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Zum Ende der Seite springen Hinter den feindlichen Linien - Season 6 - Brennendes All
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Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
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Cattaneo

Atemholen

Commodore Mithel war sich dessen bewusst, dass er eigentlich seine Flagge zur Victoria-Station hätte verlagern sollen. Die Relentless lag im Dock, und man hatte ihm angekündigt, dass dies wohl noch eine Weile so bleiben würde. Nicht nur, dass der Kreuzer einige dringende und umfassende Reparaturen benötigte, in einer Geheimbesprechung war auch angekündigt worden, dass man das Schiff ebenso wie die Kami modifizieren würde. Im Gespräch waren eine verstärkte Automatisierung einiger Schiffsfunktionen, was die Besatzung um etwa fünf Prozent reduzieren würde, sowie der Einbau eines zusätzlichen schweren Raketenwerfers und der Austausch der Energiewaffen gegen leistungsgesteigerte Modelle. Versprochen wurden Verbesserungen von mindestens 20 Prozent in Bezug auf Reichweite und Durchschlagskraft. Die Neuerungen basierten auf der Auswertung von erbeuteter Akarii-Technik und großzügigen Entwicklungsprogrammen, die seit Kriegsbeginn mit Mitteln liefen, die keine Regierung in Friedenszeiten hätte bewilligen können.
Der Commodore hatte vor allem den letzten Teil der Umrüstung mit relativ vorsichtigem Enthusiasmus zur Kenntnis genommen. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass selbst bei gründlicher Erprobung – an die im Krieg nicht immer gedacht wurde – bei vielen „Innovationen“ während des Einsatzes unter Frontbedingungen Komplikationen auftraten. Grundsätzlich begrüßte er jede Aufwertung, denn gerade die letzte Schlacht hatte einmal mehr bewiesen, dass auch die im Zeitalter der Megatonnen-Marschflugkörper antiquiert wirkende Artillerie ihre Berechtigung hatte. Über Karrashin hatten nicht die Kampfflieger die Entscheidung gebracht, und zahlreiche Schiffe waren durch konzentrierten Laserbeschuss zerstört worden, sowohl menschliche als auch feindliche.
Er hatte sich bemüht, auch für die Kinugasa eine Aufwertung herauszuschlagen, denn die war eigentlich für eine Aufwertung überfällig. Da auch dieses Schiff repariert werden musste, wie eigentlich jeder der verbleibenden Kreuzer, hatte man dem zugestimmt. Allerdings war nicht unbedingt zu erwarten, dass man auch alle leichten Kreuzer berücksichtigen würde. Die Automatisierung der Achilles-Schiffe war anscheinend noch nicht flächendeckend vorgesehen, und es war offen, in welcher Zahl neue Energiebänke und Strahlengeschütze zur Verfügung stehen würden. Vermutlich schrie ohnehin jeder Offizier einschließlich des Kommandeurs der Systemverteidigung von Sterntor nach den neuen Geschützen, sobald die Neuigkeit erst mal die Runde machte. Was bei den als Klatschtanten verschrienen Flottenangehörigen wohl nicht lange dauern würde. Mithel hatte zwar Pflöcke eingeschlagen und auf die beeindruckende Kampfgeschichte seiner Schwadron wie auch der einzelnen Schiffe verwiesen und auf die Wahrscheinlichkeit, dass man sie bald wieder in den Einsatz schicken würde, aber natürlich würde jeder Kommandeur dasselbe tun. Es blieb abzuwarten, ob wenigstens die Redemption und ein oder zwei andere leichte Kreuzer ebenfalls aufgewertet wurden. Verdient hatten sie es sich.

Es war davon auszugehen, dass der Umbau dauern würde, vor allem da die Werftkapazitäten offenbar ziemlich stark in Anspruch genommen wurden. Mithel hatte getan, was er konnte, um sich bei den zu erwartenden Verteilungskämpfen einen Vorteil zu sichern, auch über bloße Appelle hinaus.
Er hatte einem Teil seiner Besatzungsmitglieder zwar Urlaub gegeben, doch nach einem Rotationssystem würde ständig ein Kommando unter seinem Leitenden Ingenieur oder der Chefin der Schadenssicherung den Werftarbeitern zur Hand gehen und die Arbeiten übernehmen, für die nicht unbedingt schifffremdes Personal benötigt wurde. Der Kuhhandel, der bei der Besatzung sicher nicht auf viel Gegenliebe stieß, war von der Werftleitung schnell akzeptiert worden – schnellere Abfertigung und manipulierte Leistungsbilanzen wirkten sich gut in der Dienstakte aus. Wer im rückwärtigen Gebiet saß, war zwar relativ sicher, doch er machte auch nicht so schnell Karriere. So konnte die Relentless schneller wieder als einsatzbereit gemeldet werden, was angesichts der Schäden und vorzunehmenden Umbauten als hervorragende Leistung gelten konnte.
Mit Hilfe seiner Ersten Offizierin hatte der Commodore sichergestellt, dass etwa ein Drittel der momentan dienstbereiten Besatzung des Kreuzers ständig im Einsatz stehen würde. Nach einer Arbeitsschicht von drei Tagen standen den Männern und Frauen sechs Tage Landgang zu. Es war abzusehen, dass es Gemurre geben würde, hatten die Kreuzer doch Wochen und Monaten des Einsatzes hinter sich. Es war nicht leicht, am Schiff zu arbeiten, wenn die Victoria-Station und Seafort selbst lockten. Doch der Commodore hatte die Ankündigung des Dienstplans mit einem Appell an den Stolz der Besatzung verbunden. Angesichts des Verrates durch die Konföderierten – so Mithel – würde der Kriegserfolg noch mehr auf den Schultern der TSN liegen, und dabei natürlich auch und gerade auf dem Rückgrat der Flotte, den schweren Kampfschiffen. Er hatte ihre Bedeutung noch etwas übertrieben, denn solche Streicheleinheiten für persönliche Eitelkeiten kamen immer gut an. Zudem musste er den Männern und Frauen den Ernst der Lage nach den bitteren Verlusten der letzten Einsätze kaum erklären. Sie brannten keineswegs auf den nächsten Kampf, doch sie alle wussten, er würde kommen, möglicherweise bald. Zu der Peitsche des dienstlichen Befehls sowie der Drohung mit einer weiteren Offensive der Akarii gegen die besetzten Gebiete und dem Zuckerbrot des Lobes hatte er durchgesetzt, dass die Küche der Relentless großzügig beliefert wurde. Diese Vorzugsbehandlung galt auch für die Freizeitmöglichkeiten des Kreuzers – die neusten Simulationen, Filme, Bücher und Serien waren eingetroffen und standen kostenlos zur Verfügung. Das kompensierte etwas die Enttäuschung darüber, dass der Landgang immer wieder von Arbeitseinsätzen unterbrochen wurde.

Angesichts dessen, dass er von seinen Untergebenen einen solchen hohen Einsatz forderte, wäre es psychologisch falsch gewesen, selber in ein geräumigeres Quartier auf der Station umzuziehen. Und so blieb der Kapitän an Bord des Schiffes, schlief in dem relativ knapp bemessenen Quartier, aß in der Offiziersmesse und arbeitete unermüdlich in seinem penibel geordneten Büro. Natürlich konnte er bei der Instandsetzung selbst nicht viel helfen, außer dass er seinen Dienstrang gelegentlich in die Wagschale warf. Aber es gab genug Papierkram zu bewältigen, vor allem da Mithel als Commodore und Geschwaderchef auch für die anderen Kreuzer mitverantwortlich war, so wenige noch übrig waren. Aber Mithel dachte weiter als nur bis zum täglichen Dienstbetrieb und den notwendigen Ausbesserungen. Und aus diesem Grund erwartete er im Moment Besuch.
Als der Türmelder ertönte, richtete sich der Commodore auf und sicherte das Dokument ab, an dem er gerade gearbeitet hatte. Seine Stimme klang wie immer ruhig und beherrscht: „Herein!“ Die eintretende Frau war irgendwo zwischen Mitte 30 und 40 und trug die Rangabzeichen eines Captains. Ihre Haut wies eine fast vollkommen schwarze Färbung auf, was mit der makellosen weißen Uniform einen interessanten Kontrast ergab. Die Haare waren militärisch kurzgeschnitten – eigentlich keine Notwendigkeit in ihrem Rang. Sie salutierte zackig, ruinierte den Eindruck dann aber gleich wieder, indem sie unaufgefordert Platz nahm.
Normalerweise hätte sich Mithel so etwas verbeten, aber der Commodore blieb gelassen: „Ich freue mich auch, dich wieder zu sehen, Marianne.“ In seiner Stimme schwang höchstens eine Spur Sarkasmus, und selbst der klang eher gutmütig. Er kannte die Offizierin schon seit Jahren. Mithel hatte Marianne Sesiko das erste Mal auf einem Flottenempfang in Sterntor kennen gelernt, als er noch ein frischgebackener Captain und sie ein First Lieutenant im Stabsdienst gewesen war. Die Basis ihrer Bekanntschaft war gute alte Patronage, die auch in der TSN weiterlebte. Mariannes Onkel mütterlicherseits war ein Mitglied in dem Kreis von Offizieren, dem sich auch Mithel verpflichtet fühlte und der ihn gefördert hatte. Er hatte das Zerstörergeschwader kommandiert, in dem Chris Mithel erste Erfahrungen mit einem eigenen Kommando sammelte. Der Offiziersklüngel bestand überwiegend aus aktiven oder ehemaligen Kreuzerkommandeuren, Männer und Frauen, die ähnliche Ansichten über Flottentaktik und vor allem über die Verwendung der in Friedenszeiten immer knappen Geldmittel für Neubauten und Forschung hatten. Während der Brite im aktiven Dienst stand, hatte die jüngere Frau sich auf den Stabseinsatz konzentriert, wo sie auch dank ihres Onkels und anderer Gönner rasch Karriere machte. Sie hatten mehrfach zusammengearbeitet, und während Marianne dem Captain und späteren Commodore manchen guten Tipp gegeben hatte, hatte er auf ihre Empfehlung hin gewisse Nachwuchstalente unter seine Fittiche genommen. Derartige Patronage war zwar streng genommen verboten, aber Beziehungen entschieden auch in der TSN über viele Karrieren.

Inzwischen war die gebürtige Seaforterin als Verbindungsoffizierin zwischen der Zweiten und Dritten Flotte und der Zivilverwaltung von Sterntor tätig. Da das System für die Zweite Flotte ein wichtiger rückwärtiger Stützpunkt und Durchgangspunkt für den Nachschub, für die Dritte Flotte Sektor-HQ und dazu eines der größten Bevölkerungszentren der Bundesrepublik war, war dies ein mehr als verantwortungsvoller Posten, der auf weitere Beförderungen hoffen ließ.
Die jüngere Frau lächelte zur Antwort auf seine Grußworte nur schief: „Immerhin opfere ich für dieses Treffen einen Teil meiner fast restlos verplanten Zeit. Und du hast mich sicher nicht um der alten Zeiten willen angerufen.“ Der Commodore gab keine direkte Antwort, stattdessen holte er eine Flasche und zwei Gläser hervor, die in seinem Schreibtisch verborgen waren. Er goss schweigend ein. Dann schob er das eine Glas über den Tisch: „Nein, obwohl es immer wieder eine Freude ist, dich zu sehen – manchmal brauche sogar ich etwas gute alte Respektlosigkeit von niederen Dienstgraden.“ Das wurde mit spöttischem Gelächter quittiert. Das Glas wurde jedoch angenommen.
Mithel setzte sich bequemer hin: „Nun, ich hoffe, das ist doch schon mal ein guter Anfang für unser Gespräch.“ Sein Gast nahm einen prüfenden Schluck und schloss genießerisch die Augen: „Wenn sich bei dir nicht viel geändert hat, dann weißt du ja wohl immer noch nicht zu leben, aber wenigstens behandelst du deine Gäste gut.“ Der Commodore nippte nur leicht am Glas: „Nicht, wenn du meine Kapitäne fragst.“ spottete er.
Captain Sesiko wurde übergangslos ernst: „Ich habe mich bereits umgehört, was weiter mit deinen Schiffen und dir wird.“
Mithel nickte: „Im Augeblick habe ich nicht einmal ein kampfstarkes Geschwader – drei zum Teil ernsthaft beschädigte Kampfkreuzer, keine Flakschiffe, fünf leichte Kreuzer, von denen etliche ebenfalls erheblich lädiert wurden. Und ich schätze, ehe die Schiffe alle einsatzbereit sind, brauchen wir minimal sechs bis acht Wochen, je nachdem welche Priorität wir erhalten.“ Die jüngere Frau fixierte ihren Gastgeber über den Rand des Glases: „Ich kann dich jedenfalls beruhigen, es ist nicht im Gespräch, dich abzuschieben. Es gibt einfach nicht genug fähige Kommandeure – das soll jetzt keine Schmeichelei sein – vor allem nach den letzten Verlusten.“

Mithel wirkte fast traurig, als er ihren Worten lauschte. Vielleicht dachte er an die Geschwaderchefs, die über Tukama und Karrashin gefallen waren, doch er sagte nichts.
Die Seaforterin fuhr fort: „Ich wette, du hast wieder einmal die besten Leute der zerstörten Schiffe bereits in das Geschwader integriert, so dass du nur wenig Ersatz brauchst – jedenfalls sind deine Anforderungen geringer als man nach zwei oder drei Schlachten erwarten sollte.“ Der Commodore hatte offenbar nicht im Geringsten ein schlechtes Gewissen: „Wozu erst umständlich Leute anlernen und integrieren? Sicher, einige Überlebende sind zu sehr durch die Verluste angegriffen, die müssen eine Weile in Auffrischungseinheiten, oder sie brechen unter Druck zusammen. Aber unsere Ärzte sind gut darin, zu erkennen, wer noch belastbar ist. Und es ist für die Offiziere und Besatzungsmitglieder einfacher, als wenn sie in ein vollkommen neues Geschwader kommen. Hier kennen sie ihre neuen Schiffe wenigstens schon.“ Mithel hatte in dieser Hinsicht einen entsprechenden Ruf. Er war kein Schinder, aber Maschinen wie Menschen wurden so lange eingesetzt, wie aus ihnen noch etwas herauszuholen war.

„Jedenfalls…“ nahm sein Gast den Faden wieder auf: „…wird noch darüber beraten, was mit euch werden soll. Ehe die Columbia wieder einsatzbereit ist, wird eine Weile vergehen – falls sie das Geschwader des Trägers nicht auflösen und ein neues aufbauen.“ Der Commodore schnaubte nur: „Unwahrscheinlich. Gerade jetzt wollen sie die Träger sicherlich schnell wieder an der Front haben. Ein neues Geschwader baut sich auch nicht von heute auf morgen auf. Da ist es sinnvoller, Neulinge in Stammverbände zu integrieren – selbst wenn der Stamm zur Hälfte durchtrennt ist und keine Rinde mehr hat.“ Die jüngere Offizierin lachte auf: „Sehr poetisch, aber nach allem was ich gehört habe, zutreffend.“ Sie verzog das Gesicht zu einer gequält wirkenden Grimasse: „Nicht, dass es euren Großschiffen besser ergangen wäre.“ Mithel gab darauf keine Antwort – was sollte man auch sagen?
„Es sind jedenfalls mehrere Varianten in Überlegung. Ich habe gehört, dass sie auf jeden Fall erwägen, die Schwadronen 2.3 und 2.7 künftig als eine Einheit einzusetzen. Eine Variante, die geprüft wird, sieht vor die Kreuzer zu einem autonomen Angriffsgeschwader umzubilden. Das würde bedeuten, sie geben euch noch zwei oder drei schwere und die gleiche Anzahl leichte Kreuzer, davon vielleicht die Hälfte Einsatzeinheiten, der Rest Neubauten. Und dann wohl noch zwei Flakkreuzer – ich glaube, es sind Neuzugänge in Gespräch, die Etna und Vesuvio. Anschließend werdet ihr der Zweiten Flotten als operative Gefechtsreserve zugeteilt, unabhängig von einem Träger. Die Großkampfeinsätze der letzten Jahre zeigen Wirkung. Die Flotte sieht inzwischen ein, dass Kreuzer in diesem Krieg eine wesentlich größere Rolle spielen können.“
Mithel schien die Variante zu überdenken: „Das wären zwei Drittel der Kampfkraft eines alten Trägerbegleitgeschwaders.“ Die alten „Supergeschwader“ der Vorkriegszeit, zehn schwere und zehn leichte Kreuzer, gehörten seit Ausbruch des Krieges der Vergangenheit an. Die Großkampfschiffe waren in unzähligen Gefechten und Sondereinsätzen verstreut und verschlissen worden. Selbst wenn aktuelle Kreuzergeschwader annähernd zwanzig Schiffe beinhalteten – was sehr selten der Fall war – so war der Anteil der leichteren Schiffe deutlich gestiegen. Die Achilles-Kreuzer hatten zwar nicht weniger geblutet, vor allem da ihre Abwehrbewaffnung unzureichend war, doch sie standen in größerer Zahl zur Verfügung und waren in der Herstellung billiger.
Captain Sesiko fuhr in leicht dozierender Art fort: „Die andere Variante ist, dass sie warten, bis die Columbia wieder einsatzbereit ist. Die Verstärkung wäre dann etwa genauso groß, aber fast ausschließlich Neubauten.“ Ihre Stimme klang etwas sarkastisch, als sie hinzufügte: „Es wird sogar überlegt, euch Hunley- und Kirow-Kreuzer zu geben.“ Der Commodore verzog seine Lippen, als hätte er einen schlechten Geschmack im Mund. Die jüngere Frau nickte: „Ich weiß, das ist nicht gerade state-of-the-art-Material. Ich bezweifle aber, dass sie die internierten Einheiten schnell genug einsatzbereit machen, es gäbe sonst ja schon Probleme, ausreichend Harpoon-Marschflugkörper bereitzustellen.“
Mithel lachte bitter: „Bah, dann schicken sie eben Beuteschiffe mit Beutemunition in den Einsatz, das würde passen.“ Er seufzte: „Ich dachte nicht, dass es so schlimm steht. Aber nach den Verlusten der letzten Jahre sollte mich das eigentlich nicht mehr wundern. Der einzige Trost ist, dass es beim Gegner noch schlimmer aussehen muss. Allein über Tukama und Karrashin müssen die Akarii bis zu 30 Kreuzer eingebüßt haben. Aber dennoch…uns fehlen die Leute, die diese Exoten beherrschen. Und ich zweifle daran, dass unsere Leute den Konföderierten genug trauen, um Spezialisten zu übernehmen.“ Die Seaforterin schien auch eine humoristische Note bei all dem zu erkennen: „Nun, ihr habt ja mit der Kami schon einen Sonderling, vielleicht werdet ihr das Spezialgeschwader für Exoten.“

Der Commodore schien von dieser Aussicht wenig erfreut zu sein: „Ich bin von der Idee immer noch nicht überzeugt. Die Kami kann ja akzeptable Ergebnis erreichen – aber ich sehe keinen ausreichenden Unterschied zu dem, was ein gut geführter Ticonderoga leisten kann, um die Sonderausgaben und Unwägbarkeiten auszugleichen. Und wenn wir die Kähne der Konföderation nutzen…da wäre es noch besser, aus der Home Fleet Schiffe auszutauschen. Aber das werden sie nicht, weil dann jemand aufheulen würde wegen der ungenügenden Verteidigung der Erde.“
Sein Gast schien dem zuzustimmen: „Es ist aber auch ein ungünstiger Zeitpunkt. Der Stoß ins Herz der Konföderation nährt die Angst, die Akarii könnten so etwas noch einmal versuchen. Und der Vormarsch nach Karrashin war auch nicht gerade beruhigend, egal ob das jetzt als Sieg gilt oder nicht.“
Mithel zuckte mit den Schultern: „Die Akarii kochen auch nur mit Wasser. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie auf einmal unerschöpfliche Vorräte an Piloten und Schiffen gefunden haben. Wir haben sie in den letzten Jahren weit zurückgetrieben. Sie können immer noch hart austeilen – wir waren dumm genug, das zu vergessen – aber ich zweifle daran, dass sie so etwas noch einmal starten können. Ihre Manticore-Flotte ist als Angriffsinstrument erstmal ausgeschaltet Ich schätze, ein Drittel bis die Hälfte ihrer Piloten ist ausgefallen, dazu fast alle Kreuzer und viele leichte Einheiten. Ihre Träger brauchen sowieso ein paar Monate im Dock. Die feindliche Hauptflotte müsste erst die Zweite Flotte schlagen, dann stünde sie aber immer noch tief in ihren ehemaligen Gebieten. Und selbst wenn sie das könnten, wären nach so einer Schlacht nur noch Reste übrig. Und wer soll sonst eine solche Offensive starten? Etwa der Draned-Sektor? Die haben zwar auch zwei Flottenträger, aber sie müssten ihre Systeme vollkommen entblößen, und das würde für einen Angriff auf Terra immer noch nicht reichen. Ihr Kommandeur hat sich nicht gerade überanstrengt, um Prinz Jor zu helfen oder uns nach dem Tod des Prinzen die Schwanzfedern zu kappen. Aber wir wollen uns mal nicht zu sehr den Kopf der Flottenführung zerbrechen.“ Was natürlich eine Lüge war. Mithel gehörte wie seine Bekannte einer Gruppe von Offizieren an, die durchaus aktiv mitredete, wenn auch eher verdeckt.

Der Commodore schien durch die möglichen Alternativen zwar nicht besonders erfreut – wie jeder Kommandeur hätte er es gerne gesehen, wenn sein Geschwader mit Vorrang und hochwertigem Material ausgestattet worden wäre. Aber er schien mit beiden Varianten leben zu können: „Hauptsache, sie schieben uns nicht doch noch aufs Abstellgleis und zerstückeln das Geschwader.“ Er war zweifellos ein loyaler und diensteifriger Offizier – aber nachdem er jahrelang eine Schwadron geführt hatte, war er daran gewöhnt, einen Flottenverband zu befehligen, nicht nur ein Schiff. Und er war sehr daran interessiert, dass dies so blieb. Aber er hatte noch einen anderen Punkt auf dem Herzen: „Was ist denn mit den Gerüchten von neuen Schiffen, an denen sie bauen?“
Die jüngere Frau tat geschockt: „Da hat wohl mal wieder jemand nicht den Mund halten können? Eigentlich ist das doch alles streng geheim.“ Dann beruhigte sie sich wieder: „Ehe die in den Einsatz kommen, ist die momentane Krise hoffentlich überwunden. Was ich gehört habe, klingt nach einem Kommandokreuzer, etwa in der Größe des Ticonderoga, einem schweren Zerstörer und zwei Trägereinheiten, eine davon eher ein Landungs- und leichter Träger. Auf jeden Fall Schiffe mit verbesserter Bewaffnung, zum Teil auch SM-2-Abwehrwerfern. Ich vermute, die Elektronik ist immer noch zu komplex, um sie in unsere alten Kreuzer zu integrieren.“
Chris Mithel wirkte recht nachdenklich: „Nun, eine Überarbeitung der Flakkreuzer wäre vielleicht ebenfalls ratsam. Ich will nicht sagen, dass sie nicht gute Dienste leisten, aber wir haben von vieren über Karrashin drei verloren. Sie sind besonders im Nahkampf ziemlich verwundbar, und so wie sich die Akarii gebärden, könnte uns das noch öfter passieren. Nicht, dass dieses Problem nicht schon länger bekannt gewesen wäre.“
Captain Sesiko lachte: „Ich werde es anmerken, wenn ich mal wieder mit der Präsidentin und den Chefs der Baufirmen diniere. Aber was hast du erwartet? Dass sie endlich das Schimäre-Programm starten?“
Letzteres war eher als Scherz zu verstehen. Das „Projekt Schimäre“ war so etwas wie der Heilige Gral der Großschiff-Kapitäne. Ein autonomes Kriegsschiff, das gleichermaßen die Aufgaben eines überschweren Gefechtskreuzers erfüllen konnte, aber auch über ein funktionstüchtiges Geschwader von vier bis sechs Staffeln und ein einsatzstarkes Kontingent Marineinfanteristen verfügte. In den Entwürfen war es das Gegenstück zum Linienschiff der Segelschiffära, ein selbstständig operierendes und schlagkräftiges Machtinstrument. Es wäre wie geschaffen dafür, über lange Strecken eingesetzt zu werden, für welche die kleineren Einheiten der Flotte nicht geeignet waren. Angedacht war ein Schiff von der Größe der Flottenträger, jedoch mit reduziertem Geschwader bei massiv ausgebautem Gefechtspotential sowohl für die Defensive als auch für die Offensive. Der gewählte Name leitete sich dem Vernehmen nach von einem mehrgestaltigen Untier der terranischen Mythologie ab. Bisher allerdings waren die vorliegenden Entwürfe nicht ernsthaft in Angriff genommen worden, nicht zuletzt weil die Anhänger der Trägerfraktion den Verfechtern der Idee einen Hang zu den alten Schlachtschiffen vorwarfen. Das Projekt Schimäre war auch während des Krieges gegen die Akarii Zukunftsmusik geblieben. Mithel selbst hatte einige Detailstudien zu dem Thema verfasst und auch einen Artikel veröffentlicht, also kannte er sich aus.
„Aber jetzt hast du mich genug gelöchert, ich habe auch mal eine Frage. Wen möchtest du eigentlich zu deinem XO in der Schwadron machen?“ Mithel schien ein Urteil nicht sonderlich schwerzufallen, aber er hatte auch Zeit gehabt, sich über die Frage klar zu werden: „Selbst wenn Atkins nicht gefallen wäre, ich hätte ihn vermutlich nicht ausgewählt. Ihm mangelte es etwas am nötigen Auftreten, und vor allem war er ein Neuzugang. Schneider fehlt eindeutig das Zeug zum stellvertretenden Schwadronschef. Kapitänin Ashika Tonumura von der Kinugasa kenne ich nicht gut genug. Ich denke, Raffarin ist die beste Wahl. Sie ist respektiert, schon lange dabei, hat eine mustergültige Akte…“ Captain Sesiko fiel boshaft ein: „und gehört zu deinen Schützlingen, für die so ein Kommando das Sprungbrett für die weitere Karriere ist.“ Mithel focht das nicht an: „Ich fördere den, der das Zeug dazu hat. Und das hat sie – sowohl bei der Schiffs- als auch bei der Menschenführung.“ Der Commodore schien für einen Moment lang seinen Gedanken nachzuhängen, immerhin kannte er Raffarin schon seit Jahren. Vermutlich erinnerte er sich in diesem Moment an die Krisen, die sie gemeinsam gemeistert hatten. Als guter Gastgeber hatte Mithel während des Gespräches seinem Gast noch einmal nachgeschenkt, während er mit seinem eigenen Glas nur zur Hälfte fertig war. Das veranlasste die jüngere Frau jetzt zu der anzüglichen Frage: „Was denn, Commodore, Sie wollen mich doch nicht etwa betrunken machen, so dass ich eine Dummheit begehe?“
Der ältere Offizier lächelte nur dünn: „Du weißt doch selbst betrunken besser auf dich aufzupassen, als einige meiner Kapitäne.“ Dann verblasste das kameradschaftliche Grinsen etwas: „Im Ernst – danke für die Informationen. Und halt die Ohren offen, für den Fall, das sich noch etwas ergibt.“ „Alles klar, mon Commodore.“ lautete die launige Antwort.
15.01.2016 06:43 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Tyr

Mars, Flottenakademie

„Sie sind einer meiner besten Ausbilder. Ich verliere Sie nur sehr ungern.“ Konteradmiral Jan Fletchers Stimme klang ehrlich. Und nicht sehr erfreut. Der Befehlshaber von Markham Field, der TSN-Marsakademie, ließ sich ungern in seine Personalpolitik hineinreden. Immerhin unterstanden ihm mehr Mannschaften und Maschinen, als einem Trägerkommandeur. Zählte man dann noch die Außenposten, Sicherungsverbände und Abwehrbatterien dazu, dann befehligte er genug Feuerkraft, um einen Flottenverband zu pulverisieren.
Und da unter Jan Fletchers Kommando ein Großteil des Pilotennachschubs für die Trägereinheiten und bodengestützten Fliegerverbände der TSN ausgebildet wurden, hatte seine Stimme üblicherweise Gewicht. Solange junge Piloten in ausreichender Zahl die Akademie verließen, konnte Fletcher meistens schalten und walten, wie es ihm gefiel. Aber den Forderungen der Admiralität konnte auch er sich nicht entziehen.
„Danke, Sir.“ George ‚Blackhawk’ Lincoln hatte das kommen sehen. Er war nicht der erste Ausbilder, der in der letzten Zeit an die Front geschickt wurde. Und weitere würden ihm folgen. Kurz überlegte er, ob dieser TIS-Offizier etwas mit seiner Versetzung zu tun hatte, der ihm vor einer Zeit merkwürdige Fragen zu diesem Geisterschiff gestellt hatte. Doch dann tat er den Gedanken als zu unwahrscheinlich ab.

„Ginge es nach mir, dann würde ich jemanden anderen schicken. Aber es ist immer dasselbe. Steht uns das Wasser bis zum Hals, dann wird das Ausbildungskorps geplündert. Wenn sich die Lage dann wieder stabilisiert, fällt ihnen wieder ein, dass man auch fähige Ausbilder braucht, um den Nachwuchs zu schulen. Dann schicken sie meine Leute zu mir zurück. Diejenigen, die überlebt haben. Und wenn das Kriegsglück wieder umschlägt, dann wiederholt sich das Ganze…“
Blackhawk enthielt sich eines zustimmenden Kommentars. Er hatte es schließlich selber schon einmal erlebt. Nach zwölf Jahren aktivem Dienst hatte man ihn drei Jahre vor Kriegsbeginn als Fluglehrer an die Akademie berufen.
Kurz nach der Schlacht von Manticore war er wieder für den Frontdienst mobilisiert worden, hatte auf der MARYLAND, der REDEMPTION und der COLUMBIA gedient. In drei Jahren Frontdienst hatte er seine Abschussliste auf vierzehn Feindmaschinen erhöht. Dann hatte man wieder aus dem Frontbetrieb herausgelöst und zur Akademie zurückgeschickt, wo er erneut als Fluglehrer eingesetzt wurde. Und versuchte, den nachfolgenden Generationen jene Kniffe und Lehren beizubringen, die es ihnen ermöglichen sollten, zu überleben – und ihren Auftrag zu erfüllen. Man hatte ihn zum Lieutenant Commander befördert, seine Familie war um eine weitere Tochter größer geworden, und sein vierzigster Geburtstag war gekommen und gegangen. Er hatte geglaubt, für die TSN genug Maschinen abgeschossen, oft genug sein Leben riskiert zu haben.

Doch jetzt, da die CC weg gebrochen war, da die Navy-Flieger hohe Verluste erlitten hatten, und da die Akarii überraschend an mehreren Fronten offensiv geworden waren, sollte er offenbar einmal mehr in die Bresche springen: „Wer wird meinen Posten übernehmen? Wissen Sie das schon, Sir?“
„Vermutlich irgendein Frontoffizier, der für den Einsatz in vorderster Linie nicht mehr geeignet ist. Unsere Führung scheint zu meinen, dass eine Menge Abschüsse und Erfahrung im Raumkampf als Qualifikation genügen. Die haben ja keine Ahnung. Ich meine, NATÜRLICH ist das wichtig, aber es ist nicht alles. Es ist noch nicht einmal die Hälfte. Ich brauche Männer und Frauen, die nicht nur kommandieren und Führen können – sondern auch LEHREN.“
George Lincoln sah seinen Vorgesetzten nicht gerne in einer solchen Stimmung. Auch wenn er ihn verstehen konnte: „Ich bin sicher, man schickt einen fähigen Piloten. Und was das Lehren angeht – Sie werden die Neuen schon einweisen.“
Fletcher lachte bellend: „Das wäre ja noch schöner, wenn ich die nicht zurechtbiegen könnte. Aber manchmal bin ich es leid, immer wieder von Vorne anzufangen. Und gleichzeitig wollen sie immer mehr und mehr Piloten in immer kürzerer Zeit. Frischfleisch für die Knochenmühle. Zur Hölle damit!
Manchmal denke ich, es wäre wirklich das Beste, wenn man endlich fronttaugliche Robotjäger herstellen könnte.“

***

Dieses Ziel war so etwas wie der heilige Gral der Militärkybernetiker, noch vor dem Robotersoldaten. Die Entwicklung ferngesteuerter Jäger – also Drohnen – war vor etlichen Jahren weitestgehend eingestellt worden. Es war Wahnsinn, auf funkgesteuerte Maschinen zu setzen, wenn der Gegner im Bereich der ECM- und ECCM-Technik deutlich überlegen war.
Dafür erschien die Konstruktion von autonom agierenden Robotjägern weiterhin als potentieller Quantensprung des Raumkampfs. Robotschiffe brauchten keine Lebenserhaltungssysteme. Das würde bedeuten, man könnte die frei werdende Energie auf Antrieb, Schilde und Waffen umleiten. Robotjäger konnten in einem Bruchteil der Zeit fertig gestellt werden, die die Ausbildung eines Piloten kostete. Sie ermüdeten nicht, und waren Hitze, Kälte, Beschleunigung und Schäden gegenüber weniger empfindlich als ein Mensch. Die Schiffe würden also schneller, belastbarer und besser bewaffnet sein, und eine größere Reichweite haben. Und die Maschinen würden reaktionsschneller als die meisten Piloten sein. Die wenigen Asse der Streitkräfte würden wahrscheinlich einem Robotschiff immer überlegen bleiben – Elektrodengehirne hatten nun mal keinen Sechsten Sinn und keine Intuition. Aber normale menschliche oder Akarii-Piloten sollten von den neuen Maschinen förmlich deklassiert werden. Versprachen die Konstrukteure.
Ein ‚echtes’ Robotschiff würde in seinem Elektrodengehirn hunderte Manöver speichern, und sie je nach Auftrag und Situation praktisch verzögerungslos durchführen können. Ausgestattet mit der Fähigkeit, entsprechend der Einsatzparameter eigene Entscheidungen zu treffen, würden diese Jäger von der Funkverbindung mit dem Mutterschiff nicht stärker abhängig sein, als normale Piloten aus Fleisch und Blut.
Allerdings war das alles noch Zukunftsmusik. Vorher musste man einen Weg finden, um sicherstellen, dass die KI-Piloten nicht zu ‚automatisch’ reagierten und dadurch berechenbar wurden. Berechenbarkeit im Raumkampf war tödlich. Und viele ‚Traditionalisten’ der TSN standen der Idee, eine ‚Blechkiste ins Cockpit zu setzen’ mehr als skeptisch gegenüber. Vor allem gab es da noch das, was die Befürworter der Robotschiffe verächtlich ‚Das Frankenstein-Syndrom’ nannten – die fast instinktive Abneigung, Maschinen die vollständige Kontrolle über moderne Kampfflieger oder sogar Atomwaffen zu geben. Und die Furcht vor den technologisch überlegenen Akarii, die vielleicht doch einen Weg finden könnten, die Robotschiffe ‚umzudrehen’.

***

„Würden Sie das wirklich wollen, Sir?“
„Ich weiß nicht. Jeder Pilot, der Draußen bleibt, ist ein weiterer Grund für dieses Programm. Doch manchmal frage ich mich, ob wir den Geist dann auch wieder in die Flasche zurücktreiben könnten. Vielleicht bin ich einfach etwas zu alt dafür.
Egal. Das bleibt Zukunftsmusik. Darum können wir uns kümmern, wenn sich der erste Schüler mit einem Positronengehirn bei uns einschreibt.“
„Wissen Sie schon, auf welches Schiff ich versetzt werde, Sir?“
„Sie haben Glück. Sie kommen in eine Eliteeinheit. Ihr altes Geschwader – die Angry Angels.“ Fletcher klang nicht ganz aufrichtig.
Blackhawk hielt seine Miene ausdruckslos: „Ja, Glück…“ Seine alte Einheit war berühmt für fähige – wenn auch manchmal schwierige – Offiziere und hervorragende Piloten. In den Reihen der Angry Angels fand man einen überproportionalen Anteil an Fliegerassen, und zwei Mitglieder des Geschwaders gehörten zu den ersten Piloten, die im Akarii-Krieg das Silberne Flight Cross erhalten hatte. Die Angry Angels galten zu Recht als das ‚Geschwader der Entscheidungsschlachten.’ Aber das hatte seinen Preis. Im Verlauf des Krieges hatten die meisten Staffeln bereits deutlich mehr als 100 Prozent Verluste erlitten. Auch die Verlustrate der Staffelführer war überdurchschnittlich: „Hat man mich speziell angefordert, oder ist das Zufall?“
„Sagen wir einmal so, für unsere Superhelden wird immer der Rahm abgeschöpft. Und nach fünf Jahren Krieg gibt es auch im Ausbildungskorps nur wenige Leute mit Ihrer Qualifikation. Wir haben die Miliz- und Sicherungsgeschwader mehrfach durchkämmt, die Militärgefängnisse geleert und Shuttlepiloten umgeschult. Außer einigen Genesenden findet man in der Etappe kaum noch Asse, die als fronttauglich zu bezeichnen sind. Vielleicht können wir einige Konföderierte zum Überlaufen bewegen, aber ansonsten…
Kurz und Gut, Sie gehören zu den Besten, die noch übrig sind. Und Sie haben bereits bei den Angry Angels gedient, und dabei eine mehr als gute Bewertung bekommen. Wenn ich mir so ansehe, was bei denen eine Staffel führen kann, na ja…
Ihre Erfahrung und ihr Rang qualifizieren Sie auf jeden Fall zum Staffelchef, und ein solcher Posten ist an Bord der COLUMBIA frei geworden. Mal wieder.“

Blackhawk hatte sich gelegentlich die Mühe gemacht, sich über das Schicksal seines alten Geschwaders zu informieren. Er hatte an Bord der COLUMBIA etliche Freunde gefunden, und noch mehr Leute, deren Schicksal ihm zumindest nicht ganz gleichgültig war. Es war eine etwas bittersüße Erfahrung gewesen, mit anzusehen, wie seine alten Bekannten Karriere machten – oder aber fielen. Aber er kannte natürlich nicht jeden Piloten, und etliche Staffelführer waren ihm ebenfalls unvertraut. Insgeheim hoffte er, dass der freigewordene Platz nicht einem seiner Bekannten gehörte.
„Sie übernehmen die Gelbe Staffel. Ihr Kommandeur Santiago de la Cruz…nun um es offen zu sagen, der Mann hat sich erschossen. Er ist offenbar mit den Verlusten nicht ganz fertig geworden.“
George Lincoln nickte. De la Cruz war nicht der erste Offizier oder Pilot, der diesen Ausweg gewählt hatte. Die ständige Todesgefahr, die hohen Ansprüche, die an die Flieger der TSN gestellt wurden, und die blutigen Verluste der letzten Jahre hatte die Zahl der Selbstverstümmlungen und der Selbstmordversuche deutlich ansteigen lassen. Aber insgeheim war er auch erleichtert. Wenigstens hatte es einen ‚Neuen’ erwischt. De la Cruz war nach Blackhawks Weggang zu den Angry Angels gestoßen: „Wenn die Verluste so hoch waren…mit wie vielen Veteranen kann ich arbeiten?“

Der Konteradmiral verzog den Mund: „Momentan mit keinem einzigen. Man hat die Gelbe Staffel aufgelöst und so die Verluste anderer Staffeln ausgeglichen.“
Blackhawks Augen verengten sich kurz. Seine Stimme blieb ruhig, aber er war nicht erfreut: „Heißt dass, dass ich die Staffel komplett neu aufstellen soll? Entschuldigen Sie, Sir, aber um aus Gesundeten und Neulingen eine funktionierende Einheit zu bilden, dazu brauche ich Zeit. Vermutlich sollte ich geschmeichelt sein, da man ein solches Vertrauen in meine Ausbildungs- und Führungsfähigkeiten setzt. Doch ich bin mir nicht völlig sicher, was die Admiralität von mir erwartet. Wenn die neue Staffel Gelb den Standards der Angry Angels entsprechen soll…“
„Bei mir rennen Sie damit offene Türen ein. Aber es ist nicht ganz so schlimm. Sie bekommen so etwas wie ein Vorgriffsrecht bei den Neuzugängen. Und außerdem wird man einen Teil der Veteranen zurückverlegen.“
‚Vermutlich nicht unbedingt die Besten.’ Aber Blackhawk wusste, dass weitere Proteste sinnlos gewesen wären. In über zwanzig Jahren aktiven Dienst hatte er gelernt, seine Grenzen zu erkennen: „Die Gelbe Staffel fliegt Griphen.“
Fletcher grinste kurz: „Wenigstens was das angeht, habe ich gute Neuigkeiten. Die Staffel wird vollständig mit Griphen D ausgerüstet.“

**
Die F-104 Griphen D war der Nachfolger der alten B-Serie und trotz des Namens praktisch ein neuer Kampfflieger. Sie war deutlich schneller als ihr Vorgänger, und konnte sogar eine Nighthawk überholen. Während die beiden Neutronenkanonen geblieben waren, hatten zwei Plasmageschütze die Photonenkanonen ersetzt. Allerdings blieb die Ausstattung mit Raketen begrenzt und auch die D war nicht in der Lage, die schweren Phoenix-Langstreckenflugkörper zu tragen.
**

Blackhawk lächelte: „Eine Sorge weniger. Die alte B ist ja nur noch als Zielschiff zu gebrauchen.“
„Ich werde außerdem Ihre Beförderung zum Commander vorschlagen. Aber ich kann Sie nur empfehlen. Die Entscheidung liegt nicht mehr in meiner Hand. Aber Sie haben das Zeug, XO der Angry Angels zu werden. Das Geschwader könnte jemanden wie Sie in dieser Position gebrauchen.“
Beide wussten, dass ein solcher Posten wahrscheinlich den Höhepunkt von Blackhawks Frontkarriere darstellen würde. Auch wenn er ein guter Pilot, ein mehr als fähiger Ausbilder und talentierter Einsatzführer war – er war zu weich. Die Fähigkeit, auch auf schwächere Piloten Rücksicht zu nehmen, zu den meisten Männern und Frauen unter seinem Kommando eine persönliche Beziehung zu entwickeln, disqualifizierte ihn für den Posten eines Geschwaderchefs oder gar Trägerkommandanten. Denn von einem solchen Mann erwartete man, dass er nötigenfalls seine Piloten bedenkenlos in den Tod schickte. Dazu aber war Blackhawk nicht bereit.
„Danke, Sir.“ Insgeheim bezweifelte George Lincoln, dass seine neuen Vorgesetzen Flechters Empfehlungen folgen würden. Lone Wolf bevorzugte in seinen Stab Leute, die von ihm abhängig waren, oder zu seinem überschaubaren Freundeskreis zählten. Außerdem gehörte der Posten des XO traditionell einem Veteranen des Geschwaders.

„Wann soll ich aufbrechen, Sir?“
„Sie haben noch fünf Tage, um ihre Klasse zu übergeben und den ausstehenden Papierkram zu erledigen. Außerdem konnte ich noch zwei Tage Urlaub für Sie durchdrücken. Mehr war nicht drin. Tut mir leid.“
Blackhawk stieß leise die Luft aus: „Danke, Sir.“ Er hatte nicht mit mehr rechnen dürfen, trotzdem fiel es ihm nicht leicht, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.
„Das wäre dann alles. Wir werden uns natürlich noch bei der offiziellen Verabschiedung sehen, aber bis dahin…Ich will Sie nicht weiter von Ihren Pflichten abhalten.“
Blackhawk erhob sich, und salutierte sorgfältig, aber nicht übermäßig zackig: „Sir. Wahrscheinlich sollte ich damit bis zu der offiziellen Verabschiedung warten. Dennoch…Es war mir eine Ehre, unter Ihnen zu dienen.“
Der Konteradmiral lächelte flüchtig und erwiderte den Gruß: „Vielen Dank. Das weiß ich zu schätzen.“

Sobald die Tür hinter ihm zu geglitten war, erlaubte es sich Blackhawk, seine Schultern einen Zentimeter nach unten sacken zu lassen. Er fühlte sich alt. Und das lag nicht nur daran, dass er sein vierzigstes Lebensjahr bereits hinter sich hatte und Kriegsjahre doppelt zählten. Er wusste, er galt als unerschütterlich, immer ausgeglichen, niemals knurrig oder unzufrieden. ‚Onkel Tom’, ‚Papa Lincoln’…aber gerade jetzt fiel es ihm sehr schwer, seine innere Ruhe zu finden, die ihn durch tausende von Flügen und Dutzende von Gefechten getragen hatte.
Er hatte wieder besseren Wissens doch tatsächlich gehofft, dass dieser Kelch an ihm vorbei gehen würde. Ein klassischer Fall von Wunschdenken.
Und dennoch, er würde den Befehl befolgen. Er würde sein Bestes geben, aus einem Haufen von Neulingen, Genesenden und – wahrscheinlich – verbitterten oder demoralisierten Veteranen eine Staffel zu formen, die einem Elitegeschwader der TSN würdig war. Das war er sich selber und den Piloten schuldig, die man ihm anvertrauen würde. Er hatte sich um diese Aufgabe nicht gerissen, aber er würde sie erfüllen.
Und Maria…Der Pilot seufzte. Seine Frau hatte selber zu den Streitkräften gehört. Sie wusste nach zehn Ehejahren, dass die TSN ein sehr anspruchsvoller Arbeitgeber war. Und dennoch, es würde nicht einfach für sie sein. Für ihn selber natürlich auch nicht. Und insgeheim graute ihm davor, seinen drei Kindern klar machen zu müssen, dass er schon wieder auf unbestimmte Zeit im Nirgendwo verschwand. ‚Wenn ich ins Gefängnis müsste, dann wüssten sie wenigstens, wann ich wieder nach Hause komme.’ Er hatte von Johns und Rebeccas Kindheit so viel versäumt. Und was das Nesthäkchen Maria anging… Er kannte die Risiken. Es konnte sein, dass sie ihren Vater verlieren würde, ohne sich an ihn bewusst erinnern zu können.
Gewaltsam zwang er die düsteren Gedanken nieder. Aber sie verschwanden nicht, lauerten weiter am Rande seines Bewusstseins.
Der Lieutenant Commander sah auf seine Armbanduhr. Eigentlich hatte er vorgehabt, noch die Übungsarbeiten einiger seiner Schüler durchzunehmen. Aber stattdessen entschloss er sich, Heute einmal pünktlich Schluss zu machen, und ausnahmsweise mal früher nach Hause zu kommen.
15.01.2016 06:43 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cunningham

Raven rief sich Ace' Dienstakte auf.
„Lieutenant Davis meldet sich wie befohlen“, Ace, dem man noch die Nachwirkungen seiner Verletzung ansehen konnte, salutierte ähnlich nachlässig wie Sean Grover.
„Setzen Sie sich, Ace“, Raven musterte ihn kurz, „wie geht es Ihnen?“
„Soweit ganz gut, die Arbeit bei zwei Staffeln schlaucht etwas, lenkt aber auch vom Nachdenken ab.“, er zuckte etwas unschlüssig mit den Schultern.
„Verstehe, jetzt in Sterntor können Sie sich wieder auf eine Staffel beschränken.“
„Ich glaube Chip ist noch nicht so weit auf meine Hilfe ...“, Ace verstummte und sah Raven an. Ihr kaltes, abwartendes Gesicht macht klar, dass er eben in die Falle gelaufen war.
„Er wird sich einarbeiten,“, beteuerte Ace, „geben Sie ihm noch etwas Zeit, Skipper. Die Blauen haben ihren CO und XO verloren, so was ist nicht so einfach wegzustecken.“
„Kommen wir zum Punkt, Cliff, ich brauche jemanden, der die blaue Staffel auf Vordermann bringt, der sie befehligen, wenn nicht gar führen kann. Huntress Leistungsberichten zufolge kann Chip sich in die Rolle eines XO rein arbeiten, dazu wird er aber Anleitung brauchen und so wie seine Leistungen derzeit sind, wird er dafür eher mehr als weniger Hilfe brauchen.
Er braucht jemanden, der ihn führt, stimmen Sie mir dabei zu?“
Es arbeitete auf Ace' Gesicht. Raven sah ihm an, dass er jetzt lieber schweigen würde als zu antworten oder sich die Zunge abbeißen: „Ja, so wie es jetzt aussieht, wird Chip es nicht hinbekommen.“
Sie blickte wieder auf ihren Bildschirm: „Gut, dass wir uns einig sind. Kommen wir also zum Wesentlichen.“
„Imp wird sicherlich eine gute Staffelführerin abgeben“, grummelte Ace in den nicht vorhandenen Bart.
Ein lächeln umspielte die Lippen der CAG: „Imp steht aber zur Zeit nicht zur Verfügung, die wird Commander Eisenherz unter die Arme greifen müssen, nachdem Madam meinte mit einem gebrochenen Bein ins Cockpit zu steigen.“
„Typisch für Lilja.“
„Tja, jetzt aber nicht gerade hilfreich“, merkte Raven an, „aber das Problem ist folgendes: Die Personellen Verluste der blauen Staffel waren hart und für die Moral der Staffel eine Katastrophe. Wenn ich jetzt aus einem anderen Geschwader jemanden anfordere, wird das nicht hilfreich sein, das ist ein Job für einen Insider.“
Sie pausierte kurz: „Cliff, ich möchte, dass Sie die blaue Staffel übernehmen.“
„Was?“, fuhr Davis auf, „ich kann doch nicht die blaue Staffel übernehmen, dass kann ich Chip nicht antun, … ich kann doch nicht Julianes alte … sie ist doch erst ein paar Wochen tot und überhaupt, was wird aus der roten Staffel?“
„Die rote Staffel ist nicht so am Boden wie die blaue, für die kann ich guten Gewissens Ersatz anfordern. Darüber hinaus ist Shaw in der Lage den Laden eine Weile allein zu schmeißen, auch wenn ihr Wehklagen bis in die randwertigen Gebiete des Bundes zu hören sind, jenseits von Terra versteht sich.“
„Ich bin nicht mal für die Falcon qualifiziert!“
„Wissen Sie Ace“, bemerkte Raven, „jemand der sich so Hände ringend gegen einen Job wehrt, der will ihn unbedingt. Außerdem werden Sie hier auf Sterntor die Zeit und Möglichkeit haben die Qualifikation nachzuholen. Sollte für ein Ass doch nicht so das Problem sein.“
Das Gesicht des jüngeren Piloten verdüsterte sich: „Und wo bleibt die Peitsche zum Zuckerbrot?“
„Muss ich die etwa auspacken, Mister?“, sie betonte das Mister entsprechend scharf, so wie es sich Lightning von Darkness ab geschaut hatte, von der sich das Raven ab geguckt hatte.
„Nein“, Davis hob kapitulierend die Hände, „nein, ich übernehme die blaue Staffel, obwohl es mir falsch vorkommt.“
„Gut, ich habe Sie zur Beförderung zum Lieutenant Commander vorgeschlagen. Hier in der Etappe dürfte dies schneller passieren als in der 2. Flotte. Sehen Sie zu, dass Sie die Roten an ihre Stellverterin abgeben und übernehmen Sie schnellstes das Kommando über die Blauen. Weggetreten.“
„Stellvertreter, Noname ist mein Interims XO, er wäre auch ein guter Staffelführer.“
„Lieutenant Shaw hat ihm fast zehn Jahre als Senior Grade voraus, übergeben Sie das Kommando an Shaw, Sie können wegtreten.“
„Aye, Ma'am“, Davis erhob sich, salutierte flüchtig und ging zur Tür, wo er nochmal inne hielt, „wissen Sie, sie klingen schon fast wie Lone Wolf.“
„Raus!“
Als die Tür geschlossen war lehnte sich Raven zurück. Tatsächlich riss sie damit Löcher um andere Löcher zu stopfen. Natürlich wäre Imp die beste Alternative für die Roten gewesen, doch da Lilja im Lazarett lag, kam eine Versetzung von Imp nicht in Frage.
Dann war da noch Kano, der früher auf einem leichten Flieger gesessen hätte, doch wer hätte die schwarze Staffel übernehmen sollen? Kano war gerade zum XO hochgerutscht und musste selbst den CO kompensieren und nach allem was sie gehört hatte, brauchte er da auch noch etwas Anleitung.
Die Sache mit La Reine hatte er ganz gut geregelt. Bei Tiburon war sich Raven nicht ganz sicher, war aber bereit ihm weiter freie Hand zu lassen.
Der Job eines CAG war doch anspruchsvoller als Cunningham es hatte erscheinen lassen. Ob der sich in einer solchen Situation ähnliche Gedanken gemacht hätte wie sie?
Und viel schlimmer, wenn an Grovers Gerücht nun was dran war, war die ganze Planung dann nicht überflüssig?
Was, wenn man entschied leichte Träger als Ersatz für die Columbia an die 2. Flotte zu überstellen und deren Staffeln mit Veteranen der Angels aufzufüllen?
Das galt es zu verhindern. Die Angels hatten zu viel erreicht, um jetzt auseiandergerissen zu werden.
Ein Grummeln im Magen verriet ihr, dass es Zeit war für das Abendessen.
Da sie noch die Krankenstation der Columbia besuchen wollte, entschied sie in der wieder arbeitenden Messe der alten Lady zu speisen. Vielleicht könnte sie noch ein paar Worte mit Cunningham wechseln. Von Politik und Ränkespielchen verstand der mit Sicherheit mehr als sie.




Selbst ohne das Geschwader und mit nur halber Besatzung war die Columbia noch immer ein schwirrender Bienenstock.
Ingenieure und Techniker waren über all auf dem Schiff dabei Schäden zu begutachten. Außerdem war das Lazarett noch nicht vollständig auf den Planeten verlegt worden.
Nur die schwierigsten Fälle hatte man schon nach unten geschafft. Aufgrund der hohen Zahl an Verwundeten, die mit der Columbia und ihren Begleitschiffen gekommen waren, brauchte auch eine weitreichende Einrichtung wie das Mistral Naval Hospital einige Vorbereitungszeit.
Raven fand Cunningham im Büro des Captains über einigen Unterlagen brütend. Die Tür stand offen und der Petty Officer, der das Vorzimmer hüten sollte, war entweder geflüchtet oder desertiert.
Sie klopfte an.
„Ich hoffe der Kaffee ist diesmal ordentlich stark.“, knurrte Lone Wolf ohne aufzublicken.
„Zum Glück bin ich nicht Ihr Tellertaxi.“
Der Captain der Columbia fuhr hoch: „Ach, Sie sind's, was kann ich für Sie tun?“
„Sie könnten mich in der Messe zum Essen einladen.“
Vorsicht und Überraschung spiegelten sich auf dem Gesicht ihres Vorgängers: „Sagen Sie nicht, Sie haben Sehnsucht nach mir, ich bin schon verheiratet.“
Raven schnaubte, obwohl wenn man es genauer betrachtete, hatte sie wahrscheinlich länger eine Wohnung mit Cunningham geteilt als dessen Ehefrau: „Nein, ich muss mit Ihnen als Skipper der Columbia reden.“
„Okay, gehen wir essen.“, er schob die Akten beiseite und erhob sich.
Die Küche der Columbia war entgegen der weitläufigen Gerüchte recht gut. Jedoch war sie dem Zwang unterworfen, drei warme Mahlzeiten für über viertausend Männer und Frauen zubereiten zu müssen. Und zu jeder Mahlzeit musste berücksichtigt werden, dass es in der Besatzung Vegetarier, Moslems, Juden und Hindus gab. Hinzu kam, dass der Nachschub oft über Wochen und Monate unterwegs war und somit entsprechend haltbar sein musste.
Somit genossen die kleinen Kriegsschiffe, wie Minenleger und Minenjäger, den Ruf von exzellenten Küchen, während die echten Großkampfschiffe mit dem Klischee der langweiligen Großküche auskommen mussten.
Jetzt im Hafen jedoch konnten die Köche der Columbia wirklich zeigen was sie konnten. Zum einen waren frische Nahrungsmittel täglich erhältlich und die Zahl der zu verköstigen Mannschaften war im Regelfall viel geringer.
Raven wählte Lammkotletts und ein großen Orangensaft, frisch gepresster Orangensaft, aus echten Orangen von Seaford.
Cunningham hingegen wählte Sliders and Fries* und Eistee.
Sie schüttelte den Kopf: „Ich hätte mir denken können, dass Sie ein echter Yankee sind, Lone Wolf.“
„Sie stammen doch auch aus Amerika.“
„Meine Vorfahren sind kanadische Auswanderer, ich stamme aus dem 'guten Amerika'.“
Die beiden Commander setzten sich etwas abseits der Masse und Lone Wolf begann so gleich mit seinem Burger: „Also, schießen Sie los.“
„Hm, wo fange ich an, Grover hat im O-Club einige Gerüchte bezüglich der Angels auf geschnappt, es hieß wir sollen aufgelöst werden, möglicherweise um Geschwader für die Front zu verstärken. Sie als Captain der Columbia müssten doch über so etwas informiert sein.“
„Bis lang nichts in der Richtung gehört“, er kaute überlegend, „allerdings, als ich mich bei Admiral de Kerr melden wollte, wurde ich vertröstet und ich solle mir einige Tage frei nehmen.“
„Hat das was zu bedeuten?“
„Ich weiß nicht, ich habe meinen Schwiegervater, Admiral Auson“, er grinste als Raven fassungslos den Kopf schüttelte, „darauf angesprochen, ich war der Meinung, dass die Kommandofrage für die Columbia so schnell wie möglich geklärt werden soll, aber nichts dergleichen.“
„Halten Sie das für ein schlechtes Zeichen?“
„Im Grunde ja“, gab er zu, „aber möglicherweise nur für mich. Immerhin stehen da noch zwei Beschwerden über mich im Raum.“
„Verstehe, und für die Angels?“
„Das weiß ich leider nicht, aber wenn Sie sicher gehen wollen, sehen Sie zu, dass so viele Angels wie möglich in Urlaub kommen. Vor allem bei den Verwundeten, denn wer im Urlaub ist, kann nicht richtig krank sein und steht ergo zur Verfügung.“
Raven blinzelte.
„Fälschen Sie die Statistik, CAG. Hat die Regierung vor dem Krieg mit den Arbeitslosenzahlen auch immer so gemacht.“
„Da wird Langenscheidt nie mitmachen, nicht nach der Geschichte mit Lilja.“, warf Raven ein, was bei Lucas nur ein Grinsen hervor zauberte.
„Langenscheidt ist nicht an Bord, der überwacht die Einquartierung der Schwerverletzten. Darüber hinaus, ist gestern seine Versetzung zum Mistral raus gegangen.“
„Sie schassen ihn“, Raven war verblüffter als sie sich eingestehen wollte, „sollte mich eigentlich nicht wundern.“
„So lange ich dieses Schiff befehlige wird der Kerl hier nicht Chefarzt sein.“
„Und welcher von den Doktoren wird uns helfen?“
Lucas schob sich den letzten Bissen Burger in den Mund: „Das weiß sicherlich der Grund und die Lösung all unserer Probleme.“
„Alkohol?“
„Nein, Lilja, die kennt doch das medizinische Personal besser als jeder andere Pilot, mit Ausnahme von Okha vielleicht.“
Jetzt musste Raven breit grinsen: „Sie wollen Lilja um Rat betreffs unserer Medizinmänner fragen?“




Als Raven und Lone Wolf das Krankenzimmer betraten wurde von der einzigen 'Insassin' schnell ein Datapad unter dem Kopfkissen versteckt.
„Na, immer im Dienst Commander?“ Raven hielt selbst eine Hand hinter dem Rücken.
Lilja richtete sich wieder auf: „Sir, Ma'am, schön Sie zu sehen.“
Cunningham begutachtete die Tafel am Fußende des Bettes, die über den Besserungszustand Aufschluss gab: „Und, wie geht es Ihnen, Lilja.“
„Ganz gut, ich wäre ja schon wieder auf den Beinen, wenn diese übereifrigen Despoten mich nicht defakto hier einsperren würde.n“, als sie von einem Commander zum anderen blickte, wuchs Hoffnung in ihr.
„Hier, essen Sie erstmal etwas Vernünftiges“, Raven holte eine Box mit Lammkotletts und Beilagen hervor, „ist was anderes als dieser Krankenhausfraß.“
„Vielen Dank … Commander.“
„Wir wollen Ihren Rat, Lilja“, Lucas setzte sich ans Fußende des Bettes und studierte die Pilotin die wieder von ihrem Teller aufschaute, „wir möchten wissen, welcher der Ärzte am umgänglichsten ist. Wir brauchen jemanden der möglichst viele Piloten auf Genesungsurlaub schickt.“
Lilja kaute nachdenklich auf einem Stück Kotlett und verzog ungnädig das Gesicht: „Hm, eventuell Lieutenant Commander Keller. Er ist eine von Langenscheidts Spitzenkräften, sitzt aber hier an Bord herum, während der Chefarzt sich um die Verlegung kümmert.“
„Gut, danke, dann werden wir es bei Keller versuchen“, Cunningham klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter, „sehen Sie zu, dass Sie bald wieder auf die Beine kommen. Gute Besserung.“
„Danke, Skipper.“
Raven wartete bis Cunningham an der Tür war: „Ich komme gleich nach.“
Die CAG musterte die Russin ausgiebig. Lilja wandte sich wieder der Mahlzeit zu und wartete ab, was Raven noch zu sagen hatte.
„Lilja, Tanja, persönlich wie auch als Offizier weiß ich Ihren Einsatz durchaus zu würdigen, ebenso wie ich Ihren persönlichen Mut bewundere, aber als Ihre Kommandantin muss ich sagen, dass ich noch nie eine derartige Dummheit erlebt habe.“
Sie hob die rechte Hand, um der Russin Einhalt zu gebieten. Liljas Augen funkelten wütend und sie presste ihre Lippen zu einem energischen Strich zusammen.
„Als Offiziere und als Kommandanten von Einheiten haben wir unter anderem eine Fürsorgepflicht für unsere untergebenen Piloten. Wir müssen sie nicht nur ausbilden und im Gefecht befehligen, wir müssen auch dafür sorge tragen, dass die uns anvertrauten Männer und Frauen auf sich und ihren Körper acht geben und ihre Einsatzbereitschaft beibehalten, ihre Ruhepausen einhalten und sich regenerieren.
Neben Razor und Irons zählen Sie jetzt zukünftig zu den alten Staffelführern der Angry Angels und da genügt es nicht, eine Schwadron zu befehligen, was letztlich jeder Idiot kann, wie man an Skunk gesehen hat. Ich möchte, dass Sie zukünftig ihre Staffel führen, also hören Sie auf sich selbst zu verschleißen, denn ich und das Geschwader können es uns nicht leiten Sie zu verlieren.
Aber abgesehen von meiner professionellen Meinung bin ich sehr beeindruckt und ich denke, Einsatz und Mut weit über die Pflichterfüllung hinaus sollten belohnt werden.
Ich werde Sie für die PMV vorschlagen. Ich hoffe, wenn Sie diese erhalten, was auch ein wenig davon abhängt, was bei der Beschwerde von Langenscheidt herauskommt, werden Sie sich dieser Auszeichnung für würdig erweisen.“
Was immer Lilja ihr entgegenhalten wollte, die Russin brachte kein Wort heraus.
„Gute Besserung, Commander.“



Dr. Stephan Keller saß im Schichtleiterbüro der Krankenstation. Er war ein junger, ambitionierter Lieutenant Commander, der sich seiner Gabe als Chirurg und als Arzt nur zu gut bewusst war.
Als Untergebener war er unangenehm, da er ständig meinte alles besser zu wissen und als Vorgesetzter war er nicht wirklich besser. Er verlangte Höchstleistungen und blickte auf jeden herab, der nicht mit ihm Schritt halten konnten.
Als Lucas und Raven sein Büro betraten blickte er missmutig auf, zwang sich jedoch zu einem höflichen Lächeln: „Captain, Commander, was kann ich für Sie tun?“, er deutete auf die Besucherstühle, „nehmen Sie doch bitte Platz.“
„Wir hätten gerne“, begann Cunningham, „eine Zusammenfassung über den Gesundheitszustand der Piloten, die noch hier liegen. Prognosen und so weiter und so fort.“
Keller blickte von einem zum anderen: „Sollte Ihnen da nicht Commander Langenscheidt Rede und Antwort stehen?“
„Commander Langenscheidt ist aber nicht hier, oder?“
„Die Sache ist doch folgende“, hakte Raven ein, „wir alle haben doch in der letzten Zeit recht wenig Landgang erhalten. Um genau zu sein, seit fast acht Monaten.“
„Hm, ja, ich weiß, geht mir zufälligerweise nicht anders“, knurrte Keller.
„Zum Kern der Sache, in wie weit ist es möglich, die Piloten, die Sie noch hier haben in den Urlaub zu entlassen?“
„Auch das unterliegt an und für sich der Entscheidung des Chefarztes, Sir“, Keller blickte von einem zum anderen, „aber wenn Sie meine fachliche Meinung hören wollen, so ist Urlaub für die Heilung nur zuträglich.“
„Dann schlage ich vor“, warf Raven ein, „Sie sehen zu, dass möglichst viele meiner Piloten in den wohlverdienten Urlaub kommen, Doc, immerhin wird dann auch die Krankenstation leerer.“
„Wie schon gesagt, Ma'am, das obliegt dem Chefarzt.“
Lone Wolf schmunzelte: „Ein Posten, der immerhin demnächst zur Disposition steht, Mr. Keller.“
Der aufstrebende Arzt blickte dem Captain kurz in die Augen, in Bruchteilen von Sekunden verstand er: „Ich werde sehen was ich machen kann.“
„Kann man denn?“, wollte Raven wissen.
„Oh …, ja, sicher, … da kann man was machen“, versicherte Keller.
Als sich Raven und Lone Wolf wieder erhoben ging ein Pfeifen durch die Bordlautsprecheranlage: „TRS Drake kommt an Bord.“
Raven runzelte die Stirn, die für Zivilisten unverständliche Durchsage gab bekannt, das der Kommandant eines anderen Schiffes an Bord der Columbia kam, doch was wollte der Skipper der Drake … DER Drake, Lone Wolfs überraschtes Grinsen, sagte ihr, dass sie sich nicht irrte. Der Zerstörer Drake wurde von Lucas Cunninghams Frau befehligt.
„Ich glaube mein Dienstplan ist soeben durch den Ventilator geflogen.“, mit einem Nicken verabschiedete sich der amtierende Captain der Columbia von den beiden Commandern.




Als Lucas das Captainsbüro, sein Büro, betrat, wartete da schon Melissa Auson auf ihn. Energisch schmiss er hinter sich die Tür zu und schnitt somit dem Petty Officer, der irgendwelche Belanglosigkeiten von sich gab, das Wort ab.
Die Luft war gerade zu elektrisiert. Melissa stand kerzengerade da, die braunen Haare zu einem wunderschönen Zopf geflochten. Die Uniform schmeichelte ihrer sportlichen Figur. Würdevoll und zugleich sexy. Frau und Offizier.
Das strahlende Lächeln und das verliebte Funkeln in den Augen störten den ästhetischen Anblick etwas, aber beides galt ihm und um nichts in der Welt wollte er das mit jemanden teilen.
Bevor sie ihn begrüßen konnte hatte Lucas die drei Schritte zwischen ihnen überwunden und sie mit den Armen umschlungen.
Der betörende Duft von Frau, der sich schwach mit dem dezenten Parfum mischte, welches sie schon auf der Redemption getragen hatte.
Die zarte Haut und die weichen Lippen, die gierig seinen Kuss erwiderten.
Nach ein, zwei, drei Sekunden wehrte sie sich etwas: „Au, Du erdrückst mich.“
Das waren die einzigen Worte, sie blickte zu ihm auf und beide verloren sich in den Augen des jeweils anderen.
Dann, nach einer Weile des verliebt Starrens kuschelte sich Melissa an ihn und lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter: „Ich bin im Dienst.“
„Ja, ich auch, aber an Bord der Red hat uns das auch nie gestört. Bei den Angels ist es heute als die Auson-Welle bekannt.“
Sie lachte auf: „Hast Du etwa gequatscht?“
„Klar, ich habe mit Dir angegeben, au! Was knuffst Du mich?“
„Nur so, als ich erfuhr, dass ihr hier gelandet seit, hatte ich eigentlich geplant, dich nach unten, in unser Haus mitzunehmen und eine wirklich romantische Nacht zu organisieren.“
„Wie unten, in unser Haus? Was denn für ein Haus?“, wollte Lucas wissen, seine Frau immer noch im Arm haltend.
„Ach, als Dad damals hier auf Sterntor angespült wurde, ist er günstig an ein großes Haus gekommen. Ich habe meine letzten Jahre vor der Akademie dort verbracht. Dad hat es behalten, auch nachdem er nochmal nach Boston musste für einige Jahre. Aber nun hat er das Haus für heute irgend so einem Spinner für eine Party überlassen.“
„Ach, Captain Schneider.“
„Schneider, Schneiber, Du kennst ihn?“
Lucas küsste sie auf die Stirn: „Er ist eines von Mithels Problemkindern.“
„Wie auch immer“, grummelte sie, „das Haus ist für heute besetzt.“
„Mist, weil hier an Bord der Columbia werde ich sobald keine Ruhe finden, ich bin froh, dass ich Wacos Bett frisch bezogen habe, bevor ich es übernahm.“
„Obwohl, dank Euch, die Modernisierung der Drake erstmal hinfällig ist, sind so gut wie alle Mann im Urlaub, wir könnten uns in mein Captainsquartier zurückziehen, vorher noch was einkaufen, Du könntest was nettes Kochen.“
Lucas nahm sie bei den Schultern und blickte ihr ins Gesicht: „Kochen? Ich?“
„Hast Du nicht mit Deinen weltberühmten Spiegeleiern angegeben damals, oder irre ich mich da, Cowboy?“
„Ähm, Schatz, Spiegeleier in die Pfanne hauen und kochen, da gibt es einen kleinen Unterschied, einen klitzekleinen.“
Melissa lächelte: „Soll das heißen, kein Essen, nur hemmungsloser und ausschweifender Sex?“
„Aber davon jede Menge. Ist Deine Koje denn so gemütlich wie meine auf der alten Red?“
„Sie ist auf jeden Fall größer.“
Lucas seufzte erleichtert: „Gott sei Dank.“
15.01.2016 06:44 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Tyr

Irgendwo, am Rande des Draned-Sektors

„Soldaten der Rikata-Kampfgruppe! Einmal mehr fordert ein Befehl des Kaisers von uns, dem Eid zu gehorchen, den wir ihm und dem Imperium gegenüber geleistet haben. Einmal mehr hat man uns gerufen, für unsere Heimat, unsere Familien und unsere Ahnen in die Schlacht zu ziehen.
Soldaten! Ich weiß, ihr werdet diesem Ruf ohne Zögern folgen. Euch in diese Schlacht zu führen, erfüllt mich mit Stolz.
Soldaten! Ihr alle habt von den großen Siegen gehört, die unsere Streitkräfte in den letzten Wochen errungen haben. In diesem Augenblick ist der Widerstand der Konföderation gebrochen, sind die Schiffe der TSN von Jägern zu Gejagten geworden! Es ist an der Zeit, dass wir unseren Kameraden und dem Feind zeigen, dass auch wir nicht länger gewillt sind, zurückzustehen! Dass in uns das gleiche Feuer, der gleiche Hass, der gleiche Mut brennt, der unsere Flotten zum Sieg über die Konföderation geführt hat! Es ist an der Zeit, das Schicksal dieses Krieges zu wenden!
Soldaten! Der Feind hat schwere Verluste erlitten. Seine Hoffnungen auf einen schnellen Sieg sind zerronnen. Sie sind ausgebrannt, wie die terranischen Schiffe, die den Geschützen unserer Brüder und Schwestern zum Opfern fielen. Die TSN ist angeschlagen – und jetzt ist der Augenblick gekommen, ihr endgültig das Genick zu brechen. Die Offensivkraft des Gegners muss vernichtet werden, damit vom Boden der Republik niemals mehr eine Gefahr ausgehen kann, die unsere Heimat, unsere Kinder, unsere Zivilisation bedroht.

Soldaten! Auf Befehl von Großadmiralin Rian, auf Befehl des Kaisers, wird die Rikata-Kampfgruppe tief in feindliches Gebiet vorstoßen – weiter als jemals zuvor eine imperiale Flotte. Unser Auftrag ist es, ungesehen die Frontlinien zu überqueren, und dann überraschend mit gnadenloser, tödlicher Wucht und Präzision zuzuschlagen. Wie eine Klinge, die den Leib des Gegners durchbohrt!
Unser Ziel ist das Parrak-System, über das ein Großteil des gegnerischen Nachschubs in Richtung Front fließt. Dieses System ist für die gegnerischen Kriegsanstrengungen von entscheidender Bedeutung. Jedes Schiff, jede Station, jedes Materiallager und jede Raumwerft, die wir vernichten, wird den Gegnern deshalb treffen, wie ein Stich mitten ins Herz. Und wir werden über das System kommen wie ein unaufhaltsamer Sonnensturm!
Der Feind wird glauben, dass für Parrak der jüngste Tag angebrochen ist. Dass das System am Rande der totalen und endgültigen Vernichtung steht, und wir nicht mehr zurücklassen werden, als Ruinen und nukleare Schlacke.
Eine solche Bedrohung kann und wird die TSN nicht einfach hinnehmen. Gegen diese tödliche Gefahr werden die Menschen ihre letzten Reserven mobilisieren! Sie werden Alles entsenden, was ihnen noch verblieben ist! Diese Truppen werden wir auf uns ziehen und sie binden. Wir werden unsere Stellung verteidigen, solange es nötig ist. Wir werden standhalten, selbst wenn der Feind die Tore der Hölle öffnen sollte!
Denn während die Menschen ihre verbliebenen Kriegschiffe und Kampfflieger nach Parrak werfen, die Frontreserven bis zu einem bloßen Skelett ausdünnen, während sie wie gebannt auf dieses System starren werden – wird die Hauptflotte unter Großadmiralin Rian ihre den Krieg entscheidende Offensive beginnen. Ihre Aufgabe wird es sein, endlich die Große Armada zu stellen, und sie zu vernichten. Und damit die Rache für unsere Gefallenen zu vollenden.
Von diesem Schlag, von der Vernichtung seiner besten Schiffe und Geschwader, kann und wird sich der Feind nicht mehr erholen. Und wir werden es sein, die diesen entscheidenden Sieg überhaupt erst ermöglicht haben. An uns ist es also, die Vorraussetzung für einen Sieg zu schaffen, der selbst Manticoree in den Schatten stellen wird. Einen Sieg, der uns alle unsterblich machen und den Fortbestand des Imperiums sichern wird.

Soldaten, ihr wisst, welche große Verantwortung wir damit übernehmen. Das Parrak-System ist gut verteidigt, und der Feind wird gnadenlos und mit äußerster Kraft zurückschlagen.
Soldaten, ich will ehrlich zu euch sein – erwartet nicht, dass alle von uns lebend nach Hause zurückkehren.
Aber solange wir dadurch die Wende herbeiführen können in diesem Krieg, der dem Imperium aufgezwungen wurde… Solange unsere Kinder und unsere Heimat dadurch künftig in Frieden und ohne Furcht leben können…
Solange lohnt es sich, um dieses System zu kämpfen!
Für den Imperator! Für die Heimat! Notfalls bis zum letzten Mann!“

**

‚Die Aufgabe, die vor uns liegt, sollte mich mit Stolz erfüllen. Endlich werden wir in der Lage sein, unseren Wert vor dem Feind, vor unseren Kameraden, vor den Augen der ganzen Galaxis zu beweisen. Dass man uns ausgewählt hat, beweist das Vertrauen, das die Admiralität und der Thron in unsere Kampfkraft und unsere Entschlossenheit setzen. Würden sie an unserem Mut zweifeln, sie hätten unserer Flotte eine andere, weniger wichtige Aufgabe zugewiesen.
Und dennoch… Ich empfinde auch Angst und Zweifel, die mir den Schlaf rauben. Ich sehne mich nach denen, die ich liebe, und die ich vielleicht niemals wieder sehen werde. Zumindest nicht auf dieser Seite des Lebens. Doch auch der Glaube ist nur schwacher Trost, und vermag nicht die Kälte zu vertreiben, die ich in meinem Herzen spüre.
Ich weiß, jedes Zögern ist ein Verrat an meinem Eid und an der Ehre unserer Streitkräfte. Genauso wie meine Zweifel an der Strategie der Admiralität und den Zielen des kaiserlichen Hofs. Ein imperialer Offizier darf für solche Gefühle in seiner Seele keinen Platz haben. Er kennt nur seine Pflicht und seinen Eid. Er darf nicht zögern. Er muss bereit sein, sein Leben bedenkenlos zu opfern, wie er es auch von den Männern und Frauen unter seinem Kommando erwartet. Und dennoch, dennoch…
Doch es ist mir bisher gelungen, meine Schande, diese verbotenen Gedanken, verborgen zu halten, und so wird es auch weiterhin bleiben. Sollte ich fallen, dann soll kein Schatten, keine Zweifel die Erinnerungen trüben. Ich werde sterben, wie es sich für einen imperialen Offizier gebührt.’


Cattaneo

Geschäftsrisiko

Aurora-System, Asteroidengürtel

Das Aurora-System hatte seinen poetischen Namen wegen seiner großen, roten Sonne bekommen. Abgesehen von diesem Zentralgestirn, das sicher für spektakuläre Sonnenaufgänge gesorgt hätte, hätte es einen bewohnbaren Planeten gegeben, von dem man es hätte sehen können, fand sich wenig Bemerkenswertes. Die drei Gasriesen hatten nichts, was die Errichtung eines Orbitalhabitats gerechtfertigt hätte, und waren auch für die Forschung nicht interessanter als hunderte andere ähnliche Planeten im Einflussbereich der FRT. Die Besiedlungsanstrengungen der Menschen hatten sich auf andere, lohnende Ziele konzentriert, und nichts deutete darauf hin, dass Aurora irgendwann einmal das Interesse einer anderen raumfahrenden Rasse geweckt hätte. Es gab jedoch eine Besonderheit, die das System etwas heraushob. Insgesamt umreisten rund 30 Monde die Gasriesen, die zusammen mit dem peripheren Asteroidengürtel, dessen größte Kinder ihrerseits an kleine Monde heranreichten, sehr reich an seltenen Mineralien und Metallen waren. In der goldenen Ära der menschlichen Expansion war hier hemmungslos und gierig geschürft worden. Die Materialien des Systems hatten den Menschen auf ihrem Weg zu einer stellaren Großmacht geholfen und war unter anderem in das nahe gelegene Sterntor-System exportiert worden, um in Werften und Fabriken zu verschwinden. Zahllose Habitate, Stationen, Handels- und Kriegsschiffe waren mit Rohstoffen gebaut und betrieben worden, die hier gefördert und zum Teil in Habitaten aufbereitet wurden.
Es war schon immer ein ebenso lukrativer wie gefährlicher Job gewesen. Die Arbeit im Asteroidengürtel galt als hochriskant. Aber nicht nur Unwägbarkeiten, Fahrlässigkeit und technisches Versagen forderten immer wieder Opfer. Während der nicht so guten alten Zeit, die man mitunter als die Ära der Piratenkriege bezeichnete, war das System nicht weniger als viermal gründlich geplündert worden. Mehr als zwei Dutzend Frachter waren von den „Bruderschaft der Sterne“* aufgebracht worden, drei wurden in Akten der kalkulierten Grausamkeit mit Mann und Maus vernichtet. Zweimal war es sogar zu richtigen Gefechten mit lokalen Wachschiffen der TSN gekommen. Die steigenden Betriebskosten waren zunächst dadurch kompensiert worden, dass die Flotte der Bundesrepublik nach dem Regulus-Feldzug ihre Verluste ersetzen musste und folglich eine enorme Nachfrage nach den Rohstoffen von Aurora herrschte. Die Träger der Zeus-Klasse und zahllose Kirow-Kreuzer waren damals vom Stapel gelaufen. Es war genau dieser Boom gewesen, der letzten Endes auch zum vorzeitigen Ende der industriellen Blüte im Aurora-System geführt hatte. Viel früher als gedacht waren die ergiebigen und vergleichsweise leicht erreichbaren Erzvorkommnisse aufgebraucht gewesen. Die Abbaukosten stiegen und die Gewinnspannen der Betreiber schrumpften. Der Versuch, durch Einsparungen und forcierten Abbau konkurrenzfähig zu bleiben, führte zu einigen ziemlich hässlichen Unfällen. Schließlich wurde ein Abbaugebiet nach dem anderen aufgegeben und stillgelegt. Seit Beginn des Akarii-Krieges war man allerdings teilweise dazu übergegangen, wieder Rohmaterialien abzubauen und sogar die Abraumhalden auf den Monden – die sich über hunderte von Quadratkilometern erstreckten – aufzuarbeiten. Die Schiffsbaufirmen machten seit Jahren gigantische Gewinne, und der Hunger des Krieges nach neuem Material war ebenso groß wie seine Gier nach Blut. Um einen einzigen Kampfkreuzer zu fertigen, wurden zehntausende von Tonnen an verarbeitetem Material gebraucht, und dafür mussten Millionen Tonnen von Gestein bewegt und aufbereitet werden. Jetzt, im zweiten Drittel des 27. Jahrhunderts, setzte man jedoch mehr auf Automatisierung als auf Menschen. In Folge dessen war die ständige Bevölkerung des Aurorasystems mit vielleicht fünfhundert Menschen sehr gering.

Es gab jedoch auch Besucher, die nicht in der offiziellen Statistik auftauchten. Das System wies eine Reihe günstiger Sprungpunktverbindungen auf, und wegen seiner relativ geringen Bevölkerung hatte es den Ruf einer eher nachlässigen Überwachung. Dazu verfügte es mit zahlreichen aufgegebenen Minen auf den Monden und einer Reihe wracker Habitate über eine ganze Reihe von potentiellen Verstecken. Die stark metallhaltigen Asteroiden und zahllose Schrotteile störten die Ortung und machten eine Navigation schwierig und riskant. Deshalb wurde das System gerne von Schmugglern genutzt. Ihnen war die steigende Bedeutung Auroras gar nicht recht.
Der Frachter, der im Moment mit kosmisch gesehen minimaler Geschwindigkeit durch den Asteroidengürtel kroch, gehörte zweifellos nicht zu den offiziellen Besuchern Auroras. Er wirkte vielmehr, als sei er ein Überbleibsel aus Auroras großer Zeit – zernarbt, heruntergekommen, alt. Nur das sparsame Feuer der Manöverdüsen und Haupttriebwerke, die gelegentlich an den aktivierten Schilden aufflackernden Mikrometeoriten und wenige erleuchtete Fenster verrieten, dass an Bord noch Leben war. Es war ein Merkur-X, ein uralter und kleiner Raumfrachter, wie er nur noch von denen eingesetzt wurde, die sich nichts besseres mehr leisten konnten. Auf der Flanke prangte der Name „Emerald Jade“ in leuchtend grüner Farbe – im All zweifelsohne eine Verschwendung, doch auf einem Planeten musste der prachtvolle Titel als ziemlich grotesker Kontrast zum schäbigen Äußeren des Frachters wirken. Allerdings, so heruntergekommen das Schiff auch wirkte – die Geschützstände, eine einzelne Laserkanone im Bauch und ein Zwillingsturm im Rücken, schwenkten wachsam hin und her. Dafür gab es auch gute Gründe. Rings um den Frachter drifteten zahllose Gesteinsbrocken, auf scheinbar planlosen und doch von eisernen Gesetzen bestimmten Bahnen, getrieben von der Gravitation der fernen Sonne und Planeten. Die Asteroiden waren zwar viele Kilometer von der Hülle des Schiffs entfernt, doch in galaktischen Begriffen war dies ein Nichts. Und ein Zusammenprall würde ungeachtet der relativ stabilen Schilde und Hülle vermutlich katastrophale Folgen haben. Laserkanonen konnte so große Ziele kaum zerstören – doch ein gut platzierter Schuss vermochte einen nahenden Asteroiden um ein paar rettende Sekundenbruchteile weit ablenken. Vorausgesetzt, man erkannte die Gefahr rechtzeitig und war ein geschickter Schütze. Eine zweite Chance bekam man selten.

Im Cockpit herrschte denn auch eine Atmosphäre gespannter Wachsamkeit, wenn auch nicht gerade Professionalität. Die Stimme des Piloten war voller kaum unterdrückter Wut – mit seiner ebenso prachtvollen wie bedrohlichen Kopftätowierung, die einen Totenschädel mit Feueraugen zeigte, wirkte er ziemlich furchteinflößend, ja fast dämonisch, und seine Sprache strotzte nur so von Kontraktionen und Schimpfwörtern.
„Vollkommener Irrsinn, sich hier durchzuschleichen. Aber du wusstest ja wieder mal als besser, Cap. Ich hab’ doch gesagt, die Info war korrekt. Wir hätten einen Bogen um `rora machen sollen, größer als der verfickte Teufel ums Weihrauchfass.“
Die rothaarige Frau, der diese Tirade galt, und die davon unbeeindruckt angestrengt die Anzeigen verfolgte und immer wieder helfend bei Flugkorrekturen eingriff, schnaubte nur verächtlich: „Du ödest mich an mit deinem Gejammer, Toro. Was dir ein Stricher beim dritten Glas erzählt, nachdem er es von einer Navy-Schickse in einem flohverseuchten Stundenhotel nach einer Nummer gehört hat, das geht noch lange nicht als verlässlich durch. Du kennst doch diese Neuheiten. Wenn alles stimmen würde, was wir hören… hätten wir inzwischen schon wieder Frieden mit den Schuppen. Oder Krieg mit den Keffs**. Oder Birmingham hätte auf einmal ein Herz für die Armen entdeckt und verzichtet für ein Jahr auf Kaviar und Sekt.“ Offenbar hielt sie derartige Wohltätigkeit der Präsidentin für die unwahrscheinlichste von allen genannten möglichen Varianten. Ein gewisser defensiver Grundton ihrer Argumentation war aber nicht zu leugnen: „Aurora heißt eine Verkürzung der Flugzeit um mindestens eine Woche, weil wir uns einen Systemtransfer sparen. Und ohne diese Woche ist vielleicht jemand vor uns da, außerdem weißt du, was sieben, acht Tage Flug kosten.“
„Wird uns grandios viel helfen, wenn wir unseren Arsch in einen Asteroiden parken, oder die Terries*** uns kriegen.“
Kapitän Sarah Victor alias „Jayhawker“ biss sich bei diesen Worten ihres Piloten auf die Lippen. Das stimmte natürlich auch. Sie waren erst einige Stunden im System gewesen, als sie eine Korvette der Nelson-Klasse geortet hatten. Glücklicherweise waren diese veralteten Wachschiffe, die von der TSN im rückwärtigen Dienst eingesetzt wurden, mit vergleichsweise schlechten Sensoren ausgerüstet. Es gab gute Gründe für die Besatzung des Frachters, eine nähere Bekanntschaft mit den Wachhunden der Republik zu vermeiden. Sicher war sicher…

Seitdem schlich die Emerald Jade durch den Asteroidengürtel und versuchte, sich an dem Wachschiff vorbei zu einem Sprungpunkt zu stehlen. Dummerweise nahmen die Wachhunde der Flotte ihre Arbeit enervierend ernst und patrouillierten mit geradezu selbstzerstörerischem Diensteifer, auch wenn sie den Asteroidengürtel mieden. Mit ihrer alten aber schnellen Korvette und der Notwendigkeit von Heimlichkeit und gefährlichen Manövern enthoben, waren sie ein Vielfaches schneller als der Frachter. Noch gefährlicher war, dass ein übereifriger Navy-Kommandeur offenbar auch ein halbes Dutzend alter Mirage-Jagdbomber im System stationiert hatte, die ihrerseits Aufklärungsflüge durchführten.
Auch wenn das Material alt und die Piloten nicht gerade Frontkaliber waren, die TSN war nach einigen bösen Überraschungen durch die wieder erstarkenden Piraten dazu übergegangen, wichtige Transfersysteme und Rohstofflieferanten besser abzusichern. Die Flotte hatte zwar erhebliche Probleme, ihre Verluste zu ersetzen, aber in Gestalt von reaktivierten Veteranen und Nationalgardisten sowie Neulingen von der Akademie stand ihr ein beträchtliches Potential zur Verfügung. Und wer nicht als gut genug für die Frontverbände galt – eine freilich sehr niedrige Hürde, die zudem laufend gesenkt wurde – oder entweder einen Vorgesetzten verärgert oder in kluger Vorsicht bestochen hatte, fand sich leicht in den Reserveverbänden wieder. Leider war nicht jeder bereit, in seinem Exil eine ruhige Kugel zu schieben.
Das Versteckspiel, bei dem die eine Seite gar nicht wusste, dass überhaupt ein Wettbewerb stattfand, zog sich nun schon seit drei Tagen hin. Eigentlich hatte die Emerald mit Volldampf durch das System brausen wollen, doch stattdessen schlich sie sich mit gedrosselten Triebwerken vorwärts, und jede Radaranzeige wurde mit Argusaugen betrachtet.

Momentan befand sich der Frachter noch mindestens einen Tag Schleichfahrt vom nächsten möglichen Sprungpunkt entfernt – und musste auch noch hoffen, dass nicht gerade dann einer der Spürhunde dort herumschnüffelte. Jayhawker behielt argwöhnisch die Anzeigen im Auge. Die Korvette war erst einmal aus der Ortung verschwunden. Auch wenn Aurora kein „großes“ System war, einige tausend Milliarden Quadratkilometer waren verdammt viel leerer Raum zum überwachen. Aber anstatt des leichtes Kriegsschiffes schnüffelte ein Flight Mirage herum. Es war nicht auszuschließen, dass diese als Ausgleich zu der „kurzsichtigen“ Korvette über Sensorpods verfügten. Anders als moderne Korvetten waren diese Einsatzteile keine Mangelware. Aber es deutete wenigstens nichts darauf hin, dass die Jagdbomber ernsthaft daran dachten den Asteroidengürtel genauer zu überprüfen.
Wenn alles glatt ging, würden sie also auch diesmal davonschleichen können.

In diesem Augenblick öffnete sich die Cockpittür auf, und eine junge Frau wand sich mit einer Geschicklichkeit, die von langer Übung kündete, an den verschiedenen Geräten vorbei. Sie balancierte ein Tablett, auf dem sich zwei dampfende Tassen und ein Teller mit grauen, organisch wirkenden Scheiben befanden. Das markante Gesicht mit einer geradezu klassischen Nase und ziemlich zerzausten schwarzen Haaren wirkte etwas zerknautscht, und sie machte nicht einmal den Versuch, ein Gähnen zu maskieren. Die gemurmelte Meldung „Kaffee und Proteinkekse!“ war deshalb nur für einen Eingeweihten zu verstehen. Die Kapitänin lächelte nur dankbar und angelte sich ihren Becher, den sie in einer Halterung neben ihrem Sessel befestigte, sowie einen der leicht schmierig wirkenden „Kekse“. Ihr Kollege war weniger zurückhaltend: „Also weißt du, Quicksilver – wenn du schon so nett bist und mitten in der Nacht aufstehst, ich wüsste noch einen Weg, wie du mir was Gutes tun kannst.“ Sein anzügliches Grinsen war unschwer zu interpretieren, vor allem da er zugleich seinen Gürtel zurechtrückte. Die mit Quicksilver Angeredete brachte das Kunststück fertig, ihm den ausgestreckten Mittelfinger zu zeigen, obwohl sie in derselben Hand noch das Tablett hielt: „Aber klar doch – deshalb habe ich deine Tasse auch mit Baldrian behandelt.“

Das Geplänkel hätte sich wohl noch eine Weile fortgesetzt – im Moment gab es nicht viel zu tun – doch in diesem Moment ereignete sich einer jener Zufälle, die selbst der beste Computer nicht vorausberechnen konnte. Einige hundert Kilometer von der Emerald Jade entfernt kollidierte ein kleiner Asteroid mit einem größeren. Obwohl dies nur eine minimale Ablenkung war, reichte sie, um eine potentiell katastrophale Kettenreaktion auszulösen. Denn durch einen unglücklichen Zustand kollidierte der größere Gesteins- und Metallbrocken durch seine Bahnabweichung mit einem fast gleichgroßen Bruder. Und dieser Zusammenstoss war erst der Anfang, denn immer mehr Asteroiden stießen zusammen, zerbrachen und brachten damit ihrerseits anderes aus der Bahn.
Jayhawker war die erste, die das Kommende bemerkte „Blindläufer und Cluster****!“ brüllte sie. Ohne zu warten, bis ihr Pilot reagierte, löste sie den Schiffsalarm aus. Sie war erfahren genug um zu erkennen, dass in dieser Situation nur eines blieb – zu rennen, so schnell man konnte, denn vor der Emerald Jade füllte sich der Weltraum mit einem tödlichen Schauer von Gesteinsbrocken, von ungefährlichen Mikroasteroiden bis zu Killern von 30, 40 oder mehr Metern Durchmesser. Wie Schrapnelle nach der Explosion einer Granate flogen sie in alle Richtungen auseinander.
„Ausweichkurs berechnen, Manöverdüsen auf 90 Grad horizontal – Maschine VOLLE KRAFT!“ Die nächsten Worte gellten über das Interkom: „Achtung, vorbereiten auf möglichen Einschlag!“
Gehorsam erwachten die Triebwerke und Manöverdüsen des Merkur-X, die vorher nur schwach vor sich hingeglüht hatten, zu hektischer Betriebsamkeit. Mit einer Eleganz, die sein Alter und behäbiges Aussehen Lügen straften, drehte der Frachter ab. Das Manöver überlastete die Trägheitsdämpfer des Schiffes und presste Piloten und Kapitän in ihre Sitze, in denen sie von Sicherheitsgurten gehalten wurden. Quicksilver hatte weniger Glück und schlug lang hin, was zu einem Wut- und Schmerzgeheul führte, allerdings hatte sie sich nicht beim Sturz selber verletzt: „Scheiß Kaffee!“ jammerte sie. Sie blieb aber unten, klammerte sich an eine der Wandstreben fest, und bereitete sich auf einen möglichen Zusammenprall vor.

Einige Sekunden lang schien es so, als ob der abrupte Richtungswechsel ausreichen würde, um sich aus der Gefahrenzone zu entfernen. Doch dieser erste Eindruck trog. Ein Schlag erschütterte das Schiff, als ein kleiner Asteroid es seitlich traf. Der Frachter schlingerte, doch die malträtierten Schilde, die bereits Dutzende, ja Hunderte von Mikroeinschlägen zu verdauen gehabt hatten, hielten stand. Dennoch nahm das Schiff nur langsam wieder Fahrt und Kurs auf. Diesmal war es der Pilot, der die drohende Gefahr bemerkte: „Irrläufer flankierend!“ Seitlich von ihnen waren zwei weitere Gesteinsbrocken kollidiert, und ein Bruchstück – etwa ein Fünftel so lang wie die Emerald Jade – schoss genau auf das fliehende Schiff zu. Toro hämmerte auf sein Steuerpult, wohl wissend, dass ihm kaum genug Zeit für eine Kurskorrektur blieb…

In diesem Moment eröffneten die Geschütze auf Rücken und Bauch des Frachters synchron das Feuer, und auch ihr Ziel trafen sie mit bemerkenswerter Übereinstimmung und Präzision. Die hochenergetischen Lichtbahnen – im Weltraum gut sichtbar, weil sie auf ihrem Weg in den reichlich vorhandenem kosmischen Staub und Kleinsttrümmern eine deutliche Bahn hinterließen – trafen den riesigen Irrläufer. Sie waren nicht stark genug, ihn zu zerstören, aber die Energie reichte aus, um ihn aus der Bahn zu werfen. Toro, der aufmerksam die Anzeigen verfolgte, ließ das Schiff noch einmal zur Seite wegbrechen. Kleinere Einschläge schüttelten den Frachter durch – dann ertönte die befreiende Meldung des Kapitäns: „Wir sind durch!“ Sie lachte befreit: „Jaja, die Kraft von Yin und Yang…“ womit sie die Kanoniere der Geschützstände meinte.
Quicksilver, die immer noch am Boden lag, nahm dies zum Anlass, um in einer Geste des Sieges ihren rechten Arm hochzurecken. Sie waren entkommen.

Eine halbe Stunde später war von der Freude nicht viel übrig geblieben. Die Lage hatte sich für die Emerald Jade drastisch verschlechtert. Im Moment driftete das Schiff am Rande des Asteroidenfeldes dahin, und ihre Kapitänin zankte sich via Funk mit zwei Mirage-Jagdbombern, die mit lässiger Eleganz unweit ihre Kreise drehten. Die weibliche Stimme, die über Funk zu hören war, klang alles andere als freundlich. Was vermutlich daran lag, dass Kapitän Jayhawker nach einigen Minuten gegenseitiger Statements immer noch versuchte, sich herauszureden, anstatt den Befehlen sofort Folge zu leisten. Inzwischen verloren die Terries offenbar die Geduld: „Unidentifiziertes Schiff, stoppen Sie SOFORT die Maschinen und warten Sie, bis ein Überprüfungskommando an Bord kommt. Jeder Fluchtversuch, ein unautorisierter Funkspruch, das Ausschleusen eines Shuttles und jeder Einsatz der Waffen wird als feindseliger Akt betrachtet und führt zu Ihrer sofortigen Vernichtung.“
Die Kapitänin war froh, dass ihre Grimasse nicht zu sehen war: ,Ich wette, dir geht einer dabei ab, du Drecksau, wenn du hier die Herrin des Universums spielen kannst.’ Doch statt ihrer Wut Ausdruck zu geben, klang ihre Stimme geradezu einschmeichelnd: „Aber wir haben uns identifiziert und unsere Kennung gesendet. Hören Sie, das Ganze ist ein schreckliches Missverständnis. Ich bedauere es, dass wir uns nicht gleich bei Ihnen gemeldet haben, als wir ins System gesprungen sind – soweit wir wussten, war hier keine reguläre Truppenpräsenz zu erwarten. Wir wollten doch nur vorsichtig sein, weil wir gehört hatten, dass es hier Piraten gibt. Mit einer Rostlaube wie dieser können wir kein Risiko eingehen. Sie haben uns doch auf ihren Sensoren – Sie wissen, dass wir nichts zu verbergen haben.“ Toro kommentierte ihren Mitleid heischenden Monolog mit einem gereizten Schnauben. Und auch die Frau am anderen Ende der Leitung schien wenig beeindruckt. Ihre Stimme schwankte zwischen Skepsis und Sarkasmus: „Das können Sie gerne meinem Vorgesetzten erklären. Wenn es sich tatsächlich um ein Missverständnis handelt, werden Sie ihre Reise bald fortsetzen können. Bis dahin rate ich Ihnen, die Weisungen zu befolgen. Aurora-Sword-Fünf Ende.“
Kapitän Jayhawker schaltete ebenfalls das Funkgerät ab. Dann hämmerte sie auf die Konsole ein und spulte eine Litanei von Flüchen ab, die gestandenen Fahrensleuten die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätte.

Die Mirage hatten Kurs auf die Emerald Jade genommen, kaum dass das Schiff den Asteroiden entkommen war. Offenbar hatten die Jagdbomber das Waffenfeuer und den Kurswechsel des Frachters bemerkt. Vermutlich waren die Terries anfangs nur neugierig gewesen, was da auf ihren Anzeigen zu sehen war, doch die Emerald Jade war nicht schnell genug wieder im Asteroidengürtel abgetaucht, um einer Entdeckung zu entgehen. Noch immer ging es in diesem Abschnitt des Gürtels drunter und drüber, und mit einem alten Merkur-X war es nicht ratsam, ein zu großes Risiko einzugehen.
Leider waren die Piloten nicht geneigt, einen Frachter, der scheinbar aus dem Nichts in „ihrem“ Sektor auftauchte, ohne gründliche Untersuchung ziehen zu lassen. Hätten sie ihren Dienst nicht ernst genommen, wären sie wohl kaum hier draußen unterwegs gewesen.

Es dauerte mindestens fünf Minuten, ehe sich die Kapitänin beruhigte. Sie wusste, dass sie keine Chance hatten. Flucht kam mit der Emerald Jade nicht in Frage. Und selbst wenn sie es schafften, die Jäger abzuschießen – die vermutlich mit Atomraketen bewaffnet waren – so war ihre Beschreibung längst an die Basis weitergeben worden. Blieb also nur, gute Miene zu machen. Genau das hatte der Kapitän im Sinn, sobald sie sich beruhigt hatte: „OK, Toro. Gehen wir’s an. Sag der Mannschaft Bescheid, sie sollen jede Waffe und alle Mittel zum Schnupfen, Spritzen, Rauchen, Schlucken oder meinetwegen auch für die anale Verabreichung, die auf der Schwarzen Liste stehen KÖNNTEN, verschwinden lassen. Wir sind ein harmloser Trampdampfer, mit einer übervorsichtigen aber etwas dämlichen Crew. Sorg dafür, dass das auch die anderen wissen.“
Sie dachte kurz nach: „Und sag Quicksilver, sie soll für alle eine ordentliche Mahlzeit vorbereiten – und sobald wir wissen, dass wir geentert werden, Kaffee und Snacks für unsere Gäste bereitstellen.“
Der Pilot lachte nur spöttisch: „Die letzte Mahlzeit für uns, und Kaffe und Kekse für die Terries? Na wenn du meinst, das hilft…“
„Jedenfalls mehr als grimmige Mienen und ein Wettbewerb im in-die-Brust-werfen-und-drohend-anstarren. Also reiß dich wenigstens DIESMAL zusammen. Oder diese Mahlzeit wird für lange Zeit deine letzte anständige gewesen sein.“ Wenn es etwas gab, was Kapitän Jayhawker konnte – außer ihren maroden Frachter und seine buntscheckige Crew zusammenzuhalten, natürlich – dann war es das Glücksspiel. Und im Moment hatte sie vor, wieder einmal zu pokern…

******

Raumstation Aurora Alpha Eins, 24 Stunden später

Das Lächeln von Kapitän Sarah Victor wirkte herzlich und sympathisch. Zusammen mit ihrer freundlichen Stimme und dem hilfesuchenden Blick ihrer grauen Augen ergab dieses Lächeln eine harmonische Gesamtwirkung, der sich nur wenige Adressaten entziehen konnten, vor allem wenn die Kapitänin sich richtig ins Zeug legte. Man sah ihr nicht an, dass sie in den letzten 30 Stunden kaum geschlafen hatte.
Die Überprüfung war in den letzten sechs Stunden mit aller nur denkbaren Gründlichkeit durchgeführt worden. Offenbar war das Personal in Aurora zwar weitab vom Schuss, aber nicht lasch. Was möglicherweise an ihrem Kommandeur lag. Sarahs Gegenüber, ein vermutlich vorzeitig ergrauter Mann Ende 50 in der Uniform eines republikanischen Commanders, schien weitestgehend immun gegen ihren Zauber. Er war offenbar kein Frontoffizier, eher ein langdienender Reservist oder Nationalgardist, der jetzt im Krieg seine Pflicht tat, und mangelnde Gelegenheit zu Heldentaten durch schonungslose Pflichterfüllung kompensierte. Der Mann wirkte weder triumphierend noch feindselig, blieb stets sachlich, doch seine Miene zeigte auch nicht die geringste Sympathie: „Es bleibt dabei, Kapitän. Bis zu einer endgültigen Klärung bleiben Sie und ihr Schiff in Quarantäne. Sie werden nach Sterntor geschickt, wo sich eine gründliche Untersuchung anschließen wird.“
Sarah schien der Verzweiflung nah – wenn sie an die Kosten eines längeren Aufenthaltes und damit Lieferverzuges dachte, brauchte sie das nicht einmal sehr zu heucheln: „Aber Captain!“ Sie blieb bei der schmeichelhaften Anrede, die für den Befehlshaber des Patrouillenschiffes nach Navy-Brauch auch angemessen war. „Wissen Sie, was mich eine längere Unterbrechung der Reise kostet? Und der Umweg nach Sterntor? Die Unterbringungskosten? Ich kann mir das unmöglich leisten! Vielleicht muss ich sogar einige meiner Besatzungsmitglieder entlassen, und was sollen die dann ihren Familien sagen? Ich könnte sogar ganz Bankrott gehen, wenn meine Kunden mich wegen Fertigungsausfällen verklagen! Ich verstehe ja Ihre Sorge um korrektes Vorgehen, und ich respektiere die große Verantwortung, die Sie tragen, aber wie Sie gesehen haben, hatten wir weder illegale Fracht noch Waffen an Bord. Und keines meiner Besatzungsmitglieder wird wegen irgendwelcher Vergehen gesucht.“ In Gedanken kreuzte sie die Finger und drückte beide Daumen, dass dies auch wirklich stimmte. Obwohl pro forma Herrin über Leben und Tod an Bord der Emerald Jade, handelte sie meist nach dem Prinzip ,Leben und leben lassen.’ Nicht zuletzt deshalb, weil sie es sich kaum leisten konnte, wählerisch mit den Leuten zu sein, die auf ihrem Schiff arbeiteten. Folglich war sie nur über Teile der Geschichten ihrer Untergebenen im Bilde, und wollte auch nicht immer so genau wissen, was der eine oder andere mit sich führte. Wenn sie etwas Wichtiges übersehen hatte…war dies genau der Moment, wo ihr dies auf die Füße fallen könnte.
Der Commander verzog die Lippen zu einem wenig freundlichen Lächeln: „In der Tat, obwohl die Geschichte einiger recht…bunt…ist. Aber bei der Fracht stimmt das nicht ganz. Sie haben konföderierte Agrarartikel geladen, und elektronische Bauteile. Das Vorhandensein der Konföderiertenware deutet darauf hin, dass Sie mit Händlern der Konföderation Geschäfte gemacht haben, und die Elektronik fällt unter die Sperrklauseln als Dual-use-Ware. Ihre Papiere geben nicht zufrieden stellend Auskunft, wohin diese Teile gehen und wohin ihre Abnehmer sie liefern.“ Dual Use hieß, die Teile ließen sich ebenso in Entertainmentkonsolen oder Nahrungsaufbereiter einbauen, wie in Kampfflieger. Und da die gespannten Beziehungen zur Konföderation noch sehr neu und die unfreundlichen Gefühle auf beiden Seiten noch sehr frisch waren, gingen die föderalen Sicherheitskräfte auf Nummer sicher. Der Commander ignorierte denn auch den Einwand von Sarah, sie hätte ja nur Waren der Konföderation AUSGEFÜHRT, und das nicht einmal direkt. Ungerührt fuhr er fort „Angesichts des verdächtigen Verhaltens Ihres Schiffes und ihrer Geschäfte mit Konföderierten halte ich es für nötig, Ihre Geschäftsbeziehungen genauer zu überprüfen. Sobald Klarheit herrscht, dass Sie weder in die noch aus der Konföderation Schmuggel betreiben, können Sie weiterfliegen.“
Der Kapitän der Emerald Jade schien nicht gewillt, dies hinzunehmen: „Aber…!“ Doch der Commander duldete keinen Widerspruch: „Das ist vorerst alles. Kooperieren Sie mit dem Zollkommando, das Sie nach Sterntor beleitet. Dort wird sich alles weitere ergeben. Guten Tag.“ Und mit diesen Worten stand er auf und ging. Zurück ließ er einen insgeheim wutschnaubenden Kapitän. Sterntor! Ausgerechnet Sterntor! Eine Schicki-Micki-Welt, geradezu überlaufen von aufgeblasenen Militärs und, viel schlimmer noch, aufgeblasenen Handelsschiffern mit modernen Frachtern, die natürlich wesentlich schneller flogen als die Emerald Jade. Genau die Art von Welt, wo jemand wie sie bestimmt keinen guten Auftrag an Land ziehen konnte. Und als wäre eine Zwangspause nicht schon schlimm genug, standen ihr schlimmstenfalls eine Beschlagnahme eines Teils der Ladung und ein paar sehr, SEHR unzufriedene Verkäufer und Käufer bevor. An manchen Tagen war wirklich das ganze Universum gegen sie…

* Bruderschaft der Sterne – gelegentlich gebräuchliche Selbst- und Fremdbezeichnung der Raumpiraten in der FRT, analog zu den historischen „Brüdern von der Küste“, den karibischen Seeräubern des 16. und 17. Jahrhunderts auf der Erde
** Keff, Plural Keffs – Slangausdruck für die Konföderierten (Confederated), oft abwertend gemeint
*** Terrie, Plural Terries – Slangausdruck für die Angestellten der Federal Republik of Terra, besonders für die Sicherheitsorgane, mitunter in der Konföderation für alle Bürger der FRT gebräuchlich
**** Cluster – Bezeichnung für einen Schwarm von kleinen Asteroiden oder Bruchstücken, oft mit unregelmäßigem Kurs
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Ironheart

Das war es also. Als ich aus Commander Burrs Büro kam, malträtierte ich als erstes die nächste Wand. Wie hatte das passieren können? Wie durfte das passieren? Wieso hatte sie mir das angetan? Okay, Staffelführer war etwas, was ich mir zutraute, etwas was ich bereits erfolgreich getan hatte. Aber das war mit Noname an meiner Seite. Erst zusammen waren wir ein richtiger Staffelführer gewesen. Okay, ich hatte die Augen offen gehalten und mir alles erarbeitet, was ich zuvor nicht beherrscht hatte, weil Kail oder - man staune und wundere sich - Skunk die Arbeiten erledigt hatte. Aber Donovan war ein so angenehmer Zuarbeiter gewesen, dass ich mich sehr daran gewöhnt hatte.
Und jetzt? Abkommandiert zu den Falcons, würde ich in Zukunft den Träger beschützen müssen. Noch schlimmer, ich würde einem Freund das Kommando wegnehmen, das eigentlich ihm zustand. Auch wenn Samantha Raven Burr das anders sah, der nächste auf der Liste war Chip, und verdammt noch Mal, wir hätten ihn schon dazu gebracht, die Blauen zu leiten. Und überhaupt, ich auf einem Abfangjäger? Ging es noch ironischer? Eine Versetzung zu den Crusader, sogar zu den Rafale hätte ich noch verstanden. Aber wusste Raven nicht, dass ein Pilot, der mit weniger Bewaffnung auskommen musste, hochgradig abschussgefährdet war?
Okay. Okay, sie hatte sich sicherlich was dabei gedacht. Zum Beispiel wie sie Donovan, dem sich durch meinen Fortgang die unverhoffte Möglichkeit ergeben hatte, Staffelchef der Roten zu werden, die Tour vermasseln konnte. Ob es was nützte, bei Lone Wolf petzen zu gehen? Ob ich mit ihm reden und ihn bewegen konnte, Raven in ihren Job rein zu reden? Besser nicht. Ich hatte bei ihm gerade keinen großen Gefallen gut. Und außerdem konnte ich nicht so ganz glauben, dass er seiner CAG ins Geschäft reden WOLLTE, solange sein eigener Platz als Chef der COLUMBIA einem Schleudersitz glich.

Mit frustrierter Miene machte ich mich auf den Weg in mein Büro. Ha, mein Büro. Das war komisch, jetzt im Nachhinein. Es hatte nie mir gehören sollen. Einst hatte es Lone Wolf selbst gehört, danach Darkness, Radio, Skunk und schließlich mir. Ich hatte gewusst, dass es provisorisch war, dass die Gefahr bestand, einen Staffelchef vor die Nase gesetzt zu bekommen. Doch die Hoffnung starb zuletzt. Jetzt WAR ich Staffelchef. Allerdings ein Leichenfledderer der schlimmsten Sorte, indem ich ausgerechnet Julianes Staffel übernehmen musste. Die Staffel der Frau, mit der ich eine Affäre gehabt hatte, wenn das auch schon lange her war. Die Staffel der Frau, die ich mit meinem Geständnis vielleicht getötet hatte, und das nagte nicht erst seit heute an mir. Himmel, ich brauchte dringend, dringends einen guten Rat. Oder noch besser gleich ein Dutzend. Und das bedeutete für mich, dass ich mich ab sofort noch sehr viel besser mit Lilja stellen musste, als ich ohnehin vorgehabt hatte. Wenn mir einer die Kniffe und Tricks für eine Falcon-Staffel beibringen konnte, dann nur eine gut gelaunte Lilja. Und wie erreichte ich das? Vielleicht indem ich vor ihren Augen einen lebenden Akarii häutete? Ich verschluckte mich bei dem Gedanken, damit auch noch Erfolg bei ihr zu haben. Nun, Akariis häuten gehörte nicht zu meinen Hobbies, also beschloss ich, mich zuerst auf die guten alten Bestechungsgeschenke zu verlassen, die man so untereinander verteilte, wenn Piloten voneinander etwas wollten. Ein Abo der Space Action Weekly zum Beispiel, obwohl die Dinger die Angewohnheit hatten, mit zwanzig Ausgaben zugleich aufzuschlagen, falls das Frontschiff endlich mal dem Postschiff begegnete. Vielleicht half auch ein zweites romantisches Abendessen - vorausgesetzt, wir aßen aus Akarii-Schädeln.
Ich schüttelte den Gedanken ab und stützte mich schwer an der Tür ab, die zu meinem Büro führte. First Lieutenant Davis, wer waren Sie eigentlich? Wie konnten Sie so werden wie Sie gerade waren? Welche Erfahrungen hatten Sie geprägt und von dem besonnenen, lockeren und sinnig fliegenden Rekruten, der sich freiwillig auf die RED gemeldet hatte, zu dem nicht mehr ganz so jungen Mann gemacht, der mit Eis in den Adern flog, genauso eiskalt tötete und ab und an zu einem gewaltigen jähzornigen Ausbruch neigte? First Lieutenant Davis, wer waren Sie?
Ich seufzte und klopfte an meiner eigenen Tür. Die Stimme von Donovan bat mich herein.

Ironisch sah er mich an. "Was denn, was denn? Du klopfst bei dir selbst an? Was ist los, hast du dich in den Türen vertan?"
Nicole Shaw winkte wegwerferisch ab. "Er wird halt alt, der gute Ace. Oder er ist in Gedanken schon beim Landgang. Ich wette du hast schon ein hübsches Strandhaus gemietet, das bald von diversen Bikinischönheiten bevölkert wird." Sie zwinkerte mir zu.
"Ach, du kommst auch, Nikki?", fragte ich scherzhaft.
Sie errötete, teils vor Ärger, teils wegen des versteckten Kompliments. Doch bevor sie etwas sagen konnte, winkte ich ab. "Gut. Ihr seid beide hier. Ich bringe eine gute und zwei schlechte Nachrichten von Raven mit. Zuerst die gute: Raven hat mich mit Wirkung von heute von der Roten Staffel abgezogen."
Donovan Cartmell fiel vor Schreck der Schreibstift aus der Hand. Nicole Shaws Kinnladen sackte herab. "Aber das kann sie doch nicht machen! So wie wir verprügelt wurden kann sie doch nicht ausgerechnet dich abziehen!", rief Donovan erschrocken.
"Jetzt kommen die schlechten Nachrichten. First Lieutenant Cartmell, Sie werden nicht mein Nachfolger."
Unwillkürlich straffte sich Donovan bei der überhöflichen Anrede. "Verstehe. Ich habe es auch nicht wirklich erwartet. Und? Holen sie einen ran oder kommt einer von Ohkas Schwarzen rüber?"
"Das ist die zweite schlechte Nachricht. Nikki, hiermit übernimmst du die Rote Staffel."
Entsetzt stand die gestandene Pilotin auf. "WAS? Oh, Cliff, bitte, bitte, sag mir, dass du gerade einen ganz miesen Scherz machst! Da habe ich mich gerade gefreut, dass ihr zwei aus dem Nirvana zurückkommt, anstatt mir die Staffel aufzuhalsen, und dann so was? Warum nicht Donovan? Warum ich?"
"Weil Raven gesagt hat, dass du mehr Jahre im Rang hinter dir hast, deshalb. Aber wenn ich dir einen guten Rat geben darf, behalte Donovan als XO."
"Einen Teufel werde ich tun! Ich gehe zu Raven und trete ihr in den Arsch! Was glaubt das Kindchen, was es da tut? Vor allem, was es mit mir tut? Ich muss mir hier ja wohl nicht alles gefallen lassen, oder?"
"Lieutenant Shaw, Sie übernehmen vorerst die Rote Staffel!", sagte ich scharf. "Sie sind Offizier der TSN, und ich erwarte, dass Sie Ihre Pflicht tun!"
Wütend ballte sie die Hände zu Fäusten. "Natürlich tue ich meine Pflicht. Und du kannst Gift drauf nehmen, dass Noname mein XO bleibt. Aber glaube mir, das letzte Wort ist noch nicht gesprochen! Bestimmt nicht in diesem Fall!" Sie beäugte mich mitleidig. "Und was hat sie mit dir vor? Will sie Ohka ärgern und setzt dich ihm vor die Nase?"
"Ich soll die Blauen übernehmen."
"Die Blauen?" Cartmell lachte auf. "Du auf einer Falcon? Ich bin sicher, wenn du mit Dodson redest, installiert er dir ein paar Steinschleudern auf deinem Vogel. Das verdoppelt die Bewaffnung. Ich..." Belämmert sah er mich an. "Oh nein, Ace, sage mir nicht, Raven interessiert es einen Scheiß, dass vor dir Huntress auf dem Posten war."
"Schaut leider so aus." Langsam krampfte ich die Hände und öffnete sie wieder. "Wie dem auch sei, ich muss es jetzt Chip sagen. Freunde, es war mir eine Ehre mit euch zu fliegen."
Cartmell kam um den Schreibtisch herum. Mantis trat ebenfalls an mich heran.
Wir gaben einander die Hände, wohl wissend, das wir uns auch jetzt noch oft genug über den Weg laufen würden, wenn ich eine andere Staffel führte. Dennoch, es würde nie wieder dasselbe sein. Aber so war der Lauf der Dinge, wir entwickelten uns alle weiter, oder wir blieben stehen und starben.
Ich salutierte in einem Anflug von Ernsthaftigkeit, und die beiden erwiderten den Salut.
"Na wenigstens ist dann endlich unser Träger sicher", murmelte Donovan im verzweifelten Versuch mich aufzuheitern.
Ich lachte leise. "Ich gebe mein Bestes, Noname. Macht mir keine Schande."
"Bestimmt nicht."
Ich versuchte mich noch mal an einem Lächeln, dann stand ich auf dem Flur.

***

Als Ace wieder aus dem Büro getreten war, blieb Noname stocksteif in seinem Sessel sitzen Sein Blick verdüsterte sich zusehends und jeder konnte sehen, dass seine vorgespielte Fröhlichkeit wie eine Maske von seinem Gesicht fiel.
Mantis lächelte ihn etwas verlegen von der Seite an. „Also gut, ich hoffe es ist o.k. so für dich?“
Noname blickte Mantis aus eisigen Augen an. „Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“
Mantis Augen verengten sich zu Schlitzen, mit einem Mal war die mütterliche Art, mit der Sie mit Ace geredet hatte, wie weggefegt. „Wieso nicht? Glaub mir, gut finde ich das auch nicht. Ich will diese Staffel nicht gar nicht haben, aber Du hast den Befehl von Raven gehört. Ich übernehme fürs Erste die Rote Staffel und du darfst mein XO sein!“
Donovan schnaubte verächtlich. „Ich darf dein XO sein? Ich DARF dein XO sein!? Nein danke, ich verzichte. Es weiß doch jeder auf diesem gottverdammten Träger genau warum du mich als deinen XO behalten willst. Nun tu nicht so, als ob Du mich MÖGEN würdest. Du und Hacker habt mir seit meinem Dienstantritt das Leben zur Hölle gemacht! Bei jeder sich bietenden Gelegenheit war ich das Ziel eures Spotts. Und jetzt? Hacker ist tot! Skunk, Kali und Ace sind weg. Und wen macht Raven zum Interimsstaffelchef? Dich!“
Donovan war mehr als wütend, doch auch Mantis war jetzt ebenfalls mehr als angefressen. „Nun mal halblang, Bürschchen! Raven hat gute Gründe mich als Interimschef zu wählen, denn anders als Du bin ich kein mieses, kleines Arschloch. Was bildest du dir eigentlich ein…?“
„Ich bilde mir gar nichts ein. Sieh dich doch an, du bist abgewrackt, alt, ausgebrannt. Du jammerst und jammerst jeden Tag über die ach so schwere Schreibarbeit, die ich mit links erledige. Du krebst bei knapp 10 Abschüssen rum während ich schon mehr als doppelt so viele auf dem Buckel habe. Wir wissen doch beide, wer von uns der bessere Pilot ist! Du bist seit 10 Jahren First Lieutenant und hattest es bislang nicht mal zum Sektionsführer geschafft. Und jetzt sollst du die Roten führen? Ha, dass ich nicht lache…“
Nun war Mantis ebenfalls auf 180. „Weißt du was, du hast Recht! Ich konnte dich noch nie leiden. Und weißt du auch warum nicht? Weil ich immer noch überzeugt davon bin, dass Du es nicht verdienst diese Uniform zu zeigen. Und jetzt gerade in diesem Augenblick beweist Du, dass ich Recht hatte. Wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich jetzt schön die Schnauze halten und deine Befehle befolgen. Denn du hast auch damit Recht, dass Skunk und Ace jetzt nicht mehr da sind um dich zu beschützen. Und Raven hat einen klaren Befehl…“
„Ich scheiß auf Raven! Diese blöde Bomberschlampe schickt einen der besten Jagdpiloten zu den Abfangjägern und macht eine lahme Oma zur Interimschefin einer Überlegenheitsstaffel!!! Die Entscheidung wer Interimschef wird, fällt sie auf Basis der reinen Dienstjahre. Nein, sie nimmt nicht die Eignung als Pilot, sie nimmt nicht denjenigen, der den Schreibkram mit geschlossenen Augen machen könnte. Sie nimmt nicht denjenigen, der sich den Respekt mit harter Arbeit verdient hat, sie nimmt nicht denjenigen, der immer wieder seine Kameraden aus der Scheiße geboxt! Nein, sie nimmt diejenige, deren größte Leistung es ist 10 Jahre in ein und demselben Rang zu versauern. Wer hat denn Cosmos den Arsch gerettet, als Skunk über Tukama abgeschossen worden war? Wer hat sich denn freiwillig für die Selbstmordaktion am Karrashin-Wurmloch gemeldet? Wer hat denn sein Leben riskiert um Ace hinter den feindlichen Linien nach Hause zu holen? Warst das etwa DU?“
"Du kleiner Wichser, ich habe Familie, einen Mann, eine Tochter, eine Enkelin, die ich nur aus Videoaufzeichnungen kenne, die will und WERDE ich wiedersehen! Und erzähl du mir nichts von Einsatz für diese Staffel. Ich habe meinen Teil beigetragen und habe ganz im Gegensatz zu dir eine tadellose Dienstakte."
„Glaubst du, ich weiß nicht, was hier wirklich vor sich geht? Natürlich weiß ich, dass ich die Rote Staffel niemals behalten würde. Jemanden wie mich, jemanden mit meiner Vergangenheit, würde die Scheiß-Navy niemals eine Staffel überlassen. Glaubst du das weiß ich nicht?“
„Das ist mir ehrlich gesagt Scheißegal!“
Donovan hörte ihr nicht mehr zu und obwohl er wusste, dass er sich bereits um Kopf und Kragen geredet hatte, machte er weiter. Er konnte sich einfach nicht mehr im Zaume halten.
„Sie werden einen externen Staffelführer holen und Kali wird irgendwann wiederkommen. Und dir werden Sie dann die dritte Sektion übergeben. Und ich werde nach all der Scheiße durch die ich gegangen bin wieder nur Wingleader sein…!“ Donovan schüttelte widerwillig den Kopf. „Nein, harte Arbeit lohnt sich in dieser verfickten Navy nicht, denn nicht die harte Arbeit wird belohnt, sondern nur diejenigen, die in der Vergangenheit das Glück hatten, keinen Fehler zu machen. Nicht Mut wird belohnt, sondern Feigheit…“
Noname, der schon längst stand, blickte angewidert auf seine Interims-Staffelchefin herab. „Mach deinen Scheiß alleine, ich nehme jetzt meinen Urlaub, den Ace schon genehmigt hat und bin weg…“

Kurz bevor er die Tür erreicht hatte, stoppte ihn Mantis mit scharfer Stimme: „Lieutenant Cartmell, wenn Sie jetzt durch diese Tür gehen, werden Sie das bereuen.“
Donavan drehte sich um, die Augen eisig auf Mantis ruhend. Dann brach er in schallendes, gehässiges Gelächter aus. „Du willst mir DROHEN? Du willst allen Ernstes einem Mann drohen, der schon mindestens drei Mal durch die Hölle und zurück gewandert ist? Was glaubst du, was du mir antun könntest, was mir nicht schon widerliche Piraten, sadistische Wärter, verfickte Navy-Nazis und notorische Arschlöcher wie Skunk nicht schon angetan haben?“ Mit ironischem Ton sagte er: “Komm, sag´s mir, mir zittern schon die Knie, ich habe ja soooo Angst…“
„Wenn, wenn du da rausgehst, dann wirst du nicht mal mehr Wingleader sein. Dann, dann werde ich dich zu einem einfachen Wingman machen und du wirst Petal zugeordnet werden.“ Petal war mit ihren einundzwanzig Jahren und gerade einmal an einer Hand abzuzählenden Kampfeinsätzen nicht mal ansatzweise in der Lage einen Flight zu führen, Und das wusste auch Mantis. Ihr würde es nur um die Demütigung gehen.
Ja, wenn Ihnen nichts mehr einfällt, dann wenden Sie die Demütigung an. Früher hatte das mal bei ihm funktioniert, früher hätte ihn dieses Gefühl der Zurücksetzung tatsächlich aus der Bahn geworfen.
Doch heute war das anders. Er hatte viel gelernt, vor allem von Skunk und seiner „Bring-it-on-Mentaliät“. Natürlich war das ein herber Rückschlag für ihn, aber sein Zorn und sein Ego ließen es nicht zu, dass er jetzt nochmal zurück konnte.
„Na das wird ja süß. Viel Spaß beim Ausfüllen des entsprechenden Formulars.“ Und damit verließ er das Büro des Staffelführers wütend ohne weiter auf Mantis zu achten.

Wäre er geblieben, hätte er eine Mantis erlebt, die vor Wut schäumte.
Nicole Shaw musste sich das von einem ehemaligen Sträfling wie Cartmell nicht gefallen lassen.
Noname hatte zwar Recht mit seiner Äußerung, dass Mantis sich ausgebrannt fühlte. Der Tod ihres langjährigen Wingmans Etienne „Hacker“ Lambert hatte sie tief getroffen. Aber er hatte auch mit der Einschätzung Recht, dass sie ihn nicht leiden konnte. Sie hatte ihn noch nie gemocht und wie sie heute erlebt hatte, beruhte dies auf Gegenseitigkeit.
Sie wusste im Grunde, dass Petal noch nicht so weit war, einen Wing mit Noname als Wingman zu leiten, aber alleine schon als erzieherische Maßnahme musste sie Wort halten.
Eine halbe Stunde später hatte sie Noname wie versprochen als Wingman der Asiatin Petal zugeordnet, Too-Tall als Interims-XO der Roten Staffel bestimmt und die Staffelaufzeichnung inklusive eines Aktenvermerks an Raven geschickt. Natürlich würde das Fragen vor allem von Raven geben, doch das war Mantis egal.
Sie hatte ohnehin noch mit ihr zu reden.

***

Immer noch mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch hatte Noname schnurstracks sein Quartier aufgesucht und wutentbrannt gepackt. Sein Zimmergenosse war schon auf Seafort, womit niemandem seine miese Laune auffiel und er sich an niemandem abreagieren konnte. Das nächste Shuttle Richtung Seafort würde die Victoria Station erst in knapp 3 Stunden starten.
Ace hatte noch zu tun und würde erst später nachkommen. Und er hatte jetzt also noch ein paar Stunden Zeit.
Also was konnte er tun um sich abzureagieren?
Vielleicht ein paar Marines auftreiben und eine sinnlose Schlägerei anzetteln?
Keine gute Idee.
Abgesehen davon, dass er sich in seiner jetzigen Verfassung wohl nur eine blutige Nase einfangen würde, vor allem da er nicht auf Skunk oder Too-Tall zurückgreifen konnte, wusste er, dass das höchstens kurzfristige Befriedigung und langfristige Schmerzen mit sich bringen würde. Und außerdem würde so eine Kurzschlusshandlung seine momentane Situation nicht unbedingt verbessern. Er ärgerte sich über sich selbst, doch war gleichzeitig zu Stolz um sich zu entschuldigen.
Daher schnappte er sich doch seine Sportsachen und machte sich auf den Weg in das bordeigene Fitnessstudie um ein paar Rehaübungen zu machen und wenigstens sinnlos auf einen Sandsack einzudreschen.

Eine knappe Stunde später hämmerte er keuchend gegen einen Sandsack, bekam aber nicht wirklich Druck hinter seine Schläge. Seine Unterschenkel taten ihm immer noch ordentlich weh und er musste einsehen, dass er sich wohl erstmal eher aufs Fahrradfahren fokussieren musste.
Als er einen Augenblick inne hielt und sich umdrehte, sah er, dass er mittlerweile nicht mehr alleine war. Eine kleine weibliche Gestalt bearbeite ebenfalls einen Sandsack mit wuchtigen Tritten und Schlägen. Jeder der Schläge und Tritte wurde mit einem tiefen, grunzenden Laut begleitet.
Donovan schnappte sich sein Handtuch, rubbelte sich den Schweiß aus dem Gesicht und humpelte Richtung Ausgang, blieb dann aber stehen, als er erkannte wer da seine gesamte Kraft und Energie in die Schläge legte.
Jean Davis war nicht nur drahtig, durchtrainiert und absolut fit. So wie es aussah hatte sie auch einige Kampfsporttechniken auf Lager, die man der eher kleinen und zierlichen Person so nicht zutrauen würde.
Seit seiner Aufnahme in den Davis-Clan hatten sie sich nicht mehr gesehen. Für einen Augenblick spielte Donovan mit dem Gedanken Jean Davis in Ruhe trainieren zu lassen und sich an ihr vorbei zu schleichen. Sie schien etwas durch den Wind zu sein und er wusste nicht, ob er in seiner jetzigen Gemütsverfassung wirklich eine Hilfe sein würde.

Doch genau in diesem Augenblick blickte die Marinesoldatin von einem Punch hoch und erkannte ihn.
„Donovan, hallo…“ Sie war etwas außer Atem und musste erstmal Luft holen. „Ach du warst der alte Mann, der sich da vorne abmühte…“
„Haha, sehr witzig“ gab Donovan zurück. Im fehlte gerade noch, dass sich jetzt auch noch die kleine Davis mit ihm anlegte. Sein mürrischer Blick fiel Jean auf, die ihre Handschuhe entschuldigend hochhielt. „Hey, sorry, sollte nur ein Scherz sein. Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“
Noname überlegte, ob er ihr es sagen konnte. Und einem merkwürdigen Impuls folgend entschied er sich spontan dazu, es zu tun. Er hatte das Gefühl, dass er Jean vertrauen konnte auch wenn Sie erst seit kurzer Zeit kannte. Wie hatte Justus gesagt: ‚Du gehörst jetzt zur Familie‘.
Als er Jean die Geschichte mit Mantis erzählt hatte, schüttelte sie nur den Kopf. „Das war ziemlich dämlich, oder?“
Donovan verzog das Gesicht. „Sensibilität ist nicht gerade deine Stärke, was?“
„Sagt ausgerechnet der Holzhammer…“ Sie lachte frech. „Also, gehst du zurück und entschuldigst dich?
Donovan schnaubte und schüttelte den Kopf. „Ach was, ich weiß gar nicht, wie ich mir überhaupt Hoffnungen machen konnte. Meine Karriere ist ohnehin im Eimer, da wird eine halbherzige Entschuldigung jetzt auch nichts bringen. Schwamm drüber, ist mir eigentlich auch Wurscht.“
„Und du glaubst, das nehme ich dir ab, Dickkopf?“
Donovan zuckte mit den Schultern und wechselte dann das Thema. „Warum trainierst du hier eigentlich wie eine Verrückte?“
„Na, ich will fit bleiben. Und…“ Sie zögerte.
„Und was?“
„Versprich mir, dass Du es meinen Brüdern und Justus nicht verraten wirst!“
„O.k. Versprochen.“
„Schwör es. Bei deinen Schwingen.“
„Ja, ist ja gut, ich schwöre es.“ Was konnte wohl so wichtig sein, dass er es niemandem sagen wollte.
Jean schaute sich kurz um sich zu vergewissern, dass Sie alleine waren. Dann flüsterte sie fast konspirativ: „Ich will zu den Jumpin` Devils wechseln. Zum 217ten Sturmregiment.“
„Colonel Hammersmiths Regiment?“
„Ja, genau die.“
Donovan runzelte die Stirn. Nach allem, was er gehört hatte, war die Einheit nicht ohne und nahm nicht jeden. Gut, sie waren sicher nicht das SAS oder die Recon Forces, aber trotzdem genoss die 217te einen exzellenten Ruf innerhalb der im Weltraum agierenden Einsatzkräfte. Mehrere eindrucksvolle Einsätze und entsprechende Unit Citations sprachen Bände. Doch gleichzeitig stand die Einheit im Ruf ein Bluter zu sein, schlimmer noch als die Angry Angels. Bluter wurden die Einheiten genannt, deren Verlustquote dermaßen hoch war, das es kaum noch Mitglieder gab, die seit Anbeginn der Einheitsgründung vor zwei Jahren dabei war, was vor allem in der Natur der Kampfeinsätze des 217ten Sturmregiments und in der Risikofreude ihrer Kommandanten lag.
Jean bemerkte sein Zögern. „Was denkst du?“
„Nichts. Warum willst du denn weg?“
„Naja, seit Graxon ist ehrlich gesagt nicht mehr viel passiert. Die meiste Zeit drehen wir nur Däumchen und kriegen nur die Brotkrümel ab. Ab und an mal dürfen wir ein Shuttle aufbringen oder bei Evakuierungen helfen. Und nach Kens Tod krieg ich nur noch mitleidige Blicke von allen Seiten. Ich denke es wäre vielleicht Zeit für einen Tapetenwechsel.“
„Verstehe.“ Das würde ihrem Cousin und ihren Brüdern gar nicht gefallen.
Als hätte sie seine Gedanken gelesen bat sie ihn nochmal es für sich zu behalten. Schweren Herzens stimmte er zu, denn er wusste, dass Ace durchdrehen würde, wenn er das erfahren würde. Aber er hatte es versprochen. Schon das zweite Versprechen, das er dem Davis-Clan gemacht hatte. Wenn das so weiterging würde er bald den Überblick verlieren, wem er was versprochen hatte.

Jetzt wechselte Jean das Thema und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. „Na gut, ich würde mal sagen, dann machen wir uns lieber auf den Weg, bevor dir Mantis noch den Urlaub streicht. Treffen wir uns in einer Stunde an der Shuttlerampe?“
„Shuttlerampe?“
„Shuttle nach Seafort, Dauntless-Party, schon vergessen? Du gehst doch auch hin, oder? Justus würde sich freuen dich dort zu sehen. Und wir könnten uns auf dem Weg ein bisschen besser kennenlernen. Zumindest sollst du ja ein Teil unsere Familie werden und da will ich doch erfahren, was mein neuer großer `Adoptivbruder` für ein Mensch ist…!“
Noname nickte und Jean verschwand.
Als er ihr hinterher blickte, war er sich nicht sicher, wie viel Wahrheit sie und seine neue Familie ertragen würde.
Nun, er würde es wohl herausfinden müssen.
16.01.2016 06:46 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Tyr

Auf der COLUMBIA, Sicherheitszentrale

„Habe ich Sie richtig verstanden, Lieutenant Commander Hawk?“ Kenneth Ross Stimme klang einigermaßen konsterniert. Die hoch gewachsene, durchtrainierte Frau mit dem markanten Marines-Haarschnitt lächelte kühl: „Ich denke schon. Sagen Sie es mir.“
„Sie wollen, dass ich diese beiden Piloten…Lieutenant Pallardo und Nakakura…’im Auge behalte’. Das klingt ein wenig zu vage. Und nach was genau soll ich dabei Ausschau halten? Beide haben sich nichts zuschulden kommen lassen. Na ja, jedenfalls nichts Wesentliches in letzter Zeit. Nichts, was den NIC eigentlich interessieren sollte. Ich brauche schon etwas mehr als Ihren Wunsch. Stellen diese Männer ein Sicherheitsrisiko dar?“
„Möglicherweise. Allerdings nicht so, wie Sie vielleicht meinen. Wir verdächtigen keinen der Beiden der Spionage, Sabotage, des Geheimnisverrats, oder relevanter krimineller Aktivitäten. Wir wollen ganz einfach, dass sie nach den Vorfällen im Medusa-System…überwacht werden.
Und wonach Sie Ausschau halten sollen…
Nun ja, nach allem, was auffällig erscheint. Stimmungsschwankungen. Wutausbrüche. Irrationales Verhalten.“
Ross schnaufte abfällig: „Bei Nakakura dürfte das einfach sein. Der ist nun wirklich ein stilles Wasser. Die Situationen, bei denen er laut wird, kann man an den Fingern einer Hand abzählen. Japaner eben. Aber Pallardo…also bei dem sind Wutausbrüche nicht gerade ein Anzeichen für eine Anomalie. Der ist immer so.“
„Dann müssen Sie eben aufpassen, ob sein Verhalten…NOCH ungewöhnlicher ist.“
„Und was noch? Soll ich aufpassen, ob sie in Zungen reden? Nach Schwefel stinken? Anfangen Erbsensuppe zu spucken?“
Hawk lächelte flüchtig, wurde aber sofort wieder ernst: „Ich formuliere die Befehle nicht. Ich gebe sie nur weiter. Und es gibt nun einmal gewisse…Richtlinien für Mannschaften, die an einem Erstkontakt beteiligt waren. Normalerweise würde man die Piloten vermutlich erst einmal unter Quarantäne stellen…“
„Erstkontakt? Na ja. Die haben einen verdammten FUNKSPRUCH aufgefangen. Das war alles. Außerdem…wäre das nicht eher Sache der medizinischen Abteilung?“
„Die ist ebenfalls instruiert worden. Sie sollten übrigens auch damit rechnen, dass die Piloten bei Gelegenheit auch noch vom NSC einbestellt werden.“
„Das hat mich nicht zu kümmern. Das geht nur ihre Vorgesetzen etwas an.“
„Ich wollte Sie bloß vorwarnen.“
„Danke. Sind Ihre Untersuchungen über diesen dämlichen UFO-Zwischenfall an Bord der COLUMBIA damit abgeschlossen?“
„Fürs Erste, ja. Auf Wiedersehen.“ Das klang ein wenig sardonisch.

Kenneth Ross starrte der Frau hinterher. ‚Das will ich mal lieber nicht hoffen.’ Für seinen Geschmack waren im Augenblick zu viele Sonderermittler auf seinem Schiff unterwegs oder ‚seinen’ Schäfchen auf der Spur. Erst dieser…Smith, der hinter Davis her war, und jetzt diese Ex-Marine. ‚Du siehst verdächtig aus, Mädchen. Was sucht eine wie du beim NIC?’
Der Sicherheitschef empfand ein kurzes Deja vu-Gefühl, als er eine Kommverbindung mit Lieutenant Gandhis Zimmer aktivierte: „Kommen Sie her. Es gibt schon wieder Arbeit.“
Kurz fragte er sich, ob Commander Smith und Lieutenant Commander Hawk vielleicht irgendetwas miteinander zu tun haben mochten…
‚Nein. Ace ist schließlich niemals auch nur in die NÄHE dieses verdammten UFO-Signals gekommen. Du siehst Gespenster.
Ich wünschte, Pallardo und Nakakura hätten diesen beschissenen Funkspruch niemals aufgefangen.’
Ross hätte sich wahrscheinlich nicht besonders wohl gefühlt, wenn er gewusst hätte, dass er nicht der Einzige war, der dieser Meinung war.

***

Ungefähr zur gleichen Zeit, Victoria Station

„Erklären Sie mir das.“
Doktor Joanne Eriksen, Angehörige des Naval Scientific Corps im Rang eines Lieutenant Commander, unterdrückte ein Zusammenzucken als die leise Stimme dicht neben ihrem Ohr ertönte.
Dieser Commander Andrew Tremane machte sie nervös.
Sie war es gewöhnt, falsch eingeschätzt zu werden. Die meisten Männer – und viele Frauen – sahen ihre sportliche Figur, die sonnengebräunte Haut, die blond gesträhnten Locken und graublauen Augen, und fällten darauf basierend ihr Urteil. Sahen ihre Kollegen sie dann in legerer Freizeitkleidung, und erfuhren, dass sie in ihrer Freizeit surfte und schnorchelte, stand ihr Urteil meistens fest. Das war manchmal ziemlich ärgerlich, manchmal hatte es ihr aber auch geholfen. Ansonsten kümmerte sie sich nicht so sehr darum, was andere von ihr hielten.

Vielleicht war auch sie deshalb trotz eines hervorragenden Abschluss als Gehirnchirurgin, und einer Cum Laude-Doktorarbeit zum Nervensystem der Akarii nicht in das Explorerkorps des NSC aufgenommen worden. Zu ihrer wachsenden Frustration war Joanne von der Erde nicht weiter weggekommen, als bis zum Sterntor-System.
Und statt die Gehirne von Außerirdischen scannen und sezieren zu können, hatte man sie in die Trauma-Abteilung des Mistral Naval Hospital versetzt, wo sie notwendige, aber furchtbar langweilige Routinearbeit an Schwerverwundeten leisten und Genesende überwachen musste.

Deshalb war sie sogar dankbar gewesen, als Commander Tremane vom NSC aufgetaucht war. Immerhin, vielleicht konnte er ihr zu einem neuen Kommando verhelfen. Es hatte sie nicht mal unbedingt gestört, dass Tremane ganz offensichtlich eine Geheimdienst-Vergangenheit hatte. Es war ein offenes Geheimnis, dass der TIS nach Kriegsbeginn mindestens eine Abteilung des wissenschaftlichen Korps der Navy quasi vollständig übernommen hatte. Die TSN hatte das hingenommen. In diesen Zeiten konnte sie sich keinen Ärger mit dem mächtigen Geheimdienst leisten.
Und es war für Joanne richtig erfrischend, einmal ausschließlich nach ihrer Kompetenz bewertet zu werden. Tremane legte keinen Wert auf Förmlichkeit.

Das Problem war…dass Andrew Tremane verrückt war.
Oh gewiss, er hatte keinen Schaum vor dem Mund. Er rollte nicht mit den Augen. Sein Wahnsinn zeigte sich nicht so offensichtlich.
Aber die Geschichte, die er ihr erzählt hatte, die konnte doch nicht stimmen, oder? Daran konnte doch kein vernünftiger Mensch glauben – dieser Unsinn über untergegangene Zivilisationen und Geisterschiffe…
Aber offenbar glaubte irgendjemand ziemlich weit oben Tremane immerhin so weit, dass er ihm nicht einfach die Streifen abgenommen, und in eine geschlossene Anstalt überstellt hatte, in die er eigentlich gehörte. Ganz im Gegenteil, man hatte Tremane sogar mit beträchtlichen Mitteln und Kompetenzen ausgestattet, die es ihm erlaubten, seinem Hirngespinst mit vollem Einsatz hinterher zu jagen. Und damit war er jetzt auch Eriksens Problem.
Sie erinnerte sich sehr genau daran, wie Tremane mit leiser, ruhiger Stimme erklärt hatte, dass alles was er ihr erzählen würde, unter die höchste Geheimhaltungsstufe falle, und ob sie wüsste, was das bedeutete.
Sie hatte ein wenig gelächelt, und die Frage bejaht. Wenn sie etwas verraten würde, dann würde man sie verhaften.
Tremane hatte den Kopf geschüttelt. ‚Nicht in diesem Fall. Wenn Sie etwas über diesen Aspekt der Operation an Unautorisierte weitergeben…dann lasse ich Sie erschießen.’
Und dann hatte auch er gelächelt. Aber es war ein ausgesprochen widerwärtiges Lächeln gewesen, das seine Augen nicht erreichte. Sie wusste nicht, ob er nur einen miesen Scherz hatte machen wollen, oder ob er das ernst gemeint hatte. Und sie hatte Angst gehabt, ihn zu fragen.

Und dann war es noch verrückter geworden. Sie hatte mit einer irrationalen Mischung aus Grauen und Faszination erkennen müssen, dass Tremane mit seinen absurden Vermutungen vielleicht sogar Recht haben konnte.

Joanne Eriksen versuchte, sich wieder zu konzentrieren: „Sehen Sie her. Dies sind die Aufnahmen, die Falkner an uns weitergeleitet hat.
Auf den ersten Blick sind die Daten von Nakakura und Pallardo ziemlich durchschnittlich. Das, was man bei zwei gesunden Männern ihres Alters erwarten kann. Aber schauen Sie hier…und hier. An diesen Stellen verzeichnete der Gehirnscan ungewöhnliche Werte.“
„Ich bin kein Arzt.“
„Dieser Abschnitt ist verantwortlich für die Reflexsteuerung. Und hier…diesen Bereich nennen wir das Traumzentrum.“
„Und das heißt…“
„Nun, ich würde auf jeden Fall vermuten, dass die beiden etwas zu verarbeiten haben. Wenn ich schätzen könnte…“
„Ich bitte darum.“
„…dann würde ich vermuten, dass zumindest Nakakura einige recht…interessante Träume gehabt haben könnte. Vielleicht…nur vielleicht, kann das auch im Wachen gewisse Auswirkungen haben. Nicht so weit, dass es seine Einsatzfähigkeit benachteiligt, würde ich sagen, dennoch…
Vergessen Sie aber nicht, dass die Hirnforschung immer noch ein Feld mit vielen Unwägbarkeiten ist. Und natürlich haben diese Männer sowieso einiges zu verarbeiten. Das kann die Werte verfälscht haben. Grund genug für ein paar Albträume dürfte jeder von ihnen mit sich herumschleppen. Außerdem sind sie Piloten, beide Fliegerasse. Es ist nur logisch, dass sie besonders gute Reflexe haben.“
Tremane runzelte die Stirn: „Können Sie keine eindeutige Aussage machen? Ich dachte, Sie wären eine Spezialistin. Sollte ich mich da getäuscht haben?“
‚Arschloch.’ „Soll ich Ihnen das sagen, was ich wissenschaftlich vertreten kann, oder das, was Sie hören wollen, Commander?“
Tremane grinste kurz: „Touche.“
„Soweit ich Zugriff auf die medizinischen Unterlagen der beiden habe…
Gehirnscans gehören nicht zu den Routineuntersuchungen. Außer bei der Musterung, und nach Kopfverletzungen.“
„Nakakura wurde kurz vor dem Medusa-Zwischenfall wegen einer Gehirnerschütterung behandelt.“
„Ja, aber die medizinische Abteilung der HONGKONG hat Mist gebaut. Vermutlich waren sie überlastet. Wie es aussieht, haben sie ihn geröntgt, ein paar Tabletten verschrieben, und das war es.“
„Schlamperei.“
„Leider ja. Immerhin, Nakakura war häufiger in medizinischer Behandlung, deshalb haben wir ein paar relativ aktuelle Aufzeichnungen. Was bedeutet, dass sie nur ein paar Monate alt sind. Aber bei Pallardo haben wir nur die Musterungsdaten.“
„Und das heißt…“
„Der zeitliche Abstand ist zu groß, um sicher zu sagen, dass diese…Anomalien etwas mit dem Medusa-Zwischenfall zu tun haben. Dazu ist einfach zuviel Zeit seit dem letzten Scan vergangen. Vergessen Sie nicht – der Stress, die Medikamente, mit denen diese Kurpfuscher von der Bordmedizin die Piloten aufputschen…“
„Aber die neuen Daten unterscheiden sich von den früheren Aufzeichnungen?“
„Definitiv. Aber welche Auswirkungen das auf das Verhalten der Offiziere hat…wie gesagt, abgesehen von einigen Vermutungen kann ich Ihnen das nicht sagen. Dazu bräuchte ich mehr Zeit. Lückenlose Überwachung. Wiederholte Untersuchungen – und zwar mit besseren Geräten, als sie auf der Medic-Station eines Flottenträgers zu finden sind. Vergleichsstudien.“
Tremane presste die Lippen zusammen: „Ich werde zusehen, dass die beiden zu einer gründlichen Nachuntersuchung einbestellt werden. Solange die Angry Angels hier in Etappe liegen, kann ich sicherlich auch regelmäßige Nachuntersuchungen arrangieren. Ansonsten… Ich kann nicht zwei Asse aus dem Flugverkehr nehmen, ohne triftige Gründe zu nennen. So weit reichen meine Kompetenzen nicht.“
‚Tatsächlich? Klingt gut.’ „Und ich kann Ihnen keine Gründe liefern, ohne weitere Daten. Es wäre hilfreich, wenn ich auch noch ein paar von Nakakuras und Pallardos Kollegen untersuchen könnte. Vorzugsweise welche, deren letzte Gehirnscans nicht länger als sechs Monate zurück liegen.“
„Veteranen oder Neulinge?“
„Am besten sowohl, als auch.“
Tremane grinste spöttisch: „Ich kann aber nicht das halbe Geschwader bei Ihnen antreten lassen. Und ich will nicht, dass diese Angelegenheit die Runde macht. Doch ich werde sehen, was sich arrangieren lässt. Vielleicht können wir das als eine Vergleichsstudie mit einem etwas…harmloseren Grund laufen lassen.“

Er hatte schon Ross zuviel sagen müssen. Wahrscheinlich musste er bei Gelegenheit auch noch bei der Geschwaderchefin der Angry Angels vorstellig werden. Spätestens, wenn der auffiel, dass man einige ihrer Piloten medizinisch untersuchen ließ, oder wenn Ross betreffs der Sicherheitsüberwachung von Pallardo und Nakakura aus der Schule plauderte. Aber wenn sie oder der neue Kommandeur des Trägers – wer auch immer das sein mochte - über den wahren Grund der Untersuchung informiert werden würden…
Dann würden sie die Piloten entweder aus dem Flugdienst nehmen…oder Tremane in ein Irrenhaus stecken wollen.

Dabei war diese Idee nicht einmal seine eigene gewesen. Vielmehr hatte er eine der Theorien überprüfen wollen, die ein anderer COPERNIKUS-Experte aufgestellt hatte, um das Verschwinden des Raumschiffs zu erklären.
Nach dieser Theorie war die Mannschaft der COPERNIKUS einem…Signal oder einer Strahlung ausgesetzt gewesen, die das Verhalten der Mannschaft auf fatale Art und Weise…verändert hatte. Demzufolge sollte die gesamte Besatzung kollektiv verrückt geworden sein. Falls sie die Quelle des ‚Signals’ mit sich genommen hatten, wäre dies möglicherweise auch eine Erklärung für das Verschwinden der anderen Raumschiffe gewesen, die im Verlauf der folgenden Jahrzehnte auf die COPERNIKUS gestoßen waren. Vielleicht – so die Theorie weiter – hatte sich so auch immer wieder die Mannschaft des Geisterschiffs von neuem rekrutiert.
Tremane hielt diese Theorie für sehr unrealistisch. Nach seiner Meinung war der Kurs der COPERNIKUS dafür viel zu zielbewusst und stetig. Falls das ominöse Signal nicht in der Lage war, Menschen – und auch Akarii – langfristig ‚umzuprogrammieren’, mussten solche Erklärungsversuche unbefriedigend bleiben.
Außerdem war da auch noch der Funkspruch von Rip Lay, der Offizierin eines Akarii-Hilfskreuzers. Sie hatte davon gesprochen, dass sich etwas an Bord der MOTRONOS geschlichen, und die Besatzung angegriffen hatte. Und was es auch immer gewesen war – es hatte sich dabei nicht um einen Menschen oder einen verrückt gewordenen Akarii gehandelt…

Aber seine Überlegungen gingen Lieutenant Commander Eriksen nichts an. Und er durfte die Ergebnisse auch nicht einfach ignorieren, auch wenn sie nicht seinen Erwartungen entsprachen: „Machen Sie weiter. Soviel ich weiß, werden die meisten Piloten der Angry Angels ohnehin zeitweilig beurlaubt. Das dürfte zwar unseren Zugriff erschweren, andererseits haben wir dadurch ein wenig mehr Bewegungsfreiheit. Wenn wir Ihre Untersuchungen während des normalen Dienstbetriebs durchführen würden…
Und ich will eine Risikoanalyse für diese beiden Piloten, die darlegt, inwieweit sie eine Gefahr für die Sicherheit der Streitkräfte darstellen.“
„Ich sagte Ihnen doch, dass ich…“
„Trotzdem werden Sie es tun. In diesem Fall möchte ich nämlich wirklich nur das von Ihnen hören, was ich will. Habe ich mich verständlich ausgedrückt? Oder muss ich mir jemand anderen suchen, der dazu in der Lage ist?“
Doktor Eriksen verkniff sich die Frage, was dann mit ihr passieren würde. Aber sie wollte dennoch nicht so einfach klein beigeben: „Sie haben doch selber gesagt, dass Sie die Piloten nicht einfach aus dem Dienst nehmen können! Und jeder ausgebildete Spezialist…“
„Sie sind hier die Koryphäe auf diesem Gebiet. Da sollten Sie doch in der Lage sein, mir das nötige Fachchinesisch zu liefern. Außerdem will ich diese Männer gar nicht aus dem Dienst nehmen. Das ist eher eine Art…Versicherung, für den Fall, dass sie nicht kooperieren. Ein Druckmittel, wenn Sie so wollen.“
‚Ja, eindeutig Geheimdienst.’ „Ich soll lügen?“
„Die Wahrheit ist doch sowieso das erste, was im Krieg stirbt. Also tun Sie es, oder muss ich mich an Ihre Vorgesetzten wenden?“
Die junge Ärztin schluckte. Auch wenn Tremanes ‚ich-lasse-Sie-erschießen’-Attitüde nur gespielt sein mochte, er hatte zweifellos die Möglichkeit, ihre Karriere zu torpedieren, und ihr eine Menge Ärger zu machen. Also musste sie so oder so mit dem Teufel tanzen.
„Aber wenn man eine Expedition ins Medusa-System schickt…dann will ich dabei sein. Wenn ich schon meine Karriere aufs Spiel setze, dann soll es sich wenigstens lohnen. Ich will zum Team gehören. Denn das wird doch Ihr Team sein, nicht wahr, Commander?“
Tremane lachte jäh auf: „Wir werden sehen. Und ich hätte Sie wahrscheinlich ohnehin darum gebeten. Einverstanden, Lieutenant Commander. Wir haben einen Deal.“
Der Geheimdienstoffizier streckte Joanne seine rechte Hand entgegen. Die junge Ärztin warf einen letzten Blick auf die Aufnahmen. ‚Vielleicht irre ich mich. Aber wenn es stimmt, dann ist das meine Chance.’ Obwohl sie Tremanes Geistergeschichten nicht glauben mochte – ETWAS war zweifellos im Medusa-System zu finden. Die Entdeckung von extraterrestrischen Artefakten konnte ihre Fahrkarte ins Explorerkorps werden, selbst wenn die Expedition für ihr Spezialgebiet enttäuschend verlaufen mochte. Und dafür war sie auch bereit, mit einem Verrückten zusammenzuarbeiten.
‚Das werde ich wahrscheinlich bedauern.’ Aber dennoch schlug sie ein. Tremanes Händedruck war fest und sicher.
16.01.2016 06:47 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


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Tyr

Victoria Station, über Seafort

„Erklär mir bitte noch einmal, warum du unbedingt mitkommen musstest.“ Kano musterte seine Schwester. Zweifellos sah sie erheblich hübscher aus als er, auch wenn ihre Ausgehuniform irgendwie ziemlich…leger wirkte. Was vielleicht auch daran lag, dass sie die Jacke falsch geknöpft hatte, und die Mütze in einem sehr unüblichen Winkel auf dem schwarzen Haarschopf trug. Kano hingegen hatte natürlich auf dergleichen modische Extravaganzen verzichtet. An ihm hätten sie sowieso fehl am Platz gewirkt. Bei dem jungen Japaner saß jeder Knopf, hatten Kragen, Mütze und Ärmelaufschläge genau den richtigen Sitz und Winkel.
„Kannst du es dir nicht denken? Ich will selbstverständlich meine zukünftige Schwägerin kennen lernen.“
Kano unterdrückte einen Fluch, aber natürlich konnte er Sakura nicht täuschen. Immerhin war sie seine Schwester. Die junge Pilotin lachte schallend: „Oh Mann, es tut mir echt leid, dass ich bei der Szene nicht dabei war! Wenn ich mir vorstelle, dass unser Blaues Wunder ausgerechnet dir SOWAS vor versammelter Mannschaft an den Kopf knallt!“
„Du hast dich aber schnell eingelebt…“, die etwas abfällige Bezeichnung ‚Blaues Wunder’ für Clifford ‚Ace’ Davis war eigentlich nur den älteren Jahrgängen vertraut, „…aber das geht eigentlich nur mich und Kali etwas an. Nicht Ace, nicht den Rest des Geschwaders…“
„Nicht mal deine kleine Schwester?“
„Und ganz besonders nicht meine kleine Schwester.“
„Hm. Ich schätze mal, dann hätte ich die Geschichte in meiner letzten Vid-Botschaft nach Hause wohl besser doch nicht erwähnen sollen, oder?“
Kano wirbelte herum: „Du hast WAS?!“
Er wurde mit einem weiteren schallenden Lachen belohnt. Sakura schien sich gar nicht mehr einkriegen zu können: „Du…du…hättest…mal dein Gesicht…sehen…sollen!!“
Der japanische Pilot schnippte mit der Hand nach ihr, als wollte er eine Mücke wegscheuchen. Aber natürlich konnte er ihr nicht wirklich böse sein: „Das ist nicht witzig.“
„Falsch. Es ist vielleicht für dich nicht witzig.“ Fast übergangslos wurde Sakura Nakakura ernst: „Machst du dir immer noch wegen Vater Sorgen?“
Kano zuckte mit den Schultern. Tadamori Nakakura war vielleicht nicht gerade ein ausgewiesener Rassist, aber dennoch ein strammer japanischer Nationalist, der sehr stolz auf die Geschichte und die Ahnen seiner Familie war, die den Familienstammbäumen nach bis in die Tokugawa-Ära zurückreichte. Er hatte keine Probleme damit, dass sein jüngster Sohn eine nichtjapanische Freundin hatte. SO altmodisch war er nicht. Doch nach Iouras Tod, und solange Tarro der Familie noch keinen Stammhalter hatte schenken können, war es mehr als wahrscheinlich, dass seine Gefühle betreffs seinem jüngsten Sohn, dessen indischer Freundin und dem H-Wort eher…gemischt waren.
„Falls du es vergessen hast, Bruderherz, wir leben nicht mehr im Shogunat.“
„Danke, das wäre mir doch beinahe entgangen. Aber es geht nicht nur darum. Wenn ich Helen einen Antrag machen würde – und das hätte ganz bestimmt nichts mit Ace zu tun – dann würden sie einen von uns beiden versetzen. Daran führt kein Weg vorbei. Sie können vielleicht ignorieren, dass wir ein Paar sind…“
„Da sich sowieso keiner an dieses idiotische Reglement hält…“
„Aber Ehepaare dürfen nicht auf dem selben Träger dienen.“
„Verstehe. Du musst sie wirklich lieben.“
Um Kanos Lippen zuckte es kurz: „Weil ich Sie nicht heiraten will? Ironisch, nicht? Vielleicht bin ich zu egoistisch. Zumal es wohl keinem von uns beiden schaden könnte, in einem anderen Geschwader anzufangen. Zumindest, was die Karrierechancen angeht.“
Das klang allerdings wenig überzeugt.
Sakura grinste, und versetzte ihrem Bruder einen leichten Rippenstoß: „Es gibt nur wenige Leute, die ich kenne, und die weniger egoistisch sind, als du es bist.“
„Danke.“
„Tja, und überleg mal, was DAS über mein soziales Umfeld sagt. Na ja, ich kann jedenfalls für Mutter ihre zukünftige Schwiegertochter etwas genauer unter die Lupe nehmen. Sie erwartet bestimmt einen detaillierten Bericht.“
„Wag es bloß nicht.“
„Das hättest du vermeiden können, wenn du sie mal nach Hause mitgebracht hättest.“
„Wann denn? Seitdem wir auf die COLUMBIA umgestiegen sind, hatte ich nicht ein einziges Mal Heimaturlaub.“
„Tja, so gut sind wir.“
Kano schnaubte kurz. Dann hatten sie die Shuttlestation erreicht. Außer ihnen wartete nur eine Handvoll Männer und Frauen auf die Fähre zum MNH, dem Mistral Naval Hospital. Kano sah niemanden aus seinem Geschwader. Angesichts der Verluste, die die Angry Angels hatten einstecken müssen, waren ganz einfach nicht mehr allzu viele übrig, welche die Versehrten besuchen konnten.

**

Die Ausmaße des MNH überraschte Kano. Vielleicht täuschte er sich, aber ihm schien es, als sei die Anlage nur um ein weniges kleiner, als die Fliegerakademie auf dem Mars. Die Einrichtung bildete eine eigene kleine, aber sehr weitläufig angelegte Stadt mit großzügigen Reha- und Erholungsanlagen für die Genesenden.
Der medizinische Dienst der TSN hatte Zeit genug gehabt, sich an die Forderungen anzupassen, die der totale Krieg stellte, der seit nunmehr fünf Jahren zwischen den Sternen tobte. Nach einigen hässlichen Skandalen wegen überbelegten, unterversorgten und teilweise veraltet eingerichteten Hospitälern und Genesungszentren waren beträchtliche Summen in die Versorgung der Verwundeten, Verstümmelten und Versehrten geflossen. Die grausamen Gesetze des Raumkrieges sorgten allerdings trotzdem dafür, dass die Zahl der Toten häufig mit der der Verletzten gleichzog, oder sie sogar überstieg. Die erbitterten Bodenkämpfe glichen dies nur ungenügend aus.
Hier wurden keine Schlachten geschlagen, dennoch spielte das MNH und andere, weniger berühmte Einrichtungen der TSN eine entscheidende Rolle für die Kriegführung. Denn der Fleischwolf verlangte pausenlos nach immer neuer Nahrung. Und dieses Verlangen konnte nicht alleine durch das Auskämmen der Etappe, durch die Begnadigung von Strafgefangenen, und auch nicht durch die Rekrutierungen gefüllt werden. Man brauchte die Erfahrung und das Können all jener, die das Ungeheuer Krieg bereits einmal gestreift und versehrt aus seinen Klauen entlassen hatte.

Im MNH erhielten Menschen eine neue Haut und ein neues Gesicht, deren Körperfläche zu siebzig, achtzig, neunzig Prozent nur noch aus verkohltem oder verätztem Gewebe bestand. Schwere Verstrahlungen waren nicht länger mehr ein sicheres Todesurteil. Beinahe routinemäßig wurden amputierte Gliedmaßen ersetzt. Sogar eine durchtrennte Wirbelsäule war inzwischen heilbar.
Manche von denen, die von diesen Fortschritten der Heiltechnik profitierten, mochten allerdings der Genesung mit gemischten Gefühlen entgegensehen. Immerhin bedeutete ihr Gesunden, dass sie bald wieder hinaus mussten – und diesmal vielleicht nicht noch einmal soviel „Glück“ haben würden.

Das Ziel der beiden Piloten war allerdings keiner der ‚Invalidenwürfel’, wie die vierstöckigen Wohnquartiere hießen, in denen die Genesenden untergebracht waren. Stattdessen steuerten Kano und seine Schwester eine der zahlreichen, von Bäumen und Sträuchern aufgelockerten Grünflächen an. Die Architekten, die diese künstlichen ‚Wildnisflächen’ entworfen hatten, hatten gewusst, dass nichts so langweilig war, wie Eintönigkeit. Sie hatten sogar daran gedacht, durch die Anlage kleiner Teiche und Bäche den ‚natürlichen’ Charakter der Landschaft zu erhöhen. Außerdem empfanden die meisten Menschen eine solche Umgebung als entspannend.
Das MNH lag in der gemäßigten Zone von Seafort, und jetzt, im Spätsommer, war die Luft angenehm warm, ohne drückend zu sein. Die leichten Ausgehschuhe der beiden machten auf dem weichen Grasboden fast keine Geräusche, zumal sie ohnehin einen sehr leichten Schritt hatten.

Dennoch blieben sie nicht unbemerkt. Die schlanke, dunkelhäutige Frau, die mit überkreuzten Beinen im Gras saß, und sich mit geschlossenen Augen und ein wenig ungeschickt verschränkten Armen auf ihre Atmung konzentriert hatte, hob den Kopf, und drehte sich zu ihnen um.
Sie lächelte – ein Lächeln, dass allerdings fragend, und dann ein wenig spöttisch wurde, als sie die junge Frau neben Kano bemerkte: „Ist das deine neue Freundin? Hättest du mir das nicht lieber in einem Brief mitteilen sollen?“
Kano lachte kurz auf. Er ergriff die ihm entgegen gestreckte – gesunde – Hand, und zog Helen ‚Kali’ Mitra auf die Beine. Dann umarmte er sie, und küsste sie.

„Du hast mir gefehlt.“ Kanos Stimme war nur ein leises Flüstern, aber sie hörte dennoch mühelos die Erleichterung, das…Glück, das in den Worten mitschwang. Natürlich hatte sie das gewusst. Aber es war dennoch gut, es noch einmal zu hören, diesmal von Angesicht zu Angesicht. Die Pilotin lachte leise: „Das will ich doch hoffen. Du hast mir auch gefehlt. Ich habe mich dauernd gefragt, was du wieder anstellst. Ich kann dich doch keinen Augenblick aus den Augen lassen.“ Sie zuckte kurz zusammen, als ein vertrauter, stechender Schmerz durch ihren verwundeten Arm schoss.
Als sie sich voneinander lösten, fuhr Kali dem jungen Japaner mit ihrer Linken ein wenig ungeschickt durch den Haarschopf: „Kein schlechter Anfang. Dafür, dass du mich gestern versetzt hast. Aber glaub nur nicht, dass du es damit schon wieder gut gemacht hast.“
„Oh bitte, erzähl weiter…“ schaltete sich Sakura mit einem anzüglichen Grinsen ein.
Helen konnte sich denken, wer die junge Japanerin war, dennoch wandte sie den Kopf zu Kano: „Du hast uns noch nicht vorgestellt.“
Der warf seiner grinsenden Schwester einen warnenden Blick zu – der natürlich ignoriert wurde: „Helen, das ist meine kleine Schwester Sakura.“
Kalis Lächeln wirkte etwas gezwungen: „Ja, wir hatten damals leider keine Zeit uns kennen zu lernen. Ich war…ziemlich beschäftigt. Aber ich hab schon viel von dir gehört.“
Sakura grinste frech: „Ich auch von dir. Aber wegen dir habe ich zwanzig Credits verloren.“
„Und warum das?“
„Weil ich gewettet habe, dass Kano sich nicht traut, dich in aller Öffentlichkeit zu küssen. Und dazu noch vor seiner kleinen Schwester.“
Helen lachte schallend auf, während Kano rot wurde: „Sakura ist das Nesthäkchen in unserer Familie, und glaubt, mit allem durchkommen zu können. Du wirst lernen müssen, sie zu ignorieren. Genauso, wie Tarro und ich es uns angewöhnt haben.“
Einen Augenblick lang glaubte Helen, dass Kanos Schwester ihm die Zunge herausstrecken würde, aber dann beherrschte sie sich. Dennoch musste die indische Pilotin feststellen, dass die vorlaute und extrovertierte Sakura einen ziemlichen Gegensatz zu ihrem Bruder darstellte. ‚Na ja, vermutlich greift bei ihr nicht diese ganze Samurai-Erziehung.’
Sie wich ein wenig zurück, ohne allerdings ihre Hand von Kanos Arm zu lösen. Es war…gut ihn zu fühlen. Und ein Blick in sein Gesicht verriet ihr, dass es ihm genauso ging. Seit sie…ein Paar geworden waren, waren sie noch nie so lange getrennt gewesen. Nicht einmal, wenn es Kano mal wieder gelungen war, sich auf die Krankenstation schießen zu lassen.

Abgesehen davon…sah er gut aus. Jedenfalls besser, als sie befürchtet hatte. Welche Verletzung auch immer er hatte einstecken müssen, offenbar war sie diesmal nur leicht gewesen und schnell verheilt: „Und ich hatte schon gefürchtet, dass sie dich ins MNH einweisen, kaum dass sie mich entlassen haben. Nach dem, was du angedeutet hast, mit dieser Schlacht…“
Kanos Lächeln erlosch, als hätte man einen Stecker gezogen.
Sie kannte diesen Gesichtsausdruck, hatte ihn zu oft gesehen: „Was ist los? Wer…wen hat es getroffen?“
Kano sah sie an. Seine Stimme klang rau: „Huntress…Sie haben sie erwischt.“ Für ihn war die Juliane Volkmer immer nur eine Bekannte, aber keine Freundin gewesen. Deshalb war er relativ schnell über diesen Verlust der Angry Angels hinweg gekommen. Ihr Tod hatte ihn weniger hart getroffen, als der sinnlose Unfall, der Monty das Leben gekostet hat. Aber es tat weh zu sehen, wie sehr Helen leiden musste.

Kali hatte Mühe, Kano zu verstehen. Das Hämmern des Blutes, das durch ihre Schläfen zu pulsen schien, übertönte beinahe seine leise Stimme. Ihre eigene Stimme klang irgendwie…dumpf. Schwerfällig: „Wie…was ist geschehen.“ Sie fühlte wie sich ihre Hand in Kanos Arm krampfte. Vielleicht war es nur dieser Halt, der sie aufrecht hielt.
„Ihr Jäger…wurde schwer getroffen, und driftete antriebslos auf die beschädigte COLUMBIA zu. Ich weiß nicht genau, was dann passiert ist…
Entweder es gab eine Sekundärexplosion, oder sie hat den Selbstzerstörungsmechanismus aktiviert. Wenn das…“
„Warum hat sie nicht den Schleudersitz betätigt?! Verdammt noch mal, warum musste sie das tun?!“
„Vielleicht war der Katapultsitz beschädigt. Außerdem…wahrscheinlich wollte sie nicht, dass ihre Falcon die COLUMBIA trifft…“
„Oh ja, eine verdammte Heldin! Verflucht, warum?! Warum?! Hat es ihr denn nicht gereicht, Akariis abzuschießen? Musste sie unbedingt…“
„Helen…“
„Nein!“ Die Stimme der jungen Pilotin gewann eine schneidende Schärfe: „Das will ich jetzt nicht hören! Nicht von dir! Sag mir nicht, dass sie es für uns, für die COLUMBIA getan hat…dass es ihre Pflicht war…dass es einen Sinn hatte! Dazu hatte sie kein Recht! Diese dumme Kuh! Was hat sie sich dabei gedacht?! ICH-WILL-ES-NICHT-HÖREN!!“ Bei jedem der geschrieenen Worte stieß sie Kano ihre linke Faust vor die Brust. Die Schmerzwellen, die dabei wieder und wieder durch den kaum verheilten Arm fluteten, konnten sie nicht stoppen. Sie genoss den Schmerz fast. Wenigstens…
Kano fluchte mit zusammengebissenen Zähnen. Das hätte er kommen sehen müssen: „Helen…Helen!“ Dann endlich hatte er sie bei den Schultern gepackt und hielt sie fest, während sie sich in seinem Griff wand und fluchte.
Er wusste ja, dass die Schläge nicht ihm galten. Sie galten auch nicht Volkmer, obwohl Kali sie mit Bezeichnungen verfluchte, von denen Kano nicht einmal gewusst hatte, dass Kali sie kannte. Vielleicht galten sie nicht einmal den Akarii, obwohl die letztendlich schuld an Huntress Tod waren.

Der Ausbruch war genauso schnell vorbei, wie er aufgeflackert war. Kano fühlte, wie Helens Körper erschlaffte. Viel hätte nicht gefehlt, und er hätte das Gleichgewicht verloren: „Helen.“
„Du tust mir weh.“ Ihre Stimme klang abwesend.
Kano warf seiner Schwester, die mit weit aufgerissenen Augen die Szene verfolgt hatte, einen beredten Blick zu, und lockerte seinen Griff etwas.
Das musste man Sakura lassen. Wenn es darauf ankam, reagierte sie schnell. Mit einem entschuldigenden Schulterzucken und einem halblauten: „Ich seh’ euch später…“ machte sie sich aus dem Staub. ‚Verdammt, das hätte sie nicht unbedingt sehen müssen. Aber sie wird den Mund halten.’
Dann wandte er sich zu Kali um: „Das tut mir leid…“
Die indische Pilotin reagierte mit einem Laut, der ebenso ein bitteres Auflachen wie ein unterdrückter Schluchzer sein konnte.
„Kann ich dich loslassen?“
„Du meinst, ohne dass ich dir eine knalle oder zusammensacke? Für was hältst du mich – ein Zierpüppchen? Es geht schon wieder.“
Seltsam widerstrebend ließ er ihre Schultern los.
Kali fuhr sich über das Gesicht. Doch auch wenn ihre Augen feucht schimmerten, sie hatte nicht geweint. Und das würde sie auch nicht tun. Sie würde nicht weinen.
Ihre Stimme klang belegt, und sie vermied es, Kano ins Gesicht zu sehen: „Das…war idiotisch. Verdammt, ich habe mich wie eine dämliche Zivilistengöre benommen. Ach…Scheiße.“
Kano wusste, dass ihr das ganze furchtbar peinlich war. Sie fluchte sonst selten – und jedenfalls nicht so fantasielos. Aber obwohl ihm solche Ausbrüche eher fremd waren, er glaubte sie zu verstehen: „Hör auf, dich entschuldigen zu wollen. Deine Freundin ist…“
Endlich sah sie ihn an: „Das ist es nicht nur, verstehst du? Warum musste sie ausgerechnet so…sterben. Warum?
Ich weiß…was Ace damals mit dieser Atomrakete abgezogen hat. Ich weiß…was du unter Pflicht verstehst. Was du für Risiken eingehst. Und Lilja…verdammt die würde keinen Augenblick zögern, so eine…Scheiße durchzuziehen. Warum auch nicht? Sie hat ja sonst nichts, wofür sie leben will.
Sie…und du…und Ace. Ihr…ja, euch traue ich so was zu. Und wenn ich mir vorstelle, dass mir jemand mal erzählen muss, dass du bei irgendeiner Kamikaze-Aktion draufgegangen bist… Dann weiß ich nicht, ob ich heulen oder schreien soll. Aber…so bist du nun einmal. Ich habe es akzeptiert, kapiert? Es zerreißt mich, aber…
Aber was verdammt noch mal hat Juliane geritten? Sie hätte aussteigen können. Sie hätte es MÜSSEN. Sie hat es nicht getan. Warum bloß, verdammt?“
„Vielleicht hatte sie einfach keine Wahl. Wir wissen nicht, ob der Schleudersitz überhaupt noch einsatzfähig war.“
Aber von diesem Einwand ließ sich Kali nicht aufhalten. Vielleicht hatte sie ihn nicht einmal gehört. Ihre Stimme war jetzt leiser, aber sie vibrierte voller Wut: „Das war einfach nicht richtig. Sie wollte doch niemals…ein verdammter, toter Held sein. Ace…der denkt nicht nach, bevor er sich mit irgendeiner dämlichen Aktion in die Luft jagt. Lilja hat ihre rodina. Und du…du denkst, man müsste den Krieg führen wie die Verteidigung von Iwo Jima.“
„Helen…“
„Das hat keiner von ihr verlangt. Dafür hat sie nicht unterschrieben.“
„Nein. Aber sie hat es trotzdem getan. Was also soll ich dir sagen?“
Kali lachte traurig auf: „Dass du versprichst, nicht das Gleiche zu tun, falls du in so eine Situation gerätst. Das wäre gut.“
Kano verfluchte lautlos seine Ehrlichkeit. Aber auch wenn er Kali nicht alles erzählen konnte – zum Beispiel, wenn der NIC ihm mal wieder einen Maulkorb verpasst hatte – er hatte sich geschworen, sie wenigstens nicht anzulügen: „Ich weiß nicht, wie ich mich in so einer Situation verhalten würde. Ich weiß nicht, ob Huntress wirklich die Zündsequenz aktiviert hat. Ich weiß nicht einmal, ob sie überhaupt eine Wahl gehabt hat, irgendetwas tun KONNTE. Aber ich kann nicht…“
Kali brachte ihn zum Schweigen, indem sie ihm die Hand über den Mund legte: „Ich will das nicht hören, OK? Ich weiß, was du sagen willst.“
Kano griff nach ihrer Hand, und fuhr mit dem Daumen vorsichtig über ihre Knöchel: „Tut mir leid.“
Kali lachte kurz auf: „Weshalb denn? Das Gespräch hatten wir schließlich schon einmal. Wir sind schon ein schönes Paar. Ein Kamikaze-Flieger auf Abruf, und ich…ich benehme mich wie ein verdammter Zivilist oder ein Frischling. Es ist erbärmlich.“
„Hör auf, dich runter zu machen. Du hast eine Freundin verloren. Du wärst da draußen beinahe gestorben. Es gibt nichts, wofür du dich schämen müsstest.
Als ich bei der Troffen-Operation verwundet wurde…ich wäre beinahe zusammengebrochen. Ohne dich…ich weiß nicht, ob ich es geschafft hätte. Ich weiß nicht, ob ich wieder in ein Cockpit hätte steigen können. Oder ob ich nicht beim nächsten Feindflug draufgegangen wäre.“
Kali nickte abwesend. Sie erinnerte sich noch gut daran. Damals waren sie noch nicht zusammen gewesen. Aber auch wenn er Recht haben mochte, auch wenn sie längst nicht so wie Kano darauf fixiert, der Welt ein makelloses Bild, eine undurchschaubare Maske zu präsentieren, ihr Ausbruch war ihr dennoch peinlich. Und auch wenn Kanos Worte, sein seltenes Eingeständnis der eigenen Schwäche ihr viel bedeutete…
Es war nicht genug.
Sie waren hier zu gut sichtbar. Es gab zu viele Zeugen, die sie gesehen oder gehört haben mochten. Sie sah, dass einige andere Genesende, die wie sie das schöne Wetter hatten ausnutzen wollen, zu ihnen herübersahen. Ihre braune Haut nahm einen noch dunkleren Ton an, als sie überlegte, was diese Leute vielleicht gehört hatten, was sie denken mochten. Sie mussten hier weg.

***

Eigentlich hatte sie nur den Blicken entkommen wollen, die sie zu spüren glaubte. Eigentlich hatte sie nur einen etwas ruhigeren Ort für ihr Gespräch, ihre Aussprache, den Streit finden wollen…oder was auch immer sich aus ihren Worten hätte entwickeln sollen.
Aber als sie beide endlich in der kleinen Einzimmerwohnung waren, die ihr als Lieutenant zustand, war Reden das Letzte, wonach ihr der Sinn stand. Und Kano ging es offensichtlich genauso.
Sie wusste später nicht mehr, wer von ihnen beiden die Initiative ergriffen hatte. Sie wusste nur, dass sie Kano den Rücken zerkratzte, als sie ihm die Uniformjacke vom Leib zerrte, und dass sie einen Schmerzenslaut unterdrücken musste, als er ihr das Hemd und den BH aufriss, und ihr kaum verheilter Arm mit einer Schmerzwelle protestierte.
Sie sagte ihm nicht, dass er aufhören oder vorsichtiger sein sollte, weil sie es nicht wollte.
Vielleicht war es falsch. Es gab immer noch so viel, dass ausgesprochen werden musste. Soviel, was sie beide belastete, und was nicht einfach verschwinden würde, was drohend über ihnen schwebte.
Aber das spielte jetzt keine Rolle. Es war nicht wichtig. Es konnte warten. Morgen…in einer Woche waren sie vielleicht tot. Heute lebten sie beide, und im Augenblick zählte nur das. War mehr als genug.

***

„Und Sie wissen wirklich nicht, wo Lieutenant Nakakura ist? Immerhin ist er Ihr Bruder.“
Die Frau, die sich als Lieutenant Commander Hawk vorgestellt hatte, wirkte nicht unbedingt überzeugt. Selbst auf einem Bildschirm wirkten ihre hellen, kalten Augen recht einschüchternd, obwohl ihre Stimme ruhig blieb.
„Ganz genau. Ich bin seine Schwester. Nicht seine Freundin. Und er ist alt genug, um alleine auf Landurlaub zu gehen. Genauso wie ich. Da wir schon mal dabei sind…
Sie halten mich von meinem Date fern.“
Kurz zuckte es um Hawks Mundwinkel: „Entschuldigung. Aber Ihr Bruder reagiert nicht auf einen Komruf. Sie haben nicht vielleicht wenigstens eine Ahnung, wo wir ihn erreichen können?“
„Tut mir sehr leid, ich würde Ihnen sehr gerne helfen. Aber über seine Freizeitplanungen bin ich nicht informiert.“ log Sakura Nakakura ebenso routiniert wie schamlos.

Irgendwie hatte sie allerdings nicht den Eindruck, als würde diese Hawk ihr glauben. Aber offenbar hatte die Frau sich entschlossen, keinen Druck auszuüben: „Eigentlich ist er über diese Untersuchung – und den Zeitpunkt – informiert worden. Ich dachte, dass er normalerweise pünktlicher ist. Es ist nicht so wichtig, aber wie sich vorstellen können, hat auch der medizinische Dienst genug zu tun. Also falls Sie ihn…zufällig…sehen sollten, richten Sie ihm aus, er soll so schnell wie möglich Lieutenant Commander Joanne Eriksen vom NSC kontaktieren, und einen neuen Termin vereinbaren. Er erreicht sie im MNH, Abteilung XB-24. Immerhin ist es doch wohl auch in seinem Interesse, wenn seine tadellose Diensttauglichkeit attestiert wird. Nachdem die Krankenstation auf der HONGKONG und der COLUMBIA bei der Versorgung und Nachbeobachtung seiner letzten Kopfverletzung etwas…säumig waren, sollte er die nötigen Formalitäten so schnell wie möglich hinter sich bringen. Ganz besonders in seiner momentanen Position.“
„Ich werde es ihm ausrichten. Wenn ich ihn zufälligerweise sehe. Einen schönen Tag noch.“
Und damit brach sie die Verbindung ab. ‚Eine Routineuntersuchung? Aber warum ruft dann der NIC an? Und warum schicken sie ihn ins MNH, statt in eine der Medic-Stationen auf der Raumbasis? Merkwürdig.’
Aber dann kam Sakura Nakakaura zu dem Fazit, dass es nicht brachte, ins Blaue zu spekulieren. Sie würde schon noch von Kano zu hören bekommen, worum es bei dieser ‚Untersuchung’ gehen sollte.
Und sie hatte Besseres zu tun, als sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Sie war eine Pilotin, die Urlaub hatte. Sie hatte ihren ersten Abschuss, und die Verleihung des Verwundeten Löwen hinter sich. Also würde sie sich amüsieren.
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Cattaneo

Ein Wechselbad der Gefühle

Lieutenant Commander Pawlitschenko hatte in den letzten Tagen und Wochen ein wahres Wechselbad der Gefühle durchgemacht. Sie hatte es ganz gut verkraftet, dass sie selbst nach der Ankunft in Sterntor zunächst nicht auf Victoria-Station und damit näher zur ersehnten kv-Einschätzung verlegt wurde. Obwohl sie vor Ungeduld an ihren Fingernägeln kaute, wusste sie, dass dies nur noch eine Frage der Zeit war. Die Columbia würde so schnell nirgendwohin fliegen, also kam es nicht auf ein oder zwei Tage an. Weitaus schlimmer hatten sie andere Neuigkeiten getroffen, die jetzt offiziell bestätigt worden waren. Die Kapitulation der Konföderation war ein Tiefschlag, mit dem niemand gerechnet hatte. Die offizielle Propaganda beeilte sich zwar zu versichern, dass die Auswirkungen gering wären, aber Lilja war bei aller Linientreue nicht dumm genug, das für bare Münze zu nehmen. Auch wenn die Hauptkampfhandlungen zwischen der imperialen Flotte und der TSN stattgefunden hatten, die Konföderation hatte über Jahre hinweg militärisch und wirtschaftlich einen erheblichen Beitrag geleistet, der künftig fehlen würde. Die jetzt propagierte Behauptung, die Konföderation habe ohnehin nicht viel geleistet, vertrug sich kaum mit den Nachrichten und Darstellungen seit Anfang des Krieges. Es war nicht sonderlich überraschend, dass die Russin das Verhalten der ehemaligen Verbündeten nicht einmal ansatzweise nachvollziehen oder gar billigen wollte und konnte. Für sie war es – wie sie lauthals und wiederholt erklärte – ein Meisterstück aus Feigheit, Kurzsichtigkeit und Ehrlosigkeit, das es verdiente, den Konföderierten noch im kommenden halben Dutzend Generationen vorgehalten zu werden. Keine sehr überraschende Haltung für eine Frau aus einem Land, das die eigene Hauptstadt lieber angezündet hatte, als zu kapitulieren. Daran änderte auch der Umstand nichts, dass in den Medien die Kriegsverbrechen der Akarii auf Hannover gebührend herausgestrichen wurden. Das Massaker, das ihre schweren Waffen unter den Einwohnern der konföderierten Hauptstadt angerichtet hatten, wurde auch nicht dazu genutzt, um Mitleid zu wecken, vielmehr folgte die Berichterstattung dem Grundsatz: UND MIT SOWAS MACHEN DIE FRIEDEN!
Der „Schlächter von Hannover“, wie der gegnerische kommandierende Admiral getauft worden war, nahm zumindest im Moment in etwa die Position in der Propaganda ein, die vorher Prinz Jor innegehabt hatte, und zahlreiche Stimmen forderten, ihm einen Ehrenplatz in der Liste der Kriegsverbrecher einzuräumen.
Obwohl Lilja auf diesen wie auf frühere Rückschläge eher mit Halsstarrigkeit reagierte, so hatte sie die Neuigkeit in Wirklichkeit tief getroffen. Dass der Krieg noch lange dauern und noch viel mehr Opfer fordern würde, war klar. Und alles, was so teuer erkauft worden war, schien auf einmal in Frage gestellt.

Eher irritierend hatte der Besuch einer NIC-Mitarbeiterin gewirkt, kaum dass die Columbia an die Victoria-Station angedockt hatte. Diese Lieutenant-Commander Hawk war zwar höflich und durchaus freundlich gewesen, aber Lilja hatte sich doch etwas über das Interesse des Sicherheitsdienstes an einem eher obskuren Zwischenfalls gewundert, der sich noch vor der Schlacht von Tukama ereignet hatte. Wenn der NIC wegen ihres „Phantomkontaktes“ im Draned-Sektor besorgt war, wieso hatte dann nicht der bordeigene Sicherheitsdienstler sie viel früher befragt? Wieso erst jetzt, wo die Erinnerung schon verfälscht seien konnte, und dazu der zweite Augenzeuge nicht mehr lebte? Außerdem war Hawk etwas zu sehr daran interessiert gewesen, was ihr Lilja über einen umfassenden Gesundheitscheck erzählt hatte, den sie relativ kurz danach hatte durchführen lassen. Als die Russin das Kommando über die Grüne Schwadron übernahm, hatte sie sich noch einmal überprüfen lassen – vorgeblich routinehalber, da sie nun aufgerückt war. In Wirklichkeit hatte Lilja sichergehen wollen, dass die Ereignisse keine Spuren hinterlassen hatten. Außerdem war an Hawk selber etwas merkwürdig gewesen. Lilja war keine Spezialistin, aber für sie hatte die Frau viel eher wie eine Elitesoldatin gewirkt, weniger wie eine Angehörige des Sicherheitsdienstes. Jedenfalls war Hawk offenbar zufriedengestellt abgezogen. Lilja war nur froh, dass der Sicherheitsdienst nicht an ihrem Geisteszustand oder ihrer Verlässlichkeit zu zweifeln schien, und gratulierte sich selbst dazu, unmittelbar nach dem Ereignis einen umfangreichen Bericht eingereicht zu haben. Ihr erschien zwar immer noch nicht nur ihr Erlebnis selbst, sondern auch die Reaktion darauf merkwürdig, angesichts anderer Probleme hatte sie die Angelegenheit jedoch schließlich abgehakt.

Dann hatte sich ihre Stimmung schlagartig gebessert, als Raven und Lone Wolf sie besucht hatten. Von der Befehlshaberin des Geschwaders und deren Vorgänger um Rat gefragt zu werden und ihnen helfen zu können, war schon mal etwas – auch wenn sie Ravens Kritik nicht ignorieren konnte. Die Aussicht, für die Parlamentary Medal of Valor vorgeschlagen zu werden, übertraf jedoch jede Kritik und jedes Lob bei weitem. Neben der wahrscheinlich recht fernen Aussicht, irgendwann einmal Geschwader-XO oder gar Chefin eines Geschwaders zu werden – wie sie hoffte nicht der Angry Angels, denn das wäre nur durch den Verlust hochrangiger Offiziere möglich gewesen – war es das, was für Lilja das Wort Glück definierte. Abgesehen davon möglichst viele Akarii zu töten, natürlich. Allein die Aussicht auf eine solche Auszeichnung versetzte sie in einen Freudentaumel, der für sie wahrhaft untypisch war. Die Verwandlung war so deutlich, dass sich Ina Richter alias Imp zu der Frage veranlasst sah, ob man Lilja denn unter Drogen gesetzt habe, als sie ihre Vorgesetzte kurz nach dem Treffen mit Raven und Lone Wolf besuchte. Die Russin hatte erhebliche Mühe gehabt, nicht mit der Neuigkeit herauszuplatzen. Stattdessen hatte sie die Sticheleien und Sondierungsversuche ihrer Freundin abgeblockt und sich in frohes Schweigen zum Grund ihrer Stimmung gehüllt. Es brachte Unglück, zu früh über derartige Dinge zu reden, das war bekannt. Und auch wenn Lilja nicht unbedingt zum Okkultismus neigte, in der Hinsicht achtete sie die Traditionen. Also hatte sie den Mund gehalten. Seitdem – das war ihr klar – spionierte Imp unermüdlich, um hinter den Grund für dieses unerklärliche Verhalten ihrer Freundin zu kommen.

Auf dieses Hoch waren jedoch sehr bald wieder Zweifel gefolgt. Nur für eine Auszeichnung vorgeschlagen zu sein, bedeutete keineswegs, sie auch wirklich zu erhalten. Lilja besaß zwar eine makellose Dienstakte, doch gerade ihre letzte Tat konnte durchaus auch kontrovers gesehen werden. Zwar wog die Billigung durch den ehemaligen und gegenwärtigen Kommandeur des Geschwaders weitaus mehr als die Beschwerde eines Arztes, doch war die Beschwerde auch nicht völlig zu vernachlässigen. Andere Geschwadermitglieder hatten in der Vergangenheit wie sie deutlich mehr als „nur“ ihre Pflicht getan und waren ebenfalls nicht mit der Medal of Valor ausgezeichnet worden. Lilja wäre zufrieden gewesen, wenn sie für ihren Flug mit einem gebrochenen Bein ein Lob oder eine etwas häufigere Auszeichnung wie das Navy Cross, die Defense Meritorious Service Medal oder vielleicht einen Silver Star erhalten hätte. Sie war nicht frei von Stolz auf ihre Leistungen und sogar einer gewissen Eitelkeit, auch wenn sie es nie so genannt hätte. Aber dennoch kämpfte sie nicht in erster Linie für Orden und Beförderungen, schon gar nicht für die höchsten. Doch erst zu erfahren, dass man sie für eine der höchsten Auszeichnungen der Streitkräfte vorschlagen wollte, und sich dann zu vergegenwärtigen, dass sie diese am Ende vielleicht nicht erhalten würde oder „nur“ eine geringere Ehrung, das war wesentlich schwerer zu verkraften. Als würde man einem Menschen das vor die Nase halten, was er sich mehr als alles andere sehnlich wünschte, und es ihm dann doch nicht geben. In ihrem Innersten litt sie seit Anfang des Krieges unter uneingestandenen Minderwertigkeitskomplexen, die sie durch ihre selbstmörderische Einsatzbereitschaft und harte, kompromisslose Führungsweise kompensierte, als müsse sie sich und anderen immer wieder beweisen, dass sie das Zeug zum Offizier hatte. Neben ihrem Hass auf den Gegner und dem traditionellem Patriotismus zum „Mütterchen Heimat“ war dies ein wesentlicher Antrieb ihrer Taten und Untaten.
Unter dem Eindruck dieser Gedanken hatte sie einige mehr als unangenehme Tage verbracht, in denen sie zwischen Euphorie und Depressionen schwankte, wobei sie beide Extreme in gewohnter Weise zu überspielen versuchte. Das alles hatte sich nicht gerade gut auf ihre Seelenruhe ausgewirkt – nicht, dass Lilja an so etwas wie eine Seele glaubte. Wenn sie normalerweise etwa zweimal die Woche schweißgebadet aus einem Albtraum aufschreckte und Stunden brauchte, um wieder Ruhe zu finden, so waren nun ihre Ruhephasen wie zu Anfang des Krieges fast täglich unterbrochen worden.
Die Kapitulation der Konföderation, die doppelte Nahtoderfahrung über Karrashin und der Tod ihres Flügelmannes hatten noch dazu beigetragen. Nur der Umstand, dass sie momentan nicht in vollem Dienst stand, hatte verhindert, dass jemandem ihre Probleme wirklich aufgefallen waren. Ungeachtet von diesem Stimmungswechsel hatte sie beharrlich an ihrer körperlichen Rehabilitierung gearbeitet. Das medizinische Personal hatte sich jedoch gewundert, dass die körperliche Verfassung der Patientin so stark schwankte, denn ihre seelische Verfassung wirkte sich auf ihre körperlichen Leistungen aus.

Schließlich hatte sich die Russin jedoch zu einer nüchternen Einstellung durchgerungen, obwohl sie das eine fast schlaflose Nacht des Nachdenkens gekostet hatte. Sie hatte sich nicht nur eingeredet, dass es im Grunde gleichgültig war, ob und mit was sie ausgezeichnet wurde. Der Umstand, dass sie verwundet einen Akarii vernichtet und bei dem Sieg über einem zweiten geholfen hatte, war entscheidend, und dass sie damit wahrscheinlich anderen das Leben gerettet hatte. Es zählten nicht ihre Orden, sondern vor allem die 34 feindlichen Bomber, Jagdbomber, Jäger und Schlachtflieger, die drei Shuttles und der Frachter, die sie während des Krieges zerstört hatte, die Dutzende Abschüsse, bei denen sie assistiert hatte. Sie hatte nicht wenige Kameraden verloren, doch sie hatte noch mehr gerettet – wenn auch zum Teil nur für eine kleine Weile. Es war entscheidend, dass Raven sie für die hohe Auszeichnung vorschlug, nicht, ob der Vorschlag auch angenommen wurde.
Das zu erkennen war nicht so schwer. Sich selbst davon zu überzeugen, war schon etwas komplizierter, denn innerlich hungerte Lilja wie jeder Mensch nach Anerkennung. Doch ihr war es schließlich gelungen, sich selbst wieder einmal in die Hand zu bekommen. Insgeheim hoffte sie aber weiterhin auf die begehrte Auszeichnung und fürchtete sich vor einer Zurückweisung – doch sie ließ sich nicht mehr durch Hoffnung und Furcht beherrschen. Die kursierenden Gerüchte von einer möglichen Auflösung des Geschwaders brachten sie weitaus weniger aus der Ruhe. Lilja hatte bereits zweimal ihre Heimat verloren, einmal, als die Red Hawks vernichtet wurden, das zweite Mal, als die Redemption aufgegeben werden musste. Sie hatte in der Grünen Staffel miterlebt, wie viele Piloten gekommen und gegangen waren, einschließlich der von ihr sehr geschätzten Staffelchefin. Diese Erfahrung hatte sie etwas fatalistisch werden lassen. Im Krieg war nichts für die Ewigkeit – das wusste sie nur zu gut.

Etwa zu dem Zeitpunkt, als sie sich zu einer nüchternen Betrachtung ihrer augenblicklichen Position durchgerungen hatte, wurde sie endlich wieder dienstfähig geschrieben und praktisch sofort in Urlaub geschickt. Das war zumindest in so weit eine Erleichterung, da sie nun von den lästigen ärztlichen Überprüfungen weitestgehend befreit war. Aber Lilja war einfach unsicher was sie als nächstes tun sollte, obwohl Seafort lockte und sie von Imp geradezu bekniet wurde, doch einmal auszuspannen. Im Moment ging ihr noch zu viel durch den Kopf, als dass sie einfach hätte „abschalten“ können.
Das Quartier der Russin an Bord der Columbia war während ihrer Zeit im Lazarett etwas zweckentfremdet worden. Imp hatte auf die Überbelegung der verbleibenden Wohnräume des Trägers damit reagiert, dass sie in dem Raum Shoki und Marine einquartiert hatte. Lilja wollte sich lieber nicht mit der Frage beschäftigen, ob die zwei einiges zu Gesicht bekommen hatten, was eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war. Die meisten Schnappschüsse, die sie gesammelt hatte, das Modell einer Falcon und einer Typhoon mit Abschussmarkierungen und dergleichen gingen ja noch. Auch die Akarii-Militaria wie Rangabzeichen, die funktionsunfähige Pistole eines feindlichen Piloten oder ein Akarii-Bajonett waren noch harmlos. Von dem „Glanzstück“ ihrer Sammlung, dem blanken Schädel einer Echse, war dies nicht unbedingt zu sagen, ebenso wenig von den Aufnahmen von der Bombardierung Troffens. So abscheuliche „Andenken“ wie Schädel oder andere Körperteile kursierten seit Jahren unter den Soldaten der TSN.
Es gab zwar einige Offiziere, die dagegen Einspruch erhoben, sei es aus ästhetischen oder aus moralischen Gründen, aber die Unsitte war nicht totzukriegen. Das medizinische Personal, das für die Entsorgung geborgener Akarii-Toter und verstorbener Gefangener verantwortlich war, war eine Quelle für derart fragwürdige „Mitbringsel“, die meisten Souvenirs stammten jedoch aus dem Besitz von Marineinfanteristen oder Armeesoldaten. Lilja hatte das gute Stück vor geraumer Zeit gekauft, denn ihre Abscheu vor den Akarii war einer der Punkte, bei dem sie es mit der Dienstschrift alles andere als genau nahm. Andere Pilotinnen hätten vielleicht Angst gehabt, dass die „Gäste“ ihre privaten Auszeichnungen oder ihre Kleidung durchwühlten. Bei Lilja hingegen waren es die sprichwörtlichen Leichen im Keller. Oder im Schrank.
Aber da keine diesbezüglichen Geschichten kursierten, hatten die beiden Zimmerbewohnerinnen offenbar Zurückhaltung gewahrt oder zumindest geschwiegen. Und jetzt, wo auch sie in Urlaub waren, bestand wenig Gefahr, dass jemand herumschnüffelte, wo sie nichts zu suchen hatte.

Reguläre Arbeit war im Moment jedenfalls nicht möglich, da ein Großteil des Geschwaders beurlaubt war. Entsatzleute, die es einzuarbeiten galt, waren noch nicht eingetroffen. Die Kampfflieger waren zwar repariert worden, doch hatte man noch nicht einmal die Verluste des Geschwaders ausgeglichen. Die verbleibenden Maschinen standen für Urlauber nicht einmal für kurze Übungshüpfer zur Verfügung. Und Lilja wollte Chief Dodsen nicht zusätzlich unter Druck setzen, indem sie ihn um Starterlaubnis anbettelte, denn Wartungsflüge waren das einzige, was momentan überhaupt stattfand. Sie als Urlauberin war dafür nicht autorisiert. Sie schuldete dem Techniker ohnehin genug – was sie unter anderem durch eine weitere lobende Erwähnung in ihrem Einsatzbericht gedankt hatte. Das war nicht viel, aber es konnte gewiss auch nichts schaden. Sie hatte versucht, an die erbeuteten Akariijäger heranzukommen – wozu sollte die wochenlange Folter während des „Echsensprech-Unterrichts“ denn gut gewesen sein, wenn sie keine Möglichkeit hatte, das Wissen anzuwenden? Aber auch das hatte nicht viel gebracht. Die Maschinen waren erst mal von Bord geholt worden, und es war anzunehmen, dass bereits das große Gezerre einsetzte, wem sie zustanden und wer wie viel davon für sich abzweigen könne. Vielleicht hatte man sie auch für einen Sondereinsatz reserviert. So konnte Lilja nicht viel mehr tun, als an ihrer eigenen Verfassung zu arbeiten. Ihre Arm- und Bauchmuskulatur hatte schon während der Rückreise einiges zugelegt, so lange sie ihr gebrochenes Bein noch etwas schonen musste. Aber Fitnesstraining allein reichte als Beschäftigung nicht aus. Da immer mehr Piloten nach Seafort emigrierten, fiel es ihr sogar schwer, einige Staffelmitglieder oder Mitglieder anderer Einheiten so lange striezen, bis sie sich zu einer Simulatorrunde bereit fanden. Sie vermisste es, im Cockpit eines Jägers zu sitzen. Lilja wusste, ihr stand nach dem Urlaub die Gewöhnung an eine neue Maschine bevor, weil ihre alte Falcon über Karrashin zerstört worden war. Das Einfliegen war jedes Mal ein Stück weit ein Gewöhnungsprozess. Viele Piloten waren der festen Meinung, dass die Maschinen im Laufe der Zeit eigene Charakteristika, Besonderheiten oder sogar fast so etwas wie eine Persönlichkeit entwickelten. Eine neue „Freundschaft“ zu schließen, dauerte immer eine Weile. Lilja war in der Hinsicht weniger sentimental, wohl auch, weil sie schon zu viele „Pferde“ verschlissen hatte. Aber auch sie war fest überzeugt, dass eine unbekannte Maschine Besonderheiten und kleinere „Macken“ aufweisen konnte, an die man sich besser gewöhnte. Aber diese Möglichkeit hatte sie nicht, so lange sie beurlaubt war und nur eingeschränkt dienstfähig.

Am vierten Tag ihres Urlaubs hatte Lilja gerade ihr Training beendet und befand sich in ihrem Quartier. Sie trug formlose Zivilkleidung, ihr einziger Tribut an ihren momentanen zivilen Status, denn ihr Tagesrhythmus war noch immer sehr vom Training als Ersatz für den regulären Dienst geprägt. In diesem Moment meldete ihre Komeinheit einen Anruf. Da die Kennung auf das Mistral Naval Hospital hindeutete, rechnete sie damit, dass es vielleicht die Aufforderung zu einer weiteren Regenerationsprüfung handelte. Deshalb war sie nicht wenig überrascht, als sie einer ihr gänzlich unbekannten Frau auf dem Bildschirm in die Augen schaute. Die Fremde gehörte weder zur Columbia, noch zu den Ärzten, mit denen Lilja auf der Victoria-Station zu tun gehabt hatte. Die Russin unterdrückte den Impuls, Haltung anzunehmen, denn die andere war ihr im Rang lediglich gleichgestellt, und sie selbst war ja momentan in Urlaub. Fast reflexartig schaltete sie mental auf misstrauisch: „Hier Lieutenant Commander Pawlitschenko.“
Ihr Gegenüber war recht hochgewachsen und vermutlich etwas größer als die für eine Frau eigentlich nicht kleine oder schwache Pilotin. Lange blonde und weißblonde Locken in zahlreichen Strähnen und ein attraktives Gesicht gaben ihr einen ziemlich zivilen Touch und wirkten weitaus weniger streng als etwa die übliche Frisur Liljas. Den graublauen Augen fehlte etwas die Härte, welche die Russin sorgsam kultivierte. Das Brustschild wies die Fremde als Lieutenant Commander Dr. Joanne Eriksen aus. Ihr Stimme klang freundlich, aber nicht ohne energischen Unterton: „Guten Tag, Commander, gut, dass ich Sie erreiche. Ich bin Lieutenant Commander Dr. Joanne Eriksen vom NSC, derzeit Mistral Naval Hospital.“
Lilja blieb abwartend. Sie war nicht grundsätzlich ablehnend anderen Menschen gegenüber, doch dem ärztlichen Personal traute sie nicht sonderlich. Und bestimmt neigte sie nicht dazu, von sich aus auf andere zuzugehen, um eine Lücke im Gespräch zu füllen. So dehnte sich das Schweigen einige Momente aus, bis es unbehaglich wurde. Die Ärztin ließ sich aber davon nicht beeindrucken. Als sie bemerkte, das Lilja nicht die Absicht hatte, ihrerseits eine höfliche Nachfrage zu stellen, was der Anruf sollte, sprang sie selbst in die Bresche. Sie zeigte nicht einmal gelinde Irritation.

„Ich entschuldige mich, Sie während ihres verdienten Urlaubs zu stören. Ich wäre Ihnen jedoch sehr verbunden, wenn sie einen Tag Zeit opfern und für einige Tests zur Verfügung stehen könnten.“ Lilja konnte gerade noch verhindern, dass sie eine Grimasse zog. ,Noch mehr Tests? Wann kapieren die denn eigentlich, dass ich gesund bin, jedenfalls gesund genug?! Ich bin doch kein Renn- oder Zuchtpferd!’ So klang höchstens leichte Frustration in ihrer Stimme, als sie antwortete: „Könnten Sie mir bitte sagen, was das für Tests wären? Ich bin eigentlich gerade erst aus der Krankenstation raus, und nachdem ich wieder gesundheitlich in Ordnung bin…“ damit verbog sie die Wahrheit etwas: „…will ich eigentlich eine medizinische Einrichtung erst wieder von innen sehen, wenn es unbedingt notwendig ist. Ich habe die routinemäßigen Checks durchlaufen.“
Auch diese unterschwellige Abwehr entmutige Dr. Eriksen nicht im Geringsten: „Es geht nicht um Ihre physische Leistungsfähigkeit und Diensttauglichkeit – Sie sehen nicht aus wie jemand, der sich in der Beziehung Sorgen machen müsste.“ Diese Bemerkung ließ Lilja etwas in ihrer Abwehrhaltung nachlassen, denn solcher Zuspruch war genau das, was sie von Ärzten hören wollte, aber nicht so oft wie gewünscht gesagt bekam. Der Effekt hielt jedoch nicht lange vor, als die Medizinerin fortfuhr: „Es geht vielmehr um eine wissenschaftliche Studie, die sich mit den psychischen Auswirkungen von Langzeitoperationen im Raum und Gefechtshandlungen befassen. Die Streitkräfte benötigen zusätzliches Material, um die Leistungsfähigkeit ihrer Soldaten und Offiziere aufrechtzuerhalten – da wir immer weiter ins feindliches Territorium vorstoßen, sind unsere Männer und Frauen immer länger im Einsatz unter künstlichen Umweltbedingungen. Und die Columbia wie auch die Angry Angels als Eliteeinheit erscheinen als besonders gutes Vergleichsbeispiel. Wir brauchen ausreichend Testpersonen, um etwaige negative Auswirkungen der Langzeitoperationen einschätzen und therapieren zu können.“
Die Russin unterdrückte diesmal ihre abwehrende Grimasse überhaupt nicht. Ihre Stimme klang für eine Offizierin und ,Gentlewoman’ ausgesprochen patzig und vorlaut: „Sie sind Psychologin? Ich brauche niemanden, der mir erklärt, ich sei zu den Jagdfliegern gegangen, weil ich nicht mit einem Schwanz geboren wurde, und dass ich nur deshalb so gut im Echsenkillen bin, weil ich nicht oft genug einen Kerl ins Bett bekomme.“
Die Reaktion der Ärztin war nach einer ersten Schrecksekunde nicht etwa Empörung, sondern Gelächter: „Ich kann mir schon vorstellen, woher Sie ihre Ansichten über meine Kollegen haben. Einige von ihnen, Frauen wie Männer, sind etwas sehr…fixiert… Das sagt aber vielleicht mehr über sie aus als über ihre Forschungsobjekte… Sie können versichert sein, ich bin keine Psychologin, und Fragen zu Ihrem Sexualleben oder ihrer Jugend werde ich bestimmt nicht stellen.“ Sie lachte erneut auf: „Ich bin Gehirnchirurgin. Ich messe Hirnströme – ich frage Sie nicht nach Zigarrenlängen, oder wie leicht Sie im Traum fliegen können, und fälle dann meine Urteile danach, was irgendwelche Typen vor ein paar Jahrhunderten dazu gesagt haben.“
Lilja entspannte sich etwas und für einen Augenblick stimmte sie in das Gelächter ein. In ihrer Stimme schwang sarkastischer Spott mit, allerdings nicht auf Eriksens Kosten: „So? Dann entschuldigen Sie. Ich bin nur etwas misstrauisch in der Hinsicht. Das erste und letzte Mal, wo ich mich seit meiner Musterung längere Zeit mit einer Psychologin unterhalten habe, erklärte die mir, dass meine Alpträume über meine tote Sektionschefin daher kämen, dass ich ein sexuelles Interesse an ihr gehabt hätte, und nicht darüber hinwegkäme, dass ich sie nicht nach einem Date gefragt hätte. Als wenn es nicht reichen würde, wenn man sieht, wie der Jäger einer Freundin im ersten Kampfeinsatz in Fetzen geschossen wird.“ Für einen Psychologen wäre vermutlich Liljas Abwehrhaltung selbst bereits recht aufschlussreich gewesen. Aber wenn Dr. Eriksen sich in der Hinsicht Gedanken machte, ließ sie es sich nicht anmerken.

„Wie gesagt, darum geht es nicht. Ich müsste Sie jedoch in der Tat ein wenig nach ihren Alpträumen befragen – nicht in Bezug auf die Inhalte, aber ihre Häufigkeit und Auswirkungen.“ Liljas Miene, die sich etwas aufgehellt hatte, wurde wieder verschlossen. Ihre Alpträume gehörten nicht zu den Dingen, über die sie gerne sprach. Sie fürchtete immer noch, dass diese sich eines Tages negativ auf ihre Diensteinschätzung auswirken würden. Ihre nächste Frage war deutlich von dieser Haltung geprägt: „Die Mitwirkung ist aber freiwillig? Und vertraulich?“
Die Doktorin seufzte: „Natürlich – obwohl ich nicht daran zweifle, dass die Spanner vom TIS dergleichen als Bettlektüre verwenden, um herauszubekommen, ob jemand unter den Probanten ein umoperierter Akarii ist. Es ist vollkommen freiwillig, und wenn Sie nicht mitmachen wollen, wird das ohne negativen Beigeschmack vermerkt. Aber natürlich wäre es gut, Veteranen wie Sie in der Studie zu haben. Viele Piloten ihres Trägers, die ich kontaktiert habe, haben keine Zeit – zweifelsohne angesichts der guten Aussichten an den Stränden oder wo sie sonst sind…“ Das leicht anzügliche Lächeln der Ärztin machte klar, dass sie über die Urlaubsgestaltung vieler Militärangehöriger Bescheid wusste.
Mit ihrer Wortwahl hatte sie – vermutlich absichtlich – Lilja in eine Zwickmühle gebracht. Das Problem war nicht, dass eine Weigerung ohne negative Auswirkungen zur Kenntnis genommen wurde, das Problem war eher, dass sie überhaupt zur Kenntnis genommen wurde. Lilja neigte in der Hinsicht mitunter zu einer gewissen Paranoia. Sich zu weigern, bei so einer harmlosen Studie mitzumachen, konnte ihr genau die Aufmerksamkeit sichern, die sie vermeiden wollte. Zumal ihr alter Bekannter von der Columbia sich sicher bei seinen Kollegen im Mistral Naval Hospital ausgeheult hatte. Sollte ihm irgendwie zu Ohren gekommen sein, dass er seine Versetzung auch ihr verdankte...
Die Russin zögerte einen Moment: „Nun, eigentlich würde ich ja auch ganz gerne meinen Urlaub etwas genießen…Ich habe seit Monaten keinen Planeten mehr betreten…Aber wenn Sie sagen, es wäre wichtig – und wenn Sie bei Ihren Kollegen wegen meiner generellen Gesundheit ein gutes Wort einlegen können...“ Dr. Eriksen erkannte einen Kuhhandel, wenn ihr einer angeboten wurde: „Nun, eine Teilnahme garantiert zwar keinen Bronce Star für außergewöhnliche Pflichterfüllung, aber ich werde es jedenfalls vermerken. Immerhin tun Sie etwas für die Leistungsfähigkeit der Streitkräfte. Und ich sehe zu, dass Ihnen niemand mehr Schwierigkeiten wegen anderer…medizinischer Belange macht.“
Die Russin überlegte kurz, dann gab sie sich einen Ruck: „In Ordnung, ich mache mich auf den Weg – wenn es passt. Unnötig, es auf die lange Bank zu schieben.“ Ihr Gegenüber schien von dem schnellen Erfolg etwas überrascht, war aber offenbar nicht geneigt, sich die Gelegenheit durch die Lappen gehen zu lassen: „Das sollte kein Problem sein – ich schicke Ihnen eine Wegbeschreibung und bereite alles vor. Und vielen Dank.“

Lilja seufzte, als der Bildschirm erlosch. Es blieb ihr gerade noch Zeit, schnell zu duschen, sich umzuziehen und auf den Weg zu machen. Etwas essen würde sie unterwegs – sie wollte keineswegs einen geschwächten Eindruck bei ihrem Auftritt machen. Hoffentlich blieb die Sache wirklich so kurz wie angekündigt. Schon komisch, wie viele Leute sich auf einmal für die Besatzung der Columbia interessierten. Erst dieser Lieutenant Commander Hawk, jetzt diese Ärztin – ebenfalls ein Lieutenant Commander… Fehlte nur noch der TIS, um den Reigen komplett zu machen. Es blieb nur die Frage offen, wie sie sich der Ärztin gegenüber verhalten sollte. Da sie schon zugesagt hatte, wäre es dumm, zu sehr abzublocken. Das erzeugte nur Misstrauen und falsche Neugier. Die Russin lächelte sarkastisch, als ihr ein altes russisches Sprichwort einfiel: „Wen du nicht erwürgen kannst, solltest du umarmen – in jedem Fall hast du deine Hände an seiner Kehle.“ Blieb nur zu hoffen, dass nicht mehr hinter der Sache steckte, als angenommen. Aber vermutlich wurde sie wirklich langsam paranoid.

***

Dr. Eriksens Gedanken waren ebenfalls nicht sehr frohgemut. Sie hasste es, Patienten zu belügen, und das galt auch für Testpersonen. Nicht, dass sie darin nicht Übung hatte. Wer immer mal wieder einen Mann oder eine Frau über einen gefährlichen und potentiell tödlichen Hirntumor aufzuklären hatte – die operativ leicht zu entfernenden zählten da nicht mit – der lernte das Lügen. Allerdings war dieser Lieutenant Commander mit den harten schwarzen Augen auch ein schwieriger Fall.
Blieb nur die Frage, ob das Ganze überhaupt zu etwas gut war, und nicht nur Futter für das mit Wahnvorstellungen betriebene Feuer von Andrew Tremanes Phantastereien lieferte. Andererseits, die Werte ließen sich sicher auch in anderer Hinsicht verwenden. Wenngleich es ihr wesentlich lieber gewesen wäre, sie wäre nicht unter falscher Flagge gesegelt – und mit einem nur begrenzt zurechnungsfähigen Kapitän. Aber solche Gedanken brachten sie nicht wirklich weiter. Es blieb nur, aus der Situation das Beste zu machen und saubere Arbeit zu leisten. Und zu hoffen, dass ihr Auftraggeber sich nicht vollkommen in irgendwelche Spinnereien verrannte.
17.01.2016 10:53 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Ace

Ein Scheiß langer Tag, Teil zwei

Als ich am Büro des Staffelchefs der Blauen anklopfte, rief mich Chip herein. Als er mich erkannte, erhob er sich und ging zur Kaffeemaschine. "Mittlerweile sollte ich dir deine eigene Tasse besorgen", scherzte er. "Weißt du, ich bin sehr dankbar dafür, dass du mir hilfst, Ace. Jetzt sind wir zwar im Endspurt, aber... Es war eine Menge Arbeit. Und nur weil jetzt Urlaub ansteht wird es nicht weniger."
"Ich bin heute nicht gekommen um dir zu helfen, Chris.", sagte ich vorsichtig.
"Was? Oh. Ich verstehe. Ich wusste, dass du entweder mal die Schnauze voll haben musst, oder dich die eigene Arbeit einholt. Im Prinzip machst du ja gerade doppelte Arbeit."
"Du verstehst nicht, Chris." Fahrig legte ich die Rechte in den Nacken. "Ich war gerade bei Raven. Du wirst nicht Staffelchef der Blauen."
Chip Harris erstarrte. Er sah mich aus großen Augen an, dann ließ er sich in seinen Sessel fallen. "Himmel sei Dank. Ich habe eine Zeitlang wirklich befürchtet, Raven würde mich dazu verdonnern. Himmel, so schnell kann ich gar nicht nachholen was mir alles fehlt, und wenn ich den ganzen Urlaub durch arbeite. Wer ist es? Kriegen wir Imp, oder kommt ein Externer?"
Ein wenig verwundert trat ich näher und ergriff die frisch für mich gefüllte Tasse. "Imp ist es nicht. Aber auch kein Externer. Du kriegst einen dieser Fliegerjockeys mit über zwanzig Abschüssen vor die Nase gesetzt. Hat aber zumindest in Führung und Verwaltungskram gute Erfahrungen gemacht, mittlerweile. Er steht zur Beförderung an, und jetzt soll er sich halt als Staffelchef bewähren."
"Ohka vielleicht? Sein Kommando ist ja noch nicht durch, und ich weiß, dass er auf der Typhoon angefangen hat."
Ich lächelte amüsiert. "Du sitzt auf meinem Platz, Chip."
Der Freiwillige von New Boston starrte mich an, als hätte ich gerade enthüllt, ich wäre beim letzten Heimaturlaub zur Frau umoperiert worden. Er erhob sich, trat einen Schritt zur Seite. Erleichterung machte sich in seinem Gesicht breit. "Bitte, Staffelführer. Das ist jetzt dein Platz."
Ich erhob mich, kam um den Schreibtisch herum. "Du nimmst das ziemlich leicht, Chip."
"Hey! ICH habe gesagt, dass ich diesen Scheiß Job nicht will! Und jetzt kriege ich nicht nur einen Boss, der mir bereits gezeigt hat, dass er es kann, es ist auch noch der legitime Erbe von Juliane. Oh, oh, oh, Sorry, Ace. So wollte ich das nicht sagen. Ich meinte nur, weil wir doch Julianes Staffel waren, wirst du auf uns besonders Acht geben."
Ich klopfte dem Piloten aufmunternd auf die Schulter. "Es ist in Ordnung. Ich weiß den Gedanken zu schätzen. Weißt du, ich hätte nicht die Amnesie, den verlorenen Arm, die Reha und tausend andere Dinge weg gesteckt, wenn ich mich immer wieder von der Vergangenheit überwältigen lassen würde. Ich lasse so etwas hinter mir, nachdem es vorbei ist. Klappt nicht immer, aber meistens. Und auch jetzt heißt es voran schreiten, die Blauen übernehmen und aus ihnen wieder ein funktionierendes Team machen." Ein schräges Kichern glitt mir über die Lippen. "Allerdings muss ich die Quali für die Falcon erst noch machen."
"Wie gut, dass wir erstmal Fronturlaub haben", ätzte Chip. "Aber weißt du was? Irgendwie ist mir, als würden ein paar Dinge endlich an den Platz fallen, an den sie gehören. Du kennst doch den Namen, den Huntress der Staffel gegeben hat, als sie die Blauen auf der alten REDEMPTION übernommen hat?"
"Jokers for Redemption." Ich runzelte die Stirn. "Ach komm. Was hat das mit mir zu tun?"
Chip lächelte leicht. "Vielleicht bist du ja unser Joker, Ace."
"Meinetwegen." Mein Lächeln erstarb. "Du bleibst mein XO. Du hast die Qualifikation, und ich will mich nicht umgewöhnen müssen."
"Wie erfreulich und wie nett formuliert, Meister."
"Und ich will die Staffel im Besprechungsraum sehen. Ich werde es ihnen selbst sagen. Und vielleicht noch etwas, was etwas erfreulicher für sie sein wird."
"Du meinst, erfreulicher, als ein erfahrenes Fliegerass als Staffelchef zu bekommen?" Chip grinste schief. "Juliane hat im Anschluss an eine Besprechung wenn kein Alarm war nen Kasten Bier rein geholt. Soll ich einen besorgen?"
Ich schmunzelte. "Nein, ich denke, das wird nicht nötig sein."

***

Als ich den Raum betrat, gellte mir ein scharfes Achtung entgegen. Die überlebenden Piloten der Blauen Schwadron erhoben sich und salutierten als ich eintrat. Natürlich kannten sie mich alle. Einerseits durch meine enge Verbindung zu Huntress, andererseits weil Staffelchefs Allgemeingut waren. Und dann war da noch die Zeit gewesen, in der ich nach bestem Wissen und Gewissen Chip ausgeholfen hatte, die Staffel funktionsfähig zu halten. Als die Staffel mit den geringsten Verlusten war sie das Arbeitstier des Trägers geworden. Und sie hatten alle gute Arbeit geleistet. Die Zeit auf Victoria-Station waren die ersten zwei Tage am Stück, in denen jeder von ihnen zweimal acht Stunden Schlaf bekommen hatte.
"Rühren.", sagte ich und trat vor die Truppe.
Ich ging langsam auf und ab, bemühte mich, jeden einzelnen anzusehen. Ich vermisste Julianes Gesicht. Wenn ich daran dachte, wie wir zusammen auf den Akarii-Fliegern trainiert hatten, wie ich dem ganzen Haufen Elite-Piloten Drom und Hara ins Gehirn gebeutelt hatte, überkam mich eine Welle der Melancholie.
"Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für euch, Jokers. Zuerst die schlechte Nachricht. First Lieutenant Harris wird nicht als Staffelchef bestätigt."
Leises Raunen klang auf, in unterschiedlichster Couleur. Einige waren mit der Entscheidung nicht einverstanden. Andere eher unschlüssig, denn so sattelfest war Chip in den letzten Wochen nicht gewesen.
"Jetzt die gute Nachricht: Euer neuer Staffelchef wird nicht Ohka."
Die Männer und Frauen lachten amüsiert beim Gedanken, den etwas zu korrekten Japaner als Vorgesetzten zu bekommen. Ich leistete dem Freund in Gedanken Abbitte, weil ich ihn für einen Witz missbraucht hatte.
"Euer neuer Staffelchef bin ich!", sagte ich ernst und sah wieder in die Runde. "Raven ist der Meinung, dass die Rote Staffel noch genügend Führungspersönlichkeiten hat. Deshalb denkt sie, dass ich der neue Stützpfeiler sein werde, an dem sich die Joker aufrichten werden. Wie auch immer, ich habe weder vor eine schlechte Arbeit zu leisten noch mir die Chance verbauen zu lassen, endlich Staffelchef zu werden. Bestätigter Staffelchef."
Langsam begann ich auf und ab zu gehen. "Ich weiß, es wird schwierig mich zu akzeptieren. Außerdem bin ich Nighthawk-Pilot und muss mich erst für die schnellere und wendigere Falcon qualifizieren, das Kommando für eine solche Staffel von Grund auf erlernen, weil die Taktiken für diese Roadrunner ganz andere sind." Wohlweislich erwähnte ich nicht die schwächeren Schilde und die schwächere Bewaffnung. Dies war nicht die Zeit, sie mit Hilfe ihres Stolzes zu höheren Leistungen zu bringen. Noch nicht.
"Aber ich hänge mich rein. Und nur um das von vorne herein klar zu stellen: Ihr werdet mich nicht los. Eher werde ich der Letzte sein, der in der Staffel das Licht ausmacht. Haben wir uns da verstanden?"
Zustimmendes Gemurmel erklang.
"Ob wir den Staffelchef verstanden haben!", blaffte Chip unwirsch.
"Ja, Sir!"
Damit hatte Lieutenant Harris von vorne herein klar gestellt, wie der Hase zukünftig laufen würde.
Ich nickte ihm unmerklich zu, Chip erwiderte mit dem Anflug eines Lächelns.
"Chip bleibt XO, das steht außer Frage. Rebel, Sie bleiben Leader der dritten Sektion. Aber werden Sie erstmal wieder gesund."
Lieutenant Orly nickte zufrieden. "Verstanden, Ace."
"Den Rest sehe ich mir an, wenn wir Ersatz gekriegt haben und wieder auf Soll sind. Lone Wolf und Raven haben im übrigen Urlaub für alle aktiven Piloten befohlen. Wir alle werden diese Zeit nutzen, um uns so gut wir können zu entspannen. Danach treffen wir uns wieder hier und sorgen dafür, dass wir die beste Falcon-Staffel an Bord bleiben!"
Nun, das war nicht ganz wahr und auch nicht ganz gelogen. Aber Lilja würde es mir hoffentlich verzeihen, dass ich eine gesunde Rivalität zu ihren Falcons aufbaute, um meine voran zu treiben.
"Ja, Sir!"
"Vorher aber gehen wir alle auf eine schicke Party", stellte ich lächelnd fest. "Die Crew der KAMI gibt einen ganzen Swimmingpool voller Bier aus. Und wir sind alle eingeladen." Ich musterte die Reihen. "Ausgehuniform ist nicht befohlen. Wir haben unten in Neu-Kapstadt bis zu dreiundvierzig Grad im Schatten. An kühlen Tagen. In zwei Stunden an der Schleuse. Wegtreten."
"Ihr habt den Boss gehört! Zieht was Nettes an! Rebel, diesmal vielleicht kein Stirnband, das du uns als Rock verkaufen willst. Sun-Tzu, sieh zu, dass etwas Luft an deine Haut kommt, da trägt ja eine Mumie legerere Freizeitkleidung. Ice, es wird heiß da unten. Also luftig-locker."
Die Piloten antworteten Chip im gut gemeinten Ton jener Menschen, die gemeinsam durch die Hölle gegangen waren. Sie tauschten Scherze und Knuffe miteinander aus, bezogen mich aber nicht ein. Noch nicht? Nein, ich gehörte nicht dazu. Solange nicht, wie ich mit ihnen kein Blut vergossen hatte. Aber das schmerzte mich nicht. Die Gelegenheit dazu würde früh genug kommen.

***

Es war heiß. Die Sonne brannte vom Himmel. Unter der brütenden Sonne war kaum mal eine weiße Ausgehuniform zu sehen, geschweige denn eine braune, eine schwarze oder eine grüne. Ein Dutzend Grills zischten unter ihrer fleischigen Last, unter Sonnenschirmen oder auf dem bloßen Rasen tummelten sich die Menschen - und Justus Schneider hielt das Mikrophon für ein Zehntausend Watt-Lautsprechersystem in der Hand. Sie kamen von der KAMI, von der COLUMBIA, der VO NGUYEN GIAP, der RELENTLESS und einigen anderen Schiffen der kleinen Flotte. Und sie kamen von der DAUNTLESS, das kleine Häuflein Überlebender, die von Commodore Mithel bereits auf andere Schiffe aufgeteilt worden waren. Heute aber standen sie unter First Lieutenant Ryder ein letztes Mal als Einheit beisammen.
Sie waren Offiziere, Matrosen, Marines, Piloten. Fast viertausend Angehörige der Navy hatten sich hier versammelt, um mit der Mannschaft der KAMI ordentlich einen zu heben. Allerdings hoffte Schneider, dass zumindest so jeder Dritte wirklich gekommen war, um der DAUNTLESS, die sie alle bis zu ihrem brutalen Ende treu begleitet und beschützt hatte, die Ehre zu erweisen. Fotos des Skippers, Mannschaftsbilder, Kondolenzlisten und dergleichen waren neben dem Gartenaufgang aufgestellt, wurden von den Überlebenden betreut und waren stark frequentiert. Das Haus selbst war tabu, wenngleich Schneiders Crew es für die Vorräte benutzen durfte. Gäste hingegen hatten keinen Zutritt, das hatte Justus Schneider in die Hand versprechen müssen. Die Gartenanlage war großzügig, geradezu gigantisch. Und das Beste waren die zwei Pools. Admiral Auson hatte ihm in gemütlicher Runde erzählt, dass der eine Pool extra für seine Tochter gebaut worden war, damals als sie kleiner war. Ein Nichtschwimmerbecken, nur um auf Nummer sicher zu gehen. Im großen Pool tummelten sich derweil jene, denen es wirklich zu heiß war.
"Herrschaften!", rief er, und seine erheblich verstärkte Stimme ließ die Menschenmenge zusammen zucken. "Ich möchte sie alle hier willkommen heißen, bei unserer großen Gedenkparty für die DAUNTLESS. Ich weiß, so etwas ist normalerweise ungewöhnlich, geradezu verpönt. Aber ich habe Captain Gonzales eine Belohnung für die Rettung meines Schiffs versprochen. Und Justus Schneider hält sein Wort!"
Auf sein Zeichen zogen der MasterChief und ein halbes Dutzend Crewmen die Plane vom Daughter´s Pool. Darunter kamen zweihundertachtzehn Einhundert Liter-Fässer zum Vorschein, sorgsam so zusammengestellt, um den ganzen Pool bestmöglich auszufüllen. Als die Menge die Fässer sah, brach vereinzelt Jubel auf. Noch während die Plane fort gezogen wurde, zogen weitere Mannschaftsmitglieder Fässer hervor, um sie zu den Theken zu wuchten, wo der Inhalt unters Volk gebracht werden würde. "Ich habe Captain Gonzales versprochen, ihm einen Pool mit Bier zu füllen! Das habe ich hiermit getan. Ein kleiner Preis für mein Schiff. Ein kleiner Preis für meine Crew."
Die Menge verstummte langsam. Nur hier und da schwatzte oder lachte jemand.
"Die Mannschaft der DAUNTLESS ist nicht mehr unter uns, die meisten Offiziere wie die meisten Mannschaften und der Kapitän sind gefallen. Es konnten nur wenige Überlebenden geborgen werden, und einige überlebende Shuttles der DAUNTLESS haben die Flotte zurück begleitet. Alles was uns vom Schiff und den Gefallenen geblieben ist, das sind die Bilder, die Kondolenzbücher, und die tiefe Dankbarkeit der Besatzung der KAMI für ihre eigenen Leben.
Wir haben getrauert. Wir haben gebetet. Wir haben andächtig geschwiegen und der DAUNTLESS unseren Respekt gezollt. Nun aber wollen wir etwas anderes tun, etwas was mir Triple-D Gonzales um die Ohren hauen würde, wenn er hier wäre: Wenn ihr an die DAUNTLESS denkt, dann lacht gefälligst! Und Recht hat er. Herrschaften, im Gedenken an die DAUNTLESS... LASST UNS FEIERN!"
Großer Jubel, Applaus und laute Pfiffe begleiteten Schneiders Worte. Er stieg von der Bühne, ging direkt zur nächsten Theke und ließ sich ein frisch gezapftes Pilsner im Halbliterkrug geben. Als Letzter stieß er zu einer Gruppe seiner Leute, während der große Ansturm auf die anderen Theken begann. Alles in allem rechnete Justus noch mit ein- bis zweitausend Besuchern mehr. Es wurde niemand abgewiesen, jeder war willkommen, solange er oder sie sich ins Kondolenzbuch eintrugen. Bier und Barbeque war mehr als überreichlich vorhanden. Der Skipper der KAMI hatte dafür einen doppelten Monatssold verbraten.

"Prost, Skipper", sagte sein Erster Offizier grinsend und hielt ihm sein Bier zum Anstoßen hin.
"Prost, Haruka." Er hielt sein Glas zur Seite. "Mr. Nasahari?"
"Prost, Sir." "Mrs. Dumas?" "Prost, Skipper." "Mr. Andread?" "Prost, Sir. Bis hierhin ging alles gut."
"Hoffen wir, dass es so bleibt. Hat jemand meine Cousins gesehen?"
Ichihiro grinste breit. "Also, der kleine Davis ist am großen Pool und versucht vergeblich bei Lieutenant Denge zu landen. Der große Davis trägt gerade alleine ein Einhundert Liter-Fass zu einer der Theken und die Mittlere plaudert angeregt mit einem Piloten der COLUMBIA an der Nordtheke. Ihre Brüder haben das noch nicht gesehen, also keine Gefahr."
Schneider stellte sich auf die Zehenspitzen und überprüfte die Angaben. Bei dieser Menschenmenge kein leichtes Unterfangen. Im Stillen dankte er wieder einmal Admiral Auson und seinem sehr großzügigen Angebot, sein Privathaus und vor allem die Pools nutzen zu dürfen. Hoffentlich schaffte er es runter und rechtzeitig zur Party, trotz dem Riesenhaufen Arbeit, der oben im Orbit auf ihn lauerte.
Da war Jean. Dem Wetter entsprechend trug sie nicht besonders viel Stoff. Dadurch kamen die zusätzlichen Muskeln sehr gut zu Geltung, die sie dem Dienst bei den Marines verdankte - ohne dass es ihren weiblichen Formen schlecht getan hätte. Allerdings waren ihre Sachen sehr kurz - andererseits war es aber auch sehr heiß. Justus winkte ab. "Schon in Ordnung. Das ist Noname, ich meine Lieutenant Cartmell. Der gehört quasi zur Familie." Schneider drehte das Glas nachdenklich in seiner Hand. "Sie hat vor ein paar Wochen ihren Verlobten verloren, während des Wurmlochgefechts. Es freut mich, dass Donovan sie auf andere Gedanken bringt."
"Was ist, wenn er sie auf nicht so ganz jugendfreie Gedanken bringt, Skipper?", wandte Dumas ein, direkt wie immer.
"Sie brauchen wohl dringend Heimaturlaub, Yvette, wenn Sie überall Sodom und Gomorrha wittern", erwiderte Schneider. "Nein, Cartmell ist in Ordnung. Und er würde Jean nie ausnutzen." Er zuckte die Achseln. "Wie ich schon sagte, er gehört schon fast zur Familie."
"Na dann... Bleibt es ja in der Familie", frozzelte die Chefin der Waffenkontrolle.
"Wie auch immer. Haruka, hast du mal zehn Sekunden?"
"Natürlich. Entschuldigt mich."

Die beiden gingen ins Haus, vorbei an werkelnden freiwilligen Crewleuten, gemietetem Catering-Personal und koordinierenden Offizieren, passierten die kleine provisorische Zentrale für die zweihundert Militärpolizisten, die Schneider wohlweislich ebenfalls angefordert hatte, und gelangten in eine bequeme Lobby.
Schneider deutete auf die Couch und ließ sich im Sessel gegenüber fallen. "Haruka, was ich dir jetzt sage ist geheim. Ich verrate es dir nur, weil du mich vierteilen und roh fressen würdest, wenn ich es dir jetzt nicht sage. Aber es bleibt hier im Raum."
Argwöhnisch zog der Japaner die Stirn kraus. "Es wird mir nicht gefallen."
"Richtig. Während wir mit der COLUMBIA da draußen waren und mit Jor Haschmich gespielt haben, hat die Präsidentin Admiral Alexander zusammen mit meinem Großvater mütterlicherseits auf eine diplomatische Mission geschickt."
"Du meinst Commodore Davis, oder?"
"Richtig. Sie stiegen auf einen Zerstörer und flogen Manticore an."
"Manticore? Was für ein Haufen Selbstmörder war das denn?"
Schneider winkte ab. "Sie hatten ein ausgemachtes Friedensangebot in der Tasche, das sie Prinzessin Linai unterbreiten sollten. Doch bevor es zu Gesprächen kommen konnte, tötete einer der begleitenden Marines den militärischen Oberbefehlshaber der Akarii mit bloßen Händen."
"Autsch. Dummer Fehler. Ich nehme an, das wurde uns mit Umweg über die ColCon mitgeteilt, bevor es da gekracht hat?"
"Die Quelle wurde mir nicht mitgeteilt. Vielleicht waren es die Akarii via ColCon selbst, vielleicht gibt es einen Widerstand in Manticore. Fakt ist, dass Admiral Alexander und Commodore Davis interniert wurden. Ebenso wurde der Zerstörer beschlagnahmt und die Besatzung interniert."
"Es tut mir Leid, Justus. Es muss schwer sein, deinen Opa in so einer Situation zu wissen. Andererseits war die Idee, ausgerechnet Alexander zu schicken, nicht schlecht. Wie sagen die Amis immer? Nur Nixon konnte nach China gehen."
Schneider atmete heftig aus. "Der Skipper des Zerstörers war Amber."
Langsam sackte Haruka Ichihiro die Kinnlade herab. Seine Augen weiteten sich vor Schreck. Erst begann er zu krächzen, dann fand er langsam wieder zu seiner Stimme. "Amber?"
Schneider nickte. "Amber Soleil? Unsere Amber Soleil?" "Unsere Amber Soleil."
Ichihiro schlug sich beide Hände vors Gesicht. "Himmel hilf! Ich habe mir gleich gedacht, dass es nicht mit rechten Dingen zugehen muss, wenn sie so schnell nach dem Perisher ein eigenes Kommando kriegt. Das erklärt ja wohl alles. Ja, lebt sie denn wenigstens noch?"
"Nach meinen Informationen wurde nur der Attentäter auf der Stelle erschossen. Dem Rest geht es den Umständen entsprechend gut. Vergiss nicht, Trafalgar ist eine Menschenwelt. Wir können da sehr gut leben, auch in Gefangenschaft."
"Das macht es nicht leichter. Nicht für mich, und vor allem nicht für dich, Justus. Ich meine, zu wissen dass die, die du liebst, im Krieg dienen und jederzeit verletzt werden oder sterben könnten ist schon schlimm genug. Aber einen von ihnen, und dann noch ausgerechnet deine Liebe, in Gefangenschaft zu wissen..."
"Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du nicht mit beiden Händen in die Wunde greifen und ihre Dehnfähigkeit testen würdest, Haruka", tadelte Schneider.
"Entschuldige. Aber sei versichert, ich teile dein Entsetzen. Schnappen wir uns die KAMI, stürmen wir Manticore und holen sie zurück?"
"Gäbe es auch nur eine einprozentige Chance, dabei erfolgreich zu sein, könnte man darüber diskutieren. Aber ohne zwei, drei Trägerverbände und ein halbes Dutzend Kreuzerschwadronen klappt das nicht. Vor allem nicht solange das Sterntor-Sprungloch noch immer aus der Phase ist."
Schneider seufzte. "Wer weiß, vielleicht holen wir uns Trafalgar bald wieder zurück. Aber das liegt nicht in meinen Händen." Er erhob sich und bot dem Japaner die Hand zum aufstehen. "Wir können nur beten und hoffen, dass es ihr gut geht, bis sie befreit wird oder dieser verdammte Krieg vorbei ist."
"Amen, Bruder Justus."
"Gehen wir wieder zurück und versuchen wir, den anderen nicht vollends den Spaß zu verderben."
"Wir können es zumindest versuchen", murmelte Ichihiro mit dem Anflug eines Lächelns auf den Lippen.

***

Die Party war das was ich von Justus erwartet hatte. Perfekt organisiert mit einem Mindestmaß an Ordnung. Die Ankunft meiner neuen Staffel ging in dem Gewühl von vielleicht zwei- bis dreitausend Menschen unter. Und es kamen immer noch welche nach.
Nachdem wir uns in die Kondolenzbücher eingetragen hatten, hielt ich meine Schäfchen noch ein klein wenig zusammen; ich wollte zumindest noch ein paar Worte sagen, bevor sie sich in kleinen Grüppchen oder alleine überall verstreuten.
Mit einem Ohr lauschte ich der Rede meines Cousins, mit den Augen suchte und fand ich meine kleine Schwester, die mit Donovan hatte kommen wollen. Beide wirkten recht gelöst auf mich. Nicht so wie jemand, dem die vielleicht einzige Chance seines Lebens verbaut worden war, einmal Staffelchef zu werden, und eine junge Frau, die ihren Verlobten in einem Gefecht verloren hatte. Eigentlich hatte ich vorgehabt, nach meiner Ansprache ihre Gesellschaft zu suchen. Aber bei dem Lächeln, das Jean für Donovan zeigte, fühlte ich mich reichlich fehl am Platze. Vielleicht hätte ich etwas zerschlagen, was gut für sie war. Vielleicht auch nicht, aber ich wollte das Risiko nicht eingehen, meine kleine Schwester jemals wieder so traurig und abgrundtief am Boden zu sehen wie in den letzten Wochen nach der Schlacht.
Blieb ja noch Ian. Ihn entdeckte ich relativ schnell am großen Pool, wo er einer schwarzhäutigen Schönheit auf die Pelle rückte. So wie sie lachte, konnte sie zumindest nicht abgeneigt sein, sich mit ihm zu unterhalten.
"Boss, die sagen, das Bier kommt erst nach der Rede.", sagte Chip und deutete auf die kleine Theke, um die sich meine Piloten gruppiert haben. "So lange müssen wir warten."
"Mal sehen ob sich da nicht was beschleunigen lässt.", schmunzelte ich, während Crewleute der KAMI den zweiten, kleineren Pool mit dem Bier enthüllten.
Entschlossen schritt ich darauf zu. "Lieutenant Nasahari!"
"Ace. Schön zu sehen, dass Sie es her geschafft haben." Der große Inder hielt mir erfreut die Hand entgegen. Ich ergriff sie ohne zu zögern. "Ich bin nicht alleine gekommen. Meine neue Staffel ist geschlossen hier. Selbstverständlich haben wir auch kondoliert."
"So wollen wir es haben", bestätigte der Inder mit einem Anflug an Melancholie. "Kann ich etwas für Sie tun, Sir?"
Ich deutete auf das Bier und dann hinter mir auf den Tresen. "Wir hätten gerne Bier, Mr. Nasahari."
Der Junioroffizier der KAMI blickte auf sein Klemmbrett. "Sicher, Sir. Wir bringen ein Fass rüber. Vier Teams sind dafür zuständig. Es wird höchstens zehn bis zwanzig Minuten dauern."
"Und wenn ich Eigenleistung erbringe?"
"Wie meinen, Sir?"
Ich trat an den Pool heran, ging die sanfte Schräge hinunter und kippte ein Fass zu mir. Danch ging ich in die Hocke, war dankbar für den Griff am oberen Rand und ergriff den unteren Standring. Das Ding war eisig kalt, und auch das war ein Grund, dankbar zu sein. Langsam erhob ich mich wieder, und als ich gerade stand wuchtete ich das Fass auf meine Schulter. "Das heißt, wenn das in Ordnung ist, Mr. Nasahari."
Der Inder lächelte verdutzt. "Ihr Flieger kriegt eindeutig zu viel Fleisch. Es geht in Ordnung. Ich mache einen entsprechenden Vermerk."
"Danke." Ich wuchtete noch ein wenig, damit es bequem lag, dann ging ich stramm mit dem Fass auf der Schulter zur Theke zurück.
Natürlich wusste ich, dass ich nicht nur mit meinen blauen Haaren Aufmerksamkeit auf mich zog - nun, nicht gerade jetzt, wo sie wieder mal auf stolze fünf Millimeter gestutzt worden waren und eher schwarz aussahen - sondern auch mit dem Fass auf dem Buckel. Vielleicht wollte ich das ja auch, tief in mir, wo ein kleiner Junge steckte, der Aufmerksamkeit brauchte wie andere Luft zum atmen. Und was war auch schlecht daran? Im Gegenzug schoss ich Akariis ab und leitete ganze Schwadrone.
Als ich mit meiner Last näher kam, registrierte ich, dass die Blicke in meine Richtung abnahmen. Dafür schien vor mir nicht alles bester Stimmung zu sein. Ich sah Sun-Tzu, der aufgebracht mit einem Typen stritt, der ohne weiteres ein Marine hätte sein können. Jedenfalls hatte ich ihn noch nicht an Bord der COLUMBIA gesehen, ebenso wenig seine Begleiter. Aber ich hasste sein süffisantes Grinsen schon jetzt.
Als ich näher kam erhaschte ich Wortfetzen der Diskussion, die mittlerweile so weit führte, dass Chip und Vampire den Mann festhalten mussten. Nach einigen weiteren Sätzen war ich im Bilde. Und was ich hörte, erfreute mich nicht im Geringsten.
Als ich die Gruppe erreicht hatte, stellte ich das Fass dramatisch zwischen Sun-Tzu und seine Gesprächspartner ab. "Darf ich fragen, was hier los ist?"
Der vorderste Streitpartner war beim Anblick des niedergehenden Fasses zurückgewichen und nun tatsächlich noch bleich um die Nase. "Wir haben nur über Huntress diskutiert. Kein Grund zu versuchen, mich gleich mit einem Fass zu erschlagen."
"Diskutiert? Verhöhnt habt ihr sie! Ihr wart ja gar nicht dabei! Ihr habt absolut keine Ahnung!", blaffte Sun-Tzu mit sich überschlagender Stimme.
"Ich zähle ja nur die Merkwürdigkeiten auf. Zum Beispiel sich ohne zwingende Not in die Luft zu jagen. Sie war halt kampfesmüde."
"Habe ich mich eigentlich schon vorgestellt?", grollte ich. "First Lieutenant Clifford Davis, Commanding Officer der Blauen Schwadron. Sehe ich das richtig, dass Sie abwertend und negativ über meine Vorgängerin reden, Sir? Ich meine, ich würde das sehr persönlich nehmen, denn ich habe dieser Frau mehrfach mein Leben anvertraut. Es würde mir nichts ausmachen, mich auch jetzt noch zu revanchieren."
Einer der hinten stehenden Männer raunte nach vorne: "Lass uns weiter gehen, Jock."
"Wieso? Der Herr ist ja nur First Lieutenant. Korrigiert mich wenn ich mich irre, aber ein guter Schwadronskommandeur ist doch mindestens Lieutenant Commander, oder? Der Herr ist also nur Interimschef. Wobei das nur durchaus abwertend gemeint ist, FIRST LIEUTENANT!"
"Du bringst uns in Teufels Küche, Jock", zischte der Hintere.
"Was denn? Du hast doch selber Streifen. Und da willst du vor einem Fliegerbubi kapitulieren?"
"Das ist Ace, du Volltrottel! Ace der Zombie!"
"Das habe ich gehört. Und ich finde es überhaupt nicht nett", stellte ich ärgerlich fest.
"Sie sind Ace? Der mit der Atomrakete?", fragte mein Gegenüber stockend.
"Zufälligerweise ja."
"Der, der nicht sterben kann?"
"Ich habe es bisher nicht ernsthaft versucht, aber... Der bin ich wohl."
Ich hatte in meiner Karriere schon viel erlebt, inklusive mehrerer Versuche, mich zu verprügeln, mal mehr, mal weniger erfolgreich. Aber Angst vor mir, das war neu. Plötzlich fand ich es wahnsinnig interessant, die Gerüchte zu kennen, die diesem Mann die Hose flattern ließ.
"Schon gut. Wir wollten keinen Ärger machen." Langsam wich er zurück, und mit ihm seine Begleiter.
Als sich die Menschenmenge hinter ihnen geschlossen hatte, sagte ich: "Ich habe Bier mitgebracht."
Anscheinend waren es die richtigen Worte, denn die Stimmung entlud sich in zustimmenden Jubel.

Zehn Minuten später, als jedes Staffelmitglied mit einem herrlich kalten Bier ausgerüstet war, hatte ich sie alle etwas beiseite genommen. Ich musterte sie nachdenklich. "Leute, ich weiß es ist kaum zu ertragen, was gerade passiert ist. Ich weiß, dass Juliane weder Todessehnsucht hatte noch jemals etwas Unnötiges getan hat. Ich weiß, dass sie nicht aussteigen konnte, sonst hätte sie es nämlich getan. Ich weiß, dass sie sich deshalb gesprengt hat, weil sie wusste, dass viele kleine Trümmer weniger Schaden anrichten als ein großes Trümmerstück. Und ich bin sicher, wenn die Ballistiker fertig sind, werden sie beweisen, dass Juliane eine Heldentat begangen hat.
Dennoch werdet ihr immer solchen Idioten begegnen. Es ist halt so. Es gibt immer Gerüchte, Besserwisser, Arschlöcher vom Dienst und dergleichen. Mehr als genug, sehr viel mehr als genug. Ihr wisst wie es bei den Gelben war, als DeLaCruz den Freitod gewählt hat. Die erste Woche haben sich die Gelben nur geprügelt. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Aber ich will nicht, dass ihr euch prügelt. Ich will, dass ihr den Ärger runter schluckt, und dann mir erzählt wer schlecht über Juliane geredet hat. Danach regeln wir das auf unsere Weise."
"Du meinst, wir schalten den JAG wegen übler Nachrede ein?", fragte Ice.
"Ich dachte eigentlich eher daran, diesen Arschlöchern in Zivil aufzulauern und sie ordentlich durch zu trimmen, aber deine Idee gefällt mir auch."
Die Staffelangehörigen lachten leise.
"Das wird alles aufhören, irgendwann, irgendwie. Aber es wird dauern. Und es löst nicht unser Problem, nämlich das Rückgrat der COLUMBIA zu sein. Wir hatten empfindliche Verluste, aber wir müssen nicht großartig aufgefüllt werden. Wir sind der stabilste Verein an Bord, und an uns müssen sich alle anderen orientieren, uns erreichen. Und wenn wir gut sind, wenn wir sehr gut sind, dann haben wir die anderen Staffeln und die Crew der COLUMBIA ohnehin auf unserer Seite, wenn wir Huntress verteidigen. Für alles andere, kommt zu mir und petzt. Ich lasse niemanden meine Freundin, ihr Können oder ihre Ehre in den Schmutz treten. Wirklich niemanden. Meine Schwester ist Sarge bei den Marines, mehr brauche ich zu dem Thema wohl nicht zu sagen."
Wieder wurde leise gelacht.
"Und jetzt würde ich vorschlagen, wir orientieren uns an diesen beiden verrückten Bomberpiloten, die hier mitten im Garten einen Catchring aus Bier und bestem englischen Rasen angelegt haben, schnappen uns jeder einen Kübel Bier und gehen die Idioten von eben besuchen. Und nein, sie sollen das Bier nicht trinken. Seid ihr dabei?"
"Ja, Sir!" "Ich bin in Zivil hier. Nennt mich beim Vornamen. Sagt Ace."
Wieder hatte ich die Lacher auf meiner Seite. "Also dann, Aufrüstung aufnehmen."

***

Eine gute Stunde später, durchgeweicht aber gut gelaunt, lehnte ich neben Justus an einer der kleinen Theken und trank mein drittes oder viertes Halbliterglas.
Der Captain der KAMI schüttelte unwirsch lächelnd den Kopf. "Also ehrlich, Cliff, das hätte ich einem jungen Ratz von der Akademie zugetraut. Aber sicher nicht einem Träger der Defense Meritorious Service Medal."
"Mach doch nicht so einen Wind um die kleine Bierschlacht. Da haben andere aber schon mehr vergeudet. Du übertreibst sowieso wie immer maßlos. Wetten in der Stadt gibt es nicht ein Fass Bier mehr?"
"Ja, aber sich mit der Besatzung einer Fregatte ein regelrechtes Gefecht zu liefern... Clifford, wie alt bist du eigentlich?"
"Sie haben Huntress beleidigt. Jetzt ist die Sache aus der Welt. Besser so als auf eine unschöne Art und Weise. Hinterher haben wir in friedlicher Eintracht die Reste getrunken. Ist doch schön so, oder?" Ich lächelte scheinheilig. "Und außerdem habe ich ja auch nicht versucht, deinen Bodenwagen zu klauen."
"Na, das wäre ja noch schöner, vor allem weil ich wohlweislich ohne Wagen hergekommen bin", schnaubte Justus.
"So?" Ich runzelte die Stirn. "Dann wird dir der Anblick am Tor sicher nicht gefallen. Rote Corvette mit Heckspoilern? Klingelt da was? Auf Hochglanz lackiert, und klebt an der Mauer?"
Justus wurde bleich. "Ach du grüne Neune! Das ist Ausons Wagen! Sorry, Cliff!"
Justus hastete davon, und ich prostete ihm still hinterher. Seine Party, sein Ärger, seine Schadensbegrenzung. "Sie können jetzt gerne zu mir rüber kommen. Sie müssen mich nicht länger stalken."
Hinter mir kam ein großer blonder Mann näher. Er hatte ein Dauergrinsen im Gesicht, das mir irgendwie bekannt vorkam. Beides, meine ich.
"Oh, ich stalke Sie nicht, Lieutenant. Ich habe nur auf die richtige Gelegenheit gewartet, um Sie anzusprechen."
Ich musterte den Neuen. Wirklich, an wen erinnerte er mich nur?
"Ein Bier für den Herrn", sagte ich dem Barkeeper. "Und noch eines für mich."
"Danke sehr." Er ließ sich neben mir auf der Bar nieder, stützte sich mit beiden Ellenbögen ab. "Nette Party, die Ihr Cousin da gibt, Lieutenant Davis. Oder darf ich vielleicht schon bald Commander sagen? Ich meine, gratuliere zur Staffel."
Ich schnaubte überrascht in mein frisches Glas. "Muss ich mir jetzt Sorgen machen und den NIC rufen? Oder stammen Sie aus dem Verein?"
"Weder noch, Cliff, weder noch. Ich darf Sie doch Cliff nennen?"
"Sie haben Glück, in bin in gnädiger Stimmung. Allerdings sollten Sie mir zwei Fragen beantworten, nämlich wer Sie sind und woher Sie mich kennen."
Der Mann pustete mit dem gleichen Grinsen in seinen Bierschaum und nahm einen kräftigen Schluck. "Frage Nummer zwei, eventuell... Wie viele Männer mit blauen Haaren gibt es in der Flotte? Doch wohl nur einen."
Ich lachte leise. "Es ist nicht wirklich blau. Es wirkt nur so, weil ich einen verrückten Haarton habe. Eigentlich ist es schwarz."
"Es ist blau, weil Ihre Mutter, als sie mit Ihnen schwanger war, harter Strahlung ausgesetzt war. Die Ärzte konnten so ziemlich alles wieder flicken, haben aber nicht an die Haare gedacht." Er nahm einen kräftigen Schluck von seinem Bier. "Finde ich plausibler als die Geschichte, Sie wären ein Achtel Akarii. Da vermisse ich doch die Schuppen etwas. Oder wenigstens die geschlitzten Pupillen."
Ich schlug mir eine Hand vor den Kopf. War ja klar. War ja wirklich klar. Leichtfertiger, frisch von der Akademie abgegangener Cliff Davis, hast du gewusst, dass die ganzen Witze und Geschichten irgendwann mal auf dich zurückschlagen würden? Wenn nein, jetzt war es so weit.
"Glauben Sie nicht jedes Gerücht das man hört. Die Wahrheit ist meistens eine ganz einfache Sache, Mr... Mr..."
Er lächelte mir zu und hielt sein Glas zum Anstoßen herüber. "Jeremy Randall, wenn es Recht ist."
Ich runzelte die Stirn, während unsere Gläser aneinander stießen. Dann machte es Klick. Natürlich, Randall! "Was zum Henker macht ein Theatermime so weit draußen im All? Sollten Sie nicht auf Terra sein und Shakespeare, Bao oder Wichewsky zu spielen?"
Der Mann lächelte noch immer, aber diesmal süßlich-bitter. "Manchmal kann man nicht das machen, was man will. Stattdessen muss man machen, was man muss. In meinem Fall bedeutet dies, aus dem Charakterfach auszutreten und mal etwas Kommerzielles zu produzieren. Haben Sie den Film über die REDEMPTION und das 127. schon angesehen? Ich kann mir denken, dass Sie wenig Zeit hatten und so. Aber... Haben Sie?"
"Ich habe rein gelinst, weil ich mich gebauchpinselt fühlte. Der Typ, der mich gespielt hat, hatte ja sogar zwei ganze Sätze Text, wenngleich ihr Kinotypen mit der Frisur eindeutig übertrieben habt. Ein halber Meter königsblaues Haar hätten in der Navy keine fünf Minuten überlebt."
"Ich bin nicht für das Characterdesign da, Lieutenant", erwiderte Randall pikiert.
"Nein. Sie haben Commander Cunningham gespielt. Er sollte wohl der Hauptcharakter sein, wenn ich das richtig in Erinnerung hatte."
"So sieht das Konzept im Moment noch aus. Kann aber auch sein, dass wir uns auf eine Schwadron konzentrieren und ihn als Strippenzieher hinter den Kulissen interpretieren. Das ist noch nicht so sicher und hängt vom Erfolg des Pilotfilms ab. Aber zumindest eine volle Staffel hat die Navy schon bestellt."
Ich nahm einen weiteren Schluck aus meinem Glas und fühlte mich bemüßigt etwas zu sagen. "Hören Sie, Jeremy, wenn Sie weiterhin einen auf Lucas Cunningham machen wollen, dann müssen Sie aber einiges an Ihrer Rolle umbauen."
Für einen Moment war da dieses Gleißen in seinen Augen, und ich verstand. Einmal Shakespeare, immer Shakespeare. Der Mann wollte die Rolle, und er wollte sie spielen.
"Leider haben die Produzenten feste Vorstellungen, wie Lone Wolf dargestellt werden soll. Sie wissen schon: Held, übergroß, Vater der Einheit, ein offenes Ohr für jedermann."
Ich prustete in mein Bier, als ich das hörte. "Was bitte?"
"Ich gebe zu, Sie irritieren mich. Sind Sie nicht mit Lone Wolf geflogen?"
"Und?", fragte ich amüsiert.
"Und jetzt wollen Sie ihn in die Pfanne hauen?"
"Nicht in die Pfanne hauen. Aber vielleicht Ihren Eindruck von ihm etwas korrigieren." Mit Wehmut dachte ich an Troffen, und an Cunninghams Entscheidung, sich wissentlich an der Ermordung der akariischen Zivilbevölkerung zu beteiligen. Nicht durch Tat, aber er hatte gewusst, was Bayonne und Rowland da unten veranstalten würden. Aber in dem Punkt waren wir gleich. Denn ich hatte es auch gewusst, und ich hatte auch keine Eier, um dieses Verbrechen anzuklagen.
"Dass er ein Held ist steht außer Frage. Er hat über fünfzig Abschüsse erzielt. Dass er ein guter Pilot ist, auch. Aber Vater der Einheit?"
Randall spitzte die Ohren. "Reden Sie nur weiter."
"Um ihn zu verstehen müssen Sie mehr tun als seine Akte zu studieren. Er... war nie ein besonders geselliger Typ, wurde viel zu schnell viel zu weit nach Oben katapultiert. Das hat ihn einsam gemacht, und je besser er seinen Job machte, desto einsamer wurde er. Ich brauche Ihnen nicht zu erzählen, dass er zuerst im Manticore-System zweimal im Feld befördert wurde und danach auf der reaktivierten REDEMPTION ein komplettes Geschwader als CAG übernommen hat. Er musste da rein wachsen, und das schnell. Er musste Verantwortung übernehmen, für all die Trottel, Idioten und Superhelden, die plötzlich unter sein Kommando gestellt wurden. Er musste mit all dem zu Recht kommen und so viele von uns wie möglich nach Hause bringen."
"Wie nett. Wo ordnen Sie sich ein, Ace?"
"Unter Idioten. Ich war jung, ich dachte ich wäre der beste Pilot der Galaxis. Und ich wollte meine Show." Ich lächelte dünn und betrachtete meinen rechten Arm. "Ich hatte mehr als genügend Show für mein ganzes Leben."
"Ah, die Amputation. Ich erinnere mich. Aber haben Sie damit nicht die REDEMPTION gerettet?"
"Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Admiral Renault hat mir dafür jedenfalls die DMS verleihen lassen."
"Nicht schlecht. Weiter. Cunningham ist also Ihrer Meinung nach zu schnell zu hoch gestiegen."
"So, wie Sie es formulieren, muss ich widersprechen. Nicht zu schnell zu hoch. Das lässt einen ja denken, dass er mit seiner Arbeit nicht hinterher kam. Doch das stimmt nicht. Er hat seinen Job gemacht, aber er hatte bis auf Darkness niemanden an Bord, den er Freund genannt hat. Die Luft bei ihm oben war zu dünn, verstehen Sie? Und die Navy-Flieger neigen nicht dazu, mit dem CAG zu fraternisieren. Gestern war er noch einer von ihnen und, Bum, am nächsten Tag schon der Vorgesetzte, auf den alle schimpften und der es niemandem Recht machen konnte. Das ist auch mein Kritikpunkt Nummer eins an Ihnen, Jeremy. Lone Wolf lächelt nicht auf Dauerbetrieb. Er ist ernst, aber zuverlässig. Man hört ihn nur selten lachen, und das auch nur wenn er mit einem seiner wenigen Freunde zusammen ist." Wieder dachte ich an Troffen. "Er trägt eine schwere Last auf seinen Schultern. Zu viele sind gestorben."
"Mag sein, aber so ist der Krieg. Man geht darüber hinweg und versucht es beim nächsten Mal besser zu machen."
Ich lächelte dünn. "Sie haben Ihren Text gut gelernt. Das ist ein Zitat aus einem seiner Interviews, nicht wahr? Aber so etwas zu sagen und es tatsächlich tun zu können ist ein Unterschied. Ich bin froh, dass er versucht so zu sein, denn das hat ihn lange Jahre davor bewahrt zu zerbrechen. Er hat funktioniert. Den ganzen verdammten Krieg lang hat er funktioniert. Das ist sein wichtigster Antrieb. Das ist seine Kraftquelle. Er muss funktionieren, seinen Teil zum Krieg beitragen, seinen Job tun um die Akarii zurück zu treiben. Ich wette kaum einer wäre glücklicher als er, wenn wir Manticore wieder befreien würden. Und es wäre eine Befreiung, für uns alle."
Randall hob fragend eine Augenbraue. "Man erzählt sich, Sie wären ein Akarii-Freund, während Cunningham eher ein Akarii-Hasser ist."
"Akarii-Freund? Ja, ich denke, das kann man so stehen lassen. Allerdings bin ich kein Freund ihrer Soldaten. Manche werfen mir vor, mit ihnen kuscheln zu wollen. Ich hoffe, meine Abschussstatistik spricht dagegen. Und ich bin dankbar, dass Cunningham mir das niemals vorgeworfen hat. Das hätte ich nicht verdient und nicht ertragen."
"Hm. Wenn Sie also zusammenfassen müssten wie Lone Wolf ist, in möglichst wenigen Worten, wie würde das klingen?"
Ich drehte mein Bier nachdenklich in der Hand. "Kühl. Aber aufrichtig. Ernsthaft, gewissenhaft. Erfüllt seinen Job, egal wie bitter das Ende ist. Jederzeit bereit seine Piloten in die Schlacht zu werfen, aber nicht bereit es zu tun, wenn das Risiko nicht einen großen Gewinn verspricht. Er ist kein Menschenfreund, aber auch kein Misantroph. Er ist halt gut in dem was er tut. Akariis abschießen und seinen Leuten zu erklären wie sie es auch können."
"Hm. Das ist eine sehr interessante Meinung. Was ist dran am Gerücht, dass er dem Gespenst einen Platz in seinem Geschwader frei gehalten hat?"
Ich lachte, als ich diesen alten Namen hörte. Schon das zweite Mal, dass ich daran erinnert wurde. "Nun, offiziell wurde ich auf die COLUMBIA geschickt, weil in der 127. ein Ersatzmann gesucht wurde. Sollte sich irgendwann heraus stellen, dass Lone Wolf mir der alten Zeiten wegen einen Platz frei gemacht hat, werde ich mich angemessen revanchieren."
"Sie glauben es nicht?"
Ich winkte ab. "Lone Wolf tut keine unnützen Dinge. Wenn er meint, ich muss zu den Angry Angels zurückkehren und hier dienen, dann hat er für diese Entscheidung verdammt gute Gründe."
"Hm, verstehe. Glaube ich." Randall stellte sein leeres Glas ab und klopfte mir auf die Schulter. "Ich habe gehört, Sie können nicht sterben, Ace. Hoffentlich haben die Gerüchte Recht. Wen könnten Sie mir denn so empfehlen, wenn ich noch mehr Meinungen über Cunningham hören will?"
"Negative oder positive?"
Er lächelte dünn. "Beides."
"Für eine positive Meinung sollten Sie Lilja aufsuchen. Ich meine, Commander Pawlitschenkow. Für eine negative sollten Sie bei meinem CAG anklopfen. Commander Burr wird sicher kein Blatt vor dem Mund nehmen, solange es nicht gegen die Geheimhaltung ist."
"Danke, Ace. Sie haben mir sehr geholfen. Guten Flug weiterhin, Pilot."
"An den Phrasen arbeiten wir aber noch, Shakespeare", murmelte ich amüsiert in mein Glas.
Er zwinkerte und verschwand wieder in der Menge.

So, so. Jetzt wurde Lone Wolf also Fernsehstar... Aber eins wusste ich genau: Wenn der Typ mit der Megatolle wieder mich spielte, sollte ich mir besser ein ganz tiefes Loch an Bord der COLUMBIA suchen und mich dort vor der Häme und dem Spott meiner Kameraden zu verbergen.
Apropos Häme... "Ina!"
Lieutenant Richter, XO der grünen Staffel, wandte sich der vertrauten Stimme zu. "Oh, Ace. Ich meine, Kapitän Blauhaar." Sie grinste schief und trat näher. "Schon den Film gesehen? Sie haben dich wirklich gut getroffen."
"Noch nicht ganz. Ich kann dich also nicht ebenfalls verspotten, wenn du auch verwirklicht wurdest."
Sie schüttelte sich. "Reden wir nicht drüber. Hey, was muss ein Mädchen tun um hier ein Bier mit Ace dem Wunderpiloten trinken zu können? Danke!"
Sie stieß mit mir an. "Gratuliere zur eigenen Staffel. Wann ist denn deine Beförderung durch? Und kommst du jetzt öfters zum spionieren, damit du lernen kannst, wie eine Falcon-Staffel wirlklich funktionieren sollte?"
"Keine Ahnung, wann sie mich einen Rang höher kicken. Und ja, ich habe vor, eifrig bei euch zu spionieren. Deshalb wollte ich auch mit dir reden. Wo ist denn deine Herrin und Meisterin?"
"Sie ist nicht hier, und den Film hat sie auch noch nicht gesehen. Na, Schwamm drüber. Jedenfalls hat sie ein Zimmer am Strand und tatsächlich beschlossen, sich erst mal ordentlich zu erholen."
"Lilja?" Imp nickte. "Erholen?" Sie nickte wieder. "Glaub ich nicht", murmelte ich und trank mein Bier aus.
"Oh doch, glaube es nur, Captain Blauhaar. Glaube es nur." Sie lächelte spitzbübisch. "Ich habe ihre Adresse, für den Notfall. Wenn du willst kannst du sie haben. Tanja wird dir um den Hals fallen, wenn sie zwischendurch im Urlaub über ihre Staffel reden darf. Aber, junger Mann, es wird nicht geknutscht und nicht gefummelt, haben wir uns verstanden? Bei euch Kindern gehen ja so schnell die Hormone durch."
Säuerlich erwiderte ich: "Du hast schon mal bessere Witze gemacht, Fräulein."
"Willst du die Adresse nun, oder nicht?"
"Was muss ich dafür tun, Lieutenant?"
"Nichts. Nur hinfahren. Damit hast du bereits erheblich zu meinem persönlichen Amüsement beigetragen, Cliff."
"Ach, wie nett", brummte ich und orderte ein neues Bier. "Abgemacht."
"Aber vergiss nicht zu erwähnen, dass du ihre Hilfe willst. Möglichst noch im ersten Satz. Sonst knallt sie dir die Tür vor der Nase zu."
"Oh ja, das klingt nach Lilja."
Mein Bier kam, wir stießen an. Auf jeden Fall war Imp eine ganze Ecke netter als Lilja, irgendwie.
"Vergiss es, Pilot", murmelte sie amüsiert. "Ich bin schon anderweitig ausgelastet."
Ich zog die Stirn kraus. "Bitte keine Details."
Ina Richter lachte gellend auf, stieß wieder mit mir an. Nun gut, wenn mir Lilja nicht half, Imp würde mir sicherlich das eine oder andere zuschustern. Hoffentlich.

***

"Guten Abend, Commander Burr."
Samantha Raven Burr blinzelte ihren Anrufer verschlafen an. "Captain Schneider? Was verschafft mir die Ehre Ihres Anrufs?" Sie gähnte herzhaft. "Wissen Sie, wie wenig Schlaf ich in letzter Zeit hatte? Sie haben mich mitten aus dem Tiefschlaf gerissen."
"Bitte, Ma´am, es ist wichtig."
Sie schüttelte einmal heftig den Kopf, um die Müdigkeit abzuschütteln. Dann sah sie Schneider noch immer etwas durch den Wind an. "Kann losgehen. Was haben Sie denn so wichtiges?"
"Wie Sie vielleicht wissen, habe ich heute mein Versprechen eingelöst und im Namen der DAUNTLESS einen Pool voller Bier spendiert. Zu dieser Veranstaltung waren alle Mitglieder der Flotte eingeladen."
"Hören Sie, Captain, ich hatte sehr viel zu tun, und ich wäre auch gerne gekommen, aber Cunningham ist nicht der einzige, der mir im Nacken sitzt. Die Admiralität will ein kampffähiges Geschwader sehen, und dafür habe ich sehr hart gearbeitet."
"Danke, aber darum geht es nicht, Commander. Viele Ihrer Piloten sind gekommen und dafür möchte ich stellvertretend Ihnen danken."
"Ich werde es weiterleiten. Und das konnte nicht noch ein paar Stunden warten?"
"Oh, ich bin noch nicht fertig. Dankenswerterweise durfte ich für die Party das Anwesen von Admiral Auson nutzen, und wie gesagt, eine ganze Reihe Ihrer Piloten ist auch gekommen."
Auf einen Schlag war Raven hellwach. "Wer hat Ärger gemacht?"
Schneider seufzte leise, und die CAG des 127. befürchtete das Schlimmste.
"Zwei Ihrer Bomberpiloten, die Lieutenants Carrera und Ellis, sind mit recht eigenwilligen Vorstellungen gekommen. Zuerst haben sie sich darüber beschwert, dass das Bier in Fässern im Pool lagerte. Sie wollten wohl drin schwimmen."
Ein Schmunzeln schoss über Ravens Miene. "Der Gedanke lag nahe."
Schneider fuhr unbeeindruckt fort. "Dann haben sie eine Bademöglichkeit mit Bier improvisiert, ein paar große Wannen und ein halbes Dutzend Eimer befüllt. Damit haben sie andere, so wie sie sich ausdrückten, "getauft". Es folgten diverse Schwimmversuche, Eimerweise Bier, das in die Menge gegossen wurde, und ein Grill, der nach einem Anschlag mit fünfundfünfzig Liter Bier vorerst seine Funktion einstellte."
"Klingt nach einer wilden Party."
Schneider seufzte erneut.
"Das war noch nicht alles, Captain?"
"Das war noch nicht alles. Ellis hat daraufhin ins Becken des großen Pools gekotzt, während Carrera versucht hat, zwei First Lieutenants und einen Lieutenant Commander zum Schlammcatchen im Bierpfuhl zu überreden, den er und Ellis im Ziergarten mit Hilfe von weiteren fünfzig Litern fabriziert hatten. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass sie weiblich waren.
Als sie nach ungefähr zweihundertfünfzig Litern verschwendetem Bier feststellten, dass die Party, ich zitiere, "langweilig und ohne Pepp" war, versuchten sie einen Bodenwagen zu stehlen, um mit ihm in die nächste Location zu fahren. Sie endeten glücklicherweise noch auf dem Grundstück an der Begrenzungsmauer. Von dort riefen sie sich ein Taxi und verschwanden."
Raven war mittlerweile blass geworden. "Klingt so als hätten die zwei richtig viel Spaß gehabt."
"Verstehen Sie mich nicht falsch. Wären die zwei mit einem gestohlenen Wagen auf der Straße unterwegs gewesen, hätte ich ihre Kreuzigung verlangt. Den Rest kann man so stehen lassen. Jeder braucht ein wenig Spaß im Leben. Aber ich fand es nur gerecht, Sie vorzuwarnen, Commander."
Burr schnaubte halb amüsiert, halb verärgert. "Und Sie haben gut daran getan. Ich werde mich der beiden Stromer annehmen, sobald ich sie wieder in meinen Fingern habe. Wahrscheinlich darf ich sie ohnehin morgen aus einer Ausnüchterungszelle loseisen. Die werden ein Donnerwetter kriegen, das sich gewaschen hat. Und die Reparatur des Wagens und aller anderen Dinge, die sie verbrochen haben, werden ihnen selbstverständlich vom Sold abgezogen. Ich werde Ihnen natürlich für die Dauer der Reparatur einen Mietwagen besorgen, Captain Schneider."
Der Skipper der KAMI schüttelte energisch den Kopf. "Ich glaube, Sie haben mir nicht zugehört, Commander. Ich habe auf dem Planeten keinen Wagen. Er gehört Admiral Auson."
"Ach du grüne Scheiße."
"Und jetzt kommt der Punkt, wo ich Sie warne: Der gute Mann kommandiert nicht nur die Werft in der gerade Cunninghams Träger wieder aufpoliert wird... Er ist auch der Vater von Melissa Cunningham-Auson."
"Ach du heilige Scheiße! Er ist Lone Wolfs Schwiegervater?"
"Wenn ich Sie wäre würde ich Himmel und Hölle in Bewegung setzen und die Sache aus der Welt schaffen, bevor Schwiegerpapa ein böses Gespräch mit Söhnchen führt. Und bevor der daraufhin mit Ihnen redet, Raven. Ich kann den Garten flicken, die Mauer und den Wagen reparieren. Aber ich kann leider keine Gerüchte aufhalten. Und die dürften bereits mit Lichtgeschwindigkeit um den Planeten gehen. Sehen Sie zu, die Sache von Cunningham fern zu halten, oder sich mit ihm rechtzeitig zu einigen. Ich stehe bei Admiral Auson in der Bringschuld, und mir wäre es gar nicht lieb, wenn in der Flotte die Information die Runde machen würde, dass Ihre beiden Piloten wegen meiner Party auf dem Anwesen des Kommandeurs der Victoria-Werftanlage degradiert wurden. Es wäre mir sehr recht, wenn die ganze Sache plötzlich und nachhaltig ein Ende finden würde. Bevor ich in Erklärungsnot gegenüber einen Admiral komme, und Sie in Erklärungsnot vor Cunningham sind."
Raven straffte sich. Ihre Müdigkeit war vollkommen verflogen. Sie angelte bereits nach ihrer Uniform. "Darauf können Sie sich verlassen, Sir! Ich werde dafür sorgen, dass es so weit nicht kommt. Und wenn ich dafür meinen Stiefel ein Dutzend Zentimeter in zwei Männerärsche versenken muss, wird mir das noch ein Vergnügen sein. Ich danke für die Warnung, Captain Schneider."
"Ich sehe, wir verstehen uns. Ich fange hier auf meiner Seite mit der Flickarbeit an. Machen Sie den Rest."
"Aye."
"Viel Erfolg. Und guten Abend, Commander." Zufrieden deaktivierte Schneider die Verbindung.
Raven suchte sich derweil ihre Stiefel. Soviel zum Ausschlafen.
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Cattaneo
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Redcooper

Alpha Centauri System
Blohm & Voss Spacecrafts AG
Dock 4
TRS Nikolai Kusnezow - CG 01


„Ok, Ladies and Gentlemen, lassen Sie uns sehen was der kleine Nikolai hier kann."
Commander LaFiamma gab die Halteklammern des Docks frei, nun schwebte der neue Kreuzer langsam von seinen Manöverdüsen getrieben aus dem Dock. Die Erprobungsmannschaft sollte heute die Triebwerke sowie den Sprungantrieb und die dazugehörigen Systeme auf Herz und Nieren testen. Kein Test den man auf die leichte Schulter nehmen konnte, es waren neben den üblichen Technikern und Ingenieuren der Werft auch eine Delegation aus dem Büro von Admiral Jean Doumot an Bord. Die Abteilung für Schiffsbau wollte genaue Daten über ihr neues "Baby", um es möglichst schnell an die kämpfenden Einheiten auszuliefern.

„Lieutenant Richards, 1/3 Fahrt voraus – mal sehen wie sich Niki bewegt.“ Commander LaFiamma ließ sich auch nicht durch die bohrenden Blicke der jungen Frau in der Navy- Uniform stören, die stumm und eisig dreinschauend hinter Lt. Richards stand. Eine leichte Vibration durchlief den schweren Kreuzer, als er mit langsamer Geschwindigkeit auf den neuen vorprogrammierten Kurs einschwenkte. Jede Erprobungsfahrt musste vorher akribisch geplant und durch die Abteilung Schiffbau der Navy genehmigt werden. Dieses Prozedere hatte die Testfahrt bereits um zwei Wochen verzögert, aber Vorschriften waren nun mal Vorschriften, und nun war es endlich soweit.

„Und, zufrieden?" Die angesprochene eiskalte Schönheit drehte sich um und LaFiamma blickte in ein wütendes Gesicht. „Commander, wenn ich zufrieden sein könnte wäre ich nicht hier und dieser Kreuzer würde an der Front Akariis aus dem All fegen!" Ihre Augen blitzten eisig. „Können Sie mir erklären, warum wir die Waffentests und dieses Herumgegondel hier nicht gemeinsam erledigen können?"
Während er sich ruckartig aufsetzte, antwortete Commander LaFiamma sichtlich gereizt: „Lieutenant Commander Lonsi, ich bin Ihnen keine Rechenschaft darüber schuldig was hier getestet wird und wann! Fragen Sie doch die Herren in den oberen Etagen was sie sich dabei gedacht haben! Aber bis dahin verhalten Sie sich bitte ruhig und stören den Ablauf des Tests nicht, oder ich werde Sie der Brücke verweisen! Haben wir uns verstanden?" LaFiamma, musste dieser arroganten Bürokratin einfach klarmachen wer hier das Sagen hatte, schließlich musste der Test schnell und vor allem erfolgreich über die Bühne gehen. Und dafür musste schließlich er bei der Werftleitung und der Navy geradestehen.

„Selbstverständlich, Commander." LaFiamma konnte die Wut in den Augen des Lieutenant Commanders sehen, aber im Moment musste er sich auf wichtigere Dinge konzentrieren.
„Brücke an Maschinenraum – bereit für AK!" – „Hier Maschinenraum, alles vorbereitet für den Maschinentest, warten auf Ihre Befehle."
LaFiamma blickte sich auf der Brücke um, alles schien bereit. „Richards, AK voraus – Maschinenraum Leistung 100%, mal sehen ob die Daten der Ingeneure richtig sind."
Die kleine Rumpfmannschaft um LaFiamma hatte die Aufgabe, jeden neuen Schiffstyp ausgiebig zu testen. Erst nach erfolgreichem Abschluss dieser Tests wurde durch die Werft die Fertigstellung an das HQ der Schiffsbauabteilung der Navy gemeldet. Leider war es nicht einfach, die Navy von den schwierigen und zeitaufwendigen Tests zu überzeugen, wie man am Verhalten von Lieutenant Commander Lonsi deutlich feststellen konnte. Sicherlich gab es Stimmen im HQ, die darauf bestanden diesen neuen Kreuzertyp schnellstmöglich zur Fronterprobung abzustellen, denn fertig war er eigentlich - nur nicht getestet.


„100 Prozent Leistung auf den Hauptmaschinen liegen an, keine negativen Anzeigen oder Probleme.“, meldete sich der LI aus dem Maschinenraum, und ein Lächeln huschte über die Gesichter der Ingenieure und Techniker in der Zentrale. Ja, sie hatten diese neue Treibwerkskonfiguration zum Laufen gebracht und in relativ kurzer Zeit einen kompakten neuen Antrieb für schwere Kreuzer entwickelt. Die Höchstgeschwindigkeit mit 120 km/s war sicherlich nicht bemerkenswert, aber die Beschleunigung mit der diese erreicht wurde war das eigentlich überraschende. 10 km/s waren die ursprünglichen Daten der Triebwerkssektion und mit Begeisterung hatten sich alle der Aufgabe gestellt dies zu verbessern. Nun konnten bis zu 15 km/s für kurzfristige Sprints über 2-3 Minuten aus dem Antrieb geholt werden, damit war dieser Kreuzer genauso schnell wie ein Flakkreuzer der Dauntless-Klasse, bei 5.000 Tonnen mehr Gewicht.

„Wie weit noch bis zum Sprungpunkt, Lt. Richards?“ „Bei Beibehaltung der Geschwindigkeit sind wir in weniger als elf Minuten am Sprungpunkt, Commander.“ Richards war in seinem Element, seine Augen überflogen und registrierten jede Veränderung der Anzeigen, doch er konnte nichts Ungewöhnliches feststellen.
LaFiamma blickt zu Lieutenant Commander Lonsi, als ein eingehender Funkspruch seine Aufmerksamkeit erregte: „Fregatte Doyle an TRS Nikolai – Mann, habt Ihr es eilig heute…“ Der Kapitän der Doyle, einer Fregatte der Perry Klasse, und zur Systemverteidigung gehörend, war ein alter Freund von LaFiamma und immer zu einem kleinen Wettstreit bereit. „Heute nicht, Klaus, wir haben hohen Besuch an Bord", erklärte LaFiamma knapp. "Heute dürfen wir endlich mal raus aus dem System."
„Na dann viel Glück und Mast- und Schotbruch. Wohin geht es denn?"
„Danke Klaus. Du weißt doch, unsere Fahrten unterliegen der strengsten Geheimhaltung, ich darf es nicht sagen. Aber zur Erde fliegen wir nicht."
LaFiamma lachte laut als der Kapitän der Doyle am anderen Ende antwortete: „Tja, dann werde ich wohl die Post normal verschicken müssen. Bis bald, und passt auf euer Schmuckstück gut auf. Doyle Ende.“ "Danke, wir sehen uns in 24 Stunden. Nikolai Ende.", antwortete LaFiamma und drehte sich zu Lieutenant Commander Lonsi um. Doch sie war nicht mehr auf der Brücke.

„Sprungpunkt in sieben Minuten – drossele Geschwindigkeit wie vorgegeben.“ Lt. Richards hielt sich genau an die vorgegebenen Testabläufe und reduzierte die Geschwindigkeit. Mehrere Techniker hatten die Sprungkoordinaten bereits berechnet und in den Computer eingegeben, alles war vorbereitet zum ersten Sprung der Nikolai durch ein Wurmloch.
Zwei Decks tiefer steckte Lt. Commander Lonsi mit leicht verschwitzten Händen das Datenkabel ihres Laptops wieder in ihre Tasche und verschloss den Computerzugang, welchen sie kurzfristig freigelegt hatte. Es war gefährlich, aber im Moment die beste Möglichkeit die sich ergab. Leise drehte sie sich um und ging durch den menschenleeren Korridor Richtung Hauptbrücke zurück.

„Brücke an Maschinenraum: Sprungantrieb bereit?“ „Alles Bereit Commander“, klang die Stimme des L.I. aus dem Lautsprecher.
„Robinson, Sprungalarm, alle Stationen melden Sprungbereitschaft an die Brücke!" Nacheinander meldeten sich die besetzten Stationen, was deutlich schneller ablief als bei einem im Dienst stehenden Kreuzer, da nur ca. 1/3 der Station wirklich besetzt war. Nach nur 5 Minuten meldeten alle Stationen und Decks Sprungbereitschaft. „LI, Sprung einleiten. Countdown durch Brücke!" LaFiamma war sichtlich nervös und rieb seine Handflächen aneinander, eine Geste die sich seit der Akademie bei ihm zeigte, vor allem wenn die Nervosität und Anspannung sehr groß war. Nun wurde es also ernst. 10..9..8..7..6.. laut scheppernd fiel einem Techniker der Datapad auf den Boden der Brücke, mit hochrotem Kopf und unter den missbilligenden Blicken seiner Kollegen verschwand der Pechvogel unter der Konsole, um sein Datapad aufzuheben. Alle waren verständlicherweise sichtlich nervös vor diesem ersten Sprung. 5... 4... 3... 2... 1.. Die Sprungspulen im Maschinenraum, hinter ihren gewaltigen Abschirmungen, glühten auf und das Wurmloch vor ihnen öffnete sich und verschluckte den schweren Kreuzer auf dem Weg nach………..
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Cunningham

Internationales Viertel, Neu Kapstadt,
Seafort, Sterntor, FRT


Die Staffel Gold der Angry Angels, auch bekannt als The Harponeers, war auf der Party für die Dauntless nur kurz vorbei geschneit. Einer der Neuzugänge war mit einem Datenträger aufgetaucht, die einen FILM über die Angry Angels beinhaltete, der auf Terra der große Kassenschlager gewesen war. Trash hatte daraufhin auf dem Fliegerhorst einen Kinosaal organisiert und die Harponeers waren abgezogen. Einzig Knock-Out und Zombie, die nach eigener Aussage ein Film der ohnehin nicht von ihnen handeln würde nicht interessiere, und Ferret, der offenbar endlich ein weibliches Wesen gefunden hatte, welches sich für seinen Victory Star interessierte, blieben auf der Party.
Nach dem Film waren die Harponeers zurück in ihre Admin, eine gemeinsam gemietete Suite, im Neu Kapstadt Hilton zurückgekehrt. Einem Erbe der Marinefliegerei aus dem Pandorakonflikt.
Dort waren sie über einige Bomberpiloten aus Irons Schwadron gestolpert, deren Admin im selben Flur lag, und gemeinsam hatte man sich der Aufgabe gewidmet, zwei fünfzig Liter Fässer Bier vor den überall in Neu Kapstadt aktiven, mysteriösen Bierpiraten zu retten.
Es war jenes Erbe, welches in Friedenszeiten bei den Angry Angels sicherlich in allen Staffeln Einzug gehalten hätte, dass auf Landgang die einzelnen Staffeln als Gruppe in die Hotels eingefallen wären.
Doch für die Angels war dies tatsächlich der erste gemeinsame Landgang, der nicht mit Heimaturlaub zusammen fiel, wo die Piloten ihre Familien besuchen konnten und diese seltene Chance wahrnahmen.
So kam es, dass sich die Staffeln der Angels in der Regel zum Landgang aufsplitteten, während Raven als Pandoraveteranin und Irons als Dienstältester Lieutenant Commander dafür sorgten, dass ihre Leute relativ überschaubar zusammen blieben.
Daher hatte Raven auch eine recht umfangreiche Suchmannschaft zusammen, als sie in der Admin anrief und ihren Leuten einschärfte, ihre beiden Stromer möglichst vor der Militärpolizei einzufangen.
Als Ravens XO organisierte Vladimir Czemek die Suchaktion und setzte sich dann mit der Militärpolizei in Verbindung.
Als er herausgefunden hatte, dass diese nach der Meldung eines übereifrigen Stabsoffiziers aus Ausons Stab, der unglücklicherweise Zeuge diverser Vorfälle war, einen Fahndung nach den beiden Bomberpiloten herausgegeben hatte, die sich am besten mit den Worten ‚tot oder nicht mehr lebend’ beschreiben ließ, schlossen sich der Suche auch einige Besatzungen der Bronzenen Schwadron an.
Der Legendenstatus, den sich Knock-Out und Zombie durch die mittlerweile aufgebauschten Geschichten erworben hatten, ließ sich nicht mit dem Flying Cross in Gold aufwiegen.
Zombie zu finden erwies sich als relativ einfach. Nachdem man den sehr betrunkenen Ferret aus den Klauen einer äußerst willigen und ebenso betrunkenen Blondine, die sich später als Maschinenmaatin auf der Relentless herausstellen sollte, befreit und man seinen Wutanfall überstanden hatte und ihn einigermaßen auf das Thema Knock-Out und Zombie fixieren konnte, erfuhr man, dass Zombies Eltern in einem der Außenbezirke von Port LaHyme wohnten.
Dort fand man selbigen dann auch vor, zusammen mit einem der weiblichen Lieutenants, die er angeblich versucht habe zum Schlammcatchen zu überreden.
Nach gut einer Stunde des Überredens, des wütenden Gebrülls einer jüngeren Schwester, der Überraschung der Eltern die nicht wussten, dass ihr Sohn zu Hause war und diverser Tassen Kaffee, erfuhr man dann von der sichtlich genervten, nicht weniger sexy und wohl auch ziemlich verkartertennn Lieutenant de la Pagagoue, das mutmaßliche Hotel von Knock-Outs Begleiterin.


Es war etwa fünf Uhr siebenundfünfzig Ortszeit als die Lieutenants Thomas ‚Trash’ Brody, Kimberly ‚Gunslinger’ Rose und Jan ‚Peacemaker’ Kain das Seafort Interconti betraten.
„Dafür schulden uns die beiden etwas“, schimpfte Gunslinger gedämpft. Die junge Frau hatte die Hände in den Taschen der weißen Uniformhose versenkt und hatte eine von Knock-Outs Tropenuniformen unter den Arm geklemmt.
„Hoffen wir lieber, dass er auch wirklich hier ist und sich Earl nicht irgendeinen Scheiß hat erzählen lassen“, knurrte Peacemaker.
Gunslinger knurrte: „Dann schlage ich Zombies kleinem Betthäschen die Zähne ein!“
Peacemaker und Trash glucksten.
„Ja ist doch so.“
„So, jetzt wartet mal hier“, unterbrach Trash die junge RIO, bevor sie erneut in eine Schimpftrirade verfallen konnte, „ich frag’ mal eben an der Rezeption nach.“
Etwas unschlüssig standen die beiden anderen Harponeers herum.
„Und ich hätte so schön bei der Blonden landen können“, seufzte Peacemaker. Die Blonde, einen anderen Namen würde die Schöne, die er in der Bar des Hiltons kennen gelernt hatte, innerhalb der Staffel nicht mehr bekommen.
Die Blonde, seit Monaten das erste vernünftige weibliche Wesen nicht in Uniform.
„Träum' weiter Peacemaker, die war ne ganze Nummer zu heiß für Dich“, Gunslinger grinste, „aber mit dem Fitnesstrainer, der sah lecker aus.“
„Du meinst für einen hirnlosen Muskelprotz?“
„Japp!“
„Okay, achter Stock, Zimmer acht-eins-fünf. Peacemaker, du gibst uns Deckung“, Trash blickte sich im Hotel um.
„Euch Deckung geben“, der angesprochene lachte auf, „Mann Trash, was ist dir denn zu Kopf gestiegen?“
„Naja, hat Meltdown schon Entwarnung wegen der MP gegeben?“
Peacemaker und Gunslinger sahen einander an: „Äh, nö.“
„Siehste, also halt hier die Stellung! Gunslinger, Du kommst mit.“
„Aber selbstverständlich großer Echsenkiller“, sie verbeugte sich übertrieben und deutete zu den Aufzügen, „nach Euch eure Zweiartigkeit! Oh, großer Jäger ...“
„Jaja, schon gut, setzt Dich in Bewegung.“
„Jawohl, Eure Heldigkeit.“, sie folgte dem genervt seufzenden Trash kichernd.
Peacemaker lachte auf und postierte sich an einer der Säulen mit Blick auf den Eingang. Um nicht aufzufallen setzte er seine Ray Ban Fliegerbrille auf.


Als die beiden Piloten im achten Stock ankamen, waren Gunslinger die Spötteleien ausgegangen. Sie beließ es dabei Trash anzublicken, zu kichern und abrupt zu verstummen, wenn er sie böse an funkelte.
Nach kurzer Suche standen sie vor dem Zimmer, wo sich Knock-Out und eine gewissen Captain Jane Livingston vom TRMC aufhalten sollten.
Gunslinger lächelte böse: „Darf ich?“
„Aber bitte Eure Schlagfertigkeit.“, Trash deutete auf die Tür.
Die Flugoffizierin fing an gegen die Tür zu hämmern und rief: „Bureau of Drug Enforcement, dies ist eine Razzia! Machen Sie sofort auf!“
Drinnen wurden zwei Stimmen laut. Tonfall und Lautstärke ließen auf Mann und Frau schließen, die deutlich desorientiert und verwirrt waren.
„Aufmachen oder wir treten die Tür ein!“, brüllte Gunslinger.
Jemand strauchelte auf die Tür zu: „Wer is' da?“
„BDE! Aufmachen!“
Das Schloss klickte und ein verschlafener Peter Carrera öffnete die Tür: „Hä?“
Er blinzelte seine beiden Pilotenkollegen an: „Ihr seid keine Bullen.“
„Richtig, Bruchpilot“, erwiderte Gunslinger und musterte Knock-Out, „Ist ja ne hübsche Nudel, aber hier, zieh deine Uniform an!“
Sie drückte ihm seine Klamotten in die Hand und trat an ihm vorbei in das Hotelzimmer, eher eine kleine Suite: „Mann, bei den Marines muss das Gehalt ja üppig sein.“
„Könnte mir mal jemand erklären, was hier vor sich geht?“ Eine Frau, etwas älter als die drei Piloten und in einen Morgenmantel gewickelt, kam aus dem Schlafzimmer.
„Ich bin Lieutenant Brody“, stellte sich Trash vor, „das ist Jaygee* Rose, wir sind Staffelkameraden von Mr. Carrera und wir nehmen ihn jetzt mit, bevor die MP hier die Tür ein latscht.“
„MP?“, Knock-Out hielt das Kleiderbündel immer noch unschlüssig in den Händen, „was will die denn von mir?“
„Versuchter Diebstahl, Sachbeschädigung, Unfallflucht, Du erinnerst Dich an die Party von den Kreuzerdudes?“
„Oh, äh, wirklich?“
„Du sollst auch dem Admiral in den Swimmingpool gekotzt haben“, ergänzte Gunslinger.
„Das war ich nicht, das war Zombie, ich habe die drei Schönheiten versucht zu überreden …“, mit einem Blick zu Captain Livingston verstummte er.
„Wie dem auch sein“, meinte Trash, „die CAG, welche auch unsere Staffel-CO ist, hat gesagt wir sollen Dich anschleppen, bevor Du der MP begegnest, die wohl Anweisung hat dich erst zu verprügeln, dann festzunehmen, nur um dich anschließend erneut zu verprügeln.“
Der Gescholtene begann seine Unterwäsche anzuziehen: „Sorry Janie, ich glaube ich sollte besser mitgehen.“
„Das klingt für mich auch so.“, die Wut war aus Livingstons Stimme gewichen.


Als Gunslinger und Trash in Knock-Outs Begleitung das Zimmer verließen meldete sich Trash' Kommunikator: „Hawk-Eye für Sturmtrupp, die Kettenhunde kommen gerade in die Lobby.“
„Was soll der Scheiß, Peacemaker,“, fragte Trash genervt, „sprich ordentlich.“
„Vier böse aussehende Militärpolizisten sind gerade unterwegs zur Rezeption, oh-oh, sieht aus, als hätten sie mich entdeckt. Ich verdrück mich.“
„Scheiße,“, Gunslinger blickte sich um, „gibt es hier einen Personalaufzug?“
„Ich glaub am Ende des Ganges und dann links.“, Knock-Out deutete in die Richtung, aus der sie eben gekommen waren.
Trash blickte sich nochmal um: „Na dann mal los.“
Und tatsächlich gab es einen Personalaufzug, der die drei Harponeers ins Erdgeschoss brachte.
Unten angekommen nahmen sie einen Seitengang, der sie in ein großes Restaurant brachte, mit einem guten Blick über die Grünanlagen des Hotels.
Bedienstete waren gerade dabei die Tische für das Frühstück einzudecken.
Leider zerplatzten hier auch ihre Träume von einer unbemerkten Flucht.
Eine Gruppe Marines mit den Armbinden der Militärpolizei kam auf sie zu: „HALT! Stehen bleiben!“
Die befehlsgewohnte Stimme gehörte einem Staff Sergeant, der für einen Marine eindeutig zu viel Fleisch auf den Rippen hatte.
Trash drehte sich um: „Können wir Ihnen helfen, Sarge?“
„Sie sind festgenommen!“
„Wie reden Sie eigentlich mit uns?“ Trash stützte die Hände in die Hüften.
„Siehst Du dass hier, Flyboy,“, der Sergeant deutete auf seine Armbinde, „wir sind hier die Exekutivgewalt, Eure Ränge sind hier ohne Bedeutung!“
Trash deutete auf seine Ordensspange: „Wissen Sie eigentlich wer ich bin? Den Victorystar hab' ich bekommen weil ich den Echsenprinz gekillt habe,“, dann deutete er auf den Sergeanten und machte einen Schritt vorwärts, „ich an Ihrer Stelle würde mir ganz genau überlegen ...“
Etwas überrumpelt machte der Sergeant einen Schritt zurück und prallte gegen den Corporal, der sich hinter ihm aufgebaut hatte.
„Lauft!“, brüllte Trash und die drei Piloten brachen nach rechts weg und stürmten zwischen den Esstischen durch.
„HALT! Stehen bleiben!“ Der Sergeant drehte sich zu seinen Leuten um: „Na los, hinterher, lasst sie nicht entkommen.“
Knock-Out warf noch ein paar Tische um, in der irrigen Annahme damit seine Verfolger etwas aufzuhalten.
Die drei Piloten stürmten durch eine Drehtür auf die Terrasse des Hotels und dann zu deren Brüstung, über die sie kletterten und gut drei Meter in die Tiefe sprangen.
Sie landeten vor den Fenstern einer der innen gelegenen Poolanlagen.
„Wow, Bräute,“, merkte Knock-Out an, „und das um die Uhrzeit.“
Gunslinger schlug ihm auf den Hinterkopf: „Lauf, du Penner!“
Kurz bevor sie sich in Bewegung setzten erschien schon der erste Militärpolizist oben an der Brüstung.
Gut eineinhalb Kilometer mussten die drei Piloten von der Columbia rennen, ehe sie die Straße erreichten, und obwohl Trash zweimal strauchelte, schafften sie es die Militärpolizei auf Abstand zu halten.
Auf der Straße angekommen stoppten sie das erste Taxi, das sie beinahe überfahren hätte. Hastig zwängten sie sich hinein und schrien die Fahrer so laut an, dass dieser eingeschüchtert das Gas durchdrückte, als der erste Militärpolizist fast den Türgriff der Beifahrertür erreichte.


*Jaygee = Navyslang für Lieutenant Junior Grade (2nd Lieutenant)
17.01.2016 10:55 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cunningham

Fort Kennedy
Vallis Church, Deneb


Charles Bayonne betrachtete die Frau auf dem Monitor eindringlich. Jacqueline Bouisseau, ehemals Rearadmiral der Colonial Navy, saß auf einer schlichten aber bequemen Couch und schien zu warten. Vor sich hatte Bouisseau eine Kanne Kaffee stehen.
Vor knapp zwei Wochen war Rearadmiral Bouisseau mit einem halb schrottreifen Frachter im Gebiet der Republik von der Fregatte Admiral Cunningham gestoppt worden.
Bei dem Namen musste der Geheimdienstler grinsen. Der Kommandant der Fregatte war schlau genug gewesen, Bouisseau sofort nach Deneb zu verfrachten und Viceadmiral Ogamwa hatte dafür gesorgt, dass die Rearadmiral in Schutzhaft genommen worden war und in einem Haus für Offiziere mit Familien untergebracht worden war.
Das Haus wurde von Marines bewacht und der NIC hatte seitdem Bouisseau fast täglich verhört. Die Jungs von der Spionageabwehr und der Aufklärung von der Navy routierten förmlich bei den ersten Aussagen von Bouisseau.
Vor acht Tagen hatte die ganze Geschichte den TIS erreicht und Bayonne hatte sich in einem Eilkurier nach Deneb wieder gefunden. Seine Frau hatte nur wissend gelächelt, ihm sein Hochzeitstagsgeschenk mit eingepackt und ihm versichert, er würde ihr schon was Hübsches schenken. Manchmal stank der Job zum Himmel.
Zum Glück waren alle Personalanforderungen erfüllt worden. Phill Resch hatten sie aus einem Feuergefecht auf Vargas III. ausgeflogen. Nun hatte sein siebenköpfiges Team ein Haus gegenüber der Admiralin bezogen und Zugriff auf alle Überwachungseinrichtungen der Navy erhalten und diese noch verstärkt.
Man konnte ihr ansehen, dass sie begriffen hatte, dass jemand anderes nun das Kommando innehatte. Das Ausbleiben des gestrigen Befragungsteam im Zusammenhang mit der eingehenden medizinischen Untersuchung war ein deutlicher Hinweis.
Ebenso sah man ihr an, dass sie noch die Nachwirkungen der Vollnarkose spürte.
Auf dem Wohnzimmertisch waren die Untersuchungsergebnisse ausgebreitet. Bayonne musste grinsen, vor über sechshundert Jahren hatte man vollmundig getönt das Papier abzuschaffen und durch den Computer zu ersetzen, und der Chef von IBM hatte verkündet, der Markt für den Homecomputer würde weltweit nur vier Haushalte beinhalten.
Und noch heute produzierte allein der Geheimdienst genug Papier um in einem Jahr den Regenwald Südamerikas zu verbrauchen. Zum Glück mussten aber heute keine Bäume mehr für Papier geschlachtet werden.
„Also, George, was haben wir für Erkenntnisse?“
Georgia MacKenzie blickte von den Unterlagen auf: „Ich kann Ihnen jede Menge über den Gesundheitszustand der Admiralin erzählen, aber wir konnten keine Hinweise auf einen psychochirurgisch Eingriff finden, auch keinen für eine herkömmliche Hirnwäsche, keine Persönlichkeitsübertragung, nichts. Keine eingepflanzte Bombe, keine Aufzeichnungsgeräte, keine Gifte.“
Resch, der auf dem Fußboden am Tisch saß und sich sein Mittag reinschaufelte fragte mit vollem Mund: „Habt Ihr das Rückenmark genau unter die Lupe genommen?“
Seit Tagen schon sprach Resch nur noch mit colonialem Akzent, was Bayonne recht entnervend fand, aber der jüngere Mann bereitete sich darauf vor, mit ihrem Ziel ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Er war dafür am besten geeignet, fünfzehn seiner zwanzig Dienstjahre hatte er in der Konföderation verbracht und kannte die Sitten und Sprache am besten. Ebenso war er auch einer der besten Akariiexperten, die Bayonne kannte.
Wie schnell Phill Resch zur Verfügung stand, nachdem er seinem Vorgesetzten erzählt hatte, ansonsten Cliff Davis zu aktivieren.
Was ist es doch für ein Glücksfall als jemand zu gelten, der niemals blufft.
„Natürlich, Phill, ganz nach Deinen Vorgaben.“, knurrte Georgie.
„Und wie wollen Sie an Admiral Bouisseau herankommen?“, schaltete sich eine weitere Person ins Gespräch ein. Lieutenant Commander, wenn man den Rangabzeichen glauben durfte, Romy Mattéi war ihr Verbindungsoffizier zum Naval Intelligence Corps.
Bayonne warf der jungen Frau einen abschätzenden Blick zu: „Kennen Sie viele Admirale, die sich von NIC- oder TIS-Ausweisen einschüchtern lassen?“
„Wir schüchtern keine Navyoffiziere ein, wir gehören zum selben Verein und sind eine unterstützende Waffengattung“, na klar doch, „aber ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Ich wüsste jetzt keinen Admiral, den man mit einem Geheimdienstausweis beeindrucken kann. Als was wollen Sie also auftreten? Brauchen Sie eine Admiralsuniform?“
„Nein, vielen Dank.“, er rieb sich das Kinn und anschließend den grau werdenden Schnurrbart.
„Mal was anderes, Boss“, warf Resch ein, „würden Sie jetzt unbedingt Bouisseau als Agentin nutzen wollen? Es ist doch ganz logisch, dass wir uns auf Frau Admiral konzentrieren, doch was ist mit den anderen Gestallten, die wir aufgegriffen haben? Wenn wir Bouisseau noch monatelang in der Mangel haben werden, die werden doch sicherlich nicht genau so lange festgehalten.“
„George, suchen Sie sich einige Leute aus der Gruppe um unsere gute Frau Admiral aus und krempeln Sie sie gründlich um, ob man bei ihnen ein anderes Bewusstsein eingepflanzt hat.“
MacKenzie blickte auf: „Das könnte je nach Methode recht unangenehm werden.“
„Von rabiaten Vorgehen möchte ich dringen abraten,“, wie Mattéi das sagte, war das alles andere als ein Rat, „denn welchem Konföderierten können wir noch Loyalität abverlangen, wenn wir seine Landsleute wie Dreck behandeln.“
„Ich verstehe Ihre Wünsche, aber ...“
„Es sind vor allem die Wünsche Admiral Ogamwas“, fügte die NIC-Offizierin hinzu, „die Admiralin könnte für uns als Verbündete von unschätzbaren Wert sein. Die Art wie wir mit ihren Leuten umgehen, wird sich höchst wahrscheinlich auf ihre Kooperationsbereitschaft auswirken.“
„Sie haben natürlich recht,“, stimmte Phill Resch für seinen Vorgesetzten zu, „aber können sie ausschließen, dass einer dieser Leute, einschließlich der Admiralin, nicht schon seit Jahren ein Agent der Akarii ist und diese goldene Gelegenheit für sich nutzt?“
„Mr. Resch, ich verstehe Ihre Sorge vollkommen und auch in meiner Abteilung wurden diese Gedankengänge verfolgt. Wir sind auch alle Unterlagen zur kerrschen Theorie der Persönlichkeitsübertragung durchgegangen, und nach allen Informationen, die wir über Bouisseau und ihre Mannschaft haben, ist es so gut wie ausgeschlossen, dass der akariische Geheimdienst einen von ihnen eine neue Persönlichkeit verpasst hat. Wir reden hier von einem Vorgang, der mehrere Jahre in Anspruch nimmt, wenn man es vernünftig macht um einen Agenten einzuschleusen und nicht einen simplen Saboteur.“
„In Ordnung, wir werden sensibel vorgehen, Sie haben Recht, zwanzigtausend potentielle Rekruten wiegen mehr als unsere Paranoia“, Bayonne zog seinen Mantel über, „aber ich werde jetzt mal mit der Dame vis a vis reden. Wenn sie wirklich so kooperationsbereit ist, wie es den Anschein hat, sollten wir das für uns nutzen.“
„Brauchst Du Rückendeckung, Boss?“
„Nein, Phill, das wird nicht nötig sein, mit der werde ich noch allein fertig und außerdem stehen vier Marines vor der Tür.“


Vor der Tür empfing im feuchte Winterluft. Sofort fröstelte ihn. Mit gemächlichen Schritten ging er über die Straße zu dem Haus, in dem Bouisseau untergebracht war.
Die Reihenhäuser der Offiziersunterkünfte verkündeten reinste spießbürgerliche Atmosphäre.
Der Wachhabende der Marines nickte ihm grüßend zu, der Stützpunktkommandeur hatte dafür gesorgt, dass wirklich jeder wusste, dass man mit ihm zu kooperieren hatte.
An der Tür angekommen klopfte Bayonne zweimal an und trat dann unaufgefordert ein. Natürlich gab man der ehemaligen konföderierten Admiralin nicht die Möglichkeit, sich in dem Haus zu verbarrikadieren.
Zur Sicherheit war auch immer ein Sanitäter dem Wachkommando zugeteilt, falls Bouisseau plötzlich den Entschluss fasste, Selbstmord zu begehen.
Ihr psychologisches Profil deutete zwar nicht darauf hin, doch man konnte nie wissen.
„Entschuldigen Sie bitte, wenn ich nicht aufstehe um Sie zu begrüßen, aber die Untersuchung hat mich etwas mitgenommen.“, die Stimme von Bouisseau deutete jedoch nicht darauf hin. Sie war kraftvoll und nicht im Geringsten eingeschüchtert.
Admirale, sie dachten alle, dass Universum würde sich ihnen unterwerfen. Verdammte Messingständer.
„Das macht überhaupt nichts.“, er ging ins Wohnzimmer und legte seinen Mantel ab.
Intelligente Augen musterten ihn: „Sind Sie jetzt für mich verantwortlich?“
„Ja, könnte man so sagen.“, er bot ihr die Hand, so dass sie sich zumindest etwas erheben musste, „Charles Bayonne ist mein Name.“
Sie ergriff die Hand und in der Tat, so wie sie sich bewegte war sie tatsächlich noch etwas angeschlagen: „Bayonne, der Name kommt mir bekannt vor. Aber bitte, nehmen Sie doch Platz.“
„Danke.“, er setzte sich in einen Sessel rechts von ihr.
„Sie gehören nicht zur Navy, oder, Mr. Bayonne?“
„Nein, zumindest nicht aktiv, ich bin Reservist.“
Sie hob eine Augenbraue: „Reservist und noch nicht ein...., Sie sind beim Geheimdienst.“
„Korrekt. Ms. Bouisseau“, wie sie die Stirn kraus zog, offenbar war sie die zivile Anrede nicht gewohnt und würde es vorziehen mit ihrem Dienstgrad angesprochen zu werden.
„Wie soll es jetzt weitergehen,“, wollte sie wissen, „ich wurde jetzt täglich fast sechs Stunden verhört, Flottenbewegungen, unse... konföderierte, wie auch der Akarii, Aufstellungsschwerpunkte, Kampfkraft, vorwärts und rückwärts, über die Einzelheiten meiner Flucht, meine Laufbahn, meine Vorlieben, was ich als letztes auf Hannover gegessen habe.“
„Haben Sie schon darüber nachgedacht, dass Sie oder einer Ihrer Gefährten ein akariischer Spion sein könnte?“
„Lächerlich!“
„Wieso lächerlich“, entgegnete Bayonne, der die Beine übereinander schlug, „Sie sind mit einem Seelenverkäufer von Raumschiff aus dem Hannover-System geflohen, direkt unter den Augen der akariischen Besatzer und ihrer eigenen Flotte, haben sich zu uns durchgeschlagen und haben zwischendrinn auch noch Informationen von unschätzbaren militärischen Wert gesammelt.
Sie sind Flaggoffizier, wir reden hier von einem Glücksfall, der zu gut ist um wahr zu sein. Glauben Sie, wir schlucken das so einfach?“
Sie schnaufte: „So weit ich weiß, meine Informationen diesbezüglich sind schon etwas älter, kommen täglich hunderte, wenn nicht tausende von Flüchtlingen aus der Konföderation. In Ihren Internierungslagern befinden sich mindestens acht Flaggoffiziere der konföderierten Streitkräfte.“
„Die wir festgesetzt haben, die sind nicht aus der Konföderation geflüchtet. Sie sind ein Unikat, Sie kommen von Hannover.“
„Ich habe fünf Jahre gegen das akariische Sternenreich gekämpft, Mr. Bayonne, ich bin mit meinen Leuten in den Kampf um Hannover gezogen, ich habe Live und in Farbe mitbekommen, welche Verbrechen … die, die, die ...“
„Echsen?“
„Die Echsen, meiner Heimat angetan haben, ich habe miterlebt, wie meine Regierung uns alle verraten hat. Seit zwei Wochen kooperiere ich so gut ich es vermag mit Ihren Leuten und Sie kommen mir mit diesem Unsinn.“
„Ist Ihnen die kerrsche Theorie zur Bewusstseinsüberlagerung bekannt?“
„Nein.“, sie dehnte das Wort wie einen alten Kaugummi.
„Aligob Kerr war ein akariischer Wissenschaftler, der für den imperialen Geheimdienst auf Akarr tätig war. Er beschäftigte sich damit, das Ich eines Wesens zu digitalisieren und auf einen anderen Körper zu übertragen.“
„Das ist doch lächerliche Science-Fiction.“
Bayonne schmunzelte: „Vor sechshundert Jahren war die Besiedlung von Deneb auch Science-Fiction und wo sitzen wir heute?“
„Schön und gut, aber ...“
„Ah-ah-ah, kein aber, Aligob Kerr führte Experimente an Freiwilligen aus Strafanstalten durch. Da alle seine Probanten als psychische Wracks endeten, blieben ihm irgendwann die Freiwilligen aus, aber er arbeitete weiter. Als das aufflog musste er Akarr verlassen.
Etwa fünfzehn Jahre vor dem Krieg wurde ein kleiner Akariifrachter aufgebracht, auf dem sich ein Haufen geistesgestörter Akrii befand.
Man fand damals auch drei Aligob Kerrs. Er hatte es geschafft seine eigene Persönlichkeit, sein Wissen, alles was ihn ausmachte, in zwei weitere Akarii einzupflanzen.
Viereinhalb Jahre später überfiel ein Einsatzteam unsere Forschungseinrichtung, wo die Dr. Kerrs daran arbeiteten, einem Akarii eine menschliche Persönlichkeit einzupflanzen.
Es war damals ein heilloses Durcheinander, weil sowohl der akariische Geheimdienst als auch der konföderierte Flottennachrichtendienst seine Finger im Spiel hatten.
Zwei der Doktoren wurden getötet, einer verschwand spurlos.“
„Und jetzt glauben Sie also, dass einer dieser beiden Dienste mir eine andere Persönlichkeit verpasst oder untergejubelt hat, damit ich hier bei Ihnen spioniere?“
„Oh, nach den Untersuchungen bei Ihnen sind wir uns ziemlich sicher, dass Sie keine Spionin aufgrund einer solchen Prozedur sind. Ebenso sind wir uns auch absolut sicher, dass die Akarii nicht in der Lage sind über die gewöhnliche Gehirnwäsche an Menschen herumzupfuschen. Aber Sie hatten nicht nur Menschen bei sich.“
„Wenn Sie meine Leuten auch nur ein Haar krümmen ...“
„Admiral Bouisseau, wir möchten, dass Sie ihre Leute dazu überreden an den gleichen medizinischen Untersuchungen teilzunehmen, denen wir Sie unterzogen haben. Denn wenn Sie echt sind, Madame, sind Sie in Gold nicht aufzuwiegen, aber wenn Sie oder ihre Leute Spione sind ...“
„Verstehe, wie kann ich Sie überzeugen?“
„Kooperation Madame, Kooperation und viel Geduld.“
„Ich möchte dann aber persönlich mit meinen Leuten reden.“
„Natürlich“, er erhob sich, „aber nun erholen Sie sich erst einmal.“
Sie nickte: „Bayonne, wo habe ich den Namen schon mal gehört?“
„Oh, ich dürfte für die Geheimdienste der Konföderation kein ganz unbeschriebenes Blatt sein, wir waren ja nicht immer Freunde.“
„Verstehe. Aber eine Frage habe ich noch und ich bitte um eine ehrliche Antwort.“
Er bedeutete ihr zu sprechen.
„Wird es für mich nochmal die Chance geben, gegen die Imperialen in den Krieg zu ziehen?“
Er beugte sich vor und sah ihr tief in die Augen: „Die Chance werden Sie sich erarbeiten müssen.“
18.01.2016 07:36 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Ace

Mittlerweile war die Party im vollen Gange. Das Anwesen von Admiral Auson, das relativ weit außerhalb von Neu Kapstadt lag, war recht großzügig. Der Garten hatte die Größe eines American Football-Feldes und war damit durchaus als weitläufig zu bezeichnen. Und trotzdem war es bei knapp 4000 feiernden Navy-Angehörigen eng, die Menge brodelte förmlich und wogte hin und her.
Die gesamte Besatzung der Kami hatte sich alle Mühe gegeben die Party zu einem Erfolg werden zu lassen. Und sie waren erfolgreich gewesen.
Der süßliche Duft von Barbecue und Bier erfüllte die Luft, der Lärmpegel war immens, viele Leute tanzten, lachten und ließen feiernd ordentlich Dampf ab.
Es war inzwischen früher Abend geworden, aber in diesem Gebiet auf Seafort herrschten immer noch hochsommerliche Temperaturen.
Donovan ließ seinen Blick in die Menge gleiten um nach einem bekannten Gesicht Ausschau zu halten, doch niemand war in Sicht. Ace hatte er schon seit einer Weile nicht mehr gesehen, genauso wenig wie Ian oder Justus.
Sie hatten alle bei der Organisation der Party geholfen, hatten sogar hinter der Theke gestanden um ihre Kameraden abzulösen. Doch jetzt war ihre freiwillige Schicht vorbei, er war müde, erschöpft, verschwitzt und schlecht gelaunt. Sein Schädel pochte und er wusste, er sollte jetzt kein Bier trinken. Doch unvernünftig wie er war, tat er es doch. Ein Teil von ihm wollte ins Hotel zurück und sich hinlegen. Ein anderer Teil von ihm zwang ihn dazu zu bleiben. Und dafür gab es im Grunde zwei Gründe.
Auf der einen Seite hatte er seit Monaten, ach was, Jahren keine ordentliche Party mehr erlebt. Sein Blick wanderte unbewusst zu einigen der weiblichen Navymitgliedern, die mit ihrer teilweise schon aufreizend knappen Kleidung fast schon automatisch einen Hormonschub bei ihm – und wahrscheinlich auch bei 99% der anderen männlichen Navymitglieder – auslösten, den er schon lange nicht mehr verspürt hatte. Die langsam einsetzende Wirkung des Alkohols tat ihr übriges dazu.
Auf der anderen Seite war die kleine Davis mit ihm hier und stand im Augenblick neben ihm an der Theke und nippte an ihrem Bier. Sie hatte ebenfalls ein sehr luftiges Outfit gewählt und Donovan nahm die Blicke der umstehenden Typen durchaus wahr.
Der eine oder andere hatte schon zaghafte Annäherungsversuche unternommen, aber bislang hatte sowohl Jean diese höflich aber bestimmt zurückgewiesen und Donovan hatte sich fast schon automatisch schützend zwischen sie und dem Mob gestellt.
Er nahm das Versprechen, das er Justus gegeben hatte ernst und blieb, obwohl er sich nicht wirklich wohl fühlte.
Jean schien die Party auch nicht zu genießen, aber hatte fast die gesamte Zeit geredet. Donovan hatte einen Schnellabriss ihres Lebens erhalten und sie hatte wie ein Wasserfall gesprudelt. Donovan hatte ihr die ganze Zeit zugehört und kein einziges Wort gesagt, aber darum schien es ihr auch nicht zu gehen.
Sie wollte einfach nur reden und Donovan hörte zu.
Sie hatte von ihrer Jugend, von ihren Brüdern und ihrer großen Familie erzählt. Sie hatte erzählt, dass sie sich nach dem vermeintlichen Tod von Cliff zu den Marines gemeldet hatte, wie sie die Ausbildung durchgestanden hatte und nebenbei seine Abschiedsbriefe verteilt hatte, obwohl sich seine Todesmeldung als verfrüht erwiesen hatte. Sie hatte von den brutalen Kämpfen auf Graxxon erzählt. Er hatte von ihren früheren Spitznamen Professor und Icequeen erfahren, den sie erhalten hatte, nachdem sie am Anfang die Unnahbare gespielt hatte.
„Na ja, und dann habe ich doch mit Ken…“ Sie sprach nicht weiter, weil sich Tränen in ihren Augen sammelten. Aber sie riss sich sichtbar zusammen, nahm einen weiteren Schluck Bier, schnappte sich ein neues von der Theke und drückte auch Donovan eins in die Hand.
„Wie ist es mit dir, Donovan? Auf dich warten wahrscheinlich Frau und Kinder zu Hause, oder hast du sogar schon Enkel?“
Autsch, das tat weh. Er war zwar mit seinen 36 Jahren theoretisch in der Lage schon Großvater zu sein, aber das war nun schon starker Tobak. Er war zwar vierzehn Jahre älter als sie, aber trotzdem war es nicht fair ihn als alten Knacker abzutun.

Doch bevor er antworten konnte, drängte sich eine Gruppe vom Marines zwischen ihn und Jean.
„Hey Professor, bandelst mal wied´r mit`m Flottenheini an?“ Der Corporal schien ziemlich angetrunken zu sein.
„Verzieh dich, Lansdale! Das ist Noname, ein Kumpel von meinem Bruder. Und dich geht das ohnehin nichts an.“
Eine weitere Marine, die offensichtlich ebenfalls zu Jeans Platoon gehörte, schaltete sich ein. „Jean, komm doch mit uns, wir haben da hinten eine Theke und einen Grill erobert, da lassen wir es ordentlich auf Marines-Art krachen.“
Jean schaute zu Donovan hinüber. „Nein danke, Maggie, danke Frauke. Ich denke ich werde mich so und so bald auf den Heimweg machen.“
„Na, hoff´ntlich ´lleine?“ lallte wieder der, den sie Lansdale nannten.
Dafür erntete er einen bösen Blick von Jean.
„Nu komm schon, Icequeen, ich kann dich tröst´n.“ Offenbar merkte der hirnlose Trottel von einem Marine nicht, wie lächerlich er sich machte.
„Lass mich in Ruhe, du Drecksack.“ fauchte Jean und Noname baute sich schon mal neben ihr auf, denn das Ganze schien jetzt langsam aus dem Ruder zu laufen.
Doch die anderen Marines schleppten ihren Kameraden davon. „Ehrlich, Lansdale, du bist echt ein Arsch. Sie hat gerade Howard verloren. Da wird sie bestimmt nicht was mit dir anfangen und bestimmt nicht mit einem Flottenarsch wie dem da.“
Da Donovan keine Uniform trug, sondern nur eine leichte Sommerjacke der Columbia ohne Rangabzeichen, wussten die Marines nicht, dass sie sich hier mit einem Offizier anlegten. Und dazu auch noch mit einem übel gelaunten.
„Hey, du Penner, an deiner Stelle würde ich mich mal schnellstens davontrollen…“
„Ach ja? Sacht wer, hä?“ Die beiden Mädels versuchten den Marine aufzuhalten, doch dieser schüttelte sie nur ab und baute sich vor Donovan auf. ‚Na Klasse, keine Party ohne Prügelei‘ schoss es Noname durch den Kopf, doch soweit kam es nicht, denn ansatzlos rammte Jean dem Marine ihre Rechte in die Magengrube. Vollkommen überrascht klappte Lansdale nach vorne und Jean Davis schnappte sich sein Ohr wie bei einem kleinen Schuljungen.
„Wenn du dich nicht sofort davon machst, reiß ich dir das Ohr ab und werde dafür sorgen, dass du den Rest des Krieges nur noch in der Nähe einer Latrine erlebst, haben wir uns verstanden, Corporal?“
Bei diesem grotesken Anblick gingen Nonames Augenbrauen vor Erstaunen in die Höhe. Vollkommen widersprüchlich zu ihrem Erscheinungsbild hatte die kleine Davis den um einen Kopf größeren Marine in der Hand, der auf einmal ganz handzahm geworden war.
„Au, Au, Au, ist ja gut, Sarge. Ich geh ja schon.“
Als die Truppe gegangen war, drehte sich Davis zu Noname um. Offenbar war sie sauer.

„Was sollte das? Du brauchst hier nicht den Aufpasser spielen, Donovan. Ich kann sehr wohl auf mich selbst aufpassen.“ Sie stemmte die Arme in die Hüften und funkelte ihn wütend an.
„Warum bist du immer noch hier, Donovan? Du machst mir nicht den Eindruck als hättest du gerade wahnsinnigen Spaß. Haben dir meine Brüder gesagt, du sollst auf mich aufpassen? Oder Justus?“
,Touché.'
Donovan sagte nichts und starrte sie nur an. Er hätte nicht gedacht, dass soviel Power in diesem kleinen Persönchen stecken könnte. Aber andererseits – sie war ein Marine.
„Na was ist? Raus mit der Sprache!“
„Deine Brüder und Justus machen sich Sorgen um dich, Jean.“
„Sehe ich so aus als bräuchte ich einen Babysitter? Mir geht’s gut, ich werde damit schon fertig. Ich habe die Hölle von Graxxon überlebt, also werde ich damit auch fertig werden.“
Donovan wollte etwas erwidern, wollte sie an ihr erstes Treffen auf Victoria Station erinnern und daran, dass sie gerade eben kurz davor gewesen war, in Tränen auszubrechen. Aber er schwieg wieder. Sie hatte Recht, was machte er hier? Warum nur hatte er sich zu dieser Babysitteraktion überreden lassen?
„Gut, wenn du lieber alleine sein willst…“ Als er sein Bier abstellte und Anstalten machte zu gehen, legte sie ihre Hand auf seinen Unterarm und seufzte. „Nein, das habe ich nicht gesagt. Es ist nur, all die Leute feiern hier den Tod von so vielen Menschen. Und nachdem, was mit Ken passiert ist, ist mir einfach nicht nach Feiern zu Mute.“
Sie schien wirklich durcheinander zu sein, auch wenn sie es nicht zugeben wollte, denn jetzt war sie mit einem Mal wieder das verletzliche, kleine Mädchen.

„Es tut gut mit dir zu reden, Donovan. Denn du bist nicht wie meine Brüder und nicht wie meine Kameraden. Du bist neutral und… Ich… es ist nur… ich kenne dich im Grunde gar nicht und ich habe… Na ja, einige Geschichten über dich gehört.“
Donovans Gesichtsausdruck verdüsterte sich augenblicklich. „Ich glaube es ist doch besser, wenn ich jetzt gehe.“
Das alles hatte doch keinen Sinn, jetzt fing die kleine Davis auch noch damit an.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich glaube es ist besser, wenn du es mir erzählst!“
„Was erzählst?“
„Na, deine Version der Geschichte.“
Donovan zwinkerte ungläubig. Dann schüttelte er den Kopf. „Nein.“
Der leichte Anflug von Schmerz in ihren Augen über diese Zurückweisung versetzte ihm zu seiner Überraschung einen kleinen Stich. Daher fügte er hinzu. „Nicht hier.“
Ihr Gesichtsausdruck hellte sich wieder etwas auf. „Gut, das kann ich verstehen.“ Sie blickte sich um, drehte sich wieder zu ihm und grinste. „Komm mit.“
Sie nahm ihn an die Hand und schleifte ihn zu seiner Überraschung durch die Menge. Wortlos folgte er ihr zu einem der Nebenhäuser des Anwesens. Was hatte sie vor?
Sie umrundeten das Gebäude, kletterten über ein paar Schnapsleichen und knutschende Pärchen. Als sie einen der Bäume erreicht hatten, die an der rückwärtigen Seite des Hauses standen, blieb sie stehen.
„Los, hoch da!“
„Wie bitte?“
„Na los, auf den Baum!“ Ihr bizarres Kommando ließ ihn Stirnrunzeln, doch dann befolgte er ihren Befehl und hangelte sich mühevoll den Stamm hinauf auf den ersten Ast hoch. Als er hinunter schaute, sah er wie sie ihm mühelos folgte. „Los, los, weiter.“
Als sie in der Mitte des knapp zwanzig Meter hohen Baumes angekommen waren, gab sie weitere Befehle. „Jetzt nimm den Ast da und schwinge dich auf das Dach.“
„Bist du verrückt?“
Sie lachte. „Nun mach schon, Raumjockey. Oder hast du Höhenangst?“
Donovan verharrte fast wie geschockt in der Bewegung. Ein unglaubliches Déjà-Vu-Gefühl überkam ihn. Er konnte es zunächst nicht genau definieren, aber diese Aktion erinnerte ihn ganz stark an irgendwas in seiner Vergangenheit.
„Na was ist, geht’s mal weiter?“
Ächzend schwang er sich auf das ziegelgedeckte Dach und wäre fast abgestürzt. Scheisse, Jean hatte Recht, er wurde doch zu langsam zu alt für so was.
Behende sprang sie neben ihn auf das schräge Dach und krabbelte etwas weiter hoch. Dann legte sie sich auf den Rücken und starrte in die sternenklare Nacht. Donovan legte sich neben sie und ein paar Momente lauschten sie schweigend der feiernden Menschenmenge unter ihnen. Die Ziegel waren noch warm vom Sonnenlicht und die Sterne funkelten auf sie hinunter. Die Victoria Station im Orbit war mit bloßem Auge – wenn auch klein – zu erkennen.
„Und? Ich warte!“
Donovan zögerte. Diese gesamte Situation kam ihm so vertraut vor, dass er immer noch grübelte woher. Und dann fiel es ihm ein. Es erinnerte ihn an seinen ersten und einzigen schönen Abend mit Lydia „Freckles“ Quartero auf der Columbia, die vor Jahren während der Schlacht von Graxxon gefallen war. Er war ihr damals auch an einen abgeschiedenen Ort auf der Columbia gefolgt. Und später, kurz vor ihrem Tode, hatte er sich ihr anvertraut.
„Die letzte Person, der ich meine Geschichte erzählt habe, ist jetzt tot.“
„Hast du sie umgelegt?“, fragte sie schmunzelnd.
„Nein!“ Glaubte sie das etwa wirklich? „Sie ist vor Graxxon gefallen.“
„Oh tut mir Leid. Ihr wart zusammen?“
„Nein, nicht wirklich. Aber ich habe sie gemocht.“
„Und mich magst du nicht?“
„Nein, das… das habe ich nicht gemeint. Ich meine…“, stammelte er verlegen.
Sie lachte. „Erzählst du es mir nun, oder zierst du dich weiter wie ein Waschweib? Ich bin nicht abergläubisch.“
Donovan seufzte. „Du bist echt so stur wie Ace. Na gut…“

Und damit erzählte er ihr seine ganze Geschichte. So wie vorher Jean wie ein Wasserfall geredet hatte, so konnte er nicht aufhören, bis er ihr alles erzählt hatte.
Über den Einsatz mit Lone Wolf, der ihn in die Hände der Piraten getrieben hatte. Über seine Zeit in der Gefangenschaft, über den Black Buccaneer, den berüchtigten Piraten der Hookers Pirates, der in Wahrheit eine Frau gewesen war.
Darüber, dass er sich in sie verliebt, aber sie ihn wie ein Stück Dreck behandelt hatte. Über seine Gewissensbisse, eine Frau geliebt zu haben, die ohne mit der Wimper zu zucken Piloten der TSN getötet hatte. Über die Befreiung durch die TSN, bei der die Black Buccaneer getötet worden war, doch dass man sie nicht im Weltall erwischt hatte.
Darüber, dass deswegen einige Piraten versucht hatten ihre Haut zu retten, indem sie Donovan als den Black Buccaneer bezichtigten und darüber, dass man ihm das aber nicht nachweisen und ihn aus Mangel an Beweisen freisprechen hatte müssen. Über die Schikanen danach, die schwere Körperverletzung die er begangen und die ihn ins Gefängnis gebracht hatte.
Und darüber, wie er sich in den letzten Jahren mühsam den Respekt seiner Kameraden durch harte Arbeit erarbeitet und es sogar zum Interims-XO der Roten Staffel geschafft hatte.

Als er damit fertig war, waren die Geräusche von der Party deutlich abgeklungen und es waren nur noch vereinzelte Partygäste zu hören. Das Zirpen der Grillen war für ein paar Augenblicke das einzige Geräusch, das in der Luft lag, als er endlich geendet hatte.
Es schien so, dass Jean die Worte zu fehlen schienen. Er konnte es ihr nicht verdenken. Und jetzt, da sie seine Geschichte kannte würde sie wohl auch nichts mehr von ihm wissen wollen.
Wahrscheinlich würde sie es ihren Brüdern und ihrem Cousin erzählen und sie würden ihn wieder aus der Family ausschließen.
Doch sie reagierte anders, als er es vermutet hatte. „Jeder verdient eine zweite Chance!“
„Bitte?“
„Das Familienmotto des Davis-Clans. Danke für dein Vertrauen, Donovan. Ich behalte es für mich.“
Donovan wusste nicht genau wieso, aber ihm fiel ein Stein vom Herzen. „Danke.“ Es war seltsam, aber ohne sie zu kennen, glaubte er ihr vertrauen zu können.
Und verwirrt und seelisch verletzt wie sie war, regte sich in ihm das Gefühl ihr helfen und sie wie ein großer Bruder beschützen zu wollen.
„Willst du über Ken reden?“
Schweigen.
„Du musst nicht. Es ist nur ein herber Verlust. Du weißt ja jetzt, dass ich weiß, wie du dich fühlen musst.“
Sie schwieg weiter, doch dann setzte ihr leises Schluchzen ein. Dann erzählte sie ihm unter Tränen, wie es passiert war. Danach sagte sie kein Wort mehr, aber weinte hemmungslos und legte nach einer Weile ihren Kopf an seine Schulter.
Wortlos tröstete er sie und ließ sie weinen, solange bis in der Ferne die ersten Sonnenstrahlen über Seafort aufgingen.
Er war skeptisch gewesen, als ihm Justus diese Aufgabe übertragen hatte, aber jetzt war er froh, dass er sie angenommen hatte.
Wenn er schon Teil des Davis-Clans werden würde, dann würde er auch seinen Beitrag dazu leisten müssen.
Und sich um Ace kleine Schwester zu kümmern schien notwendig zu sein.
Als er sie später nach Hause gebracht hatte und dann in seinem Hotelzimmer lag, grübelte er noch lange darüber, dass er sich freute endlich eine Familie zu haben.
Es würde für eine Zeitlang seine einzige Freude sein. Aber das konnte er in diesem Augenblick nicht wissen.
18.01.2016 07:37 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Ironheart

Hotel Bercestershire, Neu Kapstadt, Seafort
Sterntor-System

Donovan stand vor dem Hoteleingang seiner Mittelklassebleibe in Neu Kapstadt und ließ sich die warme Sommersonne ins Gesicht scheinen. In seinen Shorts, Sandalen, einem Radio- Erinnerungshawaiihemd und seiner Fliegerbrille musste er einen recht schrägen Eindruck machen, aber auf der anderen Seite wimmelte ganz Neu-Kapstadt von solchen Landgängern wie ihm.
Der öffentliche Strand von Neu-Kapstadt war nur einen Steinwurf entfernt und einige leicht bekleidete Bikini-Häschen gingen kichernd an ihm Richtung Strand vorbei. Einen Augenblick spielte er mit dem Gedanken ihnen zu folgen, vor allem da die attraktivste der drei Ladies sich nochmal nach ihm umschaute. Doch er wurde genau in dem Augenblick daran erinnert, warum er hier wartete.
„Augen geradeaus, Soldat!“
Grinsend drehte er sich zur kleinen Davis um, die ihrerseits lächelnd vor ihm stand. Sie trug ein Spaghettiträger-Oberteil, einen luftigen Sommerrock, der knapp über ihre Knie reichte und Flip-Flops. „Na, war was für dich dabei?“
Donovan blickte nochmal zu den drei süßen Hintern hinüber, die Richtung Strand entschwanden. „Die mittlere sieht nicht übel aus.“
„Die ist viel zu jung für dich, Raumjockey. Außerdem hat sie nicht DICH angelacht, sondern nur ÜBER dich gelacht. Um präziser zu sein, über dein Hemd.“
Donovan verzog das Gesicht. „He, Vorsicht, das gute Erbstück hier gehörte einem Freund.“
„Na, wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde, oder?“
Ihre Umgangsform untereinander war in den letzten Tagen zu einem frechen Necken verkommen. Sie hatten seit der Dauntless-Party, die nun einige Tage zurück lag, einiges zusammen unternommen. Die schlechte Laune, die er nach seiner Verwundung und nach dem Verlust des Postens des Interimsstaffelführers gehabt hatte, war so gut wie verschwunden. Jean und er waren im Internationalen Viertel gewesen, hatten eine Tequila-Bar quasi leer getrunken und waren in einem der angesagtesten Schuppen tanzen gewesen. Sie waren am Strand gewesen und Donovan war durchaus aufgefallen, dass seine neue „kleine“ Schwester sich sehr gut in einem Bikini machte. Doch er war zu sehr damit beschäftigt gewesen unliebsame Interessenten von ihr fernzuhalten, als sich darüber mehr Gedanken zu machen.
Sie waren zusammen essen gegangen, waren im Kino gewesen und hatten sich ein lokales Fußballspiel der 1. Seafort League angesehen.
Und es hatte Donovan gefallen, auch wenn er sich schon fragte, ob sie soviel mit ihm unternehmen wollte, weil sie mit ihm zusammen sein wollte oder ob sie nur nicht alleine sein wollte.
Doch jedesmal wenn er in ihre traurigen Augen blickte und jedesmal wenn sich diese mit Tränen füllten, sobald sie von ihrem gefallenen Verlobten sprach, wusste er, dass er nur eine willkommene Schulter zum Ausweinen war und nicht mehr.

„Haha. Nun mal zurück zum Ernst des Lebens, was hast du heute mit mir vor, Little Sister?“
Sie hob einen Korb hoch und drückte ihn ihm in den Arm. Der Korb schien gut gefüllt zu sein und war nicht gerade als leicht zu bezeichnen.
„Heute werden wir einen Ausflug machen und du kommst gefälligst mit. Oder willst du, dass ich alleine in ein Kunstmuseum gehe?“
Donovan verzog das Gesicht. „Kunstmuseum? Au!“
„Magst du keine Kunst? Wir können auch ins Literaturmuseum gehen.“
„Hilfe, Folter!“
„Banause, ein bisschen Bildung wird dir gut tun.“ Damit zerrte sie ihn von der Strandpromenade und ein halbe Stunde später schlenderten sie durch die kühlen Hallen der Neu Kapstadt Museum of Fine Arts.

Donovan wollte es sich nicht eingestehen, aber die Kunst, die hier aufgehängt war, war tatsächlich interessant.
Gaguin, Pollock, Munch, Schmitzer, Jinamoto.
Manche Kunstwerke waren Tausende von Jahren alt, andere deutlich jünger. Und auch das Museum selbst war ein eindrucksvolles Gebäude, vierstöckig und quadratisch mit einem schönen Innenhof.
Doch noch eindrucksvoller als alles das fand er in diesem Moment Jean. Sie stand vor einem riesigen Gemälde von Peter Okatubu, einem zeitgenössischen Künstler der selbst Donovan ein Begriff war. Das riesige drei Meter hohe und sechs Meter breite Gemälde zeigte eine unglaubliche Anzahl von sich überlappenden Kreisen in allen möglichen Farben. Es war eines von diesen Bildern, dessen tieferer Sinn einem Skeptiker wie Donovan nichts sagte, bei denen er sich aber dennoch fragte, wie der Künstler das Bild hatte überhaupt malen können.
Jean war vertieft in ihre Gedanken und sog das Bild förmlich in sich auf. Ihr Blick zeigte ein feuriges Interesse und Donovan beneidete sie um diese Leidenschaft für Kunst.
Jean war so vielseitig interessiert und so begeistert über die verschiedensten Dinge des Lebens, so dass sich Donovan schon fast schämte.
Er konnte sich für nichts faszinieren, hatte keine großartigen Interessen im Leben und es gab nichts, was er für sein Leben gern tat.
Das einzige, was einigermaßen in die Nähe einer solchen Art von Befriedigung kam, war es im Weltraum zu fliegen. Doch auch das hatte er seit geraumer Zeit nicht mehr genießen können, denn wer konnte das schon, wenn jeder Flug der letzte sein konnte.
Und von dieser Art von Einsätzen hatte es in letzter Zeit mehr als genug gegeben.
Mehr als Donovan lieb war.
Es war ein unglaubliches Glück, dass er überhaupt hier war. Ein paar Sekunden hatten den Unterschied zwischen Leben, Gefangenschaft und Tod für ihn ausgemacht.
So viele hatte es erwischt, so wenige waren noch bei ihnen.

Von einem Augenblick auf den anderen änderte sich Donovans Gemütsverfassung. Was machte er hier überhaupt? Er spielte Babysitter für die Schwester eines Freundes, mit dem er vor nicht allzu langer Zeit noch gar nichts zu tun hatte.
Er hatte keine anderen Freunde und das galt weder für Ace, noch Justus, Ian, Kano oder Crusader. Sie alle waren Leute, mit denen er relativ gut zurechtkam, aber Freunde waren sie nicht.
Vielleicht noch nicht, aber trotzdem, Freunde waren sie nicht.
Die einzigen, die hätten so etwas wie Freunde sein können, waren mittlerweile entweder tot oder vermisst.
Er war alleine, er war einsam. Er war der Trostpreis, der treue Hund, der denjenigen nachlief, die ihn nicht fortjagten. Vielleicht war es nicht Jean, die die Schulter zum Ausweinen brauchte.
Vielleicht war er das ja selber.
In diesem Augenblick wurde er von Jean aus seinen Gedanken gerissen. „Was ist los? Alles in Ordnung mit dir?“
Donovan blickte sie an und einen kurzen Augenblick schwoll Wut in ihm hoch. Fast hätte er sie angebrüllt und Dinge gesagt, die er danach schwer bereut hätte. Doch anders als bei Mantis riss er sich diesmal zusammen. „Es… Es geht, es ist alles nur so … intensiv.“
Jean lächelte. „Lass uns was essen!“

Zehn Minuten später saßen sie ihm kleinen Garten im Innenhof des Museums unter einem Baum und picknickten schweigend. Jetzt wusste Noname zumindest, was er den halben Vormittag in der Gegend herumgetragen hatte. Es schmeckte lecker und Donovan hatte ein schlechtes Gewissen, dass er seine Gefühlswelt offensichtlich immer noch nicht wieder im Griff hatte, also schwieg er lieber.
Jean brach die Stille. „Dich bedrücken ein paar Sachen doch mehr als du zugeben willst, oder?“
Donovan blinzelte verwirrt. „Wie meinst du das?“
„Naja, du kommst mir etwas launisch vor, wechselhaft wenn du es so sagen willst.“
Donovan überlegte einen Augenblick bevor er antwortete. „Tja, vielleicht bin ich einfach so? Schon mal daran gedacht?“
Jean lehnte sich zurück und legte sich auf den Rücken, wodurch das eh schon knappe Oberteil etwas verrutschte und ihren wohldefinierten Bauch inklusive eines süßen Bauchnabels zeigte.
„Nein, nein, nein. Ich glaub dir kein Wort. Alles was du brauchst ist ein wenig Entspannung und dass du über deine Sorgen sprichst.“
Donovan legte sich auch auf den Rücken und starrte durch die Blätter und Äste in den blauen Himmel von Seafort, vor allem aber um nicht weiter auf die reizvollen Kurven von Jean zu starren.
„Da magst du vielleicht Recht haben, aber im Moment ist mir nicht danach.“
„Wie du willst.“
Das Schweigen setzte wieder ein und Donovan hing seinen eigenen Gedanken nach. Natürlich hatte Jean Recht, er benahm sich mehr als merkwürdig und hatte seine momentane Gefühlswelt nicht im Griff. Aber andererseits kannte er sie immer noch nicht gut genug um sich ihr komplett zu öffnen. Es dauerte einen Augenblick, bis er merkte, dass Jean neben ihm eingedöst war. Er richtete sich ein bisschen auf und schaute sie von der Seite an, seinen Kopf auf eine Hand aufgestützt.
Er betrachtete sie so eine Weile bis sie dann erschreckt aufwachte, offensichtlich desorientiert. „Wie lange beobachtest du mich schon?“
Donovan zuckte mit den Schultern „Schon eine Weile.“
„Genug geglotzt.“ Sie grinste. „Lass uns ein bisschen Spaß haben!“

***

„Das versteht ihr Marines also unter Spaß!?“
Jean Davis grinste ihn an, rückte ihre Schutzbrille zurecht, legte die Ohrschützer auf und drückte ab. Mehrere Schüsse aus ihrer Waffe prasselten auf die Zielscheibe an der gegenüberliegenden Wand ein.
Als ihr Magazin leer geschossen war, betätigte sie einen Schalter und zischend kam ihr die Zielscheibe entgegen. Die aufgemalte Akarii-Silhouette hatte etliche Treffer in der Kopfzone und ein paar Treffer in der linken Seite der Brust, wo das Herz der Echsen lag. Sie reichte die Silhouette an Donovan weiter, setzte eine neue ein und ließ den Schlitten wieder zurück an die Wand fliegen. Mit einigen flüssigen eleganten Bewegungen ließ sie das Magazin aus der Waffe gleiten, wechselte ein neues Magazin ein und legte die Waffe auf den Schußtresen.
„So, und jetzt du!“
Donovan verzog das Gesicht. „Hast du eine Ahnung, wann ich das letzte Mal eine Projektilwaffe abgefeuert habe?“
„Umso schöner, dass du es mal wieder tust, oder?“
Donovan grummelte ein bisschen, setzte dann aber doch seine Schutzbrille auf, rückte seine Ohrschützer zurecht und legte an. Er feuerte deutlich langsamer als die Marines-Scharfschützin und seine Waffe schlug deutlich stärker aus. Als er leergeschossen war, holte Jean die Zielscheibe heran.
„Tststs, acht Treffer am Körper, ein einziger am Kopf, sechs Schuss komplett daneben. Hoffentlich wirst du nie abgeschossen…“
„Mit einer Laserpistole wäre ich besser…“ maulte Donovan.
„Das wäre aber auch deutlich langweiliger, oder? Komm, probier es nochmal.“
Und so ging es noch eine Weile weiter und in der Tat wurden seine Ergebnisse mit der Zeit besser. Natürlich mussten alle Angehörigen des Fliegercorps in regelmäßigen Abständen ein Schusstraining im bordeigenen Schießstand der Columbia absolvieren. Aber Donovan hatte dabei normalerweise nur mit Laserpistolen trainiert, die den Standard in den Streitkräften des 27ten Jahrhunderts bildeten. Jean gehörte zu den Exoten, die immer noch über antiquierte Projektilwaffen verfügten. Im Gefecht benutzte auch sie natürlich die modernen Laserpistolen, trug aber auch zusätzlich ihre Projektilwaffe mit sich rum, quasi als Talisman.

Als sie ein paar Stunden später die Schießhalle wieder verlassen hatten, musste Donovan der kleinen Davis tatsächlich Recht geben. Das hatte Spaß gemacht und ein bisschen abgelenkt, so dass sie dann nach einem leckeren Abendessen und einem langen Spaziergang schließlich müde und zufrieden auf einer Parkbank in einem kleinen Park an der Strandpromenade unweit ihres Hotels Platz nahmen.
Jean hatte sich bei ihm eingehakt und lehnte mit ihrem Kopf an seinem Oberarm. Und Donovan versuchte seine Gedanken in andere Richtungen zu lenken um nicht daran zu denken, wie angenehm sie roch und wie gut sich ihre Hand auf seinem Unterarm anfühlte.
Sie beobachteten schweigend ein gewaltiges Kreuzfahrtschiff sanft über die Wellen der Neu Kapstadt Bay gleiten, wahrscheinlich mit Kurs auf die Seafort Caribbeans.
Donovan begann zu summen: „Sittin´ on the dock of the bay, watching the ships roll away…“
“Hmmm?”
“Ein antikes Lied, ich weiß gar nicht mehr von wem es stammt. Aber es ist sehr schön und passt ganz gut, oder?“
„Otis Redding!“
„Häh? Wie bitte!?“
„Das Lied stammt von Otis Redding, Mitte zwanzigstes Jahrhundert und ist eines meiner Lieblingslieder. Meine Mutter hat es mir früher immer mal vorgesungen…“
Überrascht blickte Donovan hinunter auf Jean, die gleichzeitig zu ihm aufblickte. Ihr Gesicht war keine zehn Zentimeter von seinem Gesicht entfernt und ganz urplötzlich begann sein Herz wie wild zu pochen. Da war etwas in ihrem Blick, das er nicht genau deuten konnte. War es etwa Interesse?
Oder bildete er sich das nur ein?
Doch ganz bestimmt, er musste es sich einbilden!
Sie war verwirrt und verletzt. Und er war wie ein großer Bruder für sie. Sie vertraute ihm und dieses Vertrauen würde er nicht missbrauchen und mit unbedachtem Handeln aufs Spiel setzen.
„Es… Es war ein schöner Tag, Jean“ stammelte er los. Gott, was war bloß los mit ihm, er benahm sich ja wie ein Teenager.
Jean lächelte keck zu ihm hinauf. „Der Tag ist ja noch nicht zu Ende, vielleicht wird es ja noch schöner!?“
Ein heißkalter Schauer lief ihm über den Rücken und er musste sich zur Vernunft rufen. Das meinte sie nicht so wie es klang… oder?
„NONAME!“
Doch so wie es aussah würde Donovan es wohl nie herausfinden, denn die Horde, die mit einem Mal vor ihnen stand und ihnen die schöne Sicht auf die Neu Kapstadter Bay nahm, war eine bunte Mischung aus Piloten der Angry Angels. Der Pilot, der Donovans Callsign gerufen und damit den Rest der Piloten zum kollektiven Anhalten und Umdrehen bewegt hatte, war Tiburon, einer der Raumjockeys der ehemaligen Gelben Staffel.
Donovan erkannte noch eine weitere buntgemischte Reihe an Piloten der verschiedensten Staffeln, wie Fox, Tulip und Artist. Doch einige anderen kannte er nur vom Gesicht her.
Jean Davis hatte sich abrupt von ihm gelöst, was Donovan schade fand, da es sich schön angefühlt hatte und es versetzte ihm einen Stich, denn sie wollte offensichtlich niemandem zeigen, dass sie ihn mochte.
Doch es war bereits zu spät, Tiburon und die anderen hatten es gesehen.
„Sieh mal an, der alte Pirat hat sich eine Braut geangelt.“ höhnte der großgewachsene Indianer, der seinerseits nicht gerade über einen großen Rückhalt innerhalb der Angry Angels verfügte, aber gerade deswegen jede Gelegenheit wahrnahm über ihn herzuziehen, nur um nicht selbst im Fadenkreuz zu stehen.
„Ist das nicht Ace kleine Schwester…?“ konnte Donovan von jemandem aus der zweiten Reihe murmeln hören. „Die ist doch verlobt?“
Donovan stand auf. „Warum geht ihr nicht einfach weiter und habt noch einen schönen Abend?“
Jetzt konnte er noch Too-Tall und Petal erkennen, die ihn beide ziemlich reserviert ansahen. Und er erkannte auch Shoto, die ihn mit einem wütenden Blick und mit vor ihrer Brust gekreuzten Armen anfunkelte. Er hatte die kleine Asiatin, mit der er ein kleines Techtelmechtel gehabt hatte, seit der letzten Schlacht nicht mehr gesehen und auch nicht mehr vermisst. Sie hatte ihm ein paar Nachrichten hinterlassen, aber er hatte sie weder beantwortet geschweige denn überhaupt geöffnet. Sie waren nicht wirklich zusammen gewesen, also hatte er nicht den Eindruck gehabt, dass er sie sehen musste.
Aber so wie es aussah, sah sie das anders.

Jean Davis sah die Blicke und zählte ziemlich schnell zwei und zwei zusammen. Mit einem leicht amüsierten Gesichtsausdruck wand sie sich an Donovan. „Es sieht so aus, als müsstest du ein paar Dinge klären, oder?“
„Nein, es ist nichts, lass uns einfach…“
„Nein, Donovan, ich denke es ist besser du klärst das, ich geh jetzt es ins Hotel. Das ist wohl einfach besser so.“
„Wir können doch morgen…“
Sie lächelte immer noch, aber sie schüttelte bestimmt den Kopf. „Nein, es ist besser wenn ich ein bisschen Zeit alleine verbringe, bitte! Ich muss ein paar Besorgungen machen und wir treffen uns dann in drei Tagen am Shuttlehafen zum Abflug nach Masters. Sei bitte pünktlich, sonst verpasst du den Transfer und die Davis-Familienfeier.“ Sie schien es ernst zu meinen und später an diesem Abend sollte Donovan dann erfahren, dass sie sogar Hals über Kopf das Hotel gewechselt hatte, nur um ihm nicht mehr über den Weg laufen zu müssen.

Damit drehte sie sich um und ging grußlos und schnellen Schrittes davon und war in wenigen Sekunden in der flanierenden Menge verschwunden, was wiederum von Tiburon von einem höhnischen Gelächter quittiert wurde. „Na, hab ich dir etwa die Tour versaut, Pirat!?“
Ansatzlos drehte sich Donovan auf dem Absatz um und rammte seine Rechte geradewegs in Tiburons Gesicht. Der Schlag riss den Kopf des Piloten zwar herum, doch Donovan hatte ihn nicht voll platzieren können.
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten und eine Reihe von Schlägen prasselte auf ihn ein. Der große Indianer schlug wie ein Berserker um sich und ehe es sich Donovan versah, lag er schon am Boden und spürte, wie ihm das rechte Auge zuschwoll.
Tiburon hätte ihn wohl noch weiter auseinandergenommen, wenn nicht Too-Tall und ein paar andere Piloten eingeschritten wären, um den die beiden Streithähne voneinander zu trennen.
„Herrgott, Donovan! Was ist denn bloß los mit dir? Reiß dich doch mal endlich zusammen.“
Noname schnaufte schwer, während er sich versuchte aus Too-Talls Griff zu lösen. „Was mischt du dich denn ein?“
„Erstens wischt Tiburon sonst den Bürgersteig mit deinem hässlichen Gesicht und zweitens bin ich dein Staffel-XO. Dazu hast DU mich gemacht, schon vergessen?“
Noname beruhigte sich und schaute den übrigen Piloten nach, die zusammen mit dem höhnisch lachenden Tiburon schulterklopfend davon zogen. Shoto blickte ihn noch einmal wütend an und ging dann zusammen mit den anderen, womit Noname erstmal keine Möglichkeit haben würde, sich mit ihr auszusprechen.
Too-Tall, Artist, Tulip und Petal blieben bei ihm.
„Nein, das hab ich ganz bestimmt nicht vergessen.“ knurrte Noname. „Was willst Du? Dass ich jetzt etwa vor dir salutiere?“
Too-Tall schüttelte nur den Kopf und ging nicht auf Nonames sarkastischen Tonfall ein. „Nein, ich will nur wissen, warum?“
„Warum? Mantis wird euch schon ihre Version der Geschichte aufgetischt haben.“
„Ja, wir wollen aber deine Version hören! Am Ende hängt unser aller Arsch voneinander ab. Und jetzt da Skunk, Kali und Ace nicht mehr bei uns sind, will ich wissen, wie du es dir vorstellst dass es weiter gehen soll. Die kleine Petal hier scheißt sich bei dem Gedanken dein Wingleader zu sein in ihre knackige kleine Hose…“
„Hey!“ kam der prompte Protest von der kleinen Asiatin, doch Too-Tall fuhr unbeirrt weiter.
„Wenn sich jetzt auch noch die beiden erfahrensten Piloten unserer Rumpfstaffel einen privaten Kleinkrieg führen, dann Gnade uns Buddha!“
„Buddha?“
„Hab im Namen von Petal gesprochen.“
„Haha, sehr witzig!“ kam es wieder von der Asiatin.
Noname musste jetzt auch lachen und die Anspannung fiel merklich von allen ab. „Na gut, laßt uns was trinken gehen und ich erzähle euch meinen Teil der Geschichte.“ Und damit machten sie sich auf den Weg in die nächste Bar, bei dem sich Donovan dabei ertappte, sich nach Jean umzudrehen, in der Hoffnung, sie hätte ihre Meinung doch nochmal geändert.
18.01.2016 07:37 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Tyr

Internationales Viertel Neu Kapstadt, Seafort

Dieser Bereich des Internationalen Viertels bildete de facto einen eigenen Stadtbezirk, und stand in der Größe und Einwohnerzahl einer kleinen Großstadt in Nichts nach. Der Bezirk hatte viele Namen, die man größtenteils auf keiner Karte finden konnte. „Neu Babylon“ „Sektor Grau“ oder „Sektor Rot“. Hier fanden die Matrosen, Marineinfanteristen und Werftleute der Victoria Station und der Livingston Naval Air Station nicht nur einen der größten Rotlichtbezirke der ganzen Republik, der keine sexuelle Orientierung unbefriedigt ließ (wahrscheinlich übertriebenen Gerüchten nach nicht einmal die, die sich auf Tiere, Leichen oder Aliens richteten), sondern auch eine komplexe Schattenwirtschaft, die auch jeden möglichen und unmöglichen, jeden legalen oder illegalen Wunsch erfüllen konnte, der materiellerer Art war.

Der Sektor war nicht als Ergebnis eines Militärbefehls, einer städtischen Anordnung, oder gar als Teil eines architektonischen Gesamtkonzepts entstanden. Dennoch vertraten einige Soziologen die Ansicht, dass die TSN dieses Viertel hätten schaffen müssen, wenn es nicht von selber entstanden wäre – ganz einfach, weil derartig gigantische, rund um die Uhr arbeitende Einheiten und Durchgangspunkte wie die Victoria Station und die Livingston Naval Air Station, eine so immense Ansammlung an Schiffen, Menschen, Gütern und Geld, die zum größten Teil unter den rigiden Richtlinien der terranischen Streitkräfte leben und arbeiten mussten, irgendein Ventil, eine Art anarchisches Korrektivelement brauchten, um überhaupt funktionieren zu können.

Die militärische Führung der Livingston Naval Air Station und die Zivilverwaltung von Neu Kapstadt hatten diese Analysen allerdings nur sehr langsam zu akzeptieren gelernt. Mehrmals im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte hatte es Versuche gegeben, den Sektor zu „säubern“, oder ganz zu räumen. Dabei waren wiederholt tausende Polizisten und einmal auch Kontingente des Marinekorps zum Einsatz gekommen. Ein bleibendes Relikt dieser Kontroll- und Steuerungsversuche war die acht Meter hohe „chinesische Mauer“ aus Stahlbeton, die das Viertel teilweise einschloss, inzwischen aber an vielen Stellen überbaut, untertunnelt oder durchbrochen worden war, und inzwischen mehr ein Symbol oder eine Sehenswürdigkeit darstellte, als eine echte Umgrenzung.

All diese Versuche, Recht und Gesetz durchzusetzen, und ihre Einhaltung mit Polizisten, Kontrollposten und Sperrstunden zu erzwingen, waren letztendlich gescheitert. Bestenfalls hatten sie kurzfristige Erfolge erzielt.
Langfristig aber hatten sowohl Militär als auch Verwaltung lernen müssen, dass der Sektor längst zu einem untrennbaren Teil von Neu Kapstadt geworden war.
Im Lauf der letzten zwanzig Jahre hatten sich deshalb ein ungeschriebenes aber umfangreiches Regelsystem und ein stillschweigendes Gentleman-Agreement entwickelt, das dafür sorgte, dass weder der Dienstbetrieb noch das „normale“ Funktionieren der Millionenstadt nachhaltig gestört wurden.

Neu Babylon nahm all die gescheiterten, missliebigen Elemente von Kapstadt auf, verschluckte sie, und ließ sie damit bequemerweise aus dem Bewusstsein der meisten „anständigen“ Bürger verschwinden. Eine starke Polizeipräsenz an den Sektorengrenzen und die Reste der Mauer trugen dazu bei, dass sie auch dort blieben.
Dafür hatten die MP und die Polizei es aufgegeben, in den Grenzen von Sektor Rot für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Ihre Präsenz beschränkte sich auf eine Handvoll Stationen, seltene Patrouillen und Überwachungsdrohnen.
Die Halbwelt- und Unterweltsgrößen, die das Viertel kontrollierten, achteten darauf, dass die meisten ihrer Strichjungen und Nutten einigermaßen gesund, und der Großteil der verkauften Drogen, die selbst die relativ liberalen Bestimmungen überstiegen, die im Seafort-System galten, nicht zu stark verschnitten waren. Tote oder kranke Soldaten waren schlecht fürs Geschäft, erregten die Aufmerksamkeit der MP und Polizei, und konnten zu ebenso brutalen wie gründlichen Vergeltungsmaßnahmen führen.
Selbst wenn es den verantwortlichen Kriminellen und Unterweltgrößen in einem solchen Fall gelingen sollte, sich der Verfolgung zu entziehen, fielen sie höchstwahrscheinlich ihren „Kollegen“ zum Opfer, deren Geschäfte durch die Razzien und Ermittlungen empfindlich gestört worden waren.
Aus dem gleichen Grund konnten sich Mitglieder der TSN halbwegs sicher vor Überfällen fühlen, während Deserteure, die glaubten, in dem verwirrenden Labyrinth des Sektors untertauchen zu können, meist sehr schnell und diskret an die MP weitergereicht wurden.
Natürlich funktionierte das System nicht fehlerfrei. Mitglieder der TSN wurden bestohlen, betrogen, und manchmal ausgeraubt.
Immer mal wieder wurde ein Matrose oder eine Dockarbeiterin überfallen, fand man einen säumigen Schuldner, schlechten Verlierer oder „Störenfried“ mit gebrochenen Knochen oder zerschnittenem Gesicht. Manchmal, wenn auch selten, gab es auch Tote unter den TSN-Mitgliedern, die Neu Babylon besuchten, und nicht immer konnten die Täter ermittelt werden.
Waren die Opfer hingegen Einwohner des Viertels, und der Täter ein Mitglied der TSN, so konnte er davon ausgehen, wahrscheinlich unbehelligt zu bleiben. Solange er sich nicht durch seine Tat die Feindschaft der Unterwelt zugezogen hatte. Die MP und die Polizei von Neu Kapstadt sah die Bewohner des Sektors als bestenfalls zweitrangig an. Sie zahlten selten Steuern und die meisten wählten nicht, selbst wen sie es gekonnt hätten. Und nur wenige von ihnen waren bereit oder willens, sich an die Behörden zu wenden.
Letztendlich akzeptierte die TSN den Status Quo, und sie akzeptierten die Existenz von Neu Babylon. Immerhin blieben die „echten“ Zivilisten so weitestgehend von den Eskapaden und Belästigungen durch die betrunkenen, streitsüchtigen und aufgeputschten Matrosen, Marines und Werftarbeiter verschont.

***

Kano wich den beiden Marineinfanteristen aus, die sich bei zwei jungen Frauen eingehängt hätten, bei denen es sich wahrscheinlich um Prostituierte oder zumindest ‚Halbprofessionelle’ handelte. Die vier blockierten den gesamten Bürgersteig, und nach Kanos Erfahrung war es nicht ratsam, einen betrunkenen Marine darum zu bitten, Platz zu machen.
Er unterdrückte den Wunsch, auszuspucken. Neu Babylon stank zum Himmel. Und das nicht nur in einem moralisch wertenden Sinn. In dem ganzen Viertel roch es nach Abfällen, nach verrotteter Bausubstanz, nach ungewaschenen Menschen und nach einer veralteten Kanalisation. Zum letzten Mal hatte er solche Gerüche eingeatmet, als die Angry Angels ein Kriegsgefangenlager befreit hatten – und da hatte es nicht so sehr gestunken wie hier.
Aber er war natürlich nicht wegen der Luft hierher gekommen. Allerdings auch nicht wegen den Bordellen, den Strippclubs, den Massageschuppen, Schnapsbuden und Spielhöllen, oder den Dealern, die mehr oder weniger offen an jeder zweiten Häuserecke ihren Geschäften nachgingen.
Er machte sich nichts aus den Vergnügen, die hier angeboten wurden. Ob man das Feigheit, Verklemmtheit oder moralische Integrität nannte, war eigentlich nicht so wichtig.
Nein, er hatte ein ganz bestimmtes Ziel. Und dort wurde etwas ganz anderes geboten als das, weswegen die meisten Soldaten hierher kamen.
Den Tipp, der ihn in den Grauen Sektor geführt hatte, hatte er ausgerechnet in einem Juwelierladen bekommen, der in einer wesentlich…zivilisierteren Gegend des Internationalen Viertels stand. Dem Juwelier war Kanos beiläufiges Interesse an den Zierwaffen aufgefallen, die er anbot. Da er an dem jungen Piloten eine ordentliche Summe verdient hatte, war der Mann mit Kano ins Gespräch gekommen. Und als er von Kanos…speziellen Wünschen gehört hatte, hatte er ihm gegen einen kleinen Aufschlag eine Adresse im Grauen Sektor genannt.
Kano versuchte sich an die Wegbeschreibung zu erinnern, sah auf die elektronische Karte, die ihm eigentlich den Weg weisen sollte, und verzog abfällig den Mund. Die Karte war veraltet und ungenau, und die Straßenbeschriftung und –numerierung im Grauen Sektor bestenfalls verwirrend zu nennen. Aber es konnte nicht mehr weit sein.
Kurz fragte er sich, ob er vielleicht seine Pistole hätte mitnehmen sollen.
Einige der…’Einwohner’ wirkten schon recht…farbig, und nicht wenige der Soldaten und Matrosen schienen auf Ärger aus. Der Sektor hatte einen gewissen Ruf, auch wenn einige Geschichten vermutlich eher ein Produkt überbordender Phantasie als handfester Kenntnisse war. Kano glaubte weder die Geschichten von dem Kannibalenrestaurant, noch von den Organdieben, die die Stundenhotels unsicher machen sollten.
Nötigenfalls wusste er sich auch so seiner Haut zu wehren. Er suchte keinen Streit, und würde deshalb auch keine Waffe brauchen.

Kano verließ er die breite Hauptstraße, der er die letzten fünf Minuten gefolgt war, bog nach rechts ein, wandte sich noch einmal nach Rechts, dann wieder nach Links…
Dann hatte er sein Ziel erreicht.
Ursprünglich war der Platz vielleicht eine Parkfläche gewesen. Vielleicht auch eine kleine Grünanlage oder gar ein Spielplatz. Aber inzwischen diente die freie Fläche einem anderen Zweck. Die mehr oder weniger provisorisch wirkenden Stände und Buden standen so dicht zusammen, dass an manchen Stellen zwei Menschen Mühe haben mussten, aneinander vorbei zu gehen. Der allgegenwärtige Gestank hatte hier eine andere Note, schmeckte irgendwie…schärfer, exotischer. Der Tipp war richtig gewesen. Das war einer der Alienmärkte. Obwohl die Besucher und Händler fast alle Menschen waren, die angebotenen Waren kamen ausnahmslos von Alienplaneten und aus Produktionsanlagen, die nicht von Menschen betrieben wurden. Oder jedenfalls behaupteten die Verkäufer das.

Seit die Menschheit zum ersten Mal auf nichtmenschliche, vernunftbegabte Wesen gestoßen war, hatte sie auch versucht, mit diesen Fremdlingen zu handeln. Außerirdische Waren und Rohstoffe waren nicht selten ein gutes Geschäft. Und für manche Gewürze, Luxusgüter und Nahrungsmittel aus nichtmenschlicher Produktion wurden Höchstpreise gezahlt.
Vor allem, seitdem der Krieg mit den Akarii viele Handelsrouten abgeschnitten, aber im Ausgleich neue Bezugsquellen, neue Märkte und auch neue…Interessen geschaffen hatte.
Kano musterte eine Batterie schwerer Glasbehälter, in denen konservierte Akarii-Köpfe schwammen. Noch etwas, womit vor dem Krieg bestimmt NICHT gehandelt worden war. Kano kannte mindestens einen Piloten der sich für ein solches Souvenir interessiert hätte. Vielleicht sollte er Lilja einen Tipp geben. So ein Stück fehlte ihr wahrscheinlich noch in ihrer ‚Sammlung’.
Er selber machte sich allerdings nichts aus konservierten Köpfen, obwohl diese Zuschaustellung der Überreste getöteter Feinde ihn andererseits auch nicht besonders abstieß. Allerdings war er auch nicht wegen dem Tabak oder der Schokolade aus Akarii-Produktion gekommen. ‚Ich frage mich, wie sie das Zeug nennen.’
Nein, er hatte etwas kostspieligere Interessen.

Aber er konnte es sich leisten. Seine Familie war nicht darauf angewiesen, von ihm finanziell unterstützt zu werden. Er hatte sonst keine exotischen oder kostspieligen Laster, kam im Gegensatz zu vielen seiner Kameraden problemlos mit dem Essen, den Luxus- und Gebrauchsgütern aus, die in der Kantine, von den Versorgungsoffizieren oder im PX-Shop angeboten wurden. An ihm hatte der Schwarzmarkt der REDEMPTION oder der COLUMBIA nie viel verdienen können. Selbst auf Freigang waren ein gutes Essen und kleinere Geschenke für Kali, seine Schwester und seine Eltern das Teuerste gewesen, was er sich geleistet hatte. Außerdem hatte Kano in den letzten Jahren selten einmal mehr als ein oder bestenfalls zwei Wochen Urlaub an einem Stück gehabt.
Dementsprechend hatte sich auf seinem Konto ziemlich viel Geld angesammelt. Er konnte sich etwas leisten.

Ein mattes Glitzern weckte seine Aufmerksamkeit. Da, das hatte er gesucht.
Der Stand bot Alienwaffen an. Keine Laser oder Plasmawerfer, das wäre sogar in Neu Babylon nichts für einen offenen Marktstand gewesen.
Nein, hier wurden blanke Klingen angeboten. Waffen, die in den Kriegen der Gegenwart ihre Bedeutung verloren hatten, die aber – nach Kanos Meinung – die Seele der Männer und Frauen verkörperten, die sie getragen hatten. Die die Geschichte der Völker am Leben hielten, die sie geschaffen, und ihre Führung mit Sagen, Mythen und Bräuchen umgeben hatten. Viel stärker, als eine Kanone, eine Laserpistole, eine Feuerwaffe es konnte.
Er sah die nach vorne gebogenen Hiebmesser der T’rr, ein Dutzend Akarii-Seitengewehre, und vier Sirash-Nahkampfschwerter, aus denen die kürzeren Infanteriebajonette entwickelt worden waren. Dann war da noch zwei Norik-Schwertlanzen, ein Yabun-Bogen, sogar eine zweiklingige De-Norika-Stabwaffe. Und dazu kamen Keulen, Stoßdolche, Nahkampfäxte, Kampfsicheln…Waffen, deren Hersteller und Name ihm völlig unbekannt waren.
Und dann sah er das, weswegen er eigentlich hergekommen war. Ein Drehh. Der Inbegriff des Akarii-Kriegeradels. Die mehr als vier Fuß lange, leicht gebogene Klingenwaffe mit dem kostbar ziselierten Griff steckte in einer aufwendig verzierten Scheide, deren Leder fast völlig unter den Metallbeschlägen verschwand. Ein prachtvolles Stück. ‚Hmm…vielleicht ein klein wenig zu prachtvoll.’
Kano hörte nur mit halbem Ohr dem Wortschwall zu, mit dem ihn der hagere, dunkelhäutige Verkäufer überschüttete, und die Vorzüge der Waffe anpries. Langsam drehte der das Drehh, zog die Klinge vorsichtig eine Handbreit aus der Scheide, begutachtete die Wellenzeichnung der Schneide. Ein Laie mochte ein Drehh vielleicht mit einem japanischen Katana oder Tashi verwechseln, aber Kano erkannte die Unterschiede sofort. Die Akariiwaffe war länger, als ihre japanischen Pendants, außerdem hatte sie eine deutlicher ausgeprägte Spitze und statt eines Stichblatts einen Griffkorb. Nein, das war zumindest keine ‚umgewidmete’ japanische Waffe.
Er blickte auf: „Und wie viel, sagen Sie, soll die Klinge kosten?“
Die Summe war hoch genug, um Kano endgültig aus seinen Gedanken und Vermutungen zu reißen. Sie war auch hoch genug, um auch das Interesse anderer Besucher zu wecken, die sich für die Exotica interessierten, die an diesem und den benachbarten Ständen angeboten wurden. Kein Wunder, dass noch niemand das Drehh hatte kaufen wollen. Oder vielmehr können. Die meisten der Männer und Frauen, die sich um den Waffenstand drängten, waren Mitglieder der Armee oder der Marineinfanterie, die zwar schauten, aber selten kauften. Die anderen…diejenigen, die an den Klingen aus eher…ästhetischen Gründen interessiert waren, bevorzugten vor allem etwas handlichere Exponate. Auch wenn man Waffen sammelte, ein Drehh passte nicht in jede Sammlung und nahm ziemlich viel Platz weg.

Kano überschlug, wie viel harte Währung er bei sich trug. Es würde reichen, wenn auch nur knapp – im Grauen Sektor bezahlte man in der Regel bar. E-Geld war nicht allzu beliebt, musste nicht selten in ‚echte Währung’ umgetauscht werden, oder wurde nur mit einem Preisaufschlag akzeptiert.
Er konnte sich das leisten. Allerdings…
„Ein echtes Drehh? Eine richtige Kampfwaffe?“
Der Händler nickte heftig:„Aber natürlich! Glauben Sie etwa, ich verkaufe irgendwelchen Zierdreck?! Das ist ein Kriegsschwert. Das hat Blut geschmeckt.“
„Und Sie sind sich da absolut sicher?“
„Wollen Sie mich beleidigen? Natürlich! Also was ist – wollen Sie es nun kaufen, oder nur daran rummäkeln?“
Wenn der Waffenhändler das zynische Lächeln bemerkt hätte, das für einen Augenblick um Kanos Lippen spielte, wäre er vielleicht etwas vorsichtiger gewesen.
Langsam zog der Pilot die Waffe ganz aus der Klinge, hob sie bis auf Kopfhöhe, umfasste prüfend den langen griff mit beiden Händen. In seiner Stimme schwang auf einmal ein fast lauernder Ton mit: „Wenn Sie sich so sicher sind…Dann haben Sie doch sicherlich nichts dagegen, wenn ich eine Probe aufs Exempel mache.“
Der Händler schluckte. Auf einmal leuchte in den Augen dieses Piloten etwas, was ihm ganz und gar nicht gefallen wollte: „Hören Sie mal, Lieutenant…“
Der schwache Einwand kam zu spät. Die schlanke Klinge zuckte herab – und traf mit einem dumpfen Knirschen auf eine der massiven Hartplaststangen, auf denen die Verkaufsfläche ruhte.
Irgendjemand der Zuschauer schnappte nach Luft, während der Händler halb hinter seiner Auslage untergetaucht war: „Sind Sie verrückt geworden?! Sie…SIE HABEN ES KAPUTT GEMACHT!!“
Tatsächlich, die schmale Klinge war verbogen, und dort wo die Waffe auf die Stange geprallt war, prangte eine hässliche Delle: „Das werden Sie bezahlen!“
Kano warf das Schwert mit einer verächtlichen Bewegung auf den Tisch: „Ein echtes Akarii-Kampfschwert? Wem wollen Sie das den weismachen? Wenn das ein echtes Drehh gewesen wäre, es hätte diese Stange zerschnitten wie Papier. Oder glauben Sie etwa, die Akarii würden mit SOLCHEM Abfall in die Schlacht ziehen? Es gibt Küchenmesser, die besser geschmiedet sind. Und dafür verlangen Sie ein paar tausend Credits? Finden Sie das korrekt? Ist das die Art und Weise, wie Sie ihre Geschäfte führen? Vielleicht sollte man sich auch mal Ihre anderen Waren ansehen.“
Die Stimmung der Zuschauer schlug um. Die beiden ‚Ordner’, die wachsam näher gekommen waren, spürten es ebenfalls, und verhielten sich erst einmal passiv.
Eine dunkelhäutige Armeesoldatin spuckte aus: „Vielleicht hat der Weltraumjockey Recht. Du wirst uns doch nicht irgendwelchen Mist andrehen wollen, der in irgendeinem Hinterhof zusammengestückelt wurde?“ Die Art und Weise, wie sie mit dem schweren T’rr-Hiebdolch hantierte, der ihr Interesse geweckt hatte, war alles andere als beruhigend.
Irgendwo lachte jemand hämisch, während einige Soldaten erwartungsvoll nach Vorne drängelten. Der Verkäufer, der sich auf einmal im Zentrum feindseliger Blicke und abfälliger Bemerkungen sah, konnte seine Felle davonschwimmen sehen.
Wer in den Grauen Sektor kam, der musste mit der Möglichkeit rechnen, für untaugliche Ware gutes Geld auszugeben. Aber das hieß noch lange nicht, dass er das so einfach hinnahm. Und die Marineinfanteristen, Soldaten und Dockarbeiter wussten außerdem, dass es meist sinnlos war, Ware reklamieren zu wollen, oder sich gar an die Polizei zu wenden. Deshalb war die Versuchung groß, die Gerechtigkeit in die eigenen Hände zu nehmen. Außerdem waren einige der Freigänger sowieso für jeden Krawall zu haben.
„Los, probier noch eine Waffe, Schlitzauge!“ Gelächter wurde laut.
„Schiebt dem Betrüger seine eigene Ware in den Arsch!“
Bisher machte noch keiner Anstalten, diesen Worten Taten folgen zu lassen, aber das konnte sich jeden Augenblick ändern. Als einer der ‚Ordner’ einschreiten wollte, fand er sich plötzlich eingekeilt zwischen ein paar rauflustigen Dockarbeitern.
Irgendeine leise Stimme in Kanos Kopf versuchte ihm klar zu machen, dass das, was er hier loszutreten im Begriff war, kompletter Wahnsinn war. Aber irgendwie war es einfacher, weiterzumachen.
„Haben Sie noch ein Drehh?! Aber ein echtes diesmal!“
„Was…“
„Her damit, oder die zerlegen Ihnen ihren Stand!“ Kanos Stimme duldete keinen Widerspruch. Vielleicht aber hatte der Verkäufer auch einfach begriffen, dass es schon nicht mehr schlimmer kommen konnte, und er ziemlich alleine dastand.
Mit zitternden Händen kramte er in einer der Kisten, die sich an der Rückwand seines Standes stapelten. Fluchte, als er sich die Finger quetschte. Dann hielt er eine weitere Klinge in der Hand, die er Kano beinahe zuwarf. Die eigentlich eher dunkle Stimme des Händlers klang schrill: „He! Ich bin auch beschissen worden! Da hat mir einer Schrot angedreht! Ich bring diesen Hund um! Wisst ihr eigentlich, wie viel ich für dieses dämliche Stück Weicheisen bezahlt habe! Hier! Das ist echt! Ich schwöre es!“

Das zweite Dreh unterschied sich deutlich von dem ‚Weicheisen’, das inzwischen unbeachtet auf dem Boden gelandet war. Die Waffe war für eine Akarii-Waffe relativ kurz, sicher keine einhundertzwanzig Zentimeter lang. Die einfach gearbeitete Lederscheide war nur sehr sparsam beschlagen, und die Metallverzierungen verzichteten auf figürliche Darstellungen, sondern bestanden aus seltsam verschlungenen, fließenden Ornamenten. Allerdings hatte der Hersteller dafür dem Griffkorb und dem Knauf der Waffe mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Die kunstvoll gebogenen, dünnen Metallstangen, die den Griffschutz bildeten, liefen in flachen Schlangenköpfen aus, und waren über ihre ganze Länge mit einer feinen Schuppengravur verziert. Auch der Knauf war wie ein Tierkopf gestaltet worden, erinnerte Kano allerdings mit den gebogenen Zähnen, den filigranen Hörnern und Knochenwülsten eher an einen asiatischen Drachen. Die damaszenierte Schneide hingegen war völlig schmucklos. Aber Kano sah das als ein Indiz für die Echtheit der Klinge an. Diese Waffe war tatsächlich für den Kampf bestimmt. Sie war perfekt…
Nachdem er hier für einen solchen Aufstand inszeniert hatte, war es nur gerecht, wenn er den Leuten für ihre Aufmerksamkeit auch etwas bot. Kano zog die Klinge vollständig aus der Scheide, und tatsächlich, die Soldaten in seiner unmittelbaren Umgebung machten mit einem erwartungsvollen Murmeln etwas Platz. Der Verkäufer duckte sich wieder in die zweifelhafte Sicherheit des Standes. Zweifellos fragte er sich, was der verrückte Japaner jetzt vorhatte.

Kano versuchte den Lärm und die Stimmen, die ihn umgaben, aus seinem Bewusstsein zurückzudrängen, und sich an die Übungen zu erinnern, die man ihm beigebracht hatte.
Die Waffe war etwas länger als die Schwerter, die er gewöhnt war, aber schon nach einem kurzem probierenden Abwiegen der Klinge, und einer langsam in die Luft gezeichneten Acht glaubte er, den Schwerpunkt erkannt zu haben.
Es ging erstaunlich leicht. Nach einem kurzen Zögern und einigen kleinen Fehlern am Anfang fand er schnell die notwendige Sicherheit, die ihn durch die Übungen leitete. Keine ausholenden, beidhändigen Hiebe, sondern stattdessen kurze Stiche, Schnitte, Block- und Pariermanöver, nah am Körper ausgeführt. Diese Übungen waren für den Nahkampf bestimmt.
Irgendjemand pfiff anerkennend, ein paar Zuschauer applaudierten gutgelaunt. Kano achtete nicht darauf. Jetzt brachte er auch die linke Hand an den Schwertgriff, blockte einen imaginären Schwert- oder Naginata-Hieb ab, drehte die Klinge, verlagerte den Griff – und trennte mit einem wuchtigen Hieb das vorstehende Teil der mehr als daumendicken Hartplaststange ab, an der das andere Drehh so kläglich gescheitert war.
Das brachte ihm einen donnernden Applaus und ein paar anfeuernde Rufe ein. Kano lächelte kurz und verneigte sich leicht, während er die Klinge wieder in die Scheide gleiten ließ. Mit dieser Vorstellung hätte er zwar bei einem Wettbewerb kaum einen Preis verdient, aber er war dennoch zufrieden. Die Soldaten und Werftarbeiter waren allerdings auch keine besonders anspruchsvolles Publikum.
Vor allem aber…ihm gefiel diese Klinge. Sein Entschluss wurde noch bestärkt, als er noch einmal die Klinge des Drehh in Augenschein nahm. Er konnte weder Delle noch Kratzer erkennen. Ob es sich auch bei diesem Schwert um eine Fälschung handelte, konnte er nicht mit absoluter Sicherheit sagen. Aber wenn es eine war, dann eine so gute, dass es eigentlich keine Rolle mehr spielte.
„Also gut. Ich nehme diese Waffe.“
„Häh?“
„Sie wollten mir ein Drehh verkaufen. Ich will eins kaufen. Ihr Preis war ziemlich stattlich. Sie haben doch sicherlich nichts dagegen, wenn ich mich für diese Waffe – für denselben Preis - entscheide? Sie machen ein gutes Geschäft. Immerhin ist dieses Drehh längst nicht so wertvoll verziert, wie diese…Fälschung, die man Ihnen untergeschoben hat. Die können Sie schließlich nicht mehr verkaufen.“
Der Verkäufer holte tief Luft…sah sich um…und verschluckte das, was ihm auf der Zunge lag.
Mit ziemlich säuerlicher Miene sah er zu, wie Kano den vorher genannten Preis auf den Tisch blätterte, begleitet von den launigen Bemerkungen einiger Soldaten, die die Veranstaltung für noch nicht geschlossen hielten. Die meisten der anderen wandten sich allerdings wieder ihren eigenen Angelegenheiten zu.
Was auch Kano und der Verkäufer bemerkten.
„Hören Sie Lieutenant, wenn Sie sich für Akarii-Waffen interessieren, dann könnte ich Ihnen auch noch…“
„Vielleicht ein anderes Mal. Ich habe keine hundert Credits mehr in der Tasche.“ Das stimmte zwar nicht, aber Kano hatte seine Gründe, keine Zeit mehr zu vertrödeln. Vielleicht war er etwas übervorsichtig, aber dennoch…
Nachdem der Adrenalinschub erst einmal abgeklungen war, kam endlich wieder sein Verstand zu Wort. Und der riet ihm, sich hier nicht mehr zu lange aufzuhalten. Ohne auf die Worte des Verkäufers zu achten, duckte er sich durch die schmale Lücke zwischen zwei Ständen, wiederholte das Manöver, und tauchte in eine der Seitengassen unter.

Hätte er allerdings bemerkt, dass einer der ‚Marktordner’ ihm in einiger Entfernung folgte, während der Verkäufer wütend sein Handgelenkkom aktivierte, dann hätte er sich vielleicht noch etwas mehr beeilt.
18.01.2016 07:38 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


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Tyr

Irgendjemand hatte Kano mal zu einem wirklichkeitsfernen Phantasten erklärt. Und auch er selber musste zugeben, dass einige seiner Ansichten etwas gewöhnungsbedürftig waren. Seine Einstellung zu Pflicht, Ehre, Tod und Krieg waren sicherlich nicht gerade als Allgemeingut zu bezeichnen.
Aber was man auch immer von ihm halten mochte, im Augenblick beschäftigte sich Kanos mit einigen durchaus rationalen Erwägungen, die keinen Platz für Illusionen ließen.
Erstens – er hatte sich verirrt.
Und Zweitens – er wurde verfolgt.

Woher er das so genau wusste, konnte er allerdings nicht so genau sagen. Es war mehr…ein Gefühl, eine Ahnung. Ein oder zwei flüchtige Bewegungen am Rande des Blickwinkels, das Geräusch zielstrebiger Schritte hinter ihm. Aber deshalb war die Gefahr nicht weniger real. Er hatte gelernt, auf seine Ahnung und seine Instinkte zu achten. Nur deshalb hatte er gut vier Jahre Krieg überstanden, hatte neununddreißig Feindmaschinen abschießen und ein Dutzend Jäger verschleißen können, ohne dabei draufzugehen. Eine ganze Reihe guter – vielleicht sogar besserer – Piloten hatte nicht so viel Glück gehabt.
Wie auch immer – die Ahnung, die ihn im Raumkampf in eine bestimmte Richtung einkurven ließ, die ihm manchmal sagte, wie der Gegner auf ein Flugmanöver reagieren würde…sie sagte ihm jetzt, dass er gejagt wurde.

Inzwischen war längst die Nacht hereingebrochen, und hatte Neu Babylon in ein ungewisses Zwielicht getaucht. Das Licht der Sterne und des gelblich schimmernden Mondes hatte es schwer, zwischen den eng stehenden Häuserblöcken den Boden zu erreichen.
Zumindest in diesem Teil des Vergnügungsviertels hatte die Straßenbeleuchtung längst den Geist aufgegeben, oder war gezielt ausgeschaltet worden. Falls es sie jemals gegeben hatte.
In einer Hinsicht hatten Kano seine Ahnungen jedenfalls getäuscht. Er hatte gehofft, seinen Verfolgern zu entkommen, indem er ein paar Haken schlug. Aber wie es aussah, war er der Einzige, der dadurch verwirrt wurde. ‚Dumm. Sie kennen das Viertel. Du nicht.‘ Selbst wenn sein Handkom eine sichere Verbindung hätte etablieren können, er hätte nicht einmal genau gewusst, wo er war. Und nach dem Weg zu fragen erschien ihm auch nicht ratsam. Selbst wenn man die Tatsache beiseite ließ, dass er wahrscheinlich verfolgt wurde…es gab keine bessere Möglichkeit, sich als Beute zu outen. Die wenigen Passanten, denen er in der letzten Viertelstunde begegnet war, wirkten nicht gerade Vertrauen erweckend.
Mit seinem nutzlosen Umweg hatte er sich gefährlich weit von den belebten Straßen entfernt. Hier war der Lärm der Menschenmengen, die Musik der Bars und anderen Vergnügungstempel nur noch ein fernes Hintergrundrauschen. Hier gab es keine Zeugen. Und niemanden, den er um Hilfe bitten konnte.
‚Das war mein zweiter Fehler heute.’
Der erste war es natürlich gewesen, bei dem Waffenhändler diesen dämlichen Stunt abzuziehen.

Das unheimliche geisterhafte Echo, das seine Schritte begleitete, beschleunigte sich. Und wie es sich anhörte, war mehr als ein Mensch, der ihm da folgte.
Automatisch beschleunigte auch Kano, bog in eine weitere der zahllosen, vermüllten Seitengassen ein…
Eine schattenhafte Bewegung war die einzige Warnung. Der japanische Pilot duckte sich, wich zur Seite aus, und riss den linken Arm reflexartig zu einem Block nach Oben. So streifte der Totschläger nur seinen Unterarm, statt ihn mitten ins Gesicht zu treffen. Trotzdem reichte der Treffer, um in dem Arm eine Schmerzexplosion zu zünden, die Kano unterdrückt nach Luft schnappen ließ.
Er verschwendete weder Zeit noch Atem an eine Frage oder einen Hilferuf. Stattdessen wandte er sich um, um Fersengeld zu geben.
Der weiße Lichtkegel einer Taschenlampe traf ihn mitten ins Gesicht. Das blendende Licht stoppte ihn genauso jäh, wie die harte Stimme: „STOPP! Einen Schritt, und ich knall dich ab, du Arschloch!“
‚Verdammt.’ Der Pilot kniff die Augen zusammen, drehte sich langsam um die eigene Achse, während er automatisch das Schwert, das er bisher in der Rechten getragen hatte, in die halb gelähmte Linke wechselte.

Es sah gar nicht gut aus.
Er waren zwei Männer. Beide waren größer, breiter und wohl auch kräftiger als er. Beide trugen ein ziemlich irregulär wirkendes Mischmasch aus Armee-, Werft- und Zivilkleidung. Und beide hatten das lässig-aggressive Auftreten von Straßenschlägern. Sie hielten ziemlich gefährlich wirkende, armlange Totschläger in den Händen, die sie mit einer gewissen Vertrautheit und Übung zu führen schienen. Und einer von ihnen…hatte zusätzlich eine Laserpistole in der linken Hand. Über dem Lauf war ein leistungsstarkes Flashlight befestigt, dessen Lichtstrahl direkt auf Kano gerichtet blieb, und ihn zu einem leichten Ziel machte.
Die Waffe schien zwar kleiner als der HK-Laserpistole, die zur Standartausrüstung von Offizieren und Piloten gehörte. Aber Kano bezweifelte nicht, dass sie für einen ungepanzerten Mann genauso tödlich war, wie der Laser, der in seinem Quartier in einer stabilen Transportbox lag.

Die Männer ließen sich Zeit. Keiner von Ihnen sagte ein Wort. Schweigend, fast bedächtig rückten sie näher.
Kanos Mund war wie ausgetrocknet. ‚Das wird hässlich.’
„Was wollen Sie?!“ Seine Stimme war ein heiseres Krächzen, und er hasste sich selber dafür. Er hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen, als ob ein schweres Gewicht auf seiner Brust lasten.
Ein raues Lachen war die Antwort: „Was wir von dir wollen? Na bestimmt nicht deinen hässlichen Japanoarsch. Du kannst dich also entspannen." Der Mann lachte wieder „Aber das wäre so oder so ein guter Ratschlag…“
„Mund halten!“ Das war der Mann mit dem Laser. Seine Stimme klang ausdruckslos. Er war wahrscheinlich ein sehr viel gefährlicher Gegner: „Du hast die falschen Leute verärgert, Pilot. Ist keine gute Idee, einfach nicht zu bezahlen…“
Das hatte er irgendwie erwartet: „Ich habe bezahlt.“
Diesmal war es der Mann mit der Taschenlampe, der jäh auflachte: „So nicht. Du hast Gerrick lächerlich gemacht. Und seine Ware ruiniert. Glaubst du etwa, er will, dass jeder Weltraumcowboy denkt, er könne seine Ware austesten?“
„Er hat Abfall verkauft.“
„Sehe ich so aus, als ob mich das interessiert? Er bezahlt dafür, dass wir ihn beschützen. Und er mag es nicht, dass du seine Auslage ruiniert und ihn abziehst.“
Während des kurzen Wortwechsels waren die Männer immer näher gerückt. Kano wusste, dass die Zeit zum Reden langsam knapp wurde. Und dass er in der Zange saß. Ohne Kampf würde er hier nicht herauskommen.
Das Vernünftigste wäre es gewesen, mit dem Rücken an einer der Häuserwände Schutz zu suchen, damit seine Gegner ihn nur von Vorne und den Seiten angreifen konnten. Aber damit rechneten sie zweifellos. Außerdem hätte das seine Bewegungsfreiheit endgültig auf Null reduziert. Dann würde er keine Alternative mehr haben. ‚Außerdem…ich glaube nicht, dass das reichen würde.’
Allerdings…noch hatten sie nicht angegriffen. Noch nicht: „Was wollen Sie? Geld? Ich habe noch ein paar hundert…“
„Die gehören uns sowieso. Genauso wie der Akarii-Prügel, den du unbedingt haben wolltest. Na, hoffentlich war er das wert, Soldat.“
„Uns gehören sogar deine Scheißstiefel, wenn sie jemand passen würden.“
„Sie wollen das Drehh. Ich kann…“
„Nicht genug. Dafür ist es zu spät. Und jetzt leg das Schwert auf den Boden. Wir wollen doch nicht, dass das Teil beschädigt wird.“
„Für DEIN bestes Teil können wir das aber nicht versprechen. Vielleicht lernt ihr Weltraumcowboys ja endlich eure Lektion, wenn einer von euch in Zukunft nur noch im Sitzen pinkeln kann.“

Als wäre das dass Signal gewesen, rückten die beiden Männer vor. Kano biss die Zähne zusammen.
Er atmete keuchend. Der Druck der aus seiner Lunge und seinen Schläfen zu lasten schien, sandte einen stechenden Impuls durch seinen Kopf. Die flüsternde Stimme, die ihn aus irgendeinem dunklen Winkel seines Unterbewusstseins gewarnt hatte, steigerte sich zu einem wütenden Zischen, doch er konnte die Worte nicht verstehen. Aber er kannte die Stimme.

Der Mann der von Vorne kam, war schneller und aggressiver als sein Kamerad. Übergangslos stieß er den Totschläger vorwärts wie ein Messer. Es war ein lässiger, fast spielerischer Angriff, dem Kano aber nur mit knapper Not ausweichen konnte. Seine rechte Hand tastete hektisch nach seinen Uniformtaschen, tauchte plötzlich mit einer schmucklosen, genormten Geldbörse wieder auf. In Kanos Stimme lag ein Zittern, dass er verabscheute: „Bitte…hier! Ich habe noch mehr Geld, viel mehr…“
Der Schläger, der in Kanos Rücken stand, nutzte die Gelegenheit für einen schnellen Vorstoß. Der Totschläger krachte mit einem widerlich dumpfen Laut auf Kanos Schulterblatt, entlockte ihm einen unterdrückten Aufschrei. Der junge Pilot stolperte vorwärts, auf den zweiten Schläger zu. Der holte mit einem zufriedenen Schnaufen aus – und Kano rammte ihn mit einem wütenden Schrei den Metallknauf des Drehhs mitten ins Gesicht.

Hätte er die Augen, die Nase oder den Kehlkopf getroffen, dann hätte dieser Treffer Kanos Gegner ausschalten, vielleicht sogar töten können. Aber dem durch einen Hieb halb gelähmten linken Arm des Piloten fehlte die nötige Zielsicherheit und Kraft. Dennoch war der Schlag kräftig genug, um den Mann zurück zu werfen.

Kano verschwendete keinen Gedanken auf die Wirkung seines Schlages. Stattdessen wirbelte er zu dem Mann herum, der ihn von Hinten angegriffen hatte. Die Rechte des Piloten ließ das Portmonee fallen, packte den Griff des Drehh. Noch in der Drehung riss er die Klinge heraus…
Und schlitzte den Körper des hinter ihm Stehenden mit einem brutalen, diagonalen Hieb von der Schulter bis zum Hüftknochen auf.
Das schrille Kreischen des Manns schien viel zu laut, um aus der Kehle eines Menschen stammen zu können.
Währenddessen führte Kano seine Drehung zu Ende, und wandte sich so wieder seinem ersten Gegner zu. Der Mann mit der Laserpistole richtete sich bereits wieder auf, während Blut aus Nase und Mund rann: "Bastard!" Die Hand mit der Laserpistole, die er unwillkürlich hochgerissen hatte, senkte sich, suchte ein Ziel…die Klinge des Drehhs traf mit einem hellen Klirren auf den Lauf der Pistole, riss sie aus dem Griff des Schlägers. Eigentlich hatte Kano auf das Handgelenkt gezielt.
Die Klinge stieg immer weiter nach Oben, drehte sich in die Luft – und grub sich mit einem grauenhaften, knirschenden Geräusch in den Hals des Schützen, bis sie auf das Schlüsselbein traf.
Wäre dieser Hieb präzise ausgeführt worden, er hätte den Kopf sauber vom Hals getrennt. Aber selbst so war er tödlich, denn auf ihrem Weg durchtrennte die Klinge mit fast spielerischer Leichtigkeit Luftröhre und Halsschlagader. Mit einem dumpfen, entsetzlichen Gurgeln ging der Mann zu Boden, während der Lichtstrahl der Taschenlampe sinn- und ziellos durch das Dunkel zuckte.

Kano riss die Waffe zurück, hielt sie jetzt zum Zustoßen bereit, waagerecht knapp über Schulterhöhe. Jede Bewegung, jeder Handgriff war tausendfach geübt worden, funktionierte jetzt automatisch. Er drehte sich langsam um seine eigene Achse, um nach etwaigen weiteren Gegnern Ausschau zu halten, und ihnen kein einfaches Ziel zu bieten.
Aber es gab keine Gegner mehr. Jedenfalls keine, die noch auf ihren Füßen standen.

Die Schreie von Kanos zweiten Gegner steigerten sich zu einem wortlosen Schrillen, während der Mann sich zuckend auf dem Boden wand, und die aus der klaffenden Wunde quellenden Eingeweide mit seinen bloßen Händen festzuhalten versuchte.
Ein, zwei schnelle Schritte brachten den japanischen Piloten zu dem Schwerverletzten, während seine Hände an dem langen Griff der Akarii-Waffe entlang glitten, den Schwerpunkt verlagerten, bis die Klinge senkrecht zum Boden wies. In einer fließenden Bewegung wurde der Griff der Waffe auf Augenhöhe gehoben, schien dort kurz zu verharren – und stieß dann nach Unten. Die Klinge bohrte sich in den Hals des Verwundeten, und schnitt seine Schreie mit brutaler Endgültigkeit ab.

Die folgende Stille war…ohrenbetäubend.
Die Musik der Amüsiermeilen, die Stimmen und Laute der zahllosen Menschen, die Neu Babylon bevölkerten, konnte doch nicht von einem Augenblick auf den anderen so vollständig verstummt sein.
Und dennoch…das einzige Geräusch, dass Kano hören konnte, war das Keuchen seines eigenen Atems. Und das leise Klatschen, mit dem das Blut von seiner Klinge auf den Boden tropfte.
Auch der scheinbar allgegenwärtige Gestank des Viertels schien verschwunden…war überlagert worden von dem salzigen, metallischen Geruch menschlichen Blutes.
Kano glaubte, es auf seinen Lippen schmecken zu können.

Nichts an seinen Bewegungen erinnerte noch an die Schnelligkeit und tödliche Sicherheit der letzten Sekunden. Schwerfällig machte Kano einen Schritt zur Seite, als müsste er nach Halt suchen, als sei er selber verletzt worden. Seine geprellte Schulter stieß mit einem dumpfen Laut gegen eine Häuserwand. Der Schmerz brachte ihn endgültig zu Bewusstsein.
Beinahe wäre er in die Knie gegangen. Hustend krallte er die halb gelähmte Linke in die rissige Mauer, und versuchte ein Würgen zu unterdrücken.
Mit einer Mischung aus Unglauben und Entsetzen starrte er auf die Szenerie, die von dem Lichtstrahl der auf dem Boden liegenden Taschenlampe schwach erhellt wurde. Die verkrümmten Leiber der beiden Getöteten. Das Blut, das sich in dunklen Lachen auf der Straße sammelte.
‚Was…’ Aber er konnte diese Frage nicht einmal in Gedanken ausformulieren. Er sah schließlich, was hier geschehen war. Er wusste, wer dafür verantwortlich war. Und gleichzeitig, gleichzeitig wusste er nicht…
‚Oh ihr Götter…’

Ein anderer Gedanke pumpte einen neuen Stoß Adrenalin in seine Adern, ließ ihn für einen Augenblick das Entsetzen, die Fassungslosigkeit vergessen ließ. Sogar die Angst, die er vor sich selber empfand.
Während er keuchend durch den Mund atmete, in dem vergeblichen Versuch, den Blutgeruch zu verdrängen, schob er die Klinge mit einer unbeholfenen, fahrigen Bewegung in die Scheide. Beinahe hätte er sich dabei die eigene Hand zerschnitten. Hastig suchte er den Boden ab. ‚Wo war…sie musste doch...hier…‘
Mit wenig Erfolg versuchte er, den Blutlachen und Rinnsalen auszuweichen. Aber das Blut war überall. Auf den Wänden, auf dem Boden – auf seiner Kleidung und seiner Haut. Mit einem Schwert zu töten…war keine saubere Angelegenheit.
Dann, endlich, hatte er gefunden, was er suchte. Mit zitternden Händen hob er die Geldbörse auf, die am Rand einer kleinen Blutlache lag. Und dann…dann begann er zu rennen. Rannte, als ob alle Dämonen sämtlicher Höllen hinter ihm her wären.

Zurück blieben nur die Toten. Und die Schatten, die die fernen Lichter der Großstadt, das schwache, gleichgültige Leuchten der Sterne und des Mondes, und der flackernde Strahl der Taschenlampe warfen. Schatten, die über die verkrümmten Körper der Getöteten wanderten, und ein gespenstisches Eigenleben zu führen schienen.
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Tyr

Irgendwo im Grauen Sektor, Internationales Viertel, Seafort

Es war genau die Sorte von Stundenhotel, in die niemals einen Fuß zu setzen Helen Mitra sich geschworen hatte. Jedenfalls nicht wegen einem Mann. ‚Noch so ein guter Vorsatz, den ich zum Teufel geschickt habe.’ Nicht, dass sie wirklich eine Wahl gehabt hätte. Kanos Anruf war ziemlich wirr gewesen, aber sie hatte genug verstanden.
Skeptisch musterte die Pilotin die verwitterte Fassade, und einige der Gestalten, die die schäbige Bar im Erdgeschoss bevölkerten. Wenigstens war sie gut vorbereitet – wenn auch auf eine andere Art und Weise als die meisten Frauen, die hier abstiegen.

Niemand sprach sie an, als sie die Rezeption durchquerte, kurz vor dem antiquierten Aufzug innehielt, und sich dann für die Treppe entschied. Vielleicht waren die Typen schon zu weit hinüber, um sie zu bemerken. Vielleicht standen sie auch nicht auf Inderinnen. Oder vielleicht hatten sie auch die Laserpistole gesehen, die sie unter ihrer Uniformjacke trug. Möglicherweise war das ein wenig übertrieben, aber sie war nicht bereit, ein Risiko einzugehen. Nicht in diesem Viertel, nicht zu dieser Uhrzeit.
Das Treppenhaus war nur schwach beleuchtet, und roch nach Dingen, von denen Helen gar nichts wissen wollte. Der Boden fühlte sich unter ihren Schuhsohlen…klebrig an. ‚Igitt. Ich kann nur hoffen, dass es wirklich wichtig ist.’
Aber sie kannte Kano. Natürlich war es wichtig. Und so, wie er geklungen hatte…

Selbstverständlich hielten die Etagenflure, was das Treppenhaus versprochen hatte. ‚Was für ein Drecksloch. Man sollte dieses Rattennest mit Brandbomben eindecken.’ Apropos Ratten…hatte sich da hinten im Schatten nicht etwas bewegt? Dann hatte sie die avisierte Zimmernummer erreicht. Während sie misstrauisch den Flur im Auge behielt, klopfte sie kurz und heftig gegen die Tür.
„Es ist offen.“ Kanos Stimme ließ sie zusammenzucken. Seine Stimme klang ungewöhnlich rau, müde und seltsam...abwesend. Leblos.
Helen fühlte, wie sich ihre Befürchtungen verdichteten. Und das machte sie wütend. Mit einem unterdrückten Fluch stieß sie die Tür auf: „Verdammt, Kano! Wenn du mich nur hierher bestellt hast, weil du irgendeine beschissene Rollenspielphantasie…“
Als sie ihn erblickte, verstummte sie.
Kano saß mit gekreuzten Beinen auf dem Fußboden. Bis auf seine Unterwäsche war er nackt. Seine Uniform lag in einem unordentlichen Haufen neben ihm, der Stoff voller Flecken einer dunklen, eingetrockneten Flüssigkeit. Ein unangenehm bekannter, süßlich-metallischer Geruch nahm ihr den Atem. Blut.
Kanos Körperhaltung wirkte seltsam verkrümmt. Und in seinen Händen lag ein blankes, leicht gebogenes Kampfschwert, dessen Klinge ebenfalls mit Blut befleckt war.

Für einen kurzen, verrückten, grauenhaften Augenblick glaubte sie, dass Kano dem Vorbild der japanischen Samurai gefolgt war, und sich für irgendein tatsächliches oder vermeintliches Vergehen das Schwert in den Leib gestoßen hatte.
Der Aufschrie, der in ihrer Kehle aufstieg, erstarb auf ihren Lippen, als sie erkannte, dass er unverletzt war.
Aber genauso schnell, wie ihr Entsetzen erstarb, flackerte die Wut wieder hoch: „Kano! Du hast mir eine Todesangst eingejagt! Ich dachte du wärst…“
Der junge Pilot hob schwerfällig den Kopf, und der Ausdruck in seinen Augen schnitt ihr die Worte ab: „Ich…ich habe jemanden getötet.“
Kalis Sorge und Unsicherheit ließen sie ziemlich barsch reagieren: „Na und? Das habe ich auch. Das nennt man Krieg.“
Kano schüttelte den Kopf: „Keine Akarii. Menschen. Ich habe zwei Menschen getötet. Und ich hätte…nicht gedacht, dass ich das kann.“
Kali biss wieder auf Lippen, um das zurückzuhalten, was ihr auf der Zunge lag. So kam sie nicht weiter: „Vielleicht…solltest du der Reihe nach erzählen.“

Also tat er das. Er berichtete langsam und methodisch, ließ nichts aus. Seine Stimme blieb leise, seltsam ruhig. Aber es war gerade diese…kalte Ausdruckslosigkeit, die Kali noch mehr beunruhigte. Manchmal zuckten seine Hände, als wollte er eine Bewegung, einen Schwerthieb verdeutlichen.
Erst gegen Ende seines Berichtes glaubte Kali, wieder eine Emotion in seinen Worten erkennen zu können. Allerdings war es keine Angst, seltsamerweise aber auch keine Reue. Jedenfalls nicht nur. Vor allem spürte sie in ihm eine merkwürdige…Ratlosigkeit.

„Es ging so einfach. Jeder Handgriff, jede Bewegung…ich habe mit Schwertern zu kämpfen gelernt, noch bevor ich die Grundschule abgeschlossen habe. Aber das hier…das war anders. Ich weiß auch nicht warum, aber irgendwie…
Kein Nachdenken, kein Überlegen. Kein Zögern. Ich konnte es tun. Ich wusste wie ich die Klinge setzen musste. Also habe ich es getan. Es ging so…einfach.
Aber ich weiß immer nicht…warum. Es muss doch noch einen anderen Grund gegeben haben. Ja, ich hatte Angst. Sosehr, dass ich nicht mehr atmen konnte. Und dafür…dafür habe ich sie gehasst. Sie hatten kein Recht dazu. Aber das…ist doch noch kein Grund…“

Helen musterte ihn wachsam: „Das war doch aber noch nicht alles, oder?“
Kano presste die Lippen zusammen. Sie hatte ihn durchschaut. Aber DAVON konnte er nichts sagen. Nicht einmal Kali. Oder vor allem ihr nicht.
Was sollte sie von ihm denken, wenn er von dieser…Stimme berichtet hätte, die in den letzten Tagen in irgendeinem dunklen Winkel seines Verstandes zum Leben erwacht war? Anfangs hatte er geglaubt, dass sie nur die Ausgeburt irgendeines Albtraums war – aber inzwischen glaubte er sie manchmal auch dann hören zu können, wenn er wach war.
Und auch wenn es eine ihm fremde Sprache war, Worte, für die es wahrscheinlich keinen Übersetzer gab, der noch am Leben war – manchmal glaubte er verstehen zu können, was sie von ihm wollte. Und vielleicht…hatte er ihr einmal zu oft zugehört.
Zum Beispiel in dem kurzen, fürchterlichen Augenblick, als ihm klar geworden war, dass er diese Gasse nur dann auf aufrecht gehend würde verlassen können, wenn er bereit war, Blut zu vergießen. Und danach…
‚Ich bin nicht verrückt. Ich bin nicht verrückt. Es muss dafür eine logische Erklärung geben. Aber was, wenn nicht?’
Aber er schwieg.

Helen Mitra schüttelte eher beunruhigt als verärgert den Kopf. Wenn Kano nicht einmal mit ihr darüber sprechen wollte, dann war es wirklich ernst: „Irgendwann wirst du es mir aber sagen müssen.“
„Ich weiß.“
„Na großartig.“ Sie seufzte. Das Klischee verlangte von ihr, ihm jetzt zu versichern wie sehr sie ihn liebte, und dass schon alles wieder gut werden würde. Oder aber nach einer Runde therapeutischen Sex. Aber Kano wusste, dass er sie liebte, und sie war sich ganz und gar nicht sicher, ob diese Geschichte tatsächlich gut ausgehen würde. Außerdem war sie zu ehrlich, um ihn so offensichtlich anzulügen, und er war zu klug, um sich derart belügen zu lassen. Und so angenehm die zweite Möglichkeit sein konnte, sie zweifelte an ihrer Langzeitwirkung. Also entschied sie sich für eine andere Vorgehensweise.

„Ich glaube, du nimmst das viel zu wichtig.“
„Was?“
Was, glaubst du denn, hatten diese Typen mit dir vor?“
Kano zuckte mit den Schultern: „Sie wollten mich natürlich zusammenschlagen.“
„Mindestens. Höchstwahrscheinlich wärst du mit einem halben Dutzend Knochenbrüchen im Krankenhaus aufgewacht. Falls du aufgewacht wärst. Sie hätten dich auch leicht totschlagen können. Hast du schon mal daran gedacht?“
„Natürlich. Aber das heißt doch noch lange nicht…“
„Oh doch, genau das tut es. Es ist schließlich nicht so, als ob du sie gesucht hast. Als ob du partout auf Krawall aus gewesen wärst. Sie haben dich verfolgt. SIE haben den Kampf begonnen. Niemand hat sie dazu gezwungen. Diese…Arschlöcher haben letztendlich nur das bekommen, was sie bestellt haben. Also hör endlich auf, dich schuldig zu fühlen, bloß weil diese Bastarde diesmal auf jemanden gestoßen sind, der sich wehren konnte. Sich dafür schuldig zu fühlen, ist idiotisch. Oder hättest du dich einfach zusammenprügeln lassen sollen?“ Dass sie in einen derart rüden Tonfall verfiel, zeigte ihr selber, wie beunruhigt und wie wütend sie war. Aber das war schon in Ordnung. Wenn ihre Wut ihr half, zu ihm durchzudringen…
„Du meinst…“
„Genau. Du wurdest angegriffen, und hast dich verteidigt. Dieses Schwert zu benutzen war deine einzige Möglichkeit, aus dieser Gasse mit heiler Haut herauszukommen. Wenn du mit bloßen Händen gegen zwei Gegnern mit Totschlägern und Lasern gekämpft hättest – dann wärst DU tot gewesen. Das ist alles. Akzeptiere das.“
„Aber…“
„Kein Aber. Wir sind Soldaten. Wie viele Akarii haben wir getötet? Dutzende? Hundert? Hat dir irgendeiner von denen etwas getan? Du kanntest sie doch nicht einmal.“
„Aber das war etwas Anderes. Das war Krieg, das war unsere Pflicht. Und wenn ich sie nicht getötet hätte…“
„Dann hätten sie dich getötet. War es das, was du sagen wolltest?“
„Dennoch…das kann man nicht vergleichen.“
„Und wieso nicht? Auch die Akarii haben nur ihre Pflicht getan. Vielleicht wollten Sie gar nicht dort sein, vielleicht konnten sie nicht wählen. Macht dir das Gewissensbisse? Hast du davon schlaflose Nächte? So wie Razor, der wegen ein paar schockgefrorenen Akarii Zustände kriegt?“
Kano schnaubte kurz. Vielleicht war es auch ein halbherziges Auflachen.
Kali wusste, dass das nicht besonders fair gegenüber dem abwesenden Jabo-Piloten war, aber sie hatte da keine Skrupel, wenn sie Kano so wieder auf die Beine bringen konnte: „Na also.
Diese…Schläger…es als ihre ‚Pflicht’ zu bezeichnen, dich krankenhausreif zu prügeln, das wäre schon ein starkes Stück. Und so wie du es erzählst hast…schien ihnen das ja richtig Spaß zu machen. Hast du dir mal überlegt, wie viele Leute diese Typen schon zusammengeschlagen oder sogar getötet haben, bevor sie es mit dir versucht haben? Und bei wie vielen sie es in Zukunft noch versucht hätten?
Jetzt sind sie eben mal an den Falschen geraten. Du hast dich nur verteidigt. Nicht mehr, und nicht weniger. Und letzten Endes…hast du Seafort sogar ein klein wenig sicherer gemacht.“ Sie lächelte spöttisch, um ihren Worten ein wenig die zynische Schärfe zu nehmen.

Und tatsächlich, Kano schien sich langsam ein bisschen zu entspannen, vor allem wohl, weil er begriff, dass sie ihn nicht verurteilte, dass sie sich nicht von ihm zurückziehen würde. Es machte sie allerdings ziemlich sauer, dass er – bewusst oder unbewusst – überhaupt an diese Möglichkeit gedacht hatte. ‚Ich sollte dir dafür eine kleben. Na ja, vielleicht später…’
Allerdings, er schien immer noch nicht ganz überzeugt: „Ich weiß nicht, irgendetwas stimmt da noch nicht. Aber ich verstehe…was du mir sagen willst. Danke. Das…bedeutet mir sehr viel.“

Sie seufzte lautlos. ‚Wir sind schon ein Paar.’ Aber er war vor ein paar Tagen für sie da gewesen, als sie an Huntress Tod beinahe zerbrochen wäre, und jetzt war sie für ihn da. ‚Allerdings glaube ich nicht, dass diese beiden Typen es wert sind.’ Und natürlich ging es hier auch um mehr, als das bloße Zurückzahlen einer Schuld. Dennoch wünschte sie sich manchmal, ihre Beziehung wäre nicht so sehr durch die Krisen geprägt worden, durch die sie einander im Verlauf der letzten Jahre geholfen hatten. Das hatte ihre Beziehung…gehärtet, das verlieh ihr die ungewöhnliche Beständigkeit – über drei Jahre, nach allem was Kali gehört hatte ziemlich viel für Piloten – aber es war auch ein ziemlich mühsamer, manchmal schmerzhafter Prozess gewesen. Ein schwerer Ballast.
‚Aber wenn ich etwas anderes gewollt hätte, dann hätte ich nichts mit jemand anfangen dürfen, der auf demselben Schiff dient. Dann hätte es schon ein Zivilist sein müssen…
Aber sicher doch. Und der Typ hätte mich dann vermutlich mit irgendeinem Etappenhäschen betrogen, während ich im Einsatz bin.’

„Hat der Typ da unten dich eigentlich in diesem blutigen Zeug gesehen?“
Kano lächelte schwach: „Hat er nicht. Die Hose und die Uniformjacke hat das meiste Blut abbekommen.“ Seine Augen verloren kurz wieder ihre Stetigkeit, und er atmete zischend ein und aus. Doch noch ehe sie etwas tun oder sagen konnte, hatte er sich schon wieder gefangen: „Also…bin ich hier in Unterwäsche reinmarschiert.“
Kali überraschte ihn und sich selber durch ein jähes Auflachen: „Gute Idee. Der Typ hat wahrscheinlich gedacht, dass dich eine Nutte abgezogen hat, oder du dir in der falschen Ecke einen Schuss gesetzt hast. Dass du ausgeraubt wurdest. Oder ein mieser Pokerspieler bist.“ Der bis auf die Unterwäsche abgezogene Soldat auf Freigang war eine Klischee, aber immerhin eines, das manchmal eine gewisse Berechtigung hatte. ‚Wenn auch vermutlich eher bei den Grunts.’
„So in der Art.“
„Und er hat nicht gefragt, wo du die Creds versteckt hast, mit denen du dieses Rattenloch bezahlt hast?“
„Vielleicht wollte er das auch gar nicht so genau wissen.“
„Und das Schwert?“
Der japanische Pilot zuckte mit den Achseln, während seine Finger unbewusst mit dem schlanken Griff der Waffe spielten: „Hab ich in eine Mülltüte eingewickelt mitgenommen, in der auch meine Uniform steckte. Vielleicht hat er sich gewundert, dass ich noch etwas zum tragen hatte…“
„Aber wenigstens hat er weder diese verdammte Klinge noch das Blut gesehen. Gut.“ Das würde es etwaigen Verfolgern erschweren, Kanos Spur aufzunehmen, egal auf welcher Seite des Gesetzes sie standen. Kano hatte bar bezahlt, und keiner von ihnen hatte eine ID-Karte verwendet. Vielleicht, nur vielleicht würde er aus dieser Sache herauskommen, ohne vor einem Kriegsgericht zu landen. Kali war sich zwar ziemlich sicher, dass man Kano mildernde Umstände attestieren, vielleicht sogar auf Notwehr erkennen würde. Aber mit seiner Kariere würde es vorbei sein. Und sie war sich nicht sicher, ob er damit fertig werden könnte.

Sie war allerdings auch überrascht, dass er noch so durchdacht hatte handeln können. So, wie er sich am Kom angehört hatte…
Aber das war mal wieder typisch Kano. Er funktionierte bis zum bitteren Ende, wie ein verdammter Robotter. ‚Gib es doch zu – wie ein Samurai.’ Im Einsatz riss er sich eisern zusammen. Dafür zahlte er dann, wenn die Gefahr vorbei, der Einsatz zu Ende war. Und zwar mit Zinsen. Sicherlich, es wäre klüger gewesen, wenn er die Uniform gleich ganz hätte verschwinden lassen… ‚Aber was noch nicht ist, kann ja noch werden.’
Das erinnerte sie daran, was sie auf Kanos Bitte mitgebracht hatte. Sie war bei seinem Anruf so durcheinander gewesen, dass sie sich nicht einmal über seinen Wunsch gewundert hatte:

„Hier.“ Sie warf ihm die Tasche mit den Kleidungsstücken zu, die sie auf dem Hinweg gekauft hatte.
Die lässig geschnittenen Jeans und das dunkelrote T-Shirt ließen Kano jünger als seine sechsundzwanzig Jahre wirken. Um Kalis Lippen zuckte es kurz: „Wenn ich mir überlege, was dazu nötig ist, damit du mal freiwillig Zivilklamotten anziehst…“
Sie musterte ihn noch einmal. Hmmm…vielleicht hätte sie bei dem Shirt eine andere Farbe wählen sollen: „Wird Zeit, dass wir verschwinden.“
Kano lächelte etwas kläglich: „Was der Typ an der Rezeption wohl denkt, wenn wir zusammen hier rausmarschieren?“
Kali schnaupte undamenhaft: „Wenn wir Glück haben, dann denkt er, dass ich deine Schwester bin.“
Diesmal huschte sogar so etwas wie ein echtes Lächeln über Kanos Lippen.

***

Etwa fünfzehn Minuten später duckten sie sich beide in einen dunkeln Hauseingang über eine halbvolle Mülltonen, in der jetzt zusätzlich zu dem Abfall der vergangenen Wochen ein unansehnliches Bündel lag, das einmal eine von Kanos Ausgehuniformen gewesen war. In den widerlichen Gestank verrottender Abfälle, und dem süßlich-metallischen Blutgeruch, mischte sich das stechende Aroma der Flasche Hochprozentigen, die Kali über den Kleidern ausgelehrt hatte.
Sie warf Kano einen kurzen Blick zu, der mit einem Schulterzucken quittiert wurde. „Du hast vermutlich Recht.“
Mit einem dumpfen ‚Wusch’ fing das Bündel Feuer. Die auflodernden Flammen ließen sie kurz zurückzucken. Schweigend sahen sie ein paar Augenblicke zu, wie diese Spur des blutigen Kampfes, der vor ein paar Stunden ein paar Meilen von hier entfernt stattgefunden hatte, vom Feuer verzehrt wurde. Niemand würde hier noch etwas finden, was er verfolgen, untersuchen…oder womit er etwas würde beweisen konnte.
„Du brauchst eine neue Uniform. Und ich würde dir nicht raten, dich an den Spieß zu wenden.“
„Ich denke, ich finde in irgendeinem Army-Surplusladen etwas.“
Kali warf ihrem Geliebten einen weiteren Blick zu: „Wie ich schon sagte, es wäre wahrscheinlich besser, wenn du auch das Schwert…“
„Nein. Ich habe dafür bezahlt. Doppelt. Ich werde es nicht einfach wegwerfen. Das wäre…es wäre ganz einfach nicht richtig.“
Sie hatte nicht wirklich etwas anderes erwartet. Was solche Dinge anging war Kano ziemlich…altmodisch. Manchmal war das faszinierend, manchmal etwas enervierend – diesmal allerdings fand sie es ziemlich dumm. Aber so eine Klinge konnte man natürlich auch nicht so einfach verschwinden lassen, wie ein paar Kleider. Und sie hatten keine Zeit, das jetzt auszudiskutieren: „Dann sieh wenigstens zu, dass niemand das Ding sieht, bis wir aus diesem Viertel raus sind. Und dass du das Blut von der Klinge bekommst. Du musst es dem JAG nicht auch noch einfach machen.“ Sie seufzte kurz: „Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn du wirklich nur aus einem Puff rausgeflogen wärst.“
„Dann hättest du mich zum Teufel geschickt. Und Ace hätte den traurigen Rest durch die Mangel gedreht.“ Kano überlegte kurz, und setzte dann mit einem schwachen Lächeln hinzu: „Na ja, er hätte es jedenfalls versucht.“
Kali schnaubte noch einmal: „Als ob ich dabei Hilfe brauchen würde.“ Dann wurde sie übergangslos ernst: „Dir ist natürlich klar, was es bedeuten würde, wenn davon irgendwann irgendetwas herauskommen würde, oder? Deine Karriere wäre im Arsch.“
„Ja. Und deine vermutlich auch.“

Da hatte er natürlich Recht. Und auch wenn es schön war, dass er nicht nur an sich selber dachte, hätte sie sehr gut ohne diese Bemerkung leben können: „Ich bin ein großes Mädchen. Ich treffe meine Entscheidungen selber.
Aber wie dem auch sei. Wenn du damit durchkommen willst…
Dann darfst du niemandem davon erzählen. Und ich meine, NIEMAND. Nicht deinen Geschwistern, nicht deinen Eltern, nicht deinem Beichtvater…“ Sie hielt kurz inne: „Habt ihr überhaupt so etwas?“
„Nicht in dem Sinne wie bei den Christen.“
„Umso besser. Du musst weiterleben, als wäre es niemals gewesen, verstehst du?“
Kano nickte. Natürlich verstand er. ‚Außerdem…ich habe es schon Kali aufgebürdet. Und das war falsch. Wer gibt mir das Recht, noch weitere Menschen damit zu belasten?’ Offensichtlich konnte man ihm diese Überlegungen ansehen, denn Kali überraschte ihn mit einem schnellen, aber wuchtigen Schlag gegen die Schulter: „Ich hab doch gesagt, ich bin ein großes Mädchen. Ich treffe meine eigenen Entscheidungen. Ich werde damit klarkommen. Aber DU musst das auch tun. Kannst du das? Denn wenn nicht…dann sollten wir uns besser schnell einen guten Militäranwalt suchen und die Sache selber zur Anzeige bringen. Deine Entscheidung.“ Und das meine sie ernst. Er musste selber entscheiden, wenn er damit leben konnte.
„Ich werde es können. Ich muss es. Ich verspreche es.“ ‚Denn das ist das Mindeste, was ich tun kann. Das schulde ich auch dir…’
Bei der ruhigen Entschlossenheit in seinen Worten fühlte Kali, wie sich ihre Schultern ein wenig entspannten. ‚Noch eine Hürde genommen.’ Nun mussten sie nur noch so unauffällig aus diesem Viertel raus, und eines der Maglev-Shuttles erreichen, die sie zu Kalis Wohnung brachten, in die Kano kurz seiner Ankunft mit eingezogen war.
„O. K. glaubst du, wir schaffen es bis zur nächsten Shuttle-Station, OHNE dass du eine zweite Schlacht von Kyoto anzettelst?“
Kano lächelte kurz: „Du übernimmst die Führung.“
„Tu ich das nicht immer?“
18.01.2016 07:40 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
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Cattaneo

Kurzurlaub

Seafort, Urlaubsstrand, 300 Kilometer außerhalb von Neu Kapstadt

Das Wasser war so klar, dass es fast durchsichtig wirkte. Obwohl es hier schon ziemlich tief war, und der Strand mit den Geräuschen der Urlauber sehr fern schien, konnte man mühelos bis auf den Grund sehen. Das tiefe Blau des Himmels und der weiße Sand am Strand und Meeresboden ergaben zusammen mit einzelnen Seevögeln, kleinen Fischen und anderen Meerestieren eine wahre Urlaubsidylle, die für eine Postkarte geeignet gewesen wäre. Wenn man in der Stimmung war, das richtig zu würdigen.
Der schlanke Körper der jungen Frau trieb fast bewegungslos im Wasser. Sparsame, fast verstohlene Bewegungen sorgten dafür, dass sie in etwa ihre Position hielt. Sie hütete sich, das Wasser zu sehr aufzuwirbeln. Ein Schnorchel bewahrte sie davor, immer wieder prustend auftauchen zu müssen. Selbst ihre Atemzüge waren gleichmäßig und gemessen. Eine Schwimmbrille gewährte ihr eine ausgezeichnete Unterwassersicht. Lilja wirkte schon etwas merkwürdig, wie sie da im Wasser trieb und einen auf Toter Mann oder eher Frau machte. Allerdings sah sie wesentlich weniger komisch aus als einige Tage zuvor, als sie ihren Urlaub angetreten hatte. Nach dem medizinischen Test von Dr. Eriksen – der erstaunlicherweise wirklich ohne irgendwelche Komplikationen verlaufen war, obwohl sie sich immer noch fragte, woher dieses Interesse kam – hatte sie sich schließlich doch von Imp dazu überreden lassen, wenigstens einmal etwas auszuspannen und für ein, zwei Wochen wegzufahren, vorausgesetzt sie wurde nicht wieder in den Dienst gerufen. Sollte auch nur die Möglichkeit bestehen, sollte Imp oder wer sonst die Möglichkeit hatte – Lilja hatte diesbezüglich alle Staffelmitglieder angesprochen – ihr sofort Bescheid geben. Es war nicht nur der Appell ihrer besten Freundin gewesen, der Lilja dazu bewogen hatte, ihren Urlaub zur Erholung zu nutzen. Auch Dr. Eriksen hatte ihr geraten, einfach einmal vorübergehend aus der künstlichen Atmosphäre der Columbia und der Victoria-Station herauszukommen. Die Ärztin meinte, das würde ihr sicher helfen, die Alpträume wieder in den Griff zu bekommen. Der Ratschlag war wohl nicht ganz uneigennützig gewesen, denn die Hirnchirurgin hatte ihr das Versprechen abgeschwatzt, sich anschließend bei ihr zu einer Kontrolluntersuchung zu melden, ob sich etwas verändert hätte.
Beide Beraterinnen hatten einem Solourlaub vorgeschlagen, und Lilja hatte dem Rat leichten Herzens zugestimmt. Nicht, dass sie etwas gegen die Gegenwart ihrer wenigen Freunde – nun, eigentlich waren es nur zwei wirkliche – hatte. Aber sie dachte sich, dass Imp und Sokol vielleicht ihren Urlaub gerne zusammen, und ohne die Gegenwart ihrer Staffelchefin oder von sonst jemandem verbringen wollten. Sie war sich immer noch nicht ganz darüber im Klaren, ob sie Imp nicht ein wenig beneidete – aber missgönnen tat sie ihr jedenfalls nichts.
Und mit dem Rest der Staffel oder des Geschwaders…nun, sie stand eigentlich niemandem wirklich nahe. Selbst Kameradschaften hielten in diesem Krieg nicht lange, und die Russin hatte allein zwei Flügelmänner verloren, mit denen sie längere Zeit geflogen war und sich ganz gut verstanden hatte. Nicht nur deshalb war Lilja niemand, der leicht Freundschaften schloss. Kano, den sie als halben Freund und ganzen Kameraden schätzte, würde seinen Urlaub sicher lieber mit Kali verbringen wollen. Und zwischen Lilja und rangniederen wie ranggleichen Offizieren gab es wenig Freundschaft. Die meisten ihrer Staffelmitglieder – die wenigen, die noch übrig waren – respektierten sie, aber richtige Freunde waren sie nicht, und die Neulinge kannten sie kaum. Es war abzuwarten, ob diese ihre Vorgesetzte überhaupt richtig kennenlernen würden, bevor Versetzung und Feindeinwirkung sie wieder trennte. Lilja war vor allem ihre Kommandeurin, und die Russin hatte nie Neigung gezeigt, das zu ändern, obwohl einige Piloten wie etwa Marine große Stücke auf sie hielten. Mit den ihr gleichrangigen Schiffs- und Geschwaderoffizieren verband Lilja vor allem die Arbeit, sonst nichts, und in einigen Fällen kamen persönliche Ressentiments hinzu.

So lange sie auf Urlaub geschickt worden war und die weitere Zukunft des Geschwaders unsicher schien, gab es nicht einmal für eine Workaholic wie Lilja viel zu tun, denn bis auf weiteres war auch nicht damit zu rechnen, dass sie an einen Jäger herankam, was sie inzwischen etwas vermisste. So lange ihre Zukunft unsicher war, konnte sie auch nicht daran denken, einen neuen Flügelmann einzuarbeiten, was eigentlich zwingend notwendig war.
Doch es war nicht nur die verordnete Untätigkeit, die Lilja so nachgiebig gestimmt hatte. Sie sehnte sich in der Tat danach, wieder einmal einen echten Himmel über sich zu haben, Wind zu spüren oder Wasser, das nicht aus einer Aufbereitungsanlage kam, Schwerkraft, die nicht künstlich erzeugt wurde, echtes Gras oder echten Sand unter den Füßen zu haben. Also hatte sie sich ein Quartier an einem der Ferienstrände von Seafort gesucht – kein zu teures, natürlich. Tatsächlich war das Zimmer kleiner als ihr Quartier auf der Columbia, und bei weitem nicht so komfortabel eingerichtet, auch das Essen war keineswegs besser als an Bord des Trägers. Lilja gab wenig von ihrem Sold für sich selbst aus, sondern kaufte lieber großzügig Geschenke für ihre Familie und einige andere Personen, wie etwa ihre wenigen Freunde oder Schützlinge. Zudem spendete sie großzügig Geld für „gute Zwecke“, das hieß, vor allem für die Kriegsanstrengungen. Zu sich selbst war sie vergleichsweise knickerig, vor allem seitdem sie ihren früheren teuren Alkohol- und Medikamentenmissbrauch stark eingeschränkt hatte.
Was an ihrem Strandauftritt merkwürdig gewirkt hatte, war vor allem ihr Äußeres. Natürlich war sie darüber erhaben gewesen, während der monatelangen Reisen an Bord der Columbia etwas Höhensonne zu tanken. Und sich die Haut vor dem Urlaub künstlich mittels eines chemischen, pflanzlichen oder sonstigen Mittels zu bräunen, wäre ihr schon gar nicht in den Sinn gekommen. Folglich wirkte sie zwischen den eher dunkelhäutigen Seafortern – kaum ein Einwohner, der nicht irgendwie afro-terranische Vorfahren hatte, seien sie noch so entfernt, und auch die meisten Europäer und viele Asiaten waren „Sonnenanbeter“ – und den anderen Urlaubern wie ein echtes Gespenst. Sie war zwar durchtrainiert und konnte sich durchaus sehen lassen, aber ihre Hautfarbe war von einer wächsernen Blässe, die geradezu unheimlich erscheinen musste. Mit den schwarzen Haaren und den vor allem aus der Nähe sichtbaren Narben an Gesicht, Hals, Brust und Schulter wirkte sie folglich ziemlich deplatziert, zumal sie mehr Haut zeigte als sonst. Als sie sich am ersten Tag prompt einen Sonnenbrand holte, kamen noch deutliche und großflächige Rottöne hinzu, dazu eine sich teilweise abpellende Haut. Zusammen mit ihren Narben, die sich auf ihrer einfärbenden Haut besonders deutlich abzeichneten, war das nicht eben ein schöner Anblick. Dazu prangte ihre gewählte Bademode in Navy-Blau, stammte in der Tat aus einem Militärshop und war nicht gerade das, was man als besonders raffiniert oder erlesen bezeichnen konnte. Nicht, dass dies alles die Russin sonderlich anfocht, doch es wirkte nicht eben kontaktförderlich. Zudem war Lilja auch charakterlich eine Einzelgängerin und selbst ohne Sonnenbrand nicht immer leicht zu ertragen. Folglich war sie für sich geblieben. Die wenigen Versuche von anderen Strandbesuchern, mit ihr aus welchem Grund auch immer ins Gespräch zu kommen, waren dann auch recht schnell verebbt. Lilja suchte weder Gesprächspartner noch sonst etwas.

Inzwischen wies ihre Haut eine halbwegs gesund wirkende einheitliche Brauntönung auf, abgesehen davon, dass sie oft länger als ratsam im Wasser zubrachte, und dann, wie sie Imp in einem Ferngespräch gesagt hatte „schrumplig wie ein altes Weib“ am Strand lag, denn Sonnenschutzcreme war so ziemlich die einzige Kosmetik, die sie benutzte. Sonne und Sand waren für sie etwas, was sie lange nicht mehr hatte genießen können. Selbst die nach Salz riechende Seeluft war ein Erlebnis für sich. Für eine Raumfahrerin wie sie waren das Meer und der Strand etwas, das sie seit Jahren nicht mehr gesehen, geschweige denn erlebt hatte. Und sie kostete diese Möglichkeit nach Kräften aus. Manchmal in diesen Tagen hätte sie am liebsten laut losgelacht, aber sie beherrschte sich. Nein, Lilja brauchte keine anderen Menschen, um so etwas wie Glück zu empfinden.
Schwimmen und Tauchen sowie längere Joggingeinlagen die Brandungslinie entlang kamen zudem ihrem Fitnesswahn entgegen. Das Angebot war reichlich und es gab in den für Urlauber zugänglichen Uferzonen ein reichhaltiges Tier- und Pflanzenleben, das für jemanden wie Lilja, die im kontinentalen Russland aufgewachsen war, reichlich exotisch wirkte – zumal es sich zum Großteil um endemische Arten handelte, die nur auf Seafort existierten, und die sie oft nicht einmal aus Aufnahmen kannte. Ihr gebrochenes Bein war inzwischen wiederhergestellt, aber eigentlich sollte sie sich immer noch etwas schonen, so die ärztliche Empfehlung. Die sie jedoch kaum beachtete. Mochten andere ihren Urlaub auf ihre Weise vergnüglich verbringen, Lilja tankte vor allem planetare Normalität, etwas, das sie seit langem entbehrt hatte.

Momentan schonte sie sich jedoch, ließ sich einfach nur treiben und beobachtete. Vor ihr, vielleicht 15 Meter entfernt, zeichnete sich im kristallklaren Wasser der Grund ab, aus dem die Badestrände vom offenen Meer durch diskrete aber solide Barrieren getrennt blieben. Das Leben hatte natürlich auch auf Seafort lange vor Ankunft der Menschen zahlreiche Formen von Tieren und Pflanzen ausgebildet. Obwohl sich die Lebewesen in vielem von denen auf der Erde unterschieden, es gab ähnliche evolutionäre Nischen zu besetzen. Was dort draußen schwamm, getrennt durch ebenso unsichtbare wie unzerreißbare Sperrnetze, war ein Schattenhecht. Diese etwas nichtssagende einheimische Bezeichnung war kaum ausreichend für ein Tier, das für die Seaforter Meere die Funktion der irdischen Tiger- und Weißhaie oder Orcas übernahm. Schon die äußeren Charakteristika waren beeindruckend, auch wenn sie nicht unbedingt in jedem Touristenführer zu finden waren. Bis zu acht Meter lang und eineinhalb Tonnen schwer, ein schlanker, torpedoförmiger Körper, ein starker Schwanz, geeignet für Blitzangriffe aus dem Hinterhalt, große starre Fischaugen und ein langgestrecktes Maul mit zahllosen scharfen Zähnen. Das Tier wies üblicherweise eine helle Bauchzeichnung und eine schwarzen Rücken auf, der leicht getigert war, es sollte jedoch auch eine rein schwarze Tiefseeart geben. Es jagte nach Sicht, sowohl tags als auch nachts, galt als überaus lernfähig und vergleichsweise intelligent. Vor allem ausgewachsene Schattenhechte waren für schwere, zum Teil auch tödliche Angriffe auf Menschen und eingeschleppte Säugetiere bekannt oder besser berüchtigt. Selbst ein halbwüchsiges Exemplar mit etwa drei Metern Länge wie das, welches Lilja beobachtete, war in der Lage, einem Schwimmer ein Bein oder Arm abzubeißen oder seinen Bauch wie mit Dutzenden von Messern zu zerfetzen. Der Fisch machte nicht einmal Anstalten, die Netze zu testen, sondern patrouillierte hart an der Grenze der Sperre, ohne zu verraten, dass er die Schwimmer dahinter sah. Lilja reagierte ganz als die erfolgreiche Jagdfliegerin. Nicht nur wegen der Netze fühlte sie nicht einmal eine Spur von Angst. Das lag gewiss auch nicht daran, dass sie am Unterschenkel ihren Kampfdolch trug, denn gegen ein Tier dieser Größe war ein Messer von geringem Nutzen. Sie bewunderte einfach neidvoll die Eleganz, mit der das Tier sich bewegte. Ein leichter Schwanzschlag ließ es bis auf mehrere Meter Tiefe abtauchen, dann glitt es, sich leicht drehend, wieder zur Oberfläche empor, so dass die kurze Rückenflosse und der kräftige Schwanz das Wasser kräuselten. Die Kiemen pumpten, während in dem halboffenen Maul die spitzen Zähne zu erkennen waren.

Lilja fühlte fast so etwas wie Schwermut, als sie den schlanken Meeresräuber betrachtete. Die Raubfische waren von den menschlichen Einwanderern fast ausgerottet worden, bis man erkannte, dass sie wie alle Raubtiere im Ökosystem eine wichtige Position einnahmen – und in der Sportfischerei und dem Tourismus Einnahmen boten, immer vorausgesetzt, man hielt sie von den Badestränden fern. Die Pilotin empfand einfach nur Neid, dass sie nicht in der Lage war, so mühelos dahin zu treiben, mit einer einzigen gedankenschnellen Bewegung die Richtung zu wechseln. Verglichen damit erschien selbst ihr agiler Jäger plump und ungelenk, denn er folgte ihren Befehlen bei weitem nicht so elegant. Sie wusste um die potentielle Tödlichkeit des Tieres, aber für jemanden, der hunderte Einsatzstunden im luftleeren Raum verbracht und Dutzende von Gefechten bestanden hatte, war ein Raubfisch eine reichlich abstrakte Bedrohung. Sie genoss einfach den Anblick des Räubers in seiner mühelosen Eleganz. Nur einmal so wie dieses Tier schwimmen, fliegen zu können…
In diesem Augenblick drang ein rhythmisches Hämmern und dumpfe Laute an ihr Ohr. Offenbar brüllte jemand aus Leibeskräften, und hieb dabei wie wild aufs Wasser. Die Russin tauchte prustend auf, und trat kräftig mit den Beinen, so dass ihr Oberkörper aus dem Wasser ragte und sie einen besseren Überblick hatte. Tatsächlich, wie sie es sich gedacht hatte. Einige junge Männer und Frauen veranstalteten einen Heidenlärm, deuteten hinaus zu dem Raubfisch und hieben aufs Wasser. Sie handelten nicht aus Angst, sondern im Bewusstsein der Sicherheit der Sperrnetze. Schnell tauchte die Russin wieder ab, doch sie sah nur noch, wie der schwarzgraue Schatten mit verächtlicher Eleganz in Richtung des tieferen Wassers verschwand. Lilja zischte unter Wasser einen Fluch und ließ einen weiteren folgen, sobald sie aufgetaucht war. Mit einem Blick auf die Störenfriede, der nicht wesentlich freundlicher war als der des Schattenhechtes, begann sie wieder zum Ufer zu schwimmen. Der Augenblick war ihr gründlich verdorben.

In der Brandungslinie blieb sie einen Moment stehen und versuchte wieder etwas Ruhe in dem Gefühl zu finden, wie die Wellen ihre Knie umspülten und den Sand unter ihren Fußsohlen wegwuschen. Für die Einheimischen war so etwas natürlich nichts Besonderes, aber Lilja verspürte noch immer eine etwas kindliche Freude bei solchen Erlebnissen. Aber heute heiterte auch das sie nicht ausreichend auf. Sie marschierte mit energischen Schritten zu ihrer Strandmatte – auch das ein billiges Navy-Produkt – und brezelte sich mit ausgestreckten Armen in die Sonne, ein Handtuch über dem Gesicht, ohne sich vorher abzutrocknen. Langsam normalisierte sich ihre Atmung, während sie dem einlullenden Klang der Wellen und dem leichten Säuseln des Windes lauschte. Langsam ließ der Ärger nach, kamen ihre Gedanken zur Ruhe. Schließlich döste sie ein. Es stimmte, die veränderte Umgebung, vielleicht auch die Trennung vom üblichen sozialen und beruflichen Umfeld wirkten Wunder. Sie wurde kaum mehr von Alpträumen geplagt, und die Frage, ob sie nun die ersehnte Auszeichnung bekommen würde, plagte sie inzwischen auch nicht mehr sonderlich. Hier war Schlaf vor allem Ruhe, als ob sie wieder draußen im Wasser triebe, sicher vor allen Gefahren und sanft hin und her gewiegt, schwerelos.
Das Heulen ihres Handgelenkkommunikators, das diese friedliche Idylle zerbrach, war ebenso durchdringend wie spezifisch. In einer Mischung von Pragmatismus und schrägem Humor hatte Lilja die Lautstärke standardmäßig auf das mögliche Maximum eingestellt und die Tonfolge des Gefechtsalarms an Bord eines republikanischen Kriegsschiffes ausgewählt. Wie sie meinte, waren das die Töne, die sie immer und zu jeder Zeit erkennen würde, denn die Reaktion darauf war ihr gleichsam in Fleisch und Blut übergegangen, egal ob sie nun im Tiefschlaf oder sonst wie abgelenkt war.
Es wäre übertrieben gewesen zu behaupten, dass die Russin beim ersten Ton aufsprang, aber sie reagierte jedenfalls mit beachtlicher Geschwindigkeit. Reflexartig rollte sie sich zur Seite, noch bevor sie ganz aus dem leichten Schlaf erwacht war, und war schon auf den Knien, ehe sie überhaupt realisierte, wo sie war. Sie ignorierte die neugierigen und verwunderten Blicke einiger anderer Strandurlauber – immerhin sprang nicht ständig jemand wie von der Tarantel gestochen auf – und warf einen Blick auf das Display. Als sie erkannte, dass keine Nummer mit Kennung angezeigt wurde, weder von der Columbia noch von der Victoria-Station oder vom Mistral Naval Hospital, runzelte sie leicht die Stirn. Sie kannte hier auf Seafort niemanden, und die einzigen Anrufe, die sie erwartete, waren ein Rückruf oder Marschbefehl von ihrem Geschwader und eine weitere Anforderung vom Hospital. Zu den Nummern ihrer wenigen Freunde oder auch nur guten Bekannten zählte der Anrufer offenbar nicht, es schien eher eine Seaforter Verbindung zu sein. Mit einem unzufriedenen Grummeln – erst verscheuchten irgendwelche Idioten diesen wunderschönen Raubfisch, und nun konnte sie nicht mal in Ruhe ein Nickerchen machen – aktivierte sie die Verbindung. Sie meldete sich nicht mit Namen, Dienstgrad oder auch nur mit einem freundlichen „Ja, Bitte?“ sondern nur mit einem knappen und geradezu barschen: „Hallo?“
Während des Gesprächs schien es so, als ob das Gesicht der Russin zunächst zu einer emotionslosen Maske der Überraschung erstarrte. Dann breitete sich ein glückliches Lächeln auf ihren Zügen aus: „DU? Du bist hier?!“

International Quarter, Neu Kapstadt, drei Stunden später

Das International Quarter war nicht gerade das Sündenbabel von Neu Kapstadt, obwohl es natürlich auch hier etwas…zwielichtigere…Ecken gab. Da es besonders stark mit den Militäreinrichtungen, Raumwerften und dem größten Raumflughafen des Planeten verbunden war, herrschte hier ein wahrhaft buntes Durcheinander. Denn in diesem Teil Seaforts kamen viele Touristen an, und ebenso konzentrierten sich hier die außerplanetarischen Arbeiter und Angestellten sowie ein beträchtlicher Teil der Militärangehörigen und ihrer Familien. Menschen von den verschiedensten Planeten – vielleicht sogar der eine oder andere Nichtmensch – in Uniformen, Zivilklamotten oder Arbeitsanzügen bevölkerten die Straßen dicht an dicht. Das Stimmengewirr war wahrhaft babylonisch, auch wenn Englisch, Spanisch und Französisch vorherrschten, es gab jedoch auch viele indische und chinesische Dialekte sowie afrikanische Sprachen und so ziemlich jedes andere Idiom, das von einem nennenswerten Teil der menschlichen Bevölkerung gesprochen wurde. Auch die Reklametafeln, Hinweißschilder und anderen Anzeigen waren in vielen Sprachen abgefasst und ständig plärrten Lautsprecher ein verwirrendes Durcheinander von Anweisungen, Ratschlägen oder Versprechungen. Es war ein Rätsel, wie man sich hier zurechtfinden sollte, denn selbst Beschreibungen schienen angesichts des allgemeinen Chaos unzureichend.
Lilja kämpfte sich auf gewohnte Weise durch das Durcheinander, nach dem Motto, wenn man nur energisch genug ausschritt, machten die meisten Leute ohnehin Platz. Sonderbarerweise hatte sie damit sogar meistens Erfolg. Die wenigsten ihrer Kameraden hätten sie wohl in diesem Augenblick auf Anhieb, oder selbst auf einen zweiten Blick erkannt. Nicht nur, dass sie Zivil trug, dazu sogar Sachen, die farblich und vom Schnitt her recht gut zueinander passten. Das war an Bord der Columbia so gut wie nie der Fall gewesen, und selbst wenn sie keine Uniform anhatte, legte die Russin wenig Wert auf modische Gesichtspunkte. Wenn man es genau nahm, dann hatte sie auf dem Träger mehr Stunden in Krankenkluft als in Zivil verbracht. Es lag auch nicht so sehr daran, dass ihre Haut inzwischen einen gesunden Braunton aufwies, der sich gravierend von dem Weiß unterschied, mit dem sie die Columbia und die Victoria-Station verlassen hatte. Was aber noch etwas ungewöhnlicher war, sie trug ihre schulterlangen Haare offen, und die ganze Zeit lag ein erwartungsvolles Lächeln auf ihren Lippen. Beides ließ ihr Gesicht einiges weicher, jünger und hübscher als sonst erscheinen. Dazu kam eine sehr untypische Zappligkeit. Ständig wanderte ihr Blick von links nach rechts, drehte sie sich um, schaute wieder nach vorne, offenbar suchte sie angestrengt nach jemandem oder etwas und war vor Aufregung ganz aus dem Häuschen. Schließlich hatte sie ihr Ziel erreicht. Victoria Hall war eine Stadtbahnstation in bequemer Nähe zur Livingston Naval Air Station. Wie der Haupteingang der LNAS war sie für Neuankömmlinge ein beliebter Treffpunkt, denn in diesen Teil des International Quartier führten praktisch alle Wege, mindestens innerhalb des Stadtviertels, wenn nicht sogar in ganz Neu Kapstadt. Ständig strömten wahre Menschenmassen hinein, heraus und vorbei, und zu bestimmten Stoßzeiten ballte sich die Menge zusammen, so dass fast kein Durchkommen mehr war. Es fehlte nicht viel, und Lilja wäre an dem Pfahl einer Hinweistafel hochgeklettert oder mindestens auf und abgesprungen, um besser sehen zu können, doch offenbar beherrschte sie sich mühsam, ohne jedoch ihre angestrengte Suche ganz aufzugeben. Sie drehte sich immer wieder um sich selbst, um gleichzeitig alle Himmelsrichtungen im Blick behalten zu können.

Dennoch war sie es, die zuerst entdeckt wurde, nicht umgedreht. Der junge Offizier in der Uniform eines First Lieutenant der Flotte tauchte hinter ihr aus der Menge auf. Er war vielleicht eine halbe Spanne größer als sie, in guter körperlicher Verfassung, mit kurzem schwarzen Haar und einem bartlosem Gesicht, das durchaus attraktiv wirkte. Er grinste breit als er sah, wie die Pilotin sich immer wieder suchend umblickte. Er erkannte sie problemlos, obwohl er sie seit Jahren nicht mehr getroffen hatte. Noch ehe sie ihn durch Zufall entdeckte, rief er sie: „Tanja!“
Lilja wirbelte bei diesem Ruf um die eigene Achse – dann spurtete sie los. Man hätte ja sagen können, sie flog geradezu, doch rempelte man beim Fliegen selten jemanden an oder trat ihm auf die Füße, wie in diesem Fall. Die Russin kümmerte sich jedoch nicht darum, ebenso wie sie die Flüche der Menschen ignorierte, die hastig beiseite sprangen. Auch sie rief nur ein Wort, einen Namen: „Walja!“
Im nächsten Augenblick lagen sich die zwei in den Armen und küssten sich, und das war gewiss nicht nur ein flüchtiger Begrüßungskuss. Das Ganze zog sich eine Weile hin. Ihre Umgebung schienen die beiden gar nicht mehr wahrzunehmen. Die vorbeihastenden oder wartenden Menschen ignorierten das Schauspiel weitestgehend – hier bekam man jeden Tag eine Menge emotionsgeladener Szenen zu sehen, zum Teil noch einiges dramatischer, und die meisten hatten es ohnehin eilig, um an ihr Ziel zu kommen, oder sie warteten selber gespannt auf jemanden.
Erst nach einer ganzen Weile lösten sich die zwei voneinander. Lilja hatte ohne Zweifel Tränen in den Augen, dabei grinste sie auf ziemlich töricht glückliche Art und Weise, und sie hielt den Arm des Mannes eisern umklammert, als wollte sie ihn gar nicht mehr loslassen. Der wiederum hatte ihr den Arm um die Schulter gelegt – eine derart vertrauliche Geste, dass die Russin schon mal jemanden deswegen fast die Hand gebrochen hatte.
Auch er lächelte glücklich: „Ach Tanja, Tanja…ich hab dich so vermisst.“ Beide sprachen Russisch, was einen Großteil möglicher Zuhörer ohnehin ausschloss. Dann schien er sich etwas zu fassen: „Komm, gehen wir erst mal einen Happen essen, ich habe einiges zu erzählen… Und das wollen wir doch wohl nicht vor allen Leuten, oder? Ich kenn’ da ein nettes heimatliches Restaurant von ein paar früheren Besuchen – so was gibt es natürlich nur im International Quarter. Ich lad’ dich ein, und da haben wir auch etwas mehr Privatsphäre.“ Lilja errötete etwas, dann nickte sie enthusiastisch. Gegen ihre übliche Art schien es ihr geradezu die Sprache verschlagen zu haben. Ihre begeisterte Zustimmung lag sicher nicht nur am Essen, obwohl sie gerne heimatliche Küche genoss – selbst die beste Bordverpflegung bot weit eher indische und chinesische Gerichte an, als russische. So war sie in der Hinsicht auf die seltenen Urlaubsgänge beschränkt, was nur alle paar Monate möglich war. Arm in Arm machten sich die beiden auf den Weg, ohne sich um das Gedränge um sie herum zu kümmern.

Anderthalb Stunden später, Restaurant Samovar, International Quarter von Neu Kapstadt

Obwohl beide Gäste offenbar beim Essen ordentlich zugelangt hatten, schien ihnen die Unterhaltung miteinander am wichtigsten zu sein, jedenfalls hatten sie für die übrigen Gäste, die Einrichtung – die auf „klassisch russisch“ getrimmt war – oder die Musik keine Aufmerksamkeit übrig. Ein wenig Alkohol – nicht zuviel, aber doch ein ordentliches Quantum – hatte bei beiden etwas die Zungen gelockert, abgesehen davon, dass sie sich ohnehin viel zu sagen hatten.
„Also, was hat dich denn eigentlich hierher verschlagen? Und wann legt dein Schiff wieder ab?“ In Liljas Worten schwang eine leichte Sorge mit, offenbar legte sie Wert darauf, dass ihr Gegenüber ihr noch eine Weile erhalten blieb. Der lächelte nur.
„Tja, wenn ich das so genau wüsste. Ich bin abkommandiert worden, irgendein Sondereinsatz. Der ist so geheim, dass er nicht mal Sondereinsatz genannt wird. Ausnahmsweise pfeifen es noch nicht alle Spatzen von den Dächern, worum es geht. Aber anscheinend werde ich – und noch ein paar andere – auf ein Großschiff versetzt. Nun, obwohl ich meinen alten Kahn vermissen werde, klingt das ganz interessant. Ich bin zwar noch nicht im Gespräch für einen Posten als leitender Waffenoffizier, aber der Stellvertreterposten – das ist vielleicht drin. Natürlich ist das was ganz anderes und bedeutet viel mehr als auf meinem alten Schiff. Dort hätte ich auf absehbare Zeit kaum mehr Karriere machen können, denn unser Kapitän gibt seine Spezialisten nicht her. Doch jetzt… vielleicht überwinde ich in näherer Zukunft auch mal die Hürde Lieutenant-Commander.“ Lilja berührte leicht die Hand des jungen Offiziers: „Ich freu mich für dich – du hast es dir wirklich verdient.“ Sie sprach nicht darüber, dass der Dienst an Bord eines großen Schiffes mindestens so gefährlich war wie der auf einer kleineren Einheit. Die Kreuzer – und mehr noch die Träger – waren zwar besser geschützt, doch sie zogen das feindliche Feuer geradezu magisch an. Aber wozu etwas aussprechen, was sie beide nur zu gut wussten? Solche Gefahren waren im Krieg eine Konstante, mit der man leben musste und die beide akzeptierten.
Stattdessen berichtete sie lieber von dem, was sie selbst betraf. Sie hatte nicht mal bis zum Eintreffen der Getränke, geschweige denn bis zu den Vorspeisen gewartet, bis sie mit der Neuigkeit über ihre mögliche Auszeichnung herausgeplatzt war – etwas, dass an Bord der Columbia nur Raven und vielleicht Lone Wolf wussten und was sie keinem sonst erzählt hätte. Aber es gab auch sonst genug zu erzählen: „Nun, wie es mit mir weitergeht, das weiß ich nicht so recht. Offenbar wissen sie noch nicht so recht, was mit dem Geschwader wird. Wenn sie es auflösen – was ich nicht hoffe, aber wie man so schön sagt, bei jedem Strick kommt mal das Ende – dann denke ich, sie werden mich als Staffelchef auf einen leichten Träger schicken, oder als Ersatz auf einen Frontträger der 2. Flotte. Ich habe schon mal angefangen rumzuhorchen, aber es ist wie verhext, unmöglich etwas Genaues rauszukriegen.“
Ihr Gegenüber grinste: „Na, ich hoffe, auf einem leichten Träger machst du mindestens den Geschwader-XO. Und außerdem, die Angels auflösen? Unmöglich! Weißt du nicht, dass ihr inzwischen sogar auf der Leinwand und die Bildschirme gekommen seid, und nicht nur in den Nachrichten? Ich habe dir den Pilotfilm mitgebracht.“ Lilja wurde buchstäblich knallrot, vor allem als der Offizier hinzufügte: „Ich warte ja nur darauf, dass ich dort auch mal meine kleine Tanja sehe.“ Die Russin schien Probleme zu haben, eine Antwort darauf zu finden, gab sich aber betont sachlich, obwohl ihr anzusehen war, dass sie zwischen Verlegenheit und Freude schwankte: „Ach, wer weiß, ob sie sich wirklich so sehr an die echte Besetzung halten – klar, die Spitzenleute, die können sie nicht auslassen. Lone Wolf, Darkness, vermutlich auch meine alte Staffelchefin als zeitweilige XO, und Razor oder Trisha, weil die so viele Großschiffe gekillt haben, außerdem brauchen die lahmen Enten auch mal ein paar Helden.“ Lilja kultivierte gelegentlich die bei den Jägern übliche Herablassung gegenüber Bombern und Jagdbombern. „Die kommen sicher rein. Aber jemand wie ich? Vielleicht mal in einer Nebenrolle.“ Ihr Gegenüber lachte: „Du meinst, dein Verhalten sei nicht auch filmreif?“ stichelte er. Lilja wehrte ab: „Na ja, wenn es einem guten Zweck dient…aber gute Piloten haben wir viele.“ Doch ihre Abwehr überzeugte offenbar nicht: „Ich seh’ es dir doch an der Nasenspitze an, du wärst geschmeichelt. Und wenn sie dir doch noch die PMV geben, dann kommen sie bestimmt nicht an dir vorbei. Außerdem – du bist doch bestimmt die Hübscheste des ganzen Trägers, und du warst schon zweimal in den Nachrichten.“ Normalerweise hätte Lilja auf so eine Bemerkung bissig reagiert, aber sie lachte nur und schüttelte den Kopf, dass ihre Haare flogen: „Also das hat bestimmt noch keiner zu mir gesagt.“ Sie brauchte eine Weile, um sich wieder zu beruhigen: „Ja, natürlich bin ich geschmeichelt, dass sie unser Geschwader für so was aussuchen. Vorausgesetzt, sie machen nicht eine Heldengeschichte samt großkotzigen Vorzeigehelden mit aufgeblasenen Sprüchen und Pinup-Pilotinnen daraus, sondern konzentrieren sich auf das wesentliche.“ Was in Liljas Augen die Toten mit einschloss, denn diese waren kein Grund zum Trauern, sondern eine Verpflichtung weiterzumachen bis zum bitteren Ende. Dem Ende des Gegners natürlich.
„Aber du hast Recht – das Geschwader aufzulösen wäre schon aus propagandistischen Gründen schlecht. Und damit meine ich nicht mal nur die Filme. Wir haben zwei Träger des Flying Cross in Silber und einen Goldträger hervorgebracht, dazu die Königsmörder, pardon Prinzenmörder – das soll uns erst mal einer nachmachen. Einige andere Jagdflieger arbeiten kräftig daran, auch bald Silber zu tragen. Unsere Spitzenpiloten allein zusammengenommen, dürften wir ein Dutzend Männer und Frauen haben, die zusammen über 300 Akariijäger abgeknallt haben. Unsere Jabos haben mehr als einen Träger und eine Reihe von Kreuzern auf ihren Flügeln. Und mit den Verwundeten von den Bushpilots, die Einsatzfähigen hat uns nämlich die Hongkong geklaut, haben wir schon mal einen soliden Stamm. Nein, ich glaube auch nicht, dass sie die Angels auflösen.“ Sie lachte: „Ich glaube aber nicht, dass ich so bald Geschwader-XO werde. Nicht bei den Angels. Unsere augenblickliche Chefin weiß, dass ich große Stücke auf ihren Vorgänger halte, und mit dem steht sie nicht gerade gut. Na ja, Rudelmutter für eine Staffel zu sein ist schwierig genug, wenn man auch noch darauf achten muss, dass einen die Echsen nicht kriegen.“

Der junge Offizier betrachtete sie prüfend: „Scheint dir aber nicht schlecht bekommen, die Arbeit und besagte Versuche, dich umzubringen.“ Lilja kicherte boshaft: „Was mir gut bekommt, ist der Umstand, dass ich bisher immer besser war.“ Ihr Gegenüber füllte bedächtig ihr und sein Trinkglas mit dem Rest des Alkohols auf, der noch in der Flasche war, die sie gemeinsam geleert hatten: „Auf die Angry Angels und auf die Chefin von Staffel Grün.“ meinte er. Lilja lächelte und erwiderte den Trinkspruch: „Auf dich und dein neues Kommando, wo immer es auch sein sollte.“ Dann kippten sie den Alkohol hinunter.

Walja streckte sich genüsslich. Alkohol und gutes Essen sowie das geselligen Zusammensein taten ihre Wirkung. Aber seine Neugier war noch nicht gestillt: „Sag mal Lilja – obwohl ich das ja gleich hätte fragen sollen, bei deiner Begrüßung habe ich es bloß vergessen – bist du im Moment mit jemandem zusammen?“ Die Russin verzog ihre Lippen zu einer Grimasse, fast beleidigt. In ihrer Stimme klang ein wenig Sarkasmus mit, aber kein boshafter: „Was denkst du denn? Das hätte ich dir doch wohl mitgeteilt! Und wie sieht es bei dir aus?“ Der Offizier lachte nur: „Du weißt doch, in meinem Herzen ist nur für dich Platz.“ Das brachte ihm einen unsanften Knuff gegen die Schulter ein, was ihn jedoch nicht zu stören schien. Er schaute sich suchend um, dann grinste er: „Ich glaube, wir verschwinden besser langsam von hier. Die Bedienung lauert darauf, dass wir endlich bezahlen, wo wir schon mit Essen fertig sind.“ Lilja zuckte mit den Schultern: „Dann gib ihr doch besonders viel Trinkgeld – oder gar keins.“ schlug sie spöttisch vor. Der Offizier schüttelte grinsend den Kopf: „Das letztere lieber nicht. Ich will ja gelegentlich noch mal wiederkommen.“
Wenige Minuten standen sie draußen. Inzwischen war der Tag soweit fortgeschritten, dass es langsam Dunkel wurde. Dem Treiben auf den Straßen tat das freilich keinen Abbruch. Ein Teil der Passanten kamen ohnehin aus Habitaten mit künstlicher Zeiteinteilung, seien es die Raumstationen über Seafort oder im ganzen System, oder die Raumschiffe in den Docks oder auf Patrouillen- und Wachfahrt. Viele von den anderen wollten sich auch mit Einbruch der Nacht nicht von ihren Geschäften oder ihrem Vergnügen oder beidem lassen. Neu Kapstadt war ein Ort, wo es eigentlich wenig Ruhezeiten gab, jedenfalls nicht hier. Die Reklametafeln waren jetzt noch auffälliger und zusammen mit den Lichtern des Verkehrs, der Straßenbeleuchtung und der Gebäude überstrahlten sie mühelos die Sterne, so dass fast nur die wesentlich näheren künstlichen Lichter zu sehen waren – die Raumwerften und die startenden und landenden Schiffe und Shuttles. Die Einwohner von Neu Kapstadt sahen denn auch selten zu ihrem Himmel auf, obwohl ein Großteil ihres Reichtums von den Sternen kam, und eines Tages von dort vielleicht auch die Bedrohung hereinbrechen mochte, die unausgesprochen aber präsent über ihnen schwebte. Aber daran dachte kaum jemand. Die beiden Offiziere gingen noch immer Arm in Arm und achteten kaum auf ihr Umfeld. Ihr Gesprächsstoff war offenbar noch lange nicht aufgebraucht. Schließlich blickte sich Walja suchend um: „Hm, schauen wir mal…Bleibt die Frage, was wir jetzt machen. Ich könnte dir einige Clubs zeigen – gibt ja einige, aus denen ich noch nicht rausgeflogen bin.“ Die Russin feixte: „So lange es keine Oben-ohne-Bars sind, wäre das zu überlegen. Dann hättest du deinen Geschmack aber verfeinert.“ Die Retourkutsche ließ nicht auf sich warten: „Was denn, und dann stehe ich den ganzen Abend in deinem Schatten?“ Das zusammen mit seinem anzüglichen Grinsen brachte ihm den zweiten Knuff gegen den Arm ein, aber er war offenbar an diese Art nonverbaler Kommunikation gewöhnt. „Andererseits habe ich auch ein Hotelzimmer, wenn du etwas mehr Privatsphäre bevorzugst. Ich hatte sowieso gehofft, wir könnten die nächsten Tage gemeinsam verbringen. Immerhin haben wir uns ja lange nicht gesehen. Oder wirst du irgendwo erwartet?“ Lilja schüttelte den Kopf: „Für meine Leute bin ich noch auf Urlaub – und ich glaube nicht, dass sie mich heute anfordern.“ Sie dachte kurz nach: „Hm, also ich denke, deinen Freunden kannst du mich auch noch an einem anderen Tag vorführen – so schnell wirst du mich erst mal nicht wieder los. Den heutigen Abend reservieren wir für uns, würde ich sagen. Gehen wir ins Hotel – die Kneipentour machen wir ein andermal. Ich hoffe aber, bei der Unterkunft hat sich dein Geschmack auch verbessert.“ Ihr Begleiter tat beleidigt: „Was denn, wo die Möglichkeit bestand, dass du dort schläfst? Für dich doch nur das Beste.“ Aus irgendeinem Grund brachte das Lilja dazu, sarkastisch zu lachen, wie sie überhaupt an diesem Abend häufiger gelacht hatte, als sonst in einer Woche. Oder, was das anging, in einem ganzen Monat. Offenbar zufrieden gestellt ließ sie sich von ihrem Begleiter den Weg zeigen.
19.01.2016 06:53 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
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Cunningham

Was tun sprach Zeus; Die Götter sind besoffen und der Olymp wird vollgekotzt.
Unschlüssig stand Lucas Cunningham vor dem Kleiderschrank. Weißes oder dunkelblaues Jackett?
Das weiße wäre eher förmlicher, aber Dinner-Dress blieb Dinner-Dress. Zur Paradeuniform oder zum großen Dienstanzug konnten Orden befohlen werden und waren bei Staatsbegräbnissen Pflicht. Zum Dinner-Dress hingegen wurden immer die Orden angelegt.
Diese Uniform war eher ein Smoking, denn ein Anzug, und was ist wenn Melissa ihren großen Dienstanzug trug?
Aber ihre 'Anordnung' war unmissverständlich gewesen: Zieh Dir deinen besten Anzug an.
Etwas deprimiert blickte Lucas in seinen Kleiderschrank: Fünf kakifarbene Sätze Offiziersuniformen mit langärmligen Hemden, zwei Sätze mit kurzen Ärmeln, zwei dunkelblaue große Dienstanzüge, zwei Pullover in der gleichen Farbe, zwei weiße Tropenuniformen, die weiße Paradeuniform und zweimal Dinner-Dress, einmal mit blauen Jackett und einmal mit weißem.
Dazu natürlich noch T-Shirts, Unterwäsche und Socken.
„Du warst doch eigentlich mal ein modebewusster junger Mann oder nicht?“, er seufzte, „Der jetzt nicht weiß, was er anziehen soll, wenn er seine Frau ausführt und Selbstgespräche führt. Eigentlich kannst du dich genauso gut aufhängen.“
Kurz entschlossen griff er zum Dinner-Dress mit dem blauen Jackett.


In ihrem Quartier auf der TRS Drake blickte sich Melissa Auson bewundernd selbst im Spiegel an. Der schwarze Traum von einem Kleid schmiegte sich an ihren Körper.
Man(n) mochte es kaum glauben, sie als Captain eines Kriegsschiffes konnte es selbst auch nicht ganz greifen, aber sechs Stunden Herumgerenne in Kleidergeschäften und Boutiquen konnte sich wirklich lohnen.
Sie musste grinsen, sechs Stunden Einkaufsbummel, bei ihrem angesparten Gehalt hatte sie wirklich nicht aufs Geld achten müssen und zum Glück waren die gröbsten Schäden dieser sogenannten Party behoben worden.
Party, nach Lieutenant Kolwitz Erzählungen war es wohl eher eine Art Orgie gewesen.
Als die Sache mit dem Auto raus gekommen war, war ein klein wenig Schadenfreude da gewesen, dann hatte sie sich erinnert, dass ihr Vater den Corvette von Grund auf selbst restauriert hatte und sie selbst ihm das Lenkrad nach Monate langer Suche verspätet zu seiner Beförderung zum Commodore geschenkt hatte.
Das war nun auch schon einige Jahre her. Seitdem war viel geschehen.
Es läutete.
„Herein.“
Master Chief Petty Officer Galen O'Poole trat herein und stutze kurz: „Entschuldigen Sie junge Dame, haben Sie zufällig meinen Captain gesehen?“
„Von allen hier an Bord haben Sie es doch am wenigsten nötig zu Schleimen, Bosum.“
„Das war nur meine unbeholfene Art ein Kompliment zu machen, Skipper.“, er steckte sich die Hände in die Taschen, „Müller und der kleine Lindner sind von der MP aufgegriffen worden, als sie sich gegen ein Bordell erleichtert haben, sternhagelvoll und stinksauer, weil die Mädchen zu teuer waren.“
„Soll sich morgen früh der OvD darum kümmern, aber Sie sind doch sicherlich nicht gekommen, um mir das mitzuteilen. Das hätte ich doch morgen früh …ähm, Mittag erfahren.“
„Nein, eigentlich wollte ich mir nur ansehen, wie Sie sich für ein Rendezvous heraus putzen.“
„Es ist kein Rendezvous, ich gehe mit meinem Mann essen.“
„Klar, außerdem wollte ich Sie zur Schleuse begleiten, damit sich keiner der Jungens in Schwierigkeiten bringt, wenn er ihnen hinterher pfeift.“
„Zu liebenswürdig, Bosun.“
„So bin ich eben, außerdem ist Ihr Rendezvous schon auf dem Weg hierher.“
„Wie immer alles im Griff, nicht wahr?“
„Alles im Griff, aye-aye Ma'am.“, er hielt ihr den Arm hin und erntete einen amüsierten Blick.
Sie nahm noch ihre Handtasche und legte den leichten Mantel über den Arm, spät abends konnte es unten, auf Seafort, recht kühl werden.
Dann gingen die beiden durch die überwiegend leeren Korridore der Drake zur Andockschleuse Nummer eins. Ein Großteil der Crew war auf Landgang oder erholte sich von den Strapazen der Sauftouren. Entweder an Bord, in Gemeinschaftsquartieren auf der Bodenstation oder gar im Gewahrsam der Militärpolizei.
An der Schleuse hielt ein gelangweilter Ensign Kaiwache zusammen mit einem jüngeren Unteroffizier.
Als die beiden die Annäherung des Captains und des Bosuns registrierten, strafften sie sich sofort und dem Ensign klappte bei Ausons Anblick die Kinnladen runter.
Als sie auf seiner Höhe angekommen war, packte sie ihre Befehlsstimme aus: „Augen gerade aus Matrose!“
„Ay.... aye-aye, Ma'am.“
„Bitten um Erlaubnis von Bord gehen zu dürfen.“
Der Ensign nickte: „Äh…Erlaubnis erteilt.“
Der Unteroffizier der Kaiwache erbarmte sich seiner und nahm sein Sprechgerät und die Deckenlautsprecher an Bord der Drake pfiffen, und kurz danach erklang die Stimme des Petty Officer: „Captain geht von Bord.“
Auson nickte nochmal O'Poole zu und betrat Victoria Station, und tatsächlich stand am anderen Ende der Schleuse schon Lucas.
Seine schmalen Lippen zerteilten sich zu einem strahlenden Lächeln, als er sie bewundernd musterte.
Melissa musterte ihn ebenfalls, und die Uniform stand Lucas wirklich gut, befand sie. Die Ordenspracht war beeindruckend und in einem Anflug von Neid musste sie ihm zugestehen, dass er ihr immerhin dort um mehr als eine Nasenspitze voraus war.
„Dinner-Dress?“, sie ließ einen Hauch von gutmütigen Spott mit einfließen um dem Tadel die Spitze zu nehmen.
In gespielter Demut hob Lucas die Hände und ließ den Kopf etwas sinken: „Ich habe keine Zivilklamotten.“
„Schatz“, neckte Melissa, als sie sich bei ihm einhakte, „niemand redet von Zivilklamotten, aber ein Anzug, dunkel, schlicht aber elegant, ist das für jemanden aus der Bostoner Highsociety zuviel verlangt?“
„Mein lieber Captain,“, dabei senkte Lucas seine Stimme zu einem Säuseln, was ihr ein mädchenhaftes Kichern abrang, „meine Eltern gehören der Bostoner Highsociety an, meine Onkel und Tanten, ganz besonders meine Tanten und allen voran Tante Allison, möge Gott sie bald selig haben..Ich hingegen bin geradezu ein Exilant, ich bin quasi in die Navy geflüchtet, um den Zugriff dieser kupplungssüchtigen Frauen zu entgehen.“
Sie schlenderte die Promenade von Victoria Station entlang zum Urlaubsshuttle zum Planeten.
„Aha, Du hast also die Zivilisation hinter dir gelassen und bist zum Vagabunden geworden.“
Lucas überlegte kurz: „So ein wenig schon. In dieser Uniform, also metaphorisch gesprochen, habe ich wohl den halben von der Menschheit besiedelten Weltraum bereist und darüber hinaus. Ich habe die Sonnen Delos gesehen.“
„Kenne ich“, kommentierte sie trocken.
„Den Sternenregen von Umbra Drei durfte ich beobachten.“
„Ich auch.“
„Auf Nouveau St. Clair habe ich am Karrisch-Lauf teilgenommen.“
„Das habe ich…was ist ein Karrisch-Lauf?“
„Der Karrisch ist eine Antilopen ähnliche Kreatur, die aber vom Nutzen her eher dem Rind, also essbar, entspricht. Es ist wie der Stierlauf in Spanien.“
Melissa blickte zu ihm auf: „Findest Du das nicht barbarisch?“
„Und ob, mindestens zwanzig Karrisch wollten mich aufspießen.“
„Du Blödmann“, sie lachte.


George Auson war ganz und gar nicht nach Lachen zumute gewesen. Gut, Schneider hatte sein Auto reparieren lassen und der Garten wurde auch wieder in Ordnung gebracht, aber der Schaden an seiner Corvette, das war dann doch etwas Persönliches.
Als Commander Burr sich angemeldet hatte um mit den beiden Übeltätern bei ihm vorstellig zu werden, hatte er Justus Schneider hinzu gebeten.
Den Nachmittag über hatte er sich ausgemalt den beiden Bomberjockeys bei lebendigen Laibe die Haut abzuziehen, sie anschließend in ein Fass mit Salz zu stecken und vieles mehr.
Justus Schneider hatte sich persönlich noch vielmals entschuldigt, als er vor Raven und ihren beiden Desperados eingetroffen war.
Ruhig hatte Auson sich die Ausführungen des Captains der Kami angehört und es erstmal dabei belassen.
Dem jüngeren Mann war der Vorfall sichtlich peinlich, und das auch zu Recht, aber George Auson hatte nicht vor ihm zuzuhören oder schlimmer noch, durch ihn seine Wut mildern zu lassen.
Wenn es doch nur diese schöne alte und vor allem britische Tradition gegeben hätte einen Soldaten durch die Flotte peitschen zu lassen, aber das siebenundzwanzigste Jahrhundert war so schrecklich unzivilisiert.
Als dann Raven und ihre beiden Unruhestifter eintrafen, erhielt seine Wut einen herben Schlag. Die beiden Jaygies kamen mit hängenden Köpfen und Schultern in das Büro geschlurft. Der größere der beiden, Lieutenant Ellis, sah fast kränklich bleich aus.
Commander Samantha Burr hatte ihre schlichte Dienstuniform angelegt, trug jedoch sämtliche Auszeichnungs- und Kampagnenabzeichen. Der Salut, den sie vor ihm hinlegte, hätte einem Kadetten zur Ehre gereicht.
Die CAG das 127. machte einen entschlossenen Eindruck. Entweder war sie schon wie der Hammer Gottes auf ihre beiden Lieutenants hereingekommen, oder sie würde sich hier schützend vor ihre Leute stellen.
In seiner nun fast vierzigjährigen Karriere hatte er oft genug erlebt, wie junge Offiziere, Lieutenants Junior wie auch Senior Grade und auch noch Lieutenant Commanders, aber auch Commander und Captains wie der Hammer Gottes auf junge Männer und Frauen niedergekommen sind, und das häufig nur für geringe Verfehlungen.
Häufig wollten karrieregeile Arschlöcher als harte Hunde darstehen, Eindruck schinden, zeigen, dass sie den Laden im Griff hatten.
Nachdem Auson den Gruß erwidert hatte, gebot er Raven zu sprechen.
„Admiral Auson, Sir, ich möchte mich in aller Form und im Namen meiner Staffel wie auch des Geschwaders für die Schäden entschuldigen, die wir angerichtet haben. Selbstverständlich werden wir für jegwelchen finanziellen Schaden gerade stehen. Es tut uns wirklich sehr leid und wir wollten weder Captain Schneiders Party stören, noch ihr Eigentum beschädigen, Sir.“
Donnerwetter, dachte Auson bei sich, wir und nicht meine beiden Piloten oder Lieutenants so und so.
Er kam um seinen Schreibtisch herum und begutachtete die drei Piloten und warf Schneider einen Blick zu, der auch beeindruckt schien.
Diese Raven würde sich vor ihre Leute stellen, dabei waren laut den Dienstakten weder Ellis noch Carrera lange bei den Angels.
„Darf ich fragen, Commander, wie lange dienen Sie schon mit den jungen Männern?“
„Sir, beide sind seit der Schlacht von Karrashin bei uns, Sir.“
„Lassen Sie den Unsinn, ich bin kein Drill-Instructor und noch kein seniler Tattergreis.“
„Jawohl, Sir.“
Er blickte Carera an: „Sie haben also in meinen Pool gereiert“, und an Ellis gewandt, „und Sie wollen das Offizierinnen der TSN in meinen Garten Schlammcatchen veranstalten.“
Die beiden Lieutenants blickten sich kurz an, dann antworteten sie gleichzeitig: „Sir, nein, Sir!“
Das kurze Schweigen danach durchbrach Ellis: „Ich habe in Ihren Pool geko…gespuckt, Sir.“
Auson blickte wieder Carrera an, dieser murmelte etwas: „Wie bitte, Lieutenant?“
„Ich war das wohl, der die Idee zum Schlammcatchen hatte, Sir.“
„Möchten Sie mir erzählen, wie es dazu kam, Gentlemen?“
Carrera setzte zweimal zum sprechen an, doch schließlich erzählte Ellis: „Nun, Sir, wir haben uns schon seit zwei Tagen ausgemalt, was für eine Party das werden würde. Bei Schneiders, ähm bei Captain Schneiders Ruf, musste das eine riesen Sause werden, mit Sex, Drugs and Rock'n Roll und so. Ich meine es hieß ein Swimmingpool gefüllt mit Bier. Und nun, Captain Schneider hat früher die Kaze befehligt und da dachten wir, da dachte ich, bei solchen Ansagen wie einem Bier gefüllten Pool, da dachten wir, würden wir etwas richtig lasterhaftes vorfinden, wie die Universitätsparties von Quambique, draußen am Meer, kennen Sie die, Sir?“
Auson kannte sie, er hatte eine sechzehnjährige und betrunkene Melissa von so einer Party holen müssen: „Sie meine jene, die regelmäßig von der Polizei gesprengt werden?“
„Ja, genau solche“, Ellis schien sich an etwas aus seiner Studentenzeit zu erinnern, „aber da war nun diese Gartenparty, schick und größer als normal, aber nicht den erhofften Erwartungen entsprechend. Naja, wir haben uns betrunken wie es nur ging und dann nahm alles irgendwie seinen Lauf. Es tut mir…es tut uns sehr leid, Sir.“
„Gut“, meinte Auson, „es ist augenscheinlich niemand verletzt worden.“
Schneider und die beiden Lieutenants schüttelten schnell die Köpfe.
„Da sämtliche Sachschäden behoben werden und Sie oder Ihr Geschwader dafür gerade steht, will ich zumindest Gnade vor Recht ergehen lassen, da kann ich jedoch nicht für Ihren CAG sprechen. Sollten Sie beide aber noch ein einziges Mal mir doof auffallen, dann Gnade Ihnen Gott, denn ich werde es nicht tun. Sie können gehen.“
Die beiden hoben überrascht die Köpfe.
„Sie haben richtig gehört, raus, husch-husch.“
Carrera und Ellis salutierten hastig und flüchteten dann unter Dankesgemurmel.
Als sich die Tür hinter den beiden schloss ergriff Raven das Wort: „Ich danke Ihnen, Sir, ich werde Ihnen diese Milde nicht vergessen und dafür sorgen, dass die beiden sich nicht mehr daneben benehmen.“
„Lieutenants benehmen sich nun mal daneben. Besonders solch junge. Man muss nur zusehen, dass sich dabei kein dauerhafter Ruf entwickelt, nicht wahr Captain Schneider?“
„Ja, Sir“, was blieb einem Captain auch anderes übrig als einem Admiral zuzustimmen.
„Aber zu Ihrem dritten Lieutenant, der sich der Verhaftung entzogen hat ...“
„Ich habe Lieutenant Brody ein zusätzliches Arschloch verpasst, Sir.“
„Gut, CAG, ich hoffe, dass Ihr Geschwader damit sein Pensum an Chaos erfüllt hat.“
„Das hoffen wir alle, Sir.“
Auson schnaufte belustigt: „Sie können wegtreten, beide.“
Doch ehe die beiden jüngeren Offiziere die Tür erreichten, ergriff der Admiral nochmal das Wort: „Schneider, durch Beispiel führen bedeutet nicht nur tapfer und befähigt zu sein. Ein Offizier ist auf Gentleman und auch dieses gilt es an die nächste Generation von Offizieren weiterzugeben.“
„Aye, Sir.“


Das Kaschmir war ein Geheimtipp. Ein Lokal, das traditionell Seaforter Küche anbot. Und obwohl es exklusiv und teuer war und für jemanden, der nicht exzellente Verbindungen zur Highsociety von Seafort hatte, nicht erreichbar war, hatte nur Melissas Machtwort Lucas dazu gebracht die Einladung anzunehmen.
Doch er musste eingestehen, er genoss irgendwie Jeremy Randells Gesellschaft, und die Chance mit Melissa in dieses Restaurant zu gehen, wäre eigentlich jede Folter wert gewesen.
Auch Randells Begleiterin war eine angenehme Gesellschafterin.
Darüber hinaus genossen sie die ganz besondere Aufmerksamkeit des Personals. Nicht, dass Randell eigentlich prominent genug gewesen wäre, um als Fremdweltler hier einfach Einlass zu erhalten, aber irgendwie hatte er es geschafft.
Aber der Hingucker war, wie Lucas geschmeichelt feststellte, er selbst. Als einziger Uniformträger im Restaurant, stach er im Dinner-Dress und mit den Orden ganz eindeutig hervor.
Auf Seafort lebte man mit dem Militär, doch es war nur Gast und kein Teil der Gesellschaft. So war Lucas im Kaschmir sowohl Exot als auch beeindruckend.
„Also das mit dem Quickie auf dem Schreibtisch tut mir außerordentlich leid“, sagte Randell gerade, „und auch, dass Sie nur zur Nebenrolle degradiert wurden, wenn Sie mir diesen militärischen Ausdruck durchgehen lassen, Captain Auson.“
Melissa und Lucas hatten den Film gesehen und ihre Meinung darüber war bestenfalls gemischt. Obwohl beide geschmeichelt waren, hatte man an einigen Stellen doch ein wenig viel von ihrer Privatsphäre hervorgekramt, und Lucas musste bei einigen Freiheiten über den Beruf des Piloten einfach nur den Kopf schütteln.
„Aber, ich habe eine Frage, Lucas,“, Jeremy beugte sich vor, „wir wollen, wenn ich zurück auf der Erde bin, mit der ersten Staffel anfangen und ich soll da einen jungen Piloten einweisen, wie soll ich folgenden Satz sprechen: 'Sohn, Sie müssen auf ihren Instinkt hören, vergessen Sie die Instrumente, wenn Sie kein Gefühl entwickeln, werden die Akarii sie eher früher als später erwischen'. Eher ernst oder resigniert Zynisch? Weil laut … einer Quelle fällte wohl kumpelhaft weg.“
„Sie möchten meine ehrliche Meinung?“, Lucas verzog keine Miene als ihn unter dem Tisch ein Damenschuh gegens Schienbein trat.
„Natürlich, sonst hätte ich nicht gefragt.“
„Nun, dann würde ich so einen Quatsch am besten weg lassen. Weil, wenn Sie im Raumkampf oder auch nur im Raumflug ihre Instrumente vergessen oder gar verlieren, dann sind Sie tot.“
Randell blickte einen Augenblick überrascht, dann fing er an zu lachen: „Beinahe hätten Sie mich dran gekriegt.“
Lucas schüttelte den Kopf: „Sie glauben ich scherze?“
„Ja klar, dieses gespielt ernste Gesicht, zum Glück haben Sie es nie als Schauspieler versucht.“
„Hören Sie, Jeremey,“, Lucas nahm einen Schluck von seinem Wein, „Sie bewegen sich in einer Umgebung mit siebenhundertzwanzig Graden Sicht. Kein Horizont und manchmal keine Anhaltspunkte, Sie führen Bewegungen aus, die das Blut aus dem Kopf raus oder mit Gewalt in den Kopf rein pumpen. Man führt Manöver aus und ist am Rande der Bewusstlosigkeit. Sie brauchen ihre Instrumente und Sie müssen ihnen hundert Prozentig vertrauen. Die Überlebensrate an Kampfpiloten ist selbst in Friedenszeiten bei nur fünfundsiebzig Prozent. Durch Fehler, technisches Versagen oder Pech stirbt jeder vierte Kampfpilot. Das ist keine Fantasie, das ist Fakt. Irgendwomit müssen die zweihundertsechzig Real Flugzulage ja begründet sein, nicht?“
Der Schauspieler lächelte, wenn auch etwas verunsichert.
Melissa unterhielt sich mit seiner Begleitung derweil über die anstehende Sportsaison auf Seafort. Die beiden Damen waren große Leichtathletik-Fans.
„Hören Sie Lucas, oder darf ich Lone Wolf sagen?“
„Lone Wolf ist mir recht.“
„Also hören Sie Lone Wolf,“, Jeremy beugte sich verschwörerisch vor, „einer vom Ministerium hat mir einen Flug mit einer dieser zweisitzigen Phantom-Trainingsmaschinen organisiert. Würden Sie mich rumfliegen? Bitte, Sie würden daraus keine Show machen, sondern mir das richtige Fliegen zeigen, vielleicht sogar ein paar Kampfmanöver vollführen?“
An sich brauchte Lucas nicht lange zu überlegen, er vermisste das Cockpit mittlerweile sehr: „Gerne, wenn Sie glauben das zu schaffen.“


Der Abend war gemütlich ausgeklungen und ein Taxi setzte Melissa und Lucas bei der Villa Admiral Ausons ab.
„Tja, hier bin ich aufgewachsen, also teilweise, von vier bis sieben, danach sind wir erst nach New Boston, dann nach Terra, und anschließend von vierzehn bis siebzehn wieder hier.“, erklärte Melissa. Ein wehmütiger Ton schlich sich in ihre Stimme.
„Du liebst dieses Haus, nicht?“
„Ich habe gar nicht gewusst wie sehr“., langsam führte sie Lucas den Auffahrt hinauf.
Das weiße Haus war für das Grundstück recht klein, etwas kleiner als sein Elternhaus in Boston, welches auf einem viel kleineren Grundstück stand.
„Der ursprüngliche Eigentümer hatte die umliegenden Grundstücke zugekauft und wollte sich hier einen Palast hinstellen, ist dann aber Pleite gegangen. Für Dad und mich war das Haus an sich schon zu groß und daher hatten wir wenig Ambitionen, anzubauen. Später hat Dad dann ein Teil des Landes wieder teuer verkauft, um das Haus zu halten. Ich hatte immer Angst, dass er immer wieder ein Stück mehr verkaufen müsste, aber nun habe ich ja reich geheiratet.“
Lucas prustete los.
Sie schloss die Tür auf und machte im Flur Licht an: „Willkommen in unserem Zuhause.“
„Du hast doch noch irgendwas vor, mein lieber Captain,“, Lucas küsste sie innig, „ich sehe es an Deiner Nasenspitze.“
„Warte einen Augenblick.“
Sie ging zu einem großen Kleiderschrank mit aufwendigen Schnitzereien. Er war für Jacken und Schuhe und diesmal auch für ein recht großes Paket, welches sie Lucas reichte: „Alles Gute zum Hochzeitstag!“
Der leichte Schwips war auf einmal weg und Lucas wurde aschfahl im Gesicht. Einen Augenblick befürchtete sie, er würde ihr hier und jetzt umkippen.
„Hochz....“, krächzte er und schien zu überlegen, „wir haben heute keinen Hochzeitstag!“
Melissa lachte los: „Nein, nein haben wir nicht, aber da wir bisher all unsere Hochzeitsage nicht feiern konnten, dachte ich wir holen einfach mal nach. Pack schon aus.“
„Ich hab' aber...“, er war sichtlich peinlich berührt.
„Paaack aaauuss.“
Etwas umständlich und immer noch belämmert riss Lucas vorsichtig das Papier ab und öffnete den Karton. Seine Augen weiteten sich: „O Gott, Schatz, dass…SIE ist wundervoll ...“
Sie war einen silbernfarbene Jazztrompete der Marke Crown and King.
„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll…setzt Dich...“
„Wohin, etwa auf die Treppe?“
Er nickte und überprüfte die Trompete: „Einen Augenblick, ich bin etwas aus der Übung… aber das ist wie Raumschiff fliegen.“
Die ersten paar Töne waren in der Tat krumm und schief, doch schon kurz danach fing er an zu spielen.
Als er am Ende des Liedes angekommen war, kniete er vor ihr.
„Wunderschön, wie heißt das Lied?“
„Dark Eyes in the Night, aber ich habe lange nicht mehr gespielt, ich war mal besser, ein zweiter Louis Armstrong.“
„Wer?“, auf sein bestürztes Gesicht hin musste sie lachen, „komm Cowboy, lass uns nach oben gehen. Wir haben heute noch viel vor.“
Ihre Stimme sank zu einem verführerischen Schnurren.
19.01.2016 06:54 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cunningham

TRS James Knox,
Flaggschiff 5. Flotte, in der Nähe des Belt


„TRS Columbia kommt an Bord.“, verkündeten die Lautsprecher.
Ein Petty Officer blies in seine Bootsmannspfeife und Lucas salutierte so lange vor dem Banner der Navy. Eine Ehrenwache der Marines präsentierte die Gewehre.
Alle Anwesenden trugen Paradeuniform mit vollem Ordernat. Ein wenig viel Aufwand für einen einfachen Anstandsbesuch, aber seine Befehle sahen vor, in diesem Outfit bei Admiral de Kerr vorstellig zu werden.
Als die An-Bord-kommen-Zeremonie beendet war, trat ein Ensign an Lucas heran: „Commander Cunningham, wenn ich Sie in die Admiralssuiete führen dürfte, Sir.“
Die James Knox hatte überraschend breite Korridore für einen Kreuzer, wie Lucas während feststellte, als er das Schiff quasi von Bug zum Heck durchquerte.
Zu guter Letzt durchquerten sie ein weitläufiges CIC, mit taktischen Displays, Monitoren und Funkkonsolen um eine ganze Flotte zu koordinieren.
Hinter der CIC waren die weitläufigen Flaggquartiere für den Admiral und seinen Stab.
In diesem Fall eine Admiralin. Floronce de Kerr war ein Flaggoffizier älteren Kalibers, die schon vor dem Krieg den Admiralsrang innehatte.
Laut seinem Schwiegervater war de Kerr gewissenhaft und gründlich. Eine gute Taktikerin, aber soweit der alte Schreibtischpilot sagen konnte, weit davon entfernt ein Genie zu sein.
Dafür hatte sie sich einen guten Beraterstab zusammengezogen.
De Kerr und eine Asiatin im Captainsrang erwarteten ihn und erhoben sich beide von der einladend wirkenden Couch, als er eintrat.
Mit innerlicher Befriedigung stellte er fest, dass beide Frauen auf ihrer Paradeuniform weniger Orden und vor allem geringere trugen als er.
Lucas blieb zwei Schritte vor dem Couchtisch stehen und salutierte angemessen, weder zu lax noch zu zackig: „Commander Lucas Cunningham, amtierender Captain TRS Columbia, meldet sich wie befohlen, Ma'am.“
Admiral de Kerr erwiderte den Salut und deutete auf einen der Sessel: „Nehmen Sie bitte Platz, wir haben noch einen Augenblick Zeit. Kaffee oder Tee?“
„Ja bitte, Ma'am, Kaffee.“
Der Captain schenkte ihm eine Tasse ein, dabei fiel auf, dass sie Pilotenschwingen über ihren Orden trug.
„Darf ich Ihnen Captain Ahn Ho-Yun vorstellen,“, de Kerr deutete auf die Asiatin, „Captain Ahn befeligte bis vor kurzem die Nimitz.“
„Ma'am.“, Lucas nickte ihr höflich zu, während sich sein Magen zusammen zog.
De Kerr hingegen blätterte ein paar Unterlagen durch, während sie weiter sprach: „Meinem Stab wurden einige Meldungen und Nachrichten Sie betreffend eingereicht. Sie stammen vom Chefarzt der Columbia, einem Zerstörerkommandanten, einem Captain Rawlings, und wurden vom Trägerkampfgruppenkommandanten Rearadmiral Schepens ans HQ 2. Flotte weitergeleitet, welches es an mein HQ weitergereicht hat.
Hinzu kommt eine recht wage kommentierte Abberufung als CAG des 127. Fighter Wing. Darüber hinaus eine doch recht bemerkenswerte Empfehlung von Admiral Renault. Der CO 2. Flotte scheint eine sehr hohe Meinung von Ihnen zu haben.
Unter Renaults Befehl bei Manticore ist Ihre Karriere ja mächtig vorangekommen. Sechs Stunden nach der Beförderung zum Lieutenant Commander gleich zum Geschwaderkommandanten an Bord der Gettysburgh aufgestiegen. Respekt.
Wieso hat der Admiral Sie nicht an Bord seines Flaggschiffes behalten?“
„Wie Sie meiner Akte entnehmen können, Ma'am, wurde ich bei der letzten Schlacht in Manticore abgeschossen und musste für kurze Zeit ins Lazarett, in dieser Zeit wurde ich durch Johann von Richter ersetzt.“
„Ja, Ihre Akte ist wirklich ein interessantes Stück Literatur. Innerhalb von sechs Stunden zweimal befördert und seit fünf Jahren immer wieder mit Orden behängt.
Als Jaygie ein Eintrag wegen Verstoßes gegen die Flugsicherheitsbestimmungen, als Lieutenant Senior Grade ein Eintrag wegen Insubordination, dann ein Eintrag durch den Stabschef der 2. Flotte, die damalige Viceadmiral, Maike Noltze.“
De Kerr reichte ein Blatt an den Captain weiter: „Sehen Sie sich dieses Perisher-Ergebnis an, Ho-Yun.“
Lucas spürte wie in ihm Wut aufstieg.
„Mr. Cunningham, haben Sie Probleme mit Autoritäten?“
„Bei allem gebührenden Respekt, Ma'am...“
„Sparen Sie sich ihren Respekt, reden Sie frei von der Leber aus, Commander.“
„Gut, Admiral, wie jeder Anführer habe ich meine eigene Ansicht über das, wie etwas gemacht wird, wie der Krieg geführt wird, über die Taktik, die Strategie. Und diese Ansicht vertrete ich dementsprechend auch, mag sein, manchmal etwas resoluter als einem einfachen Commander zusteht, aber jeder Pilot, das wird ihnen Captain Ahn bestätigen, braucht sein Ego, sein Selbstvertrauen, sein Wissen um seine Fähigkeiten. Das Fliegercorps ist nunmal eine Truppe in der Truppe. Das kommt nicht bei jedem gut an, vom Admiral bis zum Spacer dritter Klasse.
Ja, damit bin ich angeeckt, und ja, damit werde ich weiter anecken. Daran führt kein Weg dran vorbei.“
Die beiden Frauen tauschten einen Blick und Lucas hatte das Gefühl, Zeuge von nonverbaler Kommunikation zu werden. 'Die Antwort habe ich Dir ja vorhergesagt, Schwester.'
„Eine nette kleine Ansprache, Commander,“, antwortete ihm de Kerr, „und auch wenn ich Ihnen da grundsätzlich sogar Recht gebe, so sind für mich die Fragen, die sich aufgrund der Meldungen, die nun einmal vorliegen, ergeben, nicht mal ansatzweise beantwortet.
Ich glaube nicht, dass Sie das Zeug haben einen Träger wie die Columbia zu befehligen oder zumindest noch nicht.
Captain Ahn wird Sie übermorgen als Kommandant der Columbia ablösen. Sie werden ihr die Arbeit übergeben und anschließend in Urlaub gehen. Aber Sie sollten sich vielleicht schon einmal einen Rechtsbeistand besorgen. Es wird eine Anhörung auf Sie zukommen, um zu entscheiden, ob Sie disziplinarisch gemaßregelt werden.“
„Oder ob ich vor ein Kriegsgericht komme.“
Die Admiralin schnaufte amüsiert: „Ich will ganz ehrlich sein, in Friedenszeiten würde man Sie achtkantig raus werfen, allein dafür, dass Sie den Bordarzt der Columbia übergangen haben. Solchen Luxus kann sich die Navy nicht mehr leisten, von daher glaube ich kaum, dass ein Kriegsgericht in Frage kommt. Sie sollten aber schon ein paar Antworten parat haben und etwas Reue heucheln.“
Der Deckenlautsprecher pfiff auf und ein Unteroffizier verkündete: „TRS Relentless kommt an Bord.“
De Kerr blickte auf ihre Uhr: „Ich sehe, wir haben tatsächlich schon vierzehn Uhr. Mr. Cunningham, ich weiß, dass ich Ihnen wohl den Tag ziemlich verdorben habe, aber würden Sie bitte noch zu einer Zeremonie bleiben. Commodore Mithel ist soweit ich weiß ein Bekannter von Ihnen.“
„Gerne, Ma'am.“, die Bitte eines Admirals ist Befehl.


Die Offiziersmesse der James Knox war festlich hergerichtet.
Es war ein kleines Podium aufgebaut worden, hinter dem sich das Banner der Republik und der TSN kreuzten. An der anderen Seite des Raumes waren Tische mit einem Buffet aufgebaut worden. Der Raum war angefüllt mit dem was die Unteroffiziere gerne Messingständer nannten, Offiziere in Paradeuniformen mit vollem Ornat. Tatsächlich musste Lucas schon wieder schmunzeln, Chris Mithel stach doch tatsächlich aus der Menge heraus, er hatte zur Paradeuniform doch wahrhaftig ein Waffenkoppel mit einem Blücher-Säbel angelegt. Der Waffe der britischen leichten Kavallerie.
Als rangjüngster Offizier in de Kerrs kleinem Gefolge ging er links von ihr und hatte nun tatsächlich eine Aufgabe zu erfüllen.
Kaum, dass er den Raum betreten hatte, machte er einen Schritt nach Links: „ACHTUNG! Admiral an Deck.“
Die versammelten Offiziere drehten sich zur Tür um und nahmen Haltung an. Es waren die Kommandanten aus Mithels Schwadron anwesend, darüber hinaus eine Reihe hoher Offiziere, die de Kerrs Stab sein mussten, dann wohl die wichtigsten Sektionskommandeure und Schiffskommandanten der 5. Flotte.
„Ladies und Gentlemen, bitte rühren Sie.“
Während die Admiralin durch die Reihen ging und einigen Offizieren die Hand schüttelte oder anderen grüßend zunickte, gesellte sich Lucas zu Mithels Tross und landete neben Schneider.
„Die Gästetoilette stinkt.“, raunte er.
Der Captain der Kami fuhr herum: „Wie bitte?“
„Die Gästetoilette im Haus meines Schwiegervaters stinkt immer noch. Bestialisch.“
Schneider zog es vor zu schweigen, als er doch noch was sagen wollte, wurde er von de Kerr unterbrochen.
„Commodore Mithel vor die Front!“
Der englische Offizier ergriff den Säbel bei der Scheide, so dass dieser parallel zum linken Bein ausgerichtet war.
„Ich wette Mithel ist der letzte Offizier in der Navy, der noch einen Säbel trägt.“, murmelte Lucas.
Schneider nickte zustimmend: „Er schafft es aber, ohne dass er lächerlich wirkt. Stellen Sie sich nur vor unser gemeinsamer Freund Maleetchev würde mit einem Säbel hier herumlaufen.“
Die beiden blickten rüber zu Maleetchev, der gebannt nach vorne blickte.
Als erstes wurde Mithel der Victory Star verliehen. Die Admiralin las die Urkunde vor, die von Mithels Rolle bei dem Gefecht von Karrashin berichtete, betonte nochmals die Bedeutung der Kreuzer und Zerstörer der Flotte.
Ebenfalls wurde die Unit Citation für alle Schiffe, die unter Mithels Kommando am Wurmloch gekämpft hatten, angesprochen.
Dann, nachdem sie Mithel den Orden angesteckt und ihm gratuliert hatte, entfaltete sie ein zweites Dokument:


An: Commodore Chris Mithel, Captain TRS Relentless, CO Kreuzerschwadron 2.3, 2. Flotte, TSN
Von: Kenneth DeMarko, Bundesminister für Verteidigung

Betreff: Beförderung

Mit Wirkung vom 29. Mai 2637, wird Commodore Chris Mithel in den Rang eines Rearadmiral, mit allen dazugehörigen Rechten und Pflichten befördert.

Rearadmiral Mithel hat wiederholt die unter seinem Kommando stehenden Schiffe in die Schlacht gegen das akariische Imperium geführt und durch seinen persönlichen Mut, seinen Einsatz für die Schiffe und Besatzungen unter seinem Kommando entscheidend zum Sieg über den Feind beigetragen.
Seine Taten, sein Streben und sein gelebtes Vorbild spiegeln die höchsten Traditionen der Streitkräfte der Bundesrepublik Terra wieder.


Gezeichnet

Kenneth DeMarko
Bundesminister für Verteidigung


Ein weiblicher Lieutenant aus de Kerrs Stab tauschte bei Mithel die goldenen Schulterklappen mit dem einen Stern gegen die Schulterklappen mit zwei Sternen aus.
Der nächste Punkt der Zeremonie war sowohl für Mithel als auch seine Begleiter eine Überraschung. Es war ein fast ausgestorbenes Relikt aus den Anfangsjahren der Navy. Es war einfach nicht mehr üblich einem beförderten Offizier erneut den Diensteid abzunehmen, aber die Admiralin forderte Mithel dazu auf, die rechte Hand zu heben: „Aus freien Willen und ohne Einschränkung schwöre ich, nennen Sie ihren vollen Namen...“
„Aus freien Willen und ohne Einschränkung schwöre ich, Chris Mithel...“
„...den Frieden und die Freiheit der Bundesrepublik Terra, ihrer Kolonien und assoziierten Territorien zu verteidigen und zu behüten. Die gesetzlichen Freiheiten ihrer Bürger zu schützen, sowie jegliche Gefahren von ihnen abzuwenden.
Den Anweisungen meiner Vorgesetzten, sowie den mir übergeordneten zivilen Behörden zu folgen.
Die Genfer Konvention zu ehren und zu befolgen, ohne Einschränkung auf Rasse, Herkunft oder Religion.
So wahr mir Gott helfe.“
„Wie oft wohl dieser Eid schon gebrochen wurde“, sinnierte Schneider.
„Hm?“
„Naja, wie einfach ist mal ein ausgestiegener Pilot abgeschossen oder eine Rettungskapsel.“
,Ach halt doch Dein verdammtes Maul', dachte Lucas bei sich, behielt jedoch seine Antwort für sich.
„Um diese Auszeichnung und die Beförderung angemessen zu feiern“, erläuterte de Kerr, „habe ich die Kombüse gebeten und einen kleinen Snack bereitzustellen. Das Buffet ist eröffnet.“
Während die Gratulanten auf Mithel einströmten sah sich Lucas nach etwas zu trinken um. Am besten nach was schärferen als dem handelsüblichen Sekt, der bei solchen Anlässen gereicht wurde.
Stattdessen kam Sean Hammersmith auf ihn zu.
,Warum bin ich heute eigentlich aufgestanden und welcher Mist kommt noch auf mich zu?'
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