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Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
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Themenstarter Thema begonnen von Cattaneo
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Ironheart

Manöver Option 4

An Bord der Relentless
Im Beta-Borealis-System

„Huuuuaaahhh!“ Lieutenant Commander Darko Jurcic gähnte mit weit aufgerissenem Mund, was ihm einen schrägen Seitenblick von Colonel Hammersmith einbrachte. „Sorry, Sir, aber wir brüten hier nun schon seit fast zwölf Stunden ununterbrochen an den Einsatzplänen für dieses Manöver und meine Batterien sind einfach leer.“
Hammersmiths Augen funkelten erst Jurcic an, den kommandierenden Offizier ihrer Sturmshuttle Schwadron, dann blickte er weiter zu Major Hue und Captain Johansson. Dann schüttelte er den Kopf. „Wir sind noch nicht soweit, Darko. Ich bin immer noch nicht zufrieden mit dem Angriffsmuster. Die Verlustzahlen sind zu hoch und wir brauchen immer noch zu lange, um in das Innere des Trägers zu kommen…“
„Sir, mit Verlaub. Wir gehen nach dem Standardangriffsmuster vor und haben damit schon mehr als ein halbes Dutzend Dickschiffe geknackt. Warum sollte das jetzt nicht auch funktionieren?“
„Darko, ein Kreuzer ist eine Sache, aber ein Träger der Quarsar-Klasse ist eine kleine Stadt für sich. Dass kann man gar nicht miteinander vergleichen. Und vielleicht ist das genau das Problem. Wenn wir genau so vorgehen wie bei Dickschiffen, müssen wir immer noch damit rechnen die Hälfte unserer Leute zu verlieren. Und das wenn’s gut läuft…“
Jetzt mischte sich Hue ein. „Vielleicht sollten wir die Aktion gleich ganz absagen, oder?“
„Machen Sie sich nicht lächerlich, Bao. Sie selbst haben diese Option der Admirälin vorgestellt, haben sie das vergessen? Meine Herren, darf ich Sie daran erinnern, dass Admiral Wulff höchstpersönlich ihre Erlaubnis für diese Übung gegeben hat? Dies ist unsere einzige Chance einen Angriff dieser Art außerhalb der Simulationen zu testen. Und ich denke, diese Gelegenheit sollten wir nutzen.“
„Nein, das habe ich nicht vergessen, Sir! Aber Sie kennen ja meine Meinung, ich war von Anfang an gegen diese Option.“
„Ihre Meinung interessiert hier nicht, Bao. Wir können diesen Auftrag ausführen und wir werden ihn ausführen, ist das klar?“ Hammersmith blickte Hue scharf an, der sichtlich verärgert war. Doch letztlich gab der Chinese nach. „Ja, Sir!“
„Gut, fassen Sie noch einmal die Übungsparameter zusammen, vielleicht haben wir noch etwas übersehen.“
Hue Xha Bao, der nicht weniger müde als die anderen war, begann nun schon zum sechsten Mal dieselbe Leier herunter zu beten. „Gut, Admiral Wulff hat die Einsatzgruppe in zwei Hälften teilen lassen. Die Columbia wird dabei verteidigt von den Staffeln Gelb, Grün und Silber, während die Staffeln Schwarz, Rot, Blau und Gold den Angriff führen werden. Die Kreuzerschwadron 2.3 und die Fregattenschwadron gehören zu den Angreifern, der Rest zu den Verteidigern. Alles in allem also ein Übergewicht auf Seiten der Angreifer, wobei die Verteidiger natürlich über die intakte Columbia verfügen.“
„Ich denke, dass das in etwa einem Szenario gleichen könnte, mit dem wir es tatsächlich zu tun bekommen könnten. Wie ist die generelle Strategie, Carl?“
„Naja, die Jäger und Dickschiffe hauen eine Gasse für die Bomber durch, damit diese die Schilde zu Klumpp schießen können. Dann rauschen unsere Kreuzer heran und lassen uns heraus und dann sehen wir zu, dass wir so schnell wie möglich an Bord kommen.“
Hammersmith nickte und schien angestrengt zu überlegen.

Ein Moment der Pause trat ein und alle vier Offiziere blickten auf die dreidimensionale und frei im Planungsraum schwebende holographische Darstellung der Korax ma Rah, die sich langsam um die eigene Achse drehte.
Colonel Hammersmith umtigerte die Darstellung und murmelte dabei unhörbar vor sich hin. Dann rief er dem an der Computerkonsole sitzenden Besatzungsmitglied einen knappen Befehl zu. „50% vergrößern. Simulation ab.“ Damit begann die Darstellung wieder zu flackern und eine neue simulierte Angriffssequenz startete. Der Computer der Relentless simulierte den Angriff nach den vorgegebenen Parametern, so dass die Offiziere die Auswirkungen ihrer Änderungen am Angriffsplan direkt am Ergebnis der Simulation ersehen konnten. Jetzt sahen sie schon zum x-ten Mal, wie die Jäger-Staffeln aufeinander prallten, wie die Kreuzer, Zerstörer und Fregatten beider Seiten einander beharkten und das Abwehrfeuer den Trägers durch das Weltall peitschte. Dann brachen die Bomberstaffeln der Menschen durch den Abwehrkordon, abgeschirmt von den Jägern und Fregatten. Die Salven der Bomber trafen die Schilde der Korax und ließen sie kollabieren. Sofort danach griffen die schweren Ticonderoga-Kreuzer an und schienen aus drei verschiedenen Richtungen den Träger rammen zu wollen. Während sie hart getroffen wurden, konnten sie ihre Sturmschleusen ausschiffen, doch eines der Schiffe ging einen kurzen Augenblick später in einem grellen Lichtblitz unter und riss ein paar der Shuttles mit sich. Die übrigen Shuttles jagten mit Höchstgeschwindigkeit auf den Träger zu. Auf dem Weg pflügte die Schiffsabwehr einige der Shuttles aus dem Raum, obwohl sie von Jägerverbänden eskortiert wurden. Dann dockten die überlebenden Shuttles an und begannen, Löcher in die Außenhaut der Station zu fräsen oder die verschiedenen Schleusen des Trägers zu öffnen. Währenddessen wurden wieder ein paar angedockte Shuttles durch Akarii-Jäger, aber auch durch große Abwehrtürme des Trägers vernichtet, noch bevor sie ihre Fracht in die Korax ma Rah entlassen konnten.
Hammersmith blickte auf die Simulationsuhr und murmelte ein „Das dauert zu lang…“ bis endlich die Simulation endete, da die übrig gebliebenen Shuttles ihre menschliche Fracht abgeliefert hatten.
Alle vier Offiziere drehten sich nun zu dem Raummatrosen an der Konsole zu. Und dieser las ihnen mit gleichgültiger Stimme die Ergebnisse der Simulation vor. „Sirs, von den 56 Sturmshuttles konnten 39 an die Korax andocken. Allerdings haben nur 31 ihre Marines ausbooten können, die übrigen wurden von Jägern oder Abwehrtürmen zerstört.“
„45 Prozent Verlust schon im Weltraum, dass ist nicht ausreichend. Es muss noch einen Weg geben, einen den wir noch nicht gesehen haben, ich spüre es…“ Hammersmith umtigerte weiter die dreidimensionale Darstellung des Akarii-Trägers.
Währenddessen schauten sich die übrigen drei Offiziere an und rollten mit den Augen. Wenn Hammersmith sich in einer Sache erstmal festgebissen hatte, konnten Stunden vergehen.

Jetzt meldete sich Johansson zu Wort, anscheinend war auch er bereits vollkommen erschöpft. „Sir, vielleicht sollten wir uns ein wenig aufs Ohr legen und noch mal das Standardangriffmuster überdenken. Ich bin mir sicher ich werde davon träumen, vielleicht fällt uns ja dann was ein.“
Jurcic schlug in dieselbe Kerbe. „Ich muss unbedingt noch in den Hauptlandehangar um…“
Doch weiter kam er nicht, denn Hammersmith wirbelte jetzt herum. „WAS?“
„Ich muss los, Sir, in den Hauptlandehangar zur Inspektion von ein paar unserer Sturmshuttles.“
Hammersmith schüttelte entnervt den Kopf „Na gut, machen Sie das, gehen sie, machen sie ihre Inspektion oder legen sie sich aufs Ohr, wir sehen uns dann in 0600 Stunden wieder hier.“
Johansson und Hue schauten sich beide fragend an, doch Johansson zuckte nur kurz mit den Schultern und so machten sie sich davon um wenigstens eine kleine Mütze Schlaf zu bekommen. Wenn Hammersmith weiter wie ein Verrückter an einem Plan arbeiten wollte, der nun mal kein besseres Ergebnis liefern konnte als um die 50% Verluste, dann war das seine Sache. Hue hatte sich für seinen Teil bereits damit abgefunden, dass dieser Einsatz, wenn er denn jemals kommen sollte, eine absolute Nagelprobe für das 217. werden würde.
Vielleicht würde es sogar dessen Untergang bedeuten.

**********************************

Eine Woche später
CIC an Bord der Columbia
Im Beta-Borealis-System

Das CIC der Columbia war bis auf den letzten Platz gefüllt und operierte im Herzen des Trägers, um den voll im Gang befindlichen Grossangriff auf den Träger zu koordinieren und gleichzeitig zu simulieren. Die jeweiligen Crewmitglieder hatten alle Hände voll zu tun, um die jeweiligen Teileinheiten mit Informationen zu versorgen. Von seinem Platz aus konnte Colonel Sean Hammersmith die Operators hektisch arbeiten sehen und die gedämpften Stimmen hatten sich zu einem konstanten Gemurmel vermischt.
Neben ihm standen Admiral Bianca Wulff und Commander Richard Nissler, die beide ihre skeptischen Blicke auf die dreidimensionale Darstellung der „Schlacht“ gerichtet hatten, während einige großformatige Monitore im Hintergrund jeweils andere Aspekte des Manövers zeigten.
Alle anderen Kommandeure waren jeweils bei ihren Einheiten bzw. auf den jeweiligen Schiffen. Waco hatte es vorgezogen auf der Brücke zu sein und an seiner statt war Commander Long im CIC anwesend und hatte damit den Befehl über die CIC-Crew. Hammersmith hatte es vorgezogen bei Wulff zu bleiben, um ihre Reaktionen auf den Verlauf des Manövers direkt absehen zu können. Er wusste, dass sein Verhalten in seiner Truppe nicht auf 100% Verständnis stieß, aber gleichzeitig musste er Prioritäten setzen. Sollte der tatsächliche Marschbefehl kommen, würde er selbstverständlich an Bord einer der Sturmfähren sein. Doch hier und jetzt war es wichtiger dafür zu sorgen, dass es überhaupt je zu diesem Marschbefehl kommen würde, falls es denn einmal mit dieser Option ernst werden sollte.
Das Kommando des 217. war von Hue Xha Bao übernommen worden und Hammersmith hatte nicht den geringsten Zweifel, dass der Asiate seine Sache so gut wie immer machen würde. Diese Zuversicht hatte er bezüglich der übrigen Teileinheiten allerdings nicht.

Es war Nissler, der ihn aus seinen Gedanken riss, indem er auf einige pulsierende Icons der Darstellung zeigte. „Da, die Staffeln Schwarz und Rot reißen die Lücke für Gold.“ Wie vorherzusehen war, gerieten die „schwächeren“ Verteidigerstaffeln zunehmend in die Defensive und konnten letztlich nicht verhindern, dass einige der Bomber die Verteidigungspositionen durchbrachen.
„Staffel Gold meldet den Abschuss der Raketen, Einschlag in T-Minus 30.“ gab einer der Operators durch, und Hammersmith konnte sich fast schon bildlich vorstellen, wie Skipper Waco in diesem Augenblick die Gegenmaßnahmen einleitete. Einige der simulierten Anti-Schiffraketen konnte zwar abgefangen werden, doch für Hammersmiths Geschmack kamen deutlich zu viele Raketen durch. „Verflucht, will sich da jemand etwa noch ein Flying Cross in Gold holen?“ Dann erfolgte der simulierte Aufschlag. „Status der Columbia?“ fragte Hammersmith.
„Sir, die Schilde sind kollabiert, mehrere Sprengköpfe haben getroffen…“ Dann ratterte der Operator einen Schadensbericht herunter der Hammersmith den Kopf schütteln ließ. „Mit anderen Worten die Columbia ist ein mehr oder weniger brennendes Wrack?“
„So leicht ist es nicht, einen Träger dieser Größe kampfuntauglich zu schießen.“ gab Commander Long zurück und bellte dann ein paar Befehle an seine Leute. Nissler hingegen wandte sich an Admiral Wulff „Wir sollten die Landeoperation trotz der enormen Schäden an der Columbia weiterführen. Schließlich könnte es bei der Korax genauso ausgehen.“
Wulff nickte, sagte aber sonst kein Wort.
Die Operators gaben die Schadensmeldungen adäquat in das System ein, woraufhin interne Schotts geschlossen wurden und ganze Sektionen einen Evakuierungsbefehl erhielten. Hammersmith konnte sich das Chaos auf den Gängen ausmalen, doch hier im CIC bekamen sie von alledem nichts mit.

Stattdessen sahen sie die zweite Welle des Angriffes starten, indem die Kreuzerschwadron 2.3. nun das Heft in die Hand nahm, während um sie herum weiterhin die Schlacht tobte. Die Relentless, Repulse und Kami wurden dabei von ihren Schwesterschiffen optimal geschützt und Hammersmith konnte nicht umhin die ordnende Hand von Commodore Mithel zu erkennen. Dieser konnte der gesamten Aktion zwar nicht das Geringste abgewinnen, das spürte Hammersmith deutlich. Aber auf der anderen Seite war Mithel durch und durch Soldat und wenn er etwas konnte, dann war es Befehle auszuführen.
Gerade als er der Meinung war, dass sein Regiment nahe genug zum Ausschiffen war, zuckten mit einem Mal simulierte Anti-Schiffraketen von einem der Ticonderogas zum Träger hervor.
„Was zum Henker…???“ Fassungslos sah Hammersmith, wie die Repulse eine volle Breitseite auf die bereits angeschlagene Columbia abfeuerte. Diesmal dauerte es nur wenige Sekunden, bis die Raketen auf den bereits angeschlagenen Träger einprasselten. Doch auch als Infanterist konnte Hammersmith mit einem Blick erkennen, dass die Auswirkungen verheerend sein mussten.
„Schadensbericht…“ forderte Long an und in einem absolut neutralen Tonfall teilte der Operater mit, dass es weitere Hüllenbrüche gab und sie hiermit alle tot seien.
„Manöver fortführen und das 217. ausschiffen“ ging Wulff jetzt dazwischen. „Koordination der Verteidigung einstellen, Koordination der Angreifer und Simulation des Manövers werden fortgeführt.“
„Aye, Ma´am“ gab Long zurück.
Dann drehte sich Wulff zu Hammersmith um. „Ihnen ist bewusst, dass ich in vergleichbarer Situation den Einsatz des 217. jetzt abblasen würde…?“
Hammersmith nickte zerknirscht und nahm sich vor, sich Captain Atkins und den Rest der Repulse bei nächster Gelegenheit vorzuknöpfen. Wer auch immer die unnötige letzte Salve abgefeuert hatte, würde sich noch etwas von ihm anhören müssen.
Doch dann richtete er sein Augenmerk wieder auf den Beginn der Landeoperation. Er hatte sich dazu entschieden, die kompliziertere Variante, die er letzte Woche ausgearbeitet hatte, mit den „Angreifer“-Verbänden abzustimmen. Und jetzt konnte er nur hoffen, dass seine Idee aufgehen würde.
Wie mit Commander Cunningham abgesprochen, schoss die schwarze Staffel unter Führung von Lt. Commander Terrano – oder zumindest das was von ihr noch übrig war, nach dem ersten Teil der simulierten Schlacht – in Richtung des Hauptlandehangars der Columbia vor. Die Strahlenwaffen und Raketen der Jäger schossen die offensiven Verteidigungsanlagen, die der Träger im Bereich der Landeanflugschneise zur Abwehr hatte, in Stücke.
Direkt hinter den Jägern fegten die drei schweren Ticonderoga-Kreuzer heran und mussten schwere simulierte Treffer einstecken, doch sie kamen nahe genug heran, um jetzt die Sturmshuttles des Regiments auszuschiffen und sich dann wieder davon zu machen. Wäre dies eine tatsächliche Schlacht gewesen, wäre die Kami allerdings nur noch ein eingeschränkt flugfähiges Wrack und die Repulse wäre in diesem Augenblick zerstört worden. Doch zumindest hatten die Schiffe die insgesamt 32 Sturmshuttles so nahe am Träger platziert, dass Hammersmith nur seinen Hut vor soviel Präzision ziehen konnte. Nun fegten die Shuttles des zweiten Bataillons an den Hauptlandehangar heran, so dass nur eines von ihnen simuliert „abgeschossen“ wurde. Das erste Bataillon verlor drei Shuttles und das dritte ebenfalls nur eines, so dass Hammersmith zumindest mit diesem Teil des Manövers sehr zufrieden sein konnte. Damit konnten immerhin 27 der Sturmfähren auf der Oberfläche aufsetzen und sich an die Arbeit machen, um in das Innere des Trägers zu gelangen.
Der erste Teil dieser Operation war abgeschlossen. Jetzt würde sich zeigen, ob Hammersmiths Idee aufgehen würde.

**************************************

Außenhaut in der Nähe des Hauptlandehangars der Columbia
Im Beta-Borealis-System

In dem Augenblick, in dem die Sturmfähre die Oberfläche der Columbia berührte, strömten die Infanteristen der „Victor“- und „Sammy“-Kompanie des zweiten Bataillons aus den Spungluks. Während die „Victor“-Kompanie das rechte Wartungsluk am Haupthangar der Columbia stürmte, nahm sich die „Sammy“-Kompanie das linke Wartungsluk vor. Die beiden weiteren Kompanien seines Bataillons, „Utah“ und „Theo“, landeten in den vorderen Bereichen und nahmen sich weitere Eingangsschleusen vor.
Auch wenn es Hue schwer fiel, ließ er die Truppen in den Kampf ziehen, ohne an deren Spitze zu stehen. Er ließ Sergeant Major Hancock und den übrigen Leuten seines Zuges den Vortritt und informierte sich stattdessen über den Stand der Landeoperation der übrigen Kompanien seines Bataillons. Wenn man für ein Bataillon verantwortlich war, so konnte man nicht mehr in vorderster Linie blind nach vorne stürmen, sondern musste die Gesamtsituation im Auge behalten. Das hieß zwar nicht, dass Hue sich wie Hammersmith ganz weit hinten hielt, doch seine Leute wirklich anführen wie er es früher getan hatte, konnte er auch nicht mehr. Ein Zustand der ihm immer noch äußerst schwer fiel.
„Hanefi, Brewster bringen Sie ihre Männer rein da, und zwar schnell.“
Er erhielt keine Antwort, aber er wusste, dass die beiden Kompaniechefs ihre Leute so schnell wie möglich an die beiden Luks führten. Dreißig Sekunden später hatten sie diese erreicht und noch mal dreißig Sekunden später hatten sie den Zugang simuliert frei gesprengt. Damit drangen sie ins Innere der Columbia ein und trafen auf ersten Widerstand, den sie aber schnell niederkämpfen konnten. Offensichtlich hatten die Verteidiger der Columbia ihre Truppen über das Schiff verteilt und konnten einem so konzentrierten Angriff an dieser Stelle nichts entgegen setzen. Wenn es ihnen gelang in den Haupthangar der Columbia vorzustoßen, konnten sich die beiden Kompanien am schnellsten im Schiff ausbreiten und zusätzlich hatten die Verteidiger damit die Möglichkeit verloren, ihre Jäger wieder hereinzuholen. Somit hatte das zweite Bataillon eine Schlüsselposition in diesem Angriff zugesprochen bekommen.
Genau in diesem Augenblick krachte die Stimme des Colonels durch den Funk. „Bao, wie ist Ihr Status?“
„Kompanien Victor und Sammy sind planmäßig vorgerückt, noch zwei Minuten, dann sind die Truppen im Haupthangar, Sir. Kompanien Utah und Theo haben sich über das Vorfeld verteilt und sind teilweise bereits ins Schiff eingedrungen.“
„Gut, Bao. Richten Sie ihrem Bataillon mein Kompliment aus. Der Anflug wurde für das gesamte Regiment mit nur 20 Prozent Verlusten bewerkstelligt. Das ist ein gutes Ergebnis.“
„Sir, um die Columbia komplett einzunehmen, hätten wir noch weitere 30-40 Prozent Verluste zu beklagen.“
„Ich weiß, Bao, aber ich denke das ist ein durchaus akzeptabler Preis für die Übernahme eines kompletten Flottenträgers, oder? Und vergessen Sie nicht: Wenn wir diesen Einsatz gegen die tatsächliche Korax ma Rah geflogen wären, hätten wir die übrigen Marineskontingente der Trägergruppe dazu bekommen.“
„Dafür hat die Korax entsprechend mehr Truppen an Bord.“ Hue wusste, dass Hammersmith nicht empfänglich war für die Skepsis seines stellvertretenden Regimentschefs. Der Colonel wollte zeigen, dass sein Regiment diesen Einsatz schaffen konnte. Verlustzahlen waren ihm dabei egal. Doch Hue wusste nicht, ob er es noch einmal durchstehen würde, wenn seine Einheit förmlich in Stücke geschossen wurde und wenn sie wieder von vorne anfangen mussten.
Letztlich konnte er nichts anderes tun, als seine Leute so gut es ging darauf vorzubereiten. Es würde sich zeigen, ob das genügen würde.

******************************************

Offiziersmesse an Bord der REPULSE, nach dem Manöver des 217ten
Im Beta-Borealis-System

Commander Igor Maleetschev kochte vor Wut und gab sich keine Mühe das zu verbergen. Er war auf dem Rückweg von der Manöverbesprechung an Bord der Relentless und war nun auf direktem Wege in die Offiziersmesse, um dort wiederum mit seinen Untergebenen, den Junior-Offizieren der Repulse, zusammen zu treffen.
Die Manöverkritik, die Commodore Mithel nach dem simulierten Entermanöver der Columbia gegeben hatte, war für die Repulse vernichtend ausgefallen. Dabei war Mithel noch nicht einmal laut geworden, er hatte keine Kraftausdrücke oder ähnliches benutzt. Der Geschwaderkommandant hatte nur ganz schlicht und einfach der Repulse eine komplette Verfehlung ihrer Manöverziele bescheinigt. Das war für Captain Atkins und seinen XO natürlich ein Schlag ins Gesicht gewesen, nicht nur, weil sie vor allen anderen Führungsoffizieren der Kreuzerschwadron schlecht dagestanden hatten, sondern auch, weil dieses Manöver in ihre Offiziersbewertung eingeflossen war.
Auch und gerade in Kriegszeiten wurde die individuelle Bewertung der Offiziere anhand von transparenten und messbaren Kriterien bestimmt. In erster Linie waren das Messzahlen, die die Aufgabenfelder eines jeden Soldaten in regelmäßigen Abständen wiedergaben. Es war ein hochkomplexes System aus Bewertungen, das neben der allgemeinen Aufgabenerfüllung auch Führungsqualitäten, Budgetverantwortung, Materialverschleiß, Zustand der Ausrüstung, Moral und Leistungsfähigkeit der Mannschaft und eben auch Manöverkritiken und Gefechtseinsätze berücksichtigte.
Dieses komplexe Bewertungssystem war der Hauptgrund dafür, dass jeder Offizier, der auch nur für einen weiteren Kameraden verantwortlich war, unter der Wucht des „Papierkrams“ ächzte, auch wenn schon lange niemand mehr auch nur einen Bogen Papier für die Bewertungen ausfüllen musste. Doch das Bewertungssystem hatte auch seine Vorteile, sollte es doch vor allem Untergebene davor schützen, von Vorgesetzten nur aufgrund von persönlicher Sympathie oder Antipathie bewertet zu werden. Das hieß, kein Vorgesetzter konnte seinem ausreichend gut geeigneten Untergebenen eine zu schlechte Bewertung geben, da er sonst selbst in Erklärungsnöte bezüglich seiner Führungsqualitäten gekommen wäre. Und gleichzeitig wurden die Möglichkeiten der Bevorzugung von Untergebenen eingeschränkt, denn kein Vorgesetzter konnte einen Untergebenen über den grünen Klee loben, wenn dieser nicht zumindest einigermaßen in der Lage war, die an ihn gestellten Anforderungen zu erfüllen.
Natürlich gab es wie immer in solchen komplexen Systemen auch hier jede Menge Möglichkeiten für Mauscheleien, Gefälligkeiten und „sanften Druck“.
Doch gerade wenn man kein Sohn aus einflussreicher Familie war – wie es bei Igor der Fall war – wog die allgemeine Bewertung umso mehr und konnte letztlich gewaltigen Einfluss auf die Karriere eines Offiziers haben.

Und das war auch der Grund, warum das Fass für Igor ein für alle mal übergelaufen war. Als er die Offiziersmesse betrat und das zackige „ACHTung“ erscholl, erhoben sich ungefähr die Hälfte der Offiziere wie von der Tarantel gestochen, die andere Hälfte ließ sich bei der rituellen Ehrbezeugung gegenüber dem vorgesetzten Offizier aufreizend viel Zeit.
Igor musterte die Junioroffiziere der Repulse und ließ sie einen Augenblick zappeln. Dann überraschte er sie mit einem knappen „Weggetreten“.
Die Offiziere blickten erst ihn verwundert an, dann tauschten sie Seitenblicke untereinander aus, bis schließlich alle Blicke auf dem 2ten Offizier hängen blieben.
„Sir, wir haben jetzt eigentlich unsere Manöver-Bespre…“ begann der Zweite Offizier, Lt. Commander John Vickers, doch Igor unterbrach ihn barsch.
„Ich weiß sehr wohl, was wir jetzt tun sollten, aber das werden nur wir beiden regeln, 2O. Alle anderen sollen mir aus den Augen gehen und dürfen wegtreten.“
Vickers erwiderte Igors durchdringenden Blick, dann wandte er sich an die übrigen Offiziere. „Sie haben den Commander gehört: Weggetreten!“
Die Junioroffiziere der Repulse verließen nach einander die Offiziersmesse, doch kurz bevor der Leiter der Waffenkontrolle – First Lieutenant Heinrich Prinz zu Sayn-Bismarck – die Offiziersmesse verließ, rief er dessen Namen.
Der Leiter der Waffenkontrolle kehrte zurück, das Gesicht wie üblich mit einem arroganten Lächeln geschmückt. Igor forderte ihn auf, seine Stellvertreterin zu ihm zu schicken, dann entließ er ihn wieder. Als er und die anderen gegangen waren, wandte er sich wieder an den zweiten Offizier.

„Commander, waren der Captain und ich in der Vermittlung der Missionsziele in irgendeiner Form undeutlich?“ kam Igor gleich zur Sache.
„Nein, Sir!“
„Dann geben Sie mir die Missionsziele doch bitte einmal wieder.“
„Gezieltes Feuer auf Schilde, Schildgeneratoren und Abwehrstellungen der Columbia. Annäherung an die Columbia zum Absetzen der Sturmshuttles des 217. Sturmregiments“ gab Vickers einwandfrei wieder.
„Sind die der Meinung, dass wir alle drei als führende Offiziere unseren Junioroffizieren diese Missionsziele klar genug gemacht haben?“
„Ja, ich denke das haben wir.“
„Das bedeutet doch, dass ein Offizier, der gegen diese Missionsziele verstößt, vorsätzlich oder zumindest fahrlässig gehandelt haben muss? Sind Sie in diesem Punkt mit mir einer Meinung?“
Vickers zögerte mit seiner Antwort. Offenbar begann er zu ahnen, worauf Igor hinaus wollte. „Nun ja, Sir. Bei einem Einsatz wie diesem, können schon kleinste Abweichungen enorme Auswirkungen haben.“
„Kleinste Abweichungen? Indem eine volle Breitseite abgefeuert wird statt einem konzentrierten Beschuss?“ Vickers setzte zu einer Antwort an, doch Igor ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Sparen Sie sich ihre Antwort 2O. Die Entscheidung ist bereits gefallen. Wir werden Lieutenant Sayn-Bismarck bis auf weiteres von seinem Dienst suspendieren.“
„Das können Sie nicht machen, Commander!“ protestierte Lieutenant Commander Vickers, nachdem er diese neuen Entwicklung einen Augenblick lang hatte sacken lassen.
„ICH werde es auch nicht machen, 2O, sondern SIE“ erwiderte Igor kaltlächelnd.
„Das… Das kann nicht Ihr Ernst sein…“ Vickers war offensichtlich erschüttert. Ausgerechnet er sollte seinen besten Freund vom Dienst suspendieren müssen?
„Ach wirklich, 2O? Der Befehl kommt von Ihrem Captain persönlich. Wollen Sie ihn etwa verweigern?“ Maleetschev konnte deutlich sehen, wie es in Vickers arbeitete. Igor wollte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, indem er an Sayn-Bismarck ein Exempel statuierte und zwischen ihn und Vickers einen Keil trieb. Ein durchaus gefährliches Spiel für das Schiff, doch offensichtlich ging es nicht anders.
Es dauerte ein paar Augenblicke und dann schien Vickers seine inneren Dämonen besiegt zu haben und knirschte ein knappes „Nein, Sir“ heraus. „Wer übernimmt die Waffenabteilung?“
„Seine Stellvertreterin Second Lieutenant Neslihan Kayalar…“
„Lieutenant Kayalar hat doch kaum Erfahrung! Sie ist der Führung der Waffenabteilung nicht gewachsen.“
„Sie wird als Hilfe brauchen, meinen Sie?“
„Unbedingt.“
„Freut mich, dass Sie sich dazu freiwillig gemeldet haben, Commander Vickers.“ Vickers blinzelte erneut überrumpelt. „Es wird sicher nicht leicht zusätzlich zu Ihren Aufgaben als 2O ein besonderes Auge auf Lieutenant Kayalar und die Waffenkontrollen haben zu müssen. Aber ich bin sicher, dass Sie das schaffen werden. Ich werde Ihr Engagement beim Captain lobend erwähnen. Weggetreten.“
Vickers war jetzt vollkommen perplex und konnte sich anscheinend nicht entscheiden, ob er die letzten Worte Maleetschevs als Kompliment oder als Bestrafung werten sollte. Doch im Grunde war es das beides.
Igor hatte eigentlich eine gute Meinung von dem zweiten Offizier, der wortlos salutierte und die Offiziersmesse nun verließ. Er erbrachte solide Leistungen und verfügte über Potenzial. Wenn er nur nicht zu dieser Bande an hochnäsigen Offizieren gehören würde. Deswegen hatten Maleetschev und Atkins entschieden, an Sayn-Bismarck ein Exempel zu statuieren, in der Hoffnung, dass die übrigen Offiziere sich zusammenreißen würden.
Es war ein gefährliches Spiel, das sie hier spielten, denn es war in der Tat eine Schwächung einen erfahrenen First Lieutenant durch eine unerfahrene Second Lieutenant zu ersetzen.
Doch Maleetschev mochte sich nicht ausmalen, welche Konsequenzen es für das Schiff haben würde, wenn er und sein Captain es zulassen würden, dass ihre Autorität an Bord untergraben – und was noch viel schwerer wiegen würde – ihre Befehle nicht befolgt von einigen Offizieren würden.
Er konnte nur hoffen, dass diese Maßnahme ausreichen würde und sie nicht zu noch drastischeren Methoden würden greifen müssen.
23.12.2015 06:48 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


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Cattaneo

Herzlichen Glückwunsch

Wenn ein Besucher die Columbia zum ersten Mal betrat, war er in fast jedem Fall von ihrer Größe beeindruckt. In der TSN gab es nur eine Handvoll Schiffe, die größer waren. Selbst im Vergleich zu den massigen Kampfkreuzern waren die Träger beeindruckend. Mehr als doppelt so lang und schwer, wirkten sie auf den Betrachter geradezu gigantisch. Behielt man allerdings im Auge, dass diese Schiffe gut 4.000 Menschen als Heimat dienen mussten, dann relativierte sich ihre Größe doch etwas.
Dennoch, auch an Bord eines solchen Schiffes gab es Freiräume, die nicht dauerhaft belegt wurden. So existierten etwa ein gutes Dutzend Zimmer, die je nach Bedarf genutzt werden konnten. Manchmal fanden dort Feiern statt, etwa wenn eine Staffel unter sich seien wollte. Man konnte sich aber auch individuell „einmieten“, vorausgesetzt man meldete sich früh genug an und machte glaubhaft, dass man nicht etwas Illegales vorhatte. Ein gewisser Dienstrang war dabei freilich von Nutzen. Da Lilja diesen Rang und zudem einen guten Leumund vorzuweisen hatte, war es für sie kein Problem gewesen, ihren Willen durchzusetzen. Nun ja, höchstens ein geringfügiges moralisches…

Aber im Moment schien sie das nicht zu bekümmern. Sie sah zwar wie immer vorbildlich aus, aber ihr Gesichtsausdruck war ausnahmsweise mal nicht prüfend oder abweisend, sondern entspannt. Sie schien die augenblickliche Situation sogar zu genießen.
Die beiden anderen Piloten wirkten hingegen ausgesprochen aufgeräumt – was freilich ihrem Naturell auch eher entsprach, als das bei der Russin der Fall gewesen wäre. Sowohl Imp als auch Sokol waren sichtbar guter Dinge, vermutlich nicht zuletzt auch deshalb, weil Lilja ausnahmsweise bereit war, einmal etwas auszuspannen.
Die drei saßen um einen gedeckten Tisch – inklusive weißer Tischdecke – der für Bordverhältnisse reich bestückt war. Es gab überwiegend russische Gerichte, und dazu zählte vermutlich auch die kleine Flasche, die Sokol hinter einem Tischbein versteckt hatte. Er und Imp hatten ein kleines Glas vor sich – Lilja blieb auch diesmal abstinent. So ganz konnte sie eben doch nicht aus ihrer Haut. Sie hielt sich eher an Tee. Im Hintergrund erklang leise Musik und Gesang, auch hier dominierte das russische Element. Und es waren nicht gerade Volkslieder…
Allerdings schien es Imp nichts auszumachen, dass sie sich in einer Gruppe mit slawischer Zweidrittelmehrheit befand. Sie hatte sich zwar zunächst etwas beschwert, dass Essen und Musik nach Art der Heimat ihrer beiden Kameraden war, doch hatte sie Liljas Versprechen akzeptiert. Die Russin hatte ihr geschworen, bei einem Fest zu ihren Ehren könne sie von der Kombüse ohne weiteres Weißwürste, Knödel und Schweinebraten erbitten, dazu Bier. Und im Hintergrund Volkslieder oder preußische Märsche…
Nicht, dass Derartiges zu Imps Geschmack gehört hätte, aber die beiden Pilotinnen zogen sich ungeachtet dessen, dass sie sich seit Jahren kannten, immer noch gelegentlich mit kulturellen Stereotypen auf.

Der Grund für dieses Treffen war recht simpel – Sokol feierte gerade Geburtstag. Er hatte dahingehend einen „Vorteil“ gegenüber den meisten Menschen, weil er zwei Geburtstage hatte, zumindest nach den Begriffen der Piloten. Sein zweiter Geburtstag war der Moment, an dem man ihm mitgeteilt hatte, dass seine schwere Verletzung heilbar sei. Zu dem Zeitpunkt hatte er schon jede Hoffnung aufgegeben, je wieder ein normales Leben führen, geschweige denn fliegen zu können. Aber dann hatte sich das Schicksal gnädig gezeigt. Auch so etwas kam vor, wenn auch selten. An Bord des Schiffes gab es außer ihm noch eine Handvoll Menschen, die ähnliches von sich sagen konnten. Sie waren gefangen genommen, für tot erklärt oder dienstuntauglich geschrieben worden und hatten sich doch wieder ihren Platz in der Flotte erkämpft.
Der Pilot hatte sich anlässlich des Jubiläums mit den beiden Menschen verabredet, die ihm am nächsten standen – Imp, mit der er, nun ja, SEHR eng befreundet war, und Lilja, die bei Kriegsbeginn in seiner Staffel gewesen war, und die sich während seiner Invalidität um ihn gekümmert hatte. Die Russin hatte den Raum beschafft, und Sokol hatte sich darum gekümmert, dass die Kombüse ihnen etwas Spezielles zusammenstellte. Dergleichen war nicht ganz billig, aber machbar. Besagte kleine Flasche hatte er auf dem Schwarzmarkt besorgt. Und nun saßen sie schon die zweite Stunde, genossen das Essen und den Luxus, mal nicht dauernd auf die Uhr schauen zu müssen, wann es das nächste Mal zu einer Patrouille hinausging. Lilja hatte auch hier ihre Macht „ausgenutzt“ um die Dienstpläne entsprechend zu manipulieren.

Da freilich Lilja kaum aus ihrer Haut konnte, sprachen sie unter anderem auch wieder über den Krieg. Die Russin war in gesellschaftlicher Hinsicht manchmal schon ein recht hoffnungsloser Fall. Sie hatte das Fliegen zu ihrem Hobby und das Töten von Akarii zu ihrer Berufung gemacht – sehr viele andere Interessen hatte sie nicht. Sie schaute sich nur selten die Holofilme und –serien an, die gerade jetzt die Streitkräfte oder aber das ganz normale Leben feierten und zelebrierten. Letztere ignorierte sie mit wütender Verbissenheit, und erstere verriss sie oft mit dem ihr eigenen Sarkasmus, wenn sie der Meinung war, das Tüpfelchen auf dem „i“ gäbe ein falsches Bild vom Krieg und dem Leben an Bord eines Trägers. Und der Bordklatsch interessierte sie auch nicht so sehr, vielleicht deshalb, weil sie in früheren Zeiten mehr als einmal auf der ,falschen Seite eines Gerüchtes’ gewesen war. Sport, Mode und ähnliche Dinge ließ sie auch relativ kalt – manchmal war es mit ihr zum Verzweifeln, wie sie sich von Imp auch oft genug sagen lassen musste.
Allerdings war es auch für ihre Kameraden zumeist nicht einfach, Liljas Lieblingsthema ganz auszublenden. Und gerade jetzt hätte auch ein Blinder erkannt, dass sich der nächste große Waffengang ankündigte. Natürlich machten sie sich ihre Gedanken.

Lilja schien, auch dies nicht ungewöhnlich, nicht ganz zufrieden zu sein. Gegenüber Vorgesetzten legte sie oft eine blinde Ergebenheit an den Tag, so lange sie die Personen respektierte. Aber die große Strategie sah sie nicht selten mit eigenen Augen. Vielleicht verzieh sie es dem Generalsstab auch bis zum gegenwärtigen Tage nicht, dass er sich in den ersten Kriegstagen so hatte überraschen lassen.
„Na, ich weiß ja nicht. Es klingt ja ganz gut, die Chefechse abzutakeln. Mal abgesehen davon, dass wir dann den Rücken frei hätten. Beziehungsweise die Flanke. Und Prinz Jor schuldet uns noch so viel, da könnten wir ihn lotweise in heißem Öl sieden, und wären noch gnädig zu nennen.“ Ihre Freunde grinsten bei diesen Worten. Die Russin neigte manchmal zu recht…direkten…Bildern. Blieb nur die Frage, wie viel davon Rhetorik war und was sie todernst meinte.
Imp nahm den Faden auf: „Das WÄRE es. Aber wie es bisher aussieht, kriegen wir den Rücken oder die Flanke keineswegs wirklich frei. Ich bin ja nur eine kleine Muschkotin, aber rechnen kann ich auch. Selbst die legendären Angry Angels…“ bei diesen Worten lachte Sokol leise auf und knuffte die Deutsche leicht in die Schulter, „…können wohl kaum den Sektor im Alleingang säubern. Ganz ohne wird es vermutlich auch so nicht. Jors Flaggschiff ist größer als unseres, allerdings hat es Federn lassen müssen. Das gilt auch für den Rest seiner Flotte. Aber wie ich ihn kenne, wird er sich eifrig schnappen, was er kann. Wenn wir mit ihm fertig sind, werden wir sicher wieder einmal auf dem Zahnfleisch kriechen – das kennen wir ja. Wir können es also vergessen, außer ihm auch noch die restlichen Verbände in diesem Teil des Akarii-Restraumes aufzureiben. Dazu bräuchten wir vermutlich mindestens zwei oder besser noch drei Pegasus-Gruppen.“
Ihre Freundin starrte düster vor sich hin: „Dass dich deine eigenen Leute nicht schon als Defätistin angezeigt haben…Aber du hast ja Recht. Mit Glück schnappen wir ihn und drehen seine restlichen Schiffe durch die Mangel. Aber mehr ist nicht machbar, jedenfalls vorerst.“
Sokol hatte auch noch etwas beizusteuern: „FALLS wir ihn kriegen. Also bisher hat er nicht die Angewohnheit gehabt, bis zuletzt zu kämpfen. Er könnte auch in höchster Not den Abgang machen, während ihm die Flotte den Rücken freihält. Ich weiß natürlich nicht, ob sie noch so weit gehen würden für ihn. Aber auf das Gegenteil möchte ich mich auch nicht verlassen. Und was hindert ihn daran, mit einem Zerstörer oder einer Korvette abzuhauen? Theoretisch könnte er die Schlacht auch von einem anderen Schiff als dem Träger aus führen, die Kommunikation der Akarii ist gut genug. Allerdings wäre das kein gutes Zeichen. Aber – nachdem er mit eingekniffenem Schwanz vor der Zweiten Flotte türmen musste, kommt es vielleicht darauf nicht mehr an. Und selbst WENN er an Bord des Trägers ist, müssen wir schon viel Glück haben, um ganz sicher seien zu können, dass er tot ist.“
Lilja lächelte böse. Sie hielt das Schweigegebot ihres Kommandanten ein, aber ein: „Da wird sich schon ein Weg finden…“ konnte sie sich nicht verkneifen. Sie tröstete sich damit, dass genau so etwas von ihr erwartet wurde.

Aber die Freude hielt nicht lange vor: „Ich frage mich sowieso, ob man nicht etwas zuviel Erwartungen in die Aktion steckt. Natürlich, ein Träger der Echsen weniger ist IMMER gut. Und gerade dieser Träger, das wäre ein Sieg, der vielen Leuten sicher Mut machen würde. Und die Echsen würden sicher Schuppenausfall vor Wut bekommen. Aber Jor hin oder her – ich bezweifle, dass es dann aus mit dem Krieg ist. So wie man manche Leute reden hört, möchte man meinen, er wäre unser einziges Problem. Ich denke mal, wir verdanken ihm den Krieg hier und jetzt. Aber generell? Ich glaube ja nicht, dass es einen Kriegsfürsten oder was auch immer geben kann ohne ein Volk, das für seine verdammte ,Botschaft’ reif ist. Papi Echse muss Söhnchen doch erst so erzogen haben, oder diejenigen, die ihm beigebracht haben, wie man sich die Schuppen richtig lackiert. Und ich glaube nicht, dass er das alles aus dem Nichts geschaffen hat. Da muss doch das Militär dahinter stehen, oder die Politik. Und genug Leute, die bereitwillig für ihn durchs Feuer gehen.“
Imp musste lachen: „Was denn, kein ,Männer – oder Frauen – machen Geschichte!’? Du bist doch wohl keine verkappte Pazifistin, die die Schuld beim militärisch-industriellen Komplex und der Politik beider Seiten sieht?“
Lilja knurrte etwas eindeutig nicht Druckfähiges. Das Prinzip der Meinungsfreiheit war etwas, mit dem sie sich zum Teil nur sehr ungern anfreundete. Etwa wenn es um einen Verständigungsfrieden ging.
„Sagen wir mal, es braucht schon den falschen Mann zur falschen Zeit und beim falschen Volk. Oder die falsche Frau. Ich glaube nicht diesen dämlichen Sermon, dass Prinz Jor und der große Admiralsstab unser einziges Problem ist. Admiräle versuchen mich nicht abzuknallen. Das sind die normalen Echsen. Mit denen haben wir ein mindestens ebenso großes Problem. Und ich bezweifle mal, dass wir sie zum Umdenken bringen, nur indem wir einen Aristokraten im Vakuum gefriertrocknen. Wenn sie es in den ganzen Jahren bisher nicht kapiert haben, bei all den Opfern…
Zumal die Echsen immer eine Möglichkeit haben, die Wahrheit erst mal zu vertuschen – sie können ja einen Doppelgänger präsentieren. Oder sie machen ihn zum Märtyrer. Dazu taugt er zwar eigentlich nicht, bei allen seinen strategischen Rückzügen…“ das letzte Wort betonte sie höhnisch: „aber das hat ja noch nie gestört. Muss die Lüge eben einfach ein bisschen größer sein.“

Ihr Landsmann wiegte nachdenklich den Kopf. Dann lächelte er: „Haben sie ja vielleicht schon. Manchmal könnte man meinen, Prinz Jor wäre schon über Manticor gefallen, und seitdem führt sein nicht sehr perfekter Doppelgänger…“ Lilja schien diese Aussicht weniger witzig zu finden, vermutlich weil sie davon träumte, den Tag bewusst mitzuerleben, an dem der Thronfolger der Echsen in seine Einzelteile zerlegt würde.
Sie seufzte: „Alles in allem erinnert mich das an schon ein paar andere Schlachten, die wir mitgemacht haben. Immer hieß es, das könne vielleicht die alles entscheidende Wende bringen – aber bisher weichen die Echsen zwar zurück, sie türmen aber nicht gerade panisch.“
Imp wirkte nachdenklich: „Vielleicht haben wir sie und sie uns so sehr an der Kehle, dass keiner auch nur daran denken will loszulassen, ehe nicht der andere erdrosselt ist.“ Ihre Freundin schien das freilich nicht zu bekümmern: „So lange wir am Ende diejenigen sind, die weiterlaufen… Ich will nicht erleben, dass der ganze Mist noch einmal losgeht, wenn ich erst 70 bin und zu alt, in einen Jäger zu klettern. Ich weiß ja nicht, ob ich Kinder und Enkel haben werde – ehrlich gesagt bezweifle ich es – die das dann erledigen müssen, aber so etwas möchte ich lieber allen Kindern und Enkeln ersparen. Und wenn es deshalb noch etwas länger dauert, dann sei es eben drum.“ Mit dieser Haltung stand sie nicht alleine da. Manche Schreiber behaupteten ja, Soldaten hätten keine Zeit, den Feind zu hassen, aber das war oft falsch. Und auf jeden Fall hatten sie Zeit darüber nachzudenken, wie man derartiges Sterben – der eigenen Leute – künftig verhindern könnte. Und wenn man die Kameraden neben sich fallen sah, dann fielen einem nicht immer Dinge wie Völkerverständigung und Interessensausgleich ein.
„Nun, in jedem Fall können wir ja wie so oft nur hoffen, dass die da oben auch wissen, was sie tun.“ fasste es Sokol zusammen. Das rief freilich bei den beiden anwesenden Damen nur geringe Begeisterung hervor. Bei Troffen und Jollahran hatten sie erlebt, wie dieses ,Sie wissen was sie tun.’ wahrhaft mörderische Konsequenzen auch für die eigenen Leute haben konnte.
Lilja hätte dazu noch ein paar Kommentare abgeben können, immerhin wusste sie ja, dass man sich zumindest ein paar Gedanken darüber machte, Prinz Jors Ableben sicherzustellen. Aber das wäre Lone Wolf gegenüber illoyal gewesen, außerdem wollte sie weder Imp noch Sokol mit der etwas heiklen Sache belasten. Sie wusste zwar, dass beide einiges über Liljas ureigenstes Sündenregister wussten und dazu schwiegen, aber man musste es ja nicht übertreiben.
„Na, egal!“ meinte Imp: „Wir können ja ohnehin nichts ändern. Lasst uns lieber mal darüber reden, wie sich die Neulinge machen.“ Damit meinte sie die Piloten, die nach der letzten Schlacht an Bord des Trägers gekommen waren. Einige von ihnen waren ja durchaus alte Hasen, aber für die ,Einheimischen’ waren sie eben noch ,grün’.
Selbst Lilja schien sich zumindest etwas für einige Aspekte erwärmen zu können, auch wenn sie sonst selten klatschte…

Eine weitere halbe Stunde später waren Essen, Trinken und Gesprächsstoff ziemlich aufgebraucht. Lilja bekundete gerade ihre Freude darüber, dass man zumindest das Abräumen und die übrige Arbeit einem Messesteward aufbürden konnte, natürlich gegen eine gewisse Prämie. Dem konnten ihre Kameraden nur zustimmen. Natürlich waren solche Vergnügen nicht billig und man durfte sich dergleichen auch nur erlauben, wenn man nicht auf irgendeiner schwarzen Liste stand. Aber die Flotte hatte eingesehen, dass man den Leuten Freiraum lassen musste.
„Und, was hast du jetzt so vor?“ fragte Imp ihre Freundin. Ihre Worte waren harmlos, Gesichtsausdruck und Stimme waren es freilich nicht. Lilja lief leicht rot an, was ihr eigentlich nur in zwei Situationen passierte. Und diesmal war es nicht Wut. Sie warf der jungen Deutschen einen Blick zu, der schon doppelt so schwere Männer eingeschüchtert hatte, aber hier verfehlte die tödliche Waffe ihre Wirkung.
„Ich gehe in die Simulatorhalle und lasse mein Premiereprogramm laufen.“ Imp lächelte zuckersüß: „Klingt interessant. Und wie lange wirst du dafür brauchen?“ Die Rottönung im Gesicht der Russin vertiefte sich noch etwas: „Also unter zwei bis zweieinhalb Stunden ist auf keinen Fall zu rechnen.“
Ihre Freundin zog einen Schmollmund – ein wahres Prachtexemplar in der Kategorie: „Was denn, nicht eher drei Stunden, damit du deine Echsen auch ganz sicher abschießt?“
Inzwischen konnte es bei Lilja ohnehin nicht mehr schlimmer werden: „Jetzt mach aber mal einen Punkt, Imp.“
Ihre Freundin lächelte, eine Mischung aus freundlichem Spott und Reue: „Ist ja gut. Aber es klappt jedes Mal. So perfekte Möglichkeiten KANN ich mir doch nicht entgehen lassen, das wäre direkt eine Sünde. Inzwischen…“ Die Russin machte eine knappe Bewegung: „Belassen wir es einfach dabei, da?“
„Na gut.“ Meinte ihre – vermutlich die einzig wirkliche – Freundin auf diesem Träger. Sie hakte sich bei Sokol ein, der das ganze mit breitem Grinsen beobachtet hatte. Auch ihn kümmerte Liljas Plasmakanonen-Blick wenig.
Bevor beide den Raum verließen, hielt Lilja sie jedoch noch einmal auf: „Aber, Imp, du passt mir diesmal etwas besser auf!“ Die jüngere Frau lächelte unschuldig: „Wieso? Ich hatte doch das Bettzeug gewechselt und in den Wäschesammler verfrachtet und sogar im Bad sauber gemacht – da war es übrigens auch mal wieder notwendig.“ Sie wehrte Liljas ,Proteste’ ab und fuhr mit einem sich verbreiterndem Grinsen fort: „Aber ich glaube ich weiß schon, was du meinst. Etwas hatte ich in der Tat vergessen. Sag mal, wo hast du denn das gute Stück gefunden? Auf dem Schrank oder unter dem Bett?“ Angesichts des Gesichtsausdrucks der Russin hatte sie aber Erbarmen und versprach, sich in Acht zu nehmen…

Lilja marschierte in Richtung der Simulatoren. Ihr wöchentliches Premiereprogramm war fast so etwas wie eine fixe Idee geworden. Im Laufe der Jahre hatte die Russin sich eine ganze Anzahl Sensoraufzeichnungen und Guncamaufnahmen zu verschaffen gewusst, die sämtlich bei Begegnungen mit feindlichen Assen entstanden waren. Es gab nicht viele solcher Filmsequenzen und Daten. Zum einen gab es auf beiden Seiten nicht viele Piloten, die wirklich allgemein bekannt wurden, und auch Zeit hatten, es zu genießen. Zum anderen fand die Weiterverbreitung solcher Materialien in einer gewissen Grauzone statt, aber Piloten konnten nun einmal nicht davon lassen, sich mit den eigenen, verbündeten und gegnerischen Toppiloten zu beschäftigen.
Mit etwas Mühe hatte sie daraus Computerprofile ermittelt, die sie benutzte, um die simulierten Gegner intelligenter zu machen, ihnen die Profile der feindlichen Elitepiloten zu verleihen. Natürlich fehlte den Doppelgängern immer noch das gewisse Etwas, das Mensch oder Akarii und Maschine unterschieden. Aber die Simulatorfeinde waren gut, sehr gut. So gut, dass Lilja sich anstrengen musste, um nicht abgeschossen zu werden. Siege hatten Seltenheitswert, aber im allmählich war sie besser geworden. Sie war sich nicht sicher warum sie das machte. Vielleicht, um besser in Übung zu bleiben, oder in der uneingestandenen Hoffnung, einmal ein feindliches Aß zu stellen und zu erledigen. In Pilotenkreisen wurde so ein Zusammentreffen als Chance für die Unsterblichkeit oder als Fahrkarte in die Ewigkeit bewertet. Zumeist war es letzteres.
Aber sie hatte in den letzten Jahren selbst bei angeblich nachlassender Qualität des Gegners zu viele Piloten fallen sehen, die sich bei den Übungen nur auf das unbedingt notwendige beschränkten oder den Gegner gar nicht todernst nahmen, weil sie meinten, er sei sowieso bald erledigt.
Sie konzentrierte sich ganz auf ihre kommende Aufgabe und verdrängte alle anderen Gedanken. Leicht war es nicht. Immer Imp mit ihrem Sinn für Humor…!
Lilja wusste, dass das, was sie tat, eigentlich illegal war. Aber dennoch gestattete sie hin und wieder Imp und Sokol, ihre Kabine für ein Stelldichein zu nutzen. In den Doppelquartieren der niederen Dienstgrade war so etwas nicht so einfach, und Imps Zimmergenossin Marine war zwar weiß Gott keine Denunziantin, sie nahm die Dienstvorschrift aber ernst, was sie zum Teil von Lilja hatte.
Lilja wollte gar nicht daran denken was es bedeuten mochte, wenn das aufflog. Sie wusste, Sokol und Imp würden alle ,Schuld’ auf sich nehmen und behaupten, Liljas Zimmer hinter deren Rücken genutzt zu haben. Aber die Gerüchte würden sicher nicht so gnädig sein. Aber so selten wie sie sich breitschlagen ließ, war die Gefahr ja wohl recht gering, oder?
Blieb nur zu hoffen, dass Imp nicht wieder ein Stück ihrer Unterwäsche vergaß – das letzte Mal hatte sich Lilja gefühlt, als trüge sie eine Zielscheibe auf dem Rücken, ehe sie den ,belastenden Beweis’ hatte weitergeben können…
23.12.2015 06:50 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cunningham

Master Sergeant Eldivas Jamal stand in aggressiver Rührt-Euch-Stellung auf dem Landedeck der Columbia. Die graue Weltraumuniform des TRMC schmeichelte seinem gut trainierten Körper. Offiziersabzeichen auf das Hemd, und fertig war das Model für das Rekrutierungsplakat.
Tatsächlich wäre Jamal auch beinahe Offizier geworden, hätte er sich mehr angestrengt, hätte er nicht versucht bei einigen schriftlichen Tests zu schummeln, wäre er nicht erwischt worden. Das Ehrengericht hatte Gnade vor Recht ergehen lassen und er war in den Mannschaftsdienst versetzt worden.
Dort hatte er sich bewährt und war auf die Unteroffiziersschule gekommen. Seine Ausbilder sprachen davon, dass er Glück gehabt hatte, dass er den richtigen Weg gefunden hatte, bevor sie ihn auf der Offiziersschule hätten verderben können. Tatsächlich jedoch hatte es Jamal geschafft einige wichtige Lektionen aus der Offizierslaufbahn zu behalten, was ihn letztendlich zu einem besonderen Unteroffizier gemacht hatte. Seine Streifen und Leistungsbeurteilungen bezeugten es.
Seine Unteroffizierskameraden hielten ihn für etwas absonderlich, doch im Allgemeinen konnten die Mannschaften, die unter ihm dienten, nie etwas Nachteiliges über ihn sagen.

Nun würde er neue Männer und Frauen bekommen. Das zweite Rumpfbataillon 3. Bataillon, 2. Regiment, 5. Marinesicherungsbrigade, 2. Terran Republic Marines "The Space Cowboy's" hatten einen Großteil seiner erfahrenen Soldaten an dieses neue tolle 217. Sturmregiment verloren. Zum Glück hatte Schlüter noch viele Beförderungen in ihrem Schreibtisch verschwinden lassen, sonst hätte man ihrem Rumpfbataillon noch mehr Soldaten "gestohlen". Edward Manteit hatte erst vor zwei Stunden seine längst überfällige Beförderung zum Gunnery Sergeant erhalten.
Manteit stand jetzt einen Meter hinter ihm, ebenfalls in Rührt-Euch-Stellung, genauso wie Sergeant Jean Davis und Staff Sergeant Natascha Sekutuwitcz.
Die drei Shuttles kamen dicht hintereinander rein. Es waren Sturmshuttles des Marine Corps, die jetzt der Columbia zugeteilt worden waren. Die je drei Besatzungsmitglieder waren dem Jagdgeschwader der Columbia zugeteilt worden.
Jamal bemitleidete sie, unter einem Jagdpiloten der Navy Dienst zu tun, war bestimmt schlimmer als der Tod.
Was nicht bedeuten sollte, dass er keinen Respekt vor den Angry Angels hatte. Sowohl als Piloten, und den einen oder anderen guten Zweikämpfer konnte dieses Geschwader auch vorweisen.

"So, Herrschaften, dann wollen wir mal die neuen Kinderchen begrüßen.", sagte Jamal über die Schulter, und seine drei Untergebenen setzten sich zu je einem Shuttle in Bewegung.
Mit lautem Gebrüll machten sich seine Unteroffiziere daran, die "neuen" Marines aus den Shuttles zu treiben und in zwei Reihen aufzubauen.
"Mein Name ist Jamal!" begann er, die Stimme gerade soweit erhoben, dass alle Marines ihn trotz des Lärms auf dem Flugdeck hören konnten. "Ich bin der Master Sergeant dieses Rumpfbataillons und einige von Euch werden die Ehre haben, mich als Zugführer zu bekommen."
Sein Blick schweifte über die Truppe, ein guter Haufen älterer, erfahrener Männer und Frauen, die Haare etwas länger als man es im Allgemeinbild von Marines kannte. Dazu ein Haufen Jarheads, wohl frisch aus den Ausbildungskamps.
"Wir Marines an Bord der Columbia haben zwei Feinde, der eine sind die Akarii, der andere sind die Kommandanten anderer Marineseinheiten, die ihre zusammengeschossenen Einheiten gerne mit den Besten der Besten bestücken. Im Gegensatz zu den Akarii haben sie uns ganz schön an Personal gekostet."
Er erntete einen verhaltenen Lacher.
"Das heißt wir haben ein Ziel, wieder so gut zu werden, wie wir es waren, bevor das 217. über uns hergefallen ist und uns einen Großteil der besten Schlammhüpfer und Weltraumcowboys gestohlen hat, die sich je Marines nennen durften. Das heißt: Wir werden Euch drillen, als ob wir morgen die Sturmspitze auf den imperialen Palast auf Akarr bilden würden. Ihr werdet in voller Raumrüstung durch das Schiff turnen, als wäre es die Außenhaut einer feindlichen Raumstation. Ihr werdet Dreißig-Kilometermärsche mit voller Ausrüstung bei zweieinhalbfacher Erdschwerkraft absolvieren und solltet ihr es noch nicht sein, werdet ihr für jedes erdenkliche Waffensystem was die Infanterie besitzt ausgebildet werden. Kein Tag mehr wird für Euch so leicht sein, wie der welcher hinter Euch liegt." Jamal sprach immer noch mit ruhiger, fast zarter Stimme, gerade so laut, dass seine Marines ihn hörten. "Habt Ihr das verstanden?"
"MASTER SERGEANT! JAWOLL! MASTER SERGEANT!"

"Und noch etwas, zu den Piloten auf diesem Schiff: Einige von Ihnen werden vorbei kommen und Euch zum spielen auffordern…", er ließ die Knochen knacken, damit jeder wusste, was er genau meinte, "ich habe absolut kein Problem damit, dass Ihr dann mit ihnen spielt. Aber macht mir ja keinen davon kaputt, dann werden auch die etwas brutaleren Piloten Euch nicht kaputt machen."
"Eine Frage, Master Sergeant!" Ein Hüne von Marine hatte den Arm gehoben.
"Ja, Corporal?"
"Glauben Sie wirklich, dass einer von denen es mit einem von uns aufnehmen kann?"
Jamal musterte den Corporal eindringlich. Er kam zu dem Schluss, dass der Mann mehr zu bieten hat als bloße Muskelkraft: "Nun, vielleicht nicht gerade Sie, Corporal, aber es gibt an Bord dieses Trägers einige Piloten, die sind brutal und gemein genug um den einen oder anderen Marine zu zerbrechen."
"Nun, vielleicht sollten wir dann denen das Akarii-killen überlassen, Master Sergeant." Dem Corporal war sichtlich mulmig.
"Die meisten von denen sind aber tatsächlich nur Hemden mit einem Arsch voll Wäschestärke. Aber genug gequatscht: In Zweierreihen zu den Quartieren. Im Laufschritt MARSCH!"


"... und so stellt man sich im Oberkommando vor, dass wir den Krieg schnell und sauber beenden." Lucas Cunningham lehnte sich zurück, während seine Staffelkommandanten noch immer Prinz Jors Profil auf dem Großbildschirm des Besprechungsraums für die Geschwaderführung anstarrten.
Lieutenant Commander Samatha Burr alias Raven stieß einen Pfiff aus: "Den samt Flaggschiff aus dem All schießen und das soll’s gewesen sein?"
"Klingt zu einfach um wahr zu sein." Die Kommandantin der schweren Bomber der Angels, Lieutenant Trisha "Irons" McGill, klang gelangweilt.
Cunningham musterte seine Offiziere. "Wie dem auch sei, es ist ein separierter Träger mit angeschlagenem Geschwader und dezimierten Begleitschutz."
"Aber sagen Sie mal, Sir, wenn wir beziehungsweise unsere tapferen Bomber den fetten Akarii da aus dem All gepustet haben und der Prinz meint in einer Rettungskapsel lässt es sich auch gut aushalten, gucken dann unsere Marines jede einzelne Rettungskapsel nach?" Santiago DeLaCruz, der Kommandeur der Griphenstaffel, beugte sich gespannt vor.
"Das weiß ich nicht, Admiral Wulff ist nicht bereit, ihre Weisheit mit mir zu teilen." Der zynische Tonfall von Cunningham ließ bei mehreren Offizieren die Alarmglocken anklingen. Selten hatte ihr Geschwaderkommandant derart offen über das Flottenkommando geklagt.
"Aber kommen wir zu unserem Vorgehen während dieser Search and Destroy Mission: Da wir weiträumig suchen müssen, werden wir wenn die Suche beginnt rund um die Uhr die SWACS im All haben. Die Eskorte für die Shuttles übernehmen die Schwadronen Rot und Schwarz. Grün und Blau übernehmen die Sicherung der Trägergruppe. Ein Paar Thunderbolts wird ständig auf den Katapulten als Alarmstart 5 in Bereitschaft stehen.
Tigre: Ihre Griphens werden die SWACS mit Sensorpods unterstützen und die Lücken schließen, die sich bei der weiträumigen Suche ergeben, ebenso die Mirages von Razor.
Es wird zu vielen Betankungen im All kommen. Lightning, Huntress, die Eskorte der Tankshuttles fällt ebenfalls in ihr Ressort."
McGill hob den linken Arm: "Sollen wir denn dafür sorgen, dass ihr immer eine warme Koje habt, wenn ihr denn mal Zeit zum schlafen habt?"
"Irrtum McGill: Ihre Bomberpiloten werden zu jeder wachen Minute den Angriff auf einen Akariiverband üben. Gehen Sie dabei von Kreuzerunterstützung aus. Aber wenn es soweit ist, wär’s vielleicht nicht schlecht, wenn wir uns den Quarsar auf die Flanke malen können. Ach, und Raven, schicken Sie auch immer eine Sektion ihrer Thunderboltpiloten in die Simkanzeln. Gibt es sonst noch Fragen?"
Einvernehmliches Kopfschütteln.
"Gut, dann wegtreten und informieren Sie Ihre Piloten, um wen es bei dieser Hatz geht ... ach Martin", wandte er sich an Razor Durfee, "kann ich Sie noch einen Augenblick sprechen?"

Razor blieb mit verschränkten Armen stehen und wartete bis die anderen Staffelkommandanten den Raum verlassen hatten: "Sir?"
"Bitte, setzen Sie sich Martin. Nun ..." Cunningham spielte mit seinem Kugelschreiber herum. "... Sie dienen ja nun seit Kriegsbeginn unter meinem Kommando."
"Das ist korrekt, Sir."
"Lass Sie doch dieses steife Getue, Durfee." Der Commander legte den Kugelschreiber hin und funkelte sein Gegenüber über den Tisch wütend an.
Martin Durfee lächelte sichtlich erheitert: "Wir kennen uns nun tatsächlich schon etwa fünf Jahre. Und immer wenn man mir irgendwelches Blech an die überladene Brust hängt, schleichen Sie um mich herum wie ein Rüde um eine läufige Hündin. Ansonsten leben wir nebeneinander her. Wir haben keine zehn Biere miteinander getrunken und Sie haben es nicht für nötig gehalten mir eine Karte zu schreiben, während ich im Lazarett von den Psychodocs behandelt wurde. Klar, ich habe dieses herzzerreißende Interview gesehen, wo Sie ihrem höchstdekorierten Piloten eine schnelle Genesung wünschen. Sie und die Kameras scheinen gut miteinander zu harmonieren, Lone Wolf."
Cunningham zog eine Grimasse. ,Himmel Arsch, sind wir aber ein Sensibelchen', dachte er bei sich.
"Martin, Sie sind mir unheimlich, ungreifbar ..." Cunningham gestikulierte. "... ich kann mit Ihnen nichts anfangen. Sie sind mein höchstdekorierter Pilot, Flying Cross in Bronce und Gold, Navy Cross, Silver Star, zwei Bronce Stars, den Löwen in Silber und den Victory Star."
Der Commander zündete sich eine Zigarette an und bot Durfee ebenfalls eine an, dieser lehnte ab. "Bei der Verleihung des Silver Star sind Sie ohnmächtig geworden und mir vor versammelten Geschwader in die Arme gefallen. Sie mussten für Monate von der Front zur Therapie und steigen heute noch so cool wie am ersten Tag in ihren Bomber. Wenn Sie jedoch im Casino mit einem Drink in der Hand am Fenster sitzen und nach draußen starren, läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken, dass ich Sie am liebsten wieder von der Flugliste streichen möchte."
"Warum tun Sie es dann nicht?" Die eisblauen Augen von Durfee erfassten seinen Kommandanten und nagelten ihn fest, wie die Schlange die Maus.
"Das kann ich nicht, Sie haben mehr Großschiffabschüsse als jeder andere Bomberpilot der Flotte, dazu einundzwanzig bestätigte Jägerabschüsse. Ihre Leute vertrauen Ihnen. Sollen sie etwa hören, ihr Held sei ausgebrannt?"
Der Jagdbomberpilot nickte: "Schön. Gut. Was wollen Sie von mir?"
"Tigre hat da einen interessanten Punkt angesprochen. Was, wenn die Akarii nicht mitspielen wollen, der Prinz in einer Rettungskapsel sitzt. Und rein hypothetisch gesprochen wir müssen uns schleunigst aus dem Staub machen ..." Er ließ den Satz unvollendet im Raum stehen.
"Vergessen Sie es gleich wieder, Lone Wolf, so was machen Helden nicht." Der Titel Held klang aus Razors Mund irgendwie bitter.
"Verdammt, Razor ..."
"Wäre das alles, Sir?" unterbrach der Jagdbomberpilot ihn und erhob sich in Habt-Acht-Stellung.
Lucas war erst versucht ihn etwas länger in dieser Haltung stehen zu lassen, verwarf diese Idee jedoch sofort als kindisch: "Instruieren Sie Ihre Piloten, Sie können wegtreten, Mr. Durfee."



Einige Stunden später herrschte in der CIC der Columbia reges Treiben. Bianca Wulff blickte auf den großen Kartentisch, der ihr die Aufstellung ihrer Flotte aufzeigte. Der dichte Pulk aus dem Träger, den Flakkreuzern und den Flottenversorgern in der Mitte, umringt von Kreuzern, Zerstörern und Fregatten, vorweg vier Korvetten.
"Tobin", sprach sie ihren Stabssignaloffizier an, "an die ganze Flotte: Alle Einheiten klar Schiff zum Gefecht! Massentransit vorbereiten!"
"Aye, aye Ma'am."
Nur Sekunden später erklangen auf der Columbia die Alarmsirenen und die ruhige Stimme des Signaloffiziers der Columbia: "Alle Mann auf Gefechtsstation! Alle Mann auf Gefechtsstation! Das ist keine Übung!"
Matrosen hasteten aus ihren Kojen. Geschütztürme wurden besetzt und entsichert. Raketen wurden aus den Magazinen in die Werfer eingeführt und weitere Munition wurde für weitere Salven vorgeladen. Druckschotts längsseits des Trägers wurden geschlossen und verriegelten zischend.
James Waco übernahm das Kommando in der CIC, Commander George Long das Kommando auf der Brücke.
Vier vollbewaffnete Falcons wurden in die Startröhren gezogen und in die Katapultschlitten eingeklinkt. Vier Nighthawks wurden für die zweite Welle fertig gemacht.
Acht Minuten und dreiundfünfzig Sekunden nach dem ersten Befehl war die Columbia klar Schiff zum Gefecht.
Nach und nach gingen in ihrer CIC die Bereitschaftsmeldungen der Geleitgeschwader ein.
"Geben Sie den Korvetten den Sprungbefehl, Tobi!" Wulff wartete gebannt, dann verschwanden die vier kleinen Kriegsschiffe in der Strahlungsanomalie des Wurmlochs.
"Uhr für Translichtspruch läuft: zwölf Minuten und zehn Sekunden ab ... JETZT!" Kam die Meldung des Flottenastrogators.
"Kann ich Sie sprechen, Captain?" Wulff war leise an Waco herangetreten.
"Natürlich, Ma'am."
"Ich habe seit der Geschwaderbesprechung ein böses Gefühl ... was Cunningham betriff." Wulff sprach so leise, dass nur Waco sie hören konnte.
Der Captain der Columbia blickte betreten zu Boden.
"Wissen Sie etwas Genaueres, Captain?" Ihre Augen fingen die seinen ein. Die Nasenflügel der Admiralin flatterten wütend.
"Ja, Ma'am, Cunningham bereitet sich darauf vor Rettungskapseln abzuschießen und unter uns, er hat Recht."
"Wie bitte?"
"Ich sagte er hat Recht, wenn wir um Jor auszuschalten die Rettungskapseln der Akarii abschießen müssen, dann, bei allem Respekt, sollten wir das verdammt noch mal tun. Und wenn ich Cunningham irgendetwas ersparen würde, hätte ich ihm schon dazu einen schriftlichen Befehl gegeben."
"Wenn wir diesen Sprung vollzogen haben Captain, möchte ich Sie und Commander Cunningham in meinem Büro sprechen. Weitermachen."
Waco nahm Haltung an und Salutierte: "Aye, aye, Ma'am!"
Stille.
"Admiral: Signal von der Korvette Austerlitz, der Sprungpunkt ist gesichert."
"Danke Tobi. Astrogator: Die Flotte soll Massentransit einleiten."
"Aye Ma'am."
Die Kreuzer, Zerstörer, Fregatten und Flottenversorger, die um die Columbia gruppiert waren, verschwanden im Beta Borialis System. Lautlos. Ohne Lichteffekt, um Lichtjahre entfernt ebenso gespenstig wieder aufzutauchen.


Laereon, zweiter Mond von Akar

Lay Rian betrat den Konferenzraum und tat das 'Achtung Admiral an Deck' mit einem geknurrten "Sitzen bleiben." ab.
Die Hälfte der anwesenden Offiziere hätte ihr eh diese Ehre nicht erwiesen. Es gab Wichtigeres zu tun.
"Wir haben einige Punkte abzuarbeiten." Begann sie, als sie sich setzte. "Die anlaufenden Flottenverlegungen gehören alle zu Operation Baldur. Ziel der Operation Baldur ist es, die terranische Zweite Flotte zu besiegen und wieder in die Offensive zu gehen. Dazu ist folgendes nötig:
Erstens - Sicherung Akars
Zweitens - Freistellung der Homefleet und der Offensivflotte bei Manticore
Drittens - Die terranische Flotte von ihrem Nachschub abschneiden.
Viertens - Die terranische Flotte in eine für uns günstige Position zu drängen.
Fünftens - Die Moral der Terraner brechen.
Sechstens - Unsere drei Flotten: Manticore, Homefleet und Einsatzgruppe Gren zu vereinigen und die zweite terranische Flotte zu zerschlagen.
Siebentens - Einen Angriff auf den terranischen Knotenpunkt Sterntor durchzuführen, Sterntor zu erobern und von Sterntor aus weit in terranisches Gebiet vorzudringen.
Wie Sie alle sehen, sind hier nicht nur unsere Chefstrategen, sondern auch die klügsten Köpfe der Forschungs- und Entwicklungsabteilung vertreten."
Rian musterte die siebenunddreißig Akarii, die links und rechts am Besprechungstisch saßen. Neben Norr Wilko hatte sie nur wenige Verbündete hier, selbst nachdem sie Jors unfähigste Speichellecker verjagt hatte.
"Warum vereinen wir unsere Flotten nicht gleich und zerschmettern dieses Geschmeiß! Treiben sie bis hinter ihre so genannte 'von Braun Linie' zurück und stoßen bis weit in den gegnerischen Rachen vor." Der Offizier der sprach war ein junger Admiral zweiten Ranges, seinen Namen kannte sie nicht, interessierte sie auch nicht.
"Unser erhabener Imperator Xias der Blutige hat einst eine simple Gleichung aufgestellt von Moral und Mannstärke, sie geht von einem Minimum von drei zu eins aus. Selbst ein menschlicher General, Napoleos oder so ähnlich hieß er, hat vor einigen Jahrhunderten diese These entdeckt.
Ich bin nicht gewillt mit dem desaströsen Rest unserer, wenn auch immer noch überlegenen, Flotte gegen diese gut ausgerüstete und vor allem mehr als moralisch gefestigte, ja weit überlegene Erdflotte anzufliegen und die Richtigkeit dieser Theorie zu beweisen."
Ein anderer Offizier hob den Arm und Lay nickte ihm aufmunternd zu.
"Mylady Admiral, wie gedenken Sie die Trägergruppen von Manticore und Akar frei zu stellen? So wie ich das sehe, wird Akar durch die große Ar.... die zweite Terranische Flotte direkt bedroht. Und Manticore, Manticore ist eine Pattsituation, wenn wir dort unsere Trägergruppen abziehen, wird die erste Terranische Flotte durchbrechen und auch wieder Akar direkt bedrohen." Um seine Worte zu unterstreichen tippte er Befehle in seine Konsole ein und zu seinen Ausführungen erschienen die entsprechenden Systeme und Sprungruten der verschiedenen terranischen Flotten.
Lay nickte anerkennend und merkte sich den ebenfalls jungen Admiral zweiten Ranges. ,Kerren Gall, dich will ich in meinem Beraterstab.'
"Es gibt dafür möglicherweise eine Lösung", antwortete Rian, "Admiral Kosno."
Ein älterer Akarii erhob sich. Im Gegensatz zu allen anderen, inklusive Rian, trug er eine einfach Arbeitsuniform der Marine. Die Kragenspiegel die ihn als Admiral ersten Ranges auswiesen waren abgewetzt, fast schäbig. Über der Uniform trug er einen weißen Laborkittel.
"Da ich nicht meine kostbare Zeit mit der Erklärung von Dingen, die über das allgemeine Begriffsvermögen der hier Anwesenden gehen, verschwenden will, komme ich gleich zur Sache.", begann Kosno seinen Vortrag schnodderig, "Vor gut zwei Jahren sind eine Bande terranischer Soldaten über eine Möglichkeit gestolpert, einen Wurmlochterminus aus der Phase zu bringen. Oder für Euch kleingeistigen Flottenstrategen: Vorübergehend unbenutzbar zu machen. Sie ließen eine alte Fregatte im Terminus, quasi beim Sprung, hochgehen. Es war ein kaum erforschtes, möglicherweise instabiles Wurmloch, das von Pasumata aus in ein terranisches System führte."
Schweigen.
"Sie wollen jetzt die Wurmlöcher doch wohl nicht verschließen, indem sie unsere Schiffe dafür opfern, oder, Kosno?" Peliak Rahoo war ein uralter Veteran der Raumflotte des Imperiums. Er trug zwar seine Galauniform, dennoch hatte er auf alle Ordenszeichen verzichtet, außer die beiden höchsten, die das Imperium zu vergeben hatte.
"Natürlich nicht!" Kosnos Antwort klang wie für einen begriffsstutzigen Schüler gedacht. "Wir werden Antimateriesprengköpfe in den Terminus treiben lassen, dann aktiviert ein Raumschiff sein Sprungtriebwerk, doch statt in den geöffneten Terminus hineinzufliegen, dreht es ab und lässt den Sprengsatz hochgehen, währen er die Raum-/Zeitbarriere des Wurmlochs überquert." Der Admiral aus der Forschungsabteilung pausierte dramatisch. "Große Explosion, Strahlungsanstieg, Panik auf der anderen Seite und schon ist ein Wurmloch der Kategorie 2 wie zwischen Manticore und Texas für etwa ein Jahr unbenutzbar. Ist etwas günstiger, als eine Fregatte zu verschwenden."
Lay Rian lächelte spitzbübisch: "Da wir dieses Problem gelöst hätten, ... vorausgesetzt Ihre Abteilung kann uns genügend Antimateriesprengsätze zur Verfügung stellen, ... wenden wir uns doch den kommenden Aufgaben unserer Trägergruppen zu."
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Cattaneo
Major


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Tyr

Das Katapult der Columbia schleuderte den Raumjäger der Nighthawk-Klasse in den Weltraum. Die Manöverdüsen der Maschine glühten auf, lenkten den Jäger auf einen neuen Kurs, dann zündeten die Haupttriebwerke.
Kano Nakakura brauchte nicht auf die Instrumente zu blicken, um zu wissen, wie seine Maschine reagierte. Inzwischen beherrschte er dieses Manöver fast automatisch. Es war lange her, dass er das erste Mal in feindlichem Territorium zu einem Patrouilleflug gestartet war. Aber das zumindest war auch nach Jahren Fronteinsatz noch keine Routine geworden. Und jetzt, da die Columbia auf sich alleine gestellt operierte – und dann auch noch mit einem derartigen Auftrag – das war genug, um auch einen der Veteranen der Angry Angels aus seiner Ruhe zu bringen. Auch wenn man es ihm vielleicht nicht ansah.
Natürlich war ihr Auftrag relativ einfach. Die Nighthawk der Schwarzen Staffel würden keinen Angriff fliegen, ihre Aufgabe war nur die Eskorte der SWACS-Shuttles. Die eigentliche Aufklärungsarbeit würden diese mit passiven und aktiven Sensoren vollgestopften Raumfähren übernehmen, die Nighthawk würden nur in Bereitschaft stehen, für den Fall, dass feindliche Jäger auftauchten. Da die SWACS-Shuttles eine erheblich größere Reichweite als die Raumjäger hatten, waren diese auf Kosten der Raketenlast mit Zusatztanks aufgerüstet worden. Die vier Langstreckenraketen Typ Phoenix und die vier Sparrow-Lenkwaffen gaben Kano in Kombination mit den vier Bordkanonen immer noch eine Feuerkraft, die jedem feindlichen Raumjäger überlegen war.
Kurz blickte er auf den Radarschirm. Die anderen drei Maschinen seines Schwarms waren ebenfalls gestartet und formierten sich jetzt. Kano hätte beinahe geseufzt. Goliath war ein guter Soldat und Pilot. Und Crazy war zwar manchmal anstrengend, aber längst nicht so schlimm, wie sein Callsign vermuten ließ. Aber Renegade…
Der Pandoraner konnte sich einfach nicht richtig ins Team einfügen. In der Hinsicht war er fast so schlimm wie Noname in seiner ersten Zeit – allerdings fehlte Renegade dessen Talent. Am liebsten hätte Kano den Piloten abgeschoben. Aber mit so etwas konnte er Monty nicht kommen, geschweige denn dem Staffel- und Geschwaderführer. Nicht, wenn er jemals selber eine Staffel kommandieren wollte. Außerdem warf die Navy nach mehr als vier Jahren Krieg keinen Piloten mehr raus, es sei denn, er beging einen Mord. Also musste er mit Renegade klarkommen. Und das bedeutete auch, dass er ihm nichts durch die Finger sah: „Renegade, aufschließen. Ansonsten – Maschinen auf Autopilot.“ Kano wartete die Antwort nicht ab. Hoffentlich würde der Pandoraner so langsam Flugdisziplin und vor allem Geduld lernen. Die Piloten benutzten zurzeit Kurzstreckenfunk, der gerade einmal reichte, um die Kommunikation zwischen den Jägern und den Shuttles zu gewährleisten. Der Langstreckenfunk war für absolute Notfälle reserviert – die Einheiten operierten in Feindesland unter weitestgehender Funkstille. Kano überprüfte reflexartig die Position seines Jägers zu dem SWACS-Shuttle, dass er zusammen mit Crazy eskortieren würde. Die vier Nighthawk und zwei SWACS würden etwa zwanzig Minuten im Verband fliegen, bevor sie in zwei Gruppen auffächern und mit der eigentlichen Patrouille beginnen würden, die etwa vier Stunden dauern sollte. Dann, als der Autopilot die Steuerung der Maschine übernahm, lehnte sich Kano zurück. Allerdings blieben seine Augen auf den Radarschirm gerichtet. Die endlose Pracht und Großartigkeit des Weltraums war zwar immer noch überwältigend, auch nach hunderten von Flügen. Aber ein Jagdpilot „sah“ vor allem durch den Radarschirm.

Renegade knirschte mit den Zähnen. Er hatte es gewusst! Bei jedem anderen hätte der Sektionsführer geschwiegen, aber nicht bei ihm. Dabei war es schließlich nicht sein Fehler gewesen. Seit einigen Tagen reagierte die Maschine manchmal etwas schwerfällig – genauer, seit die Triebwerke auf Akarii-Treibstoff umgerüstet worden waren. Vermutlich hatten die verdammten Techniker gedacht, die Maschine eines Pandoraners müsste nicht so sorgfältig gewartet werden…
Als seine Maschine endlich in der gewünschten Position war und das leichte Vibrieren aufgehört hatte, schaltete Renegade mit einer knappen, wütenden Geste den Autopilot an. Wesentlich das funktionierte ohne größere Probleme. Während er vergeblich versuchte, eine etwas bequemere Haltung einzunehmen, bedachte er Ohka im Stillen mit einem Fluch. Der musste seine Sektion wirklich für jeden Mist „freiwillig melden“ – sogar diese öden Suchroutinen. Vermutlich brauchte er die Stunden in seinem Flugbuch. So etwas machte sich ja immer gut, wenn man auf eine Beförderung spekulierte.

Die beiden anderen Piloten der dritten Sektion plagten keine tieferen Gedanken. Goliath schaltete einfach ab, ihn brachte nicht so schnell etwas aus der Ruhe. Solange der Autopilot lief, verließ er sich auf den Radarschirm und die Sensoren. Crazys Gedanken wanderten zu seinem letzten Landurlaub und ein fast verträumtes Lächeln erschien auf seinem Gesicht.


Es waren etwa fünfzehn Minuten vergangen, als der Ärger anfing. Für Renegade begann es damit, dass die inzwischen nur zu vertrauten Vibrationen begannen. Aber diesmal war es das erste Mal, dass dies geschah, während der Autopilot aktiv war. Sonst war es immer nur im manuellen Modus geschehen. Renegade schreckte aus seinem dumpfen Brüten hoch, übersah hastig die Instrumente. Die Temperaturanzeige des Triebwerkes spielte verrückt, und das Vibrieren wurde immer stärker, schüttelte die ganze Maschine. Der Jäger flog keinen stetigen Kurs mehr, schwankte um bis zu zehn Grad in der Horizontalen und Vertikalen, während der Autopilot versuchte, den eingegebenen Kurs zu halten. Mit einem lauten Fluch packte Renegade den Steuerknüppel fester, während er nach dem Ein-Schalter des Bordfunks tastete – und zögerte. Wenn er jetzt meldete, dass er Schwierigkeiten hatte… Das würde ihm ewig nachhängen, auch wenn es nicht seine Schuld war. Er konnte doch nicht…

Ohka starrte auf den Radarschirm. Irgendetwas hatte ihn alarmiert, stimmte nicht mit der Formation. Dann sah er, es war Renegades Maschine, die etwas hinterher hing. Und die Flugweise…: „Ohka an Renegade. Wie ist Ihr Status?“
„Ich krieg es hin!“
Kano verzog kurz den Mund, seine Stimme wurde schneidend: „Was ist das für eine Meldung? Was ist mit Ihnen los?!“
Renegades Stimme klang wütend, fast trotzig. „Das verdammte Triebwerk spuckt! Aber es geht…“
„Halten Sie Kurs und Geschwindigkeit!“ Kano gab Gegenschub, im nächsten Augenblick war seine Maschine neben Renegades Jäger. Er glich die Geschwindigkeit an. Seine Augen flogen über die Sensoren seines Jägers, dann sah er hinüber zu Renegades Maschine. Kano spürte, wie sich ein ungutes Gefühl in seinem Magen breitmachte. Verdammt! „Renegade, Ihr Triebwerk brennt!“
„Was? Wie?!“
„Gehen Sie langsam auf Gegenschub! Langsam! Benutzen Sie nur die Manöverdüsen! Reduzieren Sie die Treibstoffzufuhr zum Haubtriebwerk!“
„Aber…“ Renegades Gedanken rasten. Sie hatten für ähnliche Notfälle geübt auf der Akademie, das wusste er noch genau. Aber er konnte sich jetzt einfach nicht auf die nötigen Handgriffe erinnern: „Verfluchte Scheiße! Scheiße! Diese Arschlöcher!“
„TUN SIE, WAS ICH IHNEN SAGE! Und dann…werfen Sie die Zusatztanks ab!“
Renegade blieb kaum Zeit zu überlegen, rein reflexartig befolgte er die Anweisungen. Die Maschine wurde langsamer, stoppte beinahe. Er wollte schon aufatmen, als es plötzlich hinter ihm knallte. An der Sichtluke seines Pilotenhelms raste eine Stichflamme vorbei, binnen Sekunden war das Cockpit voller Qualm: „Feuer! Es brennt“
„AUSSTEIGEN!“
Renegade tastete panisch, suchend herum, dann fanden seine Finger endlich den richtigen Knopf. Ein leiser Knall, die Kanzelverglasung flog weg und er wurde hinausgeschleudert.

Kano fluchte lautlos. Jede Hoffnung, den Vorfall sozusagen „innerhalb der Sektion“ zu klären, war jetzt gestorben. Renegade hatte nur für ein paar Stunden Sauerstoff, einer der teuren Nighthawk-Jäger war beschädigt. Es würde eine Untersuchung geben. Der junge Japaner presste die Lippen zusammen. Wenn die technische Abteilung oder Renegade Mist gebaut hatten, würde er…
Nun, dann würde er sich wahrscheinlich anstellen müssen. Lone Wolf schätzte es überhaupt nicht, wenn seine eigene Staffel in Verruf geriet – und Monty war gnadenlos, selbst bei der geringsten Fahrlässigkeit. Aber zuerst einmal musste dafür gesorgt werden, dass Renegade und sein Jäger aufgesammelt wurden. Und das hieß, er musste die Funkstille brechen: „Ohka an Zentrale. Havarie. Pilot ausgestiegen, Maschine stationär. Triebwerksschaden, Brandgefahr…“ Er zögerte kurz und setzte dann hinzu: „Setzen Patrouille fort.“ Das fiel ihm nicht leicht. Es bedeutete, dass eine der SWACS nur mit einer Maschine Geleitschutz fliegen würde. Aber es hätte zu lange gedauert, bis ein Ersatzjäger vor Ort war, sie hingen ohnehin im Zeitplan zurück. Möglicherweise würden es einige Piloten auch als wenig kameradschaftlich ansehen, dass er die Patrouille einfach fortsetzte, statt hier auf das Eintreffen des Rettungsshuttles zu warten. Aber im Zweifelsfall hatte die Einsatzorder Vorrang – und vor allem, sie hätten sowieso nichts für den ausgestiegenen Piloten machen können.
Kano öffnete den Staffelkanal: „Ohka an Renegade. Ein Rettungsshuttle ist in dreißig Minuten hier. Crazy, Goliath – ihr fliegt zusammen. Ende.“
Von den beiden Piloten kam kein Kommentar, nur Renegades meldete sich zu Wort, Unglauben, fast Schock in der Stimme: „Sie lassen mich einfach hier zurück?“
Kano verdrehte die Augen, aber seine Stimme blieb neutral: „Das Rettungsshuttle ist wahrscheinlich bereits gestartet. Wir können hier nichts tun. In spätestens vierzig Minuten sind Sie in Sicherheit. Ende!“

Tatsächlich nahmen die Shuttles und Raumjäger Fahrt auf, ließen den wracken Jäger und seinen Piloten zurück. Kano fragte sich unbehaglich, wie Monty und Lone Wolf sein Verhalten bewerten würden – die Entscheidung, die Patrouille fortzuführen, war alleine seine Entscheidung gewesen. Aber dann verdrängte er diesen Gedanken als momentan unwichtig. Zuerst einmal würde er diesen Einsatz so gut zu Ende bringen, wie das jetzt noch möglich war.

Renegade starrte den entschwindenden Raumjägern hinterher und spürte, wie in ihm Wut und Enttäuschung hochkochten. Er hätte es wissen müssen! Egal, welche hehren Reden Arschlöcher wie Monty oder Ohka schwangen, im Grunde ging es ihnen nur um ihre eigene verdammte Kariere. Ihre Untergebenen – und erst recht ein Pilot von Pandora – waren zweitrangig. So ein verdammter, eiskalter Hund! Vermutlich konnte sich Ohka anschließend noch als besonders besonnen und pflichtbewusst präsentieren, weil er die Patrouille fortgesetzt hatte – und auf Renegade würde man spucken. Wie immer. Aber niemand hörte seine leisen, erbitterten Flüche, während er neben seinem havarierten Jäger durchs All trieb. Er war so wütend, dass er nicht einmal mehr Angst empfand.
Eine reichliche Stunde später dockte das Rettungsshuttle an die Columbia an, während Renegades Nighthawk an Bord geholt wurde. Auf dem kurzen Flug zum Träger hatte der Pilot eisern geschwiegen, jeden Gesprächsversuch der Shuttlecrew kurz abgefertigt. Die Männer und Frauen hatten das achselzuckend akzeptiert – manche Piloten reagierten eben empfindlich auf eine Havarie.
Kaum war Renegade aus der Luke gestiegen, als ihn Lieutenant Commander Miguel ‚Monty’ Terrano abfing. Der kleingewachsene XO der Schwarzen Staffel musterte den Piloten von Kopf bis Fuß. Seine Stimme klang trocken: „Sie sind wohl überall dabei, wo Mist gebaut wird?“
Renegade zuckte zusammen. Seine Stimme klang fast erstickt: „Sir! Ich…“
„Schon gut, vergessen Sie es. Sie lassen sich auf der Krankenstation durchchecken. Anschließend will ich einen Bericht über diesen Vorfall. Ausführlich. Ich will über jedes vorschriftswidrige Klappern informiert werden, dass Sie in den letzten Tagen gehört zu haben glauben, verstanden? Und natürlich werden wir die Bordbänder auswerten. Das war alles.“
„Und meine Maschine?“
„Die werden wir natürlich wieder instand setzen. Was glauben Sie denn? Wir können uns den Verlust einer Nighthawk durch Havarie nicht leisten. Wir haben sowieso zu wenige Ersatzmaschinen. Beten Sie darum, dass wir Ihren Jäger bis zum ersten Feindkontakt repariert haben. Bis dahin übernehmen Sie eine der Ersatzmaschinen. Aber seien Sie vorsichtig. Wir haben nicht so viele davon. Sie können wegtreten.“
Renegade salutierte wütend, drehte sich jäh um und stampfte davon. Er konnte sich vorstellen, wer am Ende die Schuld an diesem Vorfall erhalten würde. In den Blicken der Techs und Piloten im Hangar glaubte er nur Gleichgültigkeit oder sogar Schadensfreude zu erkennen. Es war immer dasselbe. Jedes verdammte Mal dasselbe. Aber er schwor sich, noch einmal würde er so eine Demütigung nicht zulassen. Er würde es ihnen allen beweisen, aus was für einem Holz er wirklich geschnitzt war. Er würde es ihnen beweisen!

Monty sah dem Piloten stirnrunzelnd nach. Der junge Mann bekam wirklich jede Bemerkung in die falsche Kehle. Aber momentan hatte er nun wirklich Wichtigeres zu tun, als sich um das gekränkte Ego eines Problempiloten zu kümmern. Die Havarie einer Nighthawk war keine Kleinigkeit – vor allem, da die Maschine voraussichtlich für mindestens ein paar Tage ausfiel. Das sah dem Chief wieder mal ähnlich! Sich als Primadonna gebärden, und dann flogen seinen Piloten die eigenen Maschinen um die Ohren. Monty machte sich auf den Weg, entschlossen, einigen arroganten Mitgliedern der Wartungsdienste die Hölle heiß zu machen. Irgendwo hörte der Spaß auf…
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Cattaneo

Der Wechsel der Gezeiten

Die Kreuzerschwadron 2.3 kroch durch den Weltraum, Teil der ehrfurchtsgebietenden Phalanx, die von den Schiffen der Columbia-Gruppe gebildet wurden. Allerdings war der Ausdruck „kriechen“ nur dann gerechtfertigt, wenn man eine Geschwindigkeit von 40 Kilometern in der Sekunde mit einem so gemächlichen Begriff in Verbindung bringen konnte. Aber für galaktische Verhältnisse war es langsam, und auch im Vergleich zu den pfeilschnellen Kampffliegern, die den Verband umschwärmten. Abfangjäger formierten sich und fächerten auf, Überlegenheitsjäger stießen in das Dunkel des Alls vor, um die SWACS-Shuttle zu eskortieren. Aber die Absicherung des Verbandes bestand nicht nur aus den Kampffliegern. Die Fregatten und Korvetten aus Trattis Geschwader hatten die undankbare Aufgabe, die erste Abfangformation zu bilden. Die Zerstörer unter Commodore Janzek sollten den Träger direkt schützen, während die zwei Kreuzerschwadronen eine formidable Reaktionsstreitkraft bildeten. Sollten da draußen Gegner lauern, würden die Jäger und Shuttles es vermutlich als Erste zu spüren bekommen – auch wenn die Akarii wohl kaum blindlings auf den ersten Terraner schießen würden. Doch näher heranzukommen war schwer, wenn auch nicht unmöglich. Den Sensoren der „Außenfeger“ zu entkommen war selbst für Schiffe im Sensortarnmodus nur schwer möglich, abgesehen davon, dass derartige Manöver gegen einen Verband wie diesen nahezu selbstmörderisch waren. Was nicht hieß, dass derartiges nicht bereits erfolgreich angewandt worden war. Wenn die Angegriffenen nicht aufmerksam genug waren, wenn die Angreifer hart genug zuschlugen… Im Grunde war dies einmal mehr eine Variation zum Thema „Im Krieg gibt es keine Gewissheit – nur Risiken und Chancen.“
Vom „Oberdeck“, der „Promenade“ des Kreuzers aus hätte der Anblick eigentlich wesentlich weniger imposant seien müssen. Anders als auf den tief im Innern des Schiffes gelagerten Kommandobrücken gab es hier keine Bildschirme und taktische Displays. Die gewaltigen Entfernungen des Weltraums reduzierten die riesigen Kriegsschiffe zu Zwergen, die Kampfflieger zu Insekten, wenn sie denn überhaupt zu entdecken waren. Nur das Feuerwerk der Antriebsdüsen war für einen kundigen Beobachter durchaus aussagekräftig. Jetzt, im Feindesland, war dieser Ort oft verwaist. Der Dienstplan war streng, und mancher Matrose fragte sich beim Anblick der fernen Sterne, ob dort nicht sein Tod lauerte. Aber nicht alle dachten so.
Commodore Mithel stand vor einem der Aussichtsfenster und blickte in den Weltraum. Er hatte seine Arme hinter dem Rücken verschränkt, die Uniform saß – wie eigentlich immer – perfekt. Einem Beobachter wäre es kaum möglich gewesen zu erraten, woran er dachte, denn das scharf geschnittene Gesicht war unlesbar. Er kam gelegentlich hierher, wenn er gerade nicht auf Wache war, oder den unvermeidlichen Verwaltungskram erledigte oder was sonst seiner harrte – dies bedeutete, dass er nur ein, zwei Mal in der Woche ein wenig Zeit hatte. Kapitän zu sein, war fast ein „ 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche“-Job, doch der Commodore schaffte es immer, sich zumindest ein wenig Zeit zu reservieren.
Aber ob er hier nun mit seinem Gott sprach, wenn er denn einen hatte, an ihm nahe stehende Menschen dachte – Zyniker hätten gemeint, das könne er angesichts der sehr kurzen Liste auch in fünf Minuten erledigen – oder einfach das All auf sich wirken ließ, er verriet es niemandem. Und ganz bestimmt nicht seinen Untergebenen.

Der Commodore hatte schon eine ganze Weile an seinem üblichen „Aussichtspunkt“ Position bezogen, doch auch wenn er in Gedanken vertieft seien mochte, er war alles andere als unaufmerksam. So hörte er sehr wohl die zielstrebigen Schritte, die sich ihm näherten. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, an und für sich kein häufiger Anblick. Ohne sich auch nur umzudrehen erhob er die Stimme: „Ja, Commander?“
Hinter ihm schnappte jemand hörbar nach Luft. Mithel wartete noch einen Augenblick, dann drehte er sich gemessen um.
Vor ihm stand die Leiterin der Abteilung für Schadensbekämpfung, Lieutenant Commander Benita Alverado. Die junge Frau starrte ihren Vorgesetzten mit einer Mischung aus ungläubigem Staunen und Bewunderung an, bemühte sich aber sichtlich, ihre Miene wieder unter Kontrolle zu bekommen. Vor dem Krieg hätte kaum ein Offizier in ihrem Alter den Posten innegehabt, den sie schon seit mehreren Jahren auf dem Schiff hatte. Und zumeist hatte sie ihre Pflicht zur vollen Zufriedenheit Mithels erfüllt. Aber im Augenblick schaute sie drein, als käme sie frisch von der Flottenakademie.
Der Commodore brach das Schweigen zuerst. In seiner Stimme schwang kein Spott, höchstens ein wenig Belustigung: „Sie wollten mich sprechen?“
Lieutenant Commander Alverado schien sich zu fassen und straffte sich. Sie wies Mithel einen Datenträger vor: „Sir – die gewünschten Manöveranalysen, inklusive der von Ihnen in Auftrag gegebenen Detailuntersuchungen.“
Der Commodore schien es nicht eilig zu haben, das Material entgegenzunehmen. Seine Stimme klang nicht kritisch, sondern eher interessiert: „Wenn ich richtig informiert bin, haben Sie gerade Freigang. Wieso kommen Sie zu mir, anstatt sich auszuruhen?“
Die Offizierin errötete leicht: „Sie hatten um die Daten gebeten, Sir – und sie schienen Ihnen wichtig.“
Mithel lächelte, so dass seine Gesprächspartnerin sich bemühen musste, ihre Verwunderung ob dieses ungewöhnlichen Verhaltens zu verbergen: „Sie brauchen nicht das Gefühl zu haben, sich für Ihren Diensteifer auch noch rechtfertigen zu müssen. Ich respektiere diesen Einsatzgeist. Ich danke Ihnen.“
Benita Alverado errötete noch etwas stärker – der Commodore war mit Lob selten freizügig: „Vielen Dank, Sir!“ Sie schien darauf zu warten, dass ihr Vorgesetzter sie entließ, doch stattdessen nickte er ihr knapp zu. Dann deutete er zum Fenster: „Kommen Sie eigentlich auch gelegentlich hierher?“
Die junge Frau schien verlegen, sie war es nicht gewohnt, dass der Commodore sie auf persönliche Dinge ansprach: „Nun, hin und wieder. Es ist gut, zum Nachdenken. Außerdem ist hier selten Betrieb.“

Ihr Vorgesetzter wandte den Blick wieder zu den Sternen: „Ja, Sie haben Recht.“ Er schwieg einen Augenblick. Die Offizierin schien kurz nachzudenken, dann, zögernd, erhob sie ihre Stimme: „Sir.“
Der Commodore drehte sich nicht um, aber seine Stimme klang fast freundlich: „Weder Sie noch ich sind momentan im Dienst. Und ich habe keineswegs ein Privileg, mich hier allein aufzuhalten. Wenn Sie also eine Frage stellen wollen...“
„Dürfte ich fragen, woran Sie gerade denken?“
Mithels Stimme klang fast belustigt: „Außer an die vermutlich unerfreulichen Dinge, die ich auf Ihrer Disk finden werde?“ Er seufzte.
„Schwer zu erklären, Commander. Wissen Sie, auch ich komme hierher, weil ich hier besser nachdenken kann.“ Er lächelte grimmig: „Allerdings suche ich keine Ruhe im Frieden des Alls. Das All ist nicht friedlich, und die Sterne sind es schon gar nicht. Das mögen manche Poeten meinen, aber wir Raumfahrer wissen es besser. Sie sind vielmehr gleichgültig, voll gnadenloser Gelassenheit. Mögen sich vor ihnen die Völker abschlachten, Reiche entstehen oder vergehen, es kümmert sie nicht.“
Der Commodore räusperte sich: „Aber ich muss mich entschuldigen, ich möchte Ihnen keinen Vortrag halten und sie mit philosophischem Geschwätz langweilen.“
Die Offizierin schüttelte den Kopf: „Nein Sir, reden Sie weiter. Es interessiert mich.“ Sie war vielleicht ein wenig verwundert, dass Mithel so offen mit ihr redete, andererseits gehörte sie zu den jüngeren Offizieren, die der Commodore im Laufe der Jahre zunehmend protegiert hatte. Chris Mithel kannte den Nutzen der allgegenwärtigen Beziehungsnetzwerke in der Flotte, und nutze sie auch für eigene Zwecke. Vor allem wollte er eine handverlesene Führungsmannschaft an den Schaltstellen seines Schiffes, und wenn möglich auch in „seinem“ Verband. Offiziere, die in dieses Schema nicht hineinpassten, hatte er gnadenlos „aussortiert“ und abschieben lassen. Bei seiner langjährigen Erfahrung kannte er alle Tricks und Kniffe.

Mithel schien einen Augenblick zu zögern, doch dann sprach er weiter: „Sehen Sie, ich frage mich, ob wir nicht wirklich hier und jetzt Augenzeugen einer dieser Zeitenwenden werden. Aufstieg und Fall großer Reiche, ein ewig gleiches Schauspiel vor einer ewig unveränderlichen Kulisse. Für jedes Reich, für jede Zivilisation gibt es Wachstum, Blüte und Zerfall. Die Akarii haben ein mächtiges Reich errichtet, viel älter, als unser erster Schritt zu den Sternen. Und doch frage ich mich, ob nicht für sie der Scheideweg erreicht ist, der Augenblick, der alles entscheidet. Ich frage mich, ob wir nicht die Katalysatoren dieses Prozesses sind.“
Benita Alverado wirkte nachdenklich: „Sie meinen, ob wir sie beerben? Ein jüngeres Reich löst das ältere ab?“
Der Commodore schüttelte den Kopf: „Nicht direkt. Ich bin kein Sozialdarwinist. Überleben des Stärkeren – das hat keineswegs immer funktioniert. Manche Reiche sind an ihren eigenen Siegen zugrunde gegangen. Denn dem Sieg wohnt oft die Hybris inne. Wie leicht kann dann übersehen werden, dass die eigene Kraft auch nur begrenzt ist, werden Grenzen erreicht, die man auf Dauer nicht halten kann, Ziele gesteckt, die illusorisch sind.
Nein, ich rede nicht unbedingt vom Untergang der Akarii. Aber es mag gut sein, dass für ihr Reich der Punkt gekommen ist, an dem sie sich entscheiden müssen, ob sie sich verändern wollen, oder vielleicht doch untergehen. Gut möglich, dass dies überhaupt erst der Grund für ihren Angriff war. Sie fühlten sich durch uns herausgefordert, vielleicht auch bedroht. Ihre Geschichte und Tradition – nicht zu vergessen die persönliche Machtgier einiger Militärs und Politiker, wie ich annehme – diktierten ihnen die scheinbar logische und richtige Reaktion. Und doch mag es sein, dass gerade dieses Beharren auf ihrem alten Status und ihrer alten Macht dazu führte, dass sie ihre eigene Macht über- und ihren Gegner unterschätzten. Mit dem Ergebnis, dass ihr Reich so schwer getroffen wurde, wie nur selten in seiner langen Geschichte. Das, was sie verhindern wollten, haben sie auf sich herab beschworen.“
Die junge Frau lächelte: „Sie glauben an unseren Sieg, Captain.“ stellte sie fest. Es klang zufrieden.
Mithel drehte sich halb zu ihr um. Er lächelte schmal: „Etwas anderes wäre Defätismus, nicht wahr? Nun, ich weiß nicht recht, wie ich Sieg in diesem Krieg definieren soll. Ich glaube nicht, dass die Akarii uns noch irgendwie Bedingungen diktieren können. Dazu sind sie zu oft und zu hart geschlagen worden. Sie können sicher noch schmerzhaft austeilen. Und wenn sie unsere Bereitschaft zum Kriegführen an ihre Grenze führen, wer weiß?
Es gibt bei uns immer noch die Friedensbewegung. Trotz unserer Erfolge ist sie nicht tot, sondern hat sich gehalten. Und wer weiß was die Zukunft bringt? Noch mehr Verluste wie auf Wron, Alis Minor, Groshen VII und Kalanis IV...
Eine Bevölkerung kann nur begrenzt lange bei der Stange gehalten werden, ebenso eine Armee. Unserer Flotte geht es gut, sie hat sich von den hohen Verlusten zu Anfang des Krieges und von den späteren Rückschlägen nicht brechen lassen. Aber so weit ich weiß hat allein das Geschwader Angry Angels im Verlauf des Krieges in seinen Staffeln zwischen 100 und 200 Prozent an Verlusten erlitten, einige Staffeln haben dreimal ihre Kommandanten verloren. Die Verletzten sind dabei nicht einmal mitgerechnet. Das Marines Corps und die Armee bluten weiterhin in den Bodenkämpfen, und dort gibt es keine Anzeichen für ein Zusammenbrechen des Gegners. Sollte es ihm gelingen unseren Vormarsch noch weiter zu verzögern, dann könnte der Augenblick kommen, an dem die Belastungen zunehmend schwerer ausgeglichen werden können. Materiell, personell und psychologisch.
Ich glaube, dass sie nicht mehr siegen können, wie sie es wollten – aber ob wir so siegen, wie viele es sich vorstellen?“

Die junge Offizierin lächelte. Normalerweise hätte sie dergleichen nie gewagt, doch Mithels verbindlicher Plauderton hatte sie unvorsichtig gemacht: „Einige würden sagen, das IST Defätismus.“ Im nächsten Moment hätte sie sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Sie redete immerhin mit ihrem Kommandeur, einem hoch dekorierten Veteranen.
Doch Mithel schien ihr die Worte nicht übel zu nehmen: „Ansichtssache. Man könnte auch sagen, die Leugnung des Offensichtlichen würde unserer Sache noch mehr schaden. Wir müssen nicht nur unseren Gegner kennen, sondern auch uns selbst.“
„Sie meinen, damit nicht wir das Reich sind, das sich ändern muss oder untergeht?“
Der Commodore nickte: „Sehr gut ausgedrückt. Wie formulierte es doch Captain Henning Schupp? Ich habe mich einmal mit ihm unterhalten, und er sagte mir folgendes: Eines Tages sinkt auch Troja dahin, Priamos selbst, und die Stadt des speergewaltigen Königs. Scipio Africanus der Jüngere soll diesen Satz Homers zitiert haben, als er Karthago brennen sah. Und 500 Jahre später brannte auch das ewige Rom...“ Für einen Augenblick schwiegen beide, Lieutenant Commander Alverado auch vor Überraschung. So hatte sie den Commodore bisher nie erlebt. Vielleicht war dies ein Teil seines Charakters, den er nur wenigen zeigte. Sie fühlte sich durchaus geschmeichelt.
Mithel schien seine Gedanken gleichsam zu verscheuchen: „Nun, genug der Worte. Statt über die Geschichte und ihren Lauf zu reden, werden wir vielleicht die Gelegenheit haben, sie zu schreiben.“ Er nahm die Disk seiner Untergebenen entgegen. Ihr entging allerdings nicht, dass Mithel den Datenträger mit einem Gesichtsausdruck musterte, mit dem er junge Kadetten bedachte, die bei ihrer ersten Übung versagten: „Stimmt etwas nicht, Sir?“

Chris Mithel schüttelte leicht den Kopf: „Nur in Bezug auf den Inhalt Ihrer Daten. Denn wenn ich nicht in all den Jahren in der Flotte geschlafen habe, dann wird mir nicht gefallen, was ich sehen werde. Oder können Sie mir widersprechen?“
Die junge Frau schaute starr geradeaus: „Erlaubnis, frei sprechen zu dürfen?“
Mithel lachte. Aus irgendeinem Grund schien der Commodore ganz anders als sonst: „Erlaubnis erteilt. Wenn auch unnötig – immerhin sind wir beide nicht im Dienst. Und angesichts unseres bisherigen Gesprächs sollten Sie mir vertrauen können. Abgesehen davon natürlich, dass man an Bord einen Erdkreuzers nie ganz außer Dienst ist...“
Die Chefin der Schadensbekämpfung verzog ihre Lippen zu einer Grimasse: „Ich habe mich zunächst gefragt, warum Sie mich die Analysen ohne die Mitarbeit des Regimentskommandeurs ausarbeiten ließen, sondern nur den Kommandeur unserer eigenen Marineinfanteristen hinzuzogen, dazu noch unter dem Siegel der Verschwiegenheit...“ Sie bemerkte, wie es um Mithels Mundwinkel zuckte: „Die Antwort, Lieutenant Commander, kennen Sie vermutlich sehr wohl – vielleicht wollen Sie sie nur gerne aus meinem Mund hören. Colonel Hammersmith ist für meinen Geschmack etwas zu verliebt in seinen eigenen Plan. Zu sehr, als das ich mich nicht fragen muss, ob er wirklich ganz objektiv ist. Vor allem, da sein Blickwinkel naturgemäß ein anderer ist als meiner. Aber ich nehme an, dies ist nicht Ihre einzige Frage.“
,,Nun, Sir, ich muss sagen, mir erscheinen die getesteten Optionen bei weitem zu riskant, zumindest was unseren Part angeht. Ich bin wie gewünscht die Aufzeichnungen der verschiedensten Simulationen durchgegangen, außerdem habe ich versucht zu errechen, welche Chancen wir haben, das Ergebnis zu beeinflussen. Sämtliche Analysen meiner Mitarbeiter deuten darauf hin, dass ein gezieltes Wrackschießen der Korax ma Rah verlässlich nur mit Strahlenwaffen zu erledigen ist. Und das bedeutet Nahkampf. Man kann eben nicht mit Atomraketen auf die Antriebssektion oder Geschützstände schießen, dazu braucht man Kanonen oder leichte Raketen. Ebenso ist jedes Distanzabsetzen der Enterfähren für diese zu riskant. Gehen wir aber, wie bisher simuliert, auf Geschützdistanz heran, dann verlieren wir mindestens einen Kreuzer, weitere Schäden sind zu vermuten. Und selbst dann haben die Shuttles hohe Verluste.“
Mithel nickte grimmig: „Sehr treffend analysiert. Und, was Sie noch nicht einmal berechnen sollten, dazu kommt, dass die Akarii noch weitere Optionen offen haben. Manche von ihnen haben sonderbare Ansichten über den Tod, und neben der Triebwerkssektion und eventuellen Arsenalen für Schiff-Schiff-Raketen gibt es noch andere Möglichkeiten. Schon mit dem Inhalt der Magazine an Raumkampfraketen für die Kampfflieger und Shuttles kann man das Schiff vermutlich auseinander reißen, wenn man es darauf anlegt.“ Er schüttelte den Kopf: „Manchmal frage ich mich, in wie weit manche Offiziere noch im Blick behalten, dass an Bord eines Ticonderoga fast 900 Menschen leben, denen gegenüber sie eine Verantwortung haben. Von den materiellen und psychologischen Kosten und dem geringen Nutzen mal abgesehen. Jors Tiefgefrorene Leiche sollte ihnen kaum so viel wert sein.“ Er schien seine Untergebene kaum wahrzunehmen, im Augenblick sprach er halb mit sich selbst. Nicht, dass er „Verrat“ zu befürchten hatte.
„Nun, wir werden sehen. Kommt Zeit, kommt Rat – in welcher Hinsicht auch immer. Ich werde mir die Daten anschauen, Bereiten Sie sich darauf vor, mir bei einer taktischen Besprechung zu assistieren. Ich werde diesbezüglich mit dem Kommandeur des 217ten Regiments noch konferieren. Gelingt es mir, ihn zu überzeugen oder zumindest zum Nachdenken zu bringen, dann kann ich vielleicht auch den Admiral umstimmen. Hoffentlich“ Mithel seufzte: „Haben Sie nochmals vielen Dank. Jetzt ruhen Sie sich aus – Sie werden ihre Kräfte brauchen.“

Die junge Offizierin neigte leicht den Kopf, ein halber Abschied. Sie war aber offenbar nicht bereit, das „Mysterium“ ihrer Identifizierung auf sich beruhen zu lassen: „Mit Verlaub, Sir, woher wussten Sie, dass ich es war? Es gab kein Spiegelbild, und ich hatte mich auch nicht angekündigt.“
Jetzt lächelte ihr Vorgesetzter ganz offen, und das war nun wirklich ungewöhnlich. Seine Stimme hatte eher Plauderton, aber es lag keiner Spott in seinen Worten: „Ich sollte mich eigentlich entschuldigen, denn das war Ihnen gegenüber nicht fair. Im Grunde war es ein recht simpler Trick. Es war Teil einer Kunst, die Sie ebenfalls gut gebrauchen können, wenn Sie Karriere machen wollen. Leistung und Einsatzbereitschaft sind entscheidend, aber manchmal ist es auch nützlich oder gar notwendig, mehr zu scheinen als man ist, und nichts anderes war dies hier – es war Intuition verbunden mit Erfahrung. Wenn ich ehrlich sein soll, so wusste ich es gar nicht, dass Sie es waren. Ihre Schritte haben Sie verraten. Ich weiß, dass die einfachen Besatzungsmitglieder die Privatsphäre ihres Kapitäns natürlich nach Möglichkeit meiden. Und es ist bekannt, dass und wann ich mich hier aufhalte. Eine Nachricht hätte man mir über Bordlautsprecher geben können. Ihre zielstrebigen, energischen Schritte deuteten auf einen Offizier aus dem Führungsstab des Schiffes hin – und das sind alles Commander und Lieutenant Commander. Das ist meine Erfahrung, und mit dieser Erfahrung und etwas Glück kann man vieles voraussagen, oder zumindest so tun. Vor allem in einer Flotte wie der unseren.“ Er erwiderte die leichte Verneigung seiner Untergebenen: „Auf Wiedersehen. Machen Sie weiter so, Lieutenant Commander.“
Die junge Offizierin salutierte, und dies bewusst, obwohl weder sie noch Mithel im Dienst waren:„Vielen Dank, Sir.“ Dann drehte sie sich um und ging, leise, um den Commodore nicht zu stören, der am Fenster stand, und zu den Sternen spähte, die den Aufstieg und Fall so vieler Reiche und Völker gesehen hatten.
24.12.2015 14:16 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
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Cunningham

Fast zwanzig Stunden Dienst lagen hinter Lone Wolf zurück. Zwanzig Stunden Dienst und vier Stunden Schlaf. In den letzten anderthalb Jahren hatte sich irgendwie dieser Rhythmus eingebürgert.
Ab und an mal einen Wachmacher, etwas seltener `ne Schlaftablette, die ihn für vier Stunden auf die Bretter schickt. Er wusste nicht mehr, seit wann er diese Schichten als gegeben ansah.
"Was sagen Sie gerade, Chief?" Cunningham blinzelte und visierte Chief Dodson wieder an.
"Ich fragte ob Sie eine Ahnung haben, wie verdammt schwer es ist, eine Rafale zu warten?"
Der CAG zuckte nur mit den Achseln.
"Naja, aber nun sind endlich alle Maschinen für die Akarii-Soße umgemodelt, und schwups dürfen wir bei den Thunderbolts mit Neukalibrierungen anfangen, damit ihre Leistung bestehen bleibt. Ich wette Ihre tollen Nighthawks sind die nächsten, die uns wegen dem Sprit Sperenzien machen."
"Möglich ..., wahrscheinlich." Cunningham setzte seine Unterschrift unter den letzten Wartungsbericht. Seine Bodencrew schob Doppelschichten und war zu allem Überfluss auch noch unterbesetzt. Zum Glück konnte Dodson sich einige Hilfskräfte aus der schiffstechnischen Abteilung abzwacken. Das klappte aber nur so lange, wie dadurch bei der Columbia keine Mangelerscheinungen auftraten. Es war zum kotzen.
Vier himmlische Stunden Ruhe, in seiner höchst eigenen Koje.
"Okay, Dodson verschwinden Sie endlich, ich habe in sechs Stunden meine nächste Patrouille und wollte davor noch etwas Schlaf finden."
"Roger, Boss, ich werde mir Ihre Nighthawks besser gleich nochmal angucken, diese Suppe ist sowas von klebrig, oder besser gesagt die Überreste wenn sie abkühlen, die kleistern einem die ganzen Ansaugschläuche voll."
Dodson salutierte noch andeutungsweise und verließ dann Cunninghams Quartier. Der CAG streckte sich müde und blickte auf die Uhr. ,Fürs Bett umziehen lohnt eigentlich nicht.' Er zuckte die Schulter und legte sich in voller Uniform in die Koje, selbst die Schuhe zog er sich nicht aus.

Ihm war als hätte er gerade eben den Licht-aus-Befehl gegeben, da erwachte die Türglocke zu infernalischen Geheul.
"Verdammte Scheiße! Ja! Licht AN!" Cunningham kämpfte sich in sitzende Position hin. Ein Blick zur Uhr sagte ihm, dass er noch keine zwanzig Minuten gelegen hatte. Er fühlte sich wie durch den Wolf gedreht und ausgespuckt. "Ja, herein!"
Mit steifen Gliedern erhob sich Lone Wolf und trat seinem Besucher im Büro-/Wohnraum seines Quartiers gegenüber.
Commander Richard Nissler, Nachrichtendienstoffizier im Stab Admiral Wulffs, blickte Cunningham prüfend an: "Störe ich?"
"Ja." Das klang schroffer als der CAG es sich eigentlich gegenüber Nissler erlaubte. Der Nachrichtendienstler war vom Fach, hatte exzellente Kontakte und war eigentlich kein so übler Kerl, alles im allen. "Ich war gerade zu Bett gegangen."
"Admiral Wulff will Sie sehen. Jetzt. Sofort." Nisslers Blick schweifte derweil wachsam durch die immer noch spartanisch eingerichtete Kabine.
"Hätte es da nicht eine Lautsprecherdurchsage auch getan?"
Der andere Commander grinste süffisant: "Doch, durchaus. Dann hätten Sie sich aber eine Entschuldigung ausdenken können, um nicht beim Admiral vorstellig zu werden."
Lone Wolf schüttelte den Kopf: "Kein Commander lässt einen Admiral abblitzen."
"Auch wieder wahr, können wir?" Nissler drehte sich zur Tür.
"Einen Augenblick bitte, ich würde mir gern kurz noch ein paar Spritzer Wasser ins Gesicht werfen." Mit diesen Worten war Lucas im Bad verschwunden. Schnell eine Tablette zum Aufputschen geschluckt, etwas Wasser ins Gesicht und mit dem Kamm kurz durch die Haare. Beim Anblick der ersten grauen Strähnen verzog Lucas leicht das Gesicht.
Als der CAG der Columbia aus dem Bad kam, war Nissler durchs Zimmer gewandert und lächelte ihn nun entschuldigend an: "Alte Angewohnheit von mir. Wollen wir?"
Cunningham seufzte und setzte sich in Bewegung.
Die beiden Commander gingen schweigend durch die Korridore des Flottenträgers. Seit fast drei Jahren lebte Lucas nun in den sechs Wänden dieser stählernen Stadt. Hatte Piloten kommen und gehen sehen. Kannte die Gänge des Schiffes aus dem FF und hätte – wären die Korridore breit genug gewesen – eine Nighthawk mit verbundenen Augen durchmanövrieren können.
Fast drei Jahre Tod und Vernichtung. Drei Jahre, in denen er – wie so jeder andere im Geschwader – nur knapp vierzig Tage dienstfrei gehabt hatte. Drei Jahre unter dem Kommando von Wulff und Waco. Drei Jahre, in denen er den Captain wie auch die Admiralin beobachtet, ja geradezu erforscht hatte. Er kannte die Gewohnheiten seiner vorgesetzten Offiziere besser ... ja, besser als die Commander Justin "Darkness" McQueens, seines besten Freunds. ,Wenn Du Dich mal so intensiv mit Deinen Piloten beschäftigen würdest, dann würdest Du die meisten auch beim Namen nennen können. - Ja, und wärst bei über dreihundert gefallenen Soldaten längst wahnsinnig und gar nicht mehr in der Lage, jemanden nach draußen zu befehlen. - Ja, natürlich, Du bist ein echter Schwächling, was würden dreihundert Namen denn schon für einen Unterschied machen. - Ach, halt’s Maul!'
Wulff wollte ihn wieder ins Gebet nehmen, soviel war klar. Sie würde sonst nicht ihren ND vorbeischicken. Sie hatte mitbekommen, dass er Leute für dreckige Arbeit rekrutierte. ,Na, dann woll'n wir mal in die nächste Runde.'
Nissler lotste ihn durch Wulffs Vorzimmer und schubste ihn allein in die Höhle der Löwin.
"Commander Cunningham meldet sich wie befohlen." Lucas legte einen angemessenen Salut hin, machte sich aber nicht die Mühe einer ordentlichen Habt-Acht-Haltung.
"Sie DÜRFEN rühren, Commander." Wulff musterte ihn. "Dafür, dass Nissler Sie gerade aus dem Bett gejagt hat, sehen Sie ziemlich frisch aus."
"Ich bin halt Frühaufsteher, Ma'am." Woher wusste sie DAS denn jetzt schon wieder.
"Um es kurz zu machen: Waco hat geplaudert, als ich ihn in die Mangel nahm." Der Captain der Columbia räusperte sich verlegen und machte Lucas auf sich aufmerksam. Die Admiralin fuhr jedoch ungerührt fort: "Möchten Sie sich dazu irgendwie erklären, Commander?"
"Um ehrlich zu sein Ma'am: Eigentlich nicht!" Lone Wolf blickte ihr offen ins Gesicht.
So bekam er auch genau mit, wie sich ihr Mund mehrfach zum Sprechen öffnete und wieder schloss. Wie ein Fisch, nur waren diese nicht kalkweiß vor Wut waren.
"Commander Cunningham,", legte Wulff los, als sie sich wieder gefangen hatte, "wenn Sie glauben, ich würde zulassen, dass Sie die höchsten Schätze der menschlichen Kultur, ihre Moral und ihre Ethik mit Füßen treten, sowie gegen Gesetze zu verstoßen, die wir beim Eintritt in die Flotte geschworen haben zu achten und zu beschützen, sind Sie ganz sicher auf dem falschen Schiff, im falschen Geschwader. Und glauben Sie ja nicht, dass ich Ihnen derart dreistes Verhalten, ja geradezu Insubordination, durchgehen lasse."
"Ma'am, bei allem schuldigen Respekt, aber ich beziehungsweise mein Geschwader wird diesem Akarii-Prinzen erlegen, und wenn dazu ein paar Regeln oder Gesetze gedehnt, gebogen oder gebrochen werden müssen, dann sollte dieser entscheidende Schlag gegen die Kriegsmaschinerie des Feindes es verdammt nochmal wert sein!" Lucas hatte sich vorgebeugt und mit beiden Händen auf dem Schreibtisch der Admiralin abgestützt, während er sie förmlich anschrie.
Innerlich verfluchte ihn der karrieregeile Teil seiner Persönlichkeit – nicht gerade klein und sehr ausgeprägt.
Noch bevor Wulff antworten konnte, ergriff nun auch Waco das Wort: "Himmel, er hat Recht, was sind schon ein paar Jahre Militärgefängnis, die einem wegen Bruch der Genfer Konvention blühen, gegen einige Jahre Krieg? Das ist vollkommen gerechtfertigt."
,Ja, Du wirst sie ja auch nicht absitzen dürfen und hinterher unehrenhaft entlassen.'
"Ein paar Jahre Militärgefängnis, ja?" Wulff erhob sich. "Commander Cunningham: Ich befehle Ihnen hiermit, sämtliche Aktionen und Anwerbungen einzustellen, die zur Vorbereitung des Abschuss feindlicher Rettungskapseln dienen."
Sie pausierte kurz. Ein sehr ungewöhnlicher Befehl.
"Ferner mache ich Sie auf den Paragraphen zwohunderteinundachtzig des Militärstrafgesetzes aufmerksam. Befehlsverweigerung im Angesicht des Feindes. Damit sollten alle Rechtsmöglichkeiten zur gewollten Missinterpretation von Unterhaltungen, Stabsbesprechungen und Strategieplanungen beendet sein.
Sollten Sie jedoch immer noch der Meinung sein, die Genfer Konvention könne man dehnen, biegen oder brechen, werde ich Sie hier an Bord wegen Befehlsverweigerung im Angesicht des Feindes anklagen. In Hinblick auf diese Straftatbestand möchte ich es natürlich nicht versäumen, Ihnen das zu erwartende Strafmass in Aussicht zu erstellen.
Gemäß Paragraph vierhundertfünf a Militärstrafgesetz kann in Fällen von: 1. Meuterei, 2. Befehlsverweigerung im Angesicht des Feindes, 3. Feigheit vor dem Feind, 4. Geheimnisverrat in schwerwiegenden Fällen, 5. Kollaboration mit dem Feind und 6. Desertion oder Fahnenflucht im Kriegsfall das ordentlich einberufene Kriegsgericht die Todesstrafe nach Paragraph vierhundertfünf b verhängen."
Die beiden Offiziere musterten sich einen Augenblick gegenseitig, wobei Cunninghams Blick ins Leere abdriftete.
"Möchten Sie auch noch die Möglichkeiten hören, die vierhundertfünf b mir offen lässt?" Keine Reaktion. "Commander?"
"Nein, ... nein Ma'am, vielen Dank."
"Die alte Weißheit 'Unter den Waffen schweigen die Gesetze' gilt hier und unter meinem Kommando nicht. Und wagen Sie es niemals wieder, mir derart auf der Nase rumzutanzen, Commander, niemals wieder. Ist das angekommen?"
"Jawohl, Ma'am." Lucas Blick klärte sich wieder. Er wagte es nicht, die Admiralin gerade anzusehen, aus Angst, sie können den Hass und die Entschlossenheit in seinen Augen sehen.
"Dann raus hier. Aber schnell."
Ohne Ehrenbezeugung machte der Geschwaderkommandant der Angry Angels auf dem Absatz kehrt und stürmte aus dem Büro.
"Admiral?" Waco klang kleinlaut, als die Tür sich hinter dem CAG geschlossen hatte.
"Ja, Jim?"
"War das nötig? Glauben Sie allen Ernstes, das war nötig? Können Sie mit dem Mann noch zusammenarbeiten?"
"Hätte ich das noch gekonnt, wenn ich ihm diesen Stunt hätte durchgehen lassen? Hätte ich diesem Offizier etwa jegliche Grenzen einreißen lassen sollen?"
Waco schüttelte betreten den Kopf: "Nein, aber etwas mehr Diplomatie ... hm, nein, für Sie gab es nur zwei Möglichkeiten: hartes Durchgreifen oder klein bei geben. Vielleicht sollten wir uns einen neuen Geschwaderchef suchen."
"Ja, vielleicht sollten wir das." Wulff vergrub das Gesicht in den Händen.

Seit nunmehr fast drei Jahren betrat Lucas Cunningham zum ersten Mal die Sporthalle des Trägers. Abgesehen davon fiel er in voller Uniform auf wie ein bunter Hund. Er schnappte sich Boxhandschuhe und malträtierter die nächste halbe Stunde einen Sandsack.
Alles andere als professionell, geradezu dilettantisch, aber voller Eifer, dass sich keiner der anwesenden Marines anstelle des Sandsacks sehen wollten.
Die Marines als Nahkampfexperten erkannten den Blutrausch, in dem der Commander verfallen war, und so hatte sich schnell ein leerer Kreis um den Navyoffizier gebildet.
Schließlich ließ er von dem Sandsack ab. Erschöpft aber keinesfalls befriedigt.
Er wollte irgendjemanden töten. Am liebsten Wulff, aber irgendein anderer täte es auch. Durfee, dieser Jammerlappen, oder eine Moralapostel wie Lightning oder Querschläger vom Kaliber Renegades oder Donovan Cartmell.
Mit geballten Fäusten stand er noch kurz da. An Schlaf war nicht zu denken, nicht nach der Aufputschtablette und schon gar nicht nach diesem Adrenalinkick.
Cartmell! Der musste doch jetzt dienstfrei haben.
Als der Commander die Sporthalle verließ, winkte Master Sergeant Eldivas Jamal einen seiner Sergeanten heran: "Davis, wären Sie wohl so nett und halten für die nächsten Stunden mal ein Auge auf den Commander."
Davis zog die linke Augenbraue fragend hoch, wie es nur Frauen konnten, selbst wenn sie die Amazonenausgabe a la Marine Corps waren.
"Der bringt sonst noch jemanden um. Kann man an seinem Blick erkennen."
"Okay, Sarge."
24.12.2015 14:17 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
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Ironheart

Böse Ahnungen

Schulungsraum an Bord der COLUMBIA
Im Beta-Borealis-System

Der kleine Schulungsraum war mal wieder zum Bersten gefüllt und als Lt. Commander Miguell „Monty“ Terrano das Wort an Lieutenant Commander Santiago „Tigre“ DeLaCruz übergab, fixierte dieser die im Raum versammelten Piloten, denen er in den nächsten zwei Stunden auf Einladung von Monty hin etwas über das defensive Staffelverhalten im Verbund mit Kreuzerschwadronen beibringen sollte.
Für einen kurzen Moment fühlte er sich an seine Zeit als Ausbilder zurückversetzt. Er hatte bereits vor Hunderten von Piloten referiert, es waren sogar welche hier, die früher schon zu seinen Schützlingen gehört hatten. Und irgendwie freute es Tigre auch immer wieder, wenn er sein Wissen an andere Piloten geben konnte. Daher hatte er auch nicht einen Augenblick gezögert, als ihn Monty gefragt hatte, ob er nicht auch die eine oder andere Stunde übernehmen wolle. Monty stand Tigre von den anderen Staffelführern am Nächsten, wenn er auch nicht wirklich sagen konnte, warum. Irgendwie schien die Chemie zwischen den beiden zu stimmen, ohne das sie große Worte darum machen mussten, obwohl sie eigentlich gegensätzlicher nicht sein konnten. Während Monty ständig und überall auf Konfrontation aus zu sein schien, war Tigre um den Ausgleich bemüht.
Jedenfalls hatte Tigre zugesagt quasi als Gastdozent tätig zu werden und hatte sich dieses spezielle Thema extra für die Piloten der Roten, Blauen und Schwarzen Staffel ausgesucht. Die Piloten der Überlegenheitsjäger tendierten gerne dazu, ihr Image als Draufgänger zu pflegen. Doch häufig genug zeigten sich dann Defizite, wenn diese in die Defensive gedrängt wurden oder sich mit anderen Teileinheiten wie den Kreuzerverbänden abstimmen mussten. Und wenn sie darüber hinaus auch noch andere Schiffe oder Teilverbände schützen sollten, ohne sich gleich in lange Verfolgungsjagden zu stürzen, wurden viele von Ihnen unruhig. Und darum hatte Monty ihn gebeten, etwas aus seinem Erfahrungsschatz weiter zu geben.

Doch dieser Gedanke riss ihn für einen kurzen Augenblick in die Vergangenheit zurück. Zuletzt war es der Dirty Bunch gewesen, den er hatte ausbilden dürfen, kurz bevor sie auf den für die Staffel verhängnisvollen Einsatz während Operation Magellan gegangen waren. Es versetzte ihm einen kleinen Stich, als er daran dachte, dass von den Piloten, die er damals geführt hatte, nur noch eine – nämlich Diane „Lady Death“ Balestier – an seiner Seite war. Ares war in der Zwischenzeit ebenfalls gefallen und Thor war noch nicht wieder einsatzfähig. Alle anderen Piloten hatten nicht überlebt.
Mit welchem Recht stellte er sich jetzt also vor alle anderen und wollte ihnen erklären, wie man Krieg führte? Hatte er nicht damals versagt und versteckte er sich nicht mittlerweile in dieser reinen Defensivstaffel?
Sein Blick glitt über die Staffelführer und Piloten der blauen, grünen, roten und schwarzen Staffel. Und er glaubte in diesen Augen keinen Respekt zu erkennen, weder für die Leistungen, die er im Augenblick erbrachte, noch für die Leistungen, die er früher einmal erbracht hatte. Er wusste, dass er in ihren Augen eine Art Babysitter war, dessen Staffel sich immer dann raus hielt, wenn es heiß her ging.
Und Tigre konnte es ihnen auch nicht wirklich übel nehmen. Natürlich übernahm die gelbe Staffel ebenso häufig wie alle anderen Staffeln den Patrouillendienst, doch wenn es dann zur großen Schlacht kam, bezogen seine Piloten Stellung um die Columbia und hatten es höchstens mit versprengten Einheiten zu tun, die sich durch die Reihen der Überlegenheitsjäger durchgemogelt hatten. Zum Glück für sie alle waren solche Durchbrüche bislang nie besonders groß oder gefährlich gewesen, so dass die gelbe Staffel damit bislang immer spielend leicht fertig wurde. Damit stieg aber auch immer der beißende Spott der übrigen Staffeln, besonders wenn diese hohe Verluste zu beklagen hatten, während die gelbe Staffel seit Tigres Dienstantritt nur selten einen Piloten hatte ersetzen müssen. Das schweißte die gelbe Staffel zwar auch wieder zusammen, doch waren der ständige Konkurrenzkampf und die latent vorhandenen Gewissensbisse auf Dauer auch nicht leicht zu ertragen.

Und dann fand Tigres Blick den von Diane Balestier, seiner XO. Ihr Blick war es auch, der ihn wieder zurück in die Realität des Schulungsraumes zurückholte. Ihr aufmunterndes Lächeln und Kopfnicken bedeutete ihm, seinen Vortrag zu beginnen. Doch einen Augenblick lang konnte er nur lächeln. Diane gab ihm Halt, er verstand sie und sie verstand ihn und sie war die einzige, die er auf diesem Schiff einen Freund nennen würde. Zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort hätte er sie auch gerne noch mehr genannt, doch hier und jetzt konnten – nein, durften – sie nur Freunde sein. Alles andere wäre unprofessionell und gefährlich. Oder etwa nicht?
Als Monty sich leicht räusperte und damit deutlich machte, dass jetzt fast 50 Piloten auf seine Ausführungen warteten, wurde sich Tigre der surrealen Situation erst richtig bewusst. Mit viel besserer Laune, als er es vor ein paar Augenblicken noch gehabt hatte, begann er seinen Vortrag und war schließlich stolz darauf, dass er Diane Balestier während der ganzen Zeit nicht ein einziges Mal angeschaut hatte.

******************************************

An Bord der TRS DOLPHIN
Im Orbit um Terra

Der Raum an Bord eines Kriegsschiffes war von jeher äußerst knapp bemessen. Doch im Falle der TRS Dolphin war die Situation noch um einiges diffiziler. Der uralte Zerstörer der Tripolis-Klasse hatte schon zu seiner aktiven Zeit nicht gerade durch eine großzügige Raumaufteilung bestochen. Und zusätzlich zu der normalen Besatzung, die das Schulschiff besaß, tummelten sich in jedem Lehrgang zusätzliche 40 Absolventen an Bord. Die Lehrgangsteilnehmer, allesamt im Range Lt. Commanders oder höher, mussten sich mit Vier-Bett-Kajüten begnügen und selbst die Ausbilder hatten – auch wenn mehr als die Hälfte von Ihnen im Range eines Captains oder höher standen – nur Ansprüche auf Zwei-Bett Zimmer. Die Anforderungen sowohl an die „Kadetten“ als auch an die Ausbilder waren groß und der Konkurrenzkampf noch größer. In einigen Fällen entstanden durch diesen Druck Freundschaften fürs Leben, in anderen Fällen Feindschaften für die Ewigkeit. Einige der Absolventen wuchsen unter diesem Druck über sich hinaus, andere hielten dem Druck nicht stand. Von den 40 Kadetten, die vor fast 4 Monaten mit ihrer Ausbildung gestartet waren, hatten 11 die Segel streichen müssen. Und es würden in den Abschlussprüfungen sicherlich noch einige folgen. Die Terranische Bundesrepublik mochte sich im Krieg befinden und dieser wie ein hungriger Schlund auch viele gute Kapitäne verschlingen, doch die TRS Dolphin senkte ihren Standard in der Ausbildung dadurch nicht. Zum Glück hatte die Navy diese Ausbildung auch in Friedenszeiten nie ausgesetzt, so dass es immer noch genügend aktive Offiziere gab, die den Perisher bereits erfolgreich absolviert hatten, aber noch über kein eigenes Kommando verfügten. Damit waren Ausfälle in der Regel schnell zu kompensieren und konnten zur Not eine Weile über Feldbeförderungen überbrückt werden. Daher war der Ausbildungsniveau immer noch sehr hoch und insofern war es kein Wunder, wenn die Situation an Bord in der Regel durch ein gewisses Maß an Aggressivität geprägt war.
Eine unterschwellige Aggressivität, die sich auch im Fach Allgemeine Flottenstrategie von Rear-Admiral Kilian Hayson fortpflanzte.

Doch selbst Commodore Vijadh „Terrific“ Singh hatte nicht mit dieser Intensität der Reaktion auf seine letzten Worte gerechnet.
Die für exakt 40 Teilnehmer ausgerichtete Aula der Dolphin war trotz der mittlerweile 11 unbesetzten Plätze als überfüllt zu bezeichnen und die ohnehin schon schwerfällige Klimaanlage schien schon vor langer Zeit den Dienst quittiert zu haben. In die von körperlichen Gerüchen schwer durchsetzte Luft mischten sich nun deutlich zu vernehmende Unmutsäußerungen.
Ein durchdringender Blick des dunkelhäutigen Inders ließ die Absolventen zwar schnell verstummen, aber die Ungläubigkeit in Ihren Augen ärgerte den Manticore-Veteranen, dessen
Hauptfach Einfache Kommandoführung und Verbandsmanöver war, der aber zusammen mit Rear-Admiral Hayson als Nebenfach Allgemeine Flottenstrategie lehrte. Aufgrund Singhs Erfahrungen im Flottenkommando nach der Schlacht von Manticore, wo er an der Entwicklung der Strategie für Operation Husar beteiligt war, bevor es ihn wieder in den aktiven Dienst zog, war er auch für dieses Fach als Ausbilder einsetzbar. Zumal er bereits damals mit Rear-Admiral Hayson zusammengearbeitet hatte, der zu den Zeiten noch als Commodore federführend für die Ausarbeitung der letztendlich überaus erfolgreichen Strategie verantwortlich war. Ein Hauptgrund für dessen Beförderung zum Rear-Admiral und Abstellung zur Ausbildung auf der Dolphin. Auf Bitten von Rear-Admiral Hayson würde Singh den Absolventen ihre Abschlussaufgabe für das Fach Allgemeine Flottenstrategie erläutern. Doch soweit war er bislang gar nicht gekommen.

„Sir, verstehe ich Sie richtig? Sie schlagen allen Ernstes vor, dass sich unsere Flotte zurückziehen soll?“ fragte Commander Keiko Amato, eine zierliche Asiatin Anfang Vierzig, zwar zaghaft, aber mit unverhohlener Skepsis in ihrer Stimme.
Singhs Blick hatte die Intensität eines Hochleistungslasers, als er ihr langsam und bedächtig antwortete. „Miss Amato,… welche Passage meiner Aussssführungen… isssst Ihnen unklar?“ Auch knapp zwei Jahre nach seinem Schlaganfall während der Operation Magellan fiel Singh das Sprechen schwer, auch wenn sich sein Zustand etwas gebessert hatte. Doch diese Tatsache und die halbseitige Lähmung seines Körpers hatten ihn von weiterem aktiven Dienst ferngehalten. Zum Glück hatte er trotz seiner körperlichen Gebrechen kein bisschen von seinem Charisma, seiner natürlichen Autorität und seiner brillanten Auffassungsgabe verloren.
Commander Amato schluckte kurz, bevor sie antwortete. „Sir, bei allem Respekt. Auch wenn Ihre Analyse korrekte Züge tragen mag, so spricht doch die Realität eine ganz andere Sprache.“
„Von welcher Realität… sprechen ssssie, Miss Amato? Von der Realität, dass… wir bei unserem Vormarsch insss… Akarii-Gebiet zahllose unbefriedete Welten… wie Wron, Alis Minor, Groshen VII und Kalanis IV… zurückgelassen haben? Ganz zu schweigen von Manticore, wo noch eine gesamte Trägergruppe sssstationiert ist. Sprechen Sie von der Realität, dass… wir uns ohne Not durch das Durchdringen… über Velorha nach Beta Borealissss… und dem damit entstandenen breiten Keil dassss… akariische Imperium faktisch zweigeteilt haben… und uns damit sssehenden Auges in einen… Zweifrontenkrieg begeben haben? Oder die Realität, dass der Feind unsere… anfänglich selbst angewandten Taktiken… während Operation Hussar gegen uns anzuwenden beginnt?“
„Sie meinen die Aktionen von Admiral Kjani Rau bei Collis und Bantan?“ fragte Commander Angelique Delieu, eine der wenigen, die offensichtlich Singhs Denkweise folgen konnten.
„Genau Miss Delieu, diesssse… von einem leider… äussserst fähigen Admiral… durchgeführten Aktionen… meine Ich. Nehmen wir dann noch die Realitäten hinzu, …. dass unser Verschleissss an BRT höher als der Indienstnahme issst… und das bei zunehmendem Gebiet. Und die Realität, dass die fünfte und sechste… Flotte mittlerweile nur noch so sehr… einem Gerüst entspricht, dass… es in unserem eigenen Hinterland erstmals seit Jahrzehnten… wieder zu offenen Revolten und verstärkten Piratenaktivitäten kommt. Und wenn Sie jetzt noch bedenken, dassss… wir uns schon lange jenssseits der von Braun-Linie… befinden, was erhalten wir dann… wenn wir das Ganze zu einem Cocktail mischen?“
„Wenn wir weiter so voranmarschieren, wird die Front zusammenbrechen…“ war es erneut Delieu, die Singhs Gedanken zu Ende dachte. Erneut brandete der Tumult hoch und mehrere Offiziere widersprachen lauthals. Am lautesten von Ihnen war Lt. Commander DeShawn Krajicek, ein groß gewachsener Farbiger, bei dem sich Singh schon immer gefragt hatte, wie dieser zu seinem Namen gekommen war. „Das ist doch alles ein Haufen Bullshit. Was soll dieses ewige Schlechtgerede, häh?“ Krajicek wandte sich bei seinem Gefühlsausbruch nicht direkt an Singh, sondern hatte sich zu Delieu umgedreht. Doch es war klar, dass er damit indirekt seinen Lehrer kritisierte.
“Wie oft wurde schon gesagt, dass wir die Von Braun-Linie nicht überschreiten könnten und was ist passiert? Wir haben sie überschritten und sind wie das heiße Messer durch die Butter gegangen, oder? Wir haben die Akarii hinweggefegt und stehen nun bei Beta Borealis!!! Wer hätte das vor Manticore gedacht?“
„Nun, sssie irren sich Mister Krajicek…. Dr. von Brauns Thesssse… lautete nicht, dass wir die Linie nicht übertreten KÖNNEN… ssssondern, dass wir sie nicht übertreten SOLLTEN.“ Ein mildes Lächeln huschte für den Bruchteil einer Sekunde über Singhs rechten Mundwinkel als er fortfuhr. „Dasss ist zwar ein kleiner, aber feiner Unterschied, oder?“
„Sir“ Krajicek verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. „Das ist doch nur eine These, die sich offensichtlich als falsch entpuppt hat. Wir haben die Von-Braun-Linie überschritten und werden sie noch weiter überschreiten, bis nach Akar und darüber hinaus. Ich bin mir sicher, dass das strategische Navy-Oberkommando sehr wohl weiß, was es tut.“
„Dassss mag sein, Mister Krajicek,… aber unsere Aufgabe besteht darin… ssssie darin auszubilden, nicht nur blind Befehle zu befolgen,… ssssondern auch den SINN hinter diesen Befehlen… verstehen zu lernen. Auch wenn Sie als Captain eines Navy-… Kriegsschiffes immer noch eine hohe… Befehlspyramide über sich haben… werden ihre Möglichkeiten bedeutend zunehmen. Sie müssen in der Lage sein im Feld… eigene Entscheidungen zu treffen… fallssss es die Situation erfordert. Es wird genauso von Ihnen verlangt… werden, sssich in Strategiebesprechungen einzubringen. Ihre Pflicht wird auch darin bestehen… Handlungsalternativen und Optionen zu erarbeiten… auch wenn diesssse vielleicht keine Beachtung finden werden. Dasss heisst nicht, dasssss… Sie die Befehle ihres Geschwaderkommandanten in Frage stellen sollen. Aber kritisch hinterfragen und Alternativvorssschläge… machen schon. Und das werden… Sssie nur können, wenn sie in der Lage sind… den Sinn von sssstrategischen Entscheidungen auf höchstem… Niveau zu erkennen und entsprechende Strategien zu erarbeiten.“
„Wir sollen unsere kommandierenden Offiziere in Frage stellen?“ fragte Krajicek mit einem Stirnrunzeln.
Innerlich musste Singh lächeln, auch wenn er äußerlich unbewegt wie ein Felsblock erschien. Dies war das schon seit jeher das typische Dilemma des Militärs. Als junge, noch ungeformte Kadetten wurden intelligente, selbstständige Menschen gebrochen und zu unbedingtem Gehorsam erzogen und gedrillt. Selbständigkeit und Eigeninitiative war verboten und führte im Regelfall eher zu Bestrafung statt zu Lob.
Doch mit zunehmendem Kommando brauchte die Navy auch Männer und Frauen, die eigene Entscheidungen treffen konnten, denen man nicht mehr sagen musste, was sie tun sollen. Doch dann war es umso wichtiger, dass diese Männer und Frauen die Gesamtstrategie der Navy verstehen konnten. Und wenn sie erkannten, dass ihre Vorgesetzten eventuell im Begriff waren, Fehler zu begehen, oblag es durchaus ihrer Pflicht, ihre Vorgesetzen darauf hinzuweisen. Denn unter gewissen Umständen konnten auch Vorgesetzte zu falschen Schlüssen kommen, wenn zum Beispiel die Informationslage an der Front besser war als im Hauptquartier.
Es war eine schwierige Balance, diesen kommenden Kommandeuren beizubringen, wann Befehle hinterfragt werden durften und wann nicht, wie weit man gehen durfte um seine Vorgesetzten zu überzeugen und wann man als Untergebener auf das Urteil des Vorgesetzten vertrauen musste.
Der „alte“ Singh war als Kapitän ein knallharter Kommandeur gewesen, der Widerspruch nicht geduldet hatte und der auch häufig seine Untergebenen Offiziere nicht hatte zu Wort kommen lassen. Ein Fehler, den er jetzt in seiner neuen Rolle als Ausbilder zu korrigieren hatte.

Doch es war nicht Singh, der das Wort ergriff, sondern Hayson. Der bereits deutlich ergraute Admiral lächelte milde und antwortete fast schon in einem väterlichen Ton „Ja, Mister Krajicek. Sie werden ihre kommandierenden Offiziere in Frage stellen!“ Diesmal folgte kein Raunen aus den Reihen der zukünftigen Kapitäne. „Fortschritt, meine Damen und Herren, entsteht nicht durch das sture Befolgen von Befehlen. Fortschritt entsteht durch das Hinterfragen von Gegebenem. Hätten unsere Vorfahren nur stumm akzeptiert, dass sie kein Feuer machen könnten, weil das ihre Vorfahren auch nicht konnten, würden wir alle wahrscheinlich immer noch in dunklen Höhlen hausen, oder?“
Singh konnte deutlich das Leuchten in den Augen einiger der Absolventen erkennen, die sich bei den Worten des Admirals einstellten, denn einigen ging jetzt noch mal nachhaltig ein Licht auf. Sie standen an der Schwelle vom reinen Befehlsempfänger zum Herr über Alles auf einem Navy-Kriegsschiff. Der Unterschied mochte Außenstehenden nicht so gewaltig vorkommen, doch Singh wusste, dass dieser Schritt in der Tat enorm war. Nicht wenige dieser Absolventen würden trotz erfolgreichen Abschluss des Perisher diese Lektion niemals lernen und auch dann nie ein eigenes Kommando übertragen bekommen.
„Aber Vorsicht!!!“ fuhr Admiral Hayson fort und mit einemmal war sein väterlicher Tonfall einer kalten Schärfe gewichen. „WENN Sie das tun, dann tun sie es nie leichtfertig, tun sie es nie nur um des Auffallens willen. Wenn Sie es tun, dann mit allem gebotenem Respekt. Sollten Sie sinnvolle Alternativen erarbeitet haben, dürfen sie diese ihrem Kommandeur auch in aller Öffentlichkeit vortragen. Wenn Sie aber Einwände haben, weil ihre Ideen abgelehnt wurden oder wenn sie Kritik an der Vorgehensweise ihres Vorgesetzten üben wollen, dann geschieht dies allerdings unter keinen Umständen in der Öffentlichkeit. Und Befehle werden selbstverständlich ausgeführt. Haben Sie mich alle verstanden?“
„JA, SIR!“ kam es jetzt wie aus einer Kehle, doch Hayson ließ sich seine Zufriedenheit nicht anmerken, sondern nickte nur Singh leicht zu, der den Faden wieder aufnahm.
„Nun gut. Dann lassssen Sie uns also wieder zurück… kommen zu ihrer Abssschlusssaufgabe. Sie haben eine Woche Zeit… um eine Simulation zu entwickeln, die den nächsten… Schritt der Akarii aufzeigt,… um unsere derzeitige Schwachstelle auszunützen.“ Ein Stöhnen ging durch die Reihen der Absolventen, denn natürlich mussten sie ähnliche Aufgaben auch in allen anderen Fächern bewältigen, so dass sie in den nächsten Tagen so gut wie keinen Schlaf mehr bekommen würden. „Natürlich inklusive eines Vorschlagssss… wie das Navy-Oberkommando… auf diesen Schlag reagieren sssoll.“ Das Stöhnen wurde noch lauter, doch Singh zuckte mit keiner Miene. „Weggetreten.“ war sein einziger Kommentar auf die leisen Beschwerden der Absolventen.

Es würde sich zeigen, ob diese Absolventen in der Lage sein würden, dieselben Schlüsse zu ziehen, die Singh und Hayson schon längst gezogen hatten. Als diese den Raum verlassen hatten, drehte sich Singh zu Hayson um und massierte dabei seinen linken Arm. „Glaubst du wirklich, dassss… etwas sinnvolles dabei sein wird, Kilian?“
Hayson zuckte mit den Schultern „Schlimmer als die planlose Vorgehensweise des momentanen Oberkommandos kann es doch nicht werden, Terrific.“ Hayson schnaubte und machte keinerlei Anstalten seine Verbitterung zu verbergen. Seine Beförderung und Versetzung auf die Dolphin empfand Hayson keineswegs als Belohnung, sondern vielmehr als Verbannung.
„Naja, Corssssfield war ein Meisssterstück.“
„Pah“ wischte Hayson Singhs Einwand beiseite „Groshen, Velorha, Karbash, Beta Borealis waren auch Erfolge, aber seien wir doch ehrlich: Diese Erfolge basieren schon lange nicht mehr auf der Stärke unserer Strategie, sondern auf der Schwäche des Feindes. Hätte Renault nicht länger als geplant vor Velorha gelegen, hätten wir das System gleich wieder verloren und die Zweite Flotte wäre jetzt in Beta Borealis eingekesselt gewesen.“ Hayson schüttelte den Kopf. „Manchmal frage ich mich, ob jemand von denen überhaupt schon mal ein Geschichtsbuch in der Hand gehalten hat. Alexander, Napoleon, Lee, Hitler, Yamamoto, Perez*!!! Jede Menge Beispiele von Heerführern der Geschichte, die für einen begrenzten Zeitraum große Triumphe gefeiert hatten, die aber nicht Beizeiten genug bekommen haben und letztlich gescheitert sind. Stattdessen sollten wir uns die Heerführer vor Augen halten, deren Erfolge auf Langfristigkeit ausgelegt waren. Die Ägypter unter Ramses I und II, die Chinesen unter Yíng Zhèng, die frühen Römer unter Julius Cäsar bis hin zu Marc Aurel, die frühen Mohammedaner, das spanische Kolonialreich, das britische Empire, das russische Zarenreich, das amerikanische Dominium. DAS sind Weltreiche, die von Bestand waren. Aber diese wuchsen nicht innerhalb von wenigen Jahren zu dieser Größe an, sie stoppten ihre Expansion beizeiten, konsolidierten den Erfolg und wuchsen dann von Neuem.“
„Aber auch diessse Reiche sind… alle zerfallen, oder?“
Hayson blickte etwas irritiert, bevor er fortfuhr. „Sicher, aber wenigstens waren sie auf etwas längere Zeit aktiv. Fällt dir im Vergleich zwischen der ersten und der zweiten Kategorie an Reichen im Übrigen etwas auf, ich meine außer der Tatsache, dass deren Herrscher offensichtlich größenwahnsinnig waren und in zu kurzer Zeit zu viel erreichen wollten?“
Singh überlegte einen Augenblick, dann nickte er. „In den meissssten dieser… Fälle hat ein kleineres Land… versucht in einer ssssehr kurzen… Zeitspanne ein sehr viel… größeres Land zu schlucken.“
Hayson klatschte in die Hände. „GENAU! Und siehst du, genau dasselbe versuchen wir derzeit auch. Ich weiß, ich weiß: Carpe Momentum! Im Augenblick sieht es noch sehr gut für uns aus, aber das Akariische Imperium ist immer noch um ein vielfaches größer als unseres. Sie verfügen immer noch über mehr Territorien, Ressourcen und Industrie. EIN fähiger Herrscher, EIN fähiger Admiral… und wir könnten alles wieder verlieren, alles!“
„Und wie willssst…. du dassss verhindern? Willssst du dich der… Friedensbewegung anschliesssssen?“
„Nein, bei Gott nicht. Ich will keinen dauerhaften Frieden, Terrific, die Akarii kriegen, was sie verdienen. Nur eine kleine Feuerpause, damit wir uns sammeln und neu formieren können. Im Augenblick habe ich den Eindruck, dass einige Entscheidungen im Eifer des Gefechtes und der Euphorie gefällt werden, obwohl es viel sinnvoller wäre, langfristigere Strategien an den Tag zu legen. Jedenfalls hoffe ich nur, dass diese Absolventen etwas erkennen können, was wir vielleicht übersehen haben. Und wenn es so sein sollte, dass müssen wir versuchen das Oberkommando davon zu überzeugen, nicht noch mehr Luft in diesen Ballon der Kriegsfront zu pumpen, bevor er explodiert und in sich zusammen fällt.“
„Und wenn unssss keiner… ssssu hören will?“
„Dann mein Freund, hoffe ich inständig, dass wir uns irren.“



*Luciano Perez, (2102-2172) ein berühmter General des Südamerikanischen Staatenbundes, der während des von 2144-2179 dauernden südamerikanischen Krieges der ganzen Welt die Stirn bieten konnte und erst 2172 in der Schlacht um Quito fiel.
24.12.2015 14:17 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cattaneo

Wissen es drei...

Asteroidenfeld bei Beta Borialis

Die Besatzung in der Kommandozentrale – ein etwas hochtrabender Begriff für einen Raum mit drei Stühlen und einer Anzahl Monitore und Konsolen – betrachtete aufmerksam die Kontrollen. Alle wirkten übermüdet, und zudem waren sie in dicke Kleidung eingehüllt. Es war für ihre Begriffe empfindlich kalt, doch keiner wäre auf die Idee gekommen, sich zu beschweren. Sie hatten nicht unbegrenzt Energie, und es war besser, jetzt zu sparen, und dafür Reserven für die Luftaufbereitungsanlage zu haben.
Einer der drei schien etwas bemerkt zu haben. Er beugte sich gespannt vor, betätigte einige Schalter und starrte angestrengt auf den Bildschirm vor ihm. Dann drehte er sich um: „Sensoren melden Entladung an vorher berechnetem Punkt. Signal...geortet, scheint klar rausgekommen zu sein.“
Der Kommandeur musste an sich halten, um nicht aufzuspringen. Das war sie, die lange ersehnte und doch ein Stück weit auch gefürchtete Nachricht. Jetzt würde sich zeigen, ob er ihr Leben verspielt hatte. Das dumme war nur, er würde vielleicht nicht einmal erfahren, ob er das Risiko wenigstens nicht vergeblich eingegangen war. Im Augenblick konnte er nur hoffen und beten. Er wusste, dass seine Befehle nicht viel zu bedeuten hatten, aber er gab sie dennoch: „Passivortung auf höchste Stufe. Vernichtung der Unterlagen vorbereiten, Sprengladungen scharf machen. Alle Besatzungsmitglieder bis Stufe drei in die Nähe der Rettungskapseln.“
Dann lehnte er sich wieder zurück – er konnte nur noch abwarten.

Selber Ort, zwei Tage zuvor

„Und ein Irrtum ist ausgeschlossen?“ Boras Ras, Kommandeur des provisorischen Außenpostens 104 über Beta Borialis, wirkte wie ein Akarii, der ausnahmsweise lieber gehört hätte, dass die Sensoren seiner Station fehlerhaft waren. Aber er glaubte wohl nicht ernsthaft daran. Die Antwort des Ortungsoffiziers war dann auch keine echte Überraschung: „Irrtum so gut wie ausgeschlossen.“
Der Kommandeur seufzte: „Wir haben also definitiv die Signaturen eines feindlichen Flottenverbandes, der in Richtung Sprungpunkt K-23/ B-IV marschiert, richtig? In Richtung der Sektoren, die durch die feindliche Offensive zeitweilig vom Rest des Reiches abgeschnitten wurden.“
Sein Sensoroffizier nickte bedrückt. Er sparte sich eine Anmerkung, dass Kommandeur Ras sich das Beharren auf dem offiziellen Wortlaut eigentlich sparen konnte. So wie es aussah, war „zeitweilig abgeschnitten“ ein Zustand, für dessen Zeitweiligkeit es keinerlei Garantie, ja nicht einmal eine hohe Wahrscheinlichkeit gab. Die Akarii waren weit zurückgeschlagen worden, und wer wenn nicht der Geheimdienst musste dies wissen?
„Haben wir genauere Angaben über die Zusammensetzung?“ erkundigte sich der Befehlshaber.
Sein Untergebener schüttelte nur leicht den Kopf: „So gut sind unsere passiven Ortungssysteme bedauerlicherweise nicht. Sie sagten ja, dass wir vorsichtig seien müssen. Wir haben definitiv um die 40 Signaturen, eine davon ein Großkampfschiff – Lexington oder Pegasus-Klasse. Etwa 18 bis 20 dürften Schiffe mittlerer Größe sein, das heißt leichte und schwere Kreuzer, alle unterhalb der Größe eines leichten Trägers. Es könnten feindliche Truppentransporter darunter sein, aber nicht viele. Sie liegen in der Größe zwischen den schweren Kreuzern und den leichten Trägern. Die restlichen etwa 20 bis 25 Schiffe sind kleinere Einheiten – Zerstörer, Fregatten, Korvetten, Raumfrachter. Es ist nach terranischer Taktik aber unwahrscheinlich, dass dabei noch einige ihrer Hilfsträger sind, denn soweit wir wissen, wurden diese sämtlich ins Hinterland verlagert.“
Boras Ras überlegte kurz: „Das klingt nach einer kompletten Trägerkampfgruppe, aber nicht mehr. Die Erdlinge können damit wohl kaum eine Invasion der zeitweilig abgeschnittenen Gebiete planen. Sie dürften inzwischen erfahren haben, dass Bodenkämpfe verlustreich werden können.“
„Diese Analyse setzt aber voraus, dass der Gegner nicht einen Angriff aus mehreren Richtungen plant, oder ganz einfach einen Vernichtungsraid durchführen will. Er könnte auch die geflohenen Schiffe unserer Flotte verfolgen wollen, auch wenn er sich dafür etwas sehr viel Zeit gelassen hat.“ meinte der Ortungsoffizier. Als erfahrener Geheimdienstmann verstand er mehr vom Krieg als ein „Knöpfchendrücker“ auf einem Kriegsschiff.
„Allerdings. Ausgehend von unseren Analysen können wir uns darüber aber keine Sicherheit verschaffen. Wie dem aber auch sei, wir können nicht tatenlos zuschauen – wir müssen unsere Leute warnen.“
„Aber Kommandant, das würde unsere Enttarnung bedeuten! Die Menschen würden uns sicher anpeilen und aufbringen.“ Die Stimme der rangniederen Akarii klang eher resignierend als panisch. Im Grunde stimmte er seinem Kommandeur zu. Aber er wusste auch, dass es gewisse Anweisungen und Erwartungen bezüglich des Verhaltens von Geheimnisträgern bei drohender Gefangennahme gab. Es existiere zwar kein definitiver Selbstmordbefehl, aber tausende von Jahren an Tradition und Erfahrung hatten den Akarii die Risiken und Zwänge des „Schattenkrieges“ mehr als deutlich demonstriert und ins „institutionelle Gedächtnis“ der dafür zuständigen Organe gebrannt. Taten sie nichts, verstießen sie gegen ihren Eid und riskierten das Leben tausender Akarii. Wurden sie enttarnt, dann konnte ihnen der Gegner bei Gefangennahme Informationen entreißen, die ebenfalls das Reich teuer zu stehen kommen konnten. Sie alle wussten, dass sich die „Kollegen von der anderen Feldpostnummer“ keineswegs nur mit Name, Rang, Einheit und Dienstnummer begnügten – sie selber taten dies natürlich auch nicht.
Boras Ras wusste das alles, ebenso wie seine Untergebenen: „Besprechung in einer Stunde, für alle. Sehen Sie zu, was Sie noch herausfinden können – es wäre gut, wenn wir Klarheit darüber hätten, um welchen Träger es sich handelt.“

Die kleine Gruppe Geheimdienstler wirkte ziemlich mitleiderregend, als sie sich versammelten. Sie alle waren wegen der niedrigen Temperaturen in dicke Kleidung gehüllt, und die nervliche Anspannung, nicht zu vergessen die niederschmetternden Ereignisse, deren Zeugen sie in den letzten Tagen geworden waren, machte sich ebenfalls bemerkbar. Es wäre jedoch falsch gewesen, davon auszugehen, dass diese Akarii vor dem Zusammenbruch standen. Sie waren keine Rekruten, und deshalb waren sie immer noch handlungsfähig.
Der Kommandant machte den Anfang, indem er die Neuigkeit kurz zusammenfasste. Er brauchte die Konsequenzen nicht extra zu erläutern. Der Sensoroffizier hingegen hatte noch einige Neuigkeiten.
„Wir können mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei zu eins davon ausgehen, dass es sich bei dem feindlichen Träger um die Columbia und bei dem Geschwader um die Angry Angels handelt. Wir haben den Funkverkehr und die Bewegungsmuster der feindlichen Schiffe seit der Ankunft der Terraner in diesem Sektor genau protokolliert und überwacht. Auch wenn wir den feindlichen Funkverkehr nicht entschlüsseln können, so haben wir doch bestimmte Besonderheiten festgestellt, sozusagen die Visitenkarten der einzelnen Schiffe. Auch waren die Staffeln der Columbia, als sie den Zerstörer im Asteroidenfeld stellten, ungewöhnlich stark – offenbar hatte das Schiff bevorzugt Nachschub erhalten.“
Die Gesichter der anderen Akarii verfinsterten sich noch etwas. Die Columbia hatte schon einen schlechten Ruf bei den Akarii, aber die Angry Angels hatten einen noch schlechteren. Sie standen vielleicht nicht an oberster Stelle bei den verhassten Einheiten, aber doch sehr weit oben. Im Gegensatz zu einigen Militärs, die in den Augen der Geheimdienstler im embryonalen Status wohl zu wenig Wärme bekommen hatten, kannten die „Soldaten an der geheimen Front“ selten so etwas wie Achtung vor dem Gegner. Dazu war ihr Geschäft zu blutig und zu schmutzig. Und wenn es jemanden gab, der über die Sünden der menschlichen Einheiten Bescheid wusste, dann der Geheimdienst. Die Akarii auf Posten 104 wussten nicht alles, sonst hätten wohl sie, wenn nicht gar jeder Akarii des Reiches, mit Freuden sein Leben gegeben, um das Geschwader zu vernichten. Aber gewisse Einschätzungen pflegten sich im Laufe der Zeit von oben nach unten – und umgedreht – zu verbreiten.
Kommandeur Ras schien an sich halten zu müssen, um nicht auszuspucken: „Diese verdammten...! Das müssen wir melden, und zwar sofort. Die Weichhäute schicken nicht eine ihrer besonders versierten Mörderbanden für nichts und wieder nichts in den Einsatz! Nicht jetzt. Wenn sie so schnell nach einer Schlacht wieder aktiv werden, haben sie irgendetwas Besonderes vor.“
Er blickte in die Runde: „Ich weiß, was das für uns bedeutet. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass die geflügelten Teufel noch mehr Unheil anrichten, nur weil wir Angst vor dem Tod haben.“ Das Nicken der anderen war zögerlich – aber entschlossen.
Es war der Kommunikationsoffizier, der das düstere Schweigen nach diesem Entschluss brach: „Ich sehe aber ein erhebliches Problem. Fangen die Menschen einen gerichteten Funkspruch von uns ab, und wenn wir von hier senden werden sie bestimmt aufmerksam werden, so werden sie sich denken können, worum es geht. Sollten wir einen militärischen Code verwenden, ist das Risiko einer Entschlüsselung ohnehin nicht unbeträchtlich. Immerhin haben die Menschen nicht wenige Schiffe aufgebracht. Und selbst wenn wir einen geheimdienstlichen Code verwenden oder sie die Nachricht aus einem anderen Grund nicht dechiffrieren können, so werden sie sich ausrechnen können, warum wir jetzt und gerade jetzt eine Enttarnung riskieren. Sie werden die Columbia warnen, und auch wenn die Angels Mörder sind, so sind viele von ihnen erfahrene Mörder.“
Der Kommandeur schnaubte: „Das weiß ich ebenso gut wie Sie. Aber was sollen wir machen? Wir müssen die Nachricht abschicken, und das möglichst schnell. Und wenn Sie kein Schiff mit erstklassigem Sensortarnmodus und einer leistungsstarken Funkanlage haben...“ Er unterbrach sich, als er das leichte Lächeln seines Untergebenen bemerkte. Der Geheimdienstoffizier neigte leicht den Kopf vor seinem Kommandanten: „Das habe ich natürlich nicht. Aber ich weiß, wie wir Ersatz bekommen. Wenn ich das erläutern könnte?“

Es dauerte immerhin neun Stunden ununterbrochene Arbeit, in denen jeder der Akarii anpacken musste. Es gab keine Zeit zum Schlafen, und auch nicht zum essen. Ein normaler Außenposten dieser Größe wäre vermutlich überfordert gewesen. Aber dieser Posten gehörte dem Geheimdienst, und deshalb hatte er einige Besonderheiten. Trotzdem er überhastet errichtet worden war, verfügte der Außenposten über eine relativ gute Ausstattung. Und die Besatzungsmitglieder waren umfassend gebildet und zu nichtlinearem und unkonventionellem Vorgehen erzogen worden. Sie waren keine Zauberkünstler und keine Genies – aber sie gehörten zum Besten, was man finden konnte.
Am Ende war die Arbeit abgeschlossen. Es hatte erhebliche Mühe gekostet, ein Funkgerät von ausreichender Leistungskraft in einer Rettungskapsel unterzubringen, vor allem, da einige Besonderheiten berücksichtigt werden mussten. Das Computerhirn der Kapsel war mit dem Gerät und einigen anderen Vorrichtungen verbunden und entsprechend programmiert worden. Und dann waren noch einige andere Veränderungen vorgenommen worden.
Schließlich wurde die letzte Klappe versiegelt und das Gerät einsatzbereit gemacht. Boras Ras hielt sich aufrecht – als Kommandeur musste er auch ein Vorbild sein. Es fiel ihm allerdings alles andere als leicht. Er rief seine marode Truppe zusammen – eine Truppe, die jetzt wahrlich vor dem Zusammenbruch zu stehen schien.
„Damit wäre alles erledigt. Wir werden die Rettungskapsel abschießen. Sie wird zunächst nur geringen Schub geben, dann im einprogrammierten Augenblick beschleunigen und anschließend auf einer Bahn, die von ihrem Anfangsimpuls und den Gravitationskräften des Systems vorgeschrieben wird, ihrem Ziel entgegeneilen. In genau 32 Stunden wird sie, nachdem sie sich mit einer mittleren Geschwindigkeit von 10 Kilometern pro Sekunde von uns entfernt hat, einen Funkspruch abgeben. Es handelt sich um eine verstümmelte Nachricht in einem militärischen Code. In diese Nachricht gewissermaßen eingebettet ist eine Mitteilung, mit der nur unsere Kameraden etwas anfangen werden können. So ist sichergestellt, dass die Menschen nicht vorgewarnt werden, selbst wenn sie die Nachricht anpeilen. Und auch wenn ihnen dies gelingt, so werden sie vermutlich von unserer Gegenwart keine Ahnung haben. Die Kapsel wird sich automatisch zerstören, unter Zurücklassung von Teilen und einer Signatur, die auf eine automatische Spionage- und Kommunikationsdrohne hindeutet, wie sie von unseren Kampfschiffen verwendet wird. Es bestehen gute Chancen, dass die Menschen annehmen, sie hätten es mit einem Überbleibsel der Schlacht oder des vernichteten Zerstörers zu tun. Sollte dies nicht der Fall sein...“
Boras Ras musterte seine Untergebenen. Er sah Hoffnung, Angst, Müdigkeit und Resignation. Vor allem aber Entschlossenheit.
„... sollte dies nicht der Fall sein, dann wissen wir, was zu tun ist. Ich danke Ihnen.“
Der Kommandeur salutierte, dann trat er zu dem Pult, von dem aus er die Rettungskapsel starten konnte. Ein Knopfdruck, und der Bote war auf seiner Reise ohne Wiederkehr. Mit sich trug er die Ängste und Hoffnungen der Akarii auf Außenposten 104 – und viel mehr.

Gegenwart

Das Patrouillenschiff „Vash na Tak“ war ein Shuttle des Typs, den die Menschen „Foxtrott-III“ nannten. Es hatte nur sechs Mann Besatzung und war lediglich leicht bewaffnet. Was dieses spezielle Shuttle von anderen unterschied war der Umstand, dass es dem Geheimdienst gehörte. Deshalb waren einige Umbauten vorgenommen worden, welche die Bewaffnung noch mehr reduzierten, dafür aber die Sensorenleistung, Reichweite und Tarnfähigkeiten erheblich erhöhten. Leider galt dies nicht für die Bequemlichkeit an Bord.
Im Moment befand sich das Schiff auf einer Horchmission. Es sollte nach menschlichen Schiffen suchen, die im Hinterland der Akarii – wenn so ein Begriff in einem Interstellaren Krieg noch angebracht war – herumschnüffelten, um für ihre Kampfflotten Aufklärung zu betreiben oder den Nachschub der Akarii abzufangen. Die Akarii, sowohl Flotte als auch Geheimdienst, hatten ihre Lektionen aus der feindlichen Operation „Husar“ gelernt. Freilich nicht, ohne sich dabei gegenseitig den Schwarzen Peter zuzuschieben. Der Dienst war öde Routine, doch die Besatzungsmitglieder waren intelligent genug um zu wissen, dass ein Wunsch auf Abwechslung weder in ihrem eigenem noch im Interesse des Akarii-Imperiums liegen konnte. Also spähten und horchten sie und versuchten, dem Tod durch fortgesetzte Langeweile zu entgehen.

Der Funkspruch kam völlig überraschend. Spähschiffe durften empfangen, aber nur im Ernstfall selber senden, obwohl sie ja rein technisch im eigenen Gebiet agierten. Der Pilot registrierte ihn als erster und meldete sofort die Neuigkeit: „Empfange Funkspruch – militärischer Code. Scheint aber verstümmelt zu sein. Keine Schiffskennung...Wartet!“
Er starrte auf die Anzeigen: „Da ist etwas – eine Art Subcode. Unser Computer spricht darauf an, es ist ein Geheimdienstcode!“
Als er den Spruch entschlüsseln wollte, verfinsterte sich seine Miene: „Höchste Priorität – Kapitän, ich gebe es Ihnen auf ihre Konsole.“
Der Kapitän, eine junge Akarii, die hier beabsichtigt hatte ihre ersten Erfahrungen in Fragen der Führung zu erlangen, las die Nachricht. Dann aktivierte sie ihrerseits die Funkanlage und brach damit die für das Spähschiff verordnete einseitige Funkstille: „Verbindung zu den nächsten Posten des Geheimdienstes UND der Flotte. Oberste Priorität, oberste Sicherheitsstufe. Wir haben eine Nachricht von Beta Borialis.“
24.12.2015 14:20 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cattaneo

In den Tiefen des Alls

Das Leben an Bord eines Trägers verlief in mancher Hinsicht nicht anders als der Alltag in einer Kleinstadt auf der Erde, sah man einmal davon ab, dass sich diese Kleinstadt im Kriegszustand befand und ihre Bevölkerungsstruktur eine etwas ungewöhnlich war. Aber wenn auch der Rhythmus von Tag und Nacht im Grunde künstlich war, so gab es doch einen gewissen Unterschied. Momentan war gerade „Nacht“, und dies bedeutete, dass es erheblich weniger Verkehr auf den Gängen gab. Aber dennoch schlief diese kleine Stadt nie wirklich, erst recht nicht, wenn sie sich in Feindesland befand. Und ständig wachten Männer und Frauen und durchsuchten die Tiefe des Alls nach dem Feind.
Im Bereitschaftsraum der Staffel Grün kontrollierte Lilja ein letztes Mal den Sitz ihres Schutzanzuges. Dies hatte keineswegs nur etwas mit ihrem Hang zum Perfektionismus zu tun. Sollte ihr Jäger durch Unfall oder in Folge eines Gefechtsschadens die Atmosphäre verlieren, oder sollte sie gar gezwungen sein auszusteigen, so war der Anzug das einzige, was zwischen ihr und einem ebenso unaufhaltsamen wie qualvollen Tod stand. Sie war einem solchen Schicksal mehrfach nur knapp entronnen. Ebenso überprüfte sie den Sitz ihrer Dienstwaffe. Die Laserpistole war eher ein Mittel für die letzte Verteidigung, böse Zungen meinten, man könne den Piloten ja auch gleich Zyankali mitgeben, denn auf mehr als auf Selbstmord dürfte ein Einsatz selten hinauslaufen. Es hatte freilich schon ein paar Fälle gegeben, in denen sich ein Pilot mit seiner Pistole den Weg freigekämpft hatte. Wie viele allerdings bei einem ähnlichen Versuch ihr Leben verloren hatten, war unbekannt. Doch Lilja gehörte nicht zu den Piloten, die dem Gedanken an eine Gefangenschaft viel abgewinnen konnten. Dies war der Grund dafür, dass in ihrem rechten Stiefel eine beidseitig geschliffene Klinge verborgen war. Lilja gehörte zu denen, die selbst einer „Aufforderung zum Selbstmord“ möglichst perfekt nachkamen.
Im Grunde war ihre jetzige Mission nichts Besonderes. Sie hatte in den Jahren des Krieges buchstäblich hunderte solcher Flüge durchgeführt. Die meisten Einsätze waren nichts als Routine gewesen. Aber ein paar Mal war es dabei auch zu Gefechten gekommen. Sie hatte im Laufe des Krieges bei solchen Langstreckenpatrouillen zwei feindliche Jäger, einen Jagdbomber und ein Aufklärungsshuttle abgeschossen, und war selber zweimal nur knapp dem Tode entronnen. Spätestens diese Ereignisse hatten sie dazu gebracht, auch solche scheinbaren Routinemissionen nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.
Schließlich war Lilja zufrieden. Sie nahm ihren Pilotenhelm, der auf einem Stuhl lag, und verließ die Kabine. Draußen wartete bereits ihr Flügelmann auf sie. Anders als manche Piloten wirkte Dragon trotz der späten Stunde vollkommen unverändert – einige schoben es darauf, dass sein freundliches Gesicht eigentlich IMMER denselben Ausdruck zeigte. Andere meinten, diese Miene sei nur eine Maske.
Aber Lilja schätzte vor allem seine zumeist klaglose Einsatzbereitschaft, auch wenn sie an seinen Leistungen gelegentlich etwas auszusetzen hatte. Wie eigentlich an den Leistungen jedes Staffelmitgliedes außer der Kommandeurin, ihre eigene Person eingeschlossen. Die Russin nickte dem eher zierlichen Asiaten nur knapp zu. Der kannte sie inzwischen gut genug um zu wissen, dass seine Vorgesetzte eher zum wortkargen Typ gehörte, und nahm es nicht schwer, dass sie keinen Smalltalk betrieb. Also neigte er nur den Kopf. Wie er erwartet hatte, beschränkte sich Lilja darauf, den Sitz seines Pilotenanzugs noch einmal zu überprüfen, dann ließ sie sich ihrerseits von ihm noch einmal durchchecken. Anschließend machten sie sich schweigend auf den Weg.

Eine besondere Einsatzbesprechung fand vor solchen Missionen nie statt. Lilja rekapitulierte noch einmal die Flugparameter gegenüber dem Flugdeckoffizier: „Langstreckenpatrouille Sektion Drei der Staffel Grün. Piloten Lieutenant Commander Pawlitschenko und Second Lieutenant Ming. Suchbereich rechte Flanke, Entfernung 450.000 Kilometer. Dauer – vier Stunden. Bestückung der Maschinen – Maschine Pawlitschenko Zusatztanks, Aufklärungspod, zwei Amraam und zwei Sparrow, Maschine Ming Zusatztanks, vier Amraam, zwei Sparrow.“ Sie wartete die Bestätigung ab und unterschrieb an der dafür vorgesehenen Stelle. Dann trat sie hinaus auf das Startdeck. Die schnittigen Falcon-Jäger warteten bereits auf sie.
Auch im Hangar herrschte im Augenblick wenig Betrieb – diejenigen, die sie ablösen würden, waren immer noch draußen. Der Wachwechsel fand im All statt, denn nur so entstand keine Überwachungslücke. Die Russin grüßte knapp das technische Personal und kletterte in ihre Maschine. Sie absolvierte die üblichen Checks – Computer, Sensoren, Waffen und dergleichen – dann gab sie den Befehl zum Start. Das Katapult schleuderte den schlanken Abfangjäger in das Dunkel des Weltraums. Jemand anders hätte sich vielleicht im Weltall zu Hause gefühlt, aber Lilja dachte in erster Linie an ihre Mission. Und den nächsten Akarii, den sie oder der sie töten würde.
Vielleicht auch deshalb klang die Stimme der Russin trocken, als sie einen Funkkanal zu Dragon öffnete: „Marschgeschwindigkeit 250, Kurs 10 Uhr. Weitere Angaben folgen. Geschätzte Ankunft im Patrouillengebiet in 30 Minuten.“
Der junge Pilot feixte still unter seinem Helm. Das war vermutlich das letzte, was er von Lilja hören würde, bis sie im Einsatzgebiet ankommen würden. Es würde sicher ein langer Flug werden, aber das erste was er von Lilja gelernt hatte, war Stillschweigen. Nicht, dass er vorher sonderlich geschwätzig gewesen war, aber einige seiner früheren Vorgesetzten hatten doch mehr geplaudert. Aber auch wenn er Lilja nicht unbedingt als Freundin sah, er respektierte ihre Leistungen. Sowohl was die Abschusszahlen als auch was ihre Hartnäckigkeit im Überleben in schwierigen Situationen betraf, betrachtete er sie als ein Vorbild, dem nachzueifern es sich lohnte. Immerhin war sie noch hier, was man von vielen anderen nicht sagen konnte. Und wenn das bedeutete, dass er schweigen sollte, nun, dann schwieg er eben.

Die Ablösung der anderen Patrouille – zwei Falcons der Staffel Blau – ging ohne besondere Zwischenfälle vonstatten. Es gab nichts zu melden, allerdings war dieses Nichts natürlich bereits eine Meldung wert. Es war zu erwarten, dass sich dies bald ändern würde, immerhin stieß die Columbia in feindliches Gebiet vor. Und ob es ihnen nun gelingen mochte, schnell zum verfolgten Wild aufzuschließen oder nicht – sie würden nicht ewig unentdeckt bleiben. Bis dahin aber war der Patrouillendienst am äußersten Rand des Verbandes in erster Linie langwierige Routine. Fünf Stunden eingepfercht im Cockpit ohne die Möglichkeit, sich mit jemanden zu unterhalten, dazu angehalten, die ganze Zeit über angespannt die Sensoren zu überwachen – das zehrte an den Nerven. Die Piloten der Staffel Blau freuten sich sicher, irgendwohin zu kommen, wo sie ihre Glieder wieder etwas strecken konnten. Nach kurzem Wortwechsel wendeten die anderen Maschinen und strebten dem Flottenverband entgegen. Lilja und Dragon aber übernahmen ihren Platz und damit die Aufgabe, den Verband vor feindlichen Scouts zu warnen. Der Russin kam dabei eine besondere Verantwortung zu, denn ihre Sensoren waren durch den Einsatz des Aufklärungspods erheblich verbessert worden. Sie reichten vielleicht nicht an die eines SWACS-Shuttles heran, aber dennoch waren sie denen der normalen Kampffliegern deutlich überlegen. Und deshalb hatte sie nicht vor, in ihrer Aufmerksamkeit nachzulassen. Auch wenn es unter Umständen Kopfschmerzen oder Schlafprobleme bedeutete, wenn man wirklich vier Stunden lang gebannt in die endlosen Weiten des Weltraums hinausspähte. Aber sie hatte eine Aufgabe, und die würde sie erfüllen.

Als es schließlich geschah, waren schon über drei Stunden seit dem Beginn der Mission vergangen. In dieser ganzen Zeit hatte sich buchstäblich nichts ereignet. Kein Kontakt mit feindlichen Schiffen, keine Trümmer, keine Funksprüche, nicht einmal eine außergewöhnliche Häufung von kosmischen Partikeln beliebiger Größe. Die ganze bisherige Patrouille hatte buchstäblich NICHTS ergeben.
Dennoch hatte Lilja in ihrer Wachsamkeit nicht nachgelassen, so dass ihr die geringfügige Änderung in den Anzeigen sofort auffiel. Sie überprüfte sofort ihre Sensoren – kein Zweifel, da war etwas. Oder besser, da schien etwas zu sein. Sie wusste natürlich, dass es im Weltraum viele Dinge gab, die Langstreckensensoren täuschen konnten, ganz abgesehen davon, dass auch die Sensoren nicht immer fehlerfrei arbeiteten. Und die menschlichen Sinne schon erst recht nicht. Dennoch aktivierte sie sofort eine Funkverbindung zu ihrem Begleiter: „Lilja an Dragon – ich habe da einen unidentifizierten Ortungskontakt. Richtung Neun Uhr, Entfernung... 150.000. Hast du ihn auch?“ Die Antwort überraschte sie nicht sehr: „Negativ – auf die Distanz sind meine Sensoren fast nutzlos.“
Obwohl Lilja das erwartet hatte, murmelte sie in Gedanken einen Fluch. Zwei Sichtungen wären sicherer als eine. Man war nicht sehr gnädig mit Piloten, die auf Grund von falsch interpretierten Sensordaten einen Fehlalarm auslösten. Die Anklage, Gespenster zu sehen, war nichts, was ein diensteifriger Pilot gerne auf sich lud. Aber andererseits – konnte sie es riskieren, dem nicht nachzugehen? Schweren Herzens, aber dennoch kurz entschlossen, kontaktierte sie den Flottenverband. Es bestand Weisung, Funkstille zu wahren, aber Lilja wollte lieber kein Risiko eingehen: „Hier Patrouille Grün Drei. Habe möglichen Sensorenkontakt mit unidentifiziertem Ziel. Entfernung vom Verband 600.000, bei Neun Uhr. Starte Untersuchung.“
Die Antwort ließ sie ihr Gesicht verziehen: „Verstanden. Vorsichtig sondieren, Kampf nur suchen wenn nötig. Wenn er uns noch nicht entdeckt hat, Meldung machen und nicht aus eigenem Entschluss angreifen.“ Lilja dachte, dass sie dies auch ohne Erinnerung gewusst hätte. Ihr war freilich klar, auch wenn sie den Gegner, wenn es einer war, ausschaltete, ohne dass er funken konnte – der Verlust der Maschine würde den Akarii auffallen. Sie kannte das Procedere.
Vermutlich hatte man auf der Columbia schon mehrfach solche Meldungen bekommen. Manchmal war es nicht einfach, Raumschrott oder Asteroiden von feindlichen Schiffen zu unterscheiden. Störungen, technische Defekte und überreizte Nerven kamen hinzu. Doch bisher hatte die Nachsuche der Außenpatrouillen nichts ergeben. Allerdings schien der Mann in der Einsatzzentrale noch nicht ganz mit ihr fertig zu sein, denn eine Warnung musste er anscheinend noch loswerden, was dazu führte, dass Lilja vor unterdrückter Frustration mit den Zähnen knirschte: „Und lassen Sie sich nicht von den grünen Männchen fangen.“ Sie reagierte aber nicht darauf.

Mit einer etwas heftigeren Bewegung als nötig drückte Lilja den Steuerknüppel auf Anschlag, so dass ihre Maschine binnen weniger Sekunden von 250 auf über 500 Kilometer in der Sekunde beschleunigte. Die Fliehkräfte durch diese rasante Beschleunigung wurden fast vollständig absorbiert – bei Gefechten mit Nachbrennern musste der Andruckabsorber noch ganz andere Kräfte kompensieren. Ihre Stimme klang barsch, als sie sich an Dragon wandte: „Jäger zwei – aufschließen.“
Innerlich bedachte sie die Leute in der Kommandozentrale mit ein paar sehr unfreundlichen Worten. Schließlich tat sie hier draußen nur ihre Pflicht. Dann aber riss sie sich zusammen und konzentrierte sich wieder auf das wesentliche. Wenn das da draußen wirklich ein Akarii war, würde sie – und vielleicht auch der ganze Verband – bald andere, weitaus ernstere Sorgen haben. Die zwei Jäger stießen in das Dunkel des Alls vor, entfernten sich immer weiter von ihrem Mutterschiff.

Liljas Augen blieben auch weiterhin auf die Sensoren geheftet. Längst waren die Waffensysteme klar, auch wenn eine Zielerfassung auf diese Entfernung natürlich noch keinen Sinn machte. Aber jedes bisschen an Informationen über das andre Schiff konnte ihr von Nutzen sein, um zu entscheiden mit wem sie es zu tun hatte, und wie sie sich zu verhalten hatte. Sie hatte in verschiedenen Simulationen, Schulungsprogrammen und Einsatzbesprechungen die Signaturen der verschiedensten Akariischiffe kennen gelernt. Mehr noch, sie war sehr vielen davon auch schon selber begegnet. Und genau dieser Schatz an Wissen und Erfahrung war es jetzt, der dazu führte, dass sie innerlich immer unruhiger wurde.
Ihr Gegenüber war am Rande ihres Erfassungsbereichs aufgetaucht, mit einem Kurs, der ihn in etwa in Richtung des Flottenverbandes geführt hätte. Doch nun änderte sich sein Kurs, in demselben Augenblick, in dem Lilja sich begann ihm zu nähern. Allerdings geschah dies nicht plötzlich, vielmehr änderte das Objekt seine Bahn allmählich ab. Der Fremdling – wenn es einer war – ging mehr und mehr auf Parallelkurs, so als hätte er von Anfang an die Falcon in der Ortung gehabt. Seine Geschwindigkeit blieb aber gleich – etwa 350 Kilometer in der Sekunde. Das war für einen Raumjäger oder ein Spähshuttle nicht viel. Aber Lilja bekam einfach kein klares Bild von der Größe des „anderen“. Nur eines schien ihr sicher. Wenn sie ihn auf diese Distanz orten konnte, war er definitiv größer als ein normales Shuttle oder ein Jäger. Und das bedeutete, dass „er“ für ein Schiff seiner Klasse sehr schnell war. Längst überwachte sie eventuelle Kommunikationskanäle, aber es tat sich nichts. Sie war froh, dass Dragon keine Fragen stellte, sondern ihr blind folgte – blind in dem Sinne, dass er das Ziel nicht einmal sah. Sie überspielte ihm ihre Ortungsdaten, aber das war kein Ersatz für eine eigene Sichtung.

Fünf Minuten später hatten sie sich dem Unbekannten auf 30.000 Kilometer genähert. Erst jetzt erhielt Lilja die ersehnte Bestätigung: „Ich glaube, ich habe ihn jetzt auch – aber ich bekomme keine klaren Ergebnisse.“
Die Russin presste die Lippen aufeinander: „Bestätige – ich habe ebenfalls keine klaren Anzeigen. Eigentlich müsste ich ihn jetzt genauer orten können.“ Sie konnte bisher nicht einmal mit Sicherheit sagen, dass er oder es oder was auch immer künstlicher Natur war, auch wenn die hohe Geschwindigkeit darauf schließen ließ. Im nächsten Augenblick stieß sie einen Fluch aus – das andere Schiff hatte abrupt beschleunigt: „Anderes Schiff hat jetzt Geschwindigkeit...520.“. Sie überlegte kurz: „Zielerfassung aktivieren.“ Wenn es ein Akarii war, dann würde er spätestens jetzt reagieren, denn die Echsen kannten die menschlichen Waffen- und Ortungssysteme aus leidvoller Erfahrung. Aber wenn sie gehofft hatte, so eine Entscheidung zu erzwingen, täuschte sie sich. Für einen Moment drängte sich ihr der bizarre Verdacht auf, dass der andere gewissermaßen mit ihnen spielte, wer auch immer da draußen war. In ihr rangen Jagdfieber mit Unruhe und fast so etwas wie unterschwelliger Angst. Sie überlegte, ob sie erneut das Mutterschiff kontaktieren sollte. Aber die Erinnerung an die launige Antwort des Offiziers hielt sie davon ab. Bisher hatte sie eigentlich nichts Definitives zu melden. Sie konnte nicht einmal beweisen, dass hier wirklich ETWAS war. Es hatte schon Fälle gegeben, in denen Jäger einem Ziel nachgejagt waren, es sogar beschossen hatten, dass nur auf Grund eines Ortungsfehlers „existierte“. Ganz zu Anfang des Krieges hatten drei terranische Zerstörer in der so genannten „Battle of the blips“ über 60 Atomraketen auf ein nichtexistentes Ziel abgeschossen. Gerüchten zufolge hatte der Kommandeur des Verbandes sein nächstes Kommando auf einem maroden Mienenleger antreten dürfen.
Sie konnte sich gut vorstellen, was man ihr sagen würde. Gleichzeitig aber war sie davon überzeugt, dass hier wirklich ein Objekt war, und die Bewegungsdaten ließen darauf schließen, dass es nicht natürlichen Ursprungs war. Ihre Unruhe wuchs immer mehr. Sie verfolgten das Schiff, wenn es eines war, nun schon fast zehn Minuten, und in den letzten vier waren sie ihm keinen Meter näher gekommen. Ein Akarii hätte längst gefunkt oder geschossen, da war sie sich sicher. Und außerdem – sie kannte die Akarii. Hier aber...
Als sie die Verbindung zu ihrem Kameraden aktivierte, sprach sie auch ein Stück mit sich selbst: „Ich bekomme kein klares Bild. Aber ich kann auch keine Feindortung feststellen, keine Zielerfassung, nichts.“
Dragon Stimme klang angespannt, und das war für ihn mehr als ungewöhnlich: „Ich bestätige. Commander – abbrechen?“
Unter anderen Umständen hätte Lilja ihn möglicherweise angeschnauzt, weil es an ihr lag, so etwas aufzubringen. Die niederen Chargen hatten im Normalfall keine Taktiken vorzuschlagen. Aber hier waren Dragons Worte in gewisser Weise nur etwas, dass ihr eine innere Stimme zuraunte. Und normalerweise hätte sie dieser Stimme und der ihres Untergebenen möglicherweise auch nachgegeben. Aber die Bemerkung des Mannes in der Einsatzzentrale nagte immer noch an ihr. Die Verfolgung abzubrechen bedeutete, ohne Ergebnis heimzukehren. Und dann stand sie als jemand da, der Phantomen hinterher jagte. Denn bisher hatte sie nichts vorzuzeigen – außer Sensoraufzeichnungen von IRGENDETWAS. Das aber würde sicher nicht genügen. Doch sie wusste auch, dass sie das Objekt nicht sehr viel weiter verfolgen konnte. Der Treibstoffvorrat reichte auch mit Zusatztanks nicht unbegrenzt lange, und sie entfernte sich immer weiter von ihrem Mutterschiff.
Dennoch traf sie ihre Entscheidung: „Jäger zwei – NACHBRENNER AKTIVIEREN!“

Sie fragte sich noch, ob sie im Begriff war, einen fatalen Fehler zu machen, als ihr Jäger auch schon mit einem Satz beschleunigte. Diesmal bemerkte sie den Andruck durchaus. Ihre Finger lagen auf den Feuerknöpfen für die Raketen. In weniger als zwanzig Sekunden halbierten die Jäger die Distanz, schlossen auf. Gleich musste sie erkennen, was da draußen war, gleich würde sie...
Es war wie ein unsichtbarer Blitz, ein Blitz, der sich nur hinter den geschlossen Augen abspielte. Für einen Augenblick war Lilja blind. Sie hörte Dragons Stimme, und das erste Mal, seit sie ihn kennen gelernt hatte, lag Panik in seiner Stimme, die sich beinahe überschlug: „Was verdammt...?!“ Blindlings tastete sie nach den Feuerknöpfen. Sie wusste zugleich, dass es im Grunde sinnlos war, zu feuern. Denn beide Raketensysteme, die sie zur Verfügung hatte, arbeiteten mit Bilderkennung oder Freund-Feind-Kennungen. Und, soviel war ihr in diesem Augenblick klar geworden, das würde ihr hier nicht helfen. Einen Augenblick fragte sie sich, ob sie mit dem fremden Schiff kollidieren würde, ob nun der andere seine Waffen einsetzen würde, ob...
Aber was auch immer sie befürchtet hatte, es geschah nicht. Was ihr wie eine Ewigkeit vorkam, dauerte nur ein paar Sekunden. Dann konnte sie wieder sehen. Liljas erster Blick galt den Sensoren und der Zielerfassung. Doch was sie sah, das konnte sie nicht fassen.

Dragon flüsterte beinahe, und doch traf jedes seiner Worte Lilja bis ins Mark: „Er ist...weg. Einfach weg.“
Ihre beiden Jäger hatten gestoppt und trieben reglos im All. Die Sensoren horchten hinaus ins All, spähten und suchten – und fanden nichts. Nicht das geringste.
Lilja musste ein paar Mal schlucken, ehe sie einen Ton herausbrachte: „Bestätige. Wir brechen hier ab. Rückflug berechnen zur Patrouillenzone. Geschwindigkeit 500.“ Sie ahnte, was als nächstes kommen würde, und tatsächlich erkundigte sich Dragon: „Soll ich den Verband rufen?“ Die Russin zögerte: „Vorerst nicht. Ich mache selber Meldung.“ Ihre Stimme, auch wenn sie noch etwas erstickt klang, hatte genug Autorität, dass ihr Untergebener nicht nachhakte. Aber sie konnte sich ungefähr vorstellen, was er dachte.
Während ihr Jäger sich auf den Rückweg machte, arbeiteten ihre Gedanken. Schließlich kam sie zu einem Entschluss: „Patrouille Grün Drei an Mutterschiff. Phänomen überprüft. Kein Gefechtskontakt – kein Akarii. Genaue Natur unklar. Möglicherweise Sensorstörung.“
Ihr Gegenüber schien noch immer Langeweile zu haben: „Vielleicht war es ja auch ein UFO? Da hätten Sie ja einen Erstkontakt anknüpfen können.“
Lilja reichte es offenbar, oder sie gedachte sich abzureagieren: „Hören Sie, ich mache hier draußen meinen Job. Sie können ja darüber gerne denken was Sie wollen, aber behalten Sie das für sich. Ich bitte um Funkdisziplin.“ Das sorgte für Ruhe auf der anderen Seite.
Sie kam Dragons Frage zuvor, indem sie von sich aus eine Verbindung aktivierte: „Lilja an Dragon – ich erkläre es dir auf dem Träger, einverstanden?“
Der Asiat zögerte sichtlich, offenbar verstand er nicht ganz ihr Verhalten. Aber dann meinte er nur knapp: „Bestätigt.“
Den Rest der Patrouille über und auf dem Rückweg schwiegen sie. Und das erste Mal vermutlich war Lilja nicht mit allen Gedanken bei ihrem Auftrag.

Drei Stunden später

Im Büro der Staffelkommandeurin der Grünen Schwadron herrschte ein gewisses Maß an „schöpferischer Unordnung“. Nicht, dass Lightning etwa schlampig geworden wäre. Aber auf ihrem Schreibtisch befanden sich eine leere Kaffeetasse, ihre Dienstpistole – entladen – sowie mehrere Schriftstücke, die mit dem alltäglichen Papierkrieg zu tun hatten. Der Stuhl hinter dem Tisch sollte offenbar auch bequem sein. Sonderlich wohl schien sich die Kommandeurin aber momentan nicht zu fühlen. Sie musterte die beiden Offiziere, die vor ihr standen. Dragon hatte seinen Blick auf „unendlich“ eingestellt. Seine Position war ja auch eine etwas bessere, immerhin war er nicht Patrouillenführer gewesen. Lilja wirkte wie eine perfekte Mischung aus Verbissenheit und Nervosität. Beides schien sich nicht direkt auf ihre Vorgesetzte zu beziehen.
Die Kommandeurin musterte noch einmal den Eintrag auf dem Bildschirm vor ihr. Sie klang nicht direkt kritisch, aber entschieden, als sie feststellte: „Was Sie mir eben erzählt haben, Commander, hört sich aber anders an als Ihr Bericht am Ende der Patrouille.“
Lilja straffte sich: „Aye, Aye Ma’am.“ Lightning musterte die jüngere Pilotin. War das jetzt eine Art Witz? Lilja neigte sonst nicht zu Seemannsslang. Aber vermutlich war es nur Nervosität.
„Dann erklären Sie mir diese Diskrepanz.“. Noch immer klang Lightning nicht kritisch, und sie bemerkte, dass Lilja dies sehr wohl und mit leichter Verwunderung registrierte.
„Ich habe keine logische Erklärung für das, was ich und Lieutenant Ming gesehen haben oder glaubten zu sehen. Ohne logische Erklärung aber und ohne wirklichen Beleg ist das Phänomen kaum plausibel nachzuweisen.“ Sie schien sich einen Ruck zu geben: „Ich hatte ohnehin schon die Sorge, wir beide würden als Traumtänzer bezeichnet werden. Hätte ich die ganze Geschichte erzählt, hätten sie uns vielleicht zu einem Psychologen geschickt. Und die Story wäre den Träger zweimal rauf und runter gegangen, bevor die nächste Schicht um ist.“
Lightning war geneigt, ihr da zuzustimmen, wollte es ihr aber nicht ZU leicht machen: „Und wenn da wirklich etwas war – sei es ein Objekt oder auch eine Sensorfehlfunktion? In beiden Fällen könnten andere Piloten durch ihr Schweigen gefährdet werden.“
Die Russin wurde bleich und nahm noch mehr Haltung an: „Ich habe die beiden Jäger in meiner Eigenschaft als XO außer der Reihe einem gründlichen Check unterziehen lassen. Weder Hard- noch Software zeigen irgendwelche Defekte. Sowohl Lieutenant Ming als auch ich haben die üblichen Routinetests absolviert, und kollektive Einbildungen sind ohnehin sehr selten. Zugleich aber ergeben meine Sensoraufzeichnungen keinerlei konkretes Bild – geschweige denn, dass ich ihnen die letzten berichteten Phänomene erklären könnte.“ Sie schien Schwierigkeiten zu haben, die richtigen Worte zu finden.

Lightning fühlte geradezu Mitleid mit ihrer Stellvertreterin. Man hatte ihr ja ohnehin schon mehr als einmal vorgeworfen, sie würde zu sehr auf ihre Untergebenen eingehen. Aber sie wusste auch, dass man manchen Dingen auf den Grund gehen musste. Außerdem kannte sie Lilja. Die Russin würde die Sache auf ihre eigene Art und Weise zu Ende bringen müssen, oder sie würde nicht damit fertig werden.
Liljas Stimme klang gepresst, als sie fortfuhr: „Ich habe keinerlei rationelle Erklärung für die Sinnestäuschung, der offenbar sowohl ich als auch Lieutenant Ming erlegen sind. Und ich kenne mich auf dem Gebiet nicht gut genug aus, um Vermutungen äußern zu können. Das einzige, was ich mir vorstellen könnte, wäre eine Vorrichtung, die verwandt ist mit der Schallwaffe, die von unseren Aurora-Kampffliegern eingesetzt wird. Mit dem Unterschied, dass sie sich auch auf die sensorischen Fähigkeiten des Ziels auswirkt, und auch im luftleeren Raum funktioniert.“ Ihre zusammengekniffenen Lippen ließen erkennen, dass sie über andere Möglichkeiten gar nicht erst nachdenken wollte. Lightning wusste, warum. Es hatte in der Geschichte des menschlichen Pressewesens viele informative, viele belanglose und auch viele unsinnige Berichte über das Militär gegeben. Zu den peinlichsten hatten Geschichten über ähnliche Dinge gehört, wie Lilja sie jetzt ansprach. Todesstrahlen, Psi-Angriffe und dergleichen – dem menschlichen Ideenreichtum schienen keine Grenzen gesetzt zu sein, wenn es um abenteuerliche Geschichten ging. Sie verstand sehr gut, warum Lilja nicht einmal in den Verdacht geraten wollte, an so etwas zu glauben.
„Was das Verschwinden des Objekts angeht, das wir geortet hatten, so bieten sich mehrere Erklärungen an. Entweder das Objekt ist abrupt in einen sensorgetarnten Modus gewechselt. Das bedeutet freilich, dass es über ein ungeheuer leistungsfähiges System verfügt. Bei der Geschwindigkeit und berechneten Größe bedeutet das eine Technik, die unsere Fähigkeiten deutlich übersteigt – und auch, soweit wir wissen, die der Akarii. Die andere Möglichkeit… ist ein Sprung ohne Hilfe einen Sprungpunktes.“

Die XO schien halb damit zu rechnen, dass ihre Vorgesetzte sie auslachte. Doch Lightning seufzte nur: „Sie wissen, dass es zahlreiche Theorien gibt, nach denen dies unmöglich ist.“
Lilja nickte niedergeschlagen: „Ich kenne die Fakten ebenso wie Sie. Aber ich habe keine anderen Erklärungen. Eine Beschädigung unserer Sensoren oder eine Wolke von reflektierenden Teilchen wäre durch die Aufzeichnungen und den Maschinencheck nachgewiesen worden. Aber dafür gibt es keinerlei Anzeichen.“ Sie ließ ihren Blick jetzt ebenfalls auf unendlich wechseln, ebenso wie ihr Flightkamerad.
„Commander Parker, ich bin mir darüber im Klaren, dass dies keine Erklärung ist. Ich weiß nur, dass weder Lieutenant Ming noch ich nur einer Sinnestäuschung aufgesessen sind. Und es gibt keine Anzeichen für eine Fehlfunktion. Zugleich aber versage ich dabei, dem, was wir gesehen haben – oder glaubten zu sehen – einen Namen und eine Erklärung zu geben. Aus diesem Grund habe ich Ihnen diesen mündlichen Bericht gegeben. Ich habe außerdem meine Aussagen und die meines Untergebenen verschriftlicht und mit den Ergebnissen der Untersuchung unserer Maschinen ergänzt. Ich… weiß nur nicht, was ich damit tun soll.“
Lightning wusste, wie schwer dies der Russin fallen musste – quasi um Hilfe zu bitten, noch dazu in Gegenwart eines Untergebenen. Auch wenn der mindestens so erschlagen schien wie sie. Die Kommandeurin wusste, dass es Liljas Ehrgeiz war, immer alles – und jeden, was das anging – perfekt zu erledigen. Aber hier versagte sie. Es sprach Bände, dass die XO ihre Unsicherheit offen zeigte, denn das war nicht ihre Angewohnheit. Die Frage war nur, ob sie, Lightning, der Russin helfen konnte. Ungebeten kamen ihr Erinnerungen an einen Zwischenfall, der gut und gerne drei Jahre zurücklag. Seitdem hatte sie das eine oder andere gehört. Sie wählte ihre Worte mit Bedacht.
„Sie wissen beide sicherlich, dass ihr Bericht nach konventionellen Maßstäben wenig Sinn ergibt. Glauben Sie aber nicht, dass ich ihn deshalb für bedeutungslos halte. Sehen Sie, es hat so etwas schon immer gegeben, seitdem wir unser Sonnensystem verlassen haben. Immer wieder gab es vereinzelte Sichtungen, unerklärliche Phänomene, Zwischenfälle, die nie ganz aufgeklärt wurden. Natürlich wurde eine Menge Schindluder damit getrieben. Ich habe gehört, es gab eine Zeit, da deutete man jedes Verschwinden eines Raumjägers dahingehend, dass er von irgendwelchen geheimnisvollen Fremdvölkern entführt wurde. Und in den Ruinen untergegangener Zivilisationen wollte man Hinweise entdeckt haben, dass sie vor langer Zeit die Erde besucht hatten, vielleicht erst unsere Rasse geschaffen, dass sie über Fähigkeiten verfügten, die unseren um Millionen Jahre voraus waren. Das meiste davon hat sich als Humbug erwiesen, als eine neuzeitliche Variante des Bermuda-Dreiecks, oder des Rätsels um Atlantis. Wenn ein Raumschiff verschwand, dann konnte das natürlich auch ganz andere Gründe haben. Ein Meteoritenhagel oder andere kosmische Zwischenfälle, ein interner Schaden, Piraten, oder auch Raider einer Nachbarrasse. Wer weiß schon, ob nicht bei den Akarii oder anderen das Militär eine günstige Gelegenheit nutzen wollte?“
Sie sah sehr wohl, wie ihr Monolog die beiden Piloten niederschmetterte. Natürlich – sie dachten, sie würde sie zumindest zur Hälfte zu den Leuten zählen, die sich von ihren eigenen Vorstellungen ihre Wahrnehmungen diktieren ließen, und nicht umgedreht. Wie konnte sie sich ihnen nur verständlich machen?
„Aber das ändert nichts daran, dass eine ganze Reihe von Zwischenfällen und Phänomenen blieb, für die man bis heute keine Erklärungen gefunden hat, wie man es auch drehte und wendete. Und niemand weiß, ob nicht einige Zwischenfälle einfach nicht berichtet wurden, eben WEIL die Zeugen fürchteten, für Aufschneider gehalten zu werden…
Sehen Sie, wenn vor 600 oder 700 Jahre Menschen Zeugen dessen geworden wären, was wir heute können – und andere Völker schon damals konnten – dann hätte man oft wohl auch keine Erklärung dafür gewusst, meinen Sie nicht? Sicher, unsere Wissenschaftler gehen heutzutage davon aus, dass sie erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Die Möglichkeiten der Akarii übersteigen unsere nicht wesentlich, obwohl sie eine erheblich längere Geschichte der Raumfahrt haben. Aber ich denke, wir sollten uns nicht unbedingt in der absoluten Sicherheit wiegen, dass es nicht Völker und Phänomene geben könnte, die uns und den Akarii heute so weit voraus sind, wie die Echsen uns vor 700 Jahren. Einem Wissenschaftler des terranischen 20. Jahrhunderts, in dem der erste Schritt zu den Sternen erfolgte, hätte man sicher von Hyperraumsprüngen erzählen können – und neun von zehn hätten den Redner für verrückt gehalten. Damals ging man davon aus, dass sich die Lichtgeschwindigkeit nicht überwinden lassen würde. Es war nicht so sehr eine Frage der technischen Probleme, es war ein Naturgesetz, an das viele glaubten. Können wir uns dann so sicher sein, dass Sprünge nicht auch ohne Sprungpunkt möglich sind?“
„Dann nehmen Sie also den Bericht ernst?“ fragte Lilja. Offenbar war sie bemüht, sich ihre Erleichterung nicht allzu deutlich anmerken zu lassen, weil ihr dies peinlich war. Lightning lächelte: „Ich weiß zumindest, dass weder Sie noch Lieutenant Ming dazu neigen, Vorgesetzten einen Bären aufzubinden. Ich glaube Ihnen, dass Sie dort draußen etwas gesehen haben. Was es aber war, das werden wir wohl nie erfahren. Und ich kann verstehen, warum Sie den Bericht direkt an mich weitergeben haben, und nicht auf dem öffentlichen Dienstweg.“ Sie seufzte: „Natürlich kann ich auch nichts anderes tun, als ihn weiterzugeben an die dafür zuständige Stelle.“

Sie erkannte die erneute Unruhe in Liljas Miene und grinste: „Oh, keine Angst. Die Leute dort haben Erfahrung mit so etwas. Und vor allem sorgen sie dafür, dass dergleichen nicht an die Öffentlichkeit kommt. Wir wollen schließlich weder eine Hysterie, noch Imageverlust wegen überzogener Räuberpistolen. Aber Ihr Bericht muss mit anderen abgeglichen werden.“ Lilja entspannte sich wieder: „Danke, Commander.“
Die Britin nickte freundlich: „Ich kann mir vorstellen, wie Sie sich fühlen. Machen Sie sich nichts draus. Ich für meinen Teil halte es für durchaus möglich, dass das draußen etwas – oder jemand – ist, der ganz einfach anders ist als wir. Aber wir haben hier vor allem einen Krieg zu führen. Das andere…
Nun, da bleiben wenigstens noch ein paar offene Fragen für die Jahre des Friedens.“
Und damit beließen sie es. Lilja war offenbar zufrieden damit, zumindest mit ihrer unmittelbaren Vorgesetzten geredet zu haben. Was ihren Kameraden anging, so schien es Ming ähnlich zu gehen. Zwischen der Frage nach dem Was und der Angst vor dem unvermeidlichen Spott hin und her gerissen, genügte es beiden offenbar, das Problem an jemanden weitergeben zu haben, der laut der Dienstvorschrift mehr Ahnung hatte als sie. Sie wussten beide nicht, dass Lightning noch lange, nachdem ihre Untergebenen gegangen waren in ihrem Sessel saß und auf ein Bild starte, dass sie in ihrem Rechner gespeichert hatte. Die Abbildung zeigte einen uralten Merkur-IV Frachter, der vor gut 100 Jahren spurlos verschwunden war. Ein Frachter, den sie und ein anderer Pilot in fast intaktem Zustand 200 Lichtjahre von seiner letzten bekannten Position entfernt gefunden hatten. Es hatte nie eine Untersuchung gegeben, weil sie niemals Meldung darüber gemacht hatte. Und wenn sie sich daran erinnerte, bereute sie es nicht, keinen Menschen an Bord des Schiffes geschickt zu haben. Selbst wenn es deshalb niemals eine Erklärung geben würde…
24.12.2015 14:21 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Tyr

An Bord der „Caulaincourt“

Die Messe des Kriegsschiffes war, wie bei einem Zerstörer der Erdstreitkräfte üblich, sehr nüchtern, fast spartanisch eingerichtet – an Bord dieser Einheiten war nur wenig Platz für Komfort.
Zurzeit war der Raum fast leer. Niemand von den wenigen Essern schien auf das Gespräch zwischen den zwei Lieutenants, die sich in einer Ecke gegenübersaßen, zu achten. Es waren ein Mann und eine Frau, und das waren nicht die einzigen Unterschiede. Tatsächlich waren die beiden in fast allen Dingen das genaue Gegenteil des anderen.
Der Mann war Asiat, er war schlank, wirkte aber recht zäh. Das schwarze Haar war extrem kurz geschnitten. Er wirkte sehr ruhig, fast stoisch, mit sparsamen, kontrollierten Gesten und Bewegungen. Tarro Nakakura war seit Beginn des Krieges auf der „Caulaincourt“, gehörte zur Waffenabteilung und rechnete sich wahrscheinlich gute Chancen aus, in absehbarer Zeit Zweiter Offizier zu werden.
Seine Gegenüber war Patricia Tschombe. Die Schwarzafrikanerin mit der nicht ganz vorschriftsmäßigen Figur überragte den Waffenoffizier um mehr als Haupteslänge. Im Gegensatz zu Tarro war sie alles andere als ein gesetzter Charakter, vielmehr lebhaft, rasch aufbrausend und oft recht schwierig – jedenfalls nach Meinung vieler Untergebener und Vorgesetzter. Außer bei der Arbeit konnte sie selten stillhalten. Wenn sie redete, dann gestikulierte sie meist lebhaft, unterstrich ihre Worte mit ausholenden Gesten. Sie nahm selten ein Blatt vor den Mund. Zwar war sie eine gute, vielleicht sogar hervorragende Technikerin, aber sie würde nie über die technische Abteilung hinauskommen. Böse Zungen behaupteten, sie hätte, abgesehen von ihrer Arbeit, von wenig eine Ahnung aber zu allem eine Meinung. Auf jeden Fall neigte sie dazu, sich schnell eine Meinung zu bilden und die dann auch vehement zu vertreten.
Trotz der Unterschiede kamen die beiden Offiziere, vielleicht gemäß dem Sprichwort, dass Gegensätze sich anziehen, gut miteinander aus. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass Patricia ihren Freund regelmäßig mit seinem Bruder bei den Raumjägern aufzog – zwischen Piloten und den Besatzungen der Kampfschiffe herrschte eine gewisse Rivalität, die „Weltraumjockeys“ galten als arrogante Selbstdarsteller mit einer viel zu hohen Meinung von sich und ihrer Bedeutung in der Raumschlacht.
„Und ich sage dir, da stimmt etwas nicht mit den Jarheads.“ Patricias Stimme klang energisch. Tarro zuckte leicht amüsiert mit den Schultern: „Ich denke, du siehst Gespenster.“
„Dann erklär mir mal, warum sie plötzlich unsere alten Marines abgezogen haben und uns stattdessen diese neue Einheit aufs Auge gedrückt haben – zwei volle Platoons.“
„Was ist daran ungewöhnlich? Du hast doch auch die Begründung gehört – Einheitsrotation.“
„Ach ja? Warum waren wir dann der einzige Zerstörer in der Flotte, bei dem das gerade jetzt geschehen musste, unmittelbar bevor die Columbia diesen Spezialauftrag bekommt?
Außerdem, du weißt doch, dass sie momentan jeden erfahrenen Marine an der Bodenfront brauchen.“
„Und?“ Aber langsam begann Tarro, Patricias Bedenken zu verstehen.
„Überleg doch! Hast du dir unsere neuen Jarheads mal genauer angesehen? Nenn mich eine Spinnerin – aber das sind ausgebildete Killer. Keine verdammten Reservisten oder Jungspunde, die gerade aus der Ausbildung kommen. Ich will verdammt sein, wenn unsere neuen Jarheads noch kein Pulver gerochen haben. Und zwar ausnahmslos ALLE. Und das ist doch schon etwas ungewöhnlich. Ich dachte nämlich, sie brauchen die Veteranen auf dem Boden. Erklär mir dann mal, warum siebzig dieser kaltäugigen Kehlschlitzer auf einmal hier auftauchen.“
„Zugegeben…“
„Und dann schau dir mal an, wie die sich geben. Gut, die Grabenschweine haben sich noch nie groß mit uns gemein gemacht, aber unsere neuen Freunde treiben es auf die Spitze. Nicht, dass sie Streit suchen. Im Gegenteil, für Marines sind sie sogar ziemlich gesittet – fast schon unheimlich, es gab noch nicht eine Schlägerei. Sie bleiben völlig für sich. Wen sie mal mehr als einen Satz außerdienstlich raus bringen, dann habe ich das jedenfalls noch nicht bemerkt. Und dann diese ganze Ausrüstung, die zusätzlich an Bord gekommen ist…“
„Woher hast du denn das?“
„Ich hab’ halt so meine Kontakte. Und die haben gehört, zeitgleich mit diesem ‚turnusmäßigen Wechsel’ seien zehn, fünfzehn Tonnen Fracht an Bord gekommen – alles spezial versiegelt und off hands für uns…“
„Und was glaubst du, ist der Grund für diese Verschwörung?“
„Lach du nur, aber ich sag dir, hier geht etwas Merkwürdiges vor sich. Und ausgerechnet jetzt sind wir der Columbia zugeteilt.“
„Worauf willst du hinaus? Die Columbia ist einer unserer besten Träger. Und die Angels…“
„Ich weiß, ich weiß. Du musst sie natürlich verteidigen. Familienbetrieb sozusagen. Aber ich habe gehört, die Angry Angels sind die Spezialisten für Sonderaufträge. Warum hetzen die nur einen Träger los – und auch noch DEN?! Ich sag dir, da steckt der Geheimdienst dahinter.“
„Hast du das eigentlich schon jemand anderem erzählst?“ Tarro klang jetzt fast beunruhigt: „Nicht, dass du schon wieder Schwierigkeiten bekommst.“
„Ich pass schon auf. Aber ich werde ein Auge auf unsere neuen Freunde haben. Ich sag dir was – wenn die einfache Marines sind, dann bin ich eine Akarii…“


Auch wenn niemand in der Kantine auf das Gespräch zu achten schien, blieben Patricias Vermutungen nicht unbemerkt.
„Das Mädchen ist nicht dumm.“ Lieutenant Commander Richards grinste, während er den leisen, aber vernehmbaren Stimmen lauschte, die von der Abhöranlage in der Messe übertragen wurden. Ihm unterstand die Sicherheitsabteilung an Bord der Caulaincourt, die allerdings nur aus insgesamt drei Leuten bestand, und er war einer von drei Besatzungsmitgliedern (außer ihm nur der Kapitän und der Erste Offizier), die über die wahre Natur der Marines Bescheid wussten.
„Dieses ‚Mädchen’ redet vor allem zu viel.“ Major Hands entsprach nicht unbedingt dem üblichen Bild eines Marines. Zwar war er hoch gewachsen, aber es fehlten ihm die Muskelpakete, die man bei einem Marinesoldaten erwarte. Stattdessen war er durchtrainiert und wirkte vor allem zäh. Statt der üblichen ‚Jarhead’-Frisur hatte er praktisch eine Glatze, bis auf einen dünnen, schwarzen Zopf, der bis zum Nacken reichte. Er war nur nachlässig rasiert. Die schwarzen, kalten Augen hatten schon manchen Gegner – oder Untergebenen – eingeschüchtert. Diese Augen verrieten nichts, wirkten immer ungerührt, ausdruckslos, wie tot. Lieutenant Commander Richards zuckte mit den Schultern und machte eine wegwerfende Handbewegung. Wenn er sich durch Hands eingeschüchtert fühlte, zeigte er es jedenfalls nicht: „Machen Sie sich keine Sorgen. Tschombe redet viel, wenn der Tag lang ist. Die meisten achten nicht mehr drauf. Und selbst wenn – sie WEISS gar nichts. Und nichts, was sie vermutet, wird diesen Zerstörer verlassen. Soviel kennt sie wenigstens vom Reglement.
Sie sollten ihr sogar dankbar sein. Jetzt wissen Sie wenigstens, dass ihre Tarnung ausfranst. Ihre Leute sehen etwas zu erfahren aus, Major. Sie übrigens auch. Ein volles halbes Hundert Veteranen an Bord eines Zerstörers fällt auf.“
„Vielleicht soll ich etwas Rouge auftragen, um meinen Zügen die Härte zu nehmen?!“
„Das wäre eine Möglichkeit. Aber übertreiben Sie es nicht, sonst steckt man Sie in die Heilsarmee.“
Major Hands schnaubte abfällig: „Jedenfalls werde ich froh sein, wenn dieser Affenzirkus vorbei und wir endlich auf dem Boden sind.“
„Meinen Sie das ernst?“
Als Antwort sah der Major den Sicherheitsoffizier nur ausdruckslos an: „Informieren Sie mich einfach, wenn dieses kleine Gerücht unserer handkolorierten Freundin weiter die Runde macht. Wenn die keine Ruhe gibt – reden Sie mit ihr.“ Richards salutierte lässig, aber zumindest halbwegs korrekt, als Sicherheitsmann hatte er gewisse Freiheiten.
Als Major Hands die Sicherheitszentrale verlies, verfluchte er in Gedanken zum wiederholten Male seine Mission. Er, und erst Recht der Geheimdienst, hätte wissen müssen, dass die zwei Platoons Aufmerksamkeit erregen würden. Ja, sie alle waren Marines, aber eben nicht nur Marines. Und das sah man ihnen wohl auch an.

Sie gehörten zu den Recon Forces des Marinekorps. Jeder einzelne der Männer und Frauen war kampferprobt, hatte dem Tod mehr als einmal ins Angesicht geschaut. Sie waren die Besten des Korps, sie waren Überlebende. Der Rangniedrigste war Corporal. Jeder von ihnen hatte auf der Erde die „Vierzehn Kreise der Verdammnis“ durchlaufen, das zweiwöchige Dschungelkampftraining in Guayana, bei dem die härtesten Ausbilder der berüchtigten Fremdenlegion versuchten, die Soldaten systematisch zu zerbrechen. Sie hatten auch das überstanden. Sie waren ausgebildet im Nahkampf, Scharfschießen, Sprengen, Sabotieren, Infiltrieren, Tauchen, Fallschirmspringen, Bergsteigern, im Überleben in nahezu jeder bekannten Klimazone. Sie waren an den Waffen des Feindes ausgebildet und jeder von ihnen beherrschte mindestens einen der gebräuchlichen Akarii-Dialekte. Die meisten sahen mit einem leichten Gefühl der Herablassung auf die „normalen“ Marines herab, die aus ihrem Status als „Kanonenfutter“ fast so etwas wie einen Kult machten. Von den Recon Forces erwartete man mehr, sie mussten in der Lage sein, auf sich alleine gestellt wochen- und monatelang im feindlichen Hinterland zu operieren. Sie hatten das Erbe der „Special Forces“ angetreten, sie kämpften nicht nur, sondern bildeten auch die befreundete Zivilbevölkerung und Milizen aus, sammelten Informationen und waren im Bereich der „psychologischen Kriegführung“ aktiv.
Sie schienen perfekt geeignet für diesen Auftrag. Dennoch hatte der Major kein gutes Gefühl.

Begonnen hatte die Vorbereitung dieser Mission eigentlich schon kurz nach der berühmten Doppelschlacht von Corsfield/ Graxon. Der TSN war es endlich gelungen, einen deutlichen Sieg zu erringen und in die Offensive zu gehen. Zeitgleich war es dem Geheimdienst der Erdstreitkräfte gelungen, die militärischen Codes der Akarii zu knacken. Dieser Vorteil ging zwar relativ schnell wieder verloren, als der Feind seine Codes änderte, aber eine Zeitlang konnte der gegnerische Funkverkehr abgehört – und früher aufgefangene Funksprüche entschlüsselt werden. Das hatte den Erdstreitkräften die Möglichkeit gegeben, ergänzt durch die Befragung von Kriegsgefangenen und Informationen seitens der Konföderation, Material über das Akarii-Imperium und seine Kolonien in bisher nicht da gewesener Detailliertheit und Aktualität zu sammeln.

Es war schon vorher in den Stäben und Planungsgremien der Erdstreitkräfte und –Geheimdienste bekannt gewesen, dass das Akarii-Imperium kein monolithischer Block war, bewohnt nur von einer einzigen Rasse, die fest und geschlossen hinter der politisch/militärischen Führung stand. Vielmehr herrschten die Akarii als die dominante Spezies über eine Vielzahl rechtlich und sozial niedriger gestellter Völker. Einige dieser Völker hatten sich mehr oder weniger „freiwillig“ der Herrschaft der Akarii unterworfen. Andere waren in brutalen Kriegen bezwungen worden. Und etliche dieser Völker hatten wieder und wieder versucht, die Herrschaft der Akarii abzuschütteln. Den in blutigen Kriegen, Aufständen und Revolten entstandenen Hass auf die fremden Herrscher, der durch die oft gnadenlosen Repressionsmaßnahmen der Akarii noch geschürt wurde, suchte die Erde sich nun zunutze zu machen.
Während die Erdrepublik einerseits das Bündnis mit der Konföderation stärkte und Kontakte zu anderen raumfahrenden Völkern suchte, die sich ebenfalls durch die Expansion der Akarii bedroht fühlten, wurden andererseits Programme und Operationspläne entwickelt, die darauf abzielten, im feindlichen Imperium Aufstände und Unruhen zu schüren und bestehende Widerstandsgruppen zu unterstützen.

Der Nutzen, die Chancen und auch die Legitimität dieser Maßnahmen waren umstritten. Aber niemand in Administration, Militär und Geheimdiensten glaubte es sich leisten zu können, auf derartige Mittel zu verzichten. Der Krieg dauerte schon zu lange, und immer noch war kein Ende in Sicht. Angesichts der hohen Verluste und der befürchteten Kriegsmüdigkeit in der Bevölkerung konnte man auf keine Waffe verzichten.
Die Kapazitäten der Erdstreitkräfte im Bereich der unkonventionellen Kriegführung waren begrenzt, allzu lange war man auf einen konventionellen Krieg fixiert gewesen. Was an Truppen zur Verfügung stand, waren vor allem die Recon Forces des Marinekorps, und als Reserve jene Teile der SAS/SEAS und der Fremdenlegion, die in den schmutzigen „Hinterhofkriegen“ der Republik Erfahrung in der Guerilla- und Konterguerillakriegführung gesammelt hatten. Alle Operationen im Rahmen der unkonventionellen Kriegführung unterlagen strikter Geheimhaltung. Und deshalb gaben die zwei Platoons der RF an Bord der Caulaincourt vor, normale Marines zu sein. Keiner, der es nicht unbedingt wissen musste, durfte von ihrer Anwesenheit erfahren. Und das genaue ZIEL ihrer Mission kannten nur die RF selbst und die Befehlshaberin der TSN-Kampfgruppe.

Das Unternehmen hatte ein poetisch veranlagter Stabsoffizier „Kadmos-Saat“ getauft, nach einer alten terranischen Geschichte von den Zähnen des Drachen Kadmos, aus dem gepanzerte und bewaffnete Männer entsprossen waren. Mit einem Anflug dunklen Humors fragte sich Major Hands, ob man in den Befehlsstäben eigentlich die alten Geschichten bis zum Schluss gelesen hatte – letztendlich hatten sich die Krieger des Kadmos immer gegeneinander gewandt und erschlagen.
Aber das spielte jetzt keine Rolle. Irgendjemand im Generalsstab, bei den Geheimdiensten, hatte die Idee für diese Mission gehabt, und es lag an Hands, sie durchzuführen. Und die Mission der Columbia waren der passende Anlass, eine scheinbar zu günstige Chance, um sie verstreichen zu lassen.


Die T’rr gehörten zu jenen Völkern im Akarii-Imperium, die erst seit relativ kurzer Zeit, etwa zweihundert Jahren, unter direkter Kontrolle der Kaiser von Akar standen.
Wie die Akarii waren die T’rr reptiloider Abstammung, doch unterschieden sie sich deutlich in ihrem Erscheinungsbild. Im Gegensatz zu den Akarii war bei den T’rr der Schwanz fast vollständig zurückgebildet worden. Ihre Köpfe waren runder, wirkten fast menschlich. In der Regel waren die T’rr am ganzen Körper mit dunkelgrünen Schuppen gepanzert, die Klauen an den vierfingrigen Händen und die scharfen Reiß- und Schneidezähne waren ein Erbe jener fleischfressenden Raubechsen, die ihre Vorfahren waren.
Die T’rr waren als ein kriegerisches Volk bekannt, deren Geschichtsschreibung von zahllosen Kriegen geprägt war, und von Revolten und Bürgerkriegen, als vor sechshundert Jahren die verschiedenen Völker auf dem Heimatplaneten der T’rr unter einer Dynastie vereint worden waren, die allerdings eher einer Militärdiktatur glich. Wie die Menschen hatten auch die T’rr in ihren Kriegen gegeneinander Nuklearwaffen eingesetzt und es war wohl auch der Versuch, innere Differenzen und Spannungen nach außen zu tragen, der vor etwas mehr als dreihundert Jahren die T’rr nach den Sternen greifen ließ.
In einer vergleichsweise kurzen Zeit schafften es die T’rr etliche Kolonien in umliegenden Sternensystemen zu gründen. Von Anfang an war die Expansion in den Weltraum nicht nur als friedliche Kolonisation gedacht gewesen, und zwei bewohnte Systeme waren mit blitzartigen militärischen Operationen in das entstehende Imperium integriert worden.
Doch dann waren die T’rr mit den Akarii zusammengestoßen. Nach einigen Jahren unsicheren Frieden war es zu einem militärischen Zusammenstoß gekommen, den die Akarii als Vorwand zu einer Großoffensive nutzten.
Natürlich hatte die Akarii-Raumflotte wenig Probleme gehabt, die langsameren Kriegsschiffe der T’rr zu vernichten, die nur über schlechte Schilde verfügten und deren Bewaffnung primär aus Atomraketen mittlerer Reichweite und Durchschlagskraft bestand. Aber das Blatt wendete sich, als die ersten Bodentruppen der Akarii auf einer der T’rr-Kolonien landeten. Nun reduzierte sich der technologische Vorsprung der Invasoren, und sie stießen auf einen Gegner, der ebenso gnadenlos wie phantasievoll kämpfte. Selbst eingeschlossene Einheiten weigerten sich zu kapitulieren. Der Bodenkrieg dauerte mehr als zehn Jahre. Letztlich gewannen die Akarii konnte nur, weil es ihnen gelang, einige Befehlshaber der T’rr zum Seitenwechsel zu bewegen, indem sie die immer noch bestehenden internen Rivalitäten ausnutzten und die letzten Widerstandsnester der loyalen Truppen mit Nuklear- und Chemiewaffen bombardierten. Es war ein schmutziger Krieg gewesen und der Sieg wurde von vielen Akarii als wenig ehrenvoll angesehen.

Die Planeten der T’rr waren unter die direkte Kontrolle eines Akarii-Gouverneurs gestellt worden. Reich an strategisch wichtigen Bodenschätzen, sollten sie nun die Expansion des Akarii-Imperiums vorantreiben. Allerdings blieb die neue Kolonie des Imperiums unruhig. Die stationierten Akarii-Truppen und ihre T’rr-Hilfstruppen mussten wiederholt verstärkt werden, mehrere große Revolten wurden blutig erstickt und etliche Millionen politisch verdächtiger T’rr deportiert. Aber das hatte nie für lange Ruhe gebracht und erst nach mehreren Jahrzehnten kostspieliger Besatzung hatte sich endlich einer der Imperatoren entschlossen, es mit einem neuen Ansatz zu versuchen.
Die aufoktroyierte Gesetzgebung wurde gemildert, die lokale Selbstverwaltung gestärkt, die Steuern reduziert. Ein unsicherer Frieden war eingekehrt, als die Akarii einen entfernten Verwandten des letzten Kaisers der T’rr auf den Thron setzten. Das war vor etwa einhundert Jahren gewesen.
Die T’rr hatten sich bei den Akarii-Streitkräften inzwischen einen Namen gemacht, galten als die geborenen Kämpfer, und es war wohl deshalb fast unvermeidlich gewesen, dass man nun versuchte, sich ihrer zu bedienen. Viele T’rr verachteten die anderen Völker und empfanden höchstens Respekt für die offenbar überlegenen Akarii.
Dies prädestinierte sie für den Einsatz in anderen unruhigen Kolonien der Akarii. Sorgfältig ausgewählte und als zuverlässig eingestufte T’rr-Kontingente erwarben sich einen ebenso legendären wie grausamen Ruf.
Allerdings waren die Akarii klug genug gewesen, die T’rr nur als Bodentruppen einzusetzen.
Vor zehn Jahren allerdings war es auf dem Planeten der T’rr zu neuen Unruhen gekommen. Die forcierte Aufrüstung der Akarii-Streitkräfte belastete die Kolonie, während in den Bergen, den Städten und vor allen den Dschungeln eine neue Generation T’rr-Rebellen heranwuchs.
Es war zu immer mehr bewaffneten Zusammenstößen gekommen, die sich ebenso gegen die Akarii wie gegen T’rr-Kollaborateure richteten.
Der Krieg gegen die Menschen ließ die Situation endgültig eskalieren. Auf Drängen seiner Akarii-Berater verhängte der T’rr-„Kaiser“ das Kriegsrecht.
Die Guerilla antwortete mit einer Terrorwelle. Keinen Monat später fiel der „Kaiser“ der T’rr einem Anschlag zum Opfer, der wahlweise der Guerilla, politischen Machtgruppen in der T’rr-Elite oder den Akarii angelastet wurde. Bisher loyale T’rr-Truppen meuterten. Mit, wenn auch veralteten, Akarii-Waffen ausgerüstet und bestens mit deren Strategien und Taktiken vertraut, gaben sie dem Widerstand eine ganz neue Qualität. Zudem hatten die verschiedenen Guerillagruppen, die rebellierenden Kolonialtruppen und die Deportierten es verstanden, vielfache Kontakte zu den im Akarii-Imperium aktiven Schmuggler- und Piratenbanden zu knüpfen.
Die Planeten der T’rr hatten sich binnen Jahresfrist in blutige Schlachtfelder verwandelt, die nur noch nominell der vollständigen Kontrolle der Akarii unterstanden. Tatsächlich kontrollierte die nur noch die wichtigsten Bevölkerungszentren, und auch die nicht vollständig. Der Krieg gegen die Menschen band die Truppen, die man zur Niederschlagung des Aufstandes gebraucht hätte.
Und nach den ersten Niederlagen der Akarii-Raumstreitkräfte hatten die T’rr-Rebellen selber begonnen, ihre Fühler nach den Feinden ihrer Feinde auszustrecken. Einige Exilgruppen im Gebiet der Confederation machten den Anfang, sie wurden an die Erdrepublik weiter verwiesen. Die TSN und die Konföderation leisteten politische Unterstützung. Und sie begannen Waffenmaterial zu schicken.

Major Hands und seine Männer sollten diese Hilfe auf eine ganz neue Ebene heben. Zum ersten Mal sollten Soldaten so weit in Akarii-Territorium abgesetzt werden, um der Guerilla zu helfen. Sie würden den T’rr nicht nur weitere Waffen, Sprengstoffe, Sensortechnik, Kodier/Dekodiergeräte und Langstreckensender zur Verfügung stellen. Sie waren als ein Symbol gedacht, als Zeichen, dass die Macht der Akarii ihren Zenit endgültig überschritten hatte. Sie alle waren speziell für diese Aufgabe ausgewählt und ausgebildet worden. Die in sie gesetzten Erwartungen waren hoch. Sollte die Offensive der TSN doch noch gestoppt werden, dann würden sie hier festsitzen, und zwar für immer – selbst wenn die Garnisonstruppen der Akarii sie nicht stellten. Auf irgendeine Konvention, auf ihren Status als Soldaten, auf Gnade oder faire Behandlung würden sie nicht hoffen können. Man würde sie als Spione und Terroristen jagen – und so würden sie auch kämpfen, schmutzig, heimtückisch, ohne Gnade oder Regeln, außer denen der Notwendigkeit.
Aber ihre Mission bei den T’rr hatte noch ein weiters Ziel. Ein Ziel, von dem in der gesamten Columbia-Kampfgruppe nur Major Hands wusste, und auch er nur teilweise.
Er sollte den Führern des Widerstandes eine Botschaft überbringen, eine Botschaft der politischen und militärischen Führung der Republik und der Konföderation.
Den Inhalt dieser Botschaft kannte der Major nicht wortwörtlich, aber er glaubte den Sinn und die Intention zu wissen.
Der Krieg ging nun ins fünfte Jahr und es war zu viel Blut geflossen, als dass ein Rückzug auf die alten Grenzen noch vorstellbar schien. An der Spitze der Republik war der Wille gereift und gewachsen, die Gefahr durch die Akarii auf Dauer auszuschalten. Die Botschaft der Präsidentin nach dem Sieg von Graxon und Corsfield hatte den Anfang gemacht. Die Völker des Akarii-Imperiums sollten sich erheben. Und die T’rr sollten eines der Völker sein, das als Verbündeter mitten im Akarii-Raum für die TSN eine sichere Basis etablieren sollte, selbst wenn irgendwann einmal ein Frieden zwischen Menschen und Akarii unterzeichnet würde. Divide et impera. Zu teilen, um zu Herrschen…
24.12.2015 14:21 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Ace

„Das Problem im Raumkampf“, dozierte Justus Schneider, ist immer der eigene Vektor. Sprich, die verschiedenen Eigenbewegungen der an eine Schlacht beteiligten Schiffe und Jäger.
Bestes Beispiel für diesen Vektorkampf ist die Geleitzugschlacht von Jollahran.“
Ein Bildschirm erwachte und zeichnete die Region nach, den Konvoi und die drei Trägerflotten. Doch im Gegensatz zu vereinfachten Darstellungen für die Medien waren hier auch noch die Eigengeschwindigkeiten der großen Schiffe eingefügt.
„Wie Sie erkennen können, standen unsere Träger nicht antriebslos im Weltall. Im Gegenteil. Ihr Kurs führte sie permanent in die gleiche Richtung wie der Geleitzug und die Eigengeschwindigkeit war darauf ausgelegt, dass der Konvoi unsere Schiffe einholt. Diese Vektoren waren so ausgelegt, dass die Jäger der drei Träger nur wenig seitlichen Geschwindigkeitsvektor aufzunehmen brauchten, um aus Perspektive des Geleitzugs zu ihm aufzuschließen.“
Wieder wechselte die Projektion, zoomte auf die angreifenden Jäger und zeigte mit zwei Pfeilen ihre Bewegungsrichtung. Einen Laien, der nicht mit den Gegebenheiten im Raumkampf vertraut war, hätte dies erschüttert, aber nicht die Fachleute, die sich Tagaus Tagein damit beschäftigten. Ein starker Beschleunigungsvektor der Jäger ging weiterhin in Fahrtrichtung des Konvois, obwohl die Triebwerke die schlanken Killerbienen in Richtung Konvoi trieben. Aber die Bewegung entlang der Akarii-Schiffe hatten die Jäger von ihren Trägerschiffen mitbekommen. Die Bewegung zu den Transportern und der Begleiteskorte wurde von ihnen produziert.

Justus Schneider sah auf. „Ich habe mich lange, sehr lange mit dem Raumkampf beschäftigt, der uns mit Jors Flaggschiff bevorsteht und ich habe lange nicht begriffen, was mir an diesem Plan nicht gefiel, bis mich Second Lieutenant Ian Davis auf den Knackpunkt des Plans aufmerksam machte.
Wir gingen in der Planung davon aus, dass der Träger relativ zu unserem kaum Beschleunigung aufweist, was es uns überhaupt erst ermöglicht, ihn parallel anzugehen, ohne dass er uns davon fliegt.
Diese Vorgehensweise ist falsch. Aber ich gestehe ein, wir alten Hasen sind manchmal etwas vernagelt, um das Offensichtliche zu sehen.
Vielmehr müssen wir von dieser Situation ausgehen.“
Die Sicht wechselte, zeigte den feindlichen Träger, einige Begleitschiffe und die drei Kreuzer, die für den Angriff vorgesehen waren. Wieder waren die Vektoren eingezeichnet.
Justus Schneider ließ einen Angriff abrollen, bei dem die Kreuzer permanent Korrekturschübe ausführen mussten, um den sich beträchtlich in Bugrichtung bewegenden Träger nicht zu verlieren. Dadurch kostete der Anflug erheblich viel Zeit, was letztendlich dazu führte, dass die Kreuzer einen Verlust beziehungsweise schwere Beschädigungen hatten und von den angreifenden Infanterieshuttles dreißig Prozent vernichtet wurden.

„Also, dieser Plan ist schlecht. Wir selbst sind zu lange im Schussfeld und unsere Shuttles sind zu lange im Schussfeld.
Uns bleiben eigentlich nur zwei wirklich relevante Möglichkeiten.“
Version eins wurde gezeigt, die drei Kreuzer ließen sich von dem Träger passieren, in dieser Phase schleusten sie ihre Shuttles aus, die erheblich zu kämpfen hatten, um von der Eigengeschwindigkeit der Kreuzer auf die des Trägers zu wechseln. Was ihr Zeitfenster für den Anflug beträchtlich erweiterte und wieder zu Verlusten führte, aber diesmal nur zu zwanzig Prozent, was vor allem am wirksamen Deckungsfeuer der Kreuzer lag.
Wieder aber wurde einer der Kreuzer zerstört.
„Der zweite Plan.“
Die drei Kreuzer verfolgten den Träger diesmal, ritten auf achtern heran und hielten einen schnelleren Beschleunigungsvortex als der Akarii. Dadurch kamen sie sehr viel schneller näher und die Shuttles mussten kaum korrigieren, um den Träger angehen zu können. Das Landefenster verringerte sich um ein Vielfaches. Drei Prozent Beschädigungen waren die Folge, nicht einmal Verluste.
„Das gilt natürlich nur für den Fall, dass wir es bis zum Träger schaffen. Denn achtern hat der Akarii seine stärkste Waffe: Seinen Antrieb.“

Die Karte wurde modifiziert und zeigte nun die Gravitationswelle des Antriebs, auf dem sich der Träger vorwärts schob. „Dies ist der so genannte Blind Spot eines jeden Schiffes. Hier anzugreifen ist… Nun, ziemlich schwierig, weil Schiffe, die hier hinein geraten, normalerweise zerfetzt werden, gerade bei einem Antrieb von der Größe der Uniform-Trägerklasse.
Aber es gibt einen Weg. Der Träger zieht hinter sich einen wirklichen Blind Spot her, einen Kegel mit einem Durchmesser von neunzig Grad, vom Antrieb ausgehend, in dem er angreifende Feinde nicht bekämpfen kann.
Der Knackpunkt dieser Strategie liegt eindeutig im Zeitpunkt, wenn die Perimeter der Waffen erreicht werden. Hier werden die Akarii uns alles einschenken, was sie haben.“

Justus Schneider faltete die Hände zusammen und wirkte sehr nachdenklich. „An dieser Stelle machte mich mein Junioroffizier auf einen wichtigen Umstand aufmerksam, der mir bis dato entgangen war. Die KAMI ist ein Bastard. Unsere Beschleunigungswerte sind dank des Akarii-Antriebs denen unserer Schwesterschiffe überlegen. Ebenso die Manövrierfähigkeit des Kreuzers.
Ich traue mir mit diesem Schiff nicht nur zu, den Blind Spot zu reiten, ich bin auch in der Lage, im richtigen Augenblick die volle Beschleunigung der KAMI auszunutzen, um den Geschützen der Akarii zu entgehen und die Shuttles zu landen. Danach sollte es für die anderen Kreuzer des Kommandos kein Problem mehr sein, ihre zu landen, denn die KAZE wird selbstverständlich, um die eigene Achse rotierend, um die Schirmbelastung zu senken und alle Waffen nacheinander effektiv in Reichweite zu bringen, alle Geschützstellungen zu vernichten zu versuchen, bevor der Kreuzer den feindlichen Träger passiert hat.
Gefahr bei dieser Strategie sind Kurskorrekturen des Uniform, was eine Fluktuation im Antriebsstrahl bedeutet und eine immense Gefahr für jeden, der den Blind Spot nutzt.
Und natürlich die Eigenrotation des Trägers um seine Z-Achse, was bedeutet, dass er eine Seite mit unbeschädigten Geschützen in Richtung der angreifenden Kreuzer bringen kann.
Aber ich denke, das ist das Risiko wert.“
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Der Kapitän der Relentless war der nächste Sprecher. Er hatte Schneider aufmerksam zugehört, aber weder Zustimmung nach Ablehnung bekundet. Commodore Mithels Gesichtsausdruck war nur schwer zu deuten. Wie so oft erschien seine Miene als eine steife Maske, hinter der sich alles Mögliche verbergen konnte. Der Brite hielt sich sehr aufrecht, als er den Platz seines Vorgängers einnahm. Die Stimme des Flottillenchefs klang neutral.
„Ich danke meinem Vorredner für seine interessanten Ausführungen. Wiewohl ich annehme, dass die meisten hier mit den Grundlagen des Raumkampfes vertraut sind.“ Das war nun weniger neutral, als der Tonfall andeutete. Mithel schätze es nicht, belehrt zu werden, schon gar nicht von einem rangniederen Offizier und in aller Öffentlichkeit. Ebenso hieß er es gut, wenn dies gegenüber gleichrangigen Offizieren mit makelloser Laufbahn geschah, die zudem noch einiges erfahrener waren. Er konnte es sich folglich nicht versagen, zumindest durch die Blume seine Missbilligung auszudrücken.
„Ich finde die Analysen der Junioroffiziere der Kami durchaus interessant. Ich teile Captain Schneiders Ansicht, dass der ursprüngliche Plan auf Grund der prognostizierten Verluste ungeeignet ist. Doch wenn ich ehrlich seien soll, bin ich mir nicht sicher, ob die Offiziere der Kami in ihrer Analyse nicht etwas optimistisch gewesen sind. Es ehrt Captain Schneider, dass er bereit ist sein Schiff auf diese Weise wie er es beschrieben hat einzusetzen. Den Analysen meiner taktischen Abteilung zu Folge sind die Risiken aber durchaus erheblich.“
Auch dies war im Grund eine freundlich formulierte Kritik. Mithel hatte kein Hehl daraus gemacht, dass er die Kami für unerprobt hielt, ebenso ihre Besatzung. Das Schiff hatte noch keine Schlacht mit der gegenwärtigen Besatzung erlebt, und selbst sorgfältiges Training war dafür kaum ein Ersatz. Und auch dafür war nicht sehr viel Zeit geblieben. Offenbar meinte der Flottillenchef, das jüngste Schiff seines Verbandes sollte sich nicht ein so ehrgeiziges Ziel setzen. In kleinerem Kreise hätte er das noch direkter gesagt, aber er wollte den anderen Offizieren kein Schauspiel geben. Zudem kanzelte man einen Captain selten einfach so ab – nicht einmal einen wie Schneider. Das änderte nichts daran, dass der Kapitän der Relentless mit seinen Bedenken nicht hinter dem Berg hielt.
„Captain Schneider erwähnte bereits das Problem von Kurskorrekturen. Selbst bei einem havarierten Uniform sollten wir davon ausgehen, dass das Schiff in wenigen Sekunden um die eigene Achse rotieren kann. Wie eine alte Seefahrerregel sagt – auf was man schießen kann, das kann auch zurückfeuern. Der gegnerische Kapitän wird keineswegs zuschauen, wie die Kami auf Nahbereichsdistanz seine Abwehrbewaffnung gezielt ausschaltet. Es muss dazu ja nicht einmal das ursprüngliche Beschleunigungsmoment überwinden. Auch sind die Raumgefechtsraketen, die gefährlichste Waffe des feindlichen Schiffes, durchaus in der Lage, das Bewegungsmoment des Schiffes auszugleichen. Die Kami ist dann zwar dahingehend im Vorteil, dass das Zeitfenster auf Grund der gegenläufigen Bewegung verringert wird. Dennoch führt dies zugleich dazu, dass die feindlichen Schiff-Schiff-Raketen weniger als zehn Sekunden im Feuerbereich seiner eigenen Kleinkampfraketen sind, bevor sie einschlagen. Für Feuer mit den Bordgeschützen bleiben nur etwa sieben Sekunden Zeit. Natürlich verfügt die Kami auch über Impulslaser, aber wir alle wissen, dass alle diese Waffen in vergangenen Schlachten nicht in der Lage waren, ganze Schwärme feindlicher Marschflugkörper verlässlich auszuschalten. Und wenn die Kami im Nahkampf Wirkfeuer geben will, verkürzen sich die Distanzen entsprechend. Das bedeutet weniger Zeit für die Raketen, den Anfangsimpuls zu überwinden – aber auch deutlich weniger Zeit für Gegenreaktionen. Ich habe bereits Nahkämpfe erlebt, und weiß, wozu die Akarii fähig sind. Und selbst ein havariertes Uniform ist eine waffenstarrende Festung.“

Er lies das Bild einen Augenblick wirken. Allerdings machte er sich wenig Hoffnung, überall Gehör zu finden. Schneider und der Kommandeur des 217. Regiments waren in der Hinsicht wohl kaum zu bekehren, das hatte er bereits eingesehen. Blieb die Frage, wie die Admirälin die Sache sah. Er war ja noch nicht fertig…
„Überdies will mir immer noch nicht der Nutzen mit dem Risiko korrespondieren. Ich sehe das Problem, bei einer Zerstörung der Korax ma Rah Sicherheit über den Verbleib des Prinzen zu erlangen. Das Problem stellt sich jedoch auch bei einer Enterung. Prinz Jor dürfte wissen, dass er für uns als Kriegsverbrecher gilt. Es ist nicht undenkbar, dass er sich an Bord des Schiffes versteckt oder unter der Besatzung untertaucht. Ein Flottenträger dieser Größe ist ein einziges Labyrinth, und mit einem Druckanzug kann man sich an Stellen aufhalten, die für Suchtrupps nur schwer zugänglich sind. Die Überwachungsgeräte an Bord dürften ausgefallen sein, ebenso viele Aufzüge und Türe. Sollten wir wenig Zeit für die Überprüfung der Rettungskapseln haben, dürfte sie auch für eine gründliche Durchsuchung nicht reichen. Wir haben zudem meines Wissens für den Fall seines Todes das Problem, ihn zu identifizieren, denn audiovisuelle Identifikation dürfte kaum als ausreichend gelten, und genetische Überprüfungen bedeuten, das wir von jeder Leiche eine Probe nehmen müssen, falls wir alle finden.“
Aus irgendeinem Grund, der Mithel nicht bekannt war, sah Admirälin Wulff eher gequält drein: „Und was schlagen Sie also vor?“
Mithel straffte sich: „Die Korax ma Rah zur Kapitulation auffordern. Geht sie nicht darauf ein…dann vernichten wir sie. Mit allen Waffen und so schnell und vollständig wie möglich. Wie es mein Vorgänger ausdrückte: ,Nicht aufhören, bis die Mütze des Kapitäns auftreibt!’ – im übertragenden Sinne. Um die Rettungskapseln müssen wir uns dann kümmern.“ Er führte das nicht näher aus – auch weil er den gereizten Ausdruck in Wulffs Miene nicht recht deuten konnte.
„Sollte man sich jedoch dagegen entscheiden, schlage ich folgendes Vorgehen vor…“
Er legte einen Datenträger in das Lesegerät des Besprechungsraums ein. Auf der Bildfläche an der Wand erschienen die verfeindeten Flotten.
„Diese Simulation wurde von meinen Offizieren erstellt, namentlich der Chefin meiner Schadensbekämpfungsabteilung, dem Kommandeur der Bordkompanie der Marines und meinem Waffenoffizier.
Ausgehend von dem was wir wissen, wird es wohl eine klassische Trägerschlacht geben. In der ersten Phase werden unsere Kampfflieger die gegnerischen Trägermaschinen ausschalten müssen. Unsere Bomber und die Kampfschiffe schalten die feindlichen Großschiffe aus. Ich kann nur auf das dringlichste dazu raten, die Korax ma Rah mit einzubeziehen, zumindest so lange, bis sie als akute Gefahr ausfällt. Sie gewissermaßen ,aufzusparen’, nur um sich die Möglichkeit offen zu halten, Prinz Jor gefangen zu nehmen, halte ich für äußerst riskant.
Gehen wir aber davon aus, dass sie flieht, gedeckt von den restlichen Geleitschiffen. In diesem Fall optiere ich für eine Verfolgung mit der kompletten Schwadron nebst einer Unterstützungsflottille – Zerstörer oder Fregatten. Außerdem sollten mindestens eine Staffel Abfangjäger und zwei Staffeln Angriffsmaschinen, Nighthawk oder Thunderbolt, die Operation unterstützen. Einige Bomber wären wünschenswert.“

Er gestikulierte, während die Simulation ablief: „Der Verfolgungsverband schaltet die Bedeckung aus. Dazu werden vor allem Distanzwaffen eingesetzt, ebenso die Kampfflieger. Sie greifen nach Möglichkeit auch gezielt den feindlichen Träger an. Erst wenn die feindlichen Geleitschiffe bereits stark angeschlagen sind, beginnt die Annäherungsphase.“ Mithel hielt die Simulation an: „Gehen wir von Captain Schneiders Vorschlag aus, dann würde die Kami nun mit der Annäherung beginnen. In der Simulation meiner Offiziere ist dies nicht integriert. Wie ich bereits sagte, teile ich nicht ganz den Optimismus der Offiziere des Kami. Ich würde deshalb dafür optieren, das Entermanöver nicht nur der Kami allein zu überlassen. Wenn sich zeitgleich die Dauntless dem Schweren Kreuzer anschließt, erhöht das die Chancen für ein Gelingen. Die Dauntless ist nicht weniger wendig als die Kami, und ihre Abwehrbewaffnung ist überaus effizient. Zudem ist ihre Besatzung aufeinander eingespielt. Vor allem wenn die Zielcomputer kooperieren dürfte die Chance bestehen, das feindliche Raketenfeuer abzufangen.“
Solches Lob für die Dauntless war vielleicht etwas überraschend, da Mithel und Captain Gonzales nicht eben als Freunde galten. Der britische Flottillenchef hielt den spanischen Kreuzerkommandanten für ähnlich problematisch wie Schneider. Das hieß freilich nicht, dass er das Schiff unterschätzte, zumal in den letzten Jahren die „Bugs“ im Feuersystem der Flakkreuzer ausgemerzt worden waren.
Mithel setzte einfach voraus, dass Gonzales den Befehl befolgen würde, wenn er ihn bekam.
„Das Ausschleusen der Enterfähren erfolgt in unmittelbarer Nähe. Zu diesem Zeitpunkt muss selbstverständlich das Abwehrpotential des Gegners weitestgehend minimiert worden sein. Aber auch hier gibt es natürlich keine Sicherheit. Die Risiken des Enterkampfes kennen Sie alle, und ich habe ja bereits ausgeführt, dass ich erhebliche Probleme bei der Identifizierung unserer Beute sehe. Dennoch scheint mir diese Option diejenige, die das geringste Risiko birgt.“ Seinen Worten war ohne weiteres zu entnehmen, was er insgesamt von der ganzen Enteridee hielt. Er blickte die Admirälin direkt an: „Meine Ansicht kennen Sie jetzt. Ich halte es weiterhin für wünschenswert, das feindliche Flaggschiff in erster Linie als ein Ziel zu betrachten, das mit allen Mitteln zu vernichten, und nicht aufzubringen ist. Sollte es dennoch dazu kommen, so halte ich die von mir skizzierte Variante von Captain Schneiders Vorschlag für die sinnvollste. Natürlich ist diese Diskussion in gewisser Weise akademisch, da wir nicht wissen, unter welchen Bedingungen wir auf die Korax ma Rah treffen. Sollte es Prinz Jor auch nur gelingen, seine verloren Kampfflieger durch Garnisonsmaschinen zu ersetzen, oder auch Großkampfschiffe zu rekrutieren…“
Er war sich keineswegs sicher, wie Wulff entscheiden würde. ,Ich möchte wetten, diese Heißsporne liegen ihr auch in den Ohren.’ Dachte er wenig kollegial. Aber er hielt die Idee der Enterung für eine Verschwendung wertvollen Materials und tapferer Leute. Das hieß aber nicht, dass er irgendjemanden in sein Unglück rennen lassen wollte, auch nicht Schneider und sein Schiff. Nur hatten da die Akarii ohnehin das letzte Wort…
24.12.2015 14:23 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cunningham

Der CAG der Columbia fand Cartmell im Besprechungsraum, wo dieser gerade seine Nachbesprechung mit seinem Flügelmann beendet hatte, nochmal die Landeergebnisse an der Glastafel überprüfte und dem jungen Akademieabgänger ein paar Tipps für die Landung gab.
"Donovan, hast Du einen Augenblick?"
Der angesprochene Pilot blickte irritiert auf, denn obwohl er von seinem "Privileg" als einzigster Pilot den CAG duzen "zu dürfen" reichlich Gebrauch machte, verwendeter dieser in aller Öffentlichkeit ihm gegenüber nie diese vertrauliche Form.
Als er seinem verhassten Geschwaderkommandanten ins Gesicht blickte, zuckte er einen Schritt zurück und wäre beinahe über eine Stufe gestolpert. Diesen Blick hatte er einmal im Gefängnis gesehen, als ein Mitgefangener einen anderen Mithäftling erwürgt hatte. Und dieser Blick verhieß nichts Gutes, ganz und gar nicht. "Natürlich ... Sir."
Er folgte Lucas in den Besprechungsraum für die Staffelkommandanten und blieb unsicher bei der Tür stehen, während sein Commander kurz auf-und-ab-tigerte und sichtlich um Selbstkontrolle kämpfte.
Schließlich legte Cunningham die Hände mit den Handflächen aneinander und musterte ihn über die Fingerspitzen hinweg. Er schien mit sich zu hadern, ganz so als ob der alte Drecksack ein Gewissen hätte.
"Möchtest Du Lieutenant Senior Grade werden?"
"Was?" krächzte Cartmell als Antwort. Das konnte wohl nur ein schlechter Scherz sein.
"Ich würde Dich zur Beförderung vorschlagen ..."
"Wenn was? Außerdem, wer sagt, dass mir die Beförderung nicht scheißegal ist?" zitterte seine Stimme. Was bedeutete es schon, wenn man 1st Lieutenant war, wenn man nach all den Jahren und all den Leistungen immer noch nicht respektiert wurde. Die blöden Sprüche und Anfeindungen waren weniger geworden, aber nie verschwunden. Wenn er erstmal 1st Lieutenant wäre, würde es wahrscheinlich ganz aufhören. Oder?
Für einen Moment kehrte wieder dieser Mörderblick in Cunninghams Gesicht zurück und Cartmell spannte unwillkürlich die Muskeln an. Der tickt doch jetzt nicht aus?
"Du weißt um die schwierige Mission, die wir ausführen, ich brauche Piloten, die mir helfen sicherzustellen, dass der Akarii-Prinz nicht wieder an die Öffentlichkeit geht. Und wenn Du mir hilfst, würde ich Dich zur Beförderung vorschlagen, auch wenn wir letztendlich nichts tun müssten."
Donovan Cartmell, Noname, Highball, Black Bucaneer, der Pirat, der Verräter, der Sträfling und wie man ihn sonst noch so nannte oder genannt hatte, überlegte, ob er nicht am besten sofort Ja und Amen sagen sollte, nur um hier raus zu kommen.
,Zur Hölle, ich habe schon Schlimmeres als den mitgemacht!' Sagte er sich selbst, woraufhin eine innere Stimme spöttisch antwortete: ,Etwas Schlimmeres als einen Lone Wolf Cunningham nahe am Nervenzusammenbruch? Ja, klar.'
"Was tun müssten?" fragte er schließlich trotzdem.
"Alles, was nötig ist Donovan, alles was nötig ist." Erneut überkam ihn ein beim Blick von Cunningham ein Frösteln. Irgendwas sagte ihm, dass er nicht tiefer gaben sollte, wenn er die Beförderung wirklich haben wollte. Entweder ging er den Deal mit Cunningham jetzt ein, oder er konnte es wohl vergessen und der Geschwaderkommandant würde sich jemanden anderen suchen. Noname dachte noch einmal an seine bewegte Vergangenheit und was es vielleicht für ihn bedeuten würde, wenn er jetzt seine Seele an den Teufel verkaufen würde. Doch dann traf er seine Entscheidung.
"Und ich werde 1st Lieutenant, in jedem Fall?"
"Mein Ehrenwort drauf."
Mit aller Mühe verkniff er sich ein Auflachen: "Okay, abgemacht, aber sieh zu, dass die Beförderung auch durch kommt, selbst wenn Du nicht zurückkommst."
Und jetzt nichts wie raus hier. Er wäre beinahe mit Monty zusammengestoßen als er aus dem Besprechungsraum flüchtete.

"Die Gerüchte stimmen also." Grüßte Monty seinen Geschwaderkommandanten.
"Gerüchte?"
"Na, dass Sie wach sind." Monty wippte leicht auf den Fußballen und schien wie immer voller Energie zu sein. "Wir haben ein Problem."
"Ach? Das ist ja mal was Neues." Cunningham blickte sich um. "Haben wir irgendwo Kaffee?"
"Nein, keinen frischen." Monty ließ den Nacken knacken. "Renegade musste aussteigen."
"Feindkontakt?"
"Wenn Sie unsere Mechaniker als Feinde bezeichnen möchten, Sir." Monty schnitt eine Grimasse. "Die Maschine hat gebrannt. Ohka befahl ihm auszusteigen und hat eines der SWACS alleine begleitet."
"Wie weit vom Träger entfernt?"
"Das Rettungsteam brauchte ungefähr ne halbe Stunde zu ihm hin."
Cunningham nickte: "Richtige Entscheidung. Sagen Sie Ohka, ich möchte mit ihm reden, wenn er wieder da ist."
"Aye, Sir." Monty stockte kurz. "Der Bordarzt hat angedeutet, dass Sie vielleicht auch mit Renegade reden wollten?"
"Wieso? Stimmt irgendetwas nicht?"
"Nun der werte Doktor meint, Renegade sei ziemlich ... ah durcheinander. Verstört war das Wort, was der Doc Langenscheid benutzte." Monty wippte erneut leicht auf den Fußballen, er sah aus wie eine Feder, die kurz davor war loszugehen. "Ich persönlich denke, dass wir uns eher mal Chief Dodson zur Brust nehmen sollten."
Lucas grinste, als der den Weg zur Krankenstation einschlug: "Monty, ich mag Sie, ja ich mag sie wirklich, weil Sie wohl der meistgehasste Mann an Bord sind ..."
"Neben Ihnen, Sir?"
"Ja, neben mir. Und Sie sind wohl auch der einzige Mann an Bord, der sich schützend vor mich stellen würde, wenn das Geschwader anfangen würde mich mit Steinen zu bewerfen, aber Sie werden wohl nie richtig Karriere bei diesem Verein machen."
"Ach wirklich?" Monty klang ernstlich pikiert.
"Ja, Sie kennen viele Spielregeln nicht. Unter anderem die, sich mit seinem Koch, seinen Mechanikern, dem Versorgungsoffizier und nach Möglichkeit mit dem kommandierenden Admiral gut zu verstehen." Lucas verzog das Gesicht.
"Wenn diese ..."
"Lassen Sie es gut sein, Monty.", unterbrach Cunningham seinen Stellvertreter bei der Schwarzen Staffel barsch, "Wenn die Techniker Mist gebaut haben, werde ich den verantwortlichen Kielholen lassen. Zufrieden?"
"Mit oder ohne Raumanzug?"
Cunningham verdrehte die Augen und betrat die Krankenstation.
Die Krankenstation der Columbia war geräumig und machte viel mehr den Eindruck einer Klinik, mit dem verzweifelten Versuch freundlich zu wirken.
Schnell hatten die beiden den diensthabenden Arzt ausgemacht. Ein junger Lieutenant, der sie so frostig empfing, wie es sein Dienstrang zuließ.
Nach wenigen Worten wurden sie zu Renegade gebracht, der allein in dem Krankenzimmer verloren wirkte, aber auch keine Anstallten machte, sich aus dem Bett zu erheben.
„Ihr Jäger ist Ihnen unter dem Arsch abgefackelt?“ Kam Lucas gleich zur Sache.
„Ja, SIR. Plötzlich schoss die Temperaturanzeige fürs Triebwerk in die Höhe. Dann meldete Ohka, dass es brennen würde. Kaum dass ich gestoppt und die Zusatztanks abgeworfen hatte, da brannte es schon im Cockpit. Ich MUSSTE aussteigen!“
Cunningham nickte: „Gab es irgendwelche, jetzt im Rückblick gesehen, Vorzeichen, dass was mit dem Jäger nicht stimmte?“
Ein unbehagliches Schweigen legte sich über das Zimmer, Renegades Augen irrten im Raum umher.
„Also, was ist Lieutenant?“ Fuhr Monty den jungen Pandoraner an.
„Nun ..., ich hielt ..., die Maschine ruckelte ... naja, seit ... einigen Flügen, ich dachte, ich hätte es unter Kontrolle, da es nur dann einsetzte, wenn ich manuell flog.“
„Und warum haben Sie das nicht gemeldet?“ Lucas kam Monty nur knapp zuvor.
„Ähhh ... nun, ich dachte, das gehöre zu den üblichen Nebenwirkungen der Modifikation ...“ Rutschte es Renegade raus.
Lucas seufzte hörbar: „In Ordnung. Monty, sorgen Sie dafür, dass man in allen Staffeln wegen derartiger Probleme nachforscht. Wenn auch nur einer der Piloten ein schlechtes Gefühl hat, möchte ich dass die betreffende Maschine durchgecheckt wird.“
„Aye Sir.“
„Und Sie, Renegade“, der junge Pilot straffte sich in Abwehrhaltung, „sehen zu, dass Sie schnellstens hier wieder raus kommen.“
„Ja ... ja, Sir.“
Lucas drehte sich zum gehen um.
„Er hat mich da draußen zurückgelassen!“ Platzte es aus Renegade heraus.
„Wie bitte?“ Lone Wolf blickte zurück.
„Ohka, er ... er hat mich dort allein gelassen, um ... um seine verdammte Patrouille durchzuführen.“
„In Anbetracht Ihrer Position und der Position der Columbia war das Vorgehen durchaus in Ordnung.“
„WAS? ... Waren Sie schon mal da draußen? Nur im Raumanzug? Sind in der Ewigkeit herumgetrieben?!“ Renegade war den Tränen nahe. Er fühlte sich verraten, verletzt.
„Das ein oder andere Mal.“ Mit diesen Worten verließ Cunningham, gefolgt von Monty, das Krankenzimmer.
„Geben Sie ihm einen neuen Wingleader,“, meinte Lucas vor der Tür zu Terrano, „sonst gibt das wohlmöglich noch ein Unglück.“
„Ich würde ungern die anderen Teams auseinander reißen, ist aber wahrscheinlich das Beste.“
Die beiden nickten sich nochmal zu, dann trennten sich ihre Wege. Lucas freute sich mehr denn je, ein paar Stunden im Raumjäger verbringen zu dürfen.


Manticore Sternensystem
Imperial Fleet Ship Raskhan


Langsam und mit absoluter Präzision manövrierte das kleine Kurierschiff in seine Position. Angespanntes Schweigen erfüllte die Brücke, schlich sich wie Hintergrundrauschen in den Hinterkopf der wenigen Brückenoffiziere.
Von den sonst vierzig Besatzungsmitgliedern waren nur noch acht an Bord: Der Kommandant, der Bordingenieur, der Signaloffizier, der Rudergänger, der Ortungsoffizier, ein Drohnenspezialist und drei Waffentechniker.
"Die Drohne wurde ausgesetzt." Meldete der Signaloffizier, ein junger Fähnrich.
Zwölftausend Kilometer vom Scheitelpunkt des Wurmlochs entfernt, welches das von den Akarii besetzte Manticoree mit dem so genannten Texas System verband.
Es dauerte fast eine Stunde bis die Drohne ihre endgültige Startposition erreicht hatte.
Der Kommandant Hallis Noreii bleckte nervös die Zähne: „Rudergänger: Klar machen zur Wende! Sprungantrieb auf Standby!“
„Zu Befehl! Schiff klar zur Wende. Sprungtriebwerk ist bereit.“ Auch der Rudergänger, ein alter und erfahrener Unteroffizier, wirkte sichtlich nervös.
„Sprungantrieb starten!“ Noreii legte seinen Zeigefinger auf den Zündungsknopf für die Drohne.
„Wurmloch öffnet sich!“ Kam die Meldung von der Ortungsstation. „Drohne taucht ein in ... drei, zwei, eins ... JETZT!“
Noreii zündete die Drohne mit ihrem Antimateriesprengkopf: „Volle Wende! Äußerste Kraft voraus!“
Die Raskhan drehte hart nach Steuerbord. Die Triebwerke glühten hellrot auf und warfen das kleine Schiff nach vorne. Innerhalb von dreieinhalb Sekunden hatte die Raskhan auf einhundertzwanzig Kilometer die Sekunde beschleunigt.
Ein greller Blitz erhellte den Sprungpunkt. Mehr als achttausend G bauten sich auf und hielten die Raskhan erst fest, dann zerriss die eigene Beschleunigung das Schiff und die Trümmerstücke wurden zu Atomen zermahlen.




Texas Sternensystem
Terran Republik Starship Amsterdam

Der leichte Kreuzer der Achilles Klasse lag fast zweiunddreißigtausend Kilometer vom Sprungpunkt nach Manticore entfernt. Also theoretisch an vorderster Front, doch hatte die Crew der Amsterdam noch keinen einzigen Akarii gesehen. Geschweige denn auch nur einmal in den letzten zwei Jahren scharf geschossen.
Dennoch waren ihre Scanner und Sensoren auf den Sprungpunkt gerichtet und wachten mit Argusaugen, bereit bei jeder noch so kleinen Veränderung des Terminus des Wurmlochs nach Manticore.
„Commander, ich habe soeben Meldung von Fort Benning.“
Lieutenant Commander Jochen Bockhold, diensthabender Wachoffizier, blickte den jungen Signaloffizier seiner Wache an: „Ihrem Grinsen nach haben die Bears die Yankees rausgeschmissen, oder, Larry?“
„Yes Sir! Eins zu Null in der Verlängerung, schwache Leistung für die Yankees.“
Bockhold zog einen Zehn-Real-Schein aus der linken Brusttasche und übergab ihn seinem Signaloffizier mit säuerlicher Miene.
Dieser faltete den Schein rituell zusammen und steckte ihn dann in die Hosentasche: „War mir ein Vergnügen, Sir.“
Ein lautes Piepen von der Ortungskonsole ließ Bockhold herumfahren: „Bericht!“
„Die Hauptsensoren haben was aufgefangen, dann sind sie durchgebrannt.“ Kam prompt die Meldung von Lieutenant Antonia DelRio, der dritten Ortungsoffizierin der Amsterdam.
Schnell huschten ihre schlanken Finger über die Tasten ihrer Workstation. „Ich schalte auf sekundäre Sensoren um. Mohammed: Sehen Sie sich die letzten Sekunden vor dem Absturz an. Sofort.“
„Aye Ma'am.“ Der iranische Ensign hatte bis eben heimlich gedöst, war aber sofort hellwach.
„Beim Barte des Propheten.“ Hauchte er ehrfürchtig, bevor er sich direkt an Bockhold wandte statt an Lieutenant DelRio. „Akarii, die Sensoren haben einen Sprung gemessen. Der Strahlungsausstoß lag weit außerhalb der Skala.“
Bockhold nickte kurz und griff zur Sprechanlage: „Wachoffizier für Kommandant.“
Der junge Lieutenant Commander musste nur ein paar Sekunden warten, ehe sich der Captain der Amsterdam meldete: „Kommandant hier?“
„Unsere Hauptsensoren sind ausgefallen und haben vorher noch einen Sprung aus Richtung Manticore registriert. Ich vermute einen Militärschlag der Kategorie EINS!“
„Bitte wiederholen Sie das Bockhold.“
„Vermuteter Militärschlag der Kategorie eins aus Richtung Manticore.“
Ein Lidschlag verging: „Meldeboje abwerfen und Richtspruch ans Flaggschiff! Schiff klar zum Gefecht.“
„Zu Befehl!“ Bockholds Faust sauste auf den Alarmknopf nieder. „1 MC: Alle Mann auf Gefechtsstation! Alle Mann auf Gefechtsstation! Das ist keine Übung!“

Julien Vernier, Captain der Amsterdam, erschien gerade auf der Brücke, die Besatzung hastete noch zu ihren Stationen, da schrie DelRio auf.
„Meldung DelRio!“ Blaffte Vernier.
„Captain auf der Brücke!“ Bellte Bockhold noch unnötigerweise, ehe er sich zu seiner Station begab.
„Himmel noch eins, das ist unmöglich!“ DelRio starrte fassungslos auf ihr Display.
„Was ist unmöglich?“ Hakte der Captain nach.
Die Ortungsoffizierin blickte ihren Kommandanten an, kreidebleich.
„WAS?“
Der Schrei riss die junge Offizierin wieder zurück in die Wirklichkeit: „Die sekundären Sensoren haben eine Phasenverwerfung vom Sprungpunkt aufgefangen. Eine Gravwelle breitet sich aus.“
„In unsere Richtung?“ Vernier nickte kurz seinem ersten Offizier zu, der kurz durch die Brücke hastete.
„In alle Richtungen, die wird uns treffen.“
„RUDERGÄNGER: Wende, hundertachtzig Grad. Alle Maschinen: zweimal äußerste Fahrt voraus!“
„Aye Sir, Wende, hundertachtzig. Zweimal äußerste.“ Der Hauptrudergänger Chief Petty Officer Nancy Burk blieb kalt wie Eis.
Vernier verschränkte die Hände hinter dem Rücken: „Wann wird uns die Phasenverwerfung treffen?“
„Eine Minute zwanzig.“ DelRio atmete immer noch stoßweise und klang verängstigt.
„Ist die Meldeboje schon raus, Bockhold?“
„Aye, Skipper“, antwortete der junge taktische Offizier.
„Hm, wie kann ein Sprung eine Phasenverwerfung auslösen?“ Vernier blickte unglücklich auf sein Hauptdisplay.
„Verwerfung jetzt eine Minute vom Schiff entfernt!“
Der Kopf des Captains ruckte hoch: „Besatzung klar bei Rettungskapseln!“ Er wie auch alle seine Offiziere wussten, dass dies ein sinnloser Befehl war. Wenn die Amsterdam die Gravwelle nicht überstehen würde, stand ein Überleben in einer Rettungskapsel nicht zur Diskussion.
Bockhold griff zur Sprechanlage: „Kollisionsalarm! Kollisionsalarm! ALLE MANN KLAR BEI RETTUNGSKAPSELN!“
„Hauptmonitor auf Hecksicht!“ Vernier schnallte sich gerade an.
Die näher kommende Verwerfung wurde nur durch die Kleinstpartikel sichtbar, die sie aufwirbelte, sonst hätten allein die Sensoren angezeigt, das DORT etwas ist.
„Einschlag in ... drei ... zwei ... EINS ...“
Die Verwerfung erreichte die Amsterdam, brandete gegen die Schutzschilde des leichten Kreuzers und rissen ihn mit.
Wie ein Surfbrett ritt das Schiff auf einer Energieladung, die in ihrem Zentrum stark genug war um einen Planeten zu zerreißen.
Dutzende von Alarmen ertönten und das Schadensmeldungsdisplay färbte sich gelb und rot.
Doch schon nach nur wenigen Minuten entließ die Phasenverwerfung das Schiff aus ihrem stählernen Griff und löste sich auf.
„Schadensmeldung?“ Julien Vernier kämpfte kurz mit dem Anschnallgurt und rappelte sich dann auf. Auf der Brücke der Amsterdam brannte nur noch die Notbeleuchtung.
„Hauptenergie und Triebwerke ausgefallen! Wir treiben.“
„Notsystem hat Lebenserhaltung übernommen.“ Meldete ein weiterer Brückenoffizier.
„Die Richtkommunikation ist auch ausgefallen.“
Vernier strich sein Uniformhemd glatt: „Die Krankenstation soll sich melden, ich muss wissen, wie es um meine Crew steht.“
Die nächsten Minuten gingen noch einige unbedeutende Meldungen ein, dann meldete sich der Schiffstechnische Leitstand.
„Captain, wir haben ernste Probleme“, begann der Leitende Ingenieur, „unser Haupttriebwerk hat es komplett wegrasiert. Der Reaktor hat sich notabgeschaltet und lässt sich nicht hochfahren. Die Energie kommt derzeit aus Sekundär zwo. Jedoch scheinen die Batterien ebenfalls beschädigt worden zu sein. Zwei meiner Leute wurden mit Säurevergiftung ins Lazarett gebracht, nachdem sie die Batterien kontrolliert haben. Ich habe die gesamte Bilge räumen und versiegeln lassen.“
„Wie lange reicht unsere Energie noch?“ Der Captain der Amsterdam starrte wütend das Mikrophon in seiner linken an.
„Tja, wären die Batterien unbeschädigt, dann hätten wir zwei Wochen ohne Einsparung, aber es sieht so aus, dass die Hälfte kurz vorm Verrecken ist.
Wir installieren gerade eine Notluftschleuse und gehen dann in Raumanzügen rein um zu sehen, was sich machen lässt. In zwei Sunden wissen wir mehr.“
„In Ordnung, Chief, machen Sie schnell.“
24.12.2015 14:24 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cunningham

Im Parkorbit über Texas IV
T.R.S. Lexington, Flaggschiff Erste Flotte

„Admiral an Deck!“
Die Combat Information Central der Lexington war hell erleuchtet und alle Konsolen waren besetzt, als Jens Thomsen hereinstürmte.
Ehe der Admiral eine Frage stellen konnte, hatte sich sein Flottenoperationsoffizier zu ihm umgedreht: „Wir haben sechs Meldungen über eine Akarii-Invasion. Von der Passat, der Admiral Lincoln, der Amsterdam, der Margaret Thatcher, der Syrtis Minor und der Armstrong. Kurz darauf brach der Kontakt zu allen Vorpostenschiffen ab, außer zur Admiral Fisher.“
„Alles mal herhören“, Thomsen drehte sich im Kreis um alle seine Offiziere einmal zu erfassen, „die Flotte wird sich um Fort Benning bei L-2 in Gefechtsformation gruppieren!
Kommunikation: Richtspruch über L-Com F1 an das Hauptquartier, Admiral Frost persönlich: Militärschlag der Kategorie eins gegen unsere Front bei Manticore. Erbitten alle mögliche Unterstützung. Gefecht wird im Orbit um Texas VI stattfinden. Kriegsrecht ausgerufen. Gezeichnet Thomsen, CO 1. Flotte.“
Der Admiral atmete tief durch: „Sobald die Nachricht draußen ist, Meldeboje abwerfen, die die zivile Raumfahrt über S-Com informiert, was los ist. Danach geben Sie mir eine Leitung zu Major-General Forrest.“
Ein Schwall von Bestätigungen prasselte auf ihn ein und alle Offiziere außer seinem Operationsoffizier machten sich an die Arbeit: „Ja, George?“
„Wenn ich mich recht entsinne, umfasst ein Militärschlag eins fünf bis sechs Trägerkampfgruppen Sir. Das sind zwohundertfünfzig bis dreihundert Schiffe. In einer Welle? Durch dieses Wurmloch?“
„Wir haben sechs Bestätigungen, George, und vergessen Sie nicht, dass die Verbindung zwischen Texas und Manticore ein blauer Riese ist. Ein kleiner. Dennoch ein blauer Riese. Geschickt gemacht sollte man so viele Schiffe auf einmal durchbekommen.“
„Das sind dann dreihundert Schiffe gegen unsere hundertzwanzig Sir.“
Thomsen nickte: „Ich weiß, aber mit der Peking, Fort Benning und den im Orbit und am Boden stationierten Jägern und Bombern dürften wir im Bereich Kleinmaschinen gleichwertig sein. Und Bannister dürfte ebenfalls einige ihrer Kreuzer gut machen.“
„Ich fürchte, das wird nicht langen, Sir.“
„Da könnten Sie recht haben George, da könnten Sie verdammt noch mal recht haben.“
„Die ganze Sache gefällt mir ganz und gar nicht“, schaltete sich Viceadmiral Andreas St. Cristos ein, der Kommandeur der Lexington-Kampfgruppe.
„Dreihundert Akarii-Schiffe, nein, das gefällt auch mir ganz und gar nicht.“ Thomsen schüttelte den Kopf.
„Wir sollten uns visuelle Bestätigung einholen. Jens.“
Thomsen blickte seinen Operationsoffizier an: „Wie ist der Status der Admiral Fischer?“
„Die Fregatte war das am weitesten entfernte Vorpostenschiff und hatte die Sensoren abgeschaltet gehabt, zu einer Neukalibrierung und zum Softwareupdate. Laut letzten Meldungen ist die Fisher voll einsatzfähig.“
„Dann setzen Sie eine E.A.M. An die Admiral Fischer ab. Die Fischer soll uns eine visuelle Bestätigung der Akarii besorgen.“ Thomsen fuhr sich durch den Bart. „Und sagen Sie dem Skipper der Fischer, er solle sich ja nicht erwischen lassen, ich erwarte, dass er bei uns ist, wenn wir uns den Akarii stellen.“
„Aye, aye Sir.“


T.R.S. Admiral Fischer
Texas System

Kevin Riker stammte aus Texas, nicht dem System, sondern dem schönen Flecken Land auf Terra. Er war Sohn aus gutem und reichem Haus.
Mal ganz davon abgesehen, dass Riker Commander der Terran Space Navy war und sein eigenes Schiff kommandierte, war er auch ein ausgezeichneter Schauspieler. Er redete häufig mit völlig überzogenem Dialekt und trat sehr oft Säbelbeinig auf. Wäre er sich dabei nicht total albern vorgekommen, hätte er auch ständig einen Cowboyhut getragen.
Jetzt allerdings waren Akzent und säbelbeiniger Gang vergessen. Seitdem die Admiral Fischer ihre Sensoren abgeschaltet hatte, waren sie im wahrsten Sinne blind. Dann waren die Invasionsalarme losgegangen und der Kontakt zu den anderen Vorpostenschiffen abgebrochen.
„Skipper!“
Riker zuckte zusammen als sein erster Offizier ihn ansprach: „Ja, XO?“
„Wir haben eine Emergency Alert Message von der Lexington erhalten. Der Computer hat sie entschlüsselt und authentisiert, Sir.“
Riker nahm das Blatt entgegen. Er las einmal und dann noch ein zweites Mal.
„Das ist ein Scherz.“
„Ich fürchte nicht, Sir.“
„Die halten mich doch wohl nicht für einen V.V.I.“
„Ich glaube schon. Was ist ein V.V.I., Sir?“ Wollte der erste Offizier wissen.
„Verdammter Vollidiot, XO. Holen Sie mir mal bitte den OPS und den Rudergänger hinzu.“
„Aye Sir.“
Kurze Zeit später stand Riker mit seinem XO, dem Operationsoffizier und seinem Chefrudergänger um den Kartentisch.
„So Herrschaften, wir sollen uns den Sprungpunkt angucken. Und laut Admiral Thomsen wär's toll, wenn wir uns dabei nicht abschießen lassen.“
Der Operationsoffizier pfiff leise durch die Zähne: „Wie hat der Alte sich das denn vorgestellt?“
„Das hat er uns natürlich nicht mitgeteilt.“ Antwortete der XO der Admiral Fischer.
„Also, vor etwa neunzig Minuten sind die Akarii reingesprungen? Wenn wir davon ausgehen, dass sie sich systemeinwärts bewegen, dürften sie sich mittlerweile ca. 54.000 Kilometer in Richtung Texas IV bewegt haben. Bei maximaler Beschleunigung in Richtung Sprungpunkt dürften wir also in schätzungsweise zweiunddreißig Minuten mit denen zusammentreffen. Wäre das einfachste, einfach auf sie zu warten und sich dann aus dem Staub zu machen.“ Der Operationsoffizier blickte die anderen fragend an.
„Mal ganz ehrlich, OPS“, begann der XO, „würden Sie mit Volldampf in ein feindliches System hineinfahren?“
„Das kommt immer drauf an.“ Entgegnete der Operationsoffizier. „Je nachdem, wie schnell die Akarii meinen zuschlagen zu müssen.“
„In Ordnung Herrschaften. Wir werden den Sprungpunkt in einem parabolen Kurs anfahren. So können wir schnellstmöglich wenden und abhauen, sollten die Akarii uns entgegen kommen. Wenn die sich noch um den Sprungpunkt tummeln, werden wir im Abstand von zwanzigtausend Kilometern die Fischer mit dem Bug in Richtung Sprungpunkt wenden, damit wir mit unseren Richtsensoren und Langstreckenteleskopen den Punkt in Augenschein nehmen können. Dabei behalten wir natürlich den Kurs bei. Nach zehntausend Kilometern wenden wir die Fischer, brechen unseren Kurs ab, nehmen direkt Kurs auf Texas IV.“
Riker blickte seine Offiziere an: „Noch Fragen?“
„Nein, Sir!“ War die gleichmündige Antwort.
„Dann an die Arbeit.“
24.12.2015 14:25 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Tyr

Erst in dem Augenblick, als das SWACS-Shuttle sicher und ohne Komplikationen von dem ATLS übernommen und in den Hangar der Columbia gezogen wurde, erlaubte es sich Kano, erleichtert aufzuatmen. Der Flug war ergebnislos verlaufen, aber der junge Pilot hatte sich dennoch keinen Augenblick entspannen können.
Kano hatte noch nicht einmal die Kanzel seiner Maschine verlassen, als sein Blick auf den stellvertretenden Staffelchef der Butcher Bears fiel. Miguel ‚Monty’ Terrano schien auf ihn zu warten. Wie immer hielt er sich sehr aufrecht, als wollte er seine eher geringe Körpergröße kompensieren. Montys Gesichtsausdruck war undeutbar, und Kano fühlte, wie die eben erst etwas von ihm abgefallene Anspannung zurückkehrte. Wenn Monty es für nötig hielt, persönlich im Hangar auf ihn zu warten…
„Nakakura.“ Montys Stimme klang neutral, undeutbar.
„Sir.“
„Ich erwarte einen umfassenden, detaillierten Bericht. Es hat auch bei einigen anderen Staffeln…Unregelmäßigkeiten bei Patrouilleeinsätzen gegeben. Sie haben zwei Stunden. Nicht mehr.“
Trotz des wenig herzlichen Tonfall Montys war Kano erleichtert. Wenn Cunninghams Stellvertreter in der Schwarzen Staffel der Meinung gewesen wäre, dass Kano sich falsch verhalten hätte, dann hätte Monty nicht erst einen schriftlichen Bericht abgewartet, sondern sofort und sehr nachdrücklich sein Missfallen kundgetan. Da diese Standpauke ausblieb, schien Monty das Verhalten Kanos für insgesamt gerechtfertigt zu halten.
„Natürlich, Sir. Wie geht es Renegade?“ Auch wenn Kano den pandoranischen Piloten nicht sehr schätzte, der Mann unterstand seinem Kommando, und Kano war für ihn verantwortlich.
Monty verzog kurz den Mund, als hätte er einen unangenehmen Geschmack auf der Zunge. Seine Stimme klang so ausdruckslos, dass seine Missbilligung direkt greifbar schien: „Renegade geht es gut. Er liegt auf der Krankenstation, aber nur zur Beobachtung.
Dennoch… Goliath und Renegade werden hiermit meiner Sektion zugeteilt, Sie bekommen Crusader und Submarine. Crusader war ihr Flügelmann, und Submarine ist…unkompliziert.“
„Sir? Habe ich…“
„Sie haben sich militärisch korrekt verhalten. Dennoch, durch die Tatsache, dass Sie dazu Renegade zurücklassen mussten, ist Ihr persönliches Verhältnis…gestört. Ohne Vertrauen ist keine sinnvolle Zusammenarbeit möglich. Ich und der Staffelchef halten diese Umbesetzung deshalb für angebracht.“
„Kann ich nicht…“
„Zu spät, Lieutenant. Ich glaube nicht, dass Sie Renegade überzeugen könnten, dass Sie ihn nicht im Stich gelassen haben. Außerdem…ein Sektionschef, der einen Untergebenen – dazu einen Untergebenen wie Renegade – um Entschuldigung bittet? Das wäre genauso schädlich für die Sektion. Nein, ein klarer Schnitt ist das Beste.“ Montys Stimme klang sehr bestimmt. Und einen Augenblick empfand Kano auch Erleichterung über diese Umbesetzung – und schämte sich dafür. Das war der einfachste Weg. Aber der einfachste Weg war nicht unbedingt der ehrenvollste.
Offenbar war auch Monty einer ähnlichen Ansicht: „Diesmal haben wir eingegriffen und in Ihrem Sinne gehandelt, Nakakura. Aber diese Lösung ist nicht ideal. Wir können nicht immer die Staffeln umbesetzen, weil das Verhältnis zwischen den Piloten gestört ist. Das kann sich die TSN einfach nicht leisten. Sie haben nach dem militärischen Ermessensspielraum richtig gehandelt. Aber Sie müssen lernen, diese Erfordernisse mit den…psychologischen Erfordernissen der Menschenführung zu verbinden. Vor allem, wenn Sie hoffen, einmal eine eigene Staffel zu führen. Wenn Sie dazu nicht in der Lage sind…“ Monty führte den Satz nicht zu Ende. Das war nicht nötig. Kano fühlte, wie ihm unwillkürlich das Blut in die Wangen schoss. Monty kante Kanos Ambitionen. Und sein Urteil galt nicht wenig an Bord der Columbia. Wenn Monty zu der Ansicht kam, dass Kano nicht die nötigen Qualitäten hatte, dann würde er niemals über seinen Rang als Lieutenant hinauskommen.
„Ich verstehe, Lieutenant Commander.“
„Das hoffe ich. Beweisen Sie es.
Und noch etwas – versuchen Sie nicht, sich mit Renegade auszusprechen. Ich glaube nicht, dass das etwas bringt. Er würde es sowieso nur wieder falsch verstehen.“
„Ja, Sir.“
„Der Commander will Sie sprechen – in zwei Stunden. Das war alles.“ Damit drehte sich Monty um und ging. Er ließ einen nachdenklichen First Lieutenant zurück.


Zweieinhalb Stunden später

Kano hasste es zu spät zu kommen. Ganz besonders, wenn er sich bei seinem Geschwaderkommandanten melden musste. Es war ihm unglaublich schwer gefallen, den Bericht über den Vorfall mit Renegade zu verfassen. Seine Gedanken waren immer wieder zu Montys Worten zurückgekehrt und zu Renegade, der auf der Krankenstation lag.
Noch einmal überprüfte er den korrekten Sitz seiner Uniform. Er wusste, dass Cunningham Unpünktlichkeit hasste. Wie Skunk mehrmals betont hatte, wollte der Geschwaderkommandant nicht, dass seine schlechten Angewohnheiten auf das Geschwader abfärbten.
Kano betätigte den Türsummer.
„Herein.“
Der japanische Pilot trat ein, nahm Haltung an und salutierte: „Lieutenant Kano Nakakura meldet sich wie befohlen!“
Cunningham kam gerade aus dem Schlafbereich seines Quartiers und war dabei sich die Haare mit einem Handtuch trocken zu reiben.
Der Geschwaderkommandant musterte den jüngeren Piloten kurz, ehe er den Salut erwiderte. „Rühren Lieutenant, setzen Sie sich bitte.“ Er wies auf einen der beiden Stühle für seinen Schreibtisch. „Möchten Sie einen Kaffee?“
„Gern“, antwortete Kano, obwohl ihm nicht nach Kaffee zumute war. Aber eines der ungeschriebenen Gesetze der Navy war, dass man den Kaffee seines vorgesetzten Offiziers nicht ablehnte. Ein schwerwiegender Fehler, wie Kano herausfand, Cunninghams Kaffee war selbst nach vier Stück Zucker noch sehr bitter.
„Monty hat Ihnen sicher schon die Umbesetzung Ihrer Sektion mitgeteilt.“
„Ja, das hat er, Sir. Ich bin mir bewusst, dass Sie und Commander Terrano diese Entscheidung zum Besten...“
Cunningham hob die linke Hand und gebot dem jüngeren Piloten zu schweigen.
„Kano“, zum ersten Mal redete er den Japaner mit dessen Vornamen an, „das hat nichts mit Ihnen zu tun. Sie sind ein guter Pilot und mausern sich immer mehr zu einem guten Anführer. Sie beweisen ein gutes Beurteilungsvermögen und wissen um die Konsequenzen Ihrer Entscheidungen. Die meisten, und ich glaube Renegade gehört auch dazu, wissen nicht um die Bürde der schwierigen Entscheidung und legen diese dann häufig als Boshaftigkeit ihnen gegenüber aus. Als Kaltherzigkeit oder als Schikane ihnen gegenüber.“
„Danke, Sir.“ Kano nahm jetzt gegen seinen Willen doch einen zweiten Schluck Kaffee.
Lone Wolf lächelte: „Ich sage nur die Wahrheit. Was zu einer noch unschöneren Angelegenheit bringt.“ Der Geschwaderkommandant pausierte kurt. „Ich brauche vielleicht einige freiwillige Piloten für einen Spezialeinsatz.“ Er hob erneut die Hand um Kanos sofortige Antwort zu unterbinden. „Es ist keine angenehme Pflicht, aber wir müssen uns ihr stellen. Wir stehen gelinde gesagt vor einem ziemlichen Schlamassel. Die Marines bereiten sich für die Erstürmung Korax ma Rah vor. Die Kreuzerschwadronen würden am liebsten den Träger mit Mann und Maus aus dem All fegen und ich, nun ich hätte absolut nichts dagegen, wenn dieser dicke Fisch auf unserer Abschussliste stehen würde. Nur macht sich keiner Gedanken darüber, wie wir sicherstellen, den Prinzen erwischt zu haben. Man stelle sich nur das Meer aus treibenden Rettungskapseln vor, das so ein Träger hinterlässt.“
„Dann müsste man alle Rettungskapseln aufsammeln oder durchsuchen oder ...“ Kano stockte kurz und Erkenntnis leuchtete in seinen intelligenten Augen auf. Er schluckte kaum merklich. „Oder sie abschießen.“
Cunningham nickte bedächtig.
„Ist es das, was Sie vorhaben Sir? Die Rettungskapseln abzuschießen?“
Der Commander atmete tief ein: „Wenn uns nichts anderes übrig bleibt: Ja!“
Einige Augenblicke lang starrte Kano den Geschwaderchef wortlos an. Sein ausdrucksloses, fast starres Gesicht verriet nicht, was dahinter vorging. Aber als er sprach, klang die Stimme des jungen Piloten belegt, fast schwerfällig: „Ich…kenne meine Pflicht, Sir. Ich werde sie erfüllen.“
„Sie meinen damit…“
In Kanos Gesicht zuckte es kurz: „Ja, Sir. Befehlen Sie, und ich werde schießen.“ Cunningham war kurz überrascht, aber dann realisierte er, dass er diese Reaktion hätte voraussehen müssen. Ohka hätte entweder ja gesagt, oder sich schlicht und einfach geweigert – lange Diskussionen waren nicht sein Stil.
„Gut. Ich weiß, dass Ihnen diese Entscheidung nicht leicht fällt. Wäre es anders, würde ich Sie nicht in meinem Geschwader haben wollen. Sie haben die richtige Wahl getroffen. Die Bereitschaft, etwas zu tun, was getan werden muss, auch wenn es unangenehm ist – das macht einen guten Soldaten aus. Einen guten Offizier.“
„Ich tue meine Pflicht.“ Kanos Stimme klang angespannt. Offenbar wollte er nicht weiter darüber reden.

Innerlich war er längst nicht so ruhig, wie er sich nach außen zu geben bemühte. Was der Commander da von ihm verlangte, das widersprach fundamental den gültigen Kriegskonventionen. Auf Wehrlose zu schießen, Schiffbrüchige… Das war ein Kriegsverbrechen, ohne Wenn und Aber, nach den Gesetzen der Erdstreitkräfte und nach den Gesetzen der menschlichen Moral.
Aber indem Cunningham den Auftrag als freiwillig bezeichnet hatte und Kano um seine Teilnahme gebeten hatte, war die Entscheidung eigentlich bereits gefallen. Kano war aufgefordert worden vorzutreten – und die Traditionen und seine eigenen Vorstellungen von Pflicht und Loyalität ließen ihm keine Wahl. Kurz flackerte fast so etwas wie Hass auf Cunningham in dem jungen Piloten auf, aber er behielt seine Miene eisern unter Kontrolle. Es wäre zu einfach, die Verantwortung auf den Geschwaderchef abzuwälzen. Immerhin war es Kanos Entscheidung.

Instinktiv fühlte Cunningham, dass Kano jetzt offenbar allein sein wollte. Doch zuvor…: „Der Auftrag für diesen Spezialeinsatz kommt von höchster Stelle – aber er kann natürlich niemals offiziell gegeben werden, verstehen Sie? Dies alles unterliegt der absoluten Geheimhaltung. Reden Sie mit niemand, ich wiederhole NIEMAND darüber. Das wäre alles.“
„Sir!“ Kano erhob sich, salutierte abgehackt, drehte sich um und ging.

Draußen musste er sich kurz an der Bordwand abstützen. Eine Welle der Übelkeit stieg in ihm auf, aber er zwang sie zurück. Zum Glück war gerade niemand anwesend, der seine Schwäche hätte bemerken können.
Er war kein Freund der Akarii, nicht im Geringsten. Auch wenn er sie nicht derartig hasste, wie einige andere Piloten, es war für ihn nie ein Problem gewesen, Feinde zu töten.
Aber das war Krieg gewesen, geschah im Rahmen regulärer Kampfhandlungen. Es war moralisch in Kanos Augen unbedenklich, und weder unehrenhaft noch fragwürdig gewesen.
Für diesen Spezialauftrag galt das hingegen in keiner Weise.

Plötzlich hielt Kano inne. Seine Schritte hatten ihn unbewusst in eine bestimmte Richtung geführt. Das war der Weg zu Helens Kabine. Abrupt drehte sich Kano um und eilte in eine andere Richtung, zu seinem eigenen Quartier. Er konnte nicht mit Kali reden, er durfte es nicht einmal. Und außerdem…
Was würde sie sagen, wenn sie von diesem Auftrag erfahren sollte? Sie würde diesen Einsatz wohl kaum gutheißen – das tat nicht einmal Kano selber. Aber würde er ihr dann noch in die Augen sehen können? Würde sie sich nicht von ihm abwenden, wenn das Blut dutzender, vielleicht sogar hunderter Akarii an seinen Fingern klebte? Würde sie…
Kano biss die Zähne zusammen. Er hatte zugestimmt. Er würde den Befehl befolgen. Er konnte nur hoffen, dass es überhaupt nicht zu dem Einsatz kommen würde – und sich selber für diese wenig mutige Hoffnung verachten.
Er würde Cunningham folgen. Aber wenn es sich dann herausstellen sollte, dass der Preis zu hoch gewesen war, wenn das bedeuten würde, dass er Kali verlor…
Was blieb ihm dann schon noch?

Die Kabine, die Kano sich mit Crusader teilte, war momentan leer. Dafür war er dankbar. Mit Kali konnte er nicht reden, wagte er nicht zu reden. Und ansonsten… Es gab niemanden, den er mit diesem Wissen belasten konnte. Langsam, schwerfällig, setzte sich Kano auf die schmale Koje, die ihm gehörte. Er fluchte nicht, er atmete nicht einmal schneller. Sein Gesicht blieb eine undeutbare Maske. Aber wenn jemand ihn jetzt genauer hätte betrachten können, dann wäre einem aufmerksamen Beobachter aufgefallen, dass die Hände des jungen Piloten zitterten, als würde er frieren.
25.12.2015 09:53 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Ironheart

Wiedersehen – Vielversprechende Arbeiten

Offiziersmesse der KAMI
Unbekanntes System

Als Hue Xha Bao sich in der Offiziersmesse der KAMI umsah, erkannte er überraschend viele bekannte Gesichter. Es war ihm fast so, als hätte sich ein Veteranentreffen der Operationsgruppe Magellan zusammengefunden und Hue erwartete fast, dass das strenge Gesicht von Captain Vijadh Terrific Singh jeden Augenblick durch die Tür treten würde, um das Wort zu übernehmen. Der einzige, der hier im Augenblick nicht her passte, war Colonel Sean Hammersmith, der als einziger der anwesenden Offiziere nicht an Operation Magellan teilgenommen hatte.
Hue wusste, dass das kein Zufall war, schließlich hatte Hammersmith das 217. ganz bewusst aus den Veteranen des ersten größeren Entermanövers des Krieges rekrutiert, dem letztlich fehlgeschlagenen Angriffes auf die KIRIL PARAM im Pasumata-System. Aber dennoch fragte sich Hue, was Hammersmith damit bezweckte. Die Organisation für dieses Treffen war alles andere als einfach gewesen, schließlich dienten die einzelnen anwesenden Offiziere zwar allesamt in der Columbia-Trägerkampfgruppe, waren aber über die verschiedensten Schiffe verteilt.

Neben Hue waren noch Cpt. Julius Schneider und sein XO Cmdr. Haruka Ichihiro von der KAMI anwesend. Cmdr. Igor Maleetschev diente als XO auf der REPULSE, genau wie Captain Carl Johansson. Hammersmith war mit Lt. Cmdr. Jurcic auf der RELENTLESS stationiert, während Lt. Cmdr. Santiago „Tigre“ DeLaCruz und seine XO 1st Lt. Diane „Lady Death“ Balestier mit ihrer Staffel auf der COLUMBIA standen.
Auch wenn es sich offiziell nur um ein gemeinsames Abendessen der Offiziersveteranen der Operation Magellan handelte, kannte Hue seinen Vorgesetzten mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass diese Einladung nicht ohne Hintergedanken zustande gekommen war.

Nachdem der erste Teil des Essens dem Aufwärmen alter Anekdoten und dem Austausch von Nettigkeiten untereinander gewidmet worden war, erhob sich schließlich Colonel Hammersmith und sprach einen Toast aus. „Captain Schneider: Vielen Dank für den freundlichen Empfang auf Ihrem Schiff. Ich möchte mein Glas erheben. Auf Sie, meine Dame und werte Herren. Auf Sie und die erfolgreiche Operation Magellan, zu der ich leider nicht dazugehören durfte.“
„Erfolgreich?“ Tigre verzog das Gesicht, nachdem er einen kurzen Schluck aus seinem erhobenen Glase genommen hatte. „Operation Magellan bezeichnen Sie als Erfolg, Colonel?“
„Ja, durchaus. Eingedenk der Tatsache, dass Sie damals zur einer Art eskortierter Aufklärungsmission aufgebrochen sind und damit im Grunde gar nicht über die nötige Ausbildung und Ausrüstung für eine Entermission verfügt haben, haben Sie doch dennoch einige neue Türen aufgestoßen. Und der fast erfolgreiche Versuch der Enterung einer Akarii-Raumstation gehört sicher zu einem Meilenstein in diesem Krieg. Ohne Ihren Einsatz gäbe es das 217. Sturmregiment gar nicht. Und wir hätten niemals die Velorha-Raumwerften eingenommen und die DEUTSCHLAND freigesetzt. So wie ich die alten Schlachtschiff-Betonköpfe kenne, hätten diese auch Velorha lieber eher in Schutt und Asche gelegt, als diesen Einsatz zu erlauben.“
„Und Sie glauben, dass mehr als 50 Prozent Verlustquote einen solchen „Erfolg“ rechtfertigen?“
„Nun, wie gesagt, mit der richtigen Truppe wäre nicht nur der damalige Einsatz erfolgreich verlaufen. Ich bin mir darüber hinaus sicher, dass die Verlustquote deutlich niedriger gelegen hätte.“
Tigre antwortete nicht, sondern zuckte nur kurz mit den Schultern, bevor er einen neuen Schluck nahm.
„Sie scheinen nicht besonders überzeugt davon zu sein, Lieutenant Commander? Wie ist Ihre Meinung bezüglich der Option, die Korax ma Rah zu entern?“

Tigre ließ sich einen Augenblick Zeit, bevor er antwortete. „Ich denke, dass es das Risiko nicht wert ist.“
„Aber bedenken Sie die Chancen, Commander. Es geht doch hier um die einmalige Gelegenheit, das Flaggschiff des Prinzen Jor in die Hände zu kriegen. Vielleicht sogar samt dem Prinzen. Stellen Sie sich doch die Auswirkungen auf die Moral der Akarii nur einmal vor, wenn uns das gelänge.“
„Aber zu welchem Preis?“
„Ich bin der Meinung, dass dieses Opfer den möglichen Gewinn durchaus rechtfertigt. Aber sagen Sie, was ist mit den übrigen Angry Angels und ihrem CAG Cunningham? Sehen Sie diesen möglichen Einsatzbefehl ebenfalls so kritisch? Werden sie die Befehle ordnungsgemäß ausführen, wenn der Enterbefehl tatsächlich kommen sollte?“ fragte Hammersmith weiter an Tigre gewandt.
„Nun, ich wüsste nicht, warum der CAG direkte Befehle verweigern sollte?“

Hammersmith lächelte etwas und wandte sich an Igor Maleetschev. „Was meinen Sie, Commander? Würde Cunningham bzw. seine Staffeln die Befehle für einen solchen Einsatz verweigern oder bewusst sabotieren?“
„Worauf wollen Sie hinaus, Colonel?“
„Nun zunächst mal sind die Angry Angels durch ihre Kampfkraft bekannt geworden und genießen mittlerweile einen erstklassigen Ruf. Aber erstens hat er auch ein paar sehr schlagkräftige Bomberstaffeln, vor allem seine Mirage-Staffel um „Razor“ Durfee. Ich könnte mir denken, dass dieser Knabe sich gerne noch einen weiteren kapitalen Bock auf seinen Rumpf malen möchte. Und zweitens eilt Cunningham ein gewisser Ruf voraus. Es ist durchaus kein Geheimnis, dass er selbst Befehle der Admiralität durchaus zu… na sagen wir mal… eigenmächtig zu interpretieren weiß.“
Maleetschev schwieg und fixierte Hammersmith.
„Verstehen Sie mich nicht falsch, Commander“ fuhr Hammersmith fort, als Maleetschev ihm nicht antwortete. „Ich weiß, dass Sie mit Cunningham auf der DOLPHIN den Perisher gemacht haben und ich weiß, dass sie mit ihm in einer Kabine einquartiert waren. Ich weiß auch, dass Sie befreundet sind, und ich weiß auch, dass sie – trotz der eher dürftigen akademischen Ergebnisse des Commanders – sehr viel von ihm halten.“
Hue registrierte, dass Maleetschev etwas konsterniert war durch Hammersmiths offenkundige Hervorhebung der Tatsache, dass er sehr gut informiert zu sein schien. Maleetschevs Augen verengten sich einen Bruchteil einer Sekunde und dann huschte sein Blick erst hinüber zu Schneider, der fast unmerklich den Kopf schüttelte, dann zu Johansson und schließlich zu Hue selber. Maleetschev fragte sich augenscheinlich, wer dem Colonel all diese intimen Details offenbart hatte. Andererseits kannte Hue den Colonel mittlerweile ziemlich gut und wusste daher, dass dieser eine Menge Kontakte in alle Richtungen hatte. Bei dessen akribischer Vorbereitung würde es ihn nicht wundern, wenn er sogar das Rasierwasser jedes einzelnen leitenden Offiziers der Einsatzgruppe in Erfahrung brachte, in der Hoffnung, dass ihm das irgendwann einmal helfen könnte.
Er hatte Hammersmith während der Sturmvorbereitungen auf die Velorha-Raumwerften erlebt. Es hatte jede Menge hochrangige Offiziere in Renaults Stab gegeben, die einen Sturm auf die Raumwerften und die vor Anker liegende DEUTSCHLAND als unverantwortlich und zu risikoreich bezeichnet hatten. Wochenlang hatte Hammersmith den Admiral und seinen Stab beschwatzt, bis sie ihm endlich zugestimmt hatten. Und das versuchte Hammersmith jetzt auch wieder.
Immer wieder präsentierte der Kommandeur des 217. Sturmregiments verfeinerte Angriffspläne und versuchte sich eine Lobby für diesen Angriff zu erarbeiten. Er versuchte auch solche Querköpfe wie Commodore Mithel oder Captain Waco zu überzeugen, wohlwissend, dass diese voll und ganz gegen diesen Einsatz waren. Doch Hammersmith war ein Offizier, der sich mit solchen vorgefertigten Meinungen nicht abfand.

Als Maleetschev nicht antwortete, fuhr Hammersmith fort: „Hören Sie, Commander. Ich weiß zufällig, dass der CAG der Columbia ein ganz schöner Dickkopf sein kann und häufig genug seinen eigenen Kopf durchgesetzt hat. Diese Dickköpfigkeit dürfte im Übrigen der Grund dafür sein, dass er – obwohl er aus den Angels im Laufe dieses Krieges ein Elite-Geschwader geformt hat – immer noch nur den Rang eines Commanders innehat. Ich, nein wir alle, müssen einfach wissen, ob Cunningham einen eigenen Weg einschlagen wird, wenn es so weit sein sollte. Ich möchte ungern Admiral Wulff von der Ergreifung dieser einmaligen Chance überzeugen, meine Leute wochenlang auf diesen Einsatz trainieren und dann alles wegen eines wild gewordenen Raumjockeys verlieren.“
Maleetschev ließ Hammersmith noch ein wenig zappeln, ehe er mit eisiger Stimme antwortete. „Das ist nun mal Ihr Risiko, Colonel, da kann Ich Ihnen nicht helfen. Vielleicht sollten Sie Commander Cunningham selbst fragen?“
Hammersmith lehnte sich zurück und lächelte freundlich, doch Hue kannte diesen Ausdruck, wenn der Colonel verärgert war, es aber nicht zugeben wollte. „Das ist eine exzellente Idee, Commander. Ich denke, das werde ich tun.“ Hue wusste, dass Hammersmith es hasste, wenn er nicht wusste, woran er war. Und bei Cunningham traf dies nun einmal zu und sowohl Tigre als auch Maleetschev konnten oder wollten Hammersmith keine Hilfe sein.
Und wenn es nicht heute Abend war, weil das Gespräch von Schneider durch die Ankündigung des Desserts bereits in eine angenehmere Richtung gesteuert worden war, dann würde es Hammersmith an anderer Stelle eben auf andere Art und Weise herausfinden.
Hammersmith würde alles in seiner Macht stehende tun, um diesen Einsatz zu kriegen, daran hegte Hue keinen Zweifel.

***********************************************

An Bord der TRS DOLPHIN
Im Orbit um Jupiter

Die Absolventen der Dolphin hatten hart gearbeitet und einige von ihnen waren trotzdem kläglich gescheitert. Hayson und Singh hatten schließlich genauso hart arbeiten müssen, um die Arbeiten der Kapitänsanwärter zu prüfen. Und sie waren wie üblich ausgefallen. 20% der Absolventen fehlte so gut wie alles: Sie waren unpräzise, einfallslos und ließen jeglichen strategischen Sachverstand vermissen. Aus diesem Pool würden sicher ein paar der Absolventen eine ungenügende Gesamtnote erhalten, die dann zum Scheitern ihres Perisher-Kurses führen würden.
70% konnte man hingegen als solide umschreiben. Die Fakten waren genau, die mathematischen Modelle exakt und die Szenarien einigermaßen plausibel, wenn auch in der Regel ebenfalls mit einem Mangel an Kreativität behaftet. Also reine Fleißarbeiten, die aber zum Bestehen des Faches ausreichen würden.
Die letzten 10% waren hingegen durchaus als überdurchschnittlich zu bezeichnen gewesen, sie zeigten sogar an der einen oder anderen Stelle ein gewisses Maß an Genialität. Hayson und Singh hatten diese drei Arbeiten noch genauer unter die Lupe genommen und sich zu einem ungewöhnlichen Schritt entschlossen, indem sie die Aufgabe erweitert hatten. Das war zwar bei den anderen Dozenten nicht auf sonderliche Gegenliebe gestoßen, doch die Absolventen hatten von sich aus zugestimmt einen weiteren Teil ihrer ohnehin schon knappen Zeit für die Vollendung ihrer Simulation zu verwenden. Die Hinweise von Singh und Hayson hinsichtlich einer exzellenten Bewertung in den jeweiligen Fächern hatten als Antrieb genügt, glich doch eine so gute Bewertung in Allgemeiner Flottentaktik in Kombination mit Einfacher Kommandoführung und Verbandsmanövern gleichsam einem Adelsschlag in Sachen Flotten- und Kriegsschiffstrategie.

Das Ergebnis hatte zumindest auch die beiden Dozenten deutlich überrascht, bis sie zu einem Punkt gekommen waren, wo es nicht mehr nur noch um die Fertigstellung einer Abschlussarbeit ging. Die drei Absolventen hatten in Teamarbeit ein Thesenpapier auf die Beine gestellt, das bereits in seinen Grundzügen äußerst alarmierende Schlüsse nach sich zog. Mit Einverständnis der ursprünglichen Autoren ergänzten die beiden Dozenten die Arbeit um weitere Fakten – auf die die Absolventen nicht mal Zugriff gehabt hatten – und komplettierten die Thesen mit denen von Dr. von Braun und anderen Wissenschaftlern, so dass aus der eigentlichen Arbeit eine komplette Doktrin erwachsen war.
Die Ergebnisse dieser Doktrin waren niederschmetternd. So oft Hayson, Singh und ihre Schützlinge die Simulationen auch durchspielten, jedes Mal ging das Akariische Imperium früher oder später als Sieger hervor.
Ein absoluter Sieg innerhalb eines kurz- bis mittelfristigen Zeitrahmens für die Terranisch-Kolonialen Allianz schien bei Beibehaltung der bisherigen Strategie selbst bei äußerst optimistischen Voraussetzungen unmöglich zu sein.
Lange berieten sich die beiden Dozenten und entschlossen sich dann dazu, die Arbeit ihrer Schützlinge mit entsprechenden eigenen Kommentaren versehen zu bewerten und im zentralen Perisher-System freizugeben. Damit wurde die Gesamtarbeit nicht nur in die Perisherbewertung einbezogen, sondern wurde auch noch an das Oberkommando geschickt. Ihre Schützlinge waren zunächst unsicher gewesen, ob sie ebenfalls ihren Namen unter die Arbeit setzen sollten, doch schließlich stimmten sie zu, denn fast drei Wochen intensivste Arbeit sollten nicht umsonst gewesen sein.

Selbst als Singh und Hayson Ihnen die möglichen Konsequenzen Ihrer gemeinsamen Doktrin eröffneten, hatten die viel versprechenden Offiziere Amato, Delieu und Krajicek keinen Rückzieher gemacht.
Und nun saßen die fünf Offiziere nicht einmal zwölf Stunden nach der Einreichung ihrer gebündelten Arbeit im Büro von Vier-Sterne-Admiral Arthur J. Jellico, der sie alle einzeln nacheinander fixierte.
„Nun, Rear-Admiral. Hätten Sie vielleicht die Güte mir zu erläutern, was die Abgabe ihrer Arbeit zu bedeuten hatte?“
„Sir, wir waren der Meinung, dass die Arbeit der Absolventen eine Richtung eingeschlagen hatte, die Commodore Singh und ich schon seit einiger Zeit ebenfalls gesehen haben. Terrific und ich waren der Meinung, dass die Arbeit so außergewöhnlich gut erarbeitet worden ist, dass wir Sie zu einer gesammelten Doktrin zusammengefasst haben.“
„HERRGOTT, Hayson. Sie schicken eine gebündelte Arbeit mit einem so brisanten Thema ohne meine Zustimmung an das Oberkommando?“ Jellico hob die ausgedruckte Arbeit hoch und blätterte darin herum. „Eine Arbeit, die als Fazit die Niederlage der Terranisch-Kolonialen Allianz vorhersagt? Sie können von Glück sagen, dass ich Sie nicht wegen Unterhöhlung der Moral anklage. Und wenn ich es nicht tue, könnte jemand anderes im Oberkommando durchaus noch auf die Idee kommen.“
„Sir, die Fakten und Simulationen…“
„Die Fakten und Simulationen sind mir SCHEISSEGAL, Kilian! Sie durchbrechen bewusst die Kommando-Kette, nur um mal wieder als Klugscheißer glänzen zu können. Sie sind nicht mehr im Strategiestab des Oberkommandos, so ungern sie das hören, will das nicht in ihren Dickschädel?“
Hayson schwieg, er wusste, wann der Zeitpunkt gekommen war, einen wütenden Admiral nicht noch weiter auf die Palme zu bringen. Die drei Commander hingegen saßen wie die Kaninchen vor der Schlange und hatten Schwierigkeiten, ihre Sorge um die eigene Karriere zu verbergen.
Admiral Jellico schüttelte den Kopf, dann fuhr er leise fort. „Nun gut, Sie lassen mir keine andere Wahl. Rear-Admiral Hayson, Commodore Singh: Sie sind beide bis auf weiteres vom Unterricht suspendiert. Sie werden keine aktive Rolle bei der finalen Bewertung der Perisher-Kadetten spielen. Commanders Amato, Delieu, Krajicek: Sie werden alle drei einen Eintrag in ihre Dienstakte erhalten, dürfen aber an den Abschlusstests teilnehmen. Das endgültige Ergebnis Ihres Perisher-Testes wird aber bis zur Klärung dieses Vorfalls ausgesetzt. Das wäre alles, Weggetreten.“

„Na Klasse, ich hätte nicht auf euch Querköpfe hören sollen, verflucht!“ schimpfte Krajicek, als Sie das Büro des Admiral verlassen hatten.
„Jammer nicht, DeKay.“ fuhr ihn Delieu an. „Du wusstest wie wir, was passieren könnte. Wir sollten abwarten, was das Oberkommando dazu zu sagen hat, bevor wir den Kopf in den Sand stecken.“
Hayson nickte und grinste die drei an. „Commander Delieu hat Recht, Commander Krajicek. Noch sind nicht alle Messen gesungen.“ Dann klatschte er unvermittelt in die Hände. “Na gut, Ladies and Gents, wir treffen uns in einer Stunde in der Schiffsbibliothek.“
Die drei Perisher-Anwärter tauschten verdutzte Blicke aus. „ Warum, Sir?“
„Sie haben es ja gehört, Terrific und ich sind bis auf weiteres suspendiert. Also haben wir jetzt eine Menge Freizeit. Sie sollten also die Gelegenheit beim Schopfe ergreifen und die beiden besten Nachhilfelehrer, die sie an Bord der DOLPHIN finden können, nutzen so gut es geht. Das ist jetzt ja wohl das mindeste, was wir noch tun können. Und glauben Sie mir, Sie können alle drei noch einiges von uns beiden alten Knochen lernen, verstanden?“
„Aye, Sir!“ gaben die drei zurück, salutierten und machten sich schon wieder etwas zuversichtlicher auf den Weg.
„Und? Wassss glaubssst Du? Wasss wird dasss Oberkommando antworten?“ fragte Singh, sobald die drei ausser Hörweite waren.
„Ich habe keine Ahnung, Terrific! Es könnte sein, dass wir uns gerade selbst zur Ruhe gesetzt haben.“
Terrific zuckte die Schultern und lächelte mit der noch beweglichen Seite seines Gesichtes. „Wir werden sssehen, Kilian, wir werden …. ssehen.“
Schweigend machten sich die beiden auf den Weg in die Schiffsbibliothek. Viel mehr konnten sie an Bord der DOLPHIN ohnehin nicht mehr machen.
25.12.2015 09:53 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
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Ace

Es gab ein paar unausgesprochene Regeln an Bord der COLUMBIA. Eine von ihnen war, dass die Kontakte zwischen Piloten und Marines auf ein Minimum reduziert zu sein hatten. Sie waren in unseren Augen die hirnlosen Schlammstampfermaschinen, und wir in ihren die überkandidelten Dandies mit zuviel Lametta am Ärmel und zu wenig Hirn im Kopf.
Soweit die Vorurteile. In der Realität ließ sich das natürlich nicht umsetzen, es kam hier und da immer mal wieder zu Kontakten, und nicht selten sah man auch mal Marines in unseren Kantinen essen.
Dass einer der Marines meine kleine Schwester war, förderte diesen Vorgang auch noch.
Dass sie nebenbei ein hübsches Mädchen war, nach der sich die Männer umdrehten, verhinderte wohl größeren Protest der anderen Piloten.
Außerdem übertrieben wir es nicht und Jean benahm sich anständig, wenn unsere Schichten es ausnahmsweise mal erlaubten, miteinander zu essen.

Dies war eine der seltenen Gelegenheiten, und zudem fuhr die Kantine wirklich etwas auf; kurz vor einem Sprung, zudem in Feindesgebiet, zeigte der Chefkoch, was er wirklich drauf hatte.
Ich hatte also frisches Gemüse auf dem Teller, kein tief gefrorenes, und hätte ebenso wie meine Schwester ein fettes, halb blutiges Zwanzig Unzen-Steak nehmen können… Wo sie das lassen wollte, fragte ich mich.
Sie war klein, beinahe zierlich, hatte aber in ihrem Marines-Job einiges an Muskeln zugelegt. Der Platz für Muskeln war an ihr aber begrenzt, sodass sie ihre feminine Gestalt noch nicht verloren hatte. Im Gegenteil. Soweit ich wusste, waren die anderen Marines ganz schön hinter ihr her, soweit sie es mit einem Sergeant und Scharfschützentrainer aufnehmen wollten und konnten.
Oder keine Angst vor ihrem großen Bruder hatten, einem rachsüchtigen First Lieutenant, der von den Toten wiederauferstanden war und das schlimmste Höllenloch dieses Krieges, das Camp Hellmountain, überlebt hatte.
Ich hatte mich mit Geschnetzeltem in Sahnesoße begnügt. Sahnesoße. Mann, unser Smutje hatte es wirklich drauf, wenn man ihn mal von der Leine ließ.

„Also, wie läuft es so?“, fragte ich nebenbei, während ich den Reis auf meinem Teller durchrührte.
Jean prokelte mit ihrer Gabel in einer wirklich großen Folienkartoffel herum. „Meinst du, es gibt Nachschlag?“ Unschuldig sah sie auf ihren Teller, wo das Riesensteak langsam aber sicher geschrumpft war.
„Lenk nicht ab, Mädchen. Wie läuft es in deiner Einheit? Lässt dich der Jam-Eel in Ruhe oder muss ich da mal runtersteigen?“
Jean unterdrückte ein Auflachen. Ihr Vorgesetzter hieß Jamal, hatte bei den Marines aber sehr schnell eine Verballhornung wegbekommen wie seinerzeit Schiermer, der zu Schmierer geworden war. „Bei allem Respekt, Sir, aber Sie haben gegen meinen Staff Sergeant nicht den Hauch einer Chance.“
Ärgerlich sah ich sie an. „Ich kann ihn immer noch auf die Läufe meiner Nighthawk binden und mit ihm eine Runde um die COLUMBIA drehen.“
Jean beugte sich leicht vor und tätschelte mir die Rechte. „Keine Sorge. Da ich jetzt dafür zuständig bin, den Privates die Hölle heiß zu machen und die Ausbildung der Scharfschützen zu übernehmen, lässt er mich in Ruhe. Ich darf die Leute selbst quälen.“
„Na, Klasse. Meine kleine, zarte Schwester peinigt Zwei Meter-Kerle mit Stiernacken. Das ist genau der Albtraum, den ich neulich gehabt habe“, murrte ich.
„Was soll ich machen? Sie hören halt auf mich.“ Unschuldig lächelte sie mich an.

Neben uns landete ein weiteres Tablett. Auch hier war ein riesiges Steak und eine prächtige Folienkartoffel Menu bestimmend.
„Na, ihr zwei? Habt ihr wieder euer Bruder und Schwester-Meeting?“ Juliane Volkmer zwinkerte Jean zu. „Wenn der große Trottel dich rumkommandieren will, komm zu mir. Ich bin ranghöher und lass ihn dann das Flugdeck putzen.“
„Huntress“, tadelte ich.
„Geht das wirklich? Ich meine, er ist doch bei den Roten. Und du kommandierst die Blauen.“
„Ich habe mir Lone Wolfs Erlaubnis geholt, gleich als er an Bord kam.“ Wieder zwinkerte sie.
„Schön, dass ihr zwei euch so gut versteht“, brummte ich missmutig. In der Knochenmühle zwischen zwei Frauen zu landen war beinahe so schlimm wie mit Lilja auf Patrouille zu gehen. Wenn du nicht zu hundert Prozent aufmerksam sein konntest, gerietst du schnell auf verlorenen Posten.
„Haben sie dir eigentlich schon einen Spitznamen verpasst, Jean Davis? So was wie Rekrutenschreck? Oder Falkenauge wegen deiner Scharfschützenausbildung?“ Interessiert beugte sich die Deutsche vor. „Oder hast du einen anderen Namen weg? Ich meine, du kannst doch nicht ewig als Eisprinzessin herumlaufen.“
„Eisprinzessin?“, argwöhnte ich. „Das höre ich zum ersten Mal.“
„So nennen sie deine kleine Schwester, weil sie jeden einzelnen Kerl eiskalt abblitzen lässt.“
Erleichtert atmete ich aus. Ich wusste nicht recht wieso, aber dieser Spitzname schien eine Riesenlast von meiner Brust zu nehmen. „Eisprinzessin ist in Ordnung.“
„Den brauche ich wohl nicht mehr“, nuschelte Jean und stocherte in ihrem Steak herum. „Sag mal, großer Bruder, würde es dir etwas ausmachen, wenn du Mom und Dad…“
Interessiert sah ich auf. „Wenn ich Mom und Dad was?“

„Halte ihn doch, Juliane!“ „Was meinst du was ich hier tue, Marine! Chip! Hilf uns mal!“
Ich spürte, wie sich weitere Leute in mich stemmten, soweit ich das wegen dem roten Schleier vor meinen Augen überhaupt mitbekam. Ich wurde verlangsamt, aber nicht begrenzt.
„Was ist denn mit dem los?“, keuchte Chip atemlos. „Ich glaube, wir könnten jetzt ein paar starke Marines gebrauchen.“
„N-nicht dieses Wort!“, rief Jean.
Es gab einen Ruck, und ein Teil der Belastung wich von mir. Ich schüttelte mich frei, und nun gab es nur noch zwei Anhängsel, die mich daran hinderten zum Fahrstuhl zu kommen.
„Soll ich Alarm auslösen?“, rief Chip, rappelte sich wieder auf und hängte sich um meine Hüfte. „Bleib stehen, du sturer Bock!“
„Alarm? Ein Traktor wäre mir lieber!“
„Au, Scheiße. Die Wand ist verdammt hart! Was habt ihr überhaupt mit ihm angestellt? Sonst flippt Ace doch auch nicht so aus!“
„Lange Geschichte!“, erwiderte Juliane. „Aber sag bloß nicht mehr das Wort mit M, hast du gehört?“
„Was? Marines? Aber wieso…“
Der rote Schleier vor meinen Augen wurde dichter und ich hörte noch wie sich die Stimme von Huntress entfernte. Oder entfernte ich mich von ihr? Ich bekam kaum noch was mit. Wütend hämmerte ich auf die Kontrollen des Fahrstuhls ein, die Türen schlossen sich.
Dann das Geräusch eines Körpers, der gegen die geschlossenen Türen prallte. „Cliff! Cliff, lass den Mist! Das kannst du doch nicht machen! Cliff!“
„Verdammt!“ Wütend drosch ich auf die Wand ein. „Mit mir könnt ihr ja machen was ihr wollt, aber bei meiner Schwester hört der Spaß auf!“

Die Tür öffnete sich auf dem Marines-Deck, ich stürmte hinaus. Gab es hier keine Feuerschutzäxte? Welcher Idiot hatte eigentlich entschieden, dass Feuerschutztüren und Sprinkler die neue Art der Feuerbekämpfung waren? So eine Axt hätte ich jetzt sehr gut gebrauchen können, wo ich doch meine Dienstwaffe in der Kabine vergessen hatte.
„Sir, darf ich fragen, was…“, sprach mich einer der Marines an, ein bulliger Riese von fast zwei Metern Körpergröße.
Ich griff nach seinem Kragen und zog ihn zu mir herunter. „Wo ist Howard?“
„Sergeant Ken Howard?“, fragte der Marine irritiert.
„Genau der!“
„I-ich denke, er ist in der Mannschaftskantine. Waffen putzen mit den Privates“, würgte der Mann hervor.
„Danke“, brummte ich und stieß den Mann von mir.

Hinter mir öffnete sich eine Fahrstuhltür. „Landsdale! Halte ihn auf! Das ist ein Befehl, Marine!“
„Bin ich verrückt, Eisprinzessin? Hast du den Blick gesehen? Der Kerl will Blut, und ich habe nichts dagegen, wenn es nicht meines ist!“
„Feigling!“
„DU hast leicht reden! DIR wird er auch nichts tun! DU bist seine Schwester!“
„Chip, schnapp ihn dir!“
„Bin schon dabei, Huntress! Wir hätten noch ein paar Mann mitbringen sollen!“
„Clifford! Lass das endlich! Komm doch wieder zu dir! Ich sage es Mom und Dad!“
„Soll ich die MP runter rufen?“
„Ja, sie sollen eine Seilwinde mitbringen! Ace, nun lass den Scheiß endlich!“
Wütend arbeitete ich mich weiter voran, auch wenn das Gewicht um meine Hüfte und meine Arme wieder zunahm.

Die Marines starrten mich erstaunt an, wenngleich der eine oder andere wagte, seinem Sarge zu Hilfe zu eilen.
Aber es nützte nichts, trotz meiner erhöhten Last erreichte ich die Kantine.
Tatsächlich war ein komplettes Platoon gerade dabei, die Ausrüstung zu reinigen. Die Tische in der Kantine boten den meisten Platz für eine solche Aktion.
„Howard!“, blaffte ich wütend.
Der Marine sah herüber. „Ah, First Lieutenant Davis. Es freut mich, dass eines der Fliegerasse der COLUMBIA uns mit seiner Anwesenheit ehrt. Aber warum haltet ihr ihn fest?“
„Weil“, keuchte Jean, „er dir sonst den Kopf abreißt, du Idiot!“
„Howard! Wie kannst du es wagen? Wie kannst du auch nur dran denken? Meine arme kleine Schwester! Wenn ich dich in die Finger kriege, dann…“
Der Marine schluckte schwer. „Sir?“
„Steh da nicht so blöd rum, verschwinde lieber, bis er sich beruhigt hat!“, rief Jean.
„Verdammt, Ace, du hast echt zuviel Testosteron im Blut.“, tadelte Huntress wütend. „Aber das ist keine Ausrede für so einen Amoklauf!“
Ken Howard erstarrte – und verstand. „Sir, was Ihre Schwester und mich angeht, wir…“
Wütend machte ich einen Satz nach vorne und schüttelte so ein paar der haltenden Hände ab.
Howard wurde bleich und machte einen Satz zurück. „Sir, können wir da nicht in Ruhe drüber reden?“
„Ich werde mit deinem Schädel reden, nachdem ich ihn abgerissen habe!“
„Sir, ich versichere Ihnen, dass ich Jean gegenüber nur…Oh, Scheiße!“
Der Mann wich weiter zurück, Richtung Küche. Dort gab es einen Seitenausgang.
„Verdammt, Bruder! Kannst du ihn nicht in Ruhe lassen? Musst du ihm gleich ins Gesicht springen? Kannst du nicht auch mal was akzeptieren?“
„Was soll ich da akzeptieren, wenn er auch noch abhaut, anstatt sich mir zu stellen?“, rief ich wütend und schob mich weiter voran.

Howard erstarrte. Er musterte mich ernst und nickte dann. „Einverstanden, Sir. Jean, Commander Volkmer, Lieutenant Harris, Private Odama, Private Wilson, lassen Sie den First Lieutenant los.“
„Er wird dich in der Luft zerreißen!“, hielt Jean dagegen.
„Mag sein, aber erstens bist du das wert und zweitens werde ich nicht davon laufen! Nun macht schon!“

Übergangslos war ich von allen Belastungen befreit. Ich machte einen Satz nach vorne, kam halb auf einem Tisch zu liegen, stieß ihn komplett mit allem beiseite und stand dann vor Ken Howard, der mich mit regungsloser Miene empfing.
Ich holte aus und versetzte dem Marine eine schwere Gerade in den Magen.
Howard stöhnte auf und krümmte sich zusammen.
Langsam lichtete sich der rote Schleier. Ich spürte wie mein Atem rasselte und mein Herz pumpte. „Okay“, sagte ich japsend, „Eier hast du schon mal. Aber hast du auch Verstand?“
„Sir. Ace. Ich versichere Ihnen, ich habe nur die lautersten Absichten, was Jean betrifft. Sie ist wirklich ein Pfundsmädchen, und sie ist es wert für sie zu sterben.“
Erstauntes Raunen ging durch den Raum. Die Marines waren Pathos gewohnt, allerdings wohl eher nicht in solch einem Zusammenhang.
„Oder für sie Amok zu laufen.“ Howard grinste mich dünn an.
Langsam senkte ich meine Fäuste und entkrampfte sie wieder. „Zugegeben.“
„Ace. Ich und Jean und… Ich weiß ja auch nicht wie es passiert ist. Aber ich habe zwei Jahre gebraucht, damit sie mich überhaupt ernst nimmt und jetzt bin ich bereit, mit ihr mein Leben zu verbringen, falls wir den Krieg überleben. Ich hatte gehofft, Sie als Freund würden das verstehen und bei den Eltern ein gutes Wort einlegen.“
„Cliff, wir…“
„Du hältst die Klappe, Jean!“, blaffte ich wütend. „Also, Howard, was ist der nächste Schritt?“
„Wegen dem Korps können wir uns nicht verloben oder heiraten. Aber ich wünsche mir, dass Sie unsere Beziehung gut heißen.“
„So, so. Und was soll ich daran finden, dass meine geliebte kleine Schwester mit einem hirnlosen Muskelmonstrum zusammen ist?“
„Sir, Sie kennen mich jetzt anderthalb Jahre. Denken Sie bitte von mir, was Sie wollen. Aber lassen Sie Jean für sich selbst entscheiden.“
Leise trat meine Schwester neben Howard. Die beiden tauschten einen Blick aus. „Cliff?“
„Ach, macht doch was ihr wollt“, brummte ich verstimmt und wandte mich um. „Und wenn es schief geht, Jean, dann komm nicht zu mir und heul mir die Ohren voll.“
Ich sah noch mal zurück. „Und wenn sie dich abserviert, Ken, dann glaube ja nicht, dass du dich bei mir ausheulen kannst, klar?“
Wieder wechselten die beiden einen Blick, diesmal erfreut. „Cliff. Heißt das etwa…“
„Ich schicke Mom und Dad eine Nachricht. Und ich gebe Ian drüben auf der KAMI Bescheid. Aber du kannst dir sicherlich denken, was er sagen wird.
Ach, und Ken. Ab sofort bin ich Cliff für Sie.“

Ich verließ die Kantine, die anderen Piloten im Schlepp.
„Junge, Junge. Ich dachte echt, du flippst aus.“
„Ich bin ja auch ausgeflippt, Juliane. Aber Hey, ich habe ihm nicht den Kopf abgerissen.“
„Aber Angst hast du dem armen Jungen gemacht.“
Ich lachte rau auf. „Mag sein. Er hat trotzdem standgehalten.“
„Irgendwie mag ich den eifersüchtigen Clifford Davis“, sagte sie und gab mir einen Kuss auf die Wange. „Hauptsache, du kehrst ihn nicht zu oft vor.“
Ich dachte kurz an Kali und Ohka und musste schmunzeln. „Mehr kleine Schwestern habe ich nicht, Juliane.“
Die Anführerin der Blauen Staffel lachte. „Gut, und jetzt lass uns verschwinden, bevor die MP eintrifft und aus der ganzen Geschichte ein Vorfall für den CAG wird.“
„Gute Idee“, stimmte Chip zu.
25.12.2015 09:54 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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Cattaneo

Die zweite Linie

Die Messe der Columbia war ein Ort, den man nicht gerade als Fresstempel der Elite bezeichnen konnte. Auch wenn sich die Columbia und besonders ihr Geschwader gerne als Elite verstand – was freilich verschwieg, dass die wenigsten Piloten von Anfang des Krieges an bei den Angels waren. Dass die Lokalität solchem hehren Titel nicht genügte, war eher eine Folge des doch sehr wechselhaften Naturells der Piloten und anderen Offiziere – manche waren mit dem stolzen Selbstbild einer Eliteformation nur schwer vereinbar, vor allem aus der Nähe betrachtet. Man war ja auch nur ein Mensch…
Es lag also gewiss nicht daran, dass hier Offiziere und Gemeine gemeinsam speisten. Die Stände blieben im Übrigen in den meisten Fällen trotz benachbarter Tische und gleicher Rationen oft getrennt. Die Offiziere bildeten an Bord immer noch in gewisser Weise – oft vor allem dem eigenen Selbstbild nach – die „upper class“. Auch wenn die alten Zeiten vorbei waren, wo es hieß, der Mensch fängt erst beim Leutnant an, so waren Mannschafts- und Offiziersdienstgrade doch nach wie vor zwei Welten, die mitunter eher neben- als miteinander existierten. Besonders deutlich wurde dies zwischen den verschiedenen Waffengattungen. Und wo Flottenangehörige und Piloten oft noch viel miteinander gemein hatten, bildete das Marinecorps zumeist eine Gruppe für sich. Die Geschichten, die dies begründeten, waren ebenso zahlreich wie boshaft, auf beiden Seiten.
Es war also keine Überraschung, dass die vier Piloten unter sich waren. Allerdings wäre es in früheren Zeiten durchaus eine Überraschung gewesen, dass sich momentan keiner mit einem anderen stritt.
Das galt weniger für Dragon, der ein eher verträglicher Charakter war, und auch nicht für Lydia van Bredow, genannt „The Artist“. Lilja und Ace waren freilich ein anderer Fall. Es hatte lange gebraucht, bis sie sich wortlos auf einen Waffenstillstand verständigt hatten. Ihre persönlichen Ansichten waren nun einmal verschieden, und wo Lilja ihre Meinung aggressiv nach außen trug, konnte Ace mit seiner gelegentlichen Überheblichkeit gleichfalls schwer verdaulich sein.
Inzwischen waren sie jedenfalls keine Freunde geworden, aber sie hatten ein neutrales Verhältnis zueinander, von Liljas Seite gepaart mit einer gewissen Rivalität. Eigentlich war es ihr ja egal, wer Akariis abschoss, vorausgesetzt, sie wurden nur zuverlässig erledigt. Aber gerade von Ace wollte sie sich auch nicht übertrumpfen lassen. Zudem wollte sie den Leuten, die sie auf ihren jetzigen Posten befördert hatten, beweisen, dass ihr Urteil richtig gewesen war. Daran hatte sich nichts geändert.

Die vier hatten Patrouillendienst gehabt, und sie nutzten nun die Gelegenheit, sich ein wenig zu stärken. Lilja hatte allerdings klar gemacht, dass sie keinerlei Gespräche zum Thema unbekannt Phänomene wünschte. Seit ihrem letzten Erlebnis war sie in der Hinsicht etwas empfindlich. Tief in ihrem Innersten war sie immer noch sicher, dass sie, nun ja, ETWAS gesehen hatte. Bloß reden wollte sie darüber gewiss nicht. Gesprächsthemen gab es auch so genug. Mal ganz abgesehen von der näheren Zukunft, die den Piloten und Flottenangehörigen Tag und Nacht im Kopf herumging. Auch hier behielt Lilja einiges für sich, so etwa, dass sie in den letzten Tagen ein paar Übungsroutinen für ihre „Spezialmission“ durchgeführt hatte. Und sie hatte andere Piloten heimlich gemustert und sich gefragt, wer außer ihr noch ein Gespräch mit dem Geschwaderchef zu führen gehabt hatte. Bei dem einen oder anderen hatte sie so ihre Verdachtsmomente…
Sie blieb lieber bei harmloseren Themen, etwa dem wöchentlichen und bald wieder fälligen „Duell der Asse“. Dabei traten – so sie wollten – die Piloten des Trägers in den Simulatoren gegeneinander an. Der ganze Zirkus hatte sich aus den üblichen Angebereien entwickelt und war für zumindest einen Teil der Piloten liebgewordener Zeitvertreib. Und die Führung sah es immer noch lieber als Boxwettkämpfe oder Schausaufen mit illegal beschafftem Schnaps oder was dergleichen soldatische Freizeitbeschäftigung mehr war. Lilja hatte es sich zur Aufgabe gemacht, wenn schon nicht Lightning oder Lone Wolf, so doch zumindest Skunk, Ace und Huntress auszustechen. Bei Kali war ihr dies zumindest schon gelungen, für sie steter Quell heimlicher Genugtuung. Die Inderin mochte sie immer noch nicht, obwohl sie sich mit Ace inzwischen zumindest etwas besser verstand. Das mochte daran liegen, dass Kali aus Liljas Sicht damals aus völlig irrwitzigen Gründen Streit angefangen hatte. In der Hinsicht war Lilja nachtragender als es die Russen angeblich ohnehin schon waren.
„Und ich sage dir, diesmal schaffe ich es unter die ersten fünf, wenn nicht sogar die besten drei.“ Meinte sie gerade. Das war ihr erst selten geglückt, denn es genügte, einmal Pech zu haben, und man war draußen. Im Grunde war ihr natürlich klar, dass die Wettbewerbe nicht ganz fair waren. Die Elite des Geschwaders – die vielleicht zehn Prozent Piloten, die wirklich gut und erfahren waren – hatte dem Rest so viel voraus, dass der Kampf um die besten Plätze hauptsächlich unter ihnen ausgetragen wurde. Die Logik des Krieges besagte, dass derjenige, der lange genug lebte, auch weiterhin gute Chancen hatte – bis das Schicksal einmal zwei Einsen würfelte…
Ace nahm diese Ankündigung gelassen hin. „Ist ja letzten Endes doch nur ein Glücksspiel. Aber ich wette mit dir, dass ich mindestens an vierter Stelle komme.“ Er wusste, dass er gegen Lilja so oft gewann, wie er verlor. Ein Gutteil seines Ehrgeizes und seiner Überheblichkeit, oder was andere so empfanden, waren zwischen Jollahran und Graxon/Corsfield auf der Strecke geblieben.
Seine Kameradin schien die günstige Gelegenheit nutzen zu wollen, wo man doch schon mal zwanglos beisammen saß – vielleicht auch, weil sie Lilja noch nicht kannte: „Was sollte das Ganze gestern eigentlich?“ Wandte sie sich an die Russin: „Als Sie mit dieser Kamera durchs Schiff gegangen sind?“
Lilja schien zu zögern. In früheren Zeiten – etwa kurz nachdem man ihr die L-C-Abzeichen verpasst hatte – hätte sie eine derartige Frage wohl nur von wenigen Leuten hingenommen, ohne ihnen entschieden die Grenzen aufzuzeigen. Aber inzwischen nahm Lilja die Dinge gelassener, wenn sie gerade wollte.

Sie lächelte grimmig: „Ihr wisst vielleicht nicht mehr, dass ich vor ein paar Jahren eine Sammelaktion ins Leben gerufen habe, um Geld für die Streitkräfte zusammenzukriegen. So wahnsinnig viel ist es wohl nicht geworden, obwohl es schon ein nettes Sümmchen war. Aber es ist kaum glaubhaft, wie viel Kriegführen heutzutage kostet. Das ist ein Luxus, den sich wirklich nur noch Regierungen leisten können. Aber nachdem ich mein Bestes zur Behebung unserer Engpässe von wegen neuer und besserer Maschinen mit geringem Erfolg getan hatte, habe ich mich entschlossen, unsere anderen Sorgen anzugehen. Das mit der Kamera, das war mein Beitrag zur Lösung des Rekrutenproblems. Ich halte mich da ganz an Onkel Ho.“ Sie bemerkte die verständnislosen Blicke ihrer Nachbarn und seufzte in nur halb gespielter Resignation.
„Ho-Chi-Minh, Erde, Mitte des 20. Jahrhundert. Er baute in seinem Land eine der erfolgreichsten Guerillaorganisationen seiner Zeit auf. Seine Leute hielten drei ausländische Mächte, davon zwei Großmächte, auf Abstand, schlugen sie militärisch zurück und gewannen einen Bürgerkrieg. Ihr solltet mal was für eure klassische Bildung tun. Aber egal – er soll mal gesagt haben, in einem Krieg braucht man Menschen und Waffen. Aber zuerst muss man die Menschen gewinnen, die Waffen kommen dann von ganz allein. Wohl der Unterschied zwischen ihm und seinen Gegnern, dass er das verstanden hatte, und sie nicht.“
Sie lachte: „Ich weiß, solche historischen Exkurse sind hier wohl verschwendet – oder kommen nicht so gut an.“ Nach diesem niederschmetternden Fazit, das ihre Gesprächspartner freilich nicht sonderlich zu schockieren schien, nahm sie den Faden wieder auf:„Jedenfalls ist das meine Art, ein paar Leute zu gewinnen. Ich hab damals, nach Jollahran, “ Sie warf Ace einen Seitenblick zu – er war in dieser Schlacht gefangen genommen worden. „…eine Schulklasse bei mir zu Hause besucht. Sozusagen als Belohnung für ihren Patriotismus. Sie waren gerade dabei, von der Achten auf die Neunte aufzurücken. Sie haben mir damals ein Modell meines Fliegers geschenkt – später, als ich auf eine Falcon umstieg, haben sie mir übrigens noch eins geschickt. Mit Farbpinsel und Lupe, damit ich die Abschussmarkierungen aktualisieren kann, wenn nötig.“
Ihr Lächeln ließ ihr Gesicht erheblich weicher wirken, als es sonst war.
„Nun, man kann wohl sagen, dass sie mich als ihre Heldin adoptiert haben. Und ich habe das erwidert. Seitdem habe ich ihnen ein paar Andenken und Aufnahmen geschickt, ich habe ihnen Tipps gegeben. Und ein paar Kontakte geknüpft. Ihnen sozusagen mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Öffentlichkeitsarbeit nennt man das wohl…“
Dragon lachte: „Und da sind sie noch nicht ausgerückt um uns hier zu helfen? Oder haben Papas Auto verkauft um für den Krieg zu spenden?“ Die anderen stimmten ein, was ihnen einen giftigen Blick von Lilja einbrachte. Aber sie war nicht ernsthaft wütend.
„Ich prügele sie doch nicht zu den Fahnen. Aber wenn sie es wollen, helfe ich Ihnen. Na gut, die meisten helfen uns auf ihre Art und Weise, und nicht einmal ich erwarte, dass sie im Klassenkollektiv beim Musterungsbüro anrücken. Aber ein paar meinen es wirklich ernst.“ Ihre Stimme klang stolz, und sie verdrängte die Erinnerung daran, was die Lehrerin der Kinder – jetzt waren es keine Kinder mehr – zu ihr gesagt hatte.
„Fünf von ihnen haben sich letzten Herbst freiwillig gemeldet.“
The Artist zog die Augenbrauen hoch: „So früh schon zu den Piloten? Ich dachte, da ziehen sie Leute mit zwölf Jahren Schule vor. Allerdings, neuerdings nehmen sie es nicht mehr so genau.“
Lilja schüttelte den Kopf: „Nein, die meinten, das dauert ihnen zu lange. Außerdem bin ich nicht so selbstverliebt, dass ich uns zu einzigen Hoffnung der Menschheit hochstilisiere. Zwei sind zur Flotte gegangen, Schiffsbesatzung, technische Dienste, was sich eben ergibt. Auch etwas Nützliches. Aber die anderen…“ in ihrer Stimme klang Stolz „haben sich zur Bodentruppe gemeldet.“

Ace grinste: „Du rekrutierst für die Marines? Das überrascht mich aber wirklich. Ich dachte, die rangieren für dich zumeist nur eine Stufe über Napfschnecken.“
Lilja verzog nur die Lippen: „Bah. Wann lernt ihr endlich, dass, nur weil es Army oder Marinecorps heißt, nicht alles auf eurem Mist gewachsen ist? Andere Völker haben auch Einheiten, auf die sie stolz seien konnten.“ Sie schien manchmal zu vergessen, dass Ace selber Weltraumkind war, und kein Westeuropäer oder Amerikaner.
„Sie haben sich bei den regulären Einheiten beworben, bei der Armee. Wenn alles glatt geht, kommen sie zur 13. Garde, der Stalingrader Division.“ Ace musterte seine Feindin aus alten Tagen, die so stolz klang wie jemand, der einem Freund die Aufnahme an einer Eliteuniversität ermöglicht hatte: „Und was ist, wenn einer von ihnen…“
Aber Lilja hatte ihr altes Feuer nicht verloren: „Das fragt mich jetzt ausgerechnet jemand, dessen eigenes Schwesterchen bei den Marines rummacht?“ Spottete sie. Dann wurde sie ernst.
„So wenig ich daran denken möchte, ich habe mich schon damit beschäftigt. Aber sie gehen nicht dorthin, weil ich es ihnen eingeredet habe. Sondern weil es gut und richtig ist. Ich habe ihren Eltern geschrieben und es ihnen zu erklären versucht. Ich denke, sie werden es verstehen. Bei uns in Russland zählt die rodina, die Heimat, immer noch viel.“ Damit schien für sie alles geklärt.

„Jedenfalls, sie sind nicht die einzigen. Zwei Mädchen und ein Junge stecken in der Pilotenausbildung. Ich glaube, das sind die klügsten Köpfe. Sie haben sich schon in den letzten Jahren vorbereitet – bei der Osoviatkosma*. Wenigstens dafür ist die ganze Propaganda gut, dass es genug Geld dafür gibt, und auch genug Leute, die mitmachen. Ihr habt Recht, normalerweise sollte man besser zwölf Jahre Schule haben, wenn man Pilot werden will. Es sei denn, man bereitet sich zielgerichtet darauf vor. Aber ich habe sie mit ein paar guten Trainingsprogrammen versorgt. Und ihnen die richtigen Bücher empfohlen. Ich glaube, dass sie das Zeug haben, es auch zu schaffen. Ich hoffe ja, sie kommen zu spät zum Krieg, aber man kann nie wissen.“ Lilja schien rechtschaffen stolz auf sich zu sein. The Artist schüttelte den Kopf: „Dass du Talente zur Rattenfängerin hast, hätte ich gar nicht bei dir erwartet.“
Lilja zuckte nur mit den Schultern und entgegnete nicht ohne Bosheit: „Nicht alle Leute schauen nur auf die äußere Verpackung. Ich kann immerhin einiges vorweisen, das mich als Heldin empfiehlt. Ich weiß ja nicht, ob ich es je zum Flying Cross in Silber schaffe oder ähnlichem, aber es ist besser als nichts. Man muss ja dergleichen nicht nur dazu nutzen, das andere Geschlecht zu beeindrucken oder im Restaurant besonders schnell und zuvorkommend bedient zu werden. Schlechter als zwangsweise einberufene Nationalgardisten oder abkommandierte Shuttlepiloten werden sie bestimmt nicht sein.“
Ace musterte Lilja. Dass sie so enthusiastisch reagierte, gehörte nicht zu ihrem üblichen Verhaltensmuster. „Ich nehme an, die Mädchen wollen gerne in deine Fußstapfen treten.“ Meinte er.
Die Russin reagierte ein wenig von oben herab – manchmal benahm sie sich wie früher: „Wäre daran etwa etwas falsch? Immerhin atme ich noch, was man von einer Menge Echsen, die mir über den Weg gelaufen sind, nicht behaupten kann.“ Dann schien sie sich zu besinnen: „Schon gut. Ich weiß, dass das zum Teil einfach eine Glückssache ist, und dass ich vor allem deshalb ein Aß bin, weil ich eben noch da bin. Viele, die mir ebenbürtig waren, haben das Glück nicht gehabt.“
Er nickte: „Und was ist, wenn für sie das auch gilt?“
Für einen Augenblick wirkte Lilja traurig. Aber nur für einen Augenblick: „Wir tun alle, was wir tun müssen. Was getan werden muss. Und ich glaube nicht, dass wir eine Wahl haben, wenn wir zu uns selbst ehrlich sind. Wenn der Krieg weitergeht, wird sich jemand ohnehin den Akarii entgegenstellen müssen. Warum das den Menschen nicht klarmachen? Warum sollen es nicht Menschen sein, die es aus Überzeugung tun, und nicht nur für Geld oder weil es gerade Mode ist – oder Befehl? Du brauchst dir doch nur die Nachrichtensendungen anzuschauen. Von den ganzen Flieger- und Flottenschmonzetten mal ganz abgesehen, die jetzt im Umlauf sind. Ob Hollywood, Bollywood oder Ricewood**, sie blasen überall ins selbe Horn. Bei denen sieht alles so einfach aus. Und wie ist es mit der offiziellen Werbung unserer geliebten TSN? So gut lügen kann ich nicht mal annähernd – und ich möchte fast wetten, ich bereite sie besser auf den Krieg und auf die Ausbildung vor.“
Ace erkannte – obwohl sie nie Freunde gewesen waren, und wohl nie werden würden – die harten Linien auf ihrem Gesicht. Sie dachte vermutlich an all das, was sie der Krieg gekostet hatte. Und was sie getan hatte. Und heute schienen die Anzeichen besonders deutlich. Es war fast so, als wäre da etwas, dass man ahnen, aber nicht erkennen konnte.
„Nun“ meinte Lilja: „…mit etwas Glück, wie ich schon sagte, müssen sie gar nicht mehr kämpfen. Aber in einem Krieg setzt man besser nicht auf Glück. Ich habe ihnen geholfen zu tun, was sie für richtig hielten. Und das mache ich mit meinem Gewissen aus – und mit keinem anderen.“ Das war wohl als dezenter Warnhinweis zu verstehen. Dann aber setzte sie wieder eine unbeschwerte Miene auf: „Aber wenn man unseren großen Führern glaubt, haben wir den Sieg ohnehin in unserer Hand. Wenn wir Jor erledigen…“
Sie schien das freilich nicht unbedingt zu glauben.
Die Russin erhob sich. Sie holte aus ihrer Kombination einen Geldschein und hielt ihn Dragon hin: „Hier – ich wette zehn Real darauf, dass ich unter die ersten fünf komme.“ Sie grinste böse: „Und einen weiteren Zehner, dass ich Ace abschieße. Also dann – man sieht sich.“ Und damit ging sie.

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*Osoviatkosma – Abkürzung für „Gesellschaft zur Förderung der Verteidigung, des Flugwesens und der Raumfahrt“, quasi para- und vormilitärischer Sport-, Flug- und Technikverein in den Gebieten der Sowjetischen Konföderation. Enge Beziehungen zu verschiedenen Waffengattungen.
**Ricewood – nicht unbedingt gerne gehörte Bezeichnung für die große irdische Kaderschmiede und Produktionszentrale der Filmindustrie bei Peking.
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Tyr

Commander Cunningham war nicht gerade guter Laune, und vermutlich sah man ihm das auch an. Hätte er auf seine Umgebung geachtet, dann wäre ihm nämlich aufgefallen, dass etliche Techs und Geschwadermitglieder bei seinem Anblick lieber auswichen.
Die letzten Tage waren nicht gerade erholsam gewesen. Nachdem die Geschichte mit Liljas Ufo-Sichtung im Geschwader die Runde gemacht hatte, hatten einige Piloten sich davon offenbar anstecken lassen. Es gab nämlich zwei weitere ‚Sichtungen’ – oder jedenfalls etwas merkwürdige Äußerungen in den Patrouilleberichten.

Dann war die Sache mit Renegades Maschine. Nach den zu erwartenden Bemerkungen und Mutmaßungen, die sich aus Renegades Herkunft von Pandora speisten, war dann die tatsächliche Unfallursache bekannt geworden. Die Tatsache, dass offenbar ein Fehler – oder gar eine Fahrlässigkeit – des Bodenpersonals den Triebwerksbrand verursacht hatte, verunsicherte viele Piloten. Selbst Männer und Frauen, die als gestandene Veteranen zu gelten, waren bei der Vorstellung beunruhigt, dass ihre eigenen Maschinen versagen könnten. Dementsprechend war das Verhältnis zwischen Bodencrew und Fliegern momentan nicht das Beste. Einige Piloten hatten angebliche Probleme an ihren Maschinen gemeldet, dem hatte man natürlich nachgehen müssen – und solange die Maschinen nicht gründlich überprüft waren, fielen sie aus, was zu Komplikationen beim Patrouillendienst führte. Die Flüge mussten teilweise umbesetzt werden.
Wenn Cunningham daran dachte, dass ihm vermutlich noch einmal dasselbe Theater bevorstand, wenn die Maschinen wieder auf herkömmlichen Treibstoff rekalibriert würden, kam ihm die Galle hoch.
Als wäre das alles nicht genug, war da immer noch das Problem mit dem „Sonderauftrag Jor“. Er hatte ein paar geeignete Kandidaten gefunden – aber ob die reichen würden? Und was, wenn sie redeten? Es gab nichts und niemanden, hinter dem er sich verstecken konnte. Wenn die Sache schief ging – wenn die Geschichte bekannt würde – dann war er fällig und konnte vermutlich von Glück reden, wenn er nur degradiert oder unehrenhaft entlassen wurde.
Und zu allem Überfluss hatte ihn jetzt auch noch der Sicherheitsdienst einbestellt. Ohne Angabe von Gründen, als wäre ein Commander und Geschwaderchef nur ein simpler Befehlsempfänger. Aber es hatte keinen Sinn, sich zu beschweren – die Sicherheitsabteilung saß immer am längeren Hebel. Also konnte er nur gute Miene zum – vermutlich – bösen Spiel machen. Vielleicht hatte der Sicherheitsdienst sich durchgerungen, Renegade doch als Sicherheitsrisiko einzustufen und seinen Kopf zu fordern. Oder…

Cunningham betrat die Sicherheitszentrale – und hielt abrupt inne. Er war überrascht, in dem Raum befand sich außer ihm nur ein einziger Mann, und das war nicht einmal ein Mitglied des Sicherheitsdienstes.
Der Mann trug die einfache Dienstuniform des Marinecorps, mit den Abzeichen eines Majors. Er war nur von durchschnittlicher Größe und wirkte eher zäh, als muskulös. Seine Haartracht war keineswegs vorschriftsmäßig, bis auf einen dünnen, langen Zopf war sein Kopf kahl geschoren. Dafür ließ die Rasur Sorgfalt vermissen. Das etwas irreguläre Aussehen hätte den Mann schlampig wirken lassen, wären da nicht die kalten, dunklen Augen gewesen, die Commander Cunningham ausdruckslos musterten und Lone Wolf an die Augen einer Schlange erinnerten – abschätzend, berechnend.
Dieser Mann war gefährlich.

„Commander Cunningham, mein Name ist Hands. Major der Recon Forces.“
Lone Wolf fühlte, wie sein Mund trocken wurde. Wenn die RF an Bord waren, und wenn er das erst jetzt erfuhr, dann bedeutete das Ärger. Die Recon Forces waren vielleicht nicht so berühmt als Sturmtruppen wie die SAS/ SEAS. Ihr Spezialgebiet waren irreguläre und verdeckte Operationen in der Grauzone zwischen Geheimdiensten, Terroristen, Rebellen und Streitkräften.
„Was wollen Sie von mir?“ Die Frage war unpassend, aber sie rutschte Lone Wolf einfach heraus.
„Natürlich will ich Ihre Hilfe.“ Der Major drehte den Datenschirm, den er vor Cunninghams Eintreten offenbar betrachtet hatte, so dass der Commander einen Blick darauf werfen konnte: „Hier ist ein Befehl der kommandierenden Admirälin. Ein Befehl, der Ihnen den Auftrag gibt, uns bei unserem Auftrag IN VOLLEM UMFANG zu unterstützen. Dieser Befehl regelt auch die Hierarchie. Lesen Sie den Befehl – es wird nie eine schriftliche Kopie für Sie geben.“
Lone Wolfs Unbehagen wuchs noch, vermischte sich jetzt mit einer unterschwelligen Wut. Dieser Einstieg verhieß nichts Gutes – und zu allem Überfluss war er offenbar bei dieser Operation ‚Kadmos-Saat’ dem RF-Major untergeordnet. Das tat weh.
„Ich…verstehe. Noch einmal – was wollen Sie von mir?“
„Im Lauf der nächsten Wochen – der genaue Termin wird Ihnen noch bekannt gegeben – wird die Einsatzflotte ein bestimmtes System erreichen. Ein System, das sich in den Händen der Akarii befindet. Ein System, in dem ein Aufstand gegen Akar ausgebrochen ist – ein Aufstand, der sich auf andere Planeten ausbreiten kann.
Während unsere Flotte das System nach Spuren von Prinz Jor durchsucht, wird ein einzelnes Shuttle auf der Hauptwelt des Systems landen. SIE werden dieses Shuttle eskortieren.
Sie werden aus Ihrer Staffel fünf weitere vertrauensvolle, zuverlässige und ERFAHRENE Piloten auswählen, die zusammen mit Ihnen den Eskortflug durchführen werden.“
„Alle meine Piloten…“
Der Major ließ Cunningham nicht einmal ausreden: „Sie wissen genau, dass dies nicht stimmt. Was ist mit diesem…Renegade? Er wird auf keinen Fall mitfliegen.“
Lone Wolf konnte Renegade auch nicht leiden – aber die Art und Weise, wie dieser Schlammkriecher-Major ihm in seine Personalentscheidungen hineinredete, ging ihm gegen den Strich.
„Wann kann ich meine Leute informieren?“
„Überhaupt nicht. Sie erhalten ihre Einweisung erst bei der Einsatzbesprechung. Die Natur dieses Einsatzes ist zu sensibel. Sie werden der einzige sein, der vorab informiert wird. Sie werden außerdem noch die nötigen Daten erhalten, um den Einsatzflug planen zu können. Diese Planung und sämtliche Unterlagen dazu unterliegen natürlich der absoluten Geheimhaltung. Es wird keinen offiziellen Befehl geben – und nach dem Einsatz auch keine Eintragung im Kriegstagebuch oder den Personalakten. Sämtliche Piloten unterliegen dann ebenfalls der Schweigepflicht. Aber Sie sollten derartige Regularien ja gewöhnt sein…“ Bei den letzten Worten lächelte der Major. Aber es war ein ausgesprochen hässliches, zynisches Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. Unbehaglich fragte sich Cunningham, worauf der Major jetzt genau anspielte. Doch nicht etwa…
„…Noch etwas. Es kann sein, dass sich unmittelbar bei dem Einsatz noch notwendige Modifikationen ergeben. Wenn Sie also bei dem Flug neue Anweisungen von mir erhalten – Sekundärziele, Alternativrouten – dann werden Sie die entsprechenden Anweisungen Folge leisten. Es wird keine Zeit sein, zu diskutieren, oder Gegenvorschläge zu machen. Verstehen Sie mich?“
Das war denn doch langsam zuviel: „Sie verlangen von mir…“
„Ich verlange, dass Sie Ihre Pflicht tun! Wenn Sie dazu nicht in der Lage sind, dann finde ich einen Ihrer Untergebenen, der es kann! Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“ Die Stimme des Majors blieb leise – aber sie schnitt durch Cunninghams Wut, wie ein heißes Messer durch Butter. Er wusste, dass er keine Wahl hatte. Und deshalb biss er die Zähne zusammen und schluckte seine Verärgerung hinunter.
„Das war dann Alles. Auf gute Zusammenarbeit.“ Der Major erhob sich und streckte seine Hand aus, die Cunningham nach kurzem Zögern ergriff. Der Handdruck des Majors war keine Überraschung – hart und kräftig. Während der Commander sich zum Gehen wandte, wurde ihm bewusst, dass die Augen des Majors zu keinem Augenblick des Gespräches ihren starren, lauernden, fast feindseligen Ausdruck verloren hatten. Lone Wolf war sich nicht mal sicher, ob sein Gegenüber überhaupt einmal geblinzelt hatte. Unwillkürlich musste Cunningham ein Schaudern unterdrücken, als er dem RF-Major den Rücken zuwandte und den Raum verließ.
Er hatte schon Tote gesehen, deren Augen lebendiger gewirkt hatten…
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Cunningham

Lucas Cunningham blickte auf den großen Kartentisch in der CIC der Columbia.
„Wir haben die Spuren größtenteils identifiziert:“, der junge Lieutenant, Pilot eines der SWACS-Shuttles der Columbia, markierte den Bereich um einen vermuteten Wurmlochterminus, „Ein Flottenträger in der Mitte der Formation, eskortiert von einigen schweren Kreuzern in alle vier Richtungen. Einer hat eine unglaublich hohe Strahlungssignatur.“
„Den muss es bei Borialis verflucht schwer erwischt haben.“ Ein älterer Chief befehligte die Radaroperatoren des SWACS. „Was eventuell vor dem Träger gefahren ist, konnten wir natürlich nicht feststellen. Dann war da noch eine ganze Menge Kleinkram. Zerstörer und Fregatten.“
„Ihre Schätzung Chief?“ Lone Wolf zündete sich eine Zigarette an.
„In etwa dreißig Schiffe würde ich sagen.“ Der Unteroffizier leckte sich die Lippen und nahm Lucas' Zigarettenpackung ins Visier.
Schließlich hatte der CAG Erbarmen und bot dem Chief eine Lucky an.
„Dreißig Schiffe“, dachte Nissler laut. „Warum hat er nicht schon einen anderen Kurs eingeschlagen? Zurück in die Heimat.“
„Äh ...“ Machte der junge Pilot.
„Ja, Lieutenant?“ Der Nachrichtendienstler aus Wulffs Stab sah den Piloten des SWACS scharf an.
„Ist das hier denn nicht akariisches Heimatgebiet?“
„Der Kleine könnte Recht haben.“ Mischte sich der Operationsoffizier des Geschwaders, Lieutenant Commander Kevin Schwimmer, ein. Er war fast einen Kopf kleiner als der Pilot.
James Waco räusperte sich: „Wie meinen Sie das, Kev?“
Schwimmer vergrößerte die Sternenkarte und zeichnete mit einem abwischbaren Stift ein Gebiet ein: „Dies ist doch alles Akariiterritorium. Und irgendwo hier befinden sich zwei akariische Trägerkampfgruppen, oder irre ich da?“
„Sie irren sich nicht.“ Nissler runzelt nachdenklich die Stirn. „Chief, haben Sie irgendetwas aufgefangen, was an Funkverkehr erinnert?“
„Natürlich haben wir die Echos vieler Nahbereichscommuniques aufgefangen. Absolut nicht zu entschlüsseln. Die Echsen müssen sich noch hier befunden haben, als wir in das System gesprungen sind. Sonst hätten wir natürlich keine so deutlichen Strahlungswerte von der Flotte erhalten.“
„Irgendetwas was nach L-Com aussieht?“ Wollte der Nachrichtendienstler wissen.
„Akarii-L-Com, vergessen Sie's Sir, kaum was zu machen, und selbst wenn, dann ist es so gut wie unmöglich zu knacken.“ Der Unteroffizier inhalierte tief.
“Wenn wir den Ausstoß einer Translicht-Kommunikationsanlage aus den Scannerdaten herausfiltern könnten, sofern sie gesendet haben, während wir schon im System waren, könnten wir eventuell extrapolieren, wohin sie gesendet haben und damit ihren möglichen Zielpunkt ermitteln.” Lieutenant Commander Schwimmer kratzte sich am Kinn.
“Das Ziel sollte doch eigentlich klar sein … Sir.” Der junge Shuttlepilot deutete auf die Karte und zog mit einem Computerstift eine rote Linie, die vom aktuellen Standpunkt der Columbiakampfgruppe in Richtung Akariiheimatfront ging. “Im großen Bogen zurück hinter die eigenen Linien.”
Nissler nahm dem Lieutenant den Stift aus der Hand: “Da wäre ich mir nicht so sicher, Junior.” Der Nachrichtendienstler zog noch mal den Kreis um das von Schwimmer markierte Gebiet nach. “Wenn Jor über die beiden Kampfgruppen das Kommando herstellt, haben wir ein echtes Problem. Angekratzte Moral oder nicht, das wäre eine zweite Front und katastrophal für unsere ohnehin schon exponierte Stellung.”
“Das reicht, Mr. Nissler.”
Der Commander funkelte Lucas wütend an, verzichtete jedoch auf eine Antwort.
“Unabhängig von unseren Vermutungen ist unser nächster Schritt ein Sprung in das System, in welches Jor gesprungen ist. Dann sehen wir weiter.” Damit beendete Waco die Besprechung.
Die Offiziere und Unteroffiziere salutierten und verließen die CIC
„Lucas, einen Augenblick bitte.“ Waco goss zwei Tassen Kaffee ein und reichte eine seinem CAG. „Admiral Wulff bespricht sich gerade mit Major Schlüter, wegen dem Einsatz der Marines. Die Admiralin hat wenig Vertrauen in Colonel Hammersmith Plan.“
„Nun, Hammersmith gilt als Autorität auf dem Gebiet der Einnahme von feindlichen Schiffen und Raumstationen. Hat das immerhin schon ein dutzend Mal gemacht, oder irre ich da?“ Lucas schnupperte an der Tasse Kaffee und schloss genussvoll die Augen. Waco hatte etwas von seinem eigenem Kaffee geopfert. Echte Bohnen von Sigma Capelli, und nicht das Navy-Kunstzeug.
„Sicher nicht, Luke, nur was der gute Colonel dabei übersieht: Werden die Bodentruppen auf der Korax ma Rah zum Garderegiment Nr. 1 der imperialen Akariischen Streitkräfte gehören, also die Jungs, die Hammersmith Elitetruppe im Kampf Mann gegen Akarii mehr als gleichwertig sind. Dann scheint er zu vergessen, dass die Truppen ein bestimmtes Ziel haben: Den Prinz, ihren zukünftigen Imperator und Herrscher, zu beschützen. Die werden bis zum letzten Blutstropfen kämpfen und noch im Tode versuchen, einen von Smitties Sturmtruppen in Fetzen zu reißen. Und als drittes und vielleicht wichtigstes: Die Korax ma Rah wird schwer beschädigt sein, wenn die Marines landen. Vielleicht dabei auseinander zu fallen. Vielleicht verlieren wir ein paar hundert Marines auf einem schon sterbendem Schiff.“
Lone Wolf nickte: „Das könnte durchaus sein, ich möchte nicht mit … hm Smitty tauschen.“
„Eigentlich hatte ich vor, Dich tatsächlich als Hammersmiths Ersatz vorzuschlagen.“
„Was tust Du Dir in den Kaffee?“ Lucas roch noch mal an seiner Tasse und zeigte dabei ein skeptisches Gesicht.
„Kann Dein Geschwader einen Präzisionsangriff auf den Flottenträger der Quarsar-Klasse durchführen, während er sich in der feindlichen Formation befindet?“
Der Pilot legte den Kopf schief.
„Das Ganze muss sehr schnell und präzise gehen. Der Träger muss mit einer Salve in seine Atome zerlegt sein.“
„Ich verstehe, ohne dass er in der Lage ist, eine Rettungskapsel zu starten. Angriff auf ein vitales Ziel, tragischerweise keine Überlebenden und die Genfer Konvention bleibt gewahrt. Du glaubst, Wulff lässt sich auf so was ein?“
„Man wird nicht Admiral, wenn man nicht eine gehörige Portion Doppelmoral in Petto hat. Also ist Dein Geschwader für so etwas zu gebrauchen?“
„Ich habe die besten Bomberpiloten der TSN, wenn das einer schafft, dann die.“
„In Ordnung Lone Wolf, dann werde ich den Plan der Admiralin vorschlagen.“ Der Captain der Columbia nickte anerkennend. „Ich bin sicher, Du kannst Deine Bomberjockeys schon mal darauf ansetzen.“
Der Geschwaderkommandant salutierte andeutungsweise und verließ dann ebenfalls die CIC.



Hauptquartier der TSN,
New York, Terra, Sol System

Der Konferenzraum war überfüllt mit Offizieren. Die beiden rangniedrigsten waren Captains. Den Kopf der Tafel nahm Admiral Frost in Anspruch. Rechts vom Oberkommandierenden der Navy saß ein Vertreter von Jack Ryan Enterprises, John Fullington, der auch gerade das Wort hatte: „Wie Sie den Testergebnissen entnehmen können, ist das ARGUS-Lenkwaffensystem in der Lage, sowohl den offensiven Angriff auf weit entfernte Dickschiffe wie auch die Abwehr feindlicher Schiff-Schiff-Angriffsraketen und die Nahbereichsabwehr gegen feindliche Jäger und Jäger-Antischiffraketen zu koordinieren.
Und das Ganze nicht nur für das eigene Schiff, sondern für einen gesamten Verband von bis zu siebzehn Schiffen.“
Ein Rearadmiral meldete sich zu Wort: „Wir reden hier von einem riesigen Computersystem. Den technischen Daten zufolge ist es nicht mal möglich unsere Ticonderogas damit nachzurüsten. Selbst für unsere Träger sollten die Umrüstungsarbeiten, auf Grund der benötigten Werftzeiten, nicht realisierbar sein.“
„In der Tat, das ist richtig, Admiral Chevalier, aber wir von Jack Ryan haben uns unter anderem mit Vickers und mit Boston Space Crafts zusammengesetzt. Der Einbau das ARGUS Systems, sofern es in die Serienproduktion geht, wird auf den neu hergestellten Lexington- und Majesticträgern beim Bau installiert.“
„Und wie gedenken Sie das ARGUS System für uns schmackhaft zu machen?“ Chevalier schüttelte fast bedauernd den Kopf.
Fullington antwortete mit einem frechen Grinsen: „Schlachtkreuzer gefällig?“ Er bediente auf seinem Note Booke ein paar Tasten und über dem Konferenztisch erschien ein Hologramm. Ein Kriegsschiff im üblichen Baustiel. Die ebenso abgebildeten Größenabmessungen zeigten an, dass dieses Kriegsschiff beinahe so groß war wie ein leichter Träger.
„Schlachtkreuzer der Argus Klasse, gebaut von Jack Ryan Enterprises. Ausgerüstet mit dem ARGUS-Feuerleitsystem, 4 zehnrohrige Spector MK II Langstrecken Antischiffraketenwerfern, 4 zehnrohrige SM-2 Flugabwehrraketenwerfern, 2 zwanzigrohrige Amram Flugabwehrraketenwerfern, 8 schweren Tachyonengeschützen, 10 Lasergeschütztürmen und 8 Impulslaser zur Nahbereichsabwehr.“
Fullington ließ das Bild des Schlachtkreuzers durch ein Zahlendiagramm ersetzen. „Geschwindigkeit 100 km/s, zweieinhalb Meter diamantgehärtete Duralex Stahl-Karbon-Mischpanzerung, vier Rolls Royce V Triebwerke, die Wendigkeit entspricht fast der Dauntless-Klasse.“
Frost nickte: „Beeindruckend. Und das haben Sie einfach so entwickelt, ohne Auftrag?“
„Wir haben die Exportgenehmigung, wenn die Navy das Baby nicht haben will.“
„Doch wohl nicht für die Spector MK II Werfer.“ Chevalier fixierte den Schiffsbaumanager.
„Oh doch, selbst für die Werfer. Immerhin konnte IMI die Dinger nur mit Hilfe von Colonial Arms fertig stellen.“ Fullington zündete sich einen Zigarillo an. „Aber zurück zur Argus: Sie hat eine Besatzung von tausenddreihundert Mann, eine Flaggbrücke und eine CIC, die den Lexingtonträgern in nichts nachsteht.“
In einige der Admirale kam jetzt Bewegung, es wurde untereinander getuschelt.
„Ladies und Gentlemen: Was Sie hier sehen ist die nächste Generation der Weltraumkriegsführung. Der nächste Schritt sind Schlachtschiffe. Das ARGUS-System in Verbindung mit dem Spector-Raketenwerfer werden über kurz oder lang die Bomberverbände der Navy verdrängen. Wir reden hier von einem Waffensystem mit der achtfachen Reichweite der heutigen Exocet und einem massetauglichen Neutronensprengkopf.
Wenn Ihre Entwicklungsabteilung endlich einen echten Durchbruch auf dem Gebiet des …“
„ADMIRAL FROST!“ Ein junger Lieutenant Commander stieß die Tür auf. „Sir, Prioritätsnachricht von Admiral Thomsen.“
Der Admiral beherrschte sich und nahm die ausgedruckte Nachricht entgegen. Unruhe kam auf, als die andere hochrangigen Offiziere bemerkten, wie Frost sichtlich erbleichte.
„Henning:“, wandte sich Frost an einen anderen Vier-Sterne-Admiral, „Geben Sie Fall Charybdis aus. Alle im System befindlichen Streitkräfte sofort zum Sprungpunkt Bravo in Bewegung setzen. Melden Sie Berlin, dass die Akarii unsere Stellungen im Texas System mit massiven Truppenverbänden angreifen, und dass ich empfehle die Regierung augenblicklich nach Sterntor oder New Boston zu verlegen.“ Der Admiral schluckte und wandte sich an den Lieutenant Commander: „Informieren Sie augenblicklich den Stabschef der Army und Lieutenant General Urduh von den Marines. Admiral Chevalier: Bereiten Sie die Verlegung des Befehlsstabes auf die Richard June vor und informieren Sie Fort Lexington.
Commodore Matthisen: Es wird sofort ein Flugverbot für zivilen Luft- und Raumverkehr ausgerufen. Sehen Sie zu, dass wir alle im Urlaub befindlichen Offiziere und Mannschaften sofort in ihre Basen zurückkehren. Und informieren Sie Marsais und Markham Fields. Die Kadettenkorps sind zu mobilisieren.“




Keine Stunde später strömten die Kadetten des dritten Jahrgangs der Markham Fields Flight School in das große Auditorium. Es waren fast fünfhundert Männer und Frauen zwischen einundzwanzig und vierundzwanzig Jahren.
Nervöses Gemurmel ging durch die Reihen der Flugschüler.
Nachdem sich alle gesetzt hatten, mussten sie noch eine Viertelstunde warten, ehe ein älterer Offizier mit den Rangabzeichen eines Captains ans Rednerpult trat. Er war kein Mitglied des Lehrkaders.
„Guten Abend, Ladies and Gentlemen. Mein Name ist Paul Flemming, Callsign Ghosthawk. Vor etwa einer Stunde wurde der Fall Charybdis für die Verteidigung des Erdsystems ausgegeben. Er wurde ausgegeben, weil aus Texas ein Militärschlag der Kategorie eins gemeldet wurde. Das bedeutet, von diesem Augenblick sind Sie keine Pilotenschüler mehr, Sie werden in den aktiven Dienst versetzt.
Das technische Personal führt gerade die letzten Handgriffe an den Ausbildungsmaschinen aus, um diese für den Kampfeinsatz vorzubereiten.
Ich wurde zu Ihrem Geschwaderkommandanten ernannt. Es werden in den nächsten Stunden noch einige erfahrene Offiziere zu uns stoßen und Teile des Lehrkörpers werden uns auch begleiten.
In fünf Stunden werden wir zum Sprungpunkt Bravo aufbrechen und uns auf Fort Canadian den dortigen Truppen anschließen. Auf halben Weg werden wir von einem Großraumtanker mit Sprit versorgt.
Alles in allem haben wir acht Stunden Flug vor uns, Sie alle sollten sich noch mal ausruhen.
Aber bevor Sie wegtreten, lassen Sie mich noch einiges sagen: Sie mögen sich für bereit halten und Sie mögen dies hier als ihre große Chance sehen, ihren Teil zu unserer großen Sache beizutragen, dennoch muss ich Sie bitten, leisten Sie sich keinen Hochmut. Wenn die Akarii sich durch die erste Flotte durchschießen, werden sie gründlich gerupft sein, jedoch .
voller Selbstvertrauen. Es werden harte Kämpfe sein. Behalten Sie einen kühlen Kopf und denken Sie an das, was man Ihnen hier beigebracht hat. Sie wurden gut ausgebildet und jeder von Ihnen hat das Zeug zum Kampfpiloten, sonst wären Sie nicht im dritten Jahr angekommen.
Wir sehen uns in fünf Stunden wieder, Sie können wegtreten, Lieutenants.“
Still und nachdenklich verließen die frischgebackenen Piloten das Auditorium
Captain Paul „Ghosthawk“ Flemming, der Schlächter von Troffen, wie er sich manchmal selbst in Gedanken nannte, starrte seinem neuen Geschwader gedankenverloren hinterher.
Alles was er gesagt hatte stimmte, nur würde das wirklich ausreichen um in einem wirklichen Raumkampf zu überleben? Für die wirklichen Talente, ja. Die Schwachen würde die ersten Minuten Raumkampf nicht überleben.
Für einen Piloten, der die derzeit akzeptierte Leistung von 74 Prozent erreichte, galt die Faustregel, dass die Hälfte von ihnen den ersten Raumkampf nicht überlebten.
Von den fünfhundert ehemaligen Flugschülern schafften nicht mal alle die magischen 74 Prozent. Wenige stachen daraus hervor. Zwei, ganze zwei von ihnen hatten das wahre Talent, das sie oder ihn eines Tages zum Meisterpiloten bringen würde.



T.R.S. Admiral Fischer
Texas-System, am Sprungpunkt nach Manticore

„Okay Herrschaften, wenn einer von Ihnen eine Theorie hat, wo die Akarii dreihundert Schiffe geparkt haben, die vor einigen Stunden hier durchspaziert sind, dann nur raus damit.“ Commander Riker schubberte sich durch die Haare. „Na, nur nicht so schüchtern.“
Der Kommandant der Fischer lehnte mit der Hüfte am Kartentisch.
„Vielleicht haben die ja einen Umgehungskurs eingeschlagen und sind erstmal in die entgegengesetzte Richtung gefahren.“ Ein junger Ortungsgast sprach es aus, um dann gleich wieder beschämt den Blick zu senken.
„Möglich, in der Menge wären sie unseren Sensoren nicht entgangen. Andere Vorschläge?“ Riker verschränkte die Hände.
Ein junger Matrose, er kam aus der Kombüse und brachte der Brückenbesatzung ein Tablett mit Sandwichs, meldete sich zu Wort: „‘s is vielleicht falsch‘r Alarm.“
Ein gutes Dutzend Augen richtete sich auf den jungen Matrosen.
„Junior, warum stellst Du nicht das Tablett ab und gehst zurück in die Kombüse, hä?“ Fragte der Chefrudergänger in freundlichem Spott.
Allgemeines Gekicher wurde laut, selbst Riker konnte nicht ernst bleiben und doch.
„Hab ja nur g‘meint, in Luft aufgelöst werd‘n sie sich ja nicht haben und Schiffe mittels Tarnkappe unsichtbar machen is Science Fiction.“ Der junge Matrose drehte sich gerade um.
„Er hat recht!“ Brach es aus dem XO hervor. „OPS: Welches Wurmlochphänomen sieht aus, wie ein Sprung? Beziehungsweise was weißt eine ähnliche Sensorensignatur auf?“
Kevin Riker nickte: „Ich hab da mal was gehört. Ein Frachter ist beim Wurmlochübergang explodiert. Zersplitterung der Antimaterieflaschen im Reaktor. Antimaterieexplosion beim Sprung.“
Der Operationsoffizier drehte sich um: „Exakt, ich habe hier was vom Handelsschiff Hasardeur II, von der Ward Line. Es war das Wurmloch zwischen Collis und Tau Verde. Das Wurmloch war für einige Stunden aus der Phase geraten. Nach etwa vier Stunden war das Wurmloch wieder soweit, dass Raumschiffe das Wurmloch wieder passieren konnten.“
Der Kommandeur der Admiral Fischer nickte geistesabwesend und wandte sich den an den Rudergänger: „Chief Holden: Sprungtriebwerke vorbereiten.“
Ungläubige Blicke wandten sich dem Captain zu.
„Wir wollen doch nicht etwa nach Manticore springen oder Sir?“ Der erste Offizier wirkte sichtlich verstört.
„Ganz gewiss nicht“, entgegnete Riker. Er ging zur Navigationsstation, „Bringen Sie uns zwei Kilometer vor den Point of no Return. Schiff klar für Sprungmanöver.“
Der XO ergriff das des Intercom: „1 MC: Hier spricht der erste Offizier, alle Mann auf Sprungstationen! Alle Mann auf Sprungstationen!“
Riker hatte währenddessen in seinem Kommandostuhl platz genommen: „Ortung, geben Sie mir einen überblick über das Strahlungsschema des Sprungpunktes und legen Sie zum Vergleich einen alten Scann dahinter.“
„Aye, aye Sir.“
„Sprungantrieb ist bereit“, meldete Chief Holden, „Ausstoß bei achtzig Prozent eingependelt. Schiff klar zum Sprung.“
„Dann, wollen wir mal: Sprungspulen aktivieren!“ Riker blickte auf sein Display, die Strahlungswerte des Sprungpunkts zeigten ein wildes Wirrwarr. Er glaubt nicht daran, dass sie das Wurmloch öffnen würden.
Und tatsächlich, die Sensoren zeigten zwar den Ausstoß der Sprungspulen doch die Reaktion des Wurmloches - ein Anstieg der Thetastrahlung oder wie im Fall der Verbindung von Texas nach Manticore ein deutlicher Riss im All - blieben aus. Nichts. Absolut nicht geschah.
„Com: Ich brauche augenblicklich eine Verbindung zu Admiral Thomsen. Und lassen Sie sich ja nicht abwimmeln.“



T.R.S. Lexington
In der Umlaufbahn von Texas IV

Auf Thomsens Bildschirm war das Gesicht von Major General Thomas Jäger, dem Kommandanten der Bodentruppen auf Texas zu sehen. Jäger war ein stämmiger Mittvierziger mit energischem Gesicht.
„Wenn die Echsen die Umlaufbahn erreichen, sind wir bereit. Unsere beiden Raumjagd-Regimenter werden zu Ihnen stoßen. Sobald die Kampfhandlungen angefangen haben, werden den Akarii zweihundert Jäger und Jagdbomber in die Flanke fallen.
Die Bodenraumabwehr ist schon seit Jahren bereit und ich werde meine Truppen auf Station befehlen, wenn es anfängt bei Ihnen dort oben zu knallen.“
„Ausgezeichnet, Tom. In der Umlaufbahn sollten wir den Akarii gewachsen sein.“
Thomsen atmete gerade durch, um noch ein paar Instruktionen zu geben, wurde dann jedoch von seinem Stabssignaloffizier unterbrochen: „Richtmeldung von der Admiral Fischer. Es sei dringend. Verzögerung vierundzwanzig Sekunden.“
„Das wird sehr wichtig sein, ich muss Schluss machen Tom, alles Gute.“
„Ihnen auch, Thomsen.“
Das Gesicht des Generals wurde durch das viel jüngere eines Commanders der TSN ersetzt. Die Bildschirmunterschrift wies ihn als Kevin Riker, CO der Admiral Fischer aus.
„Admiral Thomsen, auf unserer Erkundungsfahrt sind wir auf keinerlei Akarii gestoßen. Die Admiral Fischer parkt nun direkt am Sprungpunkt. Wir haben unsere Spulen Probe laufen lassen. Von Wurmloch erfolgte keine Reaktion.
Sie erhalten anliegend alle gesammelten Sensordaten. Meine Technische Abteilung nimmt gerade eine Generaldiagnose unseres Sprungantriebs vor, dann werden wir einen neuen Testlauf durchführen.
Meine Offiziere und ich, sowie ein Küchengehilfe“, Riker schmunzelte, „sind zu dem Schluss gekommen, dass wir es hier mit einer Art Fehlalarm zu tun haben. Entweder hat es einen gewaltigen Fehlsprung gegeben oder die Akarii haben irgendwie versucht und auch geschafft, das Wurmloch zu verschließen. Riker over.“
Der Admiral blinzelte verwirrt: „Admiral Fischer, wir haben Ihre Nachricht erhalten. Wir werden Ihre Analysen gegenprüfen. Bleiben Sie einstweilen auf Position und führen Sie einen weiteren Sprungtest durch. Thomsen over.“
Jens Thomsen lehnte sich angespannt zurück und trommelte mit den Fingern seiner rechten Hand auf der Armlehne seines Sessels: „Meinungen?“
„Gucken wir uns doch erstmal das Material an“, schlug sein Operationsoffizier vor, „ich bitte den Captain uns einen seiner Antriebs- und Wurmlochspezialisten herunterzuschicken.“



Die Columbia-Trägergruppe sprang. Das Wurmloch, welches der Träger und seine Begleitschiffe durchquerten, brachte sie durch den halben Draned Sektor.
25.12.2015 09:56 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
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