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Zum Ende der Seite springen Hinter den feindlichen Linien - Season 6 - Brennendes All
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Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
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Cattaneo

Ein Tag zum Feiern

TRS James Knox, Flaggschiff der 5. Flotte, Sterntor

Der frischgebackene Rear-Admiral Christ Mithel fühlte sich im Moment ein gutes Dutzend Jahre jünger, als er eigentlich war. Endlich, zu guter Letzt, hatte er das geschafft, wovon er so lange geträumt hatte und wofür er – unter anderem – so hart gearbeitet und gekämpft hatte. Er war in die Riege der Admiräle aufgestiegen, nicht zu vergessen die Orden, die man ihm im Laufe der Zeit verliehen hatte. Das war nichts, was einem Mann seiner Herkunft in die Wiege gelegt worden war. Es war langer und harter Weg gewesen, und er hatte nur zu oft gesehen, wie andere gescheitert waren, auch Männer und Frauen, die ihm ebenbürtig oder vielleicht gar überlegen waren. Doch letzten Endes hatte er nicht nur bewiesen, dass er das Zeug dazu hatte, sondern auch dass so ein Aufstieg für einen Mann seiner sozialen Herkunft möglich war.
Und ohne diesen Krieg, ohne das Sterben so vieler Menschen – und natürlich auch Gegner, aber die zählten nicht – wäre er vermutlich nicht so weit gekommen. Das söhnte ihn nicht mit dem Krieg aus. Trinksprüche wie die „altehrwürdigen“ vom hoffentlich blutigen Krieg oder verheerenden Krankheiten fand er abscheulich, obwohl er sonst Traditionalist war. Doch er machte sich auch nichts vor. Dort wo so viele starben, bot sich anderen die Chance, voranzukommen. Er hätte gelogen, wenn er behauptet hätte, die sich bietenden Chancen nicht konsequent auszunutzen, ja sie sogar zu genießen. Nicht nur Augenblicke wie den gegenwärtigen, oder als er erfahren hatte, dass man ihn mit dem Victory Star ausgezeichnet hatte, oder sein erster Bronce Star, später dann die Verleihung des Silver Star.
Nein, es war viel mehr als das. Einen Flottenverband in die Schlacht zu führen, die Macht, ein so ehrfurchtgebietendes Vernichtungsinstrument wie einen republikanischen Kampfkreuzer zu befehligen, der Moment des Sieges über einen Feind, wenn von ihm nichts blieb als eine expandierende Wolke von Trümmern – all das wirkte mitunter berauschend wie ein Droge.
Und daran war ja im Grunde auch nichts auszusetzen. Gefährlich wurde es nur, wenn man nur noch diese Freude genießen konnte, wenn alles andere schal wurde und man nur noch für den Kampf lebte. Solche Menschen gediehen im Krieg, doch der Frieden ließ sie fast immer zerbrechen. Sie bildeten eine Kategorie von Adrenalinjunkies, zu denen Mithel glücklicherweise nicht gehörte. Dennoch fragte er sich manchmal, ob ihm wohl nach dem Krieg etwas fehlen würde, wenn diese schreckliche aber auch große Zeit vorbei wäre – wenn man nicht mehr Teil von etwas so Entsetzlichen aber auch Wichtigem war, wenn man sich nicht mehr sagen konnte, dass man etwas bewirkte, dass man dabei war, wenn Geschichte geschrieben und gemacht wurde. Nun, mit etwas Glück würde er diese Frage noch beantworten können.

Im Moment jedoch sonnte er sich im Glanz des Erreichten und nahm gerne die zahlreichen Glückwünsche entgegen. Sicher, es war nur eine halbformelle, bescheidene Feier, wie sie die Knox schon öfter gesehen hatte – aber es war SEIN großer Tag, und den ließ er sich nicht nehmen.
Doch selbst jetzt blieb er wachsam. Er hatte es nicht so weit gebracht, ohne ein feines Gespür für die Unterströmungen im Morast flotteninterner Beziehungen und Intrigen zu entwickeln. Und einige wesentliche Fragen, die ihn unmittelbar betrafen, waren ungeklärt. Zum Beispiel, wo er künftig Dienst tun würde, mit wem oder unter wessen Kommando. Seinem geschulten Auge fielen schnell Bruchlinien auf, und er konnte durchaus die Unterschiede zwischen den Gratulanten erkennen. Er war kein schlechter Menschenkenner, nur mangelte es ihm – so meinten manche – mitunter an der Fähigkeit, die damit gewonnenen Kenntnisse umzusetzen, zumindest wenn es nicht auf autoritärem Weg geschah. Mithel behandelte Menschen oft als eine Ansammlung von Möglichkeiten und Schwächen. Erstere galt es zu nutzen und im Interesse des Gefechtsauftrages auszubeuten, letztere zu unterdrücken. Er konnte auch mit Leuten zusammenarbeiten, die er nicht schätzte, sei es als Untergebener, Kollege oder Vorgesetzter, doch Freundschaft schloss er nicht so schnell.

Und so bewertete und klassifizierte der eben erst ernannte Admiral auch die Gratulanten, versuchte zu erkennen, was sie dachten – und was das für ihn bedeuten konnte. Da waren die Angehörigen der 5. Flotte, die in der Zeremonie vor allem eine interessante Unterbrechung ihrer in Sterntor nicht sehr aufregenden Dienstzeit sahen. Mehr als einer beneidete ihn zweifellos. Und andere amüsierten sich insgeheim über seine etwas…antiquierte…Art. Mithel registrierte all dies, doch er ließ sich nichts anmerken. Mochten sie doch den Kopf über ihn schütteln, zu rechtfertigen hatte er sich bestimmt nicht. Und ihre…man konnte es auch Ignoranz nennen…störte ihn wenig. Tradition war es, was die Flotte zusammenhielt, und er war stolz auf diese Tradition, mochte sie auch altmodisch wirken.
Doch auch unter den Menschen, die er etwas besser kannte, gab es deutliche Unterschiede im Verhalten. Sean Hammersmith hatte sich einen ziemlich gequält wirkenden Glückwunsch abgerungen. Mithel konnte sich gut vorstellen, dass der Chef der 217. Sturmregiments alles andere als aufrichtig gewesen war. Sie waren in der Vergangenheit mehrfach zusammengestoßen, und Hammersmith warf dem Flottenoffizier nicht-ganz-so-insgeheim vor, er würde nicht nur das Potential der Marines unterschätzen, sondern habe sie zudem daran gehindert, ihren Möglichkeiten und auch Hammersmiths Ehrgeiz entsprechend eingesetzt zu werden. So hatte der Colonel gleich doppelten Grund zum Grimm – nicht nur, dass er zurückstehen musste, vielmehr war es einer seiner Widersacher, die jetzt Lohn einfuhr.
Commander Cunningham, mit den Mithel nicht direkt eine Freundschaft, aber doch gegenseitige Achtung und vor allem eine lange gemeinsame Dienstzeit in derselben Flotte verband, hatte ebenfalls nicht sehr froh geklungen.
Aber das hatte offenbar andere Gründe als Neid und Missgunst, denn insgeheim und wohl auch unwillkürlich durchbohrte der Jagdpilot gelegentlich Admiral de Kerr und eine ihrer Offizierinnen, einen gewissen Captain Ahn, mit wütenden Blicken. Mithel kannte die Admirälin nur flüchtig aus der Zeit vor dem Krieg – nicht, dass sie sich noch an ihn erinnern dürfte. Captain Ahn kommandierte offenbar einen leichten Träger. Das Geheimnis, welches hinter Cunninghams Antipathie gegenüber den zwei Damen steckte, war wohl nicht schwer zu entschlüsseln, wenn man so viel Erfahrung wie Chris Mithel hatte. Der ehemalige Geschwaderchef war Interimschef der Columbia, doch das Schicksal des Trägers wie das des Commanders selbst waren unklar. Wieder einmal, wie man hinzufügen musste. Mithel hätte seinen neuen Rang darauf verwettet, dass man entweder entschieden hatte, die Angels aufzulösen, oder jemand anderen zum Kommandanten des Trägers machen wollte. Da auch Captain Ahn ein Gutteil böse Blicke abbekam, war wohl Letzteres der Fall, außer man hatte sich entschlossen, bei der Auflösung der Angels einen Großteil der Piloten unter ihr Kommando zu stellen.
Dies schien nicht ganz gerecht. Den Plan für die zweite Schlacht von Karrashin, dem Mithel unter anderem seine Beförderung verdankte, hatte zum Großteil Cunningham ausgearbeitet. Natürlich war vor allem das erste Gefecht wesentlich verlustreicher für die Akarii gewesen. Doch bei allen hohen Verlusten – auch unter den Kreuzern – war es diese zweite Schlacht, welche die Vernichtungsarbeit des ersten Gefechts vervollständigte und den feindlichen Verband als operative Gefahr ausschaltete. Ohne diese Schlacht hätte der Akariikommandeur immer noch eine intakte Zerstörer- und Fregattendivision sowie ein Geschwader Jäger zur Verfügung gehabt, die im Rücken der 2. Flotte erhebliche Unruhe hätten stiften können. Natürlich mochten die Meinungen über die Doppelschlacht von Karrashin auseinander gehen, aber Mithel hatte es schon lange aufgegeben, leichte oder billige Siege zu erwarten. Dieser Krieg würde erst zu Ende sein, wenn einer von beiden Seiten alle Knochen gebrochen worden waren. Diese Tatsache – die auch dem Gegner bewusst sein musste – führte zwangsläufig zu derart blutigen Vernichtungsschlachten.
Der zweifache direkte Kampfeinsatz der Columbia, zweifellos auf Initiative des Commanders – während der verantwortliche XO ebenso fraglos versagt hatte – hatte zwar viel gekostet und den Träger erheblich beschädigt, aber nicht wenig zum…sagen wir erträglichen…Ausgang der Schlachten beigetragen. Ein Umstand, den Mithel in seinen Berichten durchaus erwähnt hatte.
Der frischgebackene Admiral neigte nicht gerade zu Emphase, vor allem wenn es um die Beurteilung eines Raumjockeys ging. Dennoch hatte er sowohl die Rolle der Trägers in der ersten Schlacht wie auch den Rücksprung der Columbia als „kühnen und überaus erfolgreichen Entlastungsschlag“ charakterisiert, ohne freilich verschleiern zu können oder zu wollen, dass Cunningham vor allem im zweiten Fall einen Befehl missachtet hatte, was natürlich nicht auf die leichte Schulter zu nehmen war.

Das ziemlich positive Urteil Mithels war nicht nur eine Frage der Fairness oder gar eine etwaigen Freundschaft gewesen, es war auch Berechnung. Im Militär wusch eine Hand die andere. Und ein Verbündeter wie Cunningham konnte nicht schaden, auch wenn der hochdekorierte und zweifellos auch talentierte Offizier dazu neigte, sich mit frustrierenden Regelmäßigkeit Feinde zu machen und in die Nesseln zu setzen – so hatte ja auch ihr Bekanntschaft angefangen, mit einem illegalen Ehrengericht. Aber er stand auch im Ruf, einige einflussreiche Bekannte und Fürsprecher zu haben. Und er war auch noch mit einer Admiralstochter verheiratet, selbst wenn sein Schwiegervater kein Feldkommando innehatte und vermutlich in seiner weiteren Karriere nicht mehr viel weiter aufsteigen würde. Zudem genoss er angeblich sogar eine gewisse Wertschätzung in der Propaganda, und heutzutage waren Public Relations etwas, das niemand ignorieren konnte.

Doch all diese berechnenden und abwägenden Gedanken schob Mithel beiseite, als eine hochgewachsene Gestalt – tatsächlich war sie fast eine Spanne größer als der selbst nicht gerade kleine Brite – auf ihn zutrat.
Captain Solveig Sturlasdottir war normalerweise eine beeindruckende Erscheinung, ganz bestimmt keine Vertreterin des SCHWACHEN Geschlechts. Groß, kräftig, mit langem blonden Haar, intensiv blauen Augen und einem oft aufflackerndem dominanten Lachen, ragte sie aus jeder Offiziersgruppe hervor. Dazu kam eine Reihe von Gefechtsauszeichnungen, von denen sie viele unter Mithels Kommando oder an seiner Seite errungen hatte. Tatsächlich hatte sie ebenso lange wie er in der Schwadron 2.3 gedient.
Doch von ihrem alten Selbst war nicht viel geblieben, wie auch von der Schwadron, der sie beide angehörten. In Solveigs Miene und ihren Augen standen vor allem Erschöpfung und tiefe Niedergeschlagenheit, weit über körperliche Entbehrungen hinaus. Ihr Lächeln war leicht als gezwungen zu entlarven, obwohl sie nicht den Eindruck machte, Neid oder Zorn gegenüber Mithel zu hegen. Selbst ihre Stimme, die früher manche Schwadronsbesprechung unterbrochen oder sogar dominiert hatte, wirkte matt, wie auch ihr gratulierender Händedruck. Man musste nicht so viel Erfahrung wie ihr Vorgesetzter haben, um die Ursache zu erkennen. Was war für einen Kapitän schlimmer, als der Verlust seines Schiffes? Es war zwar schon lange keine Tradition mehr, dass ein Befehlshaber mit seinem Kommando untergehen sollte. Doch ein Kapitän, der die Vernichtung seines Schiffes überlebte, wurde auch heute noch von einigen Kollegen, und oft auch von den Medien oder den Angehörigen gefallener Besatzungsmitglieder mit mal mehr, mal minder offenen Vorwürfen konfrontiert. Das „warum ist er/sie nicht…“ oder „wie kann es sein, dass jene sterben mussten, während er doch lebt“ war eine Unterstellung, gegen die man sich schwer verteidigen konnte.
Wer vermochte schon mit letzter Sicherheit zu sagen, ob der Kommandeur WIRKLICH sein Möglichstes gegeben hatte, ob er nicht zu früh sein eigenes Leben gerettet hatte, während von den Besatzungsmitgliedern Pflichterfüllung bis zuletzt verlangt wurde – denn sie konnten das Schiff nicht eigenmächtig aufgeben. Eine Raumschlacht war pures Chaos, und der Verlust eines Schiffes vernichtete so gut wie immer die bordinternen Aufzeichnungen. Die Aussagen Überlebender – von denen oft wichtige Zeugen fehlten – waren von zweifelhafter Zuverlässigkeit. Ein kleiner Rest Unsicherheit blieb deshalb immer, und gerade die besten Offiziere stellten sich diese Fragen auch selbst. Einige waren daran zerbrochen und hatten Selbstmord begangen, waren vollkommen abgestürzt in psychische Krankheiten oder hatten in Suchtmitteln Zuflucht genommen. Andere wurden für lange Zeit oder sogar auf Dauer unfähig, Verantwortung zu übernehmen, da die Erinnerung an den Verlust ihr Handeln überschattete. Wieder andere hatten ihren Abschied eingereicht, weil sie nicht mehr mit den wirklichen oder vermeintlichen Vorwürfen klarkamen. Und dann war noch der Unwille einiger Traditionalisten, einen „Versager“, der ja möglicherweise auch ein Unglückkapitän war, ein neues Schiff zu geben. Die Geschichte vom unseligen Jona oder Jonas, vom Pechmagneten, war nicht etwa auf der Erde geblieben, sie hatte die Menschen zu den Sternen begleitet.

Aus welchen Gründen auch immer – fast jeder zweite Kapitän, der sein Kommando durch Unfall oder Feindeinwirkung verlor, übernahm nie wieder eines. Und das berücksichtigte nicht einmal jene, die wegen schuldhaftem oder fahrlässigem Verhalten aussortiert wurden. Dass Solveig Sturlasdottir innerhalb des Geschwaders nicht alleine war – tatsächlich hatten in den Schlachten von Tukama und Karrashin etwa so viele Kommandeure ihr Schiff verloren oder waren mit ihm untergegangen, wie noch aktiv waren – half wohl wenig. Die Captains Oparin und Lee, die ihre Schiffe bereits über Tukama verloren hatten, waren vor dem Aufbruch nach Karrashin zurückbeordert worden. Drei weitere Kapitäne waren gefallen – Gonzales, Atkins und Caneira.
Es war unklar, ob die Überlebenden zurückkehren würden, obwohl auch in ihrem Fall schuldhaftes oder fahrlässiges Versagen auszuschließen war, denn Kamikaze-Angriffe gehörten nicht zu dem, wofür sie ausgebildet worden waren. Mit dem Verlust eines Schiffes war es wie mit dem Tod eines geliebten Menschen – letzten Endes blieb man mit der Trauer allein.

Mithel wusste das alles. Fürsorge für Untergebene war nicht gerade sein Markenzeichen, doch es fiel ihm nicht schwer, Verständnis für Solveig aufzubringen. Seit er das erste Mal ein Schiff ins Gefecht geführt hatte, hatte er mit der Frage leben müssen, wie er sich in einem solchen Fall verhalten würde. So beließ er es nicht bei einem Dank für ihren gezwungenen Glückwunsch.
„Danke, Captain.“ Er lächelte: „Natürlich muss ich mich erst daran gewöhnen, dass mein Wunsch in Erfüllung gegangen ist. Ich hatte es gehofft, aber es ist dennoch etwas anderes, wenn es dann Realität wird…“ Er wurde wieder ernst: „Sie wissen natürlich, dass ich das vor allem meinen Untergebenen verdanke, vom einfachen Matrosen bis zum Kapitän. Und viele haben für unseren Sieg einen hohen Preis bezahlen müssen. Ich kann nicht wirklich nachvollziehen, wie Sie sich jetzt fühlen. Es freut mich – wenngleich es mich nicht überrascht, und ich denke, es ist auch für Sie eine Erleichterung – dass die Beurteilung Ihres Einsatzes bei Karrashin keinen Anlass zu Vorwürfen gibt.“ Damit spielte der Rearadmiral auf die Untersuchung an, die jeder Schiffsverlust mit sich brachte. Dies war zunächst einmal kein juristischer Vorgang, sondern ein militärinternes Prüfungsverfahren, bei dem Untergebene, andere Kapitäne und der Verbandskommandant zu den Umständen des Schiffsverlustes befragt wurden.
Diese Worte riefen eine erste ehrliche Reaktion bei der gebürtigen Isländerin hervor, auch weil er damit deutlich machte, dass er ihr auch persönlich keine Vorwürfe machte. Sie lächelte – nicht ihr übliches Grinsen, aber immerhin etwas. „Danke…“ sie zögerte und fügte dann hinzu: „Admiral. Daran muss ich mich wohl auch noch gewöhnen…“ Ihr Lächeln erstarb, als sie daran dachte, dass dafür möglicherweise keine Notwendigkeit mehr bestehen würde, doch dann fasste sie sich wieder: „Es freut mich sehr, diesen Tag mitzuerleben – Sie haben es sich wahrlich verdient. Es war immer eine Ehre, unter Ihnen zu dienen.“ Unwillkürlich hatte sie bereits die Vergangenheitsform gewählt, als hätte sie sich bereits mit einer Versetzung in die Etappe abgefunden. Sie seufzte: „Schade nur, dass so viele fehlen. Ich vermisse zu viele Gesichter, einige mehr als andere.“
Jemand anderes als Mithel hätte sich vielleicht insgeheim geärgert, dass die Offizierin in ihrem eigenen Elend bitteres Wasser in den Festwein goss. Doch der Brite teilte ihre Gefühle: „Ja, Jorge werde ich auch vermissen.“ Der Kapitän der Merciless war lange Jahre sein Kamerad und später ein verlässlicher Stellvertreter und erstklassiger Untergebener gewesen. Mithel wusste, es war ungerecht, dass er seinen Tod mehr bedauerte als den der Captains Gonzales oder Atkins. Dennoch empfand er eben so, wozu es auch leugnen. Mit dem Kommandeur der Dauntless war er nie richtig warm geworden, und Atkins war nicht lange genug bei der Schwadron gewesen. Das hieß nicht, dass Mithel den Verlust ihrer Schiffe leicht nahm, aber die Merciless…das schmerzte.

Er räusperte sich: „Man sollte meinen, nach all den Jahren, würde man sich langsam daran gewöhnen – aber irgendwie wird es niemals leichter. Ich denke, das ist auch gut so. Sonst wird es eines Tages noch zur Gewohnheit.“ Er berührte leicht den Victory-Star, den er auf seiner Brust trug – wenn es so weiter ging, würde eines Tages der Platz knapp werden neben den verschiedenen Abzeichen, Auszeichnungen und Kampagnespangen.
Vielleicht wollte er sich nur überzeugen, dass die Auszeichnung bewies, dass das Opfer so vieler Schiffe einen Sieg erkauft hatte und damit nicht umsonst gewesen war: „Wir sind nun einmal im Krieg, und im Krieg sterben Schiffe, es sterben Menschen – und andere verändern sich so sehr, dass wir sie nicht wiedererkennen. Es liegt nichts Nobles und Edles in diesen Verlusten. Sie sind notwendig, unausweichlich, so lange dieser Krieg dauert. Die Bereitschaft, solche Opfer zu bringen, kann gar nicht hoch genug bewertet werden.“ Er musterte seine Untergebene: „Bei jedem und jeder, die ihre Pflicht erfüllt. Der Tod in der Schlacht ist ein schrecklicher Preis, unvermeidlich – aber nichts, was man sich wünschen sollte. Letzten Endes muss man sich immer fragen, ob dieser Krieg, diese Verluste nicht vermeidbar gewesen wären, wenn wir alle mehr getan hätten. Doch man kann nicht mit der ständigen Frage des was-wäre-wenn leben. Was wir in den Händen haben, ist das, was ist – und das, was noch kommen wird und worauf wir Einfluss nehmen können. Bei einem Sturmangriff kann man nicht stehen bleiben und nach denen sehen, die neben einem fallen. Man muss weiter vorgehen – bis die feindliche Stellung genommen ist. Dann erst ist Zeit, zurückzuschauen. Verstehen Sie, was ich meine?“ Die Kapitänin schaute ihrem Vorgesetzten einen langen Moment in die Augen. Manchem Zuschauer wäre die Szenerie etwas skurril erschienen, immerhin konnte sie ja mühelos auf ihn herabblicken. Sie schien über seine Worte nachzusinnen: „Ich denke schon, Admiral.“ Diesmal kam ihr die ungewohnte Anrede schon etwas flüssiger über die Lippen. Für einen Augenblick wirkte ihr Blick nach innen gekehrt: „Haben Sie das nicht schon einmal früher gesagt? Dass unsere Verantwortung den Lebenden gilt, nicht den Toten? Dass die Akarii für all das, was sie getan haben, bezahlen werden, aber im Rahmen des militärischen Gesamtkonzepts, nicht bei individuellen Racheakten?“ Der Brite lächelte leicht. Es war ein schmales, sehr humorloses, geradezu böses Lächeln: „So in der Art. Und das gilt auch weiterhin. Wenn der Tag kommt, an dem dieses Gesamtkonzept es uns erlaubt, einige Rechnungen zu präsentieren – und ich versichere Ihnen, er wird kommen – nun, ich wüsste es zu schätzen, wenn Sie dann das Konto für die Obliterator ein wenig ausgleichen könnten.“
Er zögerte kurz, fuhr dann aber fort: „Ich sollte ja nicht vorausgreifen, aber mein Erster Offizier hat mich daran erinnert, dass es ebenso wichtig ist, anderen gute Neuigkeiten zu überbringen, wie selbst welche zu erhalten. Es steht zwar noch nicht fest, aber ich habe Sie dringend als Kapitän für einen neuen Kreuzer unter meinem Kommando empfohlen.“ Das Lächeln, das jetzt auf dem Gesicht der Isländerin erstrahlte, unterschied sich von ihrem bisherigem Verhalten wie Tag und Nacht: „Danke, Sir! Vielen Dank!“ Sie ergriff die Hand ihres Vorgesetzten und schüttelte sie enthusiastisch – vermutlich hätte sie ihn am liebsten umarmt, hielt sich aber dann doch zurück. Mithel verzog leicht gequält die Mundwinkel, denn der Griff der Frau war wie ein Schraubstock „Nichts zu danken. Und das meine ich ernst. Ich würde so etwas nicht sagen, wenn ich nicht meine, Sie hätten das Zeug dazu – und das wissen Sie auch. Würde ich auch nur im Entferntesten denken, Sie würden eine Mitschuld am Verlust ihres Schiffes haben – ich würde keine Hand für Sie rühren, ungeachtet dessen, dass ich Sie als Mensch schätze und respektiere. Jedoch – ich sehe keinen Grund, Ihnen einen Vorwurf zu machen. Und das gilt auch für Ihre Kameraden. Wie gesagt, es steht noch nicht fest, wie viel Erfolg ich habe…aber meine Unterstützung haben Sie.“ Und das Wort des Schwadronschefs wog normalerweise bei solchen Fragen nicht leicht. Vor allem, wenn es sich dabei um einen „Helden“ – wenn auch nur für kurze Zeit – handelte.
Dann befreite er seine Hand aus dem festen Griff: „Ich sagen Ihnen Bescheid, sobald ich Genaueres weiß – und nun, denke ich sollte ich mich dem üblichen Smalltalk zuwenden.“ Solveig Sturlasdottir, die nun vollkommen verwandelt wirkte, salutierte zackig: „Jawohl, Sir!“
19.01.2016 06:55 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
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Ace

Ein Scheiß langer Tag, Teil drei

Als ich das kleine marokkanische Lokal betrat, stutzte ich für einen Moment. Eigentlich war ich noch gar nicht wieder in der Lage, wieder klare Gedanken zu fassen, und Schuld daran war Imp gewesen, die sich, wie sie ausdrückte, "meiner armen Seele doch noch erbarmt und mir etwas Gesellschaft" geleistet hatte. Mit anderen Worten, sie hatte als Deutsche ihre Resistenz gegen Bier voll ausgespielt und mich komplett unter den Tisch getrunken. Ich war aufgewacht mit rauer Kehle, einem Riesendurst, pochendem Kopfschmerz - und dankenswerterweise nicht in Ina Richters Bett. Sie neigte ab und an zu Verrücktheiten, und ein "Abschuss" bei einer kleinen "Auson-Welle" scheiterte bei ihr gewiss nicht an Prüderie. Andererseits hätte ich sturzbetrunken wie ich gewesen war alles verpasst. Nicht sehr erstrebenswert. Und irgendwie auch nicht richtig.
Der Anruf von Commander Smith vom NIC war dann auch zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt gekommen, den man sich vorstellen konnte. Ebenso seine Forderung, mich so schnell ich konnte mit ihm im Casablanca zu treffen.
Nun, der gute Mann hatte es dringend gemacht, keine Einwände zugelassen und drauf beharrt mich zu sehen. Und gutmütig wie ich war hatte ich zugestimmt. Natürlich mit Hoffnung auf den einen oder anderen starken Mokka.
Nun stand ich also im Eingang des Lokals, das so früh am Vormittag nur von einigen Shisha-Rauchern an den Tischen vor dem Geschäft und dem einen oder anderen Spätfrühstücker frequentiert war. Der Kellner fing mich bereits am Eingang ab und führte mich vorbei an den Tischen in einen Hinterraum.
Der mittelgroße, schlanke Mann mit dem modischen Fünfzig Real-Haarschnitt, der mich dort erwartete, hätte einem Werbeplakat entsprungen sein können. Sein Lächeln eher passte zum Anchorman der Seafort Channel Acht Uhr-Nachrichten.
"Ah, Lieutenant Davis. Es freut mich, dass Sie so schnell kommen konnten. Bitte, nehmen Sie Platz." Er nickte auf die andere Seite vom Tisch.
Als ich eintrat, bemerkte ich an der Wand eine große blonde Frau mit ernster Miene vom Typ Marine, die lässig wie ein Kunstwerk am Mauerwerk lehnte und mich musterte. Ihre Augen strahlten Interesse aus, eigentlich schon brennende Neugierde. Ich war es gewohnt, dank meines Rufs und meiner persönlichen Geschichte ein gewisses Interesse zu wecken. Und ehrlich gesagt war ich auch nicht hässlich genug, um bei jeder Frau zwischen Akar und Beaufort automatisch Abwehrreaktionen zu erzielen, eher im Gegenteil. Unbewusste Was wäre wenn-Blicke kassierte ich des Öfteren. Aber der Blick dieser Frau ging irgendwie tiefer. Fast so als hätte sie mehr Interesse am Sitz meines KI denn am Mann drumherum.
Ich nahm den Stuhl, den Smith mir zugedacht hatte und verfrachtete ihn an eine andere Tischseite, die mir erlaubte, sowohl die Eingangstür als auch das blonde Fräulein im Auge zu behalten.
Smith runzelte die Stirn. "Können Sie sich nicht mir gegenüber setzen? Haben Sie denn keinen Funken Anstand?"
"Sie können sich ja gerne mir gegenüber setzen, Commander. Bin ich hier der Gast, oder Sie?"
Für einen kurzen Augenblick wechselte Smith einen Blick mit der Frau. Die nahm sofort ihre lässig vor der Brust gefalteten Arme herab und stieß sich von der Wand ab. Dann aber schüttelte Smith den Kopf, seufzte und setzte sich mit dem Rücken zur Tür. "Sie tun mir hier ganz schön was an, mein Junge. Wissen Sie denn nicht, dass Geheimdienstleute nie mit dem Rücken zur Tür sitzen? Es macht uns nervös."
Ich lächelte dünn. "Könnte mir schon ein paar Mal aufgefallen sein." In der Tat, ich hatte genügend Erfahrung mit unseren Schlapphüten, die gerne mal Demokratie und Recht und Ordnung fünf gerade sein ließen und sich gebärdeten als wären sie Ludwig der Vierzehnte am Sonnenhof. Ich war mir noch nicht ganz sicher, wo ich Smith einzuordnen hatte, aber wenn er so bereitwillig auf meine Wünsche einging, schien er etwas Großes von mir zu wollen.
Der Kellner kam zurück, brachte meinen Mokka und eine weitere Tasse für Smith. Die Frau an der Wand, die wieder lässig die Arme gekreuzt hatte, verhielt sich still.
"Danke. Bitte versiegeln Sie jetzt."
Der Kellner nickte bestätigend und ließ uns drei alleine. Die Tür fiel zu, und ein leises Summen im Raum erklang.
"Entschuldigen Sie. Das ist nur eine Vorsichtsmaßnahme gegen Abhörvorrichtungen und dergleichen. Was ich mit Ihnen zu besprechen habe, ist nicht gerade für Zivilistenohren bestimmt."
Auf meinen fragenden Blick erklärte er: "Ja, Sie ahnen es bereits, Lieutenant. Dieses Hinterzimmer ist ein konspirativer Raum. Wie geschaffen für solche Begegnungen wie die unsere." Smith nahm einen Schluck von seinem Kaffee. "Kommen wir zum Grund, warum ich Sie her gebeten habe, Lieutenant Davis." Er lächelte dünn. "Ace."
Ein geheimnisvoller NIC-Offizier, der mich in ein öffentliches Lokal einlud, das sich als Rückzugsraum diverser Geheimdienste erwies, war selbst für einen Sicherheitslegastheniker wie mich ein mehr als deutlicher Hinweis, dass dieser kleine und harmlose Ausflug nicht ganz so werden würde wie ich es erwartet hatte. Himmel, eigentlich hatte ich gar nichts erwartet. Ich war ja jetzt noch nicht mal richtig nüchtern. Was für eine Scheiße passierte hier?
Smith klappte eine Akte auf und blätterte darin. "Es gibt da einige Ungereimtheiten in Ihrer Akte, die einem geradezu ins Auge stechen, Lieutenant. Zum Beispiel der angebliche Abschuss einer Atomrakete, der damals Ihr Trägerschiff lange genug gerettet hat, damit es das Schlachtfeld von Jollahran verlassen konnte. Sehr interessant. Sehr heroisch. Und dann Ihre wundersame Rettung durch die Akarii, die gerade von terranischen Einheiten furchtbar verprügelt worden waren...Eine ungewöhnlich humane Einstellung für die Echsen, finden Sie nicht?"
Ich schnaubte amüsiert. Seit ich mit Bayonne, Campbell, Majear und einigen anderen Agenten zu tun gehabt hatte, die ich ohne weiteres mit dem Begriff "Die Artillerie" belegte, hatte ich vieles im Umgang mit Schlapphüten gelernt. Das Wichtigste war zu wissen, wann ich eingeschüchtert wurde.. Und wann ich mich besser einschüchtern lassen sollte.
"Wenn Sie ein Problem mit den Schilderungen haben, Commander, dann beschweren Sie sich bitte bei Admiral Renault, nicht bei mir. Und nur für den Fall: Offiziell habe ich die Atomrakete gerammt. Das ich sie abgeschossen habe und im Deckschatten der Explosion verschwand wusste man damals nicht. Es war ein SAR-Shuttle der REDEMPTION, das mich aufgefischt hat. Der Arzt an Bord hat mich wegen Strahlenüberdosis eingefroren. Als ich das nächste Mal zu mir kam, war ich bereits im Camp Hellmountain. Man hatte Stabsarzt Pfeiffer erlaubt, mich aufzutauen und zu behandeln, weil sie den Arzt für ihre anderen menschlichen Gefangenen brauchten. Pfeiffer hat mich zu seinem Lieblingsprojekt erklärt. Damals war ich nur Gefangener 13409 gewesen, mit einem Blackout, groß wie ein Sonnensystem, sowie multiplem Krebs im Körper. Hätte man mich nicht eingefroren, hätte ich schon den Flug nicht überlebt. So hat es mich nur meinen ersten rechten Arm gekostet."
"Soweit die offizielle Version...Akarii-Freund."
"Die offizielle Version?" Ich lachte leise. "Das ist die offizielle und die inoffizielle Version. Captain Majear von der Gegenspionage hatte mich vier Wochen medizinisch und psychologisch in der Mangel, weil ich als harmloser Krüppel die Gefangenen im Isoliertrakt versorgt habe. Als unsere Truppen kamen habe ich die Admiräle mit meinem Handwagen verteidigt, weil ich dachte die Akarii würden runter kommen, um sie alle zu erschießen. Majear hingegen stellte die Theorie auf, ich wäre umgedreht worden. Ich glaube, sie traut mir heute noch nicht, aber immerhin habe ich die "Sie kommen aus dem Gefängnis frei"-Karte von ihr bekommen. Sind Sie hier, um Details heraus zu arbeiten? Dann sollten wir besser in die Navy-Klinik wechseln, wegen der Gehirnenzephalogramme, und so."
Für einen Moment schien Smith verärgert. "Vielleicht tun wir das sogar. Sie können mir diesen Verdacht nicht verübeln, Lieutenant Davis. Immerhin waren Sie es, der den Piloten Ry Hallas auf akariisch verhört hat. Wie ich auch hörte, haben Sie sich wunderbar mit ihm verstanden."
"Natürlich. Sie können nicht erwarten, dass zwei Piloten, die jeden Tag acht Stunden mit plaudern, Süßigkeiten und taktischen Gesprächen beschäftigt werden, nicht zumindest Sympathie füreinander entwickeln. Aber wenn es Sie beruhigt, offiziell hasse ich die Akarii wie die Pest, die Cholera und die Navy-Soldstelle."
"Sie sprechen zwei Akarii-Dialekte", fuhr Smith unbeirrt fort.
"Drei. Drom und Hara, die ich in der Colonial Confederation gelernt habe, als ich noch mit dem Frachter unserer Familie unterwegs war, der CARNEGIE. Und Sekurr, die Kriegersprache, habe ich von Hallas gelernt."
"CARNEGIE. Der Großraumfrachter der Familie. Haben Sie den Namen STARDANCER schon mal gehört, Lieutenant?"
Erst wollte ich abstreiten, dann aber regte sich eine Erinnerung. "STARDANCER ...Tatsächlich, da regt sich was in meinem Gedächtnis. Ganz vage nur."
Angestrengt dachte ich nach, trank einen Schluck vom Mokka, und schließlich erinnerte ich mich. "Ach ja, der Totalverlust. Soweit ich weiß hat meine Familie achtzehn Prozent am Frachter gehalten, und seine letzte Fahrt zu fünfzig Prozent mitfinanziert. Ein entfernter Verwandter von mir hatte das Kommando, als das Schiff zum Totalabschreibungsverlust erklärt wurde. Ein Eingeheirateter einer entfernten Cousine meiner Mutter. Es war ein erheblicher finanzieller Rückschlag für das Familiengeschäft. Der Verlust des wertvollen Frachters war auch nicht gerade eine sich überschlagende Erfolgsnachricht. Ganz abgesehen von den teuer ausgebildeten, langjährig erfahrenen Raumfahrern, die wir dadurch verloren haben." Nachdenklich rieb ich mir das Kinn. "Das Wrack wurde nie gefunden. Aber irgendwie war ich immer neugierig, was dem Schiff passiert ist. Ich meine, Hey, einen Altair verlegt oder verliert man doch nicht! Und Piraten haben ihn auch nicht aufgebracht, sonst hätten wir das Schiff über diverse Kontakte wieder frei gekauft." Ich lächelte verlegen. "Verzeihung, ich wollte Sie nicht mit Familiengeschichten langweilen, Commander."
Die Frau an der Wand lachte leise auf. "Das Schicksal Ihres Onkels interessiert Sie nicht, Davis?"
"Wie ich schon sagte, er war ein eingeheirateter Onkel in einem Nebenzweig. Sprich, er gehörte zur Verwaltung. Ich bin ihm nie begegnet. Ich war seit meiner Geburt mit der CARNEGIE unterwegs und habe nur sehr wenig Zeit auf Planeten verbracht, geschweige denn in der Firmenzentrale, bevor die STARDANCER verschwand. Ich habe noch nie besonders viel Trauer für Menschen verspürt, die ich weder kannte, noch deren Tod ich gezwungen war mitzuerleben. Das hat sich beim Militär sehr bewährt."
Die Frau brummelte etwas, das wie "eiskaltes Arschloch" klang, aber das konnte nicht sein, nicht so wie ihre Augen dabei lachten.
"Ich finde, das ist keine Zeitverschwendung, Lieutenant. Lassen Sie uns mehr über die STARDANCER reden. Vor allem Ihr Interesse daran ist...Interessant. Was fasziniert Sie so an diesem Schiff, abgesehen vom finanziellen Verlust?"
Verlegen grinste ich. "Es ist noch nicht lange her, da war ich noch nicht einmal auf der Akademie. Vor einem knappen Jahrzehnt war ich noch ein kleiner Mann mit viel zu großer Klappe und viel zu hohen Ansprüchen an das Leben. Und ich hielt mich für eine ganze Ecke schlauer als ich eigentlich war. Ich dachte, wenn ich nur genügend Fakten kriege, würde ich alleine die STARDANCER finden und retten können. Natürlich hat man einem Jugendlichen wie mir nie mehr gesagt als dass das Schiff verschollen war und als Totalverlust abgeschrieben wurde. Es hat mich immer gereizt mehr darüber zu wissen. Aber irgendwann hat der Krieg mich zu sehr in Beschlag genommen, und ich habe das Schiff vergessen."
Smith beugte sich vor, so als hätte er verschwörerisch etwas mitzuteilen. "Lieutenant Davis, ich glaube Ihnen nicht."
"Das ist Ihre Sache", erwiderte ich schroff, nachdem mich der Commander so unsanft aus meinen Gedanken gerissen hatte.
"Ich will Ihnen auch sagen, wieso ich Ihnen nicht glaube. Wussten Sie, dass die STARDANCER als letzte Funkmeldung mitgeteilt hatte, sie wäre auf einen aufgegebenen Frachter namens COPERNICUS gestoßen? Danach hat man nie wieder etwas von der STARDANCER gehört."
"COPERNICUS?", fragte ich überrascht. Auch da klingelte etwas bei mir, aber weit, weit entfernt und kaum zu fassen.
"Sie verschwand schon vor über einhundert Jahren unter ähnlich mysteriösen Umständen wie die STARDANCER. Komisch nur, dass beide Schiffe neunzig Jahre später rund hundert Lichtjahre vom letzten bekannten Kurspunkt der COPERNICUS zusammen getroffen sind. Verstehen Sie meine Irritation, Lieutenant? Dazu kommt noch, dass einer Ihrer Geschwaderkameraden einen Notruf der COPERNICUS aufgefangen hat, und das vor nicht einmal drei Jahren. Angeblich nur Fragmente, mit unsicherer Ortung. Man sprach damals von einem Phantom, und..."
Überrascht sprang ich auf. "Was? Wir haben...Was? Aber wann? Wo? Haben Sie Daten dazu? Unterlagen jedwelcher Art? Wer war der Pilot? Lebt er noch? Hören Sie, Commander, ich habe ein persönliches Interesse an der STARDANCER, und damit auch an der COPERNICUS, auch wenn es etwas spät geweckt wurde. Das Familiengeschäft liegt jedem Davis im Blut, und wenn ich etwas Neues erfahren kann, und sei es nur, wie wir in Zukunft solche Verluste vermeiden, wäre mir das lieb und teuer. Wenn Sie mich informieren können, wenn Sie mich beteiligen können, tun Sie es bitte! Ich meine..."
"Es kommt in der Tat etwas spät und etwas plötzlich!", erwiderte der Commander schroff.
"Entschuldigen Sie bitte, das ich in einen Krieg gezogen wurde, dort beinahe starb und einen Arm verloren habe, mich mühsam wieder die Ränge rauf kämpfen musste und gerade aus einem halben Dutzend schwerer Schlachten zurück gekehrt bin, bei der ich eine Freundin verloren habe, die noch leben könnte, wenn mich ein verdammter Akarii-Zerstörer nicht flügellahm geschossen hätte! Ich bediene in der Reihenfolge der Eingänge, nicht anders herum. Ich bin kein Supermensch. Im Gegenteil!" Oh, was für eine Erkenntnis. Aber umso schmerzhafter, weil sie wahr war. Ich war in der Tat kein Supermensch. Langsam nahm ich wieder Platz. "Also, Commander, falls es irgend etwas gibt, was ich beitragen kann, wenn ich Sie unterstützen kann, zögern Sie nicht, es auszusprechen. Ich bin dabei. Das heißt, solange Sie daran Interesse haben."
Smith sah mir direkt in die Augen. "Ich traue Ihnen nicht, Lieutenant. Das heißt, bevor wir uns getroffen haben, hätte ich Ihnen mit Hingabe und einem Glücksgefühl die Karriere versaut, und jedem den Sie kennen gleich dazu. Jetzt aber glaube ich zumindest ansatzweise, dass Sie ein wertvolles Mitglied des Fliegerkorps der Navy sind. Und ich glaube tatsächlich, dass Sie ein gewisses Interesse an der Sache haben." Er straffte sich. "Vielleicht gibt es da etwas. Es hat eventuell mit der COPERNICUS zu tun. Ich hatte vor, es näher zu untersuchen. Vielleicht brauche ich dafür Piloten", sagte er gedehnt.
"Ich bin gerade beurlaubt und stehe zur Verfügung.", sagte ich ernst. Zum Teufel mit der Qualifikation auf der Falcon! Das hier roch nach einem Abenteuer der Extraklasse, das vielleicht mal nicht damit zu tun hatte, intelligentes Leben zu rösten.
"Ich denke, ich werde auf diesem Gehirnscan bestehen müssen, wenn wir miteinander arbeiten wollen, Ace. Keine Einwände? Gut. Ich werde Sie informieren, wenn der Scan ansteht, und darüber hinaus, sobald...Falls ich Sie benötige. Ach, und halten Sie sich für weitere Gespräche bereit."
"Ich verspreche volle Kooperation", erwiderte ich, angesichts dieser Möglichkeit, dieser Chance Feuer und Flamme. Ich fraß diesem Kerl gerade aus der Hand, aber das war mir Scheißegal.
"Gut, Lieutenant. Kann sein, dass uns diese Spur alle ans Ende unserer Karriere bringt. Kann aber auch sein, dass für Sie der halbe Streifen drin ist. Wir werden sehen."
Zwei Streifen, volle, zierten meine Ausgehuniform und kennzeichneten mich als First Lieutenant, was bei der Army einem Captain entsprach. Der nächste, halbe Streifen, machte mich zum Lieutenant Commander, sprich Major der Army. Es war vielleicht nicht verkehrt, schon vor der Beförderung als Staffelkommandeur mein Anrecht auf die Beförderung zu untermauern. "Ich bin dabei, Sir."
Smith lächelte zufrieden. Die Frau an der Wand runzelte nur irritiert die Stirn, sagte aber nichts.
Smith streckte mir die Hand entgegen. "Ich werde Sie informieren lassen, Lieutenant. Ach, und machen Sie sich keine Sorgen darüber, dass ich das Interesse an der COPERNICUS verlieren könnte. Ich hatte auch einen Verwandten an Bord, als sie verschwand."
Ich nickte ernst, als ich die Hand des Commander schüttelte. Sein Griff war fest, kräftig und trocken. Er war zwar ein verdammter Schlapphut, aber für den Moment beschloss ich, ihm zu vertrauen. "Ich bin über meinen mobilen Kommunikator jederzeit zu erreichen und werde Seafort nicht verlassen. Ich hole gerade die Qualifikation für die Falcon nach. Rufen Sie an. Jederzeit."
Smith lächelte freudlos, aber seine Augen sagten etwas anderes. "Verschluss aufheben.", sagte er in seinen Kommunikator. Kurz darauf schwang die Tür wieder auf. "Wir melden uns, Lieutenant."
Ich nickte dem Commander zu, und dann der Frau an der Wand. Sekunden später war ich draußen. Ein Abenteuer. Ein verdammtes Abenteuer. Verdammt, das fühlte sich gut an. Obwohl, das nächste Abenteuer wartete ja ohnehin schon auf mich. Mein Besuch bei Lilja.

***

Als ich aus New Barcelona zurückkehrte, hätte ich mich in den Arsch beißen können, Lilja nicht vorab informiert zu haben, dass ich unterwegs gewesen war. Merkwürdigerweise war sie ausgeflogen. Und dabei hatte ich alles bis ins Detail geplant gehabt.
Frustriert erreichte ich die Victoria Hall, und unkonzentriert wie ich war stieg ich aus. Daran war Imp Schuld, nur Imp, und niemand sonst. Ärgerlich fragte ich mich bereits zum fünften oder sechsten Mal, ob sie mich vielleicht verarscht hatte. Das hatte schon damit angefangen, dass sie mir weisgemacht hatte, Lilja hätte sich für einen Strandurlaub eingeschrieben.Womöglich noch im Bikini. Nicht, dass mich dieser Anblick gestört hätte. Zugegeben, meine Phase, in der ich geglaubt hatte, in die Russin verliebt zu sein, nachdem sie mich typisch russisch auf den Mund geküsst hatte, um mich zu bestärken, hatte ich hinter mir gelassen. Aber Tatjana war austrainiert und auch ansonsten sehr gut proportioniert. Ihren nahezu perfekten Hintern in einem knappen Bikini-Höschen zu bewundern war schon eine kleine Reise wert, auch wenn sie ins Leere gegangen war. Ich hatte jedenfalls vorgesorgt, und für den Fall, dass sie mir weder gleich die Tür vor der Nase zuschlug, noch mich nach dem letzten Wort gleich wieder nach Hause jagte, meine Badesachen mitgebracht gehabt. Denn obwohl ich von dem Gedanken, in die vollkommen unterkühlte, Akarii-hassende Russin verliebt zu sein, mittlerweile wieder runter war, so hätte ich doch absolut nichts dagegen gehabt, mit ihr den Rest vom Tag zu verbringen. Falls sie mich gelassen hätte.
Aber diese Frage stellte sich ja jetzt nicht mehr. Ich hatte vor der Wahl gestanden, entweder alleine an den Strand zu gehen, oder die vier Stationen zurück bis zu meinem Hotel zu fahren, von wo es einen läppischen Sprung ins Nachtleben von Neu Kapstadt bedeutete. Einem erheblich wilderen Nachtleben als hier am Strand. Abgesehen davon, dass ich an der falschen Station ausgestiegen war, befand ich mich defintiv nicht am Strand, hatte also den Rückzug gewählt. Von mir waren es nur ein paar Blocks, also beschloss ich zu Fuß zu gehen.

Victoria Hall war eine der ältesten Stationen der Stadtbahn. Das sah man eindeutig an den großzügigen Dimensionen der Empfangshalle. Damals, als der Planet durch den Handel reich geworden war, hatten seine Anführer sich ein paar Prestige-Objekte geleistet. Dieser Bahnhof gehörte dazu, und beeindruckte durch Dimensionen und schlichten Zyklopismus. Also, ich war beeindruckt. Zumindest lange genug, bis ich mir überlegte, Lilja eine Nachricht zukommen zu lassen und mich für den nächsten Tag anzukündigen. Falls sie bestätigte oder nicht absagte, war das schon erheblich besser gelaufen als heute.
Ich verließ Victoria im Strom der Menschen, und konnte mein Glück kaum fassen! Unter einer Infotafel erkannte ich das bleiche Gesicht von Tatjana beinahe sofort. Vor allem weil es trotz einiger Tage Sonne noch immer wie ein weißes Schokopraliné aus der braunen Packung hervor stach. Ich hob die Hand, wollte sie rufen. Dann stutze ich. So nervös wie sie auf und ab marschierte, war es offensichtlich, dass sie etwas suchte. Oder jemanden. Für einen Moment fühlte ich meinen Magen durchsacken. Mein Kreislauf wollte auf einmal nicht mehr so wie ich wollte, und meine Knie sackten für einen Augenblick durch. Hatte Imp da etwas arrangiert? Aber nein, dann hätte sie mich in New Barcelona erwartet. Und dennoch... Wartete die Russin... Auf mich? Immerhin war es kein großer Unterschied, ob man Maxwell Station oder Victoria Hall von meinem Hotel aus ansteuerte. Konnte das wirklich sein? War das Realität? Ein Gefühl stieg in meiner Magengrube auf, das mich ebenso erhob, wie es mich nervöser machte. Und mein Herz begann härter und hektischer zu schlagen als im Dogfight mit einer Bloodhawk.
Wieder hob ich die Hand. "LIL..."
"Walja!", kreischte sie auf, und stürzte einem First Lieutenant in die Arme. Der fing sie freudestrahlend auf, und bevor ich verstand was ich sah, küssten die beiden sich. Ich spürte, wie meine Arme zu kribbeln begannen. Wie meine Beine irgendwie taub wurden. Ich sackte in die Knie ein. Und dann bekam ich auch noch einen Hustenanfall. Verdammt noch mal, hatte Lilja... Hatte sie einen Freund? Warum hatte Imp nichts davon erzählt? Warum... Scheiße, warum passierte so etwas immer nur mir?
Als mich der erste besorgte Passant ansprach, fand ich in die Wirklichkeit zurück. Wie lange hatte ich hier auf meinen Knien gehockt? Lilja und ihr Freund waren jedenfalls nicht mehr zu sehen. Ich wehrte die hilfreichen Hände ab und kam wieder auf die Beine. Aber ich war noch sehr wacklig. Irritiert griff ich zu, als mir ein freundlicher älterer Herr meine Tasche wieder in die Hand drückte. Auf seine Frage, ob alles in Ordnung sei, nickte ich nur. Langsam, noch immer mit zitternden Beinen, dem Ergebnis einer erheblichen Überdosis Adrenalin, bedankte ich mich und ging wieder in die Halle. Mein erster halbwegs sicherer Gang führte mich zur erstbesten Bar und einem kräftigen Doppelkorn, der das Zittern für den Augenblick beendete. Scheiße, sie hatte einen Freund!

***

Ein paar Stunden später saß ich im Candy Club an der Theke und machte dort weiter wo ich in der Sportsbar in der Victoria Hall aufgehört hatte. Allerdings hatte ich die Schlagzahl stark reduziert. Anstatt nur Schnaps zu trinken hatte ich auch noch einen Pitcher Schwarzbier vor meinem Platz stehen. Aber ehrlich gesagt war es nicht dazu angetan meine Laune zu verbessern. Ich meine, Lilja! Ausgerechnet Lilja! Nicht, das ich ihr ein wenig Glück nicht gönnte. Sie trug so schon schwer genug an ihrem Kriegstrauma, an ihren Narben, die sie jeden Tag an das erinnerten, was sie verloren hatte, an ihrer Verantwortung und an den Anforderungen, die sie auch noch an sich selbst richtete. Ein wenig privates Glück war ihr da sicher nicht zu missgönnen, und wenn ich an manchen Grunt dachte, von dem ich gehört hatte, dann war ihr Akarii-Hass geradezu von einer liberalen Sorte.
Warum störte mich das dann nur so? Immerhin dachte ich, von dieser fixen Idee, in Miss Knackarsch verliebt zu sein, wäre ich los gekommen. Warum ging ich nicht einfach drüber hinweg und fuhr morgen oder übermorgen noch mal raus, um die Besprechung wegen meiner Falcon-Staffel nachzuholen?
Ich seufzte lange und tief. Weil ich ihr nicht gegenüber treten konnte. Weil ich ihr nicht in die Augen sehen konnte. Weil ich doch verliebt war, und das war so doof, doof, doof, dass es für mich schon wieder typisch war. Oh, ich war manchmal wirklich ein Vollidiot erster Kategorie. Keine besonders nützliche Erkenntnis, befand ich und stürzte den Schnaps die Kehle runter. Na, wenigstens machten die hier auf Seafort einen anständigen Billig-Whisky. "Noch einen, Charly", brummte ich dem Barkeeper zu. Keine Ahnung, ob er wirklich Charly hieß, aber nachdem er den tief melancholischen Ausdruck gesehen hatte, mit dem ich in die Bar gekommen war, servierte er mir alles was ich bestellte. An seiner Miene konnte ich absehen, wann er die Barkeeper-Frage Nummer eins stellen würde: Wollen Sie drüber reden?
"Mach zwei draus, Charly, und schreibe sie auf meinen Deckel", klang neben mir eine Frauenstimme auf.
Mürrisch sah ich zur Seite. Ich hatte schon einen ehemaligen Staffelkameraden, zwei aus der Katapultmannschaft und meinen zukünftigen Stellvertreter fortkomplimentiert, aber irgendwie schien sich die Tatsache, dass ich allein sein wollte, noch nicht herum gesprochen zu haben.
Die junge Frau griente mich an, als ginge es darum mit Lieblichkeit einen Preis zu gewinnen. "Ace, nicht wahr? Hi, ich bin Shoki."
Ich ignorierte ihre dargebotene Rechte, nahm Charly einen Schnaps aus der Hand und stürzte ihn sofort. "Getrennt.", brummte ich ihn an.
"Na hallo, sehr freundlich bist du ja nicht gerade." Sie lächelte noch ein wenig breiter. "Man sagt ja, wer alleine trinkt hat ein Problem."
"Das hast du gut erkannt, Shoki." Verdammt, wie wurde ich denn diesen Plagegeist wieder los?
"Ruhig, Blauer, ruhig. Ich tue dir nichts, und ich beiße auch nur auf Wunsch. Ich war nur etwas neugierig auf dich. Auf der COLUMBIA sind wir uns ja noch nicht über den Weg gelaufen."
Mühsam zwang ich mich zu einer Denksportaufgabe, und kam endlich zu dem Schluss, mit wem ich es hier zu tun hatte: Mit Frischfleisch aus Liljas Staffel. Ob ich Imp dazu bringen konnte, diesen Plagegeist zu entfernen? Ob ich Imp dazu bringen konnte, mir... "Noch einen, Charly."
"Na, na, Pilot, du wirst doch nicht etwa an so einem herrlichen Abend allein bleiben wollen? Vor allem nicht, wenn so eine hübsche Frau an deiner Seite sitzt?", neckte Shoki.
"Wenn es dir nichts ausmacht.", erwiderte ich so höflich wie ich konnte. Meine nächste Reaktion würde entweder sehr laut, oder aus einem Location-Wechsel bestehen.
"Hm,", machte sie enttäuscht. "So hat mein Bruder dich nie beschrieben. Vielleicht haben ja die Leute Recht, die dich als narzisstischen Captain Blauhaar betiteln, und Kano verteidigt dich ganz umsonst." Mit saurer Miene erhob sie sich von ihrem Barhocker, kippte den Whisky und ging davon.
Ich hielt sie am Handgelenk auf. "Nanu? Falls du deine Linke suchst, die hält mich gerade fest. Oder hast du schon so viel intus, dass du meinen Hintern verfehlt hast?"
"Du bist Ohkas Schwester?"
Ein neues Lächeln glitt über ihr Gesicht. "Sakura Nakakura, genannt Shoki. Nicht zu verwechseln mit der braunen Süßigkeit, aus der du angeblich bestehst, Superpilot. Mehr zu verstehen wie gottgleiches Dämonenwesen, um es in aller Kürze zu erläutern."
Einladend deutete ich auf ihren Hocker. "Nochmal zwei, auf mich, Charly."
"Oh, ich muss also nur das Zauberwort Kano sagen, und Ace wird handzahm? Wie schmeichelhaft für mich."
"Du darfst dich wieder setzen, weil du seine Schwester bist.", bestätigte ich ernst und war dankbar dafür, dass ich noch nicht so besoffen war, dass ich meine eigenen Gedanken nicht mehr verstand, aber schon besoffen genug, um wieder deutlich reden zu können. "Er ist wahrscheinlich der einzige, den ich heute nicht weggejagt hätte."
"Interessant. Willst du drüber reden, oder willst du lieber was trinken? Ich meine, ich bin ein ganz mieser Therapeut, aber ein sehr guter Saufkumpane."
Ich schob ihr einen der beiden neuen Shots zu. "Saufen."
"Der Mann spricht mir aus der Seele", sagte sie freudig, ergriff ihr Glas und stieß mit mir an. "Auf die Staatsschulden!"
Irritiert hielt ich inne. "Warum auf die Staatsschulden?"
"Warum nicht auf die Staatsschulden? Immerhin bezahlen sie uns damit, oder?"
Ich prustete für einen Moment in mein Getränk. "Also gut. Auf die Staatsschulden."
Wir stießen an, stürzten das Getränk. "Charly, noch ein Bierglas für die Lady. Magst du schwarzes Bier, Shoki?"
"Oh ja. Ich mag es etwas würziger. Genau wie meine Männer."
Ich verschluckte mich an meinem Bier, als ich das hörte, und bekam Flüssigkeit in die Nase, die mir einen Hustenreiz bescherte.
"Keine Sorge, Blauhaar. Eins neunzig große Kerle mit Kleine Schwester-Komplex fallen nicht in mein Beuteschema.", sagte sie grinsend und klopfte mir auf die Schulter. Sie schenkte sich das Glas voll und hielt es mir zum anstoßen hin. "Aber erzähl mal. Was für einen Narren hast du an dem trockenen Fisch gefressen, der sich mein großer Bruder schimpft, außer, dass ihr euch ein Mädchen teilt?"
"Wir teilen uns doch kein Mädchen!", rief ich entrüstet. "Wir verstehen uns einfach, das ist alles. Mal schlechter, mal besser, aber er ist auf jeden Fall einer der wenigen Piloten auf der COLUMBIA, denen ich meine Sechs jederzeit anvertraue."
"Und dein Mädchen.", schloss Shoki.
"Und mein...Kali ist NICHT mein Mädchen. Aber wir haben uns mal eine Kabine geteilt, damals auf der REDEMPTION."
"Oh, davon habe ich schon gehört. Die Geschichte ist ja legendär. Stimmt es das du sie außerhalb ihrer Duschzeiten zum duschen genötigt hast?"
Ich lachte nervös. "Was ist das denn für ein Quatsch?"
"Nix. Ich wollte nur lustig sein." Ihr Ellenbogen bohrte sich in meine Seite. "Also, erzähl schon, Superpilot. Was ist damals passiert? Ich brenne vor Neugier."
Ich lachte leise. Dann begann ich zu erzählen. Wie ich auf die RED gekommen war, wie ich Kali getroffen hatte. Die Geschichte mit der gemeinsamen Kabine, wie mir Ohka begegnet war, alles was mir einfiel und nicht unter Geheimhaltung fiel. Nebenbei orderte ich zwei neue Shots. Und merkwürdigerweise war meine schlechte Laune nur noch halb so schlimm.

***

Die Sonne weckte mich, als sie mir direkt in die Augen schien. Erschrocken fuhr ich hoch, und bezahlte diese Bewegung sofort mit einem sehr heftigen Kopfschmerz, noch um einiges schlimmer als die Schmerzen, mit denen ich gestern aufgewacht war. Ich fühlte mich furchtbar verkatert, mein Hals fühlte sich an als hätte ich mit Nägeln gegurgelt, und mein übersäuerter Magen schickte bittere Säure die Kehle hoch. Während kleine Sternchen vor meinen Augen tanzten, dachte ich darüber nach was ich eigentlich angestellt hatte. Gut, da war Lilja gewesen, mit diesem Walja... Natürlich ein Russe, dem Namen nach. Warum war das Leben nicht fair? Und dann der Candy Club, wo ich Kanos kleine Schwester Sakura getroffen hatte. Wir hatten ordentlich zusammen gebechert und...
Entsetzt riss ich die Augen auf. Nein, ich lag alleine im Bett. Ich arbeitete mich einmal ums Gestell herum, erkannte aber nur meine eigenen Sachen, die fein säuberlich auf einem Sessel drapiert waren. Nichts deutete darauf hin, dass ein anderer als ich hier geschlafen hatte. Dennoch, eine weitere Person hätte früher aufwachen, ihre Spuren beseitigen und das Zimmer verlassen können. Ich wankte aus dem Bett, ging zum Spiegel und untersuchte mein Gesicht auf Anzeichen einer wilden Nacht, von den schwarzen Schatten einmal abgesehen. Hm, irgendein Witzbold hatte mir K.O. auf die Stirn geschrieben, aber das war auch der einzige Lippenstift an meinem Körper. Hatte Sakura überhaupt Lippenstift aufgelegt gehabt? Ich drängte den Gedanken, möglicherweise volltrunken mit ihr geschlafen zu haben, so weit es ging, von mir. Alleine schon aus dem Grund, weil ihr Bruder mich dafür wahrscheinlich mit äußerstem Vergnügen bei lebendigem Leibe gehäutet hätte. Nichts deutete darauf hin, aber das beruhigte mich nicht wirklich. Ich beschloss ins Bad zu gehen. Also wankte ich dorthin. Keine Anzeichen dafür, dass jemand geduscht hatte. Alle Handtücher waren trocken und noch da wo ich sie zurück gelassen hatte.
Also beschloss ich das einzig richtige, erst einmal selbst zu duschen.
Nach der kalten Brause fühlte ich mich zumindest wieder lebendig. Aber es enthob mich nicht zweier Fragen. Nummer eins war, was war gestern überhaupt mit Sakura und mir passiert? Ab dem dritten Pitcher hatte ich einen ziemlich derben Filmriss, auf den ich es ja von vorne herein abgesehen hatte. Und Frage Nummer zwei war, ob ich noch mal zu Lilja raus fahren sollte, um die missratene Besprechung nachzuholen. Aber was, wenn dieser Walja noch immer da war? Ärgerlich trat ich an die Minibar und beschloss Feuer mit Feuer zu bekämpfen. Dabei fiel mein Blick auf einen eng beschriebenen Zettel auf dem kleinen Schreibtisch.
"Danke für den tollen Abend, Captain Blauhaar. Wenn du wieder wach und handlungsfähig bist, melde dich bei mir. Deine Kindergärtnerin Sakura", las ich laut. Erleichtert atmete ich aus. Okay, anscheinend war ich nicht in der Lage gewesen, mit ihr zu schlafen. Und auf ihrer Seite hatte es glücklicherweise an Willen gemangelt. Ohka würde mich voraussichtlich nicht töten. Blieb nur noch die Tatsache, dass mich das zierliche Persönchen tatsächlich in mein Zimmer geschafft und dann in mein Bett gesteckt hatte. Und außerdem hatte sie mich auch noch ausgezogen. Was für ein dreistes Früchtchen. Zu meiner Zeit hatten wir unseren sturzbesoffenen Kameraden nur die Schuhe ausgezogen und sie dann einfach aufs Bett geschmissen. Was war aus der guten alten Zeit geworden?
Ich ertappte mich dabei, wie ich mir wünschte, Commander Smith würde anrufen, um mich zu bitten, ihn auf diese Mission zu begleiten, die er angesprochen hatte. Das war allemal besser als zu viel denken zu müssen. Mist. Verdammter Mist. Manchmal glaubte ich wirklich, dass ich Komplikationen und Probleme anzog wie ein Magnet. Wahrscheinlich hatte ich Recht.
20.01.2016 09:48 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cunningham

Karl Agathon: Looks good on you. Belongs on you.
Sharon Agathon: You know what this means to me.
Karl Agathon: One of the first things they taught us at the academy was that symbols matter. Uniforms, flags, banners, even mascots. They're like pieces of your heart you can look at. This uniform...it means a lot to me, Sharon.
Sharon Agathon: I know it does, Helo. It means a lot to me, too. I won't betray it.

BSG – 3. Season „Precipe“


Wenn ein Mensch die Uniform anzieht, ob es nun die der Polizei, der Feuerwehr oder des Militärs ist, so symbolisiert es, dass er Teil einer Gemeinschaft ist. So symbolisiert es, dass er der Gesellschaft dienen will.
So sollte es zumindest sein, doch allzu häufig bleiben Menschen nun mal Menschen. Persönlicher Ehrgeiz, Ruhmsucht und all die anderen menschlichen Bedürfnisse verschwinden nicht einfach.
Die Uniform ist kein magischer Mantel, der aus einem einen besseren Menschen macht.
Selbst die mittlerweile ruhmbeladenen Uniform der Terran Space Navy bewirkte nicht dieses Wunder.
Die Menschen, die sie trugen, blieben weiterhin Menschen, mit ihren Fehlern und ihren Schwächen. Aber die Uniform der TSN erfüllte ihren Zweck. Sie verband all die Menschen, die sie trugen, unabhängig von Rasse, Religion oder Hauptfarbe, und es waren jene Menschen, die der Uniform ihre Stärke gaben.
Denn bei all den Schwächen, die Menschen aufweisen konnten, so besaßen sie eine Stärke, die fast alles wieder auf wog. Sie konnten über sich hinauswachsen, sie konnten Lasten tragen von denen man annahm, man würde unter ihnen zerbrechen.
Die Uniform, die Flaggen und die Banner waren Teil einer Tradition. Einer Tradition gegründet von Menschen, die hofften etwas Bedeutendes zu schaffen, die einen Grundstein legen wollten für etwas Großes. Weitergeführt von anderen Menschen, die die Taten ihrer Vorgänger sahen und sich diese als Vorbild nahmen und in ihrem Sinne nicht nur für sich sondern für das Ganze Ruhm und Ehre zu ernten. So war die jeweils amtierende Generation von Flottenangehörigen in der Pflicht ihren Vorfahren zu folgen, ihren Ahnen Ehre zu bereiten und ihren Nachkommen ein würdiges Erbe zu hinterlassen.
Die Gemeinschaft nimmt sie durch die Uniform in die Pflicht, die Leistung wird von den Menschen erbracht.
Nach drei Jahren Akademie und nach etlichen Dienstjahren glaubt man entweder daran oder man ist am Mythos Uniform zerbrochen.
Vanessa Girad glaubte daran. An die strikte Pflicht, der Uniform Ehre zu bereiten und die Aufgaben, welche sich im Dienste der Navy einem stellten, nach besten Wissen und Gewissen zu erledigen.
Daran änderte sich nichts. Weder durch ihre Abberufung von der 4. Flotte, durch die Zurückstufung zum Viceadmiral oder gar die Untersuchung.

Man gab sein Bestes um der Navy zu genügen. Manchmal genügte das nicht und man wurde gemaßregelt. Manchmal tat man sein Bestes und alles Menschenmögliche und eine politische Entscheidung schlug einem ins Gesicht.
Das war eine der Risiken, die der Dienst mit sich brachte, wenn man hoch genug aufstieg. Wenn man daran nicht zerbrach oder unterging, dann schwamm man eben weiter.
Girad hoffte, dass dieser Termin bedeutete, dass sie noch nicht untergegangen war.
Immer wieder blickte sie verstohlen zur Bürotür und hoffte, dass der Command Master Chief Petty Officer dies nicht mitbekam.
Ein hoffnungsloses Unterfangen. Unteroffiziere, die zum Master Chief oder gar zum Command Master Chief aufgestiegen waren, denen konnte man so schnell nichts vormachen.
Selbst als Admiral nicht.
Das Telefon auf dem Schreibtisch des Chiefs summte und er nahm ab. Nach kurzem Gespräch blickte er zu ihr rüber: „Admiral Girad, Sie werden jetzt erwartet Ma'am.“
„Danke.“, sie erhob sich und ging auf die Tür zu, die der Unteroffizier ebenfalls anstrebte um diese für sie zu öffnen.
„Keine Sorgen Ma'am, der Chef reißt viel weniger Köpfe ab, als man sich erzählt.“, raunte er ihr zu, als sie durch die Tür ging.
Sie nickte dankbar und musste Schmunzeln, als junger Lieutenant hatte sie mal einen Senior Chief vor versammelter Truppe zur Schnecke gemacht, weil er ihr Mut zusprechen wollte.
Am nächsten Tag hatte sie sich bei ihm in aller Form entschuldigen müssen. Der damalige XO des Schiffes, ein junger Lieutenant Commander, hatte ihr damals fast den Kopf abgerissen.
Sie wusste ganz genau, wie gut Admiral Nathan Frost, Chief of Naval Operations, darin war, jemanden den Kopf zu waschen. Oh ja, das wusste sie wahrlich.
„Sir, Viceadmiral Vanessa Girad meldet sich wie befohlen.“
Nathan Frost stand abseits seines Schreibtisches, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und blickte durch das Panoramafenster auf die Freiheitsstatue und den Seehafen von New York hinab. Er war unbestreitbar alt geworden. Die einst braunen Haare waren jetzt grau und weiß.
Doch von seiner schlanken, aufgerichteten Gestalt ging immer noch etwas aus, was an die alten Tage erinnerte, Tatendrang und Feuer hatten ihn noch nicht verlassen.
„Sie haben sich ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt, Vanessa. Wieder einmal.“
„Das ist mein Job, Sir.“, entgegnete sie, „Wir alle da draußen halten jeden Tag unseren Kopf hin.“
„Setzen wir uns doch, möchten Sie einen Kaffee oder etwas anderes vielleicht?“
Die beiden Admirale gingen zur Couchgarnitur, die so alt war, wie dieses Büro. Seit Anbeginn ihrer Geschichte wurden von hier aus die Geschicke der Navy gelenkt. Von diesem Haus, diesem Zimmer wurde die mächtigste Militärmaschinerie seit Menschengedenken gelenkt.
Trotz all der Gerüchte, dass in diesem Büro die Ermordung von Präsident Philip Schulz geplant worden war, war hier immer das Herz und Nervenzentrum der Flotte gewesen.
Heute hieß es schwimmen oder untergehen.
Sie konnte genau sehen, wie Frost seine nächsten Worte genau abwog, während er ihr Kaffee einschränkte: „Erinnern Sie sich daran, was ich Ihnen einst auf der Shiloh gesagt habe?“
„Natürlich, Sir, ich zitiere: Die Pflicht endet nie. Sie endet nicht durch die Buchstaben des Gesetzes, nicht durch die Vorschriften und auch nicht an Moral und Anstand.
Am Ende eines arbeitsreichen Tages ist die Pflicht nicht geringer geworden. Was wir auch geleistet haben, welche Orden und welches Lob wir erhalten haben, wir sind unserer Nation, unseren Kameraden und den Traditionen der Flotte immer noch verpflichtet wie zuvor, wenn nicht noch mehr. Pflicht endet nie.“
„Und habe ich jemals jemanden fallen gelassen, der seine Pflicht erfüllt hat?“
Vanessa grinste freudlos: „War das jetzt eine rhetorische Frage, Sir? Sie haben Ihre Pflicht gegenüber der Flotte, und wenn das bedeutet jemanden wie mich den Wölfen zum Fraß vorzuwerfen, dann weiß ich, dass Sie nicht zögern.“
„Hm, wäre ich denn mit dieser Behauptung durchgekommen, bei jemanden, der mich nicht so gut kennt?“, wollte Frost wissen.
„Oh, der Blick in die Ferne war schon nicht schlecht. Also war’s das für mich?“
Frost fixierte sie mit kaltem Blick: „Für mich ist wichtig, ob Sie es noch drauf haben. Werden Sie das nächste Mal zögern, wenn eine schwierige Entscheidung ansteht, Vanessa, oder werden Sie ihren Job machen?“
Schwimmen oder untergehen: „Sir, ich habe mich nicht bis in die Admiralsränge hochgearbeitet, um jetzt nach einer richtigen Entscheidung auf dem Abstellgleis zu landen. Ich kenne meine Pflicht.“
Frost nahm einen Schluck von seinem Kaffee, vielleicht um etwas Zeit zum Nachdenken zu bekommen: „In Ordnung Vanessa, ich weiß, was ich an einem Offizier wie Ihnen habe. Eventuell hätte ich tatsächlich eine neue Aufgabe für Sie.“
„Ich bin ganz Ohr, Sir.“
„Es geht darum eine Trägerkampfgruppe neu aufzubauen. Es handelt sich dabei um eine von Renaults wichtigsten Einheiten, die uns letztens erst wieder ganz gewaltig den Arsch gerettet hat, jedoch ist die kommandierende Admiralin gefallen. Kannten Sie Bianca Wulff?“
„Dickschifffahrerin wie ich, hat einige Texte zur Kreuzerführung verfasst, die zum Standartwerk auf der Dolphin gehören. Bin ihr persönlich nie begegnet. War ganz dicke mit Miles Long, wenn ich das recht in Erinnerung habe.“
„Das ist korrekt, sie hat die Columbia Trägerkampfgruppe befehligt. Sie, ihr Stellvertreter, der Trägerkommandant und ein weiterer Schwadronskommandant sind gefallen. Ein weiterer Commodore wurde mit der Hong Kong abgezogen um zu Renaults Hauptflotte aufzuschließen.“
Girad nickte: „Also ist nicht mehr viel Rohmaterial übrig.“
„Das ein oder andere ist noch vorhanden“, Frost schob ihr ein Datapad hinüber, „Chris Mithel wäre ihr Stellvertreter, er ist kürzlich zum Rearadmiral befördert worden.“
„Das ist gut, er ist eine Autorität auf dem Gebiet der schweren Kreuzer, war er schon als Lieutenant Commander, er war zweiter Offizier unter Adams, als ich erster Offizier war. Auch wenn ich nicht ganz so mit seinem Führungsstil konform gehe, so ist er jemand auf den man bauen kann. Er kann organisieren und seine Einheit am laufen halten.“, Girad schüttelte den Kopf, „Ach du je, Justus Schneider, dem Mann geht doch die nötige Disziplin ab um einen Kreuzer zu führen, was ist denn da schief gelaufen? Wäre der nicht auf einem unabhängigem Kommando besser aufgehoben?“
„Wer?“
„Justus Schneider, ist irgendwie mit dem alten Commodore Davis verwandt, hat jedoch wenig vom Alten abbekommen.“
„Ah, wissen Sie, was aus Old Davis geworden ist?“
„Hat sich irgendwie rumgeschwiegen, dass er mit Alexander auf so eine schwachsinnige Mission raus ist und nun den Gerüchten zufolge beide auf Manticore schmoren. Stimmt es, dass die Präsidentin da irgendwie die Finger im Spiel hatte?“
„Tja, manchmal hat unsere oberste Herrin so ihre bekloppten fünf Minuten. Am schlimmsten jedoch ist, dass es durchgesickert ist.“
„Dementieren hilft nichts?“, hakte Girad nach.
„Wir kommentieren es nicht.“
Die Admiralin widmete sich wieder ihrer Lektüre: „De Kerr hat schon einen neuen Captain für die Columbia gefunden, da scheint jemand zu versuchen seine Protegees unterzubringen. Aber wenn ich das richtig überblicke, ist Ahn eine sehr gute Wahl für ein Trägerkommando.“
Es gab noch einiges an Hin und her wegen dem massiven Ersatz, den CBG 41 einfach brauchte. Aber letzten Endes hatte Girad ihren Marschbefehl nach Sterntor in der Tasche.
Sie war noch im Geschäft. Noch schwamm sie.
20.01.2016 09:49 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Ironheart

„Stews“, Am Rande des Internationalen Viertels, Neu-Kapstadt
Seafort, Sterntor-System

Die Bar „Stews“ war eine der beliebteren Piloten-Kneipen am Rande des Internationalen Viertels von Neu-Kapstadt. Wie so viele Bars hatte auch diese eine bestimmte Klientel und in diesem Fall waren das Raumkampfflieger.
Das lag zum einen an ihrem Besitzer, Stewart „Stew“ Bradcock, einem der bekannteren Asse aus der Zeit der letzten schwereren Piratenkonflikte vor dem Krieg mit den Akarii. Überall hingen Bilder, Jagd- und Bomberfliegermodelle, Trümmerstücke, Orden oder andere Erinnerungen an frühere Schlachten die entweder Stew selber erlebt hatte oder die er von anderen Fliegern geschenkt bekommen hatte.
Zum anderen waren die Flieger hier mehr oder weniger unter sich, wenn man mal von ein paar Touristen absah, die sich verschämt an einige Tische setzten, um ihre Idole verstohlen beim Saufen zu beobachten. Und wenn man mal von den männlichen und weiblichen Groupies absah, die hier auf einen guten Fang hofften. Und es gab nicht wenige Piloten und auch Pilotinnen, die nicht abgeneigt waren ein wenig zu flirten und vielleicht sogar mehr.
Für alle die es etwas härter und verruchter mochten und die lieber gleich zur Sache kommen wollten, gab es andere Bars im Zentrum des roten Bezirks, denn das Stew war eine harmlose, eher weichgespülte Version für diejenigen, die nach etwas gesittetem Spaß aus waren.
Diese Bar wäre normalerweise nicht die richtige für Donovan „Noname“ Cartmell gewesen, und das obwohl er trotz seines zweifelhaften Rufes nicht zu den Leuten gehörte, die die härteren Bars im roten Bezirk bevorzugten.
Der Grund warum Noname nicht gerne in diese Bar ging, lag vor allem an der Tatsache, dass es hier von Piloten eben nur so wimmelte, und das schloss diverse Angehörige der Angry Angels ein. Und nach dem jetzigen Stand der Dinge gab es nur sehr wenige Piloten des 127ten Fighter Wings, die ihn gerne hier sahen.
Und einer dieser wenigen saß an der Bar mit dem Rücken zu ihm und wartete.
Als er Ace erreicht hatte, hatte er bereits einige unfreundliche Blicke wahrgenommen, doch er ignorierte diese geflissentlich.
Er klopfte Ace auf die Schulter, machte dem Barkeeper ein Zeichen ihm eines der lokalen Biere zu bringen und setze sich neben ihn.
„Ach du grüne Neune, gegen welchen D-Zug bist du denn gerannt?“
Noname verzog das Gesicht. „Du wirst es sicher eh bald durch den Staffelfunk hören. Ich hatte einen netten Plausch mit Tiburon.“
„Na dafür bist du aber gut bei weggekommen…zu gut, wenn du mich fragst!“
Noname runzelte die Stirn. „Wie meinst du das denn?“
„Eine ordentliche Tracht Prügel hast du dir weiß Gott verdient für die Scheiße, die du mal wieder verbockt hast!“
Noname rutschte das Herz in die Hose. Was hatte Jean erzählt? Es war doch gar nichts zwischen Ihnen vorgefallen. Naja, gar nichts war zwar nicht ganz richtig, aber dennoch…
Doch bevor er darauf antworten konnte, fuhr zum Glück Ace schon fort bevor er sich um Kopf und Kragen reden konnte. „Du bist doch selten dämlich, versaust dir einen Interims-Staffel-XO Posten nur wegen deinem blöden Ego und persönlicher Animositäten. Mit Mantis hättest du es doch wohl eine Weile aushalten können, oder? Sie ist gar nicht mal so schlecht, wenn man ihr mal eine Chance gibt.“
Fast schon erleichtert grinste Noname. „Ach komm schon, Ace. Ich werde mich jetzt nicht mit dir darüber streiten. Du weißt, dass Mantis und ich niemals hätten zusammen arbeiten können. Das wäre nie und nimmer gut gegangen. Sie war sauer, dass erst Skunk und dann Du mich ihr vorgezogen habt. Und dann war ich sauer, dass Raven sie statt meiner gewählt hat. Das hätte nie geklappt.“
Ace verzog ein wenig das Gesicht und widersprach nicht. Die Feindschaft zwischen Noname und Mantis war schon immer da gewesen, auch wenn zwischenzeitlich so etwas wie Waffenstillstand geherrscht hatte. Es war wohl wirklich nur eine Frage der Zeit gewesen, ehe es geknallt hätte.
„Und dann musst du dich auch noch Prügeln, als ob du nicht schon genug Einträge in deiner Akte hättest.“
„Ist der Ruf erstmal ruiniert, lebt sich’s gänzlich ungeniert.“
„Und wenn Pallardo es meldet?“
„Er macht mir nicht den Eindruck, als ob er sowas melden würde. Von Kano weiß ich, dass er auch nur auf Bewährung ist. Und schließlich hat er mir deutlich mehr verpasst als ich ihm.“
„Trotzdem, es ist eine Schande, wie du deine Chance auf den Staffel-XO so einfach wegwirfst.“
Donovan zuckte wieder mit den Schultern „Ich denke ohnehin, dass sie noch einen erfahrenen Staffelführer holen werden, der zumindest schon mal Lieutenant Commander ist. Und wenn Kali dann zurückkommt, bin ich dann nur noch Nummer Vier, was lohnt sich dann die jetzige Buckelei?“
„Und wenn kein neuer Staffelführer gestellt wird und Kali nicht zurückkommt?“
Noname zuckte mit den Schultern. „Dann haben wir ganz andere Probleme, wenn Du mich fragst. Wir sind nach deinem Weggang nur noch zu sechst. Ich, Mantis, Too-Tall, Artist, Petal und Tulip. Und sie letzten beiden sind auch noch nicht mal grün hinter den Ohren. Wenn wir Kali nicht wieder kriegen und Mantis Staffelführerin bleibt, dann wäre das die schwächste Rote Staffel, die die Angels je gehabt haben – und zwar mit Abstand. Und dann würde ich mir eher Sorgen um meinen Arsch machen und weniger um meinen Posten.“
„Umso wichtiger wäre es gewesen, dass Du…“
„Wäre, hätte, sollte…Ace, es ist vorbei, ich bin jetzt nur noch Wingmen und gut ist.“
„Es ist aber ein Jammer, dass der Pilot mit den viertmeisten Abschüssen der Angels jetzt nur noch ein einfacher Wingmen ist.“
„Viertmeiste?“
„Na klar, nach Lilja, Kano und meiner Wenigkeit hast du mit 21 Akarii- und deinen 3 Vorkriegsabschüssen jetzt mit 24 Gesamtabschüssen meines Wissens den vierten Platz inne. Ein Abschuß noch und du hast das halbe Silber. Gut, wenn Kali wieder kommt, fällst du auf den Fünften zurück und Lone Wolf gehört ja auch nicht mehr zu uns.“
Noname grübelte noch und Ace erriet woran er dachte. „Als wir die Jagd auf die Korax ma Rah begannen, hatten wir noch doppelt so viele Topasse. Doch jetzt sind Lone Wolf, Skunk, Lightning, Monty, Tigre, Kali und Huntress nicht mehr unter uns…“ Ace nippte an seinem Drink. „Gott, das sind fast ausnahmslos Staffelführer oder deren XO´s… „
Beide Männer hingen für ein paar Minuten ihren eigenen Gedanken nach. Es würde unglaublich schwer werden, den Elitestatus der Angels nach so einem dramatischen Aderlass aufrecht zu erhalten. Kein Wunder, dass offensichtlich erwägt wurde, die Staffel aufzulösen.
Ace durchbrach als erster das Schweigen zwischen Ihnen. „Soll ich mal mit Mantis…“
Jetzt wurde Noname fast sauer. „Ich warne dich, ein Wort von dir zu Mantis oder Raven in dieser Sache, und ich schick dich wieder zurück zu den Akarii…“
„Schon gut, schon gut.“ Ace hob abwehrend die Hände. „Ich wollt ja nur helfen.“
„Vielleicht ist mir ja nicht mehr zu helfen, schon mal daran gedacht?“
Ace grinste. „Der Gedanke ist mir schon mal gekommen, ja!“
„Tjaja, so bin ich. Mit der Zeit versaue ich mir eben alles. Warts nur ab, ich werde es mir bestimmt auch noch mit dir und deinem Clan versauen.“ Donovan nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche.
„Ach Quatsch, mit uns kannst du es dir nicht mehr vermasseln. Wer einmal in die Davis-Familie aufgenommen wird, gehört dazu, egal was er anstellt. Es sei denn, du fängst etwas mit meiner Schwester an.“ Ace grinste zwar dabei, doch trotzdem verschluckte sich Donovan.
Hustend antwortete er: „Himmel, nein. Sie ist auch für mich wie eine kleine Schwester.“ Ein Teil von ihm war sich sicher, dass er damit tatsächlich seine Gefühle für Jean richtig wiedergab, doch ein anderer Teil in ihm brüllte höhnisch vor Lachen. Doch er unterdrückte diesen Teil seiner Gefühle einfach, denn für Jean war er nur ein Freund. Er tröstete sie über ihren Verlust hinweg und war ohnehin zu alt für sie, so dass sie nicht ernsthaft Interesse an ihm haben konnte. `Red dir das nur weiter ein.` sagte ihm seine unvernünftige Seite.
Doch seine vernünftigere Seite war heilfroh, dass Ace weitersprach.
„Na, dass ist auch gut so, da ich im Moment kein besonders großer Bruder für Sie sein kann.“
„Naja, das kannst du ja über Masters ändern.“
„Das ist es ja gerade, ich werde nicht mit euch zur Family-Reunion fliegen können!“
„Was? Du willst mich alleine in die Höhle des Löwen schicken? Und warum eigentlich nicht?“
„Naja, meine neue Staffel…Und ich muss ja auch gerade noch den Falcon-Lehrgang nachholen…“
Noname kannte Ace zwar noch nicht so lange, doch es reichte, um zu ahnen, dass Ace nicht die ganze Wahrheit sagte. Also runzelte er nur ungläubig die Stirn. „Das ist ja wohl nicht alles, oder? Dein Falcon-Kurs geht doch erst in ein paar Wochen mit den praktischen Übungen los…“
„Nun komm schon, Donovan. Ich darf es nicht sagen, o.k.?“
Noname nickte und beließ es dabei. Es war schließlich nicht das erste Mal, das Mitglieder der Angels für geheime Kommandosachen genutzt wurden, wie damals über T`rr als Goliath MIA wurde. Mit seiner Vergangenheit fiel Noname automatisch aus der Liste der geeigneten Kandidaten für solche Aktionen aus, und das war ihm auch absolut Recht so, wenn er an Goliaths Schicksal dachte. Natürlich war er neugierig, was wohl diese geheime Mission sein könnte, doch war hier sicher auch nicht der Ort um darüber zu plaudern.
„Also in Ordnung, ich werde auf sie achtgeben.“
„Und Ian und Justus sind ja schließlich auch noch da.“
Noname nickte abwesend. Einerseits freute er sich darauf, Jean wieder zu sehen, aber andererseits gelobte er sich etwas mehr Abstand von ihr zu halten. Sie alle, Ace, Ian, Justus und auch Jean vertrauten ihm und damit war sie absolut tabu für ihn. Er wollte es sich diesmal wirklich nicht mit den wenigen Freunden, die ihm geblieben waren, verscherzen.

Ein paar Biere später war Ace gegangen und Noname war noch etwas geblieben um seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Er war mittlerweile schon etwas angesäuselt und war von Bier auf Whisky umgestiegen und genoss den rauchigen Geschmack eines Antigua Single Malt. Seine Gedanken wanderten hin und her, von seinem Wortgefecht mit Mantis zu der Dauntless-Party mit Jean, von den Tagen auf Seafort zu der Schlägerei mit Tiburon.
Er dachte an seine verhunzte Karriere und prostete sich sarkastisch im Spiegel hinter der Bar zu. `Das hast du ja mal wieder alles Super hingekriegt, Donovan. Erste Sahne, wie machst du das nur?`
Aus dem Augenwinkel erkannte er, dass er beobachtet wurde und konnte im Spiegel auch erkennen, wer es war. Sein Blick traf auf eine attraktive Frau, die an einer Tischecke hinter ihm saß. Sie schien alleine mit einem Pärchen da zu sein, das im Moment nur Augen füreinander zu haben schien.
Sie lächelte ihn an, er schaute irritiert weg und versuchte sich zu erinnern, ob er sie von irgendwoher kannte. Doch an eine solche braungebrannte Schönheit hätte er sich mit Sicherheit erinnert.
Nachdem er wieder an seinem Drink genippt hatte, ging sein Blick kurz darauf wieder zurück zu der Blonden, die ihn auch weiterhin lächelnd musterte. Jetzt grinste Donovan zurück und sie erwiderte sein Lächeln. Dann schauten beide wieder weg.
Hatte er die Aufmerksamkeit eines Flyboy-Groupies auf sich gezogen? Wieder ging sein Blick hinüber zu dem Tisch, den er im Spiegel sehen konnte, doch jetzt war sie nicht mehr da. Irritiert drehte er sich in der Bar um, doch konnte er sie nirgends sehen und dabei war die Bar nicht einmal sonderlich überfüllt.
Kopfschüttelnd drehte er sich wieder um und trank den Rest seines Drinks in einem Zug aus. Alleine schon die Tatsache, dass sich nicht mal ein einsames Flieger-Häschen mit ihm abgeben wollte, frustrierte ihn. Er signalisierte dem Barkeeper gerade ihm einen weiteren Whisky zu bringen, da setzte sich die Blonde wie aus dem Nichts neben ihn und rief dem Barmen zu, gleich zwei daraus zu machen.
„Hi, Flyboy, was dagegen, wenn ich mich zu dir geselle?“ Ohne seine Antwort abzuwarten, setzte sie sich hin und quasselte weiter. „Meine Bekannten da haben im Moment Gesprächsthemen, bei denen ich nicht unbedingt mitmachen möchte.“ Sie deutete auf den Tisch hinüber, wo sich die beiden angefangen hatten abzuschlecken, als würde es kein Morgen geben.
„Kann ich verstehen. Und wie kann ICH dir dabei helfen?“
„Das da vorhin neben dir war Cliff „Ace“ Davis, richtig?“
Donovan fing schon wieder an, sauer zu werden. Ihr Interesse hatte also nicht ihm sondern Ace gegolten. Aber noch unterdrückte er seinen Zorn und die Neugier überwog. „Du kennst ihn?“
„Ich hab den Kinofilm gesehen. Er sieht sich selbst aber nicht gerade ähnlich, oder?“
Sie lachte und ihr Lachen hatte etwas Ansteckendes. „Keine Ahnung, ich hab den Streifen nicht gesehen.“
„Du gehörst zu den Angels und hast den Film noch nicht gesehen?“
„Woher weißt du, dass ich auch ein Angel bin?“ Sie verdrehte die Augen und zeigte nur auf seinen leichten Fliegerblouson. Lt. Cartmell, 127th Fighter Wing prangte dort auf einem Aufnäher auf seinem linken Oberarm. Grinsend verdrehte er die Augen, ging aber nicht weiter auf seinen peinlichen Fauxpas ein. „Damals war ich noch nicht an Bord.“
„Klar, aber in Staffel 4 kommst du dann auch dazu, oder?“
„Das bezweifle ich mal stark…“ Noname nippte an seinem nächsten Drink, ohne mit der Hübschen anzustoßen. Er wollte noch nicht einmal verletzt klingen, aber er war es sicher, dass sie jemanden mit seiner Vita auf alle Fälle aus dem Drehbuch schreiben würden und natürlich wurmte ihn das auch.
„Warum das denn?“ Die dunkelgrünen Rehaugen der unbekannten Schönen nahmen einen merkwürdigen Ausdruck an. Donovan fragte sich immer noch, in welche Richtung sich dieses Gespräch bewegte.
Er dachte daran, dass es jetzt mehrere Jahre her war, seitdem er das letzte Mal die Nacht mit einer Frau verbracht hatte. Und die mittellangen blonden Haare, der braungebrannte Teint, die äußerst Figur betonte Kleidung und die Goldkettchen um ihre schlanken Handgelenke und Fußfessel regten ganz klar sein sexuelles Interesse an.
Als er sich dessen bewusst wurde, durchzuckte ihn ein schlechtes Gewissen gegenüber Jean. `Aber warum eigentlich?` schoss es ihm durch den Kopf. Wie Ace schon vorhin angedeutet hatte, war Jean für ihn tabu, und da die Marinesoldatin sich nun ja auch nach dem Vorfall mit Shoto und Tiburon von ihm abgewandt hatte, konnte er doch machen was er wollte, oder?
„Hey, spielst du jetzt den Mysteriösen nur weil du in der letzten Schlacht verwundet worden bist?“
Donovan runzelte die Stirn. „Woher weißt du das?“
„Naja, dein Gesicht spricht Bände und du hast gehumpelt, als Du vorhin in die Bar gekommen bist. Und ich bin sicher, dass Du kein aktiver Fighterpilot wärest, wenn die Verletzung permanenter Natur wäre. Also müssen das frische Wunden sein, die Du während der heroischen Doppelschlacht um Karrashin oder während Tukama erlitten hast.“
„Du weißt aber erstaunlich viel über unsere letzten Einsätze und scheinst ja eine Menge Zeit zu haben, die Leute hier zu beobachten.“
„Nun, die ständige Kriegspropaganda zeigt ihre Wirkung, und ich hatte viel Zeit um mir die Bar und die Gäste anzuschauen…“ Ihr Blick fiel wieder zurück auf das knutschende Pärchen.
„Also erzählst du mir nun, wie du zu diesen Verletzungen gekommen bist und warum Du deiner Meinung trotzdem nicht in der Serie vorkommen wirst? Oder willst du, dass ich mich hier weiter todlangweilen muss?“
Donovan überlegte. Sollte er ihr eine vereinfachte Version der Wahrheit erzählen und sie wahrscheinlich damit vergraulen oder den Helden markieren um sie ins Bett zu kriegen?
„Ach ja, und wenn Du den Helden markieren willst um mich ins Bett zu kriegen…“ Donovan riss die Augen auf. Konnten Frauen eigentlich immer Gedanken lesen, wenn es um solche Sachen ging, oder troff ihm der Sabber aus dem Mundwinkel? „…vergiss es einfach wieder, o.k.? Ich habe heute schon Zwölf Mann vor dir abblitzen lassen. Ich bin kein leicht zu kriegendes Flyboy-Häschen.“
„Du bist also abergläubisch?“
Jetzt runzelte sie die Stirn und grinste erst, als sie es verstanden hatte. „Wir werden sehen, Raumjockey! Vielleicht wenn Du dich anstrengst, in deinen Träumen…“ Sie grinste anzüglich. „Und jetzt leg mal los, ich bin ganz Ohr.“
Noname musste lachen und fing an zu erzählen.

Am nächsten Morgen wurde er von einem raschelnden Geräusch in seinem Hotelzimmer geweckt.
Als er die Augen öffnete, sah er gerade noch, wie sich die Blondine von gestern Abend den Reißverschluss ihres Rockes hochzog, ihr luftiges Seiden-Shirt anzog und damit den atemberaubenden Blick auf ihren perfekt geformten Oberkörper verbarg.
Langsam richtete er sich in seinem Bett auf und beobachtete schweigend, wie sie elegant ihre High-Heels anzog, den knackigen Hintern wie in Absicht zu ihm gewendet.
Als sie über die Schulter bemerkte, dass sie beobachtet wurde, drehte sich zu ihm um und lächelte, sagte aber kein Wort, als sie ihre leichte Windjacke lässig über eine Schulter warf.
Ihr Blick war freundlich und ihr Lächeln ernst gemeint, doch sagte ihr Gesichtsausdruck, dass sie diesen Augenblick nicht mit leeren Worthülsen kaputt machen sollten. Im Grunde kannten Sie sich ja nicht, sie würden sich wohl auch nie wieder sehen und vielleicht hatte sie ja auch noch jemanden anderen?
Und Donovan fiel auf, dass er ja noch nicht mal ihren Namen kannte. Als sie Anstalten machte wortlos zu gehen, fragte er sie nach ihrem Namen.
„Nenn mich Bobcat.“ grinste sie frech. Er runzelte die Stirn, doch bevor er noch weitere Fragen stellen konnte, war sie mit einem „Man sieht sich, Noname!“ bereits aus der Tür verschwunden.
Donovan seufzte und legte sich wohlig räkelnd zurück ins Bett. In wenigen Stunden würde er auf dem Weg zum Raumhafen von Neu-Kapstadt sein um den Expressliner Richtung zu der
Al-Hilal Space Station im Orbit um Masters zu nehmen.
Von dort würde er und ein paar weitere Gäste dann von einem Shuttle der DSC abgeholt werden, welches ihn dann an Bord der Carnegie bringen würde, wo das Family Reunion des Davis Clans stattfinden würde.
Ian Davis und Justus Schneiderwaren bereits dort, genauso wie Jean Davis, die schon vorgereist war. Und nachdem was gestern Nacht geschehen war, war das Donovan auch mehr als Recht so.
Vielleicht würde es auf dem Flug nach Masters endlich schaffen, sich seiner Gefühlslage endlich klar zu werden.
So wie er sich aber selber kannte, glaubte er das eher nicht.
20.01.2016 09:51 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Tyr

Seafort, im Grauen Sektor (Internationales Viertel)

Taribu Ikedia war ein Mann, der Respekt und Angst einflößte. Obschon weit über Fünfzig, und obwohl sein dichtes Haar bereits von deutlichen Silberfäden durchzogen wurde, die zu färben er sich hartnäckig weigerte, konnte man an seinem Körper keine Unze überflüssiges Fett finden. Und das, obwohl seine Tage als Straßenkämpfer, Rausschmeißer und – angeblich – Auftragskiller inzwischen mehr als zwanzig Jahre zurücklagen.
Unterweltbosse, Söldnerführer und der ein oder andere Staatsanwalt hatten bei einem Blick in seine dunklen Augen und die wie aus schwarzem Marmor geschnittenen Gesichtszüge den Mut verloren.
Seine dunkle Stimme war ein leises Grollen, die ein mit mehr Phantasie als Talent gesegneter Journalist einmal mit dem warnenden Knurren eines wütenden Löwen verglichen hatte: „Zwei meiner Leute sind zerstückelt worden, ein paar Flottenheinies hätten um ein Haar einen meiner Märkte auseinander genommen…Also, Slick, die Geschichte die dein Mädchen zu erzählen hat, sollte besser gut sein.“
Sein Gegenüber zuckte nervös zusammen, und versuchte es mit einem etwas verunglückt wirkenden Lächeln. Er war fast genauso hoch gewachsen wie Ikedia, nur unwesentlich weniger muskulös – und gut zwanzig Jahre jünger. Trotzdem konnte man ihm die Angst ansehen. William ‚Slick’ Tovaru wusste, dass sein Leben in Ikedias Händen lag: „Das müssen Sie sich anhören Boss! Das ist genau das, wonach Sie suchen…“
„Hast du zufälligerweise den verrückten Japs in deiner Hosentasche, der meine Jungs in Streifen geschnitten hat? Genug Platz dafür wäre ja wohl. Erklär mir mal, wie du etwas finden kannst, was mich interessiert. Das einzige, was du dir regelmäßig aufliest, ist ein Tripper.“
Die Frau, die neben Slick stand, und bisher geschwiegen hatte, meldete sich zu Wort: „Ich hatte einen Kunden…“
Ikedia schnaufte kurz: „Ich wette, deine Geschichten fangen immer so an.“ Aber seine Stimme klang etwas…sanfter.

Dafür gab es zwei Gründe. Einer Frau gegenüber hielt es der Unterweltboss nicht für notwendig, das Alphatier zu markieren. Ikedia kontrollierte zwar eine Reihe von Bordellen, Massagesalons und auf „privater Basis“ arbeitende Freudenmädchen, aber er war selber niemals Zuhälter gewesen und verachtete diese Sorte Menschen mit der arroganten Überheblichkeit des Straßenkämpfers, der es nicht nötig hatte ‚irgendeine halbverhungerte Fickpuppe in die Unterwerfung zu prügeln’.
Außerdem war Cara Ebon auch eine sehr schöne Frau, und Ikedia war für so etwas nicht unempfänglich. Ihr asiatischer Vater und ihre schwarze Mutter hatten ihr genau jene exotische Mischung mitgegeben, die dafür gesorgt hatte, dass sie nicht auf der Straße oder in einer der mieseren ‚Fleischläden’ anschaffen musste, wie unzählige andere Mädchen – und Jungen – aus den Slums und Elendsvierteln.
Mit siebzehn hatte sie ihre ‚Kariere’ begonnen, und inzwischen – vier Jahre später – wusste sie alle Tricks ihres Gewerbes. Sie kannte ihre Wirkung und setzte ihre Reize bedenkenlos ein. Und sie wusste, wie man mit Männern umging. Mit gefährlichen Männern, betrunkenen, aggressiven, zugedröhnten…wer das nicht lernte, hatte in ihrem Geschäft keine Zukunft.
Deshalb schenkte sie Ikedia jetzt nur einen kecken Augenschlag, und fuhr unbeirrt fort: „Er ist Pilot auf der COLUMBIA. Ein Second Lieutenant der Angry Angels.“
Ikedia lachte grollend: „Du stehst auf Fliegerjungs?“
Cara zuckte nonchalant mit den Schultern: „Und Mädchen, falls sie mal etwas ausprobieren wollen.“ Aber es stimmte, sie bevorzugte Piloten. Nicht, dass sie an einer speziellen Art von Heldenverehrung für diese Gruppe der Streitkräfte gelitten hätte. So dumm war sie nicht. Aber Piloten wurden gut bezahlt. Sie wussten, dass jeder Augenblick ihr letzter sein konnte. Meistens waren sie jung, unverheiratet, und ohne unterhaltspflichtige Angehörige. Das machte sie freigiebig und – nach Caras Erfahrung – auch leichter zu kontrollieren.
„Er hatte offenbar einiges abzuarbeiten…“
„An deinen Bettkantengeschichten bin ich im Augenblick nicht interessiert…“
„…ich meine, er wollte nicht nur ficken, er wollte auch reden. Hat sich über seinen bösen Staffelführer beklagt, darüber, wie die Navy ihn klein hält, wie keiner ihn so richtig zu würdigen weiß. Und das obwohl er ein Ass ist.“ In der leicht rauen Stimme der jungen Frau mit dem einstudierten, rätselhaften Akzent schwang ein zynischer Unterton mit, der viele ihrer Kunden vermutlich überrascht hätte.
Ikedia schnaubte: „Deinen Text kann ich mir vorstellen.“
Slick versuchte sich wieder ins Spiel zu bringen: „Falls sie überhaupt mal ihren Mund zum Reden verwenden konnte, was Boss?!“
Der ‚Boss’ warf ihm einen kalten Blick zu: „Hast du den Typen gefickt? Also halt die Klappe und lass sie reden. Und du…,“ das ging an Cara, „Komm zur Sache. Will dein Flyboy ein paar Nebengeschäfte machen? Militärmaterial verschieben?“
Die junge Frau schüttelte den Kopf: „Er ist ein ‚Patriot’. Ich glaube, er würde eine Gelegenheit für ein paar Extracredits nicht mal erkennen, wenn sie ihn beißen würde.
Aber er wollte unbedingt klarstellen, was für ein toller Pilot er ist. Wie wichtig das ist, was er tut. Und was er für einen stocksteifen Arsch er als Staffelführer hat.
Und deshalb hat er ein bisschen über seine letzten Einsätze geplaudert.“
Ikedia merkte auf. In seine dunklen Augen trat ein seltsamer Glanz: „Ein Akariiwrack?“ Im Geist überschlug er schon die Kosten für die Bergung, Restauration – und den Gewinn den der Verkauf der Instrumente, Waffen und auch der toten Besatzungsmitglieder und ihrer Besitztümer bringen würde. Was für die TSN nur Alteisen oder bestenfalls auszugsweise nachrichtendienstlich relevantes Material war, das war für Ikedia eine Goldgrube.
Cara lächelte triumphierend, und enthüllte blendend weiße Zähne: „Viel besser noch. Pallardo – so heißt er nämlich – und sein böser Staffelführer flogen im Medusa-System einen Aufklärungseinsatz, nachdem ein Kreuzer – die RELENTLESS – bei der Abtastung eines Asteroidenfeldes merkwürdige Sensordaten gemeldet hatte…“

Die Geschichte, die die junge Frau in den nächsten Minuten vor Ikedias innerem Auge entrollte, ließ ihn die Wut über den Tod seiner beiden Leute als nicht mehr wichtig beiseite schieben. Das hier…das war viel mehr wert. Er war...fasziniert.
Wenn das stimmte, was Cara ihm da erzählte – und er hielt sie für zu klug, um ihn anzulügen – dann servierte sie ihm den Schlüssel zu einem Schatz auf einem goldenen Tablett. Außerirdische Artefakte und Technologie einer unbekannten, ausgestorbenen Hochkultur… Dafür würden gewisse Unternehmen und Privatleute ein Vermögen zahlen. Ob sie das Material nun weiterverkaufen oder selber analysieren und kopieren wollten, die möglichen Gewinnmargen waren gigantisch. Das war schon vor dem Krieg so gewesen, doch in den letzten Jahren waren die Risiken – und die Chancen – in diesem schattigen Geschäftssektor noch ein Stückchen größer geworden.
Es gab genug Interessengruppen, die es leid waren, dass die Streitkräfte und der Geheimdienst ihre eiserne Kralle auf alles legten, was auch nur ein potentielles taktisch-militärisches Potential hatte. Erfindungen und Erfinder wurden eingekauft, abgeworben – und manchmal auch einfach beschlagnahmt, entführt oder gestohlen. Dazu kamen noch jene zutiefst gewinnfeindlichen Restriktionen und Richtlinien, die den Handel und die Weitergabe von Hightech einschränkten. Das Embargo gegen die Konföderation würde die Lage kaum bessern, im Gegenteil.

Aber es war nicht nur die Aussicht auf einen potentiellen Millionengewinn, der ein seltsames, fast verträumtes Lächeln über Ikedias harte Gesichtszüge huschen ließ.
Die Bergung und Erforschung außerirdischer Artefakte und Relikte…war für ihn auch eine Erfüllung eines heimlichen Kindheitstraums. Deswegen hatte er neben den eher ‚gewöhnlichen’ Möglichkeiten des Geldverdienens – Schmuggel, Prostitution, Schwarzhandel, Drogen, Schutzgelder – den Handel mit Alienwaren zu einem Standbein seiner Geschäfte gemacht. Damit hatte er eine weitestgehend vernachlässigte Nische des grauen Marktes für sich entdeckt, und hatte auf angenehme Weise ein gutes Geschäft mit seinem Vergnügen verbinden können.
Reichtum, politische Macht, Frauen…all das besaß er, und er hatte es genossen. Aber dennoch, es blieb ein rätselhafte Schauer, der ihn bei der Betrachtung, bei der Berührung außerirdischer Artefakte erfasste.
Und was die Existenz einer technologisch überlegenen, außerirdischen Kultur anging – einer Zivilisation, die aufgeblüht und untergegangen war, lange bevor die Menschen, die Akarii oder eine der anderen bekannten Raumfahrernationen das erste Mal die Oberfläche ihres Heimatplaneten verlassen hatten…so war das war der heilige Gral der Extraarchäologen.
Manche Forscher verbrachten ihr ganzes Leben mit der Suche nach Spuren der ‚Älteren’. Oder mit der Leugnung der Möglichkeit, dass es jemals so etwas gegeben hatte.

„Wir müssen das überprüfen. Ein Pilot alleine, das ist noch immer etwas dünn. Verdammt, wenn das stimmt…“
Slick machte einen weiteren Versuch, sich wieder ins Spiel zu bringen: „Vielleicht sollten wir Cara auf den Staffelchef von diesem Pallardo ansetzen.“
Cara schüttelte den Kopf: „Wenn das wirklich so ein Typ ist, wie ihn Pallardo beschreibt, dann sollten wir das auf keinen Fall tun. Weil er nämlich nichts erzählen wird – oder gleich den Sicherheitsdienst alarmiert, wenn er misstrauisch wird.“
Ikedia nickte abwesend: “Was Flottentypen angeht, bist du wohl unser Experte, Mädchen. Hmm…Ich habe jemanden bei der hiesigen NSC-Abteilung. Und dann wäre immer noch die Sensorabteilung der RELENTLESS. Da wird sich doch jemand finden, der etwas…lockerer ist.“
Er überlegte, wog die Risiken und Möglichkeiten ab. Dann blickte er auf: „Cara, du hast doch bestimmt das Portmonee unseres Flyboys durchwühlt. Hast du ihn beklaut?“
„Ich? Aber doch niemals, Boss…“
„Verkauf mich nicht für dumm. Also?!“
Cara schien kurz zu überlegen, und änderte dann lieber ihre Taktik: „Vielleicht…habe ich mal einen kleinen Blick rein geworfen. Aber ich habe ihn nicht beklaut. Er hatte nicht so viel Bargeld übrig, dass es nicht aufgefallen wäre.“
„Soso. So gut bist du?“ Ikedia war sich nicht sicher, ob er ihr da trauen konnte, aber er hielt sie für zu klug, ihre Kunden so zu bestehlen, dass es ihnen auffiel. Mädchen die das taten, riskierten Ärger. Ärger mit den Kunden, der Polizei – oder ihrem Zuhälter, wenn der der Meinung war, dass sie dadurch einen wertvollen Geldgeber verscheucht, zu viel Aufsehen erregt – oder nicht genug abgeliefert hatten.
„Also nehme ich mal nicht an, dass er so bald auf der Matte steht, und sein Geld zurück will?“
„Also wenn er noch mal auftaucht…dann will er ganz bestimmt nicht sein Geld zurück.“ verkündete sie ziemlich großspurig.

Ikedia grinste kurz: „Na bestens. Aber das ist mir zu unsicher. Du hast seinen Namen, wir haben sein Gesicht, seinen Rang und die Staffel – ich will, dass du ihn ein wenig beschäftigt hältst. Sollte nicht schwer sein, ihn zu finden.“
„Ähm…wie? Ich soll ihn nicht weiter aushorchen? Und über welchen Zeitraum reden wir? Klar, er ist erst Mitte Zwanzig und es gibt da Pillen, aber irgendwann…“
„Witzig. Aber genug mit dem Herumgeschäker. Und was das Aushorchen angeht, das wirst du schön sein lassen. Das Thema ist tabu, außer er spricht es selber an. Er darf keinen Verdacht schöpfen. Ganz im Gegenteil. Es wäre gut, wenn er in den nächsten paar Tagen an alles Mögliche denkt – aber nicht an seinen Medusa-Einsatz. Und genau da kommst du ins Spiel.
Die Angry Angels…soviel ich weiß, wurden sie geschlossen in den Urlaub geschickt. Angeblich lösen sie unser Supergeschwader sogar komplett auf. Also hat Pallardo genug freie Zeit. Sieh also zu, dass er sie mit dir verbringt, statt mit seinen Kollegen zusammenzuglucken.“
„Also ich weiß nicht, ob er sich meine Preise über SO einen Zeitraum leisten kann.“
„Deshalb geht es ja auch aufs Haus. Du wirst freigestellt. Machst Urlaub. Häng dich an Pallardo, mach ihm ein paar schöne Tage. Bring ihn an den Strand…möglichst eine Ecke, wo weder seine Kollegen, noch die Jungs vom NSC, NIC oder TIS abhängen.“

Cara nickte abwesend. Sie hatte verstanden. Es könnte klappen. Sie musste nur noch eine passende Möglichkeit finden...
Ja. Ja, sie würde ein wenig in die Klischeekiste greifen. Wahrscheinlich – WAHRSCHEINLICH – war Pallardo nicht so dumm, dass er ihr glauben würde, falls sie ihm mit der Behauptung kommen würde, dass sie ihn nicht hatte vergessen konnte, und nur zum Vergnügen ein paar Tage mit ihm blaumachen würde. Obwohl die männliche Eitelkeit ihrer Erfahrung nach ziemlich unbegrenzt war.
Nein, es war besser, ihm eine andere Geschichte zu liefern. Zum Beispiel die gute alte Story von dem gewalttätigen ‚Freund’, von dem sie erst einmal etwas Abstand gewinnen wollte. Männer fielen doch immer auf die bedrohte, großäugige Weiblichkeit herein.
Solange sie nur hübsch genug war, und die vage Aussicht auf eine Entlohnung in Naturalien bestand. Ja, das konnte klappen.

Ikedia nickte Caras Zuhälter abwesend zu: „Gut gemacht. Das wird sich auch für dich lohnen. Aber sieh zu, dass deine Quote nicht zu sehr absackt, bloß weil dein bestes Pferdchen aus dem Stall ist. Kein Grund, dass du jetzt auch noch blau machst. Wenn ich dich noch mal brauche…gebe ich dir Bescheid.“ Damit war Slick offensichtlich entlassen. Nach einem kurzen Zögern und einer unwirschen Handbewegung Ikedias kam er auf die Beine und sah zu, dass er raus kam.

Cara blieb zurück. Sie musterte ‚Boss’ Ikedia unauffällig aus den Augenwinkeln. Wollte er vielleicht eine kleine Privatsitzung? Trotz seines Alters hatte er einen gewissen Ruf, und da er üblicherweise nicht zu knauserig war, hätte sie nicht unbedingt etwas dagegen einzuwenden gehabt. Vielleicht aber hatte er auch endlich erkannt, was er an jemand wie ihr hatte. Vielleicht…
Woran Ikedia auch immer dachte, es war jedenfalls kein Sex. Tatsächlich schien er sie beinahe vergessen zu haben. Nach ein paar Augenblicken blickte er dann aber doch auf: „Du bist ja immer noch da.“
Cara war sich nicht ganz sicher, ob sie sich jetzt beleidigt fühlen sollte. Natürlich ließ sie es sich nicht anmerken. Außerdem, konnte es sein...: „Du hast mich nicht rausgeschickt. Vielleicht, ich dachte…“
„Ach so.“ Der Unterweltboss grinste flüchtig, und schnippte mit einer schnellen Bewegung einen dünnen 1000-Credit-Chip über den Tisch. Die Hand der jungen Frau schnellte nach vorne, und fing ihn scheinbar mühelos auf
„Gut gemacht, Mädchen. Weiter so.“
Sie grinste frech: „Danke, Daddy.“ Schnell fügte sie hinzu: „Aber ich könnte wirklich…“
Ikedia lachte abwesend, und schnitt ihr damit das Wort ab: „Wenn du meine Tochter wärst, dann wäre ich bestimmt immer noch verheiratet, und nicht zum zweiten Mal geschieden. Außerdem würdest du ganz bestimmt nicht in DER Branche aktiv.“
„Und dann hättest du auch nie von dem Medusa-System erfahren.“
„Ja ja, ich weiß was ich an dir habe. Und jetzt raus hier. Ich muss arbeiten. Und du lenkst ab.“
„Ich dachte…Dankeschön.“
Ikedia antwortete nicht, tatsächlich hatte er Cara bereits vergessen. Er nahm nicht mehr wahr, dass sie noch kurz zögerte, so als wollte sie noch etwas sagen.
Egal was er vorhin gesagt hatte, er würde nicht warten, bis er aus einer weiteren Quelle eine Bestätigung für die Geschichte erhielt. Das dauerte ihm zu lange. Nein, er würde auf seine Menschenkenntnis vertrauen. Er brauchte ein Schiff, eine zuverlässige und verschwiegene Mannschaft – und ein Team, dass diese Mannschaft im Auge behielt. Zoll- und Polizeioffiziere mussten bestochen, potentielle Kunden ausgespäht werden…
Es gab viel zu tun. Und es würde auch nicht billig werden. Eine Expedition war immer teuerer – ganz besonders eine, die so kurzfristig auf die Beine gestellt werden sollte, und die unter dem Radar bleiben sollte.
Aber er würde es riskieren. Sollte sich allerdings Caras Geschichte als eine Luftnummer entpuppen…dann würde sie nicht mehr sehr alt werden.

****

Einige Stunden später

Cara stützte sich mit beiden Händen auf der Bettkante ab, und versuchte vergeblich, auf die Beine zu kommen. Eine schallende Ohrfeige riss ihren Kopf herum und ließ sie lang hinschlagen.

„Dämliche Nutte!“ in Tovarus Stimme schwang eine hässliche Befriedigung mit. Wie um seine Worte zu bestätigen, schlug er noch einmal zu. Diesmal mit Faust, und in den Unterleib der jungen Frau. Ein dumpfes Stöhnen war die einzige Antwort.
„Und das war noch gar nichts. Dass nächste mal, wenn du dem Boss die Eier leckst und mich in der Ecke stehen lässt…
Ich schwör’ dir, Ich schick dir eine Kompanie Marines über den Bauch, und verkauf die traurigen Überreste an die Organghule. Hast du verstanden?!“
Die junge Frau nickte mühsam, und schrie unterdrückt auf, als er ihr erneut in den Bauch schlug: „Vielleicht krieg ich mal eine Antwort, du Stück Scheiße?!“
„Ja…ja…“
„Gut. Schön, dass wir uns jetzt verstehen. Wahrscheinlich muss man dir einfach alle paar Wochen Bescheid geben, damit du nicht vergisst, was du bist.
Dein Glück, dass Ikedia will, dass du dich an diesen dämlichen Piloten ranschmeißt. Und der will seine Fickpuppe wahrscheinlich in gutem Zustand. Ansonsten…aber das holen wir schon noch nach, verlass dich darauf.
Also schieb deinen Breitarsch hier raus, und spreiz die Beine für den Flyboy. Und deinen kleinen Urlaub…den wirst du schon noch nacharbeiten, verlass dich drauf. Sonst fehlt dir noch was…“
Er erhielt keine Antwort, aber diesmal erwartete er auch keine. Er ging, ohne sich umzudrehen.
Vermutlich hätte es ihn gefreut zu sehen, wie die junge Frau beim Knallen der Tür zusammenzuckte. Es dauerte lange, bis sie die Kraft dazu aufbrachte, auf die Beine zu kommen, und in die kleine Hygienezelle zu stolpern, die zu der Ein-Zimmer-Wohnung gehörte.

Was sie im Spiegel sah, konnte sie nicht überraschen, aber es machte sie wütend. ‚Du Scheißkerl!’ Die Spuren von Tovarus ‚Aufmerksamkeit’ waren relativ unauffällig, würden sich mit Make Up leicht überdecken lassen. Er wusste, wo er hinschlagen musste. Der Schmerz aber würde nicht so schnell verschwinden.
Natürlich hatte er auch das Geld genommen, dass Ikedia ihr gegeben hatte. Vorsichtig befühlte sie ihre Rippen und kämpfte mit zusammengebissenen Zähnen mit den Tränen. Sie würde nicht weinen. Sie-würde-nicht-weinen. Sie war stark. Sie kam damit klar.

Sie war so dumm gewesen. Sie hatte gedacht, dass ihr Erfolg, dass ihr hoher Preis ihr irgendeinen Wert geben würde. ‚Nicht auf dieser Welt, Mädchen.’
Für Tovaru war sie nur eine Fleischpuppe. Und Ikedia…für den war sie ein Spielzeug. Ein hübsches Accessoire, an dem er sich selber seine Großzügigkeit beweisen konnte. Das er vergaß, sobald er seinen Spaß gehabt hatte. Nicht mehr. Niemals mehr.
Und sie hatte tatsächlich geglaubt, dass sie mit dieser Geschichte ihren Wert beweisen könnte. Dass sie das große Los gezogen hätte.
‚Dummer, dummer Fehler.’

Deshalb hatte sie vor Ikedia so auf Risiko gesetzt, und Tovaru vorgeführt. Sie hatte beweisen wollen, dass sie sehr viel mehr im Kopf hatte, als dieser Hurensohn. Offenbar hatte er das – im Gegensatz zu Ikedia – auch bemerkt. Da hatte sie ihn wohl unterschätzt.
Und er würde das nicht vergessen.
Ikedia würde ihr nicht helfen. Er hatte seine Schulden bezahlt – jedenfalls soweit es seine Sicht der Dinge betraf. Ihm ging es nur um diese dämlichen Alienartefakte. Und sie…sie war nichts wert. Nicht einmal einen Gedanken.
‚Falsch, Mädchen. Sie können es vielleicht nicht erkennen. Aber die sind es, die nichts wert sind. Hast du wirklich geglaubt, dass irgendein Schwanzträger in dir etwas anderes sieht?’
Aber das würden sie schon noch lernen. Sie würde einen Weg finden, sich zu revanchieren. Noch war sie nicht aus dem Spiel. Und vielleicht…nur vielleicht würde diese Medusa-Geschichte doch noch die Gelegenheit sein, auf die sie die letzten zwei Jahre gewartet hatte.
Seitdem sie am Beispiel ihrer ‚Kolleginnen’ endlich begriffen hatte, dass auch eine hoch bezahlte Nutte nur eine sehr begrenzte Haltbarkeit und eine ziemlich miese Zukunftsaussicht hatte. Zumindest, solange sie sich nicht selber gehörte. Der heutige Tag war nur noch eine weitere, schmerzhafte und demütigende Erinnerung an diese Tatsache gewesen.
‚Aber das zahl ich ihnen heim. Ihnen allen…’


Mit zitternden Händen betätigte sie die Armaturen der Nasszelle, und begann sich auszuziehen. Manchmal zuckte sie dabei kurz zusammen. Sie hatte einen Auftrag. Beinahe hätte sie es zum Lachen gefunden, wie schnell aus der Geschichte, mit der sie Pallardo hatte einfangen wollen, eine hässliche Wirklichkeit geworden war. Aber sie würde sich jedenfalls nicht darauf verlassen, dass irgendein Mann ihr aus reiner Herzensgüte helfen würde. Niemals mehr. ‚Du weißt ja gar nicht, was für ein Glück du hast, Flyboy. Genieß es. Es wird nicht von langer Dauer sein…’
20.01.2016 09:52 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Ace

Frust schieben, die Erste

Irgendwie kam mir die Szene sehr bekannt vor, während ich mit belämmert-ungläubigem Gesichtsausdruck vor dem Portier der Tagesschicht von Kalis Hotel stand. Ich erinnerte mich noch sehr gut daran, wie ich vor einer Woche das Reha-Hospital betreten und nach Lieutenant Mitra gefragt hatte. Die Antwort war, dass sie bereits entlassen wurde. Mist, zu spät.
Dann, drei Tage darauf, hatte ich heraus gefunden, dass sie sich im angrenzenden Wohnblock aufhielt, in das man jene Patienten einwies, die schon wieder fit genug waren um selbstständig zu leben, aber die man noch nahe genug da behalten wollte, falls es Komplikationen gab. Auch hier war die Antwort: Sie ist bereits ausgezogen.
Verdammt, was hatte ich nicht alles gemacht, um ihre Adresse zu kriegen? Da das Fachpersonal persönliche Daten wie Adressen nur an Verwandte abgab, hatten sie mir beide Male nicht verraten, wo ich Kali finden konnte. Zweimal hatte ich die Personalabteilung der COLUMBIA besoffen gequatscht, um Kalis Aufenthaltsort zu finden, da sie sich bei denen hatte melden müssen, solange sie noch krank geschrieben war. Beim dritten Mal hatte mir auch meine Engelszunge nicht geholfen, und auch meine vielschichtigen Kontakte zur Verwaltung waren ins Leere gegangen. Schließlich hatte ich, nach insgesamt einer Woche fruchtloser Recherche, die zudem auch noch stark mit meiner Eignungsprüfung für die Falcon angefüllt gewesen war – ich war tatsächlich durch die theoretische Prüfung gerauscht und hatte sie wiederholen müssen – war mir keine andere Lösung geblieben, als Helens jüngsten Bruder Leon zu belatschern. Und obwohl der Junge mich mochte, hatte es mich einiges gekostet, um ihre aktuelle Adresse zu erfahren. Seither fragte ich mich, wo ich auf der Erde eine doppelsitzige Mustang oder eine Phantom her bekam, verbunden mit einer Flugfreigabe zu Jupiter und Saturn.
Nun stand ich in diesem Hotel, Auge in Auge mit dem Portier, und hörte erneut diese Worte aus Schwarzer Magie: "Es tut mir Leid, Sir, aber Miss Mitra ist vorgestern ausgezogen."
Ich hatte es GEWUSST, dass ich meinen Anstandsbesuch bei meiner besten Freundin nicht hätte so lange aufschieben dürfen. Aber ich hatte auch gewusst, dass sie und Juliane sehr gute Freundinnen gewesen waren, und dass ihr Tod Kali mindestens so schwer getroffen hatte wie mich. Daher hatte ich mich anfangs etwas gedrückt. Nun zahlte ich den Preis.
Langsam schon ich einen Fünfzig Real-Schein über den Tresen. Der Portier maß das Geld mit wachem Blick, bevor er wie mit einer beiläufigen Geste über den Tresen wischte. Danach war der Schein verschwunden. "Bedaure, Sir, aber Miss Mitra hat keine Nachsendeadresse hinterlassen. Jedoch liegt uns eine Reservierung für übernächste Woche vor. Sie können gerne wie die Dame dort drüben eine Nachricht für sie hinterlassen." Ich sah den Schein kurz wieder in seiner Rechten aufblitzen, bevor er sich auf Nimmerwiedersehen verabschiedete. "Ich werde mich persönlich darum kümmern, dass sie zugestellt wird."
Ärgerlich rieb ich mir mit Daumen und Zeigefinger der Linken die Nasenwurzel. Wieder verpasst, verpasst, verpasst. Dabei hätte es das erste sein müssen, meine alte Freundin zu besuchen, kaum das ich auf Seafort angekommen war. Aber nein, ich hatte es ja besser gewusst. "Haben Sie was zu schreiben, guter Mann?"
"Aber natürlich, Mr. Davis." Mit einem beinahe ehrlichen Lächeln schob mir der Portier ein Pod und einen Stift zu. In meiner üblichen krakeligen Schrift schrieb ich eine kurze Nachricht, dass ich sie zweimal verpasst hatte, dass ich sie gerne sehen und mit ihr über ihre Verletzung und Julianes Tod reden wollte, und dass ich hoffte, dass sie zu uns Angels zurückkehrte. Das Ganze krönte ich mit meiner Kommunikatornummer.
"Ich hoffe, mein Geld ist gut angelegt", sagte ich ein wenig rüde.
"Ich bitte Sie, Sir. Erstens sind Sie ein Davis, und zweitens bin ich ein Profi." Nun, sein amüsiertes Lächeln war auf jeden Fall ehrlich, und das gefiel mir. Blieb nur noch eine weitere Sache. "Die Lady, die eine Nachricht für Lieutenant Mitra abgegeben hat..."
"Oh, sie wollte in der Bar einen Tee trinken. Sie werden sie nicht übersehen können. Groß, schwarzhaarig, dunkler Teint und recht hübsch anzuschauen. Mittlerweile sollte sie auch schon das eine oder andere Autogramm gegeben haben." Er zwinkerte mir verschwörerisch zu.
Irritiert runzelte ich die Stirn. Anfangs hatte ich mir schlicht ein wenig Sorgen gemacht, weil sich eventuell jemand für Kali interessierte, der nicht zum Geschwader gehörte. Nun aber war ich neugierig. Ich nickte dem Portier freundlich zu und machte mich auf den Weg zur Bar.

Es war noch früh am Morgen, dementsprechend lief der Kaffeeröster auf Volllast, aber der Sprit blieb noch in den Flaschen. Außer, einer der spärlichen Gäste hatte sich etwas Treibstoff in Tee oder Kaffee gewünscht. Danach sah es im Moment aber noch nicht aus. Suchend ging mein Blick durch die kleine Halle, die wirklich hervorragende Panoramafenster hatte. Durch eine Tür gelangte man zu Außenplätzen, die von einem großzügigen Baldachin vor der Sonne geschützt waren. Dort saß die einzige Frau, die meiner Meinung nach die Attribute jung und hübsch verdient hatte, also setzte ich mich, getrieben von meiner Neugier, in Bewegung.
Als ich auf die Terrasse hinaus trat, bekam ich noch mit wie ein recht junger Bursche von vielleicht vierzehn Jahren vor der Frau eine halbe Verbeugung hinlegte, bevor er freudestrahlend davon eilte. Ich näherte mich ihr im Rücken und hatte sie fast erreicht, als eine warme, und vor allem spöttische Stimme mein Vorgehen kommentierte: "Denken Sie wirklich, meine sechs ist ungedeckt, Lieutenant Davis?"
Konsterniert blieb ich stehen und checkte mein Umfeld. Dabei erkannte ich, dass die großzügigen Fenster nach außen verspiegelt waren und die Dame einen guten Blick auf sie hatte.
Ich räusperte mich vernehmlich. Sie kannte mich, und das machte mich neugierig und vorsichtig. "Entschuldigen Sie, Ma'am, das sollte kein Flugmanöver werden."
Sie wandte sich zu mir um und lächelte. "Ich habe es auch nicht als Bedrohung aufgefasst, Ace. Darf ich Sie Ace nennen?"
Mir fiel einiges wie Schuppen von den Augen, als ich sie erkannte. Ich hatte tatsächlich Mary Sandersen vor mir, die Frau, die im Pilotfilm Kali gespielt hatte. Nachdem ich den Film endlich am Stück gesehen hatte, fand ich ihn nicht mehr ganz so furchtbar, und außerdem waren nicht nur einige der Schauspieler talentiert gewesen; neben Jeremy Randall, der den Cunningham gespielt hatte, waren weitere Namen von Ruf dabei gewesen. Mary Sandersen gehörte dazu. Man sagte, dass die Diva für eine Rolle unglaubliche Belastungen auf sich nahm, um ihrem Klischee als Besetzungscouch-Blondchen zu entkommen. In diesem Fall hatte sie sich einer kosmetischen Operation unterzogen, zusätzliches Melanin unter die Haut gespritzt und eine neue Haarfarbe bekommen, um Kali besser darstellen zu können. "Sie dürfen mich alles nennen. Falls ich mich setzen darf.", erwiderte ich.
Einladend deutete sie auf den Stuhl neben sich. Dann winkte sie dem Kellner. "Ober, einen Kaffee Latte für Mr. Davis. Sie trinken doch um diese Uhrzeit Kaffee Latte, oder?"
Es war ein kleiner Schreck für mich, dass eines meiner geringeren Geheimnisse so offen von ihr offenbart worden war. Mein erster Kaffee des Tages war in der Tat mit Milch gestreckt. Dann ließ er sich schneller trinken. "Interessant.", kommentierte ich, während ich Platz nahm. "Überdies ist es mir eine Freude, Sie kennen zu lernen, Ma'am."
"Sagen Sie nicht Ma'am, Ace.", murrte sie beleidigt. "Ich bin vielleicht nicht mehr so jung und knackig wie die echte Kali, aber ich bin auch noch nicht vierzig."
"Hm,", machte ich gedehnt, "an dieser Stelle sollte ich dann wohl heftig widersprechen und Ihr jugendliches Aussehen loben."
"Ja, das wäre sehr nett von Ihnen, Lieutenant. Natürlich nur, wenn Sie es auch so meinen.", antwortete sie mit dem Anflug eines amüsierten Lächelns.
"Sie sehen keinen Tag älter als zweiundzwanzig aus, Miss Sandersen,", sagte ich in ernsthaftem Ton, "und da habe ich schon nach oben gerundet."
Sie seufzte gespielt und legte eine Hand auf ihren Busen. "Hach, das hört doch jede Vierundzwanzigjährige gerne."
Wir sahen uns einen Moment an, dann begannen wir beide zu lachen.

"Ich habe Sie in Hinter den feindlichen Linien gesehen.", sagte ich noch immer grinsend. "Zusammen mit Jeremy gehören Sie eindeutig zu den besseren Schauspielern." Suchend sah ich mich um. "Von denen wohl gerade einige auf Seafort herum turnen, um ihre Originale besser studieren zu können."
"Nur die Hauptrollen für die Staffel", sagte sie wie nebensächlich, "und ein halbes Dutzend der wichtigen Nebenrollen wie ich und Jonathan Stapler. Und tatsächlich bin ich später noch mit Takehito Watanabe verabredet. Er wurde für die Rolle von Kano Nakakura gecastet. Da er immer noch lebt, wird er eine der Nebenrollen sein, die mehr heraus gestrichen werden sollen."
"Na, das hat Kano ja wohl auch verdient.", sagte ich im Brustton der Überzeugung. "Immerhin hat er nicht nur mehr Maschinen geschrottet als eine ganze Staffel Piloten, fünf bis zwanzig lebensgefährliche Verletzungen überstanden und den Wechsel von der Typhoon zur Nighthawk überstanden...Er ist mittlerweile Staffelchef geworden. Verdient, wie ich hinzufügen möchte. Die Piloten über ihm wurden zwar nach und nach weg geschossen, aber er hat seine Jungs und Mädels mit Können und Erfahrung am Leben erhalten. Wenn es einer verdient hat, dann er."
"Und Sie natürlich, Ace.", bemerkte Mary amüsiert.
"Das steht außer Frage. Da ich der einzige Pilot bin, der von den Toten zurückgekehrt ist und ein Kriegsgefangenenlager der Akarii überstanden hat, war mir das klar. Und nein, das ist keine Angeberei, sondern reine Analyse. Ich weiß eben nur nicht, wie meine Rolle angelegt werden wird."
"Es gibt einige Nebenrollen, auch von solchen, die im Gefecht gestorben sind. So wie Commander Montana oder Commander Long, deren Rollen deshalb zeitlich begrenzt sind. Aber je mehr wir Schauspieler uns in unsere Rollen einarbeiten, desto...erschreckender wird es für uns. Seit ich die frei gegebenen Flightvideos gesehen habe, seit ich Kalis Krankenakte studiert habe, frage ich mich: Wie kann ein Mensch das aushalten? Wie können fünftausend Menschen das aushalten? Wie können dreißigtausend Menschen das aushalten? Wie können zwei Millionen Menschen das aushalten? Das wollte ich eigentlich Kali fragen, als ich heute her kam, aber leider ist sie schon weg, mit unbekanntem Ziel." Sie seufzte leise. "Sie zu treffen, Ace, den Mann, der sie unter den Angels kennt wie wohl kein zweiter, ist da eine nette Wiedergutmachung."
Ein amüsiertes Schnauben entkam meiner Nase. Doch, einen gab es, der Helen noch besser als ich kannte. Und ich war mir immer noch nicht so ganz sicher, ob ich ihn wegen dieser Erfahrung beneiden sollte. Wahrscheinlich ja. "Weil wir es müssen."
"Wie bitte?"
"Die Antwort auf Ihre Frage, Mary. Wir halten das aus, weil wir es müssen. Es klingt banal, aber es ist so. Und ich habe Sie nur getroffen, weil jeder Mensch, der Interesse an Kali hat, meine Warnsirene aufheulen lässt."
Sie lächelte kokett. "Sie empfinden immer noch was für sie, Ace?"
Ich lachte leise. "Mit der Behauptung, ich hätte sie nie geliebt, komme ich wohl nicht mehr durch, oder?"
Sie lächelte nachsichtig. "Von meiner Warte aus ist diese Frage sehr wichtig, Ace, denn immerhin werde ich die nächsten Jahre Kali sein müssen. So wie ich das sehe haben Sie beide etwas füreinander empfunden, aber die Zwangszusammenlegung in eine Kabine und schlimmer noch die Trennung nach ein paar Monaten hat viel ruiniert. Vielleicht viel zu viel."
Ich dachte darüber nach. Teilweise hatte sie Recht. Wenn ich an die gehäuften Kontrollen dachte – oder vielmehr an den allerersten Moment, in dem ich auf Kalis Bett einen BH entdeckt hatte...Gott, wie lange war das schon her? Was hatte ich nicht alles in dieser Zeit erlebt? "Die Szene mit dem BH war gut gespielt", murmelte ich.
"Ich fand auch, dass Michael Lecomte dabei eine gute Figur machte. Etwas zu frühpubertär für den Sohn einer Freihändlerfamilie, aber wenigstens konsequent. Also, wie war es, Ace? Wie ist es kaputt gegangen, bevor es beginnen konnte? Und was ist davon übrig?"
Nachdenklich starrte ich auf meinen Kaffee, der gekommen war, ohne dass ich etwas gemerkt hatte. "Ich schätze, ich habe es kaputt gemacht, als ich entdeckt habe, dass ich tatsächlich das entwickelt hatte, was mir Lone Wolf bei Kielholen verboten hatte. Und dann war ich zu rasant, vielleicht zu gierig, zu unvorsichtig. Vielleicht habe ich sie bedrängt, ohne es zu merken. Ich weiß es nicht. Das werden Sie Kali fragen müssen, Mary, aber ich bezweifle, dass sie Ihnen darauf eine Antwort gibt. Letztendlich kenne ich Kali gut genug um zu wissen, dass sie eine Szene wie die mit Jeremy und Ally McCoy auf dem Schreibtisch niemals dulden würde."
"Sie haben den Film ja gut verfolgt.", spöttelte sie. "Wieso erwähnen Sie diese Szene? Hatten Sie denn einen Abschuss, Flyboy?"
"Nein, nicht mit Kali. Und wenn, dann hätte sie jetzt den Abschuss auf dem Rumpf, und nicht ich.", gestand ich einmütig. "Ich habe vermasselt, was vielleicht nie da war, aber geblieben ist eine tiefe Freundschaft. Heute betrachte ich Kali...Betrachte ich Helen als gute, sehr gute Freundin, als Menschen, den ich sehr liebe. So wie meine Schwester, meinen Bruder. Deshalb wünsche ich mir, dass Sie, Mary, einen guten Job machen, wenn Sie Helen spielen."
"Versprochen, Ace", erwiderte sie lächelnd über den Rand ihrer Tasse hinweg. "Versprochen."
"Und wie wollen Sie das nun in Ihre Rolle einbauen, Mary?"
"Ehrlich gesagt weiß ich es nicht. Sie haben mir viel gesagt, was ich für meine Rolle brauche, Ace, und vieles was ich eigentlich nicht wissen sollte oder nicht wissen darf. Ich werde es in jedem Fall honorieren. Und ich..."
"Nur raus damit.", ermunterte ich sie.
"Es ist schwierig. Helen kam damals an, in den Wirren des Kriegsausbruchs, wie die meisten frisch von der Akademie, ohne reelle Flugerfahrung, mit einem ebenso unerfahrenen CAG, der das Geschwader leitete, auf einem reaktivierten Träger, der in ein Museum gehörte, mit einigen Veteranen und vielen, vielen weiteren Amateuren. Operation Husar hätte für fast alle den Tod bedeuten müssen, aber Menschen wie Helen haben... Wie heißt es, learning by doing betrieben? Unsere Produzenten lieben zwar den Pathos über alles, aber ich will auch einen ernsthaften Job machen. Die Serie ist zwar Propaganda, aber ich habe das tiefe Bedürfnis, die Angels so darzustellen wie sie sind. Ich will diese Geschichte mit erzählen, weil ich sie als erzählenswert empfinde. Deshalb werde ich das auch tun, so weit die Regie es zulässt."
"Das freut mich außerordentlich zu hören. Ich hoffe, die anderen Schauspieler sehen das ebenso."
"Dafür wird Jeremy schon sorgen. Er ist quasi unser Oberhaupt, unser aller Senior. Er gibt den Kurs vor, und wir alle folgen. Wussten Sie, dass sein Wort so viel Gewicht hat, dass die Zahl der Dialoge verdoppelt wurde? Er wollte Rollen darstellen, keine Abziehbilder der Propaganda. Er sagte dazu: Wenn die Angels solche Supermänner ohne Gefühle und ohne Ängste, ja ohne Hoffnungen sind, warum haben sie sich nicht in der ersten Kriegswoche bis nach Akar durch geschossen?
Wenn HDFL heute ein guter Film geworden ist, der auch noch authentisch ist, dann liegt das nicht zuletzt an unserem besten Schauspieler."
"Zweitbester.", murmelte ich und zwinkerte ihr zu.
"Danke für die Blumen. Jedenfalls hat Jeremy Commander Cunningham getroffen. Die Gespräche mit ihm haben Jerry gut getan. Und der Commander hat versprochen, ihn mal auf einem Flug mit zu nehmen. Ich hoffe, dass ich auch ein Gespräch mit Kali kriege, das ich mehr Verständnis für sie und die Rolle kriege. Und dass sie mich vielleicht mit nach oben nimmt."
"Auf einen Probeflug?" Ich lächelte sanft. "Ermuntern Sie sie nicht zu Stunts, ich warne Sie."
Ihr Lachen war herzlich und warm, und erinnerte mich tatsächlich etwas an Kalis Lachen.
"Ich dachte nur, Ace, falls es nicht dazu kommt, falls es nicht klappt, würden Sie dann...? Bitte?"
Ich hielt ihr meinen Kommunikator hin. Sie hielt ihren dagegen. Kurz darauf hatten sich unsere Komm-Nummern selbstständig ausgetauscht. "Rufen Sie mich dann einfach an, Mary. Ich sehe zu was ich da tun kann."
"Danke, Ace. Gibt es etwas, was ich im Gegenzug für Sie tun kann?"
"Sie könnten Lecomte dazu überreden, seine Haare zu kürzen. So ein bis zwei Meter dürften reichen", erwiderte ich sarkastisch und strich mir über meinen Igelhaarschnitt.
"Sicher nicht. Er plant aus dem Moment, an dem Sie sich den Kopf rasieren, einen großartigen, emotionalen Moment zu machen. Er meint, je länger die Haare dann sind, desto größer das Opfer."
"Das leuchtet mir beinahe schon ein. Aber falls Lecomte mit mir sprechen will..." Ich deutete auf Marys Kommunikator.
"Dann gebe ich Ihre Nummer weiter."
Ich erhob mich und reichte ihr die Hand. "Es hat mich sehr gefreut, Sie kennen zu lernen, Mary. Es hat mir viel Spaß gemacht, mit Ihnen zu reden. Aber im Namen aller Angels, bitte, denken Sie immer daran, dass wir Menschen sind. Menschen mit Ängsten, Fehlern und Charakterschwächen." Ich überdachte das kurz. "Alle, außer Darkness."
"Ich werde dran denken." Sie klopfte auf ihren Kommi. "Und Ihnen berichten, falls ich die Gelegenheit dazu habe." Sie ergriff meine Hand und schüttelte sie fest.
Ich nickte ihr noch einmal zu. Dann betrat ich wieder das Hotel, um meine und ihre Rechnung zu bezahlen. Ein kleiner Schauder ging über meinen Rücken, als ich daran dachte, was sie wohl von uns Angels denken würde, wenn sie je etwas von Troffen gehört hätte, und von der kleinen Schweinerei wusste, die der Geheimdienst dort ausprobiert hatte. Ängste, Fehler, Charakterschwächen. Damit waren Menschen wohl sehr gut beschrieben. Vor allem ich selbst.

***

Nachdenklich musterte Justus Schneider den Mann vor seinem Schreibtisch. Wie am ersten Tag stand er gerade vor ihm, so als hätte jemand mit dem Winkeleisen und dem Lineal nach gemessen, um ihm die bestmögliche Haltung einzubläuen. Die Jahre Erfahrung und die eisige Routine wichen in diesem Moment dem kadettischen Gebaren eines Akademieabgängers. Manche ließen sich vielleicht davon täuschen, Schneider jedoch nicht.
"Sir, ich melde mich wie befohlen.", sagte Lieutenant Commander Nasahari. Der eindringliche Blick seines Skippers konnte ihn nicht eine Sekunde erschüttern, aber er machte neugierig.
"Sie haben einen hervorragenden Job gemacht, Mr. Nasahari", sagte Schneider andächtig. "Einen sehr guten Job. Deshalb der halbe Ring."
Der Inder errötete leicht. "Danke für die Beförderung, Sir."
"Sie haben sie sich verdient. Admiral Mithel hat diese und eine weitere Entscheidung von mir unterstützt, im Angesicht der Tatsache, dass Sie die KAMI geführt haben, nachdem die Hauptbrücke offline war. Eine Selbstverständlichkeit, wie er es formulierte, aber eine besondere, die eine Belohnung rechtfertigt."
Justus schob einen Umschlag in Richtung des Commanders. "Hier ist Ihr Marschbefehl. Ich schmeiße Sie von meinem Schiff."
"Aber Sir!", begann Nasahari kläglich. "Haben Sie nicht gerade noch gesagt, ich hätte gute Arbeit geleistet? Warum..."
"Wer einmal als Captain gedient hat, will wieder als Captain dienen. Die Navy fördert diese Einstellung, und sie braucht Offiziere, die jederzeit bereit sind, um im nächsthöheren Rang zu dienen. Sie braucht Offiziere, die Captain eines Schiffs sein wollen." Übergangslos lächelte Schneider. "Nun nehmen Sie schon Ihren Marschbefehl zur DOLPHIN, Richard."
"DOLPHIN, Sir?" Ein wenig wie betäubt langte er nach dem Umschlag. "Der Perisher? Sie schicken mich auf den Perisher-Kurs?"
"Das ist Ihre eigene Schuld. Sie haben laut ,Hier!' gerufen, als einer gebraucht wurde, der befehlen will und Ahnung hat. Ich verzichte nicht gerne auf Sie, aber ein kluger Mann – nennen wir ihn Admiral Auson – hat mir neulich vor Augen geführt, wie ein Offizier der Navy sich zu benehmen und wie er sich darzustellen hat. Ein wichtiger Punkt dabei ist, dass ich meine Leute nicht ewig bei mir behalten kann oder behalten darf. Jedes unserer Schiffe muss für fähige, intelligente Offiziere das Sprungbrett für ein eigenes Kommando sein. Und selbst wenn die Schiffsführung darunter leidet, gebietet es mir die Ehre als Gentleman, Sie auf den Perisher zu schicken, damit ein anderes Schiff eines nicht allzu fernen Tages einen fähigen Skipper bekommt. Sollte der allzu ferne Tag noch ein wenig auf sich warten lassen, nehme ich Sie gerne wieder auf der KAMI auf. Sollte es doch etwas fixer gehen, werde ich mich freuen, eines Tages Kapitän Nasahari zu begegnen."
"Aber Sir,", sagte der Inder leicht verzweifelt, "ist Commander Ishihiro nicht..."
"Dienstälter? Erfahrener? Sicherlich. Aber er hat den Perisher schon und spekuliert auf ein Dickschiffkommando. Ihnen kann es passieren, dass Sie eine Korvette bekommen, vielleicht eine Fregatte. Doch Kommando ist Kommando ist Kommando. Merken Sie sich das, Commander."
"Jawohl, Sir."
Schneider erhob sich. "Ihr Flieger geht übermorgen. Das lässt Ihnen genügend Zeit, Ihren Platz zu übergeben. Ich hatte Denge vorgesehen. Einwände?"
"Nein, Sir. Chausiku ist, ich meine, Lieutenant Denge ist eine gute Wahl, Sir."
"Gut, dann machen Sie mich stolz und bestehen Sie den Perisher mit wehenden Fahnen."
Schneider streckte die Rechte aus, und der jüngere Offizier ergriff sie freudig.
"Das werde ich, Sir."
Schneider zog den Commander ein wenig zu sich heran. "Wenn Sie auf die DOLPHIN kommen, werden Sie einen indischen Ausbilder haben. Singh ist sein Name. Sobald Sie ihn treffen, grüßen Sie ihn bitte von mir. Er hat mich damals bei der Ereudyke-Mission kommandiert."
"Das werde ich tun, Sir."
Die beiden wechselten zu einem eher formlosen Salut, und Nasahari wandte sich zum gehen.

Als Schneider allein war, faltete er beide Hände unter dem Gesicht und legte sein Kinn darauf ab. Er seufzte leise. Verdammt, anfangs hatte er ja noch die Hoffnung gehabt, sich irgendwann mit Mithel anfreunden zu können, durch gegenseitigen Respekt vor dem Können des anderen, aber diese Hoffnung musste er wohl begraben. Er kommandierte einen Schweren Kreuzer, was an sich schon mal ein Riesenvorteil war. Aber solange er unter dem Kommando des Engländers blieb, würde ihm der weitere Aufstieg verwehrt bleiben. Der Commodore war weit, weit von ihm entfernt, und erst Recht der Admiral. Es gab eigentlich nur zwei Möglichkeiten für ihn. Entweder mit der KAMI in eine andere Flotte versetzt zu werden, oder sich auf einen Schreibtischposten versetzen zu lassen, um dort Admiral zu werden. Doch das würde dem Weltraumfahrerblut in seinen Adern überhaupt nicht gefallen.
Und da war immer noch die tiefe Sorge um Amber, die ohne jede weitere Nachricht auf Trafalgar verschollen war, vielleicht tot war. Und von Melissa und ihrem Mann hatte er auch ewig nichts mehr gehört.
Mit einem tiefen Seufzer schob er all diese Gedanken beiseite. Zeit für die anderen Pflichten in seinem Leben. Zeit für die Familienangelegenheiten. Zeit, das Schiff an Haruka zu übergeben, um das Familientreffen anzutreten. Diesmal würde es vielleicht nicht ganz so langweilig werden, immerhin trat mit Donovan ein neuer, interessanter Charakter in die Familie ein. Einer mit Herz, wenn er all das zusammenfasste, was Jean über ihn zu berichten gewusst hatte. Einer der sich sorgte und kümmerte, obwohl er selbst den Arsch voller Sorgen hatte. Musste er sich über die Begeisterung seiner Lieblingscousine Sorgen machen? Amüsiert schob er auch diesen Gedanken beiseite. Sie war ein Marine, dazu ein Sergeant. Sie wusste was sie tat, wann sie es tat, und mit wem sie es tat. Es war gesünder, ihr nicht in ihre Entscheidungen rein zu reden. Und erst recht nicht in ihre Fehler. Außerdem konnte sie die Abwechslung gebrauchen. Selbst wenn sie Donovan Cartmell etwas zu sehr mochte, war es egal. Es würde ja in der Familie bleiben.
Amüsiert über diesen Gedanken widmete sich Justus dem letzten Stapel an Schreibarbeit, der noch zwischen ihm und seinem Flug in der Kapitänsbarkasse lag.
21.01.2016 09:28 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cunningham

O-Club,
Victoria-Station


Das Panorama war herrlich. Der Planet füllte einen guten Teil der Sicht aus, aber man konnte an ihm vorbei sehen und in den Rest des Sterntorsystems blicken.
Man sah weit entfernt Sterne und etwas näher Dinge, die wie Sterne aussahen: Raumstationen und Raumschiffe, von denen es in Sterntor nur so wimmelte.
Durch ein halb gefüllten Whisky-Becher wurde der Anblick nochmal bereichert. Doch für Lucas Cunningham hatte das Panorama auch eine graue Wand sein können.
„Das war eine herzerweichende Zeremonie.“
„Was wollen Sie, Smitty?“
Colonel Sean Hammersmith setzte sich ungefragt dazu und betrachtete die Flasche auf dem Tisch: „Sieht aus, als hätten Sie noch einen berauschenden Abend vor sich Cap…ich meine natürlich Commander.“
„Es stimmen also die Gerüchte?“, fragte Lucas unschuldig.
„Was für Gerüchte?“
„Na, dass Sie den hiesigen Militärknast übernehmen, nach ihrer hervorragenden Erfahrung als Gefängniswärter, Sie wollen sich doch sicherlich auch betrinken.“
Hammersmith kniff die Augen zusammen: „Ziemlich große Worte von jemanden, der heute Mittag kurz davor war, der kleinen Asiatin auf die Schuhe zu kotzen.“
Lucas versuchte seine Wut hinter einem hämischen Kichern zu verstecken: „Ach, der Mann, der General werden wollte.“
Der Marine legte die Flasche auf die Seite und ließ sie wie beim Flaschendrehen rotieren: „Sie sollten schneller trinken Flyboy, Versager wie Sie finden doch am Flaschenboden immer eine passende Antwort.“
Lucas nahm einen langen Zug und fixierte Hammersmith: „Okay, Schwanzlutscher, warum verpissen Sie sich nicht einfach und kratzen bei de Kerr an der Tür und wenn Sie es der alten Schachtel so richtig bewiesen haben, wie toll Sie ihr Regiment verwalten, weil die Kampfeinsätze führen ja andere für Sie, dann bekommen Sie vielleicht ihren Stern.
Denn die einzigen Leute, die auch nur annähernd schwachsinnig genug sind, SIE zum General zu machen sind diejenigen, die sich ihren eigenen Rang im Simulator verdient haben.“
Der Colonel wollte etwas antworten, doch Lucas ließ ihn nicht zu Wort kommen und deutete auf seine Ordensspangen: „Sehen Sie das hier, Ledernacken? Flying Cross in Bronce und Silver, Navy Cross, Silver Star, zwei Bronce Stars, Victory Star, Deep Space Expeditionary Medal* mit Bronce Star, Liberation of Wron Medal*. Alles hart erarbeitet, werden Sie bei de Kerr nicht finden und niemand, der selbst im Gefecht gestanden hat und das nötige Urteilsvermögen besitzt wird SIE noch weiter befördern!“
Hammersmith schlug zu. Der Marine sprang auf, langte über den Tisch, packte Lucas mit der Linken am Kragen und verpasste ihm einen rechten Schwinger und ließ rechtzeitig wieder los, so dass der Pilot samt Stuhl umkippen könnte.
Der Colonel war rot angelaufen und schnappte nach Luft. Er deutete mit dem Zeigefinger auf Lucas und versuchte zweimal zum Sprechen anzusetzen.
Weder er noch Lucas nahmen das Gemurmel des übrigen Publikums, welches sich aus Offizieren von der Navy und wenigen Marines zusammensetzte, wahr.
Lucas kicherte als er sich in eine sitzende Position aufrichtete: „Was, gehen Ihnen die Argumente aus? Marines, dumm und stark.“
„Sollten Sie tatsächlich diese Anhörung überstehen,“, grollte Hammersmith, „und Scheißkerle wie Sie überstehen solche Angelegenheiten immer wieder, werde ich eines Tages wie der Zorn Gottes über Sie herfallen und dann werde ich Sie zerbrechen und Ihre Karriere das Klo runterspühlen. Bei Gott, das schwöre ich!“
Lucas salutierte dem davon stürmenden Marine spöttisch hinterher.


„Ein Freund von Dir, Schatz?“, Mel Ausons Stimme ließ ihn beim Aufstehen zusammen zucken.
„Vielleicht mein einziger.“
Melissa küsste ihn sanft auf die rechte Wange und begutachtete dann fürsorglich die linke: „Tuts weh?“
„Nicht sehr, wird nur wieder ein Feilchen.“
„Nur wieder?“, sie blickte ihn skeptisch an.
„Er hat mir schon mal eine verpasst.“
„Ah, also tatsächlich ein Freund.“, Melissa orderte zwei Gläser und setzte sich, während Lucas seinen Stuhl wieder hinstellte und den Whisky aufhob, „Cutty Sark, sollte es heute ein längerer Abend werden?“
„Hör bloß auf, es war ein echt beschissener Tag.“
Seine Frau nickte mitfühlend: „War die Ablösung so schlimm?“
„Kannst Du es Dir vorstellen, von der Drake abgelöst zu werden, ohne eine Perspektive außer einer Untersuchung? Hat sich Dein Dad eigentlich schon gemeldet?“
Sie schüttelte den Kopf: „Tut mir leid, nein, aber ich bin sicher er weiß Rat, und wenn es nur der Name eines gewieften Anwalts ist. Und nein, ich kann mir nicht vorstellen, wie das ist einfach so abgelöst zu werden.
Sicher, ich werde die Drake nicht ewig kommandieren, aber irgendwie erhoffe ich mir dann eher ein größeres Kommando, statt hier zu stranden. Tut mir wirklich leid.“
„Ist schon gut, ich hab' es mir selbst eingebrockt, aber ich werde heute Abend nicht der beste Gesellschafter sein, von daher wäre es für Dich in Ordnung hier einfach mit mir einen zu trinken.“
„Solange Du es hier nicht auf ein Besäufniss hinauslaufen lässt.“


Am nächsten morgen an Bord der Drake wurde er dadurch geweckt, dass Melissa sich aus dem Bett wälzte und zur Toilette stürmte.
Durch die geöffnet Tür hörte er, wie sie sich erbrach.
„Soviel ist es nun wirklich nicht gewesen, Schatz.“, pflichtbewusst hebelte er sich in die Senkrechte, um nach seiner Frau zu schauen, da überkam ihn der Kopfschmerz mit der Wucht eines Artillerieschlages.
„Scheiße, soviel war es doch gestern wirklich nicht.“, er stand auf und ging zum Bad. Tatsächlich schwankte der Boden nicht, von daher, ja klar, der Wein zum späten Abendessen, nach dem Whisky. Keine weiteren Fragen, Euer Ehren.
„Super.“, beschwerte sich Melissa, „Du hast mehr getrunken und ich muss mich übergeben, da kann ich ja froh sein, dass Du Dich nicht zugekippt hast.“
Lucas küsste sie: „Du siehst bleich aus, ist alles in Ordnung?“
„Du hast aber schon mitbekommen, dass ich gerade brechen musste oder? Aber es geht schon wieder, war nur ein Übelkeitsanfall. Mit Dir alles in okay?“
Er drückte sich an ihr vorbei und öffnete den Medizinschrank: „Ja, von den Kopfschmerzen abgesehen ja, warum fragst Du?“
„Naja, wir haben das gleiche gegessen und getrunken.“
„Hast Du keine Schmerztabletten?“
Melissa schüttelte den Kopf: „Nein, da musst Du zur Krankenstation, ist es so schlimm?“
„Wie zwei Rolls Royce Triebwerke auf vollen Touren. Wo ist die Krankenstation?“
„Ach Seemann,“, knurrte sie, „ich zieh mich nur eben an und wenn ich es mir recht überlege Du am besten auch.“
„Wie, ich kann Dich nicht im Morgenmantel und Schlappen begleiten?“
Sie setzte ihren Captainsblick auf: „Dies ist ein Zerstörer der TSN und kein Apartmenthaus auf Seafort, Mister!“, etwas milder fügte sie hinzu, „Und selbst da würdest Du nicht im Morgenmantel vor die Tür gehen.“


Auf der Krankenstation der Drake schon Lieutenant Commander Ellen Spencer, die Chefärztin gerade Dienst: „Guten Morgen Captain, guten Morgen Mr. Captain.“
Bei soviel guter Laune am frühen Morgen war sie Lucas sofort unsympathisch.
„Guten Morgen Ellen,“, begrüßte Meliassa ihre Schiffsärztin und ignorierte Lucas' gemurmeltes Morgen, „wie kommt es, dass Sie heute hier sind?“
„Meine beiden Junioren haben mich im Poker abgezogen, so dass ich die morgendlichen Schichten übernehmen müssen. Und ich habe Morris noch ausgelacht, als er meinte er stamme aus Vegas. Sie sehen aber blass aus, Skipper.“
„Geht mir schon wieder besser, aber mein Mann braucht da was.“
„Ach, und der traut sich nicht alleine hier her?“, Spencer lächelte Lucas höflich an, „Lassen Sie sich von uns nicht ins Bockshorn jagen, Commander, die Crew der Drake ist nur allgemein eifersüchtig, dass Sie ihren Captain nicht für sich allein hat. Aber wo fehlt es denn.“
„Ich brauch ein paar gute Kopfschmerztabletten, mir bekommt Rotwein nicht besonders.“
„Ach Du liebes bisschen, und das wo Ihre Frau doch ein echter Weinsnob ist, Commander...“, Spencer verstummte, als Melissa sich an der Wand abstützte und mit der anderen Hand den Bauch hielt.
Sie maß ihre Kommandantin mit kritischem Blick: „Setzen Sie sich mal auf das Bett da drüben, Skipper.“
„Es ist alles in Ordnung, Doc, ich hatte auch einiges an Rotwein und zuvor wurden mir noch einige Whisky aufgenötigt.“
„Ach setzen Sie sich doch einfach und machen Sie mir den Job nicht komplizierter als nötig.“, die Ärztin nahm Melissa sanft am Ellenbogen und führte sie mit sanfter Gewalt zum Krankenbett, „Einfach hinsetzen, ein kleiner Pieks und dann wissen wir gleich, was ist. Vielleicht trinken Sie noch ein Glas Wasser, ja?“
Die Ärztin blickte sich zu Lucas um: „Gehen Sie doch eben mal durch in die Apotheke, Petty Officer Graff wird Ihnen schon was geben können.“
Lucas ging und grummelte noch etwas in den nicht vorhandenen Bart.
„Ist der immer so oder ist er nur ein Morgenmuffel?“
Die Kommandantin der Drake lächelte: „Oh, der ist nur wehleidig wie alle Männer, würde mich nicht wundern, wenn die Kopfschmerzen eine richtige Migräne wären.“
Das letzte sagte sie laut genug, dass ihr Mann das noch mitbekam.
„Wo hat er denn das Feilchen her, ich hoffe es gab keinen handfesten Ehekrach?“
„Nein,“, Melissa rollte den linken Ärmel hoch, „ein…hm Freund von ihm, ein Marine hat ihm eine verpasst.“
„Ein Freund, so so.“, die Ärztin entnahm ihr Blut und ging zum medizinischen Scanner.
Sie kam etwas später als Lucas zurück und wirkte etwas konfus: „Darf ich Ihnen nochmal Blut abnehmen, Captain, nur um meinen ersten Test zu bestätigen?“
Die Ehepartner blickten sich an und Melissa rollte den Ärmel erneut hoch: „Ja, okay, wo liegt das Problem.“
Lucas fixierte den Ärztin: „Ich hoffe es ist nichts ernstes.“
„Es ist zumindest nichts bedrohliches, aber ich würde gerne meinen Test nochmal überprüfen.“, Doktor Spencer entnahm noch eine Blutprobe und verschwand schnell wieder in das kleine Labor des Zerstörers.
Etwas allein gelassen macht Melissa ein besorgtes Gesicht, woraufhin sich Lucas neben seine Frau setzte und ihre Hand nahm: „Du hast doch gehört, nichts bedrohliches.“
Nach etwa zehn Minuten kam Spencer wieder. Die Ärztin lächelte unsicher: „Also Skipper, Commander, soweit ich das richtig sehe, ist das für uns alle eine Premiere und ganz ehrlich, nachdem ich mich ja schon gefreut habe mal einen Blinddarm raus zunehmen, statt ein Schrapnell zu entfernen, ist dies mein medizinischer Höhepunkt.“, sie hielt einen Moment inne, „Ich hoffe die Nachrichten sind für Sie ebenso schön wie für mich als Mediziner: Captain, Sie sind schwanger! Herzlichen Glückwunsch.“
„Au!“, Lucas entwand sich dem plötzlich festen Griff seiner Frau, „Schatz, alles in Ordnung? Sag doch was?“
„Aber ich verhüte doch“, krächzte sie schließlich.


*Kampfabzeichen, die an alle Offiziere und Mannschaften ausgegeben wurden, die an den entsprechenden Operationen beteiligt waren. Teilweise auch in Verbindung mit einem Bronce Star für Tapferkeit.
21.01.2016 09:29 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Tyr

Ein leises Piepsen verkündete das Ende der Aufzeichnung. Kano Nakakura lehnte sich zurück, dann schaltete den Bildschirm aus. Er war sich nicht ganz sicher, was er von dieser Nachricht halten sollte.

Es freute ihn, dass Blackhawk wieder zu den Angry Angels stieß. Das Geschwader konnte diese Verstärkung wirklich gebrauchen. Nach Darkness Weggang und Montys Tod fehlte der Eliteeinheit jemand, der der Ausbildung und dem Training der verschiedenen Staffeln eine einheitliche Richtung gab.
Sicherlich hatte der altgediente Pilot mit seiner mehrjährigen Erfahrung als Fluglehrer die dafür notwendigen Qualifikationen. Und als Lieutenant Commander hatte er auch den dafür nötigen Rang. Angesichts seiner Fähigkeiten war Blackhawk eigentlich prädestiniert für den Posten des Geschwader-XO. Allerdings bezweifelte Kano, dass Raven das genauso sah. ‚Eine verdammte Schande.’
Aber wie auch immer – gerade die Gelbe Staffel hatte einen Führer wie ‚Onkel Tom’ dringend nötig. Wenn jemand es schaffen konnte, die Schwadron neu zu formieren, auf Vordermann zu bringen und in der vermutlich zur Verfügung stehenden Zeit in eine funktionierende Kampfeinheit zu verwandeln, dann war es Blackhawk.

Außerdem verdankte Kano dem erfahrenen Offizier eine ganze Menge. Lightning, Lone Wolf, Lilja, Darkness, Monty, Blackhawk…Diese Männer und Fraue – besonders den letzten drei – hatten ihm gezeigt, wie man eine Staffel führte. Dass er bereit und fähig war, diese Verantwortung zu übernehmen. Er hatte von viel ihnen gelernt. ‚Und von Skunk und Radio habe ich gelernt, wie man eine Staffel NICHT führen darf.’
Außerdem…hatte Blackhawk ihm auch geholfen, als Kano nach dem Untergang der REDEMPTION ziemlich am Boden gewesen war. Damals, nach Aces vermeintlichen Heldentod, hatte es auch zwischen Kano und Helen nicht gerade gut gestanden, und das hatte ihn natürlich zusätzlich runter gezogen.

Allerdings…war er sich dennoch nicht sicher, ob er sich über Blackhawks Abkommandierung freuen sollte. Denn der zukünftige Chef der Gelben hatte nicht nur aus Höflichkeit angerufen.
Stattdessen hatte er freundlich aber bestimmt klar gemacht, dass er den Großteil der überlebenden Gelben für seine Staffel anfordern würde. Und das betraf auch die Butcher Bears. Es betraf vor allem sie. Fünf der sieben Überlebenden waren zur Schwarzen Staffel verlegt worden.
Einer der Piloten hatte seine alte Staffel nicht lange überlebt – Grizzly war in der Schlacht von Karashin gefallen. Damit blieben noch Bunny, Shoto, Fox und Tiburon.

Wahrscheinlich würde Blackhawk die beiden Gelben, die zur Roten Staffel versetzt worden waren, ebenfalls anfordern. Wie Kano war Ace nur First Lieutenant, und wie Kano war er auf dem Gefechtsfeld zum Staffelführer befördert worden, ganz einfach, weil er der Beste war, der übrig geblieben war. Gegenüber einem erfahrenen, dienstälteren und ranghöheren Offizier hatte keiner von ihnen viel zu melden – und so umgänglich und verständnisvoll Blackhawk war, er würde sich durchzusetzen wissen.
Immerhin, er wusste offenbar Bescheid darüber, dass besonders die Schwarze Staffel schwer gelitten hatte. Einen der Gelben würde Kano also behalten können.
Blieb nur die Frage, welchen.
Tiburon kam natürlich nicht in Frage. Kano würde den Kami ein Weihrauchopfer bringen, wenn er diesen Querkopf endlich los war. Und hoffentlich nicht zu viele Gewissensbisse bei dem Gedanken empfinden, dass er das Problem so auf einen Mann abwälzte, den er sehr schätzte.
Fox war besser als durchschnittlich, nutzte ihr Potential aber nicht voll aus. Vielleicht würde Blackhawk sie etwas über die Grenzen führen können, die sie sich selber setzte.
Shoto hingegen war eher durchschnittlich. Sie war nicht untalentiert, doch der stillen japanischen Pilotin fehlte sowohl der Ehrgeiz als auch ein wenig das Können, um Karriere zu machen.

Hoffentlich würde Blackhawk diese drei Piloten akzeptieren, und Kano im Gegenzug erlauben, Bunny zu behalten. Der schiitische Pilot war nicht nur ein ziemlich fähiger und vor allem überlegter Flieger, er hatte auch das Potential zu einem Flightführer, oder einem Sektionschef. Diesen Posten konnte ihm Kano zwar nicht bieten, aber vielleicht konnte er als zweiter Flightführer in der dritten Sektion ein wenig dazu beitragen, La Reines Aggressivität zu zügeln.

Aber wie man es auch drehte und wendete, es blieb die Tatsache, dass die Schwarze Staffel zum zweiten Mal während einer Operation auf sieben Mann zusammengeschmolzen war. Und diesmal würde der Ersatz für die Gefallenen und Versetzten deutlich schlechter sein, als nach der Schlacht mit der Korax ma Rah. Kano machte sich da keine Illusionen. Genauso wie die anderen nachgerückten Staffelführer würde er erst dann an der Reihe sein, nachdem die altgedienten Schwadronskommandeure ihre Wahl getroffen hatten. Lilja hatte es da wahrscheinlich etwas besser. Immerhin war sie Lieutenant Commander. Außerdem hatte sie im Gegensatz etwa zu Kano oder Ace schon längere Zeit als stellvertretender Staffelchef Erfahrung und Reputation sammeln können. Auch das zählte.
Wer meinte, solche Unterschiede würden bei der Vergabe neuer Piloten keine Rolle spielen, der war ein Narr.
Die immer noch etwas ungewisse Zukunft der Angry Angels verkomplizierte die Lage noch zusätzlich. Nach Blackhawks Nachricht fühlte sich Kano zwar in seiner Überzeugung bestätigt, dass nicht einmal die Admiralität auf den idiotischen Gedanken kommen würde, das Elitegeschwader aufzulösen – aber wann und wo und wie sie wieder zum Einsatz kommen würden, schien immer noch ungewiss. Ebenso, wie die Frage, mit welcher Priorität sie neue Maschinen und Piloten erhalten würden.

Aber ob man ihm nun frisch ausgebildete Akademieabgänger zuteilen würde, eilig mobilisierte Milizpiloten, umgeschulte Shuttleflieger, gesundete Versehrte, oder gar rehabilitierte Militärsträflinge – die Butcher Bears hatten wahrscheinlich einen langen Weg vor sich, bevor sie wieder zu der Staffel werden würden, die sie vor diesem zweimaligen Aderlass gewesen waren. ‚Und es wird an mir liegen, wie lang – und wie blutig – dieser Weg sein wird.’
Auch deshalb brauchte er Bunny. Schade, dass er nur Second Lieutenant war.
Und deshalb würde er erst gar nicht versuchen, gegenüber Blackhawk einen Konfrontationskurs zu fahren. Denn auch Blackhawks Hilfe würde er gut gebrauchen können.
Ansonsten…
Er würde vorsichtig bei Raven vorfühlen müssen, mit was für Verstärkung zu rechnen war. Und inwieweit sie angesichts der schweren Verluste der Schwarzen Staffel vielleicht bereit war, den ein oder anderen viel versprechenden Piloten zu den Butcher Bears abzukommandieren.
Ja, das war die vernünftigste Strategie. Allerdings durfte er dabei natürlich nicht den Eindruck erwecken, dass diese Last möglicherweise zu schwer für ihn sein könnte. Den Gedanken durfte er nicht einmal sich selbst gegenüber zulassen.
‚Und jetzt genug damit.’ Er würde alles tun, was in seiner Macht stand, um die Schwarze Staffel wieder zu ihrem Platz nahe an der Spitze zu führen. Aber es gab auch noch Anderes. Wichtigeres. ‚Zumindest für mich. Zumindest jetzt.’

****

„Helen.“
Die junge Pilotin zuckte leicht zusammen, und lachte unsicher auf: „Verdammt, Kano. Ich sollte dir eine Glocke umhängen.“
Aber sie beide wussten, dass es nicht nur darum ging, dass sie seine Schritte überhört hatte. Kano unterdrückte ein Seufzen. Der…Vorfall in Neu Babylon hatte alles noch komplizierter gemacht. Sie hatten sich nicht zerstritten, aber es war eine…Unsicherheit entstanden, die nicht so einfach weichen wollte.
Egal, was sie gesagt hatte, und egal was er sich einzureden versuchte, sie beide mussten erst einmal mit der Tatsache fertig werden, dass Kano zwei Menschen getötet hatte.
Außerdem…hatte er ihr etwas verschwiegen, und sie wusste das. Und er wusste, dass dieses Wissen sie verletzte. Aber dennoch…er konnte sich nicht dazu durchringen ihr das zu erzählen, was er selbst nicht verstand und nicht wahrhaben wollte. Die Stimme…wenigstens war sie in den letzten Tagen stumm geblieben. Doch irgendetwas…war da. Bereitete sich vor. Wartete.

Aber indem er schwieg, würde sich das Problem nicht aus der Welt schaffen. Und wenn er hier und jetzt nicht darüber reden konnte…: „Stimmt das eigentlich? Du giltst jetzt als bedingt entlassen?“
Kali zuckte mit ihrer – gesunden – Schulter: „Sie brauchen den Platz. Sie haben mir wohl oder übel noch ein paar Rehakurse angeboten, aber es wäre ihnen am liebsten, wenn ich so bald wie möglich verschwinde. Dass Raven uns alle in den Urlaub geschickt hat, macht es vermutlich noch leichter für sie.“ Außerdem vermutete sie, dass sie nach ihrer Begegnung mit diesem verfluchten NIC/TIS-Commander als kontaminierte Ware galt, die so schnell wie möglich abgeschoben werden sollte. Wenn das medizinische Korps etwas hasste, dann waren es irgendwelche Schlapphüte, die sich in den geheiligten Hallen der Götter in Weiß herumtrieben.
„Ja, dein Urlaub. Bisher hattest du ja nicht viel davon.“ Kano lächelte vorsichtig, fast ein wenig spitzbübisch – wenn eine solche Beschreibung für ihn nicht ziemlich unpassend gewesen wäre. Dennoch fühlte Kali, wie sie unwillkürlich sein Lächeln erwiderte. Verdammter Kerl: „Was genau schwebt dir vor?“
Kanos Lächeln vertiefte sich. Seine rechte Hand tauchte mit einem Blatt E-Papier hinter seinem Rücken auf: „Sie es dir selber an. Und dann sag mir, was du davon hältst.“
Mit einem leichten Kopfschütteln blickte sie auf das Blatt: „Haben sie dir was ins Wasser gemischt? Das ist doch…“ Sie brach ab. Das war offensichtlich ein Reiseprospekt. Oder nein… Sie blickte auf: „Urlaub? Du? Ohne dass dich jemand dazu prügeln muss?“
Kano zuckte mit den Schultern: „Ich denke, das habe ich mir verdient. Und vor allem…du hast es dir verdient. Also, was meinst du?
Fletcher Island liegt in den Tropen. Etwa achtzig Meilen von der nächsten Stadt entfernt. Sechzig Quadratmeilen, zum Gutteil Hügel und Regenwald. Eine Fährstation, bei der man auch seine Lebensmittelvorräte auffrischen kann – ziemlich exquisites Zeug sollen sie da im Angebot haben – und etwa 150 Ferienhäuser auf der ganzen Insel. Die Gegend ist ziemlich abgelegen, war bis vor zehn Jahren in Privatbesitz. Ich dachte, eine dieser Touristenburgen mit Käfighaltung wäre nicht das Richtige.“
„Gut mitgedacht. Wenn ich auf Massenunterkünfte und genormte Messeverpflegung stehen würde, dann könnte ich auch auf der COLUMBIA bleiben.“
„Ich glaube nicht, dass wir uns dort darüber Sorgen machen müssen. Die einzige Verbindung zum Festland ist die Hoverfähre, die zweimal am Tag fährt. Und die Privatboote. Natürlich, auch die anderen Strandhäuser werden an Touristen vermietet, aber ich habe mich kundig gemacht – bis zum nächsten Haus sind es mindestens dreihundert Meter. Ich denke, dass ist privat genug.“
„Hm…Klingt idyllisch. Und womit werden uns dort die Zeit vertreiben können?“
„Ich weiß nicht…womit wir wollen? Wir brauchen jedenfalls nicht auf die üblichen Annehmlichkeiten der Zivilisation verzichten. Fließendes Wasser, Elektronik, Trideo, Komlink…Alles inklusive. Vor allem…Es gibt jede Menge Wanderpfade. Oder falls dir das zu anstrengend ist, da ist immer noch der Strand. Und das Meer. Die Lagune und das Korallenriff um die Insel haben sieben von zehn Punkten auf irgendeiner Rankingliste bekommen. Ich kenne mich da nicht so gut aus, aber das klingt jedenfalls nicht schlecht. Zu dem Haus gehört auch ein Boot – und Tauchausrüstung.
Sie haben dir doch gesagt, dass Schwimmen genau das richtige für deinen Arm wäre.“
„Und wie viel genau hat es dich gekostet, dieses kleine Haus im Paradies zu mieten?“
„Ich kann es mir leisten.“
‚Darauf könnte ich wetten.’ Kano war normalerweise ziemlich anspruchslos, auf eine ziemlich ‚preußische’ Art und Weise. Vermutlich weniger, um anderen etwas zu beweisen – die hätten das sowieso nicht verstanden – als sich selbst. Er war einfach so erzogen worden: „Und an wie lange hattest du gedacht?“
„Eine Woche? Wenn es uns dort gefällt, können wir problemlos verlängern.“
„Und welche Strippen hast du dafür ziehen müssen?“ Immerhin war Seafort ein wichtiges Transportknotenpunkt und Rest-and-Recreation-Center. Die Tourismus- und Freizeitbranche des Planeten gehörte – neben der Waffenindustrie – zu den wenigen Wirtschaftszweigen, die von dem Krieg profitiert hatten. Jede Flotte, die in dem System Station machte, brachte weitere Zehntausend nach Seafort, die sich von ihrem aufreibenden Dienst erholen wollten – und auch das nötige Kleingeld mitbrachten.
Kano blieb ihr die Antwort schuldig, aber sie kannte die Antwort auch so. Vermutlich hatte er ganz einfach einen Aufpreis bezahlt.
„Wie findest du es? Ich denke, das wäre das genau das Richtige für uns. Für uns beide. Was meinst du…kannst du es so lange mit mir aushalten?“

Es war mehr der Ton, als der Wortlaut dieser Frage, der sie aufmerken ließ. Jetzt begriff sie, und fast schämte sie sich für den hässlichen Verdacht, der kurz in ihr aufgekeimt war. Das war kein Versuch, ein paar hundert Meilen zwischen sich und die Ermittlungen der Polizei und des Milieus zu bringen. Und es war auch kein nur nachlässig kaschierter Bestechungsversuch, um sie dafür zu entschädigen, dass er ihr immer noch etwas verschwieg.
Es war…ein Angebot. Ein oder zwei Wochen – ohne die allgegenwärtige Pflicht, die bisher immer im Hintergrund gewartet hatte. Ohne ‚beste Freunde’, oder Bekannte, ohne Familien.
Einfach Zeit, in der sie sich endlich einmal wieder ohne all diese Lasten und Ablenkungen aufeinander einlassen und kennen lernen konnten, und zwar nicht nur für ein paar Stunden oder einige wenige Tage. Zeit genug, um sich etwas mehr zu öffnen, als das sonst möglich gewesen wäre.
Natürlich, in einer ‚normalen’ Beziehung wäre das wohl nichts Besonderes gewesen. Aber ihre Beziehung war nun einmal nicht normal. Und die Zeiten waren es auch nicht…
Soviel Zeit nur für einander zu haben…war ein Luxus, in Vergleich zu dem die Summe Credits, die Kano für diese ein, zwei Wochen bezahlt hatte, unbedeutend wirken musste.
‚Vielleicht bist du langsam bereit, unsere Beziehung auf eine andere Ebene zu bringen. Hmm…bleibt nur noch die Frage – bin ich das auch?’
„Wann kann es losgehen?“
„Heute?“
„Dein Glück, dass mich die TSN gelehrt hat, schnell zu packen.
Aber versprich mir eins…
Du gibst Raven die Komlink-Nummer, und niemandem sonst. Und sobald wir auf der Fähre sind, schaltest du dein Handkom aus. Entweder das, oder es fliegt über Bord.“
„Versprochen.“
21.01.2016 09:30 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cunningham

Imperialer Palast,
Ewige Stadt zu Akarr


Jal Keelan rückte seine neue Uniform zurecht. Die Rangabzeichen eines Admirals zweiten Ranges funkelten im Licht der Kronleuchter.
Zweifel überkamen ihn. Nie hatte er ein Schiff befehligt oder den Rang eines Captains inne gehabt. Zwar hatte er unter Rian an einigen Kampfhandlungen teilgenommen, aber als kampferfahren würde er sich nicht bezeichnen.
,Ich brauche Ohren und Augen am imperialen Hof,', hatte Rian gesagt, ,und Sie sind der richtige Mann dafür, Jal.' Es war das erste Mal gewesen, dass sie ihn beim Vornamen genannt hatte.
Auf seine fast gejaulte Frage warum ausgerechnet er hatte die alte Admiralin nur gelächelt und ihn als unbestechlich bezeichnet.
„Sie sind also mein Aufpasser oder der des Kriegsministers?“, Admiral ersten Ranges Reiik Latasch war hinter ihn getreten.
„Wenn Madame Großadmiral sich Eurer nicht sicher wäre. Mylord Admiral, hätte sie Euch einfach abgelöst. Ihr ist Diplomatie völlig fremd.“
„Ihnen scheinbar nicht. Und wie steht die Großadmiralin denn zu unserem letzten diplomatischen Sieg?“
Keelan wandte sich um und straffte sich: „Ich bin sicher, die Großadmiralin weiß den Wert dieses Sieges zu schätzen.“
„Sehr diplomatisch ausgedrückt, junger Mann.“
„Aber sie weiß auch um die Schande und die Schmach, die dadurch auf unsere Streitkräfte und die Flotte insbesondere fallen.“, schob der junge Admiral nach.
Latasch zeigte die Zähne: „Sie ist der Prinzessin doch nicht so bedingungslos ergeben, wie man so munkelt.“
Die Augen des Jüngeren wurden zu Schlitzen: „Sie ist dem Reich bedingungslos ergeben und wenn sie und die Streitkräfte dafür Schande und Schmach hinnehmen müssen, so sei es. Dieser Krieg war nicht der ruhmreiche Feldzug, den man uns versprach, Mylord.“
„Nein, wahrlich nicht,“, Latasch streckte sich, „und wo liegen Ihre Loyalität, junger Mann?“
„Mylord, macherorts würde man diese Frage als Beleidigung verstehen“, Keelan rückte sein Dreeh zurecht, welches am Knauf das Familienwappen der Lians trug.
Damit war für den alten Admiral alles erklärt. Keelan würde Rian folgen, und wenn man seinen Aussagen Glauben schenken durfte, würde Rians den Weg beschreiten, den sie für das beste für das Imperium hielt.
Schon viele Revoluzzer hatten sich im Namen des Imperiums erhoben. Nein, nicht öffentlich. Ein Akarii diente dem Großen und Ganzen. Ein Akarii diente dem Imperator oder Kaiser, und dieser diente dem Reich, und das Reich verkörperte die Ganzheit des Volkes.
Aber all diese großen Worte hatten noch nie jemanden davor zurückschrecken lassen, dass ein Dolch aufblitzte, um den Weg des Reiches zu ändern.
Leute, die der festen Überzeugung waren das Richtige zu tun, die waren gefährlich. Sehr gefährlich.


Die Ankunft Linai Thelams riss den alten Akarii aus seinen Gedanken und er drehte sich von der Nische ab, in die sich der junge Admiral verkrochen hatte, und blickte in den großen Thronsaal. Bevölkert von der Elite des akariischen Hochadels.
Den Führern der adligen Häuser, die schon vor der Alleinherrschaft der Thelams die Geschicke Akarrs mitbestimmt hatten. Zwei von ihnen waren einst selbst königlich gewesen und über die Jahrtausende konnten sich alle zumindest etwas königliches Blut aneignen.
Imperiale Uniformen - die der Marine, die des Heeres und die der Garde - standen neben denen der Häuser. Militärisch war schon immer die Mode des Adels.
„Seien Sie doch heute Abend Gast meiner Familie, Jal.“
„Ich fühle mich geehrt, Mylord Admiral, aber zu erst muss ich noch als Gesandter Großadmiral Rians dienen. Im Anschluss, vielleicht.“
Latasch nickte: „Im Anschluss. Vielleicht.“
Die Prinzess-Regentin ging erhobenen Hauptes durch die riesige Halle. Ihr Schritt war selbstbewusst und anmutig. Und langsam genug, dass der alte Akarii an ihrer Seite gut Schritt halten konnte.
Alet Qau, Erzherzog von Lorendel, amtierender Kanzler seiner Majestät Eliak IX. Nachfolger Relath Gors.
Qau war seit über 8 Dekaden in der imperialen Verwaltung tätig und hatte viele Ministerien geleitet. Unter anderem das für Wirtschaft, das für Handel, für Coloniale Belange, um nur einige Beispiele zu nennen.
Er war ein fähiger und treuer Gefährte des Imperators gewesen und es war nur logisch, dass Linai den alten Troubleshooter zum Kanzler berief.
Obwohl er durch seine Karriere einen wahren Berg an Feinden angesammelt hatte, stand er über jedweder Kritik.
Hinter den beiden wurde der Imperator von einer Ehrenwache seiner Garde getragen. Acht stämmige Akarii trugen den handgeschnitzten Sarg aus weißem Wlachari-Holz und bahrten ihn dort auf, wo sonst der Thron des Imperators stand.
Die Prnzess-Regentin nahm auf einem Feldstuhl Platz, der links neben dem Sarg eine Treppenstufe unter ihm aufgestellt worden war.
Der Feldstuhl war ein Relikt, der älter war als der Palast selbst. Auf ihm hatte einst der erste Imperator ganz Akarrs die Kapitulation zweier Rivalen entgegen genommen.
Seitdem der Thron des Sternenreiches der Akarii fertiggestellt war, ein in zwei Jahren gefertigter kunstvoll geschnitztes Einzelstück, das ebenfalls aus Wlachari-Holz hergestellt wurde, diente der Feldstuhl noch als Platz für einen Regenten oder für den Thronanwärter, bevor er im Amt des Herrschers bestätigt worden war.
Dann traten nach und nach, im Rang und Status sortiert, die Trauergäste vor und legten vor dem aufrecht stehenden Sarg Geschenke nieder. Dem gefallenen Imperator zu Füßen. Dabei wurden Gedichte und Lieder zu Ehren Eliak IX. und des akariischen Sternenreiches dargebracht.
Es fing mit den Clanführern und den Herzögen der edelsten der versammelten Akarii an.
Als Meliac Allecar vortrat, erhaschte Reiik Latasch einen Blick auf die Person, die neuerdings größte Abscheu und auch etwas Furcht auslöste. Neben Meliac stand natürlich sein Sohn Dero Allecar. In den Farben seiner Familie und natürlich in einer Uniform, die aussagte, dass er der nächste Herzog Allecar sein würde.
Die Sterne schinen gut für den kleinen Anwalt zu stehen.
Etwas später durfte Latasch selbst vortreten und das Präsent seiner Familie niederlegen. Auch wenn seine Worte nicht an die anderer Redeschreiber heranreichten, so nahm Linai die Flasche vom Lieblingswein ihres Vaters mit einem anerkennenden Nicken zur Kenntnis.
Nach den Clanführern und höheren Adligen würden erst die Oberkommandierende der Streitkräfte aufgerufen, dann die Minister. Doch da Lai Rian nicht da war, würde wohl doch zuerst der Kriegsminister aufgerufen, um seine höchste Untergebene zu vertreten.
Doch Latasch wie auch alle anderen wurden überrascht, als Qau den nächsten aufrief: „Lordamiral Jal Keelan, Komtur des Ordens von C'an, Sondergesanter ihrer Exzellenz Lady Großadmiral Lai Rian, Oberkommandierende der imperialen Raumstreitkräfte, Trägerin des Großkreuzes von C'an, Großkomtur des Ordens von C'an, Trägerin des imperialen Ehrenordens, Trägerin des Schwertes von Kalancur, Trägerin der Sternenschwinge von Assh, Trägerin des akariischen Sternenclusters in rot, Gräfin von Na'am.“
Damit war Lai Rian die einzige Person, die mit allen Titeln und Rängen aufgerufen wurde.
Die Wirkung war nicht zu übersehen. Der junge, unscheinbare Akarii in der Uniform eines Admirals zweiten Ranges war ganz eindeutig Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.
Keelan betrat den roten Teppich und machte eine Wende nach rechts, wie es einem Soldaten der imperialen Garde gebührte.
Erhobenen Hauptes und gemessenen Schrittes trat er auf den aufgebahrten Imperator zu und verneigte sich tief vor diesem und anschließend fast genauso tief vor Linai.
Dann sprach er den Imperator an: „Euer Majestät, meine Herrin, Eure Großadmiralin bat mich Euch ein Geschenk und eine Botschaft in einem zu übergeben.“
Und nun verlagerte sich die Aufmerksamkeit von dem jungen Akarii auf die dunkle Holzschatulle, die er unter dem Arm getragen hatte. Vorhin war sie Latasch nicht aufgefallen.
Keelan legte sie nieder und öffnete die Schatulle so, dass jeder sie sehen konnte als der Admiral unter einer erneuten Verbeugung sich von der Thronempore entfernte.
Zu Füßen des toten Eliak IX. von Akarr lag die Kriegsflagge der Terran Space Navy.
Als Geraune aufkam, und ehe Keelan sich in die Menge zurückziehen konnte, erhob sich Linai: „Admiral.“
Auf einmal herrschte gespenstisches Schweigen und Keelan versteifte sich.
„Der Imperator“, fuhr Linai fort, „weiß das Geschenk sehr zu schätzen. Ebenso erkennt er das Versprechen, dass die Flotte ihrem Imperator macht. Richtet der Großadmiralin seinen Dank aus.“
„Euer Majestät.“, Keelan verbeugte sich erneut unter dem Beifall der versammelten Adligen.
Für einen Augenblick dachte Latasch er habe sich verhört, aber der Blick, den er erneut auf Dero Allecar erhaschte zeigte ihm deutlich, dass der junge Admiral die Prinzessin tatsächlich mit Majestät betitelt hatte.
Aber scheinbar hatten diesen Fehler, ob nun beabsichtigt oder nicht, nur wenige im Saal mitbekommen. Zu sehr war man auf die Flagge der Terraner fixiert und auf den symbolischen Akt, der eben durch den bis dahin unbekannten Flottenoffizier stattgefunden hatte.
Erneut fragte sich Latasch, wie weit Lai Rian bereit war zu gehen, und wenn man die Alternativen sah, war es dann nicht vielleicht doch besser auf Rians Seite zu stehen?
Er musste unbedingt mit Alet Qau sprechen.

Hinter Keelan folgte der Marschall der imperialen Bodenstreitkräfte, dann die Minister angeführt vom Kriegsminister und anschließend die niederen Würdenträger.
Es war alles in allem eine ermüdende siebenstündige Zeremonie. Aber ein Imperator starb im Schnitt nur alle 100 Jahre. Sofern nicht irgendetwas dazwischen kam. Wie ein Unfall oder gar ein Mord.
Einzig die Ernennung eines neuen Imperators würde ein noch umfangreicherer Anlass werden.
Auch sie würde ein weiterer Macht- und Gunstbeweiß der imperialen Familie sein. Bliebe nur die Frage für wen.
Die heutige Zeremonie hatte deutlich gemacht, dass die imperiale Flotte dem Palast nahe stand und auch dass der imperiale Regent, in diesem Falle die Prinzessin, den Schutz der Flotte genoss.
Reiik Latasch hatte im Laufe seiner Karriere eine wirkliche Abneigung gegen interessante Zeiten entwickelt. Aber wie es aussah hatten die Götter ihm sehr interessante Zeiten beschert.


*************************


Melissa Auson hatte sich auf der Couch zusammengerollt und die Knie berührten fast das Kinn. Angesichts dieser Nachrichten war die überlagerte Blätterteigtasche mit Kirschfüllung, die der eigentliche Auslöser für die Übelkeit war, komplett in Vergessenheit geraten.
Es war so lächerlich. Es war so lachhaft, dass sie hätte Tränen lachen können, wenn es nur jemand anderem passiert wäre. Abgelaufene Verhütungspillen waren dafür verantwortlich, dass sie schwanger war und etwas altes Gebäck dafür, dass es entdeckt worden war.
Nun blieben ihr fünf Tage. Fünf Tage, ehe Ellen Spencer die Schwangerschaft melden musste.
Während die beiden Offizierinnen noch in der Krankenstation mit Untersuchungen und Erklärungsfindung beschäftigt war, hatte Lucas sich über die Bestimmungen informiert.
Zum Erstaunen aller waren diese relativ logisch. Ein Offizier oder Mannschafter (beides weiblich), der TSN, der sich im aktiven Dienst befand und entschied, ein Kind zu bekommen musste ihren kommandierenden Offizier um Genehmigung bitten.
In Friedenszeiten war der kommandierende Offizier verpflichtet, dem Antrag einfach statt zu geben und die Offizierin, Unteroffizierin oder Spacer wurde schnellst möglichst auf eine Bodenstation versetzt, da es der Navy verboten war, zum Schutze des ungeborenen Lebens, schwangere Soldaten im Weltraum dienen zu lassen.
Der Posten am Boden musste für eine Schwangere angemessen sein, und sollte kein Posten vorhanden sein, musste einer geschaffen werden.
Sollte eine Angehörige der Navy ohne Erlaubnis schwanger werden, hatte sie fünf Tage Zeit dies zu melden und eine Abtreibung zu arrangieren oder aber im Nachhinein um Genehmigung zu bitten, die dann auch gewährt wurde, nicht ohne mit dem erhobenen Zeigefinger zu drohen.
Soweit zur Regelung in Friedenszeiten. In Kriegszeiten konnte die Navy eine Erlaubnis schlicht und ergreifend verweigern.
Menschenrechtler waren dagegen Sturm gelaufen und Navyangehörige hatten dagegen geklagt. Jeweils ohne Erfolg. Offiziere und Mannschaften der Navy waren Freiwillige und hatten mit den Einschränkungen der Streitkräfte zu leben.
Tatsächlich war eine Lieutenant Commander schon vors Kriegsgericht gestellt worden. Miriam Stüller hatte sich künstlich befruchten lassen und war darauf hin von ihrem Schiff an der Front auf einen ruhigen Schreibtischposten auf dem Mars versetzt worden.
Als herauskam, dass es sich um eine künstliche Befruchtung handelte und nicht um eine natürlich ungewollte Schwangerschaft, hatte die Anklage Feigheit vor dem Feind und Wehrkraftzersetzung gelautet. Lieutenant Commander Stüller war schuldig befunden worden, unehrenhaft entlassen und zu fünf Jahren Gefängnis, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt worden.
Bei ungewollten Schwangerschaften musste die Navy auch in Kriegszeiten im Nachhinein die Genehmigung geben, es war ihr nicht möglich, die werdenden Mütter zum Abbruch der Schwangerschaft zu zwingen.
Der Makel lag trotzdem in der Luft. Die Soldatin musste von ihrem Posten abgelöst werden, hatte dann Anspruch auf Mutterschaftsurlaub und so weiter und so fort.
Melissa sah ganz klar ihre Felle, was die zukünftige Karriere anging, davon schwimmen. Selbst wenn sie alles so kurz wie möglich abhandelte, wäre sie mindestens zwölf wenn nicht gar dreizehn Monate weg vom Fenster, und ob sie dann überhaupt zurück wollte, wenn sie erstmal so ein kleines Würmchen in den Armen halten würde, das wusste sie natürlich auch nicht.
Sie würde nicht innerhalb der nächsten fünfzehn Monate ein Zerstörerschwadron übernehmen, geschweige denn innerhalb der nächsten zwei Jahre zum Commodore aufsteigen oder einen der begehrten neuen Kreuzer übernehmen.
Diese Schwangerschaft war ein Erste Klasse Expressticket von der Überholspur aufs Abstellgleis.
„Was machen wir jetzt Lucas?“, klang sie wirklich so jämmerlich?
Schon eine ganze Weile hatte er reglos an der Terrasentür gestanden und auf den größeren Pool im Garten seines Schwiegervaters gestarrt.
Er drehte sich zu ihr um und wirkte ratlos. Natürlich trug er die Tropenuniform, er hatte es noch nicht geschafft, sich Zivilklamotten zuzulegen: „Wir…ich weiß es ehrlich gesagt nicht.“
„Meine ganze Laufbahnplanung löst sich in Wohlgefallen auf. Was glaubst Du wie lange es dauert, bis sie mich zum Admiral machen?“; an ihren Vater gewandt, der auf einem der Sessel saß, „Ich war schon Lieutenant Commander, als man Dich zum Commodore machte, und wären wir nicht im Krieg wärst Du sicherlich immer noch Commodore.“
„Ich weiß, Schnuffelchen.“
„Nenn mich nicht so! Ich wollte Karriere machen, ich wollte…ich wollte CNO werden und jetzt soll das alles wegen eines Balgs nicht mehr möglich sein. Und mein Mann, der es mir immerhin angehängt hat, steht maulaffenfeil in der Gegend rum.“
„Oh, ich habe meine Karriere gerne für so ein Balg aufgegeben.“, antwortete George Auson milde. Er wusste genau, dass er seine Tochter dadurch eher zur Ruhe zwang, als wenn er laut wurde.
„Ich weiß, aber Du hattest doch keine Wahl mehr.“
„Doch, ich hatte viele Möglichkeiten, gute aber bezahlbare Internate, einen Vorzugsplatz in einer Kadettenschule oder hilfreiche Verwandte, die der Meinung waren, ein gestandener Raumfahrer käme mit einem kleinen Mädchen nicht zurecht.“
Sie murmelte irgendwas Unverständliches in ihre Knie, während sich Lucas neben sie setzte und in den Arm nahm: „Schatz, ich werde jede Deiner Entscheidungen unterstützen.“
„Oh, eine sehr einfache Art sich aus der Affäre zu ziehen, Schatz!“, schoss sie zurück.
„Ich weiß, das hat sich jetzt blöd angehört, aber ich verstehe Deine Ambitionen und ich habe volles Verständnis, dass Du sie nicht aufgeben willst. Wenn Du Dein Kommando behalten willst, dann lass uns einen Arzt suchen, den Schwangerschaftsabbruch in die Wege leiten und dann beides an die vorgesetzten Stellen melden und Du wirst in acht bis zehn Tagen wieder dienstfähig sein. Das ist in Ordnung.“
Sie blickte ihn an und sah, dass er das ernst meinte. Er würde ihr das niemals vorwerfen, da auch er tief im Innern immer noch die Hoffnung hatte, irgendwann die Admiralsstreifen zu tragen: „Aber...“
„Aber,“, gab er zu, „bevor wir das machen sollten wir noch ein oder zwei Nächte überlegen. Wir sind im Krieg. Dies könnte unsere einzige Chance auf ein Kind sein. Keiner von uns beiden hat den Krieg bisher in der Etappe verbracht und wenn ich Glück habe, wird das auch weiterhin so sein. Jeder Tag da draußen könnte unser letzter sein.“
„Hm“, sie kuschelte sich enger an ihn, „aber wenn Du wieder raus gehst und ich hier bleibe, dann besteht doch immer noch die Chance, dass Du dein Kind niemals kennen wirst, geschweige denn es dich.“
Lucas schwieg einen Augenblick: „Das ist richtig, aber das macht nichts, naja das würde schon was machen, es wäre tragisch, aber ich hätte der Welt was hinterlassen. Es wäre dann mehr da, für das es sich zu kämpfen lohnt. Nicht nur die eigene Karriere.“
„Du hättest der Welt was hinterlassen?“, fragte Melissa skeptisch.
George Auson erhob sich und ging schweigend aus dem Wohnzimmer. Ein fröhliches Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Er würde Großvater werden. Oh, ja er würde Großvater werden.
Wahrscheinlich hatte sein Schwiegersohn ungewollt die richtigen Worte gesagt um seinem Schnuffelchen die Entscheidung…etwas einfacher zu machen.
21.01.2016 09:30 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cattaneo

Am Ende eines Tages

Werften der Victoria-Station, Seafort

Wenn es eine Tugend gab, die man Commodore – jetzt Rear-Admiral – Chris Mithel zubilligen konnte, dann war es neben seinem Pflichtgefühl und Mut ein ausgeprägtes Gefühl für Gerechtigkeit. Vor allem bei der gerechten Verteilung von Lasten. Wenn er befahl zu arbeiten, schonte er sich auch selbst nicht. Und wenn er den technischen Diensten seines Schiffes abverlangte, während der Werftliegezeit ihres Schiffes zu arbeiten, dann war zu erwarten, dass dieser Eifer sich nicht auf sie beschränkte. Selbst so „fachferne“ Formationen wie die Marines und die Shuttlepiloten wurden ohne lange Diskussion einbezogen. Zu Protesten konnte es schon deshalb nicht kommen, weil die Offiziere ihren Vorgesetzten inzwischen gut genug kannten. Die Flottensoldaten mussten Hilfsarbeiten leisten – nach Mithels Worten wesentlich sinnvoller als Raufereien mit der MP oder Trainingsrunden auf der Sturmbahn – und die Shuttlebesatzungen sollten Hand bei der Instandsetzung ihrer Maschinen anlegen. Dazu hatten sie die neu hinzu gestoßenen Staffelmitglieder einzuarbeiten.

Mithel kümmerte sich nicht im Geringsten darum, dass unklar war, wo die Relentless künftig eingesetzt werden sollte und wie bald dies geschehen würde. Wie er erklärt hatte, befanden sie sich schließlich im Krieg, und dies hieß, dass so eine perfekte Vernichtungsmaschine wie es ein schwerer Kampfkreuzer nun einmal war – und wie Mithel hinzufügte, besonders ein so exzellenter Kreuzer wie dieser – so schnell wie möglich wieder verfügbar seien müsste. Und wenn die Shuttlebesatzungen ihre Arbeit erledigt hatten, umso besser – dann konnten sie für die Werften arbeiten und so das eigene Schiff ein bisschen auf der Prioritätsliste nach oben hieven.
Die Besatzung der Relentless war diese Einsatzmoral ihres Kommandeurs bereits gewöhnt und muckte nicht allzu laut dagegen auf. Natürlich wurde gemault – sie wären keine Soldaten gewesen, wenn sie klaglos einverstanden gewesen wären. Aber im Laufe der Jahre hatte sich ein gewisser Korpsgeist gebildet. Gemeinsame Siege und Rückschläge verbanden Kapitän, Offizier und Mannschaften, und der Gegner demonstrierte unablässig, dass Kampfbereitschaft überlebenswichtig war.
Die Männer und Frauen von Lieutenant Commander Sebastian Lefranque hatten deshalb relativ bereitwillig akzeptiert, dass die Dienstrotation auch für sie galt. Die Einarbeitung der Neulinge lief problemlos. Bei ihnen handelte es sich praktisch ausschließlich um Überlebende von zerstörten Schiffen des Columbia-Verbandes. Ungeachtet des brutalen Nahkampfs waren die Überlebenschancen für Shuttlebesatzungen dank des Befehls „Alles in den Einsatz, was fliegen und fechten kann!“ besser gewesen als für ihre Kameraden an Bord der Schiffe, von denen es viele nicht mehr in die Rettungskapseln geschafft hatten, oder die bei der überhasteten Flucht zurückgelassen werden mussten, der zweifelhaften Gnade der Akarii ausgeliefert. Praktisch alle Neuzugänge hatten Freunde und Bekannte verloren, doch die Einsatzbereitschaft war dennoch – oder vielleicht eher deswegen – relativ hoch. Einige Risikokandidaten waren aussortiert worden und an das Mistral Naval Hospital überwiesen worden, doch die übrigen fanden sich schnell auf neuen Schiffen wieder. Nicht wenigen war dies vermutlich sogar sehr recht, denn die Routine des Dienstes lenkte sie etwas ab von den Gedanken daran, was sie verloren hatten. Dies war nicht unbedingt ein idealer Weg, mit Verlusten umzugehen. Zur Verdrängung aber reichte es aus.

First Lieutenant Robert Stanford flog sein Shuttle buchstäblich mit Fingerspitzengefühl. Wenn man unter einem schweren Truppentransporter schwebte und dabei assistierte, großflächige Panzerungsreparaturen vorzunehmen, praktisch nur einen Sekundenbruchteil von einem Zusammenstoß entfernt – trotz aktivierten Schilden kein angenehmer Gedanke – dann neigte man zur Vorsicht. Das Bergungsshuttle war für den technischen Einsatz modifiziert worden.
Es war ja nichts so, dass es das erste Mal für ihn war, er hatte da bereits einige Erfahrung sammeln können. Immerhin waren die S-41 schon zuvor bei Feldreparaturen weit von der nächsten Werft zum Einsatz gekommen. Dennoch, er hasste dieses Präzisionsfliegen im Meterbereich. Erstaunlicherweise schränkte seine Anspannung nicht seine Fähigkeit ein, sich zu beschweren: „Sebastian musste natürlich so großzügig mit unseren Diensten sein. Blöder Streber. Man könnte meinen, die Werftheinis hätten keine eigenen Schiffe. Und überhaupt, das Ding gehört verdammt nochmal in die Werft!“
Seine Untergebene, die den magnetischen Greifarm betätigte und die ganze Zeit immer wieder mit dem Reparaturteam in Verbindung stand, welches die Panzerschichten verschweißte, grunzte nur. Erst als sie das nächste Manöver beendet hatte, ließ sie sich zu einer Antwort herab: „Die Werften sind ja gut genug gefüllt – nicht zuletzt dank unserer Flotte. Sie stehen schon Schlange, und die Wartezeiten werden immer länger. Alles, was außerhalb der Werften machbar ist, wird draußen erledigt. Und wenn wir den Technikern helfen, helfen sie uns…“
Robert nahm diese Eröffnung mit einer Grimasse zur Kenntnis:„Was ist das überhaupt für ein Kahn? Irgendwo beim fünften Wrack habe ich die Übersicht verloren…“
Second Lieutenant Hernandez behielt die Ruhe, was aber wohl daran lag, dass sie die nächste Handreichung vorbereitete: „Zwanzig Meter vorwärts, zehn rechts…los.“ Übergangslos fügte sie hinzu: „Truppentransporter Septimus Severus. Das steht übrigens auch auf seiner Flanke, du solltest mal auf das Nummernschild schauen, dicht genug dran sind wir ja. Erhielt während einer Routinetransportmission zwei gekoppelte leichte Minentreffer – tief in unserem Gebiet. Langsam werden diese Bombenshuttles unverschämt.“

Im nächsten Augenblick beugte sich die junge Frau nach vorne und ließ ihre Hände über die Kontrollen wandern. Sie hatte die Augen zusammengekniffen und die die Stirn vor Anspannung in zahlreiche Falten gelegt. Sie steuerte den Greifarm, während sie ihren Piloten dirigierte: „Vorsichtig jetzt. Noch ein bisschen nach vorne…ja so, ganz sachte…gut so…noch ein bisschen…jetzt passt es, ja, genau so!“ Sie wartete, dann kam das OK des Bergungsteams, das sich mit Feuereifer auf die Panzerplatten stürzte. Sie richtete sich auf, fuhr sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn und ließ die unwillkürlich angehaltene Luft entweichen. Sie grinste: „Das wäre es.“ Doch im nächsten Augenblick runzelte sie bereits wieder die Stirn, diesmal aber nicht vor Konzentration: „Robert Stanford, erklär mir gefälligst, was es so hämisch zu grinsen gibt!“
Ihr Vorgesetzter feixte: „Du hättest dich eben mal hören sollen. Ich hatte ja nicht mehr gehofft, dass du mal so was zu mir in so…privater…Atmosphäre sagst…“
Die Copilotin lief rot an, offenbar verstand sie die Anspielung sofort: „Putero*!“ zischte sie ungnädig. Der Pilot lachte nur schallend, und auch ihre Verstimmung war wohl nicht tiefer gehend. Sonst hätte sie wohl schon vor längerer Zeit tatsächlich seinen Kopf gegen das Armaturenbrett geschmettert, wie gelegentlich angedroht. Ihre Stimme klang wieder normal, als sie sich erkundigte: „Noch etwas auf unserem Flugplan heute?“
Auch ihr Vorgesetzter war wieder sachlich geworden: „Nur ein Routineflug. Ich hab mich von Sebastian breitschlagen lassen, bei einem neuen Sturmshuttle die letzte Phase der Erprobung zu übernehmen. Beschleunigter Atmosphäreneintritt, und Angriff auf Bodenziele. Die Raummanöver wurden schon durchexerziert.“ Diesmal war es die Copilotin, die lachte: „Was ist bloß los mit dir, Robert? Kaum hängt man dir den Bronce Star um, schon zeigst du Verantwortungsgefühl und sogar Diensteifer. Wirst du etwa weich?“ Ihr Vorgesetzter zuckte nur unbehaglich mit den Schultern. Offenbar wollte er das Thema nicht vertiefen: „Wir müssen uns beeilen. Wir müssen diesen Vogel hier…“ er verpasste dem Steuerpult einen freundlichen Klaps: „…noch abliefern und die neue Mühle übernehmen. Wenn wir halbwegs pünktlich Schluss machen wollen, müssen wir uns ranhalten.“ Mit diesen Worten beschleunigte er das Shuttle.

***

Eine Stunde später, Ausbildungsgelände der Marineinfanterie, Seafort

Das Shuttle bewegte sich buchstäblich im Tiefstflug. Lieutenant Stanford hatte die Maschine unter Ausnutzung der planetaren Anziehungskraft mit atemberaubender Geschwindigkeit absacken lassen und dicht über dem Boden mit Hilfe von Antriebs- und Manöverdüsen wieder abgefangen. Mit dem verbliebenen Rest der Fallgeschwindigkeit und unter Einsatz des in der Atmosphäre wesentlich weniger effizient arbeitenden Antriebs und Nachbrenners jagte er so tief über die Dünen und kleinen Küstenwälder, dass der Sand nur so stiebte. Der Vierlingslaser des Shuttles spie Feuer, und der Raketenwerfer unterstützte diesen vernichtenden Orkan. Dies hier war das, was man im TSN-Jargon Real-Fire-Area nannte, ein Übungsgebiet, wo scharf geschossen wurde.
Solche Manöver waren beliebt bei Sturmangriffen gegen Landungszonen, die relativ gut mit Kurzstrecken-Abwehrwaffen ausgerüstet waren. Die Zeit im Feuerbereich der schultergestützten Raketenwerfer und portablen Schnellfeuerlaser wurde durch den rasanten Abstieg auf ein Minimum reduziert, und war das Shuttle erst einmal im Tiefflug, konnte es mit den eigenen Waffen die Landungszone „aufweichen“. Wenn sich allerdings der Pilot verrechnete oder das Shuttle technische Defekte aufwies…in dem Fall reichte es meist nicht mal mehr für einen Sarg. Dann blieb nichts als ein großer Krater, Schilde hin oder her. Der explodierende Treibstoff war dabei nicht mal das größte Problem. Aber wenn ein Shuttle von rund drei Dutzend Tonnen Masse mit hoher Geschwindigkeit auf den Boden aufschlug, war das Ergebnis ebenso spektakulär wie fatal.

Aus diesem Grund wurden solche Manöver nur von erfahrenen Piloten durchgeführt. Doch Robert Stanford und Maria Hernandez waren in der Tat erfahren, und diese Erfahrung war es auch, die sie zu keiner Sekunde nachlässig werden ließ. Das Antwortfeuer der Drohnen und Feuerstellungen war zwar leistungsgemildert, aber ausreichend, um das Shuttle durchzuschütteln.
„SAM-Panzer hinter der Düne!“ bellte die Copilotin, während sie den Geschützturm rotieren ließ. Die Drohne rumpelte bereits wieder in Deckung, während sie zugleich Raketen abfeuerte. Maria betätigte den Feuerknopf für die Täuschkörper und startete ein Buntfeuer aus FFI-, Radar-, Infrarot- und Blitz-Flare. Eine feindliche Rakete kam dennoch durch und ließ das Shuttle erbeben, doch noch hielten die massiven Schilde und Panzerung, auch angesichts der in der Simulation wesentlich stärkeren Explosion. Bisher machte sich der Neuzugang für die Schwadron gut, es gab keine Anzeichen für technische Macken. Aber schließlich war die Maschine bereits zuvor auf Herz, Nieren und andere Organe geprüft worden, sonst hätte man sie nicht für einen solchen Einsatz freigegeben.
Das Feuer der Lasergeschütze zerschmolz nur noch den Sand der Dünnekuppe, und lag zudem fast zehn Meter zu weit links. Der Pilot fluchte: „Schaff uns den Mistkerl vom Hals!“ Doch seine Untergebene hatte noch einen Pfeil im Köcher. Blitzschnell huschten ihre Finger über die Kontrollen ihres Armaturenbretts. Dann sprach der doppelläufige Raketenwerfer des Shuttles und spie zwei Geschosse aus. Deren Ziel war im Moment nicht zu erkennen, aber das war auch gar nicht nötig, wenn man sie entsprechend programmiert. Die Flugkörper rasten durch die Luft, einen doppelten Schweif aus Verbrennungsgasen hinter sich lassend, überquerten die Hügelkuppen und kamen außer Sicht des Shuttles, das sich noch näher an den Boden drückte…
Im nächsten Moment dröhnte eine dumpfe Doppelexplosion, zwei Trommelschläge, die sich fast wie einer anhörten. Sand, Erde, Gras und Steine, ja selbst kleine Baumstämme wurden in gewaltigen Fontänen hochgeschleudert, vom Seewind erfasst und den Strand entlang getrieben.
Maria reckte den Daumen in die Höhe und ihr Vorgesetzter brach in Siegesgeheul aus: „Das war’s, das Punktekonto ist voll – erstklassig geschossen!“

Offenbar war man auch anderswo dieser Meinung. Eine ruhige Frauenstimme meldete sich über Funk: „Achtung, R-6, Übung abgeschlossen. Gute Arbeit. Deaktivieren Sie die Waffensysteme und übermitteln Sie den Sperrcode.“ Robert Stanford war der Meinung, dass er sich ein wenig Auftrumpfen verdient hatte. Seine Stimme klang ziemlich gönnerhaft: „Tut mir ja leid, dass ich mit meinen Triebwerken Ihren Golfplatz umgepflügt habe. Die großflächigen Umgestaltungen und der verschrottete Technikpark gehen auf das Konto meiner Copilotin – sieht aber nicht so aus, als ob sie es bereut. Wenn es noch was gibt, wo wir Ihnen unser Können zeigen können…“
Seine Gesprächspartnerin blieb die Ruhe selber. Zweifellos war sie testosteron- und adrenalingetränkte Kommentare von den Piloten gewohnt, die sich in der Anlage austobten: „Da Ihre Copilotin nichts sagt, nehme ich an, sie ist das Hirn an Bord…“, was die so gelobte mit Gekicher kommentierte. Die Bodenoffizierin fuhr fort: „Und was Sie angestellt haben, ist noch gar nichts im Vergleich zu dem, was eine Staffel Griphen oder Mirage anrichten können. Ich schicke Ihnen einen sicheren Abflugkorridor. Bodenkontrolle Ende.“
Das gemurmelte „Spielverderberin…“ des Piloten hörte sie wohl nicht mal mehr.

Als das Sturmshuttle abdrehte, nahm es Kurs auf die offene See. Hier war der zivile und militärische Luftverkehr gering genug, so dass kaum die Gefahr bestand, zusammenzustoßen. Das einzige, wovor man sich in Acht nehmen musste, waren Wetterumschwünge, und die waren für so kraftvolle Maschinen wie das S-41 kaum gefährlich. Dieses Risiko war dem organisierten Chaos in den stärker frequentierten Gebieten deutlich vorzuziehen. Auf einer so stark besiedelten und mit Militär bestückten Welt wie Seafort, wo private, zivilwirtschaftliche, polizeiliche sowie Flotten-, Armee- und Geheimdienstmaschinen unterwegs waren, war sichere Koordination eine Kunst, die nicht so sehr Gründlichkeit, als vielmehr die seherische Gabe eines Propheten, die Reaktionszeiten eines Supercomputers und die Kaltblütigkeit eines Roboters erforderte. Eigentlich war eine Welt ja wirklich eine Menge Land, Wasser und Luft, aber leider konzentrierte sich der Verkehr zu bestimmten Zeiten und in einigen Gebieten. Viele Kontroller streuten die Flugschneisen so breit wie möglich, was freilich zu Konflikten mit den Wächtern der verschiedenen Flugverbotszonen und mit Strandpächtern, Urlaubern und ähnlichem führte. Nicht jeder genoss gerne über seinem Badestrand eine regelmäßige Flugeinlage.

Die Besatzung von R-6 brauchte sich mit solchen Sorgen nicht zu plagen. Sie hielten sich einfach an ihre Flugschneise, die sie nur einige hundert Kilometer durch den Luftraum und dann in einem kontrollierten Aufstieg in den Orbit führen würde. Mit Überraschungen war nicht zu rechnen. Deshalb lehnte sich der Pilot entspannt zurück, sobald er seine Maschine in eine stabile Steigbahn gebracht hatte. Er verschränkte sogar die Arme hinter dem Kopf und rekelte sich wie eine menschliche Katze etwas in seinem Sitz – immerhin hatte er an diesem Tag bereits über sieben Stunden hinter dem Steuerknüppel verbracht.
Seine Untergebene betrachtete ihn mit leicht geschürzten Lippen, die ein Lächeln kaschieren sollten: „Also wenn du jetzt noch die Füße auf das Armaturenbrett legst, weiß ich, dass du wieder einmal simulierst.“ Ihr Vorgesetzter zuckte mit den Schultern: „Man darf ja wohl mal rechtschaffen müde sein. Immerhin haben wir einen anstrengenden Tag hinter uns. Und das Mittagessen…“ er schauderte theatralisch. Im Interesse einer schnelleren Erledigung ihres Auftrages hatten sie nur eine selbsterhitzende MRE** mitgenommen, da sie irrtümlicherweise gehofft hatten, früher fertig zu sein. Lauwarmer Proteinbrei, abwechselnd aus einer Kunststoffschale gelöffelt, war wirklich unter jedem Niveau. Und der dazu gereichte Flotten-Sofort-Kaffee galt bei vielen als besser geeignet zum Zähneputzen oder Händewaschen, als zum Trinken.
„Da freue ich mich doch direkt auf das, was die Köche der Relentless für den Abend vorbereitet haben.“ Er leckte sich gespielt genießerisch die Lippen. Obwohl er wie der Kapitän Engländer war und damit angeblich nicht in der Lage, gute Küche zu schätzen, legte Robert Stanford mitunter eine etwas snobistische Haltung an den Tag.
Im Moment gab es damit auch keine Probleme. Dank des rotierenden Dienstbetriebes an Bord eines Kreuzers war für irgendjemanden eigentlich immer Mittagszeit. Auch wenn momentan die Zahl der anwesenden Besatzungsmitglieder stark reduziert worden war, die Küche blieb einsatzbereit und gab sich Mühe – ein Teil von Mithels Aufmunterungsprogramm für dienstmüde und auf Urlaub versessene Soldaten und Offiziere. Die Copilotin war geneigt, ihrem Vorgesetzten zuzustimmen: „Wenigstens in der Hinsicht stehen wir ja gut da – und es ist ja auch noch kostenlos. In den meisten Hotels hast du zwar wesentlich mehr Auswahl, aber die Preise…“

Robert lachte: „Bis der Kreuzer wieder schnurrt wie ein gut geöltes Urwerk wird keiner an Bord – von der XO bis zum letzten Deckmatrosen – die Gelegenheit haben, länger als vielleicht drei Tage in einem Hotel zu übernachten.“
Maria straffte sich bei diesen defätistischen Worten. Ihr Gesicht wirkte fast störrisch: „Der Admiral wird schon seine Gründe haben.“ meinte sie im Brustton der Überzeugung. Sie schien wenig geneigt jemand zu kritisieren, der ihr den Bronce Star verliehen hatte.
Ihr Kamerad grinste, was bei ihm zwischen Spott und Zustimmung praktisch alles bedeuten konnte, doch seine Worte klangen eher besänftigend: „Vermutlich wird er das, und er macht ja noch weniger Urlaub als wir anderen. Aber ist schon irgendwie schade, dass man hier lauter Urlaubsparadiese vor der Nase hat, aber nicht hin kann.“
Die Copilotin lehnte sich nach vorne. Sie blickte gebannt nach draußen, wo das Blau des Himmels langsam in Schwarz überging. Trotzdem die Sonne noch zu sehen war, tauchten bereits die ersten Sterne in der schier endlosen Finsternis auf. Das Blau des Meeres blieb unter ihnen zurück und wurde nur von dem weißen Flaum der Wolken durchbrochen. Schiffe und Inseln verschwanden in der Weite der See. Es war ein grandioser Anblick, auch wenn einem empathischen Menschen schaudern mochte bei der Einsamkeit und Kälte, die der Weltraum ausstrahlte, in den sie nun vorstießen.
„Dafür hast du das hier – und das ist doch auch mal was.“ murmelte sie mit abwesend klingender Stimme: „Du kannst dir das alles ansehen, auch wenn du es nicht anfassen kannst.“ Ihr Kamerad betrachtete sie von der Seite. Er schien einen Augenblick zu überlegen, ob er wieder eine Anspielung oder einen Witz heraushauen sollte, doch angesichts des andächtigen Gesichtsausdrucks seiner Untergebenen unterdrückte er den Impuls und schwieg einfach, während das Shuttle die Atmosphäre verließ und in die Transferumlaufbahn einschwenkte, die es zurück zur Victoria-Station und der Relentless bringen sollte. Sie hatte ja auch Recht. Wenn sie sonst flogen, hieß es immer die Augen aufhalten. Man hatte ein Ziel, einen festen Zeitplan – und manchmal flog der Tod Seite an Seite mit. So gut wie nie hatten sie die Zeit, einfach nur zuzuschauen, wie die lebende Atmosphäre eines Planeten und sein blauer Himmel in die Weiten des Alls überging, ohne einen Vorgesetzten im Nacken, ohne einen Feind vor oder hinter sich. So manches Mal hatte Beschuss ihr Shuttle durchgeschüttelt, der Laderaum war voller Verwundeter oder Toter, Gestank und Jammern lag in der Luft. Diesmal nicht. Für einen Augenblick konnte man sogar vergessen, dass Krieg war.

Schließlich schien die Copilotin aus ihrer andächtigen Stimmung wieder aufzuwachen. Ihre Stimme klang betont sachlich, als sie den Computer kontrollierte: „Flugzeit noch zehn Minuten bei konstanter Geschwindigkeit.“ Sie drückte sich fast so aus wie die Stewardess eines Linienfluges: „Wir haben freie Bahn, keine andere Maschinen auf unserem Vektor, keine Gefahr von Irrläufern aus benachbarten Sektoren. Keine Anomalien gemeldet.“
Das Shuttle flog nur mit einem Bruchteil seiner möglichen Höchstgeschwindigkeit. Außer bei begründeten Notfällen und Übungen sah man es nicht gerne, wenn die Piloten auf Vollgas gingen. Es gab auch so genug Unfälle.

Teilweise aus Gewohnheit kontrollierte Robert die Anzeigen ebenfalls. Nicht, dass er seiner Untergebenen misstraute. Aber im Flugbetrieb war es Usus, wenn möglich Double-Save-Prozeduren einzuhalten. Alles was der eine tat, wurde vom anderen kontrolliert und umgekehrt. Oft blieb allerdings keine Zeit dafür, deshalb war es bei Tandemflügen unerlässlich, dass die Besatzungsmitglieder einander blind vertrauen konnten. Doch wie es ein Fachmann einmal gesagt hatte, Vertrauen war gut, Kontrolle aber besser.
Es jedoch nicht nur Sicherheitsbedürfnis oder Gewohnheit, die den Piloten dazu trieben, den Eindruck von Beschäftigung zu erwecken. Ihm ging seit einiger Zeit dies und jenes im Kopf herum, doch es fiel ihm schwer, die Sache anzusprechen.
Schließlich gab er sich einen Ruck. Etwas auf die lange Bank zu schieben, hatte noch selten ein Problem gelöst. Dennoch hatte er das unangenehme Gefühl, einen Knoten im Hals zu haben.
„Sag mal, Maria…“ fing er behutsam an. Seine Untergebene drehte ihren Kopf zu ihm und musterte ihm mit milden Interesse und sehr, sehr viel Geduld. Erst als sie bemerkte, dass er zögerte, huschte ein beinahe besorgter Ausdruck über ihr Gesicht. Das war nichts, was sie von ihm gewohnt war.
„Hast du über das nachgedacht, was der Alte zu dir gesagt hat? Die Möglichkeit, zum First Lieutenant aufzusteigen und das alles?“
Die junge Frau zuckte zusammen, aus welchem Grund auch immer. Sie hielt ihre Stimme ruhig, fast emotionslos: „Natürlich. Er sagt so etwas nicht von ungefähr – es ist natürlich ein Vertrauensbeweis von ihm, wenn er glaubt, ich hätte das Zeug dazu. Und dass er bereit ist, mich abzutreten. Ich habe mich sogar schon mal umgehört. Es ist zu erwarten, dass die Kreuzerschwadron mindestens wieder auf volle Stärke kommt. Todsicher sind mindestens zwei, drei Neubauten dabei. Wenn ich zum Beispiel auf einen leichten Kreuzer gehe, dann kann ich schnell Karriere machen. Dann bin ich nicht nur Pilotin, sondern bald auch XO der Shuttles. Es ist kaum zu glauben, aber gute Piloten werden langsam knapp.“
Ihr Vorgesetzter schnaubte verächtlich: „Das wundert dich? Jeder Idiot, der einen Steuerknüppel halten kann, geht zu den Kampffliegern. Und unsere besten Leute werden ohnehin zu den Boulettenschmeißern*** versetzt. Kein Wunder bei dem Rummel, den man um die Ritter der Lüfte macht. Auch wenn wir dieselben Schwingen haben, es ist eben doch nicht dasselbe. Die guten Zivilisten sind schon abgeworben, und ich hab gehört, die Zivilunternehmen haben die Löhne noch mal deutlich erhöht, also kommen von dort auch nicht viele. Und andere gute Leute – na, du weißt was mit denen passiert ist.“ Er zögerte wieder: „Aber ich meinte eigentlich – glaubst, das wäre eine gute Idee?“

So wie er es formulierte, war es nicht verwunderlich, dass die Copilotin die Worte in die falsche Kehle bekam und prompt Zähne zeigte. Ihre Stimme klang eingeschnappt: „Was denn? Meinst du, ich habe nicht das Zeug dazu? Ich habe das Shuttle mehr als einmal allein geflogen – und es zweimal alleine wieder heimgebracht, weil du entweder bewusstlos oder mit Reparaturen beschäftigt warst. Ich habe vielleicht NOCH nicht deine Fähigkeiten, aber mit der nötigen Übungszeit, ein oder zwei Monate Intensivtraining, ja, dann schaffe ich es. Und du hast nicht das Recht, das in Zweifel zu ziehen.“
Erst als sie seinen verletzten Gesichtsausdruck bemerkte, stoppte sie ihre Tirade. Der britische Pilot schüttelte leicht den Kopf: „Nein, nein, das habe ich nicht gemeint. Ich weiß, wie gut du bist. Als Schützin wie als Pilotin. Schließlich kenne ich dich, ich vertraue dir – und ich kenne das alte Fossil, das unser Kreuzer seit gut drei Jahren kommandiert. Und auch ihm vertraue ich, ich meine, seinem Urteil. Und Sebastian muss er ja auch gefragt haben.“ Er gestikulierte vage, jedes einzelne Wort sorgfältig abwägend: „Ich meine das ganze andere. Eine andere Staffel, neue Vorgesetzte und Kameraden, ein neues Schiff. Nicht nur, dass der Alte so was eigentlich nicht gerne sieht, auch wir schätzen dich alle. Du bist von Anfang an auf der Relentless und in unserer Staffel. Glaubst du nicht, dass du das vermissen würdest?“

Sie drehte ihr Gesicht wieder zu ihm um und schaute ihn stumm an. Vielleicht fiel ihr die Antwort schwer, vielleicht wartete sie auch, dass er fortfuhr. Aber entweder er war bereits fertig mit dem, was er sagen wollte, oder er wusste nicht, wie er weiter machen sollte. So sagte keiner von beiden etwas, bis sich das Schweigen drückend in der Kabine zu lasten schien. Mit einmal war Marias Gesicht wieder neutral: „Vielleicht – aber wir haben das akzeptiert, als wir den Job angenommen haben. Ehrlich gesagt weiß ich es noch nicht so genau, das hängt von mehr als einem Faktor ab. So eine Chance bekommt man nicht so häufig. Wenn ich jetzt mit dem Segen des Alten gehe, ist das soviel wert wie ein leiblicher Onkel in der Personalabteilung. Ich glaube nicht, dass viele so eine Chance nicht nutzen.“
Möglicherweise wollte ihr Vorgesetzter etwas erwidern, doch in diesem Augenblick erwachte das bisher stumme Funkgerät zum Leben: „Achtung, hier Flugleitzentrale an R-6. Ankunft in zwei Minuten. Wir haben verstärktes Aufkommen von Wartungsfahrzeugen. Drosseln Sie die Geschwindigkeit um 25 Prozent. Anflugvektor folgt.“ Wie auf eine geheime und wortlose Übereinkunft hin, wandten sich die beiden Lieutenants wieder ihren Anzeigen zu. Die Stimme des Piloten klang ganz geschäftsmäßig, als er antwortete: „Shuttle R-6 hört Sie klar und deutlich. Geschwindigkeit wird reduziert. Warten auf weitere Anweisungen.“
Für den Rest des Fluges sprachen sie nicht mehr miteinander.

* Hurenbock
** „Meal Ready to Eat”, Not- und Dauerrationen, gefriergetrocknet – im Flottenjargon auch „Meal Rejected by Everybody“ genannt, obwohl ihr Ruf oft schlimmer als die Wahrheit ist
*** Slangausdruck, verwendet für Bomber- und Jagdbombereinheiten, aber auch für die Atmosphärenflieger
24.01.2016 06:50 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Ironheart

Express-Großraum-Shuttle JOYLAND, Auf dem Transit von Seafort nach Masters
Sterntor-System

Ursprünglich hatte Donovan Cartmell gehofft den Transit von Seafort zum zweiten bewohnten Planeten des Sterntor-Systems – den Agrarplaneten Masters – zusammen mit Jean Davis zu machen. Nach den schönen Tagen, die sie zusammen auf Seafort verbracht hatten, musste er sich eingestehen, dass sie ihm fehlte. Doch auf der anderen Seite war das vielleicht auch ein Segen, denn nach seinem One-Night-Stand an seinem letzten Abend in Seafort hatte er merkwürdigerweise ein schlechtes Gewissen ihr gegenüber.
Er wusste selbst nicht so recht, warum dem so war, denn schließlich war er ihr gegenüber zu keiner Rechenschaft über sein Liebesleben schuldig. Doch trotzdem, irgendetwas nagte an ihm wegen dieser Sache.
Vielleicht hatte es ja auch etwas Gutes, dass sie – nachdem sie ja schon das gemeinsame Hotel fluchtartig verlassen hatte – den Transit auch schon einen Tag vorher gemacht hatte. Ein wenig Abstand zwischen ihnen würde es ihm leichter machen, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Sie war deutlich spürbar immer noch in Trauer, wer mochte ihr das auch verdenken. Und sie hatte ihm damit mehr als deutlich signalisiert, dass sie sich nicht für ihn interessierte. Zumindest nicht weit genug, um mehr als nur Freunde oder wie Geschwister zu sein.
Doch auch wenn sie ihm fehlte, so waren wenigstens Justus Schneider und Ian Davis mit ihm auf demselben Schiff, so dass ihm nicht langweilig geworden war. Auch wenn das an Bord der Joyland ohnehin unwahrscheinlich gewesen wäre.

Die Joyland war ein Luxusliner speziell dafür gedacht wohlbetuchte Passagiere und Business-People von Seafort nach Masters und zurück zu transportieren. Die Raumfähre verfügte über eine Menge Komfort, und war in der Hinsicht vergleichbar mit den Vergnügungskreuzern, die in den Seafort Caribics verkehrten. Es verfügte über zwei Bars, eine Disco, ein Schwimmbad, ein kleines Spielkasino, ein Kino usw. Da ein Transfer zwischen den beiden Planeten – je nach Planetenkonstellation – zwei bis vier Tage dauern konnte, wollte das Schiff seinen zahlenden Gästen einen ähnlich hohen Vergnügungsstandard wie auf Seafort bieten. Diejenigen, die nach Seafort fuhren, konnten damit schon die Vorfreude auf ihren Urlaub voll auskosten, diejenigen die zurückkehrten auf diese Weise ihren Urlaub noch um ein paar Tage verlängern. Das alles hatte sicher seinen hohen Preis, warum sich Donovan über die Einladung des Davis-Clans doppelt freute.
Es war jetzt der dritte und letzte Tag ihres Anfluges zur Al-Hilal Space Station und Donovan hatte mit Justus und Ian eine unbeschwerte Zeit verbracht. Im Moment saßen die drei gemeinsam in der Promenadenbar im Mitteldeck des Schiffes und genossen ein paar Drinks.

Seine beiden Begleiter hatten ihm einen Abriss des Davis-Clans gegeben, hatten ihm die sozialen Gefüge, Freundschaften und Rivalitäten innerhalb der einzelnen Familien erläutert und ihn vor dem einen oder anderen Verwandten – der einem unsäglich auf den Geist gehen konnte – gewarnt.
Im Augenblick war ihr Gespräch auf die Davis Spacefreight Corporation gekommen und Justus hatte ihm von seiner Tante Carol erzählt, die als Vorstandsvorsitzende die Geschäfte der Unternehmensgruppe kontrollierte. Carol Davis hatte ihren Mann, Truman Davis während ihrer gemeinsamen Zeit auf der Universität kennen gelernt. Sie hatte nicht nur ein Doppelstudium in Wirtschaft mit dem Schwerpunkt Logistik und Maschinenbau mit Summa cum Laude abgeschlossen, einen zusätzlichen Doktor in Astromechanik gemacht, zweitweise in der Politik aktiv gewesen und dabei noch drei Kinder groß gezogen. Als wahrer Workaholic hatte sie sich auch in der DSC-Firmenhierarchie stetig nach oben gearbeitet.
Nachdem sie etliche Aufgaben an Bord der Carnegie übernommen hatte, war sie vor knapp 10 Jahren an die Spitze des Unternehmens gerückt und hatte begonnen aus dem alten einzelnen Frachter der Whale-Klasse durch Zukäufe, Famillien- und Firmenallianzen ein Unternehmenskonglomerat zu schmieden und dieses expandieren zu lassen. In den letzten 10 Jahren hatte sie die Profitabilität der Firmengruppe vervielfacht.
Die DSC verfügte mittlerweile über mehr als zwanzig mittelgroße bis große Frachter – jeder Frachter eine eigene Tochterfirma innerhalb der Gruppe. Kurz vor dem Krieg war die DSC an die Börse gegangen und hatte damit nochmal einen sprunghaften Anstieg zu verzeichnen gehabt.
Die „Zwangsverpflichtung“ durch die Flotte wurde in den meisten Raumfahrerkreisen kritisch gesehen, da damit ein Verlust der Unabhängigkeit einherging. Doch da die Streitkräfte – notorisch knapp an Transportkapazitäten – die Dienste der DSC sehr gut vergütete, war Carol diesen „Pakt mit dem Teufel“ gerne eingegangen. Vor allem da die Carnegie und ihre Schwesterschiffe in der Regel kriegswichtige Güter zwischen den Industriezentren auf Terra, Lunapolis, Mars, Seafort, Masters, New Boston und anderen transportierte.
Der Firmensitz der Gruppe war auf der Crayson-Raumwerftanlage um Terra angesiedelt, doch natürlich verfügte sie über Außenstellen über allen wichtigen Planeten der Terranischen Bundesrepublik.
Vor 10 Jahren hatte die Belegschaft nur über die Besatzung der Carnegie verfügt, alles in allem knapp 80 Männer und Frauen. Heute waren es fast 2.000 Menschen, die auf den Schiffen oder in den Verwaltungseinrichtungen der DSC beschäftigt waren, Tendenz weiterhin stark steigend. Natürlich gehörten diese 2.000 Menschen nicht alle zur Verwandtschaft, doch im Laufe der Jahre hatte durch Hochzeiten und Versetzungen jedes Schiff der Unternehmensgruppe einen oder mehrere Personen an Bord, die Davis-Blut in den Adern hatten.

Als Justus fertig mit seinen Ausführungen war, runzelte Donovan die Stirn. „Was ist?“
„Nun, das alles klingt nicht ganz nach der Geschichte, die Ace immer über seine Raumfahrerfamilie erzählt hatte. Das klang alles immer deutlich…kleiner.“
Justus lächelte. „Das ist auch kein Wunder. Cliff hat die Carnegie vor knapp 10 Jahren verlassen, als er auf die Akademie ging. Er ist unter ganz anderen Umständen aufgewachsen, da ist es doch kein Wunder, dass seine Erinnerungen sich nicht mehr mit dem heutigen Zustand der DSC decken, oder?“
Ian nickte jetzt. „Ich bin drei Jahre nach ihm gegangen, da hatte Mom die Geschäfte schon verdreifacht. Und das geht in dem Rhythmus wohl alle 3 Jahre so. Es ist auch für mich schwer zu glauben, denn der alte Pott war immer unsere Heimat. Aber wie ich gehört habe, hat Carol schon die Carnegie II in Auftrag gegeben und der alte Kahn wird dann vielleicht abgewrackt werden.“
„Wird auch Zeit.“ schnaufte Schneider. „Als Flaggschiff der DSC kann der alte Rattenfrachter wirklich nicht mehr her halten.“
„Ich bin gespannt, wie das Schiff aussieht.“
„Leider – oder vielleicht zum Glück – wirst du es nicht zu Gesicht bekommen, Donovan. Vielleicht würdest du dir unser Angebot sonst nochmal überlegen. Wir werden auf der Deep Hollow feiern, das gehört nämlich unseren goldenen Jubilaren, Großonkel Craig und Großtante Jenna.“
„Und die Deep Hollow ist kein alter Frachter?“
„Zumindest nicht ganz so alt. Die Deep Hollow ist ein umgebauter Frachter der Trident-Klasse und dient als Versorgungstender. Ein sehr interessantes Schiff, wie Du sehen wirst.“
Justus und Ian grinsten beide, als hätten sie einen geheimen Witz ausgetauscht.
„Was ist?“ Donovan blickte die beiden an, doch er erhielt keine Antwort, denn in diesem Augenblick ertönte der Schiffsgong und der Erste Offizier der Joyland informierte die Gäste, dass sie sich im Andockanflug an die Al-Hilal Space Station befanden.

Eine Stunde später hatten die drei ihre Sachen gepackt und waren auf der Al-Hilal auf ein kleineres Shuttle der DSC gewechselt, wo sie auf weitere Verwandte der Davis trafen. Donovan fühlte sich wie ein Schuljunge, der die Schule gewechselt hatte und nun an seinem ersten Schultag noch niemanden kennt, während sich alle anderen vor lauter Wiedersehensfreude gegenseitig auf die Schultern klopften. Natürlich stellten Justus und Ian ihm jeden vor, obwohl er sich keinen der Namen merken konnte, doch trotzdem fühlte er sich irgendwie fehl am Platze.
Als sie schließlich nach einem kurzen Flug an die Deep Hollow andockten, war er sehr froh, Jean Davis wieder zu sehen. Sie begrüßte zunächst einmal alle ihre Verwandten und kam erst ganz am Schluss zu ihm.
Donovan hatte in der Zeit etwas unschlüssig in der Ecke gestanden, während sich die Davis, Schneiders, Holcombs und wie sie noch alle hießen, begrüßten.
„Hallo, Donovan. Schön dass Du gekommen bist.“ Sie lächelte etwas verlegen und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange, während er etwas unsicher gewesen war, wie er sie begrüßen sollte.
„Hallo, Jean.“
„Wo ist Cliff?“ Sie spähte in das Shuttle, und offenbar hatte Cliff ihr es auch nicht mitgeteilt. Wie schon bei Justus und Ian musste Donovan auch hier die unangenehme Nachricht überbringen, dass ihr großer Bruder nicht mitgekommen war.
Er stammelte ein wenig herum, doch sie legte ihm die Hand auf den Arm. „Ist schon gut, Mom hat es mir schon gesagt. So ist Cliff nun mal, was auch immer ihn aufgehalten hat, es wird schon wichtig gewesen sein. Kein Grund für dich so ein schlechtes Gewissen deswegen zu haben.“
Ohne es zu wollen, errötete Cartmell wie ein ertappter Schuljunge. Wenn auch aus anderem Grunde, denn das schlechte Gewissen, das ihm offenbar auf der Stirn geschrieben schien, rührte von etwas anderem her.
Jeans Blick fiel auf Donovans Veilchen, welches sich nach der Schlägerei mit Tiburon immer noch in seinem Gesicht abzeichnete. „Und? Alle Dinge geklärt?“ Sie spielte sicher auf den letzten gemeinsamen Abend an der Strandpromenade von Neu-Kapstadt an. Vielleicht dachte sie, dass das Veilchen von Shoto stammte.
Wieder stammelte Donovan wie ein spätpubertierender Teenager während er über sein blaues Auge strich. „Da… Da war nicht viel zu klären…“
„Das sieht mir aber anders aus. Aber gut, vielleicht erzählst du es mir ja später, aber zunächst einmal wollen Mom und Dad dich kennenlernen. Das Schiff zeige ich dir später, erstmal zeige ich dir deine Kabine damit du dich frisch machen kannst. Ich hoffe es ist o.k., dass Du sie dir mit Justus, Ian und meinem Cousin Jeremy teilen musst. Die Deep Hollow hätte sonst nicht genug Platz um alle Gäste zu beherbergen.“
Donovan nickte nur. Die Situation war irgendwie unbehaglich und auch Jean schien das zu spüren. Sie schwiegen, bis sie zu seiner Kabine gekommen waren.
„Gut, hier sind wir. Ich werde auf dich im Aufenthaltsraum Eins warten, am Ende des Kabinentraktes links. Komm einfach, sobald du fertig bist.“ Und damit machte sie sich davon und Donovan blickte ihr noch einen Augenblick schweigend nach.
Wo war die Unbeschwertheit hin, die noch vor ein paar Tagen zwischen ihnen geherrscht hatte? Warum mussten alle Dinge nur so schnell kompliziert werden?

***

Eine halbe Stunde später stand Donovan im Aufenthaltsraum Eins, in welchem im Augenblick eine Art Empfangsbuffet aufgebaut war. Ihm wurde ein Begrüßungsgetränk überreicht und er blickte sich um in dem Raum, indem wohl normalerweise die Crew der Deep Hollow Teile ihrer Freizeit verbrachten.
Er entdeckte Jean Davis in einer Ecke des Raumes stehen, lachend mit ein paar ihrer Verwandten. Es tat gut, sie lachen zu sehen, doch Donovan zögerte zu ihr zu gehen, da er nicht stören wollte. Ohnehin kam er sich hier wie immer in seinem Leben nach der Zeit bei den Piraten wie ein Störenfried vor.
Das war nicht immer so gewesen. In seinem Leben vor der Gefangenschaft bei den Hookers Pirates war er durchaus beliebt gewesen, auf der Akademie wie auch auf der Gallipoli. Selbst mit Lone Wolf, seinem damaligen Wingleader, hatte ihn eine Art rivalisierende Freundschaft verbunden. Doch das war als er noch das Callsign Highball getragen hatte, das war lange bevor ihn die Piraten und anschließend die Navy seelisch tief verletzt hatten. Er war nicht daran zerbrochen, aber es hatte seinem Leben eine Wendung gegeben, die ihn für alle Zeiten gezeichnet hatte.
In seinen eigenen Gedanken versunken, trauerte er den verpassten Chancen nach. Was wäre gewesen, wenn er nicht in die Hände der Piraten gefallen wäre? Ein erstklassiger Pilot war er zum Glück immer noch, wohl der einzige Grund warum er nicht immer noch im Gefängnis versauerte. Und er hätte das Zeug dazu gehabt mindestens zum Lieutenant Commander und zum Staffelführer aufzusteigen, vielleicht sogar zu mehr. Doch er hatte viele Fehler gemacht und sich selbst häufig genug ihm Wege gestanden.
Und es schien sich einfach nicht zu bessern. Die Sache mit Mantis war ein weiterer Beleg für die Tatsache, dass er sich diese Karriere ein für alle Mal abschminken konnte.
Hier und jetzt hatte er vielleicht die Chance ein neues Leben zu beginnen, wenn er diesen verfluchten Krieg denn überleben würde.
Die Frage war, ob er sich diese Sache nicht auch noch versauen würde.
Er war so in Gedanken versunken, dass er nicht bemerkt hatte, dass Jean mittlerweile vor ihm stand. „Hey, Raumjockey, warum der trübe Blick. Zeit zu feiern! Oder willst du Onkel Craig und Tante Jenna die Feier vermiesen? Ich warne dich, wenn du die Feier meiner Lieblingsgroßtante verbockst, dann waren wir die längste Zeit Freunde…!“
Donovan lächelte etwas säuerlich und versuchte, seine schubweise auftretenden Depressionen zu unterdrücken.
Freunde.
Genau das waren sie und es war gut, dass Jean das ansprach.
Also riss er sich zusammen und nickte. „Ich werde mir Mühe geben, mich mal nicht als Trottel zu benehmen, Jean.“
Sie lachte herzhaft und nahm ihn an die Hand. „Na dann will ich mir mal anschauen, wie du dich abstrampelst.“ Und damit zog sie ihn mit sich zu einem älteren Paar, das in der Mitte des Raumes stand. Onkel Craig und Tante Jenna waren um die 70, doch trotz ihres Alters brannte ein Feuer und Freude in ihren Augen, um das sie Donovan beneidete.
Die Begrüßung war freundlich und nett und Donovan bedankte sich artig für die Einladung.
Danach zerrte ihn Jean zu weiteren Verwandten um ihn vorzustellen und ihm schwirrte schnell der Kopf bei all den Namen. Als Jean ihn einem anderen älteren Paar vorstellte, wieder eine Großtante und ein Großonkel von ihr, nahm die ältere Dame ihn an dem Arm.
„Ahh, endlich lernen wir mal den Verlobten unserer kleinen Jean kennen. Ken Howard nicht wahr?“
Donovan schüttelte den Kopf. „Nein, Mam, tut mir leid. Mein Name ist Donovan Cartmell.“
Verwirrt blickte die ältere Dame ihre Nichte an, die augenblicklich rot geworden war und bei der sich sofort Tränen in den Augen gezeigt hatten.
„Ken ist gefallen, Tante Grace.“ Sie riss sich zusammen so gut es ging, doch ihre brüchige Stimme sagte mehr als tausend Worte.
„Oh, das tut mir so leid, Schätzchen. Das habe ich nicht gewusst. Herrgott Hector, ist das nicht furchtbar?“
Ihr Mann nickte und nahm seine Nichte tröstend in den Arm. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr und Donovan merkte sofort, dass die Liebe im Davis-Clan umfassend war. Die Betroffenheit der beiden älteren Herrschaften war nicht gespielt oder oberflächlich sondern echt. So musste es sein, wenn man Teil einer Familie war, dachte Donovan, der selbst keine Familie mehr hatte.
Jean wischte sich schnell die Tränen weg, die unkontrolliert gekommen waren und drückte beide. Dann wandte sie sich an Donovan. „Komm, ich bringe dich zu Mom und Dad.“

Kurz darauf waren sie in einem gemütlich eingerichteten Büro, wahrscheinlich gehörte es den Schiffseignern. Doch im Moment hatte Carol Davis den Schreibtisch okkupiert, während ihr Mann zusammen mit einem anderen Herrn am Schreibtisch über ein paar Unterlagen saßen und brüteten.
Als Jean und Donovan den Raum betraten, blickte Carol Davis von ihrem Terminal hoch und ein breites, gewinnendes Lächeln zauberte sich auf ihr Gesicht. Die Mittfünfzigerin strahlte eine Aura der Energie aus, die Donovan sofort in den Bann zog.
„Donovan, mein lieber Junge. Es ist so schön dich endlich kennen zu lernen.“ Sie nahm ihn augenblicklich in den Arm und hielt ihn dann in Armlänge von sich. Ein leicht verschmitztes Lächeln, welches Donovan sofort an Jean erinnerte, stahl sich auf ihre Züge. „Du siehst genauso aus, wie Jean dich beschrieben hat. Groß, stattlich, wild.“
„Mama!“
„Ich bin nicht halb so stattlich wie ich aussehe, Mam!“ Noname musste unwillkürlich lachen ob der herzlichen Begrüßung.
„Und bescheiden auch noch. Nenn mich Carol! Truman, komm und begrüß den Mann, dem wir zu verdanken haben, dass unser undankbarer ältester Sohn noch am Leben ist.“
Mit einem festen Händedruck begrüßte ihn Truman Davis und es war Donovan so als ob er die ältere Ausgabe von Cliff die Hand drücken würde. Die tiefe, sonore Stimme drückte Autorität aus und die schwieligen Hände verrieten, dass dieser Mann Zeit seines Lebens hart gearbeitet hatte. „Wir sind dir auf ewig zu tiefstem Dank verpflichtet, Donovan. Willkommen an Bord der Deep Hollow.“ Damit drehte er sich zu der dritten Person im Büro um. „Darf ich dir unseren Sicherheitschef, Milos Esterhazy vorstellen?“
Der Händedruck des Mannes, den Donovan auf Anfang Fünfzig schätzte, war fest und der Blick schien deutlich reservierter zu sein. Doch bevor sich Donovan noch weitere Gedanken darüber machen konnte, bat Carol sich zu setzen.
„Also gut, wenn unser treuloser Sohn schon sich nicht die Mühe macht, den kurzen Weg hierher zukommen um die arme Mutter zu besuchen, dann müssen Sie uns erzählen. Wie geht es ihm? Und wie genau haben Sie ihn vor dem Ende in der Kälte des Weltalls bewahrt.“
Sie ließ ihn sich setzen und er erzählte – so weit er durfte – was während der Ereignisse am Karrashin-Kiralu-Wurmloch vorgefallen war. Er erwähnte die Unterstützung durch Joker und seinen Landsmann De Angelis, ohne ihre Namen zu nennen, um sie nicht nachträglich in Schwierigkeiten zu bringen. Und er hob die Hilfe durch Justus und Ian besonders hervor, denn ohne die beiden wären sie auch nicht mehr hier.
„Zu zweit im Cockpit einer Nighthawk? Und dann noch in den Laderaum eines Kreuzers fliegen, während dieser sich im Sprung befindet?“ Truman Davis schüttelte den Kopf. „Das nenne ich mal ein Husarenstück. Man muss schon Eis statt Blut in den Adern haben um so einen Stunt zu wagen, oder?“
Sein Blick ging hinüber zu Milos Esterhazy, der den Blick deutlich weniger enthusiastisch erwiderte.
Donovan entging der Blick nicht und er antwortete. „Alles eine Frage der Verzweiflung, Sir!“
„Truman.“
„Ähmm, ja, sowohl ich als auch Cliff wären nicht wieder in Gefangenschaft gegangen, Truman. Also haben wir es gewagt.“
„Zum Glück, mein Sohn, zum Glück.“
Carol lächelte ihn an. „Ich hoffe, Sie missverstehen unser Angebot nicht, Donovan. Wir haben viel Gutes von Cliff über ihre fliegerischen Fähigkeiten gehört und möchten diese an die DSC binden.“
„Ja, das Angebot ist verlockend und ich schlage mit Freuden ein, Carol.“
„Das freut mich. Und nun entschuldige uns, wir werden uns mal wieder unter die feiernden Gäste begeben. Colonel Esterhazy hat noch ein paar Fragen an dich, in Ordnung?“
Donovan nickte. `COLONEL Esterhazy?`
„Du findest mich im Aufenthaltsraum Eins.“ sagte Jean lächelnd, während sie mit ihrer Mutter und ihrem Vater das Büro verließ.
Donovan hatte ein unvertrautes Gefühl der Geborgenheit, denn er konnte auf allen drei Gesichtern echte Freude über seine Anwesenheit erkennen.

Was man von Esterhazys Gesichtsausdruck nicht sagen konnte. Kaum waren die drei aus dem Büro, da musterte Milos Esterhazy ihn mit einer Mischung aus unverhohlener Skepsis und klarer Abneigung.
„Darf ich mich noch einmal vorstellen?“ Der ungarische Akzent war unverkennbar und der schnarrende Ton verdeutlichte, dass Donovan es hier mit einem ehemaligen Mitglied der Streitkräfte zu tun hatte.
„Milos Esterhazy, Colonel a.D. Ich verantworte die Sicherheitskräfte der DSC. Das umschließt die Ausbildung der Sicherheitsoffiziere und ihrer Mannschaften an Bord der Frachter sowie die Piloten der Eskorten- und Shuttleschiffe. Die Verantwortung über die Sicherheit und Verteidigung der Frachter liegt also in meinen Händen. “
„Über welche Art von Verteidigung verfügen denn die Schiffe?“
„Jedes Schiff ist mit genügend Feuerkraft ausgestattet, um etwaigen Angreifern die Entscheidung zumindest schwierig zu machen, ob ein Versuch denn überhaupt lohnend wäre.“ Esterhazy wollte offenbar nicht auf die genaue Bewaffnung der Schiffe eingehen. Wahrscheinlich, da Donovan für ihn ja noch ein Fremder war. Oder vielleicht auch, weil Teile der Verteidigung eventuell auch illegal waren?
„Die Besatzungen sind trainiert um im Falle einer Enterung eingreifen zu können. Und zudem sind unsere Shuttles ebenfalls in der Lage sich und ihre Mutterschiffe im Notfall zu verteidigen. Dazu kommen zumindest in den Randgebieten noch in der Regel zwei Raumjäger älteren Typs zu Eskortzwecken.“
„Ich wusste nicht, dass Raumjäger für Privatunternehmen legal sind. Ist nicht die TSN für die Sicherheit der Schiffe zuständig?“
„Wir befinden uns – wie Ihnen vielleicht nicht entgangen ist – im Krieg, Herr Cartmell!“ Der Spott war deutlich spürbar in der Stimme des ehemaligen Obersts. „Zum einen kann die Flotte nicht überall sein und zum anderen fliegen wir ja auch quasi unter deren Flagge. Wir transportieren einige kriegswichtige Güter, so dass die TSN uns ein paar, sagen wir mal, Sonderrechte eingeräumt hat. In den inneren Systemen geht es recht sicher zu, aber gerade in den Randsystemen ist es bereits zu einigen Übergriffen durch Piraten gekommen. Das dürfte für Sie ja keine Überraschung sein, oder, Herr Cartmell?“
Donovan runzelte die Stirn. Worauf wollte der Sicherheitschef hinaus?
Milos Esterhazy lehnte sich ein wenig vor, wohl um seinen kommenden Worten ein größeres Gewicht zu verleihen. „Hören Sie mir gut zu, Herr Cartmell. Ich kenne Ihre Akte und was ich dort zu lesen bekommen habe, hat mir ganz und gar nicht gefallen.“
Heißkalt lief es Donovan den Rücken runter. Wie kam der Kerl an seine Akte?
„Meiner Meinung nach sind dort ein paar zu viele Ungereimtheiten, und ich habe Frau Davis auch ausdrücklich davor gewarnt, Sie einzustellen, doch sie wollte nicht auf mich hören und faselte wieder mal etwas wie `Jeder verdient eine zweite Chance`. Aber die Eintragungen in Ihre Akte, der Gefängnisaufenthalt, die Gerüchte um ihre Gefangenschaft bei den Hookers Pirates…“ Er lehnte sich wieder zurück. „Wer sagt uns, dass Sie nicht in Wahrheit immer noch ein Pirat und ein Mitglied der Hookers Pirates sind?“
Donovan lachte jäh auf. „Ich? Ein Mitglied der Hookers? Ich war ein Gefangener der Piraten, jahrelang…“
„Ach hören Sie doch auf, Herr Cartmell. Ich war beim militärischen Abwehrdienst während letzten größeren Aktionen gegen die Piraten. Und ich habe immer noch meine Beziehungen.“ `Daher also der Zugriff auf meine Akte` dachte Donovan. „Man munkelt, Sie hätten eine enge Beziehung zu Susan Hooker, der Tochter des alten Hooker, gehabt. Enger als es für einen Gefangenen üblich wäre.“
Donovan schwieg.
„Ich glaube den Gerüchten nicht, dass Sie der Black Buccaneer gewesen sein sollen, denn meine Quellen gehen davon aus, dass das Susan gewesen ist, nicht wahr?“
Donovan schwieg weiter. Alles was er jetzt noch sagen würde, konnte die Sache nur noch schlimmer machen.
Esterhazys Blick war eisig. „Ihr Schweigen werte ich mal als Bestätigung dieser Theorie. Wussten Sie eigentlich, dass die Hookers wieder aktiv geworden sind?“
Diese Nachricht traf Donovan wie einen Schlag. „Das…Das kann nicht sein. Ich habe sie sterben sehen, alle….“
„Ach wirklich? Soweit ich weiß ist die Leiche von Susan Hooker nie gefunden worden!“
„Aber…Aber der Angriff kam so plötzlich, alles war voller Feuer, Rauch. Sie sind fast alle getötet worden, bis auf drei andere, die zusammen mit mir gefunden wurden.“
„Ja, aber es fehlten zwei Shuttles und die Leichen einiger Hookers hat man nie gefunden. Der Alte ist zweifellos tot, dessen Leiche hat man einwandfrei identifiziert. Aber Susan…Sie könnte überlebt haben.“
„Nein, nein. Ich habe gesehen, wie sie getroffen wurde. Sie kann unmöglich überlebt haben.“
„Nun, dann handelt es sich bei den neuen Hookers wahrscheinlich um Trittbrettfahrer!“
Donovan war geschockt. Konnte es sein? Konnte es tatsächlich sein, dass Susan am Leben war? Nein, das war unmöglich, das konnte nicht sein. Das DURFTE nicht sein.
„Wie auch immer, Herr Cartmell.“ Esterhazys Stimme war nun ein dumpfes drohendes Grollen. „Nehmen Sie sich ja in Acht. Ich werde Sie genau im Auge behalten. Und sollte ich auch nur den geringsten Verdacht haben, dass Sie mit falschen Karten spielen, werde ich dafür sorgen, dass Sie ihre gerechte Strafe erhalten. Haben wir uns verstanden?“
Donovan nickte nur, immer noch geschockt von diesen Neuigkeiten.
„Und jetzt viel Vergnügen bei den Feierlichkeiten, Herr Cartmell.“
Esterhazys Augen straften seinen Worten Lüge, aber Donovan erhob sich wortlos und machte sich wieder auf den Weg in Aufenthaltsraum Eins.
Es war mal wieder typisch, seine Vergangenheit holte ihn immer wieder ein, egal was er tat. Kaum hatte er gedacht, dass sich etwas für ihn zum Guten wenden würde, schon machte ihm das Schicksal schon wieder einen Strich durch die Rechnung.
Er machte sich wieder auf den Weg zurück zur Feier, doch war sich nicht sicher, wie er seine aufgewühlten Gefühle verbergen und im Zaume halten konnte.
Er musste es irgendwie versuchen, denn er spürte, dass das hier vielleicht seine letzte Chance sein würde ein neues Leben zu beginnen.
24.01.2016 06:51 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Tyr

Cara Ebon versuchte in dem Gesicht der Frau zu lesen, die ihr gegenübersaß, doch es wollte ihr nicht gelingen. Kurz fragte sie sich, ob sie möglicherweise einen Fehler gemacht hatte. Ein Mann wäre vielleicht doch…leichter handhabbar gewesen.
Aber diese NIC-Offizierin mit der undurchdringlichen Miene, den kalten, wachen Augen, dem Marines-Haarschnitt, dem athletischen Körperbau und den schnellen, federnden Bewegungen einer Straßenkämpferin…war gefährlich.
Aber Hawk war die Einzige gewesen, an die sie sich wenden konnte. Schließlich war es ja nicht gerade so, als ob Cara über ein Telefonverzeichnis des Sicherheitsdienstes verfügte, oder sich einfach an die offizielle Komm-Nummer des NIC wenden konnte.
Hawk hingegen…
Nach allem, was sie aus Pallardo hatte herausholen können, war Hawk an Bord gekommen, kaum dass die COLUMBIA festgemacht hatte. Und hatte die Piloten zum strikten Stillschweigen über die Vorfälle im Medusa-System vergattert. Und deshalb…
„Also, Lieutenant Commander, wie stehen Sie zu meinem Angebot?“

Die hellen Augen musterten sie kühl: „Habe ich das richtig verstanden? Sie kontaktieren mich, locken mich mit einigen ziemlich…nebulösen Andeutungen in irgendeine erbärmliche Absteige – und dann verkünden Sie mir, dass Sie erst…Sicherheiten wollen, bevor Sie sich dazu bequemen, Ihre Aussage zu machen?
Finden Sie nicht, dass das etwas wenig ist?“
„Halten Sie mich für bescheuert? Wenn ich hier auf Ihr ‚Wort’ liefere, wer will mir denn dann garantieren, dass Sie nicht einfach Ihren Teil kassieren, und mich dann zum Trocknen auf die Leine hängen?!“
„Glauben Sie wirklich, der NIC lässt sich mit ein paar lächerlichen Andeutungen an der Nase herumführen? Und denken Sie wirklich, dass Sie - SIE - in der Lage sind, irgendwelche Garantien zu fordern?! Sagen Sie mir lieber, warum ich Sie nicht einfach verhaften lassen soll. In einer hübschen, ruhigen Zelle hätten Sie vielleicht genug Zeit, Ihre Maximalforderungen zu überdenken. Vielleicht sollte ich das auf jeden Fall tun, weil Sie meine Zeit vergeudet haben.“
„Scheiß drauf! Sie bluffen doch!“
„Das wollen Sie nicht austesten…“
Cara schluckte. In der Stimme der Frau hatte sich ein scharfer Unterton eingeschlichen, der ihr Angst machte. Aber sie würde nicht klein beigeben. Nicht jetzt, da sie endlich den Mut gefunden hatte, das durchzuziehen: „Das wäre ihr Verlust, das können Sie MIR glauben. Denn Ihre Zeit…Ihre Zeit läuft ab. Wenn Sie im Medusa-System noch IRGENDETWAS finden wollen als ein paar Radioechos, dann greifen Sie besser in Ihre Kaffeekasse. Und das bald.
Tick-Tack, Lieutenant Commander.“

Es war kein Zusammenzucken, eher nur ein überraschtes Blinzeln. Und dennoch wusste Cara, dass sie mitten ins Schwarze getroffen hatte. Für ein paar sich scheinbar endlose dehnende Augenblicke blieb Hawk stumm. Ihre blassen Augen fixierten Cara, und sie konnte förmlich fühlen, wie es hinter diesen eisigen Lichtern arbeitete. Instinktiv wünschte sie sich, Hawks Hände zu sehen können, die unter dem Tisch verborgen blieben. Wenn die NIC-Offizierin zu der Ansicht kam, es auf die harte Tour zu versuchen…
Dann würde Cara diesen Raum wohl kaum auf ihren eigenen Füßen verlassen.

Doch dann blinzelte Hawk erneut, und die bedrohliche Spannung zerplatzte wie eine Seifenblase: „Na schön. Warten Sie. Ich muss telefonieren.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, stand sie auf, und verließ den Raum.
Cara unterdrückte den Wunsch, sich zurückzulehnen, und erleichtert auszuatmen. Auch wenn sie das Treffen vereinbart hatte, es hätte sie nicht überrascht, wenn der NIC den Raum verwanzt und mit Kameras gespickt hätte.
‚Na, das lief doch gar nicht mal so schlecht.’ Nach fast einer Woche ‚Urlaub’ war sie sich ziemlich sicher, dass ‚Boss’ Ikedia darauf verzichtet hatte, sie und Pallardo unter Beobachtung zu stellen.
Vermutlich hielt er den Piloten nicht für wichtig genug. Außerdem hatte Ikedia wahrscheinlich genug andere Dinge, um die er sich kümmern musste. Nach allem, was sie von einigen ihrer Kolleginnen und Bekannten gehört hatte, machte er Nägel mit Köpfen. Aber er hatte ja auch das Geld und die Verbindungen, um fast alles zu erreichen, was er wollte – wenn er es nur wollte. ‚Na ja, vielleicht nicht gerade ein Kriegsschiff mieten, aber ansonsten…’
Und Tovaru hatte Abstand gehalten. Aber er würde sein ‚Versprechen’ nicht vergessen haben. Sie hatte es ganz bestimmt nicht. ‚Mieses Schwein. Das wird dir noch leid tun.’
Pallardo…Pallardo war kein Problem gewesen. Es war ihr nicht schwer gefallen, seine Knöpfe zu finden, und sie dann zu drücken. Männer waren ziemlich leicht zu durchschauen. In ein paar Tagen hatte sie ihn soweit gehabt, dass er ihr praktisch aus der Hand fraß.
Nicht, dass er sich darüber beschweren konnte, was er im Gegenzug dafür bekam.
Aber langsam wurde die Zeit knapp. Wenn sie ihren eigenen Schnitt einfahren wollte, dann musste sie jetzt aktiv werden.

***

„Also, was soll ich mit unserer kleinen Goldgräberin machen?“ Jean Falkners Stimme klang beiläufig, aber das war nur Fassade. Tatsächlich war sie mehr als ein bisschen beunruhigt, und sie achtete wachsam auf jede Nuance in der Stimme ihres Gegenübers. Tremanes Frustration und Wut war allerdings auch kaum zu übersehen, obwohl die Komverbindung von eher zweifelhafter Qualität war: „So eine gottverfluchte Scheiße! Das hat sie gesagt?“
„Wortwörtlich. Und sie will Geld und eine neue Legende, bevor sie auspackt.“
„Wie stellt sich dieses Callgirl das bitteschön vor?! Denkt Sie, wir haben Instant-Identiäten auf Lager?“
„Wir sind offenbar Opfer der eigenen Propaganda. Ich hätte ja nicht gedacht, dass jemand den Sicherheitsdienst für SO gut hält.“
„Das Geld ist kein Problem. Glaubst du, 5.000 machen sie etwas gesprächiger? Soviel könnte ich auf der Stelle frei schalten. Aber eine neue Legende…“
„Es könnte jedenfalls reichen, um ihre Zunge lockern. Vielleicht. Aber was das angeht…ich könnte es auch so aus ihr herausholen.“
Andrew Tremane überlegte kurz, und schüttelte dann wütend den Kopf: „Keine Chance. Der NIC hat Blut geleckt, und deshalb will ich kein Risiko eingehen. Dieses dämliche Arschloch, das mir wegen unserem Besuch bei Lieutenant Mitra und unseren Ermittlungen auf der COLUMBIA auf die Pelle gerückt ist…“
„Das hast du doch gut abgebogen.“
„Ja, weil es nur ein Lieutenant Commander war. Weil ich darauf geachtet habe, nicht an höherer Stelle Alarm zu schlagen. Aber wir haben in den letzten Tagen ein bisschen zu viele Wellen gemacht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis jemand neugierig wird, den ich nicht so einfach in die Ecke schicken kann. Wenn irgendjemand auf der Führungsetage auf unsere Operation aufmerksam wird… Wenn einer von den Chefs plötzlich zu der Ansicht kommt, wir würden in seinem Hinterhof wildern…
Nein, jemanden auszuquetschen wäre genau die Steilvorlage, die der NIC jetzt braucht.“
„Was sie nicht wissen…“
Tremane winkte ab: „Nein. Wenn ich es riskiere, dass sie uns festnageln, dann nicht nur wegen einer halbwüchsigen Prostituierten. Das hebe ich mir denn doch für etwas Wichtigeres auf. Was meinst du, warum ich gegenüber Davis so scheißfreundlich war?! Dem Typ ist vermutlich einer abgegangen, weil ihm der Geheimdienst derartig Zucker in den Arsch geblasen hat. Dieser Scheißkerl!“
„Was für Worte…“
„Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte man ihn mit Drogen voll pumpen und an die Schmerz-Stimulatoren anschließen sollen!“
Jean Falkner blendete das und die nächsten Worte aus. Sie wusste, dass Tremane das nicht ernst meinte. Na ja, nicht GANZ ernst. Aber er hasste es, wenn ihm jemand ins Handwerk pfuschte, und wegen den bohrenden Fragen eines subalternen NIC-Offiziers auf einmal den Gang runterschalten zu müssen, ärgerte ihn natürlich fürchterlich. Vor allem, wenn er deswegen ausgerechnet gegenüber einem Mann freundlich sein musste, dessen Familie nach Tremanes Meinung vermutlich für sämtliche verschwundenen Schiffe seit der Erfindung des Bermudadreiecks verantwortlich war.

„Also schön. Ich versuche, die Kleine mit dem Geld zu ködern. Und du kümmerst dich um den Rest. Und was ist, wenn das kleine Miststück uns nur ausnehmen will?“
„Dann werde ich mir die Zeit nehmen, dafür zu sorgen, dass sie das bedauert. Dann schleife ich ihren schwarzen Arsch höchstpersönlich vor eine Jury. Zusammen mit einem One-Way-Ticket zur nächsten Strafkolonie.“
„Mach keine Versprechen, die du nicht halten kannst.“

***

Aber Jean Falkner sollte keine Gelegenheit dazu bekommen, den Wahrheitsgehalt von Tremanes Drohung zu verifizieren. Allerdings…im Nachhinein sollte sie später zu der Ansicht kommen, dass das wahrscheinlich die beste Möglichkeit gewesen wäre.

Mit einer Überweisung über 3.000 Credits – einem ‚Vorschuss’, der mit dem Versprechen von weiteren 5.000 und einer neuen Identität gekoppelt war – war es tatsächlich kein allzu großes Problem, Cara zum Reden zu bringen. Ohne dabei irgendwelche Spuren an ihrem Körper oder ihrer Seele zu hinterlassen, die dem NIC eine Handhabe geben konnten, Tremane oder Falkner zu verhaften.
Aber was die junge Prostituierte zu erzählen hatte…

Als Tremane den knappen, aber umfassenden Bericht seiner Untergebenen zu Ende angehört hatte, verschwendete er nicht weniger als fünf Minuten dafür, um nacheinander Lieutenant Pallardo, den Sicherheitsdienst, und eine Reihe weiterer Personen und Institutionen zu verfluchen, die allerdings teilweise nur noch mittelbar mit der ganzen Angelegenheit zu tun hatten.
„Dieser verdammte Idiot! Was ziehen sie bloß neuerdings für die Streitkräfte ein?! Kann dieser Kerl nur mit seinem Schwanz denken?! Ist er zu dämlich, um zu begreifen, was ein Maulkorb ist?!“
„Willst du Pallardo verhaften lassen?“
„Natürlich! Aber ich werde es nicht tun. Das könnten wir nicht lange geheim halten. Und dann wäre der Teufel los. Ich will es mir nicht mit unseren Superhelden verderben, außer es geht wirklich nicht anders. Dazu hat mir das Geschwader zu viele Gönner in den höheren Rängen. Wir müssten es von der MP, dem JAG – oder auf jeden Fall dem NIC absegnen lassen. Und dem NIC traue ich nicht weiter, als ich diesen Bürokratenarsch, der sich hier Chef nennt, werfen kann.
Denk daran, was unsere schwarze Orchidee sonst noch erzählt hat. Dieser Ikedia hat todsicher jemanden beim NIC auf seiner Gehaltsliste. Und bei der Militärpolizei – wahrscheinlich sogar bei dem verdammten JAG.“
„Wenn Ikedia sein Team und dieses Schiff - die MARY C? - bereits losgeschickt hat…“
„Gar keine Chance, die jetzt noch unauffällig abzufangen. Sie sind längst außerhalb der Reichweite der Systempatrouillen. Wahrscheinlich schon längst auf dem Weg ins Niemandsland. Und ich habe weder die Kompetenz, noch die Mittel, um eine der regulären Grenzpatrouillen umzudirigieren. Das hier ist immerhin eine Kriegsgrenze.
Ganz zu schweigen davon, dass das auch nur über die offiziellen Kanäle ginge. Bis wir auf diesem Weg ein Schiff und einen Marschbefehl hätten, wäre das Material schon längst auf dem Schwarzmarkt. Und wenn Ikedia gut genug war, in so kurzer Zeit ein Schiff auszurüsten, loszuschicken und an der Systemkontrolle vorbeizulotsen, dann kann das nur heißen, dass er wahrscheinlich auch dort ein paar Leute hat.“
„Jetzt wirst du aber paranoid. Ich denke eher, dass er auf die übliche Inkompetenz und die Tatsache setzt, dass hier selbst an ruhigen Tagen mindestens ein halbes Hundert Frachter ein- und ausläuft.“
„Das Risiko gehe ich nicht ein.“

Jean Falkner vermutete allerdings, dass es einen anderen Grund dafür gab, dass Tremane nicht über die offiziellen Kanäle gehen wollte. Er war immerhin nur Commander – und er teilte nicht gerne. Ein reguläres Hilfeersuchen hätte ihn schnell in eine Juniorrolle gedrängt.
„Was machen wir dann? Willst du die MARY C auf dem Rückmarsch abfangen lassen? Dazu müssten wir aber auch über die offiziellen Kanäle gehen. Aber wenn wir es richtig timen…“
Es überraschte sie nicht, dass Tremane die Frage verneinte: „Auf keinen Fall. Bei unserem Glück haben sie ihre Fundstücke dann längst an irgendeinem Piratentreffpunkt an den Meistbietenden verkauft.“
„Ich glaube nicht, dass Freibeuter, Drogen- und Menschenhändler etwas mit antiker Alientech anfangen können. Falls man im Medusa-System wirklich etwas finden kann.“ Natürlich blieb ihr letzter Satz unkommentiert.
„So wie ich Ikedia einschätze, sucht er schon längst nach ein paar geeigneten Kunden. In der Wirtschaft, in der Conföderation – vielleicht sogar bei den Akarii. Dank diesem schwanzgesteuerten Hotshot weiß er immerhin halbwegs, was diese Alien-Hüllenpanzerung leisten kann. Das reicht. Falls er nicht ohnehin über den NSC oder die RELENTLESS an die präzisen Daten gekommen ist. In dem Fall kann er sich die Käufer aussuchen. Verdammt, es gibt einfach zu viele Offiziere, die meinen, dass sie zu wenig verdienen.“
„Du übertreibst…“
„Ich werde dieses Risiko nicht eingehen. Und ich werde GANZ BESTIMMT NICHT still herumsitzen und abwarten.“
„Aber wenn wir kein Kriegschiff anfordern können…“
„Müssen wir eben sehen, was wir selber auf die Beine stellen können. Eine schnelle, begrenzte Aktion. Unter dem Radar. Ohne den Dienstweg. Wir sind zurück, bevor jemand bemerkt, dass wir weg waren.“

Falkner musterte ihren Vorgesetzten misstrauisch. Sie kannte seine Vorliebe für extralegale Aktionen. Und auch wenn sie da aus einem ähnlichen Holz geschnitten war, manchmal…
„Eine TSN-Aktion? Vergiss nicht, Sterntor ist nicht gerade ein Heimspiel für uns. Klar, wir haben das O.K. von unserer Zelle hier, und sie werden auch den Mund halten. Aber sie werden sich auch nicht gerade ein Bein für uns ausreißen. Immerhin könnten wir ihren schönen Kuschelkurs mit dem NIC sabotieren. Außerdem…was meinst du, was unsere Schreibtischtäter hier von Sonderprojekten und Black Ops halten? Niemand mag Primadonnen. Und genau das sind wir für unsere Jungs und Mädels hier. Außerdem gehören wir halb und halb – offiziell – zum NSC. Der TIS kann uns am ausgestreckten Arm verhungern lassen.“ Sie erwähnte nicht, dass sie durchaus die Möglichkeiten hatte, den Einsatzeifer und die Freigiebigkeit der hiesigen Zelle etwas zu stimulieren. Keinen Grund, Tremanes Ahnungen und Vermutungen neue Nahrung zu geben. Außerdem sollte sie auf diese Möglichkeit nur im äußersten Notfall zurückgreifen, und den sah sie jetzt noch nicht gegeben, egal was Tremane auch meinte. Außerdem…wenn sie zu oft in ihre Trickkiste griff, dann bestand die Gefahr, dass ihr Vorgesetzter sich daran gewöhnte. Er ging jetzt schon genug Risiken ein, und ihre…Auftraggeber würden es gar nicht zu schätzen wissen, wenn er ihre Unterstützung als gegeben ansehen würde.

„Natürlich brauchen wir unsere TIS-Zelle hier, aber ich denke nicht, dass wir die nötigen Mannschaften und Hardware ausschließlich aus den Geheimdienstarsenalen ziehen müssen.“
„Was schwebt dir vor? Willst du mit einer Sammeldose rumgehen?“
„Witzig.
Wie gesagt, wir haben keine Chance, an ein Kriegschiff zu kommen. Keine Zeit dafür. Auch kein NSC-Forschungsschiff. Zu auffällig, zu groß, zu teuer. Wir könnten es niemals geheim halten. Und ein Schiff aus der TIS-Flotte…Selbst wenn unsere Abteilung eines besorgen kann, bis es hier ist…“
„Aber wir brauchen ein Schiff, eine Mannschaft, und wir brauchen Waffen. Nichts davon haben wir. Dafür aber den NIC, der Unrat wittert, und ein Haufen Offiziere und Zivilisten, denen du in den letzten Wochen auf den Füßen herumgetrampelt bist.“
„Für einen Frachter müsste unser Budget noch reichen. Vor allem die Sorte freier Unternehmer, die mir vorschwebt. Einer, der keine Fragen stellt.“
„Ein Trampfrachter gegen die MARY C? Der Kahn ist vielleicht auch nicht gerade neu, aber todsicher modifiziert. Ist das nicht ein wenig zu sportlich?“
„Deshalb brauchen wir ein Sturmkommando Marines, eine Enterfähre, und zwei bis drei Jäger.“
„Ich dachte, du willst unter dem Radar fliegen. Keine offiziellen Stellen...“
„Das bekomme ich schon hin. Wir müssen uns von den Systemstreitkräften fernhalten. Wenn jemand quatscht, dann am ehesten bei denen. Wir brauchen Leute, die neu im System sind. Und wir dürfen kein offizielles Ersuchen stellen. Das kann zu leicht durchsickern. Deshalb…“

„Setzen wir auf Freiwillige. Leute, die momentan aus dem Dienstbetrieb genommen wurden, die Freigang haben. Denen kein Dienstplan im Nacken sitzt.
Du denkst an die COLUMBIA-Kampfgruppe.“
„Genau. Die Schiffe liegen fast alle im Dock. Die meisten Mannschaften und die Marineinfanterie haben Freigang. Und was die Piloten angeht…
Es ist ja noch nicht mal klar, ob sie unser Supergeschwader nicht einfach auflösen.
Ich will verdammt sein, wenn ich bei dem Marines-Kontingent und bei den Piloten nicht ein paar aussichtsreiche Kandidaten finden kann, die man mit den richtigen Worten überzeugen kann, dass sie uns unter die Arme greifen.“
„Und mit was willst du sie ködern? Es ist schließlich nicht so, dass du ein paar Admiralssterne auf den Schultern hast.“
„Ich habe immer noch meinen NSC-Ausweis. Und wenn der nicht hilft…können wir immer noch die TIS-Karte ausspielen.
Eine kriegswichtige Mission…streng geheim…höchste Auszeichnungen…das Schicksal der Republik…“

Tremanes Stimme hatte eine gewollt pathetische Note angenommen, die Jean Falkner unwillkürlich zum Lachen brachte.
Aber sie wusste, das konnte klappen. Vor allem…weil es möglicherweise nicht SO weit von der Wirklichkeit entfernt war.
Nicht, was die Belohnungen anging, die Tremane versprechen wollte. Aber wenn die von der RELENTLESS und den Aufklärungsjägern aufgezeichneten Daten tatsächlich korrekt waren, wenn die Republik diese antike Hüllenpanzerung kopieren konnte…
‚Und wenn ich Flügel hätte, und etwas kleiner wäre, dann wäre ich die Pixie-Königin.’
„Denkst du an jemanden speziellen?“
„Nicht, was das Marines-Kontingent angeht. Aber wir brauchen nicht viel, vielleicht ein Squad. Es sollte sich doch herausfinden lassen, welchem Jarheadhäuptling es besonders stark am Hals juckt.
Und was die Piloten angeht… Da wüsste ich schon ein paar Kandidaten.“
„Ja, darauf möchte ich wetten.“ Jean Falkner wusste, dass Tremane im Verlauf der letzten Wochen die Dienstakten von mindestens zwei Dutzend Mitgliedern der Angry Angels angefordert hatte. Und er war ziemlich gut darin, um jene Bruchstellen und Schwächen zu finden, an denen er ansetzen konnte. Wenn man das bedachte…“Sag bloß, du hast das von Anfang an geplant?!“
„Ich? Aber niemals. Ich wollte bloß vorbereitet sein.“
„Aber sicher doch. Und an wen hattest du gedacht?“
„Pallardo fällt weg. Ich will verdammt sein, wenn ich diesen Idioten bei so einer Operation mitnehme. Außerdem könnte es auffallen, wenn er plötzlich verschwindet. Immerhin ziehen wir es auf diese Art und Weise durch, damit Ikedia nichts davon erfährt.
Sein Staffelführer…hmm. Wahrscheinlich wäre Nakakura besser geeignet, aber ich bin mir nicht sicher, ob Ikedia ihn nicht auch unter Beobachtung gestellt hat. Ich würde es tun. Nur, weil unsere Informantin nichts davon weiß… Mal sehen.“
„Du denkst doch nicht etwa…“
„Wenn ich Davis schon Honig ums Maul schmiere…“
Jean Falkner schnaubte abfällig: „Dann willst du ihn auch ficken? Also ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist. Der Typ kann nicht gehorchen. Und ich will nicht, dass ich dich irgendwann von seiner Kehle wegziehen muss.“
„Trotz allem ist er ein guter Pilot. Er hat das passende psychologische Profil. Der Mann denkt nicht zweimal nach, bevor er ‚Hier!’ schreit. Und ich kann mich beherrschen.“
‚Aber sicher doch.’
„Und wen noch?“
„Hmm…Ich dachte zum Beispiel an Pawlitschenko. Wenn wir ihr die Bedeutung der Operation klar machen, dann wird sie mitmachen MÜSSEN. So ist sie nun einmal. Und außerdem…haben wir eine ungewöhnlich detaillierte Krankenakte von ihr. Einschließlich Gehirnscans. Sie ist das perfekte Vergleichsobjekt für Doktor Eriksens Studien.“
„Was denn – die kommt auch mit?“
„Natürlich. Sie weiß zuviel, um sie einfach außen vor zu lassen. Und sie weiß genug, um sich freiwillig zu melden, wenn ich ihr das Angebot mache, mitzukommen. Sie wird begeistert sein.
Außerdem brauchen wir noch ein paar Experten vom NSC. Immerhin wollen wir auch noch Bergen, was im Medusa-System zu finden ist. Aber niemanden Hochkarätiges. Es müssen Leute sein, die etwas von ihrem Fach verstehen, aber die nicht zu stark im Rampenlicht stehen. Die wir abziehen können, ohne ihnen den Grund sagen zu müssen. Wenn Ikedia wirklich auch ein paar Informanten im Wissenschaftskorps hat….“

„Ich dachte, du willst das unauffällig aufziehen? Und dafür willst du…lass mal sehen…
Geld und Ausrüstung vom TIS. Einen zivilen Frachter. Ein paar NSC-Eierköpfe, ein Sqad Marines, und eine Sektion TSN-Piloten.
Habe ich noch etwas vergessen? Willst du vielleicht auch noch was vom NIC?“
„Gerade WEIL es eine Modularoperation ist, werden wir unter dem Radar bleiben. Es sind immer nur…Kleinigkeiten. Bruchstücke. Ikedia hat weder die Informationsquellen noch den Verstand und die Zeit, um daraus ein Gesamtbild zusammenzusetzen.
Und was den NIC angeht…ich hoffe, dass für den das gleiche gilt. Das ist MEINE Operation. Und niemand pfuscht mir da rein. Kein Unterweltlord, und auch nicht die Schlappohren vom Sicherheitsdienst. Die sollen weiter ihre imaginären Spione jagen, und in der E-Post stöbern.“

Jean Falkner hätte am liebsten die Augen verdreht. Das wurde langsam lästig. Allerdings…zugegeben, wenn der NIC von der Operation Wind bekam, dann standen die Chancen ziemlich gut, dass sich der Sicherheitsdienst einmischte – oder gleich die ganze Operation für sich reklamierte: „Irgendwann wirst du einmal zu schlau sein, Andrew. Und dann will ich nicht in der Nähe sein. Aber erklär mir noch mal, warum du unbedingt unsere Frau Doktorin mitnehmen willst.“
„Du hast die Ergebnisse ihrer Untersuchungen gesehen. Ich will kein Risiko eingehen. Deshalb wird sie alle scannen – ALLE – die an dieser Operation teilnehmen. Und zwar kurz nach dem Start, vor dem Sprung in das Medusa-System, bevor wir das System verlassen, und bevor wir hier wieder anlegen.“
„Und was glaubst…“
„Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung. Eigentlich halte ich nicht viel von dieser Theorie. Aber ich kann ja auch falsch liegen.“
„Nein wirklich?“
„Und genau deswegen will ich, dass wir alle gründlich durchleuchtet werden. Jeder Matrose, jeder Pilot, jeder Marineinfanterist. Auch wir. Und sogar die verdammte Bordkatze, wenn die so etwas haben. Das Gleiche würde dann natürlich für die Mannschaft der MARY C gelten, wenn wir sie erst einmal festgesetzt haben.“

„Und Ikedia?“
„Gar nichts. Was wir haben, das könnte für eine Razzia reichen – aber dafür würden wir die Polizei brauchen. Und vielleicht auch noch den NIC – immerhin geht es auch um den Schmuggel mit strategischem Material. Zu auffällig. Zu unsicher. Wenn wir so etwas anlaufen lassen, dann können wir dem Sicherheitsdienst auch gleich ganz offiziell die Kontrolle übergeben.“
„Also leitest du unsere Informationen mit einer kleinen Verzögerung weiter.“
„Genau. So, dass die Polizei und der NIC sich erst dann für ihn interessieren, wenn wir bereits im Medusa-System sind.“
„Hm…Was ist mit dem Mädchen?“
„Sie kriegt ihr Geld und ihre falsche Identität. Und dann löschst du alle Aufzeichnungen darüber.“
„Und warum das? Du wirst doch nicht etwa weich? Oder hoffst du auf eine Gratisnummer?“
„Sehr witzig. Keine Angst, das hat einen anderen Grund. Glaubst du, sie hat das Zeug für einen Kronzeugen gegen Ikedia?“
Falkner überlegte kurz: „Sie ist nicht dumm, und sie weiß ziemlich viel über Ikedias Geschäfte. Für eine Nutte. Man könnte sie entsprechend präparieren. Also…ja.“
„Und damit haben wir einen Trumpf in der Hand, mit dem wir nötigenfalls ein wenig wuchern können. Und wir tun den Angry Angels einen Gefallen. Sie müssen sich nämlich NICHT mit dem Problem herumschlagen, dass einer ihrer Heldenflieger streng geheime Informationen ausplaudert, bloß weil er nicht mit seinem Kopf denken kann. Außerdem…“, er grinste spöttisch, „…vielleicht können wir sie später noch mal gebrauchen. Wäre schließlich nicht das erste Mal, dass der Geheimdienst solche ‚freien Mitarbeiter’ einsetzt.“

Jean Falkner zuckte mit den Schultern. Sie vermute, dass Tremane vielleicht auch aus einem eher…sentimentalen Grund so großzügig war. Männer! Kaum sahen sie ein hübsches Gesicht mit ein paar großen Augen und einer traurigen Kindheit, und schon mussten sie den Retter spielen.
Nicht, dass es eine Rolle spielte.
„Du spielst ein gefährliches Spiel. Irgendwann wird der NIC bemerken, was du da unter seiner Nase aufgezogen hast. Und das wird ihnen nicht gefallen. Vor allem, wenn sie so ziemlich die Einzigen sind, die nicht mitspielen dürfen.“
Tremane zuckte mit den Schultern: „Das ist es mir wert.“
‚Das werden wir ja noch sehen.’ Aber diesmal behielt sie ihre Zweifel für sich. ‚Und jetzt muss ich zusehen, dass ich so schnell wie möglich an eine sichere Kommeinheit komme. Und zwar, OHNE dass Andrew etwas davon bemerkt.’
24.01.2016 06:51 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cattaneo

Ein unwiderstehliches Angebot

Sterntor-System, Seafort, Neu Kapstadt, Livingston Naval Air Station

Seit über einer Woche lag die Emerald Jade nun schon auf dem Gebiet der Livingston Naval Air Station in Quarantäne und war inzwischen zweimal gründlich vom Zoll durchsucht worden. Man hatte sie aus Sicherheitsgründen nicht auf einen zivilen Raumhafen überstellt, sondern sie zusammen mit anderen zweifelhaften Kandidaten untergebracht, die einer Überprüfung entgegengingen. Zusätzlich zu den Landeplätzen und den notwendigen Wartungsgebäuden gab es in diesem Teil des Raumhafens riesige Lagerhallen, wo zehntausende Tonnen Konterbande lagerten. Die FRT war sich nicht dazu zu schade, ehemaliges Schmuggelgut für eigene Zwecke zu verwenden, und so herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Unablässig wurde Fracht ein-, aus- und umgeladen, wobei die Flottentransporter manchmal nicht viel besser aussahen als die oft maroden „Arrestanten“.
Die Besatzung der Emerald Jade war froh, dass sie wenigstens nicht in „sichere Quartiere“ verlegt worden war, denn Quarantäne bedeutete NOCH nicht Haft. Trotzdem war die Stimmung nicht zum Besten. An Bord des Schiffes gab es keine feste Bezahlung, sondern man erhielt das, was auf den Walfangschiffen des 19. Jahrhunderts gemeinhin als Lay bezeichnet worden war. Das war ein von der Position abhängiger fester Anteil vom Gewinn, dazu kamen freie Kost und Logis. Wobei die letzten beiden Punkte auf einem Merkur-X und besonders auf diesem nicht wirklich einen großzügigen Bonus darstellten. Diese Praxis bedeutete, jeder untätige Tag fraß auch an der Heuer der Besatzung, die ohnehin nervös war. Einige der Männer und Frauen hatten grundsätzlich etwas dagegen, sich von den Terries etwas vorschreiben zu lassen oder mochten eine begründete Abneigung gegenüber weiteren Überprüfungen haben. Oder sie wurden einfach hibbelig, wenn sie zu lange an einem Platz festsaßen. Was die Situation noch schlimmer machte war der Umstand, dass man die Wut und Frustration nicht einmal an den eigentlichen Schuldigen auslassen konnte.

Auf gemeinsamen Entschluss des Bordrates – manche munkelten, Kapitän Sarah Victor alias Jayhawker und einige ihrer Untergebenen seien mindestens einmal in ihrem Leben als Freibeuter gefahren und hielten deshalb bei solchen Fragen eine gewisse Basisdemokratie aufrecht, wie sie bei Piraten üblich war – wurde darauf verzichtet, frische Nahrung zu übernehmen, um die wachsenden Löcher im Geldbeutel wenigstens etwas zu begrenzen. Das hieß, es blieb bei der Ansammlung von Nähr-, Geschmacks- und Farbstoffen, die von Quicksilver mehr oder minder geschickt aufbereitet und in die Imitation echter Gerichte verwandelt wurden. Aus Sicherheitsgründen konnten sie alle ohnehin die Quarantänezone nur sehr eingeschränkt verlassen, also fiel auch ein Urlaub auf eigene Kosten weg – und die Freizeitmöglichkeiten an Bord waren gelinde gesagt begrenzt.
Die Besatzungsmitglieder konnten eigentlich nur das gebührenfreie systeminterne Trid-Fernsehen nutzen und sich ansonsten nach Kräften langweilen. Selbst ein über 100 Meter langes Schiff konnte eng werden, wenn der Laderaum voll und man nicht mehr mit den sonst anfallenden täglichen Arbeiten beschäftigt war. Aus gutem Grund hatte die Kapitänin darauf verzichtet, ihre Besatzung zu einigen eigentlich überfälligen Arbeitseinsätzen abzukommandieren, denn in der momentanen Lage hätte das wohl zu einer Meuterei geführt. Einige waren allerdings inzwischen so sehr angeödet, dass sie aus reiner Langeweile freiwillig arbeiteten. Zudem hatte ihre Chefin jeden möglichen Drogengebrauch – über den sie sonst während der Liegezeit auch mal hinwegsah, wenn er nicht bei der Arbeit störte – untersagt. Nicht auszudenken, wenn ein paar humorlose Terries zur falschen Zeit hereinschneiten. Dabei zog sich die Verbitterung durch alle Dienstgrade, sehr viele gab es auf dem Schiff allerdings ohnehin nicht. Die Kapitänin brauchte nur einen Blick in den Laderaum zu werfen, wo ihre Ladung vor sich hinstaubte, und sie giftete los. Vermutlich auch deshalb, weil sie sich in offiziellen Besprechungen mit den Zollbehörden watteweich und zuckersüß gab und mehr Kreide als ein ganzes Rudel Märchenwölfe fraß, was sie ja irgendwie kompensieren musste.
Diese „freundliche Tour“ hatte ihr zwar schon zwei Einladungen zu einem Abendessen – NACH Klärung der Sachlage – eingebracht, von einem Ortungstechniker und einem Zollbürokraten. Aber es half ihr nicht wirklich, Schiff und Ladung freizubekommen. Und egal wie freundlich oder penetrant sie nachfragte, es war auch nicht herauszukriegen, wann dieser unhaltbare Zustand ein Ende haben würde. Nicht, dass Kapitän Jayhawker an dieser Miesere ganz unschuldig war. Ihre Geschäftspartner gehörten grundsätzlich nicht zur auskunftsfreudigen Sorte, und so kamen die Ermittlungen langsam voran. Vor allem war die Buchführung der Emerald Jade so löchrig und unübersichtlich, wie es sich überhaupt noch mit dem Gesetz vereinbaren ließ. Inzwischen trafen die ersten Anfragen der Kunden wegen des Lieferverzugs ein. Noch war die Lage nicht kritisch – die Ladung war wenigstens nicht leicht verderblich – aber wenn sich nicht bald etwas änderte, würde es erhebliche Vertragsstrafen hageln. Und in ihrem Metier war es tödlich, wenn man sich den Ruf erwarb, der Zoll habe einen auf dem Kieker. Man konnte nicht mal die Liegezeit auf Sterntor nutzen und einkaufen gehen. Normalerweise konnte man hier einige „Stoffe“ erwerben, die in anderen Systemen erheblich mehr einbrachten, wenn man es bei der Einfuhrdeklaration nicht so genau nahm. Aber das war natürlich im Moment undenkbar.
Unter diesen Bedingungen war abzusehen, dass sich ein gewisser Druck aufbaute, der vermutlich irgendwann zu einer ernsthaften Prügelei innerhalb der Besatzung oder, viel schlimmer, zwischen einem Besatzungsmitglied und einem Terrie führen würde. Sowohl der Kapitän als auch Quicksilver taten ihr Möglichstes, aber auch das würde nicht ewig ausreichen. Überhaupt war Quicksilver in dieser Situation eine der wichtigsten Verbündeten der Kapitänin, wie sie auch sonst als der gute Geist der Emerald Jade fungierte und einen schier unglaublichen Fundus an Anekdoten, Liedern und Witzen auf Lager hatte, allerdings konnte man viele nicht den Gegenwart zivilisierter Menschen zum besten geben. Immerhin kam sie aus einer Raumfahrer-Großfamilie. Und während Jayhawker den Zoll bearbeitete, versuchte ihre Untergebene, die Besatzung halbwegs bei der Stange zu halten.

An diesem Tag hatte die Kapitänin wieder einmal die übliche Ochsentour hinter sich gebracht. Sie war von einem Bürokraten zum nächsten gestiefelt und hatte nachgefragt, gebettelt und gefeilscht. Steuerfahndung, Sektion für Konterbande, Vertragprüfungsabteilung und, und, und…
Der Raumhandel war zwar primär ein privates Geschäft, aber besonders jetzt im Krieg hatte der staatliche Zugriff erheblich zugenommen. Eine ganze Reihe von Produkten, Rohstoffen und Handelspartnern unterlag inzwischen Beschränkungen, bedurfte Sondergenehmigungen oder genoss andersweitig besondere Aufmerksamkeit. Für Uneingeweihte war das Dickicht der Bestimmungen nur noch schwer zu durchschauen, allerdings konnte derjenige, der sich zurechtfand und gar die begehrten Flottenaufträge ergatterte, auch riesige Gewinne einfahren.
Natürlich konnte man immer Abkürzungen auf dem Weg durch die Instanzen nehmen – Bestechung war ein probates Mittel – doch wer sich vor Ort nicht auskannte, der lief metaphorisch gesprochen Gefahr, dass der Busch, den er gerade umhauen wollte, ihm den Fuß zerquetschte. Wenn man nicht wusste, wen man mit was und wie viel „bearbeiten“ musste, dann ging man ein erhebliches Risiko ein. Vor allem war selten ein Problem vollkommen erledigt, wenn man erst einmal EINE Unterschrift oder Freigabe hatte, sondern man musste darauf achten, dass man nicht auch von einer anderen Unterbehörde begutachtet wurde. Kapitän Jayhawker hatte es nach Abschluss der allgemeinen Untersuchung inzwischen zumindest geschafft, ihre agrarischen Güter freizuboxen. Es hatte sie nur drei Tage Geduldsarbeit, eine Flasche Whiskey zu 50 Credits und einen diskreten Einkauf einer vollkommen wertlosen und ziemlich hässlichen Brosche für 200 weitere Credits gekostet. Gott, diese Bürokraten ließen sich wirklich immer wieder etwas einfallen, um ihre schmutzigen kleinen Nebenverdienste zu kaschieren. All das für eine Freigabe, die wohl auch so erfolgt wäre, aber mindestens noch eine Woche länger gebraucht hatte. Nur half ihr das leider gar nichts, denn so lange ihr Schiff und der Rest der Fracht nicht ebenfalls aus dem Schneider waren, konnte sie nicht von hier verschwinden und liefern. Die einzige Alternative war ein Verkauf vor Ort und die Auszahlung ihrer Kunden – was todsicher erhebliche Verluste bedeutete, aber vielleicht die einzige Chance war, wenigstens etwas Geld zu retten.
Sie fragte sich sowieso, ob nicht genau das die Taktik der FRT war: verdächtige Fracht so lange in Beschlag zu nehmen, bis die Spediteure oder Besitzer bereit waren (deutlich unter Preis) an die Behörden zu verkaufen. Wenn das so war, lag es in ihrer Hand, hier wegzukommen. Aber wirtschaftlich würde ihr dies das Genick brechen.

Aus diesem Grund hockte sie ziemlich trübsinnig im Wartebereich der Abteilung für strategische Halbfertigungsprodukte, und der Blick auf den Stapel von Freigabescheinen für gerade einmal 30 Prozent ihrer Fracht heiterte sie ebenso wenig auf wie der dünne und reichlich synthetisch schmeckende Tee, den sie sich aus einem Automaten gezogen hatte. Wenn sie noch ein paar Bürokraten anlächeln und bezirzen musste, würde sie vermutlich durchdrehen. In diesem Moment meldete sich die seelenlose Automatenstimme, die hier die Ansagen übernahm: „Mrs. Sarah Victor in Zimmer 417. Sarah Victor in Zimmer 417.“ Die Kapitänin dachte noch säuerlich, während sie sich auf den Weg machte, dass es hier eher wie in einem überlaufenen Krankenhaus zuging. Jedenfalls sahen viele der Wartenden so aus, als bräuchten sie dringend medizinische Hilfe.
Die Tür von Zimmer 417 trug eine ebenso lange wie nichtssagende Aufschrift: „Sekretariat der Prüfstelle für strategische elektronische Halbfertigungsprodukte“. Die Besitzerin der Emerald Jade hatte so ihre Vorstellung, was sie hier erwartete. Sehr wahrscheinlich war sie hier, um einem ebenso einen neuen Stapel von Papieren oder ein elektronischen Datenpad zu empfangen, um den Rest des Tages nutzlos irgendwelche Fragen zu beantworten, die ihr nicht weiterhelfen würden, und die auch kaum jemals wieder jemand anschauen würde. Ihr Gegenüber würde auf Nachfragen nur mit den Schultern zucken und bedauern, dass er oder sie auch nicht sagen konnte, wie lange die Bearbeitung dauern würde. Trotz dieser hoffnungslosen Aussicht hievte sie ein freundliches Lächeln auf ihr Gesicht, denn ihre Verärgerung zu zeigen, würde ihr nichts bringen, im Gegenteil.
Doch in dem Augenblick, in dem sie eintrat, leuchteten auf ihrem internen Radar die Warnsignale auf. Das hier war gewiss nicht das, was sie erwartet hatte. Das Zimmer sah zwar nicht besonders aus – ein Schreibtisch mit den unvermeidlichen Papieren und einem Datensichtschirm, vermutlich mit ihrer Akte darauf, insgesamt drei Stühle, einige Schränke und ein Wandbildschirm zu Kommunikationszwecken. Aber der Mann hinter dem Schreibtisch…
Es war schwer zu sagen, wie alt er war – sicher mindestens in ihrem Alter. Er trug die Uniform eines Commanders, und schon das war mehr, als Sarah seit der Ankunft in Seafort zu Gesicht bekommen hatte. Aber es war weit mehr als der Rang. Das schmale Gesicht des Terries hätte attraktiv wirken können – nicht, dass Sarah auf das Aussehen eines TSN-Mannes viel gab – doch sein leichtes Lächeln war nur ein einfaches Verziehen der Mundwinkel, das nicht die Augen erreichte. Die schwarzen Haare trug er streichholzlang, und die Frisur wirkte etwas nachlässig. Das passte nun gar nichts zu einem Posten in der Verwaltung auf diesem Planeten. So verschieden die meisten Etappenhengste auch waren – Achtlosigkeit gegenüber ihrem Äußeren war mehr als ungewöhnlich. Makelloses Aussehen half, das Selbstbewusstsein zu fördern, und selbst wenn man das nicht nötig hatte, irgendein Vorgesetzter hatte es bestimmt und achtete darauf, dass seine Streiter an der rückwärtigen Front auch angemessen martialisch aussahen. Doch es waren vor allem die dunklen, forschenden Augen des Mannes, welche die Kapitänin beunruhigten. Da war irgendetwas unangenehm Intensives, Argwöhnisches und Wachsames in diesen Augen, dass Sarah an einige sehr unerfreuliche Situationen ihrer Vergangenheit erinnerte. Man wurde nicht zur Besitzerin eines rostigen Frachters und operierte jahrelang in den Grauzonen der Illegalität, beschäftigte Besatzungsmitglieder mit unklarer Vergangenheit und handelte mit jedem, der einem einen Credit einbringen konnte, ohne sich eine gutes Menschenkenntnis zuzulegen. Oder besser, wenn man das nicht lernte, dann wurde man nicht alt. Sie wusste noch nicht, wer dieser Commander war – er trug kein Namensschild – oder zu welcher Abteilung er gehörte und was er von ihr wollte. Aber sie war sich sicher, dass er kein nachrangiger Schnüffler des Zolls war. Es sah aus, als würde dieser Tag aufregender werden, als ursprünglich gedacht. Und während die Kapitänin auf die einladende Geste des Terries Platz nahm, erinnerte sie sich an eine wenig ermutigende Weisheit, die ihre Untergebenen fürs Grobe, Yin und Yang, gelegentlich zum Besten gaben, einen alten chinesischen Fluch: „Mögest du in interessanten Zeiten leben…“

Der Offizier nahm sich seinerseits die Zeit, die Händlerin zu begutachten. Und es war bestimmt kein hormongesteuertes Angaffen, ebenso wenig die Gehässigkeit eines Subalternen, der sich an der eigenen Macht berauschte. Die Kapitänin hatte das unangenehme Gefühl Zentimeter für Zentimeter begutachtet zu werden, nach Kriterien, die ihr vollkommen fremd waren.
Aber dieses Spiel konnte man auch zu zweit spielen. Wenn dein Gegenüber dich unter die Lupe nimmt, dann gibst du ihm besser auch etwas zu sehen. Schon aus Gewohnheit kopierte Sarah die Haltung des Offiziers, lächelte ihn mit einer Mischung aus leichter Vorsicht und Hoffnung an, die grauen Augen in einer dezenten Zurschaustellung müder Hilflosigkeit etwas geweitet. Sie nickte dem Commander dankbar zu, als sie sich setzte und legte dabei den Kopf leicht schief, so dass das Licht der Deckenlampe ihr rotbraunes Haar schimmern ließ. Sie hatte gelernt, Männer wie Frauen genau das Bild zu vermitteln, das ihren eigenen Zwecken diente, und inzwischen brauchte sie gar nicht mehr nachzudenken, sondern handelte instinktiv. Man musste nur aufpassen, dass man nicht zu dick auftrug, damit die andere Seite nicht misstrauisch wurde oder zuviel erwartete.
Die Stimme des Mannes klang ruhig, wenngleich sie einen leichten – vermutlich unbeabsichtigten – arroganten und energischen Unterton hatte. Er blickte zwar angelegentlich auf den Bildschirm auf seinem Tisch, doch offenbar war dies nur gespielt, er schien alle Informationen im Kopf zu haben. Auch dies war nicht gerade ein beruhigendes Zeichen: „Guten Tag, Kapitän. Ich bin Commander Andrew Tremane vom NSC. Freut mich, dass Sie Zeit hatten.“
Obwohl die Kapitänin an Überraschungen gewöhnt war, wahrte sie nur mit Mühe und langjähriger Übung die Beherrschung. Was zum Himmel wollte ein höherrangiger Wissenschaftsoffizier von ihr? Das Lächeln um Tremanes Mundwinkel vertiefte sich ein wenig, offenbar hatte er ihre Reaktion bemerkt. Das war wiederum recht vielsagend, denn Sarah wusste, dass sie eine gute Schauspielerin war. Wenn er sie so leicht durchschaute, musste er gut sein. Ungewöhnlich für einen Wissenschaftler, wenn es kein Psychologe war.
Die Kapitänin fing sich jedoch schnell. Ihre Stimme hatte genau den richtigen, freundlichen Klang, mit einem etwas kläglichen und fragenden Unterton. Es war immer besser, dümmer zu spielen, als man wirklich war: „Es freut mich ihre Bekannschaft zu machen, Commander Tremane. Wie kann ich Ihnen helfen?“

Tremane ließ sich nicht anmerken, ob ihre Vorstellung Wirkung auf ihn zeigte. Er blieb gelassen: „Wie ich Ihrer Akte entnommen habe, liegt Ihr Schiff momentan in Quarantäne. Ein Merkur-X, relativ gut bewaffnet für ein Handelsschiff, aber wen wundert das in diesen Zeiten? Die Prüfung für…etwa 70 Prozent der Ladung, elektronische Bauteile für einen Abnehmer auf Lemuria, läuft noch. Es wird als besonders verdächtig eingeordnet, dass Sie unter Umständen aufgegriffen wurden, die nahe legen, dass Sie versuchten, einer Überprüfung zu entgehen. Konkrete Tatbestände liegen weder gegen Sie noch gegen ihre Crew vor.“ Er unterbrach die Kapitänin, die schon zu ihrer inzwischen auswendig gelernten Unschuldsbeteuerung ansetzen wollte: „Ich weiß, nach Ihren Angaben war das alles nur ein Missverständnis. Ich ziehe Ihre Worte auch nicht grundsätzlich in Zweifel, aber es gibt offenbar einige Zolloffiziere, die das etwas anders sehen.“ Die hilflose Geste seines „Gastes“ schien ihn zu amüsieren.
„Schmuggel – selbst der Verdacht des Handels mit der Konföderation – ist eigentlich nicht Metier des NSC. Man sollte auch meinen, unsere nachrangigen Dienste sollten lieber Piraten jagen, als sich mit solchen Lappalien zu beschäftigen.“ Sarah bemerkte, dass der Commander den Eindruck erwecken wollte, er stünde auf ihrer Seite und glaube eher ihren Erzählungen. Sie kannte natürlich die Masche „guter Terrie – paragraphenreitender Terrie“. Offenbar kannte er sie auch. Sie war jedoch fest entschlossen, mitzuspielen, also ließ sie eine ordentliche Portion Dankbarkeit in ihrer Miene aufblitzen.
Tremane fuhr mit geradezu bedauerndem Tonfall fort: „Leider scheinen einige der Zolloffiziere nicht ganz ausgelastet zu seien. Ein Lieutenant Commander hat es sich in den Kopf gesetzt, auf ihrem Schiff gäbe es irgend etwas zu finden, und er hat sich an das Corps gewandt mit Bitte um technische Hilfe bei einer möglichen weiteren Untersuchung.“ Sarah spürte, wie sich ihr Herzschlag etwas beschleunigte. Das klang nicht so gut. Es gab an Bord ein oder zwei…in Ordnung, es waren doch ein paar mehr…Stellen, wo neugierige Augen besser nicht hinschauen sollten. Nun, was dort augenblicklich zu finden war, war nicht ausreichend um ihnen allen das Genick zu brechen, aber diverse Verstöße gegen lokale Waffen- und Drogengesetze waren nichts, was sie jetzt gebrauchen konnte. Ein Ruger 47 Scharfschützenlaser und zwei Walther P 902 Impulslaserpistolen sowie einige halblegale Ersatzpistolen und zwei zivile Gewehre waren nichts, was die Terries unbedingt zu Gesicht bekommen sollten. Es hätte nicht so gut zur Geschichte des harmlosen Frachters gepasst, wenn er genug Waffen für eine dreimal so große Besatzung mitschleppte. Eigentlich hätte sie die Waffen und die privaten Drogenvorräte einiger ihrer Schäfchen ja am liebsten unauffällig beseitigt, als sie nach Sterntor kommandiert wurden. Sie konnte aber wohl kaum von der Besatzung erwarten, dass diese einige ihrer liebsten Besitztümer über Bord warf. Es ging aber nicht nur um das, WAS versteckt worden war. Vor allem wäre es sehr schwer zu erklären gewesen, wieso ein friedliches Handelsschiff über ein halbes Dutzend geschickt getarnter Verstecke mit einem Stauplatz zwischen einem halben und gut zehn Kubikmetern verfügte. Vor normalen Scans waren sie zwar sicher, aber wer wusste schon, was die NSC konnte.
Doch Kapitän Sarah war nicht umsonst eine gute Pokerspielerin: „Ich weiß wirklich nicht, was Sie sich davon versprechen, aber wenn es seien muss, werde ich Ihnen gerne helfen. Wenn es nur hilft hier schnell wegzukommen und nicht so lange dauert. Jeder Tag kostet mich viel Geld – ich verstehe natürlich, dass Sie ihre Pflicht tun müssen.“ Ihr Gesicht war voll Vertrauen in die Gerechtigkeit ihres Gegenübers und in die eigene Unschuld. Sie setzte darauf, dass die NSC mehr zu tun hatte, als ein über 100 Meter langes Schiff zu filzen, bloß weil ein Zolloffizier Gespenster sah.

Tremane lächelte wieder, genau so wie zuvor – auf den ersten Blick offen und durchaus sympathisch, aber ohne, dass es wirklich überzeugend wirkte: „Ich denke nicht, dass dies notwendig seien wird, oder etwas bringen würde. Aber diese Anfrage hat mich auf Ihr Schiff aufmerksam gemacht. Und zufälligerweise ist es so, dass ich momentan eher Hilfe brauche, als selber so viel bieten kann – speziell Hilfe von Ihnen. Vielleicht können wir uns sogar gegenseitig helfen.“
Die Kapitänin der Emerald Jade war lange genug im Geschäft, um zu wissen, wie so etwas ablief und wie sich ein „Angebot, das man nicht ausschlagen konnte“ anbahnte. Die Hilfe, welches dieser Tremane von ihr wollte, war ohne Zweifel der Preis dafür, hier wegzukommen. Gleichzeitig…nun, man konnte nicht sagen, dass der Terrie direkt drohte. Er drohte eher durch die Blume mit einer Drohung, indem er offen ließ, ob er einer Anfrage des Zolls wegen verbesserter Ortungsgeräte nachkommen konnte oder würde.
Sarah Victor war weit davon entfernt, Empörung oder Überraschung zu empfinden. Eigentlich war dies genau das, worauf sie gehofft hatte. Obwohl sie eher in traditionellen Bahnen gedachte hatte, nämlich an eine „Hilfszahlung“ für ein oder zwei Terries. Ab jetzt war es also wieder eine Frage des Preises, und damit konnte sie wesentlich besser umgehen, als mit Paragraphenreitern und selbsternannten Vorzeigescherriffs des Zolls. Folglich änderte sie ihre Miene zu „unsicherer, dankbarer Hoffnung“, während der Commander weiter sprach.
„Ich kann nicht in die Einzelheiten gehen, und ich bitte Sie, das zu respektieren. Es ist nicht mein Entschluss, doch ich muss die diesbezüglichen Vorgaben des NIC und meiner Vorgesetzten beachten. Ich habe für das NSC ein Projekt in einem solabgewandten* System zu betreuen. Es geht um ein potentielles Vorkommen von strategischen Rohstoffen, ähnlich wie im Aurora-System. Leider gab es dort in letzter Zeit einige Probleme mit Plünderern und Piraten. Wir müssen ein Schiff losschicken, das sich das Ganze anschaut, und es sollte in der Lage sein, sich nötigenfalls zu verteidigen. Wie Sie sich sicher denken können, sind die besten Schiffe des NSC anderswo im Einsatz oder von der Flotte beschlagnahmt, zudem sind unsere Mittel begrenzt, ebenso die Kapazitäten, die uns die TSN zur Verfügung stellen kann. Und hier kommen Sie ins Spiel.“

Die Kapitänin ließ sich nicht anmerken, was sie dachte: ,Wenn die Kapazitäten der TSN so angespannt wären, wäre ich nicht hier, vielen Dank auch. Und ich wette, du erzählst mir nicht mal die Hälfte. Warum sollten sich den Piraten für Rohstoffe interessieren, die noch nicht aufbereitet sind? Auf Gutglück ein NSC-Schiff anzugreifen, das riskieren die wenigsten, auch wenn es sich lohnen soll. Und du siehst mir nicht aus wie ein Prospektor.’
Sie verstand natürlich die Anspielung. Tremane deutete, dass er die Emerald Jade für fähig hielt, unter…nennen wir es mal zwielichtigen…Bedingungen zu operieren. Was ja auch stimmte und angesichts ihrer relativ guten Bewaffnung kaum zu leugnen war.
Aber so leicht wollte sie es ihm nicht machen. Nicht, ehe sie nicht wusste, was sich aus der Sache rausholen ließ, zusätzlich zu einer Gehen-Sie-nichts-ins-Gefängnis-Karte. Wie sie es einmal in einer Bordbesprechung (unter Einfluss einer gewissen Menge Alkohols) etwas schlüpfrig ausgedrückt hatte: „Wenn du zu leicht zu haben bist und dich gleich hinlegst, denkt der Typ, du bist eine billige Nutte, die für lau zu haben bist. Es kommt nicht darauf an, dass du dich verkaufst – sondern wie und für wie viel!“
Folglich beschloss sie, sich zu zieren, natürlich nicht auf die falsche Art und Weise. Die Terries waren alle gleich – offenen Widerstand kriegten sie immer gleich in die falsche Kehle, als ob die ganze Galaxis nur dazu da war, ihre Wünsche möglichst umgehend zu befriedigen.
„Herzlich gerne würde ich Ihnen helfen, Commander. Aber ich liege hier fest, und auch wenn ich freikomme, ich habe feste Lieferverträge und bin bereits in Verzug. Jeder Tag verschlingt mehr Geld von meinen Rücklagen – ich brauche Treibstoff, Nahrungsmittel und Ersatzteile. Wenn ich meinen Kunden nicht bald etwas liefere, werden sie mich verklagen. Und meine Besatzung will ihre Heuer, oder ich bin der erste Kapitän der Emerald Jade, der gekielholt wird.“ Sie machte eine wohl kalkulierte hilflose Geste und blickte Tremane direkt flehentlich an.
Der Commander ließ nicht erkennen, ob der Appell an seine männlichen Beschützerinstinkte gegenüber der armen, hilflosen, attraktiven Kapitänin Wirkung zeigte. Stattdessen lächelte er nur wieder: „Ich bin sicher, da findet sich ein Weg…“

***

Die nächste Stunde fand Kapitänin Sarah Victor bereits auf dem Weg zurück zu ihrem Schiff. Die Verhandlungen waren so glatt gelaufen, dass es eigentlich schon fast ein Grund war, misstrauisch zu werden. Tremane hatte zugesichert, ihre Ladung und ihr Schiff freizubekommen, und zwar binnen 24 Stunden. Dazu würde er Sorge tragen, dass die Fracht ausgeladen und an ihre Bestimmungsorte geliefert wurde – zwar nur auf anderen Trampfrachtern, aber wenigsten würde sie ankommen. Zudem konnte die Emerald Jade 30.000 Credits für den „Hilfsdienst“ für das NSC kassieren, plus Zugriff auf ein ordentliches Spesenkonto für den Betrieb des Schiffes. Tremane hatte sich auch dazu herabgelassen, ihr einen großzügigen Vorschuss für unmittelbar anstehende Kosten und Umbauten zu gewähren. Sie durfte sogar die Einrichtung und Versorgung für die zu erwartenden Passagiere vom Spesenkonto bezahlen, und der Commander hatte deutlich gemacht, dass ihm schnelle Erledigung wichtiger war als lückenlose Buchführung.

Doch es war genau diese Großzügigkeit, die Sarah misstrauisch machte. Die Bezahlung war ja in Ordnung, gut, aber nicht unverschämt hoch. Doch warum ließ Tremane sie die ganzen Einkäufe machen? Nur ein Idiot – und das war er bestimmt nicht – würde erwarten, dass sie ihn dabei nicht ein wenig übers Ohr hauen würde. Und selbst im Krieg sollte man mit Staatsgeldern nicht so sorglos verfahren. Warum nicht Flottenmaterial verwenden, zumal wenn es eilig war? Was er brauchte, das fand sich in dutzend- wenn nicht hundertfacher Ausfertigung in den Arsenalen von Seafort. Deshalb gab es für sein Verhalten eigentlich nur eine Erklärung – der NSC’ler wollte nicht mit einer ellenlangen und sehr aussagekräftigen Liste beim Quartier- oder Zahlmeister aufschlagen. Und das stank. Der Umstand, dass sie und ihre ganze Crew sich irgendwelchen medizinischen Routinechecks zu unterziehen hatten und die behelfsmäßige Krankenstation ihres Schiffes aufgerüstet und mit einer Expertin besetzt werden sollte, war hingegen zwar lästig, aber noch halbwegs verständlich. Immerhin hatte die Menschheit mit einigen unangenehmen und hochflexiblen Viren und Bakterien Bekanntschaft gemacht, seit sie auf fremdes Leben gestoßen war. Und angesichts des Streunerlebens und Zustands der Emerald Jade wäre ein NSC’ler, der zur Hypochondrie neigte, sicher nur im Raumanzug an Bord gegangen. Vielleicht gab es in ihrem Zielgebiet gefährliche Strahlung, Spurenelemente oder Mikroorganismen. Sie hatte zwar versucht, noch mehr über das Ziel herauszubekommen, aber in der Hinsicht war der Terrie hart geblieben. Sie würde erst am Sprungpunkt erfahren, wohin es genau ging.
Es war jedoch nicht nur die geradezu untypische finanzielle Großzügigkeit Tremanes, die sie beunruhigte. Mit den Passagieren war es auch nicht viel besser. Einige Eierköpfe vom NSC und andere VIP’s mochten ja noch angehen, ebenso das typische „Ich bin der Macho-Oberboss“-Gehabe des NSC’lers, wenngleich charmant verpackt. Etwas anderes war von einem Terrie, erst recht einem Commander, nicht zu erwarten gewesen. Und die zwei Kampfflieger, die mitkommen sollten, waren auch noch zu erklären, da sich ja angeblich Piraten im Zielgebiet herumtrieben. Die machten zwar einige Umbauten nötig, um sie betanken und einsetzen zu können, aber wenn man zwei freie Shuttleports etwas modifizierte, dann war das kein großes Problem. So weit, so gut. Aber dann noch ein halbes Platoon Marines und ein Sturmshuttle als Begleitung? Das klang nicht gerade nach einem reinen Erkundungsauftrag, denn für den hätte auch das Shuttle der Emerald Jade genügt. Nein, das hörte sich eher nach einem Kommandounternehmen an. Und dann sollte alles auch noch so schnell wie möglich gehen, und ihre Besatzung sollte vorerst so wenig wie möglich erfahren…
Irgendetwas stimmte an der ganzen Geschichte nicht. Und selbst wenn nicht jeder Instinkt und jedes bisschen von Sarahs Erfahrung Alarm geschlagen hätte, der letzte Punkt auf Tremanes Wunschliste war für sich schon aussagekräftig genug. Der Commander hatte sie dazu verpflichtet, sowohl die Gästequartiere als auch den Laderaum, wo die Marines untergebracht würden, zu verwanzen. Sie war keine Spionageexpertin, aber sie ging davon aus, dass man mit den modernen Überwachungsgeräten sehen konnte, wenn ein Mann bei ausgeschaltetem Licht unter einer dicken Decke in einer entfernten Ecke auch nur schlecht träumte. Oder was er eben sonst trieb. Die Geräte, die er ihr beschrieben hat – und die noch an diesem Abend eintreffen sollten – klangen nach modernster Technik, kaum sichtbar, absolut zuverlässig. Wie ihr bekannt war, aber vermutlich wusste Tremane nicht, dass sie es wusste, sendeten solche Wanzen auf exotischen Frequenzen, die sie vielfach in geringen Abständen wechselten, dazu so verschlüsselt, dass nur eine autorisierte Person die Aufzeichnungen auswerten konnte. Die Geräte konnten Daueraufzeichnungen liefern oder auf Kommando und durch bestimmte Schlüsselreize – Infrarot, Bewegung, Licht, Geräusche, Veränderung in der Gaszusammensetzung und dergleichen – aktiviert werden. Und das war nichts, was man mit dem NSC normalerweise in Verbindung brachte.
Ohne Zweifel, hier wurde noch ein anderes Spiel gespielt. Aber ihr blieb ohnehin keine Wahl, als mitzumachen. Egal wer Tremane wirklich war, wenn er sie aus ihrer momentanen Misere herausholen konnte, würde er ihr auch Schwierigkeiten machen können, wenn sie ablehnte. Und das war nichts, was sie momentan gut gebrauchen konnte, schon gar nicht finanziell. Sie konnte nur darauf achten, dass sie das Schaf, das sie von hier wegbrachte, ein wenig scheren konnte, und darauf achten, dass es sich nicht als Wolf entpuppte. Oder besser, wenn es ein Wolf war, dann sollte lieber jemand anders das Rotkäppchen spielen…


* Bezeichnung für die astronomische Schnellorientierung. Das Sol-System fungiert als Nullpunkt, mit dem der gegenwärtige Standpunkt in Beziehung gesetzt wird, egal, ob er sich „über“, „unter“ oder auf einer astronomischen Ebene mit dem System befindet. Was näher am Sol-System liegt, wird als „solwärts“, was weiter entfernt als „solabgewandt“ bezeichnet.
24.01.2016 06:52 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Tyr

Fletcher Island, Seafort

Die Welle rollte mit einem leisen Zischen den bisher vom Wasser unberührten Strandstreifen hinauf, und ihre Ausläufer erreichten Kalis Fußsohlen. Davon wurde sie wach.
Es war nur eine flüchtige, fast spielerische Berührung, und dennoch reichte sie, um die junge Pilotin mit einem leisen Aufschrei auf die Knie hochzutreiben.
Verwirrt und noch ein wenig schläfrig sah sie sich um, und murmelte einen überraschten Fluch.
Dann lenkte ein halblautes Lachen ihre Aufmerksamkeit auf den Mann, der neben ihr hockte, und sich offenbar köstlich amüsierte.

„Du hättest mich ja auch wecken können!“
Kano lachte noch einmal: „Hmmm…du sahst einfach zu süß aus, wie du geschlafen hast. Ich konnte es nicht übers Herz bringen.“
Kali schnaubte kurz, und streckte sich ausgiebig: „Ich bin exotisch, geheimnisvoll, schön, sexy, heißer als eine mexikanische Teerstraße in der Mittagssonne …aber ich bin nicht süß.“
Die Art und Weise, wie sich der gelbe Bikini dabei auf interessante Art und Weise über strategischen Körperregionen spannte, unterstrich ihre Worte eindrucksvoll, und ließ Kanos Lachen verstummen. Klar, er hatte sie schon mit noch weniger am Leib gesehen – aber die Art und Weise, wie die Sonne ihren fast blauschwarzen Haarschopf und ihre dunkle Haut zum schimmern brachten…
Das hatte eine durchschlagende Wirkung.
Kali grinste. SEHR Zufrieden stellend.

Zuerst war sie sich nicht sicher gewesen, ob sie den Bikini wirklich mitnehmen sollte. Genauso wie die Kollektion aus schulterfreien Tops und knappen Shirts, die sie normalerweise als urlaubstauglich eingeschätzt hatte.
Stattdessen waren der hässliche navyblaue Badeeinteiler und langärmliche Hemden in die engere Wahl gekommen – Kleidung, die sei bei einem Strandurlaub normalerweise nicht mal tragen würde, wenn sie tot wäre.
Aber da waren immer noch die schmalen, weißen Narbenlinien auf ihrer Schulter gewesen, dort, wo ihr Arm beinahe von ihrer Schulter getrennt worden war. Ihre dunkelbraune Haut schien sie besonders deutlich hervortreten zu lassen.
Natürlich hatte Kano ihr versichert, dass sie wunderschön aussehe, aber na ja…er war nicht gerade unparteiisch. Außerdem war er ein Kerl. Dazu noch ein Kerl, der eine ganze Reihe von Narben trug, ohne sich darum groß zu kümmern – von den verblassten Spuren einer Schnittverletzung auf der Wange, bis zu dem schattenhaften, unheimlichen Fleckenmuster auf seiner Schulter, wo vor über drei Jahren eine Explosion im Cockpit seines havarierten Jäger seine Schultermuskeln regelrecht in Streifen geschnitten hatte. Damals war er beinahe gestorben.
Und sie war natürlich auch nicht Lilja, der ihr Aussehen offenbar ziemlich gleichgültig war, und die ihre Narben sogar mit einem aggressiven, herausfordernden Stolz tragen konnte, der die Wundspuren gleichzeitig auffälliger und dennoch…irgendwie unwichtig wirken ließ.

Letztendlich hatte sie sich – auch dank Kanos ungewöhnlich wortreicher Überzeugungsarbeit – dann doch entschieden, etwas mehr Haut zu zeigen, statt das hässliche Entlein zu spielen. Aber es war ihr auch nicht ganz unrecht gewesen, dass Fletcher Island abgesehen von den eingemieteten Urlaubern kaum besiedelt war, und man am Tag höchstens ein halbes Dutzend Leute traf – und manchmal auch gar keinen.
Außer natürlich, man legte es darauf an.
Aber dazu hatten weder sie noch Kano momentan viel Lust. Bis sie sich für die nächste Bikini-Party meldete, würde wohl noch etwas Zeit vergehen. ‚Und vielleicht verblassen die Naben ja wirklich irgendwann.’

Sie ließ sich wieder auf das Badetuch sinken. Jetzt, da sie nicht mehr überrascht wurde, waren die gelegentlichen Berührungen der über den Sandstrand rollenden Wellenausläufer eigentlich ganz angenehm: „Die Mittagsflut.“
„Stimmt. Die Riffkrone ist bereits unter Wasser.“
Seafort hatte einen für Terraner überraschend starken Tiedenhub – ein Phänomen, dem trotz der hoch entwickelten Rettungsmaßnahmen an den öffentlichen Stränden Jahr für Jahr ein paar Außenweltler zum Opfer fielen. Selbst die Mittagsflut hatte teilweise ein Etmal von mehreren Meter – genug, um das Korallenriff, das den größten Teil der Insel umgab, nahezu vollständig unter Wasser verschwinden zu lassen.
Sie hatten herausgefunden, dass das die beste Zeit zum Tauchen war, da dann durch einige überflutete Breschen im Riff Hochseefische in die Lagune eindringen konnten, um auf die Riffbewohner Jagd zu machen – manchmal sogar junge Schattenhechte, obwohl sie noch keinen der seltenen Raubfische gesehen hatten.
Nachts verschwand das Riff vollständig unter der Wasseroberfläche, und dann stießen – angeblich – manchmal sogar ausgewachsene Schattenhechte in die Lagune vor. Aber wahrscheinlich war das nur eine Geschichte.

„Wollen wir noch mal raus? Und wenn ich diesmal einen Fisch erwische, dann kannst du dich ja mal als Koch versuchen.“
Kano zuckte mit den Schultern: „Zum Glück gibt es ja so etwas wie Sushi. Und Sashimi.“
„Das könntest du ja vielleicht sogar hinkriegen.“ Sie warf einen Blick auf den Zeichenblock, der auf Kanos Knien lag. Zum ersten Mal seit Monaten – vielleicht auch Jahren – hatte der japanische Pilot Zeit gefunden, um sich wieder einmal in seinem früheren Hobby zu versuchen. Mit einer blitzschnellen Bewegung schnappe sie sich den Block, und schlug Kano gutgelaunt auf die Fingerspitzen, als er das zu verhindern versuchte: „Wollen wir doch mal sehen…“

Die Zeichnung zeigte den üppigen Wald, der praktisch unmittelbar hinter dem breiten Sandstrand begann, und sich bis zu den felsigen Höhenrücken erstreckte, die die Insel zerteilten. Allerdings…
Kali runzelte kurz die Stirn. Der Urwald auf dem Bild war…anders. Obwohl die Zeichnung noch nicht fertig war, und teilweise noch recht flächig und vage wirkte, erkannte sie die Unterschiede sofort.
Die Bäume auf dem Bild wirkten viel höher als in Wirklichkeit, bildeten ein schier undurchdringliches Gewirr aus Ästen, Zweigen, Stämmen und Ranken. Das Unterholz bildete eine lebendige Mauer, die feindselig und abwesend gegen jeden erhob, der seinen Fuß auf den Strand setzen mochte.
Und dennoch…waren da Bewegungen zwischen den mannshohen Sträuchern und dem Rankenwirrwarr am Boden. Vielleicht war es nur ihre Einbildung, aber je länger sie auf das Papier starrte, desto sicherer war sie, geduckte, seltsam verkrümmte Gestalten erkennen zu können, die sich durch den Urwald schoben. Die Wirkung war einigermaßen verstörend.
‚Na ja, ich werde wohl auch nie erleben, dass er mal eine Frühlingswiese oder ein Kätzchen malt.’
Und über dem Blätterdach…
„Was sollen die darstellen?“ Sie tippte auf die stumpfen, klobigen Spitzen eines Trios dreiseitiger Pyramiden, die aus dem Urwald aufragten, wie die Wehrtürme einer im grünen Meer des Waldes versunkenen Festung.

Sie bekam keine Antwort. Als sie sich zu Kano umdrehte, zuckte sie kurz zusammen. Der japanische Pilot war bleich geworden, und starrte auf das Bild, als würde er es zum ersten Mal sehen, und nicht, als hätte er es eben selber gezeichnet.
Seine Stimme klang rau: „Ich…ich habe keine Ahnung.“
Kali fühlte, wie ihr ein kalter Schauer über den Rücken rann. Nach einigem Zögern und etwas Nachbohren ihrerseits hatte Kano dann doch noch erzählt, was er ihr über den ‚Drehh-Zwischenfall’ verschwiegen hatte. Es hatte einigermaßen beunruhigend geklungen: „Mach dich jetzt nicht verrückt. Du hast doch schon früher…“
Kano schüttelte den Kopf: „Das ist etwas anderes. Ich weiß, was du meinst, aber dennoch…Das hier…es fühlt sich…falsch an. Als ob ich aus der Erinnerung zeichne. Aber es ist nicht meine Erinnerung! Verdammt.“ Mit zusammengepressten Zähnen presste er die Fingerspitzen gegen seine Stirn.
„Hör auf damit, oder ich knall dir eine! Mach dich jetzt nicht verrückt. Es ist doch nur ein Bild. Vielleicht hast du solche Bauten mal in einem Film, oder auf einem Bild gesehen. Oder darüber in einem Buch gelesen. Und außerdem…als wir uns kennen gelernt haben, hast du den Hangar der REDEMPTION als eine Drachenhöhle und unsere Kampfflieger als Flugechsen gezeichnet. OHNE dass dir irgendwelche Aliengeister im Gehirn herumspucken. Also hör auf, dir diesen Blödsinn einzureden!“
„Aber im Medusa-System…“
„Na und? Denk doch mal nach. Von allen Piloten die ich kenne, fliegst du am meisten nach deiner Intuition. Das heißt jetzt nicht, dass du der beste Pilot bist, den ich kenne – da hätten Lone Wolf und Darkness wahrscheinlich auch noch was dazu zu sagen – aber ich kenne keinen, der so intuitiv fliegt. Scheiße, ich hab gehört, dass jemand gesagt hat, du müsstest die Gedanken der Echsen lesen können. Vermutlich hast du deshalb so viele Akariis in so kurzer Zeit abgeschossen.“ Sie überlegte kurz, und setzte dann bissig hinzu: „Aber weil es so etwas wie Gedankenlesen nicht gibt, wirst du deshalb wahrscheinlich auch so häufig abgeknallt.“
Kano schnaubte kurz, ob unwillig oder amüsiert, das konnte sie jetzt nicht sagen. Aber wenigstens hörte er ihr jetzt zu: „Schon gut, ich habe verstanden. Aber wie…“
„Denk doch mal logisch nach! Du hast mir mal davon erzählt, wie du dich gefühlt hast, als du die Burg von Edo, den Yasukuni-Schrein und diese…diese Vulkaninsel besucht hast.“
„Iwo Jima.“
„Wie auch immer.
Wenn das stimmt, was du mir von dem Medusa-System erzählt hast, dann seid ihr beiden – du und Tiburon – über die Überreste einer uralten Alienstation gestolpert. Und wenn diese Station tatsächlich so groß war – dann ist das System ein verdammtes, nuklear verseuchtes Massengrab. Der Ort, wo irgendeine antike Alienwaffe eine SONNE aus dem Takt gebracht hat. Und ihr seid mitten durch das Gräberfeld geflogen, während eine…eine Stimme aus dem Grab euch über alle Frequenzen angebrüllt hat.
Man müsste schon ein Steinklotz sein – oder gehirntot – damit das einen kalt lässt.
Die Suche nach älteren raumfahrenden Rassen…also das reicht, um noch ganz andere Leute aus der Spur zu bringen. Kennst du die Geschichten über das Bifröst-Fieber? Und dabei ging es nur um ein paar Trümmerstücke unbestätigter Herkunft.“
Kano runzelte die Stirn. Na wunderbar, jetzt schien er beleidigt. Typisch Mann eben. Er hatte neununddreißig Akarii abgeschossen, zwei Typen mit der blanken Klinge niedergemacht, die Brust voller Orden – aber er tat so, als würde sie seine Integrität und Männlichkeit anzweifeln.
Allerdings klang seine Stimme dann doch weniger eingeschnappt, als zweifelnd – und auch ein klein wenig spöttisch: „Meinst du, ich bilde mir das nur ein? Dass ich Gespenster sehe? Ich bin also ein überspanntes Sensibelchen, mit überlasteten Nerven und einer zu lebhaften Phantasie? Nein danke, da bin ich doch lieber verrückt.“
„Spiel jetzt bloß nicht den Gekränkten. Keiner wird schlecht von dir denken, bloß weil du mal Nerven zeigst.“
„Das ist es aber nicht.“
‚Ich weiß. Aber es wäre besser.’ „Würdest du mir mal bitte zu Ende zuhören? Ich glaube, deine Träume und…diese Stimmen – ich glaube dein Unterbewusstsein versucht dir etwas zu sagen.“
„Und was könnte das sein?“
„Soll ich mal raten? Wir sollten von dem System die Finger lassen. Wer auch immer in der Lage war, einen Sonnensturm zu entfesseln, der einen Stern noch tausende Jahre später nicht zur Ruhe kommen lässt…
Wir sollten uns davor hüten, in den Überresten herumzustöbern, als wäre das ein Selbstbedienungsladen. Denn wahrscheinlich können nicht einmal die Eierköpfe vom NSC sich wirklich vorstellen, auf was wir dort stoßen können. Bevor wir also jeden Knopf drücken, um zu sehen, was dann wohl passiert…“
Kano zuckte mit den Schultern: „Du hast recht. Natürlich macht mir das Sorgen. Aber ich weiß nicht, ob das wirklich alles ist.“
„Ich habe es dir schon vor ein paar Tagen gesagt. Du nimmst das alles viel zu ernst. Außerdem…war Tiburon nicht noch viel näher an diesem…Signal? Und, hat er sich deswegen beschwert?“
Der japanische Pilot schnaubte abfällig: „Ich habe keine Ahnung. Lieutenant Pallardo und ich…wir haben nicht gerade ein sehr harmonisches Verhältnis.“
„Ich frag mich bloß, warum? Wo du doch so ein Sonnenschein bist.“
„Jedenfalls werde ich ihn ganz bestimmt nicht fragen, ob er schlecht geträumt hat.“
„Na, so wie ich Pallardo kenne, hättest du doch längst den JAG kontaktieren müssen, wenn er wirklich Ärger machen würde. Er läuft doch noch immer auf Bewährung, oder?“
„Wenn es nach mir geht, bis zu seiner Pensionierung.“
„Wie dem auch sei…“
„Und was ist mit dieser Eriksen? Warum hält es der NSC oder der NIC für notwendig, unsere Gehirnströme zu messen, kaum dass die COLUMBIA festgemacht hat?“

Das war eine verdammt gute Frage – eine, die Kali keine Ruhe ließ und ihr eine Scheißangst einflösste. Angesichts der Perspektiven, die das Verhalten des Abwehrdienstes und des technischen Korps der TSN eröffnete, wäre es ihr fast lieber gewesen, wenn das alles wirklich und ausschließlich das Ergebnis einer überbordenden Phantasie gewesen wäre. Dann hätte sie mit vollem Recht stinksauer sein, und Kano gehörig die Leviten lesen können. Aber so? ‚Was wissen die, was wir nicht wissen? Oder was vermuten sie?’
Nicht, dass sie das laut sagen würde: „Pah! Die hören eben die Raumflöhe husten. Vermutlich befolgen die ganz einfach ihr beschissenes Protokoll. Du weißt schon – immer einen Hut aus Alufolie tragen, wenn du `ne unbekannte Alienrasse kontaktest. Vielleicht können die ja Gedanken lesen.“
Kano lächelte zwar flüchtig – sowohl der NSC als auch der NIC wurden von vielen nicht so richtig als vollwertiges Teil der Streitkräfte akzeptiert – aber er wirkte nicht so ganz überzeugt.
Helen unterdrückte ein Seufzen. Sie konnte ja selber nicht ganz an ihre ‚logischen’ Erklärungsversuche glauben. Denn da war schließlich immer noch der NIC/NSC. ‚Manchmal wäre es vermutlich einfacher für deinen Seelenfrieden, wenn du etwas leichtgläubiger und etwas dümmer wärst…
Aber na ja, seien wir ehrlich – in dem Fall fände ich dich vermutlich auch nicht der Mühe wert, die du mir machst.’
„Also solange du nicht anfängst, in Zungen zu quasseln und nach Schwefel zu stinken, denke ich mal, du machst dir unnötig Sorgen.“
Kano brauchte ein paar Augenblicke, um die Anspielung zu verstehen, dann lachte er kurz auf. Allerdings gefiel Kali der Klang dieses Lachens nicht. Er war zu zynisch.
Der japanische Pilot machte eine wegwerfende Handbewegung: „Dieses Konzept der Dämonenbesessenheit ist bei uns ein klein wenig anders.“
„Na ja, ich bin auch nicht gerade im Schoß der katholischen Kirche groß geworden.“
„Tatsächlich?“

Sie zögerte kurz. Ach verdammt. Fragen kostet nichts. Oder?
„Und was glaubst du, was ist es, was deine…Träume verursacht?“ ‚Sprich es endlich selber aus.’
Kano zögerte kurz: „Ich…weiß nicht.
Ich glaube, der NSC befürchtete, dass wir irgendeiner Strahlung oder einem…Signal ausgesetzt waren. Lilja hat vor ein paar Monaten irgendetwas Ähnliches vermutet, als sie bei einer Patrouille im Draned-Sektor diesen merkwürdigen Sensorkontakt melden musste.“
„Ja klar, ihre berühmte UFO-Sichtung. Ich glaube ja eher, dass die Software ihres Raumjägers gesponnen hat.“ ‚Und, dass sie selber etwas gesponnen hat. Die Frau ist so verklemmt und setzt sich dermaßen selber unter Druck…kein Wunder, dass sie austickt. Sie sollte sich mal richtig flachlegen lassen, vielleicht würde sie dann etwas entspannter werden. Aber die Chance dafür ist ungefähr so groß, wie die, dass ich ins Kloster gehe.’
Aber natürlich sagte sie das nicht. Kano hielt ziemlich große Stücke auf seine frühere Flügelpilotin.

Der japanische Pilot zuckte mit den Schultern: „Vielleicht dachte der NSC an eine…Waffe oder etwas Ähnliches. Vergleichbar mit der Schallkanone, die unsere Aurora-Jagdbomber verwenden. Nur dass diese Waffe auch im luftleeren Raum funktioniert, und eine etwas…subtilere Langzeitwirkung hat. Oder vielleicht war das Gerät ja auch gar nicht als Waffe gedacht, sondern als eine Art…Sender. Und meine…Träume, die…Stimme…sind nur…Nebenwirkungen, weil dieses Signal nun einmal nicht für das menschliche Nervensystem bestimmt war. Denn wer auch immer das Medusa-System besiedelt hat – Menschen waren es ganz bestimmt nicht.“
Kali winkte mit einer Lässigkeit ab, die sie nicht wirklich empfand: „Ich weiß nicht, was sich der NSC einbildet. Aber die sehen doch schon eine feindliche Superwaffe, wenn ein Pulsar mal ein klein wenig aus dem Takt kommt. Außerdem…wenn es da etwas gegeben hätte, was euch beeinflusst hätte – glaubst du nicht, die hätten euch was gesagt?“
Kano schnaubte abfällig.
‚O. K., da hast du Recht. Wann sagen uns die Eierköpfe, die Schlapphüte von der Abwehr oder dem Geheimdienst mal, was WIRKLICH Sache ist. Scheißkerle.’ „Aber WENN ihr tatsächlich etwas abbekommen hättet – IRGENDETWAS – was ihnen Sorgen macht, glaubst du wirklich, man hätte euch einfach in den Urlaub gehen lassen? Sie hätten euch aus dem Dienstbetrieb gezogen und in ein hübsches kleines Labor der Stufe Fünf gesperrt, noch ehe ihr euch einmal hättet umsehen können. DAS hätten sie gemacht.
Haben sie aber nicht. Und das heißt, sie haben nichts gefunden.“

Der japanische Pilot nickte, wenn auch ein wenig zögerlich. Sie beide wussten, dass es natürlich noch eine wenig beruhigende Erklärung gab. Dass die NSC-Ärztin nichts gefunden hatte, was eine Quarantäne rechtfertigte, hieß schließlich nicht automatisch, dass da nichts war. Aber wenn man erst einmal anfing, so zu denken…
Offenbar war Kano auch zu diesem Schluss gekommen. Sie beide wussten, dass es damit noch nicht vorbei war, aber im Augenblick konnten sie sonst wenig tun. ‚Also machen wir weiter. Tag für Tag, Schritt für Schritt.’
„Tut mir leid, dass ich diesen Ballast in unseren Urlaub mitschleppen musste.“
Diesmal war es Kali, die abfällig schnaubte: „Das halte ich aus. Und wenn ich keine Komplikationen wollte, dann würde ich mir `ne aufblasbare Seemannspuppe bestellen.
Aber wenn du mir noch einmal solche Angst einjagst…
Dann hör’ ich auf den Rat, den mir meine Mutter gegeben hat, und such’ mir einen soliden Typen aus der Nachschubsabteilung. Oder gleich einen Zivilisten.“
Kano verstand diese Drohung als das, was sie sein sollte, und grinste schief: „Und würdest dich zu Tode langweilen.“
„Der Preis der Berechenbarkeit.“ Sie kam mit einer geschmeidigen Bewegung auf die Beine: „Also, du bist nicht verrückt, der NSC sieht nur Gespenster, und ich denke nicht daran, mir von einem von beiden den Urlaub verderben zu lassen. Haben wir einen Deal?!“
Kanos Lächeln wirkte immer noch ein wenig gezwungen, aber das war schon in Ordnung. Sie wusste, was sie bei ihm erwarten konnte.
„Deal.“
„Gut. In…ah, dreißig Minuten dürfte die Mittagsflut ihren Höhepunkt erreicht haben. Wenn wir noch raus wollen, sollten wir uns besser beeilen.
Wer zuerst beim Haus ist, schleppt die Ausrüstung.“ Mit einem blitzschnellen Sicheltritt riss sie ihm die Beine unter den Füßen weg, schnappte sich das Strandtuch, und sprintete los.

Kalis Manöver hatte Kano überrascht, aber die sorgfältig einstudierten Nahkampfreflexe kamen ihm auch diesmal zugute. Statt wie ein gefällter Baum zu Boden zu gehen, rollte er sich über eine Schulter ab, und kam wieder auf die Beine.
Trotzdem hatte die Zeit gereicht, um Kali einen Vorsprung von einem Dutzend Meter zu verschaffen, und sie beschleunigte immer noch. Das Strandtuch wehte dabei wie eine Schleppe oder ein Umhang hinter ihr her.
Kano sprintete los, nicht direkt hinter ihr her, sondern in einem leichten Bogen, so dass er nicht durch den noch trockenen, lockeren Sand oberhalb der Flutlinie laufen musste, sondern stattdessen den schweren, nasseren Sand in der Brandungszone unter den Füßen hatte, der einen viel besseren Halt bot.

Das Bild blieb im Sand liegen, unbeachtet und vergessen. Eine besonders hohe Welle leckte über den Strand, erreichte das Papier, und nahm es mit sich. Nur ein Vogel, der über der Uferzone kreuzte, hätte vielleicht noch ein paar Minuten lang den weißleuchtenden Papierbogen über das Wasser tanzen sehen, bevor er vollgesogen in der Tiefe verschwand.
Und vielleicht hätte dieser Vogel bei seinem Flug über die Insel auch die drei von Bäumen, Gestrüpp und Lianen überwucherten Hügel erkennen können, die fast völlig unter dem dichten Blätterdach verschwunden waren, und die ihm – wenn er denn Verstand gehabt hätte – vielleicht zu regelmäßig erscheinen wären, um natürlichen Ursprungs zu sein.
Vielleicht…
24.01.2016 06:55 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
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Cattaneo

Marschbefehl ins Ungewisse

Livingston Naval Air Station, Seafort

Lieutenant Commander Tatjana Pawlitschenko ähnelte im Augenblick nur noch entfernt der schneidigen, humorlosen Offizierin, als die sie normalerweise auftrat. Ihre braune Dienstuniform saß nicht ganz passgenau. Die Schirmmütze hatte sie schief aufgesetzt, und ihre Haare trug sie in einem nachlässig gebundenen Pferdeschwanz, so dass sich einzelne schwarze Strähnen gelöst hatten und nun Hals und Schultern zierten. Vor allem der schwere Seesack, den sie buckelte, gab ihr eher das Aussehen eines abgemusterten Matrosen, wären da nicht die Rangabzeichen gewesen. Wenn möglich, dann hätte sie auch auf diese verzichtet, aber das Lametta war notwendig um sich halbwegs ungehindert bewegen zu können. So wie sie ihre Last trug, war ihr Rang jedoch nicht auf den ersten Blick zu erkennen, was nicht von ungefähr kam.
Obwohl sie sichtbar schwitzte – die Sonne brannte erbarmungslos auf den Raumflughafen, wo sie den Beton kontinuierlich aufheizte und die Luft stellenweise zu flimmern schien – hatte sie ein schiefes Lächeln aufgesetzt und blickte sich neugierig um. Im Moment wirkte sie weitaus weniger abweisend und verbissen als sonst üblich. Trotz ihrer Behinderung wich sie geschickt Gabelstaplern und Transportkarren aus, die riesige Kistenstapel hin und her beförderten. Einmal stoppte sie und wartete, bis eine ganze Karawane von Transportern vorbeigefahren war, während sie den mitfahrenden Frachtarbeitern zuwinkte, die sie von oben lauthals bemitleideten. Kurz und gut, Auftreten und Aussehen waren ganz und gar untypisch für sie.
All das war zum Teil Tarnung und Täuschung, aber nicht nur. Sie war keineswegs zum Vergnügen hier, in einem Aufzug, den sie normalerweise als ungenügend bezeichnet hätte. Doch wenn man Lilja befahl, etwas möglichst unter dem Radar durchzuziehen, dann befolgte sie diesen Befehl ebenso prompt und bemühte sich ebenso um Perfektion, wie in jedem anderen Fall.

Seit sie sich mit Walja getroffen hatte, war einiges geschehen. Die ersten Tage nach ihrem gemeinsamen Abend hatten sie zusammen verbracht. Die Umgebung von Neu Kapstadt und auch die Stadt selber boten wahrlich genug Abwechslung, selbst für jemand, der sich nicht nur am Strand oder in Bars herumtreiben wollte. Mit den Magnetzügen waren auch Wander- und Kletterziele leicht erreichbar, dazu kam ein reiches Angebot an Museen, sogar Safari-Parks und vieles mehr. Walja und sie hatten das Angebot nach Kräften ausgetestet, immerhin hatten sie einiges nachzuholen. Obwohl sie also wenig Schlaf bekommen hatte, hatten sie die Alpträume, unter denen sie sonst mehr oder weniger regelmäßig litt, verschont. Ihre Muskeln hatten sich gefreut, einmal nicht nur im Fitnessraum beansprucht zu werden, und inzwischen fiel sie sogar unter den Einheimischen nicht mehr sonderlich wegen ihrer Hautfarbe auf. Sie hatte gemerkt, wie sie sich zunehmend ruhiger und ausgeglichener fühlte. Vermutlich hatte diese Hirndoktorin Recht gehabt. Allerdings war das ja auch irgendwie ihr Fachgebiet. Natürlich hatte dieses Idyll nicht ewig dauern können – nicht einmal sehr lange. Am fünften Tag hatte Walja ihr mitgeteilt, dass er seinen Marschbefehl bekommen hatte. Zwar würde er noch im System bleiben, aber sie beide machten sich keine Illusionen. In den ersten Tagen oder Wochen an Bord eines neuen Schiffes – welches es war, wurde noch nicht gesagt – war an Ausgang nicht zu denken. Und so hatten sie wieder einmal Abschied voneinander genommen. Lilja hoffte nur, dass sie ihn vielleicht doch noch einmal treffen konnte, so lange sie im selben System waren – was seit einiger Zeit vor dem Krieg nicht mehr der Fall gewesen war.

Sie hatten sich beide nicht die Laune verderben lassen. Beide waren froh, dass sie sich nach so langer Zeit wieder gesehen hatten, und Lilja gönnte Walja die Chance auf Beförderung an Bord eines größeren Schiffes. Beide hatten sie gelernt, nicht wegen dem zu weinen, was sich nicht ändern ließ, sondern aus dem Vorhandenen das Beste zu machen.
Als Lilja sich das erste Mal nach fast zwei Wochen wieder im Dunstkreis der Columbia blicken ließ, hatte sie erfahren, dass sich nichts Grundlegendes geändert hatte. Offenbar kam das Geschwader zumindest momentan auch ohne ihre dauernde Gegenwart aus, was sowohl tröstlich als auch ein klein bisschen kränkend war. Lilja hatte sich ihre Wochenration an Gerüchten bei Imp geholt, die immer noch den Ruf einer anerkannten Gerüchteköchin genoss.
Bezüglich der Zukunft der Angels hatte sich nichts Genaueres ergeben, zumindest war noch nichts offiziell geworden. Allerdings hieß es, dass Blackhawk zurückerwartet wurde, um die Gelbe Staffel neu aufzustellen. Allgemein nahm man an, dass dies darauf hindeutete, dass man das Geschwader wieder auffrischen würde. Wer sollte denn auch sonst ausgerechnet die GELBE Staffel neu aufstellen, nur um sie auf einen anderen Träger auszugliedern? So dachten zumindest alle Männer und Frauen, die nicht dazu verdammt waren, Griphen zu fliegen. Lilja hatte schallend gelacht, als sie von ihrer Freundin eine ebenso detaillierte wie hämische und schonungslose Schilderung der Feier auf dem Anwesen von Admiral Auson erhielt, inklusive der diversen Peinlichkeiten, die sich einige der üblichen Verdächtigen geleistet hatten. Die übrigen Mitglieder der Grünen Staffel schienen bisher ganz gut klarzukommen. Aber noch immer war nicht bekannt, wann es wieder Ersatz geben würde.

Ansonsten gab es noch zu vermelden, dass nach Imps Einschätzung Noname Anspruch auf den Thron des unbeliebtesten Piloten des Geschwaders erhob, der seit dem Verlust von Skunk verwaist war. Irgendwie hatte es offenbar mächtig Stunk zwischen ihm und Mantis, der neuen Chefin der Roten Staffel, gegeben, und er war de facto degradiert worden. Dazu war er ohne jeden Grund auf einen anderen Piloten losgegangen. Nonames Rivalen für den stolzen Titel, Tiburon und ein Neuzugang namens Knock-Out, lagen angesichts dieser Ereignisse weit zurück. Lilja hatte zu diesen Neuigkeiten einige ebenso farbige wie unanständige Dinge zu sagen gehabt. Es überraschte sie nicht, dass es Noname nicht zum Staffelchef geschafft, ja sogar seinen XO-Posten wieder verloren hatte. Manche Leute waren eben so…

Die Russin hatte sich auch ziemlich skeptisch geäußert, als sie erfuhr, dass man ausgerechnet Ace die Blaue Staffel übergeben hatte. Die passe ja vielleicht zu seinen Haaren, aber ansonsten…Auch wenn sie seine fliegerischen Fähigkeiten nicht anzweifelte und ihn auch nicht (mehr) für einen halben Verräter hielt, von seinen taktischen und Führungsqualitäten war sie weniger überzeugt. Sowohl Lilja als auch ihre Freundin teilten eine etwas skeptische Meinung zu dem XO der Blauen Staffel. Es wäre eigentlich Chips Aufgabe gewesen, den Posten von Huntress zu übernehmen, dazu war er XO. Wenn er dafür nicht für fähig gehalten wurde, dann sprach das entweder gegen ihn oder gegen Huntress, die ihn dafür hätte vorbereiten müssen. Lilja wollte jetzt nicht in Chips Haut stecken. Wenn man ihr jemand anderen vorgesetzt hätte…allerdings war sie viel länger Stellvertreterin und Lieutenant Commander gewesen.

Imp hatte sie im lauernden Ton gefragt, ob sie sich gut erholt habe, was Lilja im Brustton der Überzeugung bejaht hatte. Als ihre Freundin mit süffisantem Grinsen nach Einzelheiten gefragt hatte, stellte sich heraus, dass sie Liljas Urlaubsort an Ace verpetzt hatte. Offenbar wollte die Deutsche eine detaillierte Schilderung, wie der selbsternannte Ass-Pilot „angekrochen kam um eine Anweisung in Raumkampftaktik und Staffelführung zu erbetteln“. Ungeachtet ihrer sonnigen Charakters war die Deutsche manchmal ziemlich fies, und die Streitigkeiten zwischen Lilja und Ace gaben ihr praktisch seit drei Jahren immer wieder Anlass zu Erheiterung. Imp war geradezu enttäuscht, dass Lilja und Ace sich offenbar verfehlt hatten. Sie war richtiggehend sauer, als sie erfuhr, warum dies passiert war. Immerhin wäre sie auch gerne Walja – von dem ihr Lilja erzählt, den sie aber noch nicht kennen gelernt hatte – begegnet. Lilja hatte spöttisch mit einem vielsagenden Seitenblick auf Sokol entgegnet, dass sie sich sicher sei, ihre Freundin habe ihren Urlaub auch so sehr genossen. In diesem Augenblick wurden sowohl Imp als auch Sokol tiefrot, hatten sich aber standhaft geweigert, den Grund zu erklären. Beide hatten aber ultimativ gefordert, informiert zu werden, sollte Lilja sich noch einmal mit Walja treffen, was die Russin auch zugesichert hatte.

Die Staffelchefin der Grünen wunderte sich zwar, warum Ace sich in den folgenden Tagen nicht mit einem Anruf gemeldet hatte, denn die Nummer hätte er ja auch rauskriegen können, falls er sie nicht ohnehin von Imp erhalten hatte – deren Erinnerungen waren inzwischen etwas vage, denn sie hatte zu der Zeit wohl auch schon einiges intus gehabt. Ace hätte sie also um ein Treffen bitten können. Rücksichtnahme auf andere, zumal auf sie, gehörte nicht gerade zu den Tugenden, die sie mit ihrem ehemaligen Erzfeind in Verbindung brachte. Vielleicht wollte er jedoch nach einigem Nachdenken nicht ausgerechnet die Frau um Hilfe bitten, die ihm ziemlich deutlich gesagt hatte, dass sie an seinen Führungsqualitäten zweifelte. Oder der blauhaarige Pilot war nicht sicher, ob und wie lange er seinen neuen Posten behalten würde. Immerhin war er noch immer kein Lieutenant Commander, mit Blackhawk kam ein exzellenter Staffelführer zurück, und noch immer war das Schicksal der Angry Angels unklar. Einige eher vage Gerüchte besagten, man würde das Geschwader neu strukturieren und auf zwei leichte Träger aufteilen, oder einzelne Staffeln ausgliedern, doch zumeist sprach aus den Vermutungen nur ein Fischen im Trüben. Lilja hatte sich angesichts der Neuigkeiten vorgenommen, demnächst mal von selbst mit Ace zu sprechen – nicht so sehr um seiner selbst willen, denn sie war ja nicht seine Amme, sondern im Interesse der Blauen Staffel, die nach dem Tod ihrer Chefin dringend ein helfendes Händchen brauchte. Sie vermutete, sie würde ihn aus irgendeinem schlechteren Hotel und den Armen irgendeiner willigen aber nicht gerade weisen Frau loseisen, bei der er sich über den Tod von Huntress ausheulte, wie er es nach seinem Bruch mit Kali gemacht hatte.

Ein wenig frustrierte sie die Ungewissheit über das künftige Schicksal des Geschwaders. So lange nichts bekannt war, konnte sie schwerlich daran gehen, die Staffel wieder aufzubauen – sie durften ja nicht mal fliegen. Es wäre bedauerlich, würde man die Grüne Staffel auflösen, immerhin waren sie bei vielen Entscheidungsschlachten dabei gewesen. Und die drei Neulinge konnten nach der Doppelschlacht von Karrashin als „eingearbeitet“ angesehen werden, obwohl sie natürlich noch nicht das Niveau erreicht hatten wie diejenigen, die sie ersetzt hatten. Sie hatten sich aber alle drei selbst nach Liljas strengen Maßstäben bewährt. Es war schon mal gut, dass es keiner ihrer Untergebenen geschafft hatte, während ihrer Abwesenheit im Arrest zu landen oder in anderer Weise besonders negativ aufzufallen. Was ihrer aller Zukunft anging, da konnte man nur abwarten. Die Russin hatte sich die Zeit genommen, durch die Teile der Columbia zu stromern, die momentan für Besatzungsmitglieder zugänglich waren. Angesichts der emsigen Geschäftigkeit, die aufgrund der Reparaturarbeiten herrschte, kam sie sich direkt wie ein Fremdkörper vor. Viele inzwischen altvertraute Orte wirkten auf einmal fremd. Es war dem Schiff anzusehen, dass es schwer verletzt worden war – nicht nur die Menschen, die auf ihm fuhren. Aber wie diese würde es wieder in die Schlacht ziehen, eines Tages, vielleicht schon bald.

Sie hatte jedoch nicht viel Zeit gehabt, sich Gedanken zu machen oder an Langeweile zu leiden. Am zweiten Tag nach ihrer Rückkehr war sie erneut von der NIC’lerin kontaktiert worden, die sie wegen des Zwischenfalls während der Jagd nach Prinz Jor befragt hatte. Obwohl Lilja eigentlich Urlaub hatte, stand es für sie außer Frage, die Offizierin zu vertrösten oder warten zu lassen, obwohl sie deren Interessen für etwas merkwürdig hielt. In Erwartung einer zweiten Fragerunde zu etwas, zu dem sie nichts mehr anzubieten hatte, war sie aufgebrochen.
Sie hatte jedoch eine Überraschung erlebt. Die Tschekistin* hatte ihr erklärt, sie suche Piloten für einen Sondereinsatz, bei dem die Interessen des NIC, der TSN und des NSC übereinstimmten. Die Frau – die Lilja immer noch eher an eine Kommandosoldatin als an eine Schreibtischtäterin erinnerte – war etwas im Vagen geblieben und hatte absolutes Stillschweigen verlangt. Aber offenbar war die ganze Sache mit Raven abgesprochen, also musste es in Ordnung sein. Lilja hätte vermutlich auch so mitgemacht. Denn Lieutenant Commander Hawk hatte ausgeführt, dass die Mission kriegswichtig war, und sich zudem sehr positiv in den Dienstakten der Teilnehmer niederschlagen würde. Vorausgesetzt, sie leisteten gute Arbeit und hielten den Mund. Gerade den letzten Punkt hatte Hawk besonders betont. Lilja fragte sich zwar, wovor man eigentlich Angst hatte, vor allem als sie die ersten Einzelheiten erfuhr – dass Piraten oder andere kriminelle Gestalten ausgerechnet HIER spionierten oder die Akarii Wind bekamen und etwas unternahmen, war doch mehr als unwahrscheinlich. Dennoch hatte sie die geforderte Geheimhaltungserklärung unterzeichnet, die mit furchtbaren Konsequenzen drohte, wenn man sich nicht an die Vorschriften hielt. Die Russin hielt das zwar für überflüssig und eigentlich etwas beleidigend – immerhin vertraute ihr die TSN so weit, dass sie einen millionenteuren Jäger fliegen und mit Kriegswaffen hantieren durfte. Doch es hatte keinen Zweck, die Beleidigte zu spielen. Dies war das Spiel des NSC und NIC, und deshalb würde sie sich an deren Regeln halten. Die ausgeworfenen Köder waren für Lilja einfach unwiderstehlich. Sie hatte zwar ihre eigenen Ansichten über „kriegswichtige“ oder gar „kriegsentscheidenden“ Missionen – immerhin hatte sie schon an etlichen teilgenommen, und vielfach hatten sie sich hinterher als nicht SO wichtig oder entscheidend erwiesen. Aber dennoch würde sie so eine Möglichkeit nicht ausschlagen. Erst recht nicht, wenn sie das ein Stück näher an drei heiß ersehnte Ziele brachte. Erstens, den Akarii den Tag zu versauen. Zweitens, doch die PMV abzustauben. Und Drittens, sich für weitere Meriten zu empfehlen. Sollte das Geschwader doch aufgelöst werden, dann war ein guter Eintrag in der Akte wichtig für ihre zukünftige Position. Zwar würde sie angesichts ihrer bisherigen Leistungen kaum in der Etappe landen. Aber auf welchem Schiff, in welcher Staffel und in welcher Position – das stand noch offen. Wenn sogar die Geschwaderchefin ihr Einverständnis erklärte, dann war wohl was dran an der Sache.

So hatte sie praktisch sofort zugestimmt. Hawk war auch weiterhin bei Einzelheiten zurückhaltend geblieben. Offenbar würde Lilja und voraussichtlich noch ein Jäger an Bord eines Frachters gehen, und diesem Geleitschutz bei einem Einsatz im oder am Rande des Niemandslandes geben. Aufklärungseinsätze würden ebenfalls durchzuführen sein. Man rechnete an möglichen Gegnern eher mit Piraten als mit Akarii – sonst wären ein Frachter und zwei Jäger auch ziemlich unzureichend gewesen. Lilja hatte die Gelegenheit genutzt, dass Hawk offenbar zuerst mit ihr gesprochen hatte, und gleich Pflöcke eingeschlagen. Ihr Gegenüber hatte eigentlich jeden ihrer Vorschläge abgenickt, ohne lange zu diskutieren. Zum einen würde die Russin Chefin der Jäger und auch dem oder den begleitenden Shuttlepiloten vorgesetzt sein, vorausgesetzt es meldete sich nicht ein dienstälterer Offizier für die Mission. Lilja bezweifelte das. Sie selbst würde jedoch in jeder Hinsicht dem Leiter der Mission, einem gewissen Commander Andrew Tremane, unterstehen. Dieser gehörte offenbar zum NSC, hing aber auch irgendwie mit dem NIC zusammen. Hawk war hier gleichfalls nicht eindeutig gewesen. An dieser Stelle war der einzige Streitpunkt aufgetaucht, da Lilja leichte Zweifel an der militärischen und taktischen Kompetenz des Commanders anmeldete. Obwohl er, wie sie bereitwillig einräumte, auf seinem Gebiet sicher gut war, Entscheidungen im Gefecht waren etwas anderes. Vor allem, wenn man wahrscheinlich wenig Erfahrung damit hatte. Ihre Gesprächspartnerin hatte dies zwar eingestanden, doch an der Befehlskette war nicht zu rütteln, auch im Gefecht nicht. Immerhin würde Lilja dann draußen sein, und konnte wohl kaum Jäger, Shuttles und Frachter im Auge behalten. Hawk würde Tremane jedoch als taktische Beraterin helfen. Lilja machte sich darüber ihre eigenen Gedanken. Nicht, dass sie die Frau für unfähig oder vorlaut hielt. Aber wenn Hawk sich das zutraute, dann hatte sie zweifelsohne Einsatzerfahrung.

Die Sicherheitsdienstlerin hatte Lilja dafür schnell Recht gegeben, als es um die Frage der zu wählenden Jäger ging. Die Russin favorisierte Nighthawk oder Falcons. Diese Maschinen waren schnell, stark bewaffnet, modern und mit guten Sensoren ausgestattet. Sie waren allem, was in nennenswerter Zahl in Piratenhand war, deutlich überlegen. Auf jeden Fall sollten auch Zusatztanks und Sensorpods mitgeführt werden. Es wäre zwar auch sinnvoll gewesen, zwei moderne Jagdbomber mitzunehmen, doch um diese wirksam einzusetzen, brauchte man auch Schiff-Schiff-Raketen. Und diese waren an improvisierten Andockstationen nur schwer zu anzubringen. Vor allem gab das Militär üblicherweise keine Atomraketen für Operationen frei, bei dem es nicht zu 100 Prozent die Kontrolle hatte. Hawk hatte zugesichert, sich um alles zu kümmern. Lilja hatte – ungefragt – auch eine Liste möglicher weiterer Kandidaten für den Einsatz geliefert. Aber das hing natürlich davon ab, wer sich zu einem solchen Absatz bereit fand. Etliche Geschwadermitglieder wollten sicher den ersten längeren Urlaub seit langer Zeit genießen, oder sie trauten sich nicht vom Geschwader weg, aus Angst, bei ihrer Rückkehr die Kameraden in alle Winde zerstreut vorzufinden. Andere waren nach Meinung Liljas kaum qualifiziert, auch wenn sie sich bei einer Nachfrage bereit erklären würden. So zweifelte sie nicht einen Moment daran, dass Shoki sofort von der Partie wäre, die Japanerin war jedoch noch etwas unerfahren. Die Russin war sich nicht zu schade gewesen, einzelne Geschwaderkameraden als ungeeignet anzuschwärzen. Ganz oben auf der schwarzen Liste stand Noname, den sie für teamunfähig und unzuverlässig hielt. Ob Hawk ihre Anregungen berücksichtigte, war natürlich eine andere Frage. Schwieriger als der Entschluss, bei der Aktion mitzumachen, war es ihr gefallen, Imp und Sokol sowie Walja über die Neuigkeiten zu informieren. Vor allem Imp hatte ihr „den Kopf gewaschen“. Liljas XO war der Meinung, ihre Vorgesetzte und Freundin brauchte eigentlich noch etwas mehr Erholung, und müsste auch nicht immer „Hier!“ zu schreien, sobald jemand nach Freiwilligen für welchen gefährlichen oder zweifelhaften Auftrag auch immer suchte. Nach einem Einsatz mit gebrochenem Bein hatte die Russin nach Imps Meinung erst einmal ihr Soll erfüllt. Sie hatten sich beinahe gestritten, auch weil Lilja sich standhaft weigerte, auch nur ein bisschen aus der Schule zu plaudern. Sie nahm die Aufforderung zur Geheimhaltung ernst. Schließlich hatten sie sich jedoch im Guten getrennt – schließlich kannten sie sich seit Jahren.

Jetzt war Lilja wegen des Sonderauftrages hier – in der „Schmugglerhöhle“, wie man diesen Bereich der Livingston Naval Air Station auch nannte. Ihre Tragetasche enthielt Wechselwäsche und andere Kleidungsstücke, natürlich nur einfache Dienstuniformen. Dazu kamen ein Trainingsanzug und zwei Overalls aus reißfestem und Flüssigkeit abweisendem Kunststoff, wie sie von Techniker verwendet wurden – es war nicht damit zu rechnen, dass ein komplettes Wartungsteam mit flog. Sie würde sich wohl auch die Finger schmutzig machen müssen. Des Weiteren enthielt der Seesack einen Hygiene- und Waschbeutel, der allerdings wesentlich mehr Medikamente enthielt, als eine normale Frau mitschleppte. Vor allem keine so starken Mittel. Ihr Freizeitprogramm bestand aus einer Lesebrille mit einem Stapel Datenchips, einem Kopfhörer mit einer Musikwiedergabeeinheit, dazu kam zwei Päckchen Tabak und Papier für Selbstgedrehte. Und ein paar kleine Leckereien, falls sie mal auf einem Langstreckenflug etwas brauchte – sie ging nicht davon aus, dass man DARAN gedacht hatte. Sie hatte das Laster des Rauchens zwar wie ihren Tablettenmissbrauch im Laufe der Zeit in den Griff bekommen, aber gelegentlich genehmigte sie sich auch weiterhin einen Zug. Und schließlich waren da noch ihr Kampfdolch und ihre Dienstpistole. An letzterer hatte sie einige Anpassungen vorgenommen – es war schön, wenn man als Lieutenant Commander gewisse Freiheiten hatte. Die Waffe wies jetzt einen Laservisier und eine unterlaufmontierte Gefechtsleuchte auf. Die Russin war geradezu besessen von dem Vorsatz, niemals in Gefangenschaft zu gehen. Folglich hatte sie auch nicht nur die vorgeschriebene Energiezelle und vielleicht ein Ersatzmagazin dabei, sondern derer vier – was hieß, im Notfall konnte sie 300 Schuss oder 100 Salven abfeuern.
Dass sie genug Munition für einen kleinen Krieg mitschleppte, war im Grunde unnötig. Immerhin würde ein Halbzug Marines die Mission begleiten, die ihr Mann für Mann oder Frau für Frau deutlich überlegen waren. Aber die Russin ging lieber auf Nummer sicher. Sie hatte nicht vor, wehrlos zu stranden, wenn sich der Gegner – Akarii, Piraten oder fleischfressende Aliens – als stärker als gedacht erwies. Und das bisschen, was sie über ihr „Raumtaxi“ gehörte, klang auch nicht sehr beruhigend.

Insgesamt kam ein hübscher Packen zusammen. Aber immerhin würde die Mission sicher mindestens zwei Wochen dauern. Und der Frachter, auf dem sie mitflog, war nicht die Columbia, wo man alles – von Aftershave bis Zigaretten – zugeteilt bekam oder zur Not auf den bordeigenen Shop zurückgreifen konnte. Oder auf den Schwarzmarkt. Obwohl, was das betraf…
Mit diesen Gedanken bog sie um die „Bucaneers Dream“, einen Laboe-Frachter, der offenbar mindesteins einmal in seinem Leben eine ebenso kurze wie leidenschaftliche Affäre mit einem mittelgroßen Asteroiden oder einem Akarii-Kriegsschiff gehabt hatte. Nichts anderes als Meteoriteneinschläge oder Laserkanonen riss solche Wunden, die auch im reparierten Schiff noch deutlich zu sehen waren. Hier irgendwo musste es eigentlich sein…

Als Liljas Auge schließlich auf das Ziel ihrer Suche fiel, musste sie sich Mühe geben, um nicht sarkastisch zu grinsen. Ja, dieses Schiff würde bestimmt niemand mit einem kriegswichtigen Geheimauftrag in Verbindung bringen.
Sie hatte nur den Namen des Schiffes gehabt, „Emerald Jade“, und seinen Typ – ein Merkur-X. Doch das war nur eine ungenügende Vorbereitung auf die Wirklichkeit gewesen. Tatsächlich prangte der Namenszug in leuchtenden Farben auf der Flanke des Schiffes, das war allerdings das einzige beeindruckende. Natürlich war das Schiff ziemlich groß – verglichen mit ihrem Jäger. Gegenüber der Columbia wäre es jedoch ein Zwerg gewesen. Den Großteil seiner Masse nahm der Frachtrumpf ein – gut 120 Meter lang. Die große Heckklappe war offen und bot Einblick in den Laderaum. Es gab ja Menschen, die solche Lokalitäten schon mit Kathedralen verglichen hatten, aber für Lilja sah es eher aus wie eine Gruft aus Metall, dunkel und nur von wenigen Lampen erleuchtet.
Die Shuttleandockstationen, drei an jeder Seite des Rumpfes, waren leicht zu erkennen, ebenso eine Luftschleuse, die wohl für Wartungsarbeiten im Raum diente. Nur eine der Andockstationen war momentan belegt, offenbar mit einem bewaffneten S-41, vermutlich einer Zivilversion. Sowohl die Laserkanonen des Shuttles als auch seine massive Panzerung machten einen bedrohlichen Eindruck, der eher zu einem Piratenschiff gepasst hätte. Beiboot wie Frachter selbst zeigten unübersehbar die Anzeichen langjährigen Einsatzes. Verschleiß, Reparaturen und kleinere Zusammenstöße hatten Spuren auf beiden hinterlassen und gaben dem Shuttle und seinem Mutterschiff eine eigentümliche Flecken- und Streifenzeichnung. Vermutlich war der Rumpf mehr als einmal ausgebessert worden, und der Besitzer hatte sich wenig darum geschert, ob das Flickmaterial in Farbe und Oberflächenbeschaffenheit ganz dem ursprünglichen entsprach. An den Flanken des Frachters waren zahlreiche Manöver- und Bremsdüsen zu erkennen, die dem Schiff eine beachtliche Wendigkeit geben mussten. Lilja wusste, dass sich auf der Unterseite des Merkurs wahrscheinlich ein ausfahrbarer Geschützturm mit einer Laserkanone befand. Sein Gegenstück auf dem Rumpfrücken war gut sichtbar und wies eine Zwillingskanone auf. Irgendein Witzbold hatte auf die Rohre Ringe als Abschussmarkierungen gemalt, insgesamt fünf an der Zahl. Bei den ältesten war die Farbe schon teilweise abgeblättert und durch frische ersetzt worden.
Über die ganze Länge des Schiffs zogen sich auf dem Rumpfrücken Brücke, Wohnbereich und Maschinenraum. Auch die Treibstofftanks lagen auf Rücken und Flanken des Hauptrumpfes. Auf dem Rücken befand sich auch eine weitere Schleuse. Die Brücke selbst war vermutlich nicht größer als die eines Shuttles und erinnerte eher an einen Gefechts- als an den Kommandostand eines Schiffes. Der Wohnbereich wies eine Reihe von kleinen Bullaugen auf, doch von den großen Panoramafenstern der Columbia oder selbst der Redemption konnte keine Rede sein. Die Triebwerke selbst waren an den Flanken des Hecks angebracht und machten einen ähnlich bedenklichen Eindruck wie das ganze Schiff. Eine Hauptdüse war offenbar deutlich älter als die andere, die noch relativ frisch glänzte, obwohl sich auch dort erste Alterungsanzeichen zeigten.
Alles in allem flößte das Schiff auf den ersten Blick kaum Zutrauen aus. Es sah eher aus wie ein Bilderbuch-Piratenschiff aus einem Abenteuerfilm mit kleinem Budget – das mechanische Gegenstück zu einem Schläger mit Zahnlücke, gebrochener Nase und Narben, der einen beachtlichen Totschläger schwang. Doch Lilja tat diesen Gedanken mit einem Achsenzucken ab. Wenn der NSC und NIC dieses Schiff gewählt hatten, mussten sie ihre Gründe haben. Und immerhin war sie selbst auf einem Träger gefahren, der über 50 Jahre auf dem Buckel gehabt hatte. Die Redemption hatte schließlich auch gute Dienste geleistet. Und wenn dieses Schiff sie ihren Zielen näher brachte…So atmete sie noch einmal tief ein und machte sich dann mit energischen Schritten auf den Weg.

Von Wachposten war nichts zu sehen. Das war nur logisch. Ein „geheimer Auftrag“, bei dem das Schiff im Raumhafen von einem Zug Marines bewacht wurde, wäre ein Widerspruch an sich gewesen. Wer auch immer hier die Entscheidungen traf – vermutlich dieser Tremane – er war offenbar an einem möglichst niedrigen Profil interessiert. Was natürlich nicht hieß, dass das Areal nicht möglicherweise unter Beobachtung stand, oder ein paar verdeckte Wachen anwesend waren. Dann aber schalt die Pilotin sich wegen dieser abenteuerlichen Vorstellungen. Sie hatte wohl zuviele Spionagefilme gesehen…
Niemand rief Lilja an, als sie ihren Fuß auf die Laderampe setzte. Von drinnen war das Fauchen von Schweißgeräten zu hören, untermalt von Hammerschlägen und gelegentlichen Flüchen.
Die Russin brauchte nicht lange, um sich zu orientieren. Das Erste was ihr auffiel, war der intensive Geruch, der durch den ganzen Raum zog. Es roch nicht nur nach heißem Metall, Öl und Staub, sondern auch unangenehm süßlich nach irgendetwas Organischem, vielleicht fermentierten Früchten, und nach Getreide – vermutlich ein Erbe der vorherigen Fracht. Der Boden des Frachtraums war nicht gerade sauber zu nennen. Im Laufe der Zeit waren Öl, Farbe und andere Dinge zu einem festen Bestandteil der Oberfläche geworden, hatten sich in kleinen Rillen, Kratzspuren und Löchern festgesetzt und eine regelrechte Patina gebildet. Die Deckenlampen leuchteten mit unterschiedlicher Stärke, so als hätte jemand immer die Lichtröhren eingebaut, die gerade zur Hand war. Einige fehlten ganz. Für einen Augenblick fiel Lilja ein merkwürdiges Muster von Kratzern an einer Stelle der Wand auf, etwa in Brusthöhe. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dort seien einige Lasersalven eingeschlagen, vermutlich aus einer Handfeuerwaffe. Jedenfalls ähnelte es den Spuren, die sie auf Schießständen oder auf dem einen oder anderen eroberten Planeten gesehen hatte. Aber wollte sie das wirklich genauer wissen?
Ein Stück vor ihr waren drei Personen damit beschäftigt, eine robuste Stahlkonstruktion mit Boden und Wand zu verschweißen. Offenbar handelte es sich dabei um ein dreistöckiges Etagenbetten aus stabilen Metallstangen. Auf der anderen Rumpfseite befanden sich bereits drei ähnliche Gestelle, deren Montage schon abgeschlossen war. Am Boden lagen weitere Metallteile, die offenbar darauf warteten, zusammengesetzt zu werden.
Lilja räusperte sich zweimal, doch als das keine Reaktion hervorrief, brüllte sie los: „ERLAUBNIS, AN BORD ZU GEHEN?!“
Die Arbeiter drehten sich zu ihr rum. Zwei trugen Schweißbrillen. Der dritte war ein wahrer Hüne von Mann. Er hatte eine dunkle Hautfarbe, und sein Gesicht war so stark zernarbt, dass Lilja im Vergleich zu ihm geradezu makellos aussah. Auf seinen kahlen, schweißglänzenden Schädel war ein Totenkopf mit flammenden Augenhöhlen tätowiert. In den unsicheren Lichtverhältnissen des Laderaumes wirkte er wie ein Höllenfürst in seinem persönlichen Reich – wenn man sich von so etwas beeindrucken ließ. Er warf der Pilotin einen beleidigend direkten Blick zu, sagte aber nichts. Lilja gefiel weder der finstere Gesichtsausdruck noch seine beinahe lauernden, misstrauischen Augen. Sie erkannte einen Schläger, wenn sie einen vor sich hatte. Er stand locker auf seinen Fersen da, bereit, wenn nötig in jede Richtung reagieren zu können. So eine Routine erwarb man nur durch eine qualifizierte Ausbildung, oder durch langjährige Übung. Sie tippte auf letzteres. Diese Wunden stammten mit Sicherheit nicht von Unfällen.
Die zwei Schweißer setzten ihre Brillen ab. Der eine war ein Mann mit kurzem weißem Haar und grauen Bartstoppeln. Er sah so alt aus, dass er eigentlich schon in Rente hätte seien müssen, mit einem hageren, ausgemergelten Körper – und auch er hatte fast so viele Narben wie ein notorisch schlechtgelaunter Marines-Sergeant, obwohl er bei weitem nicht so brutal wirkte wie der Tätowierte. Wo sein Kamerad misstrauisch war, begnügte er sich mit passiver Ablehnung. Offenbar gefielen ihm die Rangabzeichen Liljas nicht besonders, so, wie er die Lippen verzog. Oder er hatte etwas gegen Frauen in Uniform. Die Dritte im Bunde war eine junge und recht hübsche Frau mit scharf geschnittenem Gesicht und langen verwuschelten schwarzen Haaren. Sie war vermutlich etwas jünger als Lilja und die einzige, die ein freundliches Gesicht zeigte und so etwas wie eine Begrüßung von sich gab: „Klar doch…Commander? Was können wir für Sie tun?“
Lilja spürte, wie sie ihr Gesicht zu einer Grimasse verzog und ihre Haltung unwillkürlich anspannte. Schnell brachte sich so weit unter Kontrolle, dass sie sich wieder entspannte und aus dem Zähnefletschen ein schiefes Lächeln wurde. Bei sich dachte sie: ,Zum Beispiel könnten Sie dafür sorgen, dass ihre Kollegen mich nicht anschauen wie einen blinden Passagier, bevor man ihn über Bord schmeißt.’ Lilja war gewiss nicht harmoniebedürftig, aber eine solche geballte Ladung an Misstrauen schon zur Begrüßung war doch ein starkes Stück – immerhin sollte sie mit den Leuten in den kommenden Wochen unter Bedingungen zusammenleben, bei denen es auf jeden ankommen konnte. Was hatten Hawk und dieser Tremane denn da für Neandertaler ausgegraben?
Doch sie beherrschte sich. Das hier waren keine Flottenangehörigen, sie hatte also keine direkte Befehlsgewalt. Zeit für etwas Diplomatie.
„Ich soll als Pilotin mitfliegen und mich heute hier melden. Ich bin Lieutenant Commander Tatjana Pawlitschenko – Sie können mich Lilja oder Tanja nennen.“ Sie nannte weder ihr Schiff noch ihre Einheit. Erstens wollte sie sich nicht zu sehr anbiedern, und außerdem war das hier ja keine wirkliche Vorstellungsrunde, sondern ein Geheimauftrag. Die beiden Männer kommentierten ihre Worte mit einem Grunzen, das alles mögliche bedeuten konnte, doch ihre Kameradin schien das wettmachen zu wollen – offenbar leicht genervt von den schlechten Manieren, jedenfalls verdrehte sie ihre dunklen Augen zur Decke, mit einem verschwörerischen Zwinkern in Liljas Richtung.
„Ich bin Nana Kypreos, ‚Quicksilver’ nennen sie mich – ich bin hier Köchin, Hilfsingenieurin, Sanitäterin und so weiter. Und in Ermanglung anderer bin ich auch Touristen- und Gästeguide. Das hier sind Konrad Walser, der Bordingenieur, und Paolo Sanchez, unser Erster Offizier.“ Dabei wies sie erst auf den alten Mann, dann auf den Tätowierten. Lilja nickte beiden etwas unterkühlt zu – sie hatte es ja nicht nötig, um Freundschaft zu buhlen.
Obwohl Quicksilver offenbar im Rang unter den beiden stand, schien sie kaum von ihnen abhängig zu sein: „Ich zeig unserem Gast mal sein Quartier. Bin dann bald wieder da.“ Die zwei Männer machten sich kommentarlos wieder an die Arbeit. Die junge Frau winkte Lilja zu: „Kommen Sie mit.“

Lilja hatte kein sehr gutes Gefühl dabei, den beiden Besatzungsmitgliedern den Rücken zuzukehren, aber das würde sie sich natürlich nicht anmerken lassen. Sie rückte ihren Seesack zurecht, hielt ihn aber so, dass sie ihn jederzeit abwerfen konnte, wenn es nötig seien sollte. Dann folgte sie ihrer Führerin. Die geleitete sie weiter in das Innere des Schiffes hinein.
Die Arbeiten waren offenbar in vollem Gang und zu beträchtlichen Teilen schon abgeschlossen. In fest verankerten Stauplätzen stapelten sich Ersatzteile für den Frachter und das Shuttle – oder eher Shuttles, denn hier war genug, um mindestens zwei Maschinen operationsbereit zu halten. Der Treibstoff für Shuttles und Jäger würde vermutlich in einem externen Tank bei den Haupttanks aufbewahrt und über Schläuche abgefüllt werden. Doch die Russin registrierte, dass in einer gepanzerten Frachtbox Kisten lagerten, die verdächtig nach Raumkampfraketen aussahen. Obwohl eine Menge Fracht eingeladen worden war, angesichts der Größe des Laderaums war hier noch eine Menge freier Platz.
Noch vor dem Frachtbereich waren – ähnlich wie die Betten – drei Metallkonstruktionen mit Wand und Boden verschweißt worden. Sie glichen Kommunikationszellen, wie sie in einigen Fußgängerbereichen standen. Quicksilver bemerkte den fragenden Blick Liljas und grinste spitzbübisch vor sich hin: „Eine Campingdusche und zwei Chemieklos – für unsere Bilgengäste**.“ Die Russin bemerkte, dass sie unwillkürlich das Lächeln erwiderte. Es war gut, wenigstens ein freundliches Gesicht zu treffen: „Soll das heißen, unsere Freunde vom Corps fahren hier unten mit einer Dusche mit Wasserkreißlauf und zwei Klos, die gelegentlich manuell geleert werden müssen?“ Sie machte sich nicht die Mühe, ihre Schadenfreude zu verbergen. Als Pilotin mochte sie Marines mit ihrer machohaften Selbstdarstellung des ‚wir töten von Angesicht zu Angesicht’ nicht sonderlich.
Quicksilver nickte, auch sie nicht ohne gelinde Häme – ob ehrlich empfunden oder nur, um eine Gemeinsamkeit mit Lilja zu kultivieren, blieb dahingestellt: „Wir sind ja kein Passagierdampfer. Und so haben sie wenigstens was zu tun während der Fahrt. Wir werden hier unten auch ein Klapptisch und Stühle bereitstellen – wir können der Messe nicht zwanzig Leute zusätzlich zumuten.“
Die Russin schmunzelte vor sich hin. Das würde ja die reinste Pfadfinderidylle werden. Dann wurde sie wieder ernst: „Wo werden die Jäger stationiert werden?“ Ihre Begleiterin wies auf zwei Andockstationen, wo offenbar einige Veränderungen vorgenommen werden: „Hier. Liegt möglichst nahe zu Ihren Quartieren.“ Dann deutete sie nach oben: „Dort entlang bitte.“ Über die ganze Länge des Laderaums gab es mehrere Aufgänge zu den Rückensektionen des Frachters – allerdings zumeist nicht mehr als einfache Metalltreppen, die an der Bordwand befestigt und mit einem Geländer abgesichert waren. Nur im Heck- und Bugbereich gab es je einen hydraulischen Aufzug, der eher zum Transport von Ersatzteilen und anderer Fracht als für Passagiere gedacht war. Lilja wollte sich lieber nicht vorstellen, was ein Sturz von einer dieser Treppen bei einem abrupten Manöver bedeuten mochte. Immerhin ging es etliche Meter nach unten, auf einen harten Metallboden.

Im Moment befanden sie sich im Mittelstück des Schiffes. Lilja folgte ihrer Führerin die Treppe hinauf. Auch hier gab es für einen aufmerksamen Beobachter einige etwas beunruhigende Anzeichen. An einer Stelle war das Geländer offenbar erneuert worden, vermutlich nachdem irgendetwas Größeres dagegen gekracht und wohl mitsamt den Resten fünf Meter tiefer auf den Boden aufgeschlagen war.
Durch eine massive Luke – sie konnte offenbar vakuumdicht versiegelt werden, stand jedoch im Moment offen – kamen die zwei zu einem spärlich beleuchteten Korridor. Die Wände waren vermutlich einmal gestrichen gewesen, doch davon war nicht mehr viel übrig. Zwar wurde der Gang anscheinend notdürftig sauber gehalten, aber es empfahl sich, nicht zu genau in die Ecken zu schauen. Auch hier war die Beleuchtung unregelmäßig, und manche Lampen fehlten ganz. Blieb nur zu hoffen, dass die Sparsamkeit des Besitzers sich nicht auch auf wichtigere Dinge erstreckte.
Quicksilver wies zum Bug des Schiffes: „Brücke und Mannschaftsquartiere liegen dort.“ erläuterte sie knapp, führte Lilja aber in die entgegen gesetzte Richtung: „Hier sind die Messe…“ sie wies durch eine Tür in einen Raum, der vielleicht zehn Quadratmeter Platz bot und fast vollständig von einem großen Metalltisch ausgefüllt wurde: „und hier die Waschräume.“ Jetzt verstand Lilja auch, warum die Marines eigene Installationen bekommen sollten. Die sanitären Einrichtungen bestanden offenbar aus zwei Toilettenräumen, einer Gemeinschaftsdusche und einem Waschraum. Die Russin überschlug die Zahlen im Kopf. Etwa zehn Besatzungsmitglieder, dazu wohl zwei Piloten, einige NIC’ler und Wissenschaftler, also insgesamt bis zu 20 Männer und Frauen – das würde auch ohne Marines sehr eng würden. Selbst auf der Redemption hatte man wesentlich komfortabler gelebt. Sie achtete darauf, nichts von ihren Gedanken zu zeigen. Es wäre kaum mit ihrem Selbstbild vereinbar gewesen, vor der jungen Raumfahrerin die verwöhnte Diva zu spielen. Zudem war sie sich der prüfenden Blicke ihrer Begleiterin nur zu bewusst.

Gleich neben den Waschräumen lag ein Raum, der aussah wie eine Zahnarztpraxis, in der eine fünf-Zentner-Bombe eingeschlagen hatte. Geräte, deren Bedeutung ihr unbekannt war, die aber zum Teil vage vertraut wirkten, nahmen fast jede Fußbreit Platz ein.
„Lassen Sie mich raten – die Krankenstation?“ meinte Lilja sarkastisch. Quicksilver schnaubte amüsiert: „Gut geraten. Das wird das Reich einer ihrer Kameradinnen.“ Lilja zuckte mit den Schultern: „Wenn man erst mal…sagen wir ein Vierteljahr…auf den verschiedensten Krankenstationen verbringt, dann erkennt man das Gerät…“ Quicksilver warf einen neugierigen Blick auf das vernarbte Gesicht der Russin: „Von welchem Schiff kommen Sie denn?“ Lilja zögerte, doch das war ja eigentlich kein Geheimnis: „Von der Columbia.“ Die Raumfahrerin grinste: „Sie sind Staffelchefin, was?“ Offenbar war der Russin ihre Überraschung anzusehen, denn Quicksilver lachte auf: „Bei Ihrem Rang ist das ja nicht so schwer zu erraten. Ich will ja was über die Leute wissen, die uns beschützen sollen.“ Lilja zuckte mit den Schultern: „Wenn ich mir Ihr Schiff ansehe, frage ich mich, ob es überhaupt Schutz braucht – wenn Ihre Malereien am Geschützturm stimmen.“ Nettigkeit war sonst nicht ihr Ding, aber wenn die Besatzung dem bisher gesehenen Typen entsprach, war es gut, sich mit jemanden gut zu stellen. Quicksilver war offenbar geschmeichelt, als ihr Zuhause gelobt wurde. Vermutlich kam das nicht oft vor: „Im Laufe der Jahre kommt schon was zusammen. Dieser Edelstein schneidet nicht nur Glas – aber das ist eine Geschichte für andere Leute… Wie viele Abschüsse haben SIE denn?“ Lilja zögerte erneut, doch da sie schon Name und Dienstrang gesagt hatte, war dies wohl kaum ein Geheimnisverrat: „Wenn Sie es so genau wissen wollen – 34 Jäger und Bomber, drei Shuttles, und einen Fangschuss auf einem Frachter.“ Quicksilver feixte: „Das kam ja wie aus der Pistole geschossen.“ Lilja lächelte etwas schief: „Wenn man als Frau unter einer Menge testosterongesättigten Kerlen Dienst tut, muss man ihnen oft genug erklären, dass man mindestens so gut ist wie sie. Und dazu braucht man eine lange…Abschussliste.“

Inzwischen waren die beiden weitergegangen. Quicksilver wies weiter den Gang entlang: „Dort hinten liegt der Maschinenraum, aber das kann Ihnen ja egal sein. HIER werden Sie und die anderen Gäste leben.“
Hier, das war eine Reihe von Türen, die sich in äußerst geringen Abständen auf beiden Seiten des Korridors entlang zogen. Tatsächlich lag nicht viel mehr als zwei große Schritte zwischen jeder Tür. Die Raumfahrerin machte sich an dem Tastenfeld eines der Zimmer zu schaffen, und mit einem asthmatischen Keuchen öffnete sich die Tür. Das…Quartier…war vielleicht zwei auf zwei Meter groß und ebenso hoch. Ein schmales Bett nahm etwa die Hälfte des Platzes ein. Sowohl darunter als auch darüber waren Schränke angebracht – es empfahl sich also, nicht zu enthusiastisch aufzuspringen. Wenn man sich in Acht nahm, konnte man vorsichtig im Bett sitzen. Wenn man klein genug war. Dazu kam ein fast beängstigend wirkendes Geflecht von Gurten, die zweifelsohne dazu dienten, den Körper für den Fall eines Schwerkraftverlustes zu fixieren. Neben dem Bett gab es noch einen in die Wand eingelassenen Spind und einen Klapptisch vor dem kleinen Bullauge – der Stuhl dazu war am Bett befestigt und ebenfalls ausklappbar. Das war alles. Kein Kommbildschirm, nur eine archaische Gegensprechanlage, kein Waschbecken oder sonst etwas. Die Deckenleuchte gab ausreichend Licht, wirkte aber im Verein mit der Farbgebung ziemlich trübe. Der Raum war wenigstens leidlich sauber, das Bettzeug offenbar billigste Synthetikware.
Lilja bemühte sich, gute Laune zu zeigen, obwohl das Quartier alles andere als anheimelnd wirkte. Vermutlich war sie von den Flottenträgern verwöhnt. Aber wenn sie daran dachte, dass die junge Frau neben ihr vermutlich Monate auf diesem Schiff verbracht hatte, konnte sie sich wohl schlecht beschweren: „Na, das sollte ausreichen. Ein Glück, dass wir mit wenig Gepäck reisen.“ Sie drehte sich zu ihrer Führerin um, die den Gast neugierig betrachtete, vermutlich, um Liljas Reaktion einzuschätzen. Offenbar hatte die Russin bestanden, zumindest vorerst.
„Wie Sie ihre Sachen sortieren, finden Sie ja sicher selber raus. Der Türcode ist 9999, aber Sie können ihn manuell ändern.“ Die Raumfahrerin wies mit einem Daumen in Richtung Bug, während sie mit gespielt sorgenvoller Stimme fortfuhr: „Aber passen Sie besser auf, wenn Sie abends ausgehen. Und in der Dusche.“
Lilja lachte auf: „Werd ich mir merken. Gut, ich richte mich dann erst mal ein. Ist sonst schon jemand an Bord?“
Quicksilver schüttelte den Kopf: „Nein. Ich glaube, die Marines kommen erst nach unserem Start an Bord. Die anderen Gäste sollen aber bald eintreffen.“ Sie schien noch auf etwas zu warten. Als Lilja sie fragend anschaute, wurde ihr Grinsen breiter: „He, gibt es kein Trinkgeld für den Guide?“ Die Russin musste unwillkürlich lachen. Dann kramte sie einen Schokoriegel hervor: „Hier. Fliegerschokolade mit Koffeinderivat – das ist ein Aufputschmittel für Körper und Seele.“
Die Raumfahrerin salutierte spöttisch: „Danke, Chefin. Ich merk mir, dass bei Ihnen was zu holen ist.“ Und damit ging sie.

Als Lilja allein war, warf sie erst mal einen etwas mutlosen Blick in die Runde. Das dauerte nicht lange, es gab ja nicht viel zu sehen. Es war ja eine Sache, sich nichts anmerken zu lassen, aber in diesem Verschlag zu leben…Aber zum Donnerwetter, sie würde doch nicht nach zwei Wochen Urlaub weich werden! Mit dieser Gedankenschelte straffte sie sich wieder. Sie hatte schon Schlimmeres erlebt, zu Anfang des Krieges. Und es war auch besser als ein Bett in einer überfüllten Krankenstation. Hier hatte sie wenigstens etwas Privatsphäre. Was hatte sie denn erwartet? Eine Drei-Sterne-Suite? Ja, es würde eng werden. Nun, dann würde sie hier drinnen eben nur lesen, Musik hören und schlafen. Das Schiff war ja groß genug, wenn sie sich Bewegung verschaffen wollte.
Nachdem sie sich zur Ordnung gerufen hatte, machte die Russin sich an die Arbeit. Sie musste ihren Seesack entleeren und das Gepäck verstauen, und zwar so, dass es auch bei Beschleunigungsmanövern und Schwerkraftverlust nicht herumflog. Glücklicherweise waren die Spinde genau für diesen Zweck konstruiert worden. Und dann…

Lilja schloss die Kabinentür hinter sich. Es war nicht so, dass sie der Besatzung unterstellte, sie bestehlen zu wollen, oder gar schlimmeres. Das wäre ziemlich töricht gewesen, immerhin war die Zahl der Verdächtigen auf so einem Schiff ziemlich klein. Aber sie würde bestimmt keine scharfe Waffe mit genug Munition für einen kleinen Krieg frei zugänglich herumliegen lassen. Und das hieß, das Schloss umzuprogrammieren.
Sie war gerade fertig geworden und wollte wieder eintreten, als sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm. Sie verharrte, neugierig geworden.
Etwa fünf Meter von ihr entfernt tauchte etwas AUS DER DECKE auf und plumpste auf den Boden des Korridors. Ohne Zweifel eine Katze, eine ziemlich große und schwarze. Offenbar kam sie direkt aus einer Deckenluke. Das Tier schüttelte sich einmal kurz, dann stolzierte sie in Richtung Bug davon, ohne die Pilotin auch nur eines Blickes zu würdigen. Lilja war sich sicher, dass im Maul der Katze ein kleines Fellbündel gehangen hatte, eine Maus oder junge Ratte. Die Russin schüttelte sich. Nein, gewiss keine Drei-Sterne Suite…


* gebräuchlicher Slangausdruck für Sicherheits- und Geheimdienstler im russischen Raum, geht zurück auf die Bezeichnung der gefürchteten Geheimpolizei nach der Oktoberrevolution von 1917 (damals Abkürzung für die Bezeichnung Sonderkommission für die Bekämpfung der Konterrevolution, der Spekulation und Sabotage). Die Bezeichnung wurde in der Sowjetischen Staatenkonföderation (ab 2059, inzwischen ein Bundeststaats der FRT) verwendet und steht für das Sonderkommissariat für Staatssicherheit, welches allerdings einiges weniger rücksichtslos vorgeht als seine Vorgänger.
** Bilgengäste ist der Slangausdruck, der auf Trampfrachtern für Passagiere der niedrigsten Kategorie verwendet wird, das Gegenstück zu den „Deckspassagieren“ auf der Erde. Dies sind Leute, die im Laderaum mitfahren und keinen Anspruch auf irgendwelchen Service haben, etwa Siedler und ähnliches. Natürlich gibt es auf Raumfrachtern keine Bilge (der Kielraum unterhalb des untersten Laderaums, wo sich Sickerwasser und andere...Dinge ansammeln), es handelt sich um eine Übernahme aus der Seefahrt.
25.01.2016 15:41 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Familienbande, Teil eins

"Justy, hast du mal eine Sekunde?"
Captain Justus Schneider sah von seinem Drink auf. An Bord dieses Schiffs gab es nur einen Menschen, der seinen Vornamen verniedlichte, und das war seine Tante Carol Davis. Er lächelte leicht. "Für dich immer. Wo geht es hin?"
"Nur kurz ins Büro. Ich glaube, Colonel Esterhazy braucht es nicht mehr."
Justus runzelte die Stirn. Hatte er irgendetwas ausgefressen? Es kam eher selten vor, dass seine Tante ihn in einen anderen Raum zitierte, um ihm die Leviten zu lesen. Als sich Truman ebenfalls anschloss, suchte er angestrengt nach dem Grund, den die Vorstandsvorsitzende und der Chefingenieur von DSC haben konnten, um ihn zu interrogieren.
Er warf einen letzten Blick auf die Party, und bekam gerade noch mit, wie Noname zurück kam, und dazu reichlich blass um die Nase. Da zog sich doch sofort eine Parallele zu Esterhazy, dem alten Eisenfresser.
Sie erreichten das Büro, und der Ex-Colonel, der es gerade verlassen wollte, wurde von Carol in der ihr üblichen burschikosen, keinen Widerspruch zulassenden Art zurück ins Büro gestopft.
Zu Justus' maßloser Überraschung dirigierte das Oberhaupt der Davis ihn zur bequemen Sitzreihe, und nicht vor den Schreibtisch. Truman setzte sich dazu, und der Colonel, sichtlich zum Statisten degradiert, hantierte an der großzügigen Bar des Büros und schenkte jedem sein Lieblingsgetränk ein. Für Tante Carol ein alter Sherry, für Truman ein zwanzig Jahre alter Scotch, für Justus einen frisch gemixten Wodka Lemon, und für sich selbst hatte er eines der furchtbar teuren terranischen Exportbiere genommen, die Onkel Craig so gerne und mit so viel Maß zu trinken pflegte. Andererseits war das Bier aus der Kiste, die Carol für den Jubilar von Terra mitgebracht hatte, also ging das wohl in Ordnung.
"Okay, Truman, Tante Carol, was kann ich für euch tun?", fragte Justus gerade heraus.
Ein kurzes Zucken in den Mundwinkeln seines Onkels warnte ihn, verriet ihm, einen Fehler gemacht zu haben.
Carol Davis musterte ihn auch prompt mit einem eisigen Blick. "Was sind wir doch kalt geworden, Captain Schneider. Wenn ich das Benjamin erzähle, wird er aus allen Wolken fallen."
Abwehrend hob Justus die Arme. "Carol! Entschuldige bitte. Aber immer wenn du dazu ansetzt mich zu tadeln, verfalle ich in die alte Respektsschiene."
Dies schien die resolute Davis-Frau zu besänftigen. Ein feines Lächeln umspielte ihre vollen Lippen. "Akzeptiert und vom Gong gerettet, mein Lieber."
Truman räusperte sich. "Es geht nicht darum, was du für uns tun kannst, Jus." Er wechselte einen kurzen Blick mit seiner Ehefrau. "Es geht darum, was wir für dich tun können."
Beinahe wäre Justus sein Glas aus der Hand gerutscht. Entsetzt starrte er die beiden an. "W-WAS?"
Carols Wangen bekamen eine sanfte, verlegene Röte, während sie zur Seite sah. Nicht, dass Justus die letzten fünfzehn Jahre auf die hervorragenden Schauspielerqualitäten seiner Tante hereingefallen wäre.
"Justy,", begann sie mit leicht weinerlicher Stimme, "du bist nicht glücklich, das sieht doch ein Blinder. Da frisst doch was an dir. Dich stört doch was, groß wie ein Laboe-Frachter."
Truman nickte bekräftigend. "Du weißt, du kannst jederzeit deinen Hut nehmen, der verdammten Navy eine lange Nase drehen und in der Firma anfangen. Oder du schnappst dir deine Anteile, machst die Hälfte zu Geld und zahlst dir deinen eigenen Altair an. Du musst nicht in der Navy dienen. Und du musst auch vor Arschlöchern mit verschlucktem Besenstiel nicht zu Kreuze kriechen."
"Es ist nicht meine Art, eine Aufgabe halb erledigt zurück zu lassen.", brummte Justus frustriert. "Ich werde bestimmt nicht aus der Flotte austreten, weil ich es mal etwas schwerer habe!"
Truman hob abwehrend eine Hand. "Ruhig, Brauner. Wir wissen alle, dass es dir nie leicht gemacht wurde. Und wir wissen, dass du den schlimmsten Kahn der 2. Flotte im Griff hattest wie kein anderer. Leider stinkst du aber immer noch nach der KAZE."
"Nichts gegen die KAZE und ihre Crew.", sagte Justus bissig.
"Ich rede nicht davon, was ich denke.", sagte Truman trocken.
Das veranlasste Justus zu einem kurzen, trockenen Gelächter. Anschließend nahm er seinen Drink und leerte ihn in einem Zug. "Milos, wären Sie so nett?"
"Natürlich, Captain Schneider." Ohne ein weiteres Wort füllte der ehemalige Colonel das Glas neu auf.
"Also, Justy, du hast Probleme.", stellte Carol fest.
"Ich würde es nicht Probleme nennen. Ich habe den Silver Star, ein halbes Dutzend Kampagnenabzeichen, einen Bronce Star, und noch ein wenig Lametta mehr für die Ordensspange. Ich habe auf drei Schiffen das Kommando geführt, und meine Arbeit auf der KAMI wird federführend für die Akarii-Technologie sein, die fortan in der Antriebstechnik verbaut werden wird. Das gibt mir mindestens ein halbes Dutzend positiver Einträge für die Dienstakte."
"Aber?" Mit traumwandlerischer Sicherheit hatte Truman Davis den Finger auf die Wunde gelegt.
Justus schnaubte halb frustriert und halb amüsiert. Einiges kochte nun wieder hoch. Und nicht wenig davon hatte mit Amber zu tun, seiner Verlobten. Doch das meiste hing mit Mithel zusammen.
"Es ist Mithel, nicht wahr?", fragte Truman mit einem dünnen Grinsen auf den Lippen.
Argwöhnisch sah Justus den großen Mann an. "Du kennst Chris Mithel?"
"Ich hatte einmal die große Ehre, Admiral Mithel als Vorgesetzter auf dem gleichen Schiff zu befehligen, mein Junge. Das war aber lange vor deiner Zeit. Und lange bevor dieses schreckliche Frauenzimmer meine Flügel beschnitten und mich aus der Navy in unser kleines Familienunternehmen gelotst hat."
"Höre nicht auf ihn. Damit will er nur kaschieren, dass ich das Beste bin, was ihm je passiert ist", sagte Carol mit einer wegwerfenden Handbewegung.
"Das habe ich ja auch mit keinem Wort bestritten.", fügte Truman an. Die beiden lächelten sich an und tauschten einen kurzen, für ihre Begriffe geradezu flüchtigen Kuss. Nach achtunddreißig Jahren Ehe waren sie immer noch verliebt wie am ersten Tag. Beneidenswert.
"Wo waren wir? Ach ja. Ich hatte mich auf zehn Jahre verpflichtet, um meinen Dad zufrieden zu stellen. Ich war Lieutenant Commander auf der SANTURIN, das war zwei Jahre vor meinem Dienstaustritt als Commander der Reserve. Damals wurde Mithel uns als Second Lieutenant zugewiesen. Er war ein steifer, überambitionierter Offizier, der sich nie Fehler erlaubt hat. Allerdings hat er auch nie einen Sündenbock dafür gesucht, wenn ihm doch mal einer passierte. Es ist mir leider nie gelungen, ihn etwas aufzulockern. Er hat von sich immer mehr gefordert als alle anderen je von ihm wollten. Und er war immer ein eiserner Vertreter der Flottenvorschriften. "
"Er ist immer noch ein Freund der Vorschriften.", murmelte Justus ärgerlich. "Du wirst doch jetzt nicht etwa deinen alten Untergebenen anrufen, oder so was?"
"Was denn, was denn? Du hast wie viele Monate unter ihm gedient, und denkst wirklich, ein Commander der Reserve könnte Konteradmiral Mithel auch nur vorschlagen, wie er sich seinen Kapitänen gegenüber verhalten soll? Wach auf. Das würde er ignorieren. Nicht weil er mich nicht mag, sondern weil er es als seine Pflicht ansieht, nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln. So gesehen ist er eigentlich ein feiner Kerl. Ich wünschte nur, er hätte langsam begriffen, worauf es im Leben wirklich ankommt." Nachdenklich knetete Truman seine Hände.
"So wie du, Schatz.", hauchte Carol ihm ins Ohr.
"So wie ich."
Justus räusperte sich, bevor die beiden sich wieder ineinander verlieben konnten - was Gerüchten in der Firma zufolge acht- bis zehnmal pro Tag geschah. "Okay, ich komme nicht ganz mit ihm klar. Egal wie sehr ich seinen Vorgaben folge, egal welche Erfolge ich vorzuweisen habe, egal wie exakt ich seine Befehle ausführe, es reicht nicht. Es reicht nie. Für ihn bin ich das schwarze Schaf des Geschwaders, obwohl ich die KAMI trotz schwerster Schäden wieder nach Hause und durch drei Gefechte geschippert habe."
"Ui, man könnte meinen, er mag dich nicht.", spottete Truman.
"Darauf kannst du einen lassen! Und ich habe absolut keine Ahnung, wie ich das ändern kann. Ich will ja keine Extrawurst, nur gleich behandelt werden."
"Die Lösung ist doch einfach", sagte Carol und klopfte hoch erfreut auf ihr Knie. "Du kriegst einfach dein eigenes Geschwader, Justy. Wäre doch gelacht, wenn wir das nicht deichseln könnten. Wir können unsere Kontakte im HQ Terra nutzen..."
Justus wurde bleich. "Du wirst doch nicht in der Navy zur Vetternwirtschaft auffordern?"
"Was? Wozu hat man Beziehungen, wenn man sie nicht nutzen kann? Ist ja nicht so, als wäre Vitamin B nicht gang und gebe in der Navy. Außerdem kann ich nicht mit ansehen, wie hier mit meinem Neffen umgegangen wird.", murrte Carol.
Justus' Lachen blieb ihm im Halse stecken. Nachdenklich drehte er das Glas in seiner Hand. Tatsächlich, was war dabei? Er hatte nichts getan, wurde einfach nur voreingenommen und ungerecht behandelt. Vielleicht reichte ein diskreter Hinweis auf seine, Justus' Familienbande, um das Klima zu entspannen. Besser wurde es ohne Einfluss von außen sicherlich nicht mehr. Andererseits wäre ein eigenes Geschwader schon eine schöne Sache gewesen.
"Nein, Carol. Danke, aber das ist keine Lösung. Das war es noch nie. Und nein, Truman, egal was du planst, aber ich denke nicht, dass es irgendetwas bringt, Admiral Mithel auf den Zahn zu fühlen. Eher machst du ihn noch wütend. Nein, überhaupt zu erwähnen, mit wem ich verwandt bin, hat mir bisher nur Ärger eingebracht. Andererseits habe ich mich aus eigener Kraft nur von einer Scheiße in die nächste rein geritten. Vielleicht sollte ich mal mein Konzept ändern." Nachdenklich massierte Justus seine Nasenwurzel. "Die CARNEGIE II hat doch noch keinen Skipper, oder?"
"Ich halte dir den Job frei, wenn du willst.", versprach Carol prompt.
Bedächtig nickte Justus. Er hob sein Glas, trank es aus und stellte es wieder auf den Tisch. "Danke, Tante, Onkel. Ich fühle mich schon viel besser. Vielleicht ist es das. Vielleicht brauche ich nur dieses Fangnetz unter mir. Vielleicht kriege ich jetzt ein paar Dinge auf die Reihe."
"Abgemacht." Carol erhob sich, drückte ihrem Neffen einen Kuss auf die Wange. "Wir für unseren Teil gehen jetzt wieder rüber, bevor Craig und Jenna uns vermissen. Außerdem müssen wir ein Auge auf Jean haben, damit sie dem armen Donovan nicht zu sehr auf der Nase herum tanzt. Er ist so ein williges Opfer für sie. Ich werde ihr heftig auf die Finger klopfen müssen."
"Nein." Justus schüttelte den Kopf. "Nein, lass sie. Lass sie auf andere Gedanken kommen. Lass sie sie selbst sein. Sie hat sich vier Jahre bei den Marines vollkommen verstellt, und hat jetzt endlich die Chance, ihr altes Ich zu entdecken. Donovan steckt das weg. Er ist ein guter Junge. Und wenn er fallen sollte, fange ich ihn auf."
"Das will ich hoffen, denn wenn du das nicht machst, werde ich das tun.", stellte Carol fest, während ihre Augenbrauen zusammen geschoben waren. Der Blick hatte schon gestandene Männer verängstigt. "Und weder du noch Jean werden es mögen, wenn ich das tue. Vergiss nicht, Donovan gehört jetzt zur Familie."
"Keine Sorge, ich halte sie so lange wie möglich an der Leine, zumindest bis sie reißt.", versprach Truman mit einem wilden Grinsen.
"Ach, Schatz, ich liebe es, wenn du es mit dem Unmöglichen aufnimmst.", säuselte sie und verließ vor ihm das Büro.

Esterhazy nahm derweil das Glas aus Justus' Händen und füllte es erneut.
"Danke, Milos." Justus lehnte sich im bequemen Sofa zurück und deutete auf den Sessel vor sich.
Mit einem Schmunzeln nahm der Sicherheitschef der Firma Platz. "Ich wusste, dass Sie mir noch etwas zu sagen haben, Justus."
"Nicht zu sagen. Aber ich möchte einige Fragen stellen, Milos. Donovan war reichlich bleich, als er hier raus kam. Sie waren doch nett zu ihm?"
"Nett." Der ehemalige Infanterist lachte wie über einen guten Witz. "Ich bin nicht hier, um nett zu sein. Ich bin hier um effizient zu sein. Monty hat mich hier hingestellt, damit es auch morgen noch eine Firma gibt, damit Sie und die Davis-Kinder eine Heimat vorfinden. Damit ich eine Heimat habe übrigens auch. Und ich denke nicht daran, dabei einen Fehler zu machen."
"Ihre Einschätzung?"
"Von Cartmell? Jahrelang in der Hand von Piraten, wurde eingeknastet wegen Übergriffe auf Kameraden, für den Fronteinsatz rehabilitiert. Er hat mehr Echsen abgeschossen als der Durchschnitt, zeigt großes fliegerisches Können, aber mangelnde Integritätsbereitschaft in seiner Staffel. Ich mag keine durchsichtigen Leute, Justus. Und Cartmell ist zu durchsichtig, um wirklich echt zu sein."
"So, ist das Ihre Meinung? Letztendlich aber hat er Cliff mehrfach das Leben gerettet."
"Ja, das kann wohl niemand weg beten. Und das mit großem Heldenmut - oder aus der Verzweiflung heraus. Ich kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass es an seiner fachlichen Qualifikation nicht den geringsten Zweifel gibt. Oder anders ausgedrückt: Wenn Donovan Cartmell hier nach dem Krieg anfängt, dann haben wir für nen Appel und nen Ei ein Aß eingekauft. Allerdings habe ich wirkliche Probleme damit, ihm das Training und die Aufstellung unserer Begleitjäger anzuvertrauen."
Justus zog eine Augenbraue hoch. "Moment. Carol will ihm die Jäger geben?"
"Es ist im Gespräch. Clifford hat ein längeres Dossier eingereicht, das seine fachliche Qualifikation bewerten hilft." Esterhazy grinste breit. "Höchst illegal vom ältesten Davis-Sohn, ein offizielles Marine-Dokument zu klauen."
Justus schnaubte amüsiert. "Da bricht wohl wieder seine Menschenliebe durch. Er will hier unbedingt einen Platz für Donovan schaffen."
Esterhazy hob einen Zeigefinger. "Im Moment sieht es gut aus, Captain. Im Moment würde ich ihm zumindest einen Jäger anvertrauen. Aber ich bleibe argwöhnisch. Er wäre nicht der erste Pilot, der erpressbar wäre. Und glauben Sie mir, man kann sich schon durch die kleinsten Kleinigkeiten erpressbar machen. Auf Pandora sind Dinge gelaufen, die sind jenseits Ihrer Vorstellungskraft. Aber sicher nicht jenseits meiner. Wenn er eines Tages zu uns kommt und seinen Posten antritt, werde ich noch sehr lange Zeit misstrauisch sein. Auch zu seinem eigenen Wohl." Esterhazy stockte. "Menschen...neigen manchmal dazu, andere vor grausamen Wahrheiten beschützen zu müssen, und schlittern dann erst Recht in den Dreck und werden zum Totengräber jener, die sie beschützen wollten. Ich möchte das Cartmell gerne ersparen, wenn ich kann. Noch lieber ist mir, dass es hoffentlich nie eine Notwendigkeit dafür gibt."
"Ich verstehe."
"Nein, das tun Sie nicht, Justus. Aber das ist nicht schlimm. Denn genau dafür bin ich ja da. Auch dafür, das Donovan Cartmell nicht mehr von seiner Vergangenheit eingeholt wird und erpressbar ist."
"Ich glaube, jetzt verstehe ich.", erwiderte Justus amüsiert.
"Eventuell.", brummte Esterhazy amüsiert.
Der Kapitän der KAMI erhob sich. "Danke für Ihre ehrlichen Worte, Milos. Ich für meinen Teil gehe jetzt zurück. Und auch Sie sollten wieder rüber gehen. Sie sind auch ein Teil der Familie."
"Ich weiß", erwiderte der ehemalige Colonel. "Ach, und Justus?"
"Colonel?" "Sagen Sie Cartmell nichts von unserem Gespräch. Sagen Sie ihm nicht, wie ich ihn einschätze. Es schadet überhaupt nichts, wenn er vor mir mehr Angst hat als vor allem, was ihm da draußen begegnet."
Justus unterdrückte ein amüsiertes Schnauben. "An Ihnen ist ein Fremdenlegionärsausbilder verloren gegangen, Milos."
Der Colonel lächelte dünn. "Nur bedingt, Justus. Nur bedingt."
Justus stellte sein Glas in die kleine Spüle und nickte Esterhazy noch einmal zu. "Tun Sie Ihren Job. Aber vergessen Sie nicht, Sie sind auch noch ein Mensch, Milos."
Esterhazy stellte seine leere Flasche fort und folgte dem Captain auf den Gang hinaus. "Manchmal, Jus, nur manchmal."
Schneider lächelte bei diesen Worten. Er mochte Menschen mit Herz. Menschen wie Esterhazy, Menschen wie Donovan.

Frust schieben, die Zweite

Im eigenen Saft zu schmoren war nie besonders nett. In meinem Fall hatte ich einen erstklassigen Juce gezogen, bestehend aus verpassten Gelegenheiten, dem Gefühl, Mary Sandersen zu viel gesagt zu haben, und dem sehr nervigen Schmerz in meiner Brust, der mich überkam, wenn ich an Lilja dachte. All das zusammen auf die übliche Temperatur von Neu Kapstadt erhitzt schmorte mich langsam aber sicher gar. Mein einziger Trost, mein einziger Schimmer der Hoffnung war die Tatsache, dass ich den Flugtest für die Falcon geschafft hatte. Praktisch auf Anhieb, wobei mir meine Erfahrung mit den Bordmaschinen der CARNEGIE hilfreich gewesen war, und theoretisch mit Auszeichnung, da aber erst im zweiten Anlauf. Damit stand meiner Kommandoübernahme natürlich nichts mehr im Wege. Natürlich hätte ich mich mehr darüber gefreut, die rote Staffel zu führen, die Staffel, die ich seit Jahren kannte, auch wenn viele Gesichter mittlerweile gewechselt hatten. Teufel, mittlerweile begann ich sogar schon Radio zu vermissen. Mir stattdessen die Blauen zu geben war genauso nett wie fies. Das bedeutete schlicht und einfach, dass mich Raven als Troubleshooter schätzte und mir durchaus zutraute, die nahezu intakten Jokers for Redemption wieder auf Kurs zu bringen, nicht aber die Überlegenheitsjäger mit der fast zerstörten roten Staffel. Mich da auch noch raus zu ziehen und Mantis zur Chefin zu machen waren eine miese und eine unglückliche Entscheidung. Vor allem wenn ich daran dachte, wie es mit ihr und Noname weiter gegangen war. Mein Versuch, ihn besoffen zu machen und dann so lange zu bequatschen bis er sich entschuldigte, hatte leider nicht funktioniert. Er hatte nichts trinken wollen. Also hatte ich es bei Mantis versucht und sie weich gekocht. Nicht, dass sie eingeknickt wäre, aber mein Hinweis, ich würde Donovan sonst für die Blauen anfordern, hatte sie doch nachdenklich gemacht. Mir hingegen gefiel der Gedanke, einen fähigen XO zu bekommen, mehr und mehr. Denn Chip war ein guter Sektionsführer, aber Staffel-XO... Bis dahin hatte er noch einen weiten Weg. War der Tod von Rapier zu schnell gekommen? Hatte Juliane ihn schlecht vorbereitet? Oder war viel zu viel auf einmal gekommen, wie es üblich war in der Navy? Vielleicht von alledem etwas, und die Angst vor der eigenen Legende. Chip TRAUTE sich einfach nicht, in Huntress' Fußstapfen zu treten. Das war die einfachste und ehrlichste Wahrheit in der Geschichte. Aber das würde vergehen, mit genügend Zeit, und wenn ich Chips Selbstvertrauen entsprechend aufbaute. Dennoch, Donovan als XO, der Gedanke hatte etwas sehr verlockendes.

Ich seufzte ärgerlich und trank einen Schluck Kaffee. Eigentlich hätte diese Szenerie mich beruhigen sollen. Weißer Strand, blaue Wellen, schöne und nicht so schöne Badegäste in knappen Textilien, herrlicher Sonnenschein und ein Hauch von Wind. Eigentlich alles was den Vormittag erträglich machte. Allerdings ging mir nicht zum ersten Mal durch den Kopf, das ich mich an der kleinen Bar meines Hotelzimmers bedienen sollte, wenn ich schon nicht zum Strand runter ging.
Denn wenn ich das tat, verpasste ich vielleicht...
Mit einem kräftigen Akkord erwachte mein Kommunikator zum Leben. "Davis!"
"Ah, Clifford. Andrew Tremane hier. Sie erinnern sich?"
"Natürlich, Sir. Was kann ich für Sie tun?"
Die Stimme des Geheimdienstoffiziers bekam etwas Schelmisches. "Haben Sie die Tauglichkeitsprüfung für die Falcon geschafft, Clifford?"
Verwundert runzelte ich die Stirn. "Ja. Haben Sie etwas anderes erwartet?"
"Nein, eigentlich nicht. Aber ich wollte auf Nummer sicher gehen. Wie sieht es aus, Ace, Lust auf einen kleinen Ausflug zu gehen und Ihre neuen Kenntnisse auf der Falcon auszuprobieren?"
Ich grinste. "Geht es um die Sache, die wir neulich besprochen haben, Commander?"
"Nein. Tut mir leid, aber so ist das Leben. Allerdings könnte es damit zusammen hängen. Ich würde das gerne untersuchen, muss dafür aber...Nun, etwas weit weg. Dafür könnte ich die Hilfe eines Jagdpiloten gebrauchen. Einen habe ich schon. Sie wären die Nummer zwei."
Ärgerlich verzog ich meine Miene. Nummer zwei? Ich hätte zumindest erwartet, eine lächerliche Rotte führen zu dürfen.
"Hallo? Clifford, sind Sie noch dran?"
"Es gibt nicht viele Piloten, denen ich mich freiwillig unterordne.", gab ich bissig zurück.
"Keine Sorge, ich habe einen sehr fähigen Wingleader für Sie besorgt. Nähere Details auf dem Schiff. Kommen Sie, Ace, das wird ein Abenteuer, das vielleicht etwas Licht in unser beider Lieblingsmysterium wirft. Geben Sie sich einen Ruck."
Ich seufzte leise. "Hier fällt mir ohnehin die Decke auf den Kopf. Wann und wo?"
"Am liebsten sofort, aber morgen früh reicht auch noch. Handelsflughafen, Zollbereich. Unser Schiff ist die EMERALD JADE. Ich sehe Sie um Dreizehnhundert dort. Sie brauchen nichts außer Ihren persönlichen Dingen mitzubringen. Alles andere ist vor Ort. Ich werde Ihnen einen Passierschein und ein paar Notizen mit Missionsdetails zukommen lassen."
"Wie praktisch. Ich werde da sein, Commander."
"Na, das freut mich doch zu hören. Ach, und Ace: Danke."
"Nichts zu danken. Das wird dann meine gute Tat für morgen", scherzte ich.
"So, meinen Sie? Mal sehen, vielleicht reicht es ja für die ganze Woche", erwiderte Tremane und legte auf.

Ich packte den Kommi wieder fort. Handelsflughafen? Zollbereich? Das klang fischig. In welchen Gewässern fischte Tremane da eigentlich? Aber egal, alles war besser als hier zu bleiben und auf meinen düsteren Gedanken herum zu brüten. Außerdem konnte mir ein wenig Flugerfahrung auf der Falcon überhaupt nicht schaden, bevor ich die Staffelarbeit der Blauen übernahm.
Seufzend erhob ich mich und ging an den Terminal meines Zimmers. Nach kurzer Recherche hatte ich einige öffentlich zugängliche Daten über die EMERALD JADE herausgefunden. Weitere erhielt ich nach einer diskreten Anfrage an die Zentralverwaltung unserer Firma, die natürlich alle potentiellen Konkurrenten in der Region ab und an ins Auge fasste. Danach hatte ich einen Tadel meines Vaters einsitzen, dafür dass ich das Familienfest schwänzte, sowie den diskreten Hinweis meiner Mutter, sie endlich zur Oma zu machen. Vorzugsweise mit einem hübschen, intelligenten und taffen Mädchen, das zu einem Raumgeborenen passte. Leider aber war Melissa Bowyer verheiratet.
Nachdenklich sichtete ich meine Beute, und war den ersten Moment erfreut. Dann bildete sich eine steile Sorgenfalte auf meiner Stirn. Schließlich aber musste ich grinsen. Das klang perfekt. Zu perfekt um wahr sein zu können. Auf jeden Fall bedeutete es, mit einem Haufen Vakuumfressern unterwegs zu sein, Nichtmilitärischen Vakuumfressern. Und alleine das konnte schon einen Spaß bedeuten. Als ich meine Recherchen einstellte, beschloss ich als nächstes einzukaufen. Ein wenig Bestechung hatte noch nie geschadet und würde auch bei der Crew der EMERALD JADE nicht verkehrt sein.

***

Als ich vor der herabgelassenen Heckklappe des Merkur-Frachters mit dem prahlerischen Namen stand, erfüllten sich meine Erwartungen und meine Befürchtungen zu nahezu gleichen Teilen. Ein fachmännischer Blick brachte die vielen kleinen Modifikationen zutage, die man über die Jahrzehnte an der JADE vorgenommen hatte. Einige waren recht sinnvoll, wie der zusätzliche Waffenturm. Andere, und das bezog sich teilweise auf minderwertige Panzerplatten, wohl eher der Notwendigkeit geschuldet. Andererseits, verlieren konnte ich nun auch nichts mehr, und dies WAR nun mal das Schiff, auf dem ich fliegen würde.
"Rein oder raus?", klang eine fröhliche Frauenstimme auf.
Ich sah die Rampe hoch und entdeckte die Besitzerin der Stimme. "Rein!"
"Na, dann kommen Sie mal rauf. Sind Sie von den Ledernacken?"
Das musste sich auf das Halbplatoons der Marines beziehen, die unsere Reise absichern sollten – höchstwahrscheinlich auch gegen die Besatzung der EMERALD JADE, wie mir durch den Kopf ging. Das Shuttle würde auffällig-unauffällig im Orbit an den Frachter andocken.
Ich grinste frech. "Weiß nicht. Was denken Sie?"
Die junge Frau musterte mich interessiert, beugte sich vor und kam schließlich die Rampe runter, um mich genauer in Augenschein zu nehmen. "Hm. Nicht, dass Sie nicht einen guten Marine abgeben würden, aber diese Schwiele im Nacken kriegt man nur auf Dauer, wenn man einen Raumhelm trägt. Pilot, würde ich sagen."
Ich nickte beeindruckt. Nicht vielen Zivilisten fielen die kleineren Ärgernisse auf, die uns Piloten zu schaffen machten. Druckstellen, die zu Schwielen wurden, wenn man ein paar Jahre diente, gehörten dazu. Ich streckte die Rechte aus. "Cliff Davis. Ich soll hier eine Falcon orgeln."
"Ach. Wir nehmen was immer wir kriegen können, Cliff Davis." Sie ergriff die ausgestreckte Rechte und schüttelte sie fest. "Nana Kypreos, Köchin, Hilfs-Ingenieurin, Sanitäterin, und noch ein halbes Dutzend anderer Sachen. Nennen Sie mich Quicksilver, Pilot. Und, haben Sie auch einen Rang?"
"Spielt das eine Rolle?", erwiderte ich.
"Haben Sie keinen Rang? Ich meine, ich wäre schon dafür, dass Recht und Ordnung mitfliegen, und nicht irgendwelche halbgaren Piraten oder so."
"Wieso? Lassen sich Navy-Leute leichter beim Poker ausnehmen?", konterte ich.
"Cliff Davis, bitte überlassen Sie das Witze reißen mir. Also, was für einen Rang haben Sie?"
"Zweiter von zwei. Reicht das nicht?"
"Ach, ihr habt euch schon geeinigt? Wie schade. Ich habe mich schon auf einen Zickenkrieg unter Kampfpiloten gefreut."
"Frech ist gut, wenn man die Grenzen kennt, Quicksilver."
"Ach, kommen Sie, Cliff. Seien Sie nicht so ein Spielverderber."
Ich seufzte. "First Lieutenant."
"Das war doch ganz einfach, First Lieutenant Davis, oder? So schnell geht es einem über die Lippen, und tut auch gar nicht weh. Na, kein Wunder, dass ihr euch schon vorher geeinigt habt." Sie ging die Rampe hoch. "Kommen Sie, Superpilot. Ich zeige Ihnen Ihr Quartier."
Ich schulterte meine Rucksäcke neu und folgte der energiegeladenen jungen Dame an Bord des Dings, das mal ein Frachtschiff gewesen war, bevor es diverse Meteoriten durch Rammen zertrümmert hatte.
Wir kamen zuerst auf das Verladedeck, wo einige Besatzungsmitglieder unter dem wachsamen Blick eines Grauhaarigen ein paar Container fest zurrten.
Quicksilver deutete auf den Alten. "Konrad Walser, unser Chefingenieur. War den ganzen Tag damit beschäftigt, die Betten für die Marines zusammen zu schweißen. Also Vorsicht, nicht auf die Nerven gehen."
"Hm.", machte ich und trat auf den alten Mann zu. Der schien einen sechsten Sinn im Hinterkopf zu haben, denn trotz des Lärms drehte er sich zu mir um. Es hätte mich nicht verwundert, wenn ich das Gesicht erkannt hätte, immerhin hatte ich tausende Raumfahrer gesehen, viele von ihnen wie ich im Weltraum geboren. Aber nein, bei diesem Gesicht zog ich zwar einige Parallelen, doch es war mir nicht bekannt. Ich nahm einen Rucksack von der Schulter und setzte ihn vor meinen Füßen ab. "Cliff Davis."
Er musterte mich für einen Moment, dann wandte er sich mürrisch wieder ab.
Ich öffnete den Rucksack und zog einen langen Gegenstand hervor. Damit klopfte ich dem Chefingenieur auf die Schulter. "Cliff Davis.", sagte ich erneut, und diesmal mit Nachdruck, bevor ich die Flasche Seafort Magic Blend los ließ. Für einen Moment brachte das den alten Mann aus der Fassung, als er versuchte die Flasche aufzufangen. Sein Blick ging auf das Etikett, dann wieder auf mich. Ein flüchtiges Grinsen spielte um seine Lippen. "Martin Walser, Chefingenieur. Willkommen an Bord. Frachtfahrer?"
Ich nickte. "Zurzeit bei den Terrys, so lange wie der Scheiß Krieg dauert. Aber danach fliege ich wieder."
Er schnaubte, und es blieb sein Geheimnis, ob er die Terrys meinte, oder die Schande, dass ein anständiger Frachtfahrer wie ich in die Armee eingetreten war. "Danke für den Bourbon.", sagte er schlicht und wandte sich wieder den Arbeiten zu.
Ich schulterte meinen Rucksack wieder und folgte Quicksilver tiefer ins Schiff.

Wir trafen relativ schnell auf einen großen, dunkelhäutigen Glatzkopf, der mit mürrischer Miene die provisorischen Unterkünfte der Marines beäugte. Ihm war anzusehen, dass er sie am liebsten wieder von Bord gehabt hätte, bevor sie überhaupt erst geboardet hatten.
Neben mir begann Quicksilver zu schnauben. "Hey! Eins O!"
Der Riese wandte sich zu uns um, und offenbarte ein Tattoo auf dem blanken Schädel, einen Totenkopf mit flammenden Augen. Sie deutete auf mich. "Der zweite Pilot!"
Sein Blick war klar und sagte: Was geht mich das an? Aber schließlich kam er nach einem letzten bösen Blick auf uns zugestampft.
Ich streckte die Rechte aus. "Cliff Davis."
Der Mann war einen halben Kopf größer als ich und konnte auf mich herabsehen. Das tat er zur Genüge, bevor er sich dazu herab ließ, meine Hand zu ergreifen und kräftig zu drücken. Sehr, sehr, sehr kräftig. "Paolo Sanchez, Erster Offizier."
"Freut mich, Mr. Sanchez", sagte ich ohne eine Miene zu verziehen. Wer so viel und so oft mit Frachtleuten zu tun gehabt hatte wie ich, kannte alle Maschen und Methoden, mit denen untereinander Eindruck geschunden werden sollte. Man wusste dann auch, wie man einem extrem schmerzhaften Händedruck entgehen konnte, ohne die Hand zurück zu ziehen. Schließlich ließ der Riese von mir ab. Ich lächelte und nahm den einen Rucksack wieder vom Rücken. Aus seinen Tiefen holte ich eine Flasche Bayside Rum hervor und hielt ihn dem Hünen hin.
Überrascht und misstrauisch beäugte er die Flasche.
"Cliff ist Frachtfahrer.", klärte Quicksilver ihn auf.
"Ein Terry.", kam es über seine dicken Lippen, und es klang sehr vorwurfsvoll.
"Warum offensichtliches abstreiten?", fragte ich nonchalant. "Aber ich werde nicht ewig dienen."
Dies ließ ein kurzes Lächeln über seine Mundwinkel huschen. "Willkommen an Bord, Cliff Davis."
Ich nickte dankbar als Antwort und stapfte weiter.
Neugierig versuchte Quicksilver einen Blick in den Rucksack zu werfen. "Haben Sie da auch was für mich drin? Man gibt eigentlich allen Offizieren und Gasten ein Willkommensgeschenk, wenn man auf ein neues Schiff kommt.", sagte sie hoffnungsvoll.
Ich lächelte sie freundlich an. "Vielleicht schaue ich mal nach, wenn ich vor meinem Quartier stehe."
"Das ist Erpressung.", warf sie mir mit gespieltem Zorn vor und ging wieder voran.
Es folgte eine Treppe, ein Schott, und noch ein paar Meter Gang. "So, das ist die Messe, da ist das Krankenrevier, wo einer von den Flottenquacksalbern gerade Revier bezieht. Dort ist die Dusche. Und dies hier ist Ihr ganz persönliches Reich, Cliff Davis. Der Nummerncode der Tür ist eins, zwei, drei, vier. Von innen können Sie die aber nach eigenen Wünschen umprogrammieren." Sie stellte sich vor mir auf, streckte den Rücken durch und begann auf den Zehen zu wippen. Nun, sie spielte das unschuldige und kaum verdorbene Mädchen ziemlich gut, gut genug um mich zu amüsieren.
Ich nahm den Rucksack erneut von der Schulter und öffnete ihn. Glas klirrte auf Glas, als ich ihn durchsuchte. Schließlich förderte ich eine weiße Steingutflasche hervor. "Ist Wodka in Ordnung, Quicksilver?"
"Haben Sie nichts Süßes da drin?", fragte sie hoffnungsvoll.
"Wen willst du damit verarschen, Mädchen?", tadelte ich und drückte ihr den Seafort Sibiria Vodka in die Hand.
Grinsend betrachtete sie die schwere Flasche in ihrer Hand. "Scheint ja noch genügend drin zu sein.", meinte sie mit Blick auf meinen Rucksack.
"Es sind ja auch noch ein paar mehr an Bord, oder?", konterte ich.
"Soll ich die Sachen für den Skipper mitnehmen?", fragte sie.
"Guter Versuch.", konterte ich.
Sie griente mich an. "Willkommen an Bord, Cliff Davis." Ich ergriff ihre ausgestreckte Hand und schüttelte sie. Die Zeit an Bord würde vielleicht nicht allzu langweilig werden. "Nachdem ich mich eingerichtet habe, möchte ich den Skipper aufsuchen. Ist sie vorne?"
"Sicher. Und Sie sind sicher, dass ich Ihr Gastgeschenk nicht rüber bringen soll?"
"Quicksilver...", mahnte ich.
"Okay, okay. Es war den Versuch wert, oder? Sie..." Neben meiner Kabine wurde ein Schott geöffnet. Quicksilvers Miene schaltete wieder auf professionelles Lächeln. "Ah, Lilja, schon fertig mit einräumen?"
Erschrocken fuhr ich herum, als eine junge Frau aus der Nachbarkabine kam. "Tanja?"
Ihr starres Lächeln, wohl für Quicksilver gedacht, verblasste, als sie mich erkannte. "Cliff. Was für eine unangenehme Überraschung. Du bist der zweite Pilot?"
Eine Welle von Emotionen schwappte über mir zusammen. Einige davon waren recht nett, aber die meisten hatten mit ihr und einem sie küssenden Mann zu tun. Verdammter Tremane, hätte dieser Bastard mich nicht vorwarnen können? "Ich...", brachte ich stammelnd hervor. "Ich... Ich..."
Sie zog eine Augenbraue hoch.
"Die Sonnenbräune steht dir gut", kam es mir über die Lippen.
Verwundert musterte sie mich. "Ich führe diesen Wing, damit das klar ist. Schmeicheleien stimmen mich nicht um. Das solltest du eigentlich wissen, Cliff."
Am liebsten hätte ich mir eine Hand vor die Stirn geschlagen. Da war mir ja ein ganz schöner Blödsinn herausgerutscht. Hastig tippte ich den Zugangscode zu meiner Kabine ein.
"Bist du mittlerweile wenigstens für die Falcon qualifiziert?", fragte sie mahnend.
Hastig nickte ich, während die Tür aufglitt.
"Na, es hätte nicht viel schlimmer kommen können,", sagte sie schließlich mit einem Seufzer, "aber immerhin schlimmer. Besprechung in vierzig Minuten. Quicksilver wird dir sicher zeigen, wo."
Ich nickte hastig zur Bestätigung, dann war ich in der Sicherheit meiner Kabine. Beide Rucksäcke hinter mir her zerrend ließ ich die Tür zufahren. Lilja, ausgerechnet Lilja. Jetzt war mir wenigstens klar, wieso Tremane so sicher war, dass ich den Wing nicht führen würde.
Heftig atmend stützte ich mich an der Wand ab. Verdammt. Das war genau die Situation, die ich nicht brauchen konnte, solange ich das Gefühlschaos, sie betreffend, noch nicht überwunden hatte.
Als es an der Tür klopfte, zuckte ich zusammen. Sie würde doch nicht...
"Sie ist weg, Cliff", klang Quicksilvers Stimme auf. "Und für eine weitere Flasche erkläre ich ihr auch nicht, was hier gerade passiert ist."
Ich seufzte schwer und stieß mich von der Wand ab. Schließlich öffnete ich das Schott und drückte ihr einen Bourbon in die Hand. "Du bist fast eine so schlimme Erpresserin wie meine kleine Schwester.", tadelte ich.
"Kleine Schwester? Dann weißt du ja, was ein Mädchen so alles tun muss, damit es sieht wo es bleibt, Cliff Davis. Herzlichen Dank.", flötete sie, nahm mir die Flasche ab und winkte mir mit kokettem Lächeln, bis die Tür erneut zugefahren war. Also, das war ein verdammt guter Start. Ein wirklich guter Start. Wie lange es wohl dauern würde, das Bild von der sich küssenden Lilja vor meinem geistigen Auge weg zu bekommen?
25.01.2016 15:42 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Tyr

Fletcher Island, Seafort

Helen ‚Kali’ Mitra beendete die Kommverbindung. Sie war sich nicht ganz sicher, was sie empfand. Und vor allen Dingen wusste sie nicht so recht, wie sie Kano die Neuigkeiten beibringen sollte.
Vermutlich hätte sie dankbar sein sollen, dass sie alleine gewesen war, als dieser Anruf eingegangen war, aber andererseits…’Dann hätten wir das wenigstens schon hinter uns.’
Wie sie es auch drehte und wendete, sie wusste ja nicht einmal, wie sie das unvermeidliche Gespräch anfangen sollte. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob es das alles überhaupt wert war. Und auch, wenn sie wieder zu derselben Antwort wie schon zuvor kam – nämlich ja – manchmal fiel es doch verdammt schwer.

Letzten Endes stellte es sich dann allerdings heraus, dass sie sich die Überlegungen über eine passende Einleitung hätte sparen können. Als Kano von dem Übungslauf zurückkehrte, den er – Urlaub hin oder her – jeden Tag absolvierte, reichte ihm ein Blick in ihr Gesicht: „Was ist los?“
„Raven hat angerufen. Sie…“, Kali zögerte, und dann sprudelten die Worte einfach so aus ihrem Mund heraus: „Beim Flying Circus ist der Posten eines Staffel-XO freigeworden. Auf der DERFLINGER. Und mein Name ist gefallen. Sie wollte wissen, ob ich das Angebot annehme. Aber es musste schnell gehen, weil die ihr Geschwader so bald wie möglich wieder kv haben wollen. Ich...“
Man musste Kano schon ziemlich gut kennen, um zu bemerken, wie er zusammenzuckte. Aber sie kannte ihn, und deshalb bemerkte sie auch, wie sein Gesicht erstarrte, und er kurz die Lippen zusammenpresste. Er hatte begriffen. „Und du hast ja gesagt.“ Es war keine Frage.

Die Stimme des japanischen Piloten klang nicht gerade froh, auch wenn sie weder laut noch wütend war. Dennoch musste sie sich auf die Lippen beißen, und sie spürte, wie ihre eigene Stimme lauter wurde: „Ja. Ja, ich habe ihr Angebot natürlich angenommen. Das ist meine Chance! Was hätte ich denn sonst tun sollen? Ich habe Jahre darauf hingearbeitet, dass ich die Rote Staffel übernehme. Dafür habe ich vor Skunk Männchen gemacht! Ihm die Gelegenheit gegeben, das Arschloch vom Dienst zu spielen, mit den Marines Schauraufen zu veranstalten, und sich in seiner eigenen Großartigkeit zu bespiegeln, während ich die Staffel zusammengehalten habe!
Und kaum, dass ich mal ein paar Wochen nicht mehr da bin, werden die Roten zum Wanderpokal. Erst geben sie sie Ace – und dann ausgerechnet Mantis! Was hat die schon jemals geleistet, was das rechtfertigt? Ihre einzige Leistung ist es doch, noch am Leben zu sein. Weißt du eigentlich, wie viele von denen übrig sind, die damals zusammen mit mir bei den Angry Angels angefangen haben? Entweder sie sind tot, oder sie haben Karriere gemacht. Ich habe keine Lust mehr, ständig zusehen zu müssen, wie andere Leute an mir vorbeiziehen.
Sogar Radio haben sie eine Staffel gegeben, auch wenn er nicht gerade viel Zeit hatte, sich darüber zu freuen. Du hast die Schwarze Staffel! Ace kann sich sein Kommando sogar aussuchen! Und Lilja wird vielleicht sogar als Geschwader-XO gehandelt. Und was ist mit mir?! Das ist nicht gerecht. Ich bin genauso lange dabei! Ich habe mir eine Chance VERDIENT!
Aber jetzt kann ich nicht mal mehr Staffel-XO bei den Roten werden, denn der Posten ist auf einmal auch schon vergeben. Klar, Cartmell haben sie auch zusammengestutzt, aber schließlich bin ich kein verdammter Ex-Knackie. Außerdem mag den ja nicht mal seine eigene MUTTER! Soll ich darauf hoffen, dass vielleicht mal jemand weggeschossen wird, damit ich endlich auch eine Chance bekomme? Das ist Scheiße!“
In Kanos Gesicht arbeitete es. Aber seine Stimme blieb ausdruckslos: „Verstehe. Dann sollte ich dir wohl gratulieren. Glückwunsch.“
„Ist das eigentlich Alles, was du dazu sagen hast?!“
„Was soll ich denn sonst sagen?! Du hast deine Entscheidung offenbar bereits getroffen. Und nichts, was ich sagen könnte, würde daran etwas ändern. Selbst wenn ich es versuchen würde, was ich aber nicht tun werde. Also was willst du sonst hören? Dass ich nicht will, dass du gehst? Dass ich dich brauche? Ist es das?!“
„Es wäre jedenfalls besser gewesen, als ein verdammtes ‚Glückwunsch!’“
„Und, was hätte das gebracht?“
„Es hätte mir gezeigt, dass du mich liebst!“
„Natürlich liebe ich dich! Wie kannst du so etwas sagen?! Aber was hat das damit zu tun? Ich habe so oder so kein Recht, dich zurückzuhalten! Was wäre denn das für eine Liebe?! Du gehörst mir nicht. Du hast dich entschieden, und das muss ich akzeptieren. Punkt.
Aber erwarte bitte nicht, dass ich mich freue, wenn du gehst. So gut kann ich nicht lügen.“
„Du dämlicher…“, sie zögerte, und biss sich auf die Lippen. ‚Zeit, sich etwas erwachsener zu benehmen.’ „Warum streiten wir uns eigentlich?“
Kano gab keine Antwort. Er ließ sich gegen die Tür sacken, und zuckte müde mit den Schultern: „Ich will nicht, dass du gehst. Aber das darf ich nicht sagen. Ich kann dich nicht darum bitten, zu bleiben.“
„Wenn du jetzt irgendetwas über Ehre, Pflicht oder den Weg des Kriegers sagst, dann schreie ich.“
Sein schweigendes aber beredtes Schulterzucken sagte ihr, dass es unter anderem auch genau darum ging. Kali biss sich auf die Lippen, um ein etwas hysterisches Auflachen zu unterdrücken. Sie hätte sich denken können, dass Kano so reagieren würde. Wenigstens kehrte er nicht den Pascha heraus. Aber etwas Freude wäre dennoch schön gewesen. Selbst wenn er sie hätte heucheln müssen.
Sie biss sich auf die Lippen. Auf keinen Fall würde sie jetzt heulen.

Kano fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, eine ungewohnte, sinnlose Geste, die seine Aufgewühltheit zeigte. Aber er hatte wohl begriffen, dass er es war, der sich bewegen musste: „Es…tut mir leid. Du hast natürlich Recht. Es wird Zeit, dass du deine eigene Staffel bekommst. Und auf der COLUMBIA ist im Augenblick einfach kein Platz frei. Ich hatte gehofft, dass sie dir die Roten geben – immerhin bist du jahrelang ihr XO gewesen, und das zählt wohl mehr als ein paar Dienstjahre mehr oder weniger. Aber Raven hat offenbar ihre eigenen Prioritäten.
Ich hatte nur irgendwie nicht damit gerechnet, dass es jetzt und hier geschieht. Ich meine, wenn sie das Geschwader nicht auflösen…Ich fasse es nicht, dass Raven dich gehen lässt. Normalerweise…“

Normalerweise hütete ein Geschwaderchef seine Doppel- oder Dreifachasse wie seinen Augapfel, und hielt diese Piloten mit Zähnen und Klauen fest. Denn diese Männer und Frauen waren es, die einen überproportional hohen Anteil der Abschüsse einfuhren, deren Erfahrung, Vorbild und Kampfgeist ein Elitegeschwader formten.
Angeblich wurden dafür sogar immer wieder Dienstakten manipuliert, Gefälligkeiten eingefordert und längst fällige Beförderungen verschleppt oder in Auszeichnungen und Orden umgewandelt.

Kali zuckte mit den Schultern: „Vielleicht hat sie wegen der Sache mit Mantis ein schlechtes Gewissen und will mir eine Chance geben. Oder sie denkt, ein schmollender Pilot in Wartestellung ist genug. Sie will keinen Blue-on-Blue.“
Kano schnaubte abfällig. Er hatte dieselben Gerüchte gehört, wie sie: „Du bist nicht Cartmell. Kein Wunder, dass der Mann keine Freunde hat.“
„Also…du willst nicht, dass ich gehe.“
„Nein. Aber ich will auch nicht, dass du wegen mir auf etwas verzichtest, was dir zusteht. Ich habe nicht mal das Recht dazu, dich darum zu bitten. Aber…es fällt mir schwer. Ich weiß nicht so recht…“ ‚Ich weiß nicht, was ich ohne dich tun soll. Ob ich ohne dich leben kann.’ Aber das konnte er nun wirklich nicht sagen. Vor allem deswegen nicht, weil er diese Worte nicht nur im übertragenen, emotionalen Sinne gemeint hätte.
Denn Kali war für ihn nun einmal nicht nur Freundin und Geliebte – sie war außerdem sein Rettungsanker geworden. Sie hielt Kano davon ab, Risiken einzugehen, die selbst für ihn allzu knapp kalkuliert waren. Keiner von ihnen hatte das geplant, aber dennoch war es passiert. Aber das laut auszusprechen, wäre nicht fair…wäre falsch gewesen.

„Es ist doch nicht so, als ob wir beide nicht schon darüber nachgedacht haben, Kano.“ Auch das war wahr. Sie wollten Karriere machen. Vielleicht reichten ihre Ambitionen nicht so weit, wie die von Lone Wolf, der sich zweifellos schon als Trägerkapitän, Kommodore oder gleich Admiral sah. Aber Kano zumindest hatte sich das feste Ziel gesetzt, zum Befehlshaber eines Kampfgeschwaders aufzusteigen, und auch Kali wollte irgendwann mindestens eine Staffel kommandieren. Es war ihnen beiden klar gewesen, dass ihre Ziele sie früher oder später fast zwangsläufig in verschiedene Kommandos führen würden.
Sie hatten es beide gewusst, und es beide verdrängt. Doch jetzt ging das nicht mehr.
„Ja. Aber das macht es irgendwie nicht leichter.“ Kano holte tief Luft, und rang sich etwas ab, dass man mit etwas gutem Willen tatsächlich für ein verzerrtes Lächeln halten konnte: „Dennoch. Ich…freue mich für dich. Dafür, dass du endlich die Chance erhältst, die dir zusteht. Aber ich freue mich nicht, dass du gehst.“
Jetzt war sie es, die sich über das Gesicht fahren musste. Das war es, was sie hatte hören wollen. ‚Ich werde NICHT anfangen zu heulen.’ „Aber versprich mir, dass du auf dich aufpasst. Wenn du dich in irgendeinem blödsinnigen Kamikazestunt stürzt, weil du auf einmal nicht mehr genug Erdung hast…Ich schwöre dir, ich brech’ dir jeden einzelnen Knochen.“

Sie zögerte kurz, und zwang sich zu einem schiefen Grinsen: „Sieh es doch mal positiv…jetzt können wir sogar anfangen, übers Heiraten nachzudenken.“ Nach der perversen ‚Logik’ der TSN waren Ehen zwischen Flottenangehörigen – im Gegensatz zu sexuellen Beziehungen – erlaubt. Allerdings nur, wenn die Ehepartner nicht auf demselben Schiff dienten. Diese weise Regelung, die irgendwelche persönlichen Verwicklungen oder Behinderungen des Dienstbetriebs vermeiden sollte, war nach der Meinung einiger Kritiker für mehr Scheidungen verantwortlich, als jede andere amtliche Verordnung – zumindest seitdem das Recht auf Scheidung überhaupt in einem Gesetzbuch verankert worden war.
Kano zuckte leicht zusammen, und wandte das Gesicht ab.
„Was ist?“
„Ach verdammt.“
„Was meinst du…“ Aber er war schon verschwunden, und ließ sie etwas verdutzt zurück. ‚Verdammt, das gibt es doch nichts. Was ist denn jetzt in ihn gefahren?!’ Etwas angefressen folgte sie Kano, und stieß beinahe mit ihm zusammen, als er plötzlich wieder vor ihr auftauchte.
Ihre Verärgerung fiel in sich zusammen, als sie seinen Gesichtsausdruck bemerkte. Und die kleine Schatulle, die er in der Hand hielt: „Ich habe wirklich ein mieses Timing. Ich…habe es irgendwie immer vor mir her geschoben. Vielleicht, weil ich Angst davor hatte, was…“ ‚Was du vielleicht sagen würdest.’ „Ich war ein Idiot, dass ich so lange damit gewartet habe. Wahrscheinlich ist das jetzt nicht der passende Augenblick, aber wenn ich noch länger warte…“ Es hätte nicht der ungewöhnlichen Redseligkeit, ja fast Konfusion bedurft, um Kanos Nervosität deutlich zu machen. Oder der Tatsache, dass er zwei Versuche brauchte, um den eigentlich recht simplen Verschluss zu öffnen.
Aber das war nicht so schlimm. Kali ihrerseits war froh, dass sie sich mit der linken Hand an der Wand abstützen konnte, und selbst wenn ihr eine passende Erwiderung eingefallen wäre – sie glaubte nicht, dass sie in der Lage gewesen wäre, sie zusammenhängend herauszubringen.
In dem Kästchen lagen zwei schmale Ringe aus Weißgold. Einer der Ringe trug ihren Namen, der andere, in japanischen Katakana-Zeichen, den von Kano.
Kali schluckte, und räusperte sich. Ihre Stimme klang trotzdem ziemlich heiser: „Das sind Verlobungsringe.“
„Ja. Ich konnte dir schließlich keinen Heiratsantrag machen. Nicht, wenn das bedeutet hätte, dass sie einen von uns versetzen. Aber das hier…dagegen kann nicht mal der JAG etwas sagen. Nicht mal die TSN verbietet das. Das haben sie wohl vergessen.“
‚Vermutlich, weil sich nur noch wenige Leute verloben.’ Immerhin hatte so etwas keine rechtlich bindende Bedeutung. Es war nur noch ein Versprechen, eine etwas altmodische Geste, die nicht unbedingt in dieses Jahrhundert zu passen schien. Sie blickte auf die Ringe, dann wieder in Kanos Gesicht, musste blinzeln, als ihr Gesichtsfeld kurz zu verschwimmen drohte. ‚Jetzt fang ich doch noch an.’
Kano lächelte etwas verunglückt: „Eigentlich hatte ich das anders geplant. Auch wenn ich nicht gerade der Typ für Rosen und Kerzenlicht bin…“
Sie schnitt ihm das Wort ab, indem sie ihn das Schmuckkästchen aus der Hand nahm, und ihn küsste.
„Ich nehme dich so, wie du bist, du Idiot.“ Sie lachte auf, und ihre Stimme gewann einen fast spielerischen Unterton: „Willst du dein Revier abstecken, bevor du mich gehen lässt? ...Moment mal. Du hast gesagt, du wolltest mir keinen vollen Antrag machen, weil sie sonst einen von uns abgeschoben hätten. Meinst du, jetzt…“
Kano schüttelte den Kopf: „Noch nicht. Lass uns die Hoffnung, dass Raven dich zurückholt, sobald sie eine erstklassige Staffelchefin braucht. Ich…ich hätte dich lieber bei mir, ohne dass wir verheiratet sind, als umgedreht.“
Eine andere Frau hätte ihm dafür vielleicht eine geknallt, aber Kali verstand, was er sagen wollte, auch wenn er sich vielleicht ein wenig missverständlich ausdrückte.
Sie wischte sich wieder über das Gesicht. Es nützte wenig, die Tränen rannen über ihre Wangen. Allerdings glänzten auch Kanos Augen verdächtig.
Ein paar Augenblicke sagte keiner von ihnen etwas, dann war es Kali, die das Wort ergriff: „Außerdem würden meine Eltern mich umbringen, wenn ich sie mit der Nachricht über eine Kriegsheirat überrasche. Und deine wahrscheinlich auch.
He, es ist ja nicht so, als ob wir für immer auseinander gehen. Ich werde versetzt, ich liege nicht im Sterben.“ Aber sie beide wussten natürlich, dass es genau darauf hinauslaufen konnte. Selbst wenn man die Gefahren außer Acht ließ, die zwischen den Sternen auf sie warteten, selbst wenn sie überleben sollten…
Wann, wo und wie sie sich wieder begegnen würden, würde nicht mehr in ihrer Hand liegen. Die TSN war nicht gerade für eine großzügige Urlaubs- oder gar Reiseregelung bekannt, und es war durchaus möglich, dass die DERFLINGER und die COLUMBIA in Zukunft an den entgegen gesetzten Seiten des republikanischen Territoriums operieren würden. Leichte Träger waren als Lückenbüßer und Mädchen-für-Alles berüchtigt, und wurden nur fallweise den schweren Einheiten der LEXINGTON- und PEGASUS-Klasse angegliedert.
Die Wahrscheinlichkeit, dass sie in der nächsten Zeit auch nur im selben Sektor Dienst tun würden…

Aber darüber wollte jetzt keiner von ihnen reden, auch wenn sie sich da keine Illusionen machten. ‚Wir werden vielleicht verschiedene Wege gehen müssen. Aber wir machen nicht Schluss. Wir werden uns nicht trennen. Niemals. Das wäre es nicht wert.’
Aber keiner von ihnen sprach es offen aus. Es war überflüssig.
„Raven hatte auch noch eine Nachricht für dich.“
Kano runzelte kurz die Stirn. ‚Bei meinem Glück befiehlt sie, dass Knock Out die Schwarze Staffel übernimmt.’
„Entspann dich, Samurai. Sie will, dass du dich bei der Sengbe Koroma Flight School für einen zweiwöchigen Lehrkurs meldest. Sie nennen das Little Fighter Perisher. Hauptsächlich Lektionen und Simulationsübungen im Führen von Flugverbänden in Staffel- bis Geschwadergröße.
Der Kurs hat einen ziemlich guten Ruf, auch wenn es ihn erst seit ein paar Jahren gibt. Ist recht begehrt bei frischen oder angehenden Staffelkommandeuren mit weiterreichenden Ambitionen. Zumindest in diesem Sektor. Sie nehmen nicht jeden – du solltest dich also geehrt fühlen. Sagt jedenfalls Raven.“
‚Denkt Raven, dass ich das nötig habe, will sie mich beschäftigt halten – oder ist das ihre Art, sich ein loyales Gefolge aufzubauen, um endlich aus Lone Wolfs Schatten herauszukommen?’
„Ich schick ihr am besten ein Dankschreiben.“ Kanos Stimme klang ein wenig bissig. Im Augenblick war er nicht gerade in der Stimmung, Ravens Motive allzu positiv zu bewerten. Aber wusste selber, dass sich das wahrscheinlich bald ändern würde.
„Das wird sie aber freuen. Eigentlich wollte sie Ace schicken, aber der macht sich offenbar rar.“ Sie schnaubte kurz.
‚Vermutlich vertreibt er sich die Zeit mit seinem neuesten Schwarm, und will nicht gestört werden.’
„Anschließend sollst du dich bei ihr melden – offenbar füllen sie die Butcher Bears auf. Die anderen Piloten der Schwarzen werden ebenfalls aus dem Urlaub zurückbefohlen. Du sollst die neuen Piloten einweisen und mit dem Training der Schwadron anfangen.“
Wieder fragte sich Kano, ob Raven sich die Mühe gemacht hatte, so dafür zu sorgen, dass er keine Zeit zum Grübeln oder Hadern haben würde. Seine Beziehung mit Kali war nicht mal mehr als ein offenes Geheimnis zu bezeichnen. Aber er zweifelte daran, dass seine emotionale Stabilität Raven SO wichtig war.
Aber ungeachtet dessen, er konnte diese Ablenkung wahrscheinlich gut gebrauchen – genauso wie die Butcher Bears die neuen Piloten und die zusätzliche Übungszeit. Arbeit war ein gutes Heilmittel.
„Der Urlaub ist also vorbei.“
„Fast. Ich soll mich morgen Mittag auf der DERFLINGER melden, und dein Kurs beginnt Übermorgen, pünktlich um 800.“ Sie lächelte schief: „Du weißt, was das für uns bedeutet.“
Vorsichtig löste Kano die beiden Ringe aus der Vertiefung, in der sie ruhten. Ein paar Augenblicke später glänzte der Ring mit seinem Namen an Kalis Ringfinger, während er den Ring mit ihrem Namen trug.
Seine Hand wanderte langsam ihren Arm hinauf, während er sie näher zu sich heranzog: „Dann sollten wir die verbleibende Zeit so gut wie möglich nutzen.“
Kali lachte kehlig und warf den Kopf zurück, als seine Finger ihre Kehle erreichten: „Genau das meine ich.“
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Ironheart

An Bord der Deep Hollow
Im Orbit um Masters, Sterntor-System

Donovan hatte sich große Mühe gegeben, seine Verwirrung nicht anmerken zu lassen. Was ihm der Ex-Colonel Esterhazy mitgeteilt hatte, hatte ihn geschockt. Es war schwer seine Gefühle zu zusammen zu fassen. Sollten die Hookers Pirates tatsächlich wieder aktiv sein? Sollte Susan überlebt haben? All diese Ereignisse waren Jahre her, er sollte das alles schon lange hinter sich gelassen haben. Aber so leicht war das nicht, zu tief waren seine seelischen Wunden in dieser Zeit gewesen. Die Misshandlungen, die Erniedrigungen, die Schmerzen… alle diese Erinnerungen daran kochten wieder in ihm hoch und er wusste nicht, wie er sie unterdrücken konnte.
Dass die Davis ihr Familienfest hatten und er als Gast an Bord war, machte die Sache nicht einfacher. Während alle um ihn herum feierten, versuchte er gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Er war so schnell wie es ging in seine Kabine geflüchtet, doch lange war er dort nicht alleine geblieben, da er sie ja mit Ian, Justus und ihrem Cousin teilen musste. Er brauchte eigentlich etwas Ruhe um nachzudenken, doch die bekam er hier nicht.
Dann war Jean aufgetaucht um ihm wie versprochen das Schiff zu zeigen.
Wäre Donovan nicht so mit sich selbst beschäftigt gewesen, dann wäre ihm das Grinsen in Ians und Justus Gesichtszügen aufgefallen.

Doch so schlurfte er nur Jean hinterher und ließ sich von ihm durch das Schiff zerren.
Die Deep Hollow war ein Versorgungstender der Trident-Klasse. Mit ihren knapp 600 Metern Länge und ungefähr 100 Metern Breite war der Frachter ein beeindruckendes Zeugnis dafür, dass auch die zivile terranische Raumfahrt in der Lage war, gewaltige Raumschiffe zu bauen. Neben den Flottenträgern der Streitkräfte waren nur noch die Frachter der Whale-Klasse größer als die Deep Hollow.
Insgesamt verfügte die Deep Hollow über 15 Ebenen und damit insgesamt über 900.000 Quadratmeter an Fläche.
Während die Brücke, die Mannschaftsquartiere und Maschinenraum gerade mal 10 Prozent der Gesamtfläche einnahmen, war der Rest für den eigentlichen Zweck des Schiffes vorgesehen, der Transport und die Herstellung von Nahrungsmitteln. Die obersten fünf Ebenen des Schiffes waren für die Anbauflächen vorgesehen. Hier wuchsen in erster Linie Gemüse, Obst und Futtermittel in rauen Mengen. Diese Stockwerke waren weitläufig und waren mit modernen Bewässerungsanlagen ausgestattet. Die Aussaat und Ernte erfolgte in aller Regel vollautomatisch, ausgenommen in einigen Gewächshäusern. Die Ebenen sechs bis zehn waren für die Viehhaltung vorgesehen. Hier wurden Kühe, Schweine, Schafe, Puten und Hühner gehalten. Die Tiere waren zwar ziemlich eingepfercht, aber da sie ohnehin nur zu Zwecken der Nahrungsmittelerzeugung vorgesehen waren, erwartete hier auch niemand glückliche, freilaufende Hühner. Damit wurden knapp 60 Hektar für landwirtschaftliche Flächen genutzt, und aufgrund ausgeklügelter Bewässerungs-, Düngungs- und Beleuchtungstechniken konnten mehrere Ernten im Jahr eingefahren werden.
Die Deep Hollow war also etwas wie ein Bauernhof im Weltall. Doch sie war auch noch mehr als das.
In der Ebene elf befand sich zusätzlich die Schlachterei und Nahrungsmittelfabrik, in der die Erzeugnisse der oberen zehn Ebenen verwertet wurden.
Die letzten vier Ebenen umfassten die Lagerräume, wo die Lebensmittelerzeugnisse gelagert wurden, und die Shuttlehangars, wo die Ladung gelöscht und verschifft wurde.

Die Erzeugung frischer Lebensmittel im All war Donovan nicht sehr logisch erschienen. Schließlich bestand ja die Möglichkeit, die meisten Nahrungsmittel für mehrere Wochen bzw. für Monate oder Jahre zu konservieren. Aber Jean hatte ihn darüber aufgeklärt, dass das zum einen nicht für alle Nahrungsmittel galt und ständig Instantnahrung plus Vitamintabletten zu sich zu nehmen auf Dauer weder der Moral noch der Einsatzfähigkeit der Truppen zuträglich war. Und außerdem gab es auch im 27ten Jahrhundert nichts, was es mit frischem Gemüse oder frischem Fleisch mithalten konnte. Ganz zu schweigen von leicht verderblichen Lebensmitteln wie Eiern oder Milch.
Die Versorgung der Truppen an der Front war eine große Herausforderung für die Navy. Die Versorgungslinien waren lang, die Anforderungen an die Logistik, die damit verbunden waren, waren immens und anfällig. Nachschublinien wurden gestört, gekappt oder umgeleitet, und damit konnte auch die Versorgung sowohl der im Feld befindlichen Truppen an Bord der Navy-Schiffe als auch der eroberten Systeme wie die Werftanlagen um Beta Borealis oder die Truppen auf Wron im schlimmsten Fall vom Nachschub abgeschnitten werden.
Jede Trägerkampfgruppe hatte genügend Lebensmittel an Bord, um mindestens sechs bis neun Monate ohne Nachschub auskommen zu können. Aber was, wenn ein Einsatz länger dauern sollte? Was wenn die TKG irgendwo festhing und die Vorräte nicht auffrischen konnte?
In diesen Fällen waren solche fliegenden Versorgungsfabriken wie die Deep Hollow Gold wert. Denn ein Rückzug nur aufgrund fehlender Lebensmittel wäre ein herber Schlag gewesen, und um das zu vermeiden hatte die Navy in solche Schiffe wie die Deep Hollow investiert.
Mit leerem Magen kämpft es sich schlecht, sagte man.

So interessant das alles auch war, auf Donovan sprang die Faszination nicht über, die Jean gepackt zu haben schien.
Als sie die Tour beendet hatten, war Jean mit ihm zur Aussichtsplattform der Deep Hollow gegangen. Der Planet Masters hing über ihnen, ein gigantischer grünblauer Planet. Sie ließen beide den phänomenalen Ausblick ein paar Minuten schweigend auf sich wirken, während die Deep Hollow in den Nachtschatten des Planeten abtauchte.
Donovans Gedanken drifteten wieder ab zu den Worten von Colonel Esterhazy, als die Dunkelheit über sie einbrach. Das gedimmte bläuliche Licht machte schläfrig und nach einer Weile spürte Donovan Jeans Kopf auf seine Schulter fallen. Er wusste nicht, ob sie eingenickt war, oder ob sie nur seine Nähe suchte.
Er konnte nicht verhindern, dass er diese Nähe auch als angenehm empfand. Doch wieder regten sich in ihm widersprüchliche Gefühle. Sein schlechtes Gewissen nagte an ihm, verursacht durch sein Versprechen gegenüber Justus und Cliff auf die kleine Davis aufzupasse,n und durch seine Nacht mit Bobcat.
„Also, willst du es mir nun endlich erzählen, oder muss ich ewig warten?“
Donovan schreckte hoch. „Was?“
„Dein blaues Auge! Hätte ich der Kleinen nicht zugetraut…!“ Sie löste sich von seiner Schulter und blickte ihm in die Augen, ihr Gesicht war in der Dunkelheit der Aussichtsplattform kaum auszumachen.
„Ach das, das war nicht Shoto, sondern Tiburon, ein anderer Pilot.“
„Und der hängt da wie drin?“
„Gar nicht, er ist nur ein Arschloch! Hör zu, zwischen mir und Shoto ist nichts. Gut, für eine kurze Weile sah es so aus, als hätte es da was geben können, aber sie hat es mir bislang nie gezeigt. Erst als sie mich mit dir gesehen hat.“
„Tja, die Eifersucht…“ Sie kicherte, wahrscheinlich darüber, dass jemand so dämlich sein konnte, zu denken, dass er was mit Jean hätte haben können. `Genau wie du Idiot, oder?` schoss es ihm durch den Kopf.
Dann herrschte wieder Schweigen, und Jean legte wieder ihren Kopf an seine Schulter. Donovan hatte den Eindruck, dass er gewisse Dinge hätte ansprechen sollen. Er sollte ihr sagen, dass sie beide nur Freunde bleiben sollten, dass er sich für sie verantwortlich fühlte wie ein großer Bruder.
Doch war das wirklich das, was er für sie empfand?
Was, wenn sie es bestätigte? Wenn sie ihn auch nur als Freund sah und sonst nichts anderes?
Also kniff er und sagte nichts bis die Sonne in einem spektakulären Schauspiel wieder über dem Horizont des Masters Planeten auftauchte und sich das Licht über die Aussichtsplattform ergoss.
Auch wenn er Jeans Nähe genoss, entschloss er sich etwas Abstand von ihr zu halten, nur um sicher zu gehen, dass er das Ganze hier nicht doch noch versaute.
Als es bald darauf Zeit wurde, ins Bett zu gehen – schließlich würden die Feierlichkeiten des morgigen Tages noch anstrengend genug werden – verabschiedeten sie sich kurz und Donovans Gedanken kehrten wieder zurück zu den bedrohlichen Neuigkeiten über die Hookers Pirates. Er schlief unruhig und träumte schlecht.
Wie es schien, war er dazu verdammt, dass gewisse Dinge seiner Vergangenheit ihn auf immer und ewig zu verfolgen.

***

Wie die meisten Angehörigen der Streitkräfte hatte Donovan zur Feier des Tages seine Ausgehuniform angelegt, und auch die Zivilisten hatten sich entsprechend herausgeputzt. Das Fest fand in der prächtig geschmückten Kantine der Deep Hollow statt. Wie auch am Tage davor waren die Mitglieder des Davis-Clans fröhlich, ausgelassen und freundlich.
Das Büffet war übersät mit diversen Köstlichkeiten, der Kantinenchef des Schiffes hatte offenbar all sein Können aufgeboten.
Noname versuchte ein so fröhliches Gesicht wie Möglichkeit aufzusetzen um seinen Gastgebern keinen undankbaren Eindruck zu vermitteln. Dass ihm der Ex-Colonel mehrfach über den Weg lief, trug nicht gerade zu einer Besserung seiner schlechten Laune bei, aber wenigstens behandelte dieser ihn nicht wie einen Paria, sondern nur mit einer kühl professionellen Zurückhaltung.
Mehrfach waren Justus, Ian und auch Carol und Truman Davis zu ihm gekommen, um ihn anderen Leuten vorzustellen und nach seinem Befinden zu fragen.
Er lernte auch einige Shuttle- und Eskortpiloten kennen – seine eventuellen zukünftigen Kollegen – und alle fragten ihn nach den Angels und ihren Schlachten aus. Bereitwillig erzählte er, was er erzählen durfte und er hatte nicht den Eindruck, dass Esterhazy ihnen irgendwas über seine Vergangenheit gesagt hatte.

Sein Blick fiel auf Jean Davis, die in ihrer Ausgehuniform sehr schneidig aussah und Donovan war das sogar recht so. Er hatte sie in letzter Zeit zu häufig in aufreizenden Aufmachungen gesehen, die jeden Mann auf falsche Gedanken bringen konnten. In ihrer Uniform wirkte Jean weniger anmutig, auch wenn sie immer noch attraktiv und bezaubernd aussah.
Er schüttelte den Kopf. `Wolltest du nicht Abstand gewinnen?` Er ging bewusst in eine andere Richtung und schlenderte durch den Aufenthaltsraum. Als er in die Nähe von Ian und Justus kam, die umringt von ein paar ihrer Verwandten standen, winkten diese ihn heran und baten ihn noch einmal seinen Stunt mit Ace zum Besten zu geben.
Noname hob abwehrend die Arme. „Och nein, nicht schon wieder…“
Ein ca. sechsjähriger Junge blickte an ihm hoch. „Bitte, Mister, biiiitte.“ Neben ihm stand händchenhaltend seine ältere Schwester, vielleicht 15 oder 16 Jahre alt. Errötend blickte sie ihn an. „Sie müssen nicht, wenn sie nicht wollen. Mein kleiner Bruder kann manchmal ne ganz schöne Nervensäge sein.“ Der Kleine versuchte daraufhin auf ihren Fuß zu treten, doch sie wich ihm geschickt aus.
Dann blickte er ihn wieder mit kleinen Kinderkulleraugen an. Natürlich konnte er diesen nicht widerstehen. „Na gut….“
„Oh ja, yipieehh.“ quiekte der Kleine los und holte sich einen Stuhl heran und schob den verdutzten Donovan zum Stuhl und setzte sich dann auf dessen Schoss, als dieser sich gesetzt hatte.
Seine Schwester setzte sich ebenfalls und beide hörten ihm aufmerksam zu, als er begann wie ein Märchenonkel seine Geschichte zu erzählen.
„Tja, Ian, ist das nicht wieder mal typisch? Kaum ist ein Raumjockey da, sind wir abgemeldet. Sowohl bei kleinen Jungs als auch bei hübschen Mädels.“ Er lächelte und zwinkerte Donovan zu, bevor die beiden davonzogen, um die Geschichte nicht nochmal hören zu müssen.

Der Kleine war wissbegierig und unermüdlich mit seinen Fragen, so dass Donovan sich schon fast an die Zeit nach seiner „Befreiung“ erinnerte, als er auch unermüdlich befragt worden war. Irgendwann bemerkte er aus dem Augenwinkel, dass er beobachtet wurde. Als er seinen Blick in die Richtung hob, erkannte er Jean Davis, die ihm mit verschränkten Armen beobachtete. Sie lächelte und er lächelte spontan zurück.
Dann hatte das Schicksal endlich ein Einsehen mit ihm und die Mutter des kleinen Jungen holte diesen ab, der sich aber nur unter Protest wegschleifen ließ.
Jean Davis schlenderte zu ihm herüber. „Mit kleinen Kindern kannst du also auch umgehen?“
„Nicht wirklich. Wäre ich nicht Pilot, hätte der Junge sich nicht für mich interessiert.“
Jean legte den Kopf schief. „Du glaubst, dass dich nur dein Beruf als Person interessant macht?“
„Es gibt in meinem Leben nichts anderes.“
„Doch, jetzt schon.“
Donovan blinzelte verwirrt. „Wie meinst du das?“
„Nun, das hier“ sie machte eine ausladende Handbewegung. „Das hier ist etwas Neues in deinem Leben.“
Donovan blickte sich einen Augenblick um. „Ja, du hast Recht. Das ist neu.“
Jean lächelte. „Gut, lass uns was trinken, ich hab Durst.“

***

Ein paar Stunden später stand Donovan mit einem Drink in der Hand am Rand einer Tanzfläche, die in einem umfunktionierten Mannschaftsraum der Deep Hollow aufgebaut worden war. Ungefähr 200 Gäste drängelten sich auf engem Raum, tanzten zu fetten Beats, tranken Cocktails und ließen es sich gut gehen.
Wie er auf der Dauntless-Feier schon gesehen hatte, wussten die Davis, Schneiders, Holcombs und wie die zugehörigen Familien noch so alle hießen, wie man Feiern organisierte. Die Gäste hatten die formelle Kleidung abgelegt und hopsten wie verrückt über die Tanzfläche, manche – wie Jean Davis – vollkommen verschwitzt.
Donovan betrachtete das bunte Treiben aus der Distanz. Er hatte auch etwas getanzt und ein bisschen Dampf abgelassen, und jetzt wollte er ein wenig ausruhen.
Er nahm einen großen Schluck aus seinem Glas und stellte seinen Cocktail wieder auf die improvisierte Bar. Als er sich umdrehte, sah er gerade noch, wie sich ein großer Typ hinter Jean Davis stellte und seine Arme um sie schlang. Sie drehte sich zu ihm um, lachte und erwiderte seine Umarmung.
Ein Stich fuhr durch Donovans Herz, als er sah, wie die beiden engumschlungen tanzten. Unschlüssig, was er als nächstes tun sollte, beobachtete er die beiden. Sollte er dazwischen gehen um sie zu beschützen? Oder war er nur sauer, weil es nicht er war, der so eng umschlungen mit ihr tanzte. War er etwa eifersüchtig? Als Jean bemerkte, dass er die beiden anglotzte, drehte er sich abrupt zur Bar um und bestellte sich noch einen Drink.
Er starrte stur die Wand an und kippte den Cocktail in einem Zug runter, um sich gleich noch einen zu bestellen.
„Na, du hast aber ein Tempo drauf.“ Jean stand neben jetzt neben ihm, brüllte ihm fast ins Ohr und deutete auf seinen leeren Drink, der gerade ausgetauscht wurde.
„Gleichfalls.“ schrie Noname gegen den Lärm der Musik an und blickte säuerlich an ihr vorbei zu dem hochgewachsenen Blonden, der etwas hinter ihr stand.
Die kleine Davis folgte seinem Blick. „Das ist mein Ex! Holger ist Techniker auf der Carnegie.“
Donovan zuckte die Schulter „Mach was Du willst!“ Er spürte, dass seine Wut wieder Besitz von ihm zu ergreifen schien. Und bevor er etwas sagen oder tun konnte, was er später bereuen konnte, trank er seinen Drink wieder in einem Schluck aus und torkelte hinaus.
Die plötzliche Stille außerhalb des Partyraumes, der Einfluss des Alkohols und das Schwirren in seinem Kopf ließ ihn für einen Augenblick glauben, er würde sich übergeben. Er stützte sich mit einem Arm an der Wand ab und atmete tief durch.

Als die Tür sich wieder öffnete, ergoss sich der Lärm wieder in den Flur. Donovan drehte sich um und blickte Jean an, die ihm gefolgt war.
„Was ist los mit dir?“
Donovan richtete sich auf. „Nichts, mir ist…nur etwas übel“
„Na kein Wunder, wenn du dich so volllaufen lässt.“
„Was geht dich das an? Du bist nicht meine kleine Schwester, also geh doch zurück zu deinem Ex und amüsier dich mit ihm…“ ätzte Donovan.
Jean kam auf ihn zu, die Arme vor der Brust verschränkt. „Ganz Recht, ich bin nicht deine Schwester und du nicht mein großer Bruder, auch wenn du dir alle Mühe gibst dich im Moment genauso bescheuert um mich zu `kümmern`. wie er es immer tut.“
„Er macht sich Sorgen…“
„Ach und darum ist er nicht mal hier? Und überlässt dir die Drecksarbeit?“
„Auf dich aufzupassen ist keine Drecksarbeit.“
Ihre Augen wurden zu Schlitzen. „Auf mich aufpassen? Haben sie dich etwa damit beauftragt? Ist das der Grund, warum du soviel Zeit mit mir verbringst?“
„Nein, ich…ich…ähhh.“ Donovan hätte sich ohrfeigen können. Erst verplapperte er sich und dann konnte er nicht mal mehr zwei gerade Sätze herausbringen.
Jeans Augen blitzten wütend und sie wartete immer noch auf eine Antwort, die Arme weiterhin trotzig vor der Brust verschränkt.
Donovan atmete tief durch. „Ich verbringe so viel Zeit mit dir, weil…weil…“
`Nun sag es schon du Trottel. Spuck es endlich aus…`spukte es durch seinen Kopf, doch er bekam die Worte einfach nicht raus. Sein Versprechen an Ace, Justus und Iain, die Hoffnung auf einen neuen Anfang im Davis-Clan und die Nachricht über Sharon Hooker´s mögliches Überleben schwirrten ihm unentwegt im Kopf herum.
Der Alkohol tat sein übriges.
Jean konnte seine Verwirrtheit offenbar spüren, als sie noch einen Schritt näher kam und ihm tief in die Augen blickte. Die Schärfe verschwand aus ihrem Blick und ein flüchtiges Lächeln umspielte ihre Lippen. Hätte er Gedanken lesen können, hätte Donovan erkannt, dass sie sein Stammeln als süß empfand. Doch weil er eben nicht Gedanken lesen konnte, war Donovan viel zu sehr damit beschäftigt, mit seinen widersprüchlichen Gefühlen zu kämpfen und nicht allzu sehr auf ihr sexy Outfit und den süßlichen Geruch ihres Schweißes zu achten.
Sein Herz begann wieder wie wild zu rasen und für einen Augenblick, einen klitzekleinen Augenblick schoss ihm durch den Kopf sie einfach zu küssen, statt ihr eine Antwort zu geben.

Doch es war wie im Cockpit draußen im All. Ein Augenblick des Zögerns konnte das Ende bedeuten.
Die Tür des Partyraumes glitt wieder auf und mit der wummernden Lautstärke trat ihr Ex aus der Tür. Jean löste sich von Donovan und der kurze magische Moment war verpufft.
„Brauchst du Hilfe, Jean?“
„Nein, Holger, danke. Alles im Griff.“
„Bist du sicher?“
Diesmal antwortete Donovan für sie. „Du hast sie doch gehört, Holzkopf, sie braucht dich nicht!“ Na klasse, da war sie wieder: Donovans ungeheure Selbstbeherrschung und seine unnachahmliche Fähigkeit sich in kürzester Zeit Freunde zu machen. Ein Teil von ihm schüttelte sarkastisch den Kopf über sich selbst, ein anderer Teil rüstete sich zum Kampf. In seinem benebelten Zustand würde die Schrankwand vor ihm wahrscheinlich Kleinholz aus ihm machen.
„Wenn nennst du hier Holzkopf?“ Der Techniker baute sein breites Kreuz vor Donovan auf. „Soll ich dir das andere Auge auch noch blau schlagen, damit es wenigstens gleichmäßig aussieht?“
Doch bevor es zum Kampf kommen konnte, ging Jean dazwischen. „Herrgott, auseinander ihr beiden Streithähne! Warum müsst ihr Testostoron-Hengste eigentlich bei jeder Gelegenheit prügeln?“ Sie drängte sich zwischen die beiden, schob sie bestimmt auseinander und tadelte die beiden wie zwei übergroße Schuljungen.
„Holger, geh bitte wieder auf die Party, ich brauch dich hier nicht.“ Der Hüne funkelte Donovan noch einmal wütend an, doch nickte nur und ging wieder zurück.
Dann drehte sich Jean wieder zu Donovan um. „Und du, geh deinen Rausch ausschlafen und dann richte Ace aus, dass ich weder seinen noch deinen Schutz brauche, verstanden?“
Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich wieder um und ging ebenfalls wieder zurück zur Party.

Unschlüssig stand Donovan noch einen Moment im Flur und überlegte, ob er ihr nachgehen und sich entschuldigen sollte. Doch dann entschied er sich doch ihrem Rat zu folgen und ins Bett zu gehen.
Hätte er gewusst, dass erst mehrere Wochen vergehen würden, bis er Jean mal wieder alleine sehen würde, hätte er sich anders entschieden.
Aber darin falsche Entscheidungen zu treffen war Donovan ein Meister und er schien fest entschlossen zu sein, damit auch in Zukunft weiter zu machen.
26.01.2016 14:04 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Ace

Ein wenig wehmütig warf Helen Mitra einen Blick auf die ferne COLUMBIA. Nach dem drastischen Ende der guten alten RED war sie ihr Zuhause geworden, der Platz an dem ihre zweite Familie lebte. Und auch wenn ihre Familie ständig geschrumpft und mit neuen Gesichtern gefüllt worden war, sie hatte sich dort wohl gefühlt.
Noch immer pochte da eine Stimme in ihr, die von ihr verlangte, Raven anzurufen und den Transfer rückgängig zu machen. Noch immer dachte sie, dass es noch nicht zu spät war um umzukehren. Aber dann meldete sich die zweite Stimme. Der Ehrgeiz. Sie hatte lange Jahre im Kampf gestanden, etliche Feindpiloten abgeschossen und auf mehr als ein Kriegsschiff geschossen. Man hatte sie beschossen, mit Raketen beworfen, versucht sie zu zerbomben. Dafür hatte sie verdammt noch Mal eine Belohnung verdient! Und ihre Auffassung einer Belohnung nach gut getaner Arbeit war noch mehr Arbeit, die gut getan werden sollte. Verdammt, es hätte ihr zugestanden, die Rote Staffel zu führen, Abriss hin, Abriss her. Sie hatte es sich hart erkämpft, erst unter Radio, und dann unter Skunk. Sie hatte immer ihr Bestes gegeben, um sich für eine eigene Staffel zu qualifizieren, und sie hielt sich für eine der Besten. Gut, gut, als Ace zurückgekommen war, da war sie froh gewesen, dass der sich mit der Position eines Sektionschefs zufrieden gegeben hatte, obwohl sie sein Haifischgebiss schon im Nacken gespürt hatte. Denn sie hielt ihn für den besseren Piloten. Vielleicht nicht den besseren Menschenführer oder Staffelchef, aber für den besseren Piloten. Und ihr zuliebe hatte er all seine Ambitionen zurück gestellt und sie stattdessen unterstützt. Dafür war sie ihm dankbar. Auch dafür, dass er es gewesen war, der sie in die Etappe zurück geschickt hatte, und nicht dieses Arschloch Skunk, möge er seit seinem Absturz über Karrashin III in einem Baumwipfel hängen. Aber genau diese Zurückhaltung war es, die sie nun bestärkte, das zu tun was sie gerade tat. Wenn sie Ace so viel wert war, dass er sich ihr freiwillig unterordnete, dann hatte sie eine Pflicht. Eine Pflicht seine Erwartungen zu erfüllen. Und die hieß, sich ein Kommando als Stellvertretender Staffelchef zurückzuholen. Wenn sie dafür die COLUMBIA und ihre zweite Familie aufgeben musste, dann sollte das wohl so sein. Und es gab noch einen guten Grund dafür. Sie war jetzt verlobt, und auch wenn das nicht mehr ein rechtswirksames Eheversprechen war, heutzutage, so bedeutete es ihr etwas, und es bedeutete Kano etwas. Außerdem konnten sie ihre Beziehung nun frei führen, seit sie in verschiedenen Geschwadern dienten. Das war vielleicht der wichtigste Grund für sie. Endlich ein Ende der Geheimniskrämerei. Nicht, dass sie glaubte, ihre Beziehung wäre auch nur einem einzigen Menschen an Bord der COLUMBIA verborgen geblieben. Aber immerhin waren sie und Kano diskret gewesen. So diskret, dass sie schon wieder erfolgreich gewesen waren und Helen ihr Verhütungsmedikamentendepot regelmäßig hatte auffrischen lassen. Es sollte ja Frauen geben, die in zu langem Dienst drüber weg kamen und plötzlich mitten an der Front schwanger wurden. Im Flottenslang nannte man so etwas Marienerscheinung, denn natürlich wollte die Frau keinen Sex gehabt haben. Und was blieb dann da noch übrig als der Heilige Geist, um eine Schwangerschaft herbei zu führen, angelehnt an die alte Legende um Christi Geburt in der Bibel?

Die COLUMBIA verschwand aus ihren Blickwinkel, als sich ihr Shuttle drehte. Nun konnte sie einen Blick auf die KAMI erhaschen, die nur unwesentlich kleiner war, und an der eifrig gearbeitet wurde. Helen kannte den Namen des Schiffs nicht nur weil es zur Begleitflotte unter Mithel gehörte, sondern auch weil Cliffs kleiner Bruder auf dem Kahn diente. Außerdem war das Ding etwas Besonderes. Irgendeine experimentelle Bau-Einheit war an Bord, aber Helen hatte sich nie genug dafür interessiert, um mal bei Cliff nachzufragen. Wenn man ums eigene Leben kämpfte, interessierte man sich über die Fliegerei hinaus nicht für besonders viele Dinge.
Erneut drehte das Shuttle ein, und Kali verlor den Blick auf die Victoria-Station. Nun hielt das Shuttle also auf die DERFLINGER zu. Die TRS Derflinger CVL 24 war ein leichter Träger der Majestic-Klasse, klein, gemein, schnell und immer dort eingesetzt, wo es den Akarii weh tun konnte, zudem bereits als Teil der Unterklasse III mit dem größeren Kopf ausgestattet. Das bedeutete, dass dieser kleine fliegende Drache auch Bomber tragen konnte, um den Akarii auch ein wenig mehr wehtun zu können. Doch wo es den Akarii wehtat, konnten die Akarii auch ihnen wehtun. Zudem bedeutete die Beschränkung auf vier Schwadrone eine begrenzte Schlagkraft des Trägers. Aber wenn man sich die richtigen Ziele aussuchte, war diese Schiffswaffe sehr effektiv. Und in einen Hinterhalt geraten konnte ein Lexington auch. Allerdings war die Sterblichkeitsrate an Bord eines Majestic hoch. Glücklicherweise, hätte Helen beinahe gesagt, denn dieser Tatsache verdankte sie ja ihre Chance auf einen XO-Posten beim 3. Fighter Wing. The Flying Circus, wie die Staffel hieß, hatte einige gute Leute in der letzten Mission verloren, darunter den XO ihrer Nighthawk-Staffel. Das war ihre Chance, ihre verdammte Chance. Trotzdem hatte sie ein schlechtes Gewissen der COLUMBIA gegenüber, obwohl sie wusste, dass Raven ihr einen Riesengefallen getan hatte, als sie ihr mehrfaches Ass hatte ziehen lassen. Denn an Bord eines solchen Trägers war der Sprung zum Staffelchef sehr viel kürzer als auf der COLUMBIA, einem Pegasus-Träger mit immerhin noch acht Schwadronen. Die richtig guten Piloten kristallisierten sich viel schneller raus und bekamen viel schneller ihrer Chance. Und für viele wurde ein kleiner Träger oft zum Sprungbrett für ein Kommando auf einem größeren Träger.
Nein, sie hatte zwar Schuldgefühle, und sie vermisste die Bande auf der COLUMBIA jetzt schon sehr, aber sie hatte das Recht und die Pflicht, all das beiseite zu schieben und sich voll und ganz auf ihre Karriere zu konzentrieren. Der Träger, den sie noch nicht sehen konnte, würde ihre neue Heimat sein. Ihre neue Karriere, ihr neues Leben. Und die DERFLINGER würde viel schneller neue Action sehen als ihr altes Schiff. Und das war es, was sie nach ihrer Rekon dringend brauchte. So schnell und so viel wie möglich. Der Flying Circus gab ihr dazu die Chance.

"Wir docken jetzt an, Ma'am. Willkommen an Bord der DERFLINGER.", klang die Stimme des Piloten auf. "Ich hoffe, Sie hatten einen guten Flug und beehren die Willie-Spaceline bald wieder mit Ihrer Anwesenheit."
Kali verzog ihre Miene zu einem spöttischen Grinsen. "Wenn der Service weiterhin so mies ist wie dieses Mal verzichte ich. Die Stewardess hat mir immer noch keinen Kaffee serviert."
"Kaffee gibt es erst, wenn Sie Geschwader-XO sind.", scherzte der Lieutenant zurück.
"Na, warten Sie mal die Zeit ab.", scherzte Kali zurück.
"Bei einem Angry Angel vom alten Cunningham habe ich auch nichts anderes erwartet.", erwiderte der Pilot und schaltete ab.
Das Andockmanöver auf dem Flugdeck verging rasch und problemlos. Man merkte dem Piloten seine langjährige Routine an, die sogar Helen als Jägerpilotin wohlwollend anerkannte. Als die Lampen auf grün gingen, schnallte sie sich ab und griff zum Staufach mit ihrem Gepäck, das für den Flug gesichert worden war. Der Shuttle-Jockey hatte darauf bestanden, obwohl es sich beim Flug zur Victoria-Station bestenfalls um einen Aufwärmflug handelte. Aber es zeigte, wie hoch die Disziplin auf ihrem neuen Kahn war. Ein gutes Zeichen.
Pilot und Co-Pilot öffneten das Schott und ließen der ehemaligen Angry Angel den Vortritt. "Nach Ihnen, Kali."
Sie registrierte, dass der Lieutenant ihr Callsign verwendete und bedankte sich mit einem Nicken.
Helen machte den ersten Schritt - und stutzte. Vieles hatte sie erwartet, aber sicherlich keine Menschenmenge, die ihren ersten Auftritt beobachtete. Beinahe hätte sie Applaus erwartet, oder ein Ansager, der sie wie im Zirkus besonders anpries und ihre Besonderheiten hervorhob. Es hätte zumindest gepasst.
"Nun lasst der Frau doch mal Platz zum atmen und zum runterkommen!", klang eine ärgerliche und sehr resolute Frauenstimme auf. Zwischen den Technikern, neugierigen Matrosen und noch neugierigeren Piloten schob sich eine energische große Blondine durch. Dabei setzte sie sowohl ihre weiblichen spitzen Ellenbögen ein als auch eine mörderische Miene mit ihrem gut gebräunten Gesicht. Sie schien einiges an Respekt zu genießen, denn die Männer und Frauen machten ihr schnell Platz. Schließlich stand sie direkt vor der Rampe des Shuttles. "Willkommen an Bord der TRS DERFLINGER, First Lieutenant Mitra."
Kali straffte sich und salutierte. "Bitte um Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen, Lieutenant."
"Erlaubnis erteilt.", erwiderte die Blonde mit einem Gegensalut.
Ein höflicher, leiser Applaus klang auf, der aber schnell von neugierigem Stimmgewirr übertönt wurde. Erneut setzte sich die Blondine durch. "Nun haltet doch mal die Klappe! Papa Bear hat gesagt, sie will Mitra sofort sehen wenn sie kommt! Danach könnt ihr sie mit Fragen löchern!" Resolut und gegen die Regeln ergriff die weibliche Second Lieutenant Kalis rechte Hand und zog sie von der Rampe. Dann nahm sie ihr das Gepäck ab und drückte es einem riesigen Piloten in die Pranken. "Butcher, bring mal das Gepäck der Lady auf meine Kabine. Sorry, Ma'am, aber auf unserer niedlichen kleinen DERFI haben nur der Skipper, der CAG und die Staffelchefs Einzelkabinen."
"Schon in Ordnung, Lieutenant...Rogers. Ich bin schlimmeres gewohnt."
"Hat das Schlimmere vielleicht blaue Haare?", rief eine neugierige Männerstimme, und die Umstehenden lachten.
Kali wandte sich dem Rufer zu und erstarrte. "Na, wenn das mal nicht Thomas Andrew Paul ist, dieses Großmaul, das sich Demolisher nennt. Was machst du hier, außer den Kindern Unsinn beizubringen?", tadelte sie den großen Schwarzen grinsend.
Der erwiderte die Geste. "Stellvertretender CAG, wenn es Recht ist."
Kalis Grinsen entgleiste, aber sie fing sich schnell. "Wenn du hier XO vom CAG bist, gehört mir in einer Woche das Geschwader."
"Das steht zu befürchten.", erwiderte Demolisher grinsend, während humorvolles Gelächter aufklang.
"Ihr könnt später noch quatschen. Papa Bear zieht mir das Fell über die Ohren, wenn Kali nicht ASAP bei ihr ist!", beschwerte sich die Blondine und zog Kali hinter sich her.
Helen Mitra machte das alte Zeichen für Telefon in Demolishers Richtung, und der Pilot bestätigte. Sie würden später noch ausgiebig miteinander quatschen, zwei Piloten, die sowohl die RED als auch die COLUMBIA erlebt hatten. Ein warmes Lächeln glitt über ihre Züge. Bis zu dem Moment, an dem ihr Juliane Volkmers Tod einfiel. Das musste auch Demolisher tief getroffen haben. Vielleicht noch mehr als Ace. Apropos Ace, dieser Trottel. Erst schickt er ihr eine Nachricht, dass er sich melden würde oder wenigstens an seinen Kommunikator geht, und dann ist er unerreichbar und unauffindbar. Dabei hätte sie gerne, sehr gerne mit ihm geredet, gerade über Huntress.

"Lieutenant Rogers?"
"Sagen Sie Sharon zu mir. Sie können auch mein Callsign benutzen. Bobcat." Sie zwinkerte Kali zu, während sie noch immer keine Anstalten machte, ihre Hand los zu lassen.
"Bobcat, wie wäre es, wenn Sie mich alleine gehen lassen? Ich bin schon ein wenig groß für ein Kindermädchen.", spottete Kali.
"Natürlich, Ma'am." Sie errötete leicht und holte das Versäumte nach. "Der Eifer, Ma'am. Ich habe mich wohl etwas zu sehr auf meinen eigenen Angry Angel gefreut."
"Ihren eigenen Angry Angel?", fragte Kali amüsiert.
"Wir werden zusammen fliegen, Ma'am. Ich bin Ihre Flügelfrau. Conti hat gemeint, Sie brauchen einen Profi an der Seite. Und jetzt fällt er selbst aus, der Idiot."
Heftig schüttelte Helen den Kopf. "Moment, Moment, Bobcat, nicht so schnell!"
Ein Schatten huschte über das Gesicht der Amerikanerin. "Wenn Sie nicht mit mir einverstanden sind, können Sie selbstverständlich einen anderen Piloten zum Stellvertreter berufen. Ich kann Ihnen da wohl kaum rein reden. Aber ich wünsche mir schon, dass Sie mir zuerst eine Chance geben, mich zu beweisen."
Helen meinte: "Keine Sorge. Sie kriegen Ihre Chance. Aber geben Sie mir doch die Chance, erst mal den CAG und meinen Schwadronsführer kennen zu lernen, bevor Sie mich mit Details zukleistern."
Erschrocken sah Bobcat die Inderin an. Dann stahl sich ein Grinsen auf ihre Züge. "Tut mir Leid, Ma'am, aber daraus wird nichts. Beschweren Sie sich bei unserem Staffelchef, Conti. Der hatte nichts Besseres zu tun als sich beim Segeln ein Bein zu brechen und ein Thoraxtrauma an einer Rah zu holen. Fällt für mindestens zwei bis drei Wochen aus, und so lange werden Sie wohl seinen Job machen müssen. Erwarten Sie da bitte keine Hilfe von mir, Kali, von Verwaltung und so verstehe ich gar nichts. Aber im Gegenzug verspreche ich, dass ich auch einen guten Job als Ihre Flügelfrau mache. Wirklich!"
"Wer? Was? Nun mal langsam und von vorne! Ich..."
"Das soll Ihnen alles Papa Bear erzählen." Grinsend klopfte Bobcat an eine uniforme Bürotür.
"Herein!", schallte es zurück, und mit Bobcat ging eine erschreckende Veränderung vor. Obwohl sie nur die Flightkombi trug, wurde sie erschreckend steif und ernst. Sie öffnete die Tür, ließ Helen vor und trat hinter ihr ein. Dann salutierte sie exakt wie ein Kadett, und Kali macht es ihr gleich. "Commander, ich melde hiermit First Lieutenant Mitra und Second Lieutenant Rogers angetreten."
Am Schreibtisch vor Kali saß eine ältere Frau mit scharf geschnittenem Gesicht. Auf den ersten Blick ordnete sie die Frau als Inderin, Pakistani oder Araberin ein. Das war die CAG, Jasmin Farouk, genannt Papa Bear. Neben dem Schreibtisch saß ein recht junger Mann in der üblichen Khaki-Uniform der Navy und musterte die Szene mit unbewegtem Gesicht.
"Rühren.", sagte die Frau. Sie deutete auf zwei unbequeme Klappstühle vor ihrem Schreibtisch. "Setzen."
Gehorsam nahmen die beiden Platz.
Die Frau sah zur Seite. "Skipper, Sie haben Lieutenant Mitras Akte gelesen? Sie wird zur Dornier gehen."
Helen musterte den Mann von der Seite, während sie versuchte, steif gerade aus zu gucken. Das musste Hammer sein, Hinrick Hammer Neumann, der Captain der DERFLINGER. Er war deutlich jünger als die CAG, und einige Gerüchte über ihn wollten wissen, dass die DERFI für ihn, einen ehemaligen Mirage-Piloten, der zu den Topassen der Navy zählte, nur ein Sprungbrett auf einen der fetten Träger sein würde, sobald er sich auf dem Leichten bewährt hatte.
"Die Nighthawks. Ja, das macht Sinn. Willkommen an Bord, Kali."
"Danke, Hammer. Dornier?"
Farouk ließ sich zu einem Lächeln hinreißen. "Die Nighthawk-Staffel heißt Dornier. Man nennt den 3. Fighter Wing den Flying Circus in Anlehnung an die berühmte Einheit aus dem terranischen Ersten Weltkrieg, die einst Manfred von Richthofen geleitet hat, falls Ihnen das etwas sagt."
Entrüstet richtete sich Kali noch etwas mehr auf. "NATÜRLICH sagt mir das was. Ebenso wie Brown, Immelmann, Hartmann, Litwjak oder Erhard. Immerhin bin ich Pilotin."
Farouk lächelte nachsichtig. "Gut, dann haben wir es ja leicht. Man hat uns also nach einer der berühmt-berüchtigsten Staffeln des WK I benannt. Aber als wir dann anfingen unseren Einzelstaffeln Namen zu geben, stießen wir auf Schwierigkeiten. Anfangs wollten wir die Staffeln nach den berühmten Piloten des Circus benennen, aber da stießen wir leider auf ein Problem. Einer ihrer späteren Staffelchefs war ausgerechnet Hermann Göring, der, wie gut er auch als Pilot sein mochte, auch heute noch einen verdammt schlechten Ruf hat. Also haben wir uns nach einer Alternative umgesehen. Schließlich sind wir zu der Alternative gekommen, die Staffeln nach deutschen Flugzeugmodellen aus dem Weltkrieg Eins zu benennen. Unsere Falcon-Staffel läuft also unter dem Namen Albatros, und geführt wird sie von meinem XO Demolisher, den Sie noch kennen dürften. Dann kommen die Nighthawks, unsere Dorniers. Staffelchef ist unser Bruchpilot Randy Rubenbauer, Conti genannt. Er hat es tatsächlich gewagt, sich auf einem Segeltrip schwer zu verletzen und dabei auch noch fast zu ersaufen. Wie gut, das sein Aufriss diesmal nicht nur Hirn, sondern auch eine Rettungsschwimmerausbildung hatte.
Die Griphen sind meine Staffel, die Etrichs. Bleiben noch unsere Crusader von Commander Lubicheque, die auf den voll klingenden Namen Fokker hören. Das ist in groben Zügen unsere Staffelaufstellung. Herzlich willkommen im Flying Circus, Kali."
"Danke, Commander."
"Sagen Sie Papa Bear, wie alle meine Piloten. Ich bin übrigens sehr froh, Sie so kurzfristig aus den Angels loseisen zu können. Und seit gestern morgen noch eine ganze Ecke mehr, wenn ich mir vorstelle, ich hätte vielleicht sogar Bobcat eine Staffel anvertrauen müssen."
"Och, Menno.", beschwerte sich die Blondine und blies die Wangen auf.
"Ihr Staffelchef Conti fällt leider noch ein paar Wochen aus, und das wo ich gerade das Bomberspezialtraining auf die DERFLINGER geholt habe. Da bleibt keine Zeit, um einer Staffel ohne Schwadronsführer das Händchen zu halten." Sie räusperte sich ärgerlich. "So gesehen ist Ihre Berufung zum Flying Circus wie ein Fingerzeig Gottes. Meine Frage an Sie, Kali, ist: Schaffen Sie eine Staffel, oder soll ich Sie gegen einen anderen austauschen?"
Ein fiebriges Gefühl griff nach Helen Mitra. Sie spürte es in ihre Leibesmitte aufsteigen und zu allen Seiten davon fließen. Es stieg ihr in die Glieder, in den Kopf und in den Magen. Das Gefühl war fast so gut wie anständiger Sex. "Eine Staffel Nighthawks zu führen bereitet mir keinerlei Probleme, Ma'am. Als XO der Roten musste ich das oft genug machen. Das einzige was mir daran nicht gefällt ist die Tatsache, dass es ein zeitlich befristetes Arrangement ist, Papa Bear."
Ein Grinsen huschte über Farouks Züge. "Gut, gut. Sie haben die Dorniers wahrscheinlich drei Wochen alleine an der Backe. Ihr Sektionsführer ist noch ein bisschen grün, und von Bobcat dürften Sie auch keine große Hilfe erwarten. Kriegen Sie das trotzdem hin, Kali?"
"Ma'am,", sagte Helen in tadelndem Tonfall, "meine Staffelchefs waren bisher immer Männer."
Papa Bear lachte wie über einen guten Witz. Auch Bobcat fiel ein.
Etwas irritiert lächelte Hammer, aber ohne wirklich zu verstehen worum es ging. "Was...?"
"Ein Pilotinnenwitz, Skipper. Männliche Piloten neigen zu zwei Dingen: Uns Frauen zu unterschätzen und uns die Arbeit machen zu lassen.", erklärte die CAG grinsend. "Deshalb ist ein weiblicher XO unter einem männlichen Schwadronsführer auch immer der eigentliche Staffelchef. Nicht wahr, Kali?"
"Richtig, Papa Bear."
"Ach. Ahso. Nicht sehr schmeichelhaft, fürchte ich. Wie lange dauert es dann, bis Sie meinen Job machen, Jasmin?"
Die CAG warf ihrem Kapitän einen spöttischen Blick zu. "Warten Sie die Zeit ab, Hinrick."
"Ich sehe schon, das wird die vergnüglichste Feindfahrt, die ich je hatte.", brummte der Skipper amüsiert.
Ja, Helen kam zu dem Entschluss, dass sie sich hier recht wohl fühlen würde. Viel verrückter als die Angels war der Flying Circus auch nicht. Nicht sehr viel, jedenfalls.

***

Ein Träger hatte immer eine ganz eigene Melodie, und das nicht nur wenn er im Sprung war oder durch das ferne, schwarze All kreuzte. Waren die Reaktoren hochgefahren, hörte man das Kühlwasser im eigenen Rhythmus laufen. Waren sie es nicht, gab es das leise Brummen von Luftumwälzung und Heizung. Ein Träger ohne Geräusche war ein totes, luftleeres, verlassenes Schiff. Für Kali war die Melodie der DERFLINGER schnell vertraut, sie klang gerade etwas heller als die auf der COLUMBIA. Dazu kam ein Hintergrundmurmeln, das von zweitausendzweihundert Besatzungsmitgliedern bei Tag und bei Nacht erzeugt wurde, und dem Majestic seine ganz eigene Note gab.
Im Moment lauschte sie dieser Melodie, in der Hoffnung, dabei einschlafen zu können. Aber sie konnte es nicht. Zu viel war geschehen, und sie war gerade mal drei Tage hier. Hier auf der DERFI war sie ihrem Traum näher denn je zuvor, denn bis Conti von den Ärzten am Boden die Freigabe bekam, um seinen Dienst wieder aufzunehmen, lagen die Nighthawks in ihren Händen. Ein Gefühl, an das sie sich gewöhnen konnte. Und ein Gefühl, das ihre ältesten Fliegerträume wieder wach rief, damals auf der RED, als sie sich eine eigene Staffel gewünscht hatte, sogar ein eigenes Geschwader. Damals, freilich, hatte sie die Arbeit maßlos unterschätzt, aber mittlerweile kannte sie das Pensum, das ein CAG leisten musste, das ein Staffelführer leisten musste. Es schreckte sie nicht ab. Im Gegenteil, es vertiefte noch den Wunsch, einmal eine solche Position zu bekleiden. Denn hatte nicht ein kluger Mann mal gesagt: Wenn gute Leute ihre Arbeit nicht tun, machen Schlechtere sie - mit Auswirkung auf alle anderen? Kali hielt sich für eine der guten Leute, für eine Fähige. Und sie wollte verdammt sein, bevor sie jemals wieder unter jemandem wie Skunk flog - außer er wurde ihr CAG, und dann auch nur sehr, sehr ungern. Wie Ace jemals mit ihm klar gekommen war, konnte Kali nicht begreifen. Andererseits hatte ihr das so manche Unfreundlichkeit des älteren Piloten erspart.
Ihr neuer Staffelchef drohte nicht unwesentlich besser zu sein, wenn sie bedachte, dass Papa Bear recht abfällig von "seinem neuesten Aufriss" berichtet hatte. Aber vielleicht erwies er sich ja als weniger überheblich, weniger egozentrisch und weniger arrogant als Skunk. Wobei es eine Leistung war, auch nur annähernd so zu werden wie der Kotzbrocken.
Kali seufzte und richtete sich auf. Genug über Skunk aufgeregt, genug geschimpft. Der steckte irgendwo auf Karrashin, entweder halb verdaut in irgendwelchen Aasfressermägen, oder auf der Flucht, beziehungsweise in einem Gefangenenlager. Sie würde ihn in nächster Zeit nicht wieder sehen müssen. Und wenn doch, war das Universum sehr ungerecht.
Bobcat musterte Kali interessiert, als diese ihre Decke zurückschlug. "Kannst du schon wieder nicht schlafen? Das ist keine gute Idee. Ich meine, du wolltest doch unbedingt morgen früh ein Formationsflugtraining, bevor die Seminar-Leute an Bord kommen und den Katapult vereinnahmen."
Helen Mitra zog spöttisch eine Augenbraue hoch. Es war erstaunlich, wie schnell sie mit Lieutenant Rogers perdu geworden war, und erschreckend, wie schnell sie einander verstanden hatten. "Und was ist mit dir? Warum schläfst du nicht? Du musst morgen auch raus, hast du das vergessen?"
Sharon Bobcat Rogers gähnte demonstrativ und ließ sich auf ihr Kissen sinken. "Keine Sorge, ich schlafe gleich. Das ist etwas, was ich nahezu immer und überall kann, quasi auf Kommando. Solltest du dir auch angewöhnen, Kali."
"Leichter gesagt als getan.", murmelte sie als Antwort.
"Wenn ich nicht schlafen kann, und das kommt äußerst selten vor, dann gehe ich auf die Aussichtsplattform vorne im Kopf. Da hast du eine Rundumsicht von hundertzwanzig zu fünfundvierzig auf das Treiben rund um Victoria Station. Wenn dich das nicht einschläfert, dann weiß ich auch nicht."
Kali schwang sich aus dem Bett, griff nach ihrer Diensthose und zog sie über. Danach ergriff sie das Hemd, verzichtete aber auf Mütze und Jacke. Korrekt und adrett auftreten war schön und gut, solange es nicht nervte. Und zur offiziellen Bordnachtzeit, außer Dienst, konnte man auch schon mal ohne Gala-Uniform unterwegs sein. "Ich probiere es mal mit der Aussichtsplattform. Dabei überlege ich mir mal, auf welche Manöver ich dich teste, Bobcat. Vielleicht irgend etwas, was deinem Namensvetter, dieser kleinen, gemeinen Raubkatze gerecht wird?"
Sharon winkte ab. "Tue was du willst. Fliegen kann ich ja. Nur von führen habe ich keine Ahnung."
"Was ich persönlich sehr schade finde." Kali stand auf, schloss Hemd und Hose und suchte nach den leichten Bordschuhen. Egal was Sharon sagte, sie fand, dass die junge Frau mindestens einen guten Wingleader abgeben würde. Sie war nicht unfähig, sondern einfach nur stinkfaul. Darin allerdings war sie ein wahrer Meister. Und in der Kunst, dem Kochpersonal zusätzliche Desserts zu entlocken.
"Gute Nacht, Kali!", sagte sie demonstrativ und schloss die Augen, um die Diskussion abzuwürgen.
Helen Mitra lächelte sanft und verließ die gemeinsame Kabine.

Auf dem Weg begegneten ihr nur wenige Besatzungsmitglieder. Normalerweise war auch in der Bordnacht mehr los, aber solange die DERFLINGER über Seafort kreiste, war die Nachtwache mit der Minimalbesatzung besetzt. Die weit reichenden Radaranlagen von Victoria-Station und den anderen Stützpunkten im System übernahmen die Frühwarnung und reduzierten damit die Nachtwache auf ein Minimum.
Als sie die Aussichtsplattform erreicht hatte, wusste sie, dass Sharon nicht übertrieben hatte. Der Ausblick war toll. Wie das hektische Treiben aus Jägern, Shuttles, kleinen und größeren Schiffen rund um die große Raumstation allerdings beruhigend wirken sollte, war ihr schleierhaft. Im Gegenteil, dieser Anblick war so majestätisch, dass sie sich unwillkürlich erhoben fühlte. Sie war dabei, sie gehörte dazu. Sie half, dieses Bild zu erschaffen. Verdammt, warum hatte sie keine Kamera mit?
"Wenn ich mich recht entsinne, beginnt Ihr Dienst bereits in fünf Stunden, Lieutenant. Warum schlafen Sie nicht?"
Erschrocken fuhr Kali zur Stimme herum und erkannte den Skipper. "Sir. Ich konnte nicht schlafen."
Hinrick Neumann lächelte dünn und trat neben sie. "Verstehe. So geht es vielen Leuten, wenn sie auf ein neues Schiff kommen und eine neue Aufgabe erhalten. Als ich auf die DERFLINGER wechselte, da habe ich die erste Woche vor Anspannung und Aufregung kaum ein Auge zu gekriegt. Erst als mir der Bordarzt mit Zwangsnarkotisieren gedroht hat, fing ich an meine Aufgabe gelassener zu sehen. Der Schlaf stellte sich dann recht schnell ein, und das war auch gut so. Ein Träger kann keinen schlecht ausgeschlafenen und unkonzentrierten Skipper gebrauchen. Ebenso wenig eine Staffel."
Kali schluckte hart. "Tadel ist angekommen, Sir."
"Die ersten drei Nächte seien Ihnen vergeben, Lieutenant Mitra. Aber sollten Sie auch vorhaben die vierte Nacht zu durchwachen, holen Sie sich doch bitte bei Doktor Noel vorher ein leichtes Schlafmittel."
"Die ersten drei Nächte?", fragte Kali irritiert.
Neumann grinste sie schwach an. "Papa Bear hat ein wachsames Auge auf Sie, Kali. Sie hält eine ganze Menge von ihrem neuen Vize für Dornier. Und sie kennt alle üblichen und nicht üblichen Probleme, die Piloten so haben können. Vor allem solche die versetzt werden und in der Verantwortung nach oben rutschen. Man hat ihr zugetragen, das Sie die letzten drei Nächte zur Unzeit heiße Milch mit Honig in der Kantine getrunken haben, und da hat sie sich genug Sorgen gemacht, um mit mir darüber zu sprechen." Hammer sah ihr direkt in die Augen. "Diensteifer ist gut, Kali. Aber je eher Sie den Mittelweg finden, desto besser. Ich weiß wovon ich spreche. Ich war mal in der gleichen Situation wie Sie, damals als ich bei den Starwarriors meine eigene Staffel übernehmen musste, eine Woche vor Kriegsausbruch." Er räusperte sich und warf sich in eine energische Pose, mit den Fäusten in den Hüften: "Ein ausgeglichener Lebenswandel ist alles, was ich brauche. DAS und ausreichend Mengen guten bayrischen Bieres!"
Kali kicherte. "Das kommt mir bekannt vor."
"Meine Jugendsünde, damals, ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn. Die TSN suchte verzweifelt nach Helden und Vorbildern. Dabei musste sie feststellen, dass die erfolgreichsten Piloten egozentrisch, paranoid, auf Adrenalin oder konservative Idioten waren. Aber die TSN wäre nicht die TSN, wenn sie das nicht in einen Vorteil verwandelt hätte. Jedes ihrer Asse durfte ein Sprüchlein aufsagen, und ich habe das erste gesagt, was mir in den Sinn kam. Der Anfang war ja noch ganz gut, aber dann ist mir das mit dem Bier raus gerutscht. Seither kann ich mich in Deutschland nirgends blicken lassen, ohne das mich die Einheimischen von ihren lokalen Bieren überzeugen wollen. Aber es hat auch einen Vorteil. Ich habe auf keinem Heimaturlaub bisher Geld für Getränke ausgegeben."
Er lachte, und Kali fiel ein. Sie runzelte die Stirn. "Muss trotzdem hart gewesen sein. Ich meine, so plötzlich mitten im blutigen Krieg ein Vorbild sein zu müssen."
"Oh ja, sehr hart. Vor allem der Befehl der Navy, im nächsten halben Jahr nach Möglichkeit nicht zu sterben kommt mir da in den Sinn. Teufel auch, ich bin Bomberpilot, und Bomberpiloten haben es nun mal nicht leicht."
"Man hat es Ihnen befohlen?", fragte Kali amüsiert.
"Ich habe den Befehl schriftlich. Eingerahmt in meiner Flaggkabine. Erinnern Sie mich daran, dass ich Ihnen den mal zeige, Kali."
"Typisch Navy.", brummte sie. Plötzlich nervös werdend, strich sie sich eine Strähne aus dem Gesicht. "Hammer, ich weiß ich bin weit davon entfernt, wirklich eine eigene Staffel zu kriegen, aber...Der Unterschied zwischen uns beiden könnte nicht größer sein, oder? Wir fliegen beide seit den ersten Kriegstagen, und ich..."
"Und Sie sind verdammt weit gekommen, Kali. Vergessen Sie nicht, als der Krieg ausbrach war ich schon Staffelchef auf der INTREPID. Ich habe also einen beträchtlichen Vorsprung vor Ihnen. Und so weit sehe ich Sie nicht von einem eigenen Kommando entfernt. Bei allen Stellvertretern sind Sie diejenige, die Papa Bear als erste für eine Staffel empfehlen würde."
"Ach, jetzt wollen Sie mich aufmuntern.", meinte Kali mit einer wegwerfenden Handbewegung.
"Ja. Und, funktioniert es?", fragte der Deutsche mit einem jungenhaften Lächeln.
"Es funktioniert. Ziemlich gut sogar...Wie ist es, eine eigene Staffel zu haben?"
Neumann schnaubte auf, halb amüsiert, halb frustriert. "Für mich war es schwer. Wir waren eine Friedenseinheit, kaum einer hatte je ein echtes Gefecht hinter sich gebracht, und unser einziger Trost war es, dass es den Akarii nicht viel anders ging. Ein anstrengendes erstes halbes Jahr hat uns einiges gelehrt, während wir versucht haben, den Nachschub von Manticore abzuschneiden."
"Husar?" Fragend hob die Inderin eine Augenbraue.
"Nicht so weit wie die REDEMPTION. Long und die Dritte Flotte lieferten die Ablenkung für Husar, aber das heißt nicht, dass wir Starwarriors auf der INTREPID nicht unseren Teil der Action gehabt hätten. Im Gegenteil, manchmal haben wir viel zu gut abgelenkt. Wir Starwarriors haben uns, bei allen Verlusten, ordentlich mit Ruhm bekleckert. Vor allem meine Staffel Mirages, auch wenn Spötter gerne sagen, die Mirage würde Bomberaufgaben und Jägerpflichten gleich schlecht machen. Es braucht halt nur hervorragende Piloten für die Mirage."
"So wie Sie, Hammer?"
"So wie mich, Kali. Mit der Mirage unter dem Hintern wurde ich erst XO vom CAG, und später selbst CAG der Starwarriors. Das hat ziemlich genau zwei Jahre gedauert. Reichlich fix, wenn man bedenkt, dass ich in Friedenszeiten vom Wingman zum Schwadronschef acht gebraucht habe."
"Zwei Jahre ist nicht viel."
"Ich hatte Vorzeigeheldenbonus.", meinte der Skipper der DERFLINGER achselzuckend. "Was ich aber eigentlich sage will ist, dass jede neue Aufgabe, jede weitere Beförderung bis zu diesem Platz hier an Bord dieses Majestic eine völlig neue Aufgabe war, an die ich mich anpassen musste, und was ich auch geschafft habe. Zwei Jahre Dienst als CAG, in denen ich die Starwarriors durch die Hölle und zurück geführt habe, ein halbes Jahr Perisher, der Sprung hierher auf die DERFLINGER als neuer Skipper, all dies erschien mir so groß, so übermächtig zu sein. Aber das war es nicht, das war es nie. Es waren nur ein Haufen alter Aufgaben, die ich schon beherrschte, und viele neue Aufgaben, die ich mir erst noch zu eigen machen musste. Man sagt zu Recht, dass gute Leute mit ihren Aufgaben wachsen, und Sie, Kali, sind ein Angry Angel. Sie werden wachsen und Sie werden groß werden. Papa Bear ist hier auf dem Sprung zu einem größeren Geschwader; planetare Verteidigung oder ein neu aufzurüstendes für einen fertig gebauten Lexington. Dann wird Demolisher nachrutschen und Conti neuer XO. Das bringt Sie in die Lage, noch mehr für die Staffel leisten zu müssen und macht Sie beim nächsten Sprung eines Vorgesetzten zur logischen Wahl für den Geschwader-XO. Selbst der CAG ist dann nicht mehr fern für Sie, Kali."
Hammer klopfte der Pilotin aufmunternd auf die Schulter. "Krieg tötet schnell, aber Krieg schafft auch Chancen und Möglichkeiten. Und wir Profis stecken viel zu lange drin, um uns lähmen zu lassen oder unsere Chancen nicht zu erkennen. Ich habe knappe drei Jahre vom CAG bis auf die Brücke der DERFLINGER gebraucht. Wer weiß wo Sie in drei Jahren stehen, Kali. Also, machen Sie sich weniger Sorgen und sehen Sie die Dinge gelassener. Schlafen sie viel und in Ruhe, solange wir noch in der Etappe sind. Ruck zuck ändert sich alles, neue Aufgaben stürzen über Sie herein, und die Nachtruhe sind dann nicht mehr acht Stunden am Tag, sondern vielleicht nur noch acht Stunden die Woche."
Kali nickte leicht. "Eventuell sollte ich mir wirklich ein Schlafmittel geben lassen."
"Eventuell sollten Sie das. Zumindest hier in der Etappe will ich all meine Lieutenants ausgeruht und aufnahmefähig sehen."
Die Inderin lächelte dünnlippig. "Verstanden, Skipper. Ach, und Skipper?"
"Ja, Lieutenant?"
"Danke. Danke für die Lehrstunde."
Hammer lächelte verschmitzt. "Auch ich erlebe an manchen Tagen neue Aufgaben, die ich noch nie hatte, die ich aber zu bewältigen lerne. Gute Nacht, Lieutenant Mitra."
"Gute Nacht, Skipper." Sie nickten einander zu, dann verließen sie das Aussichtsdeck auf verschiedenen Wegen. Kali jedoch mit einem kleinen Umweg in die Krankenstation für ein pflanzliches Präparat. Sollte Hammer wider Erwarten Recht haben und sie wie eine Rakete die Karriereleiter hoch schießen, dann würde sie dafür bereit sein. Diesmal ja. Ein toller Gedanke, und die dünne Narbe, die ihren Teilabriss markierte, schmerzte nicht einmal.
26.01.2016 14:05 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cunningham

Livingston NAS
Seafort, Sterntor


Wenn man einmal einen Raumjäger an die Grenzen seiner Möglichkeiten getrieben hatte, war Autofahren nicht mehr wirklich aufregend. Möglicherweise stressig aufgrund der Verkehrsdichte, aber nicht mehr aufregend.
Es sei denn man hatte zwei Gegebenheiten kombiniert. Einen Highway, auf dem es im Gegensatz zur Nordamerikanischen Allianz keine Geschwindigkeitsbegrenzung gab, und wenn man eine Ducati 2301 unter dem Hintern hatte.
Mit ihren dreihunderteinundsechzig km/h Spitze stellte sie einen Orgasmus auf Räder da. So hatte Lucas Lone Wolf Cunningham es einst einem Freund erklärt.
Gut, hier auf Seafort hatte er keine Ducati, die geliehene Yamaha Saber war bei zweihundertsiebzig abgeriegelt und er vermied es über zweihundert zu fahren. Wahrscheinlich würde Mel ihm eh den Kopf abreißen, wenn sie heraus bekam, dass er auf ein Motorrad gestiegen war, wo er doch seit Jahren auf keinem mehr gesessen hatte.
Aber es gab für einen Jagdpiloten keine andere angemessene Fortbewegungsart am Boden.
Also steuerte er die Yamaha mit der gleichen Rücksichtslosigkeit durch den vormittäglichen Verkehr wie er eine Nighthawk durch eine Raumschlacht steuerte. Damit machte er den Einheimischen sogar beinahe Konkurrenz. Wie die Seaforter durch den allmorgendlichen Berufsverkehr kamen, ohne sich selbst auszurotten, war eines jener Wunder der menschlichen Zivilisation, die man besser nicht hinterfragte.
Ohne zu blinken, er fuhr auch erheblich zu schnell, als dass es Sinn gemacht hatte, bog Lucas auf die Abbiegenspur, schnitt dabei eine dunkle Limosine und wechselte dann auf die rechte Spur, um einen auf der linken Spur fahrenden Straßenkreuzer der Militärpolizei zu überholen und sich vor diesen zu drängeln, um einen glitzernden Tanklaster zu überholen.
Der Fahrer der Militärpolizei beschränkte sich auf die übliche Kommunikation im Straßenverkehr und hupte energisch. Die MP hatte nun mal keine Befugnis in Sachen Straßenverkehr, es sei denn sie begleitete einen Konvoi des Militärs.
Wäre Lucas etwa fünfzig km/h langsamer gewesen, hätte er vielleicht noch im Rückspiegel gesehen, wie der Fahrer wütend die Faust schüttelte.
Heute am späten Nachmittag würden Melissa und er sich mit einem Anwalt des JAG-Corps treffen, den der Admiral ihnen empfohlen hatte, doch gleich würde er endlich wieder einmal fliegen.
Es würde zwar nur ein kurzer Rundflug mit diesem verdammten Schauspieler werden, aber es hieß endlich wieder mal fliegen.
Daher waren diese gewagten Manöver auf dem Motorrad eigentlich nur etwas zum warmmachen, wie Dehnungsübungen vor dem Sport.
Die letzte Gerade vor dem Stützpunkt gab er nochmal richtig Gas, ehe die Ausfahrt kam und er auf ein zivilisiertes Tempo herunter drosselte.
Am Haupttor stoppte er und ließ die Maschine noch einmal verspielt aufheulen.
Der Sergeant, der die Wache befehligte, schüttelte den Kopf und trat aus dem Wachhaus heraus: „Okay, Junge, dann zeig mal Deine Eintrittskarte.“
Lucas zog seinen Dienstausweis und hielt ihn mit dem RFID-Chip gegen den Leser.
Der Marine-Sergeant zog zwar eine Augenbraue hoch, als er den Dienstgrad des Besuchers verifizierte, entschuldigte sich jedoch nicht für seinen Fauxpas.
„Sie können passieren, Commander, aber beachten Sie hier besser die Geschwindigkeitsbegrenzung.
„Alles klar Sarge, wo sind denn hier die Besucherparkplätze?“
Der Wächter erklärte ihm den Weg, und zwanzig Minuten später war Lucas in der ortsüblichen Pilotenkneipe, die es auch auf diesem Stützpunkt gab.
Jeremy Randell wartete in Begleitung eines Zivilisten und eines Lieutenant Commanders schon auf ihn. Der Schauspieler erhob sich breit grinsend und begrüßte den Piloten mit kräftigem Handschlag.
Den Zivilisten stellte Randell als Hendrick Flamen vor, ein Mitarbeiter des FRIS. Der Lieutenant Commander hieß Van Dahlmayer, ein Fluglehrer der hier auf Seafort stationiert und vom Basiskommando abgestellt worden war, um die beiden Filmfritzen und damit auch Lucas herumzuführen.
Eine ganze Weile redeten sie über Textpassagen in der Serie und über Lucas' Lebenslauf.
Dabei betrachtete Randell immer wieder interessiert Lucas' Fliegerjacke: „Sagen Sie Lone Wolf, das sind aber nicht nur Patches der Angry Angels oder?“
„Wie bitte?“
„Auf Ihrer Lederjacke. Das eine ist das Geschwaderabzeichen der Angels, aber die anderen vier, zu wem gehören denn die?“
„Das auf dem rechten Oberarm gehört den Red Wings, einem Geschwader das früher in der Marsumlaufbahn stationiert war. Ich glaube es ist heute aufgelöst. Das auf dem linken Oberarm ist ganz klar das Wappen des Fightercorps der TSN. Dieses hier rechts gehört den Slaugthers, 64. Fighter Wing, das war mein erster Törn auf einem Träger, auf der Galipoli. Die Galipoli wurde über Cal an Mar vernichtet und das Geschwader ebenfalls aufgelöst.“
„Und das mit dem Frettchen und der Aufschrift?“
„Das ist mein Wild Weasel Patch, die Initialen stehen für 'Du willst mich doch verarschen', das inoffizielle Motto der Wild Weasel Crews.“
Die beiden vom Film blickten etwas unverständlich und Dahlmayer reichte Lucas die Hand: „Ach, wir gehören zur Bruderschaft.“
„Japp, mir haben sie die Wild Weasel Ausbildung als Vorbereitung für einen Pandora-Einsatz gegeben, der aber nie kam.“
„Was zur Hölle ist ein Wild Weasel?“, erkundigte sich Flamen.
„Eigentlich heißen die Einsätze SEAD“, erklärte Dahlmayer, „Surpression of Enemy Air Defence, Unterdrückung feindlicher Luftabwehr. Ein oder zwei Sektionen Jagdbomber oder Griphen fliegen Kampfpatroullie und sind mit speziellen Raketen bestückt. Sobald feindliche Luftabwehr das Feuer auf die Wild Weasel eröffnet, schießen diese zurück. Im Regelfall wartet man damit, bis die gegnerische SAM-Stellung drei oder sogar vier Raketen in der Luft hat. Und sobald man selbst zwei Raketen abgefeuert hat, beginnt man mit Ausweichmanövern.“
Randel nippte an seinem Kaffee: „Das klingt ja halsbrecherisch.“
„Daher auch das Motto, einer der ersten Piloten, dem man dieses Muster erklärt hat, soll geantwortet haben: 'Du willst mich doch verarschen.'“
„Und die andern beiden Patches?“, hakte Flamen nach.
„Nun, das hier auf der rechten Seite ist das der Blue Angels und das hier unter dem Namensbatch ist das der Angry Angels, das sollten Sie aber kennen, Mr. Flamen.“
Der Produzent suchte nach einer passenden Antwort, wurde jedoch von Randell aus der Peinlichkeit gerettet: „Gibt es irgendeine Konvention, wie man die Patches trägt?“
„Nur eine inoffizielle,“, antwortete Dahlmayer, der jetzt endlich auch was beitragen konnte, „das erste Geschwader nach der Flugschule wird auf den rechten Oberarm genäht. Die späteren aktuellen kommen unter den Namensbatch und werden dann bei jeder Versetzung wo anders aufgenäht, in der Regel auf die rechte Seite. Der linke Oberarm oberhalb der Tasche ist für das Fightercorps-Wappen reserviert. Wild Weasels nähen ihren zusätzlichen Patch eigentlich auf den rechten Ärmel unter ihr erstes Patch. Einige nähen ihn aber auch auf die rechte Seite ihrer Jacke wie Lone Wolf hier.“
Randell nickte eifrig, während Flamen auf einem Stift kaute: „Und wer kann Wild Weasel werden?“
„Im Regelfall hat man eine speziell ausgebildete Sektion Griphen-Piloten dafür und eine unbestimmte Anzahl an JaBo-Jocks,“, antwortete Cunningham, „bei Pandora waren es auch noch Phantome, und ich stieg damals auf die Überlegenheitsjäger um.“
„Und die Nighthawkpiloten, gehören die auch zu dieser, wie haben Sie das vorhin eben genannt, Dasher?“, Flamen blickte Dahlmayer an.
„Bruderschaft!“.
„Genau, gehören die Nighthawks auch zur Bruderschaft?“
„Nein, eigentlich nicht, die 'Hawks haben die Luftüberlegenheit aufrecht zu erhalten und werden eher wenig für Bodenangriffe abgezogen.“
„Viele der Angry Angels haben wenig Patches, aber dafür habe ich bei allen noch ein Patch neben dem Geschwaderabzeichen gesehen, wie kommt das?“, wollte Randell wissen.
„Jetzt im Krieg gibt es weniger routinemäßige Versetzungen. Für viele Piloten sind die Angels ihr erstes Geschwader. Das Patch, was Sie meinen, ist das Staffelpatch. Ich als ehemaliger CAG habe über solchen Staffelrivalitäten zu stehen und bin fürs gesamte Geschwader zuständig, von daher ist es üblich, dass ein CAG kein Staffelpatch trägt.“
Flamen grinste: „Und Lone Wolf, waren Sie als CAG über solchen Staffelrivalitäten erhaben?“
Lucas grinste zurück: „Natürlich …nicht!“
Die Runde lachte.
„Gehen wir fliegen, Lone Wolf?“
„Gehen wir fliegen, Jerry!“

Die FT 103 C Phantom stand in einem abseits gelegenen Hangar bereit. Der zweisitzige Fighter/Trainer hatte schon einige Tausend Flugstunden auf dem Buckel. Ursprünglich waren die Phantome der Block C Reihe als Überlegenheitsjäger vorgesehen und als Ersatz für die F 103 B Phantom gedacht. Viele erfahrene Piloten waren der Ansicht gewesen, dass ein Überlegenheitsjäger mit einem Piloten und einem RIO die perfekte Weiterentwicklung des Konzeptes gewesen wäre. Die hohen Kosten jedoch führten zur Überarbeitung des Block B Models und der Indienststellung der Phantom Block D.
Knapp zweihundert FT 103 Cs wurden als Übungsmaschinen für die Fliegerausbildung bestellt, und die meisten Piloten der TSN hatte auf ihr ihren ersten Praxisflug absolviert.
Lucas konnte sich noch gut daran erinnern, wie er auf der Redemption die Phantom verflucht hatte, als sie die Wenden und Kehren nicht so mitmachte, wie er wollte. Wie er es von der Nighthawk gewohnt war.
Diese Phantom besaß nur den Tailcode der Fliegerakademie von Seafort, keine Geschwaderabzeichen, kein persönliches Logo und keine Abschussmarkierungen. Und dennoch konnte der erfahrene Pilot in ihm, der wie er niemals zugeben würde an all die Rituale glaubte, welche die Marinefliegerei mit sich brachte, den Charakter der altgedienten Maschine erahnen.
Man nahm keine zwei Stufen auf einmal, wenn man ins Cockpit kletterte, man berührte das Pin-Up-Foto im Bereitschaftsraum, bevor man in den Einsatz flog. All die kleinen Spielchen, die er öffentlich als Spinnerei abtun würde.
Als Lucas sich neben der rechten Tragfläche in die Hocke ging um an der Raketenattrappe zu rütteln bemerkte er wie bequem der geliehene Flightsuite saß.
Aus der Nähe wurde er sowohl von Jeremy Randell und einem älteren Senior Chief beobachtet.
Der Schauspieler schien alles aufzusaugen, was er zu sehen bekam, jede von Lucas Bewegungen verfolgte er. Der Chief war der Crewchief für diesen Vogel, und er schien das Urteil des Veteranen zu erwarten, wo er doch ansonsten seinen Vogel nur an Jungfüchse verlieh.
„Macht man das vor jedem Flug?“
Lucas nickte: „Im Regelfall nicht so gründlich, aber ja. Das ist ein Erbe aus dem ersten terranen Weltkrieg, als Piloten anfingen die Munitionsgurte ihrer Maschinengewehre selbst zu bestücken, weil Patronen von schlechter Qualität für Ladehemmungen sorgten, die sich im Luftkampf nur schwer beheben ließen.“
„Aha! Aber sollte man seinen Bodenmannschaften nicht blind vertrauen können?“
„Doch, sollte man, und Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist besser,“, antwortete Lucas, „und immerhin sind wir es, die mit den Maschinen raus gehen.“
„Was meinen Sie, wie lange es braucht, bis die Grünschnäbel es begriffen haben.“, mischte sich der Chief ein, „Redundanz behebt einige Fehler, die so mal auftreten.“
Lucas nickte geistesabwesend, während er nach seinem Helm griff: „Was sind das eigentlich für Raumanzüge, die Sie hier haben, Chief, die Verschlusskappen erinnern mich stark an die Raumanzüge der Akarii.“
„Das sind die neuesten Mark VIII Raumanzüge, und ja, die beruhen auf erbeuteter Akariitechnologie. Die Jungs von der Forschung und Entwicklung klauen heutzutage lieber als selbst zu entwickeln. Andererseits sind uns die Akarii in vielen Kleinigkeiten immer noch eine Generation voraus. Gerade die neuen Raumanzüge sind viel beweglicher und leichter, dabei aber um einiges besser isoliert und robuster, Sir.“
„Und bequemer“, bemerkte Lucas. „Na kommen Sie Jerry, dann wollen wir Sie mal ins Cockpit verfrachten.“
„Sie brauchen mich nicht zu bemuttern, ich bin schon mal in einem Halloway Viertausend gefahren, viel schwieriger kann das Anschnallen in einem Raumjäger auch nicht sein.“, sprachs und erklomm das Cockpit. Oben angekommen stockte der Schauspieler etwas, „Ähm, könnten Sie mir vielleicht doch zur Hand gehen, Lone Wolf?“
Der Commander warf dem Unteroffizier einen resignierten Blick zu, welchen dieser mit einem Schnauben beantwortete.
„Setzen Sie sich einfach schon mal rein, Mr. Randell, wir schnallen Sie dann an.“, rief der Chief und legte sein Klemmbrett in seinen Jeep.
Nachdem die beiden den Schauspieler ordentlich verzurrt hatten erklärte Lucas den Schleudersitz: „Die Instrumente sind mit einer Ausnahme alle nur auf Wiedergabe eingestellte und die Schalter sind blockiert. Es wird also das gezeigt, was auf meinen Instrumenten angezeigt wird.
Das einzige, was hier funktioniert, sind die beiden Auslöser für den Schleudersitz. Die schwarzgelbe Leine zwischen den Beinen und die hinter dem Kopf. Wenn etwas passiert und ich dreimal hinter einander Eject rufe; Eject! Eject! Eject; ziehen Sie an der Leine, an die Sie am besten ankommen.“
„Verstanden, Eject, Eject, Eject. Soll ich das dann irgendwie bestätigen?“
Lucas schlug ihm auf die Schulter: „Wenn Sie dann auch nur 'hä' sagen, führen Sie Selbstgespräche.“
Lucas kletterte nach vorne und setzte sich in seine Pilotenliege. Der Chief reichte ihm seinen Helm: „Auf ein Wort noch Commander, wenn Sie es zu doll treiben, darf ich nachher seinen Raumanzug säubern, darauf habe ich keine Lust. Wirklich nicht.“
„Sollte er sich wirklich vollkotzen, bekommen Sie eine Flasche Entschädigungswhisky, ich hab da einen anständigen.“
„Lassen Sie es lieber eine Flasche Rum und einen Kasten Bier sein, Commander.“
„Geht in Ordnung.“


Eine Viertelstunde später waren sie in der Luft. Mit seichten fünfhundert bis siebenhundert km/h zog Lucas über die Bucht von Neu Kapstadt. Es war ein sonniger Tag. Keine Wolke trübte den Himmel, das Wasser war klar.
Der Hafenverkehr von Neu Kapstadt sah von oben gesehen wie ein harmonisches Ballett aus Fähren, Jollen und Sportbooten aus. Unter der Ocean-Gate-Bridge fuhr ein stattlicher Dreimaster hindurch.
Die Einwohner von Seafort waren begeisterte Segler. Kaum dass die Bark die Brücke passiert hatte, wurden die Hilfsmotoren ausgeschaltet und die Segel gesetzt.
„Wow, aus einem Passagierflugzeug hat man nie so eine gute Sicht, oder aus einem Shuttle. Es wird zwar auf die Monitore eingespielt, aber dies ist irgendwie ...“
„Majestätisch?“, half Lucas dem Schauspieler aus.
„Ja,“, etwas Ehrfurcht war zu hören, „können wir tiefer gehen? Können wir unter der Brücke durchfliegen?“
„Also tiefer gehen ja, aber wir haben eine Mindestflughöhe, Jerry, außerdem ist das unterfliegen von Brücken strengstens verboten.“
„Können wir nicht eine Ausnahme machen?“
„Nicht wenn ich meinen Flugschein behalten will.“, antwortete Lucas. Das wäre wirklich jetzt noch der Tropfen, der das Fass zum überlaufen bringen würde.
Lucas zog eine lange Schleife und wendete die Phantom auf das Bodenübungsareal der Navy zu: „Guntrain sieben-zwo-acht für Guntrain-Controll: Erbitte Freigabe für Übungsflug und für Unterschreitung der Mindesflughöhe.“
„Guntrain sieben-zwo-acht hier Guntrain-Controll: Sie haben Freigabe für das Übungsgelände. Bleiben Sie innerhalb der vorgeschriebenen Flugparameter.“
Er stutzte einen Augenblick: „Guntrain-Controll hier Guntrain sieben-zwo-acht, verifizieren Sie bitte meinen Status.“
Während sie sich dem Trainingsgelände näherten, mussten sie auf die Antwort der Bodenkontrolle warten.
„Wir werden doch Kampfmanöver ausführen?“
„Keine Sorge Jerry, und Sie bekommen auch ihren Tiefflug“, versicherte Lone Wolf.
„Könnten wir uns auf Jeremy einigen,“, fragte Randell genervt, „und ich werde niemanden verraten, dass einer Ihrer Spitznamen auf der Akademie Lucky Luke war.“
Lucas zuckte zusammen und hätte beinahe die Maschine verrissen: „Woher zum Teufel…na gut Jeremy, Sie haben gewonnen.“
„Oh, ich habe mich mit einigen Leuten aus Ihrer Vergangenheit unterhalten, nachdem ich Ihre Dienstakte, soweit nicht geheim, gelesen hatte.“
Bevor das Gespräch sich vertiefen konnte, unterbrach sie die Kontrolle: „Guntrain sieben-zwo-acht, Guntrain-Controll, Sie sind für Tiefflugübungen nach eigenem Ermessen freigegeben, Commander. Denken Sie aber daran, dass Sie einen VIP an Bord haben.“
„Guntrain-Controll, Guntrain sieben-zwo-acht, vielen dank, roger.“
Lucas stieg etwas höher, und einen Herzschlag bevor er Randell warnte begann er die Manöver mit einem geteilten S. Er drehte die Maschine auf den Rücken und riss den Steuerknüppel an sich heran und führte einen halben Looping aus.
Hinter ihm keuchte Randell auf.
Nach dem S führte Lucas sofort eine Schellrolle aus und ging in einen harten Spin über, den er dann mit einem schnellen Korkenzieher krönte.
Bei der letzten Rolle im Korkenzieher wandelte sich das Gekreische von Rücksitz in einen Freudenschrei.
„Verdammt, Lucas, Sie hätten mich warnen können.“
„Ich habe Sie gewarnt!“
Er führte noch gut zwanzig Minuten Luftkampfmanöver vor, die sein Passagier auf unterschiedliche Weise quittierte.
„Und was kommt jetzt?“, wollte Randell wissen, als Lucas immer tiefer ging.
„Sie würden es als Tiefflug bezeichnen,“, antwortete Lone Wolf, „bei uns in der Marinefliegerei heißt es Konturenflug. Wir folgen dabei dem Terrainfolgeradar und fliegen so tief wie möglich, um vom feindlichen Radar nicht erfasst zu werden.“
„Verstehe, wie tief fliegt man da für gewöhnlich?“
„Zwölf Meter oder niedriger.“
Randell lachte auf: „Zwölf Meter, das ist ja noch höher als so manches Haus.“
Hinter seinem Helm grinste Lucas verschlagen: „Ja, es ist auch sehr gefährlich, schon schwächste Seitenwinde können zu schweren Komplikationen führen.“
„Was für Komplikationen, zum Beispiel?“
„Absturz.“
„Dann seien Sie doch bitte vorsichtig, ja.“
Kaum hatte Randell das gesagt, passierten sie den zehn Meter Marke und das Tarrainfolgeradar schlug zweimal an.
Sie flogen in einen breiten Canion ein, der das Übungsgelände der Navy in zwei Hälften teilte.
Kaum hatten sie das Eingangsmassiv passiert, drehte Lucas die Maschine auf den Rücken und näherte sich auf acht Meter dem Boden. Jetzt gab der Bordcomputer einen beständigen Alarm von sich.
„Wohhh, ich sagte doch, Sie sollen vorsichtig sein!“
„Ich bin vorsichtig, ich halte den Boden in ständiger Beobachtung.“, gab Lucas sich lockerer als er war. Tiefer wagte er sich wirklich nicht, obwohl er vier Piloten kannten, die den Travers-Graben auf Manticore bei sechseinhalb Metern durchflogen waren.
Aber für solche Stunts musste man schon lebensmüde sein oder Nerven wie Stahl besitzen, wie Darkness. Andererseits hatte das keiner von den vieren je in Rückenlage versucht.
„Na, genießen Sie die Aussicht, Randell?“
Auch der Schauspieler versuchte ruhiger zu klingen als er war: „Ich mach mir gleich in die Hosen und das wird mir in der jetzigen Position in den Helm laufen, also könnten wir wieder höher gehen, Sie haben bewiesen, dass Sie hier an Bord der Macker sind!“
Bevor er die Maschine wieder auf den Bauch drehte ging Lucas zwanzig Meter höher: „Wollen Sie nochmal ins All?“
„Können Sie da auch solche Stunts durchziehen?“
Der Commander lachte auf: „Da kann ich erst richtig loslegen!“
„Ähm,“, machte der Schauspieler, „also gut, aber bitte, nicht ganz so rabiat.“
„In Ordnung.“
Lucas zog langsam hoch, dass er die Nase in einer weiten seichten Kurve nach oben richtete und gab dabei beständig Schub.
Aufgrund der Trägheitsdämpfer war der Anstieg so sanft, dass zumindest Randell den Übergang in den Weltraum kaum mitbekommen hätte.
Lucas überprüfte die Scanner und schaltete, nachdem er die Maschine mit der Kanzel auf Seafort ausgerichtet hatte, die Triebwerke auf Standby.
„Wow, das ist einfach fantastisch.“, staunte Randell, „Ich bin nun schon so oft mit einem Raumschiff unterwegs gewesen, aber so habe ich noch nie einen Planeten gesehen.“
„Wir befinden uns in einer engen Umlaufbahn um Seafort, so dass wir keine Satelliten stören oder gar die Umlaufbahn von etwas größerem kreuzen.“, berichtete Lucas ihm, „Wir werden Seafort in etwa einundsiebzig Minuten umrundet haben. In knapp einer halben Stunde fliegen wir zwischen Seafort und Victoria Station durch.“
„Das müssen wir uns noch ansehen!“
„Können wir gerne machen, aber anschließend müssen wir dann auch wieder zurück nach Livingston.“
Die nächste halbe Stunde schwiegen sich die beiden Männer einfach an, obwohl sie sicherlich viel zu erzählen hätten, doch keiner von beiden traute sich diesen magischen Moment zu zerstören.
Als sie sich dann Victoria Station näherte wendete Lucas den Jäger so, dass man sowohl Planet als auch Orbitalstation im Auge hatte.
„Ich hätte mich zur Navy melden sollen.“
„Dem kann ich nicht widersprechen.“, antwortete Lucas, „Sehen Sie dort die äußeren Docks, das ist die Columbia!“
„Nein, wo, ich kann sie nicht erkennen?“
„Da auf zehn Uhr, hoch.“
Randell suchte die Einrichtungen von Victoria Station ab und hätte die Columbia beinahe verpasst, wenn Lucas nicht den Jäger etwas weiter gedreht hätte.
„Ja! Jetzt sehe ich sie. Gigantisch.“
Eine weitere halbe Stunde später setzte Lucas einen ziemlich beeindruckten Jeremy Randell auf NAS Livingston wieder ab.
Etwas wehmütig verabschiedete sich Lucas von dem Schauspieler und dem wieder hinzugekommenen Flamen. Nach der Abwechslung des Vormittags würden bald wieder seine aktuellen Probleme ihn einholen.
Neidisch blickte er zu einer Reihe von Flugschülern hinüber, die vielleicht ein nur kurzes aber aufregendes Leben vor sich hatten. Ihnen würde die Langeweile des Vorkriegsdienstes erspart bleiben und ebenso würde wohl kaum einer in die höheren Kommandoränge aufrutschen, ehe der Krieg um war, und so würden sie auch die Entbehrungen und Entscheidungen, die ein eigenes Kommando mit sich brachten, nicht erleben.
Das Leben als Lieutenant war viel einfacher gewesen, andererseits auch viel langweiliger. Wie musste es wohl sein, in Kriegszeiten Junioroffizier zu sein?
Er zuckte die Schultern. ,Über Pandora hättest du das haben können, aber du musstest ja zu den Blue Angels gehen.' Er seufzte und war sein Motorrad wieder an.
26.01.2016 14:08 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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