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Zum Ende der Seite springen Hinter den feindlichen Linien - Season 5
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Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
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Themenstarter Thema begonnen von Cattaneo
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Ace

"Denn welcher heut´ sein Blut mit uns vergießt, der soll mein Bruder sein, auch wenn er ist von niedriger Geburt, der heut´ge Tag wird adeln seinen Stand. Und Edelleute, die daheim in England jetzt im Bette liegen, verfluchen einst sich selbst, dass sie nicht hier gewesen sind, und werden schamrot wenn da einer kommt, der mit uns focht, sich mit uns schlug am heutigen Sankt Chrispianus Tag!"
(William Shakespeare, Henry V)

Eigentlich war es Wahnsinn. Purer, Menschenverachtender Wahnsinn. Überdies auch noch Leichtsinn, Schwachsinn, und was der Sinne noch mehr waren. Warum fühlte es sich dann so verdammt gut an?
Wir hatten zwar nur die HONGKONG im Rücken, und damit einen sehr begrenzten Platz mit limitierten Vorräten zum aufmunitionieren, aber das irritierte mich nicht. Wer nicht innerlich dazu bereit war, den eigenen Tod in der Schlacht in Kauf zu nehmen, gehörte nicht auf ein Schlachtfeld. Wer nicht mit der Möglichkeit rechnete, beim nächsten Aufmunitionieren leer wieder raus geschickt zu werden, der hatte in einem modernen Kampfflieger nichts verloren. Wer nicht bereit war, den Gegner auszuschalten, bevor er einen selbst ausschaltete, war definitiv hier im falschen Film. Der Film hieß Karrashin – The last Man standing. Und wir spielten dabei nur eine Statistenrolle, während die großen Pötte um Mithels RELENTLESS die Hauptrolle besetzten. Aber das störte mich nicht, denn es gab immerhin auch noch einen Oscar für eine gut gespielte Nebenrolle. Und im Moment schien ich mich in der Form meines Lebens zu befinden. Der Grund hierfür war mein neuer Flügelmann – Noname.
Es war ein wenig wie in den alten Zeiten, als ich Seite an Seite mit Darkness geflogen war, mit einem echten Könner seiner Zunft, der in der Lage gewesen war, aus mir Rohdiamanten den besten Schliff heraus zu holen. Die letzten Jahre war ich immer damit beschäftigt gewesen, meine Flügelmänner zu formen, oder ihnen wenigstens den Arsch zu decken. Shaka, Terrible, Artist. Diesmal aber flog ich mit jemandem, der wusste was er tat, der keine offensichtlichen Fehler beging, der seinen Job konnte. Dementsprechend leicht fiel mir das Fliegen mit ihm. Er schien, wenn er mich unterstützte, immer da zu sein wo ich ihn brauchte, und wenn ich ihn unterstützte fand ich ihn immer so, dass ich ihn optimal unterstützen konnte. So auch bei dieser hartnäckigen Bloodhawk, die selbst nach einem Raketenvolltreffer einfach nicht hatte sterben wollen. Bis mein Flügelmann hinzugekommen war, und sie im eisigen All zerbarst.
„Guter Schuss, Noname, der Abschuss gehört dir.“, sagte ich fröhlich. Zu fröhlich für den Ernst der Situation, aber wenn ich ehrlich war, flog ich nicht nur mit zweihundert Km/S, sondern auch auf Wolke sieben – einer wackligen Wolke sieben ohne Schubregelung.
„Nein, nein, zu freundlich, der Herr! Der Abschuss gehört dir, die erste Sidewinder hatte ihn eh schon geknackt.“
„Nicht doch, einigen wir uns auf halbe-halbe?“, lenkte ich ein.
Cartmell erwiderte amüsiert: „Halbe-halbe? Wie klingt das denn bitte? `Wie viele Abschüsse hast du? 23 einhalb!` Nein, lass gut sein, ich schenk dir diesen und du lädst mich beim nächsten ein, okay!?“
„Witzbold.“, keuchte ich, als mich der Verlust eines Teils meines Heckschilds daran erinnerte, dass der Raptor Freunde gehabt hatte. „Doppeltes Von Bein, 5 Sekunden Versatz, volle Laserbreitseite auf Blood 3 in 3-2-1-jetzt.“
Das von-Bein gehörte zu meinen Standard-Manövern. Man sagte, es machte wirklich gute Piloten aus, obwohl es relativ simpel war. Das hing damit zusammen, dass die Stümper beim kleinsten Fehler ausstarben, wenn sie im von-Bein Mist bauten.
Wir waren auf Gefechtsgeschwindigkeit, deshalb erlaubten wir uns unter horrenden G-Kräften eine Kurskorrektur, die so perfekt lief wie alles, was wir bisher Seite an Seite getan hatten.
Donovan richtete wie abgesprochen seine Laserkanonen auf die linke Bloodhawk aus, und wir nahmen sie gemeinsam unter Beschuss. Zugleich prasselten die Treffer der Gegner in unsere Schilde, aber war es vielleicht unsere Schuld, dass sie ihr Feuer aufteilten?
Als die Bloodhawks uns passierten, gingen wir wieder simultan in ein von Bein-Wendemanöver. Schlechtere Piloten als wir wären nun ausgebrochen oder wären gar ins Taumeln geraten, zusammengestoßen, oder was auch immer ihnen das Leben kostete. Wir hingegen setzten uns simultan hinter die Gegner. Eine Maschine setzte sich ab, die andere, bereits von uns geschwächte, blieb. Unsere Chance für einen Abschuss.
„Noname nach vorne, Phönix Marsch.“, sagte ich ruhig. Donovan hatte noch eine Rakete, ich hatte meine letzte für unseren geteilten Abschuss verwendet.
Gelassen setzte er sich an die Spitze, wartete in aller Ruhe die Ziellösung ab und schoss. Der Gegner hatte nicht wirklich eine Chance.
„Yiehaa, den hab ich jetzt und du kriegst den von vorhin, abgemacht?“, rief Donovan euphorisch.
Ich musste grinsen. „Abgemacht, aber lassen wir den anderen ziehen, wir sind leer geschossen und sollten uns erstmal wieder auf munitionieren, oder?“
„Alles klar.“, antwortete Donovan, und damit machten wir uns auf den Rückweg zu unserem derzeitigen Träger, der Hongkong.
Mit einem Routinespruch meldete ich uns bei Raven ab und informierte sie darüber, dass ihre Formation auf zwei leer geschossene Nighthawks für einige Zeit verzichten musste. Aber das bedeutete schon bald zwei neu bestückte Nighthawks, in einen direkten Angriff waren wir auch nicht verstrickt, also bestand für sie keine Notwendigkeit uns zurück zu halten, leer geschossen wie wir waren.
Leer geschossen, ging es mir durch den Kopf. Niemand hätte erwartet, dass die Akarii sich derart verbissen in uns verkanten würden, um eine zweite Lage vor der Flucht durch das Wurmloch notwendig zu machen. Ich hatte mit einem Flügelmann wie Donovan keine Angst vor der weiteren Schlacht. Hauptsache wir blieben schön zusammen, dann würden wir schon unseren Teil leisten.

***

Von wegen zusammenbleiben, ging es mir durch den Kopf. Nach dem misslungenen Angriff auf den gegnerischen Träger, und seit die RELENTLESS selbst in den Kampf eingegriffen hatte, war ich von Noname getrennt worden. Wobei getrennt in diesem Fall weit, weit weg bedeutete, und weit, weit weg die gleiche Aussage hatte wie der gute alte Jargon-Satz: Ich bin im Arsch.
Getrieben von vier Reapern war ich von Donovan abgedrängt worden. Er war von der Akarii-Front weg gedrückt worden, ich darauf zu. Zumindest hatte ich noch sehen können, wie er sich eines Nighthawk-Piloten der HONGKONG angenommen hatte; außerdem hatte ich die Butcher Bears auf seine Position zuschleichen sehen.
Überhaupt, wie hatte Kano es geschafft, so viele seiner Leute für diesen Wahnsinn zu rekrutieren? Mir war niemand gefolgt, und das sollte meinem Ego wirklich, wirklich zu schaffen machen. Okay, es würde meinem Ego zu schaffen machen, wenn ich die nächsten fünf Minuten überlebte.
Einen Vorteil hatte ich – im Gegensatz zu den Reapern, die nahezu leer geschossen auf dem Heimweg waren, hatte ich volle Tanks und wunderbare acht Raketen.
Man sagte, viele Hunde sind des Bären Tod. Ich fragte mich, ob vier Reaper bereits für einen Bären reichten.
Sie bedrängten mich, dirigierten meinen Kurs, versuchten ihr Feuer zu kombinieren. Ich versuchte einmal ein von-Bein, musste aber in der Schwenkphase derart viele Treffer in den naturgemäß schwachen Seitenschilden hinnehmen, dass ich von solchen Experimenten Abstand nahm.
Und dabei wurde ich mehr und mehr in Akarii-Land gedrückt, jenen Teil der imaginären Kampflinie, die bereits den Echsen gehörte.
Voll bewaffnet, hoch gerüstet, berühmt dafür, nicht sterben zu können... Sollte ich wirklich von vier schwächeren Maschinen vorgeführt und abgeschossen werden? Sollte ich hier doch noch sterben oder wieder in einem Gefangenenlager wie Camp Hellmountain landen?
Ich schnaubte amüsiert, während ich mit einer klassischen Fassrolle dem konzentrierten Beschuss von zwei meiner Verehrer auswich.
Anschließend flog ich einen Immelmann, dem die vier Maschinen bereitwillig folgten. Das schöne dabei war, dass ich den Immelmann gegen den Drift geflogen hatte, der Scheitelpunkt des Loopings war also verkürzt, durch relativistische Effekte gestaucht. Also konnte ich, während ich den Scheitelpunkt bereits erreicht hatte, auf vier Feinde herab blicken, die mich nicht im Visier hatten.
Hier ein von-Bein zu setzen war eine sehr gute Idee.
Ich trat auf die Slide-Bremse, drehte ein und feuerte auf Gefühl und Sicht auf sechshundert Meter Entfernung – im modernen Raumkampf eine Kuschelentfernung – Bordwaffen und eine Phoenix ab. Sie schaltete scharf, schaltete auf, und traf meinen ersten Gegner, dessen Schilde bereits geschwächt waren. Eine Explosion, und meine Sorgen hatten sich auf drei verringert.
Danach steuerte ich wieder auf Kurs, der mich zu meinem Bedauern zwar wieder Richtung Wurmloch führte, aber leider an einer wahnwitzigen Fregatte vorbei, die bedauerlicherweise den Akarii gehörte. Aber ich hatte Glück. Mit drei ihrer eigenen Jäger im Schlepp würde ihr Flakfeuer sporadisch ausfallen. Das bot mir ein paar Möglichkeiten... Ob es sich lohnte, frech zu werden?
Ich schaltete die Fregatte auf, je näher ich kam. Irgendwo an Bord würde nun der Ortungsoffizier den aktiven Peilkontakt melden, seinem Skipper mitteilen, dass sein Schiff von achtern aktiv erfasst wurde. Der Feuerbefehl würde widerrufen werden, weil mir drei Akarii folgten... Bis zu dem Moment allerdings, an dem ich vom Ziel zum Ärgernis geworden war. Und ich war gut darin, ein Ärgernis zu sein. Lange bevor Skunk an Bord gekommen war, hatte ich darin schon eine Meisterschaft entwickelt und meine Gegner entnervt.
Entschlossen begann ich zu feuern. Normalerweise war es schwierig, wenn nicht unmöglich für eine Nighthawk, die Schilde einer Fregatte alleine zu durchdringen, aber das war ja auch gar nicht meine Absicht. Umso überraschter war ich, als die Schüsse auf der Oberfläche einschlugen. Ich dachte nicht lange nach über das wie, das wenn und das warum. Stattdessen jagte ich einen Zwilling Sidewinder-Raketen auf die Oberfläche nieder, die sich das wärmste Ziel aussuchten.
Als sie explodierten, raste die Fregatte unter mir dahin. Was sie beschädigt hatten, keine Ahnung. Auf jeden Fall reagierte der Skipper entnervt. Das Flakfeuer wurde auf mich eröffnet, obwohl die Reaper mir viel zu nahe waren. Als ich dann erneut in einen Immelmann ging, und über der Fregatte zurückzog, folgten mir meine drei Freunde nicht nur, ich zog sie auch in das Flakfeuer hinein.
Zusätzlich ging ich wieder in das von-Bein. Mein Glück war unfassbar, tatsächlich erwischte die Flak einen der eigenen Flieger, ließ seinen Schirm kollabieren und traf ihn schwer. Er wurde nicht vernichtet, drehte aber panisch ab und verschwand auf Backbord in der Schwärze des Alls.
Ich visierte den vorderen an, nagte an seinem Schild und schickte ihm, als er steil an mir vorbei zog, um der eigenen Flak zu entkommen, zwei Phoenix hinterher. Getroffen? Keine Ahnung, das würde ich mir später auf der Gefechts-ROM ansehen müssen.
Zurück auf Kurs. Ab auf den Rücken. Nach unten ziehen, unter der Fregatte abtauchen.
Der letzte Reaper blieb an mir dran.
Ich passierte die Hecksektion und stieß knapp am Staustrahl des Antriebs entlang. Der Akarii folgte mir und beging damit den letzten Fehler seines Lebens. Wenn die starken Schilde meiner Nighthawk schon aufgeleuchtet hatten, als ich den Stream der Fregatte nur passiert hatte, was würde er wohl mit dem Schild einer Reaper anstellen? Ich blieb nicht lange genug, um auf Details zu achten, aber gut ging die Geschichte für meinen letzten Akarii-Freund nicht aus. Im rechten Winkel zum Heck der Fregatte brach ich weg, wobei ich versuchte die Ebene zu halten, um den Hauptflaknestern so weit es ging aus dem Weg zu gehen. Jetzt konnten sie nämlich auf mich schießen. Schnell schaffte ich zehn, zwanzig, vierzig Klicks und kam immer weiter fort. Es wurde Zeit für mich, wieder in den Kampf zurück zu kehren, darum orientierte ich mich anhand der Ortungen, wo meine Kameraden standen.
Die Erschütterungen, die Explosion, die plötzliche Dunkelheit und das Versagen aller Systeme im Cockpit kam dementsprechend etwas überraschend für mich. Irritiert versuchte ich die Monitore wieder in Gang zu bringen – nur damit ich darüber informiert werden konnte, dass eine einzelne Rakete als letzter Gruß der Fregatte mein Heck getroffen hatte.
„Verdammt!“, rief ich laut, ärgerlich und ordentlich verstimmt. Eine erste Analyse ergab, dass mein Triebwerk nur noch Schrottwert hatte. Eine zweite ergab, dass ich mich verdammt weit hinter der Hauptkampflinie befand. Eine dritte, dass ich nicht in Richtung Wurmloch driftete. Teufel auch. Zwei neue gesicherte Markierungen, und dann so etwas? Warum zum Henker hatte es keinen Raketenalarm gegeben, keine automatischen Abwehrmaßnahmen?
Ich saß hier fest, definitiv hier fest. Das bedeutete wieder Kriegsgefangenschaft. Falls mich die Akarii rechtzeitig fanden. Falls ich dann noch lebte. Falls ich leben wollte. „Na toll!“, brummte ich missmutig und schlug genervt gegen die Armaturen meines Jägers. Ich deaktivierte den automatischen Notrufsender, bevor er anspringen konnte, und beschloss meine Entscheidung aufzuschieben, ob ich den Notrufsender wieder an- oder meinen Helm auf-machte.
12.01.2016 10:04 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
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Cattaneo

Noch einmal stürmt, noch einmal!

TRS Columbia, am Sprungpunkt nach Karrashin

Lilja hatte sich in ihrem Cockpit festgeschnallt. Ihr gebrochenes Bein war so gut fixiert, wie es machbar war. Sie durfte nicht riskieren, dass es während abrupten Flugmanövern bewegt wurde. Die Betäubung war gut, aber SO gut nun wieder auch nicht. Ihr war klar, es würde ohnehin hart werden, wenn erst die Fliehkräfte an ihr zerren würden. Aber da ließ sich nun einmal nichts machen. Es gab Dinge, die man nicht ändern konnte, also lohnte es sich nicht, sich darüber Gedanken zu machen. Man schloss die Reihen, nahm die Waffe des gefallenen Kameraden auf, ignorierte die eigenen Schmerzen, und marschierte weiter. Egal ob man selber das ferne Ziel erreichen würde, dem man alles opferte. So lange man noch kämpfen konnte, war keine Zeit für Ruhe, für Schwäche. Oder für Erbarmen. Sie zog eine Grimasse im Schutz ihres Helms. Mit ihrer letzten Aktion hatte sie sich fürs erste mit dem leitenden Bordarzt überworfen und stand tief in der Schuld von Dodson und Cunningham. Sie hatte sich beinahe ernsthaft mit ihrer einzigen Freundin gestritten, als diese erfuhr, was hier passiert war. Bloß gut, dass Ina Richter bereits in ihrem eigenen Jäger gesessen hatten, um zusammen mit Abat, Fidai, Shoki und Spitfire zu starten. Hellcat war noch nicht einsatzbereit, und bei Spitfire hatte sie sehr großzügige Maßstäbe anlegen müssen. Die Deutsche war ohnehin nicht gerade gutgelaunt gewesen, denn sie hasste es, halbblessierte Piloten wie Shoki und Spitfire in den Kampf zu schicken. Als sie erfahren hatte, dass sich Lilja sich mit einem gebrochenen Bein anschließen wollte…
Nun, die Russin hatte ihre Freundin schließlich ausreden können, herüberzukommen und sie aus dem Cockpit zu zerren. Allerdings war es ihr nur knapp gelungen. Sie hatte Imp überzeugt, dass ein Ruheplatz für sie nichts war, und bei einem Kampfeinsatz der Columbia ohnehin nicht sicherer. Zum Teufel, sie hatte sie beinahe angefleht, ihr das nicht zu verderben. Sie hatte es nicht direkt ausgesprochen, aber Imp hatte auch ohne das gewusst, dass Lilja ihr mehr als einmal geholfen hatte, wenn sie selbst am Boden gewesen war, und dass sie der Russin immer noch etwas schuldete. Zudem hatte die Staffelchefin ihre Stellvertreterin damit geködert, dass diese vorerst das Kommando über die Einheit behielt. Lilja selbst würde eine Reserveposition einnehmen. Das war nicht etwa ein Zeichen von Nachgiebigkeit. Aber sie wusste, im Moment würde sie mit der Führung eines Jägers mehr als ausgelastet sein. Eine Halbstaffel konnte sie nicht auch noch leiten. Sie war seit jeher ehrgeizig gewesen, doch das Ergebnis ging ihr über den eigenen Rang. Und ihre Erfahrung sagte ihr, die Staffel war in Imps Händen im Moment am besten aufgehoben. Zudem würde sie als letzte starten, und das letzte was Staffel Grün brauchte, war eine Warterunde.

Ja, sie hatte Imp mindestens verärgert, und Langenscheid ohnehin. Mit dem hatte sie sowieso noch nie ein gutes Verhältnis gehabt. Bloß gut, dass die beiden nicht alles wussten. Sie fühlte, wie die Aufputschmittel, die sie auf dem Weg zum Hangar eingenommen hatte, zu wirken begannen. Lilja wusste, dass das, was sie jetzt tat, gelinde gesagt riskant war, aber wofür war sie im Krieg? Und so öffnete sie das Visier ihres Helms und tastete zugleich nach einem gewissen Fach im Cockpit. Jetzt hieß es hoffen, dass Dodson entweder sehr vorausschauend oder nachlässig gewesen war…Treffer!
Mit einem schiefen Grinsen starrte Lilja auf die Injektionspistole in ihrer Hand. Die Maschine, die man ihr zugeteilt hatte, war nagelneu gewesen. Glücklicherweise nicht so neu, dass sie nicht schon voll ausgestattet gewesen war. Mit allem, was ein Pilot so brauchen konnte, einschließlich Aufputschmitteln für den Kampfeinsatz. Diese Droge war noch stärker als das, was sie als stille Reserve noch immer in ihrem Quartier gelagert hatte. Nahm man sie allerdings in Verbindung mit Schmerzmitteln ein, konnte es zu unerfreulichen Nebenwirkungen kommen. Aber das Risiko würde sie eingehen müssen. Nach kurzem Zögern legte sie ihren Fund zurück. Das hatte noch Zeit, bis sie gestartet war.

Routinemäßig checkte sie die Anzeigen ihres Jägers. Sie war immer Abfangjäger geflogen, aber natürlich hatte sie auch die Griphen zu bedienen gelernt. Die Plasmageschütze der D-Variante waren ziemlich durchschlagskräftig, aber sie schossen langsam und hatten nur eine begrenzte Reichweite. Sie würde sich merken müssen, dass sie mit dieser Maschine wesentlich näher an den Feind heran musste. Zudem hatte sie zwei Raketen weniger als in ihrer Falcon – nun, daran war sie von der Typhoon gewöhnt. Leistungsmäßig war ihr neuer Jäger ihrem alten „Schlachtross“ fast ebenbürtig.
Lilja hatte nie zu den Menschen gehört, die sich selbst überschätzten. Sie ignorierte zwar auf gewohnheitsmäßiger Basis ihre eigenen Grenzen, aber sie wäre nie auf den Gedanken gekommen, sich als etwas Außergewöhnliches zu betrachten. Sie war der Meinung, mit etwas Glück und Hartnäckigkeit konnte jeder so viel wie sie erreichen. Und sie wusste, dass eine einzelne Pilotin in einer Schlacht dieser Größenordnung nicht viel bedeutete. Ja, sie war gut, sehr gut sogar. Ansonsten hätte sie nicht so lange überlebt, nicht so viele Gegner vernichtet. Dennoch, die Entscheidungen wurden von anderen herbeigeführt. Aber ihr Einsatz würde ihr die Möglichkeit geben, zuzuschlagen. Wenn sie nur einen Akarii oder gar zwei abschießen, bei ihrer Vernichtung assistierten oder einen TSN-Kameraden retten konnte, dann war ihr Platz nicht an Bord des Trägers.

Sie spürte den Sprung nicht, gefangen in ihren eigenen Gedanken und Schmerzen. Doch Lilja bemerkte, wie die ersten Kampfflieger in All hinaus geschleudert wurden. Reflexartig verkrampften sich ihre Finger um die Steuerarmaturen, berührten die Feuerknöpfe. Sie atmete tief durch und schluckte den schlechten Geschmack hinunter, der sich in ihrem Mund gesammelt hatte. Die Startkatapulte spuckten eine Maschine nach der anderen hinaus, ein scheinbar nicht enden wollender Strom. Gedrungene Nighthawks, schlanke Falcons, Bomber, deren Pylonen nur so starrten von Atom- und Raumkampfraketen. Schließlich wurde ihr Jäger erfasst und bewegte sich zum Start, als letzter. Sie hob die geballte Faust in die Luft, eine Geste des Trotzes und der stummen Drohung, wobei ihr egal war, ob sie jemand sah oder nicht.
Im nächsten Augenblick wurde sie in den Sitz ihres Jägers gedrückt. Sie stöhnte leicht auf, als sich die Beschleunigung mit einem stechenden Schmerz in ihrem Bein bemerkbar machte. Doch der Schmerz und die Übelkeit waren vergessen, als sie die dunkle Endlosigkeit des Alls vor sich sah, erleuchtet von brennenden Schiffen und detonierenden Raketen, als sich ihre Anzeigen mit Symbolen füllten. Sie kniff ihre Lippen zusammen und presste die Injektionspistole gegen ihren Hals. Es waren nicht nur die Drogen, die wie flüssiges Feuer durch ihre Adern rannen. Sie hätte es nie zugegeben, doch ein Stück weit genoss sie das Gefecht, vor allem, wenn sie einmal nur Pilotin, nicht Kommandeurin war. All ihre geheimsten Ängste, die Furcht, als Kommandeurin zu versagen, der Schmerz über das, was unwiederbringlich verloren war, oder worauf sie selbst verzichtet hatte, all das spielte dann keine Rolle mehr. Das Weltall gehörte ihr, und es gab nicht sehr viele, die ihr in diesem Moment gewachsen waren. So etwas hätte sie natürlich nie ausgesprochen, es nicht einmal bewusst gedacht. Und doch war es so. Den leichten Schmerz in ihrem Hals, und den stärkeren in ihrem Bein, sie nahm beide kaum noch wahr. Das konnte warten bis später – sie hatte eine Schlacht zu schlagen.

***************

Zentrum des Kampfes am Sprungpunkt von Karrashin

„ACHTUNG, TREFFER!“ Der Schrei gellte noch über die Brücke, als sich der primäre Bildschirm sich mit einem Schlag schwarz färbte. Im selben Augenblick war es, als würde die Kommandozentrale gepackt und einmal brutal durchgeschüttelt. Ein Erdbeben in einem Gebäude auf der Oberfläche eines Planeten musste sich so anfühlen – als ob der Boden sich aufbäume wie ein scheuendes Pferd unter einem verhassten Reiter. Irgendwo sprühten Funken auf, als eine Konsole den Geist aufgab, aber sofort schritt die Brückenfeuerwehr ein – vier Marines in Kampfanzügen. Dies war eine Marotte Mithels, der sichergehen wollte, dass selbst bei Schwerkraftausfall, Atmosphäreverlust und stürmenden Akarii wenigsten jemand auf der Brücke einsatzbereit blieb, wenn derjenige schon nichts von der Führung eines Schiffes verstand. Die Männer und Frauen hatten eine Aufgabe, die irgendwo zwischen „Mädchen für alles“ und „Leibwächter“ rangierte, aber in Augenblicken wie diesem waren sie eine wertvolle Hilfe. Sie konnten sich selbst in Schwerkraft bewegen, da sie ihre Stiefel magnetisieren konnten. Selbst ein Atmosphärenverlust machte ihnen nicht viel aus. Und die Fliehkräfte waren machtlos gegen ihre Anzüge.
Die Sicherheitsgurte, die viele der Brückenoffiziere trugen, verhinderten das Schlimmste, obwohl es vermutlich einige Quetschungen gab. Ein Sensoroffizier krachte mit dem Kopf seitlich gegen die Konsole. Er raffte sich auf und arbeitete weiter, während ein Rinnsal Blut seinen Kragen rot färbte und einzelne Tropfen das Pult besudelten. Wie er setzten auch seine Kollegen sofort ihre Arbeit fort, als wäre nichts geschehen. Der Herr über dieses Chaos schien nicht sonderlich angeschlagen, obwohl selbst seiner Stimme die Erschöpfung anzumerken war. Er war eben keine zwanzig oder dreißig mehr, und dies war die zweite schwere Schlacht binnen kürzester Zeit. Überhaupt bot Chris Mithel nicht ganz den würdevollen und makellosen Anblick, den er gerne kultivierte und der zum Idealbild des Offiziers gehörte. Rußige Schlieren hatten seine Uniform befleckt, als mehr als einmal vereinzelte Rauchschwaden über die Brücke gewandert waren. Er schüttelte nur kurz den Kopf, um eine kurzfristige Benommenheit zu vertreiben. Das Gleichgewichtssystem des Menschen, selbst des Raumfahrers, war für einige Dinge einfach nicht geschaffen. Aber all das tat seiner Autorität wenig Abbruch, und seine Worte und Bewegungen machten deutlich, dass er geistig voll bei der Sache war: „Frage Schadensmeldung?“ Seine Stimme klang so ruhig wie immer, was zu mindestens 50 Prozent auch Theater für seine Untergebenen war. So lange der „Alte“ beherrscht blieb, konnte es noch nicht zum Schlimmsten gekommen sein. Die Antwort kam sofort, sobald sich die irrlichternden Anzeigen etwas beruhigt hatten und nicht mehr wie wild flackerten: „Backbordschild ausgefallen, baut langsam wieder auf. Panzerungsschäden im rechten unteren Bugbereich, zwei Geschütze ausgefallen, kein Hüllenbruch, aber interne Schäden.“ Der Commodore nickte knapp. Überhaupt lief im Gefecht vieles auch nonverbal. Die Kommandos im Einsatz hatten ihre Kampfcodes und Zeichensprache, und im wirtschaftlichen „Krieg“ gestikulierten die Börsenspekulanten wie rasend, während sie ihre Geschäfte machten. Auf der Brücke eines Kriegsschiffes gab es etwas ähnliches, gewachsen in Jahren der Zusammenarbeit. Ein Blick, eine Handbewegung, ein Stirnrunzeln – für das geübte Auge sagten sie deutlicher als Worte, was der Kollege, der Untergebene oder Vorgesetzte dachte und meinte. Eingespielte Crews mussten viele Dinge nicht einmal mehr aussprechen. Auf der Relentless funktionierte diese Zusammenarbeit inzwischen so gut wie perfekt.
Der Kreuzer hatte bereits vier Lasergeschütztürme und einen leichten Raketenwerfer eingebüßt. Den schweren Werfern ging die Munition aus. Doch der Commodore schien sich davon nicht beeindrucken lassen: „Schiff um 120 Grad negativ drehen. Maschine – Volle Kraft voraus. Klar bei Manöverdüsen! Zielangaben folgen.“ Die Relentless rotierte und drehte ihre Aufbauten und den noch intakten Rückenschild sowie die unbeschädigten Panzerpartien zum Gegner. So schütze sie die getroffene Seite. Mithel gestikulierte knapp, wählte scheinbar aufs Geradewohl ein Ziel. Zugleich eröffneten die Schiffsgeschütze das Feuer, ohne erst auf die mündliche Weisung des Kapitäns zu warten. Die Waffenabteilung verstand ihr Handwerk, und die Ziele waren so nahe, dass sie beinahe schon mit bloßem Augen zu erkennen gewesen wären.
Eigentlich wäre es primär Mithels Aufgabe gewesen, in erster Linie den Flottenverband zu befehligen, nicht sein eigenes Schiff. Inzwischen aber kämpfte auch die Relentless längst um das eigene Überleben. Der Commodore hatte etwas die Übersicht verloren, wie viele feindliche Schiffe der schwere Kreuzer bereits vertrieben, angeschlagen oder vernichtet hatte. Aber die Siege waren zumeist nur von kurzer Dauer. Angeschlagene Akarii kehrten zurück, vernichtete wurden ersetzt. Der Kreuzer war selbst mehrfach getroffen worden. Die starke Strahlung so nahe am Wurmloch erschwerte die Zielerfassung der Raketen, und Mithel musste zugeben, dass sowohl die Kanoniere der leichten Waffen als auch die Shuttles sich geradezu hervorragend schlugen, wenn es darum ging „Vampire“ abzuwehren. Doch gegen die feindlichen Laser- und Tachyonengeschütze war dies kein Schutz. An zwei Stellen loderten durch Kurzschlüsse ausgelöste Brände im Schiff, und es gab bereits strukturelle Schäden. Die medizinische Abteilung war voller Besatzungsmitglieder mit Knochenbrüchen, Rauchgasvergiftungen und anderen Verletzungen.
Und dann war da noch der Hüllenbruch, dort wo eine Salve aus den Geschützen eines Kilo die Schilde überlastet hatte. Das Schiff hatte einige hundert Kubikmeter Atemluft verloren, ein Dutzend Räume war versiegelt worden. Nur dem Umstand, dass das Schild wieder aufbaute, verhinderte weitere tödliche Treffer – aber noch einmal sollte sich der Kreuzer an dieser Stelle besser nicht erwischen lassen. Die Leichen der dort gefallenen Kameraden hatte man nicht einmal bergen können. Mithel kam sich inzwischen vor wie jemand, der mit einer Untertasse einen Platzregen zurückhalten wollte. Doch noch flog die Relentless.

„Funkspruch an Zentrumsverband – um Relentless formieren.“ Mithel sprach es nicht aus, aber es war abzusehen, dass sein Plan, die Akarii flankierend zu umfassen, gescheitert war. Die Flügel waren zu sehr geschwächt, und er hatte soeben seine letzten Reserven in den Einsatz schicken müssen. Die Lupo und ihre Begleitschiffe würden nur noch Lücken stopfen können, nicht dem Feind den Todesstoß versetzen. Selbst wenn die Hongkong eingreifen würde, was ihr der Commodore nicht befehlen konnte, so war dies vermutlich zu wenig. Er fühlte den bitteren Geschmack des Scheiterns im Mund, als er beobachtete, wie sich die Reste des Zentrumsverbandes um sein Schiff gruppierten. So viele fehlten, nicht nur die Dauntless An Kreuzern standen im Zentrum nur noch sein eigener, die beschädigte Redemption und die Kinugasa, die auch einiges hatte einstecken müssen. Und ein Handvoll Zerstörer und Fregatten, viele von ihnen angeschlagen. Die restlichen Schiffe fochten an den Flanken, und es sah dort keineswegs besser aus.
„Sir – Meldung von der Lupo…“ Der Commodore lächelte knapp: „Schon gut, ich sehe es selbst.“ Ungeachtet seiner Müdigkeit, ungeachtet dessen, dass sein Schiff nicht weniger angeschlagen war als sein Kapitän, richtete er sich auf und kommandierte: „Angriffsgeschwindigkeit – Vorstoß unterstützen! Feuer nach eigenem Ermessen!“ Vorbei an der kampfgezeichneten Relentless, die langsam aber unerbittlich immer mehr an Fahrt aufnahm, während ihre Geschütze wütend um sich schossen, flogen in perfekter Formation mehr als vierzig Atomraketen, abgefeuert von der Lupo und ihren Begleitschiffen. Die gigantischen Kampfkolosse schoben sich heran, schnitten durch das Dunkel, nun nicht mehr vom Radarsmog geschützt, mit blitzenden Kanonen, einen wahren Hagel von Raketen abfeuernd. Ein Sturm der Vernichtung, der konzentriert auf zwei der feindlichen Schiffe einhämmerte. Einige der Marschflugkörper wurden abgefangen oder gingen daneben, doch die meisten trafen ihr Ziel. Das eine feindliche Schiff, ein Zerstörer, taumelte getroffen zur Seite, die Flanke aufgerissen. Das andere, eine schwer gezeichnete Flakfregatte, versuchte sich abzusetzen. Gegen die Geschütze der zwei schweren terranischen Kreuzer hatte es keine Chance. Doch hinter diesen beiden formierte sich die Angriffsspitze der Echsen neu. Und die war auch durch einen weiteren Ticonderoga und ein paar Begleitschiffe nicht mehr aufzuhalten.

Das Eingreifen der Lupo war zwar ein Rückschlag für Akarii gewesen, aber keine Katastrophe. Der feindliche Kommandeur, klug geworden aus seinen Fehlern zu Beginn der Schlacht, hatte genug Einheiten in der Hinterhand behalten, um auf so eine Krise reagieren zu können. Mit der lautlosen Unaufhaltsamkeit von Eisbergen setzten sich die mächtigen Flottenträger und ihre Begleitschiffe in Bewegung, die bisher weit hinter der Kampflinie geblieben waren. Sie gingen nur ein geringes Risiko ein, und das wussten sie auch. Die Raketenvorräte der Menschen waren fast aufgebraucht, ihre Kriegsschiffe beschädigt und abgekämpft. Von den Jagdbombern der TSN war nur noch eine Handvoll übrig, die Piloten am Ende ihrer Kräfte. Es gab eigentlich nichts mehr, was den anrückenden Giganten gewachsen war, auch wenn sie ihre Kampfflieger nicht mehr einsetzen konnten, da ihre eigenen Geschwader schwere Verluste erlitten hatten.
„Sir, Prioritätsfunkspruch! Gegner drückt unsere rechte Flanke ein…“ der Kommunikationsoffizier lauschte einen Augenblick, dann wurde er bleich. Nur jahrelange Erfahrung unter einem harten Lehrmeister verhinderten, dass seine Gefühle und der Schock ihn übermannten: „Sir – die Lochinel of Cameron ist ausgefallen. Sie evakuieren das Schiff.“ Selbst Mithel hatte Mühe, Fassung zu bewahren. Noch ein Kreuzer verloren – was blieb denn noch von den Geschwader 2.3 und 2.7? Er hatte sie nach der verlustreichen Schlacht von Tukama übernommen, doch jetzt bestand das „Geschwader“ nur noch aus vier zum Teil ernsthaft beschädigten leichten Kreuzern, vier schweren Kreuzern und einem Flakkreuzer. Die Devastator war mit der Columbia geflohen, doch alle anderen Schiffe waren noch hier. Sollten nun die Reste beider Geschwader untergehen? So viele verlorene Schiffe, so viele gute Kommandeure…
Aber er wäre nicht Commodore geworden in diesem Krieg, wenn er sich von Niederlagen brechen ließ. „Sagen Sie den Flankenkräften, sie sollen langsam zurückweichen. Lupo und Zentrumsverband nehmen sie auf.“ Er wusste, er tat nicht mehr, als das Unvermeidliche hinauszuzögern. Sie konnten nicht mehr fliehen, denn inzwischen waren menschliche und imperiale Streitkräfte zu eng verzahnt. Jede Flucht unter diesen Umständen würde in einem Massaker enden und vermutlich viele Schiffe kosten. Die Akarii drückten erbarmungslos die rechte Flanke und das Zentrum der menschlichen Flotte ein. Dass sie noch nicht gesiegt hatten lag nur daran, dass der Verlust ihrer Kreuzer über Karrashin V ihnen viel Feuerkraft und etwas Schneid abgekauft hatte. Die Echsen waren misstrauisch, ob die Menschen nicht noch das eine oder andere Ass im Ärmel hatten. Zu oft hatten sie sich täuschen lassen. Doch wenn sich erst die Träger der Akarii in den Nahkampf einmischten, war das Ende abzusehen. Mithel verzog seine Lippen zu einer Grimasse. Er hasste es, um Hilfe zu bitten, aber es blieb ihm keine Wahl: „Anfrage an die Hongkong – bitten Sie um Prüfung, ob sie noch eine Jagdbomberstaffel wieder einsatzbereit machen können, um die feindlichen Träger anzugreifen.“ Er wusste, im Grunde war diese Nachfrage sinnlos. Die Hongkong hatte mit Sicherheit keine Staffel mehr, selbst wenn man alle Jagdbomber zurückrief, und selbst wenn sie diese hätten, was sollte ein Dutzend Maschinen schon ausrichten? Zwar war bei den feindlichen Flottenträgern nicht mehr als eine Handvoll Jägern, doch die Flottenträger waren auch selber schon mehr als wehrhaft. Aber der Commodore hoffte darauf, so verzweifelt wie noch nie in seinem Leben, dass die Kampfflieger vielleicht wenigstens die feindlichen Träger abschrecken konnten. Immerhin war einer der Kampfkolosse bereits angeschlagen, und sehr viel Abfangjäger hatte der Feind vermutlich auch nicht mehr.

,So weit ist es mit mir also gekommen, dass ich auf ein paar Raumjockeys hoffe…’ dachte Mithel säuerlich. Nicht zum letzten Mal verfluchte er die kurzsichtige Entscheidung seines Vorgesetzten, der Columbia den inzwischen letzten Flakkreuzer mitzugeben. Der Commodore war alles andere als ein Fan der „Wunderschiffe“, aber mit ihren Laserkanonen konnten sie immerhin einigen Schaden anrichten, auch wenn sie sonst im direkten Flottenkampf von eher begrenztem Nutzen waren. So wie es jetzt aussah, hätten sie jedes bisschen Hilfe gut brauchen können. Doch inzwischen war es zu spät, über vergossene Milch – oder das Kind im Brunnen – zu klagen. Er beugte sich in seinem Kapitänssessel nach vorne. Gut möglich, dass er an diesem Platz sterben würde, noch ehe der Tag – oder die Stunde – um war, aber bis dahin hatte er vor, seinen Feinden noch etwas den Sieg zu verderben. Wenn ihn seine Augen nicht täuschten, dann gerieten augenblicklich die Dinge wieder in Bewegung.
Noch ehe die Meldung per Funkspruch kam, registrierte der Commodore, dass sich die Hongkong in Bewegung zu setzen begann. Er lächelte spröde. So würden sie vermutlich Seite an Seite fechten, vielleicht auch fallen. „Funkspruch an Hongkong, Commodore an Admiral – Danke für Ihre Hilfe. Bitten um Unterstützung für rechte Flanke, Redemption gibt Langstreckenunterstützung. Und…gute Jagd.“
Zusammen mit dem havarierten leichten Kreuzer mochte die Hongkong den Zusammenbruch der menschlichen Formation noch etwas aufhalten. Mithel wusste, wenn er wollte, konnte Schepens das Kommando ganz übernehmen, aber er glaubte nicht, dass der gerade in diesem Augenblick an Dominanzspielchen interessiert war. Er warf einen letzten Blick auf die Taktikdisplays. „Drüben“ wappneten sich die Akarii zum letzten Angriff.
„Schiff vorbereiten auf Nahkampf. Bugbereich bis auf Notbesatzung räumen.“ Mithel wusste, der Bug seines Schiffes würde vermutlich als erstes zerstört werden. Außerdem – wenn es zum Nahkampf kam, war Rammen immer noch eine Option, und dafür wollte er vorbereitet sein. Und während sein Schiff zum Klang der Alarm- und Schadensmeldungssirenen in den Kampf zog, erinnerte sich an etwas, was sein Vorgänger einmal gesagt hatte, der eine wahre Fundgrube für Zitate und Wahlsprüche gewesen war. Es handelte sich um eine Zeile aus einem alten terranischen Theaterstück: „Noch einmal stürmt! Noch einmal…“

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Sprungpunkt des Karrashin-Systems, Gefechtsfront Columbia

Der Eintritt der Columbia und ihrer Begleitschiffe vollzog sich mit einer lautlosen aber doch grandiosen Präzision. Der Träger tauchte inmitten der kleineren Schiffe auf, ein gigantisches, atemberaubendes Stück Technik und Vernichtung, und begann praktisch sofort, Kampfflieger auszuspucken. Die Akarii, die gerade dabei gewesen waren, die Menschen trotz aller Verluste vom Sprungtor abzudrängen, wurden vollkommen überrascht. Sie verspielten die paar Sekunden Vorteil, die sie normalerweise gehabt hätten, bis sich der Träger orientiert hatte. Ohnehin brauchte der Träger viel weniger Zeit, als eigentlich üblich, auf geheimnisvolle Weise schien er im Bild über die Lage der Schlacht. Des Kaisers Flottenoffiziere hatten angenommen, die Columbia sei schwer angeschlagen geflohen. Ein tödlicher Irrtum, wie sich jetzt herausstellte. Die Feuerkraft des Pegasus-Trägers entsprach ziemlich genau der eines Ticonderoga-Kreuzers, sie war gut geschützt, und sie verfügte noch über einen ausreichenden Vorrat an Raketen.
Bereits die erste Salve aus dreißig Marschflugkörpern pulverisierte eine Fregatte der Akarii förmlich. Die Abwehr des kleineren Schiffes war gegen einen solchen Ansturm ebenso wehrlos, wie die Schilde und Panzerung gegen die Wucht der Treffer. Die anderthalb Dutzend Lasergeschütze des Trägers kamen gar nicht mehr zum Zug, sondern tasteten sofort nach einem weiteren Opfer, einem Zerstörer, der verzweifelt beidrehte und das Feuer mit allen Waffen eröffnete. Seine Kanonen ließen den Bugschild des Trägers flackern, und eine seiner Atomraketen durchbrach den Feuerhagel der Abwehr und hüllte die Flanke der Columbia in Feuer, ohne jedoch die Schilde durchschlagen zu können. Für einen Augenblick, der sich für die Beteiligten jedoch endlos hinziehen musste, tauschten die zwei Schiffe Salve auf Salve aus in einem ebenso tödlichen wie ungleichen Duell. Dann triumphierten die Kanoniere des Trägers über ihren Gegner und durchbrachen an einem halben Dutzend Stellen seine Schilde. Wie zuvor die Dauntless wurde der imperiale Zerstörer förmlich aufgeschlitzt, doch ein Großteil der Besatzung konnte noch in die Rettungsboote gehen, da die Munitionskammer nicht getroffen wurde. Auch die Begleitschiffe der Columbia blieben nicht müßig.

Der feindliche Kommandeur hatte wie seine Untergebenen – und seine Gegner – in den Gefechten über Karrashin mehr als einen Fehler gemacht. Die Menschen hatten mit ihrem Kampffliegerangriff auf den feindlichen Hauptverband versagt, und sie hatten nur mit Mühe die feindlichen Kreuzer und Jagdbomber über Karrashin V abwehren können. Ihre Falle am Sprungtor hatte sich gegen sie selbst gewandt, ungeachtet der anfänglichen Erfolge. Die Akarii wiederum hatten es versäumt, den ersten Angriff ihrer Bomber und Kreuzer angemessen zu koordinieren und so praktisch beide Angriffsformationen verloren. Sie waren am Sprungtor zunächst überrascht worden und hatten dafür teuer bezahlen müssen. Doch keine von beiden Seiten hatte es an Kampfgeist und Entschlossenheit mangeln lassen, Panik war nicht aufgekommen. Und so wie die Menschen bis eben noch gekämpft hatten, die scheinbar sichere Niederlage vor Augen, fassten sich die Offiziere und Flottensoldaten des Kaisers schnell. Die zwei schweren Träger nahmen Fahrt auf, um den bedrängten Kameraden zu Hilfe zu kommen. Die leichten Einheiten, unter massivem Feuer der Columbia und ihrer Begleitschiffe stehend und bereits um ein weiteres Schiff vermindert, schlossen die Reihen und koordinierten ihre Abwehr. Ihre Laser und leichten Raketen woben ein Verteidigungsnetz, das angesichts der endlosen Weiten des Weltraums nicht viel mehr Substanz als Spinnweben zu haben schien, und doch die Festigkeit von Stahl besaß. Dann begannen sie, mit konzentrierten Salven von Marschflugkörpern zurückzuschlagen. Die Columbia mochte noch fechten, doch die Akarii waren entschlossen, sie diesmal wirklich und unwiederbringlich zu vernichten. Sie kannten die vernichtende Feuerkraft ihrer eigenen Träger, die der eines Pegasus deutlich überlegen waren. Und sie vertrauten auf die Feuerkraft ihrer eigenen Batterien, ihrer Begleitschiffe und der verbleibenden Abfangjäger, um sich gegen den Moskitoschwarm von Jägern und Bombern zu wehren, den die Columbia auf sie losließ.

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Lilja merkte sofort, dass diesmal etwas anders war als sonst. Sie hatte schon ungewohnte Maschinen geflogen, und sie hatte mehr als einen Jäger verwundet manövriert – doch bisher nicht beides auf einmal. Nur schiere Willenskraft hielt sie aufrecht, als sie die erste scharfe Kurve flog, um sich einen Überblick zu beschaffen. Ihr Bein war gut fixiert, doch die Fliehkräfte ließen bei jedem Grenzbereichmanöver gleichsam ein glühendes Messer in ihren Knochen fahren. Die Aufputschmittel erhöhten ihre Reflexe, doch zugleich nahm sie alles auch mehr als deutlich wahr – die Lichtreflexe ferner Explosionen, die Laute und das Flackern der Anzeigen, deren Piepen und leuchtendes Rot sich in ihren Kopf zu bohren schienen. Dazu ihren keuchenden Atem, den säuerlichen Geruch ihres eigenen Schweißes, den stechenden Schmerz in Kopf und Bein. Sie musste ständig gegen Übelkeit und Schmerzenslaute ankämpfen. Glücklicherweise hatte sie darin Übung. Sie biss sich auf die Lippe, bis sie den süßlichen Geschmack von Blut auf der Zunge spürte, und beschleunigte. Das Schicksal – und Menschen, die Vertrauen in sie setzten – hatten ihr eine besondere Gunst erwiesen. Sie würde keinen enttäuschen.
Ein rascher Blick sagte ihr, wie es stand. Die Akarii waren kurzfristig aus dem Takt gekommen. Die Kampfflieger der Columbia stießen vor – so viele eben noch übrig waren. Die Columbia hatte nichts zurückgehalten – wozu auch? Das Mutterschiff stand selber mitten im Nahkampf, und feindliche Jagdbomber oder gar Bomber gab es kaum noch. Aber das bedeutete nicht, dass der Feind geschlagen war.
Die Russin überlegte fieberhaft. Sich dem Jägerangriff anschließen, auf welches Ziel auch immer? Aber war sie dazu überhaupt in der Lage, könnte sie angemessen reagieren und würde nicht eher selbst Hilfe benötigen?

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First Lieutenant Robert Stanford starrte mit wütender Miene auf die Anzeigen auf seinem Pult. Frecherweise ließen sich diese dadurch aber nicht beeindrucken und meldeten weiterhin: ‚Raketenwerfer ausgefallen’. Mit einmal hatte sein Shuttle ein Gutteil seiner ohnehin nicht gerade überwältigenden Kampfkraft verloren. Die Schlacht hatte auch die „Mückenflotte“ dezimiert, ebenso wie ihre Brüder von anderen Schiffen. Ein weiteres der Kampfshuttle hatte schwer beschädigt weichen müssen, und zwar ausgerechnet das ihres Staffelchefs. Es ging ihm noch ganz leidlich, nach der Litanei an Flüchen zu schließen, die über Funk zu hören gewesen waren, als Lieutenant Commander Lefranque hatte weichen müssen. Dabei hatte er eigentlich eher Grund zum Jubeln gehabt. Sein Ausfall war nur deshalb kein Totalverlust geworden, weil auch der Akariijäger am Ende seiner Kräfte und havariert gewesen war, so dass er nicht mehr nachstoßen konnte und sich von einem Feuerhagel aus Laserkanonen vertreiben ließ. Danach hatte Robert Stanford die „Staffel“ – gegenwärtig noch drei zum Kampfeinsatz ausgerüstete Transportshuttle – übernommen. Er hatte sie defensiv geführt, zum Schutz eigener Großkampfschiffe. Mithel hatte ein Gutteil der Shuttles an die Flanken beordert. Dort waren weniger Gegner, aber jedes bisschen zusätzliches Abwehrfeuer konnte überlebenswichtig sein. In Folge dessen hatte er die Ankunft der Columbia von einem Ehrenplatz aus verfolgen können. Ein wirklich Ehrfurchtgebietendes Schauspiel, vor allem wenn man in einer Maschine saß, die nicht viel größer als ein Jäger war. Was auch von Vorteil war, denn die Großkampfschiffe ignorierten die Shuttle weitestgehend, so lange sie sich noch mit „richtigen“ Gegnern herumschlagen mussten. Aber schließlich hatte wieder einmal eine Fregatte mit ihren Kanonen nach R-3 getastet, möglicherweise einfach um sicherzugehen, dass die Sturmfähre keine Kompanie für ein selbstmörderisches Entermanöver an Bord hatte. Sie hatten noch einmal fliehen können, aber der Raketenwerfer hatte die Erschütterungen und Treffer nicht überstanden. Zwar waren 75 Prozent seiner Munition schon aufgebraucht, aber die restlichen Raketen hätte Lieutenant Stanford doch gerne ihrer eigentlichen Bestimmung zugeführt. Er wusste, bei seinen Untergebenen, den bewaffneten Shuttles R-2 und R-7, sah es nicht viel besser aus. Keine gute Karten, wenn man bedachte, dass die Schlacht gerade eben wieder so richtig losging.
„Achtung, herhören. Wir schließen zur Columbia auf. Ich wette, die können ein bisschen Unterstützung gebrauchen.“ Nicht, dass sie sehr viel anzubieten hatten, aber ein paar Marschflugkörper abfangen, das konnten sie vielleicht noch. Außerdem – es war immer gut, denen zu helfen, die ein besseres Ziel abgaben, als man selbst…

Er wollte bereits den Steuerknüppel nach vorne schieben, um seine Maschine zu beschleunigen, als sich eine harte Frauenstimme einmischte, die ihm komischerweise bekannt vorkam: „Hier Grün Zwölf für das Shuttle… R-3. Wer ist ihr Kommandeur?“
Der Brite runzelte die Augenbrauen. Was sollte denn das für eine Frage sein, jetzt mitten in der Schlacht? Er kannte allerdings das Gehabe von Vorgesetzten, und wenn das nicht ein höherrangiger Offizier war, dann war er ein Rekrut frisch von der Akademie. Er räusperte sich: „Im Moment ich, First Lieutenant Stanford.“ Auf der anderen Seite herrschte für einen Moment Schweigen. Dann war wieder die Frauenstimme zu hören: „Schön. Hier Lieutenant Commander Pawlitschenko. Hören Sie mir gut zu…“ Doch in dem Augenblick mischte sich Maria Hernandez ein. Ihre Stimme klang vor Entrüstung ziemlich respektlos: „Pawlitschenko? Por dios, Sie sind doch die Fliegerin mit dem gebrochenen Bein, die unbedingt auf die Columbia wollte. Was verdammt noch mal machen Sie hier draußen?“
Die andere Offizierin schaltete auf kalt und arrogant: „Dann hat sich Ihr Sani eben geirrt, ich bin wieder diensttauglich. UND der ranghöchste Offizier – ranghöher als Sie. Und jetzt hören Sie mir zu, Mädchen.“ Stanford gestikulierte wild, als seine Untergebene ihren Mund für eine scharfe Entgegnung öffnete. Er blockierte den Funkkanal: „Sei still. Ja, du hast vielleicht Recht, und nein, sie kann uns nicht ohne weiteres übernehmen. Aber ich will jetzt keinen Streit.“ Die Copilotin warf ihm einen wütenden Blick zu. Sein aufrichtiges: „Bitte.“ aber entlockte ihr ein leichtes Lächeln. Sie nickte knapp.
Stanford öffnete den Kanal wieder: „Commander, was wollen Sie?“
Die Russin klang reichlich unwirsch: „Erst einmal Ihre Aufmerksamkeit. Und dann werfen Sie einen Blick auf ihre Anzeigen, Quadrant Alpha-Omega 13-24.“ Der Shuttlepilot schaute kurz auf die Ortungsanzeigen seines Shuttles. Er schaute etwas länger hin. Dann fluchte er.
In der Stimme der Jagdpilotin schwang grimmige Genugtuung: „Sie sehen sie also auch. Ich hatte mich schon gefragt, ob mich die Sensoren dieses Wundervogels narren.“
„Sie“, das war eine kleine Gruppe von Ortungssignalen, die leicht nach vorne versetzte „über“ der Columbia kreuzten. Die heftigen Radarstörungen, die miteinander ringenden ECM und ECCM sowie zahllose Trümmerteile bildeten ein Dickicht, das manches verbergen konnte. Einen verletzten Hasen wie einen schleichenden Tiger. Und die dort fielen eher in letztere Kategorie.
Die Stimme von Second Lieutenant Hernandez klang mit einmal sehr professionell: „Kampfflieger, fünf oder sechs. Schwerere Kaliber, ich vermute Deltavögel. Offene Abfangformation.“ Sie schwieg, dann spuckte sie einen wüsten Fluch aus: „Die Kerle machen einen auf Nesträuber!“

Unter einem Nesträuber verstand man im Jargon einiger Piloten eine besondere Gefahr des Schlachtfeldes. Der Trick bestand darin, mehrere Kampfflieger möglichst gut getarnt in einem gewissen Abstand zum feindlichen Träger zu platzieren. Die Aufgabe der Flieger war es, heimkehrende Maschinen abzufangen, wenn diese, beschädigt, knapp an Sprit und leer geschossen, zu ihrem Mutterschiff zurückkehrten. Richtig funktionieren konnte so etwas nur, wenn der Träger über keine schnellen Abfangjäger zur Nahsicherung verfügte. Oft genug waren derartige Manöver gescheitert, weil die Jäger zu Gejagten geworden waren. Aber ein paar der übelsten Massaker waren auf genau diese Weise angerichtet worden. Aus Sicht der Akarii machte das Manöver Sinn. Die Columbia hatte so gut wie keine Eigensicherung zurückbehalten, und da sie direkt im Nahkampf stand, konnte sie sich nicht mit ihren Bordwaffen um diese paar „Mücken“ kümmern. Die Menschen hatten bewiesen, dass sie Kampfflieger binnen kürzester Zeit wieder einsatzbereit machen oder ersetzen konnten. Die Echsen waren fest entschlossen, dem einen Riegel vorzuschieben. Da es ihnen an Bombern mangelte, die Columbia direkt anzugreifen, platzierten sie einen Wespenfänger vor dem Nest, anstatt das Nest selbst auszuräuchern.
Die Jagdpilotin hatte wohl nur dank der verbesserten Elektronik ihrer neuen Maschine den Braten gerochen: „Also, habe ich jetzt Ihre Aufmerksamkeit, Lieutenant?“ Sie ließ ihren neuen möglicherweise-Untergebenen gar nicht zu Wort kommen: „Ich weiß, drei Shuttle und eine Griphen gegen sechs Deltas, das ist etwas unsportlich. Aber ich habe mir schon was überlegt, doch dafür brauche ich Ihre Funkausrüstung, die ist nämlich immer noch besser als meine…“

******

Unter dem Sichtschutz ihres Helmes schnitt Lilja eine Grimasse. Es war schwieriger gewesen, als sie gedacht hatte. Der Shuttlepilot war recht einfach zu überzeugen gewesen, doch es kam ja nicht nur auf ihn an. Sie beugte sich nach vorne, beschleunigte ihren Jäger. Sie ignorierte die Schweißtropfen, die ihr vor lauter Schmerz und Konzentration übers Gesicht rannen. Jetzt kam es darauf an, auf Präzisionsarbeit. Ihr Jäger flog praktisch „über“ R-3. So nah war sie in all den Jahren eigentlich keinem anderen Schiff gekommen, außer bei der Landung. Nicht einmal, wenn sie mit einem feindlichen Jäger ein tödliches Ballett tanzte. Eine kleine Unachtsamkeit, und sie würde mit einer Geschwindigkeit von zweihundert Kilometern in der Sekunde mit R-3 kollidieren. Ein hoch entwickelter Computer, langjährige Erfahrung und eine erstklassige Ortungstechnik waren das einzige, was zwischen ihr und einer Katastrophe stand. Das, und ihr Vertrauen in einen Piloten, den sie gar nicht kannte. Aber je länger der Flug dauerte, desto größer wurde die Gefahr eines Fehlers.
Sie war nicht religiös, doch jetzt betete sie, wenn auch zu keinem Gott, sondern zum Universum im Allgemeinen: „Nun macht schon, bitte. Tut mir den Gefallen, und ich bitte nicht mehr so schnell um etwas. Nur dieses Mal, lasst alles klappen.“ Ihre Finger huschten über die Anzeigen. Sie handelte zum Teil nicht einmal bewusst, als sie hier etwas Schub wegnahm, dort die Geschwindigkeit ein wenig anhob. Der Teil von ihr, der einen Jäger praktisch im Schlaf fliegen konnte, hatte die Kontrolle übernommen. Zugleich starrte sie wie gebannt auf die Anzeigen. Und betete…

*******

In Shuttle R-3 war die Anspannung förmlich sichtbar. Mit monotoner Stimme betete die Kopilotin die Daten herunter. Einmal griff sie blitzschnell ein, als das Shuttle auszubrechen drohte. Robert Stanford konzentrierte sich ganz auf den Flug, er vertraute blindlings den Anweisungen seiner Untergebenen. Dennoch hätte er sich beinahe einen tödlichen Fehler geleistet, als er ihre leiste Stimme hörte: „Achtung, sie fliegen an. X-Zeit noch dreißig Sekunden. Fünfundzwanzig. Zwanzig…“
Der Pilot spürte den wahnsinnigen Drang, sich selbst zu überzeugen. Er wollte einen Blick auf die taktischen Anzeigen werfen, die nur ein paar Zentimeter neben den Flugkontrollen blinkten. Nur einen Blick darauf werfen. Und dennoch, er verbot es sich. Er musste auf den Flug achten, und nur auf den Flug. Er durfte nicht dorthin blicken, wo die Akarii inzwischen auffächerten, mit lodernden Antriebsdüsen beschleunigten. Elegant wie ein ganzer Schwarm Raubvögel mit ausgebreiteten Schwingen glitten sie herab, die Krallen ausgestreckt. Gleich, gleich würden sie zustoßen. Er lauschte der Stimme seiner Untergebenen: „Fünf, vier, drei, zwei, eins – JETZT!“

Die Akarii hatten sich ihre Ziele mit Bedacht gewählt. Vor ihnen schlichen sie dahin, drei terranische Kampfflieger, ein maroder Jagdbomber und zwei Jäger. Es war den Echsen gleichgültig, ob diese Menschen zur Columbia gehörten, ob sie weiterkämpfen wollten oder nur dort Zuflucht suchten. Bis eben noch hatten diese Terraner Akarii getötet. Jetzt war für sie die Zeit gekommen, zu sterben. Die Imperialen hatten die Shuttles längst geortet, aber sie kümmerten sich nicht um sie. Das waren Ziele minderer Gefährlichkeit, die konnten immer noch später an die Reihe kommen. Jetzt hatten sie edleres Wild im Auge.
Erst im letzten Moment schalteten die Akariipiloten die Zielerfassungssysteme an. Nur Sekunden sollten den Menschen bleiben, um zu reagieren – keine Zeit für einen Hilferuf oder einen Fluchtversuch. Denn das war der größte Nachteil des Deltavogels, er war nicht so schnell wie sein Jagdwild. Doch was dann geschah, hätte wohl keiner der Akarii für möglich gehalten. Anstatt in Panik zu geraten, drehten die drei Terraner plötzlich auf die Deltavögel ein. Ohne Raketen, zwei zu eins in der Unterzahl, griffen diese verrückten Menschen an! Doch noch während die kaiserlichen Sturmjäger sich bereit machten, diese Dummheit mit dem Tode zu strafen, heulten ihre eigenen Warnsirenen auf – Raketen im Anflug. Die Sparrows der Shuttles brauchten nur eine Sekunde, dann hatten sie ihr Ziel erfasst.
Lilja schrie, vor Begeisterung wie vor Schmerz auf, während ihr Jäger auf Nachbrennergeschwindigkeit beschleunigte. Sie löste sich aus dem Ortungsschatten von R-3, so wie sich die zwei anderen Shuttle voneinander trennten. Das war ihr kleiner Trick gewesen, die schlechten Ortungsbedingungen zu nutzen, und im Verbandsflug den Akarii vorzugaukeln, hier seien nur zwei Shuttle – nicht drei und eine Griphen. Und sie hatte die Piloten der Heimkehrer davon überzeugen können, Köder zu spielen. Natürlich nur mit Verweis darauf, was die Akarii alles anrichten könnten, wenn man sie nicht erledigte. Sechs Deltavögel hatten genug Feuerkraft, eine Staffel leichter Jäger zusammenzuschießen. Nicht einmal die geheimnisumwitterten „Doomhammer“, wie die Menschen die modernsten Vielzweck-Kampfflieger der kaiserlichen Streitkräfte nannten, hatten mehr und schwerere Buggeschütze.
Lilja spürte keinen Schmerz, als sie ihre Raketen abfeuerte, zwei, und noch einmal zwei hinterher. Die Shuttles spuckten eine Salve Sparrows nach der anderen aus. Längst war sie selbst ihnen vorausgeeilt, mitten hinein in die feindliche Formation – nur die Raketen waren schneller.

Feuer loderte auf, als die Akarii auseinander spritzten. Ihr Angriff auf die menschlichen Heimkehrer war vergessen, jetzt ging es nur noch darum, sich selbst zu retten. Einer taumelte getroffen durchs All, von den Sparrows der Shuttles angeschlagen. Er stieß Täuschkörper aus, aber die Bilderkennungsraketen waren weitaus schwerer zu täuschen als IR-Suchköpfe. Ein weiterer Treffer blitze auf, und mit einmal verformte sich die elegante Silhouette des Kampffliegers. Er brach förmlich in der Mitte auseinander, während sich der Pilot herauskatapultierte. Zwei von Liljas Raketen hatten ebenfalls ihr Ziel getroffen, doch ihr Feind war noch in der Lage, sich zu wehren. Der massive Jäger rotierte, und bestrich den Angriffssektor der Griphen mit dem Sperrfeuer seiner Kanonen. Er brauchte nur ein paar Glückstreffer.
Der terranische Mehrzweckjäger wurde durchgeschüttelt, als er durch das Energiegewitter flog. Lilja bleckte nur die Zähne, doch nicht vor Wut. Der Schmerz in ihrem Bein strahlte inzwischen bis zur Hüfte aus, und schien sich schrittweise über ihren ganzen Körper auszubreiten. Sie nahm eine Bewegung aus den Augenwinkeln wahr, und handelte reflexartig. Ihre Maschine bockte leicht, als die letzten Raketen abkoppelten. Niemand hörte den wütenden Schrei der Pilotin. Was für ein dämlicher Anfängerfehler! Sie hatte gefeuert, bevor ihr Radar das Ziel – einen weiteren Deltavogel – hatte erfassen können. Ein Drittel ihrer Raketen, einfach verschwendet! Sie bäumte sich in den Gurten auf, nur um im nächsten Moment erstickt vor Schmerz aufzuheulen. Aber Lilja war keine unerfahrene Akademieabgängerin mehr. Mit einem Stöhnen drängte sie den Schmerz zurück. Sie wusste, noch einen solchen Fehler würde sie nicht überleben. Auf Gutglück ließ sie ihren Jäger rotieren. Energiebahnen, die durch das All rasten, bewiesen, dass sie keine Sekunde zu früh gehandelt hatte. Sie sah sofort, dass sie mit zwei Deltavögeln zu kämpfen hatte, einer davon ihr angeschlagener Gegner. Die anderen Akarii waren versprengt, an zwei Fronten gleichzeitig gebunden. Allerdings waren zwei gegen eine mehr als genug um Lilja beschäftigt zu halten. Die schwereren Maschinen konnten nicht einmal annähernd mit ihrer Wendigkeit und Geschwindigkeit mithalten, doch sie hatten noch Raketen, und waren weitaus besser bewaffnet. Die Russin hieb auf den Feuerknopf für Täuschkörper, einmal, zweimal, während sie wie eine wahnwitzig gewordene Mücke dahintanzte, kopfüber, drehend, kreisend. Doch ihre Sinne waren bis aufs äußerste angespannt. Alles, was sie brauchte, war eine Gelegenheit. Wie…JETZT!
Blitzartig schoss die Griphen aus einer Kurve, die ihr Bein einmal mehr vor Schmerzen vibrieren ließ. Ihr eigener Schwung trug sie in den Rücken des angeschlagenen Deltavogels, dort, wo ihre Raketen ihr Werk verrichtet hatten. Lautlos, die Lippen zusammengekniffen, betätigte sie die Feuerknöpfe. Was sie sah, nahm ihr den Atem.
Sie war bereits mit der alten Griphen geflogen, und sie war erfahrene Typhoon- und Falcon-Pilotin. Aber ihr fehlte etwas die Erfahrung mit schwerer bewaffneten Maschinen. Wo ihre Waffen normalerweise auf die Schilde einhämmerten und sich schließlich hindurch schnitten, zerfetzten sie diesmal die Energieschilde förmlich. Nur Reste blieben von der Panzerung des Akarii übrig. Was eben noch ein tödlicher Kampfflieger gewesen war, war mit einmal in ein fragiles Wrack verwandelt worden. Sekundenbruchteile, bevor ihre zweite Salve das Wrack in einer Wolke von Metall, Gas und Feuer vergehen ließen, katapultierten sich zwei Körper aus der Maschine.

Lilja verwandte diesmal keine Sekunde darauf, sich ihres Sieges zu freuen oder ihrem liebsten Sport – dem Töten von Akarii – zu frönen. Noch während ihre Augen den Sieg registrierten, beschleunigte sie wieder. Ihr Jäger schoss in einer Korkenzieherrolle davon, nur um sofort durch eine Serie von Treffern durchgeschüttelt zu werden. Der zweite Deltavogel wollte Rache. Wie der feindliche Pilot es schaffte mit ihr mitzuhalten, war eigentlich kaum nachzuvollziehen. Er musste längst an der Grenze des Ertragbaren fliegen, ohne sich um mögliche Ohnmacht oder schwindenden Treibstoff zu kümmern. Lilja war eine mehr als erfahrene Pilotin, und selbst in ihrem augenblicklichen Zustand hatte sie vermutlich den meisten menschlichen oder Akarii-Piloten einiges voraus. Aber obwohl sie jeden ihr bekannten Trick nutzte, gab es für sie kein Entkommen. Jedes Manöver wurde gekontert, jeder Ausbruchsversuch endete in einem verzweifelten Ausweichmanöver, wenn der Gegner sich auf sie einschoss. Mit Nachbrenner und aberwitzigen Manövern setzte der Deltavogel die Verfolgung der Griphen fort. Der Akarii ignorierte die gelegentlichen Treffer der Griphen, die auch an seinen Schilden nagten. Lilja schoss unablässig, und ihre schweren Plasmakanonen hatten auf diese geringe Entfernung eine vernichtende Feuerkraft. Doch ihr Feind konnte wesentlich mehr aushalten als sie. Längst waren mehrere Schilde von Liljas Jäger ausgefallen. Sie nahm kaum noch den Schmerz in ihrem Bein wahr, obwohl ihr die salzigen Tränen übers Gesicht rannen. Es war nicht Trauer und Selbstmitleid, eher Wut. Sie wusste, so wie es aussah gab es diesmal kein Entrinnen. Sie bereute es nicht, noch einmal ins Gefecht gezogen zu sein, sondern nur, nicht mehr ausgerichtet zu haben. Im Grund handelte sie mehr automatisch als bewusst, als sie weiterhin versuchte, dem feindlichen Feuer zu entkommen, und das wusste sie auch. Sie konnte nicht siegen, und entkommen konnte sie auch nicht. Jede Kehre, jeder Überschlag fielen ihr schwerer, der Steuerknüppel schien mit jeder Sekunde mehr an Gewicht zu gewinnen. Dies war das Ende. Doch obwohl sie dies wusste, kämpfte sie weiter. Aufgeben, kapitulieren, das war nichts für sie.

Eine weitere Salve schüttelte ihren Jäger, und im nächsten Augenblick war ein nur zu vertrautes Zischen zu hören. Luft, die aus dem Cockpit entwich. Liljas Hand verharrte über dem Sprengknopf, der sie aus der Kabine katapultieren konnte. Es war sinnlos, in ihrem Zustand würde sie einen Ausstieg kaum überstehen. Und in dieser Schlacht würde nur eine Seite Zeit haben, Schiffbrüchige zu bergen – und von der wollte sie sich nicht retten lassen. Die Russin fluchte, dann betätigte sie ein letztes Mal den Nachbrenner. Sie schnitt direkt unter der Flugbahn des Deltavogels hinweg, der sofort versuchte wieder auf sie einzukurven. Ihre Waffen hämmerten los, direkt auf das feindliche Cockpit gerichtet. Für eine Bloodhawk wäre das bei ihrer Bewaffnung ein tödlicher Treffer gewesen, doch dem Deltavogel hatte sie nicht einmal die Panzerung zerkratzt. Er war geblendet, vermutlich brutal durchgeschüttelt, interne Schäden waren nicht auszuschließen. Aber er flog noch, und auch blind feuerte der gegnerische Pilot unangenehm genau. Eine Salve aus einer Plasmakanone deformierte Liljas Bug und kostete sie die Hälfte ihrer Bewaffnung. Es fühlte sich an, als wäre sie mit 90 Stundenkilometern gegen eine Betonwand gefahren. Ihre Hand tastete nach dem Steuerknüppel für ein verzweifeltes Ausweichmanöver, aber auf halbem Weg sank sie kraftlos herab. Ein Muskelkrampf ließ ihre Finger unkontrolliert zucken, ihr rechter Arm hing wie totes Gewicht herab. DAS war nun wirklich der letzte Nagel zu ihrem Sarg.
Lilja schloss für keine Sekunde die Augen. Ein weiterer Alarm heulte auf, als der Gegner ihren Jäger ins Visier nahm. Sie griff mühsam mit der Linken nach vorne, betätigte ein letztes Mal den Feuerknopf, sah, wie sich Photonen- und Plasmaenergie an den feindlichen Schilden entluden, sie zum Teil durchbrachen. Sie wusste, die Waffen würden keineswegs schnell genug wieder aufladen. Nur noch Sekundenbruchteile…
In diesem Augenblick schien vor Lilja die Sonne aufzugehen. Das helle Licht überlastete selbst die automatische Verdunklung ihres Helmes, und für einen Augenblick war sie blind. Geblendet, hilflos, konnte sie nur noch auf das Ende warten.

Das Ende blieb aus. Sie brauchte eine Weile um geistig zu verarbeiten, dass es nicht etwa ihr eigener Todesschrei war, den sie hörte, sondern ein zweistimmiges Siegesgeheul in allen Tonlagen. Und noch etwas länger brauchte sie, um wieder richtig sehen zu können. Etwas seitlich vor ihre drehte ein TSN-Shuttle bei. Dort, wo der Akarii eben noch gewesen war, befand sich nun nur noch eine sich ausbreitende Wolke von Trümmerteilen. Kein Pilotensitz, kein Flügel, Rumpf oder Bug – nichts, was größer gewesen wäre als ein Quadratfuß. Mit einmal war da eine Welle von Übelkeit in ihrer Kehle, der bittere Geschmack von Galle. Gurgelnd holte sie Luft, zwang ihren eigenen Körper unter Kontrolle. Sie würde nicht wie ein Anfänger in ihren Helm kotzen und daran ersticken! Mit einem Würgen schluckte sie Magensäure, Speichel und Blut herunter. Es dauerte einige Sekunden, bevor sie wieder sprechen konnte, mit einer Stimme wie ein Reibeisen.
Sie räusperte sich: „Ha…Hallo? Shuttle?“
Die Stimme von First Lieutenant Robert Stanford überschlug sich immer noch, und im Hintergrund war seine Untergebene zu hören, die gerade dabei war, Gott, der Jungfrau Maria und allen Heiligen zu danken.
„Wir haben ihn einfach weggeblasen! Der Idiot war so heiß drauf, dich abzuknallen, dass er uns nicht mal kommen sah! Und da du ihn schon weich geklopft hast, musste unsere Killerchica einfach nur draufhalten. Er hatte eben etwas zuviel Energie auf die Bugschilde umgeleitet, um deinen Plasmaspuckern zu entgehen. Da haben wir ihn kalt von hinten aufgeschlitzt.“
Wie erledigt Lilja war, merkte man daran, dass sie sich die vertrauliche Sprache nicht verbat, obwohl sie sonst in dieser Beziehung mehr als penibel war. Stattdessen klang sie ziemlich matt, aber aufrichtig dankbar: „Das war…ausgezeichnete Arbeit. Das hätte kein Jägerpilot besser hingekriegt. Danke. Ich schulde euch wirklich was.“ Stanford schien ihr das mit dem Jägerpiloten nicht übel zu nehmen: „Geschenkt! Die anderen Deltas sind getürmt. Die hören vermutlich nicht auf zu rennen, bis sie bei ihren Trägern sind. Ich glaube, du hast ihren Anführer erledigt. Einer von ihnen ist auch noch beschädigt – das reichte ihnen.“ Lilja lächelte schief. Ein Sieg also. Nur das zählte, nicht, wie knapp er errungen war. Und es war natürlich nicht nur ihr Sieg, nicht mal in erster Linie ihrer. Doch sie wusste, dass auch Siege niemals ohne Preis kamen: „Eigene Verluste?“
Der Shuttlepilot wurde übergangslos ernst: „Sie haben die Mirage abgeschossen. Einer meiner Leute ist schwer beschädigt – ich denke, der schleicht sich lieber zurück. Und, nehmen Sie mir es nicht übel…“ offenbar wurde er jetzt langsam wieder etwas förmlich: „Sie sollten sich besser auch zurückziehen. Ihr Jäger ist zwar nicht noch vollkommen Schrott, aber auf dem besten Weg dahin.“
Lilja schwieg für eine Sekunde, dann räusperte sie sich. Nicht einmal sie war so wahnsinnig, mit einem „offenen“ Jäger ohne Raketen in die Schlacht zu ziehen: „Sie haben vermutlich Recht. Ich wünsche Ihnen noch eine gute Jagd. Noch einmal – ich schulde Ihnen und Ihrer Kopilotin viel. Auch weil Sie mitgemacht haben, die Deltavögel zu verscheuchen. Die hätten uns noch ein paar Jäger kosten können. Mehr als nur eine einzige Mirage. Ich werde das auf jeden Fall lobend erwähnen, aber wenn Ihr Kapitän einen Blick für Talent hat – und ich weiß, das hat er – dann haben Sie sowieso etwas gut.“
Drüben auf R-3 grinste Lieutenant Stanford breit. Lob hörte er immer gerne, vor allem von höheren Rängen, selbst wenn es nur ein Lieutenant Commander war. Maria Hernandez lachte nur schallend: „So lange man uns nicht zu den Jägern strafversetzt, soll es mir auch Recht sein.“ In das Gelächter stimmte auch die Jägerpilotin ein. Das ein Gutteil unterdrückte Hysterie mitschwang, fiel kaum auf – denn das war bei allen dreien der Fall.
Dann beschleunigte die kampfgezeichnete Griphen wieder, diesmal allerdings langsam und bedächtig, und machte sich auf den Heimweg. Sie war nicht sicher, ob die Columbia aufnehmen würde, jetzt, mitten in der Schlacht. Immerhin hatte ja der neue Schiffskommandant angekündigt, er würde sie als letzte einsammeln lassen…
Aber die Nähe zum Mutterschiff bot in jedem Fall eine gewisse Sicherheit, und vielleicht ließ man sie doch landen. Dann würde sie abwarten können, wie die Schlacht ausging. Etwas anderes blieb ihr nicht mehr übrig. Lilja spürte, wie eine bleierne Schwere den Schmerz zu ersetzen begann. Drogen und Adrenalin wichen langsam aus ihrem Blut und ließen nur noch Erschöpfung zurück. Jede Handbewegung kam ihr vor, als würde sie diese unter Wasser ausführen. Sie hatte ihren Teil getan – und vielleicht geholfen, eine Anzahl Leben zu retten. Blieb nur abzuwarten, ob das irgendetwas nutzen würde, und ob sie später noch daran würde zurückdenken können.

R-3 schloss zu seinem letzten verbliebenen Kameraden auf. Sie waren nur Mücken in einem Kampf von Giganten, Makrelen in einer Schlacht von Walen. Aber sie hatten noch eine Aufgabe zu erfüllen.
Während er sein Shuttle geschickt auf seine neue Position lenkte, rekapitulierte Robert Stanford noch einmal den Erfolg.
„Ein Deltavogel – ich denke, den können wir uns wirklich selber gutschreiben. Das macht dann die fünf voll.“ Er lachte bellend: „Ob wir jeder ein Bronzekreuz kriegen, oder müssen wir es abwechselnd tragen?“ Maria verzog lediglich das Gesicht: „Ehe ich etwas trage, was du regelmäßig benutzt, begnüge ich mich lieber mit einem Hologramm, herzlichen Dank.“
„Ich verspreche auch, das Schmuckstück regelmäßig zu polieren.“
Seine Untergebene verzog die Lippen: „Nun, noch haben wir es nicht – und noch sind wir nicht da. Du wirst doch nicht zu früh anfangen zu jubeln?“ Der alte Aberglaube, das verfrühte Freude Unglück brachte, hatte die Menschen wie so viel anderer Ballast zu den Sternen begleitet.
Robert Stanford war kein Mann, der es sich mit dem Schicksal verscherzen wollte: „Du hast ja Recht. Sehen wir zu, dass wir heil rauskommen – wie bisher. Aber dennoch…nicht schlecht für zwei Raumkutscher, was?“
Seine Untergebene lächelte nur: „Wenn du dich weiter so beweihräucherst, fange ich langsam sogar an, dir zu glauben.“ Sie überlegte kurz, dann musterte sie ihren Vorgesetzten misstrauisch. Da war etwas in seinem übermütigen Grinsen…
Blitzschnell ließ sie ihre Hand vorschnellen und verpasste ihm einen Hieb vor die Brust, nicht eben sanft, trotz des Raumanzuges. „HEH! Ich habe gesagt, wenn du versuchst mich NACH der Schlacht noch mal zu küssen, bring ich dich vielleicht nicht um. Halt dich zurück, es fliegt sich so schlecht mit einer Leiche im Cockpit.“
Ihr Vorgesetzter rieb sich knurrend die Brust, doch seine gekränkte Unschuld war ziemlich schlecht geheuchelt: „Diese Paranoia ist ja langsam krankhaft. Für was hältst du mich eigentlich…“ „Also auf die Frage antworte ich lieber nicht.“
12.01.2016 10:04 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
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Ironheart

An Bord der Hongkong, Karrashin-Kiralu-Wurmloch
Karrashin-System

Als Noname aus seiner leicht beschädigten Nighthawk ausstieg, ging er direkt zu dem Mechaniker, der bereits dabei war eine Systemdiagnose durchzuführen.
„Und, wie sieht’s aus Meister, wann darf ich wieder raus?“
Der Techniker runzelte die Stirn, denn normalerweise bestand zwischen Piloten und Flugdecktechnikern eine sorgsam gepflegte Hassliebe, und so kumpelhaft von einem Jetjockey angesprochen zu werden war er wohl nicht gewohnt.
„Ich checke noch, aber bei dem Andrang hier…“ er deutete mit dem Kinn nur kurz auf das Chaos des Flugdecks „wird es sicher noch eine halbe Stunde dauern.“
Noname massierte sich seinen angestrengten Nacken. „Kann ich euch irgendwie zur Hand gehen?“
Das Stirnrunzeln des Technikers schlug in Fassungslosigkeit um. Mit argwöhnischem Blick fragte: „Glaubst du etwa, wir können unseren Job nicht?“
Noname schüttelte nur müde den Kopf. „Nein, nein. Mein Partner ist noch da draußen und ich will nur so schnell wie möglich wieder raus.“
„Das wollt ihr Jockeys doch alle! Und du meinst du kommst schneller raus, wenn du uns im Weg rumstehst?“
Donovan seufzte, blieb aber ruhig. Die gleiche Reaktion hatte er damals auch den Chief auf der Columbia erhalten, als er ihn das erste Mal gefragt hatte, ob er bei der Wartung seines Jägers helfen könne. Das war vor mehr als zwei Jahren gewesen, als Cartmell immer noch zu den Aussätzigen unter den Piloten gegolten hatte und ihn auch die meisten übrigen Besatzungsmitglieder immer noch scheel von der Seite angeschaut hatten.
Donovan war zwar nicht der einzige Pilot, der technisches Interesse zeigte und regelmäßig an seiner Maschine schraubte – vor allem unter den Bomberpiloten gab es da so einige Spezis – aber er hatte sich nach Meinung der Techniker gar nicht mal so schlecht angestellt. Und damit im Laufe der Zeit einige der einfacheren Wartungs- und Reparaturarbeiten übernommen und sich damit nicht nur ein paar Grundkenntnisse über die Technik seines Jägers, sondern sich auch den Respekt zumindest einiger der Techniker an Bord der Columbia erarbeitet.

Doch hier war er nicht auf der Columbia, und somit war die Skepsis des Technikers wohl durchaus berechtigt, denn für ihn war er wohl entweder ein Schleimer, der dachte damit eine Sonderbehandlung zu bekommen, oder ein Nervbolzen, der plante im Weg rumzustehen und die Arbeit der Profis aufzuhalten.
„Nein, ich würde wirklich gerne helfen. Ich könnte zum Beispiel den Systemcheck für mein Cockpit übernehmen.“
„Und mich dann in Teufels Küche bringen wenn du einen Fehler machst und deine Sensoren nicht mehr funktionieren? Nein Danke!“
,Harter Hund!'
„Na gut, wie wäre es, wenn…“
Doch der Techniker ließ ihn nicht ausreden. „Hör zu, du meinst es sicher gut, aber lass mich einfach meine Arbeit machen, dann kommst du am schnellsten hier wieder raus, in Ordnung?“
Donovan nickte ermattet. Eine halbe Stunde! Bis dahin wäre Ace schon über eine Stunde alleine da draußen. Dabei fiel Donovan ein, dass er ja immer noch nicht wusste, wo sein derzeitiger Wingleader war.
Er hatte während des Rückfluges zur Hongkong sein Gefechtsaufzeichnungs-Archiv bereits überprüft und zumindest Ace’s letzten Standort ausgemacht, bevor er mit vier Reapern am Heck abgedriftet war. Doch er wusste nicht, wohin Ace weitergeflogen war, und damit war es unmöglich seinen jetzigen Standort auszumachen.
Aber vielleicht war er ja auch schon zurückgekehrt? Bevor er seinen Gedanken zu Ende bringen konnte, wurde er von einem mächtigen Hieb fast nach vorne geschleudert.
„Ha, da ist ja einer meiner Retter!“
Der Hüne von einem Mann, zu dem sich Donovan verdutzt umdrehte, reichte ihm die riesige Bärenpranke und ehe Donovan richtig nachdachte, hatte er schon den Fehler gemacht und eingeschlagen. Den Schmerz, der ihm durch das schraubstockartige Händeschütteln zugefügt wurde, würde er so bald nicht vergessen. Als der Riese losließ, vergewisserte Cartmell sich zunächst, das alle seine Finger überhaupt noch dran waren. Dann fragte er vorsichtig: „Joker?“
„Ja, genau. 2nd Lieutenant Giovanni „Joker“ Franconi! Danke noch mal, dass Du und deine Kumpels uns zu Hilfe gekommen seid!“
„Nicht der Rede wert.“
„Und? Hast Du was von deinem Partner gehört?“
Donovan schüttelte den Kopf. „Nein, ich weiß nicht, ob er zurückgekehrt ist. Der Deck-Chief hat wohl gerade anderes zu tun, als Auskunft über einen Piloten zu geben und das Flight Control Center hat mir auch keine Antwort gegeben.“ Donovan war nicht sauer auf die Kollegen, er konnte es sogar verstehen. Mitten in dieser heißen Schlacht konnte niemand sich um einen einzigen nicht heimgekehrten Jäger kümmern.
„Tja, mein Flieger hat ein paar mehr Kratzer abbekommen, ich werde wohl erst in 35 Minuten wieder raus können. Wenn wir uns beeilen, können wir also einen kleinen Abstecher ins Flight Control Center machen, ich hab da einen Kumpel, der mir noch einige Gefallen schuldet.“
„Das wäre klasse, aber ich glaube nicht, dass er helfen kann…”
Joker lachte laut auf. „Warts ab, der Kerl ist ein verdammtes Genie. Wenn er deinen Kumpel nicht finden kann, dann kann es keiner.“

***

Wenige Minuten später waren die beiden Piloten in den Tiefen der Eingeweide der Hongkong. Das FCC koordinierte die Informationen der Deckcrew, der Schiffssensoren und externer Sensoren – wie Aufklärungsshuttles und anderer Schiffe des Kampfverbandes – und spielte die relevanten Daten direkt in das CIC der Hongkong ein. Die Möglichkeiten des FCC waren beschränkt im Vergleich zu denen eines Dauntless-Kreuzers, aber dennoch trafen der Captain, der CAG und sogar der derzeitige Flottenadmiral Schepens seine Entscheidungen bezüglich der Jäger und Bomber des Kampfverbandes auf Basis dieser Daten.
Obwohl die Frauen und Männer in Abteilungen wie dieser einen enorm wichtigen Job machten, wurden sie von den anderen Dienstgruppen häufig wenig freundlich als `Datenaffen` bezeichnet.
Das Vorurteil sagte, dass diese Datenaffen in ihren kleinen Käfigen hockten, tagein tagaus auf ihre Bildschirme starten und daher schon einen leicht grünstichigen Teint hatten. Natürlich wusste Donovan, dass das Quatsch war, aber trotzdem ertappte er sich bei dem Gedanken, sich zu fragen, was er hier überhaupt tat.
Doch Joker ließ keine Widerrede zu und zerrte ihn in den ohnehin schon kleinen Raum in dem tatsächlich sechs Männer und zwei Frauen eng an eng saßen und durch das grünliche Flimmern der Bildschirme eine ungesunde grüne Hautfarbe zu haben schienen. Ein paar der acht Matrosen blickten kurz hoch, als sie den Riesen Joker eintraten sahen, nickten ihm aber nur kurz zu und fuhren mit ihrem vielstimmigen Geschnatter fort.
Joker quetschte sich durch den engen Raum und zerrte Donovan mit in eine noch engere Kammer, in der ein einzelner Mann mit dem Rücken zu ihnen saß. In einem Halbkreis vor ihm waren acht Bildschirme und ungefähr doppelt so viele Kontrollmonitore aufgebaut und mehrere Tastaturen aufgebaut. Der Kopf des Mannes ruckte hin und her, und er schien mit beiden Händen simultan an zwei verschiedenen Berichten zu arbeiten.
„Wen hast Du denn da mitgebracht, Joker?“ fragte er, ohne sich umzudrehen, doch bevor dieser überhaupt antworten konnte, redete er einfach weiter. „Na mal sehen…“ Auf einem der Monitore erschien das Bild einer Überwachungskamera aus dem Flur. Donovan sah, wie in Sekundenbruchteilen sein Gesicht eingekreist wurde und ein Suchprogramm in Windeseile alle Piloten durchging. Es dauerte nur eine Sekunde, und Donovans öffentliches Profil erschien auf dem Monitor.
„Donovan Cartmell, Callsign Noname… 1st Lieutenant… Rote Staffel Angry Angels… Nettes, kleines Disziplinarregister… scheint sich gerne zu prügeln, was? … Ahhh, vorbestraft, Tststs, liegt aber lange zurück, also Schwamm drüber…“
Der kleine Mann drehte sich in seinem Stuhl um und richtete sich auf um Donovan zu betrachten. Als er aufstand erkannte Noname, dass er es mit einem Lieutenant Commander zu tun hatte. Automatisch salutierte er, was erwidert wurde. „Gestatten, Mario De Angelis. Also, wie kann ich einem anderen Engel helfen?“
Cartmell brauchte einen Augenblick um den Witz zu kapieren. Daher war Joker schneller in seiner Antwort.
„Mario, der Signore hier hat mir meinen Arsch gerettet da draußen, hat dabei aber seinen eigenen Partner verloren…“
„Das tut mir leid, aber was kann ich da tun?“
„Nein, nein, scusi! Er hat ihn verloren, perduto…“
„Ahhh, jetzt wird’s mir klarer, grazie. Und ich soll ihn jetzt wiederfinden? Glaubst du ich habe mitten in der Schlacht nichts anderes zu tun, Giovanni?“
„Per favore prego, fratello piu grande! Du schuldest mir was…“
De Angelis verdrehte die Augen, drehte sich zu Donovan und grinste. „Wissen Sie Donovan, Joker und ich kennen uns schon seit unserer Kindheit in Bella Napoli. Er ist wie ein kleiner Bruder für mich.“ Donovan runzelte die Stirn und blickte hoch zu dem fast zwei Meter großen Hünen. Einen Mann, der knapp zwei Köpfe größer als man selber war, einen kleinen Bruder zu nennen, war schon ein wenig grotesk.
Doch De Angelis ging nicht weiter darauf ein, sondern drehte sich auf seinem Stuhl wieder den Monitoren zu. Sofort ging seine Rechte wieder zu Arbeit über und beantwortete eine Anfrage des CIC, während die Linke einen anderen Bildschirm aktivierte. „Na gut, Noname, die Kennung Ihres Jägers bitte.“
„127AA-R-N47!“
De Angelis tippte die Kennung ein und ein wahrer Strom an Daten schien sich über dem Bildschirm zu ergießen. Ein paar Klicks später erschien eine Anzeige, die die Jägerkonstellation zu Beginn ihres Kampfes mit der Reaper-Staffel zeigte. In Zeitraffer tanzten die kleinen Symbole umeinander herum, Kanos Sektion tauchte auf und Ace wurde abgedrängt. Donovan zeigte auf diesen Punkt „Da, die N42 wird abgedrängt. Das ist Ace!“

De Angelis markierte den Jäger und die vier ihn verfolgenden Reaper, so dass deren weitere Bewegungen einen gelben und vier rote Fäden hinter sich herzogen. Im Laufe des Zeitraffers ergab sich ein Gebilde, das entfernte Verwandtschaft mit einem Wollknäuel zu haben schien. Dann stoppten abrupt alle fünf Fäden.
„Alle fünf sind mit einem Schlag vernichtet worden?“ fragte Joker ungläubig!
„Ah, Cretino!“ schnaubte De Angelis verächtlich. „Die Reichweite der Sensoren von Donovans Maschine ist nur ausgeschöpft.“
„Und nun?“ fragte Donovan, denn bis hierhin hatte er es selbst auch schon geschafft gehabt.
„Dein Kumpel muss gut sein, wenn er sich gegen vier Reaper so lange halten konnte…“ Joker nickte anerkennend.
Doch De Angelis war da anderer Meinung. „Bah, nichts für ungut, aber wenn dieser Ace seinem Namen wirklich alle Ehre hätte machen wollen, wäre er in eine andere Richtung abgedreht.“
„Tja, ich will dich mal sehen, wenn du vier feindliche Jäger in deinem Nacken hast.“
„Giovanni, was habt ihr damals auf der Akademie gelernt, hmmm? Wie verhält man sich, wenn man von einer Überzahl schnellerer, wendiger Jäger gehetzt wird?“
Joker zog die Stirn kraus und überlegte, doch De Angelis war schneller. „Wenn man von einer gegnerischen Übermacht gestellt wird, die einzeln schwächer aber wendiger sind, hilft nur das permanente Ausweichen. Dabei sollte man am besten einen Flugvektor einschlagen, der einen möglichst nah an seine eigene Frontlinie bringt. Die Wahrscheinlichkeit Unterstützung zu erhalten ist dann am größten. So, und nun schauen wir mal, wo der Fluchtvektor von diesem Ace hinzeigt?“
De Angelis malte einen Vektorpfeil in das Wollknäuel und vergrößerte das Bild. Eine blaue kreisrunde Linie bewegte sich in genau die entgegengesetzte Richtung des Vektorpfeils, während die rote Akarii Frontlinie sich genau darauf zu bewegte. De Angelis ließ das Bild einen Moment für sich selbst sprechen.
„Er fliegt geradewegs auf die feindliche Flotte zu.“ flüsterte Donovan und De Angelis nickte.
„Ja, aller Voraussicht nach ist er – wenn er überhaupt noch lebt – jetzt entweder mitten in oder hinter den feindlichen Linien.“
„Können wir herausfinden, wo er jetzt ist? Komm schon, Mario, zeig uns ein paar Tricks!“ Joker wollte offenbar nicht aufgeben.
„Hmm, lasst mich mal sehen. Der Vektor geht in diese Richtung, das heißt sie treffen die Akarii-Flotte an diesem Punkt hier um zirka 16-34 Raumkampfzeit. Unsere Sensoren sind nicht tief genug, um dieses Gebiet einzusehen, aber vielleicht hat eines der Radarshuttles diesen Quadranten im Auge gehabt.“
Ein paar Flotte Tastenklicks, und wieder strömten massenweise Daten ein, die De Angelis in visuelles Material umwandelte. Diesmal dauerte es ein kleines bisschen länger – auch weil er parallel ein paar Anfragen bearbeitete – doch nach knapp zwei Minuten rief er „Da, das Aufklärungsshuttle R 245 hat diesen Sektor abgetastet, etwa zu der Zeit, die wir brauchen. Ich filtere mal die Daten, fokussiere auf diesen Bereich, zoome ran … und prego!“
Wieder lief in Zeitraffer ein Raumkampf ab, den die drei Männer am Bildschirm verfolgen konnten. Sie sahen, wie Ace einen der Jäger selbst erledigte, wie er und die übrig gebliebenen Verfolger auf eine Fregatte trafen. Einer der Reaper wurde vom eigenen Flakfeuer beschädigt, eine weitere von Ace. Beide drehten verwundet ab und suchten das Weite. Der verbliebene Akarii-Jäger wurde im Abgasstrahl der Fregatte erfasst und geröstet.
„Mehr Glück als Verstand, wie mir scheint.“ war De Angelis trockener Kommentar.
Ace versuchte von der Fregatte wegzukommen, doch das Flakfeuer erwischte seine Schilde und schließlich krachte eine Rakete in sein Heck. Danach änderte die Nighthawk ihren Kurs nicht mehr.
Die Sensordaten zeigten an, dass die Triebwerke ausgefallen waren, aber natürlich flog der Jäger weiterhin mit dem letzten Impuls, den er gehabt hatte, schnurstracks weiter. Nach ein paar Sekunden begann die Aufzeichnung zu flackern und verschwand dann komplett.
„Nun ist er außerhalb der Sensorreichweite des Aufklärungsshuttles.“
„In welche Richtung ist er unterwegs?“
De Angelis setzte erneut einen Vektorpfeil und vergrößerte das Bild. „Er bewegt sich 120 Grad Downsüdwest unserer jetzigen Position, sprich er bewegt sich zwar nicht mehr in Richtung Karrashin, aber auch nicht in unsere Richtung.“
„Er driftet ins Niemandsland…“ Jokers Grabesstimme unterstrich zusätzlich die Scheiße, in der Ace jetzt steckte. Mit dieser Geschwindigkeit ins Niemandsland zu driften bedeutete den sicheren Tod, denn kein Rettungsshuttle würde rechtzeitig kommen können, um ihn zu retten. Erst recht nicht in der jetzigen Situation.
„Wo genau ist er dann jetzt?“
Die Finger des Flottenoffiziers flitzten über die Tastaturen. „Gesetzt den Fall, dass er manövrierunfähig bleibt und seine letzte Geschwindigkeit auch nicht drosseln kann… dann ist er jetzt ungefähr hier – Sektor C6357! Das ist knapp 25 Minuten für ein Rettungsshuttle – One Way…!“

De Angelis drehte sich in seinem Sessel und überreichte Donovan eine kleine Datendisk. „Es tut mir leid…! Ich wünschte, ich hätte bessere Nachrichten für Sie und ihren Freund!“
Donovan nickte, Ace war nicht mehr zu retten. Doch wenigstens hatte er jetzt die Gewissheit. „Danke, Commander! Ich weiß ihre Hilfe zu schätzen. Danke auch dir, Joker.“
Damit drehte sich Donovan ohne eine Antwort abzuwarten um und verließ die Enge der FCC. Er wollte den beiden Italienern die Unannehmlichkeit ersparen, die Ausweglosigkeit der Situation für Ace zu diskutieren.
Außerdem wollte er einen klaren Kopf bekommen.
Donovan schüttelte den Kopf. Erst Skunk, dann Fish und jetzt Ace. Der dritte Pilot innerhalb von nicht mal einer Woche, der Noname in einer gewissen Weise nahe gestanden hatten und für den er nichts mehr tun konnte. Das Schicksal schien es nicht gut mit seinen jetzigen oder früheren Wingpartnern zu meinen.
Seine Gedanken wanderten zu Ace, der in diesem Augenblick wahrscheinlich in der klaustrophobischen Enge seines Cockpits saß und mittlerweile auch realisieren musste, dass es für ihn keine Rettung geben würde.
Noname kannte das Gefühl nur zu gut, und ihm wurde körperlich schlecht, als er daran dachte, wie es damals für ihn gewesen war. Damals, als er noch ein junger, aufstrebender Pilot namens Highball gewesen war und als er während der Piratenkriege abgeschossen worden war. Damals als ihn die Navy auch nicht gerettet hatte, damals als ihn Lone Wolf ihm Stich gelassen hatte.
Gerade noch rechtzeitig erreichte er eine der Toiletten und übergab sich mehrmals in eine der Kloschüsseln. Alleine der Gedanke an die Stunden der Verzweiflung zehrte an seinen Nerven.
Er war damals zumindest gerettet worden, auch wenn er vom Regen in die Traufe gekommen war, als er von den Piraten aufgegriffen worden war.
Doch wie es aussah, würde Ace zumindest eine zweite Gefangenschaft erspart bleiben.

Donovan wusste nicht, was er sich für Ace wünschen sollte: Dass er noch lebte oder bereits tot war?

***

Als er sich ein wenig frisch gemacht hatte, fand sich Donovan wieder auf dem Flugdeck ein. Sein Jäger war fast fertig, sogar fünf Minuten vor der ursprünglichen Zeit.
Gerade als er den Reparaturbericht des Deck Teams überprüfte hatte, wurde er wieder von einem gewaltigen Prankenhieb getroffen.
„Mann, Donovan, es tut mir echt Leid um deinen Kumpel. Ich wünschte, wir hätten was für ihn tun können. Schließlich hat er mir und meinen Kumpels vier Reapers abgenommen…“
„Lass gut sein, Joker, du und Lieutenant Commander De Angelis haben schon mehr als genug geholfen.“
Joker überbrückte die eintretende unangenehme Pause die automatisch entstand, wenn man sich über Todgeweihte unterhielt, in dem er Donovan fragte, mit wem er denn wieder rausgehen würde.
Donovan massierte sich die Nasenwurzel, um die Müdigkeit ein wenig zu vertreiben. „Ich weiß es nicht, Joker. Ich muss mir erst einen neuen Wingpartner suchen.“
„Wenn das so ist, ich bin im Moment frei, also wenn du mich als deinen Flügelmann akzeptieren würdest…?“
Donovan lag es auf der Zunge zu erwähnen, dass seine letzten Wingpartner nicht gerade viel Glück gehabt hatten und beide draußen geblieben waren. Aber er verkniff sich die Bemerkung.
Er war nicht abergläubisch, und außerdem war außer Joker im Augenblick ohnehin niemand anderes verfügbar. Er flog anständig und schien auch sonst kein übler Kerl zu sein, warum also nicht.

Kurze Zeit später waren die beiden wieder unterwegs und beteiligten sich an der wilden Raumschlacht, ohne dass einer von beiden einen weiteren Abschuss feiern konnte. Aber sie hatten ihren zwischenzeitlichen Auftrag erfüllt und ein paar der Akarii-Bomber zur Umkehr gezwungen, was immerhin höchstwahrscheinlich ein paar ihrer Kameraden das Leben gerettet hatte.
Doch jetzt waren sie leer geschossen, hatten ein paar neue, frische Kratzer abbekommen und es war Zeit wieder zu Hongkong zurück zu kehren. Donovans Elektronik hatte ebenfalls ein paar Schrammen erhalten und hatte kurz ein paar Mal ausgesetzt. Aber er hatte sie zum Glück wieder zum Laufen bekommen.
Während er und Joker wieder den Heimatkurs zurück zur Hongkong anlegten, schweiften seine Gedanken wieder zu seinen verschollenen Kameraden ab.
Es war umso schlimmer für ihn, weil er das Gefühl nur allzu gut kannte. Auch wenn es schon eine Ewigkeit zurückzuliegen schien, erinnerte er sich an dieses lähmende Gefühl und diese schreckliche Ungewissheit nicht zu wissen, ob man gerettet werden würde oder sterben musste.
Er erinnerte sich daran, wie die unbarmherzige Kälte des Alls langsam nach seinem Körper zu greifen schien und seine Hand mehrfach zu seiner Helmverriegelung wanderte. Ein schneller Griff und er wäre ein für alle Mal erlöst worden. Doch die Hoffnung auf Rettung durch die Navy hatte ihn am Leben gelassen. Die Hoffnung darauf, dass sie einen der ihren nicht wissentlich zurücklassen würden. Die Hoffnung darauf, dass Lone Wolf – zu dem er damals fast wie zu einem großen Bruder aufgeschaut hatte, von dem er alles gelernt hatte und mit dem er sich immer wieder gemessen hatte – ihn nicht im Stich lassen würde.
Doch es war weder die Navy noch Lone Wolf gewesen, der ihn halb erfroren aus dem All gefischt hatte. Donovan hatte einen hohen Preis gezahlt, damals als er in Gefangenschaft ging, und daher wusste er nur zu gut, was im Augenblick in Ace vorgehen musste… wenn er denn noch lebte!
Er war der einzige, der wusste, wo Ace im Augenblick ungefähr war. Und er hatte für Fish nichts mehr tun können, genauso wenig wie für Skunk. Doch wenn er jetzt Ace im Stich ließ – wie einst Lone Wolf ihn selbst – würde er dann je wieder in den Spiegel sehen können?
Lone Wolf konnte es offensichtlich noch – doch er war nicht Lone Wolf!
Wie um seinen bereits gefassten Entschluss zu bestätigen, flackerte Donovans Elektronik erneut, kam aber fast sofort wieder. Doch diesen kleinen Wink des Schicksals würde er nutzen um seine Entscheidung in die Tat umzusetzen, egal wie die Konsequenzen für ihn aussehen würden.

„Joker von Noname, ich habe da eine merkwürdige Radarspur empfangen, 120 Grad Downsüdwest, wahrscheinlich mehrere Kontakte bewegen sich spinwärts. Kontakt war nur äußerst kurz, bitte um Copy.“
Würde Joker mitspielen?
Nach kurzem Zögern meldete sich der Italiener „Copy, bestätige kurze Erfassung, bin mir aber nicht sicher… Sollen wir nachschauen gehen?“
„Negativ, Joker. Du hast gut was abgekriegt und außerdem deutlich weniger Sprit übrig als ich. Ich übernehme diesen Aufklärungsflug alleine…“
„Aber ich könnte helfen, zwei Augen sehen immerhin besser als einer.“ Joker schuldete Ace noch etwas, das war überdeutlich. Aber Donovan war nicht gewillt ein weiteres Leben zu riskieren.
„Nein, Joker. Du hast mir schon mehr als genug geholfen. Da muss ich alleine durch, das ist ein Befehl, verstanden?“
Es dauerte wieder eine kurze Weile, ehe der Hüne antwortete. „Aye, verstanden! Viel Erfolg!“
„Danke! Und jetzt ab nach Hause, Lieutenant! Wir sehen uns auf der Hongkong!!!“
Dass er damit falsch liegen würde, konnte er in diesem Augenblick nicht wissen und schwenkte damit ein in einen unbekannten Kurs.

***

Primärbrücke Columbia, Karrashin-Kiralu-Wurmloch
Karrashin-System

Das Chaos auf der Brücke war für den Kommandeur des 217ten Sturmregiments der Marines unübersehbar. Von überall her wurden Befehle gebrüllt und Statusmeldungen abgegeben.
Hammersmith, der seine komplette Kampfuniform angelegt hatte, ließ sich von alledem nicht beeindrucken und marschierte geradewegs auf Lucas Cunningham zu, der gerade damit beschäftigt war, die Schlacht am Karrashin-Kiralu-Wurmloch zu beobachten und Angriffsziele für die Geschütze der Columbia zu suchen.
Als er Hammersmith bemerkte war ein „Was machen Sie denn hier… Colonel?“ sein einziger Kommentar.
„Commander Cunningham.“ Colonel Hammersmith war immer noch einer der wenigen, vielleicht sogar der einzige, der sich fortgesetzt weigerte Cunningham als Captain oder Skipper anzusprechen. „Ich wollte Sie nur darüber informieren, dass ich das 217. an Bord der Vo Nguyen Giap und der Columbia angewiesen habe sich den jeweiligen Schiffsicherungstrupps anzuschließen. Ich denke unsere Gefechtspanzer sind gut dafür geeignet. Zudem habe ich Lieutenant Commander Jurcic angewiesen, die Sturmshuttles des 217. zur Abwehr feindlicher Bomber und Jäger einzusetzen. Ich denke, das wird im Sinne Admiral Schepens und Commodore Mithels sein, oder?“
Cunninghams Gesichtsausdruck war regungslos. „Und um mir das zu sagen, hat Ihnen das Kom nicht gereicht, Colonel?“
Hammersmith musste unwillkürlich grinsen. Dieser Bastard musste doch immer wieder versuchen, das letzte Wort zu haben. Doch Hammersmith war egal, was dieser Schnösel von ihm und seiner Einheit dachte. Sie waren Elite, sie gehörten zu den besten Kampfeinheiten der TSN, aber sie waren sich auch für die Drecksarbeiten nicht zu schade.
Natürlich hatte es ihn gewurmt die Korax ma Rah nicht stürmen zu dürfen und dann die Aufsicht über die Gefangenen zu erhalten. Aber sie würden – wie alle anderen Soldaten an Bord der unter Beschuss stehenden Schiffe auch – ihr Äußerstes geben um sich und ihre Kameraden zu schützen.
„Nein, Commander. Denn ich werde mit meinem persönlichen Squad auf der Brücke bleiben, damit wir bei einem Treffer sofort helfen können, wenn nötig.“
Cunningham schien einen Augenblick zu überlegen, doch mehrere Statusmeldungen erforderten seine Aufmerksamkeit. „Meinetwegen, bleiben Sie in der Ecke und machen sie sich möglichst klein und kommen sie ja keinem in die Quere.“ Dann hatte er sich umgedreht und wieder der Schlacht zugewandt.
‚Das letzte Wort, Cunningham will immer das letzte Wort!‘ Doch dieses Mal schluckte Hammersmith die Beleidigung hinunter, stellte sich in die Ecke und wartete auf seine Chance.
Und wenn sie heute nicht kam, dann morgen.
Und wenn sie morgen nicht kam, dann übermorgen.

***

Sektor C6357, Karrashin-Kiralu-Wurmloch
Karrashin-System

Donovan hatte seine Sensoren auf volle Reichweite eingestellt und versuchte den von Lt.
Cmdr. Mario De Angelis berechneten Sektor nach einem Lebenszeichen von Ace’s Maschine zu durchkämmen.
Das war ohnehin schon nicht einfach, zumal er sich immer noch ziemlich nah am Wurmloch befand und damit seine Sensoren beeinträchtigt waren. Seine Augen wanderten auch immer wieder zu der Treibstoffanzeige seines Jägers. Die Anzeige näherte sich immer näher dem PONOR – das markierte den Point of No Return. Erreichte ein Jäger diesen Punkt erst einmal, so würde er es nicht bis zu seinem Träger – in diesem Falle die Hongkong – zurück schaffen.
„Wo bist du Ace, wo bist Du?“ murmelte Donovan vor sich hin und entschloss sich zu einem weiteren Langstreckensignal. Das war durchaus gefährlich, denn falls sich hier noch weitere Akarii-Einheiten befanden, so würden sie förmlich zu Noname gelockt werden. Doch im Augenblick hoffte er darauf, dass sich alle Akariis am Wurmloch befanden, um die Terraner auch ihrem System zu drängen.
„Ace von Noname – bitte kommen, bitte kommen…!“
Er wartete ein paar Sekunden, doch wieder vergeblich.
Er seufzte und wieder glitt sein Blick auf die PONOR-Anzeige. Er hatte es versucht! Aber er hatte es nicht geschafft, Ace war nicht zu finden, vielleicht war sein Jäger doch noch explodiert.
Oder… Ace hatte selbst dafür gesorgt. So fürchterlich der Gedanke auch war, für Donovan war es durchaus nachvollziehbar, wenn er daran dachte, wie grausig es sein musste zu realisieren, dass man in seinen sicheren Tod driftete.

Donovan wendete seine Maschine wieder Richtung Heimat und setzte wieder Kurs Richtung Heimat, als ein Flackern am äußeren Rand des Langstreckenradars in innehalten ließ. War das vielleicht doch…?
Er änderte erneut seinen Kurs und das Signal wurde deutlicher bis es klar war, dass er ihn gefunden hatte.
Donovan brach in spontanen Jubel aus. „Jaaaa, Ace, Ace, kannst du mich hören?“ Doch vielleicht freute er sich zu früh – er erhielt nämlich keine Antwort.
Er versuchte es auf mehreren verschiedenen Frequenzen, doch blieb die Antwort jedes Mal aus. Kam er womöglich doch zu spät?
Als er den havarierten Jäger erreicht hatte, glich er seine Geschwindigkeit an und ging bis auf zehn Meter längsseits. Er aktivierte den Scheinwerfer, und wie aus dem Nichts tauchte die Silhouette der Nighthawk auf. Er konnte erkennen, dass der Schleudersitz nicht ausgelöst worden war, denn das Cockpit war intakt, wenn auch abgedunkelt.
Und in diesem Augenblick erwachte es wieder zum Leben.
Die Cockpitbeleuchtung sprang wieder an und der Pilot schien ihn fröhlich an zuwinken.
„Na, wenn das mal nicht Noname ist? Herrlicher Ausblick hier, oder?“ flachste der blauhaarige Pilot über den jetzt wieder eingeschalteten Funkkanal.
„Herrgott, Ace, du lebst… Ich dachte schon…“ Donovan sprach es nicht aus, doch Cliff wusste auch so, worauf er anspielte.
„Naja, ich habe mit dem Gedanken gespielt… Aber bis eben habe ich versucht, meine verfluchten Triebwerke wieder zum Laufen zu bringen. Aber das kann ich mir ja jetzt sparen. Wie sieht dein Plan aus? Wann kommt das SAR?“
„Welcher Plan? Welches SAR?“
„Du willst mir jetzt nicht erzählen, dass Du im Alleingang hierher…“ Jetzt dämmerte es Ace. „Donovan! Das ist doch nicht dein Ernst! Du bist doch wohl nicht all den Weg gekommen um mir bei meinem Flug ins Nirwana das Händchen zu halten?“
„Jaja, Undank ist der Welten Lohn. Ich erzähl dir alles später, jetzt müssen wir nur zusehen, wie wir dich wieder abschleppen können.“
„Zunächst einmal solltest du meine Flugrichtung korrigieren, so dass wir wieder auf das Wurmloch zufliegen.“
Donovan machte sich gleich an die Arbeit. Er näherte sich dem Jäger seines Wingleaders, bis er so dicht heran war, dass er direkt neben ihm flog. Vorsichtig änderte er seinen eigenen Kurs und gab der Nighthawk einen knirschenden Rempler, worauf diese ihren Kurs änderte. Ein paar dieser Rempler später bewegte sich die Nighthawk zumindest wieder Richtung Wurmloch und damit wieder in die richtige Richtung.
Genau in diesem Augenblick fing sein PONOR an zu fiepen. Ace erkannte dieses Geräusch, sofort als er es über den Funk hörte.
„Okay Donovan, dann zurück zur Hongkong. Dein Sprit reicht dafür gerade noch aus.“
„Unsinn, ich flieg nicht einmal quer durch Feindesland, nur um deinem Jäger ein paar Rempler zu geben und dann wieder abzuhauen.“
„Geh schon, ich komm doch nach.“
„Bei deiner jetzigen Geschwindigkeit brauchst du viel zu lange. Und außerdem bist du dann immer noch manövrierunfähig.“
“Donovan, danke dass du helfen wolltest, aber du sollst zurück fliegen, das ist ein Befehl, verstanden?“
„Negativ, komm mir nicht mit der Tour, du hast hier keinen Frischling vor dir! Ich bleibe und schleppe dich ab!“
Ace grummelte hörbar, doch es war auch unausgesprochener Dank in seiner Stimme. „Sturer Hund! Aber wenn du mich abschleppst sind wir dann zusammen zu langsam, und ich bin immer noch manövrierunfähig. Und dein Sprit wird erst recht nicht reichen, vor allem weil wir uns beeilen müssen.“

Beide grübelten einen Augenblick, bis Ace anfing zu kichern.
„Was ist denn so komisch?“
„Ach weißt du, es scheint mir eine Ewigkeit her zu sein, aber ich hab mal Darkness – damals noch mein Wingleader – aus seinem Wrack befreit und ihn Huckepack zur Redemption befördert.“
„Huckepack?“
„Naja, ich habe die Oberfläche meines Jägers magnetisiert und ihn dann dran geklebt.“
„Nighthawks haben keine magnetisierbare Fläche mehr. Und dein Raumanzug hat auch keine Magnetschuhe.“
„Jetzt erinnere ich mich, dass ich den Ingenieuren unserer Nighthawk einen Brandbrief schreiben wollte, warum sie das Feature weggelassen haben. Und den Trackball haben sie mir auch genommen. Aber zurück zum Thema – ich könnte mich auch einfach so an deinen Jäger mit unserem Karabinerdrahtseil festhängen.“ Die Piloten eines Jägers konnten ihr Cockpit auch im Weltall entriegeln und ihre Jäger verlassen, um zum Beispiel geborgen zu werden, falls der Schleudersitz mal nicht funktionierte.
„Du würdest den Schub außerhalb der Trägheitsdämpfer des Cockpits nicht überleben. Von der Strahlungsdosis in dieser Gegend, die dich bei dem Flug grillen würde, ganz zu schweigen.“
„Na gut, Schlaumeier, hast du eine andere Idee?“
Donovan überlegte fieberhaft, genauso wie Ace. „Also gut, ich habe den intakten Flieger und du hast den Sprit der mir fehlt. Abschleppen ist nicht, aber ich kann dich nicht außen an meinem Jäger mitnehmen…“
„Ja, soweit waren wir schon!“
„Und wenn ich dich IN meinem Jäger mitnehme?“
Ace lachte laut auf. „In deinem Jäger? Ich weiß ja nicht wie das mit deiner Nighthawk ist, aber meine ist bis obenhin voll mit Technik und Panzerung. Oder hast du da etwa ein Geheimfach zum Schmuggeln eingebaut, du alter Pirat?“
Donovan überging die Anspielung auf seine Vergangenheit. „Naja, ich könnte dich in meinem Cockpit mitnehmen!“
„Au fein, wie kuschelig.“ kam Ace´s prompter sarkastischer Kommentar. „Selbst wenn ich auf deinem Schoss sitzen würde, mein Süßer, wäre auch in deinem Cockpit nicht genug Platz für uns beide.“
„Wenn ich den Pilotensitz und das Schleudersitzmodul ausbaue schon.“
„Erstens: Das kannst du gar nicht!
Zweitens: Dann könnten wir uns aber nicht mehr raus schießen, falls wir doch noch mal Ärger bekommen.
Und Drittens: Ich dachte, ich wäre der verrückte Hund in unserer Staffel!“
Donovan grinste: „Erstens: Und ob ich das kann!
Zweitens: Dann müssen wir eben Ärger aus dem Weg gehen.
Und Drittens: Das kann ich dir doch nicht alleine überlassen.“

Ace schien einen Augenblick zu überlegen, doch dann war er wohl überzeugt. „Also gut, dann legen wir mal los!“
Donovan holte tief Luft und versuchte nicht daran zu denken, auf was er sich hier eingelassen hatte. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr. Ace brauchte ihn und wäre ohne ihn verloren.
Die Frage würde sein, ob sie das vielleicht nicht beide waren.
Doch er verdrängte den Gedanken und brachte seinen Jäger noch dichter an Ace’s Nighthawk heran. Als beide Jäger nur noch einen Meter voneinander entfernt im Parallelflug waren, bereitete er sein Cockpit auf einen Ausstieg vor. Der Sauerstoff wurde komprimiert und in der Aufbereitungsanlage zwischengespeichert, die Trägheitsdämpfer ausgeschaltet. Dann hakte er ein dickes Stahlseil in sein Cockpit, entriegelte und öffnete das Kanzeldach und stieg in die Kälte des Weltalls aus.
Auch wenn sein Raumanzug mit einem Überlebenstornister ausgestattet war und auch sofort ansprang, ließ in die Kälte des Alls frösteln. Er konzentrierte sich auf Ace Jäger, der von seinen Strahlern hell erleuchtet war, so wie sein eigener von Ace´s Strahlern.
Auch Ace war inzwischen ausgestiegen und kam nun aus seiner Kanzel gestiegen. Er winkte hinüber, was in der Weite des Weltalls ziemlich grotesk aussah.
Als Erstes koppelten die beiden die Treibstoffversorgungsschläuche der beiden Jäger aneinander. Zum Glück hatte die Navy die Tankstutzen standardisiert, so dass das Koppeln auch zwischen zwei Jägern kein Problem war. Dann pumpte Ace seinen Treibstoff hinüber zu Nonames Maschine.
In der Zwischenzeit machte sich Donovan an sein Cockpit. Jetzt war er froh über all die Stunden, die er zusammen mit den Mechanikern der Columbia bei den Wartungsarbeiten an seiner Maschine verbracht hatte. Trotz aller Komplexität eines Raumjägers waren diese auch immer so konstruiert worden, dass ein Ausbau kompletter Module immer relativ einfach zu bewerkstelligen war. Diese modulare Bauweise verhinderte damit, dass der Ausfall eines einzelnen Moduls, wie zum Beispiel des Schleudersitzes, dazu führen konnte, dass das komplette Cockpit ausgebaut werden musste. Und wenn man wusste, welche Befehle in den Bordcomputer einzugeben und welche Schrauben zu lösen waren, dann war der Ausbau gar nicht so kompliziert.
Einige Minuten später hatte Donovan den Pilotensitz samt Schleudersitzmodul ausgebaut, hievte ihn nun dank der Schwerelosigkeit mühelos aus seiner Verankerung und schleuderte ihn fort von seinem Jäger in die endlose Finsternis.
Ace kam herüber und beugte sich in das Cockpit. „Gute Arbeit, wenn ich das nächste Mal eine Jägerwartung brauche, hole ich einfach dich.“
„Ist der Sprit rüber gepumpt?“
„Einmal vollgetankt, wie bestellt. Macht 15.462 Real bitte!“
„Verrechne es mit dem Ticketpreis, den ich dir in Rechnung stellen werde. Und jetzt steig ein!“
„Nein, Nein, der Herr zu gütig! Nach Ihnen.“
„Nach Ihnen!“
„Alter vor Schönheit!“
„Das ist mein Jäger!“
„Ich bin ranghöher!“
„Stimmt doch gar nicht, ich bin auch 1st Lt.!“
„Ja, aber erst seit neulich. Und ich bin der Staffelführer und der bessere Pilot!“
„Ha, das ich nicht lache. Wenn Du nicht gleich einsteigst, flieg ich ohne dich…“
„Grrrrr, bist Du immer so ein Dickkopf?“
„Anders war Skunk auch nicht zu überleben. Jetzt aber im Ernst, der Nighthawk ist auf mich kalibriert, Ace. Wenn Du ihn fliegst, riskieren wir, dass keiner von uns beiden zurückkehrt.“
Donovan war heilfroh, dass keiner diesen fast schon kindischen Dialog mitbekomme hatte. Doch so waren egozentrische, arrogante Raumjockeys nun mal. Keiner von ihnen ließ sich gerne fliegen, sondern flog natürlich lieber selber.
„Okay, Okay. Du hast gewonnen“ Zähneknirschend fügte sich Ace der Anweisung und setzte sich in die ohnehin schon enge Pilotenkanzel. Donovan rutschte nach vorne und es war tatsächlich so wie es Ace vorausgesagt hatte.
Kuschelig.

Als Donovan das Cockpit wieder versiegelt hatte, machte er seinen Jäger so schnell wie möglich wieder startklar.
Ace fand sich erstaunlich schnell mit der Situation ab und frotzelte: „Dir ist klar, dass wir zum Gespött des ganzen Geschwaders werden, ach was rede ich da, des ganzen Schiffes werden, oder?“
„Noch kannst du aussteigen!“
„Naja, wenigstens werden wir so eingequetscht nicht durch das Cockpit geschleudert.“
„Tja, dann muss ich wohl auch nicht ‚Halt dich fest rufen‘, oder?“
„Witzbold!“
Noname beschleunigte und sie ließen die havarierte Maschine zurück. Sie waren schon tausende Kilometer entfernt, als der Selbstzerstörungsmechanismus den Jäger zerfetzte.
Jetzt ging es „nur“ noch darum, heil und unbeschadet zu Hongkong zurückzukehren.
Es war vielleicht das erste Mal in ihrem Leben, dass beide Jägerpiloten hofften, nicht in einen weiteren Kampf verwickelt zu werden.

***

An Bord der Columbia, Karrashin-Kiralu-Wurmloch
Karrashin-System

Wenn ein Kriegsschiff der TSN im Gefecht steht, gibt es für die Marines an Bord in der Regel wenig zu tun. Die Soldaten konnten entweder in den Quartieren oder in den Sturmshuttles warten, bis ein Einsatzbefehl kam. Das Erste kam weder für das 217. Sturmregiment noch für die bordeigene Marineskompanie in Frage.
Und die zweite Alternative – das Warten in den Sturmshuttles – ging im Augenblick soundso nicht. Denn Colonel Hammersmith, dem die augenblickliche Situation in der Raumschlacht aufgrund seines Aufenthalts auf der Brücke bewusst war, hatte die Sturmshuttleschwadron des 217. ebenfalls in den Kampf beordert. Die Piloten des 217. mochten zwar stärker auf das Entern feindlicher Schiffe spezialisiert sein, aber in ihrer jetzigen Situation konnten sie nicht wählerisch sein, so dass die Shuttles des 217. nun ebenfalls feindliche Jäger und Bomber zu verscheuchen suchten, gestrandete Angehörige der TSN bargen und ihr Leben für ihre Kameraden riskierten.
Damit blieb für die Marines nur die letzte sinnvolle Variante übrig: Sie halfen den Schadensicherungsteams der Columbia soweit sie nur irgendwie konnten. Da sie vor allem über Raumkampfanzüge verfügten, mit denen sie auch im Falle von Druckverlusten oder dem Einsatz von Halongas noch einsatzfähig blieben, konnten sie den Schadenteams der Columbia effektiv helfen.
Als die Columbia Treffer um Treffer erhalten einstecken musste, hatte Hammersmith seine Männer und Frauen in die gefährdeten Abschnitte geschickt.

Lieutenant Mitch McKenna war einer dieser Männer. Sein Platoon war als Bergungseinheit in einen Sektor der Columbia geschickt worden, der bereits hatte geräumt werden müssen. Ihre Aufgabe war es, den Bereich möglichst schnell nach potenziellen Überlebenden zu durchsuchen. In einem Bereich, der mit Halongas geflutet oder dem eisigen Vakuum ausgesetzt worden war, hatten einfache Matrosen und Besatzungsmitglieder zwar keine Überlebensmöglichkeit, doch in diesem Fall war ein Schadensteam, das ebenfalls mit speziellen Raumanzügen ausgestattet war, genau in diesem Bereich gewesen. Da aber der Funkkontakt zu dem Schadensteam abgebrochen war, hatten sich Commander Long und Colonel Hammersmith entschlossen, die am nächsten befindlichen Marineskontingente auf eine schiffsinterne SAR-Mission zu schicken.

Da die Schotts zu dem getroffenen Bereich aufgrund des Druckverlustes automatisch geschlossen worden waren, war der Bereich damit versiegelt und von der Außenwelt abgeschnitten. Das bedeutete wiederum, dass die Marines sich über die Außenhülle Zugang verschaffen mussten. Aufgrund der Magnetsohlen ihrer Kampfanzüge konnten sie das zwar ohne weiteres tun – und waren letztlich für solche Außenspaziergänge auch ausgebildet worden. Wobei es in der Regel eher feindliche Schiffe waren, auf deren Hülle das 217. zum Einsatz kam.
Mitch McKenna war dem 217. Regiment empfohlen worden, da er schon als Platoonleader auf seinem letzten Schiff, dem schweren Kreuzer Casablanca, jede sich bietende Gelegenheit für einen Außeneinsatz genutzt hatte. McKenna war schon immer von der tiefen Schwärze des Alls fasziniert gewesen. Viele Piloten oder Besatzungsmitglieder hatten geradezu panische Angst vor dem All.
Nicht so McKenna. Nicht umsonst war er auch leidenschaftlicher Space-Diver gewesen – das Äquivalent des Scuba-Divings im Weltall.
Als sie aus der Außenschleuse stiegen und sich in Richtung des beschädigten Sektors bewegten, war er wie immer überwältigt. Einen Augenblick ließ er die Szenerie auf sich wirken.
Die Neutronenfilter seines Helms ließen das Wurmloch, das in einiger Entfernung über ihren Köpfen zu hängen schien, hell aufglitzern. Die tiefe Schwärze des Alls wurde von mehreren winzig wirkenden Explosionen erhellt, die Schilde der Columbia über ihren Köpfen flackerten an einigen Stellen sichtbar auf – ein sicheres Zeichen für starken Laser- und Tachyonenbeschuß, unter dem der Träger stand. Sein Helmdisplay zeigte ihm die Position der befreundeten und feindlichen Schiffe an, denn trotz des relativ „engen“ Schlachtfelds waren die eigenen und gegnerischen Schiffe nicht mit eigenen Augen sichtbar, sondern mussten technisch erst sichtbar gemacht werden.
Genau in diesem Augenblick sah er, wie das Icon der Vo Nguyen Giap von einigen hell aufleuchtenden Atompilzen umgeben wurde. Gebannt beobachtete er, wie der Zerstörer sich drehte und das Feuer auf seinen weit entfernten Feind erwiderte.
McKenna atmete auf. Denn er hatte einige Kameraden bei der Rückeroberung auf diesem Schiff verloren und er wusste, dass ein knappes Drittel des 217ten immer noch an Bord dieses Schiffes war. Und daher hoffte er, dass das Schiff überleben würde.

Aber jetzt im Augenblick hatten sie eine Aufgabe zu erfüllen, und daher machten er und seine Männer sich schnell und sicher auf den Weg. Ein weiteres Team der Bordmarines näherte sich dem Bereich ebenfalls schon von Heckseite, und er wollte den Kameraden nicht nachstehen und als Zweiter eintreffen.
Daher trieb er seine Leute an und ging mit schnellen Schritten voran. Es dauerte nicht lange, und sie hatten den betroffenen Bereich erreicht. Die Hülle der Columbia war an dieser Stelle arg in Mitleidenschaft gezogen worden. Eine der Antischiffsraketen des Feindes war genau über dieser Stelle detoniert. Die Schilde hatten zwar größtenteils gehalten, aber häufig gaben sie doch an lokaler Stelle für ein paar Augenblicke nach, und somit wurden die äußeren Hüllen von den Ausläufern der Explosion zerfetzt. Als sie denn Rand des Kraters erreicht hatten, der ungefähr die Ausmaße eines Handballfeldes hatte und an einigen Stellen bis zu vier Meter tief war, stockte ihm dann doch der Atem.
Überall ragten zerrissene und verbogene Metallstreben hervor, Stahlplatten hatten rasiermesserscharfe Kanten und kaum zu sehende Löcher waren im Boden des Kraters verstreut. Sie würden verflucht aufpassen müssen, um sich nicht selbst in Gefahr zu bringen. Die Helmscheinwerfer seiner Einheit leuchteten den Krater aus, und jetzt tauchten auch auf der anderen Seite des Kraters Lichter auf, die von der Ankunft des anderen Marines-Teams kündeten.
Mitch öffnete einen Kanal zu den Kollegen in der winzigen Hoffnung, dass es das Schadensteam sein könnte. „Lt. McKenna hier, 217.! Wer ist Ihr Einsatzleiter?“
„Das bin ich, Sir!“ Eine weibliche Stimme antwortete ihm und einer der Kampfpanzer hob die Hand. „Sergeant Jean Davis, Columbia Marines.“
Damit war seine kleine Hoffnung, die Jungs und Mädels der Schiffssicherheit zu finden, dahin. „Gut Sie zu sehen, Sergeant. Schicken Sie die Hälfte ihrer Leute links und rechts um den Krater. Und wir treffen wir uns auf halbem Wege – Sie gehen von sich aus links?“
„Yes, Sir. Sergeant Howard, Sie gehen mit ihrem Squad rechts lang, mein Squad folgt mir links herum. Und checken Sie den Krater mit ihren Maglite-Helmscheinwerfern…“
„Aye.“
Die kleine, professionelle Abstimmung der beiden Marines hätte Mitch nie im Traum daran denken lassen, dass hier zwei Verlobte und Liebende anwesend waren. Als sie kurz darauf aufeinander trafen, salutierte Sergeant Davis knapp und Mitch erwiderte den Gruß. „Kein Lebenszeichen?“
„Nein, leider nicht, Sir!“
„Schade um diese sechs Männer und Frauen. Ich hätte Ihnen gerne geholfen. Der einzige Trost wird sein, dass sie nichts davon mitbekommen haben werden.“
„Bitte um Erlaubnis, den Krater betreten zu dürfen, Sir!“
„Negativ, Sergeant Davis. Das ist viel zu gefährlich, ich kann einen solchen Einsatz nicht befehlen.“
„Sir, ich meine das ernst, ich melde mich freiwillig für diesen Einsatz!“
Hoppla, was hatten wir denn hier? War hier etwa jemand, der das Zeug zu einem Jumpin Devil hatte? Die 217. hatten sich diesen Spitznamen über den Velorha Werften verdient und ihn seitdem mit Stolz getragen. Auch wenn die Einheit noch relativ jung war, hatte sie sich in recht kurzer Zeit einen Namen gemacht. Doch gute Leute wurden immer gebraucht, und vielleicht hatte Sergeant Davis ja das Zeug dazu.
„Sergeant, Ihren Einsatz weiß ich zu schätzen, aber es gibt hier nichts mehr, was wir tun können. Sollten die Kameraden wie durch ein Wunder in einem abgeschlossenen Raum überlebt haben, können wir diese ohne Gerät dort eh nicht herausholen.“
„Sir, ich…“ Dickköpfig war sie offensichtlich auch noch, doch bevor Mitch ihr ins Wort fallen konnte, meldete sich Howard bereits zu Wort. „Herrgott, Jean. Versuch nicht wieder die Heldin zu spielen. Hör auf den Lieutenant und lass uns gehen…!“
Auch wenn Mitch über den Tonfall des anderen Sergeant verwundert war, gab er ihm in der Sache Recht.
Davis gab nach. „Ok, Ok… Es ist nur, Marie-Jo Haggard ist unter den Vermissten…“
„Eine Freundin?“ fragte McKenna.
„Ja“
„Das tut mir leid.“ Mitch wusste, wahrscheinlich wie sie alle, wie es war Freunde zu verlieren.
Schweigend trafen sich beide Gruppen an der Bugseite des Kraters, nachdem sie ihn nun umrundet und umfassend ausgeleuchtet hatten.
„Gut, dann machen wir uns auf den Rückweg…“

Kaum hatte Mitch McKenna diese Worte ausgesprochen, überschlugen sich die Ereignisse, und um sie herum brach die Hölle aus.
Erst kam die von Außeneinheiten am meisten gefürchtete Nachricht aus der Einsatzzentrale. „Alle Einheiten auf Oberfläche – Impact Warning in zehn Sekunden“. Das bedeutete, dass feindliche Marschflugkörper im Anflug waren und höchstwahrscheinlich das Abwehrfeuer des Schiffes durchbrechen und auf den Schilden detonieren würden.
Wenn die feindlichen Raketen in ihrem Sektor aufschlugen und die Schilde durchbrachen, würden sie alle tot sein, doch daran verschwendete Mitch keinen Gedanken, denn das würde er dann sowieso nicht mehr ändern können. Jetzt ging es erstmal darum zu verhindern, dass sie erblindeten.
„An alle Marines, Sichtschutzfilter aktivieren und Köpfe in den Schoß.“ Die Helligkeit, mit der eine Atomrakete detonierte, konnte im schlimmsten Fall zur totalen Überlastung des Sehnervs führen. Die Nerven schmorten förmlich durch und man erblindete in dem gleißenden Licht. Alle Marines – auch Mitch – gingen in die Hocke, pressten die Augen zusammen und schirmten sich so gut es ging gegen den zu erwartenden Aufprall der Atomraketen ab.
Ungefähr 200 Meter heckwärts ihrer jetzigen Position, also genau auf der anderen Seite des Kraters krachten zwei Atomraketen in die Schirme und tauchten sie in gleißendes Licht. Die Marines konnten von Glück sagen, dass es keine Druckwelle im Vakuum des Weltalls gab, denn diese hätte sie wie Sandkörner in einem Sandsturm hinweg gefegt. Doch auch so ächzten die Schildgeneratoren der Columbia unter der Wucht der Explosion und ließen das Schiff kräftig erzittern.
Mitch McKenna öffnete seine Augen ganz langsam und einen kleinen Spalt breit und blickte in die Richtung der Explosion.

Was er sah ließ das Blut in seinen Adern gefrieren, und im ersten Augenblick wünschte er sich, er hätte die Augen nicht geöffnet.
Die Explosion hatte die ohnehin schon geschwächten Schilde der Columbia an der Aufschlagstelle durchschlagen. Mit gewaltiger Wucht zerrten die Explosionen an der Oberfläche des Trägers. Auch wenn kein Ton zu hören war, konnte er das Kreischen des berstenden Metalls über die Magnetsohlen seines Kampfanzuges förmlich hören.
Einer der Lasertürme der Columbia befand sich ziemlich genau im Epizentrum der Explosion und zerbarst wie ein trockener Baumstamm. Mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen wurde McKenna der Gefahr bewusst, in der sie sich alle befanden.
Mitch schaltete sofort und wusste, dass in wenigen Sekunden ein Schrappnellsturm über sie hinwegfegen würde. Und es gab nur eine Deckung, wenn das auch gefährlich war. „Sofort alle in den Krater, BEWEGUNG JETZT…!!!“
Die antrainierten Reflexe der Marines griffen augenblicklich, so dass sich die meisten der Marines – einschließlich Mitch – schon nach wenigen Sekunden im Krater befanden. Doch ein paar Marines waren zu weit weg vom Krater weg gewesen um es zu schaffen.
Als der Schrappnellsturm sie erreicht hatte, schien er wie Schmirgelpapier über die Trägeroberfläche zu kratzen. Trümmerstücke in allen Größen – von Murmelgroß bis Hauswandgroß – krachten über und auf die Oberfläche. Manche hatten die Form von rasiermesserscharfen Messern und Speeren erhalten und bohrten sich mit der Wucht der Geschwindigkeit gleichermaßen in Metall und Fleisch.
Als Mitch sich mit Schrecken zum Rand des Kraters umwandte, sah er gerade noch wie einem seiner Männer der Kopf von einer Autotür großen Metallplatte abgerissen wurde. Der Marine verschwand sich überschlagend aus dem Sichtfeld.
Doch der Horror ging weiter, einer von seinen und drei weitere Bordmarines wurden kurz vor dem Kraterrand von kleineren Schrapnellen zerfetzt. Ihre Körper zuckten kurz wie im Maschinengewehrhagel, dann wurden sie von der Wucht der Treffer vom Boden gehoben und fegten davon.
Zwei weitere Soldaten hatten sich flach auf den Boden gelegt, aber es waren zu viele Trümmer. Einer wurde förmlich in die Stahlplatte genagelt, der andere wurde vom Schiffsrumpf gescheuert.
Dann sah er die letzten beiden Soldaten verzweifelt Richtung Kraterrand hechten. Die beiden Sergeant Howard und Davis.
Und es war klar, dass sie es nicht schaffen würden.

Dann schien alles wie in Zeitlupe zu laufen.
Howard schnappte sich den Arm des weiblichen Sergeanten, riss sie herum und drehte sich so, dass er seinen Körper zwischen die tödlichen Geschosse und ihren Leib warf.
Die Wucht der aufprallenden Geschosse reichte aus, um den Rücken des Soldaten zu durchsieben und ihn damit augenblicklich zu töten, nicht aber um beide Soldaten vom Boden zu heben, wodurch Sergeant Davis und der Leichnam von Sergeant Howard ins All geschleudert worden wäre.
McKenna konnte Sergeant Davis Schrei hören. „KEN, NEEEINN, KEEEENNN…“
Er stieg augenblicklich wieder aus dem Krater um nachzusehen, ob wie durch ein Wunder noch jemand überlebt hatte. Doch Davis war die einzige Überlebende, und das auch nur, weil Sergeant Howard sein Leben für ihres geopfert hatte.
Als er die beiden erreicht hatte, legte er den Arm um die Marine und wollte ihr helfen, den toten Kameraden loszulassen. Doch sie hatte die Arme um den Leichnam geschwungen und wollte ihn nicht loslassen.
„Reißen Sie sich zusammen, Sergeant! Sie können nichts mehr für ihren Kameraden tun.“ Jetzt dämmerte es ihm, das die beiden vielleicht mehr füreinander gewesen waren, als nur Kameraden.
Mitch wollte sich nicht anmaßen über sie zu urteilen, auch wenn er nicht nachvollziehen konnte, wie zwei Mitglieder derselben Einheit ein Liebespaar werden konnten. Aber auch er war durch den Opfertod berührt. Nur war hier und jetzt weder die richtige Zeit noch der richtige Ort um zu trauern.
Noch bestand höchste Gefahr für sie alle auf der Oberfläche der Columbia, und es war höchste Zeit wieder zurückzukehren.
Sie hatten schon zu viele Leute bei dieser gescheiterten Rettungsmission verloren.
Schweigend machten sie sich wieder auf den Rückweg – vier Marines trugen den Leichnam von Sergeant Howard – und die Stille wurde nur unterbrochen von dem leisen Schluchzen von Sergeant Davis, die offensichtlich unter Schock stand.
Mitch McKenna hatte auf dem Rückweg kein Bedürfnis mehr, in die Schwärze des Weltalls zu blicken. So sehr er das All auch liebte, so war es heute doch zu häufig das Grab seiner Kameraden geworden.
Und so wie es aussah würden noch viel mehr Menschen und Akarii hier den Tod finden.

***

Im Gebiet des Karrashin-Kiralu-Wurmloches
Karrashin-System

Als sie schon einige Minuten unterwegs waren, erwachte Nonames Langstreckenfunk endlich knisternd zum Leben. Doch das erste, was sie vernehmen konnten, erfüllte sie nicht gerade mit Freunde.
„Liberty Bell für alle…krrsss…: Rückkehr zu …krsss…! Wieder …krrsss…: Rück…krrsss… zu Mother!“
Auch wenn die Nachricht nur zerstückelt ankam, wussten beide Piloten sofort, was das zu bedeuten hatte.
„Shit, sieht so aus, als ob wir Gas geben müssten!“ Ace Stimme klang ein klein wenig besorgt, was zumindest ungewöhnlich für ihn war.
„Alles klar, Nachbrenner an!“
Die Nighthawk schien förmlich einen Satz nach vorne zu machen. Kurz darauf erschienen die ersten Symbole auf dem Radar.
Sie waren erst allesamt rot markiert und ziemlich groß.
„Na sieh mal an, die Echsen scheinen denselben Weg wie wir zu haben!“
„Können wir die nicht umfliegen?“
Donovan schüttelte den Kopf. „Nein, dann wird unser Treibstoff nicht mehr reichen. Wir müssen da durch – und zwar mittendurch“
Ihr Flugvektor brachte sie von einer Flanke kommend auf die nun erscheinenden blauen Signale der terranischen Flotte. Doch trotzdem mussten sie die Flugbahn der akariischen Kriegsschiffe gefährlich nahe schneiden.
Eigentlich konnten sie nur hoffen, in diesem Elefantentanz nicht großartig aufzufallen. Wenn sich diese Giganten mit ihren Raketen beharkten, würden sie vielleicht keine Zeit haben, die Fliegenklatsche herauszuholen um auf ein lästiges Insekt einzuschlagen.
„Mach die aktiven Abtastersensoren aus!“ befahl Ace, und er hatte Recht.
Damit verloren sie zwar die aktive Radarortung, waren aber noch weniger gut für die feindlichen Schiffe erkennbar.
Die bangen Sekunden zogen sich dahin wie Kaugummi. Sie schlossen zu den Kampfschiffen der Akarii auf und konnten für den Bruchteil einer Sekunde die Explosionen der Atomraketen erkennen.
Dann waren sie schon vorbei.
Die Akarii hatten sie passieren lassen, und Donovan atmete spürbar aus. Dann aktivierte er seine Radarsensoren und stellte nun mit Schrecken fest, dass es immer weniger blaue Symbole geworden waren.
„Sie springen, unsere Schiffe springen.“ Ace hatte es auch schon erkannt.
Fieberhaft suchte Donovan die Signatur der Hongkong und eisiges Grauen umfasste sein Herz, als er erkannte, dass die Hongkong nicht mehr da war. Sie hatten es nicht mehr geschafft, sie waren zu spät gekommen. „Die Hongkong ist…“ Er konnte es nicht aussprechen und auch Ace schien es die Sprache verschlagen zu haben.
Es verstrichen ein paar schweigsame Augenblicke ehe Donovan ein anderes Symbol erkannte.
„Die Columbia? Die Columbia ist hier?“ Sofort öffnete er einen Kanal zu ihrem eigentlichen Heimatträger, der in seiner Position ein paar Minuten weiter weg war.
„Black Market von Noname, bitte kommen.“
Es dauerte nicht lange und jemand antwortete ihm. „Black Market hier! Noname, Sie kommen reichlich spät – ehrlich gesagt zu spät. Ihr Jäger zeigt mir eine GAZ von 6 Minuten an. Der Skipper hat Sprung in 5 Minuten ausgegeben…!“
„Willst du mich auf den Arm nehmen. Ihr werdet ja wohl eine Minute warten, oder?“
„Wir stehen unter heftigem Beschuss. Wir haben keine Minute mehr. Es tut mir leid!“
Jetzt meldete sich Ace. „Junger Mann, hier spricht 1st Lieutenant Clifford Davis, Callsign Ace, verbinden sie mich sofort mit dem Skipper.“
„Ace? Wo ist Ihr Jäger? Ich habe Sie nicht auf meinem Bildschirm!?“
„Ich bin in Nonames Cockpit…“
„Nonames Cockpit?“
„Jetzt hör mal zu Kleiner, wir haben keine Zeit für Small Talk, gib mir jetzt sofort den Skipper, verstanden?“
„Leute, so gern ich wir helfen wollen, aber…“ Ein heftiges Krachen war zu hören, gefolgt von ein paar Schmerzensschreien.
Dann verstummte die Verbindung. Offenbar stand die Columbia tatsächlich unter schwerem Beschuss.
Ohne es wissen zu können, ließ ihn Cunningham anscheinend zum zweiten Mal in seinem Leben hinter den feindlichen Linien zurück.

Fünf Minuten noch.
„Black Market, bitte kommen. Black Market bitte kommen“
Keine Reaktion.
Sechzig Sekunden. Eine Minute. Eine verfluchte Minute.

Niedergeschlagen wandte er sich an Ace. „Tut mir leid, Cliff. Wir werden es wohl nicht mehr schaffen.“ Donovan schluckte. „Ich werde nicht… ich kann nicht… in Gefangenschaft gehen, niemals.“
Ace sagte kein Wort, sondern klopfte ihm nur von hinten auf die Schulter. „Ich weiß, Donovan, ich weiß.“
„Dann sollen uns die Akarii nochmal kämpfen sehen, oder?“ Mit einer einzelnen Nighthawk gegen ein Rudel Kampfschiffe anzutreten war mehr als nur Selbstmord. Es war purer Schwachsinn. Mit unverschämt viel Glück würden sie höchstens ein wenig Lack von der Panzerung einer Fregatte abkratzen können.
Aber bevor er sich ergeben würde, würde er lieber kämpfend sterben.

Er wollte schon Kurs auf die Akarii Schiffe nehmen, als Ace ihn aufhielt. „Vielleicht gibt es da noch eine Alternative. Aber wir haben nicht mehr viel Zeit dafür…“
12.01.2016 10:05 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Ace

Kiralu-System, Kiralu-Karrashin-Wurmloch
COLUMBIA, kurz vor dem Sprung.
Besprechungsräume der roten und der blauen Staffel.

„Okay, ihr Süßen, Lone Wolf lässt uns von der Leine! Zur Information, die Blauen verteidigen hinter uns, wir können also rausgehen, rangehen und draufgehen, so wie wir Nighthawk-Piloten es mögen.“ Der Blick von Mantis alias Nicole Lambert ging über das traurige Häuflein Überlebender, welche die Rote Staffel ihr bot. Sieben waren sie noch, sieben lächerliche kleine Gestalten, nach all den Verlusten über Karrashin III und V, und dabei hatten es die Roten noch gut, denn ihre prekäre Lage war nicht erst durch die drei ausgestiegenen Piloten entstanden, die jetzt hoffentlich nicht in der Hand der Akarii waren. Wie die mit Gefangenen umgangen, davon konnte Ace ein ellenlanges Lied singen. Und es war nicht sehr melodisch. Nein, ausgerechnet die beiden besten Piloten der Staffel, das gab sie unumwunden zu, Noname und Ace, zudem Staffelführer und Stellvertreter, hatten sich für das Himmelfahrtskommando freiwillig gemeldet.
In Gedanken flehte sie den Himmel an, dass es wenigstens einer der beiden wieder zurück auf den Träger schaffen würde, denn acht Stunden als Staffelführerin waren schon mehr als das, was ihre Nerven aushalten konnten.
„Wir machen einen Sprung durch das Wurmloch, anstatt auf die Akarii zu warten. Taktisch keine dumme Idee. Sie vermuten nur einen Träger, den sehen sie in Form der HONGKONG. Die COLUMBIA dürfte mehr als eine Überraschung für sie sein. Habt aber immer ein Ohr am Funk, denn wenn wir die Akarii mit unserer Verstärkung nicht brechen können, dann kann jederzeit der Rückzugsbefehl kommen, der uns vor dem Sprung nach Hause ruft.“
Mantis räusperte sich laut und verlegen. „Vertraut auf unsere SAR-Shuttles. Dies ist keine Situation wie über Karrashin III. Diesmal fliegen unsere treuen Ärzte mit ihren Brotkisten hinter uns her und sammeln uns auf.“
Leises, nervöses Gelächter erklang.
„Wir haben noch zwanzig Minuten bis zum Sprung. Ich erwarte, dass alle kampfbereit in ihren Maschinen sitzen, wenn wir drüben ankommen. Die Nighthawks sind das erste was raus geht. Und wir müssen einerseits unseren Freunden helfen, die bereits da draußen sind und nur die popelige HONGKONG zum Landen haben, und andererseits unseren Jabos und Bombern sicheres Geleit geben.“
Gelächter, lockerer diesmal wegen dem Seitenhieb auf den leichten Träger, und zustimmendes Gemurmel klangen auf.
„Wir bilden zwei Sektionen. Unicorn, Petal, Ihr bildet meine Wingmen. Ich hoffe, das ist okay, Unicorn.“
Der First Lieutenant nickte. „Ich fliege eine Griphen. Damit kann ich keine Nighthawks hüten, das ist mir klar. Keine Sorge, ich spiele die Rolle, die Sie mir zuweisen, Mantis.“
Mantis unterdrückte ein frustriertes Schnauben, weil der andere noch immer nicht zum ,du’ bereit war.
„Artist, der Rest gehört dir. Kriegst du das hin, Mädchen?“
Der Blick der jungen von Bredow ging zu Cosmos, Too-Tall und Tulip. „Wie würde Ace sagen? Scheiße, ich mach den Job.“
Wieder erklang Gelächter. „Dann auf, Rote Staffel, erntet Ruhm und Abschüsse. Ach, und wer einen unserer beiden Instant-Helden in der Ortung hat, gibt mir Bescheid. Vielleicht können wir sie ja nach Hause locken.“
Erneutes Gelächter, nachdem sie auf die Freiwilligenmeldungen von Noname und Ace angespielt hatte.
Als geschlossene Gruppe, jeder seinen Helm unter dem Arm, verließen sie den Besprechungsraum.
Nun würde es bald ernst werden. Und dann würde sich zeigen, wie selbstmörderisch Lone Wolfs Plan diesmal werden würde. Er hatte ein Talent dafür, die wirklich großen Schlachten auch wirklich groß zu halten. Und in wirklich großen Schlachten verlor man nun mal wirklich große Mengen an Menschen und Material. Manchmal fragte sie sich, auf welcher Seite der ehemalige CAG eigentlich stand. Auf ihrer, oder auf der des Teufels?
„Irgendwo dazwischen“, entschied sie mit einem zynischen Grinsen.

***

„Hergehört, Ladies, wir gehen gleich in den Sprung. Sobald wir rausgeschmissen werden, sind wir es, die den Träger beschützen müssen. Erwartet keine Rückendeckung von den Grünen. Die haben den Kampfauftrag bekommen. Das bedeutet für uns doppelte und dreifache Arbeit. Immens wichtige Arbeit, denn wir wissen nicht, in welchem Zustand die HONGKONG gerade ist und ob wir alle auf ihr landen werden, sollten wir die COLUMBIA verlieren.“
Normalerweise sollte man vor einer Schlacht nicht vom Verlust des eigenen Trägers sprechen, ging es Huntress durch den Kopf. Aber diesmal war vieles anders, vielleicht alles. Diesmal mussten sie alleine den ganzen Träger beschützen. Außer den Bordwaffen der COLUMBIA, den Begleitschiffen und den Einweisungen der DEVASTATOR hatten sie keine Hilfe zu erwarten. Und in einer chaotischen, unübersichtlichen Schlacht im Strahlungsschatten eines Wurmlochs genügte ein verirrter Bomber, um wirklich ernsten Schaden anzurichten. Es schadete überhaupt nichts, das ihren Leuten einzuschärfen.
In beiden Karrashin-Schlachten hatten die Blauen unglaubliches Glück gehabt und Verluste vermeiden können. Sie waren immer noch eine geschlossene Truppe. Und genau deshalb hatten sie die schwerste aller Aufgaben überantwortet bekommen – den Schutz des Trägers. Huntress wusste das. Und sie war bereit, sich dieser Aufgabe in jeder Konsequenz zu stellen. Und sie wusste auch, dass ihr aller Überleben auf Messers Schneide stand. Die Akarii behandelten ihre Gefangenen nicht einmal ansatzweise so gut wie die Terraner ihre Akarii-Gefangenen. Ace konnte ein Lied davon singen. Deshalb zog sie es vor, ihren sprungfähigen Träger mit intakten Landebahnen zu behalten, anstatt sich in ein Höllenloch von POW-Knast, Marke Camp Hellmountain, stecken zu lassen.
„Aufteilung wie gehabt. Nur hat sich unser Sicherungsbereich verdoppelt ohne die Grünen. Ortung und Navigation wird leicht problematisch durch die Eigenstrahlung des Wurmlochs. Achtet deshalb besonders penibel auf die Einweisungen der DEVASTATOR und der COLUMBIA. Seht dabei selbst auf die Ortungsanzeige. Wir können hier jederzeit von einer Horde Bomber angegriffen werden, oder von einem Schwarm Antischiffsraketen. Ich wiederhole noch einmal, damit jeder es hier kapiert: Wir brauchen die COLUMBIA! Und vielleicht brauchen unsere Kameraden da draußen und die von der HONGKONG die COLUMBIA auch bald! Wir, die Blaue Staffel, haben die größte, die schwierigste und die gefährlichste Aufgabe von allen. Und ich will, dass wir sie erfüllen!
Es geht nicht um Abschüsse, nicht um Ruhm oder persönliche Eitelkeit. Es geht darum, leer geschossene Bomber, die eine leichte Beute wären, ziehen zu lassen, und sich stattdessen der Antischiffsrakete zuzuwenden, die ihr Schadenspotential erst noch entfalten wird. Mehr denn je müssen wir unseren Träger beschützen, unsere Kameraden, die hier gemeinsam mit uns für die Freiheit der Erde einstehen. Alles steht und fällt mit der COLUMBIA. Haben das alle gefressen?“
Die Piloten der Blauen Staffel erhoben sich und salutierten geschlossen.
Huntress schnaubte zufrieden. „Gut. Wir sitzen auf.“
Sie schnappte sich ihren Helm und verließ an der Spitze ihrer Leute den Besprechungsraum.

Kali war jetzt sicherlich schon in der Reha für ihren Arm. Und höchstwahrscheinlich hatte sie schon den vierten Antrag auf Wiederaufnahme in den aktiven Dienst ausgefüllt. So gut kannte sie ihre Freundin mittlerweile schon.
Ace war da draußen, auf der anderen Seite des Wurmlochs, und kämpfte um sein Leben. Auch für ihn wollte Huntress die Landemöglichkeit COLUMBIA erhalten. Gerade für ihn. Auch wenn sie nicht das Paar waren, das sie vielleicht hätten sein können, so sah sie sich doch als Teil seiner Familie an. Und das war vielleicht besser, beständiger als alles andere.
Auch Ohka war da draußen, vielleicht schon tot... Nein, korrigierte sie sich in Gedanken, abgeschossen vielleicht, verletzt vielleicht, aber gewiss nicht tot. Niemand konnte den quirligen Japaner töten. Er war unsterblich. Und im Gegensatz zu Ace ging er auch nicht verloren.
Und sie selbst? War sie unsterblich? Oder konnte sie verloren gehen? Als Frau war sie einigermaßen froh und erleichtert, dass die Akarii und die Menschen sexuell nicht kompatibel waren. Ein Akt im eigentlichen Sinne war ihnen durch biologische Beschränkungen, Andersartigkeiten, verwehrt, wenngleich der eine oder andere derbere Mann auch schon mal bewundernd von „Akarii-Titten“ sprach... In einem Kampf Menschen gegen Menschen wären Frauen sicherlich das Opfer von Vergewaltigungen geworden, sicher auch der eine oder andere Mann. Das war bei den Akarii nicht möglich. Es konnte sein, dass ihr Geheimdienst solche Methoden zur Folter entwickelt hatte. Aber bei einem Nichtmenschen war es... eklig, abartig, widerlich, jedoch nicht das gleiche wie durch einen Menschen erniedrigt, gedemütigt und tief in der Seele verletzt zu werden.
Huntress schüttelte den Gedanken mit einem Kopfschütteln ab. Sie würde nicht in Gefangenschaft geraten. Keiner ihrer Leute würde in Gefangenschaft geraten. Nicht wenn sie ihren Job gut machten.
„Chip?“
Harris wandte sich seiner Staffelführerin zu. „Ja?“
„Ich bin stolz auf dich, Tintenkleckser. Nur falls ich das noch nicht erwähnt haben sollte“, sagte sie mit einem Grinsen und klopfte dem XO auf die Schultern, während sie an ihm vorbei ging.
„Heute noch nicht“, erwiderte der Zeitungsmann amüsiert und folgte ihr und dem Rest der Staffel.

***

Man konnte nicht unbedingt von Taktik reden, als die COLUMBIA in schneller Reihenfolge ihre Staffeln ins kalte Weltall jagte. Durch Cunninghams Plan und die vorangegangenen Gefechte eh weit unter Soll und vollkommen deformiert stürzten sich die Maschinen auf terranischer Seite in den Kampf. Nun, treffender wäre jeder gegen jeden gewesen, denn in dem Wust aus eng zusammen gedrückten Kampfschiffen und sie wie zornige Hornissen umkreisenden Jagdfliegern und Bombern auch nur ein klares Ziel herauszufinden, war beinahe schon ein Glücksspiel. So viele Ziele, so wenig Zeit.
Die rote Staffel stieß direkt gegen den Gegner vor. Ihr, beziehungsweise den Resten, waren akariische Jagdbomber und Dünnschiffe zugewiesen worden, die in die Linien einzubrechen drohten. Sie abzuwehren, bestenfalls zu vernichten, war die beste Möglichkeit, die sie nun noch hatten.
Kontakt mit den Kameraden der HONGKONG und der Spezialeinsatztruppe der COLUMBIA kam beinahe sofort zustande. Aber das Fehlen einiger prägnanter Namen ernüchterte doch. Es hatte seinen Grund, warum die Akarii den eigenen Einheiten schon so eng auf der Pelle saßen. Und ihnen blieb nun nichts weiter übrig, als in diesem Jeder gegen Jeden so viel Schaden wie irgend möglich anzurichten.

Huntress hätte gerne den Nachbrenner durchgetreten, wäre dann Mantis und den Roten gefolgt, um richtig in den Kampf eingreifen zu können, denn wenn sie ehrlich war, ärgerte es sie, dass die Grünen mitspielen durften, und ihre Blauen die Hütehunde spielten. Andererseits war ihre Staffel die Unversehrteste und die damit am besten koordinierte. Und sie kannte ihre Pflicht, die noch nie aus einem Wunschkonzert bestanden hatte. Also hielt sie ihre Leute beisammen, scannte den Raum nach Bedrohungen ab und lauschte auf die Stimmen aus der CIC, die den Schiffen und Piloten individuelle Ziele zuwiesen.
„Huntress von Black Market!“, klang der lang erwartete Ruf auf. "Haben einfliegende Banditen auf null neun null zu null acht sieben. Avenger oder Raptoren, sechs insgesamt, Bloodhawk, vier.“
„Verstanden, Black Market, wir kümmern uns darum!“
Endlich was zu tun! Nach endlosen zwei Minuten des sinnlosen Wartens endlich was zu tun.
„Ihr habt die Heimat gehört, Leute. Wir haben einfliegende Banditen direkt über unseren Köpfen. Kümmern wir uns um sie.“
„Strategie?“, klang Chips Stimme auf.
„Zieh die Bloodhawks mit deiner Sektion ab, so gut du kannst. Der Rest nimmt sich die Bomber vor, bevor sie unserem Träger Ärger machen können.“
Bestätigungen erklangen, während die Maschinen auf ihren Nachbrennern dem Feind entgegen ritten.
Huntress teilte routiniert die Ziele zu und suchte sich selbst den führenden Bomber als Ziel aus. Dies war ihr Job. Dafür war sie ausgebildet worden. Dafür befehligte sie eine defensive Staffel aus schnellen, bissigen und agilen Jägern. „Die Teileinheit, die zuerst mit ihrer Portion fertig ist, kommt der anderen zu Hilfe“, brummte sie, während der Bordcomputer die Zeit bis zur maximalen Raketenbeschussdistanz herunter zählte.
„Verstanden.“
Huntress nickte zufrieden, vergewisserte sich, dass alle ihre Ziele hatten – und dass noch ein paar Minuten Luft bis zu ihrem Träger waren. Dann erklang das melodische Geräusch der Zielerfassung, und ihr Fadenkreuz wechselte auf grün, um anzuzeigen, dass die ausgewählten Waffen, in diesem Fall Amraam, den Gegner auch treffen konnten. „Fox two!“, rief sie und schoss das erste Pärchen auf die Reise. Ihre Flügelleute wiederholten den Befehl, und Sekunden darauf war die stattliche Anzahl von achtzehn Amraam und Sparrow auf dem Weg zum Feind.
Der reagierte wie erwartet, sprengte auseinander. Vereinzelt erwiderten die Bloodhawk das Feuer mit ihren Raketen, während die Avenger und Raptoren in einen Immelmann zogen, um dorthin zurück zu kehren, woher sie gekommen waren. Es sah ganz so aus, als würden die Jäger den Abzug der Bomber decken. Aber Huntress registrierte sehr wohl, dass der Immelmann gegen die Flugrichtung erfolgt und dementsprechend verkürzt war. Wurde aus dem Immelmann ein Looping, standen die feindlichen Bomber nur wenige Kilometer hinter der Stelle, an der sie ihn begonnen hatten. Von dort waren es nur wenige Sekunden bis zu einer Angriffsposition auf die COLUMBIA.
„Oh nein, mit mir nicht“, zischte Huntress. „Spielt nur die Unbeteiligten, ich falle nicht darauf herein! Blaue Mädels, her gehört! Die Bomber machen keinen Immelmann, sondern einen Looping. Wir fangen sie am Endpunkt ab.“
„Roger!“ Gehorsam folgte ihr zwei Sektionen der Blauen.
Dies ließ die Bloodhawks reagieren. Sie versuchten sich aus dem Kurvenkampf mit Chips Sektion zu lösen, um den Kameraden in den Bombern zu Hilfe zu kommen.
„Halte sie mir vom Hals, Chip!“, rief Huntress ärgerlich.
„Ich versuche mein Bestes!“, rief der XO zurück, und tatsächlich explodierte kurz darauf ein Bloodhawk nach einem Amraam-Treffer. Es waren aber immer noch drei auf dem Weg.
Sie behielt Recht, aus dem Immelmann wurde ein Looping. Und je mehr die Bomber den Looping beendeten, desto mehr Waffen konnten sie einsetzen. Die sechs Akarii beharkten die direkt auf sie zu kommenden Falcons mit allem was sie hatten. Huntress und ihre Flügelleute lösten Abwehrmaßnahmen aus, während der Gegner nun schnell näher kam und ihr Energiefeuer in ihrem Schutzschild kreischte. Die zuvor abgeschossene Raketensalve hatte nur teilweise gesessen. Zwei Bomber hatten Schilde verloren, leider nur die rückwärtigen.
„Sie dürfen nicht vorbei kommen!“, rief Huntress erneut. „Fox two!“ Sie schickte ihr zweites Paar Amraam auf die Reise, noch immer auf den Vordersten ausgerichtet.
„Bin getroffen! Bin getroffen! Steige aus!“, gellte eine panische Frauenstimme in ihrem Helm. Für eine bange Sekunde checkte sie ihre Anzeige und sah tatsächlich das Symbol für einen gelungenen Ausstieg aufleuchten. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie begriff, wer da geschrieen hatte: Elfwizard. Das arme Mädchen hasste es auszusteigen, seit sie ihre ersten Vakuumverbrennungen erlitten hatte. Andererseits war aussteigen besser als explodieren.
Im Gegenzug verschwand ein Avenger in einer Explosion. Leider nicht ihrer.
Die feindlichen Maschinen begannen nun einzudrehen, zwei warfen ihre Bombenlast ab, um manövrierfähiger zu werden. Der dritte jedoch, ausgerechnet ihr Ziel, schoss erneut Raketen, und bevor sie es sich versah, zog er an den Blauen vorbei.
Huntress ging in den von Bein, visierte den hässlichen Hintern der Maschine an und feuerte alles was sie hatte, inklusive ihres letzten Paar Amraams.
Zwei Sekunden später wurde sie mit der Explosion des Gegners belohnt.
„VORSI...“, gellte es in ihrem Funk auf, und mit der Erfahrung des lang gedienten Soldaten wusste sie, dass der Ruf ihr galt. Ihr Blick ging auf den Hilfsmonitor und stürzte sie in Panik. Sie flog Heck voran mitten in das Trümmerfeld des ersten Avengers hinein, den ihre Staffel zerstört hatte!
Sofort ging sie auf Gegenkurs, ließ die Slidebremse los und gab Schub auf die Düsen. Der Druck presste ihr fast die Luft aus den Lungen, und ein helles Singen erfüllte den Jet. Dadurch raste sie gebremst in die Trümmer. Danach war... Nichts.

Als Huntress wieder die Augen öffnete, war laut ihres Chronometers nicht einmal eine Minute vergangen. Ein kurzer Blick auf die Statusanzeige jedoch zeigte ihr, dass die Maschine nur noch Schrottwert hatte. Die Ortung funktionierte leidlich. Sie konnte gut erkennen, wie Chip die Reste des angreifenden Pulks nach Hause schickte. In Schimpf und Schande, natürlich. Sie lächelte warm. Ein SAR war bereits in der Region unterwegs, in der Elfwizard ausgestiegen war. Danach würde er sich zweifellos um sie kümmern, wenn es fertig war.
Das war einen Moment, bevor ihr Triebwerk unkontrolliert zu arbeiten begann. Die Falcon erhielt einen derben Stoß, der sie vollkommen aus ihrem Trudelkurs brachte. Hastig checkte sie ihre Anzeigen und erkannte die Beschleunigungswerte. Noch nicht irrwitzig, aber stark genug, um sie wieder auf Kampfgeschwindigkeit zu bringen. Mist!
Huntress griff nach dem Hebel für den Schleudersitz. Schade, das war eine gute Maschine. Sie zog, und ließ sich in den Weltraum schießen.
Nichts geschah.
Ein neuer Beschleunigungsstoß ging durch den wracken Jäger, und sie konnte nicht aussteigen! Hastig checkte sie ihre Optionen und erkannte zu ihrem Entsetzen, dass sie direkt auf die COLUMBIA zuhielt. Schlimmer noch, ihr Kurs würde sie zwangsläufig auf einen der überdimensionierten Raketenwerfer niedergehen lassen!
Sie manipulierte das Triebwerk, aber es erfolgte keine Reaktion. Auch die Steuerdüsen waren wie tot. Ausgerechnet jetzt arbeitete das Haupttriebwerk, aber nicht eine der Korrekturdüsen, ging es ihr in einem Anflug von Sarkasmus durch den Kopf. Wie passend.
Würden die Kameraden auf der COLUMBIA zulassen, dass sie auf eine der stärksten Antischiffswaffen stürzte? Würden sie auf einen eigenen Jäger schießen, um das zu verhindern?
Schlimmer noch, würden sie das feuernde Triebwerk missverstehen und denken, sie hatte noch die Kontrolle über den Jäger? Huntress schnürte sich die Kehle zu. Der Funk war tot, natürlich. Wenn etwas schief ging, dann aber auch richtig.
Sie berechnete die Zeit bis zum Aufschlag mit zwanzig Sekunden. Die Crew würde sie wahrscheinlich erst dann als Gefahr ansehen, wenn jemand so schlau war, sie anzufunken, und sie nicht antwortete. Und danach würden noch Sekunden vergehen bevor sich jemand dazu durch rang, den Jäger abzuschießen, bevor er richtig Schaden verursachte. Zum einsammeln war es definitiv schon zu spät. Bei achtzehn Sekunden bekam Huntress einen manischen Lachanfall. Bei vierzehn Sekunden schluchzte sie. Eine halbe Sekunde später aktivierte sich die Selbstzerstörung des Jägers. Seltsam, wie das Leben so spielte. Sie hatte fest damit gerechnet, den Krieg nicht zu überleben. Aber sie hätte nie gedacht, dass sie die Freiheit haben würde, selbst zu entscheiden, wann und wie sie starb. Gut, gut, das wann war in der Entscheidung auf wenige Sekunden beschränkt. Aber sie hatte sich dazu entschlossen, auf der COLUMBIA keine gravierenden Schäden zu verursachen. Es war nur Schade, dass sie nicht mehr mit ihren Freunden reden konnte. Sie waren für Huntress...
Die letzten Gedanken blieben unvollendet, als die Treibstoffzelle des Jägers hoch ging, und aus dem Jäger statt einer massiven Bombe viele kleine Schrapnells machte. Etwa zwei Sekunden bevor ein nervöser Second Lieutenant gerade den Befehl geben wollte, die Falcon abzuschießen. Was definitiv zwei Sekunden zu spät gewesen wäre. Der Schrapnellregen ging teilweise auf die Hülle der COLUMBIA nieder und verursachte marginale Schäden. Die Werfer kamen mit ein paar Kratzern davon.

***

Ironheart:

Primärbrücke Vo Nguyen Giap, Karrashin-Kiralu-Wurmloch
Karrashin-System

In dem Augenblick in dem Cunningham mit der Columbia und die Vo Nguyen Giap als deren Schutz in das Karrashin-System gesprungen war, war um sie herum die Hölle losgebrochen. Der Feind hatte nicht mit ihnen gerechnet, und daher hatten sie die erste Salve abgeben dürfen, noch ehe er reagieren konnte.
Die Giap hatte nach ihrer Rückeroberung ihr erstes Feuer auf eine kleinere Fregatte der Akarii abgegeben, die sich aber schnell hinter ihre größeren Cousins zurückgezogen hatte, nachdem sie miterleben musste, wie die Columbia eines ihrer Schwesterschiffe förmlich pulverisiert hatte.
Der wie aus dem Nichts erscheinende terranische Träger hatte ein kurzes Chaos bei den Akarii ausgelöst, doch hatte sich dieses zum einen schnell gelegt und war zum zweiten in den Effekt umgeschlagen, dass fast alle umliegenden Akarii nun ein verhasstes neues Ziel vor ihren Rohren hatte.
Cunningham hatte es mal wieder geschafft und sämtlichen Zorn und Wut in diesem Teil der Galaxis auf sich gebündelt.
Der kleinere Zerstörer Vo Nguyen Giap hatte sich dann versucht schützend vor den terranischen Träger zu stellen, doch der Feind hatte sich ausnahmslos entschlossen, die größere und lohnendere Prise zu beschießen.
Ignoriert zu werden gefiel niemandem, doch so leicht gab Igor Maleetschev nicht auf. „Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt…“, murmelte er und wandte sich dann an seinen Sensoroffizier, „Mister Flores, geben Sie mir den größten Brocken der Akarii in unserer Reichweite und markieren sie ihn als Ziel.“
„Aye Sir, markiere Yankee 4 als Ziel.“ Der Radaroffizier hatte sich einen der wenigen übrig geblieben akariischen Kreuzer als Ziel ausgesucht. ‚Eine gute Wahl, Senor Flores‘ schoss es ihm durch den Kopf.
„Miss Kayalar, volle Breitseite auf Yankee 4.“
„Aye Sir, volle Breitseite ist auf dem Weg.“
Die Giap war als Zerstörer nicht mit genügend Feuerkapazität ausgestattet, um in einem normalen Gefecht einem Yankee-Class Kreuzer gefährlich zu werden. Zumal der Yankee über ein deutlich größeres Offensivwaffenpotenzial verfügte. Aber das hier war keine normale Schlacht und offensichtlich hatte der Yankee die Gefahr, die von der Giap ausging, entweder nicht erkannt oder bewusst ignoriert. Vier Lasergeschütze des Terranischen Zerstörers kratzten an den Bugschilden des Akarii und reduzierten die Schildkapazität. Von den sechs Exocet pflügten sich immerhin drei Raketen ins Ziel und ließen die Schilde noch weiter erzittern.
Während sich die Waffensysteme der Giap wieder aufluden beziehungsweise nachgeladen wurden, betrachtete Igor gebannt die Schirme auf Anzeichen eines Gegenschlages des Yankee. Als es dann kam, musste er feststellen, dass er schon wieder ignoriert wurde. Die gegnerische Salve galt erneut der Columbia.
„Na warte.“, knurrte er. „Mister Chang, Defensivunterstützung für die Columbia. Miss Kayalar, erneute Breitseite an die Yankee 4.“ Wäre doch gelacht, wenn er den dicken Brocken nicht doch dazu zwingen konnte, sich mit ihnen zu beschäftigen. Diesmal fanden sechs Antischifflaser das Ziel, während zwei weitere Exocet durch die Abwehr brachen und die Bugschilde des Yankee auf ein gefährliches Minimum schrumpfen ließen. Und in der Tat konnte der Yankee dieses Mal den Angriff des kleinen, frechen Erdzerstörers nicht länger ignorieren.
Der Akarii erwiderte das Feuer, und auch wenn ein Teil von Igor froh darüber war, wenigstens eine Salve des schweren Kreuzers auf sich und damit von seinen Kameraden auf der Columbia abgezogen zu haben, so machte er sich angesichts der augenblicklich auf ihn nieder prasselnden Treffermeldungen doch erhebliche Sorgen.
„Yankee 4 hat uns im Visier, Sir!“
„Mehrere Lasertreffer in Bug und Upbord-Sektionen, Sir! 30 Prozent Schildverluste in beiden Sektionen.“
„Rudergänger 60 Grad Down-Südost. Schiff rotieren um 90 Grad.“ Igor musste die in Mitleidenschaft genommenen Schilde in Schutz nehmen und konnte nur hoffen, dass das Manöver ausreichen würde. Denn er ahnte, was jetzt kommen würde.
Und wie um seine Gedanken zu bestätigen, gab Leutnant Flores die Ortung von Antischiffsraketen aus. „Zwölf Vampire, wiederhole zwölf Vampire im Anflug.“
„Leite Abwehrfeuer ein… Defensivlaser Feuer… Stoße Täuschkörper aus.“
Leutnant Chang verstand sein Handwerk, und doch erkannte Igor, dass es nicht reichen würde sämtliche Atomraketen der Akarii abzufangen. Drei Raketen durchbrachen das Abwehrfeuer und jagten auf die Giap zu.
„Mister Grabber, geben Sie Einschlagswarnung aus.“
„Aye, Sir.“ Nur Millisekunden später gellte die Impact Warning Sirene durch das Schiff und jeder Offizier, Matrose oder Marine schnallte sich an oder hielt sich an irgendetwas fest.
Als die Antischiffsraketen in die Backbord und Downbord-Sektionen einschlugen, drückte Igor die Daumen, dass die Schilde und Schildgeneratoren halten würden. Denn sonst wäre das ein äußerst kurzer Kampfeinsatz gegen einen Yankee gewesen.
Die Wucht der drei atomaren Explosionen zerrte an dem Zerstörer, sie wurden unsanft hin und hergeschüttelt und augenblicklich veränderten sich große Teile des Main Ship Display von grün auf gelb und in manchen Fällen auch in Orange.
Die Schildgeneratoren hatten gehalten, doch waren die Schilde der Backbordseite nur noch rudimentär vorhanden. Noch schlimmer hatte es denn „Boden“ des Schiffes, die so genannte Downbord-Sektion erwischt. Mehrere Hüllenbrüche und lokale Feuer waren ausgebrochen. Die Schilde bauten zwar schon wieder auf, aber ein erneuter atomarer Beschuss in diesem Sektor würde große Teile des Schiffes in Stücke reißen.
„Eins-O, Schadensmeldung!“
Die Stimme von John Vickers war geschäftsmäßig, fast schon emotionslos. „Hüllenbrüche in Decks 24 bis 26. Feuer in Sektionen 26-4, 26-7 und 26-9. Schadensbekämpfungstrupps SBT 4, 5 und 6 auf dem Weg. Lasergeschützturm 7 hat einiges an Schaden abgekriegt, aber ist weiterhin einsatzfähig. Keine Meldung über Verletzte oder Verluste.“
„Sehr gut, XO. Miss Kayalar, geben Sie dem Yankee noch eine Salve.“
„Aye, Sir.“
Igor wusste, dass es nicht ratsam war, den Yankee noch weiter zu reizen, denn eine zweite Salve diesen Kalibers würde die Vo Nguyen Giap in arge Bedrängnis bringen. Aber andererseits konnte er jetzt ja nicht nach dem ersten Beschuss klein beigeben. Doch letztlich wurde ihm die Entscheidung über den weiteren Kampf mit dem Yankee abgenommen.
„Sir, die Columbia ruft uns. Commander Long möchte, dass wir die Columbia im spinwärtigen Wurmlochsektor schützen. Die Schwadron 2.3 steht unter heftigem Beschuss und wird sich dorthin zurückziehen. Laut Long werden sie jedes funktionierende Geschütz brauchen, um den Rückzug auf dieser Seite zu decken.“
Igor überlegte nicht lange, würde er damit doch zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen können. „Rudergänger, setzen Sie Kurs auf die vorgegebenen Koordinaten, volle Kraft voraus. Mister Flores, Bestätigung an die Columbia.“ Somit konnten sie sich einem weiteren Schlagabtausch gegen den Yankee – dem sie auf mittlere Sicht sowieso nicht gewachsen waren – entziehen und würden gleichzeitig ihren vom Kampf gezeichneten Kameraden zu Hilfe eilen.

Als sie kurze Zeit später den angegebenen Sektor erreicht hatten und die Reste der ehemals so stolzen Kreuzerschwadronen 2.3 und 2.7. erkannten, stockte ihm der Atem, als er erkannte, dass mehrere Schiffe fehlten – unter anderem die Dauntless, die bislang schon so viele Schlachten überstanden hatte. Etliche weitere Schiffe waren schwer angeschlagen und kämpften verzweifelt um das Überleben. Erst jetzt und hier erkannte er, wie richtig Cunningham mit seiner Entscheidung gelegen hatte, ihren Sondeneinsatz zu befehlen. Ohne diesen „Trick“, den sie beide damals während ihrer Perisher-Zeit auf der Dolphin – wenn auch zugegebenermaßen erfolglos – ausgetüftelt hatten, hätten sie nicht gewusst, wie es um den Rest der Trägerkampfgruppe gestanden hatte. Mit Sicherheit wären die 2.3 und 2.7 komplett aufgerieben worden, denn im Augenblick stand es um Mithels Schwadronen nicht sonderlich gut.
Das selbst für die Terraner und erst recht für die Akarii überraschende Wiedereintreten des Trägers und seiner Begleit- und Schutzflottille konnte das Schlachtenglück nicht vollends wenden – dafür waren die Akarii im Moment zu übermächtig. Doch die Columbia und vor allem der Flakkreuzer Devastator und die Kip Thorne hatten den Schlachtverlauf zumindest zeitweilig verändert. Und auch die Giap würde sich Mühe geben, die Kameraden der 2.3 und 2.7 in Sicherheit zu bringen.
Die Frage würde sein, wie viele von ihnen?

Als die Giap nach etlichen quälenden Sekunden endlich in Sensorreichweite des linken Flügels von Mithels Kampfformation kam, erkannte er erst, wer sich dort mit den Akarii prügelte. Während die Relentless, die Kinagusa und die Lupo im Zentrum kämpften, hatten die Repulse und die Kami die jeweiligen Flügel gesichert. Insgesamt bestand die provisorisch kombinierte Kreuzerschwadron und die sie unterstützenden kleineren Einheiten noch aus knapp zwei Dutzend Schiffen, doch stand ihnen im Augenblick eine Übermacht an Akariischiffen gegenüber.
Man brauchte keinen Taschenrechner um zu berechnen, dass sie angesichts dieses Ungleichgewichts nicht lange durchhalten konnten.
Die Repulse kämpfte am linken Flügel zusammen mit einem leichten Kreuzer, zwei Zerstörern und zwei Fregatten gegen einen zwei feindliche leichte Kreuzer, insgesamt sechs Zerstörer und mehrere Fregatten.
Igors Herz schien einen Moment auszusetzen, denn diese Übermacht drängte mit voller Wucht gegen das Zentrum der kombinierten Kreuzerschwadron und drohte diese komplett vom Wurmloch und damit von der Flucht abzuschneiden. Das Zentrum der Formation selbst stand unter schwerstem Beschuss und konnte nicht helfen. Einzig der rechte Flügel unter der Kami hatte es mit weniger Gegnern zu tun und konnte sich aus eigener Kraft halten. Aber Unterstützung für den linken Flügel war auch von dieser Seite ausgeschlossen.

Commander Long hatte nicht übertrieben, als er gesagt hatte, dass hier jedes Geschütz gebraucht wurde. Also setzte Igor sein Schiff sobald es ging ein, wodurch aus einer 108prozentigen Übermacht nur noch eine knapp 85prozentige wurde.
„Mister Grabber, Nachricht an die Repulse, wir greifen in den Kampf ein. Mister Flores, geben Sie Miss Kayalar ein sauberes Ziel.“ Dann wandte er sich an seinen XO. „John, geben Sie Meldung an das gesamte Schiff, alle verfügbaren Kräfte sollen sich für Schadensbekäpfungsteams verfügbar machen. Das gilt insbesondere für Major Hue und seine Marines.“
„Aye, Sir. Major Hue hat seine Einheit bereits über das Schiff verteilt und entsprechend instruiert. Commander Napolitano hat die Aufgabe der SBT-Koordination übernommen.“ Igor nickte. Mit Maria Napolitano hatte sich die Zweite Offizierin und nominelle Nachschubchefin mit dieser wichtigen Aufgabe angenommen. „Sagen Sie ihr bitte, sie soll keine unnötigen Risiken eingehen.“ Igor erinnerte sich an El-Habibi, den Zweiten Offizier auf der Ontario, der während der Schlacht am Eurydike-Wurmloch diese Aufgabe inne gehabt hatte und dabei gefallen war.
Es waren nur noch wenige Minuten, bis die Giap in den Kampf eintreten würde und er spürte aus dem Augenwinkel ein Augenpaar auf sich ruhen. Als er sich zu Ensign Poletto umdrehte, nickte sie ihm nur kurz zu, schenkte ihm ein Lächeln und drehte sich dann wieder zu ihren Instrumenten an der Defensivwaffenstation um.
Igor wusste, dass diese kleine Geste sinnbildlich für die Hoffnung und gleichzeitig die Zuversicht der gesamten Mannschaft stand, dass er – Commander Igor Maleetschev, Captain der Vo Nguyen Giap – sie alle unbeschadet durch diesen Kampf führen würde. Und so sehr er das auch selbst glauben wollte, so wusste er aber auch, dass das nicht möglich sein würde. Erst Recht nicht in dieser Schlacht.
„Mister Flores, wie lange noch bis wir in Feuerreichweite sind?“
„45 Sekunden, Sir!“
„Mr. Grabber, geben Sie mir bitte 1MC – Captains Call.“
„Aye, Sir.“
Wieder erschallte das 1MC Signal durch das Deck und Igor zwang sich mit ruhiger Stimme zu sprechen, so wie er es von den Captains Singh, Schneider und Atkins gelernt hatte. „Kameraden, wir nähern uns einem Feind, der uns in diesem Augenblick deutlich überlegen ist. Wir nähern uns einem Feind, der unsere Freunde mit unerbittlicher Härte verfolgt und vernichtet. Wir nähern uns einem Feind, der auch uns vernichten kann und der es mit Sicherheit auch versuchen wird. Wir werden einstecken müssen und wir werden Kameraden und Freunde verlieren. Aber wir werden mindestens doppelt so hart zurückzuschlagen, wir werden Tod und Vernichtung unter unseren Feinden sähen.“ Igor atmete tief durch. „Machen Sie mich Stolz, machen sie ihre Kameraden stolz, machen sie sich selbst Stolz! Gute Jagd! Maleetschev Out.“
Igor hoffte den richtigen Ton so kurz vor dem Kampf getroffen zu haben, doch im Grunde war das im Augenblick seine geringste Sorge.
„Mr. Flores, welches Ziel können Sie uns geben?“

Und damit begann der Kampf für die Giap. Xavi Flores hatte sich den von ihnen nächstgelegenen Zerstörer als Ziel gewählt, und Neslihan Kayalar eröffnete augenblicklich das Feuer auf ihn. Der Akarii reagierte sofort und drehte zu der neuen Bedrohung bei, im Schlepptau zwei Fregatten der Duck-Klasse. Damit war der akariische Hotel-III Zerstörer älterer Bauart zwar leicht im Vorteil, aber alles in allem war die Übermacht für die Giap nicht allzu übermächtig. Offensichtlich wollte der gegnerische Kommandant zunächst die Repulse ausschalten und maß dem Neuankömmling zu Recht nicht die höchste Priorität zu.
‚Umso besser für uns‘ dachte Igor und beobachtete den Schlachtverlauf.
Während die Giap ihr Feuer auf den Hotel-III Zerstörer konzentrierte und den bereits zuvor angeschlagenen Gegner empfindlich treffen konnte – schon die erste Salve halbierte dessen Feuerkapazität durch einen Zufallstreffer, der einen der beiden Antischiffraketenwerfer zertrümmerte – trommelten die Geschütze der drei gegnerischen Schiffe auf die Giap ein. Schilde wurden geschwächt, in weiteren Sektionen brachen Feuer aus, Geschütztürme gingen in Flammen auf und die ersten Toten der Schlacht waren auf der Giap zu betrauern. Doch das Schiff wie auch alle anderen im Rückzug befindlichen Schiffe feuerten ununterbrochen weiter, setzten Täuschkörper ein und vollführten waghalsige Manöver.
Als die Backbordschilde und die entsprechenden Schildgeneratoren der Giap von dem Hotel III zerschmettert wurden, durchschlugen wie als Vergeltung zwei Antischiffraketen der Giap die Verteidigung des Gegners, vernichteten die kläglichen Reste dreier Schutzschilde und verwüsteten einen großen Teil dessen Upbordsektion. Der zweite Antischiffwerfer verstummte, der Zerstörer verlor rapide an Fahrt und drehte schwer getroffen bei. Der Akarii war nicht vernichtet worden, aber er verließ das Schlachtfeld, da er wissen musste, dass die nächste Salve sein Untergang werden würde.
Unwillkürlich zollte Igor dem gegnerischen Kommandeur seinen Respekt durch ein kurzes Nicken, denn seine Mannschaft von knapp 500 Akarii zu retten war in seinen Augen ehrenhafter, als einen verlorenen Kampf bis zum bitteren Ende zu führen.
Leiser Jubel brandete auf der Giap auf, doch bevor Igor etwas sagen konnte, verstummte dieser jäh, als der terranische Zerstörer Cadiz so hart getroffen wurde, das die Triebwerke flatternd verstummten.
Anders als beim akariischen Zerstörer bedeutete dies den Untergang des Schiffes, da es die Flucht zum Wurmloch unmöglich machte.
Der Kommandant der Cadiz, dessen Namen Igor nicht kannte, hätte im Grunde drei Möglichkeiten gehabt. SOS funken und sich ergeben, die Cadiz aufgeben und selbst zerstören oder bis zum Äußersten kämpfen und sich für den Rest der fliehenden Truppe opfern. Die Cadiz wählte die letzte Variante.
Und auch wenn es paradox klingen mag, auch dieses Mal zollte Igor dem Kommandanten Respekt, während er beobachtete, wie die Cadiz sich mit Hilfe der Manöverdüsen quer zum Feind stellte, sich rotierend und aus allen Rohren unablässig feuernd in deren Marschweg legte und unterging. Aus für Raumfahrer quasi kürzester Distanz konzentrierte der Feind das Feuer auf den zurückbleibenden Erdzerstörer, der innerhalb einer Minute zu Schlacke geschossen wurde, nicht aber ohne ebenfalls noch ein letztes Mal hart auszuteilen. Eine gegnerische Fregatte brach förmlich in zwei Teile und eine weitere Fregatte trat den Rückzug nach Karrashin an. Als die ersten Rettungskapseln das sterbende Schiff verließen, war es bereits zu spät, die gewaltige Explosion des berstenden Schiffes riss die Kapseln in Stücke, noch ehe sie den Sicherheitsabstand geschafft hatten.

Für Trauer blieb keine Zeit, denn die Cadiz hatte ihnen zwar etwas Zeit verschafft, doch es war fraglich, ob das reichen würde.
„Sir, wir erreichen gerade Meldung von der Hongkong, Admiral Schepens hat Vorbereitung zum Sprung ausgegeben.“
„Danke, Mr. Grabber. Kontaktieren Sie Captain Atkins und sagen sie ihm, dass die Giap als letztes Schiff des rechten Flügels springen wird. Astrogator, Sprung vorbereiten. Eins-O, bitte Meldung an Chief Pan, wir brauchen alle entbehrliche Energie auf den Schilden. Rudergänger vorderste Kampfposition einnehmen. Miss Kayalar, volle Breitseite auf Kilo 3, sobald wir in Reichweite sind.“
Leutnant Grabber meldete sich wieder. „Sir, Captain Atkins auf Schirm 1 für Sie.“
Das vertraute Gesicht seines ehemaligen Captains tauchte vor ihm auf. „Captain Maleetschev, schön Sie wieder zusehen und danke für ihre Hilfe. Wie ich sehe haben Sie Kurs auf die vorderste Linie eingeschlagen. Aber jetzt ist nicht die Zeit für Heldentaten. Sie haben Befehl zu springen, sobald sie dazu bereit sind.“
„Negativ, Sir, mein Befehl lautet ihre Einheit so weit wie möglich bis zum Sprung zu eskortieren. Da mein Schiff bislang am wenigsten getroffen worden ist, Sir, übernehme ich die letzte Wacht bevor Sie und die übrigen Schiffe der rechten Flanke springen können.“
Atkins verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf, und Igor merkte erst jetzt, dass die rechte Schulter des Captains blutverschmiert war. Im Hintergrund konnte er einige Funken stieben sehen und ihm wurde klar, dass die Repulse – genau wie ihr Kapitän – schwer gezeichnet waren.
„Nein, Igor, Sie werden nicht…“
Igor ließ ihn nicht ausreden. „Bei allem Respekt, Sir, ihr Schiff wird sich nicht lange genug halten können.“
Ein trauriger Schmerz lag in Atkins Augen als er seinem jungen Schützling antwortete. „Die Repulse wird nirgendwo mehr hinspringen, Igor! Wir haben unsere Sprungrelais verloren….“
Mehr brauchte Atkins nicht zu sagen. Die Repulse war verloren. Sie war zu beschädigt um es bis zum Ende der Schlacht auszuhalten, sie war aber noch zu intakt um jetzt schon aufzugeben. Denn das hätte wahrscheinlich das Zusammenbrechen des rechten Flügels für die Kreuzerschwadronen 2.3 und 2.7 und damit deren Einkesselung kurz vor dem Ziel bedeutet.
Die Repulse war dazu verdammt das Schicksal der Cadiz zu teilen, kämpfend unterzugehen und zu hoffen, dabei so viele Feinde wie möglich mit sich zu nehmen.
„Captain, es… es tut mir leid…“
Atkins lächelte väterlich. „Das muss es nicht, Igor. Wir werden euch so viel Zeit erkaufen, wie wir können. Repulse over and out.“

Igor musste schlucken und war verzweifelt bemüht Tränen der Wut zu unterdrücken. Sein Blick wanderte zu seinem Stellvertreter hinüber.
Auch John Vickers hatte Freunde auf der Repulse zurückgelassen und sein Gesicht war gleichermaßen von Sorge, Trauer und Wut gekennzeichnet. Schweigend und hilflos mussten sie beide mit ansehen, wie die Repulse Treffer für Treffer einsteckte und genauso hart austeilte. Die Vo Nguyen Giap und die übrigen Schiffe halfen so gut es ging, doch das Schicksal der Repulse war unumkehrbar.
Ein gewaltiger Treffer schüttelte die Giap durch und ein gleißender Schmerz durchzuckte Igors linken Arm. Doch er ignorierte die Schmerzen und gab weiter Feuerbefehle. Aus den Augenwinkeln erkannte er, wie eine Konsole aus der Verankerung riss und Lieutenant Chang von der Defensivbewaffnung erwischte. Doch im Augenblick konnte er seine Aufmerksamkeit nur auf die laufende Schlacht richten.
In der Zwischenzeit bohrte der gewaltige Ticonderoga seine übrig gebliebenen Waffen in die Flanke des feindlichen leichten Kreuzers, nur um selbst ganze Sektionen an das Weltall zu verlieren. Sekundärexplosionen ließen große Teile des Schiffes erzittern und das Feuer loderte offen aus etlichen Rissen im Rumpf.
Als die erste Fregatte des rechten Flügels sprang, ging ein weiterer Ruck durch die Giap und etliche Schirme explodierten auf der Primärbrücke. Das MSD zeigte ein Viertel der Schiffssektionen in tiefem Rot, und auch für die Giap war es an der Zeit sich zurück zu ziehen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollte, das Schicksal der Cadiz und der Repulse zu teilen.
Widerwillig befahl Igor den Rückzug und die letzte Salve der Giap zerschmetterte die Steuerbordseite des Kilo. Doch es war die sterbende Repulse, die dem Akarii den Gnadenstoß verpassen sollte.

Und was für einen.
Die letzte Salve der Repulse trafen den Kilo ebenfalls Steuerbord, obwohl der gegnerische Kommandant sich die größte Mühe gegeben hatte durch Rotation die unbeschädigten Seiten dem Feind zu präsentieren. Als der Akarii von den Raketen getroffen wurde, platzte die Panzerhaut des Schiffes auf und wurde in riesigen Stücken ins All geschleudert. Das vordere Drittel des Kreuzers brach ab und driftete seitlich weg. Rettungskapseln entflohen dem zerstörten Schiff und kündeten von dessen Ende.
Doch die eigentliche Katastrophe für die verfolgenden Akarii waren die gewaltigen Trümmerstücke, die der vorauseilende Gigant seinen kleineren und in enger Formation folgenden Helfershelfern in den Weg schleuderte. Ein Trümmerstück in der Größe eines halben Fußballfeldes schleuderte wie ein Tomahawk in die Flanke einer Fregatte. Die Schilde gaben überlastet nach und die Wucht des Aufschlags spaltete die kleine Fregatte in zwei Teile.
Das vordere abgesprengte Schiffsdrittel indes driftete direkt in die Flugbahn eines Zerstörers, der diesem buchstäblich um Haaresbreite noch ausweichen konnte. Nicht aber ohne vorher mehrere Aufbauten, Geschütztürme, Sensorphalanxen und Raketenwerfer zu verlieren, die gewissermaßen von dessen Oberfläche rasiert wurden.
Der dermaßen kastrierte Zerstörer zog sich ebenfalls aus dem Schlachtfeld zurück, aber diesen späten Triumph bekam die Repulse nicht mehr mit.
Sie verging in einer Reihe von Sekundärexplosionen, doch anders als bei der kurz zuvor untergegangenen Cadiz hatten diesmal einige Rettungskapseln und –fähren den Sicherheitsabstand erreichen können. Einen kurzen Augenblick überlegte Igor, ob sie die Überlebenden aufnehmen sollten, doch verwarf er es wieder, da sie dann den Sprung zurück nicht mehr schaffen würden. Die Geretteten würden in die Gefangenschaft gehen müssen. Er wusste nicht, wer sich von der Crew hatte retten können, aber er spürte förmlich, dass weder Captain Atkins noch Chief Mayrhuber unter ihnen waren. Er kannte diese beiden Männer, die er am ehesten als Freunde auf der Repulse gehabt hatte, und sie gehörten beide nicht zu denjenigen, welche ihren Posten vorzeitig verließen.

Die übrig gebliebenen Akarii hatten nun die Verfolgung hingegen eingestellt, wahrscheinlich teils aufgrund des Verlustes ihres Kreuzers als auch durch den Schock und Verlust der Fregatte sowie den Beinaheverlust eines weiteren Zerstörers. Auch die Akarii hatten nun wohl endgültig genug und ließen von den fliehenden Terranern zumindest an diesem Abschnitt der Front ab.
Was ein Glück für die beschädigte Giap gewesen war.

Noch immer gezeichnet vom Verlust der Repulse schaute sich Igor auf der Brücke um. Und was er sah, trieb ihn noch mehr zur Wut auf seine Feinde. Igor hatte sich dermaßen auf die Schlacht konzentriert, Befehle gerufen und Statusmeldungen empfangen, dass er nicht gemerkt hatte, dass knapp ein Drittel der Plätze nicht mehr belegt waren. Brände knisterten an einigen Stellen und Sanitäter trugen Verletzte und wohl auch Tote von der Brücke.
„Astrogator, sind wir fertig zum Sprung?“
„Aye, Sir. Sprung kann erfolgen, wann immer Sie es befehlen.“ kam die Antwort vom entsprechenden Gasten.
„Eins-O, Bericht!“
Auch dieses Mal war John Vickers die Ruhe und Professionalität schlechthin. „Sir, wir sind runter auf insgesamt 30prozentige Schildleistung, wobei zwei Sektionen gar keine Schilde mehr haben. Multiple Feuer in den Downbordsektionen, Antriebsleistung runter auf 75 Prozent. Wir haben vier Geschütztürme verloren und unsere Werfer für die Jägerabwehr sind ausgefallen. Die Antischiffraketen haben noch zwei Salven.“
„Zustand der Brücke und Meldung über Verluste!“ Vickers schluckte, das erste Mal, dass er am heutigen Tage Emotionen zeigte. „Sir, die Brücke ist gerade noch so einsatzfähig, in einigen Bereichen müssen wir improvisieren. Interne Bordkommunikation ist zusammengebrochen, daher habe ich ein Läufersystem etabliert.“
Maleetschev hob die Augenbrauen. Das war eine gute Leistung, so etwas mitten in der Schlacht auf die Beine zu stellen.
„Was die Verluste angeht haben wir bislang keine gesicherten Zahlen. Aber wir sollten von knapp 20 Gefallenen und doppelt so vielen Verwundeten rechnen.“
Igor nickte knapp „Danke, Eins-O.“ Er verkniff sich ein „Gute Arbeit“ im Angesicht von knapp 15 Prozent an Toten und Verletzten. Also wandte er sich an einen weiteren seiner Junioroffiziere: „Mr. Flores, wie sieht es aus mit dem Sprung unserer Schiffe und den uns folgenden Akarii?“
„Sir, die Akarii sind noch in Feuerreichweite, rücken aber nicht mehr nach und feuern nur noch sporadisch“
„Gut, Lieutenant Chang, halten Sie die Defensivwaffen weiter voll einsatzbereit."
„Sir,“, es war Vickers, der antwortete, „Lieutenant Chang ist…“ Er zeigte zu der Radarabteilung und jetzt erinnerte sich Igor, dass er mitten in der Schlacht gesehen hatte, wie Chang zu Boden gegangen war. Er schnallte sich ab und wieder durchzuckte ihn ein stechender Schmerz im linken Arm, doch er schob ihn wieder beiseite. Er schritt hinüber zu den Sanitätern, die sich um den Offizier kümmerten. Doch kaum war er dort, schüttelte der junge Sani nur den Kopf.
Ein Blick auf den zersplitterten Schädel des jungen Radaroffiziers genügte um Igor den Magen umzudrehen und zu wissen, dass 2nd Lieutenant Hong Bo Chang gefallen war. Igor musste sich stark beherrschen, um sich nicht zu übergeben und schloss dem jungen Mann die noch geöffneten Augen.
Der Blick des Sani glitt auf Igors linken Arm. „Sir, darf ich mir das mal anschauen?“ Ein höllischer Schmerz durchzuckte seinen linken Arm und erst jetzt erkannte Igor, dass seine Uniform blutdurchtränkt war. Als der Sani mit wenigen geübten Schnitten den Ärmel aufgeschnitten hatte und Igor eine erneute Übelkeit angesichts seiner eigenen aus dem Fleisch ragenden Knochen runterwürgen musste, wurde ihm klar, dass er seinen linken Unterarm gebrochen hatte.
„Würden Sie mir folgen, wenn ich Ihnen sagen würde, dass sie auf die Krankenstation müssen?“
„Sie machen wohl Scherze mein Sohn?“ Und dass zu einem Soldaten, der vielleicht gerade mal zehn Jahre jünger war.
„Dachte ich´s mir.“ Ohne die Widerrede seines Captain abzuwarten, setzte der Sani eine Schmerzspritze an und legte eine Manschette um die Wunde. „So, Sir, Sie haben eine halbe Stunde und dann sollten Sie sich bei Doc Jennehessey melden.“ Und dann hechtete der Sani zum nächsten Verwundeten.

Igor verschloss eigenhändig den „Seesack“ in dem nun Changs Leiche lag und als er sich aufrichtete blickte er in die verstörten Augen der Defensivwaffenabteilung. Auch Ensign Poletto war unter ihnen und er musste überrascht feststellen, dass er erleichtert war, dass sie offensichtlich unversehrt war.
Igor erinnerte sich, dass Chang selbst schon der zweite Mann hinter Leutnant Brügger gewesen war, der während der ersten Erstürmung gefallen war. Jetzt da auch Chang tot war, musste er einen Nachfolger bestimmen.
„Miss Poletto…“
„Ja, Sir?“
„Was machen Sie eigentlich an den Defensivwaffen? Sie sind doch in Commander Vickers Stabsteam.“
„Ähm, Sir…? Ich…“ Ensign Poletto war sichtlich verwirrt. Unter anderen Umständen hätte Igor hierüber geschmunzelt, doch die momentane Lage war nicht zum spaßen.
„Eins-O! Was macht Miss Poletto an den Defensivwaffen?“
„Sir, sie hilft aus, und wie immer macht Ensign Poletto ihren Job sehr gut, Sir! Gibt es Grund zur Klage?“
„Das möchte ich von Ihnen wissen, Eins-O!“
Ensign Poletto versuchte sich die Nervosität nicht anmerken zu lassen, während ihr Kopf zwischen Captain Maleetschev und seinem Stellvertreter hin- und herschwenkte.
„Nein, Sir, meinerseits kein Grund zur Klage.“ Jetzt schien auch Vickers aufgegangen zu sein, worauf es Igor abgesehen hatte. „Ein Blick in ihre Akte wird Ihnen zeigen, Sir, das Ensign Poletto stets vorbildliche Leistungen erbracht hat und das sie vielseitig talentiert ist. Waffentechnik ist darüber hinaus eines ihrer Spezialgebiete.“
„Danke, Eins-O. Ich denke, dass wir uns dann einig sind, hiermit Miss Poletto kommissarisch in den Rang eines 2nd Lieutenant zu befördern und ihr die Leitung der Defensivwaffenabteilung unter Ihrer führenden Hand zu übertragen.“
Ensign Polettos Kinnlade fiel kurz herab, aber es dauerte nicht lange, bis sie sich wieder gefangen hatte.
Keine zwei Minuten später hörte er sie schon Befehle an ihre neue Abteilung geben und wusste instinktiv, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Verluste wie die von Lieutenant Chang waren immer tragisch, aber sie bedeuteten auch immer gute Chancen für die Nachrückenden. Wer wüsste das nicht besser als Igor selber.
Doch nach einer Schlacht wie dieser war er froh, dass nur sein Arm gebrochen war und niemand für ihn nachrücken musste.
Wer wusste schon, wie es beim nächsten Mal enden würde?

Kurz nachdem Sie gesprungen waren und damit erstmal in Sicherheit übergab er das Kommando an seinen Ersten Offizier und meldete sich zur Krankenstation ab.
12.01.2016 10:06 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
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Cunningham

Trash riss die Augen auf: „Fuck! Die Columbia! Unsere Columbia! Yeeehaaaaw!“
Der Flottenträger war plötzlich ohne Vorwarnung vor ihnen erschienen und legte sich auf die linke Seite. Auf dem vorderen Oberdeck wurden auf leuchtenden Flammen Raketen ausgestoßen.
„Brich weg,“, flüsterte Ferret, dann rief er: „verdammt TRASH! Brich weg, wir fliegen auf sie zu!“
„Wooooaaaahh!“, Trash riss am Steuerknüppel und zog die Thunderbolt hoch.
„Vollidiot!“, knurrte Ferret.
Vor ihnen wurde Exocet um Exocet ins All geschleudert, während gleichzeitig Jäger und Bomber von der Columbia starteten.
Weitere blaue Punkte von Großkampfschiffen erschienen auf dem Radar.
„Wow, weißt du, im Fernsehen würde man jetzt ein Abschussgeräusch hören.“
Nun mischte sich Knock-Out ein: „Hey, Fliegerass, wie bist du eigentlich an den Steuerknüppel gekommen? Sonderlich helle scheint’s ja in deinem Oberstübchen nicht zu sein.“
„Ruhe im Äther,“, schnappte Razor, „neu formieren. Wir schließen uns dem Bomberverband der Columbia an.“
Knapp außerhalb des Strahlungsgürtels ging eine Akarii-Fregatte in Flammen auf.
„Wir gehen auf Frequenz fünf-null-neun,“, fuhr Razor fort, „Einsatzleitung hat Irons.“
Während Trash die Frequenz wechselte hängte er sich wieder an Knock-Outs Flügel. Die Columbia feuerte immer noch Raketen ab und startete weiterhin Jäger.
Den Flottenträger zu sehen war wie … wie Magie, die Angst im Bauch war verschwunden. Hoffnung und Stolz flammte in dem jungen Angry Angel auf.
„Alles mal hergehört,“, begann die schroffe Stimme von Irons, „wenn die Echsen merken, dass der Hecht in den Karpfenteich zurückgekehrt ist, wird es hier mächtig Zores geben. Und Captain Cunningham wird dafür gesorgt haben, dass die Echsen seine Ankunft mitbekommen. Wir schlagen zu, sobald sich die rechte Flanke der Akarii wieder einigermaßen geordnet hat. Verstanden?“
Ein Haufen Bestätigungen folgte.
Die Akarii ließen sich nicht lange bitten. Wie eine gut geölte Maschinerie verschoben sich die Großkampfschiffe der Echsen, um der neuen Bedrohung an der rechten Flanke Herr zu werden.
Einer der beiden riesigen Uniform Flottenträger schob sich in die fordere Frontlinie um dort mehrere Zerstörer zu ersetzen, welche die rechte Flanke verstärkten.
Aus dem Zentrum der feindlichen Flotten löste sich der letzte einsatzfähige schwere Kreuzer der Akarii, begleitet von einem leichten Kreuzer.
Es schien als ob der feindliche Kommandeur endlich die Entscheidung suchte.
Trash fletschte die Zähne. Ob der Echse nicht schon längst die Entscheidung abgenommen worden war? Seine Flotte war nur noch ein Schatten ihrer einstigen Schlagkraft.
Die Zweite Flotte würde wie der Hammer Gottes über ihn herfallen, sollte er dieser in den Weg stolpern.
Doch dann war da wieder der Zweifel aus seinem Versteck gekrochen. Was brachte der Erfolg, wenn man nicht überlebte, was bedeutete ihr Sieg, wenn sie hier starben?
„Razor,“, schnappte McGill über den Geschwaderkanal, „Sie halten sich mit Ihrer Gruppe etwas zurück, zwei unserer Griphens werden zu Ihnen aufschließen. Wir greifen jetzt an und werden die Akarii wieder in Unordnung stürzen. Sobald wir uns zurückziehen um neu Munition zu fassen, gehen Sie mit rein und holen sich ein lohnendes Ziel.“
„Ihr habt die Dame gehört, wir ziehen eine Schleife um die Columbia.“, Razor beobachtete wie seine kleine Streitmacht aus sechs Jagdbombern über den Flügel abschwenkte und folgte ihnen dann.
Die Columbia wurde jetzt mächtig von den Akarii unter Feuer genommen.


„Die gesamte Schlachtreihe der Akarii ist in Unordnung, Sir!“
Benk Schepens schüttelte den Kopf und unterdrückte ein hysterisches Lachen.
„Dieser Bastard, dieser verdammte Bastard von einem Jetjockey!“
„Keine Sekunde zu spät, würde ich sagen.“, meinte Captain Lee, „Die Echsen ziehen ihre Kreuzer aus dem vorderen Angriffskeil ab. Soviel zu den guten Nachrichten, die schlechte, sie werden von einem der beiden Flottenträger ersetzt. “
„Verdammt,“, knurrte Schepens, „oder vielleicht doch nicht verdammt. Signaloffizier, stellen Sie mich zu Commodore Janzek und Mithel durch.“
„Aye-aye, Sir.“
„Janzek!“, meldete sich die Zerstörerkommandantin.
„Commodore Janzek, die Akarii schicken einen ihrer Träger in die Schlachtlinie. Ich will, dass Sie ein paar Ihrer Zerstörer detachieren, um den Träger direkt anzugehen. Wir werden Ihnen den Weg frei machen.“
Mithel blinzelte kurz, nickte dann: „Aye, Sir.“
Janzek brauchte einen Augenblick: „Ich führe den Angriff selbst.“
„Negativ, Commodore,“, entschied Schepens, „wenn die Relentless und die Hongkong zerstört werden, muss jemand den Verband führen.“
Und wenn zwei Captains sich streiten, freut sich der Akarii, dachte der Admiral bei sich. Oder der Cunningham.
„Zu Befehl.“ Die Verbindung wurde beendet.
Die Verbindung zu Mithel rauschte kurz.
„Vielleicht hätten Sie besser sie den Angriff führen lassen.“
„Ja, vielleicht,“, gestand Schepens ein, „vielleicht hätte ich ihn auch selbst führen sollen. Und unter uns gesagt, vielleicht hätte ich schon vor einer Stunde kapitulieren sollen.“
Das Gesicht des britischen Commodore verfinsterte sich.
„Aber noch kämpfen wir. Also kämpfen wir, wie ich es befehle!“
„Natürlich, Admiral.“
„Gut, dann rann an den Feind!“, er presste die blutleeren Lippen aufeinander, „Und auch Ihnen gute Jagd, Commodore.“
„Sir.“
Auch die Verbindung wurde getrennt.
„Vor einer Stunde?“, Captain Lee blickte ihren Admiral scharf an.
„Keines Sorge, ich werde nicht kapitulieren, nicht mal in einer Stunde.“
Lee deutete auf den Kartentisch: „Wenn der Uniform sich erstmal im Nahkampf entfaltet, dann werden wir keine Stunde mehr überleben. Also wenn Sie kapitulieren wollen, Sir, wäre jetzt der Zeitpunkt.“
„So, wo gerade die Columbia aufgetaucht ist?“, Benk schmunzelte, „Heute wird hier niemand kapitulieren.“



„Mylord Admiral, wir haben vom Flaggschiff den Befehl bekommen, die vorderste Linie zu entsetzen. Admiral Hakun meint, Sie und die Promman hätten seit Jollahran genug Erfahrung im Kampf Schiff gegen Schiff.“
Admiral Zweiten Ranges Dal Agar schnaufte: „Aha, also denkt der werte Herr Admiral, wir sollen jetzt den Schritt wagen, den wir vor zwei Stunden hätten wagen sollen.“
„Ich weiß es nicht, Mylord, aber es wurde gemeldet, dass der terranische Flottenträger wieder aufgetaucht ist.“
„Wirklich?“, Agar stellte den Kamm auf, „Das Geschwader stand auch bei Jollahran, und wenn sie immer noch den selben Kommandanten haben, können wir uns auf einige Überraschungen gefasst machen.“
„Mylord?“, der Adjutant wirkte etwas beunruhigt.
„Haben Sie schon mal einen Menschenling wie einen Akarii reagieren sehen, Akkum?“, Dal Agar betrachtete das Hologramm in seiner Gefechtsleitzentrale eingehend.
„Die Menschenlinge haben schon seit Anbeginn des Krieges äußerst tapfer gekämpft. Bei Manticore standen sie der doppelten Übermacht entgegen und sind nicht einfach weggelaufen,“, gestand Akkum ein, „sie verstehen es mit Würde in den Tod zu gehen. Nicht unbedingt mit Anstand, aber doch mit Würde. So wie hier.“
„Ich sehe, Sie verstehen was ich meine. Erstaunlich, ich habe es erst Jahre nach Jollahran verstanden.“
Er war drauf und dran, zu einem Vortrag anzusetzen, besann sich jedoch eines besseren: „Befehlen Sie die Promman in die erste Linie. Es ist Zeit, dem ein Ende zu setzen – möglichst schnell.“
Ja, er hatte verstanden. Dieser machthungrige, ruhmsüchtige und verstorbene Prinz war ein Glücksfall für das Imperium gewesen. Es war höchste Zeit gewesen, den Krieg zu beginnen. Wie wäre der Krieg nur verlaufen, wenn man den Menschenlingen nur noch mehr Zeit gegeben hätte, ihre Waffen zu entwickeln.



Ein schwerer Ruck ging durch den terranischen Flottenträger. Trotz der gut gedrillten Abwehr drang immer mal wieder eine feindliche Atomrakete durch.
Die Brückenbesatzung, Offiziere, Unteroffiziere und Gasten taten trotzdem ruhig und gelassen ihre Arbeit. Den Männern und Frauen stecke Wacos Ausbildung in den Knochen
„Direkter Treffer, Schilde halten! Keine Schäden!“, kam die Meldung von der Schadenskontrolle.
Lucas nickte zur Antwort. Was sollte er auch sagen?
„Sir, unsere Flotte kommt aus dem Strahlungsgürtel. Sieht aus, als wolle Schepens es den Echsen noch mal richtig zeigen.“
„Ausgezeichnet.“, gebannt beobachtete Lone Wolf, wie die blauen Punkte auf dem Kartentisch zunahmen, „Signaloffizier, geben Sie Razor den Angriffsbefehl, er soll zusehen, dass er das Chaos ausnutzt.“
„Aye, Sir!“
Erneut ging ein Ruck durch die Columbia.
„TO: Konzentrieren Sie das Feuer auf Ziel Sierra-drei.“
„Yessir!“



Aus der Entfernung sah Razor einen Akariizerstörer in Atomblitzen schwanken. Feuerblumen schossen aus dem schlanken, schönen Schiff hervor. Er taumelte.
Irons Crusader leisteten gute Arbeit.
Nur mit halben Ohr hörte er dem Offizier in der Einsatzzentrale der Columbia zu.
Er schwebte mit seiner Thunderbolt in enger Formation mit sechs weiteren Jagdbombern. Alle Maschinen liefen auf minimaler Leistung.
„Damen und Herren, Sie haben die Einsatzleitung gehört. Wir fächern auf und versuchen den Uniform möglichst von vielen Seiten gleichzeitig unter Beschuss zu nehmen. Trash, Knock-Out, sie starten zeitverzögert und knallen alles ab, was sich hinter uns setzt.“
Die beiden versprochenen Griphen waren nie erschienen.
„Roger!“, antwortete Trash pflichtbewusst.
„Yeah, roger.“, kam dann auch die Antwort von Knock-out. Weit weniger begeistert.
„Dann vorwärts Herrschaften.“, Razor schob die Drossler bis ganz in den Anschlag und kippte über den Flügel ab.
Die übrigen vier mit Mavericks bestückten Jagdbomber taten es ihm gleich und verteilten sich über die ganze Front des Akariiverbandes.


„Shit, Mann, wie sollen wir die nur decken?“, Knock-Out klang frustriert.
„Du hältst dich möglichst weit backbord, wir übernehmen Steuerbord, Razor kommt schon zurecht.“, Trash prüfte sein Radar und blickte in den Rückspiegel. Ferret blickte kurz auf. Durch das Visier war sein Kopf kaum zu sehen, nur die Augen waren zu erkennen. Ein sorgenvoller Schleier stand darin.
„Oh, yeah, zwei Jabos decken, die mehrere tausend Kilometer auseinander sind, echt super Fliegerass, echt super.“
„Tja, das Leben ist eben nicht nur Kindergeburtstag und Pommes essen.“, mischte sich Ferret ein, „Bettler können nicht wählerisch sein.“
„Aus welchem Glückskeks hast Du dass denn geklaut?“
Zombie, Knock-Outs RIO, meldete sich zu Wort: „Vielleicht sollten wir mal langsam Gas geben, sonst können wir bald gar keinen mehr decken.“
„Gute Jagd, ihr beiden.“, Trash zündete die Triebwerke und gab voll Schub.
„Euch auch, Fliegerass.“
Trash drehte weit nach Steuerbord.
„Fliegerass, Du mich auch.“, knurrte er leise genug, dass die externe Kommunikation nicht ansprang.
Ferret hingegen hatte ihn gut verstanden: „Mit der letzten Reaper sind das tatsächlich fünf Abschüsse, Ass.“
Trash antwortete mit einem erneuten Knurren.



Knock-Out leckte sich den Schweiß von der Unterlippe und wünsche sich zum hunderttausendsten Mal, er könnte sich mit der Hand übers Gesicht fahren oder wenigstens den Schweiß von der Stirn wischen.
„Da kommen schon die ersten Echsen,“, meldete Zombie, „die versuchen sich an die Thunderbolt auf zwo Uhr zu klemmen.“
„Ich seh’ sie.“, Knock-Out gab etwas mehr Gas und versicherte sich nochmal, dass die Raketen scharf und entsichert waren. Einem seiner Stubenkameraden von der Akademie war das beim ersten Kampfeinsatz zum Verhängnis geworden. Buster hatte den Hauptwaffenschalter noch auf 'gesichert' gehabt, als er mit den Akarii in den Clinch ging.
Keine Minute später waren Buster und sein RIO nur noch Sternenstaub gewesen, kaum dass sie begriffen hatten, welchen Fehler sie gemacht hatten.
Seitdem achtete er immer peinlichst genau, die Waffen scharf zu haben.
„Ich zeichne eine Bloodhawk und eine Reaper!“, Zombie blickte auf, „Die Reaper flankiert.“
„Fuck!“
Die Thunderbolt bockte nach Steuerbord weg und die beiden Akarii folgten ihr. Der Jabo-Pilot führte Ausweichmanöver aus und verzögerte, so dass Knock-Out aufschließen konnte.
Kurz entschlossen schaltete er auf und feuerte eine Amraam auf die Reaper, ohne die geringste Hoffnung den schnelleren Akariijäger zu treffen. Der sollte einzig und allein beschäftigt werden.
Sofort wechselte er sein Ziel und hängte sich an die Bloodhawk, die verlangsamte, um hinter der Thunderbolt in Schussposition zu gehen.
Nah genug um auf Tuchfühlung zu gehen, wählte Knock-Out eine Sidewinder aus und versuchte eine Zielpeilung zu bekommen.
Der Akarii bockte kurz und führte dann ein Manöver aus, das dem von Bein ähnelte.
Knock-Out brach nach rechts aus und gab Schub. Er schaffte es gerade noch so den meisten Schüssen der Echse auszuweichen und fing die Treffer mit dem Schild der Unterseite seiner Maschine ab. Er gab weiter Schub und rettete sich in eine Schellrolle, während die Bloodhawk auf ihn eindrehte und ihm folgte.
Die mit Anti-Schiff-Raketen bewaffnete Thunderbolt konnte sich jedoch aus dem Intermezzo lösen und wieder in Richtung Ziel fliegen.
„Der is' immer noch hinter uns!“
„Ja, fuck! Ja, fuck!“



Haronace 'Deadeye' Clay aus Razors Schwadron Silber atmete erleichtert auf, als die Bloodhawk von seinem Heck verschwunden war. Er hatte sich noch nicht so richtig an die neue Thunderbolt gewöhnt. Für ihn war der neue Jäger viel unruhiger als seine geliebte alte Mirage.
Sein Hintermann Karl 'Hellfire' Neuberger blickte sich immer wieder hektisch um: „Ich glaube wir können uns wieder dem Träger widmen, Deadeye.“
„Bestens, hast Du gesehen, ob der Junge die Schuppenflechte weggeputzt hat?“
„Negativ, ich glaube, der kurbelt jetzt mit ihr.“
Einen Augenblick überlegte Clay, ob er die Mavericks abwerfen sollte, um der Mirage zu Hilfe zu eilen: „Hm, dann ist es jetzt sein Problem.“
„Yeah, lass uns unsere Vögel ins Ziel bringen und dann nichts wie zurück zur Columbia!“, bestätigte Hellfire.
„Frag mich nur, wie wir mit zehn Mavs ’nen Uniform beeindrucken wollen.“, grummelte Deadeye.
„Ich glaube einer von Irons Crusadern hat schon ’nen Volley auf ihn abgegeben.“
„Klar,“, schnaufte Deadeye, „und präzise danebengeschossen.“
Hellfire kicherte. Die gute alte Rivalität zwischen Bombern und Jagdbombern.
In einer leichten Schleifen bewegte sich die Thunderbolt der beiden auf den Uniform zu. Der riesige Akariiträger feuerte aus allen Rohren auf ein weit entferntes Ziel. Möglicherweise auf die Columbia.
Deadeye hoffte nicht. In seinen zwei Jahren auf dem Träger hatte er sich an die alte Dame als Zuhause gewöhnt. Er wollte nicht bei einem anderen Geschwader neu anfangen müssen, bei dem er trotz seiner bisherigen Erfolge nur ein Ersatzmann wäre.
„Wir warten bis zum letzten Augenblick und knallen ihnen dann die Mavs vor den Latz!“
„Alles wie gehabt“, bestätigte Hellfire.
Nun drehten einige Verteidigungsgeschütze zu ihnen um und nahmen sie unter Feuer. Wild manövrierend jagte Deadeye auf den Uniform zu, ihn ja nicht aus dem Visier lassend.
„Langsam, langsam, langsam ...“
Der Uniform rauschte förmlich an ihnen vorüber.
„Da kommt der Skipper an, mit einer Mirage im Schlepptau!“, brüllte Hellfire auf.
Deadeye vermeldete den Abschuss der Mavericks: „Fox one! Fox one!“



Razor sah wie Deadeye, es konnte nur Deadeye sein, seine beiden Mavericks abfeuerte.
Der Staffelkommandant zählte drei Sekunden ab: „FEUER!“
Er und die flankierende Mirage feuerten fast gleichzeitig die Anti-Schiff-Raketen ab. Er zog nach Steuerbord weg, die Mirage steil nach Backbord.
Deadeye's Mavericks krachten in die Schilde des Uniforms, diese leuchteten in einer blauen Kaskade auf. Kurz darauf schlugen vier weitere Raketen ein.
Razor fletschte die Zähne. Eine, wenn nicht zwei, waren durchgekommen. Schön in die Bugsektion, das hatte gesessen.



Deadeye bearbeitete seinen Steuerknüppel wie wild, um dem Rachefeuer des Flottenträgers zu entgegen. Doch mehr als ein Schuss saß und zerriss Schilde und Panzerung.
Hinter ihm heulte Hellfire triumphierend auf: „Yeah, ja, ja ….“, dann ging ein schwerer Ruck durch die Thunderbolt und Hellfire's Gebrüll veränderte sich: „WUUAAAAAAAAAAAaaaaaaaaaahhhhhhhhhhhhhhhhh …!“
Dann war Stille.
„Hellfire? Karl? Was ist los verdammt?“, Deadeye versuchte etwas auf den Anzeigen zu erkennen, musste aber weiter manövrieren.
„Ich brauch’ Deckung!“, schrie Deadeye, „Meinen RIO hat’s erwischt!“
„Ganz ruhig Junge,“, erklang Razors Stimme, „wir eskortieren dich zur Columbia zurück, Flieg dich frei, wir sind direkt hinter dir.“
Noch während er das sagte sah er die Mirage, die mit ihm den Angriff durchgeführt hatte, in einer Raketenexplosion verschwinden. Stumm fluchte er und setzte sich ebenfalls wild manövrierend hinter Deadeye.



Zombie fluchte: „Der will uns treiben, der Bastard!“
„Auch schon bemerkt?“, Knock-Out führte hektisch einen Haken nach links aus und entkam einem Großteil der Schüsse, während einige wenige an seinem Schild knabberten.
Sein RIO feuerte unablässig, aber aufgrund der unberechenbaren Bewegungen von Knock-Out und dem Akarii war seine Trefferausbeute bestenfalls mager zu nennen.
„FUCK! FUCK! FUCK!“
Zombie blickte auf und sah die Reaper mit flammenden Waffen auf sie zuhalten. Die Echsen nahmen sie in die Zange. Die Schweine!
Knock-Out drückte den Feuerknopf für die Bordwaffen durch und hielt die Maschine nun stur gerade aus.
Die Bloodhawk hinter ihnen musste jetzt vorsichtig sein, um nicht ins Feuer seines Kameraden zu kommen.
Während die Reaper rasend schnell näher kam, flackerten bei beiden Maschinen die Schilde auf. Im letzten Moment feuerte Knock-Out noch eine Amraam ab und brach nach rechts aus.
Die Reaper verwandelte sich in einen Feuerball.
Der Pilot der Bloodhawk war aber ein echter Könner, er zuckte nach links, an der explodierenden Reaper vorbei, und hängte sich mit Leichtigkeit wieder an die Mirage ran.
„Sind wir ihn los? Sind wir ihn los?“
„Nein, nein, verdammt, da ist er wieder!“, Zombies Stimme schnappte zum ersten Mal über.
„Scheiße!“
Die Mirage wurde von schweren Treffern durchgeschüttelt.
„Oh verfluchte Scheiße!“
„Ausbrechen, nach links!“ Erklang eine befehlsgewohnte Stimme.
Es war selten, aber es kam vor, dass Knock-Out einen Befehl kommentarlos befolgte. Diesmal tat er es. Noch immer stand er unter dem Dauerbeschuss der rachsüchtigen Bloodhawk.
Doch diese wurde von einem Augenblick zum nächsten vom Jäger zum Gejagten, als zwei Griphen aus dem Getümmel auftauchten und die Echse gnadenlos unter Kreuzfeuer nahmen.
Der Akarii entschied sich für den klügeren Teil der Tapferkeit und suchte sein Heil in der Flucht.
„Oh, fuck, danke Jungs, danke, fuck!“
„Knock-Out.“, meinte Zombie.
„Yeah?“
„Du solltest an deinem Wortschatz arbeiten.“
„Yeah … fuck. Aber erstmal nichts wie weg hier.“
Knock-Out und Zombie schlossen zu Razor auf.
12.01.2016 10:07 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cattaneo

Vorwärts Kameraden, wir müssen zurück!

Flottenträger Columbia, nahe dem Sprungpunkt

An Bord des Trägers herrschte das gewohnte geordnete Chaos eines Schiffes in der Schlacht. Aber diesmal war etwas anders als sonst. Auch wenn die Columbia schon mehr als einmal im Gefecht gestanden hatte, mit dem Einsatz in der Schlachtlinie hatte man an Bord dieses Trägers nur sehr begrenzte Erfahrung. Jedes Mal, wenn ein Einschlag das Schiff erzittern ließ, wanderten die Augen vieler Besatzungsmitglieder nach oben, unten, vorne oder hinten, je nachdem, woher die Unheilverkündende Botschaft kam. Jedes Mal stand in mehr als einem Gesicht die Frage, ob es diesmal vielleicht der tödliche, entscheidende Treffer war. Ob der Einschlag Freunde oder Bekannte verletzen oder töten würde. Die Piloten flogen zwar regelmäßig in die Schlacht, aber das Schiffspersonal hatte den Tod vor allem dann zu spüren bekommen, wenn feindliche Bomber angriffen. Das hier war etwas anderes. Schon zu Beginn des Gefechtes hatte der Träger endlose fünfzehn Sekunden im Trommelfeuer leichter Raketen und Lasergeschütze gelegen. Einige Neulinge und auch ein paar Veteranen waren gefährlich nahe am Rande der Panik gewesen. Nur das entschlossene Eingreifen der zuständigen Offiziere und Unteroffiziere hatte die drohende Gefahr im Keim erstickt.
Aber letzten Endes wussten die Männer und Frauen, dass nur in ihrer Arbeit die trügerische Illusion bot, das eigene Schicksal beeinflussen zu können. Und wenn sie sich blindwütig auf ihre Arbeit konzentrierten, mussten sie nicht daran denken, was im nächsten Moment geschehen konnte.
Unablässig wurden Befehle gebrüllt, Tanklastwagen und Munitionskarren rollten über das Deck, die Hydraulik der Aufzüge keuchte, irgendwo kreischte Metall, Lichter blinkten, und immer wieder röhrte ein Triebwerk auf, wenn ein Jäger startete oder landete. Die ersten Havaristen trafen ein und mussten beiseite geräumt werden, um nicht die Startbahn zu blockieren. Bald schon mischte sich in den Gestank von Treibstoff, Schmieröl, verbrauchter Luft und Schweiß, den die Luftumwälzungsanlage nie ganz besiegen konnte, auch der bittere Geschmack von Rauch, Blut und verbranntem Fleisch. Mehr als ein Pilot musste aus seiner Maschine getragen werden, wenn man das Cockpit nicht gleich aufschweißen und mit Hydraulikzangen aufhebeln musste.

In diesem Chaos ging die Ankunft Liljas fast unter. Ungeachtet des Zustands ihres Jägers – und ihrer eigenen Verfassung – gelang der Russin eine akzeptable Landung. Die Flugdeckcrew hatte inzwischen allerdings auch genug Erfahrung mit Havaristen. Ihre Griphen sah nicht so aus, als würde sie so schnell wieder starten. Es war nur gut, dass niemand ins Cockpit des Jägers sehen konnte, dann wäre schnell zu erkennen gewesen, dass für die Pilotin das gleiche galt. Die Kälte des Alls hatte gierig die Gelegenheit genutzt und war durch dasselbe Leck in die Maschine eingedrungen, durch das die Atemluft entwichen war. Eiskristalle bedeckten einige Armaturen und gaben dem Ganzen eine fast surreale Note. Auf dem Armaturenbrett herrschten gelbe und rote Warnlampen vor, falls die Anzeigen nicht ganz erloschen waren. Dennoch hatte Lilja nur unwirsch abgewehrt, als sie routiniert gefragt wurde, ob sie Hilfe benötigte. Ihr war klar, dass für sie die Schlacht vorbei war. Es schien unnötig, die Zeit der Wartungscrews zu verschwenden.

Inzwischen fragte sie sich allerdings, ob sie nicht doch besser um Hilfe hätte bitten sollen. Sie spürte, wie ihre Kräfte immer mehr nachließen. Die Drogen hatten ihre Wirkung verloren, und ihr Körper reagierte nun, wie er es eigentlich sollte. Ihr ganzes Bein bis zur Hüfte schien in Flammen zu stehen, während sich ihre Kehle staubtrocken anfühlte. Der Geschmack von Galle machte es ihr fast unmöglich zu schlucken, und als sie über ihre Lippen leckte, schmeckte sie Blut und fühlte aufgerissene Haut. Sie schluckte den letzten Rest mit Blut vermischten Speichel herunter, und hätte sich beinahe übergeben. Vor ihren Augen flimmerte es, und der Hangar schien zu verschwimmen. Mit einem wütenden Knurren biss sie die Zähne zusammen. Sie würde nicht – würde auf keinen Fall – hier schlappmachen. Sie schloss für einen Moment die müden Augen, während ihre Finger wie von alleine über die Anzeigen huschten. Triebwerk herunterfahren, Waffen sichern, Cockpit entriegeln. Ein schiefes Lächeln glitt über ihr schweißüberströmtes Gesicht, als sich die Pilotenkanzel langsam öffnete. Soweit, so gut. Jetzt kam der schwierige Teil.

Langsam krampfte die Russin ihre Hände um den Cockpitrand. Sie winkelte ihr gesundes Bein an, dann stemmte sie sich Zentimeter um Zentimeter hoch. Ihr Atem ging stoßweise.
Sie brachte ihren Oberköper über die Kanzelwand, dann wälzte sie sich herum, bis ihr gesundes Bein festen Tritt auf der Leiter hatte. Die Hände um die Leiter gekrallt, hüpfte sie eine Stufe nach der anderen nach unten. Kein Zehnkilometerlauf ihrer Grundausbildung war ihr so schwer gefallen. Jede Sprosse sandte eine leichte Erschütterung durch ihren Körper, der ihr gebrochenes Bein erneut in flüssiges Feuer zu tauchen schien. Im Schutz des Helmes entrann sich ihren aufgesprungenen Lippen ein leises Stöhnen. Dann aber, nach einer Ewigkeit, war sie am Boden angelangt. Sie hangelte sich an ihrem geschundenen Jäger entlang, dann stieß sie sich ab. Mit ein paar taumelnden Bewegungen erreichte sie ihr Ziel. Sie sackte schwer gegen die Wand, stützte sich mit den Armen ab. Dann drehte sie sich halb, ging langsam zu Boden, den Rücken an die Wand gepresst. Die Russin schob bedächtig den Helm zurück, so dass ihr Gesicht frei war, nach einer kleinen Verschnaufpause nahm sie ihn schließlich ab. Sie wusste, dass eine Interkomeinheit direkt neben ihr war. Mit ihrer Hilfe würde sie die Krankenstation anrufen, dass man sie abholen könnte. Nur noch ein bisschen ausruhen…
Lieutenant Commander Tatjana Pawlitschenko merkte gar nicht mehr, wie sie bewusstlos wurde. Sie nahm an Rande wahr, wie der Schmerz nachließ. Ihr Bein schien nicht mehr zu brennen, es war eher ein ferner, kaum mehr realer Schmerz, der auch der einer anderen Person hätte sein können. Auch der würgende bittere Geschmack im Mund störte nicht mehr. Ihr Körper, den sie einmal mehr bis zum Äußersten getrieben hatte, schaltete einfach ab. Der Pilotenhelm rollte zur Seite, ihr Kopf sackte herab. Ein dünner Blutfaden sickerte aus Nase und Mundwinkel. Doch auch davon merkte sie nichts mehr, so wie auch kein anderer die Gestalt an der Wand zu bemerken schien. Und als der Träger sich aufbäumte wie ein geschundenes Tier unter der Peitsche, da verschwendete erst Recht keiner eine Sekunde Aufmerksamkeit auf die zusammengesunkene Gestalt, die da friedlich an der Wand kauerte. Lilja spürte nichts von den Treffern, welche die Columbia erschütterten. Ihr Kampf war für dieses Mal vorbei, und ob das Schiff, ob sie selbst überleben würde, lag nicht mehr in ihrer Hand.

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Zentrum der terranischen Streitmacht, nahe dem Sprungpunkt von Karrashin

Der zentrale Bildschirm der Relentless flackerte einmal mehr, doch dann baute sich die Bildtafel wieder auf. Schon lange „knarrte“ es auch im elektronischen „Gebälk“ des Kreuzers. Die Brände und anderen Gefechtsschäden sorgten immer für Daten- und Energieschwankungen. Nur der Umstand, dass die Brücke praktisch oberste Priorität besaß, stellte sicher, dass sie funktionstüchtig blieb. Inzwischen sah der Gefechtsstand immer mehr wie die letzte Auffangstellung einer verlorenen Schar aus. Rauchflecken verunzierten die Wände, mehrere Bildschirme waren blind oder gesplittert, Blut und Löschschaum verschmierte zwei Armaturenpulte. Zwei Marines waren gerade dabei, einen schlaffen, in eine Decke eingehüllten Körper von der Brücke zu schleifen. Die junge Offizierin war nicht tot, aber nachdem eine Mikroverpuffung ihr nicht nur die Haare, sondern auch die Haut an Gesicht und Oberkörper verbrannt hatte, hatte ein Marinesoldat ihr eine Betäubungsspritze gegeben. Ihre Kollegen setzten scheinbar unbeeindruckt den Dienst fort.

Mithel verfolgte scheinbar gelassen den Verlauf des Gefechtes. Er sah, wie die Akarii auf den unverhofften Angriff der Menschen reagierten. Kaltblütig setzte er die Befehle Schepens um: „Prioritätsspruch – langsam in Richtung Wurmloch umgruppieren. Gefechtsfeuer Reserve Null!“ Das hieß, der Commodore gab den Kapitänen die Erlaubnis, auch die letzte Rakete abzufeuern. Unter normalen Umständen war dies so gut wie undenkbar, denn auch wenn die Geschütze eines Kriegsschiffes beträchtliche Feuerkraft hatten, die Atomraketen waren seine eigentlichen Waffen – mit großer Reichweite und überragender Zerstörungskraft. Aber der Geschwaderchef wusste, dieses Gefecht würde das letzte des Flottenverbandes werden. Die Akarii würden ihnen nicht mehr folgen, und ihnen selbst blieb nur der Rückzug in sicheres Gebiet. Blieb nur die Frage, wie viele es schaffen würden. Mithel hatte kein Auge, kein Wort und kaum einen Gedanken für die drei Zerstörer, die soeben einen heldenhaften aber absehbar selbstmörderischen Angriff auf das vordere der feindlichen Uniform unternahmen. Der Commodore war nicht etwa herzlos oder menschenverachtend. Er hatte einfach ein klares und ganz eigenes Gefühl für Prioritäten. Und da kamen als oberstes der Gefechtsauftrag, dann das Geschwader und das eigene Schiff. Alles andere war ein Luxus, den man sich in einer Schlacht nicht leisten konnte.
Mithel gestikulierte knapp: „Passierflug, negativ 180 Grad – Beschleunigung ab JETZT!“ Die Relentless rotierte und hing mit einmal kopfüber im Raum. Sie wandte damit ihre – nun, nicht unbeschädigte, aber zumindest am wenigsten lädierte – Flanke dem Feind zu. Dann flammten die gewaltigen Triebwerke auf und ließen das gewaltige Schiff erst langsam, dann immer schneller durchs All gleiten. Die Vorbereitungen für den Rückzug liefen.
„Salve Null minus Eins abgefeuert!“ Die Stimme des Waffenoffiziers ließ erahnen, wie schwer dem Mann diese Meldung fallen musste. Die Relentless hatte noch genug Marschflugkörper für eine einzige Salve übrig.
Der Commodore lächelte spröde, mit einer Mischung aus Bitterkeit und Ironie: „Nun, Commander, das wollen wir doch würdig begehen. Feuerfreigabe auf mein Pult schalten!“
Er wartete gar nicht mehr die Freigabe ab. Es gab auf der Brücke niemanden, dem er mehr vertraute als seinem langjährigen Untergebenen. Mithel zögerte kurz, dann wählte er das Ziel aus: „Primärwerfer…LOS!“
Ein letztes Mal öffneten sich die Schlünde der schweren Werfer, spieen genug Vernichtungskraft, um ein halbes Dutzend Großstädte einzuäschern. Die Exocet suchten und fanden ihren Weg – direkt auf den feindlichen Träger zu. In einem besseren Universum hätten sie ihn vernichtend getroffen.
Doch die Abwehr der Akarii war stark, und ihre Jäger warfen sich der Gefahr heldenhaft entgegen, unterstützt von einigen leichten Einheiten. Eine feindliche Fregatte steuerte direkt in den Raketenschwarm. Sie wurde zwar nicht selbst getroffen – selbst bei 30 Atomraketen blieb noch genug leerer Raum – doch die Explosionen der unter dem Abwehrfeuer zerplatzenden Marschflugkörper schüttelte das kleine imperiale Schiff wie ein U-Boot unter Wasserbombenbeschuss in einem der längst vergangenen terranischen Konflikte. Sichtbar gezeichnet aber siegreich ging der Akarii aus der Flammenhölle hervor. Die letzte Salve der Relentless hatte den Zerstörern bei ihrem Opfergang höchstens etwas Zeit verschafft.

Die Schlacht ging dem Ende entgegen, doch vorbei war sie noch lange nicht. In dem Maße, in dem die menschlichen Schiffe Munition einbüßten, wuchsen die Vorteile der Akarii. Sie hatten zwar bereits beim Vorstoß nach Karrashin einen Teil ihrer Munition verbraucht, aber sie hatten nicht an der mörderischen Schlacht zwischen ihren Kreuzern und der terranischen Flotte teilgenommen. Hätten sie es getan, wäre vermutlich der Sieg auf ihrer Seite gewesen. So aber hatten sie zumindest noch gewisse Reserven.
Die Relentless konnte längst nicht jeden „Vampir“ abfangen. Bei jedem Treffer schien das ganze Schiff zu erschauern, die Spanten seines Innenskeletts knirschten – und manche brachen. Zugleich aber trommelten die Geschütze des terranischen Kreuzers auf alles ein, was sich in seine Nähe wagte. Die menschliche und die imperiale Flotte hatten sich in der Schlacht um Karrashin bis zur totalen Erschöpfung aneinander aufgerieben. Jetzt fehlte den Menschen längst die Kraft, das Blatt zu ihren Gunsten zu wenden. Doch auch die Akarii hatten selbst mit Hilfe ihrer Träger nicht mehr die Stärke, zu siegen.

Erst jetzt, als fast alles vorüber war, zeigte der Commodore eine Regung: „Feindliches Uniform Rot 2 bricht Angriff ab – Sie haben es geschafft!“ Der Jubel, der an einigen Kampfstationen aufkam, erstarb schnell, als sich die Offiziere daran erinnerten, wie hoch der Preis für dieses Teilerfolg war. Doch die Brückenbesatzung der Relentless behielt das Bild vor Augen und bewahrten es in ihrer Erinnerung – der Bildschirm, der den brennenden Träger des Feindes zeigte, neben ihm wie ein kleiner Bruder im Tode die Talavera. Von der Bunker Hill war nichts mehr geblieben, die Bertrand zog sich angeschlagen zurück. Und vor diesem grandiosen Schlachtenpanorama, wie es kein Künstler dramatischer hätte malen können, der Commodore in seiner verschmutzten Uniform, aufgerichtet vor seinem Kommandosessel. Eine Salve aus den Geschützen eines feindlichen Zerstörers schüttelte die Relentless durch, doch der grau-, fast weißhaarige Mann im Herzen der Brücke behielt Haltung, auch wenn er schwankte. Und seine Stimme klang so klar wie zu Beginn der Schlacht: „Geschütze – Feuer frei…“ und dann, ohne den Tonfall zu ändern, fuhr er fort: „Bereitmachen zum Sprung aus dem System! Shuttles autonom absetzen!“

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Zentrum des Jägerkampfes, nahe dem Sprungpunkt von Karrashin

Wenn Ina „Imp“ Richter jemals ihre Freundin, zeitweilige Zimmergenossin, Seelenverwandte, langjährige Vorgesetzte und liebstes Spottobjekt um den Rang und Posten als Staffelchefin beneidet hätte, dann wäre dies der richtige Moment gewesen, sich von diesem Seelenmakel gründlich zu kurieren. Die deutsche Pilotin hatte in den Jahren des Krieges schon eine Menge mitgemacht, aber diese Schlacht schoss den Vogel ab. Vor allem, wenn man die zweifelhafte Ehre hatte, so etwas wie eine Reststaffel zu kommandieren. Die vielen offenen Fragen machten es nicht leichter. Sie wusste nicht, was mit Lilja geschah, dieser sturen, dummen Russin. Sie selbst hatte vier Untergebene in ihrer Reststaffel, von denen zwei lädiert und die beiden anderen noch ziemlich unerfahren waren. Und sie wusste nicht, was mit den Maschinen ihrer Staffel geschehen war, die mit der Hongkong zurückgeblieben waren. Dabei der Mann, den sie liebte – der nebenbei auch noch Liljas einziger noch lebender Kamerad seit Kriegsbeginn und bester Freund war.

Angesichts der chaotischen Gesamtlage hatte sich Imp dazu entschlossen, flexibel zu agieren. Das Problem war, dass jetzt praktisch zwei autonome menschliche Kampffliegerverbände – beide zusammengesetzt aus den drei selben Geschwadern – mit Unterstützung der „Mückenflotte“ von Shuttles kämpften. In Folge der unübersichtlichen Lage, der vielfach zusammen gewürfelten Halbschwadronen und Sektionen, der so nahe am Sprungpunkt stark beeinträchtigten Kommunikation, der wütend angreifenden Akarii und wild schießenden Großkampfschiffe, gab es keine koordinierte Geschwadertaktik. Selbst innerhalb der Staffeln fiel es schwer, immer an einem Strang zu ziehen. Von den nominellen Einsatzkommandeuren kam vielfach keine klare Weisung, oder diese Weisungen trafen verspätet oder verstümmelt ein.

Sie hatte sich entschlossen, mit ihren fünf Maschinen das Schlachtfeld in freier Jagd unsicher zu machen. Fünf frisch aufmunitionierte Falcons waren immerhin eine gewisse Macht, vor allem da die meisten Gegner bereits angeschlagen waren. An Aufgaben mangelte es nicht.
„Achtung – Grüne Staffel, auf acht Uhr, negativ 45 Grad, die Thunderbolt!“ Shokis Stimme klang aufgeregt, obwohl Ohkas „kleine Schwester“ mit Sicherheit weder wie ein Neuling klingen noch als einer gelten wollte. Imp erkannte sofort, dass die Eskorte der Troika Jagdbomber Probleme hatte. Die Jabos hatten sich verschossen, um anderen Einheiten und den Dickschiffen der Menschen etwas Freiraum zu schaffen. Doch die Akarii waren fest entschlossen, ihnen die Möglichkeit zur Neubestückung und zweiten Runde zu verwehren. Eine Handvoll Reaper und Bloodhawks griff ungeachtet schwindender Raketenvorräte wütend an und drängte die Begleitjäger unerbittlich ab. Die Thunderbolt konnten sich zwar ganz gut ihrer Haut wehren, aber dennoch waren sie Vollblutjägern meistens unterlegen, vor allem wenn sie inzwischen selbst eher auf dem Zahnfleisch krochen.
Die Interimskommandeurin von Staffel Grün handelte kurz entschlossen: „Nachbrenner!“ Das war angesichts der Entfernung eigentlich gegen die Vorschriften, aber Imp rechnete nicht damit, dass dieses Gefecht noch lange dauern würde. Es war leicht zu erkennen, dass der Sturmangriff der Columbia bestenfalls dazu reichen würde, den Rest der Flotte frei zu boxen. Die Beschleunigung presste ihren Körper mit einer schon vertrauten Brutalität in den Pilotensitz. Die schlanken Abfangjäger überbrückten tausende Kilometer in wenigen Sekunden. Die Anzeigen flackerten wild, als die hoch entwickelten Sensoren darum kämpften, angesichts der Interferenzen, der hohen Geschwindigkeit und des allgemeinen Durcheinanders ein klares Bild und Ziel zu liefern. Dann kündigte ein leiser Glockenton die Zielerfassung an. Imp betätigte den Feuerknopf.

Sie feuerte vier Raketen auf einmal ab, eine volle Breitseite. Der Abschuss verlangsamte ihren Jäger etwas, drohte die Maschine aus der Bahn zu werfen, doch sie glich das sofort aus. Vor ihr spritzten die Akarii auseinander. Ihre Raketenwarnsysteme bewahrte sie vor dem Schlimmsten – aber nicht alle. Shoki hatte durch Zufall oder Absicht dasselbe Ziel wie Ina gewählt, und insgesamt sechs Raketen spannen ein tödliches Netz um eine feindliche Reaper. Die feindliche Maschine war schnell und wendig – aber nicht wendig genug. Ein Voll- und ein Beinahetreffer ließ sie durchs All taumeln wie einen angeschossenen Vogel. Imp hatte gerade noch Zeit in ihr Funkgerät zu brüllen: „Shoki – gib mir Deckung!“, da schwang sie ihren Jäger schon herum. Sie registrierte am Rande wie die Japanerin einen Akarii, der seinem angeschossenen Kameraden zu Hilfe kommen wollte, mit Sperrfeuer verscheuchte. Shoki mochte noch eine Anfängerin sein, aber mit der nötigen Unterstützung konnte aus ihr etwas werden…
Die Nase von Inas Falcon folgte der angeschlagenen Reaper, dann verband ein Gewitter von Laser- und Photonenbahnen die zwei Jäger. Mit einer beinahe obszönen Eleganz spießten die Energiebahnen den Akarii auf. Keiner stieg aus, als die Maschine zerplatzte. Ihre drei anderen Untergebenen hatten inzwischen ebenfalls einen Abschuss zu verbuchen. Die Akarii suchten das Weite, doch nicht ohne zurückzuschlagen. Vor Imp flammte Feuer auf, als ein Bloodhawk plötzlich zwei Raketen abfeuerte. Der imperiale Pilot vollführte ein Kunststück, das auch in diesen hoch technisierten Zeiten wenige wagten. Er schoss lageunabhängig, darauf vertrauend, dass der programmierte Kurs und die Zielerfassung seiner Raketen es schafften, einen Bogen zu schlagen. Imps Stimme überschlug sich förmlich, als sie ein Ausweichmanöver befahl. Zugleich feuerte sie Täuschkörper ab. Alle fünf Falcons stießen gleichzeitig „Flares“ aus. Für einen Augenblick schienen die Abfangjäger eine perfekt choreographierte Figur aus einem Weltraumballett aufzuführen. Doch dann durchstießen die zwei Raketen zielsicher die Täuschkörper, direkt auf ihr programmiertes Opfer zu. Shoki war die erste, die verstand, was da vor sich ging: „Langstreckenraketen – BILDERKENNUNG!“ Die feindliche Bloodhawk gehörte zu denjenigen, die bereits zum Einsatz des Akariigegenstück der Phönix umkonfiguriert worden war. Ihren Raketen auszuweichen, war wesentlich schwieriger als den „normalen“ IR, IFF und Radar-Zielsuchsystemen. Imp hieb einmal mehr auf den Nachbrenner, während sie gleichzeitig die Steuerdüsen malträtierte. Sie ließ ihre Maschine sich in einem doppelten, irrwitzig schnellen Salto überschlagen. Zugleich stieß sie einen Blitzkörper aus. Dann detonierten auch schon die Raketen des Akarii. Ihr Jäger rüttelte wie wahnsinnig – und doch war nicht sie selbst das Ziel gewesen.
Direkt vor ihr hing Spitfires Maschine im Raum. Der eben noch kampfstarke Jäger war binnen Sekundenbruchteilen zu einem Zerrbild seiner selbst geworden. Der Volltreffer hatte die Schilde durchschlagen und einen Flügel verwüstet. Aus einem Riss im Rumpf entwich Atmosphäre und Treibstoff. Das Triebswerk stotterte einmal, ein zweites Mal, dann setzte es aus. Imp spürte, wie ihr ein kalter Schauer über den Rücken rann. Sollte ihr Einstand als Interimschefin gleich mit dem Tod eines Untergebenen erkauft worden sein? In ihrer Stimme war nichts von der kalten Ruhe, mit der Lilja als Kommandeurin den Status ihrer Untergebenen abfragte, aber sie war eben nicht Lilja: „Spitfire? SPITFIRE! Alles in Ordnung?“
Die Stimme des ehemaligen Nationalgardisten klang matt, aber glücklicherweise nicht wie die eines ernsthaft Verletzten: „Verliere…Atmosphäre, fast alle Systeme ausgefallen…Anzug intakt, Warnung Kabelbrand.“ Er schien zu zögern. Kein Pilot verließ gerne seine Maschine, schon gar nicht in einer Schlacht wie dieser. Aber er wusste, dass er keine Chance hatte. „Bereite Ausstieg vor.“ Imp atmete auf, aber nur eine Sekunde. Die Angst war sofort wieder da: „Bestätige. Position erfasst. Wir schicken sofort ein SAR – und holen dich hier raus.“ In ihrer Stimme lag mehr Sicherheit und Zuversicht, als sie empfand. Am liebsten hätte sie noch mehr gesagt, doch schon dies war ihr schwer genug gefallen. Sie wusste nicht, ob sie würde Wort halten können. Und dann gab es noch eine Schlacht zu führen. Sie musste sich dazu zwingen, doch als sie weiter sprach, klang sie ruhig und überlegt: „Grüne Staffel formieren. Auf mein Zeichen beschleunigen, Kurs Drei Uhr, 30 Grad positiv.“ Sie blickte kurz auf Spitfires Maschine zurück. Der Pilot ließ sich hinauskatapultieren. Kurz darauf flammte eine Explosion auf – entweder hatte der Schmorbrand Sauerstoff- oder Treibstofftank erreicht, oder Spitfire hatte einen Selbstzerstörungsalgorithmus programmiert, um seine Maschine nicht dem Feind in die Hände fallen zu lassen. Doch als das Radar ihr neue Ziele ankündigte, zwang sie sich dazu, ihre Gedanken auf das nahe liegende zu konzentrieren.
„Angriffskurs setzen. Auf mein Zeichen…Beschleunigung!“

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Shuttle R-3, terranischer Flottenverband

Die Stimme von Commodore Mithel war nur undeutlich zu hören. Ungeachtet aller Verstärker, Filter und ECCM durchbrach immer wieder Rauschen und Knistern die Worte des Schwadronschefs: „Achtung – Absatzbewegung …rtet zu festgesetztem Zeitpunkt, spri… freiem Ermessen. Landung nur im Notf...“ Aber die Piloten wussten, was er ihnen sagen wollte. Die Anzeichen waren auch ohne Worte deutlich zu lesen. Die terranische Flotte zog sich zurück, bereitete sich auf den Sprung vor.
Die beiden Schlachtverbände wirkten wie die Gegner einer Kneipenschlägerei, die einander so sehr zugesetzt hatten, dass sie sich kaum noch rühren konnten. Es blieb nur die Frage, ob die Akarii sich schnell genug fassten um nachzustoßen und vielleicht doch noch den Sieg zu erringen. Es sah jedoch nicht so aus. First Lieutenant Stanford warf einen Blick nach draußen. Überall im All loderten die Scheiterhaufen, die vom Sterben der großen Schiffe kündeten. Jäger und Shuttles, die zu Dutzenden gefallen waren wie Sternschnuppen bei einem Meteoritenschauer, hatten keine solch grandiosen Brandstätten. Ihr Tod vollzog sich sozusagen beiläufig, im Schatten ihrer Brüder. Selbst mit den ungenügenden Sensoren des Sturmshuttles war zu erkennen, dass viele der vernichteten Kolosse der imperialen Flotte angehört hatten. Der gigantische Flottenträger, der vor so kurzer Zeit noch Unheil verkündend in die Schlachtlinie vorgerückt war, glich jetzt einem Wrack. Er war zwar nicht zerstört, aber sehr schwer beschädigt.
Es war wohl dieser letzte, teuer erkaufte Erfolg, der den Akarii ein Stück weit den Schneid abgekauft hatte. Die Menschen hatten immer wieder erbarmungslos zugeschlagen, wenn die imperialen Streitkräfte den Sieg bereits sicher geglaubt hatten.
Doch auch die republikanischen Verbände hatten wahrlich genug eigene Federn lassen müssen. Auch R-3 war beschädigt worden. Der First Lieutenant hatte diesmal keinen Witz mehr auf Lager, nicht mal einen sarkastischen. Er musste daran denken, vor wie kurzer Zeit noch die Rede davon gewesen war, dass der Sieg in greifbarer Nähe war, nach der Schlacht von Tukama und dem Tod von Prinz Jor. ,Wenn das der nahende Sieg seien soll, dann hoffe ich, dass wir niemals einer Niederlage auch nur nahe kommen.’ dachte er mit einer Mischung aus aufrichtiger Furcht und Wut über die Propagandaparolen, die er ein Stückweit geglaubt hatte, hatte glauben wollen.

Doch das hatte Zeit bis später: „Haben wir noch einen Blutegel an uns dran?“ Auch die Stimme seiner Copilotin klang inzwischen erschöpft: „Negativ. Ihre Jäger bilden zum Gutteil einen Abwehrschirm um Uniform Eins und Zwei – haben vermutlich Angst, wir könnten unsere letzten fünf Bomber losschicken, um ihnen den Rest zu geben.“ Natürlich – beide Flottenträger waren bereits angeschlagen, ihre Geschwader abgekämpft.
Die Erleichterung war Second Lieutenant Hernandez deutlich anzuhören. Nach dem Raketenwerfer war auch eine der Laserkanonen ausgefallen, als eine havarierte Bloodhawk als Abschiedgeschenk eine Infrarotrakete abgefeuert hatte, bevor sie sich mit Nachbrennergeschwindigkeit aus dem Feuerbereich des langsameren Shuttles entfernt hatte. Der Akarii hatte einfach eine gute Gelegenheit genutzt, hatte im Vorbeifliegen zugeschlagen. Es wäre beinahe das Ende des Shuttles gewesen. Das Duo im Cockpit von R-3 hatte die Rakete zwar abschütteln können, aber die Explosion an einem hastig ausgestoßenen Täuschkörper war zu nah für die geschwächten Schilde erfolgt. Jetzt hatten sie nur noch drei Kanonen, und wer wusste, wie lange die noch arbeiteten.
„Okay, die Party ist vorbei, machen wir uns vom Feld, ehe die Rechnung fällig ist.“ First Lieutenant Stanford unterdrückte die sinnlose Anwandlung, die Hand an seinem Raumanzug abzuwischen. Gegen den Schweiß auf der Innenseite des Handschuhs hätte das ja nichts genützt, aber er musste wenigstens nicht fürchten, dass ihm der Steuerknüppel wegrutschte.

In dem Augenblick, in dem er den Steuerknüppel nach vorne drücken wollte, erwachte sein Funkgerät einmal mehr zum Leben: „Achtung, Shuttle…R-3. Hier First Lieutenant Richter, Staffel Grün Columbia. Wir brauchen Hilfe für einen Bergungseinsatz.“
Im ersten Moment fehlten dem Shuttlepiloten die Worte: „Was…? Jetzt? Das fällt Ihnen aber früh ein! Wir ziehen uns zurück!“
Die Stimme der Jägerpilotin schwankte zwischen Wut und Flehen: „Ich hatte es schon vor zehn Minuten gemeldet, aber es hat sich keiner drum gekümmert. Alles geht drüber und drunter. Sie müssen es einfach vergessen haben. Oder das Bergungsshuttle wurde bei einem Dickschiff benötigt. Bitte – das draußen ist einer meiner Männer. Ich habe es ihm versprochen…wir können ihn doch nicht hier lassen! Wir helfen Ihnen!“
Für einen Augenblick zögerte Lieutenant Stanford. Er kannte die Gefahr, die Risiken. Er wusste aber auch, was es bedeutete, allein im All zu sein, voller Angst, die lichtlose Leere könnte einen verschlucken. Es gab furchtbare Geschichten über das, was mit Piloten geschah, die verloren gingen. Es hieß, wenn Atemluft und Heizung nicht versagten, wurde man zuerst wahnsinnig, bevor man erstickte und erfror. Angeblich sollten einige Piloten, die zu spät geborgen worden waren, selbst den Helm geöffnet haben. Sie hatten das Dunkel einfach nicht ertragen, die Aussicht, scheinbar endlos dahin zu treiben, ohne Aussicht auf Rettung. Er räusperte sich einmal, ein zweites Mal. Aus den Augenwinkeln fing er den Blick seiner Untergebenen aus. Unter dem Pilotenhelm glänzte ihre dunkle Haut schweißnass. Schatten lagen um die aufmerksamen, schwarzen Augen. Sie war wie er fast zu Tode erschöpft, doch er wusste, sie würde sich nicht weigern. Für einen Augenblick versuchte er in diesen Augen zu lesen, die er gut zu kennen meinte. Dann zwang er sich, weiter zu sprechen.
„Abgelehnt, Lieutenant. Die Flotte zieht sich zurück. Wir folgen ihr – und das rate ich Ihnen auch. Opfern Sie nicht noch mehr Leute. Ihren Mann müssen die Akarii holen.“ Er wusste was die Jägerpilotin entgegnen wollte, noch ehe sie angefangen hatte zu sprechen: „Ich weiß wie die Chancen sind. Aber wir alle sind am Ende. Ich, meine Copilotin, das Shuttle – und Sie und ihre Leute auch. Wir können nicht vier oder sechs Leben opfern für eines. Wir haben unsere Befehle.“ Er legte alle seine Autorität in diese Worte, all seine Diensterfahrung, obwohl er sich zugleich fragte, ob es nicht einfach auch Feigheit war, die ihn motivierte. Natürlich, er konnte der Jägerpilotin eigentlich nichts befehlen, so wenig wie sie ihm. Er hatte vielleicht ein paar Jahre mehr Erfahrung, war ihr aber im Rang gleich. Doch er baute auch darauf, dass es nur einer Stimme bedurfte, die aussprach, was sie eigentlich alle wussten. Wunder geschahen im Krieg – aber nur selten. Und hier und heute war kein Platz für ein solches Wunder.
Er spürte einen Stich von Scham und Wut auf sich selbst, als er die leise Stimme der Jägerpilotin hörte. Die Resignation schien sie niederzudrücken: „Verstanden R-3. Bestätige. Grüne Staffel…abdrehen.“ Die schlanken Jäger beschleunigten und drehten ab. Das Shuttle folgte ihnen, mit direktem Kurs auf den Sprungpunkt. Lieutenant Stanford blinzelte. Es musste ihm etwas ins Auge gekommen sein, vielleicht ein Schweißtropfen. Mehr als einer. Er dachte daran, dass er nicht mal den Namen des Mannes kannte, den er im Stich gelassen hatte. Er spürte die Hand auf seiner Schulter. Er drehte sich nicht zu ihr um. Nicht, weil er sich seiner Tränen schämte. Aber es bedurfte weder eines Blickes, noch eines Wortes.
Sie verstanden sich auch so. R-3 beschleunigte. Vorbei an den fliehenden Dickschiffen, inmitten anderer Shuttles, denjenigen, welche die Schlacht überstanden hatten, flohen sie. Der Sprung würde sie Lichtjahre davontragen, doch Trauer, Verlust und Verzweiflung würden sie begleiten. Diesen Gefühlen, den Bildern von jenen, die sie tot oder lebend zurückgelassen hatten, konnte man nicht entfliehen. Die würden sie begleiten, bis die Zeit oder der alle Erinnerungen löschende Tod sie von dieser Bürde befreiten. Die Akarii ließen sie ziehen. Auch sie würden von Karrashin nur Trauer und Schmerz mitnehmen. Was als hoffnungsvolle Offensive begonnen hatte, endete in Tod und Vernichtung. Für beide Seiten würde die Doppelschlacht von Karrashin die Schlacht der verbrannten Träume bleiben.
12.01.2016 10:09 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cunningham

Es war wie auf den Schlachtfeldern der terranischen Geschichte, als die Briten, Franzosen und Deutschen aus den Schützengräben gestürmt kamen, direkt auf den feuernden Feind zu.
Die terranische Flottille unter Schepens machte einen Schritt vorwärts.
Man trat dem Feind entgegen, vor dem man sich bis eben versteckt hatte. Die Trommler und Trompeter spielten zum letzten Waffengang auf.
Aug in Aug sollte nun gefochten werden.
Die Hongkong, die Relentless und die anderen verbleibenden Kreuzer droschen mit aller Macht, die ihre schrumpfenden Magazine hergaben, auf die vorderste Linie der Akarii ein.
Drei Zerstörer, zwei Norfolk und ein älterer Duquesne, gaben Volldampf ins Herz der feindlichen Linie, wo nun ein Flottenträger der Uniform-Class aufmarschiert war.
Und zum dritten Mal in dieser Schlacht stockten die Akarii. Für die alten Manticoreveteranen war es ein Schock, was hier passierte. Eine Wiederholung der Unmöglichkeit von damals.
Für jene, die nicht bei Manticore dabei waren und den Mythos der Großen Armada vernommen hatten, schienen jene wenigen Menschen diesen zu bestätigen.
Die Erdflotte hätte gebrochen sein müssen. Vernichtet und zerschlagen, aber erneut traten die Menschen an.
Unter einem Admiral wie Morello Hakun, einem der alten, der wirklich alten Garde hätte so etwas nicht passieren dürfen.



„Captain, der Admiral möchte Sie sprechen!“
Lucas, der von der Meldung einer Notlandung abgelenkt worden war, blickte den Signaloffizier einen Augenblick verwundert an, ehe ihm klar wurde, dass er gemeint war.
Er nahm den Hörer auf: „Cunningham.“
„Hören Sie,“, begann Schepens ohne Umschweife, „wir geben den Echsen noch eins in die Eier, dann verabschieden wir uns von hier. Ihre Flottenastrogation soll einen Sprung für die Flotte berechnen und eine Reihenfolge organisieren.“
„Aye Sir, wer soll die Nachhut übernehmen?“
Schepens schnaufte: „Immer der, der fragt. Wir lassen die Abfangjäger solange draußen wie es geht. Die Hongkong wird ebenfalls erst mit dem letzten Drittel springen.“
„Wird erledigt, Sir.“
„Gut.“, der Admiral hängte ohne weiteres Wort ein.
Dann ging ein Ruck durch die Columbia.
„Direkter Treffer, der ist durchgegangen, schwerer Treffer auf dem Oberdeck! Schadensmeldung folgt!“
Ein weiterer Ruck ging durch den Träger und die Lichter in der CIC flackerten kurz.




Auf dem Flugdeck war der Ruck ebenfalls zu spüren. Aufgrund der Weitläufigkeit vielleicht sogar noch deutlicher.
Knock-Out wurde von den Beinen gehoben, als er zu der gerade notgelandeten Thunderbolt rannte. Etwas verdutzt richtet er sich wieder auf.
Rettungsmannschaften hatten mehrere Leitern an die Kanzel des Jagdbombers gelehnt und machten sich daran die Besatzung zu bergen.
Aus seiner Position konnte er sehen, dass der hintere Teil der Kanzel weg geschmolzen war.
„Wie sieht’s aus?“, Zombie keuchte.
„Streifschuss am Cockpit!“
„Scheiße.“
Einer von der Rettungsmannschaft, der sich um den RIO kümmern wollte, drehte sich von der Mirage weg und erbrach sich.
Der Pilot schlug um sich und rief immer wieder einen Namen. Als er sich zu seinem RIO umdrehte, fing er an zu schreien.
Zwei Sanitäter zerrten den Piloten unter sichtlicher Anstrengung aus dem Cockpit und wären beinahe zu dritt die Leiter heruntergefallen.
Am Boden knickte der Pilot ein und rollte sich in Fötushaltung zusammen.
Die beiden Miragepiloten gingen näher ran. Ganz unbewusst zog Knock-Out die Handschuhe aus.
„Verflucht, er krampft!“, brüllte einer der Sanitäter.
Die beiden Sannis warfen sich auf Arme und Beine und versuchten den Piloten unter Kontrolle zu bekommen.
Knock-Out hockte sich zu ihnen und versuchte den Kopf zu halten.
„Scheiße!“, keuchte der kleinere Sanni, „Steckt ihm irgendwas in den Mund! Wir müssen ihn sedieren!“
Kurz entschlossen stopfte Knock-Out dem anderen Piloten einen seiner Handschuhe in den Mund.
Endlich gelang es einem der Sanitäter dem Piloten ein Beruhigungsmittel zu verabreichen.
Als sie den Thunderboltpiloten loslassen konnten, kam Zombie hinzu. Da er schon von Natur aus blass war, konnte man nur an der vor dem Bauch gehaltenen Hand erkennen, dass ihm schlecht war: „Hat seinen RIO erwischt, hat ihm den Kopf und einen Teil vom Torso weg gebrannt.“
„Fuck!“, murmelte Knock-Out.
Dem hatte auch keiner der Sanitäter was hinzuzufügen.
Durch die Geräuschkulisse des Flugdecks erscholl Razors Stimme: „Los, aufmunitionieren, wir gehen wieder raus!“
Die beiden Freunde blickten sich resigniert an und warfen noch einen Blick zurück zur Thunderbolt.



Eine dritte Schiff-Schiff-Rakete kam durch die Abwehr der Columbia und traf das ungeschützte Oberdeck. Und im Gegensatz zum Glückstreffer von Karrashin V war dies keine mickrige, von einem Jäger getragene Rakete. Es handelte sich um einen akariischen Marschflugkörper, der einer terranen Exocet ähnelte.
Die Sprengkraft der Rakete entfaltete sich und verdampfte Panzerung, verformte Spanten und ließ Rohrleitungen platzen.
Auf mehreren oberen Decks kam es zu Kurzschlüssen und kurzen Stromausfällen, ehe die Sekundärschaltkreise ansprangen. Matrosen wurden getötet und verletzt, Brände loderten auf.
„Schadensmeldung!“
Lieutenant Commander Levitt trat zum Kartentisch: „Wir haben einen Volltreffer erhalten, mindestens die Hälfte der oberen Crewquartiere hat es erwischt, zerstört oder ohne Atmosphäre. Wir haben drei Geschütztürme verloren und einen Raketenwerfer,“, erneut flackerte das Licht, „Schilde Top und Steuerbord sind bei etwa zwanzig Prozent.“
Lucas drehte sich zum Rudergänger: „Mr. Kyle: Volle Wende! Lieutenant Castillano: Befehl an den Air Boss, Flugbetrieb einstellen, bis wir wieder auf geraden Kurs sind.“
Schnell wurden seine Befehle bestätigt.
Und Levitt fuhr fort: „Es kommen Meldungen von Kurzschlüssen und Bränden rein, noch haben wir keine genaues Bild. Aber wir haben Kontakt zu Sektion C-6 verloren. Dort führen die Munitionslifte für die vorderen Oberdeckwerfer durch. Wenn es da brennt ...“
Lucas blickte kurz zu seinem XO und dann wieder zu Levitt: „Vorschläge?“
„Ich schlage vor,“, begann Levitt, „die entsprechende Sektion präventiv mit Halon-Gas zu fluten.“
Long blickte kritisch drein: „Sie sagten, wir hätten den Kontakt verloren, viele Leute würden uns dann da ersticken? Sechzig? Achtzig?“
„Wenn unsere Magazine in Brand geraten, fliegt uns das Schiff mit viertausend Mann um die Ohren.“, entgegnete Levitt, „Außerdem könnten die Halon-Warner noch funktionieren und die Leute da drinnen könnten sich rechtzeitig die Sauerstoffgeräte umlegen.“
„Aye-aye, Sir!“, Levitt machte auf dem Absatz kehrt, „Holser: Notfallprotokoll Hotel-Golf-zwo in Gang setzen, vorbereiten Sektion C-6 mit Halon-Gas zu fluten.“



Auch wenn die Kavallerie es geschafft hatte sich über ein Jahrhundert selbst zu überleben, war für sie im siebenundzwanzigsten Jahrhundert kein Platz mehr.
Nicht auf der Erde, in der Luft oder im All. Doch am 2. Mai 2636 wurde ein Kavallerieangriff durchgeführt. Wie einst die Scots Greys bei Waterloo, oder vielmehr wie die tapferen polnischen Reiter, die sich der deutschen Wehrmacht entgegenstellten, stürmten drei terranische Zerstörer einer akariischen Flotte entgegen.
In enger Keilformation preschte die TRS Bunker Hill vor, links flankiert von ihrem Schwesterschiff TRS Talavera und rechts von dem Duquesne-Class Zerstörer TRS Bertrand. Die Reserve von Schepens Flotte.
Mit flammenden Raketenwerfern stießen die drei kleinen Kriegsschiffe auf die feindliche Formation zu, während diese unter schwerem Beschuss durch die Hauptkampflinie der Terraner stand.
Jede einzelne Rakete der drei Zerstörer hatte nur ein Ziel, den riesigen Flottenträger der Uniform-Class. Durch das Sperrfeuer der übrigen terranischen Schiffe und den aggressiven Vorstoß dreier Zerstörer verwirrt, wurde erst relativ spät das Feuer auf die drei Schiffe eröffnet.
Schließlich stelle sich ihnen die Promman direkt zum Kampf. Der akariische Träger schob sich in die Kampflinie und eröffnete aus seinen Bordwaffen das Feuer auf Talavera.
Nur wenige Minuten später war der einst stolze Zerstörer nur noch ein Wrack, welches von seiner Besatzung aufgegeben wurde.
Bunker Hill und Bertrand hielten jedoch weiter auf den gegnerischen Verband zu.
Die Schilde der Promman glühten unter dem konzentrierten Beschuss der Erdflotte, und kurz bevor die Bunker Hill auf Reichweite für ihre Geschütze herankam, fielen die mächtigen Verteidigungswälle der Promman.
Die Bunker Hill selbst war schon mächtig am Schlingern. Sie hatte viele ihrer Manövertriebwerke verloren und driftete in die Akariiflotte hinein.
Doch unbeirrt hielt das kleine Schiff sein Feuer aufrecht und verwüstete den weit mehr als doppelt so schweren Flottenträger der Akarii.
Auf der ganzen Flanke der Promman schlugen die Energiesalven der Bunker Hill ein. Es schien den terranischen Offizieren fast wie göttliche Gerechtigkeit, dass dieses Leichtgewicht dem Riesen derartige Schäden zufügte.
Etwas angeschlagen und sich schon auf den Rückweg begebend, unterstützte die Bertrand weiterhin mit allem, was ihre Werferbatterien hergaben.
Während die Talavera schon längst aufgegeben und zerstört war, und die Bunker Hill nur noch auf geborgter Zeit lebte, war es ein Wunder, dass die Bertrand noch keinen schweren Treffer hatte hinnehmen müssen.



In der CIC der Hongkong sah Benk Schepens voller Entsetzen, wie die Bunker Hill immer noch feuernd über den Uniform-Flottenträger hinweg driftete.
„Gebt das Schiff doch auf,“, flüsterte er unbewusst, „steigt doch aus, ihr Narren.“
Tief in seinem Innern begann etwas zu schrumpfen. Er trug die Verantwortung. Er hatte diesen Angriff, diese Kamikazeaktion, diesen Opfergang befohlen. Die über sechshundert Männer und Frauen Besatzung hatte er auf dem Gewissen. Nicht die akariischen Bordschützen, nur er.
„Admiral: Die Columbia sendet Sprungkoordinaten und Sprungreihenfolge!“, rief der Signaloffizier.
Das Bild der Bunker Hill zerfetzte in einen bunten Lichterregen. Alle tot.
Aber der Uniform brannte, über die gesamte Backbordseite brannte das Ungetüm. Eine Stichflamme schoss ins All.
Kurz jubelten die Offiziere und Gasten in der CIC auf. Aber der Uniform fuhr noch immer. Einen Augenblick war Schepens versucht, eine zweite Welle Schiffe gegen den Akariiträger zu senden. Aber welche Schiffe, und würde er damit nicht doch noch zu weit gehen?
„Jetzt ist die Bertrand dran.“, raunte einer seiner Offiziere.
„Signaloffizier!“, schnappte der Admiral, „Richtspruch an die Bertrand. Springen nach eigenem Ermessen!“
„Aye-aye, Sir.“
„Anschließend Signal an die Flotte: Vorbereiten zum Rückzug.“



„Wir haben Lebenserhaltung zwo verloren, sowie drei Geschützkanzeln Achtern. Ebenso die Primärsysteme für das ATLS!“
Lucas hörte nur mit halben Ohr zu, wie die Schadensmeldung vorgetragen wurde.
Nachdem C-6 mit Halongas geflutet worden war, waren anderweitig Brände im Vorderdeck ausgebrochen, doch das hervorragende Brandschutzsystem der Columbia hatte die Feuer schnell unter Kontrolle bekommen. Mittlerweile waren vier Sektionen auf den Decks B, C und D mit Halongas geflutet worden.
Halongas war eine uralte Erfindung. Kurz nach dem zweiten Weltkrieg war es aufgekommen, um auf Schiffen die Brandbekämpfung zu übernehmen.
Die ersten Halone waren stark krebserregend gewesen. Und durch seine Wirkungsweise, sämtliche Sauerstoff in kürzester Zeit aus der Luft zu ziehen, waren immer wieder Menschen umgekommen.
Bei der Navy galt die Faustregel: Ein Halongaseinsatz bedeutete zwei tote Matrosen.
Gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts waren viele Halone verboten worden, da sie die Ozonschicht schädigten.
Die Space-Navy sah sich aber solcher Umweltprobleme nicht gegenüber, und hatte schnellstens wieder auf Halone bei der Brandbekämpfung gesetzt.
Jedoch lag die Anzahl von Halongastoten im Krieg bei weit über zwei pro Einsatz.
Lucas starrte auf den Kartentisch, um noch den Opfergang der Bunker Hill mitzubekommen.
Ein anderer Offizier informierte ihn im Vorbeigehen, dass die Flottenastrogation die Sprungkoordinaten und Reihenfolge sendete.
Er nahm es mit einem Nicken zur Kenntnis und klammerte sich fester an den Kartentisch.
Eine Sekunde Später schlug eine weitere Anti-Schiff-Rakete ein.
Sie traf direkt das Vorschiff und durchschlug die schon beschädigte Panzerung. Eine schwere Explosion bahnte sich ihren Weg ins Innere und zerfetzte Katapult Nummer vier und die gerade startende Griphen darauf.
Der Treibstoff und der Sauerstoffvorrat des Jägers entzündeten sich und entluden sich in einer Sekundärexplosion, ehe das Vakuum die Brandbekämpfung übernahm.
Um dreiundzwanzig Uhr vier Flottenzeit empfing die Columbia die allgemeine Rückzugsorder, also kurz nachdem sie noch zwei schwere Treffer einstecken musste.
12.01.2016 10:09 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
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Cattaneo

Absetzmanöver

Hannover, geheimer Heeresluftwaffenstützpunkt CCNR-99e

Vier Tage waren inzwischen vergangen, seit auf Breitband der Befehl zur Feuerpause gekommen war. Rear-Admirälin Jacqueline Bouisseau hatte die Nachricht mit Verwunderung zur Kenntnis genommen. Nicht, dass sie grundsätzlich etwas dagegen hatte. Jede Stunde, die verstrich, musste den unvermeidlichen Gegenangriff der Colonial Navy und der TSN näher bringen, und damit den Moment der Abrechnung. Und das war etwas, worauf es sich zu warten lohnte. Besser noch, es half, Blut und Leben zu sparen, die man noch dringend brauchen würde. Die Verwüstungen des unvermeidlichen Entscheidungskampfes würden schlimm genug werden. Vielleicht würde Hannover ein Menschenalter brauchen, um die erlittenen Wunden zu heilen. Der Preis würde bestimmt hoch sein, doch der Ausgang schien gewiss. Sie verstand nicht, wieso die Imperialen so dumm waren, dazusitzen und Krallen zu drehen. Sicher, es war nicht auszuschließen, dass sie ihre Stellung ausbauten, doch das war kaum diese Verzögerung wert. Sie konnten in keinem Fall rechtzeitig ihre schwer beschädigten Schiffe einsatzbereit machen. Selbst wenn die Akarii noch etwas Verstärkung bekamen, sie wusste, was aufmarschieren würde, um den heimtückischen Angreifer zu vernichten. Die Giftschlange hatte ihren Hals für den tödlichen Biss vorgestreckt – in einen Rachen aus Stahl.
Momentan hatten die konföderierte Flotte und Armee wenige Möglichkeiten, den Aggressoren in die Suppe zu spucken. Irgendwo im Hinterland mussten zwar noch taktische Raumbatterien bereitstehen, aber die waren sicher ohne Munitionsvorrat, Zielangaben und klare Befehle. Aber wenn erst einmal der Gegenschlag kam… Sie hatte gegenüber ihren Untergebenen nur lapidar gemeint, dass es nicht ihr Problem war, wenn der kaiserlichen Admiral an Gehirnschlag litt. Die Propagandasendungen der Besatzer hatte sie nur mit Kopfschütteln quittieren können. Das mochte ja ganz nett sein, damit sich die Kaiserlichen am Bauch kraulen und sich zu ihrer eigenen Großartigkeit gratulieren konnten. An die Adresse der Bevölkerung der Konföderation war das natürlich verschwendete Zeit und Mühe. Die Konföderierten waren keine gehirngewaschenen Idioten, die alles schluckten, was ihnen die Nachrichten vorkauten. Das mochte ja mitunter ausgesprochen lästig sein, doch es hatte auch seine Vorteile. Nach einem jahrelangen Krieg und hohen Verlusten, einer Hauptstadt in Trümmern und endlosen Massengräbern, war mit solchen plumpen Mitteln nichts zu erreichen. Schon gar nicht in ein paar Tagen. Was allein die letzte Schlacht viele Familien gekostet hatte…
Die endlosen Listen der Toten, Vermissten und Verwundeten, die mit den im Notbetrieb laufenden Programmen der Konföderation gesendet wurden, mussten jede Propaganda der Kaiserlichen konterkarieren. Bilder von toten Zivilisten, Massengräber, landende Shuttles, die voller Leichen waren, Angehörige von Rettungseinheiten oder Nachrichtensprecher, die angesichts der Zahl der Toten zusammenbrachen – das bedurfte keiner redaktionellen „Bearbeitung“.
Ein Wunder, dass sich die Zahl individueller Übergriffe bisher in Grenzen hielt. Besonders die Kämpfer des Zivilschutzes neigten in einigen Fällen dazu, den absurden „Spielregeln“ des so genannten „zivilisierten“ Krieges wenig Beachtung zu schenken. Für diese Männer und Frauen, Menschen wie Akarii, war jeder Kaiserliche auf Hannover ein Feind, egal welche Uniform er trug, egal welches Geschlecht, Alter oder persönliches Verhalten ihn auszeichnete – und egal was irgendwelche Absprachen besagten. Wenn sich einer der Eindringlinge in die falsche Gasse verirrte…Nun, sie konnte sich vorstellen, dass mehr als ein Kaiserlicher einfach „verschwunden“ war.

Die Admirälin hatte sich gehütet, irgendjemand auf elektronischem Wege darauf hinzuweisen, dass sie noch am Leben war. Ihren Untergebenen hatte sie bei Androhung fürchterlichster Konsequenzen das Gleiche befohlen. Das war nötig gewesen, denn mehr als einer ihrer Soldaten war fast wahnsinnig vor Angst um seine Verwandten. Sie hatte tatsächlich zwei Männer und eine Frau unter Arrest stellen müssen. Es war eine Sache, mit dem eigenen Leben russisches Roulette zu spielen, doch eine andere, nicht zu wissen, ob die Mutter, der Bruder oder der Ehemann nur noch eine verschmorte Leiche war.
Angesichts der Verwüstungen in der Hauptstadt und am Himmel war es wenig verwunderlich, dass man bisher nicht nach ihr gesucht hatte. Und vermutlich war man im Oberkommando bezüglich des Waffenstillstandes auch sehr skeptisch. Sie persönlich traute dem kaiserlichen Admiral so weit, wie sie sein zweifelsohne notwendiges Dialysegerät und seinen Rollstuhl werfen konnte, und ging davon aus, dass die imperiale Funkaufklärung jeden CC-Stützpunkt mit Stecknadeln auf den planetaren Karten vermerkte, und eifrig Vorbereitungen für den Fall traf, dass sich die augenblickliche zähneknirschende und waffenstarrende Koexistenz in ein allgemeines Hauen und Stechen auflösen würde. Genau dasselbe gedachte sie selbst jedenfalls zu tun.
In den letzten Tagen hatte sich die Admirälin unermüdlich damit beschäftigt, für den unvermeidlichen Showdown vorzusorgen. Sie hatte einen Kurier mit ziviler Kleidung und Fahrzeug losgeschickt – mit dem Befehl, sich lieber umzubringen, als dem Feind lebend in die Hände zu fallen. In seinen Schuhen eingenäht war eine Identifikationskarte, die ihn berechtigte, höherrangige Militärs zu kontaktieren. Die Informationen über ihre Truppe hatte er auswendig lernen müssen, um nichts Verwertbares bei sich zu tragen. Und dennoch hatte sie Magenschmerzen gehabt, als sie ihn losschickte. Aber wenn es noch so etwas wie eine Administration gab, musste sie sich melden, damit ihre Vorgesetzten wussten, dass sie auf ihre Piloten noch rechnen konnten. Und die Atomwaffen. Die Kampfflieger waren betankt und bestückt, die Piloten hatten ihre Zielinformationen und hatten die Anflüge mehrfach im Simulator geübt.
Die Streitmacht war allerdings immer noch verstreut. Verlagerungen waren angesichts einer kaiserlichen Flotte im Orbit zu gefährlich. Die taktischen Raketenwerfer befanden sich in Schussposition, und auch sie hatten Zielanweisungen erhalten. Die ganze Kommunikation zwischen den Einheiten war über Glasfaserkabel oder durch Kuriere erfolgt, und deshalb war sich die Admirälin relativ sicher, dass der Feind noch nichts ahnte. Jetzt blieb nur, abzuwarten und zu hoffen, dass nicht so ein niederträchtiger Kerl sie doch noch entdeckte, oder dass die große Schlacht losbrach, während sie gerade nicht aufpasste. Es passte ihr gar nicht, halbblind und halbstumm dazusitzen – aber wenn es nach dem gegangen wäre, was ihr passte, hätten die Kaiserlichen nie ihren heimtückischen Angriff gestartet, oder wären Weltraumeis im Orbit von Hannover. Und was das verpassen der großen Stunde anging – nun, ein Sonnenaufgang am Mittag oder um Mitternacht würde ein guter Hinweis sein. Bis dahin konnte sie nur warten.
Das würde vielleicht auch IHRE große Stunde werden. Ob man sie dann für die nächsten 50 oder 100 Jahre als eine der großen Helden oder Verbrecher in Erinnerung behalten würde – denn länger hielt Helden- und Schurkentum selten vor – lag nicht mehr in ihrer Hand. Das würde die Geschichte und spätere Generationen entscheiden müssen. Aber um keinen Preis wollte sie zu denen gezählt werden, die tatenlos geblieben waren. Besser falsch handeln, als gar nicht.
Im Hangar des geheimen Stützpunkts wartete das gezähmte atomare Feuer, bereit, auf einen Befehl hin entfesselt zu werden, und sei es über der Hauptstadt selbst. Es wartete auf ihren Befehl…

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Hannover, wenige Tage nach dem Ende der Schlacht um die Zentralwelt

Die Finger der Frau huschten über die Tastatur. Sie zögerte keinen Augenblick, als wäre der Text schon lange vorher formuliert worden, oder als wäre er nicht besonders wichtig, doch keines von beidem war der Fall. Die Worte strömten geradezu aus ihr heraus, als hätten sie sich lange aufgestaut und brächen sich nun mit Macht Bahn.
,…Ich kann es deshalb nicht länger mit meinem Gewissen vereinbaren, in den Streitkräften der Konföderation zu dienen. Ich bin zum Militär gegangen, um meine Heimat zu schützen und gegen jeden Angreifer und jede Gefahr zu verteidigen, im festen Vertrauen auf unsere militärische und politische Führung. Doch angesichts der momentanen Lage bin ich der unerschütterlichen Überzeugung, dass mein Dienst im Einklang mit den Befehlen dieser Führung weder meiner Heimat dient, noch habe ich Vertrauen zu den Verantwortlichen. Ich kann es vor meinem Gewissen, meinen Untergebenen, meinen gefallenen Kameraden und vor den Interessen meiner Heimat nicht verantworten, eine Politik zu unterstützen, mitzutragen und nötigenfalls mit der Waffe in der Hand zu verteidigen, in der ich nur schändlichsten Verrat sehen kann. Ich kann nicht Angehörige eines Militärs sein, das sich zum Garanten und Träger dieses Verrates macht. Obwohl die Wunden unserer Heimat unser aller Bemühungen bedürfen, um zu heilen, bin ich der festen Überzeugung, dass diese Wunden niemals wirklich heilen werden, wenn wir zugleich alles verraten, wofür die Gründerväter der Konföderation eintraten, und wofür Hunderttausende Soldaten und Zivilisten in den letzten Jahren gefallen sind. Deshalb trete ich hiermit aus dem Militär der Konföderation aus, und lege meinen Posten nieder. Dieser Entschluss ist mir nicht leicht gefallen, doch er erscheint unausweichlich, und es gibt keine Alternative dazu. Alles, was meine Soldaten während der Schlacht getan haben, geschah auf meinen Befehl, und ich übernehme für jeden Vorwurf unzureichender Leistungen die volle Verantwortung. Ich treffe nun meine eigene Entscheidung, ohne von irgendjemandem, sei es ein Zivilist, Militär, Mann oder Frau, Akarii oder Mensch oder Angehöriger irgend einer anderen Rasse, dazu gedrängt oder in meiner Entscheidung beeinflusst worden zu sein. Auch hierfür übernehme ich die volle Verantwortung, wie für alle meine weiteren Handlungen. Ich entbinde hiermit das Militär aus freien Stücken jeder Verantwortungspflicht mir gegenüber und verzichte auf jeden Rechtsschutz und Beistand, der mir als ehemalige Offizierin zugestanden hätte. Ich betrachte mich bis auf weiteres nicht mehr als Vollbürgerin der Konföderation, und spreche die politische und militärische Führung von jeder Verantwortung für meine weiteren Taten frei. Sollte sich die Situation in Zukunft grundlegend ändern, werde ich mit Freunde bereit sein, wieder als Bürgerin und Soldatin meiner Heimat zu dienen. Bis dahin sehe ich mich gezwungen, meinem Gewissen zu folgen. Ich hoffe, dass die verantwortlichen Offiziere und Politiker eines Tages ihren Fehler einsehen, und ich bete, dass es dann weder für sie noch für die Konföderation zu spät ist. Bis es soweit ist, kann ich für diese Konföderation nicht kämpfen und arbeiten.
Jacqueline Bouisseau, Rear-Admiral der Konföderierten Flotte

Sie las die Zeilen ein letztes Mal durch, dann setzte sie auf das Schreibfeld auf dem Bildschirm ihre Unterschrift und speicherte die Nachricht ab. Der einprogrammierte Timecode würde die Nachricht zur vorgesehen Zeit abschicken. Für einen Augenblick fragte sie sich, wie viele derartige Nachrichten derzeit wohl an das Oberkommando geschickt wurden – als ob die zivilen und militärischen Führer nicht schon genug Probleme hatten. Aber manche Entschlüsse duldeten nun einmal keinen Aufschub. Mit der Überzeugung, das Richtige zu tun, löste sie ihre Rangabzeichen von der Uniform und legte sie neben ihren Militärausweis und die Dienstwaffe. Aus einer Schublade holte sie eine kompakte Laserpistole. Sie unterschied sich erheblich vom Flottentyp, den sie die letzten fünfzehn Jahre getragen hatte, war eigentlich eher die Waffe eines Geheimagenten oder Attentäters. Nur Kapazität für wenige Schuss, dafür sehr durchschlagskräftig und klein. Die Waffe gehörte ihr. Sie befestigte die Pistole an ihrem Gürtel, nachdem sie sich überzeugt hatte, dass Waffe und Ersatzenergiezellen aufgeladen waren. Dann stand sie auf. Wie stets in den letzten Tagen verbot sie sich Tränen und Verzweiflung. Nichts verriet ihre Gefühle. Nur nichts an sich heranlassen, denn sonst, so war sie sich sicher, wäre sie einfach zusammengebrochen. Sie hatte soeben das weggeworfen, was sie als Inhalt ihres Lebens betrachtet hatte. Und wofür? Für nicht mehr als den Glauben, das Richtige zu tun – und eine verschwinden geringe Hoffnung. Aber sie wusste, hätte sie das nicht getan, wäre sie zerbrochen, früher oder später. Denn das, wofür sie meinte gekämpft zu haben, war bereits in den Staub getreten worden, von den Kaiserlichen und von ihren eigenen Leuten.

Als die Nachricht von der Kapitulation gekommen war, hatte sie es nicht glauben wollen. Dafür gab es gute Gründe. Die Kaiserlichen mochten einen Verifizierungscode geknackt haben, vielleicht hatten sie auch Stimmdateien gehackt und ummoduliert. Selbst wenn die Anweisung wirklich vom Oberkommando und der Regierung kam – wer konnte schon sagen, ob die Männer und Frauen nicht einfach unter Folter und Drogen zusammengebrochen waren?
Aber all diese Vermutungen hatten sich als falsch erwiesen. Die Nachricht war authentisch, ebenso wie der Befehl. Die Konföderation würde kapitulieren, und die ausgebrannten Wracks, die einmal der Stolz ihrer Flotte gewesen waren, auf denen unzählige Menschen, Akarii, T’rr und Angehörige anderer Rassen gefallen waren, würden die kaiserliche Flotte als Siegenpreis begleiten. Nicht, dass sich die Rear-Admirälin etwas aus solchen Symbolen machte, angesichts dessen was die Imperialen lebenden Wesen angetan hatten. Es war eigentlich nur ein Tropfen in einem seit langem übergelaufenen Fass. Und es war Blut, nicht Wasser, das über den Rand strömte.

Sie hatte sich bemüht, es zu verstehen – den Befehl und auch jene, die sie als ihre legitimen Vorgesetzten, sogar als Vorbilder angesehen hatte. Sie hatte daran gedacht, dass die Kapitulation einer Generation von jungen Konföderierten erlauben würde, aufzuwachsen ohne Krieg. Eine Generation, die nicht dem Krieg in den Rachen geworfen wurde wie so viele vor ihr. Die Möglichkeit, wieder aufzubauen, was zerstört worden war. Ein Neuanfang, ohne ernsthafte territoriale Verluste und Anerkennung als ebenbürtiger (ehemaliger) Gegner durch das Kaiserreich.
Doch all das schien mehr als unzureichend, wenn sie sich die Gesichter und Namen derjenigen ins Gedächtnis rief, die unter ihrem Kommando gefallen waren, um genau das zu verhindern. Und wenn sie über das Heute hinausdachte, erschien derartige Parolen umso mehr als leere Worthülsen und Augenwischerei. Sahen diese Narren nicht, dass sie sich bestenfalls Zeit erkauften? Zeit, die sie niemals würden nützen können, denn die Konföderation würde allein niemals stark genug sein, um sich zu behaupten.
Wenn das Kaiserreich im Kampf gegen die Bundesrepublik siegte, dann würde nichts mehr bleiben, das ihm Einhalt gebieten konnte. Bestimmt nicht die Konföderation. Dann würden die Kaiserlichen das fordern können, worauf sie jetzt noch verzichten mussten – wenn sie es sich nicht gleich mit Gewalt holten. Dann würde es kein Reich mehr geben, das zwischen ihnen und dem Wunsch nach absoluter Dominanz in diesem Teil der Galaxis stand. All jene, die in der Konföderation und in der Bundesrepublik gegen den Sieg des Imperiums gekämpft hatten, wären umsonst gestorben. Von gleicher Augenhöhe und Achtung, da war sie sich sicher, würde dann keine Rede mehr sein. Von einer Bestrafung der Schuldigen für diesen Massenmord, den man Krieg nannte, ganz zu schweigen. Die Freiheit und der Frieden, die mit der Kapitulation erkauft worden waren – wie lange mochten sie währen, und wie teuer würden sie am Ende wirklich sein? Und was mochten sie letzten Endes wert sein?

Natürlich war sie empört gewesen, als erste Gerüchte über den Coup der TSN durchgesickert waren. Die Terraner hatten nicht auf den Abschluss der Verhandlungen gewartet, sondern lieber gleich Fakten geschaffen, hatten Flotteneinheiten der Konföderation entwaffnet, die Soldaten – nicht ohne blutige Zusammenstöße – interniert. Was genau geschehen war, war noch unklar, aber es war anzunehmen, dass die TSN eine ganze Reihe von Schiffen aufgebracht hatte.
Andererseits – war das verwunderlich? Die Konföderation hatte ohne Konsultation ihres bisherigen Verbündeten, der sie jahrelang großzügig mit Material unterstützt hatte, begonnen, über eine Kapitulation zu verhandeln. Kein Wunder, dass die TSN hysterisch reagierte. Bis vor kurzem den Sieg noch in Reichweite, musste sie nun zusehen, wie ihr das Erreichte unter der Fingern zerrann. Die Rear-Admirälin war Realistin. Sie wusste, ungeachtet aller Tapferkeit der konföderierten Soldaten und Matrosen, die sie persönlich mit Zähnen und Klauen verteidigt hätte, waren es vor allem die großen Schlachten an der terranischen Front gewesen, die es der Konföderation erlaubt hatten, sich zu behaupten. Die TSN hatte große Mengen an gegnerischen Material und Soldaten gebunden. Sie hatte die Elite der imperialen Flotte zu Staub zermahlen – zuletzt auch den Mann, der diesen Krieg begonnen hatte.
Es schien einfach…unredlich, auf einmal aufzugeben. Ja, das war es, unredlich, kurzsichtig und töricht. Natürlich hätten die Terraner warten sollen, aber sie hatten aus Angst gehandelt, und wohl auch aus Angst vor der Angst ihrer bisherigen Verbündeten. Angst davor, diese würden Material und Schiffe an das Kaiserreich weitergeben. Und die Admirälin wusste nur zu gut, was Angst vermochte. Dieser ganze Krieg, so viele tragische Fehlentscheidungen, sie alle waren der Angst entsprungen. Aus Angst vor dem wachsenden Einfluss der Bundesrepublik hatte das Imperium den Krieg begonnen. Angst vor einem möglichen Kriegseintritt an der Seite der TSN hatte die Kaiserlichen zu dem heimtückischen Angriff auf die Konföderation bewegt. Angst vor der Vernichtung der Heimatwelt hatte die militärische und politische Führung der CC nun dazu gebracht, den Krieg zu beenden, der ihnen aufgezwungen worden war, ohne an künftige Konsequenzen zu denken. Und die Angst vor den Folgen dieser Tat wiederum war Auslöser für die ehrlose Aktion der TSN gegen ihre bisherigen Verbündeten – wenn auch natürlich nicht annähernd so ehrlos wie das, was das Imperium getan hatte.
Sie lächelte ironisch. Und nun würde sie selber handeln, ebenfalls aus Angst. Angst vor den Konsequenzen der Fehlentscheidungen ihrer Vorgesetzten. Sie fragte sich nur, ob sie das zu einer ebenso großen Närrin machte.

Jacqueline Bouisseau schritt durch die fast leeren Gänge. Die meisten Soldaten und Techniker waren heimgekehrt, um beim Aufbau zu helfen, wie es auch ihre Pflicht gewesen wäre. Nicht unbedingt auf Befehl hin, denn eine wirklich effiziente Befehlsstruktur gab es immer noch nicht. Die Anweisungen aus dem Hauptquartier kamen nur sporadisch, sie waren unkoordiniert und in vielen Fällen ungenau. Nicht eben verwunderlich, denn die politische und militärische Führung war sich selbst noch nicht so ganz sicher, was überhaupt die Schlacht überstanden hatte. Auch nicht verwunderlich, wenn man bedachte, dass mehr als ein Angehöriger der Verwaltung insgeheim bremsen mochte, wo er konnte.
Aber sie hatte sich selbst darum gekümmert, dass all jene zurückkehrten, die nicht für die verbleibenden Aufgaben – ganz spezielle Aufgaben – geeignet waren. Der Invasionsalarm war aufgehoben worden, und dies bedeutete letzten Endes, dass es für ihre Notstandstruppe keine wirkliche Handhabe oder Bedürfnis gab. So waren viele heimgekehrt. Nicht wenigen taten dies mit gemischten Gefühlen, mit Groll und unterdrückter Wut, die sich ebenso oft gegen ihre Vorgesetzten wie gegen den ehemaligen Feind richten mochte. Aber sie hatten resigniert – die meisten hatten resigniert. Ihre Welt lag in Trümmern, und es würde an ihnen liegen, sie wieder aufzubauen. Aber nicht alle hatten Wiederaufbau im Sinn, und selbst die „loyalen“ Männer und Frauen deckten manchen Akt des Ungehorsams, den sie eigentlich hätten melden müssen. Wie etwa, dass hier auch noch einige reguläre Soldaten waren, die eigentlich längst zu ihren zerschlagenen Einheiten hätten zurückfliegen müssen. Oder wie das, was sie zu tun im Begriff war.
Mit beiden Händen packte sie das Schwungrad der Schutztür zum Hangar. Die meisten Notsysteme des unterirdischen Stützpunktes waren heruntergefahren worden. Deshalb herrschte auch nur eine schummrige Teilbeleuchtung. Schatten schienen sich am Rande ihres Blickfeldes zu tummeln, als wartete ein Geisterheer nur darauf, dass sie ihm den Rücken zuwandte. Nun, es gab genug Gesichter für eine solche Armee, Gesichter die sie vor sich sah, wenn sie die Augen schloss, wenn sie sich nicht mehr gegen das wappnen konnte, was in ihr selbst schlummerte, wenn ihre nächtlichen Gedanken ihr den Gehorsam verweigerten. Jetzt konnte sie solche Gedanken verdrängen, aber sie konnte sie nicht ausmerzen, so sehr sie es sich auch gewünscht hätte. Mit einem metallischen Knirschen drehte sich das Rad, dann schwang das durch Gegengewichte beweglich gehaltene massive Panzerschott langsam auf.

Die kleine Schar, die auf sie wartete, wirkte wahrlich wie ein verlorener Haufen, und das waren sie auch. Sechs Angehörige des fliegenden Personals – zwei männliche Akarii, eine Akariifrau, ein Mensch und zwei Menschenfrauen – waren es, ein paar Soldaten und Techniker, eine T’rr und zwei Menschen in den Uniformen der Heeresflieger. Insgesamt weniger als vierzig Personen aus drei Rassen und einem halben Dutzend Systeme. Die Uniformen saßen alles andere als vorbildlich, bei allen fehlten die Rangabzeichen, und viele waren in ein Mischmasch aus zivilen und militärischen Kleidungsstücken des Zivilschutzes, der Flotte und der Armee gekleidet. Die wenigsten waren halbwegs regulär bewaffnet, viele trugen ein Sammelsurium ganz unterschiedlicher Modelle. In ihren Gesichtern war eine Mischung aus Wut, Trotz und Resignation – Spiegelbilder dessen, was sie selbst fühlte. Alle wirkten sie übermüdet, hohlwangig, mit umrandeten, oft geröteten Augen. Sicher hatte kaum einer von ihnen in den letzten Nächten gut geschlafen. Sie alle hatten sich mit dem gequält, was hinter ihnen lag, und mit dem Entschluss gerungen, wie ihre Zukunft aussehen würde. Die, die hier geblieben waren, waren zu demselben Entschluss gekommen.

Und da war noch eine Frau, deren Pilotenanzug eher wie ein Fetzen wirkte, als wie eine Uniform.
Die ehemalige Admirälin schritt die Reihen ihrer Schar ab. Einige salutierten, andere nickten ihr nur zu. Die „Lumpenpilotin“ grinste nur schief, hielt es aber nicht mal für nötig zu nicken. Jacqueline Bouisseau ignorierte das. Sie hatte keinen Rang mehr, und so sehr das schmerzen musste, sie würde damit leben müssen. Sie erwiderte das Lächeln gezwungen: „Ist alles vorbereitet?“
Die Pilotin ließ sich zu einem Nicken herab: „Das Shuttle ist aufgetankt, und ich wette, die Luftraumüberwachung hat anderes zu tun als mit mir zu diskutieren, was ich mit meinem Eigentum mache.“ Sie grinste burschikos, fast schon obszön: „Geht alles ein bisschen drunter und drüber, die finden vermutlich im Augenblick nicht einmal ihren Arsch mit beiden Händen UND einer Karte.“ Sie wurde schlagartig ernst: „Was das andere angeht – es sollte in Ordnung sein. Das hängt jetzt nicht mehr an uns. Wenn es nicht klappt, müssen wir sehen, wie wir ohne sie klarkommen. Das Shuttle fliege ich in jedem Fall ’raus. Das dürften die Superhirne vom Militär nicht mal mitkriegen.“
Das mochte durchaus stimmen. Militärs und Verwaltung litten unter chronischer Überlastung, zudem war Gehorsam vor dem Staat noch nie eine häufige Tugend in der CC gewesen, selbst in Krisenzeiten. Trotzdem der Angriff der Kaiserlichen noch nicht lange zurücklag, lief bereits wieder so etwas wie ziviler Transportdienst, und er war ohnehin wichtiger als jemals zuvor.
„In Ordnung. Dann ist es entschieden. Jetzt kommt es darauf an, dass oben alles klargeht.“ Sie atmete tief durch. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, was sie eigentlich tat, und wie es nur so weit hatte kommen können.

Doch dann straffte sie sich. Das lag nicht mehr in ihrer Hand. Die Welt stand auf dem Kopf, und alles, was sie tun konnte, war zu versuchen, das Richtige zu tun. Sie wusste, es war nicht die Zeit für Reden. Die würde später kommen, wenn alles gut ging. Was gesagt werden musste, war bereits gesagt worden. Sie musterte ein letztes Mal ihren verloren Haufen, und sah in den Augen der Menschen und Nichtmenschen die Angst, den Hass und den Schmerz, der auch sie zum Handeln trieb. Sie atmete einmal tief durch. Dann sprach sie, nur ein paar Worte in der lastenden Stimme, doch sie fielen ihr schwerer als irgendetwas anderes in ihrem bisherigen Leben: „Piloten – an die Maschinen. Und…auf in den Kampf.“ Fünf Minuten später hoben die Maschinen ab.

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Konföderierter Frachter „ Star Whale“, Weltraum über Hannover

Kapitän Andrews Prashaktra war ein altgedienter Fahrensmann mit dunklen Augen, langem Bart und brauner Haut, ein Freihändler wie er in verschiedenen Büchern stand, wie man so schön sagte. Er und seinesgleichen hielten den Frachtverkehr mit all dem offen, was den großen Transportunternehmen zu unwichtig oder zu anrüchig war, und flogen dahin, wo für die etablierten Kapitäne das Risiko zu groß schien. Denn so modern die Zeiten auch waren, so allmächtig die großen Flotten auch schienen – am Rand der interstellaren Imperien und Reiche gab es noch immer die Zwielichtzonen, wo immer wieder Schiffe verschwanden, nicht nur auf Grund schlechter Karten oder technischer Probleme. Die Menschheit hatte ihre Träume mit zu Sternen genommen, aber ihre Schatten waren ihr gleichfalls gefolgt, und die uralte Geißel der Piraterie gehörte gewisslich dazu. Sein Schiff, ein uralter Laboe-Frachter, hatte schon eine Menge miterlebt. Mehr als einmal war er angegriffen worden, hatte einen Vorbeiflug eines noch nicht verzeichneten Asteroiden mit moderaten Schäden überstanden und einmal drei Wochen lang warten müssen, bis ein anderes Schiff ihn fand, nachdem der Hauptantrieb und die Funkanlage gleichzeitig ausgefallen waren. Die Star Whale war wie ihr Kapitän. Nicht mehr jung, aber erprobt – und für ein Schiff ihrer Klasse ziemlich gut bewaffnet. Seit Anfang des Krieges hatte er natürlich auch für das Militär gearbeitet. Dennoch hatte der Kapitän nicht wenig Lust zum Meutern gehabt, als man ihn kurzerhand während des imperialen Angriffs „zwangsrekrutiert“ und die zwei alten Mustangs, die sein Schiff als Geleitschutz mitführte, mitsamt seinem Shuttle abgezogen hatte. Er war Patriot, aber immerhin zahlte er Steuern (nun ja, meistens) und es war kaum seine Aufgabe zu erledigen, wofür die Flotte da war. Aber er hatte sich zähneknirschend gefügt.
So wie es aussah, würde er außer dem Shuttle nichts mehr zurückbekommen, denn die Jäger waren zerstört oder irreparabel beschädigt worden. Wenigstens lebten die Piloten noch. Überhaupt konnte man von Glück sagen, dass die Flotte sein Beiboot so schnell herausrücken wollte, denn er hatte damit gerechnet, dass dies mindestens noch einige Tage dauern würde. Nun, einem geschenkten Gaul…

Er selbst hatte mit seinem Schiff nur mit viel Glück am Rand der konföderierten Formation überlebt. Hätten die Kaiserlichen sich nicht so sehr auf lohnende Ziele konzentriert, wäre der Frachter todsicher vernichtet worden. So waren sie mit einigen Panzerungsschäden und internen Sekundärschäden davongekommen, und sein Waffenoffizier – seines Zeichens ein „abgebrochener“ Flottenkadett – hatte immerhin zwei Imperiumsjäger abschießen können, die vergessen hatten, dass auch alte Frachter neue und scharfe Zähne haben konnten.

Im Augenblick befand sich der Kapitän auf der Brücke. Wie auf einem Frachtschiff üblich war die Brücke funktional aber auch gemütlich eingerichtet – immerhin musste die Wache hier lange Stunden verbringen, während deren sich in 99,99 Prozent nichts ereignete. Kapitän Prashaktra hörte sich gerade den Vortrag seiner Ingenieurin an. Die kleingewachsene T’rr, die die irritierende Eigenschaft hatte, immer erst dann zu zwinkern, wenn ihr Gegenüber nicht mehr damit rechnete, rasselte die Liste herunter: „…Ersatzteile für Lasergeschützturm vier ist eingebaut. Drehmobilität ist aber immer noch unbefriedigend…“ Schließlich war der nicht eben ermutigende Vortrag beendet. Die Schlacht hatte den alten Systemen einiges abverlangt, und natürlich hatten die Regierung und Flotte im Moment etwas anderes zu tun, als für die Folgen ihrer Beschlagnahmeaktion geradezustehen. Der Kapitän wollte gerade zu einer befreienden Schimpfkanonade ansetzen, als ein Blinken auf der Kommunikationskonsole seine Aufmerksamkeit weckte. Er langte nach vorne: „Hier Star Whale, der Kapitän. Ich höre.“

Die antwortende Stimme kannte er ziemlich gut. Patricia Berger, seine Shuttlepilotin. Sie klang angespannt: „Kapitän? Sie haben mich laufen lassen. Aber es gibt ein paar Komplikationen. Können Sie kurz runter in den Hangar kommen?“
Andrews Prashaktra runzelte die Stirn: „Probleme? Was für welche? Reicht es denen nicht, dass zwei meiner Piloten und ein paar andere Besatzungsmitglieder im Krankenhaus liegen und ich Material im Wert von ein paar Millionen verloren habe?“
Patricias Stimme war die Nervosität leicht anzumerken: „Das soll ich nicht über einen offenen Funkkanal besprechen. Bitte…Sir.“ Der Kapitän war sichtlich irritiert. Die Pilotin hatte bei ihm gearbeitet, seit sie ihren Flugschein gemacht hatte, und in all den Jahren bisher nie Unsicherheit gezeigt, nicht einmal, als sie von drei Piratenjägern durch ein Asteroidenfeld gejagt worden war. Letzten Endes gab diese Erinnerung den Ausschlag: „In Ordnung, ich komme.“ Er nickte seiner Bordingenieurin zu: „Du kommst am besten mit.“ Zum Waffenoffizier gewandt fügte er noch hinzu: „Du hast die Brücke.“
Diese neue Entwicklung gefiel ihm gar nicht. Das roch nach einer unliebsamen Überraschung. Vielleicht ein Sonderauftrag der Flotte, oder jemand wollte aus dem System, ohne dass die Kaiserlichen es mitkriegten. Kapitän Prashaktra war weder Politiker noch Militär, aber als Freihändler hatte er nicht nur gehöriges Misstrauen gegen beide Sorten von Menschen (oder Akarii, oder…), er wusste auch einiges über Dinge, die von besagten Leuten abseits der Öffentlichkeit durchgezogen wurden. Es gab Gerüchte, dass die Konföderation seit langem insgeheim die Separationsbestrebungen der T’rr unterstützte, auch mit Material. Auf jeden Fall hatten die konföderierten T’rr seit jeher auf das Schicksal ihrer unterjochten Landsleute hingewiesen und versucht, auf politischem Wege etwas zu erreichen. Auch die konföderierten Akarii standen in dem Ruf, nicht eben Freunde des Kaiserreichs zu sein. Gut möglich, dass einige von ihnen jetzt angesichts des plötzlichen Ausbruchs des Friedens um ihre Sicherheit fürchteten. Das letzte aber, was die Star Whale jetzt gebrauchen konnte, waren ein paar hochrangige Verschwörer, die vielleicht sogar den imperialen Geheimdienst an den Hacken hatte. Kapitän Prashaktra kannte die Akarii im Allgemeinen, und über die Kaiserlichen im Besonderen hatte er so seine eigene Meinung. Wenn es denen in den Kram passte, würden sie den Frieden mit der Konföderation respektieren. Wenn nicht… Nun, in dem Fall wollte er möglichst weit weg sein.

**********

Während der Kapitän der Star Whale sich auf den Weg zum Hangar machte, war Rear-Admirälin Jacqueline Bouisseau ebenfalls alles andere als glücklich. Wiewohl normalerweise eine Frau mit guten Umgangsformen auch gegenüber Untergebenen, war sie gerade im Begriff, einen niederen Dienstgrad anzugiften.
„Das ist mir herzlich egal, wenn die Meldung nicht bei Ihnen angekommen ist. Vielleicht hat die Flotte auch etwas anderes zu tun, als alle Flugpläne in dreifacher Ausfertigung an alle Adressaten zu schicken – falls Sie es nicht bemerkt haben, wir haben immer noch eine Menge Wracks in der Umlaufbahn, und wenn auch nur ein Kilogramm Weltraumschrott in ein Wohnhaus kracht, kann es Tote geben. Finden Sie nicht, wir haben schon genug Zerstörung am Boden? Ja, ja, ich weiß, Sie haben Ihre Vorschriften. Zum letzten Mal, die sind nicht für eine Situation wie diese gemacht worden. Also lassen Sie mich meine Arbeit tun, oder rufen Sie meinetwegen der Generalgouverneur oder einen Admiral an, wenn Ihnen eine KONTERADMIRÄLIN NICHT REICHT!“ Die letzten Worte schrie sie beinahe heraus. Auf der anderen Seite blieb es gut dreißig Sekunden ruhig. Die Admirälin war froh, dass sie keine Bildverbindung hatte.
Jetzt kam es darauf an. Wenn ihr Bluff scheiterte, war das noch nicht das Ende – aber es würde die Dinge erheblich verkomplizieren. Und bei ihrem Plan konnte sie Komplikationen nicht brauchen. Schließlich meldete sich ihr Gesprächspartner wieder, sichtlich erschüttert: „Alles klar… Ich melde Ihre Flugfreigabe weiter.“ Die ehemalige Geschwaderkommandeurin musste sich auf die Lippen beißen, um nicht lauf loszujubeln. Sie begnügte sich mit einem hochnäsigen: „Wurde auch Zeit. Bouisseau, Ende!“ Dann ließ sie ihren Jäger beschleunigen. Das Chaos hatte eben auch sein Gutes. Bei der Konföderation wusste gegenwärtig oft nicht einmal die rechte Hand, was die linke tat – oder ob es die andere Hand überhaupt noch gab.

Argwöhnisch darauf bedacht, keinen Anlass zu Misstrauen zu geben, beschränkte sie sich auf knappe Anweisungen: „Räumungsverband, auf 250 Kilometer gehen. Sensoren auf maximale Leistung. Waffen breite Streuung einstellen.“
Denn das war ihre Tarngeschichte. Sie hatte dem überarbeiteten Offizier in der Flugaufsicht weisgemacht, sie und ihre Handvoll Maschinen sollten Vernichtungseinsätze gegen Weltraumschrott fliegen, gefährliche Stücke mit Bordwaffenfeuer zerlegen. Das war natürlich ein schier sinnloses Unterfangen, angesichts der gewaltigen Menge an Trümmern von konföderierten und kaiserlichen Schiffen. Beide Flotten hatten sich bis zu fast völligen Vernichtung der einen Seite und zur quasi Kastration der anderen aufgerieben. Aber Einsätze wie der, den sie vorschützte, waren oft die einzige Möglichkeit, den Einschlag von Meteoriten zu begrenzen, wenn nicht genug Bergungsschiffe und Shuttles mit Traktorstrahlen bereitstanden. Vermutlich wäre man am Boden selbst jetzt noch misstrauischer gewesen, wenn sie nicht eine Admirälin gewesen wäre, und ihre Patrouille nicht unübersehbar aus lediglich sechs Maschinen ohne Raketen oder gar schwerere Waffen bestanden hätte. Damit konnte man nicht einmal einen Zwischenfall provozieren. Nein, für so etwas waren die zwei Typhoons, eine Griphen, eine Phantome, die alte Mirage und die Tomahawk denkbar ungeeignet.

***********

Der Hangar der Star Whale war gähnend leer. Sonst hatte hier nicht nur Shuttle und die zwei privaten Jäger des Schiffes gestanden, in sicherer Entfernung hatte sich auch robustes Frachtgut gestapelt. Aber es war dem Kapitän bisher nicht gelungen, einen neuen Auftrag an Land zu ziehen, obwohl er mit einigen möglichen Kunden in Kontakt stand. Er und die Bordingenieurin waren die einzigen Personen im Hangar, der – ungeachtet dessen, dass der Frachter verglichen mit vielen Kriegsschiffen doch recht klein war – in seiner Leere geradezu riesig wirkte. Die T’rr starrte schweigend vor sich hin, wie sie es oft tat. Kapitän Prashaktra hatte es schon lange aufgegeben, aus ihrer Miene klug werden zu wollen. Er kannte sie seit fünf Jahren, hatte sie in den größeren und kleineren Krisen erlebt, die das Leben eines Freihändlers im Krieg so mit sich brachten, aber er wurde aus dem maskenhaften Reptiliengesicht einfach nicht schlau. Stattdessen konzentrierte er sich darauf, in Gedanken noch einmal die Regierung und das Oberkommando der Konföderation für ihre Inkompetenz zu verfluchen. Erst versiebten sie den Krieg und ließen den Feind bis vor die Haustür, dann rekrutierten sie alles, was nicht bei drei auf den Bäumen war, und schließlich überlegten sie es sich wieder anders – und damit waren alle Opfer umsonst gewesen. Das hätte man nun wirklich auch billiger haben konnten. Und die kleinen Leute konnten sehen, wo sie blieben…
Die Gedanken des Kapitäns waren gerade bei diesen wenig erfreulichen Gedanken und der Frage angekommen, ob er vielleicht diesmal sein Schiff an irgendeinen Gläubiger abgeben musste, als endlich das deutlich kampfgezeichnete Shuttle das Atmosphärenschild durchbrach und aufsetzte. Eines musste man Patricia lassen – ihre Maschine beherrschte sie, obwohl sie wie so viele Leute auf Trampschiffen zu denen gehörte, die aus der Flotte oder den respektableren Firmen „aussortiert“ worden waren. Das Vielzweckshuttle landete punktgenau. Für einen Augenblick stand es einfach nur da. Dann schoss mit einem Zischen das Seitenschott auf. Und in diesem Moment wurde dem Kapitän klar, dass etwas definitiv faul war.

Sie waren zu fünft, eine Akarii, drei Menschenmänner und eine Frau. Die Menschenfrau war seine Pilotin, die ihr übliches Räuberzivil trug. Sie hielt den Rücken durchgedrückt, doch ihre Augen waren überall – nur nicht bei ihrem Kapitän. Alle anderen trugen Uniformen, Handfeuerwaffen in Holstern, deren Verschlüsse geöffnet waren, und sie bewegten sich mit der zielstrebigen Entschlossenheit von Leuten, die sich von nichts aufhalten ließen. Dabei fehlte ihnen allerdings die selbstsichere Siegesgewissheit von autorisierten Personen, Geheimdienstlern oder Elitesoldaten. Einer der Menschen schluckte immer wieder krampfhaft, ein anderer hatte die Hände zu Fäusten geballt, die Akarii hatte den Mund leicht geöffnet und ließ ihre scharfen Zähne und die Zunge sehen. Doch diese offenkundigen Zeichen von Nervosität taten der Entschlossenheit der vier offenkundig keinen Abbruch.
Der Kapitän der Star Whale brauchte eine Sekunde, um sich zu sammeln. Das Ganze hatte etwas erschreckend Überraschendes an sich, und im Moment konnten Überraschungen eigentlich nur Ärger bedeuten. Doch dann straffte er sich. Noch war er hier Kapitän, und er würde sich nicht von ein paar Uniformträgern herumschubsen lassen. Er hob seine Stimme, die schon normalerweise beeindruckend war: „Was zum Teufel…!“ Weiter kam er nicht.
Einer der Männer, es war der mit dem Schluckreflex, blickte ihn unverwandt an, ihn, und nur ihn: „Kapitän Prashaktra?“ Die Stimme des Uniformierten klang gepresst, halb erstickt, und doch war auch eine Drohung darin, die deutlich zu spüren war. In seinen Worten, und in der Geste, wie sich seine Hand der Waffe im Holster näherte.
Der Kapitän schwankte, doch ihm war klar, sich selbst zu verleugnen würde ihm nichts bringen. Es wäre feige gegenüber seiner Mannschaft gewesen, und wenn diese komischen Käuze seinen Namen kannten, dann sicher auch sein Gesicht.
„Allerdings – und wer will das wissen?“
Der Mann schluckte erneut, doch dann straffte er sich. Seine Stimme gewann an Sicherheit, während er geradezu hervorsprudelte: „Im Namen von Rear-Admirälin Jacqueline Bouisseau…BESCHLAGNAHME ICH IHR SCHIFF!“ Die Worte trafen den Kapitän schwerer, als jeder Beschuss der letzten Schlacht. Beschlagnahme? Jetzt? Und genau von der Frau, deren Name auf den Vordruckformularen gestanden hatte, mit der man ihm sein Shuttle und seine Jäger weggenommen hatte? Was bildeten die sich eigentlich ein?!
Ohne darauf zu achten, dass er nur mit seiner Ingenieurin vier offenkundig hochgradig nervösen Bewaffneten gegenüberstand, brüllte der Kapitän Prashaktra beinahe los: „Beschlagnahme? Wohl vollkommen übergeschnappt? Ich habe noch nicht einmal alle Schäden vom letzten Mal repariert, vier meiner Leute liegen im Krankenhaus, meine Jäger sind Schrott! Und da kommt ihr an und wollt mein Schiff – schon wieder? Ich scheiße auf euch und euren Krieg – wenn ihr es nicht mal schafft, die Kaiserlichen zu verjagen, dann hilft euch ein Frachter wohl mehr oder weniger auch nicht! Soll ich meine Rechnungen und Leute mit Zivilverdienstorden* bezahlen? Und was soll dieser schmierige Pressgang-Auftritt?“
Der Mann, offenbar der Wortführer, schien durch dieses Gewitter etwas eingeschüchtert, doch er gab nicht nach: „Auf Befehl des Rear-Admirals.“ Der Kapitän meinte schon, er habe wieder Oberwasser. Sein Gegenüber schien wirklich alles andere als sicher: „Rear-Admiral hin oder her, die oberste Bereitschaftsstufe ist aufgehoben! Ihr könnt nicht einfach so kommen und euch nehmen was ihr wollt! Ich werde…“ Doch in dem Moment wurde er erneut unterbrochen.
„Halt den Mund, Andrews!“ Die Stimme seiner Shuttlepilotin war absolut emotionslos. Erst jetzt blickte sie ihn an, mit Augen, die so kalt waren wie Eiskristalle. Sie kannten sich seit Jahren, und obwohl sie nicht gerade Freunde waren, hatte sie ihn immer korrekt behandelt. Davon war jetzt nichts mehr übrig: „Sie brauchen dein Schiff. Sie werden es sich nehmen. Und wenn du es ihnen lässt, ist es für alle Beteiligten das Beste.“ Der Kapitän stierte seine Untergebene an: „Dir ist wohl das Militär zu Kopf gestiegen! Auch wenn wir an Bord eine lose Zunge führen, das geht zu weit! Noch so eine Nummer, und du kannst dir deine Papiere abholen!“ Die Frau verzog ihre Lippen zu einem bitteren Lächeln: „Spar dir das, Kapitän. Ich tu das nicht gerne, aber ich habe mich entschieden. Du kannst mich gar nicht rausschmeißen – weil ich kündige!“ Sie atmete tief durch: „Wir gehen zur Bundesrepublik. Wir alle. Und wir kämpfen weiter. Der Rear-Admiral ist mit von der Partie. Und keiner – ganz bestimmt nicht du – wird uns daran hindern.“
Auch wenn Andrews Prashaktra geglaubt hatte, alles erlebt zu haben – mit so etwas hatte er gewiss nicht gerechnet. Ein Mittelding zwischen Militärputsch, Piraterie und Meuterei, und das auf seinem Schiff. Sein Kommentar war nicht besonders originell, aber ehrlich gemeint: „Das ist Meuterei…Damit werdet ihr nicht durchkommen!“

Der Sprecher der Uniformierten hatte sich weit genug gefangen, um darauf selbst zu antworten: „Gegen Verrat muss man immer meutern. Und ich denke, wir sind gerade dabei, damit durchzukommen.“ Es klang nicht etwa aufgeblasen oder höhnisch, eher, als wollte er sich selbst überzeugen. Aber es klang auch wie die Worte eines Mannes, der keine Wahl mehr hatte.
Der Kapitän senkte seine Stimme zu einem drohenden Knurren, das allerdings immer lauter wurde. Erst jetzt, zu spät, erkannte er, wie ernst es dem Enterkommando war. Binnen Sekunden hatte sich aus einer Groteske eine hochgefährliche Situation entwickelt. Er wusste, es wäre besser gewesen, den Mund zu halten, doch das konnte er nicht. Das war doch Wahnsinn! Es widersprach allem, wofür die Konföderation stand – und es würde alles vernichten, wofür er gearbeitet hatte.
„Ihr werdet mir nicht mein Schiff nehmen. NICHT MEIN SCHIFF! Dann müsst ihr mich schon erschießen!“ Ihm kam in den Sinn, dass solch eine Äußerung gegenüber Verzweifelten nie eine gute Idee war, aber tatsächlich schien keiner der Meuterer oder Piraten oder was auch immer sie waren Anstalten zu machen, seine Waffe zu ziehen. Für einen Augenblick empfand er fast so etwas wie Hoffnung. Wenn sie nicht wirklich meinten, was sie sagten, hatte er vielleicht noch eine Chance.
In diesem Augenblick spürte er einen Stich in der Seite, und ein Arm, geschmeidig wie eine Schlange und fest wie ein Stahlseil, legte sich um seine Brust. Vollkommen überrumpelt taumelte er nach hinten, seine Sekunde später lag er schon am Boden. Über ihm stand seine Ingenieurin, die ihn kalt musterte, ohne zu blinzeln. Ein leicht gebogener Dolch blitzte in ihrer Hand. Sie zischte beinahe: „Keinen Laut, keine Bewegung, Kapitän.“
Andrews Prashaktra starrte seine Untergebene an, die zweite, die ihn vollkommen überraschend verriet. Was war nur geschehen? Wie konnte das eigentlich sein? War das ein bizarrer Streich, ein Alptraum? Doch das Deck unter seinem Körper fühlte sich so real an…
Mühsam brachte er hervor: „Du? Warum du auch?“
Die T’rr musterte ihn beinahe nachdenklich. Dann, nach einer Ewigkeit, blinzelte sie abrupt. Ihre Stimme klang geradezu freundlich: „Ich bin an erster Stelle Konföderierte. Dann eine T’rr. Dann erst Offizier auf diesem Schiff. Meine ersten zwei Loyalitäten verlangen von mir, dass ich die dritte ignoriere.“ Fast schien sie ihr Handeln zu bedauern, als sie hinzufügte: „Bindet ihn. Ich koordiniere mit Patricia das Einsammeln der Jäger.“
Kapitän Andrews Prashaktra von der Star Whale konnte nur zusehen, wie die Unbekannten, unterstützt von seinen eigenen Offizieren, alles zugrunde richteten, wofür er gearbeitet hatte. Immer mehr der in Räuberzivil gekleideten Menschen, Akarii und T’rr kletterten aus dem Shuttle. Sie verteilten sich in kleineren Gruppen über das Schiff, geleitet von den Offizieren. Widerstand schien es nicht zu geben. Dann landeten ein halbes Dutzend Jäger, ein ebenso buntes Durcheinander wie die Wesen, die mit ihnen flogen.
Zwanzig Minuten nach dem Andocken der Fähre, und im Durcheinander des zivilen und militärischen Frachtverkehrs praktisch unbemerkt, sprang der Frachter, an Bord sechs konföderierte Kampfflieger und eine Handvoll Männer und Frauen, die bereit waren, den Krieg gegen das Kaiserreich fortzusetzen. Gleichgültig um welchen Preis.

* Auszeichnung der Konföderation für Angehörige des Zivilschutzes und ähnlicher Formationen, in den Abstufungen Bronze, Silber und Gold vergeben, als höchstrangiger Zusatz mit „Bürgerkrone“
13.01.2016 08:59 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
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Cunningham

Raven eröffnete das Feuer mit ihren Strahlengeschützen auf die vor ihr hin und her ruckelnde Bloodhawk. Der Akarii zog scharf nach rechts weg, gab etwas mehr Stoff und zog eine lange Schleife.
Raven zog ebenfalls nach rechts, konnte aber mit dem flinkeren Jäger nicht mithalten. Sie zerkaute einen Fluch auf den zusammengepressten Lippen und schwenkte nach links um.
„Bull!“, rief sie ihren Flügelmann, „Ich könnte hier etwas Hilfe gebrauchen!“
„Bin gleich da, Skipper!“, ihr Flügelmann klang gehetzt.
Sie führte eine enge Fassrolle aus, um den Geschützfeuer der Bloodhawk zu entkommen, da knackte ihr Funkgerät: „Liberty Bell für alle Guardsmen: Rückkehr zu Mother! Wiederhole: Rückkehr zu Mother!“
Das war der allgemeine Rückruf für das Bordgeschwader der Hongkong, welche unter dem Codenamen Liberty Bell sendete.
„Raven für Fenris.“, rief sie den ranghöchsten Staffelführer der Guardsmen, nur um sich sofort zu unterbrechen, als die Bloodhawk sich erneut auf sie stürzte.
„Hab’s gehört, Raven,“, antwortete Fenris, „wenn’s okay ist, verabschieden wir uns von hier!“
„Ich glaube die Befehle von Liberty Bell lassen keinen Interpretationsspielraum, Fenris, nehmen Sie die Beine in die Hand und nehmen sie die Jabos der Wasp mit!“
„Roger, Skipper, viel Glück.“, die Funkverbindung wurde unterbrochen.
„Bull! Verdammt, ich brauch hier Hilfe!“, sie drosselte etwas und ließ die Thunderbolt etwas hin und her flattern.
„Mach das noch mal,“, rief Earl vom Rücksitz, „eben hatte ich ihn perfekt im Visier, der hat was abbekommen!“
Raven wiederholte ihr letztes Manöver und Earl eröffnete das Feuer aus den Heckgeschützen: „Yeah, das hat gesessen!“
„Abschuss?“
„Nee, aber da haut er ab.“, knurrte Earl befriedigt.
„Black Market von Raven, kommen Mother.“
„Raven, Black Market, wir hören.“, meldete sich die Columbia.
„Black Market, Raven, ich kehre zurück, um den Rückzug der Jäger und Bomber zu koordinieren!“, sie führte eine weite Kehre durch und gab Schub auf die Nachbrenner, „Sehen Sie zu, dass Sie nicht ohne uns verschwinden, Mother.“
„Verstanden, Raven, wir räumen Ihnen Priorität bei der Landung ein.“



„Liberty Bell für alle Guardsmen: Rückkehr zu Mother! Wiederhole: Rückkehr zu Mother!“
Knock-Out seufzte erleichtert: „Hast Du das gehört, Zombie?“
„Jepp.“, der bleiche RIO klang erheblich erleichtert.
„Tja, dann werden wir wohl das Heldenspiel den anderen überlassen und verschwinden, oder hast Du was dagegen?“
„Ne, Alter, nix wie weg hier!“, bestätigte Zombie.
„Dann geben wir dem alten Mädel mal die Sporen!“
Knock-Out wendete seine Mirage und beschleunigte auf das Zentrum der Erdflotte zu.
Die Akarii waren durch den Angriff auf ihre beiden Flottenträger, von denen die Promman zumindest schwerste Schäden erlitten hatte, dermaßen aus der Balance gebracht, dass sich die Terraner nach und nach vom Gegner lösen konnten, um den Sprung durchzuführen.
Auf Knock-Outs Sekundärbildschirm verschwanden zwei blaue Punkte, eine Fregatte und ein Zerstörer, die gesprungen waren.
Die Columbia verwandelte sich immer mehr zum Mittelpunkt des Geschehens.
Der laufende Nachbrenner soff den Sprit schneller als eine Kompanie Marines.
„Hey, Knock-Out?“
„Was'n?“
„Ich hab hier auf drei Uhr ne Thunderbolt, sieht aus als ob der Junge Hilfe gebrauchen könnte!“
„Wir sind jetzt schon spät dran.“
Zombie machte ein unglückliches Geräusch: „Yeah, aber wenn wir nun … außerdem haben wir noch eine Sidewinder.“
Knock-Out knurrte wütend, verlangsamte jedoch und wendete hart nach rechts, um dann erneut den Nachbrenner einzuschalten.
Der Transpondercode der Thunderbolt identifizierte sie als Thunderbolt drei-eins-eins, Lt. Bullock, Callsign Bull.
„Bull, Knock-Out, wir kommen von deiner Sechs. Versuch den Echsen-Arsch ruhig zu halten, wir haben nur noch ne' Sidewinder.“
Bull antwortete mit einem zweifachen Klicken seines Funkgerätes.
Bulls Ausweichbewegungen wurden enger und das Sperrfeuer seines RIO nahm zu.
Der verfolgende Raptor schien davon wenig beeindruckt und feuerte sporadisch, während er wohl selbst versuchte, eine Rakete zu peilen.
Knock-Out aktivierte seine letzte Sidewinder und setzte sich hinter den Akarii.
Statt selbst wilde Ausweichbewegungen auszuführen, blieb der Raptorpilot ruhig und ließ seine eigene Rakete peilen.
Etwa eine Sekunde vor Knock-Out feuerte der Akarii und brach dann hart nach links aus. Durch die drei Wärmequellen vor sich war der Suchkopf der Sidewinder entsprechend verwirrt und entschied sich der geradeaus fliegenden Akarii-Rakete zu folgen.
Während Knock-Out dem Raptor fluchend und mit flammenden Geschützen folgte, brach Bull hart nach rechts weg und stieß Täuschkörper aus.
Die enorme Beschleunigung der Sidewinder machte es möglich, dass sie die Akariirakete einholte, ehe diese Bull treffen konnte.
In nächster Nähe zur Thunderbolt vereinigten sich die beiden Raketen zu einer brutalen Explosion, welche die angekratzten Schilde des Erdjägers durchschlugen.
„Bull, Knock-Out, seid Ihr noch da?“
„Fick dich, du Penner!“, kam die ungehaltene Antwort, „Du solltest auf den Akarii schießen!“
Der Raptor drehte in Richtung Heimat und verdrückte sich.
„Fick Dich selbst, wegen Dir könnten wir unsere Taxi raus verpassen!“
Zombie prüfte die Treibstoffanzeige: „Haben wir verpasst, wir kommen nicht mehr bis zur Hongkong.“
„Hörst du das, du Wichser?“, Knock-Out schwenkte hinter Bull ein und begutachtete die Schäden.
Ein Triebwerk war ausgefallen und das andere flackerte unruhig.
„Scheiße verdammte!“
„Keine Panik Kleiner,“, antwortete Bull jetzt weit ruhiger, „good old Columbia ist ja auch noch da.“



Raven stürmte die Flugleitzentrale der Columbia: „Status?“
Lieutenant Commander Sean Grover, der zuständige Controller, überflog hastig die Meldungen: „Die Hongkong lädt ein was das Zeug hält, wir werden aber auch noch einiges zu tun bekommen. Es ist erstaunlich, was da noch alles fliegt, und außerdem werden wir noch einen Haufen zusätzlicher Shuttles aufnehmen müssen. Da sind noch einige SAR's draußen. Mazeratti von den Rawhides fliegt noch weit draußen und holt Piloten rein. Hoffe er schafft es.“
„Okay, gut, gut. Wie sieht unsere eigene Bewegung aus?“
Grover gab ein paar Befehle in seine Konsole ein und der Monitor zeigte eine taktische Karte, auf der sich die Columbia weiter ins Zentrum bewegt.
Immer mehr blaue Punkte verschwanden.
Raven klopfte ihm auf die Schulter: „Gut Sean, plan schon mal die Massenlandung, ich bin oben in der CIC.“
„Wird gemacht, CAG.“, rief Grover ihr nach.
Auf dem Weg zur CIC wäre Raven beinahe gestürzt, als ein brutaler Ruck durch die Columbia ging.
Fuck, das hat gesessen.
Am Schott zur CIC rein stoppte sie kurz und betrachtete das Bild, welches sich ihr bot.
Vor dem MSD, dem Main Ship Display standen Lone Wolf, Commander Long und der Chef der Schadenskontrolle.
Sie trat ein und ging zum Kartentisch auf die Steuerbordseite. Die Backbordseite des Tisches war für den Captain eines Schiffes reserviert.
Die taktische Situation wurde in der CIC weit komplexer dargestellt als in der Flugkontrolle.
Zu beiden Seiten der Columbia hatten Begleitschiffe Position bezogen. Steuerbord die Devastator und Backbord ein Zerstörer namens David Lange, welche die Columbia zu decken versuchten. Die meisten Schiffe der Erdflotte waren bereits gesprungen.
Und ein weiterer blauer Punkt verschwand von der Anzeige.
Cunningham kam zum Kartentisch und stellte sich ihr gegenüber auf.
Einen Augenblick blickten sich der alte und die neue CAG der Angry Angels in die Augen.
„Wie lange bleiben wir noch, … Captain?“
Lone Wolf blickte auf die Uhr über dem Eingangsschott: „Nicht mehr lange, wird Zeit, dass Sie … ihre Piloten reinholen.“
Raven nickte und nahm den Hörer vom Kartentisch. Sie wählte die Wachfrequenz der Columbia: „Black Market an alle! Ich wiederhole Black Market an alle: Rückkehr zu Mother! Rückkehr zu Mother!“



„Black Market an alle! Ich wiederhole Black Market an alle: Rückkehr zu Mother! Rückkehr zu Mother!“
Für den Bruchteil einer Sekunde schloss Trash die Augen: „Hey, Hast du das gehört?“
„Yeah, Alter, hauen wir ab,“, Ferrets Stimme klang belegt, „wir haben hier unseren Teil geleistet.“
Trash ließ die Thunderbolt über den Flügel abkippen und wendete auf die Columbia zu.
Auf der Länge von einer viertel Lichtsekunde wendeten Erdpiloten ihre Maschinen und jagten dem verbliebenen Träger entgegen. Dies geschah in einem Augenblick, wo die Akarii sich noch darauf vorbereiteten, den feindlichen Angriff abzuwehren.
Einen Augenblick stockten die Akariipiloten, eine neue Falle witternd, dann kamen widersprüchliche Befehle über Funk. Morello Hagun befahl den sofortigen Angriff mit allem, was noch kämpfen konnte.
Admiral zweiten Ranges Dal Agar gab den Befehl, zur Verteidigung der Promman zurückzufallen. Ehe sich Hagun, dessen Ansehen bei den Schiffskommandanten stark gefallen war, durchsetzen konnte, hatte die Columbia angefangen ihre Jäger einzuholen.
Etwa alle zwölf Sekunden landete ein Jäger. Als erstes wurden die unbeschädigten herein geholt, eine vergleichsweise kleine Anzahl. Dann folgten die leicht beschädigten Maschinen. Am meisten sorgte man sich jedoch um die letzte Gruppe, Jäger und Bomber, die kaum noch als solche bezeichnet werden konnten.
Wracks waren es, die zuletzt von der Columbia rein geholt werden sollten.



Kritisch blickte Matt Dodson der letzten Griphen nach, die gerade von einem Traktor zu den Aufzügen gezogen wurde. Einer der Waffentechniker hatte entschieden, das Triebwerk mit Löschschaum zu besprühen in der Angst, dass sich in der Atmosphäre der Columbia irgendetwas aufgrund der Beschädigungen entzünden könnte.
Dodsons Headset meldete sich: „Chief, hier Commander Grover, wir sind jetzt soweit, unsere letzten Schafe zu landen.“
„Einen Moment noch, wir müssen das Deck noch vorbereiten.“
„Sie haben zwei Minuten, Chief.“
Ohne zu Antworten schaltete Dodson seine Headset auf 5-MC, die Flugdecklautsprecheranlage: „Flugdeck klar für Notlandungen! Alle Mann auf Rettungsstationen!“
Im hinteren Bereich des Flugdecks wurde ein Fangnetz aufgespannt, das dafür sorgen sollte, dass außer Kontrolle geratene Jäger nicht über das gesamte Flugdeck schlitterten.
Kurz hinter dem Fangnetz wurde ein weiteres Magnetfeld aufgebaut, falls ein Jäger das Netz durchbrach. Der Jäger würde zwar mit voller Wucht in das Magnetfeld krachen und der Pilot würde möglicherweise schwer verletzt werden, aber die Alternative war einfach nicht tragbar.
Selbst die alten Träger der Zeus-Klasse waren soweit gesichert, dass kein Jäger unkontrolliert über das Flugdeck rutschte und Besatzungen niedermähte oder schlimmeres.
Ein weiterer Vorteil des Magnetfeldes war, dass man im hinteren Bereich des Decks Halongas zur Brandbekämpfung einsetzen konnte und sich nicht mit Löschschaum abmühen musste.
„Flugdeck für Flugkontrolle, wir sind für Notlandungen vorbereitet.“



In der CIC beobachtete man die Landungen der Jäger und Shuttles mit Spannung. Als man begann die letzten Jäger zu landen, befanden sich nur noch fünf Erdschiffe in Karrashin.
Die Columbia und ihre Begleiter, die Montgomery und eine Fregatte, die Probleme mit ihrem Sprungantrieb hatte.
„Commodore Janzek gibt gerade unseren Freunden da draußen den Befehl, ihr Schiff aufzugeben.“, bemerkte einer der Signalgasten.
Der junge Mann zog verlegen den Kopf ein, als die höheren Offiziere ihn anblickten.
„Flugleitung meldet noch zweiunddreißig Sekunden, dann haben wir alle an Bord!“, Raven strich sich eine Strähne aus dem Gesicht.
Jetzt, wo sie aus dem Cockpit raus war, fing der Pilotenanzug an unbequem zu werden. Außerdem ekelte sie ihr eigener Geruch an.
Cunningham starrte gebannt auf den Kartentisch. Der Monitor war in mehrere Bilder unterteilt. Das mittlere zeigte die strategische Karte vom Wurmloch, links wurde die Umgebung der Columbia aufgezeigt. Noch zwei Angels waren draußen. Eine zerschundene Falcon und Bulls Thunderbolt.
Rechts wurde ein Bild des Flugdecks eingespielt.
„Sprungantrieb hochfahren!“, befahl der amtierende Captain der Columbia und griff noch seiner Kaffeetasse, überlegte es sich jedoch anders.
Im äußeren Perimeter näherten sich zwei Akariischiffe. Ein Zerstörer und eine Fregatte. Zwei Mutige, die sich vor die eigene Flotte gesetzt hatten.
„Ziel Sierra-acht kommt in sechzehn Sekunden in Feuerreichweite für seine Raketen!“, meldete ein Unteroffizier von der taktischen Station, „Ziel Echo-zwo-drei erreicht Feuerentfernung in siebenundzwanzig Sekunden.“
Die Falcon landete auf der Columbia, der leichte Jäger hatte sein Fahrwerk nicht ausfahren können und krachte mit voller Wucht in das Fangnetz.
„Vampir! Reinkommende Raketen, zähle vier, weiterer Raketenstart von Sierra-acht!“
„Na komm schon, Bull, jetzt nicht schlapp machen auf den letzten Metern.“, murmelte Raven. Dabei wusste sie ganz genau, dass Bull und sein RIO nicht die letzten Piloten draußen im All waren.
Irgendwo schwirrten sicherlich noch ein oder zwei Jäger rum. Einige der SAR-Shuttles waren zu weit von der Columbia entfernt gewesen, als der Befehl zur Rückkehr kam. Diese hatten weiter fleißig ausgestiegene Piloten eingesammelt und sich dann den Echsen ergeben.
Ein blauer Punkt verschwand von der strategischen Karte. Die Fregatte.
Erstaunt blickte sie Lone Wolf an.
„Selbst gesprengt.“, war seine lakonische Antwort.
„Devastator nimmt die reinkommenden Vampire unter Beschuss.“
„Was zur Hölle macht der Sprungantrieb?“, brüllte George Long.
„Eine Minute.“, war die Antwort der schiffstechnischen Abteilung.
Der Signaloffizier wandte sich zum Kartentisch: „Die David Lange meldet Sprungbereitschaft. Man will aber noch auf uns warten und bittet um Transitkoordinaten.“
„Mr. Long, berechnen Sie Massentransit für uns drei.“
„Aye, Captain.“
„Rakete kommt durch! Hat uns erfasst, auf Einschlag vorbereiten!“, die Stimme des Taktischen Offiziers überschlug sich fast.
Auf der Karte war zu erkennen, dass sich die David Lange etwas von der Columbia entfernte und Störkörper warf. Raketen schien der Zerstörer keine mehr zu haben.
Die Rakete drehte von der Columbia ab und erfasste einen Täuschkörper.
Sie explodierte zwischen den beiden Erdschiffen und ließ beide ordentlich schlingern.
„Echo-zwo-drei eröffnet das Feuer! Vampir im Anflug!“
Raven zog eine Grimasse: „Sieht aus, als wären die hinter Ihnen her, Lone Wolf.“
„Wenn sich der Jackpot als Trostpreis anbietet.“
Bulls Thunderbolt setzte auf. Das vordere Fahrwerk knickte ein, und der Jagdbomber schlitterte Funken sprühend auf das Fangnetz zu, kam jedoch wenige Meter davor zum Stillstand.
„Vierzig Sekunden.“, merkte Long an, der sich zu ihnen an den Kartentisch gesellte.
Die Akariifregatte hatte das Raketenfeuer eingestellt und ließ sich zurückfallen. Scheinbar hatten auch die Echsen mit leer geschossenen Bunkern zu kämpfen.
Der Zerstörer hingegen beschleunigte weiter auf sie zu und stieß unermüdlich Anti-Schiff-Raketen aus. Zwölf der Raketen hatten das Potential die Columbia zu treffen.
Die David Lange ließ sich jetzt weiter zurückfallen und legte mit ihren Bordwaffen Sperrfeuer.
Doch trotz des Einsatzes der beiden Begleitschiffe durchbrachen zwei der Raketen die Verteidigung und steuerten auf das Heck des Flottenträgers zu.
Die Punktverteidigung der Columbia schaffte es eine der beiden Raketen zu zerstören. Die zweite schlug direkt im Heck des Trägers ein.
Panzerung verdampfte unter der atomaren Hitze, Luft verbrannte und trat aus ins All.
„Sprungantrieb bereit, Massentransit berechnet!“, meldete Long, als er die Bestätigung erhielt.
„Dann weg von hier.“
Eine Sekunde später hörten die drei Schiffe auf in Karrashin zu existieren und tauchten acht Lichtjahre entfernt und zum selben Zeitpunkt wieder auf.
Eine Minute später sprang die Montgomery.
Die Schlacht von Karrashin war beendet. Tausende Menschen und Akarii waren gestorben. Weit mehr waren verwundet.

Für Dal Agar stand fest, wenn dies ein Sieg war, dann war jede Niederlage eine Katastrophe. Morello Hagun wusste, dass dies seine letzte Schlacht gewesen war, noch einmal würde man ihm die Ehre, Truppen ins Gefecht zu führen, nicht gewähren. Seine Karriere war beendet, aber das spielte keine Rolle. Seine eigentliche Operation konnte er nicht mehr ausführen. Trotz des Sieges, die Menschenlinge waren geflüchtet, war seine Streitmacht dezimiert.

Benk Schepens fühlte sich leer. Seine Seele war in Karrashin gestorben. Sein Gewissen hatte er der Pflicht geopfert. Was er kurz nach der Schlacht noch nicht wusste war, dass er den Rest seines Lebens Schuldgefühle mit sich herumschleppen würde. Die Schuld des Überlebenden. Er lebte, und die Hongkong war eines von zwei Schiffen der Erdflotte, die keinen Treffer abbekommen hatten.

Für Lucas Cunningham gab es noch kein nach der Schlacht. Die Columbia war schwer getroffen und brannte an mehreren Stellen.
Doch tief drinnen atmete er schon mal erleichtert auf. Er lebte noch. Er hatte die richtigen Entscheidungen getroffen und die Schlacht war, wenn schon kein Sieg, so doch vom Sinn her erfolgreich.
13.01.2016 08:59 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
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Tyr

Einige Zeit später, in einem weit, weit entfernten Teil der Galaxis...


Das Kurierschiff war überraschend am Sprungpunkt aufgetaucht und hatte ein Identifikationssignal der obersten Prioritätsstufe abgestrahlt. Die Wirkung war die Gleiche gewesen, als hätte jemand einen schweren Stein in einen stillen Teich geworfen. Die Wogen schlugen ziemlich hoch.
Niemand im Draned-Sektor hatte Zugriff auf diese Prioritätsstufe. Nicht einmal Generalgouverneur Colar Ras, der kommandierende Geheimdienstchef, oder Admiral Taran. Außerdem verfügte keiner von ihnen über eines der seltenen Spezialkurierschiffe. Und das bedeutete, das Schiff konnte nur aus dem Kernimperium kommen. Von Großadmiralin Lay Rian, von Kriegsminister Tobarii Jockham – oder aber dem Imperator selber.
‚Wer auch immer das momentan sein mag.’
Diese Kuriereinheiten kamen üblicherweise nur dann zum Einsatz, wenn es zu riskant schien, eine Botschaft per Funk zu übermitteln. Wenn sie zu komplex und zu wichtig war, um sie einfach dem Weltall anzuvertrauen.
In der Vergangenheit waren diese Schiffe deshalb bei wichtigen diplomatischen Missionen zum Einsatz gekommen, um eine Offensive oder einen Staatstreich vorzubereiten – oder aber in den seltenen aber unvergessenen Fällen, in denen ein führender Beamter oder kaiserlicher Offizier abgesetzt, verbannt, oder aber exekutiert werden sollte. Solche Befehle vertraute der kaiserliche Hof nur ungern den Hyperfunkwellen an. Schon die Tradition und der Brauch geboten einen…würdigeren Rahmen.

Deshalb war Tarans erste Reaktion die gallige Bemerkung gewesen, dass sich die Gouverneure mit der Forderung nach seiner Ablösung wirklich beeilt haben mussten.
Aber es war ein bitterer Scherz gewesen, der sein Misstrauen nicht kaschieren konnte.
Das Kurierschiff erhielt strikte Anweisungen, unverzüglich eine Position direkt zwischen der CHA’KAL und der KAHAL einzunehmen. Was Taran damit klarstellen wollte, war ziemlich eindeutig. Dieses Schiff würde nur auf seine Erlaubnis hin wieder entfernen können.
Sobald der Kurier seinen Fuß an Bord des Trägers setzte, nahm ihn eine Eskorte handverlesener Marineinfanteristen in Empfang, und führte ihn auf direktem Weg zu den abhörsicheren Privatquartieren des Admirals.
Angesichts von Tarans Vorsichtsmaßnahmen, die einem unbedarften Beobachter als ziemlich paranoid erscheinen mochten, war Kapitän Thera Los bereit zu wetten, dass ihr Vorgesetzter bei diesem Treffen eine Panzerweste und einen Minilaser unter seiner Dienstuniform verbarg.
Aber der Kurier hatte Taran nicht abgesetzt. Und schon gar nicht hatte er versucht, ihn zu verhaften oder zu töten. Allerdings fragte sich Thera Los, kurz nachdem Taran sie zu sich zitiert hatte, ob ein solcher Auftrag nicht doch das kleinere Übel für die Kampfgruppe gewesen wäre.

Das reichliche Dutzend Offiziere füllte den Besprechungsraum nur zur Hälfte aus. Taran hielt nichts von Großkonferenzen. Er hatte die Kommandeure der beiden Flottenträger einbestellt, und die neun Befehlshaber der einzelnen Kriegsschiffgeschwader. Dazu kam noch Thera Los in ihrer Funktion als oberste Stabsoffizierin. Und natürlich der Admiral selber. Der Kurier des Akarii-Oberkommando aber glänzte durch Abwesenheit. Das überraschte Thera Los nicht besonders. Offenbar wollte Taran nicht, dass das, was hier besprochen wurde, ungefiltert an Lay Rians Ohren drang.

Inzwischen kannte Thera Los ihren Vorgesetzten gut genug um zu erkennen, dass er nervös war. Vielleicht hatte er sogar Angst. Nicht, dass das besonders offensichtlich gewesen wäre. Für das unkundige Auge strahlte der Admiral ruhiges Selbstbewusstsein und Entschlossenheit aus. Die schmucklose, aber erstklassig geschnittene und sauber gearbeitete Dienstuniform saß makellos, seine Bewegungen, Gesten, seine Stimme und sein Gesichtsausdruck wirkten kontrolliert und beherrscht: „Meine Damen und Herren, wir alle haben in den letzten Tagen von den Siegen unserer Streitkräfte an der konföderierten Front erfahren. Und von der Offensive des Manticore-Verbandes und unser Hauptflotte. Es zeichnet sich ab, dass wir im Zug dieser strategischen Entwicklung die konföderierte Flanke des Imperiums möglicherweise auf Dauer sichern können. Sonderbotschafter…Lord Dero wurde mit der Aushandlung eines Waffenstillstands und, darauf aufbauend, einem dauerhaften Friedensvertrags mit der Konföderation beauftragt. Soviel ich weiß, ist ein entsprechender Vertrag auch bereits unterzeichnet worden. Die Konföderation wird sich für neutral erklären, und ihre beiden größten Träger, die bei der Schlacht um Hannover schwer beschädigt wurden, den imperialen Streitkräfte übergeben. Weitere Kontributionen oder Gebietsabtretungen sind allerdings nicht geplant. Leider hat die TSN sehr schnell und entschlossen auf diese Veränderung der Lage reagiert. Sie haben ein Großteil der Frontlinieneinheiten der Konföderation übernommen, ausgeschaltet oder interniert.“

*******

Die Stimme des Admirals hatte fast ein wenig…konsterniert geklungen, als er den Namen des Unterhändlers genannt hatte. Thera Los konnte Tarans Überraschung allerdings nachvollziehen. Deros Name war in gewissen Kreisen nicht ganz unbekannt. Allerdings war er nicht gerade für seine diplomatischen oder politischen Meriten berühmt. Eher erinnerte man sich an die immer wieder aufflackernden Spekulationen, wie eng seine Beziehung zu Prinzessin Linai WIRKLICH war. Solche Gerüchte interessierten Thera Los natürlich, aber sie sah die ganze Angelegenheit ziemlich pragmatisch. Sie selber hatte ihre Karriere ein paar Mal auf recht…persönliche Art und Weise beschleunigt. Wer wollte ernstlich behaupten, dass der Hofadel über solchen Methoden stand? Sie bestimmt nicht. In den Kreisen des Akarii-Hochadels wurden viele Ehen immer noch von den Eltern und Familieninteressen bestimmt. Man orientierte sich an politischen und finanziellen Vorteilen, statt an so etwas flüchtigem und unzuverlässigem wie der ‚wahren Liebe’. Außereheliche Eskapaden gehörten deshalb vielleicht nicht gerade zum guten Ton, waren aber alles andere als ungewöhnlich. Solange der Schein gewahrt und die Elternschaft etwaiger Erben zweifelsfrei blieb…
Aber da war auch noch Lord Deros etwas ungewöhnliche Militärlaufbahn. Taran hatte Deros Entscheidung, bei der Infanterie zu dienen, als einen Fehler bezeichnet. Schlimmer noch, es sei eine Dummheit gewesen.
Nach Tarans Meinung wäre es klüger von Dero gewesen, überhaupt nicht zu dienen, statt ausgerechnet diesen Weg einzuschlagen und sich bei der Infanterie einzuschreiben.
Der Admiral hatte bei diesen Worten fast bedauernd geklungen, als hätte das in seinen Augen ungeschickte Verhalten Deros ihn persönlich betrübt. Etwa so, wie man das berufliche Scheitern eines alten Klassenkameraden zur Kenntnis nahm.
Thera Los fragte sich kurz, ob Taran einen persönlichen Grund hatte, sich für Deros Werdegang zu interessieren. Das Beziehungsgeflecht des alten Adels waren so undurchdringlich und ausgedehnt wie die Dschungel von T’rr. Und auch nicht wesentlich ungefährlicher. Taran war etwa zeitgleich mit Dero und Linai am kaiserlichen Hof aufgewachsen. Beide Männer gehörten zum Hochadel. Es war recht wahrscheinlich, dass sie sich kannten.
Die junge Offizierin begriff auch sehr gut, was ihren Vorgesetzten zu seinem Urteil über Deros Militärlaufbahn veranlasst hatte. Ein Admiral oder General konnte einen Unteroffizier wohl nur sehr schwer für voll nehmen. Und auch bei der Zivilverwaltung würde Dero mit seinem Dienstgrad kaum punkten können. Mancher Beamte oder Offizier mochte ihn sogar für kleingeistig und antriebsschwach halten, oder gar für zu mittelmäßig für eine ambitionierte Karriere. Gerade am kaiserlichen Hof kam es vor allem auch auf den SCHEIN an. Und auf die Tradition. Der Dienst bei der Infanterie – als Unteroffizier – entsprach weder dem einen, noch dem anderen.

Andere adlige Offiziere und Mitglieder der alten Familien, deren Kinder traditionell hohe Ränge in Armee, Flotte und Administration anstrebten, sahen Deros Werdegang vermutlich ebenfalls mit sehr gemischten Gefühlen, je nach dem, wie sie zu Deros Familie und zu Prinzessin Linai standen.
Im Adel und am kaiserlichen Hof konnte eine Geste, eine Andeutung, eine ansonsten unbedeutende Handlung eine Herausforderung darstellen, eine Beleidigung – oder einen komplizierten Schachzug in einer verborgenen Intrige oder Fehde. Wollte Dero mit seiner Absage an die übliche Ämterlaufbahn, an das Ringen um Hofämter, militärische Ehren und kaiserliche Gunstbeweise etwa andere Adelsfamilien beleidigen? Sich hochmütig außerhalb des üblichen Reglements und der Tradition stellen? Und hatte er das etwa getan, weil er sich seines Einfluss in höchsten Kreisen absolut sicher sein konnte? Wie weit ging dann dieser Einfluss? Wenn militärische Ehren und ein hohes Amt in der Verwaltung offenbar nicht sein vordringliches Ziel waren – welche Ambitionen hatte er dann? Und so weiter…

*******

Wor Matir schnaubte abfällig: „Interniert? Jede Wette, die verdammten Glatthäute betreiben ein doppeltes Spiel. Sollte mich nicht wundern, wenn die Konföderierten geschlossen zur TSN überwechseln. Und währenddessen kann Hannover dann gute Miene machen, seine Wunden lecken, und wieder aufrüsten um ‚seine Verluste zu ersetzen’. Bah!
Und was diesen Friedensvertrag angeht…das soll alles sein? Damit will Dero einen jahrelangen Krieg, blutige Verluste und unseren ersten richtigen Sieg seit Jahren krönen? Sind wir SO knapp an erfahrenen Unterhändlern? Müssen wir die wichtigste diplomatische Mission seit dem Beginn des Krieges diesem…diesem Gefreiten überlassen, der soviel Ahnung von der interstellaren Politik hat, wie ich von der neusten Frühjahrsmode?“
Taran lächelte frostig. Immerhin verdankte auch er seine Karriere nicht zuletzt seiner Herkunft und den Beziehungen seiner Familie: „Vielleicht können Sie uns da noch überraschen, Matir. Ich denke, dieser Vertrag war das Beste, was wir in der zur Verfügung stehenden Zeit und angesichts der Kräfteverhältnisse an der konföderierten Front erwarten konnten. Der Sieg über Hannover würde uns nichts nützen, wenn uns die Vierte Flotte in den Rücken gefallen wäre. Diese Sache mit der konföderierten Flotte ist…ärgerlich. Aber die TSN wird mit ihrer Beute noch eine ganze Weile beschäftigt sein. Ich glaube nicht, dass sie sofort die nötigen Männer haben, um die übernommenen Schiffe zu bemannen UND gegen unsere Streitkräfte über Hannover in die Offensive zu gehen.
Außerdem unterschätzen Sie Dero. Immerhin, unser junger Lord scheint die Güter seiner Familie sehr klug verwaltet zu haben. Und er hat beste Kontakte zu Adel, Verwaltung und auch zu vielen Militärs.“
„Mmpf. Sie meinen, er hat sich gemeinsam mit ihnen oder ihren jüngeren Sprösslingen betrunken. Die Verwaltung seiner Ländereien hat er vermutlich den Leuten überlassen, die seine Eltern für ihn ausgesucht haben. Diese jungen Adligen sind doch alle gleich…“
Taran warf Matir einen warnenden Blick zu, hielt sich aber noch zurück: „ Prinzessin Linai glaubt offenbar, ihm trauen zu können. Und der Erfolg hat ihr Recht gegeben. Vergessen Sie nicht, Dero und unsere geliebte Prinzessin sind alte Bekannte. Schon seit ihrer Kindheit.“
„Sandkasten- oder Kopfkissenfreunde?“
„Matir, jetzt gehen Sie zu weit. Sie reden immerhin von einer kaiserlichen Prinzessin und einem imperialen Lord. Ein bisschen mehr Zurückhaltung wäre angemessen.“
„Wie auch immer seine…Qualitäten sind, die Flotte hätte bei den Verhandlungen ein stärkeres Mitspracherecht haben sollen. WIR hätten es sein sollen, die die konföderierten Schiffe internieren. Müssen wir immer wieder zusehen, wie unsere Siege am Verhandlungstisch so billig verspielt werden, bloß weil Linai ihrem…Freund diese Mission zuschanzen musste?!“
„Ich sagte es bereits einmal. Mit Ihren Spekulationen sollten Sie besser etwas vorsichtiger sein. Sogar hier. Und wir brauchten diesen Frieden. Wir brauchten ihn jetzt, solange die Lage im Fluss, und die TSN überrascht ist. Wenn der Krieg an der konföderierten Front weitergegangen wäre, dann hätte das nur dem Gegner genützt.“

Kapitän Lukat lächelte kurz: „Ungeachtet Ihrer Ressentiments sollten Sie Dero beglückwünschen, Matir. Wenn der Frieden hält, hat er eine Front liquidiert, an der wir im Augenblick hoffnungslos in der Unterzahl wären. Und wer weiß? Wenn der Mann tatsächlich einen akzeptablen Frieden ausgehandelt hat, und die Vierte Flotte nicht unsere geschwächten Verbände über Hannover in Fetzen reißt… Dann sollten wir vielleicht darum ersuchen, dass man diesen Mann in den Draned-Sektor versetzt. Möglicherweise kann er dann auch unsere Verhandlungen mit den rebellischen Kolonialvölkern übernehmen.“
Jetzt war es Taran, der kurz schnaubte: „Und am Besten auch noch die Separatisten dazu überreden, klein beizugeben? Nun ja, wir werden sehen…“
In Wirklichkeit hatte er nicht die Absicht, eine derartige Anfrage abzuschicken. Wenn es etwas gab, was er nicht gebrauchen konnte, dann einen Sonderbotschafter mit Sondervollmachten, der zudem noch das Ohr der Regentin besaß. ‚Nur das Ohr?’ Taran schob diese Überlegung beiseite: „Jedenfalls haben wir wohl Wichtigeres zu tun, als den Hofklatsch durchzugehen.“
„Von mir aus. Werden wir also konkret. Was bedeutet es für uns, wenn dieser Freizeitdiplomat tatsächlich einen dauerhaften Erfolg erzielt hat? Werden unsere Freunde im Kernimperium endlich eine Offensive starten, um die Verbindung zum Draned-Sektor wiederherzustellen und dauerhaft zu sichern? Oder erhalten wir vielleicht Verstärkung? Zum Beispiel die Träger und Kriegsschiffe, die an der Front zur Konföderationsfront frei werden? Es sind wenig genug übrig geblieben. Jemand hätte den Admirälen dort unten einmal klar machen müssen, was die Menschen unter einem Pyrrhussieg verstehen. Aber wir könnten ein, zwei Träger und ein paar Kreuzer- und Zerstörer-Divisionen sehr gut gebrauchen.“

Taran presste kurz die Lippen zusammen. Das hatte wohl kommen müssen: „Leider wird es weder eine Offensive gegen den terranischen Korridor geben, noch eine Verlagerung von Flottenträgern in den Draned-Sektor. Auch wenn ich entsprechende Vorschläge nachdrücklich mit weitestgehender Unterstützung des Generalgouverneurs an das Kriegsministerium und die Oberkommandierende weiterleiten werde. Aber um solche Forderungen zu stellen…“, er hatte bewusst dieses Wort gewählt. Als Kommandeur eines ganzen Sektors, der so sehr sich selbst überlassen worden war, konnte und wollte er nicht einfach nur um etwas bitten, was er und seine Untergebenen als nahe liegend, notwendig, ja selbstverständlich ansahen: „…müssen wir erst einmal beweisen, dass wir einer solchen Unterstützung würdig sind. Das Oberkommando starrt wie gebannt auf andere Kriegsschauplätze. Dorthin, wo endlich wieder Siege errungen werden. Die Belange und Bedürfnisse des Draned-Sektors erscheinen da zweitrangig.“
„Wir erinnern sie zu sehr an Jors Niederlage, wollen Sie sagen?! An die verdammten T’rr und diesen verfluchten, endlosen Kolonialkrieg.“
Lukat lachte jäh auf: „Wenn die konföderierten Träger, die Dero für das Imperium beansprucht, noch einsatzfähig sein sollten, dann sollten wir vielleicht beantragen, dass sie an uns überstellt werden. Wir können nicht wählerisch sein. Und wir würden sie wahrscheinlich schneller erhalten und wieder gefechtsbereit machen können, als das Oberkommando uns einen RICHTIGEN Flottenträger zukommen lässt.“
„Wahrscheinlich haben Sie Recht, Lukat. Man hat uns nicht zum ersten Mal vergessen. Ich werde ein entsprechendes Ersuchen weiterleiten. Wenn diese Beuteschiffe die einzige Möglichkeit sind, an weitere Großträger zu bekommen, dann werden wir diese Chance nutzen. Und wenn wir die Schiffe dazu kapern müssen.“

Kapitän Gelek, der Befehlshaber eines Zerstörer-Geschwaders, schien ganz andere Sorgen zu haben. Der alternde, sehr traditionalistische Offizier war ein guter Soldat, der in zahllosen Schlachten seinen Mann gestanden hatte. Jetzt allerdings sah er aus, als hätte er ein offenes Magengeschwür. Seine Stimme schwankte: „Aber was will das Oberkommando denn dann von uns? Verlangen sie etwa, dass wir mit den Separatisten abrechnen?“ Die Aussicht, gegen andere Akarii zu kämpfen, war unangenehm genug, um nicht nur Gelek Übelkeit zu bereiten. Damit hatte er vielmehr ein sehr heißes Eisen angefasst, das selbst Taran am liebsten vergaß, wenn es ihn nicht wieder einmal zur Weißglut trieb. Die in seinen Augen größenwahnsinnigen oder egozentrischen Eskapaden der Handvoll von Systemkommandeuren und Gouverneuren, die unter dem Begriff ‚Separatisten’ zusammengefasst wurden, gefährdeten schließlich nicht nur die Struktur und Integrität des Imperiums. Sie waren auch ein Schlag in das Gesicht des Oberbefehlshabers des Draned-Sektors.
„Es wäre mir ein inneres Herzensanliegen, jeden dieser verdammten Verräter aus seiner Deckung zu sprengen und vor die Läufe eines Exekutionskommandos zu zerren. Aber dazu haben wir zwar die Kompetenz, doch weder die Zeit, noch die Ressourcen. Laut offizieller Lesart des Kriegs- und des Innenministeriums gibt es keine Separatisten. Verstehen Sie?“ Bei den letzten Worten klang Tarans Stimme ziemlich angestrengt. Offensichtlich war er anderer Ansicht als seine Vorgesetzten.

Kapitän Lukat war normalerweise von ruhigem, ausgeglichenem Naturell. Aber auch er hatte an der Entscheidung der Ministerien sichtlich zu kauen: „Meinen die das ernst? Ein halbes Dutzend Systeme ignorieren unsere Befehle oder verweigern sie sogar ganz offen! Sie zahlen keine Steuern und haben die Waffen-, Rohstoff- und Nachschubslieferungen eingestellt! Fast ein Dutzend kleinerer Kriegschiffe und mindestens zwei Dutzend Hilfskreuzer haben sich von Schiffen des Imperiums in so etwas wie…wie Privatflotten verwandelt! Und dazu kommen Raumstationen, bodengestützte Kampffliegerverbände, und Bodentruppen in der Stärke mehrerer Armeekorps. Am Boden und im Raum ist bereits zu ersten Zusammenstößen zwischen loyalen Verbänden und diesen Verrätern gekommen. Ich rede jetzt nicht von irgendwelchen Raufereien oder Drohgesten. Es hat Tote gegeben! Unter anderen Umständen…“
„Hätte man diese Hunde bereits lebendig gekreuzigt oder an die Hüllen unserer Schiffe geschweißt? Ich weiß, Lukat. Aber dies sind keine normalen Zeiten. Die Separatisten sind wenigstens nicht einig, sie gehen nicht koordiniert vor. Dazu sind sie gar nicht fähig. Jeder dieser Verräter denkt nur an sein eigenes System, sein eigenes kleines Reich. Wenn es nicht so tragisch und widerwärtig wäre, dann wäre es einfach nur grotesk. Aber wir müssen zuerst die Gefahr loswerden, die direkt auf das Herz des Imperiums zielt. Dann können wir dieses Geschwür ausbrennen.“
Allerdings kam es Thera Los so vor, als wollte Taran sich mit seinen markigen Worten auch selber überzeugen. Soviel sie wusste, nahm er die Bedrohung durch die Separatisten ernst. Sogar verdammt ernst. Kein Wunder, drohten deren Intrigen und Ambitionen doch seine Machtstellung und seine Politik der Pazifizierung des Draned-Sektors zu untergraben.

Wor Matir musterte den Admiral etwas misstrauisch: „Aber wenn Lay Rian und die kaiserlichen Minister geruhen, huldvoll über einen Haufen Hochverräter und Rebellen hinweg zu sehen, was wollen sie dann von uns? Die Großadmiralin hat doch wohl kaum ein Kurierschiff geschickt, nur um zu befehlen, dass wir weiter Gewehr bei Fuß stehen.“
Vielleicht zögerte Taran kurz mit seiner Antwort. Richtete sich etwas gerader auf. Seine Stimme aber blieb ruhig und beherrscht: „Sie haben Recht. Die Großadmiralin hat befohlen, dass die Streitkräfte des Draned-Sektors einen Vorstoß auf republikanisches Gebiet durchführen.“
Matir schnaubte kurz: „Dem alten Drachen reichen offensive Minenunternehmen und schnelle Erkundungsvorstöße in Divisionsstärke also nicht mehr aus? Was glaubt sie eigentlich, mit was für Verbänden wir hier stehen? Selbst in Friedenszeiten wären unsere Streitkräfte zu schwach, um den Sektor zuverlässig zu sichern. Jetzt sind wir im Krieg, an unseren Flanken nagen die Separatisten, die Rebellen – und sogar ein paar verdammte PIRATEN. Und dann gibt es noch solch unbedeutende Kleinigkeiten wie die TSN, die uns vom Imperium abgeschnitten hat.
Wenn der alte Drachen jetzt nur nicht zu zuversichtlich wird. Bloß weil die Konföderation einknickt, wird die TSN wohl kaum die Beine in die Luft strecken und sich widerstandslos die Kehle durchschneiden lassen. Und langsam dürfte sich die Republik von ihrer Überraschung darüber erholt haben, dass wir auch einmal zurückschlagen können. Welches Ziel schwebt Lay Rian vor? Und mit wie vielen Schiffen sollen wir losschlagen?“
13.01.2016 09:00 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Tyr

Als sei das sein Stichwort gewesen, aktivierte Admiral die fest im Konferenztisch installierte Wiedergabeeinheit. Mit einem leisen Summen materialisierte sich das dreidimensionale Bild eines Sonnensystems vor den Augen der Offiziere: „Nun, offen gesagt mit allen Schiffen. Und das ist unser Ziel. Die Codebezeichnung lautet Parrak.“

Ein paar Augenblicke herrschte so etwas wie schockiertes Schweigen. Und dann, natürlich, explodierte Kapitän Wor Matir: „WAS?! Das kann doch nicht Ihr Ernst sein?! Der alte Drachen muss verrückt geworden sein! Das ist doch Wahnsinn!!“
Tarans Stimme klang hart: „Das sind die Befehle der Oberbefehlshaberin, Matir.“
„BAH! Eine Frau spielt den Kronprinzen, ein Playboy den Sonderbotschafter, ein Gelehrter den Kriegsminister, und ein altes, abgeschobenes Fossil wird Großadmiralin! Ich habe es so satt, dass…“
„Das reicht jetzt, Matir.“ Tarans Stimme klang scharf. Vielleicht erinnerte er sich daran, dass auch er von Prinz Jor abgeschoben worden war. Oder er wollte nicht, dass jetzt auch der Trägerkapitän sich verbale Freiheiten herausnahm, die sich gefährlich nahe am Tatbestand des Hochverrats bewegten: „Ich verstehe Ihre Bedenken, aber unser Auftrag steht nicht zur Debatte. Wir sind keine Separatisten. Wir befolgen unsere Befehle.“

***

Damit war Admiral Taran allerdings nicht ganz ehrlich. Für ein paar Augenblicke hatte er tatsächlich erwogen, den Befehl einfach zu ignorieren. Und solche Gedanken waren ihm auch schon früher gekommen. Immerhin hatte die Zentrale bisher herzlich wenig für den Draned-Sektor getan, sah man von Worten ab. Er kannte die Geschichte des Akarii-Imperiums. Schon in der mythischen Vergangenheit, als das Reich noch auf einen einzigen Planeten, einen Kontinent beschränkt gewesen war, hatte es immer wieder Gouverneure, Feldherren und Prinzen gegeben, die Armeen und ganze Provinzen in die Rebellion führten. Die meisten waren blutig gescheitert – aber einige waren dabei unsterblich geworden. Und andere hatten tatsächlich gewonnen, hatten die Macht errungen, und durch kluge Politik und Heiraten dafür gesorgt, dass ihr Blut an die späteren Dynastien weitergegeben wurde.
Aber am Ende hatten doch Tarans Loyalität und Klugheit die Oberhand gewonnen. Ihm fehlten der Ehrgeiz und der Größenwahn, um ernsthaft darauf zu hoffen, selber den kaiserlichen Thron besteigen zu können. Es gab zu viele andere Thronprätendenten. Kein anderes Ziel aber hätte das Risiko einer Rebellion gerechtfertigt. ‚Eher wird Linai Kaiserin!’
Und ohne die Legitimität, die ihm die Verbindung zum Restimperium gab, würde er nicht viel mehr sein, als ein weiterer Separatist. Ein Putschist. Seine Pläne für eine Befriedung des Draned-Sektors konnte er dann getrost vergessen. Dann wäre der offene, sektorenweite Bürgerkrieg nicht mehr aufzuhalten. Es wäre mehr als unwahrscheinlich, dass er im Fall einer Sezession seine Flotte würde zusammenhalten können. Oder die Gouverneure, die ohnehin nur zähneknirschend seine Vorrangstellung akzeptierten. Das kaiserliche Blut in seinen Adern war dafür einfach zu dünn. ‚Ich hätte nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn ein anderer Putschist den Thron usurpieren würde. Aber dann…dann wäre ich ja auch kein Putschist mehr. Sondern ein Loyalist.’ Bei dem Gedanken hätte Taran beinahe gelacht.

Außerdem dachte der Admiral weiter, als es die Separatisten taten. Mochten sie auch momentan ziemlich uneingeschränkt ihre Kleinkönig-Attitüden ausleben können, sie hatten keine Zukunft. Wie auch der Krieg ausging, sie würden sich dem Sieger unterwerfen müssen. Und jeder Friedensschluss, der nicht die totale Niederlage und den Zerfall des Imperiums bedeutete, oder in dem die Republik eine Bestandsgarantie für sie übernahm, würde die Verräter der erbarmungslosen Vergeltung durch die imperialen Streitkräfte aussetzen. Gegenüber rebellischen Kolonialvölkern mochte man vielleicht einmal Gnade walten lassen. Aber gegenüber Akarii, die Hochverrat begangen hatten?
Die Separatisten würden deshalb auf den Zerfall des Imperiums hoffen, sich der TSN andienen, oder sich einer sehr kurzen Lebensdauer gegenwärtig sein müssen. Keine der Alternativen waren für Taran sehr verlockend. Da setzte er lieber auf die vielleicht ein wenig überambitionierten Pläne der Großadmiralin. Und hoffte, dass keiner der Thronprätendenten in ihm eine zu große Bedrohung sah.

***

„Aber wir haben weder die Flottenstärke, noch ausreichend frei verfügbare Bodentruppen, um dieses System zu erobern und halten!“
„Sie haben Recht, Matir. Doch das ist auch gar nicht unsere Aufgabe. Wir werden nicht landen. Unser Auftrag wird vielmehr sein, einen schnell und energisch geführten Vorstoß durchzuführen, und maximale Verwüstung anzurichten. Der Gegner soll an eine Invasion, an die drohende totale Vernichtung von Parrak GLAUBEN. Sobald er dann seine Verbände umgruppiert und Verstärkung schickt, werden wir ganz einfach verschwinden, wie ein Schatten im Sonnenlicht.“
Matir war hitzig, und es mangelte ihm gegenüber Höhergestellten häufig an dem nötigen Respekt. Aber er war nicht dumm: „Also sind wir nur ein KÖDER! Eine verdammte Ablenkung. Wir sollen uns schlachten lassen, damit Lay Rian Zeit hat, die Große Armada zu zerschlagen. Ist das alles, was das Oberkommando in uns sieht? Ein Blutopfer auf dem Altar von Lay Rians Größenwahn?!“
Jetzt wurde auch Taran laut: „Möglicherweise wird das unser Schicksal sein. Vielleicht werden wir dieses Opfer bringen müssen. Aber solange wir dadurch diesem Krieg die entscheidende Wende geben können, solange lohnt es sich, um dieses System zu kämpfen!
Überlegen Sie doch, Matir! Der Feind ist geschwächt! Die Menschen sind verunsichert, ihr Vormarsch aus dem Takt geraten. Nach Jors Tod glaubten sie den Sieg zum Greifen nahe. Unsere Gegenoffensiven haben sie völlig überrascht. Ihre Flotten sind denkbar schlecht aufgestellt, um schnell koordinierte Gegenschläge durchzuführen. Momentan haben wir die Initiative. Noch. Geschwindigkeit ist für uns also überlebenswichtig. Wir dürfen den Menschen keine Zeit geben, sich umzugruppieren, sich taktisch und psychologisch auf die neue Situation einzustellen. Vielmehr müssen wir schnell und energisch nachstoßen, den Gegner nicht zur Ruhe kommen lassen.“

„Wir dürfen aber auch nicht in blinden Aktionismus verfallen. Bei dem Griff nach den Sternen die Risse unter unseren Füßen vergessen.“, schaltete sich Rinat Lukat ein: „Wenn der Gegner sich doch noch fängt, wenn er in die Gegenoffensive übergeht, wenn er zum Beispiel rechtzeitig die Vierte Flotte in den Kampf werfen kann…
Lay Rian hat alle Steine auf das Spielfeld gelegt. Die Flottenverbände an der konföderierten Front, den Manticore-Verband, die Hauptflotte, und jetzt auch noch die Rikata-Kampfgruppe…
An der Konföderationsfront haben wir jetzt vielleicht Ruhe – aber dafür ist auch kaum etwas übrig geblieben von unseren Streitkräften. Gelingt es dem Gegner jetzt noch, eine der anderen Figuren vom Brett zu nehmen…
Dann verlieren wir Manticore. Wir verlieren den Draned Sektor. Oder wir verlieren den ganzen verdammten Krieg. Wir können uns auch zu Tode siegen.“
„Glauben Sie denn, das weiß ich nicht, Lukat?“ Admiral Tarans Stimme klang fast gequält.

Zumindest Thera Los wusste, dass Lay Rians Alles-oder-Nichts-Strategie ganz und gar nicht den Vorstellungen entsprach, nach denen Taran den Krieg hatte weiterführen wollen. Die Suche nach Entscheidungsschlachten und großen Siegen erschien ihm zu riskant angesichts der gewachsenen Stärke des Gegners und der schwankenden Moral der imperialen Streitkräfte. Viel lieber hätte er das immer noch überlegene Produktions- und Mannschaftspotential des Imperiums genutzt, um den Feind in einem langwierigen, weniger ambitionierten Abnützungskrieg aufzureiben. Taran wollte den Gegner dort treffen, wo er schwach war, die Überdehnung der TSN ausnutzen – solange, bis die Kosten des Krieges die versprochenen Gewinne überstiegen. Schnelle Vorstöße, offensive und defensive Minenoperationen, Hinterhalte, bewegliche, Schwerpunkte bildende Verteidigungsoperationen in vertrautem Gebiet – das war Tarans Strategie.

Aber das stand jetzt nicht mehr zur Debatte: „Doch wenn Lay Rians Plan aufgeht…dann können wir diesen Krieg GEWINNEN. Den Rückzug umkehren. Dann kann das der Wendepunkt werden.“
Matir sah aus, als wollte er ausspucken: „Gut möglich, dass wir den Draned-Sektor so oder so verlieren. Vergessen Sie nicht, wir haben den Großteil dieser Flotte nur dadurch zusammenbekommen, dass wir den Gouverneuren und Systemkommandeuren versprochen haben, die Schiffe für die Verteidigung des Sektors einsetzen. Für die Defensive, nicht für einen Angriff.“
„Wir legen ganz einfach den Begriff ‚offensive Verteidigung’ etwas weiter aus. Und wenn Lay Rians Offensive gelingt, dann können wir den Sektor ohnehin weitaus besser sichern, als es uns mit den zur Verfügung stehenden Mitteln je möglich gewesen wäre. Machen wir uns doch nichts vor. Gegen jede feindliche Flotte, die aus mehr als zwei Trägerkampfgruppen besteht, hätten wir auf verlorenem Posten gestanden.“
„Das hat früher aber ganz anders geklungen. Wollen Sie das wirklich Gouverneur Maran oder Generalgouverneur Ras sagen, bevor Sie das gesamte bewegliche Offensiv- und Defensivpotential des Sektors hinter die feindlichen Linien führen?“
„Natürlich nicht. Dann könnte ich mich ja gleich offiziell bei den Menschen ankündigen. Ich werde sie erst informieren, NACHDEM wir aufgebrochen sind. Am besten ein paar Stunden, nachdem wir Parrak erreicht haben.“
Jetzt musste Matir doch lachen, auch wenn es etwas gallig wirkte: „Die WERDEN toben. Fürchten Sie nicht, dass die Gouverneure dann irgendjemanden Ihr Amt geben, der ihnen genehmer ist?“
Taran zuckte verächtlich mit den Schultern: „Wem denn? Und mit welchen Schiffen soll der Mann operieren? Nein, das wäre ihnen zu riskant. Immerhin müssen sie damit rechnen, dass ich doch eines Tages zurückkomme. Dem Generalgouverneur fehlen der nötige Biss und die Risikobereitschaft, diesen Schritt zu wagen. Nicht ohne den nötigen Rückhalt von der Hauptwelt. Und sollte ein Gouverneur oder irgendein Systemkommandeur dennoch einen Putsch wagen…“, Taran fletschte die Zähne, „…dann reiße ich ihm eigenhändig das Herz aus dem Leib.“

„Bevor wir uns darüber Sorgen machen, gibt es doch wohl näher liegende Probleme. Die Menschen werden nicht gerade in Ohnmacht fallen, wenn zwei Flottenträger und ein paar Dutzend Begleitschiffe bei Parrak aus dem Hyperraum springen.“
„Hätte die Großadmiralin verlangt, dass wir alleine mit der Rikata-Kampfgruppe diese Operation durchführen, dann hätte ich mich vielleicht tatsächlich für die Meuterei entschieden. Aber Rian ist nicht dumm. Wir bekommen Verstärkung.“
„Verstärkung? Wie viel? Einen neuen Träger?“
„Nicht ganz. Aber wir erhalten den Flugdeckkreuzer KALLEH und ein umgebautes Schlachtschiff. Die Bewaffnung des Schachtschiffes wurde entfernt, die Panzerung verstärkt, und ein Großteil der Innenräume mit Plaststahlbeton ausgegossen. Ihre Antriebs- und Radarsignatur entsprechen jetzt weitestgehend dem eines schweren Trägers.“
„Soll das ein Witz sein?! Ein Flugdeckkreuzer und eine aufgepumpte Selbstfahrzielscheibe? Ist es DAS, was Lay Rian unter Verstärkung versteht?!“
Auch Taran zeigte jetzt Nerven: „Sehen Sie mich etwa lachen, Matir? Auch ich hätte gerne ein oder zwei Trägerkampfgruppen zusätzlich erhalten! Aber ich habe sie nun einmal nicht! Sie sollten sich besser überlegen, wie wir aus dem Vorhandenen das Beste machen können, als der guten alten Zeit nachzutrauern! Falls Sie es noch nicht bemerkt haben, wir stehen mit dem Rücken zur Wand!“ Angesichts dieses Ausbruchs hielt sogar der streitbare Kapitän es für angebracht, einen etwas ruhigeren Ton anzuschlagen: „Aber warum haben sie das Ding nicht zum Träger umgerüstet? Oder wenigstens mit Raketenwerfern und Geschützbatterien ausgestattet? Bei Jollahran haben die Schlachtschiffe damit beachtliche Erfolge erzielt. Bevor sie zusammengeschossen wurden.“
„Zu wenig Zeit. Zu wenige Großschiffswerften. Zu viele beschädigte oder verlorene Träger. Sonst kann ich mir keine andere Erklärung vorstellen. Ich wäre dankbar für jedes Schiff, das mehr als drei Staffeln tragen und in einer Gefechtslinie kämpfen kann. Hoffen wir einfach, dass wir beim Gegner zumindest den EINDRUCK einer tödlichen Bedrohung erwecken können. Denken Sie daran, zwei Flottenträger sind eine Kampfgruppe, drei ein Invasionsverband. Und mit den Maschinen auf unseren Hilfs- und Kreuzerträgern können wir ungefähr dieselbe Zahl Kampfflieger mobilisieren, wie mit einem weiteren ECHTEN Träger. Außerdem bekommen wir noch weitere Verstärkung. Zuerst einmal ein Geschwader schwere, und zwei Geschwader leichte Kreuzer. Damit können wir unsere Kreuzerverbände de facto verdoppeln.“
„Aber nur, weil wir sowieso nicht allzu viele haben. Was sonst noch?“
„Drei Geschwader Zerstörer, dazu einige Fregatten. Und zwei der neuen Schnellbootmutterschiffe.“
„Diese Bastardschiffe sind doch noch völlig unerprobt.“, winkte Matir ab. Die Bezeichnung ‚Bastard’ bezog sich auf die Tatsache, dass diese auf den Sturm- und Langstreckenfähren basierenden Kampfeinheiten von Ingenieuren der Flotte UND des Heeres entwickelt worden waren.
„Dann wird der Feind nicht mit ihnen rechnen.“
„Mir persönlich wäre es ja lieber, wenn man diese ‚Mutterschiffe’ zu Hilfsträgern umgerüstet hätte. Diese ehemaligen Truppentransporter haben immerhin fast die halbe Tonnage eines Flottenträgers.“
„Mir auch. Angeblich hat man sogar schon mit den ersten zwei Versuchs-Umbauten begonnen. Aber die Umrüstung zum Träger ist zeitaufwendig. Und wir haben nur wenige Werften für Schiffe dieser Größe. Die Umrüstung zu Schnellbootmutterschiffen hingegen kostet wenig Zeit oder Liegeplätze. Die Hangars für Sturmfähren sind ja bereits vorhanden. In den Laderäumen können Marschflugkörper, Minen und Ersatzteile gelagert werden. Wahrscheinlich können wir sogar hier im Draned-Sektor einige Truppentransporter zu Schnellbootträgern umrüsten.“
„Und die Mannschaftsquartiere der Mutterschiffe können wir für unsere Kriegsgefangenen nutzen.“ Das Gelächter, das diese bissige Äußerung Matirs hervorrief, war bitter gefärbt. Es war lange her, dass eine Akarii-Flotte Gefangene in größerer Zahl eingebracht hatte.

„Das macht dann also...“, fragte Kapitän Lukat. Taran wandte sich halb zu Thera Los um, die die entsprechenden Zahlen sofort parat hatte: „Trägereinheiten: Flottenträger KAHAL und CHA’KAL, Flugdeckkreuzer ELIAK VIII und KALLEH, die Hilfsträger NAHIL KOO, TORVA RAT und KORAX II. Und natürlich der Pseudoträger GIBIT.“, sie schnaubte kurz, „…wenigstens haben sie auf der Zentralwelt noch nicht ihren Sinn für Humor verloren.“
Der Gibit war eine Sagengestalt. Ein boshafter Kobold, der Leichtgläubige mit Trugbildern narrte.
„Aber dafür vielleicht ihren Realitätssinn.“ Matir war noch immer nicht besänftigt: „Und ansonsten?“
„Kreuzer: zehn schwere und sechzehn leichte Einheiten. Zerstörer: vierundvierzig. Fregatten: zwölf. Korvetten: acht. Sechs Zerstörer, sechs Fregatten und vier Korvetten sind als Flugabwehrschiffe ausgerüstet.“
„Ich dachte, wir hätten mehr Fregatten und Korvetten.“
Taran lächelte grimmig: „Vergessen Sie nicht, dass ich den Systemkommandeuren manchmal etwas im Ausgleich für ihre Zerstörer und Kreuzer geben musste.“ Erneut flackerte gedämpftes Lachen auf. Die Art und Weise, wie der Admiral Korvetten und Fregatten gegen Zerstörer und sogar Kreuzer ‚getauscht’ hatte, hatte ihn bei den betroffenen Systembefehlshabern nicht gerade beliebt gemacht.
„Dazu kommen die Mutterschiffe mit vierundzwanzig Schnell- und acht Kanonenbooten. Und unsere Minen-/Minenräumdivision. Zwei Minenräumschiffe und zwei zu Minenlegern umgebaute Transporter.“

„Das ist nicht gerade üppig für einen vorgeblichen Invasionsverband.“
„Denken Sie daran, wir wollen das System nicht erobern. Wir müssen es nur glaubwürdig bedrohen. Dem Feind Schäden und Verluste zufügen ist nicht unsere Hauptaufgabe. Entscheidend ist, dass die TSN ihre Reserven gegen uns in Marsch setzt. Dass sie wie hypnotisiert auf diese Gefahr in ihrem Rücken starrt, und nicht bemerkt, wie Großadmiral Rian die Schlinge zuzieht. Die Tatsache, dass wir keinen expliziten Invasions- oder Vernichtungsauftrag haben, gibt uns etwas Spielraum. Wir werden nicht wie unsere Kameraden an der Konföderationsfront mit dem Kopf durch die Wand gehen müssen. Wir haben innerhalb des Parrak-Systems die operative Freiheit. Und wir werden sie nutzen. Ich gedenke nicht, mich dem Feind zu seinen Bedingungen zu stellen.“
„Hoffentlich hat sich unsere neue Großadmiralin nicht zuviel vorgenommen. Sie hat vier Kampfgruppen – VIER – in Marsch gesetzt, die alle weitestgehend auf sich alleine gestellt operieren. Und dennoch muss ihr Vorgehen, der jeweilige operative Erfolg, letztendlich ineinander greifen, wie die Zahnräder einer Maschine. Wie viele Träger hat sie dafür insgesamt in Marsch gesetzt – ein Dutzend?! Das ist…“
„Es ist ein verdammtes Wunder. Unsere Manticore-Offensive brauchte ein Jahr Vorbereitung. Und die war nicht so groß wie das hier.“
Taran sprach es nicht aus, aber sie alle fragten sich, ob Lay Rian nach ihrer Rückkehr aus dem Exil bereits realisiert hatte, dass die imperiale Flotte nicht mehr die selbe war, wie zu Beginn des Krieges. Der Blutzoll der letzten Jahre war mörderisch gewesen. Und noch schlimmer als die physischen waren die psychologischen Verluste gewesen. Der Verlust an Selbstvertrauen und Kampfgeist. Ob der Sieg gegen die Konföderation ausreichte, um Jahre voller Niederlagen und Rückzügen auszulöschen…

„Sie wollen das also wirklich durchziehen.“ Es war keine Frage, aber der Admiral antwortete trotzdem: „Haben wir denn eine andere Wahl? Wenn so viel auf dem Spiel steht? Und ich will nicht der Befehlshaber sein, der den Draned-Sektor in den Aufstand führt. Ich habe mir immer vorgestellt, in einer anderen Rolle in die Geschichtsbücher einzugehen.“ Taran lächelte bei diesen Worten ironisch, aber er meinte das durchaus ernst. Wenn er seinen Auftrag erfüllte …
Dann war ihm die ersehnte Beförderung zum Admiral sicher. Dann würde endlich der Makel seiner Versetzung in diesen entlegenen Raumsektor getilgt sein. Dann würde er sich endlich gegen die TSN beweisen können, statt nur im Kampf gegen Piraten, Schmuggler, Rebellen und – im schlimmsten Fall – Separatisten. Dann wäre er seinem großen Ziel – dem Rang des Großadmirals – einen gewaltigen Schritt näher gekommen.
Nach diesem Sieg würde kein Gouverneur oder Systemkommandeur es mehr wagen, seine Position als Befehlshaber des Draned-Sektor anzuzweifeln. Dann würde er die Autorität haben, seine Befriedungsstrategie durchzusetzen. Und er würde auch die Autorität haben, weitere Verstärkung für seine Kampfgruppe einzufordern. Nichts war so überzeugend, wie ein Erfolg.
Was die Schiffe anging, die ihm Lay Rian zur Verfügung gestellt hatte…sie stellten eine wertvolle Verstärkung für die Rikata-Kampfgruppe dar. Und er hatte nicht die Absicht, auch nur ein einziges der Schiffe wieder zurückzugeben. Außer vielleicht die GIBIT. ‚Nun, wir werden sehen.’

***

Oder nicht? Was, wenn Tobarii Jockham, seine Ehefrau, oder vielleicht auch Lay Rian mit diesem Auftrag ein ganz anderes Ziel verfolgten? Immerhin, Taran hatte kaiserliches Blut in seinen Adern, mochte es auch dünn sein. Er hatte einen ziemlich isolierten Raumsektor und eine schlagkräftige Kampfgruppe unter seinem Kommando. Er hatte sich an der Offiziersfronde gegen Jor beteiligt, und dadurch gewisse Ambitionen und eine…flexible Loyalität gezeigt. Er hatte immer noch gute Verbindungen zu gewissen Kreisen in Militär und Verwaltung. Und er war mit Ciara Koo verlobt, der jüngsten Enkeltochter des verstorbenen Großadmirals. In längst vergangenen Bürgerkriegen hatten schon Männer mit schlechteren Karten nach dem Thron gegriffen.
Was, wenn man ihn aus dem Weg haben wollte, um jemanden…Unbedenklicheren im Draned-Sektor zu installieren? Oder wenn man insgeheim hoffte, dass seine Flotte auf ein…handhabbares Maß zurechtgestutzt wurde? Dass er selber nicht zurückkehrte? ‚Würdest du das wollen, Cousine? Ist es das, was du planst? Was hast du wirklich vor?’
Man schickte ihn an die Front, während ausgerechnet Dero zum Sonderbotschafter für die Konföderation ernannt worden war. Und damit die Möglichkeit erhalten hatte, Profil und Einfluss zu gewinnen. Zufall? Taran war sich da nicht so sicher. Er glaubte nicht an solche Zufälle. Nicht, wenn es um den imperialen Hof ging.
Früher einmal hatte er Dero und auch Linai besser gekannt. Aber das war vor einer Ewigkeit gewesen. In einem anderen Leben. Damals waren sie Kinder, Jugendliche, noch unbelastet von den Erwartungen und Hoffnungen ihrer Familien. Es war viel Zeit vergangen. ‚Ich bete darum, dass wir uns nicht eines Tages als Gegner gegenüber stehen. Als ob die Menschen nicht schon Bedrohung genug wären…’
Dann verscheuchte er auch diesen Gedanken. Langsam sah er schon überall Gespenster. Seine Zeit am kaiserlichen Hof hatte ihn wahrscheinlich etwas dünnhäutig werden lassen. Die Wühlarbeit gegen Jor und der Schattenkrieg im Draned-Sektor hatten das noch verschlimmert. ‚Im Augenblick gibt Wichtigeres als die Schatten an der Wand.’
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Cattaneo
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Tyr

„Wie steht es mit unseren Vorräten, Kapitän Los?“
„Da die Kampfgruppe für bewegliche Defensivoperationen im gesamten Draned-Sektor konzipiert wurde, sind wir gut vorbereitet. Die Lagerräume sind gefüllt. Wir haben Vorräte für ein halbes Standartjahr an Bord.“
„Gut. Um dem Zeitplan der Großadmiralin gerecht zu werden, bleibt uns noch eine halbe Woche. Maximal anderthalb. Dann muss die Rikata-Kampfgruppe startbereit sein.“
„In zehn Tagen?!“
„Je schneller, desto besser. Wir bleiben in Bewegung. Außerdem erhöht das unsere Chancen, den Gegner zu überraschen.“
„Jedenfalls bin ich überrascht über so einen Zeitplan. Immerhin sprechen wir nicht von einem kurzen Vorstoß oder einer Operation auf eigenem Gebiet.“
„Ja, auch wir werden ein verdammtes Wunder brauchen.“, schaltete sich Gelek ein.
„Ich habe da vollstes Vertrauen in Ihre Fähigkeiten. Neben Schnelligkeit ist natürlich auch Geheimhaltung von entscheidender Bedeutung. Wenn diese Operation dem Feind bekannt wird…dann wird das für uns eine verdammt kurze Offensive werden. Ich habe keine Lust, die gesamte Flotte auf die andere Seite des Abgrundes zu führen.“
Manchmal fand Thera Los die religiösen Anspielungen ihres Vorgesetzten etwas verstörend: „Sir, die Verstärkungstruppen marschieren in mehreren kleineren Verbänden. Sie haben die Anweisung, strikte Funkstille zu halten, und über Piratensprungrouten und unbewohnte Systeme vorzurücken.“
„Das sollten wir uns zum Vorbild nehmen. Wir dürfen nicht mehr Funksignale abstrahlen, als ein schwarzes Loch. Wir werden keinen direkten Kurs halten, sondern einen Bogen schlagen. Bevor wir Parrak erreichen, will ich wenn möglich kein System durchqueren müssen, in dem es höher entwickelte Lebewesen als ein paar Flechten gibt. Oder technische Geräte, deren Niveau über dem eines optischen Feldstechers liegt. Und ich will, dass jedes Schiff – JEDES – das unseren Kurs kreuzt, aufgebracht wird. Und wenn es Widerstand leistet oder funkt, dann wird es vernichtet.“

„Die Gouverneure…“
„Ich sagte bereits, ich habe nicht vor, sie im Voraus einzuweihen. Wir ersparen uns so eine Menge nutzlosen Streit. Ich werde dafür Sorge tragen, dass der Generalgouverneur zum passenden Zeitpunkt informiert wird. Eine Stunde NACHDEM wir in das Parrak-System gesprungen sind.“
„Das wird ihm nicht gefallen.“
„Das wird keinem Gouverneur gefallen. Und keinem der Systembefehlshaber. Aber es geht nicht anders. Nicht, dass irgendeiner von ihnen uns an die Menschen verkaufen würde…“, in Tarans Stimme klang ein zynischer Unterton mit. Er machte sich wenig Illusionen über seine Beliebtheit, „…aber die Rebellen und jetzt auch die Separatisten haben todsicher ihre Spione bei den lokalen Verbänden und der zivilen Verwaltung. Und für DIE werde ich meine Hände nicht ins Feuer legen. Sie etwa? Wenn ich mich offiziell abmelde, könnte ich genauso gut einen unverschlüsselten Richtfunkspruch an die Zweite Flotte absetzen.“
Lukat wiegte skeptisch den Kopf: „Glauben Sie nicht, dass es jemandem auffällt, dass dieses System hier auf einmal leer ist?“
„Zum Glück ist es kein Geheimnis, dass wir einige räumlich begrenzte Offensivvorstöße geplant hatten. Wenn wir entsprechende Gerüchte ausstreuen… Und da wir keinen direkten Kurs nehmen werden, wird selbst eine zufällige Sichtung unserer Flotte unser Ziel nicht verraten.“

Matir nickte: „Wir könnten auch einige Versorgungsschiffe in abgelegene Systeme in Marsch setzen. Ich glaube sowieso, dass die Menschen unsere Frachtschiffscodes inzwischen geknackt haben. Kein Code, den ein Handelsmatrose verstehen kann, kann als wirklich sicher angesehen werden.“
„So können wir auch verschleiern, dass einige der Schiffe wirklich für uns bestimmt sind. Ich will nicht über Parrak plötzlich mit leeren Magazinen dastehen. Raketen, Ersatzteile, Treibstoff, Minen… – vielleicht können wir auch einige zerlegte Jäger organisieren, um etwaige Verluste auszugleichen.
Außerdem werden wir in einigen Systemen den Flugverkehr zeitweilig untersagen. Mal sehen, was die TSN daraus macht.“
„Sie wollen sich bei der Lokalverwaltung wirklich beliebt machen.“
Taran zuckte mit den Schultern und zitierte ein altes Sprichwort: „Da ich sowieso keine Einladung zum Tanz erhalten werde, hat es keinen Sinn, wenn ich mich schön mache.“ Damit hatte er wieder den Lacher auf seiner Seite.

„Und um die Verwirrung perfekt zu machen…Kapitän Los, Sie werden sich mit dem Geheimdienst in Verbindung setzen, und drei Spezialkommandos zusammenstellen. Nehmen sie dafür einige erfahrene Funker unserer Flotte und Spezialisten für elektronische Kriegsführung. Eine Einheit wird hier bleiben. Eine wird in Richtung des umkämpften Korridors in Marsch gesetzt, der uns vom Restimperium trennt. Und das dritte Kommando wird sich zum galaktischen Rand in Bewegung setzen. Die Einheiten werden mit unseren besten Codes senden, und so unauffällig wie möglich – solange sie dabei anpeilbar bleiben.“ Das klang etwas widersinnig, aber die Offiziere wussten, was Taran damit meinte.
„Wir dürfen diese Verneblungsaktionen aber auch nicht übertreiben. Sonst wissen die Glatthäute sofort, dass wir etwas vorhaben.“
„Das lässt sich wahrscheinlich nicht vermeiden. Aber wenigstens werden sie wohl kaum vermuten können, was wir tatsächlich vorhaben.“

Matir schnaubte kurz: „Mit gutem Grund. Ich kann es ja selber kaum glauben. Wer würde denn vermuten, dass wir einen ganzen Sektor entblößen, und mit gerade einmal zwei Trägerkampfgruppen so weit auf feindliches Gebiet vorstoßen. Das ist Wahnsinn.“
„Ich kenne Ihre Bedenken, Matir. Und Sie wissen, dass eine Befehlsverweigerung für uns nicht zur Debatte stehen kann. Es geht nicht darum, OB wir es tun – sondern WIE.“
Widerwillig nickte der erfahrene Kapitän. Er war nicht überzeugt. Aber er wusste, wann er eine Schlacht verloren hatte.
Taran hielt seinen Blick noch ein paar Augenblicke fest, dann nickte er ebenfalls: „Noch etwas. Kapitän Los, ich will, dass Sie den Geheimdienst noch wegen einer anderen Angelegenheit kontaktieren. Wir brauchen einen alten, terranischen Frachter. Vorzugsweise einen entbehrlichen.“
Das erwischte die Stabsoffizierin doch etwas unerwartet: „Einen entbehrlichen? Sir, ich verstehe nicht ganz…“
„Lassen Sie das vorerst einmal meine Sache sein. Sehen Sie nur zu, dass ich das Schiff bekomme.“

******

Natürlich war die Besprechung damit noch nicht zu Ende. Es dauerte noch mehrere Stunden, bis die übermüdeten Offiziere auf ihre Schiffe zurückkehrten. Auch so hatten sie nur einen vorläufigen Maßnahmenplan für die nächsten zwei Tage ausarbeiten können. Die technischen Dienste, die Nachschubsoffiziere und Versorgungsspezialisten würden weitere Nachbesserungen verlangen oder wenigstens empfehlen. In den nächsten Tagen würden in der Flotte viele Männer und Frauen sehr wenig Schlaf finden.

Obwohl der Admiral todmüde war, nahm er sich die Zeit, den Kurier persönlich in groben Zügen über das Ergebnis der Besprechung zu informieren. Außerdem wollte er dem Mann klar machen, dass er den Draned-Sektor fest in der Hand hatte, gleichzeitig aber auf weitere materielle, psychologische und politische Unterstützung durch seine Vorgesetzten angewiesen war. Und das bedeutete weitere Schiffe, Soldaten und Kampfflieger, und die unbedingte Unterstützung der Admiralität und des Kriegsministeriums für Tarans Politik. Für ALLE seine Maßnahmen.
Das war ein schwieriger Balanceakt. Er musste zuversichtlich wirken, aber nicht zu arrogant. Fordernd, aber nicht unverschämt.
Außerdem hatte er noch einmal deutlich gemacht, dass der Draned-Sektor die ständige Präsenz einer starken Kampfgruppe benötigte. Die Rikata-Kampfgruppe sollte nicht als Verfügungsmasse oder ‚Feuerwehr’ dienen, die Lay Rian ganz nach Belieben und vermeintlicher Notwendigkeit über das intergalaktische Schlachtfeld verschieben konnte.
Wenn der Sektor zu lange ohne den Schutz und die Kontrolle von Tarans Flotte auskommen musste, konnte das verheerende Folgen haben. Dann bestand die Gefahr, dass die Rebellen oder die TSN völlig ungehindert in die Offensive gingen. Dass die Separatisten weitere Systeme unter ihre Kontrolle brachten, oder einzelne Gouverneure und Systemkommandeure ihrem Vorbild folgen. Letztendlich konnte der ganze Sektor implodieren. Vielleicht mochte es den Gouverneuren dann sogar als angemessen erscheinen, sich auf irgendeine Art und Weise mit der Republik zu arrangieren. Ein Draned-Sektor, der freiwillig zum Gegner wechselte, der sich für neutral erklärte, der auseinander fiel oder vom Gegner erobert wurde, wäre eine weitere, schwere Niederlage für das Imperium. Eine Niederlage, die möglicherweise den Krieg entscheiden konnte.
Denn eine solche Bankrotterklärung der imperialen Herrschaft gegenüber den eigenen Untertanen, dem Gegner und den neutralen Mächten konnte sich das angeschlagene Akarii-Reich nicht mehr leisten. Jede Rebellenorganisation, jede Piratenbande und jeder größenwahnsinnige Offizier oder Gouverneur würde angesichts einer solchen Katastrophe Morgenluft wittern. Ganz zu schweigen von dem Verlust der Stützpunkte, des Industrie- und des Rekrutierungspotentials, das der Draned-Sektor auch jetzt noch darstellte.
Natürlich sprach er das nicht ganz so offen aus. Das wäre das falsche Signal gewesen. Aber Lay Rian würde zwischen den Zeilen lesen können. Hoffentlich kam sie dann zu den gleichen Schlussfolgerungen wie Admiral Taran.

Doch selbst nachdem das geschehen war, und der von Tarans Worten ein wenig verunsicherte Kurier auf sein Schiff zurückgekehrt war, fand der Admiral noch keinen Schlaf.
Die Botschaften, die er anschließend noch über einen privaten Kanal abschickte, wirkten auf den ersten Blick ziemlich belanglos.

Die erste ging an seinen jüngeren Bruder. Allerdings ging es Taran weder um Familienangelegenheiten, noch den Hofklatsch. Yelak diente bei der Admiralität in einer Stabsfunktion. Und er war gleichzeitig Mokas Tarans Verbindungsmann zu jenen Mitgliedern der Offiziersfronde, die von Jor nicht aus dem Dienst geworfen oder in die Sternenwüste geschickt worden waren. Taran hatte so eine Ahnung, dass das politische Hauen und Stechen am Kaiserhof mit dem Frieden an der konföderierten Front an Intensität gewinnen würde. Es war an der Zeit, die eigenen Verbündeten zu zählen. Außerdem war Yelak an der richtigen Stelle, um ein wachsames Auge auf die erbeuteten Träger der CC zu haben. Auf ihren Zustand, und auf ihren Kurs von Hannover zur Hauptwelt des Imperiums. Wenn die Großadmiralin sein Gesuch nicht bewilligte und auch sonst keine Träger zur Verfügung stellen konnte oder wollte…
Nun ja, ein Träger konnte ja auch einmal die falschen Sprungkoordinaten erhalten, nicht wahr?

Auch die zweite Botschaft war anscheinend eine rein private Angelegenheit.
Trotz der Entfernung und der häufig unzuverlässigen Verbindung hatte Taran es geschafft, den Kontakt zu seiner Verlobten aufrecht zu halten. Nicht aus Liebe, das wäre ein etwas zu starkes Wort für ihre Beziehung gewesen. Deswegen war die Verlobung nicht geschlossen worden. Aber sie mochten sich, und beide wussten, was sie von der Hochzeit haben würden. Und überhaupt – viele Ehen waren schon unter weitaus schlechteren Vorzeichen geschlossen worden. ‚Zumindest, wenn es um die persönliche Seite geht.’
Alles Weitere würde sich später finden, wenn sie endlich einmal Zeit hatten, einander richtig kennen zu lernen.

***

Auch Ciara war am kaiserlichen Hof groß geworden. Damals waren sie sich zum ersten Mal begegnet. Aber natürlich war zu diesem Zeitpunkt von einer Verlobung noch nicht die Rede gewesen. SO altmodisch war man nicht einmal am kaiserlichen Hof. Tarans zukünftige Frau war acht Jahre jünger als er, und deshalb war ihre Bekanntschaft bestenfalls flüchtig gewesen. Das schlanke, damals ein wenig schüchterne Mädchen hatte wahrscheinlich noch mit Puppen gespielt, als Taran zusammen mit dem zukünftigen Lord Dero und einigen anderen halbwüchsigen Adligen die Umgebung des kaiserlichen Palastes unsicher gemacht hatte. Dann war Mokas Taran gemäß der Familientradition ins Militär eingetreten. Und einige Jahre später hatte Ciara eine Laufbahn in der zivilen Verwaltung des Imperiums eingeschlagen. Gelegentlich waren sie sich dann bei offiziellen Anlässen begegnet. Ein paar Mal hatten sie sich unterhalten, miteinander getanzt, und festgestellt, dass sie die Gesellschaft des anderen ganz unterhaltsam fanden. Das war alles gewesen.
Der Altersunterschied hatte zunehmend an Bedeutung verloren. Eine Neunjährige aus dem Haus des Flottenoberbefehlshabers und ein siebzehnjähriger adliger Herumtreiber hatten wenig gemeinsam.
Aber ein neunundzwanzigjähriger Captain mit kaiserlichem Blut, der die Aussicht hatte, bald aufgrund seiner Herkunft, den Beziehungen seiner Familie und seiner hervorragenden Stabsarbeit zum Admiral befördert zu werden, und die einundzwanzigjährige Nichte von Großadmiral Nahil Koo, die in ein paar Jahren eine hohe Stellung in der Zivilverwaltung einer wichtigen imperialen Welt übernehmen würde…
Diese beiden gaben ein recht viel versprechendes Paar ab. Jedenfalls hatten das offenbar Ciaras und Mokas Eltern gedacht. Es war sowieso an der Zeit, dass Taran endlich eine standesgemäße Frau heiratete, eine Familie gründete, und seinen Eltern ein paar Enkeln schenkte.
Also hatten sich die Familien über die Köpfe der beiden jungen Leute geeinigt, die erst später von ihrem Glück erfahren hatten. Das war vor drei Jahren gewesen.
Die Verlobung war anlässlich von Tarans Beförderung zum Admiral Zweiten Ranges offiziell bekannt gegeben worden, und die Hochzeit war für das folgende Jahr angesetzt worden. Aber gleichzeitig hatte sich Taran mit der Offiziersfronde eingelassen, die zum Wohle des Imperiums Jors Oberbefehl ein Ende bereiten wollten.
Im Nachhinein wäre wahrscheinlich eine Affäre mit einer Halbweltdame weniger verhängnisvoll gewesen.
Die Verschwörung war gescheitert. Nahil Koo war kurz darauf eines natürlichen Todes gestorben. Böse Zungen behaupteten, dass er es nicht länger hatte ertragen können, wie Jor das Reich und die imperiale Flotte zugrunde richtete.
Taran war zwar nicht degradiert, aber dafür abgeschoben worden. Die Hochzeit hatte man auf unbestimmte Zeit verschoben. Es hatte Taran überrascht, dass die Verlobung nicht gänzlich aufgelöst worden war. Dass Ciara – aus welchen Gründen auch immer – zu ihm gehalten hatte, hatte ihm damals viel bedeutet.

***

Deshalb hatte er jetzt einige Gewissenbisse, wegen dem, um was er Ciara würde bitten müssen. Es war nicht illegal, eigentlich nicht einmal anstößig. Und dennoch war es gefährlich. Aber Ciara war nun einmal die Enkelin von Nahil Koo. Sie war die Stellvertreterin des Vizegouverneurs von Damar Zwei und konnte aufgrund ihrer Herkunft und ihres Postens ziemlich problemlos am kaiserlichen Hof ein- und ausgehen. Die Hofbeamten, die über die Audienzlisten wachten, konnten selbst einen Admiral oder Industriemagnaten so lange hinhalten, bis der Antragsteller eines natürlichen Todes gestorben war.
Aber der Enkelin eines ‚Toten-doch-Unvergessenen’, eines persönlichen Freundes des Imperators, würde man eine Audienz nicht verwehren können. ‚Zumindest, wenn in den vergangenen zwei Jahren die Regeln und ungeschriebenen Gesetze des Hofes nicht zu Staub zerfallen sind.’
Taran hatte es bisher geschafft, jede Woche ein oder zwei Videobotschaften an Ciara abzuschicken. Und meistens war der Inhalt der Sendungen auch nur das gewesen, was man unter den Umständen einer zweijährigen Trennung und der doch etwas unsicheren Verbindung erwarten konnte. Und deshalb würde hoffentlich niemand auf die Idee kommen, die Ziffern genauer zu beobachten, die am unteren Rand der Aufnahme ablaufen würden, wie bei einer defekten Zeitanzeige. Taran lächelte reumütig. Er hätte allerdings mehr Gewissenbisse gehabt, wenn er nicht den Eindruck gehabt hätte, dass Ciara dieses riskante Spiel insgeheim genoss. ‚Noch ein Hobby, das wir gemeinsam haben.’
Allerdings hatte sie wahrscheinlich nicht an SOLCHE Botschaften gedacht, als sie ihm diese Möglichkeit der geheimen Nachrichtenübermittlung vorgeschlagen hatte.

Anschließend musste er auch noch die schwierige Entscheidung treffen, wer an seiner Stelle vorerst das militärische Oberkommando im Draned-Sektor übernehmen sollte. Die Anforderungen an die potentiellen Kandidaten waren hoch.
Militärische Erfahrung, Standfestigkeit, ein sicherer Instinkt für die strategischen, politischen, wirtschaftlichen, psychologischen, sozialen und geheimdienstlichen Aspekte, die im Draned-Sektor und besonders dem T’rr-Militärbezirk jene einmalig explosive und instabile Lage schufen, für die die Region so traurig berühmt war…
Ideal wäre ein Mann (oder eine Frau) gewesen, die Tarans Befriedungsoffensive fortführen konnte, ohne gegenüber den Rebellen zu große Zugeständnisse zu machen. Der die Separatisten einschüchterte, ohne sie in die Arme der TSN oder der rebellierenden Kolonialvölker zu treiben. Der die Gouverneure und Systembefehlshaber in die Schranken wies, ohne sie zu brüskieren. Der die Stellung hielt, aber keine so starke ‚Hausmacht’ hatte, dass er der Verführung erliegen konnte, dauerhaft Tarans Posten einnehmen zu wollen. So ein Mann…
‚Warum suche ich nicht gleich noch nach einem von den Göttern gesandten Erlöser, der Tote zum Leben erweckt und auf dem Wasser wandelt, wenn ich schon mal dabei bin?’
Natürlich konnte er keinem General den Befehl über die Flotte geben. Damit aber blieben nur noch Kreuzerkommandeure und Systembefehlshaber übrig.
Letztlich entschied er sich für Systemkommandeur Vorcas. Der Mann war nicht unbedingt diplomatisch zu nennen, aber er würde die Stellung halten können. Er war verbittert, hart, ein schwieriger Vorgesetzter, aber weder ein Fanatiker, noch arrogant. Sein persönlicher Ehrgeiz war in den Jahrzehnten des schwierigen, aufreibenden Diensts im Draned-Sektor abgeschliffen worden. Er hatte Erfahrung, verfügte aber nicht über die Kontakte und Beziehungen, die ihn zu einem möglichen Putschisten machten. Vorcas musste genügen. Er war das Beste, was Taran momentan zur Verfügung stand.

Trotz dem ungewissen Schicksal, das die Rikata-Kampfgruppe erwartete, er beneidete Vorcas nicht um seine Aufgabe. Abgesehen von einigen Hilfsschiffen und wenigen momentan noch in der Reparatur befindlichen Einheiten, würde Tarans Stellvertreter praktisch keine Schiffe zur freien Verfügung haben. Denn alle anderen Einheiten gehörten zu den ohnehin bis auf das absolute Minimum reduzierten Sicherungsverbänden der einzelnen Sonnensysteme. Auf diese Einheiten würde Vorcas selbst im Falle einer TSN-Invasion nur sehr eingeschränkt zugreifen können. Die Systemkommandeure würden einen weiteren Aderlass nicht hinnehmen. Vorcas sollte es am besten erst gar nicht versuchen. Es machte keinen Sinn, einen Befehl zu geben, der sowieso nicht befolgt werden würde.
Taran würde Befehle geben, den Bau von Schnell- und Kanonenbooten und die Umrüstung von Frachtschiffen zu Minenlegern, Hilfskreuzern und -trägern zu forcieren. Natürlich würden diese Einheiten gegen einen richtigen Invasionsverband der TSN keine Chance haben. Aber vielleicht konnten sie wenigstens mögliche Raids leichter TSN-Einheiten unterbinden, die allgegenwärtigen Piratenbanden, Rebellen und die Separatisten blockieren. ‚So weit ist es schon gekommen mit uns. Es ist, als wollte man ein Leck mit Staub und Sand stopfen.’ Solche Gedanken ließen Taran nur schwer Schlaf finden, selbst wenn er sich doch einmal die Zeit für eine so unproduktive Beschäftigung nehmen konnte.

Als das Kurierschiff die Kampfgruppe hinter sich ließ und mit Höchstgeschwindigkeit dem Sprungpunkt entgegenstrebte, nahm es die Forderung nach weiteren Schiffen mit sich, und die Versicherung, dass die Flotte des Draned-Sektors in die Schlacht ziehen würde. Damit war die letzte Schachfigur in Lay Rians großem Spiel in Bewegung gesetzt worden. Nur die Götter wussten, welcher der beiden Spieler am Ende noch auf dem Feld stehen würde.
13.01.2016 09:01 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Ace

Die Zeremonie war schlicht, aber hochkarätig besetzt. Die Prisenmannschaften, die sowohl die wracke JOHN PAUL JONES als auch die INDEPENDENCE nach Akar überführen würden, waren akariische Marinesoldaten und Offiziere, die beide Trägerschiffe an der Grenze zum Kaiserreich vom bisherigen konföderierten Kommando übernehmen würden. Hier starteten die beiden notdürftig raumflugtauglich gemachten Riesen noch als Teil der Colonial Navy, und ein Teil von ihnen würde das auch immer sein. Dafür würde schon der konföderierte Militärattaché sorgen, der die zukünftige Botschaft an Bord der JOHN PAUL JONES vorbereiten und seinen Anstandsbesuch beim Kaiser ableisten würde. Aber ab der Grenze, ab diesem magischen Moment, gehörten die beiden Riesen bis zur letzten Schraube dem Kaiser.
Alles was Sterne hatte und noch lebte, wohnte der Übergabe des Lösegelds für das Ende dieses Krieges bei. Zwei der Ehrengäste waren Lord Dero und Generalgouverneur Edward Cochrane, die sich nach der kleinen Veranstaltung in einen exklusiven Ruheraum zurückzogen, der Blick auf den Himmel und die beiden funkelnden neuen Sterne bot.

„Und? Sind Sie zufrieden?“, brummte Edward Cochrane und drückte Lord Dero mit steinerner Miene die Hand. Der Akarii erwiderte den festen und trockenen Händedruck und ließ ebenso keine Regung zu. „Mit unserem Friedensvertrag? Mehr als das. Unser Händel ist damit ein für allemal beendet. Ich glaube nicht daran, dass wir jemals wieder gegeneinander kämpfen werden. Wir Kaiserlichen nicht, weil wir hier nichts mehr gewinnen können, und Ihr Konföderierten nicht, weil ein Angriffskrieg jenseits Ihrer Optionen liegt.“
„Das meinte ich nicht. Unser kleiner Friedensvertrag hat unsere gesamte Gesellschaft gespalten. Unsere Schiffe werden von den ehemaligen Verbündeten aufgebracht und sogar abgeschossen. Dutzende Schiffe aller Klassen, vom Frachter bis zum Träger, desertieren oder werden praktisch ohne einen Schuss interniert. Ich bin der große Buh-Mann der Geschichte, weil ich die Welt mit kastrierten Eiern zurückgelassen habe.“
„Und? Lassen Sie die Leute doch reden.“
Konsterniert sah der Generalgouverneur den akariischen Sondergesandten an. „Was, bitte? Ich habe mein politisches Grab geschaufelt. Wiederwahl? Kann ich vergessen. Ich werde froh sein können, wenn ich weder von einem aufgebrachten Mob gelyncht noch von einem eiskalten Mörder im Bett erdolcht werde.“
Nun zeigte sich eine Regung um die Züge Deros. „Kann ich Ihnen mit einer Kompanie Kaiserlicher aushelfen, Mr. Governor? Zufällig hat Admiral Ilis mehrere hervorragende Einheiten dabei, die auch auf Personenschutz trainiert sind. Ich kann sie Ihnen sofort und für unbestimmte Zeit überlassen. Es sind Männer von einer Treue, sodass sie Sie sogar gegen die eigenen Farben verteidigen werden, sobald sie den Schutzeid geleistet haben.“
Cochrane zwinkerte verblüfft und schien nachzudenken, ob das Angebot echt oder ein Scherz war. Wenn, dann ein reichlich makaberer Scherz. „Besser nicht. Das wäre schlimmer als Lynchjustiz, es wäre moralischer Selbstmord.“
„Oh. Dann darf ich Ihnen vielleicht ein paar erfahrene Geheimdienstoffiziere zu Ihrem Schutz anbieten? Sie gehören zum Besten was wir haben. Ich schätze, ich kann sofort ein Team von vierzig Männern aufstellen, die Sie fortan äußerst geheim und äußerst effektiv beschützen können.“
„Danke auch für dieses Angebot, aber es macht keinen Unterschied, ob ich von kaiserlichen Soldaten oder von Geheimdienstleuten beschützt werde."
Dero runzelte die Stirn. „Ich spreche nicht von Akarii. Nur von kaiserlichen Geheimdienstoffizieren, Mr. Governor.“
Für einen Augenblick blieb Cochrane der Atem weg. „Sie scherzen, Mylord Dero.“
Der Sondergesandte schnaubte amüsiert. „Natürlich scherze ich, wenn Sie es so sehen wollen, Mr. Governor. Und um auf unser Gespräch zurück zu kommen... Mr. Governor, Sie werden alles sein in den Augen Ihres Volkes, aber sicher weder ein nachgiebiger Wendehals, noch ein Kollaborateur. Im Gegenteil, Sie haben sehr vielen Menschen und Akarii das Leben gerettet. Sie haben noch weit mehr getan, sobald Sie die Chance dazu hatten. Die Bürger werden es verstehen, nach und nach verstehen.“
„Phrasen. Davon hört unsere innere Zerrissenheit nicht auf.“, erwiderte Cochrane bitter.
Deros Züge zeigten nun deutlich Verärgerung. „Mr. Governor, wenn Sie eine psychologische Betreuung benötigen, wenden Sie sich bitte an einen konföderierten Arzt. Wenn Sie jemanden suchen, der Sie zu Unrecht verurteilt und Sie einen Sündenbock schimpft, kommen Sie bitte nicht zu mir, denn das kann ich nicht. Von mir bekommen Sie die Wahrheit, und nichts als die Wahrheit, allerdings aus meinem Blickwinkel der Realität.
Wissen Sie was ein wirklicher Aufstand wäre? Das wären zwanzig, vierzig, hundert Schiffe aller Klassen, die sich in einem Nachbarsystem zusammen rotten, hierher einfallen und dann auf Hannover landen, um Sie aus dem Regierungsgebäude zu zerren und am nächsten Baum aufzuknüpfen. Aber im Umkreis von fünfzig Lichtjahren gibt es nicht ein einziges solches Ereignis. Nein, die Schiffe desertieren lieber in die Republik, anstatt Sie für etwas zu strafen, was ihrer Meinung nach eigentlich unverzeihlich sein müsste. Wie erklären Sie sich das?“
„Ich weiß nicht. Kollektive Vergesslichkeit?“, erwiderte Cochrane ärgerlich.
Wieder schnaubte Dero amüsiert. „Sie kennen doch sicherlich noch Ihren Gegner in dieser Schlacht, oder? Und Sie haben doch sicherlich mit seinem Dossier unter dem Kopfkissen geschlafen, seit seine Flotten London erobert haben.“
„Ich kenne und schätze Kal Ilis als kompromisslosen und harten Soldaten.“, behauptete Cochrane.
„Ich kenne ihn kaum, und ich schätze ihn auch nicht. Für einen Militär hat er mir ehrlich gesagt viel zu viel Hirn. Und für einen General der akariischen Streitkräfte zählt ihm sein eigenes Leben viel zu wenig. Oder das Ansehen seiner Familie. Er ist knallhart, gnadenlos, und auch das, was Sie als grausam beschreiben würden. Grausam gegen sich, grausam gegen seine eigenen Leute, grausam gegen den Feind.“ Dero machte eine alles umfassende Geste. „Können Sie sich vorstellen, dass all das hier im Atombrand untergegangen wäre? Dass Admiral Ilis diese Welt im nuklearen Feuer versenkt hätte? Nein? Ich schon. Und ehrlich gesagt hätte ich erwartet, dass er auf den Beschuss durch Nuklearwaffen von der Erdoberfläche Hannovers entsprechend reagieren würde. Ehrlich gesagt habe ich nicht erwartet, noch jemanden zum verhandeln zu haben, wenn ich Hannover erreiche, nachdem Ihre Leute so dumm waren, Kernwaffen einzusetzen! Und wissen Sie, was dann geschehen wäre? Der alte Kal hätte mit Kernwaffen geantwortet, der Rettungsverband aus Ihren Leuten und der Vierten Flotte hätte uns mit Kernwaffen bombardiert, und so hätten wir uns so lange und so weit hoch geschaukelt, bis keine einzige konföderierte Welt unvernarbt geblieben wäre. Dies war genau der Zeitpunkt, um Stopp zu sagen. Sie haben ihn gefunden und dankbar zugegriffen, als ich Ihnen die Chance gab, Mr. Governor. Und das ist keine Spekulation, das ist Wirklichkeit. Genauso wäre es geschehen. Ihr Geheimdienst wird Ihnen das bestätigen.“ Dero lächelte dünn und fuhr fort: „Wahrscheinlich hat er das auch schon. Seien Sie dankbar für den Frieden, den wir jetzt haben. Unsere Seite und Ihre Seite haben ausgekämpft, Mr. Governor. Und was Ihre Deserteure angeht, so haben wir eigentlich mit mehr Schiffen gerechnet, die zur terranischen Navy überwechseln. Wahrscheinlich geht das Gros erst in dieser Woche über die Grenze, nachdem abzusehen ist, dass wir Akarii unser Wort halten. Und mit jedem Schiff, das Sie verlässt, verlieren Sie die Fähigkeit, erneut gegen uns zu kämpfen, mehr und mehr. Das betrifft Sie, das betrifft Ihren Stellvertreter Gerold Holmes, das betrifft Norun Kalak. Und das betrifft jeden, der vielleicht einmal auf Ihren Sessel Platz nehmen wird.“
„Sie haben das so geplant. Sie haben so getan, als würden Sie sich mit den beiden Wracks über unseren Köpfen zufrieden geben, dabei war der Preis viel höher.“
„Natürlich war er das, Mensch“, erwiderte Dero mit einem fauchenden Lachen. „Ihr habt nur die beiden halbwracken Schiffe gesehen, aber mein Blick ging viel weiter. Ich habe auch erkannt, dass es nicht zu einer Meuterei kommen würde, die unseren Friedensvertrag gefährden würde. Ich wusste, dass Ihre desertierenden Truppen mehr als zufrieden sein würden, dass die Kämpfe für ihre Angehörigen vorbei sind. Was mich daran erinnert, dass wir noch darüber verhandeln müssen, was wir mit Ihren Deserteuren tun können, sobald sie uns in die Hände fallen. Terranische Gefangene haben bei uns keinerlei Privilegien, wohingegen die nun heimkehrenden konföderierten Gefangenen darüber berichten werden können, dass wir sie fair und zuvorkommend behandelt haben, denn schließlich wollten wir weder diesen Krieg, noch eine Fehde mit der Konföderation, die gleich mehrere Generationen überdauert.“
„Die Kämpfe waren hart.“, gab der Gouverneur zu bedenken.
„Natürlich waren sie das. Weder Ihre noch unsere Soldaten sind Kuscheltiere. Man hat zwar gehofft, dass die ColCon nach dem ersten Schlagabtausch einen vernünftigen Separatfrieden suchen würde, aber das hat sich nicht erfüllt. Es gab einige wirklich brillante Schlachten, zusammen mit der Erkenntnis, ihre Navy erheblich unterschätzt zu haben. Andererseits liegen zwischen diesen Kämpfen und jenen mit den Terranern Welten, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Wussten Sie, dass die Terraner uns auf Wron eine Antimateriebombe auf den Kopf geschmissen haben?“
„Es wurde uns berichtet. Offiziell war es eine Antwort auf das Schließen eines Wurmlochs von Ihrer Seite.“
„Richtig. Wir schaukeln uns auf, und unsere Taten werden größer und grausamer werden. Wir haben begonnen Wurmlöcher aus der Phase zu bringen, nachdem die Konföderation erst einmal bewiesen hat, wie effektiv diese Methode ist.“
Der Gouverneur hustete verlegen.
„Und dann haben die Terraner mit Antimaterie geantwortet. Was meinen Sie werden wir das nächste Mal machen? Eine unserer sichersten Festungen wurde bis auf fünf Kilometer in die Tiefe ausradiert, ein ganzer Planet befindet sich im nuklearen Winter, und unsere Streitkräfte konnten nur dabei zusehen, wie die Massenvernichtung auf einen neuen Level gehoben wurde. Nein, Mr. Governor, wir werden nun ebenfalls Antimaterie einsetzen. Wir finden schon das eine oder andere lohnende Ziel – militärisches Ziel, wohlgemerkt. Wir sinken nicht unter das Niveau der Terraner und fangen jetzt an, Berlin mit Antimaterie zu bombardieren. Aber eventuell Ford Lexington, die Perseus-Station, die Sternentor-Station, das wäre eine angemessene Antwort.“
„Und so beginnt das Hochschaukeln…“, erwiderte der Gouverneur düster.
„Sie sind gerade noch rechtzeitig aus dem Spiel ausgestiegen, bevor Sie in den Wahnsinn, der nun begonnen wird, hinein gezogen zu werden. Leider sind es Ihre Truppen, was ich sehr bedaure. Aber ich schätze, dass am Ende dieses Krieges ein Reich nicht mehr existieren wird, unseres oder das der Menschen. Ich glaube nicht, dass es nach dieser erneuten Eskalation auch nur eine einzige vernünftige Stimme geben wird, die auf beiden Seiten zu hören ist, bevor dreihundert bewohnte Welten rauchende Staubwüsten geworden sind.“
Dero musterte den Gouverneur ernst. „Mr. Governor, vielleicht werde ich eines Tages an Sie herantreten und Sie bitten dort zu sprechen, wo man meine Stimme nicht hören kann. Vielleicht zu einer Zeit, in der der Wahnsinn auch wieder nach der Konföderation zu greifen droht.“
„Ich... verstehe.“, murmelte Cochrane leise.
„Aber noch ist es nicht soweit. Noch können wir die Fehler dieses Hitzkopfs vielleicht wieder gut machen. Noch haben wir jemanden als Großadmiral, der seinen Job versteht und der nicht dazu neigt, für ein System als Trophäe mehr Schiffe zu opfern, als er selbst abschießen kann. Noch...“ Dero stockte. „Entschuldigen Sie, Mr. Governor. Ich wollte nicht den Therapeuten für Sie spielen, aber anscheinend brauche ich selbst einen. So etwas passiert nun mal, wenn man seinen Wehrdienst in den Mannschaftsrängen ableistet. wenn man nicht auf Bälle geht, sondern mit gemeinen Akarii durch den Schlamm robbt – man sieht zuviel von dem, was andere nur als Zahlen auf Schreibfolien serviert bekommen.“ Sinnend sah Dero nach oben, wo die beiden Träger zwei neue Sterne am Abendhimmel bildeten. „Was denken Sie, Mr. Governor, werden Akarii über Terra stehen, oder die Terraner über Akar? Was wird in zwei Jahren sein? Was in vier? Bluten wir uns gegenseitig aus und werden dann Opfer einer anderen Großmacht? Oder finden wir genau wie hier und heute mit der Konföderation einen Hauch Gemeinsamkeit, um den Krieg zu beenden?“
„Den Sie begonnen haben, Mylord.“, tadelte Cochrane.
Dero prustete amüsiert: „Jor hat ihn begonnen. Jor hat ihn geführt. Jor hat ihn vergeigt, wie die Terraner so schön blumig sagen. Ich hingegen habe vor ihn zu beenden. Und wenn ich dafür... Wenn ich dafür größer scheinen muss als ich eigentlich bin, dann werde ich das tun.“
Der Sondergesandte wandte sich wieder dem Generalgouverneur zu: „Schauen Sie am Morgen des dritten Tages nach Osten und erwarten Sie mich über der Anhöhe.“
„Das kommt mir bekannt vor.“
„Es stammt aus dem ,Herr der Ringe’. Wir dachten lange, es wäre ein Propaganda-Buch, und die Orks würden die Stelle der Akarii einnehmen, weshalb es an unseren Militärakademien Pflicht ist. Allerdings bezeichnet es eine Szene, in der Gandalf der Graue dem zukünftigen König Aragorn Rettung verspricht. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob ich retten werde oder gerettet werden muss. Und Gandalf der Weiße werde ich sicherlich auch nie.“
„Ich schätze, ich muss die Passage noch mal nachlesen. Alles was mir dazu einfällt sind die beiden Hobbits, die den Ring der Macht nach Mordor tragen, um ihn zu vernichten.“
Dero lächelte dünn. „Die jüngsten, schwächsten und kleinsten der Gefährten haben die größte Aufgabe von allen... Und sind deshalb die große Überraschung. Was meinen Sie, wer trägt in unserem Fall den Ring? Wer befreit uns von ihm und seiner unheilvollen Macht, die uns in diesen vermaledeiten Krieg gestürzt hat? Wer hat den Mut, den Ring in die Lava des Vulkans zu werfen, auch wenn es sein eigenes Ende bedeutet? Wo finden wir Frauen und Männer, die diesen Wahnsinn beenden? Zumindest bis er erneut ausbricht, wieder und wieder und wieder?“
„Es scheint, das Zeitalter der Elben ist vorbei, und das Zeitalter der Menschen bricht an.“, erwiderte Cochrane mit einem Hauch Amüsement in der Stimme.
„So? Ich sehe das noch nicht. Schauen Sie auf, Mr. Governor, und erblicken Sie meine beiden Silmaril, wie sie funkeln und strahlen und eine neue Zeit voller Licht versprechen, wenn sie in den richtigen Händen ruhen.“ Wieder sah Dero nach oben, und seine Augen begannen zu tränen. „Ich werde mich auf die INDEPENDENCE begeben und mit fliegen. Jetzt wo Kal Ilis seine Flotte abzieht, wo die wirtschaftlichen Verhandlungsteams die zukünftigen und reaktivierten Geschäftsbeziehungen aushandeln werden, und unsere Flotten ihre Gefangenen austauschen, denke ich, ist mein Platz dort oben. Mit meinem Silmaril werde ich über das Firmament ziehen und vielleicht das Licht bringen, dass Morgoth und Sauron uns genommen haben, als ihre Pläne den Goldenen und den Silbernen Baum vernichteten.“
„Mylord?“, fragte Cochrane irritiert.
„Ich habe auch das Silmarillion gelesen, das Buch mit Geschichten vor der Zeit des Ringkriegs. Auch dieses Kinderbuch über Bilbo Beutlin. Sehr interessante Lektüre, wenn man es in einer terranischen Sprache liest. Sie bieten den Ansatz, um aus dem Wahnsinn des sich wiederholenden Krieges auszubrechen.“
„Vielleicht gelingt es Ihnen, Mylord.“, sagte der Generalgouverneur.
„Nicht vielleicht, Mr. Governor. Vielleicht würde bedeuten, dass es für uns und die Terraner keine Zukunft mehr gibt. Und das wäre doch schade bei einer Rasse, die zu solch prachtvollen Geschichten fähig ist, und derartige wunderschöne Träume zu spinnen weiß.“
„Ich frage mich, Lord Dero,“, begann Cochrane, „ob Sie ein Träumer sind, ein Idealist, ein Menschenfreund, ein Spinner, oder das gefährlichste Wesen diesseits der Republik.“
„Oh, ich bin ein Träumer, Mr. Governor, definitiv ein Träumer. Ich habe vom Ende des Krieges mit der Konföderation geträumt, und er ist wahr geworden.“
„Und was träumen Sie als Nächstes?“
„Das wird meine Prinzessin mir sagen, dessen treuer ausführender Arm ich bin.“ Er lächelte den Generalgouverneur verschmitzt an. „Habe ich Ihnen genügend Material für die republikanischen Dossiers gegeben, Mr. Governor?“
„Mylord Dero, ich versichere Ihnen, dass wir unseren diplomatischen und militärischen Kontakt zur Republik derzeit auf Protestnoten beschränken.“
Übergangslos ergriff der Akarii den Generalgouverneur an der Schulter und sah ihm zwingend in die Augen. „Jetzt höre mir sehr gut zu, Mensch, denn das ist wichtig! Egal was passiert, egal wie sich dieser Krieg entwickelt, du und alle die nach dir kommen müssen versuchen, ein bestmögliches Verhältnis zur Republik aufrecht zu erhalten! Milliarden Leben werden eines Tages davon abhängen! Das Schicksal hunderter Welten ruht eines Tages auf den Schultern der Konföderation! Hast du das verstanden, Mensch?“
Der Gouverneur war in den besten Jahren für einen Mann, aber Dero war ein großer, kräftiger Akarii, dessen Muskeln keine bloße Fassade waren. Aber mehr als der schmerzhafte Griff gruben sich Deros Worte in das Bewusstsein von Edward Cochrane. „Ich glaube, diese Schuhe sind zu groß für mich.“, ächzte er.
„Dann finde jemanden, dem sie passen, Mensch.“, zischte Dero. Langsam löste er die Hände von den Schultern Cochranes. „Wir schwingen uns auf, Politik auf einer Ebene zu machen, die uns gar nicht zusteht. Und wenn wir das tun müssen, sind wir vielleicht die letzte Hoffnung sowohl für Menschen als auch für Akarii. Wenn ich dafür sterben muss, werde ich es tun. Wenn ich dafür töten muss, werde ich es tun. Ich erwarte das Gleiche von Ihnen, Mr. Governor.“
„Sie verlangen viel.“, erwiderte Cochrane.
„Dieser Krieg ist es, der verlangt. Ich treibe nur ein.“

***

„Wie ist es gelaufen?“, fragte Narhita Candras, seine Sekretärin, oder vielmehr seine Aufpasserin. Dero zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass sie alles was sie in seiner Nähe hörte, sah, roch oder auch nur erahnte, entweder an den Geheimdienst oder direkt an Linai weitergab.
Das konnte er seinen Vorgesetzten nicht verdenken, er selbst hätte es kaum anders gemacht, vor allem bei einem Mann wie ihm, dessen einzige Errungenschaften eine Freundschaft zu Linai und die Geburt in den akariischen Hochadel waren. Nun gut, ab heute kam auch noch der Siegfrieden über die Konföderation hinzu, aber was das wert sein würde, was er daraus würde machen können, stand noch in den Sternen.
„Wie ich gewollt habe. Ich habe ihn mit vielen kleinen Wahrheiten und vielen kleinen Lügen angefüttert.“
Candras machte eine einladende Handbewegung in Richtung des Shuttles, das sie zur INDEPENDENCE hoch bringen würde, und ließ Dero zuerst eintreten. Er zeigte nicht den Hauch von Überraschung, als ausgerechnet Kal Ilis ihn erwartete, sitzend, die Hand auf den Holzknauf des Sirash gelegt. „Ich möchte mir den Träger gerne ansehen. Man erzählt sich, die INDEPENDENCE hält sich nur noch mit Spucke und Klebstoff aufrecht, während es die JOHN PAUL JONES nicht ganz so schlimm erwischt hat. Bist du mutig, mein Junge, oder lebensmüde?“
„Das Schiff ist sicher, Papa.“, erwiderte Dero und ließ sich neben dem Admiral in den nächsten Sitz sinken. „Die Ingenieure haben es für den Transport freigegeben. Wir werden in etwa drei Wochen bis Akar brauchen, aber wir werden es schaffen.“
„Papa?“, fragte Ilis amüsiert und musterte Dero von der Seite.
„Ich bin alt genug, um eigene Fehler zu sehen und sie auch zu machen. Ich brauche eigentlich keinen väterlichen Aufpasser mehr.“
„Oh nein, das siehst du vollkommen falsch, mein Sohn. Ab heute hast du einen väterlichen Aufpasser noch nötiger als ein normaler Akarii Wasser zum Trinken und Luft zum Atmen. Du hast Angst und Schrecken verbreitet, und davon eine ganze Menge. Du hast einen Sturm ausgelöst, der sich zum Orkan steigern wird und dich davon weht, wenn du jetzt nicht bereits nach Halt suchst.“
„Unsinn. Der Vertrag mit der ColCon ist sicher, und die Schiffsverluste durch Desertion und Internierung durch die Terraner verhindern effektvoll auf Jahre, dass die Kampfhandlungen hier wieder aufflammen werden. Im Idealfall bindet die Navy die Vierte Flotte gleich an diese Grenze.“
„Ich rede nicht von den Konföderierten, denen du Frieden, neue Handelsverträge und das Leben zurück gebracht hast. Ich rede von Akar. Von der Admiralität. Vom diplomatischen Korps. Von allem was Rang und Namen auf Akar hat, Adlige, Geldleute, alle. Du hast sie zutiefst verunsichert. Die Feiglinge haben sich schon eingepisst, die Mutigeren zücken ihre Schwerter und wetzen die Klingen.“
„Ich habe einen Friedensvertrag ausgehandelt und die Akar-ColCon-Front aufgelöst! Warum sollten sie Angst vor mir haben?“, brauste Dero auf, während der Transporter einen Sprung in die Höhe machte.
„Gerade weil du das geschafft hast. Und das auch noch in rekordverdächtiger Zeit.“
„Meine Prinzessin wollte schnelle Ergebnisse. Ich habe sie geliefert.“
„Und deshalb wirst du jetzt gehasst und gefürchtet. Ich kenne niemanden, der die Konföderierten in auch nur einem Bruchteil der Zeit zu einem Friedensvertrag überreden könnte, wie du es getan hast. Als du hierher kamst, warst du nur ein kleiner Land-Anwalt, der zufällig mit Linai aufgewachsen ist und von ihr im Zuge dieser Verhandlungen geopfert werden sollte. Zumindest mauscheln das meine Kontakte im Kriegsministerium, der effektvolle Tod eines Sondergesandten hätte die Konföderierten an den Verhandlungstisch gezwungen, sagt man sich. Stattdessen brauchtest du weder zu sterben, noch hast du länger als eine Woche für die erste Unterschrift gebraucht. Alle fragen sich auf Akar, wo dieses unheimliche Monster her kommt, von dem man nur weiß, dass er in seiner Jugend gerne aus dem Palast schlich, um mit seiner Gruppe ungezogener Jugendlicher, die sich auch noch "Die Terraner" nannte, Abend um Abend einen drauf zu machen. Niemand hatte dich in seiner Rechnung, und nun bist du bereits beliebter beim Volk als es Jor jemals war. Verstehst du jetzt, warum du den Alteingesessenen, den Speichelleckern und den Lobbyisten den Angstschweiß in die Augen und das Urin in die Hosen treibst? Du hast gerade erst angefangen, und du bist wohl nicht dazu zu überreden aufzuhören.“
Dero schnaubte amüsiert. „Was wird das hier? Eine Lehrstunde, ein Verhör, beides, oder die Fallstudie Lord Dero, zwei Wochen vor seinem Tod?“
„Vielleicht wird es eine Lehrstunde. Vielleicht wird es die Fallstudie, zwei Wochen vor deinem Tod.“, erwiderte der Admiral amüsiert. Der alte Mann lächelte sehr zufrieden, als er den jungen Mann betrachtete. „Für einen Hochadligen bist du ein viel zu feiner Kerl. Ich kenne sie alle, aber jemanden wie dich habe ich nie unter ihnen getroffen. Und wenn diese Fassade gespielt ist, dann bist du der größte Blender von allen und solltest unser neuer Kaiser werden.“
Erschrocken keuchte Candras bei diesen Worten auf. Sie griff sich an die Brust und atmete schwer. Kal Ilis hatte etwas ausgesprochen, was ihm bei einem zornigen Richter durchaus den Hochverrat und die entsprechende Strafe einbringen konnte.
Dero warf dem Admiral einen entsetzten Blick zu, danach sah er seine Sekretärin an.
Aber Kal Ilis schüttelte nur den Kopf. „Sie ist Linais treue Frau. Mach dir um sie keine Sorgen. Alles was sie hört geht nur an die Ohren der schönsten Blume im Garten Akars, an niemanden sonst.“
„Sie lässt mich überwachen, von einer ihrer geschworenen Gefolgsleute?“, fragte Dero. „Nicht, dass ich das nicht geahnt hätte.“
„Nicht überwachen, Mylord.“, erwiderte die enttarnte Agentin. „Bremsen. Ich sollte Euch stoppen, bevor Ihr auch noch gleich die Republik in den Friedensprozess mit einbezieht. So waren die Worte Ihrer Majestät. Und nachdem was ich während der Verhandlungen von Euch erlebt habe, glaube ich, waren die Worte Ihrer Hoheit begründet.“
„Linai kennt mich anscheinend besser als ich mich selbst.“, murmelte Dero, halb amüsiert, halb erschrocken.
„Eine interessante Entwicklung, nicht? Die Lordregentin ist damit ganz klar auf deiner Seite, Sohn, und du hast damit den ersten deiner wichtigsten Verbündeten um dich geschart.“ Kal beugte sich leicht vor. „Erzähl mir nicht, dass du auch nur eine Sekunde geglaubt hast, du könntest wieder in deine gemütliche ländliche Kanzlei zurückkehren und so tun als wäre nie etwas geschehen. Deine ruhige Zeit war vorbei, als Linai dich rief.“
„Ich hatte nicht vor, wieder in meine Kanzlei zurück zu kehren. Ich weiß, dass meine Herrin mich nicht nur einmal einsetzen wird.“, erwiderte Dero mit rauer Stimme.
Kal Ilis hob das Sirash und begann mit der Spitze vor Dero herum zu fuchteln. „Deine Familie, junger Dero, ist deine zweite große Stütze. Ich bin sicher, du hast dein Bestes gegeben, um für sie so uninteressant wie möglich zu sein, damit du deine Ruhe hast. Damit ist es vorbei. Dein Clan wird dich preisen, feiern und bejubeln, um so viel politisches und militärisches Kapital wie möglich aus deinem Sieg zu ziehen. Zugleich bedeutet das, dass du zum ersten Mal in deinem Leben etwas von deinem Clan fordern kannst, für all die Vorteile, die er aus dir zieht.“
Ilis streckte die Hand aus und reichte das Sirash an den jungen Lord weiter. „Dein drittes Standbein, Sohn. Der Clan Ilis erkennt Talent, wenn er es sieht. Und solange du treu und aufrecht an Linais Seite stehst, bin ich dein geschworener Mann, und mit mir mein Clan.“
Dero ergriff das Sirash, das wohl eines von mehreren im Besitz des Admirals war, aber das Siegel der Familie Ilis trug, wie eine kostbare Trophäe.
„Als ich diesen Angriff plante, als ich ihn ausführte, sah ich meinen eigenen Tod. Eine sehr ungemütliche Vorstellung, in London oder Hannover zu sterben. Ich hätte meine Pflicht erfüllt, ebenso wie zehntausende meiner Soldaten, die für die Ehre des Kaisers und die Rettung unseres Volkes hier gefallen sind. Aber Leben ist besser. Und mit mir kehren einhunderttausend Akarii lebend aus dem Krieg heim. Das hast du vollbracht, und jeder einzelne dieser Männer und Frauen sollte dich wie einen Heiligen behandeln.“
Stockend schloss Dero die Hände um den Holzgriff. Er drückte so heftig zu, dass die Fingerknochen dunkelgrün unter seiner Schuppenhaut zu erkennen waren. „Ich fühle mich geehrt. Aber wie lange wird die Unterstützung der Ilis’ währen?“
„So lange, wie du treu und aufrichtig zu Linai stehst.“ Die alten Augen des Admirals funkelten listig, und einmal mehr fühlte sich Dero nicht wie der Akteur, sondern wie eine Spielfigur des alten Akariis neben sich. Der alte Mann war schlau, unheimlich schlau. Er wusste was er wollte und wie er es erreichen konnte. Und anscheinend hatte Kal Ilis mit ihm Pläne. Wie er gesagt hatte, er erkannte Talent wenn er es sah. Talent wofür? Talent wie weit hinauf? Dero hatte nie hinauf gewollt, niemals in die Höhe steigen. Aber er hatte auch gewusst, dass Akar ihn nicht entkommen lassen würde, und er hatte sich für die Zeit der Forderungen geübt und trainiert. Die Zeit war da, und für ihn hieß es nun wirklich zu leben oder zu sterben.
„Und mein viertes Standbein? Oder reichen mir drei?“, fragte Dero krächzend.
„Wenn ich du wäre würde ich erst im vierstelligen Bereich aufhören, Standbeine zu suchen, Sohn.“, brummte der alte Admiral amüsiert. „Ein weiteres Standbein habe ich nicht für dich. Die wirst du dir selber suchen müssen. Dienen nicht einige deiner ,Terraner’ mittlerweile recht hoch in der Verwaltung und der Flotte? Kannst du dir einem oder mehreren sicher sein?“
„Sie werden sich bestimmt an die Stimmungskanone ihrer vielen Partys erinnern und mit fliegenden Fahnen zu ihrem Lieblingsanwalt überlaufen.“, erwiderte Dero säuerlich.
„Erinnern werden sie sich an den Jugendfreund. Überlaufen werden sie aber zum Sieger über die Konföderation.“
Das Shuttle ruckte hart, als es in der Shuttlebay der INDEPENDENCE aufsetzte.
„Sehen wir uns also mal deine Beute an.“, murmelte der alte Admiral und erhob sich.

***

Nach einem beeindruckenden Rundgang durch die INDEPENDENCE und der mulmig machenden Erkenntnis, wie schnell der Träger trotz seiner Schäden wieder bereit gemacht hatte werden können, richtete sich Dero ein Büro auf dem Flaggdeck ein. Die Einrichtung war karg, aber die Kommunikationssysteme mehr als ausreichend. Die konföderierte Besatzung, die bis zur Grenze das Schiff fliegen würde, behandelte ihn höflich, respektvoll, und in einer merkwürdigen Mischung aus Ehrfurcht und Ablehnung. Einige sahen ihn als Vernichter der Ehre, wie er vermutete, und andere als Retter. Die Hand an ihn zu legen versuchte keiner.
Kaum hatte Dero die Kommunikationsleitung freigeschaltet, überfiel ihn schon ein ganzer Schwall an Botschaften. Er hatte das erwartet. Seit die Friedensverhandlungen begonnen hatten, wurde er mit Nachrichten, Drohungen und Glückwünschen überhäuft. Auch diesmal widmete er sich den elektronischen Briefen nach der altbewährten Methode: Namen die er kannte wurden beachtet. Alle anderen blieben für seine Sekretärin und den Geheimdienst übrig.
Ein Name fiel ihm gleich als allererstes ins Auge, denn wenn er sich recht an das Gespräch erinnerte, in dem Linai ihm den Auftrag gegeben hatte, Frieden zu schließen, war er der heimliche Herr des Kriegsministeriums, und nicht ihr Ehemann Tobarii: Admiral Ersten Ranges Reiik Latasch.
Erstaunt stellte er fest, dass es eine Videobotschaft war. Er öffnete die Datei und blickte in das zornesrote Gesicht des erfahrenen Kommandeurs. „Bleiben Sie gefälligst meinem Ministerium fern, Dero!“, rief der Offizier wütend. Als er das gesagt und – zugegeben – den jungen Lord zu Tode erschrocken hatte, wurde die Miene des Admirals versöhnlicher. „Gute Arbeit auf Hannover. Verdammt gute Arbeit. Lassen Sie die Finger von meinen Leuten, und wir kommen gut miteinander aus, Mylord.“
Gefangen in einer Mischung aus Entsetzen, Erstaunen und dem eisigen Gefühl, etwas vollkommen Unerwartetes erlebt zu haben, starrte er auf die Stelle des Monitors, wo eben noch Latasch zu sehen gewesen war. Was genau war das gewesen? Eine Ansage, ein Lob? Beides?
Irritiert öffnete er die nächste Nachricht. Eine ziemlich belanglose, und zudem schon Tage alte Mitteilung seines Vaters, in der ihn der alte Eisenfresser ultimativ dazu aufforderte, diesmal „keinen Mist zu bauen“ und „nicht wie vor Gericht zu verhandeln zu versuchen“ und „endlich mal die Schuppen aufzustellen“. Nun, er hoffte, den alten Patriarchen damit zufrieden gestellt zu haben, wie er den Frieden mit der Konföderation errungen hatte.
Eine weitere Botschaft war ganz oben auf dem Interessenfilter gelandet. Sie war von Mokas Taran, einem seiner alten Freunde, mit denen er sich früher vom Palastgelände geschlichen hatte, um die Hauptstadt unsicher zu machen. Dero hatte zuletzt davon gehört, dass er in den Draned-Sektor versetzt worden war, und es überraschte ihn nicht wenig, in ihm nun den militärischen Oberbefehlshaber für den Sektor wiederzufinden. Mokas war immer ein wenig verschlossen gewesen, zögerlich, beinahe ängstlich darauf bedacht, keine Fehler zu begehen. Es hatte Dero wirklich einiges an Zeit gebraucht und auch einiges gekostet, um ihm die Prinzipien „Jugend“, „Freude“ und „Gelegenheit“ nahe zu bringen. Sie hatten zwei spaßige Jahre zusammen verbracht, dann hatte er seinen Grundwehrdienst als Schlammstampfer angetreten, und der Spross der Taran-Familie war an die Akademie gegangen, um, nun, genau das zu werden was er jetzt war: Ein verdammter Admiral. Dero war sich sicher, dass ein Mann, der sich in einem derart bedrohten Sektor bis ganz nach oben wühlte und die Reste zusammenhalten konnte, mehr als geeignet für den Posten war. Dass er aber nicht gerade ein verdammter Draufgänger geworden war, ließ das Schreiben erkennen, in dem er subtil auf die Schwierigkeiten hinwies, die er im Draned-Sektor hatte, gleich nachdem er dem „siegreichen Dero zu seiner neuesten Schlacht“ gratuliert hatte. Ein recht subtiler Hinweis auf jene nicht jugendfreien Veranstaltungen, die sein jüngeres Ich immer als Schlachten bezeichnet hatte, um die verstaubten Admiräle zu parodieren. Vor allem aber schien Mokas noch immer ein Genie darin zu sein zu sagen was er wollte und die Leute dazu zu bringen es ihm zu geben – und glauben zu machen, sie hätten sich selbst dazu entschieden. In diesem Fall deutete Mokas mehrfach den Trägerdefizit im Draned-Sektor an, und die Schwierigkeiten, die sich auch aus dem Mangel an Hilfsträgern ergaben. Und dabei hatte er schon alles zusammengekratzt, was man ihm bewilligen wollte, aber es gab einfach keine Träger mehr. Einen Arm ausreißen wollte er sich für einen einzigen dämlichen Hilfsträger oder eine vergleichbare aufrüstbare Konstruktion.
Dero seufzte lange und schwer. Er konnte sich kaum sofort nach der Nachricht von Latasch mit ihm und dem Kriegsministerium anlegen, indem er heimlich die JOHN PAUL JONES oder die INDEPENDENCE in den Draned-Sektor abzweigte. Aber genau das wollte der Bursche – und am liebsten gleich beide Träger. Das wäre dann ein Gefallen, groß wie ein schwarzes Loch. Allerdings war ausgerechnet dieser Taran aus der ganzen Familie mal kein Opportunist und würde treu zu Linai stehen, egal welche Alternativen man ihm bot. Ihm einen Gefallen zu gewähren und später einen von ihm zu fordern war nahezu gleichbedeutend wie treue Gefolgschaft zu Linai. Nicht, dass er jemals etwas anderes geplant hatte.
Oh ja, die JOHN PAUL JONES war entbehrlich, konnte auch noch nach dem Krieg ein Museumsschiff werden, während die INDEPENDENCE den Orbit um Akar einnehmen und die neue Botschaft der Konföderation aufnehmen würde. Aber wie machte er das Latasch begreiflich, ohne sich zu offensichtlich einzumischen? Ihm fiel nur ein Bauernopfer ein. Jemand, der den Ärger von Latasch auf sich ziehen würde. Jemand wie... Tobarii.
Andererseits, wenn es gut ausging, würde man dem Prinzessinnengemahl für sein gutes Gespür loben. Aber man konnte nicht alles haben im Leben. Und eine Fünfzig-Fünfzig-Chance für Tobarii war bei weitem besser als das, womit Dero auf Hannover konfrontiert worden war.
Mit einer grimmigen Zufriedenheit machte er sich daran, dem Kriegsminister Mokas´ Ersuchen mit einem eindringlichen Schreiben schmackhaft zu machen.
Zugleich traf er Vorkehrungen, um den Träger auf eigene Faust auszuliefern. Wo zum Henker bekam er eigentlich zwei Kilometer Geschenkpapier für die Schleife her?
Er machte eine kurze Notiz, die er dem Prisenkommando mitgeben würde, das er nach Übertreten der Grenze in den Draned-Sektor schicken würde. Die JOHN PAUL JONES würde einen neuen Namen erhalten, das war so klar wie ein gutes Sirash scharf sein musste. Der Zettel war für Mokas bestimmt und enthielt den diskreten Vorschlag von Dero für den neuen Namen: Silmaril.


CA KAMI, Karrashin-Kiralu Wurmloch, Karrashin-Seite,
Im Deckungsschatten der Emissionen, Ende der Schlacht

Nachdenklich, unter halb geschlossenen Augen, betrachtete Justus Schneider die Monitore mit den verschiedenen Gefechtsparametern. Die Schlacht war hart gewesen, und der Hybridraumer hatte einiges an Schäden einstecken müssen. Von ihren Begleitschiffen hatte es einige erwischt, und keines war ohne Schäden geblieben. Aber wenn man diese Schlacht mit dem Ereudyke-Wurmloch verglich, mit der Hatz auf Jor oder einigen anderen großen Gefechten, in denen die KAMI mittlerweile gesteckt hatte, dann erreichte dieser Kampf nicht einmal die Top Ten der traumatischsten Erfahrungen.
Die KAMI war mal wieder auf sechzig Prozent Panzerung angelangt. Ihre aufgenieteten Panzerplatten hatten längst nicht das gehalten, was der Skipper sich davon versprochen hatte. Zwei von vier Schildgeneratoren waren down, stellenweise brannte das Schiff. Allerdings in angeschlagenen Sektionen, die ohnehin schon geräumt waren. Eine Vakuumlöschung stand unmittelbar bevor und war in diesem Fall auch die richtige Entscheidung. Die Verluste an Bord hielten sich bisher in Grenzen.
Die Shuttles der zerstörten Schiffe drängten sich in den Hangars der KAMI, die wirklich akuten Fälle mit Schwerverletzten und Eingefrorenen hatte er allerdings bereits zur HONGKONG und der COLUMBIA weiter geleitet.
„Sorgt dafür, dass ein Hangar leer bleibt,“, brummte Schneider. „Falls wir unterwegs noch ein Shuttle aufpicken müssen, will ich nicht vor der Situation stehen, keinen Platz mehr zu haben. Noch haben wir die Zeit, um die Mistdinger zu stapeln.“
Wenn Henrik über diese Anweisung überrascht war, dann zeigte er es nicht. Er nickte dazu und gab den Befehl weiter. Seit Beginn der Schlacht war er um einiges schweigsamer geworden. Auch um einiges effizienter. Zwei der zerstörten gegnerischen Schiffe gingen eindeutig auf seine Zündteams zurück. Schneider nahm sich vor, ihn für den Bronce Star zu empfehlen.
„Skipper,“, begann der Commander plötzlich, „wir haben Heimruf. Sprungreihenfolge und Sprungkoordinaten treffen ein.“
„Welcher Sprung sind wir?“
„Der siebentletzte, Sir. Ganz zum Schluss springen die COLUMBIA und ihre Begleitschiffe.“
„Wir lassen uns hinter den Fregatten und den Zerstörern zurückfallen.“, befahl er. „Durch die Bogenkrümmung des Wurmlochhorizonts sind wir näher an der Transferzone als die COLUMBIA, brauchen also weniger Zeit zum Sprung. Ein kurzer Sprint, und wir sind da.“
„Aye, Aye, Sir.“, meldete Commander Dumas vom Ruder.
„Keine Feindortungen innerhalb effektiver Sensorreichweite.“
Schneider dachte einen Augenblick nach. „Mr. Davis!“
Der Waffenoffizier schreckte von seinem Platz hoch. „Sir?“
„Mr. Davis, Ihre Dienste an den Waffenpulten werden derzeit nicht benötigt. Übernehmen Sie einen der Notfallplätze bei Funk und Ortung. Falls Sie dazu in der Lage sind, heißt das.“
Ian Davis, der jüngste Cousin des Skippers, grinste von einem Ohr bis zum anderen. Wenn Justus meinte, ihn mitten im Gefecht damit aus der Bahn werfen zu können, indem er ihn auf einen neuen Posten umverteilte, hatte er sich geschnitten. Ein Davis bewies sich da, wohin er gestellt wurde.
„Aye, Aye, Skipper.“

Der Junioroffizier schnallte sich ab und kam zur Funk- und Ortungsdivision herüber. „Habe gehört, ihr braucht Hilfe.“, frozzelte er in Richtung seine Busenfreundin Chausiku Denge.
Die Kenianerin antwortete mit einem schiefen Lächeln. „Hoffentlich bist du uns auch eine Hilfe, und kein Störfaktor.“ Sie bedeutete ihm einen Sektor, den er funktechnisch überwachen sollte. „Wir lauschen im Moment vor allem nach Shuttles, die einen Landeplatz suchen.“
„Aye.“, murmelte Ian und machte sich an die Arbeit. „Zwei Shuttles von der TRAFALGAR. Ihr Schiff ist schon gesprungen, und sie suchen noch einen Hafen. GAZ vier Minuten.“
„Einweisen, Mr. Davis. Unser Sprung erfolgt erst in sieben.“
Schneider meldete sich von seinem Posten. „Mr. Henrik, halten Sie mir einen Hangar frei.“
„Aye, Skipper.“, brummte der Commander als Antwort. Wenn der Hangar für diese Situation nicht frei gehalten wurde, wofür dann?
„Fünf Minuten bis zum Sprung. Sieben bis die COLUMBIA springt. Alle Begleitschiffe in der Transferzone, kein Feindkontakt. Erste Begleitschiffe springen.“
„GAZ TRAFALGAR-Shuttles eine Minute, achtundvierzig Sekunden.“, meldete Davis.
Er checkte seine Anzeigen erneut und klopfte seiner Nachbarin auf die Schulter. „In deinem Sektor ist noch was los. Sieht so aus, als käme da noch was Kleines quer zu unserer Flugbahn an.“
„Stimmt, er schneidet uns in zweieinhalb Minuten. Transponder identifiziert ihn als Shuttle der COLUMBIA. SAR. War wohl weit draußen.“
„Schafft das SAR-Shuttle es noch bis nach Hause, Ms. Denge?“, hakte der Commander nach.
Die Schwarzafrikanerin sah auf. „Nein, Sir. Es fehlen achtunddreißig Sekunden.“
„Nehmen Sie Kontakt zum Shuttle auf und dirigieren Sie es um, bevor es unseren Kurs kreuzt.“ Henrik warf einen Blick auf den Skipper. „Aber halten Sie einen Hangar frei.“
Leises Gelächter erklang, während Justus Schneider nur wohlwollend mit einem dünnen Lächeln nickte.
Schneiders Haltung hatte einen schlichten Grund: Alles in allem war ihr Rückzug weit davon entfernt, in Sorgfalt und Ruhe vorgenommen zu werden. Und im Falle eines Falles wollte er es nicht sein, der einem Shuttle Landeverbot erteilte und die Besatzung dazu verdammte, entweder den Freitod zu suchen oder in Akarii-Gefangenschaft zu gehen. Einen Hangar frei zu halten, um eventuellen Shuttles in letzter Minute einen Hafen bieten zu können, war da nur ein Zug der Logik. Und im Strahlenchaos des Wurmlochs zudem ohne weiteres möglich. Vier Minuten bis zum Sprung.

„Was?“ Second Lieutenant Denge sah überrascht auf. „Hören Sie, wenn Sie mich verarschen wollen, dann... Sie schaffen es nicht mehr bis zur Columbia? Nein, ich stelle Sie nicht zum Skipper durch! Ich... AUTSCH!“ Überrascht riss sie das KommSet vom Kopf, als ihr Gegenüber brüllte.
Ihr Sitznachbar zuckte zusammen. Er griff nach dem Set. „Cliff, bist du das?“
„Ian?“, kam es klar und verständlich durch. „Keine Zeit jetzt! Gib mir sofort Justus!“
Entgegen jedes Protokolls und ohne den Umweg über die Schaltungen zu nehmen sprang der junge Offizier auf, und rannte zum Podest des Kommandanten. „Justus, es ist Cliff!“
Stirnrunzelnd nahm Schneider das Set entgegen. „Clifford?“
„Keine Zeit für lange Reden! Ich sitze hier zusammengepfercht mit meinem XO in einer Nighthawk und schaffe es nicht mehr bis zur COLUMBIA, bevor sie springt. Wir halten auf euch zu, Justus! Kannst du was für mich tun? Du bist näher.“
Hastig winkte er Henrik und Nasahari heran. „Du bist verrückt. In drei Minuten springen wir selbst!“
„Ich frage ja auch nur, Herrgott! Wenn du damit leben kannst, deinen Cousin den Akarii zu überlassen, dann...“
„Ach, erpresst du mich jetzt? Was würde Opa Monty dazu sagen?“ Er schirmte das Mikro ab und gab Anweisungen. „Finden Sie die Nighthawk, Mr. Henrik. Mr. Nasahari, der frei gehaltene Hangar soll geöffnet werden. Wir haben eine Notfallsituation!“
„Aye, Skipper!“. „Aye, Sir.“
„Funktioniert es, wenn ich dich erpresse? Wir können dich vor deinem Sprung erreichen, das ist unsere einzige Chance!“
„Lass mich überlegen. Du kannst dich nicht magnetisch andocken, weil die Nighthawk das Magnetfeature nicht mehr hat. Dicht neben mir herfliegen bringt dir auch nichts, außer du willst als Abrieb enden. Bleibt nur die Landung in einem Hangar. Den du dabei wahrscheinlich verwüsten wirst.“ Zweieinhalb Minuten.
„Dann hast du wenigstens was, was du meinen Eltern in der Urne nach Hause schicken kannst.“, erwiderte First Lieutenant Davis sarkastisch.
„Ich soll dir also zutrauen, dieses überaus riskante Manöver zu fliegen, ohne mein Schiff zu zerstören? Nenne mir einen guten Grund.“
„Nun, ich bin nicht am Steuer, sondern mein XO.“, erwiderte der Pilot.
Justus Schneider verkniff sich ein Auflachen. „Überredet. Wir nehmen euch in Leitstrahl. Die Landung musst du nach Gefühl machen. Die Strahlenschauer stören die Computer zu sehr. Aber wehe du schrottest meinen Hangar oder zerschellst auf meinen Schiff, Clifford!“
„Ich gebe es nahtlos dem Mann weiter, der meine Eier zu retten versucht.“, erwiderte Davis sarkastisch. Eine Minute.
„Hangarmannschaft soll sich für einen Brand bereithalten. Rettungsteams zum Hangar. Mister Henrik, Sie haben die Brücke!“
„Aye, Aye, Sir!“
„Commander Dumas, ich erwarte Präzisionsarbeit beim Senken der Backbordschilde.“
„Keine Sorge, Sir, da kommt nur ihr Cousin durch, aber kein einziger ballernder Akarii.“
„Das wollte ich hören.“, brummte Schneider und machte sich auf den Weg zum Hangar.

„Heilige verdammte Scheiße. Ich habe immer gehört, dass der Skipper verrückt ist, aber erst jetzt fühle ich mich so richtig wohl!“, rief Chief Watts aufgeregt.
„Ich verstehe nicht, wieso Sie so fröhlich sind, Chief. Entweder zerschellt die Nighthawk auf dem Schiffsrumpf, oder im Hangar.“, erwiderte Corporal Adin von der Feuerlöschtruppe sarkastisch. „Kein gottverdammter Pilot ist so gut, um einerseits ein Hochgeschwindigkeitspräzisionsmanöver zu fliegen, den Schwerkraftausgleich auszuführen bevor er selbst zerschmettert wird, und dann noch unbeschädigt landen zu können.“
„Die beiden Jungs, die da zusammen mit einem Jäger rein kommen, haben Eier, Kleiner.“, erwiderte der Chief grinsend, als würde nicht die Möglichkeit bestehen, gleich zwei Häufchen organischer Materie aus etwas Metall zu kratzen, sondern ein entspanntes Basketballspiel auf dem Plan stehen.
„Wir legen ihren Funk auf Lautsprecher.“, meldete die Hangarzentrale.
„Ausgleichen um 0,2 Km/s.“
„Verstanden. Wir schießen am Rumpf vorbei.“
„Nur momentan. Meine Berechnungen stimmen. Langsam weiter reduzieren, aber nur um 0,13 Km/s. Du musst die Absorber im richtigen Augenblick deaktivieren. Eine Sekunde zu früh, und wir werden von der Hülle zertrümmert. Eine Sekunde zu spät, und wir enden als dicker Fleck im Hangar.“
„Na danke, Ace, du verstehst es einem Mut zu machen.“
„Zehn Sekunden bis zum Sprung!“, kam es über Lautsprecher.
„Also, jetzt oder nie!“
Watts grinste breit. „Die beiden schaffen es, darauf verwette ich ein Fass Whisky.“
Er deutete auf den Hangarmonitor, wo in diesem Moment das Heck der Nighthawk langsam in Sicht kam. Das Schott war zwar weit größer als die Maschine, aber bei Hochgeschwindigkeiten konnte schon ein klitzekleiner Fehler den Tod bedeuten. Sieben Sekunden. Sechs. Fünf. Vier. Drei.
„REIN JETZT!“, brüllte Davis, und die Nighthawk rollte in den Hangar hinein. Sie wurde vom Schwerefeld der KAMI voll erfasst und gegen die Fahrtrichtung auf die Hangarwand zu gedrückt.
Der Pilot schaltete die Absorber ab, wodurch der Jäger zuerst einen Satz nach vorne machte, danach aber wieder nach hinten schoss. Ein ohrenbetäubendes Krachen ging durch das Schiff, als sich die stolze Nighthawk unter Gewalteinwirkung in eine nicht mehr so stolze Nighthawk verwandelte.
Dann erfolgte der Sprung der KAMI, während zugleich das Hangartor zuglitt. Nun, der Part war erledigt. Fehlte noch der ungewissere Part.
„Okay, geschafft haben sie es jetzt, Chief.“, murmelte Adin. „Doch wenn aus dem Haufen Schrott zwei lebende Piloten steigen, dann kriegen Sie ihr Fass Whisky, versprochen, Chief!“
„Notfallteam und Feuerlöschtrupp in den Hangar!“, rief der Deckchief und öffnete die Zugangsschotts zum Großraumhangar.
Adin sprang als erster hinein, in der Hand einen B-Schlauch mit Löschschaum. „Voller Druck! Wir kommen von drei Seiten! Haut drauf was drauf geht, damit uns der Sprit nicht hoch geht! Weiß jemand, ob die Maschine noch aufmunitioniert ist?“
„Gut mitgedacht. Aber der Pilot hat die Munition und den größten Teil des Sprits abgeworfen, bevor er das Manöver gewagt hat.“, erwiderte der Chief. „Hey, bleibt mir vom Cockpit mit dem Löschschaum weg! Wir wollen doch nicht, das unsere Geretteten ironischerweise zu Tode gelöscht werden?“

Es verging etwa eine Minute, dann war ein Großteil des reichlich verzogenen Jägers mit einem dicken Schaumteppich bedeckt worden.
„Hangarkontrolle. Gibt es Daten aus dem Cockpit?“
„Der Computer meldet keine Daten. Das wundert mich aber nicht, denn damit zwei Männer da rein passen, musste eine Menge Elektronik raus fliegen. Hoffen wir das Beste. Die Jungs mit den Schneidbrennern sollen kommen. Ärzteteam soll sich bereithalten.“
„Ihr habt den DeckChief gehört, Leute.“, grummelte Watts. „Macht mir diese Büchse auf!“
In diesem Moment kam Schneider atemlos in den Hangar gestürzt. „Haben sie es geschafft?“
„Das werden wir gleich wissen, Sir.“
„Ich kann sie sehen!“, rief der Mann am Cockpit. „Ich kann sie sehen, aber sie bewegen sich nicht!“
Er versuchte das Cockpit zu entsigeln, aber erwartungsgemäß hatte es sich verzogen. Also aktivierte er den Elektroschweißer und schnitt die Falz auf. Funken stoben ins Innere und tanzten über die beiden reglosen Gestalten. „Runter jetzt mit dem Ding!“, rief der Schweißer, und holte sich Hilfe, um die Haube abzunehmen.
„Lieutenant Davis! Lieutenant Cartmell! Können Sie mich hören, Sirs?“, rief er hoffnungsvoll. Erschrocken hielt er inne. „Sie zucken! Epileptischer Anfall oder Schock! Wir brauchen sofort die Sanis hier!“, rief er besorgt.
„Na, wenn sie zucken, sind das entweder postmortale vegetative Nervenreaktionen,“, murmelte Schneider, „oder sie lachen.“
„Lachen, Sir?“, fragte der Chief erstaunt.
Augenblicke später hallte das Gelächter durch den Hangar.
„Scheiße, Noname, ich glaube, ich habe mir jeden Knochen zweimal gebrochen! Das nächste Mal fliege ich, verstanden?“
Der andere Pilot hielt einen Moment in seinem manischen Gelächter inne. „Um Himmels Willen, du willst das noch mal machen? Dann such dir lieber was kuscheligeres wie Too-Tall. Nur ein Tipp von mir, denn an deinem spitzen Becken und deinen harten Ellenbögen habe ICH mir was gebrochen!“
„Na, wenn ihr dumme Witze reißen könnt, kann es so schlimm um euch nicht stehen.“, stellte Schneider fest und sprang ebenfalls auf das Cockpit. Er runzelte die Stirn. „Welches dieser Häufchen Elend ist mein Cousin?“
Die Hand des hinteren hob sich. „Teufel, du hast schon mal besser ausgesehen. Und du hast noch nicht mal deinen Anzug abgelegt.“
„Das sollten wir wohl besser übernehmen, Skipper.“, sagte LaCroix, die Chefärztin, und schob ihren Kapitän von ihren Arbeitsbereich herunter.
Techniker halfen den Sanitätern, die beiden Piloten nacheinander aus der Kanzel zu wuchten, was diese mit faulen Witzen und Schmerzensschreien kommentierten. Danach wurden sie auf bereit stehende Bahren gelegt. Justine LaCroix führte einen Scan mit Hilfe der Anzugroutine durch und schüttelte den Kopf: „Meine Herren, Sie werden eine sehr lange Zeit in meiner Obhut bleiben. Wir nehmen Ihnen jetzt die Helme ab, aber wir legen Halskrausen an. Sie haben sich so ziemlich alles überdehnt, was sie an Sehnen haben.“
Der erste, der von seinem Helm befreit wurde, war First Lieutenant Davis.
„Schön, dich zu sehen, Kleiner.“
„Schön, überhaupt zu sehen, Justus. Das letzte Mal, als ich in so eine Situation war, war ich anschließend zwei Wochen blind. Nachdem ich aufgetaut wurde. Dank Noname blieb mir das diesmal erspart.“
„Noname?“ „Mein XO. Ein verrückter Hund, ein Wahnsinniger. Du wirst in mögen.“
„Hey! Redest du so über deinen Lebensretter?“, erwiderte Cartmell, nur um in ein erbärmliches Winseln zu fallen, als die Schmerzen seiner überdehnten Halssehnen quer durch seinen malträtierten Körper fuhren, als man ihm den Helm abnahm. Mit der Halskrause wurde es besser.
Schneider trat neben ihn. „Lieutenant Cartmell, wenn Sie ein Verrückter sind, dann sind Sie bei Cliff und mir in bester Gesellschaft.“
Der Pilot lachte heiser. Danach hustete er. Er lachte erneut und musste wieder husten. „Danke. Ich war schon in weit schlechterer Gesellschaft.“
Schneider lachte laut: „Der gefällt mir. Kann ich ihn behalten, Cliff?“
„Finger weg von meinen Untergebenen.“, drohte Ace gespielt.
„So, Lieutenant Davis, Sie haben ein gebrochenes Becken, einen Milzriss, den ich sofort mit einer Naniteninjektion behandeln muss, der linke Unterarm und drei Handknochen sind ebenfalls durch. Dazu kommen eine Unmenge an blauen Flecken, überdehnten Sehnen und zwei ausgeschlagene Zähne. Ich züchte gleich Ersatz für Sie.“
„Ausgeschlagene Zähne?“, argwöhnte Schneider.
LaCroix sah auf den Bericht, den ihr Stellvertreter von Noname gemacht hatte. „Wie es aussieht, hat er mehrfach den Hinterkopf von Lieutenant Cartmell buchstäblich in die Fresse gekriegt. Der hat nämlich ein riesiges Hämatom am Hinterkopf, sowie eine Gehirnerschütterung, die sich gewaschen hat. Lieutenant Davis, wissen Sie, was mit Ihren Zähnen passiert ist, oder muss ich die in Ihrer Lunge suchen?“
„Suchen Sie lieber in meinem Helm. Ich habe einiges ausgespuckt, als ich wieder zu mir kam.“
„Hm. Lieutenant Cartmell, Sie haben sich beide Unterschenkel gebrochen. Dazu kommt eine gestauchte Leber. Und Sie haben sich in der Tat an den Beckenknochen von Lieutenant Davis gestoßen. Zwei weitere riesige Hämatome auf Ihrem Allerwertesten sind der Beweis. Ansonsten ist dieses Höllenmanöver glimpflich für Sie ausgefallen. Abgesehen von einem Riss im Knochen Ihres Hinterkopf, natürlich. Und das ist nur die erste oberflächliche Untersuchung. Ich muss Sie beide auch auf Strahlungsschäden untersuchen.“
„Ach, Strahlungsschäden sind halb so wild.“, rief Davis und winkte ab. „Neben mir ist mal ’ne Atombombe explodiert, und ich in Cryostase eingefroren. Habe meinen linken Arm verloren und hatte diverse Tumore im Kopf. Und schauen Sie mich an, Doktor, ich lebe noch.“
„Sie müssen eine verdammt gute Klinik gehabt haben.“, erwiderte die Ärztin staunend.
„Ich glaube nicht, dass die Medostation von Camp Hellmountain auf der Empfehlungsliste steht.“, erwiderte Davis mit einem manischen Kichern. Er hob die rechte Hand: „Verdammte Scheiße, Justus!“
„Ich bin hier, Kleiner.“, sagte der Skipper und griff nach der dargebotenen Hand.
„Du hast mir... Du hast uns das Leben gerettet. Du hast einen Wunsch frei. Wenn ich ihn erfüllen kann...“
„Hm. Kannst du dafür sorgen, dass Ian ein anständiger, gehorsamer und aufmerksamer Offizier wird?“
„Ich sagte erfüllbar. Diese Landplage hat nur Jean im Griff. Und die ist...“
„Als Grunt auf der COLUMBIA, ich weiß.“, erwiderte Justus lächelnd. Er drückte die Hand seines Cousins noch einmal. „Euch zu retten war reiner Selbstzweck. Deine Mutter hätte mir die Hölle heiß gemacht, Cliff, das weißt du nur zu gut.“
„Dennoch. Ein Wunsch. Mein Wort drauf!“ rief Davis, während die Sanitäter seine Liege in Bewegung setzten.
„Lieutenant Cartmell, ich würde Ihnen sehr gerne danken und Ihnen anerkennend die Schulter klopfen, aber ich habe keine Ahnung, was ich an Ihnen gefahrlos berühren kann.“
„Ist schon in Ordnung, Sir. Der Gedanke zählt. Ich wäre auch nicht froh geworden, wenn ich Ace da draußen gelassen hätte. Er ist ein feiner Kerl, wenn man sich auf ihn einlässt. Und er hätte das gleiche für mich getan.“
„Ja, das ist richtig. Wenn er sich mal nicht für den fliegenden Jesus hält.“, erwiderte Schneider grinsend.
„Ein passender Vergleich. Den sollte ich Lilja verraten.“, brummelte Cartmell. „Danke, dass Sie dieses riskante Manöver mitgemacht haben, Sir.“
„Keine Sorge. Wir haben genügend Terraner da draußen zurückgelassen, von denen wir vielleicht nie wieder etwas hören werden. Aber ich hätte verdammt sein sollen, wenn ich einen einzigen von ihnen, den ich hätte retten können, da draußen gelassen hätte.“
„Trotzdem. Ich stehe in Ihrer Schuld. Wie hat Clifford das doch so schön gesagt? Sie haben einen erfüllbaren Wunsch, Sir.“
Schneider runzelte die Stirn. „Würden Sie auf der COLUMBIA anrufen, und DAS da für mich erklären?“, fragte er und deutete auf den Schrotthaufen in seinem Hangar.
Cartmell wurde blass. „Erfüllbar, Sir. Erfüllbar.“
Schneider lachte auf. „Ab auf die Krankenstation mit Ihnen. Ich kontaktiere Ihren Träger.“
„Danke, Sir. Ach, und Sir, wenn es irgendwie geht, verschweigen Sie, dass Ace und ich uns in ein Cockpit gequetscht haben. Und wenn das nicht geht, dann vergessen Sie einfach, wer unten und wer oben gesessen hat.“
Schneider lachte erneut. „Versprochen, Noname.“
Einen Moment sah der Skipper auch ihm nach, wie er aus dem Hangar geschoben wurde. Dann aktivierte er sein Komm. „Commander Henrik, melden Sie der COLUMBIA, dass wir acht ihrer Schäfchen an Bord haben. Mit Namensliste und allem.“
„Verstanden, Skipper.“
Schneider grunzte zufrieden und besah sich den Schrotthaufen erneut. „Vielleicht, wenn man einen Rahmen drum macht...“ Er seufzte tief, denn sein restliches Schiff sah nicht viel besser aus, auch wenn die Feuer unter Kontrolle waren. Verdammt, dieser Kahn brauchte eine Werft, und das schnell.
13.01.2016 09:02 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Tyr

Akarii-Hauptwelt, kaiserlicher Palast

Prinzess-Regentin Linai Thelam blickte auf, und warf dem eingetretenen Hofbeamten einen müden Blick zu: „Muss das wirklich sein? Ich habe wirklich Wichtigeres zu tun, als meine Zeit mit gelangweilten Lords und Ladies des Hochadels zu vertun, die meinen, mir ihre Aufwartung machen zu müssen.“ Aber ihre Stimme blieb sanft.
Der alte Mann verneigte sich und fuhr in einer beschwichtigend wirkenden Geste über seine Dienstuniform. Cywar Kad stand seit mehr als einem halben Jahrhundert im Dienst der kaiserlichen Familie. Soweit Linai sich zurückerinnern konnte, hatte er schon immer die Antragsteller und Besucher angekündigt und geleitet, die einen kaiserlichen Prinzen oder eine Prinzessin um eine Audienz ersuchten. Die Jahre waren vergangen. Minister und Admiräle wurden ernannt und abgesetzt. Aber Cywar Kad war geblieben: „Verzeiht, Hoheit. Aber vielleicht solltet ihr doch erwägen, euch etwas Zeit für diese Besucherin zu nehmen. Es handelt sich um Lady Ciara Koo.“
Prinzessin Linai erinnerte sich daran, dass die Enkelin des verstorbenen Großadmirals vor ein paar Tagen um eine Audienz gebeten hatte. Sie hatte sich kurz darüber gewundert, die junge Adlige aber dann erst einmal wieder vergessen. Es gab soviel zu tun. So viele Pflichten. So viele Gefahren. So viele Intrigen. Und so wenig Zeit.

Aber wahrscheinlich hatte Kad Recht. Die Familie Koo gehörte zum uralten imperialen Adel. Und Nahil Koo war nicht nur der Oberbefehlshaber der imperialen Flotte gewesen, sondern auch ein persönlicher Freund ihres Vaters. Ein Held des Imperiums, dessen Gedenken weitestgehend makellos geblieben war. Dementsprechend hatten die Koo nicht nur beste Kontakte zu einer Reihe wichtiger Adelshäuser, sondern auch eine besonders enge Beziehung zur Admiralität. Ein Mitglied dieses Hauses zu brüskieren, wäre sicherlich das falsche Signal. Sie brauchte die Flotte.
„Also gut. Geben Sie mir noch eine halbe Stunde.“
„Wie Sie befehlen. Wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich außerdem einige Erfrischungen bereitstellen.“ Cywar Kad verneigte sich noch einmal, und verschwand fast lautlos.

Die Prinzessin hätte beinahe aufgelacht. Also darum ging es. Offenbar war jemand der Ansicht, dass sie zu viel arbeitete und zu wenig aß. Der Tag hatte einfach nicht genug Stunden, um allen Pflichten gerecht zu werden, die eine Prinzess-Regentin erfüllen musste. Vor allem, wenn gleichzeitig ein Krieg im Gange war, wenn es in den Streitkräften brodelte, und die Thronfolge ungeklärt blieb.
‚Nur ein Bürgerkrieg wäre schlimmer.’ Hastig verdrängte sie den verbotenen Gedanken. Jahrhunderte waren vergangen seit der letzten großen Erhebung, bei der Akarii gegen Akarii in richtigen Schlachten gegeneinander gekämpft hatten. ‚Und wenn es je einen Zeitpunkt gegeben hat, an dem wir uns so etwas nicht leisten können, dann ist es dieser.’
Um sich von diesen unfrohen Gedanken abzulenken, rief sie lieber auf, was sie über Ciara Koo erfahren konnte. Gerade unter den Hochgeborenen erwarteten viele, dass selbst die kaiserliche Familie über ihre Marotten und ihre Laufbahn informiert war. Das hatte mit den Verdiensten zu tun, die ihre Familien in der Vergangenheit erworben hatten. Und der Bedeutung, die sie für sich selber in Anspruch nahmen.
‚Also, vierundzwanzig Jahre. Stellvertreterin des Vizegouverneurs von Damar Zwei. So jung… Politisch unauffällig. Pragmatikerin. Keine Skandale. Bis auf…Nun, wenn das nicht interessant ist. Was hat DAS wohl zu bedeuten…’

Ihre Gedanken wurden durch Kads erneutes Eintreten unterbrochen. Unter den wachsamen Augen des alten Bediensteten trugen zwei jüngere Hoflakaien Getränke und kalte Speisen auf. Linai fand ihren Verdacht bestätigt. ‚Erfrischungen, sicher doch. Damit könnte man eine Infanteriekompanie satt kriegen.’ Erst der Geruch der Nahrungsmittel brachte ihr zu Bewusstsein, wie hungrig sie war.
Eine weitere Überraschung war das üppige Blumenbouquet, das von einem weiteren Lakaien herein getragen und mit lautloser Präzision auf einem Wandtisch arrangiert wurde.
Linai Telahn machte sich eigentlich nicht viel aus Schnittblumen, aber die in allen Farben des Regenbogens schillernden, bauchigen Blüten verströmten einen angenehm beruhigenden Duft. Auf Linais fragendem Blick bemerkte Kad halblaut: „Eine Aufmerksamkeit von Lady Koo.“
Natürlich. Damar hieß nicht umsonst ‚Blumenwelt’.
‚Zumindest weiß sie, was sich gehört.’

Die junge Frau, die wenige Minuten später den Raum betrat, versank in einem formellen Knicks, kaum dass sie die Schwelle überschritten hatte. Linai zog die Augenbrauen hoch. Solcher Formalismus war für Adlige ihres Alters nicht unbedingt üblich, und wurde normalerweise auch nicht erwartet. ‚Außer es geht um ein Gnadengesuch.’ Und die Art und Weise, wie Ciara Koo die Hände in einer fließenden Geste vor der Brust faltete, kam Linai irgendwie vage vertraut vor.
Die junge Adlige trug eine traditionelle Audienzrobe, wie es sich gehörte. Allerdings waren die Kleider an der Seite und den Ärmeln möglicherweise etwas weiter geschnitten, als es eigentlich üblich war. Das brachte nicht nur die schlanken Glieder und die makellosen, cremefarbenen schimmernden Schuppen gut zur Geltung. Es zeigte auch, dass Ciara Koo zumindest bei ihrer Kleidung keine konservative Traditionalistin war. ‚Aber warum dann diese formelle Begrüßung?’ Linai Telahn fühlte, wie irgendetwas in ihrem Unterbewusstsein erwachte. Sie konnte sich auf ihre Instinkte verlassen. Hinter diesem Besuch steckte wohl doch mehr.
Ansonsten schien Ciara Koo genau das zu sein, was man erwarten konnte. Eine junge Adlige, die der Militärdienst oder das Geschäftsleben nicht reizte, die aber gleichzeitig zu intelligent, willensstark und energetisch war, um sich mit dem Müßiggang und den Pflichten einer adligen Ehefrau zu begnügen. Da ihr wahrscheinlich die Talente fehlten, um eine künstlerische Kariere einzuschlagen, blieben nur noch die Zivilverwaltung, der diplomatische Dienst und die kaiserlichen Universitäten.
Eine hohe Geburt und eine erstklassige Ausbildung hatten ihr den Weg geebnet und ermöglicht, talentiertere aber niedriger geborene Konkurrenten zu überflügeln. Nach Linais Urteil war Ciara hübsch, aber nicht von blendender Schönheit. Intelligent, aber nicht brillant. Willenstark, aber nicht rebellisch. Ihr Leben war bisher ohne größere Tragödien, ohne unüberwindliche Schwierigkeiten und große Tragödien verlaufen.
Aber irgendetwas war da noch…

Die ersten zehn Minuten verliefen nach dem vorgeschriebenen Muster. Linais Besucherin übermittelte die obligatorischen Ergebenheitsadressen für den Kaiser und seine Familie, und drückte die tiefe Trauer aus, die sie und die ganze Familie Koo angesichts des schweren Verlusts des Imperators empfanden. Die Prinzessin nahm diese Bekundungen mit der nötigen Ernsthaftigkeit und Wohlwollen auf, und erkundigte sich im Gegenzug nach Ciaras Vorrankommen und der Situation auf Damar Zwei.

Flüchtig fragte sich Linai, wie ehrlich die bekundete Trauer über den Tod des Kronprinzen wirklich war. Das Verhältnis zwischen Nahil Koo und Prinz Jor war von Anfang an nicht einfach gewesen, und im Verlauf des Krieges immer schlechter geworden. Auch wenn sich der Großadmiral nicht offen auf die Seite der Offiziersfronde geschlagen hatte, viele vermuteten, dass der Widerstand gegen den Kronprinzen niemals eine so breite Front hätte bilden können, wenn der alte Flottenführer dies nicht schweigend geduldet, ja vielleicht sogar ermutigt hätte.
Aber Nahil Koo war kurz nach dem Scheitern der Verschwörung gestorben und hatte das Geheimnis seiner Verwicklung in die Intrige mit ins Grab genommen. Nicht einmal Jor hatte es gewagt, offene Verdächtigungen oder Anklagen gegenüber dem toten Helden zu erheben. Wenn man allerdings bedachte, mit wem seine Enkelin immer noch verlobt war…

Als hätte sie die Gedanken der Prinzess-Regentin gehört, richtete sich Ciara Koo auf, und blickte Linai ernst an. Ihre Stimme klang eindringlich. Jede Spur von Beiläufigkeit war verschwunden: „Verzeiht, wenn ich nicht sofort den Grund der Audienz nennen konnte. Aber wenn Ihr bereit seid, mir ein paar Minuten zuzuhören, dann werdet Ihr verstehen, warum ich nicht den offiziellen Weg oder eine Videobotschaft wählen konnte, um mich an euch zu wenden.“
‚Also doch.’ Linai nickte unverbindlich, und ihre Besucherin interpretierte die Geste offenbar als Aufforderung, fortzufahren.
„Ich bitte Euch, meine Worte als die Worte meines Verlobten Admiral Zweiten Ranges Mokas Taran zu verstehen.“
Damit war es ihr gelungen, Prinzessin Linai Telahn zu überraschen. Sie hatte eine Denunziation erwartet. Eine Warnung vor einer Verschwörung. Ein Gerücht über eine der sich formierende Interessengruppe, die sich in das Spiel um die Thronfolge einmischen wollten. Oder vielleicht ein Gnadengesuch für einen degradierten oder unehrenhaft entlassenen Admiral.
Aber das hier… ‚Was hat ein in die hinterste Provinz abgeschobener und vom Imperium abgeschnittener Admiral Zweiten Ranges mir zu sagen? Und warum schickt er seine Botschaft nicht über die offiziellen oder zumindest die militärischen oder geheimdienstlichen Kanäle?’

Sie erinnerte sich vage an Taran. Ein schlaksiger Junge, der zwar fast jeden Krieg der imperialen Streitkräfte aus dem Gedächtnis nennen konnte, aber mit der Pistole oder dem Schwert bestenfalls mittelmäßig gewesen war. Allerdings war Taran auch kein Bücherwurm gewesen. Er hatte zeitweilig zu Deros Clique gehört, die sich immer wieder vom Palastgelände schlich, um ohne Leibwächter und Anstandsdamen die anrüchigeren Viertel der Hauptstadt zu erkunden.

Linai blickte in das schmale, hübsche Gesicht der jungen Adligen mit den scheinbar so arglosen, dunklen Augen, und unterdrückte einen Seufzer. ‚Du segelst in gefährlichen Gewässern, Mädchen.’
„Mokas Taran hat nach dem Heldentod des Kronprinzen das militärische Oberkommando über den Draned-Sektor übernommen. Gemäß den Befehlen der Admiralität werden seine Streitkräfte nun eine Reihe von Schlägen gegen die feindlichen Verbände durchführen.“
Linai Telahn nickte huldvoll. Ihre Ausbildung griff: „Ich bin sicher, die Taten Ihres Verlobten werden Sie stolz machen. So wie mich jeder Sieg unserer ruhmreichen Streitkräfte mit Stolz erfüllt.“
„Ich danke Euch für Euer Vertrauen. Aber wie Ihr wisst, mag Tapferkeit und Opferbereitschaft alleine vielleicht nicht genügen, wenn die Übermacht des Gegners zu stark ist. Eine Reihe von Gouverneuren scheint gewillt, der kaiserlichen Autorität die Gefolgschaft aufzukündigen. Die Flotte des Draned-Sektors ist zahlenmäßig leider sehr schwach, besonders die Trägereinheiten. Und sie sind vom Waffennachschub aus dem Kernimperium weitestgehend abgeschnitten worden. Nur Kriegsschiffe und schwer gesicherte Konvois sind in der Lage, die Verbindung aufrecht zu erhalten, indem sie Piratenrouten benutzen und mit Schleichfahrt marschieren.“
Die Prinzess-Regentin runzelte die Stirn. Wenn es nur DARUM ging...: „Die Situation an anderen Frontabschnitten ist auch nicht viel besser. Wir haben ganz einfach nicht die nötigen Mittel…“ Warum wandte sich Taran an sie? Er hätte damit doch lieber ihren Ehemann oder Großadmirälin Rian behelligen sollen.
„Ihr seid die Prinzess-Regentin, Hoheit. In eure Hände hat der Kaiser die imperiale Gewalt gelegt. Ihr sprecht mit seiner Zunge. Ihr vollstreckt seinen Willen. An wen sonst sollte sich Admiral Taran sonst wenden?“

Und damit war es Ciara Koo gelungen, Prinzessin Linai Telahn ein zweites Mal zu überraschen. Natürlich, nichts was sie gesagt hatte, war falsch. Aber die Art, WIE sie es sagte, wie sie den Rang der Prinzess-Regentin betonte…
Linai unterdrückte den Drang, zu schlucken. Ihr Mund fühlte sich an, wie ausgetrocknet. Konnte es sein…
Ciara Koo fuhr unbeirrt fort: „Admiral Taran weiß natürlich, dass er nicht um Trägereinheiten der Heimatflotte oder der Frontlinienverbände bitten kann. Aber abgesehen davon gibt es immer noch diejenigen Schiffe, die durch unseren Sieg über die Konföderation und den von Euch in die Wege geleiteten Friedensvertrag frei werden. Es gibt die übergebenen Trägerschiffe des Gegners, die wir für unsere Zwecke nutzen könnten. Es gibt die eingemotteten Schlachtschiffe und Truppentransporter, die zu Trägern umgebaut werden könnten. Unser Gegner hat das getan – warum sollten wir nicht auch einmal von ihm lernen?
Was auch immer getan werden kann, um auch jene Provinz des Reiches zu stärken, die momentan vom Kernimperium abgetrennt wurde, die Entscheidung liegt letztlich alleine in Euren Händen. Nicht bei der Admiralität.
Doch nur eine starke, schlagkräftige Draned-Flotte wird in der Lage sein, zu jedem gewünschten Zeitpunkt gegen alle Feinde der Krone loszuschlagen, deren Interessen und Kontinuität zu bewahren jetzt in Euren Händen liegt, Hoheit.
Wie auch immer Ihr euch entscheiden werdet…
Ich soll Euch ausrichten, dass der Draned-Sektor unbeirrt und loyal zum Reich stehen wird. Auch wenn der Feind einen Keil zwischen Draned und das Imperium getrieben hat, der Sektor wird immer ein Teil des Imperiums bleiben. Nichts und Niemand wird jemals diese Verbindung trennen können, die ihn mit dem Willen der Dynastie verbindet.
Bei der Unauflöslichkeit dieses Bandes, bei den Ahnen seiner Familie und der Ehre der Flotte…Admiral Taran wird seine Pflicht erfüllen, wann immer der Imperator…oder die Prinzess-Regentin es verlangt. Bis zum Tod. Wie es sich für einen imperialen Flottenführer gehört. Ob nun die Menschen der Gegner sein sollten, verräterische Gouverneure, Rebellen…oder andere Feinde der Krone.“
Jetzt musste Linai doch schlucken. Sie war in der Historie des Imperiums und der Geschichte seiner Streitkräfte wahrscheinlich längst nicht so bewandert, wie ihr Ehemann oder Taran. Aber sie glaubte zu wissen, wann das letzte Mal ein Flottenführer solche Worte an ein Mitglied der kaiserlichen Familie gerichtet hatte, das nicht auf dem Thron saß.
‚Und so beginnt es.’

Linais Stimme klang rau: „Und das waren Tarans Worte?“ Hatte die Verlobte des Admirals vielleicht etwas falsch verstanden, war das alles nur ein Irrtum? Sie musste sicher sein.
Die ernsten Augen der jungen Frau wichen ihr nicht aus. Die Prinzessin sah sich gezwungen, ihr Urteil über Ciara Koo zu revidieren. Die Adlige wusste offenbar sehr genau, was sie sagte, und was ihre Worte bedeuteten: „Wort für Wort, Hoheit. Auch wenn der Draned-Sektor momentan vielleicht vom Rest des Imperiums so isoliert scheint, wie die Tausend Inseln unter General Jilat vom Ersten Imperium… Wenn Tarans Flotte gerufen wird, dann wird sie Eurem Ruf folgen.“

‚Also doch.’ Sie beide wussten, dass es hier nicht nur um die Ergebenheitsadresse eines Sektorenkommandeurs handelte, der versuchte, Verstärkung zu mobilisieren. Oder um Linais stillschweigendes Versprechen, dass die Flotte des Draned-Sektors nicht nur als Verfügungs- und Verteilungsmasse für Lay Rians Offensive dienen würde. Gewiss, darum ging es natürlich auch…
Aber auch wenn Tarans Worte auf den ersten Blick nur dem formellen, altmodischen Sprachduktus folgten, der für offizielle Dokumente und militärische Kommuniques immer noch häufig gebraucht wurde, es ging hier um weitaus mehr als die verbale Beschwörung der alten, glorreichen Tage des Imperiums. Mit dieser Botschaft hatte der Draned-Sektor Position bezogen. Hatte Taran so etwas wie einen Eid geleistet, auch wenn er ihn nicht ausgesprochen hatte.
Einen Eid auf Linai. Nicht auf das Imperium, auf den Kaiser, die Flotte – sondern auf sie persönlich.
Jetzt fiel ihr wieder ein, wie Ciara Koo beim Eintreten die Hände gefaltet hatte. Auf diese Art und Weise ehrte man keine ‚normale’ Prinzessin – sondern die Mutter des Thronfolgers.

Sie glaubte zu wissen, was Taran zu diesem kühnen Schritt bewogen hatte. Aus der Perspektive des Draned-Sektors musste ihre Position im drohenden Thronstreit als ziemlich überlegen erscheinen. Sie war die Prinzess-Regentin. Ihr Ehemann war Kriegsminister. Wahrscheinlich nahm Taran an, dass auch Lay Rians Rückkehr aus dem Ruhestand ihre Idee gewesen war. Und ihr ‚alter Freund’ Dero handelte, gestützt auf die von ihr übertragenen Vollmachten, einen Frieden mit der Konföderation aus.
‚Wahrscheinlich glaubst du, dass es nur das Klügste ist, sich mit mir gut zu stellen, Taran. Wenn du nur wüsstest, wie ‚stark’ meine Position wirklich ist… Und Jor…Jor hast du verabscheust, nicht wahr? Vermutlich hast du den Göttern mit Weihrauchopfern gedankt, als du von seinem Tod gehört hast. Es hat dich keine Überwindung gekostet, sein Andenken ins All zu schießen. Einmal ein Frondeur…’
Wahrscheinlich wollte Taran ihr zudem noch einmal ausdrücklich zu verstehen geben, dass er sich selber nicht als Thronanwärter sah. ‚So weit geht dein Ehrgeiz also nicht. Oder willst du mich das nur glauben machen? Nein, so dumm bist du nicht, Taran…’ Deshalb auch der Verweis auf General Jilat.

Während der ‚Zwölf Jahre ohne Kaiser’, einer von Bürgerkriegen und Thronstreitigkeiten geprägten Phase in der Frühzeit des Ersten Imperiums, hatten die kaiserlichen Truppen, die kurz zuvor das Archipel der Tausend Inseln erobert hatten, den rasch wechselnden Thronusurpatoren die Gefolgschaft verweigert. Die rebellierenden Kolonialtruppen hatten die letzten Überlebenden der rechtmäßigen Dynastie aufgenommen, und ihre Auslieferung abgelehnt. General Jilats Soldaten und Kriegsgaleeren hatten eine wichtige Rolle gespielt, als Kaiser Calim schließlich über das Meer zurückkehrte, um die Krone zurückzufordern, die ihm rechtmäßig zustand. Jilat hätte selber Kaiser werden können, darin waren sich die meisten Altertumswissenschaftler einig. Aber er hatte darauf verzichtet. Allerdings war er unter Calim zum zweiten Mann im Staate geworden, dem das gesamte kaiserliche Heer unterstand. ‚Nicht gerade ein bescheidenes oder das glücklichste Bild, Taran. Aber ich verstehe, was du mir damit sagen willst.’

Indem er die Botschaft durch Ciara Koo überbringen ließ, hatte Taran nicht nur einen relativ unauffälligen, konspirativen Weg gewählt. Er erinnerte Linai außerdem hinreichend subtil daran, dass er über seine Verlobte und die Familie Koo auf gute Kontakte zur Admiralität und anderen Adelsfamilien zurückgreifen konnte. Kurz zuckte es um Linais Mundwinkel. ‚Und indem er Ciara schickt, will er mir vielleicht auch klar machen, dass er nicht der Mann an meiner Seite und in meinem Bett werden will. Das wäre doch einmal eine angenehme Abwechslung. Was ist doch die Krone und die Chance, der Vater des nächsten Kaisers zu sein, für ein starkes Aphrodisiakum…’
Aber wenn es Taran nicht darauf hoffte, Imperator, Regent und/oder Vater ihrer noch ungeborenen Kinder zu werden – was wollte er dann? Natürlich, Lay Rian wurde auch nicht jünger, und irgendwann würde der Posten des Großadmirals wieder frei sein…
Sie würde sich sehr genau…und SEHR unauffällig…darüber informieren müssen, was Taran im Draned-Sektor für eine Politik verfolgte. Was seine Ambitionen, Wünsche, Stärken und Schwächen waren. Sie durfte ihn auf keinen Fall unterschätzen, nichts als gegeben hinnehmen. Immerhin, die Ahnentafeln der Tarans überschnitten sich an mehr als einer Stelle mit denen der kaiserlichen Dynastie. Immer wieder hatten die Sprösslinge früherer Imperatoren in die kriegerische Taran-Linie eingeheiratet, bis diese zu einem Teil der Dynastie geworden war. Gewiss, das waren immer nur nicht erbberechtigte oder gar illegitime Mitglieder des kaiserlichen Hauses gewesen, aber dennoch…
Das Bild, das Linai noch aus ihrer Kindheit und Jugend von Mokas Taran vor Augen hatte, genügte jedenfalls nicht mehr. Akarii änderten sich.

Jetzt erst registrierte sie, dass Ciara Koo geendet hatte, und sie erwartungsvoll musterte. Sie wusste, was sie jetzt tun musste.
Prinzessin Linai Telahn richtete sich im Sitzen auf. Jeder Zoll ihres Körpers, jede Silbe ihrer Stimme legte Zeugnis ab, von der langen und ruhmreichen Tradition ihrer Familie. Sie war die Tochter eines Kaisers. Die Prinzess-Regentin: „Es erfüllt mich mit Freude und mit Stolz, dass in der Flotte immer noch jene Werte stark und lebendig sind, die das Imperium groß gemacht haben. Ich habe die Worte…und das Versprechen von Admiral Taran gehört, und ich werde beides nicht vergessen. Ich weiß, dass sich das Imperium immer und zu jeder Zeit auf die Loyalität des Draned-Sektors verlassen kann. Dieser Treue wird man sich erinnern, was auch immer die Zukunft bringen mag. Darauf mein Wort.“
Sie überlegte, ob sie noch deutlicher werden sollte, aber das dünne Lächeln ihrer Gegenüber zeigte ihr, dass Ciara Koo verstanden hatte.

Zehn Minuten später war Linai Telahn wieder alleine. Das Treffen hatte nicht mehr als dreißig Minuten gedauert. Und dennoch fühlte sich die Prinzess-Regentin erschöpft, wie nach einer stundenlangen, aufreibenden Stabsbesprechung.
Die Würfel waren gefallen. Der erste Sektorenkommandant hatte sich aus der Deckung gewagt, um ihr seine Loyalität zu versichern. Und wenn man sogar im fernen, isolierten Draned-Sektor begriffen hatte, dass das Imperium auf eine unsichere Zukunft zusteuerte, die von jedem Militärkommandeur und jedem Gouverneur verlangte, dass er Stellung bezog…
Was war dann mit der Heimatflotte? Den anderen Provinz-Sektoren? Den Kernwelten? Was war mit dem Geheimdienst? Der Kaiserlichen Garde? Den Cha’Kal, den persönlichen Kommandos und Attentätern des Imperators?
Wer konnte schon wissen, ob nicht in diesem Augenblick an anderer Stelle andere Treueschwüre geleistet wurden?

Linai blickte auf die kalten Fleischscheiben, die sie auf ihrem Teller aufgehäuft hatte. Auf einmal hatte sie keinen Hunger mehr. Als sie eine der Scheiben in den Mund schob, schmeckte das zarte, rohe Fleisch wie Asche.
Und der Blütenduft schien für einen Augenblick von dem schweren, stechenden Geruch vergossenen Blutes überlagert zu werden.
13.01.2016 09:02 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
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Cunningham

TNN – Berichtet:


Scott McLean: „Wie uns aus gut informierten Quellen berichtet wurde, hat die Colonial Confederation heute morgen den Antrag auf Auslieferung von Admiral Vanessa Girad gestellt. Dieser Antrag, bei dem sich auf das bilaterale Auslieferungsabkommen von 2627 berufen wird, ist eine Reaktion auf eine Reihe von Maßnahmen, welche derzeit von den offiziellen Behörden der Bundesrepublik gegen die Konföderation durchgeführt werden. Hierzu unsere Frage an den Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Jules Sinclair von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Lunapolis: Wie wahrscheinlich ist es, dass Admiral Girad ausgeliefert wird?“

Jules Sinclair: „Die Möglichkeit ist so gut wie nicht gegeben. Der bilaterale Auslieferungsvertrag bezieht sich ausdrücklich nur auf die zivile Rechtsprechung. Admiral Girad unterliegt jedoch wie alle Angehörigen der Streitkräfte dem Uniform Code of Military Justice, und dieser lässt die Auslieferung von Soldaten an ausländische Nationen nicht zu. Verpflichtet jedoch, durch Fremdstaaten erhobene Anschuldigungen zu untersuchen und gegebenenfalls zu bestrafen.
Der Uniform Code of Military Justice ist trotz größter Proteste von Menschenrechtlern immer noch im Gebrauch und seine Abschaffung ist leider nicht in Sicht.”

SM: „Wo genau liegen denn die Kritikpunkte, Professor?“

JS: „Der Hauptkritikpunkt liegt natürlich in der Todesstrafe, welche im Zivilrecht praktisch nicht mehr vorkommt, sie ist im Uniform Code of Military Justice für verschiedene Verbrechen aber immer noch als angemessene Höchststrafe vorgesehen.“

SM: „Werden von den Streitkräften noch Straftäter hingerichtet?“

JS: „Die Sache ist folgende, Scott, seit Kriegsbeginn wurden sechs Todesurteile durch die JAG-Corps der Streitkräfte gefällt. Von denen wurde nur eins vollzogen. An einem Private Franz Papen, TRMC, und auch diese Hinrichtung ist hinter einer Wand von Gerüchten und Widersprüchen verschwunden. Als die Familienmitglieder der Opfer von Papen darum baten, bei der Vollstreckung der Strafe anwesend zu sein, war diese angeblich schon durchgeführt worden. Als dann Mitglieder einer Menschenrechtsorganisation versuchten, unerlaubter Weise Papen umzubetten, wurde angeblich nur ein leerer Sarg vorgefunden.“

SM: „Was wäre also, wenn man Captain Jansen, jenen Captain, der angeblich Girads Befehl verweigert hat, vor ein Kriegsgericht stellen würde, käme dann eventuell die Todesstrafe für ihn in Frage, obwohl diese wohl nie vollstreckt würde?“

JS: „Das ist eine schwierige Frage, je nachdem wie sehr die Navy dieser Tat nachgehen will und wie man Admiral Girad den Rücken decken will. Wenn man sich geschlossen hinter Girad stellen will, dann können Sie davon ausgehen, dass Jansen schon so gut wie abgeurteilt ist, obwohl es laut den Kommunikationsprotokollen ja überhaupt fraglich ist, ob der Straftatbestand der Befehlsverweigerung im Angesicht des Feindes überhaupt gegeben ist. Sie müssen von dem Gedanken abkommen, dass Militärjustiz Rechtsprechung ist.“

SM: „Vielen Dank Professor, dies war Scott McLean, und ich gebe zurück zur Sendezentrale, wo man Sie über die neuesten Nachrichten von der konföderierten Front versorgen wird.“



News-Flash:
Mehr als 20.000 Flüchtlinge aus der Colonial Konföderation! Zur Überraschung aller überwiegend Akarii und andere nicht menschliche Spezies. Die 4. Flotte der TSN ist von einem auf den anderen Tag von einer offensiven Kampfeinheit zu einer Grenzschutztruppe geworden, die damit beschäftigt ist, Flüchtlingsschiffe aufzubringen und unter ihren Schutz zu stellen.
Gleichzeitig ist die 4. Flotte damit beschäftigt, das Handelsembargo gegen die konföderierten Planeten durchzusetzen.
Über Deneb wurde im Zuge des Embargos ein Frachter mit vierzig Hurricane-Abfangjägern beschlagnahmt. Die Hurricane sollte EADS' Ersatz für die in die Jahre gekommene Typhoon werden, konnte jedoch von der Falcon verdrängt werden.
Laut Aussagen eines Firmensprechers von EADS hatte man einen Liefervertrag für dreihundert Hurricanes mit der Konföderation. Im Zuge dieser Entwicklung sind die Aktien von EADS um acht Prozentpunkte gefallen.



Lay Rian ignorierte die andere Frau schon geraume Zeit. Admiral ersten Ranges Kenai Ras stand kurz davor zu explodieren. Ihre Nasenlöcher blähten sich auf. Ruckartig stellte sie ihren Kamm auf.
Rian hatte gehört, dass Ras eine gefährliche Frau war, die über Leichen ging.
Sie hatte ihren Posten unter Nahil Koo erhalten und sich unter Jor gehalten. Sie galt als intelligent aber aufbrausend.
Ihr Hass auf die Menschenlinge war unübertroffen. Rian fragte sich nicht zum ersten Mal, ob sie jemanden wie Ras als einen ihrer Ressortoffiziere dulden durfte.
Aber scheinbar hatte es nicht mal der allmächtige Jor gewagt, sie anzutasten. Sie war die einzige Kritikerin des großen Prinzen gewesen, die nicht geschasst worden war.
„Wann wollen Sie endliche angreifen?“, fauchte Ras los, dass Rian tatsächlich zusammenzuckte.
Die Großadmiralin verengte die Augen: „Und ich habe eben gedacht, dass Sie sich in den Griff bekommen.“
Ras hämmerte mit der Faust auf den Schreibtisch: „Zu allen Höllen mit Ihnen! Es hieß, Sie würden Bewegung in diesen Krieg bringen! Man feierte Sie als Heilsbringerin.“
„Ich werde die Große … die terranische Zweite Flotte dann angreifen, wenn ich dazu bereit bin. Wenn der Feind glaubt, dass ihm die Kontrolle entgleitet und wenn ich weiß, wie ich diesen Krieg zu führen habe.“
Ras entglitt ein Keuchen, als sie sich vorbeugte: „Wenn Sie wissen, wie sie diesen Krieg zu führen haben? Vernichten Sie diese Krankheit, die sich über die Galaxis ausbreitet. Entvölkern Sie ihre Planeten und rotten sie die Menschenlinge bis auf die letzte Mikrobe ihrer Existenz aus! Troffen hat uns ...“
„Ganz genau.“, unterbrach Rian ihren Gast, „Troffen hat uns gezeigt, zu was unser Feind in der Lage ist. Wir wissen nur zu gut, was die Menschen tun, wenn sie glauben keine Wahl mehr zu haben, oder wenn sie der Meinung sind uns eine Botschaft zu überbringen.
Wir haben Manticore angegriffen und die Menschenlinge an den Rande einer Niederlage gebracht, und sie entvölkerten Troffen. Wir schlossen ein Wurmloch und sie übten an Wron Vergeltung. Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie ihr Vergeltungsschlag aussehen wird, wenn wir unsere Flotten über Terra in Position bringen.
Überlegen Sie doch nur, was ein in die Enge getriebenes Menschending zu tun vermag.“
Kenai Ras starrte sie mit halb geöffneten Mund an.
„Völkermord!“, würgte die Chefin des Marinenachrichtendienst schließlich schwach heraus. „Haben wir denn überhaupt keine Chance mehr, diesen Krieg zu unseren Gunsten zu wenden?“
Rian blickte die jüngere Akarii lange an: „Mit einem brutalen Vernichtungsfeldzug? Wohl kaum. Was nützt uns ein gewonnener Krieg, wenn unsere Planeten nur noch vor sich hinstrahlende kalten Felsen sind? Wenn neunzig Prozent unserer Bevölkerung tot oder im Sterben liegen? Wir müssen einen anderen Weg finden. Wir müssen die Menschlinge auf konventionelle Art besiegen.“
Es herrschte kurzes Schweigen zwischen den beiden Frauen. Kenai Ras rang sichtlich mit ihrer Fassung.
„Kommen wir aber zu Ihrem Vorschlag,“, wechselte Rian das Thema, „haben Sie geeignete Menschenlinge, die man in die terrane Republik einschleusen kann? Und glauben Sie wirklich, dass die Menschenlinge der Republik auf unseren Schatten … anspringen?“
Sichtlich erleichtert über das neue Thema nickte Ras: „Wir haben einen konföderierten Nachrichtendienstoffizier in unserer Hand, einen Menschenling, der uns schon seit Jahren gute Dienste leistete und uns die Marschroute nach Hannover ausarbeitete. Wir haben dank des Nachrichtennetzwerkes, welches der zivile Geheimdienst schon eingerichtet hat, mit ihm Kontakt aufnehmen können. Wir könnten ihm den Befehl geben, zu desertieren und sich der Republik anzuschließen. Er könnte dann auch die Information über den Kontakt des konföderierten Nachrichtendienstes zu unserem Schatten weitergeben. Mit etwas Glück können wir den Erdstreitkräften Fehlinformationen zuspielen. In einer gespannten Situation wie dieser werden die Menschenlinge sicherlich nach jeder sich bietenden Möglichkeit greifen.“
„Die Konföderation hat bisher noch nicht auf die Fehlinformationen des Schatten zurückgegriffen?“
Ras schüttelte den Kopf: „Nein, Mylady Großadmiral, der Nachrichtendienst der Colonial Navy war bisher immer skeptisch, dass es in unseren höheren Reihen einen Verräter geben sollte, der sie mit Informationen versorgt. Auch wenn sich meinen Informationen zufolge in den letzten acht Monaten die Bereitschaft, diese Möglichkeit ernst zu nehmen, deutlich gezeigt hat.“
„Dann wollen wir das doch versuchen.“
„Jawohl, Mylady.“



***************

Rückzug, Flucht, sich dem Zugriff des Feindes entziehen? Floskeln, leere Floskeln. Die Überreste von CBG 41, CSG 08 und CSG 06 humpelten zurück auf eigenes Territorium.
Der Schock saß noch immer in den Knochen. Auf einigen Schiffen wurden noch die Brände bekämpft und Schäden festgestellt.
Raven hingegen wunderte sich in diesem Moment über die Kaltschnäuzigkeit eines Mannes. Zu ihrer eigenen Überraschung war es diesmal nicht Lone Wolf Cunningham.
Benk Schepens hatte ihr, kaum dass die Flotte die letzten Minen abgeworfen hatte und mit Maximalbeschleunigung vom Kiralu-Karrashin-Wurmloch abgezogen war, befohlen, so viele Piloten wie möglich auf die unbeschädigte Hongkong zu transferieren, damit sich der leichte Träger wieder der 2. Flotte anschließen konnte.
Insgeheim fragte sie sich, welche Schiffe er noch mitnehmen würde. Die Montgomery sicherlich. Die Devastator wohl auch. Beide hatten so gut wie nichts abbekommen.
Nun hatte sie vor der schwierigen Entscheidung gestanden, wen sie rüber schicken sollte. Natürlich erstmal sämtliche Piloten der Guardsmen, die es auf die Columbia verschlagen hatte. Wobei es da bei einem zumindest merkwürdig war. Von einem gewissen Knock-Out hatten die Guardsmen den Seesack rübergeschickt.
Ob das jetzt ein schlechter Scherz seiner Staffelkollegen gewesen war, oder Ernst seitens des amtierenden CAG der Hongkong, wusste sie nicht. Da sie aber diesen Knock-Out nicht auffinden konnte, nicht dass sie intensiv gesucht hätte, ließ sie ihn ins Flightroster ihrer Staffel Gold eintragen.
Einen weiteren Guardsmen, den sie nicht zurück schickte, war Lieutenant Hamilton 'Zombie' Ellis. Knock-Outs bleicher RIO, der scheinbar keine Ruhepause brauchte, sprang in der Organisation der Staffel und des Geschwaders derart engagiert ein, dass sie auf Nachfragen seitens der Hongkong angab, ihn noch nicht gefunden zu haben.
Der aus Sterntor stammende Mann mit südafrikanischen Wurzeln quittierte diese Meldung mit einem Grinsen.
Letztlich schickte sie aber ansonsten alle Guardsmen zurück, die dienstfähig waren oder in den nächsten Tagen wieder dienstfähig wurden. Zusammen mit vielen Bushpilots, obwohl deren Blicke ziemlich vielsagend waren. Es tat ihr in der Seele weh, jene, die ihr Schiff verloren hatten, quasi zu deportieren, aber es war ihr nun mal wichtiger, so viele Angry Angels beisammen zu halten wie es ging.
Harte Entscheidungen mussten getroffen werden. Es ließ sie frösteln, wenn sie daran dachte, dass Lone Wolf wohl ähnlich gehandelt hätte. Ein komisches Gefühl, auf einmal das Oberhaupt zu sein, so auch abseits vom Schlachtfeld.
Es war wirklich merkwürdig, wie sie sich jetzt bewusst wurde. Abseits der Kämpfe hatte sie als Staffelführerin sehr viel Autonomie besessen, so lange die Staffel die nötigen Erfolge brachte und Lone Wolfs Befehle ausgeführt wurden.
Nun wusste sie nicht, wie sie sich den anderen Staffelführern gegenüber verhalten sollte. Lilja war ausgefallen, und brauchte Imp jetzt Hilfe oder nicht? Was wurde aus der Roten Staffel? Sollte sie die mit den Schwarzen zusammentun? Und dann Ohka das Kommando übergeben? Wie würde es mit der blauen Staffel weitergehen, jetzt, wo Huntress vermisst wurde?
Zu allem Überfluss war ihr eigener Stellvertreter Vladimir Czemek auch nur eingeschränkt dienstfähig, und ihre Nummer drei war gefallen. Was Zombie derzeit auch so wertvoll für sie machte.
Aber zum Glück waren noch Irons, Razor und Count da, drei erfahrene Senior Offiziere, die genau wie sie von Lone Wolfs langer Leine geprägt waren, und somit nicht nur ihre eigene Staffeln auf Vordermann bringen konnten, sondern auch den anderen unter die Arme greifen konnten. Außerdem gab es noch Ivan Arossev, den Chefkutscher der Shuttles, der ein Organisationstalent sondergleichen war, obwohl auch seine Rawhides diesmal gefordert waren, wie sonst selten.
Raven blickte rüber zu Lone Wolf, der sich wieder mit dem Commander der Schiffssicherung beratschlagte, und verlor einen Augenblick den Faden.
Irons Schnipsen brachte sie wieder zurück in die Gegenwart: „Was sagtest du eben?“
„Dass Doc Keller meint, dass Lilja ihr Bein wohl doch behalten wird.“, auch Irons warf einen Blick rüber zu Cunningham, der sich nervös die Hände rieb, „Falls du dich fragst, was mit dem los ist, der hat das Rauchen aufgegeben.“
„Wann?“
Irons blickte zur Uhr über dem Schott: „Vor etwa sieben Stunden. Grover hält den Pott, ob er von den Glimmstängeln los kommt.“
Raven schüttelte den Kopf: „Was ist mit Lilja? Das Bein war doch nur gebrochen.“
Ihr Gegenüber schnaufte: „Die verrückte Russin ist doch tatsächlich aus der Krankenstation getürmt und in eine Griphen geklettert.“
„WAS?“
„Tja, scheinbar hat sie Dodson überredet, ihr einen Jäger bereitzustellen…“, Irons deutete auf Lone Wolf, „und als Langenscheid einschritt, hat sie ihm die Starterlaubnis abgequatscht.“
Die Nasenflügel der CAG blähten sich angriffslustig: „Diese Vollidioten!“
Irons zuckte die Schultern: „Ich muss sagen, mich hat Lilja damit nicht überrascht, aber soweit ich weiß, geht Langenscheid immer noch die Decke hoch. Hat sie im Bett fixieren lassen“
„Das kann ich jetzt gar nicht nachvollziehen.“, Raven troff vor Sarkasmus. Sie schüttelte den Kopf. Wusste nicht, ob sie Lilja dafür bewundern oder, ja was, verdammen sollte? Gab es eine Grenze zwischen Heldentum und Dummheit? Und wo wurde sie gezogen?
„Da werde ich wohl mit Langenscheid sprechen müssen, ob da noch was von seiner Seite kommt.“
„Soll ich dir eine Schutzweste holen?“, fragte die ältere Pilotin.
Raven schnitt eine Grimasse.
13.01.2016 09:03 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
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Cattaneo

Noch so ein Sieg, und wir sind verloren…

Der gewaltige Kreuzer ragte wie eine uneinnehmbare Festung vor dem kleinen Shuttle auf. Seine Flanken waren von Gefechtsschäden zernarbt, vor allem in der Bugsektion. Einzelne Geschütztürme waren nur noch geschmolzene Ruinen, rußgeschwärzt dort, wo austretende Luft kurzzeitig Nahrung für Feuer geboten hatte. Doch die verbleibenden Türme rotierten wachsam, bereit, beim geringsten Anzeichen von Gefahr erneut brutal zuzuschlagen. Und die gewaltigen Triebwerke schoben den kampfgezeichneten Giganten unvermindert durch die lichtlose Schwärze. Der Kreuzer nahm sich nicht die Zeit, zu stoppen, um seine „Kinder“ aufzunehmen. Die terranische Flotte musste sich absetzen, denn noch war nicht gewiss, ob die Akarii ihnen nicht doch folgen würden. Die meisten Schiffe hatten sich verschossen, waren beschädigt, hatten Tote und Verluste zu beklagen. Da musste jeder sehen, wo er blieb. Obwohl First Lieutenant Robert Stanford normalerweise zu einer gewissen Skepsis gegenüber Vorgesetzten neigte – zumindest so lange die ihn nicht hörten – zeigte er sich von dem Anblick gebührend beeindruckt: „Möchte wetten, der alte Mann ist immer noch auf der Brücke. Den werden die Akarii vermutlich ein halbes Dutzend Mal töten müssen, damit er ihnen nicht mehr auf die Nerven geht.“ Ihm wurde klar, wie pathetisch nassforsch das klang, und er räusperte sich etwas peinlich berührt. Doch seine Untergebene schien diesmal nichts hinzufügen zu wollen. Vermutlich war sie sogar froh, dass er etwas sagte. Ihnen beiden lastete noch die Erinnerung an den letzten Verlust der Schwadron auf der Stimmung. Die Repulse war zerstört worden, während der Rückzug schon lief, kurz vor dem rettenden Sprung. Sie war nicht so lange wie viele andere Kreuzer Teil des Geschwaders gewesen, aber dennoch war der Tod jedes der so unbezwingbar wirkenden Ungetüme ein schwerer Schock. Er zwang dazu daran zu denken, dass auch die eigene Heimat vielleicht eines Tages diesen Weg gehen würde.
Der Pilot wandte sich etwas verlegen wieder seinen Pflichten zu. Das Andockmanöver war ein vielfach geübter Vorgang, den er mehrfach auch unter Beschuss hatte durchführen müssen. R-3 setzte behutsam auf dem Landedeck auf. Der Hangar der Relentless wirkte ein ganzes Stück leerer als sonst. Er war viel kleiner als der eines Trägers, doch er musste ja normalerweise nur ein Dutzend Shuttles aufnehmen. Und heute würden drei der kleinen Schiffe fehlen, abgeschossen im Kampfeinsatz, beim Betanken, Bergen und beim Dienst als Aufklärer und Kommunikationsrelais. Ein viertes hatte man aufgeben müssen, zu gefährlich wäre die Landung geworden, mitten in der Schlacht. Damit hatte die Shuttleschwadron ein Drittel ihrer Einsatzstärke verloren. Und nicht jede Besatzung hatte aussteigen können und war aufgesammelt worden.
Der Schwadronschef hatte gewartet, bis die letzte seiner Maschinen gelandet war, bis er über den letzten seiner Untergebenen Auskunft erhalten hatte – wer verletzt, wer verschollen und wer an Bord eines anderen Schiffes gebracht worden war. Sebastian Lefranque war ein erfahrener Kommandeur, und sein Posten an Bord der Relentless hatte ihn dazu genötigt, sich an harte Einsätze zu gewöhnen. Der Kapitän des Schiffes hatte vom ersten Tag an klargemacht, dass er von seinen Untergebenen nie mehr erwarten und fordern würde, als von sich selbst – doch das war das Äußerste. Dennoch, es wurde niemals wirklich einfach. Nicht, wenn man nur für ein paar Dutzend Leute zuständig war, wo jedes fehlende Gesicht sofort auffiel. Doch ein Kommandeur bewies sich nicht allein daran, dass er sich um seine Leute sorgte, dass er sie in die Schlacht führte und dass seine Untergebenen wussten, dass sie sich auf ihn verlassen konnten. Er musste auch ein Anker und Rückhalt für sie in der Niederlage sein, jemand, der das Unerträgliche bewältigen half. EINEN Vater – oder Mutter – musste auch die Niederlage haben. Der Schwadronschef der Shuttles hatte diese Fähigkeit. Wie den meisten anderen Offizieren war sie ihm nicht in den Schoß gefallen. Er hatte sie sich erarbeitet, als er sich Schritt für Schritt hochgedient hatte. Er hatte seine Untergebenen Stolz eingeimpft, was sie als kaum gerühmte Arbeitspferde dringend nötig hatten, hatte sie angetrieben und hatte mit ihnen an den Siegen und Rückschlägen dieses Krieges teilgehabt. Heute war einer der schwereren Tage. Leider hatte es dieser Krieg an sich, dass man sich langsam an solche Tage gewöhnte, denn sie waren mindestens so häufig wie Augenblicke der Freude und des Triumphes. Zumindest fühlte es sich so an.

Dennoch hatte er für jeden seiner Untergebenen ein Schulterklopfen, ein paar Worte. Vor allem ließ er sich nicht anmerken, wie es in ihm wirklich aussah. Das bedeutete nicht, dass er keine Gefühle hatte oder keine zeigte. Er zeigte Ernst, wo es nötig war, auch Trauer, und er musste sie nicht einmal heucheln – aber er ließ keine Verzweiflung spüren. Ein guter Kommandant musste wie ein Zerrspiegel sein, in dem der Untergebene stets das Gefühl, die Regung oder das Bild erblickte, das er brauchte, um als Teil der Kriegsmaschinerie weiter zu funktionieren.
So war sein Gesichtsausdruck zwar ernst, aber nicht niedergeschlagen, als R-3 als letztes aufsetzte. Er wartete, bis die zwei Besatzungsmitglieder ausstiegen. Der Pilot salutierte müde, und wie immer war nicht ganz einfach zu sagen, ob das ironisch oder ehrlich gemeint war. Die Stimme von Robert Stanford klang bei aller Zackigkeit schleppend und etwas schwerfällig: „R-3 meldet sich zurück. Ein bestätigter Abschuss, Deltavogel, vier feindliche Marschflugkörper zerstört. Attestiert bei einem Abschuss eines Shuttles. Bewaffnung zu 50 Prozent ausgefallen, Triebwerkschäden. Geschätzte Reparaturzeit 24 Personenstunden mindestens. Keiner ernsthaft verletzt.“
Der Commander grinste schief – er war so gut, dass es direkt echt wirkte: „Das hast du wohl schon ein paar Mal geübt? Das Strammstehen spar dir mal für die Siegesfeier.“ Er ließ sich seine eigene Erschöpfung ansehen – das verband ihn mit seinen Untergebenen. Und sein Lob klang noch einmal so ehrlich: „Das war heute gute Arbeit da draußen, von euch beiden. Ihr habt euch schon für die erste Schlacht eine Belobigung verdient, doch zusammen mit dem hier…nun warten wir ab, was der Alte dazu sagt.“
Maria Hernandez strahlte breit. Als Second Lieutenant war sie Lob nicht gewöhnt, außerdem wollte sie ja nicht immer auf diesem Rang stehen bleiben. Und sogar ihr Pilot wirkte aufrichtig dankbar für die moralische Streicheleinheit. Er wurde aber schnell wieder ernst: „Wen haben wir verloren?“
Der Staffelchef schüttelte leicht den Kopf: „Peter und Chong haben es nicht geschafft, als die Akarii sie abgeschossen haben. Katharina ist auf der Krankenstation gestorben. Helena, Osku und Stiv sind verletzt, aber das wird wieder. Wir haben vier Shuttles verloren, aber sie machen die anderen sicherheitshalber wieder einsatzbereit.“ Maria zog eine Grimasse, wie eine Maske eingefrorener Gefühle, die nicht durchbrechen durften. Katharina Calapan war ihre Freundin gewesen. Kriegsfreundschaften beinhalteten immer das Wissen darum, dass es morgen schon vorbei seien konnte. Doch deshalb tat es nicht weniger weh. Ihre hasserfüllte Miene war nur der Versuch, keine Tränen zu zeigen. Ihre Stimme klang kratzig von der Mühe, ein Zittern zu unterdrücken: „Ich hatte ja so etwas vermutet, als ihre Maschine getroffen wurde. Aber ich hatte gehofft…“ Lieutenant Commander Lefranque wollte etwas sagen, doch er schwieg, als er sah, dass Robert Stanford seiner Copilotin bereits den Arm um die Schulter legte. Er sagte nichts, denn Worte halfen in so einer Situation wenig. Seine Untergebene hatte ihm in einem ähnlichen Fall den gleichen Dienst erwiesen. Tränen waren keine Schande, doch viele – auch Robert Stanford und seine Copilotin – hatten dennoch Schwierigkeiten, ihnen freien Lauf zu lassen. Lieber ein Zähnfletschen, als ein Schluchzen. Und das galt für Frauen wie für Männer.
Schweigend verharrten die drei einen Moment. Dann räusperte sich der Staffelchef: „Sieht nicht so aus, als ob die Echsen uns folgen werden. Aber sicher sind wir noch nicht. Ruht euch etwas aus – dann wieder Einsatzbereitschaft halten. Mithel hat durchgeben lassen, wenn die Akarii hinterherkommen, will er alles draußen haben, was schießt und fliegen kann – und wenn es eine Wartungskapsel mit Schweißlaser ist.“ Er lächelte schief: „Kein Mann für halbe Sachen oder Kapitulation, der Commodore.“
Maria Hernandez schnaubte scharf, eindeutig ein Versuch, ihrer Gefühle wieder Herrin zu werden: „Ist er nicht der einzige hier!“
Der Staffelchef schüttelte den Kopf, aber sein Tonfall war noch immer respektvoll, als spräche er nicht mit Untergebenen: „Für heute genug Heldentaten vollbracht – das Flying Cross ist euch ohnehin sicher. Ruht euch aus – das ist ein Befehl.“ Mit einem letzten halb trotzigen, halb traurigen Nicken, drehte er sich um und ging. Er vermisste es, dass es keinen gab, der ihm Halt bot, so wie er für seine Untergebenen da sein konnte und musste. Aber dies war der Preis des hohen Ranges. Dann schritt er über das fast verwaist wirkende Hangardeck davon.

First Lieutenant Robert Stanford unterdrückte ein Gähnen. Er musterte beinahe liebevoll das kampfgezeichnete Shuttle, das ihm in der Schlacht so gute Dienste geleistet hatte. Wie seine Untergebene hatte er den Helm abgenommen. Mit seinem schweißnassen Haaren und dem von Erschöpfung gezeichneten Gesicht bot er nicht gerade einen beeindruckenden Anblick. Aber er hatte schnell ein Stück weit seine gute Laune wieder gefunden. Ungeachtet der hohen Verluste gab es wenigstens etwas, das Grund zur Freude gab. Er selbst lebte, seine Untergebene lebte auch, und vor allem ließen die Akarii bisher kein Anzeichen erkennen, an diesem Zustand demnächst etwas ändern zu wollen. Der Tod seiner Kameraden, das Schicksal des Jägerpiloten, den er hatte zurücklassen musste – sie ließen ihn nicht kalt. Doch er hatte gelernt, wie man den Schmerz irgendwo wegschloss, an einer Stelle, die man ignorieren konnte. Sie alle hatten das gelernt, oder waren daran zerbrochen. Im Moment gab er sich aufgeräumt, auch weil er annahm, dass seine Untergebenen Aufmunterung brauchte – oder einen Grund, auf ihn wütend zu sein, denn das war immer noch besser als Verzweiflung: „Ein Stück weit werde ich es vermissen, wenn ich das nächste Mal wieder als Weltallkutscher und Sanifahrer hinaus muss. Ist schon ein anderes Gefühl, mit so einer gepanzerten und bewaffneten Mühle zu fliegen. Und Akarii zu grillen.“
Seine Untergebene verzog ihre Lippen nur zu einer Grimasse, doch ihre Worte deuteten darauf hin, dass sie sich langsam wieder in den Griff bekam: „Wir haben doch beides oft genug gemacht, aber du spulst diese Platte beinahe jedes Mal ab, nachdem wir einen scharfen Einsatz hatten. Ist das wieder so ein Männer-und-ihr-Spielzeug-Ding? Je mehr Waffen, desto besser? Was habt ihr bloß alle auszugleichen?“ Ihr halb liebevoll, halb hämischen Grinsen zeigte deutlich, dass sie ganz eigene Vorstellungen über die Kompensationsfunktion von Shuttles für ihre männlichen Kollegen hatte.
Der Pilot gab sich empört: „Du solltest nicht immer diese billigen Amateurpsychologiemasche abziehen. Ich bin einfach ein paar Mal zu oft in den Hintern getreten worden. Im Zweifelsfall trete ich lieber selber zu, direkt in den Echsenarsch.“ Als ihm aufging, warum seine Untergebene auf einmal doppelt so breit grinste, hob er die Hände in eine Geste der hilflosen Kapitulation: „Es würde ja wohl nichts bringen zu versichern, dass dies keine sadoreptiloerotische Wunschvorstellung ist.“ Maria Hernandez lachte nur schallend. Er wartete, bis sie sich beruhigt hatte, was eine Weile dauerte, vor allem, da sie sofort wieder loslachte, wenn sie einen Blick auf ihn warf. Aber schließlich hatte sie sich wieder weit genug gefasst. Es war beinahe grotesk zu beobachten, wie schnell die Gefühlslagen vieler Piloten nach einem Einsatz wechselten, so als ob ihre Psyche versuchte, mit Hochtouren die Eindrücke zu verarbeiten oder zu verdrängen.

Der First Lieutenant wartete, bis seine Copilotin schwieg und nur noch leicht vor sich hingrinste. Robert Stanfords Stimme klang mit einem Mal beinahe schüchtern, ein verdächtiges Zeichen, vor allem da er nicht verlegen war, ihr direkt ins Gesicht zu blicken: „Erinnerst du dich, was ich zu Anfang der Schlacht gesagt habe?“ Sie wusste es offenbar in der Tat noch. Erstaunlicherweise wurde seine Untergebene sogar rot, aber ob vor Verlegenheit oder aus Wut, das war schwer zu sagen. Ihre Antwort ließ allerdings an Schärfe nichts zu wünschen übrig: „Wenn ich mir jeden Unsinn merken würde, den du vor, während, nach oder zwischen einer Schlacht und der nächsten von dir gibst, müsste ich mehr Speicherplatz als der Hauptcomputer der Relentless haben! Inzwischen habe ich gelernt, das meiste einfach auszublenden.“
Der First Lieutenant lachte: „Dein Ausbruch zeigt mir, dass du genau weißt, was ich meine, sonst würdest du nicht so in die Luft gehen. Du wirst doch jetzt nicht kneifen wollen?“
Die Copilotin zog ein abwehrendes Gesicht: „Ich kann mich nur daran erinnern, dass ich die MÖGLICHKEIT eingeräumt habe, dich nicht krankenhausreif zu prügeln. Das war ja wohl keine Wette oder Versprechen!“
„Na, aus deinem Mund ist das doch praktisch eine Einladung.“ Der Gesichtsausdruck von Maria Hernandez zeigte deutlich, wie unbehaglich sie sich fühlte – immerhin an sich bereits eine Besonderheit, wenn man bedachte, dass ein Gefecht gegen Jäger sie nicht sonderlich aus der Ruhe brachte. Ihre Stimme klang unsicher: „Robert, ich denke nicht…“
Doch ihr Vorgesetzter schnitt ihr einfach das Wort ab, wenn auch in freundlichem Tonfall: „He, du kannst es mir hinterher doch immer noch heimzahlen, oder?“ Die Gefühle im Gesicht seiner Untergebenen waren unmöglich zu deuten. Sie wirkte alles andere ein einladend, aber weder versuchte sie davonzulaufen, noch erhob sie die geballten Fäuste. Sie stand stocksteif mit dem Rücken zum Shuttle und rührte sich nicht. Ebenso regungslos blieb sie – sah man von den Atemzügen ab – als Robert sich über sie beugte. Im letzten Augenblick schloss sie die Augen, ob als Geste der genervten Resignation oder Einverständnis, das war unmöglich zu sagen.
Ihre Lippen berührten sich nicht einmal. Stattdessen streifte der Pilot nur ganz leicht ihre Wange. Ein Begrüßungskuss unter Freunden oder auch höchstens flüchtig bekannten Menschen hätte nicht harmloser und unschuldiger seien können, als dies. Dann wich er einen Schritt zurück. Die junge Pilotin riss die Augen abrupt wieder auf und starrte ihren Vorgesetzten an. Der grinste nur leicht – nicht etwa arrogant, einfach so, als habe er gerade einen Witz gemacht, auf ihre wie auf seine eigenen Kosten, wie es gelegentlich seine Art war.
„Enttäuscht?“ säuselte er spöttisch, nur um hinzuzufügen: „Ich würde doch nie die ausgestandene gemeinsame Todesangst und die Erregung des Kampfes missbrauchen, um mit dir vor allen Augen im Hangar rumzuknutschen – dafür halte ich denn doch zu große Stücke auf dich. Und auf mich übrigens auch.“
Maria Hernandez erwiderte nichts. Sie starrte ihn nur einen Moment an, dann entgegnete, als sei nichts vorgefallen: „Wir treffen uns in fünf Stunden hier – oder wenn die Echsen vorher eintreffen.“ Und damit machte sie sich davon. Robert Stanford genoss noch für einen Moment den Anblick, den sie bot – obwohl sie eckig wie ein Soldat im Paradeschritt marschierte – bevor er sich auf den Weg zu seinem Quartier machte. Sonderbarerweise grinste er die ganze Zeit, als hätte er einen Sieg errungen.

Krankenstation Columbia

First Lieutenant Ina „Imp“ Richter hatte wirklich einen harten Tag hinter sich. In den letztern 48 Stunden war ihre beste Freundin verletzt worden, sie hatte sich mit besagter Freundin gestritten, sie dann beinahe wirklich verloren, zwei Piloten waren unter ihrem Kommando gefallen, und einen dritten hatte man zurücklassen müssen. Mehrere andere Staffelmitglieder wiesen leichtere Blessuren auf. Von einem miesen Tag zu sprechen, war eigentlich ein Fall von krassem Understatement. Aber dennoch hatte sie die Kraft, breit zu grinsen, wohl eine Folge ihres immer noch relativ sonnigen Gemütes – vor allem verglichen mit ihrer Vorgesetzten. Im Moment grinste sie, weil ein weiteres verlorenes Schaf zur Herde zurückgefunden hatte. Vor ihr lag Second Lieutenant Evan Harold „Knight“ Alexander in einem Bett der eigentlich voll belegten Krankenstation. Was ein Wunder war, bedachte man, wie gesund er wirkte, abgesehen von den üblichen Anzeichen von Erschöpfung, nervlicher Anspannung und in diesem Fall akuter Unterkühlung. Aber wenn man alle Leute mit ähnlichen Problemen ins Bett gesteckt hätte, wäre an Bord der Columbia momentan wohl nicht mal mehr eine Rumpfcrew übrig geblieben.
„Ich kann einfach nicht verstehen, wie und warum du von der Lady Kong ´rübergekommen bist.“ Meinte sie.
Knight grinste schwach: „Einfach Bestechung. Ich rieche so was zehn Lichtjahre gegen den Sonnenwind, welchem Sani ich nur etwas vorspielen, vorjammern und versprechen muss. Und schon bin ich nicht mehr kv und werde auf die Columbia abgeschoben. Zu dem Zeitpunkt wusste ich ja noch nicht, dass die alte Dame so schwer getroffen ist.“ Er verzog die Mundwinkel noch etwas mehr: „Immerhin habe ich hier meine Klamotten – was meinst du, wie lange das braucht, bis ich die nachgeschickt bekäme, wenn man mich jetzt mitgenommen hätte. Und ich will meines Lebenslauf nicht schon wieder einem neuen Dutzend Typen erzählen müssen, wenn man mich einer neuen Staffel zuteilt.“ Er wurde ernst: „Außerdem ist der Zossen hier meine Heimat – und es bringt Unglück, wenn ein einzelner aussteigt.“
Imp lachte nur, froh, nicht noch ein bekanntes, wenngleich noch nicht allzu vertrautes Gesicht zu verlieren: „Dann schaue ich mal, dass ich dich hier loseisen kann. Der Onkel Doktor ist zwar momentan wegen vorzeitiger Entlassungen von Leuten der Staffel Grün etwas pingelig, aber noch grantiger dürfte er werden, wenn er rauskriegt, dass du dich zu Unrecht in einem Bett breitgemacht hast.“ Auch sie wurde ernst, wenn auch nur halb: „Keine schlechte Arbeit da draußen, auch wenn dein eigener Jäger Schrott ist. Schön zu wissen, dass du es trotz Etappendienst noch drauf hast.“ Sie feixte breit: „Aber da dein Erlebnis als eigener Abschuss gilt, erwarte ich, dass du dich demnächst bei La Reine meldest. In unserer Staffel wird nicht vor Wettschulden gekniffen.“
Der ehemalige Bewährungspilot schnitt eine Grimasse: „Ich wusste ja nicht, dass es schon SO herum ist. Aber okay…Mama.“ Imp lachte noch einmal hell auf, ehe sie das Zimmer verließ. Natürlich war es unfair, zu lachen – angesichts dieser Verluste. Der Tod von Vasco… nun, sie hatte mit dem Piloten ihre Schwierigkeiten gehabt, wie jede Frau, die ihm vorgesetzt war. Aber dennoch, dass er einfach nicht mehr da war… Und Dragon, der war schon so etwas wie fester Teil der Staffel gewesen. Aber Spitfire vor allem, der war schon richtig lange mit von der Partie. Und jetzt wusste sie nicht einmal, ob er es geschafft hatte, würde es vielleicht auch nie erfahren. Vor allem, die Gefangenschaft bei den Akarii war alles andere als eine leichte Sache. Die Echsen hatten in der Hinsicht einen sehr schlechten Ruf. Aber sie hätte nichts tun können, so sagte sie sich zumindest. Jäger waren nicht dazu gebaut, Piloten zu bergen – und zu dem Zeitpunkt, an dem ihr klar geworden war, dass es für Spitfire kein Shuttle geben würde, war die Flotte schon in vollem Rückzug gewesen. Es war einfach keine Zeit gewesen – und sie hatte auch nicht das Recht gehabt, etwas zu versuchen, was zwei oder mehr Menschen mit ziemlicher Sicherheit den Tod gebracht hatte. „Wir lassen keinen Mann zurück.“, das war seit jeher nicht mehr als eine Absichtserklärung gewesen, nie eine Garantie. Oft nicht einmal so viel, sondern nur eine leere Worthülse. Doch das machte es nicht leichter.

Sie wusste nicht, dass die bemühte Fröhlichkeit aus Knights Gesicht abfiel, sowie sie den Raum verlassen hatte. Der Pilot fühlte etwas, was er gewöhnlich nicht kannte – ein schlechtes Gewissen. Natürlich, er war auch zur Columbia zurückgekehrt, weil er sich hier halbwegs akzeptiert fühlte, selbst von dieser Schreckschraube von Staffelchefin, die ihm Direktiven für sein Privatleben aufstellte. Aber er war nur nicht deswegen zurückgekehrt, oder aus anderen vergleichsweise akzeptablen Gründen. Er hatte geahnt, dass die Hongkong wieder in den Einsatz gehen würde, die Columbia aber – deren schwere Beschädigung auf der Krankenstation des kleineren Schwesterschiffes schnell die Runde machte – eine längere Werftliegezeit vor sich hatte. In dem Moment, in dem er zu dieser Schlussfolgerung gekommen war, hatte er alles in seiner Macht liegende getan, um wieder auf sein Schiff verlegt zu werden. Er wusste, er war einfach nicht bereit, so bald wieder in den Einsatz geschickt zu werden. Nicht nach diesem Kampf und seiner Zeit im Anzug „draußen“. Er akzeptierte die Gefahr des Fliegens, aber dieses Ereignis hier war etwas anderes gewesen. Vor allem, als zunächst keiner gekommen war, um ihn einzusammeln. Die Aussicht, vielleicht auf ewig zu treiben, oder von den Akarii aufgesammelt zu werden… Er brauchte nur daran zu denken, und der kalte Schweiß brach ihm aus, sein Puls raste und die Zähne klapperten. Der Gedanke, in einer Woche wieder hinauszumüssen, war unerträglich gewesen. Deshalb hatte er alle Register gezogen. Nicht nur Überredungskunst und eine dezente kleine Bestechung – er war noch etwas weiter gegangen. Knight kannte auch ein paar Tricks, wie man erheblich schlechter aussah, als man sich wirklich fühlte. Tricks, die auch die Temperatur und den Herzschlag ausreichend beeinflussten, ohne gleich als Manipulationen aufzufallen. Er hatte sich das in seiner Grundausbildung angewöhnt und seitdem sparsam eingesetzt. Sein Gefängnisaufenthalt hatte ihm weitere Übung verschafft. Aber seit Kriegsausbruch ging es bei so etwas nicht mehr nur um eine Rüge oder ein paar Tage Arrest. Jetzt konnte man im ungünstigsten Fall als Simulant und Feigling vor dem Feind behandelt werden. Nun, so wie es gerade aussah, hatten die Ärzte zu viel zu tun, um sich auch noch darum Gedanken zu machen. Er machte sich keine Vorwürfe wegen seiner Simulation. Aber Imp, die ja eigentlich eine nette Kameradin war, anzulügen… nun, das fiel nicht einmal ihm leicht.

Vor dem nächsten Zimmer verlangsamte Imp, die von den Problemen Knights keine Ahnung hatte, ihren Schritt. Das war zwar vermutlich unnötig, aber sie bemühte sich, so leise wie möglich auszuschreiten. Die Tür glitt leise auf, und sie schlüpfte hinein. Der Raum war in Zwielicht getaucht, das Piepen und Fauchen zahlreicher Maschinen übertönte vollständig die Atemzüge der Insassen. Es waren ohnehin zumeist sehr schwache Atemzüge. Hier lagen größtenteils schwere Fälle, sediert, zum Teil künstlich in ein Langzeitkoma versetzt, vollkommen abhängig von den Maschinen, die sie erscheinen ließen, als wären sie selbst Teil der Apparaturen, nicht umgekehrt. Sie warf nur einen flüchtigen Blick auf die Schlafenden in den anderen Betten, bevor sie zu der Patientin trat, wegen der sie hergekommen war. Lilja wirkte – wie immer – im Schlaf wesentlich entspannter und auch freundlicher, als sie es im Wachen für gewöhnlich war. Ihre Wachsamkeit, das Abweisende, Unterkühlte, mit dem sie die meisten Menschen von sich fernhielt und ihre eigene Autorität unterstrich, war gänzlich verschwunden. Jetzt sah man, dass sie im Grunde nicht viel älter war als viele ihrer Untergebenen und jünger als einige. Fixiermanschetten verbanden sie mit dem Bett. Imp verzog ihre Lippen zu einem zynischen Lächeln. Sie persönlich hatte Lilja für ihr leichtsinniges Verhalten geradezu angegiftet, aber wenn man genau hinschaute, machte sich der Schiffsarzt mit seiner Reaktion in ihren Augen nur lächerlich. Er konnte seine Patienten, die immer wieder ihre Haut zum Markte trugen, wohl kaum mit Appellen an ihre Gesundheit überzeugen – denn sonst hätten sie sich einen anderen Beruf gesucht. Vor allem war seiner Autorität Grenzen gesetzt. Im normalen, alltäglichen Leben waren diese Piloten, besonders wenn es um solche wie Lilja ging, Offiziere. Und das wog schwer in einem Militär wie der TSN. Den Doktor als eigenständige, autonome Person an Bord eines Raumschiffes, auch in der Lage, dem Kapitän in einer Notlage Paroli zu bieten – das war etwas für Science-Fiction-Filme, in der Realität war es etwas ganz anderes. Ein wirklich dauerhaftes Zerwürfnis zwischen einer Staffelchefin und einem Arzt, das war wirklich keine gute Idee. Das Problem war eben, dass Lilja mit Vorliebe mit solchen Leuten zusammenrasselte, die so stur waren wie sie selbst. Natürlich, denn wer das nicht war, der ging einer Auseinandersetzung mit ihr lieber aus dem Weg. Nun, blieb abzuwarten, wie es in diesem Fall ausging.

Die Russin hatte großes Glück gehabt. Ihre Verletzung war durch die Belastungen des Raumkampfes erheblich kompliziert worden. Die Fliehkräfte und Erschütterungen des Raumkampfes hatten inneren Blutungen und weiteren Verletzungen verursacht, vor allem da die Drogen, die Lilja zusätzlich eingeworfen hatte, ihr Nervensystem zusätzlich durcheinander gerüttelt hatten. Einige der Mittel erhöhten auch die Blutzirkulation, keine gute Idee für jemanden in Liljas Zustand. Sie hatte fast so etwas wie einen Zusammenbruch gehabt, ihr Bein war in Gefahr gewesen. Aber inzwischen war sie stabilisiert und befand sich auf dem Weg der Besserung. Allerdings war das eine lange Straße, und es half nicht gerade, dass Lilja meinte, regelmäßig rennen zu müssen, wenn sie auf ihr schritt.
Imp gönnte sich einen zitternden Seufzer. Manchmal fragte sie sich wirklich, warum sie sich ausgerechnet mit jemandem hatte anfreunden müssen, der nach außen nach Möglichkeit so viel Gefühle wie ein Eisblock zeigte, nach innen eine Menge psychischer Probleme mit sich herumschleppt und mit der eigenen Gesundheit umging, als hätte sie mindestens sieben Leben. Andererseits, wenn Lilja nicht gewesen wäre, stünde sie selbst vermutlich nicht hier – wie auch umgedreht. Und wenn die Russin erst einmal Vertrauen zu jemandem gefasst hatte, hielt sie vorbehaltlos zu ihm oder ihr, egal in welcher Lebenslage. Nicht einmal, als Imp sich mit Liljas Staffelkameraden vom Anfang des Krieges eingelassen hatte, war ein Schatten auf die Freundschaft gefallen, obwohl sich Imp im Rückblick bis heute nicht sicher war, ob Lilja „mehr“ für Sokol empfunden hatte, als Freundschaft. Das alles war die gelegentlichen Zitterpartien wert. Sie seufzte noch einmal, während sie die schlafende Lilja beobachtete: „Ich mag dich ja wirklich – mehr als eine Schwester, nehme ich an. Aber warum kannst du eigentlich nicht etwas mehr von dem zeigen, was man dir jetzt ansieht? Glaubst du, du gehst ein zu großes Risiko ein? Wie kann jemand, der sein Leben so riskiert, in anderer Hinsicht so verletzlich und vorsichtig sein?“
Natürlich gab es darauf keine Antwort, und selbst im Wachen hätte Lilja nichts zu entgegnen gewusst, nicht einmal wenn Imp es sich getraut hätte, sie zu fragen. Die Russin redete nicht nur so gut wie nie über ihre Gefühle, sie verdrängte und ignorierte sie offenbar auch vor sich selbst. Imp beugte sich noch einmal über ihre Freundin und zog die Decke zureckt. Lilja murmelte irgendetwas in ihrer Muttersprache, grub den Kopf etwas tiefer ins Kissen und lächelte sogar für einen Augenblick, von allen Schmerzen und Sorgen befreit durch die Medikamente in ihrem Blutkreislauf. Offenbar störte die Fixierung sie im Moment nicht im Geringsten, obwohl beim Aufwachen möglicherweise der nächste Wutanfall bevorstand. Imp spürte ein leichtes Brennen in den Augenwinkeln, aber sie ignorierte es. Ihr wurde mit einmal klar, dass dies zu Kriegsfreundschaften gehörte. Früher oder später – und meist eher früher – stand man am Krankenbett des Menschen, der einem etwas bedeutete, und fragte sich, was noch alles geschehen würde. Am Bett oder am Sarg, wenn es denn einen gab. Sie selbst hatte eine Szene wie diese mehr als einmal erlebt, und Lilja ebenfalls. Vielleicht war es das, was die Kanten am spröden Charakter der Russin geschärft hatte.
Ebenso leise, wie sie gekommen war, schlich Imp wieder hinaus. Ihre Freundin war in Sicherheit, ihr Geliebter lebte, die Columbia war auf dem Weg nach Hause – nur darauf kam es an. Die Kosten der Schlacht, nun, mit denen würde man leben müssen.

TRS Relentless, auf dem Rückzug, Büro des Kapitäns

Commodore Mithel hatte sich in seinem Sessel zurückgelehnt. Er hatte für einen Moment die Augen geschlossen, und wirkte in diesen Sekunden wie das, was er in Wahrheit auch war – ein alternder Mann, der sich in den letzten Jahren so hart angetrieben hatte, dass viele Jüngere daran zerbrochen wären. Nun, Jüngere waren tatsächlich daran zerbrochen, wenn man es genau nahm. Seit der Flucht von Karrashin waren erst wenige Stunden vergangen. Mithel hatte nur wenig Zeit für Schlaf gefunden, und die Zeiten, an denen ein oder zwei Stunden zur Regeneration genügt hatten, waren für ihn endgültig vorbei. Der Schreibtisch wirkte akkurat und ordentlich, und der Commodore in seiner frischen Uniform schien perfekt ins Bild zu passen, wenn man die Anzeichen physischer und psychischer Erschöpfung ignorierte. Mit einer müden Bewegung – immer noch die Augen geschlossen – griff er zu der Teetasse, von der leichter Dampf aufstieg. Das heiße, stark gesüßte Getränk gehörte zu seinen wenigen Lastern. Er nahm einige Schlucke, dann öffnete er die blutunterlaufenen Augen. Mit einem sarkastischen Gesichtsausdruck warf er einen Blick in die Tasse. Als gebildeter Mann wusste er, dass es Menschen gab, die unter anderem aus solchen Dingen wie Teeblättern die Zukunft lesen wollten. Mithel beneidete solche Toren fast für ihre Illusion, das Kommende ließe sich voraussagen. Wenn er etwas gelernt hatte in Frieden und Krieg, dann dass es letztendliche Sicherheit nicht gab. Aber wie hieß es so schön – der Narr glaubte, die Zukunft zu kennen. Der Vermessene glaubte, sie gestalten zu können.

Der Commodore räusperte sich, dann griff er zum Interkom: „Achtung, Kommandozentrale: Commander Liu Shan-Lee, vertrauliche Konferenzschaltung – die Lieutenant Commander Alverado und Rogulski und Dr. Argyris sofort zu mir.“ Er hätte die Einzelheiten gerne in kleiner Runde besprochen, doch entweder er oder seine XO mussten natürlich auf der Gefechtsbrücke sein. Immerhin war ein neuerliches Zusammentreffen mit den Akarii nicht auszuschließen. Sollte es dazu kommen, war der Ausgang zwar abzusehen, aber die terranischen Schiffe würden gewiss nicht aus Unachtsamkeit kampflos untergehen. Das war auch der Grund, aus dem er lieber die Leiterin der Schadensbekämpfung als seinen Leitenden Ingenieur herbeizitierte. Über die Schäden und den Zustand wusste sie ebenso gut Bescheid, doch seitdem die schlimmsten Schäden unter Kontrolle waren, wurde sie nur noch „dringend“ an vorderster Front gebraucht, nicht mehr „verzweifelt“.
Obwohl alle vier Adressaten der Nachricht im Moment vermutlich ebenso erschöpft und ausgelaugt waren wie der Commodore, und sicher mehr als genug zu tun hatten, brauchte Mithel nicht lange zu warten. Das war weniger eine Folge der berüchtigt strengen Disziplin an Bord der Relentless – seine Untergebenen wussten, dass Mithel nicht zu Überdramatisierungen neigte. Wenn er das Wort „sofort“ benutzte, hatte er zumeist gute Gründe.

So dauerte es nicht lange, bis ein Blinken auf der Konsole an seinem Schreibtisch die Verbindung mit der Brücke signalisierte. Seine XO würde einfach über einen Headset mit ihm sprechen, codiert, und leise genug, dass keiner ihrer Untergebenen das Gespräch verfolgen konnte. Mithel aktivierte die Verbindung: „Die anderen müssen gleich eintreffen…Ja, sie sind hier.“ Tatsächlich kündigte ein energisches Klopfen die Ankunft seiner Offiziere an. Einer nach dem anderen traten sie.
Wenn Mithel damit gerechnet hatte, ähnliche Spuren der Erschöpfung bei seinen Untergebenen vorzufinden wie bei sich selbst, so wurden seine Erwartungen von der Wirklichkeit übertroffen. Die drei – die lationstämmige Leiterin der Schadensbekämpfung, der polnische Waffenoffizier und die griechische Ärztin – hatten offenbar buchstäblich seit der Schlacht kein Auge zugetan, noch hatten sie sich gewaschen oder die Uniform gewechselt. Nun, in der Hinsicht war Mithel nicht der Prinzipienreiter, als der er gemeinhin gerne dargestellt wurde.
Er nickte den dreien zu und ignorierte, dass die Ehrenbezeigungen alles andere als vorbildlich waren. Die drei – oder vier – Menschen, mit denen er sprach, gehörten mit einigen wenigen anderen zu seinen Vertrauten und Proteges. Sie hatten sich dieses Privileg mit härtester Arbeit und mehr als einer scharfen Zurechtweisung, mit mancher Wunde und vor allem mit ausgezeichneten Leistungen und stillschweigender Loyalität verdient. Das Klüngelsystem der Flotte funktionierte seit Jahrhunderten, und seit ihrer Gründung hatte es ebenso oft zum Guten wie zum Schlechten gewirkt.
„Wollen Sie etwas trinken?“ Er wartete die Antwort kaum ab: „Messe – in fünf Minuten Kaffee und Tee für mein Dienstzimmer.“
Dann musterte er seine Untergebenen kurz. Er aktivierte den Lautsprecher seiner Verbindung mit der Ersten Offizierin, so dass ihre Worte im Zimmer zu hören waren: „XO – fangen Sie an. Status des Schiffes?“
Die Chinesin sprach wie meistens mit ruhiger, fast sanfter Stimme: „Schiff weiterhin auf Kurs. Gefechtsbereitschaft besteht nach wie vor, zwei Shuttle zur Aufklärung draußen. Geschwindigkeit 80 km/s, Brückenstatus einsatzbereit. Keine neuen Anweisungen vom Verbandskommando.“ Letzteres ließ Mithel die Lippen verziehen. Die Frage des Kommandos war so eine Sache. Die Hongkong würde sich bald vom Flottenverband absetzen, unter anderem mit der Devastator, dem letzten Flakkreuzer von einstmals vieren. Blieb die Frage, wer die zweifelhafte „Ehre“ haben würde, die angeschlagenen Reste zurückzuführen. Mithel war der dienstälteste Commodore, aber vom Rang her war Hellena Janzek ihm ebenbürtig. Nun, das würde Schepens Entscheidung sein. Wie er entscheiden würde, Mithel war nicht erfreut darüber, eines der wenigen nicht oder nur unwesentlich beschädigten Schiffe zu verlieren, das in den zusammengefassten Schwadronen 2.3 und 2.7 noch existierte – obwohl diese Bezeichnung eigentlich längst nicht mehr gerechtfertigt war, denn was übrig war, entsprach nicht einmal einer Schwadron.
Aber das war nicht Sache seiner Ersten Offizierin: „Gut, Danke.“
Er wandte sich an Benita Alverado: „Schadensbericht?“
Die junge Frau hatte sich entschieden gemausert seit ihrem ersten Zusammentreffen, als sie eine frisch ausgebildet und etwas schüchterne Junioroffizierin gewesen war. Inzwischen mehrfach ausgezeichnet und verwundet, hatte sie dem Schrecken, den der Raumkrieg zu bieten hatte, vielfach ins Auge geblickt. Vermutlich deshalb waren sie und die Ärztin gute Freundin – nicht nur, wie böse Zungen munkelten, aufgrund gemeinsamen Konsums von teils beruhigenden, teils aufputschenden Mitteln aus dem „Giftschrank“.
Ungeachtet ihrer angeschlagenen Verfassung hielt sie sich gerade – wie alle Offiziere in Krisensituationen musste sie ein gutes Vorbild geben: „Leck im Bug versiegelt, Leerräume ebenfalls. Mikrohüllenrisse in anderen Bereichen ebenfalls versiegelt, dafür weitere 15 Räume evakuiert und gesperrt.“ Das hieß, sie hatte die Räume in der Nähe potentieller Schwachstellen evakuieren und verschweißen lassen. Mit Bordmitteln war dies nicht absolut sicher, bot aber bei einem Durchbruch zumindest etwas Schutz.
„Panzerungsschäden mit Bordmitteln kaum reparabel – wir haben nicht ausreichend Material nach den letzten Gefechten, vor allem wegen Abgaben an Schwesterschiffe. Sind dazu übergegangen, zum Teil mit Normalmaterial und Leichtpanzerung zu flicken.“ Der Dauerbeschuss des Feindes hatte auch dort, wo er die Panzerung nicht durchschlagen hatte, große Mengen dieser letzten Außensicherung gekostet. Die Relentless schleppte zwar große Mengen Ersatzplatten mit sich, doch inzwischen stieß sie an ihre Grenzen. Theoretisch konnte man natürlich zwischen Standart-Panzerplatten und Ofenblechen alles anschweißen, doch ein Meter Ofenblech war eben so gut wie nichts wert gegen Hochenergielaser und Atomraketen.
Der Commodore zeigte keine Reaktion, obwohl ihm seine Schadensexpertin mitteilte, dass die Relentless weit von auch nur notdürftiger Einsatzbereitschaft entfernt war.
Die junge Frau fuhr fort: „Kleinere Brände sind inzwischen unter Kontrolle, keine dauerhaften Schäden in Lebenserhaltungssystemen. Unbewohnbar durch Brandeinwirkung im Moment 200 Quadratmeter, begrenzt bewohnbar 300. Wir arbeiten daran, die Grundversorgung und Verbindung mit allen Stationen wieder sicher zu gewährleisten. Brücke bereits voll einsatzbereit. Bordreparaturen vermutlich in 24 Stunden abgeschlossen – aber die wesentlichen Ausbesserungen müssen in einem Dock ausgeführt werden.“
Der Commodore nickte knapp: „Zur Kenntnis genommen. Marschgeschwindigkeit und Schilde?“
„Der Leitende Offizier schätzt in sechs Stunden Fahrt bei 85 Prozent, in zwölf 90. Vollfahrt vorerst nicht ratsam. Schilde sind bei 50 Prozent – wir haben aufgrund interner Schäden mehrere Projektoren verloren. In zwölf Stunden zwei Drittel bis drei Viertel Schildleistung wahrscheinlich. Volle Leistung vermutlich erst im Dock möglich.“
Mithel schien für einen Moment nachzudenken, dann wandte er sich an seinen Waffenoffizier: „Status Bewaffnung?“
Rogulski, der einer der „ältesten“ Vertrauten der Kapitäns war, war gewiss kein Schönredner: „Primärwerfer ohne Munition – und wir können auch von niemanden etwas erhalten. Fast alle Schiffe haben sich verschossen. Wer noch Reserven hatte, wie die Schiffe der Täuschgruppe, hat Befehl, alles Entbehrliche an Schepens und seine Begleitschiffe abzugeben. Für uns bleibt nichts übrig.“ Er sprach es nicht aus, aber vermutlich hatte er vergeblich alle Register gezogen. Nur konnte man eben Megatonnen-Marschflugkörper nicht gegen eine Kiste Schnaps tauschen.
„Nach Abschluss der laufenden Reparaturen fehlen uns weiterhin drei Lasergeschütztürme, ein Tachyonengeschützturm und ein leichter Raketenwerfer. Für die anderen ist der Munitionsvorrat auf 15 Prozent gesunken. Zwei Impulslaser laufen höchsten mit 50-Prozentiger Leistung, einer mit 75 Prozent. Unsere Shuttles sind einsatzbereit – drei tauglich für den Kampfeinsatz, allerdings in einem Fall nur dank Bordreparaturen.“
Der Commodore schnaubte, allerdings richtete sich seine Frustration nicht gegen seine Untergebenen: „Ich fasse zusammen: unsere Panzerung, unser Rumpf und unsere Schilde sind insgesamt erheblich geschwächt. Wir können nicht volle Fahrt laufen, um uns abzusetzen – und unsere Bewaffnung ist auf Mittel- und Nahbereich reduziert und auch dort gibt es Einbußen.“ Er bekam keine Antwort, aber es war auch nicht nötig.
Er seufzte: „Nun gut. Doktor – wie sieht es medizinisch aus?“
Der Ärztin hatte geduldig gewartet. Sie sah es nicht als Zurücksetzung, dass sie als letzte an die Reihe kam. Es war keine Menschenverachtung, obwohl der Commodore auch nicht davor zurückschreckte, Menschen zu opfern. Aber wenn das Schiff angeschlagen war, dann konnte das für ALLE an Bord den Tod bedeuten. So blieb sie knapp und sachlich, obwohl sie nicht ganz den abgehackten Telegrammstils gebrauchte, dessen sich viele Offiziere befleißigten: „Wir haben 23 Tote und 8 Vermisste. Hoffnung auf Bergung besteht nach meinen und LC Alverados Analysen nicht mehr. Verletzte haben wir 17 Schwer- und 26 Mittelschwerverwundete, vor allem Brand- und Splitterverletzungen, dazu Brüche, Erfrierungen, zwei Vergiftungen durch Rauchgas. Wir haben weitere 53 Besatzungsmitglieder ambulant behandelt, sie sind aber diensttauglich. Unser Bergungsbestand durch die SAR und aufgesammelte Rettungskapseln beträgt 123 Personen, davon 38 Schwerverwundete. Drei weitere Zugänge sind verstorben, vier stehen auf der Kippe. Die Krankenstation ist voll belegt, medizinische Vorräte zwar noch ausreichend, im Bereich Schmerzmittel könnten aber in absehbarer Zeit Engpässe eintreten. Ich prüfe derzeit die Dienstfähigkeit der Geretteten.“
Mithel musterte die Griechin einen Augenblick wortlos. Sie waren nicht immer einer Meinung gewesen, aber beide verstanden die Motive des anderen: „Ich will, dass jeder, der einen Eimer tragen oder eine Konsole bedienen kann, diensttauglich geschrieben wird. Ich weiß, die Männer und Frauen leiden unter dem Verlust ihres Schiffes oder ihrer Kameraden – aber im Moment brauchen wir jeden.“
Die Ärztin zögerte: „Soweit ich es vertreten kann. Sie erhalten die Liste umgehend. Schepens würde übrigens gerne noch weitere Verletzte an uns abschieben. Ich würde vorschlagen, die Aufnahme eng zu begrenzen. Mein Personal arbeitet bereits am Rande ihrer Fähigkeiten – ich habe sogar Hilfssanitäter der Marines auf die Patienten losgelassen.“ Die Frau Doktor war offenbar keine Bewunderin des Medical Corps der Marineinfanterie.
Mithel lächelte nur sarkastisch: „Sie können sich darauf verlassen, dass ich mir vom Admiral keinen Verwundeten mehr aufschwatzen lasse – es sei denn, er rückt auch ein paar Dutzend Atomraketen heraus.“

Der Commodore ließ sich das Gehörte noch einmal durch den Kopf gehen. Es entsprach in etwa dem, was er erwartet hatte. Aber er hatte seine Untergebenen aus einem bestimmten Grund herbeordnet: „Gut. Sie haben in der letzten Schlacht alle ihre Pflicht ausgezeichnet erfüllt – teilen Sie das auch ihren Untergebenen mit. Ich weiß, dass Sie alle am Ende ihrer Kräfte sind. Sie wären nicht menschlich, wenn sie es nicht wären. Wir haben mehr als unseren Teil geleistet und zahlreiche feindliche Schiffe vernichtet, beschädigt oder bei ihrer Vernichtung assistiert. Wir haben jedoch als Schiff wie als Schwadron und Flotte zugleich schwere Verluste erlitten. Ich muss nicht extra erwähnen, dass wir dennoch keinen Moment in unseren Bemühungen nachlassen dürfen. Alle Stationen müssen zu JEDER Zeit einsatzbereit seien. Es darf keinerlei Sicherheit geben, ungeachtet wie stark wir den Feind angeschlagen haben.“ Er lächelte spröde: „Ich weiß, eine solche Motivationsrede ist bei Ihnen eigentlich überflüssig. Sie werden sich vermutlich auch fragen, woher meine Besorgnis kommt. Immerhin ist nicht damit zu rechnen, dass die Akarii uns verfolgen, zumal sie nicht wissen, wann Verstärkung für uns eintrifft. Wir haben sie ein paar Mal zu oft überrascht. Ihre Kreuzer sind vernichtet, ihre Träger angeschlagen, die Bordgeschwader und kleinen Schiffe dezimiert. DIESE Akarii sind demnächst für uns keine Gefahr mehr.“ Er stand auf, und die Geschmeidigkeit seiner Bewegungen strafte sein Alter Lügen. Es hieß immer, der „Alte“ lief in Krisensituationen zu besonderer Hochtour auf.
Mithel trat zum zentralen Bildschirm. Seine Worte galten sowohl den Offizieren vor ihm wie auch der XO: „Unsere Kommunikationsabteilung hat Meldungen aufgefangen und dechiffriert, die Grund dazu geben, mit allem, und ich meine ALLEM zu rechnen.“ Er holte tief Luft: „Wenn wir richtig informiert sind, haben die Akarii einen erfolgreichen Vorstoß bis nach Hannover unternommen. Die Regierung der Konföderation ist anscheinend zusammengebrochen und hat kapituliert – ihre Streitkräfte haben mit sofortiger Wirkung den Kampf gegen das Imperium eingestellt. Zwischen konföderierten und terranischen Schiffen ist es daraufhin zu Kampfhandlungen gekommen. Wir wissen weder, wie stark die feindlichen Streitkräfte über Hannover, noch, ob sie weiter vorstoßen werden. Angesichts des Vorstoßes der Maticore-Kampfgruppe des Gegners müssen wir damit rechnen, dass all dies Teil eines groß angelegten Generalangriffs des Feindes ist.“

Das folgende Schweigen war zu einem Großteil aus Schock gespeist. Natürlich, Gerüchte, die Akarii könnten noch einige Pfeile im Köcher haben, hatte es schon zuvor gegeben. Seitdem erste Meldungen über den feindlichen Vorstoß gekommen waren, der bei Karrashin schließlich verblutete, war die Gerüchteküche am Brodeln gewesen. Zwischen einem grandiosen Selbstmordeinsatz, einem verzweifelten Entlastungsstoß und einem perfiden Masterplan des Gegners war jede Option erörtert worden. Wie es aussah, war die dritte Variante am nächsten an der Wahrheit gewesen. Doch ungeachtet aller Gerüchte – die schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet zu finden, war etwas anderes.
Seltsamerweise war es ausgerechnet die eher stille und physisch abwesende XO, die sich als erste fasste, vielleicht auch nur, weil sie auf der Brücke saß, und sich Entsetzen nicht offen anmerken lassen durfte: „Wenn das zutrifft, verändert es das strategische Gleichgewicht an der ganzen Front. Dennoch – ich denke, die Akarii haben zu spät gehandelt. Diese Offensive am Anfang des Krieges wäre etwas anderes gewesen. Sie sind nicht mehr die alten Kämpfer, und wir auch nicht. Sie sind weniger geworden, und wir haben dazugelernt. Wir haben ihren Vorstoß bei Karrashin zurückgeworfen, und wir werden auch alles andere aufhalten, was sie gegen uns in Marsch setzen.“ Die kriegerischen Töne klangen angesichts ihrer freundlichen Stimme ungewohnt, doch an ihrem Ernst konnte kein Zweifel bestehen.
Mithels Stimme klang fast stolz, wenn auch nicht frei von trockenem Humor: „Gesprochen wie ein echter Kapitän – nun, kein Wunder, dass Sie ihren Posten bekommen haben. Eigentlich ist das ja mein Job. Sie haben Recht. Wir haben am Anfang des Krieges durchgehalten, wir werden es jetzt wieder tun.“
Er musterte die drei Offiziere vor ihm: „Ich weiß nicht, wie lange sie es geheim halten werden. So etwas lässt sich einfach nicht verschweigen. Wenn es offiziell wird, müssen Sie vorbereitet sein – und ehrlich gesagt, was wäre ich für ein Kapitän, Ihnen dies zu verschweigen? Sie werden auf Ihre Leute eingehen müssen, um die psychologischen Folgen abzumildern. Für so etwas gibt es keine Vorbereitung und keinen Notfallplan.“ Sein Lächeln wirkte diesmal ehrlich, aufrichtig: „Ich hätte Sie niemals auf Ihrem Posten belassen, wenn ich nicht glauben würde, Sie könnten auch so eine Situation meistern.“
Angesichts dieses Lobes nahmen alle drei Haltung an, ungeachtet der Müdigkeit und Enttäuschung. Es gab nichts Besseres für das Ego eines Menschen, als das Lob eines Vorgesetzten, den man respektierte. Und dass er sie für fähig hielt, die vor ihnen liegenden Herausforderungen zu meistern, war in der Tat ein großes Lob. Es war die Aussicht, sich einmal mehr zu bewähren – und später mit Stolz daran zurückzudenken.
„Sie wissen, was sie zu tun haben. So wie ich Genaueres erfahre, teile ich es Ihnen mit. Gehen Sie auf ihre Posten.“
Als Mithels Untergebenen sich abmeldeten, noch immer geprägt vom Schock aber auch von Entschlossenheit, dachte der Commodore noch einmal an die Worte seiner Ersten Offizierin zurück. ,Wir haben sie bei Karrashin gestoppt? Nun, ich fürchte, noch so ein Sieg, und wir sind verloren…’
13.01.2016 09:04 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
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Cunningham

Es waren so viele Leichen. So unglaublich viele. Die Zahl derer, die unter Lucas’ Kommando im Krieg gefallen waren, hatte sich mit nur einer Schlacht fast verdoppelt.
Die Besatzung der Columbia hatte jetzt zweihundertdreiundvierzig Verluste. Die Zahl stand fest. Es würde keiner mehr geborgen werden, und es bestand auch keine Hoffnung, dass einer der kritisch Verwundeten noch über den Berg kam. Zweihundertdreiundvierzig und noch mal achtundzwanzig aus der vorhergehenden Schlacht.
Von sieben Männern und Frauen hatte man keine Leichen mehr gefunden. Aber ihr Schicksal stand fest. Der Würfel ist gefallen.
Diese zweihundertvierundsechzig Raumfahrer lagen in schwarzen Leichensäcken im hinteren Bereich des Landedecks der Columbia. Abgeschirmt von zwei Magnetfeldern.
Mit ihnen lagen dort dreiunddreißig Akarii. Manch einer aus der Besatzung mochte das für pietätlos halten.
Lucas war dies egal.
Die Besatzung der Columbia und die Piloten des Bordgeschwaders waren angetreten, um ihren gefallenen Kameraden die letzte Ehre zu erweisen.
Die Helden von Karrashin, abgekämpfte, arme, bemitleidenswerte Geschöpfe. Kaum einer hatte sich die Mühe gemacht eine frische Uniform anzuziehen, geschweige denn den großen Dienstanzug oder die Paradeuniform.
Auch Lucas stand in einfacher Dienstuniform da. Er war sich seines eigenen Geruches bewusst, und zum ersten Mal schämte er sich vor den Toten, obwohl er in der Masse wohl kaum auffallen würde.
Der Gestank nach angesengten Haaren, Schweiß und Blut musste die Sinne betäuben, wenn man ihn denn wahrnahm.
„Es fällt schwer für all die Gefallenen die passenden Worte zu finden,“, begann Lucas, „so habe ich aus einem Brief, den Captain Waco von einem Freund erhalten hatte, bevor er das Kommando auf der Columbia übernahm, eine kleine Passage kopiert. Der Captain hatte sie selbst markiert und ich denke sie ist passend:

,Wir sehen auf die toten Körper unserer Freunde und Feinde, und ob nun in Sieg oder Niederlage stellt sich uns die Frage nach dem Warum, nach dem Wert der Opfer die wir erbringen, nach dem Sinn, unser eigenes Leben in die Wagschale zu werfen. Und das nun schon seit Jahren.
Doch dann sehe ich zu den Sternen auf, zu unseren wundervollen Sternen, auf denen sich die Menschheit seit fünfhundert Jahren ausgebreitet hat, und auf denen ihre vielen Kulturen in friedlicher Koexistenz zu einer Nation zusammengeschlossen sind, dann weiß ich wieder, warum ich hier stehe, warum ich mein Leben riskiere, warum ich mich am Leben versündige.
Wir stehen nicht nur für uns alleine, auch wenn wir manchmal nur noch den Mann oder die Frau neben uns haben. Wir stehen für die gesamte Menschheit, für ihr mannigfaltiges kulturelles Erbe.
Wir stehen hier für unsere Nachbarn und Freunde, für unsere Eltern, Brüder und Schwestern, für unsere Kinder und Enkel.
Wir sind das Fleisch gewordenen blaue Band, welches zwischen der Heimat und dem Grauen des Krieges steht. Als Schild und Schwert der ganzen Menschheit. Als lodernde Fackel der Hoffnung für unsere Völker, und so weiß ich um den Wert unserer Opfer und den Wert unserer Taten. So finde ich die Kraft standzuhalten. Im Gedenken an die, die gefallen sind, im Bewusstsein für die, die neben mir stehen und in der unerschütterlichen Hoffnung auf eine bessere Zukunft für die, die uns nachfolgen werden.

Captain Leonard Markbright
CO TRS Chicago, Standort geheim…'“


Am Ende versagte fast Lucas Stimme und nach einem Moment des Schweigens übernahm Richard Schönberg das Wort: „Wir übergeben die sterblichen Überreste unserer Kameraden der immerwährenden Schwärze des Alls. In der Hoffnung auf die Auferstehung und das nächste Leben. Amen.“
Lucas nickte Matt Dodson zu.
Dieser antwortete mit einem Nicken und sprach leise in sein Headset.
Das hintere Magnetfeld wurde deaktiviert und der entstehende Sog, als die Atmosphäre aus dem hinteren Bereich des Hangars entwich, nahm die Leichen mit sich.
Zurück blieben nur acht Marines in EVA-Rüstungen. Major Schlüters Stimme wurde durch die Lautsprecher im Hangar übertragen: „Ehrenwache: LEGT AN! Gebt FEUER! Gebt FEUER! Gebt FEUER!“
Einundzwanzig Schuss Salut. Mehr konnte man für die Toten nicht mehr tun. Zeit, sich wieder den Lebenden zuzuwenden.
„Lassen Sie wegtreten, Chief.“
„Besatzung: WEGGETRETEN!“
Lucas zog von dannen. Die Situation hatte sich wieder einigermaßen normalisiert. Es gab keine Meldungen, die er entgegen nehmen musste, keine akuten Entscheidungen, die er treffen musste.
Fast wie in Trance ging er zu seinem Quartier.
Dort angekommen zog er sich aus. Die Kleidung warf er achtlos auf den Boden. Auf dem Weg zum Bad schnappte er sich noch eine Tafel Fliegerschokolade. Endorphine, Glückshormone, das brauchte er jetzt.
Er stieg unter die Dusche, doch statt diese einzuschalten setzte er sich hin und brach die Schokolade an.
Wie lange er so da saß, wusste er nicht. Die Zeit vom hinsetzen, bis zu dem Zeitpunkt wo er hochschreckte, als jemand anderes die Kabine betrat, war einfach weg.
Es dauerte noch etwas, ehe Raven den Kopf ins Bad steckte.
„Was machen Sie in meiner Kabine?“, verlangte Lucas zu wissen.
„Ich bin der CAG, de facto ist das meine Kabine. Außerdem hat das Technische Personal mein altes Quartier requiriert. Dodson ist dort mit sieben weiteren Mechanikern eingezogen. Drei, DREI Typen liegen jetzt in meinem Bett, und einer von denen ist fett und wiegt mindestens hundertfünfzig Kilo.“, Raven stockte kurz, „Sie sind nackt.“
„Ich dusche.“
„Tun Sie nicht, Lone Wolf, Sie sitzen in der Dusche und essen Schokolade.“
Lucas schwieg.
„Bekomme ich ein Stück ab?“
Er warf ihr die Tafel zu: „Sie können das Bett haben, ich nehm’ die Couch.“
„Oh, sehr Gentlemanlike,“, sie nickte ihm dankbar zu, „aber ziehen Sie sich bitte was an, ja.“
„Noch nie einen nackten Soldaten gesehen?“, rief er ihr hinterher.
Raven antwortete mit einem Schnauben.
Der amtierende Kommandant der Columbia erhob sich wieder und entschied sich für eine irische Dusche. Er deodorierte sich großzügig ein, zog seine Unterhose an und holte sich aus seinem Schlafraum, in dem sich Raven gerade häuslich einrichtete, eine frische Uniform.
„Was schmunzeln Sie so?“, wollte sie wissen, während er sich anzog.
„Ich musste gerade an den Tag denken, wo sich Ace das erste Mal bei mir meldete.“
„Was war daran denn das Komische?“
Lucas schüttelte den Kopf: „Naja, er hatte gerade einen BH in seinem Quartier gefunden. Und stammelte vor sich hin, es müsse ein Fehler passiert sein, zumindest hoffe er das, obwohl er natürlich kein Problem damit hätte, wenn ein männlicher Kamerad ... und so.“
Raven kicherte: „Oh, seit der alten Red sind viele Dinge geschehen. Ace als unerfahrener Lieutenant. Stotternd und aschfahl im Gesicht, heute an sich undenkbar.“
„Als wir dann herausfanden, dass er wirklich mit einer Frau zusammengelegt worden war, stahl sich ein Grinsen auf sein Gesicht.“
„Was haben Sie dann gemacht?“
„Ich hab ihm die Hölle heiß gemacht.“
Sie schüttelte den Kopf: „Er konnte doch nichts dafür.“
„Nein, natürlich nicht,“, gestand Lone Wolf ein, „aber er brauchte damals eine starke Hand, und die braucht er wohl immer noch.“
„Sie halten ihn nicht bereit für eine eigene Schwadron?“, Raven sah ihn forschend an.
„Ja und nein. Ich sehe nicht, dass Skunks Verlust gut für die Rote Schwadron ist. Skunk war ein exzellenter Taktiker für den Angriff und sehr guter Pilot. Das Betriebsklima wird sich sicherlich bessern, aber für eine Offensivschwadron wie die Rote Staffel glaube ich nicht, dass Ace den nötigen Biss hat. Vielleicht sollten Sie sich einen Externen für den Job suchen und Ace als XO für die Rote behalten.“
„Nicht genug Biss? So wie ich etwa?“
Lucas zuckte zusammen: „Auch ich irre mich hin und wieder. Selten ...“
Das ‚viel zu oft’ hing ungesagt zwischen ihnen.
„Wir hätten einen der Träger wegpusten müssen.“, Raven setzte sich auf die Bettkante.
„Den einen hätten wir schon bei Jollahran vernichten müssen.“
Sie sah ihn erstaunt an.
„Der Träger, der sich mit den drei Zerstörern im Alleingang angelegt hat, war unser alter Freund aus Jollahran, der auch die Majestic auf dem Konto hat.“
„Jollahran. Wir können froh sein, in Jollahran mit dem Leben davongekommen zu sein.“
Lucas setzte sich neben sie: „So wie hier.“
„Sind wir die Sieger?“
„Sehen Sie uns an,“, Rezitierte Lone Wolf, „hier sitzen wir, Sieger und Besiegte. Mit blutenden Herzen, dem gleichen leeren Blick, gebrochen von dem Wahnsinn, den wir uns gegenseitig angetan haben. Sehen Sie uns an, es gibt keinen Unterschied zwischen uns. Der Krieg hat uns verschlungen. Sieger und Besiegte.
Geben Sie uns einen Frieden, mit dem beide Seiten gut leben können. Sehen Sie sich in die Augen und treffen Sie sich auf gleicher Höhe. Sorgen Sie für einen fairen Frieden, damit wir endlich leben können und uns nicht in wenigen Jahren wieder zum Schlachtfest treffen.“
Raven nickte: „Verstehe, von wem ist das?“
„Von einem Lucas Cunningham“, Lone Wolf grinste, „ich wurde nach ihm benannt, bin aber weder verwandt noch verschwägert. Außerdem ist er seit mehreren hundert Jahren tot.“
„War er auch Soldat?“
„Auf seine Weise vielleicht schon.“, er erhob sich, „Gute Nacht CAG.“
„Gute Nacht, Skipper,“, Raven erhob sich und streckte ihm die Hand hin, „und danke.“
Gab es so was wie einen fairen Frieden heute, zumindest zwischen ihnen beiden?
Lucas griff zu: „Wofür?“
„Dafür, dass Sie ihren Plan über den Haufen geschmissen haben und gekommen sind. Uns Hoffnung gaben. Uns den Strohhalm reichten, an dem wir uns aus dem Dreck ziehen konnten.“
„Ich bin nicht für die Ersatzbank geschaffen.“



Über hundert Lichtjahre von der Columbia entfernt atmete ein großer Mann ein letztes Mal ein und aus. Dann hörte sein Herz auf zu schlagen. Mehrere Stunden kämpften seine Ärzte um sein Leben.
Doch am Ende des Tages war Eliak IX., Imperator des Sternenimperiums von Akar, gestorben. Und trotz seiner gut 100 Jahre auf dem Thron des Imperiums, seiner Großtaten und Leistungen, würde er nur als Fußnote in die Geschichte seines Volkes eingehen. Als derjenige, der den Krieg mit den Menschen begonnen hatte, ihn aber nicht vollenden konnte.
Dies würde seinem Nachfolger vorbehalten bleiben.
Das akariische Jahr Fünftausendzweihundertvier würde als das Jahr der drei Tode der alten Zeit in die Geschichte eingehen.
Jor, der niemals Jor III. werden würde, erst Jahrhunderte später als Held von Tukama bekannt, Relath Gor, der Kanzler des Krieges, und Eliak, der Vater.
Fünftausendzweihundertvier, das Jahr der drei Tode der alten Zeit: Die Streitkräfte der Akarii im Todeskampf mit dem größten Feind, dem sich das Volk der Akarii je gegenübersah. Verletzt, gedemütigt und verzweifelt, aber nicht geschlagen.
Der neue Herrscher ungewiss. Eine Zeit der Furcht und der Prüfung,



An: Die gesamte Flotte
Von: Fleet-HQ Terra

Kriegswarnung!
Authentifizierung: Bravo-Sierra-Siera-Lima-Tango

Die Colonial Confederation hat mit dem Sternenimperium der Akarii einen Separatfrieden geschlossen.
Im Verlauf der letzten beiden Wochen ist es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen unseren Streitkräften und denen der Colonial Confederation gekommen.
Es ist zu befürchten, dass es zu offenen Kriegshandlungen mit den Streitkräften der Konföderation kommt. Die Richtlinien für den Kampfeintritt (ROE) gegenüber den konföderierten Streitkräften werden auf Alpha-Zwei festgesetzt.
Sämtliche konföderierten Schiffe im terranischen Hoheitsgebiet sind aufzubringen und zu internieren. Konföderiertes Personal auf Kriegsschiffen und Basen der TSN ist zu inhaftieren.

Gezeichnet
Nathan Frost
Chief of Naval Operations




Ende
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