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Zum Ende der Seite springen Hinter den feindlichen Linien - Season 6 - Brennendes All
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Ironheart Ironheart ist männlich
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Gewidmet Robert Feldhoff
* 16. Juli 1962; † 17. August 2009
Deutscher Science-Fiction-Autor und Exposé-Chefautor von Perry Rodan


Du gabst uns neue Welten zum träumen


Je länger der Krieg dauert, desto mehr vermisst man seine Angehörigen. Man vermisst die Nähe der liebenden Ehefrau, das Lachen der Kinder, die Wochenenden an denen man mit dem eigenem Vater in der Garage etwas baut und die Normalität der Alltagssorgen.
Und je länger man vermisst, desto mehr entfernt man sich dem geliebten. Das töten und sterben wird zum Alltag. Man stumpft ab. Hat für die neuen, die Ersatzleute, kein höfliches Wort mehr übrig. Sie kommen um Kameraden zu ersetzen, die nur tot sind, weil ein Ersatzmann Mist gebaut hat. Man ist wütend auf die eigene Führung, weil jede neue Offensive oder jede neue Strategie den Feind bald in die Knie zwingt, während die Blutpumpe weiterarbeitet.
Irgendwann weiß man selbst nicht mehr warum man hier draußen ist und Akarii tötet. Die Echse in der Maschine, mit der man herumtänzelt hat auch Familie, die gleichen Sehnsüchte, die gleichen Ängste und erlebt den gleichen Horror.
Tag für Tag für Tag.
Man ist dem Wesen, dessen Bloodhawk man ins Fadenkreuz nimmt näher als der eigenen Ehefrau, als Brüdern und Schwestern. Näher als all jenen die zu hause geblieben sind.
Und die Sekunde bevor man abdrückt ist die Frage: Warum? Warum er und warum ich? Wofür gehen wir hier im luftleeren Raum aufeinander los?
Man drückt ab. Die Boodhawk zerplatz und mit ihr ein atmendes, denkendes Wesen und all die eben gestellten Fragen werden bedeutungslos.
Nur eine Frage bleibt: War das eben gut, wäre es nicht besser gewesen, er hätte mich getötet?
Sein Horror ist vorbei. Meiner hält an.


Lt. SG. Thomas J. 'Striker' Corner
Terran Space Navy

***

TRS Gettysburg,
Flaggschiff 2. Flotte, Standort geheim


Wie schnell sich die Welt verändert. Jean Baptiste Renault saß tief versunken in einem bequemen Sessel in der geräumigen Flaggsuite Nr. 1 der Gettysburg. Er war ein leidenschaftlicher Weintrinker, wie es dem Klischee nach alle Franzosen waren. Ganz untypisch jedoch bevorzugte er einen Wein, der nicht aus Frankreich, Terra kam. Er hatte eine Schwäche für die in den Agrarkuppeln des Mars gezüchteten Rotweine.
In den höheren Ebenen des westlichen Hellans Planitia hatten sich einige Canadische Windsereien angesiedelt, welche dort ein künstliches Klima erschufen und mit guter alter Handarbeit einen fast schwarzen Wein hervorbrachten, dessen vollmundiges Aroma den alternden Admiral zum schmelzen brachten.
An Tagen wie diesen jedoch stand ihm der Sinn nach etwas 'härteren'. Und auch hier bildete er eine Ausnahme. Wo viele Offiziere der Navy sich zu Scotchtrinkern kultiviert hatten, die von den originalen aus den Highlands oder von dem kleinen aber feinen Sortiment New Antiguas schwärmten nahm Renault dann doch mit einem Kentucky Bourbon vorlieb.
Auf dem Beistelltisch stand eine frisch geöffnete Flasche Maker's Mark und ein Glas mit zwei Fingern breit zum Atmen. Während Renault die bauchige, fast tropfenförmige Flasche studierte spielte er mit dem gebrochenem roten Wachssiegel, welches noch heute aus jeder Flasche der über siebenhundert Jahre alten Brennerei ein Unikat machte.
Der zarte Duft von Nelken lag in der Luft.
Es war einer der kurzen Augenblicke, wo man dachte die Zeit stünde still, die Welt hört auf sich zu drehen und Sorgen gab es nicht.
Dann wanderte sein Blick zurück auf das Datapad, welches erfolglos versuchte sich hinter der Flasche zu verstecken.
Das Ärger immer in geballter Form kommen muss. Der Sieg schien in greifbarer Hand zu sein, da hatte sich das Universum innerhalb weniger Wochen einmal um die eigene Achse gedreht und hatte seinen Bewohnern einen Haufen Trümmer zum aufsammeln überlassen.
Nein, es war nicht das Universum, welches sich veränderte, es waren seine Bewohner, welche die Änderung erzwangen.
Es gab keinen Teufel, der sich irre lachend zurück lehnte und am Unglück der Menschen ergötzte. Obwohl sie es sich manchmal rechtschaffend verdient hatten.
Dem Universum war es herzliche Egal, ob sich seine Einwohner gegenseitig abschlachteten. Es war vor ihnen da und wenn Menschen oder Akarii die Bühne wieder verließen, würde das Universum immer noch bestehen.
Aber das ganze Durcheinander konnte doch nicht einfach ohne eine höhere Macht entstehen. Renault wusste nicht, was ihn mehr aufregen sollte, dass die Konföderation so sang und klanglos aus dem Krieg ausstieg, dass das Flottenkommando endlich mal eine richtige Entscheidung getroffen hatte und durch Vanessa Girads Ersatz eine klare Botschaft an die Konföderation schickte, was ihm seine Stellvertreterin kostete oder das scheinbare Durcheinander aus Karrashin?
Er griff nach dem Whisky und stürzte ihn hinunter. Durch das plötzliche Klingeln an der Tür verschluckte er sich. Hustend und würgend erhob er sich und ließ den Störenfried herein.
Maike Noltze trug den großen Dienstanzug, das weiße Kappi unter den linken Arm geklemmt. Wie viele der jungen Damen auf der Überholspur trug die jüngere Admiralin Hose statt Rock. Auf der linken Seite des Sacko über der aufgesetzten Tasche thronten Pilotenschwingen über einer ansehnlichen Kollektion von Ordensbändern.
„Geht es Ihnen gut?“, fragte sie mit kritischen Blick.
„Nein“, knurrte er, deutete jedoch einladen auf die Couch und holte Noltze ein Whiskybecher.
Ja, Maike Noltze sollte eine klare Botschaft an die Konföderation sein. Vor fast zehn Jahren war Noltze Captain eines Flottenträgers gewesen. Vanessa Girad war damals Noltzes XO gewesen. Zwei Offizierinnen der neuen Generation, Senkrechtstarter: Intelligent, geschickt und hinter eine mehr, Girad, oder weniger, Noltze, höflichen Fassade knallhart.
Renault wusste, dass es sein Gegenüber einiges gekostet hatte, dass Girad vor ihr den vierten Stern und das Flottenkommando erhalten hatte. Die Gerüchte über die Wette der beiden Frauen hatten ihre Kreise sogar bis in die Flaggränge des alten Zirkels, dem er sich zugehörig fühlte, gezogen.
„Ich möchte Sie ja eigentlich nicht ziehen lassen, Maik“, eröffnete er das Gespräch.
„Das freut mich zu hören. Auf professioneller Ebene natürlich“, Noltze schnupperte kurz am Bourbon, stellte dann das Glas beiseite, „aber wie jeder andere bin auch ich ersetzbar. Bergen wird Ihnen ein guter Stabschef sein, Sir.“
Ich will keinen 'guten' Stabschef, dachte Renault bei sich: „Ja, er ist ein sehr cleverer Kerl. Außerdem war es längst überfällig, dass Sie ihre eigene Flotte erhalten.“
Noltze nickte und blickte kurz zum Whiskybecher, ehe sie wieder ihn ansah: „Ich habe mir noch die Karrashin Berichte angesehen und die Nachricht von Admiral Wulff. Was wollen Sie wegen Cunningham unternehmen.“
„Irgendwie wünschte ich mir, dass sich Schepens dieser Sache als Kommandeur angenommen hätte, statt die ganze Angelegenheit weiter zureichen. Drei Meldungen. Wulff hat ihn einfach geschasst, obwohl nichts geschehen ist.“
„Zumindest war Wulff so weitsichtig, nicht zu erwähnen, dass Sie Cunningham angestiftet haben, notfalls auf Rettungskapseln Jagd zu machen.“
Die Nasenflügel des Admirals weiteten sich sichtlich: „Er hat mir damals nicht mal das Versprechen abgenötigt, meine schützenden Hand über ihn zu halten, wenn er in Schwierigkeiten gerät. Er sah mich direkt und offen an und mir war klar, dass er wusste, dass er im Falle des Falles ohne Netz und doppelten Boden in der Luft hing. Ihm war genau klar, dass ich ihn anlügen würde, wenn ich ihm Schutz verspreche. Jetzt habe ich hier drei Meldungen, eine vom Bordarzt der Columbia, wegen bewusster Gefährdung einer Pilotin und Überschreitung der eigenen Kompetenz. In Friedenszeiten hätte man Cunningham deswegen schon achtkantig raus geworfen.
Vom Captain Rawlings von der Kip Thorne eine Meldung wegen Befehlsverweigerung, die Anstiftung zur Meuterei hat er Gott sei dank weggelassen.“
„Wär sicherlich lustig gewesen, gegen Miles Long ältesten ein Verfahren einzuleiten“, Noltzes Augen funkelten boshaft.
„Oh ja, sicherlich, aber immerhin beides Sachen, die man mit etwas guten Willen, in Hinblick auf die Schlacht von Karashin unter den Tisch fallen lassen kann.“, Renault nahm noch einen Schluck Whisky. „Aber eine Absetzung durch den Kampfgruppenkommandeur, die vor allem nicht mehr rückgängig zu machen ist, dass wirft natürlich Fragen auf.“
„Und was werden Sie jetzt tun, Sir?“
„Die Columbia geht zur Reparatur nach Sterntor und wird dort erstmal deaktiviert. Damit fällt sie aus meiner Zuständigkeit. Ich werde wohl die Meldungen an die 5. Flotte weiterreichen. Dazu noch eine Empfehlung abgeben und mich soweit wie möglich raus halten.“
„Ich reise ja auch über Sterntor, soll ich dort versuchen einige Strippen zu ziehen.“
Renault schmunzelte: „Sie reisen mit der Drake?“
„Die ist dran mit einem kurzen Werftaufenthalt. Ich habe sie extra noch ein paar Tage zurückgehalten, damit ich mitreisen kann.“
„Dann sollten Sie Cunningham schon genug Gefallen getan haben.“
Noltze stutzte einen Augenblick, dann erschien ein wissendes Lächeln auf ihrem Gesicht.

***

Camp Laudon,
Vallis Church, Deneb


Die Stimmung in Baracke 702 war zum Zerreißen gespannt. Von der Kameradschaft vor einigen Wochen, als man drei Tage Hungerstreik aus gesessenn hatte, um die Trennung von menschlichen und akariischen Personal abzuschaffen war nicht mehr viel zuspüren..
In Scharen waren die Rattenfänger, die Rekrutierungsoffiziere der Terries genannt wurden, über das Internierungslager hergefallen.
Natürlich wandten sich diese Rattenfänger vornehmlich an menschliche Offiziere und Mannschaften. Leland McDaniels schüttelte über sich selbst den Kopf. Rattenfänger, obwohl sie ihn 'geschnappt' hatten, dachte er in diesem Terminus von ihnen. Junge, Du bist doof.
Unter dem drohenden Blicken dreier anderen Piloten stopfte er seine persönlichen Habseligkeiten in den Seesack.
„Seht Ihr, wie er die Schultern hängen lässt, er wird immer mehr zum Terry.“
„Yeah, ich sehe es Dom, hat so etwas von Obrigkeitshörigkeit an sich.“
„Vielleicht sollten wir als seine alten Kameraden ihm noch ein neues Callsighn verpassen“, während die ersten beiden nur Stichelei wahren, hatte die Stimme des dritten einen echt bösen Unterton, „so was wie Lap Dog oder Nark ...“
Noch während Lee sich umdrehte, wusste er, dass sein Temperament wieder einmal mit ihm durch ging: „Wie wärs mit Wichser!“
Der erste Sprecher, Lieutenant SG Domingo 'Dom' Salazar erhob sich von seinem Stuhl. Dom war so ziemlich der einzige Mensch, den Lee kannte, der sich wie ein Akarii aufplustern konnte.
Darüber hatte der Kerl eine genauso kurze Zündschnur wie Lee selbst.
Dom machte einen Schritt auf ihn zu und deckte ihn mit einer Salve spanischer Beschimpfungen ein. Lee spürtewie ihm heiß wurde und er antwortete mit seinem gganzeneRepertoire an akariischen Schimpfwörtern.
Keine fünf Sekunden später standen sich die beiden Piloten Nase an Nase und brüllten einander aus vollem Halse an.
Die beiden anderen Störenfriedeeutenant Commander Jan Norwick und Lieutenant Tim Borros wollten Dom erst zurückhalten, doch diesen Versuch gaben sie in dem Moment auf, als Lee sie beide in seine Schimpfkanonade einbezog.
Gerade als Dom anfing ihn zu schubsen erklang eine tiefe, befehlsgewohnte Stimme: „ACHTUNG!“
Gewohnheit und Drill, der über Jahre hinweg in Fleisch und Blut übergegangen waren, ließ alle vier verstummen und in Habt-Acht-Position zu gehen.
Jedoch nicht ohne, dass Dom und Lee sich wütend anfunkelten.
Der Offizier, der sie unterbrochen hatte, war wie Narwick Lieutenant Commander, jedoch umgab Farik Tosh eine Aura von Autorität und Würde, wie es sie im Fliegercorps der Colonial Navy selten gab.
Der Akarii musterte die vier Menschen: „Was soll das denn werden?“
„Wir wollten Lee nur beim packen helfen“, antwortete Narwick lahm.
„Stimmt das?“ Tosh blickte Lee an.
„Yeah“, er zog die Antwort ziemlich in die Länge, „sind doch alles gute alte Kriegskameraden.“
Mit einem Stechenden Blick durchbohrte der Akarii vor allem Narwick: „Raus!“
Ohne Widerrede verließen die drei Piloten die Baracke. Einzig Dom schickte Lee noch einen wütenden Blick rüber.
Lee atmete Langsam ein und wieder aus.
„Die haben also die Rattenfänger erwischt“, fragte Tosh, der sich jetzt gegen einen Bettpfosten lehnte.
„Der Krieg ist noch nicht aus und ich habe nicht vor, hier drin zu versauern. Es gibt da draußen noch einen Haufen imperiale, denen ich noch eine Abreibung schuldig bin“, Lee stopfte weiter Sachen in seinen Seesack.
„Verstehe, Du glaubst nicht daran, dass die Diplomaten uns hier schnell wieder rausholen?“
„Nein! Du etwa, Saber?“
Der Akarii schien einen Augenblick zu überlegen: „Nein, das wird wohl nicht geschehen. Aber hast Du Dir auch überlegt, dass es vielleicht doch noch zum Kampf zwischen uns und den Terries kommen könnte?“
„So ein Quatsch!“ Grollte Lee, „und wenn die Akarii, die imperialen, unserer Regierung so weit in der Tasche haben, dann wird es auch verdammt nochmal Zeit, dass wir Cockraine von Hannover bomben.“
Lee hatte einmal mehr zu schnell geredet. Hannover bombardieren. Wie ein Taschenmesser klappte er zusammen und setzte sich auf die Kante seines Bett.
Mit einem Geräusch das sowohl Schluchzten als auch Wimmern sein konnte vergrub er das Gesicht in den Händen. Seine Eltern und seine Schwester lebten auf Hannover. Seit Wochen hatte er nichts von ihnen gehört.
Gut, vor dem Angriff der Akarii auf Hannover hatte er auch nur selten was von seinen Leuten gehört, aber jetzt, jetzt war da dieser Klumpen aus Angst, Wut und Hilflosigkeit in seinem Magen.
Tosh setzte sich neben ihn und nahm ihn in den Arm: „Ist schon in Ordnung, wenn die Terries auch Akarii anwerben würden, würde ich ja ebenfalls gehen.“
Eine Weile saßen die beiden Piloten schweigend nebeneinander.
Es war der Akarii der die Stille brach: „Wir sollten zu ende Packen, ich bringe Dich noch zum Tor, bevor ich mir Deinen Skalp klaue und an deiner statt gehe.“

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"Das Leben ist das was einem passiert, während man andere Pläne schmiedet." John Lennon

Mitglied der Autorenkooperationen "Dantons Chevaliers" und "Hinter den feindlichen Linien"
29.11.2015 14:32 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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An Bord der Kami, Krankenstation
Medusa-System, Auf dem Weg nach Sterntor

„Arrgghhh…“
Schreiend und keuchend wachte Donovan „Noname“ Cartmell auf und wusste erst einmal nicht wo er war. Sofort trat kalter Schweiß auf seine Stirn und Übelkeit stieg in ihm hoch. Er spürte, wie sein Magen rebellierte und schaffte es gerade noch, sich über die Bettkante zu übergeben. Würgend richtete er sich auf und blickte sich mit zusammengekniffenen Augen um.
Wo war er?
Nur langsam kam seine Erinnerung zurück.
Er war in einer Krankenstation!
Aber dies war nicht die Columbia… Die Kami, jetzt fiel es ihm wieder ein. Er war auf der Kami. Man hatte ihn hierher gebracht, nachdem er in buchstäblich letzter Sekunde in deren Shuttlehangar gecrasht war, Sekunden bevor das Schiff durch ein Wurmloch geflogen war.
Nur Schwachsinnige, Verrückte, Größenwahnsinnige oder Selbstmörder würden so eine Aktion wagen.
Oder jemand, der nichts mehr zu verlieren hatte, jemand der lieber in den Tod als in die Gefangenschaft gegangen wäre.
Und so gesehen war dieses Manöver doch erfolgreich gewesen, sie waren der Gefangenschaft und damit dem sicheren Tod gerade mal so von der Schippe gesprungen.

Allerdings fühlte sich Donovan im Augenblick alles andere als lebendig. Sein Magen verkrampfte erneut, doch dieses Mal musste er nur würgen.
Donovan drückte den Alarmknopf neben seinem Bett und relativ schnell kam ein absolut übernächtigter Pfleger ins Krankenzimmer. Donovan hätte Mitleid mit dem jungen Soldaten gehabt, da es diesem offensichtlich ebenfalls dreckig ging und dieser zu allem Überfluss auch noch seine Kotze aufwischen musste.
Doch er nahm den Mann nur benebelt wahr.
Kurz nach dem Crash im Hangar der Kami hatten sie in ihrer Euphorie und angesichts des durch ihre Adern pulsierenden Adrenalins noch Witze gerissen. Doch die Zeit der Witze war vorbei, Donovan ging es elend und die Gehirnerschütterung ließ seinen Schädel vor Schmerzen pulsieren. Sein Blick wanderte an das Ende seines Bettes und erkannte zwei pulsierende Manschetten, die um beide seine Unterschenkel gelegt waren. Donovan erinnerte sich daran, dass er sich beide Beine gebrochen hatte. Doch er hatte Glück im Unglück gehabt, da es sich nur um glatte Brüche handelte und jetzt erinnerte er sich daran, wie die diensthabende Ärztin gewitzelt hatte, dass die beiden Manschetten ihm schon bald wieder auf die Beine helfen würden. Das laute wiehernde Lachen der Ärztin hatte Donovan aggressiv gemacht, doch er hatte sich gerade noch zusammenreißen können, bevor er ihr eine gerade Rechte verpasst hatte.

Der in den Raum getretene Pfleger ließ den Schmerz- und Schlafmitteltropf an Donovans Bett wieder laufen, wodurch die Schmerzen langsam wieder abnahmen und die Müdigkeit langsam wieder Besitz von ihm ergriff.
Während seine Augen immer schwerer wurden wanderte sein Blick hinüber an das Bett neben ihm, wo er Ace erkannte, der friedlich schlief. Auch die übrigen zwei Betten waren mit Schlafenden belegt.
Er wollte den Pfleger fragen, wie es Ace ginge, doch noch bevor er etwas sagen konnte, übermannte ihn die Müdigkeit und er fiel erneut in einen tiefen Schlaf.

***

Als er das nächste Mal wieder aufwachte, hatte er keine Ahnung wie lange er geschlafen hatte. Wie in Fetzen konnte er sich an Gesichter erinnern, die sich über ihn gebeugt hatten. Er hatte die Bordärztin erkannt, den Pfleger, vielleicht einige Krankenschwestern, Captain Schneider hatte er gesehen und auch Ace.
Aber er war sich nicht sicher, vielleicht hatte er das alles auch nur geträumt.

Wie lange hatte er geschlafen? Waren es Stunden gewesen, Tage, Wochen? Er wusste es nicht.
Langsam schaute er sich um und diesmal war Ace wach neben ihm.
Auch Ace sah nicht so gut aus, grinste aber gequält. „Na sieh mal einer an, wenn das nicht Noname ist.“
Auch Noname konnte nur gequält lächeln und krächzte ein „Wie geht’s, dir?“ hervor.
Ace antwortete ihm, doch irgendwie nahm er dessen Worte wieder wie in einem Nebel war. Er konnte sich nicht konzentrieren und bekam weniger als die Hälfte von dem mit, was Ace sagte. Und noch bevor dieser geendet hatte, war er wieder eingeschlafen, nur um wieder in unruhige und erschreckende Träume zu fallen.
Und in diesen Albträumen kam die Ewigkeit und Dunkelheit des Weltalls erschreckend häufig vor.

***

Wieder einmal schreckte er hoch und schüttelte den Kopf. Die Kopfschmerzen wurden besser, seine Gehirnerschütterung klang ab. Doch etwas anderes bedrückte ihn, dass er nicht mal Lust verspürte, seinen Kopf zu heben.
Er spürte, dass er in eine tiefe Müdigkeit gefallen war, die über das übliche Maß an Müdigkeit, die jeder fast permanent im Einsatz befindlicher Jägerpilot schon seit Wochen verspürte, hinausging.
Nein, er war tieftraurig, sauer und aggressiv zugleich, wusste aber eigentlich nicht warum. Er konnte sich nicht wirklich einen Reim darauf machen.
Die Verletzungen waren es nicht, die ihn so runter zogen. Nun gut, er hatte sich beide Unterschenkel glatt gebrochen, doch das war nichts was die moderne Medizin des 27ten Jahrhunderts nicht in erstaunlich kurzer Zeit heilen konnte. Er würde sicher ein wenig Training und Reha brauchen, so dass er das Innere eines Jägers wohl erst wieder in ein paar Wochen sehen würde, aber nachdem was er über gebrochene Knochen wusste, waren diese bei unkomplizierten Querfrakturen in 1-2 Wochen wieder zusammengewachsen. Aber deswegen hatte er keine so miese Stimmung.

Es war auch nicht die Tatsache im Augenblick nicht einsatzfähig zu sein. Das war ihm im Augenblick sogar Recht.
Zunächst hatte er ja nicht mal mehr einen Jäger, denn die kläglichen Überreste seiner stolzen Nighthawk lagen wahrscheinlich noch verbogen und zerschmettert in Hangar 2 der Kami. Und es zog ihn im Augenblick wahrlich nicht wieder in ein Cockpit. Auch das war nicht der Auslöser seiner Depression. Und es war auch nicht die Erkenntnis dem Tod gerade nochmal von der Schippe gesprungen zu sein. Als Nighthawk-Pilot musste er damit in jedem Einsatz rechnen, obwohl die Raumjockeys diese Angst vor jedem Einsatz verdrängten.
Nein, es musste etwas anderes, nur wusste er nicht was.
Vielleicht waren es seine Kopfschmerzen, die ihn daran hinderten einen klaren Gedanken zu fassen um seine unbegründete Trauer in Worte zu fassen. Er erinnerte sich wieder an die wiehernde Ärztin, die etwas von posttraumatischem Stress faselte, als er sie darauf angesprochen hatte.
Donovan hatte sie nur fassungslos angeguckt. „Hören Sie, Pferdefresse, ich bin in meinem Leben wahrscheinlich schon häufiger verletzt worden, als Sie gevögelt haben. Also erzählen Sie mir nicht, dass ich jetzt auf einmal mit dem Scheiß nicht zu Recht komme.“ Im Nachhinein wurde Donovan bewusst, dass er wie Skunk geredet hatte und er war froh gewesen, dass Ace gerade Reha-Übungen gemacht und das Ganze nicht mitbekommen hatte. Denn im Grunde war das nicht seine Art gewesen.
Trotz der Beschimpfung hatte die Ärztin ihn nur milde angeschaut. „Lieutenant Cartmell, sie können es sich nicht aussuchen, wann ihr Körper entscheidet ihnen ein Warnsignal zu geben. Ihre Gehirnerschütterung und ihre Frakturen verheilen gut, aber Sie sollten es trotzdem ruhig angehen lassen.“
Vielleicht hatte sie Recht, vielleicht waren die letzten Monate auch ihm an die Substanz gegangen. Er hatte es allen zeigen wollen, vor allem Skunk, Fisch, Ace, Kali, Mantis, Ohka, Raven und Lone Wolf.
Er hatte sich bemüht endlich den Anschluss zu finden, er hatte eine beeindruckende Anzahl Abschüsse gesammelt seit seiner Wiederindienststellung, er war zum Lieutenant Senior Grade befördert worden, hatte eine Sektion erhalten und zwischenzeitlich als XO der Roten fungiert, wenn auch nur für knapp 1 Woche. Doch all diese Extraarbeit hatte auch an ihm Spuren hinterlassen.
Er hatte versucht sich den Respekt seiner Freunde, seiner Kameraden, seiner Untergebenen und seiner Vorgesetzten zu erarbeiten und hatte so manche zusätzliche Schichten an seinem Jäger, im Simulator und hinter dem Schreibtisch verbracht.

Er hatte zwar das Gefühl, dass es etwas gebracht hatte, aber die Frage war, ob die Vergangenheit nun endgültig begraben war, oder ob er auf immer und ewig unter ihr würde leiden müssen.
In Donovans Kopf war eine innere Stimme einfach nicht ruhig zu stellen. Diese innere Stimme sagte nichts, doch sie verspottete ihn lachend. Niemals würde die Navy vergessen, niemals.
Donovan wusste, er war auf ewig dazu verdammt, seine frühere Schuld abzutragen. Und es war genau diese Erkenntnis, die die posttraumatische Depression ausgelöst hatte. Er wollte es zwar nicht wahrhaben, doch Doktor Pferdefresse hatte Recht:
Donovan „Noname“ Cartmell stand kurz davor die Nerven zu verlieren.

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29.11.2015 14:33 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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Kano wich einem Reparaturtrupp aus, duckte sich unter einem Kabelbündel hindurch, dass in den Gang hineinragte, und eilte weiter. Die Luft roch brandig. Immer noch. Er nahm den stechenden Geruch, der in den Kehlen kratzte, schon fast nicht mehr wahr. Es roch überall an Bord so.
Der provisorische Staffelführer der Butcher Bears sollte sich bei Raven melden. ASAP. Kano glaubte zu wissen, worum es ging. Die Tatsache, dass die Angelegenheit so schnell bei der Geschwaderchefin gelandet war und keinen Aufschub duldete, trotzdem die COLUMBIA ein halbes Wrack war, verhieß nichts Gutes.
Dennoch, es tat gut, wieder an Bord der COLUMBIA zu sein. Auch wenn sie aussah wie ausgeweidet. Es war kein schönes Gefühl gewesen, den „eigenen“ Träger zurückzulassen, als die HONGKONG aus dem System sprang. Zu diesem Zeitpunkt hatte es sehr schlecht für den Flottenträger ausgesehen. Kano hatte insgeheim gefürchtet, das Schiff zum letzten Mal gesehen zu haben, halb eingekreist von den vorstoßenden Akarii-Kriegsschiffen, im erbarmungslosen Kreuzfeuer der vorpreschenden Zerstörer. Es hatte ihn schier in den Wahnsinn getrieben, nichts tun zu können. Mit gebrochenen Fingern und einer Gehirnerschütterung hatte er nicht mehr kämpfen können. Er hatte ja nicht mal mehr richtig geradeaus sehen können.
Aber das Wunder war geschehen, die COLUMBIA war durchgekommen. Schwer beschädigt, werftreif, fast schon ein Wrack – aber immer noch aus eigener Kraft fliegend.

Und es hatte keine weiteren Verluste bei den Butcher Bears gegeben. Außer Grizzly waren alle sicher gelandet – wenn auch in Crusaders Fall nicht mit seiner eigenen Maschine. Aber Maschinen konnte man ersetzen. Und auch Sakura hatte die Schlacht gelebt. Genauso wie die CAULAINCOURT. Besser hatte es für ihn persönlich nicht mehr laufen können.
Die Kampfgruppe insgesamt hatte deutlich weniger Glück gehabt.

Kano hatte man nach einer eher flüchtigen Untersuchung und einer ambulanten Versorgung der gebrochenen Finger schnell wieder aus der Krankenstation der HONGKONG entlassen. Er war nicht wichtig. Er gehörte nur zu den Leichtverletzten. Ein paar Tage würde er sich noch fürchterlich fühlen und nur leichten Dienst leisten können. Aber was zählten schon ein paar gebrochenen Finger, eine leichte Gehirnerschütterung und einige geprellten Rippen? Eine weitere Spange für den Verwundeten Löwen in Silber. Die wievielte inzwischen? Ja, es musste die sechste oder siebente sein.
Irgendwann hatte er sich dann einen Shuttleflug zur COLUMBIA organisieren können, und war fast unbemerkt an Bord gegangen.
Zwei Tage später hatte er wieder vollen Dienst geschoben. Auch wenn er noch nicht wieder starten konnte, es gab auch so genug zu tun.

Als er Ravens Büro betrat, stellte er fest, dass La Reine bereits anwesend war. Sie hatte offenbar schon ihre erste Kopfwäsche erhalten. Die Geschwaderchefin musterte die hoch gewachsene, dunkelhäutige Pilotin Unheil verkündend. La Reines Stimme klang angespannt: „Ich werde vor diesem Arschloch nicht zu Kreuze kriechen.“
„Und wenn ich Ihnen das befehle? Was werden Sie dann machen?!“
„Ich…“
Bevor die Sache aus dem Ruder laufen konnte, schaltete sich Kano ein: „Commander, ich übernehme die volle Verantwortung.“
Raven konzentrierte sich auf den Staffelführer: „Wie großzügig. Es bleibt Ihnen aber auch nichts anderes übrig. Immerhin geht es um einen Ihrer Untergebenen.
Als hätten wir nichts Wichtigeres zu tun. Das Schiff ist ein verdammter Schrotthaufen, wir sind praktisch ausgeblutet, und nun dass hier! Dieser…Raumkriecher von einem Shuttlepiloten muss seine Beschwerde bereits fertig ausformuliert haben, kaum dass er aus seiner Rostlaube raus war. Nach seinen Worten hat Lieutenant Obasanjo ihn mit Waffengewalt gezwungen, eine unverhältnismäßig riskante Rettungsmission durchzuführen.“
„Es war seine Pflicht, ausgestiegene Piloten zu retten, und auf Hilfsersuchen zu reagieren. Wir können schließlich auch nicht, das Risiko eines Gefechtsauftrages diskutieren und einfach den Einsatz verweigern können. La Reine war als temporäre Kommandeurin der Schwarzen Staffel in jeder Hinsicht berechtigt, einen solchen Einsatz anzuordnen. Die Richtlinien sind da ganz eindeutig. Vielleicht hat sie ihren Standpunkt etwas zu nachdrücklich vertreten…“
Raven schnaubte nur mäßig amüsiert: „Sie hat gedroht, zwei Second Lieutenants der TSN und ein terranisches Shuttle abzuschießen.“
„Falls der Pilot das gesagt hat, dann übertreibt er. Ich habe die Funkprotokolle überprüft. Vielleicht war sie nicht sehr subtil, aber Lieutenant Obasanja droht an keiner Stelle eindeutig mit dem direkten Einsatz tödlicher Gewalt.“
„Ihre Semantik können Sie für den JAG aufheben! Verkaufen Sie mich nicht für dumm, Nakakura! Obasanjo war ja wohl kaum falsch zu verstehen!“
„Wir sind die Navy, nicht die Handelsmarine. Sie wissen doch, dass der Umgangston manchmal etwas rauer werden kann. Das ist nichts Ungewöhnliches. Wenn für jede Drohung mit körperlicher Gewalt ein Verfahren eingeleitet würde, dann könnte sich der JAG nicht mehr um seine wirklichen Aufgaben kümmern.“
„Oh nein, damit kommen Sie mir nicht davon. Und wir sind nicht bei den Marines. Bei denen ist das vielleicht üblich.
Im Übrigen ist das auch egal. Wir haben diese Beschwerde am Hals. ICH habe sie am Hals. Sie müssen mir schon etwas mehr bieten, als ein paar Gemeinplätze.“
La Reine verfolgte das verbale Pingpong mit düster gerunzelter Stirn. Sie öffnete den Mund – schloss ihn aber lieber wieder, als ihr Kano mit einer scharfen Handbewegung zu schweigen gebot. Auch wenn sie es hasste, dass man so über ihren Kopf hinweg redete, sie wollte Kano nicht in den Rücken fallen. Sie hatte schon Raven gegen sich. Lieber nur einen Gegner auf einmal.
„Wie wäre es mit diesem Argument: es hat funktioniert. Indem Lieutenant Obasanjo sich durchsetzte, hat sie – ohne weitere Verluste – zwei Kameraden das Leben gerettet. Darunter ihrem direkten Vorgesetzten. Mir. Eine beschädigte Nighthawk konnte eingebracht werden, die andernfalls wahrscheinlich als Totalverlust hätte abgeschrieben werden müssen. Außerdem wurden während des Einsatzes zwei feindliche Jäger vernichtet. Ich denke, dieses Ergebnis war das Risiko und den gekränkten Stolz eines Shuttlepiloten wert.“
„Zugegeben. Der Erfolg lässt sich sehen. Allerdings geht es hier nicht nur um mich, um Sie – oder diesen Shuttle-Piloten. Es geht um den Captain eines Kreuzers. Und um den inneren Frieden unserer Kampfgruppe. Ich kann so eine Beschwerde nicht völlig ignorieren und kommentarlos zurückschicken.“
„Also geht es hier um Politik.“
„Tun Sie nicht so überrascht. Und kommen Sie von Ihrem hohen Ross runter. Es geht immer um Politik. Daran werden Sie sich gewöhnen müssen. Also, es ist Ihre Staffel. Es geht auch um Ihren Hals. Was würden Sie tun?“

Kano begriff, dass das Ganze auch eine Prüfung war. Raven wollte sehen, wie er sich als Staffelführer schlug. Wieder einmal. Er hatte etwas blauäugig geglaubt, dass damit nach Montys Tod und Cunninghams Wegfall erst einmal Schluss sein würde. Da hatte er sich offensichtlich getäuscht.
Der japanische Pilot warf La Reine einen kurzen Blick zu. Er hatte sich schon vorher gefragt, wie er mit der zu erwartenden Beschwerde umgehen sollte. Hoffentlich teilte Raven seine Ansichten. Ansonsten würde er ihr nur weitere Munition liefern, um ihn von seinem Posten zu schießen und durch jemand anderen zu ersetzen: „Zuerst einmal eine Entschuldigung.“ Er sah, dass La Reine hochfahren wollte, und fuhr unbeirrt fort: „Es spielt keine Rolle, ob das gerechtfertigt erscheint oder nicht. Der Kreuzercaptain wird so etwas erwarten. Also werden wir ihm geben, was er will.
Außerdem wird Lieutenant Obasanjo eine verbale Rüge erhalten. Einen Verweis. Sie erklärt sich offen dazu bereit, in Zukunft die geltenden Umgangsformen einzuhalten.“
„Was?!“
„Und zum Ausgleich werde ich eine offizielle Belobigung in ihre Dienstakte eintragen lassen. Immerhin war der Einsatz ein voller Erfolg. Sie hatte das Recht und die Kompetenz zu ihrem Vorgehen, auch wenn die Art und Weise unglücklich war. Damit wird der Form genüge getan und gleichzeitig die Angelegenheit ins richtige Licht gerückt. Ein Erfolg wird hoffentlich immer mehr zählen, als ein paar unangemessene Worte.“
La Reine knurrte abfällig: „Hast du eine Ahnung…“ Aber wenigstens kochte sie nicht mehr, sondern brodelte nur noch.
„Glauben Sie, dass das reicht, um den Stolz der Flotte zu genügen?“
„Das ist das Maximum. Alles andere wäre unangemessen. Wenn Sie härtere Maßnahmen für notwendig halten…Das ist natürlich Ihre Entscheidung.
Aber ich würde weitere Strafmaßnahmen weder gutheißen, noch vorschlagen. Und auch nicht mittragen wollen.“
Die Geschwaderchefin musterte Kano kühl: „Sie lehnen sich ziemlich weit aus dem Fenster für einen provisorischen Staffelchef, Lieutenant.“
„Wenn Ich an der Stelle von Lieutenant Obasanjo gewesen wäre… Wenn SIE an ihrer Stelle gewesen wären…Hätten wir anders gehandelt? Hätten wir anders handeln können und DÜRFEN?“
„Ich hoffe, Sie hätten dann nicht damit gedroht, ein TSN-Shuttle abzuschießen, Nakakura. Sie haben uns auch so schon genug Maschinen gekostet.“ Diese Spitze hatte vermutlich sein müssen. Aber Kano registrierte erleichtert, dass der Sturm offenbar weiter gezogen war.
Vermutlich hatte Raven genug andere, wichtigere Probleme. Und todsicher schätzte sie es überhaupt nicht, von einem Großbootfahrer unter Druck gesetzt zu werden. Die Geschwaderchefin nickte knapp: „Obasanjo, Sie können gehen. Nakakura, Sie bleiben noch.“
„Jawohl, Ma’m.“
Die Geschwaderchefin wartete, bis die Pilotin den Raum verlassen hatte. Sie musterte ihren Untergebenen ein paar Augenblicke schweigend. Als sie sprach, war ihre Stimme ausdruckslos: „Ihr…Rückgrat haben Sie vermutlich von Monty.“
„Ich habe von den Besten gelernt, Ma’m.“
„Passen Sie bloß auf, dass Sie ihm nicht zu sehr nacheifern. Der Mann wurde immerhin degradiert. Was für eine verdammte Verschwendung…
Also gut, ich werde Ihnen das durchgehen lassen. Und ich werde fürs Erste Ihrem Vorschlag entsprechen. Sehen wir mal, ob das reicht. Sollte ich wieder mit dieser Posse belästigt werden oder Obasanjo ihre ‚Strafe’ als einen Freibrief begreifen – dann wird es IHR Kopf sein, der unters Fallbeil kommt. Drücke ich mich klar genug aus?“
„Unmissverständlich.“
„Gut. Wich ich gehört habe, haben sie auf der HONGKONG einen ähnlichen Stunt versucht. Gewöhnen Sie sich das bloß nicht an. Mit DEM Beispiel sollten Sie besser nicht führen. Ihr Glück, dass Lieutenant Commander Aznar die Angelegenheit abgebügelt hat. Solange es keine weiteren Beschwerden in dieser Hinsicht gibt, sehen wir das ganze am Besten als nicht geschehen an. Es würde keinen guten Eindruck machen, wenn SIE eine Disziplinarstrafe erhalten würden. Das konnte sich vielleicht Skunk oder Radio erlauben – aber sie haben weder die nötigen Beziehungen noch einen passenden Freischein, um in deren Fußstapfen zu treten.
Ich hoffe deshalb, dass Sie etwas aus dieser Sache gelernt haben. Sie haben sich für Ihren Bordschützen eingesetzt und vor eine Untergebene gestellt, die etwas Richtiges auf die falsche Art und Weise getan hat. Und das war gut. Aber so etwas ist immer riskant. Wenn Sie das tun, dann übernehmen Sie Verantwortung. Seien Sie also nicht zu leichtfertig mit Ihrem Vertrauen.
Und sehen Sie zu, dass Sie endlich Ihre Staffel in den Griff bekommen. Es reicht nicht, Ihre Leute zu schleifen und Akariis abzuschießen. Es reicht auch nicht, sich vor einen Untergebenen zu stellen, der Mist gebaut hat. Obwohl dass alles wichtig ist. Aber Sie müssen auch FÜHREN.
Das wäre dann vorerst Alles. Weggetreten.“
Kano salutierte, zögerte allerdings zu gehen. Die Kommandeurin der Angry Angels runzelte die Stirn. Eigentlich war der Japaner gar nicht der Typ für rebellische Widerworte: „Ist sonst noch etwas, Lieutenant?“ Ihre Stimme klang scharf.
Kano zögerte kurz. Er klang fast ein wenig…unsicher: „Ich hätte noch eine persönliche Bitte.“
Raven zog überrascht eine Augenbraue hoch. Auf eine knappe Handbewegung hin erläuterte der Staffelführer der Butcher Bears sein Anliegen. Als er geendet hatte, lächelte die Geschwaderchefin spöttisch, aber fast wohlwollend: „Für einen Samurai sind Sie eigentlich ziemlich weichherzig, Nakakura. Vermutlich einer ihrer sympathischeren Charakterzüge.“
„Ich schulde es ihr. Aber in diesem Chaos komme ich einfach nicht durch. Sie wissen ja selber, wie das ist.“
„Allerdings. Also schön.“ Raven beugte sich über ihren Bildschirm und startete eine Datensuche. Dann blickte sie auf, und lächelte wieder knapp: „Wie es aussieht, hat sie Glück gehabt. Ihr RIO kommt durch. Auch wenn sie in den nächsten Monaten ganz bestimmt nicht mehr ein Cockpit von innen sehen wird.“
„Danke.“
„Wenn es weiter nichts ist. Und jetzt verschwinden Sie endlich…“

Als Kano Ravens Büro verließt, unterdrückte er den Impuls, sich die Stirn abzuwischen. Nur keine Schwäche zeigen.
La Reine hatte auf ihn gewartet. Sie wirkte immer noch verärgert. Das war verständlich. Sie fühlte sich vermutlich trotz allem ungerecht behandelt. Und außerdem hatte sie damit zu kämpfen, dass Kano sich so vor sie gestellt hatte. Mancher wäre dafür dankbar gewesen. Aber La Reine hasste es, wenn jemand anderes für ihre Taten die Verantwortung übernahm. Das weckte in ihr immer den Verdacht, dass der Entsprechende sie nicht für stark genug hielt. Sie brauchte keinen Schutzengel: „Ich vermute mal, ich soll mich bei dir bedanken.“
Kano zuckte mit den Schultern: „Du brauchst dich nicht zu verbiegen. Da ich in diesem Wrack fest gehangen habe – und mein Wingman ohne dich vermutlich erstickt wäre – war ich dir das wohl schuldig. Sieh es als Versuch, dass Gleichgewicht wieder herzustellen. Die Schuld ist damit getilgt. Jetzt brauche ich kein schlechtes Gewissen dir gegenüber mehr zu haben.“
La Reine schüttelte den Kopf und lächelte säuerlich: „Ihr Japse. Die Hälfte der Zeit verstehe ich nicht, nach welchen Regeln du spielst.“
„Ich habe einen Ruf zu wahren. Und solltest du wieder einmal in diese Situation geraten, dann hoffe ich, dass du genauso schnell und entschlossen reagierst. Allerdings solltest du in Zukunft etwas diplomatischer bleiben. Mit Fragging zu drohen…“
„Das nächste Mal biete ich ihm also nur an, ihm die Fresse einzuschlagen.“
Kano grinste kurz. Dann wandte er sich zum Gehen.
La Reines Stimme ließ ihn innehalten: „Na ja, danke.“
Kano drehte sich noch einmal um und lächelte schwach: „Jederzeit wieder. Nur bitte nicht, solange mein Posten noch so provisorisch ist. Noch mal so etwas, und ich werde noch nicht einmal mehr eine Rotte führen dürfen.“
Als Kano sich umdrehte, verschwand sein Lächeln wie weggewischt. La Reine war noch der einfachste Teil der Manöverkritik gewesen. ‚Und jetzt zu dir, du Hundesohn.’

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29.11.2015 14:34 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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Ein wenig mulmig war mir schon, als ich die Rufwahl betätigte. Eine Flotte, die im Verbund flog, hatte naturgemäß wenig private oder semiprivate Kommunikation. Aus blieb sie beileibe nicht. Deshalb neigte man schon seit Jahrzehnten dazu, im Verband reisende Schiffe zu vernetzen. Die gesamte Columbia-Gruppe bildete quasi ein eigenes Subnetz, in dem die Computer Telemetrie- und Routinedaten austauschten, in denen wichtige und nicht so wichtige Meldungen versandt wurden, und mit dessen Hilfe die Kommunikation der nicht so wichtigen Gelegenheiten erfolgte.
Quasi huckepack mitgeschleppt.
Solange die Schiffe nicht zu weit voneinander entfernt waren, erfolgte dies sogar ohne nennenswerten Zeitverlust und nahezu ohne Dilatationseffekte. Eine Lichtraumverbindung lohnte eben nicht, wenn zwei Schiffe lediglich ein paar Lichtsekunden getrennt waren.
Dennoch, ich scheute vor diesem Anruf, direkt in mein Büro. Nun, eigentlich war es Skunks Büro. Und davor war es Lone Wolfs Büro gewesen. Und ein gewisses Ekel namens Long hatte auch mal dort gesessen.
Aber das schien alles so lange her zu sein.
Viel zu lange.
Im Moment okkupierte Mantis Tisch und Stuhl, und versuchte aus den Resten der Schlacht eine Staffel zusammen zu halten.
Wir befanden uns mittlerweile zwei Systeme entfernt, hatten so viel Distanz wie möglich zwischen uns und Karrashin gebracht. Ich war in dieser Zeit, immerhin zweieinhalb Tage, entweder betäubt, narkotisiert oder so benommen von den Beruhigungsmitteln gewesen, das ich gerade noch mal meinen Namen hatte lallen können - wenn ich gewollt hätte. Donovan hatte es da leichter gehabt. Er hatte die zwei Tage durch geschlafen, um seine Gehirnerschütterung in den Griff zu bekommen.
Jetzt wachte er langsam auf, desorientiert, mit Fragmenten der Schlacht konfrontiert und gefangen von der eisigen Angst vor dem Tod in den Weiten des Alls. Aber er fing sich gut, je mehr er erwachte.
Ich wusste es. Immerhin war es mir so ergangen.
Und wir waren wir in einen Raum verlegt worden. Gleich nach dem Sprung war ein ganzes Rudel Shuttles auf der KAMI gelandet und hatte an Verletzten und Schwerverwundeten abgeladen, was das Lazarett hatte aufnehmen können. Den anderen Schiffen, die glatter als die COLUMBIA davon gekommen waren, erging es nicht besser. Es war bezeichnend dafür, wie schlecht es dem Träger ging, wie beengend die Verhältnisse auf der größten Krankenstation der Flotte sein mussten.
Noch ein Grund, Schiss vor diesem Anruf zu haben.
Nikki musste bis über beide Ohren in Arbeit stecken. Wenn ich mich da auch noch rein würgte, war das mehr als unfair. Immerhin war ich nicht einsatzbereit, immerhin konnte ich ihr nicht helfen. Immerhin war sie die aktive Kommandeurin der Staffel.
Im Moment.
Sobald man mich hier wieder raus ließ, und sei es um einen Schreibtischjob zu übernehmen, würde ich es tun. Eiskalt tun. Dementsprechend war es nicht reine Neugier, die mich anrufen ließ, sondern das Verlangen des Staffelchefs - interim wie Nikki - über den Zustand seiner Leute informiert zu werden.
Donovan schlief schon wieder. Ich wusste nicht, ob und was er mit bekam, aber ich war mir sicher, zwischen dem einen oder anderen Kotzanfall hatte er tatsächlich flüssige Nahrung geschluckt und nicht sofort wieder ausgespien.
Immerhin. Neidisch war ich schon. Seine Gehirnerschütterung würde schneller verheilen als mein doppelter Beckenbruch, von den anderen Kleinigkeiten mal abgesehen. Das bedeutete, er würde vor mir Staffelchef - interim - der Roten werden. Merkwürdig, das mir das nach all dem Ärger, all dem Leid, den Gefechten, dem Tod an sich und dem individuellen Sterben, dem ich zugesehen hatte, überhaupt noch etwas bedeutete. Aber Menschen waren weder logisch noch rational. Sie waren emotional, und am fliegen hing mein Herz.
Vielleicht war es auch nur der Weltraum an sich, den ich brauchte wie andere die Luft zum atmen. Meine Flugzeit auf Markham Fields hatte mir wieder einmal bewiesen, was für schlechte Freunde Planeten und ich doch waren... Langer Rede kurzer Sinn, ich bestätigte die Durchwahl und harrte der Dinge die da kommen würden.

"Lieutenant Shaw", empfing mich ihr Konterfei auf dem kleinen Monitor, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Sie arbeitete konzentriert an irgendwelchen Unterlagen, welche die Kamera nicht erfasste.
"Lieutenant Davis", erwiderte ich.
Sie sah für einen Moment auf, widmete sich ihren Unterlagen und sprang abrupt auf. "ACE?"
Es dauerte einen Moment, bis ich mehr von ihr sah als ihr Becken. Sie beugte sich vor und starrte ungläubig in die Kamera. "Kleiner, es tut verdammt gut, dich zu sehen. Wenn du schon wieder telefonieren kannst, dann schaff mal schnell deinen Arsch wieder auf die gute alte COLUMBIA und nimm mir diesen Scheiß Papierkrieg ab. Was ist dir überhaupt passiert? Mir wurde nur mitgeteilt, du und Donovan wärt nach dem Sprung als auf der KAMI befindlich gemeldet worden!"
"Das ist eine lange Geschichte", seufzte ich. "Werde ich erzählen, versprochen, in einer ruhigen Minute. Nur soviel, der verrückte Hund Noname hat mir echt die Eier gerettet. Was den Papierkrieg angeht, wir haben hier eine sehr freundliche, resolute und extrem fähige Oberärztin. Sie hat mir versprochen, das ich hier zum Ende der Woche raus darf. Ich lasse mich dann mit einem Rollstuhl rüber schaffen und nehme meinen Dienst wieder auf." Ich runzelte die Stirn. "Doppelter Beckenbruch und noch ein paar Kleinigkeiten. Aber alles verheilt gut. Bald bin ich dein Papierkrieger, Nikki. Noname kommt sogar noch früher rüber, wenn alles glatt geht."
"Das sind ja zwei gute Nachrichten auf einmal. Das freut mich." Sie schnaubte amüsiert. In solchen Momenten, wenn ihr der Schalk oder der schwarze Humor aus den Augen sprang, wirkte sie immer noch wie ein junges Mädchen, und nicht ein kleines bisschen wie eine Frau, die bereits einen Enkel hatte. Vielleicht mittlerweile schon zwei. Sie war nie sehr freigiebig mit Familienfotos gewesen. "Viel Staffel werdet ihr beide nicht zum übernehmen haben. Neben euch beiden Clowns hat es Too-Tall und Tulip erwischt. Sie kommen die Woche ebenfalls noch raus. Unicorn ist schwer verletzt worden. Er ist ein Fall für die Rekon. Und jetzt die schlechteste Nachricht: Cosmos ist drüben geblieben. Falls ihn nicht irgendein Shuttle aufgefischt hat, das ihn vergessen hat anzumelden, wissen wir gar nichts mehr über ihn. Keine Ahnung ob er ausgestiegen ist oder mit seiner Mühle explodierte. Die Eierköppe prüfen die Gefechtsaufzeichnungen noch. Im Schlimmsten Fall ist er tot."
Ich schüttelte energisch den Kopf. "Im schlimmsten Fall haben ihn die Akarii. Im besten Fall ist er tot." Ich ging die Staffelaufstellung im Kopf durch und nickte schließlich. "Es hätte schlimmer sein können. Zwei Totalverluste bei einer derart ausgedünnten Personaldecke ist übel, aber noch nicht übel genug. Spätestens wenn Noname und ich wieder in eine Nighthawk steigen können, dürften die Roten nicht nur mehr auf dem Papier existieren." Das dünne Lächeln auf meinen Lippen erstarb. "Wie schlimm ist es?"
"Sehr schlimm. Die COLUMBIA hat ein Drittel der Sektionen verloren und braucht dringend eine Werft. Sie hat einige wirklich miese Schläge einstecken müssen. Aber immerhin ist sie noch flugfähig. Die Besatzung hatte so hohe Verluste wie noch nie zuvor, habe ich mir sagen lassen. Und die anderen Staffeln wurden auch ganz schön zerpflückt."
"Ah, ja, gutes Thema. Raven?"
"Unser CAG lebt und gedeiht. Aber es geht das Gerücht sie teilt sich einen Raum mit Lone Wolf."
Mir entfuhr ein leises Glucksen. "Wer hätte gedacht, dass die beiden noch einmal miteinander auskommen würden. Ohka?"
"Hat zuverlässig wie ein Uhrwerk seine Maschine verloren. Aber er ist mit einem Bomber wieder raus. Hat, wenn ich mich nicht irre, vier, fünf Abschüsse geholt."
Säuerlich meinte ich: "Ich komme leider nur auf drei und auf einen Idioten, der mir hinter her ist und dabei von einem Abgasstrahl gebraten wurde. Ich denke nicht, dass Raven mir den anrechnen wird - leider. Was ist mit Lilja?"
"Schwer verwundet noch mal mit raus, noch schwerer verwundet zurück und liegt jetzt wahrscheinlich mit vierzig Metern Kabelbinder arretiert in ihrem Bett. Eventuell auch mit einem Knebel im Mund. Ich habe gehört, der Chefarzt will diesmal kein Risiko eingehen. Und ihr XO hat diese Maßnahmen ausdrücklich begrüßt."
"So, hat Ina das? Sie war schon immer die einzige, die Tatjana in den Griff gekriegt hat", sagte ich amüsiert.
"Tatjana?", fragte Mantis argwöhnisch und hob die rechte Augenbraue.
"Hey, ich war schon mit ihr essen", verteidigte ich mich lachend.
"Und damit bist du wohl das einzige Mitglied in einem superexklusiven Club." Mantis faltete die Arme vor der Brust ein und setzte sich endlich. "Ich nehme an du sitzt, Ace."
"Im Moment liege ich." Argwöhnisch musterte ich die Untergebene. Meine Nackenhaare richteten sich auf. Da stimmte doch was nicht. "Raus damit. Ist was mit Huntress?"
"Sie wird MIA geführt, Ace. Mehr weiß ich im Moment nicht. Ich hatte in den letzten drei Tagen etwa fünf Stunden Schlaf und drei Patrouillenflüge."
"Missed in action? Die Blauen haben den Träger verteidigt, oder? Wenn sie ausgestiegen ist hätte sie zur COLUMBIA zurück schwimmen können."
Abwehrend hob sie kurz die Rechte an. "Mehr weiß ich nicht. Auf jeden Fall freue ich mich, dass du und Noname so bald zurückkommen werden. Ich bin ein für allemal davon kuriert, freiwillig Verantwortung zu übernehmen. Ich will ne Staffel nicht mal geschenkt. Was Huntress angeht, vielleicht weiß Chip mehr. Hat auch nicht viel geschlafen, der arme Junge."
"Verstehe. Ich rufe ihn gleich als Nächstes an. Wie sieht es allgemein aus? Ist die COLUMBIA einsatzbereit?"
"Wir sind ein Startdeck ärmer. Das heißt, wir haben immer noch ein zweites. Ja, das kann man als einsatzbereit bezeichnen, wenn man Masochist ist."
"Leider ist Lone Wolf das, oder? Ich melde mich, sobald ich wieder an Bord bin, Nikki."
"Und sobald du dich meldest, werde ich meine Arme hoch schmeißen, Donovan küssen und mich ziemlich und gesittet auf meine Position als dritte Sektionsführerin zurückziehen. Beeile dich gefälligst, Captain Blauhaar."
Ich grinste schief und strich mir über die Haare. Noch waren sie kurz geraspelt. Ich hatte zwar nicht vor sie länger werden zu lassen, weil mein Haarton ihnen einen komischen Blauton entlockte, aber andererseits war die Demut, aus der heraus ich überhaupt mit diesem Schnitt angefangen hatte, schon lange hinter mir.
"Dein Wort ist mir Befehl, Grandma."
Sie schnaubte amüsiert und drohte mir mit vorgerecktem Kinn. "Das wagst du auch nur zu sagen, weil du achtzig Klicks freien Weltraum von mir entfernt bist, Ace."
Ich lachte, und sie fiel ein. "Ich melde mich", versprach ich und schaltete ab.

Mein nächster Anruf galt Chip. Jetzt erst kroch die Erkenntnis in mir hoch wie unwirklich das Gespräch geworden war, ab dem Moment, wo Mantis mir von Julianes MIA-Status erzählt hatte.
Hatte ich das wirklich registriert? Abgespeichert? Verstanden? Huntress war missed in action, verloren im Weltall, tot oder mittlerweile Kriegsgefangene der Akarii.
Besonders letzteres drang endlich durch den Schirm aus schlechten Witzen, die Drogen und einige andere Dinge, die ich nicht hatte beiseite schieben können. Mit Mantis gelacht zu haben erschien mir nun so kraftlos, so unpassend. Oder fühlte ich nichts mehr für sie, seit wir uns ausgesprochen hatten? Nein, das war es nicht. Viel mehr pochte da die Hoffnung in mir, dass sie Opfer unserer Verwaltung geworden war und längst auf einem anderen Schiff der Flotte den Skipper, den Bordarzt oder den Chef der Shuttles nervte, weil sie zurück zu ihrer Staffel wollte.
Natürlich. So musste es sein. Es konnte war nicht anders sein. Wahrscheinlich würde Chip mich ansehen und rufen: "Ace, Huntress lebt und ist auf dem Weg hierher!"
Ich atmete tief aus, drängte meine Befürchtungen beiseite. Selbst wenn sie gefangen genommen worden war - ich hatte eine viel schlechtere Behandlung überlebt. Ich war halb tot gewesen. Ich...
Meine Hände krampften, öffneten und schlossen sich wie in dem Moment, als Ian hier gewesen war, um mir mitzuteilen, dass Jeans Verlobter während der Schlacht getötet worden war. Ich hatte Ken Howard nie gemocht und daraus niemals einen Hehl gemacht. Aber ich wusste, welcher Schmerz meine kleine Schwester nun erfüllte, mit welchen Dämonen sie zu kämpfen hatte, wie dumpf und wütend das Gefühl in ihrer Brust pochte.
Verdammt, wenn Juliane wirklich in der Hand der Akarii war, sollte ich mich besser zum erstbesten Fronteinsatz freiwillig melden. Noch besser zum Geheimdienst, um heraus zu finden, auf welcher Dreckswelt die Akarii ihre Kriegsgefangenen nun schuften ließen.

"Lieutenant Harris", klang die Stimme von Chip auf. Er wirkte übernächtigt, geradezu todmüde. Und auch er arbeitete mehr oder weniger konzentriert, anstatt mich auch nur eines Blickes zu würdigen.
"Lieutenant Davis", erwiderte ich.
Chip sah auf. Sein Schreiber fiel ihm aus der Hand. "Cliff... Ich habe gehört, dass du lebst, aber..."
"Die Gerüchte über meinen Tod sind stark übertrieben. Zitat von Mark Twain. Also, was ist mit Juliane? Warum wird sie MIA geführt? Wieso will man mir einreden, man könne die Staffelführerin, die für den Schutz der COLUMBIA zuständig ist, nicht aus allernächster Nähe des Trägers aus dem All pflücken?"
"Ace, Huntress ist tot."
Ich erstarrte. Stockte. Erschrak bis ins Mark. Mein Herz setzte aus. Meine Gedanken setzten aus. Einfach alles verschwand. Nicht einmal als Pinpoint gefallen war, hatte es mich so aus der Realität gewischt. "Was?", brachte ich mühsam hervor. "Was?" Das war nicht die Antwort, die ich hatte hören wollen.
"Sie wurde abgeschossen. Dabei stürzte ihre Falcon auf die Big Mother. Sie hat die Selbstzerstörung ausgelöst, bevor sie in einen unserer Werfer krachen konnte. Die Analytiker rechnen noch, aber die Chance, dass sie unbemerkt von ihrer Staffel, unbemerkt von mir aussteigen konnte und da draußen im All trieb, ist gleich null."
Seine Stimme war warm, beinahe zärtlich, als er von Juliane sprach. Seine Augen waren klein und mit dicken Tränensäcken unterlegt. Er hatte bereits um sie getrauert. Nun fing er an, sie zu bewundern. "Schätze, sie hat sich selbst hochgejagt. Ich weiß nicht, ob ich dafür den Mut hätte. Sie hatte ihn."
Er verstummte, sah auf die Tischplatte. Als er wieder aufsah, waren da Tränen in den Augenwinkeln. "Verdammt, Ace, ich konnte sie nicht beschützen."
Ich verstand. Verstand mit der Klarheit eines Mannes, der plötzlich die Realität in allen Facetten erfasst hatte. Chip entschuldigte sich... Bei mir. Und das tat beinahe noch mehr weh als die Gewissheit, mit der er Julianes Tod erklärt hatte.
Ich weinte.
Man sagte ja über Piloten, dass sie furchtbar harte Säue wären, und außer flotten Anmachsprüchen und derben Witzen keine Emotionen kannten, ja, sie verpönten und die Weicheier abstraften, die sich welche gestatteten. Aber das stimmte nicht. Piloten waren auch nur Menschen. Sie spürten das volle Spektrum, von Freude bis Trauer.
Ich fühlte Trauer. Grenzenlose, abgrundtiefe Trauer. Trauer um eine Frau, mit der ich hätte mein Leben verbringen können. Die mir so viel bedeutet hatte wie Kali, und von der ich davon gedriftet war, weil... Weil... Ich wusste es nicht. Ja, davon. Hatte ich überhaupt jetzt das Recht, um sie zu weinen?
"Es tut mir leid", hauchte Chip.
Ich wollte ihn beschwichtigen. Ihn beruhigen. Ihm sagen, dass ihn keine Schuld traf. Irgendetwas tun. Sagen. Schaffen. Die Hand heben. Etwas, irgendetwas. Doch dann schaffte ich es doch nur abzuschalten, und weiter zu weinen.
Ich ließ Chip damit in seinem eigenen Elend zurück, aber ich hatte nicht die Kraft, stark zu sein. Weder für uns beide, noch für mich ganz allein. Juliane Volkmer war ein Teil meines Lebens geworden. Ein wichtiger Teil. Ein sehr wichtiger Teil wie Kali einer war. Und nun... Hatte ich sie umgebracht.
Ich starrte auf meine Hände, sah dabei zu wie sie sich ballten und krampften. Oh, ich hatte schon vorher gewusst, dass ich ein Mörder war. Mörder an Dutzenden, hunderten Akarii. Neu war mir, dass auch meine Worte töten konnten. Ja, ich hatte Huntress getötet, damals als ich mich von ihr verabschiedet hatte.
Ich war auch ihr Mörder. Wieder begann ich zu weinen.

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29.11.2015 14:36 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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„Haben Sie den Akarii abgeschossen?“
Das war nicht die erste Frage, die Tiburon erwartet hatte. Überraschenderweise wirkte der Staffelführer ziemlich ruhig. Bleich, aber beherrscht. Dennoch blieb Tiburon auf der Hut. Irgendetwas stimmte hier nicht: „Ja. Mein sechster Abschuss.“ Er konnte den Stolz nicht ganz aus seiner Stimme halten.
Kano Nakakura erhob sich so ruckartig, dass sein Untergebener kurz zusammenzuckte. Die linke Hand des Japaners knallte unangenehm laut auf die Tischplatte. Aber seine Stimme blieb leise: „Und glauben Sie wirklich, dass es das wert war?“
„Ich…“
Kano schnitt ihm das Wort ab: „Sie haben in einer Gefechtssituation einen Befehl Ihres direkten Vorgesetzten missachtet. Mehrfach.“
„Die Funkverbindung war sehr schlecht.“
„Versuchen Sie nicht, mich für dumm zu verkaufen! Diese Ausrede war schon alt, bevor das erste Mal ein Funkgerät in ein Flugzeug eingebaut wurde. So können Sie Ihren Hals nicht retten!“

Jetzt reichte es Tiburon: „Und was war mit Ihnen? Sie mussten ja unbedingt den Schutzengel für die CAULAINCOURT spielen! Deswegen musste Grizzly sterben! Und ich weiß, warum Sie sich unbedingt bei den Großschiffen einmischen mussten! Ihr Bruder dient auf dem Zerstörer! Jeder weiß das! Und Sie wollen mir Vorhaltungen machen, weil ich Eigeninitiative ergriffen habe?! Wer gibt Ihnen das Recht?!“
„HALTEN SIE DEN MUND! Oder ich schleife die Reste Ihres bemitleidenswerten Selbst eigenhändig vor ein Kriegsgericht! Ich bin es leid, mir von Idioten und Halbsoldaten auf der Nase herumtanzen zu lassen! Vielleicht durften Sie sich in der Gelben Staffel solche Sperenzchen erlauben. Aber nicht bei mir!
Was mir das Recht gibt?! Das Recht?! Ich bin Ihr Staffelführer! Ich hatte die ausdrückliche Erlaubnis der Geschwaderkommandeurin, der CAULAINVOURT zu Hilfe zu kommen. DAS gibt mir jedes Recht, dass ich jemals brauchen werde. Es gibt mir sogar das Recht, Sie in den Tod zu schicken!“
„Wie können Sie…“
In Kanos Stimme schwang auf einmal ein gefährliches Schleifen mit: „Ich glaube, Sie erkennen immer noch nicht den Ernst Ihrer Lage, Lieutenant. Sie sind genau einen Satz von einem Kriegsgericht entfernt. Und ich schwöre Ihnen, ob man Sie erschießt, Sie einsperrt, degradiert, oder aus der TSN ausstößt – Sie werden niemals mehr in Ihrem Leben den Steuerknüppel eines Kampffliegers anfassen. Also...seien…Sie…still!“

Es war nicht das erste Mal, dass jemand Tiburon mit dem Kriegsgericht drohte. Aber nur selten war diese Drohung ernst gemeint gewesen. Die meisten Kommandeure vermieden einen solchen Schritt, solange es nicht absolut unumgänglich war. Denn jedes Verfahren hinterließ auch in der Akte des kommandierenden Offiziers einen hässlichen Fleck.
Aber der indianische Pilot fühlte, dass dies einer dieser seltenen Fälle war. Kano hatte das Militärrecht auf seiner Seite. Insubordination in einer Gefechtsituation konnte theoretisch sogar mit dem Tode bestraft werden. Und Nakakura war bereit, so weit zu gehen, um sich durchzusetzen. Der verdammte Japs war auf Kamikazekurs. Tiburon begriff, dass er in dieser Situation mit Widerworten nicht weiterkommen würde. Und erst Recht nicht, wenn er dem Drang nachgab, diesem arroganten Arschloch seine Faust ins Gesicht zu rammen. Vielleicht wartete Nakakura sogar nur darauf. Tiburon war sich sicher, mit dem kleineren Piloten fertig werden zu können. Allerdings würde ihm das nicht viel nützen. Und vor dem Kriegsgericht würde sich das auch nicht gut machen. Außerdem prügelte er sich normalerweise nicht mit jemandem, der verletzt war.
‚Vielleicht greift sich auch ganz einfach seine Pistole, um mich über den Haufen zu knallen. Würde zu ihm passen.’
Also riss sich Esteban Pallardo mühsam zusammen und unterdrückte seine Mordgelüste.

Ein paar Augenblicke sagte keiner der beiden etwas. Aber dann war es nicht Kano, der zuerst den Blick zur Seite wandte. Sein Gesicht hatte jetzt wieder diesen emotionslosen, harten, fast maskenhaften Ausdruck angenommen, für den er inzwischen berühmt war. Eine Maske, hinter der er Angst, Wut, Unsicherheit und Zweifel verbergen konnte.
Und in seiner Stimme lagen nicht mehr Emotionen, als man aus seiner Miene lesen konnte. Gar keine: „Wie steht es mit Ihrem Gedächtnis, Lieutenant Pallardo?“
„Was?“
„Sie erinnern sich nicht mehr an das Gespräch, dass wir beide vor etwa einer Woche hatten? Ich schon. Ich hatte Sie und Ihre Kameraden gewarnt, meine Autorität nicht noch einmal infrage zu stellen. Damals sind Sie sehr billig davon gekommen. Aber ich habe Ihnen gesagt, dass dies das letzte Mal sein würde. Falls Sie geglaubt haben sollten, dass das alles nur heiße Luft war – Sie haben sich geirrt.
Sie werden mir jetzt zuhören und den Mund halten. Ich will keine Diskussion, keine Kommentare und keinen Protest. Kein ‚Erlaubnis, frei sprechen zu dürfen’. Wenn ich auch nur ein Widerwort von Ihnen höre, lasse ich Sie auf der Stelle arretieren, und verständige den JAG. Habe ich mich JETZT klar und unmissverständlich ausgedrückt?“
Tiburon biss die Zähne zusammen: „Ja, Sir.“

„Gut. Erstens: der zurückgehaltene Akteneintrag wegen der Prügelei wird hiermit wirksam.
Zweitens: Sie erhalten eine weitere schriftliche Rüge. Wegen Befehlsverweigerung in einer Gefechtssituation. Dieser Eintrag wird nicht zurückgehalten oder ausgesetzt. Er ist außerdem verbunden mit der Empfehlung einer Beförderungssperre auf unbestimmte Zeit.“ Letzteres war nur noch eine Formalität. Zwei derartig schwerwiegende Einträge innerhalb einer Woche disqualifizierten Tiburon ohnehin für die nächsten Jahre für eine Beförderung.
Kano fuhr unbeirrt fort, ignorierte die hasserfüllten Blicke, mit denen Tiburon ihn durchbohrte: „Drittens: Jeder weiterer Eintrag wegen einem Disziplinarvergehen innerhalb der nächsten sechs Monate wird automatisch ein Verfahren nach sich ziehen. Und das ist keine leere Drohung. In dem Augenblick, in dem mir ein solcher Vorfall zu Ohren kommt, wird Ihre Akte an den Geschwaderchef und den JAG weitergeleitet. Es liegt also alleine bei Ihnen, ob Sie sich vor einem Gericht verantworten müssen. Aber ich bin nicht länger gewillt, Ihre ständigen Disziplinarverstöße unter den Tisch zu kehren oder intern zu regeln.
Viertens: Bis auf weiteres werden Sie pro Tag zwei Stunden als freiwillige technische Hilfskraft bei den Instandhaltungs- und Aufräumarbeiten im Hangar eingesetzt. Es gibt genug zu tun. Diese Zeit wird von Ihrer Freizeit abgezogen. Sie werden daneben selbstverständlich auch ihren normalen Diensteinsatz ableisten. Betrachten Sie diese Tätigkeit als eine Art…Lernkurs. Sollten Sie sich nicht zusammenreißen, wird diese Tätigkeit künftig die einzige sein, bei der Sie in die Nähe eines Raumjägers kommen. Und glauben Sie nicht, dass Sie durch Ihren Dienstgrad irgendwelche Privilegien einfordern oder eine ruhige Kugel schieben können. Ich werde mir die Zeit nehmen, mich über Ihre Arbeitsmoral und Ihren Einsatzwillen zu informieren.
Sollten Sie jetzt allerdings das Gefühl haben, ungerecht behandelt worden zu sein… Sollten Sie meinen, dass Sie diese…informellen Strafmaßnahmen nicht akzeptieren können…
Dann sagen Sie mir das HIER UND JETZT. Dann sehen wir uns vor dem JAG wieder.
Also, sind Sie der Meinung, dass ich mich Ihnen gegenüber ungerecht verhalten habe, Lieutenant Pallardo?!“
Tiburons Stimme klang erstickt: „Nein,…Sir.“
„Gut. Sie können wegtreten. Ihre neuen Dienstzeiten werden Ihren mitgeteilt werden.“

Tiburon drehte sich ruckartig herum und stürzte förmlich aus dem Büro. Kano fluchte lautlos. Er hatte kein gutes Gefühl bei der Sache. Er hatte sich durchgesetzt. Das würde die Runde machen – was natürlich der Sinn war. Aber dennoch, er selber machte auch keine allzu gute Figur.
Dennoch…er hatte durchgreifen müssen. Es war immer noch besser, gehasst und gefürchtet, statt verachtet oder – schlimmer noch – bemitleidet zu werden. Deshalb hatte er die Möglichkeiten, die ihm als Staffelführer offen standen, bis zum allerletzten ausgereizt. Er hatte auf Tiburons Insubordination sehr hart reagiert, vielleicht zu hart. Ob er gewonnen hatte, dass würde die Zukunft zeigen.
Aber falls Tiburon weiter auf Konfrontationskurs blieb, oder wenn sein Temperament mit ihm durchging…Dann würde Kano keine Wahl mehr haben. Er würde den JAG einschalten müssen. Disziplinarverfahren, Kriegsgericht…
Er würde das durchziehen müssen, wenn er die Staffel würde weiter führen wollen. Wenn er nicht einmal einen Second Lieutenant in den Griff bekam…
Auf jeden Fall hatte er sich einen Feind gemacht. ‚Erst Renegade und nun Tiburon. Ich habe offenbar ein Händchen dafür. Allerdings…Tiburon ist deutlich fähiger. Und gefährlicher. Ich muss Ihn im Auge behalten. Und Ihn in eine andere Rotte zu stecken, wird das Problem diesmal nicht lösen.’
Dennoch, er stand zu seinem Entschluss. Und er würde seine Drohung wahr machen. Er würde nicht einknicken. Denn auch DAS gehörte dazu, eine Staffel zu führen.

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Sternenrauschen

TRS Relentless, irgendwo zwischen Karrashin und Sterntor

Von seinem Standpunkt aus hatte Commodore Chris Mithel einen guten Ausblick über die scheinbar endlosen Reihen Männer und Frauen, die vor ihm angetreten waren. Es mussten gut und gerne 600 sein, in Navy-Weiß oder den Farben der Marines. Sie alle trugen Galauniformen, die ein überwältigendes Schauspiel boten. Gold, Silber und Bronze, Rot, Grün, Blau und andere Farben schimmerten auf den Uniformen in Zierstreifen und Rangabzeichen, in Orden und Kampagnespangen. Es war natürlich nicht die gesamte Besatzung des Kreuzers angetreten. Nicht nur, weil einige Besatzungsmitglieder noch immer schwer verwundet in der Krankenstation lagen, und weil andere in der Schlacht gefallen waren. Sie befanden sich im Augenblick in Gebiet, das nominell zwar von der TSN kontrolliert wurde, doch die Akarii hatten bewiesen, dass sie sich darum nicht kümmerten. Mithel war zu erfahren, um irgendetwas für sicher zu nehmen. Deshalb fehlte nicht nur eine ausreichende Rumpfbesatzung, sondern auch die Erste Offizierin und viele Brückenoffiziere der ersten oder zweiten Garnitur. Mithel wusste, wie wichtig diese Feier heute war, doch einmal mehr gingen dienstliche Belange vor. Wer das anders sah, hatte in der Flotte – und mehr noch, auf seinem Schiff – nichts verloren. Es würde später eine zweite Feier für die Wachgänger geben. An Stelle der fehlenden Männer und Frauen waren gerettete Besatzungsmitglieder von zerstörten Schiffen aufmarschiert – der Dauntless, der Lochinel of Cameron oder der Obliterator, und auch von kleineren Kriegsschiffen. Mithel hatte die Überlebenden in den Dienstbetrieb integriert, kaum das ihnen Diensttauglichkeit bescheinigt worden war, andere Schiffbrüchige dienten auf den übrigen Kreuzern und anderen Schiffen. Obwohl manche der „Neuzugänge“ Zeit brauchten, um sich einzugewöhnen, von dem Trauma der Niederlage abgesehen – hier und heute hatten sie sich die Teilnahme verdient.

Der Anblick war dementsprechend beeindruckend. Die Shuttles waren so gut es ging zur Seite geschafft worden – bedauerlicherweise war das nicht übermäßig schwer, da etliche fehlten. Auch wenn der Commodore nicht auf einer wirklichen Rednertribüne stand, so hatte man ein Podest improvisiert, das ihn für alle sichtbar machte, ohne ihn zu sehr von den anderen abzuheben. In seiner weißen Uniform, mit den zahllosen Kampagneabzeichen, einer ganzen Reihe von Orden und anderem „Flitterkram“ bot der Geschwaderchef einen durchaus sehenswerten Anblick. Seine Stimme ließ sein Alter nicht im Geringsten vermuten, sie klang so kräftig und scharf wie eh und je: „Das Ganze…Achtung! Stillgestanden!“ Er wartete einen Moment, während die Reihen vor ihm wogten und Haltung annahmen. Die Marines präsentierten ihre Waffen. Der Commodore sprach nicht nur zu den Männern und Frauen vor ihm, seine Worte wurden auch an Bord der anderen Schiffe der Schwadronen 2.7 und 2.3 übertragen. Viele waren es nicht mehr…
„Rührt…Euch!“
Er holte tief Luft. Das hier würde nicht leicht werden, nicht einmal für ihn. Aber es sollte auch nicht so wirken, als ob es leicht wäre, denn das wäre nicht angemessen gewesen.
„Soldaten – Männer und Frauen, meine Kameraden. Wir sind heute hier zusammengekommen, um unserer toten Kameraden zu gedenken, die in der Doppelschlacht von Karrashin gefallen sind. Wir haben ihre sterblichen Überreste bereits zur Ruhe gebettet, unweit des Ortes, für den sie ihr Leben gaben, und wo sie starben, um uns und andere zu retten. Es war ein hastiges Begräbnis, verfolgt vom Feind, voll Unsicherheit, was die kommenden Tage bringen würden. Unsere Trauer war davon unberührt, denn sie kam von Herzen und brauchte keine Zeremonie. Doch jetzt, nachdem die letzten Wunden verbunden, die letzten Schäden behoben sind, ist der Moment gekommen, da uns die Schwere unseres Verlustes wirklich bewusst wird, die Lücken in unsere Reihen umso deutlicher ins Auge fallen. Namen von Schiffen, die über Monate oder Jahre unsere stets verlässlichen Mitstreiter waren, werden nur noch in trauerndem Gedenken genannt werden. Wir haben vorher nicht minder um sie getrauert, doch da war stets auch unsere Pflicht, die Gefahr einer weiteren Schlacht, die Gefahr für unser eigenes Schiff im Auge zu behalten. Es war unser oberstes Gebot, zuerst an die Lebenden zu denken. Jetzt ist der Moment gekommen, an dem wir uns endlich Zeit nehmen für die Toten.“ Der Commodore sah, dass seine Worte nicht ohne Wirkung blieben. Nicht etwa, weil er ein begnadeter Redner war. Aber seine Stimme – die für seine Untergebenen nun einmal seit Jahren die wichtigsten Nachrichten bekannt gab, Sieg oder Niederlage, Angriff oder Rückzug, Leben oder Tod – diese Stimme ließ die Wirklichkeit noch ein Stückweit realer werden. Wenn der Commodore erst etwas bekannt gab, dann war wenig Hoffnung, dass es sich als falsch herausstellen würde. Dann war es offiziell, eine Tatsache, der man sich zu stellen hatte.

„Deshalb habe ich mich entschlossen, dieses Treffen abzuhalten. Keine noch so aufrichtige Trauer und keine Zeremonie können den Schmerz um die Gefallenen wirklich lindern – das vermag, vielleicht, nur die Zeit. Doch ich will, dass wir heute gemeinsam unserer Kameraden gedenken. Denn sie waren nicht nur der Freund eines Einzelnen – sie waren unser aller Kameraden, wie nah wir ihnen auch persönlich standen. Sie alle waren Teil unseres Zuhauses, unseres Schiffes, unseres Geschwaders. Sie waren Teil einer Gemeinschaft, die der Krieg geschaffen hat, und in der sich jeder auf den anderen verlassen konnte, wie auf sich selbst. So ist die Trauer eines oder einer Einzelnen uns aller Trauer. Wir alle werden jene vermissen, die nicht mehr sind.“
Erneut schwieg er kurz, als dächte er an all die Kameraden und Freunde, die er verloren hatte – und von denen manche gestorben waren, weil sie seinen Befehlen gehorcht hatten. Doch wenn der Commodore Zweifel empfand, so zeigte er sie nicht.
„Wer waren unsere Kameraden? Wer wüsste das besser als wir, die wir Monate, Jahre mit ihnen gemeinsam in einer Stahlhülle verbrachten, Lichtjahre von unserer Heimat, Lichtjahre von den eigenen Linien entfernt? Wer wüsste das besser als wir, die wir sie sahen, wenn sie trotz Gefahr und Todesangst ihre Pflicht erfüllten, ohne sich selbst zu schonen?
Im Leben durchquerten sie wagemutig das tiefschwarze Meer, das die Sterne und Planeten trennt. Sie fuhren zwischen den Sternen, wie die Menschen vergangener Zeitalter zwischen den Inseln der irdischen Meere, und wie diese trotzten sie Stürmen und unerbittlichen Feinden. Ich will nicht sagen, dass sie den Tod in der dunklen Einsamkeit, im Feuer der mörderischen Schlacht nicht fürchteten. Nur Narren fürchten den Tod nicht. Doch sie waren bereit, sich ihm zu stellen – und das machte es aus, was sie waren und was sie vollbrachten. Wir haben zur Ruhe gebettet, von wem uns ein Leib geblieben ist, und wir haben auch die Särge jener dem All übergeben, die für immer verschollen sind. Sie alle ruhen jetzt in den lichtlosen Weiten, die zu Lebzeiten ihr Zuhause waren.“
Lyrik war eigentlich Mithels Sache nicht, doch manchmal konnte er sehr philosophisch werden. Vor allem dann, wenn er meinte, damit etwas erreichen zu können. Doch in diesem Moment war es nicht nur Theaterdonner. Gelegentlich neigte auch der Commodore zu Poesie und Philosophie. Nun, wenn man Entfernungen zurücklegte und über eine Vernichtungskraft gebot, die weit über dem lag, was Menschen wie er in vergangenen Jahrhunderten sich überhaupt hätten vorstellen können, dann neigte man manchmal zur Selbstreflektion. Wer mit offenen Augen zwischen den Sternen reiste, dem musste klar werden, wie vergänglich und nichtig wie Menschen, die Akarii und die anderen Rassen waren.
„Sie werden in unseren Erinnerungen weiterleben, in den Analen der Bundesrepublik Terra und in den Gedanken ihrer Angehörigen. Und doch ist es eine alte Tradition unserer Flotte, ihnen ein Mahnmal zu setzen, dass alles überdauern wird. Sie wurde begründet, als wir das erste Mal das Weltall zum Schlachtfeld machten, und sie ist niemals angemessener gewesen als heute. In einem Kampf, der darüber entscheiden wird, ob wir als unabhängiger Planetenbund überleben werden, oder zu Sklaven der Echsen werden.“ Mit einer knappen Bewegung deutete der Commodore in Richtung der Hangartore und des dahinter liegenden Weltalls: „Wir werden die Erinnerung an unsere gefallenen Kameraden dem All anvertrauen, das auch ihr Grab ist. Wir werden ihre Namen mit unseren Funkgeräten hinaus senden in die Undeutlichkeit. Ihre Namen werden zwischen den Sternen reisen, so schnell wie das Licht der Sonnen, die ihre Heimatwelten beschienen. Sie werden ewig erklingen, auch wenn wir nicht mehr sind. Die Erinnerung an sie wird sich mit dem Rauschen der Galaxie und ihrer Milliarden Sterne vereinen. Unsere Wissenschaftler haben einst diesem Rauschen zugehört, um Spuren von dem Moment zu finden, an dem das Universum entstand. Vielleicht wird eines Tages auf einem fernen Planeten jemand dem Kosmos lauschen – und die Namen unserer Kameraden vernehmen.“ Commodore Chris Mithel nahm Haltung an. Ein knappes Zeichen von ihm, und die Hymne der Republik erklang. Zackig hob er die Hand in dem weißen Handschuh zur Schläfe. Aus den Lautsprechern ertönten die Namen der Toten, in willkürlicher Reihe ausgewählt, während die Kommunikationsoffiziere der Relentless und der anderen Kreuzer die Liste in das All hinaus funkten. Sie alle hatten Verluste erlitten, mit Ausnahme der Devastator, die nicht mehr zum Verband gehörte, sondern mit der Hongkong abkommandiert worden war. Viele Kreuzer der Schwadronen 2.3 und 2.7 fehlten für immer. Die Doppelschlacht von Karrashin hatte von Menschen und Maschinen einen hohen Preis gefordert: „Li-ju Chong, First Lieutenant, TRS Relentless… Layla Masud, Ensign, TRS Lochinel of Cameron… Enrique Eduardo Emilio Gonzales, Captain, TRS Dauntless…“
Die Liste war lang, und nach der Staatshymne erklang noch die Hymne der Flotte und auch das Lied der terranischen Kreuzer, dennoch wurde ein Name nach dem anderen verlesen in einer schier endlosen Reihe: „John Fitzstuart, Ensign, TRS Relentless…Isabella Sanchez, First Lieutenant, TRS Redemption…Chandra Khan, Ensign, TRS Repulse…“
Der alte Mann auf dem Podest behielt Haltung, während die Namen verlesen wurden. Seine Hand zitterte nicht, keine Träne trübte seinen Blick, während viele in der Menge ihre Trauer offen zeigten. Dabei war er es gewesen, der den Plan mit erdacht hatte, wegen dessen so viele der Toten gefallen waren. Er war nicht etwa frei von Trauer oder Bedauern, nicht frei von Selbstvorwürfen. Und doch – es war keine wirkliche Reue. Was er getan hatte, war seiner Ansicht nach aus gutem Grund geschehen, und es war notwendig gewesen. Er würde es wieder tun, würde die Überlebenden in die Schlacht schicken, vielleicht schon morgen. Doch jetzt dachte er an die Toten, und er regte sich nicht, bis der letzte Namen verlesen war.

Schließlich verklangen Musik und Namen. Der Commodore räusperte sich leise, so als müsse er sich wieder sammeln. Er war kein Mann, der offen Gefühle zeigte, doch vielleicht war auch er in diesem Moment ergriffen von seinen eigenen Worten, und den Gedanken, die dahinter standen. Doch dann war dieser Augenblick schon wieder vorbei, und er war wieder der alte. Seine klare Stimme ließ keine Spur von Trauer und Rührung erkennen, jetzt war sie wieder voller kalter Entschlossenheit.
„Es ist notwendig und ehrenvoll, der gefallenen Kameraden zu gedenken, und ihre Namen auf immer zu bewahren, damit sie uns und ihre Feinde überleben mögen. Sie haben sich diese Ehre verdient. Ich will nicht das Andenken an die Toten missbrauchen, um Sie zu noch größeren Anstrengungen anzuspornen. Wir sind Männer und Frauen der Flotte der Bundesrepublik Terra…“ er zögerte gerade so lange, dass es auffiel, um dann mit einem seltenen, schmalen Lächeln hinzuzufügen: „Ach ja, ein paar Angehörige des Marines-Corps sind natürlich auch hier, ich zähle sie einfach mit.“ Er wartete, bis sich die höfliche Erheiterung gelegt hatte. Derartige Witzeleien waren in der Flotte eine alte Tradition, und an dieser Stelle sollten sie etwas den Druck mildern, den die Zeremonie auf die Männer und Frauen ausübte. Mithel wurde wieder ernst: „Was ich damit sagen will – wir alle erfüllen bereits unsere Pflicht nach besten Wissen und Gewissen. Deshalb sind wir hier, als dünnen blaues Band zwischen dem, was wir lieben, und dem, was sie bedroht, vor dem alles verschlingenden Feuer des Krieges und der eisigen Kälte zwischen den Sternen. Kein Verbrechen des Feindes, kein Leid um gefallene Freunde, nichts ist von Nöten, damit wir unsere Pflicht erfüllen. Sie alle haben das in der letzten Schlacht bewiesen. Ohne dies wären wir jetzt nicht hier. Auch dies ist etwas, das in den Analen der Geschichte bewahr werden sollte. Wie in so vielen Schlachten waren es die Schiffe der Linie, die den feindlichen Angriff stoppten und seine Wut brachen. Die Zahl der vernichteten Feinde legt davon Zeugnis ab.“
Mithel schien für einen Moment seinen eigenen Worten zu lauschen, und nickte leicht, als wenn er sie für gut befände. Dann ließ er seine grauen Augen über die Reihen wandern: „Und obwohl dies für Sie alle gilt, haben einige sich sogar über das Maß der Pflicht und des Befehls bewährt, und es ist mir eine Ehre, sie an dieser Stelle auszuzeichnen. Ich bitte jene, deren Namen ich nenne vorzutreten.“ Mithel las nicht etwa ab, er zitierte frei aus dem Gedächtnis:
„Ensign Samantha Lewis…Second Lieutenant Patrick Anuba…First Lieutenant Robert Stanford…“

Maria Hernandez fühlte sich in ihrer Haut sichtbar unwohl, obwohl sie nicht das erste Mal in einer solchen Situation war. Mit Schrecken erinnerte sie sich an ihre Abschlusszeremonie auf der Akademie, wo sie nur ein Stammeln zustande gebracht hatte, als man sie für den aktiven Dienst einteilte und sie zum Second Lieutenant machte. Sie musste sich mit Gewalt zur Ordnung rufen, um nur alle 30 Sekunden den Kopf leicht nach vorne zu neigen, damit sie abzuschätzen konnte, wann Mithel sie erreichen würde. Der Commodore ließ sich Zeit, und so zog sich die Zeremonie hin. Für jeden und jede, die er beförderte, belobigte oder auszeichnete, hatte er ein paar freundliche Worte, sprach sie auf das an, was sie vollbracht hatten. So selten er lobte – wenn es angebracht schien, konnte er durchaus verdiente Lorbeeren verteilen. Und indem er jeden einzelnen von ihnen ansprach, machte er deutlich, wie hoch er ihre Leistung einschätzte. So wurde die Auszeichnung für sie wie für andere zum Ansporn. Natürlich waren diese Tricks so alt wie erprobt, aber sie wirkten immer noch.
Robert Stanford, der rechts von seiner Copilotin stand, und damit vor ihr an der Reihe sein würde, nahm das ganze gelassen, oder zumindest tat er so. Tatsächlich grinste er nur süffisant vor sich hin: „Also wirklich Maria, du benimmst dich ja so nervös wie eine Jungfrau auf ihrer ersten Tanzveranstaltung oder sogar bei…“
Es war abzusehen, was er sagen wollte, doch dazu kam der Pilot nicht mehr. Maria platzierte ihren Absatz wohlgezielt – wenn auch nicht mit voller Wucht – auf seiner Fußspitze. Dabei funkelte sie ihn wütend von unter her an: „Das nächste Mal werde ich dein Gesicht nicht mehr davor bewahren, auf das Armaturenbrett zu knallen! Ich sollte dich eigenhändig mit der Stirn ein paar Mal auf einen Tisch hauen, damit du endlich mal vernünftig wirst!“ zischte sie. Doch selbst diese Drohungen und der tätliche Übergriff konnten die gute Laune ihres Vorgesetzten nicht trüben, obwohl seine Gesichtszüge etwas entgleisten. „Schon gut, nun reg dich wieder ab.“ Er schien über eine passende Spitze gegenüber seiner Untergebenen nachzudenken, doch das Nahen Mithels unterbrach das geflüsterte Gezänk.

Eine Minute später stand der Commodore vor den beiden. Er lächelte, wie es seine Art war, dünn, eher ein Verziehen der Mundwinkel als das strahlende Fernsehgrinsen, das manche Kommandeure kultivierten: „Lieutenants – Sie haben über Karrashin ihre Sache sehr gut gemacht. Sie haben in der ersten Schlacht nicht nur mehrere Dutzend Verwundete und Schiffbrüchige geborgen, sondern in beiden Schlachten ein feindliches Shuttle und einen schweren Kampfflieger sowie mehrere Schiff-Schiff-Raketen vernichtet und bei weiteren Abschüssen assistiert. Damit haben Sie wahrscheinlich eigene Jäger und Besatzungsmitglieder gerettet, vor allem aber haben Sie eine Kompanie imperialer Flottensoldaten ausgelöscht. Hätten diese Soldaten in den Enterkampf auf der Giap eingreifen können, wären die Verluste der Marines bei der Rückeroberung noch weitaus höher ausgefallen. Zusammen mit Ihren bisherigen Leistungen haben sie damit den Rang von Assen erreicht. Ich habe Ihre Leistungen entsprechend im Bordtagebuch und in ihren Akten vermerken lassen.“ Schon das war natürlich nicht ohne Belang, denn solche Eintragungen entschieden viel, wenn es um die Karriere ging, auch wenn die Verleihung des bronzenen Fliegerkreuzes eigentlich eine Selbstverständlichkeit nach fünf Abschüssen war.
Der Commodore machte eine knappe Bewegung, und eine Ensign, die ihn begleitete, reichte ihm die Fliegerkreuze in Bronze. Er heftete die Auszeichnungen zuerst Robert Stanford, dann Maria Hernandez an, neben ihren Schwingen, Kampagne-, Raumfahrt-, Raumgefechts- und Verwundetenabzeichen. Dann schüttelte er beiden die Hand, mit festem Druck – nicht dominierend, aber deutlich genug um den Piloten klar zu machen, dass er sie ernst nahm. Mit einem leichten Lächeln fuhr er fort: „Dies ist eine Auszeichnung, wie sie nicht viele Shuttlepiloten erhalten – was nicht heißen soll, dass Ihre normale Arbeit weniger ehrenvoll wäre. Ich will hoffen, Sie streben ungeachtet ihrer offensichtlichen Neigungen zum Raumkampf nicht danach, uns zugunsten der Kampfflieger zu verraten.“ Die beiden Piloten erwiderten das Lächeln ihres Vorgesetzten. Es war bekannt, dass sich Mithel mit Zähnen und Klauen – und bisher erfolgreich – dagegen gesträubt hatte, dass bei den verschiedenen Durchkämmungsaktionen Shuttlepiloten seiner Kreuzer für das Raumjägerkorps ausgesondert wurden. Durchaus nachvollziehbar argumentierte er, dass die Männer und Frauen in ihrer augenblicklichen Position nicht weniger nützlich waren, als hinter dem Steuerknüppel eines Jagdbombers oder Crusaders. Er hatte freilich nicht verhindern können, dass sich einige Piloten und Copiloten freiwillig gemeldet hatten. Der Dienst bei den Jägern bot bessere Karrierechancen und mehr Ruhm – allerdings, so böse Zungen, lag das nicht zuletzt daran, dass der Krieg die höheren Ränge permanent ausdünnte, und das neue Ersatzpersonal einem ausgebildeten Shuttlepiloten handwerklich nicht ebenbürtig war.
„Aber es wäre etwas wenig, würde ich Ihnen nur geben, was ihnen ohnehin rechtmäßig gebührt. Sie haben unserer Fliegerstaffel bereits in der Vergangenheit Ehre gemacht, und nun ein weiteres Mal, in einem Maße, die über bloße Pflichterfüllung hinausgeht. Deshalb ist es mir eine Ehre, Sie mit dem Bronce-Star auszuzeichnen.“ Der Commodore heftete beiden die Abzeichen an. Selbst First Lieutenant Stanford hatte Mühe, ein paar Dankesworte zu stammeln. Natürlich, diese Auszeichnung war die „niedrigste“ unter den höheren. Aber für die Laufbahn eines Offiziers war der Orden kein Automatismus, selbst wenn man immer seine Pflicht erfüllte.
Maria wurde rot und war auch nicht viel gesprächiger als ihr Vorgesetzter. Der Commodore quittierte die Dankesworte mit einem knappen Nicken: „Schon gut – wir haben Ihnen zu danken, nicht umgedreht. Second Lieutenant Hernandez…da ist noch etwas. Sie haben sich auf ihrem Posten ausgezeichnet bewährt. Es bestünde die Möglichkeit, Sie für einen Aufbaukurs vorzuschlagen – dann könnten Sie ihr eigenes Shuttle erhalten, wenn auch vermutlich nicht auf der Relentless. Bei Ihrer Begabung können Sie es im Laufe der Zeit bis zur Staffel-XO oder Staffelchefin bringen. Denken Sie darüber nach.“ Damit ging er weiter. Die Copilotin starrte dem Commodore noch eine Weile hinterher. Was sie dachte, war nicht zu erkennen. Auch ihr Kamerad schwieg, schien sich dann aber schneller zu fangen. Er verpasste seiner Untergebenen einen freundschaftlichen Hieb auf die Schulter und riss sie aus ihrer Erstarrung: „Damit sind wir also amtlich ausgezeichnete Akarii-Killer. Herzlichen Glückwunsch, nicht-ganz-so-altes Haus. Und hör auf, dem Alten hinterher zu starren, der mag, wenn überhaupt, Frauen in seinem Alter.“ Sogar diese Anzüglichkeit ließ man ihm in diesem Moment durchgehen, obwohl ein Ensign neben ihm laut losprustete.

Der Commodore hatte inzwischen die Reihe der Auszuzeichnenden vollständig abgeschritten. Er trat einige Schritt zurück und salutierte zackig vor ihnen – ein Bruch des Protokolls, nach dem die niederen Chargen der höheren zuerst den Respekt erweisen. Aber heute war alles etwas anders. Mit einem leichten Nicken nahm er ihren Gruß entgegen. Er ließ jedoch noch nicht wegtreten: „Sie alle haben Hervorragendes geleistet, und es erfüllt mich mit Stolz, dass so viele Männer und Frauen wie Sie zur Besatzung der Relentless gehören. Ihnen, und auch jenen, die heute nicht ausgezeichnet wurden, ist es zu verdanken, dass unser Kreuzer an zahlreichen Entscheidungsschlachten teilgenommen und dabei eine Anzahl von feindlichen Schiffen vernichtet hat, die uns zu einem der besten Schiffe der Flotte machen.“ Er schien einen Moment auf etwas zu warten, dann fuhr er fort: „Solche Leistungen sind niemals zu erbringen, wenn nicht jeder vom einfachen Ensign bis zum Kapitän seine Pflicht auf das Genauste erfüllt. Wir nennen oft die Namen eines Kommandeurs, als ob dieser allein die alles entscheidende Person wäre. Doch es sind erst die Offiziere und Besatzungsmitglieder, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Die Führung und der Einsatz eines Kreuzers verlangt sowohl im Gefecht wie auch im regulären Dienst ein hohes Maß an Entschlossenheit, Tatkraft und fachliches Können, das nur wenigen gegeben ist. Und kein Kapitän – er mag noch so talentiert, erfahren oder von sich selbst überzeugt – könnte ohne die Hilfe seiner Untergebenen den Sieg erringen. Ich möchte an dieser Stelle die Arbeit meiner Stellvertreterin ganz besonders hervorheben. Die Relentless kann sich glücklich schätzen, dass sie über eine Erste Offizierin verfügt, die alle benötigten Fähigkeiten aufweist und in den letzten Jahren immer wieder demonstriert hat.“
Der Commodore hatte in dem Augenblick zu sprechen begonnen, als die zierliche Gestalt der ersten Offizierin in den Reihen der angetretenen Besatzungsmitglieder erschienen war. Wie immer bewegte sie sich ruhig und fast lautlos. Da die Blicke der Männer und Frauen nach vorne gerichtet war – in entweder aufrichtiger oder gespielter Aufmerksamkeit – wurde sie erst bemerkt, als sie den Weg nach vorne beinahe ganz zurückgelegt hatte. Obwohl sie genug Platz hatte, rückten einige Offiziere und Mannschaftsmitglieder zusätzlich zur Seite. Mithel wurde geachtet und respektiert, auch wenn einige ihm vermutlich heimlich den Teufel an den Hals wünschten, wenn er sie zu Recht oder Unrecht „zusammenstauchte“ – die XO aber wurde geradezu verehrt, weil sie es wie wenige andere verstand, die Balance zwischen Freund und Vorgesetztem zu bewahren. Zudem war bekannt, dass sie die Strenge des Kapitäns mitunter etwas abmilderte, ohne seine Maßnahmen jedoch zu unterlaufen.

Schließlich verharrte sie vor dem Commodore. Ihre Uniform war nicht so prunkvoll wie die seine, doch sie war nach ihm eines der am höchsten dekorierten Besatzungsmitglieder. Sie und Mithel wechselten die vorgeschriebenen Ehrenbezeigungen. Natürlich wusste sie, was jetzt kam. Der Großteil der alltäglichen Routine einschließlich der Beförderungen lief über sie, da der Commodore sich auch noch um den Flottenverband kümmern musste. Dennoch war ihr die Freude anzumerken. Mithel lächelte, und diesmal war es sogar mehr als das schmallippige Verziehen der Mundwinkel: „Commander – es freut mich, Sie heute das letzte Mal auf diese Weise anzureden. Ich ernenne Sie hiermit zum Captain der Flotte.“ Ihre Abzeichen trug er persönlich bei sich. Während sie sich leicht verneigte, überreichte er ihr ihre neuen Schulterklappen. Statt wie bisher drei trugen diese nun vier Ringe, Abzeichen eines Captains der TSN. Und obwohl es nicht üblich war – an Bord eines Schiffes gab es nur einen Kapitän – sprach er sie mit ihrem neuen Rang an: „Herzlichen Glückwunsch, Captain. Ich kann mir für die Relentless keine bessere Erste Offizierin wünschen, als ich bereits habe.“
Bei diesen Worten brachen die Besatzungsmitglieder in Jubel aus. Die Erste Offizierin war für sie noch viel mehr ,eine von uns’ als selbst der Kapitän. Und so freuten sich die meisten mit ihr. Der frischgebackene Captain war sichtlich gerührt. Auch wenn es keine Überraschung war, so war dieser Moment im Leben jedes Offiziers etwas Besonderes. Dieser Rang war zwar weder Voraussetzung noch Garantie für ein eigenes Kommando. Aber in der Realität war er eine der wichtigsten Hürden, fast so bedeutend wie der Perisher-Kurs. Hatte man dies erst einmal erreicht, war das Ziel eines Schiffskommandos in greifbarer Nähe.

Es dauerte volle fünf Minuten, bis sich das Klatschen, Johlen, Pfeifen und Schreien wieder legte. Immer wenn der Lärm abflaute, fachte jemand die Begeisterung noch einmal an. So war es schließlich die Gekürte selbst, die mit erhobenen Armen für Ruhe sorgte:
„Ich danke Ihnen – Ihnen allen. Sie haben als Vorgesetzte, Kameraden und Untergebene mir erst zu dieser Ehre verholfen. Es ist und wird mir immer eine Ehre sein, auf der Relentless gedient zu haben – vielleicht nicht dem berühmtesten, aber auf jeden Fall dem besten Schiff der Flotte! Vielleicht fragt sich der eine oder andere, ob meine Beförderung der erste Schritt auf meinem Weg von Bord dieses Schiffes ist.“ Sie grinste: „Obwohl wir natürlich alle wissen, dass unser Kapitän seine Untergebenen zur Not an der Ruderbank festschmiedet, damit sie ihm erhalten bleiben.“ Das Gelächter steigerte sich noch, als Mithel – sehr ungewöhnlich für ihn – in gespielt unschuldiger Geste die Hände hob, wie um zu beteuern, dass sie rein von Schuld seien. Er war dafür bekannt, gute Offiziere und Mannschaften ungern abzugeben. Mithel hielt dergleichen für schädlich für das Zusammengehörigkeitsgefühl einer Schiffsbesatzung wie für ihre reibungslose Kooperation im Gefecht. Böse Zungen meinten, es sei für ihn auch nicht immer leicht, Untergebene zu finden, die seinen Führungsstil ertrugen.
Liu Shan-Lee fuhr mit einem Lächeln fort: „Tatsächlich habe ich vor, unserer Relentless und Ihnen noch lange erhalten zu bleiben. Sie – sie alle und besonders der Kapitän – haben mir heute ein Geschenk überreicht, das einen meiner größten Wünsche erfüllt hat. Glücklicherweise bin ich in der Lage, dieses Geschenk zu erwidern!“ Sie war sich der gespannten Aufmerksamkeit aller bewusst, selbst ihres Vorgesetzten. DAS Detail hatte sie ihm verschwiegen, als die Nachricht über die gebilligten Beförderungen und Auszeichnungen eingetroffen war. Sie holte tief Luft und fuhr fort: „Im Namen des Oberkommandos der Zweiten Flotte verleihe ich hiermit Commodore Mithel – und damit auch den ihm unterstellten Schiffen – den Victory-Star für den Einsatz in der Doppelschlacht von Karrashin, bei der die Kreuzer eine entscheidende Rolle gespielt haben. Die Bordwerkstatt hat die Auszeichnung bereits angefertigt.“ Mit diesen Worten hob sie ein Ordenskästchen, öffnete es und holte die begehrte Auszeichnung heraus.
Es war üblich, dass jeder Geschwaderkommandeur eine Anzahl Auszeichnungen auf Vorrat in seinem Panzerschrank hatte, um Feldverleihungen vornehmen zu können. Aber dies betraf zumeist nicht die wirklich hohen Orden. Für die Bordwerkstatt der Relentless, die mit Mikroelementen und allen möglichen Materialien arbeiten musste, war die Herstellung eines Ordens ein Kinderspiel. So unterschied sich die Auszeichnung im Äußeren kaum von einer echten. Später würde der Commodore die wirkliche Auszeichnung erhalten, aber im Moment schien er mehr als ergriffen über die Auszeichnung, die seine Untergebenen angefertigt hatten.
War der Jubel bereits vorher groß gewesen, jetzt waren die Männer und Frauen kaum noch zu halten. Es war kaum vorstellbar, dass einige vor nicht allzu langer Zeit noch bitterlich geweint hatten vor Trauer um ihre toten Kameraden. Mithel und seine erste Offizierin hatten Trauer und Freude gekonnt kombiniert, um die Moral eher zu stärken als sie zu untergraben. Die Trauer war notwendig und selbstverständlich, doch die Freude über die verteilten Auszeichnungen und Lorbeeren würde die Erinnerung an die Verluste überschatten. So würden Trauer und Begeisterung verschmelzen und zu Entschlossenheit umgemünzt werden.
Die Mannschaftsdienstgrade und Offiziere jubelten nicht unbedingt aus Liebe zu ihrem Kapitän. Fast alle gönnten ihm den Erfolg, und für viele war er – auch Raumfahrer waren abergläubisch – so etwas wie die Seele des Schiffes. So lange er auf der Brücke stand, so lange lebte die Relentless. Und der Victory-Star war mehr als „nur“ eine Auszeichnung für besondere Leistungen. Er bescheinigte ihnen, dass es ihr Schiff, ihre Leistungen und die ihrer Kameraden des Kreuzergeschwaders gewesen waren, die in der Schlacht eine entscheidende Rolle gespielt hatten. Vergessen war, dass der Gegner sie zur Flucht gezwungen hatte, dass er seine Flottenträger – aber kaum einen Kreuzer – beschädigt hatte retten können. Der Victory-Star war der Beweis ihres Sieges, und damit auch Garant, dass die Toten nicht umsonst gefallen waren.
Der Commodore berührte beinahe andächtig den Orden, der neben den zahlreichen anderen Auszeichnungen glänzte. Er hatte nicht mit so etwas gerechnet – ein Bronce oder Silver Star, wenn die TSN die Schlacht von Karrashin als Sieg betrachtete, das war durchaus denkbar gewesen. Er neigte nicht dazu, seine Leistungen zu unterschätzen und ging davon aus, dass der Einsatz der Kreuzer – zusammen mit den Leistungen der kleineren Schiffe und Cunninghams Führungsstil, die Columbia wie ein Wirtshausschläger zu kommandieren und einzusetzen – entscheidend zum Sieg in der ersten Schlacht und zu den Abwehrerfolgen beim Sprungpunkt geführt hatten. Dennoch, mit so etwas hatte er nicht gerechnet. Seine XO musste die Nachricht „unterschlagen“ haben, um ihm eine Überraschung zu bereiten. Langsam holte er ein paar Mal tief Luft und erwiderte den Händedruck seiner Stellvertreterin. Sie ließ die Hand nicht etwa los, sondern streckte sie in die Luft:
„Für Commodore Chris Mithel und die Relentless – ein dreifaches Hipp Hipp“
„Hurra!“
„Hipp Hipp!“
„Hurra!“
„Hipp Hipp!”
„HURRA!”

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"Das Leben ist das was einem passiert, während man andere Pläne schmiedet." John Lennon

Mitglied der Autorenkooperationen "Dantons Chevaliers" und "Hinter den feindlichen Linien"
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COLUMBIA

„…aber darüber wirst du wahrscheinlich schon auf den offiziellen Kanälen mehr erfahren haben.“ Kano lächelte bei diesen Worten ironisch. Die Zuverlässigkeit und der Wahrheitsgehalt der Flottenkommuniques war ein beliebtes Thema für subversive Witze.
Dann wurde er übergangslos ernst: „Es war nicht einfach. Huntress…“ Er zögerte, und fluchte unterdrückt: „Letztes Wort löschen.“
In einer privaten Videobotschaft gefechtsrelevante Daten oder Ereignisse zu erwähnen, verstieß gegen ein volles Dutzend Sicherheitsvorschriften. Wenn man die Regeln wortgetreu auslegte, dann durfte er überhaupt nichts über Gefechte, Beförderungen, eigene oder gegnerische Verluste, Feind- oder Eigenbewegungen, Maschinenstand, Nachschubslage oder Truppenmoral sagen. Es hätte ja sein können, dass die Akarii die Nachricht abfingen, entschlüsselten, und auf diese Daten gestützt eine neue Großoffensive begann. ‚Aber sicher doch…’
Jedenfalls musste Kano jedes Wort auf die Goldwaage legen. Andernfalls konnte es geschehen, dass die Nachricht kassiert oder vielleicht sogar Disziplinarmaßnahmen gegen ihn ergriffen wurden. Der Sicherheitsdienst verstand da keinen Spaß.
Angesichts eines fast vollständig vom Dienstbetrieb dominierten Tagesablaufs blieb demnach nicht mehr viel, worüber man sprechen konnte. Und was seine persönlichen Gefühle anging…
Darüber vor einer Kamera zu sprechen, fiel ihm schwer. So war er nun einmal. Außerdem wollte er nicht, dass seine Herzensangelegenheiten einem voyeuristisch veranlagten NIC-Offizier die Zeit verkürzten.
„Ich hoffe es geht dir gut, und das deine Wunden heilen. Wenn dich diese Nachricht erreicht…vielleicht bist du dann schon wieder gesund. Ich hoffe es. Du fehlst mir…du fehlst uns allen. Ich vermisse dich. Das klingt jetzt wahrscheinlich dumm, aber ich wusste vorher gar nicht, wie sehr…
Vielleicht ist mir dadurch erst wieder bewusst geworden, wie sehr du…ein Teil meines Lebens geworden bist. Ich…muss ich mich wohl entschuldigen.
Wir…hatten alle eine schwierige Zeit. Die letzten Monate haben uns alle gefordert. Wir alle mussten unsere Pflicht erfüllen. Aber das ist kein Grund, das zu vernachlässigen…was mir am Wichtigsten ist. Es tut mir leid. Ich hoffe, dass wir uns bald wieder sehen. Nicht nur auf einem Videoschirm. Irgendwann müssen sie uns ja auch einmal wieder Urlaub geben. Es wäre an der Zeit …“

Kano verzog kurz den Mund. Für seinen Geschmack klang er viel zu pathetisch. Aber er war noch nie besonders gut darin gewesen, seine Gefühle zu artikulieren. Zumindest, wenn sie den ziemlich engen Rahmen aus Ehre und Pflicht sprengten, mit dem er seine heimlichen Ängste, Befürchtungen und Wünsche kontrollierte.
Er liebte Helen. Aber diese Liebe auch offen zu zeigen, das fiel ihm immer noch schwer. Er durfte sich aber nicht immer darauf verlassen, dass Kali auch ohne Worte verstand, was in ihm vorging. Auch wenn sie einmal spöttisch gefragt hatte, ob einer von ihnen vielleicht latente telepathische Fähigkeiten besitzen würde.
Kano fragte sich kurz, ob Helen auch wusste, wie sehr er sie wirklich brauchte. Es ging nicht nur um Liebe in dem unmittelbaren Sinn des Wortes. Es ging auch noch um etwas anderes, einen…sehr egoistischen Grund. Der Gedanke an sie hinderte ihn daran, Risiken einzugehen.

Aber in letzter Zeit waren sie etwas auseinander gedriftet. Ohne es wahrzunehmen, oder es zu wollen. Aber es war passiert.
Kali war als Skunks stellvertretende Staffelführerin vollauf mit der Schadensbegrenzung für den …Führungsstil ihres Vorgesetzten beschäftigt gewesen. Und Kano hatte danach gestrebt, sich Lone Wolf und Monty gegenüber zu beweisen. Zu beweisen, dass auch er das Zeug für einen Staffelführer hatte. Und tatsächlich, im Verlauf von nur ein paar Wochen war er zum stellvertretenden Führer der Butcher Bears, dann zum Kommandanten der Schwadron aufgestiegen. Allerdings nicht wegen seinen Leistungen. Der Krieg hatte den Weg frei geräumt.
Und das hatte seinen Preis gehabt. In dem Versuch, den Erwartungen gerecht zu werden, die er selber und andere stellten, hatte er Kali vernachlässigt - und war immer riskanter geflogen. Nach ihrem Abtransport war das sogar noch schlimmer geworden. Dieser Kausalzusammenhang war ein ziemlich ernüchternder Gedanke.
Aber DAS würde er ihr auf keinen Fall mit einer ziemlich ungesicherten Videobotschaft erzählen. Und über die schweren Verluste der Angry Angels im Allgemeinen und der Butcher Bears im Speziellen durfte er nicht reden. Nicht über Huntress Tod. Auch nicht über die heimlichen Zweifel an seiner Befähigung für den Posten eines Staffelführers. Oder die Tatsache, dass er erstmals ernsthaft Lone Wolfs Fähigkeiten infrage stellte. Cunninghams ‚genialer Plan’ hatte sich in ein Blutbad für das Geschwader und die TSN verwandelt, und die erreichten Erfolge schienen in keinem adäquaten Verhältnis zu den Opfern. Gewiss, mit seinem eigenmächtigen Rücksprung hatte Lone Wolf die Kampfgruppe vor der Vernichtung bewahrt. Allerdings war der Plan, der zu dieser Beinahekatastrophe geführt hatte, ebenfalls fast ausschließlich auf seinem Mist gewachsen. ‚In dem Fall passt die Metapher.’
Die Angry Angels hatten zum ersten Mal seit Jahren wieder flüchten müssen, und sie hatten viel zu viele ihrer Kameraden zurücklassen müssen. Gefallen, vermisst, gefangen…Es würde eine lange Liste werden.
Er war sich nicht sicher, ob er dem Mann, den er bisher fast kritiklos bewundert hatte, das jemals würde verzeihen können. Ob Kali das konnte.

Er hätte gerne mit jemandem über seine Zweifel gesprochen. Kano war noch nie besonders gesellig gewesen, aber immerhin, er hatte ein paar Freunde oder gute Bekannte im Geschwader Aber konnte er jemandem so weit vertrauen, um offen von seinen Schwächen zu sprechen? ‚Außer Kali...’
Aber Kali war nicht hier. Und außerdem musste sie erst einmal selber mit ihrer schweren Verwundung, einer ungewissen Zukunft, und der brutalen Erfahrung der eigenen Sterblichkeit fertig werden. Er selber hatte etwas Ähnliches vor ein paar Jahren erlebt, und wäre damals beinahe daran zerbrochen. Nur dank Kali hatte er sich wieder gefangen. Gerne hätte er ihr jetzt in ähnlicher Art und Weise geholfen, aber solange sie im besten Fall Dutzende Lichtjahre voneinander entfernt waren…
Wen gab es noch?
Ace? Nein. Der hatte momentan nun wirklich genug zu bewältigen. Huntress war einen schnellen, einen sauberen, einen ehrenvollen Tod gestorben. Aber das war wohl kein Trost. Und Kano bezweifelte, dass Ace in der Überzeugung Frieden finden würde, die Kano über den Tod seines Bruders hinweggeholfen hatte. ‘Dass wir uns in Yasukuni widersehen…Auch Huntress? Ich glaube schon.’ Aber das konnte er Ace wohl kaum begreiflich machen.
Außerdem war ihr Verhältnis nicht ganz unproblematisch.
Lilja…Auf keinen Fall. Seine ehemalige Flügelfrau verachtete Schwäche, bei sich selbst wie bei anderen.
Sakura…Nein. Ein älterer Bruder half, beschützte und unterstützte seine jüngere Schwester. Er belastete sie nicht mit seinen eigenen Zweifeln.
Andere hätten vielleicht beim Bordkaplan Rat gesucht, aber mit dem christlichen Glauben hatte Kano noch nie viel anfangen können. Und er bezweifelte auch, dass der Pater viel mit Kanos Glaubensvorstellungen anfangen konnte. ‚Was kann man schon von einer Religion erwarten, die predigt, auch die andere Wange hinzuhalten? Und für die Selbstaufopferung eine Sünde ist...’

Blieb noch Crusader. Als er an dieser Stelle seiner Überlegungen angekommen war, lenkte ihn eine Bewegung am Rande seines Blickfeldes ab. Wenn man vom Teufel sprach…
„Aufzeichnung Stopp. Wie lange schaust du schon zu?“
„Lange genug.“ Crusader grinste. Der blauäugige Pilot mit dem blonden, nackenlang zusammengebundenen Haar lehnte am Türrahmen und schien sich köstlich zu amüsieren: „Du kommst richtig süß rüber, wenn du nach Worten suchst.“
„Hat man denn hier nicht mal zehn Minuten Ruhe?!“ Kanos Worte galten niemandem Besonderen. Auf der schwer beschädigten COLUMBIA war Platz sehr knapp geworden. Kano und Crusader hatten noch Glück gehabt, dass sie nur noch einen weiteren Mann, einen Lieutenant im technischen Dienst, als zeitweiligen Quartiergast zugeteilt bekommen hatten. Andere mussten zu viert oder fünft in einer Unterkunft leben, die eigentlich für zwei Mann bestimmt gewesen war.
„Ein Wort darüber zu jemand anderem, und ich brumme dir eine derartige Strafarbeit auf...“
„Hey, entspann dich. Ich weiß, wie es dir geht. Immerhin bin ich verheiratet.“
„Wie schön für dich. Ich nicht.“
„Machst du Witze? Du bist jetzt wie lange mit Kali zusammen – drei Jahre? Für das Fliegerkorps der TSN gehört ihr damit schon zum Urgestein, Trauschein hin oder her.
Apropos Trauschein…
Stimmt es wirklich, dass Ace dir im Hangar, in aller Öffentlichkeit an den Kopf geknallt hat…“
Kano verzog die Lippen: „Erinnere mich bloß nicht daran. Er hat Glück, dass wir jetzt beide provisorische Staffelführer sind. Ansonsten hätte ich ihm mal richtig Bescheid gegeben. Was geht ihn das eigentlich an? Freund oder nicht – er ist jedenfalls nicht mein Bruder. Und auch nicht Kalis.“
„Ganz bestimmt nicht, nach allem was ich gehört habe.“ Crusader lachte kurz auf: „Und wir wissen ja alle, dass er DER Experte für stabile Beziehungen. Da solltest du eher bei mir Rat suchen…“
Kano wusste, dass es für diese Bemerkung ein volles Dutzend Retourkutschen gab. Aber Crusader gehörte zu seinen wenigen Freunden und liebte seine Frau wirklich – und die ihn anscheinend auch, trotz der katastrophalen Familien- und Urlaubspolitik der TSN. Also verkniff sich der Japaner das, was ihm auf der Zunge lag: „Vielleicht komme ich tatsächlich noch einmal darauf zurück. Wenn das alles wäre, was du loswerden musstest, würde ich gerne mit der Videoaufzeichnung weitermachen. OHNE DICH. Also geh in den Simulator, in die Sporthalle, die Messe…Schließ dich von mir aus im Bad ein, oder klettere in den Fahrstuhlschlacht. Hauptsache, du verschwindest.“
Crusader schnaubte amüsiert: „Du warst verträglicher, als du nur eine Sektion geführt hast.“
„Der Vorzug des höheren Kommandos.“

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"Das Leben ist das was einem passiert, während man andere Pläne schmiedet." John Lennon

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29.11.2015 16:44 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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Einige Tage später, Medizinisches Rehabilitationszentrum, Mistral Naval Hospital
Sternentor-System

Helen ‚Kali’ lehnte sich vorsichtig zurück, und unterdrückte ein leises Aufstöhnen. Egal was die Ärzte von ‚gutem Heilungsprozess’ und ‚optimalen Verlauf’ faselten, ihr Arm tat weh. Das würde er auch noch mindestens zwei oder drei weitere Wochen tun, während sie sich durch eine schier endlose Reihe schmerzhafter und frustrierend langwieriger Rehabilitationsübungen würde schleppen müssen. Dann würde man sie auf die offene Station verlegen, aber bis sie wieder in einem Cockpit sitzen konnte…
Der Arm fühlte sich immer noch fremd an, als…würde er nicht so richtig zu ihrem Körper passen. Dabei war es nicht einmal ein transplantierter Klonarm. Nein, man hatte nur ihren ‚natürlichen’, halb abgerissenen Arm wieder richtig anwachsen lassen. Ein langsamer und ziemlich unangenehmer Prozess, dessen Erfolg zudem bis vor wenigen Tagen keineswegs festgestanden hatte. Einer dieser Fleischhauer hatte sogar ziemlich unsensibel vorgeschlagen, sie solle sich ‚das alte Teil abnehmen und einen neuen anpassen lassen.’ Ihre Antwort war nicht druckfähig gewesen. Zum Glück hatte man ihr die Wahl gelassen.

Die schwere Verwundung, die sie während der Schlacht mit der KORAX MA RAH erlitten hatte, sie hatte mehr zerstört, als nur Haut, Fleisch und Knochen. Bisher hatte sie diesen Krieg praktisch unverletzt überstanden. Irgendwann hatte sich in einem geheimen Winkel ihres Bewusstseins der Glauben verfestigt, dass sie gegen die Gefahr und den Tod in der Schlacht gefeit war. Es war nicht so, dass sie deshalb unvorsichtiger geflogen wäre – aber sie war immer davon ausgegangen, dass sie „diese ganze Sache“ weitestgehend heil und unversehrt überstehen würde, solange sie alles richtig machte, und sich ihre Erfolge nicht zu Kopf steigen ließ. Mit diesem Glauben war es jetzt vorbei.
Jetzt wusste sie, was all die anderen in ihrem Geschwader durchgemacht hatten, die bereits vor ihr schwere Verletzungen erlitten hatten. Kano, Ace, Lilja…
Es war keine angenehme Erfahrung.
Es machte sie wahnsinnig, nichts tun zu können, völlig dem Können der Ärzte ausgeliefert zu sein. Bei der Heilung ihres Körpers hatte sie erschreckend wenig mitzureden. Und nach Jahren des fast ununterbrochenen Dienstes fiel es ihr schwer, abzuschalten, den Gang zurückzufahren. Vor allem, da sie die COLUMBIA irgendwo da Draußen wusste. ‚Ich werde schon wie Kano. Er färbt ab.’

‚Und wenn wir schon bei Kano sind…’ Sie warf einen Blick auf den Bildschirm, auf dem sie soeben seine Botschaft hatte abspielen lassen.
Kurz hob sie ihren gesunden Arm, als wollte sie den Bildschirm berühren. Aber dann ließ sie es lieber sein. Schließlich war sie kein verdammter Teenager mehr.
Sie wusste, warum Kano nichts Genaueres über die Situation auf der COLUMBIA sagen konnte. Aber das machte es nicht weniger frustrierend. Soviel konnte sie seinen Worten entnehmen – die COLUMBIA hatte eine weitere Schlacht bestehen müssen. Vielleicht sogar mehr als eine. Und es hatte hohe Verluste gegeben. Sie hasste die Ungewissheit. Wen hatte es diesmal erwischt? Es konnte jeden treffen, das wusste sie inzwischen.
Wenigstens war Kano noch am Leben. Aber so wie er aussah, hatte er wieder einmal ordentlich einstecken müssen. ‚Als ob es das etwas Neues wäre! Er will mir wohl unbedingt Gesellschaft leisten. Dieser verdammte Kerl. Kaum lässt man ihn einmal aus den Augen, lässt er sich zusammenschießen.’ Kanos Maschinenverschleiß und die Anzahl seiner Verletzungen waren fast schon legendär. Andererseits gehörte er zu den Assen mit der am schnellsten steigenden Abschussliste. Es gab natürlich Piloten, die mehr Akarii vernichtet hatten. Aber nicht in so kurzer Zeit.
Dennoch, es machte sie wütend. Kultureller Hintergrund und Fahneneid hin oder her…

Sie wusste, die Pflicht kam für Kano an erster Stelle. Zumindest vor seinem eigenen Wohlergehen.
Der Weg des Kriegers, Ehre und Pflichterfüllung…das war für ihn nicht nur eine Geste, etwas Lokalkolorit um seine Herkunft herauszustreichen. Er LEBTE diesen ganzen Mist.
Die immer wieder seit frühester Kindheit erzählten Geschichten über die Heldentaten seiner Vorfahren, das Vorbild seines Vaters und seines älteren Bruders, die in die Streitkräfte eingetreten und sich als Piloten bewährt hatten…
Dann die ziemlich nationalistische Schule und die vormilitärische Ausbildung, gefolgt von dem Eintritt in die Akademie…Kano hatte nie etwas anderes kennen gelernt. ‚Zur Hölle damit!’
Manchmal war sie es leid, Verständnis zu haben. ‚Helden!’

Sie war selber eines der Asse der Angry Angels – aber etwas unterschied sie von diese Handvoll Fliegerasse und eiskalter Killer, die bei jedem Kampf, bei jedem Spezialauftrag vorne dabei waren.
Lone Wolf, Darkness, Lilja, Kano, Ace… Ganz kam sie an diese kleine Gruppe nicht heran. Etwas fehlte ihr, um richtig dazu zu gehören. Aber andererseits…dafür hatte sie wohl noch etwas behalten, was den anderen wiederum inzwischen fehlte. Sie alle…hatten für ihre Leistung teuer bezahlen müssen. Viel zu teuer. Als hätten sie einen Pakt geschlossen, und im Ausgleich für ihre Abschüsse etwas von ihrer Seele geopfert.
‚Aber sicher doch. Vermutlich haben sie den Kontrakt mit ihrem eigenen Blut unterschrieben. Ich fang schon an zu spinnen.’

Gleichberechtigung hin oder her...warum hatten eigentlich immer Frauen die Aufgabe, den gesunden Menschenverstand ins Spiel bringen zu müssen? Während die Kerle…
Außer Lilja, natürlich. Aber die Eisprinzessin hat ja sowieso kein Geschlecht. ‚Jede Wette, die besteht aus einem Positronengehirn, Titanstahlknochen und Myomermuskeln, über die sie etwas Kunsthaut geklebt haben.’
Und Ace war auf seine Art und Weise keinen Deut besser als Kano. In gewisser Weise war er sogar noch schlimmer. Er machte sich mehr Feinde. Bei Kano wusste man wenigstens immer, woran man war. Bei Ace hingegen…
‚Immerhin bin ich nicht so dumm gewesen, auch noch mit ihm zu schlafen.’ Sie verzog kurz den Mund und wurde bei der Erinnerung rot. ‚Aber das war ja auch nicht mein Verdienst. Dann wäre das Chaos wohl perfekt gewesen. Als Freund…ist er anstrengend genug. Tja, die Männer in meinem Leben…
Vielleicht hätte ich doch besser auf den Ratschlag hören sollen, den sie mir auf der Akademie gegeben haben. Fang nie etwas mit einem Piloten an.’

Sie hätte Kano manchmal am liebsten eine geknallt, weil er so verdammt stur, verschlossen und gleichzeitig so…leichtsinnig war. Und trotzdem…
Vielleicht führten sie nicht die perfekte Bilderbuchbeziehung. Aber die hatte sie sowieso noch nie interessiert. Und der Gedanke, ihn zu verlassen, Schluss zu machen…Nein. Das konnte sie nicht. Es gab zu viel, was sie verband, auch wenn vieles unausgesprochen blieb. GERADE, weil noch so vieles unausgesprochen war. Genauso gut hätte sie sich die eigene Hand abhacken können. Sie starrte auf ihren verbundenen Arm. ‚Na, davon kann ich ja ein Lied singen.`
So leicht wird er mich nicht los. Und ich ihn auch nicht.
`Wir alle sind, was wir sind. Das habe ich vorher gewusst. Wir BEIDE haben es gewusst. Und ich knicke jetzt ganz bestimmt nicht ein.’ Kano liebte, achtete und respektierte sie so wie sie war, auch wenn er es vielleicht nicht häufig genug aussprach.
Und sie liebte, achtete und respektierte ihn – zähneknirschend – so wie ER war. Auch wenn es manchmal wehtat. Er würde sich ganz bestimmt niemals in die Idealvorstellung von einem Partner verwandeln, die ihr früher vielleicht mal vorgeschwebt hatte. Aber sie gehörten zusammen. ‚Dennoch…ich will verdammt sein, wenn ich nicht noch ein paar dieser verdammten Kanten bei ihm weg brechen kann.’

********************

Sie war gerade zu dieser eindeutigen aber nicht völlig zufrieden stellenden Schlussfolgerung gekommen, als eine Bewegung an der Tür sie aufblicken ließ.
Ein Mann in weißem Kittel hatte den Raum betreten. Aber irgendetwas stimmte da nicht. Klar, die ‚Götter in Weiß’ hielten sich alle für nur eine Stufe unterhalb des jeweiligen Schöpfergottes. Aber die arrogante Zielstrebigkeit und das harte Funkeln in den dunkelbraunen Augen ließ bei Kali irgendeinen Alarm losheulen. Für einen Doktor wirkte der Mann eigentlich auch ein wenig jung.
Und die Frau, die sich vor der Tür aufgebaut hatte, war ganz bestimmt keine Krankenschwester. Die trugen ihr Haar jedenfalls üblicherweise nicht im Marines-Style kurz geschoren. Und ihnen fehlte dieses lässig-arrogante Auftreten, das Kali unwillkürlich mit Piloten, Geheimdienstlern und Mitgliedern der Spezialeinheiten assoziierte. Ein Blick auf den drahtigen Körper und in die kalten, hellblauen Augen, und Kali wusste, wo sie diese Türsteherin in Weiß einzuordnen hatte.

„Wer zum Henker sind Sie? Und was wollen Sie?!“
Der Mann wechselte einen kurzen Blick mit seiner schweigsamen Begleiterin und lächelte kalt: „Nennen Sie mich…Smith. Und wenn Sie schon fragen…“ In seiner Hand tauchte kurz ein NIC-Ausweis auf, und war genauso schnell wieder verschwunden.
„NIC? Und was soll dann dieser Aufzug? Sie wollen mir doch wohl nicht erzählen, dass Sie beide einfach mal Doktor spielen wollten.“ Frustration und Unsicherheit machten die Pilotin angriffslustig. Sie registrierte, dass die Lippen der namenlosen Frau zuckten, als müsste sie sich ein Lachen verkneifen. ‚Wunderbar. Eine staatlich bezahlte Killerin mit meinem Sinn für Humor. Wir werden bestimmt ganz schnell Freundinnen.’
Der NIC-Offizier wirkte keineswegs amüsiert: „Umwerfend komisch. Ihr Weltraumjockeys glaubt wohl, ihr könntet euch alles erlauben. Ich muss Sie enttäuschen – DEM IST NICHT SO. Also, entweder Sie kooperieren, oder Sie können ihre Karriere mit der Bettpfanne raus tragen lassen. Finden Sie DAS vielleicht auch witzig?!“
Kali schluckte die passende Erwiderung hinunter. Solange sie nicht wusste, wie weit die Kompetenzen dieses Arschlochs reichten, musste sie vorsichtig sein. Eine ungünstiger Eintrag in ihrer Akte, ein paar Worte in das richtige Ohr…und sie konnte sich tatsächlich von ihrer nächsten Beförderung verabschieden: „Noch mal. Was wollen Sie?“
„Sie sind Mitglied der Angry Angels, Rote Staffel. Eine der wenigen Pilotinnen, die seit Aufstellung des Geschwaders bei der Truppe sind. Immer in derselben Schwadron. Über zwanzig Abschüsse, keine ernsthaften Verletzungen…bis zu diesem Vorfall vor ein paar Wochen natürlich. Wie es aussieht sind Sie eine Heldin, Lieutenant. Stellvertretende Staffelkommandeurin…Hm…ein Jammer, dass Sie ihre Befähigung zum Führen einer Schwadron noch nicht unter Beweis stellen konnten. Jetzt ist es wohl zu spät…“
„Was sagen Sie da?!“
Der Mann, der sich Smith nannte, blickte auf: „Wussten Sie das nicht? Lieutenant Commander Jones…scheint sich etwas überschätzt zu haben. Wenn er Glück hat, kann er sich mit dieser Tatsache in einem POW-Camp auseinandersetzen. Wenn er Pech hat…nun, dann kann er überhaupt nichts mehr.
Und Lieutenant Davis ist gerne eingesprungen, da jetzt der Posten eines Staffelführers frei geworden ist.“
Auch wenn es sie freute, dass es Ace offenbar gut ging, kurz wallte in Kali Ärger auf. Das war nicht fair! Erst erhielt Kano die Schwarze Schwadron, und jetzt hatte offenbar Ace den Platz übernommen, der IHR gehörte. Das war ungerecht! Hatte sie sich dafür von Skunk wie der letzte Dreck behandeln lassen, seine Ego-Eskapaden ausgeglichen, und all jene ‚weichen’ Aufgaben eines Staffelführers übernommen, für die Skunk ganz einfach unfähig war – damit jetzt andere an ihr vorbeizogen...?
„Warum erzählen Sie mir das? Woher wissen Sie…?“
„Ich weiß eine ganze Menge. Über Ihre Einheit. Über Sie. Und über Ihren Freund…Ace.“

Ihre Reaktion war automatisch. ‚Was hat er diesmal wieder angestellt?’ Sie wusste, dass Ace schon früher mit dem Sicherheitsdienst aneinander geraten war. Aber wenn der NIC jetzt sogar jemanden nach Seafort in Marsch setzte, um sie unter Druck zu setzen, dann musste Ace wirklich in der Klemme stecken.
Währenddessen fuhr…Smith unbeirrt weiter: „Clifford ‚Ace’ Davis. Ein sehr bescheidener Name, wirklich. Sie beide…scheinen eine ziemlich enge Beziehung entwickelt zu haben. Erst dieses…’gemeinsame Quartier’…“, der Sicherheitsoffizier grinste zynisch, ohne dass das Lächeln seine Augen erreichte, „…dann diese interessante Geschichte mit diesem experimentellen Aufrüstungsgerät. Dem…Trackball. Hässliche Geschichte. Und so weiter…“
Kali musste schlucken. Der Trackball? Das war doch unmöglich. Das war doch fast vier Jahre her – und außerdem hatte Darkness den Eintrag zurückgehalten und später gelöscht. Oder?
„Warum…“
„Ihr…Freund ist damals nur haarscharf um ein Kriegsgericht herumgekommen. Nicht zum letzten Mal nebenbei, dass er Schwierigkeiten machte. Und nicht dass letzte Mal, dass er andere in seine Eskapaden hineingezogen hat. Er scheint ein Händchen dafür zu haben. Dafür…und für Verrat.“
„WAS REDEN SIE DENN DA?!“
„Sie wissen doch, dass er mehrere Akarii-Sprachen beherrscht. Was meinen Sie denn, wo Davis die gelernt hat? Jedenfalls nicht durch ein Fernstudium. Vom Beginn seiner Karriere an hat er eine auffällige – und ziemlich unangemessene – Empathie für den Gegner bewiesen. Seine ‚Scherze’, dass er selber Akarii-Blut hat…“
„Aber das ist doch Unsinn!“
„Natürlich ist das Unsinn. Aber so etwas überhaupt erst einmal zu behaupten – und zwar in dieser Situation – deutet auf eine gewisse Geisteshaltung hin. Wahrscheinlich nicht weiter verwunderlich, wenn man seinen familiären Hintergrund betrachtet. Diese Weltraumnomaden haben doch gar kein Gefühl für Loyalität. Die wissen nicht einmal, was das ist.
Wussten Sie, dass einer seiner Onkel unter dem Verdacht des Drogen- und Waffenhandels stand? Allerdings verschwand er, bevor ein Verfahren eingeleitet werden konnte. Kein großer Verlust für die Menschheit – wenn dabei nicht auch noch über zwanzig Männer und Frauen seiner Besatzung ‚verschwunden’ wären. Was meinen Sie wohl, ist mit diesen Menschen passiert?! Was meinen Sie, wie sich ihre Familien und Freunde fühlen?!“ Die Stimme des Sicherheitsoffiziers vibrierte vor unterdrücktem Hass: „DAS ist der Stall, aus dem Davis kommt.
Und was macht dieser Mann, kaum dass er in die TSN eingetreten ist? Er fraternisiert sich mit dem Feind. Einem Akarii, der wenig später eine ziemlich undurchsichtige Rolle bei einigen Vorfällen auf der Erde spielt, bei denen mehrere Mitglieder der Streitkräfte ums Leben kommen. Und Davis Name…taucht außerdem bei der Suche nach einem Saboteur auf. Einem Saboteur, der nebenbei immer noch nicht identifiziert wurde. Finden Sie nicht, dass das verdächtig wirkt? Ich schon.“
„Das ist doch Blödsinn! IHRE Leute haben Cliff als Dolmetscher angefordert! Und das Phantom…“
„Das NIC hat ihn als Dolmetscher angefordert. Aber nicht dafür, dass er mit unserem Todfeind Freundschaft schließt! Ihr…Zimmernachbar scheint nicht zu begreifen, dass wir uns im Krieg befinden. Einem Krieg, bei dem es um die Freiheit und die Existenz der Menschheit geht. Angesichts dieser Tatsache wirkt sein Verhalten bestenfalls als naiv und verfehlt. Schlimmstenfalls…ist das Verrat.“

Da war es wieder, dieses Wort. Auch wenn der Vorwurf absurd war, Helen Mitra wusste, dass sie die Angelegenheit auf keinen Fall auf die leichte Schulter nehmen durfte. Die Wahrheit spielte keine große Rolle, wenn die Spürhunde des Sicherheitsdiensts erst einmal eine Fährte aufgenommen hatten. Irgendetwas blieb immer kleben.
„Sie haben kein Recht, so über Ace zu reden! Was wissen Sie schon über den Krieg? Er hat sein LEBEN riskiert, während Sie irgendwelchen Schatten nachjagen! Er hat auch für SIE gekämpft – obwohl ich nicht weiß, warum dass irgendjemand tun sollte!“
„Sie wissen nichts über meine Arbeit. Ihr Weltraumjockeys... Ihr schießt ein paar Akarii ab, und glaubt, ihr würdet die Erde retten. Pah!
Und was Davis ‚Heldentaten’ angeht…
Er bringt eine Atomrakete zur Explosion, die ANGEBLICH auf die REDEMPTION gezielt war. Nun ja. Und dann kann er auch noch aussteigen, und wird prompt von den Akarii aufgelesen...“ Smith Stimme war getränkt von zynischem Unglauben.
„Das ist die Wahrheit! Vielleicht sollten Sie einfach akzeptieren, dass es auch Helden gibt, die nicht Ihrem Idealbild entsprechen.“

Der Sicherheitsoffizier fuhr unbeirrt fort: „Und die Akarii haben nichts besseres zu tun, als ihn mitzuschleppen, ihn wieder aufzupäppeln, und kostbare Antistrahlenmedikamente an einen Feind zu verschwenden. Warum? Weil sie vielleicht ganz hin und weg sind von dem Piloten, der ihnen den Abschuss eines Trägers versaut hat? Ganz ohne Gegenleistung?
Ist Ihnen niemals der Gedanke gekommen, wie blödsinnig das klingt? Die Akarii führen einen totalen Krieg. Haben Sie Manticore vergessen? Wron? Den Kamikaze-Angriff der KORAX-Piloten? DAS ist das wahre Gesicht unseres Gegners.
Die Genfer Konvention bedeutet den Akarii GARNICHTS. Erbarmen oder gar Fairness gegenüber dem Besiegten…ist kein Teil ihres Ehrenkodex. Vor allem nicht gegenüber einem Feind, der zu einer ‚minderen Rasse’ gehört.
Ja, die Akarii nehmen Gefangene. Aber nur, wenn es ihre Operationen nicht gefährdet, keine kostbaren Ressourcen bindet. Oder wenn sie sich davon etwas versprechen. Ansonsten…die einzige Gnade, die ein derart schwer verstrahlter Gefangener üblicherweise erwarten kann, sind ein paar Schmerzmittel und ein ruhiger Tod. Wenn man ihn nicht ganz einfach…beiseite räumt.
Aber bei Davis haben die Akarii auf einmal eine Ausnahme gemacht. Und nicht nur dass – sie machen ihn auch noch zu einem Funktionshäftling, mit Zugang zu dem ranghöchsten Gefangenen, den das Imperium bis dahin gemacht hat. Ohne Vorbedingungen, ohne Gegenleistung – sie haben ihn nicht einmal gründlich verhört. Nichts von ihm erfahren. Sagt ihr ‚Freund’. Woher will er das eigentlich wissen?! Er konnte sich doch an nichts erinnern!
Das, Miss Mitra, das stinkt zum Himmel! Was glauben Sie, was die Akarii sind – ein Haufen Idioten? Oder Samariter, die den Krieg als ein…ein Ritterturnier ansehen?! Oh nein!
Ich will Ihnen mal sagen, was WIRKLICH passiert ist.
Vielleicht hat ihr Freund diese…Heldentat ja wirklich vollbracht. Vielleicht. Und ganz sicher haben die Akarii ihn aufgesammelt. Soweit lügt er wahrscheinlich nicht.
Aber dann, dann haben sie ihn vor die Wahl gestellt. Und ihr Freund ist schwach geworden. Er hat versagt. Niemand stirbt gerne allein. Niemand krepiert gerne an der Strahlenkrankheit.
Also hat er uns verraten. Seine Heimat, seine Familie, den Eid den er geleistet hat, seine Kameraden…er hat SIE verraten!“
„DAS IST NICHT WAHR!“
„Ich weiß nicht, was er den Akarii alles geliefert hat. Aber es war genug, um sein Leben zu erkaufen. Genug, dass sie ihn für vertrauenswürdig hielten. Für…zuverlässig. Für einen Gefangenen, dem man eine erstaunliche Bewegungsfreiheit und Zugang zu Admiral Alexander gestatten konnte.
Und ich weiß nicht, was uns diese Vorzugbehandlung gekostet hat. Wie viele Leben. ABER ICH WERDE ES HERAUSFINDEN!“

„Sie lügen…Sie sind ein verdammter, verrückter Lügner.“ Jetzt war es Kalis Stimme, die voller unterdrückter Wut vibrierte. Die Wut richtete sich allerdings nicht ausschließlich auf den Sicherheitsoffizier. Ein klein wenig galt sie auch Ace. Auch wenn sie früher einmal in ihn verknallt gewesen war, auch wenn er einer ihrer besten Freunde sein mochte…
‚Du ziehst den Ärger an, wie ein entwaffneter Frachter die Piraten, Cliff. Aber warum muss dann ausgerechnet immer wieder ICH in die Bresche springen?!’ Nicht, dass sie gezögert hätte.

Smith ließ sich von ihrem Protest natürlich nicht beirren: „Dann haben unsere Streitkräfte das Gefängnis gestürmt, in dem die Akarii Ihren ‚Freund’ zwischengelagert haben. Und natürlich fällt Davis gleich wieder auf die Füße. Alle haben Mitleid mit dem armen, schwerkranken Gefangenen, der sich an nichts erinnern kann. Kaum ein halbes Jahr später ist er wieder kv und macht weiter, als wäre nichts gewesen. Aber damit kommt er nicht durch! Diesmal nicht.“
„…er war halbtot, als wir ihn gefunden haben, falls Sie das vergessen haben sollten.“
„Unter normalen Bedingungen hätte Davis niemals so lange überlebt. Nicht in Akarii-Gefangenschaft. Und er hätte sich auch nicht so schnell erholen können.“
Jetzt meldete sich zum ersten Mal die Frau zu Wort. Ihre leicht angeraute Stimme klang angespannt: „Verdammt Andrew, ist das hier abendfüllend?!“

Kali schüttelte den Kopf. So kam sie nicht weiter. Mit Protesten alleine war dieser Bluthund bestimmt nicht zum Einlenken zu bewegen. Zuerst einmal musste sie herausfinden, was er überhaupt wollte. ‚Sieht man mal vom nahe liegenden ab. Aber wenn diese Vermutungen das Einzige sind, was er hat, dann spielt er mit schlechten Karten.’ Vielleicht konnte sie sogar aus ihrer momentanen Schwäche Nutzen ziehen. Vielleicht unterschätzte Smith eine verletzte Pilotin ja…
Sie gab sich Mühe, ihrer Stimme einen resignierten, schwachen Unterton zu geben. Hoffentlich war dieser Stimmungswechsel nicht zu abrupt, um glaubwürdig zu sein: „Ich…glaube Ihnen kein Wort. Wenn Sie irgendeinen Beweis hätten, dann hätten Sie Ace doch längst Handschellen angelegt. Bestenfalls haben Sie einen Verdacht – einen ziemlich vagen Verdacht. Ansonsten würden Sie nicht ausgerechnet mich herauspicken. Was wollen Sie eigentlich von mir? Was? Warum können Sie mich nicht in Ruhe lassen? Warum können Sie Ace nicht in Ruhe lassen?“
„Wir alle müssen in diesem Krieg unsere Pflicht erfüllen. Die Pflicht, die ihr ‚Freund’ vergessen hat.“
„Nein…“
Auf einmal klang die Stimme des Sicherheitsoffiziers ruhig, fast sanft. Kühl, aber nicht mehr feindselig: „Nein? Dann überzeugen Sie mich. Sie haben Davis kennen gelernt. Sie waren mit Ihm befreundet. Sie haben mit Ihm gelebt. Sie sind…vielleicht…der Mensch, der ihn am Besten kennt. Und noch am Leben ist. Erzählen Sie mir…Alles. So können Sie ihm vielleicht noch helfen.“
War das Alles, was Smith wollte? Warum? Auch das ergab keinen richtigen Sinn… „Was…wollen Sie wissen? Wie kann ich ihm…“

*****

„Was soll denn das hier?!“ Die ohnehin angespannte Situation bekam eine völlig neue Dynamik, als sich eine weitere Partei in Gestalt von Doktor Mangold einmischte. Er war in Kalis Augen eher Bürokrat als Arzt, und deshalb fragte sie sich verwundert, was er zu dieser Uhrzeit ausgerechnet von ihr wollte. Allerdings achtete momentan sowieso keiner auf sie.
Die namenlose Frau, die Smith begleitete, machte einen schnellen Schritt auf Mangold zu, hielt aber auf eine schnelle Geste ihres Vorgesetzten hin inne. Kali bezweifelte, dass sich der Doktor bewusst war, wie knapp er um eine ziemlich unangenehme Erfahrung herumgekommen war. Smith musterte den Arzt, wie ein Captain einen renitenten Matrosen: „Das hat Sie nicht zu kümmern.“
„Hören Sie, Sie…“, wieder blitzte der NIC-Ausweis auf, und auch diesmal verfehlte er seine Wirkung nicht. Mangold verschluckte das, was er noch hatte sagen wollen, und musterte Smith mit einer Mischung aus Beunruhigung und gekränktem Stolz: „Sicherheitsdienst? Davon hat mir niemand etwas gesagt. Warum haben Sie sich nicht angemeldet?“
Der Sicherheitsoffizier ließ ihm ein ausgesprochen widerwärtiges Lächeln zukommen. Der Militärarzt schluckte und warf Kali einen Blick zu, als hätte man bei ihr eine ansteckende Geschlechtskrankheit diagnostiziert. ‚Er denkt wohl, er könnte sich infizieren.’
„Ähm…ich verstehe. Aber hören Sie, dass ist jetzt vielleicht nicht der geeignete Augenblick. Was Lieutenant Mitra angeht, so komme ich gerade, weil da ein…“

Auch diesen Satz konnte Mangold nicht zu Ende bringen. Denn hinter ihm tauchten jetzt zwei weitere Neuankömmlinge auf. ‚Das geht hier ja zu wie in einem Taubenschlag!’ Allerdings waren die beiden Männer ganz offensichtlich weder Mitglieder des medizinischen Personals, noch des Sicherheitsdiensts. Der bullige Typ mit der tragbaren Kamera und dem Stativ und sein drahtiger Begleiter trugen Zivilkleider, auf denen Ausweisclips prangten, die sie als Mitglieder des Federal Republic Information Service, der staatlichen Propagandabehörde, identifizierten.
Der Schlankere der beiden schien das Kommando zu haben. Und er schien auch nicht gerade erfreut:„So das geht aber nicht, Doktor Mangold. Ich wollte eine informelle Befragung, ein kurzes Interview. Einen Impulsgeber, ein paar passende Statements. Aber das sind einfach zu viele Leute hier. Sie haben doch gesagt, dass jetzt…
Oh.“ Auch er hatte den NIC-Ausweis bemerkt.
Dem Sicherheitsoffizier platzte der Kragen: „Was sind denn das hier alles für Leute, verdammt?! Kann man hier nicht mal in Ruhe seine Arbeit tun? Was zum Henker wollen Sie hier?!“

Allerdings ließ sich der FRIS-Mann nicht so einfach einschüchtern wie der Doktor: „Das könnte ich auch Sie fragen. Das war alles mit dem NIC abgesprochen. Alle Kandidaten wurden gründlich durchleuchtet. Es gab von Ihrer Seite keinen Einspruch. Also lassen Sie mich bitte meine Arbeit tun…“, er registrierte Smiths konsternierte Miene und grinste arrogant: „Sie haben keine Ahnung, oder?
Also, mein Namen ist Hendrick Flamen.“ Er schien auf etwas zu warten – zum Beispiel, dass jemand seinen Namen erkannte. Aber er erntete nur verständnislose Blicke. Mit einem resignierten Schulterzucken und dem geduldigen Tonfall, mit dem man einem begriffsstutzigen Kind etwas erklärte, fuhr Flamen fort: „Ich bin Zivilmitarbeiter der FRIS im Rang eines Captains. Abteilung Film. Man hat mich von Terra losgeschickt, um einige Mitglieder der Angry Angels für eine staatliche geförderte Trideo-Serie zu interviewen. Hinter den feindlichen Linien. Das wird DER Renner der Saison. Der Pilotfilm ist bereits abgelaufen, und hat unsere Erwartungen um mehr als Fünf Prozentpunkte übertroffen. Das ist pures Gold für uns.

Aber wir stehen gewaltig unter Zeitdruck. Eigentlich wollten wir das erst mal etwas ruhiger angehen. Kein Geld in ein mögliches Millionengrab versenken. Aber jetzt, wo die Quoten nach oben schießen, haben wir freie Fahrt.
Und da die Konföderierten auf einmal mit den Echsen kuscheln, mussten wir Propagandamaterial für mehrere Millionen einstampfen. Drei Filme, eine Kurzserie und ein halbes Dutzend Folgen in anderen Serien müssen gestrichen oder umgeschrieben werden. Wir brauchen HdfL. Wir brauchen es schnell. Wir müssen dem Kunden geben, was er will. Nichts ist so tot, wie der Hit von letzter Woche. Wir müssen also in die Offensive gehen, solange wir das Publikum am Haken haben.
Davon verstehen Sie natürlich nichts.
Und da die Leute das echte, das authentische Erlebnis wollen, brauchen wir auch die ECHTEN Piloten. Als Take off sozusagen. Wir haben mit dem ehemaligen Staffel-XO angefangen, aber nichts ist langweiliger, als immer dieselben Gesichter. Außerdem ist er zu...WASP, um mehrmals den Frontmann zu machen. Miss Mitra hat den nötigen multikulturellen Hintergrund, und bringt genau die richtige Mischung aus exotischem Sexappeal und verwundeter Stärke rüber. Und sie ist momentan verfügbar, während die anderen Angry Angels noch immer irgendwo zwischen den Sternen herumkurven. Sie müssen also einsehen, dass ich keine Zeit habe, bis Sie mit ihren Agentenspielchen fertig sind. Ich werde mir keines von unseren Zugpferden von irgendeinem…peripheren NIC-Offizier kopfscheu machen lassen. Also wenn Sie jetzt bitte gehen würden…
Sollten Sie noch Fragen haben, dann richten Sie die bitte an die FRIS-Zentrale auf Terra. Oder gleich an Captain Tennet, unseren NIC-Verbindungsoffizier.“
Helen Kali Mitra sah wie das Gesicht des Sicherheitsoffiziers dunkelrot anlief. Das war zu viel. Auch wenn es sie ärgerte, dass Flamen wie eine Requisitenpuppe eine schwachsinnige Jet-Set-Göre behandelte. Zu sehen, wie Smith abgekanzelt wurde wie ein lästiger Erbsenzähler… Sie prustete los.
Vielleicht war es das. Oder der gönnerhaft-herablassende Tonfall des FRIS-Manns, seine lässig fortscheuchende Handgeste. Oder vielleicht auch das grün blinkende Licht an der Kamera des bulligen Aufnahmetechnikers, das verriet, dass das Gerät aufzeichnete.
„JEAN!“

Im nächsten Augenblick explodierte die Szene. Eine fließende Bewegung der schweigsamen Frau, und der Kameramann flog durch den Gang. Gleichzeitig hatte Smith Flamen am Kragen gepackt, und rammte ihn gegen den Türrahmen. Doktor Mangold schrie unterdrückt auf, und warf sich hinter Kalis Bett in Deckung. Eine Krankenschwester, die nach Murphys Gesetz ausgerechnet in diesem Augenblick im Gang auftauchen musste, kreischte durchdringend auf, und stürzte fort.
„RUHE, VERDAMMT!“ Die schneidende Stimme des NIC-Offiziers brachte Mangold zum Schweigen. Was Flamen anging - da Smith ihn an der Kehle gepackt hatte und die Luft abschnürte, konnte er sowieso nichts sagen. Allerdings funkelte er den Sicherheitsoffizier derart empört an, dass Smith von Rechts wegen eigentlich hätte verdorren müssen, wie ein Grashalm unter einem Brennglas. Tatsächlich aber schwitzte der NIC-Mann nicht einmal: „Jean?“

Die grinste nur, und hielt einen Datenchip in die Höhe. Der Sicherheitsoffizier nickte knapp und wandte sich wieder Flamen und Mangold zu. Er lockerte seinen Griff an der Kehle des FRIS-Beamten etwas.
Flamens Stimme klang etwas gequetscht, wurde aber mit jedem Wort lauter: „Sie…Sie Weltraumschnüffler! Sie haben ja keine Ahnung, mit wem Sie es zu tun haben! ICH VERSPRECHE IHNEN…“
Er verstummte mit einem Gurgeln, als Smith prompt wieder fester zupackte: „Hören Sie beide jetzt genau zu. Es wird keinen Bericht geben. Keine Anfragen. Und erst Recht keinen verdammten Nachrichtenclip. Wir sind nicht hier gewesen. Sie werden Stillschweigen bewahren. Tun Sie das nicht…Das wollen Sie nicht erleben, glauben Sie mir das.“
Flamen reckte angriffslustig das Kinn vor, trotzdem Smiths Fäuste ihn immer noch an den Türrahmen nagelten: „Sie bluffen doch! Kein NIC-Offizier kann mir…“
Smith stieß ihn verächtlich beiseite: „Ausnahmsweise haben Sie damit Recht. Aber sehen Sie, ich war nicht ganz ehrlich zu Ihnen.“ Er hob seinen NIC-Ausweis auf, tippte kurz auf eine Ecke der Karte und aktivierte damit ein Hologramm, dass das eingeprägte Logo, den Namen und das Passbild überlagerte: „Aber der TIS…der TIS hat diese Macht.“

Genauso gut hätte er eine Bombe zünden können. Schon der NIC war nicht allzu beliebt, hatte umfassendste Machtbefugnisse und einen einschüchternden Ruf. Der Terran Intelligence Service allerdings, der wichtigste Geheimdienst der Republik…
Die Gerüchte, die über den TIS in Umlauf waren, ließen den Flottensicherheitsdienst wie eine Abteilung von Schoßhündchen und Chorknaben erscheinen.
„Andrew…” Jean wirkte nicht gerade glücklich.
Ihr Vorgesetzter winkte ab: „Ich denke, damit wäre die Frage der höheren Instanz wohl geklärt.“ Übergangslos wandte er sich wieder zu Kali um: „Wir sprechen uns noch, Lieutenant. Und im Übrigen möchte ich auch Ihnen raten…über unser Treffen Stillschweigen zu bewahren. Elektronische Nachrichten sind so…unzuverlässig.“
Ein knappes Nicken, und Smith – das musste dann natürlich ein Tarnname gewesen sein – stolzierte hinaus. Seine Begleiterin tippte spöttisch mit zwei Fingern an die Schläfe und eilte hinter ihm her.

In diesem Augenblick musste die geschockte Krankenschwester einen Alarmknopf oder die Stationszentrale erreicht haben, denn ein leiser aber durchdringender Signalton verkündete, dass Alarm gegeben worden war.
Kali holte tief Luft, und schickte dann den beiden Entschwundenen einen Schwall indischer Schimpfworte hinterher, die sich sehr eindeutig über ihre Sexualgewohnheiten und die ihrer Eltern äußerten. Dann wandte sie ihren Blick zu Doktor Mangold, und funkelte ihn so einschüchternd an, wie es mit einem bandagierten Arm, Krankenhauskleidern und kurz nach einem ziemlich beeindruckenden Schockerlebnis möglich war: „Vielleicht kümmern Sie sich mal darum, dass wir hier nicht von der Krankenhaussicherheit überrollt werden! Und vielleicht können Sie sich auch mal um den da kümmern!“ ‚Der da’ war der bemitleidenswerte Kameramann, der immer noch stöhnend am Boden lag, und erfolglos versuchte, auf die Beine zu kommen. Angesichts der Tatsache, dass die Frau einen Kopf kleiner und vermutlich mindestens vierzig Kilo leichter gewesen war, war sich Kali sicher, dass sie mit ihrer ersten Einschätzung richtig gelegen hatte.
‚Na toll. Also eine Staatskillerin UND ein durch geknallter Geheimdienstmann. Ace, was hast du bloß wieder angestellt? Und warum musst du mich da mit reinziehen…?“

***************

„Was ist mit der Idee, erst einmal inkognito zu bleiben?“
Andrew Tremane zuckte mit den Schultern: „Als dieser Bürokratenheini und unser PR-Duo plötzlich aufkreuzten, musste ich improvisieren.“
„Und wir wissen ja alle, wie DAS dann ausgeht…“ murmelte Jean Falkner resigniert. Ihr Vorgesetzter kam nicht dazu, ihr zu antworten, denn die ehemalige Einsatzagentin stoppte ihn mit einer jähen Handbewegung, und drückte ihn in eine schmale Seitennische. Hastige Schritte näherten sich, und eilten vorbei: „Zwei Mann vom Sicherheitspersonal. Schnell, aber nicht besonders wachsam. Zum Glück habe ich mir gemerkt, wo hier Kameras sind. Oder willst du etwa noch mal die höhere Karte ausspielen?“
„Für heute habe ich das Blatt wohl ausgereizt.“ Tremanes Stimme erklang direkt neben ihrem Ohr, und sie spürte seinen Atem auf ihrem Nacken. Jean verpasste ihm einen fast spielerischen Rippenstoß, der ihn allerdings dennoch leise japsen ließ: „Konzentrier dich gefälligst darauf, wie wir hier rauskommen. Übrigens…wie kommt es, dass du deinen TIS-Ausweis noch hast?“

Rein formal gehörten sie beide inzwischen – obwohl sie früher Angehörige des Geheimdienst gewesen waren – zum NSC und waren damit Flottenangehörige. Allerdings war Abteilung Sieben des Naval Scientific Corps fest in der Hand des Geheimdienstes, der so das Budget, die Kontakte und die Ressourcen der Navy angezapft und gleichzeitig seine eher…exotischeren Forschungsprojekte ausgelagert hatte.

Tremane zuckte mit den Schultern: „Der TIS hat mir nie ein Kündigungsschreiben zukommen lassen und auch den Ausweis nicht zurückgefordert. Ich habe mal nachgeschaut – laut TIS- Unterlagen bin ich immer noch Mitglied. Du übrigens auch. Wir laufen wahrscheinlich sozusagen als Gastdozenten für das NSC.“
„Ich liebe diese Spielchen. Übrigens, den verrückten Inquisitor spielst du wirklich gut. Anscheinend eine Art Naturtalent. Aber jetzt weiß Mitra über dich Bescheid. Und weiß sie es erst mal, dann…“
„Sie weiß gar nichts. Sie weiß vielleicht, dass der TIS sich für ihren windigen Freund interessiert. Aber sie wird vermuten, dass es um eine Spionageabwehroperation geht, oder schlimmstenfalls, dass ich Davis für irgendein Spezialprojekt abklopfen und dann zwangsweise rekrutieren will. Die Sache mit der COPERNIKUS…“
„Ja, das ist wirklich zu abwegig. Ich kann die ganze Geschichte ja immer noch nicht glauben.“
„Das hatten wir schon ein paar Mal. Unwichtig. Über die normalen Flottenkanäle wird sie ihn nicht warnen können. Sie weiß doch, dass die zensiert und abgehört werden. Und selbst wenn sie ihrem Ex eine Nachricht zukommen lässt, weiß der dann nur, dass der TIS hinter ihm her ist – und dazu bei seinen Freunden die Daumenschrauben ansetzt. Und das wird ihn nervös machen.“
„Nach allem, was ich von Davis weiß, ist er nicht so leicht einzuschüchtern.“
„Die positive Seite eines gigantischen Egos.“
„Du musst es ja wissen. Halt. Den nächsten Gang, dann links. So kommen wir raus.“
„Danke. Du wärst bestimmt toll im Labyrinthlauf. Was Davis angeht…jeder Mensch hat seine Sollbruchstelle. Und die werde ich finden. Und das Mädchen war schon mal ein richtiger Anfang. Ich kriege ihn schon noch klein. Und wenn alles gut geht, wird sie mir dabei helfen.“
„Na ja. Nebenbei, was deine PR-Arbeit angeht…es wundert mich überhaupt nicht, dass unser Verein im Film so schlecht wegkommt.“
„Das hat gut getan, diesem arroganten Arschloch mal Bescheid zu geben. Und dir hat es auch Spaß gemacht. Gib es ruhig zu.“
„Aber hast du dir eigentlich mal überlegt, dass dieser PR-Heini wahrscheinlich immer noch hier ist, wenn die COLUMBIA hier eintrifft? Vermutlich will er auch ein paar Piloten an Bord für diese Serie aufnehmen.“
„Was für eine Schnapsidee. Aber egal. Ich glaube, den habe ich unter Kontrolle. Zur Not…der TIS hat sicherlich auch eine Akte über Flamen.“
„Kein Wunder, dass du immer alleine Geburtstag feierst…“

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"Das Leben ist das was einem passiert, während man andere Pläne schmiedet." John Lennon

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29.11.2015 16:44 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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He´d grown up just like me,
My boy was just like me.
-Ugly Kid Joe - Cats in the cradle

Vladimir „Meltdown“ Czemek fluchte, als ihm der Sekundenkleber zum wiederholten Male die Finger verklebte. Da wurde man ausgebildet, um auch im tiefsten Kampfgetümmel noch die Formation halten zu können. Um unter Beschuss Bodenziele effektiv bekämpfen zu können. Um sich wagemutig auf feindliche Kreuzer, Zerstörer, Fregatten und was nicht noch zu stürzen. Und um jedesmal den millionenteuren Raumjäger wieder erfolgreich zurück zu bringen. Doch die nötige Feinmotorik um ein Modell zusammenbauen zu können fehlte ihm immer noch. Er griff mit der freien Hand nach dem Fläschchen mit dem Lösungsmittel und befreite so Daumen und Zeigefinger wieder voneinander.
Seufzend lehnt er sich in dem zurück, was die Navy als Stuhl bezeichnete und ließ seinen Blick über die Arbeitsfläche vor ihm wandern. So gut es der Platz hier zuließ hatte er sich eingerichtet. Dort war die kleine Box mit dem Werkzeug, das ihm Natalia geschickt hatte. Sie hatte sie ihm geschenkt, als er das letzte Mal zuhause gewesen war. Hier das Bild, das seinen kleinen Roman stolz mit dem Modell der alten terranischen Fairchild-Republic A-10 Thunderbolt zeigte, das er ihm beim letzten Besuch mitgebracht hatte.
Das war jetzt schon wieder wie lange her?
Vlad kratzte sich am Kopf, während er an die Decke starrte. Viel zu lange. Roman war inzwischen bestimmt eingeschult worden. Wieder ein Moment im Leben seines Sohnes, den er nicht teilen konnte. Leicht verärgert über sich selbst schnaubte er. Dann wandte er sich wieder den Modellen auf der Arbeitsfläche zu. Diesmal würden es zwei Modelle werden, die er seinem Sohn mitbringen würde. Eine Blohm und Voss JB-108 Mongoose und „seine“ EADS F/A 108C Thunderbolt. Damit würde Roman einen wichtigen Teil der Entstehungsgeschichte des modernen Jagdbombers in seinem Zimmer stehen haben. Zumindest den Teil, den Vlad wichtig fand. Irgendwie musste er doch die verlorene Zeit wieder aufholen können.
Hatte er sich nicht geschworen, sich mehr um seine Kinder zu kümmern als sein eigener Vater, der selber bei der Navy gewesen war? Bis jetzt hatte er das eher weniger geschafft. Nicht das Natalia ihm das krumm nahm. Aber er selber hatte an manchen Tagen damit zu kämpfen. Besonders immer dann, wenn er wieder eine neue Nachricht von seiner Familie bekam. Wenn er Roman wieder spielen und in die Kamera winken sah.
Es klopfte.
„Herein.“
Jan „Peacemaker“ Kain, Meltdowns Waffenoffizier, duckte sich durch das niedrige Kabinenschot. Wie fast immer hing eine Zigarette in seinem Mundwinkel. Meist war sie nicht angezündet wegen der Bordsicherheit, aber man konnte ihn immer dran erkennen.
Jan sah ziemlich mitgenommen aus. Als er und Vlad ihre Thunderbolt während der Schlacht zum auf munitionieren zum Träger zurückgebracht hatten, war es zu Komplikationen gekommen. Ein anderer Jäger hatte eine Bruchlandung hingelegt und dabei ein paar Container gestreift. Vlad und Jan waren mit Metallsplittern bombardiert worden. Dementsprechend sahen sie beide auch aus: große Pflaster auf Gesicht und Armen, die die Schnittwunden mehr schlecht als recht verdeckten, sowie ein paar Schnüre von den Nähten, die unter den Pflastern hervorguckten.
„Na, Vlad, wieder am basteln?“ fragte er leicht spöttisch.
Vlad grinste. Das war eines der kleinen Rituale zwischen ihnen. „Wie oft soll ich‘s dir noch sagen, Peacemaker, es entspannt mich. Solltest du auch mal probieren, anstatt eine Kippe nach der anderen zu rauchen.“
Peacemaker zog eine Augenbraue hoch. „So wie es hier drin nach Lösungsmittel riecht kann das gar nicht gesünder sein.“ er grinste.
„Lust, mit in die Messe zu kommen?“
Vlad nickte. „Lass mich nur noch eben die Teile verstauen. Ich will ja nicht, das hier alles durch die Gegend fliegt, falls wir mal einen Unfall haben, weil einer dieser durch geknallten Shuttle-Jockeys mal wieder meint, die Außenhülle könnte einen neuen Anstrich brauchen oder so.“
Er zwinkerte ihm zu und machte sich daran, die einzelnen Teile wieder in die Box, die er extra dafür mitgebracht hatte zu sortieren. Wenig später war er fertig und stellte die Box unten in seinen Spind. Eine spöttische Verbeugung andeutend stellte er sich an die Tür. „Nach ihnen, Mister.“

Die Messe der COLUMBIA sah wie ein eigenes Schlachtfeld aus. Inzwischen war das Nötigste getan worden, damit sie wieder benutzbar war, aber an vielen Stellen hingen immer noch lose Panels von der Decke und mehrere Teams von Technikern waren damit beschäftigt wenigstens ein Grundmaß an Beleuchtung wiederherzustellen. Vlad und Jan holten sich an der Essensausgabe einen Kaffee und ein paar trockene Kekse und suchten sich einen Tisch und zwei Stühle, auf denen man auch tatsächlich sitzen konnte ohne Angst haben zu müssen, dass sie gleich zusammenbrechen würden.
Jan sah Vlad einen Moment lang schweigend an. Dann lächelte er ein wenig nachdenklich.
„Da haben wir nochmal Glück gehabt, oder?“ fragte er schließlich.
Vlad nickte langsam. „Ja, das haben wir. Wobei ich fast dachte, es wäre aus, als dieser irre Akarii auf uns zu geschossen kam.“
Jan musste lachen. „Ach du meinst den, der dann nicht mehr schnell genug abdrehen konnte, als ihm unsere Rakete entgegen kam?“
Jetzt mussten beide lachen. Der Stress, der sich während einer Schlacht aufbaut und den man auch ein paar Tage später noch immer mit sich herumträgt fiel ein wenig von den beiden ab. Natürlich hatten sie Freunde und Kameraden verloren, aber sie hatten überlebt. Und war es nicht das, was zählte. So saßen sie noch eine Weile in der Messe und unterhielten sich. Schwelgten in Erinnerungen von Kameraden, die nicht mehr waren. Verarbeiteten so auf ihre Weise ihre Trauer. Schließlich schlürfte Vlad den letzten Schluck Kaffee aus seinem Becher und stand auf.
„So sehr ich auch immer wieder gerne mit dir kleinem, verlogenen Saftsack rede, ich hab noch ein bisschen was zu tun. Raven will, das ich die Verlustlisten durchgehe und dann den Papierkram erledige, damit wir möglichst schnell wieder an Ersatzleute kommen. Und du kennst sie ja, sie wartet nicht gerne.“ Er zwinkerte Jan zu und ging dann zielstrebig aus der Messe zu seinem Büro.

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Fort Lexington,
Erdumlaufbahn

Mit einem kleinen Hammer wurde zweimal gegen eine Glocke aus feinem Messing geschlagen.
Der Besprechungsraum war stilvoll eingerichtet. Ein breiter Tisch aus Kunstmahagoni stand für die fünf Mitglieder der Kommission, ein weiterer Tisch für den Delinquenten und zu guter Letzt ein kleiner Tisch für einen Protokollführer für das JAG-Corps.
Hinter der Kommission waren die Flaggen der Republik und der Navy kunstvoll drapiert.
Ein großes Gemälde von Werner Jötsch dominierte eine der Wände. Es waren drei Kriegsschiffe in Formation zu sehen. Ein Zeus-Träger begleitet von einem alten Kirow-Class Kreuzer und einem Zerstörer der John-Paul Jones-Class vor den Ringen des Saturns.
Der große Dienstanzug, den die Offiziere zur Schau trugen, gab der Versammlung einen Hauch von Würde. Ordensbänder und Kampagnensprangen gaben einen angemessenen farblichen Akzent
„Hiermit erkläre ich die Sitzung für eröffnet. Diese Anhörung soll prüfen, ob Admiral Vanessa Girad, CO 4. Flotten, Terran Space Navy gemäß § 32 angeklagt wird. Admiral Girad wird beschuldigt im Rahmen ihrer Tätigkeit als Kommandant der 4. Flotte am ...... Friedensbruch mit mehrfacher Todesfolge begangen zu haben.“, der Vorsitzende der Anhörung, bestehend aus fünf Flaggoffizieren der TSN, Vice-Admiral Marika Ogawa Judge Advocal General der TSN blickte Vanessa Girad geradewegs an, „Admiral Girad haben Sie irgendetwas zu den Beschuldigungen zu sagen?“
„Ja, Ma'am, das habe ich“, Als altgediente Offizierin wusste Girad, wann und wen man mit Respekt zu behandeln hatte. Ogawa war rangniedriger als sie, nichts desto trotz aber Ressortleiter innerhalb der Navy und daher in der Hierarchie gewissermaßen über ihr angeordnet. „Als Befehlshabende Admiralin der 4. Flotte und Sektorkommandeurin von Deneb bin ich verpflichtet auf jede mögliche Bedrohung für die Bundesrepublik zu reagieren und dieser angemessen zu begegnen.
Dazu habe ich mich im Großen und Ganzen auf die von der Division für strategische Operationen ausgearbeiteten Vorgaben und Möglichkeiten gehalten.
Im Zuge der sich uns gebotenen Bedrohungslage, den Geheimen Einsatzrichtlinien für exakt diesen Fall und unter Berücksichtigung meine rechtmäßigen Befugnisse habe ich im Interesse der Bundesrepublik nach besten Wissen und Gewissen gehandelt.
Die von mir erteilten Befehle waren weder unrechtmäßig, noch fahrlässig oder gar ohne Berücksichtigung der Befehlskette. Der Tatbestand des Friedensbruches ist nicht gegeben.“
„Admiral“, antwortete der Konteradmiral rechts von Ogawa, „Sie haben ohne vorherigen Befehl durch das HQ der Flotte konföderierte Schiffe beschlagnahmt. Sind Sie sich sicher, dass Sie die Befehlskette nicht ... hm einfach beiseite gelassen haben?“
„Ganz und gar nicht, Sir. Um es zu verdeutlichen: Die tatsächliche Befehlskette für die vierte Flotte beginnt beim Präsidenten, geht über den Bundesminister für Verteidigung an den Stabschef der Streitkräfte. Von diesem an den CNO und dieser leitet die Befehle weiter an die DSO und diese gibt mir die Befehle.
Die strategische als auch die taktische Befehlskette beginnt bei mir und endet beim Spacemen 3rd Class in der 4. Flotte. Meine Befehle vom HQ waren zusammen mit der konföderierten Flotte Hannover zurückzuerobern und die akariischen Streitkräfte so weit wie möglich zu vernichten.
Mit Kriegsaustritt der Konföderation waren diese Ziele nicht mehr zu bewerkstelligen und ich war gezwungen sofort auf die veränderte strategische wie auch taktische Situation zu reagieren. Es war für mich als Kommandeur vor Ort nicht möglich auf lange Entscheidungsfindungen durch die mir übergeordneten Stellen zu warten. Ich war verpflichtet Entscheidungen zu treffen. Schwerwiegende, unbequeme Entscheidungen, ja, aber nichts desto trotz notwendige Entscheidungen.“
Ogawa nickte: „Ihre Befehle gegenüber den konföderierten Streitkräften waren sehr aggressiv und hätten sehr leicht zu einer Eskalation der Lage führen können. Haben Sie das bei Ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigt?“
„Selbstverständlich, Ma'am“, antwortete Girad gerade heraus, „die konföderierte Flotte ist eine gut ausgebildete und kampferfahrene Truppe. Ein Festsetzen ihres Stabs und ein schneller und entschlossener Vorstoß zur Übernahme ihrer Schiffe erschien mir die beste Möglichkeit größeres Blutvergießen zu vermeiden.“
Ein weiblicher Rear-Admiral ergriff das Wort: „Ihr entschlossener Vorstoß hatte ja scheinbar nicht den erhofften Erfolg.“
„Wenn Sie auf die Beschießung und Verkrüppelung von CNS Vanguard anspielen, so ist dies ein wirklich bedauerlicher Umstand, der mir persönlich sehr zu schaffen macht, Ma’am. Dennoch sah ich damals keine bessere Option und heute ebenfalls nicht. Die gefallenen Offiziere und Mannschaften an Bord der Vanguard sind höchst beklagenswert aber letztlich ein kleines Übel im Vergleich zu der Möglichkeit einer Raumschlacht zwischen uns und der konföderierten Flotte.“
„Das ist ja gerade der Kern der Sache, Admiral Girad, Sie haben bei ihren Aktionen wissentlich den Kriegsausbruch zwischen uns und der Colonial Confederation in Kauf genommen“, Ogawa blickte sie scharf an, „noch immer stehen wir am Rande eines Krieges mit den Konföderierten.“
„Sir, die von uns beschlagnahmten Schiffe sind für unsere Kriegsanstrengungen von elementarer Bedeutung. Ich durfte nicht zulassen, dass uns diese Kampfkraft entgeht oder schlimmstenfalls in die Hände des Feindes fällt. Die Handlungen unserer Regierung steht mit den meinen im Einklang. Sämtliche Konten der Konföderation in der Republik sind eingefroren worden. Im Bau befindliche Schiffe werden nicht ausgeliefert sondern an unsere Schreitkräfte übergeben. Offiziere und Mannschaften, die bei uns in Stäben Dienst tun oder auf unseren Akademien ausgebildet werden wurden interniert.“
Die Kommissionsoffiziere blickten sich an, dann ergriff wieder der Rear-Admiral rechts von Ogawa das Wort: „Ist es korrekt, dass die 4. Flotte auf Ihren Befehl hin sich darauf vorbereitet hat einen Präventivschlag gegen konföderierte Rüstungszentren durchzuführen.“
„Das ist richtig, Sir, gemäß den durch die DSO ausgearbeiteten Notfallplänen sind die konföderierten Rüstungszentren ein primäres Angriffsziel für den Fall, dass die Akarii bis Hannover oder darüber hinaus die Konföderation überrennen. Diese Einsatzrichtlinien wurden ursprünglich unter der Leitung des heutigen CNO Admiral Frost erstellt und durch seine Nachfolgerin bei der DSO Admiral Steward nicht verändert. Sie sind nach wie vor in Kraft und die 4. Flotte ist im vollen Umfang bereit den Präventivschlag durchzuführen.“
Der JAG blickte seine vier Beisitzer noch mal an: „Noch weitere Fragen?“
Alle vier verneinten.
„Dann danke ich Ihnen, Admiral, sie sind vorerst entlassen. Wir werden Ihnen unsere Entscheidung so schnell wie möglich bekannt geben. Halten Sie sich bitte zu unserer Verfügung“, Ogawa schlug erneut mit dem Hammer gegen die Messingglocke.

***

Zwei Stunden später wurde Vanessa Girad wieder vor die Kommission gerufen. Ein erneutes zweimaliges Läuten mit der Glocke eröffnete die Anhörung wieder.
„Nach hinreichender Prüfung der Fakten und der Aussage von Admiral Vanessa Girad, CO 4. Flotte kommt diese Untersuchungskommission zu dem Schluss, dass Admiral Girad entsprechend ihrer Pflichten und der stehenden Einsatzrichtlinien durch die DSO gehandelt hat. Es wird daher keine Anklage vor einem Kriegsgericht geben. Die Anhörung ist hiermit beendet.“
Ogawa schlug erneut zweimal die Glocke.
Vanessa Girad atmete erleichtert aus. Damit war der größte Brocken an ihr vorbeigegangen aber sie wusste, aus guter Erfahrung, dass ihr noch ein Nachspiel drohte.
Da die Republik definitiv keinen Krieg gegen die Konföderation führen wollte, würde man sie von der 4. Flotte abziehen und ihr damit auch gleichzeitig den vierten Stern abnehmen. Damit wäre sie wieder Vice-Admiral.
Möglicherweise würde man sie dann auch auf irgendein Abstellgleis abschieben. Sie hoffte nicht. Einmal von der geraden Bahn abgekommen, wäre es äußerst schwierig wieder zu einem anständigen Kommando zu kommen, geschweige denn jemals ins HQ der Flotte zu gelangen.

***

TRS Columbia
Auf dem Weg nach Sterntor

Lucas Cunningham saß am Kopfende des Besprechungstisches für die Ressortleiter. Rechts von ihm saß George Long, neben dem Raven und dann der leitende Ingenieur Lieutenant Commander Paavo Lipponen, sowie Major Schlüter
Auf der linken Seite saß Richard Nissler als amtierender Operationsoffizier, Lieutenant Commander Levitt von der Schiffssicherung, Lieutenant Commander Davala, amtierender Taktischer Offizier, Lieutenant Commander Langenscheidt, der Chefarzt, der Lucas mit finsterem Blick musterte, gefolgt von Kenneth Ross, dem Chef der Nachrichtendienstabteilung der Columbia. Lucas gegenüber saß Sean Hammersmith, der ebenfalls nur zusammengekniffene Augen für den amtierenden Captain des Trägers übrig hatte.
Kevin Schwimmer der eigentliche Operationsoffizier war nachdem er für kampftauglich befunden worden war in den Flugdienst zurückgekehrt und hatte Irons Rafaelsektion übernommen.
Der amtierende Signaloffizier Lieutenant Castillano hatte in der CIC das Kommando inne und hatte Lucas die Kommunikationsprotokolle in die Hand gedrückt.
Dieser hatte sie noch nicht durchgesehen, auch nicht die markierte Stelle, auf die Castillano ihn aufmerksam gemacht hatte.
„Commander Ross“, begann Lucas die Besprechung, „würden Sie bitte die Durchsicht der Kommunikation übernehmen. Ansonsten wäre es schön, wenn ihre Abteilung schnellstens die private Post frei gibt.“
„Natürlich, Sir“, antwortete der Nachrichtendienstler unbeeindruckt. Er würde die Post erst freigeben, wenn er es für richtig hielt. Er nahm das Datapad von Lucas entgegen.
„Mr. Lipponen, wie ist unser technischer Status?“
„Wir haben so ziemlich alles geflickt, was mit Bordmitteln zu flicken war, Captain. Unsere Schildgeneratoren sind alle überbeansprucht worden und laufen nur mit dreiundvierzig Prozent Leistung. Lebenserhaltung drei ist ein Totalverlust, wie auch die äußeren Mannschaftsunterkünfte. Katapult vier konnten wir nicht mal räumen. Wir haben es von innen versiegelt, dass muss die Werft machen. Die Panzerungsschäden an Back- und Steuerbord sind für uns irreparabel, ebenfalls an Oberdeck. Wir haben sechs Geschützbatterien verloren und der Munitionsaufzug zum Oberdeckwerfer für die Exocetts ist ebenfalls im Eimer.“
„Gut, danke. Raven?“
Die CAG sah kurz auf ihr Datapad: „Wir haben zweiundfünfzig einsatzbereite Maschinen. Je acht Nighthawks und Falcons, dreizehn Griphen, elf Thunderbolts, zwei Mirage, sieben Crusader und drei Rafael. Der Chief hat noch neun reparaturfähige Maschinen im Hangar, aber unsere Ersatzteile reichen nicht mehr. Alle meine Piloten leiden unter starker Erschöpfung, aber wir können CAP und Alert-5 gewährleisten. Einzig unsere Unterstützungsschwadron ist gut aufgestellt mit siebzehn Shuttles. Unsere Mechaniker sind ebenfalls am Ende, helfen jedoch der Schiffstechnischen Abteilung so gut sie noch können.“
Lucas schwieg einen Augenblick, dann bedeutete er Langenscheidt zu sprechen.
„Wir arbeiten weit über unseren Kapazitäten. Nachdem sich die Hong Kong samt Begleitschiffen von uns gelöst hat, haben wir fünfhundertneunzehn Patienten zu versorgen. Davon gut einhundert schwer verletzte. Wir sind dazu übergegangen die leichten Fälle als Hilfskräfte einzusetzen. Die Kombüse sollte zusehen endlich wieder in Gang zu kommen, die C-Rationen sind nicht dazu geeignet an Verwundete ausgegeben zu werden.“
Von Hammersmith war ein verächtliches Schnaufen zu hören: „C-Rationen sind bestens geeignet einen Marine für zehn Wochen im Fronteinsatz zu ernähren.“
„Wir reden hier aber nicht von Marines im Fronteinsatz“, schoss Langenscheidt zurück.
„Danke meine Herren“, beendete Lucas den Disput. „Commander Nissler, die Küche fällt in ihren Aufgabenbereich.“
„Morgen Abend wird die Küche wieder vollständig arbeiten, Sir.“
„Fein, Commander Levitt?“
Die Chefin der Schiffssicherung blickte aus übermüdeten Augen auf: „Derzeit haben wir keine Lecks, aber gerade an den Oberdecksektionen sind wir noch auf der Suche nach strukturellen Schwachpunkten, wo wir Hand anlegen müssen. Alle anderen lecken Stellen wurden bereits versiegelt und wir sollten ohne weiteren Sauerstoffverlust nach Sterntor kommen.
Sämtliche Brände wurden schon vor Tagen gelöscht und die Stellen, wo wieder welche hätten ausbrechen können, wurden gesichert.“
Im Anschluss an den Bericht von Commander Levitt meldete sich der Taktische Offizier außer der Reihe zu Wort: „Ich habe heute eine Anfrage von der Relentless erhalten, es ging dabei um die Überstellung von Exocett-Raketen.“
„Und, was haben Sie Mithel geantwortet?“ Lucas schüttelte innerlich den Kopf.
„Ich habe, im höflichen Tonfall darauf hingewiesen, dass wir für derartige Manöver derzeit keinerlei Kapazitäten frei haben.“
Eine kleine Welle Gehässigkeit machte die Runde. Die Offiziere, die auf Trägern dienten sahen gerne auf die kleineren Pötte hinab.
Kenneth Ross meldete sich zu Wort: „Captain, in den Kommunikationsprotokollen ist eine Nachricht markiert worden. Vielleicht sollten Sie sich die mal ansehen.“
„Worum handelt es sich?“
Ross zog eine Grimasse.
„Los, raus mit der Sprache“, forderte Cunningham
„Es ist eine offizielle Beschwerde von Doktor Langenscheidt an den Einsatzgruppenkommandeur. Über Sie, Captain.“
Schweigen breitete sich aus, einige unangenehme Räusperer waren zu hören.
„Und das erscheint jetzt wichtig genug, um gekennzeichnet zu werden?“ Lucas nahm das Datapad von Ross entgegen.
„Da werden Sie den Signaloffizier fragen müssen, Sir.“
„Ist sonst noch etwas von Bedeutung?“ wollte Lucas wissen. Als keine Antwort kam entließ er seine Offiziere.
Als er selbst den Besprechungsraum zur CIC hin verlassen wollte hielt ihn Peter Langenscheidt auf: „Lucas, es tut mir leid, aber ...“
„Lieutenant Commander Langenscheidt“, unterbrach dieser den Arzt, „ich bin mir bewusst, dass meine Entscheidung betreffs Commander Pawlitschenko gegen jede medizinische Verantwortlichkeit war. Ebenso bin ist mir klar, dass ich mit dieser Entscheidung gegen meine Sorgfaltspflicht als Vorgesetzter der Commander verstoßen habe. Aber sein Sie sich im Klaren, dass ich in der gleichen Situation Lilja jederzeit wieder starten lassen würde.“
Langenscheidt schluckte trocken: „Warum?“
„Weil wir im Krieg sind und weil wir manchmal machen müssen, was wir tun“, beinahe hätte er noch 'Weil dieser Krieg für manche von uns zum Lebensinhalt geworden ist', hinzu gesetzt, konnte sich jedoch rechtzeitig bremsen.
Solche Sätze gegenüber eines Arztes forderte nur eine tiefer gehende psychologische Untersuchung heraus und ob dann jemand wie Lilja jemals wieder in einen Jäger steigen würde, da war Lucas sich nicht sicher.
Und es gab Schicksale, die schlimmer waren als der Tod.
Ehe Langenscheidt noch etwas hinzufügen konnte drängte sich der Captain der Columbia am Arzt vorbei.

In der CIC wurde Lucas von Lieutenant Castillano erwartet, der ihm einen Bericht über seinen Wachgang erstattete.
Raven ging zum Kartentisch und besprach mit Nissler die ATO, Air Tasking Order, den Tagesflugplan des Geschwaders. Die CAG war alles andere als zufrieden mit der Aufstellung ihrer CAP, Combat Air Patrol, aber mehr konnte sie den abgekämpften Piloten nicht zumuten, auch nicht, wenn sie die Bomberbesatzungen für die Thunderbolts mit heranzog.
Noch während die beiden Offiziere die letzten Zahlen abglichen trat ein junger Ensign aus der Operationsabteilung an sie und Nissler heran: „Entschuldigung, Ma'am, Sir, wir haben in den Gefechtsaufzeichnungen das Schicksal von Commander Volkmer verifizieren können. Sie saß in dem Jäger, der unkontrolliert auf uns zu hielt und sich selbst sprengte. Die Transponder waren ausgefallen aber wir konnten anhand unserer GunCams zweifelsfrei anhand der Markierungen am Rumpf Commander Volkmers Falcon identifizieren.“
Nissler bedankte sich bei dem Ensign, welcher sich schleunigst verabschiedete.
Raven stemmte die Fäuste in die Seite, dann trat sie mit aller Kraft gegen den Kartentisch: „Gottverlfuchte Scheiße!“
Die Offiziere und Gasten blickten sich zu ihr um, während sie sich den Fuß rieb.
Lucas guckte von seinem Gespräch mit Castillano auf: „Was ist los? Ist der Krieg vorbei? Haben die Akarii kapituliert oder warum hat hier niemand mehr was zu tun?“
Die CIC-Besatzung machte sich schleunigst wieder an die Arbeit.
„Menschen sterben“, raunte Nissler der CAG zu, „man kann es nicht ändern.“
„Ja“, stimmte ihm Raven zu, „Menschen sterben.“
Und so bitter es war, es war nicht zu ändern und der Krieg ging nun mal weiter.

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"Das Leben ist das was einem passiert, während man andere Pläne schmiedet." John Lennon

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Auf dem Weg der Besserung

TRS Columbia, Krankenstation

Wer bei den Marines oder bei den Kampffliegern der TSN diente, der tat gut daran, sich an Besuche bei Verwundeten zu gewöhnen, außer er oder sie war ein verbiesterter Misantroph, der nun wirklich keine menschlichen Kontakte hatte. Bei wem das nicht der Fall war, der kam eher früher oder später in die Verlegenheit, einen Freund oder Kameraden auf der Krankenstation besuchen zu müssen oder selbst einen solchen Besuch entgegenzunehmen. Der Verwundete Löwe in Silber wurde so oft verliehen, dass er die wohl häufigste „Auszeichnung” der Streitkräfte war. Wäre er für jede Verletzung verliehen worde, nicht nur für die erste, dann hätte sich die Anzahl der Exemplare mindestens noch einmal verdoppelt. Einige Mannschaftsmitglieder und Offiziere hatten während des Krieges ein halbes Dutzend und mehr Verwundungen überlebt. Es war wohl wenig verwunderlich, dass die einzige Auszeichnung, die zahlenmäßig noch am ehesten mit dem Silbernen Löwen mithielt, der Goldene Löwe war – der letzte Dank der Republik an die Familien der Gefallenen.

Wer nicht das Glück hatte, in einer Reserveeinheit zu dienen, sammelte im Laufe der Zeit Erfahrungen mit Verwundetenbesuchen, meistens aus beiden Perspektiven. Es gab dabei zwar kein offizielles und anerkanntes Verhaltensmuster, doch gewisse Benimmregeln waren recht verbreitet. So hatte der Besucher nach Möglichkeit optimistisch aufzutreten – war die Verwundung zu schwer dafür, dann war Mitgefühl angesagt. In beiden Fällen sollte er den Verletzten aufmuntern, deshalb war offen gezeigter Schock vor der Schwere der Verwundung tabu, auch wenn es um Verstümmelungen ging. Ein Übermaß der Betroffenheit konnte den Verwundeten deprimieren, viel mehr noch Zurückhaltung oder gar Abscheu angesichts schwerer oder entstellender Verletzungen. Ging das nicht, war er als Schulter zum Ausweinen immer noch zu gebrauchen, als verständnisvoller Zuhörer, der Bedenken über das ”was nun” zerstreuen sollte, die sich viele Schwerverletzte stellten. Der oder die Verwundete hatte normalerweise ebenfalls Optimismus auszustrahlen, immerhin brachte es nichts, andere in das eigene Elend hinabzuziehen. Ein Stück ritualisierter war das Verhalten gegenüber Vorgesetzten oder gar Pressevertretern – vor allem bei letzterem wurden normalerweise die „richtigen” Verwundeten ausgesucht und oft auch vorher instruiert. Kritische Äußerungen über Vorgesetzte oder den Kriegsverlauf waren natürlich tabu.

Von diesen Grundregeln gab es jedoch auch Ausnahmen, und eine davon hätte ein Betrachter vor sich gehabt, wenn er in diesem Moment in einem der Zimmer der Krankenstation des Trägers Columbia als Zeuge dabeigewesen wäre. Die Frau im Bett wirkte weder optimistisch noch niedergeschmettert oder leidend – ihr vernarbtes Gesicht machte eher den Eindruck, als wollte sie etwas oder jemanden beißen. Und der junge Mann neben ihr ließ sich kaum eine Emotion anmerken, stattdessen war das nicht unattraktive Gesicht eher eine Maske der Gelassenheit. Manche würden sagen, beides sei gleichermaßen typisch für die betreffende Person.
Die Krankenstation der Columbia war nach der Schlacht von Karrashin so überbelegt wie der Rest des Schiffes. Man pferchte deshalb mehr Patienten in ein Zimmer, als üblich war. Was früher für ein oder zwei Verwundete ausgereicht hatte, war jetzt doppelt oder dreifach so dicht belegt. In dem Zimmer, das normalerweise für einzelne oder schlimmstenfalls für zwei Patienten gedacht war, befanden sich insgesamt drei Betten. Die zwei anderen Insassen waren jedoch nicht ansprechbar. Der eine wies schwerste Brandverletzungen auf und war deshalb in künstliches Koma versetzt worden, denn ohne das hätten selbst die schwersten Schmerzmittel ihn nicht vor der Hölle auf Erden bewahren können. Für Mediziner vergangener Jahrhunderte wäre der Fall hoffnungslos gewesen, und selbst für die Feldmedizin der TSN war der Ausgang ungewiss. Der andere „Dauerschläfer” hatte multiple Brüche und ein Schädeltrauma erlitten, und war ebenfalls ohne Bewußtsein. Wie das Brandopfer wies er kaum einen Fleck unbandagierter Haut auf. Die dritte im Bunde und das Ziel des Krankenbesuches stach etwas von ihren Zimmergenossen ab. Lieutenant Commander Pawlitschenko hatte zwar ein eingegipstes und fixiertes Bein und war an verschiedene Geräte angeschlossen, aber der Rest von ihr war in gutem Zustand – abgesehen von ihrer Laune. Allerdings richtete sich ihre alles andere als stille Wut nicht gegen ihren Besucher.
First Lieutenant Nakakura, der Besucher, stand grundsätzlich nicht in dem Ruf, sonderlich Emotionen zu zeigen. Manche fragten sich, ob diese scheinbare Gefühlslosigkeit einer der Gründe dafür war, dass er ungeachtet zahlreicher Verletzungen und Maschinenverluste immer wieder ins Cockpit steigen und Akarii abschießen konnte. Andere fragten sich, ob das ein persönlicher oder ein kulturell begründeter Wesenszug war. Er und Lilja waren nicht unbedingt das, was man Freunde nennen konnte. Aber sie hatten lange genug gemeinsam gedient, und auf eine gewisse Weise ähnelten sie sich. So kümmerte er sich nicht um die unterdrückte Fluchlitanei, die Lilja abspulte, obwohl er zu den Leuten an Bord gehörte, die zumindest ungefähr wussten, was die Worte bedeuteten. Immerhin war er eine Weile mit Lilja in einem Flight gewesen, und noch länger in einer Staffel mit ihr.

Die Russin beruhigte sich ebenso abrupt, wie sie sich aufgeregt hatte. Von einem Moment zum anderen wurde sie wieder sachlich: „Na ja, das wär es ungefähr. Bis auf weiteres bin ich mit diesen Halbleichen auf Eis gelegt. Bis dieser Knochensäger sein Einverständnis gibt, komme ich nicht von der Station runter – wegen der Gefahr von Komplikationen.” Bei dem letzten Wort nahm ihre Stimme wieder einen sarkastischen und höhnischen Unterton an.
Der Zusammenstoß zwischen Lilja und Doktor Langscheid nach der Schlacht war abzusehen gewesen, sobald die Russin wieder zur Bewusstsein gekommen war. Ihr Kampfeinsatz mit einem gebrochenen Bein hatte zu inneren Blutungen und Gefäßschäden am Bein geführt, für eine Weile hatte sogar die Gefahr einer Amputation bestanden. Dazu kamen schwere Kreislaufprobleme, als sich die Nebenwirkungen der von ihr reichlich eingenommenen Aufputsch- und Schmerzmittel mit der Erschöpfung und ihrem angeschlagenen Zustand nach dem Gefecht addierten. Lilja war zunächst – fast etwas überraschend – ruhig geblieben und hatte nicht gegen ihre Bettruhe rebelliert und gehorsam alle strikten Anweisungen befolgt. Sie hatte noch nicht einmal gegen die ärztliche Standpauke protestiert, die sie für ihre ,Desertion’ von der Krankenstation bekommen hatte. Was sehr ungewöhnlich war und sich gewiss nicht mit ihrem Selbstbild vertrug, vor allem da Langscheid ihr im Rang nur gleichgestellt war. Aber ihre „Zähmung” erklärte sich wohl auch damit, dass sie in den ersten Tagen nur krächzend flüstern konnte und in einem mehr als angeschlagenen Zustand war.
Spätestens fünf Tage nachdem sie aufgewacht war, eine Woche nach der Schlacht, war damit Schluß gewesen. Zu dem Zeitpunkt war sie zumindest geistig wieder auf der Höhe gewesen, wenn auch ihr Bein noch eine längere Zeit der Schonung benötigte. Sobald sie sich wieder etwas besser fühlte, war die hinausgezögerte Auseinandersetzung abzusehen gewesen. Als sie versuchte, wieder in ihr Quartier als leichter Blessierte entlassen und zumindest für leichten Schreibdienst zugelassen zu werden, waren sie und der Doktor ernsthaft aneinander geraten. Zur gut versteckten Freude der Zuhörer hatten sich die beiden Offiziere unter vier Augen – aber hörbar – einen Brüllwettbewerb geliefert, bei dem es ein Wunder war, dass die sedierten Patienten nicht aufgewacht waren. Langscheid war zwar der lautere gewesen, aber Lilja führte nach der inoffiziellen Punktwertung wegen der Farbigkeit ihrer Wortwahl. Der Doktor hatte seiner widerborstigen Patienten Leichtsinnigkeit und suizidale Tendenzen bescheinigte, dass sie ihre Gesundheit in sinnlosem Aktionismus ruiniere und nicht das nötige Wissen und die Reife für eine Führungsposition besäße. Dafür hatte Lilja ihn als inkompetenten Kurpfuscher bezeichnet, der offenbar noch nicht gemerkt habe, dass dies hier kein geriatrisches Hospiz sei und sie kein Großmutter von 90 Jahren mit doppeltem Hüftbruch, sondern eine erfahrene Kampfpilotin. Und dass es wohl wenig Sinn mache, die Leute für den Tod oder die Gefangenschaft zu kurieren. Zudem hatte sie Langscheid vorgeworfen, er würde persönliche Gekränktheit und Rachsucht über professionale Entscheidungen stellen – eine tödliche Beleidigung für einen Arzt. Dass es zu diesem untypischen Ausbruch gekommen war, lag nicht zuletzt daran, dass die Nerven auf der Columbia bei vielen bloßlagen. Langscheid war überarbeitet und frustriert, und Lilja nahm es übel, dass ihr Einsatz nicht wenigstens billigend zur Kenntnis genommen wurde. So wenig ruhmsüchtig sie war, was sie als Undank ansah, empörte sie ungemein. Dazu kam ihre Wut über Langscheids Beschwerde über Commander Cunningham, die sich herumgesprochen hatte und auch Lilja nicht verborgen geblieben war. Nicht nur, dass die Russin eine gewisse Heldenverehrung für den ehemaligen Geschwaderchef hegte, sie war auch mehr als ,sauer’, weil man ihn für ihr Handeln verantwortlich machte - so als ob sie nicht eigenverantwortlich agieren könnte. Die Streitenden waren beide fest davon überzeugt, im Recht zu sein. Bei Lilja kam hinzu, dass sie generell zu Ärzten eine eher misstrauische Haltung kultivierte, nachdem man sie im ersten Kriegsjahr in die Reserve abgeschoben hatte. Langscheid hingegen hatte nicht das erste Mal miterleben müssen, wie Offiziere medizinische Bedenken ignorierten, und die hohen Verluste belasteten ihn schwer.

Die Auseinandersetzung hatte eine ungewollt komische Note gehabt, weil Lilja sich immer noch nicht rühren konnte, was sie nicht im geringsten zurückgehalten hatte. Schließlich hatte sich Langscheid jedoch durchgesetzt mit der Drohung, ihre Diensttauglichkeit so lange negativ einzuschätzen, bis sie sich endlich beruhigte. Und Lilja, die ihre Grenzen kannte, hatte diesmal zurückgesteckt. Zu mindestens vorerst und zähneknirschend. Sie rechnete vermutlich damit, dass sie spätestens in einer Krisensituation oder bei der Ankunft in Sterntor – das Gerücht über das Ziel des Fluges hatte sich binnen einer Stunde von der Kommandobrücke bis zum letzten Quartier der Marineinfanterie verbreitet – bessere Karten haben würde. Bis dahin gab sie sich kooperativ und arbeitete an ihrer Genesung. Da Lilja allerdings nicht dafür gemacht war, sich zurückzulehnen, verging sie fast vor Langeweile. Ihre Möglichkeiten, sich körperlich zu ertüchtigen, waren reglementiert, um ihr Bein zu schonen – leichte Krankengymnastik, um Muskelschwund zu verhindern und ihren Kreislauf wieder zu kräftigen. Mit unterdrückter Wut hielt sich die Russin an die Beschränkungen. Es war jedoch nicht vermeiden, dass sie sich von Imp und Sokol Dienstmaterial beschaffen ließ, das sie bearbeitete. Ohnehin war sie durch ihre enge Freundschaft mit einer Staffelchefin bestens über alles informiert, was auf der Columbia vor sich ging. Sie übertrieb es mit ihren Aktivitäten nicht, aber wirkliche Untätigkeit hätte sie wohl kaum verkraftet, und so legte sie die Möglichkeiten dessen, was ihr erlaubt war, wieder einmal sehr weit aus. Deshalb lag neben ihrem Bett nicht etwa ein Comic, eine Zeitschrift oder eine Sichtbrille mit Unterhaltungsliteratur oder Trivialfilmen, sondern sie hatte für die Interimschefin der Grünen Staffel elektronische Schreibkram bearbeitet – Gefechtsberichte, Einträge in Dienstakten und so weiter, die Imp dann nur noch einsehen und abzeichnen musste.

Aber im Moment schien sie nicht weiter über ihre Verletzung sprechen zu wollen. Kano hatte ihr erklärt, er sei der Meinung, sie habe richtig gehandelt, doch das hatte wenig dazu beigetragen, die Verärgerung der Russin zu mildern. Sie war der Meinung, dies sei ohnehin offensichtlich und nichts, was extra gesagt werden müsste. Aber im Moment schien ihre Wut vorerst verraucht: „Genug gejammert. Wie läuft es denn mit deinem neuen Posten?” Mit Smalltalk hielt sie sich nicht auf, und dafür war Kano auch nicht gerade der geeignete Gesprächspartner. Ihr Gegenüber zuckte nur unverbindlich mit den Schultern. Der Japaner zählte nicht eben zu den redseligen Charakteren, vor allem wenn es um dienstliche Probleme ging – noch etwas, das er mit Lilja teilte. Mängel betrachtete er auch immer als persönliches Versagen. Aber Lilja konnte er nicht täuschen, denn die Russin war doch etwas zu gut informiert, nicht zuletzt, weil sie mit einer der besten Gerüchteköchinnen des Trägers befreundet war, obwohl Imp sich eigentlich eher als „Vorkosterin” und „Gourmet” bezeichnete, die Gerüchte nicht in die Welt setzte, sondern viel eher prüfte und bei „gutem Geschmack” weiterverbreitete.
Deshalb lachte sie bissig: „Nun, deine Staffel – was davon übrig ist – ist ja halbwegs einsatzbereit. Seien wir froh, dass sie uns nicht zugunsten der HK kannibalisiert haben. Und ansonsten...du brauchst nicht unbedingt darüber zu reden. Ich hatte ja auch einige besondere Typen als XO zu betreuen. Ich habe mir angewöhnt, bei renitenten Leuten EINEN Warnschuss abzufeuern. Danach wird scharf geschossen. Sicher, andere machen es etwas rücksichtsvoller. Aber wenn es zum Gefecht kommt – und das kann jeden Augenblick wieder geschehen – dann darf nicht einmal die Spur eines Zweifels bestehen, wer in deiner Staffel das Sagen hat.” Sie seufzte: „Schon gut, ich bin ja auch nicht länger Staffelchefin als zu – aber immerhin habe ich ein paar Jahre den XO gemacht. Und manchmal ist ein Exempel notwendig.”
Kano schien darüber nachzudenken, dann lächelte er schief: „Sagen wir, ich bin noch in der Warnschussphase. Sollte das allerdings nicht genügen...”
Er sprach die Russin nicht mehr auf ihr Bein an – das hatte er zu Anfang getan, und eine fünfminütige Schimpfkanonade ausgelöst, aber nicht auf den Akarii, der dafür verantwortlich war, sondern auf den Doktor, der Liljas Ansicht nach die Verwundung überwertete.

„Ist eigentlich was bekanntgeworden, wie lange wir in Sterntor bleiben?” erkundigte sich Lilja. Kano zuckte nur mit den Schultern. Er mochte daran denken, dass Kali sich auf der Station in Rekonvalenz befand – aber das hätte er natürlich nie ausgesprochen. Seine Stimme klang ruhig: „Ausgehend von unseren Schäden, denke ich mindestens vier Wochen, vielleicht sogar mehr. Je nachdem wie viel Kapazitäten sie freihaben und wie schnell sie alles zusammenschweißen.” Er brauchte nicht zu erwähnen, dass die Kriegslage dabei von entscheidender Bedeutung war. Wenn der Vorstoß auf Karrashin nur das erste Anzeichen für einen Gegenangriff der Akarii war, dann würde man sie nötigenfalls auch halbfertig wieder hinausschicken.
Die Russin lächelte schief, fast etwas wehmütig. Solche Gefühlsäußerungen hatten bei ihr Seltenheitswert: „Nun, wenn wir nicht im Krieg wären, könnte ich der Sache fast etwas abgewinnen. Ich habe seit einem halben Jahr keinen Planeten mehr betreten – erst recht keinen menschlichen. Keine Luft geatmet, die nicht durch ein Aufbereitungssystem gelaufen ist, keinen Wind gespürt, keinen Regen oder Gras...” Sie schwieg, peinlich berührt durch ihre Sentimentalität. Das musste an ihrer Verletzung liegen. Sie räusperte sich verlegen.
Kano überspielte den Moment, indem er das Thema etwas verlagerte:„Es gibt Gerüchte, es sei geplant, für uns aus der LNAS und SKFS”, damit meinte der Japaner die Livingston Naval Air Station, eine Reintegrationseinheit für verwundete Piloten, und die Sengbe Koroma Flight School, eine Fliegerschule in Sterntor „Leute für uns rekrutieren.” Lilja zuckte mit den Schultern. Ihr war offenbar daran gelegen, wieder die hartgesottene Pilotin herauszukehren: „Wusste nicht, dass die Schule schon so weit ist. Es sei denn, sie haben die Trainingszeit noch weiter zusammengestrichen oder schon höhere Semester dorthin verlegt.” Die Russin wusste erstaunlich gut sowohl über die Wiederauffrischungs- als auch über die Ausbildungsverbände der terranischen Streitkräfte Bescheid, nicht zuletzt, weil sie gerne Basiswissen über neue Kandidaten und deren „Zuchtstall” hatte. Sie lachte bellend, was freilich in einem Keuchen endete. Ihr Blick warnte Kano vor Kommentaren, und sie fuhr scheinbar unbekümmert fort, wenn auch mit noch kratziger Stimme als sonst: „Solange die Leute nicht aus Fort Kent kommen...” Damit bezog sie sich auf eine Militärstrafeinrichtung in Sterntor.
„Aber es ist ebenso wahrscheinlich dass man mal wieder die Garnisonsverbände und die Nationalgarde durchkämmt. Ich frage mich ja, wann jemand endlich auf der Erde die Eier oder die Titten hat, eine Wehrpflicht durchzusetzen und ein echtes Kriegsprogramm. Dieses ewige Elend mit der fehlenden Zahl von Pilotennachschub und das Gezitter, ob wir auch genug moderne Jäger bekommen, das zieht sich jetzt schon ein paar verdammte Jahre.” Es war an sich ein Vertrauensbeweis, dass sie Kano gegenüber so locker war, freilich ein etwas einseitiger. Dem Japaner lag eine derartige Sprachwahl nicht, obwohl er Liljas Ansichten teilte. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, hätte man Produktion und Ausbildung erheblich intensiviert.
Für einen Augenblick wirkte der junge Japaner fast niedergeschlagen: „Mit den Verlusten von Karrashin sind momentan bestenfalls die Hälfte der Besatzungsmitglieder halbwegs diensttauglich oder werden es bald wieder sein.” Lilja verzog ihre Lippen zu einer Grimasse: „Uns lösen sie schon nicht auf. Nicht die Angry Angels – nicht nach der Sache mit Jor. Wie würde sich das denn in der Propaganda machen – die Prinzenkiller aufgelöst?” Ihr Gesicht verhärtete sich: „Und selbst wenn, wir dienen, wo man uns hinstellt.” Da hatte sie freilich leicht reden. Obwohl sie einige enge Freunde im Geschwader hatte, die Russin war in der Hinsicht Fatalistin. Und vor allem würde sie angesichts ihrer langen Dienstjahre als XO vermutlich bei jeder Versetzung eine Staffel kommandieren – was für Kano ungeachtet seiner überragenden Abschussergebnisse nicht im selben Ausmaß galt. Zudem flog seine...Geliebte, Partnerin, wie auch immer...nun einmal bei den Angry Angels. Ihre Rückkehr war freilich ungewiss. Sollte Kali in ein anderes Geschwader versetzt oder die Angels aufgelöst werden...nur wenige Beziehungen überdauerten solche dienstbedingten Trennungen.

Lilja bewies ungewöhnlich viel Einfühlungsvermögen, als sie das heikelste Thema aussparte und dafür nur ein mäßig heikles wählte. Allerdings konnte das auch daran liegen, dass sie in Sachen Beziehungen nicht sehr sensibel war und nicht einmal realisierte, was in ihrem Kameraden vorging. Es ließ sich bei ihr nie sagen, was Rücksicht und was Acht- oder Ahnungslosigkeit war, da kaum jemand Einzelheiten über ihr Privatleben wusste, abgesehen von ihrer intensiven Fernbeziehung zur Familie: „Sobald Cunningham zurückkommt...” offenbar war sie davon überzeugt: „...ich bin sicher, sie geben dir eine eigene Staffel. Die Gelbe wäre eine gute Sache.” Sie kicherte vor sich hin: „Obwohl ich mir vorstellen kann, dass es nicht leicht für dich wäre, selbst auf die neue Griphen umzusteigen, nachdem du uns schon für die Nighthawk verraten hast.” Der Umstand, dass Kano von den Abfang- zu den Überlegenheitsjägern gewechselt war, wurde ihm gelegentlich noch heute – Jahre nach den Ereignissen – von seinen alten Kameraden ,vorgeworfen’. Lilja hielt natürlich die Falcon für das Nonplusultra der TSN-Jäger. Der Japaner schien sich dennoch unbehaglich zu fühlen. Die Übernahme einer Staffel war ein entscheidender Punkt in der Karriere eines Piloten, selbst wenn es ein Aufrücken im Gefecht war. Ihm diesen Posten wieder abzunehmen, auch wenn es ohne Grund geschah, würde als Zurücksetzung erscheinen und vielleicht sogar dauerhaft an ihm ,kleben’ bleiben. Lilja spürte das sehr gut. Nicht nur erinnerte sie sich sehr wohl, was sie gedacht hatte, als sie Erfahrungen als XO und Interimschefin von Staffel Grün gesammelt hatte. Der Kampf mit Zweifeln an der eigenen Professionalität und Eignung war etwas, was sie in etwa so lange betrieb, wie das Töten von Akarii, und in beidem hatte sie inzwischen eine Menge Übung und Erfahrung. Zudem war sie – allen Unkenrufen zum Trotz – im Laufe der Jahre als XO zu einer recht guten Menschenkennerin geworden. Sie nahm lediglich nicht so oft darauf Rücksicht, so lange ein Tritt und ein Befehl ihrer Meinung nach ausreichten.
Die Russin richtete sich im Bett auf. Der Griff ihrer Hand war fest, geradezu eisern – nein, in der Hinsicht war sie gewiss nicht schwach. Ihre schwarzen Augen bohrten sich in die ihres Kameraden, mit einer fast aggressiven Intensität: „Hör bloß auf, dir irgendetwas einzureden. Du verdienst verdammt nochmal deine eigene Staffel, und du hast Zeug dazu. Mehr jedenfalls als eine Menge Leute die ich kenne. Ace, Radio, Skunk – wenn man die zu Staffelchefs macht oder dort belässt, dann hast du mehr als das Zeug dazu.” Sie ließ sich zurücksinken, ließ die Hand des Japaners aber noch nicht los. Sie lächelte fast boshaft: „Vielleicht geben Sie dir ja die Rote Staffel, das würde aber das Ego von Ace knicken.” Auch wenn sie Ace längst nicht mehr als Gegner sah – von seinen Führungsqualitäten war sie alles andere als überzeugt. Angesichts des entworfenen Bildes grinste auch der Japaner vor sich hin. Er hatte seine eigenen Gründe, dem blauhaarigen Piloten einen Dämpfer zu gönnen, von dem Lilja glücklicherweise noch nichts erfahren hatte, sonst hätte sie bei der Erinnerung wohl zwischen Empörung und brüllendem Gelächter geschwankt.

Fast zögern löste die Russin den Schraubstockgriff um Kanos Hand. Ihr Gesichtsausdruck war immer noch entschlossen: „Ausgerechnet dir brauch ich es ja nicht zu erklären – dir am wenigsten von allen. Wir dienen wo man uns hinstellt und auf dem Posten, den man uns zuteilt. Es spielt keine Rolle wie gerecht es ist, Hauptsache, wir können weiterkämpfen.” Daran glaubte sie offenbar, allerdings war eine solche Einstellung wenig verwunderlich für eine Offizierin, die mindestens zweimal dicht an einer dauerhaften Dienstunfähigkeitsbescheinigung vorbeigeschrammt war. Es war nicht sehr überraschend, dass der Japaner knapp nickte. Sein Dienstbegriff war ähnlich fanatisch – in mancher Hinsicht sogar noch rücksichtsloser – als der seiner Kameradin. Beide standen und verstanden sich in der Tradition von Armeen, die für die selbstmörderische und erbarmungslose Tapferkeit ihrer Soldaten bekannt waren und nötigenfalls bedenkenlose Selbstaufopferung forderten, bei wenig Schonung für sich selbst, andere oder gar den Gegner.
In diesen ,gefühlvollen’ Moment platzte der Auftritt eines Krankenpflegers herein. Der junge Ensign wirkte etwas unbehaglich – immerhin waren die Zimmerinsassen im Rang deutlich über ihm angesiedelt. Und Lilja hatte sich einen gewissen Ruf erarbeitet: „Lieutenant, Commander – die Besuchszeit ist um.” Er erbleichte zwar nicht unter Liljas giftigem Blick, doch fühlte er sich sichtlich unbehaglich. Natürlich – irgendwann kam jeder Offizier wieder aus der Krankenstation heraus. Und nicht jeder war darüber erhaben, sich dann für vermeintliche Mängel in der Behandlung zu revanchieren.
Doch dann entspannte sich die Russin – sie würde gewiss nicht in Kanos Gegenwart eine Szene machen. Ohne eine gewisse Prise Häme von ihrer Seite ging es jedoch nicht, immerhin hatte sie Erwartungen zu erfüllen: „Na schön. Wie gut, dass unser medizinisches Personal immer noch in der Lage ist, trotz völliger Überbelegung auf die Stoppuhr zu schauen und sich um Trivialitäten zu kümmern.” Von weiteren Demütigungen sah sie ab. Sie nickte Kano knapp zu: „Lass dich ruhig wieder blicken, wenn es was Neues gibt. Hier verrottet man noch vor Langeweile.” Der Japaner lächelte sie schmal an: „Und du werd schnell genug gesund – ich glaube nicht, dass die dich hier noch viel länger aushalten.” Lilja lachte nur: „Genau darauf setze ich ja!” Dann griff sie wieder nach dem Lesegerät. Irgendwie würde sie ihre Zeit schon herumbringen...

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"So, junger Mann, Sie können gehen. Und ich meine gehen. Und Sie dürfen grinsen so viel wie Sie wollen. Die Implantate für Ihr Heldengrinsen sitzen perfekt", informierte mich Doktor Lacroix, die Stabsärztin der KAMI, lächelnd.
Endlich, mochte man sagen. Damit war ich einen Tag später dran als Noname, und es drängte mich, zurückzukehren und zumindest den Papierkrieg für die Roten an mich zu reißen und Mantis zu unterstützen. Die Tatsache, dass ich in ein vollkommen überlaufenes Mehrpersonenquartier gesteckt werden würde war zwar ungewohnt, aber meine Lieutenantsklause, die ich mir auch noch mit Trajan hatte teilen müssen - zumindest als er noch gelebt hatte - war auch nicht gerade ein Musterbeispiel an Geräumigkeit gewesen. Es hatte schon seine Gründe, warum die Staffelführer meistens in ihren Büros anzutreffen waren.
"Ich darf gehen? Auf meinen eigenen Beinen? Wow. Sie sind ein Zauberer, Doc."
Justine Lacroix verzog die Miene zu einem Schmollmund. "Und dabei habe ich nur zwei Heilungstänze für Sie gebraucht, Ace. Sehen Sie zu, dass Sie nie wieder auf meinem Tisch landen, ja? Und denken Sie dran, Sie haben keine neue Hüftgelenke gekriegt und dürfen laufen. Aber achten Sie darauf, nirgends anzustoßen. Das könnte trotz beschleunigter Heilung schmerzhaft werden."
"Sie haben meinen aufrichtigen Dank, Doc, der Ihnen ewig nachschleichen wird."
"Und mich nie erreicht, was? Frechdachs. Wieso heißen Sie eigentlich Ace? Weil Sie die meisten Abschüsse haben?"
"Äh, nein. Ich habe den Namen an mich gerissen als ich damals auf der REDEMPTION ins Geschwader kam. Bisher hat ihn mir noch niemand abgefordert, also bleibe ich dabei. Allerdings hätte Razor gute Chancen auf den Namen, als einziger lebender Träger des Flying Cross in Gold."
"Donnerwetter, wie hat er das denn geschafft?"
"Für zwanzigtausend Abschüsse", erwiderte ich und bereute, das Thema angeschnitten zu haben. "Er hat zwei Truppentransporter erwischt. Danach wurde ihm das Cross in Gold zuerkannt. Soweit ich weiß hätte er es gerne mit einem Wurf zurückgegeben, mitten zwischen die Augen, wenn er Cunningham nur nicht so schätzen würde." Ich erhob mich und reichte ihr die Hand. "Danke fürs heilen, Doc. Ich muss jetzt wirklich rüber. Die COLUMBIA platzt aus allen Nähten, so überfüllt ist sie, aber wenn ich eines Ihrer Betten weniger blockiere, dann schicken die Weißkittel vielleicht noch welche auf die KAMI."
"Wir helfen wo wir können", erwiderte sie. Aber die beinahe scherzhafte Stimmung zwischen uns war verschwunden. "Passen Sie auf sich auf, Ace. Und probieren Sie es erst mal mit dem Cross in Silber, ja?"
"Ich werde mich bemühen, Doc."

Draußen auf dem Gang empfingen mich zwei grinsende Davis-Männer. Nun, ein halber Davis-Mann, und ein Schneider, wenn ich Ian als halbwegs vollwertig ansah, und bei Justus wohlwollend in Kauf nahm, das seine Mutter und meine Mutter Schwestern waren.
"Du darfst jetzt also wieder rüber humpeln auf deinen halbwracken Träger, eh?", meinte Ian und grinste nur noch breiter. "Bau bloß keinen Scheiß. Und steig nicht wieder in eine Nighthawk. Man sieht ja, es kommt nur Mist bei raus."
Ich griff nach meinem kleinen Bruder und nahm ihn gespielt in einen Schwitzkasten. "Dir bringe ich Manieren bei, Kleiner. Noch schlimmer, ich nehme dich mit und werfe dich Jean vor, dann hast du gar nichts mehr zu lachen."
Ians Miene wurde starr. "Du kümmerst dich doch um sie, oder?", fragte er, und ich ließ ihn wieder los.
"Ich werde zu ihr gehen, sobald ich die wichtigsten Besuche erledigt habe." Ich sah zu Boden. "Ich habe Angst, ihr in die Augen zu sehen. Sie weiß das ich ihren Verlobten nicht mochte."
"Nicht mochte ist gut. Mir hat man gesagt, du wärst wie ein Wahnsinniger hinter ihm her gewesen und wolltest ihm die Eier durch den Hals hindurch abreißen", brummte Justus. "Aber sie wird dich trotzdem brauchen. Du bist der große Bruder. Du bist das Vorbild."
"Ein tolles Vorbild. Alle meine kleinen Geschwister folgen mir in den Wahnsinn, der sich Flotte schimpft." Ich besah mir Ian genauer. "Second Lieutenant? Wie viel hast du Justus dafür gezahlt?"
"Eine Feldbeförderung, für den großartigen Einsatz, als wir Jor abgeschossen haben. Die Zweitbrücke hat das Gefecht geführt, und viele haben sich ausgezeichnet. Es regnete Orden und Beförderungen. Ich habe mich in die richtige Reihe gestellt, und schwups, war ich Second Lieutenant."
Justus fühlte sich bemüßigt, etwas zu sagen. "Er hat einen tollen Job gemacht. Die Beförderung war vollkommen berechtigt." Er sah mir in die Augen. "Grüße Jean von uns und sag ihr, wir werden sie besuchen kommen, sobald wir es einrichten können. Das könnte allerdings erst etwas auf Sterntor werden." Seine Hand lastete schwer auf meiner Schulter.
"Ich richte es aus. Und die andere Sache, Justus, ich werde mit Donovan sprechen und einen Termin konstruieren, an dem wir alle fünf können."
"Freut mich zu hören."
Ich nickte den beiden Männern stumm zu, dann machten wir uns auf den Weg zum Shuttlehangar.
Nach einer ebenso schweigsamen Verabschiedung, diversen Schulterklopfern und einem stummen Salut saß ich im Shuttle, das mich zur COLUMBIA zurück bringen würde. Wobei sitzen mir bei einer falschen Bewegung noch immer Schmerzen in der Hüfte verursachte.

Mein erster Besuch führte mich zum CAG. Ich hatte gehört das sie sich mit Cunningham das Quartier teilte, da die Zustände durch die gesperrten Sektionen noch immer beengt waren. Das wunderte mich doch sehr, denn die einzige Möglichkeit, die ich für diese Konstellation je gesehen hätte wäre wenn einer der beiden tot und der andere neben der Leiche eine Party veranstaltet hätte. Aber man lernte nie aus, und Wunder begegneten einem jederzeit und überall.
"Ma´am, ich melde mich zurück zum Dienst."
"Stehen Sie bequem, First Lieutenant." Sie musterte mich streng. "Im Gegensatz zur treulosen Tomate Skunk haben Sie sich also nicht dazu entschieden, die Angels im Stich zu lassen?"
Ich runzelte die Stirn. "Ma´am?"
"Schon gut, Lieutenant. Muss ich mir übrigens irgendwelche Gedanken darüber machen, wie Sie zusammen mit Noname auf die KAMI gelangt sind? Wird mit das auslesen der Flugschreiber Ihrer Maschinen in irgendwelche Schwierigkeiten bringen?"
Die Runzeln wurden Schluchten. "Haben Sie nicht mit Donovan geredet, CAG?"
"Der Bordarzt hat ihn noch mal für zwei Tage krank geschrieben. Er wird sich erst morgen wieder bei mir melden. Also, wird es noch Ärger geben, First Lieutenant Davis?"
"Nein, Ma´am. Beide..." Ich schluckte heftig. "Beide Jäger waren Totalschaden. Die Black Boxes konnten von der Technikermannschaft nicht geborgen werden, und Captain Schneider entschied sich dann, im Anbetracht der Flucht den nutzlosen Schrott über Bord zu werfen."
"Wie praktisch. Wie überaus praktisch." Sicherlich hatte sie dazu schon meinen, Justus´ und Donovans Bericht gelesen. Die Frage war ob sie ihn auch fressen würde.
"Nun, im Moment habe ich genügend Ärger. Ich bin dankbar wenn mir weiterer erspart bleibt. Sie wissen schon, Dinge wie Befehlsverweigerung, wissentlicher Gefährdung des eigenen Lebens, und so ein Scheiß, den ein Romantiker tun würde, der nicht versteht was Krieg ist und mich dadurch fast einen zweiten guten Offizier kostet. Ich kann mich darauf verlassen, dass Ihr Bericht auf dem aktuellen Stand ist?"
Ich schluckte hart. "Ma´am, weder ich noch Lieutenant Cartmell haben dem noch etwas hinzu zu fügen oder zu korrigieren."
"So", murmelte sie zufrieden. Raven widmete sich wieder ihren Unterlagen. "Sie übernehmen vorerst wieder die Rote Staffel, und sobald der Bordarzt Sie flugtauglich schreibt werden Sie wieder fliegen. Das gilt erstmal bis Sterntor, haben Sie verstanden?"
"Keine Einwände meinerseits, CAG."
"Gut. Dann können Sie wegtreten. Ach, und damit Ihnen nicht langweilig wird, Ace, dürfen Sie nicht nur Ihren Papierkram erledigen, sondern Sie dürfen auch Chip und den Blauen ein wenig aushelfen. Die Staffel hatte wenige Verluste und ist derzeit mein wichtigstes Rückgrat und kann jede Hilfe gebrauchen." Sie sah auf. "Mein Beileid, Ace."
Ich schnaubte, halb vor Wut, halb aus Frust, und darüber getüncht eine Schicht Trauer. "Danke, Ma´am."
"Sie können weg treten."
Ich salutierte und verließ das Büro.

Draußen sackte ich kurz gegen die Wand, hustete und stützte mich schwer ab. In mir kochte alles wieder hoch. Das Gespräch mit Huntress vor dem Einsatz. Ihre Augen, als wir uns verabschiedet hatten. Ich hatte damit gerechnet, das sie mich nicht wieder sehen würde, wenn Ravens Teil des Einsatzes schief ging. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich sie zu Grabe tragen müsste.
Und dann war da das nagende, beißende Gefühl, die große Frage, ob sie vielleicht gestorben war, weil ich mit ihr Schluss gemacht hatte. Ich keuchte erschrocken auf. Mein Magen krampfte sich zusammen. Ich hustete mehrfach und glaubte ein paar Sprenkel Blut in meiner rechten Hand zu sehen. Verdammt, verdammt, verdammt. Da hatte ich doch geglaubt, Juliane wäre eine unserer Unsterblichen wie Lilja und Ohka, und dann sowas.
Langsam richtete ich mich auf und ging weiter. Es brachte mir nichts, wenn ich mich hier selbst kasteite, und ihr brachte es erst recht nichts. Sie hatte mir sehr viel bedeutet, und ich hatte sie verloren. Vielleicht hatte ich sie getötet, vielleicht auch nicht. Mit diesem Zweifel würde ich fortan leben müssen. Den Rest meines Lebens, egal wie kurz es sein würde.

"Hallelujah! Es gibt einen Gott!", rief Mantis aufgeregt, als ich nach kurzem Klopfen ins Staffelbüro der Roten kam. Sie sprang auf, kam um den Schreibtisch herum und fiel mir um den Hals. "Mein Ritter in Strahlender Rüstung ist zurück, um mich aus dem Turm des Papierkriegs zu befreien! Ein herrlicher Tag! Mir ist nach tanzen und feiern und... Nun lach doch mal, Ace. So oft umarme ich dich nun auch nicht."
Ein dünnes Lächeln huschte über meine Züge. "Solange ich nicht fliegen darf, soll ich nicht nur unseren Papierkram machen, sondern auch bei den Blauen aushelfen."
Mantis kniff die Augen zusammen. "Das hat Raven gesagt? Obwohl du und Huntress... Weiß sie was sie dir da antut?"
Ich seufzte schwer. "Ist vielleicht nicht das schlechteste wenn ich mich ein wenig um die Dinge kümmere, die sie zurück lässt. Wenigstens für einige Zeit. Chip muss der Arsch ja mächtig auf Grundeis gehen, wenn Raven ihm eine Hilfe zugesteht.
"Rebel liegt im Lazarett mit Ausstiegsverbrennungen, und Huntress ist auf ihrem letzten Flug. Er ist der letzte Sektionsführer, und er hat sich um mehr zu kümmern als ich." Ein Grinsen stahl sich auf ihre Züge. "Als du."
"Als ich", wiederholte ich mit einem Nicken. "Schaffst du es die nächsten Stunden alleine? Ich würde gerne mal rüber gehen und sehen was ich da tun kann."
Sie verzog die Miene zu einer beleidigten Schnute. Himmel, die Zeit hatte dieser Frau sehr gut getan. Man konnte kaum glauben, dass sie schon Oma war. "Meinetwegen. Heute. Aber vergiss nicht, welcher Staffel du gehörst, ja?"
"Versprochen." Ich nickte ihr noch einmal zu, dann verließ ich das Büro wieder.

Ein paar Türen weiter war das Büro der Blauen Staffel. Nach kurzem Anklopfen wurde ich herein gebeten.
Chip saß am Schreibtisch, vor einem Wust an Ausdrucken und mit einem Arbeitsmonitor, der fünfzehn aktive Fenster anzeigte.
"Ace", sagte Chip und erhob sich. "Willkommen Zuhause."
"Es ist schön, wieder an Bord zu sein", erwiderte ich. "Wie laufen die Geschäfte?"
"Ich bin bereits informiert. Danke, dass du uns aushilfst. Den Staffelkram musste ich eher selten machen. Huntress hatte dafür ein Händchen, und..." Er schluckte.
"Keine Sorge. Skunk war eine faule Sau, deshalb haben meistens ich und Kali den Papierkrieg erledigt. Ich denke, ich kann dir helfen. Wie ist der Status der Truppe?"
"Juliane ist tot." Seine Stimme war ein unsicheres Flüstern. "Hat sich selbst gesprengt, als ihre wracke Falcon auf eine der großen Kanonen der COLUMBIA zu stürzen drohte. Ich habe es den Eierköppen gesagt, ich habe ihnen sogar die GefechtsROMs entsprechend markiert. Aber sie gehen nur davon aus, dass sie sich selbst gesprengt hat. Dass sie eine Partikelkanone gerettet hat, davon wollen sie nichts wissen."
Ja, das passte zu Huntress. Das passte wirklich zu ihr. Mich beruhigte der Gedanke, das sie ganz zum Schluss Herrin ihrer eigenen Entscheidungen gewesen war. Wenn nicht ich, wer dann hätte auch nachvollziehen können, was Hilflosigkeit für ein Scheiß Gefühl war?
"So war sie. Ich bin stolz auf sie, auch wenn ich sie lieber hier in diesem Büro sehen würde", sagte ich mit sanfter Stimme.
Christian Harris nickte knapp, Tränen in den Augen. "Sie hatte eben mehr Eier als mancher Kerl."
"Oh nein, das hatte sie nicht", sagte ich mit Bestimmtheit.
Für einen Moment entkam Chip ein lautes Glucksen, und die depressive Stimmung war verflogen.
"Wie steht es um die Staffel? Ich habe gehört, dein potentieller XO hütet das Bett?"
"Vakuumverbrennungen beim Ausstieg. Wird wohl bis Sterntor dauern, eher noch länger, bevor Rebel überhaupt wieder aufstehen darf. Hat ihre Nerven in Mitleidenschaft gezogen."
"Autsch", murmelte ich. Nervenschäden gehörten zum schlimmsten, was einem Piloten passieren konnte. Nicht nur wegen der langwierigen Heilung, vor allem weil beschädigte Nerven Schmerzen bedeuteten. Viele, viele Schmerzen. "Weitere Verluste?"
"Ice liegt auch im Lazarett. Eine Mischung aus Abschuss, Nervenzusammenbruch und einer gebrochenen Schulter vom Ausstieg. Vier Wochen mindestens. Dazu kommen ein paar hundert Blessuren und dergleichen. Ach, und dann kriege ich den Bordarzt einfach nicht dazu, Pain flugtauglich zu schreiben. Okay, der Junge geht an Krücken, aber er kommt dreimal täglich hier rein und verlangt von mir wieder zu fliegen, weil es ja eine sitzende Tätigkeit ist."
Ich erlaubte mir ein leises Lachen. "Schauen wir mal, was wir da reißen können", sagte ich, klopfte Chip auf die kräftigen Schultern und ging mit ihm an den Schreibtisch. Zumindest der Bürokram hatte mich wieder.

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29.11.2015 16:59 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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Lieutenant Esteban “Tiburon” Pallardo knallte sein Tablett auf den Kantinentisch, und ließ sich auf den Stuhl sacken. Er war alleine, und das war ihm nur Recht. Er war nicht in der Stimmung für Gesellschaft.
Halbherzig musterte er den hoch aufgeschichteten Berg aus Fleisch, Kartoffelbrei und Gemüse. Die Kantine hatte endlich wieder ihren Normalbetrieb aufgenommen. Wie alle anderen Piloten waren auch Tiburon die C-Rationen, die die Küche ihnen doch tatsächlich als Essen hatte schmackhaft machen wollen, ziemlich schnell leid geworden. Außerdem war es mehr als acht Stunden her, dass er das letzte Mal etwas gegessen hatte. Sein Magen knurrte Unheil verkündend. Aber irgendwie fehlte ihm die Energie zum Essen.
Es waren nicht die häufigen Patrouillenflüge, zu denen die dezimierten Piloten der Angry Angels immer wieder raus mussten. Mit etwa der Hälfte der Belegschaft sollten sie die Aufgaben eines ganzen Geschwaders erfüllen.
Es war auch nicht die tägliche Strafarbeit im Hangar. Damit wurde er schon fertig. Er hatte noch nie Hemmungen gehabt, sich die Finger schmutzig zu machen. Und im Gegensatz zu seinen verweichlichten ‚Kollegen’ war er auf der Straße groß geworden.
Es war nicht mal die Tatsache, dass es sich der Staffelchef der Butcher Bears offenbar zu seiner persönlichen Aufgabe gemacht hatte, jeden von Tiburons Schritten wie mit Argusaugen zu überwachen. Das steckte er weg.
Aber das alles auf einmal, und dazu Tag für Tag, seit nunmehr mehr als zwei Wochen, und wer weiß wie lange noch…
Das war zu viel.
Langsam fragte er sich ob er es nicht doch lieber mit dem Kriegsgericht hätte versuchen sollen.
Lustlos stocherte er mit der Gabel in seinem Essen herum, und führte den ersten Bissen zum Mund.
Als er aufblickte, stand Lieutenant Nakakura vor ihm. Mit locker vor der Brust verschränkten Armen musterte der provisorische Staffelchef seinen Untergebenen. Wie fast immer war sein Gesicht eine steinerne Maske, die nicht mehr preisgab, als die Oberfläche eines Mondes. Tiburon kannte den Ausdruck. Und hatte gelernt ihn zu hassen.
„Lieutenant Pallardo. Sie gehen noch mal raus.“

Am liebsten hätte Tiburon seinem Vorgesetzten den Teller ins Gesicht geschleudert. Langsam reichte es ihm: „Ich bin gerade erst gelandet, verdammt!“
Der Japaner neigte leicht den Kopf: „Das gilt auch für mich…“, tatsächlich hatte er die Patrouillerotte geführt, die von Tiburon und Bunny abgelöst worden war, „…heißt das, Sie wollen einen Befehl verweigern?“ Kanos Stimme blieb beiläufig.
Tiburon biss die Zähne zusammen. Er hatte es satt: „Sie haben nicht das Recht, mich zu schikanieren! Für was halten Sie mich, für Ihren verdammten Punchingball?!“

Halb rechnete er damit, dass Kano sofort seine Drohung wahr machen, und ihn wegen Befehlsverweigerung festsetzen lassen würde. Aber überraschenderweise huschte kurz so etwas wie ein Lächeln über Kanos Lippen. Seine Stimme allerdings blieb ausdruckslos: „Sie verstehen gar nichts. Mir geht es nicht darum, Sie zu schikanieren. Dazu sind Sie nicht wichtig genug. Aber mit Ihrer Insubordination haben Sie…das Vertrauen zerstört, dass zwischen Kommandeur und Untergebenen bestehen muss. Ich kann mich nicht mehr auf Sie verlassen. Sie müssen sich dieses Vertrauen erst wieder erarbeiten. Zum Beispiel, indem Sie meine Befehle ausführen. Auch wenn Sie müde, erschöpft und hungrig sind. Wir sind keine Schönwettermarine, falls Sie das noch nicht gemerkt haben.“
Tiburon schluckte herunter, was ihm auf der Zunge lag: „Wozu brauchen Sie mich? Sir.“
Kano nickte knapp: „Die RELENTLESS hat einige merkwürdige Sensordaten von dem Asteroidenfeld aufgefangen, das den zweiten Mond des dritten Planeten umgibt. Eine Maschine mit Sensorpods soll sich das ansehen. Als Mitglied der Staffel Gelb haben Sie damit Erfahrung. Ich gebe Ihnen Geleitschutz. Sonst noch Fragen?“

Also ein Erkundungsauftrag. Ganz klar, dass Ohka sich keine Gelegenheit entgehen lassen konnte, ein paar Extrapunkte zu sammeln. Und wahrscheinlich hoffte, zu seinen neununddreißig Abschüssen vielleicht noch einen vierzigsten addieren zu können. Natürlich hätte er auch Bunny mitnehmen können – als Veteran der Gelben Staffel hatte der genauso viel Erfahrung mit dem Einsatz der Sensorpods, wie Tiburon. Aber nein, es musste natürlich er sein..: „Nein. Sir.“
„Gut.“ Kano warf einen Blick auf Tiburons Teller: „Sie haben fünfundzwanzig Minuten. An Ihrer Stelle würde ich mich beeilen.“
Mit diesen Worten drehte er sich um, und ging. Tiburon verschwendete eine wertvolle halbe Minute, ihm hinterher zu starren, und lautlos Schimpfwörter an den Kopf zu werfen.
Davon natürlich völlig ungerührt drängelte sich der Staffelchef zwischen zwei anderen Piloten hindurch, griff sich ein paar mit Fleischstreifen belegte Brötchen, und verschwand in Richtung Hangar.
‚Arschloch.’ Aber immerhin, fünfundzwanzig Minuten waren besser als gar nichts, und die Wut hatte Tiburons Müdigkeit förmlich ausgebrannt. Mit einem leisen Fluch rammte der die Gabel in das Steak, und stellte sich kurz vor, es wäre Nakakuras Gesicht.

***

Kano musterte die beiden Maschinen, die zum Start gerollt wurden. Die schnittige Silhouette des Hochleistungsjägers wurde durch die zwei voluminösen Zusatztanks und das schwere TARPS MK II verunstaltet. Mit je zwei Amrams, Sparrows und Sidewinders war Tiburons Nighthawk nur relativ leicht bewaffnet. Kanos Maschine hingegen konnte mit den vier Phoenix, zwei Sparrows und zwei Sidewinders wesentlich mehr Vernichtungskraft entfesseln, und wurde außerdem nicht durch den schweren Sensorpod behindert. Allerdings hatte auch seine Maschine Zusatztanks erhalten. Blieb nur zu hoffen, dass da draußen nichts Größeres als ein Jäger war. Die Nighthawk schlug sich auch ganz gut gegen leichte Kampfschiffe, aber nicht zu zweit. Angeblich entwickelte die TSN bereits seit mehreren Jahren an einem Nuklearflugkörper, der so klein sein sollte, dass er endlich auch von einer Nighthawk, einer Griphen – oder sogar einer Falcon in den Kampf getragen werden konnte.
‚Das hätte Monty gefallen. Er hat die Nighthawk immer für zu wertvoll gehalten, um sie nur als Jäger einzusetzen.’ Aber bis diese Wunderwaffe die Einsatzverbände erreichte, mussten sie mit den konventionellen Raketen auskommen. ‚Nun, heute sollte das reichen. Das ist kein Kampfeinsatz.’
Kano sah sich suchend um. ‚Eine Minute hat er noch. Wenn er dann nicht im Hangar erscheint, dann ist die Hölle los.’ Er fragte sich kurz, ob Tiburon es tatsächlich darauf ankommen lassen würde, oder ob er vielleicht durch irgendeinen unglücklichen Zufall aufgehalten wurde. ‚Wo bleibst du…’

Aber dann sah er den Piloten in voller Montur durch eine der Aufzugtüren stolpern. Unter seinem bereits geschlossenen Helmvisier lächelte Kano unsichtbar. ‚Kluger Junge.’ Er klopfte auf sein rechtes Handgelenk, und deutete knapp auf Tiburons Jäger.
Der junge Pilot stoppte kurz, starrte zu ihm herüber, und beschleunigte dann seinen Schritt. Auch wenn Kano zu weit weg war, um Pallardos Gesicht erkennen zu können, konnte er sich vorstellen, was er für eine Miene machte.
Der Lieutenant ließ sich in den Pilotensitz sinken, und verriegelte die Cockpithaube. ‚Entweder du lernst es, oder du fliegst raus. Je früher du das begreifst, desto besser.’
Knapp zwei Minuten später starteten sie.

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29.11.2015 17:33 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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Die beiden Maschinen beschleunigten, und ließen die mit Marschgeschwindigkeit vorrückende Flotte hinter sich zurück. Das einzige Band, das sie jetzt noch mit der COLUMBIA verband, war der offene Funkkanal.
Sie flogen stumm. Tiburon schwieg aus nahe liegenden Gründen lieber, und auch Kano war nicht in der Stimmung für ein Gespräch. Er war erst vor wenigen Tagen wieder für voll dienstfähig erklärt worden, und die Finger seiner rechten Hand fühlten sich immer noch etwas steif an. Außerdem war er während der erzwungenen Ruhepause nicht mehr darum herumgekommen, sich um diese eine Pflicht eines Staffelführers kümmern zu müssen, vor der es ihm graute. Die ‚Totenscheine’ ausstellen. Und das schloss die Briefe mit ein, die an die Angehörigen gehen würden. Wenigstens war keiner der Gefallenen verheiratet gewesen. Keiner hatte Kinder gehabt – jedenfalls keine, die in den Flottenunterlagen auftauchten.
Aber die Eltern, Geschwister und anderen Angehörigen zu informieren, war schwierig genug. Auch wenn er gelernt hatte, mit der Möglichkeit seines eigenen Todes irgendwie umzugehen – wenn es um seine Untergebenen und ihre Angehörigen ging, war das etwas anderes. Und das Gemisch aus shintoistischen, buddhistischen und nationalistischen Versatzstücken, mit denen Kano sein Gewissen zu beruhigen versuchte, half ihm nicht bei der Aufgabe, einer Mutter oder einem Bruder von dem Tod ihres geliebten Angehörigen zu berichten.
Letzten Endes hatte er sich darauf beschränkt, mit ein paar kurzen, knappen Worten die Umstände des Todes oder der Gefangennahme zu umreißen. Ein paar – notfalls auch ein wenig geschönte – Worte zu dem Charakter der Verschiedenen, eine kurze Beileidsbekundung und die Versicherung, dass dieses furchtbare Opfer dazu beitragen würde, diesen grausamen Krieg zu beenden…
Zu mehr war er nicht in der Lage gewesen. Wenigstens hat er sich bemüht, nicht in jedem Brief dasselbe zu schreiben.

Um sich von dieser unangenehmen Erinnerung abzulenken, rief er noch einmal das auf, was über das System bekannt war, und überspielte die Daten auf sein Headup-Display. Irgendwann würden diese Dinger die altmodischen Radarschirme und Instrumentenanzeigen ersetzen, und zusammen mit raumtauglichen 360-Grad-Visieren den Kampf im All revolutionieren. Aber bis dahin taugten die im Helm integrierten Datenwiedergabeeinheiten nur für den Einsatz während relativ ruhiger Flugphasen.
Das Medusa-System war unbewohnt. Im Niemandsland zwischen Akarii-Imperium und Republik gelegen, war das Sonnensystem erst vor zwanzig Jahren von terranischen Schiffen erreicht worden. Abgesehen von ein paar eher nachlässig durchgeführten Kartographisierungsflügen hatte man die Erkundung einigen Robot-Sonden überlassen, die allerdings nur beschämend unvollständige Informationen geliefert hatten. Der Kalte Krieg mit den Akarii und dann der Ausbruch des ‚heißen’ Krieges hatte jeden weiteren Versuch einer Erforschung verhindert.
Nach den bisher gesammelten Daten gab es im Medusa-System weder strategisch wichtige Rohstoffe in abbauwürdigen Konzentrationen, noch Planeten, die eine Terraformung lohnten. Hier Bergbau zu betreiben oder gar Siedlungen zu errichten, erschien ganz einfach in keinem rational zu rechtfertigenden Verhältnis zu den Kosten und dem Risiko.
Einer der Gründe dafür war der Stern, der dem System seinen Namen gegeben hatte. Medusa war ein weißer Stern der A-Klasse – weitaus heller, jünger und kurzlebiger als die Sonne, die das Sol-System erleuchtete. Seinen Namen hatte Medusa wegen seinem ‚bissigen’ Wesen und seiner Korona erhalten – der Stern flutete den umgebenden Raum mit einem mörderischen Bombardement aus Gamma-, Röntgen und sogar Radiostrahlen. Gigantische Sonneneruptionen, die jeden Sol-Sonnensturm wie eine milde Brise wirken ließen, tasteten sich in den dunklen Raum vor, wie Tentakel aus purem Licht. Manchmal schien der Stern tatsächlich von einem sich windenden, hin- und herzuckenden Kranz grellweißer Schlangenleiber umgeben zu sein – ein Anblick, der einen inzwischen längst in Rente gegangenen Astronomen an ein Monster der griechischen Mythologie erinnert hatte.
Kano las weiter, und runzelte überrascht die Stirn. Laut den – allerdings reichlich spekulativen – Analysen der irdischen Astrophysiker war Medusa nicht immer so ‚unruhig’ gewesen. Irgendwann vor drei- bis zehntausend Jahren war etwas im Inneren der Sonne geschehen, und hatte Medusa in ein gefährliches Monster verwandelt. Wie das hatte geschehen können, das blieb allerdings ein Rätsel. Aber nach den umstrittenen Prognosen waren die Sonneneruptionen und Strahlenstürme, die damals das System verwüstet haben mussten, noch weitaus mörderischer gewesen als alles, was Medusa heute zu bieten hatte. Tatsächlich hatte die Stärke und Dauer der Ausbrüche im Verlauf der Jahrhunderte offenbar kontinuierlich nachgelassen – war aber auch heute immer noch groß genug, um jeden Außenaufenthalt zu einem Risiko zu machen. Ohne Schutzschilde und schwere Panzerung war eine Erkundung des Medusa-Systems ein Flug ohne Wiederkehr. ‚Deshalb haben die Robot-Sonden versagt.’
Kurz versuchte sich Kano die Kräfte vorzustellen, die vor tausenden Jahren durch dieses System getobt hatten. Oder die nötig gewesen waren, um einen Stern derartig aus dem Gleichgewicht zu bringen. Es gelang ihm nicht. Es war so ähnlich wie mit der Sprengkraft einer Antimateriebombe, oder dem Passieren eines Sprungpunkts. Man konnte die Zahlen lesen, man konnte vielleicht sogar das theoretische Konzept verstehen. Aber es richtig zu visualisieren, das blieb weit jenseits der Vorstellungskraft eines normalen Menschen.
‚Genug philosophiert.’
Ein Blick auf die Instrumente verriet ihm, dass sie Medusa gerade in einer ruhigen Phase erlebten. Dennoch wollte er in diesem System lieber nicht aussteigen müssen. Die Strahlungsbelastung lag bei einem Vielfachen des Üblichen. ‚Wenigstens funktionieren die Instrumente.’

Er öffnete einen Kontakt zur RELENTLESS: „Hier Schwarz Eins – wir nähern uns der anvisierten Zone.“
Eine raue, aber ruhige Stimme antwortete: „Verstanden, Schwarz Eins. Hier ist Lieutenant Colclazure. Wir behalten Sie in der Ortung. Frage, Ankunft bei Zielpunkt?“
Offenbar legte man an Bord des Schweren Kreuzers keinen Wert auf überflüssiges Gerede: „Drei Minuten.“

Medusa wurde von drei Planeten umkreist. Die ersten beiden waren trostlose, verbrannte Steinkugeln, die viel zu dicht um die Sonne kreisten, um Wasser, geschweige denn Leben tragen zu können. Die Strahlendosis, die sie sogar während Medusas ‚ruhigeren’ Phasen schlucken mussten, war stark genug, um auf die Dauer sogar das Schutzschild eines Frachtschiffs oder eines Raumjägers zu überlasten.
Der dritte Planet hingegen war ein grün schillernder Gasriese, ungefähr so groß wie der Saturn. Allerdings waren die drei Monde, die Medusa-Drei umkreisten, nicht sehr viel einladender, als die beiden Planeten des Sonnensystems. Temperaturen um 200 Grad Minus und der Strahlenbeschuss aus dem All ließen es ziemlich unwahrscheinlich erscheinen, dass sich dort irgend so etwas wie primitives Leben hatte entwickeln können – oder dass sich der Aufwand einer Terraformung lohnte.

Und dann war da noch der Asteroidengürtel um den zweiten Mond von Medusa III. Ein riesiges, langsam expandierendes Trümmerfeld, von dem die als Flankensicherung fliegende RELENTLESS einige merkwürdige Sensorweite erhalten hatte.
Piraten, Schmuggler und Spione nutzten solche Gebiete als Verstecke. Oder Kampfverbände, die einen Überraschungsangriff vorbereiteten.
‚Nicht sehr wahrscheinlich.’ Aber mit Vermutungen gewann man keinen Krieg: „Tiburon, beginnen Sie mit Sensorabtastung. Kanal Eins für die RELENTLESS. Kanal Zwei für meine Maschine.“
Ein paar Augenblicke blieb die Funkverbindung stumm, dann meldete sich die gepresste Stimme des indianischen Piloten: „Verstanden. Lieutenant.“
Kano schnaubte kurz. Offenbar fühlte sich Tiburon durch diesen Befehl erneut zurückgesetzt. Glaubte vielleicht, Kano wollte ihn im Auge behalten, würde ihm nicht einmal zutrauen, eine einfache Sensorabtastung durchführen zu können. ‚Ich habe dir schon mal gesagt, du überschätzt dich selber.’ In Wirklichkeit war er ganz einfach neugierig. Und wenn sich in dem Gürtel tatsächlich ein Akarii-Raider, ein Spähschiff – oder eine ganze Trägerkampfgruppe – verbarg, dann wollte er das ohne Verzögerung erfahren.

Egal was Tiburon nun von Kano und seinen Motiven halten mochte, ein paar Augenblicke später begannen die Daten zu fließen, während die beiden Maschinen am Rande des Asteroidenfeldes entlang glitten. Kano überließ Tiburon den Vortritt, und vollzog fast verzögerungslos jede Kursänderung nach. Der japanische Pilot erlaubte sich ein kurzes Lächeln. Ob hier nun etwas zu finden war oder nicht – dass war jedenfalls mal wieder etwas anderes, als ein langweiliger Patrouillenflug. Zwar nicht zu vergleichen mit dem Adrenalinstoß eines Raumkampfes… Aber Gefechte hatten sie in den letzten Wochen nun wirklich genug gehabt.
Die Nighthawks ließen sich Zeit, folgten einem großzügigen Zickzackkurs. Ihre trägen und dennoch kraftvollen Bewegungen erinnerten Kano an ein Paar Haifische, die über ein Riff patrouillierten. Natürlich behielt er diesen Gedanken für sich. Tiburon hätte diese Assoziation trotz seines Callsign (der Haifisch bedeutete) wahrscheinlich nicht zu schätzen gewusst.

Der Staffelführer warf einen Blick auf die von Tiburons Maschine gesammelten Daten, und runzelte die Stirn. Die Übertragung lief nicht völlig fehlerfrei – eine Auswirkung der Strahlung von Medusa – aber die hereinkommenden Informationen waren auch so merkwürdig genug.
Jedes einzelne Trümmerstück da draußen, bis hinunter zu den Mikroasteroiden, war hochgradig verstrahlt. ‚Merkwürdig.’ Auch wenn die Fels- und Eisbrocken da draußen ohne den Schutz einer Atmosphäre permanent dem Strahlenbombardement Medusas ausgesetzt waren, die Radiationswerte lagen dennoch weit jenseits der berechneten Maximalgrenze. Und dass war nicht alles…
‚Von wegen Stein- und Geröllbrocken.’ Einige der Raumkörper bestanden tatsächlich aus diesen für Asteroiden so typischen Elementen. Aber die anderen…
Er hatte keine Ahnung, woraus die bestanden. Metallasteroiden? Gewiss, so etwas kam vor. Aber was bei den kami…
‚Tiburon, Überprüfen Sie die Kalibrierung ihres TARPS. Ich bekomme hier einige Daten rein, die nicht sein können.“
„Das habe ich schon, Lieutenant. Suchen Sie sich einen anderen Grund. Das Teil arbeitet fehlerlos. Ich mache keinen Fehler!“ Offenbar war Pallardo immer noch eingeschnappt.
‚Darüber musst du wegkommen.’ „Hundertachtziggradwende in zehn Sekunden. Sehen wir uns dass noch einmal an. RELENTLESS?“
„Bestätigung. Wir empfangen die gleichen Werte. Führen Sie zweiten Überflug durch. Aber…“
„Ich weiß. Was es auch ist, es ist jedenfalls kein Akarii.“ ‚Und auch kein anderes Schiff.’ Zwar war die Zahl der raumfahrenden Völker weitaus größer, als die meisten Menschen sich vorstellen konnten, aber die ungewöhnlichen Sensorwerte stammten nicht von einem Raumfahrzeug.
Kano lächelte sardonisch. ‚Das fehlt noch, dass wir hier ein neues Element oder Metall stoßen. Das müsste man dann ja wohl Pallardium nennen. Und ich weiß nicht, ob sein Ego das verkraften würde.’

„Wende – Jetzt.“ Die beiden Nighthawks flogen eine elegante Kurve. Kano überlegte kurz, und kam zu einer Entscheidung: „Tiburon, wir gehen näher ran.“
Über Funk kam etwas, was vielleicht ein Schnauben war, dann ertönte ein unwirsches: „Verstanden.“

Kano hätte beinahe durch die Zähne gepfiffen. Tatsächlich, der Asteroidengürtel war schwer verstrahlt. Während sie die Entfernung verringert hatten, war gleichzeitig die Strahlenbelastung um fünfzig Prozent gestiegen. Das war kein Problem für die Panzerung und Schutzschilde der Nighthawks. Dennoch…
‚Das verstehe ich nicht. Entweder diese…Metallasteroiden bestehen aus einem Material, dass selber radioaktiv ist. Oder…irgendetwas in diesem Gürtel saugt die Strahlung von Medusa auf wie ein Schwamm. Aber das ist doch…“
„Ohka, die Strahlung beeinträchtigt die Sensormessungen. Ansonsten…sind die Werte dieselben. Scheint ja nicht viel gebracht zu haben. Falls Sie nicht noch näher rangehen, oder aussteigen und einen dieser Brocken mit der Hand aussammeln wollen, schlage ich vor…“

Kano sollte nicht mehr hören, was Tiburon vorschlagen wollte. Denn der indianische Pilot wurde mitten im Satz rüde unterbrochen.

ping…ping..ping….ping…ping.ping…ping

Das Geräusch war nicht viel lauter, als ein Kiesel, der aus etwa einem Meter Höhe auf eine massive Metallplatte prallte. Aber genauso gut hätte man neben Kanos Ohr auch eine Rakete abfeuern können.
Instinktiv legte er die Maschine in einen Abschwung, während Finger seiner rechten Hand zu den Knöpfen der Bordwaffen zuckten. Seine Augen klebten an dem Radarschirm. Wo…
Aber da war nichts. Kein Feindjäger. Kein gegnerisches Schiff. Auch kein mit Raketen oder Laserkanonen bestückter Abwehrsatellit. Nicht einmal eine Sensorboje.
Und dennoch…
„Tiburon?“ Der andere Pilot hatte ebenfalls ein Ausweichmanöver geflogen, schloss jetzt aber zu Kanos Maschine auf. Ausnahmsweise klang er nicht wütend oder beleidigt, sondern ziemlich ratlos: „Ich weiß auch nicht. Das TARPS meldet Radiowellen mittlerer und kurzer Wellenlänge. Aber ich kann keinen Sender ausmachen. Die Signatur passt zu keinem Zielerfassungs- oder Kommunikationsgerät der Republik, der Konföderation oder des Imperiums.“
„Eine alte imperiale Sensordrohne der vorletzten Generation?“
„Ich glaube nicht. Die müsste zentimeterdick mit Blei gepanzert sein…“
„…oder mit einem Schutzschild ausgerüstet, um sich vor der Strahlung zu schützen. Aber dann müssten wir die Energiesignatur orten können.“
„Außerdem hat der Sender eine zu begrenzte Reichweite. Was auch immer die Quelle ist, sie reicht jedenfalls kaum über die Ausläufer des Asteroidenfeldes hinaus. Vermutlich haben wir deshalb die Signale beim ersten Überflug nicht gehört.“
Kano schüttelte den Kopf, ohne sich dessen bewusst zu sein. Normalerweise hätte er Tiburon zugestimmt, aber eine mit TARPS ausgerüstete Nighthawk hätte diese Signale auch schon beim ersten Überflug auffangen müssen. Also hatte entweder Tiburon Mist gebaut – was Kano diesmal nicht glauben mochte – oder das Signal war erst bei ihrem zweiten Überflug aktiviert worden. Und dass bedeutete wiederum…
„Sie zeichnen das auf?“
„Natürlich. Was ist das überhaupt für eine Frage?“
Kano verkniff sich eine Zurechtweisung. Das hier war zu wichtig: „RELENTLESS, wir wurden von einem Radiosender erfasst, können seine Quelle aber nicht orten. Wie könnten eine Analyse Ihrer Sensorstation gebrauchen.“ Bei den letzten Worten war Kano etwas die Stimme gehoben – denn irgendwie hatte er das Gefühl, dass die empfangenen Impulse lauter wurden. Tatsächlich, kein Zweifel.

Ping…Ping..Ping….Ping…Ping.Ping…Ping….Ping

Die Stimme des RELENLESS-Offiziers hingegen war kaum zu verstehen, wurde von Störgeräuschen überlagert: „…wiederholen Sie…Verbindung zu…Überlag…Ich…“
Kano zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen, und aktivierte wieder den Richtfunkkanal, der ihn mit Tiburon verband: „Das Signal…“
„Ich weiß! Es ist auf allen Frequenzen. Ich komme auch nicht durch!“ Aber immerhin, der Richtfunkverkehr funktionierte. Noch.
„Kannst du es nicht isolieren, Tiburon?“
„Wie denn? Ich weiß ja nicht mal, woher es kommt! Und es wird immer stärker!“
„Was ist das, ein Störsender?“
„Mit so einer kurzen Reichweite und einer derart langen Aufbauphase?! Außerdem stört er nur die Langstreckenkommunikation. Und die Akarii sind doch wohl inzwischen etwas weiter, als uns einfach mit einem Breitbandsignal anzupingen.“

PING…PING..PING….PING…..PING..PING.PING..PING…PING

Kano unterdrückte das Verlangen, Tiburon anzuschnauzen. Immerhin konnte der diesmal auch nichts dafür. Wütend schlug er mit der flachen Hand gegen die Seite seines Schutzhelms, in dem sinnlosen Versuch, dass enervierende Signal zum Verstummen zu bringen, dass immer schneller pulste.

PING..PING.PING..PING.PING..PING.PING..PING

Kano fühlte, wie seine um den Steuerknüppel gekrampfte Rechte zu Zittern begann. Er biss sich auf die Lippen. Das konnte nicht sein! Er hatte im Kampf mit den besten Piloten des Imperiums die Nerven behalten, und ließ sich jetzt durch irgendein sinnloses Störgeräusch aus der Ruhe bringen?!
Doch dann begriff er, dass es nicht seine Hand war, die zitterte. Es war der Steuerknüppel. Die ganze Maschine vibrierte im Takt der Signale, war zu einem siebzehn Tonnen schweren Transmitter geworden. ‚Was…’
Ein schrilles Heulen schnitt durch Kanos Gedanken. Fassungslos musste er mit ansehen, wie ein Alarm nach dem anderen ansprang, und ihn vor einer Überlastung der Bordelektronik warnte. ‚Das darf doch nicht wahr sein.’ Die Signale, die Vibrationen, die seine Maschine immer stärker durchschüttelten…
„TIBURON! ABRUCH! WIEDERHOLE, ABBRUCH! RÜCKZUG!“
„…VERSTEHE…AUCH RICHT…KAUM ZU…“
Kano wartete nicht auf eine eindeutige Bestätigung. Die Maschine reagierte seltsam schwerfällig, während der Steuerknüppel unter seinen Fingern zuckte, als wäre er auf einmal zum Leben erwacht, als hätte der schwere Jäger auf einmal einen eigenen Herzschlag, und wolle den Gehorsam verweigern.
Doch dann zielte der Bug der Nighthawk endlich wieder in den offenen Raum, und der japanische Pilot gab Vollschub. Trotz des Beschleunigungsabsorbers wurde er hart in den Pilotensitz gedrückt, doch er genoss das Gefühl. Binnen weniger Sekunden überbrückte der Jäger zweitausend Kilometer, ließ den Asteroidengürtel weit hinter sich zurück.

„…Wiederhole, machen Sie Meldung! WAS ist mit Ihnen los?!“ Die raue, jetzt ziemlich barsch klingende Stimme des Sensoroffiziers dröhnte fast unnatürlich laut aus den Lautsprechern.
Kano gab Gegenschub, und brachte seine Maschine in eine semistationäre Position. Ein Blick auf den Radarschirm sagte ihm, dass Tiburon zu ihm aufschloss. Und dieses enervierende, unheimliche Signal…war ebenso plötzlich verstummt, wie es zuvor aktiviert worden war.
Kano schluckte: „Ich bin…mir nicht ganz sicher, RELENTLESS. Hatten Sie uns nicht auf Ihren Sensoren?“
Der Sensoroffizier schnaubte kurz: „Wir hatten Sie auf dem Radarschirm, ja. Aber der Empfang war schlecht. Fast hätten wir Sie aus der Ortung verloren. Es gab einen…Strahlenschub, und dann brach unsere Verbindung mit Ihnen zusammen. Zuerst der TAPS-Datentransfer, dann die gesamte Kommunikation. Aber das haben Sie ja wohl bemerkt. Also berichten Sie. Wir hätten beinahe Gefechtsalarm gegeben.“

Kano erstattete knapp Bericht, und ließ dann auch Tiburon zu einigen Einzelheiten zu Wort kommen. Auch der indianische Pilot schien ziemlich erschüttert – er unterbrach seinen Vorgesetzten nicht, und verzichtete auf irgendwelche auf Spitzen.
Als sie beide geendet hatten, blieb die RELENTLESS die Antwort schuldig. Das Schweigen dehnte sich, doch gerade als Kano nachhaken wollte, meldete sich eine neue Stimme zu Wort. Eine leise, ruhige Frauenstimme, in der dennoch die Autorität eines Kommandooffiziers mitschwang: „Lieutenant Nakakura, hier spricht Captain Liu Shan-Lee, Erster Offizier der RELENTLESS.“
Der japanische Pilot spürte, wie sich seine düsteren Ahnungen zu Gewissheit zu verdichten begannen. Wenn man es für nötig hielt, die rechte Hand von Commodore Mithel zu bemühen…: „Was kann ich für Sie tun, Captain?“
„Sie sind sich der Lage bewusst, in der sich unser Verband befindet.“ Das war keine Frage, denn sie kannte die Antwort. Shan-Lee fuhr dennoch fort: „Wir haben schwere Verluste erlitten, und die COLUMBIA muss dringend repariert werden. Wir wissen nicht, ob wir die Akarii wirklich haben stoppen können, oder ob sie nicht dennoch mit ihren verbliebenen Einheiten nachsetzen.“ Auch damit hatte sie natürlich Recht. Normalerweise hätte Kano diese Vorstellung wahrscheinlich verworfen – aber warum sollten die Akarii weniger tollkühn und rücksichtslos vorpreschen, als die TSN es bei Karashin getan hatte? Die Piloten der KORAX hatten von einigen Wochen bewiesen, aus welchem Holz die Imperialen wirklich geschnitzt waren. Kano wusste das Alles. Warum also…
„Deshalb können wir uns weder eine Verzögerung noch eine Schwächung unserer Offensiv- oder Defensivkraft leisten. Außer, wenn dies unbedingt notwendig ist.
Ich frage Sie deshalb, und ich möchte, dass Sie sich Ihre Antworten sehr genau überlegen… Glauben Sie, dass dieses…Phänomen auf eine imperiale Waffe, ein Ortungs- oder Kommunikationssystem zurückzuführen ist? Und falls das nicht der Fall, glauben Sie dann, dass dieser Vorfall eine unmittelbare Gefahr für die Flotte darstellt?
Denken Sie genau nach, bevor Sie antworten. Aber ich will Ihre Einschätzung. Jetzt.“

Kano begriff. Immerhin, er war der kommandierende Offizier des Aufklärungsflight. Natürlich konnte ihm Shan-Lee einfach einen Befehl geben. Sie – oder ihr Vorgesetzter - waren längst zu einem Entschluss gekommen. Aber Shan-Lee würde Kano nicht einfach übergehen. Sie wollte seine Meinung hören. Auf der RELENTLESS legte man trotz Mithels autoritären Führungsstil Wert darauf, dass alles seine Richtigkeit hatte. Allerdings hieß das auch, dass Kano sich später nicht mit dem Befehlnotstand würde herausreden können. Kurz überlegte er, ob er noch einmal bei Tiburon nachhaken sollte…nein. Der wusste genauso viel wie Kano. Und er würde seine Entscheidung ganz bestimmt nicht ausgerechnet auf DIESEN Piloten abwälzen. ‚Das würde ich nicht mehr loswerden.’
Er erinnerte sich an den Zustand der COLUMBIA. An die vielen Toten, die schweren Schäden, die der Träger und seine Begleitschiffe erlitten hatten. Was auch immer da Draußen geschehen war, es konnte nur eine Antwort geben. Die, die Shan-Lee erwartete: „Nein zu beiden Ihrer Fragen.“
Shan-Lee bewies, dass sie ihren Posten nicht nur ihren guten Noten verdankte, indem sie seine nächsten Worte vorwegnahm: „Wir werden die aufgezeichneten Daten weiter untersuchen und gegebenenfalls weiterleiten. Und wir werden Sie natürlich über alle weiteren Entwicklungen informieren. Guten Flug. RELENTLESS, Ende.“
‚Mithel will wohl keine Verzögerungen.’

Kano schob seine Zweifel, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte, erst einmal beiseite: „Tiburon, Sie haben den Captain gehört. Sehen wir zu, dass wir auf den Träger kommen.“
Inzwischen hatte sich der indianische Pilot wieder so weit gefangen, dass er auch wieder Widerworte geben konnte: „Und das soll verdammt noch mal Alles sein? Dafür drei verfluchte Flugstunden? Hören Sie…“
Kanos Stimme blieb ruhig. Gerade so: „Wir sollten in erster Linie feststellen, ob sich dort ein Raider der Akarii verbirgt. Ein Spähposten. Oder von mir aus auch eine Sturmflotte. Nichts davon war der Fall. Und das wäre erst einmal Alles. Sie haben Captain Shan-Lee gehört. Wir können uns weitere Verzögerungen oder die Abkommandierung einer Flotteneinheit nicht leisten. Nicht, wenn es maximal darum geht, ein paar Raumgeister zu jagen.“
Tiburon wurde lauter: „Vielleicht denken Sie oder Captain Shan-Lee mal etwas besser nach?! Das war wohl etwas mehr, als ein Radardoppler oder ein Sensorschatten. Und außerdem hätte es doch wohl meine Entscheidung sein sollen…“
‚Also darum geht es dir. Natürlich.’ „Ich habe das gesehen, was Ihr TARPS an Daten geliefert hat. Haben Sie mir irgendetwas davon vorenthalten, was ihr Sensorpod aufzeichnen konnte?“
„Also das ist doch wohl…“
Kano ließ seinen Untergebenen nicht ausreden. In seiner scharfen Stimme schwang jetzt ein zynischer Unterton mit: „Oder sollte mir bei dem Studium Ihrer Dienstakte etwa entgangen sein, dass Sie Experte für ungeklärte Weltraumphänomene, Strahlungsanomalien – oder von mir aus auch Erstkontakte sind? Beantworten Sie nur meine Frage, Lieutenant!“
„Natürlich bin ich kein verdammter…“
„Danke, das war es, was ich wissen wollte. Wenn Sie Bedenken bezüglich der Art und Weise haben, wie ich, die Sensorabteilung – oder der Erste Offizier der RELENTLESS die Situation behandelt haben…
Selbstverständlich können Sie ihre begründeten Zweifel in den Bericht einbringen. Ich bitte sogar ausdrücklich darum. Solange sich Ihre Kritik auf Fakten und nicht irgendwelche Bauchgefühle stützt. Und jetzt genug damit!“
Er glaubte so etwas wie ein halblautes ‚Arschloch’ zu hören, ignorierte es aber. Sich hier draußen mit Tiburon zu streiten, wo ungünstigstenfalls die halbe Flotte zuhören konnte, wäre im höchsten Maße unprofessionell gewesen. Außerdem musste er sich insgeheim eingestehen, dass er selber diese…Angelegenheit ebenfalls nicht mit gutem Gewissen als bereits abgehakt betrachten konnte. Und was das ‚Bauchgefühl’ anging…
Egal was er gesagt hatte, wenn sie diesem…Signal noch ein paar Minuten ausgesetzt gewesen wären, dann hätte die Elektronik der Jäger vielleicht ernsthaften Schaden nehmen können. Und das wiederum bedeutete…
‚Bah! Ich kann Raven oder Lone Wolf nicht mit irgendwelchen Gespenstergeschichten kommen.’
Dennoch fragte er sich unbehaglich, was die Sensorabteilung der RELENTLESS bei der Analyse der aufgezeichneten Sensordaten vielleicht noch herausfinden würde. Und ob er das überhaupt wissen wollte. ‚Warum musste das ausgerechnet mir passieren? Ich dachte, dass die Grüne Staffel auf solche Sachen spezialisiert ist…’

Aber er blieb stumm. Er brachte seinen Jäger zurück zur COLUMBIA, meldete auf Anfrage, dass es keine Gefechtsberührung gegeben hätte, und versprach, den vorschriftsmäßigen Bericht so bald wie möglich abzuliefern.
Er riss sich zusammen, und stauchte Tiburon nicht im Hangar zusammen, als der ziemlich lautstark verkündete, dass sie mindestens noch einen weiteren Überflug hätten durchführen, oder sogar ein Sensorshuttle hätten herbeirufen müssen.
Auch wenn Tiburon vielleicht in diesem Fall damit Recht haben mochte, es war zumindest unangemessen, derart laut über die Entscheidung eines Vorgesetzten zu räsonieren. Zumindest, wenn der zuhören konnte.
Kano beschränkte sich darauf, Pallardo kurz über den Mund zu fahren. Nachdem der Pilot beleidigt abgezogen war, hatte sich Kano etwas Zeit genommen, die er eigentlich nicht hatte. Er war im Hangar geblieben, bis die Wartungscrew die beiden Jäger in Empfang genommen hatte.
Aber das hätte er sich auch sparen können. Zumindest auf den ersten Blick gab es offenbar keine sichtbaren Folgen des merkwürdigen Vorfalls. Wie ihm ein leicht genervter Tech-Offizier versicherte, waren die beiden Maschinen in einem guten Zustand. Die Hard- und Software arbeitete einwandfrei.
Irgendwie überraschte ihn dass nicht.

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Einige Stunden später

Kano fuhr sich über die Augen, und streckte sich. Die Knochen und Muskeln in seinem Rücken protestierten gegen diese Behandlung. Zwei Einsatzflüge, und dann der unvermeidliche Papierkrieg…
‚Aber ich bin doch eigentlich noch zu jung, um über überlastete Gelenke und Knochen zu klagen.’ Dennoch, im Augenblick fühlte er sich deutlich älter als seine sechsundzwanzig Jahre. Auch wenn vier Kriegsjahre doppelt zählen mochten…
Aber auch der Papierkrieg musste sein. Und er konnte sich seine Arbeitszeiten nicht aussuchen. Aufgrund der Schäden wirkte die COLUMBIA reichlich überfüllt. Ganze Sektionen waren immer noch unbewohnbar. Die Überlebenden drängten sich in den verbliebenen Quartieren. Und dass bedeutete auch, dass Kanos kleine Büro einem Lieutenant der Maschinencrew als provisorisches Quartier diente. Damit hatte der Mann immerhin einen Raum für sich alleine – der nur den kleinen Schönheitsfehler hatte, weder über ein Bett noch eine Frischzelle zu verfügen. Da die Lüftung immer noch nicht einwandfrei funktionierte, roch es in dem Raum ziemlich muffig. Die eher nachlässig verstreuten Kleidungsstücke beleidigten Kanos Ordnungssinn, aber er würde dem Typen ganz bestimmt nicht hinterher räumen. Er hatte die Tür geöffnet, aber das half auch nicht viel. ‚Die Bordwäsche hat offenbar auch noch Kapazitätsprobleme. Und ihm selber könnte eine Dusche auch nicht schaden. Aber die Wasserversorgung war immer noch rationalisiert.

Natürlich musste Kano auch zusehen, wie er seine Arbeits- mit den Ruhezeiten seines ‚Schlafgastes’ harmonisieren konnte. In einen Aufenthalts- oder Bereitschaftsraum auszuweichen war ebenfalls unmöglich – die wenigen, die nicht von den Piloten genutzt wurden, waren ebenfalls zu provisorischen Quartieren umfunktioniert worden. ‚Na ja, vor zwei Wochen wärst du beinahe gestorben. Sieh zu, dass du diese kleinen Unannehmlichkeiten mit Fassungen trägst.’
Ein einkommender Prioritätskommruf unterbrach Kanos Gedanken. Er registrierte, von wo der Anruf kam. ‚Das ging aber schnell.’ Er schloss die Bürotür, überprüfte automatisch den Sitz seiner Uniform, und aktivierte den Bildschirm.
Sein Gegenüber war ein Japaner, ungefähr in seinem Alter. Der schlanke Offizier hielt sich sehr gerade, wie es viele Offiziere der RELENTLESS zu tun pflegten. Vermutlich orientierten sie sich damit an dem Vorbild ihres Commodore. Das erinnerte Kano immer ein wenig an Lieutenant Commander Terrano: „Was kann ich für Sie tun, Lieutenant Commander?“
„Lieutenant Nakakura, mein Name ist Fuchida. Ich bin der Befehlshaber der Sensorabteilung der RELENTLESS.“
„Kann ich Ihrer Anwesenheit entnehmen…“
„Allerdings. Die Analyse der Daten war…einigermaßen aufschlussreich. Und gleichzeitig doch wieder nicht.“ Der Sensoroffizier lächelte grimmig: „Ich dachte, dass ich Ihnen das lieber persönlich mitteile.“
„Sie machen mich neugierig.“
„Das kann ich mir vorstellen.
Zuerst einmal, was dieses…Signal angeht…Es handelte sich dabei offenbar um ein Kurzstreckensignal, aber mit einer ungewöhnlichen Bandbreite. Radar- und Radioimpulse, über die ganze Wellenskala…So etwas habe ich noch nicht gesehen. Kein Wunder, dass unsere Funkverbindung zusammengebrochen ist. Und dass Ihre Bordelektronik angefangen hat, verrückt zu spielen.“
„War die Sendung zielgerichtet?“
„Nein. Was auch die Quelle war, es hat Sie nicht unmittelbar aufs Korn genommen. Sie waren nur zur falschen Zeit am falschen Ort, sozusagen.“
„Das kann keine Waffe gewesen sein. Und für einen Störsender wäre das eine etwas…primitive Methode gewesen. War es vielleicht eine Art Funkbake? Ein Warnsignal?“
„Das prüfen wir noch. Wir versuchen weiterhin festzustellen, ob dieses Signal so etwas wie eine Funkbotschaft war. Aber es ähnelt keinem uns bekannten Funkcode, geschweige denn einer Sprache. Das heißt, falls es überhaupt künstlichen Ursprungs ist.“
„Sollte sich dass nicht einfach feststellen lassen?“
„Wir haben noch immer nicht den genauen Ursprungsort des Signals triangulieren können. Dank dieses Radarstörfeuers und der gestörten Funkverbindung zu Ihrem Flight können wir bestenfalls schätzen. Aber wir konnten ein paar Alternativpunkte ausmachen. Alle innerhalb des Asteroidengürtels.“
Kano musterte den Sensoroffizier wachsam: „Da ist doch noch mehr.“
Das dünne Lächeln tauchte wieder auf, und war gleich darauf wieder verschwunden: „Allerdings. Jetzt wird es richtig interessant. Sie haben bestimmt bemerkt, dass der Asteroidengürtel verstrahlt ist?“
„Ja, und zwar sehr viel stärker, als es selbst die Sonnenstürme Medusas rechtfertigen würden. Was eigentlich nicht möglich ist. Es sei denn, dieses Signal…“
„Nein, das Signal ist nicht der Ursprung der Verstrahlung. Jedenfalls nicht unmittelbar. Was auch immer gesendet hat, es hat jedenfalls keine radioaktive Eigenstrahlung.“
„Und stattdessen...?“ Kano fühlte, dass Fuchida noch einen Trumpf auf der Hand hatte. Oder wahrscheinlich eher ein Full House.
„Wir haben die Strahlungswerte des Asteroidengürtels analysiert. Sie haben natürlich Recht. Medusa ist nicht in der Lage, den Gürtel derartig…aufzuheizen. Am besten, Sie schauen sich dass mal genauer an.“
Der Sensoroffizier überspielte die Daten, und blendete gleichzeitig einige Vergleichswerte ein. Offenbar genoss er diese kleine Veranstaltung. Für Kanos Geschmack vielleicht ein wenig zu sehr, aber der Mann hatte einen höheren Rang. Er hatte das Recht dazu.
Der japanische Pilot verglich die überspielten Werte und hätte beinahe die Augen aufgerissen. Harte Gamma- und Neutronenstrahlung, und dann noch…: „Das ist doch nicht möglich?!“
„Kein Irrtum, Lieutenant. Wir haben eindeutige Beweise für mindestens ein halbes Dutzend Nuklearexplosionen gefunden.“
„Und eine Materie-Antimaterie-Reaktion.“
„Ganz Recht.“
„Was haben die Akarii hier veranstaltet? Ein Flottenmanöver? Und wie haben wir das nur übersehen können? Ich dachte, unsere Langstreckensensoren erfassen auch das Medusa-System.“
Wieder lächelte Fuchida knapp: „Ich glaube nicht, dass das die Akarii waren. Sehen Sie sich die Analyse genauer an.“
„Zwei- bis zwölftausend Jahre?!“
„Das ist es, was unsere Analysen ergeben haben. Abhängig von der Größe und der Effizienz der Sprengkörper. Ich glaube nicht, dass die Akarii zu diesem Zeitpunkt überhaupt schon in den Weltraum vorgestoßen waren. Und ganz bestimmt verfügten sie noch nicht über Antimateriewaffen. Sonst wären sie schon längst die Herren der ganzen Galaxis.“
Kano presste beide Hände flach auch die Tischplatte. Seine Stimme klang seltsam belegt: „Verstehe ich Sie richtig, Lieutenant Commander Fuchida? Aber warum…“
„Ich Ihnen das erzähle? Weil Sie es verdient haben. Immerhin sind Sie da draußen gewesen. Sie haben sich freiwillig für den Einsatz gemeldet. Und es ist ja schließlich nicht so, als ob Sie damit gleich an die Presse gehen können.“
„Also hat hier so etwas wie eine Schlacht stattgefunden. Vor zwei- bis zwölftausend Jahren. Zu einem Zeitpunkt, als auf der Erde gerade die Antike zu Ende ging… oder sogar, noch bevor der Mensch damit begonnen hat, in Städten zu leben.“
„Eine faszinierende Vorstellung, nicht wahr? Vielleicht sollten sich dass einige unserer Propagandabarden und politischen Brandredner einmal vergegenwärtigen. Die Menschheit ist nun einmal nicht der Maßstab der Entwicklung.“
Diese philosophische Anwandlung war an Kano verschwendet, denn plötzlich war ihm ein neuer Gedanke gekommen. „Moment einmal. Wenn Ihre Berechnungen stimmen…“
„Natürlich stimmen sie, Lieutenant.“
„…dann hieße dass, diese Schlacht hätte möglicherweise genau zu diesem Zeitpunkt stattgefunden…“
„An dem Medusa so…unruhig geworden ist. Ich weiß. Noch so ein faszinierendes Gedankenspiel. Es liegt nahe, diese beiden…Ereignisse in einen Zusammenhang zu setzen. Aber vorerst sind das natürlich nur Spekulationen. Dazu wären weitere Analysen fällig.“
„Die die TSN bestimmt nicht bewilligen wird. Man müsste eine Expedition finanzieren, zusammenstellen, sie beschützen…Ein derartig strahlungsaktives System wie Medusa, in diesem Teil der Galaxis, im Niemandsland…“
Fuchida zuckte mit den Schultern: „Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf der Führung, Lieutenant. Ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Sache dem Explorercorps des NSC ein Schiff wert ist. Das war nämlich immer noch nicht alles, was wir gefunden haben.
Erinnern Sie sich, weswegen wir Sie eigentlich rausgeschickt haben?“
„Ihre Langstreckensensoren hatten ungewöhnliche Werte bei einigen der Asteroiden aufgefangen.“
„Ja. Aber inzwischen glaube ich nicht mehr, dass es sich dabei um Asteroiden im eigentlichen Sinne handelt.“
„Wegen der Zusammensetzung, nehme ich an.“
„Deswegen, und wegen ihrer Form. Sie waren zu…regelmäßig. Die größeren Stücke hatten eine oft nahezu identische Dicke und Außenkrümmung. Und sehen Sie sich einmal den Härtegrad und Schmelzpunkt dieser Legierung an.“
Kano kam auch dieser Aufforderung nach. Langsam wünschte er sich allerdings, Fuchida würde endlich auf dem Punkt kommen. Wenn der RELENTLESS-Offizier mit seiner Vermutung Recht hatte…dann hatte Kano einer Entdeckung den Rücken zugewandt, deren Bedeutung er nicht einmal ganz ermessen konnte. Gewiss, es war Krieg, und der ging vor. Aber dennoch…
Kano verglich die überspielten Werte. Überprüfte sie noch einmal. Und musste einen Fluch unterdrücken: „Sind diese Werte korrekt?“
Der Lieutenant Commander schnaubte. Aber er war nicht beleidigt: „Ich frage Sie doch auch nicht, ob Sie alle Jäger, die Sie abgeschossen haben, auch WIRKLICH vernichtet haben, Lieutenant.“
„Aber dann…Im Vergleich dazu ist die Gefechtspanzerung unserer Kriegschiffe…“
„Ungefähr so veraltet wie ein Kettenhemd. Diese Panzerung kann einen Treffer durch eine Maverick einstecken, ohne auch nur einen Kratzer abzubekommen. Und selbst eine Exocet II würde wahrscheinlich nicht allzu viel ausrichten.“
„Was war das – ein Kriegsschiff?“
„Wenn ich die Dicke der Trümmerstücke bedenke, und den Krümmungsgrad der Einzelteile…wahrscheinlich eher eine Kampfstation. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass etwas, was so groß war, aus eigener Kraft fliegen konnte. Andererseits…was wissen wir schon darüber, was für diejenigen normal und üblich war, die über solch eine Technologie verfügten.“
„Oder einen Stern destabilisieren konnten.“
„Wie gesagt, dass ist bestenfalls eine Theorie. Wir wollen es lieber nicht übertreiben. Wenn Sie leichtfertig mit solchen Theorien hausieren gehen…damit qualifizieren Sie sich höchstens für einen Platz im Irrenhaus.“
Kano musterte den Offizier wachsam: „Noch einmal, Sir. Was wollen Sie?“
Fuchida lächelte wieder knapp: „Können Sie sich das nicht denken? Sie werden mir doch zustimmen, dass das ein Fund ist, der eine genauere Untersuchung wert ist.“
„Auf jeden Fall. Von dem historischen Wert einmal abgesehen, und selbst wenn diese Trümmerstücke alles sind, was man dort finden kann – wenn wir diese Schiffspanzerung kopieren könnten…“
„Allerdings. Aber ich will nicht, dass diese Entdeckung irgendwo in den Archiven verschwindet und bis zum Ende des Krieges zurückgestellt wird. Momentan sind es sehr ungünstige Zeiten für Forschungsexpeditionen. Vor allem wenn sie ins Niemandsland gehen sollen.
Deshalb muss das richtig vorbereitet werden. Ich habe mich bereits an den Commodore gewandt, und ich würde Sie darum bitten, dass Sie eventuell in meinem Sinne bei Captain Cunningham vorstellig werden.“
„Was wollen Sie ausgerechnet von Lone Wolf? Er hat keine Befugnis in einer solchen Angelegenheit.“
„Aber er ist nun einmal ein Kriegsheld. Das hat Gewicht. Und er hat gute Beziehungen.“
‚Wenn du dich da mal bloß nicht täuschst.’ Aber diese Bemerkung blieb unausgesprochen. Es wäre nicht nur unangemessen, sondern auch reichlich unloyal gewesen, so etwas offen zu sagen.
„Wenn ich Commodore Mithel und Captain Cunningham – der momentan de facto die COLUMBIA führt – für diese Angelegenheit interessieren kann, dann habe ich auch gute Chancen beim NSC. Den Bericht eines Lieutenant Commander würde man dort hingegen wahrscheinlich nicht einmal lesen.“
Kano musste dem Sensoroffizier zugestehen, dass er seine Eingabe geradezu generalsstabsmäßig geplant hatte. Über Fuchidas Motive machte sich Kano allerdings keine Illusionen. Natürlich hoffte der Lieutenant Commander, damit Karriere zu machen. Als Sensoroffizier konnte man ansonsten nur selten Lorbeeren verdienen – die gingen an die Kommandooffiziere, die Waffenstationen, und vielleicht noch die Reparaturmannschaften.
Aber wer konnte es ihm verdenken. Außerdem…so wie Fuchida die Analysen präsentierte, war es nicht nur ratsam – es war praktisch ihre PFLICHT, das Medusa-System genauer zu erforschen. Wenn dort tatsächlich die Artefakte einer unbekannten raumfahrenden Zivilisation auf die Bergung und Erforschung warteten…
Außerdem würde von dem Ruhm, den Fuchida zu erringen hoffte, auch etwas für Kano abfallen.
Doch während der japanische Pilot im Geist die Vorteile und Gründe auflistete, die für Fuchidas Argumente sprachen, musste er ein unwillkürliches Frösteln unterdrücken. Irgendwie fühlte es sich nicht…richtig an, dass Asteroidenfeld zu durchwühlen, wie ein aufgegebenes Schlachtfeld.
Denn genau dass war es, daran hatte Kano nach Fuchidas Worten keinen Zweifel. Ein Schlachtfeld – und ein Friedhof. Die Ruhe der Toten zu stören, die im Medusa-System vor tausenden von Jahren gefallen waren…
‚Das ist nicht gerecht. Und woher wollen wir überhaupt wissen, worauf wir dabei stoßen können? Wie können wir das auch nur erahnen? Was diese…Wesen getötet hat. Und nicht nur getötet. Ausgelöscht. Ausgerottet. Weder die Republik noch die Akarii haben im Umkreis von Dutzenden von Lichtjahren irgendetwas gefunden, was mit diesen…Artefakten zu vergleichen wäre. Es gibt keine raumfahrende Rasse in diesem Teil der Galaxis, die so alt ist. Sie sind einfach…verschwunden. Und es ist nichts geblieben, als ein Trümmerfeld und ein sinnloses Signal, dass niemals sein Ziel erreichte. Und Medusa…ein galaktisches Ungeheuer, dessen Erwachen ein ganzes System in eine verstrahlte Todeszone verwandelt hat.
Genug damit. Ich benehme mich schon wie ein Kadett, der sich von irgendwelchen Gespenstergeschichten beeindrucken lässt.’ „Ich werde sehen, was ich tun kann. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“
„Ich möchte, dass Sie noch einmal einen umfassenden Bericht schreiben. Und genauso ihr Flügelmann. Nicht nur einen knappen Rapport. Liefern Sie mir etwas mehr. Und wenn möglich, soll es…stimmig klingen. Immerhin, Sie sind ein mehrfaches Ass, und Pallardo hat ebenfalls das Fliegerkreuz. Dass kommt auch gut an.“
Kano lächelte kurz. Der Mann dachte wirklich an alles: „Das sollte kein Problem sein.“ ‚Hoffentlich nicht. Wenn sich Pallardo nicht quer stellt. Aber zur Not muss man ihn nur bei seinem Ehrgeiz packen.’
„Danke, Lieutenant. Ich melde mich wieder bei Ihnen.“

Nachdem der Sensoroffizier die Verbindung unterbrochen hatte, starrte Kano noch eine Weile mit nachdenklichem Gesichtsausdruck auf den dunklen Bildschirm. Aus einem Reflex heraus stellte er die Lichtstärke der Tischlampe etwas höher. Aber dennoch, für seinen Geschmack blieben zu viele Schatten. ‚Schwächling.’ Kano aktivierte einen Bord-Kommkanal: „Lieutenant Pallardo. Melden Sie sich in dreißig Minuten in meinem Büro.“

***

Asteroidenfeld beim zweiten Mond von Medusa III.

Das Objekt war von den Radarstrahlen der terranischen Jäger und den Langstreckensensoren der RELENTLESS erfasst worden, doch weder die Piloten noch Lieutenant Commander Fuchidas Untergebene hatten es als einer genaueren Untersuchung für würdig befunden. Gewiss, es bestand ebenfalls aus dieser seltsamen Legierung, deren Zusammensetzung überhaupt erst das Interesse der TSN geweckt hatte. Aber im Vergleich zu anderen Trümmerstücken war dieses spezielle Objekt von eher bescheidener Größe – es umfasste gerade einmal zweieinhalb Kubikmeter. Ein genauerer Blick hätte vielleicht enthüllt, dass das Objekt von ungewöhnlich regelmäßiger Form war. Seine fließenden, fast organischen Linien unterschieden sich deutlich von den sehr viel größeren, scharfkantigen, zerfetzten, halb geschmolzenen Trümmerteilen, die durch den Asteroidengürtel trieben.
Doch um das zu bemerken, hätte man dem Objekt nahe, sehr kommen müssen. Möglicherweise zu nahe.
Im Inneren des driftenden Zylinders wurde mit einem unhörbaren Klicken ein Stromkreis unterbrochen, der sich erst vor wenigen Stunden wieder geschlossen hatte, kurz nachdem die ersten Radarstrahlen von der Oberfläche des Objektes reflektiert worden waren. Zum ersten Mal, seit zehntausend Jahren.
Hätten sich die irdischen Raumschiffe noch weiter angenähert, dann wäre ein weiterer Stromkreis geschlossen worden.
Doch dazu war es nicht gekommen, denn die irdischen Schiffe hatten das Weite gesucht. Wieder alleine auf seiner scheinbar endlosen Reise um Medusa III herum, kehrte der Drifter wieder in den Zustand zurück, aus dem ihn die Menschen zuvor geweckt hatten.
Selbst den modernsten Sensoren der Menschen oder Akarii wäre es jetzt unmöglich gewesen, in dem Objekt etwas anderes zu erkennen, als ein Stück Weltraumschrott – kalt, leblos und tot.
Langsam um die eigene Achse rotierend folgte der Drifter dem Mond auf seiner Bahn. Schlafend. Wartend.

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29.11.2015 17:35 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
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Sterntor
18. Mai 2637

Das Bordgeschwader hatte die Columbia verlassen und war auf Victoria Station gelandet. Dem Zentrum der militärischen Raumstationen rund um Seafort, einem der beiden bewohnten Planeten im Sterntor System.
Die Columbia selbst hieß es jetzt in eines der Raumdocks zu bringen, die sich spinnennetzartig von Victoria Station ausbreiten.
Als ehemaliges Hauptquartier der 3. Flotte war Victoria eine der wenigen Anlagen, die in der Lage waren Flottenträger aufzunehmen. Darüber hinaus war Sterntor so weit entwickelt, dass sich in diesem System auch Werftanlagen befanden, auf denen Träger gebaut werden konnten und vom Dyne-Konsortium auch gebaut wurden.
Die in der Umlaufbahn von Seafort entwickelte und auf Kiel gelegte Endeavour-Class sollte die neueste Generation von Terranischen Flottenträgern werden.
Mit über zwei Milliarden Einwohnern, zwei bewohnten Planeten, Orbitalen Werften und Fabrikanlagen war Sterntor nach Sol das wichtigste und größte von Menschen besiedelte Sonnensystem. Es war nicht nur eine Kolonie, es war gleichberechtigter Bundesstaat der Republik und bedeutend einflussreicher als andere von Menschen besiedelte Planeten. Sterntor spielte in der gleichen Liga, wie der Mars, Luna oder die auf der Erde gelegenen Bundesstaaten Australien und Südamerika.
„Dock Nummer vier zwanzig Kilometer voraus, Geschwindigkeit zum Dock relativ null“, meldete George Long, der erste Offizier der Columbia.
Die Columbia, der vorletzte in Dienst gestellte Träger der Pegasus-Class, ein Sinnbild terranischer Militärmacht. Groß, majestätisch, furchteinflößend und schwer beschädigt in den gnadenlosen Kämpfen am Sprungpunkt von Karrashin.
Über zweihundert Tote und fast noch mal so viele verwundete hatte die Mannschaft der Columbia zu beklagen. Unter den Toten James Waco, der Captain und Vice-Admiral Bianca Wulff, Trägerkampfgruppenkommandantin der Columbia Trägergruppe.
Als Kommandeur war ein Mann zurückgeblieben, über den die Meinungen bestenfalls zwiespältig waren.
Commander Lucas ‚Lone Wolf’ Cunningham war über Jahre hinweg Geschwaderkommandant des 127. Fighter Wings, der Angry Angels gewesen. Nun hatte er den Posten als Interimskommandant der Columbia geerbt oder ergaunert, wie manche hinter vorgehaltener Hand sagten.
„Wir haben Freigabe von Victoria Control“, der Signaloffizier drehte sich halb um, „wir sollen Leitstrahl drei folgen.“
In Lucas kam Leben: „Ausgezeichnet, Rudergänger, Manövriertriebwerke vierzig Kilometer die Stunde voraus.“
„Aye-Aye, Sir, vierzig km/h, voraus.“
„Und?“, fragte Long, „schon mal ein siebzigtausend Tonnen Träger gedockt, Captain?“
„Außerhalb eines Simulators?“, Lucas schmunzelte, „wohl kaum, aber kann auch nicht schwerer sein, als die Landung eines Raumjägers auf einer beweglichen Rollbahn.“
„Sicher?“
„Hm, immerhin ist das Dock hinten offen, wenn es nicht passt fliegen wir einfach durch.“
Long schüttelte amüsiert den Kopf, sagte aber nichts mehr.
Langsam, fast bedächtig schob sich der Träger auf das Dockmodul der Raumstation zu. Die Columbia passierte die äußere Verteidigungsphalanx von Victoria Station.
Mächtige Geschützbatterien und riesige Raketenwerfer für Anti-Schiff-Raketen und Abwehrraketen.
Aus der Nähe gesehen wirkte die Station klobig, wie zusammengeschweißte Blechdosen und
-quader. Ohne jeglichen Blick auf Ästhetik war die Station immer weiter mit den Bedürfnissen der Navy gewachsen.
Vom ursprünglichen Kern, dem Space- and Orbitalstation Basic Modul DELTA, war nichts mehr zu sehen. Bei Trafalgar Station war es genauso gewesen. Ebenso würde es bei Suez Station über Deneb sein, auch wenn beide Stationen nach und nach anders gewachsen waren.
Bei Perseus Station hingegen war sicherlich das Basismodul noch gut zu erkennen, auch wenn Perseus immer noch einen wichtigen Vorposten darstellte.
Unter höchster Konzentration wurde der Träger an das Dock herangebracht. Fünf Kilometer davor wurde die Geschwindigkeit halbiert. Einen Kilometer davor wurde sie noch mal halbiert. Als man mit dem Bug die Einlassöffnung zum Dock passierte wurde langsam Gegenschub gegeben.
Sobald die Columbia zur Hälfte im Dock war griffen die Traktorstrahlen nach dem Koloss und brachten ihn langsam in Position, die Manöverdüsen wurden abgeschaltet.
„Mittlere Verankerung kommt“, meldete Long.
Mit einem lauten Schlag, der durch den Träger hallte wurde die erste Verbindung mit dem Dock hergestellt: „Mittlere Verankerung fest und arretiert. Vordere und hintere Verankerung kommt.“
Erneut gingen metallische Schläge durch die Columbia.
„Verankerungen arretiert, Victoria Station übernimmt die Energieversorgung.“
Lucas nickte: „Lassen Sie die Reaktoren herunterfahren und die Gangways ausbringen.“
„Aye-Aye, Sir!“, Long aktivierte die interne Kommunikation, „CIC für Maschinenraum: Reaktoren herunterfahren.“
„Sir, Dockmagnetfelder hochgefahren, Victoria Station meldet, dass Atmosphäre ins Dock gepumpt wird.“
Mit einem Nicken gab Lucas dem Wachoffizier zu verstehen, dass er die Meldung empfangen hatte: „XO, Sie haben die CIC, nehmen Sie bitte die Werftoffiziere in Empfang und lassen Sie ihnen die Schäden zeigen. Ich werde mich jetzt umziehen und dann beim Stationskommandanten vorstellig werden.“
„Ich habe die Brücke, Aye-Aye, Sir.“

***

Victoria Station
Im Orbit von Seafort, Sterntor

Dem Mann, dem Lucas gegenübertrat, war er noch nie begegnet. Dennoch hatte er schon viel über ihn gehört, Video-Mails ausgetauscht und sich umfassend über ihn informiert.
„So, Du bist also mein Schwiegersohn“, wahren die einleitenden Worte von Rear-Admiral George Auson.
Der Kommandeur von Victoria Station hatte dieselben braunen Augen wie Melissa, in denen sich scharfe Intelligenz spiegelte. Er war etwas kleiner als seine Tochter und sein Haar war um zwei Nuancen dunkler.
Der gut geschneiderte große Dienstanzug verbarg beinahe den Ansatz eines Wohlstandsbauches. Der Vollbart war sauber gestutzt, schaffte es aber trotzdem den Eindruck eines alten Seebären zu vermitteln.
George Auson war ein aufstrebender junger Offizier gewesen, als seine Frau gestorben war und ihn allein mit einer zweijährigen Tochter zurückließ.
Vor die Wahl gestellt, seine Karriere weiter voranzutreiben und jemanden zu finden, der sich um seine Tochter kümmert oder zurück zustecken oder gar ganz die Navy zu verlassen war Auson so sesshaft geworden, wie es einem Offizier der TSN möglich gewesen war.
Er hatte die Taktische Laufbahn verlassen, jene bei Dickschifffahrern begehrte Überholspur zum Captain und war Werftoffizier geworden.
Auf Orbitalstationen mit zivilen Sektoren und Bodenstationen hatte er seine Tochter aufgezogen und war gleichzeitig eine Autorität in der Verwaltung und Organisation von Raumwerften und Reparaturdocks geworden. Auf dem zweiten Bildungsweg hatte er seinen Master of Space Engineering nachgeholt.
„Ja, Sir.“, war die einzige Antwort, die Lucas auf die Feststellung seines Schwiegervaters einfiel.
Dieser deutete auf eine bequem aussehende Couchgarnitur: „Setzt Dich, junge.“
„Gerne, danke.“, innerlich runzelte Lucas die Stirn. Auson stand nicht in dem Ruf mit irgendwem gut Wetter zu machen. Er wusste eben gar nichts über die Gefühle seines Schwiegervaters ihm gegenüber.
Auf dem Couchtisch stand ein Kaffeeservice und der Admiral schenkte ihnen beiden eine Tasse voll. Gespannt beobachtete er wie Lucas einen kleinen Schuss Milch und einen halben Löffel Zucker nahm. Der Admiral selbst trank schwarz.

Mit distanzierter Kühle musterte er seinen Schwiegersohn. Der Krieg hatte verhindert, dass sie beiden sich kennen lernten. Melissa hatte ihm eine V-Mail geschickt, bevor die beiden heirateten und als nächstes waren Hochzeitsfotos gekommen.
Der Dienst in der Flotte hatte sowohl sein Leben, das seiner Tochter und nun auch dass seines Schwiegersohns.
George Auson wusste nicht so recht, was er davon halten sollte, obwohl er sich im Laufe der Jahre eigentlich damit hatte abfinden müssen.
Lucas gehörte wie seine Tochter zu der ersten Kriegsgeneration von Offizieren. Junge Männer und Frauen, die ohne Vorbereitung auf einmal große Verantwortung übernehmen mussten.
In Friedenszeiten wäre sein Schwiegersohn jetzt erst auf dem Weg zum Geschwaderkommandanten gewesen. Im Range eines Lieutenant Commander, kurz vor der Abkommandierung zum Kommandantenlehrgang. Melissa wäre ebenfalls erst XO auf einer Fregatte oder einem Zerstörer statt selbst einen zu befehligen.
Zuerst wollte der Admiral es gar nicht glauben, dass sich seine Tochter von einem Fliegerjockey hatte einfangen lassen. Nach einigen Recherchen hatte er herausgefunden, dass sich da zwei verwandte Seelen gefunden hatten.
Melissa war schon immer sehr zielstrebig und ehrgeizig gewesen. Eine Einserschülerin, für die eine schlechte Note schon förmlich ein Affront gewesen war.
An Ehrgeiz schien es Lucas auch nicht zu mangeln. Und bei der Art, wie man ihn mit Orden überhäuft hatte, war er eigentlich sicher gewesen, dass dieser bald Captain sein würde. Gut, die Navy war reaktionär und von den vielen in dienst stehenden CAGs auf den Trägern waren vielleicht fünf gerade Captain, weil man sich einfach nicht überwinden konnte zwei Captains auf einem Schiff zu halten.
Wenn man sich also entschlossen hatte Lucas im Cockpit zu halten, dann war es nicht verwunderlich, dass man ihn mit Orden statt Beförderungen abspeiste.
Doch auf der letzten Fahrt der Columbia musste was geschehen sein. Da musste einiges geschehen sein, anders konnte man es gar nicht erklären, dass Lucas Cunningham jetzt als amtierender Captain des Trägers und nicht als CAG des Bordgeschwaders vor ihm saß.
Seit nun einigen Jahren war ihm eine Entscheidung erspart geblieben. Eine Entscheidung, die sich eigentlich während des Prozesses des Kennenlernens von selbst gelöst hätte.
Entweder er hätte seinen Schwiegersohn am Ende des Prozesses gemocht oder nicht. Nun musste er JETZT entscheiden: Mochte er Lucas Cunningham oder nicht.
Dieser Mann hatte um die Hand seiner Tochter angehalten, als sie im Militärkrankenhaus lag. Als ihr ein Arm fehlte und sie ansonsten keinen Halt hatte.
Auch wenn er nicht täglich bei ihr sein konnte, hatte er ihr das Gefühl gegeben, dass da jemand war, der auf sie wartete und für den es sich lohnte sich möglichst schnell wieder zu erholen.
Dieser elende Jetjockey hatte es geschafft über dutzende von Lichtjahre die Liebe seiner kleinen Melissa nicht nur zu gewinnen sondern auch zu erhalten. Er musste grinsen.
„Sir?“, fragte Lucas nach, als er seine Kaffeetasse abstellte.
„Ach weißt Du Junge“, begann Auson, „ich habe gerade überlegt, ob Du einfach nur ein wirklich liebenswerter Kerl bist oder der größte Scheißkerl zwischen hier und New Antigua.“
Er sah förmlich, wie sein Gegenüber einen Augenblick stutzte: „Nun, Sir, darauf werden Sie wohl keine eindeutige Antwort bekommen, da viele meiner ehemaligen Untergebenen zur Zeit nur positives über mich zu berichten haben, meinen Vorgesetzten … tja, wie soll ich sagen, werden wohl wenig Worte des Lobes für mich finden. Aber auch für mich ist das eine ungewohnt, verkehrte Welt.“
Auson wusste nicht, ob Lucas scherzte oder nicht, dann prustete er los: „Okay, wenn Du das 'Sir' beibehältst, kannst Du mich ruhig duzen.“
Er beschloss seinen Schwiegersohn zu mögen.

Lucas entspannte sich etwas. Tatsächlich hatte er sich ernste Gedanken darum gemacht, wie sich die 'Beziehung' zu seinem Schwiegervater entwickeln würde.
Und dieses eine mal ging es um die persönliche Beziehung zu einem Admiral und nicht um eine berufliche. Er wollte unter keinen Umständen Melissa dadurch enttäuschen, dass er eine schlechtes Verhältnis zu ihrem Vater hatte.

__________________
"Das Leben ist das was einem passiert, während man andere Pläne schmiedet." John Lennon

Mitglied der Autorenkooperationen "Dantons Chevaliers" und "Hinter den feindlichen Linien"
29.11.2015 17:35 Ironheart ist offline E-Mail an Ironheart senden Beiträge von Ironheart suchen Nehmen Sie Ironheart in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
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Tyr

Einige Tage nach dem Medusa-Zwischenfall, COLUMBIA, Sicherheitsabteilung, innerhalb des Sterntor-Systems

Kenneth Ross lehnte sich ein klein wenig zurück: „Also, was genau kann ich für Sie tun, Commander Smith?“
Der Angesprochene lächelte verbindlich, und antwortete mit einer wegwerfenden Handbewegung: „Ich weiß, dass Sie auch so genug zu tun haben. Aber wir alle müssen unsere Pflicht tun – auch wenn das heißt, dass ich Sie mit dieser Angelegenheit behelligen muss.
Es geht um einen Ihrer Piloten. Lieutenant Clifford Davis.“
„Was hat er denn jetzt schon wieder angestellt?“
Smith grinste kurz: „Sie hatten ja schon das Vergnügen. Bei dieser Angelegenheit mit dem Saboteur…“
„Sie sind aber gut informiert. Aber dieser Verdacht hat sich nicht erhärtet.“
„Das weiß ich. Aber Sie müssen verstehen, es gibt da immer noch einige ungeklärte Punkte betreffs seiner Gefangenschaft bei den Akarii…“
„Und das soll Alles sein? Deswegen setzt der NIC doch keinen Spezialermittler in Marsch. Das hätte ich auch selber übernehmen können.“ Ross klang etwas ungehalten, was offenbar auch seinem Gegenüber nicht entging. Smith lächelte beschwichtigend: „Ich will ehrlich zu Ihnen sein. Natürlich wissen Sie, dass der TIS für mindestens eine Operation Mannschaften der Angry Angels eingesetzt hat. Darunter möglicherweise auch Davis. Und dazu kommt noch diese Aktion während Ihrer letzten Feindfahrt…Ich rede von den Spezialeinheiten, die auf T’rr abgesetzt wurden.“
Ross richtete sich auf. Er konnte Smith immer noch nicht richtig einschätzen, und traute ihm nicht. Aber offenbar hatte der NIC-Offizier Zugang zu Top Secret-Informationen. Einiges, was er hier fast beiläufig erwähnte, hätte Ross zum Beispiel eigentlich gar nicht wissen dürfen. Und das bedeutete, dass Smith seine Befehle von ziemlich weit Oben bekam: „Das waren Marines.“
„Mitglieder der Recon Forces. Aber selbst wenn das stimmt – Sie wissen doch, dass diese Einheiten mehr als einmal für den TIS die Fußtruppen gestellt haben.“
„Wollen Sie damit etwa andeuten, dass…Davis ein TIS-Agent ist?“ Das klang absurd, und dennoch… Ross ehemaliger Vorgesetzter, Lieutenant Commander Wang Ling hatte schon einmal diesen Verdacht geäußert. Von irgendjemand aus dieser zwielichtigen Ecke hatte der blauhaarige Pilot damals Protektion genossen.
„Nicht allzu wahrscheinlich, aber dennoch… Während seiner Rekonvaleszenzzeit gab es einige…interessante Leerstellen. Zeiten, während denen er von unserem Radar verschwunden war. Und Sie können sich sicherlich vorstellen, dass es uns…wachsam macht, wenn die Möglichkeit besteht, dass der TIS quasi unter unserer Nase versucht, eine geheime Zelle aufzubauen – ohne uns darüber zu informieren. Das ist kein gutes Benehmen.“ Smith lächelte während dieser Worte ziemlich zynisch. Sie beide wussten, dass TIS und NIC wenig Sympathie füreinander empfanden, und meist nur notgedrungen zusammenarbeiteten. Auch wenn die Gerüchte über Schattenkämpfe und die wechselseitige Liquidierung von Einsatzagenten übertrieben waren, es gab keine Liebe zwischen Sicherheits- und Geheimdienst. Ross war da allerdings eine Ausnahme. Er hatte schon früher bei einigen Antiterror- und Konterguerilla-Operationen mit Agenten des TIS zusammengearbeitet, und deshalb eine etwas tolerantere Einstellung entwickelt. Er hatte ein paar Kontakte und sogar ein paar Freunde bei den ‚Schlapphüten’. Soweit man da bei einem Geheimdienstler sicher sein konnte. Das würde er Smith aber nicht unbedingt auf die Nase binden.
„Und warum soll ich dann Däumchen drehen?“
„Weil Sie wahrscheinlich unter Beobachtung stehen. Zumindest, wenn Davis wirklich ein TIS-Agent ist. In dem Fall wird er außerdem wahrscheinlich nicht der einzige Geheimdienstler an Bord sein. Sie wissen doch…Es gibt immer mindestens zwei.
Es ist besser, wenn wir uns Davis alleine vorköpfen können. Irgendwo, wo er isoliert ist. Wo es nicht auffällt, wenn er für ein paar Stunden…verschwindet.“ Während dieser Worte huschte ein fast wölfisches Grinsen über Smiths eigentlich recht angenehme Züge. Ross glaubte zu begreifen. Offensichtlich wollte sich der Commander sich alle Handlungsoptionen offen halten. Auch die illegalen. Nun ja, dergleichen war schon einmal in Zusammenhang mit Davis erwogen worden, dennoch…
„Aber seien Sie vorsichtig. Halten Sie sich zurück. Ich will nicht das Verschwinden eines unserer Asse erklären müssen.“
Smith winkte ab: „Ich werde dieses Schaf scheren, ohne seine Haut zu ritzen. Es wird nicht einmal blöken.“
‚Der mag Davis ganz bestimmt nicht. Ich frage mich, warum?’ „Ich habe Ihr Wort?“
„Dem Mann wird nichts passieren.“
„Hm…Wenn Sie ihre ‚Befragung’ sowieso außerhalb der COLUMBIA durchführen wollen, verstehe ich nicht ganz, warum Sie mich überhaupt kontaktieren.“
„Ich hielt es für ein…Gebot der Höflichkeit. Immerhin kommt der Mann aus Ihrem Revier. Ich nehme an, dass Sie es nicht besonders begrüßen würden, wenn ich auf eigene Faust handeln würde, ohne Sie zu informieren.“
„Wie rücksichtsvoll von Ihnen.“ Ross bemühte sich, nicht zu sarkastisch zu klingen, was mit einem sardonischen Lächeln quittiert wurde: „Außerdem habe ich auch noch eine…persönliche Bitte an Sie, Lieutenant Commander.
Ich habe Davis Dienstakte. Und sie ist sehr umfangreich und detailliert. Aber mir fehlt…gewissermaßen der menschliche Faktor. Das, was nicht in einer Akte steht. Sie wissen schon – sein soziales Umfeld, seine Marotten, seine Feinde, seine Freunde. Falls er überhaupt so etwas hat. Schlicht und ergreifend, der Bordklatsch. Bei gerade einmal 4.000 Mann und nicht mehr als 120 Piloten muss doch ein derart qualifizierter Offizier wie Sie, der den Finger am Puls des Bordlebens hat, darüber Bescheid wissen.“
Natürlich war Kenneth Ross zu intelligent, sich durch derart offensichtliche Streicheleinheiten einwickeln zu lassen. Aber dennoch, es war schon schmeichelhaft, wenn ein Vorgesetzter sich derart um einen bemühte. Er war schließlich auch nur ein Mensch: „Ich werde Ihnen helfen, so gut ich kann. Aber was den Bordklatsch angeht…ehrlich gesagt, da gibt es besser geeignete Kandidaten.“
„Die aber nicht zuverlässig sind.“
„Also gut. Lassen Sie mich überlegen… Wollen Sie einen mündlichen Bericht, oder ein Dossier?“
„Nun, wenn es Ihre Zeit erlaubt, am besten beides.“
‚Du bist aber ganz schön hinter Davis her.’ Aber nach den hohen Verlusten an Toten, Verschollenen und Verwundeten hatte sich Ross ‚Herde’ deutlich verringert. Außerdem waren die meisten Soldaten im Augenblick nicht in der Stimmung, Ärger zu machen. Der Sicherheitsoffizier hatte Zeit. Und es wäre auch nicht sehr schlau gewesen, einen Vorgesetzten abzufertigen. Zumal Ross’ Instinkt ihm sagte, dass Smith auch fähig und willens war, nötigenfalls andere Register zu ziehen. Selbst wenn der Mann im Augenblick Kreide gefressen hatte, hinter dieser zivilen Fassade glaubte Ross etwas ganz anderes zu erkennen. Der Commander…hatte die Augen eines Fanatikers. Eines Kreuzritters.
„Lassen Sie mich überlegen…“

Etwa eine dreiviertel Stunde später dankte Commander Smith Lieutenant Commander Ross fast schon überschwänglich für diese ‚wertvollen Einblicke’, drückte die Hoffnung aus, bald auch das entsprechende Dossier zu erhalten, und unterbrach die Verbindung.
Er ließ einen ziemlich nachdenklichen Sicherheitsoffizier zurück. Irgendetwas stimmte da nicht. Auch wenn Smith die nötigen Autorisationscodes, das nötige Insiderwissen und auch das richtige Auftreten hatte…’An dir ist etwas nicht ganz koscher, Freundchen.’
Da musste mehr dahinter stecken, als der Wunsch, über die Extratouren des TIS oder die Eskapaden eines einzelnen Piloten Bescheid zu wissen. Das stank nach Politik. ‚Das fehlt noch, dass meine Abteilung mitten in einen Schlagabtausch zwischen den Hardlinern im NIC und dem TIS gerät. Oder geht es etwa um Davis Connections? Seine Verwandtschaft in der Admiralität, seine Beziehung zu Admiral Alexander… Will jemand Davis als Druckmittel gebrauchen? Man müsste wissen warum…was steckt dahinter?’ Er überlegte, ob er seine Kontakte beim TIS aktivieren sollte – besser nicht. Wenn er wirklich überwacht wurde, wenn Smith mit seinem Verdacht Recht hatte…
‚Lieber kein Risiko eingehen. Sonst habe ich am Ende den TIS und Smith am Hals.’
Schließlich kam Ross zu einer Entscheidung, und aktivierte eine Interkommverbindung.
Zehn Minuten später betrat Lieutenant Gandhi das Büro: „Sir?“
„Hören Sie genau zu. Und für den Fall, dass Ihnen was davon bekannt vorkommt – Scheiße kommt immer wieder.“
Fünf Minuten später war Gandhi geneigt, seinem Vorgesetzten zuzustimmen: „Und ich hatte gedacht, dass Ace inzwischen etwas ruhiger geworden ist.“
„Na von wegen! Jetzt haben wir einen Inquisitor am Hals, und wenn wir Pech haben, entwickelt sich das zu einem miesen Hauen und Stechen mit unseren ‚Kollegen’ vom Geheimdienst. Als ob die Akarii uns nicht schon genug Ärger machen!“
„Was wollen wir tun?“
„Zuerst einmal aktivieren wir wieder die Überwachung von Davis. Sein Quartier, sein Jäger, seine verdammte Klobrille – ich will ihn 24/7 unter Bewachung haben, solange er an Bord meines Trägers ist. Dazu schließt natürlich seine Post mit ein.“
„Das sollte kein Problem sein. Aber wenn wir erst einmal angelegt haben…Soll ich ein Observationsteam zusammenstellen, wenn er Freigang hat?“
"Wie lange brauchen wir noch bis zur Ankunft - 20 Stunden?"
"Bei unserer momentanen Geschwindigkeit mindestens vierundzwanzig."
'Ein Tag, verdammt. Das ist zu wenig.' „Nein. Lieber nicht. Wenn er wirklich vom TIS rekrutiert wird, dann haben sie ihn vielleicht auch ausgebildet. Oder er hat Rückendeckung. An die lokale NIC-Abteilung will ich mich nicht wenden, denn die meldet todsicher alles was wir wollen, an diesen Smith weiter. Und ich will den Mann lieber nicht verärgern. Er will Davis für sich alleine haben.
Aber vielleicht können wir Ace ja eine Wanze unterschmuggeln.“

***

Zur gleichen Zeit auf Seafort

Andrew Tremane, alias ‚Commander Smith’ blickte auf, und bemerkte, dass er nicht mehr alleine war. Er unterdrückte ein Zusammenzucken. Jean Falkner beherrschte den Trick, einen Raum fast lautlos betreten zu können fast perfekt. Eine Fähigkeit, an die er sich irgendwann gewöhnen würde. Ein Erbe ihrer Tätigkeit als Einsatzagent.
Tremanes Mitarbeiterin musterte ihn mit einer Mischung aus Belustigung und widerwilliger Faszination: „Ein Glück, dass du mir niemals gesagt hast, dass du mich liebst. Ich meine, ich nehme es manchmal ja auch nicht so genau mit der Wahrheit, aber du…“
Ihr Vorgesetzter überraschte sie mit einem jähen Auflachen: „Dafür frage ich dich auch nicht, ob es zu deinen Aufgaben gehörte, mich, na ja…ganz besonders im Auge zu behalten. Rund um die Uhr sozusagen.“
„Dafür zahlt mir der TIS nicht genug, dass ich die Nutte spiele.“
„Nun, das hört man doch gerne. Und deshalb werde ich dir jedenfalls DAS glauben. Aber um auf den eigentlichen Sinn deiner Aussage zu antworten…,“ Tremane winkte ab: „Hätte ich Ross meinen TIS-Ausweis unter die Nase gehalten, dann hätte er gemauert. Und wenn ich meinen offiziellen Rang beim NSC ins Spiel gebracht hätte…also da hätte er höchstens gelacht.“
„Irgendwann wirst du die Übersicht darüber verlieren, wem du welches Lügenmärchen aufgetischt, und was für eine ID du dabei verwendet hast. Und was ist, wenn sich ein paar deiner ‚Bekannten’ mal über den Weg laufen und ihre Notizen vergleichen?“
„Das würde ich gerne mal sehen. Aber das ist sehr unwahrscheinlich.“
„Gib es ruhig zu. Es macht dir einfach Spaß, schlauer zu sein, als die anderen.“
Tremane lächelte amüsiert: „Na ja, vielleicht ein wenig. Aber da haben wir beide ja etwas gemeinsam, nicht wahr? Außerdem erzählen die Leute einfach mehr, wenn man ihnen die richtige Geschichte dazu liefert.“
Jean erwiderte das Lächeln unwillkürlich. Natürlich hatte Tremane Recht. Dann wurde sie übergangslos wieder ernst: „Es gibt Neuigkeiten.“
„Und?“
„Und du musst mir versprechen, deswegen nicht gleich auszuticken. Es wird langsam etwas schwierig, immer die Scherben hinter dir wegzuräumen.“
„Vergreifst du dich da nicht etwas im Ton gegenüber einem Vorgesetzten?“
„Spar dir das, Andrew. Erstens hat dich das noch nie gestört – einer deiner sympathischeren Charakterzüge. Zweitens habe ich mir das verdient. Ich habe mal spaßeshalber ein Strichliste darüber geführt, wie oft du die Regeln und Kompetenzen übertreten, gebeugt oder ganz einfach ignorierst hast. Aber weißt du…nach zwanzig Seiten habe ich es sein gelassen, es hat mir gereicht.“
„Was meinst du, warum sie ausgerechnet dich in meine Abteilung versetzt haben. Wir passen einfach perfekt zusammen. Weil du so herrlich flexibel bist.“
„Danke für dieses anzügliche Kompliment. Ich dachte immer, es wäre auch deswegen, weil ich dir nötigenfalls das Genick brechen kann, falls du völlig verrückt wirst.
Genug geschäkert. Im Ernst, Andrew, wenn du es so weiter treibst, wirst du noch einmal auf die Schnauze fliegen. Und das wird kein sehr schöner Anblick sein. Dann hängt dich der NIC, die Navy – oder der TIS zum Trocknen auf. Und zwar im Weltraum.“
„Was gibt es für Neuigkeiten?“
„Keine Schnellschüsse. Kein Alleingang. Keine Kamikaze-Operation.“
„Ich werde mich an die Regeln halten.“
„Ja. Deine. Und dass sind keine Regeln.“ Aber letztendlich hatte sie natürlich keine Wahl. Oder sah vielmehr noch nicht den Augenblick gekommen, um die letzte Wahlmöglichkeit zu ergreifen, zu der man sie autorisiert hatte. Tremane schien davon irgendetwas zu ahnen, wusste vielleicht sogar Bescheid. Aber es schien ihm nichts auszumachen. Das machte gewissermaßen auch etwas von seinem Reiz aus: „Also schön. Die RELENTLESS hat einen vorläufigen Analysebericht eines Aufklärungsfluges an das NSC weitergeleitet. Zwei Nighthawks haben ein Asteroidenfeld bei Medusa III untersucht.“
Tremane blickte auf: „Medusa? Sie können auf keinen Fall die COPERNIKUS gesichtet haben. Das System liegt nicht auf ihrem Kurs.“
„Würdest du mich vielleicht mal ausreden lassen?! Nein, die COPERNIKUS haben sie nicht gesichtet. Aber dafür haben sie einen unidentifizierten Funkspruch aufgefangen. Das, und einen Haufen merkwürdiger Daten über das Asteroidenfeld.“
„Was hat uns das zu kümmern? Unsere Aufgabe ist die COPERNIKUS und ich werde nicht…“
„Halt einfach die Klappe, und lies dir das durch.“

Tremane schaffte es einmal mehr, Falkner zu überraschen. Er wurde nicht laut. Er sprang nicht auf. Stattdessen las er sich die Textdatei sorgfältig vom Anfang bis zum Ende durch. Rief die Begleittabellen und die angehängte Bilddateien auf.
Das einzige, was seine wachsende Erregung verriet, war die Art und Weise, wie sich die Muskeln in seinem Gesicht spannten.
Als er mit dem Lesen fertig war, blieb er noch ein paar Sekunden reglos sitzen. Vielleicht täuschte Jean Falkner sich, aber fast schien es ihr, als würden seine Hände zittern.
Andrew Tremanes Stimme blieb leise. Klang fast ergriffen: „Also doch…
Das ist der Beweis.“
‚Und ich habe gedacht, dass er es gut aufnimmt.’ „Deute da mal lieber nicht zu viel rein. Das einzige, was wir nämlich bisher haben, sind ein paar verstümmelte Sensordaten.“
„Das spielt keine Rolle. Die Daten sind eindeutig. Diese Legierungen…sie sind fast identisch mit den Fundstücken aus dem Asgard-System. Praktisch dieselben Elemente, wenn auch in einem anderen Mischungsverhältnis.“
„Es ist bis heute nicht geklärt worden, ob diese ‚Fundstücke’ tatsächlich aus dem Asgard-System stammten. Außerdem sagst du es selbst – es ist nicht dieselbe Zusammensetzung. Und vergiss nicht, die ‚Funde’ im Asgard-System waren wahrscheinlich jüngeren Datums. Wenn es keine Fälschungen waren. Die Schätzungen gingen von maximal 4.000 Jahren aus. Die Sensordaten aus dem Medusa-System…sprechen von 2.000 bis 12.000 Jahren. Das ist ein ziemlich großer Spielraum.“
„Das spielt keine Rolle. Die Datierung unbekannter Metalllegierungen ist eine bestenfalls heikle Angelegenheit. Und wo du eine zeitliche Differenz siehst…sehe ich Kontinuität.“
„Andrew…“
„Warte, warte, lass mich ausreden. Die Trümmerstücke im Asgardsystem hatten einen weitaus geringeren Schmelzpunkt. Und sie waren längst nicht so groß oder dick wie die Brückstücke, die die RELENTLESS geortet hat. Vermutlich waren es im Asgard-System nur die Überreste einer zivilen Station, eines Transporters…
Das, was dieser Mithel geortet hat…das war ein Kriegsraumer. Oder eine Kampfstation. Deshalb war die Panzerung um ein Vielfaches härter und dicker.“
„Andrew, du fängst wieder an zu spinnen…“
„Ich bin noch nicht fertig. Überleg doch mal! Denk an den Bifröst-Asteroidengürtel, der Asgard I umkreiste. Dort wurden die Fundstücke gefunden. Dort ist die COPERNIKUS verschwunden!“
„Glaubst du.“
Genauso gut hätte sie gegen eine Wand sprechen können: „Und denk an die Theorien über die Herkunft des Bifröst-Gürtels! Dass das Asteroidenfeld das Einzige ist, was von einem Planeten übrig blieb, der sich früher einmal zwischen Asgard I und II befand.“
„Eine weitere unbewiesene Theorie.“
„Ich glaube daran. Es macht Sinn. Und dann schau dir doch mal dass Medusa-System an. Ein Stern, der vor drei- bis zehntausend Jahren plötzlich aus dem Takt geraten ist. Du willst mir doch nicht ernstlich weiß machen, dass das ein Zufall ist?!
Und dann sind da noch die Spuren einer antiken Schlacht, die mit Nuklear- und Antimateriewaffen geführt wurde. Kein Volk setzt Antimaterieraketen im Raumkampf ein. Weil diese Waffe einfach viel zu teuer, viel zu unberechenbar und viel zu gefährlich ist. Aber wer auch immer die Schiffe und Stationen schuf, auf deren Überreste wir gestoßen sind – verfügte noch über weitaus gefährlichere Waffen. Oder wurde durch sie vernichtet.
Wo wir auch auf diese Legierungen stoßen, wir finden auch immer Spuren einer galaktischen Katastrophe. Von Waffen, deren Macht unsere Möglichkeiten übersteigt. Die einen Planeten pulverisieren, einen Stern destabilisieren können. Das ist weit mehr, als wir selbst auf Wron getan haben. Wann hätte jemals ein Mensch oder ein Akarii sich eine derartige totale Vernichtungskraft auch nur als realisierbar vorstellen können?“
„Für die Echsen kann ich nicht sprechen. Und du reimst dir etwas zusammen, für das du höchstens Indizien hast. BESTENFALLS. Erzähl das jemandem bei TIS oder NSC, und sie werden dich in eine Klapsmühle einweisen!“
Tremane winkte ab: „Ich habe gar nicht die Absicht, irgendjemand davon zu erzählen, solange es nicht unbedingt nötig ist. Dass hier ist MEINE Sache. MEINE Mission. Kein Bürokrat und Paragraphenschieber wird mir da reinreden können. Dass lasse ich nicht zu!“ Tremane blickte auf und sah Jean Falkner direkt an. Ein seltsames Lächeln huschte über seine Lippen: „Es sei denn, du erzählst etwas davon. Aber dann müsste ich mir wohl nicht um irgendwelche Bürokraten Sorgen machen, oder?“
‚Er weiß Bescheid.’ Sie lachte abfällig: „Nimm dich mal nicht zu wichtig. Du weißt ganz genau, warum man diese Operation bei dir abgeladen hat. Wenn sie es nicht getan hätten, hätten sie dich wegen Insubordination anklagen müssen. Und kein anderer wollte diese verrückte Schnipseljagd übernehmen.“
„Du bist doch auch dabei.“
„Als hätte ich nach dieser dämlichen Sache auf der Erde noch eine Wahl gehabt.“

Tremanes Aufmerksamkeit hatte sich schon wieder einem anderen Thema zugewandt. Er war mal wieder in DIESEM Modus: „Und schon wieder ist ein Schiff in die Angelegenheit verwickelt, das etwas mit den Davis zu tun hat.“
Falkner schnaubte. Bei Tremane war es wirklich ein schmaler Grad zwischen Normalität, Brillanz – und Besessenheit: „Also DAS nehme ich dir nicht ab. Alles andere…vielleicht. Aber das nicht.“
Tremane überraschte sie mit einem Lächeln: „Hervorragend. Also gibst du zu, dass meine Theorien stimmen könnten.“
Sie war ihm in die Falle gegangen: „Das gilt nicht, verdammt. Oh, verflucht – denk doch, was du willst.
Also gut, nehmen wir mal an, es gibt eine Verbindung zwischen den ‚Funden’ im Asgard- und Medusa-System. Nehmen wir mal an, dass diese…galaktischen Phänomene wirklich künstlichen Ursprungs sind – wofür es keine Beweise gibt, nicht mal Indizien – und etwas mit denen zu tun haben, die diese Legierungen schufen. Was hilft uns das weiter?“
„Es zeigt uns, zu was unser…Gegner fähig war. Oder was für Waffen gegen ihn eingesetzt werden mussten. Und DAS hilfst uns sehr wohl weiter, denke ich. Wer den Feind unterschätzt – der stirbt. Ist das nicht eine deiner Regeln?“
„Gegner, Feind…Bestenfalls reden wir von ZWEITAUSEND Jahren. Wer auch immer das war, er ist längst zu Staub zerfallen.“
Tremane blieb ihr lange eine Antwort schuldig. So lange, dass sie bereits anfing, unruhig zu werden. Sie wusste, was jetzt kam. Tremanes Stimme war nur noch ein tonloses Flüstern: „Irgendetwas hat die COPERNIKUS übernommen. Irgendetwas hat die Akarii an Bord dieses Hilfskreuzers getötet. Irgendetwas hat den Jägern der COLUMBIA ein Signal zugesandt.“
„Wenn dort etwas übrig geblieben ist… Dann bestenfalls ein automatisiertes Verteidigungssystem-, und im Medusa-System eine alte Funkbake. Alles andere wäre nur Spekulation.“
„Ja. Vielleicht.“

‚Womit wir wieder bei DEM Thema sind.’ „Kommen wir doch lieber zu den praktischen Aspekten dieser Operation. Die Analyse dieser Sensordaten geht jedenfalls an das NSC. Keine Chance, das abzufangen – nur um deine Frage zu beantworten.“
„Schade. Und irgendjemandem beim NSC wird auch die Übereinstimmung bei der Zusammensetzung der Fundstücke auffallen.
Man wird eine Expedition schicken. Wahrscheinlich ein Aufklärungsschiff, ein bis zwei Korvetten oder Fregatten…“
Jean Falkner war froh, dass sich Tremane erst einmal wieder den praktischen Aspekten ihrer Mission widmete. ‚Du machst mir wirklich Kopfzerbrechen.’ „Es sollte keine Probleme geben, uns an Bord zu bringen. Immerhin sind wir offiziell Mitglieder des NSC, mit dem passenden Spezialgebiet.“
Tremane nickte: „Und wenn die Eierköpfe vom NSC Sperenzchen machen, können wir immer noch die TIS-Karte ausspielen. Es sollte keine Schwierigkeiten geben.“
„Es gibt IMMER Schwierigkeiten. Vor allem, wenn du auf dem Kriegspfad bist. Und ich muss dann wieder aufräumen.“
Tremane grinste: „Soviel ich weiß, habe ich noch niemanden ins Krankenhaus geschickt.“
Falkner zuckte mit den Schultern: „Ich habe nur Befehle befolgt.“
„Wie dem auch sei, ich will nicht, dass diese Sache die Runde macht. Oder gar an die Presse geht. Also müssen wir den Piloten und den Offizieren der Sensorcrew…jedem, der etwas davon mitbekommen hat, einen Maulkorb verpassen. Und wir haben nicht viel Zeit dafür. Ein, zwei Tage, bestenfalls.“
Um Falkners Lippen zuckte ein spöttisches Lächeln: „Und wie willst du das dem Sicherheitschef der COLUMBIA klar machen, nachdem du hier den Inquisitor gespielt hast? Glaubst du nicht, der wird misstrauisch, wenn du auf einmal auch noch in DER Angelegenheit vorstellig wirst? Oder willst du ihn damit abspeisen, dass du multitaskingfähig bist und dich nur mal eben so auch noch um die Pressearbeit und extraterrestrische Phänomene kümmerst?“
„Verdammt.“
Jean Falkner lachte spöttisch. Aber sie hatte schon weiter gedacht: „Den Sicherheitsdienst hier können wir auch nicht bemühen. Die trauen uns sowieso nicht. Und die Gefahr ist viel zu groß, dass Ross etwas über deine…zweigleisigen Aktivitäten erfährt. Es gibt keine größeren Klatschmäuler als Spione und Sicherheitsleute.
Also muss die Anweisung vom NSC kommen. Das wirkt vielleicht nicht so einschüchternd wie ein Maulkorb vom Sicherheits- oder Geheimdienst…“
„Aber wir können nicht wählerisch sein. Wir müssen sehen, dass es so funktioniert. Ob die Zeit reicht. Verdammt. Wir werden Druck machen müssen.
Und…
Ruf Johann Steinmark an. Es gibt eine neue Aufgabe für ihn. Wir müssen das historische und archäologische Material sichten, das wir von den Akarii erbeutet haben.“
„Wie kommst du denn auf die Idee?“
Tremane drehte den Bildschirm, sodass Jean Falkner einen guten Blick auf ein Bild der Milchstraße hatte. Zwei Sterne leuchteten in giftigem Grün: „Hier ist das Asgard-, und hier das Medusa-System. Beide ziemlich am Rand des terranischen Territoriums. Und sieh dir den Kurs der COPERNIKUS an. Auch sie hat schon vor Jahrzehnten das Gebiet der Republik verlassen.
In keinem anderen System innerhalb der Grenzen der Konföderation oder der Republik wurden bisher ähnliche Funde gemacht – oder die Spuren ähnlich vernichtender Schlachten gefunden. Ich glaube, dass wir nur den Rand…bestenfalls ein paar Vorposten gefunden haben. Sieh dir an, wie viele Lichtjahre zwischen Asgard und Medusa liegen. Wer auch immer…SIE…waren, sie haben ein riesiges Gebiet kontrolliert. Ein Gebiet, das heute entweder im Niemandsland oder auf dem Territorium der Akarii liegt.
Ich weiß nicht, wie viele Schiffe, wie viele Stationen, Städte und Basen…SIE…hatten – aber die meisten müssen im Imperium zu finden sein. Sie können nicht alle spurlos verschwunden sein.
Und deshalb brauchen wir die extraarchäologischen Aufzeichnungen der Akarii. Wir haben schließlich genug Planeten erobert!“
„Ja, aber vergiss nicht, dass Steinmark kein Akarii kann. Oder wie auch immer ihre dämliche Sprache heißt.“ In Wirklichkeit beherrschte Jean zwei Akarii-Dialekte, wie auch Tremane wusste. Aber sie hatte keine Lust, sich in alten Aufzeichnungen zu vergraben: „Und Akarii können wir wohl kaum als Rechercheure einsetzen.“
Das war keine Frage. Tremane seufzte. Sie hatte Recht: „Vielleicht können wir beim NSC oder über deine informellen Kontakte im TIS ein paar Übersetzer anfordern. Unsere offiziellen Ressourcen geben das jedenfalls nicht her. Ansonsten müssen wir halt auf die Übersetzungsprogramme setzen.“
„Langsam und unpräzise.“
„Sag mir etwas, was ich nicht weiß.“
„Wenn du mal nicht verrückst spielst, kannst du ganz nett sein. So etwas?“
14.01.2016 09:37 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Tyr

Kano erwachte mit einem unterdrückten, halb erstickten Schrei. Seine rechte Faust knallte mit einem dumpfen Knacken gegen die Wandverkleidung. Der Schmerz erst weckte ihn vollständig auf.
Er fand sich auf dem Fußboden kniend wieder, die Fäuste geballt, als wollte er sich gegen einen Feind, gegen einen Angriff wehren. Aber da war kein Feind. Da war kein Angreifer.
‚Du hast geträumt.’
Immer noch ging sein Atem keuchend, hatte er das Gefühl, nicht genug Luft zu bekommen. Glaubte er zu ersticken.
Schwankend, unsicher kam er auf die Beine und betrachtete seine Rechte. Dieser Schlag war seinen erst kürzlich verheilten Fingern bestimmt nicht gut bekommen. Aber dennoch, er genoss den Schmerz, der durch seine Hand und seinen Arm pulste. Sie waren der Beweis dafür, dass er geträumt hatte. ‚Nur ein Traum.’
Zum Glück hatte Crusader, dessen Bett auf der anderen Seite des Zimmers lag, nichts davon mitgekommen. Seine Atemzüge klangen ruhig und gleichmäßig, das genaue Gegenteil zu dem pfeifenden Keuchen, das aus Kanos Kehle drang. Der Staffelführer hätte auch nicht gewusst, was er seinem Mitbewohner und Freund hätte erzählen sollen. Oder können.
‚Nur ein Traum.’
Wenigstens waren sie jetzt, da die COLUMBIA endlich im Orbit von Seafort festgemacht, und man die Angry Angels auf die Station verfrachtet hatte, ihren zusätzlichen Zimmergast losgeworden. Einem Fremden hätte er noch viel weniger erklären können, was ihn so jäh aus dem Schlaf gerissen hatte.

Kano tastete sich in die Hygienezelle, und verriegelte die Tür hinter sich. Er beugte sich über das kleine Waschbecken, und ließ kaltes Wasser in seine gewölbten, zitternden Hände fließen, schüttete sich ein, zwei Handvoll über den Kopf.
Das Wasser schmeckte abgestanden, dennoch schluckte er gierig. Jetzt erst begann sich sein Atem zu beruhigen, erlaubte er es sich, sich an den Traum zu erinnern, der ihn hatte hochschrecken lassen.
Doch da waren nur noch zusammenhanglose Bruchstücke, Bilder und Gefühle.

Die Dunkelheit des Alls, ferne, fremde Sterne, die weder Trost spenden, noch den Weg weisen konnten…
Die grausame Großartigkeit einer weiß glühenden Sonne. Sonneneruptionen, Tentakel aus purem Licht, die das All zerschnitten und die Sterne verblassen ließen…

Das Schiff…
Eine schlanke, schwarze Silhouette, die das blendende Licht der drohenden Sonne förmlich in sich aufzusaugen schien. Die eleganten, fließenden, organisch wirkenden Linien hatten nichts gemein mit den klobigen, kantigen Rümpfen der irdischen Kampf- und Handelsraumer. Im Vergleich zu diesem Schiff wirkten sogar die schlanken Akarii-Kampfschiffe schwerfällig und ungeschlacht. Es tauchte unter den Sonneneruptionen hindurch, schoss durch das All wie eine fliegende Schwalbe, wie ein jagender Hai, elegant, schnell - tödlich.

Ein gleißender Blitz, ein Riss im Weltraum…

Und dann waren da die Stimmen gewesen. Zuerst nur ein Flüstern, ein schwacher Windhauch.
Nicht die Stimme eines Menschen. Raue, gutturale Worte, nicht bestimmt für eine menschliche Kehle.
Alt. Kalt. Böse.
Auch wenn er die geflüsterten Worte nicht verstehen konnte, sie hatten sich in seinen Verstand wie Feuer eingebrannt. So viel Wut, Abscheu, Hass…so viel Hass.
Immer lauter und fordernder waren die Stimmen geworden, kratzten über seinen Verstand wie glühende Metallhaken.
Steigerten sich zu einem brüllenden Chaos, überschrieen sich gegenseitig, kämpften um seinen Verstand, der erbarmungslos in Fetzen gerissen wurde. Immer lauter, immer schriller – bis sie sich mit einem gellenden Kreischen überschlugen.

Und dann war die Welt untergegangen.
Das brodelnde Inferno der Sonne hatte Wellen geschlagen, war aufgelodert – und hatte ihn überrollte. Welle um Welle aus brüllendem Feuer war über ihn hinweggerast. Auf ihrem Weg hatten sie Planeten, Monde und Asteroiden verbannt, nur geschmolzenes Gestein hinter sich zurückgelassen.

Dann war er aufgewacht. ‚Verrück. Du wirst verrückt.’ Bei diesem Gedanken erschauerte er.

Kano rief sich selber brüsk zur Ordnung.
Er war nicht verrückt. Und für den Traum gab es eine ganz einfache Erklärung.
Als die COLUMBIA endlich festgemacht hatte, hatte er eigentlich geplant, den Träger so schnell wie möglich zu verlassen. Eine letzte Runde Papierkrieg, eine schnelle Kontrolle der Maschinen der Butcher Bears – dann wollte er auf die Victoria Station überwechseln, und das nächste Shuttle zum Mistral Naval Hospital nehmen, wo er – endlich – Helen wiedersehen würde.
Auch nach der Verlegung der Staffel wäre noch genug Zeit dafür gewesen.

Aber das Schicksal hatte ihm einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht – in Gestalt eines Lieutenant Commander des Sicherheitsdienstes. Jean Hawk vom NIC war aufgetaucht, kaum dass das COLUMBIA-Geschwader seine Verlegung abgeschlossen hatte.
Die junge, hoch gewachsene Offizierin mit dem Marines-Haarschnitt und den kalten, wachsamen Augen hatte keine Einwände gelten lassen. Sie hatte ihn und Tiburon einbestellt und einem umfangreichen Verhör unterzogen.
Oh gewiss, sie war dabei immer höflich geblieben. Sie hatte über ihre Aufgabe gescherzt und sogar mit Kano geflirtet. Aber er hatte sich nicht täuschen lassen. SO gut sah er bestimmt nicht aus. Und in den schnellen, sparsamen, zielbewussten Bewegungen der Offizierin, und in ihren Augen, hatte er erkennen können, dass diese Frau sehr viel mehr als das war, was sie zu sein vorgab. Und dass sie mehr wusste, als sie zuzugeben bereit war. Manche ihrer Fragen waren…merkwürdig zielgerichtet oder ganz einfach unverständlich gewesen. Unverständlich jedenfalls für ihn – aber nicht für Hawk.

Diese Erkenntnis hatte seine düsteren Ahnungen betreffs dessen, was sie im Medusa-System gefunden – oder aufgestört – hatten noch verstärkt. Vor allem, da Hawk sehr deutlich gemacht hatte, dass ihre Entdeckung geheim zu bleiben hatte.
In deutlichen Worten hatte sie den beiden Piloten erklärt, warum sie zur Verschwiegenheit verpflichtet waren. Wer mochte wissen, was – außer einer Panzerungslegierung, die alle vergleichbaren Entwicklungen der Akarii und Menschen förmlich deklassierte – vielleicht dort noch zu finden sein mochte.
Waffen, Sensoren, Kommunikationgeräte…Vielleicht sogar, da es den Analysten noch immer nicht gelungen war, den Standort des fremden Senders zu lokalisieren, eine funktionstüchtige Tarntechnologie.
Auch wenn Kano insgeheim glaubte, vielleicht sogar hoffte, dass der NIC mit diesen Vermutungen vielleicht etwas überoptimistisch war, auch nur die MÖGLICHKEIT, dass derartige Schätze im Niemandsland zwischen Imperium und Republik zu finden waren…
Diese Vorstellung, verbunden mit dem ohnehin mehr als beunruhigenden Szenarien, die Fuchida über die Vergangenheit des Medusa-System präsentiert hatte…
Also das war genug Stoff, aus dem Albträume beschaffen waren.
Vor allem, da Lieutenant Commander Hawk auf eine gründliche medizinische Untersuchung der beiden Piloten bestanden und sie tatsächlich durchgesetzt hatte.
Zwar waren die Geräte, die eine etwaige Verstrahlung feststellen sollten, stumm geblieben. Doch im Gegensatz zu Tiburon war Kano aufgefallen, das die Offizierin ein unverhältnismäßig starkes Interesse für ihre Gehirnscans gezeigt hatte. Sie hatte dafür keine Erklärung geliefert, und er hatte sich nicht getraut, zu fragen.

Nachdem die Fremde sie noch einmal daran erinnert hatte, striktes Stillschweigen zu wahren, war Hawk genauso plötzlich verschwunden, wie sie aufgetaucht war. Aber irgendetwas sagte Kano, dass diese Angelegenheit damit noch nicht beendet war. Noch lange nicht.

Als der NIC-Marathon endlich vorbei war, da war es viel zu spät gewesen, um Heute noch zum Mistral Naval Hospital aufzubrechen. Was war ihm also übrig geblieben, als einen Kommanruf zu tätigen, sich bei Helen zu entschuldigen, und auf Morgen zu vertrösten.
Wenn sie nicht so viel Verständnis gezeigt hätte, wäre es wahrscheinlich leichter zu ertragen gewesen.
Er hatte sich fest vorgenommen, sich mehr um Helen zu kümmern. Und kaum waren sie eingelaufen…
‚Das muss ich wieder gutmachen.’
Der junge Pilot schöpfte eine weitere Handvoll Wasser, und ließ es über sein Gesicht rinnen. Langsam verblasste der Traum. Mit einem schiefen Lächeln blickte Kano in den Spiegel.
Und sah hinter seiner Schulter eine schattenhafte, geduckte Gestalt.

Kano wirbelte herum, riss die Fäuste hoch…
Aber da war nichts. Und als er über seine Schulter wieder zum Spiegel blickte, sah er nur sein eigenes, angespanntes Gesicht.
Auf einmal fühlte er, wie in ihm die Wut hoch loderte. Seine Hände krallten sich um den Rand des Waschbeckens, während er den Drang unterdrückte, seine Faust in die spiegelnde Oberfläche zu rammen, wieder und wieder.
Doch diese Wut erlosch genauso schnell, wie sie aufgeflammt war, und hinterließ nichts, als einen schalen Geschmack im Mund, und ein Gefühl des Befremdens. ‚Was ist nur mit mir los? Was geschieht…’
Eins stand jedenfalls fest. Er würde sich nicht wieder in sein Bett legen. Das Quartier, das doch für mehr als drei Jahre sein Zuhause geworden war, fühlte sich auf einmal…fremd an. Hier konnte er nicht bleiben. Er musste raus.

**

Der Stationshangar war menschenleer, ein eher ungewohnter Anblick. Normalerweise war hier wahrscheinlich immer irgendetwas los. Aber jetzt, da die COLUMBIA im Raumdock festgemacht hatte, und dieser Hangar praktisch fast auschließlich für die Angry Angels reserviert worden war, bestand keine Notwendigkeit, die Maschinen rund um die Uhr aufzutanken und zu bewaffnen. Sie waren - vorerst - nicht mehr Teil des normalen Dienstbetriebs.
Ein Umstand, der vielen der erschöpften Piloten sehr gut passte. Andere hingegen fürchteten, das sei die erste Stufe zu einer Auflösung des Geschwaders.
Kano war geneigt, Lilja zu glauben. Niemand würde ein Elite-Geschwader wie die Angry Angels auflösen. Und wenn man sie auf das Bordgeschwader eines leichten Trägers 'eindampfte', der Name und der Grundstock der Mannschaften würde erhalten bleiben. Das 'Geschwader der Entscheidungsschlachten' KONNTE ganz einfach aus psychologischen Gründen nicht aufgelöst werden.
Kano lächelte kurz, während er leise zwischen den Maschinen der Angry Angels hin- und herwanderte. Die Kampfmaschinen schienen zu schlafen, auf etwas zu warten. Langsam beruhigte sich sein Atem, gewannen seine Bewegungen wieder die alte Sicherheit und Festigkeit zurück.
Dann hatte er die Maschinen seiner Staffel erreicht. Die Handgriffe, die nun folgten, waren ihm inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen. Keine halbe Minute später saß er im Cockpit der Nighthawk.
Mit einem stillen Lächeln lehnte sich der Pilot zurück, und schloss die Augen. Hier fühlte er sich…sicher.

***

Als am nächsten Morgen die Frühschicht der Wartungscrew den Hangar betrat, wartete auf Stan Collat eine Überraschung.
Der Petty Officer wäre beinahe über seine eigenen Füße gestolpert, als sich plötzlich die Cockpitverglasung einer Nighthawk öffnete, und ein schlanker Japaner in der Dienstuniform eines Lieutenant herauskletterte. Die Uniform sah aus, als hätte der Mann darin geschlafen. Der Pilot musterte Collat mit ausdrucksloser Miene: „Ist irgendetwas?“
„Ähm…was haben Sie denn…“
„Ist das nicht offensichtlich? Ich habe geschlafen. Sie können mit ihrer Arbeit weitermachen.“ Sprach’s, drehte sich um, und ging.
Kano blickte auf seinen Arm-Chronometer. Alles bestens. Er hatte noch genug Zeit, um sich zu duschen, zu rasieren und die Uniform zu wechseln. Dann das nächste Shuttle…
Und dann…
Er lächelte.

Collat blickte dem verschwindenden Offizier hinterher. Ach richtig, das war der Staffelchef der Schwarzen Staffel, von dem man sich erzählte, dass er so viele Leben wie eine Katze hatte. Er sollte schon ein volles Dutzend Maschinen verschlissen und mehr als ein halbes Dutzend Verwundungen kassiert haben. Warum aber hatte dieser Typ dann…
„Diese Weltraumjockeys…die haben doch alle einen Hau weg.“
14.01.2016 09:38 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
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Ace

Justus Schneider klopfte zaghaft an der Tür. Immerhin war es die Tür eines Admirals. Spötter mochten einwenden, dass dieser Admiral nur eine popelige Werft kommandierte, aber Justus kannte genügend hochmütige Kapitäne, die eines Tages doch mal eine Werft brauchten. Und dann standen sie bis zu den Waden in der Scheiße.
Es war nicht üblich, an der Tür noch einmal zu klopfen, wenn der Admiral ein Vorzimmer hatte und man zudem einbestellt war. Aber Justus Schneider wollte einfach auf Nummer sicher gehen.
"Herein."
Vorschriftsmäßig trat der Skipper der KAMI ein, salutierte ebenso vorschriftsmäßig und nahm dann die Schirmmütze in die linke Armbeuge. "Admiral, ich melde mich wie befohlen."
So etwas wie Amüsement huschte über das Gesicht des Kommandeurs der Werftanlage, und er deutete auf die freien Sessel vor seinem Schreibtisch. "Setzen Sie sich, Captain Schneider. Setzen Sie sich, und stillen Sie die Neugier eines alten Mannes."
Gehorsam nahm Justus Platz. Sein erster Blick auf Auson war ein guter gewesen, deshalb entschloss er sich, mit einem kleinen Scherz Punkte zu sammeln. "Wir sind zu dritt im Raum, Sir?", wandte er ein und sah sich suchend um.
Auson lachte dröhnend. Er aktivierte die Sprechverbindung. "Henry, zwei Kaffee. Sie trinken doch Kaffee, Captain Schneider?"
"Selbstverständlich. Flottenkaffee, bitte. Wenn man eine Panzerplatte drin versenken kann, ist er noch zu schwach."
Diesen Kommentar beantwortete der alte Raumbär mit einem breiten Grinsen.
Der Kaffee kam, der Petty Officer aus dem Vorzimmer schenkte ein und verschwand wieder.
Auson nahm seine Tasse, rührte darin herum und sah Schneider nachdenklich an. "Haben Sie Ihren Bastard ordentlich vertäut?"
Beim Wort Bastard verzog Justus kurz die Miene. "Autsch, Sir."
Der Admiral zuckte die Schultern. "Ist hier die vorherrschende Meinung. Aber ich nehme an, Sie wären nicht hier, wenn Ihr Schiff nicht den Weg in einen ordentlichen Hangar gefunden hätte."
"Selbstverständlich nicht, Sir. Die Manövrierfähigkeit gehört zu den wenigen Dingen, die nicht beeinträchtigt wurden. Das Schiff wurde erstklassig eingewiesen, vertäut und auf Kiel gelegt. Die Mannschaft wurde bis auf ein Rumpfteam abkommandiert. Meine Techniker werden nach einer Woche Kurzurlaub ebenfalls zu den Arbeiten stoßen."
"Nichts gegen zu sagen, solange Ihr Chefingenieur erreichbar bleibt. Wir werden uns ohnehin erst mal um die groben Sachen kümmern, aber für die Feinheiten, vor allem mit der Akarii-Technologie, brauchen wir Leute mit Erfahrung." Neugierig beugte sich Auson vor. "Also, Schneider, wie fliegt sich Ihr niedlicher Ticonderoga-K denn so? Wie machen sich die Akarii-Mitbringsel?"
Justus grinste dünn. Vor diesem Mann groß Geheimhaltung zu spielen war sinnlos; seine Leute würden eh alle relevanten Teile in Augenschein nehmen. Außerdem war es gut mit ihm zu kooperieren, da er zweifellos seinen ganz eigenen Bericht über die Akarii-Komponenten verfassen würde, mit denen die KAMI ausgestattet war.
"Verdammt gut, Sir. Wir sind ne ganze Ecke schneller als ein normaler Ticonderoga. Das kam meinem Schiff zugute, als wir Jor gestellt haben. Eine Kreuzergruppe wollte uns von der COLUMBIA trennen. Die DAUNTLESS und mein Baby haben die Tür für die Kreuzer offen gehalten."
"Und es gibt Sie noch. Sind Sie ein Glückskind, oder ist Akarii-Technologie in unseren Händen besser als bei den Akarii?"
"Vielleicht ist es die Mischung, Sir?", argwöhnte Schneider. "Tatsache ist, die Waffen, die Reaktoren und die Antriebe sind leistungsfähiger. Warum wir uns immer noch halten können, muss daran liegen, dass wir ums Überleben kämpfen und deshalb fünfzig Prozent mehr geben als die Echsen, Sir."
"Oder es liegt tatsächlich an der Mischung. Eventuell können die Akarii auch nichts mit einem Ticonderoga-K anfangen und haben ihn unterschätzt."
"Unterschätzen ist ein guter Einfall. Mein Schiff bekam nur besondere Aufmerksamkeit, wenn ich mich vorgedrängelt habe. Das war auch über Karrashin so. Dabei hat die KAMI sehr schmerzhafte Schläge ausgeteilt." Schneider lehnte sich zurück. "Ich schätze, die Akarii-Kapitäne haben ignoriert was nicht sein kann, nämlich dass ihre Schiffswaffen auf unseren Schiffen kompatibel sind. Wenn sie diese Arroganz beibehalten und wir noch ein paar Schiffe umrüsten, könnten wir sie gewaltig überraschen."
"Oder wenn wir selbst Akarii-Schiffe benutzen würden."
Justus schnaubte amüsiert. "Ja, klar. Zeigen Sie mir dreihundert Mann, die freiwillig einen Akarii-Kahn übernehmen, und ich melde mich ebenfalls freiwillig, um einen Uniform zu kommandieren."
"Wir könnten Akarii verpflichten", merkte Auson an.
"Erst mal haben", erwiderte Justus. Das Gespräch mit dem Veteranen begann ihm Spaß zu machen. "Der einzige Ort, wo wir genügend Akarii finden würden, ist die ColCon, und die haben ja vor dem Kaiser die Hosen runter gelassen. Müßig darüber nachzudenken, ob wir einige von ihnen als Söldner anwerben können."
"Sie sind also nicht ganz im Bilde, Schneider. Hm. Verstehe, Sie waren ja auch lange draußen mit der COLUMBIA."
"Das klingt so als würde man wirklich Akarii anwerben wollen."
Auson lächelte dünn. "Eventuell. Die Internierungslager der ColNav-Leute sind voll von ihnen. Und nachdem man menschliche Überläufer akzeptiert hat, könnte sich Frost auch dazu durchringen, Akarii zu überreden, zu desertieren. Letztendlich besteht die Navy aus einem Haufen verklemmter, stolzer und sich hinter Traditionen und Beziehungen versteckender Sternchenträger, aber wir sind alle verdammte Opportunisten, wie es gute Soldaten ausmacht."
"Keine Einwände, Sir. Ohne Admiral Renaults Opportunismus wären wir vermutlich nicht mehr hier, sondern irgendwo auf der anderen Seite der Milchstraße auf der Flucht."
"Ich sehe, wir haben ähnliche Gedanken." Auson nippte an seinem Kaffee. "Inkompabilitäten?"
"Keine. Anfangs ja, aber nachdem wir dahinter gekommen sind, wie die technischen Übertragungen zu erfolgen haben, und wie die Zwischenprotokolle in den Computern laufen müssen, war es nicht schwieriger als terranische Komponenten zu integrieren." Justus grinste. "Schauen Sie sich das Vordeck auf A bis C auf Steuerbord an. Da habe ich nach Karrashin V und vor dem Last Standing am Wurmloch Akarii-Panzerung verbaut, die meine Leute von wrack geschossenen Schiffen retten konnten."
"Und? Hat sie sich bewährt, diese Panzerung?"
Justus schnaubte. "Sie hat zumindest weit länger gehalten, als ich erwartet habe. Allerdings habe ich die Sektionen unter den Panzerungsschäden nicht wieder geflutet und in Betrieb genommen. Eine gute Idee, im Nachhinein."
"Sie haben Ihren Bericht fürs Naval Science Corps und für den Quartermaster bereits fertig?"
"Ich war so frei, Ihnen eine Kopie zu zu senden, Sir." Schneider lächelte nun etwas breiter. "Wenn etwas so interessantes wie die KAMI vor die Füße eines guten Technikers fällt, wird er eben neugierig. Das ist ein Naturgesetz."
"Oh, tatsächlich. Da ist der Bericht ja. Danke. Sie bereiten einem alten Mann eine große Freude."
"Wir sind also doch zu dritt", scherzte Justus.
Auson lachte auf. "Ich werde die Prioritäten der Reparatur auf der KAMI eine Woche zurück nehmen. Genug Zeit für Sie und Ihre Führungsleute, ein wenig richtigen Urlaub zu machen. Außerdem kommt das den groben Arbeiten auf der COLUMBIA und dem kastrierten Flugdeck zugute. Danach erhöhe ich Ihre Priorität. Meine Leute werden natürlich alle Einzelarbeiten protokollieren."
"Keine Einwände, Sir. Ach, darf ich Sie um einen persönlichen Gefallen bitten? Ich weiß, die Station ist militärisches Gebiet, aber... Es gibt da etwas, was ich einem toten Freund versprochen habe und unbedingt halten will."
Auson runzelte die Stirn. "Solche Versprechen muss man halten, junger Mann. Wenn ich dabei helfen kann, soll es mir recht sein. Was liegt Ihnen am Herzen?"
Justus´ Lächeln wurde bittend. "Sir, dürfte ich wohl um einen Pool bitten?"
"Sie wollen einen Pool auf der KAMI haben? Das ist ein sehr großer Gefallen. Nicht unmöglich, aber kaum zu verbergen. Damit Sie das durch kriegen, muss Ihnen ein Admiral schon wirklich was schulden."
"Kein Pool auf der KAMI, Sir. Obwohl die Idee was verlockendes hat. Nein, Sir, einen auf der Basis."
"Auf der Station? Was zum Henker wollen Sie damit?"
"Ihn mit Bier füllen, Sir."
Auson lachte. "Also, dieses Versprechen müssen Sie mir erklären, Schneider."

***

“Und? Klappt es?“ Ian Davis schien sich auf die bevorstehende Party zu freuen und war dementsprechend interessiert, was Admiral Auson gesagt hatte.
Justus Schneider grinste seinen jüngeren Cousin an, der auf ihn im „Connections“, einer angesagten Bar auf Victoria Station, gewartet hatte. „Der Admiral war sehr zuvorkommend, vor allem nach dem ich ihm mehr über die Kami erzählt und ihm ein paar Daten zur Einsicht versprochen habe. Endlich mal wieder erfrischend, sich mit einem erfahrenen Mann zu unterhalten, der Innovationen zu würdigen weiß und nicht so traditionalistisch verbohrt ist wie andere…“
Justus sprach den Namen derjenigen nicht aus, doch Ian wusste auch so, wen er meinte.
„Na gut, was ist mit unserem Raum?“, fragte er den deutlich jüngeren Offizier.
„Alles vorbereitet, die Dokumente sind eingetroffen und Jean kommt hoffentlich auch bald.“
Schneider nickte und schaute auf seine Uhr.
„Dann wollen wir mal.“
Kurz darauf erschien Ian Davis kleine Schwester. Ihre Marines-Ausgehuniform war makellos, ihre Züge waren gefasst. Einem Fremden konnte sie vielleicht vorspielen, alles wäre in Ordnung, doch ihrem kleinen Bruder und ihrem Cousin, der für sie so etwas wie der älteste Bruder war, konnte sie nichts vormachen. Ihre Lippen waren eine Spur zusammengekniffener als sonst, ihr starrer Blick und steife Haltung verrieten, dass das junge, lebensfrohe Mädchen nicht mehr da war.
Ihre Augen verrieten, das mehr als nur ihr Geliebter und Verlobter auf der Oberfläche der Columbia gestorben war. Ein Stück weit war auch Jean Davis gestorben und das machte sowohl Justus als auch ihren Brüdern Sorge.
Zunächst hatte Jean versucht so tun als ob alles in Ordnung wäre. Sie hatte die Harte markiert, hatte alle Rückfragen schroff und knapp abgewehrt.
Doch als Ian sie dann in den Arm genommen hatte und ihr sein Beileid nochmal aussprach, brachen bei ihr alle Dämme und die Tränen nahmen ihren freien Lauf.

Justus schluckte einen Kloß im Hals herunter. Mit dem Tod von Kameraden und sogar Freunden musste sich jeder abfinden und auch Justus hatte solche Verluste schweren Herzens hingenommen. Doch zu sehen, wie ein Teil seiner Familie litt, wie Jean schluchzend in Ians Armen hing, ging auch ihm nahe und trieb ihn an den Rand der Tränen.
Ian war da weniger zimperlich, er heulte jetzt im Konzert mit seiner jüngeren Schwester, zum Teil wegen Ihres Verlustes und ihrer Trauer, aber auch weil sie alle realisierten, dass es auch leicht Jean hätte erwischen können.
Da auch Cliff dem Tode nur knapp entgangen war, konnte Justus nur an das unglaubliche Glück denken, dass der Davis-Clan gehabt hatte. Er hätte am Karrashin-Kiralu-Wurmloch zwei seiner engsten Verwandten verlieren können. Und zwei Männer, die Schneider beide nicht wirklich gekannt hatte, hatten ihr Leben riskiert um das zu verhindern. Und einer von Ihnen hatte sein Leben dabei verloren.
Und in diesem Augenblick trat der zweite dieser Männer humpelnd in den Raum, begleitet von Clifford.
Donovan hatte offensichtlich immer noch Schmerzen und hatte ein verkrampftes Gesicht. Und als sie in den Raum traten und Jean und Ian Arm in Arm schluchzend sahen, runzelte er sichtlich die Stirn.
Verständlich, wie Justus in den Sinn kam. `Er wird sich fragen, was er hier zu suchen hat, bei dieser inoffiziellen, kleinen Familientrauerfeier‘.
Justus begrüßte die beiden Piloten und auch Ian und Jean lösten sich aus ihrer Umarmung, um die beiden Neuankömmlinge zu begrüßen. Ian schien nun endgültig sentimental geworden zu sein, denn er nahm beide Piloten zur Begrüßung in den Arm und auch jetzt konnte Justus Donovans leichtes Zurückweichen wahrnehmen. Das musste alles ein bisschen viel sein für einen Außenstehenden.
Daher beließ es Justus bei einem einfachen, festen Handschlag und einem knappen Nicken. Und auch Jean, die sich etwas verschämt die Tränen aus den Augen wischte, gab ihm schließlich nur kurz und flüchtig die Hand, während sie ihrem größeren Bruder Cliff in die Arme fiel.
„Schschsch, alles ist gut, wir sind bei dir, Jean!“
Jean riss sich zusammen dieses Mal, wahrscheinlich auch wegen Nonames Anwesenheit. „Danke, Cliff, ich weiß. Es… Es ist schon wieder gut.“
Ace nahm das Kinn seiner kleinen Schwester in die Hand und blickte ihr leicht kopfschüttelnd tief in die Augen. „Nein, Jean, dass ist es nicht. Es wird nie wieder so sein, wie es mal war und das weißt du auch. Und ich weiß es, weil ich es nachempfinden kann. Mehr als dir bewusst ist…“
„Wie kannst du das, was ich fühle nachempfinden…“ begann Sie doch dann bemerkte sie den Schmerz in seinen sonst immer so fröhlichen Augen und begriff. „Wer?”
“Huntress!”
“Oh Gott, Cliff, es tut mir so leid.”
Ace nickte nur matt. “Danke, Jean.” Mehr brachte er auch nicht heraus. „Es tut mir leid um Ken, wirklich. Er hat sein Versprechen gehalten und auf dich acht gegeben. Ich wünschte, ich könnte mich bei ihm dafür bedanken, sonst hätte ich dich auch noch verloren.“
Jean nickte. „Zum Glück hast du deinen Jäger gerade noch bei Justus geparkt, sonst hätten wir DICH verloren. Was für ein verrücktes Manöver, musst du immer allen zeigen, was für ein toller Pilot du bist?“
Ace schmunzelte und antworte sanft. „Liebste Schwester, so verrückt bin noch nicht mal ich. Das war nicht ich, sondern Noname hier.“ Dann blickte Ace zu Justus und Ian. „Weiß sie es denn nicht?“
Ian schüttelte den Kopf. „Wir haben es ihr noch nicht erzählen können und noch scheint der Stunt noch nicht vollkommen die Runde gemacht zu haben.“
Jean trat einen Schritt von Ace zurück, runzelte die Stirn und musterte den jetzt etwas verlegen aus der Wäsche guckenden Donovan an. „Warte mal, wenn Noname mit seiner Maschine in den Hangar gerast ist, wo warst dann du?“
Ace erzählte ihr die ganze Geschichte und aus einem Stirnrunzeln wurde ein Augen aufreißen. Sie blickte Noname schräg von der Seite an, begann zu grinsen und nahm ihn dann unvermittelt in den Arm, ohne etwas zu sagen.
Wieder schien das Noname ein wenig unangenehm zu sein, also entschloss sich Justus die Stimmung etwas aufzulockern. „So nun reicht’s aber, jetzt lasst endlich den armen Mann los, was soll er denn von uns denken.“
Verlegen ließ Jean Donovan los und trat einen Schritt zurück. Nun endlich huschte ein gequältes Lächeln über Donovans Gesicht.
„Also gut. Donovan, Sie werden sich sicher fragen, warum Sie hier sind!“
Donovan zuckte die Schultern.
„Also Donovan, ich will es nun nicht so formell machen. Wir“, und damit machte er eine ausladende Handbewegung die Ian, Jean und Ace umfaste, „und natürlich vor allem Cliff hier sind dir zu großem Dank verpflichtet. Du hast höchste Gefahren und Unbillen in Kauf genommen um Cliff zu retten. Damit hast du größten Mut und Opferbereitschaft bewiesen und gleichzeitig gegen eine ganze Reihe von Vorschriften verstoßen. Unter uns, ich mag das!“ Justus lachte breit und schelmisch und alle anderen stimmten in das Lachen ein. Der Captain der Kami war bekannt dafür Regeln auch gerne mal „offen auszulegen“.
„Nun ja, wenn es nach uns ginge, hättest du dir für diesen Einsatz einen Orden verdient, aber ich glaube dein CAG wird das eher anders herum sehen. Es tut mir leid, dass wir das aber wohl nie raus finden werden, denn ich musste leider Hangar 2 noch vor der Ankunft in Sterntor komplett räumen lassen und damit sind dann wohl alle Gefechtsdaten auf deiner Black-Box versehentlich mit über Bord gegangen.“ Justus Schneider setzte ein Unschuldslächeln auf, dass ihm aber keiner im Raum abnahm, auch nicht Noname.
„Danke, Sir, ähm, ich meine schade…“
„Nun mein Fehler soll nicht zu deinem Schaden sein, Donovan.“
Ian reichte Justus eine große Mappe, die dieser wiederum an Donovan weiter reichte.
Noname runzelte die Stirn. „Was ist das?“
„Donovan, wir werden die Schuld, in der wir dir gegenüber stehen sicher nie abtragen können. Aber als Zeichen unserer Verbundenheit dir gegenüber bin ich von Carol Davis, der Vorstandsvorsitzenden der Davis-Spacefreight-Corporation, beauftragt worden, dir gemeinsam mit ihren dankbarsten Grüßen ein Kontraktangebot über eine Anstellung als Geleitschutz- und Frachterpilot der Carnegie auszuhändigen.“
Ungläubig und vollkommen überrascht blickte Donovan die Mappe an, öffnete sie jedoch nicht und sagte auch sonst kein Wort.
Schneider fuhr fort: „Natürlich gilt der Vertrag erst, nachdem du aus deiner aktiven Dienstzeit ausscheiden solltest.“
Immer noch keine Reaktion von Donovan.
„Du weißt, dass die DSC ein Familienunternehmen ist. Ich weiß, wir kennen uns noch nicht lange, aber ich hoffe, du siehst diesen Kontrakt als mehr als nur ein Jobangebot an. Wir bieten dir hiermit an, ein Teil unserer Familie zu werden. Also was sagst du?“

Donovan blickte immer noch die Außenhülle der Mappe an, dann hob er seinen Blick und schaute in die hoffnungsvoll drein blickende Gruppe. Dann öffnete er die Mappe endlich und blickte sich die Unterlagen oberflächlich an. Justus wusste, dass das Angebot solide und leicht über dem sonst üblichen Gehalt lag. Die DSC wollte bei Donovan nicht den Eindruck erwecken sich seine Loyalität zu kaufen. Aber er wusste auch, dass die zusätzlichen sonstigen Vergünstigen sich sehen lassen konnten und damit der Gesamtwert des Kontrakts deutlich über dem lag, was Cartmell in der Navy verdienen würde, wenn er entschied dort zu bleiben.
Als Donovan wieder hoch blickte, glaubte Justus einen leichten Schimmer in seinen Augen zu erkennen.
„Danke, ich… ich weiß nicht, was ich sagen soll… Hat einer von euch einen Stift?“
Lächelnd trat Justus vor und reichte ihm die Hand. „Bei uns reicht dein und mein Wort und ein fester Handschlag. Willkommen im Davis-Clan. Aber die Davis-Familie wird bald eine Family Reunion Party im Orbit um Masters haben, ich glaube Onkel Craig und Tante Jenna feiern ihre Goldene Hochzeit. Das wird ein großes Fest an Bord der Carnegie und ich soll dir von meiner Tante Carol ausrichten, dass du herzlich eingeladen bist.“
Als Justus fertig war, trat Ace an Cartmell heran. „Donovan, egal wann, egal wo. Wann immer du mich brauchen solltest, ich werde da sein!“
Cartmell und der älteste Davis-Bruder blickten sich fest in die Augen und jeder im Raum wusste, dass dieser Schwur mehr als ernst gewesen war.
Einen Augenblick legte sich eine merkwürdige Mischung aus Rührung, Pathos und Melancholie über den Raum, vor allem, da Ian Jean wieder in den Arm nehmen musste.
Um die Atmosphäre wieder etwas aufzulockern, klatschte Justus in die Hände.

„So, nun haben wir genug Händchen gehalten, wir haben eine Party zu organisieren. Das gilt jetzt für euch alle!“
Jean protestierte gequält. „Ne, Jus, ich fühle mich nun wirklich nicht nach Party…“
„Papperlapapp, keine Widerrede, ich brauche die Hilfe von euch allen, und damit meine ich dich auch Donovan. Auf ein Wort!“
Damit nahm er den Jägerpiloten beiseite, während Cliff und Ian mit ihrer jüngeren Schwester redeten.
„Hör zu Donovan, du siehst ja, was mit Jean los ist. Die Ärmste ist – wie dir Cliff erzählt hat – ganz schön erledigt, will es aber nicht zugeben. Tust du mir, Cliff und Ian einen Gefallen?“
Noname blickte hinüber zu der zierlichen Marinesoldatin. „Was kann ich tun, Captain?“
„Um Himmels willen, erst mal lässt du das mit dem Captain sein und nennst mich Justus, verstanden!?“
„Gut, was kann ich also tun, Justus?“
„Schon besser! Also, ich, Cliff und Ian können nicht überall sein, vor allem wenn ihr wieder auf der Columbia seid. Ich weiß, Jean ist ein großes Mädchen, aber so groß nun auch wieder nicht. Ein Schicksalsschlag wie dieser ist mit gerade mal Zweiundzwanzig nicht so leicht wegzustecken. Ian ist selbst noch ein halbes Kind, wie man sieht.“ Justus zeigte hinüber zu den beiden jüngeren Davis-Geschwistern, die zwar nicht mehr heulten, sich aber trotzdem trauernd in den Armen lagen.
„Und Cliff, naja, ihn scheint der Verlust von Juliane doch Recht nahe zu gehen. Ich sorge mich um alle drei, verstehst du? Ian habe ich selbst im Auge, aber Cliff und Jean…“
Donovan nickte. „Alle drei könnten jetzt Hilfe gebrauchen und ich denke wir beide haben schon sehr viel mehr erlebt als die drei und können helfen, richtig?“
Donovan zögerte einen Augenblick. Er kannte Jean kaum und Ace wiederum war nur knapp 6 Jahre jünger.
Justus konnte nachvollziehen, warum Donovan zögerte und leicht irritiert war, denn er konnte sich in etwa vorstellen, wie es in Donovan aussehen musste. Er war wie der Jagdpilot ein Einzelkind und zusätzlich dazu hatte Cartmell‘s Akte einen frühen Verlust seiner Eltern und Großeltern aufgewiesen.
Unvermittelt und ohne danach gesucht zu haben, hatte Donovan eine neue Familie gefunden und musste jetzt unsicher sein, was von ihm erwartet werden würde.
Aber dann nickte Cartmell doch. „O.k. Justus, ich werde auf beide soweit acht geben, wie ich kann.“
„Sehr schön“ grinste Justus und hob spielerisch den Zeigefinger „Aber unterstehe dich je wieder in eines meiner Shuttlehangars zu rasen, verstanden? Ich kann nicht immer hinter dir her räumen.“
Donovan lachte lauthals auf, das erste Mal am heutigen Abend.
Ein gutes Zeichen, wie Justus fand.
14.01.2016 09:39 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cunningham

TRS Nimitz CVL 04
Orbitaldock 3, Victoria Station


Die Asiatin musterte ihr Gegenüber ungnädig. Ihr Alter war wie bei fast allen Asiaten schwer zu schätzen, doch sie selbst war sich der rasanten Schritte auf die vierzig zu nur allzu gut bewusst.
Ho-Yun Ahn, eigentlich Ahn Ho-Yun wie es in der Vereinigten Republik Korea Brauch war, hatte sich den Ruf eines pflichtbewussten und tüchtigen Offiziers erworben. Nur so war sie Captain des ehemaligen Flaggschiffes der 5. Flotte geworden.
All das schien den Lieutenant Commander ihr gegenüber wenig zu beeindrucken. Tatsächlich bräuchte der Werftheini auch nur mit seinen Befehlen zu wedeln und weggehen.
„Also, Mr. Austin, wie weit kommen Sie und ihre Leute, bis sie zur Columbia abgezogen werden?“ Zum wiederholten Male hätte sie gerne lauthals geflucht, dass die Nimitz gerade jetzt zur Generalüberholung ins Dock befohlen wurde.
Gut, Admiral de Kerr hatte ihren neuen Kreuzer als Flaggschiff. Toll! Und kaum, dass die Werftheinis sich von den schweren Kreuzern, die zurück an die Front mussten, frei gemacht hatten um richtig über den leichten Träger herzufallen, da war die Columbia angehumpelt gekommen.
Natürlich genoss der Flottenträger sofort oberste Priorität, schön und gut, aber die Nimitz war ja nicht mal auf Platz zwei gelandet, hinter der Columbia kamen die sie begleitenden Kreuzer und Zerstörer.
Wenn sie Pech hatte, würde die Nimitz erst in drei Monaten wieder einen Techniker sehen. Und wenn es erst soweit war, dann wäre die halbe Mannschaft woanders hin versetzt und das Bordgeschwader aufgelöst.
„Tja,“, rang sich der Werftoffizier zu einer Antwort durch, „die Reaktorwartung werden wir nur bis zum Ausbau der Brennelemente hin bekommen, und das auch nur, weil wir dafür Doppelschichten einlegen. Is gegen die Vorschriften, die Brennelemente im geöffneten Reaktor liegen zu lassen. Ansonsten hät' ich meine Leute morgen einen freien Tag gegeben, bevor wir uns an die Columbia machen.“
Ahn verengte die Augen: „Klartext, mein Schiff wird hier die nächsten Wochen und Monate ohne Antrieb herumliegen?“
„Ja, Ma'am, Klartext gesprochen: So sieht es aus. Die 2. Flotte genießt nun mal oberste Priorität.“
Ahn schnaufte: „Sie können wegtreten, Mr. Austin.“
„Ma'am.“
Die Kommandantin der Nimitz verschränkte die Hände hinter dem Rücken und verließ die CIC. Ihr Weg führte sie zu ihrer Kabine.
Unterwegs nickte sie allen Besatzungsmitglieder grüßend zu. Mit einigen Offizieren und den höheren Unteroffizieren wechselte sie noch das ein oder andere Wort.
Drei Monate waren eine Ewigkeit, und erst dann würde die Umrüstung kommen. Der Plan hatte eh schon vorgesehen, dass die Nimitz zehn Wochen im Dock liegen würde.
Der leichte Träger sollte einen Hammerkopf verpasst bekommen, welcher die größeren Katapultsysteme aufnehmen konnte, die es der Nimitz ermöglichen sollten, Crusader-Bomber zu tragen.
Fast ein halbes Jahr Dockliegezeit, am Ende würde es ihr Kommando nicht mehr geben. Ihre Besatzung auf aktive Schiffe versetzt, das Geschwader aufgelöst. Sie musste was unternehmen. Dringend!
Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und schaltete das Computerterminal an: „Signalabteilung!“
„Signalabteilung hier, Lieutenant Renner.“
„Verbinden Sie mich mit Admiral de Kerr.“
„Aye-aye, Captain.“
Captain Ahn musste eine ganze Weile warten, ehe auf dem Bildschirm das Gesicht Admiral Floronce de Kerr's: „Was kann ich für Sie tun, Captain?“
„Admiral, mir wurde mitgeteilt, dass die Umrüstung der Nimitz um drei Monate verschoben wird. Dabei wurden schon die Brennstäbe der Reaktoren entfernt und der Träger ist somit nicht mehr einsatzfähig.“
Sie brauchte nicht zu warten, da ein Funkspruch vom ehemaligen Flaggkommandaten zum Flottenkommandanten über Translicht-Com gesendet wurde.
„Das ist mir bekannt, Ho-Yun“, antwortete die Admiralin, „aber ich fürchte ich kann da wenig für Sie tun. Die Columbia muss schnellstmöglich wieder einsatzbereit gemacht werden, um an die Zweite Flotte zurücküberstellt zu werden.“
„Das verstehe ich ja, Ma'am, aber wenn wir hier so lange festliegen, gibt es mein Kommando nicht mehr. Die Personalabteilung wird so gut wie jedem Transfer zustimmen, und nach und nach werden Mannschaften, Offiziere und Piloten von der Nimitz weg versetzt.“
„Es ist leider nicht zu ändern. Vielleicht werden sogar einige Ihrer Piloten auf die Columbia versetzt. Wir müssen hier wirklich Prioritäten setzen, ich kann nichts für Sie tun.“
Ahn seufzte: „Ich verstehe, Admiral. Danke, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben.“
„Einen Augenblick bitte noch“, de Kerr blätterte einen Aktenordner durch, „ich möchte, dass Sie einige Tage Urlaub nehmen und sich in, sagen wir einer Woche an Bord des Flaggschiffes melden.“
„Urlaub, Ma'am? Mit Verlaub ...“
„Keine Widerrede Ho-Yun, Sie haben Ihren Urlaub schon zu lange heraus geschoben, Sie haben als meine Flaggkommandantin hart gearbeitet und Ihr Schiff wird Ihnen nicht weglaufen.“
„Zu Befehl, Ma'am.“




Geschwaderräume 127 Fighter Wing
Victoria Station


Die Angry Angels hatten auf Victoria Station einen Komplex zugewiesen bekommen, der für ein Geschwader von zehn Staffeln ausgelegt war. Die Orbitalbasis mit ihren Raumdocks und Ankerplätzen für eine ganze Flotte war dafür ausgelegt drei Geschwader zu tragen. Zur Zeit besaß sie nur ein einziges, welches neun Kampfschwadronen ins Feld führen konnte, von denen gut die Hälfte unterbesetzt war.
Raven hatte ein geräumiges Büro mit angeschlossenen Wohnräumen bezogen, die eher einer Suite glichen, denn einem Offiziersquartier.
Dementsprechend war für das Geschwader mehr als ausreichend Platz vorhanden. Eine angenehme Abwechslung zu der Enge der letzten Wochen. Ein Einschnitt jedoch waren die Gemeinschaftsduschen, zumindest für die rangniederen Offiziere.
Pünktliche auf die Minute meldete sich der Türsummer.
„Herein!“
Lieutenant Commander Sean Grover trat ein und salutierte nachlässig. Raven erwiderte den Gruß ebenso nachlässig und deutete auf einen ihrer Besucherstühle: „Setzt Dich, Sean.“
„Danke, CAG.“
„Kommen wir gleich zum Wesentlichen“, sie rief seinen Antrag auf, „Du willst also wieder in den Flugdienst.“
Grover nickte: „Ja, ich denke ich bin wieder so weit und Cooper ist auch in der Lage den Job des Air Boss auf der Columbia zu übernehmen. Sofern sich die Gerüchte nicht als wahr erweisen.“
„Gerüchte?“, Raven runzelte die Stirn, „Was den für Gerüchte?“
„Ich habe im O-Club auf dem Promenadendeck gehört, dass man die Angels auflösen will. Die Columbia sei zu lange aus dem Spiel und wenn einige der leichten Träger der 5. Flotte Einheiten in den anderen Flotten ablösen, werden kampferfahrene Veteranen gebraucht.“
Die CAG lehnte sich nachdenklich zurück: „Von wem genau hast Du das gehört?“
„Einem Piloten, von der Nimitz, an den Namen erinnere ich mich nicht. Möglicherweise nur Gerede. Wobei, über der Nimitz schwebt die gleiche Gefahr.“
„Also Sean, Du kennst ja das Prozedere um wieder in den Flugdienst zurückzukehren. Als erstes steht die Tauglichkeitsprüfung durch den Fliegerarzt, dann die Auffrischung auf deinem Jäger und dann die Trägertauglichkeitsprüfung. Ein Problem habe ich jedoch dabei.“
Grover beugte sich vor: „Und das wäre?“
„Ich habe keine Griphen-Schwadron für Dich, man hat mir schon Ersatz zugeteilt“, Raven rief die Meldung auf.
„Hm, kannst Du da gar nichts machen?“
„Ich fürchte nicht, George Lincoln ...“
„Onkel Tom?“
Raven grinste: „Ja, Blackhawk, war schon früher bei den Angry Angels.“
„Hm,“, Grover machte ein nachdenkliches Gesicht, „es ist zwar unüblich für einen Air Boss, aber ich denke, ich kann mich Blackhawk unterordnen.“
„Eine Nighthawk-Schwadron könntest Du nicht zufällig übernehmen?“
Grovers Gesicht verriet sofort Abscheu: „So steht es also um unsere alte Kameradschaft? Du willst mich in einen dieser fliegenden Särge stecken? Einen alten Pandoraveteran?“
Die CAG hob in gespielter Kapitulation die Arme: „Ich dachte Du bewirbst Dich hier für eine Staffel.“
„Grundsätzlich ja, aber da ich nun schon ein paar Jahre raus bin, würde ich dann doch lieber auf einer Maschine bleiben, die ich kenne und liebe. Also wenn für mich in Blackhawks Staffel Platz ist ...“
„... und Du die nötigen Voraussetzungen erfüllen kannst“, vollendete Raven.
„Hey!“
„Also gut, Sean, sieh zu, dass Du die Voraussetzungen erfüllst und bei Cunningham die Versetzung durch kriegst, dann bist Du im Team.“
„Alles klar Skipper, Cunninghams Genehmigung habe ich schon so gut wie in der Tasche.“
„Gut, schick mir gleich mal die nächsten rein.“


Kurz nachdem sich die Tür hinter Grover geschlossen hatte ging der Türsummer erneut los.
Es traten ein die Second Lieutenants Hamilton 'Zombie' Ellis und Phil 'Knock-Out' Carrera.
Beide Offiziere führten einen angemessenen Salut aus.
„Bitte setzen Sie sich“, sie deutete auf ihre beiden Besucherstühle, „wo fange ich am besten an. Mr. Carrera, Ihr Verlassen der Hong Kong hat etwas … hm, interessantes an sich.“
Der Jagdbomberpilot blickte verlegen zu Boden: „Ich bin vielleicht nicht der beliebteste Pilot den die TSN aufzuweisen hat.“
„Laut Ihrer Dienstakte nicht, ganz und gar nicht.“
„Zwei Einträge wegen Insubordination, zwei Beschwerden von Kameraden und drei Tage Arrest weil Sie einen Shuttlepiloten … ich korrigiere, eine Shuttlepilotin KO geschlagen haben. Kommt daher das Callsign?“
„Ja, Ma'am.“
„Worum ging es dabei?“ wollte Raven wissen.
„Es passierte während einer Treibstoffübernahme in der Atmosphäre“, ergriff Zombie das Wort, „der Tankstutzen schlug gegen das Kanzeldach und riss es auf, wir wären beinahe mit dem Tanker kollidiert.“
„Und, wer war schuld?“
„Ich, Ma'am“, gestand Knock-Out ein, „aber als wir auf der Hong Kong gelandet waren, da habe ich die Nerven verloren und die Pilotin einfach umgehauen.“
„Ihr damaliger CAG und Commander Aznar haben sich ziemlich für Sie stark gemacht. Warum?“
„Das weiß ich nicht, Ma'am.“
Raven sah ihm sofort an, dass er log.
Es war wieder Zombie, der für seinen Piloten ein sprang: „Kurz zuvor wurde Phil's Bruder getötet, Ma'am.“
Knock-Out warf seinem RIO einen wütenden Blick zu, sagte jedoch nichts.
Raven rief auf ihrem Computer die Akte von Knock-Outs Bruder auf und las sich die interessanteste Stelle durch:
Captain Gorden Carrera, TRMC, wird hiermit postum zum Major befördert. Einhergehend mit dieser Beförderung wird Major Carrera die Parlamentary Medal of Valor verliehen.
Trotz eigener schwerer Verwundung rettete Major Carrera drei seiner Kameraden von der Terran Space Navy aus einem abgeschossenen Shuttle, während er dabei unter feindlichen Beschuss lag.
Seine Taten, sein Streben … der übliche Sermon.
Es waren die Namen der geretteten vermerkt: Aznar, dann der damalige CAG der Hong Kong und der Bordarzt der Hong Kong.
Kein Wunder, dass sich die beiden so für Knock-Out eingesetzt hatten.
„Also Mr. Carrera, wenn es nur Ihr großes Mundwerk ist, das hier für Ärger sorgt, dann werden wir miteinander klar kommen. Oder gibt es ein schwerwiegenderes Problem?“
„Nein, Ma'am, ich reden nur manchmal bevor ich denke.“
Raven sah kurz Zweifel über Zombies Gesicht huschen.
„Na gut, dann werden Sie beide sich schleunigst auf der Thunderbolt qualifizieren und in meiner Staffel bleiben. Ich hoffe, damit mache ich keinen Fehler.“
„Nein, Ma'am, ganz bestimmt nicht.“
Raven nickte den beiden jungen Männern zu: „Gut, dann viel Glück bei Ihrer Qualifikation und dann willkommen bei den Angry Angels. Sie können wegtreten und schicken Sie mir Ace rein.“
„Aye-aye, Ma'am.“
Die beiden Bomberpiloten erhoben sich und gingen breit grinsend zur Tür.
„Wir sind bei den Angels gelandet“, flüsterte Zombie fast jauchzend.


Ace

Nachdem Justus Schneider die Formalitäten erledigt, den Urlaub eingeteilt, die Hilfsmannschaften für die Reparaturen aufgegliedert und für die Anwesenheit von mindestens zwei Experten der Akarii-Technologie pro Schicht gesorgt hatte, konnte er sich anderen Problemen widmen. Eines davon war sogar richtig dringend. "Ist Commander Andread schon da?"
"Er wartet mit seiner Eskorte seit fünf Minuten, Skipper."
"Soll reinkommen."
Der Austauschoffizier aus der Colonial Navy trat ein, salutierte korrekt und barg dann seine Schirmmütze steif in der linken Armbeuge. "Sir, ich melde mich wie befohlen."
"Setzen Sie sich, Kord. Bitte." Schneider deutete auf einen der freien Sessel vor seinem Schreibtisch. "Sie sind einer der letzten an Bord, der nicht für die Reparaturhilfe eingeteilt ist. Sie kommen doch nachher auf die Party zu Ehren der DAUNTLESS?"
Für einen Moment fühlte sich der ColCon-Offizier überfahren. "Sir, ich..." Er suchte vergeblich nach Worten.
"Sie müssen kommen. Sie sind genau wie jeder andere Mann und jede andere Frau an Bord durch die Scheiße gewatet, meistens wars Knietief, und dann auch noch Kopfüber."
"Sir, ich..."
"Wie gefällt Ihnen eigentlich die TSN-Uniform. Meine persönliche Meinung ist ja, dass sie Ihnen hervorragend steht."
"Sie ist in Ordnung, Sir. Ich habe sie gerne und voller Stolz getragen."
Schneider spannte sich innerlich an in Erwartung dessen, was er als nächstes sagen musste. "Sie wissen, dass vor der Hauptschleuse eine Rutsche MPs wartet, die Sie verhaften und ins nächste Internierungslager bringen wird? Auf Seaford ist das ein requiriertes Luxushotel, und das finde ich sehr nett gegenüber unseren Kameraden von der Colonial Navy."
"Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass ich verhaftet werden soll, Sir." Er schnaufte unwillig aus. "Dass mein Gouvernor tatsächlich nur für die Hauptstadt gleich die ganze CC unterworfen und aus dem Krieg genommen hat, ist unglaublich."
"Eventuell sehen die Bewohner der Hauptstadt das anders. Von den anderen Bewohnern von Hannover ganz zu schweigen, die von den Kämpfen nicht mehr betroffen waren. Stellen Sie sich nur vor, die Akarii hätten mit Atombomben um sich geworfen."
Andread lächelte dünn. "Das wäre nicht nach der Art von Kal Ilis gewesen. Die alte Raubechse hätte auf den atomaren Beschuss vom Boden nie mit einem Bombardement reagiert. Er ist Pragmatiker. Viele seiner Taktiken und Schlachten gehören bei uns zum Lehrmaterial. Wenn ich einen ähnlichen Fall heran ziehe, einen Aufstand, dann hätte er die Abschussstellungen aufgespürt, zerschlagen, die Überlebenden verhaftet und bei lebendigem Leib häuten lassen. Allerdings hätte er darauf verzichtet ein paar Millionen Zivilisten atomar zu rösten. Dennoch, Hannover ist nur ein Planet der ColCon, und auch wenn Ilis uns die Hosen runter gezogen hat, wir hätten zumindest den Gegenschlag versuchen müssen!"
"Mit dieser Meinung stehen Sie nicht alleine, Kord. Drei Viertel der Republik denken so, und auch ein großer Teil der Colonial Navy-Leute stimmt dem zu. Die Akarii müssen einen wirklich ganz hervorragenden Diplomaten haben, der es geschafft hat, aus dieser verfahrenen Situation eine solche Lösung herbei zu führen. Kennen Sie einen Akarii-Lord namens Dero, Kord?"
"Dero? Noch nie im Zusammenhang mit diplomatischen Missionen gehört. Geschweige denn in irgend einem offiziellen Zusammenhang."
"Ein völlig Unbekannter, den Lady Linai da also aus dem Hut gezaubert hat. Hoffentlich haben die Echsen nicht noch mehr von diesen Typen."
Andread schnaubte. "Oh, sie haben eine Menge davon. Nur dienen die mit Herz und Verstand in der Navy, Sir."
"Wie schade, dass sie nun nach dem Frieden von Hannover nicht mehr im Krieg gegen das Imperium stehen", schloss Schneider.
Er beugte sich ernst vor. "Hören Sie, Kord, ich will, dass Sie desertieren!"
"Sir?", rief der Commander überrascht.
"Dieses Schiff hatte auf seiner ersten Feindfahrt einen hervorragenden Chefpiloten, der seine Leute nicht nur gut im Griff hatte, sondern ihnen auch beigebracht hat, auch ohne die Hauptbrücke zu überleben. Ich will, dass Sie weiterhin mein Chefpilot sind."
"Das ehrt mich, Sir, aber..."
"Mr. Andread, ich akzeptiere nur ein ja oder ein nein!"
Der Colonial ballte die Hände zu Fäusten. "Nichts würde ich lieber tun als auf diesem Schiff zu bleiben! Nichts würde ich lieber tun, und anstelle meiner Nation den Kampf fort zu führen, bis die Kaiserlichen für ihren frevelhaften Angriff gebüßt haben. Freiwillig würde ich diesen Posten nie räumen! Dennoch..."
"Dennoch?" Schneider hob fragend die Augenbrauen.
"Dennoch, sobald ich aus der Schleuse trete, werde ich verhaftet und interniert. Und wenn ich nicht raus komme, kommen die irgendwann rein."
Ein Dokument schlitterte über Schneiders Tisch und wäre abgestürzt, wenn Andread es nicht gefangen hätte. "Was ist das?"
"Die republikanische Marine rekrutiert Colonial Navy-Personal, das bereit ist, den Kampf fortzusetzen. Ich habe mir schon gedacht, vielmehr hatte ich es gehofft, dass Sie bereit sein würden, weiter zu kämpfen. Also habe ich das entsprechende Formular vorbereitet. Da Sie bereits formell in der Navy dienen, behalten Sie Ihren Rang, Ihre Position und Ihren Sold. Sie müssen nur noch unterschreiben."
Andread schluckte trocken, kämpfte um Worte. "I-ich weiß nicht, was ich sagen soll, Sir."
"Sagen Sie mir einfach, dass es Sie nicht stört, wenn der Geheimdienst ab jetzt ab und an ein Auge auf Sie wirft. Sagen Sie mir, dass Sie unterschreiben. Sagen Sie mir, dass Sie auf die Party kommen. Und schon sind wir im Geschäft."
Andread lachte laut und gellend auf. Es endete in einem verzweifelten Seufzer. "Weiß man schon, wie die ColCon mit den Deserteuren umgeht?", fragte er, während der Stift auf dem Dokument leise kratzte.
"Darüber würde ich mir keine Gedanken machen. Verlieren wir, sind wir alle im Arsch. Gewinnen wir, werden wir der ColCon sagen, was sie mit Soldaten wie Ihnen zu tun hat, Kord."
"Auch wieder wahr", brummte er amüsiert und legte das unterzeichnete Dokument wieder auf Schneiders Tisch ab."
"Noch einmal: Willkommen an Bord, Mr. Andread." Aus einer Schublade, in Insiderkreisen als Captains Reserve bekannt, zog Schneider eine Flasche und zwei Stapelbecher hervor. Er goss großzügig ein und reichte einen Becher an Andread weiter. "Auf eine fruchtbare weitere Zusammenarbeit."
"Danke, Sir."
15.01.2016 06:42 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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