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Zum Ende der Seite springen Hinter den feindlichen Linien - Season 6 - Brennendes All
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Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
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Cattaneo

Die Flut weicht

Kampfverband der TSN, im Nahkampf mit der Akarii-Flotte

Die Nur ad-Din starb. Es war kein leichter Tod, vielmehr ein qualvolles, langsames Leiden – doch auch kein Akt von vollkommen grauenerregender Brutalität und Plötzlichkeit. Feindliches Geschützfeuer und Atomraketen hatten dem leichten terranischen Kreuzer zahllose Wunden zugefügt, aus denen er zu verbluten schien. Feuer, Innenatmosphäre sowie Hüllen- und Wrackteile drifteten in das Dunkel des Alls hinaus. Einige der treibenden Überreste mochten vielleicht einmal menschliche Körper gewesen sein. Und wie bei einem tödlich getroffenen Menschen gab es die eine, die entscheidende Verletzung, eine schwere Wunde im „Bauch“, ein mehr als zwanzig Meter langer Riss, geschlagen von feindlichen Partikelkanonen, die das Schiff zum Untergang verurteilte. Der Kreuzer hatte es noch in den Schutz des Zentrums der TSN-Formation geschafft, doch es war abzusehen, dass es keine Rettung für ihn mehr gab. Das Schiff würde es niemals schaffen, mit dem Verband mitzuhalten, nicht beim Angriff und nicht beim Rückzug, und die Brände an Bord drohten vollends außer Kontrolle zu geraten. In dieser Situation hatte der Kapitän des Schiffes den Befehl ,Alle Mann von Bord!’ gegeben. Diese Order gab man niemals leichtfertig, sie gehörte zu den schwersten Entscheidungen eines Kapitäns. Aber im Interesse des Überlebens seiner Untergebenen gab es keine Alternative.
An Bord versuchten nun hunderte von Männern und Frauen, der Todesfalle zu entkommen, zu der ihr Zuhause geworden war. Sie rissen sich die Uniformen und ihr Fleisch in Fetzen an scharfkantigen Metalltrümmern, Rauch und Gase brannten in ihren Lungen, verätzten ihnen die Augen, ließ sie aus Mund und Nase bluten. Manche verbrannten sich ganze Hautpartien ihrer Hände, wenn sie Leitern herunterrutschten, Türen aufstemmten oder zuschlugen. Feuer züngelte nach ihnen, und der Todeskampf ihres Schiffes – gelegentliche Sekundärexplosionen – schleuderte sie zu Boden, verwandelte Trümmerteile in Schrapnelle. Es war kein erhabener Tod, weder für das Schiff noch für seine Besatzung, es war eine glühende, stinkende, kreischende und schwankende Hölle.
Unablässig stieß der todgeweihte Gigant Dutzende von Rettungskapseln aus. Nicht jeder von der Besatzung würde es schaffen zu entkommen – obwohl Fluchtkapseln auf dem ganzen Schiff verteilt waren, kam es vor, dass der Fluchtweg blockiert, die letzte Hoffnung defekt war, die Flüchtlinge zu schwach, desorientiert oder verwundet. Wohl nichts war schrecklicher als die Vorstellung, auf einem zum Untergang verurteilten Schiff festzusitzen. Ihre Schreie voller Schmerzen und Verzweiflung würden verhallen, eingeschlossen in einem Sarg aus Stahl, gefangen ohne jede Hoffnung auf Rettung.

Von Bord des Sturmshuttles R-3 hatte man einen guten Blick auf das Drama. SAR-Shuttles schossen heran, bargen die Rettungskapseln oder nahmen sie in Schlepp – es machte sich bezahlt, dass die Großkampfschiffe an Beibooten ausgeschleust hatten, was ihnen zur Verfügung stand, auch wenn sie nur das schlimmste Leid mindern konnten, nicht mehr.
Robert Stanford spürte ein Würgen im Hals, obwohl er spätestens seit Karrashin – nun, wenn man ehrlich war schon seit vorher – an so einen Anblick gewohnt war. Aber es fiel nie leicht zuzusehen, wie so ein großes und schönes Schiff zugrunde ging, egal ob man es und seine Besatzung kannte oder nicht. Krampfhaft zwinkerte er eine Träne weg – er wollte ja nicht vor seiner Untergebenen als Weichei dastehen.
Auch für die Sturmshuttles hatte es wahrlich genug Arbeit gegeben. Robert hatte die zweifelhafte Ehre, die „Kampfabteilung“ der Relentless zu kommandieren – bestehend aus einem zweiten Sturmboot, drei bewaffneten Transport- und einem VIP-Shuttle. Der Staffelkommandeur der Kreuzer-Shuttles, der sonst das bewaffnete VIP-Shuttle flog, leitete diesmal die Rettungsarbeiten und behielt die Tank- und ECM/ ECCM-Shuttles im Auge. Auch das war kein ungefährlicher Job, da diese Maschinen höchstens leicht bewaffnet waren und für marodierende Akariis eine Einladung darstellten. Robert konnte nur hoffen, dass dieser arrogante Arsch von Jägerpilot, der im Moment dem Commander attestierte, mehr zu bieten hatte als die Theorie und heiße Luft, die er an Bord der Kreuzers abgesondert hatte. Immerhin war er ja kurz zuvor abgeschossen worden. Diese Gehässigkeit gegenüber diesem…,Babyface’…mochte etwas ungerecht sein, aber Robert ließ sich nicht gerne belehren von jemand, der vermutlich weniger Abschüsse und sicher weniger Gefechtseinsätze aufzuweisen hatte als er und seine Copilotin. Diese Typen mit ihren jungfräulichen „Schwingen“ dachten offenbar, sie seien Gottes Geschenk an die übrige Menschheit, und die hatte gefälligst dankbar zu sein! Die Arroganz der „echten“ Piloten war für die Shuttlecrews ein konstanter Quell der Verbitterung. Nun, wenigstens diente er selber nicht an Bord eines Trägers, da musste das ja nachgerade unerträglich sein.

Bisher hatte Roberts Verband Glück gehabt. Diesmal waren die Akarii mit ihren Kampffliegern wesentlich vorsichtiger vorgegangen. Es hatte nicht dieselben brutalen Nahkämpfe wie bei Karrashin gegeben, aber Atomraketen für Zielübungen flogen wahrhaftig genug herum. Robert war dies nur Recht. Er und Maria hatten zwar im Verlauf des Krieges schon fünf feindliche Maschinen abgeschossen, aber selbst in einem Sturmshuttle war der Einsatz als „Behelfskanonenboot“ eine höfliche Umschreibung für eine zünftige Partie russisches Roulette. Atomraketen schossen wenigstens nicht zurück, und wenn man nicht so dumm war sie aus nächster Nähe zu bepflastern, war sogar eine mögliche Sekundärexplosion keine große Gefahr. Sie hatten einen beschädigten Kameraden zurückschicken müssen, aber das war schon das schlimmste gewesen, was ihnen passiert war.

Er konnte seine Verbitterung jedoch nicht ganz aus der Stimme heraushalten, als er sich mit einem Nicken in Richtung auf die sterbende Nur ad-Din an seine Untergebene wandte: „Wie viele sind das jetzt?“
Maria Hernandez brauchte verdächtig lange, ehe sie Antwort gab, und ihre Stimme hatten einen verräterischen Unterton – offenbar kämpfte auch sie mit den Tränen, ob vor Trauer oder vor Wut, das ließ sich unmöglich sagen: „Du meinst, die entweder zerstört sind oder so havariert, dass wir sie werden aufgeben müssen? Drei Zerstörer – einer von der Columbia – und eine Fregatte.“ Sie holte krampfhaft Luft: „Und jetzt zwei leichte Kreuzer, beides Einheimische. Die Nur ad-Din und die Samuel Maharero.“ In einem Ausbruch von Wut, der eher für ihren Piloten typisch war, hieb sie auf die Armaturen, gab aber Acht, dabei nichts Wichtiges zu treffen: „Diese Scheißkerle! Diese, diese…“ Offenbar gingen ihr die angemessenen Schimpfworte aus, um ihre Wut über den Gegner zu artikulieren. Der Todeskampf der Verteidiger von Masters und die Bombardierung des Planeten stellten auch in dieser Hinsicht eine Herausforderung dar. Sie wechselte nahtlos in ihre spanische Muttersprache über und spulte Verwünschungen ab, eine obszöner als die andere. Normalerweise hätte ihr Vorgesetzter sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, sie mit dieser Flut von Flüchen aufzuziehen, aber im Moment fühlte er sich einfach nur hilflos. Dass der Verlust der Kreuzer ihnen so nahe ging lag nicht nur daran, dass sie in einer Kreuzerschwadron dienten, doch meistens gab es auf den größeren Schiffen auch mehr Tote.

Mit einmal verstummte die Copilotin abrupt. Von ihren Pflichten ließ sie sich selbst durch ihre Emotionen nicht abbringen: „Achtung, da kommt wieder etwas in unserem Sektor rein. Halt die Maschine ruhig…“ Bis auf einen traurigen Rest, der als letzte Reserve für den Notfall fungierte, hatten sie bereits alle ihrer Raketen verschossen, auf Marschflugkörper und ein paar vorwitzige Akarii. Sie hatten einige Atomraketen abgefangen und mindestens zwei Kampfflieger des Gegners angekratzt, aber auch selber einiges eingesteckt. Im momentan nahezu leeren Frachtraum – dort, wo das Shuttle üblicherweise Sturmtruppen transportierte – stank es immer noch nach verschmorter Plastik und Löschmitteln. Der Brand, den eine Salve eines Akarii-Reapers ausgelöst hatte, war glücklicherweise schnell durch die Passagiere gelöscht worden. Drei Marines, einer davon mit Sani-Ausbildung, begleiteten das Shuttle. Falls es ausgestiegene Piloten oder eine Rettungskapsel aufsammelte – das war zwar für ein Landungsboot schwierig, ließ sich aber durch die Enterschleuse bewerkstelligen – sollten diese sich um mögliche Verwundete und Gefangene kümmern.
Im Augenblick schoss das Sturmshuttle nur noch mit seinen Laserkanonen. Es gab natürlich keine Schussgeräusche oder Erschütterungen, nur ein aufmerksamer Zuhörer konnte aus den Signaltönen heraushören, wie sich die Lasergeschütze unaufhörlich aufluden und abgefeuert wurden. Zusammen mit anderen Shuttles, den Impulslasern der Großkampfschiffe und einiger…unerwarteter Hilfe woben sie ein Netz aus Energie, in dem sich die feindlichen Raketen hoffentlich verfingen. Plötzlich riss die junge TSN-Offizierin die Augen krampfhaft auf. Für eine ausführliche Warnung blieb keine Zeit: „FestHALTEN!“
Das Shuttle wurde brutal durchgeschüttelt, es überschlug sich geradezu, als ungemütlich nahe etwas detonierte. Robert dankte innbrünstig für die noch halbwegs intakten Schilde, die sie vor Explosionen und Strahlung schützten: „Jäger? Kanonenboote?“ bellte er, panisch die Anzeigen absuchend und die Maschine in einen unregelmäßigen Ausweichkurs steuernd. Aus dem Frachtraum kamen Flüche, die man auch ohne Bordfunk gut hören konnte, offenbar war mindestens einer der Marines gegen die Wand gekracht.
Seine Untergebene hatte die Fassung zurück gewonnen. Ihre Stimme klang mit einem Mal so nüchtern, dass es sich verdächtig nach Spott anhörte: „Nur eine Atomrakete, die ein bisschen zu nahe war.“
„Na prima! Nächstens steigst du wohl noch aus und haust die Dinger mit einem Hammer kaputt! Schon mal was von Sicherheitsabstand gehört, wenn du losballerst?“ Maria schnaubte nur geringschätzig.

Im Grunde, das war Robert und seiner Untergebenen klar, hatten sie hier einen Logenplatz. Sicher, ihre Sensoren waren nicht die besten. Aber sie waren so klein, dass sie für die feindlichen Kriegsschiffe einfach kein würdiges Ziel waren, und die Akarii-Jäger waren zu beschäftigt, um ihnen das Leben wirklich schwer zu machen. Ihre Aufgabe war zwar kompliziert, aber nicht übertrieben gefährlich – für eine Schlacht, in der mit einer Salve genügend Vernichtungskraft freigesetzt wurde, um eine planetare Hochzivilisation in die Steinzeit zurückzubomben.
Der Fortgang der Schlacht ließ sich deshalb relativ gut verfolgen. Die TSN-Flotte war den Akarii in die rechte Flanke gefallen und inzwischen fast bis zu ihrem Zentrum vorgestoßen. Doch inzwischen hatte sich der linke Flügel des Gegners überzeugt, dass von Masters aus keine Gefahr mehr drohte, und fiel seinerseits den Menschen in die Flanke. Mal ganz davon abgesehen, dass das Zentrum der Echsen auch alleine einfach zu stark und zu gut geführt war, um überwältigt zu werden. Die drei Flottenträger konnten eine tödliche Feuerkraft entfesseln, wenn der Gegner bereit war, dieses Risiko einzugehen und sie in die vorderste Linie schickte. Sicher, die Schiffe der Akarii waren nicht gerade Garde-Kaliber, einige mochten seit Jahren keinen echten Raumkampf mehr erlebt haben. Aber ihre Crews waren sorgfältig ausgebildet, und die TSN-Einheiten waren zum Gutteil auch nicht gerade die Elite. Im Moment sah es nach einem blutigen Patt aus, in dem keine von beiden Seiten sich zu sehr hervorwagen wollte. Verglichen mit dem albtraumhaften Duellen bei Karrashin war das hier fast „zahm“ zu nennen – wenn man vergaß, dass hunderte, wenn nicht tausende Akarii und Menschen getötet und verletzt wurden.
„Wie geht es eigentlich unseren Schützlingen?“ fragte die Copilotin.
Ihr Vorgesetzter knurrte unverbindlich: „Beteiligen sich am Ballern, sind aber sonst eher zurückhaltend.“
Inzwischen hatten sich im Schutz des Kriegsschiffverbandes rund 20 beschädigte TSN-Kampfflieger aller Kaliber versammelt. Es waren Havaristen der menschlichen Geschwader, die nicht mehr an den Luftkämpfen teilnehmen konnten und einen einsamen Heimflug scheuten, aber nicht so stark beschädigt waren, dass sie sofort aussteigen mussten. Auf Anregung von Lieutenant Commander Sebastian Lefranque, des Shuttle-Kommdeurs der Relentless, hatte man sie in Gruppen zu je vier oder fünf Maschinen zusammengefasst, jede unter dem Kommando eines First Lieutenants oder Lieutenant-Commanders. So behielten sie sich gegenseitig im Auge, falls es bei einem der Jäger Probleme gab, und man hatte einen festen Ansprechpartner. Viel war von den Havaristen nicht mehr zu erwarten, aber jedes bisschen an Feuerkraft konnte Leben retten. Uns sie konnten sich so am besten gegen marodierende Akarii-Jäger verteidigen.

Mit einmal zuckte Maria zusammen. Sie starrte gebannt nach draußen, und ihre Stimme zitterte vor Grauen: „Sie stirbt…“
Mehr brauchte sie nicht zu sagen, Robert wusste auch so, was sie meinte. Über die Sensoren und Außenkameras, ja zum Teil sogar mit bloßem Auge war zu erkennen, dass die Nur ad-Din auseinanderbrach. Als treues Schiff hatte sie so lange durchgehalten wie sie konnte und so hunderte Leben gerettet. Doch jetzt war der Punkt erreicht, wo Spanten aus Plastahl und Titanknochen versagten, wo das Feuer des immer noch glimmenden Reaktors und das Eis des tödlich kalten Weltraums den Kreuzer in ihre tödliche Umarmung zogen, aus der es kein Entrinnen mehr gab. Keiner der Zuschauer wollte daran denken, wie viele Menschen an Bord des Schiffes gestorben waren, wie viele immer noch dort gefangen waren und jetzt einem zwar hoffentlich schnellen, aber sicher qualvollen Tod entgegensahen.
„Verdammt, verdammt, verdammt…“ Robert wiederholte verbittert immer wieder nur ein- und dasselbe Wort, während er seine Hände krampfhaft zu Fäusten geballt hatte. Und wenn er noch in hundert Schlachten fechten würde, und hundert Jahre leben, er würde sich nie daran gewöhnen. Für einen Augenblick ließ seine Kameradin von ihren Anzeigen und Feuerkontrollen ab, und legte ihm die Hand auf die Schulter. Beide wechselten einen verzweifelten Blick. Traurigerweise verstanden sich Menschen manchmal am besten in Momenten der Trauer, des Entsetzens oder der Wut. Es gab nichts zu sagen, und sie konnten einander auch nicht anders helfen.
Dann war der Moment vorbei. Beide wandten sich wieder ihren Pflichten zu. Marias Stimme klang gelassen und nüchtern, als sei nichts geschehen: „Da kommt die nächste Welle in unseren Sektor…Ich hoffe, die Bomber-Jockeys knallen endlich ihr verschissenes Ziel ab!“


TSN-Kreuzer Relentless, Zentrum des terranischen Kampfverbandes

Von seinem Kommandostand hatte Rear-Admiral Mithel einen exzellenten Überblick über das sich entfaltende Heldenlied zum Thema „Wir gegen Sie – Fortsetzungsepos des akariisch-menschlichen Krieges“. Er fühlte so etwas wie unangebrachten Stolz auf die Leistungen seiner Untergebenen – unangebracht, weil es nur zum geringen Teil sein Verdienst war – die bisher die Ordnung strikt aufrecht gehalten hatten. Kein Schiff tanzte aus der Reihe, das Feuer war koordiniert und schlug blutige Breschen in die feindliche Formation. Nicht, dass jede waidwunde Beute auch erlegt wurde. Für die Imperialen war es noch leichter, beschädigte Schiffe zurückzuziehen, immerhin waren ja nicht sie es, die teilweise eingekreist wurden. Aber das störte den Admiral wenig. Ein schwerer beschädigter Akarii hatte noch einen langen Rückweg vor sich, und weder im Sterntor-System noch auf einem halben Dutzend Sprünge im Umkreis konnte er auf Reparatureinrichtungen hoffen. Der Admiral machte sich keine Illusionen. Es war nahezu ausgeschlossen, dass sein Angriff dem Gegner das Genick brach. Er hatte einfach nicht genug Schiffe und Kampfflieger, der Gegner war zu stark, zu gut ausgerüstet und geführt. Sicher, wenn er alles auf eine Karte setzte und angriff ohne Rücksicht auf Verluste – so wie Akarii bei Karrashin V und Hannover – dann mochte es vielleicht glücken, die feindlichen Träger auszuschalten. Wohlgemerkt nur „vielleicht“, denn das Kriegsglück war einfach zu launisch, um das sicher sagen zu können. Aber er war weder so ein rücksichtsloser Flottenchef wie der namenlose und jetzt wahrscheinlich tote Kreuzerkommandant bei Karrashin oder dieser Kriegsverbrecher Ilis, der für eine möglicherweise dreißig- oder fünfundzwanzigprozentige Erfolgschance zehntausende Leben opferte und nur gewann, weil er einfach genug Material zum Opfern hatte und seine Gegner so viel schwächer waren. Und rückgratsloser. Mithel sah das Leben seiner Untergebenen und seine Schiffe als entbehrlich an – aber er verschwendete es nicht.

„Admiral, Sir!“ Die Stimme des Sensoroffiziers überschlug sich fast: „Sensordaten von den Bombern – multiple Einschläge auf Primärziel Alpha! Schiff bricht auseinander! Zeichnen auf für taktische Analyse…“
Der Admiral atmete auf. Endlich! Primärziel Alpha, der riesige Flottenträger, dessen Maschinen bisher nur sehr zurückhaltend in die Kämpfe eingegriffen hatten.
„Primärziel Beta und Gamma?“ Das waren die beiden anderen Flottenträger, inzwischen identifiziert als Cha’Kal und Kahal. Wenn es gelang, auch noch einen von ihnen zu erledigen…
Fuchida beugte sich vor: „Primärziele Beta und Gamma stehen seitlich versetzt, haben eigenen Sicherungsschirm, plus verbleibende Eskortschiffe von Alpha. Bomber sind…“ er überflog die hereinkommenden Meldungen: „…zu 90 Prozent verschossen, beschädigt oder ausgefallen.“
Der Admiral zögerte nur einen Moment: „Admiral Mithel an Flottenverband – geordneten, wiederhole GEORDNETEN Rückzug einleiten. Schwerhavaristen aufgeben und mit Distanzfeuer sprengen. Sperrfeuer auf mögliche Verfolger – weiterhin in Feuergruppen angreifen. Schiffsartillerie gruppenweise ab mehr als 75-prozentige Maximalentfernung zum nächsten Ziel nur noch für Eigenschutz einsetzen.“ Auf diese Entfernung waren die Geschütze gegen bewegliche Ziele nicht mehr sehr effektiv, sie mochten aber bei der Abwehr feindlicher Atomraketen gute Dienste leisten.
„Gefechtsgruppe zwei und drei übernehmen Rückendeckung. Shuttles, Havaristen und leichte Kampfflieger decken ebenfalls Rückzug, verbleibende Atomraketenträger und Sturmjäger will ich SOFORT an den Flanken sehen.“
Der Admiral hatte keine Probleme, in die Befehlskette einzugreifen und Crawford herumzukommandieren, spätestens jetzt, wo der Primärauftrag der Kampfflieger erfüllt war. Sein Rang ermächtigte ihn dazu, und so lange sich nicht Admirälin Girad einmischte, gab es hier niemanden, der ihm Kontra geben konnte.

Gefechtsgruppe zwei bestand aus der Hälfte von Mithels Schwadron, kommandiert von seiner XO auf dem leichten Kreuzer Redemption, unterstützt von den schweren Kreuzern Kami und Suffolk sowie den leichten Kreuzern Hydra und Nestor. Kampfverband drei umfasste die Hälfte der System-Kreuzer. Der Rest der Einheimischen, mit Ausnahme der zwei Ex-CN-Kreuzer, bildete Gefechtsgruppe vier.

Natürlich gab es Bord der Relentless keine Diskussion über die Entscheidung des Kommandanten, den Kampf ausgerechnet in diesem Moment geordnet abzubrechen, und er rechtfertigte sich auch nicht gegenüber den ihm unterstellten Flottillenchefs. Jetzt, in der Schlacht, war dafür keine Zeit, mochte auch vielleicht der eine oder andere darüber anders denken. Mithel sah das primäre Gefechtsziel als erfüllt an, und er war davon überzeugt, dass ein Durchbruch zu den verbleibenden feindlichen Flottenträgern unwahrscheinlich war und in jedem Fall zu viele Verluste kosten würde. Die TSN-Flieger waren abgekämpft, und das Gros der feindlichen „Linienschiffe“ noch weitestgehend intakt. Crawford hatte ursprünglich vorgehabt, eine Bomberstaffel in Reserve zu halten, doch das hatte offenbar nicht funktioniert. Und ohne Unterstützung durch Bomber und Jagdbomber war Mithels Verband einfach nicht schlagkräftig genug. Die taktischen Anzeigen listeten inzwischen 28 leichte, schwere und Flugdeckkreuzer auf, mit denen die Akarii ins System gesprungen waren. Zwei schwere und zwei leichte Kreuzer waren bisher zerstört oder zumindest zum Wrack geschossen worden, einer davon durch einen Kamikaze-Treffer, und eine ganze Reihe anderer Schiffe waren beschädigt. Aber der Gegner hatte immer noch rund anderthalb Dutzend unbeschädigter schwerer Einheiten, von den Geschützen der Flottenträger ganz zu schweigen. Das war keine Formation, die man einfach so überwältige. ER, Chris Mithel, würde nicht fünf- oder zehntausend Menschenleben für eine bloße dreißigprozentige Chance auf den Sieg wegwerfen. Fiel sein Verband aus, hatten die menschlichen Träger nur noch eine sehr ungenügende Deckung, auch wenn von den Akarii dann vermutlich nicht mehr sehr viel übrig geblieben wäre. Es war klüger, den Kampf abzubrechen, so lange noch nicht zu viele Schiffe zerstört oder schwer beschädigt waren. Dies lag in seinem Ermessensspielraum. Besser jetzt weichen, und dafür an einem anderen Tag siegen… Spätestens wenn die Verstärkung im System eintraf. Bis dahin hatte er eine Verantwortung zu erfüllen, und die galt dem Kampfauftrag und den Lebenden, nicht den Toten.

Doch nicht jeder war offenbar dieser Ansicht, egal ob er befugt war, seine Meinung kundzutun oder nicht. „Sir, Prioritätsfunkspruch von der Nestor.“
Mithel runzelte nur leicht die Stirn: „Durchstellen.“
Captain Friedrich von Habsburg war offensichtlich aufgebracht und kam gleich zur Sache: „Sir! Das können Sie unmöglich ernst meinen – wir sollen uns zurückziehen, jetzt, wo wir den Feind an der Gurgel haben? Wir müssen nachstoßen, dann brechen wir zu den Trägern durch und beenden diese Schlacht ein für alle Mal!“
Für einen Moment schwieg der Admiral, aber nicht, weil er den Vorschlag ernsthaft erwog. Er war einfach ein wenig überrascht, dass ein fast zwanzig Jahre jüngerer Mann, der zwei Ränge unter ihm stand, glaubte ihm vorschreiben zu können, wie er vorzugehen hätte.
Dann aber reagierte er, und zwar mit äußerster Schärfe: „Wenn ich Zeit hätte, meine Strategien mit jedem meiner fünfzig unterstellten Kapitäne zu diskutieren, lasse ich es Sie wissen, Habsburg! Bis dahin EMPFEHLE ich Ihnen, ihren Befehlen zu folgen!“
„Geben Sie mir ein paar Schiffe, und ich erledige das. Jetzt zurückzuweichen ist Wahn…“
Weiter kam der jüngere Kommandant nicht. Chris Mithel hatte offenbar genug an Widerworten gehört: „Ich sagte, folgen Sie ihren Befehle. Sofort! Oder ich gebe Ihr Schiff jemanden, der es kann. JETZT UND IN ZUKUNFT! IST DAS KLAR?“
Für einen Moment schien der Kapitän weiteren Widerspruch zu erwägen. Dann biss er die Lippen zusammen und zischte: „Jawohl, ADMIRAL!“
Der Flottillenchef schnaubte, immer noch etwas ungläubig, als er die Verbindung unterbrach. Das Recht auf taktische Kritik in allen Ehren – aber hier und jetzt? Sicher, er hatte einmal bei Jollahran etwas Ähnliches gewagt, aber da hatten sie nicht mitten in einem feindlichen Verband gesteckt, im Gegenteil, sie waren zu weit weg gewesen. Mit einem mentalen Achselzucken verdrängte er das Problem, damit und mit seinem aufmüpfigen Untergebenen konnte er sich später noch befassen.
,Ich wette, dieser Akarii-Prinz Taran hat niemals solche Probleme. Vor kaiserlichem Blut buckeln sie vermutlich…Adlige, der reinste Anachronismus!’ hier schlug wohl weniger seine britische Tradition als die lange Zeit mit einer Ersten Offizierin durch, die in Bezug auf den Adel wahrhaft jakobinische Überzeugungen hatte…

Der Admiral wandte sich der wirklich dringenden Aufgabe zu – seine Schiffe ohne zu schwere weitere Verluste aus der Umklammerung des Gegners zu befreien. Dass der Feind einen Gutteil seiner Kriegsschiffe bei den verbleibenden Trägern massiert hatte, machte den Ausbruch leichter – auch der Akarii-Kommandeur wollte offenbar seine Flotte nicht blindlings riskieren. Nun, manchmal hatten sogar Adlige Verstand, deutlich mehr als manche Berufsoffiziere.
28.02.2016 07:41 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cattaneo

Rückzugsgefechte

Fighting Stallions/Staffel Grün, TSN-Kampfverband

Der Triumph, den Lilja verspürte, als das feindliche Flaggschiff in die Luft flog, war ein bittersüßer. Natürlich hatte sie die Vernichtung eines Flottenträgers – oder was es auch immer war – gefreut. Sie war sogar in ein unvorschriftsmäßiges und höchst unchristliches Freudengeheul ausgebrochen, wobei das bei ihr nicht viel hieß, zumal offenbar nur wenige Rettungskapseln von dem sterbenden Giganten entkommen waren. Je mehr tote Akarii, desto besser. Ein paar tausend trainierte Besatzungsmitglieder ersetzte man nicht so leicht. Und der Gedanke, dass dieses Schwein Taran, der Masters hatte bombardieren lassen, möglicherweise flambiert worden war, war geradezu herzerwärmend. Aber der Geschmack des Sieges war etwas schal gewesen und machte den Untergang der James Knox und der Anzac lediglich wett. Die Verluste der TSN waren zwar insgesamt betrachtet nicht katastrophal, aber doch ernst. Auch die Kampfflieger hatten bluten müssen. Bisher hatte ihre Staffel drei Jäger durch Abschuss oder Beschädigung verloren, aber glücklicherweise lebten alle drei Piloten noch. Crow war inzwischen aufgesammelt worden, und obwohl er offenbar einige Verletzungen und Prellungen kassiert hatte, schien nichts davon wirklich schwerwiegend zu sein. Soviel hatte Lilja über Umwege erfahren – Imp, die inzwischen selber auf einem SAR-Shuttle den Anhalter spielte, hatte ungeachtet ihrer eigenen Nahtoderfahrung nicht geruht, ehe sie nicht Details erfahren UND diese an ihre Staffelchefin weitergegeben hatte. Knight humpelte mit seinem wracken Jäger inmitten der ganzen Kreuzer zurück und betete vermutlich, dass es seine Maschine wider alles Erwarten bis nach Hause schaffte. Begreiflicherweise legte er auf einen Weltraumspaziergang wenig Wert. Was noch schlimmer war, die Geschwaderchefin galt als vermisst, und Lilja hatte nichts über ihren Verbleib herausbekommen können. Die Russin und Raven hatten gelegentlich ihre Probleme gehabt, nicht zuletzt wegen Liljas unverbrüchlicher Loyalität zu Commander Cunningham und ihrer schon extrem zu nennenden Einsatzbereitschaft. Das änderte aber nichts daran, dass Lilja die Geschwaderchefin respektierte, ja sogar für ihren Erfolg bewunderte, und ihr zutiefst dankbar war, weil sie Lilja in der Position als Chefin der Stallions belassen hatte, ja sie sogar für die PMV vorgeschlagen hatte. Raven mochte das nicht wissen, aber das bedeutete Lilja noch mehr als – zum Beispiel – die Rettung ihres Lebens, denn das betrachtete sie als eine gegenseitige Verpflichtung, die TSN-Piloten einander gegenüber hatten.

Zudem gab es auch bezüglich ihrer augenblicklichen Situation genug Grund zur Besorgnis. Sie waren noch immer tief im feindlichen Verband. Nüchtern betrachtet blieben Lilja im Moment gerade einmal sieben Maschinen einschließlich ihrer eigenen, und die waren fast alle verschossen und zum Teil beschädigt. Drei weitere waren wie erwähnt ausgefallen, und Crawford und sein „Kindermädchen“ Fidai wollte sie tunlichst nicht zu sehr exponieren. Die Kämpfe im Sterntor-System hatten die Führungsebene schon genug ausgelichtet – zwei Admiräle waren ausgefallen – da sollte nicht auch noch der kommandierende Befehlshaber der Kampffliegergeschwader dieses Schicksal teilen. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass ihr Crawford inzwischen noch mehr auf die Nerven ging als es irgendein Geschwader- oder Staffelchef EINSCHLIEßLICH Skunk, Radio oder Ace es jemals bisher geschafft hatte. Seine Angewohnheit, selbst einzelne Sektionen hierhin und dorthin zu kommandieren empfand sie unterschwellig als Angriff auf ihre Führungskompetenz wie auf ihren Stolz als Angehörige eines Elitegeschwaders, und die gelegentlichen Anweisungen erschwerte es ihr, selber taktische Entscheidungen zu treffen. Das war ungewohnt für sie, denn Raven als Geschwaderchefin hatte vergleichsweise selten direkt in andere Staffeln „hineinregiert“. Zudem kannte sie Crawford nicht und konnte ihn schlecht einschätzen. Und nicht zuletzt schien der Captain nicht immer ganz im Auge zu behalten, wie leer die Bezeichnung „Sektion“ im Laufe des Gefechtes zunehmend klang, jetzt, wo immer mehr Jäger ausfielen, sich verschossen hatten oder beschädigt waren. Natürlich hatte sie keine Widerworte gegeben, sondern gehorsam die abgekämpften Reste ihrer Staffel mal hierhin, mal dorthin gejagt, wie Crawford es für richtig hielt, und hatte sich selbst in ein Gefecht nach dem nächsten gestürzt, und dabei immer noch versucht den Jägerkommandeur zu beschützen. Aber insgeheim hatte sie für jedes Mal Abbitte geleistet, bei dem sie sich während des Krieges innerlich über Lone Wolf, Darkness oder Raven beschwert hatte.

Die Akarii schienen jedenfalls keineswegs geneigt, die Menschen einfach so ziehen zu lassen. Sie stürzten sich nicht so blindwütig ins Gefecht wie die Piloten der Korax bei Tukama oder ihre Kameraden bei Karrashin, aber nach dem Verlust ihres Flaggschiffes waren sie natürlich auf Rache aus, ihr Kampfgeist schien nicht im geringsten beeinträchtigt.
Lilja hatte ihre Maschinen in einen weit gefassten Schutzkreis um die Crusader beordert – die meisten Bomber hatten ihre Raumkampfraketen verschossen und waren verhältnismäßig wehrlos, so dass es sich empfahl, Angreifer frühzeitig abzufangen. Die feindlichen Kampfflieger schienen sich jedoch zunehmend zurückzuhalten, zweifellos waren sie „abgeflogen“, übermüdet und demoralisiert, ihre Zahl deutlich gesunken. Anders als auf dem Hinflug war es die Russin allerdings nicht zufrieden, einfach nur abzuwarten, bis sich ein paar Akarii für ihre Schützlinge interessierten. Sie prüfte wachsam die Anzeigen, ob sich eine günstige Gelegenheit bot, den feindlichen Blutzoll noch etwas zu erhöhen. Da vorne, da war doch…
Ja, jetzt erkannte sie es deutlicher. Eine feindliche Flakkorvette marodierte am Rande des terranischen Verbandes, geschützt von einer Gruppe Zerstörer, die sich mit den menschlichen Großraumern herum schossen. Die menschliche Flotte kämpfte sich langsam aber unaufhaltsam aus dem Pulk von feindlichen Schiffen heraus, doch die flankierenden Akarii machten es ihnen so schwer wie möglich. Und während Mithels Kreuzer und die ihn unterstützenden leichten Einheiten mit den Großraumern des Gegners Breitseiten wechselten, versuchten einige leichte feindliche Einheiten, zum Schuss auf die angeschlagenen TSN-Jäger zu kommen. Die Flakschiffe waren ein verdammter Schmerz im Steiß, und es war in diesem wüsten Durcheinander schwer, einen TSN-Kapitän zu finden, der seine Feuerkraft auf so etwas wie eine Korvette verschwendete. Offenbar hatte das auch jemand erkannt, einige Jagdbomber, nicht mehr als eine abgekämpfte Sektion, sammelten sich gerade zu einem Angriff.

Kurz entschlossen wollte die Russin ihr Funkgerät aktivieren, doch dann zögerte sie. Sie hatte – zu ihrem nicht geringen aber gut unterdrückten Frustration – inzwischen gelernt zu berücksichtigen, dass ihr „Schützling“ die irritierende Angewohnheit hatte, direkt in die Führung der Staffel einzugreifen.
Sie funkte den Captain Crawford: „Sir, ich erbitte die Erlaubnis, den Angriff der Jagdbomber der Fast Eagles auf die Flakkorvette auf Neun Uhr unterstützen zu können. Sie können ein bisschen Ablenkung für den Angriff mit Sicherheit gebrauchen.“
Der Capatin überlegt kurz: „Einverstanden. Sie übernehmen eine Hälfte der Staffel, ich werde…“
Die Russin biss sich auf die Lippen. Genau DAS wollte sie eigentlich nicht. Hastig unterbrach Sie den Captain: „Sir, wäre es nicht besser, wenn Sie den Angriff mir und dem Rest meiner Staffel überlassen, Sie und Fidai sollten vielleicht besser bei den Bombern bleiben. Ich meine, von dort können Sie besser die übrigen Staffeln im Auge behalten…
Crawford lachte, klang aber überhaupt nicht amüsiert: „Sie wollen mich wohl wirklich loswerden? Commander, auch wenn ich Ihre Fürsorge schätze, ich habe schon Kampfflieger im Einsatz kommandiert, auch bei Angriffen auf Dickschiffe. Ich kenne die Risiken.“
Lilja war froh, dass der andere Pilot nicht ihre Miene sehen konnte: ,Wollte ich dich LOSWERDEN, hätte ich dir keinen Aufpasser mitgegeben und dich nach Möglichkeit hinten gehalten…’ dachte sie säuerlich. Laut aber bemühte sie sich um eine beflissene Stimme: „Natürlich, Sir. Und Sie wissen selbstverständlich am besten, wie Sie den Geschwaderverband führen können.“ Das hätte ein paranoider Vorgesetzter bereits als Beleidigung auffassen können, denn es KONNTE eine versteckte Kritik sein.
„Ich würde mich aber wohler fühlen, wenn ich Sie in Sicherheit wüsste – und die Bomber können ihre Hilfe und Anleitung – und Fidais Falcon – vielleicht ganz gut gebrauchen.“ Sie holte tief Luft: „Bitte…Captain.“
Crawford gab überraschenderweise nach: „Also gut, Commander. Aber dann zeigen Sie, dass sie nicht auf genau die Maschinen verzichten, die sie gebraucht hätten.“

Die Russin unterdrückte ein erleichtertes Aufatmen: „Danke, Sir.“ Dann aktivierte sie eine Verbindung zu den Fast Eagles. Sie sprudelte die nächsten Worte geradezu hervor, denn inzwischen sah es so aus, als würden die Jagdbomber jeden Moment mit ihrem Anhriff beginnen: “Achtung, Jagdbomber…Silber Fast Eagles? Hier Fighting Stallions von den Angels. Können Sie vielleicht etwas Hilfe bei der Korvette gebrauchen?“
Ihr Gegenüber war offenbar ein Mann mittleren Alters, sein Englisch klang seltsam, er mochte indischer oder pakistanischer Herkunft sein. Der Eagle-Pilot schien nicht lange zu überlegen: „Bestätige. Sie trauen sich aber was zu mit Ihren Mücken. Aber wenn Sie den Mistkerl etwas ablenken können – wir haben nur noch eine Maschine mit Mavericks.“
Die Russin lächelte dünn. Eine günstige Gelegenheit ließ sie sich nicht entgehen: „Stallions – aufteilen. Crawford und Fidai bleiben bei den Bombern. Marine, du, Shoki und Yànzi greift von Backbord an, der Rest mit mir von Steuerbord. Offene Angriffsformation. Letzte Raketen freigegeben, aber schießt erst wenn wir dicht am Ziel sind. Zeigen wir den Jabos, was wir draufhaben!“
Es war von Anfang an leicht zu erkennen, dass der Akarii kein Anfänger war. Die Korvette, eine Tango, führte anscheinend keine Schiff-Schiff-Raketen, dafür aber zusätzliche leichte Raketenwerfer. Sie war agil, und die Crew beherrschte ihre Waffen perfekt.

„ANGRIFF!“ Lilja ließ ihren Worten sofort Taten folgen. Ihre Raketen waren bereits verschossen, also konnte sie nur versuchen, so nah wie möglich heranzukommen, um mit ihren Bordwaffen an den gegnerischen Schilden zu nagen. Aber es ging ihr ja auch nicht so sehr darum, selber etwas auszurichten, als das Feuer von den Jagdbombern abzulenken. Die Terraner griffen flankierend an, jeweils einige Jäger und Jagdbomber von Backbord und Steuerbord. Wenn die Akarii nicht sehr genau hinschauten, konnten sie unmöglich erkennen, welcher der Jabos noch Schiff-Schiff-Raketen trug, mal ganz abgesehen davon, dass die Jagdbomber auch mit ihren Bordwaffen und leichten Raketen einigen Schaden anrichten konnten.
Die leichten Werfer der Akarii eröffneten das Feuer, mit jeder Salve spuckten sie mehr als zwanzig Raketen aus – etwa zwei auf jeden terranischen Flieger. Die vier Schiffsgeschütze schienen im Vergleich dazu fast harmlos, obwohl auch sie eine tödliche Bedrohung waren.
In diesem Moment kam es nicht mehr darauf an, sich gegenseitig den Rücken zu decken. Jeder flog für sich allein, bemüht, den feindlichen Richtschützen das Zielen so schwer wie möglich zu machen. Lilja genoss es beinahe, für einen Moment die Verantwortung los zu sein, für eine ganze Staffel sorgen zu müssen. Das war eine falsche Freude, natürlich, aber manchmal schien es einfacher mit dem drohenden Tod zu ringen als mit der Last der Verantwortung, die sie zu tragen hatte.

Ihr Jäger erbebte durch einen Beinahetreffer, wich einer Rakete aus, ließ eine andere an einem Täuschkörper explodieren. Zugleich hämmerte sie immer wieder auf die Feuerknöpfe, wenn der Akarii in ihrem Visier auftauchte. Ihre Energiewaffen spuckten eine Salve nach der nächsten aus, und obwohl der Schaden gering war, zusammen mit den anderen Jägern und Jagdbombern....
Doch es war gewiss kein einseitiger Kampf. Der Akarii war für den Einsatz gegen genau diese Art von Gegnern gebaut worden, und er musste schnell erkannt haben, dass er vom Jäger zu Gejagten geworden war, dass es hier nicht um Sieg oder Niederlage, sondern um Tod oder Leben ging.
Marine war die erste, die ausfiel. Ihre Falcon erhielt schwere Treffer, und nur durch Einsatz des Nachbrenners konnte sie der sicheren Vernichtung entgehen. Die Maschine verlor Treibstoff, schaffte es aber, sich hinter den übrigen Angriffspulk in Sicherheit zu bringen. Den Akarii fehlte die Zeit für den Fangschuss, sie mussten sich derer erwehren, die unvermindert angriffen.
Einen Jagdbomber erwischte es als nächsten, gefangen im Kreuzfeuer der Flugabwehrkanonen. Noch während das Cockpit barst und die Piloten in die zweifelhafte Sicherheit des Weltalls schleuderte, explodierte die Maschine. Lilja konnte nicht erkennen, ob beide Menschen es hinaus geschafft hatten, oder in welchem Zustand sie waren, im Moment ging es um ihr eigenes Überleben. Sie spürte Blut in ihrem Mund, dort wo sie sich auf die Lippen gebissen hatte, als ihr Jäger einen Treffer hatte hinnehmen müssen, aber nicht einmal das störte sie. Sie ignorierte auch die Warnsignale, die von geschwächten Schilden und einem überlasteten Triebwerk kündeten. Sie kannte ihren Jägern, wusste was er leisten konnte. Manchmal glaubte sie die Maschine besser zu verstehen als irgendeinen Menschen, einschließlich sich selbst. In diesem Moment konnte sie zeigen, was in ihr steckte. Steigen, fallen, stürzen, kurven und feuern, feuern, feuern…
Ein wütendes Kampfgeheul gellte aus dem Funkgerät. Der Jagdbomberpilot hatte offenbar die offene Frequenz gewählt: „Krepiert, ihr Dreckechsen!!“
Nur ein kleines Stück vor Lilja koppelten die zwei Atomraketen ab, zündeten, beschleunigten…
Die Doppelexplosion war so gewaltig, dass sie es bis zu ihrem Jäger spürte. Ihr Helmvisier wurde automatisch verdunkelt, sonst wäre sie vermutlich erblindet. Für einen Moment zeigten die Sensoren nur graues Rauschen, und der Strahlungsmesser heulte warnend auf.
Dann schob sich der Rumpf der Korvette durch die rasch in sich zusammenbrechenden Explosionswolken. Angeschlagen, beschädigt – aber offenbar unbesiegt.

Für die Angry Angels und ihre Verbündeten kam der Anblick wie ein Schock. Lilja, die fest mit der Vernichtung des Feindes gerechnet hatte, spürte den bitteren Geschmack der Niederlage in ihrem Mund: ,Verspielt, wir haben unsere Chance verspielt…jetzt müssen wir uns von diesem Monstrum absetzen.’ Sie spürte auch Scham. Hätte sie Crawford und Fidai mitfliegen lassen, hätte die Sache vielleicht anders ausgesehen. Das mochte ihr jetzt teuer zu stehen kommen.
Doch ehe sich diese Gedanken richtig bei ihr einnisten konnten, biss sie schon die Zähne zusammen. Dann holte sie tief Luft und brüllte ins Funkgerät. In solchen Momenten war von dem Eis, der gletscherhaften Emotionslosigkeit, die sonst so oft in ihrem Wesen zu liegen schien, wenig zu spüren. Außer vielleicht, man dachte an eine Lawine, die mit der Geschwindigkeit eines Schnellzugs ins Tal raste und alles auf ihrem Weg hinweg riss.
„Stallions, Eagles – weiter angreifen…REIßT IHN IN STÜCKE! FÜR RAVEN, LONE WOLF UND MASTERS!“
Die Russin wartete nicht, dass der Befehl bestätigt wurde, sondern peitschte ihre Maschine vorwärts, unablässig feuernd. Die Staffelchefin hatte kaum ausgeredet, als Shoki ihre Maschine beschleunigte und sich dem Angriff anschloss. Die junge Japanerin handelte vermutlich mehr instinktiv, etwas, was angeblich sowohl ihren Bruder als auch sie auszeichnete oder aber zu ihren Mankos gehörte. Und dann waren da Sokol, Yànzi – die ehemalige Gunriderin – die anderen Stallions… Lilja verdrängte den Gedanken daran, was passieren mochte, wenn die Jagdbomber nicht mitmachten – doch da hörte sie schon eine Stimme im Funkgerät, mit der sie nicht gerechnet hatte: „Fast Eagles – Angreifen!“ Captain Crawford hatte sich offenbar entschlossen, nicht länger zu warten.
Und im nächsten waren er, Fidai und die verbleibenden Jagdbomber schon an ihrer Seite. Wie ein hungriger Schwarm Piranhas fielen die kleinen wendigen Maschinen von allen Seiten über den beschädigten Giganten her. Denn auch wenn es „nur“ um eine Korvette ging, sie hatte die tausendfache Masse eines Jägers.

Diesmal wurden die Salven der Bordwaffen nicht vom feindlichen Schild abgefangen. Die Atomraketen der Eagles hatten den Gegner zumindest geschwächt, vielleicht um das entscheidende bisschen. Panzerung wurde förmlich verdampft oder in Fetzen heruntergerissen in dem erbarmungslosen Sperrfeuer. Fidai und Crawford, die fast als einzige noch leichte Raketen hatten, fügten dem Orchester der Vernichtung noch einige zusätzliche Musikinstrumente hinzu. Der Feind schien durch den ersten Angriff einige seiner Waffen verloren zu haben, doch was noch immer einsatzbereit war, schoss unablässig, während die Korvette ihre volle Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit einsetzte.
Eine Salve aus den Lasergeschützen streifte Liljas Maschine und hätte den Jäger um ein Haar aufgeschlitzt. Im letzten Moment konnte sie sich mit einem Korkenzieher aus der feindlichen Zielerfassung retten. Anstatt etwas Abstand zwischen sich und den Feind zu bringen, riss sie ihre Maschine in einem mörderischen Manöver herum. Sie flog praktisch blind, die Beschleunigung und Erschöpfung trübte ihre Wahrnehmung. Doch dann hatte sie wieder einen Blick auf den Feind, raste über seinen über hundert Meter langen Rumpf, aus allen Rohren feuernd. Um sie herum waren die anderen Maschinen, Falcons und Jagdbomber.

Um ein Haar hätte es das imperiale Schiff in den Schutz der eigenen Formation zurückgeschafft. Wie so oft im Krieg entschied ein Zufall über Leben und Tod. Ein – je nach Standpunkt glücklicher oder verhängnisvoller – Treffer in der Triebwerksektion besiegelte das Schicksal des Feindes. Wer den entscheidenden Schuss abfeuerte, das ließ sich nicht mit Sicherheit sagen und würde sich vielleicht niemals ganz klären lassen, aber in diesem Moment war das den Piloten egal. Direkt hinter den Antriebsdüsen der Korvette flammte eine Explosion auf, die das ganze Schiff erbeben ließ. Die Triebwerke flackerten, dann erloschen sie eines nach dem anderen, während die Explosionswunde langsam ‚aufzupilzen’ schien, und Risse den Rumpf entlang sandte. Erste Rettungskapseln lösten sich von der Korvette, als die Besatzung realisierte, dass ihr Schiff zum Untergang verurteilt war. Nacheinander verstummten die gegnerischen Waffen.
Über die Kanäle der TSN-Maschinen kam Jubel auf. Fast Eagles und Angry Angels brüllten wie wild ihren Triumph hinaus, feierten den Sieg und das eigene Überleben. Lilja lächelte verzerrt, weidete sich an dem Anblick des brennenden Feindes und dem Gedanken an seine Verluste, und entschuldige sich innerlich von Captain Crawford. Er war anscheinend doch kein so schlechter Kerl. Es war einer der perfekten Momente im Leben eines Kampffliegers, einer, der sie die ausgestandene Erschöpfung, Todesangst und die Sorge um die vermissten Kameraden fast vergessen ließ.
In diesem Augenblick begann Shoki zu schreien.

******

TSN-Kampfverband, Kreuzer Relentless

Die menschliche Flotte war auf dem Rückzug, brachte mit jeder Sekunde zusätzliche 80, 90, 100 Kilometer Abstand zwischen sich und den feindlichen Hauptverband – doch „geordneter Rückzug“ klang leichter, als es war. Die Akarii schienen nicht gewillt, ihre Beute einfach ziehen zu lassen. Nur zu verständlich, wenn man die „Schlächterrechnung“ berücksichtigte. Der Verlust des feindlichen schweren Trägers – die taktische Abteilung versuchte immer noch, das Schiff einem bestimmten Namen und Typ zuzuordnen – hatte die Echsen wahrscheinlich so viel Geld, Tonnage und Leben gekostet wie ihre übrigen Gefechtsverluste zusammengenommen. Folglich schwärmten die kaiserlichen Streitkräfte wie ein wütender Bienenschwarm aus, dessen Nest zerstört worden war. Wenn Bienen ein paar hundert Meter lang gewesen wären und mit Atomraketen geschossen hätten…

Chris Mithel fühlte wahrlich keine Genugtuung, obwohl die gegnerische Hartnäckigkeit ihm bezüglich seiner Entscheidung zum Rückzug nachträglich Recht gab. Ob nun der feindliche Admiral ausgefallen war oder nicht, sein Verband agierte immer noch bemerkenswert effizient. Von Verwirrung oder einem Nachlassen der Kampfmoral war nicht zu bemerken. Wie zuvor war es kein blindwütiger Angriff. Dieser Taran – beziehungsweise der Akarii, der jetzt das Kommando übernommen hatte – war offensichtlich wesentlich intelligenter und überlegter als Mithels Gegner bei Karrashin oder als dieser Admiral Ilis. Der Gegner setzte für die Verfolgung der TSN-Schiffe keine oder kaum Kreuzer ein, vermutlich um diese wertvolle Einsatzreserve zu schonen. Alles, was die Sensoren eindeutig identifizieren konnten, waren Zerstörer und Fregatten, davon allerdings reichlich. Insgesamt waren es zwanzig bis dreißig Einheiten, die immer wieder schnelle Vorstöße unternahmen und unablässig mit ihren Schiff-Schiff-Raketen feuerten. Sie blieben außer Reichweite der Rohrartillerie, denn in dieser Beziehung waren sie den Menschen unterlegen. Aber sie hatten den Vorteil, dass beschädigte Schiffe sich problemlos vom Verband zurückfallen lassen konnten – für TSN-Schiffe wäre das Selbstmord gewesen. In diesem Moment vermisste Mithel ein paar Staffeln Jagdbomber und Crusaders. Auch wenn die vermutlich nicht sehr viel ausgerichtet hätten, sie hätten den Gegner zurückscheuchen können.
,Aber natürlich. Als nächstes wünsche ich mir wohl, selber ein paar von ihren Schnellbooten zu haben…Es ist zum Verzweifeln, dass die Echsen und so oft technisch, innovativ oder auch taktisch voraus sind. Man sollte meinen, wir haben inzwischen genug Lehrgeld gezahlt… Und es ist beschämend, dass ich mir Hilfe ausgerechnet von Piloten wünsche.’ Die Angriffe zwangen die TSN dazu, im engen Verband zu bleiben, um sich gegenseitig Feuerschutz zu geben. Die Flakkreuzer leisteten wie immer gute Dienste. Sie mochten immer noch untauglich für den Kampf „in der Linie“ sein, aber zu defensiven Zwecken waren sie einfach nicht mehr wegzudenken.

Der Rear-Admiral wusste, dass er momentan nicht viel tun konnte. Gegen einen vorsichtigen Gegner wie seine Verfolger gab es kein Patentrezept außer unablässigem und konzentriertem Gegenfeuer. Seine eigenen Fregatten und Zerstörer waren angeschlagen, und im deckungslosen Weltraum konnte man keinen Hinterhalt für die Verfolger legen. Außerdem war es ratsam, so schnell wie möglich einen maximalen Abstand zwischen sich und den restlichen Akarii-Verband zu bringen, ehe die Echsen ihre verbleibenden Bomber und Schnellboote gefechtsklar machten. Die Echsen störten die Sensoren der Menschen ebenso enthusiastisch wie effektiv, so dass der Admiral sich nicht einmal bei Typ und Anzahl der Verfolger GANZ sicher seien konnte. Hatten die Echsen eine Anzahl ECM/ ECCM-Shuttles mitgeschickt, oder einige dafür umkonfigurierte Kampfflieger? Möglich, ja sogar wahrscheinlich. Außerdem waren die Echsen den Menschen in vielen Dingen ebenbürtig, wenn nicht überlegen, auch auf dem Gebiet der elektronischen Kriegführung. Wie auch immer, es sah jedenfalls so aus, als ob der Gegner zumindest einige seiner Kampfflieger bereits wieder einsatzbereit gemacht hatten, auch wenn die Sensoren nicht verrieten wie viele und was für welche. Wenn dem so war, vor allem wenn es noch mehr wurden, konnte das zu einem echten Problem werden. Die terranischen Schiffe mussten ihre Abwehrgeschütze bereits auf die Schiff-Schiff-Raketen richten, und sie hatten nur noch geringen Jagdschutz, denn viele der Piloten waren bereits auf dem Rückflug, ihre Tanks besorgniserregend geleert, die Maschinen verschossen oder beschädigt. Rear-Admiral Mithel hatte Captain Crawford mit Mühe und nur dank seines deutlich höheren Ranges einige Nighthawk und Falcon abschwatzen oder eher „aus den Klauen reißen“ können, die im Verband mit flogen und für den Fall eines feindlichen Jägerangriffs bereitstanden. Minen – ein gern angewandtes Mittel beim Rückzug – hatten die Menschen keine mehr an Bord, denn die waren schon vor Ankunft der Akarii verwendet worden, um die Defensivfelder des Systems zu verstärken. Mit geringem Erfolg, offenbar.
„Wie viele Schiffbrüchige haben wir aufsammeln können?“ Dass Mithel sich danach erkundigte, lag nicht nur an seiner Sorge um die Crews der zerstörten Schiffe. Ausgebildete Besatzungsmitglieder konnte man nicht so einfach „heranzüchten“ wie Kanonenfutter für die Marines oder die Armee. Und zurückgelassene Überlebende waren meist so effektiv „verloren“ wie Tote – aus den POW-Camps, den Kriegsgefangenenlagern der Akarii, gab es nur selten eine Rückkehr, und vor einem Friedensschluss war das noch viel unwahrscheinlicher.
,Und Frieden…Frieden wollen die Echsen bestimmt nicht. Dafür haben sie und wir zu lange und zu hoch gepokert. Da ist zuviel im Pott, als dass jemand jetzt passen wird. Schon gar nicht nachdem die Colonials ausgefallen sind. Also bluffen wir und sie und hoffen beide, dass wir ein gutes Blatt bekommen bevor der Gegner unser Spiel durchschaut…’
Es dauerte eine Weile, bis man dem Admiral eine Schätzung geben konnte, und was er hörte, überraschte ihn nicht, jedenfalls nicht im positiven Sinne: „Wir zählen noch, aber wir kommen bereits jetzt auf über eintausendfünfhundert Geborgene, ein Drittel davon mindestens leicht verletzt. Dazu kommen vielleicht ein- bis zweihundert Echsen, die wir aufgesammelt haben, Piloten und Schiffbrüchige. Bisherige Projektionen gehen von Totalverlusten auf unserer Seite von mindestens 500 Toten und wenigstens derselben Anzahl Verschollener aus, vermutlich mehr. Zahl der gegnerischen Toten unbestimmt, vermutlich wenigstens 3.000.“ Als Verschollen rechnete man die, die es wahrscheinlich noch in die Rettungskapseln geschafft hatten, die man aber nicht mehr hatte bergen können. Vermutlich würden die meisten in Gefangenschaft gehen.
Der Admiral nickte knapp: „Gut.“ Er spürte kein Mitleid für die gegnerischen Toten, aber damit zog die TSN gerade einmal gleich, wenn man an die tausende Toten beim ersten Angriff der feindlichen Schnellboote und Kampfflieger dachte. Von den Crews der Knox und Anzac hatte nur eine Handvoll Männer und Frauen überlebt. Und an die zivilen Verluste auf Masters wollte er gar nicht erst denken.
,Ich hoffe, diese Rechnung können wir bei Gelegenheit ausgleichen, auf Penny und Schilling…’

Doch noch waren sie nicht in Sicherheit, und es galt sicherzustellen, dass die Schlächterrechnung sich nicht noch weiter zu ihren Ungunsten veränderte. Und was das anging…Der Admiral beugte sich vor, als sich die taktischen Anzeigen veränderten.
„Sir, Meldung von der Nachhut…“ Mithel schnitt die Worte des Offiziers entschlossen, wenn auch nicht grob ab: „Ich seh’ schon…“
Die Akarii waren einmal mehr vorgestoßen. Für einen Verband, der wahrscheinlich aus den Schiffen verschiedenster Einheiten und Garnisonen zusammengezogen worden war und vermutlich ihren Oberbefehlshaber verloren hatte, kämpften sie mit beachtlicher Effizienz und vor allem mit Koordination und Disziplin, den Grundvoraussetzungen jedes Erfolges. Wer auch immer die leichten gegnerischen Einheiten kommandierte, er oder sie verstanden das Handwerk. Das feindliche Feuer war bemerkenswert gut koordiniert. Der Vorstoß der Akarii hatte etwas von der Eleganz eines Fischschwarms an sich, in dem hunderte Leiber synchron dieselben Bewegungen vollzogen. Wie ein Schwarm Flammenfische, die sich über einem unermesslich tiefen, nachtschwarzen Meer bewegten…
Doch Mithel hatte weder die Muße noch das nötige Verständnis für die abstrakte Schönheit, um dieses Schauspiel angemessen zu bewundern. Denn ebenso synchronisiert wie sie sich bewegten, feuerten die Gegner. Raketen, dutzende, weit über hundert auf einmal, schossen auf Feuerbahnen in die Schwärze – und trafen ihr Ziel. Was änderte es, dass dutzende der künstlichen Sternschnuppen abgeschossen worden, dass die Menschen einen nicht minder vernichtenden Raketenschwarm in die Gegenrichtung sandten, und mehr als ein gegnerisches Schiff Treffer, Schäden hinnehmen musste?
Mehrere Raketen trafen den terranischen Zerstörer Poniatowski mit mörderischer Wucht, brachen ihm sein stählernes Rückgrat. Der Terraner hatte nicht mehr die Möglichkeit, sich weiter in den Schutz der terranischen Flotte zurückzuziehen, er begann sofort auseinander zu brechen. Wie durch ein Wunder traf weder eine Atomrakete das Wrack, noch kam es sofort zu einer internen Explosion – in beiden Fällen hätte es wohl keine Überlebenden gegeben.
Doch dieser Verlust, so tragisch er auch war, jetzt, auf dem Rückzug, war nur der Auftakt zu schlimmeren. Nur ein Teil der feindlichen Salve war auf den Zerstörer gezielt gewesen – die anderen richteten sich wie durch einen unglücklichen Zufall direkt auf die TRS Ruthlessness, einen Ticonderoga-Kreuzer, der zur Rückendeckung gehörte. Die Ruthlessness war kurz vor der Schlacht notdürftig wieder einsatzbereit gemacht worden, war sie doch ein Havarist gewesen, der zu Reparaturzwecken im Sterntor-System lag. Das rächte sich jetzt. Die Treffer waren nicht tödlich, aber es musste an Bord Sekundärexplosionen gegeben haben. Der Flammenstrom aus den Triebwerken stotterte, setzte schließlich aus. Manövrierunfähig begann das Schiff mit seiner Restbeschleunigung aus dem Verband herauszudriften.

Der Admiral überlegte nicht lange. Er würde den verdammten Echsen nicht einen kostbaren Kreuzer überlassen, nicht kampflos: „Anweisung an die Kampfgruppe zwei – Raffarin, fahren Sie einen Gegenangriff, nehmen Sie den Havaristen mit Traktorstrahlen in Schlepp, verhindern Sie um jeden Preis, dass er wegdriftet. Zerstörer und Fregatten – Feuerunterstützung! Etna, ich will, dass Sie der Ruthlessness Feuerschutz geben. Kampfflieger…Ruthlessness unterstützen!“
Natürlich würden die Reparaturtrupps an Bord des Havaristen mit aller Macht daran arbeiten, die Schäden soweit zu beheben, dass das Schiff wieder Fahrt aufnahm und manövrieren konnte. Aber in einem Raumgefecht ging es oft um Sekunden, und diese Reparaturen würden mit Sicherheit Minuten dauern.
Mithel hatte eine hohe Meinung von seiner Schwadrons-XO, die im Moment die Hälfte des Geschwaders kommandierte. Von den ihr unterstellten Schiffen hielt er bei weitem nicht so viel – die Kami wurde von einem Neuling auf diesem Posten kommandiert, und von Habsburg auf der Nestor hatte sich mit seinem Verhalten während der Schlacht gewiss nicht Mithels Wohlwollen zugezogen. Aber was auch immer man von einigen der Kommandeure halten mochte, sie leisteten exzellente Arbeit. So wie vermutlich auch bei den Akarii war es der kleine, harte Kern an kampferprobten Offizieren und Mannschaften auf den Schiffen, der die Masse an zum Teil notdürftig ausgebildeten, unerfahrenen Crewmitgliedern „mitzog“ und zu Leistungen befähigte, die man ihnen kaum zugetraut hatte.
Die Kami und die leichten Kreuzer spuckten wütend ganze Schwärme an schweren Schiff-Schiff-Raketen aus. Der Hybridkreuzer mit dem Akariiantrieb konnte zwar seine Partikelkanonen nicht effektiv ins Spiel bringen – dazu waren die Feinde zu weit weg – aber seine Raketenwerfer schlugen mit tödlicher Präzision zu. Praktisch mit der ersten Salve trafen mindestens sechs schwere Atomraketen einen feindlichen Flottenzerstörer, der bereits angeschlagen worden war. Das feindliche Schiff brach förmlich auseinander, wahrscheinlich unter erheblichen Verlusten. Und während ihre Brüder kämpften, bewies Captain Nadita Dasgupta von der Suffolk, dass man Recht daran getan hatte, ihr einen schweren Kreuzer anzuvertrauen. Sie steuerte ihren Stahlgiganten mit der Eleganz einer Yacht „über“ die angeschlagene Ruthlessness, gab ihr so Feuerschutz und begann mit ihren Traktorstrahlen den Kurs des Havaristen zu korrigieren, ja sogar ihn soweit als möglich „anzuschieben“.

Die Echsen schienen nicht gewillt, ihre so unverhofft in den Schoß gefallene Beute aufzugeben. Doch sie verloren auch diesmal nicht die Beherrschung, griffen nicht unüberlegt an. Hätten sie das getan, das Sperrfeuer der TSN-Schiffe hätte sie teuer für diese Unvorsicht zahlen lassen. Sektionsweise schoben sich einzelne Schiffsgruppen vor, schossen ihre Raketen ab und ließen sich sofort wieder in den Schutz ihrer Kameraden zurückfallen, um erneut, diesmal an anderer Stelle zuzuschlagen. Dass dabei nicht höhere Verluste auf beiden Seiten entstanden, dass der Kampf sich hinzog, lag allein an der großen Kampfentfernung, die es beiden Seiten erlaubte, einen Großteil der feindlichen Geschosse rechtzeitig auszumachen und mit Impulslasern, Bordgeschützen und leichten Raketen abzufangen. So lange die Akarii sicht nicht massiert in den Feuerbereich der TSN vorwagten, hatte die Ruthlessness noch eine gewisse Chance – beschützt von ihren Kameraden, und besonders von dem Flakkreuzer Etna.
Erneut flogen zwei Sektionen der Akarii einen Vorstoß, wichen dem Feindfeuer aus, schossen ihre Raketen ab. Die terranischen Kreuzer ließen sich ein Stück zurückfallen, erwiderten das Feuer… dann schnappte die Falle des Imperiums zu.

Irgendwie hatten die Echsen eine Schwachstelle in der feindlichen Strategie entdeckt, und ihr Kommandeur hatte sie zu nutzen verstanden. In dem Augenblick, als die terranischen Kreuzer einen Gegenangriff flogen, beschleunigte mit einmal ein Großteil der Verfolger, brachte sich in Schussposition – und feuerte gezielt auf die Kami. Irgendwann, irgendwie hatten sie erkannt, dass mit dem Schiff etwas anders war. Nicht nur seine hohe Geschwindigkeit, nein, es gab bei diesem Schiff eine Stärke, die zugleich eine Schwäche war. Seine im Kampf gegen feindliche Schiffe so wirkungsvollen Partikelgeschütze waren nicht für die Bekämpfung von Schiff-Schiff-Raketen gedacht, sie waren dafür einfach schlechter geeignet als die Schiffslaser, die wesentlich schneller aufluden und den Impulslasern Unterstützung geben konnten.

Nicht nur der Admiral, auch seine Schwadrons-XO und der Kapitän der Kami wurden von diesem Angriff überrascht. Zu spät erkannten sie den Grund, für die Präzision der feindlichen Aufklärung – denn erst jetzt, als es zum entscheidenden Schlag kam, löste sich der feindliche Flugdeckkreuzer, den man später als die KALLEH identifizieren würde, aus der Deckung der Zerstörer, unter denen er sich dank seiner überlegenen Elektronik und Beweglichkeit so geschickt verborgen hatte. Es war davon auszugehen, dass er den gesamten feindlichen Verband befehligte und koordinierte. Und er war es nicht allein, der so überraschend aus der Deckung kam, mit ihm griffen die Handvoll bereits wieder startklar gemachten Bomber und Schnellboote an, die die Imperialen in kleinen Gruppen in ihren Verfolgungsverband „eingeschmuggelt“ hatten, wo sie Schutz gefunden hatten wie vorher die TSN-Kampfflieger im Anflug auf die feindliche Flotte. Einmal mehr hatten die Echsen – so wie die Menschen ihrerseits mehr als einmal – eine feindliche Taktik adaptiert und zu ihrem Vorteil gegen den Erfinder eingesetzt.
Niemand hatte damit gerechnet, dass sich der feindliche Angriff ausgerechnet auf die Kami konzentrieren würde. Die Geschütze und leichten Raketen der terranischen Kriegsschiffe zerstörten unzählige der feindlichen Geschosse. Der schwere Kreuzer, der das Ziel des Angriffs war, bewies einmal erneut seine überlegene Geschwindigkeit und Wendigkeit. Doch was half das gegen Waffen, die dazu gedacht, selbst so agile Ziele wie Korvetten zu treffen? Die schweren Partikelgeschütze der Kami gaben Sperrfeuer, vernichteten zehn, fünfzehn, zwanzig Raketen. Und noch während es um sein Überleben kämpfte, schlugen die Kami und die übrigen Schiffe unvermindert zurück, feuerten zahllose Raketen auf den Gegner ab. Der feindliche Führungskreuzer wurde getroffen, ließ sich wieder in die Deckung seiner Kameraden zurückfallen. Doch all das war zu wenig.
Die erste Gruppe von Treffern erblühte am Bug der Kami, tauchte den Stahlgiganten in eine Miniatursonne. Die Schilde wurden geschwächt, gaben schließlich nach, Panzerung verdampfte förmlich. Das Schiff erschauderte unter dem mörderischen Hieb, wie ein Läufer, der in vollem Lauf von einem Vorschlaghammer in die Brust getroffen wurde. Dann traf weitere Raketen Flanken und Heck. Die Antriebsektion wurde aufgerissen, und entlang des Rumpfes brachen kleinere Lecks und Brände aus. Jeder konnte erkennen, dass die Kami verloren war.
„CA KAMI? Meldung?“ Mithel bekam keine Antwort. Vage schimmerte ein Bild von einer brennenden, verwüsteten Brücke auf – ob Primär- oder Sekundärkommandostand war nicht mal zu erkennen – das sofort von weißem Rauschen überdeckt wurde. Der Admiral wusste, es gab nicht viel, was er tun konnte: „Funkspruch an die Kami auf allen Frequenzen, auch über Schiffsfunk: Schiff aufgeben. Wiederhole, Alle Mann von Bord!“ Es war zweifelhaft, dass er durchkam, sollten beide Brücken ausgefallen, aber er musste es wenigstens versuchen. „Geschwaderfrequenz, bereithalten für Aufnahme von Schiffbrüchigen. Sperrfeuer auf Gegner.“

So als hätte das letzte Blutopfer den Schlachtengott ein wenig besänftigt, schienen die Akarii in ihrer Angriffswut nachzulassen. Das lag sicher auch daran, dass sie den Druck nicht aufrechterhalten konnten, ohne eigene ernste Verluste zu riskieren. Sie waren inzwischen schon recht weit von ihren übrigen Schiffen entfernt, und der menschliche Hauptverband rückte immer näher. Von dort starteten bereits die ersten neu aufmunitionierten Maschinen, um Mithels Verband zu unterstützen. Was weder die Akarii noch Mithel wussten – diese Verstärkungen waren ein reiner Bluff, Maschinen ohne vollständige Kampflast, mit übermüdeten, abgekämpften Piloten. Doch aus der Entfernung mussten sie für die Echsen bedrohlich aussehen – leicht konnte das Gleichgewicht in einer Schlacht kippen.
Vielleicht war auch der feindliche Flugdeckkreuzer, der den Kampfverband befehligte, ernster beschädigt worden als es den Anschein hatte. Woran es auch immer lag, die imperialen Streitkräfte stellten die Verfolgung ein.
Chris Mithel schwieg, während er mit undeutbarer Miene auf die taktischen und optischen Anzeigen starrte, dorthin, wo auf Bildschirmen der Tod der Kami und die Rettungsmaßnahmen zu verfolgen waren. Er hatte einen kostbaren Kreuzer gerettet, aber einen anderen, ein Schiff seines Geschwaders, verloren. Die Verantwortung dafür trug er, zum Guten wie zum Schlechten, wie für so vieles, für tausende, wenn nicht zehntausende Tode im Verlauf des Krieges. Er fühlte nur Bedauern und eine dumpfe Trauer, auch wenn die Kami nie zu den Schiffen gehört hatte, die ihm besonders am Herzen lagen, wie etwa die Relentless, die Hydra. Sie war eines SEINER Schiffe gewesen, ihre Besatzung seine Untergebenen, und er hatte sie dorthin befohlen, wo sie gestorben oder an Leib und Seele verletzt worden waren, und dazu auf so tragisch banale, beinahe nebensächliche Art und Weise, während eines bloßen Rückzugsgefechtes.
Auf diese Weise verlor man keine Schlachten. Aber man gewann auch keine Kriege…
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Tyr

COLUMBIA

Kano wusste, was seine Pflicht war. Er musste sich um seine Staffel kümmern. Sicherstellen, dass die verbliebenen Piloten der Butcher Bears alle unversehrt gelandet waren. Und, genauso wie ihre Maschinen, wieder startbereit sein würden, wenn der Befehl kam.
Falls das Schicksal, die Götter, die Akarii und nicht zuletzt Kanos Vorgesetzten ein Einsehen hatten, und die Butcher Bears nicht sofort wieder rausschickten, musste diese sicherlich nur knapp bemessene Atempause genutzt werden, um die dringend benötigte Erholung zu finden.
Außerdem musste er feststellen, wie es Sakura und Lilja ergangen war. Und ob Kali sicher gelandet war, wenn er sich irgendwie Zugriff auf die Einsatzlisten der DERFLINGER verschaffen konnte. ‚Zu wissen, wie es Crusader geht, wäre auch nicht schlecht.‘ Aber in der Krankenstation herrschte jetzt wahrscheinlich das blanke Chaos.

Im Augenblick war er sich allerdings nicht sicher, ob er in der Lage war, auch nur einen einzigen der auf seiner mentalen To-do-Liste notierten Punkte abzuarbeiten. Nach dem harten Einsatz, Crusaders Ausfall, und dem quälend langen Rückflug fühlte er sich wie ausgebrannt. Der japanische Pilot lehnte schwerfällig an der Tragfläche seines Jägers und versuchte die Kraft zu finden, um sich in Bewegung zu setzen. ‚Das ist doch erbärmlich. Ich hatte in dieser Schlacht gerade einmal zwei Einsätze und mehr als genug Zeit, um mich auszuruhen. Ich werde doch nicht jetzt schon schlapp machen…’
Getrieben von einer Mischung aus Pflichtbewusstsein und Selbstverachtung stieß er sich von der Tragfläche ab. ‚Genug Zeit verplempert…’ Ach ja, da war noch etwas. Er hatte Meldung bezüglich seiner Probleme mit den Sidewinders gemacht. Aber wahrscheinlich wäre es besser, wenn er die Wartungscrew noch einmal persönlich darauf aufmerksam machte.
Wenn er sich in dem gigantischen Hangar der COLUMBIA umsah, dann kamen ihm Zweifel, ob irgendjemand seine elektronische Meldung gelesen hatte. Oder sich für so etwas Triviales interessieren würde. Zu viele Maschinen waren beschädigt gelandet, als halbe Wracks. ‚Und viel zu viele sind überhaupt nicht gelandet…’ Das es bei den Akarii vermutlich nicht besser aussah, das war ein schwacher Trost. ‚Sie müssen doch genug haben. Wenn wir ihr Flaggschiff geknackt haben…‘ Aber er hatte beim Gegner kein Zögern erkennen können, kein Nachlassen.
Zwar hatte der neue Akarii-Befehlshaber – oder Taran, falls er die Vernichtung des Flaggschiffs überlebt hatte – nur einen Teil seiner Flotte hinter Mithels zurückweichenden Verband hinterhergeschickt, während der Rest sich um die Schiffbrüchigen und die beschädigten Schiffe der Imperialen kümmerte. Aber selbst dieser Vorstoß leichter Einheiten war unangenehm gut koordiniert gewesen, und hatte der TSN zu viel gekostet. ‚Sie brechen nicht ein. Sie weigern sich, sich geschlagen zu geben. Bleibt die Frage – tun sie das aus bloßer Sturheit, aus Loyalität und Pflichtgefühl? Oder wissen sie etwas, das ich nicht weiß…‘

Seine Überlegungen wurden durch das Piepsen seines Handgelenk-Komms unterbrochen. Er sah nach, wer mit ihm sprechen wollte, runzelte überrascht die Stirn und aktivierte das Gerät: „Lieutenant Nakakura hier. Was kann ich für Sie tun, Commander McGill?“
„Ich sehe, dass Sie noch im Hangar sind. Gut. Soviel ich weiß, haben Sie fast die Hälfte Ihres Maschinenparks verloren, ist das richtig?“
„Ja, Commander.“ Das Eingeständnis fiel ihm schwer, aber es hatte keinen Sinn, die Wahrheit zu leugnen. Auch wenn die meisten der Butcher Bears noch am Leben und einsatzfähig waren, ohne flugfähige Maschinen…
„Na schön. Da kommen jetzt ein paar Vögel rein. Ich will, dass Sie sich die Piloten mal ansehen. Und wenn sie was taugen, dann nehmen Sie sie für die Schwarze Staffel. Wenn nicht, dann haben wir immer noch ihre Maschinen.“
„Schiffbrüchige?“
„Gewissermaßen.“ In Irons Stimme klang ein seltsamer Unterton mit, den Kano nicht zu deuten vermochte. Er war verwirrt. Seit dem Untergang der ANZAC waren bereits mehrere Stunden vergangen, und die anderen leichten Träger waren nach seinen Informationen alle noch einsatzfähig. Gewiss, die DERFLINGER hatte ein paar ernste Treffer kassiert, aber…
‚Ist da etwas passiert? Eine Havarie, eine interne Explosion…‘ Kano drängte mit Gewalt die Fragen zurück, die ihm auf der Zunge lagen.
„Und Sie sollten sich besser beeilen, sonst schnappt ihnen noch jemand die Männer vor der Nase weg. Oder zumindest die Maschinen.“ Irons sarkastischen Worten fehlte ein wenig der Biss, und Kano glaubte auch den Grund zu wissen. Lone Wolf, der gefürchtetste ‚Shanghaier‘ im ganzen Geschwader, war ausgefallen. Kano wusste nicht genau, was geschehen war, und ob Lone Wolf überhaupt noch lebte. Früher hatte er den Mann bewundert und erst in den letzten Wochen und Monaten eine gewisse Abneigung ihm gegenüber entwickelt. Irons hatte sich den Umweg über die Bewunderung gespart, obwohl sie im Gegensatz zu einigen anderen Staffelführern keine Dauerfehde mit Cunningham unterhalten hatte. Dennoch, Cunninghams Ausfall war nicht einfach wegzustecken. Vor allem, da die Akarii kurz darauf auch noch Raven abgeschossen hatten. ‚Wir bluten aus.‘ Dass das Geschwader binnen ein paar Stunden seinen alten und seinen neuen Geschwaderchef verloren hatte, war ein harter Schlag für die Moral der Angry Angels. Auch wenn Lone Wolf nicht unbedingt beliebt war, und Raven nicht gerade unumstritten...
„Jawohl, Commander. Und…danke.“
„Lassen Sie es sich nicht zu Kopf steigen. Sie sind gerade zur Hand. Ich habe keine Zeit mich um diese Verrückten zu kümmern. Machen Sie das Beste daraus.“ Mit diesen Worten schaltete Irons ab.

Kano scrollte durch das Schnellverzeichnis seines Komms und wollte eben eine Nummer antippen, als er sich daran erinnerte, dass Crusader ihm ganz bestimmt nicht antworten würde. Noch ein Veteran, der diesem Gefecht zum Opfer gefallen war. ‚Verdammt.‘
Wütend über sich selber änderte er den Adressaten. Schon nach dem zweiten Summton wurde der Kommruf angenommen: „Lieutenant Obasanjo?“
„Hier Nakakura. Hören Sie, ich habe noch zu tun, also müssen Sie jetzt erst einmal einspringen. Überprüfen Sie, wie es den anderen geht. Ob Sie noch einsatzfähig sind. Wenn möglich sollen alle etwas essen und versuchen, ein wenig zu schlafen. Und machen Sie Druck bei den Wartungscrews. Ich will, dass die paar Maschinen die wir haben, so schnell wie möglich wieder startbereit sind.“
„Und ob ICH einsatzfähig bin, das fragen Sie sich nicht?“ Obasanjos Stimme klang leicht bissig.
„Da Crusader…ausgefallen sind, fungieren Sie erst mal als mein Stellvertreter. Das haben Sie doch immer so gewollt. Nun, dieser Posten ist mit einer gewissen Verantwortung verbunden. Von daher…nein, ich frage erst mal nicht, wie es Ihnen geht. Sie können essen und schlafen, nachdem Sie sich um die anderen gekümmert haben. So halte ich es jedenfalls. Aber wenn Sie der Meinung sind, dass Sie das überfordert…“
„Schon gut, schon gut. Kein Grund, mich gleich vor ein Kriegsgericht zu schleifen.
Aber Sie könnten mir wenigstens sagen, was so furchtbar wichtig ist, dass Sie mir diesen ganzen Mist aufhalsen.“
„Wenn wir Glück haben, kriegen wir noch ein paar Piloten. Mit Maschinen.“
„Piloten haben wir mehr als genug. Und zwar die Besten. Aber die Jäger können wir wirklich gebrauchen…“
Kano hätte fast gegrinst und unterbrach die Verbindung. Dann entschied er, dass er schon genug Zeit vertrödelt hatte und zwang sich zu einem lockeren Laufschritt. Es fehlte nur noch, dass tatsächlich jemand anderes schneller war und Irons ominöse Piloten samt ihrer Maschinen für sich konfiszierte…

Als er die beiden Maschinen sah, die gerade eben vom ATLS in den Hangar geholt wurden, fragte er sich allerdings kurz, ob einer von den anderen Staffelführern diese Jäger überhaupt WOLLEN würde, selbst wenn man sie ihm anbot. Bei der einen handelte es sich um eine fast vorsintflutlich zu nennende und sichtlich ramponierte Phantome B, während die zweite Maschine zwar immerhin zur D-Serie dieses Jägers gehörte, allerdings so aussah, als wäre sie durch die Hölle geflogen. Die Panzerung war an etlichen Stellen regelrecht heruntergeschmolzen worden, mindestens eine der Bordkanonen hatte ordentlich was abbekommen, und eine der Raketenpylonen fehlte.
Aber beide Maschinen setzten sauber auf, was zumindest einige der bereitstehenden Bodenmannschaften zu überraschen schien.

Kano wünschte sich, dass er die Zeit gefunden hätte, seinen Raumanzug loszuwerden. Obwohl das neue Modell wesentlich mehr Tragekomfort bot, nach einem mehrstündigen Einsatz…Aber das musste warten.
Die vom Gefechtseinsatz gekennzeichneten Abzeichen auf den Flanken der Maschinen sagten ihm erst einmal nichts, auch wenn sie vertraut schienen. Auf jeden Fall stammten die Phantomes weder von der DERFLINGER, noch der ANZAC. ‚Moment. Da steht doch was von MC auf der Phantome D. Heißt das etwa…‘
Dann wurden seine Überlegungen von dem fast synchronen Aufklappen der Cockpitkanzeln unterbrochen. Der Pilot der Phantome B war schneller als sein Kamerad, da er sich vorschriftswidrig die Benutzung der Cockpitleiter sparte. Stattdessen ließ er sich einfach vom Rand der Pilotenkanzel fallen und landete mit fast elegant wirkender Sicherheit auf dem Hangarboden. Der selbst in dem Raumanzug drahtig und durchtrainiert wirkende Körper fing den Aufprall mühelos mit einem leichten Einknicken der Beine und einem halben Seitenschritt aus.
‚Sehr beeindruckend. Und was wäre gewesen, wenn du dir bei diesem Stunt das Bein gebrochen hättest?‘ Aber Kano sparte sich eine entsprechende Bemerkung. Wenn er mit seiner Vermutung richtig lag, dann hatte er wohl gar nicht das RECHT, etwas zu sagen…

Der Pilot der Phantome B hatte inzwischen die Verschlüsse seines Helms gelöst. Zum Vorschein kam ein kantiges, aber attraktives Gesicht, das Kano vage bekannt vorkam, und das von einem Paar intensivblauer Augen dominiert und einem weißblonden, etwas verschwitzen Haarschopf gekrönt wurde. Kano schätzte den Mann auf ungefähr seine Altersstufe ein. Die fast arrogant wirkende Selbstsicherheit seiner Bewegungen ließen den Lieutenant allerdings älter wirken, wurde aber von dem ansteckend wirkenden Lächeln gemildert. Kurz fragte sich Kano, ob Cunningham vielleicht früher so ähnlich gewirkt hatte, bevor die Jahre, der Krieg, der aufreibende Dienst, Verantwortung und Schuld ihn zermürbt hatten.
„Lieutenant Cochrane meldet sich zum Dienst.“
Der Name ließ bei Kano eine Alarmglocke losschrillen, aber er wurde durch einen Aufnäher auf der Pilotenmontur abgelenkt, die seine Vermutung bestätigte: „Sie kommen von Masters, Lieutenant?“
Der Pilot schnaubte amüsiert: „Eigentlich komme ich von Hannover. Ehemals First Lieutenant der konföderierten Streitkräfte, dreizehn Abschüsse. Dann habe ich…auf eigenes Betreiben hin die Fahnen gewechselt. Statt wie vorgesehen auf die DERFLINGER versetzt zu werden, wurde ich von der Nationalgarde von Masters angefordert…“
‚Da hat wohl jemand seine Kompetenzen überschritten.‘ Aber wahrscheinlich war der Personalabteilung auf der DERFLINGER in dem ganzen Chaos gar nicht aufgefallen, dass die Nationalgarde in ihrem Garten wilderte.
„…ein weiterer Abschuss bei der Schlacht um Masters. Notlandung der beschädigten Maschine. Da dann noch Piloten für ein Ablenkungsmanöver gebraucht wurden und mein Vogel noch einsatzfähig war…“
„Und jetzt sind Sie hier.“ vollendete Kano.
„Ich dachte, wenn ich schon noch mal in die Luft komme, wäre es eine Verschwendung, meine Maschine nur für eine Runde Schaufliegen zu starten.“
„Oh, ein echter Held!“ schaltete sich ein Petty Offizier der Bodencrew mit ein. Kano wunderte sich über den abfälligen, ja feindseligen Ton des Mannes. Seine nächsten Worte beantworteten Kanos unausgesprochene Frage: „Unser Superflieger wurde durch alle Medien gereicht. Klaut Papi eine komplette Staffel und haut damit ab. Frag mich bloß, wann er den Stunt wiederholt – aber diesmal mit uns!“
Der Ex-Konföderierte verzog amüsiert den Mund: „Sie können ruhig frei sprechen, Sergeant. Aber Edward Cochrane ist mein ONKEL – nicht mein Vater. Und es war nur eine Sektion, keine Staffel. Machen Sie mich nicht größer, als ich bin.“
„Ich mache…“
„Halten Sie den Mund.“ Kanos Stimme war leise und hart, und duldete keinen Widerspruch: „Sie haben kein Recht, diesem Mann irgendetwas vorzuwerfen. Er hat mehr Akarii abgeschossen, als Sie jemals zu Gesicht bekommen haben. Mehr für seine Heimat getan, geopfert und aufgegeben, als Sie es sich überhaupt vorstellen können. Also wagen Sie es nicht, ihn zu verurteilen. Tun Sie ihre verdammte Pflicht und sorgen Sie dafür, dass seine Maschine wieder einsatzfähig ist. Denn er wird starten, um auch ihr erbärmliches Leben zu verteidigen.“
Nicht nur der derartig Abgekanzelte wurde durch diesen Ausbruch regelrecht überfahren. Kano war nicht laut geworden, aber hätte er den PO angebrüllt…die Wirkung wäre wohl nicht nachdrücklicher gewesen. Der Pilot, den Kano so vehement in Schutz genommen hatte, wirkte fast ein wenig peinlich berührt, so als fände er Kanos Worte etwas übertrieben. ‚Aber es ist nun einmal die Wahrheit.‘

„Ich sehe, unser Renegat hat sich gleich Freunde gemacht.“ Das war die Pilotin der Phantome D, eine drahtige Frau mit ruhigen Bewegungen und einem harten, aber erschöpft wirkenden Gesicht. Die grauen, kalt wirkenden Augen harmonierten gut mit dem kurzgeschnittenen grauschwarzen Haaren: „Lieutenant Jenna ‚Killer‘ Duncan, Marinekorps. Ich schätze, meine Geschichte ist nicht ganz so farbig. Fünfzehn Jahre Marinekorpsflieger. Zwei bestätigte Abschüsse. Sind noch andere von uns gelandet?“
„Wie viele waren Sie?“
„Mindestens vier. Aber wir haben uns getrennt, um den Akarii kein zu verlockendes Ziel zu bieten. Also sind…nein. Wir sind die einzigen, richtig?“
Kano zuckte unbehaglich mit den Schultern. Gegenüber diesen Piloten empfand er eine seltsame Mischung aus Bewunderung und schlechtem Gewissen. Keiner von Ihnen hatte den Angry Angels bisher einen Vorwurf gemacht, aber das änderte nichts an Kanos Gewissensbissen. Die Marines- und Nationalgardeflieger von Masters hatten bereits in zwei Gefechten mehr geleistet, als man von Garnisonseinheiten mit überwiegend veralteten Maschinen hätte erwarten können. Dass einige von ihnen nach ihrem blutigen Opfergang noch einmal die Kraft gefunden hatten, erneut aufzusteigen und sich dann sogar – über ihren Einsatzbefehl weit hinausgehend – entschlossen hatten, zu der TSN-Flotte zu stoßen, die sie zuvor im Stich gelassen hatte…
„Vielleicht kommen Sie noch.“
Duncan winkte nur resigniert ab. Genauso wahrscheinlich, wenn nicht wahrscheinlicher war, dass die anderen hatten umkehren müssen. Oder abgeschossen worden waren: „Wenn Wünsche Flügel hätten, bräuchten wir keine Maschinen. Egal. Ihre Hangarkriecher sollen lieber zusehen, dass sie unsere Mühlen wieder vollkriegen, statt sich auf ein Wettpinkeln mit unserem Promi-Deserteur einzulassen. Die Vorstellung ist vorbei.“
„Soweit waren wir schon, Lieutenant.“ bemerkte Kano trocken und warf den Mitgliedern der Bodencrew einen auffordernden Blick zu, worauf sie sich zerstreuten. Einige warfen den Piloten noch einen bösen Blick zu – offenbar die Gefolgschaft des Petty Offiziers, den Kano zusammengestaucht hatte. Die meisten schienen aber einfach nur zu bedauern, dass ‚die Vorstellung vorbei war‘, wie sich Duncan ausgedrückt hatte.

„Wir sorgen inzwischen dafür, dass Sie sich etwas frisch machen und ausruhen können. Wahrscheinlich werden Sie auch Hunger haben.“ Kano lächelte kurz: „Und dann sollten wir auch moderne Raumkampfanzüge für Sie finden. Wenn Sie schon noch einmal in den Einsatz müssen…“
Killer lächelte sardonisch: „Sie denken wirklich an Alles, Lieutenant. Wenn ich gewusst hätte, dass die TSN so einen Service bietet, hätte ich dem Korps längst Adieu gesagt…“
„Wir tun unser Bestes.“ ‚Vielleicht kann ich das ja noch auf La Reine abwälzen…’ Dann hatte er vielleicht genug Zeit, um nach Crusader zu sehen und sich nach seiner Schwester zu erkundigen.
„Welche Staffel sind Sie?“
„Die Butcher Bears. Eine Nighthawk-Staffel.“
Duncan klopfte ihrem Kameraden mehr kraftvoll als freundschaftlich auf die Schulter: „Hast du gehört? Wir fliegen mit jemandem, der mindestens genauso oft im Fernsehen sein wird, wie du mit meiner ‚ich wählte die Fahnenflucht, weil ich die Schande nicht wählen wollte‘-Geschichte. Oder zumindest sein Double für diese affige Pilotenschmonzette. Ich schmeiß mich weg…“
Kano unterdrückte den Impuls, mit den Augen zu rollen. Er war sich immer noch nicht ganz sicher, ob er von dem Hype um diese ‚Hinter den feindlichen Linien‘-Serie geschmeichelt oder einfach nur genervt sein sollte. Und wenn jemand auf die Idee kommen sollte, dass auch die eher…persönlichen Aspekte seiner Beziehung zu Kali eine Rolle zu spielen hatten…
„Ach ja, Sie sind doch derjenige, der seine Maschinen im Wochentakt verschleißt. Wie viele haben Sie den in dieser Schlacht geschafft?“
Noch etwas, was ihm auf die Nerven ging. Aber er schuldete Killer wohl mindestens die Toleranz, die er gegenüber Crusader, La Reine und Huntress aufbrachte: „Bisher erst einen. Aber es kann ja noch viel passieren, Lieutenant.“
„Und wie viele Akarii haben Sie abgeschossen?“ schaltete sich Cochrane ein.
„Drei…“
„Aber es kann ja noch viel passieren, Lieutenant.“ vervollständigte der Ex-Konföderierte grinsend. Gleichzeitig bedeutete er Duncan höflich, dass sie vorangehen sollte, was die Marines mit einem leicht sarkastischen Gesichtsausdruck quittierte. Etwas an Cochranes Geste weckte Kanos Aufmerksamkeit. Wenn er es genauer bedachte…
„Sie sind verwundet?“ Kanos Stimme war leise, dass vielleicht nicht einmal Killer etwas davon mitbekam. Cochrane hatte allerdings offenbar keine Probleme, ihn zu verstehen: „Es ist wohl eher eine Prellung. Die Notlandung auf Masters lief nicht ganz so glatt.“
„Und trotzdem hüpfen Sie hier aus der Maschine?“
„Ich war lange genug in dem Cockpit. Vielleicht hatte ich einfach Raumangst.“
Kano schüttelte den Kopf. Die Sorte Humor kam ihm bekannt vor.
„Sie werden mich nicht sperren?“
„Ich sollte Sie wenigstens zum Arzt schicken…“
„Was wissen die schon? Und selbst wenn ich nur einen Arm hätte, fliege ich immer noch besser als die Hälfte der Piloten, die ich hier sehe.“
‚An Selbstvertrauen mangelt es dir jedenfalls nicht.‘ Aber wenn Cochranes Abschussliste stimmte – vierzehn Akariis – dann hatte er vielleicht sogar Recht. Und außerdem…er hatte buchstäblich ALLES riskiert, um weiter fliegen und kämpfen zu können. Kano kannte Piloten wie Cochrane. Lilja zum Beispiel, Ace – und auch er selbst. Er fühlte sich irgendwie nicht berechtigt, diesen Mann seine Maschine zu nehmen: „Also gut. Aber ich kenne jemanden, der sich Ihren Arm mal ansehen wird, ohne gleich Meldung zu machen.“
„Na schön…“
„Haben Sie eigentlich auch noch andere Jarheads in ihrem Haufen?“ mischte sich Killer ein.
„In der grünen Staffel haben wir noch eine Ex-Marines, Marine. Und die Butcher Bears haben auch einen Piloten, der beim Korps war. Phoenix, ich glaube früher flog er als ‚Joker‘.“
„Sagt mir jetzt erst mal nichts. Aber es ist gut, noch ein paar Ledernacken dabei zu haben.“
„Und dann hatten wir noch Goliath. Er war für das Korps auf Pandora im Einsatz bevor er…“ Kanos Gesicht wurde ausdruckslos. Er dachte nicht gerne an den Einsatz über T’rr zurück.
„Gefallen?“
„Vermisst. Musste auf einem feindlichen Planeten notlanden.“
„Eine verdammte Schande. Überlebt den Einsatz in diesem Scheißloch an der konföderierten Grenze, nur damit ihr ihn dann über irgendeinem verfluchten Echsenplaneten verliert. Auf Pandora gab es wenigstens keine Eidechsen, die schießen können…
Ich würde ja gerne sagen, dass das Korps nie einen Mann oder eine Frau zurücklässt. Aber das wäre eine Lüge…
Nun, wenn euer Goliath ein ECHTER Marines war, dann macht er den Scheißechsen jetzt aber ganz schön die Hölle heiß.“
Kano war da nicht ganz so optimistisch, fühlte sich aber nicht berechtigt, seine Zweifel laut zu äußern. Stattdessen wandte er sich wieder zu Cochrane um: „Sie haben mir noch gar nicht Ihr Callsign verraten, Lieutenant.“
Duncan lachte jäh auf: „Er hat sich bei uns mit Top Gun vorgestellt. Und das sagt ja dann wohl Alles aus…“
Kano fühlte, wie seine Mundwinkel kurz zucken: „Sie passen jedenfalls gut zu den Angry Angels. Genauso wie Sie, ‚Killer‘. Willkommen bei dem Geschwader der Entscheidungsschlachten. Es wird Zeit, dass wir unserem Ruf endlich wieder gerecht werden…“

In diesem Augenblick wäre er beinahe mit einer schlanken Gestalt zusammengestoßen, die auf ihrem entschlossenen und zügigen Weg von Punkt A nach Punkt B offenbar nicht gewillt war, sich durch irgendetwas aufhalten zu lassen. Durch den schweren Pilotenanzug war Kanos Reaktion ein wenig zu langsam, doch wurde dies durch die schnellen Reflexe seines Gegenübers ausgeglichen.
Die Frau fuhr herum, offenbar bereit und willens, ihren Unwillen deutlich Ausdruck zu verleihen…
Aber als Lilja erkannte, wen sie da beinahe über den Haufen gerannt hatte, schluckte sie hinunter, was ihr wahrscheinlich auf der Zunge gelegen hatte. Ihr gewöhnlich recht ausdrucksstarkes Gesicht erstarrte in einem Ausdruck, den Kano kannte, und der ihn mit einer unguten Vorahnung erfüllte: „Was ist…“
Die russische Pilotin zögerte mit ihrer Antwort, was Kanos Nervosität noch steigerte.
„Es ist Sakura, richtig? Wie…“ Kano musste blinzeln, um den Schweiß aus den Augen zu bekommen, der ihm plötzlich über seine Stirn rann. ‚Alles bloß das nicht. Nicht meine kleine Schwester…‘
Lilja starrte ein wenig konsterniert auf Kanos Hände, die plötzlich ihren Arm gepackt hatten, machte aber keine Anstalten, sich aus seinem Griff zu lösen. Vielleicht weil sie nachvollziehen konnte, wie Kano sich fühlen musste: „Sie lebt. Mach dich nicht verrückt! Sie wurde an der Schulter verletzt. Ein ziemlich hässlicher Bruch. Aber das wird wieder.“
Kano zwang sich dazu, seinen Griff zu lockern: „Entschuldige.“
Die Russin winkte verärgert ab: „Lass den Unsinn. Ich lass mich von Ace vollsülzen, glaubst du da mach ich Stress, weil du dir um deine Schwester Sorgen machst? Mein Bruder ist schließlich auch bei den Streitkräften.“ Sie zögerte, offensichtlich hin- und hergerissen zwischen Verantwortung und Mitgefühl: „Ich schätze…es hat wenig Sinn, wenn du jetzt zur Krankenstation rennst. Wir kriegen immer noch weitere Verletzte rein – Piloten, Schiffbrüchige…
Du kannst nichts tun. Sieh lieber zu, dass du und deine Einheit in Topform sind, wenn wir wieder starten müssen. So hilfst du ihr am meisten.“
„Ich weiß, was meine Pflicht ist, Lieutenant Commander.“ Kanos Stimme klang etwas steif. Dass Lilja recht hatte, machte ihre Worte nicht besser. ‚Ich bin nicht Ace, den sie an seine Pflicht erinnern muss‘.
Lilja blinzelte kurz, wirkte vielleicht sogar ein klein wenig verletzt, entschied sich dann aber, darüber hinwegzusehen. Stattdessen musterte sie seine Begleiter und kurz zuckte eine andere Emotion über ihr Gesicht, die Kano nur sehr selten bei Lilja gesehen hatte – Reue und Gewissensbisse. Wie viele andere Piloten empfand sie es als Schande, dass die TSN Masters im Stich gelassen hatten. Offenbar hatte sie bereits erkannt, wo Kanos Begleiter herkamen: „Es ist mir eine Ehre, mit den Helden von Masters zu fliegen…“
Ein jähes Auflachen von Duncan unterbrach sie: „Heldin?! So hat mich vor heute noch keiner genannt! Held spielen ist was für unseren Ex-Konföderierten. Ich will einfach noch ein paar Akarii kaltmachen.“
Lilja lächelte frostig, was ihre Narben noch deutlich hervortreten ließ: „Glauben Sie mir, ich weiß GENAU was Sie fühlen…“
29.02.2016 06:37 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Ace

"Scheiße! Scheiße! Scheiße!" Das Erwachen war furchtbar. Ein sicheres Anzeichen dafür, das es eingeleitet worden war. Und ein noch sicheres Zeichen dafür, dass meine letzte Erinnerung, aus meinem Jäger geschossen worden zu sein, richtig war. Der verfickte neue Raumanzug hatte mich sediert, kaum dass ich das All geküsst hatte. Natürlich reichten die Atemreserven dann länger. Natürlich konnte man ohnehin nichts anderes tun, als dahinzutreiben, selbst wenn man wach war. Und natürlich war es für viele Piloten sicher ein Segen, nicht darüber entscheiden zu müssen, ob und wann eine Sedierung sinnvoll, oder nicht mehr zu umgehen war. Der Nachteil der Geschichte, und das hatte nicht auf dem Beipackzettel gestanden, waren die Hammerkopfschmerzen, die man bekam, wenn man aus der Narkose wieder erwachte. Und, wie ich feststellen musste, waren sie noch schlimmer, wenn einem das Medikament aus dem Körper gespült, man zum Aufwachen gezwungen wurde.
"Ruhig, Sie Held.", sagte eine spöttische Männerstimme. "Sie kriegen gleich eine Kochsalzinfusion. Dann hört das böse Aua auf."
"Doktor Pfeiffer?", fragte ich mit rauer Stimme. Verdammt, was war das nur für ein Zeug, das die in den neuen Raumanzügen verbauten? Nicht einmal in Camp Hellmountain hatte ich mich je so... Betäubt gefühlt. Den Stich in den Oberarm bemerkte ich trotzdem.
"Leider nein. Blomberg ist mein Name, und ich bin nur Stabsarzt, kein Doktor. Sie sind an Bord eines Shuttles, das Sie zur COLUMBIA bringen wird. Da Sie unverletzt sind, hat Ihr neuer CAG entschieden, dass Sie so schnell wie möglich fit gemacht werden sollen. Sie werden bei Ihrer Staffel gebraucht."
"Neuer CAG?", fragte ich angespannt. "Und was ist mit meiner Staffel?"
"Raven und ihr Co-Pilot wurden rausgeschossen. Keine Ahnung, ob sie schon aufgepickt wurde. Sie waren relativ dicht dran an den Akarii. Da hatten Sie es besser, Lieutenant. Sie haben sich für Ihre Heldentat einen Ort ausgesucht, den ein SAR schnell erreichen kann. Und soweit ich weiß haben es neun oder zehn Ihrer Maschinen zurückgeschafft."
Das bedeutete maximal zwei Verluste, wenn es übel ausgegangen war. Das beinhaltete Checker, Montgommery und Cherry, den drei Waisen, die kurz vor dem Start in die Schlacht um Masters meiner Staffel zugewiesen worden waren, um sie wieder auf Gefechtsstärke zu bringen.
"Woran können Sie sich noch erinnern, Lieutenant?", fragte Doktor Blomberg.
"Daran, dass wir uns zum Träger durchgekämpft haben... Wir haben die Dornier vom Flying Circus eskortiert. Dabei musste Montgommery aussteigen. Keine Ahnung, ob sie es geschafft hat. Dann der Träger. Dieses merkwürdige Ding. Zusammengeflickt, garantiert. Aber warum war es das Flaggschiff, wenn sie in diesem Zustand war, aber zwei Uniform zur Verfügung stehen, verdammt? Und die ELOKA dieses Dings war verdammt gut. Ich wette, ich habe nicht ein gutes Bild von der Mühle, bevor sie explodiert ist, auf der Blackbox. Aber ich sage Ihnen was, mit dem Mistding stimmte etwas nicht! Als ich es gesehen habe, da..."
"Sie war ein Dummy."
"Was?" Entsetzt fuhr ich auf - und bereute den Impuls gleich wieder. Heftige, pochende Kopfschmerzen machten mir zu schaffen. "Autsch!"
"Zumindest sagen das Ihre Kollegen. Keine Verteidiger gestartet, kaum Gegenwehr geleistet, aber fast einhundert Mavericks auf sich gezogen. Als der Erste anfing, das Ding ein Opferlamm zu nennen, ging es los. Mittlerweile ist man sich einig, dass man ein Dummy ins nächste Universum geblasen hat. Aber eine offizielle Untersuchung steht noch aus. Wie Sie schon sagten, Lieutenant, die ELOKA der Akarii ist wirklich verdammt gut. Wieviel sind eins und neun?"
"Zehn." "Drei mal sieben?" "Feiner Sand."
"Das fasse ich dann mal als Zeichen auf, dass Sie wieder einsatzbereit sind. Vorsicht, hier kommt die Kochsalzlösung. Die hilft Ihnen, mit den Resten des Sedativums klarzukommen."
Tatsächlich fühlte ich nicht viel von der Infusion. Außerdem beschäftigten mich die Worte des Arztes. Verdammt, wie hatten wir uns nur so sehr verarschen lassen können? Was war in der Flaggkabine losgewesen, dass man sich da oben so sehr hatte verarschen lassen? Hatte es nicht einen hochbezahlten Commander oder Admiral gegeben, dem etwas am falschen Uniform negativ aufgefallen war? Also, wenn dafür keine Köpfe rollten, dann... Ich schreckte wieder hoch. Entsetzt diesmal. "Wer führt meine Staffel im Moment?"
"Chip war sein Name. Ich weiß es deshalb, weil er sich nach Ihnen erkundigt hat. Als ich sagte, es ginge Ihnen den Umständen entsprechend sehr gut, hat er gefragt, ob Sie diesmal alleine im Cockpit gewesen wären und gelacht. Muss ich das verstehen? Die Falcon ist doch ein Einsitzer."
"Die Nighthawk nicht. Manchmal nicht.", murmelte ich. "Das ist ein Insiderwitz unter uns. Geht zurück auf die Schlacht bei Karrashin."
"Ich war bei der Schlacht um Karrashin. Sowohl über Karrashin V, als auch am Wurmloch. Den Insider hat mir aber niemand erzählt.", murrte der Arzt.
"Schon gut. Ich werde Chip einfach den Arsch dafür aufreißen, dass er Staatsgeheimnise halb ausgeplaudert hat, und alles ist wieder in Ordnung." Der Bluff wirkte. Ziemlich gut sogar.
"Oh. Gut, na dann... Was ist das Letzte, woran Sie sich erinnern können, Lieutenant? Und fühlen Sie sich so gut, wie Ihre Körperwerte vermuten lassen?"
Ich dachte nach. "Ich fühle mich, als hätte ich Kopfschmerzen."
"Ha, ha, sehr witzig."
"Aber ansonsten geht es mir gut. Ich schätze, ich könnte sitzen, wenn Sie es mir erlauben."
"Nach der Infusion. Was noch?"
"Nun, wir haben die Dornier wieder raus begleitet, haben uns im Gewirr abgesetzt. Wir haben uns bei den Kreuzern gehalten, um eventuelle nachrückende Jäger abwehren zu können. Schließlich waren da immer noch zwei Träger und mindestens zwei Golf draußen. Wir..." Für einen Moment musste ich hart schlucken. "Doktor, ich muss Sie jetzt um einen großen Gefallen bitten. Das, was Sie Heldentat nannten, das war mein verzweifelter Versuch, einige Rettungsboote und Shuttles eines Schiffes zu decken, das beim Rückzugsgefecht abgeschossen wurde. Mein Bruder diente an Bord, und es hätte gar nicht der Anweisung bedurft, sie abzuschirmen, als ich es tat. Es war vor allem die Hoffnung, Ian könnte an Bord eines der Shuttles sein. Könnten Sie sich für mich informieren, ob..." Ich schluckte hart, und meine Kehle fühlte sich unglaublich trocken an. Meine Hände begannen zu schwitzen. Ich hatte Angst, die größte Angst in meinem Leben. So schlimm hatte ich sie noch nie verspürt. Was, wenn ich meinen kleinen Bruder überlebt hatte?
"Ian? Davis, wie Sie, Lieutenant?"
"Ja. Lieutenant Jaygee Ian Davis."
"Ich sollte Sie jetzt vielleicht mal drüber informieren, dass wir ein Shuttle der KAMI sind. Von dem Schiff, dessen Überlebende Sie und Ihr Flügelmann beschützt haben, und die deshalb aus ihren Maschinen geschossen worden sind." Der Doktor klopfte mir auf die Schulter. "Sie dürfen aufstehen und Ihre Infusion mitnehmen." Er deutete tiefer in den Raum. "Der da mit dem halb zerfetzten Arm, den multiplen Knochenbrüchen in Ober-, und Unterarm sowie dem Schlüsselbeinbruch und einiger Dinge, die ich noch nicht entdeckt habe, ist Ihr Bruder, wenn ich mich nicht irre."
Aufgeregt sprang ich auf. Das Schwindelgefühl setzte ein, ich knickte weg, aber raffte mich wieder auf. Das Schicksal konnte alles - ALLES - von mir verlangen, wenn es diesen Moment wahr sein ließ! Wenn dies kein Traum, sondern die Wirklichkeit war! Lobpreisend und Hosianna brüllend würde ich mich in die nächste Atomrakete stürzen, wenn sich die Gelegenheit dazu ergab, wenn es wirklich mein kleiner Bruder war, der dort drüben saß, mit dem Rücken zu mir!
"Danke, geht schon.", wehrte ich den Artz ab. "Ian! IAN!" Ich stürzte mehr, als das ich ging, durch die Reihen der Liegen, bis ich zu den Verwundeten kam, die stehen oder sitzen konnten. Der Mann, der mein Bruder sein sollte, wandte sich zu mir um. Ich hoffte, betete, flehte mit jedem Zentimeter, er möge es sein.
Wie versteinert blieb ich stehen. "E-entschuldigen Sie. Ich habe Sie verwechselt. Ich..."
"Cliff?"
"Ich habe dir gleich gesagt, den Bart stehen zu lassen war eine dumme Idee.", sagte eine junge Schwarze neben ihm, die seine Hände hielt. Die eine Hand zumindest, denn die andere war geschient und verbunden, wie der Rest des Arms.
"Ian?" Ungläubig starrte ich den Mann mit den ernsten grauen Augen und dem hellblonden Vollbart an. Zumindest dem Ansatz davon. Nein, ich hätte ihn nie wiedererkannt. Was war nur mit meinem Bruder geschehen? Was hatte ihn so sehr verändert, dass ich sein Gesicht... Nicht nur der Bart, es war mehr. All die Heiterkeit, die Frozzelei war daraus gewichen, war nicht hart geworden, aber ernst. Und traurig. Die rotgeweinten Wangen waren auch etwas, was ich an ihm nie gesehen hatte, nicht einmal, als er mit Jean um ihren toten Verlobten geweint hatte. Davon war nichts mehr übrig. Was blieb, war etwas, was man durchaus für eine jüngere, verletzte Version von meinem Vater halten konnte. Schmächtiger, kleiner, aber es war der gleiche Blick wie bei Truman Davis. "IAN!"
Erleichtert ging ich die letzten Schritte, zerrte den Ständer mit der Infusion mit und fiel vor ihm auf die Knie. Ich kniete vor ihm, unfähig zu sprechen, all das zu sagen, was mir durch den Kopf ging, all das zu sagen, was jetzt eigentlich rausmusste. Ich spürte meinen Tränen fließen, die unendliche Erleichterung, die durch meine Eingeweide tobte. Schließlich schloss ich die Rechte um ihn, sorgsam darauf bedacht, seinen verletzten rechten Arm nicht zu berühren.
"Cliff!" Seine Tränen flossen über meine Wangen. "Ich habe versagt. Ich habe so furchtbar versagt! Ich habe ihn getötet, Cliff. Dabei war er doch Justus' bester Freund!" Er schluchzte laut auf.
"Aber du hast mich gerettet.", wagte es die Frau in der Uniform einer Lieutenant Senior Grade einzuwenden. "Mich hast du gerettet." Ihre Stimme brach bei diesen Worten, wurden so sehr von Schmerz erfüllt, das es wehtat, sie zu hören.
Ian löste sich von mir, zumindest ein Stück. Er griff nach der Frau, zog sie im Nacken zu sich heran und legte seine Stirn auf ihre. "Ich hätte dich nicht zurückgelassen, Chausiku. Ich wäre mit dir gestorben. Ich war bereit, mit dir zu sterben. Ich war da, um mit dir zu sterben."
Die Lieutenant schluchzte trocken, ihr Gesicht verzerrt irgendwo zwischen Schmerz und Glück. "Ian..."
Die beiden erbebten lange Zeit unter lautlosen Tränen, berührten sich in stillem Einverständnis, einem höheren Verständnis, in dem ich mich wie ein Außenseiter fühlte. Nun, bis auf die Erkenntnis, dass die Davis-Familie wohl demnächst wachsen würde. Wieder einmal.
"Wen hat es erwischt?", fragte ich noch einmal, als mein kleiner Bruder sich etwas beruhigt hatte.
"Haruka. Haruka Ichihiro."
Ich schwieg erschüttert. Ich kannte, ich meine, ich HATTE Ichihiro gekannt. Ein Kerl nach meinem Geschmack, vielleicht etwas zu steif. In einem Anfall von Galgenhumor ging es mir durch den Kopf, dass er nun umso steifer war als zuvor. "Das tut mir leid.", sagte ich leise. "Haru-chan war ein feiner Kerl. Ich habe ihn gemocht."
Ein Lacher ging über die Gesichter der beiden, auf denen immer noch Tränen glänzten. "Er hat ihn Haru-chan genannt.", meinte Ian lächelnd. "Hätte er das jemals gehört, dann..."
"Ja, es hätte ihm gefallen. Auch wenn er es nie zugegeben hätte.", flüsterte Chausiku und griff sich unbewusst an den linken Unterschenkel, wo normalerweise ein Fuß sitzen musste. In ihrem Fall aber war da nur eine Pressluftmanschette, die verhinderte, dass sie verblutete. Was genau war geschehen?
"Er hat mich gerettet, Cliff. Mich und Chausiku." Er räusperte sich. "Darf ich vorstellen? Lieutenant Chausiku Denge, KAMI." Er zögerte. "M-meine Freundin."
"Freut mich, Sir. Trotz der Umstände." Schüchtern reichte sie mir die Hand.
"Sagen Sie nicht Sir. Wir sind gleichrangig."
"Mag sein, aber Sie sind Ace, oder? Sie sind von uns beiden der Staffelchef. Sie sind dienstälter im Rang."
Was mich daran erinnerte, dass ich diesmal wirklich einen meiner Untergebenen von seiner Mühle jagen musste, wenn ich zurückkam. Um meine Staffel zu führen, musste ich mit ihr fliegen. "Danke, das erinnert mich daran, dass ich dem Flightboss und dem Skipper mal wegen einer Beförderung in den Ohren liegen sollte." Wegen meiner Beförderung und wegen Ohkas Beförderung. Falls er nicht schon wieder irgendwo im System im Weltall herumtrieb, weil er seine Maschine zuschanden geflogen hatte.
"Lieutenant Davis, und ich meine Ace, nur um das klarzustellen.", sagte Doktor Blomberg. "Wir setzen auf der COLUMBIA auf. Sie sollen sofort in Ihre Verfügung gehen. Ein gewisser Irons hat das ausdrücklich betont. Und keine Sorge, die beiden hier gehen nirgendwohin als auf die Krankenstation des Trägers." Er räusperte sich. "Sieht so aus, als stünde die nächste Schlacht an."
Mit geübtem Griff nahm er mir, noch während ich aufstand, die Infusionsnadel ab und klebte ein Druckpflaster auf die Wunde.
"I-ich muss los. Aber ich komme dich besuchen, nachher. Euch, meine ich. Miss Denge, passen Sie gut auf meinen kleinen Bruder auf."
"Das werde ich, Sir.", sagte sie im Brustton der Überzeugung.
"Halt die Ohren steif und heul Jean nicht die Ohren zu, hast du gehört?"
"Ich denke, ich habe genug geheult, Cliff.", sagte mein kleiner Bruder.
Ich fuhr ihm über den Kopf, dann musste ich los. Aber ich fragte mich schon, was auf dem Schiff passiert war, sodass mein kleiner Bruder sich die Schuld am Tod von Haru-chan gab.
Auf mich warteten allerdings zwei Aufgaben. Einerseits musste ich einen Tech finden, der mir eine neue Sedationsdosis in den Anzug einbaute, andererseits war da eine Staffel, die geführt werden musste. Das konnte ich noch immer nicht Chip überlassen. Aber einer musste es ja tun. Verdammt.

***

Chaos und Zerstörung auf der Brücke. Die KAMI war dem Tode geweiht, und sinnstärkster Ausdruck dafür waren die Zerstörungen, die die gleiche Sorte von Treffer angerichtet hatte, die schon einmal die Hauptbrücke außer Gefecht gesetzt hatte. Doch diesmal war die Wucht stärker gewesen, war bis durch die Panzerhülle geschlagen. Die sich verflüchtigende Atemluft hatte zwei Brückenmitglieder ins Vakuum gesaugt, bevor Commander Andread, der freiwillige Colonial, das Leck mit der Leckpistole notdürftig schließen konnte. Und das allgegenwärtige Symbol für die Verlorenheit des Schiffs war ihr Kapitän, der von einem Panzersplitter in die Brust getroffen und getötet worden war. Haruka Ichishiro war von dem Metallstück an den Sessel genietet worden.
"Er ist tot!", rief der Sanitäter, der hastig seinen Puls gecheckt hatte. "Raus, raus, raus, bevor die Plombe bricht!"
Andread warf dem Toten einen letzten, verzweifelten Blick zu, dann packte er einen der Letzten an Deck, den jungen Davis, an der Schulter und zerrte ihn mit sich hinaus. Dem Bengel hing der Arm sowieso in Einzelteilen von der Schulter und es wurde höchste Zeit, dass er in die Hände eines Arztes kam. "Raus jetzt!", befahl er streng. Mit dem Skipper hatten sie siebenundzwanzig Tote alleine auf der Brücke. Dumas, Henrik, der Skipper, kaum ein höherer Dienstgrad hatte es raus geschafft, als und nachdem der Tod mit dem großen Hammer zugeschlagen hatte. Den Rest der Reihe füllten Lieutenants, Chiefs und Petty Officers. Verdammt. Und prompt in diesem Moment ließ Commander Maeda, der Erste Offizier, von der Zweitbrücke aus das Signal "Alle Mann von Bord" erklingen. Das sagte genug über den Zustand des Wracks aus.
"Chausiku!", rief Davis auf einmal aufgeregt, wirbelte herum und lief wieder zurück.
"Verdammt, Davis!", fluchte Andread und eilte zur Tür weiter, um sie zu blockieren, bis der waghalsige Verrückte wiederkam. Oder bis die Plombe brach.

***

Finsternis. Gnädiges Vergessen. Das Licht, das herrliche Licht, es strahlte. Alles war so leicht, so angenehm, so einfach. Wohlfühlen, wie in Watte gepackt sein, leben in Herrlichkeit. Es gab kein Ich mehr, kein Hier, nur noch sein.
Dumpf drang etwas durch die Watte. Ein einziges Wort, gesprochen von einer schwachen, leidtragenden Stimme: Ian.
Der junge Davis. Ach ja. Die Schlacht gegen Taran. Die KAMI war vorgeeilt, um ihr Schwesterschiff zu schützen. Hatte einen unglücklichen Treffer kassiert, der wieder mal bis zur Brücke durchgeschlagen war. Diesmal aber richtig. Er war... Er war getötet worden. Und nun schwebte er in der Leichtigkeit des Lebens danach. Oder? Jedenfalls hatte er keine Schmerzen. Ob das Schiff schwer beschädigt war? Lebte Yasuo Maeda noch? Dann musste er sich keine Sorgen machen. Er würde die Überlebenden in Sicherheit bringen, so gut er konnte. Er würde tun, was er selbst nicht mehr schaffen würde, weil ein Bolzen ihn an seinen Sessel genagelt hatte. Aber es war gut so. Er ging mit seinem Schiff unter. Das hatte er sich verdient, seit er den Posten von Justus übernommen hatte. Er hatte damit gerechnet, seit er das erste Mal an Bord eines Schiffs der Navy gegangen war. Und das Ende war unausweichlich, aber ruhmreich. Man würde sich seiner erinnern, im Guten erinnern. Und mit dem Tod wurden auch all die kleinen Sünden ausgelöscht, die ihn einst auf die KAZE verbannt hatten. Übrig bleiben würde Captain Ichishiro, der Kriegsheld. Ein beruhigender Gedanke.
"Einmal brauche ich dich noch, alter Freund.", klang eine Stimme auf, die Haruka zu gut kannte. "Justus?"
"Einmal musst du noch was für mich tun.", klang sie erneut auf. Nein, das war nicht Justus. War es der Tod persönlich? Gott? Wer rief ihn? Und was sollte er tun?
Dann begann sein Herz plötzlich wieder zu schlagen.

***

"Geh,", klang die Stimme von First Lieutenant Chausiku Denge zu Andread herüber. "Geh, bevor du auch sterben musst, Ian."
"Hören Sie auf sie, Lieutenant!", blaffte der Pilot. "Kommen Sie endlich her!" Es war ihm nicht erklärlich, wie Davis die junge Frau überhaupt so schnell hatte finden und befreien können, aber er wusste die Ironie des Schicksals zu würdigen, die trotzdem verhinderte, dass sie gerettet wurde, weil ihr linker Fuß unter einem Trümmerstück feststeckte. "Nein!", rief Davis. "Commander, machen Sie dicht! Ich bleibe bei ihr!"
"Du wirst sterben.", wimmerte die Funkspezialistin.
"Ich weiß.", antwortete er.
Andread war drauf und dran, wieder auf die Brücke zu stürzen, aber zwei Dinge hielten ihn davon ab: Die Tür, die von ihm offengehalten wurde und die Plombe, die schon Blasen warf und bald brechen würde. Außerdem hatte er nicht das Räumgerät für das schwere Pulttrümmerstück, das Denge gefangenhielt. Was dann geschah, hätte er nie geglaubt, wäre es ihm erzählt worden. Aber er hatte es mit eigenen Augen gesehen.
Ein Ruck war durch den Skipper gegangen. Dann noch einer. Und dann hatte er sich erhoben. Voller Unglauben hatte Andread dabei zugesehen, wie der Mann sich erhob, schwankend, wie ein nur leidlich kontrollierter Untoter. Ja, ein Untoter, ein Zombie, der noch nicht gemerkt hatte, dass er tot war. Es krachte laut, als der Splitter, der den Skipper auf seinem Sessel festgenagelt hatte, herausgerissen wurde. Deutlich war zu sehen, wie er aus Brust und Rücken ragte. Sein schwankender, taumelnder Gang ließ der Vergleich mit einem Zombie noch naheliegender sein. So eine Verwundung konnte niemand überleben, ging es Andread durch den Kopf.
Der riesige Mann taumelte zu den beiden subalternen Offizieren herüber. Dort brach er zusammen.
Als er sich wieder aufrichtete, hielt er ein Trümmerstück in der Hand, eine verdammt scharfe Kante, die sich in seine Finger schnitt. Damit schlug der Skipper zu. Zweimal. Drei Fingerglieder hackte er sich damit selbst ab. Und Denge den eingeklemmten Fuß.
Andread war von dem Schauspiel so sehr gefesselt, das er beinahe nicht bemerkte, dass die Plombe brach.
"SKIPPER!", rief er aus, als das Vakuum erneut alle Luft aus der Brücke saugte.
Der lebende Leichnam reagierte nicht. Stattdessen griff er beiden Offizieren in die Kragen ihrer Uniformen und schleuderte sie mit einer großen Kraftanstrengung in Richtung Schott. Denge wurde ihm in die Arme geschleudert und er konnte sie im sicheren Gang ablegen. Davis war gegen den Schottrahmen geprallt, aber Andread konnte ihn greifen und in Sicherheit zerren.
Der Skipper indes war erneut zusammengebrochen, und wie Andread unwidersprüchlich wusste - alles andere als diese Einsicht in die Wahrheit hätte ihn auch langfristig umgebracht - diesmal für immer. Als die Eiseskälte des Weltalls in sein Gesicht biss, ließ er das Schott endlich zufahren. Dann, dem Vorbild seines Kapitäns folgend, griff er beiden subalternen Offizieren in die Kragen und schleppte sie hinter sich her. Davis war bewusstlos vom Aufprall, Denge stand unter Schock wegen dem Verlust ihres Fußes. Andread hoffte inständig, dass sie noch ein Shuttle erreichen würden, oder eine Rettungskapsel. Nicht so sehr für sich selbst oder für Davis und Denge, sondern weil er nur so das große Opfer würde würdigen können, das der Skipper für die beiden erbracht hatte. Andread war nicht religiös, aber dennoch hielt er es für ein Wunder. Der Skipper war tot gewesen, definitiv tot! Aber um die beiden zu retten, war das Unglaubliche geschehen! Und wenn er die beiden nicht in Sicherheit brachte, waren alle Qualen, die Ichishiro auf sich genommen hatte, vollkommen umsonst gewesen.
Während er die beiden zum Glück kleinen und schlanken Offiziere hinter sich herschleifte, knirschte er mit den Zähnen. Verdammt noch mal, garantiert nicht während seiner Wache! Er begann zu rennen.
29.02.2016 06:38 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Ironheart

Staffel Rot der Angry Angels
In der Nähe von Masters
Sterntor-System

Donovan „Stuntman“ Cartmell und der übrig gebliebene Rest der Roten Staffel befanden sich im Anflug auf eine gegnerische Jägerformation, und Donovan starrte wie gebannt auf die Abstandsanzeigen, um den Feind im Anflug auf Teile der angreifenden terranischen Kreuzerschwadronen aufzuhalten. Der gegnerische Flaggträger war zerstört und damit eines der Primärziele dieser dritten – oder war es mittlerweile vierten? - Schlacht um Masters erfüllt als sich die Rote Staffel der Angry Angels neu formierte.
In Augenblicken wie diesen versuchte Donovan sich weiter zu konzentrieren, doch stundenlanges Sitzen und Konzentration forderten auch bei ihm ihren Tribut, und er musste mehrfach den Kopf schütteln und blinzeln um fokussiert zu bleiben. Schliesslich sah er es ein und erlaubte sich die Augen zu schliessen und seine Gedanken wenigstens für einen Augenblick schweifen zu lassen.

Noch vollgepumpt mit Adrenalin gingen seine ersten Gedanken an die Kämpfe der letzten Stunden, die er und seine Staffelkameraden durchgestanden hatten. Für die ausgefallenen Too-Tall und Arrow hatten sie in Frost und Shorty direkten Ersatz gefunden, Titans Sektion wieder aufgefüllt und damit die Red Sun Spirit eigentlich wieder auf Sollstärke gebracht. Doch das hatte nicht lange gehalten, waren sie doch gleich im nächsten Einsatz wieder arg dezimiert worden. Shorty war vollkommen unverständlicherweise ausgestiegen, und ob das ach so tapfere Schneiderlein noch lebte wussten sie nicht. Jedenfalls trug er zusätzlich auch noch nicht unerheblich Mitschuld daran, dass Lone Wolf übel zusammengeschossen worden war. Und das hatte zur Folge gehabt, dass ihn Kid nach Hause bringen musste, womit sie insgesamt drei Ausfälle zu verkraften hatten.
Donovans Gedanken wanderten zu seinem Staffelführer und zu der Tatsache, dass dies nun die dritte Schlacht in Folge war, in der er seinen Staffelchef verloren hatte. Erst war es Skunk gewesen, der über Karrashin abgeschossen worden war. Dann Ace am Karrashin-Kiralu Wurmloch, den er wenigstens selbst hatte retten können. Und nun hatte es Lone Wolf erwischt, und Donovan ertappte sich doch tatsächlich bei dem Gedanken, sich zu wünschen, dass Cunningham es überleben würde.
Mantis hingegen schien sich so langsam an ihre Rolle als Interimsstaffelchefin zu gewöhnen. War sie bei Skunks Ausfall noch regelrecht geschockt gewesen, so dass nicht sie – die eigentlich erfahrenere Pilotin – das Kommando über die Staffel übernommen hatte sondern Ace, so hatte sie dann die Reststaffel übernommen als sich Ace und Stuntman sich freiwillig für den Jägerangriff am Karrashin-Kiralu gemeldet hatten.
Und jetzt bei Masters war Mantis keinerlei Zurückhaltung mehr anzumerken. Sie gab routiniert Anweisungen und führte die Staffel so, als hätte sie von Anfang an das Kommando gehabt. Naja, Übung machte offenbar doch den Meister, und Donovan war das im Grunde auch deutlich lieber. Es wurmte ihn zwar immer noch, dass er sich quasi selbst aus dem Kommando geschossen hatte, denn so wie die Dinge jetzt standen, würde nach Mantis erst einmal Titan in der Staffelhierarchie kommen und Donovan war wieder einmal nur das dritte Rad am Wagen. Doch er war auch recht froh darüber, denn so konnte er sich lieber auf etwas konzentrieren, worin er ohnehin deutlich besser war: das Akarriabschiessen.
In der momentan laufenden dritten Jägerschlacht hatte er sich einen weiteren Abschuss geholt – seinen dritten in dieser Serie an Schlachten und seinen neunundzwanzigsten insgesamt, die drei Vorkriegspiratenabschüsse mitgezählt. Langsam aber sicher hatte er sich zu einem Top-Ass entwickelt, wenn auch seine Karriere davon nichts hatte. Aber man konnte eben nicht alles haben.

Donovan öffnete kurz die Augen und schloss sie gleich wieder, als er sich vergewissert hatte, dass sie immer noch auf Kurs waren. Er hatte nicht mehr lange Zeit sich zu entspannen, und er spürte auch schon, wie sich sein Magen wieder vor Anspannung zusammenkrampfte. Dieses Gefühl des Lampenfiebers würde er wohl nie ablegen können.
Um sich abzulenken dachte er an Jean Davis, die er zwischen den Schlachten gerne noch einmal getroffen hätte. Aber dazu war es nicht gekommen, denn erst hatte er sich von ihrer letzten Schlacht erholen müssen. Dann hatte er anschließend Staffelbesprechungen und andere Aufgaben erledigen müssen, wie z.B. seine Ausrüstung checken und sicherstellen, dass sein Jäger wieder einsatzbereit war. Dann war schon wieder die nächste Einsatzbesprechung gekommen, und somit waren wieder ein paar Stunden verstrichen mit der anschliessenden Aufforderung sich wieder schlafen zu legen und für den nächsten Einsatz bereit zu machen.
Ale er es dann endlich geschafft hatte, sich loszueisen, konnte er Jean wiederum im Marinesquartier nicht antreffen, da sie selbst im Einsatz war. Und als sie wieder Dienstschluß hatte, da war er wieder beschäftigt.
Und somit war seine gesamte Zeit an Bord der Columbia vergangen, ohne die Kleine wiedersehen zu können. Ein Teil von ihm war tief traurig darüber, während ein anderer fast schon froh war, denn er wusste nicht, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte. Seit ihrer letzten Begegnung in den Gängen ihres Heimatträgers war er sich sicher, dass er sich in sie verliebt hatte, so viel gestand er sich ja schon ein. Und sie schien auch etwas für ihn zu empfinden.
Aber war das klug, mitten in einem Krieg?
Nun er würde sich später darum Gedanken machen müssen, denn die Schlacht trat mittlerweile in die nächste Phase ein und er wusste, dass er sich lieber voll und ganz auf das fliegen und kämpfen konzentrieren musste, um diesen Höllentanz zu überleben.
Und damit schaltete er seine verbliebenen Raketen wieder frei und stürzte sich schon wieder in den nächsten Kampf, immer in der Hoffnung, dass es nicht sein letzter sein möge.

***

Shuttle R-1
In der Nähe von Masters
Sterntor-System

„Rettet so viele ihr könnt!“ Mit diesen Worten hatte Commander Sebastian Lefranque seiner Shuttle-Staffel den klaren Auftrag gegeben, in dieser Phase der Schlacht dem Bergen von Piloten und Besatzungsmitgliedern die Priorität einzuräumen. Die dritte Schlacht um Masters ging so langsam dem Ende entgegen und die TSN war auf dem Rückzug, wieder einmal.
Wenigstens hatten sie ihr Primärziel erreicht und tatsächlich das feindliche Flaggschiff ausgeschaltet. Und nun bemühten sich beide Seiten ihre Verwundeten und Toten vom Feld der Schlacht zu tragen. Ein kleines bisschen erinnerte das Anthony „Arrow“ Gant an die frühen Schlachten auf den mitteleuropäischen Feldern während der Kriege zwischen den Franzosen, Preußen, Österreichern und dem russischen Zarenreich Mitte bis Ende des 18. Jahrhunderts, von denen er gelesen hatte. Nachdem sich beide Seiten mit ihren Steinschloßflinten beschossen, teilweise im blutigen Zweikampf mit aufgepflanzten Bajonetten, Messern und Säbeln massakriert und im wahrsten Sinne des Wortes ihr Pulver verschossen und zurückgezogen hatten, kamen die Sanitäter beider Seiten auf das Schlachtfeld um zu retten, was noch zu retten war.
Auch wenn die Schlachten der heutigen Zeit mit modernsten Mitteln ausgetragen wurden und im dreidimensionalen Raum stattfanden, so unterschied sich die Arbeit der Sanitäter und Bergungsteams nicht grundlegend von dem ihrer kriegerischen Vorfahren. Auch jetzt jagten die Bergungsshuttles zwischen den Schlachtlinien von Fundort zu Fundort um zu retten was zu retten war.
Shuttle R-1 hatte schon ein paar arme Seelen aufgefischt, die jetzt hinten im Laderaum von den beiden Medics und den vier übrigen Marines so gut es ging versorgt wurden. Sie hatten bislang drei TSN-Piloten aus dem All geholt, davon leider eine tote Pilotin, die durch Schrapnelle ihres zerstörten Jägers durchlöchert worden war. Dafür hatten sie noch acht Besatzungsmitglieder aus einem defekten Rettungsboot eines havarierten Zerstörers aufgefischt.
Dazu kamen noch zwei Akarii-Piloten, die damit in Gefangenschaft geraten waren und nun angekettet in der Ecke des Shuttlefrachtraumes kauerten.
Und mit dieser Ausbeute waren sie auf dem Rückweg zur Relentless. Gant hatte dabei bislang nicht allzu viel zu tun gehabt. Er hatte den simulierten Testflug an Bord der Relentless mit Bravour gemeistert und hatte auch jetzt nicht die geringsten Probleme gehabt. Als er kurz an den Test auf der Relentless zurückdachte, hatte er sehr wohl die Ablehnung der Piloten Stanford und Martinez gespürt und er wusste auch, dass die Begründung dafür in seinem Verhalten gelegen hatte. Er hatte nicht wie ein arroganter Klugscheisser wirken wollen und im Nachhinein ärgerte er sich über sein mal wieder unsensibles Verhalten. Aber so war er nun mal. Vorschnell, vorlaut, besserwisserisch. Sein Verhalten kam immer wieder aufs Neue als arrogant und angeberisch rüber, doch im Grunde wollte er wie jeder andere auch nichts anderes als respektiert, ernst genommen und bewundert werden. Nur leider schoss er immer wieder über das Ziel hinaus und schaffte genau das Gegenteil von dem, was er eigentlich wollte.
Nun, er konnte es nicht ändern oder ungeschehen machen, und konnte nur hoffen, dass seine Leistung für sich sprechen würde. Und die Geretteten im hinteren Teil des Shuttles wären vielleicht nicht gerettet worden, wenn er sich nicht freiwillig zu diesem Einsatz gemeldet hätte. Und das machte ihn schon mal stolz.
Ein neues Signal auf dem Kurzstreckenradar riss ihn aus seinen Gedanken. „Sir, ich empfange hier etwas. Scheint eine Rettungsboje zu sein.“
Commander Lefranque blickte kurz auf die Treibstoffanzeige ihres Shuttles und nickte dann. „Gut, wir haben noch mehr als genug im Tank. Holen wir uns also noch einen.“
Wortlos änderte der Commander den Kurs und näherte sich dem Signal. Als sie nahe genug waren, erkannten sie die Kennung als terranisch und Gant nahm Kontakt mit dem Piloten auf. Zumindest versuchte er es. Doch er erhielt keine Antwort. Er konnte nur hoffen, dass sie nicht schon zu spät waren.
Als der Commander das Shuttle an die Geschwindigkeit des Havaristen angepasst und sie bis auf wenige Meter herangebracht hatte, aktivierte Gant den Traktorstrahl und überprüfte gleichzeitig die Vitalfunktionen des Piloten, die er per Kurzwellenfunk abrief. Der Pilot war eine Sie und offensichtlich ohnmächtig und sediert. Der Anzug war aber ansonsten in gutem Zustand und die Pilotin ausser Lebensgefahr, wenn auch verletzt. Dann fiel sein Blick auf den Namen der Pilotin und er erkannte, dass sie eine Pilotin der Angry Angels war. Er kannte Sakura Nakakura nur flüchtig, wusste lediglich, dass sie in der grünen Staffel unter Lt. Cmdr Pawlitschenko diente. Und dass sie die Schwester von 1st Lieutenant Nakakura, dem Staffelführer der Butcher Bears war.
Er konnte nur hoffen, dass es ihr gut ging, denn wenn sie auf seiner Wache ins Gras beissen würde, wäre das sicher nicht förderlich für seine Position in der Staffel. Auch wenn er keine Schuld daran hatte, dass sie abgeschossen worden war, so war es doch seine Pflicht sowohl sie als auch alle anderen heil nach Hause zu bringen. Er war froh, dass auch Shoki einen der neuen, robusteren und leistungsfähigeren Anzüge trug. Wie er ja am eigenen Leib erfahren hatte, waren diese neuen Dinger wirklich um Welten besser als das, was die Piloten früher hatten tragen müssen. Die Verlustraten waren mit diesen Anzügen sprunghaft gesunken, was für alle beteiligten Piloten ein Segen war.
Mit dem alten Anzug wäre sie vermutlich schon längst tot gewesen.

Die Marines öffneten gerade die hintere Schleuse des Shuttles, als Gant ein neues Signal auf dem Kurzstreckenradar erkannte. „Sir, wir kriegen Gesellschaft.“
Sofort setzte bei Gant eine gewisse Anspannung ein, denn es gab immerhin eine fünfzig prozentige Wahrscheinlichkeit, dass der Neuankömmling Akarii sein würde, und das wäre weder für sie noch für Shoki gut.
Der neue Kontakt war allerdings zu langsam um ein Jäger oder ein Shuttle zu sein. Der Kurs war schnurgerade und würde ihren Kurs in einigen Minuten nur in wenigen Kilometern Entfernung kreuzen, was in kosmischen Relationen haarscharf war. Es dauerte ein paar weitere Augenblicke, bis Gant das Signal als eine weitere Rettungsboje identifiziert hatte.
„Sieht so aus, als ob wir nur unseren jetzigen Kurs weiter verfolgen müssen und unser jetziges Paket einsammeln und dann machen wir einen kurzen Hopser und holen uns gleich den nächsten rein.“ meinte Lefranque und beobachtete grimmig die Anzeigen.
„Da hat der Pilot dann aber wohl Glück gehabt, Sir!“
„Wenn er noch lebt! Und wenn er nicht Akarii ist!“ Wie um Lefranques Worte zu bestätigen, identifizierte der Shuttlecomputer das neue Signal als akariische Boje.
„Hickson, wie lange brauchen Sie da hinten noch?“
„Sir, das Paket ist gleich am Haken, noch max zwei Minuten und die Schleuse ist wieder zu.“
Sie warteten schweigend, und als dann Lance Corporal Hicksons Bestätigung kam, beschleunigte der Commander das Shuttle kurz und setzte Kurs auf das neue Signal.
Gant erkundigte sich inzwischen bei der behandelnden Sanitäterin nach Shokis Zustand. Sie war verletzt, doch zumindest war ihr Zustand stabil.
Es dauerte in der Tat nicht lange und sie waren bei dem gestrandeten Akarii-Piloten angekommen, nur um schon im Anflug festzustellen, dass es sich nicht um einen, sondern gleich um zwei Akarii-Piloten handelte. Es musste die Besatzung eines Bombers sein, die beide nur wenige 100 Meter nebeneinander hertrieben. Ihr Kurs war nur ganz geringfügig abweichend, so dass sie im Laufe der Zeit zwar immer weiter auseinandergetrieben wären, doch im Augenblick noch recht dicht beieinander waren. Sie entschieden sich für den ersten der beiden und brachten ihn innerhalb weniger Minuten ein.
Dann machten sie sich auf den Weg zum nächsten Piloten und näherten sich auch diesem bis auf wenige Meter.
Gant war gerade im Begriff den Traktorstrahl einzusetzen, als er schon wieder ein Signal auf dem Kurzstreckenradar entdeckte.
„Sir, neues Signal, schnell näher kommend!“ Das war definitiv keine Rettungsboje.
„Bergung unterbrechen. Geben Sie mir eine Identifikation, Lieutenant Gant.“
„Aye, Sir.“ Arrow wartete darauf, dass ihm der Computer die Identifikationskennung durchgab. Dann kam die Bestätigung. „Sir, es ist ein Akarii Signal. Standardshuttle, wahrscheinlich ebenfalls ein SAR.“ Gant betrachtete die Anzeigen des Shuttles mit steigender Anspannung. Hoffentlich war es tatsächlich nur ein Bergungsshuttle und nicht eines von diesen Kanonenbooten. Denn wenn doch, dann konnte das noch ganz schön ungemütlich werden.
Gerade als der Bordcomputer die Identifikation des Shuttles ausspuckte, funkte dieses sie in Akarii an.
„Hmmm, wenn man jetzt nur wüsste, was er gesagt hat? Jagen Sie es mal kurz bitte kurz durch den Translator, Lieutenant.“
„Nicht nötig, Sir! Der Akarii sagte: ,TSN-Shuttle, ziehen Sie sich sofort zurück und unternehmen sie keinen Bergeversuch des akariischen Piloten oder wir eröffnen das Feuer!‘“
Commander Lefranque aktivierte ungehend einen Umkehrschub, um kein Risiko einer falsch verstandenen Provokotion einzugehen und sich von dem gestrandeten Akarii zu entfernen. Sie waren heute nicht zum Kämpfen da. Erst recht nicht mit dem Frachtraum voller Verwundeter und noch dazu mit einem unerfahrenen Co-Piloten.
Lafranque drehte aber dennoch nicht vom Neuankömmling ab, um im Notfall besser manövrieren zu können. Dann blickte er kurz zu Gant hinüber „Sie können fließend Akarii?“
„Ja, Sir! Wenn auch nicht fliessend, so denn gut genug um zu verstehen und auch ein wenig zu reden.“
„Lassen Sie mich raten. Zusatzkurs auf Markham? Weil Ihnen langweilig war, stimmts?“
„Nicht ganz, Sir. Pflichtkurs in West Point, Aufbaukurs auf Markham. Und nicht weil mir langweilig war, sondern genau für Situationen wie jetzt, Sir.“ Und dann fügte er grinsend hinzu, um nicht schon wieder ein Klugscheisscher da zu stehen: „Ich hoffe das geht in Ordnung, Sir?“
Lafranque grinste zurück. „Ich bin nicht wie einige meiner Untergebenen, Gant. Sie müssen sich nicht dafür entschuldigen, wenn sie etwas gut können. Der Neid ihrer Kollegen kann Ihnen egal sein, so lange sie ihre Fähigkeiten optimal nutzen. Pingen Sie das andere Rettungsschiff an und sagen sie ihm, dass er den Akarii gerne einsammeln kann. Wir ziehen uns zurück.“
Gant tat wie ihm befohlen und sie entfernten sich langsam vom Signal des Akarii. In dem Augenblick fiel Gant etwas ein. „Sir?“
„Ja, Lieutenant?“
„Darf ich den Akarii noch einmal anpingen, Sir?“
Der Commander runzelte die Stirn. „Warum?“
„Nun, wir haben noch drei Akarii an Bord, Sir. Vielleicht hat der Akarii ein paar von uns geborgen?“
„Und? Was dann?“
„Vielleicht könnten wir einen Gefangenenaustausch einleiten, Sir?“
Lefranque schaute seinen momentanen Ersatzpiloten ein paar Augenblicke etwas perplex an. „Und wie stellen Sie sich das vor?“
„Wir nähern uns dem anderen Shuttle wieder, tauschen die Gefangenen aus und machen uns dann auf und davon.“
„Und wenn der Akarii keine oder weniger Geborgene hat als wir?“
„Wenn er keine haben sollte, dann machen wir uns gleich wieder auf den Weg. Aber selbst wenn er nur einen haben sollte, ist das doch egal, Hauptsache, wir ersparen es dem einen ein POW zu werden, oder Sir?“
Lafranque überlegte einen Augenblick, doch dann nickte er. „Na gut, Gant. Dann probieren wir es mal.“
Arrow funkte das andere Shuttle an, welches mittlerweile fast in Reichweite zur Bergung ihres Piloten war, und erklärte dem anderen Shuttlekommandanten in etwas holprigem aber relativ gutem Sekurr, dass sie akarische Piloten an Bord hatten und dass sie unter Umständen bereit waren, diese gegen TSN Piloten auszutauschen.
Der akariische Kommandant zögerte ein wenig, verlangte dann aber recht schnell, die Namen und Dienstränge der Gefangenen zu erfahren und auch mit diesen zu sprechen. „Zuerst will ich wissen, ob und wie viele Gefangene TSN Piloten sie an Bord haben?“
„Fünf.“
„Fünf!?“ Gant ging lieber auf Nummer sicher, denn sein Sekurr wandte er hier zum ersten Mal in seinem Leben wirklich an. Er wollte nicht riskieren, etwas falsch zu verstehen oder zu sagen.
„Ja, Fünf, Glatthaut. Wir haben fünf eurer Piloten gerettet, alle sind wohlauf.“
„Was hat er gesagt?“ fragte Lefranque, der das Sekurr nicht verstand.
Arrow übersetzte und stellte nach Bestätigung von Lefranque wie gefordert über Funk eine Verbindung zwischen den Gefangenen und dem anderen Shuttle her und brachte deren Namen und Dienstränge in Erfahrung. So wie es aussah, hatten sie eigentlich auch keinen schlechten Fang gemacht, denn einer der Piloten war Staffelführer und das Äquivalent zu einem Lieutenant Commander und die anderen beiden immerhin noch die Gegenstücke zu terranischen Lieutenants Senior Grade.
Dann verlangte Gant nach derselben Bestätigung und bekam den ranghöchsten TSN-Offizier zu sprechen – einen Senior Grade Bomberlieutenant – der ihm die Angaben des Akarii bestätigte.
Dann meldete sich wieder der akariische Pilot. „Wie wollen wir die Gefangenen austauschen?“
„Wie wäre es mit einem Weltraumspaziergang? Von offener Heckluke zu Heckluke?“
Der Akarii antwortete Gant, dass er das besprechen werde und sich wieder melden würde. In der Zwischenzeit überetzte Arrow wieder, doch Lefranque schien Einwände zu haben.
„Und wenn deren Marines versuchen unser Shuttle zu entern?“
„Naja, mit eigener geöffneter Schleuse wird der Akarii das nicht wagen und wenn doch werden unsere Marines sich zur Wehr setzen können und zur Not ein paar Granaten in den Akarii pumpen.“
„Und der Akarii bei uns auch.“
„Sicher, aber ich glaube nicht, dass er selbstmörderisch genug wäre, das zu tun. Das wäre auch sein eigener Untergang!“
Lefranque schüttelte mit skeptischem Gesichtsausdruck den Kopf. „Das ist ein verdammt hohes Risiko, Gant! Wenn nur einer der Marines einen nervösen Finger hat, endet das Ganze in einem Fiasko.“
„Ich weiss, Sir, ich melde mich auch freiwillig um selbst an der Schleuse zu stehen.“
„Das mindert das Risiko in keiner Weise.“ grummelte der Commander zurück und schien zu überlegen, was sie nun tun sollten.
„Bitte, Sir, denken Sie an die fünf Piloten da drüben, die sie vor der Gefangenschaft bewahren können. Das sind zwei Bomber und eine Jägerbesatzung, die wir zusätzlich retten können.“
„Ich muss auch an die Männer und Frauen an Bord dieses Shuttles denken.“
„Das weiss ich, Sir. Aber ich glaube, dass das Risiko überschaubar sein dürfte. Der Akarii wird sein Schuttle und seine Crew auch nicht unnötig in Gefahr bringen wollen.“

Und als ob er die ganze Zeit mitgehört hatte, meldete sich der akariische Shuttle-Kommandant wieder bei Ihnen. „Nun, Glatthaut, zu welchem Schluss seid ihr gekommen?“
Da Lefranque sich noch nicht entschieden hatte, musste Gant Zeit schinden, in dem er so tat, als hätte er den Akarii nicht verstanden. „Was ist eure Antwort, Akarii-Shuttle?“
„Wir sind einverstanden, aber wie steht es mit euch?“
Der junge Aushilfsshuttlecopilot übersetzte die Zustimmung des feindlichen Kommandeurs an Lefranque und blickte den Commander dann bittend an.
Der schien mit der Zustimmung immer noch zu hadern, nickte dann aber doch fast schon widerwillig. „Wenn das in die Hose geht, Gant, dann…!“
„Keine Sorge, Sir. Ich krieg‘ das hin.“
Und damit wandte er sich wieder an den feindlichen Piloten um mit ihm die weitere Vorgehensweise zu besprechen. Doch es war der akariische Pilot wieder in Sekurr, der ihm erst eine Frage stellte. „Wo hast du so gut unsere Sprache gelernt, Menschling?“
„Auf der Militärakademie.“ Gant konnte die Frage gut verstehen. Am Anfang des Krieges war es für die Menschen nahezu unmöglich gewesen, Sekurr zu verstehen und zu sprechen. Doch im Laufe der Kriegsjahre waren die Menschen immer besser darin geworden, die Kriegersprache der Akarii zu entziffern und beherrschen. Zahllose Kriegsgefangene wie auch die Verbündeten der ColCon hatten der TSN geholfen, wenn auch die Anzahl derjenigen, die das Sekurr wirklich einigermassen leidlich verstehen und sprechen konnten, eher verschwindend gering waren. Gants Fleiß und Intellekt hatten ihm dabei geholfen auch diese Aufgabe wieder als Lehrgangsbester zu meistern, doch die überwiegende Mehrzahl der anderen Kadetten konnte sich Sekurr wahrscheinlich noch nicht mal einfache Konversation betreiben, geschweige denn einen Gefangenenaustausch verhandeln.
„Wie ist dein Name und Rang?“
„Anthony Gant, Lieutenant Junior Grade und Co-Pilot des Bergungsshuttles R-1. Mit wem habe ich die Ehre, Sir?“
„Trok Mantuu, Leutnant ersten Ranges der Imperialen Akariischen Marine. Lieutenant Gant, ihr habt nur drei unserer Leute, wir haben aber fünf. Entscheide, welche drei wir euch hinüber schicken sollen.“
Gant schüttelte den Kopf. „Nein, so geht das nicht. Entweder tauschen wir alle Gefangenen aus oder gar keinen.“
Ein kehliges Lachen ertönte von der anderen Seite. „Willst du fünf deiner Leute in die Gefangenschaft gehen lassen?“
„Alle oder keinen. Ausserdem haben wir die ranghöheren Offiziere geborgen.“ Gant begann zu schwitzen. Er pokerte hoch, denn der Akarii konnte schliesslich doch noch Nein sagen.
„Gant, was sagt er!“ Lefranque war sichtlich genervt, dass Arrow nicht simultan übersetzte und er dieses Zischen und kehlige Gegrunze nicht verstehen konnte. Doch das war Gant im Augenblick sogar ganz recht so, und ausserdem antwortete ihm der akariische Kommandant schon wieder.
„Also gut, abgemacht!“
„Ich habe also Ihr Wort und ihr Versprechen als ehrenwerter Offizier der Imperialen Akariischen Marine, dass wir hiermit bis auf weiteres einen Waffenstillstand zwischen unseren beiden Shuttles haben?“
Gant hatte sich bewusst formell ausgedrückt, da er einmal gelesen hatte, dass akariische Offiziere sich sehr wohl an ihre Vereinbarungen hielten. Und Gant wollte verhindern, dass der Akarii vor, mitten oder nach dem Gefangenaustausch das Feuer eröffnen würde.
Es dauerte einen kleinen Augenblick bis Trok Mantuu antwortete. „Also gut, du hast mein Wort als ehrenwerter Offizier der Imperialen Akariischen Marine, wenn ich auch dein Wort habe.“
Gant wiederholte das Gelübde und übersetzte dann alles an Commander Lefranque. Dieser nickte nur kurz. „Na dann würde ich vorschlagen, Sie begeben sich nach hinten um den Gefangenenaustausch vorzubereiten. Ich werde weiterhin ein Auge auf unseren Akarii hier haben.“
„Aye Sir“

„Sie haben WAS?“ Lance Corporal Corey Hickson, der sicher zehn Jahre älter war als sein Gegenüber, schaute Gant fassungslos an.
„Wir haben einen Waffenstillstand mit dem gegnerischen Bergungsshuttle vereinbart und werden jetzt diese drei Akarii mit fünf unserer Piloten austauschen, indem wir sie jeweils von Luke zu Luke befördern.“
„Ich habe das sehr wohl gehört, kann es aber immer noch nicht glauben. Was ist, wenn die das Feuer eröffnen?“
„Dann schiessen wir zurück!? Ich werde mich mit Ihnen und ihren Leuten an die Schleuse stellen, in die vorderste Linie.“
Der Corporal verzog das Gesicht, offenbar nicht sehr beeindruckt von dieser Geste. „Und was ist, wenn die das Feuer nach der Übergabe eröffnen, sobald der Gefangenenaustausch abgeschlossen ist?“
„Auch dann können wir uns wehren. Und das werden sie auch nicht tun, ich habe das Wort des gegnerischen Kommandeurs.“
„PAH,“ der Marines Corporal spuckte förmlich aus. „Ich werde mich nicht auf das Wort einer dreckigen Echse verlassen.“
„Haben Sie eine bessere Idee, Corporal?“
Ein breites Grinsen bildete sich auf dem Gesicht des Marines. „Ja, ich denke ich hab da eine Idee!“

***

Staffel Rot der Angry Angels
In der Nähe von Masters
Sterntor-System

Knisternd stoben die Funken in Josiah „Sonnyboy“ Scotts Jäger, als er von ein paar Treffern aus einer Partikelkanone durchgeschüttelt wurde.
„Mantis, ich hab da ein Problem…“
„Ich seh´s. Abdrehen nach rechts auf 3, 2, 1…“
Sonnyboy drehte scharf nach rechts und zog den Jäger mit sich, während Mantis ihrerseits nach rechts zog, dabei allerdings den Schub so drosselte, dass Sonny und sein Schatten an ihr vorbeizogen und sie sich somit hinter den Akarii setzen konnte. Dieser brach daraufhin seinen Angriff auf Sonny ab um sich selber mit wilden Ausweichbewegungen aus Mantis Umklammerung zu lösen.
Sonny bewegte sich so schnell wie möglich zu seiner Winleaderin zurück, die mittlerweile die ganze Staffel führte. Dabei zwinkerte er die Müdigkeit weg und versuchte, seine Arme zu entkrampfen. Die schier endlosen Stunden im Cockpit fingen an, ihren Tribut zu zollen, und Josiah fragte sich, wie es so alten Knochen wie Stuntman oder Mantis gehen musste, wenn schon er mit seinen 21 jungen Jahren anfing Probleme zu haben. Er konnte nur hoffen, dass sie nicht jetzt noch auf ein Ass der Akarii treffen würden, denn besonders viel Gegenwehr würde er nicht leisten können, da war er sich fast sicher.
Als er den gellenden Schrei auf der Staffelfrequenz hörte, wusste er, dass es nicht mal eines Asses bedurfte, um einem Pilotenleben ein Ende zu bereiten.

Auch Mantis war die Lage der Staffel nicht verborgen geblieben. Die Rote Staffel hatte hart gekämpft und die Ausfälle hielten sich bislang glücklicherweise noch in Grenzen. Sie wünschte sich fast, dass Kid wieder zu ihnen gestoßen wäre, aber es wäre nicht zu verantworten gewesen, den Jungen alleine wieder zur Roten Staffel zurückzuschicken. In diesem Heuhaufen an Kampfhandlungen hätte er die Nadel der Red Sun Spirits eh nicht finden können, daher war er zur Verteidigung der Columbia quasi zwangsrekrutiert worden. Aber Mantis hoffte, dass sie auch ohne den frischen Jungspund wieder in der Lage sein würde, ihren von Lone Wolf geerbten Haufen heil nach Hause bringen zu können.
Als sie den gellenden Schrei auf der Staffelfrequenz hörte, wusste sie, dass es ihr nicht gelungen war und sie bald einen traurigen Brief an ein paar Hinterbliebene zu schreiben hatte.

Titan war ehrgeizig und sie hatte Ambitionen, damit hatte sie von Anfang an nicht hinterm Berg gehalten zurück und hatte das vor dieser Serie an Schlachten auch eher mehr als weniger offen gezeigt. Ihr Einsatz war belohnt worden, so dass sie noch vor Stuntman und Too-Tall den Posten als Sektionsführerin bekommen hatte. Doch die Schlachten waren nicht so gelaufen, wie sie sich das vorgestellt hatte. Sie selbst hatte zwar zwei Abschüsse zu verzeichnen, doch mit Too-Tall, Arrow und Shorty hatte sie schon drei der ihr zugewiesenen Maschinen verloren, ob Shorty noch lebte wusste keiner.
Und auch jetzt sah es schon wieder nicht gut aus. Warum schienen sich die Gegner nur immer wieder verstärkt auf ihre Sektion zu stürzen? Nach Lone Wolfs Ausfall und Kids Eskortendienst waren The Artist und Dog ihr zugewiesen worden, wodurch ihre Sektion jetzt zusammen mit ihr selbst, Petal und Frost aus fünf Maschinen bestand. Und deswegen waren wahrscheinlich sie von zwei Akarii-Sektionen bestehend aus sieben Jägern attackiert worden, während Mantis, Sonnyboy, Stuntman und Tulip es nur mit vier Jägern zu tun bekommen hatten.
Sie tat ihr Bestes um diesen Haufen gegen diese Übermacht zusammen zu halten, doch als sie den gellenden Schrei auf der Staffelfrequenz hörte, wusste sie, dass nicht nur ihre Quote als Sektionsführerin noch schlechter wurde, sondern ihre Probleme sich noch dramatischer verschlechtert hatten.

***

Shuttle R-1
In der Nähe von Masters
Sterntor-System

Gant stand in der offenen Luke des SAR-Shuttles R-1, nur mit einem eingeklinkten Karabinerstahlseil am Shuttle befestigt, und starrte in die tiefe Unendlichkeit des Raumes. Es war nicht sein erster Blick ins All, doch die Aussicht darauf, dass es womöglich sein letzter werden könnte, ließ ihn nervös werden.
Anders als die Marines um ihn herum war sein Raumanzug nicht gepanzert, und mit seiner Dienstpistole war er fast unbewaffnet. Die Laserpistole hatte er demonstrativ im Holster stecken lassen, und eigentlich hätte er sie auch gleich ganz weglassen können. Sollte es wirklich zu einem Schusswechsel kommen, würde er sicher als Erster daran glauben müssen, denn sein Raumanzug war nicht mal ansatzweise dazu geeignet, einen etwaigen Beschuss aus den Waffen derAkarii-Marines auszuhalten.
Als die Luke des anderen Shuttles geöffnet wurde, kamen auch schon sofort mehrere Akarii mit gezückten Sturmgewehren in Sicht. Demonstrativ hob Gant seine beiden Hände.
„Waffe locker im Anschlag, Corporal! Keine nervösen Bewegungen!“
Er erhielt keine Antwort, doch stattdessen drehten alle terranischen Marines ihre Waffen leicht ein, so dass sie nicht mehr direkt auf den Gegner zeigten, aber dennoch in Bruchteilen einer Sekunde im Stande wären zurückzuschlagen.
Wortlos taten es ihnen die Akarii nach, und deren Waffen wurden zur Seite geschwenkt. Und dann segelte auch schon der erste der Gefangenen zum TSN-Shuttle hinüber, während gleichzeitig der erste Akarii-Gefangene auf die Reise geschickt wurde. Im schwerelosen, luftleeren Raum genügte ein leichter Schubs um die Gefangenen auf den Weg zu schicken, den Rest übernahm dann der Traktorstrahl des jeweiligen Shuttles.
Gant kam die Übergabe quälend langsam vor, und seine Nervosität wuchs mit jeder Sekunde. Obwohl es gut zu laufen schien und schon das zweite „Paket“ auf die Reise ging, wurde er ein unbestimmtes, ungutes Gefühl nicht los, eine böse Vorahnung, die er einfach nicht loswurde. Sein Herz hämmerte wie verrückt und sein Magen verkrampfte sich, so dass er mehrfach durchatmen musste. Krampfhaft versuchte er die aufkommende Panik zurückzudrängen und sah zu, wie das dritte Paket bestehend aus den jeweils letzten beiden Piloten beider Seiten auf den Weg geschickt wurde.
„Gant?“
„Ja, Sir?“
„Wir bekommen hier ein Problem! Ich habe hier zwei gegnerische Jäger, die uns offenbar von ihrem Akarii auf den Hals gehetzt wurden.“ Also doch, Gants böse Vorahnungen schienen sich zu bewahrheiten.
Seine Gedanken überschlugen sich. Der letzte Pilot schwebte gerade noch auf sie zu und war immer noch einiges von ihnen entfernt. Es würde sicher noch mindestens eine, vielleicht zwei Minuten dauern, bis sie den Piloten würden bergen können. Und das konnte jetzt den Unterschied zwischen Leben und Tod für sie alle ausmachen.
„Verbindung zum Akarii Shuttle, Sir!“
„Steht! Aber machen Sie zackig, Gant, oder ich breche das Ganze sofort ab, bevor uns die Akarii-Jäger mit ihrer Raketenerfassung aufs Korn nehmen.“
Gant wusste selbst, dass sie es jetzt sehr eilig hatten. Gant wusste, dass es auf beiden Seiten – Akarii wie auch Terraner – immer wieder zum aktiven Beschuss von Rettungsshuttles kam. Es kam letztlich auf den jeweiligen Kommandeur an, ob so ein Verhalten als moralisch fragwürdig angesehen wurde oder nicht. Gant wollte es natürlich gar nicht erst darauf ankommen lassen.
„Leutnant Mantuu, wir werden von Ihren Jägern anvisiert, pfeifen sie sie zurück.“
„Warum sollte ich?“
,Verdammter Akarii.‘ „Weil wir eine Vereinbarung haben!“
„Die Vereinbarung gilt nur zwischen unseren beiden Shuttles, sie hat nicht die gesamten akarrischen Streitkräfte umfasst. Es liegt nicht in meiner Hand die Entscheidung der Jägerpiloten für oder gegen einen Angriff zu beeinflussen.“
„Du mieser...“ Gant riss sich zusammen, zumal ihm kein akarisches Schimpfwort einfiel, welches er hätte benutzen können. „Du lässt mir keine andere Wahl!“ Gant nestelte an dem Gürtel seines Raumanzugs herum und holte eine kleine handgroße Box hervor. Er öffnete den Deckel und brachte einen großen roten Knopf zum Vorschein, entriegelte den Sicherheitsmechanismus und legte seinen Daumen auf den Auslöser.
„Ich bin mir sicher, du hast eine Kamera auf mich gerichtet. Also pfeif deine Jäger zurück oder ich jage euch in die Luft.“
„Du bluffst.“
„Nein, deinen Marines ist bislang nicht aufgefallen, dass wir euren Gefangenen ein paar zusätzliche Rucksäcke mit genug Sprengkraft mitgegeben haben, um euer Shuttle von innen zu zerreissen. Wenn ich sehe, dass ihr versucht diese über Bord zu werfen, zünde ich die Sprengkörper. Wenn ihr beschleunigt und versucht abzuhauen auch. Und wenn deine Piloten nicht in zehn Sekunden abdrehen, auch.“
Jetzt war es an Mantuu zu fluchen. „Elende Glatthaut…“
„Zehn.“
„…du hast trotz unserer Abmachung…“
„Neun.“
„…Sprengstoff auf mein Schiff geschafft?“
„Acht! Und wie es scheint, zu Recht.“
Schweigen war die Antwort auf diesen Vorwurf.
„Sieben!“
Jetzt wurde sich Gant seines Countdowns erst so richtig bewußt.
„Sechs!“
Der Plastiksprengstoff, den Bergungsshuttles bei sich führten, um eventuell verkeilte Aussenschotts und Luken von gestrandeten Rettungskapseln zu knacken, würde vielleicht nicht ausreichen um den Akarii komplett in die Luft zu sprengen. Doch die von Corporal Hickson stammende Idee würde mindestens für die geretteten Piloten und die Akarii-Marines tödliche Auswirkungen haben und Mantuus Shuttle erheblichen Schaden zufügen.
„Fünf!“
Doch dafür würden sie dann mit Sicherheit von den beiden sich nähernden Jägern beschossen werden, und das würde den Tod des noch immer draussen schwebenden Piloten bedeuten. Und wahrscheinlich auch den Untergang des gesamten Shuttles, welches ja im Augenblick auch nur über einen Piloten verfügte.
„Vier!“
Und jetzt schlichen auch die Zweifel in Arrows Gedankengänge. Würde er wirklich den Knopf drücken und mindestens zehn oder mehr Akarii in den Tod schicken und sein eigenes Shuttle wahrscheinlich dem Untergang weihen?
„Drei!“
„HALT!“ Lefranques Befehl ließ Arrow mit seinem Countdown gerade noch inne halten, so dass er wohl nie herausfinden würde, ob er wirklich den Knopf gedrückt hätte. „Die Akarii haben in einen parallelen Kurs eingeschwenkt und die Geschwindigkeit auf null reduziert.“
Arrow atmete hörbar tief aus. „Gerade noch rechtzeitig, Mantuu!“
Er erntete ein tiefes Knurren. „Verflucht sollst du sein, Gant. Sammelt euren Raummüll ein und seht zu, dass ihr fortkommt. Und wenn ihr uns trotzdem in die Luft sprengt, so werden dich unsere Jäger hetzen, bis sie dich auch in Stücke zerreissen. Bete zu deinen falschen Göttern, dass wir uns nie wieder auf dem Schlachtfeld begegnen, denn das nächste Mal werde ich das Feuer sofort eröffnen. Denn jetzt weiß ich, dass das Wort und die Ehre eines Terraners nichts wert ist.“
„Moment Mal, wer hat denn die Jäger nicht zurückrufen wollen? Komm mir also nicht mit Ehre, Mantuu!“
Arrow erhielt keine Antwort mehr, und ihm war klar, dass es auch keinen Sinn machte, jetzt noch lange Reden zu schwingen. Sie sammelten ihren letzten Piloten so schnell es ging ein, und setzten dann sofort Kurs zurück zu ihren Linien mit bangen Blicken, ob ihnen die Akarii folgen würden.
Und erst als das ausblieb, gestatte sich Arrow, der seinen Raumhelm abgenommen und mittlerweile wieder auf seinem Co-Pilot Sessel saß, auszuatmen und sich erleichtert zurückzulehnen.
Er schaute hinüber zu Commander Lefranque, der jedoch den gesamten Rückflug nichts sagte. Doch das brauchte er auch nicht. Auch wenn Arrow froh war, die fünf Piloten vor der Gefangenschaft bewahrt zu haben, so wusste er doch, dass er Scheisse gebaut hatte. Um ein Haar hätte seine Idee das Leben aller Leute an Bord gekostet, und das würde mit Sicherheit noch ein Nachspiel haben

***

Staffel Rot der Angry Angels
In der Nähe von Masters
Sterntor-System

Donovan konnte den Schrei auf der Staffelfrequenz zunächst nicht direkt zuordnen. Doch sobald er den zweiten Schrei erkannte, der dem ersten wie mit einem Brüllen folgte, wusste er sofort, was los war.
Tulip brüllte ein markerschütterndes „NEEEEIIIIN!“ durch den Funk und damit war klar, dass es Petal erwischt hatte. Die beiden waren seit kurzem ein Paar, und wie es schien waren ihnen nur ein paar gemeinsame Wochen vergönnt gewesen.
Doch jetzt war nicht die Zeit zum Trauern, und dieses Gefühl kam bei Stuntman ohnehin nicht auf, wenn er an seine ehemalige kurzzeitige Wingleaderin dachte. Doch das war bei Tulip sicher anders, und sie konnten es sich nicht leisten, dass ihr Verlust gleich zu einem nächsten führen würde, denn sie standen schliesslich mitten in einem Raumgefecht.
„Tulip!“
Keine Antwort.
„Tulip von Stuntman, kommen, Tulip!!!“
Wieder keine Antwort. Zumindest flog der Junge weiter und wich den Schüssen aus, die ein akarischer Jäger auf ihn abgab.
„IHR BASTARDE…“ Offenbar war Tulip jetzt extrem sauer, wendete und nahm nun direkten Kurs auf Titans Sektion. Sein Schatten folgte ihm und es war klar, das Rouwen die zwei Minuten, die Titan entfernt war, nicht überleben würde, wenn er seinen schnurgeraden Kurs fortführen würde. Es war nur noch eine Sache von wenigen Sekunden, bis der Akarii die Raketen aufgeschaltet haben würde, um seinen wehrlosen Wingman abzuschiessen. Doch Donovan musste sich selbst noch mit einem ihn verfolgenden Akarii befassen, also wie sollte er seinem Wingman helfen ohne selbst erledigt zu werden?
„Stuntman, ruf Tulip zurück, wir haben hier selbst noch genug Probleme.“
Donovan versuchte Mantis Order zu erfüllen, doch trotz mehrfacher Aufforderung wollte Tulip einfach nicht auf ihn hören.
„Stuntman, hast du nicht gehört?“
„Natürlich habe ich dich gehört, Red Leader. Aber Tulip reagiert nicht. Er ist auf Rachefeldzug.“
„Er ist gleich tot!“
Als ob er das nicht selbst wüsste!
„Shit! Mantis, es hat keinen Sinn, wir müssen uns ohnehin mit Titan zusammentun, wenn wir jetzt noch überleben wollen.“
Und damit drehte auch Donovan fluchend ein und verfolgte Tulips Verfolger, wohlwissend, dass sich sein eigener Gegner gleich hinter ihn setzen würde.
Er hörte Mantis Fluchen, doch sie reagierte schnell und gab genau die richtigen Befehle um ihre Sektion mit der von Titan zusammenzuführen, um damit zu verhindern, dass sie getrennt flogen und getrennt untergehen würden.
Die Kunst lag nun für beide Sektionen darin, unbeschadet zueinander vorzustossen.
Mit wilden Flugbewegungen erschwerte Cartmell die Raketenerfassung auf seinen eigenen Jäger, während er auf den Nachbrenner hieb und gleichzeitig versuchte den Jäger vor ihm zu treffen, damit dieser wiederum Tulip nicht anvisieren konnte.
Doch dennoch krachten die Treffer des ihm folgendenden Jägers in seine Heckschilde und brachten diese gefährlich schnell runter. Wenn das so weiterging, dann waren sie gleich beide tot. Und die rote Staffel würde es danach insgesamt mit einem 6 zu 11 Verhältnis zu tun haben. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn und seine Arme und Beine begannen bereits gefährlich zu zittern aufgrund der Anstrengung. Doch trotzdem konnte er einen weiteren krachenden Treffer nicht verhindern, der seine Schildanzeigen in einem strahlenden Rot erleuchten liessen.
Seine Schilde bestanden nur noch in der Theorie, und jeder weitere Lichtbolzen würde seinen Raumjäger in einen Haufen Schlacke verwandeln.
Und dann erklang das Warnklingeln der feindlichen Raketenerfassung.
Jetzt musste er sich also entscheiden, entweder sein eigenes Leben zu retten, oder sich für Tulip zu opfern.

Doch dann passierte das Unfassbare.
Der stoisch geradeaus fliegende Tulip, der auch sonst einen eher konservativen Kampfstil pflegte, wendete in einem perfekten Von-Bein-Manöver und überraschte damit nicht nur Donovan. Seine Treffer waren so akkurat, dass die Schilde seines Verfolgers in kürzester Zeit zusammenbrachen. Und ob es nun an Tulips Glück oder am Unvermögen des Akarii lag, so trafen auch noch mehrere Energieblitze das Cockpit des Akarii und liessen diesen förmlich verdampfen.
Gleichzeitig erstarb die Raketenerfassung von Donavans Verfolger, und auch dieser Jäger wurde in Tausend Stücke gerissen.
Noch bevor Donovan sich verwirrt darüber Gedanken machen konnte, wer ihm da gerade den Arsch gerettet hatte, bellte Mantis, die seinen Verfolger abgeschossen hatte, weitere Befehle durch den Funk. „Donovan, sofort wenden und Angriff auf unsere Verfolger…!!!“
So wie es aussah hatten Mantis und Sonnyboy ihrerseits ihren Hals riskiert um ihn zu retten, und schwebten jetzt aber selbst in großer Gefahr. Donovan vollführte eine waghalsige Kehre, während auch Mantis und Sonnyboy wendeten, und das wiederum brachte die Akarii dazu einzukurbeln. Im Nu hatte sich eine Art Knäuel gebildet, und als Titans Sektion mit deren Gegnern zu ihnen stießen, gab es ein wildes Gekurbel. Donovan achtete tunlichst drauf, sein äußerst verwundbares Heck zu sichern und wo es ging einzelne Nadelstiche zu setzen. Er würde seinen dreissigsten Abschuss in dieser Schlacht nicht schaffen, denn hier ging es für ihn nur noch ums nackte Überleben.

Und um Tulips Rache.
Verrückt vor Hass flog dieser, wie es Cartmell noch nie gesehen hatte. In allen Schlachten zuvor hatte es Tulip gerade einmal auf drei Abschüsse gebracht, doch in diesem Augenblick zerfetzte er seinen zweiten Gegner seit Petals Tod.
Und wie auf ein geheimes Zeichen, setzen sich alle Akarii gleichzeitig ab.
„Lasst sie ziehen.“ Mantis hatte das Wohl ihrer Staffel im Sinn und sie hatte Recht. Petals Tod war schlimm, doch insgesamt hatte die Red Sun Spirit diesen Kampf mit 3 zu 1 gewonnen. Doch sie waren hundemüde, leergeschossen, fast ohne Treibstoff und bald an den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit.
Auch Tulips Rachedurst war wohl zum Glück erst einmal gestillt, wie Donovan erleichtert feststellte, denn er versuchte nicht noch einmal die abziehenden Akarii zu verfolgen. Und dieses Mal wäre ihm wohl auch keiner mehr gefolgt.
Und damit traten sie den Rückweg zur Columbia an, froh noch am Leben zu sein, und so wie jedes Mal, wenn sie den Kampf gewonnen aber einen Kameraden verloren hatten, mit einem bitteren Nachgeschmack des kleinen Sieges auf ihrer Zunge.
29.02.2016 06:39 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cunningham

Irons stand an der Seite des Flugdecks und beobachtete, wie die letzten Maschinen der Angry Angels landeten. Ab einem gewissen Grad an Beschädigung einer Maschine brauchte es keinen Raumfahrtingenieur mehr, um zu sehen, dass eine Maschine nie wieder fliegen würde.
So auch Hungry Joes Crusader, die der abgeklärte Veteran reichlich zittrig aufsetzte.
Ein abrasiertes Leitwerk, die komplette Backbordpanzerung weggeschmolzen oder gesplittert. Wahrlich ein Wunder, dass er seine Maschine noch eingebracht hatte.
Der RIO musste aus seinem Sitz geborgen werden und hielt sich kaum auf den Beinen. Auf der anderen Seite des Decks bemutterte Mantis die von Lone Wolf geerbte Schwadron. Die Pilotin wanderte unter ihren Schützlingen umher, verteilte Vitaminsäfte und sprach mit jedem kurz.
Etwas weiter zum Bug hin kümmerte sich Meltdown ähnlich um seine Schäfchen. Der hochgewachsene Lieutenant Commander warf ihr immer wieder scharfe Blicke zu. Bisher hatte sie den Familienvater immer als kollegialen Freund gesehen. ,Heute nicht, Kumpel.‘
Grob überschlagen brachte das Geschwader, nein ihr Geschwader, nur noch fünfzig Prozent seiner Kampfkraft zustanden. Wenn überhaupt. Sie konnte nur hoffen, dass die tatsächliche Verlustrate nicht annähernd so drastisch war, und dass die SARs einen Großteil der noch vermissten Piloten aufgefischt hatten.
Der Count würde hier unten alles beim Black Rain im Griff haben, auch ohne den immer noch vermissten Kevin Schwimmer.
Eine Dusche wäre jetzt toll, aber erst mal musste sie in die CIC und sich mit Crawford und Admiral Girad auseinandersetzen.
Am Eingang der Preflight traf sie auf Blackhawk und hielt den kurz an: „Bitte an alle anderen Staffelführer, Nachbesprechung des Stabs in einer halben Stunde.“
„Geht klar, Irons. Bei Dir alles klar?“
„Was? Ja, nein; ich weiß nicht. Ich muss weiter.“
„Schon was von Raven gehört?“ harkte der schwarze Pilot nach.
„Nein, gar nichts.“, damit wandte sie sich ab.
„Noch etwas, die CIC hat gemeldet, dass zwei Phantome von Masters um Landeerlaubnis gebeten haben.“
„Phantome?“
„Ganz genau, den ganzen Weg von Masters hierher.“
„Ja, gut, ich werde wen drauf ansetzen, Sie sollten vielleicht auch noch schnell etwas essen.“
Blackhawk nickte.

In der CIC erwartete sie ein ernüchterndes Bild. Eris Crawford stand wie der Tod auf zwei Beinen neben dem Kartentisch, auf dem Chris Mithels Bild leise Admiral Girad Bericht erstattete.
Neben Crawford stand Girads Stabschef, Commander Richard Nissler, und dem gegenüber Captain Ahn, die ein Datenpad in den Händen drehte.
Vanessa Girad stand ungerührt, wie der ruhende Pol an ihrer Seite des Kartentisches, und hörte mit interessierter aber ungerührter Miene dem anderen Admiral zu. Gänzlich unerschütterlich.
„Vielen Dank, Chris, melden Sie sich, sobald es etwas Neues gibt.“
Mithels Abbild nickte: „Zu Befehl, Ma’am.“
„Commander McGill,“, wurde sie von der Admiralin begrüßt, „können Sie mir schon einen Überblick geben?“
„Nein, leider nicht, die Staffelführer sind noch am sortieren, Ma’am. Darf ich fragen, ob man irgendetwas von Commander Burr gehört hat oder über Commander Cunningham?“ ,Warum fragst Du eigentlich nach Cunningham? Das ist jetzt Deine Chance Dich zu beweisen, willst Du so schnell das Kommando wieder los sein?‘
„Der Verbleib von Commander Burr hat oberste Priorität, leider wurde mir darüber noch nichts berichtet.“, Girad blickte fragend in die Runde, ob jemand anderer Informationen hatte, doch keiner antwortete.
„Was Commander Cunningham angeht, Richard?“
„Ich hatte leider noch keine Zeit den Bericht ganz zu lesen,“, gestand ihr Stabschef ein, „doch was ich weiß ist, dass der Commander, nachdem er auf dem Flugdeck kollabierte, sofort in den OP gebracht wurde. Die Rede war davon, dass einer seiner Lungenflügel durch Raketensplitter schwer beschädigt wurde. Als während der OP der zweite Lungenflügel kollabierte, wurde die Operation abgebrochen und der Commander wurde in Kryostase versetzt, damit sich die Experten im Mistral oder Lunapolis seiner annehmen können. Das genaue Ausmaß seiner Verletzungen ist zurzeit wohl auch den Ärzten unbekannt, aber noch ist er am Leben.“
Irons atmete tief ein: „Dann bin ich wohl jetzt an der Reihe.“
Einen Augenblick sah es so aus, als wolle Crawford etwas sagen, doch aus welchem Grund auch immer er schloss wieder den Mund. Irons Mundwinkel zuckte amüsiert. Der Knabe in der Kryokammer unten hätte sie genau jetzt begraben und das Kommando an sich gerissen. Ein Teil von ihr bedauerte ehrlich, dass Cunningham jetzt nicht hier war, und es war auch jener Teil der am liebsten vor Scham über den anderen Teil im Boden versunken wäre, jener Teil, der gerade vor Schadenfreude auf Lone Wolfs kalter Gruft tanzte.
„Wie sind Ihre Befehle, Admiral?“
„Organisieren Sie Ihr Geschwader und geben Sie mir so schnell wie möglich eine Einschätzung über unsere Schlagkraft. Gegebenenfalls müssen Sie noch einmal ran, aber das hängt davon ab, wie sich die Echsen da drüben verhalten.“
„Da haben wir eine schlechte Nachricht, Ma’am.“, mischte sich Captain Ahn ein und hielt Girad das Datapad hin, „Sensoren und Intel sind zu dem Schluss gekommen, dass wir eine Attrappe vernichtet haben.“
Die Temperatur in der CIC schien mehrere Grad zu fallen, doch Girad nahm das Pad gelassen entgegen und blätterte die darauf gespeicherten Informationen durch.
Als sie das Pad an Crawford weiterreichte und sich wieder an Ahn wandte, war nur eine Spur von Frost in ihrer Stimme zu vernehmen: „Wie konnte uns das passieren?“
„Tut mir leid, Ma’am,“, antwortete Ahn, „dies ist in meinem Stab passiert und ich trage die volle Verantwortung.“
In Ahns Stimme war ein deutlich zittriger Unterton
„Captain,“, nun war Girads Stimme wieder vollkommen ruhig, „wir haben Kampfmaschinen, Schiffe und, noch viel schwerwiegender, gut ausgebildete Soldaten in erheblicher Zahl verloren. Ich möchte, dass Sie die Fehlerquelle eliminieren.“
„Zu Befehl, Ma’am.“
Irons konnte nicht umhin, die Admiralin zu bewundern. In ihrer langjährigen Karriere hatte sie sehr wohl mitbekommen, wie Flaggoffiziere ihre Untergebenen für weit weniger mit tobsuchtsähnlichen Triaden überzogen hatten.
„Gut, wir haben die Akarii mindestens genauso bluten lassen, wie wir uns verausgabt haben.“, stellte Girad fest, „Bereiten Sie sich für den nächsten Waffengang vor, der wird sicherlich folgen. Abtreten.“

Crawford ging neben ihr her, als sie sich zum Besprechungsraum für die Geschwaderoffiziere aufmachte. Irgendetwas sagte der Captain zu ihr, doch das Rauschen in den Ohren übertönte alles. Tatsächlich kam ihr der Gang von der CIC zur Nachbesprechung wie ein Traum vor. Verschwommen und wage.
Eben verließ sie die CIC und nun trat sie in das Zimmer mit dem ovalen Tisch, dem rechteckigen Wandschirm.
Die Staffelführer der Angry Angels hatten schon Platz genommen. Am unteren Ende lümmelte Ace und an der Kopfseite saßen Lilja und Kano pflichtbewusst und akkurat, auch wenn man ihnen die Müdigkeit ansehen konnte.
Entlang der Mittellinie des Tisches waren Kaffee- und Teekanne aufgereiht, zusammen mit Karaffen gefüllt mit Mineralwasser. Alles fast unangetastet.
Irons trat an die Kopfseite des Tisches, musterte die ausgelaugte Runde und beugte sich vor und fegte in einer Flüssigen Bewegung eine Teekanne, eine Wasserkaraffe, Gläser und Tassen vom Tisch: „SCHEISSE!“
Gegenüber von Lilja mussten der Count und Razor aufspringen um dem Geschirr zu entgehen.
Der gesamte Geschwaderstab, einschließlich Crawford der sich etwas abseits hielt, starrte sie entgeistert an.
Irons starrte finster zurück: „Wir haben einen Dummie in Fetzen geschossen!“
Auf den Gesichtern ihrer Offiziere zeigte sich erst Unglaube, dann Fassungslosigkeit und Entsetzen, welches dann in Wut umschlug.
Meltdown Czemek war der erste, der die Stimme wiederfand: „Soll das heißen, dass Raven für ein verdammtes Zielschiff draufgegangen ist?“
Ace schlug mit der Faust auf den Tisch und blickte Crawford direkt an: „Das haben Sie toll hinbekommen, ganz großartig!“
Bevor die Sache gänzlich aus dem Ruder laufen konnte, erhob Irons die Stimme: „Haben Sie keine Lust mehr, Lieutenant? Möchte sich hier jemand von Ihnen mit den Echsen auf ein Unentschieden einigen? Oder vielleicht die Angelegenheit mit einer Runde Stein, Schere, Papier klären?“
Irons war im Geschwader kein unbeschriebenes Blatt. Sie galt als kompetent, zuverlässig und pflichtbewusst. Ihre Staffel hatte immer dem Standard der Angry Angels entsprochen, ohne dass sie oder der Count den Ruf von unmenschlichen Schleifern inne gehabt hatten oder als zu lax galten.
Der ätzende Tonfall und die zuvor durch die Gegend geworfenen Gegenstände ließ die anderen Staffelführer inne halten und Irons neu bewerten.
„Sollte noch einer von Ihnen es gegenüber Commodore Crawford am gebührenden Respekt mangeln lassen, werde ich diesen oder diese augenblicklich ihres Kommandos entheben, ist das angekommen?“ dabei fasste sie Ace so lange ins Auge, bis dieser nachgab.
„Und Sie, Commander Czemek, werden sich im Anschluss an diese Besprechung in meinem Büro einfinden.“
Die übrigen Offiziere warfen Meltdown unsichere Blicke zu.
„Die Akarii haben uns weh getan.“, Irons ließ jegliche Härte aus ihrer Stimme schwinden und sprach jetzt sanft und fast ein wenig leise, damit ihre Offiziere sich anstrengen mussten ihr zuzuhören, „Raven, Lone Wolf und all die anderen, die tot, vermisst oder verwundet wurden, das hat uns geschwächt. Darüber hinaus haben uns die Echsen gedemütigt. In unserer Heimat und vor unserem Volk. Wir stecken kräftig in der Scheiße, Herrschaften, und nur wir allein können uns da wieder herausziehen.“
Sie setzte sich jetzt doch hin und blickte nochmal die Reihe entlang: „Ihre Piloten brauchen Sie jetzt und die Republik braucht ein blaues Band das hält. Es ist an uns Wunder zu wirken, und es ist an uns zu zeigen, dass der Ruf dieses Geschwaders nicht von ungefähr kommt. Also wenn es zum nächsten Gefecht kommt, brauchen wir einsatzbereite Staffeln und Piloten. Ich weiß ich verlange unmögliches. Ist einer von Ihnen nicht in der Lage, das unmögliche zu schaffen?“
Alle hier Anwesenden hatten die verschiedenen Geschwaderführer der Angry Angels mitbekommen. Lone Wolf hatte einfach befohlen, Darkness hatte durch Beispiel geführt und Raven war noch nie in einer solchen Situation gewesen, aber Ravens Staffel hatte immer und zu jeder Zeit bereit gestanden und die ihnen übertragenen Aufgaben in Angriff genommen.
Irons ließ ihnen hier die Wahl. Sie hatte ihnen die Konsequenzen angekündigt, sie bei ihrer Ehre gepackt und ihnen dann die Entscheidung überlassen.
Doch welche Wahl hatte man in einer solchen Situation? Keiner der Staffelführer war bereit aufzustehen und seine Verantwortung, sein Kommando an den nächsten in der Reihe abzugeben. Sei es aus Ehrgeiz, Pflichtbewusstsein oder gar Scham nicht zu genügen.
„Gut, gönnen Sie sich etwas Ruhe, wie Sie sich um ihre Leute zu kümmern haben, wissen sie alle. In sechs Stunden möchte ich eine Einsatzbereitschaftsmeldung haben. Die Manöver der Flotte sollten uns diese Zeit verschaffen. Abtreten.“
Nach und nach verließen die Offiziere den Besprechungsraum und es blieben nur noch Crawford und Irons zurück.
„Commander,“, begann schließlich Crawford, „ich … hm, möchte mich bedanken, dass Sie meine Autorität gestützt haben.“
„Darf ich offen sprechen, Sir?“
Der Captain nickte.
„Ganz offen, ich halte Sie für ein Arschloch, und nach der ersten Schlacht habe ich mich gefragt, wie Sie auf diesen Rang aufgerückt sind.“
Zu ihrer Überraschung explodierte Crawford nicht, sondern setzte sich an den Tisch und schenkte sich ein Glas Wasser ein: „Dann sollte ich Ihnen um so dankbarer sein, dass Sie sich so hinter mich gestellt haben.“
„Sie haben sich in der zweiten Schlacht gewaltig gesteigert, auch wenn Sie sich in fast alle Staffelbelange eingemischt haben. Haben Sie es da geschafft den Überblick zu behalten?“
„Nein!“ Etwas Wut schlich sich in seine Stimme.
„Sehen Sie, Lone Wolf,“, sie lachte auf, als sich Crawfords Gesicht verdüsterte, „er war… ist ein ähnliches Arschloch wie Sie, aber er hat sich auf seine Staffelführer verlassen. Er hat immer versucht das große Bild im Blick zu behalten und hat dann sich ergebende Möglichkeiten wahrgenommen.“
„Hat er auch mit Kaffeekannen um sich geworfen?“
„Nein, aber irgendwie schien jeder von uns gewusst zu haben, dass es uns nicht bekäme ihn hängen zu lassen. Er hat uns aber auch den Freiraum gelassen, dass wir unsere Staffeln so führen konnten, wie wir es für richtig hielten, und er hatte die Angewohnheit zu solchen Stabsbesprechungen immer zu spät zu kommen, dass wir Lieutenant Commander uns untereinander auskotzen konnten, ohne seine Autorität vor den Piloten zu untergraben.“
Crawford sah sie zweifelnd an.
„Man konnte sich auf seine Unpünktlichkeit verlassen.“
„Das da draußen, war das einer seiner Taschenspielertricks?“
Irons nickte: „Ja, durchaus, aber er hätte in der CIC Schaum vor den Mund bekommen, wenn er das mit dem Zielschiff erfahren hätte. Der hätte den Chef der Ortungsabteilung und den des ND mit dem stumpfen Datapad skalpiert.“
„So ein Datapad ist stumpf.“
Irons schnitt eine Grimasse: „Eben drum.“
„Anderes Thema, Commander, haben Sie eine Koje für mich?“
Sowohl Ravens als auch Cunninghams Kabine waren frei und für Ravens wusste sie sogar den Code, aber so eine Belegung würde sicherlich irgendwem im Geschwader übel aufstoßen: „Nehmen Sie meine, ich hause in D-16, der Code ist eins sieben null eins.“
„Danke, ich hoffe ich machen Ihnen keine…“
„Geschenkt, aber jetzt muss ich mich um einen meiner Piloten kümmern.“
Crawford nickte und Irons ließ ihn im Besprechungsraum zurück. Draußen wartete Vladimir Czemek. Ravens Staffel-XO sah wütend und frustriert aus.
Sie bedeutete ihm ihr zu folgen und führte ihn ins CAG-Büro, welches kurz zuvor noch von Raven genutzt worden war. Sein Gesicht verdunkelte sich weiter.
„Sie können ruhig stehen bleiben, Commander, es wird nicht lange dauern.“, ohne zu zögern nahm Irons hinter dem Schreibtisch ihrer Vorgängerin Platz und musterte den kurz vor der Explosion stehenden Jagdbomberpiloten.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Leistungen der Harponeers in der letzten Schlacht den Ansprüchen von Commander Burr genügt haben oder einem anderen Geschwaderführer der Angry Angels. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass diese Leistung dem Ausbildungsstand der Staffel entspricht. Ebenso wenig kann ich mir vorstellen, dass Ihre persönliche Leistung, Mister Czemek, Ihrer Qualifikation, Ihrem Ausbildungsstand noch den von Commander Burr von ihrem XO geforderten Leistungen entsprechen.“
„WAS BILDEN SIE SICH EIGENTLICH EIN, SETZEN SICH HIER IN IHREN STUHL…“
„DAS IST JETZT MEIN STUHL!“ unterbrach sie Czemek, „und wenn ich ausfalle ist es von Hauenbergs Stuhl, und wenn dieser ausfällt ist es Liljas! Dies ist die Befehlskette! Als Raven abgeschossen wurde, sind Sie zum Chef der Harponeers geworden! Ihre Staffel hat da draußen Mist gebaut und Sie persönlich haben in dem Moment, wo es auf Sie ankam, versagt! Sie haben gegenüber dem Geschwader versagt, gegenüber mir, gegenüber Raven und am schlimmsten gegenüber Ihren Leuten!“
Meltdown öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Irons hätte ihn genauso gut Ohrfeigen können, wobei dies weitaus weniger schlimm gewesen wäre als ihre Worte.
„Ich weiß, dass Sie das besser können,“, wie in der Stabsbesprechung zuvor ließ sie jede Schärfe fahren, „das haben Sie schon mehrfach bewiesen. Sehen Sie zu, dass Sie mit der Situation klar kommen und kümmern Sie sich um Ihre Leute. Ravens Verlust wird nicht spurlos an diesen jungen Piloten vorbeigehen, die brauchen Sie jetzt.“
Der tschechische Pilot brachte ein Nicken zustande: „Ich verstehe.“
„Und wenn nochmal so ein Scheiß passiert, reiße ich nicht nur Ihnen den Arsch auf, Vlad, dann werde ich auch herausfinden, dass Trash und Knock-Out ihre Anti-Schiff-Raketen abgeworfen haben. Ist das angekommen.“
Meltdowns Wut war verraucht und durch deutlich sichtbare Scham und Trauer ersetzt worden: „Aye, aye, Ma’am.“
„Wird es gehen? Können Sie sich Ihren Leuten stellen?“
Wieder nickte der größere Pilot und wandte sich wortlos um.
Irons ignorierte, dass sie ihn nicht erlaubt hatte zu gehen und dass auch jegliche militärische Ehrenbezeugung ausblieb.
Allein blieb sie in dem Büro zurück, welches noch vor wenigen Stunden ihrer besten Freundin an Bord gehört hatte und kaum, dass sich hinter Meltdown die Tür geschlossen hatte, konnte sie es nicht mehr zurückhalten. Sie ergriff den Papierkorb und erbrach ihre letzte Mahlzeit, den kürzlich zu sich genommenen Vitaminsaft, das Mineralwasser, alles, bis nur noch trockene Galle hochkam, bis die dünnflüssige fast verdaute Masse durch die Rillen des Korbes hinaus sickerte und auf den Boden tropfte.


Knock-Out stöhnte: „Ich bringe den Kerl um.“
Er drehte sich auf seiner Liege und blickte durch das SAR-Shuttle. Eine Sanitäterin mit einem wunderschönen Hinterteil, welches an ein paar Straußeneier erinnerte, die im internationalen Viertel von Seafort im Angebot waren.
,Ich bring Dich trotzdem um Trash.‘
„Alles klar bei Dir, Alter?“ Hamilton Ellis alias Zombie lag eine Liege weiter.
„Yeah, First-Class Aussicht auf eine echt scharfe Krankenschwester.“
„Wenn Du schon wieder dabei bist, kann es Dir gar nicht schlecht gehen.“, grummelt Zombie.
„Kannst Du das glauben? Kannst Du wirklich glauben, dass Trash uns aus dem All geblasen hat.“
„Uns und den Akarii.“, erinnerte Zombie.
„Wir wären fast gestorben, Bruder.“
„Und?“
Knock-Out setzte sich auf und starte seinen RIO an, der ebenfalls auf seiner Liege saß. Auf der anderen Seite des Shuttels stöhnte ein schwer verwundeter Akarii auf, und die Sanitäterin wandte sich ihm zu.
„Hast Du gerade ,und‘ gesagt?“
Zombie nickte: „Während wir da so im All schwebten ist mir klar geworden, dass ich irgendwann sterben werde. So endet das Leben und dann bin ich nur eine weitere Zahl in der Statistik.“
„Scheiße, man, Zombie bist Du bescheuert?“ Knock-Out blickte seinen Freund an, als sei dieser von allen guten Geistern verlassen.
„Wie möchtest Du denn sterben?“
„Ähh… bei einem Autounfall, leicht angetrunken, mit guter Musik und Freunden… was weiß ich, ich will leben… und erst einmal überleben. Du bist so durch, Du solltest mal mit dem Psycho-Onkel auf der Columbia reden.“
Ellis legte sich wieder hin: „Ach, als ob dem in diesem Shit-Storm auffällt wenn noch einer verrückt wird.“
Der Deckenlautsprecher knackte: „Achtung, medizinisches Personal bereit halten für Bergungsoperation, wir haben noch jemanden gefunden…“


Raven trieb in der schier unendlichen Leere des Alls. Während ihrer Einsatzfahrt über Pandora hatte sie erlebt, wie ein erfahrener Veteran nach einem Spaziergang im All als schreiendes Wrack zurückgekehrt war.
Besatzungsmitglieder an Bord von Schiffen und Raumstationen hatten die Isolation in den stählernen Giganten nicht verkraftet und hatten ausgemustert werden müssen.
Nachdem das gesamte Blitzlichtgewitter des Kampfes sie zurückgelassen hatte und weitergezogen war, blieb nur Ruhe und Frieden. In diesem schieren Nichts, das dann aber tatsächlich voller Sterne und Planeten war, da konnte man die Existenz Gottes nicht länger verleumden.
,Und wir, wir kleinen Sterblichen freveln Deiner Herrlichkeit durch Krieg.‘
„Universum, Herr, unser aller Gott,“, begann sie ihr erstes Gebet seit dem Abschlussgottesdienst an der Militärakademie, „wenn Du mich heimkehren lässt und es Dein Ratschluss ist, dass ich diesen Krieg zu überlebe, schwöre ich Dir ab dann nie wieder eine Waffe zu erheben und mein Leben und mein ganzes zukünftiges Streben dem Frieden zu widmen.
Ich werde diesem Ziel meine Karriere opfern und auch meine Zukunft. Herr, Ich will das Leben aller Rassen als heilig erachten und dem Kriege für immer abschwören. Mein Leben übereigne ich Dir dafür als Pfand.“
Sie blickte weiter in Richtung Sonne und fragte sich, was sie von diesem kleinen Ausbruch erwartet hatte, ob sich das Universum vor ihr auftun und sie zurück auf die Erde teleportieren würde. ,So ein Quatsch.‘
Und dennoch spürte sie ein Kribbeln im Rücken und ihr Körper änderte die Flugrichtung. Sie wurde von der Sonne weggezogen.
Erleichtert lachte sie auf.
Der Traktorstrahler zog sie rückwärts auf ein SAR-Shuttle zu und nach wenigen Minuten wurde sie von kräftigen Händen an den Armen ergriffen und von zwei Soldaten in die Luftschleuse hineingezogen; der Traktorstrahl erlosch.
Grinsend wollte Sie sich zu ihren Rettern umdrehen, doch die Hände hielten sie wie im Schraubstock fest: Raumrüstungen, Marines aber heute würde sie die Ledernacken umarmen und sie würden ihre besten Freunde werden, für den Rest ihres Lebens.
Standardgemäß wurde ihr die Laserpistole abgenommen, man konnte ja nie wissen, wie angeschlagen ein Pilot nach einem Weltraumspaziergang.
Während sich die Außenluke schloss, durfte sie sich langsam umdrehen und erkannte fremdartige Symbole auf dem Display neben der inneren Tür. Vorsichtig blickte sie nach links und rechts und ja, die beiden Infanteristen, die sie aus dem All gefischt hatten, gehörten der Marineinfanterie an. Der imperialen akarrischen Marineinfanterie.
Und erst jetzt merkte sie, dass einer der beiden ein Karekmar 42-N Sturmgewehr auf sie gerichtet hatte. Das Geschäftsende dieser kurzläufigen Waffe wirkte genau so bedrohlich, wie ihr terranisches Gegenstück von Heckler & Koch.
,Kriegsgefangenschaft. Aber ich habe das Universum ja gebeten mich den Krieg überleben zu lassen und ihm angeboten dafür nie wieder zu töten.‘
Zu allem Unglück erkannte Raven, dass sie nicht der einzige terranische Pilot war, den die Akarii eingesammelt hatte, als der linke Akarii sie wortlos und ohne große Anstrengung durch die Innenluke des SAR-Shuttles schob.


TRS Intrepid CV 38
Pasquale, FRT

In der CIC des Flottenträgers herrschte rege Betriebsamkeit. Miles Edward James Long, Vier-Sterne-Admiral der Terran Space Navy und Kommandeur deren 3. Flotte tat sein Bestes, sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen.
Doch nach nun fast vierzig Jahren Dienst für Volk und Vaterland musste er sich eingestehen, dass er die grundlegende Angst im Laufe der Jahre nie hatte ablegen können. Eher war sie noch gestiegen. Mit jeder Beförderung hatten seine Entscheidungen mehr Einfluss auf die Zukunft gehabt, und auch wenn es die Krönung einer jeden militärischen Karriere war, Verbände und Flotten in die Schlacht zu führen, war es nur noch komplizierter geworden.
Sein Stabsastrogator checkte noch einmal die Sprungdaten gegen, welche die Astrogationsabteilung der Intrepid an den Stab weitergeleitet hatte.
Sein Plan, Sterntor zu infiltrieren, war von der Idee relativ simpel, doch die Umsetzung war höhere Mathematik.
Um den Anstieg von Thetastrahlung nicht zu plötzlich und zu deutlich zu kreieren, wie wenn seine neunzig Schiffe in einem Schwung den Transit durchführen würden, hatte er entschieden, seine Schiffe in Vierer-Divisionen in einem Abstand von drei Komma acht Sekunden hindurch zu bringen.
Dadurch wäre das Wurmloch zwar eine Minuten und fünfundzwanzig Komma fünf Sekunden geöffnet und ein anhaltender Anstieg der Thetastrahlung würde entstehen, doch kein so gravierender Ausstoß, dass jeder im System es mitbekommen würde. Wenn die Akarii weit genug weg waren, würden sie nicht mitbekommen, dass plötzlich zwei weitere Flottenträger auf der Party erschienen.
„Die Sprungdaten sind soweit korrekt Sir.“, riss ihn sein Astrogator aus den Gedanken.
„Sehr gut Mister Faud. Signaloffizier übermitteln Sie an alle Schiffe: Klar Schiff zum Gefecht! Sprungsequenz nach Plan Rot initiieren!“
Der Gefechtsalarm ertönte und die Beleuchtung der CIC wurde von Weiß auf Blau geschaltet, und nach und nach kamen die Bereitschaftsmeldungen herein. Diesmal früher als sonst, da Offiziere und Mannschaften wussten, was auf sie zukam und man auf den Alarm vorbereitet war.
Nach nur wenigen Minuten setzten sich die ersten Kreuzer der vier Schiffe durchmessenden Kolonne in Bewegung. beschleunigten auf achtzig km/s auf den Sprungpunkt zu und verschwanden.
Weniger als 0,0005024 Sekunden später erschienen diese Schiffe in Sterntor.
Und in Kürze waren die beiden Trägergruppen der 3. Flotte im System und formierten sich zum Gefecht.
29.02.2016 06:39 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cattaneo

Handarbeit

TRS Columbia

Wie nicht anders zu erwarten, herrschte auch jetzt, gut acht Stunden nach der Rückkehr der Kampflieger von ihrem Angriff auf die feindliche Flotte, Hochbetrieb im Hangar des Flottenträgers Columbia. Immer noch wurde angespannt gearbeitet - oder besser, schon wieder. Maschinen mussten für Einsätze als Außensicherung des terranischen Flottenverbandes aufgetankt und bestückt werden, andere wurden für Alarmstarts bereitgemacht. Sollte der Gegner auf falsche Gedanken kommen, musste man vorbereitet sein. Die Columbia und die leichten Träger teilten sich diese Aufgaben, obwohl die Hauptlast der Patrouillenflüge bei den Staffeln lag, die während der letzten Jägerschlacht Defensivaufgaben übernommen hatten. Diese Einheiten waren noch relativ intakt und ihre Piloten hatten diesmal nicht im Kampfeinsatz gestanden. Neben den dafür nötigen Starts und Landungen waren die Wartungscrews mehr als ausgelastet, die übrigen Maschinen wieder kampfklar zu machen und vor allem die unzähligen Havaristen in Folge des kombinierten Angriffs auf die Akarii-Flotte zusammenzuflicken. Dazu kam noch ein „Überhang“ aus den vorigen Gefechten, der aufgearbeitet werden musste. Dies alles hatte für reichlich „Blechschäden“ gesorgt, Maschinen, die zwar reparaturfähig waren, aber umfassende Pflege benötigten. Beschädigte Panzerungen, überlastete Leitungen, Triebwerks- und Waffenausfälle und so weiter, und so weiter und so weiter…
Die Wartungstechniker der Hangarcrew kamen angesichts ihrer zahlreichen Aufgaben kaum noch hinterher. Ungeachtet dessen wurden sie von ihren Vorgesetzten unermüdlich angetrieben. Wie so oft überstiegen die Kampfausfälle die Zahl der Reservemaschinen. In gewisser Weise wurde dieses Manko, das seit Kriegsbeginn ein wunder Punkt der TSN war, durch den Einsatz der neuen Raumanzüge noch unterstrichen, denn sie steigerten die Chancen, einen Abschuss oder schwere Beschädigungen der eigenen Maschine lebend und einsatzbereit zu überstehen. Folglich standen deutlich mehr Piloten als Kampfflieger zur Verfügung, und das gefiel keinem Staffelchef, denn jeder einzelne Jäger oder Bomber zählte. Es hatte im Verlauf des Krieges schon unzählige Beschwerden gegeben, die forderten, IRGENDWIE Platz an Bord der Träger zu schaffen, um die Zahl der Reserveflieger auf sechs oder gar acht pro Staffel zu erhöhen, aber das war aus technischen und finanziellen Gründen nie realisiert worden. Und das hieß, wenn man sich nicht sehr anstrengte, würden einige Piloten im nächsten Einsatz zuhause bleiben müssen.

Es war zu erwarten gewesen, dass einige Staffelchefs sich damit nicht abfinden würden. Meistens bestanden die Gegenmaßnahmen in dem Versuch, bei Kollegen Maschinen abzustauben, sie diesen vor der Nase wegzuschnappen oder – sehr beliebt – moralisch-administrativen Druck auf die Techniker auszuüben, sie mögen doch bitte-bitte-gefälligst-verdammt-noch-mal zusehen, wie sie noch mehr Arbeit in kürzerer Zeit schaffen konnten. Zur Not auf Kosten einer anderen Staffel…
Auch wenn das zu Zwischenfällen mit gewisser Situationskomik führen konnte, etwa wenn sich zwei Staffelchefs durch einem unglücklichen Zufall bei ihren Bettel- und Drohgängen über den Weg liefen und praktisch zeitgleich versuchten, das selbe Ziel zu beschwatzen, für die Techniker war es gewiss nicht lustig.
Lieutenant Commander Tatjana „Lilja“ Pawlitschenko, die eine versierte Spezialistin in all diesen Methoden einschließlich der subtilen und nicht so subtilen Bestechung war, hatte sich diesmal für einen etwas anderen Ansatz entschieden. Manchmal zog sie es vor, den Gegner zu überraschen, mochten ihr Gegenüber die Akarii, ihre Offizierskollegen oder die technischen Dienste sein. Aber wie eigentlich meistens, wenn Lilja eine gute Idee hatte, bedeutete dies zum einen unermüdlichen Einsatz ihrerseits, und zum anderen, dass auch noch jemand anderes darunter zu leiden hatte.
In diesem Fall traf das Leiden ihre eigene Staffel, besser das, was noch davon übrig war. Von den ursprünglich zwölf Stallions waren Hellcat und Shoki ernsthaft verletzt und Guardsman war gefallen, andererseits hatte die Staffel eine zusätzliche Pilotin rekrutiert. Von den halbwegs unverletzten Piloten waren freilich etliche nach der letzten Schlacht sehr angeschlagen gewesen. Lilja hatte für alle medikamentengestützte Bettruhe angeordnet. Sie wusste nicht, wie gut die anderen geschlafen hatten, aber sie selbst war froh, dass all die Dinge, die ihr auf der Seele lasteten, zumindest im Moment Ruhe zu geben schienen. Sie kannte ihre inneren Dämonen so gut wie ihre äußeren Feinde und wusste, es war noch nicht ausgestanden, aber im Moment, so lange es noch etwas gab auf das man einschlagen, schießen und es anschreien konnte, schien sie sich im Griff zu haben. Sie hatte tatsächlich so etwas wie Ruhe gefunden. Dabei fraß sie neben Schuldgefühlen, Trauer und Unsicherheit eine Menge Frustration in sich herein. Die Nachricht, dass das zerstörte feindliche „Flaggschiff“ nur eine Attrappe gewesen war, war nicht nur für ihre Moral ein harter Schlag gewesen. Auch wenn die Akarii hatten bluten müssen, zu viele Männer und Frauen waren gefallen um einen bedeutungslosen Sieg zu erringen. Zu wenige Echsen waren im Gegenzug getötet worden. Wären stattdessen ein echter Träger oder noch ein paar Kreuzer des Feindes zerstört worden…
Lilja hatte zunächst vorgehabt, diese verstörende Neuheit nicht weiterzuerzählen, um die Piloten nicht so kurz vor möglichen weiteren Einsätzen zu demoralisieren. Angesichts der Zahl der Mitwisser dieser…Katastrophe…hatte sie sich aber dann doch anders entschieden. Über den „Grabenfunk“ hätte die Neuigkeit ohnehin über kurz oder lange die Runde gemacht, und die Piloten verdienten es, die Wahrheit zu erfahren.

Die Piloten hatten die Neuheit gemischt aufgenommen. Einige hatten sich nichts anmerken lassen, andere hatten fassungslos oder einfach nur stinkwütend gewirkt. Viele standen wegen dem Verlust von Lone Wolf und Raven – von der keiner wusste, was mit ihr geschehen sein mochte – sowieso unter Schock. Aber glücklicherweise konnte sich die Russin auf ein paar Veteranen verlassen, namentlich auf Imp und Sokol, und auch die Neue von den Gunriders war unerschütterlich. Nicht, dass sie die Nachricht einfach so wegsteckten, aber sie hatten genug erlebt, um sich von Rückschlägen wieder zu erholen. Mit dieser Hilfe konnte Lilja auch den Rest der Piloten bei der Stange halten. Die Schlacht war noch nicht vorüber, und wenn die Akarii einmal Glück gehabt hatten, so würde ihnen das nicht noch einmal gelingen. Es war in ihren Händen, die Rechnung auszugleichen – und so weiter.
Auch die Neulinge schienen im Moment noch durchzuhalten. Fidai würde schon deshalb nicht nachlassen, weil er Rache für Toten von Masters wollte, Abat wollte sich dringend beweisen…Auch Crow und Bad Luck waren nicht aus dem schlechtesten Holz geschnitzt. Die Stallions waren also noch immer einsatzbereit, aber wie bei ihren Maschinen konnte man mit Fug und Recht von einem „gerade noch so“ sprechen. Irgendwann würde der physische und psychische Druck sich entladen, unter dem sie die letzten Tage gestanden hatten, aber noch funktionierten sie, und obwohl sie auf etwa zwei Drittel ihrer üblichen Stärke reduziert waren – vorausgesetzt, sie bekamen alle verfügbaren Maschinen einsatzbereit – vereinte die Staffel sowohl kampferprobte Asse als auch talentierte Newcomer. Und Lilja würde genauso wie die übrigen Grünen alles dafür tun, dass der Gegner vor ihnen zusammenbrach. Dies galt umso mehr, seitdem sie praktisch nebenbei von Irons bei der Einsatzbesprechung nach ihrer Schlafpause erfahren hatte, dass sie im Moment an dritter Stelle in der Rangordnung der Angels stand. Sollten Irons und ihr XO ausfallen – Irons wollte offenbar den Posten des Geschwader-XO für ihren Staffelstellvertreter reservieren, anstatt ihm einen anderen Staffelchef abzutreten – dann wäre es vermutlich an ihr, das Geschwader zu führen. Falls sich nicht Crawford einmischte, was sie ihm wahrscheinlich nicht einmal so sehr übel genommen hätte. Aber an diese erschreckenden Aussichten mochte sie gar nicht denken. Noch zwei langjährige Veteranen zu verlieren, das konnten sich die Angels eigentlich nicht mehr leisten.
Die Ankunft der Verstärkung hatte einen dringend benötigten Hoffnungsschimmer am Horizont aufleuchten lassen. Natürlich, mehr Schiffe im System hieß noch lange nicht, dass es gelang sie zu konzentrieren – das Hauptproblem im Raumkampf. Aber wenn dies glücken sollte, dann sahen sich die Akarii einer nahezu doppelt überlegen Streitmacht gegenüber. Angesichts dessen stellte sich nur noch die Frage, wie schnell und in welchem Zustand sie Sterntor fluchtartig verlassen würden. Und wenn Lilja irgendwie dazu beitragen konnte, diese Entwicklung zu beschleunigen oder den Akarii möglichst großen Schaden zuzufügen, gab es fast nichts, was sie dafür nicht zu tun bereit gewesen wäre.

Gleich nachdem die Einsatzbesprechung vorüber war, hatte die Russin alle ihre schlaftrunkenen Untergebenen, die ihr geeignet schienen, aus den Betten gescheucht und nach einem schnellen Imbiss zu einem zusätzlichen Sondereinsatz abkommandiert. Sich selbst hatte sie natürlich ebenfalls eingeteilt. Ihre Untergebenen hatten damit rund sieben Stunden schlafen können. Eine Ausnahme machte sie für Imp und Crow, die sich im letzten Gefecht aus ihren Jägern katapultieren mussten, und für Abat, der dieses Pech im vorletzten Einsatz gehabt hatte. Marine war ebenfalls vom aktiven Dienst zurückgestellt worden, auf Anweisung der Krankenstation, um einige kleinere Fleischwunden und Prellungen behandeln zu lassen. Wie Lilja die jüngere Pilotin kannte, würde sie dafür Sorge tragen, dass sie bald wieder zum Rest der Staffel stieß. Die übrigen Piloten teilte Lilja in drei Paare und ließ sie auf die Jäger der Staffel los – mit der Aussicht, später noch weitere Aufgaben übernehmen zu „dürfen“. Ihre Beweggründe waren simpel. Alle Piloten, zumindest jene, die noch vor dem Krieg ausgebildet worden waren, hatten einen Abschluss erhalten, der sie theoretisch einem Raumfahrtingenieur gleichstellte. Das war kein Ersatz für eine jahrelange Berufserfahrung und zielgerichtete Ausbildung eines Hangartechs, aber es war vermutlich mehr als viele der übrigen Besatzungsmitglieder lernten. Und auch wenn viele Piloten ihre Kenntnisse und Fähigkeiten nach Erhalt der Schwingen schleifen ließen, für einfache mechanische Arbeiten und Handlangerdienste reichte es immer noch. Um ganz sicherzugehen, dass sich kein Fehler einschlich, überwachten die Paare sich gegenseitig. Lilja hatte nicht den Ehrgeiz, echten Techs Konkurrenz machen zu können, das wäre anmaßend und potentiell selbstmörderisch gewesen. Sie wollte einfach die Fachkräfte von den simplen Routineeinsätzen entlasten, so dass ihnen mehr Zeit für die komplexen Reparatureinsätzen oder dringend benötigte Ruhepausen blieb. Außerdem gab sie ihren Piloten etwas zu tun und hielt sie davon ab, zuviel Zeit zum Nachdenken zu haben. Sie hatte sich schnell mit Master Chief Dodson einigen können, und ihm dafür immerhin die Zusage abgeschwatzt, wenn möglich ihre Maschinen bevorzugt zu behandeln. Zumindest eher als die von Staffeln, die es nicht auf andere Weise schafften, sich in der Dringlichkeitsliste weiter nach oben zu schieben, wie die Jagdbomber und Bomber, die als primäre Angriffswaffe des Trägers einen netten Bonus hatten. Lilja fragte sich, wie Kano mit dem Druck klarkam, sich um seine Staffel zu kümmern, um seine verletzte Schwester Sorgen zu machen und um seine…na ja, Freundin…auf der Derflinger zu bangen. Wie sie ihn kannte, würde er seine Pflichten nicht vernachlässigen, aber es musste die Hölle sein. Von dem Ringelreihen an der Spitze der Angels mal ganz abgesehen. Nun gut, sie selber musste sich natürlich auch noch um ihren Bruder sorgen, der an Bord seines Kreuzers den Angriff auf die Akarii mitgemacht hatte, und da war sie sicher nicht die einzige. Zusammen mit den Belastungen als Staffelchef war dieses Wechselbad der Gefühle aus Erleichterung, Enttäuschung und Sorge nur schwer zu ertragen.

Aus diesem Grund genoss Lilja die körperliche Arbeit sogar, bot sie ihr doch die Möglichkeit, sich geistig auf etwas vergleichsweise Unkompliziertes zu fokussieren. Im Moment war die Russin mit ihrer eigenen Maschine beschäftigt, die zweite, die sie durchnahm. Sie hatte inzwischen fast den Überblick verloren, wie viele Typhoons und Falcons sie im Laufe des Krieges zu Schanden „geritten“ hatte – eine Griphen und eine Phantome waren auch dabei gewesen – und wie oft sie einen Jäger schon mit der für sie namensgebenden weißen Blüte und einer wachsenden Zahl an Abschuss- und sonstigen Markierungen versehen hatte. Seit den letzten zwei Gefechten waren es wieder drei mehr geworden, die eine glänzte noch feucht und war von ihr gerade eben angebracht worden. Sie übertrieb es mit der emotionalen Bindung an eine Maschine oder der Angeberei mit ihren Abschüssen nicht, aber sie liebte ihre Jäger doch auf ihre Weise, eben wie ein stolzer Handwerker das Werkzeug schätzt, das ihm ermöglicht, seiner Berufung nachzugehen – wie ein Schmied seinen Hammer. Oder, wie sie mit einem bösen Lächeln konstatierte, wie ein Metzger seine Messer…
Deshalb bestand kaum Gefahr, dass sie nachlässig wurde, mal ganz abgesehen davon, dass sie nur zu gut wusste, was Fehler im Weltall bedeuteten. Mehr als ein Pilot der Angels war durch simple technische Defekte ausgefallen, und das vergaß keiner.
Mit einem zufriedenen Grunzen schnippte sie gegen die Klappe des Fahrwerks, das sie peinlich genau überprüft hatte, so dass diese leicht schepperte, stand auf und trat zurück, sich dabei den schmerzenden Rücken reibend. Nun war es an ihrem Kameraden, einen Kontrollblick auf ihre Arbeit zu werfen, obgleich sie sich ihrer selbst und ihrer Fähigkeiten sicher war. Ihr Jäger war wieder voll einsatzbereit, bis hin zu den – noch nicht scharf gemachten – Raketen unter den Flügeln. Lilja hatte sich natürlich selbst zu einem Alarmschwarm eingeteilt, der bei einem drohenden feindlichen Angriff sofort starten sollte. Dank ihrer Arbeiten war sie ohnehin immer in Reichweite, sollte es Alarm geben.

Ihr Untergebener ging ebenso penibel zu Werke wie sie, und auch wenn sie normalerweise auf Zeit drängte, bei solchen Überprüfungen konnte sogar Lilja sich gedulden. Sie trat ein paar Schritte zur Seite in einen eigens gekennzeichneten Bereich, und zog aus einer Tasche ihres Technikeroveralls, den sie sich ausgeliehen hatte, eine etwas zerdrückte Selbstgedrehte. Für einen Moment inhalierte sie gierig den giftigen Rauch, dann wandte sie sich an den zweiten Piloten, während sie mit der Zigarette gestikulierte: „Du musst mir aber verraten, wieso du so gut in technischen Dingen bist.“ Lilja musterte ihren knienden Untergebenen und ging dann zu einer Inspektion ihrer Finger über, wobei sie selbstkritisch die Stirn runzelte. Ihre Hände waren dermaßen öl- und rußverschmiert, dass sie von der Tönung her ohne weiteres auch als die einer Farbigen hätten durchgehen können, freilich die einer Frau, welche wenig Wert auf gutes Aussehen legte. Die Russin neigte nicht gerade zu Starallüren, ungeachtet ihres Ranges, und machte sich die Hände ohne weiteres schmutzig – in mehr als einer Hinsicht – aber auch sie kannte Grenzen.
Knight, denn ausgerechnet er durfte sich diesmal von ihr über die Schulter schauen und bekritteln lassen, schaute kurz zu ihr herüber und grinste schief, wenngleich nicht ohne Rachsucht: „Willst du das WIRKLICH wissen?“ Das brachte nun auch ihm ein Stirnrunzeln ein, allerdings nur ein mildes. Wenngleich Lilja ihn wie die anderen Staffelmitglieder gelegentlich duzte, war sie mit vertraulichen Umgangsformen häufig etwas pingelig, zumindest wenn es in der Öffentlichkeit war, und der Hangar WAR öffentlich.
Ihre Stimme troff vor Sarkasmus: „Hm, wenn ich es recht bedenke, ist das vermutlich keine gute Idee, aber – ja, will ich.“
Der ehemalige Sträfling und Bewährungspilot schwieg zunächst, beendete erst penibel seine Arbeit, dann stand er auf, streckte sich ausgiebig – wobei einige Wirbel und Gelenke hörbar knackten – und fuhr sich mit der Hand durch die kurzen schweißglänzenden Haare, ohne darauf zu achten, dass er damit eine weitere Ladung Öl und Schmutz verteilte. Er ignorierte den leicht angewiderten Blick der Russin, die sich als Offizierin etwas mehr in Acht nahm, was ihr Äußeres anging.
„Tja, was soll ich sagen, ich war schon immer der Meinung, dass man seinen Horizont möglichst erweitern sollte. Die Techniker haben einen harten Job, und wir respektieren sie dafür nicht immer ausreichend, mal ganz abgesehen davon, dass sie schlechter bezahlt werden. Ich finde, sie verdienen, dass wir die Dinge auch mal aus ihren Augen sehen, und ihnen helfen, davon können wir selber nur profitieren…“ Lilja lachte spöttisch und offen ungläubig über diese einfühlsame Tirade, wurde aber schnell eines Besseren belehrt, als ihr Untergebener fortfuhr: „…was, das glaubst du nicht? Denk doch nur mal darüber nach, wie viele hübsche Hintern und Beine in Technikeruniformen stecken, von anderen Dingen ganz zu schweigen.“ Die Russin verzog ihre Lippen zu einer Grimasse: „Ach so, JETZT verstehe ich natürlich deinen Altruismus.“ Das hinderte Knight, der scheinbar kostbaren Erinnerungen nachhing, nicht daran, fortzufahren: „Und nichts ist romantischer als gemeinsam im Halbdunkel eines zunehmend verwaisten Hangars bei Schichtende an einer Maschine rumzufummeln. Das kann leicht dazu führen, dass man das dann woanders fortsetzt, und…“

„Schon gut, schon gut, ich sagte ich hab es verstanden!“ schnappte Lilja und unterband weiterführende Erläuterungen mit einer brüsken Geste. Aus welchen Gründen auch immer wirkte sie leicht verlegen, was Knight mit einem hämischen und altklugen: „Aber du hast doch gefragt…“ kommentierte.
„Dann erinnere mich gelegentlich daran, dir weniger Fragen zu stellen!“ Die Staffelchefin überlegte kurz: „Ist dieser Hinweis auf dein schockierend gesetzwidriges Vorleben, für das du mich zur Mitwisserin machst, eigentlich deine Art sich zu revanchieren, dass ich dich mit zum Schrauben abkommandiert habe? Du solltest mir dankbar sein. Ich schinde normalerweise besonders diejenigen, denen ich nichts zutraue, um ihnen zu helfen ihre Defizite zu überwinden, und dann noch besonders die, denen ich was zutraue, damit sie noch besser werden.“
„Und alle anderen schindest du, um rauszukriegen in welche von beiden Gruppen sie gehören, stimmt’s?“
Jetzt lachte die Russin schallend: „Sehr genau beobachtet. Aber du gehörst im Moment zur zweiten Kategorie, also sei dankbar.“ Damit spielte sie darauf an, dass sie Knight versprochen hatte, sich bei gleich bleibenden guten Leistungen für seine Beförderung zum First Lieutenant einzusetzen. Insgeheim wollte sie ihn aber auch im Auge behalten und hatte sich deshalb mit ihm zum Arbeitseinsatz eingeteilt. Sie wäre die erste Person gewesen, die, wenn sie denn jemals wirklich offen gewesen wäre, zugegeben hätte, dass ihr dieser Teil ihres Jobs besonders schwer fiel. Sie konnte einfach nicht die vertrauensvolle Ansprechpartnerin für eine ganze Staffel sein, gewissermaßen die Rudelmutter, ebenso so wenig wie sie selber mit anderen offen über ihre eigenen Probleme reden konnte. Lilja forderte viel eher und führte durch Druck und Vorbild, als dass sie sich auf jemanden und seine Nöte einließ. Wenn sie einmal fürsorglich und empathisch agierte, dann bei Personen, deren Probleme sie nachvollziehen konnte und die in ihren Augen besonderes Potential hatten. Das hatte für Imp gegolten, für Marine, und es galt jetzt ein Stück weit auch für Knight. Er hatte sich trotz seines Beinahe-Zusammenbruchs vor dem letzten Gefecht und den erbarmungslosen Kämpfen kurz darauf, bei denen er beinahe abgeschossen worden wäre und sein Jäger übel hatte einstecken müssen, gut gehalten. Dass er Imp nicht im Stich gelassen hatte, wog in Liljas Augen schwer, ebenso wie sein Abschuss, der sein Gesamtkonto auf acht gegnerische Maschinen erhöht hatte. Aber mitunter sie fand seine lockere Art etwas nervend, so auch in diesem Augenblick.

Knight wechselte zwar das Thema, wählte aber eines, das möglicherweise noch heikler war: „Da ich schon das Glück habe, deine holde Gegenwart genießen zu können – wird uns Mister Bombastic Hattrick eigentlich weiterhin erhalten bleiben? Man könnte meinen, der ist auf irgendwas oder irgendwen hier an Bord der Columbia scharf, so wie er an uns klebt wie die Scheiße am Pferdear…“
Dies führte erneut zu einem wütenden Blick, freilich kaum aus aufrichtiger Empörung, und zu wildem Gestikulieren: „Knight, halt bloß dein loses Mundwerk im Zaum! Wenn du müde bist, gibt es bessere Möglichkeiten eine Pause zu bekommen, als im Arrest.“
Nicht, dass sie annahm, dass Crawford gleich SO in die Luft gehen würde, käme ihm dergleichen zu Ohren, aber Lilja wollte schon wegen der letzten Präventivstandpauke von Irons zu genau diesem Thema kein Risiko eingehen. Umso mehr, da sie sich ihrer eigenen Ansichten zu Crawford nicht so sicher war. Nicht, dass sie nicht weiterhin etwa in Verhandlungen mit anderen Staffelchefs oder den Technikern die Crawford-Karte ausgespielt hätte. Der Captain des Geschwaders der Midway war an Bord geblieben und blieb bis auf weiteres ihrer Staffel zugeteilt, nicht als Kommandeur, aber auf Grund seines Ranges berechtigt, Lilja jederzeit zu übergehen. Oder auch Irons, was das anging. Insgeheim war Lilja hin und her gerissen in ihrem Urteil über ihn. Sie vergaß keineswegs, dass sein Eingreifen im Kampf gegen die feindliche Flakkorvette wahrscheinlich den Ausschlag gegeben hatte. Aber sie fühlte sich weiterhin unbehaglich, wenn sie an seine Angewohnheit des Hineinregierens in andere und auch in ihre Staffel dachte, zudem warf sie ihm insgeheim vor, er hätte besser bei seinem eigenen Geschwader bleiben sollen, wo man ihn kannte und ihrer Ansicht nach auch brauchte. Den Kampfeinsatz hätte er ja auch von dort befehligen können, umgeben von Leuten, die ihn respektierten. Die Angry Angels waren da schon angesichts ihrer hohen Verluste an altgedienten Offizieren etwas skeptischer gegenüber Fremdkörpern. Manche fragten sich, ob Crawford vielleicht Irons als Geschwaderchefin ersetzen sollte, und die wenigsten, die darüber mutmaßten, nahmen diese Aussicht kritiklos hin…
Der Umstand, dass Commander Cunningham, der mit Crawford im Clinch gelegen hatte, offenbar schwer verwundet war, belastete die Russin ebenfalls. Auch wenn es eine sinnlose Loyalität war, sie brachte es nicht übers Herz einem Mann voll zu vertrauen, mit dem Lone Wolf sich kurz vor seiner schweren Verletzung um ein Haar geprügelt hätte. Dessen ungeachtet würde sie Crawford natürlich gehorchen, und sein Jäger war derjenige gewesen, den sie und Knight als erstes überprüft hatten. Es ging ja nicht, dass der Kommandeur des gesamten Jägereinsatzes am Boden blieb.
Etwas ihrer Unsicherheit entlud sich in den Worten gegenüber Knight: „Ich weiß nicht, wie lange er hier bleibt, und warum, oder in welcher Position. Aber bis dahin wird er behandelt wie sein Rang es erfordert, ungeachtet aller wie auch immer gearteten Bedenken. Ich will auf keinen Fall jemanden deswegen maßregeln müssen, oder mir von Ra…“ sie biss sich wütend auf die Lippen, als sie beinahe den Namen der verschollenen Geschwaderchefin benutzt hätte: …von IRONS eine Standpauke einhandeln. Ich bilde mir eigentlich ein, ich hätte meine Leute soweit im Griff, dass sie damit klarkommen, wenn ICH das kann.“ Knight hob die Hände in einer kapitulierenden Geste: „Schon gut, schon gut. Ich bin ja schon still.“

Lilja warf ihm noch einen letzten prüfenden Blick zu, dann nickte sie, scheinbar zufrieden gestellt.
„Wird Zeit, dass wir uns um die nächste Aufgabe kümmern. Deine Mühle fällt da ja wohl aus, da will Dodson nur echte Fachleute ranlassen.“ Knights Jäger hatte schwere Schäden einstecken müssen, und es war zweifelhaft, ob er bis zum nächsten Einsatz wieder einsatzbereit gemacht werden konnte. Solche Sorgenkinder kamen oft als letzte an die Reihe, nach denen, die mit mehr Aussicht auf Erfolg und in kürzerer Zeit repariert werden konnten.
Die Russin kontrollierte ihr Datenpad, das drahtlos mit der Bordkommunikation verbunden war und ihr die aktualisierten Wünsche der Techniker mitteilte, dann wies sie in eine Richtung: „Da drüben, zu dem Aufzug. Drei Rollcontainer mit Ersatzteilen und Zubehör aus dem Magazin holen und für die Shuttles bereitstellen.“
Während die beiden zügig durch den Hangar marschierten – wenn man mit Lilja unterwegs war, wurde nicht geschlendert, nicht, wenn es noch Arbeit zu erledigen gab – warf die Russin prüfende Blicke in die Runde, um sich zu überzeugen, dass ihre übrigen Schäfchen eifrig bei der Arbeit waren, und um einen Eindruck zu bekommen, wie der Gesamtstand der Reparaturarbeiten bei den anderen Staffeln war. Sie hätte es ungern zugegeben, aber die Russin war nicht frei von Konkurrenzdenken und wollte ihre Staffel möglichst gut dastehen sehen im Vergleich zu anderen, insbesondere zu den anderen Falcons.
Knight tat ihr es gleich, zumindest was den zweiten Punkten anging. Oder er suchte nach etwas oder jemand anderen: „Wie viele Maschinen kriegen wir denn auf diese Weise wieder einsatzbereit.“
Lilja knurrte frustriert: „Keine Ahnung, ich muss meine Kristallkugel in der Kabine gelassen haben. Sieben sind nur leicht oder gar nicht beschädigt, da zähle ich aber Crawford mit.“ Sie ließ sich nicht noch einmal darüber aus, aber aus begreiflichen Gründen zählte sie den Captain nicht voll. Egal was sie über ihn dachte – wenn er so weitermachte wie bisher, würde er sich wohl kaum richtig auf das Fliegen konzentrieren können, und das war ja auch nur richtig so. Vier Geschwader zu dirigieren war schon schwer genug, aber wenn man das auch noch eine Ebene weiter unten bei mehr als einem Dutzend Frontstaffeln versuchte…
„Und dann haben wir deine Maschine und die von Marine. Ich habe Dodson bekniet, aber irgendwie bezweifle ich, dass er mehr als HÖCHSTENS eine davon wieder einsatzbereit bekommt. Reservemaschinen haben wir natürlich nicht mehr, und soweit ich das überblicke, können wir keine von anderen Staffeln schnorren. Alle Einheiten brauchen auch noch die letzte Maschine. Vielleicht kriegen wir einen reparierten Havaristen von einer anderen Staffel – sicher keine Falcon, aber vielleicht eine Griphen oder Nighthawk. Dodson will mir Bescheid sagen, wenn er einen Kandidaten findet. Es wird also automatisch mindestens einer von uns auf dem Trockenen sitzen…“ Selbstverständlich fragte Lilja nicht nach Knights Meinung, wer genau zurückbleiben sollte, so etwas entschied sie allein, bestenfalls nach Rücksprache mit ihrer XO „…aber natürlich nicht Crawford, obwohl ich denke, er könnte seine Kommandos ebenso gut von Bord der Columbia oder der Etna aus geben, ein Dauntless ist im Grunde mindestens so gut geeignet wie ein Jäger, auch wenn er nicht so nah dran ist. Aber ich glaube nicht, dass er den Vorschlag gut aufnehmen würde.“

Knight machte sich ebenfalls nicht die Mühe, die Frage anzusprechen, wer zurückbleiben sollte. Er kannte seine Vorgesetzte inzwischen gut genug um zu wissen, dass er zwar vermutlich darum bitten konnte, als Reservepilot ausgewählt zu werden. Aber damit würde er in ihren Augen und in denen der übrigen Staffelmitglieder viel verlieren. Er war wesentlich erfahrener als mindestens drei andere Piloten – Crow, Bad Luck und auch als Abat – von denen zwei erst kürzlich abgeschossen worden waren. Und obwohl er kein Freund von blindwütigem Heldentum war, er hätte ein schlechtes Gewissen gehabt, wenn er sich hinter den Neulingen versteckt hätte.
Also schlug er sich diese Gedanken aus dem Kopf und lachte bemüht erheitert bis boshaft bei den Ausführungen seiner Staffelchefin: „Was denn, die tapfere Eislilie, die inzwischen…40, nein, warte, 41 sind es doch?...Abschüsse kassiert hat, die fürchtet sich vor einem Captain, der nicht mal zu Ihrem Geschwader gehört?“
Lilja bleckte die Zähne, nicht wissend, welchen Gewissenskonflikt ihr Untergebener durchmachte: „Großmaul! Das ist keine Frage von Mut, sondern einfach ein bisschen Nachdenken. Es ist nun einmal Tradition, dass die Kommandeure mitfliegen – seit den Tagen von von Bein und noch vorher. Und Crawford muss ohnehin teuflisch aufpassen. IRGENDWER wird für den Fehler bezahlen müssen, dass wir nur eine Attrappe zerlegt haben. Er wird aufpassen, dass er was aufzuweisen hat, das ihn als Sündenbock ungeeignet macht. Ohne das…also, der Befehlshaber des Kampfliegerangriffs eignet sich als Bauernopfer ebenso gut wie die taktisch-strategische und die elektronische Abteilung der Columbia. Unsere Kapitänin, vielleicht. Oder Admiral Girad, was das angeht – als Zurückgestufte ist sie ohnehin angreifbar, auch wegen ihrem Rückzug nach dem Ausfall der zwei anderen Admiräle im ersten Gefecht. Man könnte ihr die Verwüstung von Masters gleich mit anlasten. Ich sage dir, wenn dieser Scheißkerl Taran erst mal aus dem System geschmissen ist, wird das große Rätselraten losgehen, wem man den ganzen Mist anhängen kann, der hier verzapft wurde. Ach ja, Admiral Mithel ist auch noch nicht aus dem Schneider, dem könnte man auch versuchen eine reinzuwürgen. Aber nach seiner kürzlichen Beförderung und Auszeichnung ist das eher unwahrscheinlich. Aber jemand WIRD bezahlen, da bin ich sicher. Es sei denn, wir gerben den Echsen RICHTIG das Fell, dann bleibt der Rückschlag eine Fußnote.“
Knight war sichtlich beeindruckt: „Du klingst ja wie eine waschechte Flottenpolitikerin. Macht das der Posten als Staffelchef oder schielst du selber auf ein Geschwader?“
Die Russin lachte hart: „Ein schlechter Soldat, der nicht davon träumt, General zu werden – so sagt man jedenfalls bei uns zu Hause, obwohl ich annehme, dass das erst gilt, seitdem wir den Adel zum Teufel gejagt haben. Aber da wir in den letzten Monaten allein zwei Majestic verloren haben, denke ich, es gibt mehr Geschwader und potentielle Chefs, als Träger. Also würde ich mir keine Hoffnungen machen. Außerdem werde ich den Teufel tun und meine Staffel im Stich lassen.“ Offenbar wollte sie nicht weiter ins Detail gehen, aber das lag auch daran, dass sie das Gefühl hatte, ihrer Vorgängerin als Staffelchefin einiges zu schulden.

Inzwischen waren sie am Fahrstuhl angekommen, der sie ins Magazin bringen sollte. Die Russin gab ihren Autorisierungscode ein. Mehr aus Prinzip als aus wirklicher Verärgerung knallte sie mehrfach mit der Spitze ihrer Stiefel gegen die Tür zum Aufzugsschacht. Sie war niemand, der gerne sinnlos wartete. Dann sah sie ein, dass es nichts brachte und drehte sich um. Ihre dunklen Augen, die schon manche Spötter mit denen eines Raubvogels verglichen hatten, musterten aufmerksam den Hangar. Ein Detail erregte ihre Aufmerksamkeit, und auf ihrem Gesicht breitete sich rasch ein spöttisches Lächeln aus.
Knight nahm nicht wahr, dass er der Grund für die Erheiterung seiner Vorgesetzten war. Im Hangar, den die beiden Piloten der Grünen Staffel gerade verlassen hatten, waren einige Kameraden von anderen Einheiten aufgetaucht, vermutlich um nach ihren „Babys“ zu sehen, neue Abschussmarkierungen anzubringen oder weil ihnen ein neuer Einsatz bevorstand. Es war leicht zu erkennen, dass es sich um Butcher Bears handelte, denn die reichlich theatralische Kennzeichnung der Nighthawks dieser Staffel war unübersehbar. Knight beobachtete aufmerksam die Piloten, nun, zumindest eine von ihnen, und sein Lächeln – bei weitem nicht so boshaft wie das von Lilja – unterstrich sein gutes Aussehen. Er ging zwar nicht so weit, Huntress zuzuwinken, aber…
Das Signal des ankommenden Fahrstuhls riss ihn aus seinen Gedanken. Er drehte sich um, und folgte Lilja, die wie immer einen Schritt voraus war. Erst jetzt registrierte er den Gesichtsausdruck der Russin: „Was IST denn mit…“
Die Staffelchefin ließ ihn nicht ausreden, sondern brach in schallendes Gelächter aus: „Also, wenn ich das ’rumerzählen würde, würde mir keiner glauben wollen! Du solltest besser auf dein Gesicht aufpassen. Wer dich sieht, müsste annehmen, du wärst tatsächlich verliebt.“
Knight wurde zwar nicht rot, räusperte sich aber fast verlegen – sehr ungewöhnlich, normalerweise hatte er immer eine schlagfertige Antwort auf Lager: „Ich dachte, ich hätte deine Erlaubnis.“ Das klang für seine Verhältnisse überraschend defensiv.
Lilja grinste immer noch: „Erlaubnis? Du meinst, ich habe beschlossen, dir deinen Regelverstoß zu VERZEIHEN, denn du hast mich ja wohl kaum vorher gefragt. Na, sein wir mal ehrlich, als Freundin von Imp oder Kano, wie stünde ich denn da, wenn ich dir deswegen die Hölle heiß gemacht hätte? Aber sag mir doch, wozu HABE ich dir denn eigentlich die Erlaubnis gegeben? Ehe du der ,Jägerin’ einen Antrag machst, denk daran, dann muss ich oder Kano wirklich eine Versetzung auf ein anderes Schiff beantragen.“ Offenkundig amüsierte sie sich königlich – vor allem deshalb, weil sie Knight heimzahlen konnte, dass er in ihrem bisherigen Gespräch mehr als einmal die Oberhand behalten hatte.
Der Pilot schnaubte, immer noch etwas aus dem Tritt gebracht. Er wusste selber nicht, warum er über seine Gefühle, insoweit er sich darüber im Klaren war, ausgerechnet mit Lilja redete, mit LILJA. Vielleicht, weil sie ihm vor nicht mal einem Tag geholfen hatte, über seine Ängste vor dem nächsten Einsatz hinwegzukommen, als er am Boden gewesen war – oder noch ein Stückchen tiefer, eine Therapie, die ein gemeinsames wenn auch zivilisiertes Besäufnis beinhaltet hatte: „Liebe…“ Er klang fast abfällig: „das ist ein Wort, das dermaßen mit Erwartungen und Stereotypen überfrachtet ist, dass man vorsichtig sein sollte, es in den Mund zu nehmen. Vor allem wenn es Liebe zu jemanden ist, mit dem du nicht verwandt bist. Ich…MAG…Huntress, und ich bin gerne mir ihr zusammen. Ich denke, sie ist auch gerne mit mir zusammen. Und mal ganz abgesehen vom offensichtlichen, ich meine, dass sie wunderschön ist und so – sie ist auch noch witzig und schlagfertig, intelligent, kultiviert, selbstbewusst, mutig…Ich bin ja nun ganz gewiss alles andere als der schlechteste Kandidat auf dem Markt…“ Lilja hustete vor unterdrücktem Gelächter, aber Knight, für den Bescheidenheit nie wirklich ein Problem gewesen war, fuhr unbeeindruckt fort: „aber ich weiß wie froh ich sein kann, dass sie was von mir will. Wir stellen keine besonderen Ansprüche aneinander, aber ich bin…glücklich, so lange es dauert. Und sie auch, denke ich, und das ist doch wohl das wichtigste. Hoffentlich dauert es auch wirklich lange…“
Lilja gab diesmal keine spöttische Bemerkung zum Besten. Ihr Lächeln wirkte ausnahmsweise aufrichtig freundlich, vielleicht auch etwas mitleidig oder traurig, und ließ ihr Gesicht beinahe weich erscheinen. Sie murmelte einige Sätze in ihrer Muttersprache, vermutlich mehr zu sich selbst. Knight musterte seine Vorgesetzte: „Was? Ich verstehe nicht.“
Lilja schien ihn immer noch nicht ganz wahrzunehmen, wechselte jetzt aber ins Englische: „Ich wüsste nicht, dass es eine bessere Definition für das Worte ,Liebe’ gäbe. Jemand anderen als den akzeptieren, der er ist, und sein Glück für so wertvoll zu halten wie das eigene.“ Vielleicht dachte sie an die Menschen, die sie liebte und von denen sie geliebt wurde.
Dann verhärteten sich ihre Züge mit einem Mal, und sie war wieder die alte, fast als wäre ihr dieser – für ihre Verhältnisse – Gefühlsausbruch peinlich: „Da wären wir. Genug geredet. Wir haben zu tun.“
01.03.2016 06:28 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Ironheart


Vor der vierten Sterntor-Schlacht
An Bord der Columbia
Sterntor-System

2nd Lieutenant Anthony „Arrow“ Gant war froh wieder den Boden seines eigenen Trägers betreten zu können. Das Rettungsshuttle R-1 hatte auf die Columbia umgeleitet werden müssen, da die Relentless gerade im Gefecht gestanden und einige der Verwundeten dringend medizinische Betreuung benötigt hatten.
Allerdings war seine eigene Staffel noch im Einsatz gewesen, also hatte sich Arrow erst einmal ein paar Stunden aufs Ohr gelegt und wurde erst wieder von seinem Stubenkameraden Dog Schäfer geweckt. Wie eine lebende Leiche wankte dieser ins Zimmer und zog sich mit starrem Blick aus und bemerkte erst dann seinen Staffelkameraden. „Oh, auch wieder da?“
Arrow nickte nur knapp. „Ja! Und wie ist es euch ergangen?“
„Lone Wolf – WIA, Shorty – MIA.“
Arrow musste schlucken. „Lone Wolf? Wie geht’s ihm?“ Dog zuckte nur mit den Schultern. Dann runzelte Arrow die Stirn, als ihm auffiel, dass ihm der zweite Name gar nicht bekannt war. „Shorty?“
Dog begann sich seinen Flightoverall auszuziehen. „Ersatzpilot. Wir haben noch eine Neue, Frost.“ Dog wankte vor Müdigkeit. „Petal…“
An Dogs Stimme erkannte Arrow, dass etwas nicht stimmte. „MIA?“
Dog schüttelte nur den Kopf, mehr brauchte er nicht sagen, und legte sich dann ohne ein weiteres Wort in seine Koje. Keine zehn Sekunden später war er eingeschlafen.
Gant stand so leise er konnte auf und beschloss, Dog seine wohlverdiente Ruhe zu gönnen. Petal war tot, Too-Tall verletzt, einer der Neuen auch schon wieder verschollen, und vor allem, Lone Wolf schwer verletzt.
Das schockierte Arrow, vor allem, dass es jemanden wie Commander Cunningham erwischte. Der Mann galt als Held, als einer der höchst dekorierten TSN-Piloten. Und wenn es ihn schon erwischte…
Und das waren nur die Verluste der eigenen Staffel. Er wusste, dass Menschen im Krieg starben und verletzt wurden. Doch erst jetzt fing er langsam an zu realisieren, was es bedeuten musste, seine Kameraden und seine Freunde zu verlieren. Vor kurzem war man noch miteinander geflogen, hatte gemeinsam trainiert und gescherzt, und schon im nächsten Augenblick war alles anders. Natürlich wurde es ihnen immer wieder eingebläut und sie hatten es gewusst. Aber es nur zu wissen und es dann wirklich zu erleben, dass waren immer noch zwei verschiedene Paar Schuhe.
Arrow hatte Petal nicht sonderlich gut gekannt, doch wenn er an den Schmerz dachte, den Tulip in diesem Augenblick empfinden musste, verdrängte er den Gedanken doch lieber augenblicklich, als sich sein Magen anfing umzudrehen.
Arrow fragte sich, was er jetzt machen sollte? Sein erster Impuls war es sich bei seiner XO zu melden, die ja jetzt auch die Interims-CO der Roten Staffel geworden war.
Schon wieder…
Aber Mantis würde sicher auch unbedingt Ruhe brauchen nach dem Einsatz, da wollte er sie nicht sofort wieder belästigen. Zumal er ja ohnehin ahnte, dass sie keine Maschine für ihn haben würde. Ersatzmaschinen waren soundso nicht mehr verfügbar und das war durch die letzte Schlacht nicht besser geworden. Sein nächster Gedanke war es zu seinen Freunden Kid und Sonnyboy zu gehen, doch auch die würden sich sicher eine Mütze Schlaf holen wollen.
Also beschloss er sich anderweitig nützlich zu machen, wenn er schon nichts anderes zu tun hatte.

Somit führte ihn sein erster Gang zur Krankenstation. Das Chaos, das ihm dort entgegenschlug, überwältigte ihn förmlich. Hektisch rannte das medizinische Personal hin und her, vollends damit beschäftigt so viele Leben zu retten wie möglich.
„Entschuldigung. Wie ist der Status von Commander Cunningham?“ Eine übermüdete Krankenschwester, die kurz an einer großen Anzeigetafel gestanden hatte, blickte ihn ausdruckslos an, antwortete nicht sondern ging einfach wortlos weiter. Gant beschloss weiter zu warten. Er hatte Zeit und er respektierte, dass seine Nachfrage nicht als so wichtig angesehen wurde. Nach einer Weile und etlichen Versuchen hatte dann aber auch seine Geduld ein Ende. Er ging zur zentralen Aufnahmestelle und behauptete im Auftrag seiner Staffelführerin wissen zu müssen, wie es um den Zustand von Commander Cunningham bestellt war, damit sie in der Staffel weiter planen konnten. Er bekam schliesslich widerwillig eine die kurze Auskunft von einer gereizten Oberschwester, dass der Commander in kritischem Zustand war und entweder weiterhin operiert wurde oder nochmal operiert werden musste.
Schliesslich sah Gant es ein, dass es keinen Sinn gab hier weiter im Weg zu stehen, eine verlässlichere Aussage würde er wahrscheinlich nicht erhalten.

Also machte er sich von der Krankenstation auf den Weg zum Flugfeld, um sich dort nach den Maschinen der roten Staffel zu erkundigen. Auch hier herrschte ein ähnliches Chaos wie auf der Krankenstation, nur dass es sich hier um eine andere Art von Patienten handelte, nämlich die Kampfmaschinen. Hier ging es zwar nicht in erster Linie um einen Kampf um Leben und Tod, doch zu dem konnte es kommen, wenn nicht genug Maschinen startklar gemacht werden konnten.
Und auch hier fühlte Arrow sich fehl am Platze. Es herrschte ein geschäftiges Treiben und eine enorme Lautstärke. Das Zischen von Schweißbrennern, das enervierende Quietschen von Metall auf Metall und das Jaulen von hydraulischen Hebebühnen und Lastkränen erfüllte den Hangar. Unablässig landeten Kampfmaschinen und Shuttles auf der einen Seite, spien ihre Piloten und Verwundeten aus, während halbwegs zusammengeflickte Maschinen auf der anderen Seite wieder ausgepien wurden.
Arrow war auf dem Flugdeck erschienen um sich nach dem letzten Stand der Einsatzfähigkeit der Jäger der roten Staffel zu erkundigen, doch er wusste gar nicht, an wen genau er sich wenden sollte. Er war mit den offiziellen Kanälen vertraut, um eine Anfrage zu platzieren, schliesslich hatte er so ziemlich alle Handbücher an Bord der Columbia gelesen. Doch er wusste auch, wie lange eine solche offizielle Anfrage dauern würde. Sie wären schon wieder zurück im Dock bis er eine Antwort auf seine Frage bekäme. Womit er nicht vertraut war, wie denn der inoffizielle Weg war. Musste er den diensthabenden Flugdeckoffizier fragen? Wenn ja, wer war das und wo konnte er ihn finden?
Arrow blickte sich um und sah den Chefmechaniker der Columbia, Master Chief Petty Office Matt Dodson, der unweit einer arg ramponierten Maschine stand und ein paar seiner Männer und Frauen Anweisungen gab. Gant erinnerte sich daran, dass er Commander Cunningham öfter mit dem Chief zusammen gesehen hatte. Vielleicht hätte er eine Chance bei ihm? Er spürte, wie leichte Nervosität in ihm hochstieg. Er wollte nicht stören, aber gleichzietig auch nicht wieder unverrichteter Dinge wieder abziehen müssen. Also ging er hinüber und nahm ohne ein Wort zu sagen unweit von Dodson eine lockere Haltung ein. Dieser nahm ihn aus seinen Augenwinkeln war, ließ sich aber nicht unterbrechen. Arrow respektierte das natürlich, Dodson war hoch beschäftigt und musste sich nicht mit jedem dahergelaufenen 2nd Lieutenant abgeben. Gant wartete geduldig bis Dodson sich schliesslich einige Minuten später zu ihm mit einem Runzeln auf der Stirn umdrehte. „Was?“
„Chief, ich will Sie nicht stören, aber ich wollte mich nach dem Status der Jäger der roten Staffel erkundigen!“
„Schickt Mantis Sie?“
Arrow blickte ihn ausdrucklos an, er wollte nicht lügen, doch wenn er jetzt ,Nein‘ sagen würde, würde er wohl wie ein dummer Schuljunge weggeschickt werden. Also antwortete er gar nicht, in der Hoffnung, dass das als ein ,Ja‘ interpretiert werden würde.
Dodson rieb sich müde die Augen. „Einer von Lone Wolfs Leuten, hmm? Sie wissen nicht zufällig wie es ihm geht?“
„Doch, ja, Chief. Ich war gerade noch auf der Krankenstation!“
Jetzt hatte er endlich die Aufmerksamkeit des Herren über alle Maschinen erlangt. „Und? Wie geht es ihm?“
Arrow berichtete, was er hatte in Erfahrung bringen können. Der Chief dankte ihm mit einem knappen Nicken, doch die Erleichterung in seinem Gesicht war deutlich zu sehen. Dann drehte er sich zu einem Datenpad um. „Acht Maschinen sind einsatzbereit, mehr oder minder. An der neunten Maschinen – die Pilotin heisst The Artist – arbeiten wir noch, eines der Triebwerke muss ausgetauscht werden, das wird knapp.“ Arrow zählte in Gedanken mit: Mantis, Titan, Stuntman, Dog, The Kid, Sonnyboy, Tulip, Frost hatten alle ihre Maschinen noch. Artist würde ihre Maschine wieder bekommen.
Für ihn war keine Maschine mehr verfügbar. „Sie haben nicht zufällig noch eine Ersatzmaschine übrig, Chief?“ Arrow grinste schief, auch wenn er die Antwort bereits kannte. Doch bevor Dodson ihm antworten konnte, kam ihm eine schneidende Stimme zuvor.
„Selbst wenn er eine hätte, würde er sie nicht Ihnen geben, Lieutenant.“
Gant drehte sich um und nahm augenblicklich Haltung an, denn Lieutenant Commander Tatjana „Lilja“ Pawlitschenko war zu ihnen gestossen. Arrow kannte sie nur flüchtig, doch nach allem was er bisher gehört hatte, wusste er, dass man sich mit der Eisprinzessin lieber nicht anlegen sollte. Der Blick der erfahrenen Piloten drückte unmissverständlich Ablehnung über Arrows Verhalten aus. Das Privileg offizielle Kanäle zu umgehen nahmen sich in der Regel nur Staffelkommandeure oder deren XO´s heraus, aber nicht einfache Piloten. Gant konnte das auch verstehen, wo würden sie auch hinkommen, wenn jeder Pilot anfangen würde auf eigene Faust rumzurennen und fragen zu stellen
„Stört Sie der Lieutenant bei der Arbeit, Chief?“
„Nicht mehr, als Sie es gleich tun werden, Commander. Ausserdem hat Mantis ihn geschickt. Also was kann ich für Sie tun?“ Lilja ging auf die erste Bemerkung des Chief nicht weiter ein, sondern begann ihre Anfrage. Ein flüchtiges Lächeln umspielte den Mundwinkel des Chiefs, als er knapp zu Arrow hinüber blickte.
Dieser salutierte zackig und bedankte sich damit beim Chief, was wiederum Commander Pawlitschenko dazu veranlasste kurz und giftig über die Schulter anzublicken. „Haben Sie nicht Meldung bei Mantis zu machen? Weggetreten!“ Arrow verabschiedete sich auch bei ihr mit einem vorschriftsmäßigen Salut und einem knappen „Ja, Ma´am!“
Arrow hatte höchsten Respekt vor der Leistung einer der besten Pilotinnen des Geschwaders, aber er verstand jetzt auch, warum Lilja nicht gerade beliebt war.

Dann machte sich Arrow auf den Weg zu seiner stellvertretenden Staffelkommandeurin. Als er ihr Zimmer erreicht hatte, zögerte er einen Augenblick. Vielleicht sollte er doch nur eine Nachricht hinterlassen und warten, bis sie sich bei ihm melden würde?
Doch gerade als er schon wieder kehrt machen wollte, ging das Schott zischend auf, und vor ihm stand Commander Sebastian Lefranque, der Kommandeur der Relentless-Shuttles.
Arrow zuckte kurz überrascht zusammen, ehe der Automatismus griff und er vorschriftsgemäß salutierte. Lefranque erwiderte den Salut mit einem knappen Nicken und ging dann wortlos.
Arrow war irritiert und seine Gedanken überschlugen sich nun. Was hatte Commander Lefranque bei seiner derzeitigen Staffelkommandeurin gewollt? Es konnte ja nur mit seinem letzten Einsatz zu tun haben. Also würde sein Handeln während des Shuttleeinsatzes nun wohl doch Konsequenzen haben!
Als er in Mantis Kabine kam, nahm er Haltung an und salutierte auch hier vorschriftsgemäß. „Lieutenant Gant meldet sich zum Dienst, Ma´am!“
Mantis blickte ihn müde an. „Schön dich zu sehen, Gant, nimm Platz.“
„Danke, Ma´am.“
Nun blickte die erfahrene Pilotin ihn eindringlich an, so dass Gant Mühe hatte dem Drang zu widerstehen, unbehaglich im Sitz hin- und her zu zappeln.
„Gant, ich habe gerade eine Nachricht aus dem Krankenrevier erhalten von einer ziemlich verschnupft klingenden Oberschwester, dass ich mich wegen Anfragen bezüglich des Krankenstatus von Piloten doch bitte an den offiziellen Weg halten soll.“
Jetzt wurde Gant noch unbehaglicher zumute, doch bevor er etwas sagen konnte, machte Mantis schon weiter. „Dann habe ich hier noch eine kurze Notiz von Chief Dodson, die besagt, dass er dir noch etwas vergessen hätte zu sagen?“ Sie blickte von ihrem Datenpad auf und schaute Gant ungläubig an. „Hast du etwa hinter meinem Rücken mit dem Chief über den Status der Staffel gesprochen?“
„Ich… Ich wollte mich nur nützlich machen, Ma´am, es tut mir leid…“
Mantis schüttelte den Kopf. „Dass du helfen willst ist zwar löblich, aber du hättet dich wenigstens vorher mit mir abstimmen müssen.“
„Ich wollte Sie nicht wecken, Ma´am!“
„Als ob ich schlafen könnte…“ murmelte Mantis düster. Offensichtlich war sie nicht amüsiert über seine Eigeninitiative. „Und warum Commander Lefranque hier war, kannst du dir denken?“
Arrow schluckte. Ja, leider konnte er sich das in der Tat denken. Seine Einsatzchancen waren ohnehin verschwindend gering, doch wenn sich der Commander über ihn wegen der Rettungsaktion beschwert hatte, dann würde er vielleicht von Glück sagen können, wenn er überhaupt je wieder einen Jäger zugewiesen bekommen würde. „Ja, Ma´am.“
„Gut, dann lass mal deine Version der Geschichte hören.“
Etwas widerwillig und unsicher erzählte Arrow was während des Shuttle-Einsatze und der Gefangenenübergabe vorgefallen war, ohne allzu sehr auszuschmücken oder zu dramatisieren. Mantis blickte ihn während des gesamten Vortrags nur ausdruckslos an.
„Die Idee mit dem Gefangenaustausch kam also von dir?“
Arrow senkte den Kopf. „Ja, Ma´am.“
„Und die Idee mit den Sprengladungen hatte Corporal Hickson?“
„Ja, zum Glück, Ma´am. Ohne diese Idee säße ich wahrscheinlich nicht hier, sondern wäre entweder in Gefangenschaft oder sogar…“ Er brauchte nicht weiter zu sprechen, Mantis wusste auch so, was er sagen wollte.
Mantis blickte ihn weiter düster an, schüttelte dann kurz den Kopf und rieb sich dann die Augen.
„Also gut, Gant. Wie es um die Staffel bestellt ist, weißt du ja selber. Ich kann dir kein Cockpit geben.“
„Ich bin aber frisch, Ma´am und auch nicht mental vorbelastet, wie vielleicht der eine oder andere Pilot.“
Mantis runzelte die Stirn. „Du schlägst also vor, dass ich Tulip seine Maschine wegnehmen und dir geben soll?“
„Ja, Ma´am, ich denke das wäre sinnvoll!“
„Willst DU ihm ins Gesicht sagen, dass du ihm die Gelegenheit zur Rache nehmen willst? Viel Spaß dabei.“ Sie lachte einmal kurz auf, doch das Lachen klang eher nach einem Bellen. „Nein, Tulip hat der Verlust von Petal hart getroffen, das gebe ich zu. Aber diese Wut und diesen Zorn münzt er im Moment noch auf die richtige Weise um: Er will Akarii killen.“
„Das will ich auch, Ma´am!“
„Nein, Gant, du willst nur da raus um dich zu beweisen, um uns anderen und auch dir selbst zu zeigen, dass mehr in dir steckt, als ein Pilot der gleich in seinem ersten Einsatz abgeschossen wird. Das ist nicht das Gleiche.“
Gant wollte wütend werden, doch es gelang ihm nicht nicht, denn instinktiv wusste er, dass Mantis Recht hatte mit ihrer Analyse.
Er senkte den Kopf. „Und was soll ich stattdessen machen, Ma´am?“
Mantis blinzelte ihn etwas verwirrt an. „Naja, einen weiteren Einsatz mit Commander Lefranque fliegen natürlich!?“
„Wieso natürlich?“ Gant war verwirrt. „Ich dachte Commander Lefranque hätte sich über mich beschwert, Ma´am!??“
„Nein, im Gegenteil. Der Commander hat dich für den Bronce Star nominiert.“
Jetzt fiel Gant die Kinnlade herunter. „Der Commander hat was?“
„Du hast mich schon verstanden, Glückspilz! Der Commander – genau wie auch die übrigen von Euch geretteten Piloten – haben dich und Corporal Hickson für den Bronce Star vorgeschlagen.“
Gant hatte es nun in der Tat die Sprache verschlagen. Statt eines Rüffels erhielt er eine Belobigung und vielleicht sogar einen Orden. Die Ironie der ganzen Sache war selbst ihm offensichtlich: Der Pilot, der in seinem allerersten Kampfeinsatz aus seiner Maschine geschossen worden war, konnte sich ausserhalb seines Cockpits auszeichnen. Er ahnte jetzt schon, dass ihm das in dem gesamten Geschwader nicht unbedingt viele neue Freunde bringen würde.
„Commander Lefranque war hier um mich von seiner Entscheidung zu unterrichten und auch um dich für den Rest dieser Kampagne als Ersatzpiloten anzufordern. Ich habe seinem Gesuch bereits zugestimmt. Er wartet im Hangar auf dich, ihr werdet in Kürze wieder zur Relentless zurückkehren.“
„Aye, Ma´am. Die Versetzung ist aber nicht endgültig, oder?“ Gant war sich nicht ganz sicher, also fragte er lieber nochmal nach.
„Nein, Lefranques eigentlicher Co-Pilot wird in einigen Tagen wieder einsatzfähig sein. Aber bis dahin werden die Akarii wahrscheinlich schon wieder aus dem System verschwunden sein.“
Gant nickte. Trotz der Belobigung war er nicht wirklich glücklich über diese Situation. Als er kurz darauf auf dem Weg in den Hangar war, kam ihm das Ganze fast wie ein Trostpreis vor. Er hatte sich in der Schlacht als Jagdpilot beweisen wollen, nicht als Shuttlepilot. Doch im Augenblick konnte er wohl nichts anderes tun, als das Schicksal zu akzeptieren und zu hoffen, dass er nochmal eine Chance bekommen würde, wenn schon nicht in Sterntor dann woanders.

***

1st Lieutenant Donovan „Stuntman“ Cartmell saß mit verschränkten Armen und düsterer Miene in seinem Stuhl im Besprechungsraum und beobachtete den erbärmlichen Haufen, der im Moment seine Staffel war.
Cartmell selbst spürte die Müdigkeit und jeden einzigen seiner Knochen, und er musste immer wieder herzhaft gähnen, doch alles in allem schien er in etwas besserer Verfassung zu sein, als die meisten anderen Piloten. Seine Fähigkeit immer wieder ein kurzes Schläfchen halten zu können und seine Erfahrung gab ihm da gewisse Vorteile. Und anders als Mantis und Titan musste er sich nicht noch mit zusätzlicher Arbeit als Staffelführer und -stellvertreter herumquälen.
Lydia „The Artist“ Bredow war eine der altgedientesten Piloten des ganzen Geschwaders und hatte schon etliche Schlachten geschlagen. Doch sie in ihrem jetzigen Zustand mit einem Zombie zu vergleichen, wäre wahrscheinlich eine Beleidigung – für den Zombie. Dass sie ihre Maschine fast verloren hatte und bei der unsanften Landung gehörig durchgerüttelt worden war, sah man ihr deutlich an.
Frost schien sich da etwas besser zu halten, zumindest dem Anschein nach. Wenn man aber genau genug hinsah, erkannte man, dass ihre Kaffeetasse zitterte.
Wären da nicht die rot verweinten Augen gewesen, die vom Kummer und Schmerz des Verlustes zeugten, hätte man denken können, das Tulip vor Zorn förmlich glühte. Stuntmans Flügelmann hielt sich überraschend gut wenn man bedachte, was er in der letzten Schlacht verloren hatte. Doch wer sagte, dass der Zusammenbruch nicht noch kommen würde?
Und Kid, Dog und Sonnyboy, die drei verbliebenen Rookies, waren schon lange nicht mehr zu Späßen aufgelegt. Wortlos hingen sie auf ihren Plätzen herum und starrten entweder auf den Boden oder in die Ferne. Sonnyboy flüsterte hin und wieder ein paar aufmunternde Worte zu seinen Kameraden hinüber und versuchte sie zu trösten und aufzubauen, auch wenn er selbst so aussah, als ob er dringend ein paar aufmunternde Worte brauchte. Stuntman nahm sich vor, den Jungen später einmal kurz beiseite zu nehmen und ihm gut zuzusprechen.
Donovans Blick glitt hinüber zu Titan, deren Blick im Moment eher als blutleer zu klassifizieren war, auch wenn sie – neben Donovan – noch am ehesten in der Lage zu sein schien, so zu tun, als sei alles in Ordnung. Als sie seinen Blick spürte, blickte sie ihn kurz an und ein flüchtiges Lächeln zuckte in ihrem Gesicht auf. Donovan nickte nur kurz und wollte gerade wieder die Augen zumachen, um noch mal kurz zu dösen, doch in diesen Augenblick kam Mantis in den Besprechungsraum.

Auch der älteren Staffelführerin waren die Strapazen der letzten Tage anzumerken, doch sie hielt sich erstaunlich gut. Mit ernstem Gesicht stellte sie sich vor die kümmerlichen Reste ihrer Staffel und blickte in die Runde.
„Also, ich will nicht lange herumreden, wir gehen wieder raus.“
Auch wenn sich Mantis alle Mühe gab ihrer Stimme möglichst viel Autorität zu verleihen, so war das Stöhnen in der roten Staffel deutlich zu vernehmen. Selbst Stuntman seufzte und dennoch, keiner meckerte wirklich, keiner muckte.
Warum auch? So kaputt sie auch alle waren, so erschöpft, müde und zerschlagen sie sich fühlten, so unterschiedlich ihre jeweiligen Beweggründe – Ehrgeiz, Rache, Blutdurst oder Ehre – auch sein mochten, so war das Ziel aller Piloten doch dasselbe: Sie brannten alle darauf, die Akarii aus diesem System zu jagen.
Dies würde ihre dritte Schlacht innerhalb von vielleicht zwei Tagen werden, doch es gab nichts, was sie dagegen tun konnten. Sie würden die Akarii jagen, bis auch der letzte von diesen Bastarden aus dem System gejagt war.
Jetzt ging es nur noch darum, dabei nicht selbst noch abgeschossen zu werden.
Mantis erklärte ihnen im Moment die neue Staffelzusammensetzung für die nächste Schlacht. Da sie nur noch neun einsatzfähige Maschinen hatten, würde es nun drei Rotten a je drei Maschinen geben.
Mantis selbst würde mit Artist und Sonny die erste Rotte anführen, Titan bekam als Staffel-XO die zweite Rotte mit Frost und Kid und Stuntman die dritte Gruppe mit Tulip und Dog.
Donovan war leicht überrascht, hätte er doch gedacht, dass Mantis ihn weiter schmoren lassen und Frost die dritte Rotte geben würde. Doch bevor er sich darüber weitere Gedanken machen konnte, beendete Mantis ihre Ansprache auch schon wieder.
„Gut, dann bereitet euch auf den nächsten Einsatz vor. Weggetreten! Stuntman, du bleibst noch!“
Als alle anderen Staffelmitglieder aus dem Raum gegangen waren, wandte sich Donovan an Mantis, noch bevor sie etwas sagen konnte.
„Danke, Mantis!“
“Bilde dir ja nichts darauf ein, dass ich dich zum Sektionsleiter gemacht habe. Lydia ist im Moment dazu nicht in der Lage und Frost noch zu neu. Ich kann ihr noch keine Sektion anvertrauen. Meine Entscheidung zeugt einzig davon, wie verzweifelt unsere Lage mittlerweile ist, und sonst nichts, ist das klar?“
Donovan nickte nur knapp. Er war viel zu müde um sich schon wieder mit ihr zu streiten. „Das war nicht das, was ich meinte.“
Mantis Augen verengten sich zu Schlitzen. „Sondern?“
„Danke, dass du mir den Arsch gerettet hast da draussen, als ich Tulip hinterher jagen musste.“
Kühl blickte Mantis ihn an. „War es das, Lieutenant Cartmell?“
Donovan nickte. Offenbar war Mantis nicht gewillt auf seine Geste der Versöhnung und auf seinen Dank einzugehen. Doch das war ihre Sache, er nickte nur kurz, deutete einen flüchtigen Salut an und verließ den Besprechungsraum.

Titan stand mit verschränkten Armen im Flur, an der Wand gelehnt und keine drei Meter von der Tür zum Besprechungsraum entfernt. Donovan stockte kurz überrascht und ging dann wortlos an ihr vorbei. Die Sektionsführerin und Interims-XO der Roten Staffel stieß sich von der Wand ab und ging neben ihm her.
„Was?“
„Das muss dir ja echt schwer gefallen sein gerade?“
„Was meinst du genau?“
„Na, dich bei Mantis bedanken zu müssen. Obwohl ich es gut finde, dass Du es überhaupt getan hast.“
„Hast du etwa gelauscht?“
„Na, den Spaß wollte ich mir nicht entgehen lassen.“
„Sehr witzig, Titan. Hast du nichts Besseres zu tun?“
„Na, wenn ich ganz ehrlich sein soll, Nein! Ich wollte nur sehen, ob ich mit meiner Vermutung Recht behalten würde.“
„Welcher Vermutung?“
„Dass du versuchen würdest, dich wieder einzuschleimen, um doch wieder Staffel-XO zu werden nach dieser Schlacht.“
Donovan blieb abrupt stehen. „Dass ich was?“ Er schnaubte und schüttelte den Kopf. „Wie kommst du denn auf die Idee? Du hast Mantis doch gehört, der Käse ist für mich sowas von gegessen…“
„Ach ja? Und was wäre, wenn Mantis während der nächsten Schlacht fällt? Dann wärst du automatisch Staffel-XO, oder etwa nicht?“
„Und du wärst Staffelführerin.“
„Genau, und darum muss ich wissen, ob ich mich auf dich verlassen kann, wenn es dann darauf ankommt.“
Donovan ging jetzt weiter. „Natürlich, ich kenne meine Pflicht und ausserdem ist es nicht so, als ob das nicht während Karrashin schon einmal passiert wäre. Aber ich hege da keine Illusionen und auch keine Ambitionen mehr. Selbst wenn das in der nächsten Schlacht sich wiederholen würde, sobald wir dann wieder in der Etappe wären, würden sie mich eh wieder zum simplen Wingleader zurückstufen.“
Titan zuckte mit den Schultern. „Kann sein, wichtig ist mir, ob man dir vertrauen kann?“
Donavons Stimme troff vor Ironie: „Was denn? Bestehen daran etwa irgendwelche Zweifel? Mein makelloser Ruf, sollte mir doch wohl vorauseilen.“
Titan grinste schief. „Ja, in der Tat, dein Image hier im Geschwader ist hinlänglich bekannt, auch wenn ich es nicht unbedingt makellos nennen würde.“
„He, vorsichtig, Hitzkopf, so einen Ruf kriegt man hier ganz schnell verpasst.“
„Ich etwa auch?“
„Na klar. Deinen Ehrgeiz, so schnell wie möglich Staffelführerin werden zu wollen, haben sie förmlich ans schwarze Brett genagelt. Und die Tatsache, dass deine Sektionsmitglieder wie die Tontauben abgeschossen werden, trägt zusätzlich zum Ruf bei, dass man dir nachsagt, dass du für eine Beförderung über Leichen gehen würdest.“
Es dauerte ein paar Schritte, bis Donovan auffiel, das Titan stehen geblieben war. Überrascht drehte er sich zu ihr um, und genau in dem Augenblick realisierte er, was er eben gerade zu ihr gesagt hatte. Er hätte sich mal wieder ohrfeigen können, denn solche Worte, auch wenn sie seine Meinung korrekt wiedergaben, einer möglichen zukünftigen Staffelführerin an den Kopf zu werfen, waren nicht gerade weise.
Doch seine Verwunderung wurde noch größer als er ihren Gesichtsausdruck sah, der aus einer Mischung aus Wut, Ärger, Zorn aber auch Trauer in ihren Augenwinkeln bestand. Wenn man die 1,82 große, muskelbepackte Statur von Titan in Betracht nahm, so war diese Reaktion doppelt verwirrend.
„Ich…“ Titan rang mit den Worten. „Scheisse, Donovan, das ist nicht fair.“
Donovan wusste nicht, was er sagen sollte und er hob entschuldigend die Hände, in der Hoffnung, sie würde nicht auf ihn losgehen. Bei ihrem breiten Kreuz konnte er sich dabei nicht sicher sein, wer einen solchen Kampf gewinnen würde. „Hey, Beverly, es tut mir leid. So hab ich es nicht gemeint, aber das ist, was man sich so von dir erzählt.“
Sie blickte ihn böse an, doch nach einer kurzen Weile entspannten sich ihre Gesichtszüge wieder und sie nickte. „Ja, das habe ich schon geahnt, irgendwie. Die letzten Schlachten haben da nichte gerade geholfen.“
Sie schien sich kurz zusammen zu reissen und von einem Augenblick auf den nächsten war die verwirrte Beverly Carrs wieder verschwunden und vor ihm stand die taffe, ehrgeizige Titan. „Aber weißt du was? Scheiß drauf. Wenn es so ist, soll es so sein. Wir gehen da jetzt nochmal raus und dieses Mal bringen wir alle wieder zurück. Stimmts?“
Donovan nickte, doch er antwortete lieber nicht, denn er war sich sicher, dass man ihm seine Skepsis anhören würde.
Irgendetwas sagte ihm, dass nicht alle neun Piloten der Roten Staffel von ihrem nächsten Einsatz wieder zurückkommen würden.

***

Als Stuntman und Titan um die nächste Ecke bogen, kreuzten sich ihre Wege mit der blauen Staffel, die gerade in dem Augenblick aus einem anderen Besprechungsraum strömten.
Donovan lief fast in die Arme von Ace.
„Hey Ace, alles in Ordnung? Ich habe gehört, dass sie dich rausgefischt haben.“
Clifford Davis lächelte etwas müde. „Donovan, gut dich zu sehen. Es geht, bin noch ein wenig auf Droge…“
„Könnte ich gerade auch gebrauchen!“ Und um seine Aussage zu unternauern gähnte Cartmell erst einmal herzhaft. Titan nickte beiden Piloten kurz zu und ging, wie auch alle anderen blauen Piloten, weiter so dass Donovan und Cliff alleine im Flur zurück blieben.
Ace schüttelte den Kopf. „Nein, glaub mir, das Zeug willst du nicht wirklich in deinen Venen haben.“ Ace blickte kurz auf seine Uhr. „Ein wenig Zeit haben wir noch bevor es wieder raus geht, ich gehe nochmal auf die Krankenstation.“
„Wen willst du besuchen?“
„Ach stimmt ja, du hast es ja noch nicht gehört, Ian ist an Bord, es hat ihn ganz schön erwischt, die Kami ist Geschichte…!“
„Oh, das wusste ich nicht. Warte, dann komme ich mit.“
Ace lächelte wieder. „Danke, das wird ihn freuen. Und vielleicht siehst du ja Jean bei der Gelegenheit.“
Donovan wurde etwas verlegen und wusste nicht so recht, was er sagen sollte. „Hmm, ja, das wäre … nett.“
Ace hob eine Augenbraue. „Nett…? Soso.“
„Ja, nett!“ Donovan beschloß lieber nichts weiter zu sagen. Ace ahnte womöglich seine Gefühle für Jean, aber hier und jetzt war nicht der richtige Augenblick um mit ihm darüber zu sprechen.
Ace schien es offensichtlich genauso zu sehen, denn sie legten den restlichen Weg zur Krankenstation schweigend zurück, ein jeder beschäftigt mit seinen eigenen Gedanken.
Donovan wusste nicht genau, warum sein Herzschlag mit einem Mal wieder pulsierte, ob es die Aussicht war, einen verletzten Kameraden zu besuchen oder Jean wieder zu treffen. Aber natürlich hatte er da so eine Vermutung.

Als sie die Krankenstation erreicht hatten, fanden sie Ian in einem der heillos überfüllten Krankenzimmer. Jean sass am Fußende von Ians Bett und ihren Augen konnte Donovan ansehen, dass sie geweint hatte. Er konnte Ian nur kurz gute Besserung und schnelle Genesung wünschen, und so wie Ian aussah, hatte er das auch bitter nötig. Dann wurde ihm Ians Verlobte kurz vorgestellt. Einige nette Worte konnten sie noch miteinander austauschen, doch dann wurden sie auch schon von einer resoluten Krankenpflegerin rausgeschmissen.
Im Gang vor der Krankenstation hatte es Ace mit einem Mal äußerst eilig und verabschiedete sich von beiden schnell, so dass Donovan mit Jean alleine war, zumindest so alleine wie man auf einem mitten im Gefecht stehenden Flottenträger sein konnte.
„Wie geht es dir?“
Jean zuckte kurz mit den Schultern. „Nicht besonders. Um ein Haar hätte es Ian erwischt und ihr müßt auch schon bald wieder raus und wir können nichts anderes machen als hier zu sitzen und zu warten. Das ist fast zum verrückt werden.“
Donovan nickte. „Das verstehe ich, das muß schwer für euch sein.“
Jean sagte nichts weiter und blickte Donovan aus traurigen Augen an. Er wollte sie in den Arm nehmen, sie trösten und ihr endlich seine Liebe gestehen.
Er machte eine Bewegung auf sie zu und wollte sie gerade umarmen, doch da wich sie ihm aus.
„Donovan, nein, nicht. Lass das!“
Etwas gekränkt wich Cartmell zurück. „Was ist?“
„Ich… Ich will das nicht.“
„Was willst du nicht?“ Donovans Herz schien auszusetzen und das Blut wich ihm aus dem Gesicht. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
Jean schüttelte den Kopf. „Ich glaube, ich weiß, worauf du hinaus bist. Aber ich bitte dich, es nicht zu tun. Wie auch immer diese Schlacht ausgeht, ich werde danach ein paar Monate weg sein und ich glaube, dass dieser Abstand für uns beide gut sein wird.“
Donovans Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen und sein Gesicht fror ein. „Was meinst du damit?“
„Ich wollte eigentlich bis nach der Schlacht damit warten, aber du lässt mir keine Wahl.“ Jean blickte ihn traurig an. „Donovan, ich werde dir nie vergessen, was du für meinen Bruder getan hast und ich danke dir sehr für die schöne Zeit, die wir zusammen gehabt haben und du mir dabei geholfen hast über Kens Verlust hinweg zukommen. Aber… Aber ich darf nicht mehr für dich empfinden als Freundschaft. Denn… denn wenn du… wenn du auch nicht wieder kommen solltest…“
Sie beendete den Satz nicht, aber Donovan wusste, was sie sagen wollte.
„Sag mir, dass Du nicht mehr für mich empfindest als für einen guten Freund!“
Jean blickte auf den Boden, seufzte schwer und blickte ihm dann in die Augen. „Es tut mir leid, aber ich empfinde für dich nicht mehr als für meine Brüder.“
Donovan schluckte schwer und versuchte für Verständnis für das was er hörte aufzubringen, aber seine Miene sprach offensichtlich Bände.
„Ich wollte nie, dass das passiert, Donovan! Sei mir nicht böse und gib bitte auf dich Acht!“ Und damit beugte sich Jean Davis zu Donovan vor, küsste ihn flüchtig auf die Wange und drehte sich um, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Wie vom Blitz getroffen stand Donovan noch einige Minuten regungslos im Gang ehe er sich langsam in Richtung Hangar bewegte. Ein Teil von ihm hatte schon immer geahnt, dass das mit ihm und Jean kein gutes Ende nehmen würde.
Aber trotzdem konnte Donovan Cartmell nicht verhindern, dass sein Herz brach.
01.03.2016 06:29 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Tyr

„Das Schicksal ist ein Schwert mit zwei Schneiden. Eine davon bist du. Die andere…die andere ist der Tod.“
Aus ‚Das Schwert der Vorsehung’, einem antiken Akarii-Drama


Imperialer Flottenträger KAHAL

Mit einer Mischung aus Ungeduld, Enttäuschung, aber auch heimlicher Erleichterung hatten die Offiziere und Mannschaften der KAHAL den Vorstoß von Kapitänin Zanni Schnellverband verfolgt. Ähnliche Gefühle beschäftigten auch ihre Kameraden auf den anderen Schiffen der Kampfgruppe, die sich nicht an der Operation beteiligt hatten – wenn man von den Mannschaften der Havaristen absah, die mit sehr viel näherliegenden Problemen beschäftigt waren.
Die Vernichtung eines feindlichen Kreuzers und die schwere Beschädigung eines weiteren wurden mit schweigender Zustimmung oder laut geäußertem Beifall quittiert, je nach Situation und Naturell des Betreffenden. Nicht wenige waren enttäuscht, als Zanni kurz danach ihren Vorstoß abbrach. Viele hatten sich noch mehr erhofft – und andere sahen das Verfolgungsgefecht als den Beweis dafür, dass man mit voller Stärke nachstoßen und den feindlichen Kreuzerverband endgültig hätte aufreiben sollen.
Aber das war nicht geschehen, und inzwischen hatten die angeschlagen zurückhumpelnden Menschen fast ihren eigenen Hauptverband erreicht. Wenn es eine Chance gegeben hatte, das feindliche Detachement zu vernichten, war sie nun vorbei.

Falls Admiral zweiter Klasse Taran sich der Tatsache bewusst war, dass einige seiner Untergebenen sein Vorgehen für etwas zögerlich hielten, dann ließ er sich davon jedenfalls nicht beeinflussen. Oder vielleicht eben doch.
„Admiral, Meldung von der CHA’KAL. Die Reparaturen schreiten gut voran. Laut Kapitän Lukat sind die verbleibenden Schäden ohnehin vor allem…kosmetischer Natur.“
„Gibt es Neuigkeiten von Kastir?“
„Einen Augenblick…nein, mein Lord, leider nicht.“
Admiral Taran nickte mit einem Anflug von Bedauern. Kastir war der Kommandeur des CHA’KAL-Bordgeschwaders gewesen, ein erfahrener Pilot mit über zwanzig Abschüssen. Der Umstand, dass er bei dem Kampf um die GIBIT gestorben war, ließ seinen Tod irgendwie…sinnlos erscheinen. Er hätte mehr verdient.
„Fahren Sie fort.“
„…auch die LIAT gibt an, dass die Reparaturen planmäßig vorrangehen. Kapitänin Linis geht von einer vollen Einsatzbereitschaft in maximal zwei Stunden aus.“
Kapitän Matir schnaufte kurz abfällig: „Na wenn sie da nicht ein wenig überoptimistisch ist…“, dann wandte er sich zu seinem Vorgesetzten: „Immerhin. In ein paar Stunden dürften alle havarierten oder beschädigten Einheiten entweder wieder marschbereit oder im Schlepp sein.“
„Oder gesprengt.“ vervollständigte Admiral Taran grimmig: „Und Sie können sich entspannen, ich habe nicht die Absicht hier länger als unbedingt notwendig zu verweilen. Sobald wir Fahrt aufnehmen können, sollen alle Einheiten eine Rishi bilden.“

Die Rishi war eine defensive Marschformation, deren Name auf eine dickwandige, stachelbesetzte Wildfrucht von Akar zurückging, die einen harten Kern und zahlreiche kleinere Samenkapseln in dem saftig roten Fruchtfleisch besaß. Während man das Fruchtfleisch essen konnte, fanden der Kern und die Samenkapseln übrigens als Gewürz Verwendung.
In der Schlacht bedeutete ‚Rishi‘, dass die Einheiten eine vage kugelförmige Formation bildeten, mit den Trägern und den nachrangigen Einheiten in der Mitte, während sich die anderen Einheiten darum herum gruppierten. Die Kreuzerdivisionen fungierten als mobile Eingreifeinheiten, die an Brennpunkten eingesetzt wurden, Einbrüche abriegelten und eine rasche Schwerpunktsetzung der Feuerkraft gewährleisten sollten. Die kugelförmige Gestalt der Formation sollte es angreifenden Feinden erschweren, eine Schwachstelle auszumachen und den Marschweg für die Kampfflieger und Kreuzereinheiten möglichst kurz halten. Für Angriffe die über einen kurzen Vorstoß einiger Kreuzer- und Zerstörerdivisionen oder die Kampfflieger der Träger hinausging, war die Rishi-Formation allerdings nur bedingt geeignet. In einem solchen Fall war es üblich, die Formation aufzulösen und die Flotte umzugruppieren – ein Manöver, das je nach Marschgeschwindigkeit und den Fähigkeiten von Befehlshaber, Kapitänen und Mannschaften eine halbe bis mehrere Stunden dauern konnte.

„Und welchen Kurs werden Sie befehlen, Admiral?“ fragte Kapitän Matir, und schaffte es, die Frage nicht zu herausfordernd klingen zu lassen.
„Das können Sie sich doch selber ausrechnen, Matir.
Masters hätte wenig Sinn. Wir könnten die Brände, die die Menschen gerade erst gelöscht haben, noch einmal anfachen…
Aber das würde nicht viel bringen. Die meisten Anlagen, die einen militärischen Wert besitzen, haben wir bereits vernichtet. Im Gegensatz zu dem, was die Menschen vermutlich denken, bin ich kein Sadist. Und auch kein Schlächter.
Seafort…“, der Admiral blickte Matir an und es war etwas in seinen Augen, was den Trägerkapitän dazu zwang, den Satz widerwillig zu vollenden: „…Seafort WÜRDE sich lohnen, mit den Werften, den aufgelegten Trägern und der Industrie. Aber wir haben einfach nicht die Kräfte, um uns mit der Boden- und Orbitalverteidigung UND der Fünften Flotte anzulegen. Auch wenn wir bisher jedes Gefecht gewonnen haben.
Und wenn die Menschen Verstärkung bekommen, dann sitzen wir hier wirklich fest.“
Der Admiral verzog die Lippen kurz zu einem sardonischen Lächeln: „Wir sollten hoffen, dass die Menschen irgendwann Verstärkung bekommen. Immerhin baut Großadmiralin Rians großartiger Plan genau darauf auf. Es geht schließlich nicht nur um die Fünfte Flotte.“
„Dann sollten wir AUCH hoffen, dass die Menschen ihre Verstärkung direkt nach Parrak schicken. Und uns nicht methodisch einkreisen.“
„Bei der Panik, die bei ihnen herrschen dürfte, nachdem sie feststellen mussten, dass der Karrg, den sie schon erlegt glaubten, noch quicklebendig ist? Unwahrscheinlich. Außerdem hätte dann eine unserer Sensorbojen, die wir in einigen der benachbarten Systeme zurückgelassen haben Alarm gegeben. Ich frage mich nur, warum die Menschen nicht die Träger ihrer Heimatflotte in Marsch gesetzt haben. Sie hätten längst hier sein können…“
„Vermutlich Politik. Sie haben Angst, dass Panik ausbricht, wenn sie ihre Zentralwelt entblößen. Und die Heimatflotte zu riskieren…das ist kein Schritt, den eine Admiralität leicht tut. Sollte sie scheitern…
Sie kennen diese Argumentation.“ schloss Matir gallig. Ähnliche Beweggründe mussten eine Rolle dabei gespielt haben, dass man die imperiale Heimatflotte bisher zurückbehalten hatte – eine Maßnahme, die bei vielen Frontlinienoffizieren sehr unbeliebt war: „…damit bleiben wirklich nicht mehr viele Optionen. Die feindliche Flotte, oder…“
„Oder wir fangen an, unseren Rückzug einzuleiten?
Wir haben aus diesem System so ziemlich alles herausgepresst, was wir konnten. Aber ich kann mich noch nicht zurückziehen, solange Rians verd…solange der Plan der Großadmiralin noch nicht aufgegangen ist. Also müssen wir den Druck vorerst aufrechterhalten.“
„Die feindliche Flotte.“
„Die feindliche Flotte. Wir bleiben in Bewegung, setzen sie unter Druck und können so auch etwas den tiefen Raum gewinnen. Falls die TSN endlich Verstärkung erhält, will ich nicht unbedingt im Systeminneren festsitzen. Und was die Kampfkraft unseres Gegners angeht…Sie haben zwar immer noch drei leichte und einen Flottenträger, aber ihre Kampfflieger dürften mindestens genauso erschöpft sein, wie unsere. Immerhin haben sie ZWEI Langstreckeneinsätze fliegen müssen. Und was den Zustand ihrer Kampfraumer angeht, so haben sie ebenfalls eine ganze Reihe von Havaristen und beschädigten Einheiten. Darunter mindestens einen ihrer Träger. Ihr Bestand an Atomraketen ist gesunken, und nach der Hektik der letzten Wochen glaube ich nicht, dass es um ihre Moral und Nervenstärke zum Besten steht. Dieser panikartige Rückzug nach unserem ersten Angriff hat das bewiesen.“

„Was das angeht, hat unsere Nachrichtenabteilung einige interessante Einzelheiten herausgefunden.“, meldete sich Kapitänin Los zu Wort: „Inzwischen haben wir die Bestätigung, dass der im Verlauf unseres ersten Langstreckenangriffs zerstörte Kreuzer das feindliche Flaggschiff war. Die JAMES KNOX unter Admiralin de Kerr.“
„Also deshalb dieser überhastete Rückzug trotz der doch recht…moderaten Verluste.
Nun, es hat zwar etwas gedauert, aber inzwischen haben sich die Menschen ja leider wieder gefangen. Kerr…sagt mir wenig. Ich sehe deshalb nicht, inwieweit der Name einer toten Menschenfrau…“
„Vielleicht lassen Sie Kapitänin Los erst einmal ausreden, Matir. Los, Sie können fortfahren. Wir hören ihnen zu.“ schaltete sich Admiral Taran amüsiert ein.
Die Stabschefin nickte knapp: „Danke, mein Lord. Offenbar hat Admiralin Girad das Kommando übernommen.“
„Girad?“, Taran runzelte die Stirn: „Ich erinnere mich, dass ihre Anwesenheit in einer unserer Dossiers zum Parrak-System erwähnt wurde. Aber helfen Sie meinem Gedächtnis bitte noch einmal auf die Sprünge.“
„Geboren 5057 N.Ä. auf Terra. Gehörte zu den Besten Ihres Jahrgangs. Dreizehn Jahre Dienst auf verschiedenen Schiffen, bevor sie den Kapitänslehrgang absolvierte. Danach Kommando auf zwei Schiffen, Admiralslehrgang, Einsatz in Stabsaufgaben. Dann erhielt Sie das Kommando über die Dritte Flotte.“
Kapitän Matir fluchte leise „Verdammt. Die Dritte war der erste TSN-Großverband, der auf unser Gebiet vorstoßen konnte. War Girad nicht auch bei der Graxxon/Wron-Offensive beteiligt?“
Thera Los nickte knapp: „Zwar nicht in der vordersten Linie, aber ja.“
„Die Angry Angels werden sich freuen, unter einer alten Bekannten zu kämpfen. Aber für uns wäre es besser, wenn die Menschen nicht ausgerechnet so jemanden im System hätten.“
„Danach wurde sie zur Vierten Flotte versetzt, offenbar weil man meinte, dass ihr Vorgänger nicht aggressiv genug vorgehen würde. Sie enttäuschte die in sie gesetzten Hoffnungen nicht…“
Kapitän Matir schnaubte wütend: „Ja, wir wissen schließlich alle, dass die Vierte einen großen Teil der Kriegsanstrengungen an dieser Front getragen hat. Ha! Vermutlich haben sie die Konföderation GERETTET! Denn was für ein Standvermögen die haben, wenn Ihnen die Republik NICHT die Hand hält, na ja…“
„Sie sollten dankbar sein. Die fehlende…Standhaftigkeit der Konföderierten verdanken Illis und seine Männer und Frauen ihr Leben. Und das Imperium hat durch die…denkwürdige Entscheidung Cochranes auf einmal eine Front weniger. Außerdem untertreiben Sie ein wenig, was die Kampfkraft der Konföderierten angeht. Immerhin reden Sie hier auch von Akarii, Matir.“
„Ehemalige Akarii. Davongelaufene Eingeborene aus unseren Kolonien. Und als Krönung des Ganzen ein Haufen Menschen, die die Anarchie und den Egoismus zum Ideal erhoben haben…bah. Erst hängen sie sich an die Republik, und wenn es dann ernst wird, kriechen sie vor uns auf dem Boden, betteln um Frieden und darum, dass wir doch alle bitteschön den Krieg vergessen mögen. Keine Ehre, keine Würde…“
„Ich weiß, ich weiß. Und keinerlei Bewusstsein dafür, als was ihr Verhalten sie gemäß der heiligen Borealis-Doktrin abstempelt. Als zum Verfall und Knechtschaft verdammt, denn es gibt nur wachsende Imperien – und ihre Diener. Sie haben im Kampf der Imperien versagt, und damit auch im Kampf um ihr Recht auf ihre Existenz…
Sie wissen, ich halte nicht viel von der ultimativen Beta-Borealis. Und ich dachte, Sie…“
„Zumindest was die Führer der CC angeht, weiß ich nicht was größer ist – ihre Feigheit oder ihre Dummheit und Kurzsichtigkeit. Dass überhaupt jemand von denen den Mumm aufbringt, weiterzukämpfen…
Aber vermutlich ist das der letzte Rest von Kampfgeist. Auch wenn sie es offenbar nicht fertigbringen, diese fetten Steinkröten auf Hannover aus ihren Löchern zu ziehen und zu zerquetschen. Dass selbst EHEMALIGE Akarii ein derart schändliches Verhalten einfach hinnehmen…
Wenn ein imperialer Herrscher sich dermaßen beschämt hätte, wäre er schon längst von seinen eigenen Soldaten gekreuzigt worden.“
Thera Los verdrehte unauffällig die Augen, während Taran leicht amüsiert lächelte, sich aber ebenfalls eine Antwort sparte. Dann runzelte er die Stirn: „Dass man eine derart bewährte Admiralin wie die Kommandantin der Dritten und Vierten nicht gleich zum Oberbefehlshaber der Parrak-Verteidigungsstreitkräfte gemacht hat, überrascht mich. Im Vergleich zu dem Verband, den sie bis vor Kurzem kommandiert hat, ist de Kerrs Fünfte eine eher nachrangige Einheit.
Und Girad war doch auch diejenige…“
„Die die konföderierte Flotte nach der Kapitulation quasi halbiert hat.“, vervollständigte Los: „Was auch der Grund war, warum man sie danach hierher abgeschoben und de Kerr unterstellt hat.“
„Die Menschen haben eine komische Art, ihren siegreichen Admirälen zu danken!“ spottete Kapitän Matir.
„Mag sein. Aber der Grund war wieder einmal die Politik. Diesen Faktor dürfen Sie niemals außer Acht lassen, Matir. Was Girad getan hat war klug, logisch, kühn – und es war wahrscheinlich notwendig. Aber es war nicht sehr ehrenvoll und es war nicht populär. Wahrscheinlich nicht einmal in der Republik. Und indem man sie abgeschoben hat, wollten die Menschen ihren ehemaligen Verbündeten etwas klar machen.
Ich weiß allerdings nicht, ob sie so klug sind, das zu verstehen…“
„Wie auch immer, jetzt haben wir sie am Hals.“
Taran nickte abwesend: „Ja, aber ich frage mich, ob sie etwas Biss verloren hat. Erst dieser überhastete Rückzug, der Masters preisgegeben hat…
Und dieser Angriff vor ein paar Stunden war auch nicht gerade das, was ich von einer Frau erwarte, die solche Risiken eingeht. Sie hat zu viel zurückbehalten. Girad muss doch gewusst haben, dass ihr Angriffsverband zu schwach war, um uns zu schlagen. Sie hat nicht einmal versucht, ihre gesamte Schlagkraft ins Spiel zu bringen, obwohl das auch ein sehr knappes Spiel geworden wäre.
Vermutlich hat sie darauf verzichtet, WEIL es so knapp geworden wäre. Aber einen zahlenmäßig überlegenen Verband mit nur einem Teil der eigenen Flotte anzugreifen…das widerspricht nicht nur einigen unserer und den terranischen Gefechtsdoktrinen, es klingt auch nicht nach einer Admiralin, die alles auf eine Karte setzt und eigenmächtig einen Krieg mit ihren ehemaligen Verbündeten riskiert.“
„Wenn man Sie wegen einer Eigenmächtigkeit – einer ERFOLGREICHEN wohlgemerkt – abgelöst und in die Etappe abgeschoben hätte, wären Sie wahrscheinlich auch etwas vorsichtiger.“

Taran lächelte humorlos. Sie alle wussten, dass er wegen einer erfolgLOSEN Eigenmächtigkeit in den Draned-Sektor abgeschoben worden war – wegen der Beteiligung an der Verschwörung gegen Jor: „Sie haben Recht. Vielleicht war sie sich ihrer Truppen auch nicht so ganz sicher. Viele sind nicht gerade Frontkaliber, und nachdem de Kerr ausgefallen war…
Ein anderer Kommandeur hätte vermutlich ganz auf einen Angriff verzichtet – oder nur die Kampfflieger geschickt. Nicht, dass die alleine so viel erreicht hätten, aber sie hätten uns zumindest gezwungen, von Masters abzulassen.“, Taran winkte ab: „Genug spekuliert. Kapitänin Los, da wir jetzt wissen, WER den Feind kommandiert, sollten wir dieses Wissen nutzen. Ich will eine Analyse von Girads üblicher Strategie und ihren Lieblingstaktiken – soweit unsere Datenbänke das hergeben.
Wissen wir, auf welchem Schiff Sie sich befindet?“
„Nach den Ergebnissen der Gefangenenverhöre ist sie auf der COLUMBIA.“
„Hm. Es wäre verlockend, den Menschen nicht nur ihren ersten, sondern auch ihren zweiten Befehlshaber zu nehmen.
Frage Navigator, wie lange bis wir den feindlichen Verband erreichen könnten?“
„Angesichts der prognostizierten durch die beschädigten und geschleppten Schiffe verringerten Marschgeschwindigkeit etwa sechs Stunden bis sie in Maximalreichweite unserer Nuklearbatterien sind…solange der Gegner seine Position hält.
Ein Soloangriff mit den Kampffliegern…“
„Nein. Unsere Kampfflieger haben in den letzten vierundzwanzig Stunden drei Schlachten geschlagen. Wir brauchen Zeit, damit sich die Piloten ausruhen, essen und ein wenig schlafen können. Die beschädigten Einheiten müssen repariert und die Ersatzmaschinen einsatzbereit gemacht werden. Ich werde unsere verbliebenen Kräfte nicht verzetteln. Der Gegner hat immer noch mehr Maschinen als wir. Wenn wir angreifen, dann mit allem was wir haben.
Und deshalb will ich, dass alle Kampfflieger und Schnellboote für einen Totalschlag bestückt werden. Jeder Sturmjäger, der eine Atomrakete schleppen kann, wird das auch tun. Wir haben immer noch genügend Kampfflieger, um dem Gegner ein paar harte Schläge zu versetzen. Aber nur, wenn wir auf kurze Distanz und mit aller Wucht zuschlagen.
Was die Jäger angeht…für Langstreckeneinsätze werden wir sie wohl erst einmal nicht mehr benötigen. Aber vermutlich werden sie noch den einen oder anderen Kurzstreckenangriff eskortieren und feindliche Verbände abwehren müssen.
„Wie wollen Sie die Jäger aufteilen?“
„Die Jagdstaffeln der Flottenträger brauche ich zum Schutz der Kampfgruppe. Sie können im Vergleich zu den auf den Hilfsträgern und Flugdeckkreuzern stationierten Einheiten schneller aufgetankt und neu bestückt werden. Wir müssen die Möglichkeit haben, unsere Verteidigung so schnell wie möglich ergänzen und ersetzen zu können. Außerdem sind gerade die Geleitträger bei diesen Manövern verwundbar. Wenn sie das mitten in einer Schlacht tun müssen…
Nein.“
„Die anderen Einheiten sind aber teilweise auch weniger erfahren als unsere Flottenträgerstaffeln.“
„Ich weiß. Aber unsere Flugdeckkreuzer-Piloten gehören zur Elite. Das wird das ganze wieder ausgleichen.
Matir, die Brücke gehört erst einmal Ihnen. Sie finden mich in meinem Quartier. Aber informieren Sie mich, falls Girads Verband sich in Bewegung setzt oder es bei der Reparatur der Havaristen weitere Verzögerungen gibt.“
„Wie Sie wünschen, mein Lord.“
01.03.2016 06:30 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Tyr

‚Kehre mit deinem Schild zurück, oder auf ihm.‘
Eine spartanische Mutter zu ihrem Sohn


Imperialer Flottenträger KAHAL

"Sind Sie sicher?" Kapitän Matir musterte seine ehemalige Untergebene etwas ungläubig.
"Der Nachrichtendienst muss das noch überprüfen, aber wie es aussieht...ja, wir haben die Kommandeurin der Angry Angels gefangen genommen."
"Ich dachte, die Angry Angels werden von einem Menschenmann kommandiert."
"Das überprüfen wir noch, aber laut den Angaben anderer Gefangener - und unserer nachrichtendienstlichen Abteilung - hat das Kommando der Angry Angels tatsächlich vor kurzer Zeit gewechselt. Der Vorgänger unserer Gefangenen soll schon kurz nach Jors Tod versetzt, degradiert oder abgelöst worden sein."
"Wie ich schon sagte, die Menschen haben eine seltsame Art, ihre Helden zu behandeln...
Aber unser...Zugewinn wird den Admiral sicherlich freuen. Und unsere Propagandaabteilung."
"Wahrscheinlich. Auch wenn ich ich nicht glaube, dass es so gut ist, wenn wir zuviel Wind um eine feindliche Einheit machen. Es gibt schon genug Irregeleitete, die glauben die Menschen wären uns ebenbürtig oder gar überlegen. Wenn wir jetzt wegen einer einzelnen feindlichen Pilotin frohlocken würden...das könnte diesen Unsinn untermauern. Vor allem, da die Menschen ja noch genug andere gute Piloten und Elitegeschwader haben."
"Politik...
Jedenfalls wird Admiral Taran das wissen wollen."
"Lassen wir ihm noch etwas Zeit um sich auszuruhen."
Die angespannte aber dennoch irgendwie…geschäftsmäßige Atmosphäre auf der Brücke der KAHAL wurde jäh durch die Stimme des Kommunikationsoffiziers gestört: „Prioritätsmeldung von der ELIAK! Sie haben einen schwachen, teilweise gestörten Funkspruch aufgefangen, Code Delak-Tu! Das…“
„Es ist die HELEN.“ vollendete Matir grimmig den Satz. Das Spionageschiff, das unter einer Tarnidentität noch vor der Kampfgruppe in das Parrak-System gesprungen war, hatte in der vergangenen Woche nur selten von sich hören lassen, und immer mit Datenpaketen, die auf einem scheinbar harmlosen Funkspruch ‚Huckepack‘ gesendet wurden – eine unauffällige, aber zeitaufwendige, langsame und etwas ergebnisoffene Art der Kommunikation. „Und da sie diesmal ganz offen einen imperialen Code benutzen, heißt das, sie sind aufgeflogen. Oder werden es gleich. Holen Sie den Admiral auf die Brücke – SOFORT.
Also was ist so wichtig, dass die Besatzung der HELEN ihr Leben riskieren?“
„Sie melden, dass vierzig bis fünfzig feindliche Schiffe ins System gesprungen sind, darunter fast zwanzig kapitale Einheiten und zwei Flottenträger.“

Das schlug ein wie eine Schiff-Schiff-Rakete. Obwohl sie alle damit gerechnet hatten, obwohl das gewissermaßen das ZIEL der Operation gewesen war – in diesem Augenblick durchzuckte die Männer und Frauen auf der Brücke der KAHAL die instinktive Furcht des Jägers, der zum Gejagten wurde.
Matir hatte in den letzten Tagen ein paar Mal verhaltene Zweifel an Admiral Tarans Nervenstärke geäußert. Aber als der Admiral die Brücke betrat, bewegte er sich zwar schnell, aber kontrolliert, und weder in seinem Gesicht noch seiner Stimme konnte Matir die Unruhe und Sorge erkennen, die er erwartet hatte. Schweigend, mit einem fast stoisch wirkenden Gesichtsausdruck hörte er Matir zu, ohne ihm auch nur einmal ins Wort zu fallen. Obwohl sich das Kräfteverhältnis schlagartig zu ihren Ungunsten verändert hatte, schien der Flottenführer die Ruhe selbst: „Das musste irgendwann geschehen. Ich hätte allerdings mit mehr gerechnet.“
„Es ist mehr als genug, wenn sie sich mit Girad zusammentun.“ Kapitän Matir hielt seine Stimme bewusst neutral, was seine Worte wie eine fast beiläufige Feststellung klingen ließ. Genauso wie Taran kannte er den Comment der imperialen Flotte.
„Admiral, Meldung von der KAHAL. Ihre Sensoren erfassen Strahlungsschwankungen, die möglicherweise darauf hindeuten, dass feindliche Schiffe…“
„Danke, das wissen wir bereits. Aber es ist gut, dass wir eine Bestätigung haben.“
„Auf sich alleine gestellt ist uns diese Verstärkung deutlich unterlegen, Admiral.“
„Was die absoluten Zahlen angeht, Matir. Aber sie haben fast so viele Kreuzer wie wir – vielleicht mehr als Girad. Voll bestückt und unbeschädigt. Das gleiche gilt für ihre Kampfflieger. Ja, wir haben mehr leichte Einheiten, nur nützt uns das relativ wenig.
Wenn wir sie anzugreifen versuchen, wird uns Girad einfach folgen, und wir sitzen dann zwischen zwei Feuern. Gegen drei Flotten- und drei leichte Träger hätten wir wenige Chancen, zumal sie uns auch bei den Großkampfschiffen deutlich überlegen wären.“
„Nur wenn Girad uns wirklich folgt. Momentan scheint sie an einem Schlagabtausch nicht interessiert. Nachdem sie schon einmal überhastet geflüchtet ist und wir ihren letzten Vorstoß blutig abgeschlagen haben…“
„Vermutlich bewerten die Menschen den Verlauf des letzten Gefechtes etwas positiver. Und Girad wird auf keinen Fall einfach zusehen, wenn wir uns diesen Verstärkungsverband vornehmen. Nicht diese Frau. Selbst wenn sie ihre Großkampfschiffe zurückhält, zumindest ihre Kampfflieger wird sie einsetzen – muss sie einsetzen.
Nein. Es wird Zeit, dass wir unseren Rückzug einleiten. Das wird die Menschen nicht überraschen, immerhin glauben sie wahrscheinlich immer noch, dass sie mich ausgeschaltet und unser Flaggschiff vernichtet haben. Geben wir ihnen endlich einmal das, was sie wollen.
Und das ist unser Rückzug. Natürlich wird es keine regellose Flucht, sondern ein geordnetes Manöver, das unsere Scharade wenn möglich noch eine Weile aufrechterhält.“
„Wenn Sie mit Ihrer Einschätzung Girads Recht haben, wird die Fünfte das nicht zulassen, Admiral.“ Auch das klang emotionslos.
„Das weiß ich. Aber ich habe nicht vor, ihr da eine Wahl zu lassen.
Wir können es schaffen. Wir brechen durch, bevor ihre Verstärkung zur Stelle ist. Wir lassen Girad nur die Wahl, sich uns alleine in den Weg zu stellen, ohne die erhoffte Verstärkung – und dabei haben die Menschen in diesem System schon dreimal versagt – oder uns ziehen zu lassen.
Wenn Sie das tut, dann haben wir sie nicht nur tonnagemäßig sondern auch psychologisch besiegt. Dann ist sie genauso Geschichte, wie de Kerr.
Aber wenn Girad kämpfen will – und das wird sie, merken Sie sich meine Worte – dann werden wir ihr Grund geben, das zu bedauern.
Kommunikation, öffnen Sie einen Kanal auf der Flottenfrequenz.“
„Zu Befehl.“

Wenige Minuten später ertönte Admiral Tarans ruhige und kühle Stimme aus den Bordlautsprechern der Akarii-Kriegsschiffe: „Mannschaften und Offiziere der Rikata-Kampfgruppe, die Schlacht um das Parrak-System ist in eine neue Phase getreten. Der Feind, den wir bereits drei Mal geschlagen und zum Rückzug gezwungen haben, hat Verstärkung erhalten. Offenbar hat er erkannt, dass nichts was dieses System bisher aufbieten konnte, in der Lage ist, uns aufzuhalten. Indem er neue Schiffe in die Schlacht schickt, hoffen die Glatthäute, ihre schmählichen Niederlagen ausgleichen und die schwankende Moral ihrer Truppen stärken zu können. Zwei komplette Trägerkampfgruppen der Terraner sind in das System eingedrungen und haben Kurs auf uns genommen. Das Wissen, dass der Gegner gegen uns nun eine deutlich überlegene Streitmacht zusammenzieht, sollte uns mit Stolz erfüllen.
Wir haben unseren Auftrag erfüllt, wie es sich für Soldaten des Imperiums gehört. Wieder und wieder haben wir dem Gegner schwere Verluste zugefügt, Angst und Schrecken verbreitet, der weit über das Parrak-System hinausreicht, Fabriken, Minen und Industrieanlagen vernichtet. Niemals mehr werden die Menschen sich wieder so sicher fühlen, wie an dem Tag bevor unsere Schiffe mitten im Herzen ihres Reiches auftauchten. Wir haben ihre törichten Hoffnungen zu Asche verbrannt und in den Trümmern ihrer zerschossenen Kriegsschiffe und brennenden Fabriken begraben. Wir haben gigantische Flottenverbände auf uns gezogen und gebunden. Unser Angriff hat den feindlichen Aufmarsch an der gesamten Front ins Stocken geraten lassen. Wir haben Großadmiralin Rian Zeit verschafft, um ihre große Offensive vorzubereiten. Wir sind weiter in das feindliche Hinterland vorgedrungen, als jeder andere imperiale Flottenverband vor uns. Diesen Teil unserer Aufgabe haben wir erfüllt, und wir können stolz auf uns sein.
Nun stehen wir vor einer neuen Aufgabe, einer neuen Verantwortung. Wir müssen uns den Weg zurück in die Heimat freikämpfen, vorbei an den feindlichen Flotten und allen Hindernissen, die unser Gegner in der törichten Hoffnung aufgetürmt hat, unseren Marsch so zu verlangsamen oder gar aufzuhalten. Ich weiß, dass wir auch diese Aufgabe meistern können. Nichts, was die Menschen uns in den Weg werfen, wird uns aufhalten können. Wir werden siegreich zurückkehren, als Helden. Als Männer und Frauen, die ihre Mission erfüllt haben. Zurückkehren in dem Bewusstsein, dass unser Kampf einen entscheidenden Beitrag geleistet hat zu den Siegen, die noch kommen werden.
Dreimal haben wir den Gegner in den letzten Tagen besiegt. Ich weiß, wir werden ihn auch noch ein viertes, ein fünftes und wenn nötig ein sechstes Mal besiegen – falls die Menschen den Mut aufbringen, sich uns noch einmal in den Weg zu stellen.
Ich weiß, jeder von euch wird in der kommenden Schlacht, in den kommenden Stunden und Tagen seine Pflicht tun und sein Äußerstes geben. So wie ihr es in den letzten Stunden, Tagen und Wochen getan habt.
Wir sind der Stolz und der Wille des Imperiums! Wer kann es wagen, sich uns in den Weg zu stellen?!“ Bei den letzten Worten war Tarans Stimme lauter und drängender geworden. Seine Arme hatten gezuckt, als wollte er sie in einer Geste der Herausforderung hochreißen. Aber als der Kommunikationsoffizier die Funkverbindung kappte, und der Admiral sich zu seinen Untergebenen an Bord der KAHAL umwandte, war seine Stimme wieder ruhig und kühl: „Matir, lassen Sie Kurs auf den nächstgelegenen Sprungpunkt setzen.“
„Wie Sie befehlen, mein Lord.“
01.03.2016 06:30 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


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Tyr

'Die Spartaner fragen nicht, gegen wieviele Feinde sie kämpfen sollen, sondern wo sie sie finden können.'
antikes Sprichwort


COLUMBIA

Kano ließ seinen Blick über die ihm zugewandten Gesichter wandern und unterdrückte ein Seufzen. Die Staffel hatte nur wegen den beiden Neuen annähernd volle Einsatzstärke.
Jimmy wurde immer noch vermisst. Und obwohl die neuen Anzüge einem Ausgestiegenen theoretisch ein Überleben von bis zu einer Woche oder mehr garantieren sollten – wäre Jimmy ausgestiegen, dann hätte sich längst der automatische Signalgeber seines Anzugs aktiviert. Wenn der aber versagt hatte…
Dann drohte Jimmy ein Schicksal, wie es die meisten Raumfahrer fürchteten – verschollen im All, ein hilflos treibendes, verlorenes Sandkorn im schwarzen Ozean…
Es gab keinen einsameren Tod.
Marat hatte da deutlich mehr Glück gehabt, war nach dem geglückten Ausstieg aus seiner wracken Maschine aber immer noch auf der Krankenstation. Mit Submarine war es ähnlich, nachdem sie sich kurz nach der Landung übergeben hatte und regelrecht zusammengebrochen war. Man hatte eine leichte Verstrahlung, eine Gehirnerschütterung und einen ausgewachsenen Schock diagnostiziert – die Folgen der Nahexplosion einer Nuklearrakete. Dass sie überhaupt so lange durchgehalten hatte und in diesem Zustand nicht einem feindlichen Jäger zum Opfer gefallen war, war ein mittleres Wunder.
Und Crusader…bei Crusader war es immer noch unsicher, ob er überleben würde.
Egal was Lilja ihm gesagt hatte – Kano hatte doch noch einen Besuch auf der Krankenstation riskiert, war aber nicht sehr weit gekommen. Immerhin hatte er noch mal die Versicherung zu hören bekommen, dass die Verletzungen seiner Schwester unproblematisch waren. Er hatte sogar ganz kurz nach ihr sehen können, auch wenn sie dank der starken Schmerz- und Beruhigungsmittel wahrscheinlich nicht viel mitbekommen hatte.
Crusader war hingegen als Schwerverstrahlter unter Totalisolation gestellt worden. An einen Besuch war nicht zu denken gewesen. Nicht, dass Crusader etwas davon gehabt hätte, denn man hatte ihn in ein künstliches Koma versetzt. Als Kano gegangen war, hatten die Ärzte bereits seine Verlegung in eine Hibernationszelle vorbereitet – derart schwere Verstrahlungen ließen selbst die Krankenstation der COLUMBIA an ihre Grenzen stoßen.
Kano war sich nicht sicher, ob er ein schlechtes Gewissen haben sollte, weil er sich danach tatsächlich die Zeit genommen hatte, zu duschen, etwas zu schlafen und zu essen.
Aber es war die richtige Entscheidung gewesen. ‚Und wenn ich meine Verpflichtungen vergessen würde…das wäre der falsche Weg.‘ Jetzt musste seine ganze Aufmerksamkeit und Konzentration seiner Pflicht gelten – und denjenigen, die er bald erneut in die Schlacht würde führen müssen. Besonders, da Raven vermisst und Lone Wolf schwer verletzt war. Die Angry Angels hatten schwer bluten müssen und einige ihrer erfahrensten Piloten eingebüßt. Sie konnten sich jetzt keine Schwäche mehr erlauben. Es stand zu viel auf dem Spiel. Und außerdem…wer jetzt die Nerven behielt und trotz aller Rückschläge und Verluste volle Leistungen brachte, der würde sich vielleicht auch für weitere Aufgaben empfehlen. Kano wusste, dass er als Staffelführer im Rang eines Lieutenant immer noch ein Kommandant auf Bewährung war. Aber wenn er sich hier bewährte…
Wie hatte Huntress es ebenso zynisch wie geschichtsbewusst ausgedrückt? ‚Auf einen blutigen Krieg oder eine Saison voller Krankheiten.‘ Auch wenn Kano diesen alten Trinkspruch der Royal Navy nie selber bemüht hätte, er wusste was damit gemeint war.
Er war zwar nicht so verrückt, gleich auf den Posten des Geschwader-Kommandanten zu spekulieren. Aber jede Reise begann mit dem ersten Schritt…

Kano straffte sich. Dadurch, dass er als einziger stehengeblieben war, überragte er sogar Diejenigen, die fast einen Kopf größer waren. Ein einfacher psychologischer Trick, den er sich von Monty abgeschaut hatte. Außerdem fiel ihm das Reden so leichter: „Wahrscheinlich haben Sie schon gehört, dass das vermeintliche Flaggschiff, das wir vor ein paar Stunden vernichtet haben, höchstwahrscheinlich ein zum…Zielschiff umgebautes altes Schlachtschiff gewesen ist. Die Akarii haben uns einen Köder vorgesetzt, und wir haben ihn leider geschluckt.“
Die relativ schwache Reaktion – wenn man von einigen Flüchen absah – bestätigte Kanos Vermutung, dass die Gerüchte bereits die Runde gemacht hatten.
„Ich höre hier ‚Wir‘?“, meldete sich La Reine zu Wort, „Der Mist wurde doch wohl von unseren ‚Dickschiffkillern‘ verbockt?!“
„Flaschen, diese Bomberjockeys. Und die sollen uns jetzt anführen?!“ warf Sugar ein: „Wird Zeit, dass hier wieder ein ECHTER Pilot das Kommando übernimmt und nicht ein überqualifizierter Abwrackheini.“
Kano presste kurz die Lippen zusammen: „Wenn Ihnen die Rangfolge des Geschwaders nicht passt, können Sie gerne bei Admiral Girad eine Eingabe machen. Bis dahin rate ich Ihnen – und allen anderen – sich mit Äußerungen betreffs der Kommandostruktur zurückzuhalten. Und wir alle haben Fehler gemacht.“ Der letzte Satz klang allerdings etwas widerwillig.
„Oh, wie nobel. Aber wir haben nicht dieses Ziel ausgeknobelt. Wir haben nur den Idioten den Weg freigemacht, die es unbedingt in die Luft jagen wollten. Und dafür ist Crusader…“
„Das reicht jetzt, Lieutenant Obasanjo. Ich bin auch nicht glücklich über das Ergebnis des letzten Angriffs, aber Schuldzuweisungen und Was-Wäre-Wenn-Spielereien helfen uns im Augenblick auch nicht weiter.
Ich verlange nicht von Ihnen, dass Sie ihre Wut vergessen. Keiner von Ihnen. Aber ich verlange, dass Sie sie in die richtige Bahn lenken.
Die Akarii haben uns überlistet. Aber das wird ihnen nicht noch einmal gelingen. Und jetzt wird es Zeit, sich zu revanchieren.“

Kano hätte sagen können, dass es trotz diverser Rückschläge noch sehr viel schlimmer hätte kommen können. Immerhin, die Akarii hatten Masters nicht völlig in Schutt und Asche gelegt. Sie hatten es nicht gewagt, Seafort anzugreifen. Wenn sie sofort nach de Kerrs Tod auf Seafort umgeschwenkt wären und die TSN ähnlich zögerlich reagiert hätte, wie auf den Angriff auf Masters…
Sicherlich, die Akarii hätten in dem Fall wohl deutlich höhere Verluste erlitten. Aber eine Zerstörung der Werften, die Vernichtung zweier kaum ersetzlicher, kurz vor der Fertigstellung stehender Flottenträger…im Vergleich dazu wirkte der Schaden, den die Akarii auf Masters angerichtet hatten, fast banal.
Aber das konnte er natürlich nicht sagen. Es wäre ein Schlag in das Gesicht der Toten von Masters gewesen. Und in das der Lebenden.
Dennoch, er fragte sich, warum die Akarii das Risiko nicht eingegangen waren, nachdem sie bei Karashin und Hannover Vabanque gespielt hatten. Aber hier…
‚Hier hat keiner von uns alles auf eine Karte gesetzt.‘ Nicht die TSN, die recht…zögerlich vorgegangen war, einen direkten Schlagabtausch auf Nahkampfdistanz verweigert, und das den Kampffliegern oder Mithels Detachement überlassen hatte. Und auch nicht die Akarii, obwohl die immerhin zweimal ihre gesamte Schlagkraft ins Spiel gebracht hatten – aber eben immer nur gegen einen unterlegenen Gegner oder einen Teil von Girads Flotte. ‚Die einzigen, die wirklich ALLES gegeben haben, waren die Verteidiger von Masters.‘ Das war immer noch ein recht bitterer Gedanke. Ansonsten waren die TSN und die Imperialen umeinander herumgetänzelt. Es hatte kurze Attacken gegeben, schnelle Schläge aus der Deckung heraus – aber keinen Kampf auf Leben und Tod. ‚Vielleicht wird sich das ja jetzt ändern.‘

Vielleicht war es ja auch die Hoffnung, die seinen Worten ihren ruhigen, zuversichtlichen Klang verlieh. Die Hoffnung, dass die TSN jetzt endlich zu einem vernichtenden Schlag ausholen würde, statt nur mit…halber Kraft zu kämpfen - oder gar zurückzuweichen: „Sie alle wissen, was auf dem Spiel steht. Wir haben Verstärkung durch zwei komplette Trägerkampfgruppen erhalten und sind endlich in der Lage, die Akarii mit überlegener Stärke anzugreifen.“
„Wenn unsere Freunde hier sind.“ warf Phoenix bissig ein und La Reine nickte bekräftigend. Ungeachtet der Erschöpfung, die auch sie spüren mussten, schienen der ehemalige Marineskorpsflieger und Kanos frischaufgerückte Stellvertreterin vor unterdrückter Spannung und Ungeduld zu vibrieren.
„Allerdings – und wahrscheinlich wissen die Akarii das. Sie wollen zum nächstgelegenen Sprungpunkt durchbrechen. Das darf Ihnen nicht gelingen.“
„Natürlich darf es das nicht. Aber was ist, wenn wir sie nicht daran hindern können?“ schaltete sich Huntress ein.
„Wir werden einfach unser Bestes geben müssen, Lieutenant Agyris.“ beschied Kano ziemlich knapp.
„Das tut Huntress doch immer…“, warf Sugar boshaft ein: „Frag nur…“
„Ich glaube nicht, dass sich die Akarii mit den Methoden aufhalten lassen, die dir vorzuschweben scheinen.“ ließ sich Spacer hören. Aber er schien nicht ganz bei der Sache. Zweifellos fragte er sich, ob Kano ihn schon wieder auf die Ersatzbank schicken würde.
„Wenn ich bitte fortfahren dürfte…“, Kano fehlte im Augenblick ein wenig die Geduld für die üblichen Flachsereien seiner Untergebenen: „Wir können die Akarii nicht einfach davonkommen lassen, das wissen Sie alle. Aber das heißt auch, wir können nicht warten, bis unsere Verstärkung hier ist.“
"Vielleicht wollen die Imps ja auch erst uns fertig machen und dann die Verstärkung." äußerte Phoenix mit einem zynischen Grinsen.
"Ich glaube nicht, dass sie sich für SO gut halten. Bisher haben sie auf mich nicht gerade unbedingt übertrieben selbstsicher gewirkt."
"Vielleicht wissen sie aber auch gar nicht, dass wir Verstärkung erhalten haben." warf Killer nachdenklich ein.
"Darauf können wir uns nicht verlassen. Und wenn sie es nicht bisher nicht bemerkt haben, dürften unsere beiden neuen Flottenträger und ihre Begleitschiffe ziemlich bald auf ihren Ortungsschirmen auftauchen. Es gibt nichts, womit man 40 Kriegsschiffe tarnen kann, die mit Höchstgeschwindigkeit vorrücken. Nein, sie wollen durchbrechen. Spätestens dann, wenn sie bemerken, was da auf sie zukommt. Im System zu bleiben ist spätestens in ein paar Stunden keine Option mehr für sie, wenn ihr Kommandant nicht gerade unter Größenwahn leidet. Und danach sieht es nicht aus. Also werden sie sich absetzen. Und das müssen wir verhindern."
„Sollten dann nicht lieber SIE eine Petition bei Girad einreichen? Nach allem, was ich gehört habe, halten wir nämlich immer noch einen schönen Abstand zu den Echsen.“ äußerte sich La Reine etwas bissig.
„Das wird nicht so bleiben, das verspreche ich Ihnen.“ Kano legte mehr Gewissheit in seine Worte, als er tatsächlich empfand. Nachdem sich Girad schon einmal in einer Situation zurückgezogen hatte, in der Kano nicht damit gerechnet hätte, war er sich nicht mehr sicher, was er von ihr erwarten sollte: „Wir geben unserer Verstärkung nur etwas mehr Zeit, um zu uns aufzuschließen. Wir munitionieren unsere Jäger auf, reparieren Schäden…“
„Genauso wie unsere Freunde von der anderen Feldpostnummer. Wir müssen sie JETZT angreifen! Wenn wir zu lange zögern, dann sind weg – und das ganze Imperium lacht sich darüber schlapp, wie dieser Jungspund Taran uns vorgeführt hat!“
„Hören Sie auf zu übertreiben. Wir haben noch genug Zeit. Und Girad weiß, dass wir den Gegner nicht entkommen lassen dürfen. Wir WERDEN angreifen. Bald. Wir WERDEN die Akarii stoppen oder wenigstens verlangsamen. Zeit erkaufen. Wenn uns das gelingt…“
„Ja klar, dann haben wir mal wieder einen kriegsentscheidenden Sieg errungen.“ In La Reines Stimme klang der Zynismus eines Veteranen mit, der schon viel zu häufig mit dem Versprechen vorgeschickt worden war, dass der nächste Sieg die Entscheidung bringen würde. Sie war nicht kampfesmüde – aber die Rückschläge der letzten zwei Monate hatten bei vielen Piloten für Verbitterung gesorgt.
„Und für uns heißt das natürlich, dass wir den Ring steigen, während unsere Freunde zuschauen.“ ließ sich Phoenix hören. Für sein sonst eher schweigsames Naturell wurde der vernarbte Marineflieger regelrecht gesprächig.
„Na also was sollen wir denn dann sagen?“, schaltete sich Killer ein. Es war klar, worauf die altgediente Marinesfliegerin anspielte. Ihre nicht sehr subtile Erinnerung daran, wie die TSN Masters im Stich gelassen hatte, sorgte zumindest bei einigen der Butcher Bears für betretene Mienen. Die anderen hatten sich besser im Griff, oder weigerten sich, ein schlechtes Gewissen zu haben.
„Diesmal werden wir jedenfalls nicht nur zuschauen, das schwöre ich.“ bemerkte Kano etwas schmallippig.
„Zumindest diejenigen, die mitfliegen dürfen.“ Stichelte Huntress mit einem vielsagenden Blick auf Spacer, der rot wurde.
„Da wir schon dabei sind, klären wir das gleich. Wir haben im Augenblick zehn einsatzfähige Piloten, aber nur neun Maschinen. Und das auch nur dank unseren beiden neuen Phantome und weil wir eine der zurückgeschickten Maschinen zusammenflicken konnten.“ Unter normalen Umständen hätte man La Reines Maschine bestimmt nicht wieder in den Einsatz geschickt – aber das WAREN eben keine normalen Umstände…
„Einer von uns wird also zurückbleiben.
Spacer…“
„Wieso ich schon wieder? Dass ist nicht fair!“
„Ich habe Ihnen meine Gründe schon einmal genannt - und daran hat sich nichts geändert.“
„Flyboy…“
„Auch das hatten wir schon mal.“
„Und warum lassen sie nicht einen von den Neulingen auf der Reservebank?“ Spacer nickte nicht allzu freundlich zu Top Gun und Killer hinüber.
„Weil diese ‚Neulinge‘ mehr Flugerfahrung und Abschüsse haben, als Sie. Weil beide bereits Einsatzerfahrung mit der Phantome haben. Und weil sie ihre Maschinen an der feindlichen Flotte vorbeigebracht haben, um weiterzukämpfen. Ich werde das nicht dadurch honorieren, dass ich sie jetzt am Boden lasse.“
„Ich komme auch von den Sterntor-Garnisonsverbänden. Vielleicht will ich ja auch…“
„Schluss jetzt. Ihre Einsatzbereitschaft ist lobenswert und ich werde sie nicht vergessen. Aber ich habe eine Entscheidung getroffen, und die werden Sie respektieren.“
„Aber warum nehmen Sie mir meine Maschine, während Sugar eine nach der anderen zu Schrott fliegen darf und wieder raus kann?!“
„Du mich auch, Arschloch.“ schaltete sich Sugar ein, wurde aber von einer schneidenden Handbewegung Kanos unterbrochen: „Weil das eine nichts mit dem anderen zu tun hat. Ich bestrafe Sie schließlich nicht – oder belohne Sugar…“, das meinte Kanos ernst, obwohl vermutlich sowohl Sugar als auch Spacer es anders sahen, „Es geht einfach darum, wer die meiste Kampferfahrung und Abschüsse hat. Und deshalb wird Sugar an Ihrer Stelle fliegen. Diesmal. Das kann sich ändern – aber Sie überzeugen mich nicht, wenn Sie meine Entscheidungen anzweifeln. Also benehmen Sie sich jetzt wie ein Offizier der TSN – oder wie ein Piratenpilot, der seinen Killscore steigern will?“

Diese Frage ließ bei einigen Butcher Bears-Veteranen ein kurzes Lächeln oder ein paar launige Bemerkungen aufflackern. Vermutlich interpretierten sie Kanos Worte als eine Anspielung auf Noname/Stuntman. Kano hatte das eigentlich nicht beabsichtigt. Auch wenn er mit manchen von Cartmells Ansichten und Handlungen nicht einverstanden war, der ehemalige Sträfling schien letztendlich doch erkannt zu haben, welche Chance ihm die Navy geboten hatte. Er war einer von Kanos regelmäßigen Fechtpartnern, und auch das zählte. Man konnte nicht mit jemandem regelmäßig die Klinge kreuzen, ohne nicht zumindest ein wenig Verständnis für ihn zu entwickeln. Aber er wusste, dass Cartmell im Geschwader ziemlich unbeliebt war. Vermutlich war das auch einer der Gründe dafür, dass seit seinem ‚Tandemflug‘ mit Ace auch noch ein deutlich anzüglicher Spitzname für Cartmell kursierte: Joystick.
Falls auch Spacer Kanos Worte als eine Anspielung interpretierte, erinnerte ihn das sicherlich daran, dass Cartmell sich die bleibende Feindschaft von Mantiss eingehandelt und seine Chance auf eine Sektion oder gar den Posten des Staffel-XO verscherzt hatte. Ein Vorbild, dem Spacer sicher nicht folgen wollte, zumal er eigentlich ein umgänglicher Typ war – und Kano einen Ruf hatte, der Mantiss regelrecht mütterlich wirken ließ.

Der junge Sterngeborene mäßigte jedenfalls seinen Ton: „Entschuldigung. Aber wie soll ich mich beweisen, wenn ich hier immer nur rumsitze?“
„Zumindest beweisen Sie damit, dass Sie gehorchen können. Nicht die schlechteste Eigenschaft für einen Kampfpiloten der Karriere machen will. Denn bevor man selber befehlen kann…“
Kano sparte es sich, den Satz zu Ende zu bringen: „Wir werden also zu neunt sein. Ich, Sugar, Flyboy, Huntress, La Reine, Phoenix und Bunny. Und natürlich Killer und Top Gun.
Wir können uns glücklich schätzen, dass sechs von uns Asse sind. Und alle anderen haben schon Kampferfahrung und Abschüsse erzielt.“
„Ja, und die meisten wollen Oben liegen.“ Das kam natürlich von Huntress. Und obwohl Kano kurz die Augen verdrehte, musste er zugeben, dass sie in einem gewissen Sinne Recht hatte: „Ich würde es zwar anders formulieren, aber um auf die Frage zu antworten, die hinter Ihrer…farbigen Metapher steckt, ich gehe davon aus, dass alle Anwesenden in der Lage sind, etwaige Starallüren in den Hintergrund zu stellen.
Jetzt zur Verteilung. Wir bilden zwei Sektionen.
Sektion Eins untersteht La Reine. Sie bekommen Phoenix als Flügelmann und zusätzlich Top Gun und Killer.“
La Reine grinste kurz, sichtlich erleichtert, wieder eine eigene Sektion zu haben. Die Tatsache, dass die Hälfte ihres Schwarms aus veralteten Phantomes bestand, wurde durch Top Guns Abschussliste ausgeglichen: „Dann bilden wir also so was wie den Marines-Wing? Na dann Whooah!“
Phoenix akzeptierte seine Zurückstufung zum Flügelmann gleichmütig. Kano war zuversichtlich, dass sein Hass auf die Akariis von dem eiskalten Einsatzwillen des Ex-Marines gebändigt werden würde. Ja, Phoenix taugte wesentlich besser als Wingman, als das bei La Reine oder Huntress der Fall gewesen wäre. Die beiden waren der beste Beweis dafür, dass die Bezeichnung ‚Alphatier‘ geschlechtsunspezifisch war.
„Sektion Zwei besteht aus Huntress und Bunny, Sugar und Flyboy.“
Huntress grinste ihrem neuen Flügelmann raubtierhaft zu, was den stillen, dunkelhäutigen Piloten erröten ließ. Sugar machte keinen Hehl daraus, dass sie froh war, nicht länger als Kanos Flügelfrau zu fliegen und Flyboy…soweit man das bei der zierlichen, zurückhaltenden Asiatin sagen konnte, schien sie ebenfalls zufrieden.
„An, behalten Sie unsere Überfliegerin im Auge.“
„DAS dürfte ihr nicht schwerfallen!“ ließ sich Huntress hören, führte ihre kryptische Bemerkung aber nicht weiter aus.
„Und Sugar, reiß dich zusammen. Ich will nicht, dass du schon wieder eine Maschine verschleißt.“
„Haben Sie Angst, dass sie Sie überrundet?“ stichelte La Reine von der Seitenlinie.
„Höchstens Angst, dass sie dabei vielleicht nicht so viel Glück hat, wie ich bisher. Ich würde mir gerne einbilden, dass ich ein Vorbild bin – aber nicht, was die Anzahl der verlorenen Maschinen und zusätzlichen Spangen für den verwundeten Löwen angeht.“
„Alleine zu fliegen ist aber auch nicht gerade sicher…“ ließ sich Phoenix vernehmen: „Vor allem, wenn Sie gleichzeitig die Staffel koordinieren wollen.“
„Dann werde ich eben besonders wachsam sein müssen.
Sonst noch Fragen?“
„Was für eine Aufgabe werden wir übernehmen?“ fragte Phoenix, aber nur mit mäßigem Interesse. Solange er Akariis abschießen konnte, war es ihm ziemlich egal, auf welchen Posten man die Butcher Bears stellte.
„Gehen Sie davon aus, dass wir eine Offensivaufgabe übernehmen. Vermutlich werden wir den Bombern den Weg frei räumen oder die feindlichen Jäger niederkämpfen. Wir sind einfach zu gut für statische Verteidigungs- oder Geleitschutzeinsätze.
Gut. Ansonsten schlage ich vor, dass Sie die verbliebene Zeit gut nutzen. Ruhen Sie sich aus, essen Sie endlich mal wieder in Ruhe und ohne Hektik, gehen Sie meinetwegen in die Sporthalle…“
„…oder wo und wie Sie auch sonst immer ihren Stress abzubauen pflegen…“, vollendete Huntress den Satz, ohne allerdings Kano aus dem Konzept bringen zu können. Inzwischen kannte er seine Pappenheimer: „Ich will, dass sie voll einsatzfähig sind, wenn es wieder losgeht.“
„Lilja hat ihre Jungs und Mädels zum Schraubendienst verdonnert. Es wundert mich, dass Sie nicht auch…“
„Alles zu seiner Zeit, Phoenix. Alles zu seiner Zeit. Wenn jemand sich freiwillig meldet, kann ich nur zu der Einsatzbereitschaft und dem Engagement gratulieren…“
„…und sie kriegen einen Stern in ihre Dienstakte…“, spottete Killer halblaut, wurde aber von Kano ignoriert.
…und Spacer, wenn du unbedingt nach Draußen willst, dann solltest du dich vielleicht wirklich den Techs anschließen, die versuchen, Sugars Maschine wieder zusammenzuflicken.“
„Und was machen Sie, Sir?“ fragte Sugar mit eher müßigem Interesse.
„So ziemlich dasselbe wie Spacer – nur auf einer etwas höheren Ebene. Vielleicht gibt es auf diesem Träger noch einen einsatzfähigen Jäger, der noch keinen Piloten hat. Außerdem will ich, dass auch Top Guns und Killers Phantomes in erstklassigem Zustand sind, wenn wir wieder rausgehen. Unsere Bodencrew ist zwar normalerweise ziemlich fix, aber ich weiß nicht, ob sie sich um die beiden ramponierten Neuzugänge…“
„…reden wir jetzt eigentlich von den Maschinen, oder den Piloten?“
Kano ignorierte den Einwurf: „Schlimmstenfalls werden wir wohl selber Hand anlegen müssen, aber ich werde erst einmal sehen, ob es auch so geht. Und abgesehen davon…sind die ersten Feldanalysen der letzten Jägergefechte fertig geworden. Falls unsere Geheimdienstler und Gefechts-Analytiker beim Gegner irgendwelche Schwachstellen festgestellt haben, möchte ich das gerne wissen.“
„Klingt nach einer echt wilden Party.“, spottete Huntress, „Aber wenn Sie darüber einschlafen, kriegen Sie wenigstens auch noch ihre Extramütze Schlaf.“
„Ihre Fürsorge rührt mich.“ Kano nickte seinen Untergebenen noch einmal zu. Auf eine ruckartige Bewegung seines Kinns hin setzte sich auch Spacer gehorsam in Bewegung.

„Der Alte lässt unseren Sterngeborenen ganz schön flitzen, auch wenn er ihm die Flügel gestutzt hat…“ spöttelte Huntress.
„Du hast deinen Jäger sicher. Aber nicht jeder hat deine…Qualitäten, um den Chef zufriedenzustellen.“ schoss Sugar von der Seitenlinie. Nachdem sie sicher war, dass sie mitkämpfen konnte – und diesmal, ohne an Kanos Heck kleben zu müssen – war sie in guter Stimmung.
„Ja, das würdest du gerne wissen, nicht wahr?“ feuerte die hochgewachsene Pilotin zurück: „Aber wenn es schon um Geheimnisse und…Qualitäten geht, kann ich dir sagen, dass…“
„Mädchen, hört mit dem Zickenkrieg auf.“ schaltete sich Phoenix mit abwesender Stimme ein.
„Außerdem ist dieses Claim sowieso schon längt abgesteckt.“ gab La Reine ihm Recht.
„Ihr Flottenflieger…bei euch geht es wirklich immer nur um Sex.“ bemerkte Killer amüsiert.
„Oh bitte! Du willst doch sicherlich nicht hören, was man sich über euch Marines erzählt…“ konterte Huntress, wechselte dann aber blitzschnell das Ziel: „Und da wir schon mal bei dem Thema sind…Cochrane. Wie hat es dein Onkel ausgedrückt? Du gehörst also zu den Konföderierten, die…wie…‚ihre Hosen runterlassen und sich für die Terry bücken‘? Ich habe schon notgeile Jarheads im Vollrausch gesehen, die sich gewählter artikulieren konnten.“
Kurz huschte so etwas wie Widerwille über Lieutenant Cochranes Züge: „Es ist nicht meine Sache, wenn sich mein Onkel die Chance auf die Wiederwahl endgültig verbauen will…“
„Glaub mir, da gibt es triftigere Gründe…“
„Aber das war wirklich nicht gerade die Sternstunde konföderierter Rhetorik. Ich weiß nicht, was er sich dabei gedacht hat, diejenigen zu verunglimpfen, die fünf Jahre lang den Kopf für die Sicherheit von Hannover hingehalten haben.“
„Übertragungshandlung.“ urteilte Phoenix knapp: „Cochrane Senior hat nun mal selber den aufrechten Gang verlernt. Da ist es allemal besser für sein Ego, wenn er sich einreden kann, dass nicht er es ist, der sich…bückt. Sondern diejenigen, die ihm zeigen, wie erbärmlich er und seine Kamarilla Friedensgewillter sind.“
Das stieß auf allgemeine Zustimmung, zumindest bei denjenigen, denen dieses Bildnis nicht zu obszön war. Bunny nutzte die Gelegenheit, um sich zu verkrümeln, während Flyboy stoisch ausharrte, obgleich derlei Geplänkel nun wirklich nicht nach ihrem Geschmack war.
Sugar hingegen nickte enthusiastisch: „Der Jarhead hat Recht. Ich glaube, dafür gibt es sogar irgendeinen Psycho-Fachbegriff. Das war…egal. Am Ende geht es eben doch immer nur um den Arsch.“
„Könnten wir uns vielleicht einem anderen Thema widmen, als dem…Arsch meines Onkels?“ wandte Top Gun ein.
„Wie wäre es mit deinem? Im Gegensatz zu dem von Senior sieht der doch ganz appetitlich aus.“
Mit dieser Bemerkung hatte Huntress den Lacher mal wieder auf ihrer Seite. Und sogar Top Gun grinste kämpferisch: „Das Kompliment gebe ich zurück…“
„Oh, oh, oh…Vorsicht. Pass bloß auf, dass du dir nicht zu viel vornimmst.“
„Ich bin Pilot. Ich liebe Herausforderungen…“
„Wenn ihr zwei euch ein Zimmer sucht, dann hätten wir ja zumindest für die Hälfte unserer Neuzugänge die Quartierfrage geklärt.“ konstatierte Phoenix.
„Und da wir ja alle über den ‚engen‘ Zusammenhalt im Korps Bescheid wissen, findest du bestimmt eine Koje für Killer, richtig?“
„Er ist mir zu jung.“ schaltete sich die altgediente Marinefliegerin in das Geplänkel ein: „Komm erst mal in mein Alter, dann setzt du andere Prioritäten: ein gutes Essen, und dann eine bequeme Koje. Und zwar zum SCHLAFEN. Euer Chef hat das ganz richtig erkannt.
‚Iss wenn du kannst, schlafe wenn du kannst‘ – alte Soldatenregel.
Ihr werdet euch bald genug nach ein paar zusätzlichen Stunden ungestörten Schlaf und einer Mahlzeit OHNE Zeitdruck zurücksehen. Also genug geschäkert, Kinderchen. Auch wenn es Spaß gemacht hat.“
Tatsächlich löste sich die Pilotenrunde langsam auf, auch wenn Sugar spöttisch fragte, wer ausgerechnet Killer zur ‚Rudelmutter‘ ernannt hätte und Huntress ein paar Vorschläge hören ließ, wie man die ‚alte Soldatenregel‘ vervollständigen müsste. Aber sie alle wussten, dass ihnen möglicherweise nicht viel Zeit blieb. Zeit, um sich auszuruhen, in Ruhe zu essen, einen Brief zu schreiben…
Bald würden sie wieder in ihre Maschinen steigen müssen. Sie würden starten, fliegen, kämpfen, töten – und vielleicht auch sterben. Das war ja auch einer der Gründe für die fast aufgekratzte Atmosphäre gewesen. Es war allemal besser, mit einem Lachen zu starten, als mit einem Heulen.
02.03.2016 07:39 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cunningham

„Man braucht drei Jahre, um ein Schiff zu bauen, aber drei Jahrhunderte, um eine Tradition aufzubauen.“

Andrew Cunningham, 1. Viscount Cunningham of Hyndhope
Admiral of the Fleet, Royal Navy



CIC TRS Intrepid
Sterntor


„Also, Rashid, wie ist die Situation”, Admiral Miles Long versuchte die Sorge über seinen auf Masters geborenen Nachrichtendienstoffizier zu verdrängen, „Rashid? Rashid?“
Der dunkelhäutige Commander schüttelte leicht den Kopf: „Endschuldigen Sie, Sir, es ist ... der akariische Kampfverband ist jetzt acht einhalb AE von der der Sonne abgewandten Seite von Masters entfernt und bewegt sich auf leichten Parabolkurs auswärts.
Die Fünfte Flotte hat sich drei Sunden entfernt formiert und beschattet die Akarii. Wie sie sehen können,“, Rashid hob einen der unbewohnten Planeten von Sterntor hervor, einen Gasriesen namens Aversman, „können wir uns entscheiden, ob wir systemeinwärts fahren und die Akarii weiter nach draußen drängen, oder ob wir um Aversman herum fahren und versuchen den Akarii den Fluchtweg zu verlegen.“
„Für welche Alternative wir uns auch entscheiden, Sir,“, warf Josephine Callutchi, seine Stabschefin, ein, „die Akarii haben genug Spielraum um uns aus dem Weg zu gehen.“
„Das ist richtig, Ma’am.“, pflichtete Rashid bei.
„Ich denke, wir müssen hier auf Nummer sicher gehen, wir gehen auf der Sonnenseite von Aversman herum. Welche Chance haben wir dann, die Akarii vor dem Sprungpunkt noch zu erwischen?“
„Sir, wenn wir Aversman auf der sonnenabgewandten Seite passieren würden, wären wir in einer besseren Position die Akarii anzugreifen. Immer noch nicht ideal, aber weit besser als anders herum.“
„Das sehe ich, Joe,“, gab Long zu, „das würde den Echsen aber die Möglichkeit geben zu wenden und erneut Masters anzugreifen.“
Ein grauhaariger Vice Admiral auf dem Combildschirm des Kartentisches räusperte sich: „Und wenn wir unsere Kampfgruppen aufteilen?“
Callutchi schüttelte energisch den Kopf: „Cullen, eine Grundmaxime der Kriegsführung ist es seine Streitkräfte nicht aufzuspalten, dass wurde uns nur verwundbar machen und unserem Gegner in die Hände spielen.“
„Das sehe ich anders,“, entgegnete Cullen DeMasri, Kommandeur der Alexander von Humboldt Trägergruppe, „Lord Admiral Taran kann es sich gar nicht leisten auf die 3. Flotte einzuschwenken. Nicht mit Girad so dicht an seinen Hacken. Und wenn ich auf meine Kreuzer verzichte und nur mit Zerstörern und Fregatten vorrücke, kann ich viel schneller auf Angriffsdistanz sein. Herrje, wenn ich Aversman für einen Swingby verwende, kann ich Girad vielleicht noch unterstützen, und wenn Girad nicht noch einmal angreift, dann können wir die Akarii gleich so ziehen lassen und dann brauchen wir unsere Maschinen auch gar nicht zu belasten.“
„Cullen, Sie sind dann allein da draußen, und zwischen den Echsen und Masters stünden nur noch wir.“
„Richtig,“, stimmt DeMasri zu, „das ändert aber nichts daran, dass die Echsen immer noch Girad an den Hacken haben und dass ich in den freien Weltraum abdrehen kann, wenn etwas schief geht. Sie hingegen müssten dann durchhalten, sollten die Echsen zu ihnen kommen. Aber ich glaube so eine Treibjagd wird ganz und gar nicht nach dem Geschmack unserer Freunde da draußen sein.“
„Also gut, Cullen, ich gebe Ihnen die lange Leine ,aber bauen Sie ja keinen Mist.“
„Aye, aye, Sir.“



Flaggbüro, TRS Columbia
Sterntor

Das erste Mal, dass Vanessa Girad das leichte Zittern bemerkte, war als sie sich Tee eingoss. Mehr als dreißig Jahre Dienst standen in ihrer Vita, doch nun musste sie langsam Nerven zeigen. Gut, hier wo sie allein war konnte sie sich das erlauben.
Sterntor, die niederschmetternste Schlacht seit dem Angriff der Akarii auf Manticore. Die Verluste der TSN beliefen sich auf über fünftausend Mann; Jagdpiloten, Schiffsbesatzungen, Marines. Aber viel schlimmer als dies waren die Auswirkungen auf die Moral.
Besonders bei den Piloten rumorte es. Die selbsternannte Elite der Raumstreitkräfte waren immer die ersten, die anfingen das Maul aufzureißen. So auch bei den Beschwerden und Quengeleien.
Es gab schlimmeres als einen unfähigen Admiral - einen Admiral, der Pech hat. Oder hatte die Untersuchung und Abberufung von der 4. Flotte sie beeinflusst? War sie nicht mehr aggressiv genug? Nicht entschlossen genug?
Das Intercom riss sie aus ihren Gedanken: „Girad!“
„Admiral,“, Richard Nissler war am anderen Ende, „Wir haben eine Direktverbindung zur Intrepid, Admiral Long möchte Sie persönlich sprechen. Soll ich ihn in Ihr Büro durchstellen?“
„Nein, ich bin schon auf dem Weg.“, nichts wie weg von den düsteren Gedanken.
Es waren nur wenige Schritte in die CIC, wo jetzt wieder etwas Stille eingekehrt war.
An einem großen Glasschirm wurden die Bewegungen der verschiedenen Flotten vermerkt und ständig aktualisiert. Nissler sah langsam aus wie der Tod auf zwei Beinen.
„Wie viele Stunden, Richard?“
„Wie viele Stunden was, Ma’am?“
„Ohne Schlaf.“
Ihr Stabschef grinste schief: „Bei achtundvierzig habe ich aufgehört zu zählen.“
Girad nickte: „Ich auch, welcher Kanal?“
„Grün, Ma’am.“
Sie nahm den Hörer ab und öffnete den Kanal: „5. Flotte Actual.“
„3. Flotte Actual, hier,“, identifizierte sich Long mit der gewohnt rauen Stimme, „wie schlimm sieht es denn bei Ihnen aus?“
„Sie wissen, dass dies hier gegen die Vorschriften ist, Admiral?“
„Ja, nur leider sind wir noch nicht nah genug bei Ihnen, damit ich eine Dose mit Schnur zu ihnen rüber werfen kann, damit die Echsen garantiert nicht mithören können. Außerdem kann ich Ihnen meine Bitte nicht via dreifach verschlüsselter Textbotschaft rüberschicken, und da wir alle 1,3 Sekunden die Frequenz wechseln, glaube ich, dass wir fast so sicher sind, als wenn wir mittels Laser kommunizieren würden.“
„Und wir sollen also noch mal ran?“ Brachte Girad das Gespräch wieder aufs Wesentliche.
„Daher die Frage, wie sieht es aus.“
„Nicht gut,“, gestand sie ein, „die Moral ist am Ende. Die Bombardierung Masters, die erlittenen Verluste in den Kommandopositionen, und meine Leute sind abgekämpft, aber das trifft auch auf die Akarii zu.“
„Tatsache ist, Vanessa,“, Long klang so als würde er sich an ihrem Vornamen fast verschlucken, „dass wir die Echsen nicht mehr einholen können. Wir kreisen sie zwar ein, aber sie entkommen uns, obwohl wir unsere Maschinen und Trägheitsdämpfer weit über das Maximum hinaus belasten. Sie müssten sie verlangsamen.“
Girad schwieg eine ganze Weile: „Da muss ich sehen, ob wir das realistischer Weise noch hinbekommen können. Ich melde mich. 5. Flotte Actual out.“
“Danke, 3. Flotte Actual out.”
Sie presste den Hörer wieder in die Halterung: „Richard, Stabsbesprechung in neunzig Minuten, ich brauche jetzt einen Kaffee und anschließend eine Dusche.”
„Zu Befehl, Ma’am.“


Unteroffiziermesse Nr. 3, TRS Columbia
Sterntor

Schon auf dem Gang war Lärm zu hören. Die Messe muss immer noch unter Dampf stehen, obwohl gerade die technischen Bodencrews einige Überstunden hinter sich hatten.
Von der Tür aus konnte man sehen, dass sich um die größeren Tische in die Mitte besetzt waren. Es war deutlich zu sehen, dass die Unteroffiziere dort schon lange über Zeit waren und doch noch zu aufgedreht um in die Kojen zu gehen. Tatsächlich ging auch noch Kaffee herum.
Aber es dauerte nicht lange, bis Girad in der Tür stehend entdeckt wurde.
„ACHTUNG ADMIRAL AN DECK!“
„Bitte behalten Sie Platz.“
Die Unteroffiziere waren schon aufgesprungen und setzten sich wieder hin. Der Lärm war verstummt.
„Darf ich eintreten?“
Getuschel kam auf und letztlich fielen die Blicke auf einen dürren, unrasierten Knaben in einem technischen Overall.
„Äh, ja bitte, willkommen, Ma’am.“
„Danke, Mr.?“
„Dodson, Master Chief Petty Officer.“
“Danke, Mr. Dodson,”, Girad deutete auf die großen 10-Liter Kaffeemaschinen, “darf ich?”
„Selbstverständlich, Ma’am.“
Girad goss sich eine Tasse ein und umrundete den mittleren Tisch: „Es hat sich bis in die CIC herum geschwiegen, dass Sie eine Menge Überstunden geleistet und mehr als ein Wunder vollbracht haben um das Geschwader einsatzbereit zu halten.
Und ich fürchte, ich muss Sie nochmal bitten die Ärmel hoch zu krempeln.“
Neben den Kaffeemaschinen wurden von der Küchencrew Tabletts mit Sandwiches aufgebaut.
„Wir werden in einigen Stunden wieder mit den Akarii zusammenstoßen, und dann brauchen wir alle Maschinen, die wir in den Weltraum hinaus bekommen können.“
„Die Maschinen stehen bereit, soweit wir sie wieder einsatzbereit machen konnten, Ma’am.“, Dodson zündete sich eine Zigarette an.
„Sonst würden wir hier auch nicht rumsitzen und schwatzen.“, murmelte ein jüngerer Techniker gerade laut genug, dass sie es hören, aber auch überhören konnte.
„Das weiß ich sehr wohl, P.O.“, antwortete Girad milde, schmunzelte leicht um jeglichen Tadel zu unterbinden und wandte sich dann wieder an Dodson, „Und wie sehen Sie die Sache? Wie halten sich Ihre Piloten?“
Nachdenklich zog dieser an seiner Zigarette und schon mit dem Fuß den ihm am Tisch gegenüber stehen Stuhl etwas nach hinten: „Wenn Sie meine fachliche Expertise hören wollen...“
Bei seinem sarkastischen Unterton mussten einige der Unteroffizier auflachen und als Girad sich setzt war das Eis gebrochen, obwohl sie die angebotene Zigarette ablehnte.
„... unsere Piloten werden verschlissen. Die Moral ist am Boden ... einige der Verluste kamen einem Tiefschlag gleich.“
„Sie meinen Raven und Commander Cunningham?“
Dodsons Züge verdüsterten sich sichtlich: „Sagen wir es so, der Ausfall eines Kommandeurs ist immer ein Schlag ins Kontor, und Lone Wolf Cunningham hat zwar sicherlich nie einen Beliebtheitspreis bekommen, doch galt er immer als... erfolgreich und war eine sichere Bank.“
„Zumindest war er nicht so eine Pest wie die Eislil... ähm ich meine Lieutenant Commander Pawlit-Dingsda.“, kommentierte ein Senior Chief.
„Pawlitschenko.“, half ihm sein Sitznachbar aus.
„Gesundheit, aber ja, die meine ich.“
„Bei der darfst Du gar nicht hinhören,“, beschwerte sich ein weiblicher Chief, „da kommt dir das Blut aus den Ohren und immer schön mit ,jawohl‘ und ,aye-aye‘ antworten, alles andere hat eh keinen Sinn.“
Gelächter wurde laut.
„Naja, jetzt bekommt sie ja die PVM und in fünf Jahren ihren ersten Admiralsstern, während Ace Davis dann wahrscheinlich immer noch auf seinen Lieutenant Commander wartet.“
„Wieso, Cunningham hat da doch nichts mehr mitzureden.“
„Ja, aber Hungry Joe meinte mal Raven und Irons wären auch alles andere als begeistert.“
„Ach, und Alternativen? Jetzt wo selbst Mantis als Staffelführer ran muss.“
„Die wartet ja jetzt auch schon seit zwei Jahren auf ihre Beförderung.“
„Ich hab gehört, die wartet schon wieder...“


TRS Columbia
Bereitschaftsraum VF 1271 – Rote Schwadron

Der Raum, der bei Vollbesetzung fast zu klein wirkte war nun leer, groß und kalt. Mantis saß in einer der hinteren Reihen, tief im Sessel, in der Rechten die Fernbedienung für den Wandmonitor, welcher die einzige Lichtquelle im Moment war.
Sie ließ die Bilder einer Geschützkamera vorwärts laufen, dann wieder rückwärts, zoomte heran und wieder heraus. Verfolgte die Lichtbolzen der schweren Energiegeschütze.
Die Technik war so gut, die Bilder trotz atemberaubender Geschwindigkeit, schneller Kurswechsel und Erschütterungen so gestochen scharf, dass es immer wieder ein Wunder war, dass Abschüsse nicht anerkannt wurden oder dass ein und der gleiche Abschuss zwei Piloten unabhängig voneinander gut geschrieben wurde.
Mantis ließ den Film laufen, im Zeitraffer, und es war ganz deutlich zu sehen, wie die Energiebolzen die Reaper meterweit verfehlten, während der Bordcomputer einen ganz klaren Abschuss verzeichnete.
Acht Abschüsse am ARSCH, zwei Deltavögel hatte Shorty mit seinen Phönix Langstreckenraketen abgeschossen, und eine ziemlich demolierte Deathhawk war ihm in die Quere gekommen, und da endete die Heldengeschichte auch schon.
Nein, das Ende kam später, als der Jungfuchs sich übernommen hatte.
Und vor kurzem hatte sie die Meldung erhalten, dass ein SAR Shorty unverletzt aufgesammelt hatte und dass man ihn so schnell wie möglich wieder der Columbia überstellen würde. Was sollte sie nur mit dem Kleinen anfangen? Es war ja gerade zu ein Glücksfall, dass sie keine Maschine mehr für ihn hatte. Irgendwo im System trieb ja seine noch fast einsatzfähige, wenn man Dog’s Meldung vertrauen konnte.
Erneut ließ sie die GunCam-Aufzeichnungen zurücklaufen und dann erneut abspielen.
Sie hatte die rote Staffel geerbt. Mitten in der Schlacht mit erschütternden Verlusten. Tatsächlich war sie sehr erstaunt, da war kein Ziehen in der Magengegend, wie sich bei ihr Nervosität oder Angst bei ihr früher manifestiert hatten. Wie damals, als die ersten Pressemeldungen rein gekommen waren, dass die Akarii Manticore überfallen hatten, oder als die New Bosten Militia mobilisiert worden war und sie an die Front geschickt wurde.
Und bei Corsfield, als sie zum ersten Mal den Akarii gegenüberstand.
,Aber ich will doch nach Hause!‘
Im Lichte des Wandschirms blickte sie auf ihr Datapad. Die rote Schwadron konnte zwei Sektionen ins Feld führen. Ihre Nighthawk war wieder voll einsatzfähig. Irina Kulkowa, Titan und Stuntman waren ohne größere Schäden wieder reingekommen, dementsprechend auch wieder klar. The Kid, Dog und Sonnyboy hatten mehr einstecken müssen. Ihre Maschinen galten zwar wieder als einsatzbereit, aber noch nicht ganz wieder hergestellt.
The Artist hatte sich kräftig mit den Echsen gefetzt und kurz vor der Landung hatte eines der Triebwerke Feuer gefangen. Zwar hatte sich das durch Abschalten des Triebwerks bereinigen lassen, dennoch fiel ihre Maschine aus.
Lone Wolfs Nighthawk war absolut nicht mehr zu retten gewesen. Tatsächlich hatte sie mehr Piloten als Maschinen, und den Meldungen von Too-Tall und Arrow entsprechend hatte die rote Schwadron noch nur einen einzigen Todesfall zu beklagen.
Obwohl Tulip seit Petals Tod ebenfalls wie eine Leiche herumlief. Wenn sie nur daran dachte, stiegen ihr die Tränen in die Augen. Die junge Pilotin, die sie kaum gekannt hatte, war tot und sie, sie allein und nur sie trug dafür die Verantwortung.
Ebenso musste sie den Eltern der Asiatin den obligatorischen Brief schreiben. Wie sollte sie einer Mutter erzählen, dass ihre Tochter nicht wieder zurückkehren würde? Ihr Magen zog sich zusammen und sie musste unwillkürlich an ihre eigene Tochter denken und an ihren kleinen Enkel, den sie in natura noch nie gesehen hatte und nur von Bildern und Videos kannte. Er hatte gelernt zu krabbeln, und wenn sie das Video sah, wie er sich an einem Regal auf seine kleinen Füße zog und dann losweinte, weil er nicht mehr weiter wusste und nicht loslassen mochte, weil er sich dann hinfallen würde, da musste auch sie immer wieder weinen.
Und das obwohl sie schon gedacht hatte keine Tränen mehr übrig zu haben, und sich in den Nächten die Decke über den Kopf zog und dankbar war, dass The Artist so tat, als ob sie nicht mitbekommen würde, dass sich die ältere Piloten fast in den Schlaf weinte.
Wie tief konnte man sinken, wenn der einzige Wunsch im Leben war, das kleine Würmchen nur einmal im Arm halten zu können und zu spüren, wie er mit seiner Hand den kleinen Finger umklammerte.
Und im Moment wirkten diese Gedanken so trivial, eine Tochter würde nie wieder durch die Tür ihres Elternhauses kommen und einem jungen Mann war das Herz darüber gebrochen, dass nur noch Finsternis übrig.
Und dann war da die Erleichterung über Too-Talls Überleben, derer sie sich ein wenig schämte.
Darüber hinaus war da jetzt ihre Staffel, und immer wieder hatte man von Offizieren gehört, die nach Ausfall ihrer Vorgesetzten ihre Position ausgefüllt hatten und zu ruhmreicher oder trauriger Bekanntheit gelangt waren, manchmal auch beides.
Früher hatte sich Mantis immer gefragt, wie halbe Kinder fähig waren das Kommando zu übernehmen, und dass es dann hin und wieder gut ging.
Aber jetzt, wo alle die vor ihr in der Reihe standen weg waren, was blieb ihr da übrig als dieses Kommando so gut sie vermochte zu führen.
„Och, komm schon,“, schalte sie sich selbst, „das war jetzt etwas viel gedanklicher Pathos.“
„Vielleicht brauchen wir das von Zeit zu Zeit.“
Mantis zuckte zusammen und drehte sich um. Razor Durfee stand in der Tür.
„Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht erschrecken, ich sah nur noch Licht in ihrem Besprechungsraum.“, der Kriegsheld, einer von neun Piloten, die das Flying Cross in Gold während des Krieges errungen hatten, wirkte fast schüchtern.
„Ich bin zu aufgekratzt um zu schlafen, Sir.“
Durfee schnaufte: „Sir… das klingt falsch, nennen Sie mich Razor, oder wenn es nicht anders geht, Martin. Das zeichnet Sie aber nicht als guten Soldaten aus, die sollen doch bekanntlich immer und überall schlafen können.“
„Und warum schlafen Sie nicht, Razor?“
„Ich bin ein guter Pilot, vielleicht zu gut für mein Gewissen, aber ich bin ganz sicherlich kein guter Soldat. Gehen Sie schlafen Mantis, sonst kursieren morgen Gerüchte über senile Bettflucht.“
„Und beherzigen Sie dann auch Ihren eigenen Rat?“
Razor schüttelte leicht den Kopf: „Ich muss vorher noch ein paar Köpfe gerade richten.“
„Meltdown?“
„Ganz genau der, sonst haben die Harponeers ein echtes Desaster vor sich.“
„Wie kommt das eigentlich, Razor“, wollte Mantis wissen, „dass Sie im Gefecht immer so…“
„Das ich immer so stabil bin?“
„Ja, genau.“
Razors Blick driftete in die Ferne: „Im Gefecht muss ich einfach funktionieren. Leben hängen von mir ab.“


TRS Columbia
Büro des CAG

Ein leichtes Schütteln riss Trisha McGill aus dem Schlaf.
„Commander? Commander? Commander sind Sie wach?“
„Wenn ich nein sage, gehen Sie dann wieder weg?“ Frage sie bei der unbekannten Stimme nach. Die Tür stand offen und das Licht der Tagesbeleuchtung drang in das opulente Büro hinein, auf dessen Couch sie es sich gemütlich gemacht hatte.
„Sie reagierten nicht auf das Klingeln, Ma’am,“, ein junger Specialist aus der Kommunikationsabteilung blickte auf sie hinab, „in fünf Minuten ist eine Stabsbesprechung.“
„Und warum kam das nicht über die Sprechanlage?“
„Persönlicher Weckdienst, Ma’am,“, der Specialist hielt ihr ein Tablett mit Kaffee entgegen, „auf Befehl des Admirals.“
„Oh, großartig.“
„Bitte, Ma’am, und äh, wo finde ich Commodore Crawford?“
Irons schlürfte genießerisch: „Der hat mein Quartier belegt.“
„Danke, Ma’am, dann gehe ich den Commodore jetzt wecken.“
„Gut… gut, Admiral Girad wartet in der CIC?“
„Ja, Ma’am.“, der Specialist verließ endgültig das CAG-Büro.
Einen Augenblick guckte Irons in den dampfenden Kaffee und blies zweimal hinein, um den Pott in einem Zug hinunterzukippen. Dabei verbrühte sie sich natürlich die Zunge und Teile des Mundes.
„Fuck… Scheiße, naja wenigstens bin ich wach.“, sie streckte sich und erhob sich. Eigentlich könnte sie noch eine Dusche gebrauchen, denn langsam müffelte sie, aber einen Admiral lässt man ja nicht warten.
Der Weg in die CIC war ungewohnt, der Träger hatte noch auf Nachtlicht geschaltet und es schien als ob ein Großteil der Besatzung in den Kojen lag.
Mit den Akarii nur wenige Stunden entfernt wirkte dies irgendwie falsch. Noch dazu, dass nach aktueller Bordzeit eigentlich kurz vor Mittag sein musste, was bedeutete, dass sie fast fünf Stunden geschlafen hatte.
Auch die CIC wirkte noch menschenleer.
Am Kartentisch stand, wie sie immer zu stehen schien, Admiral Girad und ging Informationen durch.
„Ma’am.“, Irons nahm auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches Haltung an.
„Rühren, CAG, einen Augenblick bitt.e“, Girad blätterte auf dem Datapad weiter und Zeichnete mehrere Meldungen ab.
In der Zwischenzeit gesellten sich noch Captain Crawford, Captain Ahn und Commander Nissler hinzu.
„Um es kurz zu machen, Herrschaften, wir müssen wieder ran.“
Crawford blickte auf seine Uhr: „Ohne die 3. Flotte, wie es mir scheint.“
„Korrekt, die Akarii sind im Begriff zu verschwinden und wir sind die einzigen, die ihnen noch etwas anhaben können. Also, wie steht es um Ihre Piloten?“
„Fast Eagls, Spirits und Flying Circus können zwischen sechzig und siebzig Prozent ihrer Schlagkraft aufbringen, wobei alle drei Geschwader mangelnde Kampfbereitschaft melden. Wie es um die Angels aussieht…“, Crawford deutete vielsagend auf Irons.
„Trotz Ergänzungen von den Gunraiders sind alle Staffeln unterbesetzt, obwohl viele Piloten wieder aufgefischt werden konnten. Gewisse Funktionen des neuen Anzugs sorgen dann aber trotz der hohen Überlebensrate für Schwierigkeiten. Einer meiner Staffelführer wurde einfach mal per se beim Ausstieg sediert, und die Medikamente mussten erst wieder aus seinem Blutkreislauf raus gewaschen werden.
Einer meiner Bomberjockeys hat von den Aufputschmitteln Durchfall bekommen, der noch anhält, und wenn die aufputschende Wirkung nachlässt, sind die Leute einfach noch mehr fertig. Die Verabreichung von Medis trifft auf wenig Gegenliebe bei den Piloten.“
„Das war nicht die Frage, Commander,“, schnappte Captain Ahn, „wie ist es um die Einsatzbereitschaft des Geschwaders bestellt.“
„Bestenfalls katastrophal – Captain. Ich habe Piloten, die drei verschiedene Medikamente bekommen haben, weil der Raumanzug das entschieden hat, und anschließend musste man ihnen ein Beruhigungsmittel spritzen, damit sie schlafen können. Diese Leute sind alles andere als erholt. Wenn wir nochmal rausgehen, kann es sein, dass wir gut die Hälfte des Geschwaders verlieren, weil die Leute schlicht und einfach zusammenbrechen.“
„Kann man Ihren Leuten noch etwas verabreichen, dass sie durchhalten?“, wollte Girad wissen.
„Der Fliegerarzt rät davon ab und ich persönlich auch, das würde die Situation nur kurzfristig, sehr kurzfristig verbessern und danach rapide verschlechtern.“
„Wäre das eventuell das Risiko wert?“ Hakte Ahn nach.
„Wir können unseren Piloten natürlich noch eine Spritze mit Atropin mitgeben, damit sie die sich kurz vor dem Zusammenbruch rein jagen, um dann noch zehn Minuten zu funktionieren, bevor sie garantiert draufgehen.“, schoss Irons giftig zurück.
„Vorsicht, Lieutenant Commander!“
„Irons hat recht, Ho-Yun,“, schaltete sich Crawford ein, „ich selbst stehe gerade nur hier, weil ich mir noch eine Dosis Aufputschmittel eingeworfen habe, und in meiner Verfassung würde ich keinen Piloten mehr ins Cockpit lassen.
Um es auf den Punkt zu bringen, Admiral, als Pilot sage ich Ihnen, dass sich unsere Geschwader im kritischen Zustand befinden, und ich muss von ihrem Einsatz abraten. Als Kommandant der Flieger der 5. Flotte habe ich nur eine Frage: Wo wollen Sie uns haben?“
„Sind Sie sicher, Eris?“
„So sicher, wie die Piloten von Masters Nationalgarde und der Marines, Ma’am.“
„Gut, schalten wir anderen Flaggoffiziere dazu, Signaloffizier.“
Es dauerte nur wenige Minuten, dann war die Monitorwand mit den Kommandanten der Trägergruppen und Dickschiff-Geschwader gespickt.
„Guten Tag,“, begann Girad, „unser Ziel ist es erneut die Akarii anzugreifen und ihnen so viel Schaden zu verpassen, wie wir nur können.
Wir können leider keine sinnvolle Blockade des Sprungpunktes aufbauen, dazu sind unsere Flotten zu dicht beieinander, von daher Vorschläge?“
„Welche Möglichkeiten bleiben uns dann, Ma’am,“, fragte ein älterer Commodore, der eine Zerstörerschwadron befehligte, „wir könnten doch nur versuchen ihre Formation aufzubrechen…“
„Oder uns mit der Flotte in Gefechtsentfernung begeben und die Akarii unter konstanten Beschuss zum Sprungpunkt begleiten.“, warf Rearadmiral McIntosh, ihr Stellvertreter, ein.
„Dann werden die Akarii uns die ganze Zeit ebenfalls unter Beschuss halten können!“
„Und wenn wir in Keilformation angreifen und ihre Formation direkt angreifen, wird das scheinbar nicht der Fall sein.“, schoss McIntosch zurück.
„Gentlemen,“, unterbrach Girad ihre Offiziere, „bevor Sie Ideen aufbringen und verwerfen, sollten wir uns einen Gedanken vorhalten. Den Zustandsreports der Flotte zufolge, kann ein ernsthaftes und länger anhaltendes Gefecht das Ende unseres Kampfverbandes bedeuten. Damit müssen wir rechnen, wenn wir den Feind wie auch immer angehen. Also sollten wir uns darauf konzentrieren, wie wir möglichst viele Feindschiffe wie nur möglich zerstören.“
„Wissen wir, wie die Echsen mit Trossschiffen ausgestattet sind?“ Ergriff Chris Mithel das Wort.
„Den Flottenbewegungen nach“, ergriff Nissler das Wort, „haben sie genügend Versorger dabei um einen Großteil ihrer Schiffe wieder aufzumunitionieren.“
„Falls unser Intel nicht wieder gepennt hat.“, kam es vom Chef der Derflinger-Trägergruppe.
„Dann schlage ich den direkten Angriff vor,“, Mithel konsultierte einen Bildschirm außerhalb des Kamerafokus, „wenn wir uns ein Begleitgefecht mit ihnen liefern, werden wir zusammengeschossen, ohne vielleicht an ihr Zentrum heran zu kommen. Wenn wir jedoch aus Richtung Wurmloch auf sie zu beschleunigen, werden sie uns nicht von ihrem Zentrum fernhalten können. Wir gehen dann mitten durch und bekommen ihre Kreuzer, ihre Versorger und ihre Träger vor die Rohre. Der einzige Nachteil ist, wir haben dabei nur eine Chance, wenn die Akarii stur bleiben, wird ihre Formation halten und ehe wir gewendet haben und wieder Fahrt aufnehmen, sind die Echsen halb bei Sprungpunkt, und wie die 3. Flotte werden wir sie nicht mehr erreichen können.“
Girad nickte nachdenklich.
„Ma’am,“, meldete sich Crawford zu Wort“, ich denke ich habe eine Idee…“

Zeit für ein wenig Pathos, dachte Girad bei sich, als sie den Rufer in die Hand nahm: „Signaloffizier: An alle Schiffe, allgemeines Wecksignal, Senden Sie Klartext.”
Captain Ahn räusperte sich vernehmlich.
„Ich weiß, Ho-Yun, das ist gegen die Vorschriften, aber die Akarii wissen, welcher Träger unser Flaggschiff ist.“, wies Girad ihre Flaggkommandantin milde zurecht, „Sie haben mich gehört, Lieutenant.“
„Aye-aye, Ma’am.“
Es dauerte einige Minuten, bis die anderen Schiffe der Flotte den Empfang bestätigten, dann ertönte auf der Columbia das allgemeine Wecksignal.
„An alle Schiffe und alle Besatzungen,“, begann Girad, „hier spricht der Flottenkommandant! Wie Sie alle sicherlich schon wissen, sind vor wenigen Stunden unsere Verstärkungen im System eingetroffen und unter maximaler Beschleunigung auf dem Weg zu uns. Ihnen wird auch bewusst sein, dass diese Verstärkungen nicht mehr rechtzeitig da sein werden, um die Akarii an der Flucht zu hindern.
Die einzigen, die zwischen dem Feind und seiner ungehinderten Flucht stehen sind wir, und auch wenn wir uns in den vergangenen Tagen schon über jegliche Gebühr verausgabt haben, gibt es für uns keine Möglichkeit, dieses zuzulassen.
Wie an Bord der Columbia, so wurden sicherlich auch in Ihren Messen die Fernsehberichte von Masters gezeigt und dieses Verbrechen, welches unserer Heimat, unserem Volk angetan wurde, verlangt nach einer Antwort.
Ich weiß, Sie alle haben schon viel leisten müssen und sind dementsprechend rechtschaffend erschöpft, und ferner weiß ich, dass uns der Feind an Schiffen, Waffen und Anzahl überlegen ist. Und ebenso weiß ich, dass er jetzt, wo er auf der Flucht ist, wo er sich fürchtet, gefährlicher ist denn je.
Aber ein Fakt, den wir alle kennen und der in den ersten Stunden dieses Kriegs, in der Schlacht von Manticore, bewiesen wurde ist, dass der akariische Soldat unabhängig von seiner Anzahl, Ausrüstung und Ausbildung dem terranen Raumfahrer an Klasse weit unterlegen ist.
Wie vor Jahren bei den Schlachten von Manticore, Jollarahn und Corsfield ist es nun an uns das steinerne Buch der Geschichte zu schreiben, mit unserem Blut und vornehmlich mit dem Blut der Akarii, damit noch im nächsten Jahrtausend die terranische Flotte voller Stolz unserem Schlachtruf gedenkt: Ran an den Feind!“
Girad beendete ihre Durchsage, indem sie den Rufer fest in seine Halterung presste: „Alle Mann auf Gefechtsstation. Bringen wir die Flotte in Angriffsformation, wie besprochen, Träger und Kreuzer in die erste Linie! Alle Jäger und Bomber für den Alarmstart vorbereiten!“
02.03.2016 07:40 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cattaneo

Verschiedene Standpunkte

TRS Columbia, wenige Stunden vor dem Beginn der Vierten Schlacht im Sterntor-System

Eigentlich hätte man erwarten können, dass es an Bord der Columbia wesentlich geordneter zuging als auf dem Shuttle, das Ace zur Columbia zurückbefördert hatte. Tatsächlich war das Gegenteil der Fall – an Bord des Trägers schien buchstäblich das Chaos zu regieren. Auf dem Flugdeck trafen neben seinem noch weitere Shuttles ein, einige mit Verwundeten, andere mit diensttauglichen Piloten beladen. Sie spuckten ihre Fracht aus und starteten sofort wieder. Daneben wurden zeitgleich Kampfflieger und die Shuttles des Trägers wieder einsatzbereit gemacht, und Offiziere des technischen Dienstes und der verschiedenen Staffeln scheuchten Mannschaftsdienstgrade und Piloten herum. Für jemanden, der wie Clifford Davis erst kürzlich aus einer medikamentös herbeigeführten Ohnmacht erwacht war, war das fast schon zuviel Durcheinander, sowohl in „sensorischer“ wie in psychologischer Hinsicht. Neben dem Ausfall von Raven und Cunningham musste er auch noch die Verluste der eigenen Staffel verkraften. Und sich natürlich sofort wieder in die Arbeit stürzen – es blieb weder Zeit für Trauer noch für Besinnung.
Naturgemäß hatten die Staffeln Rot, Blau und Gold schlechtere Karten gehabt, als es um die Zuteilung von Ersatzmaschinen und Piloten sowie um die nötigen Wartungsarbeiten für die bald erwartete nächste Schlacht ging. So gut die XO’s auch sein mochten, gegen die „Alten Hasen“, die vollwertigen Staffelkommandeure, kamen sie einfach nicht an. Umso mehr, da sie auch noch ein psychologisches Päckchen zu schultern hatten, war es doch Gift für die Moral einer Staffel, wenn einer der Staffelchefs schwer verletzt, tot oder vermisst war, und nicht jeder Stellvertreter war wirklich reif, auch nur zeitweilig die Position seines Vorgesetzten zu übernehmen. Das lag nicht unbedingt daran, dass sie oder gar alle die Piloten ihre Kommandeure verehrten, aber meistens hatten sie doch großen Respekt vor deren Fähigkeiten – wenn auch nicht immer vor ihren menschlichen Qualitäten. Wann immer es ein solches Ass „erwischte“, war es eine unliebsame Erinnerung an die eigene Sterblichkeit, vor allem wenn ein weiteres Gefecht bevorstand.
Chip hatte Ace’s Hilfe dringend nötig gehabt. Obwohl er ein guter Pilot und brauchbarer Offizier war, er kam immer noch nicht damit klar, wirklich den Posten des Staffelchefs vollständig auszufüllen, wie es seine Aufgabe in Krisensituationen eigentlich war. Weder er noch Staffel Blau als ganzes hatten sich – zumindest noch nicht – wirklich von den Verlusten in der Schlacht von Karrashin erholt, und in Situationen wie dieser wurde das umso deutlicher sichtbar.

Inzwischen aber waren die wichtigsten Entscheidungen gefallen. Ace war schon fast so weit, den drogeninduzierten Schlaf nach dem Abschuss für einen Segen zu halten, hatte ihm das doch eine „Ruhepause“ verschafft, an die im Moment nicht mehr zu denken war. Die Arbeit lenkte ihn zudem von unangenehmen Gedanken ab, Gedanken an verwundete oder verschollene Kameraden und Untergeben, vor allem aber an seinen Bruder, und wie dieser den Verlust seines Schiffes und vieler guter Freunde verkraften würde. Menschen waren an weniger vollkommen zerbrochen, oder hatten sich auf erschreckende Weise verändert. Vielleicht würde ihm seine Freundin Halt geben, so wie Ian wiederum ihr helfen konnte, über die Verluste hinwegzukommen. Aber er würde auch seine Geschwister brauchen – wenn der Krieg ihnen Zeit ließ, und wenn sie alle die nächsten Stunden überlebten…

Er hatte gerade die Paareinteilung für den nächsten Einsatz vorgenommen, mit all den unvermeidlichen Diskussionen und Kommentaren seitens derer, die einen neuen Partner bekamen oder zurückbleiben würden. Ob freilich jeder, der sich über seine „Enteignung“ beschwerte, es wirklich ernst meinte und nicht vielmehr insgeheim ein Stück weit froh war, war eine andere Frage. Wie dem auch sei, Umstellungen waren nie besonders angenehm oder leicht, vor allem für jemanden, der den Job noch nicht zu lange machte und sich manchmal Blicke – glücklicherweise nicht mehr als das – gefallen lassen musste, die ihn ganz eindeutig mit seiner Vorgängerin verglichen, nicht unbedingt zu seinen Gunsten. Das kam nicht oft vor, aber wenn es passierte, schmerzte es um so mehr, weil es ihn daran erinnerte, dass er diesen Posten nie hatte haben wollen – schon gar nicht SO.
Im Besprechungsraum herrschte die übliche und of beschriebene bemüht lockere Haltung, die Piloten seit jeher kultivierten, kurz bevor es auf einen Flug mit unsicherem Ausgang ging. Man gab mit den eigenen Fähigkeiten und mit vergangenen und künftigen Heldentaten an, witzelte herum oder lästerte über Abwesende oder Staffelkameraden, wobei letztere natürlich in gleicher Weise antworteten. Dies entsprang freilich weder einer Abstumpfung gegenüber Gefahr, und noch viel weniger dem „heldenhaften Geist unserer tapferen Männern und Frauen der Navy“, als vielmehr dem Drang sich daran zu erinnern, was bisher alles gut gegangen war, und weswegen diesmal auch wieder alles gut gehen würde. Keiner mochte daran erinnert werden, wie oft das eben auch NICHT der Fall gewesen war. Niemand wollte daran denken, wer seit dem vorletzten oder letzten Flug fehlte, und wer vor dem übernächsten fehlen würde. Deshalb brachten nur wenige Offiziere und Piloten in solchen Momenten das Gespräch auf gefallene Kameraden.
Ace unterhielt sich gerade mit Chip, als das Gemurmel im Raum etwas abebbte. Der Grund war eigentlich nicht besonders Aufsehen erregend. Es kam immer mal wieder vor, dass in solchen Momenten Angehörige anderer Staffeln hereinschneiten, aus dienstlichen oder privaten Gründen. Es war vielleicht etwas ungewöhnlich, dass es sich dabei um jemanden wie Lieutenant Commander Tatjana Pawlitschenko handelte, denn engere Kontakte außerhalb ihrer Staffel unterhielt sie so gut wie keine. Die Russin war freilich dafür bekannt, dass sie aus dienstlichen Gründen einen Menschen vermutlich noch im Moment seines Todes angebrüllt hätte, ja, wie man munkelte, dies bereits getan hatte. Oder sogar noch ein bisschen später…
Nahm man hinzu, was neuerdings über sie im Schwange war, dass sie einen Untergebenen angeblich mit Abschießen bedroht hatte, der dann auch prompt vom Einsatz nicht zurückgekommen war, dann wunderte es wenig, dass sich manche in ihrer Gegenwart unbehaglich fühlen. Einige andere – und das war kaum weniger verstörend – freilich bewunderten Lilja unverhohlen und eiferten „Gefrorenen“* wie ihr nach.

Wie es ihre Art war, verschwendete Lilja keine Zeit mit Smalltalk und gönnte all jenen, an denen sie momentan kein besonderes Interesse hatte nur knappes, nicht unhöfliches aber auch nicht herzliches Nicken. Die Staffelchefin der Fighting Stallions bot in ihrem modernisierten Raumanzug, mit ihrer Dienstwaffe, dem Helm unter dem Arm und dem zernarbtem Gesicht geradezu ein Vorzeigebild einer Veteranin, und ihre Zielstrebigkeit und Ernsthaftigkeit unterstrich das noch. Sie ging nicht so weit, die Staffel offen zu begutachten – das wäre eine ziemliche Beleidigung gegenüber Chip und Ace gewesen. Zielstrebig baute sie sich direkt vor den beiden auf, wobei sie es mühelos schaffte, mit Hilfe eines Größenunterschiedes von einer Rangstufe auf beide – die zusammengenommen gut dreimal soviel wogen wie sie und jeder ein Stück größer waren – herabzuschauen: „Ace – ich habe mit dir zu reden. Unter vier Augen.“ Eine Erklärung gab sie, natürlich, nicht ab. Und ihrem Gesicht war wie so oft nicht viel über ihre genauen Absichten oder Gefühle abzulesen, wenn sie, wie einige witzelten, denn überhaupt welche hatte. Sie fixierte die beiden Piloten lediglich auf die ihr eigene unverblümte Art, mit Augen, die so direkt waren wie eine Amram-Rakete, und sich in den Kopf bohrten wie eine Salve der Bordgeschütze ihrer Falcon.
Ace war sich, wie so oft, etwas unsicher, wie er sich verhalten sollte. Er rechnete nicht mit einem Dank dafür, dass er Liljas letzte Eskapaden gedeckt hatte – wenn die Russin das überhaupt herausbekam – und ansonsten war er sich immer noch nicht klar, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte. Oder was er von ihr hielt.
Deshalb fragte er: „Ist es denn dringend? Ich meine, wir starten gleich…“
Die Russin lächelte schmallippig und irgendwie bissig, so ganz nach ihrer üblichen Art: „Wenn es nicht wichtig wäre, wäre ich nicht hier, oder? Keine Angst, es dauert nicht lange.“ Sie zögerte, und so etwas wie Unwillen huschte über ihre Züge. Sie warf Chip einen nicht eben freundlichen Blick zu, fügte aber doch hinzu: „Reicht ein ,Bitte’ vielleicht aus?“
Ein Seufzen unterdrückend nickte der blauhaarige Pilot. Er registrierte, dass einige seiner Untergebenen – wohlweißlich so, dass es Lilja nicht sah – vor sich hingrinsten. Teils mitfühlend, denn dass Lilja und Ace sich schon verschiedentlich angefaucht hatten, sei es hinter verschlossener Tür oder in der Öffentlichkeit, war bekannt. Der eine oder andere hingegen feixte etwas anzüglich – es gab schon seit einiger Zeit das eine oder andere phantasievolle Gerücht, wie die beiden Elitepiloten „wirklich“ zueinander standen, namentlich seitdem sie gemeinsam auf einer ziemlich mysteriösen Sondermission gewesen waren. Manchmal vermutete Ace, dass die Gerüchte von irgendeiner Koboldsnatur wie Imp ausgebrütet worden waren, einzig und allein mit dem Ziel in Umlauf gebracht, irgendwann Lilja zu Ohren zu kommen und einen formidabeln Wutausbruch zu provozieren. Imp hätte dergleichen natürlich niemals zugegeben…

Wie oft stiefelte Lilja mit energischen Schritten vorneweg. Sie winkte Ace in einen benachbarten Konferenzraum. Offenbar war der für die letzte Besprechung der Grünen vorgesehen. Lilja hatte anscheinend durch einen Messesteward ein paar Getränke und sogar Energieriegel und Knabberzeug bereitstellen lassen – ungewöhnlich fürsorglich, hätte mancher gemeint, aber so lange es die Einsatzbereitschaft steigerte, konnte die Russin durchaus großzügig sein. Außerdem hatte sie bereits einige taktische Schemata an die Wand geworfen, Staffelaufstellungen, Bewaffnungsvarianten, Kursvektoren und dergleichen mehr. Lilja wäre im Stande gewesen, wenn „nötig“ übermüdete Piloten in havarierten Maschinen ins Gefecht zu schicken – oder besser, sie zu führen, denn sie wäre als erste ins Cockpit geklettert, aber wo möglich war sie in dienstlichen Sachen Perfektionistin.
Sie marschierte in Richtung Bildwand, legte ihren Helm ab und wirbelte abrupt herum. Mit in die Hüften gestützten Händen musterte sie Ace einen Moment lang schweigend von Kopf bis Fuß: „Und, Cliff, wie hast du deinen letzten Spaziergang überstanden? Alles in Ordnung mit dir?“ Ihre Stimme klang für ihre Verhältnisse geradezu fürsorglich.
Ace war einmal mehr verunsichert. Zum einen nannte sie ihn selten bei seinem Vornamen – meisten war er für sie Lieutenant Davis, mit Betonung auf dem Rang, um den Unterschied zu ihrem eigenen zu betonen. Oder sie nannte ihn Ace, beziehungsweise benutzte nicht selten auch einen wesentlich unfreundlicheren Spitznamen oder Kraftausdruck aus ihrem reichhaltigen Reservoir. Momente wie diese, wo sie ihn – oder irgendjemand anderen – wie einen normalen Mitmenschen oder Freund behandelte, waren selten.
Er ertappte sich dabei, dass er unwillkürlich lächelte: „Abgesehen von Kopfschmerzen – man sollte die Doktoren, die sich den Drogencocktail ausgedacht haben, das Zeug mal selber ausprobieren lassen? Also ansonsten ist alles bestens, danke der Nachfrage.“ Er grinste: „Hast du mich deshalb hierher gelotst, damit du mich das fragen kannst, ohne dass jemand es mitbekommt?“ Lilja grinste beinahe: „Könnte schon sein…Ich habe immerhin einen Ruf zu verlieren.“ Sie wurde übergangslos ernst: „Aber eigentlich nicht wirklich. Ich wollte wissen, was du dir eigentlich bei deinen letzten Eskapaden gedacht hast!“

Für den Moment überwog bei Ace Verwirrtheit. Er wusste nicht recht, wovon Lilja eigentlich sprach. Hatte sie erfahren, dass er die Aufzeichnungen der Falcons hatte manipulieren lassen?
„Ich wollte dir helfen…“
Die Russin riss die Augen überrascht auf, offenkundig überrascht: „Mir helfen? Wie soll mir denn DAS helfen? SO sehr bin ich deiner nicht überdrüssig, dass ich mir wünsche, dass du abgeschossen wirst. Du hast ohnehin die irritierende Angewohnheit, wie eine falsche Kopeke immer wieder zurückzukommen, wie man so sagt. Erst eine Atomrakete, dann deinen Tandemflug mit unserem übellaunigen Strafniki**…“ Sie grinste geradezu anzüglich: „Ich denke, das muss ich nicht weiter ausführen.“
„Dann meinst du meinen Abschuss?“ Das kam vielleicht etwas überrascht heraus, aber damit hatte Ace nicht gerechnet.
„Ja, oder eher, WIE es dazu gekommen ist. Ace, du kannst einfach so nicht weitermachen. Hast du mal einen Moment darüber nachgedacht, dass es nicht deine Pflicht ist, sich persönlich in jeden Kampf zu stürzen? Schon vergessen, dass du nicht mehr nur Wingman oder Flightleader bist?“ Ihr Gesicht wirkte in diesem Moment wieder so verschlossen wie meistens.
„He, Moment mal! Old Mithel selber hatte Jäger angefordert, um seine Kreuzer auf dem Rückzug zu unterstützen. Ich habe vielleicht meine Befehle etwas weiter ausgelegt, als ich die Rettungsboote und Shuttles geschützt habe, aber…“
Lilja ließ ihn nicht ausreden: „Verdammt, darum geht es doch nicht – nicht in erster Linie! Nicht eigentlich, was du gemacht hast. Es geht darum, dass du inzwischen Staffelchef bist! Du hast eine Verantwortung, und die gilt in erster Linie deinen Leuten, und deinem Kampfauftrag – und letzterer kann auch DURCH deine Leute erfüllt werden. Du hast einfach keine Zeit mehr für einsame Heldentaten, und je eher du das kapierst, desto besser! Du musst, du DARFST gar nicht alles allein machen!“ Ihre Stimme klang kalt und belehrend – jetzt war sie wieder die Eisprinzessin: „Werd’ endlich erwachsen – du bist nicht nur Ace, der Superpilot, sondern inzwischen Clifford Davis, Chef der blauen Staffel! Während du dank deiner letzten Heldentaten im Koma warst, ist Chip mächtig ins Rudern geraten, die Staffel zu führen und auf den nächsten Einsatz vorzubereiten. Was wäre, wenn du eine moderate Verletzung oder schlimmeres kassiert hättest, und flugunklar gewesen wärst? Kannst du dir vorstellen wie das aussieht, wenn Chip deine Leute allein führen muss? Vor allem, wo wir sowieso zwei Staffelchefs verloren haben? Nun, ich kann mir das schon ausmalen, und das ist kein sonderlich beeindruckendes Bild! Ich weiß ja nicht, ob dir das klar ist, aber es ist erstens deine Pflicht, für deine Staffel da zu sein, und zweitens jemand bei der Hand zu haben, der das übernimmt, wenn du es nicht kannst. Jemanden, der als Staffelchef genauso gut ist wie du – und dann brauchst du noch ein, zwei andere, die wiederum deinen Stellvertreter ersetzen können! Du hättest spätestens seit deiner Rückkehr von Medusa damit anfangen müssen! Und solltest längst fertig sein! Willst du so Huntress Andenken ehren? Mach so weiter, und deine Staffel wird abgeschlachtet werden, wenn nicht heute, dann bei der nächsten oder übernächsten Schlacht!“

Mit dieser Standpauke hatte Ace am wenigstens gerechnet, und schon gar nicht aus dieser Richtung. Nicht von Lilja, die dafür bekannt war, sich selber in jedes Gefecht zu stürzen. Unter anderen Umständen hätte er souveräner agiert, aber er hatte immer noch seinen Bruder vor Augen, die Erwähnung von Huntress war selbst für Liljas Verhältnisse ein Tritt unter die Gürtellinie, und so fuhr er etwas aus der Haut: „Ich hätte mir denken können, dass du es nicht verstehst, wieso man seinen Bruder oder einen guten Freund beschützen will – und ich glaube nicht, dass ich mir Vorträge über Pflichterfüllung von jemand anhören muss von jemanden, der durch sein Verhalten ein Kriegsgericht riskiert, indem er auf Sani-Shuttles schießen lässt! Und halt mir keine Vorträge über die Unfähigkeit zu delegieren – wer musste denn bei Karrashin mit gebrochenem Bein in eine Maschine klettern und wäre beinahe krepiert?“
Jemand anderes wäre nach dieser verbalen Antwortbreitseite vermutlich zu Boden gegangen oder hätte zumindest die Fassung verloren, gekränkt, wütend, ehrlich bestürzt oder aus welchem Grund auch immer. Aber Lilja, die Lilja, die sonst bei mehr als einer Gelegenheit aus der Haut gefahren war, blieb gelassen: „Ersten, bei Karrashin war ich als Staffelchefin rausgeschossen. In DEM Moment war ich nur Lilja, die Pilotin. Und ich habe sogar in dem Zustand kommandieren können, vielen Dank auch. Und was das andere angeht – ich habe auch Leute, die ich liebe, stell dir das mal vor. Aber ich glucke nicht auf ihnen. Und sie nicht auf mir. Wir alle wissen, was wir für Risiken eingehen. Als Imp beinahe draufgegangen wäre, bin ich nicht Hals über Kopf losgestürzt und habe meine Pflicht vergessen – ich habe jemanden geschickt, der sie genauso gut raushauen konnte wie ich. Fliegen und schießen können viele, aber kaum einer von denen kann mich einfach so als Staffelchefin ersetzen. Du bist nicht der einzige, der einen geliebten Menschen auf einem der Kreuzer hat. Aber MICH musste man nicht von der Tatanka ABKRATZEN, weil ich ihr nicht von der Seite weichen wollte!“
„Und was ist mit den Shuttles? Denkst du mal drüber nach, dass das nicht nur falsch ist, sondern deine Karriere ruinieren, ja dich hinter Gitter bringen kann, wenn auch nur einer der Piloten Meldung macht? Wenn ich nicht die Aufzeichnung hätte löschen lassen…“
Die Russin schnaubte. Ihre Stimme klang hart: „Danke.“ Sie klang allerdings nicht wirklich dankbar: „Ich brauche zwar keinen Babysitter, aber na gut. Ich nehme das mal als Zeichen, dass du wenigstens ANFÄNGST erwachsen zu werden! Gerade von dir hätte ich aber mehr Verständnis erwartet. Erstens einmal, ich habe nicht Befehl gegeben, die Shuttle abzuschießen…“ Sie zog unwillkürlich eine Grimasse. Ace konnte sich denken, dass Lilja persönlich keine Probleme gehabt hätte – oder in der Vergangenheit gehabt hatte – auch so weit zu gehen. Sie hob zwar ihre Stimme, hatte sich aber immer noch bemerkenswert gut unter Kontrolle: „Und ansonsten…wer von uns beiden hat denn in Akariihaft gesessen? Wer hat seitdem mehr als einmal gesagt, da wäre der Tod noch besser? Sag bloß, du erinnerst dich nicht mehr daran! Du warst selber eines von den Wracks, die wir befreit haben – und du weißt, was die Akarii unseren Leuten antun. Wir sind damals bei Camp Hellmountain bei weitem nicht für alle rechtzeitig gekommen! Unsere Jungs und Mädchen werden gefoltert, sie werden kaum genügend ernährt, schlecht versorgt, man misshandelt sie…Soll ich weitermachen? Ja, ich habe schießen lassen – na und? Wir haben damit ein verdammtes SAR-Shuttle der Echsen zur Kapitulation gezwungen, und eines unserer Shuttles hat die Passagiere und Crew übernommen. Weißt du was das heißt? Das heißt, ich habe eine von unseren Jabocrews und einen Nighthawk-Piloten vor der Gefangenschaft bewahrt! Die werden wieder fliegen, statt in einem Scheiß-Echsenlager zu sitzen – und die vier Akariipiloten, die an Bord waren, werden in diesem Krieg kein Unheil mehr anrichten! Damit rettete ich auch all diejenigen, die von ihnen vielleicht in einem späteren Kampf abgeschossen worden wären!“

Sie drehte sich halbe von ihm ab und stiefelte hin und her, damit sowohl mit ihm als auch mit anderen Instanzen – ihr selbst, den Göttern order irgendwelchen unsichtbaren Zuhörern – streitend: „Und komm mir nicht mit irgendwelchen Regeln! Nicht nach Hannover – und jetzt Masters! Nicht nachdem wie sie unsere Gefangenen behandeln. Du magst doch Admiral Alexander? Dann denk mal dran, dass sie ihr den KOPF ihres Sohnes in die Zelle geschmissen haben! Akarii-Shuttle sind bewaffnet, und mehr brauche ich nicht als Rechtfertigung – und mehr solltest du auch nicht brauchen! Du hast doch auch Admiral Girad gehört! Schreib es dir hinter die Ohren! Wenn der Gegner sich zurückzieht, dann haben wir verloren! Wenn er eingekreist, abgeschnitten und vollkommen vernichtet ist, dann, erst dann haben wir gewonnen!“ Sie klang, als würde sie etwas zitieren, und vermutlich war dem auch so.
Für einen Moment kam Ace in den Sinn, dass ihr Gespräch eigentlich ein Stück weit die Quintessenz dessen war, was sie beide unterschied, im Grunde derselbe Streit, den sie seit ihrer ersten gemeinsamen Fahrt führten. Egal, wie sie sonst übereinander dachten, der Punkt stand immer zwischen ihnen. Keiner von beiden war bereit, mehr als ein kleines bisschen von seinem Standpunkt abzugehen, und jeder war felsenfest davon überzeugt, im Recht zu sein. Nicht, dass sie sich nicht beide „entwickelt“ hatten – die Lilja des ersten Kriegsjahres hätte sich kaum träumen lassen, eine Staffel zu führen, und sie hätte bestimmt keine Vorträge über die Aufgaben eines Kommandanten geführt. Und wenn Ace an sich selbst dachte, nun, auch er hatte sich verändert.
Lilja starrte ihn an, nicht wirklich wütend, aber so entschlossen wie immer: „Lerne endlich, dass Krieg zu führen und vor allem Offizier zu sein bedeutet, unbequeme Entscheidungen zu treffen! Es bedeutet, Verantwortung zu übernehmen, Pflichten zu delegieren, nicht mehr mit dem Herzen zu fliegen, sondern mit dem Verstand – und einem Verstand ohne Skrupel dazu! Was denkst du denn, warum ich dir einiges voraus habe in meiner Karriere? Nicht, weil ich eine bessere Pilotin bin, oder weil ich bessere Kontakte hätte, sicher auch nicht, weil ich die bessere bin bei den theoretischen Prüfungen, oder so viel besser mit Menschen umgehen kann. Das kann ich nicht, abgesehen vielleicht davon, dass ich verstanden habe, dass man als Offizier nicht jedermanns Liebling sein kann. Nein, ich bin vorangekommen, weil ich Notwendigkeiten akzeptiere. Weil Cunningham wusste, dass er sich jederzeit auf mich verlassen kann, selbst bei Dingen, die man nicht von jedem erwarten kann! Und weil er – und Raven – wussten, dass ich für meine Staffel und den Kampfauftrag bereit bin, ALLES zu tun! Weil ich nicht denke, dass ich alles erledigen muss oder kann. Weil ich akzeptiere, dass ich morgen schon verstümmelt sein kann oder tot, dass ich Untergebene brauche, die mich ersetzen können – Untergebene, die mir viel bedeuten, aber deren Leben ich im Notfall auch bereit bin zu riskieren – so wie mein eigenes Leben. Du willst Lieutenant Commander werden? Deine eigene Staffel führen oder mehr? Dann akzeptiere endlich, dass du dafür deine verdammte Seele verkaufen musst!“

Ace starrte die Russin an. In Momenten wie diesen lebte ihr Gesicht förmlich auf, ihre Stimme vibrierte von Leidenschaft. Es war fast schon zu bedauern, dass sie ihre Gefühle vor allem auf solche Dinge fokussierte. Die Russin zeigte häufiger Emotionen, wenn es um ihren Hass auf die Akarii oder ihre Pflichterfüllung ging, als dass sie einfach einmal ehrlich mit jemandem lachte.
Lilja gab sicher keine Plattitüden von sich, sie glaubte, was sie sagte. Er wusste, eines der Probleme zwischen ihnen war, dass es Dinge gab, die wesentlicher Bestandteil ihrer selbst waren, über die sie aber beide nicht reden wollten und konnten. In seinem Fall war es die Erinnerung an das, was auf Troffen wirklich passiert war. Deshalb, vor allem deshalb, klammerte er sich an die Vorstellung dessen, was richtig und moralisch war – weil er Mitwisser, ein Stück weit auch Mittäter durch Verschweigen und Lügen bei etwas war, das viel schlimmer war als alles, was Lilja je getan haben mochte. Und Lilja hatte sicher auch ihre Geheimnisse…
„Vielleicht habe ich das schon lange. Vielleicht will ich aber nicht mehr geben, als ich bereits verloren habe. Vielleicht ist das schon mehr als genug für ein Menschenleben.“ Meinte er nur.
Für einen Moment musterte ihn die Russin. Ihre Stimme klang beinahe freundlich: „Wirklich? Dann solltest du an eines denken – der Krieg ist niemals satt. Er will immer mehr. Und glaub mir, es ist einfacher, wenn du ihm gibst, was er braucht. Es ist besser für dich – und besser für die anderen.“
Sie straffte sich: „Na schön, ich sehe schon, du bist nicht meiner Meinung. Aber wenn du schon nicht deine Seele verkaufen willst – dann denk wenigstens über den Rest nach. An das Delegieren, und dir ein paar gute Ersatzleute zu suchen. Ich bin ersetzlich. Du bist es. Wir alle sind es, als einzelne Menschen. Die Staffel, die Angels als Geschwader sind es nicht.“
Der blauhaarige Pilot seufzte: „Würdest du vielleicht auch einmal darüber nachdenken, ehe du das nächste Mal etwas tust, das dich vors Kriegsgericht bringen kann? Reicht ein ,Bitte’ vielleicht aus?“
Lilja lächelte, und diesmal nicht böswillig, sondern beinahe traurig: „Vor Hannover – kann sein. Vor Masters – vielleicht. Jetzt, nach den beiden Welten, und nachdem Cunningham schwer verletzt ist, und Raven vermisst? Ace, ich kann einfach nicht. Ich will auch nicht mehr, ich WILL es einfach nicht. Wenn wir in der Vergangenheit ein bisschen weniger Rücksicht genommen hätten, wäre es vielleicht nie so weit gekommen, dass wir sogar heute noch in Sterntor kämpfen müssen. Jaja, ich weiß, du wirst sagen, dann hätten die Akarii noch Schlimmeres getan. Weißt du was – inzwischen bin ich wirklich bereit, es darauf ankommen zu lassen.“
Sie nickte ihm knapp zu: „Viel Glück. Lass dich nicht abschießen. Wir können uns nicht noch einen toten oder schwer verwundeten Staffelchef leisten. Vielleicht wirst du noch mal ein guter Kommandeur.“ Und damit ging sie. Er wusste nicht, ob sie sein „Viel Glück…“ noch mitbekommen hatte.

***
* „Gefrorene“ ist ein alter, wenn auch eher unüblicher Slangausdruck, der sich auf einen alten Soldatenaberglauben bezieht, von Veteranen, die gewissermaßen kugelfest sind, und schon schier Unglaubliches überstanden haben. Es gibt viele verschiedene, meist sehr unerfreuliche „Erklärungen“, woher diese Unverwundbarkeit oder Unsterblichkeit kommt, und welchen Preis sie dafür zahlen mussten.
** Russischer Slangausdruck für Angehörige einer Straf- oder Bewährungseinheit wie etwa die Mannschafts- und Offizierssonderbataillone im Zweiten Weltkrieg oder die Rehabilitierungseinheiten, die von der Sowjetischen Konföderation unter anderem während der Intervention in Südamerika verwendet wurden.
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Cattaneo
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Tyr

‚Solange wir fliegen – ein Kriegsschiff. Solange unsere Hülle noch hält – eine Kampfstation. Wenn unsere Stunde gekommen ist…werden wir nicht als Feiglinge vor der ewigen Flamme stehen.’

Ein altes Motto der imperialen Raummarine



Sterntor-System, imperialer Flottenträger KAHAL

„Unsere Kampfflieger sind startbereit. Und anscheinend war Ihre Analyse korrekt, Admiral. Girad will kämpfen.“
„Was bleibt ihr auch anderes übrig? Auch wenn es mir in diesem speziellen Fall lieber gewesen wäre, wenn ich mich geirrt hätte…
Offenbar will sie diesmal nicht auf halbem Weg stehenbleiben. Sie schickt uns nicht nur einen Teil ihrer Streitmacht entgegen. Sie setzt alles ein, was sie hat.“
„Allerdings, Admiral. Ihre Befehle…“
„Bleiben vorerst dieselben.“
Kapitän Matir musterte schweigend die gegnerische Formation: „Für taktische Manöver und Finten lässt sie uns nicht viel Raum.“
„Nein, anscheinend will sie uns ganz einfach nur aufhalten. Und so viele Einheiten beschädigen oder vernichten, wie es ihr möglich ist. Im freien Raum und gegen eine Rishi-Formation bleibt da auf beiden Seiten wenig Raum für Finesse.
Bestenfalls könnten wir einen schnellen Vorstoß mit unseren Kreuzern durchführen – aber mehr als den Schwerpunkt ein wenig verlagern ist das nicht. Daneben bleiben für derartige Manöver nur noch unsere verbliebenen Kampfflieger und Schnellboote…und als zusätzliche Reserve natürlich die KAHAL und die CHA’KAL.“
Matir nickte stumm bei diesen ein klein wenig fatalistisch klingenden Worten seines Vorgesetzten. Träger wurden so selten wie möglich in den direkten Schlagabtausch mit feindlichen Großkampfschiffen geschickt. Aber langsam gingen Taran die Optionen aus. Die Kampfflieger waren dezimiert, die Kreuzer- und Zerstörer-Verbände ebenfalls angeschlagen. Und Girads Flotte war der Rikata-Kampfgruppe an Kampfkraft mindestens ebenbürtig.
„Lassen Sie die Sturmshuttles starten. Sie sollen die Kanonenboote unterstützen. Außerdem…nach den Erfolgen unserer Schnellboote macht das die Menschen vielleicht nervös. Sie können schließlich nicht wissen, welches der Shuttles zum Raketenträger umgerüstet wurde und welches nicht.
Gibt es etwas Neues von der terranischen Verstärkung?“
„Wir haben Probleme mit unseren Langstreckensensoren, gehen aber davon aus, dass sie mit Höchstgeschwindigkeit vorrücken. Dennoch, es ist sehr unwahrscheinlich, dass sie rechtzeitig eintreffen, um in dieser Schlacht noch eine Rolle zu spielen. Girad wird erst einmal ohne sie auskommen müssen.“
„Gut. Wenn sie sich uns getrennt stellen, werden wir mit ihnen fertig.
Wie lange noch, bis wir in Gefechtsreichweite kommen?“
Statt einer Antwort meldete sich Thera Los zu Wort: „Admiral, das hier kam eben von der Analyseabteilung. Angesichts der momentanen Positionierung unserer Einheiten und der Stärke des gegnerischen Verbandes…wenn sie uns wirklich AUFHALTEN wollen, werden wir mit einer Rishi-Formation kaum in der Lage sein, durchzubrechen. Nicht durch eine Formation, die mindestens ebenso stark ist.“
„Und wie sicher sind sie sich dabei?“
„Unter Einberechnung der bisher erlittenen Schäden und der Erschöpfung der Mannschaften…zu etwa 75 Prozent.“
Der Admiral nickte abwesend: „Und was schlägt die Analyseabteilung als Alternative vor?“
„Entweder ausweichen – oder durchbrechen. Aber dann müssen wir…“
„Aggressiver vorgehen, ich weiß. Matir, Ihre Ansicht?“
„Ich halte nicht viel von diesen Spielereien mit Computermodellen und Wahrscheinlichkeitsrechnungen. Dennoch, in diesem Fall...ich sage, wir brechen durch. Im Augenblick ist das einer der wenigen Sprungpunkte, die uns eine halbwegs schnelle und sichere Rückkehr in den Draned-Sektor ermöglichen, ohne dass wir riskieren gegen Girad und ihre Verstärkung kämpfen zu müssen.
Wenn wir sofort auf einen Alternativkurs gehen, dann könnten wir vielleicht einen alternativen Rügzugspunkt erreichen. Aber wir riskieren, dass die Menschen uns in die Zange nehmen. Und da Girad diesmal entschlossen scheint, wird sie nicht einfach tatenlos zusehen, wie wir weiter durch das System karren. Und mit jedem weiteren Tag im Parrak-System steigt das Risiko, dass die Menschen weitere Verstärkung schicken.“
„Oder die Randsektoren von Draned in Schutt und Asche legen, bevor wir zurück sind. Los?“
Die Stabschefin rang sich ein etwas verzerrt wirkendes Lächeln ab: „Das wird Sie vielleicht überraschen, Admiral, aber ich teile Kapitän Matirs Meinung. Der Durchbruch ist die beste Alternative. Wahrscheinlich sogar die einzige, wenn wir nicht einen Kampf gegen mehrere Gegner riskieren wollen.“ Wohl war ihr bei diesen Worten nicht.
Taran nickte nachdenklich: „Und nachdem ich die Männer und Frauen auf einen Durchbruch eingeschworen habe, können wir nicht einfach bei der ersten kleinen Schwierigkeit das Weite suchen.“
„Trotz der Erschöpfung und den erlittenen Verlusten, die Moral ist gut. Wir dürfen die Erwartungen unserer Leute jetzt nicht enttäuschen. Und Ka’wal würde sicherlich…“
Der Admiral schnaubte nur mäßig amüsiert: „Was denn, Sie wollen es mir doch noch ausreden?“ schlagartig wurde er wieder ernst: „Aber im Endeffekt haben wir tatsächlich keine andere Wahl. Und deshalb…
Wir bleiben vorerst in Rishi-Formation. Das ist unsere beste Chance einen feindlichen Kampffliegerangriff abzufangen. Sollen sie sich an unserem Jäger- und Flugabwehrschirm die Köpfe blutig rennen. Aber sobald sich unsere Kriegsschiffe auf Schlagreichweite ihrer Schiff-Schiff-Raketen nähern…wechseln wir in eine Du’Matari.“

Du’Matari bedeutete ‚Hammer der Vernichtung‘ in einer der antiken Akarii-Sprachen – es war einer der vielen Beinahmen des legendären Helden und Halbgotts Ka’diras.
Taktisch bezeichnete man damit eine Angriffs- und Durchbruchsformation, die bereits seit der Akarii-Antike bekannt war. Die schlagkräftigsten und stärksten Schiffe bildeten die Spitze der Formation, die je nach Situation spindel-, keil- oder gar V-förmig war, und versuchten die feindliche Schlachtlinie aufzubrechen. War dies gelungen, nutzte die Flotte die entstandene Verwirrung, um sich auf einen Teil der Feindformation zu konzentrieren, oder – wenn das Ziel nicht die Vernichtung der feindlichen Flotte war – um zu entkommen, wobei schwächere oder unbewaffnete Einheiten in Kiellinie folgten.
Allerdings war die Formation nicht ungefährlich – ein erfahrener und disziplinierter Gegner konnte versuchen, den Angreifer einzukreisen. Außerdem war die relativ ‚schmale‘ Formation anfällig für Kampffliegerangriffe und setzte gerade die kostbaren und prestigeträchtigen Flaggschiffe einem besonders hohen Risiko aus.

„Los, machen Sie unseren Analytikern Dampf. Ich will noch einmal eine detaillierte und aktualisierte Profilanalyse der feindlichen Einheiten. Welche Schiffe können wir identifizieren, und was wissen wir über sie? Welche sind bereits beschädigt? Ich will nicht an der stärksten Stelle der feindlichen Formation angreifen.“
„Standart-Du’Matari, Admiral?“
„Allerdings. Unsere besten und noch unbeschädigten Kreuzer und Zerstörer bilden die Spitze, die Träger knapp dahinter. Wahrscheinlich werden auch wir fechten müssen.
Die leichteren und beschädigten Einheiten an die Flanken, die nachrangigen Schiffe und schwer beschädigten Einheiten folgen in Kiellinie.“
„Und wenn der Feind einfach ausweicht und versucht, uns in der Flanke zu fassen? Bei Karrashin haben sie so mehrere Divisionen Kreuzer vernichtet.“
„Dann lassen sich die Spitzeneinheiten zurückfallen und geben den nachfolgenden Einheiten Feuerschutz. Zum Glück dürfte der Gegner nicht mehr über genug Schiffe verfügen, um beides zu tun – unsere Flanken UND die Spitze mit voller Wucht anzugreifen.
Das hier ist NICHT Karrashin. Wir sind stärker. Dieser Gegner hat uns schon zweimal nicht standhalten können. Wir werden durchbrechen.“
„Was ist mit unseren Kampffliegern?“
„Wie abgesprochen - Kurzdistanzvorstöße aus der Deckung des Gefechtsverbandes hinaus. Wir könnten sie vorschicken, wenn der Gegner seinerseits den Großteil seiner Jäger auf den Angriff auf uns konzentriert. Aber gegen einen intakten Abwehrschirm werden unsere Schwadronen nicht mehr viel ausrichten. Wir dürfen von unseren Piloten nicht zuviel verlangen. Zumindest, solange wir noch eine Wahl haben.
Das Primärziel bleiben die feindlichen Träger. Sie zu vernichten wäre gut, aber es würde mir auch reichen, wenn sie nur beschädigt werden. Ansonsten könnten sie uns die letzten paar tausend Kilometer zum Sprungpunkt zur Hölle machen.
Und wir müssen die Augen offenhalten, ob die Menschen versuchen, uns auf ein Feld mit Fernzünderminen zu ziehen – sie haben das schon in anderen Schlachten durchexerziert. Zum Glück wollen sie uns den Weg verlegen – wir haben also die Freiheit, moderate Kurswechsel durchführen zu können.
Es gibt also noch einiges zu tun. Und wir haben nicht mehr sehr viel Zeit…“
02.03.2016 07:43 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cunningham

„Mut, Ehre, Engagement und Aufopferung, diese Worte haben Sie gehört und genau deswegen sind Sie hier. Jetzt ist nur noch ein einziges Wort übrig, das für Sie zählt, und das heißt Leben, Ihr eigens, das ihres Kammeraden. Im Krieg gibt es nur eine Gewissheit: Schon in einer Stunde, vielleicht auch zwei, können Sie entweder noch am Leben oder tot sein“

Space – Above and Beyond


TRS Columbia
Flugdeck

,Admiral, ich glaube ich habe da eine Idee‘, äffte Irons Crawford in Gedanken nach. Sie blickte einer Thunderbolt nach, die gerade wieder zum Lift zurückbugsiert wurde, um durch eine andere, besser reparierte ersetzt zu werden.
Natürlich hatte Crawford eine Idee und irgendwie war die auch alles andere als schlecht, der Schönheitsfehler daran war, dass SIE und nicht Crawford diese Idee ausbaden musste.
„Irons, Du wolltest uns sehen?“
Sie drehte sich zum Sprecher um und erblickte ihre beiden rangältesten Staffelführer. Razor, mager und kränklich wirkend wie immer und doch so zuverlässig im Gefecht. Neben ihm Lilja in aggressiver Grundstellung, irgendwie fit.
„Gut,“, begann sie, „ich habe da noch etwas mit euch zu besprechen…“
„Boss!“ wurde sie von einem ihrer Piloten unterbrochen. Lieutenant Ronald Garbo, ein junger Landsmann von ihr, der als angeberischer Heißsporn als Ersatzmann in ihre Staffel gekommen war. Sein offizielles Callsign war Babyface, welches auch immer noch auf seinem Helm prangte. Doch hatte er sich so gut etablierte, dass jeder es auf Face abkürzte.
„Sorry, dass ich unterbreche,“, Ronald sah noch abgekämpfter aus als Razor, „aber der Durchfall ist immer noch da und alles was ich mir an Flüssigkeit rein kippe kommt sofort wieder raus. Die Aufnahmeeinheit ist schon wieder fast voll, ich pack das diesmal nicht.“
Aus den Augenwinkeln sah Irons, wie sich Liljas Augen weiteten: „Gut, sag Hungry Joe Bescheid, dass er Deine Maschine übernehmen soll und melde Dich im Lazarett.“
„Danke, Boss und sorry, es tut … sorry.“, er salutierte andeutungsweise und verschwand in Richtung der Bereitschaftsräume.
„Und was wäre gewesen, wenn kein Ersatzpilot zur Verfügung gestanden hätte?“
Irons blickte Lilja direkt an: „Dann wäre er nicht zu mir gekommen. Aber wie dem auch sei, warum ich Euch noch sprechen wollte, wenn ich gleich raus gehe, hat Crawford direkt das Kommando über die Angels. Wenn er ausfällt seid Ihr beide an der Reihe, erst Du,“, sie blickte Razor an und dann Lilja, „und dann Du. Aber wie auch immer, mal abseits aller markigen Worte und Reden, ich möchte, dass Ihr genug Angels wieder mit nach Hause bringt, dass unabhängig davon wie die Schlacht ausgeht, das Geschwader eine Grundstock hat um wieder aufgebaut zu werden und nicht aufgelöst und auf andere Geschwader verteilt wird, ist das klar?“
Ihre beiden Untergebenen blickten sich kurz an und der Unterschied konnte nicht größer sein. Wasser und Feuer, Himmel und Erde, Gnade und Rache. Und ausgerechnet Gnade hatte gut fünfzigtausend Akarii mehr auf dem Gewissen.
„Ja, wir müssen den Echsen noch einmal weh tun, dies ist aber nicht die große letzte Schlacht dieses Geschwaders, der große, letzte und alles entscheidende Kampf. Dies ist nicht unser abschließendes Kapitel. Ist das angekommen?“
„Klar.“
„Da!“
Irons schüttelte leicht den Kopf: „Ich habe Sie beide nicht ganz verstanden?“
„Sir, aye-aye, Sir!“
„Gut und noch etwas, Razor, ich habe Dir Meltdown nicht umsonst an die Seite gegeben, zum einen soll er Dir den Rücken freihalten, damit Du die Übersicht behalten kannst, und zum anderen damit Du auch auf ihn ein Auge haben kannst.“
„Das sind ja gleich zwei Dinge auf einmal,“, Razor schmunzelte, „noch dazu widersprüchliche, aber keine Sorge, ich habe ein Auge auf ihn und alles andere.“
„So, ich werde mal meine Leute einweisen, und passt mir gut auf die alte Dame auf, ich möchte noch irgendwo landen können, wenn ich mit den Echsen fertig bin. Gute Jagd.“
„Dir auch.“
Lilja nickte wortlos.

Ihre Schäfchen hatten sich schon versammelt. Die Besatzungen von neun Crusadern, einer Rafale und sechs Thunderbolts, voll bestückt und alle mehr oder minder einsatzbereit.
Die Jagdbomber gehörten je zur Hälfte der goldenen und der silbernen Schwadron an.
Razor würde mit zwölf weiteren Maschinen beim Rest des Geschwaders bleiben, um die Akarii nicht misstrauisch zu machen.
Ihnen würden sich acht weitere Crusader und zwei Rafale des Flying Circus anschließen, sowie sechs Mirage der Fast Eagles und vier weitere der Spirit of the Samurai.
Das war alles in allem nicht viel, doch auch einige Mirage mussten beim Hauptverband auftauchen.
„ACHTUNG, STILLGESTANDEN AN DECK!“ Auch der Count erlaubte es sich nicht, weniger als in Topform aufzutreten.
„Rühren,“, Irons musterte kurz die zwei Reihen Piloten und Waffensystemoffiziere, „wie Sie alle wissen, dieser Einsatz ist freiwillig.“
„Heißt dass, ich kann noch abspringen?“ Sprang natürlich einer auf die Einleitung an.
„Nein, das heißt, die TSN ist froh, dass Sie sich irgendwann einmal freiwillig zum Fliegercorps gemeldet haben.“, antwortete sie lapidar.
„Aber, aber… ich habe doch auch Dünnpfiff…“, quengelte ein anderer mit wehleidiger Stimme. Was mit gehässigem Gelächter quittiert wurde.
„Zum Geschäftlichen, Herrschaften,“, mahnte Irons, „man hat sich eine neue Art überlegt, wie wir von einem Träger starten dürften. Man schmeißt uns einfach über die Heckluke raus. Damit stellt man uns quasi auf die gleiche Stufe mit den Raumlandetruppen, die ebenfalls blöd genug sind aus einem heilen Shuttle raus zu springen. Und wie bei den Raumlandetruppen gehen bei uns auch die Offiziere, sprich ich, als erstes. Sollte also einer von Euch Sonntagsfliegern meine Crusader streifen oder in sie hinein krachen, zieh ich ihm das Fell über die Ohren.
Und noch etwas, wir fliegen ohne Begleitschutz. Es gibt nur uns Bomberpiloten. Aber ich brauch Euch allen nicht zu sagen, Jägerpiloten machen Filme, Bomberpiloten machen Geschichte.
Die einzige Deckung, die wir haben werden, sind die letzten konventionellen Minen, welche unsere Dickschiffe abwerfen werden, kurz bevor sich die Flotte aufteilt und die Echsen flankiert. Das wird gerade reichen, um die Akarii zu erschrecken und ihre Sensoren soweit zu blenden, dass sie uns nicht orten werden. Also Leute, behaltet die Nerven und alles wird gut gehen. Fragen?“
Es gab keine.
„Gut, dann machen wir ein wenig Geschichte. Aufsitzen, Leute!“

Das hintere Drittel des Flugdecks war geräumt worden, nachdem man die Bomber und Jagdbomber aufgestellt hatte. Traktorstrahler hoben die Flieger an und positionierten sie etwa auf mittlerer Höhe. Dann ließ man ein Kraftfeld aufbauen und verminderte die Schwerkraft Stück für Stück.
Irons hätte nicht gedacht, dass ihr als erfahrener Pilotin nochmal mulmig werden würde, doch sie hatte sich geirrt; wie so oft.
,Wenn das Glück mit den Betrunkenen, kleinen Kindern und den Dummen ist, dann müssten wir heute eine ganze Portion davon haben, bei dem Blödsinn, den wir veranstalten.‘
Laut sagte sie: „Herr, Universum, unser aller Gott, halte Deine schützenden Hand über Deine Engel, damit wir Dir heute noch ein paar Akarii-Seelen schicken können.“
„Amen!“ murmelte ihr Copilot.
„Black Rain Führer an Bomberverband! Maschinen starten, auf fünf Prozent Leistung, klar bei Steuerdüsen, Bereitschaftsmeldung!“
Nach und nach meldeten alle ihre Piloten Bereitschaft. In ihren Stimmen schwangen unterschiedliche Stadien der Entschlossenheit und auch Unsicherheit mit.
Aber mit jeder Meldung fühlte sich Irons selbst etwas ruhiger und ihr Selbstvertrauen nahm immer mehr zu. Ihre Leute würden ihr in die Schlacht folgen.
„Black-Rain-sechs-null-sieben für Boot Camp, kommen.“
„Black-Rain-sechs-null-sieben, Boot Camp, wie ist der Status?”
„Boot Camp, Black Rain, Bomberverband ist einsatzbereit, wir warten nur noch darauf abgesetzt zu werden.“
„Black Rain, 5th Fleet Actual,“, schaltete sich Girad in den Funk ein, „gutes Gelingen, Ihnen allen.“
„Verstanden, Ihnen auch.“
„Black-Rain-sechs-null-sieben,“, war wieder der Signalgast der Columbia dran, „wir ändern jetzt den Kurs und deaktivieren das Kraftfeld in fünf… vier… drei… zwo… eins…!“
Das Kraftfeld schaltete sich ab und im zwei Sekunden-Takt deaktivierten sich die Traktorstrahler und Irons Verband wurde ins All gesogen.
Die Bomber und Jagdbomber taumelten unkontrolliert im Pulk und blieben schnell hinter der sich mit neunzig km/s bewegenden Flotte zurück.

Es war der älteste Trick der Fliegerstreitkräfte der TSN. Ohne irgendwelche Emissionen, die ein Scanner auffangen konnte, in den feindlichen Verband eindringen oder anpirschen.
Vor fast achtzig Jahren war dieser Trick der Todesstoß für die Schlachtschiffe gewesen, als beim ersten ausgewachsenen Manöver die Kommandanten von Team Rot ihre Bomber gestartet hatten, diese auf den wahrscheinlichsten Kurs von Team Blau gelegt hatten und diesen Team Blau auch noch schmackhaft machten.
Die Bomber von Team Rot waren fast von den Kreuzern und Schlachtschiffen des Gegners überfahren worden und hatten im letzten Moment ihre Systeme hochgefahren und drei Schlachtschiffe und vier Kreuzer ausgeschaltet.
Alle drei Bomberschwadronen mit hundertacht Mann Besatzung waren ausgeschaltet worden. Team Blau verlor fast sechstausend Mann Besatzung.
Strategisch gewann Team Blau, da sich die drei Träger, ihrer Offensivkraft beraubt, zurückziehen mussten, und auch wenn die Admiralität mauerte und das Ergebnis nicht als solches erkannte, war es ein Weckruf für das Verteidigungsministerium.
Vor etwas über zweihundert Jahren hatte ein akariischer Leutnant ersten Ranges mit Namen Arctus Ren den Plan ausgearbeitet, eine Kampfgruppe der Dornesh mit einer Staffel Bomber von hinten anzugreifen.
Er ließ die Bomber zehn Minuten mit maximalem Nachbrennerschub fliegen und dann alle Systeme herunterfahren. So schlichen die Akarii fast zehn Stunden hinter den Dornesh her, drangen in die Formation ein und vernichteten zwei Truppentransporter mit über dreißigtausend Soldaten und zwei Begleitzerstörer.
Bei Styras Naru, sechzig Jahre später, erfuhren die Akarii durch die Qualquau, wie schmerzhaft so ein Angriff war und verloren einen Träger, zwei Kreuzer und einen Flottenversorger.
Trotz modernster Sensorik, die einen Jäger ohne Antrieb kaum wahrnehmen konnte, war die beste und effektivste Taktik gegen solch einen Überraschungsangriff ein einfacher Zickzackkurs, wie er von den Atlantikkonvoys im zweiten irdischen Weltkrieg praktiziert worden war.
Und natürlich eine gute Überwachung der feindlichen Flottenverbände.
Doch Taran fuhr keinen Zick-Zack, er hielt direkt auf das Wurmloch zu, welches mehrere Astronomische Einheiten hinter den versprengten Bombern der TSN lag.
Das einzige Problem, welches sich im Vorwege ergab, waren die massiven Atomsprengköpfe in den Raketen. Doch in wenigen Minuten würden die Zerstörer, Fregatten und Korvetten der 5. Flotte ihre verbleibenden Minen werfen, welche dann hoffentlich die Akarii blenden würden, ehe sie die Bomber orten konnten.
In zwanzig Minuten würden die Träger dann ihre verbliebenen Jäger und Jagdbomber starten und der Kampf der Flotten würde dann nicht mehr lange auf sich warten lassen. Bei den Geschwindigkeiten, mit denen die Verbände aufeinander trafen, konnten die Kampfhandlungen nicht mehr als fünfzehn oder zwanzig Minuten dauern. Kurz und für die Akarii hoffentlich sehr, sehr schmerzhaft.
Nun hieß es für sie warten, in der Hoffnung, dass alles gut gegangen war und gut gehen würde.
„Ich sehe was, was Du nicht siehst, und das ist blau.“, begann plötzlich ihr RIO.
Irons musste losprusten.
02.03.2016 07:44 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
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Cattaneo

Racheschwüre

TRS-Columbia, kurz vor Beginn der Schlacht

Mit einem leichten Zischen schloss sich das Cockpit des Jägers, blinkende Lichter zeigten an, dass die Versiegelung aktiviert wurde. Knight ließ sich in den Sitz zurücksinken und sicherte sich automatisch mit mehreren Gurten. Für einige Sekunden war er mit seinem Gedanken in einer lange vergangenen Zeit an einem weit, weit entfernten Ort. Seine Hand berührte unwillkürlich einen Punkt über dem Armaturenbrett – dann zuckte er zurück, als ob er sich verbrannt hätte.
Natürlich, das hier war nicht das Cockpit seiner alten Griphen B, die er auf Pandora geflogen hatte. Eine Ewigkeit war das her, und doch war die Erinnerung so stark, dass er automatisch daran denken musste, sobald er in die Pilotenkanzel einer Griphen kletterte, und sei es auch ein modernisiertes D-Modell. Damals hatte er zumeist Lenk- und frei fallende Bomben über dem Dschungel abgeworfen und Bordwaffenangriffe auf Bodenziele geflogen. Er wusste, er würde nur die Augen schließen müssen, und er würde die Bilder wieder vor sich haben. Damals war er jung und dumm gewesen – nun, manche würden sagen, heute sei er vielleicht nicht mehr GANZ so jung, aber immer noch dumm. Auf einige Dinge, die er damals getan hatte, konnte er wirklich nicht stolz sein, und damit meinte er nicht nur den Krieg.
Unwillkürlich schauderte der britischstämmige Pilot. Nicht alle Erinnerungen an Pandora waren schlecht, aber manche schmerzten immer noch, sogar nach so vielen Jahren, selbst wenn es Kriegsjahre waren. Im Grunde war das damals alles Irrsinn gewesen – Menschen, die gegen Menschen kämpften, wo die Echsen insgeheim doch schon ihren Angriff auf die TSN vorbereitet hatten.
Und natürlich schmerzte die Erinnerung an das, was später gekommen war. Den Glücksbringer etwa, den er eben in einem Anfall von Realitätsverlust hatte berühren wollen…unwillkürlich ballte der Pilot seine Fäuste beinahe krampfartig. Dieses Andenken hatte er an seinem mit Abstand schlimmsten Tag im Militärknast verloren, zusammen mit zwei Zähnen, und einige Finger hatte man ihm auch noch gebrochen. Dabei konnte er sich noch glücklich schätzen, denn er hatte genug Geld gehabt, um sich die meisten Unannehmlichkeiten vom Hals halten zu können. Das Dumme war nur, dass sich nicht jeder bestechen ließ. Knight hatte Glück, dass er so glimpflich davongekommen war, so übel man ihn damals zusammengeschlagen hatte, denn die Alternativen…nun, über manche Dinge machte man lieber Witze, als sich wirklich damit auseinanderzusetzen. Danach hatte er dafür gesorgt, dass sich so etwas oder Schlimmeres nicht wiederholen konnte.

Dieses unerfreulich Déjá-vu, aus dem er erst langsam erwachte, verdankte Sir Evan Harold Alexander – sicher unbeabsichtigt – seiner unermüdlichen Staffelkommandeurin. Lilja hatte es tatsächlich geschafft, anstelle von Knights havarierter Falcon eine reparierte Griphen aus der Gelben Staffel loszueisen. Die Maschine galt als bedingt einsatzbereit, was mehr war, als man von Knights eigenem Jäger sagen konnte. Die Techniker hatten die während des ersten Jägergefechtes angerichteten Schäden ausgebessert, und abgesehen von einigen kleineren Spannungsschwankungen in den Energiebänken, die möglicherweise die Feuergeschwindigkeit etwas reduzierten, sollte mit dem Allzweckjäger eigentlich alles in Ordnung sein – so hatte man ihm zumindest versprochen. Wenn es natürlich während des Gefechtes zu Problemen kam, gestalteten sich eine Reklamation und die Rückfahrt zur Werkstatt etwas schwierig, wie der Pilot gegenüber seiner Vorgesetzten auch explizit betont hatte. Aber die Russin hatte gemeint, Bettler könnten nicht wählerisch sein, sie würde zum einen nicht auf einen guten Piloten verzichten, und zum anderen sei er mit einem Kampfflieger draußen auch nicht viel gefährdeter als flügellos auf dem „wertvollsten“ Ziel der TSN in der kommenden Schlacht. Die Akarii hatten immerhin schon zwei terranische Flaggschiffe ausgeschaltet…und sie selber sei über Karrashin in eine ähnliche Maschine geklettert, und mit einem gebrochenen Bein dazu. Dass sie dabei beinahe draufgegangen wäre und bis zu seiner Ablösung kein freundliches Wort mehr mit dem obersten Bordarzt der Columbia gewechselt hatte, schien die Russin irgendwie vergessen zu haben.

Knight war klar gewesen, dass eine Diskussion zwecklos gewesen war, und es hatte ihm sowohl an Argumenten wie an Energie gefehlt, die Sache weiterzuverfolgen. Im Grunde hatte die Russin ja Recht. In diesem Moment hatte er einfach nicht zurückstecken können.
Lilja hatte die Piloten der Grünen Staffel im Besprechungsraum versammelt. Crawford war nicht dabei gewesen – der normale Staffelbetrieb war für ihn eher uninteressant, und er hatte ja auch genug andere Dinge am Hals.
Die Russin, die mit energischen, federnden Schritten als letzte eingetreten war – obwohl sie todsicher vorher schon einmal den Raum inspiziert hatte – hatte ihren Blick über die inzwischen doch etwas zusammengeschmolzene Reihe ihrer Untergebenen wandern lassen. Sie kam, wie sie gleich zu Anfang mitteilte, gerade von einem Besuch auf der Krankenstation, wo sie nach den zwei verletzten Staffelmitgliedern gesehen hatte. Glücklicherweise waren beide auf dem Weg der Besserung, auch wenn die Genesung bei Shoki sicher einige Wochen dauern würde. Knight wusste das bereits, denn er hatte es sich nicht nehmen lassen, sich ebenfalls nach seiner Kameradin zu erkundigen. Shoki war das, was für ihn in der Staffel einer Freundin – im unromantischem Sinne – am nächsten kam, und ihre Verletzung hatte ihn doch etwas mitgenommen, auch wenn er das nicht zeigte.
Als Lilja sich in dem Raum umschaute, erinnerte sich wohl jeder der Anwesenden nur zu gut daran, wie sie damals genau hier gestanden hatten, als die Kämpfe um Sterntor begannen. Seitdem war so viel geschehen, dass es Wochen, wenn nicht Monate her schien – nicht nur ein paar Tage. Der Tod von Guardsman, die Verwundung von Hellcat und Shoki, Raven vermisst, Cunningham schwer verwundet, Masters verwüstet, zwei TSN-Admiräle gefallen…es war fast schon zuviel, was an Ereignissen über die Angry Angels hereingebrochen war.
Die Russin hatte nicht viele Worte gemacht. Sie hatte ihren Stolz bekundet, Stolz vor allem auf ihre Untergebenen aber auch auf sich selbst, dass sie immer noch durchhielten, bereit waren, zu starten, der Erschöpfung und allen Rückschlägen zum Trotz. In solchen Momenten zeigte sich, so Lilja, aus welchem Holz Mannschaften und Kommandeure waren. Anders als sonst schlug sie weder den etwas pathetischen Ton an, dem sie manchmal frönte, noch die Eiseskälte, die sie sonst kultivierte. Stattdessen sprach sie mit einem kleinen, sarkastischen Lächeln um die Mundwinkel, ließ sich ihre eigene Erschöpfung anmerken, aber auch ihre unbeugsame Entschlossenheit, befeuert von ihrem Hass, ihrem Ehrgeiz und ihrem Pflichtgefühl. In diesem seltenen Moment war sie wirklich eine von ihnen, nicht nur die „Chefin“ sondern einfach „die Alte“ – obwohl nur eine Handvoll Piloten weniger Jahre auf dem Buckel hatten.

Ihre Stimme klang ruhig, fast leise, abwägend und bedachtsam, aber wenn man gut hinhörte, spürte man den Stahl darin: „Ich denke, ich brauche nicht allzu viele Worte zu machen. Dem, was ich euch vor den letzten Gefechten gesagt habe, kann ich nicht mehr viel hinzufügen. Warum wir hier sind, wissen wir alle. Wogegen wir kämpfen, auch. Ja, wir sind dezimiert, wir sind erschöpft – aber die Fighting Stallions werden wie immer ihre Pflicht tun. Wenn ich euch ansehe, fühle ich Stolz, diese Staffel führen zu dürfen, und wir alle können stolz sein, Piloten eines Elitegeschwaders der TSN zu sein. Wir sind und wir werden es immer sein – das Geschwader der Entscheidungsschlachten. Wir haben bei Jollahran den feindlichen Vorstoß aufgehalten, bei Graxxon geholfen den Umschwung einzuleiten, wir haben die Korax ma Rah in den Tod gejagt und bei Karrashin der Manticore-Garnison die Schwanz….federn abgeschnitten. Und welche Rechnung wir hier und heute mit diesen geschuppten Schweinen zu begleichen haben, brauche ich euch erst gar nicht zu erzählen. Was sie über Masters angerichtet haben, wisst ihr – ihr alle habt die Bilder gesehen. Dass sie unseren alten Geschwaderchef schwer verletzt haben, dass Raven vermisst wird – das brauche ich nicht extra zu betonen. Ihr wisst, dass wir Tote und Verluste in unserer Staffel hatten, ihr wisst um den Verlust unserer Kameraden von den Gunriders. Ich finde, das ist langsam genug. Zeit, dass wir einen Schlussstrich unter diese Liste ziehen, und Soll und Haben zu unseren Gunsten ausgleichen. Es ist persönlich genug geworden. Ich sage, geben wir den verdammten Akarii endlich einen Grund, den Tag zu verfluchen, an dem sie hierher gekommen sind. Erinnern wir sie daran, dass es noch keinem bekommen ist – sei es ein Admiral oder ein verdammter Kronprinz – sich mit den Angry Angels anzulegen. Wir haben Jor’s stinkenden Kadaver auf den Abfallhaufen der Geschichte befördert, und nun wird es Zeit, dass auch sein Verwandter dahin kommt, wo er hingehört, zusammen mit dem Rest der verfluchten Bande. Und wenn wir damit fertig sind, dann verspreche ich, wird die TSN nicht ruhen, ehe diese Schlange von Prinzessin denselben Weg geht – und auf der Party möchte ich auf keinen Fall fehlen. Wir werden nicht zulassen, dass die Echsen mit dem, was sie hier angerichtet haben, straflos davonkommen. Wenn sie dezimiert und mit eingekniffenen Schwänzen zum Draned-Sektor zurückkriechen, dann sollen die Unterworfenen und Separatisten dort begreifen, wie wenig von der Macht dieser Clique von Kriegsverbrechern geblieben ist.“
Sie atmete tief durch und ballte die Fäuste, ihre Stimme war inzwischen kräftiger geworden: „Ich will nicht, dass sich jemand von euch blindlings in den Kampf stürzt. Kämpft mit Entschlossenheit, aber auch mit Augenmaß. Passt aufeinander auf, so wie ihr es bisher gemacht habt. Wir alle wissen, wir können uns auf unsere Kameraden verlassen. Wir wollen Akarii töten, nicht selber Verluste erleiden. Aber wir werden angreifen, mit aller Kraft, mit unseren Kameraden von den leichten Trägern und mit den Großkampfschiffen, mit allem was fährt und schießt. Und diesmal geht es nicht nur um ein begrenztes taktisches Ziel – um dieses oder jenes Schiff, um ein paar Bomber oder Jäger die wir abschießen wollen. Diesmal greifen wir an, um uns zu rächen, und um ein für allemal klarzumachen, dass niemand, NIEMAND ungestraft die Grenze der Bundesrepublik überschreitet und Krieg gegen ihre Bewohner führt. Ich erwarte nicht, dass die Angry Angels ihre Pflicht tun werden – das steht ohnehin fest. Ich will, dass wir weit darüber hinausgehen. Für die Lebenden – und für die Toten. Dies hier ist das letzte, das große, entscheidende Gefecht um Sterntor, und hier wird entschieden wie man sich an die Schlacht um dieses System erinnern wird. Sorgen wir dafür, dass die Angry Angels einen Ehrenplatz in dieser Geschichte einnehmen – und unsere Staffel erst Recht!“

Knight wusste nicht, ob diese Rede gezündet hatte. Jubel vor dem Kampf kam in der Wirklichkeit, anders als im Film, nur selten vor. In einigen Gesichtern seiner Kameraden war Zustimmung zu lesen gewesen, bei Liljas Freunden und jenen die ihre Pflichtauffassung teilten – was häufig synonym war – wie etwa bei Imp, Sokol oder Marine. Auch die Frischlinge, die begierig auf Ruhm oder Rache waren wie Fidai und Abat waren sichtlich beeindruckt gewesen. Andere Mienen wie die von Bad Luck oder der Neuen, Yanzi ,wirkten unleserlich oder einfach nur erschöpft – selbst der verordnete Schlaf hatte die Spuren tiefer Müdigkeit und Frustration nach zwei Langstreckeneinsätzen und einer ganzen Reihe von Hiobsbotschaften nicht vollkommen aus den Gesichtern vertreiben können. Aber einer wie der andere waren sie einsatzbereit gewesen.

Von ihren eigenen Gedanken war in Liljas Miene nichts zu erkennen gewesen. Ob sie daran dachte, dass es vielleicht schon in überschaubarer Zeit ihre Aufgabe sein mochte, eine ähnliche Rede vor einem ganzen Geschwader zu halten, das konnten nicht mal die sagen, die wussten, dass sie sich mit dieser Perspektive zumindest theoretisch auseinandersetzte.
Übergangslos war die Russin zur Gefechtsaufteilung übergegangen. Sie hatte noch einmal den Schlachtplan umrissen und die Rolle der Jagdbomber und Bomber dabei betont. Es war Aufgabe der übrigen Piloten, die Akarii gar nicht daran denken zu lassen, dass aus irgendeinem Grund die feindlichen Geschwader unterbesetzt waren. Das hieß, die imperialen Piloten mussten pausenlos unter Druck gesetzt werden. Lilja hatte bestimmt, dass sie selber allein operieren würde. Imp würde von Knight in seiner Griphen unterstützt werden, Sokol und Abat bildeten weiterhin ein inzwischen eingespieltes Team. Marine würde Fidai als Rückendeckung erhalten, und Bad Luck würde Crawford den Rücken decken. Für Crow stand keine Maschine mehr parat, er sollte zusehen ob er den Shuttles zur Hand gehen konnte oder als Ersatzmann bereit stehen. Die Russin ging nicht extra darauf ein, dass sie die Rückendeckung für den Oberkommandanten des Jägereinsatzes „schwächte“, indem sie diese Aufgabe einem Neuling zuteilte, der anders als Fidai nicht schon auf den Ass-Status zuging. Aber sie meinte, wenn Bad Luck gut genug war, ihr den Hintern zu bewachen, könnte er das auch für Hattrick tun. Keiner hatte ihr widersprochen, obwohl Knight sich nicht die Bemerkung verkneifen konnte, dass sich für Crawfords Hintern wohl noch weniger interessieren würden als für den von Lilja. Die Russin hatte nicht mal die Stirn gerunzelt, ein Zeichen, wie ernst sie gestimmt war.

Danach waren sie zum Hangar marschiert, wo Crawford zu ihnen gestoßen war. Lilja hatte sich kurz noch einmal mit der Geschwaderchefin unterhalten, und war ziemlich schweigsam zurückgekehrt. Ihre Mitteilung, dass Crawford die Angels jetzt direkt leiten würde, war ohne Widerspruch, aber auch nicht gerade mit Begeisterung aufgenommen worden. Ein Versammlung von Primadonnen wie es ein Elitegeschwader nun einmal war – oder jedes Geschwader, wenn man Nicht-Piloten befragte – fremdelte oft mit außenstehenden Vorgesetzten, die kurzfristig zugeteilt wurden. Aber für all das war ohnehin keine Zeit mehr gewesen. Der Countdown für die letzte Schlacht lief bereits. Lilja war die erste, die in ihre Maschine kletterte, und sie würde auch zuerst starten, gefolgt von Crawford und Bad Luck. Knight hatte Imp knapp zugenickt, froh darüber, dass er mit einer so guten Pilotin zusammenarbeitete, und dann hatte er seine Griphen startklar gemacht.
Gefangen im Cockpit, und halb noch in den Klauen seiner wenig erfreulichen Erinnerungen, brauchte der ehemalige Bewährungspilot eine Weile, bis er sich soweit gesammelt hatte, die nötigen Check-ups für den Katapultstart durchzuführen. Glücklicherweise hatte er genug Zeit – die Fighting Stallions wurden nur über ein Katapult ausgeschleust. Er kontrollierte die – im Moment noch gesicherten – Waffen, ließ die Routineüberprüfungen durchlaufen. Dann gab er die Freigabe.
Mit einem Ruck wurde er in den Sitz gepresst, als die Maschine nach vorne geschleudert wurde und den Atmosphäreschild durchbrach. Draußen zündete er die Triebwerke seines Jägers und schloss zu Imp auf, die ihre Falcon bereits in die Formation der Grünen Staffel steuerte – oder dem was noch von den Stallions geblieben war. Die neun Maschinen fächerten auf. Erst jetzt nahm sich Knight die Zeit, einen Blick auf die Anzeigen zu werfen. Erneut spürte er einen kalten Schauder. Hinter und neben ihnen marschierte die geballte Verteidigungsflotte des Sterntorsystems – die Columbia, die leichten Träger Derflinger, Midway und Triumphe, flankiert von Dutzenden Kreuzern, Zerstörern, Fregatten und Korvetten, dazu einige Hilfsschiffe. Buchstäblich hunderte Kampfflieger und Shuttles schwirrten zwischen den Giganten umher. Und vor ihnen dräute die feindliche Flotte in einer kompakten Gefechtsformation – zwei gigantische Flottenträger mit ihren Begleitgeschwadern, darunter Geleitträger und Flugdeckkreuzer. Sie waren nah, so erschreckend nah, fast schon innerhalb der Schussreichweite der schweren Schiff-Schiff-Raketen. Irgendwo außer Reichweite der Sensoren nahte die Verstärkung der Terraner, noch einmal zwei Flottenträger mit ihren Geleitschiffen. Knight wusste, dies war die größte Schlacht, an der er bisher teilgenommen hatte, größer noch als der brutale Kampf um Karrashin. Er hoffte nur, es würde nicht seine letzte werden.

Eine nach der anderen starteten die Staffeln und Sektionen, nahmen ihre Positionen ein. Es war für den geübten Beobachter nur zu leicht erkennbar, dass die vergangenen Gefechte schmerzliche Lücken gerissen hatten – dabei wurde das eigentlich Ausmaß der Verluste durch die Aufteilung der Gunriders nach dem Verlust der Anzac noch verschleiert. Doch trotz alledem, sie waren unübersehbar eine Ehrfurchtgebietende, todbringende Streitmacht.
Mit einmal war Liljas Stimme in Knights Ohren. Und diesmal begrüßte er den kalten, unerbittlichen Klang ihrer Worte. Die Fähigkeiten der Staffelchefin waren eines der Dinge, auf die er die Hoffnung für sein Überleben setzte.
„Sir,“ das galt offenbar Crawford: „bitte Bestätigung für taktische Befehle.“
Der Captain antwortete ungewöhnlich knapp, aber die Aufstellung der Staffeln war bereits vor der Schlacht abgestimmt worden: „Bestätigung.“
Lilja war jedoch noch nicht fertig: „Auf mein Zeichen – Vorrücken auf primäre Angriffsposition…Kampfflieger – Bereitschaft melden. Grün Eins ist bereit für die Schlacht. Rache für Masters!“
Das letzte war eigentlich nicht vorschriftsmäßig, aber in diesem Moment schien die Russin wieder mal auf etwas auf Pathos zu setzen. Noch während sie sprach, beschleunigte sie ihren Jäger und steuerte ihn zu der Position, die ihre Staffel übernehmen sollte. Falls sie auf Antwort auf ihre Worte gehofft hatte, so bekam sie diese auch:
„Grün Zwei ist bereit. Reißen wir ihnen den Arsch auf!“ Bad Luck, der befehlsgemäß den Rücken von Crawford sicherte, beschleunigte gleichzeitig mit dem Captain seine Maschine, um sich Lilja anzuschließen. Die anderen Piloten folgten:
„Grün Fünf hier. Die Runde nach der Schlacht geht auf mich.“ Das war – natürlich – Imp.
Knight holte tief Luft: „Grün Sechs bereit. Für die Jungs und Mädchen von der Anzac.“
„Grün Sieben hier. Ich diene der Republik!“
„Grün Acht, bereit zum Angriff. Schmeißen wir die Hunde aus dem System!“
„Grün Neun geladen und einsatzbereit – Woohra!“ Marine konnte natürlich ihre Herkunft nicht verleugnen.
„Grün Elf bereit.“ Die ehemalige Anzac-Pilotin hatte die Einheitsnummer von Guardsman übernommen. Sie schien sogar so etwas wie bitteren Humor zu besitzen: „Gunrider on Fighting Stallion!“
„Grün Zwölf hier. Allahu akhbar!“
Mit Fidais Meldung beschleunigte auch der letzte Jäger der Staffel. Der Feind erwartete sie.

CAV-Kreuzer Tatanka Yotanka, TSN-Angriffsformation

Die Stimme von der Kommandobrücke schallte aus den Lautsprechern und ließ wenig Raum für Spekulationen: „Noch fünf Minuten bis Feuereröffnung!“
Lieutenant Commander Walentin Pawlitschenko warf seinen Untergebenen einen letzten prüfenden, nervösen Blick zu. Männer und Frauen, TSN-Angehörige und ehemalige Konföderierte – Menschen und Nichtmenschen. Die Gefechtsstation unter seinem Kommando – die Bugfeuerstände – kontrollierte einen Großteil der Bewaffnung des leichten Kreuzers. Andere Offiziere wählten die Ziele aus, aber aber es lag in ihren Händen, dass die Geschütze und Werfer der Tatanka Yotanka ihr zerstörerisches Werk verrichteten konnten. Erfolg und Niederlage des Schiffes konnten von seiner Arbeit und der seiner Untergebenen abhängen. Sie hatten ihr Bestes getan, das Schiff gefechtsklar zu machen, hatten die Nachladevorrichtungen und Magazine vierfach und fünffach überprüft, die Werfer gewartet, die mechanischen Notsysteme getestet. Die Tatanka Yotanka war bereit zu Gefecht.
Das war das zweite Mal innerhalb kurzer Zeit, dass Walja zusammen mit den Freiwilligen in den Kampf zog. Es war nicht der erste Kampfeinsatz des jungen Russen gewesen, aber er würde wohl niemals mit kaltem Blut ins Gefecht gehen können.
Der letzte Einsatz war für den erbeuteten Hunley-Kreuzer und seine Schwesterschiffe relativ unblutig verlaufen. Es hatte einige Beschädigungen und Verletzte gegeben, aber kaum Tote. Angesichts der blutigen Nahkämpfe zwischen den terranischen Angriffsverbänden und der feindlichen Hauptflotte, die auf beiden Seiten zu einer ganzen Reihe von Verlusten geführt hatten, war das fast schon ein Wunder zu nennen. Die Crews und Schiffe der Confederated Army of Volunteers hatten ihre Pflicht erfüllt, und auch wenn sie keine besonderen Heldentaten an ihre Fahnen geheftet hatten, so konnte man den Angriff als Bewährungsprobe auffassen, wie weit die erst vor vielleicht sechs Wochen endgültig zusammengestellten Besatzungen in der Lage sein würden, ihre Aufgaben zu erfüllen. Das Ergebnis konnte sich durchaus sehen lassen. Vor allem die Wirkung auf die Moral war beachtlich. Für die zum Dienst auf den CAV-Schiffen eingeteilten TSN-Flottensoldaten war es der Beweis gewesen, dass die ehemaligen Konföderierten es ernst meinten mit ihrem Eid, den Kampf gegen das Kaiserreich fortzusetzen. Und die Angehörigen der Freiwilligenverbände hatten sich selbst bewiesen, dass sie das Zeug hatten weiterzukämpfen, obwohl sie aus den Crews der verschiedensten Schiffe zusammengesammelt worden waren und nicht nur ohne Rückendeckung ihrer Heimat kämpften, sondern von den militärischen und politischen Eliten der Konföderation mit Gift und Geifer bedacht wurden. Sarkastisch hatte ein Akarii geäußert, Cochrane und seine Lakaien würden sich ja noch wilder gebärden als die Imperialen – als ob SIE das Ziel der CAV-Geschütze wären. Oder, wie es einer seiner Kameraden formuliert hatte in einem der Witze, die unter den CAV, aber auch unter den TSN-Soldaten zunehmend die Runde machte: „Was ist der Unterschied zwischen einer Schildkröte auf der Autobahn und Generalgouverneur Cochrane? Ganz einfach – die Schildkröte kriecht um ihr Überleben, und Cochrane überlebt nur, um zu kriechen…“
Zudem hatten sich die Freiwilligen davon überzeugen können, dass die Offiziere und Mannschaften der TSN sie als Kampfgefährten anscheinend ohne Vorbehalte akzeptierten. Rear-Admiral Mithel hatte sich nach dem letzten Einsatz bei der CAV für ihren Beitrag bedankt. Das war mit Sicherheit zum Gutteil Berechtigung gewesen, aber seine Worte waren auf allen Schiffen übertragen worden, und hatten ihre Wirkung nicht verfehlt.

Die Stimmung war deshalb vor der zweiten Schlacht beinahe aufgeräumt zu nennen gewesen. Der Umstand, dass die kaiserlichen Truppen die Alliierten getäuscht hatten und statt eines Flaggschiffes nur eine Attrappe verloren hatten, fiel weniger ins Gewicht, denn die Soldaten der CAV und ihre terranischen Bordkameraden hatten ihrerseits nur geringe Verluste erlitten. Die Ankunft der Entsatzverbände schien einen vernichtenden Sieg über die Feinde in greifbare Nähe zu rücken. Wenn auch die CAV noch lange würden warten müssen, bis sie den Schlächter von Hannover und seine Untergebenen zur Verantwortung ziehen konnte – für Masters, dessen Martyrium von vielen bereits mit dem von Hannover verglichen wurde, konnte sie bereits hier und heute Vergeltung üben. Das motivierte nicht wenige der Freiwilligen, die vor allem aus Hass auf das Kaiserreich weiterkämpften, vor allem die Nichtmenschen. Es hatte die Runde gemacht, dass eine Handvoll CAV-Angehörigen an der heldenhaften Verteidigung von Masters teilgenommen hatte.
Die Kämpfe hatten dazu beigetragen, die Crew noch stärker zu einer Einheit zusammenzuschweißen. Dieser Prozess war noch lange nicht abgeschlossen – aber es gab kaum einen besseren Kitt als gemeinsam vergossenes Blut, sei es das eigene oder das des Gegners.

Die Männer und Frauen unter Waljas Kommando hatten vor der Schlacht ein Ritual zelebriert, das geradezu zu den geheiligsten Traditionen von Soldaten der verschiedensten Streitkräfte gehörte, seitdem Fernwaffen eingesetzt wurden. Bereits vor über 2.600 Jahren hatten Soldaten ihre Schleudersteine mit Inschriften versehen, die dem Gegner galten. Später hatte man Bomben und Granaten mit Sprüchen geschmückt. Und diese Tradition war niemals vollständig ausgestorben.
Bei den Inschriften – geschrieben in den verschiedensten Sprachen und Schriften, auch wenn Englisch überwog – gab zum einen die „Klassiker“ – Racheschwüre für vergangene Niederlagen, im Fall der CAV natürlich für Hannover, dort gefallene Kameraden und zerstörte Schiffe, aber auch für Masters oder für Verluste während der letzten fünf Jahre Krieg. Andere hatten die Namen von Angehörigen oder ihren Heimatplaneten auf die Raketen geschrieben, auch um sich daran zu erinnern für wen sie nach ihrem Verständnis kämpften, egal was die Führungsspitze der Konföderation sagen mochten. Wieder andere Inschriften waren eher das Ergebnis des typischen „Soldatenhumors“ oder zogen die kürzlich propagierte Kooperations- und Handelspolitik der Konföderation gegenüber dem Imperium ins Lächerliche:
„Wer das hier liest, hat Grund zur Sorge.“
„Direktexport aus der Colonial Confederation.“
„Konföderierte Zigaretten – schlecht für die Gesundheit (auch für Imperiale).“
„So viel zu friedlicher Koexistenz.“
Walja hatte für dieses Treiben durchaus Verständnis – er hatte es nicht anders gehandhabt, als er während der ersten Kriegsjahre auf einem Zerstörer gedient hatte, der Minen im feindlichen Hinterland legte. Also hatte er sich auch selber verewigt, wenn auch wenig einfallsreich: „Für Tanja, für die Heimat.“ Aber die Heimat war es nun einmal, die den russischen Soldaten – und nicht nur ihnen – besonders am Herzen lag. Und was seine kleine Schwester anging…nun, sie konnte ja auch sehr gut für sich selber kämpfen und Rache nehmen, aber er wusste, sie hätte die Geste begrüßt. Obwohl sie vermutlich Magenschmerzen dabei gehabt hätte, einen konföderierten Akarii als Waffenbruder zu akzeptieren…

Nun ja, das war erst vor ein paar Stunden gewesen, aber inzwischen fühlte Walja innerlich nicht mehr viel von dem kameradschaftlichem Gelächter, mit dem die Soldaten und Offiziere ihre „Kunstwerke“ kommentiert und verglichen hatten. Seine Untergebenen mochten siegessicher sein, aber er war einfach nervös und, wozu lügen, fürchtete sich vor der kommenden Schlacht. Vielleicht war er einfach zu phantasiebegabt, aber er konnte nicht vergessen, dass ihn nur ein paar Meter von den riesigen Magazinen mit ihren Megatonnen an atomarer Sprengkraft trennten – und von hunderten Tonnen konventionellem Sprengstoff und Raketentreibstoff. Kein sehr beruhigender Gedanke. Diese Befürchtungen waren seine getreuen Begleiter sei Anfang des Krieges. Aber wie sagte man – Angst zu haben war nicht schlimm. Man durfte sich nur nicht davon lähmen lassen. Eine gewisse Portion Angst war vielleicht sogar gut, denn sie verhinderte übertriebene Selbstsicherheit, die unweigerlich zu nachlassender Wachsamkeit und Fehlern führte…
Lieutenant Commander Walentin Pawlitschenko war kein religiöser Mensch. Aber für den Fall, dass es so etwas wie das Leben nach dem Tod gab – und wer mochte das schon vollkommen sicher ausschließen? – hoffte er, dass der Mann, nach dem ihr Schiff benannt war, ein wachsames Auge auf sie hatte. Er war sich sicher, ihr Namenspatron hätte Verständnis für seine Untergebenen gehabt, hätte ihren Kampf gutgeheißen. Immerhin hatte er selber unbeugsam für sein Volk gekämpft. Zunächst mit Waffen – er war einer der letzten, der kapitulierte – und später, als das sinnlos geworden war, mit Worten. Aber er hatte niemals wirklich aufgegeben. Verräter unter seinen Landsleuten hatten ihn schließlich ermordet, aber sein Andenken, sein Vermächtnis hatte fortbestanden, bis heute, mehr als 700 Jahre nach seinem Tod.
In diese etwas morbiden Gedanken, mit denen er sich vielleicht auch nur von seinen eigenen Ängsten ablenken wollte, mischte sich wieder die Stimme aus den Lautsprechern: „Noch zwei Minuten bis Erreichen der maximalen Feuerdistanz.“
Knirschend und rumpelnd erwachten die Lademechanismen der Raketenwerfer zum Leben. Tonnenschwere Marschflugkörper wurden aus den Magazinen in die Abschussvorrichtungen befördert, dutzende kleinere Raketen in die leichten Flakwerfer. Die Zielerfassung lief bereits. Walja nickte sein Untergebenen knapp zu. Seine Ängste waren nicht verflogen, aber er hatte sie unter Kontrolle. Scheinbar gelassen und routiniert ließ er seinen Blick über die Gefechtsstationen schweifen. Alles war bereit, um einen vernichtenden Feuersturm zu entfesseln.
Eine Minute später standen die Schiffe der CAV im Gefecht.
03.03.2016 07:43 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
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Tyr

‚Der Tapfere stirbt einen einzigen glorreichen Tod, der Feigling aber zehntausend elende.‘
Altes terranisches Sprichwort



Kano hatte alles nur Mögliche getan, um den Männern und Frauen seiner Schwadron die bitter nötige Erholung zu gönnen. Aber dennoch ‚funktionierte’ mehr als einer der Piloten nur noch am Rande des Zusammenbruchs. Sogar La Reine und Bunny zeigten inzwischen Nerven. Sugar wurde wahrscheinlich nur noch von ihrem Hass aufrecht gehalten. Vermutlich ging es Phoenix und Killer nicht viel besser, auch wenn Ex-Marines zu Recht als harte Hunde galten. Aus Flyboy wurde Kano nicht richtig schlau, er nahm aber an, dass sie durchhalten würde. Huntress und Top Gun wirkten beide noch ziemlich frisch, aber Kano war sich nicht sicher, was davon echt und was nur Fassade war.
Aber wenn er den Einsatzstand der Butcher Bears mit dem der anderen Staffeln verglich, konnte Kano zufrieden sein. Der rücksichtslose Drill, auf den er, Darkness, Lone Wolf und Monty gesetzt hatten, machte sich bezahlt. Und sollte doch noch einer von seinen Piloten schlappmachen, dann hätte er immer noch Spacer in der Reserve.

Diesmal hatte er auf anfeuernden Worte verzichtet. Vielleicht lag es an der wochenlangen Anspannung, an den quälend langen, blutigen Einsätzen, die hinter ihm lagen – es war ihm einfach nichts mehr eingefallen. Jedenfalls nichts, womit er Girads Worte hätte übertreffen können. Also hatte er sich darauf beschränkt, Glück zu wünschen und seine Zuversicht auszudrücken, dass sie sich alle nach der Schlacht wiedersehen würden. Wieder einmal war er froh, dass es selbst Bekannte nur selten hinter die kalte, ausdruckslose Maske blicken konnten, hinter der er seine Erschöpfung, seine Unsicherheit und seine Sorgen verbarg. Ein Kommandant durfte niemals schwach wirken, egal wie er sich fühlte.

Jetzt überprüfte er noch einmal die Anzeigen seiner Maschine, während er auf die Startfreigabe wartete. Bordwaffen und Raketen waren einsatzbereit, die Schilde aufgeladen und die Tanks voll. ‚Es wäre gut, wenn wir alle genauso einsatzfähig wären.’ Kano schüttelte den Kopf um den leichten Schwindel zu verscheuchen, der schon wieder sein Blickfeld eingeengt hatte. So etwas konnte er sich jetzt nicht leisten.
Im nächsten Augenblick erklang auch schon das vertraute Freigabesignal und seine Maschine wurde in das All hinausgeschleudert.

Automatisch gab er Schub auf die Manöverdüsen und brachte seine Maschine in die vorgegebene Wartesposition. Während sich ihm die anderen Piloten der Butcher Bears anschlossen, suchten seine Augen die feindliche Formation. Da, das musste sie sein. Und ein Blick auf den Radarschirm verriet ihm auch, für welche Formation die Akarii sich entschieden hatten. ‚Offenbar wollen sie aufs Ganze gehen.’
Natürlich, die Imperialen wollten das System verlassen, bevor die Verstärkung die Fünfte Flotte erreichte. Und das hieß, sie mussten jeden Widerstand so schnell und brutal wie möglich aus dem Weg räumen. Deshalb hatten sie eine eng gestaffelte Durchbruchsformation aus Kreuzern und Flottenzerstörern gebildet, die eine normale Gefechtslinie vermutlich binnen kürzester Zeit würde durchstoßen können. ‚Nur werden wir uns ihnen nicht in den Weg stellen.' Stattdessen würde die Fünfte Flotte versuchen, die Akarii in die Zange zu nehmen. Und darauf hoffen, die Echsen so zu schwächen, zu verlangsamen und solange abzulenken, bis die Bomber den ihnen zugedachten Part übernehmen konnten.
Kano war sich nicht sicher, ob diese Idee genial oder einfach nur blödsinnig war. Er misstraute solchen Plänen, die alles auf eine Karte setzten. Spätestens seit der zweiten Schlacht von Karashin, als Cunninghams ‚tollkühne’ Idee die COLUMBIA-Kampfgruppe durch eine Blutpumpe getrieben hatte. Wenn die Akarii die Falle erkannten, oder aus irgendeinem Grund einen Bogen schlugen, konnte der geplante Schlag völlig wirkungslos verpuffen. ‚Und wir haben dann weder die Schlagkraft noch die taktische Position, um die Imperialen noch einmal zu stellen.’ Das wäre dann wohl die ultimative Demütigung einer ohnehin von diversen Schlappen geprägten Kampagne. Und selbst wenn alles mehr oder weniger glatt ging – die Bomber würden völlig ohne Geleitschutz angreifen. Wenn ihr Angriff nicht sofort ein voller Erfolg war, wenn die feindlichen Jäger sich auf dieses zahlenmäßig, waffentechnisch und kampfwertmäßig unterlegene Ziel konzentrieren konnten…
‚Das könnte ein Gemetzel werden.’

Kano runzelte kurz die Stirn – offenbar hielten die Akarii eine Geschwindigkeit, die deutlich unter ihrer Maximalgeschwindigkeit lag. ‚Weshalb…’ Aber dann erinnerte er sich daran, dass auch die Imperialen einige harte Schläge hatten hinnehmen müssen. Zweifellos war eine ganze Reihe feindlicher Schiffe beschädigt, und verringerten die Marschgeschwindigkeit der feindliche Kampfgruppe. Eine Flotte war immer nur so schnell wie ihr langsamstes Schiff.

’Indem wir unsere Flotte in zwei Verbände aufteilen, können wir die Akarii in die Zange nehmen, ja. Aber…so halbieren wir auch unseren Abwehrschirm. Wenn die Akarii schlau sind, dann konzentrieren sie sich auf eine Formation.’ Der feindliche Admiral mochte den ein oder anderen Fehler begangen haben, aber er war sicherlich nicht so dumm, seine Kampfflieger zu verzetteln. Alles, was Kano bisher von diesem Admiral Taran gesehen hatte, ließ einen solchen Kardinalsfehler als sehr unwahrscheinlich erscheinen. ‚Nein, er wird konzentriert zuschlagen. Mit allem was er hat – und zwar dort, wo er uns schwach glaubt.
Aber was bedeutet das? Wirst du die COLUMBIA angreifen? Oder konzentrierst du dich auf die andere Formation?’ Kano blickte in Richtung der zweiten TSN-Formation. Dorthin, wo die MIDWAY und die DERFLINGER sich auf die Schlacht vorbereiteten. ‚Viel Glück, Kali. Ich hoffe…ich wünsche…
Nein. Ich weiß, dass du sicher landen wirst.’ Insgeheim hoffte er, dass Taran seine Kampfflieger gegen die Angry Angels schicken würde. Sie waren die besten Piloten. Und auch wenn er sich inzwischen wie gerädert fühlte – er war mehr als bereit, noch ein paar Akariis abzuschießen. ‚Wir haben noch mehr als eine Rechnung offen.’ Lone Wolf, Raven…
Dann konzentrierte er sich wieder auf seine Pflicht: „Killer, aufschließen. Sie hängen etwas zurück.
An alle…beschleunigen auf 200 km/s. Sie kennen unsere Aufgabe. Sie ist relativ simpel. Wir nehmen eine Abfangformation vor der Gefechtlinie unserer Großkampschiffe ein. Kein feindlicher Raketenträger darf diese Linie überschreiten – ob es nun ein Bomber, Jagdbomber oder eines dieser Raketenshuttles ist. Das ist eigentlich auch schon alles.“
„Was ist mit Marschflugkörpern?“ schaltete sich Killer ein.
„Sie haben recht, betrachten Sie diese nach den imperialen Raketenträgern als Sekundärziele. Im Zweifelsfall ist es wichtiger, einen feindlichen Marschflugkörper aus der Gleichung zu nehmen, als einen Jäger. Außer dieser Jäger ist gerade dabei, Sie oder eine andere TSN-Maschine abzuschießen. Passen Sie aber bloß auf, dass Sie sich bei der Jagd auf feindliche SSM nicht selber aus dem All schießen…“
„Sonst kriegt ihr blaue Haare und wacht auf einmal als Echsenkuschler auf….“, warf Sugar bissig ein. Kano ignorierte sie: „…aber Priorität haben feindliche Kampfflieger.
Feindliche Jäger nur angreifen, wenn die Gelegenheit günstig und die Gesamtmission nicht gefährdet ist. Ich will keine Verfolgungsjagden und Solonummern.“ Kano sparte es sich, jemanden bestimmtes anzusprechen. Er war sich ziemlich sicher, dass Sugar wusste, dass vor allem sie gemeint war: „Noch etwas. Wenn ich das Codewort KAITEN durchgebe, heißt das Angriff auf das von mir anvisierte Großkampfschiff. Mit allem, was wir haben – Raketen, Bordkanonen. Schießen, bis alle Pylonen leer und die Bordwaffen heißgelaufen sind.“
„Meinen Sie das ernst? Wir sind Jäger, keine verdammten Schlachtflieger. Oder Bomber.“
„Wir sind die Butcher Bears. Und wir haben damit schon mehr als einmal Erfolge erzielt, Killer. Und zumindest können wir so den Gegner verunsichern oder ablenken…“ Kano verfluchte im Stillen den Nachschubsdienst der Flotte. Wenn die großartig angekündigten Arrow-Atomraketen bereits wie versprochen eingetroffen wären, hätten sie den Akarii eine schöne Überraschung bereiten können: „Aber ansonsten gilt in der Hinsicht das gleiche, wie für feindliche Jäger. Sparen Sie sich irgendwelche Extratouren.“
Die Geschichte, wie der Prince of Wales im Alleingang einen zusammengeschossenen Kreuzer geknackt hatte, war allgemein bekannt, wurde allerdings von vielen Veteranen bezweifelt. Aber nicht einmal Kano spürte den Ehrgeiz, dieses Husarenstück zu kopieren.
„Musstest du ausgerechnet DAS Codewort wählen?“ ließ sich Huntress hören. Kano lächelte flüchtig. Er hätte darauf wetten können: „Ihre Kenntnisse der japanischen Geschichte sind sehr schmeichelhaft.
Ansonsten…wird das Codewort VALKYRIE gegeben, heißt das, wir rücken mit Nachbrennergeschwindigkeit unseren Bombern zu Hilfe.“
„Das ist jetzt aber nicht von dir, oder?“
Wieder lächelte Kano kurz: „Richtig. Ich weiß nicht, wer sich den Namen hat einfallen lassen…“
„Ihr Bordpoeten seid ja alle verrückt. Von Ihnen erwarte ich ja nichts anderes, Sensei. Aber ist diesen Analphabeten eigentlich bekannt, dass die Walküren nur die TOTEN Helden nach Walhalla brachten?“
„Irgendwann müssen Sie mir verraten, woher Sie soviel über irdische Mythen wissen, Lieutenant Agyris.“
„Außerdem würdest du doch eine tolle Walküre abgeben, Huntress.“ warf Phoenix mit fast aufgeräumt klingender Stimme ein.
„Falls du damit bei mir landen willst, hast du dein Ziel aber voll verfehlt, Jarhead. Für eine Walküre bräuchte ich mindestens noch eine Blödchenperücke.
Und zwei Silikonkissen.“
In diesem Augenblick schnitt ein leiser Warnton durch das von unterschwelliger Spannung getränkte Hin und Her. Auf eine Entfernung von mehr als 200.000 Kilometern hatten die terranischen Großkampfschiffe das Feuer auf die imperiale Flotte eröffnet.


***

Imperialer Flottenträger KAHAL

Es war nicht das erste Mal in dieser Kampagne, dass die KAHAL im Gefecht stand. Feindliche Kampfflieger hatten den Träger angegriffen, und sie hatte sich zweimal am Schlagabtausch mit feindlichen Kriegsschiffen beteiligt. Aber das waren nur kurze Episoden gewesen, und kein terranisches Schiff war der KAHAL nahegekommen. Doch diese Schlacht war etwas anderes. Die schweren Raketenwerfer schossen im Schnellfeuertakt, schleuderten mit jeder Gefechtssalve mehr Vernichtungskraft gegen den Feind, als ein komplettes Trägergeschwader. Und das war erst der Anfang.
Die Rikata-Kampfgruppe raste mit etwa 80 Kilometern pro Sekunde auf ihr Ziel zu – den Sprungpunkt…und die feindliche Flotte, die sich vor Kurzem aufgeteilt hatte und aus allen Rohren feuerte. Obwohl beide Flotten mit hoher Geschwindigkeit flogen, schien sich die Annäherung endlos hinzuziehen. Matir hätte am liebsten Vollschub gegeben. Aber das ging nicht. Mehr als die aktuelle Geschwindigkeit war mit den angeschlagenen Einheiten, den verschiedenen Flottenversorgern und Hilfsträgern momentan einfach nicht möglich.

„Sie hatten recht, Matir. Offenbar will uns Girad an den Flanken packen.“ Die Stimme des Admirals klang ein wenig verwundert: „Aber sie traut ihren Einheiten ein wenig viel zu, wenn sie glaubt, dass das ausreichen wird, um uns zu verlangsamen. Oder gar zu stoppen.
Signal an die Flotte, horizontale Kurskorrektur 1,5 Grad positiv. Vertikal 1 Grad negativ. Nur für den Fall, dass der Gegner uns ein paar Minen in den Weg gelegt hat.“
„Der Zeitverlust bis zum Erreichen des Sprungpunktes…“
„Bleibt akzeptabel.“
Kapitän Matir nickte knapp und grimmig. Unwillkürlich erinnerte er sich an die Befehle, die Taran ausgegeben hatte, kurz bevor die beiden Flottenverbände das Feuer aufeinander eröffnet hatten. Jedes Schiff, das aus dem Verband ausscherte oder dessen Geschwindigkeit auf unter 50 Kilometer pro Sekunde sank, würde auf sich alleine gestellt sein. Sollte das geschehen…wäre es die Aufgabe und Pflicht der Versprengten und Zurückbleibenden, dennoch weiterzukämpfen, um ihren Kameraden das Entkommen zu ermöglichen. Eine Kapitulation kam schon aufgrund der Traditionen der imperialen Flotte nicht in Frage, erst recht in einer Situation wie dieser. Ein havariertes Schiff konnte man räumen, Teile der Mannschaft in die Rettungsboote und Shuttles schicken – aber solange noch eine Geschützbatterie oder ein Atomraketenwerfer funktionierte, musste der Kampf fortgeführt werden. Alles andere…wäre Verrat.

„Irgendetwas von den feindlichen Bombern?“
„Bisher noch nichts, Admiral.“
„Eigenartig. Die Menschen können unmöglich glauben, uns alleine mit ihren Kreuzern und Zerstörern aufzuhalten. Dazu ist die Fünfte Flotte zu schwach und abgekämpft. Also worauf warten sie…“
„Vielleicht wollen die Menschen ihre Bomber für einen Enthauptungsschlag aufsparen.“
„Und gleichzeitig schicken sie ihre Träger bis in die Gefechtlinie? Dann hätten Sie ihre Kampfflieger ja wenigstens schon einmal starten können. Sie riskieren sonst, dass sie noch an Bord vernichtet werden.“
„In diesem Chaos und angesichts der Interferenzausläufer und Strahlungswellen des Wurmlochs…“
„Ich weiß, ich weiß…dennoch. Irgend etwas…“
„Nun, was auch immer die terranischen Bomber zurückhält, das gilt jedenfalls nicht für ihre Großkampfschiffe. Offenbar hoffen sie auf ein zweites Karashin.“
„Sie werden feststellen, dass sie sich geirrt haben. Wie lange noch, bis wir in Gefechtsreichweite der Geschützbatterien sind?“
„Unter zehn Minuten.“
„Gut. Befehl an die Kampfflieger – Massierter Angriff auf die linke Flankenformation. Primärziel sind die leichten Träger.“
„Sie greifen nicht die COLUMBIA an?“
„Konzentrieren wir uns auf das näherliegende Ziel. Diese beiden leichten Träger sind schwächer als ihre Kameraden in der anderen Formation. Sie haben weniger Jäger, und ihre Piloten sind nicht so erfahren wie die Angry Angels, die außerdem auch noch mehr Ersatzmaschinen haben dürften. Und einer der beiden leichten Träger ist laut unseren Gefechtsanalysen ohnehin beschädigt. Haben wir diese beiden Geschwader erst einmal ausgeschaltet, fehlen dem Gegner acht Staffeln. Dann können wir uns immer noch um die Columbia kümmern. Falls die Menschen nicht wieder der Mut verlässt. Aber das wäre mir auch Recht…
Und…öffnen Sie einen Kanal zur CHA’KAL.“
„Zu Befehl.“
Kapitän Matir, der sich eben noch über die Schulter einer der Sensoroffizierin gebeugt hatte, um die Wirkung der letzten Raketensalve festzustellen, unterdrückte ein Zusammenzucken. Tarans Befehl konnte nur einen Grund haben.

Es dauerte einige Sekunden, bis sich Kapitän Lukat meldete – Sekunden, die sich für Matir über einige gefühlte Jahre dehnten. Die Stimme des Kapitäns der CHA’KAL klang überraschend ruhig, fast beiläufig – aber Lukat war immer schon ein sich ruhender Charakter gewesen, dessen Kaltblütigkeit und Ausgeglichenheit in Krisensituationen dafür gesorgt hatte, dass er dort überlebte, wo andere, auch bessere Offiziere die Nerven verloren und starben: „Admiral, ich nehme an, es ist soweit?“
„Allerdings. Bringen Sie ihr Schiff in die Backbord-Gefechtslinie. Wir übernehmen die andere Seite.“
Es gab keinen Beifall oder Jubel, so etwas geschah nur in Trideo-Dramen. Aber Matir fühlte dennoch so etwas wie Stolz in sich auflodern. Und er kannte das Komment: „Admiral, falls Sie wünschen…“
„Danke, Matir.“ Der Admiral warf einen kurzen Blick auf den Hauptschirm, und wandte sich dann zu den Waffenoffizieren um, deren Aufgabe die Koordinierung der Geschützbatterien war: „Taran an alle Geschützbatterien. Feueröffnung nach eigenem Ermessen. Wir unterstützen die Dritte Kreuzerdivision. Und sobald sie in Gefechtsreichweite ist…konzentriertes Feuer auf die COLUMBIA.“
03.03.2016 07:44 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Tyr „Zur Hölle mit den Torpedos! Volle Fahrt Voraus!“
Der amerikanische Admiral Farragut

5. Republikanische Flotte

Die ersten reichlichen zwanzig Minuten der Schlacht waren für die Butcher Bears von einer seltsam sterilen Abstraktheit. Es gab keine Gefechte mit feindlichen Jägern, keinen Feindbeschuss – nur die beiden Kampfflotten, die sich einander mit fast 200 Kilometern pro Sekunde annäherten und dabei mit Atomraketen aufeinander schossen. Aber dieser Austausch geballter Vernichtungskraft bedrohte die Butcher Bears nur indirekt. Rasante Abfangmanöver oder halsbrecherische Verfolgungsjagden waren unnötig. Die Teilnahme der Schwarzen Staffel an der Schlacht beschränkte sich darauf, in Bereitschaft zu verharren. Und feindliche Atomraketen im Anflug zu bekämpfen. Aber auch das war eine merkwürdig…leblose Angelegenheit. Sie alle wussten um die Wichtigkeit dieser Aufgabe, aber dennoch hatte die Bekämpfung der imperialen Marschflugkörper etwas von einem Übungsschießen an sich. Eines, das allerdings nicht ganz ungefährlich war, das höchste Konzentration verlangte, und bei dem das Leben hunderter Flottenangehöriger auf dem Spiel stehen konnte.

Kano hatte seine Staffel aufgeteilt und den beiden Formationen verschiedene primäre Anflugssektoren zugeteilt. So vergrößerte er den Kontrollbereich der Butcher Bears, konnte aber auch fallweise schnell die Prioritäten neu zuordnen, falls es notwendig war. Sie hatten diesen Einsatz oft genug geübt, auch wenn sie nach den Verlusten der letzten Gefechte etwas zu dünn besetzt waren, um mit maximaler Effektivität zu arbeiten. Natürlich wusste Kano, dass die meisten feindlichen Raketen dennoch durchkommen würden. Sie waren zu schnell und wurden in so großer Zahl abgefeuert, dass der Einsatz der Butcher Bears nicht viel mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein war. Ein einziger Kreuzer konnte mit einer Salve ungefähr dieselbe Anzahl Atomraketen abfeuern, wie beide Jagdbomberstaffeln der COLUMBIA zusammen. Beide Seiten feuerten Dutzende, wenn nicht hunderte von Marschflugkörpern auf einmal ab, die das All mit weißgelb aufblühenden Feuerblüten füllten.
Es war ein Anblick, der ebenso wunderschön wie grauenhaft war, und mit unerbittlicher Gleichgültigkeit die Bedeutungslosigkeit eines einzelnen Menschen, eines einzelnen Kampffliegers aufzeigte.

„Sie hat schon wieder einen Treffer eingesteckt.“
Kano zuckte zusammen. Das hatte er gar nicht bemerkt. Er war zu sehr damit beschäftigt gewesen, sich in dem Chaos aus anfliegenden Marschflugkörpern, Abwehrfeuer und Störmaßnahmen beider Seiten kein potentielles Ziel entgehen zu lassen. Aber Agyris hatte Recht. Ein direkter Raketentreffer ließ die Schilde der COLUMBIA aufleuchten. Aber noch hielten sie. Und der schwere Flottenträger antwortete umgehend mit einer vollen Breitseite Atomraketen.
„Konzentrieren Sie sich auf Ihren Kontrollsektor, Huntress. Wir können im Augenblick nichts für die COLUMBIA tun. Außer, so viele anfliegende Raketen wie möglich auszuschalten.“
„Entschuldigung…“, Agyris klang natürlich nicht im Entferntesten irgendwie zerknirscht, „…ich will bloß im Auge behalten, ob wir dann überhaupt noch ein Flugdeck haben, um zu landen.“
„Dir geht es doch bloß darum, dass deine seidenen Bettlaken nicht angesengt werden.“ Spottete La Reine.
„Neidisch?“
„Nein. Denn wenn ich daran denke, wie viele Kerle wahrscheinlich schon…“
Kano verdrehte die Augen. Dann meldete sich die Pilotin erneut: „Achtung, da passiert etwas. Die Akarii-Träger verändern ihre Position.“
Kano konzentrierte sich auf die Anzeigen seines Radarschirms: „Sie haben Recht…“
„Natürlich habe ich das.“
„Offenbar hat Admiral Taran etwas dagegen, dass wir seine Formation in die Zange nehmen.“
„Vielleicht tun unsere Kreuzer dann auch mal was NÜTZLICHES und pusten ihn und seine beiden überdimensionierten Kackerlacken-Eimer in eine andere Wirklichkeit.“ In Sugars Stimme schwang die reine Mordlust mit.
„Offenbar reicht es der Echse nicht, seine Träger in die Frontlinie zu schicken.“ meldete sich Top Gun zu Wort: „Ich habe da jede Menge Anzeigen die zu Kampffliegern passen könnten. Mindestens fünfzig oder sechzig. Und einen Haufen großer Koffer. Könnten Shuttles sein.“
Kanos Stimme war pures Eis: „Raketenshuttles. Das wurde auch langsam Zeit.“ Er versuchte die Auflösungsrate seines Radarschirms zu erhöhen, was aber nur zu einer Zunahme der Störsignale zu führen schien. Langsam aber sicher zeigten die bisher erlittenen Treffer und Schäden und die ständige Überbeanspruchung der Maschinen Wirkung. Normalerweise hätten ihre Nighthawks vermutlich alle eine gründliche Wartung nötig. Aber dafür war weder Zeit, noch hatten sie das notwendige Personal. ‚Und wahrscheinlich auch nicht die Ersatzteile…’
„Top Gun, ich habe die Akarii nicht zuverlässig in der Erfassung. Irgendeine Ahnung, wo sie hinwollen?“
„Moment…sie scheinen sich zu formieren, und…“


„Verdammt. Wie es aussieht formieren sie sich auf der anderen Seite der Formation. Falls das nicht wieder so einer von Tarans Tricks ist…“, in Phoenix Stimme schwang unterdrückte Frustration mit. Wie Sugar war er begierig darauf, Akariis zu töten.
‚Die andere Seite der Formation…die MIDWAY und die DERFLINGER. Kali…’ Unter dem Helm war Kanos Gesicht eine verzerrte Maske. Genau das hatte er befürchtet. Jetzt würden die beiden angeschlagenen Geschwader der leichten Träger die volle Wucht eines imperialen Kampffliegergroßangriffs abbekommen. Beim letzten Mal hatte das die KNOX und die ANZAC gekostet. Gewiss, auch die Akariis waren ausgeblutet, aber…
„Und wir sollen hier herumsitzen, und Däumchen drehen?“ Sugars Stimme schwankte zwischen Unglauben und Frustration, und ausnahmsweise sprach sie Kano aus der Seele. Aber das würde er nicht laut sagen: „Behalten Sie ihren Kontrollvektor im Auge, Sugar! Gegner erreicht maximale Geschützentfernung in…“

Das tödliche Fernduell war nur die Ouvertüre der Schlacht gewesen. Beide Seiten hatten Schläge eingesteckt und ausgeteilt, Schäden und erste Verluste erlitten. Doch dies war nichts gegen den entfesselten Feuersturm, als die Großkampschiffe ihre Geschütze ins Spiel brachten. Die Akarii eröffneten mit schweren Schiffs-Partikelkanonen, die an Feuerkraft und Reichweite allem überlegen waren, was die TSN zu bieten hatte. Von einem Augenblick zum anderen wurde die Dunkelheit des Weltraums von dutzenden, hunderten gleißender Strahlenbahnen zerschnitten, die mit mörderischer Präzision und Zielgenauigkeit nach den terranischen Kriegsschiffen tasteten. Die wütende Antwort der TSN verwandelte das All endgültig in ein Inferno aus Explosionen, Energiebahnen, und um ihr Leben kämpfenden Großkampfschiffen. Und durch dieses Inferno aus gebündelter Energie tanzten die Maschinen der Butcher Bears.
„SCHEISSE! Hätte mir beinahe den Flügel halbiert! Verdammt, statt hier rumzuhängen sollten wir den Arschlöchern in die Eier treten, die versuchen, unsere Dickschiffe zu ficken!“
„Formation halten, Phoenix! Achten Sie auf ihre Kontrollsektoren! Das alles gilt nicht uns, also behalten Sie die Nerven!“ Ein schrilles Alarmsignal schnitt durch Kanos Worte und zwang ihn zu einem abrupten Ausweichmanöver. Ein Trio grellweißer Energielanzen zerschnitt den Weltraum, jede stark genug, um einen Jäger zu Schlacke zu zerschmelzen. Natürlich hatten die imperialen Kanoniere nicht bewusst auf die Butcher Bears gezielt - ihr Ziel war einer der TSN-Kreuzer weiter hinten gewesen. Aber in dem sich immer mehr und mehr verdichtenden Hexenkessel aus terranischen und Akarii-Schiffen stellte selbst ein derart 'unbeabsichtigter' Beschuss eine ernste Bedrohung dar. 'Hoffentlich passen unsere eigenen Leute etwas besser auf...'

Die Akarii hatten ihre besten Einheiten in die erste Linie geschickt, die jetzt auch noch durch die ehrfurchtgebietende Feuerkraft der Uniform-Träger verstärkt wurde. Während die Verbände der Menschen und Akarii die letzten zehntausend trennenden Kilometer überwanden, steigerte sich das Sperrfeuer immer weiter, da mehr und mehr Einheiten und Geschützbatterien in Feuerreichweite kamen. Gegen die schweren Energiewaffen gab es keine Verteidigung, außer den Schilden und Panzerung. Raketen konnte man in die Irre führen, abschießen, ihnen sogar ausweichen. Aber gegen Laserkanonen und Partikelstrahler nützten Täuschkörper und ECM-Maßnahmen wenig oder gar nichts. Zumindest nicht auf diese Entfernung. Das war einer der Gründe, warum Energiewaffen immer noch zu der Primärbewaffnung der Großkampfschiffe gehörten, obwohl Raketen eine viel größere Reichweite hatten, und schweren Schaden anrichteten.
Auf beiden Seiten forderte der erbarmungslose Beschuss Opfer unter den bereits durch das vorherige Fernbombardement angeschlagenen Einheiten. Dass beide Seiten ihre Feuerkraft auf einzelne Ziele konzentrierten, steigerte noch die entfesselte Vernichtungskraft. Während irgendwo an der Flanke der Akarii-Formation ein Kreuzer in einer Serie aus Sekundärexplosionen zerrissen wurde, spießten die Energielanzen mehrerer imperialer Großkampfschiffe einen Zerstörer auf, den die Butcher Bears eben passiert hatten. Der konzentrierte Beschuss überlastete die geschwächten Schilde des kleineren Schiffes binnen weniger Sekunden und weidete es regelrecht aus. Und knapp hinter der feuerspeienden Phalanx imperialer Kreuzer und Flottenzerstörer schob sich pausenlos feuernd einer der feindlichen Flottenträger durch das All. Und so ging es weiter, während Akarii- und Menschen-Schiffe einander passierten, wie die hölzernen Segellinienschiffe aus den Kriegen des Vergangenen Jahrtausends.
„SCHEISSE!! DAS GILT DER COLUMBIA!!“
„Ich sehe es! Abwehformation halten! Unser Ziel sind die Raketen, verdammt!“

Im Stillen verfluchte Kano Crawfords ‚geniale Idee’. Die TSN hätte ein paar mit Atomraketen bestückte Bomber- und Jagdbomber-Staffeln gut gebrauchen können. Gerade jetzt, da die Imperialen ihre Träger in die Schlachtlinie geschickt hatten. Aber die terranischen Bomber trieben irgendwo voraus im All, weil ihre glorreichen Anführer immer noch dem Wunschtraum nachjagten, mit einem einzigen eleganten Schlag den Gegner zu köpfen. Kano wollte sich gar nicht vorstellen, was in den Bomberpiloten der MIDWAY und DERFLINGER vorging, die tatenlos zusehen mussten, wie ihre Mutterschiffe angegriffen wurden. Und er selber…er saß hier fest und spielte Zielkörperschießen, während Kali…
Die Akarii gingen da weitaus konventioneller vor als die TSN. Taran setzt wieder einmal auf die Konzentration der der ihm zur Verfügung stehenden Offensivkräfte an einem Punkt, um die Schwäche der TSN zu nutzen und eine zumindest partielle Überlegenheit zu erzielen. Das war keine besonders innovative Strategie – derartige Maximen waren bereits in der Antike formuliert worden – aber bisher hatte sich das für Taran offenbar bezahlt gemacht. ‚Während wir uns über das ganze System verteilt haben, als wären Sun Tsu oder Friedrich der Große niemals geboren worden…’ Sie mussten doch etwas tun können!

Kano aktivierte die Kommverbindung zu Captain Crawford. Vielleicht würde er sich dadurch Ärger einhandeln, denn Crawford schien niemand zu sein, der sich in einen einmal gefassten Schlachtplan hineinreden ließ. Aber Kano konnte nicht einfach stillhalten. Allerdings wollte er auch nicht auf eigene Faust losstürmen. Nicht, solange noch eine vage Chance bestand, statt einer törichten Einzelaktion als Teil der Gesamtstrategie zu agieren: „Hier Ohka…“
„Fassen Sie sich kurz, Schwarz Eins, ich habe einen Einsatz zu leiten.“
‚Und was meinst du, was ich tue?!’ „Sir, wie Sie wahrscheinlich bereits festgestellt haben, konzentriert der Feind seine Kampfflieger auf den MIDWAY/DERFLINGER-Verband. Das würde uns die Möglichkeit bieten…“
03.03.2016 07:45 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Tyr

Nur wenige Minuten später lösten sich etwa zwanzig Maschinen aus dem Schatten der terranischen Großkampfschiffe. Erstaunlicherweise hatte sich Crawford diesmal aufgeschlossen für eine Änderung des Einsatzplans erwiesen. ‚Er hat wohl begriffen, dass Pläne nur selten den ersten Gefechtskontakt überleben…’
Aber das konnte natürlich auch damit zusammenhängen, dass Martin ‚Razor’ Durfee offenbar dieselbe Idee wie Kano gehabt hatte. Und einem Träger des Goldenen Fliegerkreuzes konnte man nicht so leicht den Mund verbieten.
Crawford hatte die beiden Staffeln fast sofort freigegeben, Anfragen anderer Piloten aber rüde abgebügelt. Entweder wollte er den COLUMBIA-Verband nicht weiter entblößen, oder er hatte mit den anderen Einheiten noch etwas vor.

„Ihre Butcher Bears haben Erfahrung mit Schlachtfliegerangriffen.“ Razors Stimme klang ruhig, fast beiläufig.
„Unsere Spezialität.“
„Ich zähle auf Ihre Unterstützung. Zuerst sollten Sie uns aber die Akarii-Abfangjäger vom Leib halten.“
„Natürlich.
Butcher Bears, offene Eskortformation.“
Abgesehen von dem üblichen Geschwaderklatsch wusste Kano wenig über den Chef der Silbernen Schadron. Sie waren bestenfalls flüchtige Bekannte. Dass Durfee das Goldene Fliegerkreuz erworben hatte, hob ihn auch unter den elitären Angry Angels heraus – wie auch die Tatsache, dass er wenig Wert auf die Auszeichnung zu legen schien, die er sich durch den Tod tausender feindlicher Soldaten verdient hatte. Dass er nach der Vernichtung eines feindlichen Truppentransporters Depressionen entwickelt, vielleicht sogar einen richtigen Nervenzusammenbruch erlitten hatte, war allgemein bekannt. Und Anlass für hämische bis boshafte Bemerkungen gewesen. Nur wenige Piloten brachten Verständnis für derartige Schwächen auf. Kano konnte sich vorstellen, was Lilja dazu zu sagen hätte…
Aber abgesehen davon war Durfee ein guter Offizier und hervorragender Pilot. Und deshalb – und weil er im Rang über Kano stand – war der japanische Offizier bereit, Razors Befehlen zu folgen.
Mochten die Akarii ihre Kampfflieger auch gegen die MIDWAY und die DERFLINGER geschickt haben, so hatte Taran sich offenbar nicht dazu hinreißen lassen, seine Großkampfschiffe völlig von ihrem Jägerschutz zu entblößen. Noch bevor die etwa zwanzig terranischen Maschinen die Ausläufer der feindlichen Gefechtsformation erreichten, allarmierte Kano ein inzwischen nur allzu gut bekannter Warnton: „Achtung Butcher Bears! Sie kommen! Abfangjäger auf Zwei Uhr! Zähle bisher sechs Einheiten…“
„Das schaffen wir,“ schaltete sich La Reine ein, „…auch ohne die Silbernen.“ Kano lächelte flüchtig. Solange diese Selbstsicherheit nicht in Leichtsinn umschlug…: „Wir nehmen sie in die Zange! La Reine, linke Flanke, Huntress, die rechte.“
„Und Sie übernehmen den Frontalangriff?“ spöttelte Huntress, während sie ihre Maschine beschleunigte.
„Sehen Sie mich als die Reserve an.“

Doch nicht einmal dreißig Sekunden später fand sich auch Kano mitten im Nahkampf wieder. Was den Akarii an Zahl fehlte, machten sie durch Angriffsgeist wett – und durch die Unterstützung der imperialen Großkampfschiffe. Die Zangenbewegung der Butcher Bears gelang nur teilweise, und sie konnten ihre zahlenmäßige Überlegenheit aufgrund des beständigen Störfeuers der feindlichen Flugabwehrgeschütze und Raketenbatterien nur teilweise ausspielen. Während Kano versuchte, eine feindliche Bloodhawk auszukurven, informierte ihn ein schriller Signalton, dass er schon wieder von einem imperialen Raketenwerfer angepeilt wurde. Ein brutales Gegenkurven und der Abschuss einer Täuschkörpergarbe ließen die feindliche Peilung abbrechen, aber auch die feindliche Maschine aus seiner Zielerfassung wandern. Und er konnte sich ausrechnen, wann weitere imperiale Abfangjäger auf das Scharmützel aufmerksam werden würden.
Im nächsten Augenblick kreuzten sich die Flugbahnen der verfeindeten Maschinen wieder, und reflexartig drückten beide Piloten auf die Auslöser ihrer Bordwaffen. Die Nighthawk wurde heftig durchgeschüttelt, allerdings erging es der Bloodhawk noch schlechter. Schwächer bewaffnet, und mit weniger starken Schilden und Panzerplatten als die Nighthawk, war sie für ein Head-on-Head nur bedingt geeignet.
Offenbar war der Akarii ebenfalls zu dieser Erkenntnis gekommen, denn er ließ seine Maschine absacken und betätigte den Nachbrenner. Kano versuchte, dem Imperialen mit dem Bug seines Jägers zu folgen, war aber um entscheidende Sekundenbruchteile zu langsam. Schon wieder löste sich der Akarii aus seiner Zielerfassung. ‚Das wäre mir sonst nicht passiert…’

„Ausweichmanöver zwanzig Grad Horizontal positiv, zehn Grad negativ – und Nachbrenner – JETZT! Butcher Bears – folgen.“ In Razors Stimme schwang auf einmal ein scharfer Unterton mit. Die Thunderbolts gaben Vollschub, lösten sich aus der imperialen Formation, und ließen die Butcher Bears hinter sich zurück.
„Was machen die Arschlöcher denn?!“ das war Killer. Die Marines-Pilotin schien nicht viel von den üblichen Umgangsformen des Fliegerkorps zu halten.
Kano hatte Verständnis für ihre Frage, aber im Augenblick musste das warten: „Aus Gefecht lösen, und folgen! Sie haben Silber Eins gehört!“
Tatsächlich klappte das besser als erwartet. Die Akarii sahen in neun Nighthawks keine unmittelbare Bedrohung, und ließen sie ziehen. ‚Wenn ihr euch da mal nicht täuscht.’

Das kurze Gefecht war ohne Verluste abgelaufen, aber sie hatten einen Teil ihres Kampfsatzes eingebüßt. Einige Maschinen waren beschädigt worden. Auf der anderen Seite hatte Top Gun einen Akarii abgeschossen. Kano war sich noch nicht sicher, was er von dem Ex-Konföderierten halten sollte – aber fliegen konnte er.
„Das war meiner, Grünschnabel.“ beschwerte sich Agyris, auch wenn sie es vermutlich nicht ganz ernst meinte: „Ihr seid doch alle gleich. Alles Abstauber…“
„Meinst du damit ‚uns’ Ex-Konföderierte?“ erkundigte sich Top Gun gut gelaunt.
„Nein. Ich meine damit euch Männer.“
„Ich mache es wieder gut, versprochen.“
„Das habe ich doch schon mal gehört…“
Kano rollte mit den Augen: „Wenn Sie sich verabreden wollen, dann machen Sie das nach der Schlacht. Inzwischen haben wir Arbeit.“
Razors Manöver hatte die Silberne Schwadron – und in ihrem Gefolge die Schwarze Staffel – an der Frontformation der Akarii vorbei geführt, weg von den Brennpunkteen, an denen die verbissensten Kämpfe tobten.
„Ich hoffe, Sie haben Crawford nicht ein Ohr abgekaut, damit wir nur eine Besichtigungstour abziehen!“
„Sie vergessen sich, Sugar. Ich glaube, ich weiß, was Razor vorhat…“
Kano hätte es sich denken können. Der Kommandant der Silbernen Schwadron hatte seine Auszeichnungen schließlich nicht dadurch erhalten, dass er immer die härtesten Ziele aufs Korn genommen hatte. Taran wollte durchbrechen. Er hatte die besten und kampfstärksten Einheiten an der Spitze und dem vordersten Drittel seiner Formation formiert, zusammen mit einem großen Teil der verbliebenen Jägerreserven. Weiter hinten hingegen…
„Sehen Sie diesen leichten Kreuzer auf Zehn Uhr? Den will ich haben. Schlage synchronisierten Einsatz unserer Raketen auf Minimaldistanz vor. Zeigen Sie mir, dass die Butcher Bears ihren Ruf verdienen.“
„Sie tun mehr als das, Razor. Butcher Bears, Ihr habt es gehört! Kurswechsel auf mein Signal in Drei, Zwei…“

Die lockere Kampffliegerformation wechselte blitzschnell ihren Flugvektor und stieß in den feindlichen Verband vor, viel zu schnell für eine koordinierte Abwehraktion. Das Flakfeuer der nachrangigen oder beschädigten imperialen Einheiten, die ohnehin durch den wütenden Schlagabtausch mit den terranischen Großkampfschiffen abgelenkt waren, wirkte schlecht gezielt. Und die noch unbeschädigten, kampfstarken Einheiten standen im Nahkampf mit den Schiffen der Fünften Flotte.
Kanos Maschine tauchte unter einem feindlichen Truppentransporter hindurch, kassierte einige Nahtreffer, blieb aber auf Kurs. Aus einem Reflex heraus drückte er auf die Feuerknöpfe der Bordkanonen und bestrich die Flanke eines angeschlagenen Zerstörers mit Sperrfeuer. Auch wenn er vermutlich nicht einmal die Panzerung ankratzte, im Augenblick ging es vor allem darum, Verwirrung zu stiften.
„Alle noch da…Killer, aufschließen! Wir haben nur eine Chance!“
„Sorry, aber diese Arschlöcher haben mir fast die Flügel gestutzt.“
„Jetzt haben Sie die Chance für eine Revanche. Razor…“
„Sind fast da…“

Normalerweise hätte ein Kilo-Kreuzer von zwanzig TSN-Maschinen ohne Atomraketen wenig zu befürchten gehabt. Fast 400 Meter lang, mehr als 20.000 Tonnen schwer und mit Dutzenden Geschützen und Raketenabschussröhren bewaffnet, mit schweren Schilden und einer massiven Panzerung, hätte ein intakter Kilo Razors Angriff zu einem Himmelfahrtskommando gemacht. Aber dieser Kreuzer war nicht mehr intakt. Im Verlauf der letzten Schlachten hatte er schwere Schäden einstecken müssen, einen großen Teil seiner Waffen und Panzerung verloren und operierte nun am Rande seiner Leistungsfähigkeit. Die Mannschaft war erschöpft, ausgebrannt, und durch die Vielzahl der Fehlermeldungen und Reparaturmaßnahmen überfordert. Sie reagierte nach den bewährten Richtlinien der imperialen Flotte – aber eben etwas zu langsam.
Das aufflackernde Abwehrfeuer war zu unkonzentriert und schwach, um den Sturmangriff der beiden TSN-Schwadrone zu stoppen. Das Kreuzfeuer der verbliebenen Flugabwehrgeschütze zerfetzte den rechten Flügel und das Heck einer Thunderbolt, während der Einschlag von fast einem Dutzend Raumkampfraketen Killers alte Phantome in ein Wrack verwandelten. Aber das war nicht genug.
Auf Razors gebrüllten Befehl hin feuerten die Thunderbolts dutzende Raketen ab, und überschütteten die Flanke des angeschlagenen Weltraumgiganten mit wütendem Sperrfeuer. Fast zeitgleich hatten die Butcher Bears ihren verbliebenen Kampfsatz abgefeuert, und stürzten sich jetzt wie ein Rudel Haie im Blutrausch auf die geschwächte Beute.
Unter dem Helm verzerrte sich Kanos sonst so ruhiges und emotionsloses Gesicht zu einer wütenden Fratze, während er auf die Feuerknöpfe aller Bordgeschütze drückte.
Seine Raketen mussten…
Ein schrilles Alarmheulen ließ ihn zusammenzucken und instinktiv ein abruptes Ausweichmanöver fliegen, das ihm beinahe die Kontrolle über die Maschine gekostet hätte. Erst dann begriff er, was dieser spezielle, ziemlich unvertraute Signalton eigentlich bedeutete.
Es drohte keine Gefahr durch den Feind – jedenfalls nicht mehr, als mitten in einem gegnerischen Verband unvermeidlich war. Der Alarm informierte ihn, dass sich eine seiner Sidewinder-Raketen nicht von ihrem Pylon gelöst hatte, obwohl das Triebwerk gezündet hatte. ‚Verdammt. Ich hätte mich selber darum kümmern müssen…’
Der japanische Pilot zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen, während er nach dem Rakten-Notabwurfschalter tastete und versuchte, seine durch den ‚Zusatzantrieb’ destabilisierte Maschine wieder unter Kontrolle zu bekommen.
„OHKA! AUFPASSEN!!“

Unter dem simultanen Einschlag von über 150 Raumkampfraketen brachen die geschwächten Schilde des leichten Kreuzers zusammen. Raketeneinschläge und die Energielanzen der Bordgeschütze zerrissen und zerschnitten die verbliebene Panzerung, bohrten sich in die lebenswichtigen Eingeweide des Schiffes. Der schwer getroffene Gigant verlor abrupt an Fahrt, während das Aufflackern kleiner Sekundärexplosionen und ins All schießende Gasfontänen von der Wirksamkeit des Angriffs kündeten.
Und mitten in dieses Chaos hatte Kano seine Maschine gesteuert. Abgelenkt durch die Fehlfunktion seiner Bewaffnung, war er dem waidwunden Giganten gefährlich nahe gekommen. Die Schilde des Überlegenheitsjägers kassierten mehrere Treffer von den immer noch feuernden Flugabwehrgeschützen des Kreuzers und den Sperrfeuer schießenden TSN-Maschinen. Unter dem Bombardement kleiner Trümmerteile begannen die Energieschilde gefährlich zu flackern.
‚Nicht so, verdammt!’ Kano zwang die aufflackernde Panik zurück, steuerte ruhig aber kraftvoll gegen, und zwang seine Maschine in eine stabile Rückenlage. Ein weiterer Druck auf den Steuerknüppel, und der Einsatz des Nachbrenners brachten ihn aus der unmittelbaren Gefahrenzone.
„VERDAMMT NOCH MAL!! Müssen Sie eigentlich unbedingt ihren Kamikaze-Stunt bei einem Kreuzer abziehen, auf den ich schieße?!“ Das war natürlich Huntress.
La Reine hatte allerdings etwas andere Prioritäten: „Sind Sie noch da, Chef?“
„Es geht. Aber das war entschieden zu knapp. Alle anderen in Ordnung?“
„Killer hat es erwischt.“ In Top Guns Stimme schwang Unglauben mit: „Verdammt, Sie hat Masters überlebt und jetzt…“
„Reißen Sie sich zusammen! Und beständig weiterfeuern!“ Kano wusste, dass er sich mit seinen barschen Worten auch selber zur Ordnung rief. Sie waren noch nicht in Sicherheit. Während er den Bug seiner Maschine wieder auf den schwer angeschlagenen Kreuzer richtete und auf die Auslöser der Bordkanonen drückte, suchte er vergeblich nach dem Radarsignal von Killers Anzug: „Konnte sie aussteigen?“
„Ich weiß nicht. In einem Augenblick war sie noch da und dann…
Verdammt, nicht…“
„Ich sagte, Sie sollen die Nerven behalten!“ Kano schloss zu dem ehemaligen Konföderierten auf: „Sie helfen ihr nicht, wenn Sie sich auch noch abschießen lassen. Fürs erste fungieren Sie als mein Flügelmann.“
„Ich…verstanden.“ Übergangslos gewann Cochranes Stimme wieder einen ruhigen, professionellen Ton: „Die Scheißkerle fangen an, sich auf uns einzuschießen.“
Tatsächlich nahm das Kreuzfeuer der anderen imperialen Einheiten an Intensität zu, während der Beschuss durch den angeschlagenen Kilo fast vollständig verstummt war.
„Ich orte zehn, möglicherweise zwölf kleine Radarimpulse, rasch näher kommend.“ Schaltete sich Flyboys leise Stimme ein. „Weitere…“
„Verstärkung. Offenbar sind unsere Feinde wach geworden. Silber Eins…“
„Der Kreuzer hat genug. Der fliegt nicht mehr nach Hause. Den Rest können unsere Dickschiffe übernehmen. Schlage vor, wir setzen uns ab.“
„Und Killer?“ wagte Sugar Protest einzulegen. Ausnahmsweise ging Kano davon aus, dass ihr Einwand nicht nur von dem Wunsch motiviert war, noch möglichst viele weitere Akarii umzubringen.
„Wir haben kein Signal. Wir wissen nicht, wo sie ist, und ob sie überhaupt noch lebt. Und wenn wir es wüssten, könnten wir ihr nicht helfen. Ich gebe ihre letzte Position an die SAR raus. Aber ich werde keine weiteren Leben wegwerfen. Das war ein Befehl.
Razor, wir folgen Ihnen. Ich schlage folgenden Kurs vor …“

Die verbliebenen Maschinen formten eine defensive Marschformation und beschleunigten auf Höchstgeschwindigkeit. Ihr Kurz führte sie fort von den imperialen Kriegsschiffen, die angeschlagen, dezimiert, aber stur weiterfeuernd dem Sprungpunkt entgegenstrebten. Die Akarii-Jäger sahen von einer Verfolgung ab. Sie hatten an anderer Stelle zu tun. Wie die Kavallerie eines antiken Heerwurms, der von allen Seiten angegriffen wurde, mussten sie von einem Brandherd zum anderen eilen. Rache oder Vergeltung mussten dabei zurückstehen.
Während die Silberne und die Schwarze Schwadron zur COLUMBIA aufzuschließen versuchten, hielten sie einen respektvollen Abstand zu der imperialen Marschformation. Aber sie waren immer noch nahe genug, um auf die Atomraketen zu schießen, deren Ziel die terranischen Großkampfschiffe waren.
Kano war sich nicht sicher, was er empfinden sollte. Sie hatten einen imperialen Kreuzer schwer, vielleicht tödlich verwundet. Ein weiteres Ruhmesblatt der Butcher Bears.
Aber er empfand keinen Stolz. Nur Erschöpfung, und eine betäubende, lähmende Leere.
Eine Leere, die sich mit kaltem Grauen und nackter Angst füllte, als er die verstümmelten, panischen Funksprüche hörte, die von dem Verband der DERFLINGER und der MIDWAY zu ihnen durchdrangen.
03.03.2016 07:46 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cattaneo

Mühsames Patt

TRS Relentless, Kreuzerschwadron 2.3

Einmal mehr wurde Rear-Admiral Chris Mithel in seinen Kommandostand gepresst, als die Relentless erzitterte. Die Erschütterung die durch den Leib des Stahlgiganten lief, war nicht einmal besonders heftig, aber für einen erfahrenen Flottensoldaten unverkennbar. Das war nicht die Auswirkung einer abrupten Beschleunigung oder Bremsmanövers, nicht einmal ein wahnwitziges Wendemanöver – das war unverkennbar ein Einschlag gewesen, der dritte in kurzer Folge. Mithel hätte nicht die taktischen Anzeigen der Bildschirme gebraucht, um das zu erkennen. Und doch gab er keinen Befehl für Ausweich- oder Abwehrmanöver des Kreuzers.
„Befehl an die Annihilator – volle Kraft zurück, Deckung bei Etna, Suffolk soll ihre Position einnehmen. Ganzer Verband mit 50 km/s vorrücken…“
Es war für Chris Mithel immer noch ein Stück weit Gewöhnungssache, sich inmitten einer Schlacht ausschließlich auf den eigenen Flottenverband, nicht aber mehr auf Einsatz seines Schiffes zu konzentrieren. Er vertraute seiner Kapitänin, aber dennoch war ihm diese Umstellung nicht leicht gefallen.
Zu fühlen, wie ein Gigant von zehntausenden Tonnen, bestückt mit Dutzenden der mörderischsten Waffen, die die Menschheit ersonnen hatte, auf ein knappes Wort hin beschleunigte, manövrierte und mit der Gewalt eines Erdbebens zuschlug…nun, das war Inbegriff dessen, was man unter einem Kommandoposten verstand. Nicht, dass das Dirigieren eines Verbandes nicht genauso so herausfordernd und von den Auswirkungen sogar noch bedeutsamer war, aber das war eine eher sterile, klinische Art des Kampfes.
Glücklicherweise eine Art des Kampfes, auf die er sich inzwischen ebenso gut verstand wie auf das Führen EINES Schiffes.
Und noch während er dies dachte, registrierte er, wie die Relentless elegant manövrierte, und dem Feind statt der Backbord- die Steuerbordschilde zudrehte, ohne auch nur etwas an Geschwindigkeit zu verlieren oder ihr Feuer zu unterbrechen. Die gewaltigen Geschützbatterien spuckten weiterhin Energieblitze, und die Kassettenwerfer spieen eine Raketensalve nach der anderen aus. Oh ja, die Kapitänin verstand ihr Handwerk…

Die Stimme des Rear-Admiral war deutlich, aber gelassen und beherrscht. Mithel war kein Mann, der Befehle herausschrie, so lange es nicht unbedingt erforderlich oder der Situation wirklich angemessen war. Wenn man respektiert wurde, wurden Anweisungen auch so befolgt, und wenn nicht…dann half auch Schreien selten etwas. Glücklicherweise hatte er in seiner Schwadron selten Autoritätsprobleme, zumindest nicht sehr lange. Selbst der Kommandeur der Nestor, im Augenblick für Mithel so etwas wie ein Problemkind, hielt sich nach dem letzten Anpfiff zurück – zwei scharfe Zurechtweisungen kurz hintereinander wollte niemand riskieren. Für einen Augenblick fragte sich der Rear-Admiral, ob der jüngere Offizier seine Lektion gelernt hatte, aber dann tat er diese Frage als zweitrangig ab. Solange Friedrich von Habsburg spurte, war alles in Ordnung. Sollte dem nicht mehr so sein, würde er sich mit dem Problem befassen, und zwar endgültig.

Die Aufgabe der Kreuzerschwadron war in diesem Gefecht eine wichtige – immerhin stellte Schwadron 2.3 die größte Zusammenballung an Feuerkraft im Flottenverband der Träger Columbia und Triumphe dar – aber doch nur eine subalterne. Die Entscheidungen trafen andere. Aber das bedeutete natürlich nicht, dass Mithel nicht das Gesamtgefecht im Auge behalten hätte.
Der Kampf mit Admiral Tarans inzwischen deutlich abgekämpften Flottenverband entwickelte sich nicht ganz so, wie erhofft. Die Akarii hielten Formation, und ihr Feuer war so präzise, ihre Manöver so exakt wie immer, auch wenn sie es im Augenblick mit der größten Herausforderung seit ihrer Ankunft im System zu tun hatten, und das nach drei vorangegangenen Schlachten. Dennoch gab es kein Zeichen von Auflösungserscheinungen, nicht einmal angesichts der unerbittlich mit jeder Sekunde näher rückenden TSN-Verstärkung. Die menschlichen Neuankömmlinge waren unbeschädigt und liefen mit voller Kraft, während die Echsen Havaristen im Verband hatten, und auch noch kämpfen mussten – trotzdem waren die Akarii nicht bereit, in Panik zu verfallen.
Die 5. Flotte, verstärkt um die Columbia und ihre Begleitschiffe, hatte die Echsen in die Zange genommen, aber es zeigte sich schnell, dass der TSN-Verband einfach nicht stark genug war, um die Akarii-Formation wirkungsvoll aufzubrechen. Das kam an und für sich nicht sehr überraschend, und eigentlich sollte der Angriff mit der Flotte die Akarii nicht wirklich vernichten, sondern vor allem schwächen und binden, damit die Bomber und Jagdbomber ihre Chance für einen Überraschungsangriff bekamen.

Mithel hatte so seine Zweifel, was diesen Plan betraf. Es war nie klug, sich zu sehr auf einen einzigen Trick oder Kunstgriff festzulegen und zu glauben, es würde schon alles glatt gehen. Wenn die Akarii bemerkten, was die Menschen vorhatten, dann konnten sie den Plan schon im Ansatz zum Scheitern bringen, indem sie mit massierten Feuer und ein paar Jagdstaffeln die nur ungenügend geschützten Kampfflieger der TSN angriffen. Sogar ein paar ihrer verdammten „Kanonenboote“, dieser schwer bewaffneten Shuttles, die sie neben diesen vermaledeiten Raketenträgern einsetzten, mochten genügen. Das würde nicht reichen, um den TSN-Angriff wirklich abzufangen, aber wenn man die Angriffsformation nur etwas durcheinander brachte, würden die Handvoll Crusader und Jagdbomber nicht viel ausrichten können. Vielleicht wäre es besser gewesen, die Kampfflieger gleich als Unterstützung der schweren Flotten einzusetzen, so viele Akarii wie möglich lahm zu schießen und sie auf dem Weg zum Sprungpunkt soweit als möglich abzubremsen. Das hätte vermutlich bedeutet, dass ein erheblicher Teil der Echsen entkam, aber die kaiserlichen Truppen hätten bluten müssen.
Aber das stand jetzt nicht mehr zur Debatte. Und er hatte sowieso nicht zu entscheiden, nur aus den Gegebenheiten das Beste zu machen:
„Feuergruppen Eins und Zwei – Ziele nach Priorität auffassen, alle drei Salven eine auf Golf I und II.“ Mithel hatte noch vor dem Gefecht klargestellt, dass es auch diesmal keine Duelle geben würde. Eine Schwadron hatte nicht nur eine Einheit zu bilden, sie musste auch als solche agieren – wenn sie ihre Vernichtungskraft auf ein oder zwei Ziele konzentrierte. Seit jeher hatte er seinen Verband auf koordiniertes Vorgehen gedrillt. Welche Ziele ausgewählt wurden, das entschied der jeweilige Kommandeur der Halb- oder Viertelschwadron – im Moment er oder seine Schwadrons-XO. Mithel sah feindliche Kreuzer als Hauptziele an, sogar noch mehr als Träger, weil diese zwar eine etwas größere Feuerkraft hatten, aber so gut wie immer auch besser geschützt waren. Meistens war es leichter zwei oder drei Kreuzer zu vernichten als auch nur einen Flottenträger – und die Auswirkungen waren mindestens ebenso groß. Doch vorwitzige Zerstörer waren ebenfalls lohnende Ziele, vor allem wenn sie in Reichweite der Bordkanonen kamen.

Ein Stück weit konterkarierte er seine eigenen Anweisungen, indem er immer wieder Störfeuer auf die feindlichen GOLF-Kreuzer schießen ließ. Das war im Grunde ein wenig aussichtsreiches Unterfangen. Golf waren – außer im Nahkampf – sehr schwer zu besiegen, ihre verdammten ECM-Sender, die Störkörper-Batterien, das hoch entwickelte Zielradar und die zahlreichen Abwehrwaffen wehrten Angriffe mit Marschflugkörpern mit enervierender Eleganz ab. Nein, man brauchte Direktbeschuss, am besten in Kombination mit einigen mit radarsuchenden Raketen bestückten Jagdbombern. Aber indem er die Flugdeck-Kreuzer beschäftigt hielt und um ihr Leben bangen ließ, hinderte er sie vielleicht daran, genauer hinzuschauen und zu erkennen, dass bei den Terranern bisher kein einziger schwerer Bomber aufgetaucht war, und nur wenige Jabos. Oder, schlimmer noch, herauszufinden, wo diese „verschwundenen“ Maschinen steckten.

Es war leicht festzustellen, dass die Akarii nicht so dumm waren, einfach nur stur ihrem Ziel entgegen zu marschieren. Wäre dem so gewesen, hätten die Menschen ihre Gegner beschießen können, während ihre eigenen Havaristen sich relativ leicht in den Schutz der Gefechtsformation zurückfallen lassen konnten – eine Möglichkeit, die die Akarii nur begrenzt hatten, denn sie waren zwischen zwei menschlichen Verbänden eingekeilt, und wenn sie zu langsam fuhren, würde die terranische Verstärkung sie einholen. Die Echsen hatten jedoch schnell erkannt, dass sie unmöglich ohne einen harten Kampf entkommen konnten. Sie machten das Beste aus dieser Notwendigkeit, indem sie ihr Feuer auf einen der beiden menschlichen Teilverbände konzentrierten. Während also der Verband unter Führung der Columbia etwas weniger Feuer erhielt und angeschlagene Schiffe beschützen konnte, standen die Derflinger und die Midway unter schwerem Druck. Zeit, etwas Abhilfe zu schaffen.
„Kreuzerschwadron – 70 km/s voraus! Feuerkonzentration auf Flankensicherung!“
Synchronisiert rückten die Kreuzer der Schwadron vor, auch ohne die Kami eine Ehrfurchtgebietende Armada. Mit einigen wenigen Befehlen wählte Mithel ein neues Ziel aus – Bordgeschütze der Relentless und ihrer Schwesterschiffe zerschlugen mit brutaler Beiläufigkeit erst einen, und kurz darauf einen zweiten feindliche Zerstörer zu brennenden Wracks, ungeachtet des wütenden Abwehrfeuers der Akarii. Gegenfeuer mit Lasern und Partikelkanonen erschütterte die Relentless, doch ihre Kapitänin zeigte nicht einen Moment Unsicherheit oder Schwäche. Wie tödliche Finger griffen ihre Kanonen nach den nächsten Zielen. Kein schlechter Erfolg, aber dennoch…
Während die Zerstörer und Kreuzer der Columbia vorrückten und auf die Flanke des Feindes eintrommelten, fragte sich Chris Mithel langsam, ob das ausreichen würde um ihren Kameraden Zeit zu erkaufen, bis die Falle zuschnappte – und ob der Plan von Captain Crawford nicht zu einem weiteren Rückschlag für die TSN werden würde. Wenn die Bomber nicht bald angriffen…


Grüne Staffel, irgendwo vor der Columbia

Liljas Stimme wirkte beinahe penetrant aufgeweckt und munter, so ganz unüblich für ihr sonst eiskaltes Verhalten im Gefecht. Um die Sache noch schlimmer zu machen, schwatzte sie über die Staffelfrequenz, so dass alle zuhören konnten: „Knight, damit liegst du bereits bei drei Strafpunkte. Gib dir gefälligst ein bisschen Mühe, oder…“ sie brach abrupt ab, und ihre Jäger rotierte geschmeidig um die eigene Achse, während die Bordkanonen eine Salve nach der anderen abfeuerten. Irgendwo weit entfernt gab es gedämpfte Explosion, die fast nahtlos in den Aufgang einer flüchtigen Miniatursonne überleitete. Ihr Stimme troff geradezu vor Selbstgefälligkeit als sie fortfuhr: „…meine Rechnung liegt jedenfalls bei plus ZWEI. Nehmt euch an mir ein Beispiel!“
In der Einsamkeit seines Helms streckte der ehemalige Strafpilot seiner Staffelchefin nicht nur metaphorisch die Zunge heraus. Die Russin war ja auch sonst nicht immer leicht zu genießen, aber selbst wenn sie mal ihren Sinn für Humor entdeckte, war man nie sicher vor ihr.
Lilja war klar gewesen, dass auf die Fighting Stallions harte Kämpfe zukommen mochten – WENN die Akarii ihre verbleibenden Bomber und Raketenshuttles einsetzten um den Columbia-Verband anzugreifen beziehungsweise in den direkten Nahkampf gingen. Wenn nicht, und die Chancen dafür standen zwei zu eins, dass die Echsen entweder stur zum Sprungpunkt marschierten oder sich auf die Derflinger und Midway warfen, dann stand den Grünen eine weitestgehend sterile und blutarme, aber auch hoch komplizierte Aufgabe bevor – die Abwehr feindlicher Marschflugkörper. An und für sich Herausforderung genug, aber wenig befriedigend, wenn anderswo die Schlacht tobte und Kameraden um ihr Leben kämpften.

Es wäre der Kommandeurin der Grünen natürlich nie in den Sinn gekommen, ihre Aufgabe auf die leichte Schulter zu nehmen, egal wie sie aussah. Sie war mit der ihr üblichen Präzision und Detailversessenheit ans Werk gegangen. Lilja wusste aus Erfahrung, wie schwer es war, die schnell fliegenden Atomraketen abzuschießen. Die Ortungsgeräte der Jäger und die Fähigkeiten der Piloten waren in dem Chaos, das eine Raumschlacht darstellte, vielfach schlicht überfordert.
Die Russin hatte deshalb – mit erheblicher Unterstützung von und unter Verweis auf Captain Crawford – erreicht, dass ihre Staffel an das Sensornetzwerk angehängt wurde, das zwischen den Großkampfschiffen bestand und half, die eingehenden Informationen auszuwerten. Sensordaten wurden so wesentlich effizienter ausgewertet, als wenn jedes Schiff für sich allein geortet hätte, feindliche Schwachstellen waren schneller zu erkennen. Natürlich funktionierte so ein Netzwerk nur, wenn genug Sensorstarke Schiffe wie die Dauntless-Flakkreuzer und Aufklärungsshuttles oder Satelliten und Drohnen zum Einsatz kamen. Und solange der Gegner nicht in der Lage war, ausreichend zu stören – sei es durch elektronische Gegenmaßnahmen oder indem er zu viele Netzkomponenten „aus dem Spiel nahm“.
Dank dieses Kunstgriffs erhielten die Piloten der Grünen Staffel Zielvorgaben – etwa den Vektor und Geschwindigkeit der Ziele – bevor die Marschflugkörper von ihrem eigenen Radar erfasst wurden. Mehr noch, eines der Radar-Shuttles das sich in relativer Nähe zur Staffel befand, gab mit Hilfe seiner hoch entwickelten Elektronik Anweisungen wie man die einzelnen Ziele abschießen konnte. Alles was den Piloten zu tun blieb war, die Anweisungen schnell und präzise genug umzusetzen.

Natürlich klang das viel unkomplizierter als es war. Zum einen waren die Anweisungen nicht immer hundertprozentig genau. Einen Marschflugkörper korrekt zu erfassen, die Information auszuwerten und weiterzuleiten war nicht so einfach, wenn alle paar Sekunden dutzende dieser Geschosse abgefeuert wurden und feindliche ECM Radar und andere Ortungssysteme störten. Und die Piloten mussten ihre Maschine perfekt beherrschen, um das schnelle und vergleichsweise „kleine“ Ziel nicht zu verfehlen. Dazu kamen psychologische Faktoren – Piloten ließen sich nicht gerne auf simple Rädchen reduzieren wie es etwa für Schiffskanoniere vollkommen normal war. Und das Zielen war noch dadurch erschwert, dass sie nicht „stillstanden“, sondern immer wieder ihre Position verändern mussten, einerseits um dem eigenen Flottenverband zu folgen, aber auch, damit die laufenden Triebwerke die Energiebänke ihrer Bordwaffen aufladen konnten. Beim „automatisierten“ Feuer schossen die Jäger viel mehr als bei individueller Jagd.
Lilja hatte versucht, alles etwas aufzulockern indem sie ein „Punktekonto“ eingeführt hatte. Jede abgeschossene Rakete ergab einen Pluspunkt, jedes zugewiesenes Ziel, das man passieren ließ, einen Minuspunkt. Jeder Netto-Minuspunkt bedeutete 40 Liegestütze und zehn Credits in den Sammeltopf für die Siegesfeier nach der Schlacht. Die Russin hatte versprochen, zusätzlich für ein mögliches eigenes Negativguthaben für jeden Nettopluspunkt eines anderen Piloten dieselbe „Strafe“ zu entrichten. Bisher sah es aber nicht so aus, als würde sie dadurch zu sehr aus der Puste geraten oder ihre Privatreserven angreifen müssen.
Marschflugkörper abzuschießen WAR schwer. Wie nicht nur Knight erfahren musste.

In ihrem Jäger bleckte die Russin die Zähne. Die Ergebnisse ihrer Staffel – na ja, was davon übrig war – ließen sich durchaus sehen. Dennoch, selbst wenn jeder ihrer Piloten drei oder vier Marschflugkörper abschoss, ja selbst, wenn sie das doppelte dessen schaffen sollten – das wäre gerade einmal ein oder zwei Salven eines schweren Kreuzers gewesen, die sie damit abgewehrt hätten, und das während der GANZEN Schlacht.
„Commander… In dreißig Sekunden nächste Sequenz. Countdown beginnen.“ Crawfords Stimme klang angespannt, aber nicht panisch. Die Führung der Staffel hatte er diesmal weitestgehend ihr überlassen, da er erneut nicht nur den Einsatz der Angels sondern auch den der anderen Geschwader koordinierte. Es musste schwer für ihn sein, den Überblick zu bewahren, vor allem was die Geschwader der Midway und Derflinger betraf. Die Russin verzog ihre Lippen zu so etwas wie einem anerkennenden Grinsen, als sie ihr „Bestätige.“ knurrte, obwohl das so aussah, als ob sie jemanden beißen wollte.
Sie hatte ihre geheimen Ressentiments gegen ihn keineswegs aufgegeben, musste aber zugeben, dass an ihm doch einiges mehr dran war, als sie gedacht hatte. Sie mochte ihn sicherlich nicht, vor allem weil sie sich einfach nicht mit dem Gedanken anfreunden konnte, dass er vielleicht in Zukunft tatsächlich die Angels übernehmen könnte. Dieser Posten gehörte einfach einem Geschwadermitglied! Aber er war kompetenter, als sie es ihm zunächst zugestanden hatte, und er machte Fortschritte bei der schier unlöslichen Aufgabe, mit dem eigenen Jäger, der Staffel der er angehörte und dann noch nicht nur einem, sondern mehreren Geschwadern zu jonglieren. Dennoch, sie hoffte, er würde sich künftig eine andere Staffel suchen. Die Grüne Staffel gehörte IHR. Nicht, dass sie das jemals so ausgedrückt hätte, aber bei allen Selbstzweifeln glaubte sie fest daran ein Recht darauf und auch ein besseres Händchen dafür zu haben, als irgendein „Ausländer.“

Lilja zählte stumm, dann räusperte sie sich und funkte auf einer neuen Frequenz: „Hier Silber Eins an Basis, bereiten uns vor für Angriff aus Deckung. Zwei Minuten bis Start für Angriffsgeschwindigkeit, Reservemaschinen bereit für Katapultstart.“
Das war noch ein zweiter Trick, den sie teils selbst, teils in Rücksprache mit dem Interims-Geschwaderchef ausgeknobelt hatte und nur dank seiner Rückendeckung umsetzen konnte. In unregelmäßigen Abständen funkten sie und Crawford auf den Staffelfrequenzen der „fehlenden“ Bomber und Jagdbomberverbände. Sie rechnete eigentlich damit, dass die Akarii während der Schlacht nicht die Zeit hatten, die Codes auch wirklich zu knacken – gab aber sicherheitshalber Sprüche durch, die als authentisch gelten konnten. Es ging weniger darum, den Echsen gezielt falsche Informationen zuzuspielen. Vielmehr sollte so sichergestellt werden, dass die Feinde sich nicht wunderten, warum beim Gegner auf einmal bestimmte Frequenzen verstummt waren, die man im vorigen Gefecht möglicherweise festgestellt hatte. Denn vermutlich hatte man „drüben“ schon eine Datenbank angelegt, um die verschiedenen abgefangenen Frequenzen einzelnen Geschwadern und Staffeln zuzuordnen. Aus diesen Gründen wechselten die Einheiten auf beiden Seiten mitunter nach ein oder zwei Gefechtsberührungen die Frequenz. In diesem Fall hatte sie auf diese Maßnahme verzichtet, um den Akarii das „Finden“ der Bomberstaffeln zu erleichtern. Wäre gar nichts gekommen, hätten die feindlichen Ortungsspezialisten, wenn sie gut waren, feststellen können, dass da etwas nicht stimmte. Lilja war der Meinung, wenn man schon einen Trick aufzog, dann sollte man lieber kein Risiko eingehen. Aus demselben Grund „antwortete“ sporadisch ein Funker von einem der Träger auf die Scheinsprüche, mal von der Columbia mal von einem der leichten Träger.
Sollten die Akarii tatsächlich mithören, mochte das so klingen, als würden die Menschen erneut ihre Kampfflieger in der Deckung „hinter“ den Kreuzern und Zerstörern halten und einige noch an Bord der Träger haben, um sie so in den feindlichen Kampfverband einzuschleusen, jetzt, wo die Schiffe beider Seiten einander immer näher kamen. Die Akarii hatten ja bisher keine Shuttles und Jäger zwischen den Verbänden der Columbia und Triumphe, folglich könnten sie das in dem Durcheinander der Raumschlacht nicht wirklich zuverlässig nachprüfen. Das erkaufte den Kampffliegern vielleicht ein wenig Zeit. Aber jede Täuschung flog früher oder später auf.

Die Russin konzentrierte sich wieder auf das Gefechtsgeschehen. Crawford hatte offenbar Razor und Kano von der Leine gelassen, um die Akarii ein wenig zu ärgern. Lilja beneidete die anderen Piloten fast, immerhin hatten sie die Gelegenheit, ein paar Echsen umzubringen. Aber Falcons taugten einfach nicht für Angriff auf relativ unbeschädigte Großschiffe, vor allem da man sie und ihre Raketen vielleicht noch einmal brauchen würde. Sie fühlte eine nicht geringe Verbitterung wenn sie daran dachte, was möglich gewesen wäre, wenn diese leichten Atomraketen, die angeblich entwickelt wurden, bereits zur Verfügung gestanden hätten. Ein oder zwei Staffeln mit solcher Ausrüstung hätten den Echsen ganz schon einheizen können…
Ein Warnton riss sie aus ihren Gedanken und kündigte ihr neue Ziele an. Sie kontrollierte die Anzeigen ihrer Energiebänke – ausreichend – und manövrierte ihren Jäger, um den passenden Schussvektor einzunehmen. Als sie auf die Feuerknöpfe hieb, registrierte sie halb im Unterbewusstsein, dass auch andere Jäger schossen. Die Bordkanonen spuckten eine Salve nach der anderen, während die schlanke Falcon um die eigene Achse rotierte, bemüht, dem sich schnell bewegenden Ziel zu folgen. Das Feuer des Jägers verschwand in der Unendlichkeit…vorbei! Die feindliche Rakete war außerhalb ihrer Reichweite, und jetzt blieb nur zu hoffen, dass Störkörper, schiffgestützte Abwehrwaffen oder Schilde schlimmeres verhinderten. Mit einem gedachten Fluch – der freilich nicht den möglichen Kosten für sie galt – korrigierte Lilja ihr Erfolgskonto auf nur noch einen Pluspunkt und peilte das nächste Ziel an, das sich ihr näherte. Die Schlacht verschwamm zu einem Ballett aus Hochgeschwindigkeitsmanövern und Salvenfeuer, das sich von einem Duell mit einem feindlichen Jäger nur durch die geringe Tödlichkeit für sie selbst, nicht aber für die Ziele der Atomraketen unterschied. Manövrieren, feuern, vorhalten, wieder feuern, neues Ziel auffassen…
Und während der ganzen Zeit flogen weitere Schwärme an Marschflugkörpern an ihr vorbei, ein endloser Strom der Vernichtung aus beiden Richtungen, begleitet durch eine noch größere Zahl an Energiebahnen. Eine gefühlte Ewigkeit später, tatsächlich aber nur dreißig Sekunden, lag Liljas Konto auf einmal drei Punkte im plus, aber ihr Jäger hatte sich weitestgehend verschossen und würde eine Weile brauchen, die Kanonen wieder aufzuladen. Sie verwünschte einmal mehr, dass es keine Möglichkeit gab, sich im Helm die schweißnasse Stirn abzuwischen. Die ständigen Manöver und die fast ununterbrochene Anspannung zehrten an ihren Kräften.
„Commander!“ Crawfords Stimme klang gepresst, und der Tonfall reichte aus, um jede Müdigkeit aus Liljas Gedanken zu vertreiben: „Achtung, der Zweitschlag – es geht los!“ Auf ihre Anzeigen leuchteten mit einmal mehrere Dutzend neue Anzeigen auf. Die Kampfflieger der TSN hatten ihren Angriff begonnen.
Crawfords Stimme peitschte über die Staffelfrequenz: „Fighting Stallions – bereithalten!“
Die vierte Schlacht von Sterntor war dabei in eine neue, vielleicht entscheidende Phase zu treten…
03.03.2016 07:46 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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