchsvolle aber fähige Vorgesetzte, die wohl wirklich besser als La Reine für Kommandoaufgaben geeignet war.
‚Solange ihr guter Wille anhält. Aber wenn ich nicht von Irons…‘ermutigt‘ worden wäre, hätte La Reine den Posten bekommen. Immerhin ist sie schon deutlich länger dabei. Ich weiß es, La Reine weiß es – und Huntress auch. Das macht das alles ja so schwierig.‘

Das Signal seines Handgelenk-Komms ermahnte Kano, dass Selbstmitleid kontraproduktiv war: „Nakakura hier.“
„Hier spricht Lieutenant An. Ich sollte mich bei Ihnen melden?“
„Kommen Sie bitte in mein Büro.“
Zehn Minuten später betrat die zierliche Pandoranerin leise das Büro. Die Pilotin mochte mit ihrem Ego ein Problem haben, aber sie hatte sich bewährt. Sie würde vielleicht niemals eine Staffel, eine Sektion oder auch nur eine Rotte führen. Dazu fehlte ihr die Selbstsicherheit und Aggressivität. Aber als Rückendeckung war sie erstklassig.
„Bald werden wir wieder auf Sollstärke sein, Lieutenant.“ An gegenüber gab sich Kano noch förmlicher als sonst. Das schien ihr lieber zu sein, während sie bei jeder persönlichen Frage und selbst scheinbar harmlosen Small Talk dichtmachte. Kano wusste nicht, was der Grund dafür war, aber solange sie ihre Pflicht erfüllte, respektierte er es.
„Das heißt, Sugar bekommt einen Neuen, Sir?“ Kano glaubte in der Frage Bedauern oder Besorgnis mitschwingen zu hören. ‚Umso besser.‘
„Nein. Wir behalten erst einmal die augenblickliche Aufteilung bei. Sie kommen mit Sugar gut klar – was eine Leistung ist. Sie haben ihr das Leben gerettet. Ich wüsste im Augenblick keinen, der besser geeignet ist, ihr den Rücken zu decken. Also beschützen Sie weiter ihre Sechs…“ Der Staffelchef registrierte, wie sich Flyboys Wangen röteten und sie den Blick senkte. ‚Ich dachte, Sie könnte besser mit Lob umgehen.‘ „…aber machen Sie nicht alles mit, verstanden? Sugar geht zu viele Risiken ein.“ Kano wusste, wie eine solche Einschätzung aus seinem Mund klingen musste, aber er meinte es ernst.
„Ich werde auf sie aufpassen.“ Flyboys Stimme blieb leise, klang aber trotz des immer noch gesenkten Blicks entschlossen.
„Das weiß ich. Aber es geht auch darum, ihr ihre Grenzen klarzumachen. Eine gute Flügelfrau schützt ihre Rottenführerin auch vor sich selbst. Und dass nicht nur, indem sie Feindfeuer auf sich zieht.“
„Ja, Sir.“
‚Aber hast du auch das Zeug, um Sugar das klarzumachen?‘ Kano nahm sich vor, noch einmal mit Flyboys Rottenführerin zu reden. Er respektierte Sugars begründeten Hass auf die Akariis. Aber wenn sie deshalb Risiken einging, die sogar Kano für übertrieben hielt, würde es eines Tages schief gehen. ‚Und wenn dann nur Sugar die Rechnung zahlen muss, wäre das noch ein günstiges Ergebnis.‘ Solange er nicht wusste, wen er noch als neuen Piloten bekommen würde, hatte er deshalb keine große Wahl. Gute Katschmareks waren vielleicht nicht so selten wie Fliegerasse, aber auch sie wuchsen nicht auf Bäumen. Kano wollte niemanden mit Sugar zusammentun, der mit ihr überfordert war – oder, schlimmer noch, der sie vielleicht noch in ihrem Leichtsinn bestärkte. Er hätte Flyboy lieber behalten, aber im Augenblick war sie die logische Wahl für Sugar.
„Das wäre dann erst einmal alles.“ Kano erwog kurz, Flyboy nach ihrer Meinung zu Sugars mentaler Situation zu fragen – immerhin teilten die beiden das Quartier und An schien eine gute Beobachterin zu sein. Doch dann entschied er sich dagegen. Es widersprach dem Ehrenkodex der Flotte, einen Kameraden ‚anzuschwärzen‘.
„Sir.“
Fast lautlos verließ An den Raum, und Kano wandte sich wieder dem Kampf mit der Bürokratie zu. ‚Mal sehen, wen sie uns als Ersatz schicken. Einen Neuling? Einen Reaktivierten?‘ Kano bezweifelte insgeheim, dass der Nachschub das Niveau der alten Angry Angels erreichen würde. Besser man ging vom Schlimmsten aus, dann konnte man nur angenehm überrascht werden. Immerhin, noch hatten sie etwas Zeit. Zeit, um ihre Wunden zu lecken, die Reihen zu schließen, und wieder zu dem zu werden, was die Butcher Bears vorher gewesen waren. Was sie sein mussten. Eine perfekt geschulte Tötungsmaschinerie. ‚Einmal haben wir versagt. Das darf nicht noch einmal vorkommen. Es steht zu viel auf dem Spiel.‘

Übergangslos musste Kano an den versuchten Selbstmord Ichigo Mahous denken. Sie hatte nicht mit der Schuld leben wollen, bei der Identifizierung des Akarii-Pseudoträgers versagt zu haben. Keiner wusste, ob sie jemals wieder in den aktiven Dienst zurückkehren würde. ‚Wenn man sie überhaupt lässt.‘
Ichigo war nicht das erste Besatzungsmitglied, das diesen Ausweg gewählt hatte. Mindestens zwei Piloten der Butcher Bears hatten sich während Kanos Zeit an Bord erschossen, von dem Gefühl des eigenen Versagens überwältigt. Und wer wusste schon, wie viele in den Einsatz gestartet waren, mit der festen Absicht, nicht mehr zurückzukehren? Kano Einstellung zum Freitod unterschied sich von der der durch christliche, jüdische oder muslimische Vorstellungen geprägten Besatzungsmitglieder. In Japan war es keine Schande, Hand an sich zu legen. Es war ein ehrenhafter Tod. Durch Selbstmord konnte ein Verbrechen oder Scheitern gesühnt, die persönliche Ehre wiederhergestellt werden. Er konnte ein Mittel des Protestes sein, wenn andere Möglichkeiten nicht offen standen oder zu schwach erschienen. Und dennoch…
Ichigo war Aces Freundin gewesen, nicht Kanos. Aber sie hatte zu der kleinen japanischen Gemeinde an Bord gehört, und das war eine Verbindung gewesen. Das, und die Art und Weise, wie sie beide Wert auf Pflicht, Ehre und Tradition legten – eine Tradition, die sehr viel älter war als die TSN. Ein paar Mal waren sie in der Sporthalle gegeneinander angetreten…
‚Warum hast du nicht mit mir geredet? Ich hätte dir gesagt, dass noch ganz andere Leute versagt haben. Dass wir zu viele gute Soldaten eingebüßt haben, um auf dich zu verzichten. Dass es andere Wege gibt, um eine Schuld zu sühnen…‘
Aber das brachte ihn nicht weiter. Ichigo war fort. Obwohl sie ohne Ace jetzt wahrscheinlich tot wäre, machte der sich immer noch Vorwürfe, ihre Absichten nicht früher erkannt zu haben. Kano hatte ihm versucht klarzumachen, dass er lieber froh darüber sein sollte, noch rechtzeitig eingetroffen zu sein. ‚Wir alle haben in letzter Zeit viel einstecken müssen. Mancher noch mehr als andere. Und für einige ist das zu viel gewesen.‘
Das Gespräch hatte allerdings einen unerwarteten Verlauf genommen, als Kano seine persönliche Ansicht zum Thema Selbstmord erwähnte. Obwohl Ace recht vertraut mit der Akarii-Gesellschaft war, die ebenfalls eine recht…eigene Eigenstellung zum Freitod hatte, ging Davis Verständnis offenbar nicht SO weit.
Kano nahm es ihm nicht übel, er wusste dass seine und Ichigos Ansichten über Pflicht, Ehre und die Möglichkeit, eine Schande durch Blut zu sühnen, selbst in Japan nicht mehr mehrheitsfähig waren.
Und er war froh, dass Ace nichts davon wusste, dass Kano sich schon gelegentlich mit der Frage beschäftigt hatte, wann er zu diesem letzten Ausweg hätte greifen können. Um einer Gefangennahme zu entgehen, angesichts einer unabwendbaren Niederlage…
‚Und ich weiß nicht, was ich tun würde wenn…falls Kali sterben sollte.‘ An dieser Stelle gebot sich Kano selbst Einhalt. Es hatte keinen Sinn, darüber nachzudenken.
Jedenfalls hatte der versuchte Selbstmord der angeschlagenen Moral der COLUMBIA-Besatzung geschadet. Dazu die hohen Verluste, das Gefühl des Versagens…
‚Ein schlechtes Omen für die Zukunft. Und sollte Crawford tatsächlich als neuer Geschwaderchef in Betracht gezogen werden…‘
Kano war nicht besonders abergläubisch, aber viele Matrosen und Piloten waren es. Insgeheim wurde immer noch erbittert darüber gestritten, wer ‚schuld‘ an dem verhängnisvoll-sinnlosen Angriff auf den imperialen Pseudoträger war. Die Führung des Geschwaders mit dieser Altlast anzutreten, das konnte die Beziehung zwischen Führung und Mannschaften vergiften. Wer auch immer die Angry Angels übernehmen würde, er würde Erfahrung, Standhaftigkeit, Einfühlungsvermögen und Charisma benötigen, um die Angry Angels aus der Krise herauszuführen.
Und das Schlimme war – der Kampfgeist der Imperialen musste sich nach einem langen und bitteren Abstieg inzwischen wieder im Aufwind befinden. Und da sie selbst in der Niederlage eine Einsatzbereitschaft gezeigt hatten, die Kano unangenehm vertraut vorkam... ‚Selbst wenn wir sie wieder stoppen können. Sie werden nicht einknicken. ICH würde es nicht tun…
Wir müssen sie wohl einfach solange töten, bis keiner mehr übrig ist, der weiterkämpfen will.‘
In solchen Augenblicken verstand er Liljas brutale Logik des totalen Krieges.

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11.11.2015 18:23 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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‚Um eine Schlacht zu gewinnen, musst du nur die feindliche Armee vernichten. Dies ist einfach.
Um aber ein Volk zu bezwingen, musst du seinen Willen brechen. Dies ist sehr schwer.’
Der antike Akarii-General Gorlan Rikata


Irgendwo im terranischen Raum

Comander Samantha „Raven“ Burr blickte in den schmalen Wandspiegel, und glaubte eine Fremde vor sich zu sehen. Dieses hagere, übernächtigte Gesicht, war das wirklich sie? Und waren tatsächlich erst ein paar Wochen seit ihrer Gefangennahme vergangen? Irgendwann hatte sie das Gefühl für die Zeit verloren…

Die ersten Stunden in Gefangenschaft waren ein Schock gewesen, nicht nur wegen dem rücksichtslosen Verhalten der feindlichen Soldaten. Dazu kam die Ungewissheit über den Verlauf der Schlacht, das Schicksal der COLUMBIA und der Angry Angels. Und natürlich die Tatsache, dass sie von nun an der Gnade der Akarii ausgeliefert war – ein Schicksal, das sie irgendwie nie mit sich selber verbunden hatte.
Ravens Einstand bei ihren neuen ‚Herren‘ war nicht unbedingt vielversprechend gewesen. Man hatte sie grob durchsucht und praktisch bis auf die Unterwäsche ausgezogen. Sie wurde angebrüllt, beschimpft und bedroht, zweifellos in der Hoffnung, sie weichzukochen. Aber so leicht war Raven nicht kleinzukriegen. Außer ihrem Namen, ihrem Dienstrang und ihrer Kennnummer hatten die Akarii nichts erfahren, obwohl man sie bedroht und sogar geschlagen hatte. Das hatte den Akarii nur eine Reihe ausgewählter Flüche eingebracht.
Halb hatte sie erwartet, dass die Imperialen jetzt RICHTIG unangenehm werden würden – aber sie hatten sich für einen anderen Ansatz entschieden. Auf einmal schien Zeit keine Rolle mehr zu spielen. Man hatte sie eingesperrt und scheinbar vergessen. Die nächsten Tage hatte sie in Isolationshaft verbracht. Sie hatte nur wenig Wasser und Essen erhalten, hatte sich nicht waschen können und in der schlecht geheizten Zelle jämmerlich gefroren. Kälte und Lärmbeschallung hatten ihr das Schlafen fast unmöglich gemacht. Fast genauso schlimm war die grauenhafte Eintönigkeit der Haft gewesen. Und die totale Ungewissheit.
Natürlich wusste sie, dass das nur eine weitere Phase in dem Repertoire menschlicher und nichtmenschlicher Verhörtaktiken war, aber dieses Wissen hatte ihr wenig Trost geboten.
Stattdessen hatte sie sich immer wieder gefragt, wann die Akarii zur nächsten, der verschärften Phase übergehen würden – endlosen Rund-um-die-Uhr-Verhören. Oder ob sie diese Stufe überspringen und gleich mit dem Einsatz physischer Foltermethoden anfangen würden. Sie wusste, dass die Akarii Admiralin Alexander den Kopf ihres Sohnes in die Zelle geworfen hatten, zweifellos in der Absicht, sie so zu brechen. Das mochte eine persönliche Grausamkeit Jors gegenüber seiner wichtigsten Gefangenen gewesen sein, aber Raven erinnerte sich auch noch sehr gut an die Zustände, die in Camp Hellmountain geherrscht hatten. Von den Akarii sollte man nur das Schlechteste erwarten, dann wurde man auch nicht enttäuscht…
Aber sie hatte sich schon wieder geirrt, und ausnahmsweise war sie froh darüber. Die Akarii hatten sich für eine…geschmeidigere Vorgehensweise entschieden. Man hatte ihr erlaubt, sich zu waschen und händigte Raven sogar neue Kleidung aus. Auch wenn ihr die rote Signalfarbe des Overalls nicht gefiel, er war stabil, sauber und passte sogar beinahe.
Und jetzt…jetzt würde sie wahrscheinlich die Rechnung für diese Vergünstigungen präsentiert bekommen.
Die ehemalige Kommandantin der Angry Angels drehte sich um, straffte sich, und hämmerte gegen die Tür: „Ich bin fertig!“

Die Tür öffnete sich ebenso prompt wie lautlos und gab den Blick auf zwei schrankwandartig gebaute Akarii-Marines und eine schlanke Gestalt in der Uniform eines imperialen Flottenkapitäns frei, die zwischen den Marineinfanteristen geradezu zierlich wirkte. Die Offizierin musterte Raven kühl. Dann drückte sie ihr ein kleines Gerät in die Hand und bedeutete ungeduldig, dass sie es an ihrem rechten Ohr befestigen sollte. Wohl oder übel kam Raven der Aufforderung nach, bevor die Marines das übernahmen. Dann bedeutete ihr schweigsames Gegenüber mit einer herrischen Kopfbewegung, zu folgen. Keiner hielt es für notwendig, sie zu fesseln oder ihr die Augen zu verbinden. Unter anderen Umständen wäre sie über diese Arroganz verärgert gewesen, aber im Augenblick war sie zu beschäftigt, sich umzusehen. Als man sie hierhergebracht hatte, hatte ihr Kopf in einem Sack gesteckt. Und anschließend hatte sie nur das Innere ihrer Zelle und den Verhörraum zu Gesicht bekommen. Obwohl sie an der Vernichtung mehrerer imperialer Flottenträger beteiligt gewesen war, war das die erste Gelegenheit, sich so ein Schiff auch einmal von Innen anzusehen.
Vielleicht ließ sie sich von Innentemperatur ihrer schlecht geheizten Zelle täuschen, aber sie hatte den Eindruck, dass es in den Gängen deutlich wärmer war, als an Bord der Columbia. Ansonsten war das Interieur ziemlich spartanisch gehalten. Klare Linien und Farben wie Grau und Weiß schienen zu überwiegen. Die Mannschaftsdienstgrade denen sie begegnete musterten sie – manche scheinbar neugierig, andere wahrscheinlich feindselig – aber keiner blieb stehen oder richtete gar das Wort an sie. Ein paarmal kamen sie an Aussichtsluken oder mit Außenbordkameras verbundenen Pseudobordfenstern vorbei, aber die Sternenkonstellationen, von denen sie ein flüchtiges Bild erhaschen konnte, sagten ihr nichts. Nur in einem war sie sich sicher – sie war nicht mehr im Sterntor-System. Und das hieß, die Akarii waren entkommen. Und wenn sie sich die geschäftige aber geordnet wirkende Atmosphäre an Bord vergegenwärtigte…
Dann sah es nicht so aus, als würden die Imperialen panisch fliehen.

Ihre Überlegungen wurden unterbrochen, als Ravens ‚Eskorte‘ offenbar ihr Ziel erreicht hatten – eine von einem weiteren Marineinfanteristen bewachte Tür. Kurz fühlte Raven, wie die unterschwellige Anspannung, die sie seit ihrer Gefangennahme begleitet hatte, noch einmal besonders kräftig aufloderte.
Aber ehe sie anfangen konnte darüber zu spekulieren, was sie wohl erwartete, öffnete sich auch schon die Tür, und der weibliche Captain schob sie ungeduldig vorwärts, während Raven mit Überraschung registrierte, dass die Marines an der Schwelle zurückblieben.

Die Kommandantin der Angry Angels fand sich in einem komfortablen Ambiente wieder, das in einem krassen Gegensatz zu ihrer nur mit viel Wohlwollen als spartanisch zu bezeichnenden Zelle stand. Der Raum war schlicht aber elegant gestaltet, die Wände zierten Schlachtenbilder und -hologramme und auf dem zentralen Tisch…hatte man ein regelrechtes Festbankett angerichtet.
Der Anblick und die von den Speisen aufsteigenden Gerüche veranlassten Ravens Magen zu einem peinlichen Knurren. Erst dann bemerkte sie den Akarii-Offizier, der auf der anderen Seite des Tischs saß und sie mit einem Gesichtsausdruck musterte, aus dem sie nicht schlau wurde. Da waren…Arroganz und Selbstsicherheit, irgendetwas wie Neugier und außerdem…
Abgelenkt von ihrem Hunger brauchte sie einige Augenblicke, bis sie die Abzeichen der Dienstuniform, die ungewöhnlich dunkle Schuppenfärbung und die seltsam vertraut wirkende hagere Gestalt in Einklang bringen konnte.
Normalerweise wäre sie nicht so unaufmerksam gewesen. Sie musste wirklich in einem miesen Zustand sein. Aber es gab keinen Zweifel, vor ihr saß der Admiral zweiter Klasse Mokas Taran, Befehlshaber des Draned-Sektors. Kommandeur der Rikata-Kampfgruppe, die in den letzten Tagen alles nur Akarii-mögliche getan hatte, um das Sterntor-System zu verwüsten und die Angry Angels zu vernichten.

Einen kurzen Augenblick lang verspürte Raven das irrationale und selbstmörderische Verlangen, dem feindlichen Admiral an die Kehle zu gehen. Aber sie war nicht Lilja und auch keine Heldin in einem drittklassigen Sternenkriegsepos. Die beiden Akarii waren ausgeruht, gut genährt und wahrscheinlich bewaffnet – Raven war es nicht. Und wenn die Marines immer noch vor der Tür standen, konnten sie in wenigen Sekunden zur Stelle sein.
Außerdem war es nicht ihre Aufgabe, im Alleingang die feindliche Kommandoebene auszudünnen.
Der Admiral machte eine einladende Handbewegung und murmelte ein paar Worte, die von dem Gerät in Ravens Ohr in tadel- wenn auch etwas emotionsloses Englisch umgewandelt wurden: „Commander Burr, es freut mich, Ihnen endlich persönlich zu begegnen. Auch wenn die Umstände für Sie…weniger erfreulich sind. Setzen Sie sich doch.“
Wohl oder übel kam sie der Aufforderung nach und registrierte aus den Augenwinkeln, dass die schweigsame Akarii-Kapitänin ebenfalls Platz nahm.
„Stabschefin Los haben Sie ja bereits kennengelernt.“ Die Akarii quittierte die Vorstellung mit einem Zähnefletschen, das möglicherweise ein Lächeln sein sollte. Raven fehlte Ace’s Erfahrung mit Aliens. Und die Bereitschaft, sich auf ihre Gebräuche und Eigenheiten einzulassen.
„Und entspannen Sie sich, das hier ist nicht das Schlachtfeld…Essen Sie, Commander. Sie müssen hungrig sein.“
Das stimmte tatsächlich – der fremdartige aber im Augenblick ungeheuer verlockende Geruch hatte Raven buchstäblich das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen und sie fühlte sich vor Hunger so schwach, dass sie befürchtete in Ohnmacht zu fallen. Kurz flackerte ihr Misstrauen noch einmal auf, aber der Hunger und der gesunde Menschenverstand waren stärker. Wenn die Akarii sie vergiften oder unter Drogen setzen wollten, hätten sie es kaum nötig gehabt, so eine Scharade zu inszenieren. Sie musste sich selber befehlen, nicht über die angerichteten Speisen herzufallen. Immerhin war sie eine Offizierin der TSN. Also unterzog sie das Besteck – unter anderem eine seltsame Kombination aus Gabel und Messer – einer kritischen Musterung, riss sich zusammen, und folgte in der Handhabung der Speisen dem Vorbild der beiden Akariis.
Der Admiral und seine Stabschefin waren mäßige Esser, falls sie sich nicht absichtlich Zeit ließen, damit Raven ihren Tischsitten folgen konnte. Das hätte allerdings auf mehr Rücksicht schließen lassen, als sie bereit war, den Akariis ohne weiteres einzuräumen. Falls das aber tatsächlich der Fall, so mochte das auch ein Grund dafür sein, dass Ravens Tischnachbarn auf Smalltalk verzichteten.
Das Essen schmeckte…eigenartig, aber eher exotisch als unangenehm. Allerdings hätte sie in ihrem Zustand vermutlich auch rohes Affenhirn aus der geöffneten Kalotte des noch lebenden Tieres gelöffelt.
Die Soßen und Fleischgerichte waren vielleicht etwas stark gewürzt, und der grünliche, schwachphosphoreszierende Fruchtsaft zu dick und zu süß, aber sie hatte schon schlechter gegessen. Der Salat schmeckte ziemlich grobfaserig und zäh und sie kaute eine halbe Ewigkeit auf den harten Blättern herum - bis sie bemerkte, dass die beiden Akarii sie mit etwas musterten was nur gelindes Amüsement bezeichnet werden konnte. Beide hatten den ‚Salat‘ nicht angerührt, der offensichtlich nur der Dekoration diente.
Aber abgesehen davon war Raven der Meinung, dass sie sich ganz gut gehalten hatte. Kurz fragte sie sich, ob die Akarii-Küche der irdischen wirklich so ähnlich war, ob man besonders ‚menschenverträgliche‘ Gerichte angeboten oder gar für sie ein spezielles Menü entworfen hatte, verdrängte diese Spekulation aber als unwichtig.
Das Essen war vorbei – und irgendjemand würde ihr jetzt die Rechnung präsentieren.

Es überraschte sie nicht, dass Admiral Taran als erster das Wort ergriff: „Sie haben unseren Verhörexperten ganz schön Konter gegeben, Commander.“
Unwillkürlich straffte sich Raven. Jetzt ging es also los: „Commander Samantha Burr, TSN, Flottenträger COLUMBIA, Kennnummer TSN8974190-CFC.“
Der Admiral überraschte sie mit einem Geräusch, das nur ein Auflachen sein konnte: „Ich glaube, Sie überschätzen unsere Verzweiflung, an die Informationen zu kommen, die sich in Ihrem Kopf befinden. Wenn es nur darum ginge…glauben Sie wirklich, wir würden es so versuchen?
Sie sind eine gute Pilotin. Eine Heldin. Aber Sie sind kein Admiral und haben kein Detailwissen über neue Waffen…
Nein, das ist es nicht, was ich von Ihnen will.“
„Commander Samantha Burr…“
„Ich habe Sie schon beim ersten Mal verstanden. Hören Sie mir einfach zu, Commander. Bitte. Ich denke, das war dieses Essen wert.“
Raven überlegte kurz, wo sich die Grenze zwischen Widerstand und sinnlosem Trotz befand, und beschloss erst einmal still zu sein.
„Wir haben viele Ihrer Kameraden und Untergebenen gefangengenommen. Hunderte…über tausend. Aber das schafft Probleme. Einige sind ziemlich…renitent. Es hat Angriffe gegeben. Aber auch Schlägereien und andere…Probleme zwischen den Gefangenen. Ich will, dass das aufhört. Es ist genug Blut geflossen.“
Das war, fand Raven, ein ziemlich starkes Stück: „Oh ja, Sie sind ein echter Menschenfreund!“
Taran schien die Bemerkung nicht übel zu nehmen: „Ich will lebende Gefangene. Und ich hasse Verschwendung. SIE hassen Verschwendung. Vor allem die von Menschenleben. Also will ich, dass Sie dafür sorgen, dass das aufhört.“
Raven sparte sich eine Antwort. Sie hörte zu. Sie war eine Gefangene, und hier zu sitzen war immer noch besser, als in ihrer Zelle.
„Sie sind zwar nur Commander, aber Ihre Leute hören auf Sie – weil Sie eine Heldin sind. Also hätten Sie es in der Hand, dass irgendwelche sinnlosen…Gesten und Missverständnisse unterbleiben. Und wir können die Gefangenen auch effizienter versorgen und unterbringen, mit ihren Problemen umgehen, wenn uns jemand sagt, was es für Beschwerden gibt. Es geht hier nicht um…Menschlichkeit, es geht um Effizienz.
Sie sind eine Gefangene. Ihr Krieg ist vorbei. Für die Republik können Sie nicht mehr viel tun. Aber Sie sollten sich fragen, was Sie noch für Ihre Kameraden tun können.“
„Ich soll was sein – Ihr Verbindungsoffizier?“
„Nicht nur Sie. Das Angebot geht an alle Offiziere mit höheren Diensträngen. Sie sollen einen…Rat bilden, der für die Dauer der Reise das Leben in den Massenquartieren regelt. Ich bin mir nicht sicher, was die Motive der anderen Interessenten angeht, aber Sie als aktive Kampfpilotin und Kommandeurin der Angry Angels hätten das Zeug, unnötiges Blutvergießen zu vermeiden.“
„Sie sind zu freundlich.“
„Ich will Ergebnisse. Und die bekomme ich wahrscheinlich eher von jemandem, dem seine Untergebenen und Kameraden am Herz liegen, der sich für sie EINSETZT – als von jemandem, der nur auf bessere Rationen spekuliert.“
‚Gar nicht mal ungeschickt. Schmeicheln und gleichzeitig mit dem Zuckerbrot winken.‘
„Warum denken Sie, dass ich nicht auch nur auf bessere Verpflegung aus bin? Kriege ich jeden Tag so ein Menü?“
„Natürlich nicht. Das hier war…weil ich neugierig bin. Wir haben nicht viele Kommandeure von Elitegeschwadern gefangengenommen. Ich selber noch gar keinen. Sie können es auch als…Entschuldigung für die letzten Tage ansehen. Außerdem habe ich gehört, dass es bei euch Terranern eine ähnlichen Brauch zwischen Feinden gab.“
„Normalerweise VOR der Schlacht. Außerdem ist das vor etlichen Jahrhunderten aus der Mode gekommen. Und noch mehr als ein gutes Essen würde ich es zu schätzen wissen, wenn Sie mir sagen, was mit der COLUMBIA geschehen ist. Mit MEINEN Leuten.“
Der Admiral sah sie ein paar Herzschläge lang an. Sie wurde einfach nicht schlau aus den fremdartigen, hageren Gesichtszügen ihres Feindes: „Zu Ihren Leuten kann ich nicht viel sagen. Was die COLUMBIA angeht…Als wir sie das letzte Mal gesehen haben, hatte sie einige schwere Treffer kassiert und war zurückgefallen.“
„Aber sie wurde nicht vernichtet.“
„Soviel ich weiß.“
Das bedeutete ihr viel. Sie wusste nicht, welche Verluste die Angry Angels im weiteren Verlauf der Schlacht erlitten hatten, und sie bezweifelte, dass Admiral Taran ihr dazu etwas sagen konnte oder wollte. Aber immerhin konnte sie sich sicher sein, dass der COLUMBIA eine Katastrophe, wie sie die KNOX oder die ANZAC zum Opfer gefallen waren, erspart geblieben war. Sie hatten überlebt. Und das war schon so etwas wie ein Sieg.
„Was erwarten Sie eigentlich von mir, Admiral?“
„Dass Sie sich meine Worte zumindest überlegen. Sie können ihren Leuten nicht helfen, wenn Sie weiter in Einzelhaft sind.“
„Und ich nütze Ihnen so auch nicht viel.“
Taran grinste raubtierhaft, auch wenn das bei den Akarii ja eigentlich immer der Fall war: „Nur als Trophäe. Und ich glaube nicht, dass Sie mit dieser Funktion zufrieden wären.“

Sonst gab es erst einmal nicht mehr viel zu sagen, und keine halbe Stunde später fand sich Raven in ihrer Zelle wieder, die nach dem Ausflug in die Normalität – soweit man einen bewachten ‚Ausflug‘ auf einem imperialen Träger und ein Dinner mit dem feindlichen Oberbefehlshaber als ‚normal‘ bezeichnen konnte – besonders deprimierend wirkte. Was höchstwahrscheinlich beabsichtigt gewesen war. Selbstkritisch fragte sich Raven, wie sehr die Aussicht auf eine etwas bessere Unterbringung und Kontakt mit anderen Gefangenen ihre Entscheidungsfindung zu beeinflussen drohte. Sie hatte vieles zu bedenken…

***

„Glauben Sie, dass Commander Burr anbeißt?“
„Ich bin zuversichtlich.“
„Wenn sie klug ist, dann weiß sie, dass Ihr Vorschlag nur ein Vorwand ist. Unsere Kriegsgefangenen könnten wir auch so unter Kontrolle halten. Selbst wenn wir die Hälfte von ihnen in Stasiskammern stecken müssen. Sobald wir wieder imperiales Gebiet erreicht haben, kommen sie sowieso in die Lager. Und soviel ich weiß, herrscht bei der Armee ein anderer Wind. Und Prominente wie Burr werden ohnehin zusammen mit allen Offizieren ab dem Kapitänsrang in das imperiale Kerngebiet verschickt.“
„Soweit das möglich ist. Aber sie haben Recht, seit dem Verlust eines unserer größeren Kriegsgefangenenlager will man hochrangige Gefangene nicht mehr im frontnahen Gebiet behalten. Dass wir Jors persönliche Trophäe verloren haben…
Aber darum geht es ja gar nicht. Ich will ein…Band zu einigen der höherrangigen Gefangenen knüpfen. Ob die Basis Eigennutz oder tatsächliche Kooperation und Engagement ist, spielt dabei nur eine zweitrangige Rolle.“
„Es wundert mich, dass sie ihr nichts davon erzählt haben, wie Großadmiralin Rian die ‚Große Armada‘ zur Ader gelassen hat.“
Der Admiral lächelte grausam: „Bei der Schlacht wäre ich gerne dabei gewesen. Nun immerhin…wir können darauf stolz sein, zu diesem Sieg indirekt beigetragen zu haben.“
„Und der Draned-Sektor dürfte erst einmal sicher sein.“
„Ja…“, das kalte Lächeln vertiefte sich, „Zeit, sich um diesen Verräterabschaum zu kümmern, der sich vom Imperium losgesagt hat. Falls sie mit Unterstützung durch die TSN gerechnet haben – damit dürfte es jetzt wohl erst einmal vorbei sein. Außer zu etwas Grenzkrieg dürften den Menschen an dieser Front erst einmal die Mittel fehlen.
Aber was ihre Frage angeht…diese Nachricht hätte sie wohl eher verstockt reagieren lassen. Also alles zu seiner Zeit.“
„Wenn Sie das sagen…“
„Und entspannen Sie sich, Los. Kriegsminister Jockhams ‚Seid-nett-zu-den-Affen‘-Spleen bedeutet nun einmal, dass wir unsere Gefangenen besser behandeln müssen. Und bei der Gewinnung von Informationen nicht das gesamte Instrumentarium einsetzen, das uns eigentlich zur Verfügung steht.“
„Sagen Sie das mal der Armee und dem Geheimdienst.“ spottete Los abfällig.
„Im Draned-Sektor werden sie die Richtlinien befolgen, die ich ihnen gebe, oder es wird sehr ungemütlich für sie werden. Und was andere Sektoren angeht – das ist Tobariis Problem.“
„Nach allem was ich von ihm gehört habe, ist er ein derartiger Pedant, dass er tatsächlich versuchen könnte, sich darum zu kümmern. Soll er doch – solange er mit der Bürokratie und den Diensten kämpft, kommt er wenigstens nicht auf weitere derart großartige Ideen oder versucht, den Krieg selber zu führen. Mögen uns die Götter davor bewahren.“
„Sie verbringen zu viel Zeit mit Matir. Ich stelle fest, dass seine Ansichten abfärben.“
„Sogar er hat manchmal Recht.
Und da wir schon mal bei unserem edlen Kriegsminister sind…die Neuigkeiten haben sie ja schon gehört, mein Lord?“
Tarans Miene blieb ausdruckslos: „Das wir einen neuen Anwärter auf den Thron haben? Ich habe davon gehört.“

Nach Thera Los Meinung hatte Taran diesen politischen Donnerschlag erstaunlich gleichmütig akzeptiert. Sollte er nämlich jemals WIRKLICH ein noch so schwaches Interesse daran gehabt haben, gestützt auf die Verwandtschaftsbeziehungen seines Hauses zu etlichen imperialen Dynastien selber nach der Krone zu greifen, dann hätte diese Nachricht ein herber Schlag sein müssen.
Aber soweit sie wusste, hatte Taran ja schon relativ frühzeitig auf die Jockham/Linai-Karte gesetzt, war mit dem…Günstling der kaiserlichen Prinzessin befreundet gewesen, und hatte deshalb eher Grund, die Neuigkeiten zu begrüßen. Vielleicht war er auch einfach nur erleichtert, dass es jetzt für ehrgeizige Thronprätendenten ein lohnenderes Ziel gab, als ein an der Peripherie operierender Admiral zweiter Klasse mit bestenfalls vagen Ansprüchen.

„Wir sollten froh sein. Diese Schwangerschaft wird von vielen als ein Zeichen der Erneuerung verstanden werden. Als ein Symbol dafür, dass das Spiel der Gezeiten sich umkehrt, dass die Terranerflut ihren Scheitelpunkt erreicht hat.
Als Enkel von Imperator Eliak hat Linais ungeborener Sohn den sichersten Anspruch auf den Thron. Und das wird vielleicht einige…überambitionierte Verwandte davon abhalten, verführt von Träumen imperialer Allmacht irgendwelche…Dummheiten zu begehen.“
„Oder sie eher noch dabei befeuern. Niemand kämpft so gnadenlos wie der, der alles zu verlieren fürchtet. Und die Menschen?! Die werden dann wohl voller Furcht vor den vollgeschissenen Windeln unseres neuen Imperators erstarren?!!“
Dieser Ausbruch überraschte sogar Thera Los selber. Kurz zuckte es umTarans Mundwinkel: „Ich hoffe doch sehr, dass sie solche Sprüche nicht in der Öffentlichkeit äußern.“
„Weil es die Wahrheit ist?“
„Ein fähiger Imperator mag ein Bonus sein. Aber er ist keine zwingende Bedingung. Eliak…“
„Eliak hat seit über einem Jahr im Sterben gelegen, ja. Aber wir alle haben ja gesehen, wie gut es dem Imperium DAMIT ergangen ist. Und ich kann mich an keinen Imperator erinnern, der das Imperium mit einem Sabberlatz um den Hals gerettet oder erweitert hat.“
„Sehr…farbig. Aber das ist so nicht ganz richtig. Schon mehrmals hat in einem solchen Fall ein Regent – oder ein Regentschaftsrat – eine sehr erfolgreiche Politik geführt.“ Allerdings fehlte es Tarans Worten an Enthusiasmus, und der unvermeidliche Konter folgte sofort: „Über DEN Teil unserer Geschichte brauchen Sie mich nicht zu belehren. Ich weiß sehr gut, wie häufig so etwas fürchterlich schiefgegangen ist. Wen wollen Sie also überzeugen?“
‚Vielleicht mich selbst?‘ „Ich verstehe ja ihre Besorgnis, aber so ist nun einmal die Realität. Wir müssen sie akzeptieren und das Beste daraus machen. Wir…“
„Sagen Sie mir jetzt nicht, dass wir einen Eid geschworen haben. Auch das weiß ich nämlich. Und Sie waren es doch, der immer der Meinung war, unser Eid und unsere Treue gehörten in erster Linie dem Imperium. Nicht…“
„Vorsicht Los. Sie bewegen sich über gefährliches Terrain. Sogar hier. Dieser Raum sollte sicher sein. Dennoch…
Und auch wenn Linais Sohn erst in zwanzig Jahren den Thron besteigen kann, er kann schon jetzt eine mächtige Waffe gegen die Menschen sein. Als ein Symbol.“
„Und als Handpuppe für einen Regentschaftsrat oder seinen Vater. Hah! Wer auch immer das sein mag!“
„Jetzt reicht es aber, Los. Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, Sie sollten mit solchen Äußerungen vorsichtig sein.“
„Aber das weiß doch jeder.“
„Selbst wenn an diesen…Vermutungen etwas dran sein sollte, Linais Sohn legitimiert sich durch seine Mutter. Nicht ihren Vater.“
„Ja, was für ein Glück. Gute Gene bekäme er nämlich von keinem der Kandidaten…“
„Ich glaube, wir haben jetzt lange genug über die Erbanlagen des Thronprätendenten gesprochen. Lassen Sie ihn erst einmal auf die Welt kommen, ja?“
Tarans Stabschefin sah zwar so aus, als hätte sie noch ein oder zwei bissige Bemerkungen auf Lager – sie war WIRKLICH kein Fan der kaiserlichen Familie – aber fürs erste hatte sie offenbar genug Dampf abgelassen. Kurz fragte sich Taran, ob dieser Ausbruch eine Nachwirkung von Thera Los…unglücklicher Begegnung mit Prinz Jor war, oder ob da mehr dahintersteckte: „Zurück zu unserem Tischgast. Abgesehen von dem Versuch, für gutes Wetter bei unseren…Dauergästen zu sorgen…
Die Aufnahmen von unserem gemeinsamen Essen haben auch einen gewissen psychologischen und propagandistischen Wert.“
„Meinen Sie, Admiral? Ich weiß schon, was viele Ihrer eher…traditionell eingestellten Kollegen dazu sagen würden.“
„Im Augenblick weht aber ein anderer Wind von Akar. Und bis zu dem Tag, da Tobarii über seine eigenen Füße stolpert, ein Regentschaftsrat installiert wird, oder der Adelsrat gar doch noch einen von Jors Cousins zum neuen Imperator wählt, sollten wir besser tun, was uns der Kriegsminister nahelegt.
Zumindest wenn es nicht völlig blödsinnig ist. Oder zu viel Mühe macht.“
Kapitänin Los schnaubte nur mäßig amüsiert: „Wer klingt jetzt wie Matir? Und Jockhams Idee kommt ein bisschen spät. Man kann ein paar Jahre Krieg – und Jahrzehnte der Propaganda – nicht so einfach beiseite wischen. Von der Borealis-Doktrin mal ganz zu schweigen. Traumläufer…“
„Sicher sehen das unsere friedensbewegten Reformer und Progressivisten zu einfach. Aber irgendwo muss man anfangen, wenn man mit der Idee einer politischen Lösung und eines Verständigungsfriedens spielt.“
„Sind Sie sicher, dass Tobarii so weit gehen will? Ein Frieden ohne Annektionen, am Ende sogar mit Gebietseinbußen? Alleine die Idee könnte für manchen genug sein, um nach einer…sehr traditionellen Lösung zu greifen.“
„Und wäre das nicht ein Jammer.“ Admiral Tarans Stimme klang so ausdruckslos, dass sich Thera Los nicht ganz sicher war, wie sie seine Worte verstehen sollte. „Aber Sie haben Recht, Los. Der Frieden mit der Konföderation war für die Expansionisten und Teile der Traditionalisten schon schlimm genug, obwohl wir damit letztendlich eine komplette Front neutralisieren konnten. Und die Konföderation war nie der Hauptgegner, tut jetzt alles, um dem Imperium zu gefallen und den Frieden lastet man vor allem Allecar und Linai an.
Aber worauf sollen denn die Anwandlungen unseres Kriegsministers – und meines ein wenig zu idealistischen Freundes Dero – denn sonst hinauslaufen, wenn nicht die langfristige Perspektive eines Verhandlungsfriedens?
Sollten wir also irgendwann Gespräche mit der Republik einleiten wollen, wären die Gefangenen ein wichtiger Aktivposten. Und deshalb müssen wir sie pfleglich behandeln und in ihnen mehr sehen, als neutralisierte Mannschaften des Feindes, eine Informationsquelle - und eine Trophäe.“
„Da wir schon dabei sind – der Geheimdienst macht offensichtlich Fortschritte bei einigen der Militärsträflinge die wir im Parrak-System kassiert haben. Wie wir vermutet haben. Dass die TSN sie zu langjährigen Haftstrafen oder sogar dem Tod verurteilt hat, hat etliche dazu veranlasst ihre Loyalitäten zu überdenken.
Allerdings frage ich mich, wie zuverlässig solche Typen sind.“
„Auf jeden Fall liefern sie uns so bessere und zuverlässigere Informationen. Und wer weiß…ein paar kann der Geheimdienst ja vielleicht tatsächlich als Einsatzagenten rekrutieren.“
„Meiner Meinung nach taugen die höchstens dazu, die Reihen der Piraten aufzustocken, die im terranischen Hinterland operieren.“
„Ich werde Ihre Empfehlung im Hinterkopf behalten…“

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Das einzig wahre Ziel

TRS-Relentless, Sterntor-System, drei Wochen nach der Flucht der Akarii

Auf der Sekundärbrücke des schweren Kreuzers Relentless herrschte drückendes Schweigen. Das lag nicht etwa daran, dass der Raum verwaist gewesen wäre, im Gegenteil. Man hatte sogar zusätzliche Stühle herangeschafft und aufgestellt, und alle waren sie besetzt. Das Publikum bestand nur zum Teil aus Offizieren der Relentless, viele der Anwesenden stammten von anderen Kreuzern der Schwadron. Es war eine Versammlung, so bunt, wie sie sich kaum in einer anderen zufällig ausgewählten Gruppe auf einem der Planten der FRT gefunden hätte. Menschen aller Hautfarben, Herkunft, Alter und Religion, Männer und Frauen, die nur die Uniform gemeinsam hatten. Und jetzt, zumindest in diesem Moment, teilten sie die Faszination des Entsetzens, als Zaungäste einer Katastrophe, die entsetzlich war, von der sie sich aber doch nicht abwenden konnten.
Die großen taktischen Bildschirme, die sonst dazu dienten das Schiff, nötigenfalls auch eine ganze Schwadron oder noch mehr in die Schlacht zu führen, zeigten diesmal nicht das System, in dem sich der Kreuzer gerade befand, sondern einen viele Lichtjahre entfernten Stern – Sigma Norell, den die Akarii Taori Majoris l nannten. Und anstatt einen gerade stattfindenden Kampf darzustellen oder für Planungen für ein kommendes Gefecht genutzt zu werden, zeigten sie eine Schlacht, die bereits geschlagen war. Auf einem halben Dutzend Projektoren erwachte die 2. Flotte zum Leben, eine Flotte, die es so nicht mehr gab. Es war ein grandioser Anblick, drei schwere und ein halbes Dutzend leichte Träger, eskortiert von rund fünfzig Kreuzern und noch einmal doppelt so vielen leichten Einheiten, mit rund 600 Jägern, Jagdbombern und Bombern – doch ihren Gegnern deutlich unterlegen. Das Material, das auf den Aufzeichnungen dutzender Schiffe beruhte, war bearbeitet und von Spezialisten zu einem komplexen aber wirklichkeitsnahen Bild zusammengeschnitten worden. Totalen wechselten sich mit Detailsimulationen ab, auf einigen Bildschirmen liefen die Ausschnitte, die auf den Sensoren der terranischen Kampfflieger basierten. Die taktischen Befehle des Flottenkommandos und der einzelnen Schwadronskommandeure wurden ebenfalls berücksichtigt. Das alles ergab eine Flut von Informationen, die nur geschulte Augen und Ohren auswerten konnten.
Rear-Admiral Mithel hatte einen Platz vorne links im „Auditorium“ gefunden. Er hatte sich bewusst so postiert, dass er nicht nur die Bilder betrachten konnte, wegen derer sie alle hier waren, sondern auch die Gesichter seiner Untergebenen. Es ging nicht nur darum, aus den Erfolgen und Fehlern der Vergangenheit die richtigen Lehren zu ziehen, Mithel war auch stets darauf bedacht, ein möglichst gutes Bild von seinen Untergebenen zu haben. Auch das würde eine Art Test sein, nicht nur die Schlachtanalyse, die jeder der Subalternoffiziere später anzufertigen hatte. Einige der Männer und Frauen hatten sich in den vergangenen Gefechten besonders bewährt, während anderen Anzeichen von Schwäche gezeigt hatten. Jetzt war es – in letzter Instanz, obwohl natürlich die Kapitäne da ein gewichtiges Wörtchen mitzureden hatten – an Mithel, darüber zu entscheiden welche Karriere einen entscheidenden kleinen Schubs in die richtige Richtung bekommen sollte, und welche zum Wohle des Großen Ganzen abrupt enden würde. Darüber hinaus war Mithel kein Mann, der seinen Untergebenen nicht zutraute, Dinge zu finden, die anderen, auch ihm, entgangen waren. Mithels zweifelsohne gut entwickeltes Ego – hatte man keines, wurde man gar nicht erst Kapitän, geschweige denn Admiral – hatte keine Probleme, auch die Meinungen von Untergebenen zu berücksichtigen, solange dies einen gewissen Rahmen nicht sprengte.
Die Gefühle, die er in den Mienen der Männer und Frauen erkannte, waren dieselben, die auch er spürte, er verbarg sie nur etwas besser. Da war Unglauben, Schock, Enttäuschung, Trauer – und Hass. Dinge, die er selber genau so fühlte, obwohl er, anders als die meisten seiner Untergebenen, die Bilder nicht zum ersten Mal sah. Was das anging, war es nicht einmal mehr das zehnte Mal. Und dennoch, er konnte sich Ihrer Wirkung unmöglich entziehen…

Admiral Renault war es über Wochen gelungen den Akarii auszuweichen. Er hatte ihre Hauptflotte hinter sich her gezogen, und war dabei keineswegs nur passiv vorgegangen. Die Verfolgung hatte die imperialen Streitkräfte vermutlich ein gutes Dutzend Schiffe von Korvetten bis zu Kreuzern gekostet. Sie waren durch terranische Minen zerstört oder schwer beschädigt worden, und noch mehr Schiffe hatten leichtere Schäden hinnehmen müssen. Einmal hatte der terranische Admiral zwei Jagdbomberstaffeln an einem Sprungpunkt zurückgelassen, die in einem brutalen Überraschungsangriff zwei Zerstörer und zwei Fregatten des Gegners zerstört oder wrackgeschossen hatten, bevor sie dem abdampfenden Verband der TSN gefolgt waren. Die eigenen Verluste waren minimal gewesen, denn die imperiale Vorhut hatte nicht über Jäger verfügt. All das musste an der Kampfmoral der Akarii gezehrt haben, obwohl sie natürlich Auftrieb bekamen, weil die Menschen vor ihnen zurückwichen. Aber jedes Mal, wenn die imperiale Flotte in ein neues System sprang, warteten neue Minenfelder auf sie, und da war natürlich die quälende Ungewissheit, ob es diesmal zum Kampf kommen würde. Und trotz eigener Übermacht blieb vermutlich die quälende Ungewissheit, ob man diesen Kampf würde gewinnen können, nach all den Niederlagen der letzten Jahre.

In dem Moment, als er dann nicht mehr zurückweichen konnte, handelte der terranische Admiral mit einer Aggressivität und Umsicht, die den Ruf der 2. Flotte rechtfertigten.
Er eröffnete die Schlacht gegen die feindliche Hauptflotte entschlossen, mit einem massierten Angriff seiner Bomber und Jagdbomber. Hinter den agilen Kampffliegern marschierten die Kreuzerschwadronen der 2. Flotte auf. Renault war keiner der Admiräle, die das Potential ihrer konventionellen Kriegsschiffe gering achteten, wie einige Träger-Kommandeure. Ihm war zudem klar, wenn er hier siegen – oder auch nur überleben – wollte, dann musste er den Gegner so schnell wie möglich niederkämpfen, seine Hauptflotte vernichten oder zumindest schwer anschlagen, und dann die Deckungsflotten der Akarii, die an den Sprungpunkten standen, entweder in die Flucht schlagen oder besiegen.
Das hieß natürlich nicht, dass der Admiral auf taktische Winkelzüge verzichtet hatte. Er versuchte, seine Karten möglichst gut auszuspielen. So waren sämtliche ECM/ECCM-Einheiten im Einsatz, und auch die schweren Einheiten taten ihr Möglichstes, um die Zielerfassung des Gegners zu stören. Die angreifenden terranischen Kampfflieger hatten im Vorfeld eine aufgelockerte Formation gebildet, die es dem Gegner schwer machte, Schwerpunkte zu erkennen. Erst unmittelbar vor ihren Zielen formierten sich die Terraner mit einer Eleganz und Routine, die beeindruckend waren.
Für die Betrachter auf der Relentless war es leicht, die Taktik der Terraner zu durchschauen, leichter als es dem Gegner gefallen war. Der massive Störsender-Einsatz sollte nicht nur die Zielerfassung der Imperialen erschweren – er sollte auch verschleiern, dass Renault mehrere kampfstarke Zerstörerverbände an den Flanken vorschickte, die den gegnerischen Verband umgehen und in die Flanke fallen sollten. Außerdem hatte er seine Dauntless-Kreuzer möglichst weit vorne postiert, was seinen Einheiten einen Vorteil in der elektronischen Kriegführung gab – und als die Jäger der Akarii vorstießen um die terranischen Bomber und Jagdbomber möglichst frühzeitig abzufangen, begleitet von Jagdbomberstaffeln für Störangriffe auf die Kreuzer, gerieten sie in ein mörderisches Sperrfeuer von gut einem Dutzend Flakkreuzern, das mehrere Staffeln in wenigen Minuten praktisch aufrieb.

Es war ein Plan, der hätte funktionieren können – wäre der Gegner taktisch einfallslos oder ungestüm gewesen. Einen Prinzen Jor oder einige andere Akarii-Admiräle – die meisten freilich inzwischen tot, gefangen oder aufs Abstellgleis geschickt – hätte man so übertölpeln können. Aber nicht Großadmiralin Rian.
Sie hatte ihre Golfkreuzer vorsorglich ebenfalls vorne postiert, und so entdeckten die Akarii das feindliche Flankenmanöver rechtzeitig. Dabei kam ihr zugute, dass die Golf ihren terranischen Pendants deutlich überlegen waren, wenn es um das Überleben in der Schlachtreihe ging.
Die leichte Vorfeldsicherung der imperialen Streitkräfte ließ sich fast augenblicklich zurückfallen um sich neu zu gruppieren, und machte den Weg frei für die schweren Kampfkreuzer. Die Schlacht war fast sofort zu einem Duell der Giganten geworden, in der sich dutzende Kreuzer mit koordinierten Salven belegten, ein Zusammenballung von Feuerkraft, wie es sie selbst in diesem interstellaren Krieg selten gegeben hatte. Die Lebensdauer von Schiffen zählte in so einem Gefecht nach Minuten. Auf wen sich erst einmal das Feuer einen Halb- oder einer ganzen Schwadron konzentrierte, der hatte kaum eine Überlebenschance. Die Namen und Anzeigen flackerten und verschwanden fast schneller, als man mitverfolgen konnte. Schiffe aller Klassen und Größen: die Piet Heyn, die Chevau-léger, die Boudica, die Terreur… Es waren Schiffe, die zum Teil jahrelang treue Dienste geleistet und in vielen Schlachten gekämpft hatten, die dabei gewesen waren, als die 2. Flotte das Kriegsglück gewendet hatte, vielfach gezeichnet aber auch ruhmbedeckt durch die vergangenen Kämpfe. Nun verschlang sie dasselbe Feuer, in dem sie so oft ihre Feinde vernichtet hatten. Es war ein geringer Trost, dass sich auf der Gegenseite die Ausfälle fast genauso schnell häuften. Selbst einem Betrachter wie Chris Mithel, der vergleichbare Bilder schon oft gesehen, und in vielen ähnlichen Schlachten gekämpft hatte, fiel es schwer, mit rein analytischem Blick das Geschehen zu verfolgen.

Um ein Haar wäre es Rian gelungen, schon in diesem Waffengang das Schicksal der 2. Flotte zu besiegeln. Es war nicht nur feindliche Übermacht, es war auch als ob die imperialen Streitkräfte mit einem Mal etwas zurückgewonnen hätten, was ihnen an der Front gegen die TSN lange gefehlt hatte. Die schwer zu beschreibende Eigenschaft, die man Kampfgeist nannte, die mehr war als Opferbereitschaft oder Gehorsam – diesen Kampfgeist hatten die Akarii lange vermissen müssen. Sicher war es nicht nur die neue Kommandeurin, die dies geändert hatte. Da waren die Nachrichten von anderen Fronten, die den imperialen Flottensoldaten wieder Hoffnung gaben, und vielleicht lag es auch daran, dass inzwischen all jene, die man mit dem Ausbruch des Krieges, mit den Fehlentscheidungen der letzten Jahre verband, nicht mehr in Amt und Würden waren.
Das Blatt schien sich endgültig gegen die Menschen zu wenden, als ein massierter Angriff der neu formierten leichten Akarii-Einheiten mitten in das Herz der terranischen Formation traf. Normalerweise wäre es Wahnsinn gewesen, so etwas zu wagen, aber die schweren Kreuzer der Menschen waren in erbitterte Nahkämpfe mit ihren imperialen Gegenspielern verstrickt, und wurden zudem durch die verbleibenden Jagdbomber und Bomber der Akarii massiv unter Druck gesetzt. Der imperiale Angriffsverband war zudem reichlich mit Flak-Fregatten und Korvetten bestückt, die eine effektive Absicherung gegen terranische Kampfflieger und die Raketensalven der Großkampfschiffe darstellten. Von einer rein professionellen Warte aus bewunderte Rear-Admiral Mithel dieses Vorgehen. Es zeigte, dass Rian eine mehr als ebenbürtige Gegnerin war, eine Kommandeurin, die wirklich jedes ihrer Werkzeuge effizient einzusetzen verstand. Viele Admiräle favorisierten eine bestimmte Waffengattung, verließen sich in erster Linie, manchmal zu sehr, auf diese. Rian offenbar nicht.
Es war nur eine Halbschwadron aus zwei schweren und zwei leichten Kreuzern der Schwadron 2.9, die sich den Akarii direkt in den Weg stellten. Mithel kannte den Kommandeur gut. Mutiu Otaka war gebürtiger Seaforter. Sie beide hatten schon vor dem Krieg gemeinsam gedient, und während der ersten blutigen Jahre des Konflikts mit den Akarii waren sie beide aufgestiegen. Nun musste der Rear-Admiral mit ansehen, wie sein alter Kamerad seinen letzten Kampf austrug. Binnen fünf Minuten zerstörten seine Schiffe acht Akariis oder schossen sie so zusammen, dass an eine Reparatur kaum noch zu denken war, und beschädigten mehrere weitere Gegner – doch dann waren auch die vier terranischen Kreuzer vernichtet, nur noch brennende Wracks, die meisten Besatzungsmitglieder, tot, verwundet, verschollen. Commodore Otaka fiel, als ein wracker Akarii-Zerstörer, ob absichtlich oder nicht, sein Flaggschiff rammte.
Die Imperialen waren nicht gewillt, ihren Vorteil aus der Hand zu geben. Ihre Zerstörer deckten die terranischen Träger mit einem mörderischen Geschütz- und Raketenfeuer ein. Was nützte es, dass sie noch einmal ein halbes Dutzend Schiffe verloren? Im Gegenzug schossen sie die Corsfield in Brand, und wenig später teilte der leichte Träger Galileo das Schicksal seines größeren Bruders. Der Majestic-Träger Resolute wurde schwer beschädigt.

Es waren Momente wie dieser, die schmerzten. Mithel hatte die Männer und Frauen gekannt, die dort fielen. Er hatte die Schiffe gekannt, die jetzt vernichtet wurden. Und das galt nicht nur für die Kreuzer. Die Galileo…er hatte sie auf seiner ersten Feindfahrt als Kapitän der Relentless eskortiert. Damals waren gut drei Viertel des Geschwaders durch ein imperiales Schlachtschiff vernichtet worden. Der Kapitän der Galileo, ein Mann, für den vorsichtig nach Mithels Meinung eine zu freundliche Bezeichnung war, hatte den Rückzug befohlen. Das hatte ihm die Karriere gekostet und seinem Schiff den Ruf eines glücklosen Feiglings eingetragen. Doch unter Captain Mayor, der dann das Kommando über die Galileo übernommen hatte, hatte der leichte Träger mehr als einmal lobende Erwähnung in den Flottenkommunikees gefunden. Sein Geschwader, die Banshees, hatten im Laufe der folgenden Jahre drei Kreuzer und ein halbes Dutzend kleiner Kriegsschiffe sowie gut 100 Jäger und zwei Dutzend Frachter vernichtet. Doch diesmal kündete der ,Todesschrei der Banshees’, ein infernalisches Breitbandgeheul, mit dem sie üblicherweise ihren Angriff auf den gegnerischen Funkkanälen begannen, den eigenen Untergang an. Mithel kannte die Zahlen – zwei Drittel des Geschwaders gefallen oder verschollen, das hieß im ,günstigsten Fall’ gefangen. Für mehr als die Hälfte der Crew und den Kapitän galt dasselbe.
An diesem Punkt hatte es so ausgesehen, als ob Rian die 2. Flotte nicht nur schlagen, sondern vernichten könnte. Nur ein wenig mehr – noch ein harter Schlag gegen die verbleibenden TSN-Träger…
Es war Renaults anfänglicher Flankenangriff, der die 2. Flotte rettete. Der Kampfgeist der Akarii mochte sich gebessert haben, aber man konnte nicht aus jedem Herzen den Albdruck von mehreren Jahren voller Niederlagen austreiben. Während die rechte Flanke der Akarii hielt, brach ihre linke unter dem Angriff der Terraner ein – auch weil die Akarii das Risiko eingegangen waren und vor allem ihr Zentrum stark gemacht hatten. Rian musste umgruppieren, um zu verhindern, dass ihre eigenen Träger aufgerieben wurden. Es kam sogar noch schlimmer, denn dieses Chaos gab den terranischen Bombern die Chance, die sie benötigten, um tief in das Herz der imperialen Flotte vorzudringen. Ein Flottenträger erhielt so schwere Treffer, das er voraussichtlich für Monate ausfallen würde. Einen zweiten erwischte es noch schlimmer. Im Kreuzfeuer zwischen Zerstörern und Bombern wurde er so schwer getroffen, dass die Akarii das Schiff aufgeben mussten. Und damit waren die Rückschläge für die kaiserliche Flotte noch nicht vorbei. Es war noch immer nicht klar, WAS eigentlich einen dritten Flottenträger des Feindes vernichtet hatte, klar war nur, dass das Schiff nach vergleichsweise wenigen Treffern explodiert war, und schweren, ja katastrophalen Verlusten. Bei einigen der feindlichen Trägerschiffe war sich Mithel nicht ganz klar, um was es sich eigentlich handelte. Als er die Aufnahmen das erste Mal sah, hatte sich Mithel einen Moment gefragt, ob es sich dabei auch um Köder gehandelt hatte, wie in der Schlacht bei Masters. Aber die Aufzeichnungen widerlegten diese Befürchtungen. Die Schiffe hatten zweifellos Gefechtsmaschinen gestartet, und sich viel effektiver verteidigt als ein Köder. Einer der unklassifizierten Träger war bei seinem ersten Einsatz prompt vernichtet worden. Vielleicht handelte es sich um einen noch unausgereiften Schiffstyp oder, am wahrscheinlichsten, einfach um eine Verkettung von aus menschlicher Sicht glücklichen Umständen. Wie dem auch sei, diese Verluste waren schwer, ja fast schon katastrophal zu nennen. In einer anderen Schlacht wäre das die Chance gewesen, das Blatt zugunsten der Menschen zu wenden. Aber dazu waren die Akarii zu gut geführt. Sie kämpften nicht nur verbissen, sondern auch koordiniert. Doch wenigstens ermöglichte es dieser imperiale Rückschlag Renault, sich vom Feind zu lösen. Aber er hatte einsehen müssen, dass er diese Schlacht nicht mehr gewinnen konnte. Vor allem, da der Gegner weitere Verbände an den Sprungpunkten in Reserve hatte.

Der angeschlagenen Flotte der Menschen war nur der Rückzug geblieben. Das war eine schmerzliche Entscheidung – mehrere Schiffe, darunter die Resolute, mussten zurückgelassen werden. Sie waren zu schwer beschädigt, um mit der Flotte Schritt zu halten. Sich ihrem Tempo anzupassen hätte bedeutet, der feindlichen Hauptflotte Gelegenheit zu geben, ihr Vernichtungswerk zu vollenden. Die Entscheidung, die Havaristen aufzugeben und zu sprengen war zweifelsohne richtig, aber Mithel vermutete, dass Renault sich dafür würde rechtfertigen müssen. ,Wenn das so weitergeht, sollten wir aufpassen, wen von unseren Flottenkommandeuren überhaupt noch übrig behalten.’ dachte er bitter.
Was dann folgte, war eine erbitterte Aufholjagd zum Sprungpunkt. Die leichten terranischen Einheiten und Flakkreuzer, unterstützt durch die verbleibenden Kampfflieger, bildeten die rückwärtige Sicherung. Immer wieder unternahmen sie schnelle Vorstöße auf die verfolgenden Imperialen. Großadmirälin Rian hatte nicht lange gebraucht, das Durcheinander in ihren Reihen in den Griff zu bekommen. Ihre schnellen Einheiten versuchten unter Verlusten, zum Kern des terranischen Verbandes durchzubrechen, aber sie mussten sich damit begnügen, noch ein paar leichte und mittelschwere Einheiten zu zerstören.

Erst kurz vor dem Flucht-Sprungpunkt wurden die Kämpfer noch einmal härter. Der Blockadeverband der Akarii stellte sich, obwohl zahlenmäßig unterlegen, den Terranern entschlossen in den Weg – direkt vor die Geschützrohre der verbleibenden TSN-Kreuzer, die den Rammbock für Renaults Flucht darstellten. Renault scheute sich auch nicht, seine leichten und schweren Träger in den Gefechtseinsatz zu schicken. Wollte er entkommen, dann musste er den Weg zum Sprungpunkt freikämpfen, oder er wurde zwischen den beiden feindlichen Verbänden aufgerieben. Gleichzeitig warf Rian von hinten alles an Kampffliegern nach vorne, was sie noch aufbieten konnte. Sie konnte es sich leisten, ihre langsameren Träger in der Rückhand zu behalten.
Vor den Augen der gebannt zuschauenden Offiziere der Kreuzerschwadron entfaltete sich der letzte Akt des Dramas. Der Blockadeverband der Akarii wurde niedergekämpft, doch die Kriegsschiffe des Imperiums verkauften sich teuer. Drei ihrer Kreuzer brachen durch den Sicherungsschirm und besiegten den leichten Träger Mercury in einem erbitterten Nahkampf. Am Ende waren zwei der Kreuzer schwer beschädigt, aber die Mercury war verloren. Rians Kampfflieger erzielten binnen 30 Sekunden fünf Volltreffer auf der Melbourne. Das stolze Schiff, das praktisch alle größeren Schlachten der 2. Flotte mitgemacht hatte, taumelte mehr, als das es fuhr, als es sich quälend langsam in Sicherheit schleppte. Ganze Sektionen waren aufgerissen, an Dutzenden Stellen entwich Luft, loderten Brände.
Doch letzten Endes waren die Akarii nicht schnell genug, wurde die Blockadeflottille zu schnell aufgerieben und in die Flucht geschlagen, als dass Rians Falle so wie geplant funktioniert hätte. Blutend, geschlagen, traten die menschlichen Verbände den Rückzug an. Hinter sich ließen sie ein weiteres Sternensystem, das in diesem inzwischen endlos lang wirkenden Krieges zu einem Friedhof geworden war.

Als die letzten Aufzeichnungen flackernd erloschen, in dem Moment, wo das letzte terranische Schiff das System verließ, war die drückende Stille kaum mehr auszuhalten. Nun zeigten die Bildschirme nur noch die grausige ,Schlachterrechnung’. Auf Seiten der Menschen war der schwere Träger Corsfield vernichtet, die Melbourne aufs schwerste beschädigt. Vernichtet waren auch die leichten Träger Galileo, Resolute und Mercury. Acht schwere und 14 leichte Kreuzer waren verloren, ebenso 18 leichte Einheiten – Zerstörer, Fregatten, Korvetten, Trossschiffe, Minenleger und –räumer. Fast 300 Kampfflieger mussten als Verlust verbucht werden. Zu den Totalverlusten kamen unzählige beschädigte Einheiten. Die menschlichen Verluste ließen sich nicht einmal annähernd beziffern, und viele, die es noch aus ihren wracken Schiffen und Jägern geschafft hatten, waren in Gefangenschaft geraten. Die Verluste der Akarii waren nur zum Teil ein Trost – zwei schwere Träger vernichtet, ein weiterer beschädigt, zwei Golf-Kreuzer zerstört, dazu rund ein Dutzend anderer Kreuzer und gut zwei Dutzend leichte Einheiten. Dazu kamen vermutlich 250 bis 300 zerstörte Kampfflieger, vielleicht sogar noch mehr. Aber die Echsen würden wesentlich mehr ihrer schiffbrüchigen Kameraden aufsammeln können, und beschädigte Schiffe konnte man reparieren. Es war, alles in allem, eine herbe Niederlage für die TSN. Nicht so sehr, weil die menschlichen Verluste deutlich höher gewesen wären als die ihrer Gegner, als vielmehr vor dem Hintergrund, was diese Niederlage für den gesamten Kriegsverlauf bedeutete. Nach dem blutigen Patt bei Karrashin, dem Wegfall der Konföderation und den Verwüstungen im Sterntor-System war dies der vierte Rückschlag für die sieggewohnten, ja –verwöhnten Menschen. Dass die Akarii aus der scheinbar sicheren Niederlage heraus so starke Verbände aufstellen und sie effektiv führen konnten, war mehr als ernüchternd. Die psychologischen Auswirkungen auf die menschliche Flotte, die Heimatfront und die kleineren Nachbarreiche ließen sich noch nicht einmal annähernd abschätzen, ebenso wenig wie die wirtschaftlichen Konsequenzen. Als kampffähige Einheit war die 2. Flotte praktisch ausgefallen, und würde Zeit brauchen, sich wieder zu erholen – Zeit, die die Menschheit vielleicht nicht mehr hatte.
Nicht wenige der Anwesenden hatten die bitteren ersten Jahre des Krieges nicht selber miterlebt – für sie war die Auseinandersetzung mit einer Niederlage etwas, das sie erst lernen mussten, denn darauf konnte man keinen an der Akademie vorbereiten. Natürlich waren sie alle Überlebende der brutalen Kämpfe in Sterntor selber, aber hier hatte man sich wenigstens damit trösten können, dass man den Gegner in die Flucht geschlagen hatte.

Mithel hütete sich, das Schweigen zu brechen. Wäre es sein eigener Flottenverband gewesen, der diese Niederlage erlitten hatte, hätte er vor den Offizieren gestanden, er hätte sein besten getan, sie moralisch wieder aufzurichten. Er war nicht das, was man einen wirklich guten Redner nennen konnte, oder zumindest schätze er sich nicht so ein. Aber er hatte Erfahrung, mit Siegen wie mit Niederlagen, und damit, wie Menschen damit umgingen. Aber hier und jetzt kam es ihm darauf an zu sehen, wie schnell sich seine Untergebenen fassten, wie gut sie den Schock in etwas Produktives umwandeln konnten, und inwieweit sie es verstanden, sich durch Gefühle nicht blenden zu lassen.
Das Öffnen der Brückentür und die aufklingenden energischen Schritte hoben sich deutlich von dem drückenden Schweigen ab und näherten sich schnell. Schließlich blieben sie abrupt stehen. Eine junge Stimme schnitt wie ein Messer durch die Stille auf der Sekundärbrücke des schweren Kreuzer: „Admiral Mithel?“
Rear-Admiral Mithel, der noch immer aufmerksam seine Untergebenen betrachtet hatte, unterdrückte ein schmales Lächeln, wenn auch eines, das nicht frei von Bitterkeit war, als er sich langsam zum Sprecher umdrehte. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich für einen Augenblick in die Vergangenheit zurückversetzt, zurück zur Ankunft bei der Perseus-Station, damals, vor so langer Zeit, kurz vor der Schlacht von Jollahran. Zu dem Zeitpunkt hatte man ihn gerade erst zum Kommandeur der Relentless ernannt, einem Schiff, das bis dahin noch keinen Schuss im Gefecht abgefeuert hatte. Ein langer Weg lag inzwischen hinter dem Kreuzer, seiner Crew und auch hinter ihm selber, ein Weg voller Siege, Verluste und Niederlagen. Manche würden sagen, dass sich in diesen Jahren alles geändert hatte – andere, dass im Grunde nichts anders war als damals. Noch immer kämpfte die Bundesrepublik um ihr Überleben, und der schon sicher geglaubte Sieg war wieder in weite Ferne gerückt. Selbst Mithel, der in diesem Krieg schon vieles miterlebt hatte, schauderte innerlich, als er an die letzten Schlachten dachte.
Aber die Menschen hatten in den letzten Jahren einiges gelernt, und wenn sie sich aus der Verzweiflung der ersten Kriegsmonate heraus gekämpft hatten, dann musste es einfach möglich sein, das Blatt noch einmal zu wenden. Und das würden diese unerfahrene Aushilfsimperatorin und ihre Untergebenen bald begreifen, wenn er ein Wörtchen mitzureden hatte.

Wenn der junge Ensign, der den Anlass für diese Gedanken gegeben hatte, irritiert war, weil der Admiral ihn warten ließ, dann ließ er sich dies nicht anmerken. Niedere Offiziersgrade waren die Aufmerksamkeit von Leuten, die in der offiziellen Hackordnung so weit über ihnen standen, ohnehin nicht gewöhnt und suchten meist jeden Kontakt zu vermeiden. Das galt in der Kreuzerschwadron Mithels vielleicht noch mehr als in einigen anderen Einheiten. Mithel gab dem jungen Flottensoldaten insgeheim Pluspunkte, dass er unter der stummen Musterung des gefürchteten Schwadronschefs nicht nervös wurde. Stattdessen blickte der junge Latino mit dem Bürstenhaarschnitt stur geradeaus, die eine Hand an der Stirn, die andere an der Seite.
Schließlich nickte der Rear-Admiral knapp: „Ja?“
„Sie hatten Anweisung erteilt, Ihnen Meldung zu machen. Wir haben jetzt eine Bestätigung. Die Vorbereitungen sind abgeschlossen. Ankunftsbestätigung der Shuttles in 15 Minuten plus.“
„Danke. Weitermachen.“
Mithel straffte er sich und wandte sich an die versammelten Offizieren. Seine harte, nüchterne Stimme war geeignet, auch den letzten aus der Trance zu rufen, in den er oder sie bei Anblick der Bilder der letzten Schlacht der 2. Flotte versunken war: „Meine Damen und Herren – Sie kennen Ihre Aufgaben. Sie haben die Möglichkeit, die Sensordaten für Studienzwecke herunterzuladen, denken Sie aber daran, dass diese Informationen der Geheimhaltung unterliegen. Reichen Sie ihre Analysen bis spätestens übermorgen ein. Und denken Sie immer daran, nur eines ist schlimmer als eine Niederlage – eine Niederlage, aus der wir nichts gelernt haben.“ Dann aktivierte er den Bordfunk zur Hauptbrücke: „Captain – bitte dirigieren Sie das Anlegemanöver. Wir treffen uns dann am Hangar.“

Eigentlich gab es abgesehen von der Flottenführung nicht viele Dinge, um die sich ein Admiral eigenhändig kümmern MUSSTE. Gute Kommandeure wussten das, und ließen ihren Untergebenen genug Freiraum, bei dem richtigen Maß an Kontrolle und Ansporn. Aber es gab einige Dinge, die auch ein Admiral besser nicht ausschließlich anderen überließ. Manchen stieg ihre Macht und ihr Ansehen – von der hübschen Uniform ganz zu schweigen – zu Kopf, und sie vergaßen, dass es Menschen gab, die ihnen vielleicht nicht vorgesetzt waren, aber denen auch ein kampfgestählter Veteran Respekt schuldete. Mithel hatte mehr als einen eigentlich talentierten – und noch mehr nicht so talentierte – Männer und Frauen über die in den Streitkräften nicht unbedingt seltene kleingeistige Arroganz gegenüber Außenstehenden stolpern sehen. Das würde ihm nicht passieren. Und so stand er nun in seiner prunkvollen Galauniform in der Offiziersmesse und ließ – nicht wie der Herr über Leben und Tod, sondern eher wie ein Hoteldirektor oder Restaurantchef vor einer wichtigen Veranstaltung – ein letztes Mal seinen prüfenden Blick durch den Raum wandern. Ja, es schien alles perfekt. Der lange Tisch war festlich gedeckt, es gab reichlich erlesenes Geschirr und Besteck, so dass ein Marine oder ein Crewmitglied im Mannschaftsrang und auch viele niedere Offiziere vermutlich ein Benutzerhandbuch gebraucht hätte um herauszufinden, welcher Löffel wofür diente. Der Admiral dachte nicht einmal daran, dass es ihm in einem anderen Leben nicht anders gegangen wäre, denn immerhin stammte er aus der englischen Unterschicht. In seiner Kindheit, in der Schule, ja selbst noch in seinen ersten Militärjahren hatte er mit bloßen Fingern Fish and Chips oder was es sonst gab herunter geschlungen und eine Serviette vielleicht ein paar Mal im Jahr benutzt. Inzwischen aber bewegte er sich auf dem spiegelglatten Parkett der politisch-militärisch-industriellen Highsociety mit jahrelang erprobten Geschick und Routine, sowohl verbal als auch gedanklich und in Bezug auf alle möglichen Gebräuche der Etikette.

Aber selbst in diesen erlesenen – oder, wenn man einigen glaubte, durch Korruption und Inzest degenerierten – Kreisen wären einige seiner Vorbereitungen und geplanten Gesprächsthemen möglicherweise eingeschlagen wie eine Salve der Schiffsgeschütze der Relentless. Der suchende Blick des Admirals streifte fast beiläufig den Leiter des Schwadrons-NIC. Lieutenant Commander Renard sah nicht unbedingt wie ein wachechter „Schlapphut“ aus, wenn es denn so etwas überhaupt gab, eher wie ein überarbeiteter Subalternoffizier, der an seinen Aufgaben schier zu verzweifeln schien. Aber er hatte etliche Jahre Abwehrerfahrung, und zudem vor dem Krieg einige Zeit an Orten gearbeitet, an denen die Republik ähnliche Probleme wie auf Pandora hatte, wenn auch nicht ganz so offensichtliche.
Der Offizier nickte Mithel kaum merklich, aber zweifelsfrei bestätigend zu – der Raum war auf Abhöranlagen untersucht, und das zugelassene Personal überprüft worden. Nicht, dass Mithel ernsthaft mit subversiven oder auch nur oppositionellen Kräften rechnete, seien es imperiale, konföderierte oder pazifistische. Er wollte vielmehr vor allem verhindern, dass zu früh etwas von dem was er hier „auftischen“ wollte nach draußen drang, vielleicht sogar an die Presse. Die Gefahr bestand durchaus, angesichts der erlesenen Runde, die er zusammengetrommelt hatte. Und wenn erst einmal etwas ruchbar wurde, dann mischten sich nicht selten Emotionen und das wankelmütige Urteil der Öffentlichkeit ein, dann konnte NIEMAND sagen, ob ein viel versprechender Plan nicht überhastet umgesetzt oder auf Eis gelegt wurde. Nein, manchmal war das Huhn eben doch das weiseste Tier der Schöpfung, denn es gackerte bekanntlich erst, wenn das Ei gelegt war. Natürlich war auch das eine Frage des Vertrauens – wem galt die Loyalität seines NIC-Offiziers an erster Stelle? An erster Stelle der Republik, dem NIC oder der Flottille, in der er gerade diente – und was verstand er unter dieser Pflicht? Mithel bildete sich jedoch einiges darauf ein, die wichtigsten Offiziere unter seinem Kommando recht gut beurteilen zu können. Das war eine hart erarbeitete Kunst, aber eine, die fast so wichtig war, wie den Gegner einschätzen zu können.
Doch zu welchem Ergebnis die Erörterungen in dieser Runde führen würden, nun, das blieb abzuwarten. Mithel wusste, dass er ein gewisses Risiko einging. Was er plante, entsprach nicht gerade der üblichen Vorgehensweise, geschweige denn dem geregelten Dienstweg. Der Admiral lächelte leicht vor sich hin, als er realisierte, dass er sich fast so fühlte wie vor einem Gefecht. Freilich, dieses Treffen konnte nicht nur seine Karriere entscheidend voranbringen – oder dauerhaft auf Eis legen, wenn sie wirklich schief ging – es ebenso schwerwiegende, und auch blutige Auswirkungen haben wie die meisten Schlachten, an denen er teilgenommen hatte. Aber er hatte noch keine Schlacht gescheut, und selbst in jenen, in denen er verloren hatte, hatte er sich zumeist gut verkaufen können. Mit diesem ermutigenden Gedanken straffte sich der Rear-Admiral und machte sich auf den Weg zum Hangar.

Seine Gäste trafen pünktlich ein, empfangen von einer Ehrenformation von Marines und Flottensoldaten, wie es sich gehörte. Mithel hatte Himmel und Hölle in Bewegung setzen müssen, um die relativ kurze aber sehr hochkarätige Liste an Einladungen abzuarbeiten. Ohne den einen oder anderen etwas unlauteren Trick wäre es ihm nicht geglückt. Es war gut, wenn man die richtigen Leute kannte, wenn sie einem etwas schuldeten oder glaubten, irgendwann selber Hilfe zu benötigen. Und deshalb hatte er sie nun hier, eine Auswahl der mächtigsten Menschen, die im Moment im System weilten. Angesichts dessen würde er gewiss nicht mit dem Zeremoniell geizen. Es war gut, wenn sie sich sowohl geehrt oder zumindest ernst genommen fühlten, und wenn sie zugleich in Erinnerung behielten, dass sie mit jemanden verhandelten, der ebenfalls beachtlichen Einfluss hatte…

Da waren zunächst die Zivilisten. Hanifa Jergian, die Ministerpräsidentin von Masters, wirkte erstaunlich gefasst für jemanden, der vor ein paar Wochen noch ein Flüchtling auf der eigenen Welt gewesen war, ohne zu wissen, ob sie die nächsten Stunden überleben würde. Ihre Kleidung in eher gedeckten Farben wirkte vom Schnitt ziemlich konservativ und ließ das Gesicht zwar frei, bedeckte aber den größten Teil ihrer Haare. Man hätte das Auftreten geradezu anachronistisch nennen können, doch es nahm ihr nichts von der Ausstrahlung. Sie trug nicht den geringsten Schmuck – etwas, das sich seit dem Angriff auf Masters geändert hatte, auch wenn sie schon vorher nie geprotzt hatte. Mithel wusste, dass sie unermüdlich arbeitete, aber davon war ihr nichts anzusehen – keine Ringe um die Augen, kein unscharfer Blick, kein Zittern in der Stimme oder in ihrer Gestik. Und doch schien sie eine düstere Aura zu verströmen, den Geruch von Blut und Rauch. Keiner vergaß, was auf Masters geschehen war, und sie schien nicht nur eine ständige Mahnung an dieser Ereignisse, sondern auch selber unter diesem Alpdruck zu leben. Da war so etwas wie ein bitterer Zug um ihre Mundwinkel, ein Schatten tief in ihren Augen, die nur der sehen konnte, der sich auf solche Spuren verstand. Vor ein paar Wochen waren die noch nicht da gewesen.
Henri Diaof, ihr Kollege von Seafort, hielt sich ebenfalls sehr aufrecht. Anders als seine Kollegin trug der Mann mittleren Alters, der wie die meisten seiner Bürger afroamerikanische Vorfahren hatte, einen geschmackvollen Maßanzug, der ihn in diesem militärischen Umfeld eigentlich deplatziert hätte wirken lassen. Doch wie seine Kollegin schaffte er es mühelos, Kompetenz und Autorität zu verkörpern. Nun, man wurde nicht von ungefähr Regierungschef von mehr als einer Milliarde Menschen und einigen…anderen. Manche Menschen mochten in Politikern in erster Linie Blender und bestenfalls kompetente Verwalter sehen, aber Mithel gab nichts auf solche Narren. Wenn Dioaf erleichtert war, dass die Bedrohung für das Sterntor-System vorbeigegangen war, ohne seinen Planeten ernsthaft zu treffen, dann zeigte er das nicht. Sein Ernst mochte weniger bitter sein als der seiner Amtskollegin, doch das tat der Würde seines Auftretens keinen Abbruch.

Senator Nkuma war noch etwas schwerer einzuschätzen. Er war gebürtiger Bürger Seaforts, Mitglied des Verteidigungsausschusses des Senats und einer der aufgehenden Sterne am republikanischen Himmel. An sich war er deutlich niedriger in der politischen Hackordnung gestellt als die beiden Ministerpräsidenten, denen in Bezug auf die Zahl und Wirtschaftskraft der von ihnen Vertretenen nur eine Handvoll Menschen gleichkam. Aber das mochte sich bald ändern, denn es hieß, Nkuma hätte gute Chancen, von seiner Partei für den Präsidentschaftswahlkampf im kommenden Jahr als Vizepräsident oder gar als Hauptkandidat nominiert zu werden. Noch war dieser Posten heiß umkämpft und die Newsticker brachten fast täglich neue Namen und Prognosen in Spiel. Man sah ihm seine militärische Vergangenheit an, allein in der Art und Weise, wie er mit den Marines umging, war er doch selber mehr als zwei Jahrzehnte einer gewesen. Zwar war das schon eine Weile her, aber es hieß ja, so etwas wie einen Ex-Marine gebe es nicht. Mithel war sich nicht sicher, was er von dem Mann halten sollte, als Person wie wegen dem, wofür er stand. Er persönlich hätte auf einen Wahlkampf mitten im Krieg lieber verzichtet. Nicht, dass er den Republikanern etwas Böses unterstellte, aber jeder Wahlkampf band Mittel und Aufmerksamkeit, die nach Meinung des Rear-Admirals besser eingesetzt werden sollten – zumindest angesichts der momentanen Rückschläge. Eine ausgewachsene Krise war selten der richtige Moment rationell abzuwägen. Und sollte es gar zu einem Regierungswechsel kommen, würde das unvermeidliche Stühlerücken in den Administrationen, das sich vermutlich auch in den Kommandostäben auswirken würde, einiges an Personal in Führungspositionen bringen, das sich dort erst einarbeiten musste. Ein halbes Jahr, so die Faustregel, brauchten die Neubestallten meistens, bis alles wieder glatt lief. Und das war Zeit, die die FRT eigentlich nicht hatte. Andererseits hieß es, neue Besen kehren gut – vielleicht könnte eine neue Regierung diplomatisch wie innenpolitisch neue Wege gehen, und auch militärisch einige neue Projekte anstoßen…
In Jedem Fall musste man Nkuma im Auge behalten. Der Admiral kannte im Unterschied zu viel zu vielen seiner Kollegen keine Vorurteile gegenüber Politik oder Politikern im generellen. Aber Politiker kurz vor wichtigen Entscheidungen waren so schwer zu kalkulieren wie Militärs, die wussten, dass die Ordens- oder Beförderungskommission gerade über sie debattierte. Entweder sie neigten dazu, übervorsichtig zu sein, um nicht fünf vor zwölf irgendwelche Fehler zu begehen, oder sie waren fast schon übertrieben wagemutig, um ihre große Chance zu nutzen. Beides konnte fatale Folgen haben, und Mithel war in seiner Laufbahn Zeuge von so manchem Desaster geworden, militärisch wie politisch, das seinen Ursprung in solchen Vorgängen hatte.

Wie nicht anders zu erwarten gewesen war, waren die Militärs und „verwandte Dienste“ wesentlich zahlreicher vertreten. Da war Mithels eigene Truppe, seine Untergebenen oder jene, die auf sein Betreiben dabei waren und deren Unterstützung er sich sicher sein konnte, schon weil sie zum Gutteil Architekten dessen waren, worum es heute gehen sollte. In diesem konkreten Fall handelte es sich um drei Karrierefrauen: Captain Ariane Raffarin, XO der Schwadron 2.3 und zusammen mit ihrer Kollegin Liu Shan-Lee von der Relentless, die von der Brücke zu ihnen stieß, so etwas wie Mithels taktisch-strategisch-psychologisches Gewissen. Die dritte im Bunde war Marianne Sesiko, Verbindungsoffizierin zwischen der Dritten und Fünften Flotte und der Zivilverwaltung von Sterntor. Sie war eine von Mithels Proteges und hatte beste Kontakte zu Offizieren der mittleren Ebene in den verschiedensten Flottenkommandos und der zivilen Verwaltung. Die Einladung so wichtiger politischer Vertreter wie auch die nötige Detailkenntnis für gewisse Aspekte seines Vortrages verdankte er vor allem ihr. Und dann waren natürlich jene Militärs, denen er sich NICHT sicher seien konnte, die er aber unbedingt brauchte. Da war Vice-Admiral Vanessa Girad, Chefin der Columbia-Kampfgruppe und der eben erst beförderte Admiral George Auson, bisher Kommandeur der Victoria-Station, jetzt in das Amt des Befehlshabers der 5. Flotte katapultiert. Beide hoch dekorierte oder zumindest hoch geschätzte Offiziere, beide freilich auch mit Aspekten in ihrer Dienstakte, die sie für Möglichkeiten empfänglich machen sollten, sich zu profilieren. Girad war erst kürzlich wegen der von ihr verantworteten gewaltsamen Internierung von gut 60 konföderierten Schiffen mit zehntausenden Mann Besatzung und Passagieren, bei der es einige hundert Tote gegeben hatte, um einen Rang degradiert worden. Wie sich die Schlacht um Sterntor auf ihre Karriere auswirken würde, ließ sich ebenfalls noch nicht einmal annähernd kalkulieren. Auson andererseits war zwar eben erst die Karriereleiter im freien Fall hinaufgefallen, aber das praktisch ausschließlich auf Grund politischer Interventionen. Einige Kollegen würden ihm das übel ankreiden, und dazu kam, dass er seinen Posten ebenso den katastrophalen Verlusten während der ersten Schlacht von Sterntor verdankte. Nicht gerade ein ermutigendes Omen. Auch wenn er ein Mann mit makelloser Dienstakte war, so blieb abzuwarten ob er die neue Herausforderung als große Chance oder als Risiko betrachte. Und, wie er damit umgehen würde. Jemanden nach Jahren des Dienstes in der Etappe in ein Flottenkommando zu berufen konnte gut gehen – musste es aber nicht. Zudem musste sich der „jüngste“ TSN-Volladmiral um das Wohl seiner Familie sorgen. Seiner Tochter drohte ein Karriereknick wegen einer ungeplanten Schwangerschaft, sein Schwiegersohn, dessen Laufbahn ohnehin mal wieder am seidenen Faden gehangen hatte, war schwer verwundet. In so einer Situation suchte manch ein angehender Großvater durchaus nach der Möglichkeit, der kommenden Generation Steine aus dem Weg zu räumen. Es blieb freilich abzuwarten, wie die beiden angesichts von Ausons kürzlich erfolgter Beförderung miteinander klarkommen würden – Psychologie war doch etwas Vertracktes…
Miles Long, Kommandeur der 3. Flotte, war ein altgedientes Schlachtross. Böse Zungen sagten, die Longs hätten zwar ihre Familiengeschichte komplett aus den Analen der Navy abschreiben können, neigten aber zu dem Trugschluss, dass es vielmehr umgekehrt war, und ihre eigene Geschichte derjenigen der Flotte an Bedeutung mindestens gleichrangig sei. Er war über 60, ein halbes Dutzend seiner Familienangehörigen war in diesem Krieg gefallen, vermisst oder schwer verwundet worden. Seine Flotte war zu spät gekommen, um noch entscheidend in die Schlacht um Sterntor eingreifen zu können, obwohl es natürlich nur ihre Ankunft gewesen war, die den Menschen entscheidend Auftrieb gegeben hatte. Mithel hoffte, dass der Admiral sich als nützlicher Verbündeter erweisen würde. Einflussreich war er allemal, aber wie bei manch anderem seiner Gäste ließ sich seine Reaktion unmöglich voraussagen.
Und dann war da noch der wahrscheinlich unauffälligste, aber möglicherweise gefährlichste und am schlechtesten einzuschätzende Teilnehmer dieser Essens- und Gesprächrunde: Francis Larriand, Assistant-Director der TIS, Leiter der Abteilung des FRT-Geheimdienstes in Sterntor – und mithin der höchstrangige Gedankenpolizist für zwei Milliarden Menschen und ein paar Aliens in einem der sensibelsten Systeme der Republik. Er galt als umgänglich und charmant, weder so arrogant noch so verbiestert und selbstverliebt wie viele seiner Kollegen, aber das hieß nicht viel. Mit 'Küss die Hand, gnädige Frau'. kam man nicht in eine Position wie die seine, oder zumindest hielt man sich nicht lange dort.

Das Essen, zu dem Mithel diese handverlesenen Gäste geleitete, war wieder mal eine Erinnerung daran, dass bei der Flotte und in der Republik entgegen anders lautender Prinzipien keineswegs alle Menschen gleich waren. Natürlich wurden die Besatzungsmitglieder gut, sogar sehr gut versorgt, doch den meisten wären wohl die Augen übergegangen angesichts der hier aufgebotenen Pracht und kulinarischen Raffinesse. Chris Mithel hatte weder Mühen noch Kosten gescheut, und dabei peinlich genau im Auge behalten, was er über seine Gäste und ihre Vorlieben wusste – glücklicherweise hatte er in seiner Position und in diesem System auch die nötigen Mittel und Befugnisse, um so ziemlich alles was er wollte durchzudrücken. Natürlich glaubte der Rear-Admiral nicht, seine Gäste mit Speis und Trank „bestechen“ zu können, aber zufriedene Personen waren allemal bessere Verhandlungspartner. Nicht, dass er sich auch nur einen Moment entspannen konnte. Mithel war klar, dass er ein Risiko eingegangen war, die Regierungschefin von Masters und die Frau, die den Rückzug aus der Umgebung dieses Planeten zu verantworten hatte, an einem Tisch zusammen zu bringen. Auch zwischen Girad und Auson mochte es Spannungen geben, denn theoretisch hätte sich auch Girad Hoffnungen auf das Kommando über die 5. Flotte machen können. Doch ihre Vorgeschichte, die sie empfahl, war zugleich auch ein entscheidender Hinderungsgrund. Nun, er baute darauf, dass seine Gäste sich eisern im Griff hatten und zuerst ihre Aufgabe sahen, und dann ihre persönlichen Vorbehalte. Alle hatten viel durch einen öffentlichen Streit zu verlieren. Was nicht hieß, dass der möglicherweise schwelende Groll vergessen war – Rache und Vergeltung waren Gerichte, die man am besten kalt genoss. Wenn Personen wie die hier versammelten sich trafen, dann war kaum eine Bemerkung ohne Hintergedanken, oder sie wurde zumindest von den anderen Gästen argwöhnisch darauf überprüft. So etwas wie belanglosen Smalltalk gab es kaum, nicht in diesen Kreisen. Eine falsche Bemerkung, eine missverstandene Äußerung, und die Folgen konnten gravierend sein.
Und natürlich hatte jeder der hier Anwesenden seine ganz persönliche Agenda, die nicht unbedingt mit der des Gastgebers deckungsgleich war. So fiel auf, dass sich Senator Nkuma nicht nur um die beiden Ministerpräsidenten bemühte – was selbstverständlich war – sondern auch Admiral Girad mit ausgemachter Höflichkeit behandelte. Der Grund dafür war nicht schwer zu erraten. Es gab in den Streitkräften manche, die der augenblicklichen Regierung die Verurteilung Girads übel nahmen, und gerade die Republikaner sprachen sich für einen harten Kurs gegenüber der Konföderation aus. Girad stand geradezu emblematisch für ein entschlossenes Vorgehen, ob sie wollte oder nicht.
Die beiden Ministerpräsidenten wiederum schienen sehr daran interessiert, die Möglichkeiten auszuloten, ihre lokalen Streitkräfte wieder aufzubauen. Das galt natürlich besonders für Masters, aber auch auf Seafort gab es Stimmen, die sich für eine erhebliche Verstärkung der Verteidigungsstreitmacht aussprachen. Mithel signalisierte vorsichtig, dass er nicht nur die Besorgnisse beider Politiker teilte, sondern dass er und diejenigen, für die er sprach im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Bemühungen unterstützen würden. Es konnte nicht schaden, schon im Vorfeld der eigentlichen Besprechung Einvernehmen zu demonstrieren.

Schließlich wurde auch das Dessert abgetragen, zurück blieben nur leichte Getränke und Snacks. Der Rear-Admiral hatte sich demonstrativ zurückgehalten und ganz den fürsorglichen Gastgeber gespielt. Seine Untergebenen, besonders die, denen er schon einmal eine seiner schneidenden Standpauken gehalten hatte, hätten ihn schwerlich wieder erkannt. Doch nun, da der „gesellige“ Teil des Essens seinem Ende entgegenging und der geschäftliche nahte, schimmerte wieder etwas von dem energischen Offizier durch, als der er bekannt war.
Chris Mithel erhob sich. Er hielt sich aufrecht, seine Stimme klang eindringlich, aber nicht belehrend, als er sich an seine Gäste wandte: „Meine geehrten Gäste, Sie warten natürlich schon voll Ungeduld darauf, dass ich zu meinem eigentlichen Anliegen komme, dem Grund, aus dem ich Sie hierher gebeten habe – obwohl ich denke, diese Ungeduld wird etwas gezügelt durch die Arbeit unserer Köche, die ja wirklich vorzüglich war.“ Einige Gäste lachten leise, andere lächelten zumindest, und wieder andere zeigten keinerlei Emotionen.
„Ich habe bereits in den Einladungen angedeutet, worum es mir bei diesem Treffen geht. Mit einigen von Ihnen stehe ich bereits seit einiger Zeit in regem Gedankenaustausch, andere kennen mich noch nicht sehr lange und wissen vielleicht nicht recht, was sie von mir und meinen Kollegen halten sollen. Dieses Treffen soll dem etwas abhelfen. Wir alle, die wir hier versammelt sind, vereinen in dieser Runde ein Höchstmaß an Kompetenzen, Fähigkeiten, Erfahrung und, lassen Sie es mich offen aussprechen, Einfluss.“ Der Admiral lächelte wieder schmal, als er fortfuhr: „Und natürlich Bescheidenheit, diese Tugend möchte ich nicht vergessen.“ Das brachte ihm von so ziemlich allen zumindest ein amüsiertes Lächeln ein. Übergangslos wurde er wieder ernst: „Wir alle haben in den vergangenen Jahren unseren Einfluss und Fähigkeiten unserem gemeinsamen Ziel gewidmet, auch wenn unsere Ansichten über den richtigen Weg und die angemessenen Mittel mitunter unterschiedlich sein mögen. Ich rede von einem Ziel, dass dieser Bemühungen wahrhaft wert ist, ein Ziel, das uns nicht nur den Frieden in unserer Zeit näher bringt, sondern auch mindestens die nächsten ein oder zwei Generationen vor Erfahrungen bewahren soll, wie wir sie machen mussten.“ Er lächelte direkt charmant, als spräche er über ein Sportereignis, eine Spendenaktion für einen wohltätigen Zweck oder eine Bildungskampagne, aber in seiner ruhigen, ja sanften Stimme war ein Unterton, der von Stahl kündete und manchen Zuhörer vielleicht hätte frösteln lassen: „Ich meine natürlich die vollständige, endgültige und totale Zerschlagung des Kaiserreiches der Akarii, sei es militärisch, politisch, wirtschaftlich oder psychologisch.“

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11.11.2015 18:27 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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Den Tod durch tausend Schnitte

TSN-Kreuzer Relentless

Für einen Moment herrschte Schweigen, als der Admiral seine Worte erst einmal wirken ließ. In der Öffentlichkeit hätten sie vermutlich prahlerisch, ja größenwahnsinnig geklungen, aber in dieser Runde, vor diesem Publikum war das etwas anderes. Nicht zuletzt angesichts des Ernstes, mit dem Mithel fortfuhr:
„Wir alle haben für dieses Ziel viel erreicht. Das Reich ist weit, sehr weit zurückgetrieben. Der Imperator ist tot, seine Nachfolge anscheinend umstritten, in jedem Fall aber wird der neue Herrscher in diesem Amt unerfahren sein. Die imperiale Flotte leidet noch immer unter den Folgen von zahlreichen schweren Niederlagen oder bestenfalls kostspieligen Siegen, viele ihrer besten sind tot. Seit dem Tod von Eliak hat das Imperium zwar die Konföderation aus dem Rennen nehmen können, aber sie haben mindestens vier, möglicherweise sogar fünf Flottenträger und Dutzende kleinerer Schiffe verloren. Ich will die Lage natürlich nicht schöner darstellen, als sie ist – die Ereignisse der letzten Wochen haben uns einmal mehr gezeigt, wie weit unser Weg noch ist, und welch hohen Preis ALLE Menschen, ja auf lange Sicht sogar alle freien Völker und Nationen zu zahlen haben, wenn wir mit unseren Bemühungen scheitern. Aber ich denke, wir alle sehen unser Ziel unverrückbar klar vor Augen. Wir alle – die ganze Republik – haben uns von vergangenen Rückschlägen nicht entmutigen lassen, und dies ist auch jetzt nicht der Fall. Eines dürfen wir niemals vergessen. Wir leben in einer Zeit, die uns auch bisher nicht da gewesene Chancen bietet.
Zum ersten Mal seit hunderten, wenn nicht tausenden Jahren haben sich dutzende Systeme des Imperiums gegen die Zentralwelt erhoben und proben den Aufstand, auf weit mehr toben Aufstände, Unruhen und Guerillakriege. Das Ansehen des Herrscherhauses ist nach den Niederlagen der letzten Jahre so angeschlagen wie niemals zuvor. Was mit der Opposition einiger Offiziere gegen den Kronprätendenten begann, hat sich wie ein Krebsgeschwür im ganzen Kaiserreich verbreitet. Das Fundament auf dem dieses Reich ruht, ist erschüttert. Es ist dies umso mehr, als unklar ist, wer es in den nächsten Jahren regieren soll. Und wer immer das auch sein wird, er wird einen Thron übernehmen, der auf wackeligen Füßen steht, wird rasch Erfolge vorweisen müssen, oder Aufruhr und Separation werden sich noch weiter verbreiten – etwas, das seit Jahrhunderten im Imperium praktisch undenkbar war. Wir erleben eine Zeitenwende, und dies ist inzwischen sogar den Akarii klar, obwohl die Bevölkerung weiterhin systematisch von der Regierungspropaganda verdummt und belogen wird. Anders wäre ein solches Ausmaß an Rebellion nicht nur unter den unterworfenen Völkern sondern auch von Seiten der Akarii selber undenkbar. Erleidet der neue Imperator, Regent oder wie auch immer weitere Rückschläge, bleiben auch nur Erfolge aus, werden seine Rivalen ihm das kaum durchgehen lassen, es sei denn, er beseitigt sie. Das aber würde die Gefahr eines echten Bürgerkriegs im Imperium nur noch erhöhen. Militärisch mag die Lage für uns im Moment nicht zum Besten stehen – politisch ist sie so gut wie noch niemals zuvor. Diese Chance MÜSSEN wir nutzen, denn wenn wir das Imperium wirklich schlagen wollen, ist dies nur durch eine Kombination von militärischem und politischem Zerfall möglich.“

Mithel hielt große Stücke auf Scharfsinn, auf seinen eigenen wie den seiner Gäste. Er war fest davon überzeugt, zumindest unterbewusst hatten sie alle gewusst, was er ihnen nur darlegte: „Ich will Sie nicht anlügen – das könnte ich auch gar nicht. Dieser Verfall unseres Gegners ist keineswegs unausweichlich oder unumkehrbar. Umbruchzeiten sind die gefährlichsten für diktatorische Regime, aber sie können auch den Keim für ein Erstarken oder zumindest eine Stabilisierung in sich bergen – ein Erstarken, das wir um jeden Preis verhindern müssen. Und so sehr es meinem Ego und dem meiner Waffenbrüder schmeicheln würde, ich zweifle nicht daran, dass wir, die Flotte allein – auch nicht mit Hilfe der ehrenwerten Bodenstreitkräfte – mit der Aufgabe überfordert sind, die richtigen Voraussetzungen für einen weiteren Zerfall des Reiches allein zu schaffen. Dies ist nur denkbar, wenn wir den Gegner auf allen Ebenen angreifen - militärisch, politisch und nachrichtendienstlich. Es hat bereits Bemühungen in diese Richtung gegeben. Mitunter gewinnt man jedoch den Eindruck, dass in den vergangenen Jahren die einzelnen Akteure nicht immer perfekt zusammengearbeitet haben. Mehrfach haben Militärs an der zivilen Administration vorbei entschieden, haben dabei versagt, politische Maßnahmen und Optionen ausreichend zu nutzen. Und andererseits haben Angehörige des politischen Establishments Entscheidungen getroffen, die in wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht nicht immer den gewünschten Effekt hatten, ja sogar kontraproduktiv für die Kriegsbemühungen wirkten. Wiederholt haben Politik und Militär nicht die Informationen zu nutzen gewusst, die die Nachrichtendienste ihnen verschafft haben – und mehrfach haben die Dienste die Operationen anderer Akteure nicht angemessen unterstützen können. Ich denke, das liegt nicht zuletzt daran, dass zu oft erst der fertige Plan präsentiert wurde, den der jeweilige Schöpfer dann möglichst eins zu ein umgesetzt sehen wollte, in der aufrichtigen Überzeugung, dies sei nun der große Wurf. Bis heute aber fehlt uns meiner persönlichen Meinung nach – und ich denke, da stehe ich nicht alleine – eine stringente, koordinierte Strategie, die sowohl die Arbeit unserer Nachrichtendienste, unsere Politik in den besetzten Akarii-Gebieten, im Inneren der Bundesrepublik wie gegenüber den blockfreien Staaten und unsere militärischen Pläne sowie die Fähigkeiten unserer Wirtschaft bündelt und auf unser gemeinsames Ziel ausrichtet, so dass die einzelnen Bemühungen sich verstärken, ja potenzieren, anstatt dass sie vielfach nur nebeneinander laufen, und sich mitunter gar behindern.
Wohlgemerkt, ich will hier weder Noten verteilen noch Schuldzuweisungen äußern. Dazu habe ich weder das Recht noch die Kompetenz. Es mangelte nie an gutem Willen und Vorsätzen, an höchster Sachkompetenz – aber allzu oft mangelte es an Kommunikation und Koordination. Das aber müssen wir ändern. Ich will nicht einer autokratischen, allmächtigen Regierung wie dem Imperium das Wort reden – dies widerstrebt nicht nur unseren ureigensten Überzeugungen. Wie anfällig solch eine personalisierte Herrschaft ist, haben wir am Versagen Eliaks und Jors gesehen. Würden wir uns nach den Möglichkeiten unseres Gegners sehnen, würden wir zudem letztlich verraten, wofür wir kämpfen. Aber ich bin fest überzeugt, dass wir in unserer Kriegsstrategie Änderungen vornehmen müssen, wollen wir den Krieg nicht unnötig verlängern und die Zahl unserer Opfer erhöhen. Ich denke, viele von Ihnen, vielleicht alle, haben irgendwann in den letzten bitteren, glorreichen Jahren mindestens einmal so gedacht. Natürlich wäre es vermessen würde ich glauben, wir könnten dieses Problem global aus der Welt schaffen. Ich bilde mir auch nicht ein, einen Ausweg aus unserer gegenwärtigen Krise zu wissen. Aber ich vertrete Ansichten, die Ergebnis taktisch-strategischer Überlegungen sind, und die nach der Ansicht von Spezialisten zumindest einen wertvollen Beitrag zur Überwindung der momentanen Krise leisten können. Kooperation fängt am besten im Kleinen an, in einer überschaubaren Runde, und verstärkt sich in dem Maße, wie sie Ergebnisse zeitigt. Wir wenigen, wir kleines Häuflein Brüder – und Schwestern – wir können den Krieg nicht gewinnen. Aber ich glaube, wir können einen wichtigen Schritt auf dem Weg zum Sieg gehen. Doch dafür müssen wir zusammenarbeiten – wir alle – um unsere Pläne, unsere Vorgehensweise zu komplettieren, auf Schwachstellen zu überprüfen, sie zu perfektionieren und sie schlussendlich zu realisieren. Ohne dies werden sie sich fraglos in die lange Liste von vielleicht guten Ideen und Bemühungen einreihen, die an mangelnder Abstimmung scheitern.“

Mithel machte eine kurze Pause. Er wollte signalisieren, dass er nicht nur an einem dozierenden Vortrag interessiert war, bei dem seine Gäste am Ende das Ergebnis abnickten. Sie mussten sich ernst genommen und einbezogen fühlen. Es war besser, Widerspruch schon im Vorfeld aufzufangen und abzufedern. Schließlich sprach er zu Leuten, die zumeist deutlich über ihm standen. Das war auch einer der Schwachpunkte seiner Vorgehensweise – dass sie sich möglicherweise überrumpelt fühlten, zu Entscheidungen gedrängt von jemandem, der nur ein Untergebener war. Aber der Admiral hoffte, dass sie die Chancen erkannten, seine Vorschläge zu den ihren zu machen würden – wenn sie ihnen zusagten. Wenn dies gelang, würden sie diese ergänzen und ausbauen, gewissermaßen auch als Schirmherren und Initialgeber fungieren. Das konnte klappen – oder er konnte sich schrecklich blamieren.
Hanifa Jergian musterte den Admiral nachdenklich, doch was sie von seinen Worten hielt, war schwer zu sagen: „Gott sei mein Zeuge, dass ich Ihren Wunsch gewiss teile und ich verstehe, warum Sie die Herren Flottenkommandeure eingeladen haben…“ das, begleitet mit einem höflichen Nicken in Richtung der beiden Volladmiräle, war möglicherweise eine versteckte Spitze gegen Girad, die sich aber nichts anmerken ließ: „,…doch frage ich mich, was erhoffen Sie sich von zwei Ministerpräsidenten und einem Senator? Ich zum Beispiel muss ohnehin um jede externe Zuteilung feilschen, um Masters wieder aufzubauen.“ Ihre Augen funkelten kämpferisch: „Wir sind bestimmt keine Bettler, und mehr als 800 Millionen Bürger von Masters sind bereit, ihren Beitrag zu leisten. Aber die Schäden sind gewaltig, und ehe wir unsere planetare Verteidigung wieder instand gesetzt haben, werden Monate, wenn nicht Jahre vergehen…“
Mithel nickte knapp: „Das verstehe ich sehr wohl. Und ich bitte Sie gewiss nicht, ihre Pflicht ihren Wählern gegenüber zu vernachlässigen, das wäre sowohl unethisch als auch, wie Sie wiederholt gezeigt haben, gänzlich unmöglich. Aber Sterntor vertritt mit seinen beiden Welten eine der größten und wichtigsten Niederlassungen der FRT außerhalb des Sonnensystems. Ihre Worte haben Gewicht – bis zur Präsidentin.“ Er sprach es nicht aus, aber meinte natürlich ,vor allem in Wahlkampfzeiten’. Nach dem Gesichtsausdruck von Nkuma zu urteilen, war DIESEM das zweifelsohne klar.
„Zugleich denke ich, eine noch engere Zusammenarbeit mit der Flotte könnte dem Ausbau Ihrer Verteidigung nur nützen.“
Die Ministerpräsidentin warf Girad einen geradezu anklagend zu nennenden Blick zu, unterließ aber einen verbalen Angriff. Nachdem sie so ihren Standpunkt über die Verteidigung durch die TSN in der letzten Schlacht klargemacht hatte – wortlos, aber deutlich – nickte Hanifa Jergian knapp: „Wir haben einige tausend Tote zu beklagen, mehrere tausend Verstümmelte und Traumatisierte, zehntausende Leichtverletzte. Wenn es IRGENDEINE Möglichkeit gibt, dem Kaiserreich dies heimzuzahlen, werde ich sie ergreifen, wird das Volk von Masters sie ergreifen.“ Sie lächelte kalt, geradezu unangenehm: „Und ich hoffe auf Unterstützung aus der ganzen Republik, wenn es darum geht die Akarii zu lehren, dass der Angriff auf unsere Welt ein fataler Fehler war. “
Ihr Kollege nickte gemessen, aber entschlossen: „Und Seafort unterstützt diese Bemühungen selbstverständlich.“
Die ersten Schritte waren schon angelaufen. Hanifa Jergian beschränkte sich gewisslich nicht darauf, nur Geld für den Wiederaufbau zusammenzubringen oder Drohungen und Absichtserklärungen auszustoßen. Natürlich war die Schadensbeseitigung wichtig, und würde eine Menge Geld kosten. Man arbeitete daran, es zusammenzubekommen, und nicht nur auf Masters. Auch auf Seafort wurde unermüdlich um Spenden gebeten und, was noch wichtiger war, auch emsig gespendet. Die Beziehungen zwischen den beiden Welten waren eng, viele Familien hatten Angehörige auf beiden Welten. Und Gelder kamen auch von außerhalb des Sterntor-Systems, nicht zuletzt auf den Appell zahlreicher religiöser Glaubensgemeinschaften hin. Doch neben den rein restaurativen Bemühungen war der Gedanke der Rache keineswegs vergessen. Auf Masters, und in geringerem Umfang auch auf Seafort, schlugen inzwischen die Werbetrommeln einen ebenso rasanten wie hypnotischen Takt. ,Dein Vaterland ist in Gefahr, es braucht dich…der Kampf ist Gottes Wille…diene in den Streitkräften, der Nationalgarde…arbeite für den Wiederaufbau…wo auch immer du deinem Vaterland dienen kannst – erfülle deine Pflicht.' Das war das Credo, das unerbittlich eingehämmert wurde, in den Medien, in den Schulen und Universitäten, in den Fabriken, in den Kirchen und Moscheen. Das Feld für diese Appelle war schon in den vergangenen Jahren bereitet worden, als die Medien den Hass auf die Akarii geschürt und den Krieg zu einer Sache des Volkes erklärt hatten. Jetzt, nicht trotz sondern gerade wegen der Rückschläge und der hohen Verluste, fielen die Worte auf fruchtbaren Boden, und die Rekruten kamen in Scharen. Noch war nicht abzusehen, ob der ehrgeizige, ja vermessene Plan des öffentlich propagierten ,Hundert für Einen’– hundert Freiwillige für jeden getöteten Zivilisten – Aussicht auf Verwirklichung hatte. Aber der Effekt war beeindruckend, selbst wenn man berücksichtigte, dass es allein auf Masters ein Publikum von 800 Millionen gab, und auf Seafort über eine Milliarde.

Der Rear-Admiral war inzwischen aufgestanden und zu einer Bildwand getreten. Seine Stimme klang ruhig und nüchtern, als er wieder zu sprechen begann. Er sprach frei, offenbar hatte er seinen Vortrag lange vorbereitet: „Wir müssen uns von der Vorstellung lösen, den Gegner allein auf dem Schlachtfeld, in direkter Konfrontation zu besiegen. Das ist nicht unmöglich, aber angesichts der Größe des feindlichen Territoriums, der gegnerischen Ressourcen, und, gestehen wir es uns ein, der militärischen Stärke des Feindes ist diese Methode allein kaum als ausreichend zu betrachten. Wir dürfen nicht nur die in Dienst gestellten Schiffe des Gegners und seine ausgebildeten Soldaten bekämpfen – wir müssen die Möglichkeit des Feindes angreifen, überhaupt erst Schiffe zu bauen und Soldaten zu trainieren. Es sieht leider nicht so aus, als ob wir in nächster Zeit flächendeckend auf konventionelle Art und Weise weiterkommen, sei es durch die Eroberung oder zumindest Blockierung wichtiger Welten. Es mag verführerisch erscheinen, wichtige Sprungpunkte des Gegners zu vernichten wie dieser es getan hat, aber die Gefahr einer Kettenreaktion ist zu hoch, zudem sind diese Prozesse einfach zu schwer zu kalkulieren. Diese Optionen fallen also zunächst weg. Deshalb möchte ich Ihnen eine Alternative zu den genannten Möglichkeiten vorstellen.
Natürlich gab es bereits in der ersten Kriegsphase von verschiedenen Seiten Alternativvorschläge zum regulären militärischen Vorgehen, was als logisches Fortdenken des gesamten Konzepts der Operation ,Husar’ wohl zu erwarten war. Sie kamen jedoch zumeist nicht einmal ins Versuchstadium, sei es weil sie unausgegoren waren, oder die nötigen Mittel fehlten. So erkannte ein Pilot der damals noch auf der Redemption stationierten Angry Angels, ein gewisser Lieutenant Davis, wie ineffektiv im Grunde die Jagd auf einzelne Frachter und kleine Konvois durch die Husar-Schiffe war. Er entwickelte einen Planungsentwurf für eine Serie von Angriffen auf agrarische Ziele der Akarii und reichte ihn ein. Der Plan war innovativ, aber natürlich noch recht unausgereift und Davis’ Vorstellungen ziemlich naiv. Er zielte nur auf Agrarwelten, machte sich aber keine genauen Gedanken darüber, wie man eigentlich effektiv in angemessener Zeit ganze planetare Anbaugebiete zerstören konnte. Er war eben nur Jagdpilot, zog nicht einmal einen Bomberschützen oder einen Waffenoffizier hinzu. Der Lieutenant überschätzte zudem die Möglichkeiten, in einer Gesellschaft und Staat wie dem Imperium zu diesem Zeitpunkt so etwas wie politischen Dissens auszulösen, vor allem aber, wie schnell solch ein Vorgehen zu signifikanten Ergebnissen führen würde. Das kam man ihm natürlich nicht zum Vorwurf machen, denn der Kenntnisstand über die Gesellschaft und Wirtschaft des Feindes war auch in höheren Diensträngen nicht unbedingt tiefschürfend zu nennen. Dazu machte Davis einige eher blauäugige Vorschläge, wie man das unvermeidliche – ich würde sagen, notwendige – Leid für die Zivilbevölkerung des Feindes minimieren könnte. Weiter oben erkannte man jedoch ein gewisses Potential in diesem Plan und beschloss, ihn versuchsweise in die Tat umzusetzen.“ Der Rear-Admiral machte eine kurze Pause: „Die Operation war jedoch kein voller Erfolg, aus einer Reihe von Gründen. Sowohl deshalb, als auch weil sich die generelle Situation und Art der Kriegführung in den folgenden anderthalb Jahren wandelte, wurde der Davis-Plan nicht wieder aufgegriffen.“

Mithel schwieg einen Moment. Er sprach es nicht aus, aber die meisten seiner Zuhörer wussten, welche Welt das Ziel der Redemption gewesen war. Der Name war in den höchsten Rängen der TSN, aber zum Teil auch der politischen Führung etwas, von dem viele etwas wussten, über das aber wenige die ganze Wahrheit kannten – und worüber keiner redete. Obwohl es hunderte, tausende Augenzeugen für den Angriff auf Troffen gab, kannten die meisten nur Gerüchte. Dass der Planet aber großflächig verwüstet worden war, wussten zumindest viele Admiräle. Auch die zivilen Gäste schienen mindestens etwas zu ahnen. Aber offenbar war keiner gewillt, das Thema zu vertiefen, auch Mithel nicht: „Meine Planungsabteilung – Mitglieder meiner Schwadron und die taktische Abteilung meines Flaggschiffes – konnten also auf eine gewisse Grundlage zurückgreifen. Ausgehend davon, und unter Einbeziehung von Informationen, zu denen die meisten Antragsteller keinen Zugang hatten sowie unter Berücksichtigung der sich dynamisch entwickelnden Situation im Imperium, entwickelten wir folgendes Konzept…“
An der Bildwand wurden jetzt Karten des Rest-Imperiums der Akarii und des Draned-Sektors groß eingeblendet. Dann schrumpften die Bilder und machten Platz für taktische Schautafeln, die sich mit Schiffssymbolen füllten. Mithel nickte seiner XO zu, Captain Raffarin, die nun seinen Platz als Rednerin einnahm: „Ich will zuerst umreißen, in welchen materiellen Größenordnungen wir denken. Es wäre unserer Ansicht nach sinnvoll, den geplanten Gesamtverband operativ entweder der 2. oder aber der 3. Flotte anzugliedern, in jedem Fall sollten die Operationen in enger Absprache mit beiden Oberkommandos erfolgen.“ Dafür gab es nicht nur praktische Gründe. Mithel und seine Untergebenen hofften, auf diese Weise auch die Unterstützung von Admiral Long als Kommandeur der 3. Flotte zu gewinnen. „Die geplante Operation hätte mindestens drei wesentliche taktische Kernelemente. Die ersten beiden sind zwei schnelle Kampfgruppen. Sie bestehen aus je einem leichten Träger, unterstützt durch ein erweitertes leichtes Begleitgeschwader – mindestens ein reichliches halbes Dutzend Kreuzer, darunter wenigstens zwei schwere Einheiten und ein Flakkreuzer, eine komplette Zerstörerflottille und ein leichter Verband aus Fregatten und Korvetten, vorzugsweise solche zur Flugabwehr und Aufklärung. Zudem unterstützen mehrere schnelle Minenräumer und –leger jeden Verband. Alternativ könnte nötigenfalls auch ein Angriffsverband anstelle des leichten Trägers und seiner Begleitkreuzer über eine komplette schwere Kreuzerschwadron verfügen. Diese sollte dann jedoch zwei Flakkreuzer und vier, besser fünf schwere Kreuzer umfassen. Die Angriffsverbände sind damit in der Lage, die meisten Systemverteidigungen der Zielwelten – dazu später mehr – problemlos und in kürzester Zeit niederzukämpfen. Die Verbände können alles abzuwehren, was die Akarii gegen sie aufbieten können, solange dies unterhalb einer massiv verstärkten konventionellen oder eine Trägerkampfgruppe liegt. Sollte eines von beiden in Marsch gesetzt werden, ist es Aufgabe der Minenleger, die Absatzbewegung zu unterstützen. Alternativ zu den leichten Trägern könnten auch drei bis vier Geleitträger eingesetzt werden, ihre begrenzte Geschwindigkeit, Schlagkraft und Standfestigkeit würde jedoch die Erfolgsaussichten verringern. Den beiden leichten Kampfgruppen wird Rückendeckung gegeben durch eine voll einsatzfähige Trägerkampfgruppe, bestehend aus einem Flottenträger, einem kompletten Kreuzergeschwader mit mindestens vier schweren und ein bis zwei Flakkreuzern und je einem Zerstörer- und Fregattenverband, dazu mehreren Minenräumern und einigen Trossschiffen mit Ersatzjägern, Munitionsnachschub sowie mindestens zwei Flottentankern. Diese Deckungsgruppe wäre in der Lage, zusammen mit einem der leichten Verbände selbst einen feindlichen Trägerverband niederzukämpfen. Eine Alternativoption wäre der simultane Einsatz zweier vollwertiger Trägerkampfgruppen, die gewissermaßen einen Angriffsstreifen bilden, und die ganze Zeit in Kontakt miteinander operieren – diese Vorgehensweise wäre jedoch taktisch etwas weniger flexibel, vor allem wird man kaum zwei vollwertige Träger investieren wollen. Dasselbe gilt für den Ersatz der Deckungsgruppe durch zwei, besser noch drei leichte Trägerverbände, die jeweils ähnliche Größe wie einer der schnellen Angriffsverbände haben. Ihnen würde jedoch vor allem die Möglichkeit zum Einsatz schwerer Bomber fehlen, es sei denn es handelt sich um modernisierte Einheiten.“

Es war deutlich sichtbar, dass die Zuhörer aufmerksam lauschten, auch wenn einige von ihnen angesichts der Materialmengen, mit denen man hier jonglierte, Bedenken zeigten. Gerade nach den letzten verlustreichen Schlachten und angesichts einer ungesicherten Grenze zur Konföderation waren Schiffe alles andere als reichlich vorhanden. Erstaunlicherweise war es Lariand, der diese Bedenken auch offen aussprach, und nicht etwa einer der Admiräle.
Captain Raffarin ließ sich jedoch nicht aus den Konzept bringen, denn natürlich hatte man diese Einwände bereits bedacht, schließlich kämpfte die TSN seit Kriegsbeginn mit ihrem eigenen Ressourcenmanagement: „Sie haben natürlich Recht. Ich gebe jedoch zu bedenken, dass die genannten Verbände insgesamt einiges leichter sind als die ursprünglich für Husar eingesetzten Kräfte. Unsere leichten Träger haben sich in diesem Krieg gut bewährt, dennoch scheint angesichts der hohen Verluste der letzten Monate ihr Einsatz in der Schlachtlinie als zunehmend riskant. Wir fragen uns deshalb, ob man sie nicht auf andere Weise nutzbringender einsetzen könnte. Es scheint zudem eine aussichtsreiche Option, für diese Operation wenn möglich erbeutete CN-Schiffe einzusetzen. Mit der Altani und Liberty verfügen wir über zwei Träger, die fast Flottenniveau erreichen. Zudem haben wir zahlreiche Fregatten, Zerstörer und einige Kreuzer erbeutet, zusammen mit den übergelaufenen Schiffen insgesamt gut siebzig Einheiten. Für eine Aufgabe wie diese sollten sie ausreichend sein, und wenn wir Freiwillige als Teil der Besatzungen einsetzen, schlagen wir gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe. Zum einen geben wir ihnen die Möglichkeit, den Krieg gegen das Kaiserreich fortzusetzen, und ich denke wir können uns darauf verlassen, dass sie mit der nötigen Entschlossenheit vorgehen werden. Skrupel können wir angesichts des imperialen Vorgehens auf Hannover wohl ausschließen. Zum anderen…“ die französischstämmige Offizierin lächelte dünn: „Die Teilnahme von Schiffen und mehr noch von ehemaligen Besatzungsmitgliedern der CN an solchen Operationen wäre eine scharfe Axt am noch dünnen Baum der konföderierten Kollaboration mit dem Imperium. Und natürlich nutzen wir so die Erfahrung und Ausbildung der Überläufer angemessen aus, was angesichts der angespannten Personallage unabdingbar ist.“ Mithel und seine ,Gang’ konnten sich denken, dass hinter den Kulissen bereits ein Tauziehen entbrannt war, wer welche von den Beuteschiffen erhalten würde. Jede der operativen Flotten – und natürlich auch der Geheimdienst und die rückwärtigen Sektoren – hatten da ganz eigene Vorstellungen, und nach den überraschenden Vorstößen der Akarii in letzter Zeit konnte man von Glück reden, wenn sich nicht auch noch die Home Fleet einmischte. Deshalb wollte man keinesfalls zu spät kommen zur Verteilung dieses „Kuchens“.

Mit ein paar knappen Befehlen veränderte die Schwadrons-XO die angezeigten Bilder – jetzt wurden wieder die Karten vergrößert. Eine ganze Reihe von Welten und Marschrouten war rot hervorgehoben.
„Sie sehen hier das erste Dutzend potentieller Zielwelten. Welten, auf denen eine nennenswerte Guerilla gegen die Akarii läuft, wurden ausgeklammert, um nicht potentielle Verbündete zu treffen. Natürlich laufen die Machbarkeits- und Nützlichkeitskalkulationen für erheblich mehr mögliche Ziele, um aber eine qualifizierte Auswahl zu treffen, bedarf es einer intensiven Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten. Ich würde zudem vorschlagen, auch ausgesuchte zivile Experten – Logistik- und Wirtschaftsfachleute – hinzuzuziehen. Wir haben uns auf Welten mit zwischen ca. 5 und 50 Millionen Einwohnern konzentriert, meistens also Koloniewelten mittlerer Größe. Sie sind zu klein um über eine effektive Verteidigung zu verfügen, es gibt solche Welten in ausreichender Zahl, und sie sind wiederum zu groß, als dass allein lokale Mittel zur Schadensbehebung ausreichen. Schäden dort haben nicht nur wirtschaftliche, sondern auch psychologische Folgen, was bei Angriffen auf Welten mit ein paar zehn- oder selbst hunderttausenden Einwohnern wahrscheinlich nicht der Fall ist. Überdies handelt es sich überwiegend um ,Retorten-Welten’, auf denen Industrie wie Landwirtschaft nicht organisch und damit vielfach dezentral gewachsen sind, sondern häufig starke regionale Ballungsräume geschaffen wurden.“ Raffarin blendete neue Statistiken ein, Namen von Welten, neben denen Symbole auftauchten, die militärische Einheiten darstellen sollten: „Ihre Verteidigung besteht üblicherweise aus zwischen etwa einem halben und einem Dutzend Schiffe, wobei nur sehr selten einzelne Kreuzer im Einsatz sind. Dazu kommen zumeist zwei bis drei Staffeln Kampfflieger, selten einmal vier bis sechs, und ein bis zwei bewaffnete Raumstationen, zumeist in einem geostationären Orbit, die an Feuerkraft und Verteidigungspotential etwa einem leichten bis schweren Kreuzer gleichkommen, aber natürlich durch ihre geringe Mobilität erheblich benachteiligt sind. Bei sämtlichen Material und oft auch bei den Besatzungen handelt es sich nach vorliegenden Erkenntnissen um Bestände zweiter oder dritter Klasse. Atomare Boden-Raumraketen oder bodengestützte Orbital-Railguns sind meistens nur in begrenzter Zahl vorhanden – das Imperium hatte vor dem Krieg einfach keinen Bedarf dafür, und während des Krieges waren die Kapazitäten zur Errichtung solcher Waffensysteme jenseits von kleineren Komplexen in wichtigeren beziehungsweise frontnahen Systemen gebunden. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Akarii im Laufe des nächsten Jahres Versuche unternehmen werden, ihre Systemverteidigungsstreitkräfte schrittweise zu modernisieren, zumindest deuten ihre neuen Schnell- und Kanonenboote in diese Richtung. Doch kommen wir nun zum operativen Vorgehen. Es ist wie folgt geplant: die leichten Kampfgruppen und die Deckungsgruppe nutzen eine der markierten Marschwege um in das Hinterland des Gegners einzusickern. Wir müssen zwar damit rechnen, dass die Akarii Überwachungssatelliten einsetzen, aber auch das Imperium kann nicht alle Routen überwachen, nicht, wenn wir abseits der üblichen Angriffsschneisen vorrücken. Es wäre bei Operationen gegen einige Sektoren des Kernimperiums auch denkbar, Schleichpfade über konföderiertes Territorium zu nehmen. Die CN hat nur noch wenige Wachschiffe, ihr Überwachungsnetz ist durch Desertionen, möglicherweise auch durch Sabotage aus den eigenen Reihen angeschlagen. Zudem werden sie es sich immer noch überlegen, wie weit sie sich dem Imperium andienen wollen – ich kann nicht glauben, dass selbst Cochrane so dumm ist, einzig auf den Sieg seiner eigentlichen Gegner zu setzen.“
Raffarin achtete darauf, zu ihren Zuhörern immer Augenkontakt zu halten, auch wenn sie auf den Bildschirmen etwas demonstrierte. Sie wollte wohl rechtzeitig gewarnt sein, falls sich Widerstand zusammenbraute: „Der Deckungsverband bleibt in einem unbewohnten System in geringer Distanz zu den Sprungverbindungen zurück. Kontakt wird über Drohnenkuriere und, wenn nötig, Langstreckenfunk gehalten. Die leichten Verbände springen möglichst simultan in ihre Zielsysteme. Sie kämpfen die Verteidigung nieder, und beginnen mit ihrer eigentlichen Arbeit.“

Mit diesen Worten übergab Captain Raffarin das Wort an Liu Shan-Lee, die Capitänin der Relentless. Der Wechsel der Redner war von Mithel wohl kalkuliert. Zum einen wollte er den Plan nicht als Egoprodukt präsentieren, von einem reinen Monologisieren wegkommen und auch seine Untergebenen und Verbündeten zu Wort kommen lassen. Immerhin hatte sie großen Anteil an dem, worum es hier ging. Außerdem ermöglichte ihm dies, die Zuhörer besser im Auge zu behalten. Die zierliche, junge Asiatin stellte ähnlich wie Raffarin einen deutlichen Kontrast zu ihrem gut doppelt so alten Vorgesetzten dar, aber an Abgebrühtheit konnte sie es mit ihm aufnehmen. In ihren Worten war ein Unterton, der sie noch kaltblütiger, gelassener klingen ließ als Mithel während seines Vortrages. So, als würde sie über eine simple Rechenaufgabe sprechen. Das mochte sehr wohl kalkuliert sein. Bei dem Kommenden galt es, jede Empathie mit dem Gegner von vorneherein zu unterbinden.
„Der Aufenthalt über dem Planeten ist nach Möglichkeit auf 24 bis 48 Stunden zu begrenzen – wir müssen innerhalb der Systeme ohnehin mit gewissen Transferzeiten rechnen, und natürlich darf man dem Gegner nicht zuviel Zeit für Gegenmaßnahmen lassen.“ Der Captain rief ein weiteres Bild auf: „Nehmen wir hier Rot Alpha, eine generische Zielwelt, mit einer Bevölkerung von 15 Millionen.“ In der Simulation besiegten die terranischen Schiffe die Verteidiger, allerdings konnte ein Gutteil der leichten feindlichen Schiffe entkommen. Die Schiffe der TSN bildeten eine aufgefächerte Formation, die langsam den Planeten umkreiste. Dann begannen mit einmal mehrere Punkte auf der Oberfläche des Planeten zu pulsieren Liu Shan-Lee rief diese Zielmarkierungen einen nach dem anderen auf: „Kernstück des Vorgehens ist ein orbitales Bombardement wie die Akarii und unsere Truppen es schon verschiedentlich angewandt haben, aber mit einer präziseren, modifizierten Zielstellung. Neben militärischen und kriegswirtschaftlichen Objekten wie Flugbasen und Rüstungs- oder dual-use-Produktionszentren werden auch infrastrukturelle Ziele angegriffen. Wir reden hier von Kraftwerken, Staudämmen, Wetterkontrolleinrichtungen, Wasserentsalzungsanlagen, wichtigen Minenkomplexen, en passant eventuell auch bedeutsamen Brücken, Straßen- und Schienentunneln und dergleichen. Die Einzelinformationen müssten natürlich am besten im Voraus beschafft werden, durch Erkenntnisse unserer Aufklärung, Verhöre von Kriegsgefangenen oder Zivilpersonen, die diese Welten schon einmal besucht haben und jetzt in unserem Gewahrsam sind... “ der Captain neigte ihr Haupt in einer höflichen Geste gegenüber dem anwesenden ,Schlapphut’, denn es war davon auszugehen, dass die Geheimdienste genau solche Verhöre schon seit Jahren durchführten, auch wenn nicht unbedingt mit derselben Zielstellung „...aber selbstverständlich steht es dem Verbandskommandeur frei, gestützt auf seine Sensorerkenntnisse individuelle Änderungen vorzunehmen. Waffen der Wahl sind die Schiffsgeschütze, aber möglicherweise auch modifizierte Schiff-Schiff-Raketen. Wir halten den Einsatz von Atombomben für zu riskant – die Akarii könnten jederzeit versuchen einzelne Schiffe durch unseren Abwehrschirm zu schmuggeln, die als Vergeltung Bevölkerungszentren bombardieren, was uns wiederum zu Gegenschlägen nötigen würde. Es wurde aber bereits darüber nachgedacht, Exocet-Raketen mit konventionellen Sprengköpfen gegen sensible Ziele einzusetzen, ebenso wurde erwogen, mit Hilfe von Katapultrampen, Railgunsystemen oder Traktorstrahlen künstliche Asteroiden kleinerer Größe zu lancieren, sei es von Schiffen der Kreuzerklasse aus oder mit Hilfe modifizierter Containertransporter. Obwohl dies alles eine erhebliche Limitierung der Schlagkraft bedeutet, ist der Zerstörungsgrad wahrscheinlich ausreichend.“
Verstörend echt aussehende Computersimulationen zeigten die Wirkung der terranischen Waffen auf verschiedene Ziele. „Unsere Trefferanalysen basieren auf unserem Wissen zu Einrichtungen auf vergleichbaren Welten, die von unseren Streitkräften erobert wurden, und auf Analysen bisheriger Orbitalbombardierungen. Natürlich könnten auch Kampfflieger Punktziele angreifen, doch ich denke, diese wären, gegebenenfalls unterstützt von Angehörigen des Marine-Korps, eher für Schläge gegen Einzelziele im Umfeld um den jeweiligen Planeten geeignet – Fabriken, Bergwerke und ähnliches auf Monden und Asteroiden. Eine rudimentäre Luftverteidigung durch Boden-Luft-Batterien und Atmosphärenjägern wird der Gegner ohne Zweifel bewahren können, und uns fehlt es an Zeit diese komplett zu neutralisieren. Über die genannten Ziele hinaus sollten unsere Schiffe in jedem Fall auch die agrarische Produktion auf der jeweiligen Welt angreifen. Dies betrifft Aquakulturen, Viehzuchtzentren, Ballungsgebiete mit Feldanbauflächen und ähnliches mehr. Dabei ist Orbitalbeschuss vielfach unzureichend – ein größeres Anbaugebiet lässt sich auf diese Weise in kurzer Zeit nur begrenzt anschlagen. Selbst Kriegsschiffe können keine zehntausende Quadratkilometer Ackerfläche einfach so und in kürzester Zeit umpflügen, obwohl Beschießungen oder der Einsatz von künstlichen Asteroiden großflächige Schäden und Brände auslösen kann. Und in der ersten Zeit werden wir uns wohl auf solche Mittel beschränken müssen.“ Auf den Simulationen ließen die Salven aus Schiffsgeschützen ganze Flüsse und Buchten verkochen, entfesselten in Baumplantagen ein Flammeninferno oder äscherten einen riesigen Zuchtkomplex ein.
Die Stimme des jungen Captains blieb absolut gelassen, als sie gewissermaßen die einzelnen Übel in der Büchse der Pandora anpries, die sie für die Akarii zu öffnen gedachte: „Aber für diese Zwecke gibt es besser geeignete Mittel, die sich zudem mit vergleichsweise wenig Aufwand einsatzbereit machen lassen. Wir sollten endlich effektiv Gebrauch von dem Umstand machen, dass wir eine Vielzahl von Akarii-Welten besetzt halten. Wir müssen uns damit vertraut machen, für welche Viren, Bakterien, Pilze und Parasiten die wichtigsten Nutzpflanzen und Tiere der imperialen Agrarzentren empfindlich sind. Dieses Wissen liegt den Verwaltungen der entsprechenden Welten zweifelsohne bereits vor, es wurde jedoch anscheinend bisher weder zusammengefasst noch effektiv ausgewertet. Dann sollten wir die Mittel – eventuell modifiziert – gezielt und massiert zum Einsatz bringen. Wohlgemerkt, wir reden von nichtletalen Erregern, die nicht oder nicht ernsthaft die Akarii-Bevölkerung direkt bedrohen. Niemand hat vor, etwas zu produzieren wie den Kran-Zwischenfall. Was wir beabsichtigen ist die potentiell dramatische Sekundärwirkung auf die geregelte Versorgung des Gegners, doch dies bietet ihm keinen ausreichenden Vorwand zum Einsatz von Massenvernichtungswaffen gegen zivile Ziele.“ Sie nickte der Schwadrons-XO zu: „Die Waffenabteilung der Schwadron, insbesondere die der Relentless, hat diesbezüglich bereits Voruntersuchungen angestellt. Natürlich kann unser Admiral keine theoretische Forschung an biologischen Kampfmitteln autorisieren…“ das hätte er möglicherweise schon gekonnt, zumindest hätte er den Antrag stellen können, aber ihnen fehlten die nötigen Mittel, Ausrüstung und Fachkräfte: „...aber unsere Experten haben sich bereits Gedanken über die Trägersysteme gemacht. Sie halten modifizierte Rettungskapseln, die abgeschossen werden und in der Atmosphäre ihren Kampfsatz freisetzen, für die beste Option. Schließlich werden unsere Verbände beim Rückzug aus dem System Minenfelder auf den gängigen Anflugrouten in unmittelbarer Umgebung des jeweiligen Planeten hinterlassen. Anschließend gruppiert sich der Angriffsverband neu und schlägt an anderer Stelle wieder zu. Zwischen den Angriffen besteht die Möglichkeit, beschädigte Schiffe an die Deckungsgruppe zu detachieren, man könnte von dort auch Nachschub beschaffen, inklusive Jäger, vielleicht könnte man sogar überlegen in der Deckungsgruppe Ersatzpiloten für die leichten Trägergeschwader mitzuführen.“

Wieder leuchtete eine weitere Statistik auf: „Kommen wir nun zu den Auswirkungen, die wir erzielen wollen. Nach den Analysen unserer Statistiker und basierend auf bisherigen Erfahrungswerten wäre die Zahl der direkten Todesopfer unter der Zivilbevölkerung durch den Beschuss und die unmittelbaren Angriffsfolgen wie Brände, Überschwemmungen und dergleichen auf einer Welt wie Rot Alpha durchaus überschaubar, da es sich weder um Überraschungsangriffe handelt, noch gezielt ein Maximum an Zerstörung von Besiedlungszentren beabsichtigt ist. Wir gehen davon aus, dass die gegnerischen Verluste mit durchschnittlich etwa fünf- bis zehntausend zu beziffern sind, und einer mindestens um Faktor fünf höheren Zahl an Verletzten. Die eigentliche Wirkung entfaltet der Angriff jedoch in den kommenden Wochen, wenn die Infrastruktur unter den Auswirkungen der Zerstörungen kollabiert, da das Transportsystem durch Rettungseinsätze, Flüchtlinge, Energiemangel und ähnliches mehr überlastet ist. Es ist abzusehen, dass dann die Lebensmittelvorräte lokal zur Neige gehen, es aber zugleich schwierig wird, ausreichend Nachschub heranzuschaffen. Dabei sind ungünstige Witterungsfaktoren noch nicht einmal mit einbezogen, wenn in einem Teil der bombardierten Gebiete etwa gerade Regenzeit oder Winter herrscht. Krankenhäuser werden überlastet sein, die Rettungskräfte stoßen an ihre Grenzen. In dieser Situation sind die verzögert anlaufenden Krisensymptome ohne Hilfe von außen kaum mehr beherrschbar, da kein Planet dieser Größe auf multiple Störungen auf mehreren Kontinenten und Zentren gleichzeitig vorbereitet ist. Auf Rot Alpha dürften sich binnen vier Wochen zwischen zwei und drei Millionen Einwohner in einer Situation befinden, die umfassende Hilfsmaßnahmen erfordert, und nahezu die ganze Bevölkerung ist zunehmenden Belastungen ausgesetzt wie die Rationierung von Strom, Wasser, Fernwärme und dergleichen mehr. Ein Teil der Schäden lässt sich auch nicht ohne weiteres beheben. Neue Staudämme zu errichten wird Zeit kosten, und die zerstörten Fusionskraftwerke sind voraussichtlich auf längere Zeit atomar verstrahltes Ödland.“ Bei Fusionsreaktoren bestand zwar nicht mehr die Gefahr einer unkontrollierten Kernschmelze, doch die zerstörten Reaktorkammern konnten erhebliche Mengen stark strahlender Partikel verbreiten. Der Captain hatte es vermieden, detaillierter auf die zu erwartende Gesamtzahl von Todesopfern einzugehen, die ihr und Mithel natürlich bekannt waren. Manche Spezialisten gingen davon aus, dass diese mindestens viermal so hoch ausfallen konnte wie die Toten des eigentlichen Angriffs.
Eine Analystin hatte berechnet, dass, wenn das Imperium oder benachbarte Systeme überhaupt nicht helfen konnten oder wollten, die Zahl der sekundären Opfer sogar zehnmal so hoch sein konnte, noch höher, wenn zusätzliche Faktoren wie Wetterextremata oder Unruhen hinzukamen.

Die junge Offizierin ließ jetzt weitere Welten hervorheben, zum Teil ganze Systemgruppen: „Es wäre zudem ratsam, unsere Verbindungen zu den verschiedenen Untergrundgruppen zu intensivieren, die gegen das Imperium kämpfen. Wenn diese ihre Anschläge verstärkt gegen Infrastrukturziele richten, sich eventuell auch an der Freisetzung von nichtletalen Biokampfmitteln beteiligen, die auf die gegnerische Agrarproduktion zielen, ließe sich die Auswirkung unserer Offensive potenzieren. Die Zahl und Umfang und damit Effekt der Anschläge wäre zwar begrenzt, die galaktische Streuung jedoch erheblich, was umfassende Gegenmaßnahmen fast unmöglich macht und die ohnehin angespannten Ressourcen belastet. Gerade Biokampfstoffe könnten relativ leicht weitergegeben und vermehrt werden.“ Wieder ein knappes Nicken in Richtung von Francis Larriand, dem TIS-Chef der Residentur im Sterntor-System: „Die Zielabwägung und Umsetzung wäre natürlich Sache Ihrer Spezialisten, da diese sich am besten auskennen mit den Schleichwegen ins Imperium, unseren möglichen Verbündeten und den besten Schmuggeltechniken. Wohlgemerkt, ich rede hier von einer konzertierten Aktion von Geheimdienst und Militär. Wenn wir etwas erreichen wollen, müssen wir alle an einem Strang ziehen.“
Larriand wirkte nachdenklich, gab aber nicht zu erkennen, was er von dem ganzen Vortrag hielt. Er wäre vermutlich als Pokerspieler in der Lage gewesen, ein Vermögen zu verdienen. Der Captain rührte, möglicherweise unwissentlich, ein stückweit an einem wunden Punkt. Viele der wichtigsten Verbindungen in das Imperium – und so viele waren das noch nie gewesen – mussten im Moment stillgelegt werden. Alles, wovon der konföderierte Geheimdienst gewusst hatte oder was ihm auch nur halbwegs wahrscheinlich bekannt war, konnte nicht länger als sicher betrachtet werden. Egal ob die Konföderierten diese Informationen schon weitergegeben oder die Akarii sie erbeutet hatten, die Annäherung zwischen Imperium und Konföderation hatte einen Gutteil des Agenten- und Kommunikationsnetzes der FRT auf das höchste gefährdet. Einen Einwand hatte er jedoch: „Das klingt verführerisch. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass die Guerilla abhängig vom Wohlwollen der lokalen Bevölkerung und von ihren Ressourcen ist. Anschläge, die sich gegen die Grundversorgung der Massen richten, treffen niemals nur die Akarii, sondern auch, vielfach insbesondere die unterworfenen Völker. Und wo es keine ,freundlichen' Zivilisten gibt, gibt es auch keine Guerilla.“
Der Captain der Relentless neigte leicht den Kopf: „Das können Sie sicherlich besser beurteilen. Vielleicht ließen sich aber dennoch einige gezielte Anschläge verüben, etwa gegen zivile Reparaturwerften. Oder gegen Ziele in überwiegend von Akarii bevölkerten Regionen...nun, die Einzelheiten kann nur der Geheimdienst entscheiden.“

„Wenn es uns gelingt…“ fuhr nun wieder die Schwadrons-XO fort: „eine Reihe von Welten zu treffen, dann werden sich die Wirkungen zweifellos gegenseitig verstärken. Wir halten es für realistisch, mit einem Vorstoß zwischen vier und sechs gegnerische Welten anzugreifen, dann sollte der nächste Angriff normalerweise in einem anderen Sektor erfolgen. Mit etwas Glück können wir davon ausgehen, dass die Sektorengouverneure zunehmend mit den Gegenmaßnahmen überlastet sind. Es wird ihnen im wachsenden Maße an Schiffen und Material mangeln, um die Schäden in akzeptabler Zeit zu reparieren und die Einwohner angemessen zu versorgen, von der Sekundärwirkung auf andere Welten einmal ganz abgesehen – sei es, weil Ressourcen und Transportraum für den Wiederaufbau und die Notversorgung der angegriffenen Systeme abgezweigt werden müssen, sei es weil die Angriffsziele ihrerseits als Exporteure ausfallen. In diesem Fall steht das imperiale Zentrum vor der Wahl, entweder Ressourcen von den Kriegsanstrengungen abzuziehen, was wiederum das eigentliche Kampfgeschehen beeinflussen kann. Oder aber man beschließt, die Peripheriesysteme sich selbst zu überlassen, was zu erheblichen Versorgungsengpässen, massiven Steuererhöhungen oder gar echten Krisen auch auf den nicht direkt angegriffenen Welten führen dürfte. Angesichts des angeschlagenen Ansehens der kaiserlichen Familie und Streitkräfte und der virulenten separatistischen Bewegungen steigt dann die Wahrscheinlichkeit, dass solche Bestrebungen am Rand des Imperiums an Einfluss gewinnen – zumindest aber, dass die Sektorgouverneure und die lokalen Kommandanten sich zunehmend allein gelassen fühlen und ihr Zweifel an den Fähigkeiten und Motiven des Zentrums wächst. Sie werden gezwungen sein, selbstständig zu entscheiden, etwas, was leicht das Misstrauen der Zentrale wecken kann. Diese hoffentlich wachsenden Differenzen könnten die Peripherie wiederum empfänglich für…Alternativen machen, etwa Stillhalteabkommen mit lokalen Guerillagruppen, vielleicht sogar mit unseren Streitkräften.“

Offenkundig war das, was Mithel und seine Untergebenen serviert hatten, ein Brocken, an dem sogar die zweifelsohne abgebrühten Zuhörer erst einmal zu kauen hatten. Nicht etwa, weil der Tod von gegnerischen Zivilisten ein Novum in der terranischen Kriegsführung gewesen wäre. Selbst wenn man die nach Möglichkeit verschwiegene Katastrophe von Troffen beiseiteließ, waren bisher schon mindestens zehn-, wahrscheinlich aber eher hunderttausende gestorben. Sie waren bei der Bombardierung ihrer Welten umgekommen, bei den Bodenkämpfen ins Kreuzfeuer geraten, oder dem Chaos nach der Besetzung zum Opfer gefallen. Weitere zehntausende waren vermutlich gestorben, weil die TSN Nachschublinien unterbrach und ihre Welten isoliert hatte. Einige tausend waren nach der Besetzung ihrer Welten den üblichen ,Abrechnungen’ von Seiten unterdrückter Rassen oder Ethnien zum Opfer gefallen, oder von FRT-Soldaten bei Razzien, der Jagd auf Guerillas und sonstigen ,Zwischenfällen’ erschossen worden. Aber wovon hier die Rede war, das war qualitativ etwas anderes. Der vorgestellte Plan sprach davon, quasi die Bevölkerung ganzer Planeten indirekt in Geiselhaft zu nehmen, so dass die Zentralregierung des Imperiums nur entscheiden konnte, ob sie ,nachgab’ und damit die Kriegsanstrengungen sabotierte, oder ihre eigenen Landsleute kaltherzig ihrem Schicksal überlies.

Überraschenderweise übergab Mithel das Wort jetzt an Marianne Sesiko, die als Verbindungsoffizierin eigentlich nicht Teil taktischer Planungen war. Aber die folgenden Erwägungen stammten zum Gutteil von ihr: „Natürlich müssen wir uns eines klarmachen – diese Vernichtungsaktionen, ob nun militärisch oder geheimdienstlich koordiniert und durchgeführt, können immer nur als Teil einer Gesamtstrategie wirksam werden. Um diese aber zu kalkulieren und umzusetzen, braucht das Militär Hilfe – zumindest ist die Planungsabteilung der Schwadron, ja vermutlich auch die flotteneigenen Analysten damit überfordert. Wir haben ein paar Ideen, aber über die Machbarkeit müssen andere entscheiden, und ihnen werden Fehler auffallen, die uns entgangen sind. Nicht zuletzt würden die Maßnahmen nicht nur die Streitkräfte betreffen und die Zusammenarbeit mit anderen Ministerien erfordern. Wir sprechen hier von einem ganzen Bündel an Fragen, Herausforderungen und Chancen. Können wir verstärkt Propaganda im Imperium betreiben, um die Unsicherheit, die viele Akarii im Moment fühlen, für uns zu nutzen? Wie können wir separatistische Bewegungen bei den Akarii unterstützen? Erkennen wir ihre Legitimität, ihre Herrschaft über Planeten an? Sollen, können wir versuchen, mit ihnen Gesandtschaften auszutauschen, Abkommen treffen, vermutlich erst einmal strickt auf die Kriegszeit und absolute Nothilfe begrenzt, die im einzelnen vielleicht bis zur materiellen Unterstützung und Absicherung ihrer Systeme durch unsere Einheiten gehen? Würde sie das nicht sofort den Rückhalt bei der lokalen Bevölkerung kosten? All das gilt es abzuwägen. Können wir unter den Kriegsgefangenen und in den besetzten Gebieten Verbündete für solche Verhandlungen finden?“
Es war klar, dass sich die Beteiligten über das Militärische hinaus Gedanken gemacht hatten: „Und wie gehen wir künftig mit den Bevölkerungen in den besetzten Gebieten um? Sollte die Struktur der Besatzungsverwaltung geändert werden, mit einer stärkeren Einbeziehung der Einheimischen und terranischer Zivilkräfte? Bisher ist das konkrete Vorgehen unserer Meinung nach viel zu sehr Sache der lokalen militärischen Kommandeure gewesen. Natürlich haben viele gute Arbeit geleistet.“
Sesiko sprach es nicht aus, aber einige hatte alles andere als das getan. Mehrere Systemkommandeure waren in den vergangenen Jahren abgelöst worden, weil sie sich schlecht verhohlen bereichert hatten, lokale Aufstandsbewegungen und Unruhen nicht in den Griff bekamen oder aber mit einem Ausmaß an Brutalität und Gleichgültigkeit gegenüber der Notlage der Besetzen agiert hatten, die selbst die nicht eben zimperliche Regierung und Militärführung der FRT nicht hinnehmen konnte. Und was für die Kommandospitze galt, das fand sich natürlich auch auf den unteren Ebenen, bis hin zu den einfachen Soldaten.
„Leider scheinen die meisten unserer planetaren Verwalter nicht weiter zu blicken als auf eine möglichst verlässliche Pazifisierung. Diese ist natürlich wichtig, wir müssen uns aber fragen, ob das ausreicht. Auch wenn wir diese Welten nicht ,behalten’ wollen, wäre es nicht sinnvoll, sie nicht nur mit einer Art misstrauischer, mal mehr, mal weniger wohlwollenden Vernachlässigung zu behandeln? Wir haben vielfach die lokale Wirtschaft abgerüstet, so dass sie gerade einmal sich selbst und die Garnisonstruppen erhalten kann, dazu vielleicht etwas lokaler Handel mit Nachbarsystemen. Aber können wir nicht mehr erreichen, zumindest partiell Wirtschaft und Bevölkerung für uns einspannen oder gar gewinnen, oder sie in einer Art und Weise beeinflussen, die eine eventuelle Wiedereingliederung in das Imperium erschwert, gleichgültig ob diese Gewaltsam oder unter dem Druck von Verhandlungen erfolgt? Gibt es Ideen, Gruppen, Glaubensrichtungen, ob menschliche, die wir ihnen nahe bringen, oder einheimische, die bisher unterdrückt waren, und die vielleicht potentielle Verbündete wären? Sollen wir stärker als bisher die soziale und wirtschaftliche Ordnung zu beeinflussen versuchen? Es kann sein, dass einige Welten in den kommenden Jahren erneut den Besitzer wechseln – wie stellen wir uns darauf ein? Wie gehen wir mit neu eroberten Welten um?“

Es war interessant, die Reaktionen auf diese letzten Fragen zu beobachten. Obwohl die drei Admiräle Mann für Frau mehr als kompetente Offiziere waren, wirkten sie im ersten Moment eher ratlos. Dies gehörte nicht zu den Fragen, über die nachzudenken an den Militärakademien gelehrt wurde, und ein stückweit betrachteten viele Militärs solche Dinge als unter ihrer Würde. In der Vorkriegsausbildung hatten Themenkomplexe wie psychologische Kriegsführung, Diplomatie und besonders Besatzungspolitik nahezu vollständig gefehlt, und daran hatte sich in den ersten zwei Kriegsjahren wenig geändert, als die TSN um ihr Überleben kämpfte. Als die ersten Akarii-Welten besetzt worden waren, hatte man auf Handbücher zurückgreifen müssen, die während der Terranischen Einigungskriege einige Jahrhunderte zuvor verwendet worden waren, ergänzt um ein paar Richtlinien zum Umgang mit renitenten Koloniewelten. Niemand hatte eine wirkliche Vorstellung gehabt, was es bedeutete, ein paar Millionen Wesen einer fremden Rasse zu beherrschen, von denen viele nichts lieber gesehen hätten als die neuen Herren tot zu ihren Füßen.
Doch während die Admiräle fast verunsichert erschienen, wirkten Jergian, Diaof, Nkuma und Larriand wie Jagdhunde, die auf einer frischen Fährte waren.

Es war Mithel, der das Schlusswort des Vortrages übernahm: „Sie sehen also, wir haben mit Bedacht darauf verzichtet, den Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Wir wollen keinen Plan in der vermessenen Annahme präsentieren, wir wüssten am besten, wie der Sieg zu erringen sei. Was wir haben sind Ideen, militärische Einsatzprotokolle, Prognosen. Dies mit Leben zu erfüllen und umzusetzen – dafür benötigen wir Ihre Hilfe und Ihren Sachverstand. Ich glaube fest daran, dass diese Strategie dazu beitragen kann, uns unserem gemeinsamen Ziel ein Stück weit näher zu bringen. Meine Untergebenen teilen diese Ansicht. Ich baue fest auf Ihre Ratschläge, Ihre Verbesserungen und Einwände, um diese Pläne zu vervollkommnen, sollten Sie meine Ansicht über ihr mögliches Potential teilen. Ich danke Ihnen…“

Damit hatte Mithels Vortrag geendet, doch die eigentlichen Diskussionen hatten erst richtig begonnen. Schnell kristallisierte sich heraus, dass der Rear-Admiral Interesse geweckt hatte. Nicht nur Miles Long schien den Vorschlägen deutlich etwas abgewinnen zu können – sei es, dass er Mithels grundsätzlich Überlegungen beipflichtete, den neuen Kommandeuren der 5. Flotte nicht viel zutraute und das Heft in die Hand nehmen wollte, vielleicht aber auch vor dem Hintergrund, dass das geplante Operationskorps möglicherweise ,seiner’ 3. Flotte unterstehen sollte und ihm vielleicht helfen würde, zusätzliche Ressourcen zu mobilisieren. Außerdem hatte der Admiral so viele Angehörige in diesem Krieg verloren, dass Mitleid mit dem Feind wohl kaum zu seinen Fehlern gehörte. Zudem konnte er so möglicherweise etwas Einfluss auf das Vorgehen in den besetzten Gebieten nehmen, das bisher vielfach von Leuten der 2. Flotte geregelt worden war. Er hatte allerdings gewisse Bedenken, was den Einsatz von ehemaligen Konföderierten anging. Wenn man tatsächlich Marschrouten über konföderiertes Territorium wählte, konnte es immer zu Zusammenstößen mit irgendwelchen krankhaft Akarii-hörigen Kommandeuren kommen. Eine direkte Auseinandersetzung mit ehemaligen Kameraden war aber eine große Belastung für die Exiltruppen. Niemand könne garantieren, dass sie nicht erneut desertieren würden. Mithel hatte diese Bedenken teilweise mit Verweis auf die Screening-Verfahren entkräften können, bei denen die Überläufer zum Teil psychologisch begutachtet wurden. Außerdem hatte die TSN generell ein wachsames Auge, und würde die ehemaligen Konföderierten meistens gemischt mit FRT-Personal einsetzen, überwacht von vertrauensvollen Offizieren.
Larriand schien zurückhaltend, aber interessiert. Auf den ersten Blick hörte sich das Vorhaben vielleicht vielversprechend an, würde es doch bei einer Realisierung zu einem enormen Bedeutungs-, Material- und Prestigezuwachs für die Geheimdienste führen. Und wenn er dabei seine Duftmarkierung setzen konnte, winkte ihm vielleicht sogar noch mehr als sein ohnehin prestigeträchtiger Posten. Andererseits war er ein zu vorsichtiger und erfahrener Fuchs, um sich ohne Rückversicherung bei seinen Vorgesetzten aus dem Fenster zu lehnen. Aber er hörte zu und beteiligte sich auch aktiv. So schlug er vor, das Misstrauen zwischen Zentrum und Peripherie zu schüren, indem man eventuell Spielmaterial von Abkommen und Verhandlungen fabrizierte, Gerüchte in die Welt setzte und dergleichen mehr. Natürlich musste man mit so etwas vorsichtig sein, solche ,graue' und ,schwarze' Propaganda - also Informationen, deren Herkunft nicht klar war, oder die gar unter ,falscher Flagge segelten' - konnte auch leicht nach hinten losgehen.
Geradezu Feuer und Flamme waren die beiden Ministerpräsidenten, Jergian natürlich noch mehr als ihr Kollege. Nkuma stand den beiden kaum nach. Alle waren sie von der Idee angetan, den Akarii ein paar schmerzhafte Schläge zu versetzen, nicht zuletzt vor dem Wissen, dass es genau das war, was die Menschen der FRT verlangten, nachdem sie die Bilder von Hannover, besonders aber die von Masters gesehen hatten.
Doch es war mehr als das. Was sie neben den möglichen Vorteilen für die terranische Kriegsführung reizte, ihnen vielleicht auch ein Stück weit schmeichelte, war die Chance, ein größeres Mitspracherecht bei den militärischen Planungen zu erkämpfen, das Gefühl, an den wichtigen Entscheidungen teilzuhaben. Nkuma ließ es sich natürlich nicht nehmen darauf hinzuweisen, dass die REPUBLIKANER zweifelsohne an so einem Plan großes Interesse haben würden. Unausgesprochen hieß das, eine republikanische Administration wäre doch viel sinnvoller…
Das war natürlich für die Ohren der beiden Ministerpräsidenten bestimmt, die bei aller Achtung gegenüber dem demokratischen Prozess auf ihren Welten einiges an Einfluss ausüben konnten, in welche Richtungen sich die politische Großwetterlage entwickeln würde. Er sprach auch davon, dass das von ihm entscheidend mitgeprägte ,Normandy-Projekt’, ein Landungsmutterschiff mit der Kapazität eines Hilfsträgers, eventuell im Rahmen der Operationen erprobt werden könnte. Da er viele hochrangige Senatoren kannte, war seine Unterstützung etwas, was Mithel nur Recht sein konnte.

Girad und Auson schließlich schienen zwar ebenfalls interessiert, aber offenbar etwas reserviert. Vielleicht, ja vermutlich störte es sie, dass Mithel mit diesen Vorschlägen nicht zuerst zu ihnen gekommen war, wie es eigentlich die militärische Dienstvorschrift erfordert hätte. Er hatte sie gewissermaßen übergangen, die Pläne nicht erst innerhalb der 5. Flotte ausdiskutiert, sondern nicht nur jemand ,Auswärtiges’ wie Miles Long, sondern sogar drei Politiker hinzugezogen, die eigentlich mit taktisch-strategischen Entscheidungen nichts zu tun hatten. In den Augen vieler Militärs war das nicht nur ein Novum, sondern ein Unding.
Aber der Rear-Admiral hatte sich entschieden, sei es zum Guten oder zum Schlechten. Zum einen, weil er felsenfest davon überzeugt war, dass es von entscheidender Bedeutung war, Politiker und Geheimdienst – und solche ,Externen’ wie Admiral Long – nach Möglichkeit von Anfang an einzubeziehen. Zum anderen, weil es eben nicht nur um eine mögliche Strategie für die 5. Flotte ging, und weil er darauf kalkulierte, dass der richtige Moment für so einen Plan HIER und JETZT war. In Sterntor, wo die Trümmer nach dem feindlichen Angriffs noch rauchten, und wo nicht nur die öffentliche Meinung sondern auch viele Entscheidungsträger auf Vergeltung aus waren. Diese Chance wollte er nicht verstreichen lassen.
Ironischerweise waren es ausgerechnet diese zwei Militärs – von denen zumindest Girad nun wirklich nicht im Rufe stand, besondere Skrupel zu hegen – die so etwas wie moralische Bedenken äußersten. Vielleicht ernüchterte sie die Leichtigkeit, mit der Mithel über die zu erwartenden Opfer hinwegging, oder sie sahen in dem was auf Troffen geschehen war einen Schandfleck auf der Ehre der Navy, ja der gesamten Menschheit, und hatten deshalb auch Ressentiments gegen einen Plan, der auf dem Davis-Entwurf fußte, der ja letztendlich zu Troffen beigetragen hatte. Freilich waren sie beide, gerade Auson, ein Stück weit auch Getriebene der Ereignisse. Auson hatte die 5. Flotte zu einem Zeitpunkt übernommen, an dem es das Selbstverständnis der Flotte als fast schon zwingend erscheinen lassen musste, irgendwie – aber in jedem Fall spürbar – Rache zu nehmen. Dazu verdankte er seine Beförderung zum Gutteil den beiden Ministerpräsidenten, die fast noch begieriger auf Akarii-Blut schienen als der Schöpfer des Plans. Doch das hinderte die zwei Admiräle nicht an wohl überlegten Bedenken. Wenn es einmal zu Verhandlungen mit den Akarii käme, so ihr Argument, dann war es sicherlich nicht ratsam, zu viel böses Blut zwischen beiden Völkern geschaffen zu haben. Zudem mochten die Angriffe den Widerstandswillen der Bevölkerung des Imperiums zum Teil auch stärken, da sie es erleichterten, weiterhin Geschichten von den terranischen Barbaren und Blutsäufern zu verbreiten. Und natürlich bestand die Gefahr, dass die Akarii gerade Angriffe mit zugegebenermaßen nichtletalen Biokampfstoffen als Vorwand für verschärfte Vergeltungsmaßnahmen nutzten.

Mithel hatte die Bedenken natürlich ernst genommen, und dies nicht nur, weil sie von seinen direkten Vorgesetzten kamen. Er hatte zugestimmt, was mögliche Friedensverhandlungen betraf, aber auch darauf verwiesen, dass das bisherige Verhalten der Akarii wenig Interesse an einem Frieden auf Augenhöhe erkennen ließ. Wenn das Imperium zum Zeitpunkt seiner größten Niederlagen nicht einmal vorsichtige Friedensfühler ausgestreckt hatte, dann war wohl erst dann mit einer gewissen Bereitschaft für Kompromisse zu rechnen, wenn dem Kaiserhof klar wurde, dass die momentanen Erfolge eben keine wirkliche Wende zum Besseren bedeuteten. Gerade die geplante zusätzliche Zersetzung des Imperiums hatte auch das Potential, die Zentralregierung unter Druck zu setzen, das Leiden der eigenen Zivilbevölkerung zu beenden, jetzt, wo diese nicht mehr so geduldig und vertrauensvoll war wie früher. Was den Einsatz von biologischen Waffen anging, so könnte man erst mit kleineren Feldversuchen anfangen, etwa Fischkulturen in einer bestimmten Region verseuchen, das Getreide in einer anderen, einen Pilz, der auf Nutzreptilien der Akarii übergriff und so weiter, und dann die Reaktion des Imperiums abwarten. Das gab dem Feind zwar die Möglichkeit, Gegenmaßnahmen zu entwickeln, aber es reduzierte das Risiko von überhasteten Vergeltungsaktionen. Andererseits hatten die Akarii mehrfach ihre eigene Rücksichtslosigkeit demonstriert, so dass von moralischen Hemmschwellen beim Feind ohnehin kaum die Rede sein konnte – eher von Furcht vor terranischen Racheakten. Die Hinzuziehung von Psychologen und Juristen mochte dazu dienen, die Risiken eines solchen Vorgehens auszuloten, so Mithel.
Girad hatte schließlich darauf hingewiesen, dass Terror – und darauf fußte die skizzierte Strategie zum Gutteil – noch keinen Krieg gewonnen hatte. Mithel hatte gleichmütig reagiert, ohne sich irgendwie angegriffen zu fühlen: „Nun, Admiral, von militärhistorischem Standpunkt erlaube ich mir, da zu widersprechen. Es gibt durchaus Beispiele, wo eine Politik des Terrors zumindest über einen Zeitraum von einigen Jahren bis Jahrzehnten erfolgreich war – wie auch, natürlich, für das Gegenteil. Doch dies waren oft Maßnahmen, die weit über das hinausgehen, was wir hier beratschlagen, und was wir mit unserem Gewissen vereinbaren können. Es geht uns nicht in erster Linie um Terror, geschweige denn um Terror um jeden Preis, nur um der Rache willen. Wir wollen den Krieg für das Imperium unerträglich machen, einerseits damit es ihn nicht weiterführen kann, und nicht weiterführen WILL. Wenn es dabei darum geht, nicht nur die Industrieanlagen, sondern gewissermaßen auch die Moral des Feindes zu bombardieren…einer unserer Vorgänger, heute würde er wohl mindestens ein Trägerflottille kommandieren, befand sich meines Wissens in einer ähnlichen Situation, damals, als der Luftkrieg auf der Erde noch eine relativ neue Sache war. Auch er war Teil der Kriegsbestrebungen gegen eine aggressive totalitäre Diktatur, die Anspruch auf totale Dominanz erhob. Und es waren seine Bomber, die für lange Zeit die einzige Waffe waren, die den Krieg ins Gebiet des Feindes tragen konnten, denn die Bodentruppen kamen nicht recht voran. Er sagte, man habe es eben noch nie versucht, und man werde sehen, wie die Sache ausgeht. Natürlich hat er den Krieg nicht mit seinen Piloten gewonnen. Übrigens mussten sie einen schrecklichen Preis zahlen für ihren Kampf, mit Verlustraten, die durchaus denen unserer Flieger entsprechen. Aber sie haben durchgehalten, bis zum Schluss. Worauf ich aber hinaus will – dieser Air Marschall Arthur Harris galt lange Jahre als jemand, dessen Strategie nicht mehr bewirkt habe als Leid und Zerstörung in den bombardierten Städten, wobei natürlich oft ausgeblendet wurde, warum es überhaupt zu dieser Zerstörung gekommen war. Dann fand man heraus, dass die Auswirkungen seiner Luftangriffe, und der Gegenmaßnahmen, zu denen sie den Gegner zwangen, tatsächlich erheblich für den Sieg seiner Seite ins Gewicht gefallen waren. Die Lehren der Geschichte sind also zwiespältig. Kann der vorgestellte Plan allein den Sieg bringen? Sicher nicht. Kann er erheblich dazu beitragen? Das zu entscheiden, liegt an Ihnen. Ich sehe es nicht als mein Ziel, so viele gegnerische Zivilisten zu töten wie möglich. Aber ihren Tod potentiell, ja billigend in Kauf nehmen…was geschieht denn anderes beim konventionellen Vorgehen der letzten Jahre? Wir haben diesen Krieg nicht gewollt, und wir haben ihn nicht begonnen. Aber wir müssen ihn führen und gewinnen. Wenn das ohne den Tod von Akarii-Zivilisten geht, soll es mir Recht sein. Aber wir haben uns weder in der Vergangenheit durch dieses Risiko Fesseln anlegen lassen, noch können wir das künftig tun. Wir alle wissen, dass der einfachste und schnellste Weg, das Sterben zu beenden in der Hand des Kaiserhofes liegt – sie müssten einfach den Krieg beenden, den sie widerrechtlich und heimtückisch begonnen haben. Das werden sie voraussichtlich in naher Zukunft nicht tun. Die Lage, und die Aussichten für den Fall eines feindlichen Sieges erlauben es aber einfach nicht, irgendein vertretbares Mittel der Kriegsführung auszuschließen. Sie alle wissen, dass wir uns erst vor wenigen Wochen gezwungen sahen, unsere Männer und Frauen in den sicheren Tod fliegen zu lassen. Nicht nur mit der GEFAHR, dass sie fallen könnten, sondern mit der GEWISSHEIT. Ich denke, jeder der hier Anwesende wird ALLES in seiner Macht stehende tun wollen, damit so etwas nie, NIE wieder geschieht.“ Das war, angesichts der Anwesenheit von Ministerpräsidentin Jergian, ein stückweit ein Tiefschlag gegen jegliche Bedenken und Skrupel. Und in diese Situation wog die Erinnerung an die Kamikaze von Masters schwer. Mithel konnte es sich freilich nicht zu verkneifen, eine abschließende zynische Bemerkung anzufügen: „Wir können uns natürlich ähnliche humanistische Gesten wie Admiral Taran mit seiner kapituliert-oder-sterbt-Ansprache erlauben, die den Akarii eine Flucht aus den Zielgebieten nahe legen.“

Am Ende waren sie zwar von einer endgültigen Festlegung weit entfernt, aber es schien sich abzuzeichnen, dass etliche der Teilnehmer deutliches Interesse an den Entwürfen zeigten. Sowohl die Angestellten des Geheimdienst als auch die der politischen Entscheidungsträger von Masters würden in nächster Zeit wohl einiges zu tun bekommen, wenn es darum ging, die Planungen zu komplettieren. Es war Admiral Long, dem die Ehre zukam, die letzte Frage zu erörtern: „Sagen Sie, Rear-Admiral, wo Sie sich schon entschlossen haben, uns diesen Plan anzupreisen, haben Sie sich schon einen Namen für die ganze Operation ausgedacht? Damit wir wissen, welche Überschrift auf dem Blatt steht, das wir mit unserem Blut unterzeichnen.“ Letzteres kam mit einem schiefen Grinsen. Der Admiral, den offenbar weder Skrupel noch Zweifel plagten, kannte sich anscheinend etwas mit terranischer Mythologie aus.
Mithel nahm die Frage jedoch durchaus ernst: „Nun, was das angeht, so ist noch nichts in Stein gemeißelt. Namen sind ja bekanntlich nicht nur Schall und Rauch, sie sind oft mitentscheidend für das Bild, das die Öffentlichkeit von einem Vorhaben gewinnt. Namen erwecken Bilder zum Leben, geben Raum für Vorstellungen, Hoffnungen, und Ängste. Ich dachte, darüber können wir angelegentlich gemeinsam entscheiden. In unserer Planungsabteilung haben wir bisher nicht mehr als einen internen Arbeitstitel. Zuerst dachte ich ja über so etwas wie ,Piranha’ nach, oder ,Anakonda’ – Raubfische, die ihre Beute mit zahllosen Bissen zerfetzten, beziehungsweise eine Schlange, die ihr Opfer in unerbittlicher Umklammerung erdrosselt.“ Er zuckte mit den Schultern: „Theatralik liegt einem beim Militär eben im Blute. Aber meine Schiffskapitänin…“ Er nickte Liu Shan-Lee freundlich zu: „hatte einen, wie ich finde, besseren Vorschlag. Intern nennen wir den Operationsplan seitdem ,Língchí’, nach einem Begriff aus dem mittelalterlichen China.“ Mithel bemerkte, dass anscheinend keiner seiner Gäste so richtig etwas mit dem Begriff anfangen konnte. Er grinste, auf eine gespenstische, geradezu leblose Art und Weise, nur durch ein knappes Verziehen seiner Lippen, dass es fast an einen Totenschädel gemahnte: „Língchí war eine Strafe für besonders abscheuliche Verbrechen. Übersetzt bedeutet das in etwa ,den Tod durch tausend Schnitte’…“

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"Das Leben ist das was einem passiert, während man andere Pläne schmiedet." John Lennon

Mitglied der Autorenkooperationen "Dantons Chevaliers" und "Hinter den feindlichen Linien"
11.11.2015 18:28 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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Kampferfahrung: Nichts als Terror und nackte Angst!

Die große Armada war geschlagen, ein Gedanke bei dem man jauchzen konnte. Karrek Thelam war jedoch weder nach dem Jubel zumute, den die Schiffsbesatzungen anstimmten, noch fühlte er sich wie ein Sieger.
Die Terraner hatten mit kaltblütiger Brutalität für jeden Verlust, den sie erlitten, zurückgeschlagen. Stahl für Stahl und Blut für Blut.
Barbaren hatte Lay Rian sie vor der Schlacht genannt. Ungeziefer das es auszutilgen galt hatte Jor sie genannt. Schlächter war sein Name für die Menschenlinge gewesen, welchen den Peshten die helfende Hand gereicht hatten, nachdem diese seinen Vater ermordet hatten. Duv Ren, der Geschwaderkommandant der Nakobi hatte viele Spottnamen für die Menschen, doch Karrek glaubte, dass er sie insgeheim respektierte, wie es Norr Wilko fast schon offen zugab.
Nach den wenigen Stunden der Schlacht, die jetzt schon fast in einem grauen Schleier von Erinnerungsfetzen verschwanden, folgten Tage der Arbeit.
Die Flotte musste neu organisiert werden. Es galt die Verluste und Schäden festzustellen. Die Terraner hatten den Preis für ihre eigenen Verluste verlangt. Den Preis in Blut und Stahl.
Zwei Flottenträger waren vernichtet worden. Die Gor Keshii mitsamt ihrer Besatzung und über der Hälfte ihrer Jäger. Vernichtet mitten in der Hochphase der Schlacht, durch einen dummen Zufall und Wartungsrückstände welche die langen Einsatzzeiten der imperialen Flotte in diesem Krieg bedingten.
Eine terranische Raumkampfrakete, die von irgendwelchen Täuschkörpern abgelenkt worden war hatte einen landenden Deltavogel aufs Korn genommen und getroffen. Dieser hatte sich in Form von brennenden Trümmern über das Flugdeck verteilt und weitere Maschinen und bereitgestellte Munition in Mitleidenschaft gezogen. Ganz davon abgesehen, was der Trümmerregen mit der Besatzung des Flugdecks angestellt hatte.
Die Brandbekämpfungsanlage hatte entweder gar nicht oder erst viel zu spät reagiert; das Feuer hatte die Treibstoffbunker der Gor Keshii erreicht und die folgenden Explosionen hatte den einst stolzen Träger in eine Trümmerwolke verwandelt.
Was Karrek an dieser Tragödie am meisten erschütterte, war, dass er und die anderen Offiziere im Stab Rians um den Zustand der Gor Keshii gewusst hatten. Aber mit der Musterung der alten Träger der Nova-Klasse war es außer Frage gewesen, die Keshii in eine Werft zu schicken statt sie mit in die Schlacht zu nehmen. Er persönlich hatte dafür gesorgt, dass die Crew der Keshii wieder auf Sollstärke gebracht wurde und über hundert Offiziere und Mannschaften quasi von anderen Einheiten gepresst.
Ein dritter Flottenträger war so schwer beschädigt worden, dass er selbst den optimistischsten Schätzungen fast zwei Jahre in eine Werft musste, falls man ihn nicht gleich abwrackte.
Und jetzt dieser Auftrag. Lay Rian schickte ihn durch die ganze Flotte, damit er sich ein persönliches Bild von der Einsatzbereitschaft machen konnte und damit er den Kommandanten und Besatzungen den Dank der Großadmiralin ausdrücken konnte.
Auf den ersten Schiffen waren ihm die Offiziere mit äußerster Vorsicht und sogar Ablehnung begegnet. Als würden sie eine Inspektion fürchten. Doch schon am zweiten Tag hatte sich herumgesprochen, dass er kam um sich die Nöte anzuhören und Dankendworte auszurichten, hatte sich die Stimmung verändert.
Die Begrüßungen wurden herzlicher und die einfachen Soldaten begutachteten ihn mit so etwas wie Ehrerbietung.
Bewunderung und Ehrerbietung, Monate zu Spät, jetzt wo Linai aktiv wurde und ihrem ungeborenen Sohn den Thron zu sichern. Allen Berichten von Akarr zu folgen überschlug sich die imperiale Administration quasi für die amtierende und zukünftige Prinzess-Regentin.


Das dumpfe Klacken von Sicherungsklammern riss ihn aus seinen Gedanken. Sie waren an ihrem nächsten Ziel angekommen.
Karrek blickte seinen Adjutanten an: „Welches Schiff ist es und wie heißt der Kommandant?“
Der junge Leutnant sichtete kurz seine Unterlagen: „Eigentlich sollte es der Zerstörer Katesch sein mein Lord. Beim Anflug jedoch sah es eher aus wie ein Truppentransporter.“
„Truppentransporter?“ Er wusste natürlich, dass die Flotte einige davon in ihren Tross hatte. Einige zu Lazarettschiffen umgebaut.
„Es ist die Pokmarr, Lord Admiral“, Norr Wilko kam mit halb geöffneter Fliegerkombi aus dem Cockpit. Möglicherweise war es eine große Ehre von einem Kriegshelden wie Wilko geflogen zu werden. Vielleicht war er aber auch nur Rians Aufpasser.
„Die Pokmarr, die ist doch zum Gefangenentransporter umfunktioniert worden“, stieß der Leutnant erschrocken aus.
Wilko antwortete mit einem frechen Grinsen: „Na, aufgeregt, Pesh?“
Pesh blickte zu Karrek und dann zurück zu Wilko: „Commander, ich bin mir nicht sicher, ob Großadmiral Rian damit...“
„Und mein Lord“, wandte sich Wilko an Karrek, den Leutnant komplett ignorierend, „seid Ihr neugierig unserem Feind Aug in Aug gegenüberzutreten?“
Er brauchte gar nicht lange zu überlegen: „Selbstverständlich.“
Natürlich klang er nicht ganz so selbstsicher, wie er es gerne hätte, doch vor Wilko wollte er sich wirklich keine Blöße geben.
Am Schott der Pokmarr war schon eine Ehrenwache angetreten und wie schon viermal zuvor heute, wurde er mit allen militärischen Ehren an Bord willkommen geheißen.
Wie nicht anders zu erwarten gewesen, waren weder der Kommandant der Pokmarr noch der Oberst, der das Infanteriekontingent befehligte, das die Gefangenen bewachte, besonders glücklich darüber, dass er die Terraner sehen wollte.
Letztlich ließen sich beide dazu durchringen, dass Karrek die abgesonderten Offiziere besuchen durfte.


Langsam machte sich wirkliche Nervosität in Karrek breit. Auf der Pokmarr hatte man die Gefangenen nach Dienstgruppen separiert. Einfach Mannschaften, Unteroffiziere, Offiziere, Stabsoffiziere und Ingenieure. Letztere stellten ein besonderes Problem da, hatte ihm der Kapitän erläutert. Wie bei der Imperialen Marine waren die Ingenieure der Terraner exzellent ausgebildete Experten. Für sie war es am einfachsten irgendwelche Sicherheitsmaßnahmen zu überwinden und frei laufende feindliche Techniker bedeuteten eine große Gefahr für das gesamte Schiff. Die Wachen mussten viel mehr Zeit aufbringen, um diese zu bewachen. Die Kontrollen waren strenger und gründlicher.
Ein weiteres Problem war dabei auch, dass in modernen raumfahrenden Marinen die Anzahl des technisch ausgebildeten Personals fast die Oberhand nahm.
Die traditionelle akariische Offiziersschule betrachtete sich mit ihrer taktischen und der Kommandoausbildung immer noch als die Elite. Die traurige Tatsache war jedoch, dass seit über fünfhundert Jahren, die technischen Offiziere und vor allem die Unteroffiziere immer wichtige wurden. Und für den reinen Betrieb der Flotte wohl wichtiger waren als die Hälfte aller Admirale.


Grimmig dreinblickende Marineinfanteristen warteten am Ende eines kurzen Korridors, welcher zu einem der Hauptwohndecks führte.
Die Pokmarr war ein älteres Schiff und schon früher als Gefangenentransporter genutzt worden. Die Schlafquartiere, die ursprünglich für die imperiale Infanterie gedacht waren, bestanden aus großen Abteilungen, mit fünfgeschossigen Etagenbetten.
Auf der Pokmarr hatte man das weiter vergrößert, indem man Wände und Schotten herausgenommen hatte, sowie verschiedene Zugänge zu den Großraumquartieren einfach verschweißt hatte. Im Falle eines Unglücks eine Todesfalle.
Die Infanteristen öffneten das schwere Panzerschott und gingen zuerst hinein.
Nach einem kurzen Zögern, das er damit überspielte indem er seine Uniform glatt zog folgte ihnen Karrek, Norr Wilko dicht auf seinen eigenen Fersen.
Zum ersten Mal blickte er seinem Feind entgegen. Allein der Geruch der Menschenlinge war sonderbar. Mindestens vierzig von ihnen blickten ihm entgegen. Teils verunsichert und ängstlich, andere trotzig und stolz.
Ein Männchen, so glaubte Karrek zu erkennen, erhob sich von seiner Pritsche und bellte etwas in den Raum und nach und nach erhoben sich die übrigen zu so etwas wie stillgestanden.
„Warum haben wir eigentlich keinen Übersetzer“, raunte er Wilko zu.
„Ich kann für Euch übersetzen, Lord Admiral.“
„Nein, ich meine so ein Übersetzungsgerät.“
Der Pilot zuckte die Schultern: „Daran habe ich jetzt gar nicht gedacht. Hier wird wohl der Geheimdienst die meisten in seinem Gewahrsam haben.“
Der terranische Offizier, der seine Leute ins Achtung befohlen hatte kam auf ihn zu. Er war von dunkler Hautfarbe, nicht direkt schwarz, fast so als hätte man einen schwarzen und einen weißen Terraner gemixt. Auf dem Kopf trug er schwarzes Haar, welches sich an manchen Stellen gräulich färbte, etwa fünf Zentimeter lang. Sein Gesicht war ebenfalls von Haar bedeckt, jedoch viel kürzer, fast stoppelig.
Der Mensch blieb etwa fünf Schritte vor Karrek stehen, legte die rechte Hand an die Stirn, was die terranische militärische Ehrbezeugung darstellte und sagte etwas.
Karrek blickte fragend zu Norr Wilko.
„Admiral dritten Ranges namens Patrizio Miguel Valesques, Terranische Weltraumstreitkräfte“, übersetzte Norr ein wenig holprig beim Namen.
Karrek Thelam blickte sein Gegenüber an, der seine Hand immer noch an die Stirn angelegt hatte und scheinbar auf eine Erwiderung wartete. Er verbeugte sich, kaum mehr als ein Kopfnicken: „Admiral zweiten Ranges Karrek Thelam.“
Seine restlichen Titel ließ er weg. Der Mensch versuchte es zwar zu verbergen, doch der Name Thelam ließ in seine Augen weiten, bevor Norr Wilko übersetzte.
Der menschliche Admiral ließ die Hand wieder sinken und bellte den anderen Terranern einen Befehl zu, der sie veranlasste die Habt Acht Stellung zu verlassen. Einige setzten sich wieder auf ihre Betten, andere rotteten sich zusammen und tuschelten.
Wilko und der Terraner wechselten einige Worte, ehe sich der Pilot wieder an Karrek wandte: „Der Admiral hat gefragt, ob er einem imperialen Prinzen gegenübersteht. Ich habe ihm geantwortet, dass Sie ein Neffe des verstorbenen Imperators sind und das Sie sich im Auftrag Großadmiral Rians über das Wohlbefinden der Gefangenen informieren sollen.“
Karrek konnte nicht anders als abfällig schnaufen: „Wohlbefinden...“
Der terranische Admiral deutete den Korridor entlang und führte sie herum. Dabei stellte er keinen seiner Kameraden vor.
Die anderen Gefangenen verhielten sich ganz unterschiedlich. Einige legten sich auf ihre Kojen und wandten sich demonstrativ von der kleinen Gruppe ab, andere starrten sie mit offener Feindschaft oder Hass an, andere wirkten verunsichert und neugierig.
Patrizio Miguel Valesques gab einige Beschwerden zum Besten, die Norr Wilko pflichtschuldig übersetzte. Vornehmlich ging es darum, dass er sich gerne von dem Befinden der anderen Gefangenen überzeugen würde und ob man einige Offiziere aus der Isolationshaft entlassen könnte.
Karrek beließ es erst einmal dabei einfach nur zuzuhören und versuchte seine aufsteigende Neugier so gut es ging zu unterdrücken. Dies war sein erster Krieg und er war noch nie einem anderen Militär gegenübergestanden als dem eigenen.
Wer waren diese Soldaten? Hatte sie das gleiche Pflichtbewusstsein wie ihn in die Uniform gedrängt oder waren sie halb ausgebildete Wehrpflichtige? Wobei letzteres bei der Leistungsfähigkeit der terranischen Truppen nicht in Frage kam.
Er blieb stehen und blickte einen feindlichen Offizier in der neuen Pilotenmontur an, die so eindeutig auf der Erforschung akariischer Technik beruhte. Wenn er die silbernen Rangabzeichen richtig deutete, war er ein Kapitän ersten Ranges.
Der Terraner saß auf seiner Pritsche, das linke Bein angewinkelt und dabei das Knie fast bis ins Kinn herangezogen. Die gesamte Körperhaltung und auch die Mimik, wenn er sie richtig deutete drückten Trotz aus.
Der Offizier knurrte etwas in dieser ungeschliffenen, sich fast unordentlich klingenden Menschensprache, welche erstaunlicherweise dazu diente, dass sich die Menschen verschiedener Herkunft untereinander verständigen konnten.
Karrek brauchte weder den terranischen Admiral, der seinen Untergebenen augenscheinlich schaltete, noch brauchte er Wilkos Übersetzung, um zu wissen dass der Mensch ihn gerade beleidigt hatte.
Was ihn mehr an der Sache störte war Norr Wilkos offensichtliches Amüsement, welches auch den beiden Gefangenen nicht verborgen geblieben war.
„Möchten Sie uns vielleicht aufklären, Commander?“
„Selbstverständlich mein Prinz, dieser Offizier ist eigentlich der Grund unseres Besuches. Darf ich vorstellen, Kapitän ersten Ranges Justin McQueen, der einzige terranische Pilot, der mich beinahe mal abgeschossen hätte.“


Während Norr Wilko sich fast eine halbe Stunde mit dem terranischen Piloten unterhielt, den er augenscheinlich nicht nur Respekt entgegen brachte, war Karrek noch ein wenig durch das Gefangenenlager geschlendert und hatte eine Menge neuer Eindrücke aufgenommen.
Anschließend hatte er sich mit dem Kommandanten der Pokmarr besprochen, wie dessen Schlüsse über diese Menschenlinge war.
„Terraner, T'rr, Akarii“, schnaufte der alte Offizier, „wenn man sie in einen Käfig sperrt sind sie alle gleich. Ein Akarii bricht in einem Gefängnis genau so schnell wie jedes andere Wesen. Er ist genauso erfindungsreich, wenn es darum geht auszubrechen und kein Stück weniger grausam, wenn er seine Mitgefangenen quälen will.
Ein Akarii, den man in eine Zelle sperrt, hört auf ein Akarii zu sein. Nach allem was ich bisher sehen konnte scheint es bei den Menschenlingen genauso zu sein.“
„Eine ernüchternde Erkenntnis, Kapitän.“
Dieser sah ihn einen Augenblick an und drückte dann seinen Rücken durch: „Wenn mein Prinz gestatten, alle Wahrheiten sind ernüchternd, wenn man sie zum ersten Mal erkennt und noch viel ernüchternder, wenn man sie zum zweiten Mal erkennt.“
Es war deutliche Verbitterung in der Stimme des alten Mannes zu hören. Nach einem kurzen Moment holte der ältere Akarii eine Packung Tabakstäbchen hervor, die Karrek nicht einordnen konnte.
„Terranische Zigaretten, eine furchtbare Angewohnheit. Darf ich Euch eine anbieten mein Prinz.“
Einen Augenblick war Karrek versucht das Angebot wirsch abzulehnen, dann erkannte er woher der Kommandant der Pokmarr ihm bekannt vorkam.
Stattdessen nahm er das angebotene Rauchwerk an, obwohl er eigentlich nicht rauchte: „Sie waren mal Operationsoffizier in der Homefleet.“
„Das ist korrekt, mein Prinz, das war ich und Admiral zweiten Ranges. Bis Jor mich degradierte, weil ich ihn mit hässlichen Wahrheiten konfrontierte. Wie auch andere Offiziere, die plötzlich eine Fronde waren und schon fast als Meuterer verschrien wurden.
Seitdem konnte ich mich zum Gefängniswärter hoch dienen.“
Darauf wusste Karrek nicht zu antworten. Andere hatten es schlimmer erwischt, seinen Cousin Taran um vieles besser.


Zu seinem Glück wurde er von Norr Wilko erlöst, der zu ihnen stieß: „Lord Admiral, entschuldigt bitte aber das nächste Schiff wartet auf unseren Besuch.“
Karrek funkelte den Piloten wütend an, nickte aber nur.
Sie wurden mit dem gleichen Pomp verabschiedet, wie sie begrüßt wurden.
„Was sollte dieser Besuch, Commander?“ fuhr Karrek Wilko an.
„Wie meinen?“
„Ich werde hier mit einem verbitterten alten Greis konfrontiert, den Jor zu recht oder von mir aus auch zu Unrecht geschasst hat. Was treiben Sie und Rian für ein Spiel?“
Der Pilot versteifte sich und alle Freundlichkeit war mit einem mal wie weggewischt: „Großadmiral Rian gibt Euch hier die vielleicht einzigartige Möglichkeit, das Ansehen der imperialen Familie in der Flotte wieder herzustellen. Euer hoch ehrenwerter Cousin, Kronprinz Jor hat in dieser Flotte einen Schaden angerichtet, den man kaum beziffern kann.
Sie werden hier herumgereicht um der Flotte zu zeigen, dass Jor kein Musterbeispiel für die imperiale Familie war, sondern ein bedauerlicher Ausreißer.
Er hat sich als selbstverliebte, eitle, beratungsresistente, rachsüchtige Person etabliert und zwar in den Köpfen aller Schichten der Flotte. Selbst die einfachen Soldaten haben doch mitbekommen, was aus ihren fähigen Offizieren geworden ist und warum diese plötzlich versetzt und degradiert wurden.
Jeder in der Flotte sieht, wo wir heute sind und jeder weiß, wer daran schuld ist, obwohl es vor und auch jetzt nach seinem Tod keiner auszusprechen wagt.
Und das schlimmste von allen ist, dass so offensichtlich ist, dass er seine Pflicht, seine oberste Pflicht vernachlässigt hat.“
„Was soll bitte schön die oberste Pflicht eines Kronprinzen sein, Commander, was versteht ihr davon?“
Norr seufzte: „Jeder junge Akarii und jeder Soldat lernt, dass er sich und seine persönlichen Bedürfnisse den Bedürfnissen des Reiches unterzuordnen hat.
Jeder von uns weiß, auch wenn nicht alle sich daran halten, dass wir alle dem großen Ganzen dienen müssen.
Jor als imperialer Kronprinz hätte sein Leib, sein Leben und sein gesamtes Streben in den Dienst des Imperiums stellen müssen und nicht umgekehrt. Dies wäre seine erste Pflicht gewesen, eine Pflicht aus der all seine Verantwortungen erwachsen wären! Wir beide und viele anderen wissen, dass er diese Pflicht nicht erfüllt hat und somit sich selbst, seinem Vater, dem Reich und der Uniform, die er so gerne zur Schau gestellt hat, Schande gemacht.“
„Solche Worte könnten Sie den Kopf kosten, Commander!“
„Ja, mein Prinz! Genauso wie mich jeder Tag an dem ich meine Pflicht erfülle mein Leben kosten könnte“, konterte Wilko, „dieses Risiko hat mich noch nie davor zurückschrecken lassen in meinen Jäger zu steigen.
Jors Verhalten hat einen immensen Bruch im Vertrauensverhältnis der Flotte zu ihrer obersten Führung geführt und Großadmiral Rian weiß, dass mehr nötig ist als eine Prinzess-Regentin, die vernünftige politische Entscheidungen trifft um dieses Vertrauensverhältnis wieder herzustellen.
Die Offiziere und Mannschaften der Imperialen Raumstreitkräfte brauchen wieder das Gefühl, dass es eine imperiale Führung gibt, die an ihrer Seite bereit ist zu kämpfen und auch zu sterben.
Aber keine Sorge mein Prinz, Sie machen Ihre Sache bislang sehr gut und Großadmiral Rian ist mehr als nur willens Ihnen dabei so gut es geht zu helfen.“
„Dann sind Sie also doch mein Wachhund“, Karrek schnaufte abfällig.
„Nein, ich wollte den besten Piloten, den die Menschenlinge aufzubieten hatten, persönlich kennen lernen und Sie waren mein Ticket dafür. Und Ihr werdet in Zukunft damit angeben können, dass Ihr den menschlichen Barbaren ins Antlitz geblickt habt, wenn Ihr wollt.“

Roswell Station
Aldebaran FRT

Da Roswell Station nicht im Orbit eines nahen Planeten lag und man der Besatzung aus Gründen der Geheimhaltung und der Transferkosten nicht in regelmäßigen Abständen Landurlaub geben konnte, waren die Crewquartiere im einiges komfortabler als an Bord von Kriegsschiffen oder Orbitalhabitaten.
Vier Piloten teilten sich jeweils ein kleines Appartement aus zwei Schlafräumen, einem Wohnzimmer und einem Bad. Für jeden, der an Bord eines Trägers gedient hatte, wirkte diese Arrangement eher wie eine Studenten WG als eine angemessene Kaserne.
Nach den beengten Verhältnissen auf Markham Fields war es Hanna Lindbergh anfangs ungewohnt vorgekommen, doch jetzt wo sie Stubenarrest hatte, wusste sie diesen Luxus umso mehr zu schätzen.
So war es vor allem schwerer ihr den sozialen Umgang zu verbieten, nicht dass Commander Stafford irgendwas in der Richtung gesagt hatte.
„Ich hätte ja eigentlich nicht gedacht, dass der Alte Dir einfach so Arrest aufbrummt, ohne Dich anzuhören“, Mary Adams saß am kleinen Wohnzimmertisch auf dem Fußboden und war dabei die Vorarbeiten an Hannas Helm für das neue Callsign zu leisten.
„Vor allem, wenn man so gehört hat, wie er sich über Ward und seine Bande von Sonntagsfliegern gemotzt hat“, Irina Andrejew flegelte sich auf der Couch und betrachtete missmutig die leeren Biergläser, „wann wollte Tami nochmal kommen?“
Es läutete.
„Es ist offen, Tami“, rief Adams ohne von ihrer Arbeit aufzusehen.
Ihr wäre beinahe der Helm runter gefallen, als Andrejew in die Höhe schnellte.
„ACHTUNG!“
In der geöffneten Tür stand Commander Stafford und blickte kritisch in die Runde. Die Dienstuniform der Navy hing wie ein schlaffer Sack an seinem dürren Körper und der leichte Fünf-Uhr-Schatten auf den Wangen ließen ihn alles andere als den erfahrenen Geschwaderführer erscheinen, als der er sich in den letzten Monaten gezeigt hatte.
Das gesamte Bild wurde von einem billigen, abgewetzten Cowboyhut abgerundet, den man als Werbegeschenk zu einem Six-Pack Bier bekam.
Adams hatte schnell gelernt, dass man Stafford sehr schnell ansehen konnte, wann er verärgert war und es erschien deutlich, dass der Commander es seinen Pilotinnen übel nahm, dass sie sein Zeichen für einen informellen Besuch einfach übergingen.
„Rühren, darf ich rein kommen?“
Ein wirklich großer Bonuspunkt für den Commander war, dass er seinen Ärger selten, wirklich sehr selten an seinen Untergebenen ausließ. Selbst wenn diese es sich redlich verdient hatten.
„Eigentlich wollte ich mit Lieutenant Lindbergh sprechen aber ich gehe wohl recht in der Annahme, dass der Inhalt nicht lange unter uns bleiben würde oder?“
Die drei Pilotinnen warfen sich einen Blick zu, der Antwort genug war.
„Sir“, begann Lindbergh zögerlich, „wenn es um meine Rangelei mit Greene geht...“
„Rangelei, Lieutenant? Greene geht immer noch O-Beinig.“
„Der dumme Sack kann froh sein, dass er noch laufen kann“, knurrte Irina.
„Sie hat niemand gefragt, Lieutenant!“ konterte Stafford und wandte sich wieder Lindbergh zu, „und Sie, Sie können packen!“
Der jungen Pilotin klappte der Mund auf: „Sir, ich... ich habe doch... Sie schmeißen mich raus?“
Auch die beiden anderen Pilotinnen sahen aus, als ob er ihnen ein nasses Handtuch ins Gesicht geschlagen hätte.
„Nein, ich versetze Sie. In vier Tagen kommt die Liberty hier an und Sie werden mit an Bord sein! In Sterntor werden Sie einem Geschwader der 5. Flotte zugeteilt.“
Der Schrecken wandelte sich in ein Grinsen: „Ich komme an die Front?“
„Ich weiß zwar nicht, was es da zu grinsen gibt aber ja, Lieutenant.“
„Sie Arsch“, raunte Irina, „darum haben Sie sie summarisch kassiert, das von Ward geforderte Verfahren hätte mindestens zwei Wochen in Anspruch genommen.“
„Bei manchen fällt der Groschen wirklich centweise und es ist immer noch Commander Arsch für Sie.“
„Jawohl! Sir!“
„Also, Hanna, wie gesagt, packen Sie Ihre Sachen und bereiten Sie sich auf den Abschied vor. Und vor allem, gehen Sie nochmal die Handbücher für die Standardeinsätze durch.“
„Aye-aye, Skipper.“
„Ich meine es ernst. Es gibt einen Grund, warum es Dinge ins Handbuch schaffen und dieser Teil der Ausbildung ist bislang hier etwas untergegangen.“
Lindbergh nickte jetzt ernsthafter: „Wird gemacht, Boss.“
„Gut, dann Ihnen allen noch einen schönen Abend.“
Kaum dass sich die Tür hinter Stafford geschlossen hatte, brachen die drei Pilotinnen in schallendes Gelächter aus.
„Gucken Sie nochmal in die Handbücher“, äffte Adams den Geschwaderführer nach.
„Mein erster Staffelführer sagte mir, dass es keine Standardsituationen gäbe und ich die Handbücher in den Müll kloppen könnte“, Andrejew schüttelte den Kopf, „man möchte meinen, die Kommandantenschule würde dem Lametta standardisierte Propaganda einimpfen, die sie an uns weitergeben können.“
„Dazu müssten sich die Admirale und Komitees erst einmal einig sein, welchen Mist sie uns zu fressen geben“, Adams hielt Hanna den Helm entgegen, „Und wie findest Du es?“
„Geil!“ Die jüngere Pilotin riss ihren Helm fast an sich. „Endlich mein eigenes Callsign und es klingt gar nicht mal doof.“
Die russische Pilotin knuffte sie: „Das hast Du Dir auch verdient, Kicker.“

TRS Relentless
Sterntor


Ein interessanter Mann, dachte George Auson bei sich. Über den Lebenslauf von Chris Mithel nachdenkend wirkte diese ganze Veranstaltung sowohl absolut nachvollziehbar als auch total falsch. Eine verstörende Erfahrung.
Nach allem, was er über den frischgebackenen Rearadmiral wusste, war Mithel Offizier und Soldat gleichermaßen durch und durch.
Andererseits hatte erst dieser Krieg seine Karriere richtig beflügelt und vor dem Krieg hatte Mithel lange in mittlerer Ebene verbracht.
Eine weitere Möglichkeit war, dass Mithel es einfach so gedeutet hatte, dass die beiden Ministerpräsidenten anwesend sein mussten, hatte deren Wort doch dafür gesorgt, dass Auson jetzt die 5. Flotte befehligte.
Oh, verflucht. Auson nippte an dem vorzüglichen Kaffee, den der Rearadmiral am Anschluss seiner Präsentation hatte servieren lassen.
Vielleicht hätte man ihn etwas stärker machen können, doch für so eine gemischte Runde hatte er die absolut richtige Stärke.
Er kippte den Rest des Kaffees und stellte die Tasse auf einem der Beistelltische ab.
Nach kurzem Zögern ging er direkt auf Girad zu.
„Sie kennen unseren Gastgeber besser als ich, gehe ich direkt auf ihn zu oder übermittele ich ihm Nachrichten eher diskret.“
Girad unterbrach ihr Gespräch mit Mithels Stabschiffin, die aussah, als ob sie etwas zu dem Thema beizutragen hätte, sich jedoch nicht in den Wortwechsel der beiden Flaggoffiziere einmischte.
„Auch eine diskrete Note würde den Admiral durchaus erreichen“, Girad nickte der jüngeren Offizierin zu, „doch soweit ich mich recht entsinne, weiß er ein offenes Wort von einem Vorgesetzten eher zu schätzen. Der Admiral ist eigentlich kein Mensch subtiler Spielereien oder?“
„Das stimmt Ma'am.“
„Gut, damit kann ich arbeiten“, entschied Auson und verließ die beiden Offizierinnen und nahm direkten Kurs auf Mithel, der sich gerade mit Diaof und Larriand unterhielt.
„Chris, auf ein Wort, bitte“, unterbrach Auson die Unterhaltung im Ansatz rüde.
Sowohl der Ministerpräsident von Masters als auch der Geheimdienstchef des Sektors blickten ihn etwas verwirrt an.
„Sir?“ war Mithels undeutbare Antwort.
„Privat, wenn es möglich wäre.“
„Natürlich, Sir“, Mithel deutete in Richtung des Schotts welches in Richtung der Hauptkorridore führte.

Es war ein einziger kleiner Schritt durch ein ovales Schott aus Stahl und man betrat eine andere Welt. Hinaus aus der Offiziersmesse, mit ihren teilvertäfelten Wänden, dem dunklen Teppich, Bildern mit Marinemotiven sowie den mit weißen Tischdecken bestückten Tischen.
Hinein in den grauen Korridor, dem jeglicher Schmuck fehlte. Man befand sich wieder auf einem Kriegsschiff der TSN.
George Auson glaubte auch wieder das konstante Wummern der Reaktoren des Kreuzers wahrzunehmen. Natürlich war dieses Geräusch auch in der Messe zu vernehmen gewesen, doch war es in der Atmosphäre und den Gesprächen untergegangen.
Hier auf dem Korridor fügte es sich in den Klang des Kriegsschiffes mit ein. Die Relentless war ein lebendiger eigener Kreislauf. Die Mannschaft hielt sie am Leben und das Kriegsschiff hielt seine Besatzung am Leben.
Die vier Ensigns, die vor der Offiziersmesse bereit standen um den Gästen als Führer zu dienen, verstummten und verfielen wie ein Mann in Habt-Acht-Stellung.
Auson nahm sich die Zeit, um jeden einzelnen kurz anzusehen und wahrzunehmen. Alle vier, drei Männer und eine Frau, eigentlich noch halbe Kinder, trugen ihre Paradeuniform im tadellosen Zustand. Der Admiral konnte nicht umhin sich vorzustellen, wie Mithel höchst selbst vor Beginn des Abends bei allen Vieren mit der Flusenbürste letzte Hand angelegt zu haben, damit sie seinem Standard entsprachen.
„Sehr schön, tadellos, rühren“, Auson blickte zu Mithel, der links den Gang entlang deutete, in Richtung Brücke.

Auson wartete, bis er außer Hörweite der vier Junioroffiziere war, dann packte er es ganz direkt an: „Wollen Sie etwa bei mir schleimen?“
„Sir?“
Das Ausrufezeichen am Ende der Frage war nicht zu überhören.
„Wir sind beide Flaggoffiziere und wenn in den nächsten Tagen irgendwem im HQ doch noch ein Rückgrat wächst, bin ich schneller wieder Rearadmiral als ich huch sagen könnte, von daher können Sie das Sir unter vier Augen weg lassen. Nennen Sie mich George oder nennen Sie mich Auson. Von mir aus auch Admiral aber sie sind kein zum Rapport einbestellter Subaltern-Offizier.“
„Dann lassen Sich mich die Frage ausformulieren, Admiral“, fuhr Mithel nach kurzen überlegen weiter, „wie meinen Sie das, schleimen?“
„Sehen Sie, ich überlege schon den ganzen Abend, warum Sie die planetaren Oberhäupter von Masters und Seaford eingeladen haben, um eine militärische Operation vorzustellen. Sollten Sie der Meinung sein, dass Sie mir damit einen Gefallen tun, weil Jergian und Diaof angeblich meine Gönner sind, liegen Sie falsch.
Sollten Sie jedoch versuchen hier und heute politisches Kapital zu schlagen, kann ich Sie nur beglückwünschen. Beide sind einflussreiche Leute und zumindest Jergian schien Ihnen aus der Hand gefressen zu haben. Wenn dies aber der Fall wäre, müsste ich mein Missfallen über die Verletzung der Befehlskette zum Ausdruck bringen.“
Einen kurzen Augenblick gingen die beiden Admirale schweigend nebeneinander her, erwiderten den Salut zweier Unteroffiziere, die ihren Weg kreuzten und Auson kam nicht umhin die gepflegte Atmosphäre der Relentless zu bewundern.
„Möchten Sie, dass ich Ihnen meine Motive genau erläutere, Admiral“, entgegnete Mithel schließlich, als sie nach rechts in den Zentralkorridor einbogen.
Nun war es an Auson kurz zu überlegen: „Nein, eigentlich nicht. Mir wäre viel lieber, diese Arbeitsbeziehung intakt zu beginnen. Sie sind mein erfahrenster Schwadronskommandant und ich brauche Sie mit hundert Prozent Einsatz auf ihren Posten. Ich werde, naiv wie ich bin, einfach davon ausgehen, dass meine Botschaft angekommen ist.“
Mithels Antwort war eine Mischung aus Schnauben und Lachen.
„Kennen Sie meinen Ruf, Chris?“
„Natürlich“, der Kommandeur der Relentless Schwadron blieb vor einer Aufzugtür stehen und orderte einen Lift.
„Dann wissen Sie, dass ich mit meiner, hm, laschen Art immer ein effektives Kommando geführt habe. Sie lassen ihre Leute durch ihre Methoden über sich hinaus wachsen, ich habe meine Methoden, glauben Sie mir.“
Sie traten in den Aufzug.
„Brücke“, befahl Mithel und blickte Auson unverwand an. Er war etwas größer als sein Vorgesetzter und da er dazu auch noch schlank war, wirkte er deutlich größer als Auson.
Auson blickte ihm entgegen und Mithel konnte in seinen braunen Augen erst im zweiten Augenblick scharfe Intelligenz entdecken, die von Wärme und Freundlichkeit überstrahlt wurde. Dem kleineren Admiral ging die greifbare Präsenz ab, die viele andere Offiziere in ähnlicher Position besaßen.
Auch fehlte ihm die scheinbar sichtbare Energie, die einen von innen zu verbrennen schien, die man bei Offizieren auf der Überholspur fand.
Was immer Auson als Linienoffizier ausgezeichnet hatte, war entweder verschwunden oder versteckte sich hinter einem Mann, der auf den ersten Blick wie Mittelmaß wirkte.
„Darf ich denn ganz offen fragen, was Sie dem Plan halten, den mein Stab ausgearbeitet hat?“
Auson atmete tief durch: „Er ist grausam und brutal. Ihn anzustoßen wird gravierende Auswirkung, vor allem auch für eine Nachkriegszeit haben. Gleichzeitig ist er raffiniert und erscheint mir eine reale Möglichkeit zu sein, die Akarii in ihrer jetzigen Position soweit unter Druck zu setzen, dass sie bereit sind sich mit uns an einen Tisch zu setzen, um die Gefahr eines wirklichen Bürgerkrieges im Reich entgegenzutreten. Oder gar weiteren Auflösungserscheinungen. Letztlich muss ich aber mit meinem Stab die Details sichten, bevor ich eine abschließende Empfehlung abgeben kann.“
„Grausam und brutal...“, Mithel wurde von den sich öffneten Lifttüren unterbrochen.
„Admiral auf der Brücke!“ rief ein Unteroffizier aus.
Während auf Fahrt die Brückengasten und Offiziere die Meldung stillschweigend zur Kenntnis nahmen, löste er hier im Orbit um Seafort aus, dass die Angehörigen der Nachtwache aus ihren Stühlen hoch federten und Haltung annahmen.
Mithel ließ rühren und nahm dann die Meldung des Dienst habenden Lieutenant entgegen. Scheinbar sehr zur Irritation des Rearadmirals blickte die junge Frau immer wieder zu dem ziellos über die Brücke wandernden Auson hinüber.
Als Mithel mit dem Rapport zufrieden war, ließ er die Wachhabende wieder zur Ihrer Arbeit zurückkehren und wandte sich selbst wieder seinem Gast zu.
„Wo waren wir stehen geblieben, Admiral?“
Auson betrachtete gerade das Hauptschiffsdisplay, welches einen Querschnitt der Relentless mit allen wichtigen Systemen zeigte: „Sie schienen über meinen Ausdruck grausam und brutal etwas irritiert oder sollte ich sagen belustigt?“
„Verwundert trifft es ganz gut.“
Auson nickte: „Gerade wenn man meine aktuelle private Situation bedenkt, nicht wahr?“
„In der Tat.“
„Ich würde wirklich alles tun, um meinem Schwiegersohn zu helfen. Tatsächlich und das gestehe ich nicht ein, ohne dass es mir zu einem gewissen Grad peinlich ist, habe ich seit vielen Jahren zu ersten Mal wieder gebetet.
Aber dieser Plan wird Lucas Cunningham nicht im Geringsten helfen oder?“
Mithel runzelte die Stirn: „Nein, ich wüsste nicht wie.“
„Gut, dann kann ich mich rational und ganz nach Clausewitz damit befassen.“
„Ich gehe davon aus, Sie haben sein Werk weiter als bis zum viel im falschen Kontext zitierten Satz gelesen“, wollte Mithel schmunzelnd wissen.
„Natürlich, Sie nicht?“ Auson verfiel in eine nachdenkende Pose, „Krieg ist ein Akt der Gewalt um den anderen seinen Politischen Willen aufzuzwingen. Die andere Partei soll nieder geworfen werden, soweit es geht, dass sie einsieht, den eigenen politischen Willen zu erfüllen, weil er für sie angenehmer ist als sich zu wehren.“
„Soweit so gut, nur waren unsere bisherigen Anstrengungen die Akarii davon zu überzeugen nicht gerade von Erfolg gekrönt. Etwas Drastischeres muss her.“
„Ja, dem kann ich wenig entgegen setzen“, gestand Auson ein, „doch Clausewitz ging davon aus, dass eine völlige Vernichtung des Feindes so gut wie ausgeschlossen ist und auch wir sollten uns eingestehen, dass wir aktuell nicht in der Lage sind die Kriegsmaschinerie der Akarii zu neutralisieren. Daraus folgt, dass wir auch nach einem siegreichen Krieg mit den Akarii leben müssen. Dies führt schließlich dazu, dass wir uns überlegen müssen, wie es dann weiter geht. Wie sieht der Frieden mit dem Feind aus? Oder haben wir nur eine Zeit des Waffenstillstands, wo beide Seite schon für den nächsten Waffengang rüsten?
Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Was bedeutet, dass unsere Politische Führung sich ganz genau überlegen sollte, wie weit man den Krieg führen kann und darf, denn es gibt immer ein Hinterher.“
Auson deutete auf den zweiten Aufzug auf der Steuerbordseite der Brücke.
Der immer noch nachdenklich wirkende Mithel übernahm erneut die Führung, schwieg jedoch bis die beiden allein im Lift standen: „Hanifa Jergain wirkt nicht wie eine Frau, die zur Zeit an das Hinterher denkt.“
„Nein, nicht im geringsten“, stimmte Auson zu, „kann man ihr aktuell auch nicht verdenken. Es bleibt zu hoffen, dass in Berlin kühlere Köpfe sitzen und sie zumindest so lange hinhalten, bis mein Stab zumindest eine Bewertung abgeben kann.“
„Befehlskette?“
Auson nickte mit schrägem Grinsen: „Befehlskette.“

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"Das Leben ist das was einem passiert, während man andere Pläne schmiedet." John Lennon

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11.11.2015 18:29 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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An Bord der Columbia
Sterntor-System

First Lieutenant Donovan „Stuntman“ Cartmell strampelte sich im Sportstudio an Bord an einem stationären Fahrrad ab um seinen Frust und seine Wut unter Kontrolle zu bringen und um auf andere Gedanken zu kommen, als an Jean Davis denken zu müssen.
Es half zumindest ein bisschen, wenn der Schweiß in Strömen floss und er seine Gedanken frei schweifen lassen konnte.
Das erste an was er nach Jean denke musste, war der Zustand der Roten Staffel. Und diesen nach den Sterntorkämpfen als angeschlagen zu bezeichnen war absolut geschmeichelt. Cartmell wusste, dass die Staffel zwar nur zwei KIA zu verzeichnen hatte, was im Angesicht der harten Kämpfe der letzten Woche durchaus als glimpflich zu bezeichnen war.
Doch der langfristige Ausfall von Lone Wolf wog schwer. Die Staffelführer der Roten Staffel schienen in der Tat von einer Art Fluch befallen zu sein. Jeder, der diese Staffel jemals geführt hatte – und sei es auch noch so kurz – war nicht mehr da. Lone Wolf schwer verwundet, Darkness in Gefangenschaft, Radio gefallen, Skunk verschollen, Ace versetzt. Als nächstes war jetzt Mantis an der Reihe und ein Teil von Donovan wünschte seiner Intimfeindin auch ein ähnliches Schicksal.
Doch für die Staffel war das fatal. Nicht nur fehlte ihnen die Konstanz in der Staffelführung, sondern so langsam begannen sie auch an ihren eigenen Fähigkeiten zu zweifeln. Und diese Art von Aberglauben war für Kampfpiloten Gift.
Mantis war eine solide Pilotin und sie hatte im Laufe der Zeit sich eine gewisse Ruhe und Autorität angeeignet, die ihr zumindest erlaubte ihren Job zu machen. Doch ihr fehlten das Charisma und die Ausstrahlung um diese tiefe Krise zu bewältigen. Titan war beileibe noch nicht so weit eine Führungsposition einzunehmen, so sehr sie sich das auch wünschte. Too-Tall hatte mit sich selbst genug zu kämpfen, Artist war seit den letzten Schlachten ein seelisches Wrack und Tulip, Arrow, Kid, Dog, und Sonnyboy waren noch viel zu unerfahren um solch eine Rolle zu übernehmen. Wobei letzterer seinem Wesen entsprechend sich die größte Mühe gab als Seele der Einheit zu fungieren. Trotz seiner jungen Jahre hatte Sonnyboy ein offenes Ohr für jeden, der reden wollte und vor allem Artist und Tulip schien das zumindest gut zu tun.
Und was war mit Donovan selbst? Nun, er gab sich keinerlei Illusionen mehr hin, eine Führungsrolle würde er aufgrund seiner Vergangenheit nicht mehr einnehmen können. Das würde ihm niemand abnehmen und es gäbe mit Sicherheit genügend Kräfte innerhalb der Angry Angels, die das auch mit aller Vehemenz bekämpfen würden. Nein, Cartmell war sich klar, dass er gemessen an den Feindabschüssen einer der besten Piloten des gesamten Geschwaders war, aber mehr auch nicht.
Die Staffel musste mit zwei Piloten aufgefüllt werden, das war klar, doch Donovan hoffte inständig, dass das nicht wieder zwei Frischlinge oder relativ unerfahrene Ersatzleute werden würden.
Denn wenn doch, dann würde der nächste Einsatz wahrscheinlich mehr als nur zwei tote Piloten für die Rote Staffel bedeuten.

***

Second Lieutenant Anthony „Arrow“ Gant stand in korrekter Hab-Achtstellung im Büro von Lieutenant Commander Nicole „Mantis“ Shaw, der Staffelführerin der Roten Staffel.
Arrow konnte sich schon denken, warum ihn seine Kommandeurin einberufen hatte und sein Herz pochte wie wild ob des Gedankens, dass die Entscheidung über die Ordensvergabe in diesen Tagen anstehen musste.
„Stehen sie bequem, Lieutenant!“
„Danke, Ma´am.“
Mantis musterte Arrow einen Moment mit einem kühlen Blick, den Gant nicht ganz zuordnen konnte. Die Schärfe in ihren Augen ließ ihn vermuten, dass er den Orden wohl nicht bekommen würde.
„Lieutenant Gant, ich komme mal direkt zum Punkt: Ich habe hier ein Schreiben eines gewissen Rear Admiral Zabaleta, seines Zeichens Leiter des strategischen Stabs des Chief of Naval Operations in direkter Berichtslinie zu Admiral Nathan Frost. Sie kennen Admiral Zabaleta?“
„Ja, Ma´am, ich kenne einen Commodore Rear Admiral Enrique Zabaleta. Er war Leiter von West Point während meiner Ausbildung dort.“
Mantis schaute sich das Schreiben noch einmal an.“Jepp, Enrique Zabaleta, mittlerweile aber Rear Admiral wie gesagt.“
Gant blickte seine Vorgesetzte etwas ratlos an, denn er wusste nicht, auf was sie hinaus war.
„Möchten sie mir das Schreiben vielleicht einmal erklären, Lieutenant?“
Gant war vollkommen perplex. „Ma´am, ich… ich habe keine Ahnung was in diesem Schreiben sein soll.“
„Ach nein? Wirklich nicht?“
Gant straffte sich. „Nein, Ma´am!“
„Sie haben also nicht hinter meinem bzw. hinter Lone Wolfs Rücken ein Versetzungsgesuch gestellt?“
„Nein, Ma´am. Ich kenne die Vorschriften und würde diese auch nie umgehen. Falls Admiral Zabaleta eine Versetzungsanfrage gestellt hat, dann ist das auf sein eigenes Bestreben hin geschehen und ist nicht von mir gestellt worden.“
Mantis blickte ihn immer noch finster an, doch sie schien ihm zu glauben. „Das weiß ich, Gant, wenn es jemanden hier an Bord gibt der nicht nur alle Handbücher und Vorschriften auswendig kennt, sondern sie auch noch befolgt, dann sind sie das. Aber wieso dann diese Anfrage? Wieso kennen sie den Admiral überhaupt?“
„Ma´am, wie gesagt, Admiral Zabaleta war damals der Leiter von West Point. Ich habe mit Summa cum laude abgeschnitten und die Abschlussurkunde hat er mir und ein paar anderen Golden Eagles damals persönlich überreicht.“
„Golden Eagles?“
„Ma´am, einer alten Tradition nach werden die jeweils besten Absolventen eines Jahrgangs als Golden Eagles bezeichnet.“
„Wenn sie ein so schlaues Bürschchen sind, warum hat man sie nicht gleich in den Generalsstab geschickt?“
„Die Angebote hatte ich schon damals, Ma´am. Aber erst habe ich abgelehnt, weil ich unbedingt noch Pilot werden wollte und meinen Abschluss auf Markham machen wollte. Und dann um an die Front zu kommen und diesen Krieg nicht nur am Schreibtisch zu erleben.“
Mantis blickte den hochgewachsenen Piloten verständnislos an. „Sie haben eine mögliche Karriere in der Admiralität gegen einen potenziell tödlichen Fronteinsatz eingetauscht?“
„Ja, Ma´am! Zunächst einmal geht es hier nicht um meine Karriere. Wir sind im Krieg!“
„Das weiß ich sehr wohl selber!“
„Natürlich, Ma´am tut mir leid!“ Gant wartete einen Augenblick um seiner Staffelführerin die Gelegenheit zu geben, sich wieder zu beruhigen. Er hatte nicht vor gehabt, sie zu reizen, aber offensichtlich war sie in dieser Hinsicht etwas dünnhäutig. „Aber da sie nun einmal gefragt haben, Ma´am, die Chancen auf einen zukünftigen Posten in der Admiralität sind ungemein höher in den Fällen, in denen Gefechtserfahrung erlangt werden konnte. Aber nur um das klarzustellen, hier und jetzt ist für mich nur wichtig einen guten Job als Kampfpilot zu machen und meiner Staffel bestmöglich zu helfen. Was mir bislang leider noch nicht gelungen ist.“
„Naja, sie haben immerhin einigen ihrer Kameraden das Leben gerettet oder sie zumindest vor der Gefangenschaft bewahrt. Und werden dafür vielleicht sogar einen Orden erhalten.“
Mantis war trotz ihrer Worte das unterschwellige Missfallen an dieser Situation anzumerken. „Aber dennoch, das Ganze ist immer noch äußerst seltsam und vollkommen unüblich. Aktive Feindeinheiten werden in der Regel nicht von der Front abgezogen, es sei denn aus kriegswichtigen Gründen, als Strafversetzung oder auf eigenen Wunsch hin und selbst das wird nur in seltenen Ausnahmefällen und meist erst nach einiger Zeit genehmigt.“ Mantis schien sehr genau zu wissen, worüber sie sprach, was Arrow auch nicht verwunderte, sollten die kursierenden Gerüchte stimmen.
„Ma´am, das ist jetzt das insgesamt dritte Mal, dass man mich davon überzeugen will in den strategischen Stab zu wechseln. Aber sie haben Recht, ich hätte zumindest eine Kontaktaufnahme seitens des Admirals erwartet.“
„Tja, was soll ich jetzt damit nur machen?“
„Ma´am, den Vorschriften nach werden etwaige Anfragen zunächst einmal vom Staffelführer geprüft, dann vom XO und schließlich vom CAG. Eine Anfrage von solch hoher Stelle wird in der Regel nicht abschlägig beschieden, so dass der Versetzungsanfrage stattgegeben wird, sollte der angefragte Offizier nicht persönliche Einwände geltend machen.“
Mantis blickte ihn wieder finster an, so dass Arrow erst jetzt realisierte, das ihre Frage eher rhetorischer Natur gewesen war. „Oh, Entschuldigung, Ma´am! Sie kennen die Vorschriften sicher besser als ich.“ Das glaubte Gant zwar nicht wirklich und er konnte Mantis förmlich ansehen, dass sie seine Kommentare ganz und gar nicht gut fand. Doch er konnte es auch einfach nicht lassen, er wirkte häufig wie ein arroganter Klugscheißer, das wusste er, aber es gab Momente in denen all sein Wissen einfach nur so aus ihm heraus sprudeln wollte.
„Also gut, Gant, wollen sie dem Rear Admiral direkt sagen, dass sie kein Interesse an seiner Anfrage haben? Oder soll ich die Anfrage an Irons weitergeben, damit sie sich mit diesem Zabaleta rumschlagen muss?“
Anthony zögerte. „Ma´am könnten sie die Anfrage noch ein wenig liegen lassen, damit ich eine Nacht drüber schlafen kann?“
Mantis zuckte kurz mit den Schultern. „Na sicher, aber in 24 Stunden will ich ihre Antwort hier auf meinem Tisch haben. Ist das klar?“

***

Etwas später saß Gant alleine auf seiner Stube und betrachtete seinen Kommunikationsbildschirm. Seine Frage warum ihn Rear Admiral Zabaleta nicht vorab über die Versetzungsanfrage informiert hatte, erklärte sich durch eine Nachricht, die er in seiner Inbox gefunden hatte – mit dem Hinweis, dass sich die Zustellung durch technische Serverprobleme um mehrere Tage verzögert hatte. So wie es aussah hatte Admiral Zabaleta seine neue Position erst kürzlich übernommen und baute jetzt sein Team auf. Sicher war er nicht der einzige Kandidat auf der Liste aber den Worten des Admirals nach zu urteilen, stand er ziemlich hoch im Kurs.
Nicht nur wurde ihm die Position angeboten, sie war auch noch mit einer direkten Beförderung zum First Lieutenant verbunden.
Die Hartnäckigkeit von Admiral Zabaleta und des Admiralitätsstabs ehrte ihn sehr, und er war über die Versetzungsanfrage nicht wirklich verwundert war, schon während seiner Zeit auf West Point hatte der Admiralitätsstab keinen Hehl daraus gemacht, dass man seine überragenden intellektuellen und strategischen Fähigkeiten lieber als Strategic Analyst nutzen würde, als das er nur ein simpler Jagdpilot werden würde.
Doch gleichzeitig würde es auch als Nachteil bedeuten, dass er für den Rest des Krieges im Hauptquartier festsitzen würde.
Und wenn er an die Handvoll der übrigen Golden Eagles seines Jahrgangs dachte, so war er beileibe nicht der einzige gewesen, der nicht direkt in die Admiralität gewechselt war. Im Gegenteil, von insgesamt fünf Summa cum laude Absolventen waren zwei bei der Navy, eine beim NIC gelandet und nur eine war direkt in den Admiralitätsstab gewechselt. Nur er hatte sich bei den Jagdfliegern eingeschrieben. Wenigstens war keiner von ihnen so verrückt gewesen zu den Marines, zur Army oder den Panzerverbänden zu wechseln.
Wie er Mantis schon gesagt hatte, die Wahrscheinlichkeit auf eine Karriere war ungemein höher, wenn man im Gefecht seinen Mann gestanden hatte und ein paar zusätzliche Kampagnenbänder aufzuweisen hatte, die eine oder andere zusätzliche Auszeichnung konnte dabei auch nicht schaden.
Auf der anderen Seite lag da natürlich auch die Gefahr auf der Hand, körperlich oder seelisch verletzt oder verkrüppelt nach Hause zurückzukehren.
Oder gar nicht.
Arrow hatte selbst erkennen müssen, wie schnell so was hätte gehen können. Zweimal war er in der letzten Woche in Gefahr geraten und erst jetzt realisierte er, wie knapp das alles gewesen war. Sekundenbruchteile hatten in den Schlachten tausendfach über Tod und Leben entschieden. Viele Kameraden waren gefallen und er hatte erkennen müssen, dass es nicht in seiner Hand lag, ob er überleben würde oder nicht. Die meisten seiner Kameraden waren diesem Schicksal auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Und ihm tat sich hier eine Chance auf, diesem Wahnsinn nicht nur entfliehen zu können, sondern dabei sogar einen Karriereschritt nach vorne zu machen.
Eigentlich wäre diese Entscheidung also eine einfache, wenn doch nicht diese kleine verrückte Stimme in seinem Hinterkopf wäre, die ihm sagte, dass er hier noch nicht fertig war. Gant konnte es mit seinem Ego und seinem Ehrgeiz einfach nicht vereinbaren, dass er schon in seinem allerersten Kampfeinsatz sang- und klanglos aus seiner Maschine geschossen worden war.
Auch wenn ihm dieser Umstand überhaupt erst die Chance auf einen Bronce Star eröffnet hatte, so haderte er doch immer noch mit diesem Ausgang der Schlacht.
Arrow hatte noch etwas gut zu machen, er musste sich selbst noch etwas beweisen. Von daher stand seine Entscheidung trotz allem bei den Angry Angels zu bleiben schon fest.
Eine andere Stimme in seinem Kopf schrie ihn förmlich an und konnte nur hoffen, dass er sich damit nicht sein eigenes Grab schaufeln würde.

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‚Am kaiserlichen Hof sind alle Wege mit Dolchen gepflastert.‘
Akarii-Sprichwort

Die ewige Stadt von Pan'chra, Akar

Botschafter Jura Adila hatte halb und halb damit gerechnet, dass man ihn würde warten lassen – was solche Machtgesten anging konnten Akarii genauso kleinlich sein wie Menschen – aber das Gegenteil war der Fall. Als er und seine drei Begleiter sich dem avisierten Konferenzraum näherten, wurden sie bereits erwartet. Und zwar nicht von irgendeinem namenlosen Subalternbeamten, sondern von einem Mitglied des Hochadels mit weitreichenden Verbindungen.
Auch wenn man das Dan Qau nicht unbedingt ansah. Der junge Akarii wirkte zuvorkommend, höflich, aber auch auf nicht unsympathische Art und Weise unsicher. ‚Ich frage mich, wie viel davon gespielt und wie viel echt ist…’
„Botschafter Adila? Meine Herren und Damen…wenn Ihr mir bitte folgen würdet? Man erwartet uns bereits.“

Die Mitglieder der imperialen Leibgarde, die in schweigender, unterschwellig bedrohlicher Reglosigkeit die Tür flankierten auf die der Botschafter und seine Mitarbeiter zugeführt wurden, waren Vorwarnung genug. In Kombination mit der Anwesenheit von Dan Qau…’Also doch.’ Nach seiner Audienz beim Kriegsminister hatte der Botschafter erwartet, dass einer der anderen Thronprätendenten mit ihm Kontakt aufnehmen würde. Es überraschte ihn nicht, dass Rallis Thelam der erste war. Prinzessin Linais älterer Cousin kannte wenige Berührungsängste. ‚Und er hat auch keine Hemmung das öffentlich zu zeigen…’
Der Raum war relativ schlich gehalten – in den einfachen und klaren Linien der Akarii-Neoklassik. Hell, aber ohne ablenkende Schnörkel und Verzierungen. Die Männer und Frauen die sich hier versammelt hatten, entsprachen in ihrem Gebaren und Kleidung diesem Ambiente. Dienstkleidung und Dienstuniformen überwogen. Das galt auch für Rallis Thelam, der diesmal für einen Akarii seines Rufes erstaunlich schlicht gekleidet war. Wer ihn nur flüchtig kannte, hätte ihn vielleicht nicht wiedererkannt – wenn ihm nicht das sardonische Glitzern in den Augen aufgefallen wäre.

Natürlich war es auch Rallis Thelam, der sich als erster erhob und Adila ebenso formlos wie souverän näher bat – jeder Zoll ein Thronprätendent, der es weder nötig hatte, sich bei einem fremden Botschafter anzubiedern, noch durch zu hoheitsvolles Gebaren Eindruck zu schinden.
„Ah, da sind Sie ja, Botschafter. Und ihre Wirtschaftsattachés. Setzen Sie sich doch. Wir haben viel Arbeit vor uns. Die meisten der Anwesenden kennen Sie ja wahrscheinlich bereits. Und die anderen werden sich selber vorstellen. Fangen wir mit dem Wirtschaftsministerium an…“
Die Runde war ebenso hochkarätig wie vielfältig besetzt – Mitarbeiter des Wirtschafts-, Finanz- und Kolonialministeriums, ein Vertreter des Innenministeriums und eine Delegation der Streitkräfte. Alles Beamte und Offiziere der ersten Garnitur. Allerdings war keiner so hochrangig wie Rallis…

„Ich hatte den Eindruck, dass es sich hierbei nur um ein informelles Gespräch…“
Rallis Thelam lächelte kurz: „Vielleicht setzte ich zu hohe Erwartungen. Doch ich sehe unser Treffen als Möglichkeit, das…Dickicht zu klären und den Weg freizumachen. Die Formalitäten werden natürlich in angemessener Form und durch die entsprechenden Stellen erledigt werden müssen…aber Sie und ich als alt gediente Politiker wissen doch, dass das dann nur noch…die Schleife um das Geschenk ist. So sagt man doch wohl bei Ihnen, richtig?“

„Die Menschen haben ein ähnliches Sprichwort, ja.“ Adila fragte sich etwas unbehaglich, in welches trübe Gewässer er zu steigen im Begriff war. Gewiss, Rallis Thelam lächelte…
’Aber das tut ein terranischer Hai auch, habe ich gehört.’ Und die Art und Weise, wie sich Rallis hier als Impulsgeber zu präsentieren wünschte…’Aber er hat ja Recht. Und die passende Stellung. Und er weiß, dass Linai – und Tobarii – bessere Beziehungen zur Konföderation wünschen, während die Traditionalisten am liebsten den Krieg fortsetzen oder zumindest ein paar weitere Welten annektieren wollen. Er geht also kein großes Risiko ein…’
„Natürlich wird alles, was wir hier beschließen, durch die Minister ratifiziert werden müssen. Und durch die Prinzessregentin. Oder den neuen Imperator – auch wenn ich denke, dass wir die Verträge bereits werden abgeschlossen haben, bevor sich der Adelsrat zu einer Entschließung durchgerungen hat.“ Das war natürlich eine nicht sehr subtile Erinnerung an Rallis eigene Ambitionen. Oder die Warnung, dass ein anderer Imperator dem Frieden mit der CC weitaus weniger positiv gegenüberstehen könnte?
„Ich hatte erst kürzlich ein Treffen mit dem Kriegsminister, Hoheit. Sollte er nicht vielleicht…“
Rallis Thelam winkte ebenso beiläufig wie souverän ab: „Das Kriegsministerium IST vertreten. Alles was hier verabschiedet wird, folgt den Worten und dem Geist unserer Gesamtstrategie. Es ist unnötig Minister Jockham mit solch…trivialen Belangen zu beschäftigen. Der Minister reibt sich ohnehin schon genug auf. Seine leider heftig umstrittene und kritisierte Friedens- und Verständnisoffensive, innenpolitische Sicherungsmaßnahmen…
Einige Militärs stehen einem so…wissenschaftlichen und zivilen Vorgesetzten ja leider ein wenig skeptisch gegenüber.
Nicht zu vergessen, dass er außerdem auch noch einen Krieg zu führen hat. Es bleibt ihm ja kaum noch Zeit für sein Privatleben. Wollen Sie da wirklich…“

Adila musterte den Thronprätendenten wachsam. Er machte sich wenige Illusionen über das, was sich hinter Rallis jovialen Worten verbarg. ‚Du willst andeuten, dass Tobarii überfordert ist. Vielleicht sogar der falsche Mann am falschen Platz. Und was das schlimmste ist…du könntest damit Recht haben.’ Und Rallis beiläufige Erwähnung von Tobarii Jockhams Privatleben…
‚Meint er die Tatsache, dass er Vater wird? Oder eher sollte ich wohl sagen, dass Linai schwanger ist, denn diese Gerüchte die in letzter Zeit um Prinzessin Linai und ihren Favoriten kursieren...
Ganz sicher hat er sich darauf bezogen. Ich wüsste zu gerne, wer diese Geschichten in Umlauf gebracht hat. Nach allem was ich höre, enden die Spuren bei Karrek. Aber der ist jetzt an der Front und hat wohl kaum Zeit, Klatsch zu verbreiten. Dennoch…’

„So sehr wir auch die persönlichen Initiativen unseres Kriegsministers in dieser Hinsicht schätzen sollten, ist es höchste Zeit, die wirtschaftlichen Beziehungen unserer Staaten in festere Bahnen zu lenken. Angesichts der politischen und militärischen Situation ist dieses Thema zu wichtig, um es alleine den Kräften der Unternehmen und einzelnen Privatinvestoren zu überlassen.“

Adila wusste, dass im Imperium die Vorstellung vom freien Unternehmertum und dem ungehemmten Spiel der Märkte einen schwereren Stand hatte als in der Konföderation und der Republik. Bei den Akarii war das Ideal des Unternehmers und Selfmademan nicht sehr populär. Das expansive Imperium mit seinen zahllosen Kolonien, verschiedenen Sonder- und Militärbezirken, lokalen Privilegien und einem verbreiteten Xenophobismus war sowohl im Innen- wie auch im Außenhandel deutlich rigider als die Konföderation. Gewiss, es hatte Lockerungen gegeben, aber dennoch…
Im Imperium lebten Wirtschaftslobbyisten gefährlicher als in der Republik oder der Konföderation. Wenn auch nur der vage Eindruck entstand, dass man den eigenen Profit über die Interessen des Kaisers und des Imperiums stellte…
Eine ganze Anzahl solcher Pechvögel war im Laufe der Zeit in die Konföderation emigriert, die die wendigen Geister mit offenen Armen aufgenommen hatte. Aber bisher hatte sich das Imperium diese Verluste offenbar leisten können und sah sie als geringen Preis für die starke Rolle des Staates an.

„Ich denke, in diesem Zusammenhang ist es gut, wenn die Stimme des Militärs und der Wirtschaft im Einklang sprechen. Admiral Lann vom Flottenbeschaffungsamt…“
Der Admiral dankte knapp und kam mit einigen kurzen und knappen Worten schnell zum Kern der Sache: „Wirtschafts- und Kriegsministerium sind sich darin einig, dass der wechselseitige Außenhandel mit der Konföderation gewissen Regulierungen bedarf. Einschränkungen für den Import wird es seitens des Imperiums keine geben, sieht man von den üblichen gesetzlichen Bestimmungen für Drogen und andere gefährliche Stoffe ab. Allerdings werden natürlich Zölle erhoben werden…“
Adila nickte abwesend. Natürlich betrieb das Imperium – wie jedes andere Sternenreich – eine Protektionspolitik, schützte also inländische Industrien und Rohstoffproduzenten durch Schutzzölle oder Exportvergünstigungen. Im Augenblick saß Akar dabei am längeren Hebel – die Konföderation konnte es sich nicht leisten, den Sieger zu verärgern. Aber bisher sah es den Göttern sei Dank nicht so aus, als wollte das Imperium es bei der Zollpolitik übertreiben.

Dann horchte der Botschafter auf, als sich Lann einem weitaus ernsteren Thema zuwandte.
„Der Export wird hingegen einem dreigliedrigen Freigabesystem unterworfen werden müssen.
Stufe Eins: Waren, die ohne besondere Auflagen in die Konföderation ausgeführt werden können. Dies betrifft die meisten Lebens- und legale Genussmittel, Luxusgüter und nicht kriegswichtige oder doppelnutzungsfähige Technologien.
Stufe Zwei umfasst Waren, die mit Auflagen ausgeführt werden dürfen. Damit ist Material gemeint, dass nur von speziell zertifizierten Unternehmen und nur mit Auflagen betreffs der Menge und des Verwendungszwecks exportiert werden darf. Zum Beispiel dürfen gewisse Rohstoffe und technische Geräte nicht über das Gebiet der Konföderation hinaus exportiert werden.
Stufe Drei umfasst alle Rohstoffe und Technologien, deren Export verboten ist, darunter…“

Und so ging es weiter. Rallis hatte seine Hausaufgaben gemacht und präsentierte dem Botschafter der Konföderation und seinen Wirtschaftsberatern eine kompetente und weitestgehend einige Front der verschiedenen Ministerien und Dienststellen. Er war klug genug, nicht die Fachgespräche dominieren zu wollen und hielt sich nach seinen einleitenden Worten zurück. Rallis verstand es, schweigend präsent zu bleiben, während die Vertreter der Ministerien ihre Prognosen und Vorschläge äußerten. Die verschiedenen Vertragsentwürfe klangen fundiert. ‚Es wird sehr schwer werden, hier noch Stellen zu finden, wo man einen Keil ansetzen kann.’
Adila glaubte zu wissen, was Rallis dazu veranlasst hatte, sich persönlich dieser Versammlung hinzuzugesellen. Als führender Kopf im Wirtschaftsministerium und angesichts seiner guten Beziehungen zum Finanzministerium und Teilen der Reformer am Hofe waren gute Wirtschaftsbeziehungen zur Konföderation ganz in seinem Interesse. Handelsabkommen würden ihm genauso zugutekommen wie Linai – und die Position der Fundamental-Expansionisten und Ultranationalisten schwächen.
Und nachdem Tobarii Jockham in dieser Beziehung den Anfang gemacht hatte, war es für Rallis nur logisch, daran zu erinnern, wer bei dem Anknüpfen von Handelsbeziehungen den längeren Hebel ansetzen konnte – solange man damit den Interessen der Streitkräfte entsprach. Der Krieg ging in das fünfte Jahr, und selbst in einem autoritären System wie dem Imperium der Akarii brauchte man Geld, um ihn zu finanzieren...
Indem sich Rallis wieder einmal im Konsens einer ganzen Reihe von Gruppierungen und Ministerien präsentierte, wollte er möglicherweise auch suggerieren, dass der Kriegsminister mit seinem Bestreben, alles alleine zu entscheiden, Gefahr lief, sich zu verzetteln und zu isolieren.
Vielleicht wollte er so auch jemanden – Linai oder einem potentiellen Regentschaftsrat, der für ihren ungeborenen Sohn die Staatsgeschäfte führen würde – als fähig, zupackend und vor allem nützlich präsentieren. ‚Obwohl ich glaube, dass dein Ehrgeiz weiter geht. Falls es einen Regentschaftsrat geben soll, muss den schließlich jemand anführen…‘
Nur in einem konnte er sich ziemlich sicher sein. Rallis hatte wohl kaum vor, auf die Allecars oder auf Linais momentanen Ehemann zu setzen. ‚Außer das ist alles nur Theaterdonner, und die wahren Allianzen werden im Verborgenen geschmiedet. Das werden sie doch immer.‘ Am imperialen Hof wurde man zwangsläufig paranoid. ‚Es ist doch immer das gleiche Spiel. Nur die Spieler wechseln.’
Aber Adila wusste, dass er mitspielen musste. Und obwohl ihm ein dümmerer, weniger einfallsreicherer Gegner – oder ein idealistischerer und deshalb leichter manipulierbarer Gegenüber lieber war…ein klein wenig genoss er es, mit Männern und Frauen wie Rallis und Linai die Klingen zu kreuzen, die in dieser Hinsicht aus einem sehr ähnlichem Guss schienen. Es war, wie Schach gegen einen Meister oder ein Dreeh-Duell gegen einen Klingentänzer. Die Risiken waren hoch, jeder Zug, jeder Schlagabtausch zehrte an den Nerven. Und dennoch…dafür lohnte es sich zu leben.
Und natürlich für das Wohl seiner Heimat.

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"Das Leben ist das was einem passiert, während man andere Pläne schmiedet." John Lennon

Mitglied der Autorenkooperationen "Dantons Chevaliers" und "Hinter den feindlichen Linien"
11.11.2015 18:33 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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Und wieder auf Null.
Das war ein zutreffender Gedanke. Null, von vorne anfangen. Die Staffel wieder aufbauen. Sich um die Verwundeten kümmern, um jene, die in die Etappe geschickt wurden und es gar nicht wollten, und um jene, die in die Etappe geschickt wurden und nie wieder zurückwollten. Für Erstere hatte ich einen Rekonvaleszenzplan, den ich mit dem CAG abzusprechen gedachte, damit nach der Genesung der Piloten auch ein Platz für sie frei war.
Dies hatte Lone Wolf für mich getan, und ich tat es jetzt für die anderen Piloten. Nicht unbedingt nur in seinem Andenken, sondern weil es sich richtig anfühlte. Für die anderen galt es, Plätze in der Etappe zu schaffen. In überschaubaren Zahlen zwar, aber immerhin, immerhin redeten wir hier nur von Kriegsversehrten einer Staffel, maximal dem Geschwader. Als Berater. Testpiloten. Als Ausbilder für zukünftige Generationen von Angry Angels. Selbst wenn sie selbst nicht mehr kämpfen konnten oder wollten, so hatten sie doch die Gefechtserfahrungen, die sie weitergeben konnten. Und es konnte nie genug Angry Angels geben. Nicht, solange der Krieg nicht vorbei war.
Vorbei und vergessen.
Vergessen...
Was für ein merkwürdiges Wort. Sechs Jahre Krieg hatten es nicht geschafft, meine positiven Erfahrungen mit Akarii eines ganzen Lebens in Hass umzuschlagen; tatsächlich hatte ich sogar Freunde unter ihnen, vielleicht treuere und bessere als je zuvor. Ich wusste, nein, ich wusste bestimmt, dass Menschen und Akarii miteinander auskommen konnten und würden. Wenn der ganze Mist hier erst einmal vorbei war. Und dabei war ich kein unbeschriebenes Blatt. Als Gespenst von Camp Hellmountain hatte ich, gerade rekonvaleszent, als Adjutant von Melissa, ich meine Admiral Alexander, die COLUMBIA unsicher gemacht, ein sichtbares Anzeichen dafür, was Akarii mit ihren Gefangenen taten. Admiral Alexander jetzt. Mir hatten sie das Leben gerettet.
Lilja konnte ich so etwas natürlich nicht sagen, und auch den meisten anderen Veteranen nicht. Der Mensch als Spezies hatte schon immer dazu geneigt, die zu hassen, die einem ans eigene Leben wollten. Das war normal. Nicht normal war, die ganze Spezies für ihre Soldaten zu hassen. Auch damit konnte ich den Veteranen nicht kommen. Offiziell verdammte die Navy dieses Denken natürlich. Es war moralisch falsch, ethisch fragwürdig und entsprach weder dem Diensteid, noch den Verhalten, das die Navy von ihren Offizieren erwartete. Aber mit Hass in den Augen tötete es sich leichter, so die unterschwellige Meinung. Dass man mit Hass in den Augen auch weniger sah und dass gerade jene zu Veteranen, zu Überlebenden wurden, die mitten im Gefecht kühl überlegen konnten, anstatt wutentbrannt um sich zu ballern, stützte meine These eher, fand ich.
Aber die Staffel. Verletzte, Tote, wieder auseinander gebrochen. Wir hatten Adoptierte aus anderen, zerschlagenen Geschwadern. Wen würden wir behalten können, wen wollten wir überhaupt behalten? Wen wollte ich behalten? Wo bekam ich Ersatzmaschinen her, wie kam ich mit meiner Truppe wieder auf Soll? Zudem machten Gerüchte die Runde, den Flying Circus betreffend. Das erfahrene Elite-Geschwader musste zum Neuaufbau in die Etappe, hieß es, runter von ihrem Leichten Träger, der eh eine Werft brauchte - dringend, wohlgemerkt Die DERFI hatte stark gelitten. Das hieß aber auch erfahrungsgemäß, dass sich Piloten versetzen ließen, um an der Front bleiben zu können. Und das bedeutete die Chance für die Angels und für meine Blauen, ausnahmsweise die Reihen mit Veteranen zu füllen, und nicht mit grünen Jungs und Mädels. Was, wenn Kali zurückkam? Himmel, Tod und Teufel, zu gerne hätte ich sie als meine XO, auch wenn das bedeutete, dass sie sich für die Falcon erst qualifizieren musste. Aber hatte man mich gefragt, als man mich ungefragt vor Chips Nase gesetzt hatte? Auch andere Piloten der Truppe waren mehr als interessant. Bobcat zum Beispiel, oder mein alter Kumpel Demolisher. Die Liste war beeindruckend und lang. Gerüchte wollten sogar wissen, Papa Bear würde Irons als CAG ersetzen. Was, alles in allem, keine schlechte Idee war. Aber es blieb, wie es blieb. Selbst wenn ich die Kurzrekonvaleszenten raus rechnete, brauchte ich fünf Piloten, um die Blauen wieder auf Soll zu bringen. Fünf! Woher nehmen und nicht stehlen?
Und das war nur eines meiner aktuellen Probleme. Ein anderes, nicht weniger dringendes war Mahou. Meine Freundin. Meine gute, meine sehr gute Freundin. Ich weiß nicht, ich hatte es irgendwie mit den Longs zur Zeit. Radio war mir mehr als einmal in die Quere gekommen, dieser verflixte, arschfixierte Egomane, dieses Admiralssöhnchen auf Ego-Trip. Und nun war ein anderer Long dafür verantwortlich, dass, verdammt noch mal, Mahous Beobachtung zum Boogie-Träger nicht weitergemeldet worden war, dass das Geschwader ihr ganzes Feuer auf die Attrappe gerichtet hatte, anstatt einen der beiden Uniform abzuknallen. Munition, Maschinen und Piloten waren dabei verschwendet worden. Taran war zu seinem unverschämten Glück zu gratulieren, dass er nicht nur mit diesem Husarenstück durchgekommen war, sondern dass er es auch noch aus dem System raus geschafft hatte. Uns einen falschen Uniform unterzuschieben, und dies bei der modernsten Raumüberwachung und Gefechtsanalyse, die wir je besessen hatten, setzte immer ein paar dumme Menschen im System voraus, um Fehler zu ermöglichen. In diesem Fall war Commander Long der dumme Mensch gewesen... Nein, ich wurde ungerecht, weil ich mich um Mahou sorgte. In diesem Fall war es Longs Entscheidung gewesen, die sich als vollkommen falsch erwiesen hatte. Die Entscheidung, fehlende Starts und Landungen auf dem Boogie würden lediglich bedeuten, dass Taran sein Flaggschiff in der Hinterhand behält, und dass der Funkverkehr, komplett über den Boogie abgewickelt, Hinweis genug darauf ist, dass er das Flaggschiff ist. Er hatte danebengelegen.
Und weil er bestraft worden war, Mahou aber nicht, hatte sie ganz nach japanischer Tradition den Freitod gesucht. Nun, nicht vollkommen. Sie hätte sich auch still, leise und heimlich im Kämmerlein entleiben können, aber sie war zuvor zu mir gekommen, um sich zu verabschieden. Ohne dies hätte ich vielleicht erst Tage später von ihrem Tod erfahren... Verdammt! Fünf Piloten und Mahou im Koma. Was direkt zu Problem Nummer drei führte. Im Moment schwirrten so viele erfahrene und arbeitslose Geschwader-, Staffel- und Vize-Staffelchefs im Sterntor-System herum, sodass jeder provisorische Staffelkommandeur auf dem Schleudersitz saß. Anders ausgedrückt, Ohka und ich konnten jederzeit durch Bessere ersetzt werden. Weil wir zwar unsere Staffeln anführten, aber noch nicht offiziell übergeben bekommen hatten. Denn damit war eine Beförderung zum Lieutenant Commander verbunden, und die hatte uns nicht erreicht. Noch immer nicht.
Bei mir war es relativ klar. Mein Urlaubstrip mit Lilja hatte sicherlich dazu beigetragen, dass die Navy mich zurückhielt, egal was der Geheimdienst sagte. Oder gerade weil der Geheimdienst etwas sagte, der ein Auge auf mich hatte, seit ich mich damals über Troffen geweigert hatte, das experimentelle Nervengas Flieder über der Agrarwelt auszusprühen.
Aber was war mit Kano? Warum wurde er an der langen Leine gehalten? Er kommandierte seine Staffel nun schon einige Zeit, und er machte einen guten Job. Ich meine, klar wollte ich das Kommando behalten, befördert werden und vielleicht meinen Weg zum CAG machen, eventuell sogar auf die Brücke eines Trägers, zumindest solange der Krieg noch dauerte. Aber ich hatte nicht wirklich ein Problem damit, mich auf den XO-Posten zurückzuziehen, wenn der Neue sein Fach kannte. Jeder weitere Elite-Pilot war gut für uns. Und man konnte jemandem mit dem Flying Cross in Silber schlecht als Wingman aufnehmen. Auch wenn es schlecht für mein Ego war, zugegeben. Aber Kano? Ehrlich gesagt, ich wusste es nicht. Ich wusste beides nicht. Wieder einmal. Natürlich drückte ich ihm die Daumen, drückte ich mir die Daumen, uns die Daumen, und ich wusste, er tat es ebenso. Sollte es wirklich darauf hinauslaufen, dass nur einer befördert wurde, hatte er die längere Dienstzeit im Kommando. So sah die Realität aus. Aber ich gönnte es ihm. Wenn es denn nur endlich weiterging.
Und, Problem Nummer vier, die Verletzten. Und Toten. Mein kleiner Bruder lag im Lazarett. Schwer verletzt. Traumatisiert. Verlobt. Haruka Ichishiro, Kommandeur der KAMI und ein guter Freund von Justus, meinem Vetter, war mit seinem Schiff gefallen. Ich hatte ihn gekannt und sehr gemocht. Und dann war da noch Ians Verlobte. Chausiku. Ein tolles Mädchen. Auch schwer traumatisiert und verletzt. War gerade in Mode, wie es schien. Es gab hier eine Menge Dinge, um die ich mich kümmern musste, und dies waren nur die Dringlichsten. Zudem ging Jean demnächst für den Lehrgangspart ihrer Offiziersschulung in die Etappe und ließ mich hier in Sterntor mit der ganzen Familiengeschichte alleine. Wahrscheinlich eine späte Rache, weil ich sie damals, als alle glaubten, ich wäre tot, dazu verdonnert hatte, meine zwei Dutzend Abschiedsbriefe auszutragen. Und damit ließ sie nicht nur mich alleine, Ian und seine Verlobte, sondern auch Donovan. Und egal, wie sehr Noname beteuerte, wie gut es ihm ging - Stuntman litt darunter, dass sie fortging. Jetzt durfte ich mich also auch noch darum kümmern, dass die beiden wenigstens noch einmal in einer ruhigen Stunde zusammenkamen und endlich miteinander redeten. Für die wichtigsten Details. Für die Zukunft. Hey, ich war weder blind noch blöde. Und in all dem Chaos gab es auch noch Cliff Davis, den Privatmann. Der blieb übrig, und... Ja, darauf lief es wohl hinaus. Er blieb übrig. Der Rest war Soldat. Mist.

"In Ihrem Bericht schreiben Sie, Sie hielten die Maßnahme für übertrieben", klang die sonore Stimme von Fletcher Ang Lee an meine Ohren.
Ich sah auf. "Habe ich das so formuliert? Ich dachte eher, ich hätte Zeter und Mordio gewettert, als der verdammte Anzug mich sediert hat, Doc", erwiderte ich. "Das ist eine Entscheidung, die der Anzug nicht fällen durfte."
Der große Halb-Asiat runzelte die Stirn. Er war einer der Wissenschaftler, die die neuen Anzüge konstruiert hatten und nun die ersten Feldversuche begleiteten. "Wieso? Sie waren mitten im Feindesgebiet, aber innerhalb Sterntors. Sie wurden sediert, damit der Anzug die Lebenserhaltung so lange auf Minimum runter drehen konnte, bis wieder mehr freundliche Einheiten als feindliche Einheiten erfasst werden konnten. Ihre Aktion, der KAMI die Tür offenhalten zu wollen, war waghalsig, aber letztendlich erfolgreich. Einige Shuttles entkamen vom Schiff durch den Korridor, den Ihre Staffel aufhielt und dessen Türknauf Sie gebildet haben. Leider führte es Sie in die feindliche Front. Und die Akarii haben nicht dabei gespart, als sie unsere Havarierten aufgelesen haben." Der Doktor fixierte mich ernst. "Muss ich Ihnen erst erzählen, wie Kriegsgefangene behandelt werden?"
Ich stockte. Gut, Punkt für den Scheiß Anzug.
"Außerdem wurden Sie ja relativ schnell wieder gefunden. Was übrigens ein Fehler war. Eine so eindeutige Identifizierung durch ein SAR, während der Feind noch so nahe war, hätte auch einem Feind gelingen können. Daran müssen wir arbeiten. Wirklich arbeiten. Hm."
"Doc, als ich geweckt wurde, hat man das Betäubungsmittel aus meinem Körper gespült", wandte ich ein.
"Und es war ein undankbarer, schmerzhafter Prozess. Ich habe einige Protokolle und die Berichte über die Analysen Ihres Bluts gelesen. Danke, Lieutenant Davis, das bringt uns erheblich weiter. Ich will nicht zu viel versprechen, aber eventuell können wir das nächste Mal ein Mittel brauen, dass Sie nicht so sehr auf die Palme bringt, als hätten Sie zwanzig Kannen Mokka getrunken."
"Na, immerhin etwas", murmelte ich.
"Und letztendlich waren Sie einsatzbereit hinterher. Wenngleich nicht so sehr wie wir erwartet haben."
"So? Was haben Sie denn erwartet?"
"Dass Sie die Augen aufschlagen wie nach zwanzig Stunden Tiefschlaf, entspannt, erholt und tatendurstig."
"Das hat definitiv nicht geklappt."
"Gebe ich zu", erwiderte der Wissenschaftler. "Sie bleiben doch im Sterntor-System?"
"Sicher."
"Gut. Stehen Sie für weitere Proben und Untersuchungen zur Verfügung."
Ah, ein Befehl, keine Bitte.
"Wirklich, Sie leisten einen immens wichtigen Teil zu unserer Arbeit. Das kann sich nur positiv auf Ihre Karriere auswirken."
Das Zuckerbrot dazu.
"Sie können jetzt gehen. Wir kontaktieren Sie für den nächsten Termin."
Der Rausschmiss.
Ich erhob mich. "Danke für Ihre Zeit, Doktor Ang Lee."
"Nicht doch, nicht doch. Auch wenn ich nicht an der Front stehe, so tue ich doch meinen Job. Und ich will ihn gut tun, damit Soldaten wie Sie besser kämpfen können."
"Danke." Es klang beinahe nicht sarkastisch. Ich salutierte und verließ das Büro.

Da hatte sie mich wieder, die kleine, schnieke Raumstation im Orbit um Seafort. Mit allen ihren Bars, Sporteinrichtungen, Restaurants... Nun. Nicht, dass ich Zeit für Vergnügungen hatte. Aber ein Restaurant suchte ich trotzdem auf, auch wenn ich etwas sehr früh dran war. Für eine, nun, nicht militärische Unterredung.
Ich betrat das ISLES zu einer Zeit, die hier Mittag war. Entsprechend schlecht besetzt war das Restaurant, das immerhin zwei Sterne besessen hatte - in Friedenszeiten, als sich Gourmets noch bis hierher gewagt hatten, um das Essen zu testen.
"Lieutenant! Hier sind wir!"
Ich folgte dem Klang der befehlsgewohnten Stimme und sah eine kleine, schwarzhaarige Frau, der man die Italienerin - exakt gesagt die Sardinierin - recht genau ansehen konnte. Dies, und die Soldatin. Ihr Haarschnitt war sehr eindeutig an das Credo angelehnt, dass längere Haare mehr Pflege brauchten und deshalb unpraktisch waren. Sie war teilweise grau und färbte nicht, was bedeutete, dass sie selbstsicher war und mit ihrer Erfahrung kokettierte. Soweit ich wusste, war sie hochdekorierte Panzerkommandeurin, hatte ihr eigenes Regiment unter Kommando gegen die Akarii gehabt. Sie war jemand von "uns", wenn ich das so in Gedanken formulierte. Eine Veteranin, die ihren Anteil an Blut und Zerstörung gesehen hatte. Das, und sie war mein Typ, auch wenn sie eine ganze Ecke älter war als ich.
Die jüngere Frau in ihrer Begleitung tendierte mehr in Richtung Sizilianerin oder Neapolitanerin, und unwillkürlich fragte ich mich, ob ihr Auftraggeber meine Vorlieben analysiert hatte.
"Lieutenant Davis", sagte sie und erhob sich, die Rechte zum Handshake erhoben. Wir schüttelten einander die Hände und sie deutete auf die Ältere. "Colonel Mateoli kennen Sie ja bereits. Ich bin Eleni Yantais."
"Von den Alpha Centauri-Yantais?", bemerkte ich und versuchte die Frau einzuordnen. Aber wenn, hatte ich sie bisher nur flüchtig gesehen.
Sie lachte, während ich Mateolis festen, trockenen Händedruck zurückgab. "Ja, von DEN Yantais. Aber denken Sie nicht zu weit. Ich komme zwar aus einer wohlhabenden Familie, aber ich gehe meinen eigenen Weg. Deshalb bin ich auch ganz rebellisch Anwältin geworden und keine Managerin."
Ich grinste als Zeichen der Zustimmung. Das kannte ich irgendwoher.
"Lieutenant", sagte die Offizierin mit dünnem Grinsen, während sie anerkennend meine Hand schüttelte. "Freut mich, einen lebenden Toten kennenzulernen."
"Colonel."
"Lieutenant Colonel", korrigierte sie mich. "Zur Zeit außer Dienst." Die letzten vier Worte sprach sie mit Wehmut, so als würde sie hoffen, bald wieder ein aktives Kommando übernehmen zu können. Nun, so schlecht wie der Krieg gerade lief, standen die Chancen gut, dass sie bald ein Kommando übernehmen würde müssen.
"Panzer, habe ich gehört?"
"Panzer", bestätigte sie mit einem verschmitzten Lächeln. "Oder wie Ihr Jockeys sie nennt: Bodenziele."
Ich lachte leise. Humor hatte sie ja.
"Setzen wir uns, First Lieutenant Davis", sagte Yantai.
Wir nahmen an ihrem Tisch Platz und die Anwältin gab leise wispernd ins Mikrophonfeld eine Bestellung ein. Getränke. Nicht alkoholisch. Interessant. Ich beschloss, der Sache eine Chance zu geben.
"Clifford... Ich darf Sie doch Clifford nennen?"
"Nur zu, Miss Yantais. Soweit ich weiß, ist einer Ihrer Cousins mit einer meiner weitläufigen Schneider-Cousinen verlobt, das macht uns fast zu Familie."
Sie lächelte. "Bitte sagen Sie Eleni zu mir, Clifford."
"Eleni." Den Happen hatte sie gut aufgenommen, mir geradezu aus der Hand gerissen, obwohl ihr klar sein musste, dass der Vorteil eher gering sein würde, den sie dadurch gewann, dass wir uns mit Vornamen ansprachen.
"Francesca!", platzte es aus der Offizierin heraus. "Wenn schon, denn schon, Cliff."
"Also gut. Francesca." Das war grob gewesen, aber immerhin der gut erkennbare Versuch, eine entspannte Atmosphäre zu schaffen. Kaffee wurde serviert. Ich bekam einen Caramell-Latte-Carboccia-Flip. Genau das Getränk, das der Clifford Davis aus dem Angry Angels Propaganda-Streifen getrunken hatte. War es ein Witz? Schlechte Recherche? Eine Hommage? Eine Geste? Ich nahm es jedenfalls nicht übel, solange es Seafort-Bohnen waren.
"Also", sagte ich, während der Anwältin ein Grüntee und dem Colonel ein schwarzer Kaffee serviert wurden, "hier bin ich. Was kann ich für Sie tun?"
Francesca schüttelte nachhaltig den Kopf. "Das ist eine gute Frage. Aber überlegen Sie sich: Was können wir für Sie tun?"
Interessiert legte ich den Kopf schräg. Dies nahm sie als Aufforderung, weiter zu sprechen.
"First Lieutenant Clifford Davis aka das Gespenst. Erhielt eine Feldbeförderung und einen der höchsten Orden der Republik inklusive Goldenen Löwen, aberkannt und in Silbernen Löwen getauscht für den Versuch, die REDEMPTION vor einer Atomrakete zu retten. War fast ein Jahr in Kriegsgefangenschaft, wurde befreit, durchlief die Rekonvaleszenz und kehrte zu den Angry Angels zurück. Dort wurde er schnell Sektionskommandeur, später XO der Roten Staffel, nach dem Ausfall des Staffelchefs selbst Kommandeur. Wurde nach dem Tod ihrer Kommandeurin zur Blauen Staffel versetzt und übernahm das Kommando. Führte die Staffel durch die Kämpfe in Sterntor." Sie zog die Stirn kraus. "Und ist immer noch First Lieutenant."
"Wie meinen?"
"Cliff, das wissen Sie ganz genau. Sicher, Sie haben wegen Ihrer Rekon nicht so lange reale Dienstzeit wie andere Piloten, aber Sie haben eine solide Ausbildung gute Abschusszahlen und Sie haben einiges an Dienstalter als Sektionschef, als XO und als Staffelchef vorzuweisen. Also, wenn es nach mir ginge, hatten Sie längst den halben Ring am Ärmel."
Lieutenant Commander. Ich lächelte. "Machen Sie mir ein Angebot?"
"Vielleicht. Ich verspreche Ihnen nichts. Aber ich kenne Ihre Akte und ich weiß, dass nichts gegen eine Beförderung spricht. Im Gegenteil, gerade jetzt brauchen die Angry Angels ihre erfahrenen Veteranen in den richtigen Positionen. Gerade unsere Kriegshelden müssen bis an die Grenzen ihrer eigenen Unfähigkeit befördert werden, finde ich."
"Und Sie meinen, meine Unfähigkeit beginnt noch nicht bei Staffelchef?"
"Sie machen den Job und Sie können ihn, oder?", erwiderte sie eine Spur zu barsch. "Ich meine, wenn wir unsere Helden nicht gut behandeln, wie können wir dann von ihnen erwarten, dass sie für uns bluten? Und Sie, Cliff, haben dahingehend sehr viel geleistet." Sie deutete auf meinen rechten Arm. "War sicher eine scheiß lange Geschichte."
"Das war es, ja", erwiderte ich, für einen Moment die Schmerzen reflektierend, die die Neuzüchtung eines ganzen Arms bedeutet hatte. Alleine die Gymnastikübungen... Horror.
"Wenn es nach mir ginge, würde Ihnen der Goldene Löwe wieder zuerkannt werden. Wie heißt es so schön? Den GL gibt es für tödliche Verwundungen bei Leistungen über das Maß hinaus. Im Prinzip waren Sie tot, nachdem Sie die Atomrakete mit Ziel auf die alte RED aus nächster Nähe zerstört haben. Eigentlich waren Sie tot, nachdem die radioaktive Strahlung Sie gebraten hat. Nur durch das Einfrieren konnten Sie gerettet werden."
"Doktor Pfeiffer kriegt jedes Jahr von mir eine Weihnachtskarte", betonte ich gespielt.
"Jedenfalls", setzte sie stoisch ihre Rede fort, "finde ich, Sie könnten eine bessere Behandlung bekommen. Zumindest Ihre verdammte Beförderung sollte endlich mal auf den Tisch und durchgezogen werden. Ich bin sicher, wenn ich im Stab der Präsidentin einen entsprechenden Hinweis gebe, könnte der Stau ein wenig, nun, gelockert werden."
"Danke sehr", sagte ich trocken.
Die beiden Frauen warfen einander einen schnellen Blick zu. Yantais übernahm.
"Cliff, wir sind natürlich nicht nur hier, weil wir Ihnen die Ohren vollheulen wollen, weil wir es ungerecht finden, wie Sie behandelt werden. Wir sind hier, weil die Wahlen kurz bevor stehen. Francesca hat es ja in ihrer Nachricht schon angedeutet. Jemand wie Sie, ein Veteran, der zudem kein Akarii-Fresser ist, sondern ein nüchtern denkender, sachlicher und faktenorientierter Kopfmensch, könnte in den kommenden Debatten wichtig werden. Manche fragen laut, warum wir unsere Kriegsgefangenen nicht genauso schlecht behandeln, wie die Akarii unsere Leute behandeln. Wenn dann jemand wie Sie darauf die Antwort gibt, wird Ihnen kaum einer widersprechen. Sie waren da. Sie haben es erlebt. Und Sie sind immer noch Sie, Cliff. Das ist beeindruckend."
"Das liegt vielleicht daran, dass ich mehr Akarii kenne, die mich mögen als solche, die mich töten wollen", sagte ich amüsiert.
"Ja, und das ist der springende Punkt", warf Colonel Mateoli ein. "Die Kontinuität in der Behandlung der Kriegsgefangenen, der Punkt, besser zu sein als das Imperium, die moralische Frage ist ein wichtiger Knackpunkt im Geschehen. Wir stehen auf der höheren moralischen Warte. Wir sind die Guten. Sie sind der Gute."
"Na, na, wir wollen nicht übertreiben", schränkte ich ein. "Aber es klingt gut für mein geschundenes Ego."
"Das ist natürlich nur ein Aspekt, um den es uns geht", sagte Yantais. "Präsidentin Birmingham steht für einen Verhandlungsfrieden, sicher, der ist realistischer als ein Siegfriede, der ohnehin nur erreicht werden könnte, wenn man die Akarii bis auf unbedeutende Reste ausrotten würde. Ein Verbrechen, für das ich meinen Namen nicht hergeben würde.
Aber Frieden um jeden Preis ist genauso gefährlich. Was die Friedensbewegung will und fordert, würde verschwenden, was sechs Jahre Krieg, was Menschen wie Sie geleistet haben, Cliff. Es würde wegwerfen, was wir errungen haben, nachdem uns Jor und seine kriegslüsternde Junta ohne Vorwarnung überfallen hat. Ohne Manticore kann es keinen Frieden geben. Manticore gehört den Akarii nicht."
"Da stehen wir auf einer Linie", sagte ich.
"Was nun die Präsidentin angeht", sagte nun wieder Mateoli, "so wollen wir im Wahlkampf zeigen, dass wir entschlossen sind, Manticore zurückzuholen und die alten Grenzen wiederherzustellen. Wir wollen aber auch zeigen, dass ein totaler Krieg, ein endloser Krieg nicht in unserem Sinne ist. Dass es anders geht. Dass es besser geht. Dass wir durch Beispiel auch die Situation unserer Leute im Kaiserreich verbessern können. Haben Sie schon von Tobarii Jockhams Initiative gehört, mit der er im Militär und im Adel sowie im Bürgertum für ein neues, besseres Verständnis für die Menschen wirbt? Dies auch auf Menschenseite zu tun würde das Thema der Friedensbewegung entreißen und für uns nutzbar machen, ohne dass es gleich heißt, wir würden auf die Kapitulation hinarbeiten."
"Sie sagen mir also, Sie brauchen unter anderem einen Kriegshelden, der mal in Gefangenschaft war und der die Politik der Präsidentin unterstützt?" Ich runzelte die Stirn. "Ich bin Frontsoldat. Ich kann hier nicht ein halbes oder ganzes Jahr weg, um Birmingham auf ihrem Wahlkampfzirkus zu begleiten."
"Das verlangt ja auch keiner, Clifford. Aber ein paar Interviews, ein paar Fernsehspots, etwas in der Art, das schwebt uns vor." Eleni Yantais lächelte. "Meine Großeltern unterstützen die Präsidentin. Tun Sie es bitte auch. Für die Familie, Clifford."
Es war ein süßes, apartes Lächeln. Und sie wusste genau, wie es wirkte. Normalerweise.
Ich erhob mich und griff zu meinem Portemonnaie. Diese Geste wirkte wie eine kalte Dusche auf die beiden Frauen.
"Sie brauchen nicht zu bezahlen. Wir übernehmen die Rechnung", sagte Mateoli enttäuscht, aber gefasst.
"Sie sind nicht dabei?", fragte Yantais mit großen Augen.
Ich klappte es auf und legte es so auf den Tisch, sodass der Inhalt gut zu sehen war. Es war ein Mitgliedsausweis der Demokraten. "Entschuldigen Sie, wenn ich Sie habe zappeln lassen, Francesca, Eleni, aber manchmal hat es Vorteile, wenn man weiß, wie die Leute ticken, auf die man sich einlässt. Allerdings hätten wir das alles furchtbar abkürzen können, indem Sie sich einfach über meinen Vater bei mir gemeldet hätten. Er ist seit einer kleinen Ewigkeit Parteifunktionär und hat mich auch für die Demokraten angeworben. Ich wäre sofort dabei gewesen." Ein Schmunzeln ging über mein Gesicht. "Auch wenn es nicht immer Vorteile für Unternehmen bringt, wenn man die Demokraten wählt, so bringt es doch immer eine Verbesserung für alle - vom Krieg mal abgesehen. Und wir Davis tragen immer gerne zu Verbesserungen bei. Wenn Sie also meinen, ich würde Präsidentin Birmingham im Wahlkampf nützen, dann bin ich dabei, meine Damen."
"Uff, da haben Sie mir aber einen ganz schönen Schrecken eingejagt", gestand Mateoli.
"Ich war auch entsetzt. Diese Reaktion habe ich nicht erwartet, Clifford", gestand Yantais. Sie zwinkerte mir zu. "Aber auf die Familie ist eben Verlass."
Ich nahm wieder Platz. "Ich bin also dabei. Bitte, Sie haben noch eine Stunde, bevor ich einen Patrouillenflug habe. Also erzählen Sie mir genau, was Sie sich vorgestellt haben."
Letztendlich eine ganze Menge, stellte ich fest.

"Pawlitschenkow?", fragte ich zwischendurch entsetzt. "Für den Wahlkampf der Präsidentin?"
"Sie ist auch eine Kriegsheldin und war schon in den Medien", sagte Mateoli.
"Und sie verspeist jeden Akarii roh, der nicht bei drei auf den Bäumen ist", erwiderte ich trocken.
"Ein facettenreicher Wahlkampf ist ein guter Wahlkampf", sagte Yantais. "Verschaffen Sie uns einen Termin, Cliff, für ein Herantasten? Bitte. Für die Familie."
Ich hob die Hände. Resignierend. "Es ist Ihr Wahlkampf." Lilja also. Wie überaus interessant. Vor allem für die beiden vor mir.

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11.11.2015 18:35 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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TRS Liberty
Aldebaran, FRT


Jules blickte sich interessiert um. Der alte Träger der Zeus-Klasse war das älteste Kriegsschiff der Bundesrepublik Terra. Man konnte es ihr zwar ansehen, doch tat es der alten Lady kein Abbruch. Die Liberty war vor ihrer Kaperung durch die TSN zu Generalüberholung in der Werft gewesen und zur Rückeroberung von Hannover unter Druck wieder in Dienst gestellt worden.
Heute, mit einer frischen Besatzung ausgestattet, schwirrte sie wie eine große Maschine. Sein fachmännischer Blick verriet ihm zwar, dass noch ein wenig Training nötig war damit sich die Bodencrew des Trägers einspielte aber das würde schon noch werden.
Während er sich aus seiner frisch überführten Falcon schälte, öffnete ein Techniker den unter dem rechten Flügel hängenden Zusatztank, der auch als ordinärer Transportbehälter dienen konnte und holte Jules' Seesack und den Cowboyhut hervor.
„Hey, vorsichtig Junge, der Hut war ein Geschenk!“
„Den bekommt man doch zu einem Six-Pack schlechten Bier hinterher geworfen“, der junge Techniker drehte sich zu Jules um und machte große Augen, „ähh, Sir!“
Jules nahm Seesack und Hut entgegen und fing an auszulaborieren, wie er dies beides und seinen Helm am besten tragen könnte.
„Kann ich Dir etwas abnehmen, Cowboy?“
Jules stellte den Seesack ab und drehte sich mit freudigen Grinsen zu der Stimme um: „Mac!“
McKenzie Haldane grinste ihm entgegen und richtete den Kragen seines Uniformhemdes, damit Jules auch ja nicht das silberne Eichenlaub übersah.
„COMMANDER Haldane“, Jules und sein Freund umarmten einander, „wie tief die TSN nur gesunken ist oder hast Du endlich das Geld für eine saftige Bestechung zusammenbekommen?“
„Ach halt bloß die Klappe, alter Mann, ich musste nur zwanzig oder dreißig andere Bewerber mit den bloßen Hände aus dem Weg räumen“, Haldane griff sich den Seesack, „Uff, hast Du da Steine drin? Oder Deinen alten Vorderlader von, wie heißt noch mal der Inzest gefährdete Hinterweltlerplanet, von dem Du stammst und jeder zweite Nachname Stafford ist?“
„Davon wird aber die Hälfte mit dt geschrieben und etwa zehn davon schreiben sich mit t“, Jules knuffte seinen Freund, während die Falcon schon auf den Haken genommen wurde, um sie in Parkposition zu bringen.
Scheinbar jedoch auf dem Flugdeck und nicht in den darunter liegenden Hangar.
„Also, was machst Du hier?“
Haldane grinste: „Ich schmeiße den Laden. Ich bin der CAG, der Capo di Capi, der Boss! Oder werde es sein, wenn das Geschwader voll aufgestellt ist.“
„Wie, auf dieser alten Möhre?“
„Ganz dünnes Eis, Cowboy, ganz dünnes Eis und die Mittagssonne steht hoch. Auch wenn ich verstehe, dass gegen die Columbia alles wie eine alte Möhre aussehen muss, hier ist der Spaß vorbei.“
„Hey, ich habe nichts gesagt“, Jules hob kapitulierend die Hände, „rein gar nichts. Ist aber ganz schön voll Dein Flugdeck.“
Haldane blickte sich um: „Yeah, wir sind sehr überbelegt. Wir transportieren, was wir nur können. Der Hangar ist schon voll und gleich kommen auch noch die neuen Vikings.“
„Kriegt Ihr die überhaupt gestartet?“
„Beim letzten Umbau hat sie neue Startröhren gekommen. Die Konföderierten hatten endlich Zugriff auf Crusader bekommen und wollten die von hier aus einsetzen. Zum Glück, so kann die Liberty im Gegensatz zu früheren Zeus-Trägern alles einsetzen, was die Navy im fliegenden Arsenal hat. Ich bekomme sogar eine Schwadron Nighthawks.“
„Super, könntest Du mir vielleicht ein oder zwei Flüge mit einer Nighthawk verschaffen? Ich bin lange keine mehr geflogen. Ich habe gerade mal die nötige Simulatorzeit zusammenkratzen können um die Qualifikation nicht zu verlieren. Ich bin echt aus der Übung.“
„Was bist Du denn sonst so geflogen?“
„Nominell eine Griphen, letztlich aber alles was ich in die Finger bekommen konnte. Vor sechs Monaten hatte ich auf Roswell noch eine Typhoon-Staffel zur Verfügung.“
„Ach du Kacke und keine Überlegenheitsjäger?“
Jules zuckte mit den Schultern: „Es war zwar nicht der Arsch des Universums, dieser war aber gut sichtbar.“
„Naja, eigentlich habe ich eine Falconstaffel für die Streifen in Bereitschaft, aber ich sehe zu, dass Du Deine Praxisstunden bekommst aber mach mir keine Beulen ins Flugdeck.“
„Kennst mich doch.“
Haldane zog eine Grimasse: „Hör mal, Du warst nicht der einzige, den die Sache mit Carlyle Betroffen hat. Einige gute Leute sind als Kollateralschaden geendet.“
Jegliche Fröhlichkeit war sofort verschwunden.
„Ich kann es mir vorstellen.“
Haldane blieb stehen und drehte sich zu Jules um: „Kannst Du das? All Deine guten Bewertungen waren auf einmal nichts mehr wert. Ich musste meine Ellenbogen einsetzen und so ziemlich alle Gefälligkeiten einfordern, die ich in zwanzig Dienstjahren angesammelt habe um diesen Posten zu bekommen. Für das silberne Eichenlaub musste ich praktisch über Leichen gehen. Dies ist mein erstes und wahrscheinlich einziges Geschwaderkommando. Hiernach ist entweder die Etappe dran oder ich schaffe es soweit zu überzeugen, dass sie mich zum Perisher schicken.“
„Du weißt ganz genau, dass wenn es nach mir gegangen wäre, dieser kleine Bastard niemals wieder in einem Jäger gesessen hätte, nachdem er Twist ins Grab gebracht hat. Hätte man ihn seinerzeit kassiert, wäre nie etwas geschehen.“
„Ich weiß“, sein alter Kamerad nickte beklommen, „ich weiß Cowboy und es tut mir Leid, es musste nur einmal raus, sorry.“
„Schon gut, vielleicht schaffe ich es ja, dass man zukünftig bei einem Blick in Deine Akte sagt 'oh, unter Jules Stafford hat dieser Mann gedient und solch eine Bewertung'.“
Die Antwort wurde von einem abfälligen Schnauben eingeleitet: „Ich habe nie unter Dir gedient. Darüber hinaus, wem willst Du hier Hoffnung machen? Ich kenne Dich viel zu gut. Du bist zu ehrlich. Du bist eigentlich zu dumm um Berufssoldat zu sein.“
„Naja, ich war in der Tat dumm genug mich zur Navy zu melden“, gestand Jules gespielt einsichtig ein, „aber sag mal an, wo ist meine Koje?“
„Wie gesagt, wir sind absolut überfüllt, die knackst bei mir, ich nehme das Sofa.“
„Oh, dann bekommst Du also doch noch die Gelegenheit unter mir zu dienen!“
Haldane hob den Zeigefinger: „Erstens, ich schlafe mit einem Laser unter dem Kopfkissen und zweitens: Hast Du nach der Blonden auf Keid-Station tatsächlich eingesehen, dass Du keine Chance bei Frauen hast.“
„Hey, das ist jetzt aber echt nicht fair, dass...“
„Wie hieß er noch gleich, der Dir die Tour versaut hat, dieser picklige, zu klein geratene, stotternde, bettnässende kleine Juniorlieutenant der so aussah, als hätte er seinem großen Bruder die Uniform geklaut um Soldat zu spielen... Le...“
„LeBeau“, vervollständigte Jules, „Pierre-Marcel LeBeau. D-d-d-d-d-darf ich s-s-s-s-sie zu einem Drink einladen LeBeau. Einer der mutigsten Piloten, die ich je erlebt habe aber bei Frauen, an extrovertierten Tagen hat er auf ihre Schuhe gestarrt statt auf seine.“
„Von da an nicht mehr“, ergänzte Haldane mit schiefem Grinsen, „aber Du weißt schon, dass wir anderen das für LeBeau organisiert hatten. Aber allein um Dein Gesicht zu sehen, hätte ich Eintritt bezahlt.“
„Wahnwitzig witzig.“




Büro des CAG
TRS Columbia, Sterntor


Ich wünschte es wär' Nacht oder Stafford wäre hier, ging es Irons durch den Kopf. Vor ihr stand ihr erfahrenster Bomberpilot. Wenn sie nachmessen würde mit Sicherheit exakt einen Meter und fünfzig von der Schreibtischkante entfernt und aufrecht wie ein Ladestock. Die Hände an die Hosennaht angelegt, mit einer Bügelfalte so scharf, dass man sich daran schneiden konnte.
Hungry Joe hatte die Augen auf einen imaginären Punkt hinter ihr gerichtet und vermittelte den Eindruck, als hätte er sein Leben lang nichts anderes gemacht, als so da zustehen.
Der Bart war wie üblich gut gestutzt, während seine Haarpracht die früher zu einem Pferdeschwanz gebunden war jetzt gänzlich fehlte.
Nun, das war nicht ganz richtig auch die Haarpracht des Piloten war anwesend. Sie lag in einem Päckchen auf dem Schreibtisch, welches wiederum an Charles Stacy den neuen ersten Offizier der Columbia adressiert war.
Links neben dem Schreibtisch saß Razor Durfee, der als ihr XO fungierte und bemühte sich um eine gelassenen Gesichtsausdruck. Am liebsten hätte sie Razor gesagt er solle sich zusammen reißen aber sie hatte zu selten ehrliches und offenes Amüsement auf dem Gesicht des Jagdbomber-Piloten gesehen.
„Das finden Sie also witzig Lieutenant Walzinsky?“ Irons wusste schon genau, warum Joe von allen nur Hungry Joe genannt werden wollte.
„Sir?“ war die einsilbige Antwort. Die Anrede war tatsächlich auch für weibliche Vorgesetzte anwendbar und Irons wusste dadurch ganz genau, worauf dies hier hinauslaufen würde.
Dies war tatsächlich ein so genannter Captains Mast, die Anhörung durch den kommandierenden Offizier wegen Fehlverhaltens oder mangelnde Leistung. Die unterste Stufe des Disziplinarapparates der TSN und wenn Hungry Joe es tatsächlich nicht anders haben wollte.
„Lieutenant Walzinsky: Sind das Ihre Haare in dem Paket?“
„Sir, ja, Sir!“
„Haben Sie dieses Paket an den ersten Offizier der Columbia Geschickt?“
„Sir, ja, Sir!“
„Warum haben Sie das getan?“
„Sir, aus Protest, Sir!“
„Aus Protest wogegen?“
„Sir, gegen den Befehl mir die Haare zu schneiden, Sir!“
„Wer hat Ihnen diesen Befehl gegeben?“
„Sir, der CAG, Sir!“
„Also nicht Commander Stacy?“
„Sir, nein, Sir!“
„Und warum haben Sie dann Commander Stacy“, Oh Gott, ich glaub ich werde bescheuert, „und nicht dem CAG die Haare geschickt?“
„Sir, Commander Stacy war der Anstoß für diesen Befehl, Sir!“
„So, Sie wollten also den ersten Offizier der Columbia provozieren, weil Sie sich über ihn geärgert haben?“
Schweigen.
„Lieutenant?“
„Sir, war das eine Frage oder eine Feststellung, Sir?“
„Eine... verdammt nochmal, Joe, wenn ich sage, dass es eine Frage ist, werden Sie mit Sir, nein, Sir antworten.“
„Sir, ja, Sir!“
Irons sprang auf und schlug mit der Faust auf den Tisch: „Du dummes Arschloch! Sprich gefälligst mit mir wie mit einem vernünftigen Menschen! Wir sind beide draußen gewesen und haben mehr als hundert Mal gemeinsam den Tod in die Augen gesehen! Wage es ja nicht, Dich hinter dieser Komis-Scheiße zu verstecken! Nicht mir gegenüber!“
Es war alles andere als Hilfreich, dass Razor in schallendes Gelächter ausbrach.
„Der Sack geht mir auf die Eier“, platzte es aus Joe heraus, „Tag ein Tag aus muss ich diese verschissene Uniform tragen! Ich muss vor Leuten salutieren, deren soziale Kompetenz scheinbar auf dem Niveau einer Kaffee-Tasse liegt! Mein Quartier muss ich mit einem netten Idioten teilen, der Hülsenfrüchte zwar nicht verträgt aber sie liebend gerne in sich rein stopft und dann schlimmere Abgase ablässt als meine Crusader! Mein verficktes Gehalt beträgt mit allen Zulagen und Pokergewinnen nur halb so viel wie im Zivilleben! Und jetzt kommt dieser Affe, der wahrscheinlich zum Morgenschiss die Nationalhymne summt und dessen Scheiße Normgröße aufweist und erzählt mir, wie ich meine Haare zu tragen habe. Und weil ich als Soldat einen Teil meiner Bürgerrechte habe aufgeben müssen, kommt er damit durch.
Und die achthundert Frauen an Bord, die wie ich und inklusive Dir, CAG, ebenfalls gegen die Dienstvorschriften verstoßen, die kommen damit durch!“
Schweigen legte sich über das Büro. Hungry Joe wirkte erschöpft.
„Hör zu Joe“, begann Irons vorsichtig, „mir persönlich war Dein Zopf vollkommen egal und ja, vielleicht habe ich dem neuen XO nicht energisch genug Widersprochen, nur ich kann es mir zur Zeit einfach nicht erlauben, mit dem in den Clinch zu gehen. Es tut mir Leid, ehrlich.“
„Ja, schon gut, Irons und jetzt?“
„Jetzt werde ich Commander Stacy erzählen, dass ich das gleiche getan habe wie tausende Offiziere vor mir. Ich werde ihm erzählen, dass ich mit einem schriftlichen Verweis vor Deiner Nase herum gewedelt habe um Dich einzuschüchtern und wieder auf Linie zu bringen. Diesen Verweis aber nicht Deiner Personalakte hinzugefügt habe, weil ich der Meinung war, das wäre nicht nötig.“
„Okay, danke.“
„Wenn Du dann aber nochmal dumm auffällst, stehe ich echt dumm da, dass weißt Du, Joe?“
Hungry Joe nickte: „Ja, keine Sorge meinetwegen, da kommt eh noch genug auf Dich zu, da werde ich nicht noch in die gleiche Kerbe schlagen.“
„Wie meinst Du das Joe?“
„Nun, es hat sich im Geschwader rumgeschwiegen, dass ein gewisser Jules Stafford unser neuer Geschwaderführer wird. Und einigen der Jungs passt das gar nicht.“
Irons Magen verkrampfte sich ganz plötzlich. Sie hatte auch erst vor kurzen von Commander Stafford Berufung erfahren und war noch am überlegen, wie sie das ihren Leuten beibringen wollte: „Du meinst damit sicherlich nicht das Geschwader an sich, sondern speziell diejenigen, die von der New Boston Space Miliz zu uns gekommen sind?“
„Kann mir mal jemand auf die Sprünge helfen“, bat Razor.
Irons und Hungry Joe blickten sich kurz an, dann setzte sich Joe auf einen der Besucherstühle und begann zu erzählen: „Das erste Kriegsjahr war noch nicht ganz um, da wurde ein Pilot von der Front zu uns versetzt. Sie werden sich erinnern, stammen Irons und ich, sowie als wir zu den Angels kamen fast die komplette Bronce Schwadron von New Boston, sowie noch ein paar andere Piloten.
Es war damals höchst ungewöhnlich, dass man einen Piloten von der Front abzog und zurück in die Etappe versetzte. Bei diesen Piloten handelte es sich um einen gewissen Edward Carlyle, seines Zeichens Sohnemann eines Senators, welcher auch noch im Finanzausschuss der Streitkräfte saß.“
„Hat Väterchen einen sicheren Posten für seinen Prinzen gesucht.“
Irons und Hungry Joe lachten auf.
„Was habe ich gesagt?“ wollte Razor wissen.
„Sein Callsign war tatsächlich Prince.“
Joe nickte zustimmend: „Und so plausibel diese Erklärung war, den Gerüchten nach ist sie falsch. Carlyle Junior wurde wohl in die Etappe versetzt um disziplinarischen Konsequenzen vorzubeugen. Er hatte wohl echt Scheiße gebaut und irgendwie war Stafford wohl darin verwickelt.“
„Und, deswegen wird doch wohl keiner unser aktueller Piloten ein Problem mit unserem zukünftigen CAG haben“, Razor blickte von einem zu anderen.
„Also, der kleine Prince hatte in der Miliz durchaus eine Menge Freunde. Trotz unseres exzellenten Rufes liefen wir auch immer wieder Gefahr eine Art Club für die reichen Töchter und Söhne von New Boston, die zwar gerne als gestandene Jagdpiloten dastehen wollten, jedoch auf die Annehmlichkeiten der oberen zehntausend nicht verzichten konnten.“
„Meine Bomberschwadron war davon aus offensichtlichen Gründen davon nicht ganz so betroffen wie unsere Jagdfliegerschwadronen“, warf Irons ein, „aber auch jetzt noch dienen drei Leute bei mir, deren Familien mit den Carlyles gesellschaftlichen Umgang pflegten.“
Razor warf ihr einen schrägen Blick zu: „Aus offensichtlichen Gründen?“
„Wir sind doch nur Bomberjockeys“, half Hungry Joe aus, „und wenn man den Count dazu zählt sind es vier.“
Irons zuckte die Schultern.
„Naja, die Boston Space Miliz wurde ja schließlich aufgelöst und alle Piloten in die Navy einberufen und so landete Carlyle Junior wieder an der Front und durch einen bösen Streich des Schicksals wieder in seinem alten Geschwader. Auch Jules Stafford diente noch dort, mittlerweile als CAG.“
„Okay“, sagte Razor lang gedehnt, „und was ist dann passiert?“
„Das weiß ich nicht genau. Alles was ich weiß ist, dass die Atmosphäre zwischen den beiden ziemlich gespannt war und vor etwa fünfzehn Monaten haben die beiden aufeinander geschossen. Ein Untersuchungsausschuss hat zwar festgestellt, dass Commander Stafford den Sohn von Senator Carlyle in Notwehr getötet hat aber der Kleine war immer noch ein Senatorensohn.“
Razor stieß einen Pfiff aus: „Heilige Scheiße. Wie kann es sein, dass wir den als Geschwaderchef bekommen?“
Hungry Joe blickte Irons fragend an.
„Als ich den Posten als CAG abgelehnt habe...“
„DU HAST WAS?!“ riefen die beiden Männer wie aus einem Mund.
Etwas unbehaglich zuckte sie mit den Schultern: „Nun eigentlich habe ich Admiral Girad gebeten mir den Posten nicht anzubieten und sie ist dieser Bitte nachgekommen.“
„Nun, ich nehme an Du hattest Deine Gründe“, Hungry Joes Ton konnte man durchaus als bissig bezeichnen.
„Die hatte ich. Aber um zum Thema zurückzukommen: Hat Admiral Girad Commander Stafford persönlich angefordert, nachdem sie sich soweit ich weiß mit Rearadmiral Jackson Sandovall besprochen hat.“
„Sandy Sandovalls Empfehlung ist nicht gerade zu verachten“, meinte Razor, „scheint aber für uns zu Problemen zu führen, oder? Was ist dieser Stafford denn für ein Typ?“
Jetzt war es an Hungry Joe die Schultern zu zucken.
„Ich habe natürlich ein wenig nachgeforscht“, antwortete Irons stattdessen, „der Typ ist Offizier und Pilot so lange seine Dienstakte zurückreicht. Reserveoffizier mit Bordpatent der TSN und Major der Jasparian Space Force und zu Kriegsbeginn als Second Lieutenant eingezogen.“
„Das ist doch ein Scherz.“
„Ganz und gar nicht Razor. Er diente bis vor fünfzehn Monaten an Bord der Shiloh und wurde da fast mit Gewalt die Befehlskette hoch geschoben.“
„Also ist dieser Stafford richtig gut?“
„Keine Ahnung“, gestand Irons ein, „wenn es nach den Abschüssen angeht, wirkt er gegenüber Lone Wolf und Darkness eher, hm unscheinbar. Seine Qualitäten müssen eher woanders liegen.“
„Verbindungen“, warf Hungry Joe ein.
„Tja, möglich nur glaube ich nicht, dass Girad oder Sandovall aus reiner Gefälligkeit jemanden aus der Verbannung zurückholen, dessen Qualifikation auch nur ansatzweise zweifelhaft ist. Vor allem, wenn man damit einem Senator auf die Füße tritt.“
„Soweit ich weiß hat Carlyle Senior sich mit seinem Vernichtungsfeldzug gegen einen einfachen Commander nicht gerade Freunde gemacht und so ziemlich jede Gefälligkeit eingefordert, die er eintreiben konnte. Wenn man zu offensichtlich seine Macht missbraucht, macht man sich gerne auch mal Feinde. Hat ja sicherlich seine Gründe, warum Carlyle in keinem der Senatsausschüsse mehr sitzt.“
Razor runzelte die Stirn: „Uns stehen als interessante Zeiten bevor.“

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"Das Leben ist das was einem passiert, während man andere Pläne schmiedet." John Lennon

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11.11.2015 18:36 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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„Prinzessin, wüssten die hohen Häuser, wovon ich weiß, euer Tod wäre besiegelt.“
„Warum das, mein Freund?“
„Ihr tragt ihr Verderben und ihren Tod in eurem Leib…“

Aus ‚Der Bastardprinz’, antikes Akarii-Drama



Akar, die imperiale Hauptstadt Pan’chra

Mit einer gewissen nostalgischen Wehmut erinnerte sich Rallis Thelam an die Zeit vor Jors Tod. Gewiss, er hatte seinen arroganten Cousin verabscheut und für das Reich war dessen Ableben eher zu spät als zu früh gekommen. Aber solange es einen Kronprinzen gab, war Rallis Leben auch sehr viel einfacher gewesen. ‚Das ist wohl der Preis, den ich für diese glückliche Wendung des Schicksals zahlen muss.‘, dachte er sarkastisch.
Er hatte auch schon früher in der imperialen Politik mitgemischt – einer der Gründe für die herzliche Abneigung zwischen ihm und Jor. Aber damals hatte er auch Zeit für…andere Dinge gehabt. Dinge, die weniger wichtig aber kurzweiliger gewesen waren.
Seitdem Jors ‚Heldentod‘ Rallis in die erste Reihe der Thronprätendenten katapultiert hatte, fand er für Zerstreuungen meist nur noch dann Zeit, wenn er sie mit dem Schmieden von Allianzen, dem Sammeln von Informationen, dem Streuen falscher – oder wahrer – Gerüchte und dem heimlichen Schattenkrieg gegen Feinde, Rivalen und falsche Freunde verbinden konnte.
‚Aber es hat mich ja auch keiner gezwungen, in dieses Spiel einzusteigen. Außer das Wissen, dass derjenige, der nicht die Strippen ziehen will, bald selber eine Marionette ist. Oder sich in den Fäden des Schicksals erhängt.‘

Linais Schwangerschaft und die jüngsten imperialen Siege hatten alles geändert - ALLES. Und Rallis Cousine – oder ihr Gefolge – hatten es auch noch fertiggebracht, durch Karrek Thelams Einbindung in den Flottenstab einen aussichtsreichen Thronprätendenten des konservativ-expansionistischen Lagers zumindest vorerst zu domestizieren. ‚Ich bezweifle, dass Großadmiralin Rian ihm irgendwelche Freiheiten lässt. Oder die Gelegenheit, sich eine Hausmacht aufzubauen. Fernab des imperialen Zentrums und ohne ein eigenes Kommando wird er weder die Zeit noch die Gelegenheit und die Mittel haben, um Linai Probleme zu machen. Langsam geht mir also die Manövriermaße aus.‘ Es war schon immer die beste Methode gewesen, einen Feind – oder einen zu mächtigen Verbündeten – sich an offensichtlicheren Zielen aufreiben zu lassen, bis der Zeitpunkt gekommen war, um selber aktiv zu werden. ‚So wurden Dynastien gestürzt und gerettet. Reiche vernichtet oder geschaffen.’ In manchen Kämpfen griff man lieber zur Chark, zu einer Meuchlerwaffe, als zum Schwert.

‚Nur habe ich bald niemanden mehr, den jene, die meine liebe Cousine als Banner vor sich hertragen wollen, als Bedrohung ansehen würden.’
Admiral Mokas Taran – der eine beträchtliche Anzahl an Schiffen, Truppen und wirtschaftlichen Ressourcen hinter sich und einen entfernten Anspruch auf den Thron gehabt hatte – schien in Linais Lager zu stehen. ‚Und von seinen Truppen ist inzwischen sehr viel weniger übrig als noch vor einem Monat. Er hat nicht die Ressourcen, um nach Akar zu springen und den Thron zu fordern.’ Zumal Taran immer noch irgendwo in Feindgebiet operierte und nach seiner Rückkehr wahrscheinlich seine Wunden lecken oder gegen die Separatisten im Draned-Sektor losschlagen würde. ‚ Den Draned-Sektor unabhängig zu erklären, dafür ist er nicht der Mann. Die Tarans sind Loyalisten. Er wird die Verräter lebendig häuten, nicht mit ihnen gemeinsame Sache machen. Ich weiß das, er weiß das – und Linai weiß es auch.’
Zu allem Überfluss war Taran auch noch mit Linais Favoriten befreundet und schien die Politik ihres Ehemanns mitzutragen. ‚Könnte der Junge nicht ein bisschen...ehrgeiziger auftreten? Seine Truppen müssen ihn ja nicht gleich aufs Schild heben und zum Can r’Drehh – zum Herrscher durch das Schwert – ausrufen, aber…’

Rallis wünschte sich keinen Bürgerkrieg, und keine Sezession eines ganzen Raumsektors. Selbst wenn ihn dies auf den Thron gebracht hätte – ein solcher Sieg wäre wertlos gewesen. Rallis wollte nicht der letzte Herrscher des Akarii-Imperiums werden. Außerdem war er Patriot, so unglaubwürdig das auch für manchen klingen mochte. Aber die Furcht vor einer Rebellion der Tarans oder Karrek Thelams wäre ein wertvolles politisches Werkzeug gewesen…

Gewiss, es gab mit Navarr und Lisson Thelam immer noch zwei weitere Thronprätendenten, die Linai noch nicht domestiziert hatte. Allerdings war Lisson bestenfalls als Marionette zu gebrauchen – ihm schien jeder Ehrgeiz und politischer Instinkt abzugehen.
Navarr war da schon vielversprechender. Er war ambitioniert, nicht unpopulär und würde die Flottenakademie voraussichtlich mit Bestnoten abschließen. Und Rallis rechnete sich gute Chancen aus, ihn auf seine Seite ziehen zu können. Es gab viele Adlige, die von einem Kleinkind auf dem Thron nicht begeistert waren. Und die weder von den Allecars oder den Jockhams viel hielten, die an den Rockzipfeln der Regentin hingen. ‚Und auch nicht von Lisson. Und - leider - häufig auch nicht von mir. Aber Navarr…er ist kein Expansionist, aber er wäre den alten Kriegsgurgeln und vielen Traditionalisten vermutlich lieber.’ Also hatte er immer noch einen Pfeil im Köcher.
Aber die Ereignisse der letzten Wochen setzten Rallis unter Zugzwang – und konfrontierten ihn mit der Aussicht, dass die Allecars mit ihrer Strategie, über Linais Bett die Thronlinie und vielleicht sogar das Reich zu dominieren, Erfolg haben könnten. Und da er bereits mehr als deutlich gemacht hatte, was er von Linais Favoriten und dessen ehrgeiziger Familie hielt…
‚Wenn dieser Balg tatsächlich von Dero ist…Also ich hoffe ja sehr für dich, Kusinchen, dass du dich nicht von deinen Gefühlen blenden lässt.‘ Damit die Allecars gewannen, würde Linais Ehemann beiseitegeschoben werden müssen. Aber das würde Deros Familie leicht fallen. Der Prinzgemahl war ein Idealist, ein weltfremder Pedant und Gelehrter – keine Eigenschaften, mit denen man einen Thron gewinnen oder halten konnte. Und wenn das erst einmal erledigt war, dann würden die Allecars sich an ihre Feinde erinnern…
Rallis wäre nicht das erste Mitglied der kaiserlichen Familie, das über einen niedrig geborenen Günstling des Throns gestolpert wäre. Mancher hatte das mit Gefängnis, Exil oder dem Tod bezahlt.

Das wartende Schweigen um ihn herum erinnerte Rallis Thelam daran, dass ihn seine Gedanken schon zu lange abgelenkt hatten: „Ich muss mich entschuldigen, ich bin ein furchtbarer Gastgeber...“
Arat Cesta winkte elegant ab: „Es gibt nichts zu entschuldigen. Wir alle sind noch…überwältigt von der Neuigkeit aus dem Palast. An vielen Altären werden heute Opferfeuer für die Götter brennen.“ In der Stimme der jungen Adligen schwang eine gehörige Portion Sarkasmus mit, zumal sie den Wortlaut imitierte, mit der seit der Antike die Inthronisierung eines Imperators verkündet wurde – oder die Aufnahme eines verstorbenen Herrschers in den Kreis der Götter. Und ihre Schwester setzte sofort nach: „Natürlich, um den Unsterblichen die Gesundheit des ungeborenen Imperators ans Herz zu legen.“

Rallis Thelam ermahnte sich, seine Gäste nicht zu unterschätzen. Auch wenn Arat und Lirai nur aus dem niedrigen Adel stammten, Haus Cesta war alt – und gut vernetzt. Die Cestas gehörten zu den Progressiven, und wenn auch vielleicht nur, weil sie gerne konservative Adlige brüskierten. ‚Zumindest glauben das viele. Die Wirklichkeit ist nicht so einfach.’
Die guten Beziehungen ihrer Familie waren einer der Gründe gewesen, die jungen Adligen einzuladen. Seit einer ganzen Weile gehörten sie schon zu Rallis immer noch wachsender Schar an Zuträgern und Verbündeten. Wenn es darum ging, Gerüchte auf einer etwas gehobenen Ebene auszustreuen, konnte er auf sie und einige andere Adlige zählen. Auch wenn Haus Cesta ein eigenwilliger Bundesgenosse blieb. ‚Aber dass sie so attraktiv sind und einen…gewissen Ruf haben macht das Ganze zu einer eher leichten Pflicht…’ Außerdem würden viele nur den am nächsten liegenden Grund für seine Kontakte mit Lirai und Arat Cesta sehen. Und das war ihm nur Recht.
Normalerweise hätte er sich als Thronprätendent hüten sollen, mit jemandem mit DIESEM Ruf abzugeben. Aber Linais Schwangerschaft und die heimlich von Rallis geschürten Gerüchte über die Identität des Vaters sorgten für genug Gesprächsstoff. Keiner interessierte sich da für Rallis Privatleben. ‚Wir sollten auch für die kleinen Dinge dankbar sein…’

Dan Qau, Rallis junger Adjutant, wirkte in der Gegenwart der beiden ebenso attraktiven wie berüchtigten Schwestern etwas gehemmt. Es konnte aber auch an den anderen Gästen liegen.
Marschall Parin mochte wie ein gütiger alter Großvater wirken, der amüsiert den geistreichen Spitzfindigkeiten und Sotissen der Jüngeren zuhörte, aber er hatte seinen Rang nicht durch Rücksicht oder Weichheit erworben.
Und Admiral Lann vom Flottenbeschaffungsamt war zwar mehr Verwaltungsoffizier als Krieger. Aber er war intelligent, politisch wendig und bestens versiert in den Intrigen und Winkelzügen der Admiralität.
Alles Personen, vor denen Rallis nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen musste. Oder wenigstens so tun konnte. Männer und Frauen, die in dieselbe Richtung wollten – zumindest für ein Stück des Weges…
Gerne hätte Rallis noch Erzherzogin Zuuni als Gast begrüßt, doch das hatte nicht sein sollen. Und Navarr und die junge Otrano-Adlige…noch nicht. ‚Vielleicht beim nächsten Mal. Ich muss mir ihrer erst sicher sein.’ Immerhin schienen seine Pläne mit Navarr Fortschritte zu machen. Es war bei Hofe nicht unbemerkt geblieben, dass Navarr und Maran Otrano viel Zeit miteinander verbrachten. Es gab schon Gerüchte über eine mögliche Verlobung...
’Das würde Navarr an mich binden. Haus Otrano steht in meiner Schuld, hat beste Kontakte zu vielen der stimmberechtigten Provinz-Adelshäuser und tritt politisch gemäßigt auf. Und es macht andere Heiratsallianzen unmöglich, die Navarr in das Lager einer anderen Palastpartei ziehen könnten.’

„Gibt es Neuigkeiten im Adelsrat?“ Lirai Cesta schien wirklich interessiert, aber Rallis wusste, dass sie wahrscheinlich nicht auf sein Wissen angewiesen war.
„Der Rat befindet sich immer noch in einer…Findungsphase. Alte Allianzen und Fehden werden aufgefrischt, die Fronten abgesteckt und befestigt. Immerhin ist es Jahrzehnte her, das der Rat das letzte Mal zusammengetreten ist. Als Eliak zum Imperator ernannt wurde. Mindestens die Hälfte der heute Stimmberechtigten war damals noch nicht einmal GEBOREN.“
„Man hat sich also noch nicht zu einer Entscheidung darüber durchgerungen, wie man mit unserem ungeborenen Thronprätendenten umgehen will?“ Lirai Cestas Wortwahl ließ Platz für Interpretationen.
Es war Marschall Parin, der die Frage zweideutig beantwortete: „Das haben sie noch nicht. Aber immerhin hat der Junge den größten Anspruch auf den Thron. Es sollte also eigentlich nur noch eine Frage der Zeit sein.“ Das Lächeln des Marschalls wirkte zynisch.
Dan Qau räusperte sich. Die letzten Monate waren eine harte Schule für den jungen Adligen gewesen. Auch wenn er wahrscheinlich nie ein vollwertiger Spieler des ‚Spiels der Throne’ werden würde, er lernte: „Aber er wird noch mindestens zwei Jahrzehnte nicht selber regieren können. Also muss es eine Regentschaft geben.“
Rallis winkte ab:„Mein lieber Dan, genau darum geht es doch. Das wirkliche Problem ist, dass es ZUVIELE Kandidaten dafür gibt. Da wäre Linai…auch wenn sie sich als Frau nicht ewig halten könnte. Eine Regentschaft bis zur Volljährigkeit ihres Sohnes wäre…also das wäre, als würden wir eine Imperatorin haben. Unvorstellbar.“
„Ihr wisst aber, dass das Reich von Cantar immer eine Herrscherin hatte.“ stichelte Lirai Cesta.
„Wenn ich mich richtig erinnere, war die Canta’r’Karrg, die Herrin der Drachen, eine lebende Göttin.“ parierte Rallis amüsiert.
„Zugegeben. Aber während der Ära des blutigen Himmels gab es eine ganze Reihe von Herrscherinnen in den Reichen, die später die Peripherie des ersten Imperiums bildeten…“
„Und mehrere Mütter oder Schwestern von Imperatoren saßen als Regentinnen auf dem Thron.“ warf Marschall Parin beiläufig ein.
„Sie überraschen mich, Marschall. Ich hätte nicht gedacht, dass Sie sich für historische Themen interessieren. Jenseits der Militärgeschichte, meine ich.“ stichelte Arat Cesta.
Der Marschall schien das nicht übel zu nehmen: „Die Klassiker der Antike kann man nur verstehen, wenn man die Zeit begreift, in der sie geschrieben wurden. Und wer erst einmal so alt wie ich geworden ist, der blickt lieber zurück als nach vorne. Immerhin habe ich erlebt, wie die Stationen meines eigenen Lebens zur Geschichte wurden. Und das sich alles irgendwie zu wiederholen scheint…“

‚Und was genau meinst du damit?’ Rallis musste sich ermahnen, nicht ZUVIEL in die Worte seiner Gäste hineinzudeuten: „Dennoch, wir leben nicht mehr Antike. In den letzten Jahrhunderten hat es keine starke Regentin gegeben, die länger als ein paar Monate oder wenige Jahre auf dem Thron saß.“
„Wir hatten ja auch schon seit Jahrhunderten keinen vakanten Thron, wenn der Kronprinz noch nicht mal geboren war!“ Lann sah aus, als würde er am liebsten ausspucken. Aber da er nicht nur aus Pragmatismus zu Rallis hielt, war das auch nicht anders zu erwarten.
Der Thronprätendent nickte: „Linai braucht einen starken Regenten an ihrer Seite. Wenn ihr Ehemann es schaffen würde, seine versponnenen Ideale und Bücher beiseite zu legen und einen halbwegs glaubwürdigen Herrscher abzugeben…“ Rallis sah, dass sein Adjutant bei seinen Worten leicht zusammenzuckte und ermahnte sich, nicht ZU deutlich zu zeigen, was er von Tobarii Jockham hielt. Er hasste den Mann nicht. Aber Jockham war nun einmal kein Politiker, kein Befehlshaber und auch kein Herrscher. Dass er sich in diesen Rollen versuchte, konnte nur im Unglück enden. ‚So viele Möglichkeiten – und so wenig Willen, sie zu nutzen.’

Tobarii stammte aus einer angesehenen, wohlhabenden und ehrwürdigen Familie, auch wenn es ältere gab. Cobon Jockham, der spätantike Gründer der Linie, war aus einfachen Verhältnissen zu einem berühmten Philosophen, Autor und Berater mehrerer Kaiser aufgestiegen. In einer recht…chaotischen Phase der Akarii-Geschichte hatte er mit Werken wie ‚Die Macht und die Moral’ und ‚Das rechte und das richtige Handeln’ versucht, ethische Richtlinien zu formulieren und zu bewahren. Viele Jockhams hatten im Laufe der Zeit hohe Verwaltungsposten innegehabt, dazu kam eine Reihe namhafter Rechtstheoretiker, Autoren, Philosophen und Schriftsteller. Im Militärischen hatte die Familie allerdings nur selten glänzen können. ‚Offenbar fühlt sich Tobarii an diese Enthaltsamkeit nicht gebunden, auch wenn ihm die nötigen Fähigkeiten abgehen’.
Dass er darauf verzichtet hatte, aktiv die Karriere seiner Verwandten zu fördern, hatte nicht verhindert, dass viele Jockhams von seinem Aufstieg mitgezogen worden waren. Tobarii hatte zu wenig daraus gemacht – vielleicht, weil er der Drittgeborene seiner Familie und auf seine Rolle schlecht vorbereitet war. ‚Warum Linai ausgerechnet ihn geheiratet hat…
Nun ja, ein Schriftsteller und Gelehrter ist vermutlich recht…bequem als Ehemann.’

„Wenn diese etwas…pikanten Gerüchte stimmen, dann könnte noch ein anderes Haus Anspruch auf die Regentschaft erheben. Blut ist dicker als Wasser…“, wieder war es Lirai, die Rallis den Ball zuspielte.
Zum Glück brauchte er in diesem Fall aus seinem Herz keine Mördergrube zu machen. Jeder in diesem Raum – und darüber hinaus - wusste, wo er in DEM Fall stand: „Sie meinen die Gerüchte, dass Dero Allecar der Vater des ungeborenen Imperators ist? Auf keinen Fall! Wenn die Allecars mit diesen abgeschmackten Gerüchten einen Anspruch auf die Regentschaft begründen würden, mit der Behauptung, dass dieser nutzlose kleine Gefreite eine VERHEIRATETE Prinzessin geschwängert hat…
Weniger skandalöse Gerüchte haben schon zu Blutvergießen und Umstürzen geführt.“
„Oder dienten zumindest als Vorwand dafür.“ präzisierte Parin beiläufig.
„Eine Allecar-Regentschaft widerspräche der Tradition und dem Anstand. Könnt ihr euch vorstellen, was jeder Adlige in dem auch nur ein Funken von Ehre und Tradition brennt davon halten müsste? Und wie Linai dann dastünde? Das wäre politischer Selbstmord. Und Tobarii…er müsste sich oder Dero umbringen, oder er steht endgültig als lächerlich da. Das werden die Allecars nicht wagen. Sie brauchen Jockham. Zumindest im Augenblick. Es gibt zu wenige Militärs und Politiker, die wie Dero einen Narren an den Menschen gefressen haben. Aber einer davon ist Tobarii Jockham.“

Selbst denjenigen, die den Friedensvertrag mit der Konföderation befürworteten, gingen manche Ideen Deros und einige Initiativen des Kriegsministers zu weit. Wenn jetzt auch noch die Ehre der Jockhams ins Spiel käme, könnte dies die schwache Koalition der ‚Menschenfreunde’ endgültig sprengen. Rallis hatte sein bestes getan, um genau das in die Wege zu leiten.

„Was wäre das für ein Sujet…Der Streit der Häuser um ein ungeborenes Kind, das für den ewigen Thron bestimmt ist. Eine Prinzessin zwischen ihrem Ehemann und ihrem…Favoriten. Man könnte den Bogen in unsere glorreiche Vergangenheit schlagen, zu den Dramen und Mythen der Antike. Der Bastardprinz, die zwölf Jahre ohne Kaiser, der Sturz von Xias dem Blutigen, das Jahr der drei Imperatoren…“ Lirai Cesta lachte kurz auf, wie über einen Witz, den nur sie verstand.
„Fantastisch.“ bemerkte Rallis sarkastisch: „Aber nur für Schriftsteller - und aus der Retrospektive. Die meisten Normalsterblichen könnten vermutlich darauf verzichten, dass derart…glanzvolle Höhepunkte unserer Geschichte eine Neuaufführung erleben. Vor allem, da wir momentan auch noch einen Krieg führen müssen.“
Parin nickte knapp: „Die Geschichte kann eine mächtige Waffe sein. Aber auch eine lähmende Bürde. Wer zu lange in ihre Schatten blickt, riskiert es, die Ungeheuer jenseits des Abgrunds zu wecken.“
Dan Qau wirkte etwas ratlos, bis Lirai Cesta ihn aufklärte: „Das ist Poesie. Spätantik, wenn ich mich nicht irre. Der Marschall ist wirklich ein Kenner.“

Dan Qau brachte das Gespräch wieder auf das ursprüngliche Thema zurück: „Was die Frage einer starken Regentschaft angeht…
Da sind natürlich Prinzessin Linais ERWACHSENE männliche Verwandten.
Darunter auch Sie.“ Er sah seinen Vorgesetzten an.
„Darunter auch ich. Oder vielmehr – vor allem ich. Lisson, Karrek und Navarr sind etwas…jung als Regenten.“
„Lisson…na ja.
Aber Karrek und Navarr hätten Imperator werden können.“ warf Admiral Parin ein. „Könnten es immer noch, wenn sich genügend Adlige hinter sie stellen.“
Arat Cesta schüttelte den Kopf: „Das ist nicht dasselbe. Imperatoren dürfen jung sein. Das verspricht dem Volk eine lange Herrschaft. Und junge Prinzen sind einfach telegener, nichts für ungut. Ein Imperator soll schließlich repräsentieren. Und viele Kinder zeugen können.
Bei einem Regenten ist das nicht erwünscht. Er ist eine…Übergangslösung. Er soll es sich auf dem Thron nicht ZU bequem machen. Er soll verlässlich wirken, zuverlässig, erfahren. Und wer könnte unter den Verwandten der Prinzessin dafür am besten geeignet sein? Lisson, Navarr, Karrek – oder…?“
Lirai Cesta nahm den Ball ihrer Schwester auf, bevor es Rallis tun konnte: „Aber eine derartige…Ko-Regentschaft ist…heikel. Ich weiß nicht, ob eure geliebte Cousine unsere Geschichte gut genug kennt, Hoheit. Aber in mindestens einem Dutzend Fälle hat bei so einer Konstellation der unmündige Thronfolger nie die Volljährigkeit erreicht. Oder musste den Regenten mit Waffengewalt absetzen.“ Außer Dan Qau wirkte niemand beunruhigt von der Anspielung, die in diesem historischen Exkurs mitschwang.

Admiral Lann sah von seinem Glas auf und ließ seinen Blick zwischen Rallis und Parin hin und her wandern: „Vielleicht sollte jemand Linai nahelegen, dass ein Regentschaftsrat die beste Idee wäre. Eine Gruppe von…sechs bis acht erfahrenen und fähigen Militärs und Politikern, die die Regierungsgeschäfte bis zur Volljährigkeit des Imperators gemeinsam führen. Das dürfte viele beruhigen, bei einem alleine regierenden Regenten befürchten, dass dieser nach der Krone greift. Oder andere…extreme Maßnahmen in Erwägung ziehen könnte. Natürlich müsste es dennoch einen Ersten unter Gleichen geben, der die Führung innehat. Und da wäre noch das Amt des Großkanzlers, falls man nicht beide Funktionen in einer Person vereinen würde…“
„Zum Beispiel in Ihrer Person, Hoheit.“ warf Parin ein. „Das Beste wäre natürlich, wenn so ein Vorschlag nicht von Ihnen käme. Sondern von jemandem, der nicht auf einen derart prominenten Posten im Regentschaftsrat aus ist. Dessen Motive uneigennütziger wirken…“
Rallis lachte kurz auf, wurde dann aber sofort wieder ernst ‚Ist das ein Angebot? Verbunden mit dem Hinweis, dass du mit einem ‚nicht so prominenten Posten’ im Regentschaftsrat belohnt werden willst?’ Die Idee klang verlockend. Aber dann schüttelte er den Kopf: „Darauf würde Linai sich nie einlassen.“
Der Marschall spitze die Lippen als würde er den Geschmack seines eigenen Vorschlags noch einmal prüfen: „Wer weiß? Wenn der Vorschlag nur von der richtigen Person kommt, mit den richtigen Argumenten und der nötigen Unterstützung…
Aber zumindest sollte man Linai zu verstehen geben können, dass Ihr den passenden Kanzler zu ihrer Regentschaft abgeben könntet. Während ihr…anderer Umgang viele der traditionell eingestellten Häuser brüskieren würde.“ Parins Wort konnte tatsächlich Gewicht haben. Bei Linai, im Adelsrat, in der Armee – teilweise sogar der Flotte. Er war der überlebende starke Mann der Fronde gegen Jor. Und da viele der Offiziere, die sich gegen den verstorbenen Kronprinzen gestellt hatten, wieder in den aktiven Dienst zurückgerufen wurden, wehte auch auf Akar der Wind zunehmend aus einer neuen Richtung.
An der Militärakademie von Akar waren in letzter Zeit Vorlesungen und Übungen auf dem Lehrplan aufgetaucht, die recht…kritisch mit den Strategien der letzten Kriegsjahre ins Gericht gingen.‚Als nächstes wird jemand fordern, dass man Jor aus den Analen und dem Gedächtnis des Imperiums tilgt…’, dachte Rallis Thelam amüsiert.
Lann nickte währenddessen knapp: „Ein erfahrener Kanzler wäre schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung und besser, als wenn dieser….Gefreite diese Rolle übernehmen würde.
Besser für das Reich, meine ich.“ Wie viele altgediente Militärs hielt Lann nicht viel von Dero Allecar, auch wenn er den durch ihn ausgehandelten Frieden mit der Konföderation befürwortete.

Parin wiegte nachdenklich den Kopf: „Dieser Gefreite besitzt die Gunst der Prinzessin. Und die Allecars haben im Adelsrat sehr viel Unterstützung. Sie können auf Verbindungen zu hohen und höchsten Kreisen bauen. Nicht nur zu den Thelams, auch zu den Tarans…“
Rallis winkte ein klein wenig verdrossen ab:„Nach allem was ich weiß, hat der junge Dero eine lose Saufbekanntschaft mit dem Taran-Erben, dem überaus ambitionierten Kommandeur des Draned-Sektors. Der momentan die Menschen mit seinem Raid gegen Parrak in Atem hält. Und uns mit der Idee, ein paar tausend Jahre Kolonialpolitik über den Haufen zu rennen. Aber das ist doch wohl nur ein ziemlich dünnes Band…“
Lirai Cesta schüttelte den Kopf und lächelte in ihr Glas: „Ich fürchte, da irrt Ihr euch, Hoheit. Die Verbindung der beiden Häuser ist doch etwas…beständiger als eine Trinkfreundschaft. Sie ist Teil der Geschichte BEIDER Häuser.
Beide berufen sich darauf, dass ihre Vorfahren in der Geister-Karrg dienten.“
„Sie und jedes zweite Adelshaus des Hauptkontinentes!“ winkte Rallis ab.

Natürlich kannte er die Geschichte von der legendären 15. Karrg. Kommandiert vom Erben des unvergessenen Imperator Taku, war die Einheit nach Takus Tod auf dem Rückmarsch aus den Ländern der Barbaren verschollen. Kein Mann, kein Reittier und kein Wort von ihrem Schicksal hatte jemals die imperiale Hauptstadt erreicht. Chaos und Bürgerkrieg waren die Folge gewesen. Doch sie blieb unvergessen. Und in zahllosen Liedern und Geschichten hieß es, dass das verschwundene Heer in der Zeit größter Not zurückkehren würde, um das Reich zu retten. Angeblich hatte die Geisterarmee in mehr als einer Entscheidungsschlacht den Sieg für das Imperium gesichert.

„Und beide Häuser waren daran beteiligt, Xias den Blutigen zu stürzen, nachdem er völlig verrückt geworden war.“
„Das erklärt natürlich Einiges.“ bemerkte Rallis gallig. Parin grinste nur, offenbar hatte er die Anspielung auf Mokas Tarans Beteiligung bei der Verschwörung gegen Jor verstanden.
Lirai Cesta war allerdings noch nicht fertig: „Die Häuser haben ein paar Mal untereinander geheiratet. Während der Frühzeit unserer interstellaren Expansion arbeiteten sie eng zusammen. Ich glaube, sie streiten sich immer noch darüber, wer von ihren Vorfahren bei wem als Erster Offizier diente. Oder einem Mitglied des anderen Hauses das Leben rettete.“
„Der Bruder des Admirals fällt allerdings ein wenig aus der Tradition heraus. Yelak Taran verabscheut Dero. Und vom Kriegsminister scheint er auch nicht viel zu halten.“ warf Parin ein.
‚Und woher weißt du…natürlich. Yelak hat wie sein Bruder Verbindungen zur Offiziersfronde.’ „Der junge Yelak ist ein Mann mit starken Überzeugungen und in mancher Hinsicht vielleicht etwas weniger…pragmatisch als sein Bruder. Er hält offenbar nicht viel von der Botschaft der Freundschaft, auf die Dero und Tobarii gegenüber unseren Feinden setzen.“ ‚Und genau da kann man ansetzen. Die Brüder stehen sich immer noch nahe.’
„Und wie Dero – und Jockham – ist zumindest Mokas Taran offenbar daran interessiert, unseren Feinden die Hand zu reichen.“ bemerkte Lann skeptisch. „Dass er ausgerechnet den rebellierenden T’rr Friedensverhandlungen und eine privilegierte Stellung anbieten will...“

„Und wieder kann ein Blick in die Vergangenheit das Rätsel lösen helfen…“, warf Arat Cesta spöttisch ein: „Ursprünglich waren die Tarans nicht viel mehr als hochlandbewohnende Barbaren, die von zivilisierten Reichen als Hilfstruppen angeworben wurden. Es hat Jahrhunderte gedauert, bis sie als gleichwertig anerkannt wurden. Das ist zwar schon ein paar tausend Jahre her, aber zumindest in der Familiengeschichte ist es nicht in Vergessenheit geraten.“
„Und später haben sie in mehrere kaiserliche Dynastien eingeheiratet.“
Parin zuckte mit den Schultern und gab Lirai Cesta recht: „Macht und militärische Leistungen schaffen eine ganz eigene Legitimität. Da kann man wohl über ein paar dunkle Flecken in der Vergangenheit hinwegsehen.“ Er zögerte kurz, fuhr dann aber fort: „Sie wissen, dass ich die Familie kenne. Und sei es nur, weil ich und einige der Tarans vor gewisser Zeit…gemeinsame Interessen verfolgt haben.“
Rallis unterdrückte ein Grinsen: ‚Und damit meinst du den Sturz von Jor.’ Aber er verkniff sich eine entsprechende Bemerkung – das Thema war immer noch etwas…heikel. Sogar in einem so privaten Rahmen.
„Es könnte Sie vielleicht interessieren, dass Mokas Taran ein Mitglied der Karrga’chani ist.“

Die ‚Drachenklauen’ waren ursprünglich ein halbreligiöser Kriegerbund der Akarii-Spätantike gewesen. Ihren Namen verdankten sie den mythischen Karrg-Untieren. Unter Drachenstandarten waren die antiken Gefechtsverbände der Akarii in die Schlacht gezogen. Der Orden war vielleicht nicht so alt und berüchtigt wie die Cha’kal, die Eliteattentäter der Imperatoren, aber in den antiken Armeen weit verbreitet. Ein spät erblühter Ableger des Glaubens an die Götter der Sternenleere. Im ‚Krieg der Propheten’ hatten sie ihrem Ruf Ehre gemacht und die Macht des Imperators rücksichtslos gegen die Rebellen durchgesetzt, deren monotheistischer Glaube die Traditionen des Reiches bedrohte.
Als die Akarii zu den Sternen aufbrachen, da hatten die Karrga’chani eine Renaissance erlebt. Es hieß außerdem, dass sie hinter der Zerschlagung der Dolan’vTar gestanden hatten, einer Lehr- und Glaubensrichtung, die vor 700 Jahren die Behauptung aufgestellt hatte, dass die Akarii-Zivilisation schon vor der Erfindung des Überlichtflugs außerirdischen Einflüssen ausgesetzt gewesen war.

Dan Qau verhehlte seine Überraschung nicht: „Heißt das, er hat einen Gegner mit der blanken Klinge getötet und sein Blut…“
„Ich glaube, du hast zu viele billige Historien-Trids gesehen, Dan.“ Rallis winkte amüsiert ab: „Auch wenn die ‚Drachenklauen’ die alten Bräuche ehren – die vermutlich sowieso nur eine Erfindung phantasievoller Romantiker sind – ich glaube nicht, dass sie SO traditionell sind. Heute sind die meisten dieser ‚uralten’ Orden doch nur noch bessere Freizeitvereine und die Karriere fördernde Netzwerke. Und selbst die Cha’kal sind letztlich nur glorifizierte Kommandosoldaten mit einer pseudomystischen Aura.“
Parin wiegte den Kopf: „Sie machen sich das vielleicht etwas zu einfach. Und was den jungen Admiral Taran angeht…er ist kompliziert.
Ich glaube nicht, dass er dem Orden nur aus Karrieregründen beigetreten ist. Zumal so etwas nie eine leichte Entscheidung ist. Und auch nicht ganz ungefährlich.“
„Sie also auch, Marschall? Soviel ich weiß ist der junge Taran doch höchstens ein mittelmäßiger Dreeh-Kämpfer. Er hätte niemals die Aufnahmeprüfung geschafft, falls die Karrga’chani ihre Anforderungen nicht drastisch gesenkt hätten.“
Diesmal war es Lirai Cesta, die Zweifel anmeldete: „Bei der traditionellen Aufnahmezeremonie der ‚Drachenklauen’ muss der Prüfling eine Klinge führen, das ist wahr. Aber es geht vor allem darum, sein eigenes Blut zu opfern und Schmerzen zu ertragen. Besonderes Waffengeschick ist nicht vonnöten. Außerdem kann ein Freund oder Verwandter dem Prüfling zur Seite stehen.“
‚Und Yelak Taran ist im Gegensatz zu seinem Bruder ein begnadeter Fechter. Wenn er doch nur seine Meinung über Dero etwas…lauter äußern würde. Wo die jungen Leute doch wieder den Brauch der Ehrenduelle für sich entdeckt haben…’ Rallis schob diesen angenehmen Gedanken beiseite. ‚Ich sollte mich lieber fragen, wie ich dieses Wissen nutzen kann.
Die Karrga’chani halten die alten Werte der imperialen Streitkräfte hoch. Angriffsgeist, der gnadenlose Wille, dem Sieg und der Sache Alles unterzuordnen. Die Bereitschaft, für den Sieg zu sterben. Der Glaube, dass den Akarii von den Göttern, dem Schicksal – oder wem auch immer – eine Mission auferlegt wurde. Eine Mission, die wir uns aber auch immer wieder aufs Neue VERDIENEN müssen.
Ich glaube ja nicht, dass der junge Taran so traditionell ist, aber…
Wenn ihm diese Werte irgendetwas bedeuten, dann kann er nicht froh über den Kurs sein, den Jockham und Allecar gegenüber unseren Feinden fahren. Er steht hinter dem Frieden mit der Konföderation, aber das dürfte eher eine Verstandssache sein. Keine Herzensangelegenheit. Genauso ist es mit seinen Verhandlungen mit den T’rr-Rebellen. Denn außer der Tatsache, dass die T’rr genauso blutrünstig und kriegerisch sind, wie wir in unserer…glorreichsten Phase, sehe ich wenig Anknüpfungspunkte.
Und ein Bündnis zwischen Idealisten und Pragmatikern ist immer eine fragile Angelegenheit. Vor allem, da beide Seiten mit unterschiedlichen Vorstellungen an die Sache herangehen.’
Auf keinen Fall durfte Rallis diesen Faktor vernachlässigen, wenn er versuchte, den jungen Taran in die richtige Richtung zu lenken.
Die meisten Akarii-Adligen wurden durch ein Netzwerk aus Verpflichtungen, Bindungen und alten Bündnissen getragen – aber auch eingeengt und behindert. An den richtigen Fäden zu zupfen, einige zu stärken, andere zu lockern oder gar zu kappen – das war eine Kunst, die Rallis meisterhaft beherrschte. ‚Jor hat nie begriffen, wie wichtig dieser Aspekt der Politik ist. Nur Stärke, keine Finesse.
Linai…Linai versteht es. Aber als Prinzessin wurde sie vermutlich dafür erzogen.’ Blieb zu hoffen, dass ihr Favorit Dero Allecar wirklich genauso offen, gradlinig und in der Kunst der Palastintrige unbeschlagen war, wie er den Eindruck erweckte.
‚Aber sicher doch. Und er hat tatsächlich nur das Wohl des Reiches und seiner Angebeteten im Sinne…Pah!’
Der Thronprätendent wusste nicht einmal selber, was ihn an dem Mann am meisten störte – sein naiver Idealismus, oder die Tatsache, dass Dero sich zu einem veritablen Stolperstein auf Rallis Weg an die Spitze entpuppt hatte.

„So faszinierend diese historischen und religiös-kulturellen Exkursionen auch sein mögen, Hoheit – eine Frage habe ich doch noch. Warum sind wir eigentlich hier?“ Arat Cesta war es, die diese Frage gestellt hatte: „Sie haben sicherlich gute Gründe, mit jedem von uns ungestört sprechen zu wollen…“, Sie grinste frech: „Und sei es auch nur, wegen dem Vergnügen der Gesellschaft.“
Rallis lächelte selbstironisch: „Das sollte eigentlich Anreiz genug sein. Und wenn es nicht das ist…
Vielleicht bin ich auch einfach nur ein alternder Prinz, der intelligente Konversation und die Gegenwart schöner Damen zu schätzen weiß.
Vor einem halben Jahr war Eliak noch am Leben, mein nichtsnutziger Cousin war der Kronprinz, Dero Allecar versauerte in seinem selbst gewählten politischen Exil als Möchtegernanwalt und Ex-Unteroffizier – und die Menschen waren auf dem Vormarsch.
Nichts davon ist mehr so, wie es war. Ich überlasse es ihnen, zu entscheiden inwieweit sich die Lage zum Besseren oder Schlechteren entwickelt hat…“ Diese boshafte Spitze konnte er sich einfach nicht verkneifen: „Wenn das nicht eine Mahnung daran ist, wie schnell das Schicksal sich wenden kann, was ist es dann? Man sollte also die Gelegenheiten nutzen, solange man sie hat.
Außerdem…ich bin sowieso der Meinung, dass wir Thelams die gehobene Repräsentanz und Konversation in letzter Zeit etwas vernachlässigt haben.
Imperator Eliak – nun, aus naheliegenden Gründen war er schon fast ein Jahr vor seinem Tod kaum noch in der Öffentlichkeit zu sehen oder zu hören. Prinz Jor pflegte nur Umgang mit Untergebenen und Speichelleckern. Er hatte noch nie viel Geduld mit den…zivileren Aspekten seiner Funktion als Kronprinz. Vermutlich war er sogar stolz darauf.
Und selbst Linai hat sich in den letzten Monaten zu sehr vom Hof isoliert. Gewiss, sie musste ihren kranken Vater pflegen, dennoch…
Ihr Ehemann verkriecht sich hinter seinen Büchern und seinem Schreibtisch. Und Karrek, Lisson und Navarr fehlte bisher etwas die Neigung, der Wille oder die nötigen Kontakte, um in dieser Hinsicht aktiv zu werden. Es ist notwendig, die Lücke zu füllen. Der Hof soll schließlich nicht den Eindruck gewinnen, dass die Thelams nur aus Eremiten bestehen, denen der Umgang mit ihrer Umgebung zu wenig bedeutet. Jenseits geheimer Treffen mit ausgewählten Favoriten und Günstlingen.“
„Und sie glauben wirklich, dass unser doch recht exklusives Treffen dem abhelfen kann?“
„Es ist ein Anfang. Ein Impuls. Es ist meine feste Absicht, mindestens einmal im Monat unsere Runde in einem…größeren Rahmen zu versammeln. Sehen Sie es als eine Art informelles Forum an, eine Möglichkeit zum Gedankenaustausch über die Zukunft des Imperiums.“
„Eine solche Versammlung hat es aber an sich, dass die dabei behandelten Themen die Runde machen. Auch über jene Kreise hinaus, für die sie vielleicht vorgesehen sind“ warf Parin ein.
„Vielleicht ist es ja genau das, was ich will. Nun, ich rechne jedenfalls auf Ihre Mithilfe.“
„Man kann mich wohl nur eingeschränkt als dem Hofstaat zugehörig bezeichnen.“ warf Marschal Parin lakonisch ein.
„Sie gehören zu einer der ältesten Familien. Ihre Meinung hat Gewicht. Ich bin sowieso der Meinung, dass die Art und Weise, wie inzwischen teilweise zwischen Militär und Politik unterschieden wird, eine furchtbare Fehlentwicklung ist. Unser Imperium wurde geschaffen, von Akarii die in BEIDEM beschlagen waren.“
„Und wenn ihnen nicht gefällt, was sie zu hören bekommen? Über die Familie Thelam – oder die Zukunft des Imperiums?“ stichelte Lirai Cesta.
„Ich bin alt genug, um damit fertig zu werden. Erlauben Sie mir dazu einen letzten, historischen Exkurs. Diesmal auf die Geschichte der Menschen bezogen.“
„Ich bin schockiert.“ Lirai Cesta riss die Augen in gespielter Entrüstung auf.
„’Wer zu stolz ist, um von seinem Feind zu lernen, der ist zu dumm, um den Sieg zu verdienen.’“
„Das war aber ein Akarii. General Rikata.“ Natürlich war es Parin, der das Zitat korrekt identifizierte.“
„Ich weiß. Aber was die Geschichte der Menschen angeht…
Auch bei ihnen gab es einstmals ein großes Imperium. Ein Reich, das die gesamte bekannte Welt umfasste. Mit mächtigen Herrschern, stolzen Adligen, blühenden Städten und unbesiegbaren Armeen. Und wie wir verliehen diese Menschen ihren siegreichen Feldherren fast göttlichen Status. Ja sie WURDEN zu Göttern – wenn auch nur für einen Tag.
Doch selbst an diesem Tag größten Triumphes gab es immer einen Mann, der neben dem lebenden Gott stand und ihm zuflüsterte: „Blicke hinter dich, und werde gewahr, dass du nur ein Sterblicher bist.“

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"Das Leben ist das was einem passiert, während man andere Pläne schmiedet." John Lennon

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Gott auf meiner Schulter

Victoria Station, Sterntor-System

Als Lilja nach der Schlacht von Tukama das Kommando über die Fighting Stallions übernommen hatte, war dies nicht unvorbereitet geschehen. Sie hatte mehrere Jahre als Staffel-XO gedient, und sich an ihre Pflichten gewöhnen können. Natürlich war es ein Unterschied, ob man jemanden nur hin und wieder vertrat, für ihn (oder besser sie) die eine oder andere Aufgabe schulterte, oder aber wirklich der Staffelchef war. In den vergangenen Monaten hatte sich die Russin jedoch zumindest nach ihrem eigenen, durchaus kritischen Urteil akzeptabel auf dem neuen Posten geschlagen. Sie hatte nun auch die Pflichten übernommen, die zuvor Lightning zugefallen waren: die Verhandlungen mit anderen Staffelchefs, die Teilnahme an Planungsbesprechungen und dergleichen mehr.
Und doch gab es Verpflichtungen, die ihr noch immer so zuwider waren wie dem Teufel das Weihwasser. Sie sah ihre Notwendigkeit ein, aber wenn sie auch nur daran dachte, drehte sich ihr der Magen um. Und das lag nicht an zu viel Stress, zu viel Koffein und definitiv zu wenig Schlaf, alles drei klare Symptome der Krankheit Verantwortung, unter der viele Offiziere litten. Zumindest diejenigen, die ihre Pflichten ernst nahmen.
Sie hatte für einen Moment mit dem Gedanken gespielt, in diesem speziellen Fall jemand anderen vorzuschicken, den momentanen Stress als Ausrede und Rechtfertigung zu missbrauchen. Jemand anders wäre ja auch besser, einfühlsamer… Alles nur, um diese Verpflichtung wenn schon nicht ganz zu vermeiden doch aufzuschieben und einen Teil der Last anderen Schultern aufzubürden. Immerhin war es ein Vollzeitjob, eine dezimierte Staffel wieder aufzubauen. Und das latente Chaos im Geschwader, dem Sterntor-System – wenn nicht gar der ganzen Bundesrepublik – machte die Sache nicht einfacher. Nahm man noch die brodelnde Gerüchteküche wegen der Zukunft des Geschwaders hinzu, dann war das Durcheinander perfekt.
Aber sie hatte sich dann doch die Zeit genommen, einfach weil alles andere schäbig gewesen wäre. Und deshalb war sie jetzt hier, in ,großer’ Uniform, allerdings ohne ihre Orden, abgesehen von dem Verwundetenabzeichen. Sie hatte ihre Haare so straff zurückgebunden, dass es beinahe schon wehtat. Ihre Narben traten durch die gespannte Kopfhaut besonders deutlich hervor. Letzteres war sogar beabsichtigt, ein zugegebenermaßen fast schon durchsichtiger, plumper Versuch, ihre Position im Falle einer Auseinandersetzung zu verbessern.

Die riesige Raumstation über Seafort gehörte zum Großteil dem Militär, doch das hieß nicht, dass sie vom zivilen Leben abgeschnitten war. Sie war eher mit einem Hafen oder einer erweiterten Basis zu vergleichen, in der es auch Bars und andere halbzivile Einrichtungen gab. Natürlich behielt man ein Auge auf die Besucher – immerhin konnte man hier wesentlich leichter die wirklich sensiblen Bereiche erreichen, in denen schon EIN Saboteur massiven Schaden anrichten oder ein Spion brisantes Material ,abgreifen’ konnte. Aber das ging über unauffällige Scans nach Waffen, Sprengstoff, Elektronik und über Sensor-Rasterüberprüfungen nicht hinaus.
Viele Flottenangehörige genossen diesen halbzivilen Status. Lilja befand sich allerdings vor einer Lokalität, die sie so gut wie nie besuchte – einer Kirche. Sie war vermutlich öfter in einem Bordell oder Polizeigefängnis gewesen. Wenn auch nicht aus den offensichtlichen Gründen, sondern um Untergebene oder Kameraden loszueisen. Götter und jenseitige Entitäten kollidierten wesentlich seltener mit den Dienstplänen als andere...außerdienstliche Dinge.
Sie selber hatte mit der Religion ihre Probleme. Das lag zum einen an ihrer Herkunft. In der Sowjetischen Konföderation war Antireligiosität zwar nicht aggressiv umgesetzt worden, dennoch hatte es stets zumindest bei Teilen des Staatsapparates und der Intelligenz eine erheblich Distanziertheit zu allem Übernatürlichen gegeben. An den Schulen und Universitäten hatte man die kommenden Generationen eher vom Glauben entfernt als sie an ihn herangeführt. Im Laufe der Jahrhunderte hatte man damit einen tiefgreifenderen Effekt erzielt als die alte Sowjetunion und andere atheistische Staaten des 20. und 21. Jahrhundert. Atheismus oder Desinteresse am Geistigen hatten sich, wie man so schön sagte, auf evolutionärem Wege verbreitet und im Überleben des Fähigeren oft genug das Rennen gemacht. Auch wenn es immer noch eine erhebliche Anzahl orthodoxer, muslimischer und anderer Gläubige in Russland und den angrenzenden Gebieten gab.
Dazu kamen persönliche Gründe. Lilja stammte aus einer eher technokratisch-aufgeklärten Familie und war eine Frau, die dazu neigte, die Dinge selber in die Hand zu nehmen. Mit dem Christentum und seiner Vergebungs- und Milde-Philosophie konnte sie spätestens seit dem Beginn des Krieges nichts mehr anfangen. Und an Götter zu glauben schien einerseits etwas vermessen – wie wollte man sich angesichts der unzähligen Religionen auf der Erde und in der Galaxis sicher sein, dass man die ,richtige' hatte? Anzunehmen, man sei all den Andersgläubigen in dieser Hinsicht überlegen, das schien vermessen. Und wenn es Götter gab, dann waren sie nach Liljas Ansicht zweifellos eher gleichgültig oder gar Sadisten. Götter konnte sie sich meistens nicht in der Art des angeblich gütigen Christengottes vorstellen, sondern waren eher wie die launischen Bewohner der verschiedenen polytheistischen irdischen und außerirdischen Himmel. Wesen, denen das Leiden der Sterblichen bestenfalls gleichgültig war, wenn sie nicht daran ihre Freude hatten und nach Lust und Laune mit den Geschöpfen ihrer Welt spielten. Denn wie sonst konnte man sich all das erklären, was in der Galaxis schief lief, angefangen bei diesem Krieg?
Aber sie war keine Dogmatikerin des Unglaubens, und wenn ein Gott, viele Götter oder ihrethalben auch die jeweilige ,Gegenseite' jemandem halfen, in seinem Leben weiterzukommen, dann war ihr das recht. So lange es nicht auf Kosten anderer ging...
Dennoch fühlte sie sich an Stätten des Glaubens immer etwas unbehaglich. Sie fürchtete, durch Unwissen jemanden zu kränken – ebenso sehr aber widerstrebte es ihr, durch Höflichkeit zu einem Bekenntnis oder einer Respektbezeugung gedrängt zu werden, die für sie bedeutungslos bis lächerlich waren.

Doch diesmal war dies nicht so sehr die Frage WO sie sich befand, sondern mit WEM sie sich treffen sollte, die ihr das Gefühl gaben, als krabbelten Ameisen über ihre Haut. Sie atmete noch einmal tief ein, kämpfte das irrationale Gefühl nieder, hier in eine Art Kampf zu ziehen, und betrat die Kapelle. Wenigstens, dachte sie bei sich, war es eine normale Kirche – mit einigen Glaubensrichtungen wie etwa dem Singularismus* oder einigen importierten Alien-Religionen konnte sie noch weniger anfangen als mit den traditionellen Glaubensmodellen der alten Erde.
Das Gotteshaus war nicht annähernd so prunkvoll eingerichtet, wie sie es in Kasan in der einen oder anderen orthodoxen Kirche erlebt hatte – wenn sie mal eine besuchte. Lilja betrachtete für einen Moment mit gerunzelter Stirn die Figurengruppe über dem Altar. Es war unverkennbar, dass Seaforter die Kirche gestaltet hatten. Der Gekreuzigte und seine Gefolgschaft waren allesamt dunkelhäutig, nur die eher stilisiert dargestellten Soldaten um das Kreuz waren Kaukasier. Lilja wusste mehr über Geschichte als über Religion, und sie war sich ziemlich sicher, dass dieser Jesus, wenn es ihn denn gegeben hatte, sicher nicht afrikanischer Herkunft gewesen war. Und ans Kreuz hatten ihn wohl Leute genagelt, die maximal ein paar hundert Kilometer von seinem Heimatort geboren worden waren. ,Du bist nicht hier, um dich mit Leuten zu streiten, die irgendwelche tatsächlichen oder vermeintlichen Unannehmlichkeiten der Vergangenheit in ihren Glauben übertragen.' rief sie sich zur Ordnung. ,Die Seaforter können dir sowieso egal sein...'
Denn sie war hierher gekommen um zwei Menschen zu treffen, die noch weniger in diesem System heimisch waren als die Pilotin.
Sie zögerte für einen kurzen, ihr selber aber qualvoll lang erscheinenden Moment, dann straffte sie sich und erstarrte in einer vorbildlichen Ehrbezeugung, als stünde sie vor einem Admiral: „Herr und Frau Taruc? Ich bin Lieutenant Commander Pawlitschenko.“

Kontakte mit den Angehörigen gefallener Kameraden gehörten zu den schwersten Dingen im Leben eines Offiziers, oder eines Soldaten überhaupt – mal von der Gefahr abgesehen, dass eines Tages ein Kamerad bei den eigenen Leuten so einen Besuch machen musste...
Es erinnerte einen an die eigene Sterblichkeit, riss die Wunden wieder auf, wenn man sich vielleicht schon mit dem Tod der Kameraden arrangiert hatte. Viele Angehörige der Streitkräfte hatten lernen müssen, Verluste schnell zu überwinden. Heute weinte man noch um einen toten Freund, morgen musste man schon wieder um das eigene Leben kämpfen, und den Ersatzmann des Toten anlernen. Verlor man sich in Trauer, konnte es das Leben kosten. Der Kontakt mit den Verwandten der Toten machte es schwierig, mit der Sache abzuschließen. Und ihr Leid erinnerte nur zu deutlich daran, dass die meisten jemanden zu Hause hatten, der sich um sie sorgte. Als Offizier musste man zudem schon ein ziemlicher Kotzbrocken sein, um nicht in solchen Momenten ein schlechtes Gewissen zu haben, weil man selbst noch am Leben war, nicht aber jene, die man ins Feuer geführt, oder dorthin befohlen hatte.
Es waren aber nicht alleine diese psychologischen Faktoren, die Lilja hatten zögern lassen. Um ein Haar hätte sie Abats Eltern nicht erkannt, obwohl die Auswahl nun wirklich nicht groß war. Aber es war ihre Aufgabe gewesen, die Sachen des Toten nach der Schlacht zusammenzupacken und nach Hause zu schicken – beziehungsweise das Flotteneigentum wieder beim Zeugmeister abzugeben. Es war eine Pflicht, die in ihr abwechselnd (oder gleichzeitig) den Wunsch weckte, sich bis zur Besinnungslosigkeit zu betrinken, sich die Augen aus dem Kopf zu heulen – und einen Akarii mit ihrem Messer zum Schreien zu bringen. Ihr wurde übel, wenn sie nur daran dachte, doch ihr war klar, auch daran würde sie sich gewöhnen. Man gewöhnte sich ja an alles. Seit dieser qualvollen Stunde in Abats Quartier hatte sie auch ein Bild von seinen Angehörigen im Kopf gehabt, das von den Fotos stammte, die sie sorgfältig, geradezu andächtig eingesammelt hatte. Juan Taruc, Abats Vater, war ein kräftiger Mann mit breitem Gesicht und einem noch breiteren Grinsen, der auf sein Äußeres Acht gab. Er war ein Inhaber von vier modernen Fischerbooten, dem man ansah, dass er es durch harte Arbeit zu Ansehen und Wohlstand gebracht hatte. Seine Ehefrau Lia Taruc stammte aus einer chinesisch-philippinischen Familie und war eine zierliche, eher einfach gekleidete Frau, die eine stille, fast zeitlose Schönheit ausstrahlte, obwohl sie schon über 50 Jahre alt war. Sie schien in ihrer Arbeit im Verkauf des Fangs aufzugehen, und trat in der Präsenz deutlich hinter ihrem Mann zurück.
Das Paar, das vor ihr stand, hatte mit diesem Bild wenig bis nichts mehr gemein, abgesehen von Hautfarbe, der Körpergröße und einigen biometrischen Merkmalen. Das aber, was einen Menschen neben Äußerlichkeiten ausmachte...

Abats Vater schien um Jahre gealtert, als hätte der Tod seines Sohnes ihm alle Kraft genommen. Selbst seine Haltung wirkte eingesunken, als habe man ihm die Knochen gebrochen. Das Gesicht war zerfurcht, mit erloschenen, rotgeweinten Augen. Es war, als sei ihm nicht nur im Moment jedes Lächeln fremd, sondern als habe er es nie gekannt – und würde es wohl nie wieder können. Die schwarze Trauerkleidung wirkte zwar nicht nachlässig, saß aber an einigen Stellen nicht richtig, ganz anders als bei dem Mann auf den Bildern. Die Mutter hingegen hielt sich so aufrecht, dass sie deutlich größer wirkte als sie von Natur aus war. Ihr Gesicht zeigte Trauer, aber es wurde nicht davon beherrscht. Sie trat viel mehr in den Vordergrund, als Lilja vermutet hätte.
Sie war es auch, die als erste antwortete, indem sie sich verneigte: „Es ist mir eine Ehre, Commander. Unser Sohn hat uns viel von Ihnen geschrieben.“
Lilja zuckte zusammen. Abats Heldenverehrung – nicht nur für sie, sondern auch für einige andere Veteranen des Geschwaders – war ihr natürlich bekannt, und, wenn sie ehrlich war, sie war ihr nicht unangenehm gewesen. Niemand hatte etwas dagegen, bewundert zu werden. Aber sie hatte sich mehr als einmal gefragt, ob es nicht auch ihr Vorbild gewesen war, dass Abat schließlich in den Tod geführt hatte.
„Die Ehre ist auf meiner Seite, Mrs. Taruc. Ich möchte Ihnen beiden mein aufrichtiges, tief empfundenes Beileid für Ihren schrecklichen Verlust aussprechen. Ich weiß, ich kann nichts sagen, um Sie zu trösten. Wir trauern mit Ihnen, vor allem die von uns, die Ihren Sohn besser kannten...“ Aus Liljas Mund war das durchaus ernst gemeint, obwohl es zugleich Redewendungen waren, die sie von Lightning übernommen und von anderen Offizieren gehört hatte, und die in diesem Krieg wohl schon zehntausendfach gebraucht worden waren. Sie führte so ein Gespräch nicht zum ersten Mal. Die Russin empfand aber auch tatsächlich so.
Doch natürlich waren Worte nicht viel, und für manche waren sie nicht nur zu wenig, sondern mussten geradezu als Beleidigung wirken. Abats Vater musterte die Offizierin schon fast feindselig, und seine Stimme klang schneidend: „Sie können sich Ihre Worte sparen, Commander. Die haben wir schon von dem Offizier gehört, der uns die Nachricht vom Tod unseres Sohnes überbracht hat. Ich bin hier, um meinen Jungen nach Hause zu holen, nicht um Phrasen von der Frau zu hören, die ihn in den Tod geschickt hat.“
Lilja lief erst rot an und wurde dann bleich – beides ließ ihre Narben noch deutlicher hervortreten. In einer anderen Situation wäre sie jedem, der sie so angefahren hätte, wohl ins Gesicht gesprungen. Aber nicht hier. Ihre Stimme klang ruhig, ruhiger als sie sich zweifelsohne fühlte: „Es ist Ihr gutes Recht, wütend zu sein. Ja, ich habe den Einsatz befohlen, bei dem Abat – Marcos – ums Leben kam. Aber Sie wissen auch, dass es bei diesem Einsatz nicht darum ging, irgendwelche Karrierechancen zu verbessern, um kein bedeutungsloses Provinzscharmützel. Sondern um die Verteidigung dieses Systems, nur einen Sprung von der Erde entfernt. Und DAS sind keine leeren Propagandaphrasen. Sie kommen aus einer Familie, die immer wieder Mitglieder für die Armee gestellt hat, und jeder Ihrer Verwandten ging ein Risiko ein, als er sich meldete. So wie Marcos. Ich bin sicher, er tat das auch, weil er Sie, weil er alle Menschen beschützen wollte.“
Der ältere Mann lachte bitter. Er wehrte die Hand seiner Frau ab, die ihn offenbar wortlos zum Schweigen auffordern wollte: „Wieder nur Worte, wie man sie jeden Tag in den Nachrichten hört. Sie wissen ganz genau, warum er sich freiwillig gemeldet hat – weil man ihm den Kopf verdreht hat mit all den Geschichten, mit so genannten Helden wie Sie einer sind.“
„Juan!“ Die Stimme von Lia Taruc klang nicht minder scharf als die ihres Mannes, auch wenn sie deutlich leiser sprach als er : „Du tust deinem Sohn Unrecht, und dem Commander auch! Marcos war erwachsen, und...“
„Sei still! Dir mag es genügen, dass es heißt er starb für seine Familie, sein Land, was weiß ich wofür - ICH WILL MEINEN SOHN ZURÜCK.“ Der anklagende, wütende Blick und die Worte galten wohl nicht nur Lilja – sondern der Flotte, dem Krieg, Gott, dem ganzen Universum.

Lilja ahnte, dass das nicht der erste derartige Streit war, und sicher auch nicht der letzte. Sie wusste, es waren schon Familien daran zerbrochen, am Leid über den Tod eines Angehörigen, an der Frage ob man Schuld daran war, oder wer genau was zu verantworten hätte, an dem was hätte sein sollen und nie mehr sein würde. Und manchmal war Schreien und Wut besser als Tränen und Verzweiflung – wer wusste das besser als sie? Sie hatte ihre Wut und ihren Verlust, den sie beim Tod so vieler Freunde und Kameraden gefühlt hatte, ,verarbeitet', indem sie noch härter und erbarmungsloser gegenüber dem Feind und sich selbst geworden war, abweisend gegen die meisten Kameraden. Juan Taruc stand erst am Anfang des Versuches, den Tod seines Sohnes zu verarbeiten. Und wer vermochte schon zu sagen, welcher Weg der richtige war, ja ob es so einen überhaupt gab...
Dennoch konnte sie ihm kaum sagen, dass nur die Zeit ihm etwas Ruhe geben konnte – oder auch nicht. Das wäre die Wahrheit gewesen, aber eine wenig tröstliche: „Sir...Es mag nur eine Floskel sein, eine Phrase, aber es ist die Wahrheit – die Schuld an Marcos Tod tragen einzig und allein die Akarii. Das spricht mich nicht frei von Verantwortung, denn er unterstand meinem Befehl. Aber ich bin nur Offizierin – kein Gott. Ich kann nur mein Bestes tun, nicht aber das Überleben eines meiner Piloten garantieren. So wenig wie mein eigenes.“
Sie nestelte an ihrer Brust und löste ihren Verwundeten Löwen in Silber. Sie hielt die Auszeichnung vor sich, als wäre sie ein Schild, um Vorwürfe abzuwehren: „Hier – diesen Orden erhält man für die erste Verwundung im Einsatz, und diese Spangen stehen für weitere Verletzungen. Ich bin bisher sieben Mal verletzt worden, dreimal ernsthaft. Bei zwei Gelegenheiten wäre ich beinahe gestorben, so schwer waren die Verwundungen. In meiner Staffel fliegt ein Pilot, der mehrere Jahre an den Rollstuhl gefesselt war. Kaum einer unter den Veteranen, der nicht mindestens dreimal verletzt wurde. Wir alle tragen das Risiko, und es ist nicht in erster Linie Können oder der Vorgesetzte, der darüber entscheidet wer lebt und wer stirbt – es ist der Zufall. Das ist schrecklich, und das kann man kaum begreifen, und vor allem will man es nicht wahrhaben. Aber es ist so.“ Ihr Stimme klang beinahe flehend: „Wir alle verdienen das Leben. Und keiner von uns sollte sterben – ihr Sohn nicht, und auch nicht die anderen in unserer Staffel. Aber wir sind im Krieg. Und dadurch, dass wir kämpfen, dass wir verletzt werden, dass einige von uns sterben...wir wollen, wir müssen einfach glauben, dass es das wert ist, dass wir für das Richtige kämpfen, dass wir andere Menschen, sehr viel mehr Menschen als wir es sind, beschützen – wie ihr Sohn es glaubte, wie er es TAT. Wenn Sie mich verabscheuen wollen, weil ich vielleicht nicht gut genug war, um Marcos zu retten, dann ist das Ihr gutes Recht. Ich habe getan was ich konnte, aber wer kann wissen ob das genug war? Aber machen Sie nicht Ihrem Sohn oder sonst irgendwem Vorwürfe für etwas, das die Schuld des Feindes ist. Und bitte, ich flehe Sie an, gestehen Sie ihm zu, dass er nicht umsonst Soldat war, umsonst gefallen ist.“
Juan Taruc starrte düster vor sich hin. Er war anscheinend nicht überzeugt oder besänftigt, aber zumindest schrie er weder seine Frau noch Lilja an. Nach seinem Ausbruch war er vielleicht einfach nur noch erschöpft, mental ausgelaugt: „Aber wozu sind wir dann hier? Denken Sie, dass ihre Worte uns helfen? Worte machen nichts wieder gut...“
Lilja nickte. Ihre Stimme klang ungewöhnlich sanft und behutsam: „Ja, natürlich nicht. Ich hatte nur gedacht...Marcos war einer von uns. Wir fühlen den Verlust nicht wie Sie, natürlich, wir kannten ihnen bestenfalls ein paar Monate, nur wenige vielleicht ein Jahr. Aber er war in der Zeit für uns alle mehr als nur ein Kollege, oder Untergebener, und wir vermissen ihn so sehr. Ich hatte gehofft...wenn Sie einige seiner Kameraden treffen, vor allem die, die mit ihm auf der Wasp oder in der Ausbildung waren, dann könnte das denen etwas helfen, und Ihnen vielleicht auch...“ Sie klang geradezu schüchtern: „Bitte. Sie waren doch seine Freunde…“

Abats Vater schwieg. Es wäre wohl auch zu viel verlangt gewesen, wenn er Lilja zugestimmt hätte. Menschen änderten ihre Meinung nicht so schnell, und er hatte gute Gründe für seine Wut, und wer wusste schon, wer von beiden Recht hatte?
Aber seine Frau streckte behutsam die Hand aus, und berührte Lilja am Arm: „Commander? Ich...“ Sie warf ihrem Mann einen Blick zu und wartete, bis dieser erschöpft nickte, eher resignierend als zustimmend, als sei seine Wut nicht besänftigt, sondern einfach erloschen wie ein Feuer, das keine Nahrung mehr fand.: „WIR würden uns freuen, wenn Sie uns die Freunde unseres Sohnes vorstellen würden.“
Lilja verbeugte sich in einer fast komisch anzusehenden Geste der Ehrerbietung, die sie sich vermutlich bei Ohka abgeschaut hatte, dann salutierte sie. „Danke. Danke. Das bedeutet uns sehr viel, wirklich. Sie wissen nicht, wie viel…Kommen Sie, bitte.“
Und dann gingen sie, einer neben dem anderen. Drei Menschen, nicht gemeinsam, aber doch zumindest zusammen - für den Moment. Dorthin, wo eine Handvoll der Fighting Stallions auf sie warteten, im Zentrum der Gruppe Sakura Nakakura, noch immer relativ frisch eingegipst und in einem Rollstuhl, geschoben von Knight – Abats ,Kriegsfamilie'...

***

Später am Tag, TRS Columbia, über Sterntor

Es war spät geworden, doch Lilja nahm an, dass ihre Müdigkeit nicht nur daher kam. Das Gespräch mit Abats Familie hatte sich lange hingezogen. Die Russin fühlte Erleichterung, dass es ein ähnliches Treffen im Fall von Guardsmans Familie wohl nicht geben würde. Sie lebten nicht nur einen Sprung von Sterntor entfernt. Ihnen gegenüber zu treten wäre wohl noch schwieriger gewesen, auch wenn die Angehörigen des Toten natürlich nicht wissen konnten, dass Lilja fast als letztes den ehemaligen Nationalgardisten erbarmungslos ,zusammengefaltet' hatte. Und wenn sie sich schon fragen musste, ob sie an Abats Tod eine Mitverantwortung hatte, wie wäre es in diesem Fall gewesen?
Sie war sich immer noch nicht sicher, was sie über das Treffen mit Abats Familie denken sollte. Hatte es den Angehörigen ihres gefallenen Untergebenen geholfen, dessen Kameraden kennen zu lernen? Hatte es denen geholfen? Oder war es nur eine Erinnerung an den noch frischen Verlust gewesen? ,Die Frage lässt sich vermutlich nicht einfach beantworten, und wenn, dann nicht für jeden gleich.' Aber sie hoffte, dass es mehr geholfen als geschadet hatte. Vielleicht war es ja wirklich keine schlechte Idee gewesen, Abats Eltern mit Leuten wie Sokol, Shoki oder Marine zusammen zu bringen. Sokol war zu Anfang des Krieges schwer verwundet worden und hatte bis auf Lilja alle Freunde und Kameraden seiner alten Staffel verloren. Einer von Shokis Bruder war gefallen, der andere wies neben einer phänomenalen Liste von Abschüssen auch reichlich Verwundungen auf, und Marines Familie war auf Mantikor verschollen. Sie alle waren Leute, die den Schmerz verstanden, und gelernt hatten damit umzugehen. ,Nur bedeutet das nicht notwendigerweise, dass man auch anderen dabei helfen kann.' dachte Lilja säuerlich. Sie zum Beispiel war eine schlechte Ratgeberin. Selbst wenn ihre Erfahrungen als Vorbild geeignet gewesen wären, die Russin gehörte nicht zu den Menschen, die aus sich herausgingen.
Für sie selber war der Abend ein eher schmerzliches Erlebnis gewesen. Sie hatte Abat auf ihre Art gemocht, und es nagte immer noch an ihr, dass ihre Stimme vielleicht das letzte gewesen war, was er gehört hatte, wie sie ihm über Funk versichert hatte, alles würde in Ordnung kommen. Aber er hatte ihr nicht nahe gestanden, und er war auch nicht der erste, der unter ihrem Kommando gefallen war. Doch es war nicht nur der unmittelbare Anlass, der sie beschäftigte – sie hatte wieder einmal an ihre eigenen Verluste denken müssen, daran, wie viele Familien im Moment ähnliches durchmachten, und wie viele es noch sein würden, bis dieser Krieg vielleicht irgend wann einmal vorüber war. Zehntausende sicher noch, wenn nicht gar hunderttausende, Millionen...

Sie hatte auch daran denken müssen, dass sie nie wissen konnte, wann ihren eigenen Angehörigen etwas Ähnliches bevorstehen würde. Denn sowohl sie als auch ihr Bruder hatten den Krieg bisher an vorderster Front mitgemacht. Bisher hatten sie es mit einigen Blessuren überstanden. Aber das musste ja nicht unbedingt so bleiben. Die Vorstellung, ihren Vater, ihre Mutter in ähnlicher Verfassung zurückzulassen, schnürte ihr die Kehle zu. In solchen Momenten hätte sie am liebsten geheult oder, ersatzweise, in irgendetwas gebissen (etwa eine Akarii-Kehle). Sie war im Schießstand und im Fitnessraum gewesen und hatte ihre Ängste an Zielscheiben und Sandsäcken abreagiert, in der Hoffnung durch Erschöpfung alle Gedanken abzutöten, aber innerlich war sie noch immer aufgewühlt. In ihrem Trainingszeug sah sie nicht nach der gefürchteten Eisprinzessin aus. Aber selbst diejenigen der auf den Gängen befindlichen Crewmitglieder, die sie nicht ohnehin erkannten, machten ihr dennoch Platz. Selbst in Gedanken versunken bewegte sich Lilja wie jemand, der den nötigen Rang (und den Charakter) hatte, dass man ihr besser aus dem Weg ging.

Gelegentlich, wenn sie keine Ruhe fand, suchte die Pilotin auf dem Aussichtsdeck der Columbia Zuflucht. Vor allem, wenn sie sich sicher sein konnte, dass kaum jemand anwesend war. Vielleicht war das auch ein Stück Nostalgie, denn dasselbe hatte sie auf ihrem ersten richtigen Stützpunkt getan, einem kleinen Außenposten an der Grenze der Republik.
Manchmal hatte den Anblick der Sterne etwas direkt Beruhigendes an sich. Merkwürdig eigentlich für jemanden, der nicht an das Übernatürliche glaubte. Aber andererseits musste man ja nicht an Gott glauben, um sich vom Universum beeindrucken zu lassen – ohne höhere, leitende Instanzen war es eigentlich ein noch viel größeres Wunder...
Doch selbst hier war es ihr heute offenbar nicht beschieden, wenn schon nicht unbedingt Frieden, so doch zumindest Einsamkeit zu finden. Jemand hatte einen kleinen Tisch direkt vor einem der Aussichtsfenster aufgebaut und mit einem weißen Tuch drapiert. Darauf standen zwei kleine rauchenden Behälter und eine größere, vermutlich mit Glut gefüllte Schale, sowie ein kleiner Gong. Ein vage vertrauter, würziger, fast betäubender Duft lag in der Luft. Eine schlanke Gestalt stand vor dem Tisch, den Rücken zu Lilja, das Gesicht zu den Sternen. Sie – die Statur legte nahe, dass es sich um eine Frau handelte, in der Dienstuniform einer Flottenoffizierin – schien ganz in ihr Tun vertieft. Sie murmelte etwas vor sich hin, in einer Sprache, die die Russin nicht verstand. In Abständen verneigte sie sich, klatschte in die Hände, oder warf Papierschnipsel in die Schale, wo sie sofort in Flammen aufgingen.
Lilja musterte die Szene mit einer Mischung aus Neid – auch wenn sie nicht gläubig war, erkannte sie doch den Frieden oder zumindest Trost, den einige ihrer Kameraden in ihrem Glauben fanden – peinlicher Berührtheit, weil sie sich als Eindringling fühlte, und irrationaler Verärgerung, weil ihr die andere als Eindringling in IHRE Privatsphäre vorkam. Sie war ja nicht hierhergekommen, um unter den Sternen mit einem Kameraden herumzuknutschen, sondern um einen der Orte an Bord aufzusuchen, an dem man mal für sich sein und die Leere des Alls auf sich wirken lassen konnte, und da störten andere Menschen.
Mit einem gedanklichen Maulen wollte sich die Russin abwenden und gehen. Sie war zwar nicht sehr sensibel, aber einfühlsam genug um jemanden nicht zu stören, der dasselbe Recht hatte hier zu sein, wie sie. Doch ehe sie sich zurückziehen konnte, drehte sich die Frau zu ihr um: „Commander?“
Es war First Lieutenant Mi-li „Yànzi“ Ming. Die Pilotin hatte sich entschlossen, an dem Treffen mit Abats Eltern nicht teilzunehmen, und Lilja hatte Verständnis dafür gehabt. Sie war neu in der Staffel und hatte den Toten nicht gekannt. Als Veteranin der Anzac war sie eine der wenigen Überlebenden eines Trägers, der den Kämpfen um Sterntor zum Opfer gefallen war, und hatte genug Verluste zu verarbeiten, obwohl ihr dies mit bemerkenswerter Selbstbeherrschung zu gelingen schien.

Lilja fühlte ungewöhnlichen Drang, sich zu rechtfertigen. Vielleicht, weil sie den ganzen Tag mit ihrem schlechten Gewissen Abats Eltern gegenüber gekämpft hatte. Die Miene ihrer neuen Untergebenen strahlte eine Ruhe aus, die fast schon übernatürlich wirkte. Die Russin räusperte sich verlegen: „Ähm...tut mir leid, dass ich Sie gestört habe. Ich wollte nur...ich meine, ich dachte...“ Sie zögerte: „Äh, ich geh dann besser mal!“
Yànzi neigte nur leicht den Kopf, was Welten von angemessenem militärischem Verhalten entfernt war: „Sie stören nicht, und natürlich nehme ich Ihre Entschuldigung an. Sie können gerne zuschauen, oder sich zu uns gesellen – es dauert nicht mehr lange, dann sind Sie ungestört. Gegen Ihre Anwesenheit ist keineswegs etwas einzuwenden.“
Die Staffelchefin lächelte etwas nervös: „Gut, ich meine, ich werde warten...“ Sie stutzte, als ihr etwas auffiel, und unwillkürlich begannen ihre Augen suchend erst hierhin, dann dorthin zu wandern: „Uns?!“
Die andere Pilotin verzog leicht die Mundwinkel zu einem beinahe gespenstischen Lächeln: „Nun, ich hoffe doch, dass es mir gelungen ist, einige Geister anzulocken – wenn man an so etwas glaubt.“ Der verdutzte Gesichtsausdruck ihrer Vorgesetzten wäre für einige Geschwadermitglieder ein denkwürdiger Anblick gewesen, doch waren sie bedauerlicherweise nicht anwesend.
„Sie haben freundlicherweise Verständnis gezeigt, Commander, dass ich an dem Treffen mit Abats Eltern nicht teilgenommen habe. Ich wollte dennoch die Toten der letzten Schlacht ehren. Meine Geschwaderkameraden, die anderen Gefallen der Anzac, aber auch alle übrigen. Und natürlich auch Abat.“ Sie deutete auf den Gong: „Er dient, wie das Klatschen, dazu, die Geister der Toten aufmerksam zu machen.“ Über Liljas Gesicht huschte ein Schatten. Es war weniger Unglauben oder agnostische Ablehnung, eher Unbehagen, ein Gefühl, das man gerne so umschrieb, ,jemand ist gerade über mein Grab gegangen'. Ehe sie sich auf die Zunge beißen konnte, platzte sie mit den Worten heraus, die ihr in den Sinn kamen: „Dann hoffe ich nur, dass niemand kommt, den Sie nicht gerufen haben!“ Dann lief sie rot an: „Entschuldigung, das klang jetzt dumm. Ähm...nichts für ungut...ich sollte vielleicht lieber ruhig sein...wofür ist das Papier eigentlich?“

Yànzi musterte die Russin einen Moment lang nachdenklich. Für einen Augenblick hatte sie das Gefühl gehabt, als ob Liljas gespielt nassforsche Bemerkung einen tieferen Beweggrund hatte, von dem sie mit ihrer Frage ablenken wollte. Aber das war selbstverständlich Unsinn, die Russin glaubte natürlich nicht an Geister und Gespenster, das war bekannt.
„Das Papier ist...nun, viele würden es Spielgeld nennen. Wissen Sie, Commander, bei mir zuhause glaubt man, dass im Himmel wie auf Erden eine feste Ordnung herrscht. Es gibt Regeln, Gesetze, und eine Bürokratie, die über allem wacht. Und verbranntes Geld – echtes, oder zumindest nachgemachtes – hilft den Toten im Jenseits, sich mit dem nötigsten einzudecken, und nötigenfalls...die Dinge etwas zu beschleunigen.“
Die Russin hätte beinahe losgelacht, beherrschte sich aber: „Das könnte auch von einem Russen stammen, der Glaube, dass die himmlische Bürokratie sich schmieren lässt, wie die auf Erden...aber ich rede dummes Zeug.“
Ihre Untergebene grinste: „Nicht unbedingt, vielleicht haben die Länder, aus denen wir stammen, in ihren Überzeugungen wirklich einiges gemeinsam. Ich verstehe aber schon, dass Sie nicht daran glauben.“ Das letztere war kein Vorwurf, sondern eine nüchterne Feststellung. Lilja trat behutsam ein paar Schritt zurück, wie um noch etwas mehr respektvollen Abstand zwischen sich und die andere Pilotin zu bringen. Doch diese schien nicht im mindestens durch die skeptische Haltung ihrer Vorgesetzten irritiert: „Und, Commander – weder ich fühle mich gestört, noch glaube ich, dass das für die Geister gilt. Und wenn Sie wollen, können sie mir gerne zur Hand gehen – wenn das für sie in Ordnung ist.“ Die Russin zögerte. Normalerweise klinkte sie sich aus religiösen Ritualen aus. Sie sang nicht in der Kirche mit, tat nicht einmal so, indem sie die Lippen bewegte. Aber sei es wegen der besonderen Situation, oder weil sie die Vorstellung irgendwie ansprechend fand, direkt mit den toten Kameraden zu sprechen und ihnen zu helfen, jedenfalls trat sie zögernd näher, und auf ein Kopfnicken von Yànzi ergriff sie eine Handvoll Spielgeld und streute es in das Feuerbecken.

***

Eine Weile später

Lilja konnte sich selbst nicht erklären, warum sie so ungezwungen mit Yànzi redete. Wenn sie es genauer betrachtete, war ihr dies in letzter Zeit schon gelegentlich passiert, ein bisschen gegenüber Knight, und jetzt wieder. Vielleicht zeigte sie langsam Ermüdungserscheinungen, oder sie wurde tatsächlich weich. Eine schreckliche Vorstellung. Oder aber, sie fühlte noch stärker als früher eine gewisse Verbundenheit zu ,Waisen’, Piloten, die ihr Zuhause und ihre ,Familie’ verloren hatten – so wie Knight die Wasp, die kurz nach seinem Wechsel auf die Columbia vernichtet worden war, oder jetzt Yànzi von der Anzac. Diese Piloten hatten wie sie selber Freunde, Bekannte und Kameraden verloren. Und was die Asiatin anging, nun, sie und Lilja verband auch eine ähnliche Dienstauffassung. Sie beide waren Spitzenpilotinnen, die bis zu den Toren der Hölle und zurück geflogen waren. Und Yànzi zeigte eine Offenheit, eine Bereitschaft über sich selbst zu sprechen, die auch von ihr als Gesprächspartnerin größtmöglich Aufrichtigkeit einforderte.
Aber woran es auch immer lag, sie redete mit der anderen Pilotin so offen wie sie es nur selten tat. Vielleicht lag es auch an diesem Abend, der Atmosphäre, in der die gefallenen Kameraden ganz nahe schienen.
Schon bald sprachen sie nicht mehr nur über Religion, sondern auch über ihre toten Kameraden, die Schlachten, an denen sie teilgenommen hatten, ihre Siege, und was diese sie gekostet hatten. Schon längst duzten sie sich, so als würden sie sich schon lange kennen oder gar Freundinnen sein. Lilja war sich unsicher, ob das etwas Einmaliges war, und noch immer wurde sie nicht recht aus ihrer Untergebenen klug, aber für den Moment tat es irrational gut, einmal offen mit jemanden zu reden.

Die ehemalige Anzac-Pilotin fuhr sich über den Kopf. Sie zeichnete blind, aber mit bemerkenswerter Genauigkeit die Konturen ihrer Tätowierung nach. Ihre Stimme klang vollkommen ausgeglichen. Entweder sie hatte mit den Erinnerungen abgeschlossen, oder sie hatte sich unter perfekter Kontrolle: „Und das war dann das Ende des Liedes, jedenfalls soweit ich mich erinnern kann. Ich wachte erst drei Wochen später auf, wie man mir sagte, aber nicht einmal daran erinnere ich mich. Vier Monate hat es gedauert, ehe ich wieder laufen konnte. Ich bekam den Silver Star, und die Ernennung zum First Lieutenant für fünf bestätigte Abschüsse in einem einzigen Gefecht. Beides musste ich mir auf Krücken abholen. Und von meinen alten Geschwaderkameraden stand kein Dutzend mehr in den Reihen, als ich zur Einheit zurückkehrte. Tja, damals habe ich auch dieses Andenken erhalten. Weißt du, vor dem Krieg hatte ich, ungelogen, wunderschöne lange, schwarze Haare. Aber dann…ich bin ein paar Mal verstrahlt worden. Durch Gefechtsschäden, und als ich einmal zwei Tage im Raum trieb. Irgendwann hat es mein Körper nicht mehr mitgemacht. Die Strahlung, die Verletzungen, die Medikamente... Also habe ich meine Haare verloren, sie sind einfach ausgefallen, Büschelweise. Und als sie nachwuchsen, viel später, waren sie mit einmal schneeweiß, wie die einer Greisin. Woran das genau lag, keine Ahnung.“ Sie lächelte knapp: „Mein neues Aussehen macht aber auch etwas her, findest du nicht?“ Ein Seufzen folgte: „Aber in den ersten Wochen, da hatte ich das Gefühl, eine Fremde schaut mich an, wenn ich in den Spiegel blickt. Und…das war natürlich nicht alles. Wenn man zu oft harter Strahlung ausgesetzt wurde…einige…Dinge…lassen sich nie mehr ganz ausheilen, haben sie mir gesagt – und auch wenn man das nicht sieht, es ist wichtiger als ein paar Zentimeter Haar. Nicht, dass ich da konkrete Planungen gehabt hätte, oder auch nur feste Wünsche. Aber ich hätte gerne die Wahl gehabt. Aber wie heißt es so schön – es lohnt sich nicht, Pläne zu machen und Ziele ins Auge zu fassen. Darüber entscheidet der Krieg, ohne uns zu fragen. In meiner Familie hat man das nicht so gut aufgenommen. Nicht, dass die alle so traditionalistisch wären – aber das ihre Tochter unbedingt alles auf dem Altar des Vaterlandes opfern musste…“ Sie lachte, nicht etwas sarkastisch, sondern mit einem geradezu melodischen Klang: „Ich habe ihnen gesagt, dass ich nicht die erste Frau meines Volkes bin, die diese Entscheidung trifft. Es gibt da ja Geschichten. Das mussten sie dann akzeptieren. Aber abgefunden, abgefunden haben sie sich bis heute nicht…“

Lilja schluckte. Sie verstand sehr wohl, was die andere Frau andeutete. Was der Krieg im Weltraum, der Einsatz von Atomwaffen und lecke Reaktoren den Organen, ja den Zellen der Flottensoldaten antaten, ließ sich nicht immer vollständig reparieren. Krebs konnte man bekämpfen, Tumore entfernen. Aber wenn das Erbgut oft genug geschädigt worden war, die Organe durch aggressive Medikamente belastet…dann konnte man zwar dank der modernen Medizin noch ein langes Leben führen, vielfach auch relativ schmerz- und beschwerdenfrei. Aber es gab Dinge, die man nicht mehr konnte – wie etwa eine Familie gründen.
Sie zögerte, doch dann gab sie sich einen Ruck: „Das mag jetzt platt klingen. Aber es tut mir leid. Wirklich. Und ich muss sagen, du kannst damit besser umgehen, als viele, die ich kennen gelernt habe.“ Sie zeigte auf ihre Narben: „Verglichen damit, sind diese Andenken hier ein Klacks.“ Sie holte tief Luft: „Aber…manche treffen auch selber die Entscheidung, und ich frage mich – ist das schlechter oder besser? Du erinnerst dich ja an die ersten Kriegsmonate.“ Sie lachte, und bei ihr klang es bitter: „Das gilt ja inzwischen für immer weniger, in unserem Geschwader nur eine Handvoll. Aber egal…wir denken, und wir sagen ja auch, dieses oder jenes sei schlimm, schlimmer als alles bisher da gewesene. Karrashin, Sterntor jetzt…was auch immer. Aber ich denke, es kann gar nichts Schlimmeres geben als diese ersten Monate. Als wir uns fragten, ob die Akarii nicht einfach weitermarschieren würden, bis zur Erde – noch eine letzte verzweifelte Gegenwehr, atomares Feuer und Asche, und dann wären sechstausend Jahre menschliche Zivilisation vorbei gewesen, und die paar Jahrhunderte der Bundesrepublik ohnehin. Sicher, einige hätten weitergekämpft, aber ich denke, das hätte unserem Widerstand das Herz gebrochen. So wie in der Konföderation, vielleicht nicht GANZ so, aber dennoch. Du hast es ja miterlebt, in der vordersten Linie. In den meisten Einheiten ging es nur noch darum, durchzuhalten, den nächsten Tag, die nächste Woche. So was wie Regeln und Dienstvorschriften, darauf gaben viele nicht mehr viel. Was sollte man denn machen – sie in den Arrest stecken? Ihnen den Sold streichen? Sie aus der Armee schmeißen? War das nicht alles lächerlich geringfügig gegenüber dem, was sie Tag für Tag durchmachten?“ Yànzi nickte nachdenklich, während Lilja fortfuhr: „Jedenfalls gab es da diese Pilotin…sagen wir, sie war eine gute…Freundin von mir. Wie ich schon sagte, einige nahmen es mit den Regeln nicht mehr so genau, auch von wegen Fraternisierungsverbot. Und nicht nur diejenigen, die keine feste Beziehung hatten. Den Kommandeuren war es ohnehin egal. Nun, diese Pilotin stellte mit einmal fest, dass manche Dinge eben auch im Krieg Konsequenzen haben können, auch wenn man es nicht glauben mag, ich meine mit all dem Kämpfen und Sterben, den ganzen Aufputschmitteln und Drogen. Aber sie war schwanger. Klar, die Nachteile für ihre Karriere wären ernst gewesen. Aber sie hatte die Chance, ’rauszukommen. Und auf halbwegs ehrenvolle Art und Weise, kaum einer hätte ihr einen Vorwurf gemacht. Ein Kind, das ist keine kleine Verantwortung, natürlich. Schon gar nicht in dieser Zeit. Aber dennoch…“ Die Russin hatte einen merkwürdigen Gesichtsausdruck, als würde sie zurück durch die Zeit blicken: „Aber dann fragte sie sich, in was für einer Welt sollte das Kind denn aufwachsen? In der, in der die Mutter lebte? Der Krieg würde ja nicht einfach aufhören, ob sie nun die Truppe verließ oder nicht. Er würde nur für sie aufhören, fürs erste jedenfalls. Natürlich, was macht eine Pilotin mehr oder weniger schon für einen Unterschied? Warum sollte sie nicht leben, warum nicht versuchen, aus diesem unverhofften – Pech? Glück? – eine Zukunft aufzubauen. Für sich, und für das Kind…Sicher, man könnte auch sagen, was macht ein Kind mehr oder weniger für einen Unterschied. Menschen werden geboren, Menschen sterben, Millionen von ihnen. Für die Galaxis zählen einzelne wenig. Aber für einen selber, da zählt der einzelne – oder sagen wir, da zählt, wie man sich entscheidet. Sie dachte also darüber nach, und dann traf sie ihre Entscheidung…“ Liljas Stimme, die unsicher geklungen hatte, nahm bei diesen letzten Worten einen harten Klang an, aber vielleicht schwang auch eine Spur von Stolz darin mit.
Yànzi musterte ihre Vorgesetzte. Sie fragte nicht, was für eine Entscheidung das gewesen war. Die Miene der Russin verriet ihr die Antwort auch so.
„Diese Freundin – hat sie ihren Entschluss bereut?“
Lilja, die für einen Moment mit den Gedanken anderswo schreckte hoch: „Wie?...Nein. Sie hat ihn hin und wieder ein Stück weit bedauert, denke ich. Bedauert, dass sie ihn treffen musste, sich gefragt, was sie vielleicht aufgegeben hat. Aber sie hat niemals bereut.“

Für eine Weile schwiegen beide Pilotinnen, in nicht gerade behaglichem aber gewissermaßen harmonischer Eintracht der Gedanken. Yànzi musterte ihre Kameradin nachdenklich, während sie den Bogen wieder zum Ausgangspunkt des Gespräches spannte: „Siehst du, Lilja, bei all dem, was ich erlebt habe, da war es mir doch eine große Stütze, dass es etwas gab, an das ich glauben konnte. Und wenn ich Angst hatte zu fallen, ich wusste ja, dann würde jemand anders da sein, der sich an mich erinnert, der zu meinen Ehren betet und für mich Geld verbrennt. Und die himmlische Bürokratie würde sich meiner annehmen, und als Kriegsheldin habe ich da sicher etwas gut…auch wenn bei uns die Soldaten nie so viel galten wie andere Berufe.“ Bei den letzten Sätzen mochte es sich um einen Scherz handeln, aber wie zuvor verrieten Mimik und Tonfall der Pilotin nicht, ob sie aufrichtig war oder scherzte.
Lilja schnaubte: „Nun, das ist bei uns teilweise anders. Ich kenne Landsleute, denen gibt auch ihr Glauben Kraft. Aber für mich selber…offen gestanden, glaube ich nicht einmal an die heilsbringende Kraft der Orthodoxie, die Ikonen und das, was die Oberhäupter der Kirche verkünden. Klar sagt man das den Russen nach, aber das ist sogar als Klischee veraltet…Doch es steht mir nicht zu, meine Ansichten anderen an den Kopf zu knallen.“ Das klang aus ihrem Mund nun wirklich komisch.
Die andere Pilotin nickte, in Gedanken versunken: „Aber woran glaubst du eigentlich, wenn ich das fragen darf? Ich meine, wenn es mal nicht um das rein rationelle geht.“
Die Russin lächelte schief, fast etwas wehmütig. Dann murmelte sie ein paar Worte in ihrer Muttersprache. Mit einem Blick auf ihre Kameradin wechselte sie wieder ins Englische: „Heimat. Familie. Pflicht. Nicht die ,Ehre', das ist nur ein Wort...aber die anderen? Das sind Worte, die so schwer wiegen können wie Gott, denkst du nicht? Die Verantwortung, die man diesen Worten - all dem wofür sie stehen - gegenüber hat, ist manchmal ähnlich schwer zu erfüllen, wie die gegenüber irgendwelchen übernatürlichen Mächten. Ich meine, wenn es schon um etwas geht, das größer ist als man selber. Weißt du, deine Frage an was ich glaube, also an welchen Gott, welche Überzeugung, die erinnert mich an ein russisches Soldatenlied, das ich kenne. Es ist sehr alt, noch aus den Einigungskriegen, und ich glaube sie haben ein ähnliches schon bei Gründung der Sowjetischen Konföderation oder sogar noch vorher gesungen. Es ist nicht leicht zu übersetzen...“ Ihre Augen nahmen einen fast entrückten Ausdruck an, als sie offenbar zitierte, nach Worten suchend:
„Ich habe Gott nicht im Kopf oder Herzen, mein Gott hängt über meiner Schulter. Er hat keinen Namen und keine Kirche, nur eine Seriennummer. Wenn ich schieße, bete ich zu ihm, im Feuer und im Eis, bei Nacht und Tag. Er ist bei mir, im Leben und im Tod, und er wird mich niemals im Stich lassen...“
Lilja räusperte sich, und stieß fast schon krampfhaft ein gepresstes Lachen aus: „Sie haben über ihre Waffen gesungen, verstehst du? In den Steppen Asiens, im Kaukasus, später dann in den Anden, in den Grasebenen der Pampa und im Amazonastiefland. In den Kasernen, im Feldlager unter freiem Himmel, in den Mannschaftstransportern. Ich glaube, das Lied singen sie heute noch. Mir haben sie es beigebracht, als ich noch ein kleines Mädchen war. Und was für sie ihre Gewehre waren, das ist für mich mein Jäger. Er führt mich durch das Feuer und die Kälte, er macht aus mir mehr, als ich sein kann. Durch ihn werde ich erst zu dem Menschen, der ich bin. Wenn ich fliege, wenn ich kämpfe, wenn ich TÖTE, dann weiß ich, dass ich tue was das richtige ist.“ Wenn sich Yànzi durch die Äußerungen Liljas gekränkt fühlte, denn manch ein religiöser Mensch hätte das sicher, so zeigte sie das jedenfalls nicht: „Und das ist auch wirklich die Wahrheit? Ist dein Gott dein Jäger?“
Normalerweise hätte Lilja wohl jeden barsch abgefertigt, der sie direkt oder indirekt bezichtigte, zu lügen. Tatsächlich hatte sie das schon gelegentlich getan. Diesmal jedoch nicht. Sie gab keine klare Antwort, wirkte aber fast ein wenig traurig: „Wer weiß. Vielleicht. Und auch, wenn nicht - ist es nicht wenigstens eine gute Geschichte? Passt es nicht so richtig zu dem Bild, das andere von uns haben? Wäre es nicht eine schöne Vorstellung, ein Satz, wie geschaffen für ein Buch, einen Film, eine Geschichte? Wäre es nicht viel einfacher, wenn es immer so ist? Wir wären an der Stelle, die für uns und für die wir geschaffen wurden, würden das tun, was richtig ist, das, wegen dem wir überhaupt auf dieser Welt sind. Ist Selbstgewissheit über den eigenen Platz im Universum nicht das, was Glauben ausmacht? Keine Fragen, keine Zweifel, keine Gewissensbisse, wegen dem, was wir tun...“ Womit sie wohl kaum das Töten von Akarii meinte, eher dass sie Untergebene in den Tod führte, und es wieder tun würde, Untergebene wie Guardsman, wie Abat, wie die vielen anderen vor ihnen und die wer weiß wie vielen, die nach ihnen kommen würden.
Sie lächelte schief, fast trotzig: „Nein, Lieutenant, ich respektiere deinen Glauben. Den von jedem, solange er seine Pflicht erfüllt. Aber ich glaube, ich selber tauge nicht für einen anderen Gott, welchen auch immer. Nur für den Gott über meiner Schulter, den Gott, mit dem ich in die Schlacht fliege. Aber es freut mich, dass du einen anderen hast.“
Die Russin verneigte sich leicht, wobei nicht klar war, ob das der anderen Pilotin galt, oder dem improvisierten Altar, den sie aufgebaut hatte, oder der Vorstellung ihrer Untergebenen von unsichtbaren aber allgegenwärtigen Geistern der Gefallenen. Dann drehte sie sich um und ging, mit ruhigen, entschlossenen Schritten. Es waren wieder die Schritte von der Lilja, die man kannte, der pflichtbewussten, entschlossenen Offizierin. Yànzi lauschte für einen Moment den verklingenden Schritten. Dann, obwohl doch niemand zu sehen, lächelte sie mit einmal geisterhaft, und widmete sich wieder ihrer improvisierten Andacht. Und selbst wenn jemand anderes anwesend gewesen wäre, er hätte unmöglich ihre Gedanken erraten können…

****

* Singularismus: Landläufige Bezeichnung für zum Teil stark variierende Glaubensrichtungen, die sich im besonders im 22. Jahrhundert entwickelten. Ihre Hochzeit hatten sie im 23. und 24. Jahrhundert, sind aber heute von nur noch geringer Bedeutung. Ihr Name bezieht sich auf den theoretischen Zeitpunkt, an dem die technische Entwicklung die biologische ,überholt', und Technik nicht mehr beherrschbar und kontrollierbar ist. Wenn es so etwas wie einen gemeinsamen Kern gab, dann war es die Verbindung bestehender Glaubenselemente mit der Faszination für die moderne Technik, vor allem für KI’s und des weltweite, transplanetare und intergalaktische Netz. Einige Gruppen propagierten den Glauben, Gottes Wirken in den Datennetzwerken zu erkennen, lasen daraus die Zukunft und glaubten, dass Gott (welcher auch immer) auf die übermittelten Daten einwirke. Andere glaubten an die ,Schaffung' von Gottes Sendboten und Propheten in Form von Künstlichen Intelligenzen oder an eine Verschmelzung biologischer und virtueller Wesenseinheiten. Es gab auch einige radikale, endzeitlich angehauchte Splittergruppen, die eine apokalyptische Konfrontation zwischen KI's und Menschen herbeisehnten oder befürchteten. Das Ausbleiben der Singularität führte dazu, dass die Religionsgruppen ab dem 25. Jahrhundert vielfach wieder an Einfluss verloren.

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11.11.2015 18:37 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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Irgendwo auf T’rr

Gegen Mittag war Arima bereit zuzugeben, dass sie sich verirrt hatten. Bei dem Versuch, das Kriegsgebiet zu meiden und potentielle Verfolger in die Irre zu führen, hatte sie von Anfang an keinen geraden Kurs verfolgt und Goliath tief in die weglose Wildnis geführt. Tatsächlich war ihre Strategie aufgegangen – es war fast eine Woche her, seit sie das letzte Mal in der Ferne das dumpfe Dröhnen eines Akarii- oder Loyalisten-Patrouillenschwebers gehört hatten. Und was potentielle Verfolger zu Fuß anging, so hatten die wahrscheinlich längst ihre Spur verloren. Genauso wie Arima die Orientierung.
Misstrauisch waren sie geworden, als sie auf einen von einem Flusslauf gespeisten Sumpf gestoßen waren, der laut Arimas alten Karten an dieser Stelle nichts zu suchen hatte. Gewiss, auch auf T’rr änderten Urwaldflüsse mit zuverlässiger Unzuverlässigkeit ihren Lauf. Aber als sie dann auf eine Felsenkette gestoßen waren, die in den Unterlagen der T’rr-Guerillera ebenfalls mit Abwesenheit glänzte, war kein Zweifel mehr möglich. Felsen änderten nun einmal nicht alljährlich ihre Position…
Sie wussten beide, dass das ein Problem war. Nach den Himmelsrichtungen und dem Kompass zu navigieren war ohne Kenntnis des eigenen Standpunktes ziemlich gewagt. Die Dschungel von T’rr erstreckten sich über hunderte Meilen – und die Stützpunkte von Arimas Rebellengruppe und ihren Verbündeten waren in diesem grünen Labyrinth die sprichwörtliche Stecknadel im Heuhaufen.
Ihnen drohte nicht nur Gefahr durch die Akariis und T’rr-Loyalisten, die in letzter Zeit angeblich ziemlich ruhig geblieben waren. Goliath hatte auf die harte Tour erfahren, wie verbissen und blutig sich einige Rebellengruppen bekämpften. Außerdem galt der Urwald als Rückzugsgebiet für Kriminelle, Deserteure und Schmuggler, illegal operierende Prospektoren und ähnliches Gesindel. Dazu kamen die wilden Tiere…

Allerdings bezweifelte er, dass viele T’rr jemals in diese abgelegene Gegend vorgestoßen waren. Bei dem Versuch, höher gelegenes Territorium zu erreichen, waren sie erneut auf eine dieser rätselhaften Ruinen gestoßen, die Arima Ne’Shanatir genannt hatte, und vor denen sie eine abergläubische Furcht zu haben schien.
Diesmal erstreckte sich das Ruinenfeld über mehr als einen Quadratkilometer. Teilweise waren die erhaltenen Mauern zwei Meter hoch. Und wieder waren sie von dieser seltsamen Glasur überzogen, unter der man verschwommen kantige Reliefs und Hieroglyphen erahnen konnte. Arima hätte wahrscheinlich am liebsten einen weiten Bogen um die Ruinen geschlagen, aber sie hatten keine Wahl. Der einzige Weg zum höchsten Gipfel der Hügelkette führte mitten durch die verfallenen Mauern. Und dieser Aussichtspunkt war auf dutzende von Meilen vermutlich die beste Möglichkeit, festzustellen wo zur Hölle sie sich eigentlich befanden.
Die Art und Weise, wie sich Arima bei jedem Schritt sichernd umsah, während sich ihre Hand um den Griff ihrer Waffe krampfte, zerrte allerdings auch an Goliaths Nerven. Er hatte erlebt, wie seine T’rr-Begleiterin in Kampf und Todesgefahr völlig ruhig geblieben war. Sie jetzt so zu sehen…
Goliath glaubte nicht an Gespenster, aber er ertappte sich dabei, wie er unwillkürlich flacher atmete. So, als würde der kalte Luftzug, der durch die Ruinen strich, ein geruchloses Giftgas mit sich tragen. Obwohl es im Schatten der Mauern angenehm kühl war, war er in Schweiß gebadet. Er musste sich zwingen, weiterzugehen. Jeder Meter war wie ein Schritt durch ein Minenfeld. In solchen Augenblicken wurde er mit grausamer Klarheit daran erinnert, dass er auf T’rr ein Fremder war. Dass das hier nicht nur eine ausgedehnte Survivalübungen der Marines war. Und auch kein weiterer Einsatz auf Pandora.
Später wusste er selber nicht mehr so genau, wann er dem Drängen seines Unterbewusstseins nachgegeben, und seine Waffe von der Schulter genommen hatte. ‚Idiotisch. Ein Gespenst kannst du nicht erschießen.‘ Dennoch fühlte es sich…sicherer an, etwaigen Bedrohungen über das Visier des Laserkarabiners entgegenzublicken.
Die Waffe war etwas Reales, scheinbar Vertrautes, obwohl sie aus Akarii- oder T’rr-Beständen stammte. Und dann war da natürlich noch Arima, auch wenn sie momentan so nervös wirkte wie eine Katze auf einem heißen Blechdach. Goliath ertappte sich dabei, wie er unwillkürlich den Abstand zu der schlanken Guerillakämpferin verkürzte. Trotz ihres im wahrsten Sinne des Wortes alienhaften Erscheinung und Wesen, war sie im Augenblick das einzige lebende Wesen, auf das er sich verlassen konnte.

Welche Schrecken die Ne’Shanatir in den Legenden der T’rr auch beherbergen mochten, sie blieben verborgen. Es schien fast so, als wären Goliath und Arima das einzige, was sich zwischen den Ruinen bewegte. Ein Eindruck, der wenig dazu beitrug, Goliaths Nervosität zu verringern.
Endlich hatten sie die Hügelspitze erreicht. Vier mehr als drei Meter breite Rampen führten nach Oben. Irgendjemand hatte auf der Spitze des Hügels vor langer Zeit das Erdreich abgetragen, bis nur noch der blanke Fels übriggeblieben war. Den hatte man dann geglättet und zugeschnitten, bis er ein scheinbar perfektes Rund von über einem Dutzend Meter Durchmesser ergab, in das dann Linien und jene seltsamen Hieroglyphen eingemeißelt worden waren.
Die inzwischen vertraute Steinglasur war hier offensichtlich absichtlich angeraut worden, vielleicht um den Füßen auch bei nassem Wetter Halt zu bieten. Auch wenn Goliath immer noch gelegentlich Schwierigkeiten hatte, Arimas Gesichtsausdruck zu deuten – ihrer Miene nach wäre sie lieber in ein Treibsandfeld gelaufen.

Dafür war die Aussicht überwältigend und entschädigte ihn für die Strapazen und Nervenanspannung. Bei dem Marsch durch die Ruinen hatte Goliath gar nicht richtig realisiert, wie weit oben sie inzwischen waren. Die Aussichtsplattform überragte den Urwald um mehr als 100 Meter und bot freie Sicht in alle Himmelsrichtungen. Normalerweise hätte Goliath es für riskant gehalten, sich in einem Kriegsgebiet auf einen derart offenen Aussichtspunkt zu stellen – vor allem, da der Gegner die Lufthoheit besaß. Aber weitab von den imperialen und loyalistischen Luftbasen war das Risiko überschaubar. Und es tat gut, aus dem Schatten des Urwalds herauszukommen. Auch wenn er dazu diese angeblich verfluchten Ruinen hatte überwinden müssen. Während sich Goliath beeindruckt umsah, bemerkte er, dass die Zugangsrampen und die in die Plattform eingegrabenen Linien eine perfekte Kompassrose zu bilden schienen. Als er allerdings die in ihre Berechnungen vertiefte Arima darauf hinwies, knurrte sie nur irgendetwas Unverständliches. Er war sich sicher, dass es kein Lob für die mysteriösen Erbauer der Ruinen war. Goliath grinste kurz und wandte sich wieder um, um die Aussicht zu genießen.

Eine nur aus den Augenwinkeln wahrgenommene Bewegung ließ dass kurzlebige Hochgefühl genauso schnell verschwinden, wie eine brennende Mittagssonne die Schatten. Auch wenn er sich nicht sicher war, was er gesehen hatte – es war auf jeden Fall groß gewesen.
Deckung suchen und die Waffe in Anschlag bringen waren ein längst in Fleisch und Blut eingegangener Reflex „Arima…Besuch.“ Inzwischen musste Goliath nur noch selten nach Worten suchen, wenn er diese ganz eigene Mischung aus T’rr, Englisch und Akarii-Brocken benutzte, mit denen sie sich verständigten.
Arimas Antwort war ein Fluch, den er noch nicht kannte. Dann war sie auch schon neben ihm und spähte in die angewiesene Richtung, während der Lauf ihrer Waffe ihren suchenden Augen folgte: „Ich sehe nichts.“
„Aber da war etwas.“ Goliaths Stimme blieb leise aber bestimmt.
Die junge Guerillera musterte ihn kurz und Goliath musste den Reflex unterdrücken, ihrem Blick auszuweichen. Nicht, dass er anfing Gespenster zu sehen.
Aber anscheinend glaubte sie ihm: „Was es auch war, wir…sind hier oben wie auf einem…Teller. Wir müssen weg.“
„Weißt du jetzt, wo wir sind?“
„Ungefähr…und auf jeden Fall weiß ich, wo ich nicht sein möchte.“

Für ihren Rückzug wählten sie eine der anderen drei Rampen. Auch wenn Arima die Ruinen fürchten mochte, war sie sich im Augenblick nicht zu schade, sie als Deckung zu nutzen. Inzwischen klappte die Zusammenarbeit zwischen ihr und Goliath perfekt. Sie übernahm die Spitze, während er leicht seitlich versetzt Rückendeckung gab.
Allerdings wussten sie beide, dass sie gegen einen Einsatztrupp imperialer Akarii oder loyalistischer T’rr keine echte Chance hatten. ‚Und ansonsten…tja Geister kann man sowieso nicht erschießen.‘
Ihr Rückzug vollzog sich schweigend. In der drückenden Stille, die sie einhüllte, sobald sie wieder in den Schatten der Ruinen eintauchten, klangen ihre hastigen Atemzüge, die schnellen Schritte, selbst das leise Schaben von Kleidung und Ausrüstungsteilen unnatürlich laut. Jeder Schritt schien die Atmosphäre weiter aufzuladen, erhöhte den unsichtbaren Druck der auf ihnen lastete. Ein Druck, der sich zwangsläufig entladen musste, der…

Ein leises Klappern war die einzige Warnung. Goliaths Augen folgten dem Geräusch zu der Mündung einer kleinen Seitengasse. Er sah eine schlanke, geduckte Silhouette in den Schutz des Mauerschattens zurückweichen, versuchte seinen Gegenüber genauer zu erkennen…
Ein Warnruf Arimas und ein zischendes Fauchen ÜBER ihm ließen Goliath herumfahren, ein, zwei Schritte zur Seite machen. Beinahe wäre er in die Knie gegangen, als irgendjemand – oder irgendetwas – ihn an der Schulter streifte und herumwirbelte. Der Exmarine fühlte, wie etwas an seinem Marschgepäck riss. Reflexartig presste er das Kinn auf die Brust, um Kopf und Hals zu schützen, während er mit dem Kolben seiner Waffe einen wuchtigen Hieb über die linke Schulter führte. Einmal, noch einmal - doch genauso gut hätte er auch gegen einen Baumstamm hämmern können. Wieder wurde er brutal durchgeschüttelt, während er mit aller Kraft versuchte, sich zu seinem Gegner umzudrehen…

In diesem Augenblick fauchte seitlich von Goliath eine Laserwaffe los. Eine Hitzewelle versengte sein Gesicht, und in einem vermutlich sinnlosen Reflex schloss er die Augen. Schlagartig verbreitete sich der unverwechselbare Gestank nach brennendem Fleisch und Leder. Eigenartigerweise spürte er keinen Schmerz, während er erneut zuschlug. Dann auf einmal war er frei. Er sprang zurück, riss die Waffe an die Schulter…

Aber dieser Gegner würde ihn nicht noch einmal angreifen. Die fast zwei Meter große zweibeinige Echse – denn das war der Angreifer gewesen – zuckte im Todeskampf, nachdem ihr zwei präzise gesetzte Kopfschüsse den halben Schädel weggebrannt hatten. Es war aber noch genug übrig, um einen schmalen aber muskulösen Kiefer zu enthüllen, der mit einer Reihe sägezahnartiger Fänge bestückt war, die jeden Hai neidisch gemacht hätten. Lange, gebogene Klauen an Armen und Beinen rundeten die Bewaffnung des Raubtiers ab. Der Angriff konnte unmöglich länger als ein, zwei Sekunden gedauert haben. Trotzdem hatte die Zeit gereicht, um seinen Rucksack komplett aufzuschlitzen. Seine Kleidung hatte auch etwas abbekommen. Und außerdem…
„Verdammte Scheiße…“ Schmerz fühlte er keinen, aber das Blut das seine Kleidung rotfärbte, stammte ganz eindeutig nicht von dem Raubtier.
„Goliath!“
„Geht schon…da war noch einer von denen.“
„Da’rra. Sie jagen immer im Rudel. Aber hier?! Ich dachte das wäre nur…“ Die junge Guerillera schien drauf und dran, ihre ohnehin brüchige Selbstbeherrschung zu verlieren.
„Später. Wir müssen weg.“
„Aber deine…“
„Später!“

An die weitere Flucht erinnerte sich Goliath nur bruchstückhaft. Da waren Schmerzen gewesen, die nach einigen Minuten auf einmal aufflammten. Seine Schritte waren schwerfällig und unsicher geworden, die Wahrnehmung merkwürdig verzerrt. Irgendwann hatte ihn Arima stützen müssen, aber sie hatten nicht angehalten. Nicht, solange sie noch in dem Ruinenlabyrinth waren. Nicht, solange jedes Klappern auf den Steinplatten von blutgierigen Verfolgern zu künden schien, solange jeder Windstoß das wütende Fauchen der jagenden Bestien mit sich trug.
Nur einmal hatten sie noch eines der Raubtiere zu Gesicht bekommen, als es vor ihnen den Ruinenpfad überquerte. Goliath war zu langsam gewesen, und Arima, die ihren Gefährten stützte, verfehlte ihr Ziel. Dann hatte sie ihn weitergezerrt. Die Worte, die sie dabei zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorstieß, verstand er nicht mehr so richtig. Alles um ihn herum erschien seltsam gedämpft…

***

Ungefähr eine Stunde fand er sich am Ufer eines kleinen Bachlaufes sitzend wieder. Arima hatte ihm den ohnehin zerfetzten linken Ärmel seiner Tarnjacke abgetrennt und hantierte an seiner Schulter herum. Gerade verstaute sie eine Injektionspistole, die zu ihrem ziemlich überschaubaren Medipack gehörte. Seltsamerweise hatte der Schmerz in Goliaths Schulter fast völlig aufgehört. Er fühlte sich merkwürdig leicht, wenn auch sein Blickfeld immer noch ein wenig verschwommen war.
Goliath neigte den Kopf zur Seite und musterte Arimas Gesicht, das jetzt noch vielleicht zehn Zentimeter von seinem entfernt war: „Das ist ja richtig romantisch.“ verkündete er an niemanden spezielles gerichtet.
Arima bog den Nacken zurück und musterte ihn kurz: „Ich…war nicht sicher wie viel du von dem Zeug verträgst.“
„Mir geht’s blendend.“
„Das sehe ich…halt still verdammt.“ Also tat er ihr den Gefallen.
„Gut. Es war ein glatter Schnitt. Glück. Wenn du dich nicht weggedreht hättest… Wenn das Da’rra nicht den Rucksack erwischt hätte…“
„Das Leben ist ein Kette von ‚Wenn‘ und ‚Wenn nicht‘. Ich frage mich eher, warum diese…Drra…“
„…Da’rra…“
„…angegriffen haben. Waren wir für ein Mittagessen nicht ein klein wenig zu groß? Oder haben die noch nicht kapiert, dass ihr inzwischen aus der Steinzeit heraus seid?“
Arima wich Goliaths Hand aus, die nach ihrer Wange tastete: „Ich hätte wirklich eine Ampulle weniger nehmen sollen…
Sie sind sehr…territorial. Es heißt…sie sind die Wächter der Ne’Shanatir. Also…“
„Nicht noch eine Gespenstergeschichte…“
Arima zuckte mit den Schultern – eine Geste, die sie von ihm übernommen hatte: „So tief im Urwald haben sie vielleicht noch niemals einen T’rr gesehen. Kennen keine Furcht. In der Zeit vor den Feuerwaffen machten sie Jagd auf uns. Und wir auf sie. Es ist immer noch sehr…angesehen, so ein Tier zu erlegen. Auch wenn das nachgelassen hat…weil sie wohl zu unseren Vorfahren gehören. Oder so. Ich bin kein Experte.“
"Dann bist du jetzt eine Heldin? Das war es dann ja wert, beinahe gefressen zu werden."
"Überteib nicht...und nein. Dazu hätte ich das Tier...auf die alte Weise töten müssen. Ein Lasergewehr...zählt nicht. Zu einfach."
Das erinnerte Goliath daran, wie ein loyalistischer Soldat ihn unbedingt im Zweikampf hatte überwältigen wollen, statt ihn einfach zu erschießen. Die Vorliebe der T'rr für den Nahkampf wirkte seltsam atavistisch für ein Volk, das den überlichtschnellen Flug gemeistert hatte, bevor es dann von dem sich ausdehnenden Akarii-Imperium überrollt worden war.
"Eure Verwandtschaft also? Hmmm..." Diesmal erwischte Goliath sie am Kinn und drehte trotz des warnenden Zähnebleckens Arimas Kopf spielerisch hin und her: „Hmm…eine gewisse Ähnlichkeit ist nicht zu leugnen. Natürlich bist du hübscher als der der mich…“
Arima klackte mit den Zähnen: „Dein ‚Er‘ war auch eine ‚Sie‘. Und wenn du mich nicht loslässt, hast du gleich noch einen Schnitt weg.“ Statt ihren Worten allerdings Taten folgen zu lassen, stand sie einfach auf und sah sich suchend um: „Ich besorge uns etwas zu essen. Kannst du solange stillhalten, OHNE Dummheiten zu machen oder gefressen zu werden?“
„Wenn ich mir Mühe gebe…wie wäre es mit einem Abschiedskuss?“
Arima musterte ihn mit schräggeneigtem Kopf und schien nach dem Sinn seiner Worte zu suchen. Dann entfernte sie sich, während sie leise irgendetwas vor sich hinmurmelte. Bevor sie im Unterholz verschwand warf sie ihm noch einen Blick zu, aus dem er nicht so recht schlau wurde.
Goliath winkte noch einmal in die Richtung, in die die junge T’rr verschwunden war. Dann lehnte er sich zurück und ließ seinen Blick versonnen über das Blätterdach schweifen, durch das die Strahlen der Nachmittagssonne fielen. Das Spiel aus Licht und Schatten, aus Farben und Gerüchen hatte etwas seltsam einschläfernd-hypnotisches an sich…

***

„Ruhig, Goliath, Ruhig! Alles gut…“
Im ersten Augenblick war er sich nicht sicher, wo er sich befand, und wem die leise Stimme gehörte, die ihn zu beruhigen versuchte. Am Rande seines nur langsam sich wieder auf die Realität einstellenden Bewusstseins lauerten seltsame Traumfetzen. Die Ruinen…Arimas Erzählungen…etwas Unsichtbares, Kaltes und Altes, das durch die Steine sickerte. Arima…

Sie war es, die sich über ihn beugte. Er lag auf den Boden, hatte seine Arme um sie geschlungen – nein, nur einen Arm. Der andere hing wie ein totes Gewicht an seiner Schulter.
Und jetzt wusste er auch wieder, wo sie waren – an dem kleinen Wasserlauf, an dem sie ihn zurückgelassen hatte, um nach Nahrung zu suchen. Offenbar hatte sie Erfolg gehabt, auch wenn die seltsam violett-purpurnen Früchte von der Größe eines Pfirsichs im Augenblick unbeachtet am Boden lagen.
Verwirrt, überrascht und mehr als ein wenig verlegen lockerte Goliath seinen Griff und registrierte dabei, dass er es irgendwie geschafft hatte, seine Tarnbluse loszuwerden. Eine weitere Inventarisierung seines Bekleidungszustandes verschob er auf später. Allerdings konnte er nicht umhin zu registrieren, dass sein Oberkörper eine Reihe Kratzer aufwies, deren Herkunft ihm schleierhaft war. Oder vielleicht sollte er das zumindest hoffen. Der letzte Teil seines Traums war eigentlich gar nicht mehr so bedrohlich gewesen. Allerdings…
Arima rückte ein wenig von ihm ab, behielt ihn aber im Auge. Er wurde aus ihrem Gesichtsausdruck nicht ganz schlau. Da war Sorge, aber auch ein amüsiertes Funkeln. Und war da auch…
„Was…“, er musste sich räuspern, „Was habe ich…“

„Du hast geschrien im Schlaf. Und geschlagen…
Und dann…“, sie ließ ihre Zähne ein-, zweimal klacken, gefolgt von einem Laut der zumindest in seinen Ohren verdächtig nach einem Lachen klang: „…ich weiß nicht, ob ich…schon die richtigen Worte dafür gelernt habe.“ Wieder ließ sie ihre Zähne amüsiert zusammenklappen: „Wenn ich gewusst hätte, dass das Zeug so wirkt, hätte ich dir keine Spritze gegeben. Oder vielleicht…hätte ich es schon mal früher damit versucht.“
Was sollte das denn jetzt heißen? Wenigstens schien sie nicht wütend zu sein.
„Haben wir…Habe ich….Schon gut. Vergiss es.“
„Schwierig.“
Goliath unterdrückte ein Aufstöhnen. Was auch immer passiert war – und er hatte da einige Vermutungen - Arima schien entschlossen, den maximalen Nutzen daraus zu ziehen. ‚Die Flottenpsychologen hätten ihre verdammte Freude an meinem Traum. Na ja, wenigstens spielten meine Eltern keine Rolle dabei.‘ Aber es war wohl besser, das Thema zu wechseln. Er wies auf die seltsamen Früchte: „Kann man dieses Zeug essen?“
„Die schmecken sogar sehr gut. Aber wenn du Angst hast, dass du danach…“ heldenhaft ignorierte er Arimas nächste Worte.
„Wir bleiben heute hier?“
Sie nickte knapp: „In deinem Zustand…besser.“ War da wieder dieses amüsierte Funkeln in ihren Augen? „Und ich glaube ich weiß jetzt wieder, wo wir sind. Ungefähr. Wir sind vom Pfad abgekommen, aber nicht weit. Ein paar Tage…“
„Gut.“
„Die Sonne geht bald unter. Iss. Dann schlaf. Ich nehme die erste Wache. Aber vorher…solltest du dich besser wieder anziehen.“
Goliath war froh, dass sie sein Gesicht nicht sehen konnte, als er sich die Tarnbluse ziemlich unbeholfen wieder zuknöpfte. Das würde ihn vermutlich ewig verfolgen.

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12.11.2015 17:42 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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Schwerter und Blut formen Imperien
- Akariische Weisheit, Wahlspruch der untergegangenen Dynastie von Parandur.


Meliac Allecar blickte in das Feuer. Der Duft von frisch verbrannter Kolai-Eiche hatte ihm immer beim Nachdenken geholfen. Auf einem verzierten Beistelltisch, stand ein unangetasteter Kelch Wein. Abwesend spielte er mir einem Drehh.
Eine herrliche Waffe. Fast viertausend Jahre alt und noch immer von vollendeter Perfektion. Geschäft und geölt. Eine elegante Waffe, eine tödliche Waffe.
Jeder Akarii unabhängig von seinem Stand oder seinem Geschlecht hat die Pflicht sein Leben dem Großen und Ganzen zu Widmen. Dem Staat zu dienen, den Wohlstand für das Volk zu mehren. Die Kultur zu ehren und gleichzeitig den Fortschritt voran zu treiben.
Ein Ziel, doch kein einzelner Weg.
Es war äußerst interessant, dass es für dieses einzelne Ziel scheinbar genau so viele Definitionen wie Akarii gab. Was war das Beste für das Reich und die Rasse als Gesamtheit?
Und wer entschied letztlich darüber, was das Beste für das Reich war?

„Vater, Ihr wolltet mich sehen.“
Meliac lächelte still in sich hinein. Dero hatte ihn schon lange nicht mehr mit dem angemessenen Respekt angesprochen. Er drehte den Kopf leicht in Richtung seines Sohnes und der Blick, den Dero dem Drehh in seiner Hand zuwarf konnte er gar nicht übersehen; interessant.
Der ältere Akarii deutete auf einen Sessel seinem Gegenüber: „Setz Dich, wir haben wichtige
Geschäfte zu besprechen.“
Dero setzte sich und blickte seinem Vater in die Augen: „Habt Ihr noch etwas vor?“
Meliac konnte ein Schmunzeln nicht ganz verkneifen: „Oh, nein, zumindest nicht, wie Du meinst. Das Drehh ist für Dich, vielleicht.“
„In welcher Hinsicht? Ich wüsste zurzeit keinen gehörnten Ehemann, der an Eure Tür geklopft haben könnte um Satisfaktion einzufordern.“
„Wirklich nicht“, Meliac Allecar richtete sich etwas auf und holte ein kleines Röhrchen hervor, „dann werde ich hier drin nicht Deine DNS vorfinden, wenn ich es einem meiner Labore zur Untersuchung weitergebe?“
Deros Augen weiteten sich leicht. Das Röhrchen war zur Aufbewahrung und zum Transport genetischer Proben.
Als anstehender Erbe des Hauses Allecar, welches im Besitz der besten gentechnischen und pharmazeutischen Unternehmen Akarrs und zumindest Teilhaber vieler weniger bedeutender Einrichtungen auf dem medizinischen Gebiet war, konnte Dero selbst auf fast zwei Meter die exquisite Qualität dieses Behälters einschätzen.
Das keinerlei Wappen eines Adelshauses eingeprägt zu sein schien machte den Probenbehälter nur noch explosiver.
„Darf ich fragen, worum es hier geht, Vater?“
„Nun, ich habe durch… eine Person meines Vertrauens eine höchst interessante Möglichkeit bekommen. Zusammen mit einer Information.“
Dero regte sich nicht.
„Ich wurde informiert, dass man auf Anweisung der Prinzess-Regentin das Geschlecht ihres Kindes aber nicht seine Abkunft bestimmen sollte. Ich befinde mich nun im Besitz einer genetischen Probe mit der ich den Vater unseres zukünftigen Imperators bestimmen könnte.“
„Das könnte man als Hochverrat ansehen.“
„In der Tat mein Sohn, das könnte man. Also, wenn ich diese Probe überprüfen lasse, könnte dann dabei herauskommen, dass Du der Vater unseres zukünftigen Herrschers bist?“
Einen langen Augenblick, etwa zwei Herzschläge lang überlegte Dero ob er seinen Vater belügen sollte, doch schließlich nickte er: „Das könnte sein.“
Damit war für Meliac die Entscheidung gefallen. Wenn es auch nur eine winzige Möglichkeit gab, dass dieses ungeborene Kind sein Enkel war, so musste er es wissen. Doch, und das musste er sich eingestehen, er fürchtete die Antwort.
So viel konnte geschehen, wenn das Haus Allecar Anspruch auf den imperialen Erben erhob. Immer wehrende Feindschaft mit dem Haus Jokham war noch das kleinste Übel, welches ihm in den Sinn kam.
Immer noch den Griff des Drehh umfasst erhob er sich und ging zum Kamin. Er legte die linke Hand auf den Sims und begann mit der Waffe die Holzscheite auseinander zu schieben: „Was, wenn es Dein Kind ist, Dero?“
Sein Sohn schwieg.
„Was, wenn es Dein Kind ist?“
Immer noch Schweigen
„Was, wenn es Dein Kind, DEIN SOHN, ist?“
„Was verlangt Ihr von mir, Vater?“
Der ältere Allecar drehte sich zu seinem Sohn um: „Was ich von Dir verlange, ist zu wissen, wie Du damit umgehst? Ich will wissen, ob Du Deinen Sohn, den Erben meines Hauses, von einem Jokham großziehen lassen willst? Ich verlange von Dir zu wissen, ob ich beschämt wegsehen muss, wenn jemand anderes damit prahlt, wie groß die Haufen in der Windel unseres zukünftigen Imperators sind!“
„Ich…“
„Du hast keine Antwort für mich, mein Sohn? Lass es mich für Dich etwas einfacher machen: Solltest Du es wagen, diesen einen hochgeborenen Sohn zu verleugnen, werde ich jede Deiner ehemaligen Konkubinen jagen und schlachten lassen und ihre Abkömmlinge, egal ob sie von Dir oder irgendeinem anderen rumhurenden Adelsspross sind. Ich werde persönlich Dir die Fortpflanzungsorgane herausschneiden, mit diesem Drehh und anschließend dafür Sorge tragen, dass Du in einem Kloster, weit, weit weg eine kleine Zelle bewohnen wirst.
Du wirst dieses Haus erst wieder betreten, wenn ich auf meinem Totenbett liege und auch nur, damit man Dir vor meinen Augen die Kehle öffnet.
Und ich werde mir einen neuen Sohn suchen, einen jungen Knaben aus einem Kriegswaisenhaus, den ich dann von neuem großziehe und dem ich all jene Liebe angedeihen lasse, die ich Dir ja scheinbar versagt habe.
Hast Du mich verstanden?“
„Du hast mir nie Deine Liebe versagt.“
„Wie bitte?“
„Du warst immer für mich da“, antwortete Dero, „Du hast alle wichtigen Veranstaltungen Besucht. In meiner Schule, selbst als ich die Ausbildung in der Unteroffiziersschule abgeschlossen habe und als ich mich als Anwalt selbstständig gemacht habe. Du hast immer viel gefordert ohne jedoch auch nur einmal den Anschein erweckt zu haben, dass mein Weg nicht Deinen Vorstellungen entsprochen hat. Aber jetzt, Du verlangst zu viel.“
„Aber was verlange ich denn von Dir?“
Dero blickte seinen Vater entgeistert an.
Meliac ging hinüber zu seinem Sohn und kniete sich vor ihm hin. Die beiden Akarii blickten sich direkt in die Augen.
„Mein lieber Sohn, der schönste Augenblick in meinem Leben war der, als ich ins Zimmer eingelassen wurde, als Deine Mutter Dich zur Welt gebracht hat. Als ich Euch beide im Bett liegen sah, Dich in ihren Armen, da war ich endlich vollkommen.
Deine Mutter hatte diesem Haus einen Erben geschenkt. Ich hatte unserem Reich ein Stück Zukunft geschenkt und meine Pflicht als Akarii erfüllt. Aber viel mehr noch, ich war Vater geworden. Dieser Augenblick des Glücks, war Entschädigung für alle Erschwernisse des täglichen Lebens, ließ sie bedeutungslos werden, denn Abends durfte ich nun Dich auf dem Arm halten und in den Schlaf summen.“
Meliac legte seinem Sohn die linke Hand aufs Knie: „Du hast Angst, vor dem, was passiert oder passieren könnte? Habe keine Angst, fürchte Dich sehr, aber sei Gewiss, die Mühen können diesen Lohn nicht einmal ansatzweise aufwiegen.“
Dero konnte nicht anders als kurz nicken und das Lächeln seines Vaters erwidern. Die brutalen Drohungen, die er eben noch für voll genommen hatte, waren schon verblasst.
„So und nun geh mein Sohn“, Meliac reichte ihm das Drehh, „Du wirst trainieren müssen. Der Waffenmeister wartet schon.“

***

Tobarii konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als Linai sich an ihn kuschelte. Die Tage in der Hauptstadt Akarr’s wurden kürzer und kälter. Linai wurde zum Winter hin immer etwas anschmiegsamer.
„Du hast es also arrangiert?“ Das war eine Feststellung, keine Frage.
„Ja, sie werden die Probe mittlerweile in der Hand halten und zumindest Herzog Allecar wird es unter den Krallen brennen, alles über die Genetik seines zukünftigen Herrschers in Erfahrung zu bringen.“
„Und Du bist Dir sicher, dass dieser Kontakt nur für Haus Allecar … ähm Informationen beschafft?“
Linai schnaufte undamenhaft: „Ich bin mir sicher, dass diese Person die Informationen weitergibt, die ich ihr erlaube weiterzugeben und vor allem an wen ich ihr erlaube.“
„Spionen … ah, Kontakten kann man nicht vertrauen, meine Liebe.“
„Mein geliebter Ehemann“, Linai wusste, dass sie jetzt dozierend klang, „Du solltest über gewisse Sitten im Palast genauer Bescheid wissen. Die imperiale Familie hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich der niedersten und ärmsten unserer Gesellschaft anzunehmen. Unsere engsten Diener und Vertrauten kommen nicht aus den erlesensten Schichten des Adels.“
„Ich weiß, ich weiß, man nimmt sich Waisenkinder an, erzieht sie von klein auf an zur Treue und bietet ihnen gleichzeitig ein besseres Leben, erhebt sie aus den Slums hervor…“
„Du solltest nicht scherzen“, ermahnte sie ihn, „meine frühsten Kindheitsfreundinnen, die mit mir Lesen und Schreiben gelernt haben, ehe ich die exklusive Nerash-Akademie besuchen durfte, waren die Abkömmlinge einer Dirne.“
Tobarii lachte auf: „Und was wurde aus diesen beiden Freundinnen, Du hast Sie mir nie vorgestellt.“
„Die eine wird Dir demnächst als Lady Cassei Merû vorgestellt werden, das erste Kindermädchen Deines Sohnes.“
„Du nimmst mich auf dem Arm“, Tobarii blinzelte überrascht, „das ist doch nun wirklich nur blöder Tratsch und wilde Gerüchte.“
Lenai lächelte milde: „Natürlich.“
Tatsächlich freute sie sich darauf Cassei wieder zu sehen.
Ein Klopfen an der Tür ließ sie ihre nächste Neckerei vergessen: „Herein.“
Ein Kammerdiener trat hinein und verneigte sich tief: „Eure Hoheit, Lord Admiral Kern Raman für seine Gnaden den Kriegsminister.“
„Seine Gnaden wird den Lord Admiral im grünen Saal empfangen.“
„Sehr wohl Euer Hoheit“, mit einer erneuten Verbeugung entschwand der Diener wieder.
Tobarii hingegen machte ein Gesicht als habe er sich verschluckt.
„Du wirst Dich Kern genau so stellen müssen, wie Du Dich demnächst Dero stellen musst.“
„Ja, aber ich wünschte, es gäbe jemand anderen dafür.“
„Ihr beide werdet Übungs-Drehhs verwenden“, log Lenai. Kern Raman hatte seit er zwölf war keine Übungswaffe mehr in der Hand gehabt. Selbst nicht bei seinen Übungskämpfen mit dem Kronprinz. Und sie wusste, dass bei diesen Kämpfen niemals unbeabsichtigt Blut geflossen war.
Es hieß den Umgang mit einem Drehh zu lernen sei nicht schwer, es zu meistern hingegen sehr. Ihre Generation hatte nicht viele Meister im Umgang mit dem Drehh hervorgebracht, auch wenn es zu beherrschen für den Adel und die Offiziere der Streitkräfte eine Selbstverständlichkeit war.
Manch einer mochte sagen, Kern Raman sei der letzte Meister im Umgang mit dem Drehh in seiner Generation. Und ihr selbst fiel tatsächlich nur Jor ein, der Kern hätte gleich ziehen können.
Linai strich sich über den noch flachen Bauch und beobachtete Tobarii genau wie er Aufstand. Die imperiale Linie propagierte immer die Reinheit der Thronerbfolge. Der Sohn folgte dem Vater. Aber wenn man etwas genauer hinsah, waren da Enkel, Neffen und Brüder genau so häufig vertreten wie leibliche Söhne.
Ihr eigener Ur-Ur-Ur-Großvater ging auf eine Nichte zweiten Grades zurück und wurde der Thronerbschaft für würdig befunden.
Sah man noch etwas genauer hin, dann waren auch Schwiegersöhne Söhne und somit Erben. Zumindest gab es zwei Präzedenzfälle und in einigen Wochen würde es drei geben.
Das ganze Problem daran war, dass nur Schwerter und Blut Imperien erschaffen. Die anderen beiden Präzedenzfälle waren hoch angesehene Heerführer und siegreiche Generale.
Also musste Tobarii kämpfen und Blut vergießen um sich in eine Position zu bringen, den Titel aus Eherecht fordern zu können. Und leider eignete sich dazu kein Blut so gut wie Allecar-Blut.
„Du solltest sehr gut Acht geben und lernen, Tobarii.“
„Das werde ich“, die Bitterkeit in seiner Stimme war kaum zu überhören, doch er ging.
Es war zum Verzweifeln. Wäre Kern legitimiert worden, würde sich die Thronnachfolge nicht stellen. Hätte sie Kern heiraten dürfen, hätte dieser ebenfalls schon den Thron vereinnahmt.
Beides hatte Vater strikt verboten. Ersteres aus Rücksicht auf Kerrak und letzteres, nun anfangs weil er angeblich nicht standesgemäß war und schließlich, weil er ein wenig zu standesgemäß war.
Jor hatte Kern immer legitimieren wollen. Das Band der Brüder war immer stark gewesen. Doch dazu hätte Jor Imperator sein müssen und die aktuellen Probleme wären nicht vorhanden, da Jor einen Erben benannt hätte. Mit Sicherheit Kerrak.

Der grüne Saal war eigentlich eine Sporthalle. Ein riesiger Raum, mit Sportgeräten die Wände entlang aufgereiht, Teile der Fläche mit Matten ausgelegt, dazu mehrere Kampfplätze und natürlich ein Fechtring.
Dort erwartete ihn Kern Raman. Der jüngere Akarii hatte seine Uniformjacke abgelegt und studierte die an den Wänden aufgehängten Blankwaffen.
Der imperiale Bastard. Schon vom weiten konnte man die Verwandtschaft mit Jor erkennen. Alle vermuteten imperiales Blut in den Adern des jungen Grafensohn, viele wussten, wie nah er dem Thron wirklich stand aber niemand hatte es zu Jors Lebzeiten gewagt etwas verlauten zu lassen. Und da Kern Raman dafür gesorgt hatte, dass alle Welt wusste, wie gut er mit dem Drehh war, nicht nur im Turnier, sondern auch im Kampf, hatte es auch niemand gewagt, ihm ins Gesicht zu spotten.
Ein bitterer Zug war im Gesicht des Offiziers deutlich zu sehen. Tobarii wusste nur zu gut, dass Kern ihn hasste und am liebsten tot sehen würde. Er war für ihn ein Symbol für all das, was er nicht haben konnte: Linai, imperiale Würden, eine reine Abstammung.
Er ging an Kern vorbei und nahm zwei Übungs-Drehhs von der Wand und warf dem anderen eines zu.
Kern fing es behände und begutachtete, die Anscheinswaffe mit einer Mischung aus Mitleid und Verachtung.
„Ich dachte Ihr wollt Dero töten“, Kern ließ die Übungswaffe fallen, „dann solltet Ihr Euch schnellstens an eine echte Waffe gewöhnen, Euer Gnaden.“
„Und ich dachte, wir beide werden hier nur trainieren.“
Kern nahm ein echtes Drehh von der Wand und probierte die Waffe mit einigen mühelosen Schwüngen aus und warf sie ihm zu: „Nehmt dies, es war Jors Lieblingsstück. Ihr solltet es auch nehmen, wenn ihr Dero gegenübertretet.“
Tobarii schaffte es gerade so, die Waffe zu fangen. Perfekt ausbalanciert, soweit er feststellen konnte.
„Nehmt schon mal Platz im Ring ein“, wies ihn Kern an, während er sich selbst eine Waffe nahm.
Tobarii gehorchte und nahm Angriffsstellung ein, wie man ihm es beigebracht hatte.
Kern umrundete und begutachtete ihn: „Pashakk Schule. Nicht schlecht, guter Stand, eher defensiv. Ich bin sicher Euer Lehrer wird Euch bescheinigt haben ein Naturtalent zu sein.“
Das hatte er in der Tat: „Und Euer Lehrer hat Euch wahrscheinlich gottgleiche Fähigkeiten attestiert.“
Kern lachte auf: „Die alte Hexe hat mich in meinen ersten Stunden grün und blau geschlagen. Führt einen Angriff aus.“
Tobarii wusste, dass sein Impuls falsch war, dennoch führte er eine standartmäßige Attacke gegen Kern aus.
Dieser wehrte alle drei Schläge mühelos ab und ging dann zum Gegenangriff über, der Tobarii bis an die Südwand des grünen Saals trieb.
Der Gemahl der Prinzess-Regentin hatte Jahre lang dem Kampf mit dem Drehh gelernt und geübt. Er war gut, wenn auch nicht so gut, wie seine Urkunden besagten und ein wenig eingerostet. Aber er war gut genug um zu bemerken, dass Kern Raman ihn mühelos deklassierte.
„Solide aber wenig beeindruckend“, kommentierte Kern, „zurück in den Kreis. Angriffsstellung.“
Tobarii tat wie geheißen und Kern nahm ihm gegenüber Stellung ein. Eine aggressive, hohe Angriffsposition aus dem Tûshi Stil.
„Soll ich Euch nachahmen?“
„Nein, Dero wurde auch im Pashakk-Stil ausgebildet, er wird glauben auf etwas Bekanntes zu stoßen. Ich werde Euch jetzt Manöver befehlen und ihr werdet sie so ausführen, wie ihr sie gelernt habt, ohne Fragen zu stellen. Dabei werdet ihr Eure Position halten. Parade!“
Kern Raman begann ihn durch alle Bewegungsmuster zu exerzieren, die er gelernt hatte.
Paraden, Angriffe, Ausfälle und Finten.
Es wurde Tobarii immer deutlicher, wie weit sich der Admiral zurückhielt. Dieser parierte jeden offensiven Hieb mühelos und führte jeden Angriff so aus, dass Tobarii auf ihn reagieren konnte. Und immer mehr keimte die Frage auf, warum ausgerechnet Kern Raman ihm helfen sollte. Hingabe zu Lenai? Loyalität gegenüber dem gefallenen Jor? Verbundenheit gegenüber der imperialen Linie, die ihn nicht anerkannte?
Nach knapp zwei Stunden hatte die Tortur ein Ende.
„Heute haben wir die Grundlage geschaffen“, Kern war nicht einmal ansatzweise ins Schwitzen geraten, „ab morgen Abend beschäftigen wir uns mit der einen wichtigen Seite des Kampfes, den Gegner zu töten.“
„Ich kann froh sein, wenn ich mich morgen bewegen kann.“
„Es wäre besser Ihr könnt.“
„Warum?“ wollte Tobarii wissen und bereute die Frage sofort gestellt zu haben.
„Weil ich Euch sonst leiden lasse.“
Tobarii ließ ein zwei Herzschläge verstreichen: „Nein, dass Warum meine ich nicht.“
„Weil ich es den Allecars nicht erlaube, aus ihr eine Marionette zu machen“, Kerns Stimme troff vor Hass, „und weil ich Sie nicht von diesem Weg abbringen konnte.“
„Meine Frau hat also mit Euch konferiert, bevor sie mir ihren Plan unterbreitete?“
„Natürlich“, Kern lachte auf, „glaubt Ihr allen Ernstes irgendwas zu sagen zu haben? Glaubt Ihr, dass selbst, wenn ihr Dero Allecar geschlachtet habt und sein verkümmertes Herz als Zeichen Eures Triumphes ausstellen lasst und der Adelsrat sich dazu breit schlagen lässt, Euch aus aus Eherecht zum Imperator aufsteigen zu lassen, dass Ihr dann irgendwas zu sagen habt? Linai wird Euch als ihre Handpuppe verwenden.“
Tobarii trat einen Schritt auf Kern zu.
Dieser lachte erneut auf: „Dieser Blick ist gut, setzt ihn auf, wenn Ihr Dero gegenüber tretet.“
Er versuchte Kern zu packen, was dann geschah wusste er nicht so genau. Sein Blick klärte sich erst wieder, als er auf dem Rücken lag und der andere auf ihm kniete und ihm sein Drehh gegen den Hals presste: „Hebt Euch das alles für Euren Rivalen auf, Euer Gnaden. Tötet ihn und erkämpft Euch den Thron. Tötet ihn und badet in seinem Blut, die Flotte wird Euch zu Füßen liegen. Tötet ihn und genießt all das was folgen wird. Den Ruhm, die Unterwerfung und die Huldigungen. Aber vergesst nicht, wer der Kopf des Ganzen ist. Sollte sich Linai einmal über Euch beklagen, werdet Ihr Euch wünschen heute einen Übungsunfall erlitten zu haben. Habe ich mich klar ausgedrückt?“
Gegen Ende verkam Kerns Stimme zu einem unheilvollen Zischen.

***

Trisha McGill fuhr sich über die Haare. Es war ungewöhnlich kalt aber letztlich nur eine Frage der Gewöhnung. Vor dem Schott zur CIC der Columbia blieb sie kurz stehen und sammelte ihre Gedanken und trat dann hinein.
Das Lagezentrum der Columbia wirkte seit Wochen total überlaufen. Obwohl sie als zweitmodernster Träger der Pegasus-Klasse in Dienst gestellt wurde, waren zwei Stäbe etwas sehr viel und das obwohl sowohl Admiral Ausons als auch Girads Stab unterbesetzt waren.
Irons trat zu den anderen Führungsoffizieren an den Kartentisch und salutierte andeutungsweise vor Girad.
Die Trägergruppenkommandeurin setzte zur Erwiderung an und zögerte kurz, ehe ihr eigener Salut ähnlich salopp wie der von Irons ausfiel.
„Da wir jetzt vollständig sein, können wir anfangen“, Girad legte ein Pad auf den Tisch und nickte Richard Nissler zu.
Ihr Stabschef rief die Befehle auf dem Tisch auf und der große Monitor teilte sich in mehrere kleine Sichtschirme und gab so jedem der Offiziere Einblick in die Planung: „Gestern Abend kurz vor zwoundzwanzig Hundert ist die TRS Liberty mit ihrer Eskorte ins System gesprungen.
Unsere Anweisungen lauten, heute oder morgen die Umlaufbahn von Seafort zu verlassen und die Liberty abzufangen und nach Masters zu eskortieren. Dort werden wir an der Zeremonie zur Wiederindienststellung der Liberty teilnehmen. Das heißt wir und das Geschwader.“
Irons hob fragend die rechte Augenbraue.
„Die Liberty hat Ihre Ersatzmaschinen mit. Uns wurde die Lade- und Überstellungsliste übermittelt“, Nissler befeuchtete kurz die Lippen, „auch der neue Geschwaderführer wird uns dann überstellt.“
Irons nickte: „Gut, ich nehme an, wir bekommen dann auch unsere letzten Piloten.“
„Richtig, es sind sechs weitere Piloten vorgesehen, die von der Liberty oder vielmehr mit der Liberty ankommen.“
„Sehr schön.“
Girad erhob wieder das Wort: „Commander, die Angry Angels werden mit einigen Schauflugeinlagen die Zeremonie für die Liberty begleiten. Wie sieht es mit dem Kunstflugrepertoire der Angels aus?“
Irons räusperte sich unbehaglich: „Um ehrlich zu sein, mager, sehr mager, wir sind eine Kampfeinheit, Ma’am.“
Das sorgte für das ein oder andere unter Husten verstecktes Lachen. Ein Blick zu Charles Stacy rüber verriet auch das Amüsement des ersten Offiziers der Columbia, obwohl er mit keinem Muskel zuckte.
„Dann haben sie fast zwei Wochen etwas einzustudieren, Commander, aber bedenken Sie, sowohl Stich ins Herz als auch Colwood-Starcluster sind auch in Kriegszeiten verboten.“
„Natürlich Ma’am.“
Die restliche Besprechung drehte sich um die Einsatzbereitschaft der Columbia und ob man heute oder morgen auslaufen könnte. Die Uhrzeit wurde schließlich auf dreiundzwanzig Uhr festgelegt.
Nach gut einer Stunde wurden die Führungsoffiziere entlassen. Über den nachfolgenden Auftrag hatte Girad noch nichts verlauten lassen und Irons fragte sich, ob man erst mal in der Etappe gehalten werden würde.
„Trisha, auf ein Wort noch“, hielt die Admiralin sie zurück, „darf ich fragen, wie es zu der neuen Mode kommt?“
Irons fuhr sich über die sechs Millimeter kurzen Stoppeln, die ihre rote Lockenpracht ersetzt hatte: „Führen durch Vorbild, Ma’am!“
Girad hob fragend eine Augenbraue.
„Ich war veranlasst“, sie warf Commander Stacy, der sich gerade mit dem Astrogator besprach, einen düsteren Blick zu, „einem meiner Piloten zu befehlen sich die Haare zu schneiden. Dieser befolgte meinen Befehl, erinnerte mich dann aber daran, dass meine Haare auch alles andere als vorschriftsgemäß saßen.“
„Gibt es ein Problem zwischen Ihnen und Captain Ahns neuem XO?“
„Ich hoffe, da auf Commander Stafford, Ma’am, aber zukünftig werde ich mich wohl zwischen meine Piloten und den XO stellen.“
„Ich hatte eigentlich gehofft, dass Sie zwischen dem CAG und dem XO vermitteln würden“, Girad drückte die Schultern durch, „denn nach allem, was ich von Commander Stacy gesehen habe und was ich von Commander Stafford weiß, gehen die beiden Herren ziemlich konträr.“
„Ma’am, ich habe seit der Grundausbildung keinen Stoppelhaarschnitt mehr getragen. Meine Position sollte wohl klar sein.“
„Ist sie Trisha, ist mehr als deutlich, wegtreten.“
McGill nahm Haltung an und salutierte förmlich. Girad erwiderte die Ehrbezeugung ebenso formell. Dennoch war keinerlei Kälte zwischen den beiden Frauen zu spüren.
Tatsächlich war Vanessa Girad sehr von der Bomberpilotin eingenommen: „Captain Ahn, auf ein Wort…“

__________________
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12.11.2015 17:42 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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Zwei Wochen später.

Borealis Abstrakta war im Prinzip ein ruhiger Außenposten. In der Peripherie, aber nicht zu weit entfernt, diente das System mit seiner Hauptstation Fort Bragg und den vier kleineren Peripherie-Stationen als Zwischen-, und Durchgangslager für Waren aller Art. Der Verkehr war nicht gerade klein, aber überschaubar. Und seit einiger Zeit sogar noch weniger, weil nur jemand über das System flog, wenn er oder sie wirklich musste, denn die Delaware-Station gab es nicht mehr, und Schuld daran war ein Raid gewesen. Dreist genug von einem Piraten, sich an einem System zu versuchen. Noch dreister, dass sein Raid funktioniert hatte. Dennoch, solche Geschichten machten die Runde, und während auf Abstrakta IV und VII jeden Abend in den Kolonien die Kämpfe im Sterntor-System und ihre mediale Aufbereitung das Gesprächsthema Nummer eins waren - und alle waren sich einig, dass die Navy ordentlich aufs Maul gekriegt hatte - war unter den Tradern, also unter den zumeist raumfahrenden Frachterbesatzungen das Borealis Abstrakta-System das Gesprächsthema. Die Wiedergeburt des Black Buccaneers und sein absolut rücksichtsloses Verhalten hatten dem System Tripper verpasst - alle, die es sich leisten konnten, nahmen einen Umweg in Kauf, um sich nicht anzustecken. Und das, obwohl der Blitz niemals zweimal an der gleichen Stelle einschlug und die TSN Verstärkung entsandt hatte. Theoretisch waren Frachter im System sicherer als je zuvor, praktisch aber konnten sechs Kriegsschiffe nicht überall zugleich sein und nicht alle vier sicheren und neun unsicheren Sprungpunkte des Systems abdecken. Zudem kannte der Black Buccaneer das System nun und wusste einzuschätzen, was er sich erlauben konnte. Und außerdem waren die Insider, die diesen Raid erst möglich gemacht hatten, noch immer nicht gefasst, geschweige denn der neue Black Buccaneer. Dass er neu war, hatte sich relativ leicht beweisen lassen und die örtlichen Medien waren voll damit gewesen. Eine simple Computeranalyse mit einem Hochleistungsrechner, der alte Bilder mit den neuen verglichen hatte, dazu Stimmensyntax und Wortwahl, hatte siebzig Prozent Wahrscheinlichkeit ausgerechnet, dass sie es mit einem Nachahmer zu tun hatten. Der allerdings wollte seinem großen Vorbild nicht hinterher stehen, wie sein rigoroser und brutaler Umgang mit Delaware-Station gezeigt hatte. Und wie praktisch, dass dabei fast drei Tonnen Industriediamanten, zwei Tonnen Gold und wertvolles Leitermaterial verloren gegangen war.
Und wie überaus praktisch, dass das Gouvernment schon einen Sündenbock bei der Hand hatte - einen der Frachter, der die Industriediamanten hatte übernehmen sollen und dem Angriff entkommen konnte. Wahrscheinlich war dies der Auslöser für die überzogene Brutalität gewesen, und der Gouverneur war nicht in der Laune, die Leben von siebenundzwanzig Menschen, Brüder, Schwestern, Vätern, Mütter, Söhne, Töchter des Systems, ungesühnt zu lassen. Und Feigheit vor dem Feind mochte er auch nicht besonders. Dass dann an Bord noch ein Deserteur aufgespürt worden war, was Hilfeleistung gegen das Militär bedeutete, war nur das Tüpfelchen auf dem I gewesen. Mit anderen Worten: Die EMERALD JADE steckte mitsamt ihrer Crew tief in der Scheiße.
Na ja, besser ein paar Spacer, deren einziger Lebenszweck es war, zwischen den Sternen herumzudrömmeln, dich hinterrücks niederzustechen und zu schmuggeln, als dass es noch ein paar von den anständigen Leuten erwischte. Fand jedenfalls Lieutenant Slodoban Carnoush, und er war sehr zufrieden mit dieser Entwicklung. Wie es hieß, war man zu einer besonderen Vereinbarung gelangt, die JADE betreffend. Die Zentralregierung sah über den einen und anderen Anklagepunkt hinweg, zum Beispiel Beihilfe zur Piraterie, wenn sich Schiff und Besatzung die Verärgerung des Black Buccaneers zunutze machten. Und mit ein wenig Glück würde es alle auf einen Schlag erwischen.

Carnoush lachte leise, was ihm fragende Blicke der aktuellen Schicht einbrachte. Ein leises Schnauben von ihm schickte die Schicht wieder an die Schirme. Die Horchschicht, genauer gesagt die Radarabteilung, tastete alle stabilen und instabilen Wurmlöcher ab, um ein solches Desaster in Zukunft zu verhindern. Andererseits war der Raider auch getarnt hereingesprungen, und man durfte annehmen, dass er es nicht noch einmal versuchen würde. Außer, er hatte Eier aus Eisen. Allerdings verließen sie sich nicht darauf; die Zentralregierung hatte ein strengeres Einreise-, und Durchreisereglement vorgegeben. Normalerweise wurden Schiffe, die das System nur passieren wollten, namentlich und anhand des Kapitäns registriert, solange sie in ihren Korridoren blieben. Wegen der Notstandsregelung aber musste jedes Schiff eine vollständige Auflistung an Fracht, Besatzung und Passagieren einreichen, gleich nach dem Sprung ins System. Wenn es ging, per Lichtspruch schon früher. Noch einmal würde sich die Miliz von Borealis Abstrakta nicht so übertölpeln lassen, oh nein.
"Äh, Sir...", sagte Sergeant O'Donnely gedehnt.
"Was gibt es, Claire?" Er war alteingesessener Armenier, Teil der ursprünglichen Hauptbesiedlungsgruppe des Systems, sie hinzugezogene Schottin. Von Schotten sagte man, dass sie wie Ratten waren. Gab es irgendwo Wärme, Licht und Sauerstoff, konnten die Schotten dort auch überleben. Deshalb vermehrten sie sich und schwärmten über die bewohnbaren Systeme hinaus aus. Es gab kein Sonnensystem, in dem keine Schotten lebten. Aber Carnoush kam trotzdem mit ihr klar. Sie war ein feiner Kerl, machte keine Schwierigkeiten und verstand ihren Job.
"Sir, ich habe hier ein neues Schiff, das gerade ins System gesprungen ist. Registriert auf den Namen CARNEGIE."
"CARNEGIE. Ist mir unbekannt."
"Ein DSC-Schiff."
"Davis Space Company?" Er zuckte die Achseln. "Und? Eine Menge DSC-Schiffe schwirren hier draußen rum. Gerade, seit die CC ihr eigenes Ding durchzieht und der Handel komplett neu aufgezogen werden muss."
"Laut Schiffsregister ist es ihr Flaggschiff, Sir. Neubau, Mammoth-Klasse, fünftes Schiff nach dem Typbau."
"Ihr Flaggschiff?" Er pfiff anerkennend. Diese Biester waren locker sechsmal so groß wie die Laboe, die hier in Massen herumschwirrten, aber beinahe so agil wie die flinken Backpacker, die Cougar. Angeblich hatte der Bau die Hälfte der Geschäftseinlagen der Davis gekostet. Carnoush bezweifelte das, denn die DSC investierte nicht in Schiffsraum, wenn er teuer war. Das Preis-Leistungsverhältnis musste stimmen. "Dann sollten wir wohl besser ein paar Schiffe zur Parade abstellen, was?"
Claire O'Donnely grinste, aber es war ein kaltes, wölfisches Grinsen. "Vielleicht wäre das sehr ratsam, denn ich habe mit den Schiffspapieren auch die Besatzungsliste bekommen. Ganz oben auf der Liste steht der Name Carol Davis."
Carnoush spürte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. Er versuchte etwas zu sagen, aber es blieb beim Versuch. Erst nach einem hartnäckigen Räuspern gelang es ihm, wieder zu sprechen. "Killer Bee Davis kommt zu uns?"
"Sieht ganz so aus, Sir."
Das war ebenso gut wie schlecht. Es hieß, die Firma besaß genügend elektronisches Geld, um einen kleinen Mond zu kaufen - nicht zu leasen, zu kaufen. Es hieß aber auch, dass die Davis nahezu überall ihre Finger drin hatten, sogar in Drogenschmuggel, Prostitution und selbst Menschenhandel, solange es Profit versprach. Und es hieß, dass Carol Davis, die Matriarchin des Davis-Clans, wie eine Spinne im Netz hockte und ihr fliegendes Reich aus über hundert Frachtschiffen, eigene wie durch Knebelverträge an sie gebundene, mit eiserner Hand steuerte. Wer es wagte, gegen sie aufzumucken, wurde schnell und hart gegroundet, auf einem Planeten abgesetzt, egal ob bewohnt oder nicht. Und die DSC benutzte ihren in der Zeit des Krieges beständig gewachsenen Einfluss, damit die entsprechende Person nie wieder irgendwo anheuern konnte. Zumindest hatte Carnoush das gehört. Wenn also Killer Bee persönlich in ihr abgelegenes System kam, dann witterte die DSC entweder ein Bombengeschäft auf dem Markt, oder ein Bombengeschäft, indem es ein paar Borealis-Firmen in den Ruin trieb und dann billig aufkaufte. Hatte er gehört. Nicht, dass er jemanden kannte, dem das jemals passiert wäre, aber der Freund eines Freundes hatte einen Bekannten, dessen Großvater erzählte immer von einem ehemaligen Untergebenen, der in die freie Wirtschaft gegangen war und erlebt hatte, wie Killer Bee einen Konzern angriff, zerschlug, die Reste kaufte und vergoldete. Es hieß, wenn Killer Bee sich bewegte, wurden die Randwelten nervös. Doch was war es? Ein ausgedehnter Raubzug, oder ein Geschäft, das aus einigen Betrieben im Borealis Abstrakta-System Goldgruben machen würde? "Ich brauche sofort eine Verbindung zum Governor", sagte Carnoush schließlich gefasst. Egal, was es sein würde, verhindern konnte er es nur noch, indem er auf die CARNEGIE feuern ließ. Und das war leider nicht legal. Und im Moment leider auch nicht machbar.

***

"Sie haben WAS?", rief Carol Davis entrüstet. Es hätte nicht viel gefehlt, und die Frau, gerade aufgesprungen und über den Schreibtisch des Gouverneurs gebeugt, hätte den Mann neben ihm, Colonel Harcourt vom planetaren Sicherheitsdienst, am Revers über den Schreibtisch zu sich heran gezogen.
Harcourt verzog keine Miene. "Mäßigen Sie sich bitte, Ma'am. Sie befinden sich hier nicht auf einem Basar, sondern im Büro des obersten Staatsdieners der Republik in diesem Sonnensystem!"
"Da bin ich mir noch nicht so sicher", erwiderte Davis geknurrt und blieb stehen. "Sie wollen mir also weismachen, Sie hätten meinen Unterkontraktor wegen Beihilfe zur Piraterie angeklagt?"
"Die Umstände sprechen doch etwas gegen die EMERALD JADE", sagte Governor Harold Plym, während er sich mit einem Stofftaschentuch die Halbglatze trocknete.
"Was für Umstände? Laut dem Bericht von Jayhawker... Laut Kapitän Victor erfolgte der Angriff auf Delaware-Station, bevor sie angedockt hatte. Anschließend setzte sich das Schiff bei einer günstigen Gelegenheit ab, beschädigte eines der Piratenshuttles und vernichtete einen feindlichen Jäger! Da, wo ich normalerweise Geschäfte tätige, reicht so etwas zu einem militärischen Orden!" Die letzten Worte hatte sie wieder geblafft, und diesmal war sogar Harcourt einen Schritt zurückgewichen.
Davis setzte sich wieder, lehnte sich zurück und atmete tief ein. "Also gut", sagte sie, langsam und deutlich ausatmend, "also gut. Ich verstehe Ihre Paranoia gegenüber Spacern. Ich kann sie nicht gutheißen und toleriere sie nicht, aber ich kann sie verstehen. Ich denke, wir sollten den Rest der Angelegenheit die Anwälte aushandeln lassen, und dann nehme ich meinen Partner und verschwinde wieder. Das heißt, wenn es Ihnen Recht ist."
Der Gouverneur warf seinem Sicherheitschef einen unsicheren Blick zu.
Der reagierte sofort. "Ma'am, aus Sicherheitsgründen haben wir uns entschlossen, die Crew der..."
Carol Davis sah hinter sich. Alleine die Geste reichte aus, um Harcourt zum Schweigen zu bringen. Sie lächelte auf eine beinahe niedliche Weise. "Philip, mein Bester, was sagst du zur Sachlage?"
Der junge braunhaarige Gentleman im Zweireiher der neuesten Mode gekleidet, augenscheinlich aus dem Schneider-Stall der weit verzweigten Familie, lächelte zurück. Es war das Lächeln eines eiskalten Mannes, einer Mordmaschine... Eines Anwalts, der mit allen Wassern gewaschen war. "Als Chefanwalt der DSC würde ich gerne die Anklage einsehen."
Harcourt schien innerlich aufzuatmen. "Es gibt im Moment keine Anklage gegen die EMERALD JADE und ihre Besatzung."
"So?" Philip Schneider runzelte die Stirn. Mit einer Augenbraue. Die Rechte. "Dann nehme ich an, dass wir ungehinderten Zugang zu Kapitän Victor und ihrem Schiff haben. Da sie nicht angeklagt ist, wurde das Schiff auch nicht interniert."
"Richtig", ereiferte sich der Gouverneur, der einen Pluspunkt erhoffte. "Das Schiff wurde nicht interniert."
"Dann wüsste ich gerne, wo es ist und wie ich es erreichen kann", schloss Carol Davis prompt.
"Das... Dürfte etwas schwierig sein, Ma'am", sagte Harcourt.
"Haben Sie auch die Güte, mir zu sagen, warum es etwas schwierig sein kann, Colonel?", fragte sie, eine steile Falte zwischen den Augenbrauen.
"Nun, Ma'am, die Crew hat sich freiwillig gemeldet, um..."
"VERARSCHEN SIE MICH NICHT!", blaffte die Chefin des Davis-Konzerns. Sie sah wieder nach hinten. "Philip?"
"Freiheitsberaubung, Verschleppung der Anklage, Entführung, Missbrauch der Amtsgewalt, hm, ich denke, da kommen so acht, neun Anklagepunkte zusammen. Ich werde der Rechtsabteilung sofort den Auftrag zu einer Dienstaufsichtsbeschwerde geben."
Plym und Harcourt wurden blass, beinahe bleich. "E-es handelt sich um eine CID-Ermittlung im Rahmen der gültigen Gesetze, die..."
"Eine CID-Ermittlung, für die ein Schiff voller Zivilisten herhalten muss? Wissen Sie, wie das auf Terra einschlagen wird, wenn diese Meldung in den Medien lanciert wird? Gerade jetzt, wo Wahlkampf ist?", merkte Schneider an. "Ich denke nicht, dass Präsidentin Birmingham für diesen Bärendienst besonders dankbar wäre. Weder Ihnen, noch dem CID!"
"Vielleicht...", stotterte der Gouverneur, dem die Tragweite eines solchen Desasters langsam und nachhaltig den Boden unter den Füßen wegzuziehen drohte, "vielleicht können wir uns, ah, unter der Hand einigen, wie wir mit dieser Situation umzugehen haben?"
"Vielleicht können wir das tatsächlich." Die CEO von DSC lehnte sich wieder zurück. "Also, meine Herren, wo ist mein Schiff?"
"Ma'am, aus Gründen der Geheimhaltung können weder wir noch der CID...", begann Harcourt tapfer.
Carol Davis wischte den Einwand mit einem Blick beiseite, der keinen Widerspruch duldete. "Wenn Sie diese Sache überleben wollen, politisch, persönlich, finanziell, dann verarschen Sie mich nicht länger. Ihre potentielle Anklageliste ist so schon lang genug. Und Ihr Sonnensystem ist nicht selbstständig; es wäre nicht das erste System, dessen Regierung von der spanischen Inquisition wegen unüberschaubarer Korruption ausgetauscht wurde und wird. Und Sie wissen selbst, dass es nicht besonders viel für eine Vorprüfung braucht, wenn die Inquisition einen Verdacht mitgeteilt bekommt. Selbst, wenn er von einem Spacer kommt."
Ja, wenn das Oberste Zivile Republikanische Verwaltungsgericht, Sitz in Madrid, involviert wurde, im Volksmund die Spanische Inquisition genannt, dann würden Schwärme von Staatsdienern im Sonnensystem einfallen, alle Behörden auf den Kopf stellen, sämtliche Akten nachwälzen, alle Zahlen überprüfen und jede noch so winzige Kleinigkeit an den Tag bringen, von der versehentlich mitgenommenen Büroklammer bis hin zu unversteuerten Bestechungsgeldern in privaten Altersfonds. Für ein Randsystem wie Borealis Abstrakta, das nicht autark war, auf dem ein Gouverneur eingesetzt war, bedeutete dies die totale Vernichtung der Verwaltung - so sie denn korrupt war. Doch die Frage war hier nicht ob, sondern lediglich: Wie korrupt war sie?
"Sie haben zehn Sekunden", sagte die ernste Frau.
Unter ihrem zwingenden Blick, der dreimal so alte Männer mit doppelt so viel Geschäftserfahrung eingeschüchtert hatte, gaben der Gouverneur und der Sicherheitschef schließlich nach.
"Wir haben einen Plan entwickelt, um den Black Buccaneer hervorzulocken", sagte Harcourt schließlich. "Wir und der CID. Da die EMERALD JADE ihn derart gedemütigt hat, wird sie der Köder sein. Der CID hielt das Risiko der Crew für vertretbar, nachdem sie am Tode von siebenundzwanzig Milizionären mitschuldig war und zudem einen Deserteur auf dem Schiff versteckt gehalten hat."
"Was für ein Plan?", fragte Carol Davis eisig.
"Nichts Gefährliches", beeilte sich der Gouverneur zu versichern. "Die JADE fliegt nur ein System an, in dem Spione des Black Buccaneers vermutet werden. Dann wird sie auf einer festgelegten Route weiter springen und, mit etwas Glück, die Beute direkt in unsere Falle führen."
"Das klingt ja beinahe schon gut durchdacht - würden nicht ein paar unbezahlte, in solchen Dingen unerfahrene und zudem unschuldige Zivilisten einer Todesgefahr ausgesetzt werden!", sagte sie laut und unbeherrscht. "Philip, Erpressung dürfte gerade dazu gekommen sein."
"Das sehe ich ähnlich, Carol." Er grinste schief, denn hinter ihm stand eine Fachabteilung von zwei Dutzend Rechtsverdrehern und ihren Zuarbeitern, jederzeit bereit, jedem Schiff, jedem Mann und jeder Maus im DSC und den assoziierten Partnern mit der geballten Kraft des Gesetzbuchs beizustehen. Nicht selten mit dem stark gebeugten Gesetzbuch. Was leider Gottes bei der allgegenwärtigen Paranoia der Planetengeborenen viel zu oft notwendig wurde. Man musste sie hin und wieder nachhaltig daran erinnern, dass Spacer die gleichen Rechte hatten wie sie.
"Also, meine Herren, wohin haben Sie Kapitän Victor und die EMERALD JADE geschickt? Und ich warne Sie schon jetzt. Nur ein falsches Wort, ein Ausflucht, und meine Firma und alle Unterkontraktoren werden Borealis Abstrakta in Zukunft meiden und dies auch unseren Geschäftspartnern empfehlen." Sie grinste nicht. Ihre Augen funkelten nicht. Ihr war es bitterernst. "Sehen Sie raus und schauen Sie sich Ihren Raumhandel an. Das System wird gemieden, seit der Black Buccaneer hier war. Wenn sich unter unsersgleichen herumspricht, wie Sie uns behandeln, kann das sehr schnell ein Dauerzustand werden." Sie verschränkte die Finger ineinander, legte die Hände an ihr Kinn und fragte: "Nun? Wo ist mein Schiff?"
Harcourt fing sich als Erster. Er wechselte einen Blick mit seinem Vorgesetzten, der den schwarzen Peter aber ihm zuschob. Der Colonel nickte leicht und sah zur Chefin der DSC herüber. "Fort Irresponsible. Wir hoffen, den Black Buccaneer über Fort Irresponsible aufzuscheuchen."
"Na, das ist ja besser als gehofft", sagte sie und erhob sich. "Wenn die Herren mich jetzt entschuldigen würden, ich muss ein paar Translichtgespräche führen."
Sie wandte sich zum Gehen. "Ach, bevor ich es vergesse, Strafe muss sein. Sie haben einen freien Spacer übervorteilt und missbraucht. Philip, kümmere dich darum, ja?"
"Natürlich, Carol. Die entsprechenden Strafanzeigen werden heute noch bei der übergeordneten Instanz eintreffen." Er grinste wie ein Kind, das sich auf einen Lolli freute.
"Warten Sie! Mrs. Davis, wir haben doch kooperiert!"
"Nachdem Sie sich unsäglich gewunden haben, Mr. Governor. Aber keine Sorge, wer selbst ohne Sünde ist, kann ruhig mit Steinen um sich werfen. Sie haben also nichts zu befürchten", spottete sie. "Aber wenn Sie mir entgegen kommen, könnte ich mich damit zufrieden geben, wenn Sie beide sich für den vorzeitigen Ruhestand interessieren. Unbehelligt von meinen Anwälten, selbstverständlich."
Erneut trocknete sich Plym die schweißbedeckte Glatze. "Wie sieht dieses Entgegenkommen aus?"
"Wie wäre es zum Beispiel mit sämtlichen Informationen, die EMERALD JADE und die Falle betreffend, inklusive Kontaktdaten, Schiffsdaten und allem, was man braucht, um die einzelnen Parteien zu kontaktieren?"
"Der CID wird uns..."
"Der CID kann Sie gar nichts, wenn Sie in Rente sind. Davon abgesehen steckt der Verein selbst bis zur Oberkante Unterlippe in einem illegalen Projekt und wird sich hüten, zu laut zu husten", versetzte die CEO.
Plym nickte. "Sicher. Reden wir, Mrs. Davis. Reden wir über die Details."
Carol Davis setzte sich wieder. Neben ihr nahm Philip Schneider Platz
"Tee wäre nett."
"Sicher. Colonel, wenn Sie welchen machen lassen würden..."
"Sofort, Mr. Governor."
Carol Davis lehnte sich nach hinten. "Also gut. Ich höre." Sie hieß nicht zu Unrecht Killer Bee.

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"Das Leben ist das was einem passiert, während man andere Pläne schmiedet." John Lennon

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12.11.2015 17:43 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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„Der zweite Stern von links. Und dann weiter bis zum Morgengrauen.“
Berühmter (fiktionaler) terranischer Raumschiffkapitän


TRS COLUMBIA, Sterntor-System

„Bringen Sie uns raus.“
Kapitän Ahns Stimme fehlte der harte, schneidende Tonfall, für den andere Flottenkommandeure bekannt und gefürchtet waren. Von Konteradmiral Mithel hieß es, dass er einen saumseligen Captain der Nachschubabteilung schon mit den ersten Sätzen von einer seiner berüchtigten Gardinenpredigten in den Nervenzusammenbruch getrieben hatte. Aber die Kapitänin der COLUMBIA hatte dennoch kein Problem, sich Gehör zu verschaffen. Etwas in ihren ruhigen aber bestimmten Worten erzwang Aufmerksamkeit.
Eine Bewegung seitlich hinter ihr ließ sie den Kopf drehen. Sie grüßte ruhig: „Admirälin Girard.“
„Machen Sie weiter.“ Auch Girads Stimme klang fast beiläufig.
„Wie Sie wünschen. Achtung, Magnetklammern lösen. Traktorstrahlprojektoren auf negative Anziehung. Initiiere Abkopplung in Zehn, Neun, Acht…“

Während Girard geistesabwesend den halblauten Befehlen und Meldungen der Brückenoffiziere lauschte, lächelte sie gedankenverloren. Die COLUMBIA legte ab. Zwar nur für eine Routine-Eskortmission, aber dabei würde es nicht bleiben. Noch ein paar Tage, und auch das Bordgeschwader würde endlich wieder die volle Belegstärke und einen neuen Geschwaderkommandeur haben. Und dann…
Allerdings war genau dieses ‚und dann…’, das ihr Sorgen bereitete. Welche Mission auch immer auf die COLUMBIA wartete, es würde Girads allerletzte Chance sein, um den Absturz in die Bedeutungslosigkeit zu verhindern. ‚Wenn ich so viel Glück habe und nicht doch noch vor einem Kriegsgericht lande. Verdammt, ich stehe nicht am Abgrund – ich rutsche bereits langsam den Abhang hinunter.’
Zwar waren viele in der Republik der Meinung, dass sie mit der Beschlagnahmung der konföderierten Schiffe richtig gehandelt hatte. Die Art und Weise, wie sich die Konföderation in den letzten Monaten dem Imperium angedient hatte, wurde häufig als Rechtfertigung ihres Vorgehens gedeutet. Allerdings fragten sich andere, ob die Hannover so weit gegangen wäre, wenn sich der ehemalige Verbündete nicht gegen die Konföderation gewandt hätte. ‚Nicht, dass es jetzt noch eine Rolle spielt. Aber das Risiko konnten wir nicht eingehen.’ Sie stand zu ihrer Entscheidung.
In den Streitkräften – und besonders in der Flotte – waren viele derselben Meinung. Einen Krieg gewann man nicht mit Wunschdenken und Ritterlichkeit. Sondern indem man das tat, was notwendig war.
Aber alle heimliche oder halboffene Zustimmung würde ihr wenig helfen, wenn sie nicht bald einen Sieg vorweisen konnte. Einen ECHTEN Sieg, der nicht mit dem Odium der Treulosigkeit und des Zweifels behaftet war. Erfolg machte unverwundbar und unersetzlich.
Bisher war sie dabei wenig erfolgreich gewesen. Die Schlacht gegen Admiral Taran wurde der Öffentlichkeit zwar als fast so etwas wie ein Sieg verkauft, aber Girad wusste es besser. Mit ihrer Entscheidung eines zeitweiligen Rückzugs und der Preisgabe von Masters hatte sie sich weder dort noch in der TSN viele neue Freunde gemacht. Gerettet hatte sie nur die Vernichtung des feindlichen Trägers und die Tatsache, dass die Führung der Republik es sich nach diversen anderen Schlappen nicht leisten konnte, mit ihrer Ablösung eine erneute Niederlage einzugestehen. Aber das war ein höchst fragwürdiger Schutz mit einer äußerst geringen Halbwertzeit.
Eine echte Niederlage – oder auch nur ein weiteres fragwürdiges Patt - würde der willkommene Anlass sein, sie endgültig abzuservieren. Ihre Kritiker und die Opportunisten in den Streitkräften und der Verwaltung würden sich so eine Gelegenheit nicht noch einmal entgehen lassen, um die ganze unappetitliche Geschichte mit der konföderierten Flotte unter einem Vorwand abzuhaken. Mancher mochte sogar glauben, dass man ihren Sturz der Konföderation als Angebot für neue Verhandlungen verkaufen könnte. ‚Aber dafür ist es ohnehin zu spät. Selbst Cochrane kann nur begrenzt häufig die Seiten wechseln. Er hat seine Seele und die Konföderation an das Imperium verkauft und dabei wird er bleiben.’
Auf eine verdrehte Art und Weise saßen sie und der Staatschef der Föderation in einer ähnlichen Zwickmühle. Sie beide hatten alles aufs Spiel gesetzt und mit diesem Spiel würden sie stehen und fallen.
‚Immerhin habe ich die besseren Optionen. Schlimmstenfalls werde ich gefeuert, inhaftiert, oder sterbe ehrenvoll im Kampf. Wenn Cochrane sich hingegen verschätzt, werden seine eigenen Leute – oder seine neuen ‚Freunde’ – ihn lebend ans Kreuz schlagen. Und für viele hat er jetzt schon Judas Ischariot, Petain, Quisling und Benedikt Arnold übertrumpft. Da kann ich nicht mithalten. Was habe ich doch für ein Glück.’
Natürlich würden sich auch Nkuma und seine Republikaner im Fall einer Niederlage wohl kaum noch an sie erinnern. Sie machte sich da keine Illusionen. In der Politik war – wie im Krieg – alles erlaubt und Loyalität eine Schwäche. Nkuma schien integer zu sein. Aber er würde nicht seine Aussicht auf die Präsidentschaft für eine umstrittene Admiralin opfern, die keine Siege mehr einfuhr.
‚Also kann ich mich darauf nicht verlassen. Ich brauche einen Erfolg. Einen überzeugenden Sieg.'
Von dort wo sie stand, ging es nur noch Vorwärts. Die Brücken hinter ihr waren verbrannt.
Es stand mehr auf dem Spiel als ihre Karriere. Trotz der letzten Rückschläge und dem Verrat der Konföderation glaubte Girad nicht wirklich, dass die Akarii die TSN noch schlagen konnten. Dazu hatten die Imperialen zu viel verloren – zu viele Schiffe und Soldaten, zu viele Welten. Allerdings bezweifelte sie, dass die Akariis bereits zu derselben Erkenntnis gekommen waren. ‚Und wenn doch, dann werden sie es nicht zugeben wollen.’ Das Akarii-Imperium hatte seit Jahrhunderten nur noch Siege gekannt. Es mochte Schlachten und sogar den ein oder anderen Feldzug verloren haben – aber niemals einen Krieg. Dieses Sternenreich war nicht durch Kompromisse groß geworden. Ob irgendeine Regentin oder ein neu ernannter Imperator es wagen würde, mit dieser Tradition zu brechen?
‚Und wie lange können wir weiterkämpfen, wenn diese verdammten Echse sich einfach weigern, ihre Niederlage einzugestehen?’ Die Vorstellung, dem Gegner auf einer von republikanischen Kriegsflotten eingekreisten Hauptwelt den Frieden diktieren zu können, schien inzwischen reichlich unwahrscheinlich. Zumindest kurzfristig. Und langfristig…
‚Was, wenn den Bürgern der Republik die Kosten irgendwann zu hoch werden? Wir sind im sechsten Kriegsjahr und wenn es mit diesem ewigen Hin und Her weitergeht, kann das Schlachten noch einmal so lange dauern, ohne dass eine Seite die Oberhand gewinnt.’
Das war auch der Schwachpunkt in Admiral Mithels ebenso innovativen wie rücksichtslosen Plan, das Imperium durch periphere Schläge auszubluten. ‚Es könnte sein, dass uns die Puste noch vor den Akariis ausgeht.’ Es würde JAHRE dauern, bis Mithels ‚Tod durch tausend Schnitte’-Strategie Wirkung zeigte. Ein Imperium das so gigantisch wie das Akarii-Sternenreich war, hatte einen sehr unbeweglichen Trägheitspunkt. ‚Rom ist auch nicht in einem Krieg untergegangen. Und wir haben keine zweihundert Jahre Zeit. Wir haben nicht einmal zwanzig.’
Was die TSN brauchte - genauso wie Girad selber - war ein Sieg über die feindliche Flotte. Am besten ein überwältigender Sieg, der die Offensivkraft der Imperialen ausschaltete. Mit Schattenkrieg und Zermürbungstaktiken alleine werden wir nicht siegen können. Wir müssen den Gegner vernichten.
'Also Sieg oder Untergang.' Jemand hatte mal gesagt, dass sie in so einer Situation immer die besten Ergebnisse brachte. Sie würde Gelegenheit haben, das zu beweisen.

Ahn, die bei ihrem Rundgang die Station des Steuermanns erreicht hatte, blickte ihrem Untergebenen über die Schulter und runzelte die Stirn: „Korrigieren Sie den Flugvektor um fünf Grad. Wir driften ab.“
„Entschuldigung. Die äußere Backbordmanöverdüse…wir haben eine vierprozentige Leistungs- und Reaktionsdifferenz. Ich gleiche aus.“
„Entspannen Sie sich, Sie machen das gut.“ Ahn wandte sich zu ihrem XO um: „Ich will, dass diese Düsen binnen vierundzwanzig Stunden einwandfrei arbeiten. Machen Sie der Wartungsabteilung klar, dass ich keine Ausreden akzeptiere. Ganz bestimmt nicht, nachdem man mir versichert hat, dass die Maschinen mit hundertprozentiger Leistung laufen.“
„Jawohl, Captain.“
Ahn wandte sich zu Girad um: „Abgesehen davon scheinen alle System einwandfrei zu laufen. Gut. Ich hatte mit mehr Fehlermeldungen gerechnet.“
„Beschwören Sie es nicht.“
„Ich habe noch einen Komplett-Softwarecheck angeordnet. Was die Hardware angeht…wir passieren während unseres Marschflugs eines der Trümmerfelder der letzten Schlacht. Wenn es Ihnen recht ist, können wir diese Gelegenheit für einige Zielübungen der Schiffsartillerie nutzen.“
„Geben Sie mir Bescheid. Das will ich mir nicht entgehen lassen.“ Ein halblaute Statusmeldung im Hintergrund weckte Girads Aufmerksamkeit: „Offenbar sind die Jäger gestartet.“
„Keine Störmeldungen aus dem Hangar, Katapultstart funktioniert einwandfrei.“
„Gut. Am besten wir koordinieren unsere Zielübungen mit dem Bordgeschwader.“
„Es gab schon einige Anfragen in diese Richtung.“
Girad lächelte flüchtig: „Natürlich gab es die. Wer ist im Augenblick da Draußen?“
Die Antwort kam fast sofort: „Eine Sektion Nighthawks. Die Schwarze Staffel unter Lieutenant Nakakura. Die Butcher Bears.“ Ahn neigte manchmal dazu, mit ihren Antworten etwas zu ausführlich zu sein.
Wieder musste Girard lächeln: „Diese Weltraumjockeys und ihre Vorliebe für farbige Namen.“ Die Butcher Bears…wenn sie sich richtig erinnerte, diente dort ein Verwandter von Cochrane. Einer der immer zahlreicheren ‚Beute-Konföderierten’, die auf Seiten der TSN ihren Kampf gegen das Imperium fortsetzten. ‚Vielleicht sollte ich mich mal mit dem Jungen unterhalten.’ Dann runzelte sie kurz die Stirn: „Ein Lieutenant kommandiert die Staffel?“

***

„Und jetzt muss mir jemand erklären, warum sie ausgerechnet uns zu dieser unchristlichen Bordzeit in die Jäger jagen mussten. Ich brauche meinen Schönheitsschlaf.“
Das rauchige Kratzen in Huntress Stimme war eine Ablenkung, die Kano ignorierte: „Sie werden schon darüber hinwegkommen, Agyris. Und was Ihre Frage angeht – ich habe uns freiwillig gemeldet.“
„Warum überrascht mich das nicht…“
„Es war ein Tauschgeschäft. Dafür bekommen wir mehr Simulatorzeit für Staffelübungen.“
„Ein richtiges Schnäppchen also. Mein Enthusiasmus…“
„Schönheitsschlaf, Huntress? Wer war denn diesmal der Glückliche für deine Kill-List? Jedenfalls nicht Knight, den sollst du ja abgeschossen haben wie ein flügellahmes Akarii-Shuttle.“ Das kam natürlich von La Reine.
„Das möchtest du wohl gerne wissen? Und es geht dich überhaupt nichts an.“
„Funkdisziplin.“ Kanos Stimme schnitt durch das Wortgeplänkel: „Ich habe euch nicht eingeteilt, damit ihr den Staffelfunk für diesen…Unsinn nutzt.“
„Und warum haben Sie uns drei dann mitgenommen? Wir kommen alle aus verschiedenen Sektionen und Flights.“ schaltete sich Top Gun ein. Obwohl er erst seit kurzem dabei und aus der Konföderation war, hatte er sich mühelos in die Staffel eingefügt. Das mochte an seinen Fähigkeiten liegen, oder an seinem Charakter. Aber wer wie er aus der High Society stammte, der wusste, wie er sich in Szene setzte.
„Wir sind die Besten.“ Huntress neigte nicht zu falscher Bescheidenheit. La Reine schnaubte abfällig, enthielt sich aber eines Kommentars.
„Da haben Sie Recht, Lieutenant.“ Kano sah keinen Grund, die Wahrheit zu leugnen: „Wir haben außer Ihnen noch andere Asse in der Staffel. Und einige haben genauso viel oder mehr Erfahrung im Einsatz. Aber Sie drei haben die meisten feindlichen Flieger abgeschossen und beherrschen ihre Jäger am besten.“
„Und Sie laufen natürlich außer Konkurrenz, Sensei.“ spöttelte Huntress.
„Wenn Sie es so sehen.“ Kano kannte seinen Wert. Aber es wäre unangemessen gewesen, das zu sehr herauszustellen.
„Und auch noch bescheiden. Zumindest kann keiner im Geschwader mithalten, wenn es um verschrottete Maschinen oder Gefechtsverletzungen geht. Vielleicht Ace oder die Eisprinzessin…
Aber wenn Sie uns für irgendeine verrückte Extramission anwerben wollen, dann haben Sie sich einen komischen Ort ausgesucht. Und nach dem Donnerwetter, das Lilja für ihre Extratour kassiert hat…“
„Nichts so dramatisches, La Reine.
Sie haben vielleicht schon gehört, dass die Angry Angels die Neuindienststellung der LIBERTY mit einem Schauprogramm begleiten sollen. Eine gute Möglichkeit für Sie, ein paar Extrapunkte zu sammeln.“
„Wo wir schon die dekorativste Bemalung haben.“ stimmte Huntress amüsiert zu.

Tatsächlich hatte sich die Schwarze Staffel mit der markanten Bärenbemalung ihrer Maschinen einen gewissen Bonus bei der Außenwirkung sichern können. Darkness, der erste Befehlshaber der Butcher Bears, hatte mit dieser kleinen Extravaganz versucht, das Zusammengehörigkeitsgefühl und Elitebewusstsein der Piloten zu stimulieren. Er war damit so erfolgreich gewesen, dass einige andere Staffeln später nachgezogen hatten.

„Es ist noch nicht raus, in welchem Umfang die einzelnen Schwadronen an dieser Veranstaltung teilnehmen werden. Ich will auf jeden Fall, dass wir etwas vorzuweisen haben.“
„Und warum nur wir vier?“
„Weil es, Bonuspunkte hin oder her, Wichtigeres gibt als so eine Schaueinlage. Ich werde nicht unsere Staffelübungszeit für etwas verschwenden, das wenig mit unserer eigentlichen Aufgabe zu tun hat. Nämlich Akarii abzuschießen.“ Die übrigen Piloten der Butcher Bears konnten etwas zusätzliches Training gebrauchen. Oder hatten einfach kein Kunstfliegerpotential. Phoenix flog zu sehr wie ein Marine. Spacer hatte zwar Talent, musste aber stärker an seiner Feuerdisziplin und Zielgenauigkeit arbeiten. Marat und Sugar hingegen hätten vielleicht ein klein wenig zuviel Enthusiasmus gezeigt. Besonders Sugar neigte dazu, sich zu überschätzen. ‚Sie soll sich erst mal mit Flyboy zusammenraufen. Und was sie ganz bestimmt nicht braucht, ist noch mehr Selbstvertrauen.’
„Falls Sie allerdings hoffen, dass Sie das von ihren üblichen Pflichten befreit…“
„Ich weiß, ich weiß. Kein Grund, das jedes Mal zu wiederholen.“ La Reines Stimme klang bissig. Aber da sie wusste, dass Kanos Worte auch für ihn selber galten, fehlte ihrer Bemerkung etwas die Schärfe.
„Wir fangen am besten mit ein paar einfacheren Übungen an. Folgendes hatte ich als Einstig gedacht…“

Etwa zwanzig Minuten später waren sie Kanos Meinung nach bereit für das erste Manöver. Die vier Maschinen flogen inzwischen in einer dekorativen aber inzwischen als veraltet geltenden Diamant-Formation, die an ein auf einer Ecke stehendes Viereck erinnerte.
Auf einen knappen Befehl hin ließen die Piloten ihre Maschinen mithilfe der Manöverdüsen langsam um die eigene Achse rotieren, ohne dabei ihren Generalkurs zu ändern. Das klappte nicht völlig synchron, und Kano und Huntress mussten ihren Flugvektor etwas korrigieren. ‚Das können wir besser.’
Kanos Verärgerung verlieh seiner Stimme eine unterschwellige Schärfe, als er den nächsten Befehl bellte. Die Jäger absolvierten eine gleichzeitige Von-Bein-Wende, durch die sie plötzlich ‚rückwärts’ flogen und schossen dann in verschiedene Richtungen auseinander, nur um sich gleich darauf wieder in einer Diamantformation zu treffen, die jetzt allerdings in die entgegen gesetzte Richtung flog.
Zumindest war es so geplant gewesen. Allerdings kamen die Wendemanöver nicht völlig gleichzeitig, und La Reines Jäger geriet in gefährliche Nähe zu Top Guns Maschine, so dass er ein Ausweichmanöver durchführen musste. Zwar klappte der Abschluss des Manövers besser, aber Kano sah dennoch keinen Grund zur Zufriedenheit: „Das war bestenfalls mittelmäßig. Mit dieser Vorstellung werden wir niemanden beeindrucken. Das können wir definitiv besser.“
„Darf ich erfahren, was Sie da veranstalten, Ohka?“ schaltete sich die diensthabende Flugleitoffizierin der COLUMBIA ein. Sie klang amüsiert.
„Koordinationsflug.“ Kanos Stimme blieb etwas kurz angebunden.
„Koordinationsflug, Aha. Solange Sie nicht versuchen, zwei Nighthawks auf derselben Stelle zu parken. Sie haben schon genug Maschinen verschlissen…“ La Reine konnte sich ein Kichern nicht verkneifen.
„Ich werde Ihren Ratschlag im Hinterkopf behalten. Wenn Sie mich entschuldigen würden, wir haben beide sicherlich genug zu tun.“ Kanos Stimme lud nicht gerade zu weiteren Frotzeleien ein.
„Sie sollten das nicht so an sich heranlassen, Sensei. Wir sind nun mal keine Kunstflieger.“
„Wir sind mehr als das, Huntress.“
„Glauben Sie, in den anderen Staffeln klappt das besser?“ Top Gun klang ungläubig. Offenbar hatte er sehr schnell eine hohe Meinung von der Leistung seiner neuen Staffel entwickelt.
Kano zuckte mit den Schultern, obwohl die anderen das natürlich nicht sehen konnten. Top Gun hatte Recht. Viele Piloten würden nicht besser abschneiden. Und einige Staffelkommandeure hatten vermutlich weder den Ehrgeiz noch das Naturell, um ihre Schwadron zu Höchstleistungen in einer so nutzlosen Disziplin anzustacheln. Lilja zum Beispiel würden Defizite im Kunstflugsektor ganz bestimmt nicht um den Schlaf bringen, solange nur die Kampfleistung nicht darunter litt.
Dennoch. „Wenn ich mich mit der Entschuldigung zufrieden geben würde, dann wäre ich inzwischen tot. Oder jedenfalls kein Staffelführer, der auf das Silberne Fliegerkreuz zusteuert. Also das Ganze noch mal. Und diesmal…“

Ungefähr eine Stunde später erlaubte sich Kano ein vorsichtiges Lob: „Noch ausbaufähig, aber deutlich besser. Das reicht für den Augenblick.“
„Das hat ja fast Spaß gemacht.“ bemerkte Huntress trocken: „Sonst passiert ja sowieso nichts.“
„Seien Sie sich da mal nicht so sicher.“
„Wer sollte hier schon Ärger machen. Und ausgerechnet uns. Etwa Piraten?“
Auch wenn die Piraterie im Verlauf des Krieges stark zugenommen hatte – erst kürzlich war bei einem Überfall in irgendeinem Randsystem angeblich eine komplette Raumstation vernichtet worden – war das zugegebenermaßen eine etwas groteske Vorstellung.
„Momentan wimmelt es doch im ganzen System von Kriegsschiffen. Selbst wenn irgendein Freibeuter so dumm wäre sich einen Transporter zu schnappen, er käme niemals bis zum Sprungpunkt.
Piraten schlagen dort zu, wo sie nicht mit Widerstand rechnen müssen. Weil Sie genau wissen, dass Sie keine Chance haben, wenn sie uns vor den Bug kommen.
All unsere alten Kämpfer und ihre Piratengeschichtchen – pah!“
„Flyboy’s erster Abschuss war ein Pirat. Willst du dazu irgendetwas sagen, Huntress?“
Kano räusperte sich warnend, aber Huntress parierte La Reines Vorstoß nonchalant: „Auf keinen Fall. Erstens macht es keinen Spaß auf ihr herumzuhacken. Und außerdem gibt sie schließlich nicht damit an.“ Das war bei der schüchternen Flügelfrau von Sugar tatsächlich kaum vorstellbar.
„In der Konföderation war es früher üblich, Piloten nachrangiger Geschwader für den Schutz besonders lukrativer Ziele an einzelne Frachtunternehmen auszuleihen. Natürlich gegen eine saftige Summe. Die Piloten bekamen Einsatztraining, die Streitkräfte sparten Geld, die Piraten wurden kurz gehalten – und es kamen keine Militärwaffen in die Hände von Zivilisten. Habt ihr das eigentlich auch so gemacht?“
Kano zuckte mit den Schultern: „Wenn, dann war das vor meiner Zeit. Waren Sie…“
„Zu spät geboren. Mit Kriegsbeginn hat man das zurückgefahren. Man brauchte die Piloten woanders.
Jedenfalls…Das schlimmste, auf was wir hier draußen stoßen können, sind ein paar Schrotter oder Aasgeier.“ Top Gun klang fast bedauernd.

Tatsächlich war das illegale Ausschlachten von Raumschiffwracks zu einem echten Problem geworden. Eigentlich sollten Marineeinheiten oder speziell lizenzierte Unternehmen die Bergung der republikanischen und imperialen Wracks übernehmen. Aber das Bergungsgut – Rohstoffe, Militärtechnik und ‚Trophäen’ für den Handel mit Kriegsrelikten – war einfach zu verlockend. Da die Gefahr bestand, dass dadurch schwere Waffen oder Akarii-Hightech in die falschen Hände geriet, waren die offiziellen Stellen mehr als ein bisschen besorgt. Hohe Geld- und auch Gefängnisstrafen sollten dem Treiben der illegalen Bergungsoperationen ein Ende setzen, bisher mit nur begrenztem Erfolg.

„Ich hätte nichts dagegen, ein paar dieser Leichenräuber einzukassieren.
Außerdem vergessen Sie die Akarii.“
„Die sind doch inzwischen längst über alle Berge. Sie haben erreicht, was sie wollten. Na ja, fast. Es wäre Wahnsinn, zurückzukehren. Nachdem sie die Hälfte ihrer Träger verloren haben…“
„Es hat ja auch keiner glauben wollen, dass sie überhaupt hier auftauchen. Wenn Sie zum Beispiel Verstärkung heranführen…“, Kano überlegte kurz, dann schüttelte er den Kopf: „Nein, das wäre dumm. Dann hätten sie gewartet und mit vereinter Stärke zugeschlagen.“
„Und deshalb sind wir hier draußen ungefähr so nützlich, wie Titten an einem Akarii.“
„Sehr eloquent, La Reine.
Aber wir können die Flugpraxis gebrauchen. Sogar Sie. Und außerdem könnten die Imperialen uns ein paar Andenken hinterlassen haben.“
Vor kurzem hatte es in der Umlaufbahn von Masters einen schweren Frachterunfall mit einem halben Dutzend Verletzter gegeben. Es war immer noch nicht ganz klar, ob der Transporter mit einer leichten Raummine oder einem Blindgänger zusammengestoßen war. Aber beide Möglichkeiten sorgten für Nervosität und erhöhte Wachsamkeit.

„Schwarz Eins, mein Radar hat da ein paar Reflexe am Rande des Erfassungsradius. Vermutlich Weltraumschrott, aber…“
„Erlaubnis für kurzen Inspektionsflug, Top Gun. Und seien Sie vorsichtig.“

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12.11.2015 17:44 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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Es gibt eine Redensart, die besagt, Piloten werden nicht älter, sondern besser. Ich wünschte es wäre so. Bei Gott, ich wünschte es wäre so.
Heute fühle ich mich hingegen wirklich alt, dabei haben wir nur bis 2 Uhr morgens Karten gespielt und Bier getrunken.
Der Blick in die Dienstakten meiner zukünftigen Staffelführer hat auch nicht geholfen.
Ich weiß zwar nicht, wer diese Wahnsinnsidee hatte aber die Angry Angels sind eines der besten Geschwader der Flotte, was zur Hölle soll ich dort bewirken?
Mein ganzes Leben lang habe ich nichts anderes getan als dass, was ich als meine Pflicht ansah und in der Regel hat das auch immer ausgereicht. Ich weiß halt nicht, ob ich noch in der Lage oder gar willens bin, noch eine Schippe drauf zu legen. Zumal fraglich ist, ob sich etwas mehr reinknien für die Angry Angels ausreicht.

Persönliches Tagebuch
Jules Stafford, zwei Tage vor Dienstantritt als Geschwaderführer der Angry Angels
Erster und einziger Eintrag


Büro des CAG
TRS Columbia

„Lieutenant Commander Helen Mitra meldet sich zurück an Bord.“
Irons konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als sie sich erhob und den Salut erwiderte. Anschließend ging sie um den Schreibtisch herum und gab der jüngeren Frau die Hand: „Schön sie wieder bei uns zu haben Kali, als ich hörte, dass Sie sich auf Victoria Station melden sollten, hatte ich schon Angst Sie wieder los zu sein. Stattdessen bekomme ich einen Lieutenant Commander zurück. Herzlichen Glückwunsch, aber bitte nehmen sie doch Platz.“
„Danke, Ma’am“, die Inderin setzte sich und blickte sich im Raum um, „stimmt es, dass sie hier tatsächlich nur den Stuhl warm halten?“
„Ja aber bevor sie fragen, auf eigenen Wunsch“, auch Irons nahm wieder Platz und fuhr sich über ihr ungewohnt kurzes Haar, „was aber auch das ein oder andere Problem mit sich bringt.“
„Probleme welcher Art?“
„Nun, die nächsten zwei Wochen werden wir noch etwas hm, provisorisch aufgestellt sein. Ich werde sie in der roten Schwadron parken, dort werden sie für Mantis den XO spielen müssen.“
Kalis Gesicht zeigte deutlich, was sie davon hielt.
„Das ist für mich die einzige Möglichkeit, unserem neuen CAG und allen potentiellen Staffelführern die Tür aufzuhalten. Ich könnte sie natürlich der schwarzen Staffel zuteilen, damit wäre aber Kanos Chance auf eine Beförderung fürs erste hinfällig.“
„Verstehe, danke.“
„Danken Sie mir noch nicht, wenn Commander Stafford an Bord kommt, kann das große Personalroulette nochmal angeworfen werden und für einige von uns ziemlich bitter enden. Und ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wen ich letztlich für welche Posten empfehlen soll. Qualifiziert sind sie alle und verdient haben sie den Chefsessel auch.“
„Auch Mantis?“ die Frage kam Kali bissiger über die Lippen als beabsichtigt. Mantis war immer eine gute und sympathische Kameradin gewesen und der Mangel an Engagement, der war ihr aufgrund der familiären Situation auch nachgesehen.
„Tatsächlich auch Mantis und Stuntman wäre der XO-Posten auch zu wünschen.“
„Wem?“
„Cartmell, neues Callsign.“
Kali schnaufte gespielt: „Unter Lone Wolf wäre das nie passiert.“
„Als XO und Interims-CAG habe ich ja auf so einigen Zugriff. Cunningham hat dem Beförderungsvorschlag eine vierseitige Empfehlung beigelegt und darin fast jeden Präzedenzfall vorgebracht den es gibt um Cartmells Beförderung zum Senior durchzuboxen. Es ist ziemlich erstaunlich, wie viel Energie dieser Mann für hm, Herzensangelegenheiten aufbringen konnte.“
„Ja, wenn Lone Wolf durch die Wand wollte, wäre es für die Wand ratsam gewesen auszuweichen.“
„Ja, das könnte man so stehen lassen“, Irons lehnte sich zurück und musterte die Inderin kurz, „aber noch eine Sache. Es hat sich herum geschwiegen, dass Sie und Kano, naja, davon sollte ich besser nichts wissen. Viel wichtiger ist aber, dass der neue CAG da besser nur vernachlässigbare Gerüchte aufschnappt und die Sache offiziell ignorieren kann. Sie verstehen, worauf ich hinaus will?“
„Einer von uns soll den Ring abnehmen?“
Irons nickte.
„Ist das ein Befehl, Commander?“ Obwohl sie wusste, dass diese Frage Unsinn war, musste Helen sie stellen.
„Natürlich nicht“, antwortete Irons und etwas Stahl hatte sich in ihre Stimme geschlichen, „es ist ein gut gemeinter Ratschlag, ehe ich oder viel mehr unser zukünftiger Geschwaderführer etwas zur Kenntnis nehmen muss, dem man nachzugehen hat. Einer von ihnen beiden könnte sich ansonsten auf Masters wiederfinden. Captain Crawford sucht noch erfahrene Staffelführer.“
„Ist angekommen, Ma’am.“
„Gut, dann melden sie sich jetzt am besten bei Mantis und richten sich mal etwas ein.“
„Aber nicht zu sehr.“
„Nein, wohl besser nicht“, musste Irons der jüngeren Pilotin zustimmen.
Mit einem längeren Pfeifen aus dem Lautsprecher wurde eine allgemeine Durchsage angekündigt. Sekunden später informierte Captain Ahn die Besatzung, dass die Columbia die Umlaufbahn von Seafort jetzt verlassen und man sich in zwei Wochen mit der Liberty treffen würde.

Nachdem Kali das Büro verlassen hatte, widmete sich Irons wieder dem Posteingang. Ankündigung für alle Führungsoffiziere, Staffelführer und Geschwaderressortoffiziere: Am Tag nach der Indienststellung der Liberty, großes Galadinner in Anwesenheit der Ministerpräsidentin von Masters, sowie des kommandierenden Admirals der 5. Flotte. Empfang der Prominenz mit vollen militärischen Ehren auf dem Hangardeck. Kleiner Imbiss in der Admirals-Lounge, anschließende Schiffsbesichtigung mit Pressetermin, anschließend Galadinner mit Ordensverleihung. Anweisung: Dinner-Dress, White.
Irons musste grinsen: Wie schön, dass Lilja im Rampenlicht immer etwas bescheidener wirkt als sie wirklich ist.
Dann wurde sie sich wieder ihres neuen Haarschnittes bewusst und ihr Grinsen verblasste: „Mann, werde ich auf den Fotos Scheiße aussehen.“


Flugdeck
TRS Columbia

Matt Dodson blickte seinen Technikern in die Augen. Jungen Burschen, in roten Overalls, der Waffenwarte: „Drei, zwei, eins: LOS!“
Dodson betätigte die Stoppuhr und begutachtete, wie seine Leute die im Bereitstellungsraum stehenden F-108 A Falcon Abfangjäger besaß acht Waffenhalterungen für die Raketen.
Jeweils zu dritt machten sich die Techniker daran, eine Rakete unter die Flügel zu heben und zu befestigen.
Die Bodencrew der Angry Angels galt nach der reinen Statistik mehr noch als das eigentliche Geschwader als die Elite der Flotte.
Das Problem an der Geschichte war nur, diese Statistik war so falsch wie es nur ging und die entsprechenden Vorschriften für den Geschwaderbetrieb waren gebogen, gedehnt, gebrochen und ignoriert worden, wo man nur konnte.
Cunningham hatte das wenig interessiert. Die Staffelführer waren sogar halbwegs damit zufrieden und Raven, die war nicht lange genug Geschwaderführerin gewesen um sich dafür zu interessieren.
Dodson hingegen wusste von jedem falschen Pinselstrich. Jede nicht gemachte Inspektion konnte er benennen, jeden nicht eingehaltenen Ruhezyklus seiner Mannschaften, jede einzelne nicht berechnete Überstunde.
Ging man nach den reinen Vorschriften der Navy könnte Dodson das Geschwader innerhalb von zwanzig Sekunden lahm legen.
Seine Techniker waren total überarbeitet, fast fünfzehn Prozent unterbesetzt und bei vierzig Prozent der Jäger fehlten ein, zwei, wenn nicht drei vorgeschriebene Generalwartungsdurchgänge.
Und tatsächlich war er kurz davor diesen Schritt zu tun. Jedoch nicht während Irons Wache aber der neue erste Offizier der Columbia war ihm dermaßen auf die Füße getreten, dass er ihm am liebsten vor den Schreibtisch geschissen hätte.
Ja, klar, Stacy hatte auch tatsächlich echte Missstände aufgedeckt und wenn er mit dem Verantwortlichen fertig war, der bei jeder Durchsicht im letzten halben Jahr den Handfeuerlöscher bei der Hauptladebucht für die Raumkampfraketen, der nur zu einem Drittel gefüllt war, als in Ordnung in die Liste eingetragen hatte, dann würde der sich wünschen Kiel geholt worden zu sein; ohne Raumanzug.
Dodson stoppte die Uhr als der letzte seiner Munitionswarte von der Falcon zurücktrat. Die Zeit war fast akzeptabel aber eben nur fast. Natürlich, mussten wieder neue Leute eingearbeitet werden.
Einer von Ihnen, der an zigtausend Real teuren Raketenschraubte war knapp über siebzehn und sah eher aus wie fünfzehn.
Tom Mackensen mit seinen sechsundzwanzig Jahren war ein gestandener Veteran, abgebrüht wie sonst kaum einer, ein Experte im Dosenreißen im halb Liter Segment. Brüllte und Fluchte wie ein alteingesessener Frachtspacer. Vier Belobigungen und immer ein Hervorragend in der Halbjahresbewertung. Konnte sogar der Eisprinzessin in die Augen blicken ohne sich einzuschiffen. Auf Landgang hingegen war er kaum in der Lage eine Frau anzusprechen, so schüchtern war er.
Der Chief überprüfte jede einzelne Rakete, wie es gleich der Pilot noch wiederholen würde. Machte auf zwei Fehler aufmerksam und stauchte den entsprechenden Waffenwart zusammen, dass es in der Privatwirtschaft für eine Klage vor dem Arbeitsgericht gelangt hätte.
Dann wurde die F-108 an den Handler und den Crewchief übergeben, welche sie für den Alarmstart fünf bereitstellen und an den Piloten übergeben würden.
Als nächstes wandte er sich den nächsten beiden Falcons vor, welche für die CAP – Combat Air Patrol – eingeteilt waren.
Selbes Spiel, Aufmunitionieren, Zeit messen, kontrollieren und wieder nachbessern. Natürlich waren die Zeiten ebenfalls nicht ausreichend. Aber dafür waren diese Durchgänge ja da, Dodson hatte mit Absicht das weniger erfahrene Personal eingeteilt.
Schließlich kamen zwei Griphens dran für die vorgelagerte CAP und beinahe wäre es zum Desaster gekommen, als zwei Waffenwarte beinahe eine AMMRAM hatten fallen lassen. Dodson brauchte jedoch nicht zu brüllen, sein Blick musste den beiden Kid’s mehr gesagt haben als tausend Worte.
Ja, wir sind die Elite der Flotte.
Schließlich kamen vier von Okhas Nighthawks dran. Die Staffelführer führten im Augenblick fast einen Kleinkrieg um reale Übungsfluge durch.
Zur Einsparung von Treibstoff wurden die Überlegenheitsjäger nur teilbestückt. Nur sechs der üblichen zehn Raketen. Die Zeitabnahme war eigentlich überflüssig, aufgrund des Aufbaus der Raketenhalterungen verfälschte die kleinere Bestückung jedes Zeitmessen, da einige der schwierigeren Handgriffe für die hinteren und inneren Halterungen wegfielen aber man musste das Personal ja in Schwung halten.
Im Anschluss würde er selbst und seine Veteranen einige Übungen durchführen müssen. Black Hawk hatte es geschafft für morgen eine Freigabe zum Flug mit Rauchbehältern zu bekommen und keiner seiner Leute hatte in den letzten Jahren jemals so ein Ding an einer Griphen oder einem anderen Jäger befestigt.
Er selbst hatte nicht schlecht geguckt, als die Anfrage kam. Dass sich die Rauchbehälter im Inventar-Verzeichnis des Geschwaders befunden hatten, hatte ihn ja nicht weiter gewundert. Dass sie hingegen tatsächlich vorhanden waren dafür umso mehr.
Die Behälter, sowie die Füllstoffe, hatte an dem Punkt gelegen, wo man sie eingelagert hatte, als die Columbia in Dienst gestellt worden war; originalverpackt.


Brücke
TRS Columbia

Commander Charles Stacy schlich förmlich hinter den Offizieren und Brückengasten hin und her. Seine Augen huschten über die Konsolen und er glaubte jede kleine Ungenauigkeit, jedes noch so kleine Fehlerchen und viel Schlimmer jede Nachlässigkeit erkennen zu können.
Tatsächlich war Charles so weit Realist, dass er wusste, nicht alles erkennen und aufnehmen zu können. Er war letztlich genau so fehlerhaft wie jeder andere; naja, bei weitem nicht genau so. Aber und das war das wichtige, so etwas mussten die Untergebenen nicht merken.
Alles was er übersah konnte er mit einem leichten Räuspern oder einem wissenden Blick herausfinden.
Die nächsten vier bis sechs Wochen würde die Crew der Columbia durch ihre persönliche Hölle gehen. Sie würden ihn als Zuchtmeister kennen und fürchten lernen.
Es würde schlimm und hässlich werden, ehe er eine kameradschaftliche Bindung zu diesen Frauen und Männern aufbauen würde.
Die Columbia war seine große Chance, sein Sprungbrett. Er hatte sich keine großen Gedanken darüber gemacht, dass ihm das Kommando über eine Fregatte entgangen war.
Dies war ein Sprungbrett und wenn er nicht genau solchen Murks baute wie sein Vorgänger, wäre sein erstes eigenes Kommando sicherlich ein moderner Zerstörer, vielleicht sogar mit ganz viel Glück ein leichter Kreuzer.
Hier an Bord dieses Kronjuwels der Flotte unter den Augen einer Admiralin wie Vanessa Girad konnte man sich wirklich profilieren, wenn er die ersten vier bis sechs Wochen überleben würde. Vier bis sechs Wochen reine Terrorherrschaft und die Mannschaft würde ihm aus der Hand fressen, wenn er die Zügel etwas lockerer ließe.
Das einzige Problem, welches die Columbia parat hielt waren Piloten. Um ihre Unabhängigkeit und ihren Freigeist bemühte Piloten. Und wie mit Terroristen konnte man mit Piloten nicht verhandeln. Gefangene durfte man dabei auch nicht machen.
Mit Irons hatte man so schön einfach fertig werden können, sinnierte Charles, doch der neue, der war Pilot nach der Schule Sandoval wie es so schön hieß. Darüber hinaus alt und hatte nichts zu verlieren. Andererseits kam dieser Stafford gerade zurück vom Abstellgleis und welcher alte Gaul wollte schon zurück zum Abdecker, dem er gerade entkommen war?
„Commander, die Zerstörereskorte kommt von Backbord auf, Sir.“
„Ausgezeichnet, Mr. Anderson“, gerade noch pünktlich mein Junge, „instruieren sie die Eskorte auszuschwärmen und Begleitposition einzunehmen.“
„Aye-aye, Sir!“

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Wovon Piloten träumen

TRS Columbia, Sterntor-System, auf Transitkurs

Lieutenant Commander Tatjana Pawlitschenko gehörte nicht zu den Menschen, die für ein schlampiges Erscheinungsbild im Dienst bekannt waren. Sie trat fast immer vorschriftsmäßig auf. Einige behaupteten, dass das ihrem zwanghaften Drang zum Perfektionismus entsprach, um andere Defizite zu überdecken. Vielleicht auch, wie sie selbst beteuert hätte, weil sie als Gleichrangige oder Offizierin immer Vorbild sein sollte und musste, und weil Nachlässigkeit auch in Kleinigkeiten ihrem Anspruch nicht genügte. Was auch immer der wahre Grund war, die Russin konnte ein beeindruckendes Bild militärischer Perfektion und lehrbuchartigen Verhaltens bieten. Besonders wenn sie sich Mühe gab. Und dies tat sie im Moment - es gab nicht eine Falte an ihrer Dienstuniform, die Anlass für Kritik hätte geben können. Ihr ganzes Auftreten, Gestik, Mimik und Stimme, waren mustergültig zu nennen, respektvoll, diensteifrig - alles, was sich ein Vorgesetzter wünschen könnte. Einzige Ausnahme war möglicherweise ihr Haar, der lange, straff geflochtene Zopf - aber bei Frauen bestand niemand auf Millimeterrasur. In letzter Zeit trugen mehrere Pilotinnen und auch einige Angehörige der Schiffscrew aus Protest gegenüber kleinlichen Beschwerden über die Haarlänge eines ihrer männlichen Kameraden ihre Haare kurz geschoren. Aber dergleichen wäre Lilja nie in den Sinn gekommen. Zwar hielt sie das Pochen auf solche Vorschriften insgeheim für kleinlich. Aber halboffener Protest gegen Vorschriften war nicht ihre Sache, sie betrachtete ihn einfach als Kraftverschwendung.
Doch wenn Commander Charles Stacy sich durch Liljas Auftreten geschmeichelt fühlte - er war nicht so dumm, dass er nicht gewusst hätte, wie viele Piloten über ihn dachten - ließ er es sich nicht anmerken: "Ihre Argumente mögen stichhaltig sein. Aber das ändert nichts daran, dass Ihr Untergebener sich mehrerer Disziplinlosigkeiten schuldig gemacht hat, die inakzeptabel sind. Und ich habe den Eindruck, dass in diesem Geschwader ohnehin einiges im Argen liegt, dass in der Vergangenheit zu viel unter den Teppich gekehrt wurde. Es ist eine Unart, Tadel nur zu schreiben, aber sie nicht auch in die Akte einzutragen. Die Folge ist, dass sich die Piloten zunehmend einbilden, sie stünden über den Regeln. Besonders die aus besserem Hause. Denken Sie, ein einfaches Besatzungsmitglied käme in den Genuss einer solchen Vorzugsbehandlung? Und angesichts der Vergangenheit des Schuldigen halte ich es für angebracht, hier mit der nötigen Strenge vorzugehen. Wenn es etwas gibt, dem wir neben der militärischen Disziplin verpflichtet sind, dann ist es Gerechtigkeit." Mancher hätte das Gesicht bei diesen Worten verzogen. Sie hätten leicht selbstgerecht wirken können, und nicht wenige Besatzungsmitglieder der Columbia hätten bezweifelt, dass Commander Stacy tatsächlich wusste oder sich darum kümmerte, was Gerechtigkeit wirklich war.

Aber wenn Lilja so dachte - oder wenn sie sich angegriffen fühlte durch den Vorwurf, in dem Geschwader würde zu viel unter den Teppich gekehrt - so ließ sie sich nichts anmerken. Ihre Haltung blieb mustergültig, ihre Worte respektvoll: "Sie haben natürlich Recht. Aber ich bitte Sie noch einmal die möglichen Konsequenzen und die Umstände zu bedenken. Wenn Sie einen Tadel auf Bewährung als unzureichend betrachten, dann erlauben Sie mir, eine mehr...informelle Art der Bestrafung zu verhängen. Ich nehme an, Sie kennen meinen Ruf unter den Piloten, und wissen, dass dies kein leeres Versprechen ist. Die Bestrafung wäre substanziell, und sie wäre erheblich, auch wenn sie sich nicht in der Akte des Lieutenants niederschlägt. Und es würde bedeuten, dass ich die Verantwortung übernehmen - sowohl für die Bestrafung, als auch für ihren Erfolg. Nicht nur Ihnen gegenüber, sondern auch gegenüber dem Geschwader. Aber Lieutenant Alexander hat Potential, und ich möchte dieses Potential nicht schmälern oder gar verlieren. In seiner momentanen Verfassung könnte dies aber leicht passieren - und das ist nichts, was wir auf die leichte Schulter nehmen sollten. Nicht nach den hohen Verlusten unseres Geschwaders. Unter den vorliegenden Umständen ist sein Verhalten zwar schärfstens zu missbilligen, aber meiner Meinung nach nicht unverzeihlich, Sir."
Es war vermutlich nicht der Appell der Russin, der Commander Stacy überzeugte. Aber wenn eine Staffelchefin wie Lilja ihm etwas schuldete, konnte das nur nützen. Und ihre Argumente WAREN stichhaltig. Wenn sie die Bestrafung dieses...Knight...schleifen ließ, konnte er es sich immer noch anders überlegen. Dann erschien er als großzügig, immerhin hatte er ja zunächst ein Stück weit nachgegeben. Und wenn sie es mit der Bestrafung übertrieb - und das war gut möglich, denn nach allem, was er gehört hatte, hielt die Russin ihre Piloten wie ein Zar seine Leibeigenen - dann war sie es, die die Vorwürfe dafür erntete. In jedem Fall würde sie kaum in der Position sein, gegen ihn zu intrigieren, wie er es bei einigen ihrer Kollegen vermutete.
"Also gut, Lieutenant Commander..." er betonte ihren niedrigeren Rang: "Wir haben einen Deal. Nehmen Sie das als ein Entgegenkommen meinerseits, aber ich betone, dass so etwas ein einmaliges Ereignis ist. Sorgen Sie dafür, dass ich es nicht bereue, ihrem Wort geglaubt zu haben, oder die Karriere Ihres Untergebenen ist das geringste Problem, um das sie sich sorgen müssen."
"Jawohl, Sir. Danke." Das war von einem zackigen Salut begleitet, der einem Rekruten Ehre gemacht hätte. Andere Offiziere hätten bockig reagiert, wenn ihnen ein Vorgesetzter drohte, aber nicht die Staffelchefin der Grünen, zumindest nicht hier und heute.

Draußen, der Demütigung endlich entronnen, ließ sich Lilja für einen Moment gegen die Wand sacken. Aber sie wirkte gewiss nicht kraftlos, als sie sich wieder aufrichtete, sondern eher geladen und kurz vor einer Explosion. Die Russin schürzte ihre Lippen, als habe sie einen schlechten Geschmack im Munde, den auszukosten sie in allen Nuancen gezwungen sei. Sie straffte sich, ihre Augen schossen Blitze, die den Kanonen ihres Jägers Ehre gemacht hätten. Wenn sie so aussah, ging man ihr besser aus dem Weg. Dumm war nur, dass es in solchen Momenten meistens jemanden gab, der dies nicht konnte, denn in ihrem Zorn war die Russin so zielsicher wie eine ihrer Lieblingsraketen, den schnell schaltenden und schwer abzuschüttelnden AIM 54.
Das Ziel des Zorns, Second Lieutenant Evan Harold Alexander alias Knight, stand schon Habacht als die Russin in ihr Büro stürmte, wo sie ihn während ihrer Besprechung mit Commander Stacy hatte warten lassen. Das rettete ihn allerdings nicht vor einem mörderischen Blick. Mit Liljas Stimme hätte man sich rasieren können, so scharf war sie, und die Temperatur ihrer Worte bewegte sich irgendwo um den absoluten Nullpunkt.
"Also Lieutenant - was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht! Oder halt, sagen Sie es mir nicht. Sie haben überhaupt nicht gedacht! Das wäre idiotisch, aber immer noch besser als die Alternative." Die Russin marschierte vor dem Piloten auf und ab, der ihr schweigend mit den Augen folgte: "Verstoß gegen die Grußvorschriften - schlimm genug, wenn es um Commander Stacy geht - und dazu auch noch vorlautes und respektloses Verhalten? Was ist in Sie gefahren? Ich habe gerade Ihre Beförderung zum Senior Grade befürwortet, habe sie loben lassen - und nun das? Ist Ihnen mein Lob zu Kopf gestiegen? Vertragen Sie das nicht? Ich hatte Sie nicht für jemanden gehalten, dem man prinzipiell in den Hintern treten muss - sollte ich mich da vielleicht geirrt haben? In Ihrer ganzen bisherigen Karriere seit der Wiedereingliederung in die Streitkräfte haben Sie sich nichts Derartiges geleistet - und jetzt machen Sie so eine Dummheit?"
Sie blieb stehen und fixierte ihren Untergebenen: "Ist Ihnen klar, wie sich das in ihrer Akte auswirken kann, für ihre Karriere?" Sie schnaubte: "Egal ob der Vorwurf eigentlich eine Lappalie ist. Etwas, das ein guter Offizier mit ein paar Worten, schlimmstenfalls mit einem mordsmäßigen Anschiss aus der Welt schafft. Gerade Sie sollten wissen, dass gerade jetzt, in Bezug auf Commander Stacy und auch in Bezug auf Sie selbst nichts normal ist."
Knight entspannte sich innerlich etwas. Mit den letzten Worten hatte Lilja verraten, dass sie im Grunde nicht wirklich auf Knight wütend war, wegen dem, was er getan hatte - sondern wegen der Auswirkungen, an denen er nicht allein schuld war.
Er räusperte sich, seine Stimme war eine Mischung aus Zerknirschung und Bitten: "Ich weiß, ich habe einen Fehler gemacht. Es tut mir aufrichtig leid. Vor allem Ihnen gegenüber. Ich weiß nicht, was mit mir los war."
Lilja lachte bellend: "Knight - denkst du wirklich, ich wüsste nicht, dass du derjenige in der Staffel bist, der am besten Reue heucheln kann? Immerhin hast du dich aus dem Knast herausgeredet und deine Bewährungskommission überzeugt. Also spar dir das - und erzähl mir nicht, du wüsstest nicht, warum du momentan so drauf bist."
Der Brite biss die Lippen zusammen. Das hatte er befürchtet, aber er wusste nicht recht, was er antworten sollte.
Lilja schüttelte den Kopf, fast bedauernd: "Sei froh, dass Stacy DAVON nichts weiß, sonst hätte ich wohl kaum etwas für dich tun können. Dein Glück ist, dass Stacy neu ist, und bei seinem Charakter nicht viele hat, die mit ihm plaudern. Aber ICH bin nicht Stacy. Soll heißen, ich weiß, worum es geht - Huntress hat dich abserviert. Und du weißt nicht, wie du damit umgehen sollst, weil eure Beziehung, weil SIE dir etwas, eine Menge bedeutet hat - und immer noch bedeutet."

Knight war froh, dass die Russin anscheinend keinen Kommentar von ihm erwartete. Er war sich nicht sicher, ob er seiner Stimme und seinen Worten im Moment trauen konnte. Und die Dinge von jemand anderem ausgesprochen zu hören, machte die Sache nicht leichter. Sie hatte natürlich Recht. Huntress hatte vor einer Woche mit ihm Schluss gemacht - freundlich, aber bestimmt, ohne eine Vorwarnung, und mit einer schmerzlichen Endgültigkeit. Sie hatte ihm gesagt, dass sie den Eindruck hatte, er würde sich von ihrem...Arrangement...offenbar mehr versprechen, als gut wäre. Und deshalb wollte sie die Sache beenden, ehe es unangenehm würde. Es war nett, solange es dauerte, aber nun...
Allein der Gedanke an ihre Worte bereitete ihm Übelkeit. Er hatte nach Worten gesucht, um sie umzustimmen, aber was ihm eingefallen war, hatte nichts geholfen. Es war ja nicht so, dass Huntress die Beziehung beendet hatte, weil er ihr nicht gesagt hatte, er liebe sie - wie sehr, das war ihm so richtig erst in diesem Moment klar geworden - sondern gerade WEIL sie gespürt hatte, in welche Richtung sich seine Gefühle entwickelten. Seitdem fühlte er sich...leer. Es mochte abgeschmackt und platt klingen, aber mit einmal schien jede Farbe, jeder Geschmack und jedes Gefühl außer Enttäuschung aus seinem Leben verschwunden zu sein. Und wenn er immer schon glaubte, es würde besser, war da immer ein Moment, in dem er vergaß, dass sie nicht mehr zusammen waren. Morgens, wenn er aufwachte, manchmal, wenn er träumte, und manchmal auch tagsüber - und dann traf ihn die Erkenntnis, dass es vorbei war, erneut mit aller Härte. Es half nichts, dass er genau diese Situation mehr als einmal mit vertauschten Rollen erlebt hatte. Wenn die Frauen, die er so abserviert hatte, etwas Ähnliches gefühlt hatten, dann wunderte er sich, dass ihm sein Verhalten lediglich ein oder zwei Kinnhaken eingebracht hatte.
Er hatte seinen Dienst getan - gut sogar, denn das lenkte ihn wenigstens von anderen Gedanken an. Und es gab mehr als genug zu tun, dafür hatte Lilja gesorgt. Der Russin war es trickreich gelungen, die Stallions in Bezug auf Echtflüge fast an die Spitze zu hieven. Sie hatte ihre kurze Bekanntschaft zu Captain Crawford genutzt, der jetzt die Systemkampffliegerverbände neu aufbauen musste. Dafür, dass sie und ihre besten Piloten seinen zusammen gewürfelten Scharen bei Langstreckenübungen als "Gegner" zur Verfügung standen, legte der Commander ein gutes Wort für sie ein und verschaffte ihrer Staffel die maximale Priorität, soweit er das als Außenstehender beeinflussen konnte. Aber da praktisch alle Offiziere bis hoch zur Interims-CAG irgendetwas von ihm wollten, hatte er so seine Möglichkeiten.
Aber wenn Knight nicht gerade flog, seine Maschine wartete oder an Einsatzbesprechungen und Kursen teilnahm, in dem, was man Freizeit nannte... Er wusste, dass er sich in Selbstmitleid geradezu suhlte, so wie in den ersten Wochen nach seiner Verhaftung und nach dem Urteil. Ein Verhalten, das eigentlich zutiefst jämmerlich war. Aber den eigenen Zustand zu erkennen, und etwas dagegen zu tun waren zwei sehr verschiedene Dinge. Und wenn er daran dachte, dass er im Schiff Huntress begegnen konnte... Gekränkte Eitelkeit kam auch hinzu, wozu dies leugnen? Abserviert zu werden war ihm noch nicht oft passiert, und Huntress schien es wirklich sehr leicht zu fallen, ihn zu ignorieren.
In dieser Verfassung war er Commander Stacy über den Weg gelaufen, hatte ihn übersehen - oder übersehen wollen - und auf den scharfen Anraunzer wegen ausbleibender Ehrbezeigung nicht ganz...angemessen reagiert. Mit bekannten Folgen.

Liljas Stimme klang jetzt nicht mehr so scharf: "Egal, was ich von der ganzen Sache halte..." Gnädigerweise verzichtete sie darauf, Knight zu erinnern, dass sie ihm etwas in der Art prophezeit hatte: "Ich rechne es dir hoch an, dass dein Dienst nicht darunter leidet. Denn DAS würde ich dir wirklich übel nehmen. Aber, wie du gesehen hast - es geht nicht nur um den täglichen Einsatzbetrieb. So wie die Stimmung gerade ist, musst du JEDERZEIT hundertprozentig bereit sein."
Unter normalen Umständen hätte Knight nur ergeben genickt. Aber eine Bemerkung konnte er sich nicht verkneifen: "Du meinst, weil Lady Stacy gerade ihre Tage hat?"
Er hätte sich am liebsten auf die Lippen gebissen, als ihm diese Worte rausrutschten. Erstens sagte man so etwas nicht zu einer Frau, nicht einmal zu einer so dickfelligen wie Lilja. Und zweitens hatte ihn Lilja gerade wegen seiner zu großen Klappe angeraunzt. Die Retourkutsche ließ dementsprechend nicht lange auf sich warten.
"Dann ist SIE..." Der Familienname des XO der Columbia, Stacy, hatte einige Piloten zu sehr bösen Witzen veranlasst, weil er ihrer Meinung eher zu einer Tänzerin als zu einem ehrpusseligen Karriereoffizier passte: "…offenbar nicht die einzige. Oder wie soll ich dein Verhalten interpretieren, hm?" Knight senkte nur den Kopf. Er wollte sich nicht streiten. Ein Gift-und-Galle-Wettbewerb mit Lilja war so spaßig wie ein Simulatorfight oder eine Runde Nahkampftraining mit ihr. Die Russin war einfach so hart gesotten und auf Bestleistung getrimmt, außerdem weigerte sie sich, sich geschlagen zu geben. Und im Moment brauchte er ohnehin ihre Hilfe. Er beschloss, das Thema lieber nicht zu vertiefen.
"Also Commander, was haben Sie denn nun erreicht? Bekomme ich nur ein Dutzend mit der Neunschwänzigen oder werde ich gleich gekielholt?" Diese nautischen Anspielungen aus bester britischer Flottentradition waren vermutlich an eine Frau aus dem Innern Russlands verschwendet, und Lilja zeigte denn auch wenig Reaktion.
"Was ich erreicht habe? Frage dich lieber, WIE ich es erreicht habe. Du schuldest mir eine MENGE - nicht nur, dass ich vor dem Commander kriechen musste, ich habe ihn auch noch nach Strich und Faden angelogen. Habe auf deinen Weltraumspaziergang hingewiesen, der Tote in unserer Staffel sei dein bester Freund gewesen, blablabla. Man müsse Verständnis haben mit deiner psychischen Verfassung, bei all dem Schock und so. Wie gesagt, du hast Glück, dass Stacy neu ist und niemanden hat, der ihn aufklärt. Sonst wäre das nicht so gut gelaufen." Sie schnaubte: "Du bist vom Haken, aber nur gerade so. Der Eintrag in der Akte wird erst einmal zurückgehalten. Aber du kannst wetten, dass der Commander dich auf dem Kieker hat - dich und ungefähr fünf Dutzend andere, aber werd' nicht übermütig. Und noch was - ich habe ihm versprochen, dass ich dich schleife, bis zu nicht mehr weißt ob du noch auf Erden oder schon im Fegefeuer bist. Und zu deinem Besten sollte ich das auch tun, zumindest zur Hälfte." Sie wartete auf Protest, aber es kam keiner. Dennoch sah sie sich veranlasst zu erklären: "Erstens traue ich es Stacy zu, dass er rumspioniert. Und je schlechter gelaunt du aussiehst, oder wenn der eine oder andere im Geschwader über mich meckert, desto glaubhafter wird, dass ich mich der Sache auch annehme." Dass sie beide dem Commander zudem etwas schuldeten, erwähnte sie nicht, das war ohnehin klar. In den Streitkräften lief viel über gegenseitige Gefälligkeiten, und wenige Schulden wurden NICHT eingefordert.

Knight gehörte nicht zu den Menschen, denen Disziplinarmaßnahmen neu waren. Nicht nur im Gefängnis, auch in seiner Zeit als Bewährungspilot hatte er gelernt, dass man manchen Strafen einfach nicht entging, sondern sie einfach hinnahm. Und im Moment war leichter Dienst das letzte, was ihm am Herzen lag: "Also, was steht mir denn nun bevor?"
Lilja fixierte einen Punkt in der Luft an, während sie eine Liste abarbeitete: "Nun, ich werde dafür sorgen, dass deine Freizeit drastisch reduziert wird. Soll heißen, ich brumme dir Strafrunden im Simulator auf, und wann immer es Bereitschaft oder Langstreckenflüge gibt, bist du meine erste Wahl. Ich werde Sorge tragen, dass die technische Abteilung täglich für ein, zwei Stunden auf deine Dienste zurückgreifen kann - und zwar für schwere, dreckige Sachen. Und ich verpass dir auf zwei Wochen Alkoholverbot."
"Muss ich auch ohne Nachtisch ins Bett?" Knight fing den mörderischen Blick der Russin auf und hob resignierend die Hände: "Tschuldigung. Ich meine, Ok."
Das war offenbar wieder die falsche Antwort, denn er kassierte erneut einen scharfen Blick: "Ok? Das ist alles? Ich rate dir, knie dich wirklich in die Sache rein. Für dich - wenn du jemals Senior Lieutenant werden willst - aber auch für mich. Denn wenn du in nächster Zeit noch einmal Mist baust, dann stehe ich nicht nur als jemand da, der nicht wirklich für Ordnung sorgen kann. Sondern auch als jemand, der Menschen nicht richtig einschätzen kann. Wenn du versagst und jemand reibt mir aufs Brot, dass ich dich eben noch zur Beförderung vorgeschlagen habe.... Gerade jetzt..."
Und an dieser Stelle geschah etwas, was Seltenheitswert hatte - die Russin lief rot an und verstummte. Offenbar waren ihr ihre Worte etwas peinlich. Gerade jetzt hieß, gerade wo sich die Anzeichen verdichteten, dass sie wirklich die PMV erhalten würde. Es waren nur geringfügige Hinweise, aber wenn sie die richtig deutete...
Und das war natürlich auch ein wenig eitel und egoistisch. Sie hatte sich bisher in ihrem Verhalten nicht von der Gier nach Auszeichnungen treiben lassen - abgesehen von Abschussmarkierungen, und selbst die teilte sie gerne mit anderen. Aber andererseits, das war eine einmal-im-Leben-Chance. Viele Soldaten bekamen so etwas niemals, oder ihre Hinterbliebenen durften sich mit der Auszeichnung über den Tod des Trägers "hinwegtrösten".
Aber Knight war nicht in der Verfassung, seine Vorgesetzte zu zwiebeln - ohnehin ein riskantes Vergnügen. Er nickte nur, eine Mischung aus Ergebenheit, aber auch Ernst: "Ich werde dich nicht enttäuschen. Ehrlich nicht. Auch wenn mir Stacy so was vom am Arsch...schon gut. Aber danke, dass du dich für mich so ins Zeug legst."
Letzteres klang nicht sehr enthusiastisch, denn im Moment hätte er seine Beförderungs- und Karrierechancen gerne gegen gewisse andere Dinge eingetauscht. Aber die Strafe schien ihm auch nicht sonderlich hart, denn mehr Arbeit bedeutete auch weniger Zeit zum grübeln.
Lilja erkannte das überraschenderweise sofort: "Knight...du musst versuchen irgendwie damit klarzukommen. Ich kann dir keinen Ratschlag geben wie, denn das schmerzt jeden anders, und jeder braucht seine eigene Zeit. Und sicher werde ich nicht sagen, sprech' mit unserem Popen, was weiß der schon davon? Aber in deinem Interesse, im Interesse der Staffel, versuche, einen Weg zu finden. Und das bald, und gründlich." Ihre Stimme klang ernst. Dann lächelte sie schwach: "Möglichst einen Weg, der dich nicht in Konflikt mit der Dienstvorschrift bringt. In ein paar Wochen stehen wir wieder im Einsatz, nehme ich an. Und dann muss dir klar sein, dass kein Moment im Leben so schön ist wie der jetzige - außer vielleicht der nächste. Und dass es nichts wichtigeres gibt, als den auch zu erleben." Damit meinte sie nicht, dass sie Knight für latent Selbstmordgefährdet hielt. Aber wem zu viel andere Dinge im Kopf herumgingen, der machte vielleicht den einen, entscheidenden Fehler, wenn es darauf ankam. Den Fehler, für den es kein Pardon gab.
Aber nicht einmal die Russin, die offenbar das Gefühlsleben als etwas betrachtete, das sich mit Willenskraft und Entschlossenheit ebenso beherrschen ließ wie ihren Jäger, ging so weit ihrem Untergebenen konkrete Anweisungen zu geben. Es gehörte ja auch nicht gerade zu ihren Spezialgebieten...
"Warum gibst du dir eigentlich so viel Mühe?" erkundigte sich Knight, offenbar bemüht, das Thema zu wechseln.
Die Russin schnaubte nur: "Ich weiß, man sagt ich bin eine kleinliche Pedantin, eine Schleiferin, eine Spaßbremse, eine Killerin. Aber egal was man von mir behauptet, ich kann wichtig und unwichtig unterscheiden. Ich würde nicht zögern, die Karriere von jemand zu vernichten, wenn ich denke, er verdient es. Aber wegen so einer Lappalie? Und das bei jemand, der das Zeug zum First Lieutenant hat, und bald ein doppeltes Ass ist? Ich war nie der Meinung, dass gute Leistungen ein Freibrief für asoziales Verhalten sein sollten. Aber man sollte auch nicht immer und zu jeder Zeit auf jede noch so unwichtige Vorschrift beharren. Ich meine, du hast ja Stacy nicht auf die Schuhe gekotzt. Ich denke, für alles muss es die richtigen Gründe geben. Und ich habe gute Gründe, mich für dich - und für andere - einzusetzen. Ich bin vielleicht nicht die beste Staffelchefin. Aber wenn es nötig ist, wenn ihr eure Pflicht tut, dann werde ich mich immer vor euch stellen. Solange man mir nicht den Grund gibt, das zu bereuen." Ihre Stimme klang beinahe feierlich.
Knight dachte einen Moment nach. Dann nickte er, und salutierte vorbildlich: "Danke Commander. Ich werde diese Worte im Kopf behalten..." er grinste schief: "Wenn Sie mir in den nächsten Tagen das Leben zur Hölle machen." Lilja warf ihm einen diesmal wohl nur gespielt finsteren Blick zu: "Überzeuge nicht MICH. Stacy musst du überzeugen."
"Jawohl, Commander. Und, wenn ich das sagen darf - ich finde schon, dass Sie ein guter, ein sehr guter Staffelchef sind."

Als der andere Pilot gegangen war, saß Lilja noch eine Weile mit sehr nachdenklichem Gesichtsausdruck da. Tat sie das richtige? Sie verpflichtete sich Commander Stacy, und ging auch in Bezug auf ihre eigene Bewertung ein Risiko ein. Aber was, wenn sie nichts unternommen hätte? Wie hätte das gewirkt, auf ihre Untergebenen, auf die anderen Staffelchefs? Niemand achtete einen Offizier, der nicht für seine Leute eintrat. Natürlich, WIE sie es tat, das würde einigen wiederum nicht passen - aber wann machte man es schon alles recht? Und Knight HATTE Potential. Und ja...auch wenn sie das nicht zugeben würde, sie hatte etwas Mitleid mit ihm. Manche würden sagen, er hatte seinen augenblicklichen Beziehungskummer verdient. Immerhin kann sie seine Dienstakte - er war zwar nicht gerade der Herzensbrecher vom Dienst, aber in seinem Kielwasser hatte er schon einiges an Enttäuschung und Tränen hinterlassen. Aber war das ein Grund, ihn hängen zu lassen? Sicher nicht, er war im Moment schon genug bestraft. Was machte es für Spaß oder Sinn auf jemanden einzuprügeln, der schon am Boden lag und noch eine Weile brauchen würde, sich aufzuraffen?
Dann vertrieb sie diese Gedanken. Knight würde selber wieder auf die Beine kommen müssen - sie hoffte sehr, er würde es schaffen. Sie hatte getan, was sie konnte, nun galt es, andere Dinge zu regeln.
Sie rief die Akte auf, die man ihr vor kurzem erst zugeschickt hatte und begann sie aufmerksam lesen. Und während sie das tat, arbeitete ihr Gesicht, mal nachdenklich, mal missbilligend... Tja, das hörte sich...schwierig an. Aber am besten würde sie...

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12.11.2015 17:45 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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Sterntor System
TRS COLUMBIA
Etwas mehr als 24 Stunden vor der Ankunft des neuen Geschwaderchefs


„Also…du hast mich offenbar WIRKLICH vermisst.“ Helen ‚Kali’ Mitras Stimme klang etwas atemlos, als sie sich von Kano löste.
„Ganz ehrlich - ich hatte bis zuletzt gefürchtet, dass die dich für einen Garnisonsposten rekrutieren.“
„So leicht wirst du mich offenbar doch nicht los. Und eine Versetzung ins Hinterland?
Nicht einmal, wenn ich dafür wirklich endlich meine eigene Staffel bekäme. Am Boden würde ich verrückt werden.“
„Wenigstens haben sie dir den Lieutenant Commander gegeben. Die eigene Staffel ist da nur noch eine Frage der Zeit.“
„Hm.“
Das klang etwas zurückhaltend und Kano musterte Kali prüfend. Er war kein Dummkopf: „Die Schwarze Staffel war im Gespräch, richtig?“ Seine Stimme gab nichts preis.
„Es gab da vielleicht eine vage Erwähnung der Möglichkeit. Aber das war auch schon alles.“
„Und da meine Beförderung in den Sternen steht und du eine frisch zum Lieutenant Commander ernannte Phantome/Nighthawk-Pilotin mit der nötigen Qualifikation bist…“
„Ist das jetzt die Stelle wo wir unseren großen Krach bekommen, weil du nicht damit fertig wirst, dass ich einen höheren Dienstrang habe und vielleicht deine Staffel übernehme?“
Kano war ehrlich genug, einen Augenblick lang in sich hineinzuhorchen. Wollte er die Schwarze Staffel behalten? Auf jeden Fall. War er enttäuscht, dass er trotz seiner Kommandoleistungen und über 40 abgeschossenen Feindmaschinen immer noch ein Lieutenant war? Auch das. Aber war ihm das wichtiger als Kali? Auf keinen Fall. Spätestens ihre Versetzung auf die DERFLINGER und die Schlacht um das Sterntor-System hatten ihm das klar gemacht. Dass sie wieder zurück auf der COLUMBIA war, war mehr als er sich erhofft hatte. Dafür würde er sehr viel in Kauf nehmen. Also schüttelte er den Kopf: „Ich glaube, ich bin emotional doch ein klein wenig stabiler. Und es wäre ja auch nicht das erste Mal, dass mich jemand überflügelt. Lilja war schließlich mal mein Katschmarek.“
„Ja, aber mit ihr hast du nicht geschlafen. Das will ich jedenfalls hoffen!“
Kano lächelte kurz. Sie beide wussten, wie unrealistisch die Vorstellung war: „Doch bevor ich meinen Ehrgeiz darauf richte, der beste XO zu werden, den die Schwarze Staffel hatte…“
„Wieder…“
„…Sehen wir erst mal, was die Zukunft bringt. Immer einen Schritt nach dem anderen.“
„Das sind ja ziemlich ungewöhnliche Töne, ausgerechnet von dir.“ neckte ihn Kali.
„Sogar ich bin lernfähig. Und diese Sichtweise…hat so ihre Vorteile.“ Und dann küsste er sie noch einmal. Danach lächelte er überraschend: „Und außerdem…Irons wäre zu glücklich, wenn wir uns deswegen streiten und am Ende gar Schluss machen würden. Am besten, bevor der Neue an Bord ist. Ein Problem weniger, von dem sie nichts wissen muss.“
Kali lachte auf. Nicht so sehr wegen dem Witz, als aus Erleichterung. Wenn sie ehrlich sein sollte, sie war sich nicht ganz sicher gewesen, wie Kano auf die Neuigkeiten reagieren würde. Gerade WEIL sie wusste, was sich hinter seiner Fassade stoischer Pflichterfüllung verbarg. Piloten – wirklich gute Piloten – hatten nun einmal ein ziemlich empfindliches Ego. Sie selber war auch mehr als frustriert darüber gewesen, andere an sich vorbeiziehen zu sehen: „Ja, das musste sie noch unbedingt loswerden. Und was unsere Ringe angeht…“
Kano presste kurz die Lippen zusammen und in seiner Stimme schwang ein fast rebellischer Unterton mit: „Da lassen wir uns etwas einfallen. Außerdem…“ Er murmelte etwas auf Japanisch.
„Und was war das?“
„Nur ein Sprichwort, das ich mal gehört habe.“ ‚Ich trage dich in meinem Herzen. Nicht an meiner Hand.’ Kali musterte ihn kurz und lächelte versonnen. Auch wenn sie nur ein paar Brocken Japanisch konnte, glaubte sie ihn verstanden zu haben.
Kano räusperte sich: „Da wir schon bei deiner Beförderung sind…Falls du dich heute Abend für ein paar Stunden loseisen kannst, es gibt ein paar Leute, die wenigstens kurz auf deine Beförderung anstoßen wollen. Und auf deine Rückkehr.“
„Klingt gut. Denn die Beförderung ging ziemlich formlos über die Bühne. Fehlte nicht viel, und sie hätten die Abzeichen auf dem Postweg versandt. Aber sie hatten vermutlich genug zu tun. Eine Menge Posten musste neu besetzt werden…“, Kali verzog kurz den Mund, als würde sie einen bitteren Geschmack auf der Zunge spüren. Dann schüttelte sie den Kopf und schob die unangenehmen Gedanken beiseite: „War das deine Idee?“
„Ich muss zugeben, dass Ace ein bisschen schneller war als ich. Im Ausrichten von sozialen Events ist er mir voraus.
Ansonsten…das ist vielleicht etwas egoistisch, aber ich hatte überlegt, ob wir deine Rückkehr und deinen neuen Rang in einem etwas weniger öffentlich Rahmen feiern können.“
Kali lachte kurz auf: „So nennst du das also? Und hatten wir in deinem Plan etwas an?
Na ja, wenn ich mir sicher sein kann, dass Irons Sittenpolizei gerade nicht im Einsatz ist...“

Kanos Antwort wurde durch den Türsummer unterbrochen.
„Also wenn das jetzt Irons ist…“
Kano schüttelte den Kopf, schloss den Kragen seiner Uniformjacke und ließ die Tür aufgleiten. Natürlich war es nicht die Geschwaderchefin.
„Störe ich Sie bei irgendetwas, Nakakura? Lieutenant Mitra, Entschuldigung, Lieutenant COMMANDER. Ich kann später zurückkommen, wenn sie beide gek…“
Der Kommandeur der Schwarzen Staffel verdrehte kurz die Augen und schnitt seiner Stellvertreterin das Wort ab: „Was ist los, Agyris?“
„Ich wollte Ihnen sagen, dass unsere Wundereier endlich im Anflug sind. Diese Arrow-Dinger. Vielleicht ein bisschen spät.“
„Wir hätten sie gegen Taran gebrauchen können, ja. Aber Hauptsache, dass sie überhaupt ankommen. Wenn die Akarii die neuen Raketen abgefangen hätten…“ Er drehte sich mit einem Ausdruck des Bedauerns zu Kali um, aber die hatte schon begriffen, dass die geplanten dreißig Minuten Ungestörtheit nach nicht einmal der Hälfte der Zeit vorbei waren: „Ich sehe mal zu, was Mantis aus der Roten Staffel gemacht hat. Zeit, die Füße wieder fest auf den Boden zu bekommen.“
„Na, da das heißt, dass Stuntman als Staffel-XO endgültig vom Tisch ist, wird sie ihnen den roten Teppich ausrollen. Falls Sie nicht doch eine andere Nighthawk-Staffel übernehmen. Wenn Sie das mit dem Chef ausdiskutieren wollten...“ Offenbar machten bereits Gerüchte die Runde. Aber die Rückkehr einer frisch beförderten Lieutenant Commander in ein Geschwader, in dem zwei Staffeln von Lieutenants befehligt wurden, lud automatisch zu Spekulationen ein.
„Kümmern Sie sich mal um ihre neuen Wundereier, Huntress. Kano, wir sehen uns heute Abend.“
„Bis dann...“ Er konzentrierte sich auf die XO der Butcher Bears: „Sie hätten auch einfach das Komm benutzen können.“
„Ich war gerade in der Nähe. Außerdem wollte ich von Ihnen hören, ob ich demnächst in die dritte Reihe zurückmuss. Ich meine, wenn Ihre Freundin…“
„Commander Mitra.“
„Aber Ihre Freundin ist sie doch noch immer? Also wenn sie die Butcher Bears übernimmt…“
„Hören Sie schon auf. Solange der Neue noch nicht an Bord ist, hat es keinen Sinn über Umbesetzungen zu spekulieren. Sie sollten es einfach abwarten. Oder…“, Kano erinnerte sich daran, wie er von Irons ‚ermutigt’ worden war, Huntress zur Staffel-XO zu machen, „Sie nutzen ihre Kontakte um etwas mehr über den Neuen in Erfahrung zu bringen.“
„Hm. Ich könnte ja auch meine Leute fragen, ob sie Stafford einen Präsentkorb zuschicken. Er hat schließlich den größten Teil des Krieges in der Etappe verbracht und ist vermutlich gar nicht mehr an das Frontleben gewöhnt.“
Kano schnaubte nur mäßig amüsiert: „Warten Sie noch etwas, bevor sie dem Neuen Korruption unterstellen.“
Um Agyris Mundwinkel zuckte es amüsiert: „Erlaubnis, offen zu sprechen?“
Kano schwante etwas: „Das kommt darauf an.“
„Wie machen Sie das denn, jetzt wo Kali den höheren Rang hat? Entscheidet Sie jetzt, wie Sie zwei…“
„Ich lach mich tot. Haben Sie nichts anderes im Kopf?“
„Vielleicht kann ich ja etwas lernen.“
„Bei Ihrem Ruf erscheint mir das kaum vorstellbar. Und Agyris…“, jede Spur von Amüsiertheit war auf einmal aus Kanos Stimme verschwunden: „…sollten Sie derartige Witzchen in der Gegenwart anderer Piloten reißen, könnten Sie feststellen, dass meinem Humor enge Grenzen gesetzt sind.“
Die Pilotin musterte ihren Vorgesetzten, und schluckte herunter, was ihr offenbar auf der Zunge lag: „Schon gut. Kein Grund, gleich auf Zielanflug zu gehen.“
„Na dann…sehen wir mal, wie unsere neuen Wunderwaffen aussehen.“ In Kanos Stimme schwang ein leicht sarkastischer Unterton mit. Er hatte schon das ein oder andere Mal erlebt, wie die vollmundigen Versprechungen der Schiffsentwickler und Waffenlabors von der Realität zurückgestutzt worden waren.

Bei dem Versuch, einen der Aufzüge zu erwischen, verfiel Kano in einen für einen Staffelführer nicht unbedingt angemessenen Laufschritt. Aber Blackhawk, der schneller als er gewesen war, hinderte die Fahrstuhltür am Zugleiten. Über das Gesicht des hochgewachsenen, immer beherrscht wirkenden Kommandeurs der Gelben Staffel huschte ein kurzes Lächeln, während er den beiden Piloten zunickte: „Sie haben es also auch gehört.“
„Ja. Ich nehme an wir können dankbar sein, dass die Lieferung nicht zu einem anderen Träger umgeleitet wurde. Einen, der schneller wieder im Einsatz ist.“
Wahrscheinlich konnte Kano nicht ganz seine unterschwellige Frustration kaschieren, denn der ältere Staffelführer lächelte flüchtig: „In dem Fall arbeitet die Schwerfälligkeit der Flottenbürokratie für uns. Eine Lieferung umzulenken ist fast genauso aufwendig, wie sie auf den Weg zu schicken. Außerdem haben wir lange genug für diesen Spezialauftrag trainiert. Es wäre dumm, in einem anderen Geschwader von Null an anzufangen.“
„Und die Angry Angels sind die Asse der Asse. NATÜRLICH bekommen wir immer die neueste Tech.“ Huntress übertrieben forsch klingende Behauptung schien Blackhawk zu amüsieren.

Als sie den Hangar erreichten, war Mantis bereits vor Ort. Das war zu erwarten gewesen, denn ihre Staffel sollte zusammen mit den Gelben und Schwarzen als Raketen-Testträger fungieren. Eine Überraschung war Liljas Gegenwart, denn die Fighting Stallions waren erst einmal noch nicht in das Erprobungsprogramm aufgenommen worden, obwohl die Arrows eigentlich für jede Maschine der TSN geeignet waren. Aber natürlich interessierte sich Lilja für eine Waffe, die selbst Abfangjäger in die Lage versetzen sollte, feindliche Großkampfschiffe zu vernichten.
Als Lilja ihren früheren Rottenführer bemerkte, nickte sie ihm kurz zu, schien Huntress aber zu ignorieren. Die momentane Chefin der Roten hielt etwas abseits und schien eher mäßig interessiert. Kali, die kurz darauf ebenfalls im Hangar erschien, wirkte wesentlich enthusiastischer.
Keiner der Offiziere hielt sich mit einer umfangreichen Begrüßung auf. Ihre Aufmerksamkeit galt dem soeben gelandeten Transportshuttle, dessen Ankunft den normalen Dienstbetrieb im Hangar unterbrochen hatte. Bewacht von einer Gruppe Marines bugsierten einige Techniker eine ganze Batterie Raketenpaletten aus der schwerfälligen Maschine. Auf den ersten Blick unterschieden sich die Behälter nicht wesentlich von den Standard-Transportkisten, die je zwei Atomraketen aufnahmen und für eine schnelle Bestückung der Maschinen geteilt werden konnten. Nur ein Kenner hätte bemerkt, dass diese Paletten deutlich leichter als üblich zu sein schienen. Beaufsichtigt wurde der Entladevorgang von einer Handvoll Männern und Frauen, die trotz ihrer Uniformen wenig militärisch wirkten. Das Kommando hatte offenbar ein schlanker, bereits ergrauter Mann jenseits des mittleren Alters mit Halbglatze, glattrasiertem, zerfurchten Gesicht und den Abzeichen eines Commanders. Seine herrische Stimme klang leicht gereizt, und trieb die anwesenden Mannschaftsdienstgrade der Hangarcrew zur Eile. Neben ihm stand ein etwas überfahren wirkender Offizier der Nachschubabteilung der COLUMBIA.

Es dauerte ein paar Augenblicke, bis der Mann die wartenden Geschwaderoffiziere zur Kenntnis nahm. Sein verärgerter Blick blieb bei Blackhawk hängen: „Commander Stafford? Da sind Sie ja. Ich bin Commander Pawel Decker, verantwortlich für die Implementierung der Arrow-Testreihe in Ihr Geschwader.“
Der Kommandeur der Gelben Staffel schüttelte den Kopf: „Tut mir leid, Sir. Aber der neue Geschwaderchef trifft erst übermorgen ein. Im Augenblick kommandiert Commander Trisha McGill das Geschwader. Lieutenant Commander Lincoln, Gelbe Schwadron. Es freut mich, Sie als Mitglied der Angry Angels an Bord begrüßen zu dürfen.“
„Was? Angenehm. Aber ich dachte…“, der Blick von Blackhawks Gegenüber wanderte weiter, übersprang Kali, streifte Mantis eher beiläufig und konzentrierte sich dann auf Lilja, die hoch aufgerichtet, die Hände hinter dem Rücken verschränkt und mit einem leicht ungeduldigen Gesichtsausdruck wartete: „Dann sind Sie das wohl?“
Im Hintergrund konnte Kali ihr Auflachen nur sehr notdürftig durch ein Husten kaschieren. Selbst um Blackhawks Mundwinkel zuckte es kurz. Lilja wirkte hingegen eher irritiert: „Ich bin Lieutenant Commander Pawlitschenko, Grüne Schwadron. Commander McGill ist momentan auf einem Übungseinsatz.“
Der zweimal Abgeblitzte presste kurz die Lippen zusammen: „Ihr Geschwader ist verdammt schlecht organisiert, Pawlitschenko. Wenn das eine dieser Primadonnenallüren der fliegenden Verbände ist…“
„Entschuldigen Sie, Sir. Wir wurden erst kurzfristig von Ihrer Ankunft informiert. Die Geheimhaltung…“
„Schon gut, ich kenne dieses Problem. Wenn Sie mir dann die anderen Mitglieder ihrer kleinen Runde vorstellen würden, bevor ich weiterraten muss…“
„Natürlich, Sir. Lieutenant Commander Lincoln haben Sie ja bereits kennengelernt. Dies sind die Lieutenant Commander Shaw und Mitra, Rote Schwadron. Lieutenant Nakakura kommandiert die Schwarze Schwadron, Lieutenant Agyris ist seine Stellvertreterin.“
„Agyris wie in ‚Agyris Industries’, und den Anteilseignern von Blohm&Voss Spacecrafts AG?“
„Allerdings, Sir. Ich bin das Schwarze Schaf der Familie. Ich baue keine Schiffe. Ich schieße sie kaputt.“
Kano warf seiner Untergebenen einen warnenden Blick zu, aber ihr Humor schien bei Decker anzukommen. Er schnaubte amüsiert: „Da Blohm&Voss mal versprochen hat, mit diesen überzüchteten Dauntless-Spielzeugen die Trägerflotte überflüssig zu machen, sind Sie als Pilotin wirklich das Schwarze Schaf ihrer Familie.“
„Alle drei Staffeln wurden im Umgang mit Arrows geschult“ fuhr Lilja fort.
„Sie meinen im Simulator. Die Realität ist etwas ganz anderes, glauben Sie mir.“
„Ich nehme an, dass Sie deswegen hier sind, Sir.“ Unter anderen Umständen hätte das vielleicht etwas schnippisch geklungen, aber Liljas Stimme blieb ausdruckslos: „Die Schwarze Schwadron sollte nach den bisherigen Planungen als primäre Testeinheit fungieren, während Shaws und Lincolns Einheit als Reserve fungieren.“
Decker wandte sich Kano zu: „Ist das so? Da werde ich aber auch noch ein Wörtchen mitzureden haben. Nun mal sehen.
Sie und ihre Leute müssen gut sein, Nakakura. Wenn man eine derart wichtige Aufgabe einer Staffel gibt, die nur von einem Lieutenant kommandiert wird…“
Nur wer ihn gut kannte, hätte bemerkt, wie Kano kurz die Lippen zusammen presste. Seine Stimme allerdings blieb so ausdruckslos wie sein Gesicht, gab nichts preis: „Das sind wir. Die Butcher Bears sind auf Schlachtflieger- und Durchbruchsmissionen spezialisiert. Von allen Jägerstaffeln haben wir die meiste Erfahrung mit Angriffen auf Frachter und Kriegsschiffe.“
„Davon werde ich mich gerne persönlich überzeugen. Sobald Commander McGill gelandet ist möchte ich Zugriff auf alle Gefechtsberichte und Personalakten ihrer Einheit. Und die der beiden anderen Erprobungsstaffeln.
Außerdem ist da noch die Frage der Sicherheit. Ich muss mit dem leitenden Sicherheitsoffizier der COLUMBIA sprechen. Ihre Piloten…“
„Ich kann mich persönlich für jeden Mann und jede Frau unter meinem Kommando verbürgen.“ Immer noch blieb Kanos Stimme ausdruckslos.
„Vergessen Sie nicht, dass es um eine Waffe geht, die die Schlagkraft jedes beliebigen Trägers quasi verdoppeln kann. Wir können nicht vorsichtig genug sein. Zumal Ihr Geschwader einen etwas...farbigen Ruf hat, was den Umgang mit Sicherheitsrichtlinien, sensiblen Informationen und Prototypen angeht.“
„Nicht meine Staffel.“ Kanos Stimme gewann unmerklich an Schärfe. Kali warf ihm einen vorsichtigen Blick zu und auch Lilja wurde aufmerksam. Sie kannten den japanischen Piloten. Und im Gegensatz zu den meisten Anwesenden wussten sie auch, dass Kano jetzt etwas freier mit der Wahrheit umging. Ganz am Anfang seiner Kariere hatte er ziemlichen Ärger bekommen, als er Kali bei Arbeiten an dem von Ace – illegal – in ihrer Maschine installierten Trackball geholfen hatte.
Decker ignorierte die unterschwellige Spannung oder nahm sie ganz einfach nicht wahr, zumal ihn eine Bewegung am Rande seines Sichtfeldes ablenkte: „Vorsichtig! Das sind Prototypen, keine Proviantkisten! Wenn Sie den Unterschied nicht kennen, sollten Sie vielleicht lieber in der Küche arbeiten!“ Dann wandte er sich wieder Kano zu: „Ich werde Ihnen das Ergebnis der Überprüfung natürlich mitteilen. Dann können wir mit der weiteren Trainingsplanung beginnen.
Damit Sie sich schon mal darauf vorbereiten können…Der Bestand besteht aus 50 Raketen.“
„Das sind zwei reichliche Kampfsätze. Nicht eben viel für eine Erprobung unter Gefechtsbedingungen.“
„Wem sagen Sie das – Lieutenant. Die Kosten für diesen Krieg explodieren, und niemand will sich vorwerfen lassen, zu viel Geld für irgendeine Kopfgeburt zu verschwenden. Also wird überall gespart. Auch dort wo es unangebracht ist. Das kommt davon, wenn man die Budgetplanung Erbenzählern und Politikern überlässt.“
Einigen der Anwesenden sprach Decker damit aus der Seele. Lilja allerdings schien kurz irgendetwas anmerken zu wollen, hielt sich aber zurück. Und über Kanos Gesicht huschte kurz ein Ausdruck, den ein aufmerksamer Beobachter nur als verächtlich hätte bezeichnen können, bevor die ausdruckslose Maske stoischer Pflichterfüllung wieder jede Emotion verdeckte.
„Sie werden also über jede einzelne abgeschossene Rakete penibel Rechenschaft ablegen müssen, Nakakura. Genauso wie ich, der Commander Ihres Geschwaders und der Captain Ihres Trägers. Wenn die Pfennigfuchser im Olymp auch nur den Hauch des Verdachtes haben, dass sie bei der Erprobung dieser Waffe geschlampt haben, können Sie ihre Karriere gleich ins All schießen. Vielleicht verstehen Sie jetzt, warum ich nichts dem Zufall überlassen will.
Außerdem muss ich mit dem Chef der Waffenabteilung sprechen. Wir brauchen Quartiere, Arbeitsräume…
Und natürlich müssen die ebenfalls gesichert werden.“
„Commander, was das angeht, sollte Sie am besten gleich mit dem Ersten Offizier sprechen. Die Brücke wurde bereits über Ihr Eintreffen informiert, aber Captain Ahn überwacht zurzeit eine kombinierte Simulationsübung/Software-Systemcheck auf der Hilfsbrücke. Commander Stacy kann Ihnen aber sicherlich weiterhelfen und hat auch die nötigen Kompetenzen, um alles Nötige schnell in die Wege zu leiten. Sie finden Ihn auf der Hauptbrücke.“ Dieser Vorschlag kam von Lilja.
Commander Decker schien der Meinung, dass Stacy durchaus auch gleich zum Hangar hätte kommen können. Dann nickte er knapp: „Also gut. Zeit, Nägel mit Köpfen zu machen.
Meine Herren, meine Damen – wir sehen uns sicherlich bald wieder.“ Und damit wandte er seine Aufmerksamkeit wieder den Raketenpaletten zu, die inzwischen von Marineinfanteristen eskortiert in Richtung der Munitionsaufzüge unterwegs waren: „Und denken Sie daran, ich will einen SEPERATEN Lagerraum. Irgendwo an Bord dieser überglorifizierten Konservendose muss es doch…“

Eine halbe Minute sagte keiner der Offiziere etwas. Dann brach Mantis das Schweigen mit einem spöttisch-anerkennenden Pfeifen. Lilja war nicht ganz so zurückhaltend: „Dieser eingebildete Fatzke!“
„Commander Decker kennt zweifellos seinen Wert.“ konstatierte Kano ausdruckslos.
„Und er hat keine Hemmungen, damit hausieren zu gehen…“ Kali klopfte ihrem Verlobten auf die Schulter: „Wenigstens dürftest du nicht der Einzige bleiben, dem der Typ pomadig kommt.“
„Er und Stacy werden sich lieben. Da haben sich ja die richtigen gefunden“ bemerkte Lilja mit grimmiger Genugtuung.
Huntress lachte auf „’Da sollten Sie sich am besten an den Ersten wenden.’ Ha! Ich weiß nicht, wen von den beiden du weniger magst.“
„Sie haben sich gegenseitig verdient. Mit etwas Glück hält Decker Ahns Primaballerina etwas auf Trab. Dann verschont uns Stacy vielleicht mit seinen Dominanzspielchen.“ Lilja war sichtlich zufrieden mit sich.
Blackhawk schnaubte amüsiert, winkte dann aber ab: „Ich kenne Typen wie Stacy und Decker. Es gibt Schlimmeres. Wenigstens verstehen sie ihr Handwerk. Richtig gefährlich wird es bei denen, die mit ihren Starallüren nur ihre Unfähigkeit kaschieren wollen.“

Und das war es, mehr oder weniger. Blackhawk wandte sich an Mantis, offenbar ging es mal wieder um eine Abstimmung der Übungszeiten. Lilja nickte Kano zu und gesellte sich zu den anderen, vermutlich damit auch die Grüne Staffel bei den Simulator- und Flugzeiten nicht zu kurz kam. Unter anderen Umständen hätte auch Kano sich eingebracht, um noch etwas Zeit für die Schwarzen herauszuschlagen. Aber seine Prioritäten hatten sich soeben verschoben.
Kali winkte ihrem Verlobten noch einmal kurz zu, was der erwiderte und sich dann zu seiner Stellvertreterin umwandte: „Bis auf weiteres sind alle Kunstflugübungen gestrichen, Agyris. Ich werde bei Irons nachhaken, ob sie uns von dieser Zirkusveranstaltung freistellt.“
„Soll das etwa heißen, die zehn Tage Schaufliegen waren umsonst?“
„Zusätzliche Flugstunden sind niemals umsonst. Und das hier ist wichtiger.“
„Aber…“
„Nichts aber. Und denken Sie daran, was es für Ihre Karriere bedeutet, wenn wir den ersten Akarii-Zerstörer aus dem All pusten. Das sollte doch etwas mehr wert sein als so eine Kunstflugeinlage.“
„Ihre Vorstellung von Pflicht und Prioritäten ist so charmant antiquiert…“
„Lieutenant Agyris…“
„Schon gut, schon gut. Sie scheinen ja sehr sicher, dass wir den Zuschlag bekommen.“
„Wir sind die Besten.“
„Wenn Sie es sagen. Hoffentlich ist Decker derselben Meinung. Ich schreibe die Dienstpläne um. Wenn das dann aber auch doch für die Katz war, weil wir den hohen Ansprüchen von Mister Decker nicht genügen, dann werde ich wirklich sauer.“
„Vielleicht sollten Sie ein gutes Wort für uns einlegen. Er schien Sie witzig zu finden.“
„Das liegt an den Pheromonen. Aber er ist nicht mein Typ.“
„Da Sie das schon mal erwähnen…“, Kano räusperte sich kurz: „Wir hatten die Übereinkunft, dass ich hier nicht den Moralapostel spiele, solange Ihre…Freizeitgestaltung nicht den Dienstbetrieb beeinträchtigen.
Jetzt muss ich Sie allerdings fragen…die Sache mit Knight – könnte das zu einem Problem werden?“
„Nicht, wenn er sich wie ein Erwachsener benimmt. Ich habe jedenfalls nicht vor, mich deswegen mit jemandem im Hangar zu prügeln, falls Sie das wissen wollten.“
Kano fragte sich kurz, ob Huntress darauf anspielte, dass er das tatsächlich einmal getan hatte – vor einer Ewigkeit, kurz nach dem Untergang der alten REDEMPTION. Dann beschloss er, dass das unwichtig war: „Nach Ihrem etwas turbulenten Einstand mit der Blauen Staffel, und angesichts Ihrer kürzlichen Beförderung, sollten Sie sich bewusst sein, dass nun höhere Ansprüche an Sie gestellt werden.“
„Bisher habe ich noch jede Erwartung übertroffen.“ Huntress grinste doppeldeutig.
„Finden Sie das witzig?“
„Vielleicht ein wenig…
Entspannen Sie sich. Ich will meinen Posten behalten. Also werde ich die perfekte Mustersoldatin sein.“ Da hatte Kano so seine Zweifel. Und um das zu bestätigen, musste Huntress natürlich das letzte Wort haben: „Aber in einer Hinsicht können Sie sich ja jetzt wirklich entspannen. Diese dämlichen Gerüchte, WARUM Sie mir den Staffel-XO gegeben haben, sollten jetzt etwas an Pfiff verlieren. Da Sie ja so offensichtlich in festen Händen sind und mir noch niemand die Augen ausgekratzt hat…“
„Im Interesse unserer guten Zusammenarbeit würde ich vorschlagen, dass Sie diesen Satz nicht vollenden. Und nicht einmal daran DENKEN, wenn der neue Geschwaderchef an Bord kommt und tatsächlich so…unflexibel ist, wie einige erwarten. Denn in dem Fall wäre ich sicherlich nicht der Einzige, der Schwierigkeiten bekommen könnte.“
Huntress musterte ihren Vorgesetzten, und entschloss sich einzulenken. Das war typisch für sie. Sie reizte ihren Vorgesetzten gerne – warum auch immer – aber sie wusste, wie weit sie gehen konnte. Was angesichts ihrer Verbindungen und ihres Talents allerdings ohnehin recht weit war. Der regelmäßige verbale Schlagabtausch schien ihr Spaß zu machen, aber sie musste nicht wie einige andere Piloten zwanghaft gegen jede Autorität aufbegehren: „Na schön. Aber die anderen werden hellauf begeistert sein, dass sie umsonst Schaurunden geflogen sind.“
„Dann sagen Sie ihnen das, was ich Ihnen gesagt habe. Es gibt keine unnützen Flugübungen. Und wenigstens hört dann Sugar auf, sich zu beschweren, weil sie nicht in unserer Kunstflugformation dabei ist.“
„Wo sie doch so gut darin ist, selber eine Schau abzuziehen.“
„Ernsthaft? Das jetzt von Ihnen?
Bis Decker zu seiner Entscheidung darüber gekommen ist, sollten wir auf jeden Fall die Arrows-Übungssimulationen noch einmal vollständig aufgefrischt haben. Wir beginnen…“

__________________
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Mitglied der Autorenkooperationen "Dantons Chevaliers" und "Hinter den feindlichen Linien"
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TRS Liberty

Irgendwie hatte sich während der kurzen Zeit auf der Liberty wieder zusätzliches Zeugs angesammelt. Auf jeden Fall schien der Seesack überladen und der Reißverschluss weigerte sich komplett geschlossen zu werden.
„Man sollte doch meinen, ihr währt aus intelligentem Material gefertigt und würdet Euch etwas ausdehnen.“
Zu Jules Glück antwortete ihm der Seesack nicht.
„HEY!“ fuhr er auf, als ihn eine Hand kräftig am Hintern erwischte, „willst Du mich anschwulen?“
„Nein“, antwortete Haldane, „ich wollte nur nachsehen, ob Du den Raumanzug, samt Urinauffangeinheit richtig angelegt hast. Und tatsächlich, hast Du, für so einen kurzen Routineflug. Werden wir etwa inkontinent?“
„Nein, ich spiele mir nur liebend gern am Dödel rum, da konnte ich es mir nicht verkneifen ihn zehn Minuten mit diesem Folterwerkzeug zu malträtieren.“
„Du bist so richtig notgeil, was?“
Jules schnaufte: „Und unsere Unterhaltungen klingen so ähnlich, wie die zweier unreifer Jaygees.“
„Wir sind halt jung geblieben“, grinste Haldane zurück, „komm, die Piloten haben sich schon für das Abschlussbriefing zusammengefunden. Ich nehm‘ Deinen Seesack.“
„Oh-ha, womit habe ich denn das verdient?“
„Ich will nur sicher gehen, dass Du von meinem Schiff verschwunden bist, Cowboy.“
„Ah, CAG und Rausschmeißer also.“
Die beiden Commander gingen schweigend durch die beengten Korridore der Liberty. Die alten Träger der Zeus-Klasse wirkten, obwohl sie größer waren, von innen kleiner als die Majestics-Klasse. Dort wo die Shiloh bis ans äußerste ausoptimiert war, merkte man der Liberty noch an, dass hier Platz verschwendet worden war.
Was man jedoch niemanden vorwerfen konnte, die originalen technischen Geräte, Computer, Radarsysteme und vieles mehr waren viel größer gewesen, als das Ersatzgerät, was man vor zehn oder fünfzehn Jahren eingebaut hatte, als man versucht hatte die Liberty mit dem technischen Stand gehen zu lassen.
Der Witz an der Sache war, dass man natürlich nicht das neueste vom neuen für die alten Zeus-Träger verwendet hatte, sondern es mit gebrauchtem Gerät von neu ausgerüsteten Pegasus- oder Majestics-Trägern aufgewertet hatte. Alles in allem keine vollkommene Mischung.
An ihrem Ziel, einem Staffelbesprechungsraum für eine der Jagdbomber-Schwadronen, warteten schon die für die heutige Mission zusammengezogenen Piloten.
Siebenundzwanzig Besatzungen für Falcons, Nighthawks und Griphens. Dazu kamen noch die Besatzungen von zwei Shuttles, welche mit Ersatzteilen vollgestopft waren.
Die Piloten nahmen pflichtschuldigst Haltung an und Jules überließ es ebenso pflichtschuldigst Haldane das Briefing einzuleiten.
Dieser Flug war so sehr Routine, wie es ein Flug von einem Träger der TSN sein konnte. Die Jäger wurden nicht einmal bestückt sondern trugen Transportbehälter um Gepäck und zusätzliches Material zur Columbia zu transportieren. Gerade einmal fünfzig Prozent Treibstoff wurde in die Tanks gepumpt.
Start, eine kleine Schleife von vielleicht zehn Minuten und dann die Landung auf der Columbia. Das moderne ACLS des Pegasus-Klasse Träger musste selbst die Landung zu einem Kinderspiel machen.
Reine Routine, könnte man sagen und die leeren Gesichter der Piloten drückten genau das aus. Unaufmerksam ließen sich die Lieutenants von Haldanes Stimme einlullen, fast als würden sie mitunter einnicken.
Die beiden Commander warfen sich einen kurzen verstehenden Blick zu, dann unterbrach sich Haldane, steckte zwei Finger in den Mund und pfiff laut.
Einer der armen Teufel ließ vor Schreck sogar seinen Helm fallen.
„Ist hier irgendwem langweilig?“ wollte Haldane im schneidenden Tonfall wissen, „ist hier irgendwer seines Lebens müde?“
Betretenes Schweigen und Kopfschütteln antwortete ihm.
„Sie alle sollten wissen, kein Flug ist wie der andere“, schaltete sich Jules ein, „ja, ich weiß wie ich mich gerade anhöre. Aber ich weiß auch, wen ich gerade vor mir habe. Piloten, die aus der Nugget-Phase herausgewachsen sind und sich für erfahrene Veteranen halten. Piloten am gefährlichsten Zeitpunkt ihres Lebens. Diejenigen, die glauben über den Berg hinaus zu sein, die die Handgriffe beherrschen. Leute wie sie tauchen ungewöhnlich hoch in den Verluststatistiken auf.“
Jules blickte in die Runde und sein Blick blieb auf einem Piloten hängen, der schon auf Roswell Station unter ihm gedient hatte: „Ja, sie kennen die Handgriffe und sie kennen auch die Predigten. Herrschaften, ein Flug ist für mich, wie auch für sie erst dann reine Routine, wenn er hinter uns liegt. Keine Sekunde früher. Ist das angekommen?“
Das allgemeine ´Ja, Sir´ war nicht annähernd so enthusiastisch wie es sein konnte aber diese Predigt hatte jeder der Lieutenants in der Ausbildung und in den Trainingsstaffeln zu hören bekommen. Und Jules musste sich eingestehen, er war kein Chris Mithel, was die Rhetorik anging.
„Also dann, der Start beginnt in dreißig Minuten. Wir haben noch einiges Vorzubereiten. Wegtreten.“
„Commander Stafford“, Longshot war laut genug, dass seine Worte das Interesse der hinausdrängenden Piloten weckte.
„Ja, Commander Haldane?“
„Ich möchte Sie nur noch darauf hinweisen, dass ich die Marines ein Enterkommando habe bilden lassen. Ich möchte also alle meine Piloten sicher zurück und nicht bei einem anderen Geschwader in den Dienst gepresst haben.“
Jules antwortete mit einem frechen Grinsen: „Sicher, dass Sie keinen entbehren können, einen alten oder einen schwachen?“
„Nicht einen einzigen“, antwortete Haldane ehe er ins Grinsen einfiel, „Komm her, Cowboy, sieh zu, dass Dich die Echsen nicht kriegen.“
Die beiden ehemaligen Schiffskameraden umarmten sich, ehe Jules sich mit seinem Gepäck zum Hangardeck aufmachte.
In den knapp vier Wochen, die er jetzt an Bord der Liberty war, hatte sich das Bild der Deckscrew drastisch geändert. Hatte anfangs noch Unsicherheit und Chaos das Bild dominiert, zeigte sich nun ein Bild von Professionalität und Routine, welches er hoffte auch auf der Columbia vorzufinden.
Auch fiel ihm auf, dass Haldane begonnen hatte, dem Geschwader seinen Stempel aufzudrücken. Trotz der größer angelegten Flugoperation stand auf dem Steuerbordkatapult eine voll bewaffnete Falcon als Alarmstart fünf parat. Etwas weiter dahinter standen zwei Hurricane, welche Haldane von der ConFed Navy geerbt hatte, ebenfalls voll bestückt als zweite Welle.
Dem CAG der Liberty sei Dank hatte Jules auf dem Weg nach Sterntor die Handgriffe an der Nighthawk auffrischen können, so dass die Überprüfung des Jägers vor dem Flug fix von der Hand ging.
Die Nighthawk, vor wenigen Jahren noch die Königin des Alls, war immer noch der am besten bewaffnete Jäger im Arsenal der terranischen Flotte, obwohl gerade die Thunderbolt ihr den Platz als Überlegenheitsjäger streitig machte.
Auf Roswell aufgeschnappte Gerüchte, dass die Nighthawk zukünftig auch als Atomwaffenträger fungieren sollte, machten deutlich, dass dem reinen Raumüberlegenheitsjäger die Stunde geschlagen hatte.
Jules grinste. In seiner langen Karriere hatte er viele Piloten kennen gelernt, die sich auf einen Flugzeugtyp eingeschworen hatten, für die es nie etwas Besseres als ihre Maschine gegeben hatte. Seine recht bunte Laufbahn und etwas eigenwillige Politik als CAG hatte ihn in das Cockpit jeder Maschine im Bestand der TSN geführt, mit Ausnahme der Crusader.
Die Phantom war ein fliegender Backstein gewesen, der auf seine rohe Feuerkraft setzte. Die Griphen war ein ausgezeichneter Kompromiss aber leider auch nicht mehr.
Die Falcon war ihm persönlich zu unruhig, was letztlich ihr großer Vorteil war, doch ihr fehlte die Balance ihres Vorgängers der Typhoon und ihrer Konkurrentin der Hurricane, die wohl doch ihren Weg in die Navy gefunden hatte; wenn auch nur in begrenzter Zahl.
Morgen oder übermorgen würde er sich wohl entscheiden müssen, welcher Maschine er sich auf der Columbia annahm. Die Hellcats hatte er vom Cockpit einer Nighthawk aus befehligt, was ihm relativ wenige Flugzeit einbrachte. Sah man sich die Einsatzgebiete der Columbia an, konnte er sich derartige vornehme Zurückhaltung nicht leisten.

Ein Flugdeck-Handler riss ihn mit seinen Gesten aus den Gedanken. Dieser gab Jules zu verstehen, dass er Position sieben in der Startreihenfolge innehatte.
Jules gab mit einem Nicken zu verstehen und fädelte sich hinter zwei weiteren Nighthawks ein.
Die Speerspitze des Starts bildeten vier Falcons, von denen die erste schon auf dem Katapultschlitten befestigt wurde. Weniger als zwanzig Sekunden später stand die Falcon unter Schub und wurde ins All geschossen.
Noch bevor der Schlitten zurück in Startposition gefahren wurde, begannen die Handler die übrigen Jäger weiter nach vorne zu verlegen und die nächste Falcon folgte fast dreißig Sekunden nach der ersten.
Dieses Tempo konnte die Bodencrew durchhalten bis Jules Vormann an die Reihe kam.
Lieutenant William Stewart’s Nighthawk ließ sich nicht am Schlitten befestigen und Jules blieb nichts anderes übrig als eine Viertelstunde zuzusehen, wie sich erst die Katapultbesatzung damit abmühte und anschließend zwei in Raumanzüge gestiegene Techniker, ehe der Airboss entschied, das Stewart erst mal an Bord bleiben musste und die Nighthawk via Traktorstrahl wieder in Parkposition geschleppt wurde.
Angeblich kamen alle Nighthawks auf der Liberty frisch aus dem Karton und waren noch nie im Einsatz gewesen; so ein Dreck.

Mit amtlicher Verzögerung wurde Jules Nighthawk auf das Katapult gespannt und der Tower meldete sich bei ihm: „Replacement-Flight zwo-null-null, Backdoor, geben sie Schub und bereiten Sie sich auf den Start vor!“
„Backdoor, Cowboy, Maschine unter Schub, alle Systeme Grün, startklar!“
„Cowboy, Backdoor“, ein Glück war der Airboss der Liberty kein Arschloch, „Start in … drei, … zwo, … eins, … Start.“
Jules wurde auf gewohnte Weise in den Sitz gepresst und war wenige Lidschläge später in der Schwärze des Alls.
Er brauchte sich nicht lange zu Orientieren, zweitausend Kilometer an Steuerbord voraus kreisten die bereits gestarteten Maschinen von Replacement-Flight um eine Fregatte aus der Liberty-Trägergruppe.
Jules reihte sich ein, schaltete sein Haupttriebwerk auf Reserve und nutzte die vorhandene Geschwindigkeit um seine Runden zu drehen.
In weniger als zehn Minuten war der Rest des kleinen Geschwaders im All. Die Columbia, entschied Jules, sollte so ein Manöver in weniger als ein Drittel der Zeit schaffen. Auch sollten technische Probleme wie mit Stewart’s Maschine für keine derart große Verzögerung sorgen.
„Replacement-Flight, Cowboy, Formation bilden und Kurs Richtung zwo-acht-null setzen. Marschgeschwindigkeit hundertachtzig kp/s. Oggy: Sie übernehmen die Führung. Warlock: Sie fliegen Eskorte für die Shuttles.“
Die beiden Liberty-Piloten bestätigten seinen Befehl ohne zu murren.

***

Trotz des gefühlten Schneckentempos dauerte der Flug keine Stunde, ehe die FORCAP der Columbia sie abfing, lehrbuchmäßig identifizierte und die Kommunikation mit ihrem Ziel herstellte.
Jules war von der Professionalität, welche die Pilotin mit dem wenig freundlichen Rufnamen Imp an den Tag legte durchaus beeindruckt.
Demnach was der zukünftige CAG der Angry Angels aus der Dienstakte einer gewissen Ina Richter wusste, legte diese ansonsten viel weniger Wert auf Förmlichkeit.
Unabhängig davon, war die Formation in der die beiden Falcon flogen verdammt gut.
Davon beschwingt wurde er wieder auf den Boden der Tatsachen heruntergeholt, als die Gruppe letztlich die Columbia erreichte.
„Bushmaster, Replacement-Flight zwo-null-null“, Jules fragte sich, welche Sorte Alkoholiker man sein musste um sich die ständig wechselnden Codenamen auszudenken, „Rufzeichen Cowboy, wir nähern uns von Backbord aus Richtung zwo-zwo-sechs und erbitten Landefreigabe.“
„Replacment-Flight zwo-null-null, Bushmaster“, antwortete ihm die Leitstelle der Columbia förmlich, „wir haben Sie auf unseren Schirm. Fliegen Sie eine Schleife und nähern Sie sich über Landepfad grün-Alpha! Weisen Sie Ihre Piloten darauf hin, dass dies eine manuelle Landung ist. Ich wiederhole: Landung wird manuell ausgeführt.“
Jules zog die Augenbrauen hoch, Landung ohne ACLS: „Bushmaster, Cowboy, bitte bestätigen.“
„Replacement-Flight zwo-null-null, Bushmaster: Landung erfolgt manuell, das ist eine Anweisung und dient dem Training der Bodencrew!“
Wäre er jetzt schon offiziell CAG, würde er der Leitstelle sagen, wo diese sich ihre Anweisung hinstecken könne. Soweit er wusste konnten viele Piloten seiner Gruppe noch keine Landung auf einem Pegasus-Träger vorweisen, inklusive ihm.
Keine guten Voraussetzungen für ein Training oder vielleicht sogar die perfekte.
Jules überlegte einen kurzen Moment: „Bushmaster, Cowboy, geben Sie mir bitte den Airboss.“
Kurzes Schweigen: „Replacement-Flight zwo-null-null, Bushmaster: Einen Augenblick bitte.“
Die LSO am anderen Ende klang leicht genervt.
„Cowboy, Red“, meldete sich schließlich eine andere Stimme, „Sie wollten mit mir sprechen.“
„Red, Cowboy, ich weiß zwar nicht, wie es bei Ihnen da drüben aussieht aber einige meiner Piloten hier draußen kommen frisch aus dem Bootcamp. Ich hoffe also ihre LSOs wissen was sie tun.“
„Cowboy, Red, keine Sorge, meine Jungs sind echte Profis!“
„Red, Cowboy, in Ordnung, wäre nett, wenn Sie mich als letzten rein holen, damit ich mir das Ansehen und wenn nötig Hilfestellung leisten kann.“
„Cowboy, Red, geht klar. Sollten Sie jedoch meinen LSOs unnötig dazwischen quatschen, fahren wir beide Schlitten, klar soweit?“
Jules grinste freudlos: „Red, Cowboy, alles klar.“

Die Fliegergruppe um Jules ging in Warteposition und zog erneut Schleifen.
Als erstes holte die Columbia die beiden Shuttles ein. Langsam und gemächlich, um selbst erst mal Fahrt aufzunehmen.
Dann kam Jules Flügelmann dran und als daraufhin die Falcons an die Reihe kam, wurde auf der Columbia das Tempo angezogen.
Jules musste zugeben, Red’s Leute waren Profis, dennoch lief nicht alles Reibungslos, was auch nicht zu erwarten war. Eine Griphen musste zweimal abgewunken werden und bei einer Thunderbolt war es noch schlimmer. Der Pilot musste zwei Extrarunden drehen um wieder ruhiger zu werden und schaffte es erst beim fünften Versuch.
Alles in allem nicht sonderlich rühmlich aber sowas kam vor und erwischte Rookies wie Veteranen gleichermaßen.
„Replacement-Flight zwo-null-null, Bushmaster, Landebahn ist klar, Sie haben Freigabe.“
Jules bestätigte durch zweimaliges Klicken seines Funkgerätes und ging in den Landeanflug über und tatsächlich machte sich Nervosität bei ihm breit.
Seine erste Landung auf einem Pegasus; nach mehreren Jahren auf einem kleineren Majestics musste das wie ein Kinderspiel sein, war es jedoch nicht.
Die Antriebsdüsen der Columbia waren um ein vielfaches stärker als die der Shiloh und hatte daher das Potential die Elektronik der Nighthawk schlimmer zu beeinflussen. Natürlich hatte er bei den Korrekturen mehr Spielraum, andererseits war das Landedeck der Columbia kleiner als das von Roswell-Station, viel kleiner sagte ihm sein Gefühl.
Der LSO war derjenige, mit dem Jules anfangs Kontakt hatte und irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass dieser ihn beim kleinsten Anlass abwinken würde.
Jules Grinsen wurde bösartig. ‚Aber nicht mit mir Freundchen‘.
Die Korrekturen waren minimal, jeder Handgriff war fast synchron mit den Anweisungen des LSO: Geschwindigkeit zurücknehmen, leichter Gegenschub, Anstellwinkel erhöhen, Fahrwerk ausfahren, Landeklappen aufstellen, Fanghaken ausfahren, mittlerer Gegenschub, voller Gegenschub und Landung.
Butterweich, wenn man diesen Ausdruck für einen kontrollierten Absturz eines mehrere Tonnen schweren Raumjägers auf eine mobile Stahlpiste überhaupt so gebrauchen durfte.

***

Auf dem Flugdeck der Columbia herrschte gut organisiertes Chaos. Techniker waren dabei die Transportbehälter von den Hardpoints zu entfernen und die Jäger und Jagdbomber unter Deck zu bringen.
Seine Nighthawk wurde von einem Traktorstrahl erfasst und durch das Kraftfeld gezogen und in den Dearmierungsbereich bugsiert.
Noch bevor der Jäger zum stehen gebracht wurde, fielen auch schon die Waffentechniker über ihn her.
Jules öffnete das Cockpit, befreite sich von den Gurten des Schleudersitzes und kletterte zu Boden. Dort öffnete er das Transportfach im Bauch des Jägers und holte seinen Seesack und den alten speckigen Cowboyhut hervor.
Noch bevor er sich daran machte seinen Helm abzunehmen tippte ihm jemand auf die Schulter.
Ein hektisch wirkender Lieutenant im Pilotendress zeigte auf einen Aufzug: „Commander Stafford?“
Jules nickte, was mit dem Helm auf etwas komisch wirken musste.
„Der Captain will Sie in der CIC sehen, ASAP! Nehmen Sie Aufzug vier bis zum C-Deck, von dort aus ist die CIC ausgeschildert, Sir!“
Mit diesen Worten setzte sich der Lieutenant auch wieder in Bewegung, ohne sich vorzustellen oder zu salutieren. Bei der Hektik hier nicht weiter schlimm, wie Jules fand, doch alles in allem nicht der Einstand, den er sich gewünscht hätte.
Natürlich war bei derartigen Flugoperation ein formelles an Bord kommen nicht möglich, schöne Scheiße.
Er nahm seinen Helm ab, versuchte kurz seine Utensilien zu ordnen und gab es schließlich auf.
Jules setzte den Cowboyhut auf, nahm den Helm in die linke Armbeuge und schulterte den Seesack rechts. So machte er sich auf den Weg zur CIC.

***

Irons versuchte über das Chaos die Übersicht zu behalten. Red Cooper hatte sie informiert, dass Stafford als letzter rein käme, was bedeutete, dass diese mustergültige Landung zum Schluss der neue CAG gewesen ist.
Soweit so gut, der neue Chef konnte das ABC. Nein, das war nicht ganz fair, selbst in den Reihen der Angry Angels kannte sie wenige Piloten die solch eine Landung hingelegt hätten. Das machte Hoffnung.
Als sie sich gerade unter der Tragfläche einer Griphen durcharbeitete kam ihr einer ihrer Crusader-Jockeys entgegen. Jim Proctor war gerade dabei sein Namensschild zurecht zu rücken und blickte grinsend in die Gegend.
„Jim! Sieh zu, dass Du die Piloten der Liberty einfängst und in einen der Besprechungsräume zusammentreibst!“
Jim salutierte andeutungsweise: „Roger, Boss!“
Sie eilte vorbei an zwei Löschfahrzeugen und war in dem Bereich des Hangars, wo die Flugzeuge abmunitioniert wurden.
Dort stand nur noch eine Nighthawk, die gerade von einem Schlepper auf den Haken genommen wurde.
„Petty Officer, wo ist der Pilot hin?“
Der junge Mann, der unglücklich auf sein Data-Pad gestarrt hatte blickte auf: „Der ist weg, einer Ihrer Piloten hat ihn zur CIC geschickt. Der Cap’n wolle ihn sehen. Hat noch nicht mal die Übergabe unterschrieben.“
„Was? Wieso weiß ich nichts davon?“
Der Petty Officer zuckte zur Antwort nur unbehaglich mit den Schultern.

***

Während er durch die Korridore stapfte wurde Jules immer grummeliger. Er war noch keine fünf Minuten an Bord und durfte quasi beim Captain vorstellig werden.
Niemand hatte ihn an Bord willkommen geheißen, er wusste noch nicht wo sein Quartier war und seinen ganzen Scheiß, inklusive dieses blöden Cowboyhutes wegen den ihn alle einen schrägen Blick zuwarfen und den er eigentlich nur noch als Glücksbringer mit sich führte, schleppte er jetzt in Richtung CIC, deren genaue Position er auch nur vage kannte.
Am liebsten würde er in die CIC stampfen, seinen Seesack neben sich fallen lassen und sich samt Cowboyhut zum Dienst melden. Ja, das würde sicherlich Eindruck schinden.
Gerade als er schon glaubte sich verlaufen zu haben, sah er einen Corporal der Marines vor einem Schott Wache stehen.
Jules überlegte einen Augenblick, was es für die allgemeine Atmosphäre bedeutete, wenn selbst jetzt ohne dass eine Alarmstufe ausgerufen worden war ein bewaffneter Posten vor der CIC stand aber sei es drum.
Tatsächlich war der Wachposten wohl nur Deko, da ungehindert Offiziere in die CIC ein- und ausgingen. Auch Jules erntete von dem jungen Mann nicht mehr als eine hochgezogene Augenbraue.
Er stellte seinen Seesack neben dem Marine ab und legte den Hut drauf: „Könnten Sie vielleicht darauf achten, dass niemand darüber stolpert, Corporal?“
„Natürlich, Sir.“
Jules selbst überprüfte dann nochmal den Sitz seines Flightsuits und betrat die CIC.
Dort herrschte geschäftiges Treiben und nur ein erfahrener Raumfahrer würde die ruhigen routinierten Abläufe als das erkennen, was sie waren, das tägliche Geschäft.
Am Kartentisch unterhielt sich eine kleine Asiaten mit den silbernen Adlern eines Captains am Kragen mit einem europäisch wirkenden Commander. Offenbar waren beide durchaus mit dem zufrieden, worüber sie sich unterhielten. Die Leistung der Deckcrew.
Jules wartete noch zwei Herzschläge, denn trat er an den Kartentisch heran. Leise und unaufdringlich, jedoch so dass die beiden ihn war nehmen mussten.
Als der Captain dann die Aufmerksamkeit auf ihn verlagerte nahm Jules Haltung an und legte die rechte Hand zum Salut an, während er seinen schwarz, rot, weißen Pilotenhelm in der linken Armbeuge behielt: „Commander Jules Stafford meldet sich wie befohlen, Captain.“
Korrekt, sachlich, ohne in irgendeiner Form auch nur im Ansatz eifrig zu wirken. Dem Alter war er entwachsen.
Der Captain der Columbia blickte ihn verdutzt an und Jules konnte sagen, die Verwunderung war echt. Dennoch wurde sein Salut genau so korrekt erwidert: „Commander, willkommen an Bord aber ich habe Sie nicht her befohlen. Ihr XO sollte Sie auf dem Flugdeck in Empfang nehmen.“
Jules linker Mundwinkel verzog sich zum Ansatz eines Grinsens. ‚Hast du ein Glück, dass du deine Klarmotten draußen gelassen hast!‘

Irgendwo tief unten an Bord der Columbia lachten sich drei Bomberpiloten den Arsch ab. Ihr neuer CAG war also gelandet.

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"Das Leben ist das was einem passiert, während man andere Pläne schmiedet." John Lennon

Mitglied der Autorenkooperationen "Dantons Chevaliers" und "Hinter den feindlichen Linien"
12.11.2015 17:46 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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