The World of BattleTech
Registrierung Kalender Mitgliederliste Teammitglieder Suche Häufig gestellte Fragen Zur Startseite

The World of BattleTech » BattleTech Foren » Kurzgeschichten » Hinter den feindlichen Linien - Season 6 - Brennendes All » Hallo Gast [Anmelden|Registrieren]
Letzter Beitrag | Erster ungelesener Beitrag Druckvorschau | Thema zu Favoriten hinzufügen
Seiten (12): « erste ... « vorherige 10 11 [12] Neues Thema erstellen Antwort erstellen
Zum Ende der Seite springen Hinter den feindlichen Linien - Season 6 - Brennendes All
Autor
Beitrag « Vorheriges Thema | Nächstes Thema »
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Cunningham

„Schießt genau, spart Munition und lasst Euch nicht mit Bloodhawks ein!“
Jules Stafford


„Alle Jäger gestartet, Ma’am!“
Girad nickte ihrem Stabschef zu, ehe sie sich wieder zum taktischen Display widmete.
Und schon war wieder Ruhe in die CIC eingekehrt.
Es gab auch nichts zu sagen. Die Befehle waren erteilt und in die Computer eingegeben worden. Die Taktischen Offiziere auf jedem Schiff arbeiten daran, das feindliche ECM zu durchbrechen und die Treffsicherheit der Schiff-Schiff-Raketen zu erhöhen. Die beschädigten Einheiten der Akarii zu lokalisieren und die lohnendsten Ziele herauszupicken.
Jeder Schuss sollte so effektiv wie möglich sitzen.
Neue Erkenntnisse wanderten den Entscheidungskette hinauf, und kurz darauf wanderten Anweisungen die gleiche Kette wieder runter.
Es gab keine gebrüllten Befehle oder hektische Gesten. Effektivität bestimmte das Handwerk, und der Prozess war so klinisch wie eine Operation.
Um fünf Uhr zweiundvierzig Ortszeit teilte sich die 5. Flotte in zwei Verbände auf. Kreuzer, Zerstörer, Fregatten und Korvetten verschoben ihre Positionen. Dann begannen beide Formationen ihre Oberdecks einzudrehen, um ihre Hauptbewaffnung auf den Feind auszurichten.
Die Akarii eröffneten, ihrer größeren Reichweite geschuldet, um sechs Uhr zwölf als erste das Feuer. Als anderthalb Minuten später die Terraner das Feuer hätten erwidern können, begannen beide Kampfverbände der 5. Flotte abzubremsen und konzentrierten die Rechenleistung ihrer Feuerleitanlagen auf die Abwehr.
Drei Minuten lang sondierten die taktischen Offiziere der Terraner noch einmal die akariische Flotte. Dann schwangen die Abdeckungen der schweren Raketenbatterien beiseite und das Inferno begann.
Die Ziele waren klar: Die schwachen Tiere der Herde, die verwundeten, die angeschossenen. Die Masse ausdünnen, die Verteidigung schwächen und die Oberhand gewinnen.


CIC
TRS Midway

Ein Ruck ging durch den leichten Träger. Commodore Katja Lehmann stützte sich auf den Kartentisch und zog die Stirn kraus. Das war jetzt der dritte Beinahetreffer im Zentrum seines Verbandes, und diesmal für seinen Geschmack viel zu dicht.
„Signaloffizier, sagen Sie dem CAG seine Leute sollen sich ein wenig mehr ins Zeug legen! Wir sind immerhin auch ihr Zuhause.“
„Aye, aye, Ma’am!“
„Die Jäger sollen aber etwas mit ihren Raketen haushalten, das wird noch schlimmer.“, ergänzte Quentin McKenna, der Skipper der Midway, und fing sich dafür einen bösen Blick von Lehmann ein.
„Wir sind noch nicht durch, Kate.“, sie und Quinn waren alte Kameraden. Phantom-Piloten über Pandora. Dann gemeinsam Geschwaderführer und XO auf der Moskau, und bis zur Fünften Flotte hatten sich die Wege dann getrennt.
„Wenn wir Glück haben, geht unser Echsenadmiral da drüben auf die Columbia los.“, antwortete Lehmann ihrem Flaggkommandanten leise.
„Und wenn wir Pech haben, hält er sich für clever und dann fangen wir die Scheiße.“, war seine Antwort.
„Der Feind startet seine Jäger!“
Beide blickten kurz zur Ortungsstation rüber, wo die Radargasten unentwegt ihrer Arbeit nachgingen.
„Rien ne va plus.“, kommentierte McKenna.
Tatsächlich formierten sich die Jäger der Akarii auf ihrer Flanke. Wie sollte es auch anders sein. Es war zum Kotzen.
Sie hob drohend ihre Zeigefinger: „Das ist alles Deine Schuld, Quinn!“
„Klar,“, war seine schon fast abwesende Antwort, „wie damals, als ich unserem Skipper auf der Wasp in den Kaffee gepinkelt haben soll.“
„Signaloffizier, an die konföderierten Schiffe: Verteidigungskordon etwas enger ziehen! An Fregatten-Geschwader 5.8, Beschuss auf Feindflotte einstellen und SSM’s für Sperrfeuer bereit halten!“
„Aye, aye, Ma’am“, der Blick des Lieutenant spracht Bände.
,Guck Du nur, Junior, man wird nun mal nur Admiral, wenn man ein wenig bescheuert ist.‘
Selbst Quinn wirkte etwas überrascht.
„Ich werde den Echsen nicht erlauben uns in geschlossener Formation anzugreifen!“

Sie brauchten nicht lange zu warten, dann hatten sich die akariischen Jäger und Bomber zum Angriff formier und rückten ihnen zu Leibe.
Lehmann konsultierte den Kartentisch und betrachtete den Anflugvektor der akariischen Bombergruppen.
„Signaloffizier,“, bellte sie regelrecht, „Feuerbefehl für Fregatten-Geschwader 5.8: SSM-Feuer zwei Salven, Z-259, Reichweiten: erste Salve hundervierzigtausend Kilometer, zweite Salve hunderttausend Kilometer, Schussverzögerung sieben Sekunden.“
Sie hörte die Bestätigung schon gar nicht mehr, sondern prüfte die Positionen der stark dezimierten Jagdstaffeln der beiden leichten Träger.
Der CAG der Midway, Pjotr Simonov, hatte gute Arbeit geleistet, und ein Großteil der sechs Staffeln im inneren Verteidigungsring belassen. Bewaffnung, Treibstoff und Piloten waren demnach noch relativ frisch, um sich gleich mit den Akarii zu messen.
Nur leider waren sie quantitativ doch sehr unterlegen.
,Aber ein Fakt, den wir alle kennen und der in den ersten Stunden dieses Kriegs, in der Schlacht von Manticore, beweisen wurde ist, dass der akariische Soldat unabhängig von seiner Anzahl, Ausrüstung und Ausbildung dem terranen Raumfahrer an Klasse weit unterlegen ist. Reicht es dies nur zu glauben?‘
Ja, die Explosionen der Marschflugkörper zersprengten die akariischen Bomberstaffeln, dezimierten sie jedoch kaum.
Noch bevor sie sich neu organisieren konnten, fiel Simonov mit seinen fast sechzig Jägern über sie her, und zumindest bei ihr in der CIC auf dem Kartentisch sah es so aus, als ob die Piloten des Flying Circus und der Fast Eagles härter und verbissener kämpften als je zuvor.


„Es… es sieht so surreal aus.“, merkte Irons an.
Ihre Crusader trieb langsam systemauswärts und gestattete ihr einen guten Blick auf das Kampfgeschehen. Wobei das relativ war, ohne die Technik des Bombers konnte sie so gut wie gar nichts sehen, außer den Explosionen.
„Als wenn Götter kegeln gehen.“, stimmte ihr Tommy Bass, ihr RIO, zu.
Die schweren Bomber waren komplett ausgekühlt und nur die Notsysteme waren am Laufen. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, wie es den Piloten der leichten Trägern in ihren alten Raumanzügen erging, deren Leistungsfähigkeit doch deutlich hinter den neuen hinterherhinkte.
„Vielleicht sollten wir einmal die Triebwerke hochfahren, nicht dass uns die Düsen einfrieren.“
Tommy nickte unter seinem Helm: „Dann wäre das jetzt der beste Augenblick, wo sich die Flotten dahinten gegenseitig den Schädel einschlagen.“


CIC
TRS Columbia

„Was heißt hier nicht schon wieder?“
Der Schadenskontrolloffizier deutete auf das Display: „Das ACLS ist gerade neu repariert worden. Aber der letzte Treffer hat uns schwer erwischt und diesmal ist das komplette System weggeschmort.“
„Dann informieren Sie den Air-Boss,“, knurrte Captain Ahn, „das kostest uns fast zwanzig Minuten, das Geschwader reinzuholen.“
Girad ignorierte die Bemerkung und hielt ihren Blick weiterhin starr auf den Kartentisch gerichtet.
Die terrane Flotte hämmerte von beiden Seiten auf die Akarii mit allem ein, was sie aufzubieten hatte. Die Echsen hatten das natürlich Problem im Kreuzfeuer zu stehen, und doch hielten sie sich wacker.
Etwas anderes war von ihnen auch nicht zu erwarten gewesen.
Der Störangriff der einen Jagdbomberstaffel unterstützt von den Butcher Bears hatte die innere Formation der Akarii etwas in Unordnung gebracht und dafür gesorgt, dass ein guter Teil ihrer Abfangjäger wieder zur Sicherung zurückgerufen wurden.
Immer wieder wanderte ihr Blick zum Countdown. Noch fünfzehn Minuten, bis man wieder den Kurs wechseln würde, um den Akarii nachzujagen.
Fünfzehn Minuten. Im Raumkampf eine Ewigkeit.


CIC
TRS Midway

Auf dem Kartentisch war keine taktische Ansicht mehr zu sehen, sondern ein Duplikat des MSD – Main Ship Display, auf dem die Schäden der Midway angezeigt wurden.
Ein Christbaum, der rot und gelb aufleuchtete.
„Sämtliche Feuerlöschversuche sind bislang gescheitert.“, Lieutenant Commander Collier, der Schadenskontrolloffizier, deutete auf den hinteren Bereich, in der Nähe des Maschinenraums, „Als sich die Decks verzogen, kam es zu Rissen in der Haupteindämmung. Der Chefingenieur lässt seine Leute alle zehn Minuten durchtauschen und lässt Medikamente verabreichen, um die Auswirkung der Verstrahlung zu lindern.
Alles hinter Spant achtunddreißig ist verseucht oder brennt. Die Hallon-Anlagen konnten die Feuer nicht mehr ersticken.“
„Wie steht es um die Schutzschilde, Pierre?“ Ein besorgter Unterton hatte sich in McKennas Stimme geschlichen.
„Wir halten sie bei zwanzig Prozent, aber eigentlich könnten wir die Energie anderswo gebrauchen.“
Der Schlag hätte beinahe alle Personen rund um den Tisch von den Beinen gerissen. Sektionen die eben noch gelb waren, zeigte das MSD jetzt mit Rot an.
Hilfsenergie zwo, Mannschaftsquartiere, Sensorabteilung vier, Hydroponik drei und das Schutzschild, welches das Oberdeck schützen sollte, waren zusammengebrochen.
Quentin McKenna blickte sich kurz um, begutachtete nochmal das MSD und sah dann zu seiner Verbandscheffin auf, ehe er seinen Rufer zur Hand nahm: „Flugkontrolle, hier ist der Captain, besorgen Sie mir ein Shuttle und schicken Sie es zur Luftschleuse acht an Backbord. Dringend!“
Er wartete die Bestätigung nicht ab: „Commodore, Sie gehen von Bord!“
„Ich denk‘ ja nicht dran.“, knurrte Lehmann ihn an.
„Commodore Pak ist ausgefallen, und das obwohl die Derflinger noch Jäger aufnehmen und starten kann. Wenn hier alles zum Teufel geht, braucht der Verband seine Kommandeurin, also Abmarsch.“
„Ich glaube nicht, dass Sie das zu entscheiden haben, Captain, was wäre das für ein Beispiel für die Crew.“
„Corporal Bryant,“, McKenna bedeutete dem Marine, der am hinteren Schott der CIC auf Posten stand, zum Tisch zu kommen, „bringen Sie den Commodore zur Luftschleuse Acht an Backbord und sorgen Sie dafür, dass sie das Schiff verlässt! Ich schlage einen der schnellen Zerstörer als neues Flaggschiff vor, Ma’am.“
„Du wirfst mich also vom Schiff?“
„Das Vorrecht des Captains, und jetzt raus!“
„Darüber sprechen wir noch, Captain. Das ist ein Befehl!“
„Ich geb mein Bestes.“
Noch bevor Lehmann die CIC verlassen hatte wandte sich McKenna an seine Offiziere: „Also, wie retten wir das alte Mädchen?“
„Als erstes sollten wir zusehen, dass alles, was uns um die Ohren fliegen kann über Bord geht: Flugbenzin, Abwehr- und Angriffsraketen!“
„Das sehe ich genauso,“, stimmt der XO dem Schadenskontrolloffizier zu, „dann müssen wir das Feuer aus bekommen. Sprich achtern so gut es geht evakuieren und abschotten, dann raus mit der Luft.“
„Gut, versuchen wir das.“


Stallion 2-0-8

Hattrick zog eine enge Wende, pendelte seine schnittige Falcon ein und eröffnete das Feuer.
Einige Kilometer vor ihm zerplatzte die akariische Anti-Schiff-Rakete ohne dass ihr Sprengkopf detonierte.
,Hah! Wieder im plus!‘ Wann er geistig bei Liljas Spiel mit eingestiegen war wusste er nicht mehr.
Es hatte sich zu einer höllischen Arbeit entwickelt, die Flotte gegen die feindlichen Marschflugkörper zu verteidigen. Natürlich nicht so fordernd wie ein Dogfight mit einem akariischen Piloten, dennoch aufreibend auf seine Art und Weise.
Es war nicht plötzlich vorbei, es rieb einen auf und man konnte natürlich nicht auf alle Raketen zurückgreifen, falls doch noch Jagdmaschinen der Echsen angriffen.
Während sich die Geschwader der Columbia und Triumph wacker hielten und mit ihnen die Kreuzer und Zerstörer feuerten was das Zeug hielt, sah es auf der anderen Seite des Schlachtfeldes nicht so rosig aus.
So brauchten Razor und Ohka auch nicht lange auf Crawford einreden, ehe er sie für ihren Ablenkungsangriff von der Leine ließ.
„Mantis! Blackhawk! Ihre beiden Staffeln müssen das Loch schließen, welches Razor und Ohka lassen.“
„Witzig, Hatrick,“, beschwerte sich die Kommandeurin der zweiten Nighthawkstaffel, „unsere Linie ist schon jetzt löchrig genug!“
„Schaffen Sie halt mehr mit weniger!“ er konnte kaum glauben, dass er es schaffte vergnügt zu klingen.
Als Antwort kam von Blackhawk eine Bestätigung und von Mantis nur noch ein schnauben.

CIC
TRS Midway

„Der letzte Treffer hat uns die gesamten Reservebatterien gekostet, sowie den Rest der Hydroponik und die Lebenserhaltung!“
McKenna nickte und wusste, dass da noch was Schlimmeres kommen würde.
„Reaktor Nummer eins hat keine Verbindung mehr zum Stromnetz, und Nummer zwei kann höchstens noch dreißig Prozent liefern“, fuhr sein XO unerbittlich fort, „und müsste eigentlich heruntergefahren werden. Die Notgeneratoren laufen auf Volldampf, haben aber nur noch für gut eine Stunde Brennstoff, und tatsächlich versorgen wir viel zu viele Systeme damit.“
„Und welche Systeme versorgen wir damit?“
„Unsere Artillerie, die Punktverteidigung, Schutzschilde, Gravitationsgeneratoren, die Filteranlagen für den Sauerstoff, Krankenstation, Licht, Brandbekämpfung - “, der Commander zuckte entschuldigend die Schultern, „alles lebenswichtig.“
„Wir haben noch Schutzschilde?“
„Liegen bei zehn Prozent, Sir.“, meldete Lieutenant Commander Collier.
Quentin McKenna blickte sich in seiner CIC um. Seine Crew hatte die Midway länger am Leben erhalten als es von Rechts wegen sein durfte. Die Akarii hatten mindestens zehn Raketen mehr in den Träger hinein gepumpt, als nötig gewesen sein müssten, um den kleinen Majestic Träger zu knacken.
„Nehmen Sie die Hauptartillerie vom Netz und geben sie Antrieb und Schilden mehr Energie. Informieren Sie das Flottenkommando, dass wir nicht mehr in der Lage sind das Gefecht fortzuführen.“
Seine Offiziere nickten.
„Rudergänger berechnen Sie einen Kurs, um uns so schnell wie möglich aus der Reichweite der Akarii rauszubringen.“
„Aye, aye, Captain.“
„XO!“
„Captain.“
„Wir führen eine drei Stufen Evakuierung durch. Sie kennen die Prozedur. Beginnen Sie.“
„Sir, die ganze Steuerbordseite hat sich verzogen und ist teilweise nicht passierbar, wir haben nicht mehr genügend Rettungskapseln.“
„Ich weiß, koordinieren Sie die Evakuierung und sehen Sie zu, dass die Rettungskapseln ordentlich besetzt werden.“
„Aye, aye, Skipper.“
McKenna nahm den Rufer: „1-MC, hier spricht der Captain! In wenigen Minuten werden wir mit einer drei Stufen Evakuierung des Schiffes beginnen. Bereiten Sie sich vor mit der ersten Phase zu beginnen! Captain Ende!“
Im Anschluss aktivierte der Captain die Aufzeichnung des Logbuches: „Computerlogbuch TRS Midway: Während der Schlacht von Sterntor haben sich Crew und Schiff durch eine Hartnäckigkeit ausgezeichnet, die seines gleichen sucht. Nach hartem Kampf unter Aufbietung all unserer Kräfte habe ich entschieden, dass das Schiff das Gefecht nicht mehr fortsetzen muss. Die Beschädigungen stellen eine Gefahr für das Leben meiner Besatzung dar. Wir beginnen jetzt mit der Evakuierung und geben das Schiff auf. Gezeichnet Captain Quentin McKenna, kommandierender Offizier.“
„Signaloffizier, geben Sie ihrem Stellvertreter eine Sicherheitskopie des Logbuchs, anschließend schießen Sie die Boje ab.“
„Aye, aye, Sir.“


Maschinenraum, TRS Midway

Waleri Poljakow hatte der kurzen Ansprache seines Captains gelauscht. Als Chefingenieur war er bestens über den Zustand SEINES Schiffes informiert. Vermutlich kannte er die Beschädigungen der Midway besser als ihr Captain.
Er wusste, für wie viele Leute Rettungsboote und –kapseln vorhanden waren. In etwa wusste er, wie viele Besatzungsmitglieder sich noch an Bord aufhielten und natürlich war ihm auch klar, dass die Rettungseinrichtungen an Steuerbord nicht mehr zu gebrauchen waren.
Eine einfache Rechnung: „Chief Manning!“
„Aye, Commander?“
„Geben Sie Raumanzüge aus. Schweres Gerät, und überprüfen Sie den Notausstieg achtern an backbord.“
„Aye, aye, Sir.“


Black Rain 6-0-7

„Sieht aus als ob die Akarii durch sind, Boss.“
„Ja, dass sehe ich auch so.“, stimmte Irons ihrem Bordschützen zu und holte die kleine Taschenlampe aus ihrem Notfallkit hervor. Mit mehrfachem Anblinken machte sie den nächsten Crusaderpiloten auf sich aufmerksam und drehte dann Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand ausgestreckt mehrfach im Kreis.
Jimmy Shuttleworth bestätigte durch einen Salut und ließ seinen Bordschützen den nächsten benachrichtigen, während er damit begann seine Triebwerke hochzufahren.
Irons wartete auch nicht mehr lange, sondern zündete ebenfalls.
Nach und nach im Sekundenabstand fuhren die Systeme der Crusader hoch. Mit den Schutzschilden wartete sie noch, diese würden die Akarii viel eher entdecken als Triebwerkssignaturen. Doch allzu lange durfte sie das auch nicht hinauszögern, sonst würden die Schilde ihr in der Schlacht fehlen.
„Woohhh, Scheiß die Wand an, die Echsen haben es echt eilig.“
„Sieh Dir den Vektor der dritten Flotte an, Skates, die Echsen haben den Raumanzug so voll, dass die Kacke schon aus der Halskrause tropft.“
„Papa Bear für alle Einheiten,“, wurde die Funkstille gebrochen, „Waffen scharf, Schilde hoch! Holt Euch die Echsen!“
„Irons für Black Rain: Ziele ausrufen!“
Sofort erklang das Geschnatter. Die meisten ihrer Piloten riefen einen der beiden Träger aus. Hungry Joe und zwei Thunderbolt-Crews reklamierten einen schweren Kreuzer für sich. Mirage-Piloten und die Bomberpiloten des Flying Circus riefen eine Zerstörerflottille aus.
Irons selbst rief einen etwas hinter den beiden Trägern hängenden leichten Kreuzer aus.
Auf den Monitoren der Akarii mussten die Alarmmeldungen geradezu explodieren. Die Bomber und Jagdbomber der fünften Flotte befanden sich schon weit innerhalb der Raketenreichweite. Viel zu nah um damit noch sinnvoll eine Abwehr zu koordinieren. Doch schon innerhalb weniger Sekunden blitzte auf den ersten Akarii-Schiffen das Abwehrfeuer auf, doch noch zu sporadisch, zu ungezielt.
Die ersten Bomber ihrer Schwadron eröffneten das Feuer. Kernschussweite für einen Flottenträger, das würde der Brocken nicht überstehen.
An der Flanke des Uniforms blühten die Punktverteidigungssysteme auf und pflückten Raketen aus dem All. Dann entflammte die erste Atomexplosion die Flanke des Kolosses. Schutzschilde leuchteten auf und erblühten im blauen Schimmer, während die atomare Wut der Terraner auf sie einhämmerte.
Jene Waffe, die fünfzig Jahre die Existenz der Menschheit bedroht hatte.
Irons feuerte selbst, als ihre Raketen auf den leichten Kreuzer aufgeschaltet hatten. Alle sechs Stück. Direkt auf den spitzen Bug zu.
Der Akarii warf Störkörper, versuchte auszuweichen, war aber zu schwerfällig. Das Schiff aus den vorangegangenen Schlachten zu beschädigt um sich effektiv zu verteidigen.
Fünf ihrer sechs Mavericks schlugen in den Bug des leichten Kreuzers ein, der stoppte als ob er gegen eine unsichtbare Wand gefahren wäre.
Unter gewaltigen Explosionen brach das Schiff auseinander.
Dann war wieder der allgemeine Ton in ihrem Ohr, das Jubeln von Piloten über ihre angebrachten Treffer, vermischt mit den Schreien ihrer sterbenden Kameraden.
„Die Jäger! Die Jäger kommen!“ Das war Peacemaker, einer der Jagdbomberpiloten.
„Dann nichts wie weg! Haut raus was Ihr noch könnt, dann verschwinden wir von hier!“ befahl Papa Bear.

Die Bomber und Jagdbomber gingen so schnell wie sie gekommen waren. Beide Formationen beschleunigten, was ihre Triebwerke hergaben.
Mit knapp fünfzehn Prozent Verlusten waren die Menschen gut weggekommen, doch noch waren sie nicht aus dem Schneider.
Die Akarii wollten Blut sehen, und die ersten, die zur Stelle waren, war eine Gruppe Reaper, die versuchten den flüchtenden Bombern den Weg abzuschneiden.
Ein schwerwiegender Fehler des akariischen Staffelführers, der es eigentlich besser hätte wissen müssen als sich mehreren Schwadronen Bomber direkt in den Weg zu stellen.
Die geballte Feuerkrafft an Raumkampfraketen von Papa Bears Schwadron ließ nur noch Konfetti von den Reapern übrig.
Aber diese waren nicht Irons Hauptsorge. Hinter ihnen, da waren die Bloodhawks, die Deathhawks und Deltavögel, die sie einholen würden und die sich nicht vor der schieren Feuerkraft der Crusader fürchten brauchten.
Doch der Blick zurück zeigte noch ein weiteres bitteres Bild, beide Uniforms fuhren noch, obwohl Irons sich sicher war, dass beide getroffen worden waren und einer mindestens sehr schlimm.
„Brich auseinander Du verdammter Hurensohn!“
„Das hätte er eigentlich nicht überstehen dürfen.“, knurrte Skates.
04.03.2016 07:48 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Tyr

‚Errichte dein Marschlager niemals am Fuße eines Hügels.’
Aus den Schriften des antiken Akarii-Generals Rikata. Diese prosaische taktische Maxime wird heute meistens äquivalent zum irdischen ‚Hochmut kommt vor dem Fall’ oder ‚Vorsicht ist besser als Nachsicht’ verwendet.



Imperialer Flottenträger KAHAL

Admiral Mokas Taran versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. Das gelang ihm erst, als er die sich ihm helfend entgegenstreckende Hand ergriff. Fast hätte er sofort wieder das Gleichgewicht verloren. Aber Kapitänin Los – denn sie war es, die ihm auf die Beine geholfen hatte – packte mit der anderen Hand grob seine Schulter und hielt ihn so in der Senkrechten. Die Worte, die ihr Mund formte, konnte er nur mit Mühe verstehen. Er begriff ihren Inhalt, aber nicht ihren Sinn.
„…Lecksicherung…leichte Hüllenbrüche…abgeriegelt. Schildrekonfigurierung in…“

Eben noch, vor vielleicht nur einigen wenigen Augenblicken, war alles ganz anders gewesen. Sie hatten die feindliche Formation hinter sich zurückgelassen. Der Durchbruch hatte auf beiden Seiten Opfer gefordert, aber nach der Zerstörung oder dem Ausfall von zwei terranischen Trägern und mehreren Kreuzern schien die TSN zu einer energischen Verfolgung nicht mehr in der Lage. Sie hatten es geschafft. Eine drohende Katastrophe in einen Triumph verwandelt.
Zumindest hatte er das geglaubt.

„War das ein Minentreffer?“ Taran war erstaunt darüber, wie ruhig seine Stimme klang.
Es war Kapitän Matir, der ihm antwortete: „Nein, das waren feindliche Bomber.“ Doch selbst er wirkte erschüttert, auch wenn er sich bei dem überraschenden Einschlag mehrerer Nuklearraketen hatte auf den Beinen halten können.
„Bomber? Aber woher…“
„Sie müssen sich mit abgeschalteten Triebwerken in den Strahlungsausläufern des Sprungpunkts verborgen haben. Dazu noch die Energiesignaturen der feindlichen Flotten, das Gefechtschaos, die Störsignale…
Wir haben sie nicht einmal kommen sehen. Erst als es schon zu spät war.“
Der Admiral schüttelte den Kopf, und winkte dann unwirsch ab. Das spielte jetzt keine Rolle mehr, zumindest im Augenblick. Taran machte sich aus dem stützenden Griff seiner Stabschefin frei. Allerdings musste er sofort nach dem Rand einer Kontrollkonsole greifen, um nicht schon wieder den Boden unter den Füßen zu verlieren: „Wie sind unsere Schäden?“
Kapitänin Los räusperte sich, während sie zur Seite trat, ihren Vorgesetzten aber wachsam im Auge behielt: „Wie gesagt…wir hatten zwei leichte Hüllenbrüche und beträchtliche Schäden an der Backbordpanzerung. Eine Abteilung musste abgeriegelt werden. Berichte über Verletzte oder Tote liegen noch nicht vor. Eine Laserbatterie ist offline gegangen. Aber wenigstens funktionieren die Triebwerke weiterhin einwandfrei.“
„Der Hangar?“
„Betankung und Bestückung der gelandeten Maschinen laufen weiter.“ schaltete sich der Verbindungsoffizier des Bordgeschwaders ein. „Darüber hinaus…“
„Alles andere ist unwichtig. Ich will, dass alle verfügbaren Abfang-, Sturm- und Überlegenheitsjäger sich auf diese verdammten Bomber konzentrieren. Genauso wie unsere Flugabwehreinheiten. Die KALLEH und die ELIAK sollen das Feuer koordinieren. Diese Missgeburten sollen bluten! Sagen Sie Lukat…“
„Admiral, die CHA’KAL…“
„Was?!“ Taran fuhr zu Kapitän Matir herum. Der ältere Trägerkapitän antwortete nicht sofort. Aber das brauchte er auch nicht. Ein Blick in sein Gesicht und auf die taktische Gefechtsanzeige sagte Taran alles, was er wissen musste. Alles – und noch mehr.
„Bei den Göttern…“

Der feindliche Angriff hatte die angeschlagene CHA’KAL mitten in einer Kurskorrektur oder einem Ausweichmanöver erwischt. Sie hatte die Hauptwucht des feindlichen Überraschungsangriff abbekommen. Und im Gegensatz zur KAHAL waren ihre Schilde und Panzerung nicht stark genug gewesen, um dem konzentrierten Beschuss zu widerstehen. Die feindlichen Atomraketen hatten die Schilde überlastet, den Rumpf aufgerissen, die Triebwerke und zahlreiche Werfer und Geschützbatterien ausgeschaltet. Was nur wenige Minuten zuvor ein kampfstarkes Kriegsschiff gewesen war, war jetzt nur noch ein Wrack, das in einem Winkel von knapp neunzig Grad von der sich zurückziehenden Flotte wegdriftete. Und dessen Abstand zu den anderen Schiffen mit jeder Sekunde um weitere 80 Kilometer wuchs.

„Rufen Sie die CHA’KAL. Wir müssen wissen, was da los ist. Und…“ Taran brach jäh ab und schloss kurz die Augen. ‚…und ob es überhaupt noch jemanden gibt, der dort das Kommando hat.’ Die Sensoren der KAHAL zeigten an, dass die Brücke ihres Schwesterschiffes mindestens einen direkten Treffer eingesteckt hatte.
Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, meldete sich der Kommunikationsoffizier: „Admiral, einkommender Funkspruch von der CHA’KAL. Er kommt…von der Notbrücke.“
Die letzten Worte des Kommunikationsoffiziers dämpften die kurz aufflackernde Erleichterung. Wenn bei einem derart großen Schiff wie der CHA’KAL die Notbrücke einspringen musste, dann nur aufgrund schwerster Schäden.
„Stellen Sie schon durch!“
Als der Schirm aufleuchtete, war es das Gesicht Kapitän Lukats, das seinem Vorgesetzten und den Brückenoffizieren der KAHAL entgegenstarrte. Doch das grobkörnige, immer wieder von Störungen überlagerte Bild, das sich ihnen bot, hatte wenig mit dem ruhigen und kontrolliert wirkenden Flottenoffizier zu tun, den sie zu kennen glaubten.
Die Uniform des Trägerkapitäns war rußgeschwärzt und an einigen Stellen zerrissen. Ein dunkle Flüssigkeit sickerte aus seinen Nasenlöchern und den Mundwinkeln. Und die Art und Weise, wie er sich in dem Kommandostuhl krümmte, zeigte deutlich, dass er Schmerzen hatte. Die anderen Männer und Frauen, die die Notbrücke bemannten, sahen teilweise nicht viel besser aus. Und vielen stand der Schock und das Entsetzen in das Gesicht geschrieben.
Die Stimme des Kapitäns der CHA’KAL schwankte, aber seine Augen blickten klar und fokussiert: „Admiral…ich melde…schwere Schäden auf fast der Hälfte der Decks. Antrieb…ausgefallen. Schilde…weitestgehend ausgefallen. Wir versuchen, sie mit Reserveenergie zu stabilisieren, aber…
Wir haben die Hälfte unserer Geschützbatterien und schweren Raketenwerfer verloren.“
Er sagte nichts über das Chaos, das überall auf den Gängen der CHA’KAL herrschen musste, über die zahllosen Toten und Verwundeten. Nichts darüber, wie die verbliebenen Männer und Frauen der Brückencrew und die Offiziere, die an die Stelle der Toten oder Schwerverletzten hatten treten müssen, über Umwege und unter Lebensgefahr durch teilweise instabile Seitengänge die Notbrücke erreicht hatten, wo der zweite Offizier der CHA’KAL verzweifelt versuchte, Ordnung in das Chaos zu bringen.
Admiral Tarans Fingerklauen bohrten sich schmerzhaft in seine Handfläche, während er darum rang, den Anschein ruhiger Kontrolliertheit aufrechtzuerhalten: „Besteht eine Chance, die Triebwerke wieder zum Laufen zu bringen?“
Langsam, schwerfällig schüttelte Lukat den Kopf: „Wir bräuchten mehrere Stunden, und selbst dann wäre es ungewiss. Ich…“ Er wusste, dass er damit das Todesurteil für sein Schiff verkündete

Die Gedanken des Admirals überschlugen sich. Die CHA’KAL würde ihren Kurs nicht mehr korrigieren können – einen Kurs, der sie immer weiter von dem Sprungpunkt wegbrachte. Einen Giganten wie die CHA’KAL in Schlepp zu nehmen, war möglich – aber nicht unter diesen Umständen. Nicht, während zwei terranische Flottenträger zu Girads immer noch schlagkräftigen Streitmacht aufschlossen. Und selbst wenn es das Schiff irgendwie bis zum Sprungpunkt geschafft hätte – in diesem Zustand wäre es wahrscheinlich beim Eintritt in den Hyperraum zerrissen worden. Sowohl die Menschen wie auch die Akariis hatten einige grauenhafte Unfälle erlebt, als beschädigte Schiffe einen Sprung versucht hatten.

„Kommunikation, Signal an die Flotte. Geschwindigkeit auf 50 Kilometer die Sekunde reduzieren.“
„Admiral, das könnte Girad erlauben, ihre Kampfflieger einzuholen und neu aufzumunitionieren. Vielleicht können ihre Kreuzer sogar…“
„Wir haben die COLUMBIA schwer getroffen. Zwei leichte Träger der Menschen sind nur noch Wracks. Wo bitteschön sollen die terranischen Kampfflieger da noch landen?
Die Geschwindigkeit wird reduziert. Und solange beibehalten, bis ich neue Order gebe.“
Kapitän Matir nickte knapp und räusperte sich. Seine Stimme klang heiser: „Neuer Kurs, Admiral?“
Für einen kurzen Augenblick schloss Taran die Augen. Es war zuviel. Eben noch hatte er geglaubt, dass er einen glänzenden taktischen und strategischen Sieg errungen hatte. Und jetzt…
Dann öffnete er die Augen. Er hatte keine Zeit, um sein Schicksal zu verfluchen. Zeit…das war sein größtes Problem: „Kurs wird beibehalten.
Lukat, wie ist Ihr Hangarstatus?“
Der Trägerkapitän starrte seinen Vorgesetzten ein paar Augenblicke ausdruckslos an. Er wusste, was Tarans Befehl und seine Frage bedeutete: „Nur eines der Tore funktioniert noch, aber ja. Wir können noch starten.“
„Dann…sollen alle flugfähigen Einheiten so schnell wie möglich starten. Die Jäger und Kampfflieger verlegen auf die KAHAL. Lassen Sie alle nicht gefechtsrelevanten Stationen an Bord der CHA’KAL räumen. Ihre Shuttles fliegen die leeren Truppentransporter an. Dort ist genug Platz, und sie stehen nicht im direkten Gefecht. Beginnen Sie mit der Evakuierung.“

Der Kapitän der CHA’KAL zuckte kurz zusammen – ob wegen seiner Verletzungen oder wegen dem, was die Befehle seines Vorgesetzten bedeuteten, war nicht genau festzustellen. Die nächsten Worte kamen nur langsam über seine Lippen: „Sie geben…die CHA’KAL auf.“
„Sie wissen, dass ich keine andere Wahl habe, Kapitän. Wir haben nicht die Zeit und nicht die Mittel, um Ihr Schiff zu retten. Jetzt geht es um das Wohl der ganzen Flotte. Und darum, so viele zu retten, wie möglich.“ Taran riss sich zusammen. Sich vor einem Untergebenen zu rechtfertigen, war manchmal notwendig – aber auch ein Zeichen der Schwäche: „Lukat, der Kampf der CHA’KAL ist noch nicht vorbei. Die feindlichen Kreuzer holen auf – und jemand muss die Evakuierung absichern. Ich werde jedes Shuttle schicken, das noch fliegen kann, um Ihre Leute aufzunehmen und die Rettungskapseln aufzusammeln. Und Jäger, die sie beschützen. Ich kann Ihnen Zeit geben, um so viele Mannschaften wie möglich zu evakuieren. Aber ich kann keine weiteren Schiffe detachieren. Nicht, wenn die feindliche Flotte weiter vorrückt.“
„Das könnte allerdings die Neubestückung unserer Kampfflieger verzögern.“ gab Matir zu bedenken, auch wenn er es dabei nicht wagte, seinem Kollegen von der CHA’KAL in die Augen zu sehen.
Taran nickte brüsk. Er wusste, er ging ein Risiko ein und verstieß gegen mindestens zwei Gefechtsrichtlinien. Vorrang musste eigentlich die Rettung der anderen Schiffe und die Bekämpfung des Gegners haben. Und dennoch…
Kapitän Lukat, der während dieses kurzen Wortwechsels mit einem seltsam abwesend wirkenden Gesichtsausdruck zu Boden geschaut hatte, hob den Kopf. Seine Augen glänzten verdächtig, aber seine Stimme blieb fest: „Ich kenne meine Pflicht. Jedes Geschütz, jeder Werfer…kämpft solange, bis es zerstört ist oder keine Munition mehr hat.“
Seltsamerweise war es jetzt Taran, der zögerte: „Wir brauchen Sie Lukat. Es sind wenige Kommandeure mit Ihrer Erfahrung übrig. Zu wenige. Sie werden ein neues Schiff führen…“
Der alte Offizier schüttelte brüsk den Kopf: „Das glaube ich nicht, Admiral. Nicht in diesem Leben. Die CHA’KAL ist mein Schiff. Solange sie kämpft, solange noch ein Werfer, noch eine Batterie feuert, steht dieses Schiff im Gefecht und ich werde es nicht im Stich lassen.“
„Sie könnten immer noch…“
„Sagen Sie mir jetzt nicht, wie ich meine Pflicht erfüllen soll oder wo mein Posten ist. Jemand muss die Evakuierung organisieren und dafür sorgen, dass sie nicht in einem Chaos oder einem Blutbad endet. Dass die CHA’KAL weiterfeuert. Das ist meine Aufgabe. MEINE. Und ich kann sie nicht erfüllen, wenn ich in einer Rettungskapsel hocke, wie ein Feigling, der vor dem Unvermeidlichen zu fliehen versucht.
Wenn Sie sagen, dass Sie die CHA’KAL nicht retten können…dann lassen Sie mich wenigstens dafür sorgen, dass ihr Ende würdevoll ist.“ Hatte in Lukats Worten zuerst Wut mitgeschwungen, klangen sie am Ende fasst bittend.
„Kapitän…“ Taran wusste, dass eine Bitte auf taube Ohren stoßen würde. Er konnte Lukat natürlich befehlen, seinen Posten zu räumen. Aber wahrscheinlich hätte der Trägerkapitän dann ganz einfach den Befehl verweigert: „Ich wünsche Ihnen viel Erfolg.“

Der alte Kapitän nickte nur knapp, wandte sich ab, drehte sich dann aber noch einmal zu seinem Vorgesetzten um. Und jetzt überwog wieder die Wut in seiner Stimme: „Admiral…eines noch.
Ich habe Ihren Befehlen immer gehorcht. Ich bin Ihnen mit der CHA’KAL in diese Schlacht gefolgt. Gemeinsam haben wir Siege errungen – Siege, für die ich jetzt den Preis zahlen muss. Ich habe für das Imperium gekämpft und für Sie. Aus Pflichtbewusstsein, aus Loyalität – und weil ich Ihnen geglaubt habe, als sie sagten, dass diese Schlacht dazu beitragen wird, unser Schicksal zu wenden.
Ich weiß nicht, ob Sie wirklich an das glauben, was Sie sagen, oder ob das alles nur…Worte waren. Und diese Schlacht nur ein unbedeutender Zug in dem Spiel, dass Sie, Rian und Linai spielen.
Ich hoffe, dass dies nicht der Fall ist. Denn ich werde auf Sie warten, auf der anderen Seite. Ich werde nicht allein sein. Und ich werde Fragen haben. Ich hoffe, dass Sie mich dann nicht dadurch enttäuschen, dass Sie keine Antworten haben. Oder mir nicht versichern können, dass das alles einen Sinn hatte…“
„Lukat, verdammt…“
„Wenn Sie mich dann entschuldigen würden, Admiral? Ich habe zu tun.“ Der Trägerkapitän wandte sich um, diesmal endgültig, und ertappte einen jungen Waffenoffizier dabei, der mit den Tränen kämpfte. Tränen der Angst, der Wut, der Enttäuschung – vielleicht auch des Schmerzes, denn Lukat war nicht der einzige Verwundete auf der Notbrücke. Kurz geisterte so etwas wie ein Lächeln über die blutverschmierten Gesichtszüge Lukats: „Beruhigen Sie sich, Leutnant. Es gibt keinen Grund, Angst zu haben. Wir sind noch nicht tot. Wir tun nur unsere Pflicht. Das, was wofür wir geboren wurden.
Welche der feindlichen Einheiten befinden sich in Feuerreichweite?...“
Während Lukat der schwankenden Stimme des Waffenoffiziers lauschte, ließ er seine Augen über die Konturen der Notbrücke wandern. In all den Jahren, die er an Bord der CHA’KAL gedient hatte, hatte er diesen Raum eigentlich nur bei Übungen betreten. Er war viel kleiner, funktionaler und spartanischer als die große Hauptbrücke. Und dennoch, für das, was nun kommen würde, war dieser Platz genau der richtige. Kurz kämpfte er mit dem Gefühl, dass alles schon einmal gesehen oder gehört zu haben. Irgendwann, vor langer Zeit, oder in einer alten Geschichte.
„…werft furchtlos euer Leben in den Abgrund,
aus dessen Schatten wir einst wiederkehren.
In einem andren, bessren Leben…“
Ein stechender Schmerz riss ihn aus seinen Gedanken, während er den Worten lauschte, die aus einer längst vergessenen Erinnerung aufgetaucht waren. Trotzdem schaffte er es, sich aufzurichten. Er würde das hier richtig machen: „Rakis, kümmern Sie sich um die Koordinierung der Hangarbetriebs.
Feuer auf die nächste Feindeinheit auf mein Kommando. Die CHA’KAL kämpft weiter.“
04.03.2016 07:48 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Cattaneo

The Green Knights

Grüne Staffel, ein Stück feindwärts des Columbia-Verbandes

Lilja brauchte eine Weile um zu erkennen, dass ihre Stimme Teil des wüsten Jubelchors auf allen möglichen Frequenzen war. Eben noch hatte es so ausgesehen, als würde die Schlacht sich für die Menschen zu einem Desaster entwickeln. Tarans Angriff hatte dem einen Flügel der verbündeten Flotten übel zugesetzt. Die Midway war schwer getroffen worden, vermutlich verloren, und auch die Derflinger hatte erheblich Schaden genommen. Mehrere kleinere Schiffe der TSN oder der CAV waren ebenfalls beschädigt oder gar zerstört. Die zweite Formation der Verbündeten übte zwar erheblichen Druck auf die Akarii aus, doch auch sie hatte Verluste erlitten. Die Columbia war erneut getroffen worden, focht aber unvermindert weiter. Dennoch, einen Moment lang hatte es so ausgesehen, als könnten die Akarii nicht nur durchbrechen, sondern auf dem Weg zum Sprungpunkt auch noch Kleinholz aus der Hälfte der Verteidigungsflotte machen. Nach den Rückschlägen der letzten Tage schien eine solche Niederlage zumindest denkbar.
Der Angriff der getarnten Bomber und Jagdbomber änderte Alles. Er stärkte den Kampfgeist der Menschen, und brachte den Verband der Akarii durcheinander. In Kämpfen wie diesen, wo beide Seiten einander in Sachen Feuerkraft und Können fast ebenbürtig waren, konnten solche Momente den Verlauf der Schlacht wenden.
Die Kampfflieger hatten eigentlich nicht viele feindlichen Schiffe zerstört oder beschädigt, aber selbst Lilja konnte von Bord ihres Jägers erkennen, dass ein imperialer Flottenträger tödlich verwundet worden war. Nach all den Rückschlägen, nach der Enttäuschung mit dem zerstörten feindlichen Köderschiff, war das die Nachricht auf die sie alle gewartet hatten, seitdem die Echsen ins System gesprungen waren.
Natürlich war die Schlacht damit nicht vorüber. Der Gegner war immer noch stark, zu stark um ihn zu zerschlagen, und sein Kampfgeist schien nicht gebrochen. Aber dass einer der Kampfgiganten der Uniform-Klasse vernichtet war, das wog viele bittere Stunden auf.

Doch Lilja war nicht zufällig Staffelchefin geworden. Wenn sie etwas gelernt hatte, dann ihre Emotionen wenn schon nicht zu beherrschen, so sich doch nicht von ihnen beherrschen zu lassen, falls sie sie nicht sogar in etwas destruktiv-nützliches umwandelte. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass die Verluste, die die TSN erlitten hatte, ihre Freude trübten. Vielleicht warnte sie auch ihr Unterbewusstsein, das ihr mehr als einmal das Leben gerettet und einem Feind den Tod gebracht hatte. Jedenfalls verstummte sie mitten in ihrem Jubelgeschrei, und starrte gebannt auf die taktischen Anzeigen. Dann fluchte sie mörderisch. Ihre Stimme peitschte über die Staffelfrequenz und schnitt durch die Glückwünsche ihrer Kameraden: „Ruhe!“ Diese Worte, mit einer selbst für sie ungewöhnlichen Schärfe und Lautstärke gebellt, halbierten das Stimmenkonzert augenblicklich, und kurz darauf verstummten auch die übrigen Fighting Stallions.
„Sir!“ das galt Captain Crawford: „Sehen Sie...“
Die Antwort des rangälteren Offiziers war eine Mischung aus Grimm und professioneller Gelassenheit: „Bestätige – da will offenbar jemand Rache...“
Die Bomber und Jagdbomber der TSN hatten auf ihrem Rückweg durch den feindlichen Verband einen ähnlichen Kurs wie beim Angriff eingeschlagen. Auf diese Weise gaben ihnen die havarierten oder zerstörten Schiffe des Gegners etwas Deckung und zumindest ein Teil der Flakgeschütze, die sie passieren mussten, waren zerstört oder beschädigt. Außerdem musste der Feind sich in Acht nehmen, wenn er auf sie schoss. In ihrem Fluchtvektor driftete eine beträchtliche Anzahl von feindlichen Rettungskapseln und Beibooten. Das bedeutete, dass die imperialen Geschütze, radargelenkte oder Infrarot-Raketen Gefahr liefen, Schiffbrüchige zu treffen. In dem Durcheinander konnte man sich selbst auf FFI- und Bilderkennungswaffen nicht hundertprozentig verlassen. Die Akarii standen also vor der Wahl, ihr Feuer zu limitieren oder möglicherweise ein paar Dutzend Kameraden zu töten. Wenn das nur für ein paar Sekunden Verzögerung sorgte, konnte dies für die eine oder andere TSN-Maschine über Leben und Tod entscheiden.
Aber das Imperium war nicht gewillt, den Feind einfach so davonkommen zu lassen. Einige schnelle Flakeinheiten änderten ihren Kurs, um ein besseres Schussfeld zu gewinnen, vor allem aber stoben feindliche Jäger heran. Sie waren die tödlichsten Feinde für Kampfflieger ohne Geleitschutz, und sie waren selbstsicher genug um keine Angst zu haben, vielleicht schiffbrüchige Waffenbrüder zu treffen. Die TSN-Maschinen feuerten zwar im Rückzug ihre Heckwaffen und ihre verbliebenen leichten Raketen ab – moderne Waffen mit Ausnahme der „dummen“ Sidewinder konnten auch lageunabhängig ihr Ziel anpeilen – doch das würde kaum ausreichen.

Lilja musste an sich halten, damit man ihr die Frustration nicht anhörte. Normalerweise hätte sie über ihre Reaktion selbstständig entschieden, insoweit der Schlachtplan ihr Freiräume ließ. Aber seitdem man ihr Crawford vor die Nase gesetzt hatte – pardon, seitdem er sich ihr selbst vor dieselbe platziert hatte – war sie an seine Entscheidungen und seine „Erlaubnis“ gebunden. Und das Verhältnis zu Crawford war nicht annähernd so sehr von Vertrauen geprägt wie gegenüber ihrer alten Vorgesetzten.
„Sir, wenn Sie erlauben – wir müssen ihnen zu Hilfe... “
Wieder ließ Crawford sie nicht ausreden: „Selbstverständlich – hören Sie zu, wir haben nicht viel Zeit, und sagen Sie Bescheid, wenn Ihnen noch etwas einfällt, Sie kennen die Staffel am besten...“
Lilja schloss ihren Mund mit einem Schnappen, das mit Sicherheit noch über die Funkkanäle hörbar war. Sie vergaß immer noch, dass Crawford natürlich ebenfalls ein erfahrener Pilot war, und obwohl seine Aufmerksamkeit von seiner Aufgabe als Geschwader- und Verbandschef bereits in Anspruch genommen wurde, war er auch mit „einer Hand auf dem Rücken“ ein recht kompetenter Staffelchef. So hörte sie reuig die knappen Anweisungen an, und begann dann Anmerkungen zu machen...

Angesichts der Eile, mit der die Rettungsmission für die verfolgten Kampfflieger anlaufen musste, war Lilja doch beeindruckt, was ein Captain, zugleich Verbandschef, und ein Lieutenant Commander in der Funktion einer Staffelchefin in Bewegung setzen konnten – obwohl sie gewünscht hätte, es wäre noch mehr geschehen. Crawford hatte sich dagegen entschieden, weitere Staffeln außer der Grünen einzusetzen. Die Schwarzen waren verschossen und dezimiert, und Blau, Rot und Gelb sollten weiterhin die Columbia absichern. Zehn Maschinen für eine Rettungsmission, das war ziemlich knapp. Wenigstens hatten sie ein paar Shuttles als Unterstützung organisieren können – ein SAR zur Bergung von abgeschossenen Piloten, ein Radarshuttle, und zwei unbemannte Sturmboote als zusätzlichen Feuerschutz.

Liljas Stimme klang vibrierte geradezu vor Konzentration, brachte aber tatsächlich noch so etwas wie einen ihrer seltenen Witze zustande: „Grüne Staffel, aufpassen! Das wird Präzisionsarbeit. Ich verlasse mich auf euch – zeigen wir den Dickschiffknackern, dass man vielleicht keinen WEIßEN Ritter als Retter braucht, aber doch hin und wieder einen grünen. Auf mein Zeichen – Flugvektoren strikt einhalten! – in drei, zwei, eins, JETZT... “
Die Beschleunigung des Nachbrenners presste sie mit gewohnter Brutalität in den Sitz. Ihre Finger flogen über die Armaturen, und sie wagte kaum zu blinzeln. Die Jäger ihrer Staffel rasten in einer kompakten Formation den fliehenden Bombern entgegen. In der planetaren Luftfahrt wäre so etwas mehr als riskant gewesen, aber Lilja vertraute auf die Größe des Weltraums. Selbst bei Nahkämpfen kam ein unbeabsichtigter Direktzusammenprall sehr selten vor. Und was war in diesem Krieg schon ohne Risiko? Das änderte nichts daran, dass ihr Herz einerseits in die Kniekehlen abgesackt zu sein schien, andererseits aber auch bis zum Hals schlug. Vor ihr, mit wahnwitziger Geschwindigkeit immer näher kommend, flohen die Kampfflieger der TSN vor ihren Verfolgern. Selbst aus der Entfernung, und zum Gutteil nur über die Instrumente sichtbar, war das ein grauenhaft schöner Anblick. Die Terraner stießen ganze Kaskaden von Täuschkörpern aus – Infrarot, Radar, Blitzkörper, IFF-Köder. Ihre Heckgeschütze feuerten unablässig auf die Verfolger, die immer weiter aufholten. Auch die feindlichen Jäger schossen aus allen Rohren, hämmerndes Stakkato der leichten Jäger, mächtige Breitseiten von der Handvoll Sturmjäger die an dem Angriff teilnahmen. Raketen flogen hin und her, gestartet von den Flüchtenden oder den Akarii, detonierten an Täuschkörpern, Schilden oder trafen angeschlagene Jäger direkt. Irgendwo zerbarst eine Maschine – unklar von welcher Seite – in einem ebenso spektakulären wie kurzlebigen Feuerball. Es war schlicht und einfach gesagt die Hölle, eine Hölle, der sich Liljas Staffel rasend schnell näherte.

Unwillkürlich verkrampfte sich die Pilotin. Ihre Augen lagen jetzt allein auf den Instrumenten, nicht auf dem was man sehen konnte. Mit einem gepressten „JETZT!“, das sowohl ihren Untergebenen als auch ihr selbst galt, gab sie brutal Gegenschub, während sie auf die Feuerknöpfe für ihre Raketen hämmerte – einmal, und dann wieder und wieder. Ihr Jäger schüttelte sich, als die Bremsdüsen und der Abschuss von nicht weniger als acht Raketen binnen weniger Sekunden die Maschine massiv verlangsamte. Erst jetzt hob sie ihre Augen wieder von den Instrumenten. Vor ihr schien der Weltraum in Flammen zu stehen. Dutzende Explosionen leuchteten mit einmal auf, steigerten die erwähnte Hölle für Sekunden zum Inferno. Doch sich von dem Anblick fesseln zu lassen wäre tödlich gewesen. Lilja registrierte die nur zu bekannten und verhassten Warntöne, die ankündigten, dass sie von einem feindlichen Raketenzielradar angepeilt wurde. Sie beschleunigte erneut, hämmerte dabei mit mehr Begeisterung als Zielsicherheit auf die Feuerknöpfe ihrer Kanonen, um den Gegner zu verwirren. Sie ließ ihre Maschine abrupt nach „unten“ wegtauchen, nur um sofort wieder zu rollen und zur Seite auszuweichen, gleich darauf folgte ein ebenso gandenloser Steigflug. Fliehkräfte und Beschleunigung zerrten an ihr und der Falcon, während sie einen Täuschkörper nach dem anderen abfeuerte, die durch ihren Kurs in einer Spirale um sie verteilt wurden. Erneut flammten Explosionen auf, diesmal freilich durch feindliche Raketen. Die meisten lagen in sicherer Entfernung hinter ihr, doch nicht alle. Ein, zwei Nahtreffer schüttelten den Jäger durch, und dann wurde die Falcon auf einmal wie von der Faust eines Riesen gebeutelt. Die Maschine schlug förmlich Salti im All. Hektisch huschten die Augen der Pilotin über die Anzeigen, doch der Treffer hatte die Schilde glücklicherweise nicht durchschlagen. Lilja brauchte ein paar Sekunden, bis sie den Jäger wieder unter Kontrolle bekam, und sich nach ihrem Gegner umsehen konnte. Glück gehabt – der Akarii hatte anscheinend genug Probleme, oder keine Raketen mehr.

Erst jetzt hatte sie Gelegenheit, sich von dem Erfolg des Angriffs der Fighting Stallions zu überzeugen. Als Crawford und sie sich dafür entschieden hatten, einen Kollisionskurs mit den fliehenden Kameraden und ihren Verfolgern zu fliegen, hatten sie die Vor- und Nachteile natürlich gekannt. Auf Kollisionskurs gaben ihnen die flüchtenden TSN-Maschinen eine gewisse Deckung. Nicht in dem Sinne von wirklichem „Sichtschutz“, aber durch die Störsignale des tobenden Raumgefechts und die zahllosen Täuschkörper, die beide Seiten abfeuerten. Zudem addierte sich so die Geschwindigkeit beider Verbände. Natürlich behinderte im Gegenzug der „Ortungssmog“, der „Nebel des Krieges “, auch die eigene Zielerfassung. Schlimmer noch, ein Angriff von vorne „kastrierte “ einen Gutteil der Bewaffnung der Falcons, denn Sidewinder-Raketen konnte man nur auf das Heck gegnerischer Jäger abfeuern.
Glücklicherweise hatten sie eine Teillösung parat gehabt...
Aus genau diesem Grund hatten sie das Ortungsshuttle rekrutiert. Die überlegene Elektronik der größeren Maschine im Verbund mit den Informationen des Flottennetzwerkes, an das das Shuttle angeschlossen war und das über die Zielleitungscomputer der Dauntless-Kreuzer lief, erlaubte eine näherungsweise Programmierung der eigenen Raketen. Das war nicht ohne Risiko, aber sie hatten sich entschlossen, den Versuch zu wagen. Und was die Sidewinder anging...

Lilja verschaffte sich einen genaueren Überblick und grinste dabei mit einer Mischung aus boshafter Häme und Ingrimm, als sie an eine schwere Explosion dachte, die sie vorhin fast nur beiläufig wahrgenommen hatte, ein Feuerball der viel größer war als der einer Rakete, die einen Täuschkörper traf. Das…ja, diese große Explosion musste der Sturmjäger gewesen sein, den sie anvisiert hatte. Von hier aus war nicht zu erkennen gewesen, ob der Pilot hatte aussteigen können. Ein Ziel war also ausgeschaltet, doch das zweite – eine Bloodhawk – war ihr offenbar entwischt, nur leicht beschädigt.
Obwohl sie sonst nicht zu Eigenlob und Selbstgefälligkeit neigte, war die Russin in diesem Moment in geradezu schamloser Weise von sich selbst eingenommen. Es war zwar ziemliches Vabanque gewesen, aber ihr kleiner Trick hatte zumindest zu 50 Prozent funktioniert. Sie hatte auf jedes Ziel zwei Sidewinder-Raketen zeitversetzt abgefeuert – nicht auf den feindlichen Jäger, sondern auf der Bahn ihrer ersten Raketensalven, so dass sie sich an deren Fersen hefteten. Das war komplexe Mathematik – der Wärmeausstoß der Anti-Jäger-Raketen reichte zwar aus für eine Zielverfolgung, aber wenn man sich verrechnete, schoss man vielleicht seine eigenen Raketen ab, oder die Sidewinder verloren ihr Ziel, weil die vorher abgeschossenen Flugkörper schon zu weit weg waren. Es war ein Trick, den sie schon ein paar Mal probiert hatte, aber selten erfolgreich – doch heute waren die Infrarot-Raketen zumindest in einem Fall genau im Explosionsball einer der beiden Vorgänger gelandet – direkt im Ziel.

Der Angriff der grünen Staffel hatte die Verfolger erheblich durcheinander gewirbelt. Einige waren wohl zu sehr auf die offensichtlichen Ziele fixiert gewesen, andere hatten sich durch die ECM und Täuschkörper der fliehenden TSN-Kampfflfieger blenden lassen. Und nahm noch hinzu, dass die neun Falcons und die „requirierte“ Griphen der Grünen praktisch ihren gesamten Raketenbestand in 30 Sekunden abgefeuert hatten, unterstützt von den Bordgeschützen und ein paar Raketen der Sturmboote, dann hatte sich eine ungeheure Feuerkraft auf die Akarii konzentriert. Außerdem waren die Echsen infolge ihrer Verfolgungsjagd und des Gefechts mit den terranischen Kampffliegern in einer sehr offenen Formation geflogen, und hatten nur unzureichend auf den Angriff der Grünen Staffel reagieren können. Der Gegner hatte in ein paar Sekunden zwei, nein DREI Maschinen verloren, zerstört oder so beschädigt, dass die Piloten lieber ausstiegen als zu warten bis ein terranischer Jäger ihnen den Gnadenschuss gab. Natürlich war das Gefecht nicht vollkommen einseitig abgelaufen. Einige Falcons hatten Treffer kassiert, und ein feindlicher Sturmjäger hatte es tatsächlich geschafft, ausgerechnet Bad Luck, der als Crawfords Rückendeckung fungieren sollte, beim „Durchstoßen“ der imperialen Formation so schwer zu beschädigen, dass sein Jäger nur noch Schrottwert hatte. Imp und Knight hatten den Gegner zusammengeschossen, wobei der ehemalige Bewährungspilot anscheinend seinen neunten Gesamtabschuss erzielt hatte. Aber Lilja war sich darüber klar, dass Bad Luck nirgendwohin fliegen würde. Sie wollte ihm schon befehlen auszusteigen, als er das bereits tat – entweder aus eigenem Entschluss, oder auf Anweisung von Crawford. Das SAR-Shuttle nahm sofort Kurs auf den Piloten. Aber auch dieser Verlust konnte ihre Zufriedenheit nicht trüben. Drei Echsen erledigt, weitere Akarii waren angeschlagen. Nahm man hinzu, dass auch der Gegner inzwischen verschossen war, rechnete sich Lilja gute Chancen aus, den Bombern und Jagdbombern bei der weiteren Flucht Deckung geben zu können.

Sie brachte ihre Maschine in einem eleganten Bogen zurück ins Kampfgeschehen, das inzwischen immer weiter expandierte. Bedienung der Steuerung und Waffen eines Abfangjägers waren ihr längst in Fleisch und Blut übergangen. Es war diese Erfahrung, die ihr Erfolg und Überleben wenn schon nicht garantierten, so doch ermöglichten.
Im Moment hatte sie keinen bestimmten Feind im Visier, sondern bestrich Gelegenheitsziele mit Passierfeuer und griff immer wieder frei in bereits tobende Gefechte ein. Fast immer reichte ihre Annäherung und der aggressive Einsatz ihres Zielradars – die Akarii konnten ja nicht wissen, dass sie keine Raketen mehr hatte – um feindliche Jäger abzudrängen und Kameraden zu entlasten. Es ging im Moment weniger um Abschüsse, als darum, die Echsen an der Verfolgung der angeschlagenen und leergeschossenen Kampfflieger zu hindern, und sie von dem SAR-Shuttle fernzuhalten, das ausgestiegene Terraner aufsammelte, möglicherweise aber auch ein paar Echsen gefangen nahm.

,Zeit, für die eigene Abschussliste wieder mal etwas Gutes zu tun…’ bei diesem Gedanken lächelte die Russin zynisch vor sich hin. Sie wusste, sie ging ein erhebliches Risiko ein, da sie ohne Flügelmann unterwegs war. Aber sie verließ sich auf ihre Erfahrung und auf ihr Gespür für die taktische Situation. Sie hatte sich von Anfang an entschieden, dass sie selbst und die „Neue“ von den Gunriders – deren Können sie inzwischen als etwa so gut einschätzte wie ihr eigenes – einzeln agieren konnten. ,Zwei Zugpferde zusammenzubinden, das funktioniert nicht immer, und wir sind ohnehin unterbesetzt.’ Soweit sie das beurteilen konnte, war es die richtige Entscheidung gewesen, denn ihre neue Untergebene war gerade dabei, einer havarierten Bloodhawk den Todesstoß zu versetzen. Abschuss Nummer vier für die Stallions, bei nur einem Eigenverlust – das konnte sich sehen lassen. Sie hätte gerne das Verhältnis noch ein wenig zuungunsten der Echsen verschoben, aber jetzt hatte sie eine Pflicht zu erfüllen, auch weil Bad Luck hatte aussteigen müssen. Captain Crawford würde auf keinen Fall abgeschossen werden, wenn sie es irgendwie verhindern konnte.
Ihr nicht unbedingt geschätzter Vorgesetzter schien freilich auch allein sehr gut klarzukommen. Im Moment kurbelte er geschickt mit einer Bloodhawk, deren Kompagnon nicht zu entdecken war…aber halt! Da schlich sich doch tatsächlich ein zweiter Jäger an Crawford an. Die feindliche Maschine schien beschädigt, anscheinend auf einem Heimkehrkurs, aber etwas an ihrem Kurs machte die Russin misstrauisch. ,Könnte glatt der Scheißkerl sein, dem ich beim ersten Anflug die Flügel gestutzt habe. Leider nicht genug.’ Sie warf einen wachsamen Blick auf die Anzeigen, ob sie nicht anderswo eher benötigt wurde. Schon wollte sie mit ihrem Jäger einkurven, als sich Crawford plötzlich meldete: „Grün Eins, noch nicht! Warten Sie, ich locke Ihnen den Leistetreter vor die Rohre. Passen Sie auf…“ Offenbar hatte der Captain die nahende Gefahr schon bemerkt, und war ausreichend von sich überzeugt, um den Versuch zu wagen den Feind in eine Falle zu manövrieren. Es machte ihm nicht einmal etwas aus, die Details zu diskutieren, während er und sein augenblicklicher Gegner sich aus allen Rohren bepflasterten.

Lilja wollte sich nicht auf einen Streit mit ihrem Vorgesetzten einlassen, doch sie bemerkte, dass sie nervös auf der Unterlippe kaute und lautlos Flüche vor sich hin murmelte. In so einer Situation zu warten war nie leicht. Griff sie zu früh an, flog die Falle auf. Wartete sie zulange…nun, wenn der Interims-Formationskommandant unter ihrem Schutz fiel, wäre das eine Schande gewesen, die möglicherweise ihrer Dienstakte und ganz sicher ihrem Gewissen bis in alle Ewigkeit nachgehangen hätte. Egal ob sie Crawford schätzte – das tat sie nicht – oder zumindest respektierte – da war sie sich nicht so sicher – sie war für ihn verantwortlich.
Gerade als sie schon eigenmächtig losschlagen wollte, kam der sehnlich erwartete Befehl. Crawford wechselte noch immer Salven mit seinem ursprünglichen Gegner, und ließ nun seinen Jäger in einem Vektor ausweichen, der dem zweiten Akarii eine vermeintlich perfekte Chance für einen Angriff bot. Doch in dem Moment, wo der imperiale Pilot beschleunigte, nahm auch der Captain bereits eine Kursänderung vor. Der Akarii versuchte hastig seine Flugbahn anzupassen – mehr oder weniger direkt vor die Rohre von Liljas Jäger, die einmal mehr erbarmungslos das Triebwerk ihrer Falcon malträtierte. Crawford hingegen jagte seinen Jäger in ein waghalsiges Looping, das seinen Bug wieder auf seinen ersten Gegner richtete.
Das ganze Manöver konnte nur glücken, weil Crawford und sie kampferprobte Piloten waren, vermutlich erfahrener als ihre Gegner, und weil ihre Maschinen zu den wenigen gehörten, die in Punkto Geschwindigkeit und Beschleunigung mit den meisten Echsen mithalten konnten.
Lilja hämmerte auf die Feuerknöpfe, und glich unablässig die Ausweichmanöver ihres Feindes aus. Sie brachte einen Treffer nach dem anderen an, musste aber ihrem Gegner insgeheim fast so etwas wie Respekt zollen, denn der schaffte es trotz frührer Schäden und einer Maschine, die von ihr Stück für Stück auseinander genommen wurde, immer wieder dem tödlichen Hagel zu entkommen. Wenn er getroffen wurde, verstand er es, ihr mal die Backbord-, mal die Steuerbordschilde zuzuwenden. Aber natürlich konnte dieses Spiel nicht ewig gehen…
,Es sei denn, jemand ändert die Regeln’ fuhr es ihr durch den Kopf, als ein bekannter und verhasster Warnton ihr Zielerfassung durch den Feind signalisierte. Auch Akarii-Jäger konnten lageunabhängig schießen. Notgedrungen brach sie für einen Moment die Verfolgung ab, aber nicht durch ein Ausweichmanöver, sondern indem sie den hakenschlagenden Akarii durch einen rasenden Spurt überholte. Seine Raketen, auf ein Ziel HINTER ihm programmiert und durch mehrere Täuschkörper verwirrt, detonierten weitab. Lilja ließ ihren Jäger rotieren, nur um festzustellen, dass ihr angeschlagener Gegner nicht da war, wo sie ihn vermutet hatte. Der Imperiale hatte erkannt, dass hier nichts mehr zu gewinnen war, hatte sich aber klugerweise auf einem indirekten Fluchtkurs entfernt. Nicht, dass ihn das retten würde. Sein Triebwerk schien teilweise zu stottern, und wo er die meisten TSN-Maschinen hätte abhängen können, müsste sie ihn eigentlich erreichen können.

Lilja überzeugte sich mit einem hastigen aber genauen Rundblick, dass weder Crawford noch sonst einer ihrer Piloten augenscheinlich Hilfe brauchte. Der Captain hatte seinen Gegner endgültig verjagt, wenn auch nicht abgeschossen. Das hieß, im Moment hatte sie freie Hand. Sie musste nur…
„Bin getroffen! Bin getroffen! HAAAAAARRRRR!“ Der lang gezogene Schrei gellte über alle Frequenzen. Lilja zuckte zusammen, starrte auf die taktischen Anzeigen. Das musste Abat sein, die Maschine des jungen Piloten taumelte schwer getroffen durch das All. Der Akarii, der ihn angeschlagen hatte, musste sich vor dem Gegenangriff von Abats Flightführer Sokol in Sicherheit bringen, doch Abat bekam seine Maschine offenbar nicht wieder unter Kontrolle. Er schrie immer noch, mit schriller, sich überschlagender Stimme, in der sich Schmerz und Entsetzen mischten: „Meine Augen! Ich kann nichts sehen! Ich bin BLIND. HAAAAAAAA!“ Lilja zögerte nur einen Moment. Da war der Akarii, ein Ziel, das geradezu auf einen Abschuss wartete. Für Abat konnte sie eigentlich nicht viel tun…
Sie fluchte unflätig, dann brüllte sie: „Staffel – Frequenzwechsel!“ Auf diese Weise warf sie Abat kurzerhand aus der Staffelfrequenz. Sie wollte nicht, dass die anderen Piloten weiter seinen Schmerzensschreien lauschen mussten. Lilja wusste nicht, WIE schwer er verletzt war, aber sie kannte die grauenhaften Schmerzen die er erleiden musste, wusste, wie sich Splitter im Fleisch, verbrannte Haut, gebrochene Knochen, verätzte Schleimhäute ANFÜHLTEN.
Sofort schaltete sie wieder auf die alte Frequenz zurück: „ABAT! Hör mir genau zu, wenn du leben willst! Steig aus, dein Anzug wird dich sedieren. Sofort!“
Der junge Pilot stöhnte, er winselte fast vor Schmerzen: „G…geht nicht. Helm defekt, Anzug auch. Oh Gott!“
„Scheiße!“ Sie zögerte einen Moment lang: „Gut. Ich weiß, dass es wehtut, dass dein ganzes Universum im Moment nur noch aus Schmerz besteht. Aber wenn du leben willst, dann tust du, was ich dir SAGE!“
Sie fürchtete schon, alles käme zu spät, doch dann kam die geflüsterte Antwort: „Jaa. Was…“
„Hör mir genau zu. Fühle die Armaturen deines Jägers. Und jetzt strecke deine Hand aus…“

Die nächsten Sekunden, Minuten erschienen ihr wie eine Ewigkeit. Schritt für Schritt dirigierte sie ihren verwundeten Kameraden. Sie schloss selber die Augen, um sich in seine Situation einzufühlen. Sie dachte an all die Male, wo sie selber in einem wracken Jäger gesessen hatte, dem Tode nah.
Zuerst stabilisierten sie Abats Jäger, bremsten ihn so weit ab, dass er auf einer stabilen Bahn durch das All driftete. Dann ließ sie ihn den Medikamentenspender des Raumanzugs aktivieren, der ihn in ein künstliches Koma versetzte. Sie hörte, wie seine Stimme immer schwächer wurde, versuchte ihm die Angst zu nehmen: „So ist es gut, du bist bald wieder auf dem Damm. Denk daran, was sie alles heute heilen können, denk an Sokol, an mich. Du schläfst jetzt ein, und wir heilen dich, bis du aufwachst. Du wirst von deiner Heimat träumen, von deiner Familie, ALLES WIRD GUT…“
Und dann, als das letzte Flüstern verstummte, dirigierte sie das SAR-Shuttle heran: „Shuttle – wir haben hier einen Schwerverletzten. Sie müssen ihn aus dem Jäger rausholen, Ausstieg unmöglich…“

Die Staffelchefin der Stallions atmete erst auf, als das SAR-Shuttle Abats Jäger endlich ins Schlepptau nahm. Die Mitteilung des Sanitätsteams ein paar Minuten später war zwar knapp, aber offenbar hatten sie den schwerverletzten Piloten bergen können. Die Russin verdrängte den Gedanken daran, wie schmerzhaft der Weg zurück in ein normales Leben sein konnte, einen Weg, den sie schon mehr als einmal gegangen war, ein Pfad, auf dem sichtbare wie unsichtbare Narben zurückbleiben konnten, die niemals ganz heilten. Aber wenigstens würde ihr junger Untergebener leben. Schlimm genug, dass sie EINER Familie würde schreiben müssen – Guardsman war ja bereits im ersten Gefecht der Angels im Sterntor-System gefallen.

Sie hatte die Gegner im Auge behalten, doch erst jetzt wurde ihr richtig klar, dass die Jäger der Echsen auf dem Rückzug waren. Sie ließen von der Grünen Staffel ab, und von den menschlichen Bombern. Vielleicht weil ihre Verluste sie entmutigt hatten, vielleicht weil sie anderswo gebraucht wurden, etwa um die Evakuierung des sterbenden Uniform-Trägers abzusichern und andere Havaristen zu eskortieren. Doch Lilja war entschlossen, einen Gutteil der Lorbeeren auch für ihre Staffel zu „deklarieren“.
Eigentlich gab es nicht viel Grund zur Zufriedenheit, wenn man den gesamten Schlachtverlauf betrachtete. Die Akarii waren entkommen, und es bestand wenig Hoffnung, daran noch viel zu ändern. Sie hatten unter hohen Verlusten fliehen müssen, waren aber der vollständigen Vernichtung entgangen, die sie erwartet hätte, wenn die terranischen Verstärkungen in den Kampf hätten eingreifen können. Es blieb zu hoffen, dass sie auf ihrer Heimreise noch den einen oder anderen Schlag würden einstecken müssen, wenn die TSN endlich mal ihre Hausaufgaben machte und die Sprungrouten verminte, aber sich darauf zu verlassen, wäre töricht gewesen.
Und die Menschen hatten erneut einen hohen Preis zu zahlen gehabt. Aber dennoch fühlte sich Lieutenant Commander Tatjana Pawlitschenko sonderbar erleichtert und fast zufrieden. Ihre Staffel und sie persönlich hatten getan was sie konnten, was von ihnen erwartet wurde, und sogar mehr als das. Sie hatten dem Feind hohe Verluste zugefügt, und nur einen Toten zu beklagen gehabt. Und sie hatten viele Leben retten können. Mehr konnte man wirklich kaum erwarten. Was auch immer demnächst geschehen würde, wie es mit den Angry Angels weitergehen würde, welcher Posten auf sie im Geschwader wartete und ob man ihr nun das PMV verleihen würde oder nicht, das war natürlich alles andere als bedeutungslos. Aber sie brauchte sich wenigstens nicht zu sagen, sie habe nicht mit aller Kraft darum gekämpft, sich aller Verantwortung und allen Pflichten als würdig zu erweisen. Und wenn sie nicht das bekäme, was sie sich wünschte, was sie redlich verdient hatte, nun, dann hatte sie wenigstens den Trost der guten Tat. Als sie die Symbole der Kampfflieger auf ihren Anzeigen und das funkelnde Ballett der Triebwerke im Dunkel des Alls hinter ihrem Cockpit betrachtete, all die Maschinen die zusammen mit den Fighting Stallions zu den Mutterschiffen heimkehrten, wohl wissend, dass es ohne Crawford und sie, ohne ihre Piloten etliche weniger gewesen wären, da fühlte sie tatsächlich so etwas wie Zufriedenheit und Frieden mit sich selbst.

***

An Bord der Columbia, eine halbe Stunde später

Lilja fand relativ mühelos einen Weg durch das Chaos auf dem Hangardeck. Die Columbia war durch die Kämpfe in Mitleidenschaft gezogen worden, wenn auch weniger schlimm als über Karrashin. Langjährige Übung, ein entsprechender Rang und ein gewisser Ruf auch unter den technischen Diensten sorgten dafür, dass die Staffelchefin ihrem Ziel zügig näher kam. Sie hatte – mit Crawfords Erlaubnis, doch dass sie die brauchte, war weiterhin Quell stiller Frustration für sie – ihre Piloten in den Bereitschaftsraum beordert, nun, diejenigen die noch einsatzfähig waren. Die Zahl nahm konstant ab. Crawford bemühte sich anscheinend, auf dem Kommandodeck Ordnung in die Angry Angels und die anderen Geschwader zu bringen. Sie glaubte nicht, dass das gelingen würde, ehe die Akarii außer Reichweite waren. Der Verlust der Midway, die schweren Schäden auf der Derflinger, die Treffer auf der Columbia und dazu noch die erheblichen Verluste an Maschinen und Piloten, verbunden mit der Erschöpfung nach mehreren Großeinsätzen in kurzer Folge, all das forderte endgültig seinen Tribut von den Geschwadern. Viel zu viele Männer und Frauen waren verletzt, einige zusammengebrochen, und auch die technischen Dienste krochen schon längst auf dem Zahnfleisch. Marineinfanteristen legten sowohl im Hangar als auch vermutlich auf der Krankenstation mit Hand an, aber sie waren keine ausgebildeten Techniker oder Sanitäter und konnten nur simple Handreichungen übernehmen.
Die Columbia hatte nicht nur ihre eigenen Wunden zu lecken, die landenden Shuttles luden immer mehr gerettete Schiffbrüchige ab. Nicht für jeden der Neuankömmlinge würde es eine zweite Chance geben. Immer wieder wurden auch Tote ausgeladen. Da waren Piloten, die man nur tot hatte bergen können, Schiffbrüchige, die ihren Verletzungen erlegen waren. All die Leichen würden in einem eigens dafür reservierten Raum neben dem Flugdeck abgelegt werden, später würde man die Todesursache feststellen, sie herrichten und bestatten. Die toten Akarii wurden aus emotionalen und praktischen Gründen gesondert abgelegt. Manchmal wünschte der Geheimdienst Leichen zur Obduktion, um mehr über Krankheiten, Gesundheitszustand und Heilmethoden der Akarii zu erfahren, um die Toten nach ihrer Herkunft und andere Gesichtspunkten zu untersuchen. Es gab auch Gerüchte über Experimente genetischer Natur. Und natürlich konnte man die Leichen so leichter bewachen, damit nicht irgendwelche unautorisierten Aasgeier zuviel Schaden anrichteten. Nicht wenige Soldaten – Lilja eingeschlossen – betrachteten tote Akarii zunächst erst einmal als einen Schritt in die richtige Richtung, und danach nur noch als Kadaver, denen sie keinerlei Respekt oder gar Empathie entgegenbringen mussten. Das war einer der wenigen Punkte gewesen, in denen sie mit ihrem verehrten früheren Geschwaderchef über Kreuz gelegen hatte – eine Andacht für tote Akarii, egal wie viele, war in Liljas Augen widersinnig. So etwas schrie eher nach einer Party und einer Konfettiparade. Was nun den Umgang mit feindlichen Leichen anging, tja, nicht nur Marines und Armeesoldaten hatten in diesem Krieg schon vor Leichen für Erinnerungsfotos posiert oder sich Andenken organisiert, wobei das Ausleeren der Taschen noch zu den harmlosesten Dingen gehörte. Aus geheimdienstlichen und medizinischen Gründen versuchte man solchen Dingen vorzubeugen, nicht immer mit Erfolg.

Lilja bemühte sich um ein zielstrebiges und entschlossenes Auftreten, fühlte sich aber in Wahrheit, als wären ihre Beine aus Pudding. Sie kannte sowohl die Symptome als auch ihre Ursachen. Zuviel Adrenalin, Aufputschmittel, zu viele Emotionen und Hochgeschwindigkeitsmanöver und in ihrem Fall wohl auch zuviel Verantwortung bei viel zu wenig Schlaf, Essen und Trinken. Aber das hieß natürlich nicht, dass sie ihre Pflichten vernachlässigen würde, oder ihre Staffel. Und da Crawford ohnehin gerade beschäftigt war, hieß das, sie hatte freie Hand. Nicht, dass die Russin sich Illusionen machte. Im Moment konnte sie vielleicht noch ein halbes Dutzend Maschinen und eben so viele übermüdete Piloten aufbieten. Aber wenn jemand nach den Fighting Stallions fragen würde, dann mussten sie bereit sein.
Aber im Augenblick ging es ihr mal nicht um den Zustand der Staffel. Sie war aus einem anderen Grund hier. Sie orientierte sich kurz, und steuerte dann ihr Ziel an, eines der gelandeten Shuttles. Die taktische Kennung wies es als SAR-Einheit der Relentless aus, genauer gesagt als das Sanitätsshuttle, das die Russin für ihren Entlastungsschlag „beschlagnahmt“ hatte. Da das Shuttle mehrere Angry Angels und andere Piloten an Bord hatte, und die Medstation der Relentless schon überfüllt war, hatte man ohne lange Diskussion ihrem Vorschlag zugestimmt, das Schiff hier zu entladen, sobald seine Rettungsmission beendet war. Für eine Sanitätseinheit sah das Shuttle mit seinem Zwillingsgeschützturm, den vernarbten Flanken und vor allem mit den Abschussmarkierungen ziemlich martialisch aus. Vermutlich hatte man die Hauptschleuse geöffnet, kaum das der 34-Tonnen-„Krankenwagen“ gelandet war. Das Sanitätspersonal und die an Bord befindlichen Marines hatten unverzüglich begonnen, Verwundete auszuladen, unversehrte oder leichtverletzte Schiffbrüchige taumelten oder humpelten auf den eigenen Beinen um einen Platz zum ausruhen oder die Krankenstation zu erreichen. Lilja wartete geduldig, obwohl sie innerlich zappelte, doch sie wollte das medizinische Personal jetzt nicht stören, obwohl ihr Rang ihr dies erlaubt hätte. Sie wusste, ihre Piloten würde man wohl raustragen müssen – die Drogen der neuen Anzüge hatten sie mit Sicherheit ausgeknockt. Sedierte wurden vermutlich in einem Bereitschaftsraum neben dem Hangar in stabile Seitenlage gebracht, bekamen eine Injektion und durften dann betreut von einem Sanitäter und zwei Marines ihre Reise zurück in die Welt der Lebenden antreten, ein dem Vernehmen nach ziemlich unangenehmer Vorgang. Abat würde natürlich auf der Krankenstation landen, und sicher würde man ihn auf eine externe Station verlegen. Auf Seafort vielleicht, oder auf einem Sanitätsschiff mit Kurs zur Erde, zu seiner Familie.

Ein Trio erregte Liljas besondere Aufmerksamkeit. Offenbar hatte das Shuttle auch mindestens einen Feind aufgesammelt, der jetzt an einen sicheren Platz gebracht wurde. Der Akarii, genauer gesagt ein hochgewachsenes...Weibchen? Frau?...in Hemd und kurzer Hose – ihren Raumanzug hatte man ihr wohl vom Leib geschält als man sie nach Waffen durchsucht hatte – schlurfte mit auf den Rücken gefesselten Händen von Bord. Ein Sergeant der Marines bewachte sie aus sicherer Distanz mit gezückter Laserpistole, und unmittelbar hinter der Pilotin marschierte eine kleingewachsene drahtige Marine mit scharf geschnittenem Gesicht und kurz geschorenen Haaren, die nur mit einen Taserstab und einem Messer bewaffnet war. Sollte die Gefangene sich entgegen aller Wahrscheinlichkeit befreien und irgendwie ihre Wächterin überwältigen, würde sie so keine Schusswaffe erbeuten. Vermutlich hatte man die menschliche Frau deshalb abgestellt, weil sie nicht so kräftig wie ihre Kameraden war, die gerade Verwundete schleppen mussten, aber zäh und bösartig genug, um eine Akarii in den Griff zu bekommen. Immerhin war sie ja eine Marine...
Anscheinend nahmen die Marineinfanteristen der Relentless Vorschriften, Empfehlungen und Erfahrungen dieses Krieges bitter ernst. Allerdings wohl nicht ALLE Vorschriften. Lilja beobachtete mitleidlos, ja sogar mit einer gewissen Genugtuung, wie die Marine ihre Gefangene schikanierte. Immer wieder schlug sie ihr von hinten mit der Hand gegen den Kopf, belegte sie mit gebrüllten Akarii-Flüchen und menschlichen Verwünschungen oder dirigierte sie mit dem Taser wie ein Stück Vieh. Es kam vermutlich den meisten Zuschauern, die den Vorgang mit einer Mischung aus Gleichgültigkeit und Genugtuung beobachteten, nicht in den Sinn, dass ein solches Verhalten sowohl den Prinzipien der FRT unwürdig als auch gegen die Vorschriften der TSN war – theoretisch. Aber der jahrelange Krieg und nicht zuletzt die letzten Ereignisse sorgten dafür, dass ein Teil der Soldaten jede Gelegenheit nutzte, ihre Wut an denen abzureagieren, die gerade zur Verfügung standen und sich vorzugsweise auch nicht wehren konnten. Und noch mehr sahen weg, zumindest so lange eine bestimmte Grenze nicht überschritten wurde, weil es ihnen einfach egal war. Die Geschichten, die man sich über den Umgang der Echsen mit ihren menschlichen Gefangenen erzählte, spielten zusammen mit der uneingestandenen Angst eines Tages selber interniert zu werden wohl ebenfalls ein Rolle.
Nicht einmal als die Akarii lang hinschlug und sich nur mühsam wieder aufrichtete, durch einen heimtückischen Tritt gegen das Knie gefällt, griff jemand ein. Die Gefangene humpelte langsam vor sich hin, weiterhin wüst beschimpft, und unterdrückte mühsam ein Stöhnen. Sie konnte sich nicht einmal das Blut abwischen, das ihr aus einer Stirnwunde und den Nasenlöchern sickerte. Der Sergeant schien nur aufpassen zu wollen, dass die Gefangene keinen dauerhaften Schaden nahm. Als das Trio sich entfernte, vergaß Lilja praktisch sofort, was sie gesehen hatte. Das Schicksal von Gefangenen kümmerte sie wenig…

Inzwischen schien das SAR-Shuttle weitestgehend entladen. Die Staffelchefin konnte ihre Ungeduld nicht mehr länger zügeln. Hatte sie den Abtransport ihrer Piloten versäumt? Denkbar, aber sie wollte nicht auf der Krankenstation nachfragen. Dort hatte man im Moment mehr als genug Probleme. Sie schaute sich suchend um, dann entdeckte sie Pilot und Copilotin der Maschine. Die beiden waren anders als das medizinische Personal und die Marines wohl der Meinung, momentan eine Pause machen zu können und waren anscheinend in eine Flachserei verstrickt, wie sie bei allen Angehörigen der Streitkräfte ungeachtet der Zugehörigkeit – bei allen sonstigen argwöhnisch beachteten Unterschieden – nach einem Kampfeinsatz üblich war. Beiden sah man ihre Erschöpfung deutlich an, aber ebenso auch wie froh sie waren, alles heil überstanden zu haben. Die zwei kamen Lilja vage bekannt vor, und als sie die beiden genauer betrachtete, fiel ihr auch wieder ein, wo sie ihnen schon mal begegnet war. Der Aufnäher in Form eines Fliegerkreuzes in Bronze, den beide trugen – keine echte Auszeichnung, aber Symbol für eine solche – war schon einmal ein guter Hinweis, und außerdem erkannte sie jetzt auch die Gesichter und Stimmen wieder. Wenn man mit einem gebrochenen Bein aus dem All gefischt wurde, blieb einem das und die beteiligten Personen in Erinnerung – oder wenn man mit besagtem gebrochenen Bein flog und von derselben Shuttlebesatzung ein zweites Mal gerettet wurde, von einer Shuttlebesatzung, die dabei ihren fünften Abschuss kassiert hatte: „Lieutenant…Stanford?! Und Sie sind Lieutenant Hernandez, richtig? Lieutenant Commander Pawlitschenko, Grüne Staffel, Angry Angels. Ich wollte fragen…“
Die Copilotin reagierte als erste, während ihr Kamerad anscheinend sichtlich mit irgendeinem verbalen Tiefschlag zu kämpfen hatte, welchen er von seiner Untergebenen hatte einstecken müssen. Sie salutierte müde, doch als sie Lilja genauer anschaute, weiteten sich die Augen der jungen Frau unwillkürlich, und sie verpasste ihrem Vorgesetzten einen Rippenstoß. Sowohl ihre Miene als auch die ihres Kameraden wurden schlagartig ernst. Der Pilot nahm reflexartig Haltung an, obwohl er nicht wie jemand wirkte, der in jeder Situation vor einem Vorgesetzten Männchen machte.
Es war genau dieser Augenblick, als sich in Liljas Magen all die Sorgen, die sie schon überwunden glaubte, zu einem kompakten Eisblock von der Größe einer Melone zusammenballten. Sie kannte diese Art von Gesichtsausdruck, kannte diese Art von unsicherem Schweigen. So ähnlich hatte sie selber schon mehr als einmal einem Kameraden gegenübergestanden, eine Nachricht für die Angehörigen eines Staffelmitglieds aufgenommen, oder direkt mit ihnen gesprochen.
Sie brachte fürs erste kein Wort heraus, und musste sich räuspern, krampfhaft bemüht ihre mit einmal ausgetrocknete Kehle zu befeuchten: „Wer…was?“ war alles, was sie zunächst zustande brachte.

Es war Lieutenant Hernandez, die schließlich antwortete: „Ihrem einen Piloten…dem hochgewachsenen Blonden, es geht ihm gut. Sie haben ihn schon an Bord des Shuttles ,aufgeweckt’, er ist im Rekonvaleszenzraum. Er musste nicht mal zur Krankenstation.“ Lilja starrte sie nur schweigend an. Bad Luck ging es also gut, das musste bedeuten, dass…
„Ihr zweiter Pilot…“ Hernandez räusperte sich, dann zuckte sie hilflos mit den Schultern. Sie ging sogar so weit, dass sie Lilja an der Schulter berührte, in einer zaghaften Geste des Trostes: „Tut mir sehr, sehr leid, Ma’am. Er hat es nicht geschafft. Der Anzug hat ihn zwar ins Koma versetzt, und die Sanis haben sich sofort um ihn gekümmert…aber, aber es hat nicht gereicht. Vermutlich Wundschock, Blutverlust und innere Verletzungen, alles zusammen. Er ist noch im Raum gestorben. Sie bringen ihn gleich…“
Die Staffelchefin sagte nichts. Schweigend drehte sie sich um, zur Shuttlerampe, wo jetzt Marines und Techniker den schrecklichsten Teil der Fracht des SAR-Shuttles auszuladen begannen – jene, die tot geborgen oder ihren Verletzungen erlegen waren.
Zwei der Soldaten trugen eine Leiche heraus, deren Kopf, das Gesicht zum Boden, hin und her pendelte. Noch immer tropfte Blut herab, schon dickflüssig und dunkel, in zähen Tropfen, auf die Rampe, den Hangarboden, die Stiefel der Träger. Lilja wusste sofort, dass das Abat war, so kleingewachsen und zierlich gebaut wie er war. Widersinnigerweise fiel ihr gerade jetzt ein, wie sehr einige in der Staffel darüber gewitzelt hatten, dass die Vertreter des „schwachen Geschlechtes“ bei den Fighting Stallions mit Ausnahme von Shoki größer, schwerer und kräftiger als der philippinische „Frischling“ waren. Behutsam machte sie sich von Hernandez los und wollte zu ihrem toten Untergebenen gehen. Ihre Beine fühlten sich seltsam kraftlos an. Der Shuttlepilot fing sie ab: „NEIN! Ich meine, bitte nicht, Commander. Machen Sie das nicht. Die Verletzungen…So wollen Sie ihn bestimmt nicht in Erinnerung behalten.“
Es war ein deutlicher Hinweis, wie angeschlagen Lilja war, dass sie die Hand des Piloten nicht einfach abschüttelte. Stattdessen hielt sie an, und sackte schließlich halb gegen die Bordwand des Shuttles. Sie starrte nur stumpf vor sich hin, so dass sie erst beim dritten oder vierten Mal mitbekam, dass Lieutenant Maria Hernandez sie angesprochen hatte: „Commander? Ma’am?“ Die hispanostämmige Copilotin schien langsam ernsthaft besorgt zu sein. Sie atmete erleichtert auf, als Lilja ihren leeren Blick hob und sie anstarrte, auch wenn in ihren Augen beängstigend wenig Leben war: „Sollten Sie sich nicht vielleicht besser etwas ausruhen? Oder auf die Krankenstation gehen? Hier können Sie nichts mehr tun.“ Lilja nickte zombiehaft, machte ein Schritt, einen zweiten, schwankte aber sichtlich. Hernandez kam ihr erneut zu Hilfe: „Kommen Sie.“ Sie legte sich den Arm der Russin über die Schulter und stützte sie behutsam. Zögernd fragte sie: „Ihr Pilot…war er ein… Freund?“
Liljas Stimme klang leblos, ohne irgendeine Emotion. Sie sah die Pilotin zunächst nicht einmal an, und ihr Kopf schwankte bei den Schritten fast so sehr wie der des Toten, als man ihn von Bord trug: „Abat?“ Fast nachdenklich sprach sie seinen Namen aus. „Marcos Taruc…Nein. Nein, er war kein Freund. Nur so verdammt jung und unerfahren. Er hat mich bewundert, wissen Sie? Er hat uns Veteranen alle bewundert, aber mich vielleicht am meisten…
Er war froh, in meiner Staffel zu sein. Stolz, von mir zu lernen. Er war schon einmal abgeschossen worden, ist aber wieder in eine Maschine geklettert. Er wollte eben so sein wie die Veteranen. Er wollte so sein wie ich. Sie wissen ja, was man sagt, wenn jemand abgeschossen wird, aber überlebt – das ist ein Stück weit ein zweiter Geburtstag.“ Ihre Stimme schwankte bedenklich: „Und jetzt werde ich seinen Eltern schreiben, dass er für das Überleben der Republik, für alle die wehrlosen Zivilisten und für seine Kameraden heldenhaft gefallen ist. Das stimmt ja auch. Aber ich werde sie auch anlügen, selbstverständlich nur zu ihrem Besten. Ich werde ihnen natürlich verschweigen, wie er geschrieen hat, dass seine letzten Minuten bei Bewusstsein eine Hölle aus Schmerzen waren, dass wir froh sein können dass er im Koma weggedämmert ist…Und morgen, in einer Woche oder ein paar Monaten wird jemand anderes kommen, jemand wie er, bis auch er stirbt, und immer noch einer und noch einer, so viele junge Piloten…“
Ihre Stimme hatte während dieser Worte zunehmend an Emotionen gewonnen, eine Mischung aus Wut, Hass und einer hoffnungslosen Traurigkeit darüber, dass alle Wut und aller Hass nichts an den Tatsachen würden ändern können, weder jetzt noch in Zukunft. Zuletzt schrie sie die Shuttle-Copilotin beinahe an. Dann, als wäre ihre innere Batterie endgültig leer, sackte sie kraftlos gegen die andere Frau. Sie wäre hingefallen, wenn Hernandez sie nicht gestützt hatte. Und dann weinte sie, mit zuckenden Schultern, Trauer für die es keinen Trost zu geben schien. All die Entbehrungen, das emotionale Wechselbad der letzten Tage und Wochen, der ständige Wechsel zwischen Trauer, Wut, Euphorie und Todesangst forderten ihren Tribut, bis sogar jemand wie Lilja, stolz, ja geradezu versessen darauf sich immer unter Kontrolle zu haben, an der Schulter einer fast fremden Frau Rotz und Wasser heulte. Es wäre ihr ein geringer Trost gewesen zu wissen, dass ihre Tränen nicht die einzigen waren.
04.03.2016 07:49 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Tyr

„Umso besser, denn dann werden wir wenigstens im Schatten kämpfen.“
Ein Spartaner als Antwort auf die Warnung, dass die persischen Bogenschützen so zahlreich seien, dass ihre Pfeile die Sonne verdunkelten


Als Kali erwachte, war sie blind. Statt dem Inneren ihres Cockpits oder dem vertrauten Dunkel des Sternenhimmels füllte ein grelles Licht ihr Gesichtsfeld aus, hinter dem sie nur umrisshaft verschwommene Konturen und Bewegungen erahnte, die sie nicht richtig einordnen konnte. Ihre Augen brannten erbarmungslos, und hinter ihrer Stirn hämmerte ein stechender Schmerz. Zumindest in einer Hinsicht konnte sie also beruhigt sein – sie war ganz eindeutig noch am Leben. Aber abgesehen davon...
Dann war das Licht auf einmal verschwunden, und während sie noch versuchte, sich an den abrupten Helligkeitswechsel anzupassen und die Tränen aus ihren Augen wegzublinzeln, gewannen die schemenhaften Konturen um sie herum langsam an Klarheit.
Und formierten sich zu dem Inneren eines terranischen SAR-Shuttle. Das grelle Licht war die Taschenlampe eines Navy-Sanitäters gewesen, der ihr in die Augen geleuchtet hatte: „Gut. Sie sind also wieder da. Können Sie mich sehen?“
„Jetzt schon…“
„Wie viele Finger zeige ich Ihnen?“
„Drei…und was soll der Schwachsinn?!“
„Nur die Ruhe, Weltraumjockey. Ich will sichergehen, dass Ihnen nicht mehr fehlt, als eine kleine Gehirnerschütterung. Man hat Sie aus ihrer Maschine geschossen. Das ist kein Spaß. Erinnern Sie sich?“
„Ja…“

***

Der Flying Circus war mit gemischten Gefühlen in die Schlacht gegangen. Alle Staffeln hatten Verluste erlitten. Auch die Dorniers, und Contis Tod hatte eine Lücke gerissen, die Kali nur teilweise hatte ausfüllen können.
Wut und der Wunsch nach Rache motivierte die Piloten – allerdings gedämpft durch Erschöpfung, Frustration, und teilweise auch Unsicherheit. Die TSN hatte bei der Schlacht um Sterntor bisher keine gute Figur gemacht, und das nagte am Selbstwertgefühl. Und die Akarii hatten es mal wieder geschafft, dass sie als fast ebenbürtige, vielleicht sogar geringfügig überlegene Streitmacht in die Schlacht zogen. ‚Irgendjemand sollte unseren Häuptlingen mal verklickern, was man unter Schwerpunktbildung versteht.’
Außerdem waren die Imperialen jetzt auf dem Rückzug, und für die TSN war Verstärkung unterwegs. Das hob die Moral der terranischen Piloten, mochte allerdings bei einigen auch den Wunsch wecken, nicht ausgerechnet in letzter Minute draufzugehen. Die Akarii hatten es da einfacher. Für sie hieß die Parole ‚Durchbruch oder Untergang’ Es gab keine Alternative. Und Kali wusste, wie gut Soldaten kämpften, die mit dem Rücken zur Wand standen. Sie hatte es bei der TSN erlebt – und bei den Imperialen. Die totalitäre Militärdoktrin der Akarii war vielleicht in einigen Aspekten weniger flexibel als die der TSN – aber in einer solchen Situation lieferte sie den Soldaten genau das nötige moralische Rüstzeug. Sie war sich nicht sicher, ob der Kampfgeist der MIDWAY- und DERFLINGER-Piloten da mithalten konnte, auch wenn sie das natürlich niemals offen gesagt hätte.
Denn der Flying Circus war gut, aber eben nicht die Angry Angels, das ‚Geschwader der Entscheidungsschlachten’ mit seinem furchterregenden Ruf, der Erinnerung an zahllose Siege und bedenkenlos vorgetragene Sturmangriffe und Himmelfahrtskommandos. Und einem Rückgrat aus gnadenlosen Killern, legendären Top-Assen und eiskalten Kommandoführern. Es war auch die Erinnerung an die Siege ihres alten Geschwaders, die es Kali erlaubt hatten, weiterzumachen – selbst nach dem Ausfall ihres neuen Staffelführers. Sie hatte versucht, ihren Untergebenen etwas von dem bedingungslosen Einsatzwillen zu vermitteln, der den Angry Angels zu ihren Erfolgen verholfen hatte. Aber ob ihr das bei allen gelungen war…
Dass der Flying Circus seine Bomber nicht begleiten würde, nagte ebenfalls an einigen Piloten, die mit der eher ‚statischen’ Defensivaufgabe ihres Geschwaders unzufrieden waren. Auch wenn das nicht mehr allzu viele waren. Kali hatte derartigem Gemecker jedenfalls sehr schnell einen Riegel vorgeschoben.

Die Schlacht hatte mit einem Langestrecken-Schlagabtausch der Großkampfschiffe begonnen, der die Piloten weitestgehend zur Untätigkeit verdammte. Die TSN-Flotte hatte sich aufgeteilt, um die Akarii in die Zange zu nehmen, und ein paar Minuten war unklar gewesen, wie die Imperialen darauf reagieren würden.
Bobcat, die wieder zu ihrer üblichen nassforschen Art zurückgefunden hatte, hatte spöttisch prophezeit, dass der Flying Circus schon noch genug zu tun bekommen würde. „Die Echsen machen sich doch schon ins Hemdchen, sobald ihre Langstreckenscanner die FFID der Angry Angels erfassen. Also wem werden sie wohl auf die Pelle rücken?“
Das hatte bei einigen der Piloten für Proteste gesorgt und Kali zu der lakonischen Antwort veranlasst, dass das dann aber auch der letzte Fehler der Akarii sein würde. Aber insgeheim hatte sie Bobcat Recht gegeben.

Und tatsächlich war es dann mit der relativen ‚Ruhe’ rasch vorbei gewesen, als die feindlichen Bomber, Jagdbomber und Raketenshuttles aus dem Schatten der imperialen Großkampfschiffe hervorstießen, und sich auf den MIDWAY-/DERFLINGER-Verband stürzten. Eröffnet wurde dieser wuchtig vorgetragene Angriff einmal mehr von den Raketenshuttles, die diesmal auch noch durch die Geschütze und Atomraketen der imperialen Großkampfschiffe unterstützt wurden. Wie üblich setzte Admiral Taran auf einen konzentrierten, wuchtigen Schlag, was in einem seltsamen Kontrast zu seiner in anderer Hinsicht oft vorsichtigen, abtastenden Taktik stand.
Die TSN konterte mit dem Atomraketenbeschuss der angreifenden Bomberformationen. Obwohl die Kampfflieger diesem Angriff zum größten Teil ausweichen konnten, verlangsamte es sie doch, und brachte ihre Formation in Unordnung. Die terranischen Jäger stießen sofort nach, um diese kurzzeitige Schwäche auszunutzen – und stießen natürlich auf den verbissenen vorgetragenen Gegenschlag der Akarii-Begleitjäger. Und die Imperialen beschränkten sich nicht darauf, ihre Bomber und Jabos zu beschützen. Stattdessen stürzten sie sich auf die terranischen Abfangjäger. Ihre Absicht war klar – die Piloten der TSN in Nahkämpfe verwickeln, und sie so von den imperialen Kampffliegern fernhalten. Obwohl Kali halb und halb damit gerechnet hatte, wären die Dorniers fast überrascht worden. Es blieb kaum Zeit, die Langstreckenraketen abzufeuern, dann sahen sich die Dorniers bereist in einen heftigen Nahkampf verwickelt. Binnen kürzester Zeit verlagerte sich der Kampf in die terranische Kriegsschiffformation. Der Feind stieß sofort weiter vor, wenn auch unter Verlusten. Wenigstens wurde die TSN-Jäger diesmal durch die Flugabwehrgeschütze der republikanischen Flotte unterstützt – auch wenn das nicht ausreichte, um den Sturmlauf der Imperialen zu stoppen. Den Akarii ging es eindeutig nur darum, so schnell wie möglich ein Maximum an Schaden anzurichten. Und ihr Ziel waren wieder einmal die leichten Träger.
Obwohl beide Seiten bereits angeschlagen waren und böse geblutet hatten, nahm das den Kämpfen nichts an Verbissenheit oder Brutalität – im Gegenteil. Die Art und Weise, wie sich die dezimierten Fliegerstaffeln und oft bereits beschädigten Großkampfschiffe gegenseitig an die Gurgel gingen, erinnerte Kali an die brutalen Nahkämpfe der Kriege früherer Jahrhunderte. Jedenfalls fiel ihr dieser Vergleich ein, als sie später die Zeit fand, ihre Gedanken zu ordnen. In der Schlacht war dafür keine Zeit. Da war es nur ein einziges, grelles Chaos aus Vernichtung und Feuer gewesen, aus gebrüllten Befehlen, Warnrufen und den schrillen Alarmtönen der Bordinstrumente. Auf beiden Seiten stiegen die Verluste, die während des Langstreckenduells recht überschaubar geblieben waren, mit alarmierender Geschwindigkeit.

„Trasher! Bombshell! Ich brauche Unterstützung! Diese Bomber müssen…“
„BLOODHAWK auf Sieben Uhr, Kali! Greife an!“
Bobcat bewies erneut, dass sich hinter ihrer manchmal etwas schnoddrig und unernst wirkenden Fassade mehr verbarg. Sie hielt Kali zuverlässig den Rücken frei – und wurde dafür übel zusammengeschossen, als die anvisierte Bloodhawk ein beinahe perfektes 90-Grad-Von-Bein absolvierte, und die bereits angeschlagenen Maschine mit einem unangenehm präzisen Sperrfeuer und zwei Kurzstreckenraketen begrüßte. Kali fluchte unterdrückt, gab Gegenschub und überließ Trasher, Bombshell und einigen anderen Piloten des Flying Circus den Angriff auf die Bomberformation, während sie ihrer Flügelfrau zu Hilfe eilte. Von Bobcat und der Staffelchefin ins Kreuzfeuer genommen montierte die feindliche Maschine ab, und zerplatzte in einem spektakulären Feuerball.
Als Kali dann freilich wieder auf die feindlichen Bomber einschwenkte, musste sie feststellen, dass Bobcats Maschine zurück hing und eine weitere Sektion Bloodhawks den Kampffliegern zur Hilfe geeilt war. Bombshell hatte sich aus einer bis fast zur Unkenntlichkeit verstümmelten Maschine herauskatapultieren müssen. Die kurze Atempause, die die Akarii durch ihre zusätzliche Verstärkung und Kalis und Bobcats Zurückfallen gewonnen hatte, hatte ausgereicht, um ihre Atomraketen auf die DERFLINGER aufzuschalten und abzufeuern. Es war kein optimal geflogener Angriff, denn die Raketen wurden nicht synchron und fast auf Maximalentfernung freigemacht – aber die DERFI war auch nicht mehr im optimalen Zustand.
„Oh diese Scheißkerle!“ Die indische Pilotin gab Vollschub und katapultierte Maschine mitten in den Bomberpulk. Raketen hatte sie längst keine mehr, aber das konzentrierte Sperrfeuer aus vier schweren Bordkanonen ließ die Schutzschilde des feindlichen Kampffliegers nach wenigen Sekunden zusammenbrechen, zerfetzte Panzerung und Tragestreben des Backbordflügels, wanderte weiter zum Rumpf und auf das Cockpit zu…
Und eine unsichtbare Faust packte Kalis Jäger und rüttelte ihn gnadenlos durch, während ein halbes Dutzend Bordalarme gleichzeitig loszuheulen begann. Zu spät erinnerte sich die junge Pilotin an die alte Jagdfliegerregel ‚greif immer das letzte Flugzeug im Pulk an’.
Sie gab Gegenschub, ließ ihren Jäger nach Unten wegsacken, während sie gleichzeitig reflexartig eine Salve Täuschkörper abfeuerte. Irgendetwas explodierte im Heck ihrer Maschine und…

***

Als nächstes war sie dann an Bord des SAR-Shuttles erwacht. Sie wusste nicht, wie lange sie weggewesen war. Ob die Schlacht noch immer andauerte, oder was inzwischen passiert war.
„Was ist mit der DERFLINGER?“ Sie fürchtete sich vor der Antwort auf ihre Frage, und dennoch konnte sie nicht länger warten.
„Das war ziemlich knapp. Die Akarii haben euch ganz schön was verpasst…“
„Das weiß ich, verdammt noch mal!“
„He, friedlich bleiben, ich bin nicht der Feind. Wir konnten den Träger halten. Die Brände sind unter Kontrolle. Aber weit fliegen wird sie die nächsten paar Monate jedenfalls nicht mehr. Oder Jahre.
Aber die MIDWAY hatte nicht so viel Glück. Sie sammeln immer noch die Schiffbrüchigen ein.“
Kali fluchte wütend und war gleichzeitig froh, dass ihr Gegenüber sie nicht verstehen konnte. Wenn ihre Mutter wüsste, was sie hier für Ausdrücke gebrauchte…: „Und die Akarii?“
„Die haben fürs erste genug. Unsere getarnten Bomber haben einen ihrer Träger zusammengeballert, und der Rest ist im vollen Rückzug Richtung Sprungpunkt.“
„Wenigstens etwas…“ Aber sie gab sich keinen Illusionen hin. Wenn man die Flotten verglich, die für die Schlacht um Sterntor aufmarschiert waren, und die Verluste, die beide Seiten erlitten hatten – dann hatte die TSN bestenfalls einen knappen Abwehrsieg erzielt. ‚Das konnten wir doch schon mal besser.’
Allerdings brachte sie irgendwie nicht die Energie auf, sich über das Abschneiden der TSN zu ärgern. Dazu war sie zu müde. Das würde später kommen. Zuerst musste sie feststellen, ob Kano überlebt hatte. Wie es ihrer Staffel ergangen war. Ob es Ace und ihre anderen Freunde und Bekannten an Bord der COLUMBIA gut ging. Und dann…
„Wo bringen Sie mich eigentlich hin?“
„Jedenfalls nicht auf die DERFI. Aber Sie haben Glück, wir haben keine Schwerverletzten an Bord. Nur ein paar Prellungen, Brüche, Unterkühlungen und so weiter. Wir können das Ganze also etwas entspannter angehen. Wenn alles glatt geht, sind wir in etwa einer dreiviertel Stunde auf der COLUMBIA. Bis dahin werden die auch ihr ATLS wieder zum Laufen gebracht haben. Jedenfalls haben sie noch Platz. Und wir haben Anweisung, flugfähige Piloten so schnell wie möglich an die Träger weiterzureichen. Die, die noch übrig sind.“ Der Mann musterte Kali etwas skeptisch: „…auch wenn ich Sie nicht unbedingt als ‚flugfähig’ einstufen würde.“
„Das lassen Sie mal meine Sorge sein. Und selbst mit einer Gehirnerschütterung fliege ich immer noch doppelt so gut, wie jeder Pilot, der nicht zu den Angry Angels gehört.“ Trotz der Vehemenz ihrer Worte war Kali nicht zufrieden mit ihrer Antwort. Irgendwie fehlte das Feuer. Zu wenig Schlaf, zu viele Rückschläge...
Aber sie wollte verdammt sein, wenn sie sich das anmerken ließ.
„Ich dachte, Sie sind vom Flying Circus.“
Tatsächlich, da hatte er recht. Das hatte sie einen Augenblick lang vergessen. Vielleicht war der Schlag auf den Kopf doch härter gewesen, als sie gedacht hatte: „Aber vorher war ich bei den Angry Angels.“
„Jaja, das Untotengeschwader. Also gut, lehnen Sie sich zurück und genießen Sie den Flug. Wir bringen Sie nach Hause.“
Und trotz der pochenden Schmerzen, die gegen ihre Schläfen hämmerte, trotz des würgenden Brechreizes, trotz der Verluste, Strapazen und Enttäuschungen der letzten Stunden und Tage ertappte sich Kali dabei, wie kurz so etwas wie ein flüchtiges, geisterhaftes Lächeln über ihr Gesicht huschte. Die COLUMBIA – und die Menschen an Bord – waren in diesem Krieg das, was einem Zuhause tatsächlich am nächsten kam.
‚Nur hätte ich mir gewünscht, unter anderen Umständen zurückzukehren…’
04.03.2016 07:50 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Ace

Vorbei. Nur dieses eine Wort schien zu existieren, pochte tief und dumpf hinter meiner Stirn. Vorbei, vorbei, vorbei. Der Marathon war vorbei. Wir waren ihn gelaufen. Die Akarii waren weg, aus dem System rausgesprungen, und wir jagten ihnen nicht hinterher. Vorerst zumindest. Meine Glieder schmerzten. Mein Kopf schmerzte. Jeder einzelne Nerv schmerzte. Ich hatte Ganzkörperschmerzen. Und ich war einerseits hellwach, andererseits aber völlig weggetreten. Ich ertappte mich immer wieder dabei, wie ich plötzlich neben mir zu stehen glaubte, während mein Körper alleine agierte und redete. Das hatte ich schon während der letzten Schlacht bemerkt, als ich die Blauen gegen das letzte Aufgebot der Akarii vor dem Sprung geführt hatte ... Es war, als wäre ich ZWEI gewesen. Und ich konnte dem anderen Ace nichts vorwerfen. Was er befohlen hatte, war so logisch gewesen wie meine eigenen Befehle. Die meisten zumindest. Mir war klar, dass die Psychopharmaka, die ich bekommen hatte - einerseits die Betäubung durch meinen Anzug über Masters, andererseits das Gegenmittel, das ich im SAR-Shuttle bekommen hatte - und die tiefgreifende Erschöpfung, die wir alle verspürten, hier eine Rolle spielten. Teufel auch, ich war durchtrainiert und gesund, aber der rasende Puls in meinen Ohren, die knallroten Hände und meine Unfähigkeit, mich nach der letzten Landung aufzurichten oder etwas zu ergreifen, an dem ich mich hochziehen konnte, sprachen Bände. Ich taumelte schon, bevor ich überhaupt auf eigenen Füßen stehen konnte. Einen Sanitäter lehnte ich ab. Es ging vielen noch dreckiger als mir. Einen Piloten der Bomber mussten sie noch im Cockpit per Defibrilator wieder ins Leben zurückholen. Ich erkannte nicht, wer es war, aber der Crusader war unbeschädigt. Es musste der Kreislauf sein, der bei ihm Kapriolen schlug.
Derart vorgewarnt suchte ich als Erstes, mit einer Metallstrebe als Krücke die kleine Messe auf, in der es stets Getränke und kleine Snacks für die Hangarcrew gab, und trank zwei Liter Mineralwasser. Anschließend aß ich zwei furchtbar süße Schokoriegel, um Zucker als Treibstoff in den Balg zu bekommen. Danach setzte ich mich hin und ruhte mich so lange aus, bis ich meinte, zumindest wieder geradeaus gehen zu können. Meine Staffel rief. Ich musste Leute ins Lazarett senden, ins Bett stecken, schauen ob meinen Blauen Wachaufgaben aufgedrückt worden waren und wen ich dafür einteilen konnte. Und nachdem das erledigt war, musste ich selbst ins Lazarett, wenn ich nicht selbst die Defibrilator-Sache am eigenen Leib erfahren wollte. Ich musste... Meine Staffel! Meine Verantwortung! Wie lange war ich hier gewesen? Die große Uhr über der Tür stand wie im Nebel. Zehn, höchstens fünfzehn Minuten seit der Landung. Nicht einmal annähernd genug, um sich auszuruhen, geschweige denn den durchgeprügelten Körper klarzubekommen.
Im Gegensatz dazu wusste ich nur zu gut, wie die weitere Schlacht gelaufen war, auch wenn ich das Meiste eher wie im Film mitgekommen hatte. Von den neuen Piloten, die wir zugewiesen bekommen hatten, war Montgommery noch über Masters ausgestiegen, war aber aufgesammelt worden. Allerdings würde sie wohl ein Bett neben Northwind zugewiesen bekommen. Eine stationäre Aufnahme war bei Lungentrauma üblich. Ice lag ebenfalls im Lazarett. Kälteverbrennungen und Verlust mehrerer Finger. Nichts, was ein guter Arzt nicht in ein paar Wochen hinbekam.
Aber am meisten ärgerte mich der Verlust von Rebel. Genau wie ich war sie einmal rausgeschossen worden und es war ein Schmerz im Arsch gewesen, ihr eine Ersatzmühle zu besorgen. Und dann hatte sie sich noch mal rausschießen lassen. Nun hatte die zweite Sektion keine Chefin mehr. Allerdings gab es auch keine zweite Sektion mehr. Waltz' Verbleib war ungewiss, aber ein explodierende Jäger war nie ein gutes Zeichen; Elfwizard hatte ihre Mühle schon nach Masters schrottreif heimgeflogen und keinen Ersatz bekommen können, weil Lilja mir die letzte Mühle vor der Nase weggeschnappt hatte.
Mein Flügelmann Pain wurde noch immer vermisst, aber wenigstens schien ihm der Ausstieg gelungen zu sein. Fragte sich nur, wer ihn aufgesammelt hatte, denn es waren eine Menge Akarii-SAR unterwegs gewesen. Und gerettet werden, selbst vom Feind, war immer noch besser als zu sterben. Knapp nur, aber immerhin. Wer lebte, konnte gerettet werden, wie meine Zeit im Camp Hellmountain bewies. Das bedeutete, nachdem die Blauen durch beide Karrashin-Schlachten, die Jagd nach Jor und der ersten Schlacht hier in Sterntor relativ unbeschadet hindurchgegangen waren, hatten wir eine wirkliche Packung gekriegt. Sieben Totalausfälle an Maschinen, einer davon von der Verstärkung, ja, was total fünfzehn Maschinen machte, und nur Elfwizard würde ich mit einer Reserve-Falcon wieder flott kriegen. Machte neun aktive Piloten, die dringend alle Schlaf brauchten. Neun von fünfzehn, und damit standen wir auch noch gut da. Acht, wenn mein Kreislauf kollabierte.
Verdammt, verdammt, verdammt. Was hinderte mich eigentlich daran, mich auf einen Stuhl zu setzen und dahin zu dämmern, einzuschlafen und die Pflicht Pflicht sein zu lassen? Ich mich selbst. Ich war schon einmal gestorben. Der Tod hatte keine Schrecken mehr für mich. Ich konnte mich schonen, aber ich konnte nicht die Verantwortung für die anderen Piloten negieren. Also trat ich wieder in den Hangar hinaus, nur um die äußerst niederschmetternde Information zu bekommen, dass fünf der Mühlen fluguntauglich erklärt worden waren, darunter meine eigene. Und ich hatte Befehl, eine Rotte auf Streife zu schicken. Dafür würde ich die unbeschädigte Maschine von Checker benutzen und Elfwizard drauf setzen, die ohnehin schon im Geschirr strampelte, weil sie die letzte Schlacht nicht hatte mitmachen können. Ihr zur Seite stellte ich Cherry, der sah von der ganzen Bande noch mit Abstand am frischesten aus. Und er versicherte mir auch mehrfach, dass er noch zwei Stunden Flug überstehen würde.
Nachdem ich die beiden losgejagt hatte, befahl ich die Staffel zum Essen und Trinken und in zwanzig Minuten zur Nachbesprechung. Dann kam das Problem mit der nächsten Streife, die ich selbst fliegen würde, zusammen mit Chip. Anschließend hatten wir zwei Stunden frei. Adoptivkinder vom Flying Circus übernahmen die Runde. Und dann hatten fünf aktive Piloten rund sechs Stunden Schlaf gehabt. Genug, um sie wieder so weit fit zu kriegen, dass sie für zwei Stunden fliegen konnten. Verdammt, ich brauchte Piloten! Ich brauchte Maschinen! Klar, für die COLUMBIA ging es zurück ins Dock, aber wir waren Angry Angels und wir hatten unsere Pflicht zu erfüllen. ,Wie pathetisch, First Lieutenant Clifford Davis.‘ War es nicht eher so, dass ich vor lauter offensichtlicher und versteckter Fehler um meinen Lieutenant Commander fürchtete und noch einmal Einsatz zeigen wollte? Immerhin war nichts mehr im System, was uns gefährden konnte. Eigentlich. Nein, in meinem jetzigen Zustand war mir der halbe zu den zwei vollen Streifen herzlich egal. Aber meine Leute und Freunde auf der COLUMBIA nicht. Dafür nahm ich es in Kauf, fünf Minuten an eine Wand gelehnt zu stehen und beinahe zu hyperventilieren. Ich würde etwas mehr als eine Stunde Schlaf kriegen, bevor wir wieder rausgingen. Danach stand der Arzt an. Falls ich dann noch lebte, hieß das.

"Ace?"
Ich sah auf, erkannte Ichigo Mahou, meine Freundin aus Tagen, als ich noch "das Gespenst" genannt worden war, haarlos, ein Arm weniger, frisch aus dem Camp Hellmountain gerettet, persönlicher Adjutant von Admiral Alexander. Sie lächelte mich wehmütig an.
"Hi, Mahou. Ist es wichtig?"
Die Japanerin schüttelte den Kopf. "Ich wollte dich nur noch mal sehen."
In meinem Kopf pochte leise etwas an. Und es machte dabei Geräusche, die mich misstrauisch machten. "Wirst du versetzt?" Auch wenn ich geflogen war, wir alle waren mehr als sauer auf die Intels gewesen, die den Dummy-Träger nicht rechtzeitig identifiziert hatten. Das hätte uns einhundert Atomraketen gespart und einen echten Uniform vernichtet. Wahrscheinlich. Und es hatte sich auch rumgesprochen, dass Girad sich dafür Commander Longs Kopf geholt hatte, bei dem ein entsprechender Anfangsverdacht - so erzählte man sich im Latrinenfunk - steckengeblieben war.
"Nein, keine Sorge. Ich bleibe." Sie blinzelte. "Ich wollte dich wirklich nur noch mal sehen."
"Mahou, ich komme gerade nicht mit. Das liegt bestimmt an dem Zeug, das sie mir gespritzt haben. Ich stehe gerade wirklich neben mir."
"Aber du lebst.", sagte sie, die Stimme gepresst werden. "Du lebst. Das war mir wichtig." Sie wischte sich die Tränen aus den Augen. Anschließend verbeugte sie sich aus der Hüfte fast bis in die Waagerechte. "Es findet mein außerordentliches Bedauern, Lieutenant Davis, dass ich nicht vehement genug war, um meine Warnung vor dem falschen Träger bis Kapitän Ahn zu tragen! Ich habe die Schuld an Dutzenden toten Piloten, an hunderten Crewmitgliedern der Terran Space Navy!"
Entgeistert sah ich sie an. "Mahou..."
Sie kam hoch, lächelte verzerrt und umarmte mich übergangslos. Dabei murmelte sie etwas auf Japanisch, was ich nicht verstand. "Mahou, nun beruhige dich doch wieder. Der Kampf geht weiter und wir treten ihnen an anderer Stelle in den Arsch." Sie entwich von mir, als ich sie an mich drücken wollte.
"Ist schon gut, Cliff, ist schon gut. Ich bin ruhig." Sie seufzte, wischte sich erneut über die Augen. "Mir geht es gut. Ich bin klar. Ich wollte nur mit eigenen Augen sehen, dass du noch lebst."
"Noch? Na, du machst mir ja Mut."
"Keine Sorge, du wirst ewig leben. Und ich werde dir zur Seite stehen. Später einmal."
"Was..."
Sie verbeugte sich erneut, aber nicht annähernd so lange und so tief. Dann wandte sie sich um und ging.
Verwundert sah ich ihr nach. "Wir sollten mal wieder zusammen essen. Dann kannst du nach Herzenslust reden, Mahou", rief ich ihr nach. Sie reagierte nicht, was mich verwunderte.
Ach ja, die Staffelbesprechung. Mist. Ich hatte zu tun. Viel zu tun. Ich musste eine halbtote Truppe noch toter machen. Aber wenn ich Ohka zufällig sehen würde, konnte ich ihn ja fragen, was Mahou gesagt hatte. Falls ich die Worte wieder zusammenbekam.

***

In einem Nebengang hielt Lieutenant Commander Mahou Ichigo an und trocknete sich das Gesicht mit einem Taschentuch. Danach verließ sie den Hangarbereich und suchte die Crewräume auf. Ein Rang als Lieutenant Commander hatte Vorteile. Zum Beispiel musste sie ihren Raum mit niemandem teilen. Nicht einmal nach der Schlacht, denn die Verletzten kamen ins Lazarett oder in die Turnhalle als Notverbandsplatz, und die überzähligen Piloten schob man zu den Piloten in die Stuben. Niemand würde sie stören.
Als sie eintrat, hatte sie ihre khakibraune Uniformbluse bereits geöffnet. Dann kam die Hose an die Reihe. Beides faltete sie ordentlich, legte es auf ihr Bett. Anschließend trat sie an den Schrank heran und zog eine ihrer Sonntagsuniformen hervor. Nicht die beste, die konnte vielleicht noch jemand tragen. Langsam, geradezu bedächtig nahm sie die Sachen vom Kleiderbügel und breitete sie aus. Genauso bedächtig, so als täte sie es zum ersten Mal, zog sie die Sachen an. Die weiße Bluse, den weißen Gehrock. Dann die Uniformjacke. Sie warf einen Blick in den Spiegel, überprüfte den tadellosen Sitz. Anschließend ging sie noch einmal an den Schrank und zog eine große weiße Decke hervor. Eigentlich hatte sie vorgehabt, damit auf Seafort beim traditionellen Beobachten der Kirschblüte der japanischen Gemeinde teilzunehmen, das bald bevorstand. Aber nun hatte sie eine andere Verwendung dafür. Schließlich und endlich zog sie ihre Dienstmütze für Frauen hervor und setzte sie in einer einzigen, fließenden Bewegung auf. Schließlich ergriff sie die weißen, makellosen Handschuhe, die eigentlich vor Blut triefen sollten. Blut, das an ihren Händen klebte und ihren Kameraden gehörte. Der letzte Gegenstand, den sie hervor holte, war ein kurzer Dolch.
Wieder sah sie in den Spiegel, betrachtete die Rangabzeichen, ihr Ordensband. Sie hatte einige bekommen für ihren Dienst. Genug, um stolz zu sein, hätte sie nicht den einen, den schlimmsten Fehler begangen, hätte sie nicht die gesamte Navy enttäuscht, hätte sie nicht ihre Familie entehrt, ihren Bundesstaat, ihren Planeten, ihre Nation. Sie ging zum Schreibtisch und entnahm ihm ein offizielles, handgeschriebenes Testament, das der gültigen Rechtsnorm entsprach. Dazu Papier und einen Füllfederhalter. Sie hatte nicht den Nerv, mit der klassischen Feder zu arbeiten und mit dem Tintenstein erst noch Tinte zu produzieren.
Sie zog die Dienstschuhe aus und setzte sich im Seiza in die Mitte der Decke. Das Testament platzierte sie links von sich, den Dolch vor sich, die Schreibutensilien rechts. Als dies getan war, entfaltete sie das Papier und nahm den Stift zur Hand. Damit schrieb sie ihren Haiku, der ihren letzten Schritt begründen sollte. Sie schrieb in Katakana, der Schrift der Krieger.
Übersetzt bedeuteten die drei Zeilen in etwa:
Eintausend führen ist schwer,
eine große Verantwortung,
eintausend habe ich getötet.
Als sie mit den geschwungenen Schriftzeichen zufrieden war, legte sie das Papier neu gefaltet rechts von sich, schrieb Kapitänin Ahn als Adressatin auf die Außenhülle und faltete die Hände im Schoß zusammen. Sie schloss die Augen und atmete aus. Niemals wieder hatte sie das Recht, nach Hause zu gehen. Auch ihr Geist würde, nachdem sie gestorben war, nicht nach Terra zurückkehren, um dort ein Neugeborenes zu beseelen. Ihre Schande, ihre schlimmste aller Taten würden sie für einen Regenwurm auf Masters qualifizieren, oder noch schlimmer, für einen Akarii. Aber das war in Ordnung. Das hatte sie verdient. Hätte sie drauf bestanden, dass Kapitänin Ahn von ihrem Verdacht erfährt, hätte sie Tausenden Navy-Soldaten das Leben gerettet, hätte Commander Long nicht schmachvoll seinen Posten räumen müssen. Am Schlimmsten war, dass niemand sie zur Rechenschaft gezogen hatte, noch nicht zumindest. Alle Schuld lag bei Long, weil er die Lage falsch eingeschätzt hatte. Sie hatte alles richtig gemacht, hieß es. Dabei hatte sie doch alles falsch gemacht. Alles. Ihre Hände krampften sich zusammen. Ihre Ruhe zerbrach.
Nur mühsam fasste sie sich wieder, zwang sich zur inneren Gleichmütigkeit. Sie versuchte, in den letzten Minuten ihres Lebens zur Stille zurückzukehren, zur Leere des Geistes, der ihr erlauben würde, sich den Dolch in die Kehle zu rammen, um ihrer schmachvollen Existenz ein Ende zu bereiten.
Kurz fragte sie sich, ob es klug gewesen war, keinen Adjutanten auszuwählen. Es gab einige fähige Japaner an Bord, die ihr vielleicht assistiert hätten. Von Nakakura-san wusste sie sogar, dass er ein originales Schwert der Akarii besaß, das messerscharf war und angeblich bereits Blut getrunken hatte. Gerüchten zufolge hatte es einen Namen erhalten: Ich trank viermal. Ob er bereit gewesen wäre, ihr nach den Überlieferungen zu sekundieren und ihr mit Ich trank viermal den Kopf abzuschlagen, bevor die Schande der Todesangst sich auf ihr Gesicht abzuzeichnen begann und sie ihrer Familie noch doppelte Schande bereitete? Nein, denn das würde ihm nach den strengen Gesetzen der Navy mindestens die Anklage der Körperverletzung einbringen. Sie würde es alleine tun. Und sie würde den Schmerzen und der Todesangst nicht erlauben, auf ihrem Gesicht zu erscheinen. Deshalb hatte sie noch einmal Cliff aufgesucht: Um keine Bedenken mehr zu haben, keine Wünsche. Der junge Mann, den sie liebte wie einen Bruder, war am Leben und würde es bleiben. Dieser Gedanke erfüllte sie mit Ruhe und Frieden.
Langsam beugte sie sich vor, zog den Dolch aus seiner Scheide, die notwendig war, weil die Klinge rasiermesserscharf war. Sie umklammerte den Griff mit beiden Händen und richtete die Spitze auf ihre Kehle. Sie fühlte eine Friedfertigkeit, die sie nie zuvor erlebt hatte. Alles war eins, alles machte nun Sinn. Alles war Stille, Bedachtsamkeit. Für einen winzigen Augenblick sah sie sich selbst unter den Kirschbäumen auf Seafort auf dieser Decke hocken, zusammen mit vielerlei Leckereien und Sake, mit einigen ihrer Freunde und Cliff, der Nakakura-san mitgebracht hatte, während über ihnen die Bäume die Blüten, die Sakura verloren. Dieses friedfertige Bild war alles, was sie noch hatte erleben wollen, bevor sie ging. Dann stieß sie zu. Es tat nicht einmal weh.

***

Nach dem Debriefing war vor dem Debriefing. Nachdem es relativ fix gegangen war, die Blauen entweder in den Einsatz oder in die Betten zu schicken, wartete natürlich das Debriefing mit dem CAG. Das Besprechungszentrum füllte sich nur sehr schleppend. Anscheinend hatten die anderen Staffelchefs mit mehr Schwierigkeiten zu kämpfen als meine Blauen. Gut, immerhin hatte ich sie eine lange Zeit beisammen halten können, das reduzierte die Probleme. Und viele hatten mit den Mavericks zu kämpfen, die manchmal über ein Drittel der Staffel ausgemacht hatten, also Waisenpiloten von anderen Staffeln. Und wenn ich mir das Flugdeck zurück ins Gedächtnis rief, dann standen dort Maschinen von mindestens neun Staffeln, die nicht zu den Angry Angels gehörten. Jedenfalls, ich nutzte den unerwarteten Leerlauf, der von meiner Schlafenszeit abging, um ein wenig zu dösen. Was auch dringend notwendig war, wie ich bemerkte, als mein Kopf mit mir Karussell fuhr, kaum das ich die Augen geschlossen hatte. Hauptsache, ich schlief nicht versehentlich ein. Das wäre dann ein mehr als peinliches Erwachen, vor allem, da ich noch nicht wusste, wie Irons so als CAG sein würde. Ja, es war eine turbulente Zeit gewesen, bis wir die Akarii endlich aus dem System geworfen hatten. Nicht, ohne mächtig einen auf die Mütze gekriegt zu haben. Und dann hatten die Echsen uns auch noch mit dem falschen Träger drangekriegt. Angeblich hätte Admiral Girad Commander Long - einem älteren Bruder von Radio - ihm am liebsten alle Streifen von den Ärmeln gerissen und ihn in die Brigg werfen lassen. Auf jeden Fall war er versetzt worden. Aber ich hatte wenig Zweifel daran, dass ein gewisser neu im System angekommener Flottenchef mit einer gewissen neu angekommenen Flotte schon eine Verwendung für einen gewissen verlorenen Sohn finden würde. Möglichst so, dass es seinen Makel überstrahlte und ihm nicht schadete. Ich gönnte es Long. Diesem Long zumindest. Er war ein anständiger Kerl, besser als sein rückgrat- und rücksichtsloser kleiner Bruder, der zu Recht gerade Sternenstaub spielte.
Müde wischte ich mir übers Gesicht. Himmel, der Drogencocktail hatte mich WIRKLICH fertig gemacht, wenn ich tatsächlich alte Ressentiments wieder aus dem Bodensatz meines Gedächtnis zerrte.
"Uff."
Ich öffnete die Augen. Ohka hatte neben mir Platz genommen. Er wirkte mitgenommen, erschöpft, müde - also mindestens doppelt so fit wie ich.
"Dauert noch, ne?", meinte er.
"Sieht so aus."
"Schluck?" Er hielt mir seinen Kaffeebecher hin.
"Nein, danke. Mein Anzug hat mich betäubt und die Medizinmänner haben mich wieder klar gespritzt. Keine Ahnung, was mit meiner Pumpe passiert, wenn ich jetzt noch Koffein trinke."
"Ahso."
"Wie geht es Kali?"
"Wieso fragst du?"
"Weil du es weißt. Und bitte keine Spielchen, Kano. Ich mache mir einfach nur Sorgen um sie."
"Ihr geht es gut. Zumindest an Leib und Leben."
"Gut zu hören." Ich schloss wieder die Augen, während Ohka geräuschvoll an seinem Kaffee schlürfte. Himmel, ich hätte jetzt auch gerne einen gehabt.
"Darf ich dich was fragen?"
"Sie ist hier auf der..."
"Nein, was anderes. Du kennst doch Mahou... Commander Ichigo von der Brücke."
"Flüchtig. Kommt aus Kyoto."
"Muss mir das jetzt was sagen?"
Ein flüchtiges Grinsen huschte über sein Gesicht. "Nein, Weltraumgeborener. Das sagt nur uns aus der Gravitationshölle etwas."
"Okay, Lieutenant Commander Ichigo aus der Gravitationshölle Kyoto."
"Ihr seid Freunde, oder?", fragte er.
"Gute Freunde, möchte ich behaupten. Heute hat sie mir was auf japanisch gesagt, es aber nicht übersetzt. Ich war auch zu erschöpft, um mir darum Gedanken zu machen. Aber sie wirkte irgendwie... So unnatürlich ruhig. Anhänglich, was so gar nicht ihre Art ist. So überaus höflich. Und dann sagte sie mir, sie wollte mich nur noch mal sehen... Ob sie versetzt wird? Wenn in der Long-Geschichte was an ihr hängengeblieben ist, würde mir das verdammt weh tun."
"Ruhig? Anhänglich? Ist doch gut, wenn wir nicht alle wie nervöse Drogenwracks auf Entzug rumlaufen", witzelte Ohka. "Was hat sie denn gesagt?"
"Keine Ahnung. Irgendwas wie Ataschi a...."
"Ich bin."
"Was?"
"Watashi wa. Ich bin. Frei übersetzt. Oder vielmehr ich werde." Er zuckte die Achseln. "Meine Sprache ist die des Infinitivs. Sehr leicht zu lernen, sehr schwierig zu schreiben."
"Aha. Ich bin. Dann sagte sie was wie... irgendwas mit Schinsee."
"Jinsei. Leben. Eine mögliche Übersetzung. Ohne den ganzen Satz zu kennen."
Ich grinste. Vielleicht das erste Mal, seit ich wieder gelandet war. "Tzugi. Tzugi kam davor."
"Das heißt Nächster."
"Und sie hat Anata gesagt."
"Wow, du hast zum ersten mal was richtig ausgesprochen. Anata ist ein Du. Ein ziemlich nettes, intimes Du. Das ist einer der Nachteile in meiner Sprache. Wir kennen vielleicht nicht viele Wörter und deren Variationen, dafür aber kennen wir verschiedene Abstufungen der Höflichkeit. Hey, das macht Spaß. Was hat sie noch gesagt?"
"Ich kriege es nicht zusammen. Hey, dass du mir mal zwischendurch Japanisch beibringen würdest..."
"Ich sollte Kurse geben, ich weiß.", sagte der Japaner trocken mit einem Auge auf die anderen Staffelchefs. Aber alle gaben sich ihrer Erschöpfung hin und interessierten sich nicht die Bohne für unsere Unterhaltung.
"San scho schite."
"Sanshou shite. Grob übersetzt konsultiert sie den Helden, den Protagonisten. Oder sie trifft ihn. Also körperlich, nicht mit Waffen."
"Ha, ha, sehr komisch. Aber danke für die Hilfe. Das wollte ich wissen."
"Gern geschehen. Ich helfe immer gerne, wenn jemand meine Sprache..." Ohka wurde bleich. "Watashi wa tsugi no jinsei de anata o sanshou shite... Verstehst du nicht?"
"Nein, ich kann kein Japanisch, wie du weißt.", sagte ich verwirrt. Noch verwirrter wurde ich, als Ohka aufsprang und mich mitzog. "Weißt du, wo ihr Quartier ist?"
"Klar, wir essen manchmal Okonomiyaki zusammen. Was soll die Aufregung?"
"Watashi wa tsugi no jinsei de anata o Sanshou shite bedeutet übersetzt: Ich treffe dich im nächsten Leben!"
"Was?" Irgendwas in meinem Kopf machte Klick. "Der falsche Träger! Long! Mahou, verdammt! Oh, ihr Japaner! Sie wird doch nicht etwa..."
"Oh doch, sie wird!" Wir eilten aus dem Besprechungsraum, wobei wir beinahe Irons umrannten.
"Hey! Im Flur wird nicht gerannt!", rief sie uns nach.
"Ein Notfall!", rief Ohka.
"Es geht um Leben und Tod!", fügte ich hinzu. Dabei überholte ich Ohka und lief in Richtung der Quartiere der Brückencrew. Meine Müdigkeit war wie weggewischt und mein Herzrhythmus war mir scheißegal!
Unterwegs liefen wir in eine Firesquads der Marines. "Haben Sie einen Sani dabei, Sarge?", fragte Ohka, der kurz und schwer atmend vor den Soldaten anhielt.
"Courier, Sir. Wieso?"
"Folgen Sie uns mit Ihren Leuten!"
"Aber..."
"Auf meine Verantwortung!"
"Auf unsere Verantwortung!", rief ich von meiner Position tiefer im Gang zurück. Okay, wir hatten beide keinerlei Befehlsgewalt über die Marines und wir konnten nur hoffen, dass der Gunnery Sergeant uns mit seinen Leuten aus reiner Menschenfreundlichkeit folgen würde. Tatsächlich taten sie es. Wir hasteten durch ein Treppenhaus, anstatt auf den Aufzug zu warten, um die zwei Decks Höhenunterschied zu überwinden. Selten hatte mein Herz stärker gepocht. Ich hatte Angst, Angst um Mahou.

Als wir den Kabinentrakt betraten, griff ich zuerst zum Notfalltelefon. "Lieutenant Davis hier! Notarzt sofort in diesen Kabinentrakt zu Lieutenant Commander Ichigo!"
"Auf wessen Befehl hin, Sir?"
"Auf meinen! Und wenn er nicht ausgeführt wird, reiße ich Ihnen den Kopf ab!", blaffte ich.
"J-ja, Sir!", stotterte mein Gegenpart.
"Du warst schon immer ein guter Diplomat.", keuchte Ohka, die Marines im Schlepp. "Welcher Raum?"
"Dritte Tür rechts!"
"Notarzt ist auf dem Wege, Sir."
"Danke. Sie haben einen gut bei mir!", erwiderte ich hastig und ließ den Hörer fallen.
"Commander Ichigo! Commander, sind Sie da?", rief Ohka, während er den Türmelder malträtierte.
"Commaner Ichigo!"
Ich erreichte die Tür ebenfalls. Kurz wechselten wir einen Blick. "Du weißt, dass wir uns unsterblich blamieren, wenn wir da reinstürmen und sie kommt gerade nackt unter der Dusche hervor."
"Dann sollen sie mir meine Streifen und die Flügel nehmen! Das ist mir Mahou nämlich wert!", erwiderte ich. "Gunny, wir glauben, dass der Commander versucht, Selbstmord zu begehen. Haben Sie Vorschläge?"
"Ein oder zwei vielleicht, Sir." Der Sergeant wandte sich zu seinen Leuten um. "DeMarco, Kozinev! Eintreten!"
Die beiden Marines traten vor und begannen die Tür zu malträtieren. Schnell zeigten sich erste Erfolge, und ich dankte dem Planungsstab der Navy, die zwar den Kabinentrakt als separierende Einheit konzipiert hatten, nicht aber jede einzelne Kabine. So hatten wir es nicht mit einem Stahlschott, sondern nur mit einer Hartplastiktür zu tun.
Als der Rahmen nachgab, nickten sich die beiden Männer zu und warfen sich zugleich dagegen. Sie gab nach, die Marines fielen mit ihr in den Raum. Ich kam zuerst hinein, dicht gefolgt von dem Sani Corporal Courier und Ohka. Der Gunnery Sergeant hielt seine restlichen Leute draußen.
"Oh, verdammte...", entfuhr es mir. Mir wurden die Knie weich. Beinahe wäre ich gestürzt. Da lag sie, auf der Seite, einen Dolch in der Kehle, mitten in einer Lache ihres eigenen Blutes mit rotem Schaum vor den Lippen.
"Tschuldigung, Sir!", rief Courier und stieß mich ruppig beiseite. Er kniete sich neben die Frau, tastete nach ihrem Puls. "Ma'am, können Sie mich hören? Ma'am?"
Irrte ich mich, oder reagierte Mahou tatsächlich?
"Bitte, Sir, verlassen Sie beide den Raum. Viel tun kann ich nicht ohne den Notarzt." Bei diesen Worten zog er eine Spritze auf. Ich vermutete irgendwelche kreislaufstabilisierende Mittel.
"Ja, verstehe.", sagte ich, konnte mich aber nicht von dem Anblick lösen.
"Was zum Teufel ist denn hier los? Schlägerei, oder was?", blaffte eine Frauenstimme auf dem Gang.
"Selbstmordversuch, Doc.", antwortete die ruhige Stimme des Sergeants. "Mein Sani ist dran."
"Selbstmordversuch?", erwiderte sie und trat in den Raum, ihre Ausrüstung wie ein Schild vor sich herschwenkend. "Heilige Scheiße. Muss das denn auch noch sein? Alles raus, was kein rotes Kreuz trägt! Sie sind gemeint, Ace! Und Sie, Ohka!"
Der Japaner ergriff meine Schulter und drehte mich um. "Wir können hier nichts mehr tun." Er zog mich auf den Gang hinaus.

Draußen stützte ich mich schwer an der Wand ab und atmete tief ein und aus.
"Hören Sie, Sarge, wir nehmen das alles auf unsere Kappe. Wir sind First Lieutenant Kano Nakakura und First Lieutenant Clifford Davis. Schreiben Sie das in Ihren Bericht."
"Das ist doch vollkommen unwichtig. Die Frage ist doch vielmehr, ob sie es schaffen wird, das arme Kind. Um die Verantwortung machen Sie sich mal keine Sorgen." Die Stimme des Gunnery Sergeants klang dabei wie die eines liebevollen Großvaters.
"Danke, Sarge. Danke an Sie und Ihre Leute."
Ich spürte seine Hand auf meiner Schulter. "Cliff, ich sage dir, was wir machen. Ich gehe zurück und erkläre Irons die Geschichte. Du bleibst bei Ichigo-san, damit ich weiß, wo ich dich finden kann, okay?"
"O-okay." Beinahe hätte ich das wenige, was ich im Magen hatte, ausgebrochen. Verdammt, hätte ich Ohka nur fünf Minuten früher gefragt, hätte ich mich nur beeilt, hätte ich... Es brachte alles nichts. Es brachte gar nichts, sich in Selbstvorwürfen zu verlieren. "Danke dir, Kano."
"Ich drücke ihr die Daumen.", versprach er, verabschiedete sich von den Marines und ging schnell aber nicht hastig wieder zurück.
Oder wenn Mahous Quartier keine vierhundert Meter, sondern nur zweihundert Meter vom Besprechungsraum entfernt gelegen hätte... Und auf der gleichen Ebene... Ich hatte das dringende Bedürfnis, meinen Kopf gegen die Wand zu dreschen.

Zwei Stunden später, keine Ahnung, wer meinen Flug übernommen hatte, kauerte ich so nahe wie irgend möglich vor dem OP-Raum, in den sie Mahou verfrachtet haben. In einem militärischem Lazarett bedeutete das, dass ich genau bis zu den beiden Bullen von der MP kam, die wegen mir und nur wegen mir dort standen. Sehr höflich, aber bestimmt hatten sie mich davon abgehalten, den Vorraum zu betreten. Und nun hockte ich da wie ein Häufchen Elend an der Tür und machte mir Selbstvorwürfe, weil ich nicht für sie hatte da sein können, als sie mich am meisten gebraucht hatte.
Endlich erlosch das OP-Zeichen, und ein ziemlich gefrusteter Chirurg kam vor die Tür, schmiss seine blutbefleckten Handschuhe in die nächste Ecke, trat gegen die Tür des Operationsraums und schnorrte dann einen der MP's, den er persönlich kannte, um einen Zigarillo an.
"Lieutenant Davis."
"Doktor Pfeiffer. Wie sieht es aus?", fragte ich, hoffnungsvoll hochschauend.
Er ließ sich neben mir gegen die Wand sinken und zu Boden gleiten. "Zuerst die gute Nachricht. Sie lebt. Und das wird auch so bleiben. Jetzt die schlechte. Ich habe sie ins Koma geschickt. Vielleicht müssen wir sie auch einfrieren."
Die erste Erleichterung wurde von neuer Panik erfasst. "Was?"
"Das Mädchen hat gut gezielt und die Kehle erwischt sowie einige Blutgefäße. Zum Glück keine Hauptschlagadern, sonst hätte ihr niemand mehr helfen können. Aber ihre ganze Lunge ist voll mit geronnenem Blut. Und sie ist verdammt leergelaufen. Und das in einer Zeit, in der sogar das Kunstblut knapp ist. Zufällig war ein Freiwilliger da, der ihre Blutgruppe hat. Er hat direkt gespendet. Wir haben ihm fast zwei Liter abgeknöpft." Er hustete nach einem tiefen Zug an seinem Zigarillo. "Der arme Junge ist jetzt selbst ziemlich am Boden, und... Na, Schwamm drüber. Wir pumpen ihn mit Kochsalzlösung voll. Was aber Commander Ichigo angeht... Die aufgeschnittene Kehle und die durchtrennten Gefäße zu reparieren war leicht. Aber wir kriegen die Lunge nicht mehr zu selbstständiger Arbeit. Derweil wird ihr Blut künstlich mit Sauerstoff angereichert und vom CO2 gereinigt. Was mich auch gleich zur Schattenseite bringt. Hier kann ich nichts für sie tun. Sie muss nach Masters oder Seafort. Denn dadurch, dass ihre Lungenbläschen mit Blut verklebt sind, hat ihr Gehirn nicht genügend Sauerstoff bekommen. Es kann sein, dass es einen dauerhaften Schaden davongetragen hat. Es sind alleine zwanzig Minuten vergangen, bevor wir angefangen haben, ihr Blut zu reinigen. Geschweige denn, dass wir genügend in sie hineingepumpt bekommen haben, damit das Herz weiterschlägt."
"Sie meinen, sie kann geistige Schäden davongetragen haben?"
"Und sie braucht eventuell eine neue Lunge, falls es zu Infektionen kommt. Mit dem Messerstich können ein paar wundervolle Bakterien hineingeraten sein, wo sie absolut nichts verloren haben, und wenn es dann zu einer Lungenentzündung kommt... Nun, wenn ich sie einfriere und man taut sie auf Seafort wieder auf, haben wir die kritischen Tage nur aufgeschoben, aber dann ist sie in den richtigen Händen. Einzig, es könnte ihr Gehirn noch mehr belasten, wenn wir sie einfrieren." Er tippte sich mit der Hand mit dem Zigarillo an die Stirn. "Sie sollten wissen, was Kryostase mit einem Kopf anrichtet, Lieutenant."
"Merkwürdig, dass ich mich daran erinnere, oder?", brummte ich. Die Zeit im Camp Hellmountain, wo Pfeiffer mich aus der Kryostase geholt und schlecht versorgt, aber vor dem Krebs gerettet hatte, war mir in sehr guter Erinnerung - aber ich hatte damals eine heftige Amnesie, die mich Monate begleitet hatte. Und die anschließende Rekonvaleszenz war auch nicht schön.
"Davon abgesehen sollten Sie schon mal einen guten Anwalt für sie aussuchen, Clifford. Das JAG nimmt gerade Ermittlungen gegen sie auf. Sie finden es nicht koscher, dass sie sich direkt nach Longs Versetzung das Leben nehmen wollte. Kann sein, dass sie angeklagt werden wird. Feigheit vor dem Feind, Verschleppung kriegswichtiger Daten, Subversion... Ein Selbstmordversuch wird zuallererst als ein Schuldeingeständnis angesehen."
"Das ist doch nicht deren Ernst!", sagte ich erschüttert.
"Ich sitze hier an der Quelle. Ich hatte schon einige auf dem Tisch, die sich mehr oder weniger erfolgreich Pistolen, Bajonette oder Akarii-Waffen an die wichtigen und weniger wichtigen Körperteile gehalten haben. Sie sagen, wer Selbstmord begeht, will für irgendwas sühnen. Und das suchen sie dann auch. Bis sie es gefunden haben. Bis sie irgendetwas gefunden haben." Er seufzte und ließ den Kopf gegen die Wand sinken. "Und dann hat das arme Mädchen womöglich noch eine neuronale Reparatur vor sich. Das schwierigsten Themengebiet überhaupt in der Medizin. Aber immerhin, sie lebt." Der Arzt sah mich ernst an. "Gehen Sie zurück in Ihre Verfügung, Lieutenant. Sie können hier nichts mehr tun. Ich gebe Ihnen Bescheid, bevor wir sie verschiffen, damit Sie sie noch mal ansehen können. Bemerken wird sie Sie nicht, sie liegt ja im Koma. Aber für Sie ist es sicher gut, Commander Ichigo noch mal zu sehen."
Ich fühlte einen Kloß im Hals. "Und jetzt...?"
"Keine Chance. Sie wird auf Intensiv geschoben, bis das Ärzteteam sich entschieden hat, was wir mit ihr machen, einfrieren oder nicht. Aber Sie haben heute ein Leben gerettet. Das ist doch irgendwas wert bei dem ganzen Tod, Leid und Verderben, die das angeblich intelligente Leben über einander gebracht hat." Er klopfte mir auf die Schulter und stand auf. Den Zigarillo, also den Stumpen desselben, ließ er zu Boden fallen und trat ihn aus. "Ich melde mich, Clifford. Und Sie wissen, Sie können sich auf mich verlassen."
Ich nickte schwer. Am liebsten hätte ich den Platz nicht verlassen, bis ich sie hätte sehen können, oder zumindest bis mir jemand etwas Positiveres über sie hätte erzählen können. Aber das ging nicht. Ich war Soldat, und ich hatte gerade schon genug Mist gebaut. Wenn Irons mir die Flügel abrupfte, meine Beförderung sperrte, mir die Staffel wegnahm, konnte ich es ihr nicht verdenken. Vor allem nicht, sobald das Gerücht die Runde machte, dass nicht Long, sondern Mahou Schuld dran war, dass wir einen Dummy-Träger zerschossen hatten. Ihr das Leben zu retten würden viele als sportliches Foul sehen. Wie verdammt unfair war das nur?
Ich stemmte mich hoch und gab dem Arzt die Hand. "Ich stehe schon wieder in Ihrer Schuld, Doktor."
"Nein, tun Sie nicht. Ich schulde Ihnen mehr als Sie mir, Clifford." Er klopfte mir noch einmal auf die Schulter, bevor er sich umdrehte und in den Bereitschaftsraum trat.
Sehnsüchtig starrte ich auf die OP-Tür, aber die beiden Schränke von der MP waren noch immer da.
Also wandte ich mich um, verließ den Ort des Geschehens. Ich musste mich noch mal richtig bei Ohka bedanken, ihm die gute Nachricht bringen, dass Mahou es geschafft hatte und mir den Selbstmordscheiß noch mal erklären lassen. Und ich musste mich bei meiner Staffel entschuldigen, die ich über zwei Stunden im Stich gelassen hatte. Und, ganz am Schluss der To do-Liste musste ich zu Irons gehen, vor ihr auf dem Boden kriechen und sie anbetteln, dass sie die Affäre nur mit einem Beförderungsstopp unter den Tisch kehrte. Hoffentlich.
04.03.2016 07:51 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Cunningham

TRS Midway

Weit abseits der 5. Flotte, die immer noch den Akarii nachjagte, begann die Midway zu driften. Der Antrieb hatte schließlich versagt und der Kraftstoff für die Manöveriertriebwerke hatte nicht ausgereicht den Träger komplett zu stabilisieren.
Einzig eine kleine Zerstörereskorte und ein Kreuzer der CAV begleiteten den Träger noch.
„Ich habe die Rettungskapseln überbesetzt, Sir,“, meldete der XO, „wir werden gleich mit dem Start der ersten Gruppe beginnen. Hauptsächlich Verwundete mit etwas Hilfspersonal. Die Krankenstation ist geschlossen und Doc Strauß hat auf den zehnten Vorderdeck ein Notlazarett eingerichtet.“
„Sehr gut, dann beginnen Sie mit der zweiten Phase der Evakuierung.“
„Aye, Aye, Sir“, Eine kurze Pause, „Captain, wir werden noch über vierhundert Mann an Bord haben, wenn die letzten Rettungskapseln über Bord sind…“
„Ich weiß, Bernd,“, McKenna blickte sich in der CIC um, „vielleicht… vielleicht könnten Sie eine der letzte besteigen… Sie haben…“ Frau und Kinder hatte er noch sagen wollen.
„Ich habe das letzte nicht verstanden, Sir.“
„Ich habe auch nichts gesagt, XO, tun Sie weiterhin ihre Pflicht.“
„Zu Befehl, Captain.“


In der CIC der Columbia herrschte reges Treiben. Immer noch wurden die beiden wieder zusammengeschlossenen Kampfverbände neu koordiniert.
Hinter einer Wand aus Kreuzern und Zerstörern hingen die Träger Columbia und Triumph zurück und dahinter fuhr die Derflinger.
Die ersten Zerstörer meldeten, dass ihre Raketenbestände aufgebraucht waren oder zur Neige gingen.
„Der Uniform an Backbord, designiert als Uniform zwölf, verliert immer mehr an Fahrt und driftet ab, Ma’am, die gesamte Akarii-Flotte verlangsamt!“
Girad bestätigte die Meldung mit einem Nicken: „Wie lange brauchen die Bomber bis sie landen?“
„Wir sind immer noch dabei zu koordinieren, wen wir wo landen lassen, Ma’am. Auf der Derflinger arbeitet man daran, dass Flugdeck wieder klar zu bekommen. Unser ATLS funktioniert nicht mehr und ist mit Bordmitteln auch nicht mehr zu fixen.
Nur noch die Triumph ist voll einsatzbereit, kann aber keine Crusader starten.“
„Leiten Sie so viele Jagdbomber wie möglich auf die Triumph um, die sollen so schnell wie möglich die Jabos wieder auf munitionieren und betanken!“
„Die Triumph hat keine Ersatzteile für Thunderbolts an Bord, Ma’am, das haben nur wir!“
„Verdammt!“ Girad aktivierte das Interkom und wählte die Flugleitung an.
„Air Boss!“
„CIC, Girad: Wie lange, bis wir wieder Maschinen aufnehmen können?“
„Landedeck ist für Manuelle Aufnahme bereit!“
„Ausgezeichnet, Commander, holen Sie als erstes unsere Bomber und Jagdbomber an Bord.“
Ahn Ho-Yun trat an den Kartentisch heran: „Sie wollen nochmal die Bomber rausschicken, Ma’am?“
„Wir brauchen irgendwen, der den Uniform da den Fangschuss setzt.“
„Wir könnten einen Verstoß mit den Kreuzern versuchen oder die Akarii auf Abstand zusammenschießen.“
Girad legte kurz den Kopf schräg: „Astrogation: Flotte auf Gefechtsentfernung aufschließen lassen. Signaloffizier: An alle Schiffe: Feuer nach eigenem Ermessen!“
Ihre Stabsoffiziere bestätigten die Befehle.


TRS Midway

„XO für CIC: Zweite Welle an Rettungskapseln ist gestartet!“
„Hier CIC, verstanden.“, McKenna war nicht ganz bei seinem ersten Offizier, sondern sah sich die neuesten Meldungen aus dem Maschinenraum an.
Der eine Reaktor war heruntergefahren, der andere wurde gerade notabgeschaltet.
Die Meldung des Leitenden Ingenieurs war alles andere als ermutigend: Die Midway trieb mit über siebzig Kilometern die Sekunde Systemeinwärs und befand sich in einer leichten Drehbewegung um die X-Achse. Relativ gesehen, denn fünfzehn Umdrehungen die Minute würden in naher Zukunft zu viel werden.
Vor allem waren sie zu viel um EVA zu gehen in der Hoffnung aufgesammelt zu werden. Natürlich gab es auch nicht genug EVA-Anzüge für die knapp vierhundert an Bord verbliebenen Crewmitglieder.
„Signaloffizier, stellen Sie mir eine Verbindung zur Pensacola her.“
„Aye, aye, Sir.“
McKenna musste nicht lange warten, dann meldete sich eine Dame über Fleet-Com: „TRS Midway, TRS Pensacola Actual, wir hören.“
„Pensacola Actual, Midway Actual, wie ist der Status ihrer kleinen Flottille?“
„Midway Actual, Pensacola Actual, wir haben unsere Shuttles ausgeschickt um bei der Bergung Ihrer Rettungskapseln zu helfen. Die Hauptarbeit übernehmen dabei aber die CAV-Schiffe.“
„Pensacola Actual, Midway Actual, verstehe. Ist es mögliche, dass Sie und ihre beiden Schwestern uns mit Traktorstrahlern einfangen und uns verlangsamen, sowie die Drehbewegung beenden? Mein Chefingenieur teilte mir mit, dass die Notgeneratoren nur noch für knapp zwanzig Minuten Energie geben. Unsere Batterien sind aufgebraucht oder zerstört, beide Reaktoren offline. Wenn die Generatoren versagen, fallen die Trägheitsdämpfer aus und was dann bedeutet muss ich Ihnen wohl nicht erklären.“
„Midway Actual, Pensacola Actual, ich muss das kurz mit meinem Ingenieur erörtert. Pensacola out.“
McKenna blieb einfach am Kartentisch stehen, den Hörer am Ohr und wartete.
„Midway Actual, Pensacola Actual, wir werden das versuchen. Wenn wir die Geschwindigkeit und die Drehbewegung gestoppt kriegen, wird die Tatanka Yotanka, ein konföderierter Kreuzer, an Backbord längsseits kommen und Sie alle dort rausholen. Wünschen Sie uns Glück.“
„Pensocola Actual, Midway Actual, ich wünsche uns allen alles Glück der Welt.“
„Midway Actual, Pensacola Actual, wir beginnen jetzt, Pensacola out.”
„Midway out.“
Er hätte anfangen können zu weinen, es gab noch Hoffnung. Vielleicht nicht für sein Schiff, so doch für seine Leute. Dann aktivierte er das Interkom: „1-MC hier spricht der Kommandant, unsere Eskorten werden gleich versuchen unsere Bewegung zu stoppen. Falls jemand noch ein Gebet kennt, nur zu, wir werden es brauchen.“


Es rumorte auf dem Flugdeck der Columbia. Alle siebzig Sekunden landete eine Maschine. Das war mehr als die doppelte Zeit, des Landerhythmus mit ATLS.
Die Strebsamkeit, mit der sich die Techniker über die gerade gelandeten Jäger und Jagdbomber hermachten, blieb den Piloten nicht verborgen. Und nach all den Einsätzen, die sie in Sterntor hinter sich hatten, nicht gerade auf Gegenliebe stieß.
Piloten und Waffensystemoffiziere waren erschöpft und am Rande ihrer Einsatzfähigkeit.
Piloten von anderen Geschwadern wirkten verirrt und allein gelassen, bis sich die Staffelführer den Angry Angels ihrer annahmen und sie für ihre Staffeln shanghaiten.
Crawford hatte die grüne Staffel nach der Landung grüne Staffel sein lassen und hatte sich ins CATCC – dem Carrier Air Traffic Control Center – begeben und blickten den LSO’s über die Schulter. Und er zählte die reinkommenden Maschinen, guckte nach Staffel- und Geschwadermarkierungen. Er versuchte den Überblick zu behalten. Und obwohl im das nur noch leidlich gelang, bekam er den aggressiven Unterton der Fliegerbesatzungen mit.
Schließlich und obwohl die Bomber Priorität gehabt hatten landete als letztes Irons. Die Crusader wirkte durchaus mitgenommen und doch setzte sie, trotz des ausgefallenen ACLS, weicher auf, als manche Falcon.
Crawford schnappte sich einen Helm und hetzte die Leitern hinunter aufs Flugdeck.
Dort wurde Irons gerade von Techniker und Piloten mit leichtem Applaus begrüßt. Andere Piloten hatten sich am Rande des Decks auf Kisten, Munitionswagen und dem kalten Boden niedergelassen und sahen dem Spektakel gelangweilt zu.
Irons, von dem Empfang sichtlich überrascht, grinste ihm dümmlich entgegen. Tiefe Augenringe, bleiche Haut und die kupferroten Haare schweißgetränkt zeigten deutlich, wie anstrengend die Mission gewesen sein musste.
„Commander,“, begrüßte er sie, „ich habe doch gesagt, das wird ein Klacks.“
Irons versuchte einen bösen Blick, musste dann jedoch losprusten: „Captain, wenn man mich nicht den Rest meines Lebens damit aufziehen würde, würde ich mich hinwerfen und wie der Papst das Flugdeck küssen.“
„Damit würden Sie sicherlich eine neue Tradition begründen, aber ich glaube wir haben ein ernstes Problem.“, er deutete auf die ersten Jäger und Jagdbomber die auf die Bereitschaftspositionen gezogen wurden.
„Wir sollen noch einmal raus?“
„Ich weiß es noch nicht, aber…“
Irons nickte und sah sich unter den Angry Angels und den Leuten der anderen Geschwader um: „Die sind durch.“
„Kennen Sie den Helm-Trick?“
Sie blickte Crawford ernst an: „Ja, ich habe davon gehört, seit ich an Bord dieses Schiffes war musste aber noch kein Staffelführer damit ankommen. Wenn dabei nur einer ausschert, sind wir möglicherweise alle los.“
„Sie meinen, dass ich damit eher das Gegenteil erziele?“
„Nein aber vielleicht hören Sie sich erst mal von Admiral Girad an, wie es weiter geht…“
Crawford zuckte mit den Schultern: „Gut, ich gehe dann in die CIC und Sie sehen zu, dass Sie so viel Moral wie nur möglich aufbauen.“


Es hatte gerade so noch geklappt die Fahrt der Midway zu verlangsamen, dass die Crew beim Ausfall der Schwerkraft und der Trägheitsdämpfer nicht als roter Matsch an den Schotten endete.
Kaffeetassen, Klemmbretter, Lichtgriffel sowie Trümmerstücke, Ersatzteile und allerlei anderes Material trieb langsam durch die Korridore, während die Crew von ihren Magnetschuhen am Boden gehalten wurde.
Der ehemals konföderierte Kreuzer der Hunley-Klasse Tatanka Yotanka war an Backbord längsseits gegangen und näherte sich immer weiter an, bzw. zog mit seinen Traktorstrahlern den leichten Träger in Andockposition.
Schließlich erklangen drei dumpfe Schläge durch das Schiff, als die Andockschläuche der Tatanka Yotanka an drei der Hauptluftschleusen der Midway festmachten.
Aufgrund des Energiemangels an Bord des Trägers mussten die Luftschleusen manuell geöffnet werden, was gut zehn Minuten in Anspruch nahm.
„XO für CIC!“
„CIC hört.“, das letzte bisschen Notstrom machte die Kommunikation möglich. Wenn nichts mehr ging, konnte man sich immer noch unterhalten.
„Alle drei Luftschleusen sind gesichert und die Tatanka Yotanka ist bereit zur Übernahme.“
„Verstanden XO, beginnen Sie mit der Evakuierung.“
„Aye, aye, Captain, XO out.“
McKenna überblickte nochmal die CIC, als kurz danach die Stimme seines ersten Offiziers über das Bordlautsprechersystem erklang: „1-MC, hier spricht der erste Offizier: Alle Mann begeben sich zu den Luftschleusen C fünf, sechs und sieben zur Evakuierung! Ich wiederhole: Alle Mann begeben sich zu den Luftschleusen C fünf, sechs und sieben! Wir verlassen das Schiff!“
„Okay, hergehört“, wandte sich McKenna an die Besatzung der CIC, „mit Ausnahme vom zwoten Offizier, dem TO und dem Chefrudergänger wird die CIC geräumt, begeben Sie sich zu den Evakuierungspunkten.“
Die Offiziere und Gasten blickten sich kurz unsicher um, verließen dann so schnell es ihnen ohne Gravitation und mit Magnetstiefeln möglich war die CIC.
„Chief Manninger“, wandte sich McKenna an seinen Chefrudergänger, „gehen Sie bitte in meinen Bereitschaftsraum und holen sie die Kriegsflagge ein.“
„Aye, aye, Sir.“
„Ms. Lindholm, TO, Sie beide löschen bitte den Hauptrechner.“
Die beiden Lieutenant Commander nickten nur kurz und begaben sich dann zu dem gesicherten Notfallterminal beim MSD.
McKenna selbst nahm nochmal den Rufer des Intercom zur Hand: „CIC für Maschinenraum.“
„Maschinenraum, Chefingenier hier.“, antwortete ihm ein russischer Akzent.
„Waleri, Sie und Ihre Leute sind entbunden, gehen Sie von Bord.“
„Aye, aye, Captain, wir nehmen den hinteren Notausstieg, der XO hat das schon an die ConFeds mitgeteilt, uns sammelt ein Shuttle ein. Wir sehen uns dann später, Captain.“
„Bis später, Waleri und sagen Sie Ihren Leuten Zulu Bravo, das war ausgezeichnete Arbeit.“
„Das Kompliment geben wir gerne zurück, Sir.“
Die Verbindung wurde unterbrochen.
„Computer beginnt mit dem Löschvorgang, zwei Minuten, Captain.“
„Danke, Ms. Lindholm.“
Die zwei Minuten brauchte er auch, bis Chief Manninger mit der zum Dreieck gefalteten Kriegsflagge zurückgekehrt war.
„So Herrschaften, damit gibt es für uns hier nichts mehr zu tun, gehen wir von Bord.“, McKenna betätigte den unter Sicherheitsglas verborgenen Knopf für das Alle-Mann-von-Bord Signal.
Dreimal dröhnten allen Lautsprecher an Bord der Midway wie ein altertümliches Nebelhorn. Als Signal für all diejenigen, welche die vorangegangenen Durchsagen nicht mitbekommen hatten. Die Midway wurde aufgegeben.
04.03.2016 07:51 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Cattaneo

Eine Warnung

CAV-Kampfkreuzer der Hunley-Klasse Tatanka Yotanka, Sterntor-System

Mit einem erschöpften Seufzen ließ sich Lieutenant Commander Walentin Pawlitschenko gegen die Wand sacken. Seine Beine, seine Arme, selbst seine Augen fühlten sich an als wären sie aus Blei, doch das war nichts gegen die dumpfe Traurigkeit, die ihm das Herz schwer machte und jede Hoffnung zu ersticken drohte. Müdigkeit des Körpers konnte man heilen, wenn man schlief – nicht, dass er so bald dazu kommen würde – aber eine verletzte Seele, die heilte nicht so schnell.
Er rief sich noch einmal ins Gedächtnis, was ihm eigentlich Mut machen sollte. Zunächst einmal, seine Schwester lebte noch und ihr Träger hatte nur vergleichsweise leichte Schäden erlitten, obwohl die Angry Angels wieder einmal hatten bluten müssen. Lilja war nicht einmal verletzt worden. Seine kleine Schwester flog anscheinend, als gäbe es kein Morgen und als könne ihr nichts passieren, obwohl sie es eigentlich besser wusste. Aber diesmal war sie damit ohne einen Kratzer durchgekommen. Natürlich, bei dem kurzen Ferngespräch nach der Schlacht hatte sie hohlwangig und verhärmt gewirkt, aber das auf die Erschöpfung geschoben. Er war sich nicht ganz sicher, ob er ihr das abnehmen sollte, aber vermutlich sah auch er nicht besser aus.
Ihm selber ging es ganz gut, sein Schiff hatte nur vergleichsweise leichte Treffer erhalten, die Zahl der Verletzten war überschaubar, Tote hatte es „nur“ ein halbes Dutzend gegeben. Er wusste, es war pervers, so etwas als Glück zu betrachten. Aber das hier war Krieg, und nach einer Schlacht konnte sich ein beschädigtes Schiff glücklich schätzen, wenn es so mit so wenigen Verlusten davongekommen war. Der Gegner war auf dem Rückzug. Er hatte bluten müssen für seinen waghalsigen Vorstoß. Die Tatanka hatte eine wichtige Rolle bei der Evakuierung der Restcrew der Midway gespielt. Es war ein gutes Gefühl, ein paar hundert Leuten das Leben gerettet zu haben - nicht, dass Walja als Offizier der Waffenstation daran beteiligt war. Aber dennoch, es war ein schönes Gefühl. All das wog schwer, und er war auch wirklich dankbar dafür.
Aber auf der anderen Waagschale…oh, da türmte sich viel, so viel auf. Die planetaren Verteidigungsstreitkräfte von Masters hatten für ihren heldenhaften Widerstand einen hohen Preis zahlen müssen. Fast alle ihre Kriegsschiffe waren zerstört oder wrackgeschossen, rund zwei Drittel ihrer Kampfflieger zerstört, etwa die Hälfte der Piloten war gefallen, gefangen oder vermisst. Und doch hatten sie nicht verhindern können, dass es auf Masters tausende zivile Opfer gegeben hatte. Das wahre Ausmaß der Katastrophe ließ sich noch gar nicht abschätzen. Die Bilder von der Oberfläche und die Liste der zerstörten Schiffe lasen sich wie eine flammende Anklageschrift – vor allem gegen die Akarii, aber auch gegen die Flotte, die den Planeten und seine wenigen Verteidiger zu spät unterstützt hatte. Auch die TSN hatte viele Schiffe und Menschen verloren. Das Flaggschiff der 5. Flotten, der brandneue Kommandokreuzer James Knox, war schon beim ersten Zusammentreffen mit den Akarii tödlich getroffen, und zudem waren zwei kostbare leichte Träger vernichtet oder irreparabel beschädigt worden. Der leichte Träger Derfflinger hatte schwere Treffer und hohe Verluste erlitten und würde für Monate, vielleicht Jahre zurück ins Dock müssen. Die 5. Flotte hatte zudem zwei leichte Kreuzer eingebüßt, die Columbia einen ihren schweren Begleit-Kreuzer. Außerdem hatten der Columbia-Verband und die 5. Flotte etwas über ein Dutzend kleinere Schiffe verloren – Zerstörer, Fregatten und Korvetten. Alle Kampffliegerstaffeln hatten hohe Verluste erlitten, sogar die, deren Träger überlebt hatten. Rund ein Drittel der Staffelkommandeure war tot, vermisst oder verwundet.

Walja war kein Stratege, aber er bezweifelte, dass sich die 5. Flotte oder die Columbia so schnell von diesem Aderlass erholen würde, auch wenn er weit geringer war als das, was andere Verbände in diesem Krieg hatten hinnehmen müssen. Aber was mindestens ebenso schlimm war, denn es betraf ihn selber, auch die Loyalisten hatten einen hohen Preis bezahlen müssen. Loyalisten, so bezeichnete man mitunter die ehemaligen Konföderierten, die Kämpfer der Confederated Army of Volunteers, auch CAV’s genannt, die sich entschlossen hatten nicht vor dem Imperium zu kriechen, sondern an der Seite der TSN für ihre Heimat weiterzukämpfen. Sie hatten ihren Kampf bekommen, dem nicht wenige entgegengefiebert hatten, sie hatten sich beweisen können – doch wie viel hatte es sie gekostet!
Die Maxim Gorki, ein schwerer Kreuzer der Kirow-Klasse und gleichsam das Flaggschiff des Loyalistenverbandes, war nur noch ein Wrack, ein Drittel der Besatzung gefallen, mehr noch verwundet. Es war jetzt schon absehbar, dass das Schiff niemals wieder in den Kampf ziehen würde, weite Teile des Kampfraumers waren durch Brände verwüstet, oder nur noch zerschmolzenes, zerfetztes Metall. Man würde den Kreuzer vermutlich ausschlachten und abwracken, denn eine Reparatur eines so alten Schiffes lohnte bei solch schweren Schäden kaum noch. Ein tragisches Ende für ein Schiff, das für die Loyalisten ein Quell des Stolzes und der Hoffnung gewesen war, Dinge, derer sie verzweifelt bedurften. Walentin war keiner von ihnen, aber man konnte nicht mit Männern und Frauen – und ja, das galt auch für die Nichtmenschen – dienen, ihre Geschichten hören und ihren Gesprächen lauschen, ohne dass ihre Gefühle etwas abfärbten. Wie es so schön hieß, was man beobachtete oder befehligte, das veränderte einen auch immer ein bisschen. Oder mehr als nur ein bisschen…
Commodore Mutiu Ikeda, der TSN-Kommandeur des Loyalistenverbandes, ein Mann, den sie alle respektiert hatten, Menschen, Nichtmenschen, TSN’ler wie Konföderierte, war dem Vernehmen nach noch auf dem Weg zum Operationstisch verblutet. Und als wäre das nicht schlimm genug, war auch noch eine Fregatte der Loyalisten vernichtet worden, im Geschützduell mit einem Akarii-Zerstörer. Es bot keinen Trost, dass ihre Schwesterschiffe den Schuldigen förmlich auseinander gerissen hatten. Mehr als die Hälfte der Crew war gefallen.

Seine Untergebenen schienen ähnlich erschöpft, ähnlich niedergedrückt. Wie er hatten sie daran gearbeitet, die Schäden des Schiffes wieder auszubessern. Nicht nur in der eigenen, der Waffenstation, sondern auch sonst überall, wo es was zu tun gab. Und es gab so viel zu tun im Sterntor-System. Menschen, Akarii, T’rr und Soridachi kauerten, wo immer sie die Erlaubnis zum Pausemachen bekommen hatten, mit stumpfen Blicken und leeren Gesichtern. Es war erstaunlich, wie sehr sich Körperhaltung und Mimik so unterschiedlicher Rassen ähnelte, aber vielleicht hatten sie das auch nur voneinander abgeschaut. Es schien auch keinen Unterschied mehr zwischen den konföderierten und terranischen Besatzungsmitgliedern zu geben. Vielleicht waren sie auch einfach nur zu müde, zu niedergeschlagen, um darauf noch zu viel zu geben, oder die gemeinsam bestandene Schlacht hatte die Unterschiede wenn nicht aufgehoben, so doch zeitweilig überdeckt. Nur jeder zweite reagierte überhaupt, als ein TRMC-Mann und eine weibliche Akarii in der Uniform der Marines mit schleppenden Schritten hereinkamen und Kaffee, heiße Schokolade – für die Akarii das weitaus bessere Aufputschmittel – und Konzentratsuppe austeilten. Und manche, die sich etwas geben ließen, hielten die Schüsseln und Tassen in den Händen, als fragten sie sich, was sie damit eigentlich tun sollten.
Insgeheim leistete Walja Abbitte bei seinen Untergebenen für alle Zweifel, die ihm hin und wieder gekommen waren. Eines musste man den Loyalisten lassen, sie waren mit vollem Einsatz bei der Sache, in der Schlacht wie danach, und die TSN-Flottensoldaten wollten natürlich nicht zurückstehen.

Für einen Moment hing er dem Gedanken nach, dass es so gesehen ein – unbeabsichtigter – Fehler der Akarii gewesen war, ausgerechnet hier anzugreifen, genau da, wo die ersten Schiffe der Konföderation auf die Fortsetzung des Krieges vorbereitet wurden. Ihr Einsatz – und sie hatten gut gekämpft – würde die meisten der Zweifel beseitigen, die es in der TSN gegen den Einsatz der Freiwilligen noch gab. Die Schlacht, mit all ihren Erfolgen und ihren Verlusten, hatte zudem durchaus das Potential, zu einem Symbol zu werden für diejenigen, die ihr Schicksal lieber mit der terranischen Republik verbanden, als dem Imperium hinterherzulaufen. Hier hatten Konföderierte Seite an Seite mit der TSN standgehalten und geholfen das aufzuhalten, was über Hannover nicht hatte verhindert werden können. Viele Soldaten waren gestorben – aber Masters’ war vor noch Schlimmerem bewahrt worden, die Angreifer waren bestraft worden, und das war auch Verdienst der ehemaligen Konföderierten. Zudem…das vergossene konföderierte Blut schrie mit einer eigenen Stimme. Vermutlich waren in dieser Schlacht ähnlich viele Konföderierte umgekommen waren wie während der gesamten terranischen Internierungsaktion. Dieses von den Imperialen vergossene Blut würde zusammen mit den Gräueln auf Hannover und während der fünf Jahre blutigen Krieges die Erinnerung an Girads Taten mit Leichtigkeit überdecken, nicht zuletzt, weil die kaiserlichen Akarii auf Masters einmal mehr bewiesen hatten, was von ihnen zu halten war – und was man am besten dagegen tat. Das würde zweifellos auch auf diejenigen Konföderierten, die noch in den Internierungslagern saßen, eine Wirkung haben – und auf ihre Kameraden zuhause. Sicher, der Strom an Freiwilligen war inzwischen abgeebbt, aber es kamen immer noch neue. Aus den Internierungslagern trafen immer noch einige ein, die einfach Zeit gebraucht hatten, sich zu entscheiden, oder die ,weich’ wurden, weil die Propaganda der FRT und der Freiwilligen sie schließlich umstimmte. Ähnlich war es in der Konföderation. Egal wie viele der Regierung die Treue hielten oder einfach zu erschöpft und ernüchtert waren, unter Millionen von Soldaten, Reservisten und Milliarden Zivilisten fanden sich immer einige Freiwillige – vielfach Nichtmenschen. Gerüchte sprachen von einem stetigen Strom von „zivilen“ Überläufern und Flüchtlingen, Menschen und Aliens, die in die TSN kamen, weil sie Angst davor hatten, was das Imperium als nächstes tun würde, oder die zwar nicht bereit waren, in der TSN zu kämpfen, aber in den Rüstungsfabriken der Terraner arbeiten wollten. Angeblich stellte man in der FRT Überlegungen an, insbesondere den Nichtmenschen der Konföderation gezielt Angebote zu machen, denn die hassten das Imperium am meisten.
Er kam sich ein wenig schäbig vor, dass er selbst in dieser Stunde so rationell und berechnend darüber nachdenken konnte, aber das war ja seine Aufgabe. Er war eben mehr als nur Knöpfchendrücker, er war Offizier, und aus einem guten Grund hier. Er konnte nicht nur dasitzen, und versuchen, all die quälenden Gedanken, die ganze Flottenpolitik und seine eigene Verantwortung einfach einmal ein paar Minuten zu vergessen. Dabei fühlte er sich so müde. Wie lange war es her, dass er mehr als ein, zwei Stunden Schlaf am Stück gehabt hatte? Wann hatte er sich das letzte Mal richtig gewaschen oder rasiert? Er musste aussehen wie ein Pirat, nicht wie ein Offizier…

Eingelullt vom Hintergrundrauschen des Schiffes – Durchsagen, leise Gespräche, Schritte, gedämpfter Arbeitslärm, die immer noch etwas asthmatisch klingende Luftumwälzung – dauerte eine Weile, ehe er wahrnahm, dass sich etwas geändert hatte. Durch das gedämpfte Durcheinander war eine einzelne Stimme aus den Lautsprechern zu hören, die ihm vage vertraut vorkam. Und nicht nur ihm, auch einigen seiner Untergebenen schien sie aufzufallen. Wenn er es genau betrachtete, dann nur, oder fast nur den ehemaligen Konföderierten. Dann fiel es ihm ein – das war doch diese ehemalige konföderierte Rear-Admirälin, die zur TSN übergelaufen war, und inzwischen als Frontgesicht und Stimme der Loyalisten fungierte. Sie hatte seines Wissens nicht – noch nicht? – ein formelles Kommando inne, aber sie war in den letzten Wochen mehr und mehr zu einer Bezugsgröße geworden, der viele der Überläufer aufmerksam lauschten. Auf wen sollten sie auch sonst hören?
„…haben diese Männer und Frauen, gleich welchen Ranges, Herkunft oder Rasse, bewiesen, dass noch Ehre in uns ist, dass auch die Ehre unserer Heimat hochgehalten wird. Eine Ehre, die viele, allzu viele anscheinend vergessen, verkauft, oder weggeworfen haben. Soldaten im Sterntor-System – Worte können nicht genug Dank ausdrücken für das, was ihr getan habt, Tränen um die Gefallenen und Verwundeten nicht genug der Trauer sein. Ihr habt unseren Bund mit den Völkern der FRT mit eurem Heldenmut besiegelt, auf eine Art und Weise, die niemand anzweifeln oder ignorieren kann. Mir blutet das Herz bei dem Gedanken, dass jene, die sich unsere Regierung, unsere Kommandeure nennen, euer Opfer nicht erkennen oder es nicht zu würdigen wagen. Nicht zuletzt das ist es, wofür ihr, wofür wir alle einstehen – eine freie Konföderation, wo man nicht ängstlich in Richtung des imperialen Aufpassers schielen muss um zu erahnen, was man sagen kann oder darf. Ihr könnt euch sicher sein, dass auch mancher unserer Landsleute, der aus irregeleiteter Loyalität zu Generalgouverneur Cochrane nicht mit derselben Entschlossenheit gehandelt hat wie ihr, heimlich die Faust ballt und den bitteren Geschmack der Scham im Mund spürt, wenn er von den neuen Verbrechen der kaiserlichen Streitkräfte und von eurem Kampf, euren Opfern und eurem Heldentum hört – und davon, wie wenig Würdigung ihr dafür in euer Heimat erfahrt. Doch ich sage, heimlicher Scham und heimliche Wut sind zu wenig! Wer mit euch fühlt, der sollte auch den Mut haben, an eurer Seite zu streiten oder zumindest seine Abscheu vor dem so genannten Frieden und den verräterischen Geschäften mit dem Imperium offen zeigen.“

Die Admirälin schwieg für einen Moment. Ihre Stimme hatte eine eigentümliche Wirkung auf die ehemaligen Konföderierten. Man hörte ihr die eigene, tiefe Trauer an, Trauer um ihre Kameraden, aber auch um den Verrat durch die eigene Regierung – aufrichtig empfunden, oder sehr gut gespielt. Sie war entweder jemand, die glaubte, was sie sagte – oder sagte, was sie glaubte – oder zumindest sehr gut instruiert und ausgebildet. Diejenigen Konföderierten, die Walja sehen konnte, zogen ihre Aufrichtigkeit bestimmt nicht in Zweifel. Es war nicht so, dass sie ihr zujubelten. Aber sie schien den richtigen Ton zu treffen. Sie lobte und pries, gab ihren Kameraden die Anerkennung, die diese Männer und Frauen so dringend brauchten. Sie hatten die Brücken hinter sich abgebrochen, und sie brauchten verzweifelt die Versicherung, dass die Entscheidung die richtige gewesen war, dass der Kampf alle Opfer wert war. Auch das Opfer, die Heimat aufzugeben, für Jahre, wenn nicht für immer, um sie zu beschützen. Deshalb fielen die Worte der ranghöchsten Loyalistin auf so fruchtbaren Boden.

Als Jacqueline Bouisseau ihr Schweigen nach einer langen Pause brach, war die Trauer aus ihrer Stimme geschwunden. Vielmehr überwog jetzt die Verachtung: „Deshalb wende ich mich auch an euch, Männer und Frauen in der Konföderation. Ich frage euch, und ich beschwöre euch diese Frage gut zu bedenken, ist sie doch eine Frage von Leben und Tod für unsere Heimat, die wir alle so sehr lieben: Was tut die so genannte rechtmäßige Regierung und das Oberkommando der Konföderation in dieser Stunde, da unsere Flotte am Boden liegt und tapfere Männer und Frauen gemeinsam mit den Soldaten der FRT kämpfen, damit nicht noch mehr Welten das Schicksal Hannovers erleiden, damit die imperialen Verbrechen gerächt werden? Beschäftigen sie sich damit, die Wunden, die ihre neuen…Freunde…“ es schien unmöglich zu sein, so viel Hass und Verachtung in ein Wort zu legen, vor allem in ein eigentlich positiv belegtes, aber die Rear-Admirälin schaffte das mühelos: „…geschlagen haben, zu heilen? Bauen Sie die konföderierte Flotte wieder auf, um sich behaupten zu können, falls der imperiale Palast eines Tages mehr fordert, als sogar sie geben wollen oder können? Denn ich warne euch, warne sie, der Tag wird kommen, vielleicht eher als wir uns das vorstellen können! Unternehmen sie auch nur den Versuch, die Konföderation wieder an ihren verdienten Platz unter den freien Völkern zurückzuführen, den Platz, den sie vor diesem faulen Frieden hatte, als angesehener Partner im Frieden, in der Diplomatie, eine souveräne Macht, die Verbündete hatte, aber keine HERREN? Nichts dergleichen! Stattdessen erreichen uns beunruhigende Meldungen über Flottenverlagerungen, übermittelt von Patrioten, denen die kriecherische Politik der Regierung Cochrane und der irregeleiteten Militärs bei aller Loyalität dem gewählten Amt gegenüber inzwischen zu weit geht. Ihr dürft nicht glauben, dass wir alleine sind, auch wenn nicht jeder so mutig ist wie die Kämpfer, die Seite an Seite mit der TSN dem Imperium die Stirn bieten. Doch die Nachrichten sind wahrlich beängstigend, denn es scheint so, als ob die Imperiumsfreunde immer mehr Schiffe an der Grenze zur FRT zusammenziehen. Mindestens ein, möglicherweise sogar noch mehr Träger und mehrere unserer wenigen verbleibenden Kreuzer- und Zerstörergeschwader sind in Marsch gesetzt worden, hin zur Grenze der FRT – Einheiten, die möglicherweise ein Drittel, ja gar die Hälfte unserer verbliebenen Kampfkraft umfassen. Als ob nicht die größte Gefahr für unsere Freiheit in den letzten hundert Jahren immer und immer wieder aus Richtung des Imperiums gekommen wäre! Cochrane sollte, wenn er schon nicht willens ist aus der Geschichte zu lernen, vielleicht einmal aus dem Fenster schauen und sich daran erinnern, wer seine WÄHLER zu tausenden in Sichtweite seines Regierungssitzes abschlachtete, wegen wem die Friedhöfe auf Hannover überquellen vor ermordeten Soldaten und Zivilisten – Männer, Frauen, jung und alt. Aber das stört vermutlich nur die Geschäfte mit den Schlächtern seines eigenen Volkes!“
Bouisseau lachte verächtlich: „Fürchtet er vielleicht, die TSN könne ihn überfallen? Oder WIR könnten ihn aus seinem Palast verjagen wollen, um ihn für seinen Verrat zur Verantwortung zu ziehen? Dann kann diese Furcht nur das Ergebnis eines schlechten Gewissens oder imperialer Lügen sein. Jeder weiß, jeder kann erkennen, dass die republikanischen Streitkräfte wie auch alle aufrechten konföderierten Patrioten im Kampf gegen die kaiserlichen Truppen gebunden sind. Nichts liegt der TSN ferner, als sich zusätzliche Gegner zu schaffen. Ihre Schiffe, unsere Schiffe marschieren gegen die imperiale Flotte.“

Die Stimme der Admirälin zitterte anscheinend vor Wut und Frustration, als sie fortfuhr: „Ich frage mich also, und das sollte sich jeder Konföderierte, was bezweckt man auf Hannover mit diesem Manöver? Wie lange noch soll dieses üble Spiel weitergehen? Wohin führt dieser selbstmörderische Wahnsinn? Meinen sie, sich mit Drohgebärden gegenüber der FRT beim Imperium einschmeicheln zu können? Das wäre noch die harmloseste Erklärung, und doch, ein wie tiefer Fall für uns, ein freies Volk unter freien Völkern? Sind wir so tief gesunken, dass wir gezwungen und auch noch willens sind vor einer machthungrigen, massenmörderischen Militärdiktatur, die sich das Mäntelchen einer altehrwürdigen aber nicht minder diktatorischen Monarchie umhängt, zu kuschen, uns bei ihr Liebkind zu machen? Oder geschieht noch schlimmeres? Fürchten die Regierenden auf Hannover, dass Welten der Konföderation den einst freiwillig eingegangenen Bund aufkündigen – wie es in ihrer Macht steht – und sich von dieser neuen Konföderation abspalten, gar der FRT anschließen wollen, weil sie erkennen, dass die heiligen Werte unserer Heimat von der eigenen Regierung in den Staub getreten werden? Sollen die Schiffe deshalb bereitstehen, um jede solche Bestrebung in bester IMPERIALER Tradition zu ersticken? Oder plant man auf Hannover etwa im Dienste des Imperiums einen Angriff auf die FRT? Denn nichts anderes wäre JEDE Verletzung der Staatsgrenzen, egal mit welchen Lügen man sie zu rechtfertigen sucht! Ich frage, ist JETZT der rechte Moment für solche Drohungen und Taten, ja, gibt es einen solchen Moment jemals? Die Konföderation wollte nie Kriege anfangen, nur sie beenden, wenn sie ihr aufgezwungen wurden. Sie wollte niemals mit Gewalt herrschen, nur nach dem freien Willen ihrer Untertanen. Will man JETZT mit dieser unserer heiligen Tradition brechen? Will man die dunkle Stunde unserer Niederlage noch schwärzer werden lassen? Ich hege weiß Gott nicht mehr viel Respekt für die Regierung und das Oberkommando meiner Heimat – aber es fällt schwer zu glauben, dass sie SO TIEF sinken könnten. Ich warne sie deshalb, jede ihrer Taten reiflich zu überlegen. Wollen sie wirklich JEDE Vernunft und jeden Funken Gewissen in den Wind werfen, für kurzfristige Ziele, für Erfolge, die ihnen auf lange Sicht das Rückgrat brechen werden? Die Reste unserer Flotte riskieren in Angriffen, die nur jenen dienen, die Hannovers Himmel verdunkelten? Doch selbst wenn sie blind sind und taub, ich weiß, dass die Konföderierten als Volk es nicht sind! Deshalb beschwöre ich euch, meine Landsleute, gleichgültig ob ihr den Kampf unserer Freiwilligen-Armee für richtig haltet oder nicht, gleich ob ihr den Frieden mit dem Imperium für einen Fehler haltet oder nicht, gleichgültig ob ihr meinetwegen Wesen wie mich hasst und verachtet, weil wir in euren Augen Verräter sind – lasst nicht zu, dass irrwitzige Planspiele und serviles Kriechertum euch in einen Krieg mit der TSN hineinzieht! Wer stand an unserer Seite, trug einen Großteil der Belastungen und half so, dass wir nicht überrannt wurden? Die Soldaten der Bundesrepublik Terra! Wer aber hat uns den Krieg aufgezwungen, in dem hunderttausende unserer Mitbürger starben oder verstümmelt wurden? Das Imperium! Wer will alle freien Völker in seinem Territorium und darüber hinaus in den Staub drücken, wenn sie nicht sklavisch den Nacken beugen? Der Kaiserpalast! Wollt ihr euch zu Handlangern eines feigen und heimtückischen Kriegsverbrechers wie dieses Ilis machen lassen? Zu Sklaven des Kaiserhauses, das diesen Krieg angefangen hat und ihn weiterführt, auch nachdem seine größten Verbrecher vor ein höheres Gericht treten mussten? Das will, das kann ich nicht glauben! Darum, egal was ihr über die Republik Terra oder über die Freiwilligen denkt – seid wachsam! Lasst euch nicht in einen irrwitzigen Krieg hineinziehen im Dienste derer, die uns den letzten, mörderischen aufzwangen! Fallt ihnen in den Arm und lasst eure Stimme gebieterisch erschallen – Genug des Wahnsinns!“

Walja musterte unauffällig die Gesichter seiner Untergebenen. Er fröstelte heimlich. Einerseits wegen der Worte der übergelaufenen Admirälin. Allein die Aussicht auf einen Konflikt mit der Colonial Navy war beunruhigend. Sicher, viel war von dieser Flotte nicht geblieben, und das was übrig war, gehörte nicht gerade zur Elite. Viele der Besten waren über Hannover gefallen, in terranischer Internierung – oder setzten den Kampf gegen das Kaiserreich an der Seite der TSN fort. Er hatte gerüchteweise auch gehört, dass eine ganze Reihe von Angehörigen der konföderierten Armee und Flotte die Streitkräfte verlassen hatten, weil sie weder unter den augenblicklichen Bedingungen dienen wollten, noch es über sich brachten, der TSN weit genug zu trauen, um sich ihr anzuschließen. Aber selbst wenn die CN nur noch ein schwacher Schatten ihres alten Selbst war, angesichts der wieder aufflammenden Entschlossenheit der Akarii konnte sich jedes bisschen verhängnisvoll auswirken. WENN es zu einem Konflikt kam und WENN die Konföderierten nur halb so gut kämpften wie die Freiwilligen…nein, das war nichts, was man so leicht abtat.
Aber es war nicht einmal so sehr dieser angsteinflößende Gedanke, der ihm so schwer im Magen lag. Es war der Ausdruck, den er in einigen der Gesichter seiner Untergebenen zu erkennen glaubte. Nicht bei allen, aber doch bei etlichen, und vermutlich bei deutlich mehr als es vor der Schlacht der Fall gewesen wäre. Ein dumpfes Brüten, unwillkürlich geballte Fäuste, ein Verziehen der Mundwinkel bei diesem Wort oder jenem der Rede…

Mit einem Mal nahm Walja wahr, dass die Übertragung weitergegangen war. Nun erklang Gesang aus den Lautsprechern, ein Lied, das schon bald von einzelnen seiner Untergebenen aufgenommen wurde. Er kannte Worte und Melodie, hatte sie in den letzten Wochen schon ein paar Mal gehört. Es war ein altes terranisches Lied aus einem blutigen Krieg, nein, einem Bürgerkrieg des 19. Jahrhunderts auf dem nordamerikanischen Kontinent, so beliebt, dass es zuletzt beide Seiten sangen. Später hatte man es vielfach weiterverwendet und umgedichtet, es hatte sogar eine gewisse Renaissance während der Kriege in Südamerika während des 22. Jahrhunderts erlebt. Auch die konföderierten und die terranischen Streitkräfte hatten es in ihren Liederkanon integriert, obwohl es nie besonders populär gewesen war. Die CAV hatte es nun zusammen mit einigen anderen Liedern aufgegriffen und für ihre Zwecke angepasst.

“Oh, we'll rally round the flag, boys, we'll rally once again,
Shouting the battle cry of freedom,
And we’ll rally from the towns, we'll gather from the plains,
Shouting the battle cry of freedom!” *

Immer mehr Soldaten fielen ein, als der Refrain erklang:

“The CAV forward! Hurrah, boys, hurrah!
Down with the cowards, up to the stars;
While we rally round the flag, boys, rally once again,
Shouting the battle cry of freedom!”

Als die zweite Strophe begann, sangen sie bereits alle, CAV’s und Terries, Menschen und Nichtmenschen, die Marines in ihren Kampfanzügen, die Brückencrew, die Soldaten auf der Waffenstation, die Crewmitglieder im Maschinenraum. Einige fassten sich an den Händen, andere ballten die Fäuste, reckten sie in drohender Geste in die Luft – die Akarii und T’rr bleckten die Zähne, und sie waren nicht die einzigen. Auch Lieutenant Commander Pawlitschenko fiel in den Gesang ein. Vergessen war, dass er die Konföderierten eigentlich nur unterstützen, ja überwachen sollte:

“We are springing to the call, one hundred thousand more,
Shouting the battle cry of freedom!
And we'll fill the vacant ranks of our brothers gone before,
Shouting the battle cry of freedom!”

“The CAV forward! Hurrah, boys, hurrah...”

“We will welcome to our numbers all the loyal, true and brave,
Shouting the battle cry of freedom!
Anyway which race they are, they will never be enslaved,
Shouting the battle cry of freedom!”

“The CAV forward! Hurrah, boys, hurrah...”

“So we're springing to the call from Cognin and Celeste,
Shouting the battle cry of freedom!
And we'll hurl the imperial slaves from the land we love the best,
Shouting the battle cry of freedom!”

“The CAV forward! Hurrah, boys, hurrah...”

“We are striking once again, boys, we're going to the fight,
Shouting the battle cry of freedom!
And we bear the glorious flag for our country and the right,
Shouting the battle cry of freedom.”

“The CAV forward! Hurrah, boys, hurrah...”

Weder Walja noch seine Untergebenen konnten zu diesem Zeitpunkt ahnen, dass ausgerechnet dieser Text zur Hymne der Freiwilligenarmee und ihrer zivilen Unterstützer werden und sie durch alle Rückschläge, ihre dunkelsten Stunden und bei allen Siegen begleiten sollten. In den kommenden Jahren würde es sowohl in der Konföderation als auch in der Bundesrepublik Millionen singen. Und obwohl Walja all dies nicht wissen konnte, fühlte er doch eine düstere Ahnung. Wie lange noch, und der Streit der Worte würde in einen der Waffen ausarten? Erkannten die Führer in Hannover, dass sie mit ihrer Politik nicht nur eine zusätzliche Schwächung ihrer Position gegenüber dem Kaiserreich, nicht nur einen unmöglich zu gewinnenden Konflikt mit der TSN riskierten, sondern, schlimmer noch, den Ausbruch eines offenen Bürgerkrieges, den Zerfall der ganzen Konföderation? Erkannte die Admirälin, dass ihr Handeln und ihre Worte sie und ihre Kameraden in genau diese Richtung trieben, dass sie den Einwohnern der Konföderation insgeheim so ein Handeln nahe legte? Und wenn es erst einmal so weit war – wie lange würde es dann dauern, bis die Konföderation wieder Frieden fand? Würde sie dann als einheitlicher Staat überhaupt überleben?
Eigentlich hätte er sich ja über solche Möglichkeiten freuen sollen, aber Lieutenant Commander Walentin Pawlitschenko fühlte nur Übelkeit bei dem Gedanken. Er hoffte verzweifelt, dass die Warnung in der Rede der Überläuferin reichen würde, um ihre Landsleute vor Dummheiten abzuhalten. Sonst verloren sie, verloren alle Konföderierten am Ende viel mehr, als sie sich jemals hätten vorstellen können.

***********
* Battle Cry of Freedom war ein populäres Lied des Amerikanischen Bürgerkrieges, das zunächst im Norden aufkam, aber bald schon von den Konföderierten aufgegriffen und mit eigenem Text gesungen wurde.
04.03.2016 07:52 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Ironheart

Vor der letzten Sterntor-Schlacht
An Bord der Columbia
Sterntor-System

`Warum habe ich das nur getan?`
Sergeant Jean Davis blickte in den Spiegel vor ihr und schüttelte den Kopf. Sie war bereits in voller Kampfmontur, nur ihr Helm und die Waffen fehlten noch. In der Nasszelle neben dem Bereitschaftsraum der Bord-Marines hatte sie sich noch einmal etwas Wasser ins Gesicht gespritzt.
„Hey, Jean, alles in Ordnung?“
„Ja, Maggie, ich bin gleich bei euch.“
Jean war – anders als üblich – eine der letzten, die noch nicht bereit war und das fiel offensichtlich auch ihren Kameraden auf.
‚Reiss dich zusammen!‘ schalt sie sich selbst und ging wieder zurück in den Bereitschaftsraum. Während einer Schlacht wurden die Marines normalerweise in Gruppen unterschiedlicher Größe über das ganze Schiff verteilt. Zum einen um bei etwaigen Angriffen schon überall präsent zu sein, aber auch um bei eventuellen Bränden und Evakuierungen zu helfen.
Aber mindestens ein Platoon wurde dabei als taktische Einsatzreserve zurückgehalten. Und in dieser Schlacht war das Jeans Platoon.
Als Jean sich wieder zu ihren Kameraden gesellt hatte, fing sie einen kurzen Blick ihres Platoonleaders auf. Doch ein knappes Nicken ihrerseits schien ihn zu beruhigen, so dass er sich wieder seinem Datenpad widmete.
Während draussen die Schlacht tobte, die Schiffsbesatzung und die Deckcrew alle Hände voll zu tun hatten und die Jäger und Bomber in der Kälte des Alls um ihr Leben kämpften, saßen die Marines nur rum und warteten. Sie wartete, während Ace und Stuntman da draussen um ihr Leben kämpften.
`Warum habe ich das nur getan?` schoß es Jean wieder durch den Kopf.
Der Anblick des verletzten Ian hatte schlimme Erinnerungen in ihr geweckt und sie war in Panik geraten. Und ja, sie hatte deswegen Donovan brüsk zurückgewiesen.
Doch warum? Und das auch noch so kurz vor der Schlacht.
Jean hatte nicht die Wahrheit gesagt, das merkte sie jetzt, natürlich empfand sie etwas anderes für ihn als für seine Brüder, und der Gedanke drehte ihr den Magen um. Sie empfand mehr für ihn, als sie sich zunächst eingestehen wollte und in kindlicher und reichlich frühreifer Form hatte sie ihn fortgejagt, als ob das ihre Gefühle für ihn einfach wegwischen konnte.
Sie hatte ihm wehgetan und sie wusste nicht, ob sie das je wieder gut machen konnte.
Was war, wenn er nicht wieder zurückkommen würde? Sie würde sich auf ewig Vorwürfe machen, denn ein Kampfpilot der abgelenkt in eine Schlacht zog, war so gut wie tot.

***

Donovan „Stuntman“ Cartmell hatte Mühe sich zu konzentrieren. Der Kloß in seinem Magen schien mehrere Kilo zu wiegen.
Doch er wusste, dass sein eigenes Leben und das seiner Kameraden im Moment davon abhing, dass er fokussiert blieb, dass er funktionierte. Aber seine Gedanken schwirrten immer wieder zurück zu dem, was ihm Jean vor der Krankenstation gesagt hatte.
War es wirklich ihr Ernst gewesen, dass sie ihn nicht mehr sehen wollte? Dass sie froh darüber war, wenn dieser Einsatz vorbei wäre und sie ein paar Monate weg sein würde, um Abstand zwischen sich zu bekommen?
Zornig umklammerte er den Griff um seinen Joystick. Doch dann atmete er ein paar Mal tief durch und entspannte sich wieder. Der alte Noname wäre vor Wut und Zorn schier explodiert und hätte irgendetwas verücktes und mit Sicherheit für seine Karriere äußerst schädliches getan.
Aber der neue Stuntman hatte sich geschworen, sich ab jetzt zusammen zu reißen. Tulip hatte mit der gefallenen Petal seine Liebe ganz verloren und flog seitdem wie ein Berserker. Er war von Jean nur zurückgewiesen worden, also würde er das ja wohl auch überstehen.

Es war Matis Stimme über den Staffelfunk, der Donovan aus seinen Gedanken riss.
„Rote Staffel von Red-Leader. Eine volle Staffel Jäger wollen beschäftigt werden in Sektor 18-4.“ Mantis Stimme klang angespannt, denn tatsächlich würde es ihre dezimierte Staffel schwer haben, lange gegen diese Übermacht bestehen zu können.
„Die Jäger dürfen nicht zu unseren Bombern durchbrechen, verstanden? Leute, wir sollen die Bloodhawks nur aufhalten, bis Verstärkung eintrifft.“
„Welche Verstärkung…?“
„Ruhe in der Leitung, Dog. Wir halten die Vögel nur beschäftigt, ich will keine Heldentaten, ist das klar?“
Ein recht halbherziger Strom an Bestätigungen war die Antwort und es dauerte nicht lange und schon waren die übermüdeten Piloten wieder mitten in der Schlacht.

***

`Verflucht, das war knapp!`
2nd Lieutenant Billy „The Kid“ Laramy konnte schwören, dass er die Antriebsdüse der Rakete gesehen hatte, die nur um wenige Meter an seinem Cockpit vorbeigeschossen war.
`Wenn das Ding hochgegangen wäre…` Er dachte den Gedanken lieber nicht zu Ende.
Das waren die ersten Raumkämpfe die er erlebte, und dass es kein Zuckerschlecken werden würde, hatte er sich schon gedacht. Er hatte sich auch schon seinen ersten Abschuss geholt und bei mehren weiteren assistiert. Die gesamte Rote Staffel war gut, sogar sehr gut, kein Wunder, dass sie der Elite zugerechnet wurden. Sie hatten bisher gerade mal fünf Maschinen verloren, nur zwei WIA und ein KIA, und das bei insgesamt zwölf eigenen bestätigten Abschüssen. Damit lagen sie zwar hinter den Schwarzen und Grünen, waren aber gleichauf mit Blau und besser als Gelb
Aber jetzt war ein Punkt erreicht, an dem er den Eindruck hatte, dass der Bogen überspannt war, dass die enormen körperlichen Belastungen ihren Tribut forderten.
Wie als Bestätigung riss Kid seine Maschine erneut hart herum als er schon wieder ins Visier genommen wurde. Nur beschäftigt halten, hatte Mantis gesagt, doch es schien, dass die Akarii, auch wenn sie sich auf dem Rückzug befanden, da ganz andere Pläne hatten.
Billy wollte unbedingt seinen zweiten Abschuss machen, doch so wie das im Moment aussah würde er wohl froh sein, wenn er am Leben blieb.
„Titan, Kid, Hilfe…!“
Frost war die Angst in ihrer Stimme deutlich anzuhören und das versetzte auch Billy in Panik. Ein schneller Blick auf das Taktikdisplay sagte ihm auch warum. Gleich zwei Maschinen hatten sich in ihre Sechs gesetzt und schienen sie mit ihren Lasern schier zu zerpflücken.
„Frost, steig aus…“
„Geht nicht, Systemausfall des Schleudersitzes.“
Kid hämmerte auf den Nachbrenner und er konnte sehen, dass mehrere andere Mitglieder der Roten es ihm nachgemacht hatten. Wenn sie schnell gemeinsam attackierten, würden die Akarri vielleicht abdrehen. Kid versuchte eine Raketenaufschaltung um die feindlichen Jäger abzulenken und ignorierte gleichzeitig die Warnung, dass er selbst ins Visier genommen wurde. `Komm schon, komm schon, komm…“
„Scheisse, Nein. Ich will noch nicht…NEEIII…“
Das war das Letzte, was man von Frost je wieder hören würde.

***

Donovan schreckte aus seinem Schlaf auf und brauchte erst einen Augenblick um sich wieder zu orientieren. Er lag wieder in seiner Koje auf der Columbia, ein schneller Blick auf sein Kommarmband sagte ihm 0300 Bordzeit, also hatte er gerade mal vier Stunden geschlafen. Shit.
Als er merkte, dass er ohnehin nicht wieder einschlafen würde, richtete er sich grunzend wieder auf und ließ die Beine baumeln ehe er sich so leise wie möglich hinuntergleiten ließ um Too-Tall nicht zu wecken. Der war trotz Gehirnerschütterung kurz nach letzten Schlacht als eingeschränkt diensttauglich entlassen worden, wahrscheinlich um auf der Krankenstation ein Bett für einen ernster verwundeten Kameraden frei zu bekommen.
Doch als er unten ankam, sah er im Dämmerlicht, dass dieser die Augen geöffnet hatte.
„Oh, sorry, ich wollte dich nicht wecken!“
Too-Tall schüttelte den Kopf ganz leicht, nur um gleich vor Schmerz sein Gesicht zu verziehen. „Hast du nicht, ich kann eh nicht schlafen, dieses verdammte Schädelbrummen.“
Donovan nickte, das kannte er nur allzu gut. Aufgrund des Schlafmangels hatte er auch Kopfschmerzen, aber so schlimm wie bei einer Gehirnerschütterung war es natürlich nicht. Die beiden schwiegen ein paar Momente, doch dann war es der Ex-Basketballprofi, der als erster das Schweigen brach. „Sorry, dass ich nicht helfen konnte.“
Auch das konnte Stuntman nachvollziehen. „Es war nicht deine Schuld, Jack. Nächstes Mal bist du wieder voll dabei.“ Offenbar nagte es an dem so hünenhaften und dennoch immer noch recht jungen Piloten so früh aus seiner Maschine geschossen worden zu sein. Die beiden kannten sich bislang noch nicht lange, erst die Verluste der letzten Zeit hatten die beiden in ein gemeinsames Quartier geführt.
„Danke, Donovan. Aber ein schwacher Trost, vor allem für Lone Wolf, Petal und Frost.“
„Lucas wird schon wieder werden, Unkraut vergeht nicht.“
„Das schon, aber wann? Lightning hat es damals genauso übel erwischt und die ist bis heute noch nicht wieder zurück. Wenn sie denn je zurückkommen wird.“
Donovan nickte wieder, da war etwas Wahres dran. Er konnte es nicht fassen, als er merkte, dass Lucas ihm doch irgendwie auch fehlen würde. Erst Radio, dann Skunk und nun Lone Wolf. Zu allen hatte er ein gestörtes Verhältnis gehabt, sowas wie eine Hassfreundschaft und alle waren sie entweder tot, verschollen oder schwer verwundet. Fehlte eigentlich nur Mantis, aber die war erstens wieder wohlbehalten zurückgekehrt, und bei der konnte von Freundschaft in welcher Form auch immer keine Rede sein. Selbst Donovan konnte nicht umhin und sich selbst fragen, ob er vielleicht doch ein Problem mit Autoritäten hatte, so wie er den Ärger jedes seiner bisherigen Staffelführer auf sich zu ziehen schien.
„Naja, es hätte auch schlimmer kommen können. Immerhin bin ich, Arrow, dieser Shorty, Dog und Artist wenigstens fast unbeschadet wieder rausgefischt worden.“
Nachdem Frost gefallen war, hatten die Akarii noch Dog und Artist aus ihren Maschinen geschossen. Doch die beiden hatten wenigstens überlebt. „Um Lydia mache ich mir aber ehrlich gesagt große Sorgen. Sie war schon ein Nervenbündel als sie nach der dritten Schlacht fast wrackgeschossen war. Ich weiß nicht, wie sie das jetzt verkraftet.“
Too-Tall zuckte mit den Schultern. „Wir werden sehen.“
Donovan hasste es, wenn ihm sein Bauchgefühl Recht gab. Er hatte geahnt, dass die Rote Staffel die letzte Schlacht nicht unbeschadet überstehen würde.
„Dann ist Mantis jetzt Staffelführerin und Titan die XO. Und du dürftest dann die dritte Sektion bekommen, womit mir nur der ungeliebte vierte Platz und eine Position als Wingleader bleibt.“
Jetzt zuckte Donovan mit den Schultern. „Naja, was Mantis von mir hält ist ja allseits bekannt, also wär ich mir da nicht so sicher.“
„Du hast in dieser Schlacht deinen insgesamt 27ten Abschuss geholt, also das halbe Silber ist voll.“
„Naja, drei Abschüsse waren Piraten vor dem Krieg, die zählen nicht wirklich.“
„Tun sie wohl, und selbst wenn nicht, wären das 24 und du wärst nur einen Abschuss vom halben Silber entfernt. Und ich habe gerade mal sechs Abschüsse! Für eine eigene Sektion reicht das im Leben nicht.“
„Jack, alles nur Spekulation, reg dich nicht über Sachen auf, die du eh nicht ändern kannst. Mach ich auch nicht mehr. Wenn mich Mantis wieder zum Wingleader macht, dann ist das halt so.“
Too-Tall nickte. „Ja, vor allem wenn man die Gerüchte bedenkt.“
Stuntman schüttelte den Kopf. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mantis gehen wird. Alleine schon nur mich weiter drangsalieren zu können.“
Too-Tall musste lachen, was ihm sichtlich Schmerzen zu bereiten schien.
Donovan begann sich anzuziehen.
„Wo willst du jetzt hin?“
„Keine Ahnung, aber du sollest trotzdem versuchen wieder einzuschlafen. Wenn ich jetzt bleibe kriegt keiner von uns beiden die Augen zu.“

Ein paar Minuten später schlich Donovan ziellos die Gänge der Columbia entlang. Zum Sport zu müde, zum Schlafen zu wach, machte er sich auf den Weg wenigstens zu frühstücken. An Bord herrschte weniger Trubel als zu Hauptstoßzeiten, aber wie eine pulsierende Großstadt kam sie auch nie vollkommen zum Schlafen.
Dementsprechend war auch die Messe zu einem knappen Drittel gefüllt. Donovan nahm sich ein Frühstück und eine Kanne Kaffee und setzte sich an einen unbesetzten Tisch.
Seine Gedanken wanderten und es dauerte nicht lange und er musste wieder an Jean denken, so sehr er auch versuchte sie zu verdrängen. Doch so einfach ging das nicht mehr. Er dachte an Seafort, daran wie sie auf der Dauntless Party mit ihm auf das Dach geklettert war, daran wie toll sie ausgehen hatte, als sie im Museum waren. Er dachte an die Familienfeier des Davis Clans, an die Bibliothek auf Seafort Station, an den Kuss, den er ihr nicht gegeben hatte. Und da war er wieder, der Kloß in seinem Hals und in seinem Magen.
Was hatte er sich bloß dabei gedacht?
Jean war deutlich jünger als er, sie hatte gerade ihren Verlobten verloren, ihr Bruder wurde schwer verwundet und er hatte nichts Besseres im Sinn als sie zu bedrängen?
Nein, sie hatte Recht.
Er goß sich einen weiteren Kaffee ein, nippte, schüttelte leicht seinen Kopf. „Nein, sie hat Recht“ murmelte er vor sich hin.
„Womit hat wer Recht?“
Donovan zuckte zusammen, und hätte fast seinen Kaffee verschüttet. „Jean, ich… was machst du hier…?“ stammelte er.
„Frühstücken!?“ Mit dem Tablett in den Händen nickte sie mit dem Kopf auf den freien Platz neben ihm.
Donovan nickte nur. Sie stellte ihr Tablett ab, blieb aber stehen.
„Schön, dich wieder zu sehen, Donovan. Es freut mich, dass du wiedergekehrt bist.“
„Ähm, ja.“ Donovan wusste nicht, was er sagen sollte.
Jean lächelte weiter, doch sie schien etwas unschlüssig zu sein. Schliesslich setzte sie sich ihm gegenüber. „Donovan, ich möchte mich bei dir entschuldigen. Es war dumm von mir, dir so kurz vor der Schlacht…“
Donovan unterbrach sie. „Nein, schon gut. Das war es woran ich auch gerade gedacht habe. Du hattest Recht, es war dumm von MIR und nicht von dir. Es ist besser so für uns beide.“
„Nein, Donovan, das ist…“
„Doch, Jean, das ist es, du hattest absolut Recht. Du wirst bald weg sein zu deinem Lehrgang aufbrechen und brauchst davor einen klaren Kopf um als Offizierin wiederzukommen. Und ich werde wieder in die Schlacht ziehen, wer weiß, ob ich das überleben werde.“
„Sag sowas nicht…“
Donovan zuckte mit den Schultern und leerte seinen Kaffee. „Es wird für uns beide besser sein, wenn wir etwas Abstand gewinnen können.“
Jetzt mischte sich Trauigkeit in ihren Blick. Donovan stand auf, genau wie sie, und nahm sie in den Arm. „Pass auf dich auf, Kleines.“ Er gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange und ging dann weg ohne sich noch einmal umzudrehen.
Jean Davis stand noch ein paar Momente alleine an ihrem Tische ehe sie sich wieder setzte. Nun war sie es, die sich verletzt fühlte, auch wenn sie die Verletztheit in seinen Augen und in seiner Stimme deutlich gespürt hatte. Sie hatte ihm eigentlich sagen wollen, dass sie sich geirrt hatte und dass er Recht gehabt hatte und sie doch mehr für ihn empfand. Aber er hatte sie ja nicht ausreden lassen. Offenbar hatte sie ihm doch unverzeihlich wehgetan und ob nun aus Rache oder Einsicht, tat er nun, was sie vorher mit ihm gemacht hatte – er wies sie zurück.
Sie überlegte einen kurzen Augenblick, ob sie ihm doch noch hinterher gehen sollte, ließ es aber dann doch bleiben. Letztlich hatte er Recht, sie würden sich mindestens mehrere Monate nicht mehr sehen, wenn überhaupt.
72 Stunden später hatte Jean Davis sich von ihren beiden Brüdern verabschiedet, ihre Habseligkeiten gepackt und verließ die Columbia – vielleicht für immer.
04.03.2016 07:52 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Cunningham

Die Geschwindigkeit der Midway war auf knapp unter hundert Kilometer die Stunde zurückgegangen. Für die moderne Raumfahrt ein Schneckentempo, doch wenn man kurz davor war ein Notausstiegsschott frei zu sprengen und in schwerer EVA-Ausrüstung das Schiff zu verlassen, dann machte dass immer noch einiges her.
Lieutenant Commander Waleri Poljakow hatte schon viel mitgemacht, doch noch nie hatte er ein Schiff aufgeben müssen, und ganz sicher hatte er sich so ein Manöver anders vorgestellt.
Mit einem dumpfen Knall wurden die Versiegelungen des hinteren Notausstiegs weggesprengt. Einige Sekunden später drückte ein weiterer Knall das zwanzig Tonnen schwere Schott aus seinem Rahmen und der Blick ins All war frei.
Nah, eigentlich viel zu nah fuhr ein konföderierter Kreuzer, über bläuliche Traktorstrahlen an dem Träger angehaftet, über drei Zugangsröhren mit ihm verbunden. Nur selten, ganz selten bekam man ein Raumschiff so nahe von außen zu sehen.
„Chief Manning: bringen Sie das Lichtsignal zum Laufen!“
Das Nicken des angesprochenen Unteroffiziers bekam Waleri unter dem voluminösen Helm des Raumanzugs nicht mit, gab sich jedoch damit zufrieden, dass Manning sich in Bewegung setzte. Die Schritte mit den Magnetstiefeln wirkten ungelenkt, fast wie in Zeitlupe.
Zusätzlich durch eine Leine gesichert stieg der Chief auf die Außenhülle des Trägers und entfernte sich einige Meter von dem Notausstieg.
Waleri blickte zu seinen Leuten. Zwei bedienten Mannings Sicherungsleine, die restlichen fast dreißig Mann drängten sich an die Wand, gegenseitig eingehakt und sich wo sie nur konnten festhaltend. Es gab zwar keine Luft mehr, die sie nach draußen ziehen konnte, doch die Vorschriften geboten oberste Vorsicht.
„Lichtsignal läuft, Sir!“
„Sehr gut, kommen Sie wieder rein, Chief!“ Neben der Luke würde jetzt ein Leuchtfeuer strotoskopartig Lichtsignale geben, die man aber im All wahrscheinlich nur sehen würde, wenn man danach suchte, und laut Waleris Informationen war da draußen ein SAR-Shuttle, dass auf sie wartete und dementsprechend nach dem Leuchtfeuer Ausschau halten würde.
Tatsächlich mussten die Ingenieure nicht sehr lange warten, obwohl sie die wenigen Minuten zu endlosen Stunden ausdehnten, dann konnte man dass näher kommende Shuttle erkennen.
Ein SAR älterer Bauart näherte sich ihrer Position an, glich dann seinen Kurs und die Geschwindigkeit mit der treibenden Midway ab und öffnete schlussendlich seine Luftschleuse. Zwei Bergungsspezialisten nahmen in der Schleuse des Shuttles ihre Position ein. Da beide Parteien auf unterschiedlichen Frequenzen funkten und die allgemeine Notfrequenz chronisch überlastet war, musste man sich per Handzeichen verständigen.
Die Shuttelcrew schoss eine Rettungsleine, die magnetisch im Korridor der Midway als auch im Bergungsabteil des Shuttles befestigt wurde.
Waleri schickte dann seine Leute hinüber. Als erstes Manning, dann nach und nach jeden einzelnen. Mit einem kurzen Klaps auf die Schulter verabschiedete er sie und zählte sie alle ab. Bis nach mehr als einer halben Stunde nur noch er übrig war. Kurz blickte er sich um, als ob er nach jemanden suchte, der ihn jetzt mit einem Schulterklaps verabschieden würde. Er war der letzte. Ohne weiter zu zögern löste er die Verankerung seiner Magnetstiefel und zog sich die Rettungsleine entlang bis ins SAR.
Während die SAR-Crew die Rettungsleine löste und zurückließ, nahm Waleri auf einer Sitzbank Platz und legte die behandschuhten Hände vor das Sichtvisier seines Helmes. In der stille seines Raumanzuges begann der russische Ingenieur zu weinen. Die Midway war sein erster Posten als Chef der Schiffstechnischen Abteilung und die Schlacht von Sterntor war trotz mehr als fünf Jahren Krieg sein erster Kampfeinsatz gewesen. Er hatte sein Schiff verloren, seine kleine, alte Lady, für deren Wohlergehen er verantwortlich gewesen war. Er wusste nicht mehr weiter.

An der Lutschläuse C-7 der Midway traf McKenna seinen Ersten Offizier wieder: „Alle Mann von Bord, Sir, Zumindest soweit wir das feststellen konnten. Die beiden anderen Luftschleusen sind schon gesichert und geräumt worden!“
„Sehr gut, Bernd, dann sind wir die letzten.“, mit vereinten Kräften schoben die beiden Offiziere das Schott der Midway-Schleuse wieder zu. Mit einem Kloß im Hals blickte Quentin McKenna auf sein Schiff zurück. Sein Träger, sein erstes Kommando. Vorbei.
Am anderen Ende der Röhre erwarteten sie einige Sanitäter und Techniker in der Uniform der Colonial Navy, sowie ein Mann mittleren Alters in der Uniform eines Schiffstechnischen Offiziers der konföderierten Handelsflotte. Mit einem zackigen Salut begrüßte er die beiden terranen Offiziere: „Provisorischer Lieutenant Doran Agar, Sir, willkommen an Bord der Tatanka Yotanka. Bitte, kommen Sie hier entlang, der Captain erwartet sie.“
„Lieutenant,“, McKenna erwiderte den Salut, „wie ist der Status meiner Leute und wie steht es um die Schlacht?“
„Wir haben vierhundertacht Leute von ihrem Schiff geborgen, Sie und Ihren XO eingeschlossen. Wie Sie sich sicher vorstellen können, ist damit unsere Lebenserhaltung weit über jegliche Gebühr strapaziert. Wir müssen Ihre Leute also so schnell wie möglich auf andere Schiffe verteilen.“
Die Techniker an der Schleuse schlossen das Schott und zogen den Andockschlauch ein. Dann wurde die Meldung gegeben, dass sie von der Midway frei wahren und der Kreuzer nahm wieder Fahrt auf.
„Es gibt auch noch unzählige Rettungskapseln, die durch das System treiben. Meinen Informationen nach hat die dritte Flotte ihr Lazarettschiff und einige Fregatten detachiert um die Bergung zu organisieren. Ebenso ist von Seafort weitere Hilfe unterwegs. Hauptsächlich zivile Schiffe. Was die Schlacht angeht, so glaube ich, dass die Akarii schon bald das Wurmloch erreicht haben und springen werden, Sir.“
„Danke, Lieutenant, führen Sie mich nun bitte zur Brücke.“


„Es ist bestätigt, Admiral, die Akarii fahren ihren Sprungantrieb hoch!“
„Danke, Captain.“, Vanessa Girad wechselte das Taktische Display auf dem Kartentisch. Ein roter Pfeil stellte die Akarii dar. Die in der Realität nicht sichtbaren Ausläufer des Palatar-Wurmloches wurden in einem matten Gelbton eingespielt.
Zwei blaue Symbole stellten die 3. und 5. terranischen Flotten dar.
Ihre Fünfte Flotte war zum Rande der eigenen Gefechtsreichweite zu den Akarii aufgeschlossen und hämmerte mit allem, was das Arsenal der Großkampfschiffe hergab auf Nachzügler der feindlichen Formation ein.
Die Dritte Flotte hatte es geschafft auf fast zwei Stunden aufzuholen, und das auch nur, weil die Akarii zur Bergung ihrer Leute verlangsamt hatten.
Die Echsen hingegen würde in weniger als einer halben Stunde Sterntor verlassen haben.
Soviel zu den Fakten, und diese ließen sich auch nicht mehr wirklich verändern.
Man konnte sie nur noch im anderen Licht darstellen.
„Signaloffizier, stellen Sie mich …“
„Er bricht auseinander!“ unterbrach sie ein Ruf.
Girad musste nicht fragen, wer auseinander brach. Der Wrack geschossene Flottenträger der Uniform-Klasse war immer wieder Ziel von Raketen geworden. Hatte Schuss um Schuss hingenommen. War zerstört, zerschmettert und verstümmelt worden. Und doch hatte das Monster bis eben durchgehalten.
Offiziere und Gasten brachen in Jubel aus.
Girad atmete tief durch und senkte kurz den Kopf. Als sie wieder aufblickte verschwanden die ersten Akarii-Symbole und die Darstellung des Wurmlochs flackerte.
Die Zerstörung des angeschossenen Flottenträgers schien für die Akarii der Startschuss gewesen zu sein. Immer mehr ihrer Schiffe gingen in den Transit über und verließen Sterntor.
Vanessa Girad wusste, dass damit die Schlacht von Sterntor beendet war. Ihre Flotte hatte nur noch wenig Munition in den Werfern und dem Feind weiterhin zu folgen konnte immer noch fatale Folgen für die Fünfte Flotte haben. Außerdem waren all ihre Leute ausgepowert. Piloten wie Schiffsbesatzungen. Es war vorbei und irgendwie war es schwer zu sagen, wer gewonnen hatte. Hatten die Akarii erreicht, wofür sie hergekommen waren? Hatte man sie geschlagen und vertrieben?
Der Blick aufs taktische Display sagte nein, zu beiden Fragen.
„Astrogator: Etablieren Sie einen Verteidigungsring um das Wurmloch und lassen sie die Munitionstender nachrücken zum Nachladen.“ Dann wandte sie sich ihrem Stabschef zu: „Richard, Sie übernehmen die Koordination der Bergungsarbeiten, schließen Sie sich mit der Dritten Flotte kurz.“
„Zu Befehl, Ma’am.“
„Gut, die nächsten zwanzig Minuten bin ich nicht zu sprechen.“, damit verließ sie die CIC und ging in Richtung ihres Quartieres. In der CIC übernahm sofort Captain Ahn ihren Posten und führte ansatzlos das Kommando weiter.
Bevor sie sich an die Nacharbeiten zu der Schlacht machte, würde Girad eine schnelle Dusche nehmen, eine frische Uniform anziehen, zwei Gläser Saft trinken, eine Vitamintablette einwerfen und vielleicht einen Müslirigel essen. Und im Anschluss an diese zwanzig Minuten Pause standen sicherlich zehn bis zwölf Stunden Arbeit an.
Nach der Schlacht ist vor der Schlacht.

Der Zusammenbruch kam, und diesmal erwischte er das Geschwader im Dutzend billiger. Die Einsätze hatten ihre Spuren hinterlassen. Die verabreichen Aufputschmittel hatten all die Auswirkungen nur nach hinten verschoben und noch verschlimmert.
Irons ging davon aus, dass sollte man jetzt die Piloten einem Drogentest unterziehen über neunzig Prozent der Angry Angels positiv getestet würden. Es war Hohn und Spott, alle drei Wochen wurden stichprobenartig zwanzig Piloten auf Drogen getestet, und während der Schlacht hatten die modernen Raumanzüge munter Aufputschmittel in ihre Träger gepumpt.
Die Nebenwirkungen waren vielschichtig: Einer ihrer Piloten hatte Durchfall bekommen, verschiedene klagten über Übelkeit, Lichtempfindlichkeit, Kopfschmerzen oder Desorientierung. Sie selbst fühlte sich, als sei ihr Kopf in Watte eingepackt und wenn sie ging, war es als ob die Columbia unter extremen Seegang litt.
Jetzt wo sie halb zurückgelehnt und mit geschlossenen Augen auf ihrem Stuhl saß, wusste sie, dass sie irgendwas mit den Funktionen ihres Anzügen würde machen müssen. Es war einfach widerlich. Es war ja nicht nur die Wirkung der Medikamente, sonder dass ein im Raumanzug verbauter Computer darüber entschied, wann jemand seine Dosis Hell-Wach bekam. Als Pilotin und ausgebildete Raumfahrtingenieurin war sie fest davon überzeugt, dass das System so nicht laufen sollte. Sie machte sich die geistige Notiz mit den anderen Staffelführern darüber zu reden und einen entsprechenden Bericht zu formulieren, und eine unzulässige Modifikation an ihrem Anzug vorzunehmen. Zu mehr war sie nicht mehr im Stande. Kaum hatte sie die Gedanken formuliert, da fielen ihr die Augen zu.
04.03.2016 07:53 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Tyr
‚Nur die Toten haben das Ende des Krieges gesehen.’
Der griechische Philosoph Platon


Irgendwo im republikanischen Raum

‚Das hatten wir doch alles schon mal.’ Kapitän Thera Los nickte den wachhabenden Marinesoldaten knapp zu, betätigte den Summer und wartete, bis sich die Tür fast lautlos öffnete. Sie hatte gewusst, dass sie Admiral Taran hier finden würde. Unwillkürlich überprüfte sie den Sitz ihrer Uniform, lächelte kurz über diesen Reflex und trat ein.
Thera hätte diese Aufgabe gerne noch etwas vor sich hergeschoben, wusste aber, dass das keinen Sinn hatte. Sie gehörte nicht zu der Sorte Leute, die glaubten, dass ein Problem verschwand, wenn man es verdrängte oder vor sich herschob. Nach ihrer Erfahrung war eher das Gegenteil der Fall. Prinz Jors Inkompetenz war ein Beispiel dafür gewesen.
Inzwischen waren zwei Tage seit ihrem überhasteten Rückzug aus dem Parrak-System vergangen. Es war an der Zeit…

Das gedämpfte Halblicht, das sie bei ihrem Eintreten umfing, überraschte sie nicht. Auch nicht, dass sie ihren Vorgesetzten in dem Sessel neben dem Holoprojektor fand, die Fingerspitzen aneinandergepresst und den seltsam abwesenden Blick auf das Abbild der sich langsam drehenden Galaxie gerichtet. Das war einer von Tarans Rückzugsorte. Hierher kam er, wenn er nachdenken wollte, wenn er gestresst oder frustriert war.
Was sie überraschte, war die raue, getragene Stimme, die aus unsichtbaren Lautsprechern drang und den Raum mit einer unheimlichen, fast körperlichen Präsenz füllte. Zuerst verstand sie die Worte nicht, denn ihre Kenntnisse in Alt-Heklar waren bestenfalls bruchstückhaft. Aber es war der Rhythmus der Worte, der sie gefangen nahm – der Schmerz und die Trauer, die in ihnen mitschwang. Dann, langsam tauchten aus dem Fluss der Strophen einzelne vertraute Worte auf und weckten eine halb vergessene Kindheitserinnerung.

‚Wir gehen geängstigt durch ein klägliches Schicksal.
Auf den Straßen liegen zerbrochene Waffen,
Hingeschlachtete überall.
Eingestürzt sind die Dächer der Häuser,
rußgeschwärzt ihre Mauern.
Schatten huschen über Straßen und Plätze,
und an den Wänden klebt Blut.
Rot ist das Wasser wie von verströmter Farbe,
und wer daraus trinkt, schmeckt den Tod.
Unsere Wälle gefallen, und die mächtigen Türme,
und nichts blieb, als Staub in den Händen.
Hinter unseren Schilden glaubten wir uns sicher,
aber die Schilde schützten uns nicht vor Verzweiflung.
Unser Leben war das von gejagten Tieren,
von der Asche unserer Hoffnung zehrend,
von Grashalmen, Ungeziefer, fauligem Fleisch,
zerstoßener Erde und den Würmern darin…‘

„Sie erkennen es?“ Die leise Stimme des Admirals klang nachdenklich, fast ein wenig melancholisch.
„Wie vermutlich jeder, der das Unglück hatte, mit einer klassischen Bildung aufzuwachsen. ‚Der Fall von Vilani‘ aus dem Zyklus ‚Der blutige Himmel‘. Genau das Richtige, um einem phantasievollen Kind Albträume zu bescheren. Nichts, was ich mir zur Entspannung anhören würde. Erst recht nicht in der Originalfassung.“
Aber eigentlich war sie nicht überrascht. Die meisten hohen Offiziere und Kommandeure besaßen irgendeine Marotte oder ein Laster, das ihnen half, mit dem auf ihnen lastenden Druck fertig zu werden. Bei manchen waren es Drogen oder berauschende Getränke, bei anderen ein gutes Essen oder Sex. Bei Jor war es seine Eigenliebe gewesen und für Taran…war es die Vergangenheit. Oder die Zukunft.
„Keine leichte Kost, ich weiß. Diese Aufnahme ist über neunhundert Jahre alt. Ein Vortrag des unsterblichen Katall. So eine Stimme findet man heute nicht mehr…
Und sicherlich kennen Sie auch die Ansicht, dass jede Übersetzung der alten Texte in eine moderne Sprache eine Verstümmelung ist. Fast so etwas wie ein Sakrileg.“ Jetzt schwang milde Ironie in Tarans Worten mit.
„Ich hätte Sie nie für einen Fundamentalisten gehalten.“
„Und damit haben Sie Recht. Aber dennoch glaube ich, dass es den meisten Transkriptionen an…Rhythmus fehlt. Und vielen Rezitierenden an der Fähigkeit, sich in den Text einzufühlen. In die Idee, die dahintersteckt. Die Zeit, in der diese Verse formuliert wurden. Aber Sie sind sicherlich nicht hierhergekommen, um meine Meinung über die neo- und postklassische Adaptions- und Vortragskunst zu hören.“

Thera Los erinnerte sich an ihre Aufgabe und unterdrückte ein Seufzen. Vielleicht hätte sie den Mund halten und weiter zuhören sollen. Bis der Admiral sich alle zwanzig Bände des ‚Himmels‘-Zyklus angehört hatte. Immerhin, es gab auch gute Neuigkeiten: „Inzwischen steht fest, dass wir die LIAT doch nicht aufgeben müssen. Der Reaktor arbeitet wieder mit fünfzig Prozent Leistungsfähigkeit – genug für Marschgeschwindigkeit. Wir haben sogar noch Reserven. Die Bedienungsmannschaft muss zwar immer noch Schutzanzüge tragen, aber wir haben das im Griff.“
„Ausgezeichnet. Damit belaufen sich unsere Verluste auf…“

„Drei schwere und fünf leichte Kreuzer, und damit fast ein Drittel unseres Bestandes. Bei den Zerstörern sieht das Verhältnis etwas günstiger aus, aber mit elf Einheiten haben wir ein Viertel unserer Kräfte eingebüßt. Was die kleineren Einheiten angeht, so haben sie prozentual deutlich schwerer gelitten – mit fünf Fregatten und drei Korvetten betragen unsere Verluste jeweils fast fünfzig Prozent. Wenigstens haben wir keine Hilfsträger und Schnellbootmutterschiffe verloren. Auch die anderen nachrangigen Einheiten sind mit einigen Beschädigungen davongekommen.
Dazu kommen die GIBIT und…“
„Die CHA’KAL.“ Admiral Tarans Stimme klang heiser. Mit diesem Verlust hatte der Draned-Sektor die Hälfte seiner Flottenträger eingebüßt. Obwohl Taran nicht zu jenen gehörte, für die die Zahl der Träger das Maß aller Dinge waren, der Untergang der CHA’KAL war eine Katastrophe.
„Was unser Pilotenkorps angeht, so belaufen sich die Mannschaftsverluste auf fast ein Drittel an Toten, Gefangenen, Verstümmelten und Vermissten. Die Maschinenverluste liegen bei fast zwei Dritteln des Gesamtbestandes…“
Maschinen konnten ersetzt werden, sogar mit den begrenzten Mitteln des Draned-Sektors. Die Piloten hingegen, vor allem diejenigen, die bereits Kampf- und Führungserfahrung besaßen…
„…die Schnell- und Kanonenboote haben sich als erstaunlich standfest erwiesen. Wir haben etwa ein Viertel der Einheiten eingebüßt und unter zwanzig Prozent der Mannschaften.
Die übrigen Mannschaftsverluste waren beträchtlich, doch etwaige Lücken an Bord der noch einsatzfähigen Schiffe können durch die Überlebenden vernichteter Einheiten kompensiert werden. Wir haben sogar einen Überbestand. Für den allerdings neue Schiffe zu finden…“

Der Admiral hatte Los Ausführungen schweigend gelauscht, mit unbewegter Miene, aber das Zwielicht, das sie beide umhüllte, schien…dunkler zu werden, die Schatten auf Tarans Gesicht länger.
Als die Stabschefin innehielt schwieg der Admiral einige Augenblicke. Und als seine Stimme dann die Stille durchbrach, war sie leise. Leise aber hart: „Erinnern Sie sich an die letzten Worte von Kapitän Lukat?“
„Allerdings. Er hat aus einem Todes-Kallat zitiert. Das war…“
„Admiral Kon, nach der Styras Naru-Niederlage gegen die Qualquau. Kurz bevor er rituellen Selbstmord beging, nachdem er die Seelen seiner gefallenen Soldaten um Vergebung gebeten hatte. Eine solche Konsequenz…ist sehr selten geworden.“
Los war sich sicher, dass das mal wieder gegen Prinz Jor zielte: „Immerhin war das die letzte große Schlappe unserer Streitkräfte vor dem Terraner-Krieg. Aber ich wusste gar nicht, dass Lukat für solche Geschichten empfänglich war.“

‚Kallats’ waren ursprünglich Sprechgesänge gewesen, mit denen sich die antiken Akarii-Krieger auf die Schlacht eingestimmt hatten. Später wurde der Begriff auch für Gedichte gebräuchlich, die um den Tod in der Schlacht, um Ehre, Tapferkeit, um einen ‚guten Tod’ oder die Bereitschaft zum Selbstopfer kreisten, und einem ganz bestimmten Rhythmus folgten. Die Kallats berühmter Feldherren, Dichter und Kaiser der Antike, verfasst vor oder nach einer Schlacht, im Angesichts einer Katastrophe oder des nahenden Todes, sollten die Gedanken, Gefühle ihrer Verfasser für die Ewigkeit festhalten.
Eine beliebte Anekdote über Eliak II. handelte davon, wie ein wegen Hochverrat zum Tode verurteilter Halbbruder des Kaisers von dem Recht Gebrauch machte, vor seiner Hinrichtung einen selbstverfassten Todes-Kallat zu rezitieren. Nach acht Stunden Vortrag sah der Kaiser sein Fehlurteil ein und wandelte die Strafe in Verbannung um. Nach einer anderen Variante hatte Eliak einfach nur entnervt aufgegeben, um nicht noch länger zuhören zu müssen.
Kallats waren nie völlig aus der Mode gekommen. Heute hörte man die martialischen Sprechgesänge allerdings meist nur noch beim Mannschaftssport oder in der Infanterie-Grundausbildung. In ihrer gesprochenen Gedichtform hatten die Kallats nach dem Beginn der interstellaren Expansion bei Teilen der Streitkräfte eine Renaissance erlebt. In einigen Militärakademien gehörte das Rezitieren und Verfassen zum Unterricht, so wie Sport, Fechten oder Literatur.

„Wenn es zu Ende geht, klammern wir uns da nicht alle an den Glauben? An die Hoffnung, dass unser Leben einem höheren Zweck dient? Lukat hat immer nur für die Flotte gelebt.
Aber eigentlich meinte ich die Worte, die für mich bestimmt waren.“
„Lukat war verletzt. Sie sollten nicht…“
„Ich bin den Menschen in die Falle gegangen. Ohne den Angriff der Bomber…“
„Und wie hätten Sie das verhindern sollen? Indem Sie ganz einfach jeden Schritt und jede Taktik des Feindes voraussehen? Finden Sie das nicht ein klein wenig überambitioniert?
Sie sind kein Gott. Es ist Krieg. Akariis sterben. Nicht jede Entscheidung ist die beste, selbst wenn es so aussah, als sie gefällt wurde. Das müssen Sie akzeptieren oder Sie werden zugrunde gehen.
Und was Lukats letzte Worte angeht…er war ein imperialer Kapitän. Er kannte das Risiko. Kannte die Traditionen der Flotte. Wusste, was von ihm erwartet wurde. Und wenn ihm all das keine andere Wahl ließ, als auf seinem Posten zu sterben, dann war das seine Entscheidung. Er ist seinen Weg bis zum Ende gegangen. Das sollten Sie respektieren.“
„Ich hätte ihm befehlen können, weiterzuleben.“
„Aber hätte er auf diesen Befehl gehört? Hätten Sie ihm in der kurzen Zeit auch einen GRUND geben können, sein Schiff im Stich zu lassen und eine alte Tradition der imperialen Streitkräfte zu missachten? Ein Kapitän geht mit seinem Schiff unter – oder jedenfalls verlässt er es als letzter.“
„Diese Regel wurde offiziell abgeschafft.“
„Was aber nicht heißt, dass die Tradition tot ist.
Und was hätten Sie gemacht, wenn Lukat Ihren Befehl verweigert hätte? Ihn verhaften lassen? Während die Evakuierung läuft, der Feind nachstößt und die CHA’KAL auf den Gegner feuert?“ Los legte mehr Sicherheit in ihre Worte, als sie tatsächlich empfand. Aber wenn die Kampfgruppe jetzt etwas nicht gebrauchen konnte, dann einen an sich selber zweifelnden Admiral.
„Lukat…wollte Antworten. Und damit wird er nicht der einzige sein. Die Schlacht um das Parrak-System wird wieder und wieder geschlagen werden, auch wenn wir alle längst tot und das letzte Wrack in der Unendlichkeit des Alls verschwunden ist. Noch in hundert Jahren wird man sich darüber streiten, wie diese Schlacht hätte geführt werden müssen. Welche Fehler die Menschen gemacht haben – und welche ich. Und das waren einige…
Auch ich will Antworten. Und ich hoffe für Prinzessregentin Linai und die Großadmiralin, dass Rians großer Plan dieses Opfer wert war. Denn ich bin nicht der einzige, der sich den Fragen wird stellen müssen…“
„Mein Lord…“
„Den Fragen der Zukunft. Der Geschichte. Den Fragen der Lebenden und der Toten. Vielleicht sogar denen der Götter…“

Viele Admiräle hätten die Verluste, die Tarans Flotte erlitten hatte, mit einem Achselzucken abgetan oder als notwendig akzeptiert. Aber Taran war nicht Ilis und auch nicht Jor. Er warf das Leben von Untergebenen nicht leichtfertig weg und nahm Verluste nicht auf die leichte Schulter. Das konnte ebenso eine Schwäche wie eine Stärke sein. Die Parrak-Operation war Tarans erstes großes Flottenkommando gewesen. Seine Flotte, die er gegen den Widerstand der Systemkommandeure und Gouverneure, die Skepsis der altgedienten Kapitäne und den Druck durch Rebellen, Separatisten und die TSN aus Flüchtlingen, Versprengten und Garnisonseinheiten geformt hatte. Die Flotte, die den Draned-Sektor vor einer Invasion und dem Auseinanderbrechen schützte. Sollte Taran jemals den Traum gehabt haben, gestützt auf diese Armada und seine Machtposition am Rande des Imperiums eine eigene Politik zu betreiben oder gar in den Kampf um den Thron einzugreifen, so waren seine Chancen jetzt deutlich gesunken. Selbst wenn Akar weitere Verstärkung schickte – diese Schiffe, diese Männer und Frauen würden nicht mehr auf ihn eingeschworen sein. Thera Los bezweifelte, dass Tarans Ehrgeiz so weit ging, dass er von der Krone geträumt hatte. Aber manchmal, in irgendeinem heimlichen Winkel seines Gehirns musste er zumindest mit diesem Gedanken gespielt haben. ‚Ich frage mich, ob das einer der Gründe war, ihn nach Parrak zu schicken. Um ihn zu schwächen oder zumindest in einer kritischen Phase weit weg von den Grenzen des Imperiums zu beschäftigen. Aber wenn das der Fall wäre…wer würde davon am meisten profitieren? Nicht Linai oder ihr vergeistigter Ehemann. Ihr Schicksal ist verkettet mit Rians Offensive. Jede Niederlage kann für sie das Aus bedeuten und einen von Jors Cousins auf den Thron spülen.‘

„Tragen Sie Ihr Dreeh mit Stolz?“
„Mein Lord?“
„Die Waffe, die man Ihnen bei Ihrer Aufnahme in das Offizierskorps ausgehändigt hat.“
„Ich…“
„Ich habe meine Klinge voller Stolz getragen. Sie war mehr als eine Waffe, mehr als ein Statussymbol. Sie war ein Zeichen für all das, was das Imperium groß gemacht hat. Von dem von Mythen und Legenden verklärten Anfängen bis zum heutigen Tag. Eine Ehre, eine Mahnung, eine Verpflichtung…
Bis dann der Augenblick kam, an dem man von mir verlangte, dass ich diese Waffe zurückgeben sollte, weil ich ihr und den Streitkräften Schande bereitet hätte.
Mit meinen eigenen Händen habe ich sie zerbrochen und die Bruchstücke zurückgeschickt mit der Botschaft, dass meine Klinge im Dienst für das Imperium geborsten sei. Und das habe ich ernst gemeint.“
‚Es wundert mich, dass sie dich dafür nicht endgültig aus den Streitkräften gefeuert haben.’ Thera Los fühlte sich zunehmend unbehaglich: „Ich weiß nicht, ob das jetzt…“
„Schweigen Sie, und lassen Sie mich ausreden. Das ist ein Befehl.
Ich habe mir ein neues Schwert geschmiedet. Für mich, für den Ruhm meiner Familie, die Flotte und für das Imperium. Ein Schwert aus einhundert Schiffen und zehntausenden Leben. Ein Schwert, um einen Raumsektor zu verteidigen. Eine Waffe, die der Draned-Sektor IST. Ohne die imperiale Flotte wäre Draned nur ein Name, eine Anhäufung von Planeten, auf denen Chaos, Bürgerkrieg und Rebellion regiert. Eine leichte Beute für die Menschen. Und dann hat man mich in die Schlacht geschickt. Und das Schwert…es ist noch nicht zerbrochen. Aber die Klinge ist schartig geworden. Noch ein Schlag…“
„Ich glaube, Sie unterschätzen die Flotte. Sie ist stärker. SIE sind stärker.“
Der Admiral lächelte kurz: „Wahrscheinlich haben Sie recht. Und gleich werden Sie mir sagen, dass ich ein wenig zu jung für derart morbide Gedanken bin.“
„Etwas in der Art.“
„Ich weiß, dass ich mein Bestes gegeben habe. Und das gilt auch für Sie - und die anderen Frauen und Männer meiner Flotte. Sie haben mehr geleistet, als man von ihnen hätte erwarten können. Aber das ist nicht die Frage. Die Frage ist, ob es genug ist? Genug für die Zukunft – und genug für Akar?“

Sie hätte sich denken können, dass Taran auch schon daran gedacht hatte: „Da Sie es erwähnen, es ist an der Zeit, die Admiralität zu informieren.“
„Sie haben natürlich Recht. Obwohl Akar wahrscheinlich längst durch das Abhören der menschlichen Kommunikation informiert wurde.“
„In Grund mehr, den Lügen der Menschen die Wahrheit entgegenzustellen.“
„Welche Wahrheit? Wir sind mit einhundert Schiffen und zwei Flottenträgern in das System gesprungen. Wir kehren zurück mit einem einzigen und haben fast ein Drittel unserer Flotte verloren. Wir haben kaum noch genug Maschinen und Piloten, um die verbliebenen Träger zu bemannen. Es wird sehr lange dauern, diese Verluste zu ersetzen. Vielleicht zu lange, wenn der Feind sich dazu entschließen kann, unsere Schwäche auszunutzen.“
„Und die TSN hat zwei Majestic verloren. Ein weiterer und ein Flottenträger wurden schwer, vielleicht irreparabel beschädigt. Wir haben mehr als dreißig Kriegsschiffe vernichtet. Mindestens drei Geschwader Kampf- und Jagdflieger. Dazu kommen die Bergbau- und Raffinerieanlagen im Asteroidengürtel, die Orbitalstationen von Masters, die Schäden, die wir auf dem Planeten selber angerichtet haben...“
„Hätte ich nur gewusst, dass die TSN so…wenig kampfeslustig ist, dann hätten wir Seafort angreifen können.“
„In dem Fall wären die Menschen wahrscheinlich früher aktiv geworden. Und der Kampf um Seafort wäre etwas anderes gewesen, als dieses letzte Aufgebot von Masters. Vielleicht wäre am Ende nicht genug von uns übrig geblieben, um den Weg nach Hause freizukämpfen.“
„Mag sein. Und wir haben einen ganzen Raumsektor in Panik versetzt und zwei feindliche Flotten abgelenkt, gebunden und von der Front ferngehalten.
Aber war das genug? Und welchen Preis wird der Draned-Sektor dafür zahlen müssen?
Wenn der Feind jetzt schnell und entschlossen handelt…“
„Dann sollten Sie sich vielleicht damit beschäftigen, was Sie dagegen tun können. Und sich nicht in…in Selbstmitleid ergehen!“

Das saß. Taran zuckte zusammen, und mit einmal wirkte seine in dem Beobachtungssessel zurückgelehnte Gestalt gar nicht mehr ruhig, entspannt und nachdenklich. Seine Stimme blieb leise, aber es schwang ein harter, schleifender Ton mit. Ein Ton, den Thera Los gut genug kannte, um auf der Hut zu sein: „Sie nehmen sich viel heraus, Kapitän Los. Zu viel. Wenn ich Prinz Jor wäre…“
„Aber das sind Sie nicht. Und er hätte auch niemals erlaubt, dass Zweifel oder Unsicherheit sein Handeln lähmen…“ kurz fragte sich Kapitänin Los, ob sie verrückt geworden war. Dass sie ausgerechnet den verstorbenen Kronprinzen LOBTE…
„Nein, das hätte er nicht. Er war viel zu beschäftigt, das Imperium zu ruinieren und die Flotte durch irgendwelche verrückten Unternehmen an den Rand des Untergangs zu führen. Ich soll verdammt sein und mein Blut den Dämonen der Sternenleere geopfert werden ehe ich…“
„Na also. Es ist also immer noch Glut unter der Asche.“
Der Admiral stockte kurz, und lachte dann jäh: „Botschaft verstanden…und Danke. Aber wenn Sie jemals in der Öffentlichkeit so mit mir reden, dann lasse ich Sie erschießen.“

Die nächsten paar Minuten sprach keiner der beiden ein Wort. Admiral Taran hatte sich wieder zurückgelehnt und die Tonaufzeichnung gestartet. Schweigend lauschte er der alten, getragenen Stimme. Aber immerhin, irgendetwas wirkte er jetzt…anders. Gefasster vielleicht, weniger melancholisch.
Die Stabschefin überlegte, ob ihr Vorgesetzter ihre Gegenwart vielleicht bereits wieder vergessen hatte oder sie sich unter einem Vorwand entfernen konnte, als Tarans Stimme sie unwillkürlich zusammenzucken ließ: „Wenn man es so betrachtet…hat sich nicht so viel geändert seit Vilanis Fall.
Wir haben den vertrauten Horizont hinter uns gelassen, vor mehr als zweitausend Jahren. Haben die anderen Planeten besiedelt, die nächstgelegenen Sternensysteme…
neunhundert Jahre später, nachdem wir endlich gelernt hatten, wie man die Wurmlöcher für interstellare Langstreckenflüge nutzen kann, haben wir angefangen die Galaxis zu erobern. Die großen Wellen der Expansion die vor zwölfhundert, siebenhundert und dreihundert Jahren entfesselt wurden, haben das Banner des Imperiums weiter hinausgetragen, als irgendein anderes uns bekanntes Volk es jemals gewagt oder vermocht hat. Die heilige Borelliaris-Doktrin…
Unsere Waffen können Ozeane verdampfen, Kontinente verbrennen und Hyperraumsprungpunkte zerreißen. Statt mit Schwertern, Bögen und Spießen kämpfen wir mit Lasern und Atomraketen. Statt an Götter und Dämonen glauben die meisten nun an die Laune des Zufalls oder irgendwelche geschichtlichen, sozialen oder wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten.
Und dennoch, dennoch…dreht sich das Rad der Geschichte immer wieder in dieselbe Richtung. Die Waffen sind anders, und auch die Schlachtfelder. Aber immer noch führen wir Krieg gegen die Barbaren, die an unseren Grenzen heulen.“
Thera Los entspannte sich. Das kannte sie, das war nur Tarans übliche Vorliebe für geschichtliche und philosophische Reminiszenzen. Wenn der Admiral nicht so ehrgeizig gewesen wäre, hätte er wahrscheinlich eine ähnliche Karriere wie Lisson Thelam oder Tobarii Jockham eingeschlagen. Natürlich BEVOR man den zum Kriegsminister gemacht hatte: „Aber die Barbaren der Vorzeit waren wenigstens Akarii.“
Taran schnaubte amüsiert: „Wenn wir Tobarii und Dero glauben wollen, sind die Menschen ja auch so etwas wie Akarii mit einer weichen Haut.
Dero…Ich sollte ihn noch einmal deswegen warnen. Damit macht er sich zu viele Feinde. Erst recht, wenn er es ernst meint…“ Thera Los zuckte unverbindlich mit den Schultern. Das Wohlergehen des exzentrischen Allecar-Sprosses war ihr gleichgültig. Abgesehen von der Tatsache, dass er angeblich dieselbe Strategie anwandte, die man ihr vorwarf – die eigene Karriere mit vollem ‚Köpereinsatz‘ voranzutreiben. ‚Nur bei ihm rümpfen sie nicht die Nase. Sie wollen ihn höchstens umbringen, weil er etwas überambitionierte Ziele hat. Typisch.‘
„…aber Sie haben Recht, Los. Die Menschen sind keine Akarii und werden es niemals sein. Und das mag unsere Hoffnung sein, oder unser Verhängnis…
Wir dürfen sie nicht unterschätzen, aber auch nicht in das andere Extrem verfallen. An dem Tag, an dem wir glauben, dass diese Weichhäute tapferer, stärker, mutiger oder leidensfähiger als die Akarii sind…sind wir der Niederlage einen großen Schritt näher gekommen. Unsere Streitkräfte, unsere ganze Zivilisation basiert auf dem Glauben an unsere Überlegenheit. Das verleiht uns die Fähigkeit, auch dann noch weiterzukämpfen, wenn alle Chancen gegen uns stehen. Das gibt uns die Stärke, sehenden Auges in den Tod zu gehen. Aber wenn diese Sicherheit ins Schwanken gerät…“
„Glauben Sie nicht an die geheiligten Worte der Borelliaris-Doktrin?“ In Thera Los Stimme schwang mehr als ein bisschen Ironie mit.
„Meine Glaubensfestigkeit ist wohl unser geringstes Probleme. Und Admiräle sollten sich im Gegensatz zu den einfachen Soldaten ein gewisses Maß an Skepsis erhalten.
Aber wenn es stimmt was diese Idioten behaupten, für die die Borelliaris-Doktris so etwas wie eine uns von den Göttern übertragene Mission ist…
Wie soll es weitergehen, wenn wir erst diese Galaxis erobert haben? Wann ist unsere ‚göttliche Mission’ erfüllt? Müssen wir immer weiter vordringen, auf der Suche nach einem neuen Gegner? Werden wir in tausend Jahren in einer anderen Galaxis stehen und dort wieder gegen die Barbaren kämpfen? Wo sind die Grenzen unserer ‚Bestimmung’, das Ende des ewigen Kampfes? Und wie wollen wir all jene Völker kontrollieren und ruhig halten, die auf unserem Weg zu der letzten Herausforderung unter unsere Herrschaft gefallen sind? Ein Reich kann sich auch zu Tode siegen.“
„Ich verstehe nicht ganz…“
„Vergessen Sie es. Nur etwas, was ich mich das ein oder andere Mal gefragt habe. Vorerst haben wir genug mit DIESER Galaxis zu tun.“
„Und das, was Sie mit den T’rr vorhaben, dürfte den meisten Traditionalisten und allen Expansionisten nicht gefallen.“
„Noch ein Grund, warum wir uns Sorgen machen müssen. Wenn das bekannt wird, wenn Dero und Tobarii mit ihrer Seid-nett-zu-den-Affen-Politik weitermachen und wenn Rians Kriegsplan nicht bald echte Erfolge bringt…dann könnte es so weit kommen, dass auf Akar wieder Blut fließt. Und ich rede jetzt nicht nur von Gift im Becher und Dolchen im Schatten.“
„Der letzte Bürgerkrieg ist über…“
„Ja. Und das ist ein Teil des Problems Wir haben verlernt, was das bedeutet. Die Toten sind vergessen. Und wir waren seit Generationen nicht mehr in einer ähnlich verzweifelten Lage. Alle Bürgerkriege der letzten tausend Jahre sind aus weitaus nichtigeren Gründen ausgebrochen. Vergessen Sie nicht die Separatisten. Eigentlich hat der Bürgerkrieg bereits begonnen. Das imperiale Zentrum geruht das zu ignorieren, solange es nur ein paar Randwelten in einem isolierten Sektor betrifft. Sie erkennen nicht, oder wollen nicht erkennen, dass dieses Feuer sich ausbreiten kann, wenn es nicht rasch genug bekämpft wird.
Und dazu kommt der Kampf um den leeren Thron…“
„In dem Fall sollten wir vielleicht dankbar sein, so weit ab von Akar zu sein. Fern von den Göttern...“
„…fern ihrer Blitze. Aber das war einmal. Wir brauchen Siege. ECHTE Siege. Was wir im Parrak-System erzielt haben, das war realistisch betrachtet nicht sehr viel besser als ein Patt, und dazu ein teuer erkauftes. Damit wird Linai ihre Kritiker ganz bestimmt nicht zum Schweigen bringen können. Oder jene einschüchtern, die den Thron für sich wollen.“
„Wir haben unseren Teil getan. Jetzt ist die Großadmiralin an der Reihe…“
„Diese Sicht ist ein Luxus, den ich mir leider nicht leisten kann. Nicht, solange ich den Draned-Sektor kommandiere.“
„…und kaiserliches Blut in Ihren Adern fließt.“
Der Admiral nickte knapp. Noch etwas, was er nicht vergessen durfte. Andere taten das höchstwahrscheinlich auch nicht.
„Ich will, dass Sie noch einmal die Planstudien aktualisieren, die Sie für eine mögliche Offensive gegen die separatistischen Systeme anfertigen sollten. Wir müssen den erlittenen Verlusten Rechnung tragen.“
„Aber nicht, indem wir auf ein offensives Vorgehen gegen die Abtrünnigen verzichten?“
„Nein. Nein, das können wir uns wohl kaum leisten. Wenn wir diese Wunde erlauben zu eitern, kann sie den ganzen Körper des Reiches vergiften. Auch wenn Akar geruht das zu ignorieren, sind wir hier draußen nicht in der Lage, uns diesen Luxus leisten zu können.“
„Sie klingen schon wie ein echter imperialer Ultratraditionalist.“
„Auch die können gelegentlich Recht haben. Wir müssen die Abtrünnigen beseitigen – nicht weil wir so stark sind, um es problemlos zu tun, sondern weil wir schwach sind. Zu schwach, um sie am Leben zu lassen. Sie sind auf lange Sicht gefährlicher für das Reich, als die aufständischen Kolonialvölker. Mit aufrührerischen Aliens hatten wir schon zu tun, lange bevor wir das erste Mal von den T’rr oder den Menschen gehört haben. Aber der Abfall imperialer Systeme, die offene Rebellion von AKARIIS…“
„Mit aufrührerischen Adligen hatte das Imperium schon zu kämpfen, lange bevor wir wussten, dass es so etwas wie Aliens überhaupt GIBT.“
„Und Sie wissen ganz genau, was für Blutvergießen und Chaos diese Kämpfe über uns gebracht haben. Wie viele Dynastien dadurch ausgeblutet oder gar vernichtet wurden. Nein, dieses Wissen bietet keinen Trost…
Aber genug davon. Ich fange an, mich zu wiederholen, und im Augenblick können wir wenig gegen diese Seuche tun. Noch nicht. Es wird Zeit, dass wir Parrak als einen großen Sieg verkaufen. Wenn wir es nur lange und laut genug verkünden, dann glauben wir ja vielleicht sogar daran. Oder wenigstens die Menschen…
Ich werde eine entsprechende Botschaft formulieren. Natürlich wird es eine Weile dauern, bis sie auf Akar eintrifft und beantwortet wird. Wahrscheinlich sind wir bis dahin sogar schon wieder im Draned-Sektor…
Und ich werde um Verstärkung bitten. Wieder einmal. Träger, Kreuzer, Zerstörer…mit etwas Glück wird uns Akar zumindest einen Teil davon bewilligen. Sie können es sich nicht leisten, den Draned-Sektor aufzugeben…“
‚Es sei denn, dass genau das ihre Absicht ist. Aber das wäre Wahnsinn. Das kann keiner wollen, egal wer sich bei dem Kampf um die Krone durchsetzen wird. Einen solchen Verlust kann sich niemand leisten. Und hoffentlich ist keiner von Linais und Jockhams Rivalen so dumm zu glauben, dass ihr Sturz den Verlust eines kompletten Sektors wert ist.‘
„Noch etwas. Die leeren Truppentransporter, die den Menschen die Illusion vorgaukeln sollten, wir hätten die Absicht zu landen…wenn ich mich richtig erinnere, sind sie doch alle noch ziemlich intakt, oder?“
„Ja, mein Lord. Zwei haben leichte Schäden erlitten und ein dritter erhielt einen Triebwerkstreffer. Aber der Schaden ist reparabel.“
„Gut. Wir müssen das Beste aus dem machen, was wir haben. Veranlassen Sie eine Planungsstudie für den zügigen Umbau von vier dieser Einheiten zu Schnellbootmutterschiffen. Diese Waffe hat sich bewährt, und bei der Flottenunterstützung und Systemkontrolle wären vier weitere Einheiten eine wertvolle Ergänzung. Außerdem will ich, dass geprüft wird, ob unsere Kapazitäten ausreichen, um zwei weitere Truppentransporter zu Trägern der Ashigaco-Klasse umzurüsten. Entsprechende Baupläne müssten wir erhalten haben.“
„Die Pläne sind vorhanden, Admiral. Und vermutlich sollten zumindest unsere Kreuzerwerften in der Lage sein, die nötigen Umbauten durchzuführen. Schwieriger dürfte allerdings die Mobilisierung der nötigen Piloten und Maschinen sein. Und was die Aufrüstung der Träger mit Schiff-Schiff-Raketenwerfern angeht…“
„Schlimmstenfalls müssen wir eben auf eine entsprechende Bestückung verzichten. Aber ich werde daran denken, diesen Posten in meine Wunschliste für Akar aufzunehmen. Was die Piloten und Kampfflieger angeht, so hoffe ich, dass die vollständige Umstellung auf Kriegsrecht und Kriegsproduktion langsam Wirkung zeigt. Verglichen mit den Ressourcen des Draned-Sektors sind ein paar Dutzend Maschinen und Piloten eigentlich ziemlich lächerlich…“
Sie wussten allerdings beide, dass die Ausbildung oder Umschulung von Piloten Zeit brauchte. Genauso, wie es Zeit brauchte, um bereits vorhandene Produktionsanlagen für Shuttles und private Kurzstreckenraumer für den Bau von Kampffliegern umzurüsten. Auch das Reaktivieren eingemotteter Produktionsstraßen kostete Zeit – Zeit, die man vielleicht nicht mehr würde haben können…
„…gibt es sonst noch etwas, Kapitän Los?“
„Im Augenblick nicht, Admiral.“
„Gut. Ich werde nachher noch einmal einen Rundgang auf der Brücke machen. Es ist notwendig, dass die Offiziere ihren Oberbefehlshaber im Gedächtnis behalten.
Und Thera…organisieren Sie alles notwendige, damit wir unserer gefallenen Kameraden gedenken können. Das schulden wir ihnen und das schulden wir uns.“
„Selbstverständlich.“
„Überstürzen Sie nichts. Aber es sollte geschehen, bevor wir dieses System verlassen. Nicht zu früh, denn das würde das Andenken entehren. Aber auch nicht zu spät, so dass die Trauer und die Wut noch frisch ist…“
„Wie Sie wünschen, mein Lord.“

Der Admiral nickte seiner Stabschefin noch einmal kurz zu, und lehnte sich wieder zurück. Während Thera Los sich umdrehte und leise den Raum verließ, erklang wieder die raue, getragene Stimme eines Toten, der über eine alte, unvergessene Tragödie berichtete, über Krieg und Untergang, Stolz und Schande, Verrat und Ehre, über Sterbliche, Götter und Dämonen.

‚Heulend schlugen der Bestien Zähne
In die wilde Trauer.
Blut füllte Augen, die wie Sonnen waren,
die Augen des letzten Königs.‘
04.03.2016 07:54 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Tyr

TRS COLUMBIA, Sterntor-System

Helen ‚Kali’ Mitra krallte die Hände um den Rand der Kloschüssel und würgte erstickt, während eine neue Welle der Übelkeit sie überrollte. Gleichzeitig flammten die Kopfschmerzen, die angeblich längst hätten verschwunden sein sollen, wieder auf wie ein Treibstoffbrand. Gefangen in ihrem Elend achtete sie nicht auf ihre Umgebung und zuckte deshalb überrascht zusammen, als zwei Hände sie an Schulter und Kopf berührten und festhielten, während sie das wenige hervorwürgte, was sie gegessen hatte. ‚Zum Glück hatte ich keinen Hunger!‘ Ihr war so schlecht, dass sie sich nicht einmal schämen konnte. Das kam erst, als Kano, der neben ihr auf dem Boden des kleinen Waschraums hockte, ihr eine Flasche mit Fruchtsaft hinhielt: „Am besten, du spülst dir den Mund aus, sonst geht das gleich wieder los. Danach solltest du dich hinlegen. Und diesmal auch liegenbleiben. Du hattest eine schwere Gehirnerschütterung. Und die Medikamente, die dir der Auto-Injektor deines Anzugs verpasst hat, haben das Ganze nicht unbedingt besser gemacht.“
„Und dann soll ich wieder zusehen, wie jemand Schlechteres an mir vorbeizieht? Das hatte ich schon mal. Nein danke. Ich habe keine Zeit, krankzufeiern.“
„Du wirst Irons nicht beeindrucken, wenn du ihr vor die Füße kotzt.“ Der japanische Pilot half seiner Geliebten auf die Beine und führte sie zu der Koje, die sie erst vor kurzem verlassen hatte.
„Sehr bildlich ausgedrückt. Besten Dank.“
„Ich helfe dir nicht, wenn ich dich anlüge. Und die Wahrheit ist, dass du furchtbar aussiehst.“
Kali schnaubte, fühlte sich aber zu schwach, um ernsthaft wütend zu sein. Aber immerhin reichte es für einen scharfen Blick: „Vielleicht sollte ich umziehen. Nicht, dass Irons meine Quartierwahl der Würde und dem Komment der Streitkräfte als nicht angemessen befindet.“

Unter normalen Umständen hätte man sie für einige Zeit zur Beobachtung in der Krankenstation behalten, aber die war nach der Schlacht um das Sterntorsystem überfüllt. Nach einer raschen Untersuchung hatte man Kali deshalb ein paar Packungen Tabletten in die Hand gedrückt, und sie wieder entlassen. Natürlich war sie vom Dienst befreit, aber die Betten auf der Krankenstation waren für ernstere Fälle reserviert.
Da die ohnehin nur provisorisch überholte COLUMBIA gleichzeitig zahlreiche Überlebende von havarierten oder beschädigten Schiffen aufgenommen hatte, waren allerdings auch die Mannschafts- und Offiziersquartiere überbelegt. Dass Kano Helen deshalb stillschweigend in seinem Quartier untergebracht hatte, mochte dem Reglement der TSN widersprechen, aber in der Hinsicht kam es für sie beide vermutlich auf einen weiteren Verstoß mehr oder weniger auch nicht mehr an.

Kano lächelte kurz: „Also soweit ich mich erinnere ist dein Aufenthalt hier bisher absolut jugendfrei verlaufen. Leider.“
„Bis auf einige Dialoge.“ konterte Kali halbherzig. „Aber wenn ich eine Staffel bekommen will, dann muss ich aktiv werden. Wenn ich warte, bis ich wieder kv bin, ist es zu spät.“
„Glaubst du wirklich es hilft dir…“
„Du hast leicht reden!“ schnappte die junge Pilotin wütend, machte aber sofort ein zerknirschtes Gesicht: „Tut mir leid.“
„Kein Problem. Ich weiß wie du dich fühlst. Und glaub mir, dass ist keine leere Floskel.“ Natürlich glaubte sie ihm. Mit Verwundungen kannte Kano sich aus. Wenn er nicht gerade den Rekord bei den Kampfverletzungen der noch im Geschwader aktiven Angry Angels-Piloten hielt, dann gehörte er auf jeden Fall zur Spitzengruppe. Und er war mindestens so ehrgeizig wie sie, und hatte auch schon das ein oder andere Mal zurückstecken müssen – auch gegenüber Leuten, die weniger qualifiziert waren. Allerdings half ihr das nicht unbedingt weiter. Außerdem fehlten ihr seine spezielle Ausbildung und der kulturelle Background um Rückschläge und zeitweilige Enttäuschungen stoisch als Teil der Pflichterfüllung abzuhaken. Und das sagte sie ihm auch.
„Wie wäre es damit. Leg dich auf den Bauch, zieh das Hemd aus…“
„Ich weiß nicht, ob ich jetzt in der Stimmung dafür bin. Außerdem dachte ich, wir wollten das jugendfrei halten.“
Kano ignorierte diese nicht ganz ernst gemeinten Worte und begann mit langsamen, gleichmäßigen Bewegungen, ihre Schultern und Nacken zu massieren: „Du musst dich etwas entspannen. Gegen die Übelkeit hast du die Tabletten…“
„Das Dreckzeug könnte genauso gut aus Puderzucker sein…“
„Aber vielleicht kann ich dir wenigstens bei den Kopfschmerzen helfen. Und bei den Verspannungen. Du stehst viel zu sehr unter Strom.“
„Ich wusste gar nicht, dass du so etwas kannst.“
„Kann ich auch nicht. Aber wer so häufig wie ich auf der Krankenstation oder bei Reha-Maßnahmen war, der kriegt das ein oder andere mit.“
Kano befand, dass sie zu erschöpft und fertig war, um ihre Kraft auf Skeptizismus oder eine bissige Retourkutsche zu verschwenden und überließ sich Kanos Händen. ‚Vielleicht hilft ihm dabei seine verdammt gute Konzentrationsfähigkeit. Außerdem…‘, und das ließ sie kurz grinsen, ‚…sollte er meinen Körper inzwischen gut genug kennen.‘
.
.
.
„Hm…das fühlt sich gut an.“ Ihre Stimme klang ruhiger, fast ein wenig schläfrig.
„Danke. Das war der Sinn dabei.“
Kali streckte sich ein wenig, als Kano sich einem besonders empfindlichen Punkt an ihrer linken Schulter widmete: „Erinnere mich bei Gelegenheit daran, mich zu revanchieren.“
„Ich werde daran denken.“
„DAS kann ich mir vorstellen.“ Aber trotz des Geplänkels wussten sie beide, dass heute nichts weiter passieren würde.

Kano hätte es wohl nur zögernd zugegeben, aber sein Handeln war nicht nur altruistisch motiviert. Die – wenn auch nur zeitweilige – Trennung von Kali hatte ihm zu schaffen gemacht. Und die Schlacht um Sterntor bestätigte noch einmal ebenso brutal wie eindeutig, dass diese Trennung sehr leicht eine permanente hätte werden können. Zwar schwebte diese Gefahr über jeder Kriegsbeziehung, aber solange sie auf demselben Schiff waren…es mochte dumm klingen, aber das hatte ihm eine gewisse Sicherheit gegeben. Auch wenn sie eine Illusion war.
Aber sie hatten beide überlebt. Und dass Kali jetzt hier schlief, dass er sie berühren, fühlen konnte – das bedeutete ihm viel. Das machte ihr Überleben…wirklich. Und es erfüllte ihn wieder mit der trügerischen, egoistischen Hoffnung, dass dieser Krieg sie nicht auf Dauer trennen konnte. Er wusste nicht, ob Kali genauso empfand, aber sie hatte sich in den letzten Tagen stärker auf ihn verlassen, als es für ihr sonst so unabhängiges und selbstbestimmtes Ich typisch war.
Eines ihrer Probleme allerdings…: „Glaubst du, Irons setzt dich Mantis vor die Nase? Die ist zwar nur eine ziemlich provisorische Staffelchefin, aber Irons ist ja auch nur eine provisorische Geschwaderchefin.“ Er wusste, dass er das Thema vielleicht besser übergangen hätte. Aber Kali hatte es bestimmt nicht vergessen. Wenn sie sich erst einmal in etwas verbissen hatte, konnte sie nur schwer wieder loslassen. Außerdem war es vielleicht ganz gut, wenn sie sich ihren Frust von der Seele redete. Und die Sache ging auch Kano etwas an. Kali war gerne bei den Angry Angels – nicht nur wegen ihm. Aber wenn sie weiter in der dritten Linie hängen blieb, dann würde sie sich irgendwann wieder nach Alternativen umsehen.

„Mantis…Mantis ist ausgebrannt. Sie will nicht mehr. Und das ist kein Geheimnis. Das ganze Geschwader weiß doch, dass sie lieber heute als morgen in die Etappe verschwinden würde. Und wenn Irons klug ist, dann weiß sie, was das bedeutet. Die TSN kommt hervorragend mit Staffelchefs aus, die Kumpel- oder Familientypen sind, so wie Blackhawk…und Huntress. Sie liebt die brutalen Schleifer und eiskalten Einpeitscher, wie Monty und Darkness in ihren schlimmsten Zeiten. Oder Lilja. Sie züchtet sich Ehrgeizlinge wie Lone Wolf groß. Und sogar miese Arschlöcher und Egozentriker wie Skunk und Radio haben ihre Chance. Was die Flotte aber auf keinen Fall gebrauchen kann, sind Staffelführer, die nicht mehr hundertprozentig dabei sind. Und deshalb…“ Kalis Stimme klang jetzt ruhiger, nachdenklicher. Wahrscheinlich wusste sie, wie lächerlich ein Wutausbruch angesichts der Tatsache gewirkt hätte, dass sie halbnackt auf dem Bauch lag und sich die Rückenmuskeln durchkneten ließ. ‚Das ist doch schon mal ein Anfang.‘
„Sie ist gut, aber sie steckt nur noch halb drin, Kano. Erinnere dich daran, wie sie mit Cartmell umgegangen ist. Das war dumm. Nicht, dass sie ihn zum Flügelmann degradiert hat. Das war in Ordnung. Aber ihm einem Frischling zu unterstellen, bei dem sich Cartmell wieder in seine ‚alle-sind-gemein-zu-mir‘- und ‚ich-bin-viel-besser-als-die‘-Attitüde reinsteigern kann, DAS war dumm. So kriegt sie ihn nicht klein. Sie hätte ihn selber als Flügelmann übernehmen sollen. Oder einem anderen Veteranen zuteilen, der ihm den Kopf zurechtrückt. Aber das hat sie nicht getan. Weil es ihr gleichgültig war, ob Cartmell seinen Fehler einsieht und wieder auf Linie gebracht wird. Wie sich diese Bestrafung auf die Leistung der Staffel auswirkt. Oder ob Petal mit Cartmell überfordert ist. Wie hätte sie denn mit unserem Ex-Knacki an den Hacken noch was lernen oder Selbstvertrauen entwickeln können?“
„Glaubst du nicht, dass du ein klein wenig unfair ihr gegenüber bist? Petal ist tot.“, Kalis einzige Antwort war ein schläfriges Schnauben, „…außerdem hat Lightning damals Lilja auch zu meiner Flügelfrau gemacht.“
Kali regte sich schwach. Die russische Pilotin gehörte nicht gerade zu ihren Freundinnen, auch wenn ihr im Augenblick nicht mehr einfiel, womit das eigentlich angefangen hatte: „Lightning wollte die Eisprinzessin aber nicht bestrafen. Sondern dafür sorgen, dass sie sich ein bisschen zurücknimmt. Außerdem hattest du schon als Frischling mehr Potential als Petal es je hat entwickeln können. Und vor allem auch genug Selbstbewusstsein, um dich nicht von Lilja an die Wand spielen zu lassen. Petal aber…
Und du hast Recht. Sie IST tot. Und das hat sie auch der Art und Weise zu verdanken, wie Mantis ihre Staffel führt. Sie hätte dieses...Kind niemals in so eine beschissene Lage bringen dürfen.“

„Danke für deine Einschätzung meines Potentials.“ kommentierte Kano trocken, während er sich vorbeugte und Helens Schläfen widmete. Unter anderen Umständen hätte die Art und Weise, wie sein Atem dabei über ihren Rücken strich, Kali zu einer radikalen Änderung ihrer momentanen Beschäftigung animiert, aber dazu fühlte sie sich im Augenblick zu müde. Auf eine angenehme Art und Weise. Ihre Gedanken begannen zu wandern, kehrten aber irritierenderweise immer wieder zu den Angry Angels zurück: „Irons…die wird momentan auch noch ganz andere Probleme haben. Sie sitzt nicht gerade fest im Sattel. Nach Cunningham, Darkness und Raven sieht sie ein bisschen…blass auf dem Posten aus. Und sie braucht natürlich auch einen XO. Hmm…“
„Einer von den Bombern…“
Wieder dieses schläfrige aber abfällige Schnauben: „Zeit, dass es mal wieder ein echter Jagdpilot wird.“
„Nun, ich jedenfalls nicht.“ kommentierte Kano knapp, aber ohne Verbitterung, während seine Hände zu ihren Schulterblättern zurückkehrten: „Und Ace auch nicht.“
Kali murmelte eine kaum verständliche Zustimmung. Beide hatten das Zeug dazu, auch wenn Kano vielleicht manchmal etwas unflexibel, Ace hingegen zu ‚weich‘ und in manchen Dingen zu nachlässig war. Aber als Lieutenants und ‚Staffelführer auf Probe‘ standen sie in der Hierarchie immer noch ziemlich weit unten.
„Blackhawk vielleicht. Guter Mann. Hätte das Zeug, viele Dummheiten auszugleichen, die ein Geschwaderchef macht. Oder Lilja…die wäre dann aber eher die Einpeitscherin.“
„Und immer noch reden wir nur über das Geschwader.“, in Kanos Stimme schwang leichte Belustigung mit.
„Milieuschädigung. Ich weiß schon gar nicht mehr, wie sich das Leben außerhalb der Navy anfühlt…“
Kano antwortete nicht und ein paar Minuten später verrieten ihm Kalis tiefe und gleichmäßige Atemzüge, dass sie eingeschlafen war. ‚Gut.‘
Kano gönnte sich den Luxus, seine schlafende Geliebte ein paar Augenblicke zu betrachten, aber er wusste dass das ein flüchtiges Vergnügen war. Er wurde erwartet.
Aus einem Impuls heraus beugte er sich vor und küsste Kali auf die linke Schulter, was sie mit einem schläfrigen Murmeln quittierte, ohne jedoch aufzuwachen. Leise zog sich Kano an und verließ den Raum.

*****

Zehn Minuten später stand er vor der Tür zum Büro der Geschwaderkommandeurin. Reflexartig überprüfte er noch einmal den Sitz der Dienstuniform, bevor das Signal ertönte, dass ihm die Erlaubnis zum Eintreten gewährte. Der japanische Pilot betrat den Raum mit der ihm in Fleisch und Blut übergegangenen Zackigkeit und salutierte: „Commander McGill.“
„Stehen Sie bequem. Sie sind nicht zum Strafappell hier.“ Irons schien ein wenig irritiert.
„Danke.“ Kano erlaubte sich ein nur minimales Entspannen.
„Wie geht es Lieutenant Mitra?“
„Besser. Ich bin zwar kein Arzt, aber sie wird sicherlich bald wieder den Dienst antreten.“ Falls Kano diese Frage verunsicherte, ließ er es sich nicht anmerken: „Ich nehme an, sie hat Sie bereits…“
„Ja, ich habe bereits die eine oder andere Anfrage von ihr erhalten. Sagen Sie doch Ihrer…Bekannten, dass Einsatzbereitschaft, Engagement und Initiative löblich sind. Aber sie soll es nicht übertreiben.“ Irons ließ offen, ob sie sich damit auf Kalis immer noch angeschlagenen Gesundheitszustand bezog, oder darauf, dass der Geschwaderchefin Kalis Drängen auf die Nerven ging: „Und da Sie schon einmal hier sind – wie ist der Einsatzstand der Butcher Bears?“
„Wir verfügen wieder über elf Piloten, von denen ich zwei allerdings lieber erst einmal nur zu leichtem Dienst einteilen würde. Binnen maximal 72 Stunden dürften aber alle Mannschaften wieder als voll kv eingestuft werden können.“
„Sie rechnen den Ex-Konföderierten mit?“
„Lieutenant Cochrane hat sich im Gefecht hervorragend bewährt und gut in die Staffel integriert. Er ist für den Einsatz auf schweren Überlegenheitsjägern ausgebildet. Angesichts der Tatsache, dass er ursprünglich für die DERFLINGER bestimmt war, diese aber erst einmal aus dem aktiven Dienst genommen werden muss, bin ich davon ausgegangen…“
„Sie vergeuden wirklich keine Zeit.“ Irons schien eher amüsiert als verärgert. Es war nicht unüblich, dass notgelandete Piloten in der Staffel blieben, die sie aufgenommen hatte. Aber wenn es sich dabei um besonders fähige Piloten handelte, dann waren sich viele Offiziere nicht darüber erhaben, zu Winkelzügen und Intrigen zu greifen um ihre Kollegen auszustechen. Hätte Irons eine Jägerstaffel kommandiert, dann hätte sie einen Vorzeigepiloten wie Top Gun für sich reklamiert. Aber sie kommandierte eine Bombereinheit. Und da Ace als Staffelchef sogar noch ‚grüner‘ als Kano war, Mantis der nötige Willen und Blackhawk und Lilja die Einstellung fehlten, würde wahrscheinlich niemand Kano seinen ‚Beutepiloten‘ streitig machen.
„Ich habe gelernt, dass Zeitvergeudung ein Luxus ist, den man sich nicht leisten kann.“ Kano erinnerte sich kurz daran, wie Lone Wolf die ausrangierten Ersatzmaschinen der Roten Staffel zu den Butcher Bears abgeschoben, und dafür seine Staffel mit fabrikneuen Nighthawks ausstaffiert hatte.

Apropos…: „Ungünstiger sieht es mit dem Maschinenstand der Butcher Bears aus. Momentan kann ich trotz Reparaturen nur einen Ist-Bestand von acht Jägern melden – einschließlich einer bedingt einsatzfähigen Phantome. Ohne Nachschub…“
„Ich kenne das Problem. Und Sie sind nicht der einzige mit mehr Piloten als Maschinen. Aber wir können damit rechnen, dass im Verlauf der nächsten Woche Ersatz kommt. Ich weiß noch nicht, wie viele Maschinen, aber…so schnell werden wir uns hier ohnehin nicht wegbewegen.
Wie sieht es mit der Moral aus?“
„Die Moral ist gut.“
„Etwas ausführlicher vielleicht…“
„Zwar hat sich Crusaders Ausfall negativ ausgewirkt, aber zum Glück wurde er nur verwundet. Jimmies Verschwinden…hatte keine signifikanten Auswirkungen auf die Einsatzmoral. Da wir die letzten Tage auch aufgrund des reduzierten Einsatzbetriebs vor allem zur Erholung und Konsolidierung nutzen konnten…“
„Da Sie Crusader erwähnen – haben sie schon einen Nachfolger für Ihren Staffel-XO bestimmt?“
Kanos Augen zuckten unmerklich. Irgendwie kam ihm die Frage etwas zu beiläufig vor: „Ich war davon ausgegangen, dass Lieutenant Obasanjo…“
„Eine gute Pilotin, aber ein Feuerkopf. Ihr fehlt Geduld. Und dann ist da noch diese Geschichte, wie sie den Piloten eines TSN-Shuttles bedroht hat.“
„Um Crusader zu retten. Dem Sie in dieser Schlacht erneut das Leben gerettet hat.“
„Ich weiß, dennoch sollten Sie überlegen, ob nicht jemand anderes besser geeignet wäre.“
Kano straffte sich innerlich: „Denken Sie dabei an jemanden bestimmten, oder ist das nur ein allgemeine Empfehlung, Commander?“
In Irons Gesicht zuckte es, als hätte sie auf etwas Saures gebissen: „Ach…Scheiße. Ich hasse diese Politikspielchen, Nakakura.
Sie kennen Lieutenant Agyris Hintergrund?“
„Meinen Sie ihre militärische Laufbahn oder ihre Herkunft?“
„Natürlich letzteres. Die Agyris haben Verbindungen bis in die höchsten Kreise von Politik, Wirtschaft und Militär. Mehr Geld, als Sie, ich oder sonst jemand auf diesem Träger jemals verdienen wird, solange er in der Navy bleibt. Und auch wenn sich Huntress gerne als das enfant terrible der Familie gebärdet…die Familie lässt einen nicht im Stich. Offenbar ist jemand der Meinung, dass es für sie etwas vorrangehen sollte. Auch wenn sie eine hervorragende Pilotin ist, ihre Abschussliste ist nicht so herausragend, dass sie eine Auszeichnung rechtfertigen würde. Außer wenn es um das…Abschleppen von Kollegen geht. Eine Beförderung ist ebenfalls nicht drin, das wäre im Augenblick sowieso nicht in meiner Macht. Aber das steht dann wohl als nächstes auf der Liste. Und eine notwendige Voraussetzung dafür ist der Posten eines Staffel-XO.“ Irons war ihr Unbehagen anzuhören – sonst hätte sie niemals so viel Zeit darauf vergeudet, sich einem subalternen Offizier zu erklären. Jedenfalls keinem, der mit derart ausdruckslos starrer Miene in Beinahe-Habacht-Stellung vor ihrem Tisch verharrte: „Ist diese Personalentscheidung ein Befehl, Commander McGill?“
„Natürlich nicht. Aber Sie werden es trotzdem tun. Es sei denn, Sie sagen mir jetzt klipp und klar, dass Huntress für diese Aufgabe nicht geeignet ist.“
„Und soll ich das sagen, was Sie gerne hören wollen, oder was ich wirklich denke?“
„Herrgott nochmal, Ohka! Glauben Sie, mir gefällt das?! Und achten Sie gefälligst auf ihre Ausdrucksweise. Lone Wolf hätten Sie so etwas nie an den Kopf geknallt.“
‚Wer weiß…er hat ja auch nie so etwas von mir verlangt.‘ Kano dachte nicht unbedingt mit Wehmut an den ehemaligen Geschwaderchef zurück. Aber wie Raven und Darkness hatte Cunningham so fest im Sattel gesessen, dass er sich gegenüber etwaigen ‚Anregungen‘ betreffs Personalentscheidungen souveräner verhalten konnte. ‚Obwohl…ich hatte mich schon immer gefragt, wieso ausgerechnet Radio Karriere gemacht hat.‘

„Also, was können Sie mir zu Lieutenant Agyris Befähigung sagen?“
Kano behielt seine ausdruckslose Miene bei: „Sie kennen ihre Dienstakte. Abgesehen von einigen eher…banalen Problemen hat sie zweifellos das Zeug zu einer Kommandoführerin. Sie fliegt nicht nur sehr gut, auch ihre taktischen und analytischen Fähigkeiten sind hervorragend. Sie kann mühelos begeistern, mobilisieren und anspornen. Wenn sie das will. Aber sie polarisiert leicht. Und sie stößt die Leute vor den Kopf.“
„Sie meinen im Gegensatz zu den Männern und Frauen, die sonst in diesem Geschwader Karriere gemacht haben? Machen Sie ihr einfach klar, dass sie ihre Spielchen lassen soll, wenn sie ihren neuen Posten behalten will.“
Kano wusste, dass die Entscheidung bereits gefallen war. Er hätte sie vielleicht mit einem ‚Auf keinen Fall‘ verhindern können, aber dazu konnte er sich ehrlich nicht mit gutem Gewissen aufraffen. So schlecht war Huntress nun wieder auch nicht, mochte sie auch die eine oder andere Kante haben. Aber die hatte La Reine natürlich ebenfalls. ‚Sie wird fuchsteufelswild sein, wenn sie das mitbekommt. Verdammt, das kann Ärger geben.‘: „Wenn ich ihrer…Empfehlung folge, kann ich dann mit Entgegenkommen in einer anderen Angelegenheit rechnen?“
Irons runzelte die Stirn: „Sie lernen aber schnell. Und ich dachte schon, Sie stellen sich über dieses miese Tauschspiel…“
„Es geht nicht um mich. Oder um meine persönlichen Wünsche.“ Das war nicht völlig wahr, aber doch zum größten Teil: „Ich hatte bereits Empfehlungen für die nächste Ordensvergabe eingereicht.“
„Allerdings. Und Sie waren recht großzügig. Bronce Stars für Top Gun und Killer. Dafür, dass die beiden nicht mal zu Ihrer Staffel gehörten und Killer auch noch MIA ist, legen Sie sich ganz schön ins Zeug.“ Irons Stimme hatte einen fragenden Unterton, und auf einmal hatte Kano das Gefühl, als wäre er wieder in der Grundausbildung oder bei einem Lehrgang. Er war sich sicher, dass er jetzt geprüft wurde – ohne jedoch die genauen Regeln zu kennen. Aber das brachte ihn nicht aus dem Gleichgewicht. Zumindest in dieser Sache war er sich seiner selbst und seinen Motiven sicher.
„Gerade dass sie vermisst wird, ist ein Grund für meine Empfehlung. Killer ist eine Marine. Sie war an der Verteidigung von Masters beteiligt. Die Marines und die Nationalgarde hatten horrende Verluste, aber sie ist erneut aufgestiegen um weiterzukämpfen. Sie und Top Gun haben sich zu uns durchgeschlagen, an der gesamten Akarii-Flotte vorbei. Und dann hat Killer – wahrscheinlich – für ihren Einsatzwillen den höchsten Preis bezahlt. Wenn das nicht einer Würdigung wert ist, was ist es dann?“
„Top Gun lebt aber noch.“
„Er hat im Verlauf der Schlacht mehrere feindliche Maschinen abgeschossen. Mit einer veralteten Maschine und einer Verwundung. Außerdem…er ist ein Ex-Konföderierter. Wir zeigen so, dass wir ihre Leistungen anerkennen. Dass wir sie als ebenbürtig ansehen. Das ist notwendig – und das haben sie sich verdient. Und wenn wir gleichzeitig auch Killer auszeichnen, senden wir auch ein Signal an die Marines, von denen sich viele von der TSN im Stich gelassen fühlen. Das alles sind nur kleine Gesten – aber das macht sie nicht weniger wichtig.“
McGill lachte schnaubend auf: „Behaupten Sie niemals, dass Sie keinen Sinn für Politik haben!“
„Ich glaube nicht, dass an meinen Argumenten etwas falsch ist.“ ‚Und wenn ich dadurch die Auszeichnungen durchbekomme, umso besser.‘
„Und es macht sich in der Gesamtbewertung ihrer Staffel auch nicht schlecht.“
„Wir haben gut gekämpft. Und diese Auszeichnungen – noch dazu an…Außenseiter verliehen, werden ein Ansporn für die Zukunft sein.“
„Fürchten Sie nicht, dass Ihre Veteranen es Ihnen übel nehmen, dass sie leer ausgehen?“
„Um auf den vorhin erwähnten Gefallen zurückzukommen…
Ich möchte La Reine ebenfalls für eine Auszeichnung vorschlagen.“
Irons wölbte kurz eine Augenbraue, schien aber nicht sonderlich überrascht: „Mit welcher Begründung?“
„Sie hat es verdient. Das war schon das zweite Mal in kürzester Zeit, dass sie Crusader das Leben rettet. Ich weiß, dass sie beim letzten Mal vielleicht etwas…undiplomatisch agiert hat…“
„Sie hat einem Shuttlepiloten gedroht, ihn abzuschießen.“ wiederholte sich Irons, klang aber eher amüsiert.
„…aber zusammen mit ihrem Einsatz in dieser Schlacht und ihren sonstigen Leistungen hat sie sich eine Auszeichnung mehr als verdient. Außerdem müssen wir ihr zeigen, dass wir ihren Einsatz auch wertschätzen. Eine ‚Neue‘ auf ihren Posten zu setzen ist da wohl kaum das richtige Signal.“
„Haben Sie Ihre Leute nicht soweit im Griff, dass Sie so etwas wegstecken?“
„Ich habe meine Leute im Griff. Und ich verlange viel von ihnen. Sehr viel, und das nicht nur im Kampf. Falls Sie das nicht glauben sollten, können Sie gerne die Einsatz-, Übungs- und Manöverprotokolle der Butcher Bears überprüfen. Oder Sie fragen einfach einen der Piloten.“
Kanos Stimme blieb neutral. Es war Irons unmöglich zu sagen, ob er stolz darauf war, seine Untergeben hart ran zu nehmen, oder ob er einfach nur die Tatsachen schilderte: „Aber Druck und hohe Ansprüche alleine genügen nicht. Leistung muss auch belohnt werden. Denn ich kann zwar meine Leute rückhaltlos fordern – aber durch Druck alleine kann ich weder Engagement noch Begeisterung wecken. Oder durch leere Worte.“
Irons nickte langsam: „Nun gut, ich werde ihre…Empfehlung weiterleiten. Und Sie machen Huntress zu ihrem Staffel-XO und sorgen dafür, dass ich mich mit dieser lästigen Vitamin-B-Geschichte nicht länger beschäftigen muss.
Als hätte ich nicht schon genug um die Ohren. Wäre das dann von Ihrer Seite alles?“
Kano war eigentlich der Meinung, dass es jetzt am klügsten gewesen wäre, zu gehen. Aber er schuldete es Kali, zumindest einen Vorstoß zu machen: „Commander, da Sie vorhin Lieutenant Mitra erwähnten…“
Die provisorische Geschwaderchefin unterbrach den jüngeren Staffelkommandeur mit einer schneidenden Handbewegung: „Fangen Sie nicht auch noch damit an! Kali muss erst mal wieder kv sein. Dann sehen wir weiter.“
„Commander.“ Kano salutierte zackig und ging. Er war sich nicht sicher, ob er zufrieden sein sollte. Diese ‚politische‘ Beförderung konnte Ärger bedeuten. Und Kalis Zukunft hing weiter in der Schwebe. ‚Aber wenn sich Mantis nicht langsam mal zusammenreißt oder wir einen Schub erfahrene Offiziere bekommen – nicht sehr wahrscheinlich – kommt Irons an Kali nicht vorbei.‘
04.03.2016 07:55 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Cunningham

"Diese Helden, die ihr Blut vergossen und ihr Leben ließen… ihr liegt nun in der Erde eines befreundeten Landes. Daher ruhet in Frieden. Denn es gibt für uns keinen Unterschied zwischen den Johnnies und den Mehmets, dort wo sie Seite an Seite in diesem unserem Lande liegen… Ihr, die Mütter, die ihre Söhne aus weit entlegenen Länder schickten, wischt weg eure Tränen. Eure Söhne liegen nun an unserer Brust und sind in Frieden. Ihr Leben in diesem Land verloren zu haben, machte sie genauso zu unseren Söhnen.“ Kemal Atatürk

In Baha’ullah, der Hauptstadt von Masters hatte sich die Situation größtenteils wieder normalisiert. Die Akarii hatten nicht so gehaust, wie man befürchtet hatte und vor allem hatten sie nicht so gehaust wie sie gekonnt hatten.
Ihr Bombardement hatte sich auf militärische Ziele beschränkt. Statt der Millionen waren dreitausend gestorben. Der Schock saß letztlich genau so tief. Man war in der Heimat der zweifelhaften Gnade des Feindes ausgeliefert gewesen.
Es war kurz vor Mittag am dritten Tage nach der Schlacht, als die Shuttles der TSN auf dem Kemal Atatürk Raumhafen, dem größten zivilen Raumhafen Masters niedergingen. Auf demm Vorplatz des Raumhafens, den Straßen und Plätzen Baha’ullahs warteten die Menschen auf die Fracht. Millionen von Menschen waren vor die Tür gegangen um die Shuttles der TSN in Empfang zu nehmen. Harrten in der heißen Mittagssonne aus.
Als die ersten Metallsärge aus den Shuttles entladen wurden, begann eine Mischung aus Klagegesängen und Lobpreisungen. Masters nahm seine Helden in Empfang. Die Piloten der Nationalgarde und des Marine Corps, die bei der Verteidigung des Planeten heldenhaft in den Tod gegangen waren. Diese zu einem Drittel leeren Särge waren geschmückt mit den Dienstflaggen der Einheiten, denen die Gefallenen angehörten. Ganz ohne militärisches Zeremoniell wurden sie von den Bewohnern Masters durch die Straßen ihrer Hauptstadt getragen. Viel öfter als nötig wechselten sich die Träger ab und schon bald wurden die Särge einfach weitergereicht, ähnlich dem Crowdsurfing bei einem Rockkonzert. Es schien als ob jeder den Helden Masters noch einmal nahe sein wollte.
Auch wurden immer mal wieder Gegenstände auf die weitergereichten Särge gelegt: Blume, Halbmonde, vereinzelt Kreuze oder auch Dolche und Messer. Die Prozession zu dem frisch angelegten Friedhof, etwas außerhalb Baha’ullahs, dauerte über zwei Stunden.
Als um kurz nach zwei die Bestattung durch die Oberhäupter der verschiedenen islamischen Religionszweige, der Kopten, der orthodoxen Christen, sowie einen katholischen und einen jüdischen Militärgeistlichen vollzogen wurde, da hielt man auf dem zwei Wochen entfernten Seaford eine Schweigeminute ab. Rundfunk- und Fernsehen stellten das Programm ein und planetenweit wurden alle Ampeln auf rot gestellt.

Vanessa Girad schaltete den Fernsehkanal ab und rief sich das Bild der Außenkamera auf den Bildschirm. Rawhide neun-null-vier, das für den VIP-Transport vorgesehene Shuttle der Angry Angels schwenkte gerade auf den letzten Landevektor ein. Mit monoton, professioneller Stimme hielt Lieutenant Commander Ivan Arossew, der Staffelführer der Unterstützungsschwadron, Rücksprache mit dem LSO der Intrepid, dem Flaggschiff der 3. Flotte.
Die Intrepid war ein über zwanzig Jahre altes Schiff und hatte im Krieg gegen die Akarii ihr Scherflein beigetragen, doch im Vergleich zur nicht einmal ein Viertel so alten Columbia wirkte sie wie frisch gewienert. Natürlich gab es Brandnarben von Treffern oder Beinahetreffern, doch die abrasierten Geschütztürme und die Hüllenbrüche, die davon zeugten, dass Menschen auf ihr gekämpft hatten und einige diesen Kampf nicht überlebt hatten, die gab es nicht. Es mangelte an meterlangen aufgerissenen diamantgehärteten Panzerstahlplatten, welche die letzte Verteidigungslinie gegen akariische 75-Megatonnen Atomsprengköpfe waren.
Das Shuttle wurde auf eine hintere Landeplattform dirigiert und nicht in den Hangar. Arossew stellte mit einem kaum spürbaren Klack Kontakt mit dem siebzigtausend Tonnen schweren Träger her. Kurz darauf wurde die Plattform samt Shuttle eingezogen und ein Verbindungsschlauch zur Hauptschleuse geführt, welcher sich dann an die Außenhaut des Shuttles festsaugte. Dann erfolgte der Druckausgleich.
Girad erhob sich und ging nach vorne, wo der Lademeister des Shuttles schon die Tür zum Öffnen vorbereitete. Kurz hielt sie inne um nochmal ihre Uniform zu prüfen. Die schlichte Dienstuniform, einfaches Khaki, nur die drei Sterne links und rechts am Kragen, Namensschild über der rechten Brusttasche. Keine Ordensbänder, keine Ehrenzeichen, kein sonstiger Tand. Sie richtete ihr Käppi und umklammerte ihr Computerpad etwas stärker.
Der Petty Officer öffnete die Tür und nahm Haltung an, als sie an ihm vorbei ging. Am anderen Ende des Verbindungsschlauches wartete eine Abordnung der Schiffsoffiziere der Intrepid. Ein Mann mittleren Alters mit den Captains-Adlern am Kragen und dem Commander in Space Pin über dem Namensschild sowie Pilotenschwingen über der linken Brusttasche führte diese kleine Gruppe an.
Als sie den Verbindungskorridor verließ und somit die stählernen Planken der Intrepid betrat, betätigte ein Ensign einen Knopf an seinem Rufer und aus den Lautsprechern auf dem ganzen Schiff ertönten Bootsmannspfeifen. Diesmal nahm Girad Haltung an.
Nachdem die Pfeifen verklungen waren, drückte der Ensign die Sprechtaste und verkündete der Intrepid: „CO Fünfte Flotte kommt an Bord.“
Girad wandte sich dann an den Captain des Trägers und legte die Hand zum Salut an: „Sir, bitte um Erlaubnis an Bord kommen zu dürfen.“
Mit gleicher Förmlichkeit wurde ihr Salut erwidert: „Erlaubnis gewährt, Ma’am, willkommen an Bord. Wenn ich vorstellen darf, ich bin Captain John Esteban, Admiral Longs Stabschef, Admiral Josephine Callutchi, mein Erster Offizier Commander Anjanka Krozny und Commander Rashid al Hawari, Nachrichtendienst.“
„Captain.“, sie schüttelte Esteban die Hand und anschließend Rearadmiral Callutchi. Den beiden Commandern, obwohl al Hawari ihr Interesse erregte, nickte sie nur grüßend zu.
„Ma’am,“, Callutchi deutete den Gang entlang, „wenn ich Sie zum Admiral führen dürfte.“
Die Stimme der jüngeren Frau war geschäftsmäßig aber nicht kühl. Die Anweisung, welche die jüngere Admiralin ihr darlegte, war in eine höfliche Bitte verpackt: „Gern.“
„Rashid, wenn Sie uns bitte begleiten würden, Admiral Long meinte, Ihre Anwesenheit könnte von Nöten sein.“
Der Nachrichtendienstler bestätigte mit einem knappen Nicken und folgte den beiden Frauen im kurzen Abstand, so dass der Anschein von Privatsphäre gewahrt blieb. Captain Esteban und sein Erster Offizier verabschiedeten sich schon an der ersten Kreuzung.
„Admiral,“, begann kurz darauf Longs Stabscheffin das Gespräch, „wenn Sie gestatten, ich habe eine Frage, Admiral Long wird diesen Punkt nicht anschneiden, doch er wird sicherlich wissen wollen, wie es seinem Sohn geht.“
Erste Tretmine: „Commander Long geht es gut, er ist unverletzt.“
Callutchi lächelte, fast etwas verlegen: „Das wird den Admiral freuen. Ich höre da jedoch ein ,aber‘ mitschwingen.“
„Commander Long wird noch im Laufe dieser Woche die Columbia verlassen, er wird auf einen Stabsposten auf Seafort versetzt.“, ,Dein Boss hat sicherlich gleich noch genug Nasenstüber für mich.‘
Die anderen Admiralin geriet etwas aus dem Takt: „Warum, wenn ich fragen darf?“
„Der Commander hat eine Kommandoentscheidung getroffen, wie sie im Stab meines Flaggcaptains nicht getroffen werden darf. Seine Fehleinschätzung hatte … ihren Anteil an dieser Schlacht.“
„Das klingt recht dramatisch. Vielleicht sollten Sie den Admiral darüber informieren.“
„Admiral Callutchi,“, Girad blieb stehen und nahm die andere Frau direkt ins Visier, „ich sehe ganz genau, wie wenig Ihnen dieser politische Eiertanz liegt und auch ich bin eigentlich auch eher für den direkten Weg. Ob Admiral Long nun der Vater des Ersten Offiziers der Columbia ist oder nicht, ist für diese Entscheidung nicht relevant. Der Admiral hat in der Kommandokette der Fünften Flotte keinerlei Einfluss und die relative Milde dieser Maßnahme ist Commander Longs ausgezeichneten Dienstakte und nicht seinem Familiennamen geschuldet.“
Die Stabscheffin musterte sie kurz kühl: „Admiral Long als ranghöchster Offizier im System wird Sie in wenigen Augenblicken als Standortkommandeur von Sterntor ablösen. Vielleicht sollten Sie sich das mit dem Einfluss auf die Fünfte Flotte überdenken. Zumal Sie nicht einmal der Fünften Flotte angehören, Admiral.“
„Das lassen Sie mal meine Sorge sein, Admiral Long wartet im Flaggbüro oder seiner Kabine?“
„Im Büro.“, antwortete Callutchi, die Geschäftsmäßigkeit war einer wenig subtilen Kühle gewichen.

Das Flaggbüro der Intrepid war zwar nicht so luxuriös eingerichtet wie das der Pegasus, übertraf ihr jetziges auf der Columbia aber um ein ganzes Stück.
Hinter einem handgefertigten und speziell auf Marinebedürfnisse zugeschnittenen Mahagonischreibtisch mit in die Oberfläche eingelassenen Bildschirmen und Smarttastatur thronte Admiral Miles Edward James Long. Hinter vorgehaltener Hand und mit jeder Menge Neid in der Stimme wurde er als Teil des so genannten Navy-Adels bezeichnet. Verbindungen schadeten halt immer nur denen, die über keine verfügten. Girad hatte gehört, dass ihn der Tod seines jüngsten und äußerst rebellischen Sohn schwer getroffen haben sollte, doch als er sich erhob um sie zu begrüßen, war von irgendeiner Belastung durch den Krieg nichts zu erahnen.
Andere Flaggoffiziere der TSN waren inzwischen vorzeitig ergraut, unter dem Stress zusammengeklappt oder sogar vom Herzschlag dahingerafft worden. Zurück blieben die starken und jene, denen der Krieg gut bekam.
„Admiral Girad,“, grüßte Long mit wohlmodulierter Stimme und deutete auf eine Sitzgarnitur etwas abseits vom Arbeitsbereich, „kann ich Ihnen etwas anbieten, Kaffee oder Tee?“
„Einen Kaffee bitte.“, sie nahm in einem der bequemen Sessel Platz.
„Rashid, wenn Sie bitte so freundlich wären.“, Long nahm den zweiten Sessel in Besitz und überließ seinen Offizieren das große Sofa. Bevor sich Admiral Callutchi jedoch setzte, flüsterte sie ihrem Chef noch schnell etwas ins Ohr, woraufhin sich Longs Gesicht kurz verdunkelte.
Der Nachrichtendienstler benachrichtigte die Offiziersmesse der Interpid und holte aus einer Pantry ein Kaffeeservice hervor, welches er schweigend auf dem Tisch ausbreitete.
„Leider habe ich auf meiner Agenda einiges Unerfreuliches,“, begann Long das Gespräch, „daher würde ich es vorziehen ohne lange drum herum zu reden zu einem der Kernthemen zu kommen. Als ranghöchster Offizier und weil Sterntor immer noch als Heimathafen der Dritten Flotte dient, sowie auf besonderen Wunsch von Ministerpräsidentin Jergain, entbinde ich Sie hiermit von Ihrem Posten als Standortkommandant und übernehme diesen Posten selbst.“
„Dies würde ich gerne ohne großes Brimborium hinter uns bringen.“, er schob ein Computerpad, welches schon auf dem Tisch gelegen hatte als sie hereingekommen war, in ihre Richtung.
„Ich wüsste nicht, in wie weit eine bloße Ministerpräsidentin Einfluss auf die Befehlsstruktur der Flotte haben kann.“, Girad nahm das Pad entgegen. Hanifa Jergian als bloße Ministerpräsidentin zu bezeichnen wäre ihr normalerweise nicht in den Sinn gekommen. Aber sie war nicht in der Stimmung den Sündenbock für alle Fehler der terranen Flotte in Sterntor zu spielen. Und an erster Stelle war Jergain nicht Bestandteil der Befehlskette der terranen Bundesstreitkräfte, „Admiral Long, ich bin versucht diesen Befehl zu verweigern.“
Rashid Al-Hawari wäre beinahe sein eigenes Computerpad aus der Hand gefallen und Admiral Callutchi wurde bleich.
Long hingegen lehnte sich einfach in seinem Sessel zurück: „Und gleich erzählen Sie mir, dass ich nur ranghöher und nicht Ihr Vorgesetzter bin. Dann würden wir uns über Ihre Legitimation als Flottenkommandantin der Fünften Flotte unterhalten und sie könnten darauf bestehen, dass ihre Ablösung vom Flottenkommando nur durch das Büro des CNO kommen kann, und so weiter und so fort. Aber Fakt ist, ich habe einen Stern mehr am Kragen. Ich hätte das taktische Kommando, sollten die Akarii zurück ins System springen und wir beide wissen, wenn wir zu dieser Kommandoübergabe den ganzen bürokratischen Weg gehen müssen, wird es ganz schön hässlich für Sie werden.
Ganz davon abgesehen, dass wenn Sie tatsächlich meinen Ältesten schassen, ich nicht mal einen Anruf tätigen muss, um dafür zu sorgen, dass er weich landet.
Aber mal im Ernst, wollen Sie sich mit Jergain rumärgern oder möchten Sie mir die Möglichkeit geben, die Wogen zwischen Masters und der Navy zu glätten?“
Das Eintreffen eines Stewards mit einer Kanne Kaffee verschaffte ihr ein wenig Bedenkzeit. Long selbst nahm den Kaffee im Empfang. Er entließ den Steward mit einem kurzen Dank und übernahm es selbst sie und seine Offiziere zu bewirten.
„Ist die wirklich so scharf auf meinen Skalp?“
„Die Akarii haben ihren Planeten bombardiert. Es gab Tote und Verletzte und Sie haben das in ihren Augen nicht verhindert.“
„Dann informieren Sie bitte Ministerpräsidentin Jergain, dass die fünfte Flotte mehr als fünftausend Mann Verluste hat, die tot oder vermisst werden, und dass wir fast genauso viele Verwundete haben.“, sie notierte unter die Ablösungsorder einen kurzen Protest und unterzeichnete dann beides.
Long nickte und wirkte auf einmal ernstlich betroffen: „Was ist da schief gelaufen, Girad?“
„Die Liste ist lang, zu großes Vertrauen in unsere neusten technischen Spielereien, mangelnde taktische Flexibilität, schlechte Aufklärung, ein Gegner der sich ziemlich unberechenbar verhielt, dem wir wider besseren Wissens erlaubt haben das Schlachtfeld zu diktieren, Pech. Ich befürchte, ich habe die größte militärische Katastrophe seit Manticore geerbt. Und ich weiß nicht, ob wir unseren Gegner letztlich über- oder unterschätzt haben.“
„Auf Master heißt es,“, erhob Callutchi das Wort, „dass nach der Vernichtung der James Knox Panik in der Flotte ausgebrochen ist.“
„Das nicht, doch ich musste erst eine neue Befehlsstruktur etablieren. Es sah aus, als ob die Flotte nach dem Verlust der Anzac und der Knox im Chaos versinken würde. Der Verlust ihrer Befehlshaberin schien sich sehr auf die Kampfgruppenkommandeure der Flotte ausgewirkt zu haben.“, eine schöne Umschreibung dafür, dass Du die Pfeifen für zu unbeweglich gehalten hast.
„Verstehe.“, die andere Admiralin nahm einen langen Schluck Kaffee.
„Der zweite Punkt auf meiner Liste ist ein Jagdgeschwader für Masters. Bei nur noch zwei einsatzbereiten Trägern müssten trotz der Ausfälle doch noch Piloten über sein.“
„Das ist noch nicht ganz klar.“, wehrte Girad fast automatisch ab.
„Ich möchte Ihren erfahrensten Geschwaderführer für den Job und so viele Leute wie Sie entbehren können. Muss die Columbia nicht auch nochmal ins Dock?“
„Die Columbia wird sich nur der notdürftigsten Reparaturen unterziehen und ihr Bordgeschwader hat oberste Priorität, Admiral, das ist nicht verhandelbar.“
Long nickte bestätigend: „Das kann ich verstehen, doch die 3. Flotte wird ihre operative Bereitschaft beibehalten. Daher übertrage ich es in Ihre Verantwortung, ein Geschwader für Masters aufzustellen, mit Piloten zu versehen und mit Material auszustatten.“
„Den Befehl bekomme ich schriftlich!“
Erneut funkelte Callutchi sie wütend an.
„Selbstverständlich,“, Long hingegen ließ sich nichts anmerken, „wie steht es um die Midway und die Nimitz?“
„Das ist beides unklar. Die Midway müssen wir bergen und begutachten, ob man sie wieder Instand setzen kann. Die Arbeiten an der Nimitz werden mit Hochdruck vorangetrieben. Sie könnte in zwei bis drei Monaten wieder einsatzbereit sein oder in vier vollständig umgerüstet werden. Meine Anweisung wird lauten die Nimitz umzurüsten. Als Kommandanten habe ich Quentin McKenna vorgesehen.“
„Und die restlichen Einheiten Ihrer Flotte?“
Girad verschaffte sich mit einem Schluck Kaffee etwas Bedenkzeit: „Fast keines unserer Schiffe ist unbeschädigt. Ich habe die Werften angewiesen, die leichten Fälle vorzuziehen um die Flotte so schnell wie möglich mit voll einsatzfähigen Schiffen auszurüsten. Dadurch sind die Werften von Sterntor natürlich voll ausgelastet und es wird auch Personal von den Bauslips herangezogen, was die Fertigstellung der Neubauten etwas hinauszögert. Die hoffnungslosen Fälle werden erst mal im All geparkt und später ausgeschlachtet. Einige der schwerwiegenden Fälle werden wir nach Terra überführen müssen, sobald wir uns so weit organisiert haben. Wir brauchen weitere Maschinen und Piloten. Für Nimitz und schließlich auch die Derflinger müssen neue Geschwader aufgestellt werden, eventuell auch für die Midway. Ebenso wird das Geschwader der Triumph neu organisiert werden müssen.“
„Und die Angry Angels?“
Sie blickte ihrem Gegenüber in die Augen und versuchte zu ergründen, ob Long irgendetwas an dem Geschwader lag, doch der ältere Admiral hatte zu viele Gefechte auf militärischer wie auch politischer Ebene geführt, um sich irgendwas anmerken zu lassen: „Die hat es wie alle anderen schwer erwischt, doch ihnen steht ein Grundstock an erfahrenen Piloten zur Verfügung, den ich gehofft hatte aus Piloten der hiesigen Geschwader zu ergänzen.“
„Den ersten Berichten habe ich entnommen, dass der CO vermisst wird und das Commander Cunningham als verwundet geführt wird. Ich empfehle, ihm wieder das Kommando zu übertragen, sobald er wieder KV ist.“
„Den Ärzten nach wird das nicht allzu bald wieder der Fall sein. Der Bordarzt der Columbia hat mit dem Chef der chirurgischen Abteilung von Mistral gesprochen. Deren Schätzung beträgt mehrere Monate, und natürlich eine Behandlung, welche die Krankenstation eines Kriegsschiffes nicht leisten kann.“
„Gut, dann nehmen Sie ihren erfahrensten Geschwaderführer für diesen Posten. Für Masters kommt aber keine zweite Geige in Frage, ich will dort einen echten Profi.“
„Ich fürchte bei der Wahl des Geschwaderführers für die Angry Angels werden sich einige Offiziere vor den Kopf gestoßen fühlen, von daher machen Sie sich keine Sorgen um den Geschwaderführer für Masters.“
„Sehen Sie nur zu, dass Sie dafür einen anständigen Offizier finden. Die Angels haben es sich verdient.“
„Natürlich Sir, sonst noch etwas?“
„Ja, jetzt wo Admiral Renault…“
„Vor den Akarii flieht.“, warf Girad ein.
„… sich taktisch umgruppiert, kann es sein, dass Sterntor wieder näher an die Front heranrückt und dass die Dritte Flotte schnell ausrücken muß. Dann wird natürlich der CO der Fünften wieder Standortkommandeur. Dieser sollte auf die Interessen Masters durchaus Rücksicht nehmen. Hanifa Jergian hat mehr politischen Einfluss als die halbe Admiralität zusammen.“
,Wenn Du Kotzbrocken noch einmal ihren Namen aussprichst, fange ich an zu lachen': „Natürlich, Sir.“
„Eine allerletzte Sache noch, haben Sie sich das mit meinem Sohn genau überlegt, kann man da nichts machen?“
Die Kommandeurin der Fünften Flotte blinzelte überrascht, dass er sie vor seinen Untergebenen so offen darauf ansprach: „Selbstverständlich könnte man daran etwas machen, wären Sie nicht über mich hereingebrochen, wie die Deutschen über Holland im vorletzten Weltkrieg. Aber so, ganz sicher nicht.“
Sie erhob sich und nickte zum Abschied: „Admiral, Admiral Callutschi, Commander Al-Hawari.“
Es war ihr nicht ganz klar, worüber Long sich mehr ärgerte, dass sie seine Bitte einfach ausschlug oder sich so barsch verabschiedete. Und noch während sie die Tür des Flaggbüros anstrebte, ärgerte sie sich über sich selbst. Longs Sohn eine saftige Empfehlung zu schreiben kostete sie gar nichts. Wahrscheinlich würde der Commander selbst ein Kriegsgerichtsverfahren schadlos überstehen, von daher war die Versetzung auf einen bedeutungslosen Stabsposten nichts, was dem Mann nachhaltig schaden würde, außer seinem Ansehen und vielleicht seinem Stolz und dem Ego. Ihm ein wenig Honig um den Bart zu schmieren wäre politisches Großkapital gewesen.
Ja, Long Senior war wie ein Arschloch aufgetreten und hatte sie wie einen subaltern Offizier behandelt, statt wie eine Gleichgestellte, wie es ihr als Flottenkommandantin und auch als ehemalige Vier Sterne Admiralin zugestanden hätte, dies aber an seinem Sohn auszulassen war schlechter Stil.
Während sie die Korridore zur Shuttlebay entlangging, folgte ihr Callutchi wortlos. Wer war diese Frau oder vielmehr was? War sie eine gute, erfahrene Offizierin, die sich die zwei silbernen Sterne am Kragen verdient hatte oder waren diese ihre Belohnung dafür gewesen, immer zur rechten Zeit ja gesagt zu haben? Nur zu gerne würde sich Girad der Fantasie hingeben, dass in der TSN nur die fähigsten der Fähigsten bis in die Stabsränge aufstiegen, die Anführer, die mutig, fleißig, intelligent und inspirierend waren. Aber viel zu häufig waren es jene, die machthungrig und skrupellos waren, die über die Leichen anderer guter Offiziere hinweg auf Kommandoposten befördert wurden. Selbst der Krieg hatte nicht viel daran geändert. Bescheidenheit war keine Tugend für einen Admiral und das war auch der Grund, warum sie derart kleinkariert gehandelt oder nach der Vernichtung der Knox das Kommando übernommen hatte. Da war immer noch Ehrgeiz vorhanden, nach allem, was sie zu schlucken bekommen hatte, und sie war über die Leichen von Typen wie Long zum Admiral aufgestiegen. Der Navy-Adel widerte sie einfach an, weil er immer noch versuchte vor Leuten wie ihr die Tür zuzuhalten.
Beim von Bord gehen versteckten sich alle hinter dem förmlichen Zeremoniell.
04.03.2016 07:56 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Tyr

Terra, Sitz der Regierung

Präsidentin Patricia Birmingham lauschte der ruhigen und gleichmäßigen Stimme von Charles Vance und versuchte, ein Gähnen zu unterdrücken. Nicht, dass der Direktor des TIS ein besonders langatmiger oder langweiliger Redner gewesen wäre – aber sie hatte in den letzten Tagen viel zu wenig Zeit zum Schlafen gehabt. Die Offensiven der Akarii, das Einknicken Cochranes und die Gerüchte über konföderierte Einheiten, die sich an der Grenze zur Republik formierten, Probleme mit ihren anderen ‚Verbündeten‘…
Selbst WENN sie Zeit zum Ausruhen fand, wie hätte sie ruhig schlafen können? Die Situation war so angespannt wie seit Jahren nicht mehr – und das, nachdem die Republik und ihre Bündnispartner scheinbar den Sieg schon in der Hand gehabt hatten. Und es waren nur noch einige Monate bis zu den nächsten Wahlen…

„…müssen wir damit rechnen, dass die Akarii mit ihren Diversions- und Destabilisierungsmaßnahmen fortfahren und sie sogar noch verstärken. Sie haben die Unterstützung diverser Terror- und Rebellengruppen auf unserem Gebiet aufgestockt und suchen offenbar auch den Kontakt zu Piratenbanden, die auf dem Territorium der Republik operieren. Wenn sie jetzt derartige Aktivitäten auch über das Gebiet der Konföderation koordinieren können, die Kontakte und Informationen der konföderierten Geheimdienste nutzen und ihre…neuen Freunde vielleicht sogar dazu veranlassen, selber derartige Maßnahmen einzuleiten, könnte sich dies zu einer ernsthaften Bedrohung des republikanischen Hinterlandes entwickeln. Ungeachtet des tatsächlichen Schadens, den Piraten und Terroristen verursachen können, würden die notwendigen Gegenmaßnahmen wertvolle Truppen und Ressourcen binden. Und dazu kommt natürlich noch die psychologische Komponente.
Zum Glück hält sich das imperiale Engagement bisher in Grenzen – laut unseren Analysen ist es unwahrscheinlich, dass sie Kriegsschiffe und schwere Waffen wie etwa Atomsprengköpfe weitergeben. Der Grund…“
„Sie haben keine Lust, irgendwann selber Jagd auf die Schiffe machen zu müssen, die sie den Piraten geben.“ vervollständigte Verteidigungsminister de Marco: „Erstaunlich weitsichtig vom Imperium. Aber vermutlich sind die Akarii der Meinung, dass im Augenblick kein Bedarf für kurzfristige Verzweiflungsmaßnahmen besteht.“ Es schwang viel Bitterkeit in seinen Worten mit.
Admiral Frost nickte knapp: „Außerdem herrscht auch bei den Imperialen nicht gerade ein Überfluss an frei verfügbaren Kriegsschiffen – und nur wenige Piratenbanden haben überhaupt die Fähigkeiten und die Mannschaften um größere Schiffe zu bemannen und zu führen. Natürlich könnten die Akarii einige umgebaute Frachter weitergeben…“

„Da wir schon einmal dabei sind, was ist eigentlich dran an dem Gerücht, dass das Imperium die konföderierte Flotte mit veralteten imperialen Kriegsschiffen aufstocken will?“
Wieder ergriff Nathan Frost das Wort: „Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nichts. Es ist wie mit den Piraten. Das Imperium will die CC nicht zu stark werden lassen und hat ganz einfach nicht die Reserven, um ein solches Programm ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Teilweise setzen sie schließlich schon umgebaute Frachter und andere Hilfskriegsschiffe ein, um ihr Hinterland zu sichern. Und die imperiale Admiralität dürfte nicht gerade viel von der Kampfkraft und Zuverlässigkeit der Konföderierten halten. Dass man ihnen Akarii-Technologie gibt…nein.
Aber als Alternative dazu halten wir es für nicht unwahrscheinlich, dass die Akarii erbeutete konföderierte und republikanische Schiffe an die CC weiterleiten. Die CN ist an den Umgang mit unseren Schiffen gewöhnt. Immerhin haben wir sie ziemlich großzügig damit ausgestattet. Die sonst notwendigen Anlernzeiten entfallen deshalb.
Die Imperialen setzen ihre Beuteschiffe ohnehin kaum ein, wenn man von wenigen Ausnahmen und einigen Geheimdienstoperationen absieht. Aus den gleichen Gründen, aus denen wir das nur selten tun. Es ist sehr zeitaufwendig, Mannschaften umzuschulen und die Schiffe für den Einsatz durch eine andere Spezies anzupassen. Aber wenn sie die Akarii ihre Beuteschiffe an die CC weitergeben…entfällt dieser Nachteil.
Natürlich wird die CN dadurch nicht die Verluste wettmachen können, die sie im Krieg und durch die Internierung erlitten haben. Aber eine solche Geste hätte vor allem auch eine wichtige politische Komponente. Cochrane kann seinen unpopulären Kollaborationskurs fortsetzen, und die CC positioniert sich eindeutig auf der Seite des Imperiums. Die Akarii können nur gewinnen – außer die Konföderierten fangen auf einmal wieder einen Krieg gegen das Imperium an. Und wir wissen alle, wie unwahrscheinlich das ist. Zumindest, solange Leute wie Cochrane regieren.
Und wenn die Imperialen sich irgendwann doch noch entschließen sollten, die Konföderation zu überrennen, womit frühestens in ein paar Jahren zu rechnen ist …“, jeder der Anwesenden wusste, was Frost ungesagt ließ. Die Imperialen würden nur dann die Möglichkeit dazu haben, wenn sie die TSN bis dahin besiegt hätten. „…dann machen ein paar veraltete Schiffe mehr order weniger auch keinen großen Unterschied mehr.“

Danach referierte Vance noch einmal kurz über die jüngsten Trends in der Konföderation – die Chancen, dass Cochrane bei der nächsten Wahl verlieren oder Council of Gouverneurs gleich ein Amtsenthebungsverfahren einleiten würde. Er gab sich optimistisch. Das gleiche galt für die Prognose, dass einige Planeten an der republikanisch-konföderierten Grenze die Seiten wechseln oder zumindest ihre Neutralität erklären würden. Die Grenzsysteme hatten schwer unter dem Zusammenbruch der etablierten Handelsbeziehungen zu leiden – und die von Cochrane großartig angekündigten Handelsmöglichkeiten mit dem Imperium waren für sie nicht einmal annähernd eine adäquate Entschädigung oder Alternative. Außerdem mussten sie fürchten, in einem eventuellen Konflikt mit der Republik die ersten Opfer zu sein. Auch ideell standen die Grenzplaneten der Republik näher als die Planeten, die an der konföderierten Grenze zum Imperium lagen.
Vance unterschlug auch nicht die Möglichkeit, dass die Situation in der Konföderation das Potential hatte, zu einem Bürgerkrieg zu eskalieren. Der Geheimdienst hatte bereits eine Expertenkommission gegründet, die die Chancen und Risiken einer derartigen Entwicklung abwägen und einen Maßnahmenkatalog zu ihrer Steuerung und – gegebenenfalls – Forcierung erstellen sollte. Allerdings herrschte in dieser Hinsicht innerhalb der Regierung keine Einigkeit.

Ungefähr zwei Stunden später war die Besprechung zu Ende. Allerdings bedeutete das nicht, dass der Arbeitstag der Präsidentin vorbei war, obwohl es schon nach Elf Uhr Ortszeit war. Keine fünf Minuten, nachdem Birmingham den letzten aus ihrem Beraterstab verabschiedet hatte, erreichte sie ein Anruf von John Tyler, einem aufsteigenden Stern in der republikanischen Behörde für Information (also Propaganda), dem Federal Republic Information Service.

Tyler hatte sich als Journalist und PR-Experte einen beachtlichen Ruf erworben, auch wegen seiner Bereitschaft, Risiken einzugehen und unangenehme und gefährliche Aufträge zu übernehmen. Er hatte auf Pandora gearbeitet und sich in der für die Konföderation verantwortlichen Abteilung bewährt. Er besaß gute Beziehungen zum Militär und Außenministerium. In seiner Behörde und bei seinen Bekannten war John Tyler beliebt, galt aber auch als Original. Sein ätzender Humor war nicht leicht zu ertragen, und er stellte hohe Anforderungen. Inzwischen war er zum leitenden Public Relation-Beamten für Terra aufgestiegen, und damit ein sicherer Kandidat für den nächsten Direktor der Informationsbehörde. Falls ihn nicht irgendein Skandal zu Fall brachte – oder ein neuer Präsident lieber jemanden anderen auf diesem wichtigen Posten sehen wollte.

Und genau das war auch der Grund für seinen Anruf: „Madame Präsidentin, es gibt Neuigkeiten, die Sie interessieren dürften.“
„Ich könnte eine gute Nachricht vertragen.“
„Ich fürchte, damit kann ich nicht dienen. Falls Sie aber wissen wollen, wen die Republikaner wahrscheinlich ins Rennen schicken wollen…“
„Ist es so schlimm?“
„Sie haben offenbar keine Lust, es uns zu einfach zu machen.“
„Warum sollten sie auch. Die Gelegenheit scheint günstig. Also, was den wahrscheinlichsten Kandidaten angeht…
Sie haben doch kein Gesetz gebrochen, um an diese Informationen zu kommen?“
„Halten Sie mich für einen dieser Dilettanten vom Nachrichtendienst? Ich versichere Ihnen…“
„Schon gut, sparen Sie sich das. Ich erspare es mir, so zu tun als würde ich Ihnen glauben.“
Tyler lächelte kurz und kam zum Grund seines Anrufes zurück: „Natürlich wird die Kandidatur erst nach den obligatorischen Vorwahlen und dem Nominierungskongress bekannt gegeben werden, aber das ist nur Theater. Die Entscheidung fällt üblicherweise im Kreis der republikanischen Senatoren und Ministerpräsidenten.“
„Kommen Sie auf den Punkt.“
„Nach den…Problemen der letzten Monate zeichnet sich ab, dass die Republikaner Patrick Nkuma ins Rennen schicken werden.“
Die Präsidentin runzelte die Stirn. Der Name kam ihr vage vertraut vor, aber…: „Also statt Patricia Patrick? Soll das ein Witz sein?“
„Ich fürchte, so leicht können wir uns das nicht machen. Nkuma…“
„Warten Sie, ich kenne den Namen aus dem Senat. Ein ehemaliger Militär?“
„Fünfundzwanzig Jahre Dienst im Marinekorps, bis er vor zehn Jahren im Rang eines Generals ausschied. Einsatz an diversen Krisenschauplätzen, darunter Pandora. Eine ganze Reihe Auszeichnungen. Die letzten sechs Jahre seiner Dienstzeit war er Verbindungsoffizier zum Verteidigungsausschuss des Senates.“
„Also hat er beste Kontakte – sowohl in den Streitkräften, als auch in der Politik. Und zur Wirtschaft.“
„Er hat in der Tat gute Beziehungen – aber vielleicht könnten wir bei dieser alten Rivalität zwischen Armee und Marinekorps ansetzen. Selbst in der Navy gibt es gewisse Ressentiments gegenüber den Ledernacken.“
„Ich glaube nicht, dass das der richtige Zeitpunkt ist, um die gegenseitigen Vorurteile der Teilstreitkräfte zu schüren…“
„Ich meine ja auch nicht, dass Sie eine öffentliche Werbekampagne mit diesem Inhalt lostreten sollten. Aber vielleicht sind einige unserer populäreren Armee- und Flottenführer für gewisse...Anregungen empfänglich. Nkuma wird bestimmt versuchen, alte Bekannte beim Militär zu reaktivieren. Dem sollten wir entgegenwirken. Und vergessen Sie auch nicht die Rüstungsindustrie. Nach seinem Ausscheiden aus den Streitkräften wurde Nkuma das, was man einen freien Lobbyisten nennen könnte. Er arbeitete für verschiedene Rüstungsunternehmen – vor allem im Bereich Großschiffbau. Gleichzeitig machte er eine steile Karriere in der republikanischen Partei. Er hat zwar erst eine Amtszeit als Senator hinter sich, aber da er fast sofort wieder in den Verteidigungsausschuss kam, kann man ihn nicht gerade als ein politisches Leichtgewicht bezeichnen.“
„Irgendwelche Skandale oder unsauberen Geschäfte, mit denen wir ihn festnageln können?“
„Nicht dass ich wüsste. Es lohnt sich natürlich immer, zu graben. Aber in diesem Geschäft kann man auch Unsummen machen, wenn man korrekt bleibt. Außerdem kommt mir Nkuma wie ein Mann vor, der die Streitkräfte zu sehr liebt, um für ein paar Millionen mitzuhelfen, ihnen irgendwelchen Schrott anzudrehen. Ein waschechter Patriot eben.
Natürlich kann das auch daran liegen, dass er es nicht nötig hat, auf jeden Credit zu sehen. Seine Familie rangiert unter den Top Ten von Seafort. Sie stecken tief drin im Waffen- und Schiffsbau. Die Unternehmen die die Nkuma besitzen, leiten oder an denen Familienmitglieder beteiligt sind, produzieren das Bruttosozialprodukt eines mittleren Staates. Das hat seiner Karriere natürlich nicht geschadet. Und erklärt seine Connections zur Rüstungsindustrie.“
„Ich erinnere mich…ein vehementer Befürworter des Normandy-Projektes.“
„Unter anderem. Normalerweise könnte man vielleicht mit seiner Fixierung auf militärische Belange punkten, aber in der momentanen Krisensituation…“
„Könnte es genau das sein, was die Leute wollen.“
„Sie haben Recht, Madame Präsident. Das Versprechen, dass jetzt ein ‚Fachmann‘ das Ruder übernimmt, der die Karre aus dem Dreck zieht in den sie ‚die Politiker‘ gefahren haben.“
In Tylers Stimme schwang ein ordentliches Maß an Verachtung mit. Birmingham war sich nicht sicher, wem es galt – der Sorte von Militärs, die ihre ‚unpolitische Haltung‘ wie ein Banner vor sich hertrugen, um Politik zu machen und sich an der eigenen Großartigkeit zu ergötzen – oder dem Wahlvolk, das tatsächlich so dumm war, diesen Unsinn zu glauben.
„Warten Sie…Nkuma kommt von Seafort.“
„Allerdings. Und da das System jetzt plötzlich zum Schlachtfeld geworden ist und die TSN sich bei der Verteidigung nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert hat, könnte das zu einem ernsten Problem für uns werden. Das wird ihm Sympathien bei den Grenz- und Frontwelten bringen.
Wenigstens war er nicht dort, als die Akarii angriffen. Ansonsten hätte man ihn wahrscheinlich schon längst zum Kriegshelden erklärt. Aber er war so der erste Senator, der das System und auch Masters besucht hat, nachdem die Akarii wieder abgezogen sind. Er ist gelandet, da hatten die Trümmer gerade erst aufgehört zu rauchen.
Ich habe mir ein paar der Aufnahmen von seiner Visite auf Masters angesehen…und ich weiß, wann jemand für eine Wahlkampfkampagne aufgebaut wird.
Und da er aus dem Marinekorps kommt, kann er sogar diese wunderbar tragisch-heroisch-blödsinnige Aktion der Masters-Garnison für sich nutzen.“
„Und was raten Sie mir – dass ich klein beigebe und die Umzugswagen bestelle?“ Patricia Birminghams Stimme hatte einen unangenehm scharfen Unterton gewonnen.
„Auf keinen Fall. Dann könnte ich nämlich auch gleich mit dem Einpacken anfangen. Und den Posten des FRIS-Direktors für die ganze Republik müsste ich dann auch vergessen.
Ich wollte Sie nur warnen. Es könnte knapp werden. Die Menschen wollen sich sicher fühlen. Sie wollen, dass jemand ihnen sagt, dass die Republik fest in den richtigen Händen liegt. Und, dass wir den Krieg gewinnen.“
„Wir stehen tief im feindlichen Hinterland.“
„Sie sind zu klug, um wie ein Militär zu denken. Den Menschen sind vergangene Siege ziemlich gleichgültig. Im Augenblick sehen sie nur, dass die Akarii das Sterntor-System verwüstet haben und entkommen sind, dass die Konföderation sich auf einmal für das Imperium prostituiert, und dass unsere Truppen auf der Stelle treten oder zurückweichen.
Und um die Situation noch schlimmer zu machen, ist das alles passiert, nachdem wir versichert haben, dass die Ziellinie bereits in Sicht ist.
Es hat Regierungen gegeben, die an so etwas zugrunde gegangen sind. Wir werden uns anstrengen müssen, um unser verlorenes Vertrauen zurück zu gewinnen.“

„Haben Sie noch weitere derart aufmunternde Neuigkeiten für mich?“
„Wir müssen davon ausgehen, dass die Friedensbewegung ebenfalls einen eigenen Kandidaten – oder Kandidatin – ins Rennen schickt. Natürlich haben sie keine echte Chance, aber angesichts der Stoßrichtung, in die Nkumas Wahlkampf vermutlich zielt…“
„…wird das eher uns als ihm Stimmen kosten.“
„Aber vielleicht freut es Sie, dass auch die Friedensbewegung sehr wenig von Cochrane hält.“
„Sehr witzig. Anders wäre es mir lieber – das würde sie angreifbar machen. Cochrane ist momentan in der Republik nur geringfügig beliebter, als Judas bei den Katholiken.“
„Nur weil man den Frieden will, heißt das eben nicht, dass man dumm ist. Oder sich beim Imperium anbiedert. Wissen Sie eigentlich, dass Cochrane vor ein paar Jahren versucht hat, die Friedensbewegung mit gewaltig übertriebenen Berichten über Massaker der imperialen Truppen zu diskreditieren?
Sogar für meine Verhältnisse ist sein Verhalten ganz schön schamlos. Mal abgesehen davon, dass es dumm ist. Wie glaubwürdig ist jemand, der seiner Propaganda derartige Bocksprünge abverlangt? Außerdem fällt ihm das jetzt natürlich bei seiner ‚Wir-sind-alle-Brüder‘-Rhetorik auf die Füße.“
„Und ich bin mir sicher, der FRIS schlachtet jedes passende Zitat Cochranes weidlich aus.“
„Natürlich. Auf jeden Fall hat die Friedensbewegung Cochranes Störfeuer nicht vergessen. Und was sie von jemandem hält, der einen Krieg beendet um gleich den nächsten anzufangen – und zwar gegen uns – das brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen. Da sind wir, die Republikaner und ein Großteil der Friedensbewegung gar nicht so weit auseinander. Vereint in der Abscheu…“
„Alles andere wäre auch politischer Selbstmord.
Ich erinnere mich daran, dass die Friedensbewegung schon frühzeitig für eine gerechte Kriegsbesteuerung eingetreten ist.“
„Den Gedanken sollte man vielleicht wieder aufgreifen. Eine völlig gerechte Besteuerung ist zwar utopisch – aber die horrenden Dividenden der Kriegsindustrie sind nicht beliebter geworden. Vor allem, da der Nachschub für die Front teilweise immer noch nicht klappt. Auf diese Art und Weise könnten wir Pavon vielleicht einige Stimmen wieder abjagen. Und bei Nkumas Lobbyisten-Tätigkeit ansetzen. Eigentlich mag doch niemand Lobbyisten WIRKLICH – außer die Industrie und andere finanzstarke Interessenverbände, korrupte Politiker und Satiriker…“
„Witzig, etwas Ähnliches habe ich auch über Ihre Behörde gehört.“
„Ein Kreuz, das wir eben tragen müssen.“
„Ihre Idee ist nicht schlecht, aber das wird nicht reichen.“
„Aber es ist ein Anfang. Kommen wir nun zu den anderen Punkten, die eine Rolle spielen könnten. Was das familiäre Hintergrundbild angeht ist Nkuma…“
04.03.2016 07:57 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Cunningham

Büro das CAG
TRS Columbia, Sterntor

Irons erhob sich rasch, als Admiral Girad eintrat.
„Bitte behalten Sie Platz, Commander,“, Girad blickte sich kurz um und deutete auf einen der Besucherstühle, „darf ich?“
„Selbstverständlich Ma’am, wie kann ich Ihnen helfen?“
„Sie haben nicht zufällig irgendwas zu trinken da, irgendwas Scharfes?“
„Nei… doch, Commander McQueen, Commander Cunninghams Vorgänger und wenn man es genau betrachtet auch Nachfolger hatte eingeführt, dass in der untersten rechten Schublade immer eine Flasche Scotch steht, für Notfälle.“, Irons holte eine fast halbvolle Flasche White Horse hervor, zusammen mit zwei Gläsern.
„Kann man den pur trinken.“, Girad setzte einen skeptischen Blick auf.
„Das werden wir rausfinden müssen, Ma’am, zwei Finger breit?“
Girad zeigte den kleinen und den Zeigefinger an: „Zwei Finger.“
„Ich nehme an, dann haben Sie auch einige schlechte Neuigkeiten für mich, Ma’am.“
Die Admiralin nahm ihr Glas entgegen und schnupperte. Sie prostete McGill still zu und nahm einen großen Zug: „Okay, kann man so trinken, muss man aber auch nicht. Aber zum Thema: Captain Crawford wird nach Masters versetzt und soll dort ein neues Geschwader aufbauen. Dafür braucht er Material und Piloten, und wie es aussieht muss ich ihm da die erste Wahl bei den Überlebenden der Gunriders, der Fast Eagles und des Flying Circus geben. Wahrscheinlich werden Sie Material an ihn abgeben müssen und vielleicht wird er auch versuchen bei den Piloten der Angels zu räubern.“
„Scheiße, schon jetzt sieht es ganz finster mit Ersatz für die beiden Jagdbomberschwadronen aus. Hier in Sterntor werden keine Thunderbolts hergestellt und alles was hier vorbei kommt, ist für die Front bestimmt. Ich kann mich noch daran erinnern, wie über den logistischen Alptraum gemeckert wurde, weil man Ersatzteile für unterschiedliche Maschinen braucht, als die Royal Flush Gang noch Mirage flog. Alles was hier im System an Thunderbolts durchkommt ist für die Front bestimmt, und uns zählt man da zurzeit nicht als bedürftig zu.“
„Und solange die Columbia nicht zumindest durch die notdürftigsten Reparaturen durch ist, hat Masters Vorrang,“, entgegnete Girad, „und solange Long, ich meine natürlich Admiral Long im System ist, kann ich daran auch wenig ändern. Was die Thunderbolts angeht, hat die Akademie hier nicht eine Schwadron Thunderbolts als Ausbildungsmaschinen?“
„Das stimmt schon, nur wenn ich denen neun Thunderbolts mopse, dann sieht es mit deren Kapazitäten ziemlich mau aus und Gold und Silber sind dann erst auf Sollstärke, da sind noch keine Reservemaschinen drin. Darüber hinaus glaube ich nicht, dass Admiral Sandoval eine seiner kostbaren Maschinen herausrückt.“
„Jackson Sandoval? Sandy Sandoval? Ich bin mir sicher, ich kann Ihnen ihre Maschinen besorgen, Commander. Ich frage mich, wann sie den zum Admiral gemacht haben.“
Irons wirkte etwas skeptisch: „Die Fliegerakademie ist nur formell der Fünften Flotte unterstellt, er könnte sich weigern und würde bei seinem Ruf vermutlich sogar damit durchkommen.“
„Wissen Sie, Jack Sandoval ist vermutlich noch viel besser als sein Ruf vermuten lässt. Darum wird er sich mit Sicherheit auch nicht weigern uns zu helfen. Er hat in der Vierten Flotte gedient, ehe die Navy ihn mit dem Aufbau der Akademie auf Seafort beauftragt hat. Einer seiner Staffelführer befehligte noch uralte Phantome, bekam aber auf dem Nachschubweg kaum noch brauchbare Ersatzteile. Während des Landgangs ist dieser Staffelführer mit Mechanikern und Piloten losgezogen und ist in einen Stützpunkt der regionalen Miliz eingebrochen und hat gut zwei Tonnen Ersatzteile geklaut. Sandy hatte dafür gesorgt, dass das Geschwader zusammenlegt und Milizpiloten und –techniker mit über zehntausend Credits bestochen wurden. Als die Geschichte rauskam, hat sich Sandy vor seine Leute gestellt und sein Hauptargument war und ich zitiere: ,Meine Hellcats sind im Kampfeinsatz, meine Staffeln müssen fliegen. Geben Sie mir Nighthawks oder ordentliche Ersatzteile.‘ Ich habe damals all jene zurückgepfiffen, die ihm und seinen Leuten ans Leder wollten und ich habe damals dafür gesorgt, dass die Hellcats ihre Phantome durch Nighthawks ersetzt bekamen. Sandy weiß, wie es ist Not zu leiden und er weiß wie wichtig das ist, Kameraden aus dem Dreck zu ziehen.“
„Das würde uns schon weiterhelfen, Ma’am.“
„Kommen wir zu einem anderen Punkt, mit Captain Crawfords Versetzung nach Masters wird hier auf der Columbia eine wichtige Position frei.“, Girad zog eine kleine schwarze Box aus der Hosentasche.
Irons blickte der Admiralin fest in die Augen, während eine gierige Stimme in ihrem Hinterkopf loskrakelte sie solle zugreifen, jetzt, sofort: „Bitte bieten Sie mir das nicht an, Ma’am.“
Girad blinzelte überrascht: „Darf ich fragen, warum nicht?“
„Weil ich dann, wenn ich nicht total auf die Ersatzbank geschoben werden will, ohne lange zu überlegen zugreifen müsste, weil es wohl meine letzte Chance wäre. Sehen Sie, ich bin Reservistin und im Gegensatz zu anderen Staffelführern bei den Angels reichlich alt für meinen Rang. Ich weiß, ich bin eine ganz ausgezeichnete Kommandeurin meiner Staffel und ich weiß auch, dass ich dabei war mich auf dem Posten als Geschwader-XO zu etablieren und einzuarbeiten. Aber ich hatte nicht mehr damit gerechnet, diesen Schritt überhaupt zu machen. Mit Sicherheit bin ich eine der besonnensten Offizierinnen im Geschwader und in Sachen Gefechtstaktik muss ich mich hier hinter niemanden verstecken, aber ich hatte mit meiner Karriere eigentlich schon abgeschlossen und war in die zweite Reihe zurückgetreten. Ich habe nicht mehr damit gerechnet in diesem Geschwader auf den Posten des XO berufen zu werden. Als Commander Burr übernahm dachte ich, dass jemand anderes diesen Posten übernehmen würde. Ich hatte das zweifelhafte Glück, dass eine Staffelführerin gerade gefallen war und das Commander Burr mit … jemand anderen nicht auf der gleichen Wellenlänge lag. Und ich wunderte mich, warum ich Commander Durfee vorgezogen wurde.“
„Sie kennen Commander Durfees Krankengeschichte sicherlich so gut wie jeder andere an Bord, Trisha, da ist es wenig verwunderlich, dass er nicht auf diesen Posten berufen wurde.“
Irons nickte: „Das ist wahr, aber was ich eigentlich sagen will, ich habe den Fehler gemacht, mich nicht auf diese Eventualität vorzubereiten, und ich war ehrlich gesagt nicht bereit den Posten als XO auszufüllen und ich glaube ich habe hier auch noch nicht die Erfahrungen gesammelt, um den Posten des Geschwaderführers auszufüllen, Ma’am.“
„Ich denke, Sie haben sich während er Schlacht ganz ausgezeichnet geschlagen und bewährt, und ich denke, dass Sie sich auch weiterhin gut schlagen werden.“, Girad hielt ihr das Glas hin zum Nachschenken.
„Das ist möglich, Ma’am,“, Irons grinste leicht verlegen, „wir alle wachsen mit unseren Aufgaben, aber ich habe hier schon das erste Stück Flottenpolitik auf dem Schreibtisch und möchte mit Verlaub gesagt, kotzen, und das war bevor Sie mir offen gelegt haben, dass ich eventuell Material und Piloten nach Masters zu überstellen habe. Ich würde gerne noch ein wenig lernen.“
Die Admiralin zog eine Augenbraue hoch, fragte aber nicht nach: „In Ordnung, dann nehmen Sie dieses hier aber trotzdem, damit Sie beim nächsten Turnus wirklich dran sind und nicht von irgendwem übergangen werden.“
Girad legte das dunkle Kästchen auf den Schreibtisch und schob es leicht in Richtung Irons. Diese nahm es entgegen und öffnete es. Silbernes Eichenlaub und Schulterstücke eines Commanders der TSN lagen darin; wie vermutet.
„Ich lasse die Beförderungsurkunde ändern und Sie erhalten sie im Laufe des Tages, Commander.“
„Danke, Admiral.“
Girad schüttelte den Kopf: „Danken Sie mir nicht. Zum einen haben Sie sich die Beförderung verdient und zum anderen ist es meine Rückversicherung, dass sie nicht nein sagen, sollte ich niemanden für die Stelle finden.“
„Das Problem dürften Sie nicht haben, für den Posten werden sich die Bewerber im Wartezimmer gegenseitig massakrieren.“
„HA, ich will auf diesem Posten jemanden der mir zusagt und nicht irgendwen.“, Girad stürzte den letzten Scotch herunter, „danke für die Drinks, die haben geholfen den faulen Geschmack wegzuwaschen.“
„Gerne Ma’am,“, Irons erhob sich mit der Admiralin und geleitete sie zur Tür. Als diese hinter der älteren Frau geschlossen war ließ die Bomberpilotin ihre Schultern herab sacken: „Trisha, Du blöde Kuh, warum hast Du nicht einfach den Posten genommen und bist nach unten gegangen um auf Lone Wolfs Kryokammer zu tanzen. Der lacht sich gerade bestimmt den Arsch ab.“
Dass ihr Girad trotz der Ablehnung das silberne Eichenlaub gegeben hatte, verwunderte sie etwas und verzückte sie auch ein wenig. Kaum ein Flaggoffizier reagierte gut auf eine Zurückweisung. Zusammen mit dem professionellen und höflichen Umgangston stieg Girad damit in ungeahnte Höhen in ihrer Gunst.
Aber zurück zu Lone Wolf und seiner letzten Großtat. Irgendwie hatte er es geschafft, dass die Personalabteilung Mantis Beförderung zum Lieutenant Commander durchwinkt hatte. Diese Entscheidung war noch vor der Schlacht gefällt worden. Währenddessen waren sowohl Ace‘ als auch Kanos Beförderung irgendwie im Sumpf der Bürkratie stecken geblieben. Die wohl einfachste Erklärung wäre wohl, dass er bei einem Anruf bei Admiral Auson dessen Stabschef oder Adjutanten am Monitor gehabt hatte und einfach mal ganz kess nachgefragt hatte. Dieser hatte dann wohl in der Personalabteilung bei einem Zechkumpan angerufen und war direkt zur Sache gegangen: ‚He, Joe, der nervige Schwiegersohn von meinem Boss hat angefragt, wie es mit der Beförderung seiner Staffel-XO läuft, kannst Du da irgendwas machen, bevor er dem Admiral damit in den Ohren liegt? – Oh, super, ich schulde Dir was!‘





Mistral Naval Hispital, Seafort
Abteilung für Organregeneration

Melissa Auson starrte wie betäubt auf die Kryokammer, die sich mit etwa sechzig weiteren im Keller der Intensivstation, ein fast schon Lagerhallenartigen Raum, teilte. Es sind jetzt keine Menschen mehr, nur noch Tiefkühlkost. Und in einer dieser Kammern lag nun ihr Lucas, den sie für unbesiegbar und unzerstörbar gehalten hatten. Der Vater ihres Kindes. Geistesabwesend strich sie sich über den noch flachen Bauch.
Als sich jemand hinter ihr räusperte, zuckte sie erschrocken zusammen.
„Captain Auson?“ Ein Commander des medizinischen Corps der TSN hatte sich angeschlichen. Eine ältere Frau, in der weißen Sommeruniform, wie sie auf Seafort zum guten Ton gehörte. Dazu ein grüner Chirurgenkittel.
„Doktor?“
„Hildebrand, Annika Hildebrand.“, die Ärztin konsultierte ihr Computerpad, „Sie sind die Ehefrau von Commander Lucas Cunningham, Kryoeinheit sieben-zwei-nein-strich-C-vierundvierzig.“
Melissa nickte, fast ein wenig schüchtern, räusperte sich dann selbst und versuchte ihrer Stimme die gleiche Festigkeit zu geben, wie auf der Brücke der Drake, einem Zerstörer, den es in der Schlacht von Sterntor sehr schwer getroffen hatte. Soweit sie gehört hatte, waren fast siebzig Prozent der Crew umgekommen. Leute, die sie fast zwei ‚Jahre lang befehligt hatte: „Ja, die bin ich.“
„Gut, ich werde versuchen, Sie so eingehend wie möglich über den Gesundheitszustand ihres Mannes zu informieren.“, Hildebrands Stimme recht nüchtern, fast schon kalt. Etwas was sie bisher immer zu schätzen gewusst hatte. Doch eigentlich wollte sie diesmal keine harten Fakten hören. Jemand der sie in den Arm nahm und ihr zuflüsterte, es würde alles schon wieder in Ordnung kommen wäre ihr viel lieber.
Hildebrands Gesichtsausdruck machte ihr jedoch klar, dass sie dies nicht bekommen würde: „Der Commander hat sich einige schwerwiegende Verletzungen zugezogen. Als erstes wären dort einige Splitter im Rücken, nahe des Rückgrates und des Rückenmarks. Es hat sich ein Blutgerinsel gebildet, welches auf die Nerven drückt und diese mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Mitleidenschaft gezogen hat. Einer dieser Splitter ist sogar in den linken Lungenflügel eingedrungen und hat diesen zum Kollabieren gebracht. Ein durch Schock und den durch die durch den Raumanzug verabreichten Medikamente hervorgerufener Kreislaufkollaps führte dazu, dass der zweite Lungenflügel ebenfalls kollabierte.
Das sind soweit recht schwerwiegende Verletzungen, die wir jedoch allesamt wieder in Ordnung bringen können. Den rechten Lungenflügel können wir wieder herstellen. Den linken würden wir entfernen und via Regenerationstherapie im Körper neu züchten. Dazu würden wir den Commander aus der Kryostase aufwecken und in ein Heilkoma versetzen. Die Risiken eines künstlichen Komas sind heutzutage recht überschaubar. Im Anschluss daran würden wir den Commander dann wiedererwecken und damit beginnen die Nerven im Rücken zu stimulieren und nach zu züchten.“
„Warum beginnen Sie nicht schon während des Heilkomas die Nerven im Rücken zu behandeln?“
Hildebrands Blick suggerierte ihr eine dumme Frage gestellt zu haben: „Sehen Sie Captain, der Nachzüchtungsprozess des linken Lungenflügels wird eine starke Belastung für den Körper. Zusätzlich mit der Nervenstimulation zu beginnen, könnte zu Komplikationen führen.“
Melissa nickte beklommen.
„Ein weiteres Problem gibt es jedoch noch,“, diesmal war so etwas wie Mitgefühl in den Augen der Ärztin zu sehen, „zur Zeit der Notoperation Ihres Mannes war die Krankenstation der Columbia mehr als nur voll ausgelastet. Als die zweite Lunge kollabierte, war die Sauerstoffversorgung des Gehirns von Commander Cunningham für knapp drei Minuten unterbrochen.“
„Und was bedeutet das genau?“
„Das werden wir erst wissen, wenn wir Ihren Mann aus dem Heilkoma erwecken. Das menschliche Gehirn ist trotz unserer fortschrittlichen medizinischen Kenntnisse immer noch ein Mysterium für sich. Fakt jedoch ist, dass sich Kryostase alles andere als positiv auf das Gehirn auswirkt. Kurzfristige Amnesie ist eine der harmloseren Auswirkungen. Dies ist der Hauptgrund, warum ich den Commander, wie auch alle anderen Patienten“, Hildebrand machte eine ausholende Geste, „so schnell wie möglich aus dem Frostkammern herausholen möchte.“
„Und das Heilkoma ist die bessere Alternative?“
Die Ärztin nickte enthusiastisch: „Eine viel bessere, Ma’am. Es bietet uns die Möglichkeit den Patienten mit äußeren Einflüssen zu stimulieren. Die körperlichen Selbstheilungskräfte sind mitunter phänomenal. Musik, abgespielte Nachrichten von Freunden und Bekannten, vorgelesene Geschichten.“
Das klang alles zu gut um wahr zu sein. Melissa faste die Ärztin scharf ins Auge: „Und in wie vielen Fällen schlagen diese phänomenalen Selbstheilungskräfte an?“
„Etwa in einem von fünftausend Fällen, Captain,“, gestand die Ärztin ein ohne langes Zögern ein, „dennoch ist dies der Weg bei einer Behandlung. Darüber hinaus ist es nicht gesagt, dass Ihr Mann zu diesen Grenzfällen gehört, sondern einfach nur sehr schwer verletzt ist. Aber genau dies werden wir erst wissen, wenn wir den Weg schon weit über die Hälfte hinausgegangen sind.“
„Ich verstehe. Wann beginnen Sie mit der Behandlung, Doktor?“
„Ende der Woche, Captain. Wir haben da noch einige erstere Fälle, die wir unbedingt früher aus den Kammern holen müssen. Sie haben also reichlich Zeit, wenn Sie irgendwelche Audioaufzeichnungen für Ihren Mann vorbereiten möchten.“
„Danke.“
04.03.2016 07:57 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Cattaneo

Headhunters

Sterntor-System, TSN-Flottenverband, CAV Columbia, einige Tage nach dem Rückzug der Akarii

Lieutenant Commander Tatjana Pawlitschenko alias Lilja war sich darüber klar, dass sie sich in einer potentiell gefährlichen Situation befand, und nicht auf Hilfe zu rechnen hatte. Ihre Flügelfrau bei diesem Unternehmen hatte schon eine Weile vorher aussteigen müssen, und so stand sie einer gegnerischen Übermacht gegenüber, Feinden, die mindestens so gut waren wie sie selbst, vermutlich sogar deutlich erfahrener. Wenn sie auch nur die Spur von Schwäche zeigte, war sie verloren, dann würde die sie gnadenlos fertigmachen. Ihr blieben nur ihre Entschlossenheit und Kaltblütigkeit, die ihr schon so oft geholfen hatten.
„Ich gehe mit, und erhöhe um fünf.“ verkündete sie.
Sie war sich der bohrenden Blicke bewusst, die von allen Seiten auf sie gerichtet waren, Blicke, die nach jedem noch so kleinen Hinweis suchten, ob die Russin bluffte oder wirklich ein gutes Blatt hatte. Ihre Gegner, sowohl die aktiven als auch die ausgeschiedenen, gehörten keineswegs nur zu den Angels, im Gegenteil. Die meisten waren Angehörige anderer Geschwader, Piloten, die nach der Vernichtung oder schweren Beschädigung ihres Mutterschiffes Zuflucht auf dem schweren Träger der Pegasus-Klasse gefunden hatten. Es waren also Männer und Frauen, die Lilja nicht kannten. Und wenn es etwas gab, das Lilja konnte, dann ihre Miene und ihr Verhalten kontrollieren und anderen etwas vorzumachen. Da hatte sie noch ganz andere Dinge verheimlicht als das Blatt in ihrer Hand.
Aber das reichte offenbar nicht immer, wie sich im weiteren Verlauf der Runde zeigte. Eine der verbleibenden Mitspielerinnen, ein Second Lieutenant mit südländischem Einschlag, war sich ihres Blattes sicher genug, um nicht auf Lilja reinzufallen. Sie warf ein paar Credits auf den Tisch: „Ich will sehen.“
Seufzend deckte die Russin ihr Blatt auf. Angesichts der wirklich miserablen Karten brandete ringsum bei den bereits ausgeschiedenen Spielern eine Mischung aus Gelächter und Stöhnen auf. Wenn sie das gewusst hätten, tja dann...
Die Russin grinste schief. „Noch eine Runde für alle…“
Der Bereitschaftsstatus war zwar gelockert worden, besonders für die Piloten der anderen Geschwader. Aber eigentlich sollte kein Alkohol ausgeschenkt werden. Die Piloten tranken deshalb Softdrinks – die aus einigen dezent versteckten Flaschen ,gestreckt’ wurden.
Die Teilnahme an Glücksspielen war eigentlich nicht Liljas Art, und auch nicht der lockere Umgang mit den Vorschriften was den Konsum von Alkohol betraf. Sie kultivierte normalerweise eine spaßresistente Dienstauffassung und gab ihr Geld lieber für andere Dinge aus, und so ungesellig wie sie von Natur aus nun einmal war, drängte es sie normalerweise nicht in die Gegenwart von Kameraden, abgesehen von dienstlichen Belangen und der Handvoll Freunde die sie hatte. Sie nahm gelegentlich – mehr aus moralischen Gründen – an staffelinternen Runden teil, und hin und wieder auch an Spielen außerhalb ihrer eigenen Einheit. Dann allerdings verfolgte sie meistens irgendein Ziel. So wie jetzt. Sie hatte eine Zeit gebraucht bevor sie verstanden hatte, dass auch ein Kommandant manchmal ein Stück weit Kamerad sein musste, ohne den Unterschied zwischen den Rängen ganz zu vergessen. Selbst wenn er oder sie, metaphorisch oder wortwörtlich, von Schützenloch zu Schützenloch ging. Lilja machte so etwas seltener als viele andere Offiziere, vielleicht auch seltener als optimal gewesen wäre, denn es fiel ihr nicht gerade leicht. Vertraulichkeit bedeutete stets, auch ein Stückweit aus sich selbst herauszugehen. Hätte sie nicht so lange als XO unter einer Vorgesetzten wie Lightning gedient, sie hätte vielleicht niemals verstanden, dass solche Momente ebenso wichtig waren wie eine zünftige Standpauke, oder bedingungsloser Einsatzwillen, der die Untergebenen mitriss – und nicht vorneweg schickte.

Wenn es jemanden gab, für den der Ausdruck ,Verlorener Haufen’ zutraf, dann für Männer und Frauen wie ihre Spielgegner. Fast alle hatten nicht nur Staffelkameraden und Bekannte aus den Bodencrews und Schiffsbesatzungen verloren, sondern auch Freunde und geliebte Menschen. Viele hatten das an Hab und Gut eingebüsst, was sie Monate, wenn nicht Jahre begleitet hatte, die Quartiere, die ihnen inzwischen zum Teil mehr Zuhause geworden waren als ihre Wohnungen auf der Erde oder anderen Planeten. Ihre ,Heimat’ war bildlich gesprochen bis auf die Grundmauern abgebrannt oder stand zumindest unter Wasser. Keiner vermochte zu sagen, wohin das Schicksal sie nun verschlagen würde, aber für viele standen wohl weitere Trennungen an, und eine ungewisse Zukunft.
Lilja war dies klar, und sie fühlte mit ihnen. Ihr Schmerz war ihr keineswegs fremd. Und doch – die Piloten waren nicht nur Waffenbrüder und -schwestern, Überlebende, sie waren noch viel mehr. Viele von ihnen hatten Kampferfahrung, an sich schon ein kostbares Gut, und einige waren sogar kampfgestählte Veteranen, die seit Anfang des Krieges dabei waren. Andere gehörten zu den Neuaufsteigern, die sich durch Können, List und Entschlossenheit im Geschwaderranking den Weg nach oben in den letzten zwei, drei Jahren freigeschossen hatten. Denn auch wenn die erfahrenen, die guten Piloten häufig vorne anzutreffen waren, es war gerade diese Erfahrung und Überlegenheit, die ihnen oft ein Überleben ermöglichte. So waren auch diesmal von den Piloten der Anzac, Derflinger und Midway überproportional viele Neulinge und Durchschnittsflieger gefallen oder verwundet worden. Auch deshalb waren viele an den Überlebenden interessiert. Da waren zum einen die Kommandeure der Bordgeschwader, die mit Sicherheit nicht aufgelöst würden – Angry Angels, in gewisser Weise auch das Geschwader der Triumphe, nachdem es vor Beginn der Kämpfe gefleddert worden war. Aber auch das was von den ,schiffbrüchigen' Geschwadern übrig war, wollte die eigenen Piloten behalten, und neue für eine Wiederaufstellung gewinnen. Und dann waren da noch die Systemverteidigungsstreitkräfte, die vor allem auf Masters schwer gelitten hatten. Sie würden zwar sicher auch im System rekrutieren – ehemalige Piloten, Shuttlebesatzungen und so weiter – aber geschulte Kampfpiloten waren begehrt. Leider hatte man der Systemverteidigung, so wurde gemunkelt, ein gewisses ,Vorkaufsrecht' gegeben, aber gerade das machte Liljas Arbeit so wichtig.

Ein Stück weit erschreckte es Lilja in den seltenen Momenten, da sie sich ehrlich Skrupel eingestand, wie sehr sie inzwischen auch ihre Kameraden ein Stück weit als ,Ressource’ ansah, so wie sie in den feindlichen Piloten schon lange keine Individuen mehr sah. Das hieß nicht, dass sie ohne jegliche Empathie gegenüber den eigenen Leuten war – in Bezug auf die Akarii hatte sie sich das freilich weitestgehend abgewöhnt – doch inzwischen überwand sie Trauer um Gefallenen und Mitgefühl beunruhigend schnell. Das war eine Lektion, die sie in der ersten Kriegsphase auf die harte Tour gelernt hatte, und leider hatte es selbst in den siegreichen Jahren wenig Grund gegeben, sich das abzugewöhnen. Der Krieg wartete niemals auf einen, und er hatte keine Geduld mit Skrupeln und Trauer. Dennoch…noch vor wenigen Tagen hatte sie noch wie ein Schlosshund geheult über den Tod eines ihrer Piloten, und jetzt wollte sie schon wieder Ersatz anheuern, damit dieser zu früh wie möglich wieder in die Schlacht zurückkehrte, eine Schlacht, in der alle Erfahrung und Können das Überleben nicht garantieren konnte. ,Manchmal frage ich mich, ob ich wirklich genug essen kann, wie ich kotzen könnte.’ Dachte sie ,Nicht, dass ich nicht im Laufe des Krieges nicht genügend gekotzt hätte.’ Doch diese Skrupel kämpfte sie entschlossen nieder, nicht zuletzt weil sie ja nicht die einzige war, die sich für die verwaisten Piloten interessierte. ,Die müssen sich ja ein Stück weit vorkommen wie Arbeitsvieh, um das sich die Käufer streiten...' dachte sie mit einer gewissen Portion Bitterkeit. Sie selber war zu Anfang des Krieges mehr als einmal in einer ähnlichen Lage gewesen.
Sie war jedoch nicht nur aus Pflichtgefühl hier, wenn sie ehrlich war, zumindest nicht nur aus selbstlosem Pflichtgefühl, und das war einer der Gründe, die ihr im Magen lagen. Wenn sie sich Mühe gab, wenn sie dem Geschwader half, dann, so hoffte sie, würde das auch ihrer Staffel zugute kommen, etwa bei der Neuzuteilung von Personal und Maschinen. Und wenn sie GANZ ehrlich war, für ihre eigenen Dienstakte sammelte sie auch Pluspunkte. Schließlich würde es zu einigen Umstellungen kommen, jetzt, wo wieder einmal mehrere ranghohe Offiziere ausgefallen waren. ,Aber ich habe nun einmal eine Verantwortung als Offizierin. Niemand ist gedient, wenn ich meinen Job nicht so gut mache wie irgend möglich.’ Und dann blieb natürlich immer noch die Hoffnung auf einen Orden für sie selber, und ganz über Ehrgeiz in dieser Hinsicht war sie wirklich nicht erhaben.

Natürlich war die TSN keine Streitmacht, in der sich die Soldaten aussuchen konnten, wo sie dienten. Wenn ein Geschwader aufgelöst oder zumindest ,gefleddert' wurde – und das stand den Staffeln der Anzac, Midway und Derflinger wahrscheinlich bevor, wenn auch nicht im gleichen Maße – entschieden die Personaldienststellen, wohin die Piloten gingen. Soweit zumindest die Theorie. In der Praxis spielten natürlich auch Beziehungen eine Rolle. Das fing mit der Fürsprache von Vorgesetzten, Freunden, Verwandten und Bekannten an und ging über zur mal mehr, mal minder offenen ,Bestechung' durch Piloten und Geschwaderkommandeure, die so das Ergebnis beeinflussen wollten, hörte aber noch lange nicht damit auf. Und auch ein persönliches Versetzungsgesuch konnte helfen, vor allem wenn der entsprechende Pilot zugleich von einem ranghohen Offizier angefordert wurde.
Commander McGill hatte sich natürlich darüber Gedanken gemacht, wie sie ihrem gerupften Geschwader möglichst viele erfahrene Piloten sichern konnte, und wohl nicht nur aus Mitgefühl alles getan, damit es die ,Schiffbrüchigen' auf der Columbia so bequem wie möglich hatten. Sie war aber gelinde erstaunt gewesen, dass ausgerechnet Lilja als erste mit der Idee einer gezielten Einzelwerbung gekommen war. Andererseits – etliche der anderen Staffelchefs waren ausgefallen oder hatten einfach zuviel um die Ohren weil ihre Staffeln noch mehr dezimiert waren als die Grünen oder die Offiziere noch weniger Erfahrung als die Russin hatten.
So hatte Irons dem Vorschlag ihrer Untergebenen zugestimmt, zumal diese gleich ein paar ,Werber' an der Hand gehabt hatte, die ihr bei den Bemühungen helfen sollten. Sie hatte ihr sogar gewisse Unterstützung versprochen, wenn es darum ging, Angehörige anderer Angels-Staffeln einzubeziehen. Die Russin hatte mehrere ,Pressgangs’, wie Lightning sie in Analogie zu den Werberkommandos der Royal Navy genannt hätte, zusammengestellt und ausschwärmen lassen. Und deshalb war Lilja selber jetzt hier.

Sie wäre die erste gewesen, die zugegeben hätte, dass sie eine Menge Fehler hatte. Vielleicht hätte sie es nicht gerade anderen Menschen gegenüber eingestanden, aber zumindest sich selbst. Aber eigentlich hatte sie gedacht, dass Neid nicht dazu gehörte. Doch in diesem Moment beneidete sie eine Menge Menschen. Etwa ihre ehemalige Vorgesetzten Lightning oder ihre XO Imp. Beide hatten etwas an sich, das es ihnen leicht machte, eine Verbindung zu Menschen aufzubauen – etwas, was Lilja nur mit Mühe hinbekam. Schließlich war sie nicht hier und spielte mit den Piloten um sich zu bereichern oder die Zeit zu vertreiben. Sie wollte ihnen auf Augenhöhe begegnen, zumindest ein rudimentäres Gefühl der Kameradschaft aufbauen – damit sie ihren Offerten gegenüber aufgeschlossen waren. Ob das klappen würde, blieb abzuwarten.
Bisher hatte sie sich zumindest was das Spiel anging recht gut geschlagen. Sie war keine wirklich gute Spielerin, aber beim Bluffen konnte ihr keiner das Wasser reichen. Das war nur die halbe Miete, aber bisher reichte es. Wenigstens spielten sie nicht um große Beträge…
Sie musterte nachdenklich die anderen Piloten. Sollte sie noch einen Versuch wagen? Einmal mehr war sie sich dessen bewusst, wie schwer ihr der Umgang mit Menschen fiel, wenn nicht zumindest im Hintergrund eine klare Einteilung in Vorgesetzte und Untergebene stand, die ihren Worten Gewicht verlieh und die als Richtlinie dienen konnte. Sie wollte nicht zu plump wirken und mitten in die gute Stimmung hineinplatzen, andererseits wollte sie auch nicht zu lange warten. ,Verdammte Diplomatie!‘

Schließlich hielt sie den richtigen Augenblick für gekommen. Lilja warf die Worte nicht einfach in die Runde, sondern wandte sich direkt an die Pilotin, die gerade gewonnen hatte. Ihre Abzeichen wiesen sie als eine Angehörige des Midway-Geschwaders aus: „Hast du dir eigentlich überlegt, wie es weitergehen soll?“
Das Grinsen, das auf den Zügen der ein paar Jahre jüngeren Frau lag, verblasste etwas. Sie reagierte nicht direkt feindselig, aber doch etwas unwirsch: „Ich versteh nicht ganz, warum du mich damit löcherst. Meinst du nicht, wir haben schon genug Action gesehen? Und warum sollte ich von meinem Haufen weg wollen? Ich werde gebraucht, wenn die Fast Eagles wieder aufgestellt werden.“ In den letzten Worten lag eine gehörige Portion Trotz, nicht gegenüber Lilja, sondern gegenüber dem Universum an sich. Vermutlich war sich die Pilotin sehr wohl im Klaren darüber, wie ungewiss das Schicksal ihres Geschwaders war. Angesichts der Schwere der Schäden an ihrem Mutterschiff und der hohen Verluste sahen die Zukunftsaussichten der Midway und der Fast Eagles ausgesprochen düster aus. Aber so lange man es nicht offen aussprach, konnte man versuchen sich etwas vorzumachen.
Lilja war sensibel genug, ihren Finger nicht auf DIESE Wunde zu legen. Schließlich wollte sie keinen Streit anfangen, und wären die Plätze vertauscht gewesen, hätte sie ein solches Verhalten ,ausrasten’ lassen. Stattdessen hielt sie ihre Stimme betont ruhig: „Da hast du natürlich Recht – genug Action haben wir alle gesehen. Aber…in jedem Fall wird es Monate dauern, bis die Fast Eagles wieder fliegen können. Sie werden die Gelegenheit sicher nutzen, um das Geschwader wie die Systemstreitkräfte massiv mit Neuzugängen von hier und vom Mars zu verstärken.“ Und mit ausgeheilten Piloten aus den Krankenhäusern, aber davon sprach man nicht gerne, schon weil viele der Anwesenden diesen schmerzhaften Gang selbst erlebt hatten.
„Ich denke, wir alle haben uns eine Auszeit verdient – egal was wer-auch-immer sagt, wir Piloten haben in Sterntor unsere Pflicht getan, und mehr als das.“ Das blieb natürlich unwidersprochen.
„Nur…“ fuhr Lilja in erstem Ton fort: „Denkt irgendwer hier wirklich, dass die verdammten Echsen das auch so sehen? Werden die uns die Zeit lassen? Klar, wir haben ihnen ordentlich die Schuppen gestutzt, erst bei Karrashin und dann hier, aber wird das auch reichen? Ich meine, im Moment GLAUBEN sie vermutlich, sie haben Oberwasser – die imperiale Propaganda belügt sie ja ohnehin nach Strich und Faden, sonst hätten sie schon längst kapituliert. Und jetzt, nach ein paar wenn auch sehr verlustreichen ,Siegen’…“ Sie betonte das letzte Wort etwas höhnisch, um zu zeigen, was sie davon hielt: „Müssen wir da nicht damit rechnen, dass sie eher Druck machen? So wie wir ihnen den Arsch in den letzten Jahren versohlt haben, reicht ihnen ein blutiges Unentschieden vermutlich, um gleich wieder vom Triumph des Imperiums zu träumen. “ Die Verachtung in ihrer Stimme ließ sich mit Messern schneiden, so dick war sie: „Außerdem – ich denke, wir alle haben noch eine Rechnung mit den Echsen offen, wenn nicht vor dieser Schlacht, dann spätestens ab jetzt. Und bei den Angels kann man sich sicher sein, dass es ziemlich bald Möglichkeiten geben wird, diese Rechnung etwas auszugleichen. Wenn man was schnell wieder einsatzbereit macht und nach vorne hetzt, dann die schweren Flottenträger.“ Sie ritt absichtlich nicht auf dem Status der Angels als einer von einer Handvoll Medienlieblingen und Elitegeschwadern herum, denn das mochte bei Angehörigen anderer Einheiten durchaus auf Ablehnung stoßen. Es mochte ja Leute geben, die es als eine Ehre betrachteten, auf der Columbia zu dienen, aber das waren wohl eher Neulinge und Angehörige von Reserveeinheiten. Hass auf die Akarii war natürlich eine eher dürftige Motivation – für sie reichte er aus, aber sie wusste, das galt bei weitem nicht für alle – aber jetzt, nach den hohen Verlusten der TSN und der Bombardierung von Masters brannte die Flamme vielleicht heiß genug.

„Außerdem…“ das kam von Liljas Unterstützung – die Russin hatte, schamlos wie sie nun einmal war, den neusten Zugang ihrer Staffel breitgeschlagen ihr zu helfen, gerade weil die ehemalige Gunrider-Pilotin noch nicht den Stallgeruch der Stallions ans sich hatte, sozusagen: „…sehe ich es so. Es sieht momentan nicht gerade gut aus. Jeder hier hat Nachrichten gehört. Wenn wir Pech haben, steht uns der nächste Krieg gleich ins Haus, diesmal gegen die CC. Kann ja sein, dass man Cochrane und einige seiner Admiräle bei lebendigem Leibe häuten sollte, aber ich kämpfe lieber gegen Akarii als gegen Konföderierte. Das könnte aber leicht passieren, wenn man erst mal hier bleibt. Wer im Hinterland in Reserve ist, und sei es für die Neuaufstellung eines Geschwaders, ist Freiwild für jede Auskämmaktion, wenn sie Soldaten für Alarmeinheiten brauchen. GERADE hier in Sterntor, wo man die Leute schnellstens verlegen kann – wundert mich direkt, dass man nicht schon einige Kreuzer und Zerstörer losgehetzt hat. Deshalb würde es mich nicht überraschen, wenn sich einige Piloten die hier bleiben wollen, bald in einem Transporter Richtung CC-Grenze wiederfinden. Oder in einem Bodengeschwader hier in Sterntor. Die Piloten des Korps und der Nationalgarde haben über Masters hervorragende Arbeit geleistet, aber ich würde lieber nicht hier hängen bleiben.“ Sie lächelte schmal: „Schon gar nicht bei den Marines.“

Lilja nahm den Faden auf: „Ganz genau. Ich meine, wenn man sich bei der Columbia sicher sein kann, dann damit, dass sie bald wieder an die Front geht. Ich meine, wir haben im letzten Jahr an vier großen Schlachten teilgenommen. Beta Borialis, Tukama, Karrashin und jetzt Sterntor. Ich weiß, das klingt jetzt wie Angabe, aber das ist mehr als bei JEDEM Träger, sei es der TSN, CN oder meinethalben auch bei den Akarii im selben Zeitraum.“ Sie grinste knapp: „Klar ist das eine zweifelhafte Ehre und eine lausige Werbung. Manche sagen, das Schiff sei einfach verflucht und ziehe solche Sachen an. Aber dafür bekommen wir auch recht schnell die neusten Spielzeuge – Thunderbolts, Falcons, der ganze Kram. Ich will ja nur, dass ihr es euch überlegt. Keiner von euch muss mehr irgend was beweisen. Ihr gehört zu den Besten, aber bei den Angels habt ihr die Chance, das den verdammten Echsen bald wieder unter die Nase zu reiben.“ Sie seufzte, und das war wohl nicht unbedingt gespielt: „Klar kann man sich fragen, warum sollte man schneller als unbedingt nötig wieder an die Front gehen. Aber wenn ich an die brennenden Städte von Masters denke, und an die Jungs und Mädchen die bei der Schlacht dort draufgegangen sind…“
Das rief keine offene Rachebekundungen hervor, aber Lilja war sich sicher, dass ihre Worte nicht auf taube Ohren stießen. Egal ob man aus Patriotismus, aus Karrieregründen oder Abenteuerlust zur Flotte ging, ein Angriff auf eine TSN-Welt nagte am Selbstwertgefühl vieler Soldaten. Einer der Veteranen schnaubte, nicht direkt abfällig aber etwas sarkastisch: „Und das Angebot ist natürlich vollkommen selbstlos!“
Die Russin seufzte, dann zeigte sie ein schiefes Grinsen: „Natürlich nicht. Wir brauchen jeden, den wir kriegen können. Ihr wisst ja, wie es aussieht. Obwohl, bei MIR bleibt kaum einer von euch hängen, falls sich jemand melden sollte. Ich habe schon eine Topklasse Gunrider-Pilotin bekommen, bei der ich mir schon Sorgen machen muss, dass sie mich vielleicht überrundet…ihr wisst ja, das Ego von uns kommandierenden Offizieren…“ Besagte Pilotin deutete eine leicht spöttische Verbeugung an, die erwidert wurde: „...aber die anderen Staffeln können gute Piloten gebrauchen. Unsere Alte…“ sie benutzte diese traditionelle wenn auch despektierlich klingende Bezeichnung fast schon genussvoll: „...würde sich freuen, jedes Versetzungsgesuch zu befürworten.“
Sie machte sich nicht viele Illusionen über die Erfolgsaussichten ihrer Mission. Auch wenn sie und ihre Untergebenen Freiwillige finden konnten, war es immer noch fraglich, ob das mit der Versetzung auch klappen würde, gerade weil Masters nun einmal Priorität hatte. Aber wenn auch nur ein halbes Dutzend gute Piloten auf diese Weise zusammenkamen, wäre das schon eine gute Starthilfe. Denn zwei Dinge waren der Russin klar. Erstens, dass die Angry Angels um ihren Status als tatsächliches oder angebliches Elitegeschwader würden kämpfen müssen, hart kämpfen, nach all den Verlusten der letzten zwölf Monate. Und zweitens, dass dieser Status schon bald wieder auf die Probe gestellt werden würde, in einem Wettkampf, in dem es so etwas wie den ehrenvollen zweiten Platz nicht gab, sondern nur den Sieg – oder den Untergang. Und wenn sie die Chancen ihres Geschwaders verbessern konnte, indem sie sich als ,Kopfjägerin’ betätigte…nun, sie hatte noch ganz andere Opfer gebracht. Und vielleicht, nur vielleicht rettete sie so zumindest dem einen oder anderen Neuling das Leben, weil er eben NICHT gleich ins kalte Wasser geworfen und in ein Geschwader wie die Angels versetzt wurde.
Doch das war Zukunftsmusik. Jetzt wollte sie ihre Worte erst einmal sacken lassen, ehe sie vielleicht einen erneuten Vorstoß unternahm, vielleicht unter vier Augen: „Also, wer ist dran mit geben? Ich hab ein paar Verluste wettzumachen!“ Wenn man sie so hörte, hätte meinen können, sie fühle sich in der Runde tatsächlich wohl – eine verlorene Seele unter lauter Heimatlosen…

Passagierkreuzer Traveller, Sterntor-System, etwa zur selben Zeit

Die Traveller hatte schon bessere, zumindest ruhmreichere Tage gesehen. Vor über 60 Jahren war sie als schwerer Kreuzer der Kirow-Klasse Maria Theodorovna in Dienst gestellt worden, benannt nach der Namenspatronin des ruhmreichen Ersten Garde-Kavallerieregiments der russischen Zaren. Es war eine Tradition gewesen, für die Schiffe der Kirow-Klasse Namen aus der russischen Geschichte zu wählen, warum, wusste heute kaum noch jemand. Der Kreuzer hatte an den letzten Schlachten der Piratenkriege teilgenommen und später zur ,Fleet in beeing’ während des Kalten Krieges zwischen der Bundesrepublik Terra und dem Kaiserreich der Akarii gehört. Aber diese glorreiche Vergangenheit lag lange zurück. Im Zuge der Ausmusterung der veralteten Kreuzer ihrer Klasse war sie nicht einmal wie viele Schwesterschiffe an die damals befreundeten und im Misstrauen zum Imperium mit der TSN vereinten Streitkräfte der Colonial Navy verkauft worden. Zwar war sie dem Schrottplatz entkommen, aber nur um als ziviles Transportschiff Verwendung zu finden. Kaum ein passendes Schicksal für ein Schiff, das einmal zum Begleitschutz von Schlachtschiffen und Trägern gehört hatte und einmal ehrenhaft in den Nachrichten erwähnt worden war. Früher ein Schrecken der Piraten, musste es jetzt selber Acht geben, denn in den letzten Jahren des Krieges hatte dieses uralte Unwesen wieder zugenommen, und bedrohte selbst so große und vergleichsweise gut verteidigte Schiffe.
Schon der neue Name war symbolisch für den Werdegang des Schiffes zu nennen, denn er bedeutete einerseits soviel wie Reisender, was für ein Schiff im interstellaren Transportgeschäft eine mehr als passende Bezeichnung war. Traveller konnte aber auch als ,Zigeuner’ verstanden werden, und das war ein Wort, das in der terranischen Geschichte mitunter voll trotzigem Stolz von den damit bezeichneten Menschen, oft aber auch voll Misstrauen und Verachtung von ihren Nachbarn und Feinden benutzt worden war. Diese Vorurteile hatten Jahrhunderte überdauert, und wenn man heute Menschen so bezeichnete, ob sie nun zu einer bestimmten Ethnie gehörten oder einem Berufsstand wie etwa ,Weltraumnomaden’, die Crew kleiner Trampfrachter und dergleichen, dann war das meistens nicht als Lob gemeint.
Der ehemalige Kreuzer hatte Jahrzehnte im Transportdienst zugebracht, nicht als luxuriöses Kreuzfahrtschiff für die Begüterten, sondern für Massentransporte. Fracht, Kolonisten, weniger betuchte Sternenreisende – zehn-, wenn nicht hunderttausende Menschen waren mit ihr gereist, und Millionen Tonnen Fracht.
Ein optimistischer Mensch hätte in dem alten Kreuzer vielleicht ein Symbol der Unverwüstlichkeit der menschlichen Rasse gesehen, ein Sinnbild der Beständigkeit. Die Menschheit reiste schon so lange und routiniert zu den Sternen, dass viele Generationen von Schiffen in Ehren ergraut und schließlich ausgemustert worden waren. Aber Optimisten waren dieser Tage dünn gesät.

Im Moment freilich war sie genau das, was benötigt wurde. Als ehemaliges Kriegsschiff war die Traveller zwar nicht sehr schnell, aber verfügte über einen soliden Rumpf und starke Schilde, und ihre Bewaffnung aus vier Zwillings-Lasergeschütztürmen war besser als die vieler ziviler und militärischer Frachter. Der Schiffsverkehr zwischen der Erde und Sterntor lief zwar wieder, aber vor allem zivile Schiffseigener hatten Bedenken. Wer wusste schon, ob die Akarii nicht ein paar Minen zurückgelassen hatten – oder gar zurückkamen? Diese Befürchtungen waren zum Gutteil irrational, denn eigentlich konnte man den Kurs der Schiffe leicht so legen, dass sie eventuell gelegten Minenfeldern nicht einmal auf eine Lichtminute nahe kamen, und bei einer Rückkehr der Echsen würden diese mit den immer noch in Sterntor versammelten Kriegsschiffen mehr als genug zu tun haben. Aber Befürchtungen waren seit jeher nicht immer logisch begründet.

An Bord des Schiffes herrschte eine eigentümliche Stimmung. Die Passagiere und die Crew wussten natürlich, wohin sie reisten. Mehr noch, viele an Bord waren nicht trotz, sondern wegen des feindlichen Angriffs auf dem Weg nach Sterntor. Nicht unbedingt, um dort in dem Sinne zu helfen, wie man es in einem Kriegs- und Krisengebiet eigentlich erwartet hätte – bei zwei Milliarden Einwohnern fehlte es angesichts der zwar schweren, aber überschaubaren Schäden weder an Arbeitskräften, noch an medizinischem und technischem Material. Aber viele waren auf ihrer ganz persönlichen Hilfsmission, weil Angehörige während des Angriffs der Akarii alles verloren hatten – Heim, Arbeitsplatz, ihre Gesundheit. Jetzt, angesichts vernichtender Rückschläge zeigte sich, dass manche Bande auch über Lichtjahre hinweg Bestand hatten. Das wäre ein tröstlicher Befund gewesen, wenn die Ursache nicht so tragisch gewesen wäre. Und dann waren da jene, die nach Masters reisten, um Abschied von gefallenen Verwandten und geliebten Menschen zu nehmen. Die Zahl der Todesopfer in den Schlachten und während der Beschießung von Masters ließ sich noch immer nicht genau beziffern, aber sie lag mit Sicherheit über 10.000. Angehörige der TSN, der Spaceguard, der CAV – und Zivilisten. Allein auf Masters waren über 3.000 zivile Tote zu beklagen, und die Zerstörung des leichten Trägers Anzac hatte mehr als 1.500 Menschen das Leben gekostet, kaum eine der Leichen hatte man bergen können. Viele Männer und Frauen wurden vermisst, andere kämpften noch um ihr Leben. So reiste auf der Traveller viel Schmerz und Trauer mit, einiges an Entschlossenheit – aber wenig Freude und Hoffnung.

Daneben gab es natürlich noch jene, die geschäftlich unterwegs waren. Zum Teil hatten sie ähnliche Motive wie die übrigen Reisenden. Manche Unternehmen beorderten ihre Angestellten, die auf der nur einen Sprung entfernten Erde arbeiteten, zurück, weil sie diese brauchten oder um ein Zeichen für den Wiederaufbau zu setzen. Letzteres mochte aus taktischen Gründen geschehen – patriotisch zu erscheinen, war in Kriegszeiten immer von Vorteil und konnte das Kundenverhalten nachhaltig beeinflussen – oder ehrlich gemeint sein. Oder beides. Der Wiederaufbau auf Masters stützte sich auch auf machtvolle nationalistisch-patriotische Appelle, unterstützt von Aufrufen von praktisch allen religiösen Gruppen.
Und dann gab es natürlich diejenigen, die das Chaos und die Zerstörung vermutlich als tragisch ansahen, zugleich aber auch eine Chance darin erkannten. Jede Katastrophe bot zugleich Möglichkeiten für den Neuanfang. Nicht nur auf Masters selbst, auch im Asteroidengürtel gab es viel zu tun. Es galt, die Überreste der Kämpfe zu bergen, neue Minen und Verarbeitungseinrichtungen aufzubauen. Transportverträge mussten ausgehandelt werden, nicht zuletzt weil die Akarii eine Reihe Frachter zerstört oder beschädigt hatten, entweder im Asteroidengürtel oder als die Schiffe für die Verteidigung von Masters zwangsrekrutiert worden waren. Sicherlich würde auch die Raumverteidigung von Masters wieder aufgerüstet werden müssen. Und wie immer nach einem Angriff würde die privatwirtschaftliche und individuelle Nachfrage nach Produkten die einer wie auch immer gearteten Vorbereitung auf eine erneute Katastrophe dienten, explodieren. Niemals verkauften sich Brandschutzeinrichtungen und feuerfeste Baumaterialien besser als nach einem Großbrand…
Wer schnell war, geschmeidig und geschickt genug, und sich einige der anstehenden Aufträge sicherte, konnte ein Vermögen dabei machen, obwohl er natürlich mit der lokalen Konkurrenz zu rechnen hatte. Doch nicht jeder Gewinn ließ sich so einfach in Credits bemessen, und dennoch konnte er überaus wertvoll sein.

Die Traveller war, wie bereits erwähnt, alles andere als ein Kreuzfahrtschiff. Sie war dazu gedacht, große Mengen Menschen und Fracht verlässlich und zu moderaten Preisen ans Ziel zu bringen, nicht aber, die Reise luxuriös zu gestalten. Das merkte man nicht zuletzt an den Messeeinrichtungen, in denen die menschliche Fracht verköstigt wurde. Sie verströmten den Charme und die Eleganz einer Werksküche, und was die Auswahl und kulinarische Qualität der Speisen anging, wurden sie von den meisten Einrichtungen der Flotte in den Schatten gestellt. Nahm man hinzu, dass viele der Reisenden ihr emotionales Kreuz – oder den bekannten metaphorischen Mühlstein um den Hals – zu tragen hatten, dann überraschte es nicht, dass die Stimmung alles andere als aufgeräumt war. Nicht, dass die Passagiere alles arme Leute gewesen wären. Im Moment, kurz nachdem das System überhaupt wieder für den Reiseverkehr freigegeben worden war, stürzten sich Menschen der unterschiedlichsten sozialen Klassen auf jede Möglichkeit, ein Ticket nach Sterntor zu bekommen. Aber abgesehen von den wenigen ,Goldgräbern’ waren die meisten in ernster, je gedrückter Stimmung, und die insgesamt drei Messen hatten jede mehr als einen Zusammenbruch erlebt. Selbst wenn niemand schrie oder lauthals schluchzte, schien die Atmosphäre angefüllt vom Seufzen und von stillen Tränen.

Zwei Reisende, die an einem der Tische saßen, gehörten anscheinend nicht zu dieser bedrückten Mehrheit. Die ältere Frau, eine drahtige, kleingewachsene Erscheinung mit kurzen schwarzen, bereits deutlich ergrauenden Haaren, vertilgte ihre Portion mit einer kaltblütigen Entschlossenheit, die klarmachte, dass sowohl ihr Magen als auch ihr Gemüt Belastungen gewöhnt waren, ohne sich von Ungemach sonderlich beeindrucken zu lassen. Das Besteck hielt sie umklammert, als wolle sie damit jemanden erdolchen. Sie trug die Uniform eines Armeeoffiziers im Rang eines Lieutenant Colonels, doch einem genauen Beobachter wäre aufgefallen, dass sie wohl nicht mehr im aktiven Dienst stand, zumindest im Moment. Ihre Begleiterin, die wie sie einen mediterranen Einfluss unter ihren Vorfahren haben musste, aber deutlich junger aussah, war wesentlich besser gekleidet, mit einer dezenten Eleganz, die sowohl guten Geschmack – oder gute Beratung – als auch gute Finanzen verriet. Sie war mit ihrem Essen anscheinend weniger zufrieden, und schob die bereits bis zur Unkenntlichkeit zerpflückten Bestandteile der Mahlzeit pingelig mit dem Besteck hin und her. Freilich hatte das Menu wohl auch schon vorher nicht viel hergemacht.

Die Ältere hob schließlich ihre Augen von seinem Teller und lächelte schief: „So wie du mit deinem Essen umgehst, könnte man meinen, du spielst Schach oder Mühle.“
Die jüngere Frau schnaubte verächtlich: „Was man so Essen nennt. Wenn das so weitergeht, habe ich fünf Kilo abgenommen, wenn wir endlich eingetroffen sind.“
Sie warf noch einen angewiderten Blick auf ihren Teller, dann gab sie mit einem frustrierten Seufzen auf und begnügte sich, an einer Scheibe Brot zu knabbern. Ihre Begleiterin lachte nur: „Ich denke, darum würden dich einige Männer und Frauen die ich benennen könnte, glatt beneiden. Du solltest die Traveller als Diät-Kreuzfahrtschiff empfehlen.“
„Das ist wohl der berühmter Armeehumor, von dem ich gehört habe – oder das, was davon übrig ist.“
Francesca Mateoli und Eleni Yantais gaben ein merkwürdiges Gespann ab, wenngleich der Krieg noch deutlich groteskere Teams zusammengewürfelt hatte. Die deutlich ältere Francesca stammte von Campania, einem unbedeutenden Kolonieplaneten, den die meisten Einwohner der FRT wohl nur mit Hilfe eines großen roten Pfeils auf einer Raumkarte gefunden hätten. Die Welt war über eine einzige umständliche Sprungverbindung zu erreichen, so dass die eigentlich recht idyllische Gartenwelt überwiegend auf Selbstversorgung angewiesen war, abgesehen von einigen Rohstoffen, die wertvoll genug waren ausgeführt zu werden – und selbst das stieß auf Probleme, da jetzt die zunehmenden Piratenangriffe dafür sorgten, dass die Versicherungskosten für Frachter stiegen. Campanias Wirtschaft und mithin die von vielen seiner vielleicht einer Million Einwohner hatte sich schon vor Ausbruch der Kämpfe nur mit Mühe über Wasser halten können. Francesca war eines von sechs Kindern einer Bergarbeiterfamilie und zur Armee gegangen, weil die noch am ehesten Karrierechancen bot. Sie hatte sich von unten hochgedient, hatte verlässlich Garnisonsdienst als Panzerkommandantin versehen, was schon vor dem Krieg nicht immer ganz ungefährlich und bestimmt nicht sehr glanzvoll gewesen war, oft auf Welten, die so abgelegen waren wie ihre Heimat. Kurz vor Kriegsausbruch hatte sie eine Kompanie geführt und damit gerechnet, so ziemlich das Ende der Fahnenstange für eine Frau ihres Hintergrundes erreicht zu haben. Doch dann war es wider Erwarten schnell gegangen mit den Beförderungen. Die großen Panzerschlachten, für die die Bodenstreitkräfte ihre Soldaten gedrillt hatten, waren zwar ausgeblieben. Im Krieg gegen die Akarii hatte fast immer eine der beiden Seiten eine haushohe momentane Überlegenheit gehabt, was zumeist durch Raumschlachten entschieden wurde. Dieses Kräfteungleichgewicht hatte für den jeweils Unterlegenen dank Luftüberlegenheit oder gar Orbitalbombardements größere Truppenbewegungen fast immer unmöglich gemacht. Es sprach für sie, dass sie dennoch mit über einem Dutzend Panzerabschüssen und zwei zerstörten Luftzielen, von zahlreichen geknackten Bunkern und getöteten Infanteristen mal ganz zu schweigen, zu den hoch dekorierten Spitzenassen der Armee gehört hatte. Sie hatte zweimal einen Bronce und zweimal sogar den Silver Star erhalten, beim zweiten Mal für einen selbstmörderischen Angriff auf eine feindliche Bunkerlinie, und manche hatten ihr Aufstiegschancen bis zum General vorausgesagt – bis eine Sprengfalle ihre Karriere beendete. Zu dem Zeitpunkt hatte sie ein Regiment geführt. Als man sie aus dem Panzerwrack zerrte, als einzige der Crew die noch atmete, hätten die wenigstens viel auf ihr Überleben gesetzt. Äußerlich war sie inzwischen wiederhergestellt, doch selbst die moderne Medizin hatte einige motorische und Gleichgewichtsprobleme nicht heilen können, die als dauerhaftes Andenken zurückgeblieben waren. Zudem war der Colonel mit inzwischen über 50 Jahren langsam im Rentenalter angelangt. Sie hatte die Versetzung in den Ruhestand akzeptiert, aber mit derselben Beharrlichkeit mit der sie früher Kampfeinsätze gefahren war, ein neues Steckenpferd gefunden, nämlich die Politik, in die sie ein gut ausgebautes Netzwerk von Bekannten und ihren Namen und Ansehen einbrachte. Mochten manche Kollegen darin einen Abstieg sehen, sie hatte nie vergessen, dass es eines der Qualifikationsprogramme der Demokraten gewesen war, die ihr bei ihrem Aufstieg geholfen hatten. Außerdem waren die Republikaner mit ihren marktorientierten Ansichten bei den Bergarbeitern, aus deren Reihen sie stammte – drei ihrer Geschwister arbeiteten unter Tage – alles andere als beliebt. Und auf ihrer Welt war man Demokrat, wenn man sich ein Stück weit hoch gearbeitet hatte, ansonsten war man meistens Kommunist oder Separatist – Republikaner zu sein, das war etwas für die ,verdammten Ausbeuter’.

Eleni Yantis war in praktisch jeder Hinsicht das Gegenteil ihrer Begleiterin. Als Einzelkind einer einflussreichen und vor allem reichen Industrieellenfamilie aus dem Alpha-Centauri-System hatte sie eine erstklassige Bildung genossen. Ihre Eltern steckten tief drin im Werftgeschäft, als Zulieferer und Subunternehmer, selbst wenn sie nicht zu den ganz großen Hechten im Karpfenteich gehörten. Schon vor Beginn des Krieges hatten sie gut am Ausbau der TSN verdient, und in den letzten Jahren quollen die Auftragsbücher geradezu über.
Sie hatte Jura studiert, obwohl sie es nicht nötig gehabt hätte, je auch nur einen Credit zu verdienen, mehrere Jahre als Anwältin gearbeitet – erst für Firmenrecht, dann aber, vielleicht aus Überzeugung oder um ihre Vita aufzuhübschen, auch einige Zeit in der Strafverteidigung in ziemlich abgelegenen Systemen, in denen es fast so sehr kriselte wie auf Pandora. Aber anscheinend war die Juristerei nicht ihre Herzensangelegenheit gewesen, sondern hatte zum Gutteil gedient, um sich ein Renommee und weitere Kontakte zu verschaffen. Jedenfalls war sie in die Politik gewechselt – womit, wie einige übel gesonnene Mitmenschen meinten, sie nach ihrer Anwaltstätigkeit gleich das zweite Mal der ,dunklen Seite’ anheim gefallen war. Inzwischen war sie ein aufsteigender Stern bei den Demokraten, natürlich noch nicht sehr weit oben, angesichts ihres Alters, aber mit glänzenden Aussichten. Dazu sah sie gut aus – teils dank Jugend und Veranlagung, teils dank dezenter Nachhilfe – und wusste sich in nahezu jeder Gesellschaft zu benehmen.
Angesichts der Unterschiede zwischen den zwei Frauen war es frappierend, dass die beiden tatsächlich etwas gemein hatten – ihre Herkunft von Kolonieplaneten, und ihr politisches Engagement. Aber entgegen aller Wahrscheinlichkeiten hatten sich ihre Lebenswege schon vor dem Krieg, lange bevor sie beide in die Politik gingen, für mehrere Monate überschnitten, auf einem kleinen Planeten mitten in einem praktisch vergessenen Guerilla-Krieg, dem es gegenüber Pandora an Berühmtheit, nicht aber an Härte und Schmutzigkeit mangelte. Sie hatten sich angefreundet, die Kompaniechefin und die junge Rechtsanwältin, auch weil sie beide nicht ganz dorthin gehört hatten. Seit damals waren sie in Kontakt geblieben, und das mochte einer der Gründe sein, aus denen sie jetzt zusammenarbeiteten.

„Ich bin mir aber immer noch nicht sicher…“ das kam von Francesca: „ob ich den Sinn hinter dieser ganzen Mission verstehe. Ich meine, dass sie ein altes Schlachtross wie mich losschicken, na gut. Aber solltest du nicht…“ sie wedelte mit der Hand: „...irgendwelchen von Papas und Mamas Freunden um den…Bart…gehen,“ letztes sagte sie mit einem anzüglichen Zwinkern: „...um ein paar weitere Großspenden für den kommenden Wahlkampf lockerzumachen?“ Ihre Begleiterin schnaubte nur, nahm ihr aber die Anspielung anscheinend nicht übel. Die republikanische Partei stand traditionell deutlich besser da als die Demokraten, wenn es um die Mobilisierung von Geldern ging, und die Demokraten hatten natürlich wiederum den lokalen und Kleinklientelparteien einiges voraus – und dem kommunistisch-sozialistischem Bündnis. Diese kleineren Gruppen stützten sich dafür auf eine hoch motivierte und entschlossene Basis. Die Kommunisten und Sozialisten profitierten vermutlich auch davon, dass selbst einigen Wirtschaftsvertretern der Krieg schon zu lange dauerte.
Immerhin aber hatten Birminghams Demokraten von der verlängerten Amtsperiode und dem Aufschwung der Kriegswirtschaft profitieren können. Die Wirtschaft vergaß nie, wer ihr Aufträge zugeteilt hatte, und das war in den letzten gut sechs Jahren nun einmal der Regierungsapparat gewesen. Da wollte man kein unnötiges Porzellan zerbrechen, für den Fall dass Birmingham wiedergewählt wurde. Niemand wusste das besser als die Angehörigen der ,Kriegsgewinnler’. Diese liebenswürdige Bezeichnung war für jene reserviert, deren Unternehmen am meisten von den Kämpfen profitierten – die großen Transportfirmen, Werften, Zulieferbetriebe, Bergbaukonsortien und einige Dienstleister, von bestimmten Bauunternehmen über Logistikexperten bis zu Fachleuten für medizinische Versorgung. Und natürlich Söldner. Die Kriegskasse Birminghams war also prall gefüllt, aber das war die ihres wichtigsten Gegners ebenso.

Eleni konnte ihre Stimme nicht ganz von Bosheit freihalten, ohne freilich ihre Mitstreiterin wirklich zu verletzen: „Sicher brauchen sie mich wegen meiner überragenden intellektuellen Fähigkeiten, und weil ich denk Takt und das Fingerspitzengefühl habe, das dir fehlt – du kannst nicht mehr nur befehlen.“
„Jaja, aber für ein Date mit dir oder weitergehende Zugeständnisse werden die Kerle – und die eine oder andere Frau – sich breitschlagen lassen?“
„Touche.“ Die Stimme der jüngeren Frau wurde mit einmal fast etwas dozierend, so als befände sie sich wieder im Gericht, sicher nicht auf einer Dinnerparty oder einer politischen Veranstaltung „Vielleicht geht es einfach darum, dass wir uns gut ergänzen. Du hast Stallgeruch und Kontakte – ich auch, aber andere. Und wo du die Leute verbal am Schlafittchen packst, kann ich sie überreden, dass es eine gute Idee wäre FREIWILLIG mitzumachen. So was nennt man Synergie. Aber was den eigentlichen Zweck unsrer noblen Mission angeht…im Grunde ist es ganz einfach, warum wir hier sind. Die demokratische Partei kann sich der Wiederwahl ihrer Kandidatin nicht sicher sein. Gerade nach den letzten Rückschlägen wird man uns von drei Seiten Druck machen. Die Republikaner werden sagen, Birmingham hat dabei versagt, den Krieg richtig zu führen. Es spielt keine Rolle, dass sie vor dem Krieg partout keine höheren Steuern wollten, um das Wehretat zu erhöhen, und dass sie den Krieg sowenig haben kommen sehen wie fast alle, von ein paar Sonderlingen abgesehen.“
Ihre Begleiterin grunzte: „Paranoid zu sein, heißt ja nicht, dass nicht trotzdem jemand hinter einem her ist.“
„Exakt – wohl niemals hat das so gestimmt wie heute. Und ich möchte sehen wie die Republikaner die Sache hätten besser machen wollen. Nun, die Linken wollen Frieden und werden behaupten, Paty…“ es war schon fast skandalös wie die junge Frau den Vornamen der Präsidentin aussprach, als habe sie mit ihr auf der Schulbank gesessen „habe die Chancen verspielt Frieden zu machen so lange es noch gut für uns lief. Und die kleineren Parteien…die werden nach dem Überfall auf Sterntor die Trommeln rühren für den Schutz der Regionen, nach dem Motto die Kolonien werden nicht genug geschützt, sie würden nur personell und finanziell ausgebeutet und so weiter, und so weiter. Richtig interessant wird es nur, wenn sie sich auf einen Kandidaten einigen können, den sie ins Rennen schicken. Denn Welt für Welt können sie durchaus einiges an Leuten aufbieten. Natürlich werden wir mit gleicher Münze zurückgiften – die Republikaner da angreifen, wo sie der Wirtschaft zuviel Spielraum lassen, die Kommunisten und Lokalmatadore als halbe Verräter hinstellen und so.“
„Danke für den Nachhilfeunterricht, das hätte ich alles nicht gewusst.“
„He, mon Colonel, wischen Sie sich das Gesicht ab, da läuft etwas runter…ach so, das ist der Sarkasmus. Aber Spaß beiseite – Fakt ist, wir werden kämpfen müssen. Und das heißt, wir brauchen nicht nur Gift, Geld und Ideen…“
„Zusätzlich zu der überragenden politischen Arbeit unserer Partei in den letzten Jahren…“ „Genau…Nun, die wenigsten Wahlen gewinnt man mit ,dagegen’ allein, obwohl es das auch schon gegeben hat. Und wir können als Regierungspartei nicht mit neuartigen Ideen aufwarten, wie man es besser machen kann, denn dann müssten wir uns fragen lassen, warum wir damit nicht schon früher rübergekommen sind. Wir müssen die Leute überzeugen, dass wir es wert sind, dass man uns weiterarbeiten lässt – und dafür brauchen wir ein paar Zugpferde neben Paty und ihren Knights of Camelot.“
„Das Bild ist jetzt aber wirklich etwas veraltet. Und schief.“
„Soll heißen, wir müssen den Kampf auf der politischen Ebene so verbissen führen wie gegen die Akarii. Und wenn wir nicht mit grandiosen neuen Ideen aufwarten müssen, und uns der augenblickliche Kriegsverlauf nicht gerade hilft, müssen wir eben was anderes für die Wahlwerbung finden. Und deshalb suchen wir Zupferde, die man vor den Karren der Partei spannen kann. Bekannte Gesichter, Leute, die Nichtwähler und Unentschlossene erreichen. Die die Leute am metaphorischen Schlafittchen packen und zur Wahlurne schleifen. Normalerweise nimmt man ja die ,elder statesmen’, Schauspieler, Philanthropen…“
„Keine Anwälte…“
„Tja, die Dummen werden eben nicht weniger. Aber egal. Ich will sagen, die übliche Kohorte bieten wir natürlich auch wieder auf. Aber wir sind im Krieg, und da gibt es nichts, was besser zieht als Kriegshelden.“
Francesca grinste: „Wie mich, meinst du?“
„Ja, aber wir wollen ja nicht nur die Jahrgänge 50 plus gewinnen – obwohl, wenn genügend Altersheime für uns stimmen, kann das auch etwas bewirken.“
„Ich lass mich mal nicht darüber aus, mit welchen ARGUMENTEN du ein paar Wähler mobilisieren könntest.“
„Nicht? Na, da müssen mich meine Ohren gelegentlich getäuscht haben, wenn du mal wieder deine Häme verspritzt hast. Nun, wir haben – neben dir – auch noch ein paar andere Leute, die Helden sind UND Demokraten, oder uns schon immer unterstützt haben. Aber das genügt nicht. Wir brauchen mehr, wir brauchen neue Gesichter. Frische Helden braucht die Wahl – niemand ist schneller vergessen als das Idol von vorgestern. Am besten auch Leute ohne Parteifunktion oder auch nur Zugehörigkeit. Schließlich wollen wir nicht nur die gewinnen, bei denen wir ihre Stimme schon so gut wie sicher haben.“

Elenis Stimme klang ein wenig angewidert, während sie dies konstatierte. Wie jede vernünftige politisch engagierte und parteilich gebundene Person ging ihr die Anti-Establishment Haltung nicht weniger Bürger der Bundesrepublik gegen den Strich, aber leider konnte man auch in diesem Jahrhundert eher damit punkten, wenn man nicht zum, Apparat' gehörte. Das wäre ja noch verständlich gewesen, wenn es um Leute wie die Familie ihrer Gesprächspartnerin gegangen wäre, Menschen, die so weit ab vom Schuss lebten und für die Terra in den letzten Jahren nicht viel getan hatte. Aber diese Unart gab es auch auf den Kernwelten.
Francesca lachte spöttisch: „Das war mir schon klar. Obwohl man sich schon fragen muss, wieso manche glauben, dass ein Kriegsheld den Leuten eine Empfehlung für die Politik geben kann. Ich meine, nur weil jemand tapfer ist, muss er von Tuten und Blasen ja noch keine Ahnung haben.“ Sie grinste unverschämt: „Gibt eben nicht viele Multitalente wie mich heutzutage. Aber ich würde mich sicher nicht für regierungstauglich halten.“
„Solche Skepsis, laut genug propagiert, ist eigentlich schon einmal ein gutes Werkzeug. Manchmal mögen es die Leute, wenn sich jemand ziert. Du hast natürlich Recht, aber du weißt ja, wie es ist. Wer berühmt und bekannt ist, kann die Leute zu allem bewegen. Es wundert mich direkt, dass einige der Kriegshelden nicht schon als Werbeträger angesprochen worden sind, für Rasiercreme, Frauenmode, für Finanzprodukte...
Nun haben Helden natürlich ein Problem. Viele können nicht mehr auftreten, weil sie tot sind, und die lebenden...nun, bei denen muss man aufpassen, dass sie nicht in anderer Hinsicht ,fallen’. Dann stehen wir dumm da.“
„Nein wie furchtbar. Helden sind doch tatsächlich ganz normale Menschen.“
„Das ist der springende Punkt. Wieso sollte jemand, der tapfer ist, oder klug, oder sonst etwas – wieso sollte der auch in anderer Hinsicht perfekt sein? Automatisch immer brav seine Steuern zahlen oder ein guter Ehepartner sein, oder die Finger vom Alkohol und Drogen lassen…Totaler Schwachsinn, Menschen sind nun einmal komplex und widersprüchlich, und manchmal sind die klügsten und tapfersten Leute solche, die einen solchen Charakter haben, dass man nicht mal auf sie pissen möchte, wenn sie brennen. Aber wir stellen uns Helden nun einmal gerne auf einen Sockel – und sind enttäuscht, wenn sie nicht unseren Vorstellungen entsprechen. Zumindest tun die meisten Leute das.“

Francesca, die sich mit Fug und Recht selbst als Heldin bezeichnen konnte, hatte offenbar eine ähnliche Sichtweise. Vielleicht weil sie einige Vorzeigesoldaten kannte, die im persönlichem Umgang gelinde gesagt…problematisch waren: „Mal abgesehen davon, dass man manchmal glauben kann, dass mehr Helden ,gemacht’ wurden, als von selbst entstanden – und das ist in diesem Krieg nicht anders als in früheren.“
„Nun, wenn ein Baum im Wald umfällt und keiner hört ihn – ist er dann umgefallen? Wie viele Helden gibt es wohl, von denen keiner weiß…
Aber wenn der Baum nicht umfällt, aber du kannst genug Leute dennoch davon überzeugen, dass er am Boden liegt, und sie wollen auch GLAUBEN, dass er umgefallen ist – ist der Baum dann nicht wirklich gefallen?“
„Wenn das jetzt philosophisch wird, steige ich aus.“
Die junge Frau lachte: „Entschuldige, das kommt aus der Zeit bei Gericht. Manchmal höre ich mich etwas zu gerne reden.“ Sie wurde wieder ernst: „Aber die Sache ist eigentlich ernst. Sie wäre sogar todernst, wenn irgend so ein Vorzeigeheld echte politische Ambitionen und Fähigkeiten und einen Apparat hinter sich hätte – glücklicherweise braucht man heute mehr für einen Staatsstreich als ein paar tausend Soldaten. Wundert mich direkt, dass man nicht mehr Militärs in Regionalwahlen aufs Schild hebt, ich meine solche die kürzlich noch aktiv waren, nicht die älteren Jahrgänge. Aber um auf die Situation der Partei zurückzukommen, wir brauchen ein paar Helden, die sich vor die Kamera stellen, und für die Präsidentin eintreten. Mehr als nur ein paar, am besten welche aus einem ganzen Spektrum von Welten, Nationalitäten und sozialen Klassen. Natürlich – ihre Wiederwahl hängt nicht an uns und ein paar Vorzeigesoldaten. Wir sind ja auch nicht die einzigen, die mit so einer Mission unterwegs sind. Aber wenn wir unsere Sache gut machen, kann das ein paar tausend, zehntausende Stimmen bringen, vielleicht mehr. Wahlen sind wegen weniger gewonnen oder verloren worden.“
„Und solche Helden finden wir in Sterntor?“
„Ja, aber leider sind ein paar schon gefallen – so oder so.“ Eleni holte ein Datenpad hervor und schnaubte: „Ich habe selten eine Ware gesehen, die so schnell verdirbt wie Sympathieträger. Ich bin ein paar Möglichkeiten durchgegangen während des Fluges. Wir hatten ja schon ein paar gute Kandidaten, aber jetzt…“
Mit geistesabwesender Stimme hakte sie eine imaginäre Liste ab:
„Ich hatte zunächst an Admiral Girad gedacht. Ihr Verhalten bei der Kapitulation der Konföderierten war nicht sehr diplomatisch und rechtlich problematisch, aber beim Volk ist das vielfach gut angekommen. Die Menschen mögen es nicht, im Stich gelassen zu werden.“
„Und in ihrer Situation wäre sie bestimmt leicht zu ködern gewesen, sie will sicher wieder in den alten Rang zurück.“
„Ja, natürlich wäre es auch denkbar gewesen, dass sie wegen ihrer Degradierung und Versetzung verbittert ist, nicht nur gegenüber ihren Vorgesetzten sondern auch gegen die Politiker. Aber die Sache hat sich ohnehin erledigt – sie ist wieder in der Kritik weil sie angeblich die Verteidigung von Sterntor nicht energisch genug geführt hat…“ Ob das stimmte oder nicht spielte keine Rolle, schon der Ruch der Feigheit war pures Gift für den ,Marktwert’ eines Militärs.
„Tja, ich hatte auch an Colonel Richard Thundercloud gedacht, allein schon wegen seines tollen Ausspruchs als Antwort auf das Angebot zu kapitulieren. Ging ja breit durch die Medien. Aber er ist leider gefallen. Überhaupt fürchte ich, auf Masters werden wir sowieso wenige Freunde finden, die fühlen sich vermutlich etwas im Stich gelassen von der Flotte, und damit auch von der Präsidentin. Klar, wenn wir eine Familie von einem der Kamikaze-Piloten gewinnen könnten…aber ehrlich gesagt frage ich mich, ob sogar ich so abgebrüht bin, denen jetzt auf die Pelle zu rücken. Auf Masters müssen wir sehr, sehr vorsichtig sein, vielleicht lässt sich noch etwas machen, das geht aber nicht von jetzt auf gleich…Außerdem wird man die Ausgaben für den Wahlkampf sicher nicht gerade gerne sehen, wo man gerade Trümmer wegräumt.“
Auch wenn das alles ziemlich kalt klang, war Eleni nicht wirklich so berechnend wie sie sich gab. Aber sie wusste wie der Hase lief, und da galt nun einmal, dass nicht nur in der Liebe sondern auch in der Politik und im Krieg (oder vor Gericht) alle Mittel erlaubt waren.
„Na gut, wie weiter…ansonsten sieht es bei den höheren Chargen düster aus. Angesichts des gemischten Echos auf das Abschneiden unserer Flotte müssen wir vorsichtig sein. Es gibt da einen Kommandeur einer Kreuzerschwadron der Columbia, der erst kürzlich den Victory-Star und den Admiralsrang bekommen hat, den KÖNNTEN wir testen, aber ich bin nicht sicher.“ Sie feixte: „Der ist sogar noch älter als du…ansonsten haben wir auf den ersten Blick niemanden.“
„Und wie sieht es mit niederen Chargen aus? Sind meistens leicht zu ködern, haben ein erfrischend proletenhaftes Auftreten, das mag das Publikum, und es gibt genug von ihnen.“ Der Lieutenant Colonel im Ruhestand hatte offenbar ganz eigene Ansichten über die ehemaligen Kollegen unterhalb des Commander-Rangs, obwohl sie sich selber hochgedient hatte. Aber vielleicht bezog sich diese gelinde Verachtung auch nur auf Flottenangehörige, denn zwischen den ,Schlammwühlern’ der Army und den Flottenangehörigen gab es seit jeher Rivalitäten. Die Armee neidete der Flotte den Logenplatz im Medienrummel und die deutlich höheren Anteile am Rüstungsbudget, zudem murrte man, die Flottenangehörigen wären in Punkto Versorgung, Unterbringung und dergleichen stets besser gestellt.
„Nun, da gibt es noch gewisse Hoffnungen. Die Angels haben sogar noch ein paar lebende Helden, und wegen dieser pathetischen Serie haben die sowieso einen Wiedererkennungswert, der sie noch einiges wertvoller macht. Und ich kenne sogar jemanden von den Angels, noch aus meiner Kindheit und Jugend, sozusagen derselbe Stall wie meiner. Ihre Eltern sind noch reicher und besser vernetzt als meine. Und sie sieht toll aus…aber mit popeligen acht oder zehn Abschüssen taugt sie einfach nicht zur Heldin. Noch nicht. Aber ich denke sie kann uns helfen, die richtigen Ziele zu finden.“
„Ist das Partygirl denn politisch verlässlich, und hat genug im Kopf um unsere Kandidaten einzuschätzen?“
„Nur weil sie reich ist und aus gutem Hause kommt muss sie gleich oberflächlich und vergnügungssüchtig sein? Oh, dieser Sozialrassismus der unteren Schichten... “
„Jaja, ihr habe es ja SOOO schwer. Aber mal ernsthaft.“
„Ernsthaft? Nun, soweit ich weiß, halten sich ihre Eltern alle Optionen offen. Sie können bestens mit dem Senator von Alpha Centauri, einem Demokraten, aber wenn bei ihren Partys die Creme de la Creme der Republikaner fehlt, fresse ich einen Besen. Und Maria – so heißt sie nämlich, Maria Agyris – hat zwar die hochherrschaftlichen Kreise schon mal gelegentlich angemistet, aber sie weiß, wie der Hase läuft. Ich denke, sie wird uns helfen, soweit sie sich dabei nicht zu weit aus dem Fenster lehnen muss. Und damals wusste sie genau, wie weit sie bei wem gehen konnte.“ Die jüngere Frau grinste fast wehmütig, als sie alten Erinnerungen nachhing.

Ex-Colonel Mateoli schien das auszureichen, aber sie hatte noch andere Bedenken: „Tja, wenn du das sagst...Aber wir müssen uns noch überlegen, womit wir unsere Wahlkampfhelfer in spe bearbeiten. Ich meine, es geht ja nicht um Kriegsanleihen oder Freiwilligenmeldungen, wir können also nur bedingt die patriotische Karte zücken, außer natürlich nach dem Motte man soll nie ,auf halbem Wege das Pferd wechseln', und der Slogan ist WIRKLICH alt. Sicher, ’Trisha ist die Oberkommandierende und hat uns bisher durch den Krieg gebracht, aber das ist ja wohl eine zwiespältige Bilanz, vor allem im Moment. Ansonsten…nun, wir Soldaten sind eitel. Die Chance auf ein paar Dutzend Planeten durchs Abendprogramm zu flimmern, und sei es nur als kurzer Spot in der Werbepause, mitzuwirken bei so was Wichtigem wie einer Kriegswahl, das schmeichelt unserem Ego. Aber ob das reicht?“
Miss Yantais schien diese Besorgnis ein stückweit zu teilen: „Nun, das ist in der Tat ein Problem, das gut durchdacht werden sollte. Ich meine, klar KÖNNTE man andeuten, dass ein Engagement für die richtige Partei auch künftig förderlich sein könnte. Beruflich wie später im zivilen Leben, wenn es so was gibt.“
„Schockierend, das klingt ja nach Günstlingswirtschaft.“
Die ehemalige Rechtsanwältin lachte: „Komm schon, du hast mir oft genug erzählt, dass beim Militär die meisten Generäle, Admirals und manchmal auch niedere Dienstgrade einen mal kürzeren, mal längeren Rattenschwanz von Leuten mitschleppen, die sie fördern. Die in einem Jahrgang waren, mal zur selben Einheit gehörten, vom selben Planeten kommen oder ganz einfach Freunde sind – willst du behaupten, dass die nicht immer wieder bevorzugt wurden?“
„Klar, nur sagt das natürlich keiner so direkt. Da müssen wir genau aufpassen, wem wir das anbieten, denn wenn sich jemand auf den Schlips getreten fühlt und ein Protestgeheul wegen seiner kostbaren Integrität anfängt, kann uns das nur schaden.“
„Na, in dem Fall müssen wir unsere Freundin eben richtig ausquetschen. Und wir sollten uns die wichtigsten Kandidaten noch mal anschauen – dafür sind ja Akten da, um gelesen zu werden.“
„Akten, die wir eigentlich nicht kennen sollten…“
„Muss ja keiner wissen. Na gut, fangen wir an mit den besten Kandidaten. First Lieutenant Clifford Davis…“
04.03.2016 07:58 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Cattaneo

Einkaufsbummel

Seafort, Neu Kapstadt, Internationales Viertel, ,Sektor Grau’

Seit der Flucht der Akarii aus dem System war inzwischen mehr als eine Woche vergangen, der Alpdruck weiterer Schlachten, gar eines orbitalem Bombardements war von den Einwohnern genommen worden. Dass diese zumindest virtuelle Nahtod-Erfahrung zu einer Besinnung oder einem Umdenken bei vielen Menschen geführt hätte – wie es ja bei vielen existenziellen Bedrohungen angeblich der Fall war – konnte man freilich nicht sagen. Zumindest nicht, wenn man die Menschen und die wenigen aber auffälligen Aliens betrachtete, die im Halbwelt-Sektor der Hauptstadt von Seafort herumwuselten. Einem Sektor, der oft als Sektor Grau bezeichnet wurde, wegen der Natur der hier getätigten Transaktionen. Andere sprachen eher von Sektor Rot, ebenfalls wegen eines Teils der lokalen Geschäfte…
Weder die Militärs und zivilen Angestellten der Flotte, von denen das Stadtviertel lebte, noch die Straßenhändler, ,Unterhaltungsspezialisten’ und übrigen Bewohner legten einen Hang zur Reflexion über die Vergänglichkeit des Lebens, die Nichtigkeit persönlichen Besitzes im Angesicht des Todes und dergleichen an den Tag oder dachten daran, dass die Bilder, die vom leidgeprüften Masters über die Bildschirme flimmerten – wenn man sich dergleichen deprimierendes Material in diesem Viertel überhaupt ansah – auch auf Seafort Realität hätten werden können. Wenn überhaupt, dann waren die TSN-Angehörigen, die hierher kamen, noch entschlossener, Spaß zu haben und ihr Geld loszuwerden, und die Einheimischen noch enthusiastischer bemüht, ihnen dabei zu helfen. Sicher, der eine oder andere Einwohner behandelte die Militärs vielleicht etwas respektvoller wegen ihrer Verluste, oder, weil sie Masters nicht hatten schützen können, noch respektloser als sonst. Aber das waren die Ausnahmen. Da eine Woche an und für sich keine lange Zeit war, aber nach den Gesetzen des freien Marktes praktisch eine Ewigkeit bedeutete, konnte es wenig überraschen, dass die Straßenhändler bereits passende Erinnerungsstücke an die Kämpfe im Angebot hatten. Souvenirs aus garantiert echten Trümmern von Akarii-Raumern, Ausrüstungsteile der imperialen Marine, Sensor- und Bildaufzeichnungen, ja sogar Erinnerungsstücke an zerstörte TSN-Schiffe, falls ein Flottillenkamerad an derlei Dingen Interesse hatte. Unter der Hand wurden wahrscheinlich noch wesentlich bedenklichere Dinge angeboten – namentlich Körperteile toter Akarii, zumindest versprachen die Händler dies.

Einem aufmerksamen Beobachter wäre aufgefallen, dass bei aller Geschäftigkeit und Vergnügungssucht doch eine gewisse unbehagliche Spannung in der Luft lag. Seltsamerweise gingen zumindest viele der Einheimischen in Gruppen, vor allem an unübersichtlichen, ansonsten eher einsameren Straßenabschnitten, oder hasteten vorbei, wobei sie sich immer wieder nervös umsahen. Das lag natürlich nicht daran, dass sie fürchteten, Akarii-Kommandos könnten gelandet sein und irgendwo lauern, um sie zu töten oder zu verschleppen. Aber noch erinnerten sich genug Leute daran, dass vor einigen Wochen irgendein Irrer mit einer Machete oder einer Axt in einer dunklen Gasse zwei Menschen zerstückelt und – wenn man manchen Geschichten glaubte – ihr Blut bis in die Höhe der dritten Etage an den Wänden verteilt hatte. Als etwa zehn Tage später eine Prostituierte nur mit knapper Not einem Angreifer mit einem Messer entgangen war, hatte die Angst vor einem Serienmörder um sich gegriffen wie eine Seuche, obwohl seitdem nichts mehr passiert war, wenn man von den in solchen Situationen üblichen Gerüchten absah. Der Schock saß jedenfalls tief, denn selbst in einem Viertel wie diesem, wo gewaltsame Konflikte immer wieder vorkamen, war man so etwas nicht gewöhnt. Zudem hatten die beiden Todesopfer des ersten Angriffs nicht als leichte Beute gegolten.
Die meisten ,Besucher’ wussten nichts von solchen Geschichten, oder sie kümmerten sie wenig. Sie wollten sich amüsieren, platzten förmlich vor Selbstbewusstsein oder waren nicht mehr ganz nüchtern, folglich verschwendeten sie keine Gedanken an mögliche Risiken. Dies galt jedoch nicht für alle ,Auswärtigen’, und die klügeren waren ohnehin auf Vorsicht bedacht. In Sektor Grau bedurfte es keiner wahnsinnigen Axtmörder, damit man Geld und Gesundheit riskierte.
Die drei Navy-Angehörigen, an den Schwingen auf ihren Monturen als Piloten erkenntlich, die sich eher gemächlich ihren Weg durch das Durcheinander bahnten, gehörten offensichtlich zu denen, die lieber Vorsicht walten ließen. Obwohl sie weder übertrieben aggressiv noch besonders argwöhnisch auftraten, behielten sie ihre Umgebung wachsam im Auge – was vermutlich eher Taschendieben galt. Aber sie waren auch gegen andere Gefahren ausreichend abgesichert. Alle drei trugen Pistolen in ihren Holstern, und das schreckte wohl jeden Möchtegernräuber ab, auch wenn zwei der Landgänger Frauen waren und die Piloten ihre Hände nicht einmal in der Nähe der Waffen hatten.

Die TSN hatte seit jeher ein zwiespältiges Verhältnis zum Waffentragen durch Flottenangehörige kultiviert. Auf der einen Seite galten die Männer und Frauen – zumindest theoretisch – als fähig und verantwortungsbewusst genug, immerhin hantierten sie in Friedens- wie in Kriegszeiten mit Waffen, deren Feuerkraft eine Pistole oder Gewehr um ein Vielfaches übertraf. Der Besitz von Handfeuerwaffen war zudem in der Bundesrepublik Terra zwar Kontrollen unterworfen, aber nicht grundsätzlich verboten. Hier entschieden oft die planetaren Regierungen – es gab Welten wo praktisch jeder Erwachsene eine Waffe besitzen durfte, und andere, wie Pandora, wo es fast unmöglich war als Zivilist einer Erlaubnis zu erhalten, außer man arbeitete für die Regierung oder die Sicherheitsorgane. Oder war Söldner. Diese regionalen Unterschiede machten es schwierig, verbindliche Bestimmungen für Angestellte der Zentralregierung wie eben Soldaten zu treffen. Natürlich war es alles andere als förderlich für das Ansehen der Truppe, wenn Militärangehörige mit ihren Dienstwaffen (oder auch nur privatem Besitz) Unheil anrichteten. Das fing mit saufseligem Herumgeballere, Sachbeschädigung und schlichten Bedienungsfehlern an und reichte über Waffengebrauch in privaten Streitigkeiten bis hin zu Raubüberfällen und (in seltenen Fällen) kaltblütigem Mord. Letzten Endes hatte man sich zu dem geradezu salomonischen Urteil durchgerungen, dass die Angehörigen der Armee, Flotte und des Marineskorps und allen anderen Voll- oder Teilzeitmilitärs ihre Dienstwaffen auf Freigang nicht mitnehmen durften, wohl aber privat erworbene und registrierte Handfeuerwaffen, die nicht gegen zivile Bestimmungen verstießen. Soldaten galten dabei grundsätzlich als Personen die zum zivilen Waffenbesitz qualifiziert waren, vorausgesetzt auf dem jeweiligen Planeten herrschten nicht besonders drakonische Bestimmungen, in dem Fall mussten ihre privaten Waffen auf dem Stützpunkt bleiben. Außerdem gab es Einzelpersonen und Gruppen, gegen die spezielle Sperrvermerke vorlagen, wie seinerzeit gegen die Bewährungssoldaten in den ersten Monaten nach ihrer Haftentlassung. Aufgrund dieser Rechtslage besaßen nicht wenige Soldaten neben ihren Dienstwaffen auch privat erworbene Pistolen, etwa als Reservewaffe für den Notfall, als Andenken – zum Beispiel konföderierte oder sogar modifizierte imperiale Modelle – oder weil sie einen bestimmten Typ vorzogen. Gewehre aller Sorten waren seltener, aber auch das kam vor.
Natürlich wurden diese Bestimmungen immer wieder umgangen. So fanden viele Soldaten, die etwa einen Transport begleiteten, nichts dabei, mal unterwegs Pause oder auch einen kleinen Abstecher zu machen, und natürlich legten sie dabei ihre Pistolen nicht ab. Die Militärpolizei sah meistens durch die Finger, sei es aus Solidarität oder weil sie sich nicht mit Papierkram herumärgern wollte – oft deckte irgendein Vorgesetzter seine Untergebenen, und sei es nur um den nicht gerade beliebten MP’s eins auszuwischen. Dann waren die Schuldigen eben auf irgendeiner obskuren Mission gewesen, und hatten das Recht gehabt, ihre Waffen mitzuführen, und die MP musste sie wieder laufen lassen. Solche Erfahrungen waren mehr als frustrierend, und viele Polizisten – zivile wie militärische – wollten ihre Nerven schonen und keine Zeit vergeuden.

Die offensichtliche Anführerin des armierten Trios – auch wenn sie nicht die Richtung wies – war eine durchtrainierte Frau mit den Abzeichen eines Lieutenant Commanders. Ihr vernarbtes Gesicht wirkte hart und entschlossen, und sie bewegte sich mit einer Selbstsicherheit die schon an Arroganz grenzte. Ihre Begleiter waren beide Second Lieutenants, und die zweite Frau der Gruppe, die ein Stückchen größer und kräftiger als ihre Vorgesetzte war, sah ebenfalls aus, als ob sie Nägel durchbeißen konnte. Mit ihrem vergleichsweise muskulösen Körper, dem Bürstenhaarschnitt und einem beeindruckenden Messer am Gürtel sah sie eher aus wie eine Marineinfanteristin. Ironischerweise wirkte der einzige Vertreter des „starken Geschlechts“ noch am harmlosesten von den dreien. Es konnte folglich nicht überraschen, dass die drei nicht nur nicht belästigt wurden, selbst die allgegenwärtigen Bettler und Straßenhändler – was immer an Waren und Dienstleistungen sie auch anzubieten hatten – hielten sich eher zurück. Knight – er war der einzige Mann des Trios – war schon mehrmals auf Seafort gewesen, teils vor dem Krieg, und dann während seines Dienstes auf Geleit- und leichten Trägern. Er navigierte mit Hilfe einer Computerkarte, seiner Erinnerungen und dem, was er von Kameraden aufgeschnappt hatte. Sowohl Lilja als auch Marine, die beiden anderen Teilnehmer der kleinen Expedition, sahen sich immer wieder neugierig um, wenn sie sich nicht angelegentlich damit verlustierten, harmlose Passanten durch synchronisiertes aggressives vier-Augen-Starren zu verunsichern. Mit einer Mischung aus Fasziniertheit und Spott, in der Sicherheit dass niemand es wagen würde an ihren Worten Anstoß zu nehmen, kommentierten sie lauthals und respektlos, was sie sahen, inklusive einiger Passanten. Beide waren sie zwar keine Frischlinge oder Landpomeranzen, aber sie hatten in den letzten Jahren nicht viel Zeit auf Urlaub verbringen können, und noch viel weniger in so einem lebendigen Durcheinander wie auf Seafort.
Knight würdigte die Buden und Straßenhändler keines einzigen Blickes, außer wenn sie ihm im Weg waren, sondern lavierte gekonnt durch die engen Gassen und über die kleineren Märkte. Er hatte seinen Begleiterinnen bereits kurz vor dem Aufbruch einige grundlegende Verhaltensregeln erklärt: „Für die Straßenhändler und 90 Prozent der Marktstände braucht ihr keine Zeit zu verschwenden, und erst Recht kein Geld. Nur ein Grünschnabel oder ein Idiot ist hier allein unterwegs, Waffe hin oder her – und nur ein Gimpel kauft etwas von einem Stand, der innerhalb von maximal fünf Minuten abgebaut werden kann. Wenn du Pech hast und entdeckst zu spät das was mit der Ware nicht stimmt, findest du den Verkäufer niemals wieder, und auf der Straße stehen zu bleiben ist sowieso eine Einladung für Taschendiebe. Die Qualität ist zudem meistens ziemlich mau – mit Ausnahme der gefälschten Zertifikate mit denen sie dich bescheißen, die sind allererste Sahne. Schwarze Waren, die kannst du natürlich auf der Straße kaufen. Aber die meisten dieser Händler müssen kräftig Schutzgeld zahlen, also sind sie nicht billig, und du weißt nie, wem du Geld in den Rachen schiebst. Wenn du lieber weiße oder graue Ware kaufen willst, geh in ein Geschäft, am besten in eines mit einem gewissen Ruf. Die werden zwar auch versuchen, dich übers Ohr zu hauen, aber sie haben einen Ruf zu verlieren – und den WERDEN sie einbüßen, wenn sie zu viele Flottenleute ausnehmen. Das dürfen sie nicht übertreiben sonst landen die Leute bei der Konkurrenz. Sie wollen die Schafe scheren, nicht schlachten.“

Lilja hatte die Odyssee bisher mit Geduld hingenommen, aber langsam wurde sie anscheinend unruhig: „Sag mal, Knight, weißt du wirklich, wo du hin willst? Ich meine, das ist die dritte Sackgasse, die wir wieder zurückgehen müssen…“
Der ehemalige Bewährungspilot seufzte nur und bewies eine geradezu engelhafte Geduld, die seiner Vorgesetzten offenbar fehlte: „Das liegt vor allem daran, dass sich die Bebauung in ,Babylon’ bestenfalls dynamisch entwickelt, natürlich ohne dass man in der Stadtverwaltung wirklich mitkriegt, welche kleine Gasse durch den Bau eines Geschäftes geschlossen und welche durch einen neuen Durchbruch erweitert wird…wir kommen schon noch ans Ziel.“
Lilja grunzte: „Will ich hoffen, denn wenn Marine mir nicht bestätigt hätte, dass das Ziel sich lohnt…“
Die von Manticore stammende Pilotin nickte nur knapp. Ihre Korps-Gewohnheiten hatten sich in den letzten Jahren etwas abgeschliffen, aber an vielem aus ihrer Zeit bei den Marines hielt sie mit einer Verbissenheit fest, wie sie nur eine…eben eine Marine aufbringen konnte. Ihr Haarschnitt, die „Hundemarken“ die sie um den Hals trug und ein gewisses Faible für Waffen gehörten dazu: „Das ,Peacemaker’ ist einfach eine der besten Adressen wenn es um Waffen geht – egal ob Exotica, sogar außerirdische, Umbauten oder die neusten Modelle taufrisch auf dem Markt. Klingen aller Größen, Knüppel, Stöcke, Pistolen, Gewehre, was weiß ich noch alles. Hab’ ich zumindest gehört.“ Sie grinste, zum Teil über sich selbst und ihren schwärmerischen Tonfall. Manchmal genoss sie es, mit den Klischees ihrer früheren Waffengattung zu kokettieren: „Frag’ mich nur, warum du wusstest, wo wir hinwollen, Knight. So ein wohlerzogener Junger aus gutem Hause wie du sollte sich doch wohl nur für Duellpistolen des 19. Jahrhunderts interessieren – und schon gar nicht in solche Viertel gehen.“ Sir Evan Harold Alexanders gute Abstammung war das zweithäufigste Ziel von Witzeleien auf seine Kosten, gleich hinter seinem Gefängnisaufenthalt. Wie so oft nahm der Pilot das Gefrotzel nicht schwer. Seine Stimme klang zerstreut und er lächelte Marine flüchtig, geradezu beiläufig zu, während er praktisch ohne nachdenken zu müssen contra gab: „Das kommt davon, wenn so ein Junge in schlechter Gesellschaft ist. Ich war sogar schon mal dort, weil ich damals mit einer Jarhead zusammen war…“
Marine registrierte, dass der Pilot nicht einmal zum Schein mit ihr flirtete, ebenso wie er während ihrer bisherigen Irrfahrt weder die Straßenprostituierten, die „Auslagen“ in den verschiedenen Nachtlokalen noch irgendwelche Passantinnen angegafft und kommentiert hatte. Aus irgendeinem Grund schien sie das ungemein zu erheitern, und sie rammte Lilja spielerisch einen Ellenbogen in die Seite und zwinkerte der zwei Jahre älteren Offizierin verschwörerisch zu. So etwas wagten normalerweise nur die wenigsten, und selbst Marine, die als extrem furchtlos galt und sich als so etwas wie eine Freundin, auf jeden Fall aber als ein Schützling der Russin bezeichnen konnte, nahm sich dergleichen nur selten heraus. Die Staffelchefin verdrehte die Augen gen Himmel, nickte dann aber knapp und mit fast so etwas wie einem komplizenhaften Lächeln, das zwischen Spott, Mitleid und Sympathie zu schwanken schien.

Auch wenn es zunächst so aussah, als würde Knight eher raten als wirklich wissen, wo sein Ziel zu finden war, bogen die drei schließlich um eine Ecke, und standen unvermutet vor dem Laden, den sie gesucht hatten. Wenn „Laden“ wirklich ausreichte, denn eigentlich schien es sich um eher so etwas wie einen Supermarkt zu handeln, freilich einen der speziellen Art. Das Peacemaker machte nicht viel her, es gab keine großen Auslagen, und das Gebäude hätte auch ein geräumiges Lagerhaus sein können – doch einem guten Beobachter mochte auffallen, wie massiv die Wände waren, dass man die vergleichsweise hohen und schmalen Fenster mit Spezialglas versehen hatte, das alles unterhalb einer Rakete aufhalten konnte, und dass Eingänge, Fenster und Umgebung durch die beste Überwachungstechnik kontrolliert wurden, die man gerade so noch legal kaufen konnte. Wem auch immer das Geschäft gehörte, er hatte sich eingerichtet um zu bleiben – und schützte seine Investitionen.
Knight atmete erleichtert auf, immerhin entging er so dem drohenden beißenden Spott über seine Straßenkenntnisse, der ihn getroffen hätte, hätte die Suche noch etwas länger gedauert. Er schaute sich noch einmal etwas nervös um: „Also, ich habe es euch ja erklärt. Keine Witzeleien über krumme Geschäfte und so, das nehmen die hier nicht so humorvoll auf. Wenn wir eintreten, müssen alle Feuerwaffen entladen werden, und gebt auch wirklich alle Energiezellen ab – sie merken es sowieso, wenn jemand welche ,vergisst’, und sind ziemlich misstrauisch in solchen Fällen.“
Über den Grund brauchte er sich nicht auszulassen, die Polizei kam in diesem Viertel meistens mit erheblicher Verzögerung, wenn jemand sie überhaupt rief. Lilja schnaubte unwillig, holte dann aber gehorsam die Energiezelle aus ihrer Pistole. Und die zweite aus dem Gürtel. Und die dritte, die sie in ihrem linken Stiefel untergebracht hatte, während im rechten ihr Messer steckte. Das hinderte sie aber nicht, zu meckern: „Man sollte meinen, Soldaten mit Ausweis sind vertrauensvoll genug…aber ich verstehe schon, eine ID ist gar nicht so schwer zu fälschen, und selbst Militärpapiere kann man manipulieren…“

Bei ihrer Waffe wie der ihrer Kollegen handelte es um Privatbesitz, nicht um ihre offiziellen Dienstwaffen, obgleich die Typen identisch waren. Die Russin wusste, das was sie vorhatte würde nur für bürokratisches Durcheinander sorgen, also baute sie dem lieber gleich vor.
Nachdem Knight und Marine ihre Pistolen ebenfalls entladen und die Munition abgeliefert hatten, betraten die drei Piloten den eigentlichen Verkaufsraum. Nur jemand mit ausreichend Erfahrung hätte erkennen können, dass sie wie alle Besucher gründlich gescannt wurden.
Das Peacemaker sah im Inneren wesentlich…präsentabler aus, als man es von den meisten Geschäften dieses Stadtviertels sagen konnte. ,Außer den Nachtclubs, nehme ich an.’ Dachte Lilja süffisant.
Warum das Geschäft überhaupt in dieser eher etwas anrüchigen Gegend blieb, war eine Frage auf die es mehrere Antworten geben mochte. Einerseits wirkte der eher „rustikale“ Charme Babylons auf manche Touristen anziehend, ebenso die Atmosphäre des ,anything goes’. Andere vermuteten, dass das Peacemaker nicht GANZ so sauber war, wie es tat, sondern mitunter Waffen unter der Hand verkaufte, heimlich half Pistolen und Gewehre zu ,anonymisieren’, der Geldwäsche diente und zumindest einzelne Angestellte in ihrer Freizeit ihre Fähigkeiten an kriminelle Elemente vermieteten. Und schließlich war ,Tradition’ ein Faktor, der nicht zu vernachlässigen war. Der Waffenladen stand nun einmal schon seit einer Ewigkeit hier, und so würde es auch bleiben, vorerst.
Neben großformatigen Bildschirmen, die die verschiedenen ,Produkte’ mit entsprechender Lautuntermalung im Einsatz zeigten, gab es zahlreiche Vitrinen in denen man die Ware bestaunen konnte. Neben Feuer- und Nahkampfwaffen, teils in natura und teils als Hologramm, wurde jede Menge Zubehör angeboten, von Holstern und Pflegesets über Zielvorrichtungen bis hin zu Munition. Laser dominierten bei den Schusswaffen, aber es gab auch explosions- und sogar handgetriebene Projektilwaffen. Der Besucherandrang war erheblich, wobei die Kundschaft von scheinbar soliden Angehörigen der Mittelschicht über Männer und Frauen, die nach Fischern und Farmern aussahen, bis hin zu Subjekten reichte, denen Lilja nicht unbedingt eine Waffe anvertraut hätte. Anscheinend handelte es sich überwiegend um Einheimische – angesichts des starken Einschlags an Afrikanern unter der Bevölkerung von Seafort stachen die drei Piloten nicht nur wegen ihrer Uniform hervor.

„Ich dachte, das wäre zu mindestens 50 Prozent eine Touristenfalle – ich sehe hier aber vor allem einheimische Gewächse.“ kommentierte Marine das Treiben. Knight sah sich prüfend um, doch ehe er etwas sagen könnte, schaltete sich Lilja ein: „Na ja, woran mag das wohl liegen? Ich wette, eine Menge Leute kauft Waffen ein aus Angst, die Akarii könnten noch mal wiederkommen – Schießprügel gegen Echsen oder gegen Plünderer, wenn das Chaos losbricht…“
Marine schnaubte verächtlich: „Gegen in paar Kleinkriminelle mag das ja was nützen, aber glaubst du wirklich es gibt Leute die denken, mit einer Pistole oder einem Gewehr was gegen Imperiale ausrichten zu können? Wir reden hier immerhin von kaiserlichen Marines. Na ja, Zivilisten…“ Aus ihren Worten sprach die im Korps verbreitete Abschätzigkeit gegenüber Amateuren. Knight schien geneigt, ihr zuzustimmen, aber Lilja war offenbar anderer Meinung: „Das würde ich nicht so definitiv sagen. Natürlich könnten sie nicht viel machen, wenn die Echsen alles bombardieren würden. Oder in einem offenen Kampf gegen Schwebepanzer. Aber bei einer Bodeninvasion…ein paar motivierte Partisanen können ziemlich ärgerlich für die Besatzer werden, wenn sie entschlossen genug sind und sich klug anstellen. Natürlich wäre es besser, wenn man ihnen vorher ein paar Tricks beibringen und ein paar Ratschläge geben würde. Wenn du dann kleinere Patrouillen und Posten abballerst, nun, das ist in einem urbanen Umfeld kein Spaß – und im Umland auch nicht.“ Die Russin stammte aus einem Land, dessen Militär in seiner Geschichte mit eigenen und feindlichen Partisanen schon reichlich Erfahrung gesammelt hatte. Knight, der eine Zeitlang auf Pandora gedient hatte, dachte kurz nach, dann nickte er grimmig.
Lilja schaute sich suchend um, und steuerte entschlossen, wie selbstverständlich die Führung übernehmend, einen der Verkaufstische an.

Die junge Frau, die dahinter stand, war wahrscheinlich keine Einheimische, denn sie sah nicht so aus, als ob einer ihrer Vorfahren jemals auf dem afrikanischen Kontinent Terras gelebt hatte. Dennoch bewegte sie sich ungeachtet ihres für Seafort etwas ungewöhnlichen Aussehens problemlos unter ihren Kollegen und Kunden. Sie war hellhäutig, schlank und durchtrainiert, mit langen roten Haaren und intensiv grünen Augen. Das Namensschild wies ihren Namen als „Celina“ aus.
Sie zeigte nicht die geringste Unsicherheit angesichts Liljas Aussehen und Auftreten – wenig verwunderlich, wenn man manche Kunden betrachte – sondern lächelte freundlich: „Lieutenant Commander, Second Lieutenants, was kann ich für Sie tun? Das Peacemaker wird sich bemühen, Sie in jeder Hinsicht zufrieden zu stellen – Jagdflugzeuge führen wir hier allerdings nicht…“
Diese Bemerkung brachte ihr ein Grinsen von Marine und Knight und ein knappes Lächeln von Lilja ein, die es stets schätzte, wenn Zivilisten sich mit Rängen und Abzeichen auskannten: „Ich bin sicher, Sie können in der Tat einiges für uns tun, ich habe gehört, dass man hier auch auf Sonderwünsche spezialisiert ist…“
Marine prustete los: „Sollte das nicht der Text von Knight sein? Wenn man euch zwei so reden hört, könnte man denken…“
Die Verkäuferin grinste nur, während Knight matt lächelte: „Wenn DU sie um ein Date bitten willst, Jarhead, solltest du sie vielleicht lieber direkt fragen.“ spottete er: „Ich sollte euch ja wohl allein lassen, damit ihr Frauensachen besprechen könnte – ihr wisst schon, welche Sorte Messer in die Handtasche gehört und ob man Leute besser mit einer mattschwarzen oder stahlblanken Waffe erschießt, aber langsam weiß ich nicht, ob das so eine gute Idee war.“ Marine lachte laut auf.
Lilja, der das alles anscheinend peinlich war, warf ihren Untergebenen einen schweigenden bösen Blick zu, ließ sich aber nicht aus dem Konzept bringen. Sie signalisierte Knight mit einer Handbewegung, dass er gehen konnte: „Danke, wir treffen uns dann für den Rückweg draußen vor der Tür.“ Marine feixte. „Ich hoffe, DIR passiert nichts, wenn du allein unterwegs bist.“
Nachdem der Pilot gegangen war, wandte sich Lilja wieder der Verkäuferin zu, die das Ganze mit gewissem Amüsement beobachtet hatte.
„Also, es geht mir um Folgendes. Ich würde gerne die H-K-Pistolen von meiner Komikerbegleiterin und mir modifizieren lassen.“ Sie zog ihre entladene Pistole, ein klassisches 60-schüssiges Modell, konzipiert für Einzelfeuer und Dreier-Salven, und platzierte sie vielleicht etwas zu schwungvoll auf dem Tresen. Die Waffe kam auf der Kante zu liegen und wäre beinahe heruntergefallen, hätte Celina sie nicht mit einer blitzschnellen Bewegung aufgefangen.
Lilja zog angesichts dieser schnellen Reaktion die Augenbrauen hoch, gab aber keinen Kommentar ab. Die Russin zog einen Taschencomputer hervor, auf dessen Bildschirm sie einige Skizzen aufrief, gab aber jetzt etwas mehr Acht, wie sie sich bewegte: „Also, ich dachte daran…“

Einige Minuten lang steckten die Staffelchefin und die Verkäuferin die Köpfe zusammen, aber die Zivilistin verstand anscheinend ziemlich schnell, worum es ging.
„Verstehe. Sie wollen einen montierbaren Anschlagkolben, am besten zusammensetzbar aus leichtem, aber hochfesten Kompositmaterial. Nicht billig, es soll ja auch robust sein. Und eine montierbare Zielvorrichtung, ein Zielfernrohr mit IR oder Lichtverstärkereinrichtung, in einem stabilen Gehäuse.“ Sie pfiff durch die Zähne: „Das macht aus der Pistole praktisch einen zusammensetzbaren leichten Karabiner oder Sturmgewehr. Und wenn man es vernünftig umsetzt, ist er in einer Minute montiert und wieder auseinander genommen.“ Sie zwinkerte der Russin zu: „Misstrauische Geister könnten auf die Idee kommen, dass so eine Waffe eher was für Kriminelle oder Attentäter wäre…“
Lilja bleckte nur die Zähne. Sie klang belustigt: „Nur aus Sicht der Akarii.“
Celina nickte nachdenklich: „Das würde die sichere Feuereichweite vervielfachen, und die Waffe wäre auch leichter bei Nacht oder schlechten Sichtverhältnissen einzusetzen.“
Ein Anschlagkolben wurde natürlich nicht gebraucht, um den Rückstoß der Laserpistole abzufangen – Energiewaffen benutzten ja keine Explosionstreibsätze. Aber ein Kolben verminderte das Risiko, dass die Waffe schwankte, was beim unabgestützten ein- und auch zweihändigen Schießen mit Pistolen immer eine Gefahr war.
„Ja, das ließe sich machen. Aber wenn ich fragen darf – warum wollen Sie so eine Sonderanfertigung? Sie sind Piloten, keine republikanischen Kommandosoldaten.“
Marine grinste: „Ich war mal im Korps, und Ex-Marines gibt es bekanntlich nicht. Und meine Vorgesetzte…tja, die hat in ihrer Kindheit mit Bären gerungen und Wölfe gejagt…AUA!“ Sie rieb sich die Schulter, wo Lilja sie geknufft hatte. Die Russin lächelte böse: „Für eine Nicht-Ex-Marine war das aber eine schwache Leistung, dich einfach so von einer reinblütigen Navy-Schickse überraschen zu lassen.“
Ihre Untergebene murrte irgendetwas Unfreundliches, ohne sich die gute Laune länger als eine Sekunde verderben zu lassen: „Das ist aber das erste Mal, dass mir jemand in einem Geschäft sagt, ich solle mir eine Anschaffung noch mal überlegen…“
Die Verkäuferin zwinkerte: „Vielleicht bin ich Patriotin und will unsere Helden nicht zu sehr aufs Kreuz legen…“ ihr Grinsen wurde gespielt anzüglich: „Außer sie wollen es.“
Lilja verzog gespielt angeekelt die Nase: „Wenn man euch so zuhört…“ Übergangslos wurde sie ernst: „Nun, Marine hier…“ sie nickte ihrer Untergebenen zu: „...hat schon teilweise Recht. Sie hat ihren Spitznamen eben nicht von ungefähr. Und auch was mich angeht...sagen wir es mal so, wir haben beide ein paar gute und weniger gute Kameraden hinter den feindlichen Linien verloren. Wenn schon die Gefahr besteht, dass einem so etwas passiert, wollen wir so gut vorbereitet sein, wie es geht. Und wenn es nur darum geht, ein bisschen Begleitung mitzunehmen. Man fühlt sich einfach besser. Klar glaube ich nicht, dass ich es mit einem Planeten – oder auch nur einem Shuttle – voll Echsen aufnehmen kann.“ Ihr Gesicht nahm einen noch härteren Ausdruck an, wenn das überhaupt möglich war: „Aber die richtige Waffe sorgt dafür, dass man zu seinen Bedingungen abtreten kann, wenn nötig.“
Aus dem Mund vieler Soldaten hätte sich das nassforsch oder aufgeblasen angehört, aber bei der vernarbten Offizierin wirkten die Worte durchaus ernst gemeint. Was sie vermutlich auch waren.
Celina dachte kurz nach: „Also gut, das sollte sich machen lassen. Ich geb’s an unsere Mechaniker weiter. Sie werden entweder ihre Waffen hier lassen müssen, oder sie bestellen gleich neue – wir würden Ihnen dann für jede ein Pflegeset und für einen kleinen Aufschlag ein Holster für Waffe und Schaft liefern. Kommen wir nun dem Thema, wo bekanntlich die Freundschaft aufhört, dem Geld, den davon hängt ab wie stabil und schwer die ganze Sache wird. Gutes Material ist teuer und nicht immer leicht zu bearbeiten…“

Einige Zeit später war man sich einig geworden. Das lag weniger am Preis, denn Lilja und Marine waren offenbar bereit, für ihre extravaganten Wünsche recht tief die Tasche zu greifen. Aber sie hatten die verschiedenen Varianten gründlich durchgesprochen, bis sie sich schließlich entschieden hatten. Lilja und Marine hatten sich dafür entschieden, ihre Pistolen im Laden zu lassen, aber auch gleich ein neues angepasstes Holster zu erwerben. Als nette kleine Dreingabe hatte Celina dafür gesorgt, dass sie auch auf dem Rückweg ohne ihre Waffen nicht als leichte Beute erschienen.
Die Verkäuferin sah, dass Marine mit gewissem Interesse die Messerauslagen begutachtete: „Wollen Sie etwa auch eines davon? Wir haben hier die besten Legierungen und Klingenschmieden von ganz Seafort…“ Die junge Pilotin winkte nur ab: „Ich habe mein altes Korps-Messer, und gegen Echsen nutzen die ja ohnehin nicht viel, nicht mal gegen ungepanzerte.“ Sie feixte: „Schon mal versucht, ein Krokodil mit 'nem Dolch umzubringen? Da musst du ihm wohl ins Maul zu stechen. Ich denke, einen Akarii umzubringen ist etwa genau so einfach... “
Lilja schüttelte ebenfalls knapp den Kopf. Sie besaß bereits eine eigene Klinge, die sie meistens im Stiefel trug. Schon vor Jahren hatte sie sich diese spezielle Waffe besorgt. Das Messer hatte eine verstärkte Spitze, um auch widerstandsfähiges Material zu durchstoßen. Dazu kam gute Griffigkeit des Heftes, damit die Waffe nicht abrutscht. Und ein Gegengewicht im Knauf, damit man sie zur Not schleudern konnte. Sie wusste, in den meisten Fällen, in denen sie auf eine Echse oder auch nur auf einen feindseligen Menschen stoßen könnte, war ein Messer sinnlos, aber wenn es ums Töten ging, war die Russin Perfektionistin.
„Gut, vielen Dank für die gute Beratung. Sie geben uns Bescheid, wenn die Umbauten fertig sind, und lassen sie an uns ausliefern.“ Sie lächelte sarkastisch: „Und wir plündern dann unsere Konten.“
„Commander…“ die Verkäuferin zögerte: „Da wäre etwas, was Sie vielleicht noch interessieren könnte.“
Lilja grinste: „Was denn? Zielscheiben in Form von Akarii-Prominenten?“ Dergleichen gab es tatsächlich, und in der Vergangenheit hatte die Russin sich auch schon mal mit so etwas amüsiert, oder einen Satz für ein paar Bekannte auf der Erde besorgt.
„Schauen Sie.“ Celina ging kurz nach hinten und kam mit einem kleinen kompakten Behälter wieder. Sie öffnete ihn jedoch nicht, sondern bediente ihren Bildschirm, und auf dem Tresen nahm ein Hologramm mit Textanhang Gestalt an. Sie zappte durch die Hologramme und untermauerte damit ihre Worte: „Eine Walther P 925. Weiterentwicklung der P 902 für dezente Selbstverteidigung, macht aber keine Abstriche auf Feuerkraft und Genauigkeit. Kompaktmodell, nicht viel länger als eine Handfläche, ragt kaum über die Schützenhand hinaus, wiegt fast nichts, aber trotzdem stabil. Gibt Einzelschuss oder kurze Salven. Hat ein Hochleistungsmagazin für dreißig Schuss, ist panzerbrechend - falls ihr Einbrecher sich hinter der Garagentür verbarrikadiert, oder eine Panzerweste dabei hat. Natürlich rückstoßfrei, weitestgehend geräuschlos. Haftgriff, so dass sie nicht aus der Hand rutschen kann, er wird beim Kauf speziell ihrer Hand angepasst. Wird mit einem Tarnholster geliefert – Sie können sie am Unterschenkel, der Achselhöhle oder am Unterarm tragen. Kostet aber soviel wie ein halbes Dutzend normaler Pistolen, auch die Magazine sind entsprechend teurer. Ich dachte, das könnte Ihnen gefallen…“
Die Russin musterte die Abbildung der Waffe nur kurz, dann nickte sie: „Geben Sie mal her.“ Die Verkäuferin nahm die Pistole aus dem Behälter. Lilja wog die Waffe in der Hand, dann visierte sie einen imaginären Gegner an. Offenkundig gefiel ihr das Modell. Sie zuckte nicht einmal mit den Wimpern, als sie den Preis las: „In Ordnung, ich nehme eine, und drei Magazine. Melden Sie den Verkauf an, und schicken Sie es mir mit dem Rest.“

Draußen wartete Knight bereits auf seine Begleiterinnen. Wenn man bedachte, aus was für einem Elternhaus er kam, dann fand der Pilot sich etwas zu gut in dem zweifelhaften Ambiente zurecht. Aber andererseits hatte er ja eine Haftstrafe wegen Schwarzmarktgeschäften hinter sich.
„Und? Alles bekommen, die Damen?“
Marine nickte und grinste dreckig: „Jepp. Und du auch? Alles bekommen – die Damen?“
Knight brauchte einen Moment bis er das Wortspiel verstand, dann schüttelte er nur grinsend den Kopf: „Oh Mann, dass wir es in den ganzen Jahren im Fliegerkorps nicht geschafft haben, dich zu zivilisieren...“
„Uhhhraaa.“
Lilja stellte einmal mehr eine etwas pikierte Miene zur Schau, doch dann prustete auch sie los. Mitunter fühlte sie ein schlechtes Gewissen, dass sie hier mit ihren Kameraden – nicht direkt Freunden, nicht ganz, aber doch Leuten, die sie schätzte – herumalberte und ihren Landgang genoss, fast als wäre nichts besonderes geschehen. Vor kurzem noch waren zwei ihrer Untergebenen gefallen, in beiden Fällen musste sie sich mit der Frage auseinandersetzen, in wie weit das auch ihre Schuld war. Andere Kameraden waren verwundet, sie selber war dem Tod wieder einmal nur knapp von der Klinge gehüpft. Tausende Zivilisten und Soldaten waren tot, zehntausende verwundet, Dutzende Schiffe zerstört oder beschädigt. Natürlich auch bei den Akarii – was für sie ein Grund zur Freude, nicht zur Nachdenklichkeit war. Und die Gerüchteküche brodelt, wie es mit den Angels weitergehen würde. Außerdem war sie in einen erbarmungslosen Kleinkrieg mit dem Beschaffungsamt verstrickt, um ihre Staffel wieder mit ausreichend Einsatz- und Ersatzmaschinen zu versorgen, ein Kampf, der fast so langwierig war wie die vorangegangenen Kämpfe gegen die Akarii. Das schlimmste war, dass es ja nicht das erste Mal war, dass sie diese ermüdende Prozedur zu absolvieren hatte. Dass die Wirtschaft der FRT – Dutzende Milliarden Menschen auf hunderten von Planeten – nach mehr als einer halben Dekade Krieg immer noch nicht in der Lage war, verlässlich einige hundert Jäger im Monat zu fertigen und bei Bedarf kurzfristig abzuliefern, gehörte zu den Dingen, die sie immer wieder verbitterten. Na ja, wenigstens floss bei ihrem Kampf der Wörter nur Druckertinte, und Bäume starben.
Es gab also genug Gründe, aus denen all das hier frivol, überflüssig erscheinen musste. Aber andererseits wusste Lilja auch, dass diese Blödelei nur natürlich war. Man lebte noch, es war schlimm gekommen, aber nicht SCHLIMMER, und morgen würde noch ein Tag sein, der besser werden konnte, oder auch nicht, als der gestrige. Einfach dass es ein Morgen GAB war schon ein Grund zur Freude. Nicht einmal sie konnte immer nur Pflichtbewusstsein verkörpern und ihren Hass auf die verdammten Echsen ausleben. Auch dafür würde die Zeit kommen, vielleicht schon bald. Aber heute, heute war ein Tag für so etwas wie Normalität. Wie den Kauf einer Waffe, wie sie eher zu einer Attentäterin passte, als zu einem normalen Menschen...

„Aber sag mal...“ nahm Marine den Faden wieder auf: „Wo warst du denn wirklich?“ Sie deutete auf ein Päckchen, das Knight bemüht unauffällig trug: „Was ist da drin? Reizwäsche für dich und Huntress im Partnerlook? Hochglanzmagazine? Pornovids? Eine Seemannspuppe? Drogen?“
„Deine Phantasie geht ja ziemlich eindeutig in EINE Richtung... Man könnte meinen, du hast irgendetwas zu kompensieren.“
„Ja, ich habe vergessen meine Portion Baldrian einzunehmen.“
„Nun...“ Knight lächelte freundlich: „Was es auch ist, es ist nicht für dich, es ist nicht illegal – und es geht dich überhaupt nichts an...“
Die junge Pilotin zog einen Flunsch und sah sich nach Hilfe um, logischerweise bei ihrer Vorgesetzten, die bisher geschwiegen hatte, obwohl ihre Mundwinkel schon wieder verdächtig zuckten. Marines Stimme klang geradezu gravitätisch: „Commander, in Anbetracht des Vorlebens von Second Lieutenant Alexander und als dienstältere Staffelkollegin, in der Wahrung der lebenden Traditionen unserer stolzen und ruhmreichen Flotte und bedacht auf den Schutz der unbefleckten Ehre unserer glorreichen Staffel ersuche ich Sie um Unterstützung. Wir können nicht zulassen, dass Second Lieutenant Alexander diese Tradition und Ehre beschmutzt, wir sollten also seinen Besitz überprüfen.“
Lilja lachte laut auf: „Nein, so sehr ich deine Motive verstehe, ich werde nicht meine eigene Ehre besudeln, und meine Macht auf so schändliche Weise missbrauchen... “
Auf Marines enttäuschtes: „Och, BITTE...“ ließ sie sich zumindest soweit breitschlagen, dass sie hinzufügte: „Nun, ich könnte zumindest wegschauen, wenn du ihm das Päckchen im Namen der Tradition aus den Händen reißt. Aber bitte nicht aus den kalten, toten.“ Sie wusste, Marine war von den dreien vermutlich die beste Nahkämpferin, bewaffnet oder nicht - und Knight wusste das ebenfalls. Er seufzte gottergeben: „Gehe ich recht in der Annahme, dass du mir physische Gewalt antun würdest, wenn ich mich weigere...“ Marine nickte enthusiastisch: „Und DU…“ das ging an Lilja „...sie nicht zurückhalten wirst?“
Die Russin grinste: „Weiß du, bei uns zu Hause heißt es, dass man keine Mädchen schlagen soll. Daran bemühe ich mich zu halten.“
Knight schürzte die Lippen: „Na ja, ob man dabei an jemanden wie Sharon gedacht hat... Aber gut, ich kapituliere. Aber ich werde es nicht vergessen.“
Marine lächelte ihn breit an, ein Lächeln das ins Grimmige abkippte: „Drohungen für die Zukunft? Du solltest es besser wissen.“
Und mit diesen Worten riss sie blitzartig ihre Waffe aus dem Holster, richtete sie direkt auf Knights Brust und drückte ab.

Für einen Moment wirkte die Szenerie wie eingefroren. Die hochgewachsene Pilotin mit der Waffe in der Hand, ihre Kamerad mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen, Lilja, die ihre Hand erhoben hatte, wie um einzugreifen…
Dann fing Marine an zu lachen. Das Gelächter schüttelte sie förmlich, und schließlich musste sie japsend nach Luft schnappen. Knight und Lilja fielen ein, ohne sich darum zu kümmern, dass einige Leute mehr als befremdet das Trio musterten.
„Aber das…“ ächzte Knight: „DAS zahle ich dir bestimmt noch heim!“ Marine lachte nur noch lauter: „Tschack…Tschack…“ äffte sie spöttisch das Fauchen einer Energiewaffe nach, und fuchtelte mit der Pistole in ihrer Hand herum – einer Attrappe. Celina hatte ihr und Lilja zwei täuschend echt aussehende Spielzeuge mitgegeben, damit sie nicht unbewaffnet aussahen bei ihrem Weg durch die Straßen von ,Babylon’, ein kleiner Zusatzservice für Kunden, die reichlich Geld im Laden ließen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis sich die drei wieder halbwegs erholt hatten. Knight schien den doch etwas makabren Streich nicht übel zu nehmen, aber dass er auf Rache sann, stand außer Zweifel. Doch die war bekanntlich ein Gericht, das am besten kalt serviert wurde…
Schließlich begann er das Päckchen mit seinem Einkauf auszuwickeln. Marine drängelte sich neugierig vor, während Lilja vornehme Zurückhaltung zur Schau stellte. Aber auch sie stieß einen leisen Pfiff aus, als sie sah, was ihr Untergebener gekauft hatte.
Es war ein schwarzes Halstuch, und so wie der Stoff glänzte und sich bewegte, war es vermutlich aus echter Seide – oder einem mindestens ebenso teuren künstlichen Ersatzstoff. In den Stoff waren Silber- und Halbedelsteinsplitter eingearbeitet, scheinbar zufällig verstreut, und doch hatte man das Gefühl, dass sie ein harmonisches Ganzes ergaben. Es war wie ein Stück Sternenhimmel, der auf die Erde gefallen und in einem Stück Stoff festgehalten worden war.
Marine berührte das Halstuch vorsichtig mit einem Finger: „Weich...und wunderschön.“ Sie zwinkerte: „Das ist sooo süüüüß. Ich verwette mein Messer gegen ein Schiffsgeschütz, dass es nicht für dich selbst ist – ich glaube ich weiß auch, für WEN du das gekauft hast.“
Knight lächelte fast verlegen: „Also, das müsstest du schon aus mir herausfoltern – und ich glaube, DA hätte der Commander dann doch was dagegen. Bild dir mal nicht zuviel auf dein angebliches Wissen ein. Ich habe ein paar weibliche Verwandte, denen ich mal was schicken muss, damit sie mich nicht ganz aufgeben.“
„Jaaaa, klar...“ schnaubte Marine spöttisch. „Warum machst du nicht gleich einen Anschlag am Schwarzen Brett – Ritter hat seine Jägerin, pardon Herzensdame gefunden?“ Sie seufzte: „Ich wünschte, jemand würde sich mal mit MIR soviel Mühe geben. Nicht unbedingt du, natürlich...“
„Danke.“
„Aber jemand anders. Na, egal. Zur Not kann ich einem Kerl ja immer noch auf den Kopf hauen oder ihm zum Zweikampftraining auffordern.“
„Sind das die gängigen Korps-Paarungsrituale?“
„So in der Art. Zumindest die jugendfreien...“
An dieser Stelle schaltete sich Lilja ein: „Na gut, Marine, du hattest deinen Willen. Jetzt sollten wir Knight das an Würde lassen, was er noch hat – und uns das an Anstand, was wir noch übrig haben – und uns auf den Rückweg machen.“ Und das Wunder geschah, ihre Untergebenen gehorchten ihr.
Zu Knights Einkauf machte sie keine Bemerkung. Ein Stückchen tat er ihr fast leid. Er schien tatsächlich auf dem besten Wege zu sein, sich in Huntress die Zweite zu verlieben, falls er das nicht schon hatte. Und auch wenn sie auf dem Gebiet nicht so versiert war wie als Offizierin, sie glaubte nicht, dass das ein gutes Ende nehmen würde. Lilja bezweifelte, dass er oder Huntress für sich genommen in der Lage waren, so etwas wie eine dauerhafte Beziehung am Laufen zu halten. Jedenfalls im Moment, und den Krieg durfte man auch nicht aus dem Auge lassen. Nicht, wenn man den Ruf der beiden bedachte. Sie war zwar keine meisterhafte Menschenkennerin, aber soviel war auch ihr klar. Und dann noch eine Beziehung MITEINANDER? Das schrie geradezu nach einer Katastrophe. Aber sie sagte nichts. Für ihren Untergebenen hoffte sie, dass es so lange gut gehen würde wie möglich. Und wenn nicht...nun, dann musste sie wachsam sein. Sie wollte keinen guten Piloten, oder mehr als einen, wegen einer Herzenssache in den Arrest schicken müssen.
,Irgendwie glaube ich, dass die Waffen, die wir heute gekauft haben, potentiell weniger gefährlich sind als Knights Geschenk, da ist die Gefahr nämlich geringer, dass die falschen Leute verletzt werden...' dachte sie sarkastisch, als sie sich, ohne die Wachsamkeit ganz zu vernachlässigen, durch die Straßen von Sektor Rot in Richtung Raumflughafen drängelte.
04.03.2016 07:58 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Ace

Mein erster Weg nach dem Beinahe-Desaster führte mich in meine eigene Kabine. Bevor ich irgend etwas anderes tat, schüttete ich mir mehrere Hände Wasser ins Gesicht, um wenigstens ein klein wenig abgelenkt zu werden, wenn ich schon nicht mehr runterkommen konnte. ,Mahou, Mahou, Mahou, was hast du dir nur dabei gedacht?‘ Gerade in diesem Moment hätte ich jeden Long erwürgen können. Aber auf einer intellektuellen Ebene war mir klar, dass es Longs Fehler war, ohne Frage, er aber nicht mehr dafür konnte als jeder andere Offizier, der eine falsche Entscheidung getroffen hatte. Nur hatte noch niemand versucht, für meine Fehlentscheidungen mit dem Leben zu büßen. Und wenn ich mal ganz ehrlich war, dann starben meine Untergebenen bei meinen Fehlentscheidungen, nicht hinterher, zernagt von Selbstvorwürfen. Was mich wieder zu Long brachte. Verdammt, hatte sich dieser Idiot nicht denken können, dass das Geschehen auf Mahou zurückschlagen würde? Immerhin hatte sie die Entdeckung gemacht. Sie hätte Long auch übergehen und direkt zu Kapitän Ahn gehen können. Hätte sie es mal getan.
Meine Hände krampften um das Waschbecken. Jetzt ein Kübel Eis und den Kopf reinhalten, bis alles taub war. Aber es half alles nichts. Ich hatte eine Pflicht zu erfüllen. Und ich hatte für meine letzte Entscheidung geradezustehen. Also wischte ich mir durchs nasse Haar - ehrlich, fünf Millimeter sind wirklich pflegeleicht - und klopfte bei Ohka an, in der Hoffnung, dass er nicht gerade draußen auf Patrouille war.
"Herein."
Ich öffnete die Tür einen Spalt. "Darf ich, oder schläfst du?"
"Komm ruhig, ich kann eh nicht schlafen."
Ich betrat die Kabine. Kano Nakakura lächelte verhalten. Aber die Miene wich rasch Besorgnis. "Wie geht es Ichigo-san?"
Ich sah vor Verlegenheit fort. "Sie wird es schaffen. Aber es könnte sein, dass ihr Gehirn einen mitgekriegt hat, als ihre Lunge voll Blut gelaufen war."
"So." Ich spürte förmlich, wie sich der Japaner anspannte. "Und was jetzt?"
"Ich gehe zu Irons und hole mir meine Tracht Prügel ab. Und dann das Gleiche noch mal mit Chip."
"Um den mach dir mal keine Sorgen. Kaum dass er gehört hatte, was passiert war, hat er sich mit Lilja abgesprochen, ein paar Schichten getauscht und alles in die Hand genommen. Ich schätze, du hast endlich einen Stellvertreter. Was Irons angeht, nun, sie ist auch nur ein Mensch."
"Ja, ich weiß. Aber ich habe nun mal meine Pflichten vernachlässigt.", sagte ich leise. Stundenlang abwesend, ohne Entschuldigung, das konnte man schon als Grund für eine Woche Bunker nehmen. Vermutlich hatte ich Glück, dass aktive Piloten gerade sehr gefragt waren, sonst hätte die MP mich wohl noch vor dem OP abgeholt.
"Hm.", machte Ohka. "Als hätte ich geahnt, dass du kommst." Das leise "Ping" der Mikrowelle erklang. Der Japaner machte sich an dem Gerät zu schaffen und holte einen Keramiktopf hervor, der bis unter den Rand mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt war. Ein heimeliger, bekannter Geruch erfüllte die Kabine. Sake. Warmer Sake. Und nicht der Schlechteste, wenn mein Geruchssinn mich nicht verlassen hatte.
"Komm, setz dich."
"Ich will lieber nicht. Wer weiß, wie das Zeug mit den Drogen wirkt, die mir mein Anzug und der Arzt im SAR-Shuttle verpasst haben."
"Setz dich!", wiederholte er mit Nachdruck.
Seufzend nahm ich an dem kleinen Tisch Platz und ließ es zu, dass er eine bauchige Porzellanflasche für mich abfüllte. Ein kleiner Trinkbecher in Schnapsglasstärke rundete die Szene ab. Auch für sich schenkte er ein.
"Keine Sorge, Sake hat nicht mehr Promille als Wein. Und eine Karaffe wird dich nicht umhauen. Außerdem ist Alkoholmissbrauch ein offenes Geheimnis in der Flotte, weshalb alle Medikamente für Alkoholkranke konzipiert werden."
Ich stutzte. "Ist das wahr?"
"Nein, das habe ich erfunden. Aber Sinn würde es machen, oder?"
Ich konnte nicht anders, ich musste lächeln.
"So sieht das schon besser aus.", sagte Ohka schmunzelnd. "Und damit du dich noch besser fühlst, verrate ich dir, was mir ein Vögelchen gezwitschert hat: Kali kommt vielleicht zurück."
"Echt jetzt?" Erstaunt sah ich den Kameraden, den Freund, an. Nun, wir HATTEN mehr als genug Bedarf nach guten Piloten, das stand außer Frage. "Mich würde es freuen. Und dich... Das müssen wir wohl nicht extra beleuchten."
"Sicher nicht.", erwiderte Ohka grinsend. Er schenkte sich einen Trinkbecher ein.
Ich tat es ihm nach. "Prost."
"Kampai."
Nach dem Sake, der wohltuend durch meinen Hals rann, sah er mich ernst an. "Was ich jetzt sage, Ace, klingt vielleicht bissiger für dich, als ich beabsichtige. Aber das liegt daran, dass du kein Japaner bist. Wir haben eine lange Geschichte mit einer starken militärischen Kaste. Das sollte dir zumindest was sagen, immerhin hast du unter deinen Vorfahren so etwas Ähnliches im preußischen Offizierskorps."
Ich hob eine Augenbraue. "Preußisches Offizierskorps?"
"Du hast doch deutsche Vorfahren?"
"Ja, aber das waren keine Preußen. Nicht jeder Deutsche ist auch gleich ein Preuße."
"Dann eben Bayern?"
"Auch nicht. Meine Vorfahren waren Hanseaten."
"Aber du kennst das preußische Offizierskorps?"
"Ja, das ist mir ein Begriff. Gegründet mit den zweiten und dritten Söhnen preußischer Adliger und so weiter. Hohe moralische Standards, Ehrenkodex, elitäres Auftreten, homogene Gruppe."
"Richtig. In der Geschichte meines Landes war es ähnlich. Die Samurai und ihre Bushi waren dort für Jahrhunderte das Nonplusultra. Dabei übten die Samurai zwar über ihre Familien, ihre Untertanen und ihre Bushi absolute Kontrolle aus, aber auch sie waren absolut ihrem Herrn verpflichtet. Nicht selten kam es vor, dass, wenn der Herr starb, zum Beispiel durch einen Mordanschlag, sich auch seine Samurai entleibten."
"Und preußische Offiziere jagten sich eine Kugel durch den Kopf. Interessante Parallele. Worauf willst du hinaus?"
"Weißt du, Ichigo Mahou-san ist Japanerin. Ich habe ein paarmal mit ihr gesprochen. Sie hatte im Gegensatz zu mir das Glück, während der Ausbildung nicht in die Klauen von japanischen Senior-Offizieren zu geraten, die einem eine Weltkrieg-Zwei-Gehirnwäsche haben angedeihen lassen. Oder eben das Pech, denn wenn man hinter das System blickt, überwindet man es. Nun, sie ist einfach nur japanische Offizierin aus einer Familie mit einer relativ jungen militärischen Tradition. Vielleicht liegt es daran, dass sie ihre Sache umso genauer machen will."
"Aha. Willst du mir gerade erklären, warum sie Selbstmord begehen wollte? So weit bin ich auch selbst schon."
"Nein, Ace. Ich will den Boden bereiten. Für eine einfache Frage: Hätte man sie nicht besser sterben lassen sollen? Was wird mit ihr sein, wenn sie wieder aufwacht? Vielleicht ein geistiger Krüppel geworden ist? Oder schlimmer, alle Sinne beieinander hat und merkt, dass sie sich nicht mal selbst umbringen konnte? Wäre der Tod da nicht gnädiger gewesen?" Abwehrend hob er beide Hände. "Wobei, das steht außer Frage, ihr Selbstmordversuch vielleicht in japanischer Militärtradition steht, und meinetwegen auch in preußischer, aber für die TSN untragbar ist. Sie hätte sich da niemals reinsteigern dürfen. Sie hatte schlicht und einfach kein Recht dazu. Aber was ist später, Ace?"
Geschockt sah ich Ohka an. Schon nach der ersten rhetorischen Frage war ich zu erschrocken gewesen, um angemessen zu reagieren. Nun aber war ich nur noch sprachlos.
"Trink was.", sagte Ohka und schenkte mir nach.
Wortlos trank ich aus, und auch den nächsten, den er mir einschenkte. "Danke.", murmelte ich, als meine Sinne aufhörten zu rotieren.
"Also?"
"Weißt du etwas über ihre Familie? Mir hat sie nie etwas über sie erzählt. Ich habe aber ehrlich gesagt auch nie gefragt."
"Ich glaube, es gibt noch einen Cousin. Ihre Eltern starben vor drei Jahren beim Kawasaki-Beben. Vielleicht redet sie deshalb nicht gerne darüber."
"Hm." Langsam erhob ich mich. "Ich verstehe, was du mir sagen willst. Danke. Daran hatte ich bisher noch nicht gedacht."
"Also?"
Ich nickte. "Wahrscheinlich kann ich der Seaforter Davis-Vertretung die dienstliche Anweisung erteilen, sich um Mahou zu kümmern, bei allem, was sie braucht. Und sollte ihr Gehirn tatsächlich geschädigt sein, wird sich meine Familie ihrer annehmen. Je nachdem was ihr Cousin dazu zu sagen hat."
Ohka nickte zufrieden. Er schenkte mir ein weiteres Mal ein. "Trink."
"Danke." Und dieses Wort war nicht nur wegen dem Sake ausgesprochen worden. "Prost."
"Kampai."
Wir nickten einander zu und tranken das heiße Getränk. Irgendwie ging es mir besser. Auch, weil ich eine Entscheidung getroffen hatte, von der ich nicht mal gewusst hatte, dass sie existierte.

Zehn Minuten später (und nachdem ich mit Ohkas Mundwasser gegurgelt hatte, man wusste ja nie) stand ich vor der Tür des CAG. Erst zögerlich, dann aber entschlossen klopfte ich an.
"Herein, Ace."
Na toll, woher wusste sie, dass ich es war? Vermutlich, weil alle anderen, die in Frage gekommen wären, entweder draußen waren und flogen, oder vernünftigerweise an ihren Matratzen horchten.
"Ma'am, First Lieutenant Clifford Davis. Ich melde mich in eigener Sache."
Irons saß an ihrem Schreibtisch, über einen Tisch voller echten und virtuellen Papierkram gebeugt. "Setzen Sie sich, und sehen Sie zu, dass Sie mir nicht zu viel meiner Zeit rauben, Ace. Was kann ich für Sie tun? Und viel wichtiger, wie geht es Lieutenant Commander Ichigo?"
Ich nahm Platz. "Gut, Ma'am, den Umständen entsprechend. Sie wird es überleben, aber ihr Gehirn kann durch Sauerstoffmangel Schäden erlitten haben. Man hat sie stabilisiert und bringt sie in eine Spezialklinik auf Seafort."
"In den gleichen Laden wie Lone Wolf, vermutlich.", murmelte sie. Für einen Moment hielt sie inne und sah dann mit scharfem Blick auf. "Das haben Sie nie gehört, Ace, haben wir uns verstanden? Offiziell wird Lone Wolf aus Therapiegründen nach Seafort gebracht, aber nicht in ein Fachzentrum für Hirntraumata."
Erschüttert nickte ich. Die Information musste ich erst einmal verdauen. Lone Wolf, womöglich für den Rest seines Lebens ein sabbernder Idiot? Zum Glück saß ich bereits. "Jawohl, Ma'am." Bei dieser Information war ich auch nicht scharf darauf, sie zu verbreiten.
"Jedenfalls", sagte sie, äußerlich beruhigt, "hat Ihr und Ohkas Einsatz wenigstens einen Erfolg erzielt. Das ist doch in Ordnung."
"Ja, Ma'am. Ich bin zufrieden. So zufrieden, wie man in dieser Situation sein kann." Ein leises Räuspern meinerseits. "Darum bin ich jetzt bereit für meine Strafe."
Irons riss beide Augenbrauen hoch. "Was, bitte?"
Irritiert blinzelte ich. "M-meine Strafe, Ma'am. Ich meine, ich habe meine Einheit verlassen, meinem Stellvertreter nicht gesagt wo ich bin und was ich mache, habe meine Patrouille nicht angetreten und war für mehrere Stunden für niemanden zu erreichen. Das kann man auch als gravierende Pflichtverletzung interpretieren."
Irons blies die Wangen auf und setzte zu einer harschen Erwiderung an. Doch der Moment verging. Sie lächelte bemerkenswert falsch, faltete die Hände vor ihrem Gesicht und stellte die Ellenbögen auf dem Schreibtisch ab. "Und wie, denken Sie, Mister, wird diese Strafe aussehen?"
"Ich denke, im schlimmsten Fall nehmen Sie mir die Schwingen weg, Ma'am."
"Wohl eher nicht. Normalerweise sind Sie nicht nur ein zuverlässiger, belastbarer Pilot, sondern auch ein brauchbarer Anführer. Solange ich nicht anders entscheide, brauche ich Sie für die Blaue Staffel. Noch irgendwelche Ideen?"
"Beförderungsstopp mit Vermerk in meiner Akte, Ma'am."
"Wie viele Jahre?"
"Fünf erscheinen mir angemessen.", erwiderte ich, extra hoch ansetzend.
"Und das ausgerechnet jetzt, wo ich die undankbare Aufgabe habe, für Ohka und Sie Kapitän Ahns Unterstützung für Ihrer beider Beförderung irgendwie aus den Rippen zu schneiden, während es Staffelchefs im Sonderangebot zu geben scheint? Kommen Sie, das muss doch besser gehen."
Ich wusste nicht, ob ich in Angstschweiß oder in Tränen ausbrechen sollte. "Degradierung wäre auch eine Möglichkeit, CAG."
"Sagen Sie nicht CAG. Ich mache den Job nur, weil ihn gerade kein Anderer macht und bis ein Besserer gefunden wurde, Ace."
"Ich dachte nur, Ma'am, wegen dem neuen silbernen Eichenlaub."
"Teamspielerbonus. Macht sich manchmal eben bezahlt. Was uns wieder zu Ihnen bringt. Halten Sie eine Degradierung wirklich für angemessen, Lieutenant Davis?"
Oh-oh, sie nannte mich nicht bei meinem Codenamen. Und die Anspielung auf die Beförderung zum Commander hatte auch nicht gerade geholfen. Als wollte man einen Igel mit bloßen Händen einfangen. Ich kannte Irons jetzt wie viele Jahre? Genug jedenfalls. Wir waren nie per du gewesen, aber wir waren Kameraden. Und nun? Sie war diensttuender CAG und ich einer ihrer Staffelchefs, der sich unerlaubt von seiner Einheit entfernt hatte. Als sie auf meine letzte Offerte nicht reagierte, spielte ich die letzte Karte. "Kriegsgericht vielleicht?"
"Es wird kein Kriegsgericht geben!", blaffte sie mich mit funkelnden Augen an.
"Also wird was passieren, Ma'am? Ich stelle mich jeder Strafe, die Sie für notwendig erachten."
"Himmel, Clifford, gehen Sie mal den Besenstiel wieder aus dem Arsch ziehen.", sagte sie amüsiert. "Kein Grund, so steif zu werden. Also, Pilot, wissen Sie, was ich tun werde?"
"Ich habe keinen Schimmer."
"Nichts, Clifford. Ich werde nichts tun."
Erstaunt sah ich sie an. "Ja, aber... Aber..."
"Was müsste ich für eine eiskalte Schlampe sein, wenn ich Sie für die Rettung einer Kameradin, ja, einer Freundin bestrafen würde, die für Sie mit keinerlei Risiko verbunden war? Wäre Ichigo Pilotin gewesen, hinter den Linien gestrandet und Sie hätten sich auf die Suche nach ihr gemacht, Ihre Staffel im Stich lassend, dann hätte ich Ihnen vielleicht die Schwingen abgerissen, wären Sie ohne sie zurückgekommen. Wären Sie mit ihr gekommen, hätte ich Sie sicher den Hangarboden mit den Daumen polieren lassen, Sie aber zugleich für einen Orden vorgeschlagen. Was in letzter Zeit ein paarmal geschehen ist. Mal sehen, ob ich Liljas neues Lametta genehmigt kriege, aber das nur nebenbei.
All das ist aber nicht passiert. Es war kein Gefechtsalarm, der Feind ist gesprungen und auch nicht wieder aufgetaucht. Die ganze Zeit war es ruhig und unsere Patrouillen eigentlich verschwendete Zeit, wenn man so will. Darüber hinaus hat mich Ohka über alles ins Bild gesetzt und Chip hat Sie sofort vertreten und den Flugplan mit Liljas Unterstützung entsprechend angepasst. Ihre Freunde haben reagiert und für Sie den Kopf hingehalten. Bedanken Sie sich angemessen bei ihnen, Ace. Ich für meinen Teil sehe keinen Grund dazu, Sie zu malträtieren. Rein dienstlich hat alles seine Richtigkeit."
Was war das für ein Gefühl, das mir von der Kehle bis in den Magen durchsackte? Ach ja, Erleichterung. "Danke, Irons.", murmelte ich, die Stimme heiser vom dicken Kloß in meinem Hals.
"Wie gesagt, danken Sie nicht mir. Danken Sie Ihren Leuten und Ihren Freunden."
"Das werde ich."
"Ach, und wenn wir gerade dabei sind.", fuhr sie fort und überprüfte eine ihrer virtuellen Dateien, "Chip hat Sie für die Forcap in acht Stunden und vierunddreißig Minuten eingeteilt. Den größten Teil dieser Zeit sollten Sie in der Waagerechten verbringen, vor allem wenn man bedenkt, dass Sie nicht nur zu den armen Schweinen gehören, die von ihren Anzügen narkotisiert, sondern auch noch chemisch geweckt wurden."
"Jawohl, Ma'am."
"Wenn nötig, lassen Sie sich was geben, damit Sie schlafen können. Die Gefahr ist zwar vorbei, aber ich will einen leidlich ausgeruhten Ace da draußen fliegen sehen. Haben Sie mich verstanden?"
"Ja, Ma'am, laut und deutlich."
"Gut, dann lassen Sie mich wieder in meiner persönlichen Hölle alleine, damit ich arbeiten kann, okay?"
"Verstanden, Ma'am. Und, ganz an Sie persönlich gerichtet: Danke."
Für einen Moment lächelte sie warm. "Es wäre nicht richtig gewesen, wissen Sie? Wie kann ich einen Helden dafür maßregeln, dass er etwas Heldenhaftes getan hat? Und jetzt gehen Sie endlich schlafen, Ace."
Ich nickte nur stumm, salutierte vor ihr und verließ ihr Büro, um den nächsten Sanitäter aufzusuchen. Für das Schlafmittel, denn ich wusste, dass ich auf natürlichem Wege nicht würde schlafen können. Held, hatte sie gesagt. Aber ich fühlte mich gar nicht wie ein Held. Ich fühlte mich einfach nur grauenvoll. Und ich fühlte mich allein. Wenn nach Juliane nun auch Mahou... Ich zwang mich, den Rest zu verdrängen. In acht Stunden und ein paar Zerquetschten hatte ich wieder Dienst. Dann musste ich wieder funktionieren. Verdammt.
04.03.2016 07:59 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Cunningham

Und in dieser Stunde kann ich Euch nur um eines bitten: Zu kämpfen, zu kämpfen wie es nur ein Akarii vermag!


Mit Rückblick auf seine bisherigen Entscheidungen seine Karriere betreffend hatte er nicht mal mehr zu träumen gewagt, diesen Schritt machen zu können.
Obwohl er sich dafür entschieden hatte, ein Vater zu sein und die Kommandolaufbahn sausen zu lassen, war er in die Flaggränge aufgestiegen, ohne jemals selbst ein Schiff kommandiert zu haben. Über die zwei Sterne am Kragen hatte er sehr stolz sein können, doch das Kommando über Victoria Station war kein Höhepunkt für ihn gewesen. Jeden Tag war sich George Auson bewusst gewesen, letztlich nichts anderes gewesen zu sein als ein Bürokrat; wenn auch ein gut bezahlter.
Jeder junge Offizier träumt zu Beginn der Karriere davon ein eigenes Schiff zu befehligen. Ein unabhängiges Kommando. Jeder der das nicht zugab war entweder ein Lügner oder ein Pilot, die waren Sonderfälle. Jeder träumt von den Meilensteinen, die es wert sind jahrelang Scheiße zu fressen. Die Launen von unfähigen Vorgesetzten zu ertragen und mit vorlauten Untergebenen klar zu kommen. Und über die Jahre ist man so sehr damit beschäftigt sich abzurackern, um sich von der Masse abzuheben und sich für die wichtigen Posten zu empfehlen, dass man viel zu beschäftigt ist um festzustellen, dass man sich von den Leuten, die man am meisten verachtet, am wenigsten unterscheidet.

Die Navy zu Friedenszeiten war ein Schlangennest ohne gleichen. Erst die Kriegszeiten machten aus Kollegen Kameraden. Aus Konkurrenten wurden Freunde. Leute die sich vorher mit dem Arsch nicht angeguckt hatten, waren sich nun näher als Geschwister.
In den letzten 30 Jahren hatte George Auson gelernt das Militär heimlich zu verachten, und als der Krieg ausgebrochen war, hatte er wider aller Erfahrungen sich die naive Hoffnung gemacht, die Navy würde sich gesund bluten. Der erhoffte Militärdarwinismus war ausgeblieben. Es zerriss ihn fast innerlich, dass ausgerechnet er jetzt genau für diese Erkenntnis als Beweis herhalten musste.
30 Jahre lang hatte Auson nichts, aber auch absolut nichts getan um die jetzige Beförderung zu verdienen. Er war Ingenieur gewesen; gewiss ein guter, seine Beurteilungen und Empfehlungen bestätigten das und als Administrator war er auch weit über dem Durchschnitt. Dennoch, niemand bei klarem Verstand würde jemanden mit seinem Lebenslauf zum Vier-Sterne-Admiral und Flottenkommandanten befördern. Alles was er vorzuweisen hatte, war das Wohlwollen der Ministerpräsidenten von Seafort und Masters, und scheinbar reichte das vollkommen aus. Leute, die in der militärischen Entscheidungskette nichts verloren hatten, hatten dafür gesorgt, dass man ihn Offizieren vorzog, die sich hundertmal mehr bewiesen hatten.

Persönlich war er von seinem Können fest überzeugt. Jemanden wie die verstorbene de Kerr hatte er in die Tasche denken können. James Long war ganz gut, aber auch vor dem musste er sich nicht verstecken. Aber dass man ihn jemandem wie Vanessa Girad vorsetzte, grenzte schon fast an Sabotage an den Kriegsanstrengungen. Diese Frau hatte es über Jahre hinweg geschafft die Akarii an der Konföderationsgrenze im Schach zu halten, und dabei den Konföderierten das Gefühl gegeben gleichberechtigte Partner zu sein. Sie hatte mehr dazu beigetragen aus den verschiedenen, regional verankerten Teilverbänden eine schlagkräftige Navy aufzubauen, als die konföderierte Regierung; erst als oberster Verbindungsoffizier und anschließend als Kommandeur der 4. Flotte. Girad war es sehr gut gelungen, die Aufmerksamkeit der unabhängigkeitsliebenden Fraktionen der Konföderation auf den gemeinsamen Feind gerichtet zu halten.
So gut, dass Kolonien wie Jaspair II. die Akarii immer noch eher als Feind ansahen als die Republik. Jetzt wo einige der inneren Welten von den Akarii profitierten, die kurz zuvor noch der erklärte Erbfeind gewesen war, ließen sich viele nicht mehr auf Regierungslinie halten. Zumal es keine „neutrale“ Außenstehende mehr gab, die mit der Stimme der Vernunft argumentieren konnte.
Und persönlich wäre er jetzt auch lieber ganz woanders als in einem Shuttle auf dem Weg zur Columbia. Seine Tochter brauchte ihn, und zum ersten Mal in seinem Leben konnte er nicht für sie da sein. Es war zum Weinen, und ein weiterer Grund die Navy und ihre Politik zu verwünschen.

„Achtung, hier spricht der Pilot,“, wurde er unsanft aus seinen Gedanken gerissen, „wir haben Landefreigabe und werden in spätestens zwanzig Minuten auf dem Träger aufsetzen.“
Eine junge, nervöse Stimme. Wahrscheinlich hatte der Pilot noch niemals einen Admiral transportiert oder war gar auf einem Flottenträger gelandet.
Ihm wurde auch gerade eben erst bewusst, dass er seit Minuten auf ein und die selbe Seite auf seinem CompPad gestarrt hatte, und dass sein Flagglieutenant ihn unbehaglich beobachtete: „Sie sollten einen Admiral niemals zeigen, dass sie ihn beim dösen erwischt haben, Paul.“
Der junge Offizier wurde rot wie eine Tomate: „S-sie haben gedöst, Sir?“
„Guter Versuch, arbeiten Sie an ihrem Gesichtsausdruck, dann klappt es; irgendwann vielleicht.
„Jawohl, Sir.“

Auson holte sich die Sensoranzeigen des Shuttles auf den Schirm. Der Begleitschutz des Flottenträgers war mächtig ausgedünnt. Nur noch einige Fregatten und Zerstörer hielten die Stellung, während die Kreuzer eine der obersten Prioritäten für die Reparatur erhalten hatten. Die Träger der Pegasus Klasse besaßen eine unverwechselbare Erhabenheit. Selbst klaffende Löcher und Verbrennungsspuren vermochten dies nicht zu schmälern. ,Arme graue Lady.‘
Das Shuttle zog eine Warteschleife um den Träger und gab den Passagieren so die Möglichkeit, ihr Ziel genauer in Augenschein zu nehmen.
Dann meldete sich der Pilot erneut: „Wir wurden angewiesen zu landen, da die Andockpads zur Ausschiffung von Verwundeten besetzt sind. Die Landung an Bord der Columbia erfolgt manuell. Setzen Sie sich bitte hin und schnallen sich an.“
Zu seinem Amüsement wurde sein Flagglieutenant etwas grün im Gesicht: „Ihre erste manuelle Trägerlandung, Paul?“
„Ja, Sir, meine erste Trägerlandung im Allgemeinen.“
„Keine Sorge, das ist reine Routine“, flunkerte Auson, der selbst noch keine manuelle Shuttlelandung mitgemacht hatte.


Flugdeck TRS Columbia

Das Lautsprechersystem der Columbia imitierte perfekt den Klang dreier Bootsmannspfeifen: „Kommandeur 5. Flotte kommt an Bord!“
Der große Empfang für George Auson wäre beinahe zum großen Affront verkommen. Die Marines hatten ihre Paradeuniform auf Vordermann gebracht gehabt. Ebenso die Ehrenwache aus Unteroffizieren und das Begrüßungskomitee der Führungsoffiziere des Trägers. Erst als es fast zu spät war, hatte man über einen Kontaktmann auf Victoria Station erfahren, dass Admiral Auson eine einfach Dienstuniform getragen hatte, als er das Shuttle bestieg.
Die Flugleitzentrale der Columbia hatte schnell geschaltet und das Admiralsshuttle einfach eine Warteschleife drehen lassen. Die Marines waren durch einen Zug in Dienstuniform ausgetauscht worden. Girad und ihr Stab hatte sich jedoch umziehen müssen, und so war die höfliche Geste doch geglückt.
George Auson nahm Haltung an, als er die Shuttlerampe betrat, und legte gegenüber der Bundesflagge die Hand zum Salut, während links und rechts von dieser die Flaggen der Navy und des Marinecorps zum Gruß gedippt wurden. Die Marines präsentierten ihre Gewehre.

Irons beobachtete, wie Admiral Auson und Captain Ahn die üblichen Floskeln austauschten. Der ganze militärische Firlefanz kostete eigentlich nur Zeit. Andererseits gab er ihr Gelegenheit einfach mal die Gedanken treiben zu lassen. Bei den Vorstellungen war sie als drittes in der Reihe und wechselte die üblichen Belanglosigkeiten mit dem neuen Flottenkommandanten.
Auson wirkte wenig beeindruckend, auch wenn Raven da anderer Meinung gewesen war. Er würde sie auch sicherlich bald vergessen haben. Schließlich führte Girad ihn persönlich zu seinem Übergangsquartier. Zum Glück würde die Columbia nicht dauerhaft sein Flaggschiff.
Schließlich ließ der neue Erste Offizier der Columbia das Begrüßungskomitee wegtreten.
,Charles Stacy, was für ein kleinkariertes Arschloch.‘ Der Mann war noch keine drei Tage an Bord und hatte sich schon bei so ziemlich jedem unbeliebt gemacht. Der war genau das richtige, was sie jetzt brauchten.
„Irons, wir müssen mit Ihnen reden!“
Innerlich zuckte sie zusammen, drehte sich jedoch gelassen um. Sowohl Imp als auch Ace war deutlich ihre Wut anzusehen, und ebenso Mantis, die sich ihnen näherte.
„Darf ich annehmen, dass es um die Jagdmaschinen geht, die Sie abgeben müssen?“
„Und ob Sie das annehmen dürfen.“, entfuhr es Ace.
„Lilja bringt mich um, wenn sie zurückkehrt und mir die halbe Staffel fehlt.“, schoss Imp hinterher.
Irons blickte Mantis an: „Sie möchten sich auch wegen den Maschinen beschweren?“
„Ja, möchte ich.“
„Dann nehme ich das hiermit zur Kenntnis, und jeder von Ihnen wird die vorgeschriebene Zahl an einsatzfähigen Jägern für den Transfer auf die Triumph vorbereiten.“
„Warum löst man uns dann nicht gleich auf?“ Ace deutete in den Hangar, „vier Maschinen sind mehr als fünfzig Prozent meines fliegenden Equipments.“
„Ganz einfach Herrschaften, wir betreiben hier Politik. Der Befehl der mich gestern erreicht hat, besagt, dass ich zwanzig Maschinen und Piloten zu den Blue Angels nach Masters zu überstellen habe. Daraufhin habe ich mich mit Captain Crawford und der Operationsabteilung zusammengetan und durchgesetzt, dass ich erstens die Piloten behalten darf und nur siebzehn Maschinen überstellen muss. Dafür erhält Captain Crawford als erster Zugriff auf die Ersatzpiloten, die mit der Liberty ankommen, und wir auf die Ersatzmaschinen. Sprich, wir behalten unsere Veteranen und erhalten neue Maschinen, und Crawford kann sich damit schmücken jetzt Maschinen beschafft zu haben. Ist das soweit verständlich?“
Ihre drei Untergebenen nickten.
„Müssen die Jagdbomberschwadronen eigentlich auch Jäger abgeben?“, wollte Mantis wissen.
„Nein, müssen sie nicht, und da ein Versorgungsfrachter für die Zweite Flotte mit vierzig Thunderbolts hier festhing, haben wir da tatsächlich einen Überschuss. Leider hat sich der Geschwaderführer von Victoria Station diese erst einmal unter die Nägel gerissen. Sonst noch etwas?“
Ace räusperte sich: „Stimmt es, dass mit der Liberty auch ein neuer Geschwaderführer für uns kommt.“
„Ja, auch das ist korrekt. Und wenn Sie drei da etwas beizutragen haben, behalten Sie es für sich. Wir erhalten einen erfahrenen Veteranen als Ersatz für Raven, welcher sich meiner ganzen Unterstützung sicher sein kann.“
„Sie sind auch ein erfahrener Veteran, Commander.“, murmelte Imp.
„Haben Sie mich gerade nicht verstanden, Lieutenant? Behalten Sie so etwas für sich. Wir bekommen einen neuen Geschwaderführer und Punkt! Ah, und ehe ich es vergesse, bereiten Sie sich schon mal darauf vor, dass unser neuer XO in den Räumlichkeiten des Geschwaders demnächst Inspektionen durchführen wird.“
„Na, an unserem Material kann er das ja bald nicht mehr tu.n“, kommentierte Mantis.
„Das ist nicht witzig, der Commander hat mich schon wegen Hungry Joes Haarschnitt angeraunzt, und wenn der auch nur das geringste zum Beanstanden findet, dann bin ich mir sicher, dann hagelt es und zwar gewaltig, und ich spiele dann nicht den Regenschirm.“
„Hungry Joe ist doch nicht der einzige Pilot mit einem Pferdeschwanz.“
„Nun, Lieutenant Richter, Hungry Joe ist aber der einzige männliche Pilot mit einem Pferdeschwanz, und auch wenn man bei Ihnen und mir nicht so darauf achten würde, gibt es im Handbuch so etwas wie eine Dienstvorschrift für den Haarschnitt und glauben Sie mir, Commander Stacy kann Ihnen Seite und Absatz nennen.“
Ace schnitt eine Grimasse: „Na super, erst so eine Streberin wie Ahn und jetzt auch noch einen Pedanten.“
„Ich sehe wir verstehen uns, informieren Sie bitte die anderen Staffelführer, wegtreten.“


Imperialer Flottenträger Nakobi, Teori Majoris

Karrek Thelam strich sich die Uniformjacke glatt, ehe er die Flaggbrücke der Nakobi betrat. Niemand nahm im ersten Moment von ihm Notiz. Wie üblich waren die Offiziere und Unteroffiziere zu sehr mit ihren Aufgaben beschäftigt.
Im Hauptquartier war er es gewohnt gewesen, dass jeder von ihm Notiz nahm, wenn er einen Raum betrat. An Bord der Nakobi war ihm Anfangs eine merkwürdige Stimmung entgegen geschlagen. Die anderen Offiziere aus dem Stab der Großadmiralin hatten ihn fast belauert, als warteten sie auf irgend ein Zeichen der Schwäche oder gar einen Fehler. Erst nach und nach war die knisternde Stimmung einem stillen Respekt gewichen. Stabsastrogator war keine besonders heraus stechende Position, doch schon auf der Akademie war Astrogation eines seiner besten Fächer gewesen.
Ursprünglich war er davon ausgegangen, dass seine Berufung auf diesen Posten eine bewusste Kränkung war, ausgeheckt von irgendwem der im Streit mit seinem Cousin gelegen hatte. In den letzten Wochen hatte er jedoch zum einen erfahren, dass Lay Rian so etwas nicht in ihrem Stab geduldet hätte, und zum anderen war er der zweite auf einer ziemlich kurzen Liste von Offizieren gewesen, die man für dieses Posten vorgeschlagen hatte.
Zu seiner persönlichen Überraschung war es dann nicht sein Name gewesen, der ihn auf diesen Posten verholfen hatte, sondern dass Tek Dentarr zum Admiral Ersten Ranges befördert worden war um die Imperiale Flottenakademie zu befehligen, und somit nicht mehr zur Verfügung stand.

Kerrek trat an den zentralen Holotisch heran und nickte Norr Wilko und Admiral Hares Logg zu, Rians Staabschef: „Entschuldigung, ich hatte mich ein wenig hingelegt.“
Der Holotisch zeigte das Systeminnere von Taori Majoris. Einen Doppelstern und vier unbewohnte Planeten, davon zwei Gasriesen. Die Menschenlinge konnten dort ihre ganze Flotte verstecken und die Akarii hatten sich aufteilen müssen, um die Sprungpunkte zu versperren. Dazu hatte Rian ihre alten Nova-Träger und die noch älteren Schlachtschiffe verwendet, während die Hauptflotte sich systemeinwärts bewegte.
Die Menschenlinge hatten sich ihnen schon viel zu lange entzogen.
„Nun, mein Lord Prinz,“, Loggs Stimme triefte wie immer vor Sarkasmus, einem Sarkasmus mit dem er sogar die Großadmiralin bedachte, und der wie andere Kerrek versicherten eine Marotte und keine Böswilligkeit des Admirals war, „was glaubt Ihr, wem wird sich dieser Admiral Renault stellen?“
„Um ganz ehrlich zu sein, mein Lord Admiral, ich bin mir nicht ganz sicher. Der Befehlshaber der Menschenlinge hat sich bislang als überraschend unvorhersehbar gezeigt. Ich persönlich würde unsere Hauptflotte angreifen.“
„In dem absoluten Bewusstsein der persönlichen Überlegenheit und der Gewissheit zu siegen?“
„Nein, mein Lord,“, entgegnete Kerrek, „aufgrund der Sensordaten muss man davon ausgehen, dass die beiden anderen Sprungpunkte stark genug bewacht werden, um so lange aufgehalten zu werden, bis die Hauptflotte eintrifft, und dann hat man es nicht nur mit der Hauptflotte zu tun, sondern auch mit einer der beiden Wachflottillen. Wenn es mir jedoch gelingen würde, im Schutze der beiden Sterne unbemerkt zu wenden, könnte ich aber die feindliche Hauptflotte angreifen, ohne dass diese rechtzeitig Unterstützung erhalten kann.“
Wilko schnaufte amüsiert.
„Habe ich etwas Komisches gesagt, Commander?“
„Nicht im geringsten, mein Lord Prinz, vor nicht ganz einer halben Stunde hat mich Admiral Logg die gleiche Frage gestellt. Ich lieferte ihm die gleiche Antwort mit dem Zusatz, dass wenn dieser Renault so gut wäre, wie man von ihm behauptet, er wohl innerhalb der nächsten zwei Stunden spätestens wenden müsste. Einer unser Aufklärer hat die menschliche Flotte gesichtet. Sie muss gestern irgendwann im Schutze des zweiten Gasriesen gewendet haben und hält auf uns zu. Wir werden in spätestens sechs Stunden Feindkontakt haben.“
Hares Logg zog eine Grimasse: „Unabhängig davon, wie dieser Kampf ausgeht, wird man diesem Renault wohl in nicht allzu ferner Zukunft bescheinigen, unsere Züge schon im Voraus erahnt zu haben, und seiner weisen Voraussicht nach wird er gehandelt haben. Dass all diese Geschehnisse mit seinem und unseren Sprung in dieses System faktisch vorprogrammiert waren, davon wird niemand etwas wissen wollen.“

„Und dem Sieger wird man immer taktisches wie strategisches Geschick nachsagen und Glück wird für ihn keine Rolle mehr gespielt haben.“, fuhr eine fast krächzige Altstimme dazwischen.
Die drei Offiziere rückten etwas vom Holotisch ab und blickten zu Lay Rian. Die Großadmiralin trug eine einfache Borduniform mit Admiralszeichen auf den Schultern. Die Kleiderordnung der akariischen Raumstreitkräfte sah nicht vor, dass ein Großadmiral Borduniform trug. Selbst die meisten Admiral trugen keine Borduniformen mehr. Kerrek hatte überlegt, ob er Rian nacheifern sollte, doch die meisten von ihren Stabsoffizieren ignorierten diesen Spleen ihrer Kommandantin.
Sie hielt Kerrek ein Computerpad hin: „Ich sollten Ihnen vielleicht mein Mitgefühl ausdrücken, Admiral Thelam.“
Hastig ergriff er das Pad und überflog die Nachricht. Es war keine Todesnachricht, wie er bei den Worten Rians befürchtet hatte. Und obwohl er sich inzwischen kaum noch Chancen auf den Thron ausgerechnet hatte, versetzte diese Nachricht seinen Wünschen und Träumen den Todesstoß; Linai Thelam war schwanger, und das mit einem männlichen Erben, für den der Thron beansprucht wurde.
Nach einen Augenblick, in dem sein Herz still zu stehen drohte, musste er jedoch erst grinsen und dann lächeln: „Milady Großadmiral, es gibt Akarii, die trifft diese Nachricht härter als mich.“
Rian sah kurz aus, als ob sie etwas zu ihm sagen wollte, doch dann wandte sie sich den Berichten der Aufklärer zu. Mehrere Minuten blätterte sie durch Aufzeichnungen, legte hin und wieder den Kopf schief, lächelte und nickte.
„Admiral Logg meinte, die Ereignisse sein vorhersehbar gewesen.“
„Natürlich,“, stimmte Rian zu, „doch wenn ich mir das Vorgehen der terranen Flotte so ansehe, haben ihre Befehlshaber die Schlüsse schneller gezogen als viele andere. Wir sollten uns ins Gedächtnis einbrennen, dass dort drüben, obwohl sie nur Menschenlinge sind, wirklich Meister ihres Faches sind. Captain Borr!“
Rians Stabssignaloffizier trat heran: „Mylady?“
„Ich möchte eine Nachricht für die Flotte aufzeichnen, die Sie übermitteln, sobald wir Gefechtsbereit gemacht haben.“
Borr nickte und hielt ihr einen Aufzeichner entgegen: „Natürlich, Mylady.“

„An alle Schiffe und Geschwader, Soldaten der imperialen Raumstreitkräfte, wir sind an einem Wendepunkt angelangt. Wir stehen heute der so genannten Großen Armada gegenüber und werden in wenigen Minuten mit unseren Angriffen beginnen.
Wir schlagen hier nicht irgendeine Schlacht in einem unbedeutenden Krieg um einige Planeten. Die terranische Republik hat sich als harter und findiger Gegner herausgestellt, deren Durchhaltewillen und deren Fähigkeiten unsere schlimmsten Befürchtungen übertroffen haben. Wir stehen hier im Angesicht eines Feindes, der das Potential hat unsere Vormachtstellung in dieser Galaxis in Frage zu stellen. Wir stehen hier im Angesicht eines Feindes, der unser Reich, unsere Werte und unsere Art zu Leben bedroht.
Die terranen Barbaren stehen an den Toren unserer Zivilisation und sind im Begriff diese Tore mit Feuer und Schwert einzureißen. Dies ist die dunkelste Stunde unserer Rasse, seit wir begannen des Sternenmeer zu bereisen und ihm die Zivilisation zu bringen.
Und in dieser Stunde kann ich Euch nur um eines bitten: Zu kämpfen, zu kämpfen wie es nur ein Akarii vermag!“
04.03.2016 08:00 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Seiten (12): « erste ... « vorherige 10 11 [12] Baumstruktur | Brettstruktur
Gehe zu:
Neues Thema erstellen Antwort erstellen
The World of BattleTech » BattleTech Foren » Kurzgeschichten » Hinter den feindlichen Linien - Season 6 - Brennendes All

Forensoftware: Burning Board 2.3.6, entwickelt von WoltLab GmbH