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Zum Ende der Seite springen Hinter den feindlichen Linien - Season 6 - Brennendes All
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Cattaneo
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Dabei seit: 31.07.2002
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Cattaneo

Ein bunter Haufen

Livingston Naval Air Station, Seafort, Sterntor-System

Eines musste man Commander Tremane lassen. Hatte er erst einmal einen Plan gefasst, dann setzte er ihn auch umgehend in die Tat um. Die Passagiere der Emerald Jade und die zusätzliche Fracht trafen jedenfalls mit geradezu atemberaubender Geschwindigkeit ein. Die Mannschaft des Frachters war bis aufs Äußerste gefordert worden, um mit dem Tempo Schritt halten zu können. Eine beträchtliche Menge an Material musste untergebracht werden, zudem waren noch einige Umbauten vorzunehmen. Dabei waren die Marines noch nicht einmal an Bord. Sie würden erst im Weltraum dazustoßen – ein weiterer Versuch, die Geheimhaltung zu gewährleisten. Ein Rendezvous im tieferen Raum fiel weniger auf, ebenso ein Shuttle, selbst wenn es eine bewaffnete Sturmfähre war. Zwar mussten einige Flottenoffiziere Bescheid wissen, aber die Gefahr, dass jemand plauderte, war doch erheblich geringer, als wenn einige Dutzend zivile Angestellte und Besatzungsmitglieder verschiedener Frachter die Ankunft eines Halbplatoons im Zollbereich der LNAS miterlebten.
Bestenfalls würde man die Emerald für ein Q-Schiff* halten. Gerede hätte es in jedem Fall gegeben, und das sprach sich verdammt schnell herum. Die Anlieferung der Jäger war schon auffällig genug gewesen. Doch in der Hinsicht hatte Tremane ein Einsehen gehabt. Es war nicht ratsam, dieses Manöver ohne eine Trockenübung am Boden im Weltraum durchzuführen.
Da die Besatzungsmitglieder nicht unbedingt Tremanes Vorstellung von der Wichtigkeit und Dringlichkeit der Mission teilten und auch nur sehr vage Vorstellungen hatten, worum es eigentlich ging, gab es mehr als ein böses Wort. Die Kapitänin der Emerald Jade hielt jedoch ihre Schäfchen in Trab, wenn auch nicht aus denselben Gründen wie ihr Vorgesetzter bei dieser Mission. Sie wollte einfach nur von Seafort verschwinden, denn je schneller die Mission vorüber war, desto früher konnte sie wieder ihr gewohntes Leben weit weg von den Hoheitsträgern der TSN aufnehmen.
Doch auch wenn die Marines noch fehlten, es gab genug andere Neuankömmlinge. Da war zunächst Lieutenant Commander Dr. Eriksen mit ihren zwei Helfern, die sich sofort daran machten, die Krankenstation fertig umzubauen. Bei den Begleitpersonen handelte es sich um eine Krankenschwester mittleren Alters und einem jungen technischen Assistenten. Einem aufmerksamen Beobachter wäre nicht entgangen, dass Schwester Katja Rudkiewicz zwar ziemlich mütterlich aussah und auftrat, aber auch ausgebildete Anästhesistin war, mithin Spezialistin in der Ruhigstellung von Operativpatienten, nötigenfalls auch von renitenten Personen. Tatsächlich waren unter den medizinischen Vorräten ungewöhnlich viele und starke Betäubungsmittel. Und die Geräte im Bestand der Krankenstation waren weitaus teurer und leistungsfähiger, als für ein Schiff dieser Größe üblich, unter anderem hoch entwickelte Hirndiagnosegeräte und ein sehr leistungsfähiger Computer. Doch kundiges medizinisches Fachpersonal befand sich weder unter der Besatzung noch unter den übrigen Mitreisenden. Die Aufgabe von Lieutenant Commander Fuchida von der Relentless war klar. Er war Ortungs- und Kommunikationsspezialist und sollte wohl auch dafür sorgen, dass die Flotte bei möglichen Funden nicht zu kurz kam. Immerhin hatte er eine wichtige Rolle beim Zustandekommen der Mission gespielt. Und dann war da noch Lucas Georges, der einen ähnlichen akademischen und militärischen Rang hatte wie die „Hirndoktorin“, obwohl er wie sie nicht wirklich zum Militär gehörte. Nur hatte er anders als sie zum Thema „Die frühe Kran-Kultur und ihre Wahrnehmung des Fremden vor dem Kontakt mit den Menschen“ promoviert und war ein NSC-Spezialist auf dem Gebiet Alien-Kulturen. Obwohl er eigentlich mit etwas über 30 Jahren noch nicht das richtige Alter dafür hatte, trug er einen Vollbart, wohl um etwas gesetzter zu wirken. Bei seinem Fachgebiet, das von vielen Kollegen nicht ganz für voll genommen wurde, brauchte man wohl jedes bisschen an Respektabilität, das man bekommen konnte. Wie seine medizinischen Kollegen hatte er sich nicht gerade begeistert von der Unterbringung und dem Schiff selbst gezeigt. Letztes Endes aber waren sie alle mehr oder weniger freiwillig an Bord, um ihre Karriere voranzubringen, also fügten sie sich murrend in das Unvermeidliche. Alles in allem waren also mit Tremane und seiner Partnerin bereits neun „Gäste“ an Bord, die ihre Quartiere bezogen hatten. Ein schöner Vorgeschmack auf das, was noch kommen würde.

Kapitänin Sarah Victor alias Jayhawker ließ sich mit einem erschöpften Seufzen in ihren Kommandosessel sinken. Als Skipper hatte man eben nicht nur das Schiff zu fliegen, sondern auch noch hundert andere Dinge im Auge zu behalten – besonders bei einer Mission wie dieser. Und bei einer Crew wie ihrer. Wenigstens schön, dass ihr momentan kein Terrie über die Schulter blickte. Allerdings – sie würde nicht ihr Geld darauf verwetten, dass dieser Tremane nicht auch versuchen wurde, sie und die Crew zu bespitzeln. Sei es aus Misstrauen, um sicherheitshalber etwas gegen sie in der Hand zu haben, oder einfach aus Gewohnheit…
Draußen war die Sonne Seaforts bereits hinter dem Horizont verschwunden. Das bedeutete jedoch keineswegs ein Ende der Aktivitäten in diesem Bereich des Raumflughafens. Die Livingston NAS schlief nie, und wenn das strahlende Himmelsgestirn versunken war, entzündete der Mensch künstliche Sonnen, welche die Station in erbarmungsloses Licht tauchten. Selbst jetzt wurde unermüdlich Fracht aus-, ein- und umgeladen, Schiffe und Shuttles starteten und landeten. Die Tagschicht verließ ihre Arbeitsstationen, und wurde umgehend ersetzt. Ein Start mehr oder weniger würde kaum einen Unterschied machen.
Deshalb lag nicht einmal gespielte Neugier in der Stimme der Flugaufsicht, als die Kapitänin der Emerald Jade die Verbindung zum Tower öffnete: „Hier Emerald Jade, Startcode XKPZV 34952. Bitte um Startvektor für Flug zum Bengasi-Sprungpunkt.“
Ihr Gesprächspartner klang in etwa so emotional wie ein Computer, aber er machte dergleichen sicher auch ein paar Dutzend Mal am Tag mit: „Emerald Jade, warten Sie bis zur Code-Verifikation.“ Einige Sekunden verstrichen, dann war wieder die teilnahmslose Stimme zu hören: „Freigabe erteilt. Folgen Sie Funkfeuer Alpha-Delta 37 bis zum Verlassen der Sicherheitszone. Flugaufsicht Ende.“ Und das war es auch schon, kein Glückwunsch oder andere Abschiedsworte.

Die Raumfahrerin schnaubte und nickte ihrem Ersten Offizier zu, während sie die Geräte auf das Funkfeuer ausrichtete und den Funkkontakt beendete: „Du hast den netten Herrn gehört, Toro. Lass uns abhauen. Lange genug die Gastfreundschaft der Terries beansprucht.“ Ihr Stellvertretern grinste verächtlich: „Wurde aber auch Zeit.“
Die Kapitänin verzog ihre Lippen zu einem schiefen Lächeln: „Wenigstens können wir uns diesmal halbwegs darauf verlassen, dass der Tank voll und die Maschinen in Schuss sind.“ Sie hatte – dank Tremanes Spesenkonto – ihrem Bordingenieur relativ freie Hand lassen können. Einige der Reparaturen waren wirklich fällig gewesen. Es war schön, einmal mit sicherem Gefühl zu starten. Doch bevor sie starteten…
Routiniert ging sie die Checkliste durch – Treibstoffanzeige, Klarmeldungen der Triebwerke, Schilde, Trägheitsdämpfer und, und, und. Toro rasselte währenddessen eine andere Bestandliste herunter – an Bord eines Schiffes wie der Emerald musste jeder zu jeder Zeit mit anpacken, deshalb waren die Besatzungsmitglieder alle auf ihren Stationen. In solchen Momenten merkte man wenig von seiner arroganten und mürrischen Art, allerdings gehörte die Kapitänin zu den wenigen Menschen, die er fast vorbehaltlos respektierte: „Quicksilver ist bei Ghost im Maschinenraum, zusammen mit Angelo und Benk. Yin und Yang halten sich mittschiffs bereit, falls es was zu erledigen gibt. Agnes und Karol überwachen den Laderaum.“ Probleme mit der Fracht konnten leicht gefährlich werden. Für die Passagiere war niemand abgestellt worden – die sollten selber zusehen, wie sie klarkamen…

Schließlich war klar, dass alles seine Richtigkeit hatte. Natürlich waren sie diese Checkliste schon zuvor einmal durchgegangen, aber im Weltraum waren doppelte oder dreifache Kontrollen überlebenswichtig. Die Kapitänin aktivierte den Bordfunk, es war Zeit für einige Durchsagen: „Achtung, Achtung, hier spricht der Kapitän. Bitte schnallen Sie sich an – wir starten in einer Minute. Es sind keine Turbulenzen gemeldet, sollte also alles glatt gehen. Wer dennoch kotzen muss, darf hinterher selber sauber machen. Die Geschäftsleitung übernimmt keine Garantie für Sach- und Personenschäden bei unsachgemäßen Verhalten.“ Das war nur zur Hälfte humorvoll gemeint – mehr als ein Passagier hatte sich schon mit schlecht verstauten Besitztümern selbst k. o. geschlagen. Sie schwieg eine paar Sekunden, dann fuhr sie mit ernster Stimme fort: „Im Namen von Gott dem Allmächtigen, im Namen von Allah, im Namen jeder höheren Macht, an der wir glauben und zu der wir beten, wir geben unser Leben in ihre Hand. Amen.“ Das war das Bordgebet – möglichst neutral gehalten, um jede höhere Macht abzudecken, an die Besatzungsmitglieder oder Passagiere glauben mochten. Es war etwas archaisch, aber viele Raumfahrer mochten darauf so wenig verzichten wie auf andere Rituale, vor allem wenn sie mit Maschinen flogen, bei denen Vertrauen in höhere Mächte angeraten war.

Nun, mit dieser Rückversicherung bei den Himmlischen, konnte die Reise beginnen. Nach wenigen Handgriffen erwachten die Triebwerke zum Leben. Das Vibrieren breitete sich binnen Sekundenbruchteilen im ganzen Schiff aus. Zunächst feuerten die Nebentriebwerke, doch selbst sie waren stark genug, dass sich der 8.000-Tonnen-Frachter behäbig vom Boden löste. Der interne Trägheitsdämpfer fing zwar die Fliehkräfte des Manövers ab, aber man hatte dennoch das Gefühl, in einem rasend schnell fahrenden Fahrstuhl zu stehen. Der Höhenmesser und die Neigungsanzeigen registrierten, wie sich die Lage des Schiffes veränderte. Drei Meter, fünf, acht, Neigung erst zehn Prozent, dann 15…Mit sicherer Hand brachte die Kapitänin das Schiff in eine stabile Fluglage, während Toro ihr assistierte. Dann zündeten die Haupttriebwerke. Der gigantische Feuerschwall war jetzt, in der Nacht, kilometerweit zu sehen und an und für sich ein erhebender Anblick – allerdings landete oder startete etwa alle 15 Minuten oder häufiger ein Schiff wie die Emerald Jade auf der Livingston NAS, die Shuttles nicht mitgerechnet.
Sarah spürte, wie eine vergleichbar sanfte, aber doch unbezwingbare Kraft sie in den Sessel drückte. Es war genau zu spüren, wie das Schiff vibrierte, wie es darauf wartete, ihrem Befehl zu gehorchen. Obwohl das nur ein schwacher Abklatsch der Kräfte war, die auf den Frachter wirkten, der Eindruck war jedes Mal fast schon berauschend zu nennen. Vor allem, wenn einem das Schiff gehörte. Sie spürte, wie sie feixte. Das, ja DAS war doch das richtige Leben! Endlich Schluss mit dem Rumhocken am Boden und dem Buckeln von aufgeblasenen Terries – jetzt musste sie nur noch diese Mission bewältigen, dann war sie auch ihre Gäste los…
Der Druck nahm zu, während die Emerald aufstieg, an Fahrt gewann und schließlich in den nachtschwarzen Himmel raste. Hinter ihr blieben die Lichter von Seafort zurück. Sie verschmolzen zu einem einzigen Glühen, das mit guten Geräten sogar noch aus dem Orbit zu sehen war, während der übrige Planet auf seiner Nachtseite in Dunkelheit getaucht lag, vor der die Lichter der Frachter, Kriegsschiffe, Shuttles und Patrouillenjäger wie Sternschnuppen vorbeizogen. Doch bald umfing nur noch das Dunkel des Alls das Schiff. Selbst ein so alter Frachter wie die Emerald war in der Lage, in weniger als einer Minute den Orbit zu verlassen – die modernen Triebwerke und vor allem die Trägheitsdämpfung erlaubten Manöver, von denen die Menschen im ersten Jahrhundert der Raumfahrt kaum hätten träumen können.

Sobald sie im freien Raum waren, visierte die Kapitänin das vorgeschriebene Funkfeuer an. Sie entspannte sich – war man erst einmal gestartet, lag das Schlimmste hinter einem. Im Weltall selbst konnte weitaus weniger schief gehen, als in Planetennähe. Theoretisch konnte der Frachter auch auf Autopilot fliegen, bis man dichter frequentiertes Gebiet erreichte oder in die Nähe des Sprungpunktes kam. Allerdings wusste sie, dass ihr noch ein nicht ganz einfaches Manöver bevorstand.
Sie aktivierte wieder das Interkom: „Achtung, hier spricht der Kapitän. Ich hoffe, Sie haben den Start gut überstanden. Sie können die Gurte jetzt ablegen. Im Moment befinden wir uns auf dem Weg zum Rendezvous mit einem Shuttle, angepeilter Zeitrahmen in 90 Minuten.“ Dass war Tremanes Idee gewesen. Das Treffen würde mehr als 300.000 Kilometer von Seafort stattfinden, außerhalb der unmittelbaren Überwachungszone des Planeten. So würden nur einige wenige Langstreckenbeobachter etwas mitbekommen. Natürlich hatte Tremane eine Genehmigung für so einen Langstreckenflug einholen müssen, aber dafür fand sich auf einer Welt wie Seafort immer eine Begründung oder Ausrede.

Toro schien die Fürsorge seiner Vorgesetzten weniger gutzuheißen: „Warum hältst du nicht auch noch ihre Hände – oder was auch immer? Wir sind doch kein Feriendampfer…“ Sarah unterdrückte ein frustriertes Seufzen. Das war ja zu erwarten gewesen. In ihrer Stimme schwang eine ordentliche Ladung genervte Geduld: „Ich habe es dir gesagt – ich habe mir unsere Gäste nicht ausgesucht. Aber wenn wir sie schon mal am Hals haben, kann etwas Höflichkeit nicht schaden, sie kostet uns ja nichts. Immerhin müssen wir die nächsten Wochen mit diesen Typen zubringen.“ Aber da sie sah, dass dieser Appell nicht ausreichte, fuhr sie fort: „Erinnere dich doch an die Kolonisten, die wir nach Nova Eden bringen sollten. Die dritten Kinder von Agrarsiedlern und der Aushub der Gosse, die auf diese Weise resozialisiert werden sollten. Die waren noch schlimmere Falschspieler als ich, klauten wie die Raben – und die Hälfte war schon am Kotzen, ehe wir überhaupt abgehoben hatten, weil es ihr erster Flug war. Im Vergleich dazu…“
Ihr hünenhafter Untergebener grinste schief. Es war wohl nicht nur seine gewohnheitsmäßige Bärbeißigkeit, die ihm die Laune verdarb: „Stimmt schon. Aber sie hatten wenigstens nur Messer dabei – bei unseren neuen Gästen hingegen…Und die Marines sind ja noch nicht mal an Bord.“
Sarah lachte: „Was denn, hast du Angst, dass da noch ein größerer Macho an Bord ist als du?“ Dann wurde ihre Stimme geradezu boshaft: „Und außerdem, was schadet jetzt eine Unze Freundlichkeit, muss ja nicht einmal aufrichtig gemeint sein? Wenn sie erst mal eine Woche an Bord leben, werden unsere Gäste ein ganzes Pfund an Beschwerden haben. Du weißt doch, wie sie normalerweise reagieren.“
Der Pilot lachte jetzt auch: „Besonders die Bilgengäste, die werden sich noch vergucken.“ Er kniff ein Auge zu und nickte seiner Vorgesetzten zu: „Der Kapitänsladen** ist doch aufgefüllt?“ Sarah streckte den Daumen bestätigend hoch.

Rund anderthalb Stunden später war die Emerald bereits über 350.000 Kilometer von Seafort entfernt. Sie flogen mit etwa 70 Kilometern pro Sekunde nicht mit Höchstgeschwindigkeit, doch wesentlich schneller als üblich. Das war etwas treibstoffintensiver, aber es musste ja schnell gehen und den Sprit bezahlte ohnehin der Steuerzahler. Das Sturmshuttle hatte sich bereits angekündigt und die Emerald Jade hatte ihre Geschwindigkeit vorsorglich reduziert. Im Cockpit ging es noch enger zu als normalerweise, denn für das Manöver hatte die Kapitänin Yuan Mae-Wan alias Yin, die Pilotin des Bordshuttles, nach vorne beordert. Ihr Bruder Yuan Ki-tong alias Yang, der als ihr Copilot fungierte, sollte das Andocken im Laderaum überwachen.
Die Chinesin hatte sich zwischen die Sitze von Kapitänin und Pilot gezwängt und beobachtete angestrengt die Anzeigen. Wie es ihrem Wesen entsprach, agierte sie auch jetzt energisch und recht emotional: „Der Hurensohn kommt ziemlich schnell rein…gut 200 km/s.“ Sie pfiff durch die Zähne: „Nettes Stück, das würde ich gerne mal fliegen.“ Sie beugte sich vor und trommelte auf die Anzeigen, ohne sich darum zu kümmern, dass sie damit ihrem Kapitän im Weg war, die genervt ihre Augen verdrehte. Stattdessen fuhr sie ungerührt fort: „Schaut euch die Anzeigen an – bei der schweren Bewaffnung und Panzerung ist es ein gutes Stück schneller und wendiger als unsere Mistkrücke.“
Sarah schnaubte: „Erklär deinem Kollegen, er soll lieber abbremsen. Sie mögen ja erfahren sein, aber das hier ist keine Gefechtslandung, ich will nicht die geringste Schramme im Lack haben.“ Dann schnappte sie sich das Interkom. Diesmal wählte sie nur einige bestimmte Tasten, keine schiffsweite Durchsage: „Lieutenant Commander Falkner, die Marines werden in Kürze andocken – bitte begeben Sie sich in den Laderaum.“ Sie hatte sich mit Tremane darauf verständigt, dass am besten seine Vize die Begrüßung übernahm, immerhin war sie auch die Zweite in der Befehlskette und stand rangmäßig deutlich über den Marineinfanteristen oder der Shuttlebesatzung. So konnten von Anfang an keine Beschwerden aufkommen. Sollten doch die Terries das Wettpinkeln untereinander austragen. Und diese Falkner wirkte wie jemand, der jedem Mann – egal in welcher Disziplin – Kontra geben konnte.
Eine weitere Taste wurde umgelegt: „Agnes – du weist unsere beiden neuen Kabinengäste ein. Die Bilgengäste können sich selbst sortieren. Mit ihrem Chef rede ich noch, sag ihm das – ich will keines seiner nullhirnigen Muskelpakete hier oben sehen, wenn es nicht unbedingt notwendig ist. Eigentlich soll ihm das Falkner schon klarmachen, aber nötigenfalls weise ich noch mal darauf hin. Keine Widerrede, Quicksilver ist beschäftigt.“ Das Mädchen für alles übernahm sonst die Aufgabe der Fremdenführerin, weil sie mit ihrem sonnigen Gemüt eigentlich mit jedem halbwegs klarkam.
Toro hatte für die Befehle auch noch eine Weisheit beizusteuern: „He, Agnes, maul doch nicht so – du musst ja nicht gleich die Matratzen mit den Terries testen…“ was ihm ein barsches: „Schnauze, und raus aus der Leitung!“ vom Kapitän brachte. Nachdem das geklärt war, war der Maschineraum dran: „Quicksilver? Scher dich nach vorne und fang mit den Vorbereitungen für das Essen an. Ich nehme an, die Marines brauchen was – und die anderen auch. Stell ihren Fresskram bereit und deck die Messe.“ Die junge Raunfahrerin reagierte wesentlich gelassener als ihre Kameradin: „Ayay Cap. Irgendwas werde ich schon zusammenkratzen…“ In ihrer Stimme schwang eine gewisse Portion Spott mit. Die Kapitänin war schon beim nächsten Punkt: „Yin – an den Traktorstrahl.“

Währenddessen hatte sich Raumschiff und Shuttle immer stärker einander angenähert und ihre Flugbahnen synchronisiert. Auf einen knappen Wortwechsel hin drosselte die Emerald Jade ihre Geschwindigkeit noch etwas und flog nun per Autopilot auf einer stabilen Bahn. Das Shuttle schob sich seitlich heran. Dies war der heikelste Teil des Manövers. Hier ging es um Präzisionsarbeit, und anders als ein Träger oder ein schweres Kriegsschiff hatte die Emerald nur einen simplen Traktorstrahl, kein ausgeklügeltes ATLS für Andockmanöver. Aber der Shuttlepilot war offenbar ein Fachmann. In der letzten Phase des Manövers setzte er geschickt seine Greifhaken ein, während Yin ihn mit ihrem Traktorstrahl unterstützte und das Können ihres namenlosen Kollegen gutgelaunt kommentierte. Es gab nicht einmal eine stärkere Erschütterung, als das Shuttle andockte. Die Anzeigen schalteten einfach von rot auf gelb, dann auf grün um. Dem Kapitän war die Erleichterung anzusehen. Toro sah die Sache anders. Er sah zwar meistens finster aus, aber im Moment wirkte er noch etwas verbiesterter als sonst: „So, ihr wisst hoffentlich, dass wir jetzt wirklich in der Hand der Terries sind. Jetzt haben sie anderthalb Dutzend staatlich lizenzierter Killer an Bord, die springen, wenn der Oberterrie pfeift. Bis wir die von Bord haben, können sie uns ficken wie sie wollen.“ Yin grunzte nur verächtlich: „Meines Wissens sterben auch Marines, wenn man Löcher in sie reinschießt. Oder schneidet. Wäre nicht mein erster – wenn Ex-Marines auch gelten. Und es gibt ja angeblich gar keine Ex-Marines. Glaube nicht, dass Terries härter sind als Keffs.“ Sie und ihr Bruder kamen aus der Colonial Confederation und hatten eine ziemlich unklare Zeit als „Sicherheitsexperten“, sprich Söldner, hinter sich. Sarah gestikulierte wild und zog ihren Finger über den Mund, wie wenn man einen Reißverschluss schließt, doch Toro beachtete den Hinweis nicht: „Also jeweils sechs für dich, Yang und mich, das ist sogar für meinen Geschmack zuviel. Ich kann ja vielleicht sechs Marines-Weiber umlegen, aber das meinst du ja nicht.“ Im nächsten Augenblick fuhren die beiden zusammen, als die Kapitänin losfauchte: „Solches aufgeblasenes Gequatsche will ich gar nicht erst hören! Wenn ihr euch was zusammenspinnen wollt, macht das nachts unter der Bettdecke! Wir sprechen uns noch! Und künftig keine solche Silbe, geschweige denn eine ,Trainingsrunde’ mit unseren Gästen, verstanden!? Nicht mal eine Andeutung!“ Und das Wunder geschah. Obwohl sowohl die Chinesin als auch der Schwarze wesentlich gefährlicher wirkten als ihre Kapitänin und vermutlich auch bessere Kämpfer waren, nickten beide kleinlaut und verstummten. Sarah unterdrückte mühsam das Bedürfnis, sich die Haare zu raufen. Das konnte ja heiter werden! Grundsätzlich teilte sie durchaus die Befürchtungen ihres Ersten Offiziers, aber fast noch mehr als die Allmachtsphantasien Tremanes oder eines anderen Offiziers fürchtete sie das…nennen wir es mal problematische…Temperament ihrer Untergebenen. Solche Jobs waren der Grund, aus dem sie nicht gerne Passagiere – erst Recht solche – mitnahm.


* Q-Schiffe waren eigentlich U-Boot-Fallen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als Handelsschiffe getarnte bewaffnete Einheiten, die im Falle eines Angriffs mit verborgenen Geschützen das Feuer auf feindliche Unterseeboote oder Handelsstörer eröffneten. Die Terminologie wird seitdem für alle getarnten Kriegsschiffe verwendet. Tatsächlich haben die TSN, die Colonial Navy oder sogar private Akteure wiederholt heimlich Frachter bewaffnet und mit Entertruppen versehen, um auf diese Weise Piraten in eine Falle zu locken. Diese Taktik ist bei vielen zivilen Unternehmern alles andere als beliebt, weil sie mitunter dazu führt, dass Piraten vorbeugend ihre Opfer zusammenschießen und die Fracht aus dem leblosen Wrack bergen, um unliebsamen Überraschungen zu entgehen.
** Dabei handelt es sich um ein weiteres Erbe der terranischen Seefahrt. Der Kapitän hatte auf vielen Handels- und besonders Fangschiffen (die oft monatelang keinen Hafen anliefen) einen Vorrat an Kleidung und anderen Gütern. Wollten sich Seeleute mit Ersatz für zerschlissene Ausrüstung eindecken, mussten sie in Ermanglung anderer Quellen bei ihm zu oft weit überteuerten Preisen einkaufen. Einige verloren so einen Großteil ihrer Heuer. In der Raumfahrt findet der Verkauf vor allem zwischen dem Kapitän und den Passagieren statt. Besonders auf Trampschiffen, auf denen die Versorgung der „Gäste“ sehr zu wünschen ist, können so leicht erhebliche Summen zusammenkommen. Meist werden „Luxusgüter“ wie Kaffee, Tee, Alkohol, Obst, höherwertige Fleischkonserven, Seife und andere Kosmetikartikel oder Unterhaltungswaren gehandelt. Die Waren sind in Normalfall mindestens doppelt oder dreifach so teuer wie üblich, wenn nicht noch mehr.
27.01.2016 06:40 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cattaneo

Ein erster Vorgeschmack

Frachter Jade Emerald, auf dem Flug zum Sprungpunkt Bengasi, System Sterntor

Die Menschheit hatte mit der Entdeckung des Sprungantriebs die Möglichkeit erlangt, in Sekundenbruchteilen Lichtjahre weit zu reisen – über Entfernungen, die im Direktflug selbst mit den schnellsten terranischen Schiffen Flüge mit der Dauer von Jahrhunderten erfordert hätten. Doch es gab einen kleinen Schönheitsfehler. Sprungpunkt erlaubten nicht beliebige Sprünge über beliebige Distanzen. So mussten die Schiffe immer wieder ihre Reise unterbrechen und innerhalb eines Systems von einem Sprungpunkt zum anderen wechseln. Auch befanden sich viele Sprungpunkte nicht gerade direkt neben den Planeten, die Ziel oder Ausgangspunkt der Reise waren. Der systeminterne Transfer war inzwischen der entscheidende Zeitfaktor bei interstellaren Reisen. Im Vergleich zu den Lichtjahren, die man mit den Sprüngen zurücklegte, waren die Entfernungen minimal. Was waren da schon ein paar Millionen Kilometer, für die das Licht bestenfalls ein paar Minuten benötigte? Doch selbst für die modernen Schiffe waren solche Entfernungen keine Kleinigkeit. Systeminterne Reisen von einigen Tagen, manchmal bis zu einer Woche – je nachdem, wo sich die Sprungpunkte befanden und um welches Schiff es sich handelte – waren auch im 27. Jahrhundert keine Seltenheit. Es war diese Zeit, welche die eigentliche Reise ausmachte. Und auch bei der Mission ins Medusa-System war dies der Fall.
Die Emerald Jade strebte unbeirrt ihrem Sprungpunkt entgegen, aber obwohl sie für ein Schiff ihrer Klasse schnell flog, würde es noch eine Weile dauern, bis sie ihr Ziel erreichte, und das Sterntor-System würde natürlich nicht die einzige Station der Reise sein. Bis zum Ziel im Medusa-System waren noch zwei andere Systeme zu passieren, was in beiden Fällen einige Tage kosten würde. Es blieb genug Zeit, damit sich die Gäste mit ihrem neuen Zuhause vertraut machen konnten.

Die Messe der Emerald Jade platzte geradezu aus allen Nähten. Immerhin drängten sich hier nicht nur die Besatzungsmitglieder, sondern auch fast ein Dutzend Kabinengäste. Folglich saßen die Männer und Frauen dicht an dicht an dem mit dem Boden verschweißten Metalltisch. Selbst für jene, die Erfahrung mit überfüllten Schiffskantinen hatten, erforderte das Essen eine gewisse Übung, damit man sich nicht mit den Ellenbogen des Nachbars ins Gehege kam. Essensdunst und nicht mehr ganz frische Luft ergaben ein Gemisch, das vermutlich in mancher Kehle kratzte, die Lüftung rasselte etwas asthmatisch. Wenigstens war es hier und in den Quartieren warm – auf dem Korridor waren die Temperaturen seit dem Start stetig gesunken und lagen inzwischen vielleicht zehn Grad über Null, im Bugbereich waren sie noch deutlich geringer. Zwar produzierte der Antrieb des Schiffes eigentlich genug Abwärme, um das ganze Schiff in einen Backofen zu verwandeln, doch niemand hatte die nötigen Umbauten eingeplant, um diese Hitze in Korridore oder Laderaum abzuleiten. Kein Schiffsbesitzer hatte diese Investition für notwendig befunden, ebenso wenig, wie elektrische Heizschlangen oder ähnlichen Schnickschnack. Folglich blieb es dort relativ kalt.
Das war jedoch nicht der einzige gewöhnungsbedürftige Umstand. Verpflegung war bei der TSN eigentlich immer ein Kapitel gewesen, über das mit mehr übler Nachrede als berechtigter Kritik gelästert wurde. Auch wenn die Küche vor allem auf vielen kleinen Schiffen, die nur Kurzstreckeneinsätze flogen, und auf Stationen nicht immer die Beste war, auf den planetaren Basen, Langstreckeneinsätzen und mindestens ab dem Kreuzer aufwärts konnte man üblicherweise auf gute Verpflegung hoffen. Eine Ausnahme stellten nur solche alten und behelfsmäßig einsatzbereit gemachten Schiffe wie die Zeus- und Hilfsträger dar, und selbst dort hatte sich im Laufe der Zeit vieles verbessert. Bei solchen Urlaubsparadiesen wie Seafort und bei den Offizieren – mit Ausnahme der medizinischen Helfer war jeder der Kabinenpassagiere mindestens Second Lieutenant – konnte man üblicherweise ohnehin getrost noch den einen oder anderen Stern zum kulinarischen Ranking hinzufügen.

Auf der Emerald Jade sah die Situation etwas anders aus. Jeder Esser hatte eine Kunststoffschale vor sich, in der sich eine dicke, zitronengelbe Flüssigkeit mit verschiedenfarbigen Bröckchen befand, vielleicht ein Liter für jeden. Als Beilage fungierten einige Scheiben, die entfernt an Toastbrot erinnerten. Gegessen wurde mit einem Löffel, der ebenfalls aus Kunststoff bestand. Das Essen lief unter Erbsensuppe mit Kartoffeln, Speck und Gemüse mit Brot. In Wirklichkeit handelte es sich jedoch um ein Gemenge aus Nährmittelkonzentraten, die unter dem Einsatz von mehr oder weniger Wasser, Geschmacks- und Farbstoffen in der FDU* in eine bestenfalls leidlich gelungene Imitation der tatsächlichen Gerichts verwandelt worden waren. Wenn man die Augen schloss, keinen verwöhnten Gaumen hatte und die Konsistenz der Bestandteile nicht zu genau überprüfte, mochte es sogar als echt durchgehen.
Dazu gab es Kaffee, Tee und Saft – alles im Grunde synthetisch aufbereitetes Wasser mit Süß-, Farb- und Aromastoffen, die mit den echten Produkten kaum mithalten konnten. Getrunken wurde ebenfalls als Kunststoffbechern. Mit anderen Worten, die Versorgung mit den notwendigen Fetten, Eiweißen, Kohlehydraten und Vitaminen, die reine Kalorienzahl war sicherlich garantiert. Was jedoch den geschmacklichen und optischen Effekt betraf…

Einem Sozialwissenschaftler hätte bereits dieses Essen genug Stoff für einige Kapitel seiner Doktorarbeit geliefert. Die Crew der Emerald besetzte eine Hälfte des Tisches, die Gäste die andere. Die Besatzungsmitglieder schienen mit dem Essen kein Problem zu haben, vielmehr befleißigte sich etliche einer bemüht guten Laune und machten genug Lärm für eine doppelt so große Anzahl von Leuten – nicht ohne den einen oder anderen schadenfrohen Blick zu ihren Gästen.
Kommunikation fand in erster Linie innerhalb der Gruppen, nicht aber zwischen ihnen statt. Doch nicht jeder der Gäste reagierte gleich. Tremane, Falkner, Lilja und der Kommandeur der Marines, Second Lieutenant Mitch McKenna, schaufelten sich das Essen klaglos oder sogar mit gutem Appetit rein. Der Leiter der ganzen Operation schien sogar leidlich guter Laune zu sein, vermutlich, weil sie endlich unterwegs waren. Tremane war zwar nicht unbedingt der Charmebolzen vom Dienst, aber im Moment zeigte er sich recht aufgeräumt. Der Sensoroffizier von der Relentless aß methodisch, blieb aber schweigsam – er machte sich nicht einmal mit seinen Kameraden gemein. Allerdings war dem Gesicht des Japaners ohnehin wenig Regung anzusehen, wenn man keine Übung damit hatte.
First Lieutenant Davis blieb ebenfalls schweigsam und konzentrierte sich auf seinen Teller. Aus irgendeinem Grund schien er sich etwas unbehaglich zu fühlen und keinen großen Appetit zu haben. Das brachte ihm mehr als einen verwunderten Seitenblick von Lilja ein, die sich ohne zu fragen neben ihn gesetzt hatte.
Die übrigen Passagiere – der Shuttlepilot, Second Lieutenant Guillaume Givou, Dr. Eriksen und ihre Helfer sowie Dr. Georges – wirkten reichlich angefressen und konnten dem Menü offenbar wenig abgewinnen. Ihren Mienen war eine wachsende Gereiztheit und ein gewisser Ekel anzusehen. Die eher improvisierte Atmosphäre wurde noch dadurch unterstrichen, dass zwei große Katzen, eine schwarz und eine rotbraun, ziemlich ungeniert um den Tisch strichen und die Esser anbettelten, zum Teil durchaus mit Erfolg. Diese Anhängsel der Besatzung hörten auf die Namen „Tod“ und „Teufel“ und flößten in etwa soviel Vertrauen ein wie der Rest der Crew.

Als der Nachtisch serviert wurde, entweder die Imitation von Vanillepudding mit Schokoladensoße oder umgedreht, das war nicht so genau festzustellen, der mit demselben Löffel wie die Suppe zu essen war, reichte es offenbar Dr. Georges – obwohl er damit anderen wohl nur um ein weniges zuvor kam. Der Wissenschaftler deutete empört auf den Tisch, meinte aber vermutlich die generelle Situation an Bord: „Kapitän Victor! Ich finde, das ist weit genug gegangen. Haben Sie etwa vor, uns dieses Leben einige Wochen lang zuzumuten? Das ist, ist INAKZEPTABEL!“
Sarah Victor richtete sich wortlos in ihrem Sitz auf. Sorgsam leckte sie ihren Löffel ab, ehe sie ihn zur Seite legte. Sie wartete eigentlich darauf, dass sich Tremane einschaltete – immerhin war er auf eigenen Wunsch der größte Hahn auf dem Misthaufen – doch zu ihrer nicht besonders großen Überraschung schien dieser das ihr überlassen zu wollen.
,Aber klar, dass hätte ich mir doch denken können.’ dachte sie säuerlich, ohne ihr freundliches Lächeln verrutschen zu lassen. Sie holte einmal tief Luft: „Dr. Georges, ich nehme an, Sie sind nicht der einzige, der nicht ganz mit der Unterbringung zufrieden ist.“ Eine knappe Geste unterband eine Erwiderung, zu der sowohl der Alienspezialist als auch Dr. Eriksen ansetzten. Stimme und Miene des Kapitäns waren konziliant, doch sie ließ sich nicht die Initiative aus der Hand nehmen.
„Ich bedaure dies ehrlich. Ich mache Sie jedoch darauf aufmerksam, dass Sie alle eine Unterbringung genießen, die kein bisschen schlechter ist als die der Besatzung, die vielfach Monate so verbringt und dazu harte und schmutzige Arbeit leistet, oft zwölf Stunden am Tag. Wir sind unter höchster Geheimhaltung und mit erheblichem Zeitdruck zu dieser Mission aufgebrochen – deshalb war es nicht möglich, weitere Vorbereitungen zu treffen. Es hätte die notwendige Geheimhaltung gefährdet und auch noch mehr Geld und Zeit erfordert, hätten wir den Frachter umgebaut, um ihn für Flottenpersonal tauglich zu machen und ein abwechslungsreiches Menü bereitzustellen. Bitte denken Sie auch an die Männer und Frauen vor dem Mast.** Die haben nicht einmal Einzelquartiere wie Sie. Sie essen dasselbe, haben aber nicht einmal eine Messe. Ich versichere Ihnen zudem, dass die Verpflegung alle Nährstoffe enthält, die ein Mensch benötigt, um seine volle Leistungsfähigkeit zu erhalten.“ Tatsächlich war das Essen für die Marines in vier großen Kanistern zu einem der Lastaufzüge geschaffte worden und wurde im Laderaum an einem ausklappbaren Metalltisch serviert – in einer Atmosphäre, die für einem normalen Menschen doch etwas zu kalt war, um gemütlich zu wirken.

Die Stimme und Miene des Kapitäns vermittelte den Zuhörern, sie seien doch alle im selben Boot, und dass sie sie sehr gut verstehen könne: „Die Entbehrungen – die Ihnen zweifelsohne im weiteren Verlauf der Reise noch manches Mal Verdruss bereiten werden – sind Folge der besonderen Umstände der Mission. Es wäre unverantwortlich gewesen, für Sie eine deutliche Besserstellung im Vergleich zu den Marineinfanteristen zu gewährleisten, selbst wenn dies möglich gewesen wäre. Das hätte sich auf deren Moral negativ auswirken können. Vergessen Sie nicht, dass von Ihnen erwartet wird, das Schicksal Ihrer Untergebenen zu teilen und als Vorbild zu fungieren. Wir sitzen hier in mehr als einer Hinsicht in einem Boot, mit einem wichtigen Ziel vor Augen, und ich halte es für notwendig, den Eindruck einer Zweiklassengesellschaft nicht aufkommen zu lassen.“ Sie lächelte leicht: „Und denken Sie bitte daran, dass wir hier auf einer bedeutenden Mission sind. Zweifelsohne rechtfertigt dies gewisse Unbequemlichkeiten. Denken Sie daran, wie die Seefahrer früherer Jahrhunderte und die Teilnehmer der ersten Tiefraummissionen zu leiden hatten. Im Vergleich zu ihnen geht es uns gut. Wie diese befinden wir uns auf einem Einsatz von großer Bedeutung, in einer Zeit, die von uns allen gewisse Einschränkungen und Entbehrungen erfordert. Ich denke, keiner will diese Mission in Frage stellen, nur weil wir nicht den gewohnten Komfort bieten können, so wenig wie unsere Vorgänger aufgaben, obwohl sie sicher oft genug daran dachten.“
Sie sah, dass ihre Worte Wirkung zeigten. Die meisten ihrer Gäste waren aus Gründen des Ehrgeizes hier, oder weil sie an die weiß-Gott-wie-aufgebauschte Geschichte glaubten, die ihnen Tremane aufgeschwatzt hatte. Es wäre auch kaum mit ihrem Selbstverständnis vereinbar gewesen, zu meutern, nur weil es kein fließendes Wasser in den Kabinen oder frisches Obst gab.
Lilja musterte die Kapitänin mit fast so etwas wie aufrichtigem Respekt – wenn man ihr zum Dessert eine Portion Pathos servierte, war sie offenbar bereit, fast alles zu schlucken.
Tremane versteckte ein spöttisch-respektvolles Grinsen, ebenso seine Stellvertreterin, sie konnten Jayhawker jedoch nicht täuschen. Die potentiellen Meuterer schienen sich nach dieser freundlichen Standpauke in erster Linie für ihren Nachtisch zu interessieren. Sehr zufrieden stellend.
Natürlich waren die Worte des Kapitäns zum erheblichen Teil gelogen. Sie hätte durchaus deutlich bessere Verpflegung bieten können – wenn sie nicht einen möglichst großen Teil des Spesenkontos in ihre eigene Tasche hätte umleiten wollen. Also hatte sie sich für die billigsten Varianten entschieden. Außerdem würde sie so die Bereitschaft einiger Gäste erhöhen, in ein paar Tagen vielleicht etwas mehr für etwas zusätzliche Verpflegung zu zahlen, wenn man dieser unter der Hand anbot…
Sie war fest entschlossen, aus der Reise noch den letzten Credit herauszumelken, der möglich war – so lange dies nicht die Mission und damit ihr Abkommen mit Tremane gefährdete.
Und selbstverständlich waren an Bord nicht alle gleich. Die Kabinengäste und die Crew waren deutlich besser gestellt als die Marines, schon weil sie eigene Zimmer hatten. Und Sarah Victor waren die Leistungen früherer See- und Raumhelden herzlich gleichgültig, ebenso wie sie bezweifelte, dass diese Mission wirklich so wichtig war wie behauptet. Aber wenn es ihrer Sache dienlich war, log die Kapitänin der Emerald Jade stark genug, dass sich von Rechts wegen selbst Plastahlbalken hätten biegen müssen. Wobei zu ihren Fähigkeiten auch ein Auge dafür gehörte, zu wissen, wann man einen Schlussstrich zog: „Ich denke, wir alle sind rechtschaffen müde – immerhin haben wir einen anstrengenden Tag hinter uns. Ich schlag vor, dass Sie…“ das galt den Gästen „sich hinlegen. Morgen sieht alles anders aus.“ ,Nämlich noch etwas schlimmer, aber dann finden wir auch noch was, um euch beschäftigt zu halten.’
„Frühstück gibt es zwischen Sechs und Neun Uhr Bordzeit – wir handhaben das üblicherweise flexibel. Sehen Sie zu, wie das mit Ihrem Tagesplan harmonisiert werden kann, der natürlich von Ihren konkreten Aufgaben abhängt. Und vergessen Sie nicht, dass ich immer ein offenes Ohr für Sie habe, wenn Commander Tremane Ihnen nicht helfen kann.“ ,So, sieh zu, wie dir das schmeckt…’ Aber da gab es noch eine bittere Pille zu verzuckern.
„Als Gäste sind Sie natürlich vom Borddienst freigestellt, doch Ihre persönlichen Belange bleiben Ihnen überlassen – ich kann ja nicht meinen Leute befehlen, die Zimmer sauber zu halten, wir haben an Bord genug zu tun. Schmutzige Wäsche ist in der Bordwäsche abzugeben und wird einmal wöchentlich gesäubert, aber markieren Sie ihre Socken, ehe der Streit darum losgeht, wem die ohne Löcher gehören. Ach ja, wir veranstalten zweimal wöchentlich eine Pokerrunde in der Messe, Sie sind natürlich eingeladen. Ansonsten steht Ihnen die Bordbibliothek an Filmen, Musik und Lesefilmen offen – wir sind aber natürlich kein TSN-Kreuzer.“
Anscheinend war die Kritik vorerst verstummt. Müdigkeit, schlechtes Gewissen oder Einsicht in die Notwendigkeit einer ausreichenden Erholung trieb die Passagiere in ihre Kabinen. Die Messe leerte sich rasch, wobei nur die Bekanntgabe von Dr. Eriksen für Verzögerung sorgte, alle sollten sich morgen zu einer Routineüberprüfung im Revier einfinden. Offenbar hatte man dies den meisten Gästen schon vorher angekündigt, jedenfalls beschwerte sich kaum einer.
Die Kapitänin unterband etwaigen Protest auf der Seite der Crew mit ein paar raschen Blicken in die Runde. Das war doch bisher ganz gut gelaufen. Zweifelsohne würden einige Passagiere gleich mit der nächsten Unannehmlichkeit Bekanntschaft machen, nämlich, dass sich zu solchen Stoßzeiten vor den Waschräumen Schlangen bilden konnten.
Das Problem mit der Versorgung und Unterbringung schien jedenfalls erst einmal vom Tisch – mindestens bis zum nächsten Tag. Tremane, der als einer der letzten ging, deutete eine spöttische Verbeugung vor Sarah an. Entweder er wusste nicht, was sie dachte, oder es war ihm egal. ‚Arschloch. Du hättest ja auch dein Maul aufmachen können. Aber wem mache ich was vor? Ich will, dass er die Verantwortung für die Unterbringung übernimmt, und er möchte mich als Puffer zwischen sich und den Unzufriedenen haben.’

Eine Stunde später war an Bord weitestgehend Ruhe eingekehrt. Die Gäste schliefen größtenteils – auch die Marines. Für sie alle bedeutete die Emerald Jade eine Umstellung zum gewohnten Alltag, und es war anzunehmen, dass dies und ein betriebsamer Tag ihren Preis forderten. Zeit, die überfällige Crewbesprechung nachzuholen. Sarah hätte das zwar gerne schon im Voraus absolviert, ehe diese Völkerwanderung ihr Zuhause überrollte, aber es war ratsam erschienen, sich erst einen Eindruck von den Gästen zu machen. Die gesamte Besatzung hatte sich in der Messe versammelt. In einer ungewöhnlichen Zurschaustellung von Disziplin warteten sie auf ihre Kapitänin, die als letzte eintraf. Sie nickte dem Bordingenieur zu, der ein kleines Gerät mit Monitor hervorholte. Auf ein knappes Zeichen des Kapitäns begann Quicksilver zu reden – aus unerfindlichen Gründen zitierte die Griechin auf einmal einige Zeilen aus der Ilias. Währenddessen durchquerte Ghost den Raum von einem Ende zum anderen und richtete den Kopf des Scanners mal auf Boden, Decke oder Wände. Er suchte nach elektrischen Anzeigen, die von dem abgespeicherten Scanplan abwichen. Sollten sich hier Wanzen befinden – auch stimmaktivierte – dann würden sie ihm kaum entgehen. Schließlich signalisierte er, dass alles in Ordnung war. Die Männer und Frauen entspannten sich etwas. Die Kapitänin war die erste, die das Wort ergriff: „In Ordnung. Wir müssen uns darauf einrichten, dass wir die Terries in Zukunft fast ständig und zu jeder Zeit um uns haben werden – vor allem, sobald sie sich erst einmal eingelebt haben. Deshalb will ich ein paar Dinge lieber gleich klären.“ Sie musterte ihre Untergebenen, einen nach dem anderen.
„Erstens – ich bin auch nicht gerade glücklich, sie hier zu haben. Aber sie sind unsere einzige Fahrkarte runter von Seafort und unsere Einnahmequelle, um wieder auf den grünen Zweig zu kommen, nachdem wir mit der letzten Fracht kaum die Betriebskosten decken konnten. Selbst wenn sie jetzt ausgeliefert wird. Also werden wir uns an die Abmachung halten. Zweitens, in einer Auseinandersetzung egal welcher Art können wir nur verlieren. Deshalb will ich KEINEN Ärger. Nichts, was man uns hinterher aufs Brot schmieren kann.“ Dies war mit drohenden Blicken in Richtung von Yin und Toro verbunden: „Keine WETTKÄMPFE oder Weitpinkelwettbewerben, die aus dem Ruder laufen können. Kein Muskeln spielen lassen und schauen, wer als erster blinzelt. Am besten, ihr haltet euch von den Terries fern, besonders von den Marines. Wäre mir sowieso lieber, die bleiben im Laderaum – man sollte meinen, hundert Quadratmeter plus pro Person oder so sind genug Freiraum.“ Das rief einiges Gegrinse hervor, denn der Laderaum war zwar groß, aber nicht eben gemütlich zu nennen. Das Grinsen verblasste, als Sarah fortfuhr: „Keine der üblichen Scherze, weder bei den Stiernacken noch den Deckpassagieren. Kein Schmieröl im Duschwasser oder eine Rückkopplung in der Toilettenspülung, kein Rumspielen an den Thermostaten für die Quartiere, und KEINE Babyratten im Essen oder vor der Tür – oder was euch sonst noch einfällt. Wenn ihr so was abzieht, gefährdet ihr unsere Einnahmen, und damit eure eigenen.“ Der Enttäuschung in den Mienen einiger ihrer Untergebenen war anzusehen, dass sie genau an so etwas gedacht hatten.
„Ghost – ich kenne deine Haltung zum Krieg, der Regierung und den Terries, und ehrlich gesagt teile ich sie weitestgehend. Aber ich glaube nicht, dass politische Aufklärung bei unseren Gästen was bringt. Also halt auch du dich zurück.“ Der Techniker zuckte mit den Schultern: „Meine Maschinen sind sowieso höflicher, hübscher und auch intelligenter als der durchschnittliche Terry.“
Sarah lachte kurz auf, dann fuhr sie im mahnenden Tor fort: „Und kein Verkauf von Alkohol oder Drogen, bevor ich es nicht genehmige. Vergesst nicht, Tremane überwacht todsicher seine Schäfchen, und er ist nicht dämlich. Ich glaube nicht, dass er uns einen Strick dreht, wenn wir mal eine Flasche oder so verticken, doch ein Marine, dem der Magen ausgepumpt werden muss, oder ein komplettes Squad auf einem Trip – den wird er kaum akzeptieren. Das aktiviert bei allen Terries dieses männliche Imponiergehabe. Auf die Brust trommeln und so. Ich würde mir das gerne ersparen. Euren üblichen Krempel könnt ihr ihnen gerne andrehen, und ich habe auch nichts gegen Glücksspiel, egal ob bei den üblichen Abenden in der Messe oder nebenher – aber ich erwarte, dass ihr die Notbremse zieht, wenn es gefährlich wird. Kein Gewinn von einer Person über 200 Credit an einem Tag, nicht mehr als insgesamt 500 von einer Person, und keine offensichtlichen Betrügereien.“ Sie grinste schief, während sie fortfuhr: „Wir wollen aus dem Job alles an Geld rausholen, was drin ist – und das wird einigen unserer Gäste gar nicht gefallen, vor allem wenn einige ihrer Kameraden im Kapitänsladen einkaufen können, und sie nicht. Es bringt uns nichts, die Terries aus reinem Spaß an der Freude zu ärgern, auch wenn es vielleicht lustig ist. Ich ziehe die höfliche und maßvolle Ausbeutung unserer Gäste vor. Vermutlich werden einige sowieso nicht gut drauf seien. Ich will nicht, dass sich das in Keilereien äußert. Wenn sie sich untereinander prügeln, ist das nicht unser Bier. Aber wenn einer von uns mit einem von ihnen aneinander gerät, dann ziehen vermutlich wir den Kürzeren. Lasst es nicht dazu kommen. KAPIERT?“ Die Besatzung nickte, wenn auch mit unterschiedlicher Begeisterung.

„Noch etwas – was eure Waffen angeht. Ihr lasst alles in den Verstecken, was illegal ist. Aber eine Pistole pro Person ist in Ordnung. Und ich werde Sorge tragen, dass unsere zwei zivilen Gewehre bereitliegen – eines im Maschinenraum, eines in meinem Arbeitszimmer. Unwahrscheinlich, dass wir sie brauchen, denn die sind nicht für unsere Gäste gedacht. Aber kann sein, dass an den Gefahren, die sie für möglich halten, etwas dran ist. Wenn wir geentert werden, will ich vorbereitet sein. Und bei jedem Karabiner liegen ein paar Atemmasken und zwei Reizgasbehälter.“ Die Emerald Jade verfügte über ein beeindruckendes Waffenarsenal, allerdings war ein beträchtlicher Teil davon illegal. Toro wirkte etwas enttäuscht, ebenso Yin. Die Chinesin maulte: „Ich will mindestens meine zwei Zivilknarren.“ Sarah seufzte: „Meinetwegen. Aber nicht, dass jeder hier Sonderwünsche anmeldet. Und das wirklich gefährliche Zeug wird nicht mal zum Ölen hervorgeholt, comprende? DENKT nicht mal an die Impulslaser oder das Scharfschützengewehr.“ Sie wartete, bis sie tatsächlich ein deutliches Nicken von jedem hatte.

„Sollten wir in Schwierigkeiten kommen, geht natürlich das Schiff und unsere eigene Haut über alles – wenn ihr also hinter einem Terry Deckung finden könnt, tut euch keinen Zwang an. Wir werden nicht fürs Kämpfen bezahlt, auch wenn sie das denken. Selbstmordeinsätze sind ihre Sache. Ich fordere euch nicht auf, mit unseren Gästen Freundschaft zu schließen. Behandelt sie korrekt, aber bleibt auf Distanz. Sie sind nicht unsere Kameraden, sie denken und leben ganz anders als wir. Sie sind Soldaten – wir sind Zivilisten. Sie folgen einem abstrakten Gerüst von Befehlen und Regeln – wir machen unsere eigenen. Sie sind dabei, nur für ein paar Wochen, weil sie abkommandiert worden, weil sie sich Ruhm erhoffen, oder einfach Aufregung – für uns ist das hier unser Zuhause. Behaltet auch das im Auge.“ Die latente Xenophobie des Kapitäns war unter Raumfahrern keine Seltenheit. Wenn man monatelange in einer kleinen Gemeinschaft lebte und dazu noch zu den Randgestalten der Gesellschaft gehörte, entwickelte man oft ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das andere ausschloss. Bei der TSN war es intern nicht anders.
„OK, nachdem das gesagt wäre, noch einige Details. Nehmt euch vor allem bei Tremane und Falkner in Acht. Das sind die obersten Wachhunde, und vermutlich die einzigen, die genau wissen, worum es hier geht. Sie können uns vor allem Probleme machen – wenn sie gutgelaunt sind, werden wir auch mit den anderen kaum Schwierigkeiten haben, weil die wieder auf sie hören müssen. So läuft das eben bei den Terries. Was die anderen angeht…Quicksilver?“

Die junge Frau schien nur auf ihr Stichwort gewartet zu haben: „Also, von den Marines weiß ich nicht viel. Also armes und schutzloses kleines Mädchen halte ich mich lieber von ihnen fern.“
Toro lachte dreckig: „Du könntest ja eine Nutzungsgebühr pro Mann verlangen.“ Die Griechin grinste abfällig: „Eine Zigarette pro Kerl, so wie du es im Knast gemacht hast?“ Die meisten reagierten nicht mal mehr auf das Geflachse, nur Yin lachte schallend auf und konnte sich eine Weile lang nicht wieder beruhigen. Quicksilver fuhr ungerührt fort: „Den Shuttlepiloten und den Chef der Ledernacken habe ich noch nicht kennen gelernt. Die Frau Doktor und ihre Helfer scheinen ganz in Ordnung, wie auch der NIC’ler, dieser Georges. Waren zwar geschockt als sie erkannten, dass wir keine Kaschmirteppiche und Kristallkronleuchter haben, aber das gibt sich schon noch. So wie ich das sehe, sind das eher Ärzte und Wissenschaftler als echte Terries, ungeachtet ihrer Abzeichen. Ich bin mir aber todsicher, die Frau Doktor ist keine Gefechtsmedizinerin. Was die hier aufbaut, sieht mir nicht nach Chirurgie aus, und als ich ein paar Anekdoten abgespult habe, war sie beeindruckter, als ich es von einer Flottenärztin ihres Rangs erwartet hätte. Ihr Assistent ist ähnliches Kaliber, Etappenschaf – freundlich, aber uninteressant. Nur die Schwester, die hat todsicher schon in einem Notlazarett gearbeitet. Aber bei keinem von ihnen ein Hang zum Hackenzusammenschlagen und JAWOHL, HERR LEUTNANT. Ich glaube nicht, dass bei denen viel zu holen ist. Die wirken mir zu zahm für eine zünftige Kartenklopperei. Sind aber die besten Kandidaten, um ihnen was Besseres als meinen Fraß anzudrehen.“ Quicksilver war offenbar frei von jeglicher Eitelkeit ihre Koch- oder eher Programmierkünste betreffend. „Ich nehme mal an, Georges wäre über Alienartefakte begeistert, aber er kennt sich auch gut damit aus, also kann man ihm nicht den üblichen Müll andrehen. Tja, was noch…vermutlich müssen wir aufpassen, wenn die Schwerkraft ausfällt – ich traue ihnen nicht zu, ein Null-G-Klo zu benutzen.“ Das sorgte wieder für Heiterkeit.
„Der Japs ist ein ruhiges Wasser. Sagt kaum ein Wort, ist aber auch nicht wirklich unhöflich. Zwar nicht ganz zufrieden mit unseren Equipment – aber wenn ihr mich fragt, gebt ihm einen Radarbildschirm und ein paar andere Anzeigen, und er macht uns keine Probleme. Will gar nicht wissen, auf was für einem Schiff er vorher gedient hat.“
Sie verzog nachdenklich ihr Gesicht: „Dann bleiben eigentlich nur noch die zwei Raumjockeys. Ist eigentlich gar nicht so schwer, was über die rauszukriegen. Die Terries gehen mit Informationen über ihre Helden…“ das letzte Wort klang aus ihrem Mund recht sarkastisch „…recht freizügig um, wohl auch damit sich die Flotte richtig verkauft. Was die Frau angeht, Spitzname Lilja, also Lilie auf Russisch – sie hat auch eine auf ihren Jäger gepinselt – nun, die scheint mir eigentlich ganz in Ordnung, aber niemand, mit dem man sich leicht anfreundet. Toppass und Staffelchefin, muss also ein ziemlich hohes Tier bei ihren Leuten sein. Halbes Dutzend Mal abgeschossen oder verwundet worden, was man ihr auch ansieht, und eine erstklassige Akariikillerin. Was ihr Verhalten angeht – keine Anbiederei, aber ihr macht die Unterbringung hier wohl nicht viel aus. Vermutlich eine hartherzige Dienstfanatikerin, auf Pathos und Patriotismus gedrillt – sonst würde kaum jemand so was mitmachen wie sie. Sie hat fast so viele Narben wie unsere Schmuckstücke hier. Aber anscheinend will sie uns gegenüber nicht eine auf Vorgesetzte machen, jedenfalls bisher. Ich glaube nicht, dass wir aus ihr viel rausholen können. Sie scheint mir einfach nicht wie ein Mädchen, das für parfümiertes Duschgel oder eine Konserve mit Hühnchen und Reis ihren Sold rausschmeißt, oder das Geld verzockt. Vermute mal, sie wird zusehen, dass sie ihren Job macht – und dabei möchte ich ihr nicht in den Weg kommen. Ach ja, sie trägt ein Stiefelmesser, ganz gut versteckt übrigens, so wie sie sich bewegt, kann sie damit auch umgehen. Und sie traut uns nicht.“ Yin schnaubte verächtlich, offenbar war sie nicht sehr beeindruckt.

„Dann wäre noch ihr Untergebener. Also, erst mal vom Dienstlichen her ist er wie sie ein Ass, und da er offenbar zu den bescheidenen Exemplaren seiner Gattung gehört, hat er sich auch gleich so genannt – liegt aber deutlich hinter ihr. Hat aber wohl ebenfalls seine eigene Staffel. Schon einmal verschollen, gefangenen genommen und von den Terries für tot erklärt worden und dann wieder befreit – also können Toro und er Knastgeschichten austauschen.“ Sie grinste ziemlich frech: „Wenn mich nicht alles täuscht, hat er sogar seinen Platz in einer Fernsehserie – also kriegen wir vielleicht auch mal einen Auftritt in einer späteren Staffel.“ Das rief schallendes Gelächter hervor, während Sarah mit abfälliger Stimme erklärte: „So was wie wir schafft es nicht mal in die Werbepause, und die Mission ist ohnehin top secret. Also schminkt euch das im doppelten Sinne des Wortes wieder ab.“ Das führte zu noch mehr Gelächter.
Quicksilver wartete, bis wieder etwas Ruhe eingekehrt war, ehe sie ihre Ausführungen fortsetzte: „Einige von euch haben ihn ja schon kennen gelernt. Mit seiner Großzügigkeit macht er ja einen ganz netten Eindruck, und einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.“ Toro und Ghost nickten nachdenklich, doch ausgerechnet der Kapitän – sie hatte auch ein Antrittsgeschenk bekommen – schien skeptisch: „Ich fürchte die Denebianer, auch wenn sie Geschenke bringen.“***
Quicksilver zuckte mit den Schultern: „Warum so kritisch, Cap? Ich habe seine Geschichte, dass er aus einer Spacer-Familie kommt, mal überprüft. Stimmt anscheinend, zumindest halb. Der Davis-Clan besteht aus mehreren verwandten Familien. Seine Eltern und Geschwister betreiben die Carnegy, die ist aber momentan in Flottenhand. Und seine entfernteren Angehörigen besitzen wohl auch noch Anteile an anderen Schiffen, richtiges ausgewachsenes Unternehmen, wenn man alles zusammenrechnet. Es schadet wohl nicht, dass mehr als ein Davis’ zur Hure wurde.**** Das geht wohl bis zum Kapitänsrang und weiter. Insgesamt ist die Davis-Mafia einige Millionen schwer, und sie profitieren nicht schlecht vom Krieg, ich glaube, mit Flottenaufträgen.“ Das schien Sarah wenig zu passen – Neid war ein bitteres Gefühl. Schließlich hatten Unternehmer wie sie hart genug zu arbeiten, während die arrivierten Unternehmen mit guten Beziehungen die Rosinen aus dem Kuchen klauten und den Kleinunternehmern nur die verbrannte Kruste und Krümel übrig ließen.
Quicksilver schien von solchen Gefühlen weniger geplagt, offenbar hielt sie nichts von Sippenfehden. Ihr Lächeln wuchs in die Breite: „Och komm schon, Mama, gib ihm einen Chance. Du kannst es ihm doch nicht vorwerfen, dass seine Eltern, Tanten, Onkel und was weiß ich noch zu der Gattung von Händlern gehören, mit denen wir uns um die Brocken streiten müssen und die dabei als vollgefressene Bulldoggen besser abschneiden. Zum einen ist er spendabel, und obwohl er ein ziemliches Ego haben muss – man nennt sich ja kaum Ace, wenn man bescheiden ist – scheint er nicht vollkommen mit dem Kopf in den Wolken zu leben. Er hat sich nicht mal beklagt, dass er das Bad teilen muss.“ Spöttische Zwischenfragen kamen auf: „Mit wem denn??“ Die junge Raumfahrerin ignorierte das und fuhr ungerührt fort: „Zum anderen sieht er für einen so kräftig gebauten Lulatsch nicht mal schlecht aus.“ Yin – die selbst ziemlich klein war – kicherte boshaft, während sie den schlanken Körper ihrer Bordkameraden mit beleidigender Direktheit und Herablassung musterte: „Nana, meine kleine Nana – nimm dich in Acht, dass du dir nicht mehr auflädst, als du tragen kannst. Bei solchen Kerlen muss man immer darauf achten, dass man die Oberhand behält.“ Diese Worte waren mit einer ziemlich unanständigen Geste verbunden, die keinen Raum für Interpretationen ließ. Quicksilver schüttelte den Kopf, dass ihre Haare nur so flogen: „Nein danke, das ist nichts für mich. Ich dachte ja eher an unseren Cap oder so. Wenn sie kein neures Schiff kaufen kann, kann sie ja eines heiraten.“ Sarah hätte sich fast verschluckt und musterte ihre Untergebene entsetzt. Yang, der bisher geschwiegen hatte, schaltete sich in das Gespräch ein, auch um dem Kapitän Zeit zu geben, sich zu fassen: „Was ist denn auf einmal mit dir los, Quicksilver? Du bist doch sonst nicht so zurückhaltend.“

Die Griechin genoss es offensichtlich, mehr zu wissen als die anderen: „Tja, das ist einfach eine Folge meiner phänomenalen Menschenkenntnis. Also, ich lache mir doch kein Riesenbaby an, das in Wahrheit nur einer anderen hinterher hechelt. Wenn, dann bin ich der Hauptgewinn, und nicht ein Trostpreis.“ Toro schien skeptisch: „Woher willst DU das denn wissen? Ich weiß, du bringst jeden zum Reden, aber so schnell kriegst nicht mal du eine Lebensbeichte – du hast doch ein halbes Dutzend Terries abzufertigen gehabt. Und wer soll es denn sein? Die Frau Doktor? Das wäre immerhin nachzuvollziehen. Also von der würde auch ich mich gerne mal genauer untersuchen lassen.“ Das brachte ihm einen drohenden Blick von Sarah ein, nach dem Motto: ,Versuch es nicht mal, oder ich lasse dich kielholen.’
Die Köchin schien nicht von Zweifeln geplagt: „Dafür brauche ich nicht viel Zeit. Ich habe gesehen, wie er auf seine Kameradin reagiert hat. Entweder sie hatten mal was miteinander, oder er hätte gerne, dass sie was hätten. Ich habe noch nie so viele laufende Meter Kerl nach Luft schnappen sehen – außer mit eingedrückter Kehle.“ Der Pilot war noch immer nicht überzeugt: „DIE? Ich habe sie ja noch nicht so oft gesehen, aber das reichte auch so. Also, vom Hals abwärts ist sie ja ganz passabel, aber wer will schon ein Mädchen küssen, das ein Gesicht wie eine Asteroidenoberfläche hat? Immer die Augen zumachen und das Licht aus ist doch auch keine Option.“
Quicksilver warf ihrem Kameraden einen Blick zu, wie man ihn üblicherweise für Dinge reservierte, die unter feuchten Steinen hervorgekrochen kamen: „Vielleicht sieht er ja ihre inneren Werte. Dann wäre er allerdings der erste Mann dieser Art, dem ich begegne. Oder es ist das übliche.“ Ihre Stimme bekam einen pathetischen Klang: „Gemeinsam ausgestandene Todesgefahr, Blicke, die sich über eine verschmorte Akariileiche treffen, das Wissen, dass ihre Liebe verboten ist, diese knappen Röcke, in die man die Frauen im Militär steckt. Und dass sie eine Waffe trägt und ihn herumschubsen kann – manche Männer lassen sich gerne sagen, was sie zu tun haben.“ Letzteres war von einem verschmitzt anzüglichen Zwinkern begleitet. Inzwischen dröhnte die Messe vor Gelächter, sogar Sarah lachte mit.
Erst als nach längerer Zeit wieder Ruhe eintrat, fuhr Quicksilver fort: „Wenn die zwei früher was hatten, dann hat SIE es jedenfalls abgehakt. Da war kein bisschen Groll oder so in ihrer Stimme, nichts von vergangenem Herzschmerz.“ Quicksilver wusste dergleichen bei einer Frau zu schätzen, weil es ihrem eigenen Lebensmotto entsprach. Sie lachte: „Und keine Eifersucht, wo ich doch gleich neben ihm stand, als sie aus der Kabine kam. Wäre nicht das erste Mal, dass die Frau vernünftiger ist als der Kerl, der ein Mädchen immer noch als sein Territorium betrachtet, auch wenn sie ihn abserviert hat.“ Letzteres war beleitet von einem kritischen Blick auf ihre männlichen Kollegen.
„Aber wenn ich wetten sollte, dann denke ich, er ist auf sie scharf, aber sie geruht, das nicht zur Kenntnis zu nehmen. Und sicher nicht, weil sie auf Mädchen steht, ich denke, dass ist eine von denen, die so was nur als Zeitverschwendung betrachten.“ Die Kapitänin legte den Kopf schief: „Kluge Frau, wenn es so ist.“ meinte sie nur lapidar: „Aber eigentlich interessiert mich das Gefühlsbefinden unserer Gäste weniger. Es sei denn, du willst unser Bad verwanzen und dem Flyboy Nacktfotos seiner Angebeteten verticken. Und das wird NICHT passieren, weil es unter die Kategorie blöder Scherz fällt. Wie auch alles andere in der Hinsicht.“ Sarah kannte den perversen Sinn für Humor, den manche ihrer Untergebenen bei ausreichender Langeweile entwickeln konnten. „Ist mir sogar lieber, sie beschäftigen sich mit sich selbst…“ das führte wegen der doppeldeutigen Wortwahl wieder zu Gelächter: „…als dass wir Probleme bekommen.“ Sie gähnte: „Genug gequasselt und gelacht für heute. Ich seh’ schon, außer Geblödel ist heute von euch nichts mehr zu erwarten. Ihr habt eure Anweisungen. Toro, du hast die Wache. Wer nichts mehr zu tun hat, haut sich aufs Ohr – wir werden noch genug Arbeit bekommen, ehe die Sache hier vorüber ist. Sehen wir einfach, dass wir so gut wie möglich aus der Sache rauskommen.

Als die Besatzungsmitglieder einer nach dem anderen aufstanden und gingen, spürte Sarah, wie sich ihre Stimmung wieder eintrübte. Ihre Crew hatte gut lachen. Sicher, man hätte es schlimmer mit den Passagieren treffen können – abwarten, wie die sich künftig verhalten würden – aber die waren auch nicht das wirkliche Problem. Die Kapitänin hatte irgendwie ein ungutes Gefühl bei der ganzen Sache. Das betraf vor allem dieses Tremane, und auch sein komisches Geheimprojekt. Irgendetwas war faul daran. Blieb nur zu hoffen, es war ein faules Ei – kein Gasleck, das sie alle in die Luft sprengen konnte…

* Food Delivery Unit, ein Nahrungssynthesizer, der aus Rohmaterialien, oft gefriergetrockneter Protein-, Kohlenhydrat- und Fettkomplexen sowie Wasser Gerichte zusammenstellt, besonders beliebt auf Langstreckenreisen und abgelegenen Stationen.
** Übernahme aus der terranischen Seefahrt. Dort bezeichnete diese Wortwahl die einfachen Mannschaften, die nicht wie die Offiziere achtern in den komfortableren Quartieren im Heckkastell oder Back schliefen, sondern im Bug- und Mittelteil des Schiffs. Heute sind damit Laderaumpassagiere, aber auch Insassen von Massenquartieren gemeint.
*** Sprichwort, beruht zum einen auf einer verballhornten Zeile aus der griechischen Mythologie, andererseits geprägt für die (legendarisch übertriebenen) Zustände im Deneb-System, wo es lange Jahre einen blühenden Schmuggelmarkt gab.
**** Besonders an den halblegalen Rändern der zivilen Raumfahrt gebräuchlicher Ausdruck für Raumfahrer, die zu den Streitkräften oder gar zum Zoll gehen, sich „verkaufen“ und „den Arsch für ihre Vorgesetzten hinhalten“. Eine bedauerliche Folge des Konkurrenzneides, aber nicht ganz unverständlich, denn meistens werden Unternehmen bevorzugt, die gute Beziehungen zum Establishment haben, wobei ein Offizier als Verwandter nicht schadet.
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Cunningham

Wer klopft, dem wird aufgetan. Wer bittet, dem wird gegeben.
Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.




Raven zu finden war nicht schwer. Ein Anruf in der Admin der Harponeers und etwas Druck auf den jungen Lieutenant, der am Apparat war, und schon wusste Lucas die Stammkneipe der CAG der Angry Angels.
Das Aldebaran war eine Disco, die man eindeutig nicht der Fliegerkultur zuordnen konnte. Lucas war froh sich doch noch Zivilkleidung zugelegt zu haben. In seiner Uniform wäre er hier noch mehr fehl am Platze als auf Schneiders Party, die er nicht besucht hatte.
Innerlich zuckte der ehemalige CAG der Angry Angels die Schultern und betrat den Laden.
Eine Welle harter Rockmusik, Schweiß und Dunst stieß ihm entgegen, die Lichtorgel versuchte der Breitseite eines akariischen Kreuzers Konkurrenz zu machen.
Durch das Gedränge von Leuten, die etwa sein Alter oder zumindest nicht viel jünger sein konnten, kämpfte er sich zur Theke durch.
Von dort aus konnte er zwar nicht viel besser sehen, aber es war ihm jetzt möglich, den Rand der Tanzfläche abzusuchen.
Frustriert bestellte er sich einen Whisky und sah dann erschrocken den Jack Daniels auf Eis vor sich auftauchen. Beim besten Willen, beim Whisky konnte er einfach kein Patriot sein, aber der Barkeeper war schon dabei jemand anderen abzufertigen.
Notgedrungen nahm er einen Schluck und sah sich nochmals um. Das konnte ja was werden. Rockmusik und Bourbon, wann hatte das Universum eigentlich beschlossen Lucas Cunningham zu strafen?
Sein Blick fiel auf eine Blondine in hochhackigen Wildlederstiefeln und einem weit geschlitzten Rock. Ein ansehnliches, athletisch geformtes Fahrwerk, ein toller Po, jedoch für seinen Geschmack ein bisschen zu wenig Oberweite. Das schmale Gesicht wurde von offenen, lockigen und fast schulterlangen Haaren eingeramt. Scheiße, war das etwa Raven?
Wenn man sich das Lächeln weg dachte, statt Rock und Top eine Uniform, die Haare zum Zopf gebunden oder hochgesteckt, weniger Makeup, ja klar, das war Raven.
Die CAG der Angry Angels nippte an einem fast leeren Drink und schien über das zu lachen, was der Typ neben ihr gerade sagte.
Lucas schnappte sich den Barkeeper und deutete auf Raven: „Zweimal, was die Lady da trinkt.“
„Gin Fiz.“, half der Tresenjockey aus.
„Sag ich doch.“
Der Barkeeper beraubte ihn um elf Real.
Vorsichtig balancierte er die beiden Gläser rüber zu Raven und sprach sie im Pilotenslang für leere Treibstofftanks an: „Bingo Fuel?“
Er hielt ihr eines der Gläser hin.
Mit breitem Lächeln, der Typ war wohl zum Glück doch nicht ihr Date oder Freund, drehte sie sich zu ihm um: „Danke, hi.“
Sie nahm das Glas entgegen und stutze ob seiner Zivilkleidung: „Lone Wolf?“
„Und ich hab gewettet, in der Verkleidung würden Sie mich nicht erkennen.“
„Äh…was machen Sie hier, schon genug vom Eheleben?“
„Nein, das nicht, ich wollte mit Ihnen sprechen.“, tatsächlich mussten sich die beiden anbrüllen, dieses mal aber wegen der lauten Musik, nicht wegen irgendwelcher Differenzen. Noch nicht.
„Wenn es wegen der Anhörung übermorgen ist, dann darf ich nicht mit Ihnen reden,“, antwortete sie, „ich wurde vorgeladen.“
Lucas blinzelte überrascht.
Raven war auf einmal voll da: „Oh, es geht nicht um die Anhörung? Ist irgendwas passiert?“
„Ja, nein, also nicht direkt, ich muss trotzdem mit Ihnen reden.“
„Na gut, gehen wir in den Nebenraum.“, sie übernahm die Führung.
Nachdem sie sich um die Tanzfläche herum gekämpft hatten, fanden sie in einem Nebenraum mit einer separaten Theke einen Tisch.
„Also was ist, Lone Wolf?
Um etwas Zeit zu gewinnen und sich die Worte neu zurecht zu legen, nippte Lucas an seinem Gin Fiz: „Also, ich wusste nicht, dass Sie vorgeladen wurden, aber ich muss diese Bitte trotzdem vorbringen: Ich brauche einen Job. Die Lage hat sich für mich weiter zugespitzt und als Captain der Columbia wurde ich abgelöst, ich hänge im freien Fall herum.“
„Sie fragen mich nach einem Posten? In Ihrem ehemaligen Geschwader? Und als was, als Staffelführer? Fast alle meine Staffeln sind besetzt. Und obwohl man mir meinen Wunschkandidatenn für die Roten vor der Nase weggeschnappt hat, habe ich drei Lieutenant Commanders hier auf Victoria Station, die sich gegenseitig abknallen würden für den Posten.“
„Dass Sie sich Kali haben wegschnappen lassen...“
„Tja, die CAG der Derflinger ist hier halt bekannter, außerdem soll'n die bald raus gehen und die Galileo in der zwoten Flotte ablösen.“, als Raven an ihrem Drink nippte machte sich ein misstrauischer Zug auf ihrem Gesicht breit, „Woher wissen Sie von Kali? Haben Sie etwas damit zu tun?“
„Was? Nein, ich habe mich nur in der Verwaltung umgehört, wer da eventuell für mich als Konkurrenz in Frage kommt.“
Raven schnaubte: „Hören Sie, ich kann Sie in meinem Geschwader nicht gebrauchen, darüber hinaus schulde ich Ihnen rein gar nichts.“
„Ich weiß.“, Lucas seufzte, „Glauben Sie, ich würde hier als Bittsteller auftreten, wenn Sie mir was schulden würden? Ich habe hier niemanden, an den ich mich sonst wenden kann.“
„Ihr Schwiegervater ist doch Admiral,“, lachte Raven, „ich habe ihn als sehr netten Mann kennen gelernt.“
„Ich…ich kann mich nicht an Admiral Auson wenden, gerade weil er mein Schwiegervater ist. Wie würde ich denn vor ihm dastehen, wenn ich ihn darum bitten würde, für mich alles in Ordnung zu bringen.“, Lucas vergrub kurz sein Gesicht in den Händen, „Es ist mir wichtig, was George Auson von mir denkt. Bei Ihnen hingegen kann ich nicht mehr viel Geschirr kaputt werfen. Ich weiß, dass Sie mich als Menschen verabscheuen, jedoch zumindest als Piloten respektieren.
Es ist nun mal viel wahrscheinlicher, dass der Anhörungsausschuss einer Rückversetzung in den aktiven Flugdienst zustimmt, wenn es da einen Geschwaderführer gibt, der bereit ist mich für ihn fliegen zu lassen, und wenn man meinem Antrag statt gibt ist es relativ unwahrscheinlich, dass man mich wegen einem der Punkte aufs Abstellgleis schiebt.“
„Oder gar vors Kriegsgericht stellt. Ist es wirklich so schlimm?“
„Naja, es steht immer noch die Abberufung durch Wulff im Raum, und die ist viel schwerwiegender als die Möglichkeiten, für die man mich vors Kriegsgericht stellen könnte. Es hat sich ja mittlerweile rumgeschwiegen, warum Madame Admiral mich geschasst hat, auch wenn es niemand direkt ausspricht.“, gestand Lucas ein.
„Und jetzt befürchten Sie, dass man Sie für eine der Sachen vors Kriegsgericht stellt, für die man sonst nicht mal 'Du-Du-Du' gesagt hätte, um Sie wegen Wulff abzustrafen.“, mutmaßte Raven.
„So hat es mein Anwalt formuliert.“
„Und was hat der Quatsch mit der Wehrkraftzersetzung zu bedeuten?“, wollte Raven wissen und sah auf Lucas Gesicht die Verwandlung von Resignation zu vergnügter Freude.
„Oh, dessen sind Melissa und ich durchaus schuldig. Ich werde Vater.“
Raven verschluckte sich an ihrem Getränk: „Was?…Äh, Glückwunsch oder so ähnlich.“
„Danke.“
Die beiden Piloten schwiegen eine Weile, dann brach Raven die relative Stille: „Also, Sie wenden sich an mich, weil Sie sich nicht an ihren Schwiegervater wenden wollen oder können, weil er...“
„Einfach mein Schwiegervater sein soll, nicht der Admiral. Mir ist meine Familienbande zu ihm wichtiger als die Karriere.“
„Sie schenken ihm ein Enkelkind, er würde alles für sich machen.“
„Wahrscheinlich,“, gab Lucas zu, „mit ziemlicher Sicherheit sogar. Aber das würde ewig zwischen uns beiden stehen.“
„Also Sie kommen zu mir,“, stellte Raven fest, „obwohl Sie wissen, dass ich Sie nicht mag und obwohl Sie mich nicht mögen.“
„Oh, Sie sind sicher ein netter Mensch und so weiter, aber als Untergebene einfach nur anstrengend.“, antwortete Lucas.
„Ein netter Mensch und so...“
„Mit einem schlechten Musikgeschmack.“, ergänzte er.
„Versuchen Sie gerade witzig zu sein, Lone Wolf, oder ehrlich?“
Sie musste tatsächlich überlegen, einen Piloten von Lone Wolfs Kaliber abzulehnen würde schon als fahrlässig gelten, aber als Vorgesetzter war er einfach nur die Pest. Aber wenn er sich soweit durch gerungen hatte, sie zu bitten, wie weit war er dann bereit zu gehen? Als dienstälterer Offizier wäre ein einfaches Schwadronenkommando zuwenig, und als XO wollte sie ihn nicht haben.
„Ich möchte Ihnen eine Chance bieten,“, begann sie vorsichtig, „aber unter einigen Bedingungen, die Ihnen vielleicht nicht schmecken werden. Ich bin bereit, Sie als CO der roten Schwadron aufzunehmen, aber Irons bleibt Geschwader-XO und Ihnen per Befehl vorgesetzt. Sie sind damit nur Nummer drei in der Rangfolge. Darüber hinaus werden Sie den Posten als Operationsoffizier übernehmen.“
„Ich muss also den Befehlen eines Lieutenant Commander folge leisten und ich bekomme noch zusätzliche Arbeit von Ihnen auf gebrummt, die in der Bomberschwadron besser aufgehoben wäre.“
„Theoretisch ja,“, gab sie zu, „aber vom Geschwaderkommando zum Schwadronenkommando, da wären Sie doch sicherlich etwas unterfordert oder?“
Damit schlug sie drei Fliegen mit einer Klappe, sie besetzte zwei äußerste wichtige Posten mit einem sehr erfahrenen Offizier, dessen fliegerisches Talent über jeder Kritik stand, und als OPS-Offizier arbeitete er ihr auch noch entsprechend zu, dass sie sich, sollte sie es jemals brauchen, seinen Rat einholen konnte, ohne vor dem Geschwader Schwäche zu zeigen – und Fliege Nummer vier: Lucas Lone Wolf Cunningham schuldete ihr was.
„Haben wir einen Deal,“, wollte sie wissen, „Sie können doch die Befehlskette auch einhalten, oder?“
Um erneut etwas Zeit zu schinden nahm Lucas einen großen Schluck. Das Angebot war nicht allzu gut und mit einer kleinen Demütigung versehen, aber dennoch es war mehr als nichts. Es war sogar weit mehr als nichts. Es war ein Rettungsanker in stürmischer See: „Sie sind der Skipper und Irons ihr XO. Ich bin Ihr Mann.“
„Willkommen bei den Angry Angels Mr. Cunningham, wenn die Kommission zustimmt.“


******************

Diesmal war es kein Ehrengericht, als ihn die fünf Offizierskollegen erwarteten. Die Anhörung fand in einem Raum der Marineakademie von Seafort statt. Einem geschmackvoll eingerichteten Zimmer, wo ansonsten die mündlichen Prüfungen der Kadetten abgenommen wurden.
Der Vorsitzende war Marques La Salle, ein Lieutenant Colonel des JAG-Corps, die übrigen Mitglieder waren ein Kommandant einer Fregatte, Commander Ruben Winslow, ein Commander des medizinischen Dienstes, Heinz Schäfer, ein Major der Fliegertruppe des Marine Corps, Lucia Delgado, und Lieutenant Commander Ignatio Ferrera, ein Werftoffizier. Eine bunte Mischung.
Lucas trat vor die Kommission, klemmte sich die Schirmmütze unter den linken Arm und meldete sich und seinen Verteidiger ordnungsgemäß.
„Bitte nehmen Sie Platz, meine Herren.“, Colonel La Salle deutete auf den Tisch für Lucas und seinen Anwalt und schlug schon seinen Aktenordner auf, „Wir wollen dann auch schon beginnen: Es geht um einige Meldungen, die aufgrund von Kommandoentscheidungen während der Schlacht von Karrashin durch den damals amtierenden Kommandanten, TRS Columbia, Lucas Cunningham, TSN, ehemals CO 127. Fighter Wing, TSN Flight Corps, getroffen wurden. Haben Sie vorab irgendwelche Aussagen zu machen?“
Lucas’ Verteidiger, Lieutenant Commander Georg Lenz, erhob sich: „Ja Sir, wir haben einen Antrag vorzubringen.“
„Nur zu.“
„Mein Mandant stellt den Antrag wieder in den aktiven Flugdienst versetzt zu werden und das Verfahren einzustellen.“
„Commander Lenz,“, antwortete Major Delgado freundlich, „soweit mir bekannt, haben die Angry Angels bereits einen neuen Kommandeur. Ebenso sind diese Posten aller hier in Sterntor stationierten Geschwader besetzt, und ob Ihr Mandant als Ausbilder geeignet ist, ist aufgrund der zu untersuchenden Meldungen doch äußerst fraglich.“
„Das ist insoweit korrekt, doch Commander Burr, CO der Angels, die auch hier vorgeladen ist, wäre bereit Commander Cunningham das Kommando über eine Schwadron zu übergeben. Trotz der großen Auswahl an erfahrenen Piloten, die hier zur Zeit in Sterntor für diesen Job zur Verfügung stehen. Darüber hinaus sollte Commander Cunningham als verdienten Offizier die Möglichkeit gegeben werden, seinen Ruf wieder rein zu waschen.“
„Mr. Lenz,“, antwortete die Ärztin, „diese Möglichkeit erhält er hier.“
Die anderen Offiziere der Kommission tuschelten miteinander.
„Sehe ich das richtig, Sie möchten den Antrag ablehnen?“
„Wir behalten uns die Entscheidung über diesen Antrag für später vor.“, La Salle nahm sich eine neue Seite aus der Aktenmappe vor, „Vorher möchten wir aber noch unsere Neugier gestillt haben, wenn Sie erlauben, Commander.“
Lenz blickte kurz zu Lucas, dieser nickte: „Selbstverständlich, Sir.“
„Commander Cunningham,“, fuhr La Salle fort, „beginnen wir mit dem wohl schwerwiegendstem Vorwurf. Defakto: Befehlsverweigerung im Angesicht des Feindes, vorgebracht von Captain Miles Rawlings, TRS Kip Thorne.“
„Sir, Befehlsverweigerung im Angesicht des Feindes, ist soweit ich weiß die nach Landesverrat die schwerste Straftat, die ein Soldat begehen kann.“, begann Lucas, „Sllte ich, wenn ich einer solchen Tat beschuldigt werde, nicht in Haft sein?“
Die Offiziere der Kommission schmunzelten zumindest und Commander Winslow antwortete: „Mr. Cunningham, das Ausbleiben jeglicher Sanktionen bisher schafft den Vorwurf nicht aus der Welt, wenn Sie uns also bitte den Vorfall erläutern würden.“
„Natürlich, Sir. Während der zweiten Schlacht von Karrashin warteten wir am Sprungpunkt in Kiralu und auf meinen Befehl wurde mit zwei Aufklärungssonden, die wir mittels Minimalausstoß der Sprungspuhlen der Columbia über den Raum-/Zeithorizont des Wurmloches gucken ließen, Aufklärung betrieben.
Aufgrund der sich ergebenden Daten befahl ich den Sprung nach Karrashin und forderte die Begleitflottille der Columbia auf, uns zu folgen.“
„Commander Cunningham, haben Sie diese Aufklärung mit den anderen Kommandanten und dem ranghöchsten anwesenden Offizier besprochen oder sich die Erlaubnis eingeholt?“
„Nein, Sir.“
Commander Winslow machte in kritisches Gesicht: „Und warum nicht?“
„Eine der herausragendsten Eigenschaften, Sie als Captain einer Fregatte wissen das,, antwortete Lucas, „ist die Eigeninitiative, die ein Offizier der TSN entwickeln kann. Und die Theorien zu diesem Einsatz beruhten auf den Berechnungen eines Studienkollegen von der Dolphin.“
„Sie haben Captain Rawlings gegenüber…hm, argumentiert, ja so könnte man es höflich ausdrücken, dass Sie als Trägerkommandant direkt dem Kampfgruppenkommandeur unterstellt wären und Captain Rawlings weder ihr Kommandeur noch ihr vorgesetzter Offizier wäre.“
„Auch das ist korrekt, Colonel, Captain Rawlings gehörte zu diesem Zeitpunkt nicht mal meiner Kampfgruppe an.“
„Commander Cunningham, für mich klingt das wie eine mutwillige Misinterpretation der Hiearchie.“, antwortete ihm Winslow, „Es gab drei ranghöhere Offiziere, Captains, in Kiralu, Sie haben sich auf eine Befehlskette gestützt, die so nicht mehr vorhanden war. Der damalige Commodore Mithel befand sich auf der anderen Seite des Wurmloches, Sie waren nicht in seiner Einflusssphäre. Die Befehlskette schließt sich automatisch, sie kann nicht durchbrochen werden, in Kiralu wäre der Beginn Ihrer Befehlskette Captain Rawlings von der Kip Thorne gewesen.“
Lucas war tatsächlich verwundert, dass der wohl aktivste der vier Offiziere ihn so anging: „Dann bitte, beantworten Sie mir eine Frage, Captain, hätte ich die Aufklärung unterlassen sollen? Hätte ich gegen die lebendigen Traditionen unserer Flotte nicht in das Gefecht eingreifen sollen? Hätte ich in Kiralu darauf warten sollen, bis die Akarii durch den Sprungpunkt kommen und dort kämpfend untergehen sollen?“
„Mr. Cunningham, das waren drei Fragen.“, merkte Delgado an, gebot ihm dann aber auch gleich mit der Hand Einhalt, als er auffuhr um zu explodieren, „Der Punkt ist nicht was Sie gemacht haben, sondern wie Sie es gemacht haben.“
Lucas schluckte seine Antwort über die beschränkte Sichtweise der Marines hinunter und sagte stattdessen: „Die Welt ist nicht schwarz und weiß, um das Rchtige zu tun, muss man nun einmal hin und wieder die Vorschriften beugen.“
Colonel La Salle blätterte weiter: „In Karrashin haben Sie dann gegen die Weisung des Leiters der medizinischen Abteilung der Columbia einer Pilotin mit gebrochenem Bein Starterlaubnis erteilt. Das stellt einer Verletzung der Fürsorgepflicht als vorgesetzter und kommandierender Offizier da. Die Entscheidung über die Flugtauglichkeit trifft einzig und allein der Bordarzt.“
„Lieutenant Commander Pawlitschenko“, zum Glück verhaspelte sich Lucas diesmal nicht, „ist eine erfahrene Kampfpilotin, mit über dreißig bestätigten Abschüssen, hoch dekoriert und mit nicht weniger als sechs Belobigungen durch ihre letzte Kommandeurin. Darüber hinaus hat es der Lieutenant Commander geschafft, sich aus der Krankenstation abzusetzen, sich in einen Raumanzug zu pferchen und in das Cockpit einer Griphen zu kommen. Wenn mir so jemand erzählt, er ist flugtauglich, dann glaube ich ihm.“
Es war das erste Mal, dass Commander Schäfer das Wort ergriff: „Lieutenant Commander Langenscheidt, damals Leiter der medizinischen Abteilung der Columbia, hat diesen Posten seit ihrer Indienststellung vor drei Jahren inne. Davor diente er an Bord der Redemption, für seine Handlungen bei deren Aufgabe hat er den Bronce Star erhalten. Seine Leistungsbewertungen waren in den letzten sieben Jahren kein einziges Mal schlechter als Herausragend. Glauben Sie, dass Dr. Langenscheidt nicht besser entscheiden kann, was für jemanden richtig und gut ist, als ein unter Schmerzmitteln stehender Patient?“
„Sir, dass Sie als Arzt der Meinung des erfahrenem Berufskollegen Glauben schenken, steht außer Zweifel, wie ich als Jagdpilot kurz vor einem Gefecht dazu stehe, wenn ich eine Flottille zu organisieren habe, dürfte doch wohl auch klar sein. Ich brauchte jeden Piloten, den ich kriegen konnte und wie schon gesagt halte ich den Lieutenant Commander für erfahren genug um zu entscheiden, ob sie fliegen kann oder nicht.“
„Diese Einstellungen entspricht nicht den Vorschriften für den Flugbetrieb.“, knurrte Schäfer.“
„War das eine Frage, Sir?“
„Nein, Commander, eine Feststellung.“
„Zum nächsten Punkt, Commander,“, La Salle schüttelte den Kopf, „Wehrkraftzersetzung, was möchten Sie uns dazu sagen?“
Diesmal war Lucas' Anwalt der dazu antwortet: „In diesem Fall bekennen sich Captain Auson und Commander Cunningham im vollen Umfang für schuldig. Ein medizinisches Gutachten, eingereicht durch die leitende Ärztin von TRS Drake, gibt Aufschluss darüber, dass Captain Auson ihre Antibaby-Pille genommen hat. Ein Blick auf die Verpackung hat jedoch gezeigt, dass das Mittel sein Haltbarkeitsdatum um mehrere Monate überschritten hat.“
Lieutenant Commander Ferrera, der Werftoffizier, schnaubte halb vergnügt: „Man sollte doch meinen, zwei erwachsene Menschen, Offiziere in hohen Kommandofunktionen, sollten in der Lage sein zu verhüten.“
Lucas zuckte unbehaglich die Schultern: „Unser Zusammentreffen nach fast zehn Monaten Trennung war für uns doch sehr überraschend und, nun ja, nun werde ich Vater.“
„Die Schwangerschaft wurde ordnungsgemäß nach Entdeckung gemeldet,“, fuhr Lieutenant Commander Lenz fort, „ebenso wurde ein Antrag auf nachträgliche Genehmigung der Schwangerschaft eingereicht.“
„Die Navy könnte sich entscheiden den Antrag abzulehnen.“, warf Major Delgado ein.
Jetzt war es an Lucas' amüsiert zu schnauben: „Aber sie kann uns nicht zur Abtreibung zwingen, Ma'am. Da mein ungeborenes Kind nun mal vom Gesetz her kein Angehöriger der Navy sein kann, ist es Zivilist und wird daher durch das zivile Gesetz geschützt.“
Colonel La Salle lachte auf: „Man könnte mit viel Aufwand und hin und her Captain Auson belangen, aber für die Navy wäre es in diesem Fall tatsächlich einfacher, die Genehmigung zu erteilen. Bevor wir hier zum Schluss kommen, Zeugen müssen wohl nicht mehr gehört werden, es sei denn jemand besteht darauf, habe ich noch ein paar kurze Fragen: Erstens, warum hat Admiral Wulff Sie des Kommandos des 127ten enthoben?“
„Admiral Wulff bezeichnete unser Vertrauensverhältnis als zerbrochen, Sir.“
La Salle nickte: „Warum?“
Lucas blickte zu seinem Anwalt und dieser antwortete: „Gemäß § 7 Absatz 1 Uniform Code of Military Justice verweigert mein Mandant darauf die Aussage.“
Major Delgado beugte sich drohend vor: „Sie wissen, wie wir diese Antwort werten können?“
„Ja, weiß ich , Major,“, erwiderte Lenz gelassen, „gemäß § 7 Absatz 2 Uniform Code of Military Justice hat jedes Militärgericht, jedes Kriegsgericht, jede Untersuchungskommission und -ausschuss eine Verweigerung nach § 7 Absatz 1 bei einer Urteilsfindung nicht zu berücksichtigen.“
Delgado blickte zu La Salle, dieser nickte: „Das ist korrekt. Kommen wir zu meiner letzten Frage: Commander Cunningham, sind Sie für die vorgebrachten Anschuldigungen mit einer außergerichtlichen Bestrafung einverstanden oder bestehen Sie auf ein Kriegsgericht?“
„Ich werde jede Strafe akzeptieren, die dieser Kommission für angemessen erscheint, Sir.“
„Dann warten Sie bitte draußen.“
Lang brauchten Lucas und sein Anwalt nicht draußen warten, dann wurde sie schon wieder hinein gebeten.
„Commander Lucas Cunningham, TSN, diese Kommissionn befindet Sie der schweren Insubordination gegenüber Captain Miles Rawlings für schuldig und verhängt hiermit eine zehnmonatige Beförderungssprerre, sieht aber aufgrund der Ergebnisse in Karrashin von weiteren Strafmaßnahmen ab. Ferner befindet diese Kommission Sie der schweren Verletzung der Fürsorgepflicht gegenüber Lieutenant Commander Tatjana Pawlitschenko und der groben Missachtung der Flugrichtlinien für schuldig. Sie werden verurteilt einen halben Monatssold einer wohltätigen Organisation Ihrer Wahl zu stiften. Ferner wird Ihre Freizeit für die ersten zehn Tage nach Dienstantritt auf Ihr Quartier beschränkt. Darüber hinaus erhalten Sie dafür einen offiziellen Verweis in Ihre Dienstakte.
Als letztes befindet Sie diese Kommission der Wehrkraftzersetzung für schuldig, belässt es aber bei einer mündlichen Ermahnung.
Ihr Antrag auf Zurückversetzung in den aktiven Flugdienst werden wir an die Personalabteilung weiterreichen mit der Empfehlung, ihm statt zu geben. Darüber hinaus werden die Empfehlungsschreiben von Admiral Renault und Admiral Mithel, die der Kommission übergeben wurden, ebenfalls in Ihre Dienstakte aufgenommen.
Damit wäre die Angelegenheit offiziell erledigt.“
Colonel La Salle blickte den Schriftführer an: „Würden Sie bitte das Aufnahmegerät abschalten.“
„Aye, Sir.“
„Commander Cunningham“, fuhr dann La Salle fort, „es hat sich bis zu uns fünfen hier rumgeschwiegen, warum Admiral Wulff Sie von ihrem Posten entlassen hat. Ich möchte Ihnen folgendes auf den Weg geben: Vom ersten Tag auf der Akademie wird einem Offizier beigebracht Befehlen zu folgen, man lehrt ihn die Rituale und die Traditionen der entsprechenden Teilstreitkraft. Man lehrt ihn Stolz, Respekt und Pflichtgefühl.
Wir folgen unseren Befehlen und den Gesetzen, denen wir als Soldaten im Krieg und Frieden unterliegen. Schon mit der Vorbereitung Rettungskapseln abzuschießen haben Sie Schande über sich gebracht, über die Uniform die Sie tragen, über Ihre Traditionen, Ihre Offizierskollegen und über jene Offiziere, die Sie ausbildeten.
Sie haben die Fahne der Republik entehrt und Sie haben das Vertrauen in das System geschädigt, welches dazu führen sollte, dass jemand wie Sie sich an die Gesetze des Krieges hält.
Der unbedingte Gehorsam, der einem Soldaten eingebläut wird, ist nicht nur dazu da, dass er schießt, wenn er den Befehl dazu erhält, sondern auch, dass er mit dem Schießen aufhört, sobald dazu der entsprechende Befehl kommt.
Commander, Sie erhalten hier und heute eine zweite Chance, nicht vielen Offizieren, die einmal vom Weg abgekommen sind, wird diese Gnade zu teil. Machen Sie etwas daraus. Sie können gehen.“
Lucas salutierte und würgte ein ,Danke' hervor.
Bis zu La Salles kleiner Ansprache hatte sich ein Glücksgefühl bei ihm ausgebreitet. Die Strafe war nichts im Vergleich zu den endlosen Möglichkeiten, die sich ergeben hatten.
La Salle hatte ihm das ins Gesicht gesagt, was wohl schon hinter seinem Rücken getuschelt wurde.
27.01.2016 06:42 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Ironheart/Ace

An Bord der DERFLINGER
Im Orbit um Seafort

Die letzten Tage an Bord der Derflinger waren für alle anstrengend gewesen. Die Derflinger bereitete sich zum Auslaufen vor, und auch wenn ihr Abschied von Sterntor noch ein paar Wochen in Anspruch nehmen würde, so galt es doch die übrig gebliebene Zeit bestmöglich zu nutzen. Der Skipper und die CAG hatten sich Mühe gegeben, die Dienstpläne aller Bordmitglieder, vom einfachen Matrosen bis hin zum Ersten Offizier, vom Brückenpersonal bis zum Küchenchef, von den Deckcrews bis zu Jagdpiloten, so miteinander abzustimmen, dass alle Mannschaftsteile sich aufeinander einspielen konnten. Auch wenn die Derflinger kein neues Schiff war und sich nicht allzu viel in der Besatzung geändert hatte, so bestand Hammer darauf, dass jeder Handgriff wie im Schlaf vonstatten gehen musste. Und seiner Meinung nach ging dies nur durch jede Menge Übung.

Entsprechend erschöpft waren Bobcat und Kali, als sie nach einem ihrer Übungsflüge, einem langweiligen Langstreckenpatrouillenflug, wieder in ihrer Kabine ankamen. Bobcat pfefferte ihre Ausrüstung auf ihre Koje, zog sich den Reißverschluss ihres Overalls aus und schälte sich aus der verschwitzten Montur. Kali war noch gar nicht in ihre Zweierkabine reingekommen, da stand sie schon nur noch in BH und Höschen und suchte nach einem Handtuch um sich als Erste in der Nasszelle frisch zu machen. An der noch offenen Tür ging gerade einer der Jagdpiloten aus einer der anderen Staffeln vorbei, den Kali noch nicht zuordnen konnte. Der Pilot erhaschte einen kurzen Blick auf Bobcats attraktive Rundungen und pfiff anzüglich. Sharon richtete sich auf, mittlerweile mit einem Handtuch in der Hand und rief ihm ein nicht ganz ernstgemeintes „Hey Ray, du Spanner…“ hinterher.
„Nichts, was ich nicht schon aus der Nähe gesehen hätte…“ rief dieser zurück, obwohl er schon zwei Türen weiter war.
Kali schloss die Tür und drehte sich mit einem fragenden Gesichtsausdruck zu ihrer Stubenkameradin um. „Tut mir leid, dass die Tür noch offen war. Wer war das denn?“
Sharon lächelte, bevor sie sich mit dem Handtuch bewaffnet an Kali vorbei in die Nasszelle drückte. „ Ach macht nichts. Das war nur Ray, einer meiner Ex-Lover hier an Bord!“
Während sich Sharon das kalte Wasser ins Gesicht spritzte, entledigte sich Kali ebenfalls ihrer verschwitzten Sachen.
„EINER deiner Ex-Lover…? Willst du sagen, du hast mehrere!?“
Sharon kam wieder heraus, breit grinsend. „Ja, sicher. Ich bin jetzt schon knapp zwei Jahre auf diesem Kahn. Und leider war bislang noch nicht der richtige dabei, mit dem ich es länger als drei Monate ausgehalten habe.“
Kali wusste nicht, ob sie weiterfragen sollte. Zum einen kannte sie ihre Flügelfrau ja noch gar nicht so lange und zum zweiten waren das natürlich schon sehr intime, persönliche Details. Neugierig war sie schon, aber sie wollte Sharon nicht bedrängen und wenn sie ehrlich war, wollte sie eigentlich auch keine erotischen Details von ihrer Untergebenen hören.
Doch die schien das gar nicht groß zu stören, sondern plapperte einfach weiter. „Also Ray war eher eine der kürzeren Geschichten. Ein Prahlhans, wenn du mich fragst, war nicht viel los mit ihm im Bett. Da gab es schon deutlich bessere als ihn.“ Kali schluckte, und ohne zu wollen, riss sie die Augen auf, als Sharon einfach weiterredete. “Zurück zu deiner Frage – über den Flurfunk wirst du es früher oder später ja ohnehin herausbekommen – ich bin in den letzten zwei Jahren mit einigen hier an Bord zusammen gewesen. Warte mal…“ Sie stellte das Anziehen für einen Augenblick ein und blickte auf ihre Hände, während sie anscheinend die Anzahl ihre verflossenen Liebhaber an den Finger abzuzählen begann. Als sie von der linken Hand auf die rechte Hand wechselte, ging Kalis erste Augenbraue vor Erstaunen hoch. Als sie wieder mit der ersten Hand begann und dann erneut zur zweiten Hand wechselte war auch Kalis zweite Augenbraue gekräuselt. „Naja, ganz genau kriege ich es nicht mehr hin, aber so um die zwanzig werden es sicher gewesen sein.“
Für einen Augenblick stand Kalis Mund offen und sie dachte Bobcat könne nur scherzen. Doch die unbekümmerte Art, mit der sie die Schultern zuckte und sich weiter anzog, sagte Kali, dass sie nicht gelogen oder geprahlt hatte.
„Aber…etwa alles Piloten?“
„Nein, nein, ich habe da keinen Standesdünkel. Ich nehm bei weitem nicht jeden, dann wäre die Zahl sicher noch höher als 20, aber wenn ich jemanden süß finde, dann ist mir der Job egal.“
„Zwanzig Liebschaften in zwei Jahren…Du kannst doch gar nicht mit all denen je drei Monate zusammen gewesen sein?“
Sharon schaute ihre Wingleaderin nur verdutzt an. „Nein, natürlich war ich nicht mit all denen monatelang zusammen. Die meisten von denen waren nur One-Night-Stands.“ Sie sagte das in einer Art, als wäre dass das normalste in der Welt. Und ihrem Gesichtsausdruck zu entnehmen, war es das vielleicht sogar auch so. So weit sie wusste, stammte Bobcat aus Kalifornien und hatte den Spitznamen „Crazy Californian Girl“ weg. Und Kali begann zu ahnen warum.
Doch innerlich schüttelte Kali den Kopf. Es war nicht, dass sie ein Moralapostel war und auch nicht, dass sie wie andere sexuelle Beziehungen zwischen Navymitgliedern verurteilte, schließlich hatte sie selbst über Jahre hinweg eine halbwegs geduldete Beziehung mit Kano aufrechterhalten. Doch sie war deutlich monogamer geprägt und war persönlich der Meinung, dass Sharon – sollte ihre Geschichte tatsächlich stimmen – es ein wenig zu weit trieb, im wahrsten Sinne des Wortes.
„Und gibt es da nicht…Spannungen an Bord? Eifersüchteleien, Ärger?“
„Nein, bislang gab es da keinen Ärger. Ich gehe nicht fremd, wenn Du das meinst. Wenn ich mit jemandem fest zusammen bin – was ja bislang leider nie ganz lange gehalten hat – dann bleibe ich treu. Und bislang habe ich es geschafft mit meinen ehemaligen festen Beziehungen auch danach befreundet zu bleiben. Und die Kurzgeschichten, naja, die hatten sicher mehr oder minder ihren Spaß, so wie ich.“ Sie lachte herzlich und ging mit der ganzen Sache offensichtlich äußerst gelassen um.
„Mein letztes Abenteuer dürftest du im Übrigen kennen…!“ Sharon lachte, als Kalis Gesicht noch mehr Verwunderung annahm, wenn das überhaupt möglich war. „Also ich war im Urlaub war auf Seafort und in der Bar mit einer Freundin und ihrem Freund, und da habe ich an der Bar einen Piloten der Angry Angels entdeckt.“
Als sie Clifford Davis beschrieb, entfuhr es Kali: „Du hast die Nacht mit Ace verbracht?“
Sharon grinste. „Nein, auch wenn ich zugeben muss, dass er schon recht schnuckelig ist. Aber wem sag ich das, oder?“
„Was? Nein…Ace und ich, wir waren immer nur befreundet…Aber woher weißt du überhaupt…?“
Sharon grinste weiterhin schelmisch. „Demolisher hat da so ein paar Geschichten erzählt.“
„Na, wenn ich den erwische…“
„Da gibt’s nichts zu erwischen. Er hat erzählt, dass Ace dich scharf fand, aber Du dich für Kano entschieden hast.“
„Na da hat Demolisher ja noch mal Glück gehabt. Aber wer war denn jetzt dein One-Night-Stand?“
Sharon erzählte weiter, während sie sich anzog. Sie erzählte davon, wie der andere Pilot aufgetaucht war, reichlich ramponiert, aber irgendwie auch interessant aussehend. Dass sie sich gelangweilt hatte und die Chance am Schopf ergriffen hatte, als Ace gegangen war, um sich von Noname ein paar Informationen über die Rote Staffel der Angry Angels zu holen, von wo ja ihre zukünftige Wingleaderin kommen würde. Sie erzählte, dass ihr sofort sein hungriger Blick aufgefallen war, und dass Sie ihn irgendwie interessant und mysteriös gefunden hatte.
„Weißt du, ich stehe auf solche Typen irgendwie…“ rief sie zu Kali, die sich inzwischen in der Nasszelle frisch machte.
„Na da hast du dir mit Noname ja genau den richtigen ausgesucht.“
„Wie meinst du das?“
„Er gehört nicht gerade zu den…ähmm beliebtesten Piloten in der Staffel. Er ist undiszipliniert, prügelt sich gerne, ist schon vorbestraft und einige munkeln von äußerst dunklen und dubiosen Vorgängen noch vor dem Krieg. Die einzigen beiden Gründe, weswegen er sich bislang über Wasser halten konnte, war sein früherer Staffelführer und die Tatsache, dass er ein sehr guter Pilot mit über zwanzig Abschüssen ist.“
Sharon grinste anzüglich, die Beine von ihrer Koje baumelnd, wo sie sich mittlerweile in die Decke eingewickelt hatte. „Tja, wie ich schon sagte, ich fand ihn süß und bin mit ihm mitgegangen. Und habe es nicht bereut.“
Kali verdrehte die Augen. Das war nun wirklich die Art von Detail, die sie definitiv nicht hören wollte.

„Puuuh.“ Kali setzte sich auf den Stuhl um sich die Füße abzutrocknen. „Trotzdem, bei dem Lebensstil muss es doch automatisch Ärger an Bord geben. Wenn ich da an die Columbia denke…“ Kali wusste nicht, wie sie es sagen sollte. Hatte sie das Recht, den Lebensstil ihrer Flügelfrau zu hinterfragen? Als Vorgesetzte konnte sie Ärger nicht gebrauchen und daher fragte sie sich, was sie tun sollte. Lilja hätte der hübschen Blondine sicher das Leben zur Hölle gemacht und wahrscheinlich mit dem Kriegsgericht gedroht, aber das war nicht Kalis Stil. Sie würde sich noch überlegen müssen, wie sie damit in Zukunft umgehen würde.
Auch Sharon schien mittlerweile verstanden zu haben, dass das alles nicht ganz so belanglos war, wie sie bisher getan hatte.
„Gut,“ gab Bobcat etwas kleinlauter zu “es gibt natürlich welche, die meinen `Lebenswandel` grundsätzlich nicht gutheißen, und andere, die ich abgewiesen habe und deren verletzter Stolz dazu führt, dass sie hinter meinem Rücken schlecht über mich reden.“ Sharon zuckte mit den Schultern. „Aber die CAG…“
Doch bevor sie zu Ende sprechen konnte, erwachte der Kommunikator in der Kabine zum Leben. Kali ging an den Hörer, nickte kurz und murmelte ein kurzes „Bin gleich da.“ Nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte, zog sie ihren Overall seufzend wieder an und drehte sich zu Bobcat hinüber. „Wenn man von der Teufelin spricht. Die CAG möchte mich sehen.“
„Kali, warte, da ist noch was…“
„Was denn? Die CAG sagte sofort…!“
Bobcat schaute die Inderin einen Augenblick unschlüssig an. „Ach nichts, das kann warten…“
Kali konnte zwar sehen, dass ihre Flügelfrau noch etwas auf dem Herzen hatte, doch sie wollte Papa Bear nicht warten lassen.

Etwas später, als die Besprechung mit der CAG des Flying Circus beendet war, schlenderte Kali mit Demolisher wieder zurück in Richtung ihrer Kabine. Das Thema Huntress hatten sie bislang größtenteils vermieden, also unterbrach Kali das Schweigen, indem sie Demolisher von ihrem Gespräch mit Bobcat erzählte.
„Wusstest du davon?“
Demolisher schnaubte amüsiert. „Natürlich! Jeder an Bord weiß es.“
Kali schüttelte den Kopf. „Ich wäre nicht gerne in dieser Weise Gesprächsthema an Bord.“
Jetzt musste Demolisher laut auflachen. „Vorsicht, Frau Mitra, bald Nakakura. Wer im Glashaus sitzt, sollte sich nur im Dunkeln ausziehen!“
„Häh?“
„Na du und Ohka waren auf der Red und der Columbia durchaus ebenfalls Gesprächsstoff.“
„Klar, das weiß ich, aber das ist doch jetzt etwas ganz anderes. Wir haben es bewusst im diskreten Rahmen gehalten und jetzt sind wir ja auch verlobt.“
„Ja, das stimmt. Es ist gut, dass Du mittlerweile verlobt bist. So werden zumindest keine Gerüchte aufkommen.“
„Wieso Gerüchte? Weswegen sollten denn Gerüchte aufkommen?“
„Naja, du sagst es ja selbst, immerhin teilst du dein Zimmer ja mit Sharon Rogers…“
„Bobcat?“ Kali war irritiert. „Was hat denn jetzt meine Verlobung mit ihr zu tun?
Demolisher runzelte die Stirn. „Sie hat es dir nicht gesagt…!?“
„Doch, sie hat mir doch schon alles erzählt. Ach ja und die Sache mit Noname noch dazu. Aber nochmal: Was hat das mit mir und Ohka zu tun?“
Jetzt war es Demolisher, der verwirrt den Kopf schüttelte. „Noname? Was hat das denn mit Noname zu tun?“
Jetzt schauten sich die beiden Ex-Angry Angels beide vollkommen verwirrt an. Und mussten dann erstmal laut losprusten. „Ich glaube wir müssen mal an unserer Kommunikation arbeiten, was Kali?“
Sie nickte grinsend. „Ja, das scheint so zu sein. Also ich fang mal an. Bobcat hat mir vorhin gebeichtet, dass sie – zumindest für meine Moralvorstellungen – etwas flatterhaft ist, und dass sie zufällig Noname in Neu-Kapstadt kennen gelernt hat. Und dass sie dann die Nacht miteinander verbracht haben.“
„Na, das sieht ihr ähnlich!“
„Aber ich verstehe immer noch nicht, was das mit meiner Verlobung mit Ohka zu tun hat?“
„Mehr hat sie dir nicht gesagt?“
„Nein, und nun rück endlich damit heraus, oder ich werde langsam rotzig…“
Demolisher hob abwehrend die Hände. „Hey, nein, das soll sie dir mal schön selber sagen. Ich war mal mit ihr zusammen und ich möchte wirklich, dass wir noch befreundet bleiben…“
„Warte! Was…Du warst auch mal mit ihr zusammen?“
„Ja, ziemlich bald nachdem ich hier vor einem Jahr von der Foch kam…Aber es hat leider nur drei Monate gehalten! Aber wir sind immer noch Freunde.“
Kali schaute den großen Schwarzen fassungslos an, der nur seinen Kopf etwas schräg setzte und fast schon entschuldigend die Schultern zuckte. Dann seufzte sie. „Na gut, dann werde ich mal mit ihr sprechen müssen.“

Eine halbe Stunde später saß Bobcat vor ihr auf der Bettkante in ihrem Zimmer während Kali mit verschränkten Armen mit dem Rücken zur Tür stand.
„Also, mir ist erzählt worden, dass Du mir noch nicht alles über dich erzählt hast, Sharon! Gibt es da etwas, dass ich wissen sollte?“
Die junge Frau starrte betreten auf ihre Schuhe. „Ich wollte es dir ja vorhin sagen, aber…es ist…es ist nicht ganz so leicht…“
„Nun mal raus mit der Sprache! Ich will jetzt endlich wissen was los ist. Du hast eine Nacht mit Noname verbracht und warst offensichtlich auch schon mal mit Andrew zusammen. So viel habe ich inzwischen heraus bekommen. Was kommt da noch? Mit wem warst du noch so alles zusammen? Da ist noch jemand an Bord den ich kenne, oder? Ist es etwa der Skipper?“
Bobcat´s lief Gesicht lief rot an und ihr Blick senkte sich noch weiter gen Boden. Offenbar hatte Kali ins Schwarze getroffen. Doch dann schüttelte Bobcat langsam den Kopf. „Nein, Hammer ist…er ist klasse, aber ich würde mich niemals trauen in anzumachen.“
„Dann ist es Conti, oder? Unser eigentlicher Staffelführer!?“
„Nein, es ist der CAG!“ Bobcat´s Stimme war fast so leise, das Kali sie nicht verstanden hätte. Und auch so hoffte sie, sie hätte sich verhört. „Du Du warst mit unserem CAG zusammen? Aber…Aber sie ist eine Frau…?“
„Na und?“ Sharons Augen Miene zeigte einen trotzigen Stolz, aber ihre Augen verrieten ihre Angst und ihre Sorge. Ein leichtes Schimmern kündete davon, dass dieses Gespräch wohl nicht ohne Tränen enden würde.
„Du hast vorhin nichts von Frauen gesagt…“
„Ich habe auch nicht gesagt, dass es nur Männer gewesen wären. Ich bin nun mal bi-sexuell, o.k.? Bei mir steht die Person im Vordergrund und nicht ihre Position, Hautfarbe, Herkunft oder das Geschlecht. Ich bin so aufgewachsen und da wo ich herkomme, ist es das natürlichste von der Welt. Jasmin sieht die Welt genauso und du würdest dich wundern, wie viele andere an Bord, ach was in der Navy ebenfalls, bi, schwul oder lesbisch sind, es aber nicht zugeben wollen.“
„Darum geht es hier doch gar nicht. Du warst mit unserer CAG und mit unserem Geschwader-XO zusammen…? Und bist der Meinung, dass mich das nicht interessieren müsste?“ Ohne es wirklich zu wollen, war Kalis Stimme lauter geworden. Ja, sie war sauer, sauer das Bobcat ihr nicht gleich reinen Wein eingeschenkt hatte.
„Ach? Was hätte ich denn sagen sollen? `Hallo, ich bin Bobcat und ich vögle jeden, der nicht bei drei auf den Bäumen ist?` Auch wenn das nicht stimmt, ich weiß doch genau, wie die Schnattermäuler sich das Maul über mich zerreißen.“ Sharon konnte es nicht verhindern, ihre Tränen begannen zu fließen.
„Andrew ist ein toller Mann, auch wenn die Chemie zwischen uns letztlich nicht gereicht hat, die erste Zeit des Verliebtseins zu überleben. Und Jasmin…Jasmin war meine Sektionsführerin vor zwei Jahren und ist mittlerweile zum CAG aufgestiegen. Wir waren nur kurz zusammen, aber natürlich hängt das immer noch überall im Äther. Macht das aus ihr oder mir eine schlechtere Pilotin, häh?“
Sie war stolz, sie war wütend, doch die Tränen rannen ihr nun ungehemmt die Wangen herunter. „Alles was ich will, ist eine Chance. Schick mich nicht weg, bitte nicht! Wenn ich einen schlechten Job mache, kannst du mir einen Arschtritt verpassen. Aber sei bitte keine von diesen arroganten, vorurteilsvollen Schnepfen, die die Menschen nicht ihren Leistungen entsprechend sondern nach ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder ihren Neigungen bewerten! Denn eigentlich warst du mir sympathisch.“
Während Bobcat sich die Tränen aus dem Gesicht wischte, hatte Kali einen Augenblick Zeit zu überlegen. Was sollte sie tun?
Dann schnappte sie Bobcat´s Blick auf. Voller Stolz, aber auch Sorge. Voller Wut, aber auch Verletzlichkeit. Wenn sie sie jetzt versetzen lassen würde, in einen anderen Wing, in eine andere Kabine, hätte sie wohl Ruhe und würde sich nicht ständig fragen müssen, ob sich die anderen im Geschwader das Maul über sie zerreißen würden.
Was sollte sie nur tun?
`Was sagt dir dein Herz, Mädchen?` Es war Darkness Stimme, die ihr in diesem Augenblick den Weg wies. Darkness, der beste Vorgesetzte, den Kali je gehabt hatte.
Und sie entschied so, wie sie es von ihm gelernt hatte.
„Na gut, Sharon, aber unter drei Bedingungen!“ Sharons Gesichtsausdruck hellte sich sofort auf, doch war sie natürlich noch skeptisch wegen der Bedingungen.
„Erstens: Ab jetzt keine Geheimnisse mehr, in Ordnung?“ Heftiges Nicken war die einzige Antwort.
„Zweitens: Keine Affären mehr in meiner Staffel, kapiert?“ Sharon setzte einen spielerischen Schmollmund auf, nickte dann aber schelmisch.
„Und drittens: Finger weg von mir, ich bin verlobt! Verstanden!?“
Sharon lächelte breit, stand auf und nahm ihre Wingleaderin vor lauter Freude spontan in den Arm. „Hast du an meiner letzten Anweisung irgendwas nicht verstanden?“
„Uups!“ Bobcat schreckte zurück und Kali musste lachen. Sie wusste nicht, ob es eine gute Entscheidung war. Doch wenn sie Sharons Gesichtsausdruck richtig deutete, hatte sie nun auf diese Weise jemanden gefunden, der für sie durchs Feuer gehen würde.
Und wer weiß, vielleicht würde das bald nicht nur in bildlicher Hinsicht nötig werden.
27.01.2016 06:42 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Ace

Es war die beste aller Zeiten, und es war die schlechteste aller Zeiten. Dieses Charles Dickens-Zitat, mit dem er eines seiner sozialkritischen Bücher einleitete, war hervorragend geeignet um Kalis Situation zu beschreiben. Die Staffel zu führen, die Neuen einzuarbeiten, die dennoch alle Wochen länger als sie in der Schwadron waren, der Ärger in der Verbandsführung und die hohen Anforderungen von Papa Bear, die ihre vier Staffeln viel enger beisammen hielt als es das Geschwader eines Pegasus-Trägers tun musste, das war die Hölle.
Andererseits war dies genau der Platz, den Kali hatte erreichen wollen, ihr hohes Ziel, ihre roten Tanzschuhe. Es machte Spaß. Es machte wirklich, wirklich Spaß. Und je mehr sie dies verstand, umso mehr beneidete sie Ace dafür, dass er tatsächlich eine eigene Staffel bekommen zu haben. Bei ihr war es mit dem nervenaufreibenden, Kindermädchen spielenden, Zeit und Kraft kostenden Idyll vorbei, sobald Lieutenant Commander Randy Conti Rubenbauer sein Okay vom Boden-Doc bekam, wieder auf die DERFLINGER zu wechseln. Dann waren es nur noch zwei, drei Tage, bis ihn der Bordarzt wieder flugfähig schreiben würde. Das war gleichbedeutend mit dem Ende ihrer Rolle als Chef der Dornier-Staffel. Es war zwar einerseits erleichternd, in Aussicht zu haben, einen Großteil der Arbeitslast abgeben zu können, aber andererseits war es ihre Arbeit, ihr Verdienst. Nichts davon hatte Conti geleistet. Im Gegenteil, er hatte eine vollkommen zerschlagene Staffel, die mit Fremden und Neulingen aufgefüllt worden war, sich selbst überlassen und sich lieber beim Segeln selbst abgeschossen.
Es war vielleicht ungerecht, das Thema so zu formulieren, aber Kali hatte noch nie besonders gerne geteilt oder ein Spielzeug zurückgegeben. Dazu kam, dass Commander Farouk und Captain Neumann mit ihr mehr als zufrieden waren und dies auch oft genug gesagt hatten.
Würde sie die Arbeit als XO überhaupt noch auslasten? Sie hatte Blut geleckt, nein, eher direkt aus der Halsschlagader ihrer Beute literweise gesoffen, und sie wollte mehr, viel mehr. Stattdessen verlangten die Regeln der Navy, dass sie ihr Kommando ohne zu klagen an einen Mann abgab, dessen Qualifikation sie nicht kannte, der ihr an Abschüssen unterlegen war. Und bestimmt mieften seine Socken.
Und dann war da noch Lone Wolf, der das Kommando über die Roten erhalten hatte: Ihre Roten. Verdammt noch mal, wo war da der Witz in der Geschichte? Dann hätte sie auch gleich in der Einheit bleiben können, um den XO der Roten nach Ace' Weggang zu mimen. Wer hasste sie hier so sehr, oder wer wollte ihr etwas derart Übles, dass er sie vor ihrer Chance in ihrer eigenen Staffel fortgeschickt hatte? Junge, Junge, wenn Cunningham zum Katapulttraining auf die DERFI kam, würde er sich einiges von Kali anhören müssen. Und wenn sie Raven in die Finger kriegte, dann würde dieses Gespräch auch nicht gerade eine Barbie-Konversation werden.

Irritiert sah Kali auf, als zwei große blaue Augen nahe genug rückten, sodass sie glaubte, die Sehzapfen am anderen Ende der Pupille sehen zu können. Dazu hörte sie leises Schnippen. "Hallo, Erde an Kali. Jemand Zuhause?"
Erschrocken fuhr sie hoch. "Was? Tut mir Leid, ich bin wohl in Gedanken versunken. Ich bin gerade ein wenig stinkig, seit ich weiß, dass man meiner alten Schwadron einen neuen Kommandeur zugeteilt hat. Weder ich noch mein alter Kumpan Ace haben diese Chance bekommen, geschweige denn den XO angeboten bekommen. Das ist frustrierend, Bobcat."
Hangman, auf der anderen Seite des Schreibtischs, sah sie erstaunt an. Der hoch gewachsene Europäer runzelte die Stirn. "Tschuldige, Göttin des Todes, aber weißt du nichts davon?"
"Weiß nichts wovon?"
Claas The Hangman Toureck grinste plötzlich über sein ganzes Gesicht. "Zum Beispiel von den zwei Kisten Scotch, mit denen Papa Bear um sich geworfen hat."
"Was geht mich Papa Bears Scotch an?", fauchte Kali ärgerlich.
Hangman hatte Mühe, nicht in lautes Gelächter auszubrechen. Anscheinend hatte er den gleichen Humor, mit dem er auch seine Sektion führte - laut und völlig übertrieben. "Aber dass es einen Film gibt, in dem du auch vorkommst, das weißt du, oder?"
"Ich habe ihn gesehen. Ich komme nicht soo schlecht weg.", erwiderte sie mürrisch.
"Bei uns war der Film Pflicht. Ich meine, die DERFI ist ein leichter Träger, und hinter den Linien ist unser bevorzugtes Jagdrevier. Papa Bear hat aus reiner Freude am Tun mal ein paar Staffelschicksale nachrecherchiert und Erstaunliches herausgefunden. Unter anderem, dass ein Teil der Angels nach dem Abschuss der KORAX verletzt in die Etappe geschickt wurde, hierher nach Sterntor. Als dann dein Name auftauchte, war sie vollkommen aus dem Häuschen, hat deine Akte angefordert und mit einem deiner ehemaligen Vorgesetzten gesprochen, Commander McQueen. Dann kam noch Demolisher dazu, der dein Loblied weiter sang, und daraus resultierte die Idee, dich mit allen fairen und unfairen Mitteln für den Flying Circus zu rekrutieren. Eine legale Versetzung ist uns nicht gelungen, obwohl die Grand Dame de Kerr wohl eine nette Party mit dem ganzen Sprit gehalten hat. Aber immerhin hatten wir genügend Druck auf Raven, um es dir frei zu stellen, wo du hin willst. Tja, und ein XO-Posten später bist du tatsächlich hier."
Kali hatte schon beim zweiten Satz die Augen aufgerissen. "Papa Bear hat mich eingekauft? Für mich gelogen, betrogen und bestochen? Wie für ein Stück Vieh?"
Bobcat hob elegant die Rechte. "Ich! Hier! Hier! Ich, Herr Lehrer!"
"Ja, Sharon? Hast du etwas zur Diskussion beizutragen?", fragte Hangman mit scheinheiligem Lächeln.
"Ja, wir haben Kali eingekauft. Wie einen prächtigen, preisgekrönten, zehntausende Real teuren Zuchtstier."
Kali spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss. "Na, das lasse ich gerade so noch mal durchgehen. Es gibt Schlimmeres, als ein Wunschkandidat zu sein."
Die beiden Piloten kicherten gemeinsam, und die ehemalige Angel fühlte ihre Wut davon schmelzen. Immerhin hatte Papa Bear ja schon gesagt, dass sie die nächste Nachrückerin für einen Schwadronschefposten war, tatsächlich auf der Liste für den Geschwader-XO stand. Das war ein Punkt, an den sie sich erst noch gewöhnen musste; hier auf der DERFI ging alles einen Schritt schneller, die Leute wurden schneller versetzt als auf einem großen Träger. Deshalb missbrauchte die Flotte die Majestic-Träger auch gerne mal, um gute Leute in einem kleinen Geschwader trainieren zu lassen, bevor sie in ein größeres kamen. Das gleiche galt für Papa Bear selbst. Und auch für Hammer, ihren Skipper, der auf dem Sprung für einen Pegasus oder Lexington war. Und Demolisher würde auch nicht ewig auf der DERFI bleiben. XO war er schon. Der nächste Job würde der des Geschwaderführers sein. Und danach? Vielleicht auf einen Pegasus? Auf die Flugschule als Ausbilder? Das Katapultleben an Bord eines Majestic bot so viele Möglichkeiten, dass man als kleines Chick von einem Pegasus regelrecht neidisch werden konnte. Irgendwie sickerte die Erkenntnis, was für einen Glücksgriff sie eigentlich getan hatte, als sie auf dieses Angebot eingegangen war, langsam zu ihr durch. Falls sie lange genug überlebte, hieß das.
"Weiter im Text. Contis Quadriga macht mir ein paar Sorgen. Flash und Trasher fliegen mir ein wenig zu wild für Nighthawk-Piloten, und sie lassen Contis Flügelmann Musketeer viel zu oft alleine stehen. Das geht so nicht. Auch wenn Conti wiederkommt und wieder auf Musketeer aufpasst, das ist kein Verhalten, das ich in meiner Staffel sehen will. Wie schnell hat man im Gefecht einen Flügelmann verloren und muss zu dritt fliegen? Das ist mir jedenfalls meilenweit lieber als meine Leute alleine fliegen zu lassen."
"Hr-hrrr.", machte Hangman. "Ich bin mir gerade nicht so sicher, dass du das Kommando an Conti zurückgeben wirst, wenn er wieder flugfähig geschrieben wird."
"Sehr witzig.", kommentierte Kali und widmete sich erneut der Aufstellung. "Wir werden diese Situation üben, Herrschaften, und zwar staffelübergreifend. Jeder fliegt mal mit jedem als fünftes Rad am Wagen." Ein Grinsen huschte über ihr Gesicht. "Das wird vor allem für dich wichtig, Bobcat. Damit du mal in einer Situation bist, in der du nicht im Mittelpunkt stehst."
"Och, Menno.", murrte die junge Pilotin, während Hangman wiehernd lachte.
"Das gilt auch für dich, Claas."
Sein Lachen erstarb. "Aber ich kann doch schon fliegen, Frau Lehrerin."
"Ich mache das Training auch, also keine Sorge. Du wirst schon nicht als abgekanzelter Schüler deinen guten Ruf als harter Draufgänger und erfahrener Pilot verlieren."
Hangman schüttelte sich. "Na, Klasse. Ich darf also als Anhängsel für meine eigene Sektion fliegen. Na, da kenne ich aber drei die sich freuen werden."
Bobcat nickte gewichtig. "Alien und Bombshell werden sich die Mäuler zerreißen. Bei Silent allerdings wirst du dir keine Sorgen machen müssen. Der wird seinem Callsign treu bleiben. Außerdem weiß er, dass er nach dieser Übung wieder an deinem Wing kleben muss."
Das Lächeln des California Girl war breit, wunderschön anzuschauen, und unglaublich falsch. Hangman registrierte es mit einem amüsierten Schnauben. "Mäuschen, hast du eigentlich schon realisiert, dass du bei dieser Übung zweimal auf deinen geliebten Wingleader verzichten musst? Und zweimal musst du sie dir mit Duck oder Parzifal teilen."
Ihre Gesichtszüge entgleisten und machten grenzenloser Enttäuschung Platz. "Och, Menno."
Es war ein offenes Geheimnis, das Sharon an "ihrer persönlichen Angry Angel" einen Narren gefressen hatte, groß wie eine Bloodhawk. Und es war ein ebenso offenes Geheimnis, das es diesmal nicht sexuelle Hingabe war, sondern schlichte Kleinmädchenbegeisterung.
Hangman hustete leise. Er konnte sie ja verstehen. Die Angry Angels galten nun mal als das Geschwader, das in allen großen Schlachten gesteckt hatte, die für den Krieg als entscheidend angesehen wurden, und Kali hatte bis auf die Kiluah-Karrashin-Schlacht alle mit geflogen. Da konnte man sich schon leicht in Begeisterung verlieren. Vor allem wenn man mit ihr geflogen war. Conti würde es schwer haben, in seiner eigenen Staffel wieder das Kommando zu übernehmen.
"Was ist mit Conti?", fragte Bobcat neugierig.
Hangman runzelte die Stirn. Hatte er laut gesprochen? "Nichts, nichts. Jedenfalls nichts Wichtigeres als die Frage, warum du kleiner Störenfried hier unsere kleine Staffelbestechung sabotierst."
"Das habe ich doch schon erklärt. Flash und die anderen besuchen Conti im Krankenhaus, und ich mache für ihn Notizen. Außerdem will ich ja nicht, dass du das keusche Leben unserer armen verlobten Vize-Staffelchefin mit deinen überbordernden Hormonen gefährdest, Claas."
"Wer hier wohl wen mit was bei wem gefährdet.", brummte der Pilot.
Mit einem gefährlich-falschen Grinsen beugte sie sich zum Sektionschef herüber. "Willst du mir etwa unterstellen, Kali wäre bei mir nicht zu einhundert Prozent sicher, junger Mann?"
"Willst du eine Liste mit Zeugen, die das Gegenteil eidesstattlich und schriftlich aussagen?", konterte Hangman.
Frustriert lehnte sich Bobcat wieder zurück. "Und genau deshalb hat es nie mit uns funktioniert. Wir streiten zuviel."
"Wir hatten auch noch nie was miteinander", gab Hangman schroff zurück.
"Sage ich ja."
"Okay, Auszeit, Kids. Mama möchte den Rest der Besprechung gerne in Ruhe verbringen und zu einem Ergebnis kommen. Ich muss euch doch nicht ohne Nachtisch ins Bett schicken?", drohte Helen gespielt ernst.
"Ist ja gut, Mama. Wir sind brave Kinder und gehorchen." Hangman schielte zu Bobcat herüber. "Ich zumindest."
"Da! Da! Hast du das gehört, Kali? Ich werde hier gemobbt!"
"Im Moment scheint mir das eher die Wahrheit gewesen zu sein", erwiderte Helen trocken.
Die Pilotin blies ärgerlich die Wangen auf. "Och, Menno."
"Also, können wir diese Besprechung jetzt bitte in Ruhe beenden? Ich wäre dankbar dafür. Nicht, das es nicht sehr amüsant war...Ich will halt nur fertig werden, bevor was dazwischen kommt."
Als es an der Tür klopfte, sah Bobcat ihre Flügelchefin erstaunt an. "Kannst du in die Zukunft sehen?" "Manchmal. Herein."
Demolisher steckte seinen haarlosen Schädel zur Tür herein. "Helen, mein kleiner Engel, hast du nicht Lust, mit einem großen, bösen Elite-Piloten ein wenig durchs Schiff zu wandern? Immerhin hast du seit zehn Minuten Dienstschluss."
Ein wenig ärgerlich beugte sich Kali vor. Dienstschluss war Luxus für einfache Piloten, aber nicht für Schwadronsführer und deren Stellvertreter. "Ich bin etwas schleppend vorangekommen, weil das Comedy-Duo seine Späßchen getrieben hat. Ich habe also noch zu tun, Tom."
"Dann lasse sie doch die Arbeit alleine zu Ende machen, Helen. Delegiere." Etwas weicher fügte er an. "Bitte, Helen. Ich wollte mit dir reden."
Viele Themen dieser Art konnte es nicht geben, und Thomas Andrew Paul war ihr nicht nur vorgesetzt, sondern auch ein Freund aus alten Tagen. Sie hatte dieses Gespräch hinaus gezögert, aber irgendwann wurde es Zeit. "Okay. Ich komme. Und ihr beide stellt die Flugpläne auf. Danach reicht ihr sie bei Papa Bear rein. Verstanden?"
"Verstanden", murrte Hangman. "Verstanden, o tödliche Göttin."
"Bobcat?"
"Ja, ja. Verstanden. Zehn, höchstens zwanzig Minuten, dann sind wir durch."
"Das wollte ich hören." Zufrieden erhob sich Kali. "Wartet nicht mit dem Essen."
Auf dem Gang präsentierte Demolisher ihr einen kleinen Bastkorb. "Abendbrot für Elite-Piloten."
"Du hast an alles gedacht, oder?", schmunzelte Helen.

Acht Minuten später saßen sie auf dem Aussichtsdeck auf einer Bank und teilten sich die Sandwichs, die Mettröllchen und das eingelegte Gemüse aus Demolishers Korb. Kali griff mit gutem Appetit zu und kaute mit vollen Wangen. Sie hatte gar nicht gewusst, wie hungrig sie war. "Gehört das zu deinen Pflichten als Geschwader-XO? Untergebene, die das Mittagessen vergessen zwangszufüttern?", scherzte sie.
"Nein, eigentlich nicht. Das mache ich nur für besonders gute Freunde. Oder für Leute mit denen ich geschlafen habe.", scherzte Demolisher.
Helen verschluckte sich fast an ihrem Toast. "Na danke. Das behandelt dann Bobcat, oder?"
"Auch.", gestand der große Schwarze. "Hey, sieh mich nicht so erschrocken an. Ich bin ein sexuell aktiver Mann, der bei der Suche nach der einen wahren großen Liebe eben nicht keusch sein kann, und der lieber einmal etwas probiert und scheitert, als es nie versucht zu haben. Ich bin kein Mönch, Mädchen."
"Aber auch keine Bobcat, oder?"
Demolisher lachte leise. "Nein, an Bobcat reiche ich nicht ran. In keiner Beziehung. Sie ist gut, weißt du?"
"Jetzt ja. Und ich hätte durchaus weiter leben können, ohne das zu wissen.", tadelte sie. "Weiß der CAG von deinem Lotterleben?"
"Sie hat es mal unterstützt."
"Sie hat was?"
"Wir waren mal ne Zeit ein immer mal wieder-Pärchen. Wegen dieser alten Mär, dass schwarze Männer besser bestückt sind als weiße oder gelbe." Demolisher zuckte die Achseln. "Letztendlich ist nur die richtige Technik entscheidend."
"Noch so eine Sache, die ich nie wissen wollte. Du hast mit der CAG geschlafen? Ich dachte, sie ist lesbisch."
"Sie ist...multikulturell. Vielleicht nicht ganz so experimentierfreudig wie Sharon, aber schönen Dingen gegenüber gewiss nicht abgeneigt."
Kali verdrehte die Augen. "Angeber."
"Ich meinte jetzt den Sex, nicht unbedingt mein hübsches Gesicht." Er grinste breit. "Du steckst diese Information recht gut weg."
"Nein, ich bin zu Tode erschrocken. Ich verarbeite nur gerade, was für ein Liebesdampfer dieser olle Kahn ist." Sie griff nach einem Fleischröllchen. "Ehrlich gesagt ist es mir egal, wer mit wem und warum ins Bett geht, solange ich nicht mit dem Hintern an der Wand schlafen muss, wie ihr Männer immer so schön sagt. Ich wusste übrigens nicht, dass du so ein wildes Leben führst."
"Na, wild." Er knabberte an seinem Sandwich. "Es fällt halt nicht so auf, weil ich es nicht übertreibe und weil ich ein Mann bin. Wo Bobcat schon als Schlampe gilt, werde ich auch noch für meine Abschüsse bewundert. Menschen sind merkwürdig."
Kali seufzte leise. "Oh ja, da hast du Recht. Wenn ich das Kano erzähle, lacht er mich entweder aus, oder er kommt mit einem Shuttle rüber, um mich hier weg zu holen."
"Sag ihm, du fängst nur was mit den Frauen an, und er kriegt die Videoaufnahmen. Damit beruhigst du ihn."
Für einen Moment stieg ihr Röte in die Wangen, bevor sie sich wieder im Griff hatte. "Kleines Ferkel, du. Was haben Männer nur immer mit lesbischer Liebe? Gibt es auch nur einen einzigen Mann, den das wirklich anmacht?" Sie zog eine Augenbraue hoch. "Spare dir die Antwort. Ich habe das rein rhetorisch gemeint, mein Lieber. Auf jeden Fall gehen die Sitten hier laxer zu als auf der COLUMBIA."
"Ja, schade, nicht? Du hättest deine Beziehung zu Ohka hier kaum geheim halten müssen."
Wieder seufzte die Inderin. "Ach ja, da war noch was. Hm, nein, Kano würde sich hier nicht wohl fühlen. Mit expansionsfreudiger Promiskuität kann er in etwa so viel anfangen wie ein japanischer Schwertmeister mit einem Kampf gegen einen Gewehrschützen."
"Ich frage mich, wer da gewinnen würde."
"Wer? Der Schwertmeister gegen den Gewehrschützen oder Kano gegen eine promiskuitive Trägerbesatzung?"
"Beides."
"Schwer zu sagen." Die beiden sahen sich an und begannen zu lachen.
"Übrigens, sehr gute Küche. Lecker. Vor allem die Krabbensoße ist ein Gedicht. Kompliment an deinen Koch."
"Danke. Der im Übrigen ich war. Kochen ist eines meiner Hobbys, und ein paar Sandwichs schmieren ist eigentlich eine Unterforderung meiner Fähigkeiten."
"Respekt. Du kannst kochen und gehorchen. Welche Frau würde da nicht schwach werden."
"Einige, wie ich dir bereits gebeichtet habe, Helen."
"Ach ja, da war noch was." Wieder lachten beide.

Demolisher streckte seine Beine aus. "In der Kanne ist Tee, wenn du möchtest. In der Alu-Folie sind aber eisgekühlte Bierdosen, falls dir das lieber ist. Kannst du mir eine davon geben?"
"Wo? Ah ja, hier."
"Danke. Hast du schon gehört? Raven hat ihr Katapulttraining vorgezogen. Alle neuen Jungs und Mädels der COLUMBIA, egal ob grün oder reaktiviert, dürfen dann schon nächste Woche Starts und Landungen auf der guten alten DERFI üben. Ich frage mich, womit sie Hammer bestochen hat, damit sie auf seinem Träger üben darf."
"Vielleicht kennen sie sich ja. Weiß man es?"
Demolisher warf ihr einen schiefen Blick zu.
"Nein, ich glaube nicht, dass sie Sex haben oder mal ein Paar waren. Oder sonst etwas in der Richtung. Im Gegensatz zu der DERFI bumst sich der Rest der Flotte nicht gegenseitig."
"Na, sei dir mal nicht so sicher. Ich habe gehört, Auson und Cunningham sind gleich übereinander her gefallen, kaum das sie beide auf Victoria Station zusammen getroffen sind, und jetzt ist sie im ersten Monat schwanger."
"Okay, das stützt meine These jetzt nicht gerade. Haben die beiden also die gute alte Auson-Welle gemacht. Wenn er für das Flugtraining an Bord kommt, werde ich es ihm unter die Nase reiben. Unter anderem."
Demolisher kicherte. "Ach, ist da immer noch jemand sauer darüber, dass er die Roten nicht gekriegt hat? Entspanne dich, Mädchen. Wärst du nicht ein Angry Angel, dann hätte man dich wer weiß wohin versetzt, kaum dass du wieder dienstfähig geschrieben wurdest. Dir wurde kein Privileg genommen, sondern nur purer Luxus."
"Ich hätte auch die Blauen genommen", murrte Kali. "Oder meinen alten XO-Posten bei den Roten. Es fiel mir schwer, den Haufen zu verlassen, egal was alles passiert ist."
Übergangslos wurden ihre Augen feucht. "Hey, du bist gut, Tom."
"Weil ich das Thema zur Sprache gebracht habe, ohne es zur Sprache zu bringen?" Ein dünnes Lächeln huschte über seine Lippen. "Für mich ist ihr Tod nicht so schlimm. Ich konnte Distanz aufbauen. Wir haben die letzten Jahre kaum gesprochen, und so. Aber für dich, Mädchen, muss es übel gewesen sein. Und dann kommt Ace, diese treulose Tomate, nicht mal vorbei um dich zu trösten."
"Es ist ja nicht so als müsste ich getröstet werden.", murrte sie ärgerlich. "Ich komme schon klar. Aber das Ace mich nicht besucht hat, ist schon ärgerlich. Hätte Kano da gelegen, dann wäre er schon dreimal da gewesen, glaube mir. Die verdammten Männer haben irgend so einen dämlichen Ehrenkodex, der...Nein, ich habe das im Griff. Ich vermisse sie. Es tut weh. Aber es könnte schlimmer sein. Natürlich will ich sie zurück, wieder mit ihr sprechen, mit ihr ausgehen, mit ihr shoppen, Kaffee trinken, all das was wir zusammen getan haben. Aber das ist weg, alles weg. Sie ist tot, liegt in ihre Atome zertrümmert irgendwo im Weltall rund um das Karrashin-Kirula-Wurmloch, und..." Sie begann leise zu schluchzen. Mit einer Hand machte sie eine fahrige, abwehrende Geste, mit der anderen hielt sie sich die Stirn. "Schon gut, ich...Ich kriege das hin. Ich..."
Demolisher ließ sich nicht beirren und nahm sie in die Arme. "Ich sagte doch, du hast es nötiger als ich, Helen."
Kali hörte auf zu schluchzen, aber sie unterbrach die Umarmung nicht. Es tat gut, einmal wirklich um Huntress trauern zu können. Sich einfach mal fallen zu lassen. Es raus zu lassen. Es nicht als Navy-Offizier zu sehen, sondern als Frau, die ihre beste Freundin verloren hatte. Diese Umarmung hätte sie sich gerne von Kano oder Cliff gewünscht, aber der eine hatte sie versetzt, und der andere hätte nicht verstanden, wie er ihre aufgesetzte, bissige Abwehrreaktion deuten und umkehren sollte. Der eine ein Luftikus, und der andere ein japanischer Offizier. Das Leben ging komisch mit ihr um, und das nicht nur manchmal. Andererseits tat es ihr Leid, vor Kano die Starke gespielt zu haben, anstatt ihre Verletzlichkeit zu zeigen. Schlimm war, dass sie damit durchgekommen war. Ace hätte sie vielleicht durchschaut, aber wo war dieser Freizeitpirat die ganze Zeit gewesen?

Als sie sich aus Demolishers Armen wieder löste, ging es ihr wirklich besser. "Danke. Ich glaube, das habe ich gebraucht. Du gibst einen guten Freizeitpsychologen ab."
Demolisher lächelte, diesmal breiter. "Von wegen Freizeit. Ich habe ein Pädagogik- und Psychologiestudium begonnen. Schwerpunkt sind Gefechtstraumata. Ich will ja eines Tages das Geschwader eines Lexington anführen. Da kann man nicht genug über solche Themen wissen, um ein guter Vorgesetzter zu sein."
"Danke, dass ich dein Versuchsobjekt sein durfte.", sagte Kali säuerlich. "Sowohl für deine psychologischen Fähigkeiten als auch deine Protzereien."
"Nein, du, Helen Mitra, warst mir ein Anliegen, kein Versuchsobjekt." Er lächelte verschmitzt. "Und wie würde ich mich fühlen, wenn ich meine Freunde in Stich ließe?"
Demolisher deutete auf den Korb. "Essen wir auf. Und dann erzähle mir doch mal, was sonst so passiert ist. Wer, sagtest du, hat gleich noch mal Jor runter geholt? Eine Thunderbolt-Crew?"
Helen Mitra, ihres Zeichens First Lieutenant, lachte kurz auf, nahm sich dann ein weiteres Sandwich und begann zu erzählen. Wirklich, dieses Studium musste gut laufen. Während sie erzählte, stellte sie sich ernsthaft die Frage, ob sie nicht Demolishers Beispiel folgen wollte. Ein eigenes Geschwader auf einem Lexington klang doch nicht so übel.

***

Als Ry Hallas Tobarii Jockhams Büro betrat, stockte er einen Moment in tiefer Ehrfurcht. Einige der besten Männer und Frauen aller Zeiten hatten bereits in diesem Büro gearbeitet, hier dem Volk gedient. Nie hätte er sich träumen lassen, auch nur ein einziges Mal diesen Raum betreten zu dürfen, geschweige denn den Palast des Kaisers.
Der Kriegsminister sah auf, als der Leutnant eintrat. "Ah, Hallas. Kommen Sie, kommen Sie. Nur keine falsche Scheu."
Hallas unterdrückte den Versuch zu salutieren und trat an den Schreibtisch heran. "Ich melde mich wie befohlen, Mylord Kriegsminister."
Tobarii Jockham, Prinzgemahl ihrer kaiserlichen Hoheit Linai, sah ihn für einen Moment amüsiert an, bevor er auf den bequemen Sessel vor seinem Schreibtisch deutete. "Platzen Sie, Ry Hallas. Es wird länger dauern. Tee?"
Es dauerte einen Moment, bevor er realisierte, dass ihm der Kriegsminister einen Platz angeboten hatte. Die Tatsache, dass er mit dem Minister, der mit der Prinzessin verheiratet war, einen Tee trinken würde, hatte ihn noch nicht einmal erreicht. Er war Mitglied der Kriegerkaste und stolz darauf, dass er ebenso wie seine Vorfahren in der Flotte diente, um das Kaiserreich zu stützen. Die stolze Verwendung von Sekurr, der Kriegersprache, war Zeugnis dieses Stolzes. Aber der Mann vor ihm war nicht nur Kriegsminister, sondern auch ein Mann des Hochadels, einer eigenen elitären Gesellschaft, die wieder eine eigene Sprache hatte, das Heklar. Ihm gegenüber benutzte der Minister Sekurr, allerdings nicht weil er glaubte, der Offizier würde kein Heklar verstehen. Es machte den Rangunterschied deutlicher.
Jockham betrachtete ihn einen Moment schmunzelnd, bevor er in seinem Arbeitspult ein Hologramm aufrief und Tee für sich und seinen Gast anforderte. In jedem anderen Akarii-Büro würde nun eine Servosäule die gewünschten Getränke servieren. In diesem Büro aber war es eine Dienerin in kaiserlicher Tracht, die den beiden Männern servierte.
"Eine Ceylon-Assam-Mischung von Terra.", informierte sie den Kriegsminister und seinen Gast.
Erstaunt sah Hallas die junge Frau an. Seit er die Erde verlassen hatte, hätte er nicht mehr erwartet, terranische Teesorten zu erhalten. Außerdem, terranischer Tee im Palast des Kaisers? Wie schnell konnte das als Kollaboration ausgelegt werden.
"Sie kennen den Tee, Hallas.", sagte Jockham, und sein Tonfall machte klar, dass es keine Frage war.
"Nicht als Mischung. Aber Assam gehörte zu den Sorten, mit denen wir verpflegt wurden, Mylord Kriegsminister."
Der Kriegsminister lächelte milde, während er sich eine Zigarette ansteckte. Tabak war eines der größten und kulturell wichtigsten Laster der Akarii - und unter Umständen ein absolutes Luxusgut. Der berühmte T'rr-Tabak zum Beispiel war zwar flächendeckend im ganzen Imperium zu haben, aber dafür unterdrückte man auch eine komplette Welt. Anders sah es mit terranischen Rauchwaren aus. Traditionell rauchte ein Akarii Zigarren, Zigarillos oder Pfeife. Die Marotte, Papierröllchen anzustecken und zu konsumieren, war erst mit den Kontakten zu den Terranern ins Reich geschwappt. Echte terranische und Colonial-Marken waren schon immer teuer gewesen, und seit dem Krieg unbezahlbares Luxusgut. Die Zigarette, die sich der Kriegsminister ansteckte, war eine Lucky Hanover aus der ColCon, die einzige Marke, die es mit der Lucky Strike aufnehmen konnte. Die hatte Ry Hallas im Gefangenenlager auf der Erde so exzessiv geraucht, dass die terranischen Ärzte Lungenschäden bei ihm befürchtet hatten und ihm den übermäßigen Genuss verbieten wollten. Aber Akarii hatten nun mal ganz andere Körper als die Menschen.
Tobarii Jockham deutete den Blick des Leutnants richtig und bot ihm aus der Packung an. "Frisch aus der Confederation importiert. Kam quasi mit der allerersten neuen Warenlieferung, mit der wir unsere Geschäftsbeziehungen wieder aufnehmen. Im Moment streuen wir zehn Millionen Zigaretten über Akars Einzelhandel aus, weitere hundert Millionen werden noch diesen Monat folgen und auf ausgewählten Planeten erhältlich sein. Entschuldigen Sie, Leutnant, aber manchmal kann ich einfach nicht über den Schatten meiner Krämerseele springen."
Hallas unterdrückte ein amüsiertes Lachen, während er nach dem Tabakröllchen griff. Krämerseele war eine sehr humorvolle Umschreibung für einen Angehörigen des größten Handelshauses des Imperiums, welches seine Wurzeln bis in planetare Zeiten zum ersten Kaiser der Akarii zurückführte. Jockham war heute wie damals das eine Wort, das für Handel stand, zuverlässige Warenlieferung, aber auch für überschwänglichen Luxus. Hallas hatte keinen Zweifel daran, wie die Firma hieß, die das Privileg erhalten hatte, die Colonial-Zigaretten im Imperium zu verkaufen. Insofern hatte er Recht: Einmal Krämerseele, immer Krämerseele.

Die beiden rauchten einige Zeit schweigend und tranken ihren Tee. Die lange Lagerung hatte den Blättern nicht bekommen, und er schmeckte etwas dünn. Auf Akar jedoch war diese dünne Lauge Luxus pur, und dementsprechend geehrt fühlte sich der einfache Leutnant.
"Vermissen Sie die terranischen Teesorten?", fragte der Kriegsminister unvermittelt.
"Was?"
"Ob Sie den Tee vermissen. Oder den Tabak."
"Ich meine...Ich...Ja, Mylord Kriegsminister. Etwas schon."
Jockham lächelte sanft. "Mir liegt Ihr Bericht vor, Ry Hallas. Er liest sich wie ein Abenteuerbericht der unglaublichsten Sorte. Mir liegt auch der Bericht des militärischen Geheimdiensts vor. Es wundert mich, dass Sie noch leben und mehr als einen Satz am Stück zustande bringen können. Beim ersten Kriegsheimkehrer aus terranischer Gefangenschaft hätte ich erwartet, dass der Geheimdienst eher Ihr Gehirn seziert, als auch nur eine Information umkommen zu lassen." Er nahm einen Schluck Tee. "Ich hätte es so gemacht."
Hallas räusperte sich verlegen. "Dann kann ich ja froh sein, dass Mylord für meine Verhöre nicht verantwortlich war.", scherzte er.
"Ja, scheinbar sollten Sie das. Nicht, dass ich eine entsprechende Untersuchung nicht jederzeit anordnen könnte.", murmelte er lächelnd.
Hallas straffte sich merklich. "Mylord Kriegsminister Jockham, wenn Ihr meint, dass diese Untersuchung der Sicherheit Akars dient, dass ich auf diese Weise meinen Fehler, in Gefangenschaft geraten zu sein wieder gut machen kann, dann tut mit diesem Leib was Ihr wollt."
"Ruhig bleiben, Leutnant.", spottete Jockham. "Wir sind keine Terraner. Wir sind zivilisierte Akarii mit Jahrtausendelanger Tradition."
"So, sind wir das?", fragte Hallas, leicht in Rage gekommen. "Ich komme aber nicht umhin festzustellen, dass die Terraner, selbst die Niederträchtigsten und Verängstigsten, mich weit besser behandelt haben als meine eigenen Leute. Wäre es als Sühne gedacht gewesen, um meine Schande rein zu waschen, oder wäre es nur um Informationen gegangen..." Er verstummte, wandte verlegen den Blick ab. "Entschuldigt, Mylord Kriegsminister. Ich habe zuviel gesagt."
Jockham lächelte tiefgründig. "So, meinen Sie? Ich bin kein Militär, egal was das Schild an meiner Tür sagt. Dafür aber bin ich Wirtschaftskapitän, Menschenführer und Herr über die größte private Handelsflotte des Imperiums. Ich will damit sagen, dass ich mehr von Akarii verstehe als von Soldaten. Wenn in meinem Unternehmen eine neue Kampagne fehlschlägt, oder wenn wir auf einem Planeten Filialen schließen müssen, dann untersuchen wir den Verlauf des Geschäfts auf eigene Fehler. Finden wir diese nicht, suchen wir nach äußeren Einflüssen, zum Beispiel politischen, journalistischen oder finanziellen Interventionen zu unserem Nachteil. Beim Militär wird immer gleich einer erschossen, wenn etwas nicht so läuft wie es soll. Und meistens ist es dann auch noch der Falsche, der an der Wand steht."
Verlegen zwinkerte Ry Hallas. Er hatte diese Kritik am toten Kronprinzen Jor sehr gut verstanden, teilte sie vielleicht sogar. Auch wenn er sie nie ausgesprochen hätte. Oder vielleicht doch getan hatte, im harschen Verhör durch den Geheimdienst.
"Ich frage mich", begann Jockham erneut, "was in diesem Krieg falsch gelaufen ist. Der Krieg an sich garantiert nicht, denn irgendwann hätten wir uns um diese glatthäutigen Emporkömmlinge kümmern müssen, alleine schon um gegenüber all den anderen parasitären Völkern der Milchstraße nicht als schwach und weich zu gelten. Die Hyänen lauern überall und jederzeit darauf, einem schwächelnden Riesen ein wenig Fleisch aus den Rippen zu beißen."
Von Feinden umgeben, so lautete das Motto nicht nur einer Grenzprovinz. Ein Motto, das vor allem die Randsysteme durch Alienphobie enger ans Reich binden sollte. Und vielleicht nicht so falsch war. Einige der teilweise erheblich älteren, wenn auch deutlich schwächeren Völker sahen im Großreich der Akarii ebensolche gefährlichen Emporkömmlinge wie die Akarii selbst in den Terranern. Eine Schwächung des Reiches durch die Kämpfe mit Terra konnte sie eventuell dazu veranlassen, die Akarii-Gefahr in einer großen Koalition ein für allemal zu beenden. Als die Terraner Beta Borealis erobert hatten, hätte wahrscheinlich nicht viel zu solch einer Koalition gefehlt. Vielleicht war es der Tod des Prinzen, der die anderen Völker von diesem Schritt abgehalten hatte. Ironischerweise.
"Ich frage mich auch, ob wir alle Niederlagen wirklich meinem toten Schwager anlasten sollten, anstatt auch anderswo zu schauen, wo Fehler gemacht wurden. Und der größte Fehler liegt wohl einfach im System selbst. Warum sonst sollten wir einen Kameraden, den wir tot glaubten, wie einen Verbrecher behandeln, anstatt als verlorenen Bruder wieder in unseren Reihen begrüßen? Haben wir wirklich so viel Angst davor, dass die Terraner ihn vergiftet haben könnten? Fürchten wir ihre schlechten Seiten wirklich mehr als unsere eigenen schlechten Seiten?"
Tobarii Jockham rief eine Akte auf, die sich sogleich im Hologramm des Schreibtischs sowohl für ihn als auch Hallas ersichtlich öffnete.
Was Hallas sah, ließ ihn erschrocken raunen.
"Was Sie hier sehen, Leutnant, ist eines unserer grenznahen Internierungslager für terranische Gefangene, bevor die Terraner es auflösten. Schwere körperliche Arbeit, Minimalversorgung, keinerlei Luxusartikel, streng rationiertes Wasser aus Aufbereitungsanlagen. Und drakonische Strafen selbst bei kleinsten Vergehen. Wurden Sie auch so behandelt, Ry Hallas, als Sie auf Texas, und später auf Terra interniert waren?"
"Nein." Die Erinnerung an jene Tage schwappte wieder über ihn herein und ließ ihn zittern. "Ich wurde benutzt, für Propagandazwecke missbraucht, abgeschossen, habe einen terranischen Offizier drei Tage auf der Flucht vor Radikalen durch eine terranische Wüste geschleppt und war schlussendlich sogar ein Tauschgut gegen freies Geleit nach Trafalgar. Aber so unwürdig wurde ich von offiziellen Soldaten nie behandelt. Selbst meine Feinde, die mir nach dem Leben trachteten, hätten mich nie so erniedrigt, bevor sie mich getötet hätten." Hallas faltete die Finger zusammen. "Als ich durch die Wüste marschierte, einen feindlichen Offizier tragend, kam ich in der tiefsten menschlichen Provinz heraus. Die Menschen waren aus dem Häuschen, verwirrt und ängstlich, und dennoch ließen sie mir keine schlechtere Hilfe angedeihen als dem Offizier. Sie fürchteten mich, aber sie haben mich nicht getötet. Ich weiß nicht wie es anderen in ähnlichen Situationen ergangen wäre, aber ich habe es so erlebt. Das da schmälert meinen Stolz, ein kaiserlicher Offizier zu sein, Mylord Kriegsminister."
"Sie sagen also, dass die akariischen Gefangenen auf Texas eine bessere Behandlung erfahren als die Terraner in diesem Dokument, Ry Hallas?"
"Weit besser. Würdiger. Ehrenvoller."
Jockham ließ das Dokument wieder verschwinden. Er seufzte leise. "Sie wissen, dass viele Admiräle und Generäle so eine Aussage nicht von Ihnen hören wollen. Unsere ohnehin schon angeschlagene Kampfmoral könnte davon deutlich gedämpft werden. Sie sind mit Ihrer Meinung ein gefährlicher Mann, Ry Hallas."
"Und gefährliche Männer tötet man? Nur zu. Ich bin nicht der erste Mann meines Hauses, der für seinen Stolz und seine Meinung stirbt."
"Langsam, Leutnant, langsam. Wie Sie sehen habe ich keine Sterne auf der Schulter. Und als Ökonom halte ich absolut nichts davon, wertvolle Ressourcen zu verschwenden."
Er sah dem Piloten in die Augen. "Im Gegenteil, für die kommenden Untersuchungen werden Sie ein wertvoller Lieferant von Informationen sein, Commander Hallas."
"Commander? Ich habe nichts getan, was eine Beförderung rechtfertigen würde, außer zu überleben."
"Und? Reicht das nicht bereits?", spöttelte Jockham. Leiser fuhr er fort: "Prinzessin Linai besteht auf der Beförderung. Es finden...Es gibt gerade eine große Bewegung, im Adel, in der Regierung, im Militär. Wir repatriieren zehntausende Offiziere und Mannschaften der ColCon in ihre Heimat, die bei uns weit anständiger behandelt wurden als die Terraner. Und wir erhalten zehntausende unserer Soldaten aus ihren Internierungslagern zurück. Die Welt wie wir sie kennen ist in Bewegung, Commander Hallas. Und wir werden unseren Teil leisten, damit sie sich weiter bewegt. Sie und ich."
Argwöhnisch runzelte Hallas die Stirn. "Wie sieht diese Bewegung aus? Was ist meine Aufgabe?"
"Sie, Commander, werden in der nächsten Zeit vor ausgewählten Vertretern in Militär, Wirtschaft und Adel Ihren Bericht wiederholen. Es ist vielleicht an der Zeit, das Bild, welches wir von den Terranern in unserer Gesellschaft haben, ein wenig...der Realität anzupassen. Den Leuten begreiflich zu machen, dass wir keine fette Naarta-Made aus ihrem Versteck im fauligen Unterholz gepult haben, sondern ein bissiges Waxtul aufgeschreckt, das uns nun mit Bissen und Kratzern übersät. Wie weit das gehen wird? Ich weiß es nicht. Selbst die Prinzessin weiß es nicht. Niemand weiß es, jetzt, am Beginn. Aber...Es steht eine große Veränderung an. Eine, die uns genauso gut davonwischen wie sie uns zu neuen Höhen erheben kann."
Das Päckchen mit den Lucky Hanover rutschte bis zu Hallas über den Schreibtisch. "Sie unterstehen bis auf weiteres formell dem Stab und dem Kommando von Admiral Kal Ilis. Er ist der einzige hochrangige Offizier, dem ich neben Admiral Rian zu einhundert Prozent traue. Meiden Sie alle anderen, selbst den eigenen Clan."
"Wie Sie befehlen, Mylord Kriegsminister." Ry Hallas erhob sich, deutete eine Verbeugung an und verließ den Raum wieder.
Tobarii sah ihm einen Augenblick nach, selbst als die Tür bereits wieder geschlossen war. Dies war nur eine von vielen Baustellen gewesen, aus denen nun sein Leben bestand. Aber er würde sich jeder einzelnen widmen. Das alleine geboten ihm sein Stolz und die Fürsorgepflicht des Hochadels für den einfachen Bürger. Und seine unumstößliche Treue für Linai.
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Irgendwo zwischen den Sternen

Raumfrachter Emerald Jade, Sterntor-System

Das Aufheulen ihres Handkomlinks weckte Lilja abrupt aus dem – soweit sie sich erinnern konnte traumlosen – Schlaf. Es war schön zu wissen, dass die Folgen ihres Urlaubs noch anhielten. Vielleicht war sie ja die Alpträume überhaupt losgeworden? Oder wäre das zuviel verlangt?
Sie hatte das Gerät auf Wegfunktion programmiert, und folglich heulte jetzt, um halb sechs Uhr Bordzeit, der TSN-Gefechtsalarm los, ihr Lieblingsklingelton. Für einen Augenblick war sich die Russin unsicher, wo sie eigentlich war. Das Ambiente unterschied sich so deutlich von den Quartieren, in denen sie die letzten Jahre genächtigt hatte, dass sie es zunächst nicht einordnen konnte. Selbst in ihrer etwas wilderen Ausbildungszeit war sie ihrer Erinnerung nach nicht in so einem Verschlag gelandet – und dann auch noch allein. Dann fiel es ihr wieder ein. Sie war an Bord des alten Merkur-X-Frachters und auf dem Weg zu einer geheimen Mission, die so top secret war, dass sie noch immer nicht wusste, worum es eigentlich ging.
Gähnend streckte sie sich, dann stand sie mit entschlossenen Bewegungen auf. Eigentlich war das alles ja nicht notwendig – der feste Dienstplan musste erst noch festgelegt werden, und so lange sie noch im Sterntor-System waren, gab es wenig Grund, Feinde zu erwarten. Das gut geheizte Quartier lud förmlich dazu ein, noch etwas zu dösen, auch wenn die Matratze und Bettdecke nicht gerade TSN-Maßstab entsprach. Aber sie hatte mehrere gute Gründe, zu so früher Stunde aufzustehen.
Mit wenigen Handgriffen hatte sie ihren Trainingsanzug angelegt, denn zunächst stand eine Runde Körperertüchtigung auf dem Programm. Sie musste dazu nicht einmal in den Laderaum hinunter, wo sie vielleicht die Marines geweckt hätte. Stattdessen rannte sie einfach ein paar Mal in scharfem Tempo den Hauptkorridor rauf und runter, der jetzt noch vollkommen ausgestorben war. Es war erstaunlich, wie einsam und groß so ein Frachter, wiewohl ein Zwerg im Vergleich zur Columbia, wirken konnte. Man hätte meinen können, man befände sich auf einem Geisterschiff. Die einzige Person, die ihr am Ende ihrer Trainingsrunden begegnete, trug auch nicht gerade dazu bei, diesen Eindruck zu korrigieren. Es war die Köchin, die wie ein waschechter Schlafwandler oder Zombie in Richtung Küche schlurfte, in einem ziemlich derangierten Aufzug, und auf ihren Gruß nur einige unartikulierte aber wohl freundlich gemeinte gutturale Laute von sich gab. Nach dem Lauftraining standen noch ein paar Liegestütze und Rumpfheben im Quartier auf dem Programm, dann war der letzte Schlaf aus ihren Gliedern vertrieben und sie war ziemlich durchgeschwitzt. Zeit zum Waschen und Frühstücken. Sie hatte sich ausgerechnet, dass sie zu so früher Stunde nicht nur niemanden stören würde – die Quartiere waren ausreichend schallisoliert, dass ihr Programm keinen Schläfer wecken konnte – sondern noch einen anderen erfreulichen Umstand mit einkalkuliert. Zu dieser Stunde waren die Waschräume offenbar noch weitestgehend verwaist, was Lilja sehr entgegen kam. So konnte sie ohne Verzögerung ihre vergleichsweise spärliche Morgentoilette absolvieren.

Durch eine Dusche erfrischt und jetzt in Dienstuniform – einschließlich ihrer (gesicherten) Handfeuerwaffe – betrat sie die Messe. Es war inzwischen vielleicht Viertel nach Sechs. Offenbar war sie HIER nicht die erste. Quicksilver war nirgends zu sehen, das Frühstück lief also wohl nach dem Buffetprinzip ab. Und anscheinend war schon jemand an die Futterstelle gekommen. Lilja musterte die nur zu vertraute Gestalt einen Moment – es gab ja nicht gerade viele Kerle von fast zwei Meter Größe, fast 100 Kilogramm Gewicht und mit solchen Haaren. So viel Einsatzwillen war ja direkt verwunderlich, sie hatte nicht mit seiner Gegenwart vor Sieben oder Acht Uhr gerechnet. Und da sage noch einer, Morgenstund’ habe Gold im Mund…Ihre Stimme war nicht gerade freundlich zu nennen, es lag jedoch auch keine Abneigung darin: „Morgen, Ace.“
Lilja hatte sich in ihrer Staffel und auch im Geschwader im Laufe der Zeit durchaus einen gewissen Ruf erarbeitet. Sie war eine gehorsame Untergebene, eine fordernde und humorlose Kameradin und eine recht autoritäre Vorgesetzte. Aber mit Sicherheit war sie nie einer der wirklich legendären Schinder gewesen, bei deren bloßen Namen Rekruten erbleichten. Deshalb war sie nicht nur gelinde gesagt überrascht, sondern geradezu verdattert, wie ihre Worte einschlugen. Der Pilot verschluckte sich geradezu an seinem Kunstkaffee – was freilich auch an dessen schlechtem Geschmack liegen konnte, den die Russin bereits kennen gelernt hatte – und fuhr zu ihr herum, als würde er einen Angriff erwarten. Er brauchte einen Moment, ehe er mühsam ein: „Morgen.“ herausquetschte.

Lilja fragte sich, was denn nun wieder los sei, entschied sich dann aber, dieses Verhalten erst einmal zu ignorieren. In ihrer gewohnt direkten Art hielt sie sich nicht mit Smalltalk auf – worüber auch? Das Essen war nicht das Beste, darüber brauchte man nicht zu parlieren, Wetter gab es hier keines, und privat hatten sie auch keine gemeinsamen Interessen, soweit ihr bekannt war: „Schön, dass du dich so früh schon aus den Federn gequält hast. Ich habe Tremane überzeugt, dass wir die Jäger am besten schon hier erproben, in sicherem Gebiet, damit wir ein Händchen für das An- und Abdocken bekommen. Übungsschießen fällt natürlich weg, wir haben nicht so viele Raketen, aber dann kannst du mir zeigen, wie gut du WIRKLICH mit der Falcon bist.“ Letzteres kam etwas skeptisch bis herablassend rüber, war aber nicht wirklich böse gemeint. Ace schien sich etwas zu entspannen: „Wann geht es los?“ erkundigte er sich.
Lilja überlegte kurz: „Ich spreche vorher noch mit dem Kapitän und den Marines. Vielleicht können wir ein bisschen Verbandflug mit denen üben. Wenn sie schon dabei sind, dann will ich vorbereitet sein, falls wir sie mal unter Beschuss wohin bringen oder abholen müssen. Und ich weiß gerne, mit wem ich fliege. Ich glaube nicht, dass wir hier oben viele Beobachter zu fürchten haben. Sagen wir…um Acht? Das gibt uns genug Zeit, die Jäger noch mal durchzuchecken.“
Währenddessen hatte sie den Tisch umrundet und sich dem Buffet genähert. Das Angebot an Essen sah in etwa so aus, wie sie es erwartet hatte. Die üblichen Getränke – heißes Wasser, dass man entweder mit „Kaffee“ oder „Tee“ versetzen konnte, synthetischer Fruchtsaft, dazu synthetisches Brot, ein Brei, der wohl Rührei darstellen sollte, und zwei Sorten Aufstrich – künstliche Marmelade und eine Art Fleischkonzentrat. Es war zu erwarten, dass dieses Angebot auch in kommenden Tagen nicht sehr variieren würde. Vielleicht mal Brei statt Eier, Kunstkäse statt der Marmelade – das würde es in etwa sein. Alles in etwa so natürlich wie die Bordwand. Na ja, sie hatte sich schließlich freiwillig gemeldet. Lilja fühlte sich inzwischen mehr und mehr wie in ihrer Grundausbildung. Hier gab es zwar keine Gruppe von Kameraden, die einem Halt gab, aber dafür wurde man auch nicht so herumgescheucht. Die Lebensbedingungen waren jedoch ziemlich ähnlich…sagen wir mal unbequem. Aber sie hatte es damals geschafft, sie würde auch jetzt nicht maulen. Der Kapitän hatte Recht – immerhin waren sie im Krieg. Und wer wie sie von der PMV träumte, der konnte ja wohl aus solchen Gründen nicht aufmüpfig werden, oder er hätte bewiesen, dass er die Auszeichnung nicht verdiente.
Als sie sich zu Ace umdrehte, der ganz gegen seine übliche Art recht schweigsam geblieben war, fiel ihr auf, dass er sie für einen Moment merkwürdig anstarrte. Oder vielleicht irrte sie sich auch, denn im nächsten Moment war er wieder mit seinem Teller beschäftigt. Sie runzelte die Stirn, fuhr dann aber ungerührt fort: „Ich überprüfe dann deinen Jäger, du meinen vor dem Start. Wir haben hier keine verlässlichen Mechaniker, also gehen wir auf Nummer sicher…“ Lilja war noch nicht bereit, der Besatzung in fachlicher Hinsicht voll zu vertrauen, und das galt auch für Angehörigen des Korps. Apropos Vertrauen…
„Und noch was Ace – wir beide sollten uns bei Gelegenheit mal zusammensetzen und gründlich reden.“ Einmal mehr war sie von der Wirkung ihrer Worte überrascht. Der Pilot – immerhin fast so erfahren wie sie und rund einen Kopf größer – starrte sie fast entsetzt an: „Reden? Worüber?!“
Inzwischen war Liljas begrenzter Vorrat an Geduld schon ziemlich aufgebraucht und sie klang bereits ziemlich unwirsch: „Was denkst du denn? Vielleicht, dass ich dich als Trauzeugen benötige? Natürlich wegen deiner künftigen Rolle als Staffelchef der Blauen. Oder denkst du, du könntest von mir nichts mehr lernen? Was zum Donnerwetter stimmt denn eigentlich nicht mit dir?“
Der Pilot räusperte sich: „Ähm, nichts weiter. OK, schauen wir mal. Ich sehe dich dann im Laderaum.“ Und damit stand er ungewöhnlich wortkarg auf und ging – man hätte sagen können, er floh, wäre der Gedanke nicht abwegig gewesen.

Zurück blieb eine reichlich konsternierte Lilja. Was war denn bitteschön jetzt wieder passiert? Sie hätte sich ja OFT GENUG gewünscht, dass ihr der blauhaarige Pilot aus dem Weg ging oder in ihren Gesprächen oder besser Streitereien klein beigab – aber jetzt, wo sie nicht mal stritten? Sie kannte Ace schon ziemlich lange. Sie hatte ihn aufgeblasen erlebt, gut gelaunt, deprimiert, angeschlagen und oft genug einfach nur strohdumm. Aber so sehr sie sich auch bemühte, so wie heute hatte sie ihn noch nie gesehen. Wer hatte dem denn auf den Schädel gehauen? Es ging sie ja eigentlich nichts an, aber so wie er sich aufführte, musste sie sich fragen, ob er wirklich voll einsatzbereit war.
Einen Augenblick dachte sie angestrengt nach. Dann verzog sie ihre Lippen zu einem schiefen Lächeln. Ach ja, DAS würde es wohl sein. Es war im Schwange gewesen, dass Kali aus dem Geschwader weg versetzt wurde. Imp hatte ihr bei ihrem letzten Treffen etwas in der Richtung erzählt. Und bei der Angewohnheit von Ace, zu klammern – man erinnere sich nur, wie affig er sich aufgeführt hatte, als er erfuhr, dass seine „kleine“ Schwester nicht mehr nur mit Puppen ins Bett ging – war nicht sehr überraschend, dass er sich wegen dem Weggang einer Frau quälte, die nie eine Affäre mit ihm gehabt hatte und seit Jahren mit einem anderen zusammen war.
Am Tod von Huntress konnte es nicht liegen, denn auf dem Rückweg von Karrashin hatte er sich nicht so aufgeführt. Oder lag es daran, dass er sauer war, unter ihrem Kommando zu stehen? Die Zeit, wo sie ihn hätte Dreck fressen lassen, war doch eigentlich vorbei. Und was sein Ego anging – nun, immerhin war sie einen Rang höher als er. Und hatte bewiesen, dass sie es sich verdient hatte. Oder machte er sich Sorgen, sie würde ihm wegen seinem neuen Posten in Staffel Blau zwiebeln? Allerdings, sie hatte ja mehr als einmal nicht sehr subtil angedeutet, dass sie an seiner Befähigung als Einheitschef zweifelte. Andererseits – sie war doch keine wirkliche Gefahr für ihn. Raven würde kaum wegen Liljas Meinung einen anderen Staffelchef ernennen. Alles in allem war das Verhalten von Ace höchst merkwürdig. Doch dann sagte sie sich, dass dies wohl kaum ihre Sache war. Solange er als Pilot funktionierte, war alles in Ordnung. Mit diesem Gedanken machte sie sich wieder an ihr Frühstück.

Rund zweieinhalb Stunden später war Lilja mit den letzten Startvorbereitungen beschäftigt. Es war schon etwas ungewohnt, sich um so viel selber kümmern zu müssen. An Bord der Redemption und Columbia wie in ihren früheren Einheiten hatten die technischen Dienste die meisten Arbeiten übernommen. Hier gab es nur etwas Hilfe durch die Shuttlebesatzung der Marines. Die Crew der Emerald Jade weigerte sich nicht direkt, doch sie hatten natürlich eigene Aufgaben zu bewältigen, also konnte man mit etwas Glück vielleicht Quicksilver oder ein einfaches Besatzungsmitglied loseisen. An Konrad Walser, den Bordingenieur, war nicht zu denken. Der machte sich offenbar rar und blieb im Maschinenraum – kein Wunder angesichts des Schrotthaufens, den er zu warten hatte. Und keiner der Helfer war wirklich Spezialist für Falcon-Jäger. Es war wichtig, das im Gedächtnis zu behalten. Im Notfall würde es keine kurzfristige Neubewaffnung und Betankung geben, wie man es bei den Trägern kannte. Wenigstens fehlte es nicht an Arbeitskräften für reine Krafteinsätze. Die Marines mussten ohnehin beschäftigt werden. Mitch McKenna war sich wohl darüber im Klaren, dass er sie nicht die ganze Zeit über eine improvisierte Sturmbahn scheuchen konnte, aber auch ständige Ausrüstungsappelle oder Langeweile waren nicht ratsam. Nun, das war seine Sache – im Zweifelsfall hatte er sich an das zu halten, was ihm Tremane oder Falkner sagten. Oder Lilja, was das betraf. Ein Ring mehr auf den Schulterklappen war schon ein nettes Ding für eventuelle Interessenkonflikte.
Die Russin hatte ihren eigenen Zeitplan nicht einhalten können, denn Dr. Eriksen hatte sie abgepasst und zur Überprüfung in die Krankenstation geschleift. Lilja verstand zwar nicht ganz den Sinn der Untersuchung, es war ja nicht lange her, dass sie auf der Couch gelegen hatte. Sie hatte sich jedoch nicht gesträubt und Ace ebenfalls zu Gehorsam verpflichtet. Es machte wenig Sinn, die Doktorin gegen sich aufzubringen, und sie war der Frau für ihre Ratschläge dankbar. Etwas war ihr jedoch aufgefallen. So wenig sie von Medizin verstand, war ihr doch noch vom letzten Mal klar, dass die Überprüfung nicht so sehr auf körperliches Wohlbefinden als auf eine Untersuchung der Gehirnströme zielte. Blieb die Frage, was sich Eriksen davon versprach, nicht nur sie sondern auch alle anderen zu untersuchen.

Wie es aussah, würde ihr Dienstplan in den nächsten Tagen ohnehin nicht so leer aussehen, wie sie ursprünglich gefürchtet hatte. Tremane hatte regelmäßige „Konsultationen“ mit Dr. Georges und Lieutenant Commander Fuchida angeordnet. Das war noch so ein merkwürdiger Punkt. Fuchida war Sensorspezialist, und Lilja verstand sehr wohl, warum sie sich mit ihm kurzschließen sollte. Vermutlich würde der Flottenoffizier das künftige Vorgehen koordinieren wollen, um eine optimale Sensoraufklärung und Auswertung zu gewährleisten. Aber der NSC’ler? Lilja war sich nicht ganz sicher, was dessen genaue Aufgabe an Bord war, denn sie hatte noch keine Gelegenheit gehabt, mit ihm zu sprechen. Vielleicht sollten sie nicht nur Geleitschutz fliegen, sondern auch neue Technik erproben? Nun, das würde sich schon noch herausstellen. Und zusätzlich dazu rechnete sie damit, dass sie ein wachsames Auge auf ihren Jäger behalten musste. Nahm man noch ihre körperliche Ertüchtigung hinzu, dann kam sie schon auf sieben bis acht Stunden zwar zumeist nicht gerade hektische oder anstrengende Beschäftigung, aber Langeweile würde nicht aufkommen.

Doch das hatte Zeit bis später. Jetzt stand erst einmal etwas auf dem Plan, worauf sie sich schon lange gefreut hatte – endlich würde sie wieder fliegen können, das erste Mal seit ihrem Einsatz mit gebrochenem Bein beim Sprungpunkt von Karrashin. Das war schon gut zwei Monate her, viel zu lange für ihren Geschmack. Kein vollwertiger Ersatz für das Töten von Akarii, aber immerhin.
Sie überprüfte ein letztes Mal den Raumanzug, dann schloss sie das Helmvisier. Mit einer wegen der Handschuhe etwas ungelenken Geste signalisierte sie ihren Helfern, dass alles in Ordnung war. Dann zwängte sie sich in die Luftschleuse und schließlich in das Cockpit ihres Jägers. Dies war eine jungfräuliche Maschine, wie die Griphen, die sie über Karrashin geführt und in der sie beinahe gestorben war. Sie hatte sie dennoch als ihr „Eigentum“ markiert – noch am Boden hatte sie die weiße Lilie, ihr langjähriges Markenzeichen, auf die Flanken gepinselt. Sie wusste inzwischen nicht mehr genau, wie oft sie im Verlauf des Krieges die Blume auf eine Typhoon oder Falcon gemalt hatte, beginnend mit der Maschine, die sie in ihrem ersten Kampfeinsatz geführt hatte. Diese Geste war wichtiger als die wachsende Zahl von Abschussmarkierungen oder andere Verzierungen.
Routiniert spulte Lilja die Bereitschaftsliste ab. Sie rief sich einmal mehr in Gedächtnis, dass der Start diesmal ganz anders erfolgen würde als sie es gewöhnt war. Kein Katapultstart mit anschließendem Aufflammen der Triebwerke. Hier würde sie sich selbst mit Hilfe der Manöverdüsen freimachen, nachdem die Verriegelung gelöst worden war. Wenn sie dabei einen wirklich schweren Fehler machte…nun, sie hatte erlebt, was Zusammenstöße anrichteten. Sie holte ein letztes Mal tief Luft, dann öffnete sie eine Sprechverbindung.
„Emerald Jade, hier Jadesohn Eins. Bitte um Freigabe zum Start.“ Das war noch ein Ergebnis der Spionitis, die auf dieser Mission grassierte. Der Frachter rangierte unter Jademutter, die Shuttles unter Jadetochter Eins – das zivile Shuttle der Emerald – und Zwei. Die Jäger waren Jadesohn Eins und Zwei.
Die Antwort auf ihre Anfrage kam sofort. Es war die Stimme von Sarah Victor: „Startfreigabe erteilt, Halteklammern werden gelöst in…dreißig Sekunden.“ Offenbar ließ es sich der Kapitän nicht nehmen, persönlich das Manöver zu überprüfen. Nicht gerade ein Vertrauensbeweis, aber Lilja hätte nicht anders gehandelt. Sie selbst würde als erste starten. Außer in Notsituationen war es nicht notwendig, beide Maschinen gleichzeitig auszusetzen – wozu etwas riskieren und die Belastung von Crew und Piloten erhöhen? Ace würde ihr in einige Minuten folgen, und sollten bei ihr bereits Probleme auftreten, war man vorgewarnt.

Die Russin zählte im Kopf mit, während zugleich die Zeitanzeige vorrückte. Als sie bei 30 war, ging ein leichter Ruck durch den Jäger. Genau so, wie man es ihr gesagt hatte, gab Lilja bedachtsam aber entschlossen Schub. Im Augenblick flog sie mit derselben Geschwindigkeit wie der Frachter, doch natürlich übten ihre Manöver eine gewisse Bremswirkung aus. Darin lag auch eine wesentliche Gefahr bei dieser Art des Starts. Sie durfte nicht zu vorsichtig sein, sondern musste zügig Abstand gewinnen – es war nicht ratsam, zu nahe an die Triebwerke zu kommen. Für einige Sekunden erlebte sie eine milde Panikattacke, als sie auf ihren Anzeigen sah, dass ihre Geschwindigkeit besorgniserregend schnell sank – doch dann sah sie, wie die Emerald Jade sie in sicherer Entfernung passierte. Die Triebwerke gaben stetigen Schub und trieben den alten aber offenbar verlässlichen Frachter seinem Ziel entgegen, während die feuerbereiten Rücken- und Bauchtürme Wehrhaftigkeit demonstrierten. In diesem Moment störte es Lilja nicht im Geringsten, dass der Frachter aussah wie gerade so noch einmal vom Schrottplatz gerettet. Sie bewunderte einfach die Eleganz und Schönheit, die eigentlich jedem Raumschiff im freien Raum innewohnte. Mit einer geschmeidigen Bewegung legte sie ihren Jäger auf die Seite und gab Vollschub, schloss binnen weniger Sekunden in sicherem seitlichen Abstand zur Emerald Jade auf, überholte sie. Es war überwältigend, wieder zu fliegen. Die konzentrierten, harten Züge der Pilotin verzogen sich unwillkürlich zu einem triumphierenden Lächeln. Oh ja, sie hatte es immer noch drauf! Und zum Teufel mit allen Quacksalbern wie Langenscheid, die sich einbildeten, sie wüssten besser, was Lilja konnte oder sollte!
Dann rief sie sich zur Ordnung. Das war schließlich kein Vergnügungsflug, sondern Teil der Mission. Sie rief den Frachter: „Jademutter, alle Systeme arbeiten einbahnfrei.“
Der Stimme der Kapitäns war die Erleichterung anzuhören: „Ausgezeichnet geflogen, Jadesohn Eins. Vor allem für jemanden, der so etwas noch nie gemacht hat. Auch bei uns ist alles tadellos. Ich gebe Startfreigabe für Jadesohn Zwei.“ Zwei Minuten später war die zweite Falcon an Liljas Flanke.

Jetzt, im Raum, zeigte Ace keine Spur mehr von seinem vorherigen anormalen Verhalten. Vielleicht hatte er nur schlecht geschlafen. Oder die Emerald hatte ihn an seine Heimat erinnert. Lilja registrierte mit Erleichterung, dass ihr Untergebener wohl doch nicht in seiner Einsatzbereitschaft eingeschränkt war. Ihre Stimme klang ungewohnt übermütig, aber sie konnte die Freude darüber, wieder im Einsatz zu sein, kaum bezähmen: „Also, Jadesohn Zwei. Wir haben in einer Stunde ein Rendezvous mit Jadetochter Zwei. Bis dahin können wir die Maschinen erproben – schließlich müssen wir sicherstellen, dass uns die Bodenstelle keinen Schrott angedreht hat. Wir können nicht damit rechnen, dass wir so eine Chance noch einmal haben, immerhin wollen wir keinen Sprit vergeuden. In Zukunft fliegen wir vor allem Aufklärung und Eskorte, ohne Extratouren. Das heißt, wir müssen die Gelegenheit nutzen. Du hast ja deinen Jagdschein für diese Maschine, aber jetzt musst du mir erst mal beweisen, dass du ihn auch wirklich verdienst. Erst jagst du mich, dann wechseln wir. Ich will, dass die Maschinen und ihre Sensoren – und deine Fähigkeiten – bis zum Rand des Vertretbaren geprüft werden. Wenn es ernst wird, ist dafür keine Zeit mehr. Wehe dir, wenn ich nicht überzeugt bin!“ Mit diesen Worten beschleunigte sie abrupt. Es war Zeit, ein wenig auf den Busch zu klopfen…
Während sie sich aufs Fliegen und die Anzeigen ihres Jäger konzentrierte ging ihr durch den Kopf, dass egal wie gefährlich und zweifelhaft oder gar sinnlos diese Mission auch seien mochte, Momente wie dieser dieses Risiko wert waren. Sie war wieder da, wo sie hingehörte.
28.01.2016 10:17 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Tyr

EMERALD JADE, Irgendwo zwischen dem Sterntor- und dem Medusa-System

Inzwischen war es acht Stunden her, dass der Frachter aus dem Sterntor-System gesprungen war. Zeit, um einige Fragen zu beantworten, und für klare Verhältnisse zu sorgen.
Andrew Tremane blickte sich in der Messe der EMERALD um – ein ziemlich…informeller Ort für eine Einsatzbesprechung, aber man musste flexibel sein. Es gab an Bord keinen besseren Raum. ‚Höchstens hätte ich noch die Krankenstation oder den Maschinenraum nehmen können.’ Die spartanischen Quartiere waren zu klein, um die notwendige Anzahl Menschen zu versammeln.
Nicht, dass es ihm nicht lieber gewesen wäre, wenn er mit einer kleineren Gruppe hätte auskommen können, aber auch da hatte er keine Wahl gehabt. Er war auf Captain Victors Unterstützung angewiesen. Lieutenant Commander Eriksen vom medizinischen Dienst des NSC wusste ohnehin schon zuviel, um sie einfach auf die Seite schieben zu können, genauso Lieutenant Commander Fuchida von der RELENTLESS. Und da Lieutenant Commander Lucas Georges vom NSC immerhin als Spezialist für extraterrestrische Lebensformen an Bord gekommen war, wäre es wohl kaum sinnvoll gewesen, ihn im Dunkeln tappen zu lassen, bis die EMERALD JADE ins Medusa-System sprang, oder?
‚Es sind mir ein bisschen viele Offiziere an Bord.’ Vor allem, da es ja noch weiterging. Second Lieutenant McKenna kommandierte das Halbplatoon der Marines. Zwar kultivierten die Marineinfanteristen normalerweise eine nützliche ‚First to Go, Last to Know’-Attitüde, aber es machte keinen Sinn, sich den offensichtlich etwas überambitionierten Queraufsteiger aus dem Unteroffizierskorps dadurch zum Feind zu machen, indem er ihn am ausgestreckten Arm verhungern ließ. McKenna war selbstbewusst genug, um in einem solchen Fall auf eigene Faust aktiv zu werden – und hinreichend mittelmäßig, um dadurch alles noch schlimmer zu machen.
Was die beiden Piloten anging, Lieutenant Commander Pawlitschenko und Lieutenant Davis…Er brauchte sie, beide. Davis wusste ohnehin schon zuviel, ihn jetzt noch auszuschließen, würde nicht mehr viel bringen. Außerdem galt für ihn das gleiche, wie für McKenna. Also würde er es auf die sanfte Tour versuchen.

Tremane warf seiner Stellvertreterin einen kurzen Blick zu. Jean Falkner grinste kurz, und klappte das zwei Hände große Gerät mit dem schmalen Displayschirm zusammen: „Alles klar.“
Tremane nickte knapp. Diese Unterredung würde weder abgehört, noch aufgezeichnet werden. Ein weiterer Blick in die Gesichter der versammelten Männer und Frauen zeigte ihm, dass der eine oder andere inzwischen ahnen musste, dass hinter dem Auftrag vielleicht mehr stecken mochte, als sie bisher gedacht hatten.
Immerhin war es nicht alltäglich, dass man für eine Einsatzbesprechung die Zugangstüren versiegelte, den Raum nach Wanzen scannte, und außerdem auch noch einen Störsender aktivierte. ‚Ihr habt ja keine Ahnung…’

Tremanes Stimme klang ruhig und entschlossen. Während alle anderen saßen, waren er und Falkner stehen geblieben. Der Geheimdienstoffizier hatte sich am Kopfende des Messetischs aufgebaut, stützte sich mit zu Fäusten geballten Händen auf den Tisch, während er seine Augen langsam über die Versammelten wandern ließ. Jean Falkner stand einen halben Schritt hinter ihm, die Arme locker verschränkt. Ihre kalten, blassen Augen schienen ins Leere zu starren.
Man musste keinen Doktor in Kommunikationstechnik haben, um die nonverbalen Signale zu verstehen, die die beiden Geheimdienstoffiziere aussendeten. Und genauso war es auch geplant.
„Sie alle hatten inzwischen Zeit, um sich gegenseitig kennen zu lernen. Vielleicht ist dem einen oder anderen dabei aufgefallen, dass die Einsatzparameter, unter denen Sie rekrutiert wurden, sich teilweise geringfügig unterschieden haben.“ Das war eine ziemliche Untertreibung.
„Ich bedauere das…“, das war eine Lüge, „…aber im Interesse der nationalen Sicherheit war dies leider unumgänglich.“
Diese Eröffnung sorgte für leichte Unruhe, aber wenigstens wurde noch keiner laut, auch wenn zumindest Lieutenant Commander Pawlitschenko so wirkte, als hätte sie gerne das eine oder andere gesagt. McKenna hielt vorerst die Maske des stoischen Jarhead aufrecht, die NSC-Offiziere verhielten sich ruhig, und Captain Victor…Sie wirkte nicht im Geringsten überrascht.
„Dies ist keine Operation der Flotte, das dürfte Ihnen inzwischen klar sein, auch wenn wir auf die Unterstützung der TSN angewiesen sind. Es ist auch kein NIC-Unternehmen. Und es ist auch keine vom NSC befohlene Operation, obwohl das Wissenschaftskorps maßgeblich für den Erfolg unserer Mission verantwortlich sein wird.“ Für einen Augenblick sah es so aus, als wollte ihm Lieutenant Davis ins Wort fallen, doch als seine unmittelbare Vorgesetzte ihm an der Schulter packte, zuckte er zusammen als habe sie ihm einen Nadelstich verpasst und schloss seinen Mund wieder. Tremane zögerte kurz, und fuhr dann fort: „Dieser Einsatz unterliegt der Autorität des Terran Intelligence Service.“
Es war sehr befriedigend zu sehen, wie die Versammelten auf diese Nachricht reagierten. Einige hatten es gewusst, oder zumindest geahnt, andere hingegen...
„Nicht, dass dies etwas an der Kommandokette ändert. Ich sage Ihnen, WANN und WAS Sie tun sollen. WIE Sie es tun, das überlasse ich Ihnen. Aber Sie werden meine Befehle befolgen.“ Diesmal sah es so aus, als wollte McKenna etwas loswerden, aber Tremane fixierte den rangniederen Offizier mit einem starren Blick, der ihm den Mund verschloss.
Zumindest für den Augenblick.
„Bei dieser Operation sind Schnelligkeit und Heimlichkeit die entscheidenden Faktoren. Für den ersten Teil ist Kapitän Victor verantwortlich. Was den zweiten Teil angeht…deshalb war es notwendig, einigen von Ihnen eine etwas…geschönte Version der Zuständigkeiten und der Einsatzparameter zukommen zu lassen.“

Das war für manchen sicherlich schwer zu schlucken, aber Tremane ließ sich jetzt nicht aus dem Konzept bringen, sondern fuhr unbeirrt fort: „Außerdem macht der Geheimhaltungsaspekt es notwendig, unsere Kommunikation von nun an auf das absolut notwendige Minimum zu beschränken.
Lieutenant McKenna, Sie werden das Langstreckenfunkgerät, das sich an Bord Ihres Shuttles befindet, deaktivieren lassen.“
„Was?“
„Bei diesem Einsatz werden wir keinen Bedarf für diese Anlage haben Und deshalb will ich, dass sie ausgeschaltet bleibt. Haben Sie mit diesem Befehl ein Problem, Lieutenant?“ Bei den Worten ‚Befehl’ und ‚Lieutenant’ schwang in Tremanes Stimme eine Schärfe mit, die den Widerspruch jäh abschnitt. Diesmal war es McKenna, der keine Wahl hatte: „Nein, Sir.“
Tremane wandte sich Kapitän Victor zu, die vergeblich versuchte, ein kleines hämisches Zucken ihrer Mundwinkel zu verbergen: „Kapitän, die Anlage an Bord der EMERALD wird aktiv bleiben. Aber Lieutenant Commander Falkner wird die Soft- und Hardware entsprechend umkonfigurieren, so dass jeder Funkspruch aufgezeichnet und an mich gemeldet wird. Im Interesse einer harmonischen Zusammenarbeit würde ich darüber hinaus begrüßen, wenn Sie alle Langstreckenfunksprüche mit mir absprechen. Außer natürlich, es handelt sich um einen Notfall.“
Jayhawkers Grinsen verschwand wie weggewischt: „Augenblick mal. Sie wollen meine Anlage verwanzen?“
„Nur für die Dauer der Mission.“
„Und was, wenn Ihre Freundin das Gerät lahm legt? Haben Sie das schon mal überlegt?“
„Deshalb macht sie es, solange wir noch in republikanischem Raum sind. Und für eventuelle Schäden wird meine Dienststelle aufkommen. Außerdem…ich versichere Ihnen, dass der Lieutenant Commander genug Erfahrung in der Durchführung solcher Aufträge hat.“
Tremane grinste hässlich, und nach ein paar Augenblicken entschied sich Jayhawker offenbar dafür, dem Beispiel McKennas zu folgen. Natürlich wusste sie, dass Tremanes Stellvertreterin Erfahrung im Einsatz von Überwachungs- und Abhörgeräten hatte.
„Was die Kurzstreckenkommunikation angeht, so würde ich Ihnen allen empfehlen, sie ebenfalls auf das absolut notwendige Minimum zu begrenzen. Alle Funksprüche werden zudem aufgezeichnet werden. Und ich brauche Ihnen wohl nicht noch einmal zu sagen, dass Sie für den Inhalt verantwortlich sind. Nichts, was das Ziel oder die genauen Parameter dieser Operation betrifft, darf über die Hülle dieses Raumschiffs hinausgelangen. GAR NICHTS.“
Jayhawker schnaubte kurz, enthielt sich allerdings eines weiteren Kommentars. McKenna hatte offenbar von seiner letzten Abfuhr genug. Fuchida war zu klug, um laut zu werden, und Pawlitschenko und Davis…Nun, die strikte Geheimhaltung der Operation war wahrscheinlich nichts, was die Piloten besonders bekümmerte.
Wenn die ranghöhere Jagdpilotin darüber verärgert war, dass man ihr die Beteiligung des TIS verschwiegen und dass Falkner sie unter falscher Flagge und falschem Namen angesprochen hatte, dann verbarg sie es gut. Vielleicht war es ihr ja auch egal.
Was die NSC-Mitarbeiter anging…Eriksen blieb stumm, doch dafür meldete sich jetzt allerdings Georges zu Wort. Der Alienspezialist schien nicht allzu viel Geduld zu haben: „Das ist ja alles schön und gut – aber vielleicht könnten wir zu dem wirklich wichtigen Teil dieser Besprechung kommen? Sie werden mich schließlich nicht ohne Grund an Bord geholt haben, oder? Ich denke, ich habe lange genug gewartet.“

„Wie Sie wollen. Lieutenant Commander Fuchida – wenn Sie bitte beginnen würden?“
Das erwischte den Sensoroffizier etwas überraschend, aber er fing sich ziemlich schnell. „Ahh…natürlich.
Vor…sechs Wochen ortete die RELENTLESS bei unserem Transferflug durch das Medusa-System einige merkwürdige Signale aus dem Asteroidengürtel, der den zweiten Mond des dritten Planeten umschließt.“
„Medusa? Das liegt im Niemandsland.“ Kapitän Victor wirkte nicht allzu erfreut. Obwohl sie Tremane wahrscheinlich die Geschichte mit den strategischen Rohstoffen nicht abgekauft hatte, ein Abstecher in die umstrittenen Gebiete am Rand des republikanischen Raums war eine heikle Angelegenheit. Auch wenn diese Front momentan relativ ruhig war…
„Ganz Recht. Wir schickten zwei Jäger auf einen Aufklärungsflug. Bei ihrer Annäherung wurde ein…Signal unbekannter Quelle und Art aktiviert, das kurzfristig den Funkverkehr und die Bordelektronik der beiden Maschinen zu überlasten drohte. Daraufhin zogen sich die Jäger zurück. Die von Ihnen gesammelten Sensordaten waren teilweise verstümmelt, aber…“
„Aber klar genug, um diese Operation zu rechtfertigen.“ vollendete Tremane den Satz. Es fiel ihm schwer, stumm zu bleiben: „Entschuldigen Sie, Fuchida. Bitte fahren Sie fort.“
„Bei der Analyse der aufgefangenen Daten kamen wir zu einer Reihe interessanter Schlussfolgerungen mit weit reichenden Folgen.“
Diesmal war es Georges, der sich einmischte: „Sollten Sie dieses Urteil nicht vielleicht den Experten überlassen, Sensoroffizier?“
Fuchida kam nicht dazu, eine Antwort zu geben, da sich Tremane erneut einmischte: „Nach MEINEM Urteil sind diese…Schlussfolgerungen stichhaltig genug. Wenn Sie also Lieutenant Commander Fuchida ausreden lassen würden…Sie werden die entsprechenden Daten noch früh genug erhalten.“

Fast hätte Fuchida gelächelt. Ob wegen Georges Abfuhr, oder aus Begeisterung über seine eigenen Worte, war nicht ganz klar:
„Erstens. Einige der Trümmerstücke, die einen Teil des Asteroidengürtels bildeten, waren zu regelmäßig geformt, um natürlichen Ursprungs zu sein, und bestanden zudem aus einer Legierung, die in der Natur nicht vorkommt. Vermutlich waren sie Teil einer Raumstation unbekannter Größe, die allerdings selbst nach sehr konservativen Schätzungen mindestens doppelt so groß war wie Fort Lexington.
Zweitens. Eine Analyse der Legierung ließ Rückschlüsse auf ihren Schmelzpunkt zu, der bei weitem über dem der modernsten Raumschiffpanzerungen liegt, die bei TSN oder der imperialen Marine im Einsatz sind.“
„Wie weit darüber?“ überraschenderweise war es die Kapitänin der EMERALD JADE, welche die Frage stellte. Fuchida zögerte kurz, warf Tremane einen schnellen Blick zu, und fuhr nach dessen knappen Nicken fort: „Nach vorsichtigen Schätzungen…mindestens um Faktor Zehn.“
„Aber das würde doch bedeuten, dass unsere Geschütze von einer solchen Panzerung einfach abprallen würden!“ schaltete sich Davis ein.
„Allerdings. Und nicht nur unsere Strahlenwaffen. Selbst eine volle Gefechtssalve Exocet-Marschflugkörper würde ein Schiff, das aus diesem Material besteht, bestenfalls ankratzen.“
Georges blieb skeptisch: „Sagten Sie nicht etwas von Trümmerstücken, Fuchida? Vielleicht haben Sie die Fähigkeiten dieser Panzerung also doch etwas überschätzt. Denn wenn diese Legierung tatsächlich so widerstandsfähig wäre, wie sie behaupten, wie konnte sie dann…“
„Es kommt darauf an, welche Waffen man einsetzt. Und wie viele. Der gesamte Asteroidengürtel war verstrahlt, was auf den Einsatz schwerster Nuklearwaffen schließen ließ. Allerdings haben sie recht - die Anzahl der als wahrscheinlich berechneten Nuklearsprengkörper hätte wohl kaum ausgereicht, eine Station dieser Größe und mit einer derartigen Hüllenpanzerung zu vernichten. Allerdings…wurden offenbar auch Antimaterie-Sprengkörper eingesetzt.“
„Antimaterie? Niemand setzt Antimaterie bei Raumschlachten ein! Außerdem…Ja, wir sind erst vor ein paar Dutzend Jahren in diese Region vorgestoßen, doch nach allem was wir wissen, sind die Akarii in dieser Region schon seit Jahrhunderten präsent. Unmöglich, dass sie ein derartiges Feuerwerk übersehen hätten. Ihre Messungen…“
„Waren korrekt. Und zu dem Zeitpunkt, als diese Sprengkörper gezündet wurden, hatten die Akarii noch nicht einmal den Motorflug erfunden. Vielleicht noch nicht mal das SCHIESSPULVER.“
Georges richtete sich auf. In seinen Augen lag auf einmal ein merkwürdiges Glänzen, das Tremane nicht entging. ‚Ja, das interessiert dich, oder?’ Er war nicht überrascht. Immerhin kannte er die Dienstakte dieses Mannes.
„Wie viel früher, Lieutenant Commander? Wie viele Jahre?“
Fuchida zögerte kurz: „Das sind natürlich nur Schätzungen. Aber wir vermuten…mindestens 2.000, maximal 12.000.“

„Allmächtiger. Die älteren Rassen.“ Georges klang fast ergriffen. Kein Wunder, immerhin hatte er seine Master-Arbeit diesem Thema gewidmet. Was ihm beinahe seinen Abschluss verdorben hatte.
Fuchida wirkte zufrieden, Eriksen, Victor und Pawlitschenko vorsichtig interessiert oder skeptisch, Davis schien die Vorstellung zu gefallen, und McKenna…
„Das ist doch Schwachsinn! Sie haben uns doch hoffentlich nicht auf diesen Rattenfrachter geschleppt, um nach Raumgespenstern zu jagen?“
Die Kapitänin des ‚Rattenfrachters’ sah so aus, als hätte sie dem Lieutenant am liebsten ein paar Zähne ausgeschlagen, hielt aber den Mund.
Georges hatte nicht solche Skrupel. Und den passenden Rang, um dem Marines über den Mund zu fahren: „Sie wollen doch auch nicht, dass ich Ihnen sage, wie Sie ein feindliches Schiff entern oder eine gegnerische Stellung nehmen. Also sagen Sie uns nicht, ob es die älteren Rassen gab oder nicht. Dafür fehlt Ihnen nämlich die Kompetenz.“
Um Fuchidas Mundwinkel schien es kurz zu zucken. Offenbar fand der Sensoroffizier es als amüsant, wie schnell sich Georges vom Saulus zum Paulus entwickelt hatte. McKenna war weniger amüsiert: „Kompetenz? Pah! Das sind doch Ammenmärchen! Raumfahrergarn von irgendwelchen uralten Zivilisationen, die vor Jahrtausenden über die Galaxis regiert haben!“
„Wahrscheinlich glauben Sie auch noch, dass sich die Sonne und das Universum um die Erde drehen…“
„Und Sie? Sie glauben wohl noch an den Weihnachtsmann.“
„Derartige Ammenmärchen überlasse ich irgendwelchen Halbgebildeten. Aber ich verschließe meine Augen nicht vor der Realität, bloß weil sie nicht in mein beschränktes, terrazentristisches Weltbild passt, Lieutenant.“

Tremane lauschte dem Streit mit einer gewissen grimmigen Belustigung. Dabei wusste Georges noch nicht mal die Hälfte. McKenna übrigens auch nicht. Es war noch keine Rede davon gewesen, dass die Zusammensetzung der analysierten Trümmerteile den Artefaktresten ähnelte, die angeblich dem Bifröst-Gürtel des Asgard-System entstammten – einem Asteroidengürtel, der nach einigen Theorien aus den Trümmern eines Planeten entstanden war, der in grauer Vorzeit irgendeiner unfassbaren galaktischen Katastrophe zum Opfer gefallen war. Oder einer Waffe…
Er hatte auch nichts über Medusa selber gesagt, den Stern, der dem System seinen Namen gegeben hatte, und dessen solares Feuer vor Jahrtausenden durch…irgendetwas…aus dem Takt geraten war, eine Flammen- und Strahlenwelle durch das System geschickt und die Planeten und Monde verbannt hatte.
Nichts über die merkwürdigen Veränderungen, die Doktor Eriksen bei der Messung der Hirnaktivitäten von Nakakura und Pallardo festgestellt hatte.
Und natürlich verlor er kein Wort über die Verbindung, die es zwischen dem Medusa-System und der COPERNIKUS gab.

Dann schaltete er sich aber doch ein: „Lieutenant McKenna, Sie werden Lieutenant Commander Georges mit dem nötigen Respekt behandeln. Außerdem hat er Recht. Sie sind nicht hier, um seine Arbeit zu tun. Die…Glaubwürdigkeit der gesammelten Daten und Analysen zu bewerten, ist nicht Ihre Aufgabe.“
„Ich werde doch wohl noch fragen dürfen, ob man meine Einheit wegen einem…Weltraummärchen abkommandiert hat? Und außerdem…diese Grenze besteht seit einigen Jahrzehnten. Die Akarii treiben sich schon mindestens hundert Jahren am Rand dieses Sektors herum. Und die alle haben nichts bemerkt?“
„Die Akarii interessieren sich nicht für Planeten, die sie nicht terraformen oder ausbeuten können. Im Medusa-System gibt es keine leicht zugänglichen Bodenschätze. Medusa selber ist instabil, und die Strahlenwerte schwanken heftig, liegen aber selbst im Bestfall weit über dem Durchschnitt. Diese Strahlung war es auch, die die Erforschung des Systems mit Robotsonden behinderte. Eine Reihe Erkundungsdrohen fiel wegen Strahlungsschwankungen aus, oder lieferte bestenfalls verstümmelte Ergebnisse. Weder uns noch den Akarii war das System eine gründliche Untersuchung durch Forschungsschiffe wert. Sie wollen wissen, warum noch niemand die…besonderen Eigenschaften des Asteroidengürtels erkannt hat? Weil niemand sich dafür interessiert hat. Weil das System scheinbar keinen zweiten Blick wert war.“
„Und wozu brauchen Sie dann meine Männer? Sollen wir Sie vielleicht vor den Geister irgendwelcher toten Alienkönige beschützen?“
‚Du hast ja keine Ahnung. Kann gut sein, dass du dir noch vor dem Ende wünschen wirst, diese Worte nicht gesagt zu haben, du kurz geschorener Affe!’ „Sie haben Angst, nichts zu tun zu haben? Keine Sorge, es wird genug für Sie zu tun geben.
Wir werden den Asteroidengürtel genauer kartografisieren, ihn scannen, und wir werden Proben von diesen Trümmerstücken einsammeln. Die EMERALD wird als Basiseinheit fungieren, aber für die Erkundungs- und Bergungsflüge werden wir vor allem auf ihr Sturmshuttle setzen.“
„Unser Shuttle…“
„Ist manövrierfähig, gut gepanzert und mit schweren Schilden ausgerüstet. Im Gegensatz zu den Jägern bietet es ausreichend Platz für Wissenschaftler und kann Bergungsmannschaften auschleusen. Außerdem ist es weniger anfällig für Signalüberlastungen.“
Kapitän Victor schaltete sich wieder in die Unterhaltung ein: „Das ganze verdammte System ist strahlungsgesättigt wie ein verfluchtes Endlager. Und wenn Ihre Geschichte mit dem Nuklearwaffeneinsatz stimmt…
Sie wollen, dass ich radioaktives Material an Bord nehme?“
„Nur kleinere Artefakte und Analyseproben für Sofortuntersuchungen. Wir haben die dafür nötigen Probenbehälter. Größere Artefakte und Trümmersteile…werden wir nicht an Bord nehmen.“
Jayhawker begriff: „Sie wollen das Zeug Huckepack nehmen? Das könnte vielleicht gehen, aber…“
„Lieutenant McKenna hat bereits Erfahrung mit Außeneinsätzen sammeln können. Aus diesem Grund haben wir auch schwere Bergungsanzüge an Bord genommen.“

Diese Geräte deren Äußeres ein wenig an Tiefseetauchanzüge erinnerte, die seit Jahrhunderten Bergungs- und Wartungsarbeiten in großen Wassertiefen erlaubten, waren in Wirklichkeit fast so etwas wie kleine Kurzstreckenraumschiffe. Sie verfügten über einen eigenen Antrieb, und genug Atemluft und Energie für Einsätze von zwölf bis zweiundsiebzig Stunden Dauer, je nach Modell und Modifikationen. Der Insasse verfügte nicht nur über zwei bis vier Robotarme, sondern außerdem eine ganze Batterie an Schneid- und Bohrwerkzeugen. Die Geräte kamen bei langwierigen Reparatureinsätzen, bei Bergungen und wissenschaftlichen Untersuchungen in extrem feindseliger Umgebung zum Einsatz.

McKenna schien ein wenig besänftigt, wirkte aber immer noch nicht zufrieden gestellt: „Aber dazu hätte auch ein Squad genügt.“
„Oh, ich brauche Sie nicht nur, um die Ladung zu bergen und zu sichern, da können Sie unbesorgt sein, Lieutenant.
Sehen Sie, ich bin nicht der einzige, der sich für diese Alienartefakte interessiert, und sie für wertvoll genug hält, um einen Bergungsversuch zu unternehmen. Laut Informationen, die der Abwehrdienst bei der Überwachung des zivilen Flugverkehrs gesammelt hat…“, Tremane warf der Kapitänin der EMERALD JADE einen kurzen Blick zu, der mit einem unschuldigen Gesichtsausdruck gekontert wurde. Vermutlich wusste sie am ehesten, was das für ein ‚ziviler Flugverkehr’ war, von dem Tremane sprach.
„…ist eine Woche vor unserem Start ein umgebauter Merkur-IX-Frachter in Richtung Medusa-System gestartet. An Bord waren offenbar Ausrüstung und Vorräte für einen Bergungseinsatz – obwohl der Frachter angeblich nur für einen Transporteinsatz für eine Mine einen Sprung vom Sterntor-System entfernt angemietet wurde. Das Schiff wurde über eine Briefkastenfirma angeheuert, die unter dem Verdacht steht, als Tarnfirma für Geldwäsche und Schmuggel zu dienen. Wir wissen noch nicht genau, wer das Geld dafür bereitgestellt hat, aber der Kapitän des Frachters – der MARY C – hat eine ziemlich…einschlägige Vergangenheit.“
Das war natürlich nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich wusste Tremane sehr genau, wer die MARY C angeheuert, und woher er seine Informationen über das Medusa-System hatte. Aber das hatte diese Männer und Frauen nicht zu interessieren. „Können Sie sich vorstellen, was diese Legierungen auf dem Schwarzmarkt wert sein könnten? Oder bei unseren Feinden? In der Konföderation, bei den Akarii? Dieses Risiko können wir nicht eingehen.
Sie sehen also, dass die strikte Geheimhaltung notwendig war. Wie auch die Eile unseres Aufbruchs, auch wenn er vielleicht einigen von Ihnen etwas…überhastet und improvisiert erscheinen musste.
Die MARY C hat eine Woche Vorsprung, aber sie wird nicht mit Höchstgeschwindigkeit fliegen. Sie wird jedes Aufsehen vermeiden, sich möglichst unsichtbar machen. Sie wird unseren Grenzpatrouillen ausweichen müssen. Wir werden sie einholen. Und wir werden sie aufbringen. Sie wird das Medusa-System vielleicht vor uns erreichen. Aber sie wird es nicht mehr verlassen. Dafür brauche ich Ihre Männer, Lieutenant McKenna.“
„Sie wollen, dass wir das Schiff entern.“
„Oder das, was davon übrig ist. Wenn die MARY C Widerstand leistet, haben wir die Erlaubnis und das Recht, sie zu vernichten. Lieutenant Commander Pawlitschenko, Lieutenant Davis – an dieser Stelle kommen Sie ins Spiel. Natürlich brauchen wir Sie auch als Geleitschutz, und möglicherweise auch für den einen oder anderen Aufklärungseinsatz im Medusa-System. Aber Ihre Hauptaufgabe wird die MARY C sein. Gegebenenfalls unterstützt durch unsere Sturmfähre und die Geschütze der EMERALD JADE.
Jayhawker schien das überhaupt nicht zu passen: „Moment – wir auch? Das hier ist ein Frachtschiff, kein Hilfskreuzer.“
„Genauso wenig wie die MARY C. Und im Übrigen brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Immerhin bin auch ich an Bord Ihres Schiffes. Und ich habe die feste Absicht, diese Operation zu überleben. Neben den Raketen und Bordgeschützen unserer Jäger und der Sturmfähre ist die EMERALD nur unsere dritte Reihe. Unsere Triarier.“
Diese historische Analogie war offensichtlich an Kapitän Victor verschwendet: „Und welche Waffen führt die MARY C?“

„Weder Marschflugkörper, noch schwere Geschützbatterien, falls es das ist, was Sie beunruhigt. Nach den Informationen des Zolls und der Systemüberwachung verfügt die MARY C über einen Zwillingslaser unter dem Rumpf und im Bug, und einen zweirohrigen Raketenwerfer auf dem Rücken.“
„Das ist mehr, als die EMERALD JADE hat.“
„Aber nichts, womit zwei Jäger und eine Militärfähre nicht fertig werden können. Und sobald McKennas Männer erst einmal an Bord sind…wie lange, glauben Sie, können Plünderer und Schmuggler gegen reguläre Marineinfanteristen bestehen?“
Victor warf McKenna einen etwas zweifelnden Blick zu, sah sich dann allerdings doch genötigt, einzuräumen: „Vermutlich nicht allzu lange. Nicht mal, wenn sie voll besetzt sind. Schmuggler kämpfen nicht gerne.
ABER… Ich würde mich nicht zu sehr auf die Informationen verlassen, die Ihnen die Heinies vom Zoll geliefert haben. Gut möglich, dass die auf der MARY C noch den einen oder anderen Einweg-Werfer montieren, sobald sie erst mal durch die Kontrollen sind. Alter Piratentrick. Und wenn sie vorhatten, mit ihren kostbaren Alienartefakten auch wieder durch den Zoll ZURÜCK zu kommen, dann haben Sie dort todsicher jemanden geschmiert. Und dann können Sie noch ganz andere Kaliber an Bord haben.“
„Ihre…Expertisen werden uns sicherlich gute Dienste leisten, wenn sich die MARY C tatsächlich zum Kampf stellen sollte, aber sie können unmöglich den ganzen Zoll UND die Systemsicherheit von Sterntor bestochen haben. Vielleicht haben sie noch ein paar kleine Überraschungen im Ärmel – aber nichts, womit zwei voll bestückte Kampfjäger und eine Sturmfähre, die von erfahrenen Piloten geflogen werden, nicht fertig werden können. Lieutenant Commander Pawlitschenko, Lieutenant Davis – Sie werden vorsichtig sein, und Sie werden die Ratschläge unserer Kapitänin ernst nehmen.“

Die Kapitänin schnaubte kurz. Tremane lächelte flüchtig, und fuhr dann fort: „Meine Damen und Herren, Sie sehen also, ich brauche Sie ALLE für den Erfolg dieser Mission. Ob NSC, TSN, Marinekorps – und natürlich auch Ihre Unterstützung, Miss Victor – die Operation wird nur dann gelingen, wenn Ihre Taten ineinander greifen, wie die Zahnräder einer Maschine. Wir haben etwa eine Woche, diese Zusammenarbeit zu perfektionieren. Wir sollten diese Zeit nutzen. Sie alle erhalten noch ein ausführliches Dossier zu den Einzelheiten unseres Unternehmens. Diese Daten dürfen ohne Autorisation durch die verantwortlichen Stellen – und das heißt bis zum Ende dieser Operation MEINE Autorisation – weder kopiert noch weitergeleitet werden. Sie haben die Erlaubnis, Ihre Untergebenen in dem Rahmen zu informieren, den sie für den Erfolg der Mission für notwendig halten. Allerdings unterliegen diese dann ebenfalls der Geheimhaltung – und man würde SIE verantwortlich machen, falls sie sich dieser Verantwortung nicht gewachsen zeigen sollten. Es tut mir leid, dass sagen zu müssen, aber meine Richtlinien sind in dieser Hinsicht eindeutig. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Und viel Glück.“
‚Wir werden es brauchen. Seid froh, dass ihr nicht wisst, wie sehr…’
28.01.2016 10:17 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Tyr

Victoria Station, Im Orbit um Seafort

Kano überprüfte reflexartig den Sitz seiner Uniform, und unterdrückte den Impuls, aufzustehen, und nervös hin- und herzuwandern. Es war nicht das erste Mal, dass er neue Piloten in der Schwarzen – in SEINER – Staffel begrüßen musste, aber die Männer und Frauen, die man von der Gelben Schwadron zu den Butcher Bears versetzt hatte, hatte er wenigstens flüchtig gekannt.
Aber diesmal war es etwas anderes. Fünf Piloten, die die neu gerissenen Lücken der Schwarzen Schwadron schließen sollten, kamen ohne Ausnahme aus anderen Geschwadern oder Verbänden. Teilweise waren sie erst vor relativ kurzer Zeit in den aktiven Dienst getreten, teilweise waren sie aber auch erfahrene Piloten, die sich in verschiedenen Kommandos bewährt hatten. Ein paar waren dem Tod in der Schlacht mit knapper Not entkommen und sollten nun – zumindest körperlich wiederhergestellt – erneut in den Krieg ziehen. ‚Und ich werde sie führen.’

Eine sechste Pilotin, die zu den Butcher Bears stoßen würde, war allerdings keine Fremde. Petra ‚Sugar’ Martens war endlich wieder kv geschrieben worden, und umgehend wieder ihrer alten Staffel zugeteilt worden. Die mit 1,7 Metern recht zierliche Pilotin mit den roten Haaren, den grünen Augen und dem durch die zahlreichen Sonnensprossen täuschend süß wirkenden Gesicht hatte ihren persönlichen Antrittsbesuch bereits hinter sich. Kano war mit dem zufrieden, was er in ihr sehen zu können glaubte. Auch wenn der durch den Tod ihrer Brüder aufgeflammte Hass auf alles, was Schuppen trug, immer noch in der vierundzwanzigjährigen Pilotin loderte, schien er inzwischen ein wenig abgekühlt zu sein. Kano hatte überhaupt nichts dagegen, dass seine Untergebenen den Gegner hassten – Hass konnte ein mächtiger Ansporn sein. Aber wollte nicht, dass jemand in seiner Staffel aus persönlichen Motiven einen Befehl missachtete, oder gar einen Kameraden in Lebensgefahr brachte.
Martens Können und ihre Aggressivität machten sie zu einer schlechten Flügelfrau, aber Kano war gewillt, ihr eine Chance als Flightführerin zu geben. Immerhin war sie unter Lone Wolf geflogen, und näherte sich zielstrebig dem Fliegerkreuz in Bronze. Sie brauchte einen ruhigen, etwas konservativen Flügelmann, der ihr den Rücken frei und sie selber zurück hielt. Er glaubte, dafür schon einen geeigneten Kandidaten gefunden zu haben.

Der zweiwöchige Lehrkurs, auf den Raven ihn geschickt hatte, hatte sich im Nachhinein tatsächlich als in mehr als einer Hinsicht vorteilhaft erwiesen. Er hatte einiges über die Führung einer Schwadron – oder eines Geschwaders – gelernt. Psychologisch und taktisch. Außerdem schmückte nun eine recht vorteilhafte Bewertung seine Dienstakte – Kanos ‚Noten’ waren ziemlich gut gewesen. Vor allem aber hatten ihn die Lektionen und Simulatorübungen beschäftigt gehalten. Kali hatte inzwischen ihren neuen Posten angetreten, und langsam konnte er die neue Situation auch emotional akzeptieren. Zum Glück würde die DERFLINGER noch eine Weile im Dock liegen bleiben – die COLUMBIA natürlich noch sehr viel länger. Bisher hatte es zwar nur zu ein paar kurzen Kommgesprächen gereicht, aber sobald Kali den ersten Anfangsstress hinter sich hatte, würden sie es schaffen, etwas Zeit für sich zu finden, das hatten sie sich gegenseitig versprochen.
Und wenigstens…war auch die Stimme inzwischen verstummt. ‚Falls sie jemals da gewesen ist.’ Die letzten Tage waren in dieser Hinsicht so ereignislos gewesen, dass er fast misstrauisch geworden wäre. Keine Albträume, unterbewusste Erinnerungsfetzen oder Gedankenblitze, die nicht seine eigenen waren. Gar nichts.
‚Jetzt aber zu den Neuen.’

Wie als Antwort auf seine Überlegungen summte der Türmelder: „Herein!“
Der Mann, der den Raum betrat, war mit knapp 1,9 Metern recht groß gewachsen. Mit etwa dreißig Jahren war er älter als Kano, und wie der Staffelführer schmückten ihn die Abzeichen eines First Lieutenant. Die dunkelblonden Haare trug er im Marines-Schnitt. Am Auffälligsten aber waren die grausamen Narben, die das Gesicht und den Hals des Mannes entstellten. Kano wusste, das sie sich auf Schultern, Brust und Oberarmen fortsetzten. Das Feuer hatte Spuren hinterlassen, die auch die moderne plastische Chirurgie nicht völlig kaschieren konnte.
Kano kannte auch die Dienstakte des Vernarbten – eine ziemlich beeindruckende Lektüre. Paul ‚Phoenix’ Jeanpierre stammte von Tordall und war wie der über T’rr verschollene Goliath ein ehemaliges Mitglied des Marinekorps. Als Pilot eines I-29 Jagbomber hatte er auf Wron zwei gegnerische Atmosphärenjäger und einen Deathhawk-Raumjäger abgeschossen, und etwa zwei Dutzend gepanzerte Fahrzeuge, sowie eine ähnliche Anzahl Geschütze und Raketenwerfer vernichtet. Jeanpierre, damals noch mit dem Callsign ‚Joker’, war Träger des Bronce Star und Mitglied der Fremdenlegion ehrenhalber – eine Auszeichnung, die relativ sparsam vergeben wurde.
Doch nachdem man den halbverbrannten Piloten aus seinem abgestürzten Jabo geborgen hatte, hatte es fast ein Jahr gedauert, bis man ihn wieder kv schreiben konnte. In der Zwischenzeit wurde seine Staffel nahezu vollständig aufgerieben, und die kläglichen Reste auf andere Einheiten verteilt. Jeanpierre war zur TSN versetzt worden. Obwohl auch die Marines über Raumjägerkontingente verfügten, waren seine Talente offenbar so beeindruckend, dass die Navy sich entschlossen hatte, diesen Mann für sich zu reklamieren. Also war es die TSN gewesen, die ihn auf Raumjäger umschulte, und erneut in den Einsatz schickte. Jeanpierres neues Callsign war offenbar seine eigene Idee gewesen – und Kano glaubte zu wissen, was den Piloten dazu bewogen hatte, diesen Namen zu wählen.

Langsam, mit einer sorgfältig kontrollierten Bewegung, erhob sich Kano, und begrüßte den Neuankömmling mit einem festen Handschlag: „Lieutenant Jeanpierre, willkommen bei den Butcher Bears.“ Der Händedruck des Veteranen war fest, vielleicht ein klein wenig provozierend – aber bevor es zu einer Kräfteprobe ausartete, gab Jeanpierre nach. ‚Interessant.’
„Danke, Sir. Es ist gut, wieder in den Einsatz zu kommen.“
„Ich weiß. Sie haben während Ihrer Rekonvaleszenzzeit drei offizielle Gesuche auf eine vorzeitige Versetzung in den aktiven Dienst gestellt.“
„Es fällt mir schwer, untätig zu sein.“
‚Da steckt noch ein wenig mehr dahinter.’ Kano hatte das psychologische Profil des Manns gelesen: „Ich weiß, was Sie meinen.“ Während dieser Worte nahm er wieder Platz. Aber er wusste tatsächlich, was Jeanpierre meinte. Er wusste, dass dieser Mann darauf brannte, Akarii zu töten. Rache zu üben, für den Tod seiner Kameraden, für die unerträglichen Schmerzen und für die Entstellungen, die er dem Gegner verdankte. ‚Lilja muss etwas Ähnliches empfunden haben. Sie sind ein gefährlicher Mann, Jeanpierre. Hoffentlich nur für den Gegner.’ Unwillkürlich kam ihm eine Zeile aus einem alten amerikanischen Klassiker in den Sinn: ‚Ich würde die Sonne angreifen, wenn sie es wagen sollte, mich derart zu verletzen!’
Dennoch, es war zu früh, um den Piloten darauf anzusprechen. Er wollte sich auf keinen Fall einen Mann wie Jeanpierre grundlos zum Feind machen, indem er Zweifel an seiner Einsatzfähigkeit äußerte. Denn ‚Phoenix’ brannte darauf, wieder in den Krieg zu ziehen – und er würde jede Kritik an seiner Eignung als eine Beleidigung, als Bedrohung verstehen. Nein, es war besser, seinen Hass, seine vom Korps so hoch gelobten Killerinstinkte als Waffe zu verwenden. Und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass diese Waffe nicht außer Kontrolle geriet. „Sie werden der dritten Sektion der Staffel zugeteilt, und unterstehen damit Lieutenant Ania Obasanjo. Zusammen mit Second Lieutenant Babur ‚Bunny’ Shibab bilden Sie den zweiten Flight. Bunny ist ein guter Flügelmann. Er wird keine Schwierigkeiten haben, mit Ihnen Schritt zu halten.“ Jeanpierres Temperament passte ganz gut zu La Reine ziemlich aggressiver Vorgehensweise, aber sie würde wie Kano selber darauf achten, dass er nicht zu sehr aus der Reihe tanzte. Außerdem war Bunny ein sehr überlegt fliegender Pilot, der Phoenix zuverlässig und kompetent den Rücken decken, und eventuelle Unbedachtheiten ausgleichen würde.
„Ich verstehe, Sir.“ Falls Jeanpierre enttäuscht darüber war, keine eigene Sektion zu erhalten, zeigte er es nicht. Aber vermutlich war er Realist genug, um keine falschen Erwartungen zu hegen. Immerhin war er trotz seinen Leistungen und seinem Dienstrang immer noch ein Neuling auf der Nighthawk.
„Ihre Fähigkeiten als Schlachtflieger sind mindestens genauso beeindruckend, wie Ihre Luftkampfstatistiken. Ihre Erfahrung bei der Vernichtung von Bodenzielen wird uns vielleicht noch einmal von großem Nutzen sein. Ich hoffe, dass Sie mir dabei helfen werden, die Schlachtfliegerfähigkeiten der Schwadron weiter zu verbessern.“
Das verzerrte Grinsen des Piloten wirkte ziemlich furchteinflößend, aber Kano wusste, dass der Hass, der hinter den grauen Augen loderte, nicht ihm galt: „Es wird mir eine Ehre und eine Freude sein.“
„Ausgezeichnet. Wenn Sie sonst noch irgendwelche Fragen haben…“
„Sie haben einen ziemlichen Ruf als Widergänger, Sir. Sie sind doch dieser Nighthawkpilot, der schon ein Dutzend Maschinen verschlissen hat.“
Kano unterdrückte ein überraschtes Zusammenzucken. Er hatte nicht gewusst, dass er DIESEN Ruf hatte. Und dass der offenbar die Runde machte.
„Ich musste ein paar Mal aussteigen, oder eingeschleppt werden, ja. Wieso?“ Er hielt seine Stimme bewusst neutral. Falls Jeanpierre jetzt doch auf ein Kräftemessen aus war…
Der Lieutenant zeigte wieder sein verzerrtes Lächeln: „Haben Sie Narben davon?“
„Ein paar…“
Jeanpierre nickte langsam, fast zufrieden: „Gut. Das wollte ich nur wissen. Wer kennt schon diesen Krieg, wenn er noch nicht bluten musste?“
Kano lächelte sparsam: „Ich glaube, ich weiß, was Sie meinen. Auch wenn ich es mir gewünscht hätte, dass manche dieser…Erfahrungen…nicht so nahe an der anderen Seite des Lebens verlaufen wären.“
Jeanpierre überraschte ihn mit einem rauen Auflachen:„Ich freue mich darauf, in dieser Einheit fliegen zu können.“ Er salutierte zackig nach Art der Marines, wandte sich zum Gehen, und hinterließ einen leicht verunsicherten Staffelführer. Einerseits freute Kano die – allerdings wahrscheinlich nur vorläufige – Akzeptanz des erfahrenen Piloten, andererseits… ‚Der Psychodoc hatte offenbar doch Recht. Ich werde dich besser im Auge behalten, Phoenix.’

Er blickte auf sein Armbandchronometer, und runzelte die Stirn. Eigentlich hätte der zweite Neuzugang bereits vor der Tür warten müssen. Aber offensichtlich hatte sich der einzige weitere First Lieutenant unter den Neuen verspätet. ‚Das fängt ja gut an.’ Wenn er sich den Inhalt der Dienstakte ins Gedächtnis rief, kamen ihm so gewisse Zweifel, dass die Verspätung nur ein Zufall war.
Erst zehn Minuten später meldete der Türsummer die Ankunft des erwarteten Neulings.
„Herein!“
First Lieutenant Maria ‚Huntress’ Agyris hatte mit Jeanpierre wenig gemeinsam, außer dem Dienstrang. Sie war etliche Jahre jünger, und mit knapp über 1,8 Meter Körpergröße auch ein wenig kleiner – wenn auch für eine Frau relativ hoch gewachsen. Das dunkelbraun glänzende Haar hatte sie rückenlang wachsen lassen, und trug es in einer Art Pferdeschwanz zurückgebunden. Und im Gegensatz zu Jeanpierre war ihre Haut von einer geradezu makellosen Glätte. Der mediterrane Farbton dieser Haut und die Form ihrer grünen Augen, die einen Hauch asiatischer Abstammung – oder einen guten Schönheitschirurgen – verrieten, gaben ihr ein gewisses exotisches Flair, das die Bilder in ihrer Dienstakte nur sehr unvollständig wiedergeben konnten. Vor allem zeigten sie nicht die ein wenig provozierend wirkende Geschmeidigkeit ihrer Bewegungen und die selbstbewusste Direktheit ihrer Blicke. „Lieutenant Nakakura? Entschuldigen Sie die Verspätung. Ich wurde kurz aufgehalten.“
Trotz der Worte konnte Kano in der leicht angeraut klingenden Stimme allerdings weder Entschuldigung noch Zerknirschung erkennen.
‚Tun wir mal so, als ob ich dir glaube.’ Kano zuckte mit den Schultern, erhob sich, und lächelte kurz: „Kein Problem, solange das ein Einzelfall bleibt. Willkommen bei den Butcher Bears, Lieutenant Agyris.“
Auch Maria Agyris Händedruck war fest, doch als beim Lösen des Händedrucks die sorgfältig manikürten Fingernägel der Pilotin kurz über die Innenseite von Kanos Handgelenk fuhren, musste er ein Zusammenzucken unterdrücken.
„Ich verspreche, Sie werden in Zukunft mir meiner Leistung mehr als zufrieden sein.“
Der Staffelchef fragte sich, ob das auch eine Anspielung sein sollte, verwarf den Gedanken dann aber als unwichtig: „Bitte nehmen Sie Platz.“ Das konnte jetzt etwas heikler werden.

Maria Agyris war zwar nicht gerade adliger Abstammung, doch da ihre Familie beträchtliche Anteile der Blohm&Voss Spacecrafts AG und einer Reihe ziviler Werften hielt, stand sie weit über den normalen Sterblichen – und war sich dessen offenbar auch bewusst. Ihre Herkunft, ihr Äußeres und ihr Auftreten sicherten ihr immer wieder die Aufmerksamkeit der Regenbogenpresse. Und obwohl sie sich mit einigen mehr als indiskreten Interviews über die Lobbyarbeit der Waffenindustrie in den Reihen der Legislative sicherlich nicht nur Freunde gemacht hatte, verfügte sie über Kontakte und Beziehungen, die weit über ihren Dienstrang hinausreichten.
‚Apropos Beziehungen…’
Kano lehnte sich zurück, und musterte die Pilotin: „Sie haben eine beachtliche Dienstakte.“
Agyris Mundwinkel zuckten, als hätte er einen Witz gemacht. Kano fuhr unbeirrt fort: „Kriegsfreiwillige, erstklassige Noten, trotz der verkürzten Ausbildung. Dann Ihr Dienst auf der NIMITZ…Sieben Feindjäger in nur achtzehn Monaten. Das schaffen nur wenige. Beförderung zum First Lieutenant in weniger als einem Jahr. Und noch kein einziges Mal abgeschossen worden.“
„Ich bin ziemlich gut.“
Das wusste Kano. Immerhin hatte er ihre Dienstakte aufmerksam studiert. Und deshalb wusste er auch, dass Agyris ihr Callsign – Huntress, wie die kürzlich verstorbene Kommandantin der Blauen Staffel – nicht wegen der Anzahl von Akarii erhalten hatte, die sie abgeschossen hatte.
„Die Bewertung ihrer Flug- und ihrer taktischen Leistungen ist hervorragend. Allerdings…,“ er blickte auf: „Allerdings hielt es Ihr früherer Vorgesetzter offenbar für notwendig, einige Anmerkungen und Hinweise ihrer Akte hinzuzufügen, die ich etwas…verwirrend finde.
Es gab offenbar einige Beschwerden von und Streitigkeiten mit Mitgliedern Ihres Geschwaders. Und sogar eine Anklage wegen dem Verstoß gegen das Fraternisierungsverbot.“ Das war mehr als ungewöhnlich. Obwohl sexuelle Beziehungen zwischen Angehörigen der Flotte formal untersagt waren, achte praktisch niemand mehr auf die Einhaltung dieser veralteten Richtlinie. Spätestens der Beginn des Krieges hatte dafür gesorgt, dass Vorgesetzte und JAG sich um wichtigere Dinge zu kümmern hatten.
Maria Agyris zuckte nonchalant lächelnd mit den Schultern, und blinzelte Kano amüsiert zu.
Der fuhr unbeirrt fort: „Das Verfahren wurde dann wegen Nichtigkeit eingestellt.“
„Stimmt. So viel war mit dem Typen wirklich nicht los.“
„Ich will ehrlich sein, es überrascht mich etwas, dass Ihre Vorgesetzten diesem Thema eine derartige Aufmerksamkeit gewidmet haben.“
Wieder zuckte es um Marias Mundwinkel. Mit einer geschmeidigen Bewegung lehnte sie sich vor, die Schultern dabei leicht zurückgezogen. Die Art und Weise, wie sich ihre Uniform dabei über ihrem Körper spannte, machte es schwer, sich auf ihr Gesicht zu konzentrieren: „Soll ich darauf ehrlich antworten, Sir?“
„Ich bitte darum.“
„Vielleicht hat sich jemand in seiner Männlichkeit bedroht gefühlt.“
Kano erwiderte ihren Blick. Seine Stimme blieb ausdruckslos: „Nun, wie dem auch sei, ich glaube nicht, dass die Frage der bedrohten Männlichkeit hier oder in Zukunft eine Rolle spielen sollte. Mir persönlich ist es egal, wie und mit wem Sie Ihre Freizeit verbringen, Agyris. Es wird erst dann zu einem Problem, falls es die Einsatzbereitschaft meiner Einheit bedroht. Solange Sie das bedenken, werden wir keine Schwierigkeiten miteinander haben. Haben wir uns verstanden?“
Die grünen Katzenaugen musterten ihn abschätzend, dann verzogen sich Agyris Lippen zu einem spöttischen Lächeln: „Ich denke schon, Lieutenant.“
‚Was das auch immer heißen soll.’

"Also gut. Noch etwas. Sie...Sie sind nicht die erste, die dieses Callsign verwendet, wussten Sie das?"
Wieder zuckten Agyris volle Lippen, deutlicher diesmal. Ein amüsiertes Funkeln blitzte in ihren Augen auf: "Nein, das war mir ehrlich gesagt nicht bewusst. Ich hatte noch nicht die Zeit, mich mit der Geschwaderchronik vertraut zu machen. Erinnere ich Sie irgendwie an meine...Vorgängerin?"
'Du bist wahrscheinlich hübscher. Und du bedeutest mehr Ärger.' "Nicht unbedingt. Juliane 'Huntress' Volkmer...war die Staffelführerin der Blauen Schwadron. Drei Jahre lang, noch bevor wir auf die COLUMBIA wechselten. Eine hervorragende Pilotin."
"Eine hervorragende Pilotin bin ich auch."
'Oh nein, an Selbstbewusstsein mangelt es dir nicht.' "Lieutenant Commander Volkmer war ein mehrfaches Ass. Sie hatte über dreißig Abschüsse. Laut den Aufzeichnungen...kann es sein, dass sie starb, weil sie dadurch hoffte, die Columbia durch ihr Opfer vor einem schweren, möglicherweise tödlichen Schaden zu bewahren."

Maria Agyris musterte ihren Vorgesetzten mit leicht schräg geneigten Kopf, während kurz ein seltsames Lächeln über ihre Lippen huschte: "Ich kann mir vorstellen...dass Sie ihr Verhalten ziemlich bewundern, nicht wahr Lieutenant? Bei Ihrem Namen denke ich sogar..."
'Geschichtskenntnisse hat sie also auch noch.' "Das tut nichts zur Sache. Ich wollte es Ihnen nur sagen."
"Danke. Sehr rücksichtsvoll. Aber stellt der Name für Sie ein Problem dar? Wollen Sie mir ein anderes Callsign zuweisen?" Jetzt lächelte Agyris ganz offen: "Mein Callsign...habe ich mir übrigends nicht selber ausgesucht. Es ist ein kleines Andenken an die Akademiezeit. Ich weiß gar nicht so recht, warum es hängengeblieben ist..." Das Lächeln bekam eine fast kokette Note.
'Aber ich weiß es.' "Nein, ich sehe da kein Problem. Und hoffe, auch sonst niemand. Ich dachte bloß, dass Sie es wissen sollten."
"Nun, dann werde ich wohl versuchen, meinem Vorbild gerecht zu werden. Bis auf das Sterben, natürlich."
Kano dachte kurz an Ace, und diesmal war er es, der ein flüchtiges Lächeln unterdrücken musste. 'Na, das glaube ich jetzt wohl eher nicht.'

„Sie kommen in die Zweite Sektion, die Lieutenant Garreth ‚Crusader’ Kyle untersteht. Ihr Flügelmann wird Second Lieutenant Jin-Ho ‚Spacer’ Lee. Wir sehen uns in der Staffelbesprechung in…einer dreiviertel Stunde.“ Durch Huntress verspätetes Eintreffen war sein Zeitplan durcheinander geraten. Er musste sich beeilen.
„Wir sehen uns, Lieutenant.“ Mit diesen Worten glitt die junge Offizierin aus ihrem Sitz, drehte sich um, und verschwand mit einem eleganten Hüftschwung. Sie schien es nicht für nötig zu halten, sich umzudrehen, um festzustellen, ob ihr neuer Kommandeur ihr hinterher sah.
‚Na wunderbar. Sie geben mir Captain Ahab und eine Sirene. Oder falsch – eine Wohlstandsblage, die das böse Mädchen spielen will.’ Kano war klar, dass Agyris nicht deswegen versucht hatte, seine Knöpfe zu drücken, weil sie ihn für attraktiv hielt. Sie hatte einfach austesten wollen, wie weit sie bei ihm gehen konnte.
‚Egal. Lilja sammelt Akarii-Köpfe, Huntress sammelt ‚Abschüsse’, und Skunk…sammelte Disziplinarstrafen. Hat mich nicht zu interessieren.’ Trotzdem musste er zugeben, dass Agyris ziemlich beeindruckend war. Er war schließlich auch nur ein Mensch.

Second Lieutenant James ‚Jimmy’ Straw hatte nicht nur einen niedrigeren Rang als Jeanpierre und Agyris, er war auch ein deutlich weniger…farbiger Charakter. Mit fast zwei Metern Körpergröße erschien er zwar fast zu groß für ein Jägercockpit, doch ihm fehlte die selbstbewusste Arroganz der beiden First Lieutenants. Mit sechsunddreißig Jahren war er älter als sie, ein ‚Spätchen’ wie manche jüngere Piloten spöttisch diejenigen nannten, die sich nicht bereits in ihrer Jugend um die Aufnahme in die Streitkräfte beworben hatten.
Straw war ein Kriegsfreiwilliger. Wie die meisten Piloten ‚der Generation von `32’ hatte er ein sehr verkürztes Trainingsprogramm absolviert, und war dann umgehend an die Front geworfen worden. In vierzehn Monaten schoss er zwei Feindjäger ab – ein gutes, wenn auch nicht spektakuläres Ergebnis. Dann aber hatte er Pech gehabt, und musste nach einem Duell mit einer Bloodhawk aus dem Wrack seines zusammengeschossenen Jägers regelrecht herausgeschnitten werden.
Soweit ähnelte seine Geschichte der von Jeanpierre. Doch die Beinahetod-Erfahrung hatte bei Straw offenbar eine andere Wirkung als bei dem Marinepiloten gehabt.
Kano sah einen Mann vor sich, der zwar bereit war, seine Pflicht zu erfüllen, dem aber anscheinend die Begeisterung abhanden gekommen war, mit der er einst in den Krieg gezogen war. Vermutlich würde er mit dieser Einstellung niemals über den Rang eines Lieutenant hinausgelangen, und als Sektions- oder auch nur Flight-Kommandeur schien er wenig geeignet. Aber auch solche Leute musste es geben, und solange er in der Lage war, seine Pflicht als Flügelmann zu erfüllen, würde Kano ihn nicht zu sehr unter Druck setzen. Er würde Straw Sugar als Flügelmann zuteilen. Und ihn aufmerksam im Auge behalten.

Second Lieutenant Jin-Ho ‚Spacer’ Lee hingegen war ein etwas anderes Kaliber. Der Mann, der ein wenig kleiner als Kano war, zeigte genau die Sorte Enthusiasmus, die der Staffelführer bei Straw vermisst hatte.
Lee war, wie sein Name vermuten ließ, ein ‚Spacer’ oder ‚Weltraumgeborener’. Er hatte auf einem Frachter das Licht der fernen Sterne erblickt, und war zwischen ihnen groß geworden. Nach einem eher mittelmäßigen Abschluss der Raumfliegerakademie – offenbar wies seine Schulbildung einige Lücken auf – war Spacer bei der Systemverteidigung von Sterntor hängen geblieben. Die Versetzung zu den Angry Angels erschien ihm offenbar als die ersehnte Gelegenheit, endlich von dem Planeten wegzukommen. Nach seinen Unterlagen war er ein hervorragender Pilot – nicht allzu überraschend angesichts seiner Herkunft – aber nur ein mittelmäßiger Schütze.
„Daran werden wir noch arbeiten müssen. Ihre Flightführerin hat eine ziemlich gute Trefferquote…,“ ‚In mehr als in dieser Hinsicht,’ „…und ihr Sektionschef erhielt während seiner Ausbildungszeit ebenfalls eine entsprechende Belobigung. Ich schlage vor, dass Sie dies als Chance begreifen.“
„Hört sich gut an. Solange wir bald mal auf etwas anderes als ein paar Pixel oder eine Tontaube feuern können.“
„Sie sind jetzt bei den Angry Angels. Sie werden Ihre Action bekommen, verlassen Sie sich darauf.“ Tatsächlich schien sich Spacer über diese Ankündigung zu freuen. ‚Hoffentlich bereust du das nicht bald.’ Auch wenn er Lees Enthusiasmus als recht angenehm empfand, manchmal fühlte Kano sich erschreckend alt.

Ein erneuter Blick auf den Armchrono zeigte Kano, dass er wieder halbwegs im Zeitplan lag. Pünktlich auf die Minute kündigte der Türsummer die Ankunft des letzten Neuzugangs an: „Herein.“ Die Tür glitt auf, während Kano noch einmal die Dienstakte aufrief, und darauf wartete, die Schritte der Pilotin zu hören.
Als er aufblickte, stellte er überrascht fest, dass die junge Frau bereits vor seinem Bürotisch stand. Er hatte sie nicht gehört, und das war ungewöhnlich, denn er glaubte sich zu Recht etwas auf seine guten Sinne einbilden zu können. ‚Lässt du etwa nach?’
Er erhob sich, und zögerte kurz, als ihm die Körpersprache der jungen Frau auffiel. Dann entschied er sich gegen einen Händedruck, und verbeugte sich stattdessen leicht: „Lieutenant Nguyen, Willkommen bei den Angry Angels. Willkommen bei den Butcher Bears.“
Seine Gegenüber entspannte sich unmerklich, und erwiderte seine Begrüßung mit einer deutlich tieferen Verbeugung: „Danke, Sir. Es ist eine Ehre für mich.“

Phuong ‚Flyboy’ An Nguyen wirkte kaum alt genug, um alleine in eine Disco zu gehen, geschweige denn einen Raumjäger zu fliegen. Kano wusste, dass sie zweiundzwanzig Jahre alt war, und bereits einen mehr als einjährigen Einsatz an Bord des Hilfsträgers LADE hinter sich hatte. Aber mit nur wenig über anderthalb Metern Körpergröße, und ihrem auch für eine Asiatin recht schlanken und zierlichen Körperbau, wirkte sie selbst für Kano kaum älter als sechzehn, höchstens achtzehn. Ihr zurückhaltendes, ja schüchterndes Auftreten verstärkte den Eindruck noch.
Kano begriff, woher die junge Frau ihren nicht allzu schmeichelhaften Namen hatte. Obwohl sie ihr schwarzes Haar lang, wenn auch zurückgebunden trug, kaschierte die ein wenig zu weit wirkende Uniform recht wirkungsvoll Brust, Hüften und Hintern. Auf weite Entfernung – oder aus weniger freundschaftlichen Augen – wirkte Nguyen vermutlich tatsächlich wie ein halbwüchsiger Bursche mit einer etwas ungewöhnlichen Haartracht.

Aber was auch immer ihr Äußeres nahe zu legen schien, Kano wusste, dass Flyboy bereits einen Piratenjäger abgeschossen, und bei der Vernichtung eines weiteren assistiert hatte. Angesichts der Tatsache, dass solche Gelegenheiten bei dem meist recht eintönigen und ergebnislosen Patrouillen- und Geleitdienst ziemlich selten waren, sollte die junge Pilotin eine wertvolle Ergänzung für die Angry Angels darstellen.
‚Aber was stimmt mit dir nicht? Man könnte meinen, dass du Angst vor mir hast. Nein, keine Angst…als würdest du mir nicht trauen.’
Es ging jedenfalls über die Zurückhaltung hinaus, die in manchen traditionell eingestellten asiatischen Familien immer noch den Töchtern anerzogen wurde. Außerdem stammte Nguyen nicht aus einer ethnischen oder religiösen Enklave, sondern kam von Pandora.
Diese Tatsache hatte Kano nach seinen wenig positiven Erfahrungen mit Renegade anfangs misstrauisch gemacht, zumal Nguyens Bruder eine einjährige Haftstrafe wegen antirepublikanischer Propaganda und Sachbeschädigung hatte absitzen müssen. Andererseits war Phuong An Nguyens Vater ein ehemaliges Mitglied der Streitkräfte, und die junge Pilotin hatte die in ihrem Fall sicher besonders gründlichen Sicherheitsüberprüfungen ohne Probleme absolviert. ‚Vielleicht liegt es daran. Es gibt genug Männer und Frauen, die einer Pandoranerin soweit trauen, wie ich eine Nighthawk werfen kann.’
Laut Phuongs Dienstakte war sie eine ruhige und überlegte Pilotin, mit guten aber ausbaufähigen Reflexen, der es allerdings etwas an Selbstbewusstsein und Ehrgeiz mangelte.
Kano nahm sich vor, seine Probleme mit ihrem Landsmann in der Vergangenheit zu lassen, und versuchte es mit einem kurzen Lächeln: „Sie werden feststellen, dass Sie nicht die Einzige an Bord sind, die bereits Erfahrungen im Kampf mit Piraten sammeln konnte.“
Phuong blinzelte kurz, schien das aber nicht als eine Aufforderung zum Reden aufzufassen.
„Sie werden in der ersten Sektion als meine Flügelfrau fliegen.“
Diese Eröffnung schien Flyboys Nervosität eher noch zu steigern, obwohl sich Kano fast sicher war, dass der Grund dafür nicht in der Befürchtung lag, nicht mit ihm Schritt halten zu können.
„Danke. Aber warum haben Sie sich ausgerechnet für mich entschieden, Sir?“
‚Man kann es mit der Bescheidenheit auch übertreiben.’ „Sie haben mehr als zufriedenstellende Referenzen als Flügelfrau. Und falls Sie es noch nicht wissen sollten, ich brauche jemanden, der mir zuverlässig den Rücken freihält. Als Staffelchef kann ich mich nicht auch noch um einen Wingman kümmern, der auf eigene Faust einem Abschuss nachjagt.“ Kano lächelte kurz und selbstironisch: „Ich bin schon ein paar Mal abgeschossen worden, und ich rechne fest damit, dass Sie mir helfen werden, solche Situationen künftig zu vermeiden.“
Diese offen geäußerte Selbstkritik schien Phuong ein klein wenig zu entspannen – aber das…Mistrauen…blieb.
Kano nahm sich vor, dem später noch mehr Aufmerksamkeit zu widmen, aber im Augenblick hatte er einfach keine Zeit dafür. Außerdem, wenn er Nguyen zu sehr unter Druck setzte, würde sie vermutlich einfach dicht machen: „Wenn Sie mir jetzt bitte folgen würden… Ich glaube, es ist Zeit, dass ich Ihnen Ihre neuen Kameraden vorstelle.“

***

Die elf Piloten bildeten einen lockeren Halbkreis. Kano stand vor ihnen, die Arme locker vor der Brust verschränkt. Er musterte seine Untergebenen einen Augenblick. Seine Stimme war ruhig, aber entschlossen: „…Sie haben Ihre neuen Kameraden kennen gelernt, und wissen nun, mit wem Sie in Zukunft fliegen werden. Ich gehe davon aus, dass es dabei keine Schwierigkeiten geben wird. Sollte Sie aber noch Fragen haben, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt dafür.“
Es gab keine Wortmeldungen, aber Kano hatte auch nicht damit gerechnet. Falls jemand mit der Zusammensetzung der Staffel nicht zufrieden sein sollte, würde er das wohl kaum vor versammelter Mannschaft äußern.
Er nickte langsam, und fuhr fort: „Ausgezeichnet.
Einige von Ihnen kennen mich bereits, während die anderen zum ersten Mal meinen Namen gehört haben dürften, als Sie ihren Versetzungsbefehl erhielten.“ Über Phoenix zernarbtes Gesicht huschte ein kurzes Lächeln.
„Ich trat den Streitkräften der Republik Anfang 2630 bei, und wurde Ende 2633 auf die REDEMPTION versetzt. Zuerst diente ich bei der Blauen Schwadron, und wechselte dann nach der Vernichtung der REDEMPTION zu der neu aufgestellten Schwarzen Staffel. Nach der Schlacht über Graxxon und Corsfield wurde ich zum First Lieutenant befördert. Im Verlauf unserer Operation im Draned-Sektor übernahm ich dann die Funktion des Staffel-XO. Nach dem Tod von Lieutenant Commander Terrano in der Schlacht von Tukama wurde ich zum provisorischen Staffelführer befördert und führte die Einheit in der Doppelschlacht von Karashin. Im Verlauf von vier Jahren konnte ich neununddreißig Feindeinheiten vernichten. Ich wurde dreimal abgeschossen, musste mehrmals mit einer havarierten Maschine eingeschleppt werden, und wurde ein halbes Dutzend Mal verwundet. Soviel zu meinem Lebenslauf.“ Kano hatte seine Stimme bewusst ruhig, fast beiläufig gehalten. Er wollte nicht den Eindruck erwecken, dass er nur angeben wollte, obwohl er natürlich sehr stolz auf seine Leistungen war, und hoffte, dass ihm seine Leistungen bei der Führung der Staffel einen gewissen Bonus verleihen würden.

„Falls Sie mich bereits kennen, oder etwas über mich gehört haben sollten, dann wissen Sie wahrscheinlich, dass ich kein einfacher Vorgesetzter bin.“ Ein kurzes Lächeln huschte über Kanos Gesicht, während er die Piloten seiner Schwadron musterte.

Das war vielleicht keine übliche Einleitung, aber er würde sich an die Wahrheit halten. Ihm fehlte das Talent – und auch der Wille – sich seinen Piloten als ‚einer von euch’ zu präsentieren. Von den Offizieren, von denen er gelernt hatte, hatten nur Lightning und Blackhawk diese Fähigkeit gehabt, und selbst sie hatten eine Grenze gezogen. Seine anderen ‚Lehrer’ – Lilja, Darkness, Lone Wolf und vor allem Monty – hatten immer eine gewisse Distanz gehalten. Sie hatten durch Leistung und Autorität geführt. Er würde es ebenso halten.

Huntress verdrehte bei seinen Worten kurz die Augen, und blinzelte ihm zu. Er ignorierte es. Aber in seiner Stimme klang eine leise Schärfe mit, die auch diejenigen aufhorchen ließ, die ihn bereits kannten: „Ich gelte als ziemlich humorlos, als anspruchsvoll, fordernd, überkorrekt, und als ein echter Schleifer. Vermutlich zu Recht. Ich will Ihnen keine Illusionen machen. Auf Sie alle wartet sehr viel Arbeit. Ich habe von den Besten gelernt, dass Schweiß und Mühe sehr viel Blut sparen kann – Ihr Blut. In den nächsten Wochen werden Sie wenig Ruhe finden. Ich kann Ihnen nicht einmal versprechen, dass Sie immer genug Zeit zum Essen und Schlafen finden werden.
Ich weiß, dass die meisten von Ihnen bereits Kampferfahrung haben, und ich kenne auch die beeindruckenden Flug- und Trefferbewertungen, die einige von Ihnen auszeichnen – Erfahrungen und Leistungen, auf die Sie mit Recht Stolz sind.
Aber Talent und Erfahrungen sind kein Ersatz für die Fähigkeit einer Schwadron, als EINHEIT zu agieren. Als Summe all dieser Erfahrungen, Talente und Fähigkeiten, die ungleich größer ist, als ihre einzelnen Bestandteile. Eine solche Summe, eine solche perfekt aufeinander abgestimmte Kriegsmaschine, müssen wir erst noch werden. Sie entsteht nicht von selbst, sondern ist das Ergebnis von harter Arbeit und Zeit – Zeit, die wir vielleicht nicht haben werden. Wenn uns dieser Krieg etwas gelernt hat, dann die Tatsache, dass es keine Gewissheiten gibt, und dass Nachlässigkeit oder Schwäche den Tod bedeutet.
Deshalb werde ich Ihnen in den nächsten Wochen das Äußerste abfordern – und noch ein klein wenig mehr. Ich werde Sie gnadenlos schleifen, Sie fordern und immer wieder auf die Probe stellen.
Vergessen Sie dabei niemals, dass dies alles geschieht, um IHR Überleben zu garantieren. Und unseren Erfolg in der Schlacht.
Falls Sie sich bereits mit der Geschichte der Butcher Bears vertraut gemacht haben sollten, dann werden Sie wissen, dass diese Schwadron immer etwas Besonderes war. Wir waren die erste Nighthawk-Einheit des Geschwaders. Als einzige Einheit der Angry Angels haben wir seit unserer Gründung das Recht einer eigenen Staffelbemalung in Anspruch genommen. Einige halten uns deshalb für überheblich und extravagant. Aber wir haben bewiesen, dass wir uns diese Extravaganz und unser Selbstbewusstsein auch leisten können. Das wir sie uns verdient haben.
Zwei unserer Kommandeure erhielten für ihre Leistungen das Flight Cross in Silber. Was die Anzahl der Asse und der vernichteten Feindeinheiten angeht, gehörten wir immer zu den besten Schwadronen dieses Elitegeschwaders.
Seit ihrer Gründung waren die Butcher Bears immer die Staffel des Wing-Commanders oder seines Stellvertreters. Wir sind etwas Besonderes, selbst für die Angry Angels.
Und auch wenn wir durch die Verluste der letzten Schlachten und die Versetzung von Captain Cunningham nicht länger mehr die Einheit des Kommandierenden sind – das ändert nichts an unserem Anspruch, zu den Besten der Besten gehören. Einen Anspruch und eine Tradition, die hohe Anforderungen an Sie stellt – und die Sie erfüllen werden.

Unser Wappentier ist der angreifende Bär, und die Worte ‚Unser ist der Zorn’ sind unser Motto. Wir schlagen den Gegner nicht nur zurück, wir zerfetzen ihn. Wir löschen ihn aus. Wann immer ein Durchbruch erzielt oder ein feindlicher Sturmverband vernichtet werden sollte, waren die Butcher Bears zur Stelle. Und das wird auch so bleiben. Andere Einheiten werden dazu eingesetzt, um den Träger zu sichern. Wir nicht. Wir warten nicht ab. Wir suchen den Feind.
Neben Geleitschutz- und Abfangeinsätzen hat sich diese Einheit einen Namen als Schlachtflieger gemacht. Wir fliegen Bodenangriffe und unterstützen die Jabos und Bomber bei ihren Einsätzen. Auf das Konto der Butcher Bears geht die Vernichtung von mehr als einem Dutzend feindlicher Transporter. An der Vernichtung mehrer leichter Kriegschiffe und eines Golf-Flugdeckkreuzer waren wir maßgeblich beteiligt. DAS sind die Aufgaben und die Erwartungen, die auf Sie zukommen, und denen sie gerecht werden müssen.“

Einige schienen durch diese Erwartung ein klein wenig verunsichert, oder durch die Kanos Versprechen, sie in den nächsten Wochen bis aufs Blut zu schleifen. Aber der Staffelchef war sich sicher, dass gleichzeitig auch bei den meisten zumindest ein bisschen von dem Stolz und dem Selbstbewusstsein gezündet hatten, das er selber empfand.
Viele Menschen waren für die Versicherung empfänglich, das sie von nun an Teil eines erwählten Kreis der ‚wenigen Glücklichen’ waren. Um es mal mit den Worten eines ziemlich antiken Autors auszudrücken. In einem solchen Augenblick konnte sogar die Ankündigung von künftigen Härten, Strapazen und Entbehrungen einen seltsamen, grimmigen Stolz wecken.
„Ich werde keinen von Ihnen schonen, aber ich weiß, dass Sie diese Herausforderung meistern werden. Was auch immer ich von Ihnen verlangen werde, ich verspreche, es wird nicht mehr sein, als ich selber zu leisten bereit sein. Und wohin auch immer mein Befehl Sie führen wird…Ich werde immer an Ihrer Spitze stehen.“
28.01.2016 10:30 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Ironheart

Victoria Station, Im Orbit um Seafort
Sterntor-System

Als Donovan „Noname“ Cartmell aus dem Cockpit stieg, fühlte er sich wie ein Fisch im Wasser. Er hatte nicht gewusst, wie sehr er das Fliegen vermisst hatte, bis er nach Wochen der Reha und des Urlaubs das erste Mal wieder in einem Cockpit gesessen hatte.
Er hatte zusammen mit Petal einen Eskortflug für einen wichtigen Waffentransport von Terra Richtung Seafort durchgeführt. Es war endlich mal wieder ein echter Einsatz gewesen und war in der jetzigen Zeit, da die Columbia außer Gefecht war, keine Selbstverständlichkeit gewesen. Jetzt war der Einsatz ereignislos abgelaufen, und er konnte sich auf den Weg zur Nachbesprechung machen. Auf dem Weg dachte er nochmal darüber nach, dass er schon darüber überrascht gewesen war, dass er und Petal diesen Einsatz bekommen hatten, denn es hätte ihn nicht verwundert, wenn Mantis sie an Bord der Station hätte versauern lassen. Doch die momentane Staffelführerin der Roten war offensichtlich professionell genug zu wissen, dass dieses merkwürdige Team jede Übung brauchte, die es nur kriegen konnte, um sich abzustimmen.
Schon die Einweisung vor dem Flug hatte ein Kribbeln in Donovans Bauch verursacht, auch wenn er natürlich sauer gewesen war, dass Mantis ihre Drohung tatsächlich wahrgemacht und ihn allen Ernstes der jungen Asiatin Petal als Wingman zugeordnet hatte. Aber was hatte er auch erwartet? Er hatte Mantis verärgert und das nicht zu knapp. Und so hatte sie ihre gezielte Demütigung auch durchgezogen.
Auch wenn Mantis versucht hatte, sich nichts anmerken zu lassen, hatte Donovan sehr wohl ihre Wut auf ihn gespürt. Was ihm sehr Recht war, denn es bedeutete, dass der Stachel seiner Worte tief sitzen musste. Donovan war sich sicher, dass Mantis im Grunde ihres steinalten Herzens auch wusste, dass er mit seinen Aussagen Recht hatte. Doch borniert wie sie war, würde sie es niemals zugeben.
Doch trotzdem hatte Mantis entschieden, dass Petal mit ihrem neuen Wingman diesen Einsatz bekam.

Und somit hatte Petal versucht so gut es ging eine Einweisung in den simplen Eskortflug zu machen. Es war für sie das erste Mal gewesen, dass sie einem Untergebenen Anweisungen zu geben hatte. Und wenn dieser Untergebene ein Veteran wie Noname war, dann fiel das sicher umso schwerer. Sie hatte sich alle Mühe gegeben und es war ihr auch Recht gut gelungen, aber die Nervosität war ihr dennoch deutlich anzumerken gewesen.
Donovan hatte die Prozedur stoisch über sich ergehen lassen. Es war ja nicht Petals Schuld, dass Mantis sie nun dazu benutzte um ihn zu demütigen. Und Donovan hatte im Laufe seiner zweifelhaften Karriere schon deutlich schlimmere Vorgesetzte gehabt als die zierliche Asiatin.
Seitdem er von der Deep Hollow zurückgekehrt war, hatte er ein paar Sim-Trainings mit Petal durchgeführt. Es war für sie beide gewöhnungsbedürftig gewesen, doch sie hatten die Übungen ohne Murren durchgezogen. Und es hatte gezeigt, dass die Position der Wingleaderin für Petal doch deutlich zu früh kam.
Doch Mantis konnte jetzt keinen Rückzieher mehr machen, denn das hätte für sie einen Gesichtsverlust bedeutet. Aber gleichzeitig konnte sie es sich auch nicht leisten, dass einer ihrer Wings deutlich schwächere Ergebnisse abliefern würde als die übrigen.
Also hatte sie entschieden, dass die beiden deutlich mehr Einsatzzeit bekommen würden, als die übrigen eingespielteren Wings.
Donovan war das nur Recht so.
Je mehr Einsatzzeit er bekam, desto besser. Denn es würde ihn von seinem eigenen Bauchschmerz ablenken.

Während er auf dem Weg zu den Umkleidekabinen war, dachte er wie so häufig in den letzten Tagen an Jean Davis. Seit der Party auf der Deep Hollow hatte er keinen Moment mehr mit ihr alleine verbracht. Dann war sie auch noch zusammen mit Ian und Justus ein paar Tage länger geblieben, was er auch gut verstehen konnte, denn wer wusste schon, wann sie ihre Familie das nächste Mal sehen würde.
Donovan hingegen hatte die Deep Hollow so bald es ging verlassen, vor allem um Colonel Esterhazy aus dem Weg gehen zu können.
Somit hatten sie sich nun fast eine Woche nicht mehr gesehen.
Mittlerweile war sie wieder zurückgekehrt, wie er einer Nachricht von Ian entnommen hatte.
Doch hatte sie sich nicht bei ihm gemeldet und Donovan wusste auch nicht, ob sie es überhaupt wollte.
Er vermisste sie, dessen war er sich mittlerweile bewusst, auch wenn er es versuchte so gut es ging zu verdrängen. Doch eine Mischung aus verletztem Stolz und der Sorge, dass sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, hatte es bislang verhindert, dass er sie aufgesucht hatte.
In seinem augenblicklichen Hochgefühl über seinen ersten Einsatz seit Karrashin hatte er sich aber entschieden nicht mehr länger zu kneifen und sie zu besuchen.
Wenn sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, dann war es vielleicht besser es jetzt zu wissen als ständig darüber zu grübeln.
Also nahm er sich mit einem Lächeln auf den Lippen vor, sich in die Höhle der Löwin zu begeben und es darauf ankommen zu lassen.

***

In strammer Habachtstellung stand Sergeant Jean Davis vor ihrer Vorgesetzten, Major Arianne Schlüter.
„Rühren Sergeant, schön Sie wieder bei uns zu haben, nehmen Sie Platz.“
„Danke Mam.“
„Wie geht es Ihnen, Sergeant?“
Jean stockte einen Augenblick, bevor sie antwortete. Sie war es nicht gewohnt, dass die Chefin der Schiffsmarines der Columbia persönliche Fragen stellte. Doch Jean wusste natürlich, woher der Wind in diesem Falle wehte.
„Danke, Mam, mir geht es den Umständen entsprechend. Mein Platoon hat einige empfindliche Verluste hinnehmen müssen. Es war gut, eine Weile Abstand davon nehmen zu können.“ Eine diplomatische Antwort auf die unausgesprochene Frage, wie sie den Verlust ihres Lebenspartners verwunden hatte. Jean war sich zwar nicht sicher, ob Major Schlüter von ihrer Beziehung mit Ken wusste. Aber sie hatte nicht vor, jetzt und hier darüber auszupacken.
„Gut, Sergeant. Es freut mich zu hören, dass Sie sich wieder voll und ganz ihrer Aufgabe widmen können.“
Jean fühlte sich augenblicklich unbehaglich, doch bevor sie darauf antworten konnte, fuhr Schlüter bereits fort. „Wie Sie so treffend formuliert haben, haben wir empfindliche und bedauerliche Verluste bei der Schiffssicherung während Karrashin erlitten. Hinzu kommt, dass Ihr Platoonleader sich entschlossen hat ein neues Kommando anzunehmen.“
Jeans Kinnlade fiel herab. „Lieutenant Hallqvist ist nicht mehr bei uns?“
Schlüter nickte. „Lieutenant Hallqvist ist zu den Jumpin´ Devils gewechselt und dort zum 1st Lieutenant aufgestiegen. Hammersmith wildert wie ein Verrückter in fremden Wäldern.“ Schlüters Gesichtsausdruck machte keinen Hehl aus ihrem Ärger und ihrer Verachtung dem Kommandeur des 217ten Sturmregiments gegenüber.
Jeans Miene zeigte keine Regung, doch innerlich kochte sie ebenfalls vor Wut. Allerdings nicht aus denselben Gründen wie ihre Vorgesetze. Das was sie Major Schlüter eigentlich hatte sagen wollen, wurde damit nur umso schwieriger.
Doch war die Offizierin wieder schneller. „Sergeant Davis, ihre Leistungen waren immer vorbildlich. Sie haben stets sehr gute Leistungen erbracht, Verantwortung übernommen und Führungsqualitäten bewiesen. Daher freue ich mich Sie zum Staff Sergeant zu befördern und Ihnen bis auf weiteres das Kommando über ihr Platoon zu übergeben, bis wir einen adäquaten Ersatz für Lt. Hallqvist gefunden haben. Herzlichen Glückwunsch, Staff Sergeant.“
Schlüter stand auf um ihrer Untergebenen die Hand zu geben. Jean stand ebenfalls auf, wenn auch nicht ganz so zackig und euphorisch. Das Ganze hier würde ihre nächsten Worte nur noch schwerer machen.
„Danke Ma‘am.“ Jean zögerte einen kurzen Augenblick während sich beide wieder setzten, doch dann entschloss sie sich trotzdem, ihrer Kommandantin reinen Wein einzuschenken, „Ich fühle mich geehrt, Ma‘am, aber ich glaube ich werde die Beförderung nicht annehmen können.“
Ein Stirnrunzeln formte sich auf der Stirn ihrer Chefin und ihre Augen verengten sich unwillkürlich zu Schlitzen. „Wieso nicht, Sergeant?“
„Ma‘am, ich will ganz ehrlich mit Ihnen sein. Ich selbst habe auch mit dem Gedanken gespielt zu den 217ten zu wechseln. Mein Versetzungsgesuch habe ich bereits mitgebracht.“
Schlüters Gesicht war eine undurchdringliche Maske. Jetzt gab es aber kein Zurück mehr und Jean sprach weiter. „Ich habe diesen Entschluss schon vor Lt. Hallqvist getroffen, Ma‘am. Aber wie es mir scheint, ist er mir damit zuvorgekommen.“
„Sie wissen, dass ich ihre Versetzung verhindern könnte!?“
„Ja Ma‘am, das ist mir durchaus bewusst. Und unter den neuen Umständen kann ich zwar nachvollziehen, warum Sie meinem Gesuch nicht stattgeben würden. Aber ich hoffe, dass Sie mir trotzdem keine Steine in den Weg legen werden. Wie Sie wissen, dient auch mein Bruder auf diesem Träger…“
Jean behagte überhaupt nicht, diese Trumpfkarte zu spielen. Es war zwar nicht ausgeschlossen, dass Geschwister in ein und derselben Einheit oder auf ein und demselben Schiff Dienst taten. Doch wenn eines der Geschwister den Wunsch hegte, die Einheit zu verlassen um die Gefahr für die Familie gering zu halten, beide während einer Schlacht zu verlieren, wurde diesen Versetzungsgesuchen in der Regel Recht gegeben.
Schlüter wusste das sicher. Die Frage würde sein, ob sie es darauf ankommen lassen würde oder nicht.

Ein paar unbehagliche Sekunden verstrichen während Jean von der Offizierin förmlich durchleuchtet wurde. Aber schließlich schüttelte ihre Vorgesetzte den Kopf und rieb sich die Augen.
Dann richtete sie wieder unvermittelt an Jean. „Warum sind Sie in diesen Krieg eingetreten, Sergeant?“
„Ma‘am?“
„Warum sind Sie in diesem Krieg, Sergeant? Was hat Sie dazu bewegt sich freiwillig zu melden? Und warum sind Sie ein Marine geworden?“
„Um gegen die Akarii zu kämpfen, Ma‘am! Wir sind von Ihnen angegriffen worden und ich wollte meinen Teil dazu beitragen, um sie zurückzuschlagen und mein Land zu verteidigen.“
„Um Himmels willen, hören Sie mit diesem Propagandagewäsch auf!“
Jean war irritiert. „Ma‘am?“
„Sie glauben doch selbst nicht, was Sie da von sich geben. Warum wollen Sie zu den 217ten?“
Jean war ehrlich überrascht, doch antwortete trotzdem zackig. „Ich will gegen die Akarii kämpfen, Ma‘am. Und mit Verlaub, aber an Bord der Columbia hatte ich dazu nicht allzu oft Gelegenheit.“
„Gut, dann nochmal, warum sind Sie ein Marine geworden?“
„Ich…wie gesagt, ich will gegen die Akarii kämpfen, darum!“ Jean klang nun fast ein wenig trotzig und mittlerweile gar nicht mehr so überzeugt. Sie hatte mit harten Worten, mit Verachtung, mit Ärger gerechnet. Aber nicht damit, nach ihren Motiven für ihren Kriegseintritt gefragt zu werden.
„Na gut Sergeant, dann werde ich Ihnen sagen, wie ich die Dinge sehe. Sie sind nicht primär wegen ihrer Liebe zum Vaterland in den Krieg gezogen. Sie sind auch nicht den Marines beigetreten, weil Sie gerne ein Marine sein wollten.“ Jean wollte protestieren, doch die Offizierin hob gebieterisch ihre Hand. „Sie sind zu den Marines gekommen, weil das für Sie der schnellste Weg war, Ihren eigentlichen Grund für den Kriegseintritt zu erreichen.“ Schlüter machte eine kurze Pause und bedachte Davis mit einem durchdringenden Blick. „Der eigentliche Grund war, Ihren Bruder zu rächen, den Sie für gefallen hielten!“
Jean öffnete den Mund, doch sie schloß ihn wieder tonlos. Schlüter hatte Recht, das war einmal der Grund gewesen.
„Doch Sie wussten damals nicht, wie lange dieser Krieg noch dauern würde. Sie hatten Sorge, dass Sie für ihre Rache keine Gelegenheit mehr bekommen würden, wenn Sie eine Offiziersausbildung etwa als Pilot oder als Schiffsbesatzung antreten würden, nicht wahr?“
Jean wollte widersprechen, doch sie konnte nicht. Schlüter hatte Recht und es war Jean nicht bewusst gewesen, dass ihre Motive so offensichtlich gewesen waren.
„Ich kenne Ihre Akte sehr gut, Sergeant. Besser als Sie vielleicht denken. Ihre schulischen Leistungen hätten Ihnen ohne Probleme einen Platz an der Akademie eingebracht. Nicht umsonst haben Sie von ihren Kameraden den Spitznamen Professor erhalten, oder?“
Jetzt war Jean vollends baff. Sie hatte nicht erwartet, dass Schlüter so gut über ihre Leute informiert war. Offenbar hatte sie ihre Vorgesetzte bei weitem unterschätzt.
„Aber Ihr Bruder war nicht tot, Ihre Rache also nicht mehr wirklich angebracht, auch wenn Sie ihren Job gemacht und sich dennoch an den Akarii für seine Verwundung und Gefangenschaft gerächt haben. Also fiel Rache als Motivator aus, da haben Sie sich anderweitig weiterentwickelt. Sie haben Verantwortung übernommen, sind zu einem Vorbild für ihre Kameraden geworden und haben eine Beziehung zu Sergeant Howard gepflegt.“ Schlüter bestätigte erneut, dass sie sehr genau wusste, was in ihrer Einheit vor sich ging.
„Doch jetzt ist Howard tot, gefallen in ihren Armen. Und nun haben Sie wirklich einen Grund um auf Rache gegenüber den Akarii aus zu sein, oder?“
Jean fühlte sich im Moment fast wie auf der Couch eines Seelenklempners statt vor einer Offizierin der Marines. Sie nickte nur, mehr bekam sie im Augenblick nicht heraus.
„Aber wissen Sie was, ich glaube nicht, dass das Ihr eigentliches Anliegen ist!“
Jean war wieder irritiert. „Welchen besseren Grund sollte es geben, Mam?“
„Ich habe nicht gesagt, welcher der Beweggründe der bessere ist, Sergeant. Ich sage nur, dass Sie auch ohne Howards Verlust und den erneuten Wunsch nach Rache auf Dauer nicht zufrieden geworden wären.“
„Ich verstehe nicht, Ma‘am.“
„Jean, Sie sind jung, aber Sie verfügen über Potenzial. Über mehr Potenzial als Ihnen bewusst ist. Glauben Sie mir, Sie wären auch so zu mir gekommen, selbst wenn das alles nicht passiert wäre. Sie brauchen die Herausforderung, Sie brauchen ein Ziel, an dem Sie sich festhalten können. Und nun glauben Sie, dass Ihnen das 217te ein besseres Ziel liefern kann, als wir es können.“

Jean dachte einen Augenblick darüber nach. Und sie kam zu dem Schluss, dass Schlüter Recht hatte. Ken war der Hauptgrund gewesen, warum sie nicht schon vorher daran gedacht hatte, sich zu verändern. Sie hatte es durchaus schon früher gefühlt, dass sie sich nicht sicher gewesen war, ob ihre Entscheidung zu den Marines und nicht zur Akademie zu gehen der richtige Schritt gewesen war.
Doch jetzt war Ken tot.
Aber ihre Chance auf die Akademie hatte sie schon lange verspielt, oder?
Major Schlüter lächelte, offenbar hatte sie in Jean Gesicht erkannt, das der Groschen bei ihr gefallen war. „Ganz Recht, Sergeant. Ich kann Ihnen die Chance geben, nochmal neu anzufangen. Sie wissen, dass es Möglichkeiten gibt um geeigneten Mannschaftsrängen eine Weiterbildung zum Offizier zu ermöglichen.“
Die Majorin ließ die Worte ein wenig auf die junge Sergeantin wirken. An diese Option hatte Jean bislang tatsächlich noch nicht gedacht.
„Ich lasse Ihnen die Wahl, Jean. Ich behalte Ihre Beförderung und ihr Versetzungsgesuch für 24 Stunden in meiner Hand. Sie können wählen, ob Sie als einfacher Sergeant zu den 217ten wechseln wollen. Oder Sie bleiben bei uns, werden sofort Staff Sergeant und sie werden ihre Chance bekommen Rache an den Akarii zu üben. Aber wenn, dann als Second Lieutenant!“
Jean wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie konnte zunächst nur nicken.
Kurz bevor sie schließlich den Raum verließ, fiel ihr noch eine Frage ein. „Warum haben Sie Lt. Hallqvist nicht aufgehalten, Mam?“
Ein Lächeln huschte über die Züge der Majorin. „Er war nicht gut genug für uns, Sergeant!“

***

Als Jean auf den Gang trat, sah sie dort nicht unweit der Tür des Majors Donovan lässig an die Schottwand gelehnt warten.
„Was machst Du denn hier?“ Sie fauchte den Piloten förmlich an, eine Spur heftiger als sie es vielleicht gewollt hatte.
„Auf dich warten…!?“ antwortete dieser mit einem entwaffnenden und tapferen Lächeln. Doch Jean war im Augenblick zu irritiert um sich im Zaume zu halten. „Spionierst du mir etwa nach?“
Ein flüchtiger Schatten huschte über sein Gesicht und augenblicklich tat Jean ihr Verhalten leid, hatten sie sich doch seit mehr als einer Woche nicht mehr gesehen. Doch Donovan wollte sich offenbar Mühe geben, nicht allzu beleidigt zu reagieren.
„Nun, wenn ich spionieren würde, dann wäre ich darin wohl grottenschlecht, oder? Ich kann mich ja dahinten hinter dem nächsten Schott verstecken um dir dann auffällig unauffällig zu folgen, was meinst du?“ Und mit grotesken Schritten machte er sich sogar auf den Weg davon zu staksen. Jean musste lauthals loslachen, um sich gleich wieder zusammen zu reißen, damit Major Schlüter nicht etwa dachte, sie würde sich über ihre Chefin lustig machen.
Erleichtert ihr ein Lachen entrissen zu haben, grinste Donovan von einem Ohr zu anderen. „Nein, ich habe dich in deinem Quartier besuchen wollen, doch deine Kameraden waren so freundlich mir zu sagen, dass Du einen Antrittsbesuch bei Major Schlüter hast. Also habe ich auf dich gewartet. Ich wollte…“ Donovan stoppte und schien unschlüssig was er weiter sagen sollte.
„Und? Was wolltest Du?“
„Hast du etwas Zeit?“
Jean schaute auf ihre Uhr. „Nicht wirklich, ich habe gleich eine Mannschaftsbesprechung, und wie es aussieht muss ich das Platoon erstmal befehligen.“
„Glückwunsch! Na gut, dann will ich dich mal nicht weiter aufhalten.“ Donovans Lächeln war etwas gequält und jetzt fiel Jean auf, dass sie sich ihm gegenüber gar nicht nett verhalten hatte.“
„Warte, vielleicht kannst du mich dorthin begleiten und wir können etwas reden?“
„Gerne, sehr gerne.“ Sie mochte sein Lächeln, das sich wieder auf seinem Gesicht breit machte.

Auf dem Weg zu den Mannschaftsräumen der Marines gingen sie gerade so schnell wie sie mussten, damit sie nicht zu spät kam. Und als Donovan sie fragte, was denn nun vorgefallen war, erzählte sie ihm von ihrem Gespräch und dem Angebot, dass sie erhalten hatte.
Der Pilot hatte fast das gesamte Gespräch über geschwiegen.
„Und was sagst Du? Was soll ich machen?“
Donovan seufzte. „Jean, ich glaube nicht, dass ich dir sagen kann, was du tun oder lassen solltest…“
„Stimmt.“
„Aber wenn ich du wäre, würde ich bleiben. Die 217ten stehen in keinem guten Ruf…“
„Sie sind eine Eliteeinheit. Es gibt kaum eine Einheit, die es mit ihnen in ihrem Gebiet aufnehmen kann.“
„Das mag zwar sein, aber die Einheit steht auch im Ruf sehr hohe Verluste zu haben. Außerdem wärst du dort nur eine von vielen und müsstest dir den Respekt deiner neuen Kameraden erst wieder erkämpfen – im wahrsten Sinne des Wortes. Hier aber bist du schon jemand und wenn du dann noch Lieutenant wirst…“
„Ich habe in den letzten Jahren nur eine Handvoll Einsätze gehabt. Hast du eine Ahnung, wie es ist, wenn man immer nur zur Untätigkeit gezwungen ist? Nein, das weißt du sicher nicht, denn ihr geht ja bei jeder Schlacht raus. Aber wir, wir hängen an Bord der Columbia fest, können ab und an mal ein paar feindliche Rettungsshuttles aufbringen oder ein feindliches havariertes Kriegsschiff entern. Oder wir können bei Schiffssicherungsmaßnahmen unterstützen. Ich will aber nicht mehr rumsitzen, ich will kämpfen!“
„Das 217te ist auch nicht gerade häufig zum Einsatz gekommen.“
„Das lag nur an Admiral Wulff.“
„Trotzdem, Du willst mir doch nicht etwa sagen, dass dir das Kämpfen Spaß macht?“
Jetzt begannen sie sich schon wieder zu streiten. Eigentlich mochte sie Donovan ja, aber manchmal konnte er schon ein ganz schöner Sturbock sein, fast wie ihre Brüder und ihr Cousin. Wahrscheinlich mochten sie ihn daher so sehr.
„Das muss mir einer sagen, der schon mehr als 20 Akarii gegrillt hat.“
„Das ist ein Teil meines Jobs, den ich nicht im Geringsten genieße. Da mag es andere geben, die Stolz darauf sind, Lebewesen zu töten. Ich gehöre nicht dazu.“
Sie schnaubte. „Und warum tust du es dann? Aus Pflichtgefühl?“
„Nein, erstmal heißt es: Er oder ich! Und dann, um meine Kameraden zu schützen. Die im All neben mir und die, die hier an Bord bleiben und dafür sorgen, dass ich auch eine Heimat habe, zu der ich zurückkehren kann.“
Jean schwieg und es war ihr nicht anzusehen, was sie von Donovans Äußerungen hielt. Als sie die Unterkünfte der Marines erreicht hatten, blieb sie mitten im Gang stehen, auch wenn sich einige andere Besatzungsmitglieder an ihr vorbei zwängen mussten. Eine kurze Weil blickte sie Donovan nur an, ohne etwas zu sagen.
„Danke, Donovan. Es tat gut dich wieder zu sehen.“ Sie war im Moment zu verwirrt um sich zu fragen, was sie von ihm halten sollte. Zumal er ja bislang nicht unbedingt gezeigt hatte, dass er mehr in ihr sah als nur eine kleine Schwester. Es hatte Momente gegeben, wo sie gedacht hätte, er würde vielleicht beginnen mehr für sie zu empfinden. Doch dann hatte sein Verhalten auch häufig genug klar gezeigt, dass er kein Interesse hatte. Aber hier und jetzt war mit Sicherheit nicht der richtige Ort um heraus zu finden, ob er sich nicht möglicherweise auch mehr vorstellen konnte.
Sie schenkte ihm noch ein kurzes Lächeln und wandte sich dann um, um ihre Besprechung durchzuführen.
Einen Augenblick horchte sie noch nach, ob er ihr noch etwas zu sagen hatte, doch selbst wenn er etwas gesagt hätte, so verschluckte die sich hinter ihr schließende jedes weitere Geräusch hinter ihr.

***

„Hornochse!“
Donovan fluchte auf sich selber und fing sich einen irritierten Blick eines Marines ein, der an ihm vorbei ging und sich sicher fragte, warum ein Pilot einsam im Gang stand und Selbstgespräche führte.
Noname schüttelte den Kopf über sich selbst und vor allem darüber, dass er sie nicht gefragt hatte, wann er sie denn wieder sehen würde.
Aber sie hatte ja offensichtlich anderes im Sinn, als ihre Zeit mit ihm zu verbringen. Und das wunderte ihn auch nicht wirklich. Wenn sie sich wirklich die Frage stellte, was sie in der Zukunft tun sollte, war sie sicher nicht scharf darauf, einen netten Abend mit ihm auf Viktoria-Station zu verbringen, den er dann wieder todsicher versauen würde.
Einen kurzen Moment dachte er daran, Ian und Justus vor ihren Überlegungen zu unterrichten, doch dann überlegte er es sich anders. Wenn er das jetzt weitergeben würde, dann wäre er bei ihr womöglich vollends unten durch, schließlich hatte sie sich ihm im Vertrauen anvertraut.
Andererseits würden die anderen es ihm wiederum sehr übel nehmen, wenn sie entschied zu den 217ten zu gehen und es dann herauskam, dass er davon gewusst hatte und es nicht verhindert hatte.
Unschlüssig, was er nun tun sollte, trottete er wieder zurück zu seinem eigenen Quartier.
Als er dort angekommen war, wusste er, dass es nichts gab, was er tun konnte, um Jean Davis aufzuhalten.
So wie es aussah, würde er warten müssen.
Darauf warten, wie sie sich entscheiden würde.
Und darauf warten, sie vielleicht noch einmal wieder sehen zu dürfen.
29.01.2016 11:01 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Ein Sex on the Beach als Apperitiv 1:

Es hatte etwas beruhigendes, etwas meditatives, mal auf einem kleineren Schiff unterwegs zu sein. Die EMERALD JADE war sicher nicht das kleinste Schiff, das zwischen den Sternen unterwegs war, aber wenn man mal die CARNEGIE oder gar die COLUMBIA heran zog, dann gehörte sie gewiss nicht zu den Giganten. Für die Eierköpfe an Bord, oder unsere hochgeborenen Commander mochte sie ein unkomfortables Wrack sein, das jederzeit ihren Tod bedeuten konnte. Für mich war sie ein Veteran, die ihre ganz eigene Melodie erzählte.
Ich mochte die EMERALD. Ihr Murmeln, in Flüstern, ihre leisen Vibrationen verrieten mir genau wie es ihr gerade ging, was sie leisten musste und wo ihre Grenzen waren. Obwohl wir bereits zweimal gesprungen waren, hatte ich noch keinen Ton in der Kakophonie der tausend Geräusche gefunden, der mein altes Raumfahrerherz hätte schneller pochen lassen. Vor Panik, meine ich. Nein, der Kahn war grundsolide. Er hätte besser gewartet werden können, und unbewusst lauschte ich schon mal hier und da nach dem leisen Zischen eines Sauerstofflecks. Unnötigerweise. Aber ein Weltraumgeborener konnte nicht aus seiner Haut.
Andererseits war die EMERALD groß. Und ich meine groß. Lilja nutzte jeden Morgen den Laufgang, um ihr Pensum an Lauftraining zu absolvieren, bevor die anderen aufstanden, starrsinnig an ihrem acht Stunden-Rhythmus festhaltend, der auf einem kleinen Freihändler wie diesem vollkommen unsinnig war.
Ich nutzte den wirklich großen Platz an Bord, den leer geräumten Frachtraum. Dort fanden jeden Morgen unter der Anleitung von Lieutenant McKenna Leibesübungen und Waffentraining statt. Da ich wohlweislich ein paar Flaschen Strohrum im Hangar "vergessen" hatte, hatten die Marines nicht protestiert, als ich gefragt hatte, ob ich mich an ihrem Training beteiligen durfte. Auch fiel mir McKenna sehr positiv auf, der nicht nur die Übungen ebenfalls exerzierte, sondern auch jeden seiner Leute mit all seinen Marotten kannte. Es hätte mich nicht mal gewundert, wenn er auf die Minute genau gewusst hätte, wann die Frauen in der Truppe zu menstruieren begannen. Der Mann war, wie er mir in einem vertraulichen Gespräch bei einem Ouzo erzählt hatte, aus den Diensträngen aufgestiegen, und hatte dementsprechend schwer zu kämpfen, um erstens seine Meriten zu verdienen und zweitens zu verteidigen. Und drittens gab es genügend bornierte, überhebliche und herablassende Streifenträger, die einem Emporkömmling aus den Mannschaftsdienstgraden das Leben schwer machten. Dabei waren jene Offiziere, die selbst aus ärmlichen oder meinetwegen bescheidenen Verhältnissen stammten, am schlimmsten. Meistens jedenfalls, wie Major Hue Bao, ein Busenfreund meines Cousins, eindrucksvoll widerlegt hatte.
Es begann mit Aerobic. Der als Frauensport verpönte Bewegungsworkshop war in Fachkreisen als Pilotentraining bekannt, mit dem atmosphäregebundene Jockeys ihre Beweglichkeit und ihre Reflexe auf Standard hielten. Meine Meinung und die der Marines dazu war identisch: Lasst Idioten lachen, dann hatten sie wenigstens keine Zeit für anderes.
Danach folgte ein Krafttraining, bei dem wir versuchten, die Vortagsleistung zu übertreffen. Den Abschluss für mich bildeten die Randoris, in der wir miteinander unsere Kampfsportfähigkeiten auf die Probe stellten. Ich musste zugeben, ich war tüchtig eingerostet, trotz der Grundlagen des Offizierstraining und meiner eigenen Trainingseinheiten.
Die Marines hatten anschließend noch Waffendrill, daran beteiligte ich mich normalerweise nicht mehr.

Während also die Infanteristen darauf gedrillt wurden, ihre Waffen in möglichst kurzer Zeit zu zerlegen und wieder zusammen zu setzen, hielt ich sehr respektvollen Abstand. Ich hatte schon mehr als ein Opfer einer unsachgemäß benutzten Energiezelle gesehen – die Detonation sah man sich besser nicht an, vor allem nicht aus der Nähe. Aber nur absolut tief sitzende Routine und permanentes Training minimierten die Möglichkeiten von Fehlern, die überhaupt zu solchen Unglücken führten. Deshalb war es richtig und gut, die Marines permanent zu drillen, und ohne diesen Drill gar nicht erst auf den Gegner los zu lassen. Nichts wäre schlimmer als eine detonierende Energiezelle in den eigenen Reihen.
Da lobte ich mir doch die energieärmere und sicherere Version in meiner Dienstwaffe.
Mein Weg führte mich wie an jedem Morgen, an dem ich nicht mit Lilja draußen war, direkt zu Ghost in den Maschinenraum. Ich hatte sehr schnell gemerkt, dass es an Bord dieses Frachters nicht viel anders war als an Bord anderer, vergleichbarer Schiffe. Diese Crew war insofern etwas Besonderes, weil sie sich nicht nur Spitznamen gab, sondern diese auch als Namensersatz betrachtete. An Bord der RED oder später der COLUMBIA wäre es mir nie eingefallen, auf meinen Fliegernamen zu pochen. Hier allerdings gehörte so was zum guten Ton, und die Namen benutzen zu dürfen war eine Ehre. Nur nicht bei Quicksilver. Während Yin und Yang, das ungleiche Geschwisterpaar, erst nach zwei Flaschen Pflaumenwein meine Existenz überhaupt zur Kenntnis genommen hatte, Jayhawker mit ihrem Spitznamen erst heraus gerückt war, nachdem wir die Flasche Auld New Bosten Single Malt Obergärig halb ausgetrunken hatten, war Quicksilver mit ihrem Namen mehr als freigiebig, schlug ihn allen regelrecht um die Ohren. Andererseits, wer immer ihr den Spitznamen verpasst hatte, der hatte der Menschheit einen guten Dienst erwiesen. Das passte wie die Faust aufs Auge.
Ghost war kein schwieriger Fall gewesen. Spätestens seit ich ihm bei der Wartung einer Feldspule des Sprungantriebs geholfen hatte und seinen eigenen Worten nach "nicht mehr beschädigt als repariert" hatte, war der alte Knabe recht umgänglich geworden. So umgänglich, das ich jeden Anflug von Langeweile jederzeit im Maschinenraum verbringen konnte. Wo ich übrigens nahezu regelmäßig auf Quicksilver stieß.

"Ah, da ist er ja wieder, unser Fliegerbaron.", empfing mich ihre fröhliche Stimme, der man den spöttischen Unterton kaum anmerkte. "Ist das Schwitzen schon vorbei?"
Ich grinste dünn. Für sie war das Nahkampftraining und das Ausdauertraining der Marines absolute Zeitverschwendung. Ihrer Meinung nach gab es nichts, was man mit einer feuerbereiten Waffe nicht regeln konnte. Das galt aber nur wenn der Lauf in die richtige Richtung zeigte, und ein Finger den Abzug betätigen konnte.
"Du solltest auch mal mit machen. Einige der Stiernackenmädels wären sicher mal dankbar dafür, im Randori ein so zartes Mädchen wie dich auf die Matte legen zu dürfen, und nicht immer diese schwitzenden Kerle."
"Na, na. Wer mich wann und wo und wie auf die Matte legt, entscheide immer noch ich. Außerdem liege ich ohnehin am liebsten oben." Ihre Worte begleitete ein aggressiver Augenaufschlag. Seit sie dahinter gekommen war, dass ich was für Lilja empfand – und zwar mehr als Respekt für meine Vorgesetzte – flirtete sie mit mir, was das Zeug hielt. Ich fragte mich ernsthaft was passierte, wenn ich irgendwann mal ja sagte.
"Hauptsache liegen.", kommentierte ich und ging am Platz, wo sie an einer Schutzschirmvorrichtung Messungen vornahm, vorbei, um zu Ghost zu kommen. Einer der Nebenkonverter musste durchgemessen und feinabgestimmt werden. Ich hatte Erfahrungen mit dem Modell.
"Na, na, liegen. Hast du dein Kama Sutra nicht gelesen, Pilot? Da gibt es noch sooo viele andere hübsche Stellungen, für die man nicht liegen muss. Aber ich bin sicher, du hältst dich da ganz an die Flottenvorschrift, die nur zwei oder drei Stellungen vorsieht."
"Es sind acht.", konterte ich. "Du kannst jederzeit zu Studienzwecken zu mir kommen, Quicksilver."
"Hm,", machte sie geringschätzig und zog eine Schnute. "Was machst du, wenn ich auf dieses Angebot eingehe, Flyboy?" Was sie wirklich sagte war: Was passiert wenn Lilja davon hört und deine Felle wegschwimmen?
Ich grinste schief. "Ich werfe den Datenträger mit der Flottenvorschrift in einen Leser und reiche ihn dir."
Enttäuscht atmete sie mit einem Zischen aus. "Phhh. Da denkt man, ein so großer Kerl wie du ist mehr als heiße Luft, und dann so was. Ich bin wohl nicht dein Typ, eh? Brauche ich dazu mehr Narben, was meinst du?"
Ich winkte unwirsch ab. "Ich wäre der erste, der Lilja zum kosmetischen Chirurgen schicken würde, um die Narben zu entfernen. Und ja, du bist sehr wohl mein Typ, Quicksilver. Ich stehe eben auf Frauen, die ich nicht kriegen kann."
Darauf wollte sie etwas erwidern, öffnete den Mund, und schloss ihn verdutzt wieder. "Punkt für dich, Flyboy. Aber solltest du deine Meinung ändern, können wir ja mal drüber diskutieren, was jenseits eurer acht Navy-Stellungen liegt."
"Ja, klar.", sagte ich spöttisch, und winkte mit der Rechten.

"Zu spät.", empfing mit Ghost. "Hier." Ohne ein weiteres Wort drückte er mir ein Diagnosegerät in die Hand. Ebenso wortlos machte ich mich an die Arbeit.
Nach etwa zehn Minuten konzentrierten Arbeitens sah Ghost zu mir herüber. "Danke.", brachte er leise hervor.
Ich winkte ab. "Ist besser als sich zu langweilen. Ich habe zehntausend Filme, ebenso viele Bücher und das zwanzigfache an Musik auf meinem Datapad dabei, aber es geht eben nichts über das Gefühl, etwas mit den eigenen Fingern zu tun."
"Das habe ich gehört, Pilot.", rief Quicksilver laut und fröhlich herüber.
Ich grinste schief. Die Frau war schon etwas Besonderes. Ich konnte sie mir sehr gut auf der CARNEGIE vorstellen. Jedes große Schiff brauchte eine Stimme der Unvernunft, jemanden der die Routine durchbrach und für jeden ein offenes Ohr hatte.
"Warum machste dann den Mist?", brummte Ghost, ohne herüber zu sehen. "Ein ehrenwerter Spacer in Navy-Uniform, was für eine Schande."
"Hm." Ich unterbrach die Analyse für einen Moment. "Ich stehe auf die schmucke Sonntagsuniform und die vielen Orden. Früher dachte ich mal, so was schönes, ein Lamettabaum auf zwei Beinen würde die Chicks an den Start kriegen, aber da war ich neun und wusste noch nicht, dass mit Chicks Mädchen gemeint waren. Heute mag ich die Geschichte, die hinter jedem Orden steht, jeder Gefechtsspange." Ich lächelte dünn. "Ich bin einer von den Jungs, die diese Romantik für den Militärdienst entwickelt haben, Jägermodelle sammelten, und nie herausgefunden hatten, dass nicht nur Feinde sterben, sondern auch Familienväter oder Söhne."
"Und wie ist es jetzt?", hakte Ghost nach.
Nachdenklich ließ ich das Gerät sinken. "Ich meine...Ich glaube, ich kann hier, wo ich bin, etwas bewirken. Etwas bewegen. Ich denke, wenn ich nicht auf ausgestiegene Piloten schieße oder einem Frachter der sich ergibt nicht dennoch den Fangschuss verpasse, dann ist das immerhin schon mal einer."
Er sah zu mir herüber. "Wie man's nimmt. Kennst du Troffen?"
Ich erstarrte. Natürlich, die Geschichte der atomar sterilisierten Welt hatte irgendwann einmal die Runde machen müssen und schlussendlich sogar in der Republik ankommen müssen. Die Akarii hatten die vernichtete Agrarwelt niemals politisch oder propagandistisch ausgeschlachtet, dennoch musste sich die alte Geschichte irgendwann verbreitet haben. Ich nickte ernst. "Ja, ich kenne Troffen. Auf meiner zweiten Kampagne waren wir in der Nähe."
Ghost spuckte auf den Boden. Es war mehr als eine Reinigung des Mundes, es war eine Stimmungsabgabe. "Verdammte Terrys. Haben 'ne ganze Agrarwelt zu Glas gebombt. Und dann haben sie es totgeschwiegen. Männer, Frauen, Kinder, alle wie sie da waren, haben die helle Sonne gesehen. Und wofür? Hat es den Krieg beendet? Ich sage dir wofür: Irgendwo ganz oben hatte eine Sau mit Admiralsringen Kragenschmerzen und wollte ganz schnell ganz spektakulär einen Grund haben, um aufzusteigen. Und dafür schicken sie Bauern und ihre Kinder zur Hölle." Wieder spuckte er aus. "Eine Schande ist das. Eine Schande, dass wir uns alle Menschen nennen."
Ich schnaubte amüsiert. Es war vor allem Selbstironie in dieser Reaktion, denn ich hatte zu gut gesehen, erlebt, gewusst, was über Troffen und auf der Oberfläche passiert war. Ich wusste sehr viele Details über den Kampfstoff Flieder, der ausschließlich gegen Akarii hatte wirken sollen – und der so prachtvoll gescheitert war. Prachtvoll im höchsten ironischen Sinne. "Natürlich ist es eine Schande. Der ganze Krieg ist eine Schande." Meine Stimme war tonlos, trocken und mit unterschwelliger Schuld beladen. Wir waren nur noch wenige, die damals über Troffen auch geflogen waren. Und selbst jene, die nicht so weit involviert waren wie ich, der ich ursprünglich mit Commander Bayonne den Kampfstoff auf die Akarii hatte abschießen sollen, so wie Lilja zum Beispiel, ahnten die Hintergründe, oder ergötzten sich einfach an der Tatsache, dass der Feind "eine Welt weniger" hatte. Dass Zivilisten eher ungern starben, vor allem im Krieg, und dass wir – ich alleine durch mein Schweigen und durch meinen fehlenden Protest – eine erhebliche Mitschuld am Bruch der Haager Landkriegsordnung trugen, lastete jeden Tag schwer auf meiner Seele. Es gab Leute, die hatten in ihrer Verzweiflung zur Dienstwaffe gegriffen, und die hatten mit weit weniger Schuld zu kämpfen als ich. El Tigre zum Beispiel. Da musste ich mich schon manchmal fragen, was mich überhaupt aufrecht hielt. Was mich daran hinderte, allem ein Ende zu machen. Oder auf eine solche Mission zu gehen, um auf eine Beförderung zu hoffen. Verlogen, kleinkariert und narzißtisch.
"Ich kann es nicht ändern.", sagte ich schließlich in einem kurzen Anflug von Reue, bevor ich die Analyse und Neukalibrierung beendete. Danach verließ ich den Maschinenraum mit erheblichen Magenschmerzen. Mein Tag war damit gelaufen. Also blieb mir nur eines zu tun.

Auf dem Laufgang vor den Kabinen begegnete ich Lilja. Erfreut leuchteten ihre Augen auf. "Ah, Ace. Wir sollten langsam mal über deine Staffel reden. Du magst dich ja schon an die Falcon gewöhnt haben, aber eine ganze Staffel führt sich doch anders als ein Jäger, und..."
"Nicht jetzt!", wies ich sie barsch ab. Himmel, Arsch und Zwirn, warum musste plötzlich alles, einfach alles in mir hoch kochen? All die Schuldgefühle, die Gewissensbisse wegen etlicher Unterlassungen, all der Schmerz und die Verlorenheit?
Ich tippte den Code meines Raums ein, trat ein, holte eine Flasche aus einem der Rucksäcke und warf die Kabinentür hinter mir wieder ins Schloss.
"Ist gerade ganz schlecht.", murmelte ich in Liljas Richtung, während ich sie passierte. Mit diesen Worten ließ ich sie stehen. Ich hätte ja auch kaum von der Akarii-Fresserin Lilja erwarten können, dass sie meinen Schmerz und meine Schuld verstand. Warum zum Henker hatte ich mich nur in eine Frau verliebt, der ich nicht mal einen Fingerbreit genug vertraute, um mit ihr zu reden? Die mir da nicht einmal zuhören würde? Oder die versuchte, mein Weltbild zurecht zu rücken und mir einzureden, welche Großtat die atomare Sterilisation einer Agrarkolonie der Akarii doch gewesen war? Ich war versucht, stehen zu bleiben, mich um zu drehen, und sie anzubrüllen, sie anzuklagen, wie unmenschlich sie doch war, wie kalt und steril. Doch diese Wut ebbte so schnell wieder ab wie sie hoch gekocht war, denn dazu hätte ich ihr vernarbtes Gesicht ansehen müssen, hätte mir wieder klar gemacht, wo ihr Hass her kam, was sie hatte erleiden müssen. Sie war auch nur ein Opfer, und sie bemühte sich verzweifelt, keines zu sein.
Vielleicht war es das: Beschützerinstinkt. Vielleicht auch nicht.
"Ace."
"Sorry, ich habe schlechte Laune.", erwiderte ich und ging weiter.
"Die scheinst du schon zu haben seit du an Bord bist.", warf sie mir vor, schnaubte ärgerlich und ging weiter.

An einer unmarkierten Kabinentür blieb ich stehen und klopfte. Als ein barsches "Wer stört?" erklang, öffnete ich grinsend und hielt die Flasche in die kleine Kabine. "Rum?"
Toro grinste mich breit an. "Hast du was ausgefressen, Flyboy?"
Ich trat ein. "Eigentlich nicht. Ich suche nur jemanden, der zwei saubere Gläser hat."
"Oh, damit kann ich dienen. Komm rein und mach die Flasche auf."
Ich lachte amüsiert. "Normalerweise bietet man erst einen Sitzplatz an und lässt dann die Flasche öffnen."
"Wir sind halt unkonventionelle Spacer.", konterte der Riese. Er zauberte zwei große Kristallglasbecher hervor und platzierte sie auf dem ausklappbaren Tisch. Ich öffnete die Rumflasche und goss uns beiden zwei Fingerbreit ein.
"Cheers, Flyboy.", sagte Toro und stieß mit mir an. Wir bügelten den ersten Drink auf ex.
Ich schenkte nach. Der zweite Shot brauchte erfahrungsgemäß viel länger. Und immerhin hatten weder der Erste Offizier noch ich vor, untauglich aufgrund von Volltrunkenheit zu werden. Auch wenn die Flasche durch meine unregelmäßigen Besuche bereits auf ein Drittel geleert war.
"Also, Ace, was treibt dich zu mir? Schiebst du Frust, weil dein Liebchen dich nicht rein lässt?"
"Sehr witzig.", brummte ich, und nippte an meinem Glas. "Ich dachte, wir wärmen ein paar Knastgeschichten auf. Immerhin führe ich nach Punkten: Kein Gedächtnis, ein Arm amputiert, multipler Krebs, vierzig Lichtjahre vom nächsten von Menschen bewohnten Planeten entfernt."
"Ich kontere mit den Triaden und den Yakuza, die vierundzwanzig Stunden am Tag und sieben Tage die Woche versucht haben mich umzubringen.", erwiderte Toro grinsend.
"Auch nicht schlimmer als 'ne Ehe.", konterte ich.
Wir lachten, und zumindest bis zu meinem nächsten Flug würde ich die Scheiße um Troffen zurück drängen können. Wenigstens konnte man mit der EMERALD JADE keinen Planeten in ein Glaskabinett verwandeln.

***

Nach und nach trudelten die Blauen entweder von ihrem Urlaub ein, oder kamen zumindest für ihre achtstündige Dienstzeit zur Victoria Station hoch. Nicht, dass der Urlaub offiziell schon vorbei wäre. Es existierte immer noch Direktive von Raven, dass "Kranke" "Urlaub" hatten, bis sie wieder flugtauglich waren. Christian Chip Harris jedoch war rastlos, und deshalb hatte er sich freiwillig dazu bereit erklärt, die Staffel, das Material und die übereifrigen Piloten zu hüten, vor allem seitdem Ace auf irgendeine ultrawichtige und supergeheime Mission abgedüst war. Die entsprechende Notiz, die von einer mindestens vierwöchigen Mission sprach, lag auf seinem Schreibtisch, abgezeichnet vom Skipper und vom CAG. Nicht, dass das ein Problem war. Manche Piloten hatten, weil sie "krank" waren, bis zu sechs Wochen "Urlaub", und sogar mehr. Die COLUMBIA würde sich ohnehin in nächster Zeit, wenn überhaupt, dann nur innerhalb des Sterntor-Systems bewegen können. Es gab keine Eile, keine Not. Und trotzdem erwartete Admiral Auson, dass sich die Angry Angels an den Patrouillen beteiligten, wie alle anderen Geschwader im System. Das war zwar eine Minimalaufgabe, aber Raven war bei der Aufstellung der Systempatrouillen sehr strikt. Dabei konnte sie sich auf zwei Staffeln besonders verlassen: Die Blauen und die Grünen. Zwar waren auch die Schwarzen und die Roten bemüht, aber der Umbruch der Gelben, die wieder aufgestellt wurden und dafür aus den anderen Staffel heraus gelöst wurden, hatte sie doch ein wenig kastriert.
Auch ohne Ace, ohne Rebel und Sun-Tzu, die noch im "Urlaub" waren, kam er auf eine ansprechende Gefechtsbereitschaft von immerhin acht Piloten, ihn eingeschlossen. Gut, wenn er mal ganz ehrlich war, waren es nur fünf, denn nicht alle hatten Flugtauglichkeitsstatus erreicht. Aber immerhin, damit konnte man die minimalen Anforderungen Ausons an die Angry Angels gut bewältigen. Also saß er hier oben und koordinierte seinen Teil dieser Arbeit, während er versuchte, sich in die Rolle als Staffel-XO einzuarbeiten. Und je mehr er das tat, desto dankbarer war er dafür, dass Ace ihm vor die Nase gesetzt worden war. Noch vor vier Jahren hätte er das als Kränkung verstanden, als Herabwürdigung seiner Fähigkeiten. Mittlerweile war er realistischer, was ihn selbst betraf. Er wusste sich sehr gut einzuschätzen. Der Staffelchef war nicht unerreichbar für ihn, aber vorher musste er dafür noch einiges tun, zum Beispiel ungeliebte Vorschriften wälzen.
Was er gerade machte, zusammen mit einem halben Dutzend Medaillen, die seine Staffel für herausragende Piloten beantragte, und von denen vielleicht eine gewährt werden würde, wenn es hoch kam. Der Silver Star für Huntress zum Beispiel würde todsicher nicht gewährt werden, aber, wie hatte sich Ace ausgedrückt, wenn man hoch genug ansetzte, bekam man was in der Mitte. Und das bedeutete posthum vielleicht wenigstens einen zweiten Bronce Star für sie.

"Verdammt, Chip!", rief Shocker, während sie die Tür zu seinem Büro aufriss.
Harris musterte sie interessiert. "Du solltest weniger Kaffee trinken. Dein Kopf ist hochrot.", mahnte er.
"Scheiß auf Kaffee, verdammt! Huntress wird auf dem Flightboard flugbereit ausgewiesen!"
Unwillkürlich fuhr Chip hoch. "Was? Aber..." Langsam, langsam, die irrationale Hoffnung zurückkämpfen, alter Narr. Das konnte nicht sein. Du hast sie sterben sehen. Selbst wenn sie das irgendwie, auf irgendeine verrückte Art überlebt haben sollte, wäre sie jetzt in der Hand der Akarii, zudem schwerstens verletzt. Niemals im Leben konnte sie flugbereit sein. "Und du hast dich nicht verlesen?"
"Ich habe fünfmal nachgeschaut! Hat...Hat sie doch überlebt? Chip, wenn das wahr ist, dann..."
"Langsam, Eileen." Harris rief das Flightboard auf und suchte nach dem Namen. Tatsächlich. Huntress, angegeben mit sieben Kills, stand auf dem Board als Einsatzbereit. "Es ist nicht Juliane. Oder glaubst du, sie hätte sich freiwillig von dreiunddreißig Kills auf sieben zurückschrauben lassen?"
"Was?" Entgeistert sah die junge Frau den XO an. Dann schwindelte sie plötzlich und bekam weiche Knie. Chip, der das Unheil kommen sah, war rechtzeitig aufgesprungen und fing die junge Griechin auf. Mehr als ungeschickt platzierte er sie auf dem Gästestuhl.
Nach einiger Zeit und einem Blick, der mit Schmerz nicht mehr zu beschreiben war, versuchte sich die junge Frau an einem Lächeln. "Verdammte Scheiße, Chip. Und ich habe schon gedacht, dass...Ich dachte, dass..."
"Für einen Augenblick habe ich das auch gedacht. Es wäre schön gewesen, oder?"
"Ja, das wäre es. Aber warum trägt sie dieses Callsign? Ich meine, weiß sie nicht, dass wir schon eine Huntress haben?"
"Hatten, Eileen, hatten. Aber ich gebe dir in dem Punkt Recht. Es ist sehr ungeschickt, ihr dieses Callsign zu erlauben. Etwas mehr Anstand hätte ich vom Staffelchef schon erwartet, und...Oh, sie ist bei den Butcher Bears. Ohka. Von ihm kann man etwa genauso viel Takt erwarten, wie von Skunk Einfühlungsvermögen. Oder von Too-Tall, Bücher zu lesen."
Chip konnte es nicht verhehlen, genauso wie Shocker vor seinen Augen knapp an einem Nervenzusammenbruch vorbei driftete, kultivierte er in seiner Brust ein gehöriges Maß an Wut. Japaner hin, Japaner her, Regeln rauf und runter, das war nicht sehr nett gewesen. Wirklich nicht sehr nett gewesen.
Chip aktivierte eine Verbindung zum Büro des schwarzen Staffelchefs. "Nakakura."
"Harris hier. Hören Sie, Ohka, ich habe gerade Einblick in Ihre aktuelle Aufstellung gehabt. Sie haben eine neue Pilotin in Ihrer Staffel, Huntress."
Der Japaner schien aufseufzen zu wollen, so als ob er zumindest mit diesem Anruf gerechnet hatte. "Der Name ist derzeit an Bord nicht vergeben, Chip. Ich sehe kein Problem darin, dass First Lieutenant Argyris ihn fortführt. Vor allem nicht, da sie sich mit sieben Abschüssen bereits mehr als bewiesen hat."
"Es ist taktlos, pietätlos und unverschämt, Ohka. Nicht im Sinne der Vorschriften, aber im menschlichen Aspekt. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass Sie die Gefühle der Jokers for Redemption empfindlich verletzen."
"Das ist doch Unsinn, Chip. Wir sind im Krieg, und wir sind alle Piloten. Wir sollen hier funktionieren, um Akarii zu töten. Ich habe einen verdammt guten Piloten bekommen, um diese Aufgabe zu erfüllen. Dieser Pilot will sich nun mal Huntress rufen lassen, und damit hat es sich. Keine Huntress an Bord, keiner der ältere Rechte hat. Damit ist die Sache für mich erledigt. Geben Sie mir Ace, damit ich diese Sache aus der Welt schaffen kann."
"First Lieutenant Davis befindet sich derzeit auf einer Geheimmission des NSC und steht nicht zur Verfügung."
Nakakura verzog seine Miene nicht. Das tat er nie. Spötter wollten sogar behaupten, eine gerunzelte Stirn wäre bei ihm ein Anzeichen für orgiastische Gefühle. Chip hatte diese Theorie bis heute nicht geteilt. "Ich habe Ihren Protest zur Kenntnis genommen. Allerdings habe ich Lieutenant Argyris bereits über ihre Vorgängerin unterrichtet und ihr zu verstehen gegeben, dass sie in sehr große Fußstapfen tritt. Ich werde sie noch einmal ermahnen, das Andenken an Lieutenant Commander Volkmer in Ehren zu halten und vorerst Ihrer Staffel aus dem Weg zu gehen, bis sich der Staub etwas gelegt hat. Ist das in Ordnung für Sie, Chip?"
Harris' Miene war nun wie aus Stein gemeißelt. "Ich denke, in diesem Punkt haben wir beide uns nichts mehr zu sagen. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass ich formellen Protest bei Raven einlegen werde. Dies aber eher der Form halber. Darüber hinaus erteile ich den Blauen den dienstlichen Befehl, Ihrer...Huntress aus dem Weg zu gehen, bis sie sich uns gegenüber bewiesen hat."
"Muss der Protest bei Raven sein? Sie hat wirklich genug zu tun, Chip.", tadelte Nakakura.
"Ohka, in dieser Beziehung muss ich meinen Leuten was zu beißen geben. Etwas mit Substanz, wenn Sie ihr das Callsign unbedingt erhalten wollen. Und auch sie muss bei dieser Konstellation damit rechnen, dass ihre Dickköpfigkeit ihr nicht nur Freude und Applaus einbringt. Sie wissen, dass das Ansehen von Commander Volkmer von einigen...Nicht-Piloten gerade negiert wird. Die Stimmung bei den Jokers ist nicht die Beste. Wenn dann jemand so unbedacht und respektlos ist wie Lieutenant Argyris, muss ich angemessen reagieren. Ich denke, in ein paar Wochen hat sich das alles erledigt. Bis dahin wäre es nett, wenn Ihr Lieutenant auf ihrer Seite des Zimmers bleibt."
"Ich kann Sie nicht dazu bewegen, die Beschwerde an Raven sein zu lassen?"
"Nein, Sir, das können Sie nicht."
"Wo ist Ace, wenn man ihn mal braucht? Sind Sie sicher, dass Sie Ihren Staffelchef damit nicht in Schwierigkeiten bringen?"
"Tiefschläge nützen Ihnen auch nichts."
"Also gut. Zur Kenntnis genommen. Nehmen Sie Ihrerseits meinen Ärger zur Kenntnis, mit der Sie diese Lappalie aufbauschen."
"Und genau das ist das Problem, First Lieutenant. Sie sehen es als Lappalie. Wir nicht. Auf Wiedersehen, First Lieutenant."
Chip schaltete nach dem Grußwort des Japaners ab. Er atmete langsam aus. "Wenn er etwas vernünftiger wäre, unser guter Ohka...Aber das ist von einem Japaner wohl nicht zu erwarten."
"Schreibst du wirklich eine Beschwerde an Raven?"
"Hunde, die bellen, beißen nicht. Ich kann jetzt wohl kaum zurück. Raven wird sie wahrscheinlich in den Mülleimer werfen. Aber unseren Leuten wird es gut tun, dass es sie gibt."
Immer noch leicht verärgert begann Chip die Eingabe zu formulieren.
In diesem Moment flog erneut die Tür auf, und Vampire stürmte herein. Atemlos blieb er erst am Schreibtisch stehen und japste nach Luft, bevor er rufen konnte: "Huntress wird wieder aktiv geführt!"
Chip fluchte unbeherrscht. "Verdammter Mist. Eileen, trommle alle zusammen. Besser, ich erkläre die Geschichte, bevor noch mehr drauf rein fallen."
"Ist gut, Boss."
Vampire runzelte überrascht die Stirn. "Hä? Habe ich was nicht mit bekommen?"
"Das ist eine andere Huntress, Vampire. Sie gehört zu den Butcher Bears."
Entsetzt riss der Pilot die Augen auf. "Und sie darf sich Huntress nennen? Wie geht das denn?"
"Genau deshalb rufen wir jetzt ja alle zusammen. Und du hilfst mir dabei, Mister."
Mehr verwirrt als ärgerlich verließ Vampire hinter Shocker das Büro. "Okay..."
Chip schnaufte ärgerlich. Damit begann die ganze Scheiße wohl. Und er würde beide Hände voll zu tun haben, um die erklärliche Wut seiner Leute in zivilen Bahnen zu halten. "Verdammt, Ohka, dämlicher Dickschädel.", fluchte er unbeherrscht. Dies wurde seine erste Bewährungsprobe als XO.
29.01.2016 11:02 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cunningham

Ein neues Kommando I:

Ahn Ho-Yun begutachtete die äußeren Beschädigungen der Columbia eingehend. Das Minishuttle der Werft war nur wenige Meter von der Backbordwand des siebzigtausend Tonnen schweren Flottenträgers entfernt.
Das Kommando über ein Schiff wie die Columbia war der Höhepunkt einer Karriere, es war ein gigantisches Stück menschlicher Schaffenskunst.
Was sollte danach kommen? Ein Lexington? Ein Posten als Flaggoffizier? Da war man nur wenige Tage auf seinem Posten und schon ließ einem die ganze Tragweite nachdenklich werden.
Ho-Yun war sich sicher, dass die Columbia ihr bedeutendstes Schiffskommando sein würde, und die Kommandoübernahme war nicht ganz unproblematisch.
Sie wusste, dass sie diese Chance nie erhalten hätte, wäre da nicht die Protektion von Admiral de Kerr gewesen, die Angewohnheit der Admiralin, Untergebene, die sich unter ihrem Kommando bewiesen hatten, in verantwortungsvolle Positionen zu manövrieren.
So sah sich Ho-Yun nun zwei Geistern gegenüber. Der eine war James Waco, ein erfahrener, geachteter und bei seiner Mannschaft beliebter Offizier. Ein Mann mit tadelloser Dienstakte, jemand, den Ho-Yun nur zu gern als Vorbild ansah und als Mentor gerne begrüßt hätte.
James Waco war postum das Navy Cross verliehen worden, als die genauen Umstände seines Todes bekannt worden.
Der andere Geist war Lucas Cunningham, ein Freund Wacos, der sich aber wie kaum ein anderer von dem Captain der Columbia unterschied. Lucas Cunninghams Dienstakte wies mittlerweile eine rekordverdächtige Anzahl von Verweisen und Tadeln für einen Mann seines Ranges auf.
Und doch waren er und Waco Freunde gewesen. Gute Freunde sogar. Und auch wenn sich scheinbar unter den amtierenden Ressortoffizieren der Columbia nicht einer fand, der den Piloten mochte, so war da doch diese gesammelte Wand von Respekt und Achtung.
Jener Respekt und Achtung, der nicht vom Dienstrang abhing, sondern jener persönliche, erstrebenswerte Respekt, den man sich in der Schlacht und aufgrund der getroffenen Entscheidungen verdient hatte.
Die Senioroffiziere, die sie jetzt kommandierte, waren mit Cunningham in die Schlacht gezogen und hatten mit ihm zusammen den Blutzoll gezahlt, den Trägerbesatzungen eigentlich nicht zahlen sollten. Hinzu kam die Angst, dass Lucas Cunningham erst der erste gewesen ist, der abgelöst werden würde. Dass Ho-Yun aus dem scheinbar unerschöpflichen Reservoir von Offizieren, das Sterntor scheinbar vor dem Krieg versteckte, schöpfen konnte und jeden einzelnen durch einen Offizier ihrer Wahl ersetzen ließ.
Bei dem ein oder anderen war die Angst sicherlich begründet, doch letztlich stand sie einem Kollektiv aus stolzen und verängstigten Offizieren gegenüber, deren Vertrauen, Respekt und Wohlwollen sie sich erstmal erarbeiten musste.
Auf der Nimitz war das nicht schwer gewesen, sie alle waren aus der dritten Flotte gekommen und aus der Reserve von der Front abgelöst worden.
Hier stand sie als Angehörige der 5. Flotte, der Reserve, einer Truppe gegenüber, die sich für die einzigen Frontkämpfer dieses Krieges hielt.
„In Ordnung Lieutenant, bringen Sie uns zurück, ich habe genug gesehen.“
„Aye, Ma'am.“

Eine Stunde später saß sie in ihrem Büro und brütete über den Akten der amtierenden Senioroffiziere der Columbia. Die Akten waren nicht anders als zu erwarten gewesen war, mit den für Offiziere ihrer Position positiven Unterton.
Kenneth Ross zum Beispiel schien nicht nur ein ausgezeichneter Analytiker zu sein, sondern auch auf dem Gebiet der Gegenspionage sehr bewandert. Er war einer der wenigen Offiziere, die nicht nachgerückt waren, sondern leitete die Nachrichtendienstabteilung der Columbia seit Jahren. Sein Posten stand nicht zur Disposition.
Ebenso wenig der des Chefingenieurs. Commander Paavo Lipponen, der kürzlich mit dem Bronce Star, seinem zweiten, ausgezeichnet worden war, würde auf jeden Fall auf seinem Posten verbleiben.
Sie brauchte auf jeden Fall aber einen neuen Zweiten Offizier. Die Besetzung des Taktischen Offiziers, des Signaloffiziers und des Schiffsarztes waren strittig.
Lieutenant Commander Levitt von der Schiffssicherung würde wohl die Columbia verlassen, er war als erster Offizier eines Kreuzers und zur Beförderung vorgesehen, also brauchte sie hier auch einen neuen Offizier.
Ebenso war ein neuer Signaloffizier notwendig, Lieutenant Castilliano war zwar ohne Frage äußerst tüchtig und auch befähigt, aber erst seit wenige Monaten Lieutenant Senior Grade. Eine Beförderung zum Lieutenant Commander, wenn auch wohl sinnvoll, war wohl nicht durch zu bekommen.
Und dann war da noch das Problem ihres Ersten Offiziers. George Long machte einen tüchtigen und korrekten Eindruck. Seine Dienstakte ließ darauf schließen, dass der Mann zu Höherem bestimmt war. Sein Name würde sicherlich den Rest regeln.
Aber da war noch etwas zu klären, und wie nicht anders zu erwarten, klingelte zum geforderten Zeitpunkt die Türglocke.
„Herein.“
George Long trat ein und nahm zwei Meter vor dem Schreibtisch Haltung an und legte die Hand zum Salut an: „Commander Long meldet sich wie befohlen, Ma'am.“
„Nehmen Sie bitte Platz, Commander.“
„Ja wohl, Ma'am, danke, Ma'am.“
Sie musterte ihr gegenüber sorgfältig und legte ihre Worte gut zurecht: „Als erstes möchte ich Sie loben, Commander, Ihr Einsatz um die Reparatur de Columbia ist vorbildlich, Sie sind mir eine große Hilfe.“
Long nickte zur Bestätigung, wissend, dass da noch etwas kam.
„Aber ich mache mir da einige Gedanken. Vor allem interessiert mich, warum Sie nach Captain Wacos Ausfall nicht das Kommando über die Columbia übernommen haben. Ihren Beurteilungen und Bewertungen zufolge, den Noten und Ausbildungsberichten nach, sollten Sie dafür besser geeignet sein als Commander Cunningham. Sie sind außerdem Erster Offizier dieses Schiff. Die Generalprobe für ein eigenes Kommando, vom Bestehen des Perisher abgesehen.“
„Nun, Ma'am, ich habe in meiner langjährigen Dienstzeit gelernt, dass Noten zwar über das theoretische Leistungsvermögen viel aussagen, aber erst im Gefecht wird das wahre Potential offenbart. Ich glaube Sie unterschätzen Commander Cunningham da etwas.“
„So, glauben Sie, aber ab von den Noten, warum haben Sie nicht das Kommando übernommen?“
„Als wir das erstmal getroffen wurde und unser Backbordschild ausfiel, wurde ich umgeworfen. Ich schlug mir den Kopf an und war einen Augenblick desorientiert.
Commander Cunningham erkannte die Gefahr und nach den besten Traditionen, die unsere Navy vorzuweisen hat, sprang er in die Bresche, übernahm das Kommando und rettete so das Schiff und seine Besatzung.“
Ahn Ho-Yun überlegte einen Augenblick, wie sie darauf antworten sollte und entschied sich für die direkte Variante: „Das ist jetzt nicht nur eine bloße Schutzbehauptung, um nicht so dazustehen, als hätten Sie sich im Augenblick der Gefahr von einem Dilettanten überfahren lassen?“
„Ist das Ihre Meinung, Captain? Dann sollten Sie mich vielleicht ablösen lassen, durch einen Offizier, dem Sie eher geneigt sind zu vertrauen.“
„Vertrauen ist hier das richtige Wort, Commander.“, entgegnete Ahn, „Sie könnten schon längst einen Zerstörer oder einen leichten Kreuzer befehligen Commander, dennoch haben Sie das Angebot angenommen, als XO auf einem Träger zu fahren, und in der wirklich wichtigen Situation hat plötzlich ein Jagdpilot das Kommando über die Columbia.“
„Womit Commander Cunningham nach allgemeinen Richtlinien sowieso die bessere Qualifikation für das Kommando auf der Columbia hatte.
Ich habe den Posten als XO der Columbia angenommen, weil die Fahrenszeit auf einem Träger bei der Vergabe von Stabsposten und Flaggposten positiv bewertet wird. Dieser Posten erlaubt mir Einsicht in Flottenoperationen, die ich als Zerstörerkommandant so nie erfahren hätte.
Was Ihre eigentliche Frage angeht, ich war desorientiert und einen Moment neben der Spur. Sekunden, die dazu hätten führen können, dass die Columbia hätte zerstört werden können. Aus heutiger Sicht muss ich sagen, Glück gehabt, dass Cunningham eingesprungen ist. Eine Einstellung, die sich auch schon in Kiralu festigte. Das muss ich einfach anerkennen. Ich war kurzzeitig gefechtsbedingt ausgefallen. Dazu gibt es nichts anderes zu sagen.“
„Und als Captain Rawlings Ihnen befahl, das Kommando zu übernehmen?“
„Wenn ich offen sprechen darf, Captain.“
„Ich bitte darum.“
„Wir stehen in der Tradition unser Vorfahren, was wäre, wenn Hikaru Chen sich entschieden hätte, die Piratenflotte von Cox nicht anzugreifen? Was wäre, wenn Admiral Mullins bei Manticore sich nicht zur Schlacht gestellt hätte, sonder der Meinung gewesen wäre, die Rettung der Endeavor und Akagi sei wichtiger? Wir stehen in der Pflicht den Kampf zu suchen. Die Entscheidung wieder nach Karashin zu springen war richtig, und wenn das meine Karriere kosten sollte, dann zum Teufel mit ihr.“
Die Koreanerin war sichtlich überrascht, wusste das jedoch gut zu verbergen: „Diese Einstellung kann ich verstehen. Dennoch sind Sie der Erste Offizier dieses Schiffes. Wenn ich ausfalle, übernehmen Sie so schnell wie möglich das Kommando. Niemand anderer. Ich habe Sie in den letzten Tagen als tüchtigen und zuverlässigen Offizier kennen gelernt. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie Ihre Pflicht erfüllen. Unabhängig von den Umständen. Sie sind der Erste Offizier der Columbia und somit nach mir die oberste Autorität auf diesem Schiff und das ohne wenn und aber.
Wenn Sie sich das nicht zutrauen, sagen Sie es jetzt und ich werde Sie ablösen lassen. Sollten Sie mich aber enttäuschen, Gnade Ihnen der Gott, an den Sie glauben.“
„Ich bin Ihr erster Offizier, Ma'am“, antwortete er, „und ich weiß das Vertrauen, dass Sie in mich setzen zu schätzen.“
„Gut, ich möchte bis morgen Abend eine Empfehlung, welche der diensttuenden Ressortoffiziere auf Ihren Posten verbleiben können und welche ersetzt werden müssen. Das wäre alles, XO.“
„Zu Befehl, Ma'am.“

Ein neues Kommando II:

Die Bootsmannspfeifen trillerten und die Ehrenwache präsentierte die Gewehre. Viceadmiral Vanessa Girad salutierte der Flagge der Republick, bis die Pfeifen verstummt waren. Dann machte sie einen Schritt vorwärts und erwiderte den Salut des Captains der James Knox: „Bitte um Erlaubnis an Bord kommen zu dürfen.“
„Erlaubnis erteilt Ma'am, willkommen an Bord der TRS James Knox.“
„Vielen Dank, Captain.“
Die beiden Offiziere gaben sich die Hand, und Captain Spengler deutete auf den Korridor: „Admiral de Kerr bat mich Sie noch ein wenig aufzuhalten, Ma'am, darf ich Ihnen vielleicht die Knox zeigen?“
Girad nickte höflich: „Sehr gerne, Captain, nach Ihnen.“
Die Führung durch die James Knox war sehr umfangreich. Spengler zeigte ihr die Brücke, das CIC, den Schiffstechnischen Leitstand, die Reservebrücke, die Feuerleitzentrale – welche ebenfalls noch Reservestationen für die Schiffs- und Verbandsleitung beinhaltete.
Allein das CIC war eine Augenweide, die Ausrüstung war der der Pegasus gut zwanzig Jahre voraus. Zumindest optisch, die Flotte hatte ihre Träger regelmäßig geupdated und verbessert. Im Gegensatz zu vielen Zerstörern und Kreuzern.
Ebenso verfügte die Knox über eine Krankenstation, die sich mit der eines Flottenträgers messen konnte. Als letztes folgte noch die Offiziermesse, wo der Zweite Offizier der Knox die beiden zu einer Tasse Kaffee einlud.
Die Junioroffiziere waren sehr reserviert ihr gegenüber. Andererseits war die 5. Flotte eine Reserveeinheit, wo die gesellschaftlichen Schranken sicherlich viel dichter hielten als bei den Verbänden an der Front.
Auf der Pegasus war der Captain regelmäßig Gast in der Offiziermesse, und sich selbst hatte Girad dabei erwischt, wie sie in der Unteroffiziermesse, die hier auf der Knox konsequent umschifft wurde, ein Sandwich schnorrte.
Noch etwas, was sie hier vermissen würde, einer der Mechaniker des Geschwaders der Pegasus hatte so herrliche Sandwichsoßen herstellen können.
Briten konnten ja nun wahrlich nicht kochen, aber Sandwiches, davon verstanden sie etwas.
So wurde die Zeit noch von etwas gezwungenen Smalltalk gestreckt, ehe Spengler sie endlich zu Admiral de Kerr führte.
Das Admiralsbüro war ebenso geschmackvoll eingerichtet, wie die übrigen 'Gesellschaftsräume' der James Knox. Hinter de Kerrs Schreibtisch kreuzten sich zwei Flaggenstöcke, der untere nach links weisende hielt die gemeinsame Flagge von Seafort und Masters, der nach rechts weisende die der Navy. Auch dies war wie alles an Bord dieses Schiffes brandneu. Sogar mit dem neuen Leitsatz in den Lorbeerkranz ein gestickt: 'Courage • Duty • Honor', welche den alten, in den Anfangstagen des Krieges fast höhnisch klingende Satz 'Semper Paratis' abgelöst hatte.
Ansonsten war die Kabine mit allerlei privaten Dingen voll gestellt. Urkunden, Belobigungsschreiben, Bilder von Kriegsschiffen und ein Model eines alten Kreuzers der Kirov-Klasse.
Vanessa entschied, dass es wohl besser war, vor de Kerr zu salutieren.
Als Girad die Hand zum Gruß anlegte erhob sich de Kerr und winkte ab: „Lassen Sie das, setzen Sie sich, kann ich Ihnen etwas anbieten?“
Die Worte waren höflich dahergebracht, doch die Ehrbezeugung blieb unerwidert, und als sich die Blicke der beiden Damen kreuzten, war sich Girad sicher, dass es genauso gemeint war.
„Nein, vielen Dank, Ma'am, ich hatte gerade eine Erfrischung in der Offiziermesse.“
Ein sorgfältig abgestimmt dezenter Blick de Kerr's auf ihr Chronometer war eine weitere Botschaft, als sich die Kommandeurin der 5. Flotte auf den zweiten Besucherstuhl setzte und Girad sich somit gleichstellte.
Es war ein schönes Beispiel flotteninterner Politik. Floronce de Kerr, Vier-Sterne-Admiral, Flottenchefin und Standortkommandeur, aus Frankreich, Erde, war mit einer ganzen Ansammlung von Auszeichnungen und Dekorationen versehen, doch waren sie alle aus der Vorkriegszeit.
Ihr gegenüber saß jetzt Vanessa Girad, frisch zum Viceadmiral zurückgestuft, konnte mit Ehrungen und Dekorationen aus den letzten Jahren aufwarten, dazu Kampagnenabzeichen wie die Schlacht von Exeter, Joint Navies Operation Medal sowie bis vor kurzem noch drei Dekorationen der Colonial Confederation, von denen ihr die zwei durch den konföderierten Verteidigungsminister verliehenen aberkannt worden waren.
Die von einem der drei Akariigouverneure verliehene Auszeichnung als persönlicher Dank der Bewohner von Korrin hatte man ihr noch nicht abgenommen und nach allem, was sie so aus der Colonial Confederation hörte, würde man das auch nicht.
„Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Flug hierher, Admiral.“, dem Machtgehabe folgte also Smalltalk.
„Ganz ausgezeichnet, danke, da hierher noch reger Linienverkehr erfolgt, war ich nicht auf einen Militärtransporter angewiesen und wenn man via Kurier von Deneb zur Erde verschifft wurde, weiß man wie unbequem so was sein kann.“
„Ja, das kann ich mir vorstellen,“, entgegnete de Kerr, „aber sagen Sie, wie schätzen Sie die Möglichkeiten einer bewaffneten Auseinandersetzung mit der Konföderierten ein?“
„Mit jedem Tag, der ohne Schießerei vergeht, geringer.“, antwortete Girad, „Die Konföderierten sind in der Tat zur Zeit mehr damit beschäftigt sich selbst zu sortieren und sich mit der aktuellen Lage abzufinden. Die Confed-Navy weiß zum einen nicht, wie weit man den Akarii trauen kann. Darüber hinaus werden die Konföderierten mit den Aufräumarbeiten auf Hannover in Atem gehalten. Ein weiterer Faktor ist, dass unsere technische und materielle Unterstützung komplett weggefallen ist. Soweit ich weiß, senden wir ihnen nicht mal Hilfsgüter für Hannover.“
„Sehen Sie das als Fehler an?“
„Um offen zu sein, ja, Ma'am. Die 4. Flotte hatte sich nicht nur darauf vorbereitet, gegen die konföderierten Rüstungszentren vorzugehen, sondern auch medizinische- und Katastrophenhilfe zu leisten, womit uns weit besser gedient wäre, als die gesamte Konföderation für die Feigheit ihrer Führer bluten zu lassen.“
„Gut, gut, es ist richtig, sich alle Optionen offen zu halten.“, bestätigte de Kerr.
„Danke, Ma'am,“, langsam war Girad es leid de Kerr in den Hintern zu kriechen, „aber zum geschäftlichen, Admiral: Das HQ hat mich beauftragt das Kommando über die Reste von CBG 41 zu übernehmen und die Kampfgruppe neu aufzustellen.“
„Sie werden feststellen, dass die Columbia mit höchster Priorität behandelt wird, sowohl was die Reparaturen als auch den Personalbestand angeht.“
Aha, daher weht als der Wind, Du bist sauer, weil Du nun Einfluss auf die kämpfende Flotte verlierst und noch nicht alle Proteges untergebracht hast: „Das ist gut zu wissen, aber ich nehme mal an, die Columbia ist noch nicht in der Lage, als Zentrum einer Einsatzgruppe zu dienen.“
De Kerr schmunzelte kurz: „Ich fürchte nicht, ebenso dürften auch die anderen schweren Einheiten noch nicht mal annähernd einsatzfähig sein. Sie werden Ihren Eifer wohl etwas bremsen müssen, aber auf Victoria Station sollten wir Ihnen Flaggquartiere und zusätzliche Räume für einen Stab bereitstellen können.“
„Danke, Admiral, ich werde darauf zurückkommen, sobald ich mich über die aktuelle Lage meiner Einsatzgruppe eingehend informiert habe.“
„Gut, gut, wenn Sie irgendetwas brauchen, wenden Sie sich ruhig an Admiral Ausons Stab, er wird Ihnen sicherlich behilflich sein.“
„Dankeschön,“, die Audienz war also beendet und Girad erhob sich, „Admiral.“
Die Ehrbezeugung, die sie de Kerr entgegen brachte, war so überspitzt akkurat, dass man sie in Verbindung mit Girads Rang schon beinahe als Insubordination empfinden konnte. Jedoch blieb diesmal der Chefin der 5. Flotte nichts anderes übrig, als den Salut zu erwidern.
Die Geste die de Kerr ausführte, ähnelte so stark dem Verscheuchen einer lästigen Fliege, dass die Missachtung des Gegenübers nur durch eine Ohrfeige deutlicher zutage getreten wäre.


Ein neues Kommando III:

Der Sommer hatte Neu Kapstadt fest im Griff und jeder Offizier, Unteroffizier und Mannschafter, der konnte, trug die weiße Tropenuniform. So auch Melissa Auson, die sich mit einem wütenden Schnauben in ihren Bürostuhl fallen ließ.
Ihr neues Büro hatte die für Seafort übliche Note aus einheimischen Tropenhölzern. Der Schreibtisch war in altlosem Schwarz gehalten und ein Standartmodell der Streitkräfte mit in die Tischplatte eingelassenen Computerelementen, zwei Monitoren, einem Bildtelefon und einer gut zwanzig Jahre alten Druckerkombination, dass man nötigenfalls auch noch Dokumente zu Papier bringen konnte.
Gut, trotz seiner langen Geschichte war Papier noch nicht aus der Mode gekommen, nicht mal auf den Raumstationen und Kriegsschiffen der Navy, die sich reichlich bemühten, sämtlichen Schriftverkehr elektronisch abzuwickeln.
Gerade als Lucas mit dem Karton persönlicher Utensilien hinter sich die Tür schloss, stieß sie eine Mischung aus Knurren und Wimmern aus: „Versorgungsoffizier!“
„Wie bitte?“
„Ich bin jetzt Versorgungsoffizier,“, klagte sie erneut, „ich bin verantwortlicher Versorgungsoffizier für die Werftanlagen von Victoria Station. Laut Vorschriften darf ich nicht mal zu einer der Raumstationen fliegen, aber ich bin für ihre Versorgung zuständig.
Ich bin jetzt derjenige, der einen Schreibtisch kommandiert, der Drückeberger auf dem Druckposten…ich will mein Schiff wieder.“
Lucas stellte die Kiste ab: „Ich weiß, Schatz.“
„Ich hasse dieses Büro, ich hasse diese Typen da draußen,“, sie deutete auf die Wand zu ihrem Vorzimmer hin, hinter dem ein Großraumbüro lag, „die sich hier drinnen verschanzen, um nicht in den Krieg ziehen zu müssen. Die sollten Zivilisten für solche Jobs einstellen.“
„Die Hälfte der Typen da draußen sind Zivilisten.“
„Weiß ich,“, knurrte sie, „aber...“
„Was aber, Du hast ein schönes Büro, Du hast zwei Fenster und einen hübschen Ausblick rüber zum Campus der Akademie.“
„Lucas.“
„Jaaa.a“, er hatte den drohenden Unterton sehr wohl verstanden.
„Du weißt, dass auch Männer Opfer von Gewalt in der Ehe werden können?“
„Komm schon, vom Gejammer wird es nicht besser, Schatz.“
Melissa fixierte ihn mit eisigem Blick: „Du hast gut reden, Du gehst wieder in den Fronteinsatz, sobald die Columbia repariert ist.“
„Ja, wirklich großartig, als Staffelführer in meinem eigenen Geschwader, ich habe bisher nur nominell eine Staffel geführt, dafür hatte ich immer wen anderes, aber mein Ruf und mein Rang verpflichten mich von Anfang an, dass die rote Staffel die besten Leistungen bringt und alle anderen Schwadronen in den Schatten stellt,“, Lucas verschränkte die Arme vor der Brust und starrte aus dem Fenster, „mein CO ist eine langjährige Untergebene, genauso wie der Geschwader-XO, die auch noch rangniedriger ist als ich, wirklich großartig.
Seit Kriegsbeginn bin ich nicht mehr befördert worden und nun habe ich ein Beförderungsverbot von zehn Monaten an der Backe, Darkness ist schon Captain, ebenso von Richter.“
„Du hast auch ganz schön Mist gebaut, Cowboy.“, Melissa schlang von hinten ihre Arme um ihn.
„Ich habe mir jahrelang den Arsch aufgerissen. Vom ersten Tag dieses Krieges an habe ich mich für verantwortungsvollere Posten empfohlen. Ich war an allen wichtigen Schlachten beteiligt und die zweite Schlacht von Karrashin war mein Plan, meine Idee. Ich habe besseres verdient, als abgestraft zu werden.“
„Wir kommen schon wieder auf die Füße, Cowboy,“, sie nahm seine Hand und drehte ihn zu sich um, „immerhin hast Du auch zwei gewichtige Empfehlungsschreiben in Deiner Akte. Besonders das von Renault liest sich beeindruckend. Der alte Mann scheint große Stücke auf Dich zu halten.“
„Das sollte er auch besser.“
Melissa schnaubte: „Und was machen wir jetzt?“
„Ich ziehe wieder in den Krieg und Du wirst hier Deine neun Monate Schwangerschaft absitzen.“
„Ha, als ob das eine Strafe wäre,“, sie legte den Kopf an seine Schulter, „und dann? Wirst Du dann in Vaterschaftsurlaub gehen und mir die Möglichkeit geben, wieder für ein Kommando fit zu werden?“
„Ähm...“
„Das heißt also, Du willst nicht?“
„Richtig, ich will nicht.“
„Super, Lucas, wirklich toll...“
„Ich sagte ich will nicht, nicht ich werde nicht. Gib mir einfach etwas Zeit, das zu überlegen.“
Sie blickte ihn kritisch an; „Solange Du Dir keine neun Monate Zeit damit lässt.“
„Nein, das entscheide ich, bevor die Columbia Sterntor verlässt.“
„Gut.“
„Da ist aber noch ein Problem“, begann Lucas zögernd, „meine Eltern haben sich als Besuch angekündigt.“
„Alle beide?“
„Ja, alle beide.“
„Oh, Gott, das Schwiegermonster hat mir gerade noch gefehlt.“
„Wie redest Du über meine Mutter?“
Melissa grinste: „So wie Du über meine reden würdest, wenn sie noch leben würde.“
Lucas' Armbandcom gab Alarm: „Ah, ich muss los, sonst verpasse ich meinen Flug nach Victoria. Wir werden die nächsten zehn Tage nur während meiner Dienstzeit sprechen können.“
„Oh ja, Lone Wolf Cunningham, der große Knastbruder,“, sie küsste ihn zärtlich, „glaubst Du ich bewirke bei den Bürohengsten etwas, wenn ich alle Mann auf Gefechtsstation befehle?“
„Du meinst etwas anderes als dumme Blicke?“
„Du hast recht, pass auf Dich auf Cowboy.“
Lucas küsste sie nochmal: „Und Du pass auf Euch beide auf und sieh zu, dass Du mir einen Sohn ausbrütest.“
„Es wird eine Tochter“, antwortete sie ihm lächelnd und streichelte sich selbst über den Bauch, als Lucas das Büro verließ.


Ein neues Kommando IV:

VF 1271, Red Sun Spirit, auch bekannt als Rote Schwadron der Angry Angels war genau genommen kein neues Kommando für Lucas. Es war sogar eigentlich ein altes, sein erstes permanentes Kommando über eine Staffel.
Die Sache hatte, wie er seiner Frau gegenüber festgestellt hatte, einen Haken: Zu jeder Zeit als Geschwaderkommandant hatte er einen Staffel-XO, der eigentlich die gesamte Arbeit auf dieser Ebene übernommen hatte.
Das war nichts extravagantes, nichts ungewöhnliches, ein Geschwaderkommandant führte nur noch theoretisch eine Schwadron.
Es hatte sogar eine Zeit gegeben, als noch Frieden herrschte und es noch keine leichten Träger der Majestic-Klasse gab und die Pegasus-Flottenträger noch der feuchte Traum eines Ingenieurs waren, da waren auf den Zeus-Trägern die Geschwaderführer ohne ein Staffelkommando, einzig eine administrative Position. Und obwohl der CAG damals zumindest für zwei Maschinentypen qualifiziert sein musste, flog er nicht mehr selbst in den Einsatz.
Diese Praxis war über Pandora ausgestorben, da es sehr schlecht für die Moral der Kampfpiloten gewesen war. Man hatte den Stab eines Geschwaders um drei Posten erweitert und dem CAG wieder die Möglichkeit gegeben, selbst ins Cockpit zu steigen.
Aber das war jetzt alles Geschichte, hier saß Lucas jetzt als Schwadronkommandeur und hatte damit klar zu kommen, dass niemand mehr als Puffer zwischen ihm und den Piloten, die er in die Schlacht führte, saß.
Als erstes würde er ein längeres Gespräch mit seiner Stellvertreterin führen müssen.
Und als wenn man vom Teufel sprach schlurfte Nicole Shaw in lässiger Zivilkleidung in sein Büro. Sie musterte ihn von oben bis unten: „Sie sind auch nicht totzukriegen, was Lone Wolf?“
„Setzen Sie sich, Lieutenant.“, Lucas deutete auf die Besucherstühle.
Zögerlich nahm sie Platz: „Sie schmeißen also jetzt die Rote Staffel und ich kann mich wieder zurücklehnen.“
„Falsch, Sie sind mein XO, das wird nicht ganz ohne Arbeit an Ihnen vorbeigehen.“
„Vielen Dank, Lone Wolf, ich verzichte.“
„Lieutenant...“
„Ach hören Sie auf mit dem Scheiß, vor einem Jahr wurde meine Beförderung, die Skunk beantragt hat, abgelehnt und jetzt, wo hier die Scheiße am dampfen ist, soll ich den Karren aus dem Dreck ziehen? Als ich hier angefangen habe, haben Sie Radio die ganze Arbeit machen lassen und der war, nun ja, eine Pfeife. Glauben Sie ernsthaft, ich will für Sie hier den Packesel machen?“
„Passen Sie auf Ihren Tonfall auf, Mantis, ich bin nicht Skunk.“
„Stimmt, mit dem brauchte ich nie so zu reden, SIR,“, sie verschränkte trotzig die Arme vor der Brust, „ich will versetzt werden.“
„Was?“
„Sie haben mich schon verstanden, ich habe meinen Teil getan, ich habe meine Pflicht erfüllt und drei Jahre überstanden, ohne abgeschossen zu werden.“
„Das können Sie vergessen,“, knurrte Lucas, „wann Sie ihre Pflicht erfüllt haben, entscheiden nicht Sie. Wir können uns nicht leisten, weitere erfahrene Piloten zu verlieren.“
„Ist das Ihr letztes Wort? Was glauben Sie wie...“
„Nein, das ist nicht mein letztes Wort,“, unterbrach er sie, „die Angry Angels haben stark geblutet in den letzten Gefechten, das muss ich Ihnen nicht auseinanderpulen. Weder die Staffel, noch das Geschwader kann derzeit weiteren Personalschwund vertragen.“
Mantis kommentierte das mit einem wütenden Schnauben.
„Ich brauche einen XO, der weiß, wie diese Staffel funktioniert hat, lassen Sie mich ausreden, und ich habe genau mitbekommen, wie Skunk diese Schwadron geleitet hat. Die Gefechtspläne stammten von ihm, das war seine Stärke, die Tagesgeschäfte haben erst Kali und Sie geführt, anschließend Kali und Ace, wenn einer der beiden ausfiel, sprangen Sie in die Bresche. Es ist auch aufgefallen, wie Sie geackert haben, als Skunk die Beförderung vorschlug und wie sehr Sie über die Arbeit meckern, seit die Personalabteilung die Beförderung ablehnte.“
„Klar, warum soll ich denn noch was machen, und nun wird unser hauseigener Pirat doch tatsächlich befördert, können Sie sich das vorstellen? Der wird First Lieutenant, ist doch lächerlich.“
Lucas zuckte die Schultern, als wolle er sagen, 'wer wisse schon wie die Personalabteilung ticke': „Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Sie wollen weg von der Front.“
„Lieber heute als morgen.“
„Sie helfen mir die Staffel neu aufzustellen und zu trainieren, so wie Sie Skunk und Kali unterstützt haben, und Sie helfen mir einen neuen XO heranzuziehen, und ich will alles mögliche tun, dass Sie auf die Flugschule als Ausbilderin abkommandiert werden. Wenn Sie sich wirklich anstrengen, versuche ich auch Ihre Beförderung durchzudrücken.“
„Und Sie glauben sie bekommen das hin?“
Lucas deutete auf seine Sammlung an Ordensschnallen: „Glauben Sie, das hat überhaupt kein Gewicht?“
„Ich bin vor dem nächsten Kampfeinsatz von Bord?“
„Vielleicht kann ich Sie hier auf Sterntor unterbringen.“
„Ihr Ehrenwort, Lone Wolf, Ihr Ehrenwort als Offizier.“
„Sie haben mein Wort, dass ich Sie nach Aufstellung und Training der Staffel so schnell wie mir möglich versetzten lassen werde.“
„Okay.“
„Gut, kommen wir auf Cartmell zu sprechen. Halten Sie das für richtig, ihn unter einer…so unerfahrenen Pilotin wie Petal als Flügelmann einzusetzen?“
„Das wird dem Scheißkerl schon gut tun“, knurrte Mantis, „außerdem, haben Sie doch etwas Vertrauen zu Ihrem XO.“
29.01.2016 11:02 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
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Cattaneo

Die Lords und die Gemeinen

Sprungpunkt Victoria Lake, Sterntor-System, drei Wochen nach der Ankunft der Columbia

Die Wirklichkeit hielt für einen Moment den Atem an, als sie von den Menschen in neue Bahnen gezwungen wurde. In einem Augenblick war da nur leerer Raum gewesen – und dann, mit einmal, trieben dort einige der tödlichsten Kriegsmaschinen, welche die Menschheit je gebaut hatte.
Die nächsten Schiffe der Systemverteidigung waren zwei Fregatten und zwei Korvetten, die in gut 100.000 Kilometern Entfernung mit mehr Routine als Einsatzgeist Patrouille flogen. Im Vergleich zu den Neuankömmlingen waren sie nur Zwerge, doch sie zeigten keine Beunruhigung. Sie wussten, wer hier kam. Die Ankunft der Schiffe waren ihnen angekündigt worden, und so erfüllte sie die Meldung: „Schiffe springen ins System!“ nicht mit Angst oder auch nur Besorgnis, sondern wurde gelassen zur Kenntnis genommen. So tief hinter den Frontlinien war ohnehin wenig zu befürchten, erst recht über einen Solwärts gerichteten Sprungpunkt. Gewiss, die Akarii waren aus dem Matikor-System vorgestoßen, während sie gleichzeitig die Sprungverbindung nach Texas gekappt hatten. Sie hatten die „Große Armada“ in Bedrängnis gebracht, so dass diese von Beta Borialis zurückgewichen war. Doch es war klar, dass diese Rückschläge nicht ewig so weitergehen würden. Es liefen bereits Gerüchte um, dass Einheiten der 1. Flotte oder gar ein Großteil dieser mächtigen Kampfgruppe von Texas aus auf dem Weg waren, um sich mit den Trägern der „Großen Armada“ jedem Angriff der Akarii zu stellen und zu einer vernichtenden Gegenoffensive auszuholen. Der Feind hatte zwar auch einen wirklichen Erfolg erzielen können – Hannover und die ganze Colonial Confederation waren brutal niedergeworfen worden. Doch alle Offensiven der Echsen gegen die Terranische Republik hatten nur auf Gebiete gezielt, die ihrerseits erst vor Monaten oder Jahren dem Imperium entrissen worden waren, und dieser Verlust schmerzte nicht. Die 2. Flotte war intakt und würde bald stärker als je zuvor sein. Und war nicht eben erst die feindliche Offensive gegen Karrashin in Feuer und Blut erstickt, Manticore so von einem Großteil der Besatzungstruppen entblößt worden?
Was schließlich Hannover betraf – die TSN bestand nicht aus verzagten und rückgratlosen Feiglingen wie offenbar die Colonial Navy. Wer von den Konföderierten noch einen Funken Ehre im Leib hatte, so die landläufige Meinung, war gefallen oder zur TSN übergelaufen. Schon liefen Gerüchte um, dass die ersten Freiwilligenverbände in der Aufstellung waren. Nein, mit der Colonial Confederation, diesem Papiertiger, war die Terranische Republik und ihr Militär nicht zu vergleichen. Und wenn für Sterntor schon kein Angriff der imperialen Streitkräfte zu erwarten war, wer sollte dann ausgerechnet HIER für Ärger sorgen? Vielleicht Raumpiraten? Eine Flotte der „älteren Völker“, eher einem Alptraum entsprungen als der Realität? Beides war etwa gleich wahrscheinlich. Nein, Sterntor war sicher, mit dieser Gewissheit standen die Garnisonstruppen morgens auf und gingen abends zu Bett.
Sie waren sich umso sicherer, weil sie tagtäglich die gigantische Vernichtungsmaschinerie bei der Arbeit beobachten konnten, in der sie nicht mehr als kleine Rädchen waren. Eine Maschine, die sich auch durch Rückschläge nicht entmutigen ließ, und die zwar Schlachten verlor – aber keinen Krieg. Die Neuankömmlinge waren Beweis für diese Fähigkeit. Seite an Seite trieben sie durch die Schwärze des Alls, schon für sich eine ernstzunehmende Bedrohung, obwohl dieser Krieg schon viele ihrer Brüder verschlungen hatte. Herzstück der Formation war ein schwerer Kreuzer der Ticonderoga-Klasse, flankiert von zwei Achilles-Kreuzern. Ein Schiff der Dauntless-Klasse folgte leicht nach hinten versetzt. Insgesamt waren hier fast 90.000 Tonnen Stahl und Vernichtung mit rund 3.000 Mann Besatzung versammelt, eine Feuerkraft von rund 80 Exocet mit einer einzigen Salve, Dutzende von leichten Raketenwerfern und Lasergeschützen. Selbst für diesen Krieg, der noch viel größere Verbände im Einsatz gesehen hatte, war dies eine beachtliche Feuerkraft.
Wenn es einen Beobachter gegeben hätte, der nahe genug gewesen wäre, um die Einzelheiten zu erkennen, dann wäre ihm aufgefallen, dass die vier Schiffe nicht die geringsten Spuren von Gefechtsschäden und Abnutzung aufwiesen. Es gab keinerlei Anzeichen von Reparaturen an der Panzerung, keine Patina, wie sie die Zeit und Gebrauch hinterließen. Die Kreuzer wirkten praktisch wie neu – was sie auch waren. Abgesehen von der unvermeidlichen Generalüberprüfung, die nach der Abnahme eines Schiffes durchgeführt wurde, kamen sie direkt aus der Werft.
Die Wachschiffe reagierten nur mit einer einfachen Anfrage auf die Neulinge – ein Ausweichmanöver, die Benachrichtigung von Patrouillenjägern oder gar Gefechtsbereitschaft waren in ihren Augen fehl am Platze. Selbst wenn die Akarii möglicherweise einige CN-Schiffe erbeutet hatten, sie würden diese sicher nicht auf diese wahnwitzige Art und Weise verschleudern. Ohne zu Zögern gaben sie den Kreuzern den Weg frei, sobald diese sich routinemäßig identifiziert hatten. Die vier Kampfgiganten beschleunigten und erreichten binnen wenigen Sekunden Höchstgeschwindigkeit. Ihren Bug richteten sie auf das ferne Seafort.


TRS Relentless, bei der Victoria-Station, Seafort, Sterntor-System, zwei Tage später

Der schwere Kampfkreuzer wurde nur noch von wenigen Verbindungsleitungen und drei Schleusen an seinem Platz an der Station gehalten. Die Werftarbeiter und Mithels Reparaturtrupps hatten sich geradezu selbst übertroffen, und die vordringlichen Schäden binnen kürzester Zeit repariert. Zwar war der Kreuzer bei weitem noch nicht wieder einsatzbereit, das würde noch mindestens zehn weitere Tage, eher noch zwei ganze Wochen dauern. Ganze Sektionen mussten erst wieder bezugsfertig gemacht werden, denn diese Arbeit hatte keinen Vorrang genossen, zudem hatten die Reparaturen und Umbauten weitere Verwüstungen angerichtet. Aber von außen war der Kreuzer bereits wieder einsatzbereit, Antrieb, Panzerung, Schilde und Bewaffnung waren komplett. Mehr noch, die Reparatur war mit einer umfassenden Modernisierung verbunden gewesen. Man hatte die gesamte Rohrartillerie, die Laser- und Tachyonengeschütze, durch neue Modelle ausgetauscht. Die neuen Kanonen verdankten viele Verbesserungen „sezierten“ Beutewaffen und hatten eine gut 20 Prozent gesteigerte Reichweite und Feuerkraft. Ganze Arbeitsabläufe im Schiffsbetrieb waren mechanisiert und automatisiert worden, was eine Reduzierung der Besatzung um ein Zehntel ermöglichte. Zudem wurde so Platz für einen dritten Primärwerfer geschaffen. Damit stieg die Langstreckenfeuerkraft des Schiffes um ein volles Drittel – theoretisch zumindest, denn momentan herrschte in den Magazinen noch gähnende Leere. Die Relentless war zwar nicht der erste Ticonderoga-Kreuzer, der diese Umrüstung genoss, aber doch einer der ersten. Und das war an Bord deutlich zu merken, denn solche Vorzugsbehandlung wurde auch von dem größten Teil Besatzung mit Zufriedenheit registriert. Immerhin war man etwas Besonderes…

Das Zeremoniell im Hangar, der zum offenen Raum hin geöffnet war, vollzog sich ebenso martialisch wie altehrwürdig. In mehreren Blöcken waren Vertreter der verschiedenen Waffengattungen und Dienste angetreten. Herzstück der Parade bildete eine Einheit Marines in voller Gefechtsmontur, die Waffen vor der Brust, die behelmten Köpfe und gepanzerten Körper so starr ausgerichtet, dass sie wie Statuen wirkten. Der Anblick war einigermaßen bemerkenswert, und selbst innerhalb der Flotte nur selten bei Paraden zu beobachten. Üblicherweise taten es die einfachen Dienstuniformen oder zu festlichen Anlässen die Parademontur. Doch Mithel hatte sich darüber hinweggesetzt – wie einige Spötter bemerkten, weil er unter anderem auch die Tradition der britischen schweren Kavallerie pflegte. Tatsächlich war es seine Art und Weise daran zu erinnern, dass sich die TSN im Krieg befand, und in einem harten dazu.
Neben den Marines standen aufgereiht Piloten der Bordstaffel in schwarzen Fliegerkombinationen, die technischen Dienste in Braun, die Brückencrew in Weiß und ergänzten das Bild. Als das Shuttle, wegen dem dieser Empfang stattfand, aufsetzte – ein Kind der Relentless, ihr gepanzertes und bewaffnetes VIP-Schiff – strafften sich die Reihen wie auf ein scharfes Kommando hin.
Für einen Augenblick herrschte Schweigen im Hangar, dann schwang die Hauptluke des Shuttles mit einem leisen Zischen auf. Vier Personen stiegen aus, alle in weiße Galauniformen gekleidet. Drei von ihnen waren Captains, einer ein Lieutenant-Commander, und jeder hatte offenbar bereits Gefechtserfahrung gesammelt. Anders wären die Verwundetenabzeichen, Kampagnespangen und Auszeichnungen in dieser Zahl kaum zu rechtfertigen gewesen. Sie hielten sich – jeder für sich – fast krampfhaft gerade, als die Reihen musterten, die vor ihnen Aufstellung genommen hatten. Wenn sie das fast schon übertrieben martialische Schauspiel irritierte, dann ließen sie es sich jedenfalls nicht anmerken. Eine harte Stimme fuhr wie ein Peitschenschlag dazwischen: „Ach…TUNG!“ Die angetretenen Soldaten und Offiziere salutierten synchron. Dann begannen die vier Neuankömmlinge die Reihen abzuschreiten. Sie wurden bereits erwartet.

Wenn Rear-Admiral Chris Mithel gelegentlich noch Mühe haben mochte, sich seinen neuen Rang zu vergegenwärtigen, so ließ er sich dies jedenfalls nicht anmerken. Die prunkvolle Uniform war von einem fast blendenden Weiß, und das Bronze, Silber, Gold und die zahlreichen Farben seiner Auszeichnungen unterstrichen dies noch. Die Montur saß wie angegossen, so als wäre Mithel schon darin geboren worden. Der weibliche Captain, der hinter ihm stand – seine ehemalige XO und nunmehrige Herrscherin über die Relentless, Captain Liu Shan-Lee – war kaum weniger prachtvoller herausgeputzt.
Erst als die Besucher vor den beiden angelangt waren und ebenfalls mit einer Präzision, die nur lange Übung vermittelte, Haltung angenommen und salutiert hatten, erwiderten Mithel und seine Untergebene den Gruß. Dies war ihr Vorrecht, immerhin waren sie die Herren im Haus. Deshalb warteten sie auch auf die Vorstellung ihrer Gäste, ehe sie ihre Namen nannten. Die Flotte hatte in der Hinsicht mehr Vorschriften und Gebräuche, als sich ein Außenstehender hätte vorstellen können. Mehr als notwendig und gut waren, meinten auch einige Eingeweihte.
Wortführerin als Kommandeurin der schwersten Einheit war eine zierliche Asiatin mit kaffeebrauner Haut, die wie ihre schwarzen Haare mit ihrer Galauniform einen deutlichen Kontrast ergab. Obwohl sie geradezu zerbrechlich wirkte, hielt sie den scharfen Blick ihres neuen Vorgesetzten ohne Zögern stand: „Captain Nadita Dasgupta, TRS Suffolk.“ Ihr folgte ein drahtiger Anamit, der sich als Captain Virat „Tong“ Intaraynont von der Hagen von Tronje vorstellte. Sein breites Grinsen zeugte weder von Unsicherheit oder unbedingt von einem sonnigen Gemüt, sondern war einfach ein Gebot der Höflichkeit, und wurde als solches auch akzeptiert. Der dritte Schiffskapitän war körperlich am beeindruckensten – ein hochgewachsener und schlanker Kaukasier mit gewinnenden Lächeln und einem selbstsicheren und souveränem Auftreten. Das mochte auch an dem Silver Star liegen, der ihn schmückte, während seine zwei Kameraden „nur“ Bronzesterne aufzuweisen hatten. Friedrich von Habsburg von der Nestor war sicher kein Mann, der meinte, seinen Platz nicht voll und ganz zu verdienen, vielleicht sogar mehr als das.
Es war nur logisch, dass der niedrigste Dienstgrad den Abschluss bildete. Lorenzo Marconi konnte für sich nicht in Anspruch nehmen, ein Schiff dauerhaft zu kommandieren, auch wenn er offenbar bereits im Einsatz gewesen war. Er vertrat die TRS Etna, einen Flakkreuzer, auf der er als Interimskommandeur fungiert hatte.

Mithel musterte seine neuen Untergebenen einen Augenblick lang prüfend. Er gehörte nicht zu den Menschen, die so vermessen waren zu glauben, auf einen Blick das Wesen eines anderen beurteilen zu können. Natürlich kannte er die Akten seiner künftigen Kapitäne, aber dies und ein erster Augenschein waren oft zuwenig, um ein verlässliches Urteil – manchmal im wahrsten Sinne des Wortes – zu fällen. Doch das blieb abzuwarten. So nickte er nur knapp: „Willkommen an Bord der Relentless. Bitte folgen Sie mir – ich möchte Sie ihren Kollegen vorstellen, zudem haben wir viel zu besprechen.“ Er nickte der Kapitänin der Relentless zu: „Lassen Sie wegtreten.“ Dann wandte er sich abrupt um und ging, während sich ihm die rangniederen Kommandooffiziere anschlossen.
Im Konferenzraum des Kreuzers wurden sie bereits erwartet. Auch hier fasste sich Mithel kurz. Er stellte seine neuen Untergebenen vor, wobei er betonte, Lieutenant Commander Marconi sei als Erster Offizier für die Etna vorgesehen. Dann kamen die Wartenden an die Reihe: „Captain Ariane Raffarin, leichter Kreuzer Redemption, die Schwadrons-XO. Ihre Ansprechpartnerin, die praktisch dieselben Befugnisse hat wie ich. Captain Nicole Bolton vom leichten Kreuzer Annihilator. Captain Solveig Sturlasdottir – sie wird die Etna übernehmen.“ Die Nordländerin und der Interimskapitän ihres neuen Kommandos maßen sich kurz mit Blicken, schienen aber fürs erste keine Probleme miteinander zu haben. Mit einem leichten, kaum sichtbaren Zucken um die Mundwinkel fügte der Rear-Admiral hinzu: „Und dies ist Captain Schneider, Hybridkreuzer Kami.“ Man konnte nicht direkt sagen, dass er und Schneider über Kreuz gewesen wären, aber Mithel hatte mehrere Gründe, seinem dienstjüngsten Kreuzerkommandanten mit gewisser Reserviertheit zu behandeln. Allerdings waren das Gründe, die vor allem einem humorarmen Berufsoffizier wie Mithel einleuchteten. Einerseits war er nicht sehr erbaut darüber gewesen, dass Schneider als einziger der Kapitäne Urlaub genommen hatte. Theoretisch war dies nur gerecht gewesen, denn die Kami war kaum beschädigt gewesen, aber Mithel hatte in der Hinsicht eigene Vorstellungen. Wenn ER nicht in Urlaub ging, sollten die anderen kommandierenden Offiziere gefälligst seinem Beispiel folgen. Oder er hatte andere Gründe, Schneider nicht ganz zu trauen. Oder auch beides. Zweifelsohne waren in den Augen Mithels gewisse Gerüchte über…sagen wir mal pikante…Ereignisse auf der Party der Kami nichts, was dem Ruf der Schwadron Ehre machte. Oder seinen Bemühungen, ein gutes Einvernehmen mit den „Einheimischen“ zu kultivieren.

Nachdem sich alle gesetzt hatten, blitzte die Runde praktisch von Weiß, Metall und Farben. Immerhin waren hier neben Mithel in seiner Admiralskluft acht Captains und ein Commander versammelt. Zum Auftakt fasste der Rear-Admiral kurz die Lage für seine neuen Untergebenen zusammen: „Ich will mich nicht lange mit der Vorrede aufhalten. Ich heiße Sie willkommen in der Schwadron 2.3 und hoffe, dass wir gut zusammenarbeiten werden. Ihre Leistungen sind mir bekannt, und sprechen für sich – sowohl Ihre Beurteilungen während der Ausbildung als auch im Kampfeinsatz. Ich kann mir also motivierende Äußerungen über Ihre Aufgaben oder die hohe Ehre, die Sie als Kapitäne unserer Streitkräfte und dieser Schwadron zu wahren haben, sparen, denn damit würde ich nur Selbstverständliches referieren. Sie alle haben also bereits Kampferfahrung und sind für Ihre Leistungen ausgezeichnet worden. Allerdings haben Sie bisher vielfach vor allem auf leichten Einheiten oder als Brückenoffiziere gedient. Der Einsatz in einer Gefechtsschwadron der Schlachtlinie stellt für Sie eine neue Herausforderung dar.“ Captain von Habsburg schien nicht übel Lust zu haben, etwas einzuwerfen. Vermutlich war er nicht gewöhnt, in solcher Weise zum Azubi abgebürstet zu werden. Doch nach einem Blick auf Mithels Gesicht blieb er lieber ruhig. Der Admiral ließ nicht erkennen, ob er die Verstimmung seines Untergebenen bemerkt hatte: „Wie Sie zweifelsohne erfahren haben, ist unsere Schwadron von den Kämpfen bei Karrashin schwer getroffen worden und musste für ihren Einsatz einen hohen Preis zahlen. Sie sind die dringend benötigte Verstärkung, um die Einheit wieder auf Gefechtsstärke zu bringen. Ihre Schiffe verfügen in jedem Fall zwar über einen Stamm erfahrener Offiziere und Matrosen, doch sie sind ebenso neu wie die Mehrzahl der Besatzungsmitglieder. Selbstverständlich ist dies kein grundsätzliches Manko – vom ersten Tag des Krieges an haben unsere Besatzungen bewiesen, dass eine gute Ausbildung Erfahrung vielfach ersetzen kann. Dennoch müssen die Männer und Frauen sicher ihre Zusammenarbeit in Krisensituationen noch verbessern und sich aufeinander einstellen. Dies gilt umso mehr, als hier auf Seafort weitere Besatzungsmitglieder zu Ihnen stoßen sollen.“ Der Admiral hatte durchgedrückt oder eher durchgekungelt, dass man den neu zu seiner Schwadron hinzu stoßenden Einheiten etwas mehr erfahrene Offiziere und Matrosen mitgab, als in dieser Kriegsphase üblich. Das war gar nicht so einfach, selbst wenn man (Rear-)Admiral war. Es war erstaunlich, wie sehr man inzwischen um nur ein paar Dutzend Männer und Frauen feilschen musste.
„Ich habe zur Überprüfung und Steigerung der Zusammenarbeit eine Reihe von Gefechtsübungen angeordnet, bei der Ihre Schiffe sowohl einzeln als auch im Verbund ihre ohne Zweifel beachtlichen Leistungen optimieren können. Diese Übungen schließen auch Ihre Marineinfanteriekontingente und Bordstaffeln ein, dazu jedoch später mehr. Ich werde nach Möglichkeit auch Kampffliegerverbände mit einbeziehen, so dass wir uns nicht nur auf Simulationen beschränken müssen. Das dürfte für die Raumjockeys eine nützliche Übung sein, und wir können besonders die vernetzte und individuelle Abwehr erproben.“ Der Rear-Admiral war entschlossen, so etwas wie den Kamikaze-Angriff bei Tukama nie wieder zuzulassen.
„Ein Teil der Übungen werden Sie führen, andere sind als Testfall für Ihre Stellvertreter gedacht. Die übrigen Schiffe des Verbandes stoßen zu den Manövern, sobald die Reparaturen abgeschlossen sind. Richten Sie sich darauf ein, dass Ihre Einheiten die nächsten Wochen praktisch permanent im Einsatz seien werden.“ Mithel blickte sich um, wobei eine gewisse Schärfe in seinen Worten lag: „Wie Sie sicher wissen, ist ein Teil unserer Schiffe mit neuen Waffen und einer fortgeschrittenen Teilmechanisierung versehen. Dies betrifft neben Relentless, der Redemption und der Annihilator – die alle noch nicht wieder voll einsatzbereit sind – vor allem die Suffolk, die Etna und die Nestor.“ Die Hagen von Tronje waren im Gegensatz zu den anderen Schiffen nicht bereits während ihrer Fertigstellung modernisiert worden. Bei den Flakkreuzern äußerte sich die Kampfwertsteigerung neben einem Austausch der Laserkanonen und dem Wegfall von etwa 50 Mann Besatzung in einer Verstärkung der Panzerung. Dies war bisher einer der wesentlichen Schwachpunkte der Dauntless-Klasse gewesen, der sich wiederholt in fataler Weise bemerkbar gemacht hatte, zuletzt bei Karrashin. Bei den modernisierten Achilles-Kreuzern hatte man ebenfalls die Geschütze ausgetauscht, die Exocet-Werfer zu Neunlingen erweitert und – auch hier zur Beseitigung eines leidvoll erfahrenen Mankos – die Zahl der Impulslaser auf sechs erhöht. Details über diese Umrüstungen waren bisher nur den Kapitänen und hochrangigen Technikern bekannt gewesen, aber in der Flotte würde es sich natürlich schnell herumsprechen. Mithel hoffte nur, dass die Systeme auch wirklich ausgereift waren. Das Letzte, was er gebrauchen konnte, waren Kanonen und automatische Betriebssysteme, die mitten im Gefecht Macken zeigten. Eben um dem vorzubeugen waren die Übungen gedacht.

Der Admiral nickte seiner Sschwadrons-XO knapp zu: „Wann ist mit Einsatzbereitschaft der übrigen Einheiten zu rechnen?“ Die Französin trug die Zahlen frei aus dem Kopf vor: „Die Annihilator ist nach einer letzten Nachkalibrierung der Geschütze und dem Abschluss der Arbeit an den Impulslaserkontrollen bereits in zwei Tagen wieder voll einsatzbereit. Die Redemption folgt zwei Tage darauf, die Relentless in frühestens zehn Tagen. Die Kami ist einsatzbereit und wird vorerst die Führung der Übungen wahrnehmen, bis die Redemption oder die Relentless einsatzbereit sind.“ Letzteres war gewissermaßen eine Ehre, hieß aber auch, dass es für den Hybridkreuzer so gut wie keine Ruhe mehr geben würde, und dass Mithel oder andere Wachhunde auf dem Schiff mitfahren würden.
Der Admiral dachte kurz über das Gesagte nach, so als hätte er die Zahlen nicht schon längst von ihr erhalten: „Wann stoßen die weiteren Schiffe zum Verband?“ Eine Kreuzerschwadron bestand im Idealfall während des Krieges aus zehn Einheiten, obwohl dies keineswegs immer durchgehalten wurde. Raffarin hätte normalerweise mit den Schultern gezuckt, aber anlässlich der besonderen Umstände gab sie sich formeller als sonst: „Unbekannt, Admiral. Ein leichter und ein schwerer Kreuzer sind uns avisiert, aber bisher gibt es noch keine definitive Aussage über Schiffsnamen und Zeitpunkt. Wir wissen nicht einmal, ob man uns möglicherweise Schiffe von 2.7 zuteilt, Neubauten oder erprobte Einheiten aus anderen Schwadronen. Zweifellos liegt das an den Umstrukturierungen, die momentan durchgeführt werden.“ Für einen Moment zeigte der Rear-Admiral so etwas wie ein Lächeln, dass auch die Neuankömmlinge einbezog: „Nun, so lange man uns nicht einen Kirow und einen Hunley schickt…“ Die Offiziere brachen in höfliches Gelächter aus.

Wie bei Mithel üblich folgte auf die Entspannung gleich die kalte Dusche: „An den Übungen werde sowohl ich als auch meine Offiziere – befehlshabende wie auch Stationsleiter – teilnehmen. Sie werden sich ein Bild über die Leistungen der Stationen und Crews an Bord unserer neuen Kameraden machen und Verbesserungsvorschläge unterbreiten. Ich erwarte, dass diese beherzigt werden.“ Der Admiral milderte seine Worte, die leicht als Beleidigung verstanden werden konnten, nur geringfügig ab: „Dies soll kein Misstrauensvotum gegen Ihre Leistungen oder die ihrer Untergebenen sein. Die Perspektive eines Außenstehenden erkennt oft Dinge, die einem selber verborgen geblieben sind. Ihre Crews sind noch nicht zu einer organischen Einheit zusammengewachsen, und wir werden nicht die Zeit haben abzuwarten, bis dies von selbst geschieht und auf diese Weise alle Fehler aufgedeckt werden.“ Das war das Maximum an Erklärung, was von ihm zu erwarten war. Eine Rechtfertigung oder gar Entschuldigung wäre ihm nicht in den Sinn gekommen, obwohl er implizierte, dass er es sich letzten Endes vorbehielt, auch direkt in die Vorgänge der einzelnen Einheiten „hineinzuregieren“. Die Neulinge reagierten ganz unterschiedlich. Captain Dasgupta neigte den Kopf mit einem Lächeln, das einem Touristik-Video über die Annehmlichkeiten ihrer Heimat entlehnt sein konnte, wobei unklar blieb, ob sie das ernst meinte. Captain Intaraynont und Commander Marconi blieben gelassen – der künftige Erste Offizier der Etna hatte sich wohl von Anfang an keine traumtänzerischen Illusionen gemacht, ER könnte als Direktaufsteiger das Kommando übernehmen. Und was den Kapitän der Nestor anging…der war ohne Zweifel wirklich verärgert. Wohl weniger über die Übungen als vielmehr darüber, dass man ihm dabei ein Rudel von Wachhunden mitgeben wollte. Er wählte seine Worte jedoch mit Bedacht: „Sir, wie meine Kollegen sehe ich die Notwendigkeit von Übungen selbstverständlich ein. Entschuldigen Sie, Admiral, aber meinen Sie nicht, dass dies schlecht für die Moral der Besatzungen ist? Sie werden das Gefühl haben, dass man sie nicht für voll einsatzbereit hält, ihnen misstraut…“ Der Stimme des Admirals fehlte jede Wärme, obwohl er nicht feindselig klang: „Captain – wir alle lernen, so lange wir leben. Wenn wir aufhören zu lernen, dann sterben wir – nicht umgedreht. Sagt man das nicht so? Die Gefühle meiner Untergebenen respektiere ich, aber nur in so weit, wie sie einer möglichst effektiven Erfüllung des Kampfauftrages nicht im Wege stehen. Für persönliche Befindlichkeiten ist dabei kein Platz. Unsere Schwadron, zu der jetzt auch die neu angekommenen Schiffe zählen, hat in den letzten Monaten die Hälfte ihrer Schiffe und mindestens ein Viertel ihrer Besatzungen verloren, ungeachtet dessen, dass die meisten Kreuzer bereits jahrelang im Einsatz waren. Ich weiß, ich spreche für alle, wenn ich es als oberstes Ziel sehe, unsere in dieser Zeit errungenen Erfolge zu wiederholen – doch nicht noch einmal um diesen Preis. Angesichts dessen muss es unser ALLER oberstes Ziel sein, die Einsatzbereitschaft auf möglichst hohem Niveau zu halten, sie sogar noch anzuheben. Egal ob dies auf eine Art und Weise geschieht, die jedem zusagt, oder nicht.“
Dem jungen Offizier war klar, dass dies im Grunde ein direkter Verweis an seine Adresse war, wenn auch allgemein formuliert. Er lief rot an und biss sich auf die Lippe, beherrschte sich jedoch. Nach einigen Sekunden unbehaglichen Schweigens fuhr der Admiral ungerührt fort: „Also dann, auf gute Zusammenarbeit. Sie werden noch detaillierte Anweisungen für die Übungseinsätze erhalten. Ich erwarte, dass die Ergebnisse mindestens zweimal täglich mit mir oder Captain Raffarin diskutiert werden. In jedem Fall habe ich in den Wege geleitet, dass Ihre Schiffe ausreichend mit Übungsmunition versorgt werden. Die Einzelheiten zu den schiffsexternen Übungen der Shuttles und Marineinfanterie werden Ihnen übermittelt. Und noch etwas – um nicht den Eindruck zu erwecken, dass es hier nur Dienst gibt. Ich werde, sobald die Schwadron komplett ist, noch einmal ein gemeinsames Essen der Kommandooffiziere anberaumen, zu dem ich auch die kommandierende Admirälin einladen werde.“ Mithel gehörte selbstverständlich zu den ersten, die erfahren hatten, dass für den Columbia-Verband jemand neues gefunden worden war. Er lächelte wieder auf seine knappe Art: „Also halten Sie sich die Abende frei und die Galauniformen frisch.“ Damit war das Treffen beendet.

Nachdem die Offiziere gegangen waren, verharrte der Admiral noch eine Weile nachdenklich im Konferenzraum. Er war gewiss kein Fachmann im auf-die-Menschen-eingehen, aber er konnte sie recht gut beurteilen. Und seine Erfahrung sagte ihm, von Habsburg würde sicher nicht das letzte Mal Einwände erheben. Vielleicht konnte er auch nur schlechter seine Bedenken bemänteln, die andere verbargen. Gegen Widerspruch war an und für sich nichts einzuwenden, wenn er begründet war und nicht aus falschen Motiven und zum falschen Zeitpunkt erfolgte. Doch war dies in diesem Fall so gewesen? Hatte von Habsburg aus persönlicher Eitelkeit gehandelt, oder war etwas an seinen Argumenten dran, zumindest ehrliche Überzeugung? Diesmal hatte der junge Offizier schnell klein beigegeben. Immerhin war er noch neu, und im Augenblick war der Streitpunkt noch nicht wirklich von Belang. Aber würde es dabei bleiben?
Mithel wusste, man hätte die Sache auch diplomatischer angehen können. Andererseits – wer jetzt schon Probleme machte, der sollte sich lieber jetzt die Hörner abstoßen als später im Gefecht. Es war nicht Aufgabe eines Kommandeurs, sich zu rechtfertigen. Der Admiral war sich selbst durchaus darüber im Klaren, dass sein Führungsstil autoritär war, manchmal auch unnötig harsch – schließlich war die Flotte keine Demokratie. Doch er erwartete, dass sich seine Untergebenen einfügten. Was diesen Adligen anging…rührte seine instinktive Reserviertheit vielleicht zum Teil von seiner eigenen einfachen Herkunft, die ihn gegen die Angehörigen der Oberschicht einnahm? Mochte er keine Senkrechtstarter oder beneidete sie ganz einfach – so wie er auch mit Schneider und Gonzales seine Probleme gehabt hatte oder noch hatte? Von Habsburg war ohne Zweifel ein Vertreter dieser Kategorie. Fähige, aber auch individualistische und arrogante, undisziplinierte Aufsteiger – im Falle Habsburg zuletzt hoch dekorierter Kommandeur einer selbstständigen Zerstörereinheit aus vier Einheiten, die für Raids und Erkundungseinsätze verwendet wurde. Das Kommando der Nestor war wohl nur eine Durchgangsstation für den Posten als XO oder gar Befehlshaber einer Kreuzereinheit. Man stieg schnell auf in diesem Krieg, er war ein Beweis dafür, wenngleich er nicht eine solch rasante Karriere gemacht hatte wie einige andere. Sicher war es für den jüngeren Mann nicht einfach, nach einem Dienst als selbstständiger Kommandeur wieder den Befehlen eines anderen, älteren Offiziers zu gehorchen…
Doch dann tat er diese Gedanken mit einem Achselzucken ab. Die Leistungen des ehemaligen Zerstörerkommandeurs waren gut, ebenso seine Beurteilungen. Er würde entweder lernen, sich unterzuordnen ohne unnötige Diskussionen zu beginnen – oder Mithel würde ihn dazu bringen müssen. Und besser früher als später…
Er straffte sich und betätigte den Bordfunk: „Lieutenant Commander Sebastian Lefranque und Major Ma’iitó sofort zu mir.“ Major Dezba Ma’iitó war eine gebürtige Navajo und die Kommandeurin der verstärkten Marineinfanteriekompanie der Relentless. Im Ernstfall war sie mit Mithels Legitimierung Chefin des adhoc-Gefechtsregiements Marineinfanterie, das die Schwadron aufbieten konnte. Jeder der Kreuzer hatte eine Kompanie mit drei bis vier Platoons an Bord. Die Schweren Kreuzer verfügten meist über fast 200 Mann in einer verstärkten Kompanie, die leichten Einheiten über 100 bis 150 Mann.
Mithel zögerte einen Moment. Das mochte ja überflüssig sein, aber er durfte nicht so pflichtvergessen sein, und diesen Aspekt vernachlässigen. So fügte er hinzu: „Lieutenant Commander Renard – Sie auch.“ Er hatte so ein Gefühl, dass es auch nicht schaden konnte, mit dem NIC-Vertreter auf der Relentless zu sprechen. Immerhin war der letzten Endes auch für die übrigen Kreuzer zuständig.
30.01.2016 06:45 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cattaneo

Schatten der Ewigkeit

Lilja hätte sich eher die Zunge abgebissen, als es zuzugeben, aber inzwischen begann sie sich auf dieser Sondermission rechtschaffen zu langweilen. Sie konnte nicht direkt den Finger auf die Wunde legen, woran das lag. Vermutlich war es ein Sammelsurium verschiedenster Gründe. Zunächst einmal hatte ihr dienstlicher Enthusiasmus einen ordentlichen Dämpfer bekommen, als sie erfahren hatte, worum es ging. Die Russin war keine grundsätzliche Skeptikerin für alles, was jenseits des Bekannten lag – auch wenn sie in etwa so religiös wie ein Nachschlagewerk für Atheisten war. Was die Existenz unbekannter und sogar uralter Alienrassen anging, so hielt sie dergleichen durchaus für möglich, glaubte allerdings, und darin stand sie nicht allein, dass diese in 99 von 100 Fällen vor so langer Zeit verschwunden waren, dass keine verwertbaren Spuren von ihnen mehr existierten. Immerhin gab es seit Milliarden von Jahren Planeten – und nach einer einzigen Million Jahre war wohl selbst von der herrlichsten Zivilisation nicht mehr als Asche übrig. Galaktisch war so ein riesiger Zeitraum jedoch ein Nichts. Und selbst wenn es dort etwas wirklich Greifbares gab – wie groß war wohl die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschen jemals vernünftigen Nutzen aus wussten die Sterne wie grandiosen Entdeckungen zogen? Immerhin hatte die TSN buchstäblich JAHRE gebraucht, um bereits zu Anfang des Krieges veraltete Kampfflieger durch auch nur dem Gegner ebenbürtige Maschinen zu ersetzen. Wobei die meisten „Neuentwicklungen“ zu Kriegsbeginn bereits vorlagen. Wie viel Zeit würde es wohl kosten, eine vollkommen fremde und weit überlegende Technik zu entschlüsseln, zu duplizieren und frontreif zu machen? Fünf Jahre? Oder eher zehn? Oder gar zwanzig? Und dass der Krieg noch so lange dauern würde, daran wollte sie erst gar nicht denken. Diese defätistischen Gedanken behielt sie allerdings für sich. Sie war sich allerdings sicher, dass sie nicht die einzige Skeptikerin war. Quicksilver – mit der sie noch am ehesten reden konnte – hatte ihr einmal mit kaum verholender Erheiterung und anschließendem schallenden Gelächter erzählt, ihre Kapitänin habe geäußert, es ginge ihr bei der Mission nur um die Bezahlung. Wenn Tremane bezahlte, würde die Emerald Jade auch eine seit 10.000 Jahren in einem Kristallsarg schlafende Alienprinzessin suchen, um sie mit einem Kuss aufzuwecken und um Hilfe gegen die Akarii zu bitten. Oder das Schwert der Ältesten Rassen, um es aus einem Felsblock zu ziehen und so Präsidentin Birmingham Kraft dieses Omens zur Herrscherin des Universums zu krönen. Mit diesen Worten bewies Jayhawker nicht nur eine gewisse klassische Bildung, sondern ließ zugleich durchblicken, für wie aussichtsreich und realitätsbezogen sie die Mission hielt. Lilja selbst war ebenfalls der Meinung, dass sie sehr wahrscheinlich einem Phantasiegespinst nachjagten. Zwar wurde sie auch dafür bezahlt – aber sie hätte mit ihrer Zeit auch nützlicheres anfangen können. Und wie sollte sich die Teilnahme an einer fruchtlosen Mission, die viele Offiziere für eine Schnapsidee gehalten hätten, gut auf ihre Akte und Karriere auswirken, vom Kriegsverlauf ganz zu schweigen?

Das war aber nur einer der Gründe ihres Unbehagens. Das Quartier…nun, das war noch ein geringeres Problem. Inzwischen hatte sie sich halbwegs an ihren Verschlag – Zimmer konnte man es nicht nennen – und die eher rustikalen Lebensumstände gewöhnt. Sicher, es war mehr als unbequem, dass man unter der Dusche unliebsame Überraschungen erleben konnte. Es war zwar Bordregel, anzuklopfen, bevor man eintrat, aber nicht immer hielt sich jeder daran. Sie selbst eingeschlossen, wenn sie nicht daran dachte, dass sie hier wie einer Jugendherberge lebten. Aber übertriebenes Schamgefühl war für Lilja weit weniger ein Problem als für manche andere. Zur Not wandte man sich eben ab, wenn man von draußen kam, oder schnappte sich ein Handtuch, wenn man drinnen überrascht wurde. Nichts, was wirklich schlimm war. Die Verpflegung hatte sich nicht gerade verbessert – aber auch das war zu ertragen. Im Gegensatz zu einiger ihrer „Mitgefangenen“, die sich offenbar auf eigene Kosten Zusatzrationen besorgten, war die Russin nicht gewillt, ihren Sold dafür zu verschwenden. Essen war ja ohnehin nicht mehr als Treibstoff für die Maschine Körper, und sie hatte in ihrem Leben schon Schlimmeres gegessen.

Nein, das alles war es nicht. Es war eher, dass diese verdammte Tatenlosigkeit sie langsam aber sicher hibbelig machte. Anders als auf der Columbia gab es nicht ständig etwas zu tun – und die Möglichkeit, die freie Zeit auszufüllen, waren auch um Parsec schlechter als auf dem Träger oder gar auf Seafort. Ihr Dienst, den sie mustergültig erfüllte, war nicht sehr langwierig oder fordernd. Viel zu selten konnte sie nach Draußen und fliegen – es galt Treibstoff zu sparen, und wozu sollte man die komplizierten Andock- und Startmanöver durchführen, wenn es nicht nötig war? Die Patrouillenflüge selber waren zwar auch langweilig, aber da konnte sie wenigstens ETWAS tun. Und die Wartungsarbeiten an ihrem Jäger, ihr körperliches Trainingsprogramm – das füllte den Tag auch nicht aus. Sie ging sogar so weit, ihre Kabine in mustergültiger Ordnung zu halten, obwohl auf diesem Schiff wohl auch totales Chaos kaum aufgefallen wäre. Aber auch das war schnell erledigt.
Lilja konnte durchaus auch einmal „gammeln“ – das hatte sie auf Seafort bewiesen. Aber hier, in dieser Konservendose? Es gab auch kaum jemand, mit dem sie hätte reden können. Sie war nie eine Salonlöwin gewesen, aber sie vermisste ihre Freunde und auch einige Bekannte inzwischen schmerzlich. Die neuen Bekanntschaften waren dafür kein Ersatz. Tremane und Falkner traute sie nicht. Geheimhaltung hin oder her, sie mochte es nicht, belogen zu werden. Und sie hatte ihre eigenen Ansichten über Tremanes Begeisterung für dieses Projekt. Sie war noch nicht so verzweifelt, sich mit Marines abzugeben, also fielen die auch weg. Für Dr. Eriksen war sie in erster Linie Patientin, und auch wenn sie mit der Ärztin kein Problem hatte, ein wenig war ihr die Frau schon unheimlich, deren Aufgabe es war, in die Köpfe der Expeditionsteilnehmer zu schauen. Fuchida war auch nicht gerade gesprächig. Und die Crew…nun, die meisten hielten Abstand, und nicht unbedingt auf höfliche Art und Weise. Sie schienen den Militärs zu misstrauen. Angesichts dessen, dass sie den ganzen Laderaum voll mit ihnen hatten, war dies wohl auch nicht sehr verwunderlich. Außerdem hätte es sie nicht gewundert, wenn der eine oder andere schon mal ein krummes Ding gedreht hätte. Die Ausnahmen von dieser Regel – vor allem Quicksilver und in gewisser Weise auch die Kapitänin – hatten ja genug zu tun, und Lilja war noch nicht so tief gesunken, dass sie um Aufmerksamkeit bettelte. Vor allem hing Quicksilber, die mit Abstand charmanteste und kurzweiligste Person an Bord, oft im Maschinenraum herum. Und ihr dortiger Vorgesetzter, ein uralter Mann, den sie Ghost nannte, kultivierte die wortlose Ablehnung gegenüber allem Militärischen mit einer Kunstfertigkeit, die auf langjährige Übung und aufrichtige Überzeugung hindeutete.
Außerdem hielt sich Ace oft im Maschinenraum auf, wo er der Crew zur Hand ging. Und dieser Kerl, der einzige Mensch, den sie etwas besser kannte – wenngleich auch ganz bestimmt nicht MOCHTE – legte das mit Abstand komischste Verhalten an den Tag. Man könnte meinen, er würde es darauf anlegen, sie zu meiden und brachte außer in dienstlichen Angelegenheiten kaum einen Ton ihr gegenüber heraus. Es war deshalb nicht überraschend, dass für ein ausführliches Gespräch über seine künftige Verantwortung wenig Gelegenheit gewesen war. Die Russin mochte ja normalerweise mit dem Kopf durch die Wand gehen, aber mit jemanden zu diskutieren, der ihr kaum in die Augen blicken konnte und wie ein ertappter Sünder zusammenzuckte, wenn sie mal unbemerkt hinter ihm auftauchte – also das wäre nun wirklich unnütz gewesen. Lilja, die normalerweise aus ihrem Herzen keine Mördergrube machte, fragte sich ziemlich ratlos, welches vermeintliche Unrecht sie ihm denn diesmal angetan hatte. Sie hatte Ace in der Vergangenheit wesentlich schlimmere Dinge an den Kopf geworfen als in den letzten Wochen, und er hatte enervierend wenig Reaktion darauf gezeigt. Sie konnte nicht verstehen, warum es diesmal anders war. Sie hätte ja versuchen können, sich zu entschuldigen, aber erstens lag ihr das nicht – und es gab auch gar nichts, wofür sie sich hätte entschuldigen sollen. Mit anderen Worten, auch Ace war in dieser Hinsicht ebenso eine Niete wie in Bezug auf seine politischen Überzeugungen.

Wie dem auch sei – langsam hatte sie das Gefühl, dass dieser Frachter ihr etwas zu eng wurde. Es war ihr früher nie klar gewesen, wie viel Minuten eine Stunde und wie viel Stunden ein Tag hatte. Nicht in der Grundausbildung – natürlich – und ebenso wenig während ihrer Dienstzeit. Erst hatte sie bei den Red Hawks eine Menge guter Kameraden um sich gehabt – und dann war der Krieg gekommen. Selbst in ihren „Pausen“, erzwungen oder nicht, hatte sie sich zu beschäftigen gewusst. Entweder sie war verletzt, hatte leichten Dienst getan, das erste Mal seit längerem ihre Familie und Bekannten wiedergesehen, sich um eine Reaktivierung bemüht und so weiter. Aber diesmal gab es einfach nichts zu tun.

Was sie an Lesestoff und Arbeitsmaterialien an Bord der Emerald Jade mitgebracht hatte, das war inzwischen aufgebraucht. Selbst ein Blick nach draußen brachte wenig Zerstreuung – die fernen Sterne krochen mit enervierender Langsamkeit vorbei, und das Panorama konnte sich nicht mit dem vom Promenadendeck der Columbia oder Redemption messen. Vor allem verlor dieses Vergnügen an Wert, wenn es nicht ein seltener Luxus war wie in der hektischen Betriebsamkeit der Flottenträger, sondern Dauerbeschäftigung. Sie hatte sich sogar dazu herabgelassen, als Kiebitz an dem ersten der angekündigten Pokerabende teilzunehmen. Aber sie hatte schnell erkannt, dass dies nichts für sie war. Geldverschwendung im Spiel lag ihr wirklich nicht. Und nach kürzester Zeit war klar, dass die Teilnehmer nicht viel mehr als Schafe waren, die von einer freundlich lächelnden rothaarigen Wölfin nicht nur geschoren, sondern mit Haut und Haaren verspeist wurden. Es war nicht zu sagen, ob Jayhawker brillant mogelte oder ob sie einfach meisterliche schauspielerische Fähigkeiten mit einer überragenden Intuition und Menschenkenntnis kombinierte. Aber sie schien bis fast auf das Blatt genau einschätzen zu können, wer bluffte und wer noch ein Ass auf der Hand hatte. Nein, das war auch nicht gerade eine Alternative.
Mit Besorgnis stellte die Russin fest, dass sie sich inzwischen sogar beinahe auf den in ihren Augen überflüssigsten Bestandteil ihres Dienstplans freute, weil er wenigstens etwas Abwechslung brachte. Das sollte sie besser im Auge behalten…

Mit diesen sorgenvollen Gedanken trat sie ein. Die Zusammenkunft, um die sich ihre Befürchtungen drehten, fand wie eigentlich alle „gesellschaftlichen Ereignisse“ in der Messe statt. Es gab an Bord keinen anderen Ort, der ausreichend Platz, eine halbwegs wohnliche Atmosphäre und ein Minimum an Abgrenzung bot. Egal ob man essen, einen Film ansehen oder ein geselliges Beisammensein feiern wollte, die Messe war Zentrum des Bordlebens und hatte in vergangen Jahrzehnten wohl so ziemlich jedes denkbare Ereignis zwischen Trauung, Taufe, Gerichtsverhandlung und Trauerfeierlichkeit gesehen.
Sie war die erste, aber sie musste nicht lange warten. Kurz nacheinander trafen die anderen Teilnehmer dieses Treffens ein. Lieutenant Commander Fuchida und Dr. Eriksen nickten der Russin knapp zu. Dann war da noch die Kapitänin, die eigentlich nicht hätte teilnehmen müssen oder sollen, aber offenbar kostenloses Wissens ebenso opportunistisch aufschnappte wie andere Gelegenheitsgewinne. Nicht zu vergessen Ace, der sich entweder per Zufall oder Absicht in möglichst großen Abstand von Lilja hinsetzte. Die Pilotin musste an sich halten, um nicht genervt die Augen zu verdrehen. Das war nun wirklich noch lächerlicher als sein übliches Verhalten – und das hieß schon einiges.
Zuletzt traf noch Dr. Georges ein. Es war wenig überraschend, dass er nicht allein war, sondern von Lieutenant Commander Falkner begleitet wurde. Lilja fragte sich immer noch, ob diese Zusammenkünfte für die TIS’lerin nun Pflichtübung oder Ergebnis eines ehrlichen Interesses waren – oder ob sie hier war um zu überwachen, was Georges zum Besten gab und was die anderen darüber dachten.
Denn hier ging es um das Ziel ihrer Mission, oder vielmehr den Ursprung dieses Ziels. Georges versuchte seinen Zuhörern Wissen über die „ältesten Rassen“ zu vermitteln. Wenn man das Wissen nennen konnte, denn viel mehr als Gerüchte hatte er wohl nicht zu bieten. Zu Anfang hatte auch Mitch McKenna teilgenommen, aber er und der Doktor hatten sich einfach nicht vertragen, und der Marine hatte entnervt aufgegeben, sehr zur Erleichterung seines „Lehrers“.
Lilja hatte sich in ihrem bisherigen Leben nicht sehr gründlich mit diesem Thema beschäftigt. Natürlich gehörte ein Grundkurz über Xenokulturen zur Ausbildung, doch beschränkte sich dieser in erster Linie auf Lektionen zum letztendlich katastrophalen Erstkontakt mit den Kran und auf ein paar Grundkurse über die Akarii. Lilja meinte, es sei wichtiger zu lernen wie man bekannte Aliens umbrachte, als über unbekannte zu theoretisieren. Das war freilich weniger terrazentristische Arroganz als Folge des Kriegsgeschehens. Außerdem fehlte ihr einfach die Zeit für umfassendere Studien.

Der NSC’ler begrüßte seine Schüler aufgeräumt. Er genoss es offensichtlich, sein Wissen weiterzugeben. Zudem unterstrich dies seine eigene Bedeutung für die Mission und lenkte ihn von den zweifelsohne nicht sehr angenehmen Begleitumständen der Reise ab. An Falkners meist schweigende Gegenwart hatte er sich offenbar inzwischen gewöhnt. Mit seinem Vollbart wirkte er einiges älter und distinguierter als er in Wirklichkeit war – angesichts seines gelegentlich aufflackernden Enthusiasmus ergab sich so mitunter ein etwas seltsamer Kontrast. Der Doktor hielt es wohl nicht immer so sehr mit der kritischen Distanz zum Gegenstand seiner Studien. Anders hätte er wohl kaum jahrelang die gerade bei diesem Thema gebräuchliche ätzende Kritik einiger renommierter Kollegen ertragen.
„Meine Damen, meine Herren, ich grüße Sie. Ich habe in den vergangenen Treffen über Indizien referiert, die nach Meinung einiger Wissenschaftler dafür sprechen, dass die Erde bereits in der historischer und prähistorischer Zeit von außerirdischen Rassen entdeckt wurde – und ich habe von ähnlichen Phänomen bei den Kran berichtet.“ Offenbar fiel ihm nicht auf – im Unterschied zu Lilja – dass Kapitän Jayhawker nur deshalb nicht loslachte, weil sie sich krampfhaft auf die Unterlippe biss. Anscheinend hatte die Raumfahrerin keine hohe Meinung von den die-Götter-waren-Astronauten-Wissenschaftlern Terras.
„Angesichts des Vorhandenseins von inzwischen mehreren Dutzend uns oder dem Imperium bekannten raumfahrenden Rassen ist dies nicht unbedingt unplausibel. Selbstverständlich erreichten nicht alle diese Rassen gleichzeitig das Raumflugalter, und einige existierten in galaktisch betrachtet geringer Entfernung. So ist es nicht verwunderlich, dass sich ähnliche Hinweise wie bei Menschen und Kran auch in den Relikten, Quellen und Artefakten anderer Rassen finden. Was jedoch besonders interessant ist, ist nicht allein die Tatsache, dass solche Kontakte möglicherweise stattfanden. Es sind die bemerkenswerten Parallelen, die sich zu einem plausiblen Argument für die Existenz einer oder mehreren aus terranischer Sicht fortgeschichtlichen Rassen und Imperien addieren, die in diesem Teil der Galaxis Spuren hinterlassen haben.“

Er gestikulierte und rief mittels einer Fernbedienung einige Bilder auf, die von der Wiedergabeeinheit der Messe an die Wand geworfen wurden. Sie zeigten alle humanoide Gestalten, teils gemalt, teils in Stein gekratzt oder als Statue gemeißelt. Bei keiner waren Gesichtszüge zu erkennen. Sie alle schienen Masken oder Helme zu tragen. Es dominierten Vollhelme oder eine kuppelförmiger Sturz, der das Gesicht beschattete. Einige der Gestalten hatten Relikte in der Hand. Es war nicht zu erkennen, ob es sich dabei um Stäbe, Szepter, Schwerter oder anderes handelte. Bei mehreren der Zeichnungen waren andere, kleinere Gestalten zu erkennen. Sie knieten in einer Geste der Unterwerfung oder lagen wie tot zu Füßen der Maskierten. Einige von ihnen wanden wie sich in Qualen, primitive Waffen wie Beile und Speere lagen neben den Sterbenden.
Georges aktivierte ein Bild nach dem anderen und ließ es vergrößern: „Hier sind Relikte aus den Anden im zentralen Südamerika…Höhlenzeichnungen der Kran, datiert auf etwa 7.000 vor unserem Erstkontakt…Tonarii-Skulpturen bronzezeitlicher Herkunft, vermutlich mindestens 10.000 Jahre alt…und hier Felsreliefs, die nach Angaben von T’rr-Dissidenten angefertigt wurden…und schließlich eine alte Statuengruppe der Sarrkush*, geschnitten in lebende Bäume und anscheinend über mehrere tausend Jahre hinweg Zentrum kultischer Handlungen…und hier Beispiel für trivialisierte Statuen von Erdwächtern oder Kriegsgöttern der Kodak,** die auf antiken Vorbildern beruhen, die auf etwa 8.000 Jahre datiert wurden.“ Etliche Zuhörer ließen sich offenbar durch diese Ausführungen beeindrucken. Und wer zu solchen Themen referierte, musste ohnehin ein dickes Fell gegen Kritik und Skepsis haben.
„In diesem Zusammenhang sind auch mythologische Überschneidungen interessant. Wie Sie vielleicht wissen, entwickelten auf der Erde viele von einander unabhängige Kulturen eine kosmologische Trennung in Vertreter der Prinzipien von Ordnung und Chaos, Gut und Böse, Leben und Tod. Häufig war diese Trennung verbunden mit Personalisierungen in der Gestalt von Göttern, Dämonen oder Geistern, und oft handelte es sich bei dem Widersacher, der fast immer mit sehr ähnlichen Attributen bedacht wurde, um einen gefallenen Engel oder ein anderes überirdisches Wesen. Sehr oft war das Böse inhärenter Teil der Schöpfung, vielfach jedoch letzten Endes auch ihr Untergang – denken Sie an die jüdisch-christliche Religion, an die nordische Apokalypse und vergleichbare Mythen von amerikanischen und asiatischen Naturreligionen. Vergleichbare Gestalten finden sich jedoch auch in den Kulturen zahlreicher außerirdischer Rassen, oft mit starken Überschneidungen zu irdischen Mythen.“ Ehe sich der Widerspruch, der sich in dem einen oder anderen Gesicht regte, artikulierte, schränkte der Wissenschaftler seine Worte wieder etwas ein: „Natürlich wird vielfach entgegengehalten, dass es sich dabei um einen logischen soziokulturellen Prozess handelt – es liegt zum Beispiel nahe, Tod, Feuer und andere vielfach negativ wirkende Umweltprozesse zu personalisieren, und menschliche oder außerirdische Verhaltensweise entlang ähnlicher Vorstellungen von Gut und Böse zu definieren. Einige Grundansichten sind für das Funktionieren einer Gemeinschaft unverzichtbar und entwickeln sich parallel.“

Doch offenbar war der Doktor entschlossen, diese Einschränkung gleich wieder zu kompensieren: „Auch in der Architektur finden sich ähnliche Phänomene. So ist die Pyramide und pyramidenartige Bauwerke nicht nur auf der Erde eine in mindestens vier unterschiedlichen geographischen Großräumen entstandene Architekturform – sie findet sich in Südamerika, in kleinerem Umfang auch in Nordamerika und natürlich in Afrika und Asien. Dies trifft auch für zahlreiche andere Rassen zu – interessanterweise vor allem für diejenigen, die auch in Bezug auf die Mythologie ähnliche Phänomene aufweisen. So etwa bei den Kran…den Tonari…den Kodak…und in der Pandeanischen Förderation.*** Sie alle nutzten entweder drei- oder vierseitige Pyramiden oder Erdwerke, die in ähnlicher Art und Weise geformt wurden. In mindestens einem Fall wurde eine unterseeische Pyramide errichtet, wobei der Grund für den Bau noch immer umstritten ist.“ Wie zuvor untermalte er seine Worte mit einer Vielzahl von Bildern von den verschiedensten Planeten und Kulturzonen, einschließlich einer riesigen unterseeischen Pyramide, die vermutlich ein Mehrfaches der Masse der Cheops-Pyramide aufwies, und wie ein Berg im scheinbar unergründlichen Wasser aufragte.
„In der Deutung einiger Wissenschaftler kann eine solche parallele kulturelle Evolution kaum Zufall sein und fußt im Kontakt mit einer raumfahrenden Rasse – eben den ältesten Völkern. Vielfach wird die parallele Architektur jedoch lediglich als universeller Wunsch gedeutet, dem Himmel als Sitz der Götter, der Geister der Ahnen oder andere Mächte nahe zu kommen und das religiöse Ritual oder auch nur weltliche Machtdemonstration weithin sichtbar zu machen.“

Inzwischen klang der Monolog des NIC’lers wie ein Vortrag vor einer Schulklasse. Dass sich die Zuhörer das gefallen ließen, lag wohl an ihrem Interesse oder dem Umstand, dass sie auf Weisung von oben oder aus reiner Langeweile auch Poesielesungen besucht hätten. Georges schien eher zu Vorträgen als zu Diskussionen zu neigen, was aber auch daran liegen mochte, dass er seinen augenblicklichen Zuhörer für nicht gerade kompetent in Bezug auf die Materie hielt, was ja auch stimmte.
„Wie ich bereits gesagt habe, diese Übereinstimmungen werden von einigen Experten so gedeutet, dass eine raumfahrende Rasse direkt in das Schicksal von einer ganzen Reihe von Kulturen eingriff. In Ermangelung einer bessere Bezeichnung und in Verwendung zahlreicher ähnlicher Benennungen aus der Mythologie hat sich in der terranischen Wissenschaft wie auch in der Populärkultur der Begriff ,älteste Rassen’ eingebürgert. Wie weitreichend die Theorie ist, wird daran ersichtlich, dass sich die Indizien über ein Gebiet verteilen, das mindestens so groß ist wie das Imperium, die Bundesrepublik und die Konföderation zusammen, vielleicht sogar noch weiter. Wenn die Theorien zutreffen, haben wir es mit den Spuren eines Großreiches oder eines kulturell integrierten Staatenbundes von beträchtlichen Ausmaßen zu tun. Die meisten der Spuren – es gibt vielfach Datierungsprobleme – werden auf 12.000 bis 4.000 oder 5.000 Jahre in der Vergangenheit datiert, obwohl sich einige Phänomene bis in die jüngere Vergangenheit hielten. Dabei ist allerdings unklar, ob dies auf diesen Außenweltkontakt zurückgeht – so er existierte – oder auf das Erbe der Zivilisationen, die einer Beeinflussung ausgesetzt waren. Einige Wissenschaftler sprechen von der Möglichkeit von Zivilisationskernen, die den Untergang des Großreiches überstanden. Wie gesagt – es ist nur eine Theorie. Die Datierungen wäre mindestens doppelt, vermutlich aber eher vier- bis sechsmal so alt wie die ältesten bisher nachgewiesenen Spuren von raumfahrenden Völkern, wobei die Akarii zu den ersten gehörten. Sie sind auch eines der ältesten heute noch existierenden raumfahrenden Volk, und das einzige, das ein richtiges Imperium errichtet haben.“ Lilja verzog die Lippen. Zumindest an dieser Stelle hatte sie ihren Senf dazuzugeben. Ihre Stimme klang ziemlich gehässig: „Vielleicht wird es ja Zeit, daran was zu ändern.“

Dr. Georges schien nicht geneigt, über die politische Zukunft der Akarii zu diskutieren. Er kannte inzwischen Liljas Art. Außerdem war ihm Gegenwartspolitik eher gleichgültig: „Es lässt sich allerdings nicht leugnen, dass es bisher keinen wirklich validen Beweis für die Existenz dieser raumfahrenden Rasse gibt, und im Laufe der Zeit wurde von Scharlatanen, geltungssüchtigen Pseudoentdeckern und Geschäftsleuten eine Menge Schindluder mit der Materie getrieben.“ Er registrierte sehr wohl, dass die Kapitänin still vor sich hingrinste. Sie und der Doktor hatten in den letzten Tagen einige Geschäfte miteinander gemacht. Es war erstaunlich, was sich an Bord eines so schäbigen Schiffes wie der Emerald alles an Alienartefakten fand. Der Wissenschaftler konnte sich sehr gut vorstellen, dass Jayhawker oder ihre Untergebenen auch gelegentlich mit ‚Schatzkarten’ zu Fundstätten der ältesten Rassen und mit ‚echten’ Artefakten handelten.
„Was man fand, war jedoch interessant genug, auch wenn die Authentizität der Artefakte oft angezweifelt wurde.“ Er rief erneut Bilder auf: „Hier sehen Sie Überreste von Statuen und Pyramidensturkturen. Sie werden erkennen, dass sich gewisse Ähnlichkeiten zu den vorher gezeigten Kulturartefakten feststellen lassen.“ Georges hob die Stimme, wie um besonders um Aufmerksamkeit zu heischen: „Was das Faszinierende ist, auf keiner der Welten, die übrigens mindestens 500 Lichtjahre auseinander liegen, gibt es IRGENDWELCHE Spuren einer indigenen Kulturentwicklung. Es scheint, als seien die Artefakte praktisch aus dem Nichts entstanden, zumeist über einen begrenzten Zeitraum – und dann nichts mehr, weder davor noch danach. Nur der Einfluss einer außerirdischen Rasse kann dies erklären. Und die Datierung liegt im fraglichen Zeitraum. Mindestens der Welten hat anscheinend niemals höher entwickeltes Leben beherbergt – woher sollten also solche Spuren kommen?“ Was er zeigte, waren jedoch nicht viel mehr als vage Umrisse. Manche der „Pyramiden“, der „Köpfe“, „Füße“, „Rümpfe“ und „Arme“ konnten sehr wohl auch zufällig entstandene Gesteins- und Landschaftsformen sein, geformt von Wind, Wasser und andere Kräften. Wer die Sache kritischer sah – oder auch einfach vernünftiger war, das hing vom Standpunkt ab – erkannte darin nur einen Zufall, nicht die Relikte einer uralten Superrasse. Was wohl auch der Grund war, aus dem sich diese Theorien in der Wissenschaft nie wirklich durchgesetzt hatten. Das Feld war einfach Tummelplatz für zu viele Phantasten.
„Noch stärker umstritten sind Funde, die von einigen Experten als Inschriften – teils in Felswänden, aber auch in Tafeln – identifiziert wurden.“ Georges zeigte einige stark vergrößerte Aufnahmen. Es war beim besten Willen nicht festzustellen, ob es sich tatsächlich um Runen oder um Verwitterungsspuren handelte, und das war ihm wohl auch klar: „Interessant ist, dass sich zwischen Funden auf verschiedenen Planeten Übereinstimmungen feststellen ließen – was eindeutig gegen zufällige Entstehung spricht. Allerdings weisen Schrift und Sprache, so es sich denn dabei um solche handelt, keine Übereinstimmungen mit uns bekannten Idiomen und Buchstaben- oder Silbenzeichen auf.“

Georges räusperte sich: „Abgesehen von den von mir genannten kulturellen und architektonischen Parallelen gibt es noch weitere Indizien, die einer näheren Betrachtung wert sind. Ich will mich zunächst auf Hinweise aus dem Kulturkreis des Imperiums konzentrieren. Diese sind schon deshalb von besonderem Interesse, als die Akarii wesentlich länger Raumfahrt betreiben als die Menschen und natürlich ein wesentlich größeres Gebiet in ihrem Besitz haben – oder vielmehr hatten, doch wie sicher verständlich ist, fehlte uns bisher die Zeit, in den übernommenen Gebieten Untersuchungen durchzuführen.“ Das rief einiges Gelächter hervor, denn tatsächlich hatte das Imperium einen beträchtlichen Teil seiner Gebiete an die Terraner verloren. Der Wissenschaftler hatte wohl den Vortrag etwas auflockern wollen, was ihm auch gelungen war. Wieder nahm seine Stimme einen dozierenden Ton an. Er bemerkte nicht, dass es Kapitän Victor offenbar schwer fiel, ein Grinsen zu unterdrücken. Sie hielt das Ganze wohl in erster Linie für einen famosen Witz, oder amüsierte sich über die Leichtgläubigkeit und den Enthusiasmus des NIC’lers.
„Das, was uns von dem Wissen der Akarii über jene Kulturen bekannt ist, die wir die ‚ältesten Rassen’ nennen, beruht überwiegend auf Hörensagen und einigen fragwürdigen Übersetzungen, bei denen es sich häufig um zweitklassige populärwissenschaftliche Werke handelt. Die wenigen Fachwerke sind ausnahmslos veraltet, und strotzen von unbekannten oder zumindest in der Übersetzung zweideutigen Fachtermini. Dies ist umso bedauerlicher, als wir davon ausgehen müssen, dass die imperialen Archive und Museen auch eine Vielzahl von Quellen und Artefakte unterworfener Völker aufbewahren. Es ist allerdings möglich, dass ,seriöse’ Akariiforscher aus kultureller und rassistischer Ignoranz diesem Material nicht die nötige Aufmerksamkeit widmen, so wie man auf der Erde Artefakte außereuropäischer Völker lange Zeit als Folklore abtat. Falls es moderne Forschungsprojekte oder wissenschaftliche Literatur zu diesem Thema gibt, so ist sie bisher unserer Aufmerksamkeit entgangen. Abgesehen von dem genannten Problem gibt es weitere Gründe für unser geringes Wissen, und die fehlenden nachprüfbaren Fakten sind noch das geringste Problem. Seit nunmehr siebenhundert Jahren ist nämlich die Frage nach der Existenz der ‚ältesten Rassen’ für die Akarii auch ein gefährliches Politikum. Dies dürfte auch ein Grund sein, warum die Akarii-Diaspora in der CC wenig darüber sagen konnte. Es handelte sich bei diesen Akarii meistens um politische und wirtschaftliche Flüchtlinge, die es schon aus Gründen des Selbsterhaltes vermieden, auch noch dieses heiße Eisen anzufassen.“

Der Alienspezialist rief einige Bilder auf. Eines zeigte einige Buchstaben, offenbar ein Name, den allerdings wohl kaum jemand entziffern konnte. Lilja erkannte nur, dass es nicht Sekurr war, der einzige Akarii-Dialekt, von dem sie mehr kannte als die Worte für „Hände hoch!“ und „Stehenbleiben oder ich schieße!“ Andere Bilder zeigten Wesen, von denen man nur hoffen konnte, dass sie lediglich der Phantasie der Künster entsprungen waren.
„Wesentlich in diesem Zusammenhang sind die Dolan’vTar. Dieses Wort aus einem alten Heklar-Idiom bedeutet soviel wie „Fremdgeborenen“, und war sowohl ein mythologischer Begriff aus der Akarii-Antike, wohl für eine Art Dämon, Geist oder Halbgott. Es ist nicht einmal sicher, ob es sich dabei um ein Einzelwesen oder eine ganze Gruppe handelte. Es ist jedoch auch eine ziemlich kurzlebige wissenschaftliche Strömung, und eine Glaubensbewegung.“ Die Bilder änderten sich und zeigten jetzt einen Zeitstrahl, dann ziemlich stümperhafte Bilder von Priestern.
„Die Hauptthese der Wissenschaftsschule der Dolan’vTar, die vor 700 Jahren, während der zweiten Phase der interstellaren Expansion des Imperiums eine kurze Blüte erlebte, besagt nicht weniger, als dass die Akarii-Zivilisation nicht autochthon entstanden sei, sondern schon vor der Erfindung des Überlichtflugs extraplanetaren Einflüssen ausgesetzt war. Als Beweis dafür dienen unter anderem die früheisenzeitlichen Geschichten über die Dolan’vTar, die angeblich ,von Außen kamen’, und in den Sagen und Geschichten über die ,Zeit des blutigen Himmels’ eine oft zentrale Rolle spielten.
Dabei handelte es sich um einen 300jährigen klimatischen und politischen Kataklysmus, in dem die meisten Hochzivilisationen dieser Epoche untergingen. Allerdings gingen aus diesen ,Dark Ages’ auch jene Reiche hervor, die später das erste Imperium bilden sollten. Im Allgemeinen wird der Einschlag eines Asteroiden oder der Ausbruch eines Supervulkans als Ursache für die katastrophalen klimatischen Veränderungen und die daraus resultierenden militärischen und politischen Umwälzungen angenommen. Die Dolan’vTar interpretieren jedoch die mythologischen Berichte so, dass die katastrophalen Ereignisse mit dem Besuch der Wesen in Verbindung standen, die zu ihren Namensgebern wurden.
Wie stark dieser extraplanetare Einfluss war, wann und wie er sich äußerte, darüber herrschte nicht einmal innerhalb der Schule Einigkeit. Die wegen dieser Frage ausbrechenden internen Streitigkeiten und Kontroversen erlaubten es der etablierten Forschung ziemlich schnell, die Dolan’vTar wissenschaftlich zu vernichten. Binnen etwa 20 Jahren waren sie de facto als ernstzunehmende Wissenschaftler neutralisiert.“

Dr. Georges ersparte es sich, auf gewisse Parallelen in der menschlichen Geschichte hinzuweisen. Das hätte auch etwas wie Selbstmitleid geklungen: „Allerdings konnte das nicht verhindern, dass die Idee in Teilen der Bevölkerung eine gewissen Beliebtheit erlangte, und sogar zum Ursprung einer neuen Glaubensbewegung wurde, die auch über die Hauptwelt der Akarii hinaus Verbreitung fand – teilweise auch bei denen, denen die Expansionspolitik und die Staatsform nicht so Recht passten.“
Er griff zu dem Plastbecher, der neben der Bildwiedergabeeinheit stand und nahm einen Schluck. Dann fuhr er fort: „War das schon schlimm genug, so kam noch erschwerend hinzu, dass die Theorien der Dolan’vTar Hand an die Wurzeln des imperialen Selbstverständnis legten. Die Entstehung des ersten Imperiums war einer DER Gründermythen ALLER herrschenden Dynastien seit Jahrtausenden – und damit nicht genug. Nach der Ansicht einiger Dolan’vTar waren auch die alten Götter der Sternenleere, ein antiker Glauben, der sich besonders beim Militär immer großer Beliebtheit erfreute, ebenfalls das Ergebnis eines Kontaktes mit einer überlegenen Alienzivilisation. Das heißt, wir haben es auch mit dem Problem einer Desakralisierung zu tun, denn Götter können nicht mit Raumschiffen von anderen Sternen kommen. Eine ganze Anzahl Wissenschaftler und Sektenführer der Dolan’vTar – die Übergänge waren offenbar fließend, und vergessen Sie nicht, wir haben keine konkreten Prozessakten, sondern nur vielfach voreingenommene Post-factum-Berichte – wurden eingesperrt, hingerichtet oder gelyncht, ihre Anhänger verfolgt, schikaniert, oder deportiert. Die Bewegung blühte noch eine Weile im Verborgenen, muss aber heute als weitestgehend ausgerottet oder völlig auf den Status einer wirren Privatreligion herabgesunken eingestuft werden. Wenn es sich nicht nur um gezielte Diffamierung handelt, dann gab es im Umfeld dieses Glaubens wiederholt endzeitliche Kulte, wie sie auch die Erde kannte, bis hin zu extremistischen Verhaltensweisen.“ Er räusperte sich, bevor er seine Ausführungen fortsetzte: „Das Problem ist, dass selbst im Imperium offenbar Unklarheit über die Echtheit vieler Übersetzungen und Verschriftlichungen alter Mythen und Inschriften herrscht. Viele der Texte sind vieldeutig oder verstümmelt, und uns stehen natürlich wiederum nur Abschriften und Übersetzungen zur Verfügungen. Vielfach kann man jedoch nicht mit letzter Sicherheit sagen, ob es sich um eine nachträgliche Interpretation oder eine wortwörtliche Übersetzung handelte. Dazu fehlt sowohl uns als auch möglicherweise vielen neuzeitlichen Akarii gesichertes Wissen über kulturspezifische Sprachbildner und Metaphern der Zeit vor dem eisenzeitlichen Kataklysmus. Ich habe einige Texte ausgewählt, um Ihnen das Problem begreiflich zu machen.“

Für einen Augenblick wirkte sein Blick nach innen gewandt, dann zitierte er offenbar aus dem Gedächtnis: „Sie herrschten mit der Macht von Unsterblichen, doch ohne ihre Weisheit oder die Fähigkeit, zu vergeben. Ratlos und verzagt stehen wir vor ihren Spuren, und fragen uns, was sie suchten, oder wovor sie flohen. Woher sie kamen, wohin sie gingen, und ob sie einstmals wiederkommen mögen. Ob sie in dem Abgrund verschwanden, aus dem sie aufgetaucht sind, oder ob sie immer noch herrschen über die Leere zwischen die Sterne, und auf uns, ihre Kinder, herabsehen.“ Die Stimme des Wissenschaftlers hatte etwas Beschwörendes an sich und auch seine Zuhörer waren offenbar gegen die eigenwillige Poesie der Worte – die freilich auch aus der Feder des Übersetzers und Interpreten stammen konnte. Sogar Lilja fühlte ein unwillkürlichen Schauder über ihren Rücken laufen, als Georges fortfuhr: „Wir begegneten ihnen voll Ehrfurcht und erkannten zu spät, dass sie nicht die waren, für die wir sie hielten. Wenn sie tatsächlich die Kinder der Sternenleere waren, so war in ihnen nur die gnadenlose Kälte des Alls. Auf ein Wort gehorchten ihnen die Elemente. Sie verschatteten den Himmel, und in ihren Händen brannte Feuer und Blitz um jeden zu strafen, der es wagte, sich ihnen zu widersetzen. Wie die Unsterblichen wurden ihnen selbst unsere geheimsten Gedanken offenbar. Unsere Seelen konnten ihrer Macht ebenso wenig Widerstand leisten wie unser Fleisch.“

Dr. Georges ließ ein weiteres Bild erscheinen. Es war anscheinend aus einem Buch kopiert und zeigte eine Formation von Raumschiffen – in Hochglanzdarstellung, also handelte es sich wohl eher um ein populäres Werk als um ein Fachbuch.
„Bis heute bleibt die Beschäftigung mit älteren Hochzivilisationen ein sehr heikles Thema.
Die einzige nennenswerte, staatlich geförderte Untersuchung zu dem Thema war die ,große Expedition’, die vor 500 Jahren unter Eliak V. losgeschickt wurde. Namensgebend für dieses Forschungsprojekt war das halbe Dutzend Forschungsraumer, das auf dem Gebiet und in den Randsektoren des Imperiums nach Spuren für die Existenz älterer, raumfahrender Rassen suchten. Dazu kam allerdings noch eine große Anzahl von Ausgrabungsteams, Analytikern, und Forschungsgremien – alles mit der huldvollen Duldung des alternden Imperators, der nach einer langen aber ziemlich ereignislosen Herrschaft offenbar sein Steckenpferd gefunden hatte. Die Forschungen unterlagen der Geheimhaltung, doch der Tod des Imperators beendete die Arbeit nach nur zwei Jahren. Der Ergebnisbericht, der bereits unter der Ägide seines Nachfolgers abgefasst und veröffentlich wurde, kam zu dem Schluss, dass es keine Beweise für die Existenz raumfahrender Rassen gäbe, die älter als eintausend Jahre seien. Allerdings wurde die Authentizität dieser Zusammenfassung von nicht wenigen angezweifelt.
In den Folgejahren sollten immer wieder Auszüge aus dem „echten“ Abschlussbericht auftauchen, aber die Flut aus Fälschungen, Halbwahrheiten und Spekulationen trug nur noch dazu bei, die Beschäftigung mit dem Thema als einer wissenschaftlichen Kariere abträglich erscheinen zu lassen.“
Der Wissenschaftler holte tief Luft und musterte seine Zuschauer. In den Augen von Ace war eine Mischung von Faszination und Neugier zu erkennen, Eriksen und Fuchida hörten mit wissenschaftlicher Distanz aber auch einem gewissen Interesse zu. Was Lilja und die Kapitänin anging…die Russin hatte ihre Selbstsicherheit sehr schnell wiedergewonnen und wirkte eindeutlich skeptisch. Für Jayhawker fungierte der Vortrag wohl zum Gutteil unter Zeitvertreib. Und Falkner behielt sowohl Zuhörer als auch Vortragenden im Auge. Der Dr. lächelte schwach: „Nun, ich bin sicher, einige von Ihnen haben noch Detailfragen, und es würde mich freuen, darauf zu antworten. Ich denke, beim nächsten Treffen können wir uns mit dem befassen, was man aus den verschiedenen Mythologien über die technischen Möglichkeiten der ältesten Rassen extrapoliert hat. Allerdings bewegen wir uns dabei auf dem Feld von Spekulationen.“
Lilja lächelte säuerlich, wohl auch, weil sie das rege Interesse von Ace bemerkt hatte. Sie zog es vor, skeptisch zu bleiben: „Als ob wir das nicht jetzt auch schon täten…“ knurrte sie. Aber Georges achtete nicht darauf: „Ja, Lieutenant Davis…?“


* Vernunftbegabte Primatenartige, Bewohner des Planeten Sarrkush, gelegen am Rande der FRT. Sie gelten als interessantes Forschungsobjekt, da sie auf Grund einer sehr feindseligen Umwelt mit zahlreichen Naturkatastrophen, Ressourcenarmut und einer erheblichen Zahl an gefährlichen Raubtieren über eine steinzeitliche Zivilisationsstufe bisher nicht hinauskommen. Es ist umstritten ob sie den Sprung zur Sesshaftigkeit und Metallbearbeitung vollziehen werden, oder sich wie die steinzeitlichen Menschen einfach in einer früheren Phase der Entwicklung befinden.
** Die Kodak sind eine der kleineren Rassen, die ein Reich von 30 Systemen mit etwa anderthalb Dutzend bewohnbaren und terraformten Welten bewohnen. Sie verdanken ihre Unabhängigkeit wohl auch dem Umstand, dass sie erst mit den Menschen Kontakt knüpften, als diese bereits mit den Akarii im Kalten Krieg standen, und deshalb von einer möglicherweise aggressiven Vorgehensweise absahen. Technisch den Akarii und den Menschen inzwischen etwa ebenbürtig, auch dank illegalem Technologietransfer.
*** Pandeanische Förderation – Staatenbund, der sich aus vier verschiedenen Rassen zusammensetzt und etwa 100 Systeme und rund 30 bewohnte Planeten umfasst. Sie verdanken dem Umstand ihres Überlebens einer geschickten Diplomatie gegenüber dem Imperium und in den letzten Jahrzehnten dem Kalten Krieg zwischen Akarii und Menschen.
30.01.2016 06:46 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
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Ace

Ein Sex on the Beach als Apperitiv, Teil zwei

Es war ein faszinierendes Thema, das Dr. Georges vor uns ausgebreitet hatte. Es war interessant genug, dass ich in meiner reichhaltigen Bibliothek nach Büchern zum Thema suchte. Da das elektronische Archiv stets von Davis zu Davis weitergegeben und entsprechend angereichert worden war, umfassten die zehntausend Bücher mehr Themen als mich eigentlich interessierten. Nun zahlte es sich aus: Ich fand neun Bücher zu den verschiedensten Bereichen der Prä-Astronautik, sowie drei Bücher, die recht scharf mit einigen der Exemplare ins Gericht gingen. Nach einigen Querlesungen, Verweisen und der Konsultation der Rezensionen hatte ich schließlich drei Bücher heraus sortiert. Das erste hieß "Aliens - unsere Vorfahren und unsere Götter, von Jerrard Volksman", und ich hatte es aus reiner Kuriosität ausgewählt, weil einer der Rezensenten Volksman "eine intelligente, listige und berechnende Art zu schreiben" zusprach, die "mit wenigen Fakten und vielen Halbwahrheiten oder sachlich falschen Extrapolationen den ungeübten Laien durch dessen eigene Augen betrügen lässt". Es behandelte außerirdische Besuche auf der Erde im weitesten Sinne und behauptete, in der ColCon und den Mythen anderer Alienrassen Parallelen dazu entdeckt zu haben. Leider war das Buch erschienen, bevor die Republik, geschweige denn die ColCon neben dem Kontakt mit den Kran überhaupt Kontakt zu anderen Rassen hatte aufbauen können.
Das zweite Buch hieß: "Einmal Akar und zurück, von Doktor der Geschichtswissenschaften Catrine Malarde", und war ein seriöses Sachbuch, das dreien meiner reißerischen Possenbüchern in die Parade fuhr und ihre "Beweise" ad absurdum führte.
Buch Nummer drei war das neueste von allen und stammte aus den Colonials. "Der Vergangenheit auf der Spur, von Richard Ryback" war der Reisebericht eines Deep Space-Raumfahrers, der sich in dem Buch ausgiebig zu seinem Hobby, der Archäologie der alten Rassen, ausließ und für einen Laien beachtlich gute Arbeit geleistet hatte. Das lag vor allem daran, dass er bei seinen "Beweisen" blieb und keine wilden Extrapolationen ablieferte.
Ich hatte es mir gerade gemütlich gemacht, und wollte mit Alien beginnen, als es an meiner Tür klopfte. "Herein."
Das Schott öffnete sich, und Lilja trat ein. "Hast du Zeit? Können wir reden?"
Ich erschrak, als ich die Russin erkannte. Zugleich erkannte ich allerdings auch, dass ich ihr nicht entkommen konnte. Einladend deutete ich also auf den ausgeklappten Stuhl am Tisch, während ich selbst auf dem Bett sitzen blieb.
Sie musterte mich für einen Moment, dann nahm sie Platz. "Also, Ace, ich weiß nicht was du für ein Problem hast, aber langsam wird es auch mein Problem. Nicht nur, dass du mir gestern so über den Mund gefahren bist, du bist leider auch der einzige Mensch, mit dem ich hier einigermaßen vernünftig reden könnte - wenn du mir nicht ausweichen würdest."
Ich schluckte kurz. "Das mit gestern tut mir Leid. Ich war einfach angefressen, das hatte nichts mit dir zu tun. Meine größte Sünde hat mich nur mal wieder eingeholt und zu Boden gedrückt. Die Schuld hat mir zu schaffen gemacht."
"Genug zu schaffen gemacht, damit du dich beim XO ausheulst und mit ihm einen säufst. Warum bist du nicht zu mir gekommen? Okay, wir sind nicht gerade die besten Freunde, aber die Zeiten in denen ich dich für einen idiotischen Akarii-Liebhaber hielt, sind doch schon etwas vorbei. Wir sind doch zumindest Kameraden."
Irgendwie kühlten mich diese Worte ab. "Oh, ich bin sicher, du wärst mir keine Hilfe gewesen. Es war die Schuld den Akarii gegenüber, die in mir hoch kochte. Ich glaube nicht, dass du das verstehen kannst."
Lilja hielt erschrocken die Luft an, bevor sie aus atmete, jedoch nur für einen Augenblick lang. "Schuld den Akarii gegenüber? Ace, ich glaube es nicht. Ich fasse es nicht." Ungläubig wanderte ihr Blick in meinem kleinen Zimmer umher, während sie sich mit der Rechten die Stirn hielt. "Die Akarii haben uns überfallen, Ace, uns abgeschlachtet wie Vieh. Uns bedroht, beschossen, beinahe ausradiert. Hier, siehst du die da? Die große lange und die vielen kleinen? Das waren die Akarii! Und was ist mit dir? Dein Arm war fort! Du hattest einen Gehirntumor! Du warst in ihrem berüchtigten Gefangenencamp eingesperrt! Und da empfindest du immer noch Schuld den Akarii gegenüber?"
Ich schnaubte amüsiert. "Nicht ihren Kriegern gegenüber. Nur ihren Zivilisten."
Ich war überrascht, als Lilja erstarrte. Für einen Moment arbeitete es hinter ihrer Stirn, dann hatte sie verstanden. Ihre Worte formten lautlos ein Wort, wohl mehr aus dem Gedanken heraus. "Gut, das kann ich verstehen, obwohl ich es eigentlich für Unsinn und deine weiche Seite halte, Ace. Feinde sind Feinde, und bis sie sich ergeben, gehören sie ausgelöscht, damit sie nicht erneut gegen dich antreten können." Etwas sanfter fuhr sie fort: "Aber das erklärt wenigstens Ihren Ton einer Vorgesetzten gegenüber, First Lieutenant."
Irrte ich mich, oder hatte ihre Stimme amüsiert geklungen?
"Na, Schwamm drüber. Ich nehme das einfach mal so hin. Aber was ist mit dem Rest? Warum gehst du mir aus dem Weg? Wir müssten dringend über die Blauen sprechen, und du weißt, dass ich die meiste Erfahrung habe, seit ich die Grünen von Lightning übernommen habe. Warum also gehst du mir aus dem Weg? Und warum benimmst du dich so merkwürdig?"
Es war wohl ein Anflug von Trotz, von Jähzorn und von Angst, der meine Stimme lenkte. "Ich habe ein persönliches Problem mit dir, Lilja. So einfach ist das. Nichts Berufliches. Nur etwas zwischen mir und dir, zwischen Cliff und Tanja."
"Ein Problem? Zwischen uns? Normalerweise würde mich das nicht weiter stören. Ich suche mir meine Freunde selbst aus. Aber da ich schon mal hier bin und ich mich nicht auch noch den Rest der Reise langweilen will...Sprich es aus, Superpilot. Warum hast du ein Problem mit mir?"
"Weil du...Eine bestimmte Sache...nicht so akzeptieren wirst, wie ich es gerne hätte. So lange und so gut kenne ich dich nun mal."
"Was für eine Sache?"
Ich schluckte, trocken und hart. Mein Magen stand in Flammen und wurde zugleich von einer Löschmannschaft unter Schaum gesetzt. Vor meinem geistigen Auge tauchte wieder dieses Bild auf, wie sie sich mit diesem Walja oder Wanja küsste. Und dann platzte es aus mir heraus: "Ich liebe dich."
In ihren Augen änderte sich nichts. Da war keine Regung. Kein Verstehen. "Mach dich nicht lächerlich, Ace. Sei wenigstens ab und zu mal ehrlich zu mir, und verstecke dich nicht hinter deinen Sprüchen!"
Ich hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit dieser Reaktion. Nicht so, und vor allem nicht mit so viel Unglauben. Erst fühlte ich meinen Mut sinken, doch dann kämpfte er sich mit Trotz wieder nach oben. "Ich liebe dich, Tanja. Als du mir damals auf der COLUMBIA auf der Krankenstation geküsst hast, da...Okay, ich weiß, für dich war das nur eine Geste, aber ich..."
Verwundert registrierte ich, dass sie mich anstarrte. Ungläubig? Ärgerlich? Amüsiert? Ein wenig von allem?
Erst war es nur ein lautes Geräusch, mit dem sie ausatmete, dann aber wurde es ein leises Lachen, das sich schnell steigerte. So sehr, dass sie sich schließlich mit der Rechten den Bauch hielt, und mit der anderen auf meiner Schulter Halt suchte.
Also wirklich, in dem Moment fühlte ich mich durchaus in meinem Stolz und meiner Männlichkeit gekränkt. Und ich tendierte dazu, sie hochkant raus zu schmeißen und damit auch aus meinem Leben.
"Danke.", ächzte sie, und das erste Mal seit Wochen lächelte sie mich an. In ihren Augen standen noch immer Lachtränen, und ihr Gesichtsausdruck war seltsam gelöst. "Das habe ich irgendwie gebraucht. So sehr gelacht habe ich schon seit Wochen nicht mehr." Sie ächzte leise, ein kurzes Glucksen kam über ihre Lippen, dann hatte sie sich endlich beruhigt. "Okay, ich verzeihe dir, dass du mich die letzte Woche geschnitten hast." Kurz schien sie wieder vor einem Lachanfall zu stehen. "Du hattest ja einen triftigen Grund, Superpilot."
"Aber ich liebe dich wirklich! Ich weiß ja auch nicht wieso es passiert ist, aber..."
Sie legte mir ihre linken Fingerspitzen auf den Mund. "Vorsicht, junger Mann. Zweimal ist witzig, aber dreimal zerstört den Witz. Du hast die Scharte gerade so schön ausgewetzt, verdirb es nicht."
Es war eigentlich unfassbar, sie glaubte mir einfach nicht. Wahrscheinlich hätte ich aufstehen, sie in die Arme nehmen und küssen können, und sie hätte mir immer noch nicht geglaubt. Allerdings verbot das mein gesunder Respekt vor ihrem Stiefelmesser. Also tat ich das Nächstliegende. Ich seufzte resignierend. "Ich gebe es auf."
Lilja lehnte sich zufrieden auf ihren Stuhl zurück, und lächelte immer noch ein wenig. "Also, wenn du mir schon nicht sagen willst, was wirklich mit dir nicht stimmt, können wir dann wenigstens professionell zusammen arbeiten?"
Ich seufzte erneut. Das war so typisch für Lilja, ich hätte es ahnen müssen. Ich griff unter mein Bett und zog einen der Rucksäcke hervor. "Warum fangen wir nicht gleich damit an? Wodka?"
"Ist dein Spirituosensack immer noch nicht leer?" Ihr Blick fiel auf die Steingutflasche mit Seaforters bestem Kartoffelschnaps.
"Du verträgst doch Wodka? Ich meine, du als Russin..."
"Ach, komm, Ace, natürlich vertrage ich Wodka. Den gibt es bei uns schon im Kindergarten, und die Erwachsenen putzen sich damit die Zähne. Wir müssen uns ja nicht besaufen, aber ich denke, ein oder zwei schaden nicht."

Etwa eine Stunde später war die Literflasche halb geleert, und ich spürte den Zug der Schwerkraft, der mich auf mein Bett zwingen wollte. Lilja hingegen wirkte immer noch frisch wie ein Fisch im Wasser. Nur die Tatsache, dass sie sich öfters mal bei einem Satz verhaspelte und dann wieder von vorne anfing, wies darauf hin, dass der Hochprozentige auch an ihr nicht spurlos vorbei ging.
"...und deshalb bevorzuge ich die Falcon. Die höhere Flexibilität macht sie im Kurvenkampf viel effektiver als eine Nighthawk, was die schlechtere Bewaffnung wieder ausgleicht. Du brauchst aber einen guten Partner, der auf deine Sechs aufpasst, eben wegen der dünneren Schilde. Für die Formation bedeutet das folgendes: Wenn die Einheit dreidimensional aufgestellt ist und du deine Piloten über ein Raumvolumen von eins Komma vier hoch drei Klicks verteilt hast, dann..."
"Stop, stop, stop.", sagte ich in leicht lallendem Ton. "Ich glaube, ich vertrage keinen Wodka. Können wir an dieser Stelle Schluss machen? Ich glaube, ich fahre gleich Karussell."
Lilja lachte amüsiert auf. "Ach komm, Ace, es ist nur Alkohol."
Ich zog misstrauisch eine Augenbraue hoch. Da musste man ernsthaft in Betracht ziehen, dass Russen Wodka wirklich schon im Kindergarten bekamen.
"Aber es ist dein Raum. Also deine Regeln. Noch ein Absacker und dann Schluss für heute?", fragte sie grinsend. "Und falls du dann kotzen musst, halte ich deinen Nacken, versprochen."
"Einen noch.", sagte ich trotzig und schenkte in die großen Wassergläser anderthalb Finger breit ein. "Nastrovje."
"Kampai." Natürlich, Lilja wischte ihren Wodka ohne größere Anstrengung weg, während ich nach dem geexten Glas kräftig husten musste. Verdammt, ich sollte mir wirklich angewöhnen, bei solchen Missionen nur Schnaps zu kaufen, den ich auch mochte.
"Danke, Ace. Das war vielleicht der erste einigermaßen nette Abend auf der JADE.", sagte sie und erhob sich. Mit einem Seufzer hob sie die Arme und streckte sich. "Ich gehe dann mal. Wir reden morgen nach dem Flug weiter über deine Blauen."
"Warte! Ich habe da noch was für dich." Wieder griff ich nach dem Rucksack. Nach eifrigem Kramen zog ich ein Portionspäckchen von der Größe einer Zigarilloschachtel hervor. Ich erhob mich und drückte es ihr in die Hand.
"Was ist das?" "Brausevormischung. Erdbeergeschmack. Wenn schon der Fraß hier nicht schmeckt, finde ich, sollte man wenigstens was Ordentliches trinken dürfen. Nimm es als kleines Dankeschön für die Lehrstunde."
"First Lieutenant, das ist Bestechung.", sagte sie grinsend. Verdammt, wenn sie mal locker war, dann machte sie ihre Narben mehr als vergessen, dann war sie ein sehr sympathischer, angenehmer Mensch. Nicht, dass mir das irgendetwas leichter gemacht hätte. "Aber ich nehme dankend an."
Für einen Moment wirkte sie unschlüssig, sah mich an, dann das Päckchen in ihrer Hand. Schließlich wandte sie sich ab. "Aber glaube nicht, dass ich deswegen jetzt weich bin, Ace. Gute Nacht, Pilot."
"Dir auch eine gute Nacht, Tanja."
Als sich hinter ihr die Tür geschlossen hatte, setzte ich mich auf meine Koje. Alles in allem ein hervorragender, sehr gelungener Abend. In jeder Beziehung. Verdammt, manchmal hatte ich ein wirklich unirdisches Pech. Wenn sie diesen Walja oder Wanja hatte, dann musste sie doch glauben können, dass sich auch andere Männer in sie verlieben konnten, oder?
Frustriert goss ich mir noch einen Wodka ein und trank ihn auch auf Ex. Nach einem kurzen Husten verkorkte ich die Steingutflasche wieder und packte sie in den Rucksack zurück. Anschließend streckte ich mich auf dem unbequemen Bett aus. Vielleicht war es besser so.
30.01.2016 06:47 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cattaneo

Außenseiter

Shoki fühlte sich prima. Das lag vor allem daran, dass sie nach nur etwa zwei Monaten von ihrem Juniorendasein erlöst worden war. Inzwischen waren neue Piloten für Staffel Grün eingetroffen, um die hohen Verluste bei Karrashin zu ersetzen. Einer von ihnen kam direkt von der Akademie, ein anderer hatte bisher nur ereignislosen Patrouillendienst absolviert. Damit hatte sie ihnen etwas voraus, und das war für das eigene Ego immer gut. Und eine ,Jungfrau’ war sie auch nicht mehr – sie hatte sowohl ihren ersten Feindjäger abgeschossen, als auch den Verwundeten Löwen in Silber abgestaubt, glücklicherweise ohne dafür sonderlich leiden zu müssen. Sie war fast ein wenig erstaunt, wie leicht das alles gelaufen war. Allerdings – sie wusste auch, dass sie viel Glück gehabt hatte. Und als Sahnehäubchen zu diesen Errungenschaften kam hinzu, dass jetzt auch klar schien, dass die Staffel wohl weiter bestehen würde. Es würde ihr also erspart bleiben, sich in einer neuen Einheit einzugewöhnen. Alles in allem eine sehr zufrieden stellende Entwicklung. Angesichts dessen war sie sogar bereit, die Gegenwart von Knight zu ertragen, der sich ihr auf dem Weg zur Hauptkantine der Victoria-Station angeschlossen hatte.

Der Brite war entgegen seinem üblichen Verhalten recht wortkarg. Er war generell etwas zurückhaltender geworden, seitdem er wieder diensttauglich geschrieben worden war. Das war zu dem Zeitpunkt geschehen, als man fast das gesamte Geschwader auf Urlaub geschickt hatte. Doch anders als man bei ihm hätte vermuten können, hatte er anscheinend mit der freien Zeit nicht recht etwas anfangen können. Er hatte nicht einmal versucht, eine geeignete Partnerin – also ein beliebiges weibliches Wesen mit zweifelhaftem Geschmack – für ein paar Tage oder Wochen Urlaub oder wenigstens für einige Stunden in einem Hotel zu finden. Und DAS war wirklich ungewöhnlich, wenn man seinen Ruf kannte. Auch ansonsten benahm er sich erstaunlich zahm. Aufgrund seiner verlorenen Wette hatte Knight sogar klaglos La Reine zur besseren Pilotin erklärt und ihren gutmütigen Spott vor einem Dutzend Zeugen geduldig hingenommen – normalerweise hätte er sich mit einigen erlesenen Spitzen verteidigt. Und am ‚Kantinenklatsch’ beteiligte er sich vorerst in erster Linie nur noch als Zuhörer, während er früher trotz seiner kurzen Zeit an Bord der Columbia ein aufgehender Stern auf dem Himmel der Gerüchteköche gewesen war. Einem aufmerksamen Beobachter wäre all das aufgefallen, aber die meisten Piloten dachten zuerst an sich selbst, oder kannten ihn einfach nicht gut genug. So war es an Shoki hängen geblieben, sich ein wenig um ihren Kameraden zu kümmern.
Nicht, dass sie so scharf darauf gewesen wäre. Der gut eine Handspanne größere Pilot sah zwar recht gut aus und konnte ohne Zweifel ein angenehmer und charmanter Zeitgenosse sein, aber Shoki hätte sich eher in den ehemaligen Geschwaderchef verguckt – der wesentlich älter, glücklich verheiratet, werdender Vater, und menschlich nicht gerade eine Perle war – als ausgerechnet mit Knight etwas anzufangen. Schließlich hatte sie erlebt, wie er auf der Wasp eine verflossene Beziehung eiskalt und ohne Reue abserviert hatte. Menschlich hielt sie ihn deshalb für alles andere als vorbildlich, und das hatte sie ihm auch ziemlich deutlich gemacht.
Aber irgendwie waren sie beide in der Situation gelandet, dass sie sich fast als so etwas wie Freunde fühlten. Das lag wohl auch daran, dass sie beide Neulinge in der Staffel waren. Und auch wenn Shoki ihre eigene Verwundung nicht sehr belastete, es war ihre erste unmittelbare Begegnung mit dem Tod gewesen, sowohl mit dem eigenen als auch mit dem von Kameraden – eine unangenehme Erinnerung an den Tod ihres Bruders Ioura. Deshalb hatte sie Verständnis dafür, dass sich ihr Kamerad etwas neben der Spur befand, nachdem man ihn aus dem All gefischt hatte. Sie war wohl die einzige, die das gemerkt hatte, weil sie ihn schon von der Wasp kannte. Sie beide hatten durch die Zerstörung des Trägers einige Bekannte verloren, und an Bord der Columbia noch keine neuen Bezugspersonen gefunden. Es stimmte zwar, Shoki hatte Kano – aber ein älterer Bruder…nun ja, der war eben immer genau das, ein älterer Bruder. Und würde in ihr wohl immer das Nesthäkchen der Familie sehen. All das führte dazu, dass Shoki dem britischen Piloten mit mehr Toleranz begegnete, als sie ursprünglich vorgehabt hatte. Zudem hatte sie es in der Vergangenheit sogar genossen, sich mit ihm zu zanken – er war ein viel dankbareres Ziel und Gegner als etwa ihr Bruder.
Wie sehr Knight der Weltraumspaziergang getroffen hatte war wohl daran zu merken, dass er sie nicht mal im Spaß anzubaggern versuchte.

Tatsächlich wusste auch sie nicht wirklich, wie es in ihm aussah. Knight war schon früher mit dem Tod – dem eigenen wie dem anderer – konfrontiert gewesen. Immerhin hatte er auf Pandora Tiefflugangriffe durchgeführt, hatte im Militärknast gesessen und sich später während Husar und in weiteren Schlachten sein bronzenes Flying Cross verdient, bevor er zur Columbia gekommen war. Aber dennoch litt er immer noch unter dem Alptraum, dass man ihn bei Karrashin beinahe in der eisigen Unendlichkeit zurückgelassen hätte. Es war ihm fast unmöglich gewesen, wieder in einen Jäger zu steigen, als vor kurzem wieder „nasse“ Übungsflüge angeordnet worden waren, während sich einige andere gefreut hatten, dass die Zeit der Simulatorrunden vorbei war.
Für Knight hingegen war das Einsteigen schon schlimm genug, doch als sich erst das Cockpit schloss…Mit einem Mal hatte sich ihm die Kehle zusammengeschnürt wie unter einem unbarmherzigen Würgegriff, kalter Schweiß war ihm ausgebrochen, und seine Hände zitterten wie im Fieber. Er hätte um ein Haar die Beherrschung verloren, mit den Fäusten gegen das Kanzelglas getrommelt und versucht zu fliehen. Nur mit Mühe hatte er den Startvorgang korrekt durchführen können. Draußen, im Weltraum, war es ebenfalls schlimm gewesen. Nur mit Mühe hatte er sich in den Griff bekommen. Und das war nicht nur beim ersten Flug passiert. Imp hatte ihn schon komisch angeschaut, weil seine Leistungen deutlich nachgelassen hatten. Erst beim vierten oder fünften Übungsflug hatte er wieder vollen Einsatz leisten können, und die Interimschefin hatte seine schwankenden Ergebnisse mit einem Achselzucken als Ergebnis seiner Zeit auf der Krankenstation abgetan.

Schon das war frustrierend und erniedrigend gewesen, denn es handelte sich ja nur um eine simple Übung. Er wollte nicht darüber nachdenken, was im Ernstfall geschehen könnte. Wenn er in einem wirklichen Gefecht einen solchen Aussetzer hätte, konnte das seinen Tod bedeuten. Aber er traute sich auch nicht so recht, mit jemanden darüber zu reden. Er war immer stärker darin gewesen, gute Laune zu verbreiten und mit einem Achselzucken und einer schnoddrigen Bemerkung über Probleme hinwegzutäuschen, als darüber zu reden.
Und was sollte er auch tun? Wenn er zu einem Arzt ging, würde das ohne Zweifel in seiner Akte erscheinen. Und einen seiner Kameraden ansprechen…keinen kannte er wirklich gut oder war mit ihm oder ihr richtig befreundet. Die meisten Neulinge hätten ihn kaum verstanden, und viele Veteranen kultivierten eine trotzige Mentalität der Todesverachtung, die dazu führte, dass er sich geradezu wegen seiner Angst schämte. Wie hätte er denn mit Sokol sprechen können, der jahrelang querschnittgelähmt gewesen war, und dennoch wieder flog? Von Lilja ganz zu schweigen, die ihre Narben mit demonstrativer Gleichgültigkeit behandelte, mit gebrochenem Bein in einen Jäger geklettert war, und die für fremde Schwäche ebenso wenig Gnade und Rücksichtnahme kannte wie für ihre eigene. Imp wäre noch die beste Gesprächspartnerin gewesen. Sie war humorvoll, aber auch mitfühlend, ohne Zweifel selbst einmal verwundet gewesen. Aber sie war auch Staffel-XO und Duzfreundin der Kommandeurin, und somit würde das was sie erfuhr wohl auch bei Lilja landen – wenn die erst mal wieder von ihrem ominösen Sonderauftrag zurückkehrte. Also fiel auch das weg.

So schluckte Knight vorerst seine Angst herunter und machte weiter, so gut es eben ging. Er hatte sich zumindest bei Übungen wieder in der Hand, und bisher schien kaum jemand etwas zu merken, obwohl er wusste, dass Shoki ihre Vermutungen über seine Probleme anstellte. Er war ihr für ihre Verschwiegenheit ehrlich dankbar.
Jedenfalls hatte sich Knight ungeachtet gewisser besorgniserregender Anzeichen wieder so weit im Griff, dass er sich am Geschwätz über die Neuzugänge beteiligte, während er mit Shoki durch die Messe schlenderte.
Die junge Japanerin nahm kein Blatt vor den Mund: „Alles in allem sind wir natürlich nicht gerade gut davon gekommen. Kein wirkliches Topass, wenn man’s genau nimmt ja ÜBERHAUPT KEIN Ass – die Chefin wird toben, wenn sie zurückkommt. Was Second Lieutenant Cheng Gao angeht…also ich schätze ihn als ganz netten Kerl ein. Aber er hat null Erfahrung, und so wie Imp und Sokol mit ihm den Boden im Simulator aufgewischt haben…ist er nicht viel mehr als Mittelklasse.“
Ihr älterer Kamerad seufzte, wieder so ein Anzeichen für seinen angeschlagenen Zustand: „Und wir wissen, wie lange Mittelklasse vorhält.“
Shoki grinste: „Solange du dich nicht selbst dazu zählst…ICH bin jedenfalls mehr als Mittelmaß. Apropos Imp und Sokol – die legen einen erstklassigen Paarstil hin, findest du nicht?“
Knight erwiderte das leicht anzügliche Grinsen seiner Kameradin. Innerhalb der Staffel war die Beziehung zwischen Liljas beiden einzigen richtigen Freunden kein echtes Geheimnis: „Das kommt von der vielen Übung, vielleicht.“ spöttelte er. Dann wurde er wieder ernst: „Jedenfalls wird Crow sich deutlich verbessern müssen. Was Bad Luck angeht, der hat zwar eine ansprechende Dienstzeit, aber keinen echten Gefechtseinsatz. Und dann noch der Name…“
Shoki lachte: „Tja, das überlasse ich euch abergläubischen Kaukasiern.“ Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse: „Aber du hast Recht. Nur Guardsman hat Gefechtserfahrung. Und viel ist mit seinen zwei Abschüssen nicht los – einer davon ja nur ein Pirat.“
Dass es Knight inzwischen zumindest etwas besser ging sah man daran, dass er seine Kameradin wieder verhalten stichelte: „Kaum eine Schlacht…na gut, zwei Schlachten…und einen gekillten Akarii auf dem eigenen Konto, und schon meint die Dame, auf andere herabblicken zu können? Ist das nicht noch ETWAS früh dafür?“ Die Japanerin lachte nur.

Die Ankunft der Neuzugänge für die Grüne Staffel hatte gewissermaßen den Startschuss für Imp gegeben. Offenbar war die XO fest entschlossen, in Abwesenheit ihrer Freundin und Vorgesetzten zu zeigen, warum diese sie zur Stellvertreterin gemacht hatte. Sie hatte zweifellos das Zeug dazu, immerhin war sie die dienstälteste Pilotin der Staffel, und selbst innerhalb des Geschwaders erinnerten sich nur noch wenige wie sie an die erste Mission der Redemption. Ihr Abschusskonto sah auch recht eindrucksvoll aus. Sie hatte miterlebt, wie Lightning die Staffel aufgebaut und mehrfach nach harten Verlusten aufgefrischt hatte. Da war zweifellos einiges hängen geblieben. Jedenfalls hatten die Piloten der Grünen Staffel binnen weniger Tage eine Menge Flugstunden im Simulator und auch in echten Maschinen gesammelt, zusätzlich zu theoretischen Übungen. Allerdings starteten sie momentan nur von der Station aus, denn die Columbia war noch nicht wieder einsatzbereit. Und das hieß, man war darauf angewiesen, von den Stationsdiensten oder von der Sengbe Koroma Flight School die nötigen Mengen an Treibstoff, Raketen und ausreichend Startkapazitäten zugeteilt zu bekommen. Zwar hatten die Angels ihre alten Maschinen vom Träger mitgebracht, doch nicht jede Staffel hatte rechtzeitig ihre Bestände an Kampffliegern komplett auffüllen können. Die Grüne Staffel zum Beispiel war gerade erst wieder dabei, auf volle Stärke zu kommen. Im Moment konkurrierte man mit anderen Staffeln des Geschwaders, mit den Garnisonseinheiten und den leichten Trägern um Maschinen, Material und Startpriorität. Natürlich genossen die alteingesessenen Verbände einen gewissen „Heimvorteil“. Und einige der Etappenoffiziere hegten eine gewisse Aversion gegenüber dem selbsternannten Elitegeschwader, das die Angry Angels nun einmal waren. Nicht ganz zu unrecht, wie wohl mehr als ein neutraler Beobachter geurteilt hätte, angesichts des Starrummels, den einige Personen um die Angels machten. Doch es war in Schwange, dass bald Übungsstarts auf einem der leichten Träger möglich werden sollten, und auch die Arbeit an der Columbia ging zügig voran. Bis dahin musste man eben mit dem klarkommen, was man den Verantwortlichen abschwatzen konnte, oder Trockenübungen im Simulator durchführen.
Shoki war sich über diese ganzen Probleme natürlich im Klaren: „Vielleicht wird es bald etwas besser. Ich habe gehört, also eigentlich habe ich es von Imp, dass Rear-Admiral Mithel das Geschwader für Übungen angefordert hat. Sowohl Bomber als auch Jäger. Geht wohl um simulierte Angriffe auf die Kreuzer, aber auch koordinierte Abwehr und Gegenschläge von Kampffliegern und Dickschiffen.“
Knight überlegte kurz. Der Einfluss eines Admirals konnte einiges bewirken. Er wiegte den Kopf nachdenklich: „Ich habe gehört, der Admiral ist ein harter Hund. So wie er seine Shuttles bei Karrashin in den Einsatz geschickt hat…andererseits, ohne seine Schiffe wären wir wohl schon erledigt gewesen. Das wird sicher ziemlich schlauchend, aber wenn jemand was durchdrückt, dann er. Nun, vielleicht genau das, was unsere Rekruten brauchen.“
Shoki musterte ihn neugierig und zeigte ausnahmsweise ehrliche Anteilnahme: „Wird es gehen?“
Der Pilot fragte nicht, was sie meinte. Er zuckte nur scheinbar gleichgültig mit den Schultern, denn offen gezeigtes Mitgefühl war ihm immer ein bisschen unangenehm. Schließlich hatte er Shoki in der Vergangenheit oft genug getriezt, allerdings hatte er in ihr immer eine ebenbürtige Gegnerin gehabt: „Wird schon. Muss ja. Ich komme schon klar.“ Sie respektierte seinen Wunsch, nicht ausführlicher darüber zu sprechen.

Im Augenblick war die Messe weitestgehend ausgestorben. Es war schon ziemlich spät für ein Essen, denn Shoki und Knight hatten noch Übungsflüge mit zwei Ersatzmaschinen durchführen müssen und sich deshalb verspätet. Wenn sie wollte, konnte Imp ebenso energisch und diensteifrig sein wie Lilja. Doch nicht nur wegen der fortgeschrittenen Stunde war wenig Betrieb. Viele Piloten und Besatzungsmitglieder suchten sich andere Alternativen zur Militärverpflegung, wenn sie konnten. Viele Angehörige der nichtfliegenden Verbände des Trägers hatten sowieso noch Urlaub. Und wer hier war, der suchte sich lieber ein Restaurant. Das Essen der Navy war zwar gut, aber natürlich hatte man in einem Lokal mehr Auswahl – und man musste nicht fürchten, dass ein ungeliebter Kollegen oder Vorgesetzter zur Unzeit hereinschneite. In der Messe herrschte eben immer die Atmosphäre einer College- oder Betriebsmensa, daran ließ nichts ändern. So waren die wenigsten Plätze besetzt. An einem Tisch saßen ein halbes Dutzend Männer und Frauen der Blauen Staffel, ansonsten waren noch einige Plätze durch Stationsangehörige belegt. An der Essenausgabe gab es keine Warteschlange, anders als zu den Stosszeiten. Außer den beiden Piloten der Staffel steuerte nur eine Frau die Theke an. Und sie war es, die Knights Aufmerksamkeit erregte.
Shoki bemerkte, welchen Weg die Blicke ihres Kameraden gingen, und kicherte boshaft: „Also das ist doch mal wieder ein gutes Zeichen. So wie du dich in den letzten Wochen verhalten hast, hatte ich beinahe gedacht, du hättest deine Orientierung gewechselt und nur noch gewartet um dein Coming-Out richtig zu timen. Aber wenn ich dich so sehe…
Du solltest besser die Kinnlade wieder hochklappen und die Zunge einholen, oder die Küchenkräfte denken, du wärst am Verhungern. Was ja vielleicht auch stimmt.“ Der ältere Pilot zuckte unter diesen verbalen Breitseite zusammen und bedachte die Japanerin mit einem gespielt waidwunden Blick: „DAS war wirklich fies, sogar für dich. Du könntest dich ja auch entschließen, mich nur zu erniedrigen, nicht mich gleich ganz zu vernichten.“
Kanos Schwester lachte nur: „Was meinst du, woher ich meinen Spitznamen habe?“
Allerdings musste sie insgeheim zugeben, dass sie Knight mildernde Umstände zubilligen musste, er war ja ohnehin nur ein Mann. Das Ziel seiner Betrachtungen war vielleicht ein paar Jahre jünger als er, und ohne Zweifel eine Schönheit. Die Uniform – offenbar die einer Pilotin, und zwar eines Angels – verbarg den sportlichen Körper nicht im Geringsten, und der geschmeidige Gang betonte ihre Vorzüge noch. Anscheinend hatte sie damit aber nicht irgendjemand bestimmtes in Auge, tat aber auch nichts, ihre Wirkung zu kaschieren. Sie konnte sich jedenfalls einiger bewundernder oder begehrlicher Blicke sicher sein. Allerdings nicht nur wohlmeinender…

Knight hatte inzwischen die Theke erreicht. Galant wie er auch seien konnte, ließ er Shoki den Vortritt, während er die unbekannte Pilotin – vermutlich ein Neuzugang des Geschwaders – aus den Augenwinkeln beobachtete. Zugleich staunte er über die Fähigkeiten seiner Staffelkameradin, die mit nur zwei Augen gleichzeitig das Geschehen an der Theke, ihn selbst und das Ziel seiner Blicke unter Beobachtung behalten konnte. Ihm war klar, dass die Japanerin zeitgleich mit ihrer Menuwahl vermutlich die nächste Gemeinheit ausbrütete, um sie ihm an den Kopf zu knallen. Doch in diesem Augenblick nahmen die Ereignisse eine unerwartete Wendung.
Die unbekannte Pilotin hatte sich bereits ihre Portion abgeholt und steuerte die Mitglieder der Blauen Staffel an. An deren Tisch war zwar kein Platz, aber sie setzte sich mit einem freundlichen Gruß in die Runde gleich nebenan, vermutlich, um beim Essen Gesellschaft zu haben. Lockere Gespräche in der Messe gehörten eigentlich dazu und waren ein gern gesehener Zeitvertreib. Doch die Reaktion der anderen Angry Angels war alles andere als freundlich. Fast zeitgleich standen fast alle Piloten auf, obwohl bei weitem nicht jeder aufgegessen hatte. Einer der Blauen schaute sich verdattert um, erst auf einen gezischten Kommentar hin schloss er sich seinen Kameraden an. Die Jokers machten aus ihren verächtlichen Mienen kein Geheimnis, und was sie murmelten, das war sicher nichts Freundliches, und für die junge Frau wohl deutlich zu verstehen – es fehlte nicht viel, und einer der Blauen hätte noch ausgespuckt. Sie drehten der Neuen den Rücken zu und gingen, einer wie der andere ein mehr oder minder gelungenes Bild selbstgerechter Verachtung und Geringschätzung. Zu behaupten, die Neue sei erschüttert, wäre zuviel gesagt gewesen. Aber sie war in jedem Fall konsterniert und wohl auch etwas gekränkt. Diesmal war es Shoki, der die Kinnlade beinahe herunterfiel: „Was war DAS DENN?“
Im nächsten Augenblick bemerkte sie, dass sie praktisch zur leeren Luft sprach, denn Knight hatte sich bereits in Bewegung gesetzt. Mit einer Grimasse folgte sie ihm. Sie war ja auch neugierig, aber warum musste er denn gleich losstürzen…
Doch dann dachte sie noch mal nach und unterdrückte ein Feixen. Vielleicht wollte der Pilot einfach seine Chance nutzen, ehe jemand anders in die Bresche sprang.

Die beiden trafen gleichzeitig bei der so deutlich Geschnittenen ein – ehe jemand anders ihr zur Seite springen konnte, natürlich aus „gänzlich uneigennützigen“ Beweggründen. Knight, der ein höfliches aber nicht übertriebenes Lächeln aufgesetzt hatte, nickte der Fremden freundlich zu, dann schaute er Shoki an: „Dies ist Second Lieutenant Sakura Nakakura alias Shoki, und ich bin Second Lieutenant Evan Alexander alias Knight, beide Grüne Staffel der Columbia.“ Wenn er wollte, konnte er mühelos die Grundlagen des guten Benehmens beachten, wie etwa die Dame an seiner Seite als erstes vorstellen: „Dürfen wir uns zu Ihnen setzen, First Lieutenant?“ Er dämpfte seine Stimme nicht ein bisschen, allerdings übertrieb er es auch nicht mit der Lautstärke. Aber seine Worte waren doch deutlich zu hören, denn im Moment war in der Messe nicht viel los. Folglich brachte ihm sein Verhalten einige wütende Blicke von den Blauen ein, die gerade dabei waren, die Kantine zu verlassen. Doch dies prallte an Knight ab wie Regentropfen am Cockpit einer Falcon. Und Shoki grinste nur frech in Richtung der anderen Piloten. Ungeachtet dessen, dass sie Knights Motiven nicht ganz traute – Männer waren doch alle gleich – sein Handeln billigte sie vorbehaltlos. Jedenfalls bisher.
Die Neue musterte die beiden neugierig – das höfliche Lächeln Knights und die verkniffene Grimasse Shokis, die beinahe losgelacht hätte angesichts der tadellosen, fast schon übertrieben Manieren ihres Kameraden. Second Lieutenant und First Lieutenant – das war doch was für Filme und sture Kommissköpfe, nicht für die Messe. Die Unbekannte warf einen Blick auf die entschwindenden Blauen. Sie überlegte wohl, ob es sich hierbei nicht um einen zweiten Angriff auf sie handelte, vorerst noch als Freundlichkeit kaschiert. Doch dann verwarf sie das wohl. Es war unübersehbar, dass Knight und Shoki sich sehr eindeutig und demonstrativ gegenüber ihren Geschwaderkameraden positionierten, und dass die darüber alles andere als erfreut waren. Und so neigte das Ziel der blauen Antipathie schließlich höflich den Kopf: „Selbstverständlich. Ich bin First Lieutenant Maria Agyris, oder Huntress – derzeit Schwarze Staffel der Columbia. Freut mich, Sie kennen zu lernen.“ Sie dachte kurz nach, und registrierte sehr wohl den Blick, den die zwei tauschten, während sie Platz nahmen. Offenbar begannen sie zu ahnen, woher der Wind wehte. Doch Huntress ging darauf zunächst nicht ein, stattdessen wandte sie sich an Shoki: „Sagten Sie Nakakura? Sind Sie etwa…“
Shoki lachte: „Die kleine Schwester des großen Samurais, der Ihre Staffel kommandiert? Allerdings, das bin ich.“
Knight nickte, und es klang keineswegs herablassend oder ironisch: „Und Sie hat nicht nur ähnlich gute Beurteilungen wie ihr Bruder, sondern auch das legendäre Nakakura-Glück. Gleich ein Abschuss im ersten Gefecht, Beteiligung an einem anderen, und dazu gleich einen Verwundeten Löwen – aber sie hat ihre Maschine wieder heimgebracht. Exzellente Leistung für jemanden, der frisch von der Akademie kommt.“
Er schien ehrlich beeindruckt, jedenfalls hatte seine Stimme nichts Gönnerhaftes. Shoki allerdings verdrehte genervt die Augen. Es war ja immer schön, wenn man gelobt wurde, vor allem von jemandem, der sonst wenig Respekt vor den Leistungen der anderen zeigte, und der selbst bereits ein Ass war. Aber wenn derjenige das nur tat, um sich gegenüber jemand anderen aus recht durchsichtigen Motiven in ein gutes Licht zu rücken…
Dann bemerkte sie das ironische Funkeln in den Augen von Huntress, und erkannte, dass die Pilotin sehr wohl wusste, warum Knight den Bescheidenen spielte. Vermutlich hatte die Neue mit allen Arten von Gesprächsanbahnung durch männliche Kollegen Erfahrung. Und Shoki erkannte, dass es wohl auch Knight klar war, dass man ihn durchschaute. Und dass Huntress wusste, dass er es wusste, und dass er wusste, dass sie wusste, dass er wusste…Und offenbar hatte keiner von beiden ein Problem damit.

Eine Weile plätscherte das Gespräch einvernehmlich dahin. Es gab ja auch genug unverfängliche Themen – die Übungen, die Vorgesetzten, die unmittelbare Zukunft und Vergangenheit der Angry Angels. Keiner sprach den Zwischenfall mit den Blauen an. Offenbar wollte Knight nicht mit der Tür ins Haus fallen, und Shoki wollte sich ebenso wenig vordrängeln. Deshalb ließen sie Huntress den Vortritt. Die Nighthawk-Pilotin widmete sich gerade ihrem Nachtisch, als sie das Thema anschnitt, das sie interessierte: „Es ist ja nett, dass Sie mir Gesellschaft leisten. Aber noch mehr würde mich interessieren, was das vorhin sollte. Ist das eine Art Aufnahmeritual, weil ich mich noch nicht in trauter Runde bis zur Besinnungslosigkeit betrunken oder splitternackt die Geschwaderhymne gesungen habe? Oder habe ich irgendeine Fehde zwischen den anderen Piloten und meiner Staffel verpasst?“ Sie wusste also, dass ihre unfreundlichen Kameraden vom selben Träger stammten.

Knight wartete einen Moment, die Regeln des Anstands bis zum letzten ausreizend – es konnte ja sein, dass Shoki als erstes antworten wollte. Aber die wollte offenbar erst einmal abwarten. Also räusperte er sich: „Also ich glaube, ich habe so eine Ahnung was das sollte. Wie Sie vielleicht wissen, hatte die frühere Chefin der Staffel dasselbe Callsign wie Sie. Sie war wohl so etwas wie die liebevolle Rudelmutter für alle.“ Er ließ das fast anzüglich klingen: „Sie war wohl sehr hoch angesehen, eine gute Pilotin allemal, wenn auch nicht von Anfang an beim Haufen. Und dann kommt ja noch die Geschichte dazu, dass sie möglicherweise draufgegangen ist, weil sie es verhindern wollte, dass ihr havarierter Jäger in den Träger kracht. Sie ist wohl für einige eine echte Heldin. Sie wissen schon, der übliche Starkult. Wenn Sie also noch nicht mit irgendjemand ernsthaft aneinander geraten sind, glaube ich, es liegt daran. Die meinen, Sie würden dem Namen ihrer Vorgängerin ,Schande’ machen.“ Er betonte das Wort ,Schande’ etwas abfällig um klarzumachen, was er davon hielt.
Huntress riss ihre grünen Augen auf. Das war an und für sich schon ein hinreißender Anblick, wenngleich diesmal wohl nicht so kalkuliert, sondern einfach fassungsloses Erstaunen: „Die sind sauer auf mich weil ich so heiße wie ihr Idol? Weil ich nicht würdig bin oder weniger Abschüsse habe? Glauben die denn, ich suche mich mir Callsign aus, um sie zu ärgern? Und außerdem – sollten sie dann nicht auf den Nachfolger ihrer Chefin sauer sein? Meinen Sie wirklich, es war DAS?“
Shoki klingte sich in das Gespräch ein, in einer Mischung aus Zerknirschung und Belustigung: „Ich fürchte schon, so idiotisch das klingt. Man sollte ja meinen, die wissen es besser. Wie mein Bruder sagt, wir sind immerhin im Krieg. Aber Menschen sind schon komisch.“ Ihr Grinsen wurde breiter: „Vielleicht sollten Sie einen Antrag auf Umbenennung stellen. Oder Sie nennen sich Huntress jr. Oder vielleicht Little Huntress oder…Nur, bis Sie ,erwachsen’ sind.“
Huntress kicherte boshaft: „Also eigentlich bin ich schon ein ziemlich großes Mädchen.“ raunte sie der anderen Pilotin mit einem verschwörerischen Augenzwinkern zu.
Shoki feixte: „Das will ich mal unbesehen glauben.“ Sie warf ihrem Kameraden einen Seitenblick zu und bemerkte, dass er Huntress ziemlich genau – wenn auch unauffällig –beobachtete. Und nicht nur ihr Gesicht. Boshaft wie sie nun einmal war, fügte sie hinzu: „Oder auch nicht unbesehen, wenn es etwa meinen Kameraden hier betrifft.“
Besagter Kamerad wurde nicht mal rot. Stattdessen griff er wieder ins Gespräch ein: „Wie sieht denn Ihre Laufbahn bisher aus, wenn ich fragen darf? Shokis Liste kennen Sie ja. Ich habe bisher nur auf einem Hilfsträger und auf der Wasp gedient – einschließlich meiner letzten Mission auf der Columbia sieben Abschüsse, eines davon ein Shuttle.“ Das klang nicht wie Angabe, er stellte einfach Fakten fest.
Huntress war offenbar nicht von Standesdünkel geplagt, es gab ja auch kaum einen Grund dafür: „Sieben bisher, alle auf der Nimitz, in anderthalb Jahren. Dafür habe ich auch den Senior Grade erhalten.“ Sie war so höflich, nicht zu fragen, warum Knight nicht ebenfalls befördert worden war. Wer es zum Ass schaffte, wurde in der Regel zum First Lieutenant befördert, außer disziplinarische oder andere Gründe sprachen dagegen.
Knight zeigte sich angemessen beeindruckt, immerhin kostete ihn das nichts: „Nicht schlecht. Damit passen Sie eigentlich ziemlich gut in unsere Sammlung – und ich frage mich, ob die Blaumänner überhaupt nachgeprüft haben, wen sie beleidigen. Immerhin haben Sie sich das Callsign mehr als redlich verdient.“
Huntress warf den Kopf leicht in den Nacken, so dass ihr brauner Zopf keck durch die Luft wirbelte: „Ich denke, wir können das ,Sie’ und ,Ihr’ weglassen – ich hatte nicht den Eindruck, dass bei den Angels so strikte Regeln herrschen.“ Sie zwinkerte Shoki zu: „Obwohl natürlich bei manchen…“ doch die Japanerin nahm die kleine Spitze gegen ihren Bruder nicht im Geringsten übel. Es war offenkundig, dass die Nighthawk-Pilotin auf übertriebene Förmlichkeit keinen Wert legte. Dabei wirkte sie nicht so, als würde sie um die Akzeptanz der anderen werben. Ihre Selbstsicherheit machte deutlich, dass es ihr ziemlich egal, wenn jemand sie schnitt – das war dann eben Pech für den oder die. Andererseits hatte sie anscheinend keine Probleme neue Bekanntschaften schnell zu akzeptieren. Als die beiden anderen Piloten bestätigend nickten, lächelte sie: „Gut.“
Knight zuckte mit den Schultern: „Wir wollten Sie nicht fragen, denn die höhere Charge soll ja den Anfang machen.“ Shoki verdrehte schon wieder die Augen.
„Aber…“ nahm Huntress den Fahden wieder auf: „…was mein Callsign angeht, das habe eigentlich aus anderem Grund bekommen.“ Sie musterte Knight mit geradezu unverschämter Eindringlichkeit und grinste dreckig: „Ich…jage…nämlich gerne. Und oft.“
Shoki drehte sich etwas zur Seite weg und tat so, als müsse sie sich anlässlich dieser vermeintlichen plumpen Anmache in ihrer Gegenwart übergeben: „Oh Gott, ist mir übel. Ihr müsstet euch mal sehen. Zwei Vorzeigepiloten, beide gleich braunhaarig, grünäugig, und offenbar von sich selbst und den eigenen Vorzügen überzeugt.“ beschwerte sie sich. Womit sie durchaus Recht hatte, denn Knight und Huntress waren beide in etwa gleich groß, glichen sich auch im Äußeren und ohne Zweifel waren sie etwas von sich selbst eingenommen.
Knight blieb gelassen: „Shoki, wenn dir das Essen nicht bekommt, solltest du vielleicht etwas mehr kauen, bevor du schluckst.“ spöttelte er freundlich.

Obwohl die japanische Pilotin eigentlich zu den sonnigeren Gemütern gehörte, war sie doch auch ein wenig besorgt. Vor allem, nachdem sie etwas darüber nachgedacht hatte, was sich eben abgespielt hatte. Sie entsann sich jetzt, dass da doch etwas gewesen war: „Aber, Huntress, du solltest es doch nicht zu leicht nehmen. Ich glaube, ich habe sogar was läuten hören, dass einige der Blauen versucht haben, Stimmung zu machen, weil sie im Clinch mit jemandem wären. Hab’ nicht so genau hingehört, denn was soll ich denn die Drecksarbeit für andere Leute erledigen? Ich dachte ja erst, das sei wegen etwas Wichtigem, aber inzwischen glaube ich, es ging um dich.“ Für einen Neuling war Kanos Schwester erstaunlich gut informiert, besser als mancher Veteran.
Huntress lächelte etwas verächtlich, aber die Herablassung war nicht gegen Shoki gerichtet: „Ich BIN wichtig.“ erklärte sie im Brustton der Überzeugung. Doch dann runzelte sie die Stirn: „Und womit hätte ich denn zu rechnen? Wie regelt ihr das bei euch?“
Knight verzog die Lippen zu einer Grimasse: „Kommt drauf an – wir sind ja beide keine Alteingesessenen, also kann ich nur raten. Aber wenn ich nach dem üblichen gehe…Sie werden vielleicht weiterhin versuchen, dich zu schneiden. Keiner, der dir Ratschläge gibt, wie ein Offizier so ist und so was.“ An der Stelle schaltete sich Shoki ein: „Glaube aber nicht, dass einer der Schwarzen da mitmacht. Die wissen, mein Brüderlein wüsste so was kaum zu schätzen, und wie er sie schleift haben sie gar keine Energie mehr dazu.“
Knight nickte, doch er war noch nicht fertig: „Sie könnten auch auf ihre Bekannten einwirken, dass die sich ebenfalls so benehmen. Kein Grüßen, auch von Untergebenen, keine Antwort auf Fragen – was dich vor die Wahl stellt, als Petze dazustehen oder dich beleidigen zu lassen. Oder sie versuchen, dich im Simulator runtermachen. Wobei ihnen die eine oder andere Überraschung bevorstehen könnte, wenn ich dich so sehe. Man könnte dir einen hässlichen Spitznamen verpassen. Oder Gerüchte über dich streuen.“ Er sprach aus eigener Erfahrung, wenngleich er diese nicht auf der Columbia gemacht hatte.
Huntress wirkte mit einmal ernst, vermutlich weil sie sich fragte, woher der Pilot so genau über derartige Dinge Bescheid wusste: „Also keine Schuhcreme ins Haar, kein Klar-Schiff im Zimmer oder eine Wolldeckenpartie?“*
Knight zögerte, offenbar war er unsicher. Seine Stimme klang grimmig: „Glaube ich nicht. Ich habe zwar gehört, so was hätte es vor Jahren auch mal hier gegeben. Aber das war gegen jemanden, den sie wegen wesentlich ernsterer Dinge im Visier hatten.“ Er schien es direkt ernst zu meinen mit seiner Besorgnis: „Du solltest aufpassen – die meisten, die so etwas abkriegen, haben es nicht verdient. Du bestimmt nicht, wegen so einem Blödsinn.“
Huntress hob eine Augenbraue – eine Geste, die sie offenbar perfekt beherrschte: „Das hört sich ja direkt fürsorglich an. Aber danke für deine Besorgnis. Und auch für deine, Shoki.“
Die Japanerin grinste: „He, wir Neulinge müssen ja zusammenhalten. Ich hatte schon immer was gegen große, dumme, ehrpusslige Leute.“ Sie zögerte, fügte dann aber hinzu: „Und Knight hier, der wird sicher helfen, wenn er denkt, er könne dich auf die Weise mal nackt sehen.“

Der Brite warf seiner Staffelkameradin einen empörten Blick zu, während er sich tief getroffen ans Herz griff: „Shoki, du siehst mich ehrlich erschüttert. Wie kannst du nur so etwas über mich denken? Schon die Möglichkeit, ein Lächeln auf dieses wundervolle Gesicht zu zaubern wäre ein mehr als reichlicher Lohn für jede Anstrengung.“ Seine Stimme klang mehr als schwülstig, und er bekam prompt nicht ein Lächeln, sondern ein schallendes Gelächter von Huntress. Doch es war Shoki, die das abschließende Wort sprach: „Aber in einem Punkt gebe ich Knight Recht. Nimm es nicht zu sehr auf die leichte Schulter – so was ist auch schon mal mächtig daneben gegangen. Typen, die auf so etwas Dummes stehen, können es nicht verknusen, wenn man sie mit einem Achselzucken abtut. Im Zweifelsfall sprich mit meinem großen Bruder. Er mag ja manchmal etwas hölzern wirken…“ ihre Stimme klang liebevoll, wie eine Mutter, die über ihr kleines Kind spricht: „…aber er ist fair. Und wenn er den Eindruck hat, dass seine Untergebenen nicht korrekt behandelt werden, können sich die Schuldigen schon mal für ein Yabitsume** vorbereiten.“
Dann grinste sie Knight zu: „Und wir beide müssen uns noch bei Mama melden. Du weißt doch, morgen will sie unbedingt alle elf Maschinen in die Luft kriegen. Knight seufzte übertrieben: „Gibt es hier denn niemals Ruhe…“ maulte er.
Huntress lachte: „Nicht für die Bösen, habe ich gehört.“ Sie nickte den beiden Piloten zu: „Na dann, Hals und Beinbruch.“ Sie zögerte, ehe sie hinzufügte: „Und…danke.“ Shoki sprach für beide, als sie entgegnete: „Jederzeit wieder…“

Während die beiden Piloten sich entfernten, war Shoki wieder dabei, ihren Kameraden zu piesacken: „Hättest du eigentlich auch geholfen, wenn das Mobbingopfer eine Vierzigjährige mit 120 Kilo Gewicht und einem veritablen Damenbart gewesen wäre?“ verlangte sie inquisitorisch zu wissen.
Knight grinste reuevoll: „Mag ja sein, dass du nicht ganz falsch liegst. Aber warum nicht das Richtige mit dem Angenehmen verbinden?“ Er wurde schlagartig ernst: „Und außerdem – ich kann schließlich nachempfinden, wie das für Huntress werden soll. Und mich soll der Teufel holen, wenn ich das richtig finde. Nicht bei DEM Grund.“
Shoki, die niemals der Versuchung widerstehen konnte, ihre Neugier zu befriedigen, erkundigte sich: „War es denn bei DIR ähnlich?“
Und normalen Umständen hätte Knight abgelenkt oder die Aussage verweigert. Aber er wusste, er schuldete der Japanerin etwas: „Anfangs war es so ähnlich, vor allem auf der Actium. Auf der Wasp weniger. Ich will nicht wehleidig klingen, immerhin habe ich das doch einiges mehr verdient als Huntress.“ Er wusste, Shoki war todsicher über seine Vergangenheit informiert. Sie hatte zweifelsfrei während ihrer Zeit auf der Wasp eine Menge von dem aufgeschnappt, was im Umlauf war – und seine Vita gehörte auch dazu. Nicht, dass es ihn sonderlich störte: „Ich weiß also, was es für ein scheußliches Gefühl ist, wenn keiner dich anspricht und alle dir die kalte Schulter zeigen. Wenn man über dich tuschelt. Von den…unangenehmeren Sachen mal ganz zu schweigen. Und da kann dir kaum jemand vernünftig helfen, denn was bringt `ne Beschwerde schon? Tja, wer wie ich aus einer Bewährungseinheit kommt, wer also selber daran schuld ist, muss sich eben zusammenreißen. Einfach weitermachen, und die Hand weiterhin ausstrecken, auch wenn sie anfangs reinspucken. Die meisten Menschen sind eigentlich vernünftig – die können so einen Groll einfach nicht auf Dauer durchhalten. Schon gar nicht im Krieg, wenn es viel bessere Ziele für Hass gibt, und wenn der, den du schneidest, an deiner Seite fliegt. Wenn du natürlich einen auf gekränkte Unschuld machst und Lady-rühr-mich-nicht-an spielst, dann hältst du die Verachtung selbst am Leben. Aber auch wenn du dich richtig verhältst – leicht ist es nicht.“ Er lächelte schief und bewies, dass er durchaus noch wusste, wie es ums Geschwader stand, als er mit überlegtem Tonfall seine Ansichten darlegte: „Genug von mir gequasselt. Natürlich – so schlimm wird es diesmal nicht sein. Die Blauen sind ja nicht gerade die Geschwaderkönige. Die meisten Boulettenschmeißer machen was sie wollen, die Schwarzen hat Kano im Griff. Die Roten natürlich…also deren Chefin hat nicht viel in der Hand, würde ich sagen, und ich weiß nicht, inwieweit Lone Wolf so etwas für seiner Aufmerksamkeit würdig hält. Die Gelben müssen erst wieder aufgebaut werden, und dann hätten sie wohl eher mit Beleidigungen IHRES ehemaligen Chefs zu tun. Wir Grünen – also auch die Veteranen waren immer Rivalen der Blauen, und wegen so einem Unsinn tut keiner von denen einen Handschlag. Wird also mit einem Boykott nichts werden. Alles hängt von den Blauen ab.“
Shoki lächelte schief: „Sehr fundiert dargelegt. Aber glaubst du, Huntress sollte es so machen wie du sagst, die Hand ausstrecken?“
Knight lächelte schwach: „Nein. Aus zwei Gründen. Erst einmal wüsste ich nicht, wer sie dazu bewegen könnte. Sie weiß, was sie an sich hat…lach nicht so dreckig, Shoki…und was noch wichtiger ist, es gibt KEINEN Grund, aus dem sie sich bemühen sollte. Es gibt ja keinen Streit, weil sie was falsch gemacht hatte. Der Ball liegt allein bei den Blauen.“
Er seufzte: „Aber, was die machen – das kann keiner wissen. Wenn es dir nichts ausmacht – halt vielleicht mal die Augen und Ohren offen.“
Shoki grinste nur: „Du scheinst ja ehrlich besorgt zu sein. Da kann man sich schon nach dem Grund fragen.“ Aber außer einem schiefen Grinsen bekam sie keine Antwort.


* Beides illegale Strafmethoden, die vor allem einheitsintern verhängt und vollstreckt werden. „Klar Schiff“ bedeutet im Flottenjargon einen „Anschlag“ auf das Zimmer eines Kameraden. Meist werden dabei Kleidungsstücke und Wäsche aus den Schränken gerissen, oft auch in der Nasszelle eingeweicht, ebenso wie das Bett. Es gilt aber als strikt verpönt, privaten Besitz zu zerstören oder Andenken an zu Hause anzutasten, obwohl auch das vorgekommen ist. Die „Wolldeckenpartie“ wird seltener praktiziert. Dabei werden dem Opfer die Augen verbunden, manchmal kommt ein Sack oder sogar Tränengas zum Einsatz, dann wird es zusammengeschlagen – üblicherweise nicht ins Gesicht, damit nicht zu viele sichtbare Spuren zurückbleiben. Beliebt sind Schläge auf den Bauch oder der Gebrauch von gepolsterten Schlagwerkzeugen. Solche Praktiken, besonders die zweitere (die auch „Heiliger Geist“ genannt wird), sind natürlich unter harten Strafen verboten und werden offiziell auch moralisch strikt verurteilt. Sie kommen aber noch immer vor.
** Brauch unter japanischen Berufsverbrechern, den Yakuza. Um ein Versagen zu sühnen schneiden sich die Schuldigen ein oder mehr Fingerglieder ab. Spätestens im terranischen 20. Jahrhundert nachgewiesen, tatsächlich wohl noch früher entstanden und bis heute gebräuchlich.
30.01.2016 06:47 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cunningham

Victoria Station,
Bereitstellungsräume der Angry Angels
Sterntor


„Ich hab gehört, dass ich Sie hier finden könnte, XO.“, George Lincoln schlenderte um die riesige Crusader herum.
Das Revolvermagazin für die Maverick Anti-Schiff-Raketen war ausgebaut und mehrere Wartungsklappen standen offen. Neben der Maschine lag ein weiteres Revolvermagazin, welches mehr als die üblichen sechs Kammern aufwies.
„Sie haben mich gefunden, Blackhawk,“, erwiderte Irons und kletterte aus dem Innenleben des Bombers heraus, „haben Sie sich schon eingerichtet?“
„Ja, vielen Dank, alles bestens, der Alte,“, Blackhawk schmunzelte verlegen, „Tschuldigung unser Ops-Offizier war mir behilflich.“
„Das ist gut, hat er Ihnen schon mitgeteilt, wann es zur Derflinger raus geht?“ Irons musterte den anderen Schwadronskommandeur kritisch, während sie sich die Hände putzte.
Der Posten als Geschwader-XO würde der Höhepunkt ihrer Karriere sein, soviel war sicher. Sie war einfach zu alt um noch zum CO aufsteigen. Natürlich war ihre Dienstakte makellos und die Arbeit, die ihre Schwadron leistete, war mit exzellent recht gut zusammengefasst.
Aber niemand würde einer alten Milizpilotin ein Geschwader anbieten, nicht auf einem Pegasus und auch nicht auf einem Majestic, und jetzt hatte sie nicht nur Cunningham im Nacken, sondern auch noch Blackhawk, der in der Gerüchteküche des Geschwaders als potentieller XO gehandelt wurde. Aber ein Sondierungsgespräch mit Sean Grover hatte anklingen lassen, dass dieser nicht ewig XO der gelben Staffel bleiben wollte.
Sie wandte sich zu dem gelangweilten Lieutenant um, der hier Strafdienstt leistete: „Sehen Sie mal, ob Sie das Hauptfeuerleitrelais überbrücken können, damit wir das Revolvermagazin an das Raumkampfradar anschließen können, Trash.“
Für sie war der Mist, den einige von Ravens Jungs angestellt hatten, ein wahrer Glücksfall gewesen. Dodson hatte nur mitleidig gelächelt, als sie ihm von dem Projekt erzählt hatte und ihr versichert, wenn die ersten seiner Jungs nach mindestens drei Wochen Urlaub zurück wären, könne sie mit jeder Hilfe rechnen, die er anzubieten hatte.
Die Wartungscrew für das hiesige Geschwader war leidlich unterbesetzt und nicht bereit ihr so viele Techniker auszuleihen, wie sie brauchte.
Wenigstens hatte sie genug Leute bekommen, dass sie in der Lage war, in den letzten Wochen das neue Revolvermagazin herzustellen. Es war großartig mal wieder als Ingenieur tätig zu werden, statt als Bomberpilot, und mit Trash und seinen beiden Kumpanen, soweit sie nicht für ihre Thunderbolt-Qualifikation trainieren mussten, hatte sie wenigstens Assistenten über die sie frei verfügen konnte.
„Cunningham meinte etwas von morgen oder übermorgen.“, antwortete Blackhawk und musterte das improvisierte Magazin, „Sie wollen wohl die erste achtschüssige Crusader fliegen, was? Sind die Löcher nicht etwas klein für Mavericks?“
„Die sind für Phönix gedacht, Raumüberlegenheit, Blackhawk, Raumüberlegenheit ist das Stichwort.“
„Verstehe, jeder hat wohl so sein Hobby.“
„Hobby? Das hier ist Handwerkskunst“, knurrte Irons.
„Aah-Haa, aber sagen Sie, Irons, sind für Urlaubszeit nicht ziemlich viele Piloten des Geschwaders hier?“
„Das liegt daran, dass Cunningham mit denen rüber zur Derflinger soll,“, antwortete sie gereizt. Raven hatte ihr schon im Nacken gehangen, weil Cunningham das noch nicht erledigt hatte, „aber nun können wir auch noch auf Schwimmer warten und Taxi für einen Typen namens Conti spielen.“
Sie musste wirklich mal mit Cunningham reden. Die Befehlskette klarstellen. Sie würde sich weder von dem noch von Blackhawk ihre Position streitig machen lassen.
Letzterer würde wahrscheinlich kuschen, wenn sie mit Cunningham fertig würde.
„Gut, Grover bat mich zu fragen, ob Sie heute Abend beim Poker dabei sind.“
„Wer ist denn noch dabei?“
Black Hawk überlegte kurz: „Der Count, ein Lieutenant Commander Cooper, Grover und ich soweit.“
„Cooper ist unser neuer LSO,“, meinte Irons nachdenklich, „der hat sich beim Aussteigen das Innenohr zerfetzt und trägt jetzt nen Chip, ist ein echter Zocker.“
„So wie Hungry Joe?“
Irons musste lächeln, als Blackhawk einen ihrer Sektionsführer nannte: „Nein, nicht halb so extrem, da er aber nichts mehr was schneller als ein Shuttle ist fliegen darf, spielt er recht aggressiv und kann schlecht verlieren.“
„Sie kommen also nicht?“
„Doch, ich will die achtzig Real wiederhaben, die er mir angeknüpft hat, und ich würde gerne mal sehen, wie er vor Wut in die Tischplatte beißt.“
Black Hawk grinste: „Gut, soll ich auch noch Cunningham fragen?“
„Nein, das mach ich schon, muss nachher nochmal mit ihm reden.“
„Dann bis heute Abend, ah und XO, haben Sie eine bestimmte Getränkevorliebe?“
„Klar, Bier, eiskalt und aus Deutschland.“
„Wo soll ich hier denn deutsches Bier herbekommen?“, fragte Blackhawk leicht überrumpelt.
„Sein Sie kreativ.“, riet im Irons und ging wieder zu ihrem Vogel.


Das bevorstehende Gespräch war Trisha McGill unangenehm. Nein, das war nicht richtig, sie fürchtete sich davor. Seit sie in den regulären Dienst einberufen worden war, hatte sie die meiste Zeit unter Cunningham gedient.
Und auch, wenn man objektiv betrachtet Justin McQueen als den besseren Offizier und Piloten betrachten konnte, war sie mit Cunninghams Führungsstiel besser zurechtgekommen.
Ihr gefiel die lange Leine, die er ihr gegeben hatte, und die Möglichkeit ihre Staffel so zu führen, wie sie es für richtig erhielt. Sie war nur froh, dass Raven ihr zumindest dieselbe Möglichkeit beließ. Andererseits hatte Raven bei fünf Staffeln quasi neue Staffelführer, mit denen sie arbeiten musste, so dass es einem Selbstmord gleich käme, sich in Razors oder ihre Staffelführung einzumischen.
Gut, Lilja konnte man wahrscheinlich einfach so machen lassen, was Ausbildung und Aufbau der grünen Schwadron anging, im Gefecht jedoch sollte man ein waches Auge auf die Russin halten. Eine Sache, die Irons als Geschwader-XO zufiel. Eine Aufgabe, die sie sich aufgrund des unterschiedlichen Dienstalters und ihrer Seniorität als Staffelführer sehr wohl zutraute.
Aber mit Cunningham als Staffelführer hatte Raven sich sowohl selbst als auch ihr einen Bärendienst erwiesen, wie sollte sie nur mit dem klar kommen?
Sie legte die Handflächen aneinander und fixierte über die Fingerspitzen die Tür zu Cunninghams Quartier. Langsam atmete sich durch, trat auf die Tür zu und klingelte.
„Herein.“, klang es von drinnen.
Als Irons die Tür hinter sich schloss, war sie froh, dass sie sich geduscht und umgezogen hatten. Lone Wolf trug an seiner Dienstuniform sämtliche Ordnes- und Leistungsabzeichen, die er sich im Laufe der Jahre erarbeitet hatte.
Gut, dem konnte sie mit ihrer Sammlung nicht wirklich das Wasser reichen, doch hätte ihr Arbeitsoverall wirklich deplatziert gewirkt.
Cunningham stand auf und kam um den Schreibtisch herum: „N'abend Irons, was führt Sie aus ihrer Bastelstube hierher?“
Er gab ihr die Hand und deutete auf einen der Besucherstühle: „Kann ich Ihnen was zu trinken anbieten?“
„Haben Sie etwas anderes als Kaffee?“, fragte sie und konnte nur knapp das Sir unterdrücken, welches ihr beinahe raus gerutscht wäre.
„Ist mein Kaffee so gefürchtet?“
Irons schmunzelte: „Ich habe nicht vor an Herzrasen zu sterben.“
„Ich könnte Ihnen noch Mineralwasser anbieten.“
„Gekauft.“
Geduldig wartete sie, bis Lone Wolf ihr ein Glas Wasser gereicht hatte: „Also Commander, wie wird das jetzt mit uns laufen?“
„Hm,“, schnaufte der Kommandeur der Roten Staffel, „ich hätte mir denken können, dass Sie deswegen hier sind.“
„Man wird wohl nicht Commander ohne ein gewisses Mindestmaß an Intelligenz, oder? Also, Lone Wolf, werden Sie mir Schwierigkeiten machen?“
Lucas war kurzz davor aus der Haut zu fahren, doch beherrschte er sich und auch wenn es ihm schwerfiel den reuigen Sünder zu spielen, blieb ihm zur Zeit keine andere Wahl: „Nein, Irons, ich werde Ihnen keine Schwierigkeiten machen. Raven hat sich ganz klar ausgedrückt, wie die Hackordnung im Geschwader ist.“
Die Bomberpilotin musterte ihn kritisch: „Gut, okay, dann zu meiner nächsten Frage, warum sind Sie nicht schon unterwegs zur Derflinger?“
Lucas kratzte sich am Hinterkopf: „Das hat mehrere Gründe.“
„Als da wären?“
„Tja, zum einen habe ich heute Abend noch Stubenarrest, und es würde für das Geschwader doch echt blöde aussehen, wenn ich mich auf der Derflinger um achtzehnhundert auf mein Quartier zurückziehen müsste, oder?“
„Aha, und weitere Gründe?“
„Nun, ich beschäftige mich gerade mit den MK-XII Raumanzügen, die wir jetzt bekommen. Tolle Sache, viel flexibler, bessere Luftfilter und Isolierung. Erfrierungen gehen bis zu vierundfünfzig Prozent zurück. Normale Sauerstoffversorgung für sechsundneunzig Stunden und anschließend ein Injektor, der einen ins künstliche Koma versetzt und damit die Überlebensdauer um sechs Tage verlängert.“
„Und wo ist da jetzt das Problem?“ wollte Irons wissen.
„Mein Helm wurde auseinander genommen.“
Die Bomberpilotin blickte verwirrt drein.
„Ich habe Dodson gebeten, die Verschlüsse und Versorgungseingänge an meinen alten Helm anzubringen, und ich kann doch nicht mit unvollständiger Ausrüstung auf die Derflinger.“
Irgendwie hatte Lucas ein Déjà-Vu, an seine Zeit als Lieutenant in Friedenszeiten. An die Zeiten, wo er vor einem dienstälteren Offizier, und nach Mantis war Irons nun mal die älteste Pilotin, Rede und Antwort stehen musste.
„Sie erzählen mir hier Scheiß, Lone Wolf.“, entgegnete Irons, „Sie werden auf der Derflinger gar nicht fliegen. Außerdem verstößt eine solche Modifikation gegen die Vorschriften.“
Ganz gegen seinen Willen musste er grinsen: „Ich weiß, aber dieser Helm hat mich durch den Krieg gebracht. Nachdem man mich bei Manticore aufgefischt hatte und ich im Lazarett lag, sollte der Helm eigentlich weggeworfen werden. Ich habe die ganze Müllkippe der Nightingale nach ihm abgesucht. Radio hat ihn über den halben Hangar der Redemption gekickt. Er bringt mir Glück, ich hänge an ihm.“
Irons bedeckte ihre Augen: „Ich glaub' ich bekomme gleich Kopfschmerzen, und gibt es noch weitere Gründe?“
„Einen, morgen kommt ein Staffelführer von der Derflinger aus dem Krankenhaus und wir können ihn mitnehmen.“
„Ich weiß,“, gedanklich war Irons dabei Raven zu erwürgen, da sich bei ihr die Befürchtung breit machte, dass Lucas Cunningham ein wirklich, wirklich anstrengender Untergebener sein würde. Was waren das für schöne Zeiten, als er hier Chef war und sie mit ihm so gut wie nichts zu tun gehabt hatte, „sehen Sie zu, dass Sie die Trägereignungsprüfung für unsere Leute hinkriegen, bevor Raven mir damit noch mal in den Ohren hängt, sonst kracht es.“
Beinahe hätte Lucas lauthals aye-aye gerufen, doch er seufzte: „Hören Sie Irons, ich werde Ihnen wirklich keine Schwierigkeiten machen, dies ist meine Bewährung, ich könnte nun auch genau so gut einen Schreibtisch pilotieren.“
„Gut, ich will Ihnen glauben.“, Irons erhob sich und nickte ihm noch mal zu und ging.
Vor der Tür stieß sie schnaufend die Luft aus: „Als Skipper warst du mir echt lieber, wenn sie dich doch wenigstens auch noch degradiert hätten. Und wie zum Teufel hatte er Dodson dazu bekommen, für ihn am Helm rumztüfteln, verdamt noch eins.“



Palais Allecar
Die ewige Stadt von Pan'chra, Akar

Es war einer jener Räume, in denen Geschichte geschrieben wurde. In denen über das Schicksal zigtausender junger Akarii entschieden wurde. Es war ein ähnlicher Raum gewesen, wo die Clique um Jor dem alten Imperator die Kriegspläne dargelegt hatte.
Alte handgeschnitzte Möbel füllten ihn aus, auf kleine Teppiche gestellt um den kostbaren Holzfußboden nur nicht zu beschädigen. Ein Kamin auf einem Marmorsockel verströmte knisternd eine gemütliche Atmosphäre.
Der Duft t'rrschen Tabaks hing in der Luft.
„Wir haben ein ernstes Problem - “, eröffnete Meliac den anwesenden Edelleuten unnötiger Weise, „ein demütigender Frieden mit den Konföderierten, Gespräche mit den T'rr und wer weiß wem noch. Diese Frau schaltet jetzt seit wenigen Zyklen und schon scheint alles im Zusammenbruch, was unsere Ahnen in mühevollen Jahrtausenden aufgebaut haben.“
„Wir brauchen einen Imperator,“, pflichtete Kern Ramal dem älteren Akarii bei, „wir brauchen eine starke Hand, die uns führt, ein leuchtendes Beispiel, das unserem Volk sein Selbstbewusstsein zurück gibt. Wir brauchen jemanden, der die Doktrin Borealis hochhält und uns als Volk unseren angestammten Platz an der Spitze der Spezies wiederherstellt. Und Karrek Thelam ist der einzige, würdige Erbe seiner Erhabenheit Eliak IX. Er wird dem heiligen Volk sein Geburtsrecht zurück geben.“
„Kommen Sie zurück ins hier und jetzt, Admiral.“, knurrte Majl Klyy, „Karrek wird dort weitermachen, wo Jor aufgehört hat, und sämtliche fähigen Offiziere wieder entlassen und die Posten mit Leuten besetzen, die nichts besseres zu tun haben, als seine Selbstherrlichkeit genauso zu bewundern, wie er selbst es tut. Außerdem hält er Sie für einen feigen Bürokraten, Sie wären vermutlich der erste, der ins Exil geschickt wird, Kern.“
„Das spielt überhaupt keine Rolle, der Imperator kann über mein Leben verfügen, wie er wünscht.“, spuckte Kern zurück, „Der Erhalt des Reiches steht über meinen Ambitionen.“
,Die Götter mögen uns vor den Rechtschaffenen behüten', dachte der Herzog Allecar bei sich.
„Mylord Admiral,“, begann stattdessen Dero, „bitte, lasst mich ausreden, ich weiß, dass ich mit dem Frieden mit der Konföderation große Schande auf mich geladen habe, aber meine Befehle kamen von der Prinzess-Regentin, also vom Imperator höchstpersönlich, und lieber hätte ich mir meinen Drehh durch Herz gejagt als diesen Frieden auszuhandeln, doch der Wunsch des Imperator ist mir Pflicht.“
„Bringen Sie Ihren Sohn zum Schweigen, bevor ich ihm verbiete mir die Luft wegzuatmen.“, Kerns Augen starrten den sitzenden Dero nieder. Hass, Verachtung und Mordlust spiegelten sich im Blick des jungen Admirals. Seine Hand tastete dorthin, wo in vergangenen Zeiten der Griff eines Drehhs gewesen wäre.
Klyy legte dem Admiral die Hand auf die Schulter: „Vielleicht sollten wir den Anwalt ausreden lassen. Ihr Berufsstand ist immerhin für alles Unglück im Universum verantwortlich. Möglicherweise hat einer von ihnen jetzt mal was Nützliches vorzubringen.“
„Ja, heldenhafter Unteroffizier,“, Kerns Stimme troff vor Sarkasmus, „sprich weiter, der Minister bittet darum.“
„Unser edler Prinz Jor wurde verführt, von Relath Gor, einem Narren, einem Blender, einem großartigen Redner. Und diese Führung brachte uns an diesen Punkt, wo die Prinzess-Regentin, eine verzweifelte junge Frau, sich genötigt sah folgenschwere Entscheidungen zu treffen. Lästerliche Entscheidungen, die unsere stolzen und edlen Streitkräfte demütigten. Entscheidungen, die unsere Prinzess-Regentin für notwendig erachtete.
Vielleicht sogar Entscheidungen, die zur Rettung unseres Reiches notwendig waren.“
Dero atmete vorsichtig durch und wurde sich bewusst, dass Klyy die Schulter des Admirals fester drückte, doch er fuhr fort: „Vielleicht müssen wir, eine gewisse Weile, unseren angestammten Pfad verlassen. Aber kein Imperator wird dieses durchführen können, wenn wir irgendwann unser Geburtsrecht wieder einfordern wollen.
Wir bräuchten eine Stimme, der man zur Zeit folgen würde, deren Entscheidungen man jedoch bei Rückbesinnung auf die alten Sitten und auf die Doktrin Borealis schnell wieder beiseite schieben kann, weil es die verzweifelten und zufälligerweise richtigen Entscheidungen eines verängstigten, panischen Wesens waren.“
Es war faszinierend zu sehen, wie aus dem Raubtier, das vor ihm stand, wieder ein denkender, planender und berechnender Akarii wurde. Es war unglaublich, wie in Kern Ramals Augen die Intelligenz zurückkehrte und wie man förmlich sehen konnte, wie die Zahnräder sich wieder drehten.
„Und natürlich“, fuhr der Admiral an Deros Stelle fort, „bräuchte dieses verängstigte Wesen eine Reihe weiser Berater und Aufpasser, wie Euren Vater, Minister Klyy und vielleicht noch jemanden, die genau wissen, wann man wieder der Doktrin Borealis folgt, folgen muss, und dann entsprechend handeln.“
„Genau, so hatte ich das noch gar nicht gesehen.“
„Verkaufen Sie mich nicht für blöd, Anwalt, wenn Linai plötzlich und aus heiterem Himmel schwanger wird, wird ihr Schwiegervater der erste sein, der im Regentschaftsrat für den ungeborenen Imperator sitzt, und nicht wir.“
„Nur wenn Tobarii der Vater ist,“, warf Klyy ein, „und Sie als Relath Gors engster Vertrauter müssten doch von seinen Spionen wissen, wie es um Tobarii und Linai bestellt ist, haben die beiden jemals das Ehebett geteilt?“
„Ja, während der Hochzeitsnacht und im drauf folgendem Jahr noch mehrmals.“
„Und beide hatten in den letzten Jahren Liebschaften, oder?“ hakte Klyy nach.
„Wenige, Tobarii scheint geradezu A-Sexuell zu sein, und Linai war immer sehr diskret, Gors Agenten wissen nur von zwei Liebhabern, möglicherweise drei.“
„Fassen wir also zusammen“, bestimmte Meliac, „Linai gäbe eine ausgezeichnete Imperatorinmutter ab, und als verzweifelte, überforderte Frau wird sie sicherlich das Recht haben, fragwürdige Entscheidungen treffen zu dürfen. Der Kronrat wird natürlich das schlimmste verhindern und für eine anständige Erziehung des zukünftigen Imperators sorgen.“
„Schön und gut Mylord, aber wie wollt ihr dafür sorgen, Linai wird doch nicht von heute auf morgen von irgendwem nur nicht Tobarii schwanger.“, Kern stürzte ein Glass Herbstwein hinunter.
„Mylord Admiral,“, Dero kniete sich vor dem größerennnn Akarii nieder, „wenn Ihr mir gestattet mich wieder reinzuwaschen und für die Verbrechen Sühne zu tun, die ich der Flotte zugefügt habe, dann will ich mein möglichstes tun, Ihr müsstet nur Euren Einfluss im Kriegsministerium geltend machen um Tobarii beschäftigt und von der Prinzess-Regentin fern zu halten. Ihre königliche Hoheit scheint unbegreiflicher Weise etwas für mich übrig zu haben.“
„Da werden aber noch eine Menge mehr mitzureden haben oder es zumindest versuchen.“, gab Kern zu bedenken.“
„Um die werden sich der Herzog und ich kümmern.“, erwiderte Minister Klyy.
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Tyr

Sterntor-System

Kano hatte gewusst – na ja, zumindest geahnt –, dass er mit Agyris noch Ärger bekommen würde. Aber er wäre nicht einmal im Traum auf die Idee gekommen, dass es DIESE Sorte von Ärger sein würde.
Er wusste nicht, ob Chip tatsächlich bei Raven Beschwerde eingelegt hatte. Jedenfalls hatte sich die Kommandantin der Angry Angels bisher noch nicht dazu herabgelassen, in dieser Geschwaderposse Stellung zu beziehen. ‚Warum auch – es ist ja nicht so, als gäbe es nichts Wichtigeres zu tun.’ Der Fortbestand des Geschwaders stand möglicherweise immer noch leicht auf der Kippe, neue Mannschaften und Maschinen mussten angefordert, eingeflogen und integriert werden, fast die Hälfte der Staffeln hatte neue Kommandeure… ‚Und dann noch so etwas.’
Er hatte keine Ahnung, wie sich Raven entscheiden würde. Und unabhängig davon, welches ‚Urteil’ sie fällen würde, Kano war sich ganz und gar nicht sicher, ob die Sache damit tatsächlich ausgestanden wäre.

Die Blauen schienen fest entschlossen, aus Agyris ein Problem machen zu wollen. ‚Ausgerechnet wegen so einem…Schwachsinn.’ Kano hielt das Ganze für eine völlig sinnlose Verschwendung von Zeit. Zeit, die sie eigentlich nicht hatten. Aber Chip war für vernünftige Worte nicht zugänglich gewesen. ‚Oder, er hat seine Leute nicht im Griff.’ Kano wusste nicht, was schlimmer war.
‚Sind wir ein Kindergarten, dass wir gleich zur Chefin laufen müssen? Hätte man das nicht unter der Hand regeln können? Ohne so ein Theater? Wie Soldaten?’ Das war vielleicht etwas hart, aber Kano sah nun das bedroht, was ihm weitaus wichtiger war, als die Befindlichkeiten der Blauen – sein Ziel, ein Dutzend Männer und Frauen in eine perfekt funktionierende Kriegsmaschine umzuschmieden.
Natürlich wusste er, dass längst nicht alle seiner Untergebenen den hohen Anforderungen gerecht wurden, die er an ihre Einsatzbereitschaft und ihre Fähigkeiten stellte.
‚Aber das ist schon in Ordnung. Die Schwerter der Samurais wurden schließlich auch aus hartem UND aus weichem Stahl geschmiedet. Erst das gibt ihnen ihre Schärfe und Geschmeidigkeit.’ Doch um so eine Waffe zu schmieden, brauchte es Zeit. Der Stahl musste zusammengefügt, und in Schweiß und Tränen gehärtet werden. ‚Bis zu dem Augenblick, an dem er seine Bluttaufe erhält. In Akariiblut.’ Immer wieder fragte er sich, wann dieser Zeitpunkt kommen würde. Und ob die Butcher Bears dann dafür bereit sein würden.
Und wenn er dieses ehrgeizige, aber unausgesprochene Ziel erreichen wollte, fehlte ihm ganz einfach die Zeit, sich jetzt mit diesen Kinkerlitzchen herumzuschlagen.

Wahrscheinlich wäre es das Beste gewesen, wenn Huntress ganz einfach stillschweigend ihr Callsing geändert hätte. Aber genau das würde sie auf keinen Fall tun, so gut kannte er sie inzwischen. Sie war der Meinung, dass sie nichts Falsches getan hatte. ‚Und das hat sie auch nicht. Der Tort geht alleine von den Blauen aus.’
Er hätte ihr natürlich auch einfach befehlen können, einen anderen Namen zu wählen – aber das würde wiederum er nicht tun. Jedenfalls nicht ohne Druck von Oben. Und zwar nicht nur deshalb, weil er sich nicht ohne triftigen Grund mit der etwas…kapriziösen Pilotin anlegen wollte.
Aus welchen Gründen auch immer sie ihr Callsign erhalten hatte, sie trug diesen Namen mit Stolz. Und das akzeptierte er. Es war schließlich nicht so, als hätte sie den Namen 'Huntress' ausgewählt, um zu provozieren.
Und außerdem…er war auch nicht bereit, so einfach einzuknicken, und sich von jemand anderem sagen zu lassen, wie er seine Einheit führen und seine Untergebenen behandeln sollte. Jedenfalls nicht von jemandem, der nicht sein Vorgesetzter war, oder dem er aus einem anderen Grund bereit war, einen solchen Einflussnahme zuzugestehen.
Und nichts davon galt für Chip – und erst Recht nicht für die Piloten der Blauen, die meinten, aus einem Zufall gleich eine Vendetta machen zu müssen.
‚Verdammt, wo ist bloß Ace, wenn man ihn braucht. Der hätte seine Leute an die Kandare nehmen können.’ Andererseits…Ace und Huntress…
‚Nein. Er wäre vielleicht nicht froh über diese Angelegenheit, aber er würde ganz bestimmt nicht zu Raven laufen. Er nicht.’
Aber so… ’Ich denke nicht daran, mich unter Druck setzen zu lassen von dieser…Horde von wohlgesinnten Andenkenträgern. Was kommt denn als nächstes? Soll ich dann jemandem befehlen, sich den Bart abzurasieren, oder die Haare zu färben, weil er einem Toten zu ähnlich sieht? Oder vielleicht auch noch die Nase kürzen, weil sie jemandem zu krumm ist?’
Dieser Gedanke vor allem war es, der ihm den Nacken steifte. Er würde nicht einfach einknicken, bloß weil es bequemer war. Er würde Agyris zu nichts zwingen, wovon er nicht selber überzeugt war. Nicht, solange er nicht einen Befehl bekommen würde. Dann würde er seine Pflicht tun, natürlich, aber wenigstens mit einem beschwichtigten Gewissen und einer intakten Ehre. So intakt, wie sie eben sein konnte, nachdem eine solche...Bagatelle unbedingt vor den Geschwaderchef gegangen war. Das war er nicht nur Agyris schuldig – das war er vor allem auch sich selber schuldig.
Kurz fragte er sich, was Volkmer von dieser Geschichte halten würde. ‚Wenn Sie noch gelebt hätte, als Agyris an Bord kam…vermutlich hätte sie gelacht. Ich vermute mal, sie wäre mit Agyris blendend klar gekommen.’ Beide hatten zwar eine etwas divergierende Lebenseinstellung, aber jedenfalls waren sie weit entfernt von der grimmigen Pflichterfüllung, die zum Beispiel Lilja befeuerte.
Aber Volkmer war tot. ‚Sie würden ihr Andenken besser ehren, wenn sie sich nicht an solchen…Oberflächlichkeiten verzetteln würden.’ Ob Agyris nun Huntress genannt wurde, oder nicht – sie war nicht Volkmer. Würde es nie sein. Würde es auch gar nicht versuchen.
‚Was soll das bloß mit dem Namen? Was spielt der für eine Rolle? Volkmers Opfer wird dadurch nicht kleiner, dass jemand ihr Callsign benutzt.’

Natürlich hatte das ‚Blaue Ultimatum’ innerhalb der Butcher Bears schnell die Runde gemacht. ‚Vermutlich auch im ganzen Geschwader. Die werden sich kaputt lachen.’ So hatte er ganz bestimmt nicht von sich Reden machen wollen.
Was die anderen Mitglieder der Butcher Bears anging…Jimmy und Flyboy hielten sich aus der Sache heraus. Bei Bunny war schwieriger zu sagen, aber vermutlich spielte bei dem ziemlich zurückhaltenden Piloten vor allem die Loyalität zu seiner neuen Einheit die entscheidende Rolle. Er würde Kanos Entscheidungen schweigend mittragen. Und da sich dieser hinter Huntrtess gestellt hatte, würde er es auch tun. Aber er würde nicht über die Stränge schlagen.
Die meisten anderen hingegen schienen sich mit Huntress solidarisieren zu wollen. Das hatte verschiedene Gründe. Bei Spacer, Phoenix und Marat vermutete Kano, dass das eine entscheidende Rolle spielte, was Kali einmal das ‚Affenmänchen-Syndrom’ genannt hatte. Huntress sah gut aus, und das war genug, um Stellung zu beziehen. Obwohl Phoenix es sich nicht hatte verkneifen können, einmal deutlich zu machen, wie lächerlich es war, deswegen gleich die Geschwaderchefin bemühen zu wollen. Eine Ansicht, die Kano hundertprozentig teilte.
Submarine und Crusader ließen sich stärker von ihrer Loyalität zur Einheit leiten, auch wenn sie stärker als etwa Bunny auf Seiten von Huntress standen. Crusader war zudem als Chef der Zweiten Sektion auch persönlich betroffen, was ihn quasi dazu zwang, Stellung zu beziehen. Sugar und La Reine…nun ja, vermutlich waren die beiden einfach auf ein klein wenig Krawall aus. Und natürlich griffen auch bei ihnen die Rudelinstinkte. Die offizielle Beschwerde war ein Schlag ins Gesicht der Butcher Bears. Also schloss man die Reihen. Wäre das ganze unter der Hand abgelaufen...der größte Teil der Schwarzen Schwadron hätte sich bestenfalls beiläufig dafür interessiert.
Jetzt aber hatte Chip es zu einer Frage der Ehre und des Prinzips gemacht.
Es wäre ja schön gewesen, zu beobachten, wie schnell sich diese Männer und Frauen sich als eine Gruppe zu fühlen begannen – wenn nicht ausgerechnet DIESE Geschichte der Anlass gewesen wäre. Er wollte keine Frontlinien, die sich durch das Geschwader zogen. ‚Die Akarii reichen mir völlig aus.’
Er würde dem ‚Fanklub Agyris’ ein paar deutliche Worte sagen müssen. Auf keinen Fall würde er zulassen, dass einer seiner Untergebenen sich in einen Pinkewettbewerb mit den Blauen einließ, und darüber seine Pflichten vergaß. ‚Nun ja, zur Not muss ich sie einfach noch etwas härter ran nehmen. Wer nur fliegt oder schläft, der sündigt auch nicht. Oder wie auch immer das hieß…’

Er hatte wegen dieser blödsinnigen Geschichte sogar beinahe Streit mit Kali gehabt. Natürlich hatte Kali ihre Verbindung zu anderen Mitgliedern der Angry Angels nicht einfach gekappt, als sie auf die DERFLINGER versetzt worden war. Und irgendjemand – nicht Kano, der das Ganze für nicht so wichtig gehalten hatte – hatte sie über den Neuzugang bei den Butcher Bears informiert.
Ihr nächstes Komm-Gespräch mit Kano war einigermaßen…temperamentvoll gewesen. Offenbar fand sie die erneute Verwendung von Julianes Callsign ziemlich abgeschmackt.
Kano hatte dagegen gehalten, dass das Ganze nur ein Zufall, und keine gewollte Provokation war. Außerdem gab es nach einer schnellen Netz-Recherche mindestens noch drei weitere ‚Huntress’ in den Streitkräften – zwei davon waren Pilotinnen.
Das hatte die Sache ein wenig relativiert, aber letztendlich hatte er Kali nur dadurch etwas besänftigen können, indem er auf die Entscheidungshoheit der Geschwaderchefin verwiesen hatte. Kein Verhalten, auf das er besonders stolz war.

***

‚Aber eins nach dem anderen.’
Kano überprüfte reflexartig den Sitz seiner Dienstuniform, und betätigte den Türsummer.
Nichts geschah.
Er wartete kurz, und drückte noch einmal auf den Knopf, länger diesmal.
Wieder nichts.
‚Schon wieder Zeit verplempert.’ Er wandte sich mit einem lautlosen Fluch zum Gehen, als endlich mit einem leisen Klicken die Gegensprachanlage zum Leben erwachte: „…Ja?“
„Lieutenant Agyris? Nakakura hier. Wir müssen reden.“
„Eigentlich habe ich dienstfrei…“
Kano unterdrückte den Impuls, mit den Zähnen zu knirschen. Diese Frau schaffte ihn noch! Er beherrschte sich jedoch: „Ich auch. Diese Zeit geht von meinem Mittagessen ab. Also, würden Sie jetzt bitte diese Tür für ihren Staffelchef öffnen? Sofort.“
„Habe ich eine Wahl?“
Kano sparte sich eine Antwort.

Die Tür öffnete sich, er machte ein, zwei Schritte in den Raum: „Hören Sie, Agyris. Ich weiß, Sie finden das Ganze lächerlich aber…“
Und verstummte jäh.
Lieutenant Agyris schien auch nicht gerade in bester Stimmung. Die makellose Stirn war leicht gerunzelt, und hinter den grünen Augen glitzerte ein gefährlicher Funke. Die Arme hatte sie vor dem Körper verschränkt.
Und das war auch besser so, denn außer einem um den Leib gewickelten Handtuch schien sie nicht viel zu tragen. Oder genauer – gar nichts: „Also, was ist so furchtbar wichtig, Sir?“

Kano fühlte wie eine verräterische Röte in sein Gesicht stieg, und er hätte nicht sagen können, ob es sich dabei um Verlegenheit handelte, oder er langsam einfach genug hatte: „Halten Sie das für die geeignete Kleidung für eine Dienstbesprechung, Lieutenant?“
Kurz zuckte es um ihre Mundwinkel, aber Huntress war wohl klug genug, um ihr Grinsen herunterzuschlucken: „Sie sagten ‚Sofort’. Und so, wie Sie geklungen haben, dachte ich, die Akarii rücken an.“

„Das wäre vielleicht sogar besser.“ ‚Konzentrier dich auf das Gesicht. NUR auf das Gesicht.’ Das Handtuch reichte von ihren Brüsten bis über die Knie, und enthüllte eigentlich nichts, was man nicht auch in der Sport- oder Schwimmhalle zu sehen bekam. Aber das hier war keine Sport- oder Schwimmhalle. Hier, im Halbdunkel, das ihrer olivefarbenen Haut einen besonders geheimnisvollen Schimmer verlieh…
‚Konzentrier dich gefälligst.’ „Die Blauen wollen offizielle Beschwerde einlegen.“
„Gegen mich?“
„Offenbar sehen sie Ihr Callsign als eine persönliche Beleidigung an, und sind fest entschlossen, das Ganze vor den Commander zu zerren.
Besteht die Aussicht, dass Sie ihr Callsign einfach aufgeben und ein neues nehmen?“
„Ist das ein Befehl?“
„Nein.“ Er schaffte es nicht ganz, den in ihm brodelnden Verdruss aus seiner Stimme heraus zu halten.
Wieder zuckten Marias Mundwinkel, während sie ihm einen amüsierten Augenschlag zukommen ließ: „Ist es eine Bitte?“
Kanos Stimme klang rau und abgehackt: „Auch nicht.“
Sie nickte langsam, als sei ihr damit etwas klar geworden. Dann zuckte sie mit den Achseln – eine Bewegung, die das um den Körper gewickelte Tuch gefährlich ins Rutschen brachte: „Na dann…eher friert die Hölle ein, als dass ich einfach kusche.“
Kano runzelte die Stirn: „Für Sie ist das vielleicht nur ein Spiel. Aber ich muss diese Einheit führen. Ich kann es mir eigentlich nicht leisten, dass meine Piloten sich in solchen…Nebensächlichkeiten verzetteln. Wir sind im Krieg.“
„Das weiß ich. Sagen Sie das mal lieber Ihren Freunden in Blau. Aber wenn die denken, dass sie nur zu bellen brauchen, damit ich mich auf den Rücken lege, und ihnen…“, sie zögerte, warf ihrem Vorgesetzten einen Blick zu, und fuhr dann fort, „die…äh…Füße lecke, dann haben sie sich geirrt.“
Das war kein Bild, mit dem sich Kano unbedingt in diesem Augenblick auseinander setzen wollte: „Bei Raven sollten Sie schon etwas anderes vorweisen, wenn Chip diese Torheit tatsächlich durchziehen will. Überlegen Sie sich gut, was Sie dann sagen werden.
Und bis dahin…halten Sie sich bitte bedeckt. In Ihrem eigenen Interesse. Die Blauen haben dieses blödsinnige Spiel begonnen, und ich will nicht, dass Sie den Ball aufnehmen. Oder sonst irgendjemand. Lassen Sie sich nicht provozieren.“
„Ja, ich habe verstanden.“ In Agyris stimme schwang ein etwas rebellischer Unterton mit, aber wenigstens sparte sie sich irgendwelche weiteren Retourkutschen.
„Das meine ich ernst. Doch abgesehen davon…wenn irgendjemand von den Blauen etwas unternehmen sollte, was über eine paar böse Blicke oder Worte hinausgeht…Unternehmen Sie nichts auf eigene Faust. Aber melden Sie mir es. SOFORT.“
Wieder blinzelte Agyris, aber diesmal wirkte sie eher überrascht, als kokett: „Danke. Glaube ich. Warum…“
„Sie gehören jetzt zu meiner Einheit. Meine Leute – meine Verantwortung. Ich werde es nicht zulassen, dass man einen meiner Piloten schikaniert. Wie haben Sie das gesagt…eher friert die Hölle zu.“
Kano zuckte mit den Schultern – auch wenn die Bewegung bei ihm natürlich nicht annähernd so verführerisch, sondern eher ziemlich brüsk wirkte: „Ich habe das nicht gewollt. Und Sie auch nicht. Aber das spielt jetzt erst einmal keine Rolle mehr. Sehen wir zu, wie wir diese Posse so schnell und so sauber wie möglich hinter uns bringen. Wir haben einen Krieg zu führen.
Denken Sie an meine Worte. Und vor allem – handeln Sie danach.“ Jäh drehte er sich um, und verließ das Quartier.

Lieutenant Maria Agyris sah ihm auch dann noch hinterher, als sich die Tür schon längst wieder geschlossen hatte: „Du liebe Güte. Und der ist wirklich echt?“
„Ich habe gehört, sie haben ihn aus einer Knochenprobe geklont, die sie auf Iwo Jima gefunden haben.“ Knight lehnte sich gegen die Tür der Nasszelle, und grinste amüsiert. Er hatte nicht mehr an als Huntress: „Übrigens Danke, dass du mich nicht verpfiffen hast.“
Die Pilotin drehte sich langsam zu ihm um, während ihre Finger mit dem Knoten spielten, der das Handtuch mehr schlecht als recht an Ort und Stelle hielt: „Na ja, nach allem was ich gehört habe, lebt unser Mustersamurai in der Hinsicht auch nicht ganz nach Vorschrift.
Hast du alles mit gehört?“
„Genug. Und, ist er rot geworden? Hat er angefangen zu sabbern?“
„Das werde ich doch nicht ausgerechnet dir erzählen.“
„Oh Mann, wenn Kali dich und ihren Liebling eben hätte sehen können…“
„Du wirst schön den Mund halten, verstanden?“
„Sag bloß…“
„Er hätte mich in der Angelegenheit auch ganz einfach draußen lassen können. Hat er aber nicht. Also hältst du die Klappe.“
„Was ist denn – du wirst doch nicht etwa weich werden? Entdeckst du auf einmal dein Herz für unseren Schwertträger?“
Wieder lachte sie kurz auf: „Eifersucht finde ich so verdammt unattraktiv bei Männern…“
„Na dann halte ich besser den Mund.“
Ihr Lächeln verwandelte sich, während sie mit einer schnellen Bewegung den Knoten löste, und das Handtuch zu Boden gleiten ließ. Sie schämte sich ihrer Nacktheit nicht. Sie wusste, dass sie auch keinen Grund dafür hatte. „Eine weise Entscheidung. Und was deinen Mund angeht…also mit dem kannst du etwas viel besseres machen, als nur zu reden…“
31.01.2016 06:38 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Tyr

Einen Sprung vom Medusa-System entfernt

Mehr als zwei Wochen waren vergangen, seitdem die EMERALD JADE das Sterntor-System verlassen hatte. Jetzt trennten sie nur noch wenige Lichtjahre und ein einziger Sprung von ihrem Ziel. Der alte Frachter hatte die Entfernung in einer fast rekordverdächtig kurzen Zeit zurückgelegt, denn Commander Tremane hatte erbarmungslos auf Tempo gedrängt. Auf keinen Fall war er gewillt, die MARY C davonkommen zu lassen – und erst Recht nicht das, was sie vielleicht bereits an Artefakten und Relikten hatte bergen können.

Die Frage der Reisegeschwindigkeit und die Belastbarkeit der doch recht betagten Maschinen waren wiederholt ein Streitpunkt gewesen, über den sich Kapitän Victor und Tremane heftig in die Haare geraten waren. Der Geheimdienstler hatte keine Hemmungen, seinen höheren Rang auszuspielen, während Jayhawker mit dem kaum widerlegbaren Argument zu kontern pflegte, dass sie das Medusa-System ganz bestimmt nicht rechtzeitig erreichen würden, wenn der Hauptantrieb irgendwo im Nirgendwo plötzlich den Geist aufgeben sollte.
Zähneknirschend hatte Tremane diese Argumentation akzeptieren müssen, aber dennoch musste er insgeheim eingestehen, dass die EMERALD JADE den Vorsprung der MARY C beträchtlich verringert haben musste. Zwar war es nicht gelungen, den illegal operierenden Frachter einzuholen, doch laut Fuchidas Sensormessungen hatte ein Schiff – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die MARY C – erst vor wenigen Tagen diesen Hypersprungpunkt in Richtung Medusa passiert. Und es war noch nicht wieder zurück gesprungen. Und das konnte nur bedeuten, dass die MARY C sich immer noch in dem Zielsystem aufhielt. ‚Wenn sie nicht für den Abflug einen anderen Sprungpunkt angesteuert haben.’
Aber in spätestens einer Stunde würden sie das wissen. An Bord der EMERALD JADE liefen die letzten Sprungvorbereitungen.

Die Reise war weitestgehend ereignislos verlaufen. Zumindest für Tremane, der sich wenig mit den anderen Mitgliedern der Mission gemein gemacht, und die meiste Zeit über den Sensordaten und Analyseprotokollen gebrütet hatte, die der Grund für dieses Unternehmen waren. Meistens hatte Jean Falkner ihm dabei Gesellschaft geleistet. Wahrscheinlich auch in der Absicht, ihn unauffällig im Auge zu behalten, wie er vermutete.
Aber Falkner war nicht das Problem. Auf sie glaubte er sich – in gewissen Grenzen – verlassen zu können. Die anderen Mitglieder der Expedition hingegen…

Je weniger Umgang er mit Georges hatte, umso geringer war die Gefahr, dass der Alien-Experte zu ahnen begann, dass hinter dieser Operation noch sehr viel mehr steckte, als er ohnehin vermutete. Der Mann war zwar ein überenthusiastischer Fachidiot, aber nicht dumm.
Was McKenna, Victor, Pawlitschenko und Davis anging, so waren sie in erster Linie WEKZEUGE. Tremane hatte ihnen gesagt, was sie wissen mussten, und sie dann, so weit es ging, ihren eigenen Spekulationen überlassen. Er hatte es gar nicht gerne gesehen, dass Davis und Georges ein paar Mal die Köpfe zusammengesteckt hatten. ‚Ace’ bedeutete Ärger – wie der Rest seines verdammten Clans. Wenn Tremane von etwas überzeugt war, dann davon.
McKenna suchte hingegen wenig Kontakt mit den anderen, meist ranghöheren Offizieren, und das war Tremane auch ganz Recht so. Vermutlich war sich der Mann seiner geistigen Defizite bewusst – auch wenn das für einen Marines auf eine erstaunliche Fähigkeit zur Selbstanalyse hingedeutet hätte.
Eriksen hingegen…Sie wusste mehr als alle anderen, von ihm und Falkner einmal abgesehen. Und ahnte vielleicht auch noch einiges von dem, was sie nicht wusste. Aber wenigstens war sie klug genug, mit ihrem Wissen nicht hausieren zu gehen. Es gefiel Tremane zwar nicht, dass sie, Georges und auch Fuchida häufiger zusammen saßen, aber anscheinend hatte sie über ihre eigentliche Aufgabe weitestgehend Stillschweigen gewahrt.

Und was diese, ihre Aufgabe anging…Laut ihren Analysen waren die Mitglieder der Mannschaft und der Forschungsgruppe allesamt gesund. Bei keinem hatten sich bisher Anzeichen der merkwürdigen, ja anormalen Gehirnaktivitäten gezeigt, die sie angeblich bei Pallardo und Nakakura hatte feststellen können.
‚Aber das kann ja noch kommen. Verdammt, ich hätte die beiden unter Quarantäne stellen sollen.’ Aber dafür hatte er weder die Mittel noch die Kompetenzen gehabt. Schon so hatte er seine Machtbefugnisse ziemlich überdehnt, und möglicherweise die Geduld von Leuten strapaziert, die deutlich über ihm standen. Zwei Piloten aus dem Dienst zu nehmen, ihnen ihre Dienstakte zu versauen, oder sie gar festzusetzen…Nein, das hatte er sich nicht leisten können.

Ansonsten war nicht viel passiert, trotzdem sie im Begriff waren, in die umstrittene Zone zwischen Akarii-Imperium und Terranischer Republik vorzustoßen. Piraten und Schmuggler hatten sich spätestens seit Kriegsbeginn ruhigere Operationsgebiete gesucht. Die Akarii verhielten sich in diesem Sektor verdächtig ruhig, und auch die TSN war im Vergleich zu anderen Regionen relativ wenig präsent. Beide Seiten hatten einen Großteil der erstrangigen – und auch viele zweitrangige – Einheiten abgezogen, um andere Brennpunkte zu entlasten, und die in den letzten Schlachten dezimierten Angriffs- und Defensivverbände aufzufrischen. Inmitten des Wahnsinn des Krieges wirkte dieser ‚Frontabschnitt’ deshalb seltsam leer, fast vergessen. ‚Andernfalls wären vermutlich nicht einmal Ikedias Halsabschneider so verrückt gewesen, über die republikanische Grenze vorzustoßen.’
Ein paar Mal hatte die EMERALD JADE unter Tremanes wachsamen Augen ein Identifizierungs- und Autorisierungssignal an einen Wachzerstörer oder eine Fregatte gesendet, deren Kapitän sich für den alten Frachter interessierte. Immerhin KÖNNTE es sich bei der EMERALD ja doch um einen Piraten, einen Schmuggler, oder – schlimmer noch – um ein von den Akarii gekapertes Schiff handeln, das die Echsen für Spionage- oder Diversionsaufgaben einsetzten. Beide Seiten waren keineswegs darüber erhaben, derartige Tricks einzusetzen.
Aber jedes Mal waren die gesendeten Codes problemlos akzeptiert worden, und man hatte die EMERALD JADE ziehen lassen. Die letzte Begegnung dieser Art lag fast eine ganze Woche zurück, und Tremane rechnete nicht damit, hier noch einmal auf ein terranisches Schiff zu stoßen. Das war ihm nur Recht so, denn bis zuletzt hatte er gefürchtet, dass sich irgendeine übergeordnete Instanz, irgendein hochrangiger Vertreter der Flotte, des NSC, des Abwehrdienstes oder sogar des TIS einmischen, und seine Operation zu übernehmen oder gar zu stoppen versuchte. Tremane war nur Commander, und auch wenn er seine Kompetenzen sehr weit auslegte…ein Commodore oder ein Admiral wäre in der Lage gewesen, McKenna ganz einfach den Befehl zu geben, ihn zu verhaften.
Das war einer der Gründe gewesen, warum er den Langstreckenfunk unter seine Kontrolle gebracht hatte. Aber er hatte die Verbindung nach Sterntor nur begrenzen und überwachen, nicht vollständig kappen können. Es blieb ein Risiko…
Aber nichts war passiert. ‚Niemand kann mich jetzt noch aufhalten. Niemand. Wir werden springen.’

Das Knacken des Bordkomms unterbrach diesen Gedanken: „Tremane! Kommen Sie auf die Brücke! Sofort!“ Die alte Anlage konnte die Stimme der Kapitänin nur mit leichten Störungen übertragen, aber Tremane glaubte einen Unterton heraushören zu können, der in Verbindung mit den ungewohnt harschen Worten in seinem Geist sämtliche Alarme losheulen ließ. ‚Was zur Hölle…’
Mit einer schnellen Handbewegung aktivierte er die Gegensprechanlage, während die andere automatisch nach der Laserpistole tastete, die unter seinem Kissen lag: „Ich komme sofort.“

Vor Falkners Kabinentür hielt er kurz inne, und klopfte mit einer schnellen Taktfolge an, die er auch im Schlaf beherrschte. Keine halbe Minute später öffnete sich das Schott, und gab den Blick auf Tremanes Untergebene frei, die den Sitz ihrer Uniformjacke überprüfte, während sie in den Gang glitt. Sie stellte keine Fragen.

Die Brückencrew bestand im Augenblick aus nur drei Personen – Kapitänin Victor, ihrem Stellvertreter Toro, und Lieutenant Commander Fuchida, der die Aufgaben eines Sensoroffiziers übernommen hatte. Allerdings wirkte der sonst so gesetzte Offizier im Augenblick so, als wünsche er sich an einen anderen Ort. Schon mit drei Personen war das Cockpit des Frachters gut ausgefüllt.
Ohne dass ein Befehl nötig war, platzierte sich Falkner neben der Tür, die Hände scheinbar hinter dem Rücken verschränkt. Von dieser Position aus hatte sie die ganze Brücke im Blick. Niemand konnte ihr in den Rücken fallen. Und ihre rechte Hand war nur ein paar Millimeter von dem Minilaser entfernt, den sie ihn einem unauffälligen Holster unter der Uniformjacke trug. Falls Toro oder Jayhawker dieses Manöver bemerkten, ließen sie es sich jedenfalls nicht anmerken.
Victor gestikulierte auf eine Art und Weise, die nicht nur Tremane als ziemlich beunruhigt identifizierte: „Schließen Sie das Schott, Commander.“
Der kam der Aufforderung nach, und verschränkte anschließend die Arme vor der Brust: „Wenn Sie mir jetzt vielleicht sagen könnten, was das soll…
Wir sollten eigentlich längst gesprungen sein.“
Die Kapitänin fixierte ihn kurz: „Vielleicht sollten Sie sich das noch mal überlegen. Das hier kam eben über Breitband-Langstreckensignal rein. Es kommt aus dem Medusa-System. Und von der MARY C.“ Sie beugte sich vor, und drückte einen Knopf.

Der Bildschirm war klein und die Anlage – wie so vieles an Bord der EMERALD JADE – nicht eben im besten Zustand. Aber das nahm der Botschaft nichts von ihrer beklemmenden Eindringlichkeit.
Zuerst explodierte das Bild förmlich in einem grauen Wirbel von Statiksignalen, während aus den Lautsprecher ein schrilles Zirpen oder Rasseln schrillte, das die Zuhörer selbst bei herunter gedrehter Lautstärke zusammenzucken ließ.
Aus dem ‚Schneegestöber’ schälte sich mit einmal das verzerrte, von Störsignalen überlagerte Gesicht eines bärtigen Mannes, dessen weit aufgerissenen, panikerfüllten Augen die Lichtjahre zu überspringen schienen. Die Störgeräusche schienen anzuschwellen, wurden überlagert von dem Heulen eines Alarmsignals – waren da Schreie im Hintergrund? Schüsse? Ein dumpfes Hämmern, als würde jemand mit einem schweren Vorschlaghammer gegen ein Metallschott hämmern?
„…MARY C!! ...BRAUCHEN HILFE!!! ...ALLE, AN ALLE….NOTFALL! WIEDERHOLE, NOTFALL!! …MEDUSA-S…! BERGUNG...AN BORD GE…KÖNNEN UNS NICHT MEHR…ES…WIR…!! ...GOTT…!“
Das Gesicht zuckte nach vorne, der Mund wie zu einem Schrei weit aufgerissen. Doch was immer es auch sein mochte, was jetzt noch über die Lippen des Mannes drang, es ging unter in der ohrenbetäubenden Lärmkakophonie und dem grausam gleichmütigen Rauschen der Statik. Eine graue Welle schoss über den Bildschirm und verschluckte das Gesicht in einer Flut aus Störsignalen, aus der es wenige Sekunden zuvor aufgetaucht war.

Die Kapitänin schaltete das Wiedergabegerät aus: „Das war alles.“ Sie musterte Commander Tremane mit bemüht ausdrucksloser Miene: „Ich ging davon aus, dass Sie das gerne sehen würden, bevor wir in das System springen.“
Für einen kurzen Augenblick, zwei, höchstens drei Sekunden, schien Tremane nicht zu wissen, was er sagen sollte. Wortlos erwiderte er Victors Blick, während er trocken schluckte. Doch dann schien so etwas wie ein Ruck durch seinen Körper zu zucken, straffte sich seine schlanke Gestalt. Sein Gesicht verwandelte sich in eine unnachgiebige, ausdruckslose Maske: „Wissen Sie, wie alt dieses Signal ist?“
Es war Fuchida, der antwortete: „Ein Breitband-Langstreckensignal…nichtmilitärische Anlage…Ich würde schätzen, sechs bis acht Stunden.“
„Wie lange, bis dieses Signal andere Schiffe erreicht?“
Der Sensoroffizier zuckte mit den Schultern: „Was unsere Vorpostenschiffe angeht…vielleicht noch einmal acht bis zwölf Stunden. Aber ob sie auf einen Notruf aus dem Niemandland reagieren…“
„Nicht sehr wahrscheinlich.“
Toro schnaubte wütend, und richtete sich mit einer jähen Bewegung auf. Jean Falkners rechter Arm zuckte kurz, blieb aber hinter ihrem Rücken verborgen. Der Pilot konzentrierte sich allerdings voll und ganz auf Falkners Vorgesetzten: „Und die Akarii? Das war ein Breitbandsignal! Das heißt, es ging AUF BEIDE SEITEN DER FRONT!! Kann unser Terrie-Tastenschubser auch sagen, wann DIE diesen Funkspruch empfangen?!“
In Tremanes harter Stimme schwang auf einmal ein ziemlich sarkastischer Ton mit: „Und Sie glauben, die werden eine ihrer wenigen Einheiten wegen des Notsignals irgendeines IRDISCHEN Rattenfrachters in Bewegung setzen? Das könnte schließlich auch eine Falle sein. Und selbst wenn nicht – was sollen die Echsen mit diesem Schrotthaufen und einer Handvoll Weltraumabschaum anfangen?“
„Scheiße, ich…“
„Kapitän Victor, ist das Schiff sprungbereit?“
Toro machte eine Bewegung, als wollte er Tremane an die Kehle gehen, wurde aber von seiner Vorgesetzten gestoppt, die ihn blitzschnell an der Schulter packte: „Das reicht jetzt.“
Sie wandte sich zu Tremane um: „Und was Sie angeht…
Halten Sie es wirklich für klug, jetzt in das System zu springen? Was, wenn die Akarii doch auf den Funkspruch reagieren? Das hier ist kein Kriegsschiff. Eine Korvette könnte uns mühelos vernichten. Sogar ein verdammter Hilfskreuzer.“
„Ein Grund mehr, keine Zeit zu verschwenden. Ich werde nicht zulassen, dass die Akarii uns zuvorkommen.“
„Es ist MEIN Schiff, das Sie dafür aufs Spiel setzen.“
„Und Sie haben sich MEINEM Kommando unterstellt. Sie werden von MIR bezahlt, ausgerüstet…ganz zu schweigen von der Bereinigung Ihrer…kleinen Schwierigkeiten mit dem Zoll.“
„Das nützt mir oder meinen Leuten herzlich wenig, wenn wir in einem imperialen POW-Camp sitzen. Das heißt, wenn die uns überhaupt da reinlassen, und uns nicht einfach ins All blasen.“
„Dieses Risiko werden Sie eingehen müssen. Ich tue es schließlich auch. Außerdem…für diesen Fall haben wir schließlich zwei Jäger, eine Kampffähre und Marineinfanteristen. Das dürften doch wohl genug Waffen sein.“
Jayhawker presste die Lippen zusammen. Sie wusste, warum Tremane gerade diese Worte gewählt hatte. Er wollte sie – nicht gerade subtil – daran erinnern, dass er die Mittel in der Hand hatte, sie nötigenfalls auch zur Kooperation zwingen zu können.
„Und dieser Funkspruch? Wollen Sie das einfach ignorieren? Offenbar sind unsere Freunde in ziemlichen ‚Schwierigkeiten’. Halten Sie es wirklich für ratsam, dass wir jetzt einfach ins Blaue springen? Sie könnten angegriffen werden.“
Tremane zuckte herrisch mit den Schultern: „Das klang mir nicht nach einem Angriff. Eher nach einem Störfall. Also nichts, was uns gefährlich werden könnte. Aber das ist müßig. Ich habe keine Ahnung, was da passiert sein könnte…“, das war zumindest eine halbe Lüge, „…aber wir werden es jedenfalls nicht herausfinden, wenn wir hier herumsitzen. Aber was Ihre Bedenken angeht…
Geben Sie Gefechtsalarm. Schicken Sie ihre Leute an die Geschütze. Sobald wir gesprungen sind, werden McKennas Leute ebenfalls auf Gefechtsstationen geschickt. Und die Jäger…sagen Sie Pawlitschenko und Davis Bescheid, dass sie sich in ihre Jäger setzen sollen Sie müssen sofort starten können.“
„Ich weiß nicht, ob die so begeistert darüber sein werden. Ich meine, während eines Sprungs nur durch ein paar Halteklammern mit dem Schiff verbunden…“
„Sie müssen es ja nicht wissen. Und außerdem…die beiden sind immerhin Helden.“ Offenbar war Tremane die persönliche Sicherheit von Lilja – oder gar Ace – ziemlich egal: „Wir verschwenden nur Zeit! Ich will, dass wir springen, und wir WERDEN springen. JETZT. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“
Die Kapitänin erwiderte Tremanes Blick, und für einen kurzen Augenblick schien sie zu zögern, die Folgen einer Weigerung abzuwägen.
Aber dann drehte sie sich brüsk um: „Dort ist das Interkomm. Geben Sie den Jarheads und unser beiden Raumjockeys Bescheid. Und dann verschwinden Sie von meiner Brücke. Sie haben es ja selber gesagt – wir vergeuden Zeit. Ich habe zu tun.“

Tremane erlaubte sich ein lautloses Ausatmen. Das war knapp gewesen. ‚Damit habe ich wohl meinen Kredit bei Victor aufgebraucht.’ Er ignorierte Falkners skeptischen Blick – sie würde ihm schon noch mitteilen, was sie auf dem Herzen hatte. Stattdessen wandte er sich an die Bordsprechanlage, und aktivierte zwei bestimmte Kanäle: „Lieutenant Commander Pawlitschenko, Lieutenant Davis – Ich habe neue Befehle für Sie. Soviel ich weiß, sind Ihre Maschinen aufgetankt und gefechtsbereit? Gut. Hören Sie…“

**********************

Irgendwo im republikanischen Raum

„Admiral, Meldung von einem unserer Aufklärungsshuttles.“
Mokas Taran wandte sich von dem Taktikschirm ab, den er scheinbar gelassen betrachtet hatte: „Berichten Sie, Captain.“
„Sie haben einen unverschlüsselten Breitbandfunkspruch empfangen. Offensichtlich terranischer Herkunft.“
Taran schien verwirrt: „Wer sendet denn noch unverschlüsselt?“ Das war eine berechtigte Frage. Billige Verschlüsselungsprogramme waren auf beiden Seiten der Front ohne Probleme zu haben. Zwar hatten sie gegen die Dechiffrierungsabteilungen der Streitkräfte und Geheimdienste keine Chance, aber sie waren normalerweise gut genug, um unliebsame Zuhörer aus dem Privatsektor im Ungewissen zu lassen.
„Es handelt sich dabei offenbar um den Notruf eines terranischen Zivilfrachters.“
„Und die geschätzte Entfernung?“
„Mindestens einen Sprung. Zwei, wenn wir…“
„Unwichtig. Wir haben Wichtigeres zu tun. Und eigentlich sollte es in diesem Teil des Sektors gar keinen Zivilverkehr geben.“
„Es könnte alles Mögliche sein. Schmuggler zum Beispiel…“
„Wie auch immer. Bei dieser Entfernung wurde das Signal vor – wie viel – vierundzwanzig Stunden gesendet?“
„Eher sechzehn bis achtzehn…“
„…und wenn die TSN irgendwelche Patrouillenschiffe hier draußen hat, dann werden auch sie den Notruf empfangen haben. Und SIE werden darauf reagieren. Ich will, dass wir ungesehen bleiben.“ Der Admiral zögerte kurz, und lächelte dann kurz: „Und wenn wir Glück haben, dann reißt dieser Funkspruch vielleicht sogar eine Lücke in die Routenplanung der terranischen Wachschiffe. Das könnten wir gut gebrauchen.“
„Ich nehme nicht an, dass wir den Funkspruch an eine unserer Grenzpatrouillen weiterleiten sollen?“
Das war nicht wirklich eine Frage, aber Taran fühlte sich dennoch bemüßigt, zu antworten: „Die wissen ebenfalls nicht, dass wir hier draußen sind. Und dabei soll es auch bleiben. Keine Langstreckenfunksprüche – außer, wir stolpern über die Große Armada.“
„Wie Sie wünschen, Admiral.“
„Warten Sie. Nachdem wir wissen, dass wir hier draußen nicht die Einzigen sind…
Für die nächsten acht Stunden geben Sie volle Gefechtsbereitschaft aus. Und bis auf Widerruf wird der Vorpostenschirm um weitere zehntausend Klicks ausgedehnt.“
„Halten Sie das nicht…“
„Für etwas übertrieben angesichts eines verstümmelten Funkspruchs, der nicht einmal aus diesem System gesendet wurde? Sicherlich.
Aber ich will nicht, dass unsere Leute Rost ansetzen. Sie sollen das als eine zusätzliche Übung ansehen.“
Wor Matir erlaubte sich ein kurzes Lächeln: „Wie Sie befehlen, Admiral.“
Taran erwiderte das Lächeln, und wandte sich wieder dem sekundären Taktikschirm zu, auf dem eine Karte des Systems flimmerte, in das sie als nächstes springen würden. Fünf Minuten später hatte er den Vorfall bereits wieder vergessen.
31.01.2016 06:39 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cattaneo

In die Höhle der Medusa

Frachter Emerald Jade, am Sprungpunkt kurz vor dem Transit ins Medusa-System

Lilja fühlte, wie eine fast euphorische Erregung von ihr Besitz ergriff, als der Einsatzbefehl übers Interkom ertönte. Endlich passierte etwas! Mit wenigen Griffen überprüfte sie ihre Ausrüstung, die sie bereits angelegt hatte. Eines musste man dem TIS-Mann lassen, er hatte nicht gespart. Ihr Raumanzug gehörte bereits zu der neuen Generation und damit offenbar zum Zubehör der nagelneuen Falcon-Jäger, die bei der Mission mit von der Partie waren.
Sie wusste nicht genau, warum man sie schon während des Sprungs in der Maschine haben wollte. Welche Biene auch immer Tremane in den Hintern gestochen hatte, er war wie immer nicht sehr mitteilsam gewesen. Doch selbst ein paranoider ,spook’ wie er kommandierte nicht Piloten zu den Maschinen, ohne einen Grund zu haben. Theoretisch bestand zwar nur eine geringe Gefahr während des Transits, doch es hieß, dass in der Geschichte der Raumfahrt schon einige Schiffshalter* verloren gegangen waren. Einige waren besetzt gewesen. Es gab ebenso vielfältige wie fantasievolle und unerfreuliche Spekulationen darüber, was mit den verschollenen Kleinstschiffen und ihrer Besatzung geschehen war. Wieder gefunden hatte man jedenfalls keines. Nicht, dass Lilja sich ernsthafte Sorgen machte. Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Unfalls war auch nicht viel größer, als in der Dusche auf einem Stück Seife auszurutschen und sich das Genick zu brechen. Und sie war Kampfpilotin, da war sie an Risiken gewöhnt. Wenn Tremane es für möglich hielt, dass Ärger auf sie wartete, dann mochte er seine Gründe dafür haben. Wenn auf der anderen Seite dieser ominöse Plünderer wartete, dann wäre es nicht ratsam, dass sie und Ace sich erst in ihre Jäger quetschen mussten. Sekunden konnten entscheiden.

An und für sich war ihr Enthusiasmus natürlich ein gefährliches Zeichen, denn sie vermutete der wesentliche Antrieb für ihre Gemütsregung war die Freude darüber, dass es was zu tun gab. In den letzten Tagen war ihr die Zeit doch etwas lang geworden. Die Freizeitmöglichkeiten auf der Emerald Jade waren nicht gerade besser geworden. Was die täglichen Lesungen in Extraterrestrik betraf – Georges’ Theorien wurden auch nicht gerade plausibler, sondern entwickelten sich im Laufe der Zeit vielmehr zu immer phantastischen Argumentationsketten. An und für sich hörte sich vieles ja plausibel an. Doch jede Annahme führte zu einer weiteren Schlussfolgerung – und am Ende glaubte man dann, dass die geheimnisvollen ,Ältesten’ irgendwo im Vallum Marineris auf dem Mars Statuen, Schriftzüge oder Statuen hinterlassen hätten. Oder dass Sodom und Gomorra wie Atlantis außerirdischen Todesstrahlen zum Opfer gefallen waren. Man musste dem NSC’ler aber zubilligen, dass er nie sagte, dass es so SEI, er stellte immer nur Theorien vor. Allerdings eher so, als ob er selbst auch daran glaube…
Lilja hatte so ihre vagen Vermutungen, dass er für einige seiner Ansichten von den Vertretern gleich mehrerer irdischer und außerirdischer Religionen verdammt worden wäre. Oder Schlimmeres.

Auch ansonsten hatte sich nur wenig zum Besseren geändert. Wenigsten kam sie inzwischen wieder etwas besser mit Ace klar. Besser, wohlgemerkt, nicht gut – denn ein wirklich gutes Verhältnis zueinander hatten sie eigentlich nie gehabt. Jedenfalls waren sie keine Freunde, und Lilja zweifelte daran, dass sie das je würden. Sie konnte gut genug erkennen, dass immer noch etwas in ihm arbeitete. Vielleicht seine törichten Schuldgefühle gegenüber den Akarii. Oder es lag am Schiff. So wie er sich mit der Crew verbrüderte – die zumindest so tat, als würde sie ihn fast als einen der ihren akzeptieren – konnte man auf die Idee kommen, er hätte Sehnsucht nach dem Vagabundenleben, das er in seiner Jugend geführt hatte. Die Emerald musste ihn auf raue Art an das Leben eines Raumhändlers erinnern. Gut möglich, dass das an ihm nagte.
Aber immerhin – und egal was ihn noch beschäftigte – konnte sie wieder mit ihm reden, und er machte sogar den Eindruck, als ob er zuhörte. Sie hatte einige Simulationen zur Einheitsführung in der Messe durchgeführt, obwohl natürlich ein interaktives Raumjägerspiel kein wirklich adäquates Training war. Zumal die Emerald nicht gerade neustes Material an Bord hatte, und sie außerdem noch Leihgebühren bezahlen musste. Die Crew ließ wirklich keine Möglichkeit aus, ein paar Credits zu verdienen. Nun, es war besser als nichts…
Bisher hatte sie Ace zwar immer noch aus dem Raum wischen können – er dachte und kommandierte immer noch wie ein Phantom- und Nighthawk-Flieger. Aber er wurde schnell besser. Und sie war sicher, dass er nicht nur in taktischer Hinsicht von ihr lernen konnte oder sollte, sondern auch in Bezug auf das, was sonst noch zum Führen einer Staffel gehörte. Sie zweifelte daran, dass er die Härte hatte so zu führen wie etwa Lone Wolf, Darkness oder etwa sie, und sie bezweifelte auch, dass er die psychologische Fähigkeiten einer begnadeten Menschenführerin wie Lightning hatte. Aber vielleicht würde er sich doch etwas von ihr abschauen können. Besser jetzt, als in dem Moment, wenn er das erste Mal Kameraden in den sicheren Tod schicken oder einen von ihnen zurücklassen musste. Denn der Tag würde kommen. Aber das konnte ihm keiner abnehmen, und er hatte sich selbst für diesen Weg entschieden.

Auch wenn das Schiff nicht gerade klein war, von ihrem Quartier hatte sie es nicht weit bis zum Jägerport. Im Vorbeigehen registrierte sie, dass auch die Marines sich in einem Zustand erhöhter Alarmbereitschaft befanden. Während sie den Soldaten flüchtig – und entsprechend ihres Rangs etwas von oben – zunickte, rekapitulierte sie, was ihr eigentlich schon längst in Fleisch und Blut übergegangen war. Ihre Falcon trug eine etwas ungewöhnliche Konfiguration – einen Sensorpod und sechs Raketen, vier Amram und zwei Sidewinder. Üblicherweise hätte sie zwei Raketen weniger und stattdessen Zusatztanks getragen. Aber momentan war kein Langstreckeneinsatz geplant, zudem war die Installation der Zusatztanks im Moment ziemlich schwierig. Den Sensorpod würde sie jedoch im Medusa-System zweifellos brauchen, nach allem was sie gehört hatte. Ace würde die volle Kampflast von acht Raketen tragen.
Sie wand sich in ihren Jäger, und ärgerte sich zum wiederholten Mal darüber, dass der Zugang so kompliziert war. Dann ging die Checkliste durch, zur Sicherheit zweimal – alles einbandfrei. Mit einem Knirschen erwachte die Sprechanlage des Jägers. Es war die Kapitänin: „Achtung, Jäger. Ich koppele Sie an die Cockpitanzeigen. Wir springen in einer Minute. Viel Glück.“
Jayhawker ließ sich nicht direkt anmerken, was sie dachte. Lilja hatte inzwischen den Eindruck gewonnen, dass man aus der Raumhändlerin nur das herauslesen konnte, was sie anderen zeigen wollte. Aber leicht beunruhigt hatte sie doch geklungen. Das wollte bei ihr einiges heißen. Nun, wenn man bedachte, dass sich hier die Vorbereitungen für einen ,heißen’ Sprung entfalteten, war etwas Nervosität wohl kaum verwunderlich. Lilja überprüfte ein letztes Mal die Waffenanzeigen. In diesem Augenblick meldete sich noch einmal der Sprechfunk. Es war Ace: „Weißt du, warum wir schon in die Jäger sollen?“ Wie immer, wenn es ums Dienstliche ging, klang er sachlich. Schade, dass er das nicht auch sonst durchhielt.
Lilja konnte ihm jedoch nicht helfen: „Keine Ahnung. Sobald wir durch sind, Ablösung und Abfangformation links und rechts über der Jademutter. Weitere Anweisungen folgen.“ Sie bemühte sich, selbst bei so belanglosen Aussagen die Decknamen zu verwenden, denn wenn man sich erst einmal daran gewöhnte, dann machte man im Ernstfall keinen Fehler. Ihre Stimme hatte den brutal-sachlichen Tonfall, den sie im Gefecht üblicherweise an den Tag legte. Mit jedem Gedanken war sie bei den Gefahren, die im Medusa-System auf die warten mochten. Ihr Kamerad schien zu zögern, dann räusperte er sich: „Viel Glück…und pass auf dich auf.“
Die Russin schnaubte nur: „Ich habe nicht vor draufzugehen. Werd’ nicht sentimental. Jadesohn Eins Ende.“ Nachdem sie die Verbindung geschlossen hatte, unterdrückte sie ein Seufzen. Sie hätte natürlich auch etwas freundlicher seien können. Aber der Gedanke, dass ausgerechnet Ace um sie sorgen sollte, war ihr unangenehm.
In diese Gedanken schnitt die Durchsage des Kapitäns: „Achtung, Sprung in 15 Sekunden.“ Lilja verkrampfte sich unwillkürlich, dann merkte sie, dass sie die Luft angehalten hatte. Sie zwang sich, durchzuatmen. Fünf Sekunden…vier…drei…zwei…EINS

Im Cockpit der Emerald Jade ging es auch weiterhin ziemlich klaustrophobisch zu. Jayhawker hatte zwar Tremane bis zur Tür zurückkomplimentieren können, aber der TIS’ler war offenbar nach den jüngsten Ereignissen nicht geneigt, vollständig zu weichen. Dabei war der Kommandostand mit Jayhawker, Toro und Fuchida als Sensorspezialisten schon voll genug. Wenigstens war seine Bluthündin verschwunden, obwohl das nur eine marginale Beruhigung war. Die Kapitänin hielt ihr Gesicht jedoch neutral, obwohl ihr das ganze Arrangement gar nicht gefiel. Zu viele Leute im Cockpit und an Bord, die sie nicht unter Kontrolle hatte.
Mit einem Anflug schwarzen Humors dachte sie daran, dass Tremane ähnliche Gedanken haben mochte. Sie selbst war sich nicht sicher, ob sie ein gutes Gefühl dabei haben sollte, dass so viel Militär an Bord war um sie zu ,beschützen’. Da hielt sie sich lieber an diejenigen, die sie kannte. Es war wesentlich beruhigender, dass Toro ihr zur Seite stand – seine menschlichen Qualitäten mal außen vor gelassen – und dass Yin und Yang die Geschützstände des Frachters besetzt hatten.
Mit einem letzten Stoßgebet streckte sie die Hand aus – und die Emerald Jade hörte auf zu existieren.

Praktisch gleichzeitig tauchte das Schiff Lichtjahre vom Ausgangspunkt des Sprungs entfernt wieder auf. Mit einem schnellen Blick prüfte Jayhawker die Anzeigen. Status Schiff…positiv. Status Jäger und Shuttles…dito. Dann warf sie einen Blick auf die Außensensoren. Da waren sie – der ferne weiße Stern, der in der Vergrößerung von einer bösartig wirkenden Korona umgeben war, die zwei Gesteinplaneten und der grüne Gasriese. Und die Strahlungsanzeigen, die verrückt spielten. Sie räusperte sich, denn aus irgendeinem Grund fühlte sie mit einmal einen Kloß im Hals. Sie drehte sich nicht um, doch ihre Worte galten in erster Linie Tremane: „Meine Herren und Damen…Willkommen im Medusa-System.“ Sie waren am Ziel.

Die Jäger starteten, kaum dass die Emerald das System erreicht hatte. Obwohl Jayhawker nicht gerade ein Fan der Terries war, so bewunderte sie doch die Eleganz, mit der sich die schnittigen Kampfflieger vom Frachter lösten und eine Eskortformation einnahmen. Sie war nun einmal auch Pilotin, und so sehr sie das alte Mädchen liebte, das sie flog – diese Jäger waren schon hübsche Dinger. Angesichts dessen, dass die Militärpiloten vor rund zwei Wochen das erste Mal von der Emerald aus gestartet waren und nicht sehr viel Möglichkeit zum Üben gehabt hatten, beherrschten sie das nicht ganz einfach Manöver inzwischen ziemlich gut. Andererseits hatte Tremane ja keine Anfänger angeheuert.

Die Stimme des TIS’lers klang angespannt – so etwa musste sich ein menschlicher Bluthund anhören, wenn er Witterung aufnahm: „Andere Schiffe geortet? Signale?“
Jayhawker würdigte ihn keiner Antwort. Das war schließlich nicht ihr Bier. Wenn es nach ihr ging, konnte die Mary C sonst wo sein, so lange sie sich nicht mit dem anderen Frachter herumschlagen musste. Statt ihrer meldete sich Lieutenant Commander Fuchida. Seine Stimme klang kalt und emotionslos, vermutlich würde er in ähnlich emphatischer Weise auch ihr unmittelbar bevorstehendes Ende ankündigen: „Kein FFI-Identifizierung, weder TSN noch imperial oder neutral. Kein Funkfeuer, keine Ortung von Schiffen, Shuttles oder Jägern. Aber wir müssen damit rechnen, dass die Strahlung andere Signale überlagert und unsere Sensoren stört. Führe Routinechecks durch.“ Wo er herkam, wurde offenbar mit Worten und Emotionen geknausert.
Tremane schien die Meldung nur mit Unwillen zur Kenntnis zu nehmen. Er hatte jedoch kaum etwas anderes erwarten können: „Kapitän – setzen Sie Kurs auf den Asteroidengürtel des dritten Planeten. Volle Kraft voraus. Lieutenant Commander Fuchida, bitte behalten Sie die Anzeigen im Auge – und setzen Sie die Jäger zur Not zur Unterstützung bei der Überwachung ein.“
Jayhawker nahm es kommentarlos zur Kenntnis, dass er IHR gegenüber kein ,bitte’ für nötig hielt: „Gefechtsbereitschaft auflösen…Commander?“ Der Spott in ihren Worten war nicht nur verborgen, er war unsichtbar und tief begraben.
Der TIS’ler zögerte nicht: „Nein. Die Marines und Geschütze bleiben vorerst in Bereitschaft.“ Offenbar hatte er nicht vor, seinen Logenplatz im Cockpit aufzugeben. Jayhawker unterdrückte ein Seufzen. Das würde ein langer Flug werden.

Einige Stunden später hatte sich noch nichts Wesentliches geändert. Die Emerald Jade stieß mit einer Geschwindigkeit von fast 90 km/s in das System vor. Die Falcons hatte sich einige tausend Kilometer voraus postiert. Sowohl an Bord des Frachters als auch in den Jägern wurden die Anzeigen argwöhnisch betrachtet, doch bisher zeigte sich nichts Besonderes. Das war an und für sich eigentlich schon interessant. Selbst wenn man die etwas unfreundlichen Umweltbedingungen einkalkulierte, welche die Sensorenreichweite begrenzten – wenn die Mary C einfach im Raum gehangen hätte um nach irgendwelchen Schätzen zu suchen, hätte man eigentlich irgendetwas auffangen müssen. Immerhin verfügten sie über die Sensoren der Emerald, die von Fuchida etwas aufgewertet worden waren, und über den Sensorpod der einen Falcon. So hätte man zum Beispiel Funkkontakt zwischen dem anderen Frachter und seinem Bergungsshuttle orten können. Denn nach allem was Lilja wusste, musste die Besatzung des anderen Schiffs ja fieberhaft mit der Bergung irgendwelcher Schätze beschäftigt sein. Oder der fruchtlosen Suche danach.
Dass nichts dergleichen zu sehen war, deutete darauf hin, dass sich die Mary C versteckte, nicht unbedingt aus Angst vor der Emerald, aber vielleicht aus gewohnheitsnotorischer Vorsicht. Oder sie war gesprungen, über einen anderen Sprungpunkt als den, über den sie und die Emerald angekommen waren. Oder…sie war zerstört worden. Durch einen Unfall, ein feindliches Schiff oder etwas anderes. Lilja verzog ihre Lippen zu einer sarkastischen Grimasse: ,Sicher – vielleicht hat ja auch ein Weltraumkrake das Schiff gefrühstückt.’ Wesentlich wahrscheinlicher, dass die Mary C irgendwo im Asteroidengürtel schürfte. Das System war ja nicht gerade klein, und der dritte Planet, um den die Asteroiden kreisten, war noch ein gutes Stück entfernt.

Sie konnte aber nicht leugnen, dass das System etwas an ihren Nerven zehrte. Die Strahlungsanzeigen auf ihren Sensoren waren nicht gerade beruhigend. Die Radiostrahlung, die von dem Stern ausging, war einiges intensiver als alles, was sie von anderen Einsätzen gewöhnt war. Selbst das Gefecht im Orbit des Gasriesen bei Karrashin war nicht so entnervend gewesen. Wenn man lange genug dem Rauschen und Knistern lauschte und die Signale nicht nur aufzeichnete, dann glaubte man irgendwann, ein Muster oder gar eine richtige Botschaften zu hören.
Vor allem aber schien ihr der weiße Stern bedrohlich. Er wirkte wie ein blindes Auge, das feindselig ins All hinausstarrte. Wobei Blindheit ja nicht bedeutete, dass man nichts SAH. Lilja erinnerte sich da an einige Geschichten aus ihrer Kindheit, die…nun, sagen wir, Baba Yaga war vielleicht in einigen Märchen nur eine schrullige Alte, aber in anderen…Und solche ,blinden Augen’ kamen oft in diesen Geschichten vor.
Abgesehen davon war der Stern nicht nur ein bedrohlicher Anblick, er war auch nicht ganz ungefährlich. Gelegentlich schossen von Medusa Eruptionen in das All hinaus, so weit, dass selbst ihre Sensoren es auf diese Entfernungen auffingen. Dabei waren diese Ausbrüche noch Zwerge, die nicht einmal annähernd den innersten der drei Planeten erreichten. Und was ihr Ziel anging…der marmoriert grüne Gasriese war auch so eine Sache. Er wirkte von ihrer Position aus fast so groß wie der ferne Stern, war er ihnen doch wesentlicher näher. So ergaben die beiden Fixpunkte des Systems so etwas wie ein Augenpaar – eines weiß, eines grün – die nicht gerade freundlich auf die Neuankömmlinge blickten.
Doch dann schalt sie sich für diese phantasievollen Gedanken. Sie war einfach schon zu lange hier draußen und hatte zuviel wissenschaftliches Gebabbel von Georges und zuviel Raumfahrergarn von Quicksilver gehört. Das war schädlich für ihre Vorstellungskraft. Was war hier schon zu erwarten? Georges’ berühmte Statuen und Inschriften bestimmt nicht. Vielleicht ein paar Trümmerteile – Lilja hielt es nicht mal für unwahrscheinlich, dass es sich dabei um zufällig entstandene Stoffe handelte. Wenn das Universum aus sich selbst so etwas Einzigartiges wie die Menschen und Tiere der Erde und die Wesen auf den ganzen anderen Planeten hervorgebracht hatte – auch wenn es sich die Akarii besser gespart hätte – dann waren doch auch hochfeste Stoffe, die künstlich erschienen, kein Ding der Unmöglichkeit. Den Gedanken an irgendwelche göttliche Schöpfer lehnte sie aus Überzeugung ab, und so musste man konstatieren, dass das Universum schon wesentlich unwahrscheinlichere Dinge geschaffen hatte. Oder meinetwegen waren es auch die geheimnisvollen ,Ältesten’ in ihrem gewaltigen Imperium gewesen. Doch inzwischen waren doch davon nur noch Staub und Knochen übrig. Wenn ihnen hier etwas drohte, dann der Zorn Medusas oder die Waffen dieser Aasgeier auf der Mary C. Aber mit denen würden sie schon fertig werden.

Mit einem raschen Blick kontrollierte sie ihre Anzeigen, dann öffnete sie eine Verbindung zur Emerald: „Achtung, hier Jadesohn Eins. Treibstoffanzeigen runter auf ein Drittel. Operative Einsatzfähigkeit ist fast aufgebraucht. Sollen wir zurückkommen?“ Was sie meinte, war der Umstand, dass sie zwar noch reichlich Treibstoff für eine halbe Ewigkeit simplen Geradeausflug hatte. Doch schon jetzt würde sie in einer plötzlich auftretenden Krise wie etwa einem Gefechtseinsatz schnell an die Grenzen ihrer Reserven stoßen.
Im Funkgerät herrschte einen Augenblick Schweigen. Vermutlich musste man an Bord mal wieder die Zuständigkeit und Vorgehensweise klären. Nicht unwahrscheinlich, dass Jayhawker gerade für eine Rückholung argumentierte – die Jäger waren ja ihre Lebensversicherung – während Tremane sie gerne noch etwas länger hier draußen lassen würde. Und tatsächlich, nach einigen weiteren Augenblicken meldete sich der TIS’ler: „Gehen Sie noch einmal mit voller Geschwindigkeit auf 100.000 Kilometer voraus – dann Rückkehr. Jademutter Ende.“ Die Russin zuckte mit den Schultern. Das bedeutete etwa dreieinhalb Minuten Vollschub – das war noch machbar, zusammen mit Rückflug würde es jedoch die Treibstoffreserven noch weiter einschränken. Aber ganz wie Tremane wollte: „Jadesohn Eins verstanden.“
Dann rief sie Ace: „Jadesohn Eins an Zwei – Anweisungen verstanden?“ Sie nahm sich nicht die Zeit für Smalltalk, immerhin waren sie hier im Einsatz. So wartete sie nur die Bestätigung ab, und beschleunigte dann ihren Jäger. Wenn etwas da draußen war, dann würde sie es ohnehin früher als Ace entdecken.

Im ersten Augenblick schon hatte sie das irritierende Gefühl eines Déjà-vu. Wie damals, während der Jagd auf Prinz Jor, als sie und Dragon ein etwas mysteriöses Erlebnis gehabt hatten. Wieder war sie weit draußen, praktisch im Begriff, zurückzufliegen. Sie hatte den befohlenen Vorstoß gerade beendet, als etwas ihre Aufmerksamkeit geweckt hatte. Und wieder war sie sich nicht sicher was das eigentlich war, und ob es noch jemand anders wahrnehmen konnte. Es begann damit, dass die aufgefangenen Funkimpulse zunahmen. Sie schienen ein Muster zu ergeben, auch wenn es immer wieder vom Hintergrundrauschen überformt wurde. Doch da waren Signale, schwach und immer wieder überlagert, die sich wiederholten. Sie zögerte noch einen Moment, dann rief sie Ace: „Achtung…ist da was auf deinen Anzeigen? Irgendwelche Signale?“ Der andere Pilot schwieg, offenbar überprüfte er seine Sensoren: „Nur die üblichen Hintergrundgeräusche…halt warte mal…das könnte was sein…“ Lilja lächelte schief. Natürlich KÖNNTE da etwas sein. Aber er war sich offenbar auch nicht sicher. Sie überlegte. Natürlich wollte sie nicht als die Spinnerin vom Dienst dastehen, auch nicht auf einer intergalaktischen Geisterjagd wie dieser. Doch dann entschied sie sich, auf Nummer zu gehen: „Ich überspiele dir meine Aufzeichnungen…Jademutter – schauen Sie sich das auch mal an…“
Während ihre Aufzeichnungen an die andere Falcon und an die Emerald gingen, starrte sie weiter auf die Anzeigen. Dann fluchte sie tonlos. Für ein paar Sekunden hatten die Interferenzen so weit nachgelassen, dass sie das Signal deutlich hereinbekam. Und sie kannte er nur zu gut: Dreimal kurz…dreimal lang…dreimal kurz. Das menschliche Signal für SOS, das Notsignal. Und die anderen mussten das auch mitbekommen haben.

Tremanes Stimme klang aufgeregt, ein ungewöhnlicher Emotionsausbruch: „Jadesöhne – kehren Sie umgehend zum Schiff zurück.“
Lilja zögerte: „Sir, sollen wir nicht versuchen zu antworten oder…“
Doch der Geheimdienstler schnitt ihr abrupt das Wort ab: „Nein, auf keinen Fall. Halten Sie Funkstille. Weiteres an Bord. Ende.“ Und damit hatte es sich.
Lilja murmelte einen ziemlich obszönen Fluch, wohlgemerkt bei geschlossenen Kanälen. Sie war gewiss keine Samariterin – aber hier ging es ja auch um Menschen, nicht um Akarii. Zugegeben, vermutlich um Weltraumabschaum, aber dennoch. Eigentlich war es fast so etwas wie eine heilige Pflicht, zu reagieren. Doch da ließ sich nichts machen. Das hier war Tremanes Veranstaltung, und wenn er ein SOS vorerst unbeantwortet lassen wollte, hatte er das Recht dazu – genauer gesagt würde sie ihm dieses Recht nicht streitig machen. So wendete sie ihren Jäger und beschleunigte wieder. Hoffentlich warteten an Bord der Emerald einige Antworten auf sie.

Vermutlich hätte es Tremane vorgezogen, die Details für sich zu behalten. Aber er kam nun einmal nicht umhin, zumindest einen Teil der beteiligten Personen einzubeziehen. Wenn er effizient operieren wollte, dann brauchte er sie. Und zu viele Geheimnisse auf einem zu kleinen Schiff waren kaum verlässlich unter Kontrolle zu behalten. Folglich drängten sich in der Messe neben den beiden Geheimdienstlern noch Fuchida, die Kapitänin, McKenna und die zwei Jägerpiloten. Die medizinischen Dienste und Georges’ hatte man jedoch vorerst erfolgreich außen vor gelassen, immerhin ging es nicht unmittelbar um ihre Fachgebiete. Tremane hatte nicht vor, jemand anderem als sich selbst die Führung des Gesprächs zu überlassen. So war er es auch, der sich an Fuchida wandte: „Also, Lieutenant Commander, was haben wir hier?“
Der Navy-Offizier ließ sich nicht lange bitten: „Wie einige von Ihnen wohl schon wissen, ortete heute um 13.34 Uhr Bordzeit Lieutenant Commander Pawlitschenko dank ihres Sensorpods eine Nachricht. Angesichts der im System herrschenden Interferenzen war diese unvollständig. Es war jedoch deutlich erkennbar, dass es sich um ein SOS handelte. Inzwischen – wir bewegen uns ja weiterhin auf den Asteroidengürtel zu, und es scheint, als ob das Signal von dort kommt – fangen auch die Sensoren der Emerald das Signal auf. Abgesehen von der Tatsache, dass es sich um ein Notsignal handelt, konnten wir nur einen Subcode identifizieren. Laut diesem kommt das Signal von einer Rettungskapsel der Mary C.“ Er blickte sich um, und fixierte Tremane aufmerksam, der ziemlich unwirsch wirkte: „Vom Schiff selbst fehlt bisher jede Spur. Dies korrespondiert mit einer Bildnachricht, die wir kurz vor dem Sprung ins System erhalten haben…“ Mit diesen Worten betätigte er das Datenwiedergabegerät der Messe und überging die überraschte Reaktion der bis dahin ahnungslosen Offiziere.
Einige der hier Anwesenden kannten die verstümmelte Nachricht schon, doch für andere war sie vollkommen neu. Lilja konnte sich nicht verkneifen, einen Kommentar abzugeben: „Es ist mir ja klar, dass wir unter Geheimhaltung operieren. Aber meinen Sie nicht, Commander, es wäre ratsam gewesen, mir dies vor unserem Sprung mitzuteilen?“
Tremane zuckte mit der Schulter. Ein schlechtes Gewissen plagte ihn offenbar nicht: „Ich hielt es für besser, erst abzuwarten, was sich ergibt. Bei der Nachricht hätte es sich auch um ein Täuschungsmanöver handeln können, zudem gibt die Botschaft ja keine wirklich verwertbaren Informationen her. Und nichts deutet auf eine Gefahr hin, der Sie mit ihrem Jäger begegnen können.“ Lilja wirkte nicht gerade einverstanden oder besänftigt, nahm seine Antwort jedoch hin, obwohl es ihr gar nicht passte, so abgefertigt zu werden.
Fuchida fuhr in fast pedantischer Art und Weise fort: „Ausgehend von meiner Erfahrung als Besatzungsmitglied eines Kampfkreuzers – und Kapitän Victor wird mir da wohl zustimmen – ist es auszuschließen, dass das SOS der Rettungskapsel auf etwas anderes als einen katastrophalen Störfall hindeutet. Niemand würde ein Schiff gerade in DIESEM System übereilt verlassen. Die Chancen auf rechtzeitige Rettung sind wegen der Abgelegenheit gering, und die hohe Strahlung sowie die gelegentlichen Sonnenstürme und Eruptionen minimieren die Überlebenschancen zusätzlich. Und sie stören das Notsignal – die Baken der Rettungskapseln sind keineswegs leistungsfähiger als eine Schiffseinheit.“
Lilja runzelte die Stirn: „Könnte das eine Falle sein? Zusammen mit der Nachricht?“ Gefälschte Hilferufe waren in der Geschichte der Raumfahrt schon oft für diese Zwecke genutzt worden, einige Piratenbanden hatten sich direkt darauf spezialisiert. Doch Fuchida schüttelte den Kopf: „Unwahrscheinlich. Ich habe – zusammen mit Commander Falkner und Dr. Eriksen – einige Analysen durchgeführt. Die Panik in der Stimme während der Bildnachricht war echt, ebenso spricht auch die Körperhaltung des Sprechers für die Authentizität. Auch bezüglich der Hintergrundgeräusche und der Bildanalyse stimmte alles mit der Kulisse eines Notfalls überein. Wenn der Sprecher nicht gerade ein meisterhafter Theatermime war und eine erstklassige Show abgezogen hat, dann hatte er wirklich Todesangst, und sein Schiff war in ernsten Schwierigkeiten.“ Er räusperte sich und warf Tremane einen fragenden Blick zu, bis dieser unwillig nickte: „Ich habe mit Unterstützung von Lieutenant Commander Falkner noch etwas an den Daten herumgespielt, einzelne Tonsequenzen isoliert und so weiter…ich muss jedoch sagen, diese Tricks sind nicht so verlässlich, wie manche vielleicht glauben. Wir gehen jedoch zu 50 Prozent davon aus, dass im Hintergrund Kampfgeräusche zu hören waren.“
Ace und McKenna kamen fast zeitgleich auf denselben Gedanken: „Piraten?“ Der Ortungsoffizier zuckte nur mit den Schultern: „Keine Ahnung. In der Nachricht deutet nichts darauf hin, doch könnte es sein, dass er melden wollte, sie seien bei der Bergung angegriffen worden. Von Piraten, vielleicht auch von Akarii.“
Kapitän Victor schnaubte: „Wenn hier Akarii seien könnten, sollten wir verschwinden, ehe sie uns am Enterhaken haben. Bei allem Zutrauen zu Ihnen…“ das ging an den Marine und die Piloten: „mit einem Akarii-Schiff können wir es kaum aufnehmen. Nicht, wenn es offenbar ohne größere Probleme die Mary C aufgebracht hat.“
Tremane fuhr der Kapitänin jedoch gleich in die Parade: „Eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent ist keine Sicherheit. Es könnte sich auch um einen Störfall handeln, um eine Meuterei… Mehr noch, Akarii hätten wohl kaum eine Rettungskapsel treiben lassen – Piraten vielleicht schon. Mit DENEN aber werden wir fertig.“
Sarahs Stimme troff von Sarkasmus: „Danke für Ihr Vertrauen in die Kampfkraft MEINES Schiff und Ihrer Beschützer.“
Fuchida griff – möglicherweise absichtlich – in den drohenden Streit ein: „Wie ich bereits sagte, es gibt bisher keine Hinweise auf Piraten oder Akarii. Ich konnte allerdings bis jetzt keine Detailuntersuchungen bezüglich des Asteroidengürtels anstellen – nicht nur ist die Entfernung noch ziemlich groß, die Sensoren liefern auch wegen der hiesigen Bedingungen schlechte Daten.“

Tremane setzte ein spöttisches Lächeln auf: „Fassen wir also zusammen, angesichts der hier herrschenden Umstände wissen wir nichts genaues. Wir können davon ausgehen, dass die Mary C in Schwierigkeiten ist, möglicherweise zerstört, und dass eine Rettungskapsel treibt – offenbar intakt genug, um noch zu senden. Der Zwischenfall hat sich vor vielleicht zehn bis zwölf Stunden zugetragen, wir können den Asteroidengürtel also durchaus noch rechtzeitig erreichen. Wir brauchen noch…“ Er sah die Kapitänin fragend an, und so antwortete diese: „Zwei Tage bei der Geschwindigkeit. Drei bei schneller Marschfahrt.“
„Nun, es wäre wohl kaum gut wenn wir eintreffen, und alle in der Kapsel sind tot. Wir bleiben auf Höchstgeschwindigkeit. So oder so ist es unsere Pflicht, die Überlebenden schnellstens zu bergen, herauszufinden was hier passiert ist – und unsere eigentliche Mission zu erfüllen. Wenn wir uns von einer etwas ominösen Nachricht verschrecken lassen würden, wären wir kaum die geeigneten für diese Aufgabe. Oder was sonst unsere Pflicht ist.“ Er blickte sich um. Das Wörtchen Pflicht hatte doch eine fast magische Wirkung auf einige Leute. Andere…nun, Ace machte sich zweifelsohne seine Gedanken. Unseligerweise würde er möglicherweise bald anfangen, Parallelen zu ziehen. Aber so lange ihn dies bei der Stange hielt…
Nur die Kapitänin war ohne Zweifel sowohl gegen Neugierde – die bekanntlich die Katze ins Grab brachte – als auch gegen Pflichtgefühl – ein schöner Begriff auf vielen Grabsteinen – immun. Aber damit stand sie hier allein, und Sarah Victor war auch deshalb eine meisterhafte Kartenspielerin, weil sie wusste, wann sie ein mieses Blatt hatte und passen musste. Ganz wollte sie aber dennoch nicht kapitulieren: „Ich rate aber zu erhöhter Wachsamkeit.“ murrte sie missmutig.
Tremane nickte bestätigend, so als wären er und die Raumfahrerin ein Herz und eine Seele: „Natürlich. Unsere Sensorstation ist ohnehin pausenlos besetzt. Pawlitschenko, Davis – Sie sind vorerst von jedem anderen Borddienst befreit. Halten Sie sich für weitere Aufklärungsflüge bereit. Ich würde vorschlagen, Sie ruhen sich erst einmal aus, dann sehen wir weiter. Und ich will, dass die Shuttles ständig einsatzbereit sind. Ebenso die Entertruppen und die Geschütze der Emerald.“ Er blickte die Kapitänin an: „Ich gehe davon aus, dass Ihre Besatzungsmitglieder alle zumindest Grundkenntnisse in der Hinsicht besitzen.“ Jayhawker nickte missmutig.
Der Geheimdienstler nickte: „Meine Damen und Herren – wir sind hier, um die Geheimnisse des Systems zu entschlüsseln, und um zu verhindern, dass sie in falsche Hände geraten. Und dabei werden uns auch Schwierigkeiten nicht aufhalten. Wir werden unsere Mission erfüllen.“ Damit war von seiner Seite alles gesagt.
Jayhawker sprach nicht aus, was ihr in den Kopf kam: ,Der meint sicher ODER BEI DEM VERSUCH STERBEN! Verdammte Terries…‘



* Slangausdruck für Shuttles und Jäger, die an externen Halterungen und nicht in einem internen Hangar mitgeführt werden.
31.01.2016 06:40 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
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Cunningham

Victoria Station,
Sektorenhauptquartier Naval Intelligence Corps Sterntor


Die Räumlichkeiten des NIC auf Victoria Station waren schon immer recht groß gewesen, da Sterntor vor dem Krieg das Hauptquartier der 3. Flotte gewesen war.
Nach Kriegsausbruch und dem Verlust des Hauptquartiers der 2. Flotte auf Manticore war die Nachrichtendienstliche Abteilung auf Victoria Station noch angewachsen. Perseus Station war zu klein und zu neu um den nachrichtendienstlichen Bedarf der 2. Flotte zu decken, und auf Texas hatte man kein permanentes Hauptquartier eingerichtet, obwohl man dort lange Zeit auf Lauerstellung gelegen hatte.
Derzeit erledigte das Sektorenhauptquartier NIC Sterntor die nachrichtendienstliche Arbeit für die zweite, dritte und fünfte Flotte und war somit die größte existierende Abteilung des NIC in der gesamten Flotte.
Ihr unterstanden von Texas bis Vista Verde alle Horchposten und Scouteinheiten, sowie vier kompletten SEAS-Teams samt Unterstützungs-- und Trainingskomponente.
Tief im Innern des NIC-Büros, welches auch 'Die Gruft' genannt wurde, waren riesigen Computeranlagen, die Feindbewegungen analysierten und damit beschäftigt waren, den akariischen Funkcode zu entschlüsseln und anschließend die aufgefangenen Meldungen zu dechiffrieren.
Commander Arvid Zandrén wartete ungeduldig im Büro seiner Vorgesetzten.
Als Captain Katja von Scheer ihr Büro betrat, federte der breite Hüne, der einem Musterexemplar seiner nordischen Vorfahren ähnelte, aus dem Sessel hoch.
Die zwei Köpfe kleinere Deutsche verdrehte innerlich die Augen, setzte jedoch eine interessierte Miene auf, als sie sich hinter ihren Schreibtisch setzte, gespannt mit welchen Vorschlägen ihr höchst persönliches Exemplar an Paranoia jetzt wieder kam. Jeder Psychologiestudent würde an Zandrén seine Freude haben oder vor Verzweiflung Selbstmord begehen: „Nun, Arvid, was liegt an.“
„Wir haben ein Sicherheitsleck.“
„Ach, wirklich?“, fragte sie, bemüht die Lippen nicht zu einem abfälligem Grinsen zu verziehen.
„Ja, Ma'am, wirklich,“, Zandrén fragte sich immer wieder, wie eine Analytikerin wie von Scheer als Abteilungsleiterin der Spionageabwehr enden konnte, „bei Routineüberprüfungen ist zutage getreten, dass jemand über unsere offiziellen Leitungen mit der nachrichtendienstlichen Abteilung auf der Columbia gesprochen hat.“
„Es gab bestimmt eine Menge Datenaustausch mit unseren Leuten auf der Columbia. Unsere Jungs dort sind dafür bekannt, viele…hm, unnütze Daten zu sammeln, die dann katalogisiert und archiviert werden müssen. Kenneth Ross war und ist ein guter Offizier, nur leider ist er irgendwann mal einem paranoiden Vorgesetzten in die Hände gefallen und ist jetzt auch sehr schnell dabei, gegen anderes Flottenpersonal zu ermitteln, statt sich auf seine Hauptaufgabe zu konzentrieren.“
„Richtig, eine dieser Überwachungsaktionen, die vor kurzem erneut angelaufen ist, hat uns auf die Fährte gebracht. Commander Olsen wollte wissen, warum erneut ein gewisser...“, Zendrén musste in seinem Computerpad nachgucken, „Lieutenant Davis überwacht wird.“
„Kommen Sie zum Punkt, Arvid.“
„Das Signal stammt offiziell aus der Gruft und weist einen unserer Codes aus, Beta zwölf...“
Von Scheer, die die Daten nur überflogen hatte unterbrach ihn: „Am Morgen hatten wir doch schon auf Funkschlüssel dreizehn gewechselt.“
„Richtig, und bei unserem Chefpedanten in der Funkabteilung kann ich mir nicht vorstellen, dass da noch ein Signal mit altem Code raus gegangen ist. Das mag vor Gardoskis Beförderung so gewesen sein, aber jetzt…“
„Weiter, Arvid.“
„Wir hätten die Sache beinahe zu den Akten gelegt, doch Mr. Ross hat mit einem Commander Smith geredet.“
„Bei dreitausend NIC-Offizieren wird es doch sicherlich einen Smith geben“, meinte von Scheer, „und niemand kenne alle Offiziere.“
„Richtig, gerade weil es hier mehrere Smith gibt, drei um genau zu sein, und sieben mit der deutschen Variante, mit d, dt, Doppel-t. Der einzige Commander Smith, der in Frage käme, ist ein Lieutenant Commander. Unser Commander Smith hier auf dem Video hat einen halben Streifen zuviel auf den Schulterstücken.“
„Verdammte Amateure.“
„Sorry, Captain, keine Amateure, die haben sich von einer Bodenstation in unser Kommunikationsgitter eingeklinkt und den Computern auf der Columbia vorgegaukelt, der Funkspruch käme aus der Gruft. Ich glaube da hatte es jemand etwas eiliger und nicht damit gerechnet, dass unser paranoider Freund Ross wieder eine Überwachung startet, und dass sich dann jemand hier dafür interessiert.
Ich meine, auf eine routinemäßige Anfrage von der Columbia, ob es einen Commander Smith gäbe, hätte man doch mit Hinblick auf unsern Lieutenant Commander doch 'ne Bestätigung geschickt.“
Von Scheer lehnte sich kurz zurück und schien im Kopf einige Szenarien abzuspielen: „Also gut, Arvid, finden Sie raus, von wo man in unser System eingebrochen ist, sprechen Sie mit Ross und lassen Sie diskret mit diesem Davis und seinem Kommandeur sprechen.“
„Was glauben Sie, Captain?“
„Die Akarii können es nicht sein, sie unterliegen der gleichen Schwierigkeit wie wir, Spione beim Feind einzuschleusen. Darum geht ja das ganze Geld in die ELINT*, aber die Konföderierten unterliegen keinen derartigen Problemen, und bei den derzeit zutage tretenden Spannungen ist es gut möglich, dass die Konföderierten einen Vergeltungsschlag planen.“
„Sie meinen, die könnten es auf die Columbia abgesehen haben?“
„Ist doch das verlockendste Ziel hier auf Sterntor. Wenn sich auch nur der leiseste Verdacht ergibt, geben Sie für den Träger eine Terrorwarnung raus. Ich werde mit Admiral Delevoye sprechen, dass wir einer möglichen konföderierten Operation auf der Spur sind. Er wird uns sicher freie Hand geben.“


Büro des CAG 127. Fighter Wing
Victoria Station, im Orbit von Seafort, Sterntor


Jeder Tag hielt eine neue Überraschung parat. So kam es zumindest Raven in den Sinn, als sie über eine schriftliche Meldung vom XO der blauen Staffel stolperte.
Die Meldung war natürlich in dem für Chip üblichen Schreibstiel gehalten, mit dem auch seine Artikel in der Bordzeitung verfasst wurden.
Der Text war flüssig geschrieben, grammatikalisch einwandfrei und fehlerlos.
Etwas mehr als nur ein wenig frustriert lehnte sie sich zurück und schnaubte. Am liebsten würde sie diese ominösen Commander vom NIC den Hals umdrehen, aber letztlich war sie selbst schuld, ihm erlaubt zu haben, unter ihren Piloten nach zwei Freiwilligen für eine Mission zu suchen. Natürlich war sie damals davon ausgegangen, dass nicht ein einziger ihrer Piloten dazu bereit war, den lange überfälligen Urlaub abzubrechen, um für Volk und Vaterland in die Bresche zu springen. Wiedereinmal.
Tatsächlich hatte Commander Smith aber sogar zwei Piloten gefunden, die bereit waren so mir nichts dir nichts abzureisen, als ob es alle paar Wochen Erholungsurlaub gäbe.
Und als Raven dann mitbekommen hatte, welche beiden Piloten verschwunden waren, war ihr auch klar geworden, dass diese beiden die einzigen waren, die Smith gefragt hatte.
Das war dann auch einer der Momente gewesen, wo sie sich fragte, wie eine talentierte Pilotin wie Lilja, die darüber hinaus auf dem Weg war sich zu einer wirklich guten Offizierin zu entwickeln, so dermaßen blauäugig und streberisch sein konnte.
Sicherlich war sie so schon in der Schule gewesen, überpünktlich, klugscheißerisch, immer schnell dabei gewesen die Tafel zu wischen, sofern man in Russland noch eine Tafel mit Kreide verwendete.
„Herr Lehrer, Herr Lehrer, ich weiß was!“, äffte Raven Liljas russischen Akzent nach.
Und beim nächsten Kandidaten könnte Raven in den Schreibtisch beißen. Gerade Ace, der auf diesen Schmierfinken achtgeben sollte und dabei selbst noch lernen musste eine Staffel zu führen, hatte sich auch verdünnisiert.
Sie hätte nicht wenig Lust, einfach mal Cunningham zum aufräumen runter zu schicken, aber bei dessen charmanter Art könnte sie auch gleich einem Schimpansen mit einem Raketenwerfer zu den Blauen schicken.
Ihr nächstes Problem war das geöffnete Beschwerdeschreiben von Chip auf ihrem Desktop. Gott muss das einfach gewesen sein, als man die Schreiben ausdrucken musste und per Boten an den Empfänger weiterleiten ließ. Dieser konnte dann einfach, wenn ihm das Schriftstück nicht gepasst hatte, den Brief zerreißen und die Sache war mit ein paar guten Worten erledigt.
Nun hatte das Intranet drei Dinge registriert: Chip hatte sein Schreiben abgeschickt und sie, Raven, hatte es nicht nur erhalten, sondern auch geöffnet.
Folge: Das System wusste ganz genau, dass der CO des Geschwaders von der Beschwerde Kenntnis genommen hat.
Und der einzige Pilot, von dem Raven wusste, dass er ihren Rechner knacken konnte um diesen Umstand zu beheben, war bei Karrashin gefallen.
Himmel, selbst die Geeks der ELOKA-Abteilung hatten sich von Hacker Nachhilfe geben lassen.
„Na gut Computer, dann auf die altmodische Art.“
Raven kroch unter ihren Schreibtisch und legte den Netzschalter ihres Rechners kurz um: „Ohhhh, so ein Mist, mein Computer ist abgestürzt.“ ,So kann ich wenigstens behaupten, den Text nie gelesen zu haben.'
Das Problem blieb so aber bestehen, und auch wenn man Nakakura mangelnden Takt vorwerfen konnte, so war sein Kulturkreis zu berücksichtigen, und er war sich seiner mangelnden Rücksichtnahme der anderen Staffel gegenüber wohl kaum bewusst.
Die einfachste Lösung für sie wäre wohl bei dieser neuen Huntress vorstellig zu werden und ihr zu sagen, sie habe sich ein neues Callsign zuzulegen. Die Begründung, dass Volkmer eine angesehene und verdiente Staffelführerin gewesen ist, sollte bei allen Neulingen des Geschwaders eigentlich auf Verständnis stoßen und würde den Veteranen zeigen, dass ihr Boss zu ihnen hielt.
Andererseits hielt Raven absolut nichts davon, der Mehrheit vorneweg zu laufen und jungen Offizieren für etwas, was sie nicht verschuldeten, den Kopf zu waschen.
Aber mit den Blauen reden sollte sie auf jeden Fall. Vor allem, da dieser Idiot Chip wohl nichts Besseres zu tun hatte, als Öl ins Feuer zu gießen.
Sie leerte ihren mittlerweile kalt gewordenen Kaffee und überprüfte, wann sie die blaue Staffel in deren Besprechungsraum vorfinden würde. Zu ihrem Glück in einer guten halben Stunde bis vierzig Minuten, genug Zeit zu duschen und anschließend Feierabend zu machen.


Als sie frisch geduscht und in weißer Tropenuniform den Besprechungsraum der blauen Staffel betrat, ließ Chip die Truppe Haltung annehmen.
„Danke, bitte setzen Sie sich wieder.“, sie ging zum Rednerpult, „Darf ich Mr. Harris?“
„Natürlich CAG.“
Der Lieutenant, der nicht mal jünger war als sie, nahm in der ersten Reihe Platz. Die Besprechungsräume auf Victoria Station waren dafür gemacht, eine Thunderbolt- oder Mirageschwadron aufzunehmen. Also zu groß für eine Jägerschwadron und zu klein für eine Bomberschwadron, die mit einer ELOKA-Sektion verstärkt wurde.
„Ich will Sie nicht lange belästigen, aber mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie da ein kleines Problem mit einer neuen Pilotin bei den Bears haben. Und Lieutenant Nakakura hat mit dem Einfühlungsvermögen, dass er wohl von seinen ehemaligen Vorgesetzten gelernt hat, den Blauen gegenüber gehandelt.“
Einigen der älteren Piloten zauberte das ein schwaches Lächeln auf die Lippen. Waren Darkness und Monty doch als harte Schleifer bekannt, und Cunningham hatte im Regelfall über seine Staffelführer gesprochen und in erster Linie Ansprüche gestellt, und obwohl ein respektierter Anführer, so hatten viele Piloten über ihre direkten Vorgesetzten erfahren, dass ihr Geschwaderkommandant menschlich alles andere als einfach gewesen sein musste.
„Gut, ich verstehe, dass Sie verwirrt sind, wütend und sogar ein bisschen gekränkt. Commander Volkmer hat die Jokers befehligt seit die Columbia in Dienst gestellt wurde, und davor auf der Redemption. Ich selbst habe sie als gute Offizierin und Kameradin kennen gelernt.
Aber Lieutenant Agyris hat damit nichts zu schaffen. Sie hat irgendwann das Callsign Huntress bekommen und trägt es seit einigen Jahren. Und wenn Sie objektiv sind, werden Sie feststellen, dass der Lieutenant wohl nicht die einzige sein wird, Huntress ist ein beliebtes Callsign, wie Iceman, Bandit, Snake und auch Raven.“
Sie musterte die Piloten des Abfangjägerschwadrons kurz, bevor sie im ruhigen Ton fortfuhr: „Knapp zwei Jahre vor dem Krieg flog ich von der Nimitz aus Einsätze über Pandora. Eines Tages wurde eine Staffelführerin von der Resolute abgeschossen. Lieutenant Commander Aurora Gonzales war eine Griphen-Pilotin. Damals nagelneue Kisten, brandheiß.
Aufgrund eines Fehlers in der Verwaltung wurde ich für tot erklärt. Meine Eltern wurden benachrichtigt und sie erhielten den Verwundeten Löwen in Gold. Commander Gonzales hieß nämlich auch Raven.
Es hat drei Monate gedauert, ehe der Fehler behoben war, und ich stand kurz davor die Navy zu verklagen und zu verlassen.
Es gibt eben so beliebte Callsigns und wenn uns Lieutenant Agyris verlassen sollte, aus welchem Grund auch immer,“, sie musste nicht erklären dass dies Tod, Verwundung oder Versetzung bedeuten konnte, „dann könnte schon am nächsten Tag die nächste Huntress durch die Tür spazieren.“
Die Gefühlsregungen der Piloten waren unterschiedlich. Betreten, trotzig, nachdenklich und sogar desinteressiert.
„Könnte ich Sie noch einen Augenblick unter vier Augen sprechen, Chip?“
„Natürlich, CAG.“
Der Lieutenant folgte ihr vor die Tür.
„In Ordnung, Lieutenant, Ihr CO ist zurzeit nicht da und Sie müssen sich mit den Neuen herumschlagen, ich verstehe das.“, begann Raven, „Aber überlegen Sie mal, wie Sie ihm die Staffel zurückgeben wollen.“
„Ma'am?“
Raven verschränkte die Arme vor der Brust: „Meldungen sagen nicht nur etwas über die Leute aus, über die sich beschwert wird, sie sagen viel mehr etwas über die Leute aus, die sie verfassen.“
„Ma'am, ich bin der Ansicht, dass meine Leute sehen musste, dass…dass sie dem verantwortlichem Offizier nicht egal sind. Ich musste ihnen etwas zeigen.“
„Ihre Leute, Mr. Harris, brauchen vor allem einen Anführer, der einen kühlen Kopf behält und nach Lösungen sucht, statt das Problem via Dienstweg an vorgesetzte Stellen abzuwälzen. Diese Worte, die ich da drin gesprochen habe, hätten vom Staffelführer kommen müssen, da dieser nicht da ist, von Ihnen. Wenn Sie jedoch nicht weiter wissen, fragen Sie das nächste Mal den Geschwader-XO um Rat, Irons hätte sicher geholfen, das ist ihr Job.“
„Ja, Ma'am.“
„Sie werden jetzt folgendes machen: Erstens sind Sie ihren Leuten ein Vorbild und werden etwas höflichen Umgang mit Lieutenant Agyris pflegen,“, als sich Chips Gesicht wie nach dem Biss in eine Zitrone verzog, hob Raven den Zeigefinger, „das können Sie als Befehl auffassen, letztlich ist es jedoch nur ein Ratschlag für Ihre Entwicklung als Offizier. Zweitens, und das möglichst noch heute, werden Sie mir eine Nachricht schicken, in der Sie mich bitten, die Meldung wenn möglich ungelesen zu löschen, da die Sache aus der Welt ist, mein Computer ist nämlich abgestürzt, als ich Ihr letztes Schreiben öffnete, und drittens werden Sie zukünftig erst mit ihrem Staffelführer, so er denn die Güte hat sich wieder einzufinden, oder dem Geschwader-XO beraten, ehe Sie offizielle Meldung machen, die ich zur Kenntnis nehmen muss.“
Chip nickte betreten: „Werde ich machen, CAG, versprochen.“
„Nun lassen Sie mal den Kopf nicht hängen,“, Raven lächelte ihn warmherzig an und drückte seine Schulter, „versuchen Sie ihren Leuten ein Vorbild zu sein, statt dem wütenden Mob vorweg zu laufen, dann mausern Sie sich schon noch.“
„Danke, aber eine Frage habe ich noch, wenn Sie gestatten?“
Raven nickte.
„Dies Geschichte über die andere Raven, steckt da mehr da hinter oder war das nur Medizin für meine Staffel? Entschuldigen Sie...“
„Schon gut, die Geschichte ist wahr, doch der einzige Angel, der sie indirekt bestätigen könnte, ist schon vor Jahren gefallen. Radio hat zu der gleichen Zeit auf der Resolute gedient wie Commander Gonzales. Aber sehen Sie jetzt besser nach Ihrer Staffel, könnte sein, dass die jetzt erstmal etwas beschäftigt werden müssen.“
„Aye, Ma'am.“
„Gut, dann will ich mir mal die junge Dame ansehen, welche Stein des Anstoßes ist.“, verabschiedete sich Raven.


Sie fand Maria Agyris im Hangar der Angels. Die jüngere Pilotin saß ihn ihrer Nighthawk und schien die Instrumente der Maschine zu kalibrieren.
Langsam schlenderte Raven hinüber zu der Nighthawk und realisierte, dass diese noch die Abzeichen der roten Schwadron führte.
Cunningham, du kleiner Drecksack, krallst dir all das neue Spielzeug und schiebst die alten Maschinen einfach an eine andere Schwadron ab.
„Kann ich Sie einen Moment sprechen, Lieutenant?“
„Einen Augenblick bitte,“, antwortete Agyris ohne hinunter zu sehen, „ich bin hier gleich fertig.“
Geduldig wartete Raven den fast zehn Minuten dauernden Augenblick ab, dann kam Agyris aus dem Cockpit geklettert und landete mit einem grazilen Sprung vor ihr.
„Oh, Entschuldigung, ich wusste nicht, dass Sie das sind, Ma'am.“
„Ist schon in Ordnung, Lieutenant, ich wollte mir nur mal die Neue an zugucken, die sich so große Schuhe angezogen hat.“
Die Mine der Piloten verdüsterte sich, die Neue klang sehr nach Neuling, doch ein Blick auf die Ordensschleifen ihrer CAG machten Agyris deutlich, dass sie im Gegensatz zu Raven tatsächlich ein Neuling war.
Allein die gelb/rote Spange für die Pandorra Service Medal mit Tapferkeitsemblem, die verkündete, dass Raven mindestens ein Jahr im Pandorrakonflikt gekämpft haben musste und sich dabei noch hervorgetan hatte, machte dies mehr als deutlich.
„Ma'am?“
„Ihr Callsign weckt eine gewisse Erwartungshaltung Ihnen gegenüber, aber das hat Ihnen ihr Staffelführer sicherlich schon gesagt, richtig?“
„Ja, Ma'am, das sagte er bereits.“, Agyris ließ kurz frustriert die Schultern hängen, ehe sie sich wieder zu voller Größe aufrichtete.
„Sie werden an den Leistungen Ihrer Vorgängerin gemessen werden, und die waren nicht gerade gering. Das ist nicht gerade fair Ihnen gegenüber, und wenn Commander Volkmer versetzt worden wäre oder nur verwundet, wäre das alles keine große Sache, aber die selbstaufopfernde Art ihres Todes ändert alles. Gerade die Piloten der Jokers werden Sie mit Argusaugen beobachten, ebenso einige der anderen, und auch wenn es ihnen schwer fallen sollte, sollten Sie dabei Zurückhaltung üben und gerade ihren schärfsten…nennen wir sie mal Kritiker gegenüber sensibel sein.“
„Ist das ein Befehl, Ma'am?“ In Agyris Stimme hatte sich ein unüberhörbarer Trotz eingeschlichen.
Raven reckte die Schultern, so dass sich die Aufmerksamkeit der jüngeren Pilotin auf die Schulterstück mit den drei vollen Streifen eines Commanders verlagerte: „Ich glaube nicht, dass ein schriftlicher Befehl dafür nötig ist, Lieutenant, aber damit Sie sich besser fühlen, es ist vielmehr der Rat von einer Pilotin zur anderen. Es ist immer schlecht sich mit Leuten anzulegen, von denen irgendwann mal das eigene Leben abhängen könnte.
Bei Piloten die derzeit noch ziemlich empfindlich sind, könnte gerade jetzt einiges an Porzellan zerbrochen werden, und diese Piloten könnten irgendwann mal auf die Idee kommen, von den vorgeschriebenen Patroulienrouten abzuweichen um nach einem vermissten Kameraden zu suchen. Diese Leute könnten mal in einer Kneipe aufstehen und sich hinter Sie stellen, wenn ein ungewaschener Marine ihnen in den Hintern kneift.“
Der Lieutenant verzog die Lippen zu einem Schmollmund.
„Halten Sie sich zurück, sein Sie höflich und versuchen Sie ihrem Callsign als Jägerin der Sterne gerecht zu werden,“, Raven klopfte ihr freundschaftlich auf den Oberarm, „nach Möglichkeit ohne dabei abgeschossen zu werden, Lieutenant.“
Raven drehte sich zum gehen um: „Ach, und willkommen bei den Angry Angels, Huntress.“
„Danke. Danke, Ma'am.“
31.01.2016 06:40 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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