The World of BattleTech
Registrierung Kalender Mitgliederliste Teammitglieder Suche Häufig gestellte Fragen Zur Startseite

The World of BattleTech » BattleTech Foren » Kurzgeschichten » Hinter den feindlichen Linien - Season 5 » Hallo Gast [Anmelden|Registrieren]
Letzter Beitrag | Erster ungelesener Beitrag Druckvorschau | Thema zu Favoriten hinzufügen
Seiten (11): « erste ... « vorherige 2 3 [4] 5 6 nächste » ... letzte » Neues Thema erstellen Antwort erstellen
Zum Ende der Seite springen Hinter den feindlichen Linien - Season 5
Autor
Beitrag « Vorheriges Thema | Nächstes Thema »
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Themenstarter Thema begonnen von Cattaneo
Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Tyr

Akarii-Kampfstation ‚Amirad’

Systemkommandant Vorcas hatte seine besten Jahre schon lange hinter sich. Gewiss, er hatte in den Streitkräften des Akarii-Imperiums Ehren und Ansehen erworben, aber das war Jahrzehnte her. Vor inzwischen zehn Standartjahren war er in den Ruhestand gewechselt. Aber wie viele alte Soldaten musste er erkennen, dass die Jahre im Militär ihn für das Zivilleben verdorben hatten.
Als der Krieg mit den Menschen ausbrach, hatte er sich sofort wieder zum Dienst gemeldet. Er hatte zwar kein Frontkommando erhalten, dafür war er zu alt, aber seine früheren Verdienste hatten gereicht, um ihn für einen Stabsposten zu qualifizieren.
Doch dann hatte sich der alte Soldat, wenn auch vor allem aus Pflichtbewusstsein, in die Niederungen und Irrwege der Militärpolitik begeben. Er hatte Kontakt zu jenen Kreisen in Marine und Armee gehabt, die eine Ablösung Prinz Jors forderten.
Aber der Imperator hatte sich hinter seinen missratenen Sohn gestellt, und viele der unzufriedenen Offiziere waren versetzt, einige sogar de facto degradiert worden. Andere hatten ihren Abschied genommen – und den Gerüchten nach hatten zwei Offiziere sogar als Zeichen des Protestes Selbstmord begangen.
Ob der Imperator oder gar Prinz Jor die in dieser Handlung enthaltene Botschaft verstanden hatten, war unklar. Vorcas jedenfalls hatte man auf diesen Posten im Akarii-Hinterland abgeschoben. In seinen Glanzzeiten hatte er ein schweres Kreuzergeschwader kommandiert, heute befehligte er die Raumstreitkräfte eines drittklassigen Planeten – ein paar veraltete Zerstörer, Fregatten und Korvetten, altmodische Raumflieger und eine fast schon archaisch anmutende Raumstation, die älter war als Vorcas.

Und inzwischen war dieses System nicht länger mehr Hinterland. Die Schuld dafür sah Vorcas vor allem bei Prinz Jor, und bei seinem Vater, der diese Missgeburt weiterhin als Oberbefehlshaber belassen hatte. Nicht, dass der alte Krieger diese Kritik laut geäußert hätte. Aber das war auch nicht nötig – jeder der rechnen konnte wusste es, erkannte die Zeichen an der Wand.
Trotz überlegener Streitkräfte waren die Akarii-Truppen weiter zurückgedrängt worden, als jemals zuvor. Scheinbar nach Belieben operierten nun feindliche Verbände im akariischen Hinterland. Die Moral in Armee und Raumflotte war am Boden.
Als vor nunmehr einer Woche das Flagschiff des Prinzen in das System gesprungen war, hatte Vorcas sich Mühe geben müssen, um seine Wut und seine Verachtung nicht zu offen zu zeigen. Einmal mehr hatte Jor in Vorcas Augen bewiesen, dass er nicht würdig war, eine Flotte des Imperiums zu führen, geschweige denn irgendwann einmal das ganze Imperium. Andere Akarii-Befehlshaber, die auch nur halb so vernichtende Schlappen erlitten hatten, hatten ihre Schande durch den ehrenvollen Freitod gesühnt. Jor dachte offenbar nicht im Entferntesten daran, für die Katastrophe, in die er das Imperium gestoßen hatte, die Verantwortung zu übernehmen. Vielmehr krallte er sich an sein Amt wie ein Geizhals an seine Besitztümer. Vorcas hatte schon Generäle und hohe Beamte gesehen, die sich würdeloser verhalten hatten, aber momentan fiel ihm nicht ein, wann das gewesen war.
Natürlich hatte Jor nur an sein eigenes Überleben gedacht. Das Schicksal der Garnison war ihm egal gewesen. Als er die Schwäche von Vorcas Garnisonstruppen erkannte und begriff, dass die hiesigen Wertkapazitäten einfach nicht ausreichten, seine angeschlagene Flotte in kurzer Zeit wieder in Stand zu setzen, hatte er sich – wieder einmal – abgesetzt.
Er hatte sich völlig desinteressiert für die Probleme der lokalen Verwaltung oder die Befürchtungen der Soldaten und Zivilisten gezeigt. Die moralischen Auswirkungen waren verheerend.
Die Zahl der Disziplinverstöße und Unregelmäßigkeiten, der Befehlsverweigerungen war weiter angestiegen. Es hatte sogar Desertionen gegeben. Zu der allgemein empfundenen Schande, der seit drei Jahren scheinbar endlosen Abfolge von Schlappen, Rückzügen und Verlusten, kam die Erkenntnis, dass diese Garnison nun abgeschnitten war vom Rest des Imperiums, und dass es dem Kronprinzen offenbar gleichgültig war, was mit der Garnison, dem Kolonialplaneten, ja dem gesamten Sektor wurde. Jedenfalls hatte Jor diesen Eindruck erweckt, und Vorcas bezweifelte, dass er sich das nur eingebildet hatte.
Wenn die Menschen sich entschlossen, ‚den Sack aufzuräumen’, dann würde es wenig geben, was Vorcas dagegen tun könnte – er konnte höchstens hoffen, sich so teuer wie möglich zu verkaufen. ‚Oder vorteilhafte Kapitulationsbedingungen auszuhandeln’, dachte der alte Krieger zynisch, verbot sich dann aber selber diesen eigentlich hochverräterischen Gedanken.
Er trug Verantwortung. Er musste ein Beispiel geben.

Und deshalb achtete er darauf, dass seinem Gesicht nicht die Verachtung anzusehen war, die er gerade empfand. Die Verachtung galt den Symbolen auf dem Taktikdisplay, die sich gerade zielstrebig Richtung Sprungpunkt bewegten.

Acht Frachter strebten dem Sprungtor entgegen, eskortiert von drei Korvetten, einer Fregatte und zwei Zerstörern. Eine derart starke Bedeckung war inzwischen eigentlich unüblich, außer bei besonders sensiblen, kriegswichtigen Transporten. Aber dieser Konvoi führte eigentlich keine Ladung, die eine derartige Bedeckung rechtfertigte. Jedenfalls nach Vorcas Meinung, aber er hatte da wenig zu sagen gehabt.
Er selber hatte eine Korvette und die Fregatte beisteuern müssen, auch wenn er sich mit Zähnen und Klauen gewehrt hatte. Er hatte ohnehin nicht genug Einheiten, um das System adäquat verteidigen zu können. Aber er war einfach überspielt worden.
Vorgeblich führte der Transport kriegswichtige Materialien – Waffen, Metalle und sogar sechzig zerlegte Kampfflieger. Aber all das war nach Vorcas Ansicht nur ein Vorwand, die formale Rechtfertigung. Denn einmal abgesehen von der Fracht drängten sich auf den Schiffen insgesamt bestimmt mehr als tausend Zivilisten. Höhere Beamte, Mitglieder der Oberschicht – all jene, die genug Geld und Beziehungen hatten, um sich derart aus dem abgeschnitten Teil des Akarii-Imperiums absetzen zu können. Der ‚Besuch’ des Kronprinzen hatte den Ausschlag gegeben – danach hatte selbst der letzte Zivilist begriffen, was die Stunde geschlagen hatte.
Vorcas hegte den Verdacht, dass etliche der ‚Exilanten’ es sogar verstanden hatten, einen Teil ihres Vermögens auf die Schiffe zu transferieren. Und der Akarii-Sicherheitsdienst ließ dies zu, war entweder selbst bestochen, hatte andere Prioritäten oder nutzte vielleicht den Konvoi dazu, eigenes Personal herauszuschleusen.
Angesichts der drohenden Gefahr, dass die Menschen sich vor der Wiederaufnahme der Offensive gegen den Hauptteil des Imperiums zuerst mal mit dem „Aufräumen hinter der Front“ beschäftigen, zumindest das Offensiv- und Defensivpotential sowie die Produktionsstätten zerstören würden, war es natürlich logisch, dass jeder der eine Chance zu haben glaubte, versuchte das sicherere Kerngebiet zu erreichen – auch wenn es selbst dort keine absolute Sicherheit mehr gab. Selbst die Unverletzlichkeit der Zentralwelt war nicht mehr über jeden Zweifel erhaben.

Natürlich gab es auch andere Gründe, die Teile der Akarii-Oberschicht schon vor Jors Auftauchen an Flucht denken ließen. Die Versorgung war im Laufe der letzten Zeit immer schlechter geworden. Die Streitkräfte hatten nun einmal Vorrang, und der Krieg ließ das sorgfältig austarierte Handels- und Transportsystem des Imperiums zerbrechen.
Und zu allem Überfluss kam dazu der Aufstand der T’rr – der schlimmste Kolonialaufstand seit Jahrzehnten. Gerüchte und Horrormeldungen von Massakern und Anschlägen sorgten für Unruhe, ja teilweise sogar Panik. Trotz der offiziellen Propagandaberichte war es klar – die T’rr-Rebellen waren auf dem Vormarsch, und der Aufstand hatte sich inzwischen praktisch auf alle Welten ausgebreitet, auf denen es nennenswerte T’rr-Gruppen gab. ‚Man hätte diese Bestien ausrotten sollen, und nicht als Hilfstruppen nutzen.’ Aber dazu war es jetzt zu spät. Ironischerweise würde Jor sogar das T’rr-System ansteuern, aber bestimmt nicht, um seine kostbaren Maschinen und Raumtruppen gegen einen ebenso gnadenlosen wie unsichtbaren Feind zu verschleißen. Nein, es ging Jor natürlich um die Orbitalwerften von T’rr. Dort würde er seinen beschädigten Träger reparieren können. Vielleicht hoffte er auch, aus der beachtlichen Blockade- und Sicherungsflotte rund um T’rr einige Zerstörer abziehen zu können und so seinen Geleitschutz aufzustocken.
Vorcas war fast versucht, den T’rr-Separatisten viel Glück zu wünschen. Aber es wäre zuviel des Guten gewesen, wenn ausgerechnet diese Bande kaltherziger Meuchelmörder und Terroristen, die sich hochtrabend als ‚Widerstand’ bezeichneten, dem Akarii-Imperium einen Dienst erweisen und Jor liquidieren würden. Ganz bestimmt würde Jor nicht einmal in die NÄHE der Planetenoberfläche kommen. Aber das waren müßige Gedanken. Vorcas hatte genug eigene Probleme.

Im Grunde hätte es ja Vorcas egal sein können, ob ein paar hundert Bürokraten, Adlige und Stabsmitglieder türmten. Aber ein derartiges Verhalten, erst recht nach Jors ‚Vorstellung’, war ein weiterer Schandfleck für das Ansehen des Imperiums, seine Institutionen und Streitkräfte.
Die eigenen Truppen und die Zivilbevölkerung mussten angesichts eines derartigen Schauspiels endgültig jeden Glauben an einen Sieg verlieren, sich verraten und völlig im Stich gelassen fühlen. Für die Menschen, mehr noch die unruhig werdenden Kolonialvölker – und besonders die verdammten T’rr – hingegen war dies ein Ansporn, ein unblutig errungener Propagandasieg.
Selbst wenn das Akarii-Imperium sich letztendlich behaupten würde, diese Schmach würde nicht vergessen werden…
In ein paar Stunden würde der Akarii-Konvoi den Sprungpunkt erreichen. Und dann…
Und im selben Augenblick heulte der Stationsalarm los. Geschockt, einen Augenblick lang wie gelähmt, musste Kommandant Vorcas das mit ansehen, womit er gerechnet, was er gefürchtet – und doch nicht hatte wahrhaben wollen. Der Feind hatte sein System erreicht. Streitkräfte der Menschen waren in das System gesprungen.

***********

Erdzerstörer „Caulaincourt“

„Achtung, ich registriere zwölf, korrigiere VIERZEHN feindliche Einheiten mit Kurs auf den Sprungpunkt!“ Die Stimme des Sensoroffiziers überschlug sich beinahe.
„Gefechtsalarm!“ der Kapitän des Zerstörers zerbiss einen Fluch zwischen den Lippen. Vierzehn Einheiten, das klang nicht gut – vor allem, da sich bisher nur vier Zerstörer der TSN im System befanden: „Identifizieren Sie die feindlichen Einheiten! Nachricht an die anderen Einheiten – Defensivformation!“
„Bordgeschütze klar, Raketenwerfer erfassen Feind!“ schaltete sich der Waffenoffizier ein, seine Stimme wurde fast vom Sensoroffizier übertönt: „Feindlicher Verband – acht Frachter, Goose und Albatros, zwei Zerstörer der Echo-Klasse, Fregatte Typ Sierra III, drei Korvetten – zwei Quebec- eine Tango-Klasse.“
„Ein Konvoi!“ ließ sich der zweite Steuermann vernehmen. Dies war seine erste Feindfahrt in Akarii-Gebiet, vorher hatte er nur an Patrouillen im Gebiet der TSN teilgenommen.
„Danke, Mister Lindsey, das hätte ich ohne Sie nicht bemerkt.“ Die Stimme des Kapitäns klang sarkastisch, aber insgeheim war er doch erleichtert. Der feindliche Konvoi war den Erdstreitkräften an Feuerkraft nicht überlegen: „Wann bekommen wir Verstärkung?“
„Als nächstes springt die Relentless – EZ in dreißig Sekunden. In weiteren vierzig Sekunden folgt die Hauptflotte. Das heißt…“
„Danke, das genügt.“ Der Kapitän der „Caulaincourt“ überlegte fieberhaft. Was sollte er tun? Auf den ersten Blick war seine Pflicht klar. Er sollte den Sprungpunkt sichern, bis der Rest der Flotte im System war. Der Konvoi stellte eigentlich keine Bedrohung für die „Columbia“ dar, zumal die Akarii sichtlich Fahrt verloren. Ihr Hauptziel war nun einmal Prinz Jor. Eigentlich sollten als nächstes die Aufklärungsshuttles starten, um nach den Spuren des angeschlagenen Trägers suchen.
Aber die Gelegenheit schien günstig, zu günstig. Ein kompletter Raumflughafen lag da fast in Reichweite ihrer Raketen – ohne den Schutz bodengestützter Abwehrbatterien, Fliegerstaffeln oder orbitalen Kampfstationen. Ein leises, mechanisches Summen und die Meldung des Sensoroffiziers informierten den Kapitän, dass die „Relentless“ soeben in das System gesprungen war.
Das gab den Ausschlag: „Signal an die anderen Zerstörer – WIR GREIFEN AN! Signal an die Relentless – bitten um Feuerunterstützung!“

*********

Akarii-Station ‚Amirad’

Vorcas musste hilflos mit ansehen, wie sich eine schlimme Situation in eine katastrophale verwandelte. Unmittelbar nach den Zerstörern der Menschen erschien ein schwerer Erdenkreuzer – und keine Minute später trat eine komplette Trägerflotte in den Normalraum ein. Kein Wunder, dass Jor sprichwörtlich mit eingezogenem Schwanz geflohen war. Natürlich war es von ihm nicht zu erwarten gewesen, einen solchen Kampf auszufechten. Vorcas überprüfte die Sensoranzeigen des Erdträgers und musste schlucken. Nein, Jor würde sich wohl kaum ausgerechnet DEM Träger stellen. Die ‚Columbia’ hatte inzwischen einen geradezu legendären Ruf, der sogar bis hierher gedrungen war. Und dieser Legende musste sich jetzt Vorcas und seine Garnison stellen.
Binnen Sekunden hatte sich die Kommandozentrale der ‚Amirad’ in eine Hölle des organisierten Chaos verwandelt. Während die Station sich kampfbereit machte und die Kampfpiloten zu ihren Maschinen hasteten, gingen gleichartige Befehle an die Bodenstationen und an die all zu wenigen Kampfschiffe, die sich im Orbit befanden.
„Der Gouverneur fragt, was Sie gegen diese Invasionsflotte zu unternehmen gedenken?“
Vorcas fuhr herum: „WOMIT SOLL ICH ETWAS UNTERNEHMEN?! Sagen Sie diesem Idioten, dass wir uns auf die Verteidigung vorbereiten – und dass er das Kriegsrecht verhängen und Invasionsalarm geben soll. Die Milizen, die Sicherheitskräfte und die Heimatreserve muss mobilisiert werden. Befehl an alle Kampfschiffe – bei ‚Amirad’ in Blockformation sammeln! Befehl an die Kampfjäger – Alarmstartbereitschaft!“
„Aber – Sir! Der Konvoi! Die Sicherungskräfte reichen nicht aus, um die feindlichen Einheiten abzuwehren…“
„Ganz recht – und nichts, was wir tun können, ändert etwas daran! Befehl an den Konvoi – Auflösen, Rückzug nach ‚Amirad’ mit jeweiliger Höchstgeschwindigkeit!“
„Aber dann…Die Frachter können doch nicht mithalten!“
Vorcas hätte seinen zweiten Offizier am liebsten geschlagen. Natürlich wusste er das. Der Konvoi war verloren – und er konnte es sich nicht leisten, dass kostbare Kriegsschiffe sinnlos geopfert wurden – nicht, wenn er sich bald gegen eine Invasion wehren musste. Ja, die Frachter würden mit den fliehenden Kriegsschiffen nicht mithalten können. Aber vielleicht schafften es wenigstens die Flotteneinheiten.
„Sie haben einen Befehl! Führen Sie ihn aus!“
Der zweite Offizier fuhr zurück. Einen Augenblick lang glaubte Vorcas, sein Untergebener würde den Befehl verweigern. Doch dann straffte sich der Offizier und wandte sich mit ausdrucksloser, wie erstorbener Stimme an die Eskorteinheiten. Sein Gesicht war eine Maske der Verachtung. Aber er gehorchte.
Dann meldete er: „Konvoi ändert Kurs, zieht sich zurück mit Höchstgeschwindigkeit. Die…“ der Akarii-Offizier zögerte: „Die Zerstörer und eine der Korvetten bleiben unterhalb der Höchstgeschwindigkeit. Sie nehmen eine Abschirmformation hinter den Frachtern ein…“
„Diese verdammten Narren!“ Vorcas schäumte vor Wut – die allerdings auch zum Teil aus dem Selbstekel über das gespeist wurde, was er eben als „notwendig“ angeordert hatte. War er denn besser als Jor? Aber es gab einen entscheidenden Unterschied. Jor dachte nur an sich selbst. Vorcas hingegen ging es um das Schicksal eines ganzen Planeten. Jedenfalls redete er sich das ein.
Natürlich war die Befehlsverweigerung der drei Eskortschiffe eine noble, eine heldenhafte Geste – und es war blanker Selbstmord. Schlimmer noch, diese Schiffe würden Vorcas bald bitter fehlen.
„Funkspruch an Zerstörer und die Korvette! Sie haben einen Befehl erhalten! Wenn Sie ihn verweigern, ist das Meuterei! Sie…“
„Sie haben die Verbindung unterbrochen, Sir. Und sie beschleunigen nicht.“

**********

An Bord der Columbia

Die letzten Tage waren für Kano nicht gerade einfach gewesen. Obwohl er es sich nicht einmal selbst richtig eingestehen wollte, die Aussicht, an hilflos im All treibenden Akarii einen Massenmord zu begehen, belastete den jungen Piloten ziemlich.
Er hatte sich abgekapselt, in sich selbst zurückgezogen. Keiner sollte oder durfte davon erfahren. Weder von seinem Auftrag, noch von seinen Zweifeln. Ganz besonders nicht Kali.
Und das tat am meisten weh. Er hatte keine Geheimnisse vor ihr gehabt – jedenfalls keine wichtigen. Bis jetzt.
Sie kannte ihn zu gut, durchschaute ihn zu leicht. Sie würde herausfinden, was mit ihm los war. Deshalb hatte er sie in den letzten Tagen gemieden, war ihr aus dem Weg gegangen. Das war nicht leicht für ihn gewesen, vor allem, da sie es anscheinend bereits bemerkt hatte. Sie hatte ihn nicht direkt darauf angesprochen, aber er glaubte es in ihrem Blick zu lesen.
Commander Cunningham schien zurzeit besonders beschäftigt. Ab und zu glaubte Kano zu bemerken, wie der Geschwaderkommandant den einen oder anderen Piloten prüfend musterte. Suchte er noch mehr Piloten für diesen ‚Sonderauftrag’?
Auch Monty schien misstrauisch zu werden.
Und zu allem Überfluss kam dazu noch die Umformierung der Schwarzen Staffel. Das bedeutete zusätzliche Schreibarbeit und Simulatorübungen. Außerdem war Renegade vor kurzem aus der Krankenstation entlassen worden – und der junge Pilot hatte keinen Hehl daraus gemacht, was er von Kano hielt.

Deshalb begrüßte Kano es regelrecht, als der Alarm losschrillte. Die folgenden Handgriffe waren inzwischen nur zu vertraut, nach wenigen Sekunden rannte Kano schon in Richtung Hangar. Ein einfacher, sauberer Kampfeinsatz erschien ihm gerade jetzt mehr als willkommen.
Die Maschinen der Schwarzen Staffel gehörten wie die Jäger der Grünen Schwadron zur Einsatzbereitschaft. Deshalb standen die Kampflieger startbereit, waren betankt und mit Raketen bestückt.
Gleichzeitig wurden die Jagdbomber der Silber- und Gold-Schwadron auf den Start vorbereitet, während die Piloten und Copiloten sich bereits ungeduldig um die Maschinen drängten. Commander Cunningham musste beinahe schreien, um sich verständlich zu machen: „Das Ziel ist ein feindlicher Konvoi! Wir geben den Jabos Feuerunterstützung. Sofort nach dem Start in Marschformation sammeln!“
Kano hätte beinahe gegrinst. Die Butcher Bears hatten sich in der Geschwaderchronik inzwischen einen Namen gemacht bei der Vernichtung von feindlichen Frachtern. Sie rangierten gleich nach den Bombern und Jabos. Und jetzt würde sich einmal mehr die Gelegenheit geben, den Vorsprung vor den anderen Nighthwak- und Falcon-Staffeln auszubauen. Die Bestückung der Maschinen war momentan zwar nicht ideal, eher für einen Patrouilleneinsatz gedacht, aber die wuchtigen Überlegenheitsjäger führten immer noch eine beachtliche Feuerkraft.
Wenige Sekunden später schleuderte das Katapult der Columbia Kanos Jäger in den Weltraum. Der Lieutenant orientierte sich kurz, ein knapper Druck auf den Steuerknüppel, und er nahm seine Position in der Formation ein. Nur Sekunden später schloss sich Crazy, Kanos Flügelmann, an, gefolgt von Crusader und Submarine. Insgeheim war Kano einmal mehr erleichtert, dass die schweigsame, etwas schüchterne Pilotin von dem Mond Europa an Renegades Stelle getreten war. Sie machte wesentlich weniger Ärger, war weitaus teamfähiger – und ihre Leistungen waren mindestens ebenso gut.
Und Crusader war zudem Kanos Freund. Auch wenn der japanische Pilot keine Schwierigkeiten mit Goliath gehabt hatte, natürlich war es ihm nicht unrecht, wenn ein Freund wie Crusader in seiner Sektion mit flog. Zumal Goliath, der deutlich älter als Kano gewesen war, ein Veteran des Marinekorps, manchmal doch seine längere Einsatzerfahrung hervorgehoben hatte.
Dann schämte sich Kano dieser Gedanken. Es war eines Offiziers nicht eben würdig, immer den einfachen Weg zu gehen.
Automatisch überfolg er währenddessen die Anzeigen auf dem Radarschirm. Da war der Konvoi, in einer heillosen Flucht begriffen…Nein.
Die beiden Zerstörer und eine der Korvetten gaben den Frachtern Geleitschutz, die so schnell sie konnten auf die orbitale Verteidigungsstation zustrebten. Kano sah auch die TSN-Schiffe auf Angriffskurs – die Relentless von Captain Mithel und die vier Zerstörer der Vorausabteilung. Kano lächelte kurz, denn sein Bruder war Waffenoffizier auf der Caulaincourt.
Und dann sah er die zwei Korvetten und die Fregatte der Akarii, die die acht Frachter bei ihrer Flucht bereits weit hinter sich gelassen hatten.
Kano riss unwillkürlich die Augen auf: „Diese Feiglinge fliehen einfach!“
Montys kühle Stimme schaltete sich ein: „Offenbar können die Akarii zählen. Sie wissen, dass sie keine Chance hätten. Aber mit der Orbitalstation, den Bodenstellungen, den Verteidigungsstaffeln und den Kampfschiffen in der Umlaufbahn…“
„Das genügt. Noch genauer brauchen wir es nicht!“ schaltete sich Commander Cunningham ein: „Herhören! Die verbliebenen Geleiter knöpfen sich unsere Dickschiffe vor. Der alte Eisenfresser Mithel will auch mal was zu tun haben. Wir haben Befehl, die Frachter anzugehen. Sie bleiben zusammen und werden sich vermutlich gegenseitig Feuerschutz geben. Die Thunderbolts müssen sehr nahe ran, um ihre Marschflugkörper loszuwerden. Deshalb werden wir die Ziele mal etwas weich klopfen. Angreifen in Sektionen. Anschließend konzentrierter Anflug, nach Entscheidung der Staffelführer. Denkt daran – wir wollen den Konvoi rupfen, aber geht kein unnötiges Risiko ein. Sobald wir in die Reichweite der Orbitalstation kommen oder die feindlichen Kriegsschiffe vorrücken, dreht ihr ab und lasst euch in den Schutz unserer Kampfraumer zurückfallen. Noch Fragen? Ausgezeichnet. Gute Jagd!“
Natürlich gab es keine Fragen. Die Piloten der Schwarzen Schwadron hatten die Taktik, die Cunningham befohlen hatte, schon seit längerem perfektioniert. Die Sektionen würden gleichzeitig zuschlagen, von allen Seiten. Sie würden so das feindliche Abwehrfeuer aufsplittern, Chaos und Verwirrung stiften – in die dann die Jagdbomber der Silbernen Schwadron stoßen würden.
Eigentlich besaß bereits eine Sektion Nighthawks die nötige Feuerkraft, um einen normalen Akarii-Frachter zu vernichten. Die Butcher Bears hatten das mehr als einmal bewiesen. Aber sie schafften das selten in einem Anflug, und natürlich hatte der Frachter so länger Zeit, seinerseits auf die Kampfflieger zu schießen. Es war effizienter, mit den Jägern die Frachter ‚aufzuweichen’, die Abwehr zu verwirren, und den Jabos den Rest zu überlassen.
Aber dennoch brannte natürlich in den meisten Piloten der Schwarzen Staffel der Ehrgeiz, ebenfalls einen Frachter zu vernichten.

Die Jäger beschleunigten auf Höchstgeschwindigkeit. Mühelos umgingen sie die drei Akarii-Raumer, die den Rückzug der Frachter zu decken versuchten. Die Akarii mussten sich auf die nachrückenden TSN-Kriegsschiffe konzentrieren. Angesichts der extrem ungünstigen Kräfteverhältnisse hatten sie einfach nicht die Möglichkeit, auch noch die Jäger abzufangen.
Hinter den dahinrasenden Kampffliegern flackerten lautlos die ersten Nuklearexplosionen auf, wie rotgoldene Feuerblumen.

Die Akarii-Frachter bildeten eine relativ enge Formation, mit überschneidenden Schussfeldern. Auch wenn die Frachter nur verhältnismäßig leicht bewaffnet waren, zusammen stand ihnen doch eine beachtliche Feuerkraft an Strahlenkanonen und Raketen zur Verfügung.
Noch bewegten sich die Jäger außerhalb der Reichweite der Strahlenkanonen, während sie die fliehenden Frachter einkreisten, wie ein Wolfsrudel eine Herde Hirsche.
Es waren zwei Frachter, die den Kampf mit einer Salve Raketen eröffneten. Kano überflog die Anzeigen und verzog verächtlich den Mund – die Akarii hatten viel zu früh geschossen, vermutlich aus purer Nervosität. Mit fast verächtlicher Eleganz öffnete sich die Formation der TSN-Jäger wie eine Blume, als die Jäger ein koordiniertes Ausweichmanöver ausführten und gleichzeitig eine ganze Reihe von Täuschkörpern ausstießen.
Fast am Ende ihrer Flugbahn war dieses Überangebot an Zielen zu viel für die Zielerfassungssysteme der Akarii-Raketen, sie explodierten ohne Schaden anzurichten.
Wie als Antwort darauf ertönte jetzt Commander Cunninghams Stimme aus den Lautsprechern: „Staffel Grün und Schwarz – ANGREIFEN!“
Eine scharfe Kehre brachte Kano auf Angriffskurs, vor ihm tauchten jetzt die Rümpfe der Frachtschiffe auf. Auch wenn sie mit Höchstgeschwindigkeit flogen, im Vergleich mit den heranjagenden Raumjägern der TSN, die ihre Nachbrenner aktiviert hatten, krochen die Frachter nur durchs All, schwerfällig und langsam: „Der Goose an Backbord hängt etwas zurück! Sektion Drei – Rann!“
Wieder eröffneten die Akarii das Feuer, diesmal aus allen Rohren, die ihnen zur Verfügung standen. Für die Echsen musste das Gefecht Hölle sein. Von allen Seiten schienen die schnittigen TSN-Jäger anzugreifen. Die Raketenwerfer schossen so schnell sie konnten, und die Akarii-Bordschützen versuchten, die Angreifer auch mit ihren Strahlenkanonen aufzufassen – doch angesichts der aus zu vielen Richtungen drohenden Vernichtung zerfaserte sich das Feuer.

Ein schrilles Piepen informierte Kano, dass ihn eine feindliche Rakete erfasst hatte. Der junge Pilot ließ seine Maschine nach unten wegsacken und stieß mehrere Störkörper aus, gefolgt von einem erneuten Druck auf den Nachbrennerhebel. Wie erwartet brach der Warnton ab – die Rakete hatte ihn verloren. Dieses Ausweichmanöver hatte Kano unter die Akarii-Formation gebracht. Über sich sah er, wie die ersten TSN-Jäger in den Frachterpulk einbrachen. Aus allen Rohren feuernd pflügten sie durch die Reihen des Feindes, stifteten Verwirrung und Zerstörung.
Kano besann sich auf seine Pflicht. Im nächsten Augenblick hatte er bereits wieder den Frachter ausgemacht, den seine Sektion angreifen sollte.
Kano machte das Beste aus seiner momentanen Situation, denn indem er den Feind von ‚Unten’ angriff (solche Angaben waren im Weltraum allerdings relativ), war er ziemlich sicher vor den Zwillings-Raketenwerfern an Bug und Heck.
Auch die anderen Flieger seiner Sektion griffen jetzt an – wobei Crazy, wie um seinem Namen alle Ehre zu machen, sich direkt von Hinten näherte und damit in das perfekte Schussfeld des Heck-Werfers kam.
Jäger und Frachter feuerten gleichzeitig, aber es war ein ungleiches Duell. Crazy hatte auf einen Schlag alle seine Raketen und zusätzlich die Bordkanonen abgefeuert. Die zwei Raketen des Frachters wirkten dagegen kümmerlich. Crazy hatte nach seiner Salve sofort die Maschine zur Seite gerissen und Störkörper abgefeuert. Das genügte, um eine der Raketen abzulenken.
Die andere allerdings traf. Beschädigt suchte Crazy, den Abstand zwischen sich und dem Frachter zu vergrößern. Seine eigene Salve traf ebenfalls, die Heckpartie des Frachters wurde schwer verwüstet, das Schiff verlor an Fahrt und der Heckwerfer verstummte. Langsam, schwerfällig, wie ein harpunierter Wal, drehte sich der Frachter um die eigene Achse und driftete aus seinem ursprünglichen Flugvektor. Ein anderer Frachter musste ein Ausweichmanöver fliegen, und die Formation der Transporter geriet noch mehr durcheinander.
Eine knappe Kurzkorrektur ließ Kanos Jäger den Bewegungen des Goose-Frachters folgen. Dann drückte auch er auf alle Feuerknöpfe.
Er hatte auf den ‚Bauch’ des Transporters gezielt. Seine zwei Sidewinder explodierten wirkungslos an einem vom Frachter abgefeuerten Störkörper.
Aber die Amraams und Sparrows trafen voll, wie auch die beiden Tachyonengeschütze und die Plasmakanonen. Das war zu viel für die geschwächten Schilde, die Raketen und Strahlenwaffen rissen den Rumpf des Frachters auf, Trümmerstücke wurden von der explosionsartig entweichenden Atmosphäre ins All hinausgeschleudert.
An Bord des Frachters musste die Hölle los sein. Wenn die Bordsysteme noch funktionierten, dann würden sich jetzt im Schiff die Sicherheitsschotts schließen, um die leckgeschlagene Sektion abzuriegeln. Für Mannschaft und Passagiere entschied dann der Zufall, ob sie auf der richtigen Seite des Schotts waren – wer in der abgeriegelten Sektion eingesperrt und noch nicht von den Explosionen getötet worden war, dem stand ein grausamer Tod im Vakuum bevor.
Funktionierten die Sicherungssysteme allerdings nicht – dann würde der ganze Frachter binnen Minuten nur noch ein treibendes Grab sein.

Doch nach nur wenigen Augenblicken verebbte der Geysir aus ausströmenden Gasen – offenbar war die Sektion doch abgeriegelt worden.
Kanos Jäger vollführte einen Bogen – während gleichzeitig Submarine und Crusader ihren nächsten Angriff flogen. Inzwischen waren sie alle Veteranen und kamen mit einem Minimum an Kommunikation aus. Der Frachter, der steuerlos um die eigene Achse rotierte, erwiderte das Feuer nicht mehr.

„HAVOC! HAVOC!“ Es war Cunninghams Stimme, die das Codesignal gab. Die Nighthawks und Falcons, die eben noch wie ein Schwarm Piranhas durch die aufgerissene Abwehrformation der Akarii jagten, änderten abrupt den Kurs, feuerten ihre Nachbrenner ab, und entfernten sich mit Höchstgeschwindigkeit von den Frachtern.
Denn jetzt war die erste Sektion der Schwadron Silber heran. Die Thunderbolt-Jagdbomber waren mit je zwei Maverick-SSM bestückt worden. Mit schwereren Bordgeschützen als die alten Mirage-Jabos, dazu schnell, wendig und standfest, waren sie für Akarii-Frachter eine tödliche Bedrohung. Und die angeschlagenen Transporter bemerkten die neue Bedrohung viel zu spät, hatten gar keine Chance, ihr Abwehrfeuer zu konzentrieren.
Die auf nächste Entfernung abgefeuerten acht Antischiffsraketen fanden fast alle ihr Ziel. In einer gleißenden Doppelexplosion vergingen zwei Frachter fast gleichzeitig im atomaren Fegefeuer. Ein weiterer Frachter taumelte mit fast vollständig zerstörten Triebwerken durchs All. Geistesgegenwärtig nutzten die Piloten der Grünen Schwadron die Chance, auch einmal mit den Nighthawk-Staffeln gleichziehen zu können. Auf einen knappen Befehl Lightnings stürzte sich das Dutzend Falcones auf den wrackgeschlagenen Gegner. Etliche der Piloten hatten offenbar noch ein paar Raketen aufgespart, die sie jetzt in die brennende Hecksektion des Albatros-Frachters jagten. Das war das Ende. Eine Kette von Sekundärexplosionen zerriss das Heck, pflanzte sich wellenartig zum Bug fort. Ein paar Rettungskapseln entkamen der feurigen Vernichtung, dann verging der moderne Frachter der Albatros-Klasse in einem Flammenmeer, aus dem es kein Entrinnen gab.
Zwei weitere, schwer getroffene Frachter machten nur noch halbe Fahrt, während ihre beiden momentan noch etwas glücklicheren Kameraden mit Höchstgeschwindigkeit abliefen.

Und da war noch der Goose-Frachter, den Kanos Sektion angegriffen hatte. Antriebs- und Steuerlos war er hoffnungslos vom Kurs abgekommen, entfernte sich jetzt von dem Planeten und der Orbitalstation.
Die Nighthawks von Kanos und Montys Sektion formierten sich auf einen gebrüllten Befehl Montys hin, um ihr Werk zu vollenden. Cunninghams Sektion jagte währenddessen hinter den zwei schwer beschädigten Frachtern hinterher, begleitet von den vier Thunderbolt der Silbernen Schwadron. Kanos Gesicht verzog sich unwillkürlich zu einem fast grausamen Lächeln. Der Goose-Frachter gehörte der Schwarzen Staffel, und niemand würde den Butcher Bears jetzt noch diese Beute streitig machen können.

Doch mit einmal drang eine Breitband-Meldung aus dem Funkempfänger: „…frachter Bywas…kapitulieren…hole kapitulieren…Feuer einstellen!“ Die Stimme klang kratzend, von Statik verzerrt, der menschlichen Sprache ungewohnt. Aber die Aussage war unmissverständlich. Was der Akarii weiter sagen wollte, ging im Siegesgeheul der Piloten unter. Dies aber war dann auch die letzte Beute des Tages.

„An Alle Einheiten! Verfolgung abbrechen! Formieren bei Prise! Verfolgung abbrechen!“ Cunninghams Stimme klang angespannt, duldete keinen Widerspruch. Auch wenn viele Piloten darauf brannten, den fliehenden Frachtern den Rest zu geben, sie wussten, warum der Commander diesen Befehl gab.
Denn die um die Orbitalstation formierten Kriegsschiffe hatten sich bis zum äußerten Rand der Feuerreichweite der Stations-Raketenbatterien vorgewagt und die verbliebenen Frachter aufgenommen. Diese zu verfolgen wäre zu riskant gewesen für die Angry Angels. Trotz den inzwischen hinzu gestoßenen Jagdbombern der Staffel Silber und Gold fehlte die Feuerkraft, es mit Kriegsschiffen aufzunehmen, die von einer Kampfstation unterstützt wurden. Natürlich wäre das gesamte Bordgeschwader der Columbia, unterstützt von den eigenen Kriegsschiffen, in der Lage gewesen, den Feind schwer zu treffen, wohl auch zu vernichten. Aber das hätte Verluste bedeutet, und dies war zudem nicht die Aufgabe, die die Columbia-Kampfgruppe in dieses System geführt hatte.
Deshalb kehrten die Bordmaschinen der Columbia zu ihrem Träger zurück, wurden ersetzt durch Patrouillemaschinen. Zurück blieben die Trümmer der Akarii-Frachter und Kriegsschiffe, die es nicht mehr geschafft hatten.
Zwei Zerstörer kümmerten sich um den Transporter, der kapituliert hatte. Allerdings wurde schnell klar, dass dieses Schiff niemals mehr irgendwohin eingeschleppt werden würde. Nachdem die Akarii von Bord gegangen waren, wurde die Ladung überprüft und ein paar Shuttles schafften von Bord, was interessant schien. Es war nicht allzu viel. Acht Stunden später war der letzte Mensch von Bord. Der TSN-Zerstörer Caulaincourt vernichtete das nun reglos treibende Wrack mit vier Salven seiner Bordgeschütze.
Die Schlacht war vorbei.
Die ausschwärmenden Späh-Shuttles bestätigten nur noch, was vorher schon klar gewesen war. Jors Flotte befand sich nicht mehr im System. Die Jagd der ‚Columbia’ ging weiter.

*********

Akarii-Station ‚Amirad’

Mit einem bitteren Geschmack auf der Zunge starrte Kommandant Vorcas der langsam abrückenden Menschenflotte hinterher. In solchen Augenblicken hatte er das Gefühl, schon zu lange gelebt zu haben. Zu erleben, dass das stolze Imperium derartig gedemütigt wurde, gezwungen zu sein, solche Befehle zu geben…
Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn er schon vor Jahren im Kampf gefallen wäre.
Vier Transporter hatten überlebt – doch alle mehr oder weniger schwer beschädigt, keiner ohne Verwundete oder Tote an Bord. Und die Kriegsschiffe, die so mutig – und so DUMM gewesen waren, den Frachtern Feuerschutz geben zu wollen…

Die psychologischen Folgen dieser Niederlage für die Garnisonstruppen würden verheerend sein. Die arrogante Leichtigkeit, mit der der Feind zugeschlagen hatte und dann weitergeflogen war, als wäre die Garnison gar nicht der Mühe wert, sie zu vernichten – das war Gift für die Moral.
Da war es ein schwacher, ein zu schwacher Trost, dass der Gegner offenbar momentan keine Invasion oder Bombardement des Planeten plante. Wie hatte es nur so weit kommen können?
Und um ein paar Kriegsschiffe vor der sinnlosen Vernichtung zu bewahren, hatte Vorcas jetzt die Achtung seiner Untergebenen geopfert. Diese Wunde schmerzte ihn fast am stärksten.
„Befehl…Langstreckenkommunikation. Leiten Sie die Sensoraufzeichnungen, Feindstärke und Operationsparameter weiter. Ich will, dass jede Station, jede Garnison und jede Kolonie in diesem Sektor informiert wird.“
Natürlich wusste Vorcas, welches Ziel die Menschen hatten. Diese Kampfgruppe war für eine Invasion zu schwach, und sie hatte nicht einmal versucht, die Werft- und Industrieeinrichtungen anzugreifen. Für einen einfachen Raid aber war sie wiederum zu groß – und bestimmt schickte der Feind nicht ausgerechnet einen seiner besten Träger auf die Jagd nach Frachtern und Konvois. Diese Kampfgruppe war hinter Jor her.
Insgeheim bezweifelte Vorcas, dass seine Warnung viel helfen würde. Natürlich würde sein Funkspruch andere Konvois warnen und ein weiteres Gemetzel wie das heutige vielleicht verhindern können. Aber gab es in diesem Sektor überhaupt noch einen Flottenverband, der in der Lage wäre, diesen verdammten Träger der Glatthäute zu vernichten? Jor war offenbar nicht dazu bereit, dieses Risiko einzugehen.
Und wenn doch ein ausreichend starker Verband formiert werden KÖNNTE – würde er es wagen...?
25.12.2015 09:57 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Themenstarter Thema begonnen von Cattaneo
Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Cattaneo

Opfergang

An Bord des Schweren Kreuzers TRS Relentless

Wenn Commodore Chris Mithel ehrlich zu sich war – und er hatte es nicht so weit gebracht, indem er sich selbst etwas vormachte – dann musste er zugeben, das er Augenblicke wie diesen genoss. Der Flottenverband der Columbia formierte sich zum Sprung, eine geballte Armada aus gut 40 Schiffen. Eine Faust, die sich bereit machte, zuzuschlagen.
Eine größere Streitmacht als bei dem katastrophalen Angriff bei Jollahran, der dennoch von manchen Theoretikern als entscheidend für die Kriegswende angesehen wurde. Mithel dachte noch heute ungern an diese „Schlacht“ zurück – für die Relentless war es keine gewesen. Das Schiff hatte jede etwaige Schuld für seinen Rückzug in den folgenden Gefechten getilgt, aber dennoch konnte Mithel die Schmach nicht vergessen, dass der Kreuzer in seinem ersten Gefecht auf Befehl eines rückratlosen Trägerkommandeurs den verfrühten Rückzug angetreten hatte, während unzählige Flottensoldaten und Piloten gefallen waren. Er unterdrückte mühsam diesen Gedanken, der jede Freude am Erreichten schal werden ließ.

Das hier war etwas anderes als die Schlacht selber. Im Gefecht kam die Sorge um das eigene Schiff hinzu, die Furcht vor einem Scheitern des Schlachtplans. Man konnte derartige Befürchtungen verdrängen, ablegen konnte man sie nicht. Kein Kommandeur mit Verantwortungsgefühl – so meinte Mithel – genoss die Schlacht. Dafür war nach dem Sieg Zeit. Aber dies hier war kein Gefecht. Gewiss, die Ahnung von Gefahr war da, denn wer wusste schon, was auf der anderen Seite des Sprungs auf sie wartete? Aber es war etwas anderes als die Gefahr selber. Die Spannung genügte, um Adrenalin ins Blut zu treiben. Mithel nahm deutlich jedes Detail auf seiner Brücke wahr. Die gedämpften Stimmen der Offiziere auf ihren Posten, die Meldungen der verschiedenen Stationen, die Hintergrundgeräusche von den Statusanzeigen. In Augenblicken wie diesen konnte er vergessen, dass er schon Mitte 50 war, und vor allem seit fast fünf Jahren im Krieg. Und wie man so sagte – Kriegsjahre zählten doppelt. Das Schiff, seine Schwadron gehorchte auf seinen Befehl, er war Teil einer Kriegsflotte, die einen Planeten in Schutt und Asche legen konnte. Teil von etwas Großem, übermenschlich Großen. Mithel war nicht gerade Hurrapatriot, aber er war stolz, Offizier der Flotte zu sein. Und jetzt, im Krieg, stand er an vorderster Front. Krieg war nur zu oft die Hölle – aber wie oft konnte man sich selbst sagen, dass man erlebte, wie Geschichte geschrieben wurde, ja gar selber die Chance dazu hatte?
Mithel registrierte, dass sich die Vorhut zum Sprung vorbereitete. Kurz darauf sollte sein Kreuzer springen, und dann der Rest der Flotte. Er richtete sich in seinem Kommandosessel: „Gefechtsalarm! Schotten verriegeln! Countdown für Sprung...“ er zögerte noch einen Augenblick, ließ die Digitalanzeige über dem zentralen Schirm noch einige wenige Sekunden abzählen. „…ab JETZT!“
Binnen weniger Sekunden kamen die Bestätigungen: „Werfer bestückt und feuerbereit!...Geschütze einsatzbereit!...Schotten dicht!“
Mithel lächelte knapp. Er spürte förmlich, wie das Schiff und seine Besatzung sich auf den Sprung vorbereiteten, wie ein Raubtier vor dem Angriff.
Jetzt blieb nur noch, sich auf den Sprung selber vorzubereiten, ein Ereignis, dass nie vollkommen zur Gewohnheit wurde, auch wenn man es noch so oft erlebte.

Commodore Mithel hatte eine Menge Dinge für möglich gehalten, die ihn auf der anderen Seite des Sprungtores erwarten konnten. Die typische Leere des Alls, aber ebenso ein wütendes Gefecht oder gar die aufmarschierte Restflotte Jors mit Verstärkung, die sich darauf vorbereitete, die Verfolger zusammenzuschießen. Ein Sprung in Verfolgung eines Gegners war immer riskant – wie die Akarii spätestens in der Doppelschlacht von Graxon und Corsfield hatten lernen müssen. Mit dem Bild, das sich ihm nach dem Sprung bot, hatte er freilich wirklich nicht gerechnet.
Die Akarii hatten keinen Hinterhalt gelegt, das war schon einmal gut. Aber die Relentless hatte sich kaum materialisiert, als die Brücke in einem – allerdings organisierten – Chaos von Meldungen explodierte.
„Feindliche Schiffe geortet, knapp außer Feuerreichweite! Zahlen...“
„Einheiten des Gegners im Orbit um den Planeten, Identifikation folgt...“
„Station im Orbit geortet, werden von Langstreckensensoren erfasst...“
Mithel hatte sich in seinem Kommandosessel aufgerichtet, sein Blick glitt von einer Station zur anderen. Nur Erfahrung und hartes Training ermöglichten es einem Kommandeur, aus dem Durcheinander der oft gleichzeitig eintreffenden Meldungen und den Anzeigen auf den taktischen Displays die nötigen Informationen herauszufiltern und angemessen zu reagieren. Für den Kreuzer selber bestand offenbar im Moment keine Gefahr, er war noch außer Feuerreichweite der Echsen.
Was ihn aber etwas irritierte, das war nicht die Anwesenheit der Akarii. Beinahe die erste Meldung nach dem Sprung kam vom Erdzerstörer „Caulaincourt“: „Meldung an Relentless – greifen feindlichen Konvoi an, erbitten Feuerunterstützung.“

Der Kapitän der Relentless murmelte in Gedanken einen Fluch. Der Kommandeur der Vorhut hatte sich also entschlossen anzugreifen, ohne erst abzuwarten, was der Rest der Flotte tat. Das zeugte von Initiative, und ein Blick auf die taktischen Karten machte die Entscheidung auch verständlich. Aber Mithel mochte es nicht sonderlich, wenn niedere Offiziere ihre Vorgesetzten in Zugzwang brachten wie jetzt. Schließlich war man hier auf einer Sondermission, und die bestand nicht darin, einfach nur ein Maximum an Schaden anzurichten. Natürlich gab es jetzt keine andere Möglichkeit, als die vier Zerstörer zu unterstützen. Sie zurückzupfeifen würde die Position des Kommandeurs der Vorhut untergraben und wäre schädlich für die Kampfmoral.
Die feindlichen Geleitschiffe waren der Vorhut an Feuerkraft unterlegen, allerdings nur knapp. Die drei Korvetten, die Fregatte und die zwei Zerstörer der Akarii hätten der Caulaincourt und ihren Schwesterschiffen einen harten Kampf liefern können. Also musste die Relentless eingreifen. Es blieb nur, das Beste aus der Situation zu machen.
„Meldung an die Flotte vorbereiten – unterstützen Angriff der Vorhut auf feindlichen Konvoi von sechs Begleitern und acht Frachtern. Bitten um Jägerunterstützung. Steuermann – maximale Beschleunigung voraus. Waffenstation, Zerstörer Red I und II anpeilen.“ Die Triebwerke des schweren Erdkreuzers glühten auf und das 30.000-Tonnen-Schiff begann zu beschleunigen. Er überlegte kurz: „Shuttles klarmachen – Alpha, Beta und Gamma für Bergungsaufgaben. Delta als LC – Bordkompanie der Marines soll sich bereitmachen.“ Wenn er um Jägerunterstützung bat, bestand immer die Gefahr, dass auch einige Maschinen abgeschossen wurden, und dann musste die Bergung der Piloten so schnell als möglich erfolgen. Und sollte ein Akarii havariert liegen bleiben, dann konnte sich die Gelegenheit bieten, ihn zu entern.

Als der Rest der Flotte kurz darauf im System eintraf, war die Situation bereits etwas übersichtiger geworden. Die Akariifrachter flohen mit aller Kraft zurück in den Schutz der Station, zwei der Korvetten und die Fregatte begleiteten sie. Sie wurden von mehreren Akariieinheiten erwartet, keine größer als ein Zerstörer. Die Echsen ließen Kampfflieger starten, schienen aber nicht geneigt, den Schutz der Raumstation zu verlassen. Was nicht sehr heldenhaft, aber sinnvoll war.
Die zwei Eskortzerstörer und eine Quebec-Korvette waren zurückgeblieben, offenbar um den Frachtern Zeit zur Flucht zu lassen. Ein nobles, wenn auch selbstmörderisches Unterfangen.
Mithel überlegte kurz: „Spruch an Caulaincourt – Feuer auf die Geleitschiffe konzentrieren. Relentless übernimmt Zerstörer Red II als Primär, unterstützt sekundär Angriff auf Red I.“ er gestikulierte knapp: „Funkspruch an Columbia – bitte um Jagdbomberangriff auf feindliche Frachter. Geleitschiffe übernehmen wir.“
Es war nicht Arroganz, die seine Entscheidung diktierte. Aber für einen Angriff auf die feindlichen Geleitschiffe hätte das Geschwader der Columbia einen größeren Verband von Kampffliegern zusammenstellen müssen, was Zeit gekostet hätte. Und je mehr Zeit verstrich, desto wahrscheinlicher war es, dass die Akarii den Schutz der Station und der bodengestützten Waffen erreichten. Mithel kannte die Feuerkraft der terranischen Schiffe und hielt sie für ausreichend, die drei Akarii auszuschalten. Allerdings – im Krieg gab es nie vollkommene Sicherheit, und die fast zwanzig Marschflugkörper, die die gegnerischen Geleitschiffe mit einer einzigen Salve abfeuern konnten, konnten selbst einem Schiff wie der Relentless gefährlich werden.
„Abwehrwaffen bereithalten. Feuer nach eigenem Ermessen!“ Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, als er von der Station des Waffenoffiziers die Meldung bekam: „Vorhut erreicht maximale Feuerdistanz in... einer Minute, Relentless in eins plus null-vierzig.“ Unwillkürlich ballte er die Hände zu Fäusten. Sein Kreuzer zog ins Gefecht.

Als die Akarii das Gefecht eröffneten konnte Mithel fürs erste nur zusehen – die Feinde waren noch außer Reichweite seiner Waffen. Der Commodore ließ sich nichts anmerken, obwohl er sich einige Sorgen um die übereifrigen Zerstörer machte. Die feindlichen Flugkörper konnten ihre Abwehr leicht überlasten. Die ruhige Stimme des Ortungsoffiziers kündete vom Auftakt des Gefechtes: „Gegner schießt Salve – orte 6, 12, 19 Flugkörper, breite Streuung.“
Mithel beugte sich leicht vor. Offenbar hatten es die Akarii eilig – eigentlich waren die gegnerischen Verbände noch gar nicht in der Lage einander zu erreichen. Und am Ende ihrer maximalen Reichweite waren die Raketen auch leichter abzufangen, schon weil man sie in Ruhe anpeilen konnte. Es überraschte ihn nicht, als nicht lange darauf die Meldung kam: „Alle feindlichen Flugkörper bis auf vier scheinen Endläufer zu sein. Vier Vampire abgefangen.“
Zugleich kam die Meldung vom Hangar: „Bergungsshuttles gestartet, machen sich bereit, den Jägern zu folgen.“
Mithel fragte sich noch, warum die Akarii diesen Fehler gemacht hatten, aber da war sein Schiff auch schon selber in Gefechtsreichweite: „Bug um 30 Grad drehen. Primärwerfer Feuer auf Red II, Sekundärwerfer auf Red I – Jetzt!“
Die Werfer der Relentless spuckten 30 Exocet-II Flugkörper aus. Mit so einer Salve hätte der Kreuzer ein Land von der Größe Englands in die Steinzeit zurückbomben können. Im Grunde war es nur eine Exekution, was hier stattfand, allerdings hatten die zum Tode Verurteilten eine geringe Chance zurückzuschlagen.
Die Zerstörer der Vorhut feuerten ebenfalls – insgesamt schickten die fünf terranischen Schiffe mehr als 50 Geschosse auf die Reise. Und die nächste Salve wurde bereits vorbereitet. Angesichts dieser schieren Feuerkraft war es schon – für einen Laien – fast verwunderlich, dass die Akarii nicht sofort aus dem All gefegt wurden. Doch angesichts der großen Entfernung konnten auch sie sich auf den Angriff vorbereiten, Abwehrmaßnahmen ergreifen – und selber ihre Raketen abfeuern. Und in der sicheren Erkenntnis, dass sie so gut wie verloren waren, feuerten die Akarii ohne Unterlass.

Die Meldung kam nicht unerwartet, aber kein verantwortungsvoller Kapitän nahm solche Neuigkeiten mit Gelassenheit: „Caulaincourt von zehn feindlichen Flugkörpern erfasst, Relentless von sechs.“ Mithel unterdrückte eine Grimasse: „Impulslaser, Laser und leichte Amraam-Werfer auf Abwehr vorbereiten – Amraam 20 als Feuerunterstützung für die Caulaincourt.“ Er wusste, er ging ein Risiko ein, aber die Schilde seines Kreuzers konnte erheblich mehr Treffer verdauen als ein Zerstörer, außerdem verließ er sich auf die Kanoniere.
Unwillkürlich krampften sich seine Hände um die Lehnen des Kapitänssessels: „Auf Einschlag vorbereiten!“ Die Meldung wurde sofort über Bordlautsprecher weitergegeben. Die Sekunden vergingen mit quälender Langsamkeit, während mehr als einer der Offiziere immer wieder nervös zu den Anzeigen schaute. Noch fünf feindliche Raketen im Anflug auf die Relentless, noch drei, zwei...“ Der Einschlag der feindlichen Flugkörper schüttelte das Schiff durch. Die Sichtschirme dämpften den unerträglich hellen Blitz der atomaren Explosion. Mithel atmete erst auf als die erlösende Meldung kam: „Bugschilde bei 60 Prozent, Caulaincourt leicht beschädigt aber ansonsten intakt.“
Die Brückencrew für einen Augenblick ihrer Erleichterung freien Lauf ließ: „Red II – Flanke aufgerissen, bricht auseinander. Red III verglüht.“ Die feindliche Korvette war von der Salve zweier Erdzerstörer förmlich ausgelöscht worden, mitsamt der gesamten Besatzung.
Mithel lächelte leicht – ein weiterer Sieg, wenn auch keiner, auf den man allzu stolz seien konnte: „Breitbandfunkspruch an Red I – Kapitulieren Sie, oder Sie werden vernichtet.“ Mithel handelte nicht unbedingt aus humanitären Gründen und auch nicht aus Respekt vor seinem Gegner, aber Gefangene konnten im Besitz von wertvollen Informationen sein.“
Doch die Antwort überraschte ihn nicht: „Red I feuert erneut!“
Für einen Augenblick schien die Zeit stillzustehen. Vielleicht spürte der eine oder andere der Menschen so etwas wie Respekt oder Mitleid vor dem Akariikommandeur und seinen Männern. Doch dann erklang die Stimme des Commodore, kalt und gelassen wie immer: „Beide Werfer – FEUER!“ Und die Relentless feuerte. Red I war verloren.

Mithel war freilich nicht gewillt, sich mit seinem Sieg zufrieden zu geben, ebenso wenig wie der Kapitän der Caulaincourt. Es gab noch einige Frachter zu erledigen. Die Zerstörer und der Kreuzer hatten während des Gefechts ihre Aufholjagd fortgesetzt. Die Jäger schienen die feindlichen Frachter übel zu dezimieren, aber natürlich hatten sie nicht die Feuerkraft der Zerstörer. Und wenn diese auch nur eine Salve am äußersten Rand des gegnerischen Feuerbereiches abfeuerten, dann konnten sie wahrscheinlich alle Angriffe seitens der restlichen feindlichen Schiffe und Feuerstellungen abfangen – aber die Frachter des Gegners würden keine zwei Treffer verdauen.
Keines der TSN-Kriegsschiffe war ernsthaft beschädigt – auf der Relentless gab es drei Leichtverletzte und einen Mann mit einem gebrochenen Arm, alle durch die Erschütterungen des gegnerischen Treffers. Die Caulaincourt hatte sieben Verletzte, sämtlich aus gleichem Grund. Außerdem hatte sie zwei Laserkanonen und einen Sparrow-Werfer eingebüßt. Auf einem anderen Zerstörer hatte es zwei Schwerverletzte gegeben, als es wegen Überlastung zu einem Kurzschluss in einem Geschützturm gekommen war. Letzteres war wohl eher als Unfall denn als Feindeinwirkung anzusehen. Auf der Gegenseite waren zwei Echo-Zerstörer und eine Quebec-Korvette vernichtet worden. Und wenn es nach Mithel ging, dann war ihr Opfer umsonst gewesen.
Die Verwunderung über das Verhalten der Akarii war in der Erregung des Kampfes in den Hintergrund getreten, aber jetzt war sie wieder da. Mithel fragte sich immer noch, warum die feindlichen Schiffe so früh gefeuert hatten, warum sie überhaupt dieses Risiko eingegangen waren. Suizidgefährdet waren die Akarii nur selten, außer sie versprachen sich etwas davon. Doch während er noch nachdachte, bekam er schon die Antwort.
Die Stimme des Ortungsoffiziers überschlug sich förmlich: „Explosion am Bug der Marschall Ney!“. Im nächsten Augenblick schien eine Faust die Relentless zu packen und brutal zu schütteln, weitaus stärker als der Treffer während des Gefechtes. Zwei Offiziere, die sich nicht genug festgehalten hatten – nicht jeder konnte das Gefecht festgeschnallt in seinem Sessel führen – wurden von den Beinen gerissen. Mithels Kopf knallte gegen die Lehne des Sessels, und obwohl diese natürlich gepolstert war, war er für einen Augenblick benommen. Dann aber begriff er sofort: „Meldung an alle Schiff – Feindminen! Volle Kraft zurück! Planquadratschießen!“
Es dauerte einen Augenblick, ehe die Relentless und ihre Begleiter reagierten – glücklicherweise kam es nicht zu weiteren Treffern. Die Kriegsschiffe stellten ihren Vorstoß ein und zogen sich zurück. Ein, zwei Explosionen, ausgelöst durch das Sperrfeuer der Schiffe bewiesen, dass hier noch mehr feindliche Minen lauerten. Insgesamt mochte es nur eine Handvoll sein, aber eine überstürzte Verfolgung verbot sich von selbst.

So konnten die letzten überlebenden Frachter der Akarii auch den Raketen der terranischen Kriegsschiffe entkommen. Mithel verspürte diesmal in der Tat so etwas wie widerwilligen Respekt vor dem Gegner. Dieser wurde freilich von seiner Wut mehr als aufgehoben. Die Akarii hatten offenbar mit ihrer ersten Salve Raketen mit Minensprengköpfen abgeschossen, oder ihre Marschflugkörper waren entsprechend programmiert gewesen. Als die terranischen Kriegsschiffe die improvisierte Sperre passierten, waren zwei der Minen detoniert. Die Relentless hatte keine Schäden hinnehmen müssen, allerdings waren sechs weitere Besatzungsmitglieder auf der Krankenstation gelandet. Glücklicherweise waren die Verletzungen nicht ernst. Die Marschall Ney hatte weniger Glück gehabt. Der Treffer hatte ihre Hülle beschädigt. Glücklicherweise hatten die Schotten und die Schadensbekämpfungstrupps schlimmeres verhindert. Aber auch so waren sechs Besatzungsmitglieder getötet worden, und neun hatten schwere Verletzungen erlitten. Das Schiff würde man notdürftig reparieren können, aber einer der leichten Raketenwerfer und zwei Laserkanonen waren vernichtet worden. Dennoch – es war ein Erfolg gewesen, wenngleich mit einem Wehrmutstropfen. Ein Erfolg freilich, der wohl nie in den Analen der Geschichte auftauchen würde. Ebenso wenig wie der Opfergang von mehreren hundert Akarii, die ihr Leben gegeben hatten, um ihren Landsleuten die Flucht zu ermöglichen. Das All verschluckte ihre Leichen, gleichgültig wie seit Anbeginn der Zeit.
25.12.2015 09:57 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Themenstarter Thema begonnen von Cattaneo
Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Tyr

First Lieutenant Kano Nakakura saß an dem schmalen Tisch, der zu der Einrichtung der Doppelkabine gehörte, die er zusammen mit Crusader bewohnte. Vor sich hatte er aktiviertes Datensichtgerät. Zwar führte er nur eine Sektion, die meiste Schreibarbeit lag in der Kompetenz des Staffelführers und dessen Stellvertreters, aber Monty sorgte dafür, dass auch Ohka genug zu tun hatte – vielleicht als Vorbereitung, oder als Dämpfer für die Position, die Ohka anstrebte – eine eigene Staffel.
Momentan war Kano dem Lieutenant Commander sogar dankbar, dass er ihn mit zusätzlicher Arbeit eindeckte. Das lenkte ihn wenigstens etwas ab. Der ‚Spezialauftrag’, für den Ohka sich gemeldet hatte, machte ihm immer noch zu schaffen.
Das kurze Raumgefecht mit dem Akarii-Konvoi hatte seine unausgesprochenen Sorgen und Bedenken nicht lange verdängen können. Commander Cunningham war natürlich mit dem Kampfeinsatz zufrieden gewesen, immerhin hatte seine Staffel einen Frachter aufgebracht. Aber die teilweise recht bösartigen Scherze darüber, was man mit den überlebenden Akarii der vier erledigten Frachter und drei vernichteten Begleitschiffe machen sollte, hatten Kano zu sehr an das Schicksal erinnert, das Cunninghams Vorgesetzte offenbar der Besatzung von Jors Träger zugedacht hatten.

Als Kano hörte, wie sich hinter ihm die Tür des Quartiers öffnete, drehte er sich nicht um. Das musste Crusader sein, der vor kurzem seinen Patrouillenflug beendet haben musste.
„Überschlag dich nur nicht vor Begeisterung.“ Bei dem Klang dieser Stimme fuhr Kano allerdings doch hoch. Es war Kali.
Die junge Pilotin musterte Kano nicht unbedingt ärgerlich, aber durchdringend. Und sehr bestimmt: „Was zur Hölle ist los mit dir?“
Kano blieb die Antwort vorerst schuldig, deshalb fuhr Kali fort: „Du gehst mir aus dem Weg. Na ja, ich könnte ja vermuten, dass du eine andere hast, aber das passt irgendwie nicht zu dir.
Vielleicht kannst du ja andere mit dieser steinerner-Samurai-Miene täuschen, aber dafür kenne ich dich doch etwas zu gut. Du bist wegen etwas schwer aus dem Gleichgewicht, und ich glaube mal nicht, dass das nur die Umbesetzung deiner Sektion ist. Außerdem würden die meisten Leute Purzelbäume schlagen, wenn sie jemanden wie Renegade los wären. Aber du machst ein Gesicht, als hätte dich Cunningham aufgefordert, Seppuku zu begehen. Und erzähl mir nicht, der Grund dafür ist, dass du diese pandoranische Nervensäge losgeworden bist.“
„Ich hätte mit ihm klarkommen müssen, ohne dass der Commander die Besetzung der Schwadron umändern musste.“
„Weich mir nicht aus. Wir wissen beide, dass das nicht der Grund ist.“
Natürlich hatte sie Recht. Kano hatte es von Anfang an gewusst. Sie kannte ihn einfach zu gut – oder seine Selbstbeherrschung war mangelhaft: „Ich kann es dir nicht sagen.“
„Warum nicht? Es ist dumm, wenn du alles in dich hineinfrisst. Ich denke schließlich verdammt noch mal nicht schlechter von dir, bloß weil du dich wie ein Mensch benimmst. Ich dachte, das hätten wir schon geklärt.“
„Darum geht es doch gar nicht!“ Überrascht stellte Kano fest, dass er du Stimme erhoben hatte. So etwas unterließ er üblicherweise, erst recht gegenüber Kali. „Ich kann es dir nicht sagen. Ich DARF es nicht!“ Diesen Satz hätte er am liebsten sofort wieder zurückgenommen. Nun war es heraus.

Kali verstand ihn sofort. Vor allem verstand sie, was er nicht gesagt hatte: „Es ist Cunningham, nicht wahr?! Unser karrieregeiler Commander hat dich zu irgendeiner seiner verdammten Spezialmissionen abgeordert. Oder nein – du hast dich natürlich freiwillig gemeldet, nicht wahr? Cunningham braucht nur zu pfeifen, und schon fliegst du pflichtschuldig in die nächste Sonne, oder wohin er auch immer zeigt!“
„Du weißt genau, dass ich dir darauf nicht antworten kann! Ich habe sowieso schon viel zu viel verraten.“
Kali schnaubte nur abfällig. Sie hielt die Geheimhaltung, die häufig um die Missionen der ‚Angry Angels’ getrieben wurde, in den meisten Fällen für übertrieben. Jetzt hatte sie jedenfalls ihre Antwort. Blieb nur die Frage, was Kano so zu schaffen machte. Vielleicht behagte es ihm einfach nicht, dass er ihr nichts von der Mission erzählen konnte?
Nein. Das war als Grund nicht genug. Sie beide waren Soldaten, und sie hatten es inzwischen akzeptiert, dass es eben Bereiche in ihrem Leben gab, die besonderen Richtlinien unterworfen waren. Wenn eine Sondermission befohlen wurde, etwa die Eskortierung eines Geheimdienst-Shuttles, dann wurden keine Fragen gestellt. Wie nahe sie sich auch standen, sie wussten, dass sie diese Grenzen akzeptieren mussten.
Hatte Kano vielleicht Angst vor der Mission, und wollte es nicht zeigen? Das war schon wahrscheinlicher. Auch jetzt, nach nunmehr all den gemeinsamen Jahren, fiel es Kano immer noch schwer, Gefühle zu zeigen, denen er sich glaubte schämen zu müssen. Und Angst gehörte dazu. Allerdings kam es selten, fast ein wenig zu selten vor, dass Kano Angst zeigte. Er war schon als Neuling mutig bis zur Tollkühnheit gewesen, und daran hatte sich nicht viel geändert.
Wenn er jetzt Nerven zeigte, dann musste es schon ein Selbstmord-Auftrag sein. Sie wusste, dass Kano wohl auch einen derartigen Befehl befolgen würde, die ihn in den sicheren Tod schickte. Seine Bereitschaft dazu war schon mehr als einmal das Zentrum ihrer uneingestandenen Ängste gewesen.
Aber nein… Da war etwas anderes gewesen, das sie in seinen Augen gelesen zu haben glaubte. Etwas anderes, als Angst oder das Wissen um die eigene Sterblichkeit.
Eine Mischung aus Fatalismus…und Selbstzweifel, ja fast Selbstekel. Ein innerer Kampf, der allerdings niemandem auffallen konnte, der den japanischen Piloten nicht so gut kannte, dass er hinter seine stoische Maske zu blicken vermochte. Davon gab es an Bord nur eine Handvoll Menschen – Crusader vielleicht, früher wohl auch Lilja, wie Kali sich eingestehen musste. Und natürlich sie selber. Auf jeden Fall nicht Cunningham, der war dazu viel zu ichbezogen.
„Es sind die speziellen Parameter der Mission, nicht wahr? Cunningham will einen verdammten Troffen-Einsatz.“ Die Anspielung war deutlich genug, und Kano wäre beinahe zusammengezuckt. Im Zusammenhang mit einem geheimen Spezialeinsatz der Angry Angels über Troffen, dessen genauen Umstände selbst heute noch nicht genau klar waren, war ein ganzer Kolonialplanet der Akarii zu nuklearer Schlacke gebombt worden. Kanos Stimme klang gepresst: „Wenn der Sicherheitsdienst in dem Zusammenhang diesen Namen hört, rasten sie aus. Daran darfst du nicht mal denken!“
Das war für Kali Antwort genug: „Diese Schwachköpfe lernen es doch nie. Schon gut, ich frage nicht weiter, was unser einsamer Wolf will. Zufrieden?! Aber wenn dir sein Befehl Probleme macht – und zwar deswegen, weil du im Gegensatz zu Cunningham noch so etwas wie ein Gewissen hast – warum hast du dann ja gesagt?“ Noch bevor Kano antwortete, wusste sie die Antwort.
„Wenn es einen Auftrag gäbe… Es ist meine Pflicht und meine Verpflichtung, der Navy zu dienen, und jede – JEDE – Aufgabe zu erfüllen, die man an mich heranträgt. Es gibt keine ‚freiwilligen’ Aufträge. Wenn ich zu einem Einsatz aufgefordert werde, habe ich ihn auszuführen. Wenn ich es nicht tun würde, entehre ich mich selbst. Entehre meine Vorgesetzten. Entehre meine Eltern und meine Vorfahren.“
„Ich glaube nicht, dass es bei deinen Vorgesetzten noch so etwas wie Ehre gibt.“ bemerkte Kali bissig. Aber das war nur ein Reflex. Kano war aufgrund seiner Erziehung und seiner Ausbildung in einem derart engen Korsett aus Ehre und Pflicht eingeschnürt, dass er wohl wirklich keine Alternative zu einer Einwilligung gesehen hatte. Ungeachtet dessen, was er von dem Auftrag hielt. Wenn ihn Cunningham zudem bei seinem Ehrgeiz gepackt hatte, der japanische Pilot strebte immerhin seine eigene Staffel an…
Es gab zur Befolgung eines Befehls für ihn keine echte Alternative - außer vielleicht…
Aber Kali betete darum, dass es nie dazu kommen würde, dass er diesen Weg auch nur in Betracht ziehen würde.

Mancher fand diese Vorstellungen von Pflicht vielleicht faszinierend, Kali aber keineswegs: „Du machst dich selber kaputt. Das ist sinnlos. Wenn dir klar ist, dass die Sache faul ist, dann darfst du nicht einfach die Hacken zusammenknallen und Order parieren. Du musst auch mal ‚Nein’ sagen können! Das ist mutiger, als einfach zu gehorchen.“
Kano gab keine Antwort, was natürlich auch eine war. Seine Sturheit konnte Kali rasend machen: „Also wenn du nicht dazu fähig bist, Cunningham zu sagen, er soll sich zum Teufel scheren – ich kann es.“
Kanos Stimme wurde scharf: „Das darfst du nicht! Du darfst schließlich noch nicht einmal etwas davon wissen! Es ist meine Sache!“
Sie wusste natürlich, dass er damit im gewissen Sinne sogar Recht hatte. Cunningham durfte auf keinen Fall erfahren, dass sie auch nur etwas von einem Sonderauftrag ahnte, ungeachtet dessen, dass sie noch immer nicht wusste, worum es bei der Mission eigentlich gehen sollte – und es auch gar nicht wissen wollte. Außerdem hätte es Kano niemals verwunden, wenn sie zu seinen Gunsten interveniert hätte. In solchen Sachen war er mehr als heikel. Dennoch..: „Wenn du dir nicht helfen lässt…“
„Es gibt da nichts, wobei du mir helfen könntest. Wir haben alle unsere Pflichten. Ob sie uns gefallen oder nicht. Damit muss ich alleine klarkommen. Wenn ich das nicht kann, habe ich in den Streitkräften nichts verloren.“
Und das war es. Sie wusste, von dieser Position war er nicht abzubringen. Sie schüttelte frustriert den Kopf. Dieses Gespräch hatten sie wirklich schon mehr als einmal geführt. Aber sie kam einfach nicht weiter: „Kano…Du bist nicht alleine, das weißt du doch. Niemals. Selbst wenn du mir nicht sagen kannst, welchen Schwachsinn Lone Wolf mal wieder nach Unten weitergereicht hat.“ Der Ernst und die Stärke der Gefühle, die in ihren Worten lagen, überraschte sie sogar selbst etwas.
Kano sah sie an und lächelte ein wenig fatalistisch. Aber gleichzeitig schien eine schwere Last von seinen Schultern gewichen. Unbewusst hatte sie seine Hand ergriffen. Einige Augenblicke sagte keiner von ihnen etwas, als könnte ein Wort den Augenblick zerstören.
Die Geräusche der sich öffnenden Tür durchbrachen die Stille. Es war Crusader, der jäh innehielt und dann schief grinste: „Stör ich euch beide bei irgendetwas?“
Kali wandte ihm den Kopf zu und grinste spöttisch zurück: „Hast du denn das ‚Nicht Stören’-Schild nicht gesehen? Du hättest wenigstens anklopfen können.“
„Wenn ich in mein eigenes Quartier komme? Aber sicher.“
Kali lachte halb auf. Dann wandte sie sich wieder Kano zu: „Wir…sprechen uns noch.“ Er nickte ihr zu, erwiderte noch einmal den Druck ihrer Hand. Und dann ging sie.
Crusader sah Kali noch einen Augenblicklang hinterher: „Was meinte sie denn damit? Ihr habt euch doch nicht zerstritten?“
Kano lächelte knapp und schüttelte den Kopf: „Nein. Überhaupt nicht. Aber davon verstehst du nichts.“
„Also hör mal – wer von uns beiden ist den bitteschön verheiratet?!“
25.12.2015 09:58 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Themenstarter Thema begonnen von Cattaneo
Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Tyr

Die Saat des Kadmos

Die Columbia-Einsatzflotte hatte das T’rr-System erreicht. Für viele Soldaten war dies nur eine weitere Etappe auf der Jagd nach Prinz Jor – und dazu noch eine enttäuschende, denn auch diesmal war die Korax ma Rah aus dem System verschwunden, bevor die TSN sie stellen konnte. Aber sie holten auf.
Was den normalen Offizieren an diesem System allerdings auffiel, war der Grad der Militarisierung, das Ausmaß der Garnison – und die schnelle Reaktion der Akarii. Kaum, dass die ersten Schiffe der Erdstreitkräfte in das System sprangen, registrierten sie Alarmstarts auf den zwei Orbitalstationen und den Jägerbasen auf dem Mond des Hauptplaneten.
Eine beunruhigend große Anzahl an Korvetten, Fregatten, Zerstörern und sogar zwei Kreuzer befanden sich im System und formierten sich mit der Schnelligkeit und Präzision von Frontlinieneinheiten um die Orbitalstationen. Die Akarii unternahmen keinen Angriffsversuch – so dumm waren sie nicht – aber sie bildeten eine Blockadeformation, die auch einer überlegenen Streitkraft wie der Columbia-Kampfgruppe und einem Elitegeschwader wie den ‚Angry Angels’ einen Höllenritt versprach.

Umso überraschter waren die Kapitäne der TSN, als sie die Befehle von Admirälin Wulff erhielten.
Commodore Chris Mithel glaubte einen kurzen Augenblick, er hätte sich verhört: „Aber dieser Kurs führt uns ja fast in die Reichweite der Orbitalstationen! Und dann auch noch in Gefechtsformation? Die werden denken, wir wollen sie bombardieren!“
Die Admirälin ließ keinen Widerspruch aufkommen: „Sie haben ihre Befehle. Die Performance bei dieser Geleitzugsrauferei war ziemlich erbärmlich. Es wird Zeit, dass wir mal wieder etwas Schwung in die Truppe bringen. Ein Passiermarsch unter Gefechtsalarm ist genau das Richtige, um eingeschliffene Laxheiten auszutreiben. Außerdem werden wir die passiven und aktiven Defensivsysteme so genauer unter die Lupe nehmen können. Wir werden diesen Sektor nicht unbegrenzte Zeit sich selbst überlassen können. Und dies ist eine der wichtigsten Welten dieser Region. Also machen Sie schon.“
„Zu Befehl.“ Mithels Stimme klang angespannt. Gleichzeitig aber registrierte er, dass irgendetwas an Wulffs ‚Erklärung’ faul war. Das reichte alles nicht als Begründung für ein derart riskantes Manöver. Da musste noch etwas anderes dahinter stecken.

An Bord der Caulaincourt
Die Mitglieder des RF-Kommandos bereiteten sich auf ihren Einsatz vor. Sie waren alle Veteranen, viele kannten einander schon seit Jahren. Jede der Bewegungen und Griffe war hundertfach geübt.
Dennoch ließ es keiner der Männer und Frauen zu, die Gedanken wandern zu lassen, oder ihr Tun als Routine abzutun. Zu große Selbstsicherheit war tödlich – und das gleiche galt für Leichtsinn und Unaufmerksamkeit.
Ihre Ausrüstung war speziell für diesen Einsatz zusammengestellt worden. Die Körperpanzer der Kommandos zum Beispiel trugen ein den Verhältnissen des erwarteten Haupteinsatzgebietes entsprechendes Tarnmuster – die T’rr-Guerilla kontrollierte die tropischen Dschungelgebiete des Planeten inzwischen bereits zu großen Teilen.
Die Kommandos benutzten speziell für Menschen angepasste Varianten der Akarii-Infanterie-Lasergewehre. So würde kein Mangel an Ersatzteilen und Energiezellen auftreten. Außerdem war es für Guerillas von Vorteil, wenn der Gegner nicht genau feststellen konnte, wer gerade schoss.
Die Ausrüstungsteile waren so einfach wie möglich gehalten, um eine Reparatur mit provisorischen Mitteln zu gestatten. Wo das möglich war, hatte man Akarii-Materialien und Bauteile verwendet.
Die Ausrüstung der Kommandos war beträchtlich – neben Waffen, Kommunikationstechnik, Granaten, Panzerung und Überlebensausrüstung würde das Shuttle auch noch beachtliche Mengen an Waffen, Sprengmitteln, Verschlüsslungs-, Entschlüsslungs- und Langstreckensendegeräten transportieren.
Diesen Berg an Ausrüstung zu überprüfen dauerte. Dennoch ließen sich die Kommandos Zeit. Sobald jeder seine persönliche Ausrüstung überprüft hatte, überprüften sie auch noch die Ausrüstung ihres jeweiligen Partners.

Sobald dies geschehen war, konnten die Kommandos nur noch warten. Bis zu dem Augenblick, als ihr Befehlshaber, Major Hands, sich erhob. Langsam ließ er seinen Blick über die um ihn versammelten Gesichter wandern. Was er sah, entsprach seinen Erwartungen. Die Gesichter seiner Untergebenen waren ruhig, manchmal bis zur Ausdruckslosigkeit stoisch. Zwar war es nicht wahr, dass ein RF keine Angst empfand – aber er zeigte sie nicht offen. Denn das wäre eine Schwäche gewesen, die der Feind vielleicht ausnutzen konnte.
Auf dem Gesicht des Majors erschien ein schiefes Grinsen, das seine Untergebenen und Kameraden nur zu gut kannten: „Alles klar, ihr Himmelhunde?“
Die Antwort war ein Chor aus ‚Klar’-Meldungen – nicht enthusiastisch oder begeistert, aber ruhig und kaltblütig. Major Hands nickte knapp: „Auf geht’s.“
Das war alles. Die RF rückten ab. Niemand war in dem Hangar, als sie das Shuttle bestiegen. Es gab keine Abschiedsreden, nicht mal ein Publikum. Sie waren es so gewohnt. Sie waren keine Helden. Sie waren etwas viel gefährlicheres. Sie waren Recon Forces.

**************

TSN-Träger Columbia

Helen ‚Kali’ Mitra sah sich um und war mehr beunruhigt als beeindruckt. Als sie vor einer halben Stunde Cunninghams Befehl erhalten hatte, sich in einem der Bereitschaftsräume einzufinden, hatte ihr nichts Gutes geschwant. Sie hatte in letzter Zeit (mangels Gelegenheit) nichts vollbracht, was eine Belobigung rechtfertigen würde. Was das andere Extrem betraf – sie hatte halb gefürchtet, dass Cunningham doch irgendwie hinter ihr Gespräch mit Kano gekommen wäre und ihr nun die Leviten lesen wollte. Der Geheimdienst war sich schließlich nicht zu schade, die eigenen Leute zu bespitzeln, und Cunningham keineswegs so charakterfest, sich vor seine Untergebenen zu stellen. Eher im Gegenteil.
Aber auch wenn Kano ebenfalls anwesend war, heute ging es offenbar nicht darum. Und es ging wohl auch nicht um den Spezialeinsatz, der ihrem Freund und Geliebten solche Kopfzerbrechen bereitete. Denn Kano schien genauso ahnungslos wie Helen.
Was sie allerdings sehr wohl registrierte, war die Zusammensetzung der Gruppe, die hier versammelt war. Acht Männer und Frauen – alles Veteranen. Und alle waren Piloten der Nighthawk-Staffeln Schwarz und Rot. Staffeln, die Cunningham befehligt hatte. Das stank nach einem Spezialauftrag.
Die Schwarze Staffel war durch Cunningham selber, sowie durch Monty, Ohka, Crusader und Goliath vertreten. Dazu kamen dann noch Ace, Skunk und Kali von Staffel Rot.
Helen warf Kano einen schnellen Seitenblick zu und zog fragend die Augenbraue hoch, was der junge Pilot mit einem leichten Schulterzucken quittierte. Er wusste offenbar wirklich nicht, worum es diesmal ging. Und was fast noch beunruhigender war, offenbar hatten auch Monty und Skunk keine Ahnung, weswegen sie hier waren. Nun gut, dass Cunningham Skunk im Dunkeln beließ, war nicht so überraschend – aber seinen eigenen stellvertretenden Staffelführer…

„Wenn ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten dürfte!“ Commander Cunninghams Stimme klang so arrogant wie eh und je. Innerlich war er aber keineswegs so selbstsicher, wie er es zu sein vorgab. Ihm schmeckte dieser ganze Auftrag nicht, schon alleine deswegen, weil er einem dreckigen Major des Marinekorps unterstellt war – Recon Forces hin oder her.
Dieser Major Hands hatte vor kurzem das spezielle Rangverhältnis noch einmal klar gemacht, indem er kurzfristig Cunningham informiert hatte, dass der Einsatz nun doch von insgesamt acht Maschinen plus Shuttle geflogen werden sollte. Als Cunningham ihm zu verstehen gab, dass er in der Schwarzen Staffel wohl acht verlässliche – aber nicht acht erstklassige – Piloten finden konnte, hatte sich Hands fast beleidigend über die Angry Angels ausgelassen, bevor er schließlich gestattete – GESTATTETE – dass Cunningham auch Piloten der Roten Schwadron hinzuziehen könnte. Fast in einer Aufwallung aus Trotz hatte Cunningham als Reaktion darauf auch Ace auf die Liste gesetzt – für einige Leute war der blauhaarige Pilot immer noch ein rotes Tuch.
Aber diesmal hatte sich Hands nicht wieder gemeldet, auch nicht protestiert oder gar befohlen. Und nun gab es kein Zurück mehr.
„Sie alle sind für einen Spezialauftrag ausgewählt worden. Ich weiß, dass ein jeder von Ihnen ebenso zuverlässig wie in seinen Kampfleistungen herausragend ist. Ich kenne jeden von Ihnen persönlich, bin bereit, ihm oder ihr mein Leben anzuvertrauen – und habe das teilweise bereits mehr als einmal getan.
Außerdem ist jeder von Ihnen ein Experte im Umgang mit der Nighthawk. All das prädestiniert Sie für diesen Einsatz.
Die Mission ist nicht einfach – ein neun- bis zehnstündiger Flug, die größte Zeit davon unter absoluter Funkstille und in einem schwierigen Flugraum. Ein Zusammenstoß mit dem Feind ist nicht geplant, aber sehr wahrscheinlich. Es wird ein gefährlicher und schwieriger Flug – aber es gibt niemanden, mit dem ich ihn lieber durchführen würde, als mit Ihnen.“ Letzteres war allerdings eine Lüge. Insgeheim wünschte sich Cunningham, Darkness wäre noch hier. Er hätte seinen alten Stellvertreter und einzigen richtigen Freund im Geschwader gut gebrauchen können.

Die Piloten reagierten teilweise mit Überraschung. Neun bis zehn Stunden, das war recht nahe an der Grenze der maximalen Einsatzdauer eines Raumjägers. Normale Einsätze, selbst Patrouillen, dauerten vier, allerhöchstens sechs Stunden. Selbst mit Zusatztanks würde das eine knappe Sache werden – vor allem wenn mit Feindkontakt zu rechnen war und der Flug als ‚schwierig’ charakterisiert wurde. Raumkämpfe und Flugmanöver kosteten viel Treibstoff.

„Unsere Mission ist folgende: die Flotte wird einen Vorbeiflug an dem Hauptplaneten des Systems durchführen. Alle Sensoren und Abwehrmaßnahmen des Gegners werden sich auf diese Bedrohung konzentrieren. Dies werden wir ausnutzen. Beim Passieren des Asteroidengürtels werden wir ausschleusen, im Schutz des Gürtels vorrücken und uns von der anderen Seite dem Planeten T’rr nähern. Wir eskortieren ein Transportshuttle. Asteroidenschauer sind zu dieser Jahreszeit nichts Besonderes – und das wird unsere Tarnung sein.
Wir bringen das Shuttle sicher auf den Boden – und verschwinden wieder.“
Einige der Piloten wirkten ziemlich vor den Kopf gestoßen. Auch wenn Cunningham den Auftrag reichlich lapidar umriss, in Wirklichkeit war er alles andere als das. Monty war der Erste, der das Wort ergriff: „Ein Shuttle soll einen Anflug durch den Asteroidengürtel unternehmen? Das wird schon mit einer Nighthawk ein Höllenritt. Selbst wenn wir den Anflug ungesehen schaffen – ich bezweifele, dass zu dieser Jahreszeit Asteroiden die die Umlaufbahn VERLASSEN ein übliches Phänomen sind. Die Nighthawks können sich dem Gegner wahrscheinlich entziehen. Aber kein Shuttle kann einer Bloodhawk davonfliegen. Erwarten Sie, dass wir die gesamte Garnison auf Abstand halten können, bis die Columbia uns aufnimmt?“
„Nein, dass erwarte ich nicht. Und ja – ich weiß, dass Shuttles zu langsam sind, um Akariijägern zu entkommen. Aber das soll uns nicht bekümmern. Das Shuttle wird landen. Aber es wird nicht wieder abheben. Beantwortet das Ihre Fragen?“
Monty hätte wohl am liebsten abfällig geschnaubt: „Und wie steht es mit dem Anflug? Ist der Pilot gut genug? Wir werden wohl uns wohl kaum ungesehen nähern können, wenn sich das Shuttle in einen Gesteinsbrocken eingraviert.“
„Glauben Sie mir, das soll nicht unser Problem sein. Der Pilot hat die nötige Qualifikation.“ Insgeheim war sich der Commander da jedoch nicht so sicher. Der Pilot würde natürlich ein RF-Soldat sein, und egal welche Wunderdinge man sich über diese Spezialeinheit erzählte, Cunningham hegte so seine Zweifel an den Flugkünsten der Recon Forces. Nicht, dass ihm am Leben der Kommandosoldaten groß etwas lag. Aber ein Scheitern der Mission konnte auch auf ihn zurückfallen.
Monty schien immer noch nicht ganz überzeugt, aber dann meldete sich schon Ace zu Wort: „Was genau ist eigentlich in diesem Shuttle?“
Diese Frage hatte wohl von diesem Piloten kommen müssen, und Cunninghams Stimme klang recht unterkühlt: „Nicht das, was Sie vielleicht glauben. Aber ich bin nicht autorisiert, Sie über die genaue Fracht zu informieren. Und Sie sind nicht autorisiert, es zu wissen. Sie dürfen diesen Einsatz fliegen, aber um mehr zu erfahren, reicht Ihre Sicherheitseinstufung nicht. Haben Sie damit ein Problem?“
Die letzten Jahre hatten dem blauhaarigen Piloten ein wenig mehr Selbstbeherrschung gelehrt – oder zumindest die Erkenntnis, dass man nicht immer mit dem Kopf durch die Wand gehen konnte: „Nein, Sir.“ Allerdings klang seine Stimme recht angespannt.
„Sie alle erhalten noch detaillierte Einsatzanweisungen. Studieren Sie die Unterlagen, verinnerlichen Sie jede Einzelheit. Aber Modifikationen oder Beanstandungen stehen diesmal nicht zur Debatte. In vier Stunden starten wir. Dieses Treffen, die Missionsunterlagen, wie auch der gesamte Einsatz sind Top Secret – weder jetzt noch in Zukunft dürfen Sie zu IRGENDJEMAND davon sprechen. Auch nicht zu Piloten, die selber an dem Einsatz teilgenommen haben. Wenn einer von Ihnen damit nicht klarkommen kann, muss ich ihn bitten, dies jetzt zu äußern.“ Cunninghams Verdruss darüber, nur das Sprachrohr eines kaltäugigen Killers der Recon Forces zu sein, ließ seine Stimme harsch klingen.
Natürlich meldete sich keiner, auch wenn einige Piloten nicht gerade begeistert wirkten und zumindest Monty dicht vor einer Explosion zu stehen schien. Vermutlich ärgerte den kleingewachsenen, energischen und extrem selbstbewussten Lieutenant Commander am meisten die Tatsache, dass er nicht schon vorher informiert worden war. Monty hasste es, ins Dunkel zu springen. Nicht, weil er Angst hatte, das wusste Cunningham. Aber vermutlich traute Monty einfach niemand anderem zu, einen derartigen Einsatz richtig planen zu können. Nun ja, da konnte ihm Cunningham diesmal nicht helfen. Monty würde darüber hinwegkommen. In ein bis zwei Wochen würde er vermutlich aufhören, seine Missstimmung durch überkorrektes Verhalten und Blicke zum Ausdruck zu bringen.
„Wir sehen uns dann in vier Stunden. Weggetreten!“

Beim Hinausgehen fing Helen Kano kurz vor der Tür ab: „Das hier ist nicht…“
„Nein.“
Nun, das hatte sie eigentlich auch nicht mehr wirklich geglaubt: „Ich muss sagen, das sind diesmal ja ziemlich viele Sondermissionen, zu denen sie uns rausjagen.“ Sie gab sich Mühe, ihren Tonfall leicht zu halten.
Kano lächelte schwach und drückte kurz ihre Hand. Natürlich hatte er die Beunruhigung hinter ihren Worten erkannt. Er durchschaute sie wahrscheinlich genauso gut, wie sie ihn: „Wir sind einfach zu gut, schätze ich. Diese ganze Operation ist schließlich eine Spezialoperation.“
„Ganz wie in den alten Tagen.“ Das klang ein wenig bissig. Sie beide erinnerten sich natürlich nur zu gut an die Missionen der Redemption und die erste Fahrt der Columbia. Das waren damals alles Sondereinsätze gewesen – mit entsprechenden Verlusten.
„Wenn ihr beiden Turteltäubchen mal fertig seid…“ Mit diesen Worten drängte sich Skunk recht rüde zwischen den beiden hindurch: „Oder sucht euch doch `n ungestörtes Plätzchen für `ne Runde Matratzengymnastik. Nachher kommt ihr vielleicht nicht mehr dazu – wenn einer von euch `n kalten Arsch hat.“
Kali sah ihm kurz hinterher, dann wandte sie sich zu Kano um und formte mit ihren Lippen lautlos das Wort ‚Arschloch’.
Kano grinste nur
26.12.2015 09:52 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Themenstarter Thema begonnen von Cattaneo
Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Tyr

Vier Stunden später

Die Nighthawk waren bis zur Grenze ihrer Tragfähigkeit beladen. Jede der Maschinen trug voluminöse Zusatztanks, die einen Einsatz von zehn Stunden überhaupt erst möglich machen würden. Dazu kamen die Raketen. Vor allem musste mit Kämpfen im Asteroidenfeld oder in der Umlaufbahn von T’rr gerechnet werden. Deshalb hatte man auf Langstreckenraketen wie die Phoenix, auf die recht ‚langsam’ aufschaltenden Sidewinder und die ungelenkten Hydra-Werfer verzichtet.
Stattdessen war die Maschine mit Amraam-Sofortfeuerraketen und den etwas weiter reichenden Sparrow-Flugkörpern armiert.
Der Hangar war fast menschenleer, als die ausgewählten Piloten der Roten und Schwarzen Staffel zu ihren Maschinen eilten. Die meisten Piloten hatten bereits ihre Helme aufgesetzt, ihre eventuellen Sorgen und Gefühle blieben so verborgen. Kano kletterte die Leiter zum Cockpit seines Jägers herauf. Er zumindest hatte keine besondere Angst. Der Einsatz war zwar riskant, aber nach Kanos Meinung war er zu schaffen. Vor allem war er längst nicht so fragwürdig, wie das Schießen auf Schiffbrüchige. Bei diesem Eskorteinsatz musste er sich nur auf seine Maschine, die seiner Kameraden, und auf den Gegner konzentrieren. Und das beherrschte er. Dennoch hielt er noch einmal kurz inne und sah sich um. Ja, da war Kalis Jäger. Auch sie kletterte gerade in die Pilotenkanzel, bemerkte seinen Blick und winkte kurz herüber. Kano erwiderte den stummen Gruß und lächelte unsichtbar. Dann ließ er die Cockpitverglasung einrasten, während seine Finger bereits über die Armaturen flogen. Sein Jäger war startbereit.

*******

Offiziell würden die acht Maschinen einen Langstreckenaufklärungsflug im Asteroidenfeld durchführen. Aufmerksamen Beobachtern hätte allerdings die spezielle Bewaffnung der Maschinen oder das Fehlen von Aufklärungspods auffallen können. Aber das Interesse der meisten Männer und Frauen an Bord der Columbia galt wohl vor allem dem neuen Kurs des Trägers, der die Kampfgruppe unangenehm nahe an den planetaren Verteidigungsstationen vorbeiführen würde.

Das Shuttle, welches die 36 Recon Forces zum Planeten bringen sollte, war bereits eine Stunde früher gestartet, hatte dabei den Start der SWACS-Shuttles ausgenutzt, um nicht aufzufallen. An Bord herrschte Schweigen, keiner der Soldaten war zum Reden aufgelegt. Gesteuert von einem der Recon Forces war das Shuttle unauffällig in den Asteroidengürtel eingetaucht, und hatte dort Warteposition eingenommen. Als dann endlich die acht Begleitjäger auftauchten, zündeten die Triebwerke des Shuttles wieder. In vollkommener Funkstille nahmen die Nighthawk die Landungsfähre in die Mitte.

********

Der Flug durch das Asteroidenfeld verlangte von Kano äußerste Wachsamkeit. Es war nicht das erste Mal, dass er in einer solchen Umgebung operierte, aber es war nie zur Routine für ihn geworden. Selbst der kleinste Fehler konnte hier tödlich sein, und für einen Piloten, der die Weite und Leere des Weltraums gewohnt war, stellte das Manövrieren in dieser Umgebung eine beachtliche Veränderung dar. Die teilweise bis zu einem Kilometer oder mehr durchmessenden Gesteins- und Eisbrocken folgten keinen genau definierbaren Bahnen oder Gesetzen. Keinen Augenblick lang durfte der Flug zur Routine werden – und dieser Flug würde immerhin gut vier Stunden dauern, zuzüglich vier weiterer Stunden auf dem Rückweg.
Die vorgeschriebene Funkstille stellte eine zusätzliche Belastung dar. Aber sie war notwendig, selbst Richtfunk von Maschine zu Maschine stellte ein Risiko dar. Immerhin konnte es sein, dass es im Asteroidenfeld Abhöranlangen gab. Aber man fühlte sich angesichts dieses Schweigens doch sehr alleine und isoliert. Hin und wieder ertappte sich Kano dabei, wie er sich nach den anderen Jägern umsah, als würde er dort Trost suchen. Ganz besonders nach einem Jäger…
Er konnte nicht umhin, das Können des Shuttlepiloten anzuerkennen. Wer auch immer am Steuerknüppel saß, er verstand sein Handwerk, flog die Fähre mit einer geradezu bewunderungswürdigen Souveränität und schlichten Eleganz. Die Landungsfähre glitt zwischen den sich unregelmäßig bewegenden, teilweise auch miteinander kollidierenden Asteroiden fast genauso problemlos hindurch, wie ein gut geflogener Raumjäger.

*************

Mehr als drei Stunden später

Sie waren gut im Zeitplan. Bald würden sie das Asteroidenfeld verlassen. Bisher war alles nach Plan verlaufen. Es hatte keine Verluste unter den Raumjägern gegeben, und auch die Landefähre war ohne Beschädigung durchgekommen. Sie waren unbemerkt geblieben, jedenfalls hatten die Sensoren der TSN-Einheiten weder feindliche Sensorabtastungen noch Funksignale in bedrohlicher Nähe erfasst. Offenbar war das Asteroidenfeld weder vermint noch mit Sensorbojen gespickt worden.
Der Flug hatte von den Piloten allerdings einiges an Können abverlangt – und damit war die Mission ja noch nicht einmal zur Hälfte geschafft. Die Jäger hielten eine offene, unregelmäßige Formation. Es sollte den Akarii schließlich nicht zu einfach gemacht werden, die Formation zu erkennen. Im Verlauf der letzten dreiviertel Stunde hatten die Jäger kontinuierlich ihre Geschwindigkeit herabgesetzt, sie der Geschwindigkeit driftender Asteroiden angeglichen.

Es war Cunninghams Jäger, der als erste den, wenn auch etwas fragwürdigen und nicht ganz ungefährlichen, Schutz des Asteroidengürtels verließ. Die Augen sämtlicher Piloten folgten unwillkürlich der einzelnen Maschine, nur um dann immer wieder zu den Anzeigen zu wechseln, die eine feindliche Sensorabtastung melden würden. Aber es blieb alles ruhig, keine neuen Feindeinheiten stiegen von Orbital- oder Bodenstationen auf. Der Plan schien aufzugehen – noch waren sie nicht entdeckt. Einzeln, fast verstohlen, mit einer relativ geringen Geschwindigkeit, verließen die Nighthawks und das Shuttle das Asteroidenfeld, nahmen Kurs auf den Planeten T’rr. Dass einige kleinere Asteroiden demselben Kurs folgten, war so gesehen ein Glücksfall. Das verbesserte ihre Tarnung. Normalerweise hätte der Flug, der jetzt noch vor ihnen lag, nur etwa zwanzig Minuten gedauert. Aber da sie nur mit der Geschwindigkeit fallender Asteroiden flogen, würden sie wohl doppelt solange brauchen.
Während die Piloten sich vor allem auf potentielle Bedrohungen ihres Fluges konzentrierten, auf feindliche Jäger oder Satelliten, dachte Major Hands schon weiter. Die Sensoren des Shuttles konzentrierten sich bereits auf die Oberfläche des Planeten, auf die geplante Landungsstelle. Wie jeder der Männer und Frauen in seiner Einheit wusste Major Hands, dass dieser Teil des Unternehmens der gefährlichste war. Solange sie im Asteroidenfeld gewesen waren, hatte theoretisch immer noch die Möglichkeit zur Umkehr bestanden. Aber sobald sie in die Umlaufbahn von T’rr eintraten, gab es kein Zurück mehr. Sie hatten die Schwelle überschritten. Für die nächsten Jahre würde T’rr ihr Schlachtfeld sein. Oder ihr Grab.
Momentan sah es gut aus. Dort unten war momentan Nacht. Das war auch so geplant worden. Egal welcher hoch entwickelten Technik sich die Akarii bedienen mochten, wie die Menschen waren sie dennoch eigentlich tagaktiv. In der Dunkelheit ließ die Wachsamkeit nach, verlängerte sich die Reaktionszeit. Und wenige Sekunden, ein kleiner Vorsprung, mochte entscheidend sein.
Was noch besser war, momentan herrschte da unten offenbar ein ziemlich scheußliches Wetter. Wie in diesen Regionen T’rrs und zu dieser Jahreszeit üblich, gingen offenbar sinnflutartige Regenfälle zu Boden. Hervorragend. Eventuelle Gegen- und Reaktionsmaßnahmen würden dadurch erschwert werden. Alles war…
Ein leises, aber beständiges Piepsen schnitt durch die Gedanken des Majors. Ein Geräusch, das er nur zu gut kannte. Und fast gleichzeitig meldete sich der Recon Forces, der die Aufgaben des Sensoroffiziers versah: „Sir, Wir haben da ein Problem.“
Das war gelinde gesagt untertrieben.

*********

Cunningham wäre beinahe aus seinem Pilotensitz hochgefahren, als plötzlich aus seinen Kopfhörern die harte, kalte Stimme des RF-Majors schallte: „Lone Wolf. Es gibt eine Planänderung. Unsere Sensoren erfassen eine kleine Radarstation etwa einhundertfünfzig Kilometer von unserem Zielort entfernt. Diese Anlage ist in den Einsatzplänen nicht berücksichtigt worden. Die Reichweite der Sensoren ist begrenzt, ausschließlich Luftraumüberwachung. Sie haben keine Raumüberwachungskapazitäten. Vermutlich soll die Station dazu dienen, eventuelle Flüge von rebellenfreundlichen Maschinen oder die Landung von Schmugglerschiffen zu überwachen. Die Station wird uns erst bemerken, wenn wir dicht vor der Landung stehen. Aber das ist schon schlimm genug. Wenn sie dort Standart-Sensoren haben, sind die genau genug, um den Landeort auf etwa einen Kilometer genau einzupeilen. Und offenbar verfügt die Radarstation auch über ein kleines Startfeld. Wir wissen nicht, ob und was sie dort an Lufteinheiten haben. Vielleicht nur Verbindungseinheiten, vielleicht auch gar nichts. Vielleicht aber auch Jagdbomber. Und in diesem Fall könnten die Maschinen binnen fünfzehn Minuten über der Landestelle sein. Das Wetter ist zwar aber ziemlich schlecht, aber wenn sie uns orten, werden sie es riskieren. Dieses Risiko ist inakzeptabel. Die Bodenstation darf WEDER den genauen Landeplatz orten, NOCH irgendwelche Einheiten starten. Unternehmen Sie das Nötige.“
Cunningham war wie vor den Kopf gestoßen: „Hören Sie, Major…“
Hands schnitt ihm das Wort ab: „Ich bin noch nicht fertig. Denn außerdem haben unsere Sensoren nur etwa zwanzig Kilometer von dem Landeplatz eine Bodeneinheit der Akarii geortet, die einem Flusslauf folgt. Ein halbes Dutzend Einheiten, vermutlich gepanzerte Amphibienfahrzeuge für Kampfeinsatz und Truppentransport. Sie haben keine Luftunterstützung. Vermutlich wegen dem schlechten Wetter. Vernichten Sie dies Einheit.“
„Und zusätzlich soll ich Ihre Fähre eskortieren, nicht wahr? Hören Sie, Major – DAS IST WAHNSINN! Ich weiß ja nicht mal, wie diese Sensorstation bestückt ist, oder wie viele Kampfflieger dort stehen! Ich kann doch nicht…“
„Sie können – und Sie MÜSSEN! Dies ist keine Bitte. Es ist ein Befehl! Führen Sie ihn aus!“
Commander Cunningham fühlte, wie die Wut in ihm einmal mehr hoch kochte. Aber er konnte nichts tun. Der Major saß am längeren Hebel, und Hands wusste das. Der Einsatz hatte Priorität, und das bedeutete, dass ein Marines-Major einem TSN-Commander befehlen konnte.
Dennoch konnte er nicht so einfach klein beigeben. Zumal ihn ein schrecklicher Verdacht kam: „Eine gepanzerte Bodeneinheit in der Nähe des Absatzpunkts? Und eine neue Radarstation mit Landebahn? Ist Ihnen nie der Gedanke gekommen, dass die vielleicht genau wissen, dass wir kommen?“
Major Hands schnaubte abfällig: „Dann hätten sie uns nie so weit kommen lassen. Wir vergeuden nur kostbare Zeit! Ich will diese Station und jeden verdammten Schwimmpanzer in seine Einzelteile gesprengt! HABEN SIE DAS VERSTANDEN!“ Und damit schaltete er ab.

Hands registrierte die überraschten Blicke seiner Leute. Sie waren es nicht gewöhnt, dass er wegen solcher Kleinigkeiten wie einem renitenten Fliegeroffizier die Nerven verlor. Der Major zwang sich selbst zu einem Grinsen: „Angry Angels – Pah! Lame Duck würde eher passen!
Das ist die größte und teuerste Operation der Recon Forces, die wir in diesem Krieg bisher haben anlaufen lassen. Jetzt sind wir hier. Und NIEMAND sagt die Party ab.“

Auch wenn Cunningham am liebsten diesen arroganten Marines-Saftknaben eigenhändig erwürgt – oder alternativ dazu sein Shuttle in die Luft gejagt hätte – sein Verstand arbeitete dennoch fieberhaft. Er hatte nur acht Jäger zur Verfügung. Das war für drei Aufgaben wenig, zu wenig. Außerdem konnte er es sich nicht leisten, die Einzelmissionen nacheinander durchzuführen.
Das Shuttle musste landen, und zwar schnell. Und die Radarstation musste dazu ausgeschaltet werden. Aber gleichzeitig würde auch der Angriff auf diese Akarii-Bodeneinheit erfolgen müssen. Wenn er sich damit zuviel Zeit ließ, erst nach der Landung und der Vernichtung der Sensorstellung den Angriff flog, riskierte er, dass die Akarii durch Funksignale oder ihre eigenen Ortungsgeräte vorgewarnt waren. Sie würden sich vermutlich abducken, irgendwo Deckung suchen. Und sie würden voll abwehrbereit sein. Und jede noch so leichte Beschädigung eines Jägers könnte tödlich sein. Denn bis zur Columbia zurück war es ein weiter Weg. Und nach diesem Feuerzauber würden die Akarii natürlich allarmiert sein. Keine Chance, ungesehen zu verschwinden.
Also musste er die Einheiten aufteilen. In wenigen Sekunden hatte er seine Wahl getroffen. Einen letzten Fluch unterdrückend, aktivierte er die Verbindung zu den anderen Jägern: „Herhören, Jungs und Mädels, es gibt eine kleine Fahrplanänderung. Unsere Freunde wollen, dass wir ein bisschen die Landschaft illuminieren. Wir sollen eine Radarstation platt machen und eine Bodenpatrouille ausschalten. Genaue Koordinaten folgen.
Monty, Sie und ich spielen weiter Kindermädchen. Kali, Skunk – ihr knöpft euch die Schlammwühler vor. Macht sie fertig. Kano, Goliath, Ace, Crusader – euer Ziel ist die Radarstation. Ace, Sie haben das Kommando. Bauen Sie bloß keinen Mist. Ich will, dass kein Stein mehr auf dem anderen steht, wenn ihr fertig seid! Achtung, möglicherweise ist mit Feindjägern zu rechnen. Nach vollendeter Aufgabe – Rückzug zur Columbia mit Vollschub. Wegschleichen lohnt sich ja nicht mehr. Gute Jagd, und sichere Landung!“
26.12.2015 09:53 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Themenstarter Thema begonnen von Cattaneo
Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Ace

Es war ein langer Tag, eine lange Woche und ein langer Monat für mich gewesen. Nun, davor hatte sich ein langes Jahr befunden, deshalb war ich es gewohnt. Und ich war auch gewohnt, dass die Angry Angels und damit mein heiß geliebter Boss Cunningham regelmäßig mit irgendwelchem Geheimscheiß konfrontiert wurden, den die Piloten dann ausbaden mussten.
Noch immer schwieg ich zu Troffen. Und noch immer hatten mich die renitenten Ärsche vom Geheimdienst nicht erledigt, denn sie würden genau wissen, dass ich nicht ewig zu einer nuklear niedergemachten Agrarwelt schweigen würde, doch es schien, dass ich im Moment als Pilot zu wichtig war. Vielleicht würden sie mich später umbringen, vielleicht auch nur diskreditieren, wenn wir gewonnen hatten – oder einen Zustand erreicht hatten, den wir mit gewonnen umschreiben konnten.
Vielleicht würden sie mich auch einfach nur bestechen. Aber mein Preis würde hoch sein, unglaublich hoch. Die Rehabilitierung und die ehrenhafte Entlassung von Admiral Alexander war das Mindeste in meiner Rechnung, und ich war gespannt, ob die Navy nach vier Jahren auf diese Forderung eingehen würde, nur damit ich den Mund hielt.
Ich liebte diese Frau, Gott, ich liebte sie heiß und innig, so sehr wie meine eigene Mutter. Sie war taff und erfahren und zugleich so warmherzig und liebevoll wie meine Oma. Ich wollte, ich musste ihren toten Sohn ersetzen, und ich hatte mir fest vorgenommen, sie zu meiner Hochzeit einzuladen und neben meinen Eltern zu platzieren, als meine zweite Mutter.
Für mich war sie das, seit dem Camp Hellmountain und danach, bei der legendären Schlacht, die den Wendepunkt des Krieges beschrieben hatte.
Ob ich ihr Ersatzsohn war, konnte ich nicht sagen, aber ich wusste, dass sie mich sehr mochte. Jeder dritte Brief von mir ging an sie, und ihre Antworten kamen schnell und akkurat.
Ja, ich liebte sie…

Kali stieß mich unwirtlich in die Seite und erzwang meine Aufmerksamkeit.
Ich schnappte die wichtigsten Informationen auf. Acht Nighthawks, um was? Ein Shuttle zum Planeten zu eskortieren? Kein Problem, warum nicht nur mit zwei?
Was dachten sich die Geheimen eigentlich dabei? Acht Jäger waren zu wenig, um richtigem Ärger zu begegnen, auf einer Welt, die in höchster Alarmbereitschaft war, zwanzig zuviel, weil ihre pure Masse zwangsläufig Aufmerksamkeit erregen würde. Und zwei hätten nur gereicht, wenn es garantiert keinen Ärger geben würde – aber das war so unwahrscheinlich wie dass an Bord der COLUMBIA kein Bier getrunken wurde.
„Gehen wir es an“, brummte ich wirsch, als die Besprechung endete. Mein Blick ruhte kurz auf Ohka und Kali. Auch zwei Kandidaten für die Ehe. Nach dem Einsatz würde ich mal meine letzten Bedenken über Bord werfen und als wahrer Freund der beiden auf den Putz hauen, damit sich einer von ihnen endlich ein Herz fasste.

***

„Du willst los, Boss?“
Ich sah auf und schloss die letzten Anschlüsse des Anzugs. „Seit wann kommst du hier ohne anklopfen rein, Artist? Das ist sexuelle Belästigung.“
Die Pilotin lachte rau auf. „Und das von dem Mann, der ein Vierteljahr auf der alten REDEMPTION mit einer Frau in einer Kabine gelebt hat?“
Amüsiert half sie mir bei den Anschlüssen. „Ich bin gleich auf Bereitschaft. Kriege einen Flügelmann von den Schwarzen. Welche Ehre. Wir gehen raus für den Fall, dass unser Vorbeiflug an T’rr zuviel Aufmerksamkeit bei den Echsen weckt. Dann klopfen wir ihnen sanft, aber nachdrücklich auf die Finger. Und du?“
„Ich gehe mit Cunningham zum Poker.“
„Dann achte auf dein Blatt, Boss. Ich bin noch zu grün, um meinen eigenen Wing zu kriegen, okay?“
„So schnell wirst du mich nicht los“, erwiderte ich grinsend und klopfte auf ihre Schulter.

Zwanzig Minuten später jagte ich meine Nighthawk ins eisige Weltall, ging in Formation, Raute mit Cunningham an der Spitze, und flog ins Asteroidenfeld ein, welches uns Deckung geben würde, bis wir nahe, sehr nahe an T’rr dran waren. Dieser kosmisch gesehen verdammten Nähe verdankte die Dschungelwelt häufigen Besuch in Form von Meteoriten. Der Hauptgrund, warum die Echsen, die auf diesem Planeten entstanden waren, die Raumfahrt gesucht hatten war, eine Möglichkeit zu finden, die Meteoriten abzufangen, bevor sie auf ihrer Welt aufschlugen. Nun, das hatten sie Jahrzehntelang gut beherrscht. Doch seit die Akarii hier regierten, wurde dieser Punkt der Prävention übel vernachlässigt. Um sie Demut zu lehren, würde ich sagen. Typische imperiale Denkweise.
Das würde uns auch helfen, mit dem Shuttle den Planeten zu erreichen.
Der Flug selbst verlief ereignislos, und das erhöhte meine Wachsamkeit. Im Moment flog ich in einer Mischung aus wachen und dämmern, eine Technik, die jeder Pilot einmal erlernte, wenn er lang genug flog. Jederzeit bereit, auf die kleinen Piepser zu reagieren, die Radar, Funk oder Zielsuchmelder von sich gaben, gleichzeitig in der Lage, die Sinne etwas zu entspannen. Als der Funk zum Leben erwachte, war ich sofort da. Galt nicht Funkstille bis zur Landung?

Lone Wolfs Stimme klang auf. „Herhören, Jungs und Mädels, es gibt eine kleine Fahrplanänderung. Unsere Freunde wollen, dass wir ein bisschen die Landschaft illuminieren. Wir sollen eine Radarstation platt machen und eine Bodenpatrouille ausschalten. Genaue Koordinaten folgen.
Monty, Sie und ich spielen weiter Kindermädchen. Kali, Skunk – ihr knöpft euch die Schlammwühler vor. Macht sie fertig. Kano, Goliath, Ace, Crusader – euer Ziel ist die Radarstation. Ace, Sie haben das Kommando. Bauen Sie bloß keinen Mist. Ich will, dass kein Stein mehr auf dem anderen steht, wenn ihr fertig seid! Achtung, möglicherweise ist mit Feindjägern zu rechnen. Nach vollendeter Aufgabe – Rückzug zur Columbia mit Vollschub. Wegschleichen lohnt sich ja nicht mehr. Gute Jagd, und sichere Landung!“
Ich bestätigte automatisch und sah kurz darauf wie die Daten eintrafen. Sehr schön. Das war nicht weit vom Schuss. Ein Anflug, vielleicht zwei. Auch die anderen drei Piloten meiner gerade erschaffenen Sektion hatten die Daten bekommen, und nun wurde es Zeit, aus der Hüfte zu schießen, wie mein alter Lehrmeister Darkness gesagt hätte.
„Goliath, du fliegst mit mir. Ohka, du nimmst Crusader an den Flügel. Wir machen zwei Anflüge. Einen über Kreuz aus allen vier Richtungen und dann inwendige Schleifen mit doppeltem Anflugvektor.“
„Roger!“
Ich drückte meine Nighthawk in die neue Richtung, prüfte kurz die Karte und teilte den anderen drei Jägern ihre Anflugvektoren zu. Ich würde nicht ganz aus Norden kommen, Kano aus Süden, Crusader aus Westen und Goliath aus Osten. Wir würden beinahe zugleich eintreffen, unsere Waffen abfeuern und die Radaranlage in Stücke schießen. Den zweiten Anflug brauchten wir eigentlich nur, um sicherzugehen, dass dieses Ding nie mehr orten würde. Zu diesem Zweck würden Goliath und ich sowie Ohka und Crusader Schleifen fliegen, sich zu Wings vereinigen und von Südosten und Nordwesten noch einmal drüber fliegen. Das war der Plan. Ein guter, wie ich hoffte.

Alarm schlug an und sagte mir, dass ich geortet worden war. Das war eine Minute, bevor die Zielerfassung aufschaltete. Auf sieben Kilometer Distanz würde ich die Waffen auslösen. Auf die Raketen verzichtete ich, vielleicht brauchten wir die noch auf dem langen und einsamen Heimweg.
Die Zielerfassung lockte und ein grimmiges Lächeln huschte über mein Gesicht. „Ace feuert.“
„Crusader feuert.“ „Ohka feuert.“
Ich drückte den Feuerknopf durch, die Tachyonen-Orgel röhrte auf, und zwei Ladungen Plasma verließen meinen Jet. Kurz darauf verschwand der Radarkontakt.
„Goliath, Meldung.“
„Bin gerade etwas beschäftigt, Ace! Du hast mich mitten über einen Flugplatz geschickt, und mir hängen gerade zwei Raketen am Arsch! Außerdem steigen Vögel auf, soweit mein Computer das erkennen kann sind es Deathhawks, ältere Typen.“
„Wie viele Bandits, Goliath?“
„Vier bisher. Ich… Verdammt, ich habe meinen Heckschirm verloren! Scheiße, eine Rakete kommt noch auf mich zu!“
„Ohka, Crusader, zweiten Anflug wie geplant. Meldet mir, dass die Station platt ist, und danach kommt auf meine Höhe!“
„Roger.“
Ich scherte aus meinem Kurs auf und flog auf Goliaths Nighthawk zu. Uns trennten nicht einmal achtzig Kilometer.
„Jetzt sind es fünf Jäger! Und die letzte Rakete hängt immer noch an mir dran! Verdammte Scheiße, warum war da ein Flugplatz?“
„Zieh in meine Richtung, Goliath. Ich will sehen, ob ich die Rakete abfangen kann. Und überspiel mir die Daten über die Deathhawks.“
„Sind schon unterwegs. Ace, verdammt, hol mich hier RAUS!“
„Bin schon fast da, Junge.“
„Ohka hier. Radarstation ist zerstört.“
„Ohka, Crusader, haut die Nachbrenner rein und geht auf Parallelkurs zu Goliath! Ich werde einen Passierflug machen und versuchen, die Rakete mit einer Flare abzulenken. Außerdem schwenken da gerade zwei der Deathhawks auf Goliaths Kurs ein. Drei. Und eine sechste ist gerade gestartet.
Lone Wolf von Ace, die Radarstation ist platt, aber Goliath hat leichte Probleme. Er ist direkt über einen Flugplatz in Alarmbereitschaft geflogen und hat ne Rakete geschluckt. Wir unterstützen, so gut es geht, aber drei Deathhawks hängen an ihm dran.“
„Was erwarten Sie von mir, Ace? Soll ich zum Händchen halten rüberkommen?“
Ich schluckte hart. Erstens hatte er Recht und zweitens war er manchmal ein richtiger Arsch.
„Nein, Lone Wolf, aber Sie könnten seinen Kurs für den Fall der Fälle an die Mar..."
"ACE!", blaffte der Anführer der Schwadron wütend auf und ich war für eine Sekunde konsterniert. Sicher, wir hatten verschlüsselten Funk, aber ich hatte gerade das M-Wort sagen wollen. Außerdem durfte ich offiziell von diesen Leuten an Bord des Shuttles nichts wissen. Offiziell existierte nicht einmal das Shuttle und ich fragte mich, welche Schäden ich damit angerichtet hätte, sobald die Akarii unseren Sprechfunk dechiffriert hatten, hätte ich das Wort ausgesprochen. Aber egal, dass wir hier etwas runterbrachten, konnte sich selbst ein Hilfsschütze aus der Nase popeln, also schob ich den Teil meiner Gedanken beiseite.
"Lone Wolf!", blaffte ich ins Mikro. "Seinen Kurs an blaue Kräfte! Für den Fall der Fälle!"
„Ich… verstehe. Gut mitgedacht, Ace. Und… Viel Glück an Sie alle und speziell Goliath.“
„Wir sehen uns auf der COLUMBIA, Sir.“

Ich passierte Goliaths Vogel, in etwa dreihundert Meter Abstand, und jagte meine Abwehrmaßnahme raus. Sie zersprang sofort in fünf ultraheiße Wärmequellen und boten ein so verlockendes Ziel wie Honig auf Bären. Sie abzuschießen hätte ich in einer Atmosphäre nicht riskiert, oder sogar auf die Slide-Bremse zu treten. Einen Von Bein in einer Atmosphäre machte man nur einmal – das letzte Mal.
Dann war ich vorbei und schoss auf die Deathhawks zu. Drei Vögel gegen meinen Überlegenheitsjäger. Ich würde ihnen Prügel geben müssen und durfte nicht auch noch über den Flugplatz geraten, verdammt.
Also teilte ich die Zielerfassung auf und verlinkte auf jeden Kontakt eine Amraam und eine Sparrow. „Ace, hier Ace, Deathhawk Alpha, Charly und Ecco, Fox two, Fox two!“
Ich riss meinen Vogel zur Seite, während die Deathhawks auseinander spritzten. Ich würde in einem weiten Bogen zurückkehren und den Kurs von Goliath wieder aufnehmen. Wenn ich auch keinen Abschuss verzeichnen würde – so schlecht waren die alten Deathhawks nicht – so hatte ich die Formation durcheinander gebracht, und das brachte uns Zeit.
„Verdammte Scheiße! Steige aus! Steige aus! Steige aus!“
„Verdammt, Ohka!“
„Eine Flugabwehrrakete mitten aus dem Wald! Vollkommen überraschend! Hat Goliath das halbe Heck weggeputzt! Wir konnten nichts tun!“
Ich konnte seine Frustration förmlich sehen, als der Japaner sprach. Verdammt. Dies war immer noch ein Akarii-Planet, wir hätten damit rechnen müssen.
„Landekoordinaten, und dann geht stiften! Zeigt nicht auch noch mit dem Finger auf Goliath!“
„Roger! Überspiele Landekoordinaten. Brauchst du Hilfe, Ace?“
„Weiß nicht. Die drei Deathhawks spielen immer noch mit meinen Raketen. Autsch, das hat wehgetan. Einer dreht ab. Was mit den anderen drei ist, weiß ich nicht. Habe sie nicht auf dem Kontakt.“
„Komm zu uns rüber. Wenn sie Verstecken spielen, brennen wir ihnen eine auf den Pelz.“
„Roger. Ziehe rüber.“ Oh, es brannte mir in den Fingern, es brannte mir wirklich in den Fingern die beschädigte Deathhawk einzuholen und vom Himmel zu putzen. Aber wir waren weit, weit von Zuhause entfernt und es würde kein SAR der COLUMBIA kommen. Nicht zu uns. Nicht für Goliath. Scheiße.
„Lone Wolf von Ace. Goliath ist down, ich wiederhole, Goliath ist down. Überspiele Landekoordinaten. Haben noch fünf Deathhawks im Spiel, eine zieht sich beschädigt zurück.“
„Verstanden. Wenn die Ihnen zu nahe kommen, holen Sie sie vom Himmel, ansonsten kreisen Sie auf Bereitschaft. Wir sind hier auch gleich fertig und werden jede verdammte Rakete gebrauchen können. Und um Sie zu beruhigen, Ace, ich habe die Landekoordinaten bereits weitergegeben.“
„Roger.
Ohka, Crusader. Wir bleiben im Spiel, aber tändeln an der Außenlinie rum. Wenn uns die Akarii den Ball abnehmen wollen, nehmen wir sie aus dem Spiel. Ansonsten halten wir uns für den Abflug bereit.“
„Und was ist mit Goliath?“, rief Crusader verstört.
„Um ihn wird sich gekümmert. Diese Welt gehört nicht ganz den Akarii.“
Ich erschauderte, als ich an Camp Hellmountain dachte. Wenn er es zu den Rebellen schaffte, standen ihm Monate, wenn nicht Jahre der Entbehrung und des Kampfes bevor. Aber er würde selbst bestimmen, was und wann er tat. Das war einem Kriegsgefangenenlager vorzuziehen. Jederzeit. Wirklich jederzeit.
„Kreisen auf. Bleibt bei mir, schwarze Jungs.“
26.12.2015 09:54 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Themenstarter Thema begonnen von Cattaneo
Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Cattaneo

Commander Diane Parker räusperte sich, als sie den Bereitschaftsraum betrat. In ihrer Staffel nahm zwar nicht die gesamte Belegschaft Haltung an, sobald sie erschien, aber sie konnte sich der Aufmerksamkeit der Piloten sicher sein. Wo es ging verzichtete sie auf übertriebenes Gehabe – ihrer Autorität tat das keinen Abbruch. Was daran lag, dass sie sich den Respekt der Piloten verdient hatte. Nicht zuletzt deshalb, weil sie von Anfang an Chefin der Staffel war. Außerdem hatte sie die Erfahrung gemacht, dass Kameradschaft ebenso gut war wie strikte Disziplin, zumindest in so einer kleinen Gruppe wie einer Staffel. Allerdings übertrieb sie es auch nicht mit der Verbrüderung – und hatte so ihre Staffel in den letzten Jahren recht erfolgreich geführt, mochten andere das auch anders sehen.
Die Piloten der Grünen Schwadron waren vollzählig versammelt und boten für den kundigen Betrachter auch ohne ihre Orden einen beeindruckenden Anblick. Immerhin standen sie für eine beträchtliche Zahl an vernichteten Akarii-Fliegern, von etlichen Shuttles und inzwischen vier Frachtern einmal abgesehen. Allerdings hätte man mehr als dreimal so viel Platz wie im Augenblick gebraucht, wären alle jene Piloten anwesend gewesen, die im Laufe des Krieges gefallen oder schwer verwundet worden waren. Commander Parker war sich dessen bewusst, und ein Stück weit schmerzte es sie, so wenige Gesichter zu sehen, die von Anfang an dabei gewesen waren. Natürlich schätzte sie auch viele, die später dazugekommen waren, aber dennoch...

Aber für solche Gedanken war jetzt keine Zeit. Jetzt musste sie die Piloten wieder einmal dorthin führen, wo es leicht geschehen konnte, dass sich sowohl die Zahl der von ihnen vernichteten Akarii erhöhte, wie auch die Liste der eigenen Verluste. Die Piloten hatten sich in Bereitschaft befunden, als die Flotte den Sprung gewagt hatte – immerhin konnte ja auf der anderen Seite alles Mögliche und einiges eigentlich unmögliche auf sie warten. Im Augenblick übernahm die Blaue Schwadron die Sicherung. Also war Lightnings Staffel vollzählig versammelt. Bis „die Alte“ erschienen war, hatten sich die Piloten die Zeit auf ihre Art und Weise vertrieben. Folglich hatte die übliche Mischung aus betonter Gelassenheit, Nervosität und Fatalismus geherrscht, die in solchen Augenblicken typisch war. Einige dösten vor sich hin, und die Spaßvögel der Schwadron, Tyr und Imp, hatten wie immer herumgealbert. Beliebtes Thema war nicht zuletzt – wieder mal – Ace, dessen melodramatischer Auftritt gegenüber den Marines sich herumgesprochen hatte. Die XO der Staffel, Lilja, schien in einem Taktikhandbuch zu schmökern, was wiederum typisch für sie war. Anders als viele ihrer Kollegen feilte sie nicht nur an ihrer körperlichen Verfassung und ihren Flugfähigkeiten, sondern studierte auch theoretische Grundsätze des Raumkrieges und der Einheitsführung mit geradezu fanatischer Verbissenheit. Ein Grund, warum sie sich nach oben gearbeitet hatte, denn an ihrem Image in Sachen fachlicher Kompetenz lag ihr offenbar ebenso viel, wie an der Zahl der vernichteten Akarii. Ihr Gesichtsaudruck ließ jedoch erkennen, dass sie das Treiben wahrnahm und den Gegenstand der Scherze missbilligte. Ihrer Meinung – und die sagte sie wie immer offen, wenn es um Untergebene oder gleichrangige Personen ging – hatte sich Ace für einen Offizier der TSN unwürdig verhalten. Mal abgesehen davon, dass er seine Schwester blamiert hatte. Lilja hatte natürlich stets eingeräumt, dass es auch andere schwarze Schafe gab – unter anderem einen gewissen Lieutenant Commander, der ein Stinktier war, und nicht nur so hieß...

Das Eintreffen der Staffelchefin beendete dieses Intermezzo jedoch. Die „Schlafenden“ waren mit einmal hellwach – eher aus unterdrückter Nervosität denn aus bedingungsloser Einsatzbereitschaft. Lilja ließ ihr Buch verschwinden, Imp und Tyr schwiegen ebenfalls. Die Staffelführerin kam gleich zur Sache.
„Mal herhören – wir haben wieder Einsatzbefehl, und möglicherweise einen scharfen.“
Große Überraschung rief das nicht hervor, denn die meisten wussten bereits, dass sich im System Akarii befanden. Übertriebene Vorfreude herrschte bei den wenigsten – außer bei den ausgemachten Akariifressern wie Lilja, die der Meinung waren, dass jede tote Echse ein Schritt in die richtige Richtung war. Die weiteren Ausführungen ihrer Kommandeurin überraschten dann aber auch sie.
„Wir haben den Befehl für einen Passierflug entlang der feindlichen Waffenreichweite. Und das heißt, wir müssen Jäger draußen haben, für den Fall, dass die Akarii die Sache ausfechten wollen. Allerdings müssen wir mit etwa zehn Stunden Dauer rechen – das bedeutet, wir wechseln uns ab.“
Das sorgte nun für weniger Begeisterung, und auch für eine gewisse Verwunderung. Die Piloten stellten den Befehl nicht direkt in Frage, aber in manchen Gesichtern arbeitete es. Was ihnen ihre Kommandantin nur nachempfinden konnte. Warum bei allen Geistern des Alls flog man zehn Stunden fast in Feuerreichweite einer Akarii-Flotte? Das Manöver konnte leicht zu einer Zerreißprobe für die Nerven der Piloten und Besatzungsmitglieder werden, und wenn jemand von ihnen – oder von den Akarii – die Nerven verlor, konnte dies zu einer Eskalation führen, in der beide Seiten ohne richtigen Schlachtplan aufeinander trafen. Und solche „Kaschemmenprügeleien“ hatten es an sich, besonders blutig zu enden. Wie gerade die Überlebenden der Redemption sehr wohl wussten.
Doch Lightning ließ sich ihre Gedankengänge, die denen ihrer Piloten glichen, nicht anmerken und blieb betont sachlich: „Wir teilen die Staffel auf – ich übernehme die erste Schicht mit den Flights Eins bis Drei. Lilja übernimmt die zweite Schicht mit den restlichen Maschinen. Die zweite Schicht sollte sich nach Möglichkeit ausruhen – aber bleibt in Reichweite. Eure Maschinen werden aufmuntioniert und betankt, stehen aber noch nicht auf dem Startdeck. Im Notfall müsst ihr in einer Minute draußen sein.“ Lilja salutierte und bestätigte den Befehl – obwohl sie es wohl auch ohne entsprechende Order genau so gehalten hätte. „Irgendwelche Vorgaben für die Bewaffnung?“ erkundigte sie sich.
Lightning machte eine knappe Handbewegung: „Bleibt Dir überlassen, XO.“
Die Kommandeurin nickte den anderen Piloten zu, die mit ihr als erste fliegen würden: „Meine Damen und Herren – auf geht's.“

Liljas Gesicht wirkte alles andere als erfreut, aber sie versagte es sich, offene Kritik am Oberkommando zu äußern. Stattdessen musterte sie nur ihre Schar: „Ihr habt die Chefin gehört. Ich kümmere mich darum, dass die Jäger bereit sind. Ihr bleibt hier. Versucht euch ein wenig zu entspannen – aber ich will, dass ihr im Notfall in einer Minute in den Jägern seit!“
Tyr schien zu Widerworten aufgelegt, ohne dies jedoch ernst zu meinen: „Heißt das, wir sollen fast fünf Stunden in Bereitschaft sitzen? Das hält doch der stärkste Mann nicht aus.“
Lilja musterte den Hünen abschätzig: „Das ist dann ja wohl das Problem des Mannes.“ erklärte sie unterkühlt.
„Außerdem bezweifle ich, dass ihr in euren Kabinen Ruhe finden würdet. Immerhin marschieren wir hier am Rande einer Schlacht. Und ich will nicht, dass jemand eine Extraeinladung braucht, wenn es losgehen sollte. Wenn ihr etwas zu essen oder zu trinken wollt, könnt ihr einen von euch in die Messe schicken.“
Das schien zu genügen. Dragon ging bereits daran, Bestellungen zu sammeln. Als Second Lieutenant war die Wahrscheinlichkeit, dass dergleichen an ihm „hängen blieb“ relativ groß. Marine war zu widerborstig, und Fidai war ohnehin schon nervös genug. Die meisten der Piloten hatten ohnehin keinen großen Appetit.
„Was für Sie, Commander?“ erkundigte er sich bei Lilja. Doch die winkte nur ab.
„Lieber nicht. Ich muss es ja nicht mit Gewalt darauf anlegen, das Cockpit zu versauen.“ Auch wenn Lilja inzwischen die Last des Kommandos mit Routine schulterte, ihr behagte die von ihr selbst anberaumte Bereitschaft überhaupt nicht.
Tyr erkannte die günstige Gelegenheit und nutzte sie: „Nanu, Commander? Haben Sie sich so sehr verändert, dass Sie nun unter Morgenübelkeit leiden?“ erkundigte er sich scheinheilig.
Lilja brauchte einen Augenblick, um die Worte richtig zu begreifen. Dann lief sie rot an – allerdings vor Wut. Sie sah so aus, als wollte sie sich im nächsten Moment auf den Piloten stürzen, der einen Kopf größer als sie war und anderthalb mal so viel wie sie wog.
Sogar Tyr schaute etwas nervös drein – weniger aus wirklicher Angst, als vielmehr, weil er eigentlich seine Bemerkung nicht so böse gemeint hatte, wie sie aufgenommen worden war. Außerdem hatte er einen gesunden Respekt vor Lilja als Sparringpartnerin erworben, als er noch ihr Flightkamerad gewesen war. Was der Russin an Masse fehlte, machte sie durch Entschlossenheit wett, vor allem gab sie sich selten geschlagen.
Aber dann verzogen Liljas Lippen doch zu einem grimmigen Lächeln und sie entgegnete nur trocken: „Ich würde dir raten, es so ähnlich zu halten. Sonst fällt dir bei den Vollschubmanövern noch das Essen aus dem Gesicht. Und hüte deine Schandschnauze, Tyr, sonst darfst du den Vorausbeobachter der Truppe machen.“ Und damit war die Sache erledigt.

Während der Rest der Staffel im Bereitschaftsraum blieb, beschäftigte sich Lilja damit, mal wieder den Technikern das Leben schwer zu machen: „Ich weiß, dass Sie mehr als nur meine Halbstaffel zu warten haben, aber ich ERWARTE, dass die Maschinen mit höchster Priorität einsatzbereit gemacht werden. Oder wollen Sie im Zweifelsfall die Akarii bitten, sich noch etwas zu gedulden?“
Sie überprüfte die Bewaffnung der Maschinen – neben Zusatztanks für den langen Flug je zwei Sidewinder, Sparrows und Amraam – und dann machte sie sich daran, einen Überblick von der Lage zu gewinnen. Offenbar war auch die Blaue Staffel aufgeteilt worden – die Hälfte leistete gerade Lightning Gesellschaft, die andere war damit beschäftigt zu landen. Abgesehen von den Abfangjägern waren nur noch Maschinen der Gelben Staffel im Einsatz. Lilja wunderte sich nicht darüber, dass weder Jagdbomber noch Bomber der Staffeln Gold, Silber und Bronze im Einsatz waren. Vermutlich hielt man sie für den Fall zurück, dass die Akarii es doch noch zur Schlacht kommen ließen. Was weitaus merkwürdiger war, auch von der roten und schwarzen Staffel waren keine Maschinen im Einsatz. Die Nighthawks hatten einen ausreichend großen Aktionsradius, um gleichfalls Begleitschutz für die Formation zu fliegen. Und so wenig wie sie es zugegeben hätte, dass andere Maschinen außer den Falcons sehr nützlich seien könnten – zum Abfangen feindlicher Bomber waren die schweren Maschinen hervorragend geeignet. Sie winkte einen der Techniker zu sich.
„Sagen Sie, Ensign – wo sind die Maschinen von Staffel Schwarz und Rot?“
Dem Mann lag anscheinend viel daran, schnell wieder an seine Arbeit zu kommen: „Wir haben acht gestartet, mit Zusatztanks und Raketen. Die anderen werden einsatzbereit gemacht.“
Die Russin nickte knapp: „Haben Sie die Maschinen gesehen? Welche Muster trugen sie?“ Die Antwort war zwar recht unbestimmt, aber sie konnte sich genug zusammenreimen. Ehe der Techniker vielleicht misstrauisch werden konnte, brach Lilja das Gespräch ab.
Wenn dem Mann auffiel, wie nachdenklich Lilja bei seinen Auskünften wurde, ließ er es sich nicht anmerken. Auf ihren eher zerstreuten Dank hin machte er, dass er wegkam.
In Wirklichkeit arbeiteten Liljas Gedanken. Die Nighthawks waren nicht als Teil der Außensicherung abkommandiert worden – das hätte sonst in ihren eigenen Flugunterlagen gestanden. Immerhin musste sie wissen, mit wem sie zusammenzuarbeiten hatte. Zusatztanks und Raketen bedeuteten einen Langstreckeneinsatz, scharf am oder direkt im gegnerischen Gebiet. Und sie wusste jetzt, dass in jedem Fall Skunk, Cunningham, Ohka und Ace mit von der Partie waren. Das hieß, dass einige der besten Piloten – wenn auch nicht in jedem Fall die besten Soldaten, wie sie sarkastisch dachte – abkommandiert worden waren. Das war ein wenig viel Aufwand für eine simple Patrouille. Flüchtig überlegte sie, ob Cunningham hier seine handverlesene Killertruppe testen wollte. Aber sie selber war nicht dabei, und wenn es bei Ohka auch unklar war – auf Befehl würde der Japaner so ziemlich alles tun – so war sie sich sicher, dass man für so etwas nicht gerade Ace aussuchen würde.
Also entweder doch eine Langstreckenpatrouille – oder ein Sondereinsatz.
Lilja musste einen Fluch unterdrücken – das wurde ja immer schöner. Nicht nur, dass die Flotte vor den Rohren der Akarii paradieren würde. Man hatte auch noch einen Teil ihrer besten Piloten zu irgendeinem obskuren Manöver abkommandiert. Manchmal fragte sie sich wirklich, was sich „die da oben“ eigentlich dachten...
Aber dann zwang sie ihr Bauchgrimmen mit einem mentalen Kraftakt zurück. Sie hatte einfach keine Zeit um sich auch noch darüber Sorgen zu machen. Sie trug die Verantwortung für fünf Piloten, und damit auch für die Besatzungsmitglieder des Flottenverbandes. Und das war schon schwierig genug...
26.12.2015 09:54 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Themenstarter Thema begonnen von Cattaneo
Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Tyr

Goliath hatte nicht einmal die Spur einer Chance gehabt. Als er die anfliegende Rakete bemerkte, war es längst schon zu spät gewesen. Der Treffer war zuviel gewesen für seinen schon vom Kampf mit den Deathhawks angeschlagenen Jäger. Es kam einem Wunder gleich, dass er es rechtzeitig schaffte aus der abschmierenden Maschine auszusteigen, und dass sich der Fallschirm rechtzeitig öffnete. Unter den Piloten war es eine vertraute Binsenweisheit, dass die Raumjäger nur bedingt für die Notlandung – oder den Ausstieg – in der Atmosphäre geeignet waren.
Unter sich, vielleicht vier oder fünf Kilometer entfernt, sah Goliath seine Maschine aufschlagen und in einem Feuerball vergehen. Er…fühlte nichts dabei, noch nicht. Nicht mehr als bei dem fernen Anblick von zum Boden oder in den Himmel rasenden Flammenimpulsen, den Bränden und Explosionen, die die Akarii-Stellung und den Luftkampf markierten.
Es war kein gutes Wetter, um mit einem Fallschirm zu landen – der Wind ging böig, schaffte es problemlos, den auf dem zentnerschweren Pilotensitz festgeschnallten Mann hin und her zu schütteln, wie ein Spielzeug. Regenböen peitschten dem Piloten ins Gesicht. Goliaths Hände krallten sich in den Sitz. Wie weit noch bis zum Boden? Er konnte nichts sehen, Nichts! Hektisch drehte er seinen Kopf hin und her. War da… Instinktiv presste er das Kinn gegen die Brust und verschränkte die Arme, wie man es ihm beigebracht hatte.
Noch bevor er bewusst das richtig einordnen konnte, was da auf ihn zuraste, durchschlug der Pilotensitz auch schon das obere Blätterdach. Nur das massive Material des Sitzes beschützte Goliath vor schweren Verletzungen – ein normaler Fallschirmspringer wäre wohl kaum unbeschadet auf dem Boden angekommen. Aber auch so rissen die vorbeirauschenden Äste Goliaths Montur auf, peitschten ihm schmerzhaft über den Leib. Nur sein geschlossener Pilotenhelm verhinderte Verletzungen im Gesicht.

Der Aufprall auf den Boden hingegen war erstaunlich sanft. Der ‚Abstieg’ durch das Blätterdach hatte die Geschwindigkeit drastisch verringert, und zudem war der Boden sehr weich – eine fast einen halben Meter messende Schicht verfaulender Blätter.
Ein paar Sekunden war Goliath zu keiner Bewegung fähig, konnte nur keuchend nach Luft ringen. Dann aber griffen die in seiner Zeit beim Marines Corps erlernten Reflexe. Geübt, wenn auch etwas fahrig, löste er die Haltegurte, kam taumelnd auf die Beine und ging bei einem nahen Baum in Deckung, suchte hastig die Umgebung ab. Fast automatisch hatte er die H&K-Dienstpistole gezogen, deren Lauf nun den Bewegungen seiner Augen folgte. Aber er fand kein Ziel für seine Waffe. Er war alleine. Alleine. Als er die volle Bedeutung dieses Wortes begriff, musste er sich an dem Baumstamm abstützen, um nicht in die Knie zu gehen.

Niemand würde landen, um ihn abzuholen. Niemand. Nach dieser Mission würden die Akarii alarmiert sein. Es würde kein zweites Mal glücken, sich an den Planeten heranzuschleichen. Und für einen einzelnen Piloten, für einen First Lieutenant, würde die Columbia-Kampfgruppe auch ganz bestimmt keinen Großeinsatz fliegen. So etwas gab es nur in schlechten Filmen. Er war hier gestrandet.

Goliath versuchte die aufkeimende Panik zu unterdrücken. Panik und Angst konnten ihn genauso schnell töten wie eine Pistole an seiner Schläfe. Er musste nachdenken, seine Chancen kühl abwägen – und dann schnell handeln. Die Akarii hatten bestimmt gemerkt, dass er ausgestiegen war.
Sollte er in Gefangenschaft gehen? Kurz erwog der israelische Pilot den Gedanken, um ihn dann zu verwerfen. Er hatte genug gehört über die Art und Weise, wie die Akarii mit Kriegsgefangenen umgingen. Außerdem, auf diesem Planeten herrschte Bürger- und Guerillakrieg. Goliath wusste aus eigener Erfahrung, was das für die Behandlung von Kriegsgefangenen bedeuten konnte. Und wenn die Akarii zu der Ansicht kamen, die TSN würden die Rebellen unterstützen… Dann würden sie ihn foltern, um an Informationen zu kommen. Oder sie würden ihn gleich erschießen. Die Erdstreitkräfte hatten sich auf Pandora gegenüber Schmugglern ähnlich verhalten. Das war natürlich nicht sonderlich an die große Glocke gehängt worden, damit es kein unliebsames Medienecho gab. Aber die Soldaten hatten es alle gewusst, wie auf Pandora Krieg geführt wurde. Pandora…
Goliath hastete zu seinem Pilotensitz. Nach ein paar Augenblicken hatte er den automatischen Signalgeber gefunden, der eigentlich garantieren sollte, dass ein ausgestiegener Pilot in der Unendlichkeit des Weltalls gefunden werden konnte. Aber hier, wo der Himmel – noch – den Akarii gehörte, war ein solcher Sender nur ein Risiko. Also schaltete Goliath ihn ab. Gleichzeitig rasten seine Gedanken.
Was sprach für ihn? Was konnte er sich gut schreiben?
Nun, zuerst einmal war er nicht nur ein einfacher Pilot. Er hatte zum Marines Corps gehört, hatte die Grundausbildung absolviert. Er besaß Erfahrung, war auf Pandora schon einmal abgeschossen worden und hatte sich zu den eigenen Truppen durchschlagen müssen. Allerdings war dies hier nicht Pandora.
Er hatte seine Laserpistole, zwei Ersatz-Energiezellen und das Standart-Überlebenspack. Zusätzlich besaß er sogar ein altes Nachtsichtgerät aus seiner Zeit auf Pandora.
Andererseits wusste er fast gar nichts über die Flora und Fauna dieses Planeten. Und das konnte sich recht schnell als tödlich erweisen. Auch wenn die Akarii hier militärisch unter Druck standen, sie kontrollierten den Himmel, die Bevölkerungszentren und immer noch den größten Teil des Landes. Abgesehen von einigen Brocken in den gängisten Sprachen der Akarii hatte Goliath zudem keine Möglichkeit, sich mit den Rebellen zu verständigen, selbst WENN er sie finden konnte. Anderseits würden sie ihn natürlich auch nicht für einen Akarii halten können. Es waren nur ein paar Meilen bis zu den nächsten Akarii-Stellungen – und die würden nach dieser Nacht wahrscheinlich ziemlich sauer sein.
Aber eigentlich hatte er seine Entscheidung bereits getroffen. Kapitulation war keine Option. Genauso wenig war er bereit, einfach abzuwarten. Er war Kampfflieger, und er war ein Marine. Er würde sein Schicksal selber bestimmen.
Er schnallte sich das Überlebenspack auf den Rücken. Nahm den Helm ab. Setzte das alte Nachtsichtgerät auf. Kurz spürte er den Drang, noch einmal zum Himmel zu blicken. Dorthin, wo jenseits der Wolkendecke seine Kameraden ihre Maschinen zurück zur Columbia lenkten. Doch dann verbot er sich diese Schwäche. Das lag jetzt hinter ihm. Je schneller er das akzeptierte, desto größer waren seine Chancen, zu überleben. Dann, langsam, mit ausgreifenden und dennoch Kraft sparenden Schritten, machte sich First Lieutenant Ariel „Goliath“ Jogiches auf den Weg. Einen Weg, von dem er nicht wusste, wohin er ihn führen würde.
Schon nach wenigen Augenblicken hatte ihn der Dschungel verschluckt.
26.12.2015 09:55 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Themenstarter Thema begonnen von Cattaneo
Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Tyr

Die beiden Jäger entfernten sich vom Hauptpulk. Kali fühlte wie so etwas wie Nervosität in ihr aufstieg, und ärgerte sich darüber. Eigentlich sollte sie langsam über einem solchen Gefühl stehen, vor allem wenn die Mission nur ein simpler Bodenangriff auf ein paar Schützenpanzerwagen war.
Aber wenn dieser Angriff auf einem Planeten stattfand, dessen Himmel den Akarii gehörte, wenn die eigene Trägergruppe mehr als fünf Stunden entfernt war… Dann sah die Sache schon ganz anders aus.
„Na, dann wollen wir mal diese Schlammkriecher in den Arsch ficken.“ Skunks Stimme schnitt durch ihre Bedenken, trug allerdings nicht dazu bei, ihre Stimmung zu verbessern. Ausgerechnet mit ihm zu fliegen…
Vielleicht gerade wegen seinen ständigen Prügeleien mit Angehörigen des Marines Corps hatte Skunk deren Vokabular übernommen. Das nötige primitive Naturell für einen typischen Marines brachte er nach Kalis Meinung sowieso mit. Ihre Stimme klang bissig: „Ich kann mir vorstellen, dass du auf so was stehst.“ Am liebsten hätte sie sich allerdings auf die Lippen gebissen, denn die Retourkutsche kam prompt: „Hat dein Japs eigentlich schon mal…“ Sie ignorierte die nächsten Worte. ‚Dämlicher Idiot’.
Mit Skunk zu reden, war wie in einer Jauchegrube zu tauchen. Egal was man tat, man wurde immer schmutzig. Besser, sich auf den Einsatz zu konzentrieren: „Schlage vor, wir machen den ersten Anflug ganz dicht über die Baumwipfel. Dann steigen wir und gehen im Sturzflug noch mal ran. Was dann noch übrig ist…“
„Wer ist hier der Chef? Außerdem ist das doch logisch. Alles andere wäre Schwachsinn. Also runter mit der Straße. Ich will, dass dein Arsch eine Schneise in die Baumkronen fräst.“
‚MEIN Arsch geht dich gar nichts an.’ Aber das sagte sie nicht laut. Fürs Erste hatte sie genug von Skunks Footballspielerhumor. Deshalb beschränkte sie sich auf ein knappes: „Verstanden.“ Gleichzeitig drückte sie sachte, behutsam, den Steuerknüppel nach vorne. Gehorsam senkte sich darauf der Bug des Jägers nach Unten. Ihre Augen klebten förmlich an der Höhenanzeige. Das war Maßarbeit. Wenn sie sich verschätzte, wenn sie die Baumwipfel auch nur streifte… Nun, dann stand ihr ein langer Aufenthalt auf diesem Drecksball bevor, inmitten eines völlig außer Kontrolle geratenen Bürgerkrieges. Sie verdrängte den Ärger über Skunk, die Sorgen um Kano und ihr ungutes Gefühl gegenüber dem ganzen Einsatz. Jetzt gab es nur noch sie und diese Akariis am Boden. Deren Zeit nun abgelaufen war.
Die Nacht und die dichte, tief hängende Wolkendecke versperrten ihr die Sicht auf die endlosen Dschungel T’rrs. Sie war völlig von der Präzision und Zuverlässigkeit ihrer Bordinstrumente abhängig. Allerdings war einem Raumkampfflieger dieses Gefühl durchaus vertraut.
Kali wusste wenig über diesen Planeten, nur dass hier offenbar eine Rebellion im Gange war, und dass die tropischen, lebensfeindlichen Urwälder wichtige Rückzugsgebiete der Guerilla waren, in die sich loyale T’rr und Akarii nur ungern vorwagten. Noch eine halbe Minute. Sie ließ den Jäger noch etwas nach Unten sacken. Nur noch etwa zwanzig Meter trennte sie von dem in Dunkelheit und Nebelschwaden verborgenen Blätterdach. Sie würde sich auch beim Angriff völlig auf die Sensoren verlassen müssen. Kaum eine Chance, die Akarii mal richtig zu Gesicht zu bekommen. Die Sichtverhältnisse waren viel zu schlecht. Noch zehn Sekunden. Für die Akarii würde sie der Tod aus dem Nichts sein. Als wenn der Himmel selber beginnen würde, Feuer zu spucken. Sie lächelte kalt.

Auch wenn der Angriff auf die Akarii-Radarstation schon vor zwanzig Sekunden begonnen hatte, hatte noch kein Funkspruch die gepanzerte Bodeneinheit erreicht. Es waren sechs Hovercraft-Transportpanzer, die insgesamt eine Kompanie Infanterie transportierten und mit Schnellfeuerlasern und leichten Raketenwerfern bestückt waren.
Normalerweise hätten die Bordsensoren der Panzer die anfliegenden Jäger frühzeitig erfassen müssen. Aber das dichte Blätterdach und das schlechte Wetter verringerten die Reichweite und Zuverlässigkeit der Ortung. Außerdem war die Aufmerksamkeit der Panzerfahrer vor allem auf den bedrohlich schweigenden Dschungel gerichtet. Der Himmel hatte bisher weitestgehend den Akarii gehört. Auch wenn sie von der im System aufgetauchten Menschenflotte gehört hatten, sie vertrauten den Orbitalstationen und Kriegsschiffen in der Umlaufbahn. Die Gefahr am Boden, die Gefahr durch die scheinbar unsichtbar und doch immer präsenten T’rr-Rebellen, war eine viel unmittelbarere Bedrohung. So gab es keine Vorwarnung, als die beiden Raumjäger ihren ersten Angriff flogen.
Die ersten Salven waren von verheerender Wirkung. Die acht zu Boden rasenden Strahlenbahnen schienen die Nacht selber in Brand zu setzen, bohrten sich mit fast verächtlicher Leichtigkeit in einen, dann einen zweiten der Truppentransporter. Keiner der an Bord befindlichen Soldaten oder Fahrer hatte auch nur den Hauch einer Chance. Die meisten waren bereits tot, bevor sie überhaupt begriffen, was geschah, noch bevor die Treibstofftanks der Panzer explodierten, die Fahrzeuge zerrissen, Trümmerstücke über den Fluss und den Urwald verstreuten.

Während Kali ihren Jäger steil nach Oben riss, ihn in einem halben Looping wieder auf Angriffskurs brachte, sah sie, wie sich unter der Wolkendecke zwei Lichtblüten öffneten, expandierten , ohne jedoch die Wolken zu durchstoßen. Dann stießen die Jäger wieder hinab.

Doch jetzt war der Gegner nicht mehr überrascht. Auch wenn die Akarii nicht mit einem derartigen Angriff gerechnet hatten, die meisten waren Veteranen. Und wer auf T’rr diesen Status erreichte, der hatte gelernt, rasch zu reagieren. Außerdem waren die Panzer nur in einer lockeren Formation vorgerückt, statt ein kompaktes, unbewegliches Ziel zu bieten. Diesen Tatsachen hatten es die Akarii zu verdanken, dass es bei den chaotischen Ausweichmanövern der Panzer zu keinen Zusammenstößen kam.
Währenddessen eröffneten die Bordschützen das Feuer, die Laserkanonen fast senkrecht zum Himmel gereckt. Gleichzeitig stießen die Panzer IR-Täuschkörper aus, deren Wärmesignaturen feindliche Sensoren und Lenkwaffen verwirren sollten.

Kali währe beinahe zusammengezuckt, als die Strahlenbahnen der Akarii die Nacht durchschnitten und den Himmel über dem Schlachtfeld erleuchteten. Aber das Feuer war schlecht gezielt.
Jetzt waren die Jäger wieder heran, flogen den zweiten Angriff, diesmal im Sturzflug. Allerdings hatten sie so nur Bruchteile von Sekunden zum Feuern.
Deshalb war der zweite Angriff weniger erfolgreich. Kalis Bordkanonen spießten einen weiteren Transportpanzer auf, ließen ihn in einer gigantischen Explosion vergehen. Aber Skunks Angriff konnte einen vierten Panzer nur beschädigen, ließ das schwere Transportfahrzeug seitlich ausbrechen und auf das Ufer rammen. Aber fast im selben Augenblick flogen auch schon die Luken auf, und mit einer fast irreal wirkenden Geschwindigkeit booteten die Infanteristen und Panzerfahrer aus, warfen sich im Schlamm des Flusses oder im Schutz der Dschungelbäume in Deckung.
Skunks nächste Anflug pulverisierte nur noch ein leeres Wrack.

An vier Stellen brannte der Dschungel nun lichterloh. Wo die Strahlenbahnen der Energiewaffen und brennender Treibstoff Blätter und Holz berührt hatten, waren nun teilweise ebenfalls Sekundärbrände entstanden. Dazu kamen die IR-Täuschkörper. Skunk fluchte gotteslästerlich, als eine volle Lasersalve die Unterseite seines Jägers traf, und die Nighthawk durchrüttelte. Er hatte nicht einmal feststellen können, woher das Feuer kam: „Das reicht, verdammt! Wir verschwenden unsere Zeit! Die ein, zwei Panzer können auch nichts mehr machen! Los, komm schon, Mata Hari! Wir verschwinden!“
Nur Sekunden später richteten die beiden Raumjäger ihre Bugspitzen wieder auf den endlosen Sternenraum, der sie ausgespieen hatte, und verschwanden genauso plötzlich, wie sie erschienen waren.
26.12.2015 09:55 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Themenstarter Thema begonnen von Cattaneo
Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Tyr

Der Landeanflug war eine schwierige Angelegenheit. Der Pilot konnte sich nur auf seine Instrumente verlassen. Die Sicht war katastrophal, Wind und Regen hatten inzwischen bereits Sturmstärke erreicht. Zudem ging der Wind böig und unregelmäßig. Unter diesen Bedingungen musste der Recon Forces, der als Pilot fungierte, das schwere Transportshuttle sicher, schnell und präzise auf den Boden bringen. Jede Verzögerung konnte sich genauso verhängnisvoll auswirken, wie zu langes Zögern oder ein unsauberer Anflug. Zudem war das Zeitfenster nicht allzu groß. Die Landung war der Guerilla angekündigt worden, zusammen mit einer Anzahl möglicher Absatzpunkte. Das war notwendig gewesen. Aber wenn die Guerilla infiltriert worden war, wenn die Akarii den Funkspruch entschlüsselten…
Dann würden sie zwar landen können. Aber sie würden die Landung wahrscheinlich nicht lange überleben. Selbst wenn ihnen die Geleitjäger Feuerschutz gaben, sie würden es auf keinen Fall wieder zur Columbia schaffen. Und der Gegner wüsste dann natürlich genau, wo sie wären.
Ursprünglich war es auch erwogen worden, die Recon Forces abspringen zu lassen, aber man hatte sich dagegen entschieden. Das Risiko von Sprungverletzungen war zu groß, außerdem bestand die Gefahr, dass Material verloren ging, oder die Springer zu verstreut landeten. Eine Landung verlangte zwar ebenfalls Präzisionsarbeit, aber so konnte auch mehr Material auf den Boden gebracht werden.

Es waren nur noch ein paar Minuten bis zur Landung. Major Hands ließ seinen Blick über die Männer und Frauen seiner Einheit wandern. Sie trugen bereits die Einsatzhelme mit integrierten Nachtsichtgeräten. Zusammen mit den Panzeranzügen ließ dies die Soldaten aussehen wie eine Sturmgruppe Kampfroboter, anonym, emotionslos. Aber Hands wusste nur zu gut, dass sich unter den Panzerplatten und Ausrüstungsteilen immer noch Menschen verbargen, mit ihren eigenen Ängsten, Schwächen, Stärken und Wünschen – egal, was man über die Mitglieder der Recon Forces sagte.
Noch eine Minute. Er erhob sich. Auch wenn die Guerilla sie eigentlich erwarten, wenn der Feind die LZ eigentlich nicht kennen sollte – es würde dennoch eine Landung unter Gefechtsbedingungen werden. Wenn an der Landestelle Akarii oder ‚loyale’ T’rr im Hinterhalt lagen, dann wollte Major Hands zumindest, dass seine Soldaten ihr Leben so teuer wie möglich verkauften.
„Luken gehen auf. Wir landen!“
Der Major rückte sein Lasergewehr zurecht, während er auf die Beine kam. Abrupt verstärkte sich der Sinkflug, jetzt sackte das Shuttle fast senkrecht zu Boden. Die Luken öffneten sich. Kein Licht drang ins Freie, denn schon vor einer Viertelstunde war die Innenbeleuchtung gelöscht worden, damit sich die Augen der Recon Forces an die Dunkelheit anpassen konnten. Major Hands stieß zischend die Luft aus, als er sich in die Dunkelheit warf. Noch bevor die Landekufen des Shuttles vollständig den Boden berührten, waren bereits vier Soldaten ausgeschwärmt, sicherten die LZ. Vier weitere Soldaten folgten ihnen unmittelbar. Dieser Trupp, zwei Sniper, zwei Gunner mit MG-Schnellfeuerlasern und vier Schützen, bildeten den Verteidigungsschirm. Währenddessen begannen die anderen Recon Forces damit, die für die Guerillas bestimmte, zusätzliche Ladung auszuladen. Wenn allerdings die Guerillas nicht kamen…


Der Major starrte über das Visier seines Lasergewehrs in die Dunkelheit. Jetzt, da die Landung erfolgt war, stellte er zufrieden fest, dass die vorher an ihm nagende Unruhe verschwunden war. Er hatte diese Phase immer schon gehasst. Solange er in der Luft war, war er völlig abhängig von dem Piloten, von den Geleitjägern. Als wäre er nur ein Passagier, oder ein Frachtstück. Jetzt aber, da er am Boden war, er wieder selber aktiv werden konnte, kehrte die kalte Ruhe und vertraute Anspannung zurück, die ihm auf dutzenden Planeten, in zahllosen Missionen, ein vertrauter Begleiter gewesen war.
Nach der auf seinem Helmdisplay eingeblendeten Anzeige waren sie relativ präzise, hatten den angesetzten Zeitpunkt nur um etwa eine Stunde verfehlt. Für eine Luftlandemission war das nicht einmal unbedingt viel, konnte aber unter ungünstigen Umständen das Aus bedeuten.
Auf jeden Fall sollten diese verdammten Guerillas eigentlich schon da sein. Wo blieben sie nur?
„Drei für Eins…“ das war einer der anderen Wachposten. Die Stimme der Frau klang leise, eindringlich. Auch über die Funkverbindung spürte Major Hands die Alarmiertheit der Soldaten: „…da hat sich etwas bewegt.“
„Was ist das für eine Meldung? Kann es ein Akarii sein?“
„Ich weiß nicht. Es war nur ein Schatten…“
Major Hands hätte am liebsten geflucht. Es fehlte nur noch, dass seine Leute anfingen, Gespenster zu sehen: „An Alle – NICHT feuern, außer der Gegner wird einwandfrei identifiziert!“ Er ließ seine Augen wieder über seinen Abschnitt wandern – und hätte beinahe nach Luft geschnappt. Scheinbar aus dem Nichts war da eine einzelne Gestalt aufgetaucht. Eine schlanke Silhouette, humanoid, doch eindeutig nicht menschlich. Ein Akarii war es jedenfalls nicht, es fehlte der Schwanz. Das musste ein T’rr sein. Aber war das ein Guerilla, oder ein Loyalist? Major Hands fühlte, wie sich sein Puls beschleunigte: „Volle Deckung! Deckung! Es wird NICHT geschossen!“
Die nächsten Sekunden würden entscheidend sein. Während Hands die einzelne Gestalt, die mit einer unheimlich wirkenden Ruhe dem niederprasselnden Regen trotzte, anvisierte, verstellte er sein Headcom auf eine bestimmte Frequenz: „Recon…Recon…Recon.“
Die Antwort war nur ein Flüstern, doch schnitten die leisen, zischend hervorgestoßenen Worte auf Drom wie ein glühendes Messer durch Major Hands Gedanken: „Kadmos…Kadmos.“ Das war das vereinbarte Signal. Aber er war noch nicht ganz überzeugt, ein Rest von Misstrauen und Wachsamkeit blieb. Es kostete Major Hands Überwindung, die Deckung zu verlassen, aufzustehen, auf den T’rr zuzugehen. Es kostete Überwindung, vor allem die ersten Schritte. Der T’rr wartete. Seitdem er so plötzlich aufgetaucht hatte, schien er sich keinen Fingerbreit bewegt zu haben. Jetzt aber hob er langsam den linken Arm, die vier klauenbewehrten Finger ausgestreckt. Er winkte, eine seltsam ritualisiert wirkende Geste. Wie die meisten Mitglieder seiner Rasse war er sehr schlank, mit einem nur rudimentären Schwanz, einem recht menschenähnlich geformten Schädel, aber großen, schlangenhaft wirkenden Augen, deren gelbliche Pupillen keine Schwierigkeiten mit der Dunkelheit zu haben schienen. Diesmal war es der T’rr, der zuerst das Wort ergriff: „Sie sind spät, Menschensoldat. Wir hätten uns schon fast zurückgezogen, als wir die Nachricht auffingen, dass Sie die Radarstation bei Tiamar angreifen.“
„Sie hören den Akarii-Militärfunk ab?“
Der T’rr öffnete seinen Mund unnatürlich weit, entblößte dabei Fangzähne, die einem terranischen Jaguar zur Ehre gereichen würden und schloss den Mund ruckartig wieder. Major Hands brauchte einen Augenblick, um zu realisieren, dass dies wohl die T’rr-Variante eines Lachens war: „Natürlich tun wir das, Menschensoldat. Die meisten meiner Kämpfer haben bei den Akarii kämpfen gelernt. Die Gefechtscodes sind relativ simpel.“
Die fast schon arrogant zu nennende Sicherheit seines Gegenübers hätte Major Hands beinahe verärgert. Immerhin waren sie hierher gekommen, um den T’rr zu helfen. Aber er war zu sehr Profi, sich das anmerken zu lassen: „Zu welcher Einheit gehören Sie?“
„Zur zehnten unabhängigen Brigade des Widerstands. Ich bin Kommandant Muranor. Nehmen Sie diese Information als Zeichen meines Vertrauens.“ Wenn das stimmte, was Major Hands über die größeren Guerillagruppen wusste, so bedeutete dies, dass er es mit einer jener Kolonialeinheiten zu tun hatte, die noch zu Beginn des Menschlich-Akariischen Krieges formal loyal zu den Akarii gestanden hatten, dann aber im Verlauf des eskalierenden Aufstandes überliefen und inzwischen die Kerntruppen des Aufstandes bildeten. Eine Brigade, das bedeutete fünfhundert bis zweitausend Kämpfer in mehreren Kommandos.
„Ich nehme an, Sie können Hilfe gebrauchen bei dem Transport ihres Materials?“
„Ja, Hilfe könnten wir gebrauchen. Wenn Sie ihre Männer kontaktieren könnten…“
Wieder ließ der T’rr sein beunruhigendes Gebiss klacken: „Meine Männer – und meine Frauen – sind bereits da, Menschensoldat.“
Und mit einmal wurde der Urwald lebendig. Unwillkürlich fühlte Major Hands, wie ihm die Kinnlade herabsackte. Er hatte das gesichtet, was über die T’rr bekannt war, hatte sogar einige abgefangene Berichte der Akarii-Truppen gelesen. Dennoch…
Der selbst in der Nacht für einen Menschen unnatürlich warme Dschungel von T’rr machte die Aufspürung der recht ‚kaltblütigen’ T’rr mit Infrarotsensoren zu einem undankbaren Unterfangen. Das grüne Schuppenkleid der Echsen verschmolz beinahe perfekt mit dem Hintergrund. Nur die gelben Schlangenaugen stachen vor dem Hintergrund hervor. Aber die Guerillas hatten sich nicht nur auf ihre natürliche Anpassung verlassen. Zusätzlich hatten sie an ihren grün gefleckten Tarnuniformen Zweige und Blätter befestigt. Selbst ihre Waffen waren mit grünbraunen Stofffetzen getarnt. Das Ergebnis war mehr als beunruhigend, vor allem angesichts der unheimlichen und eindeutig unmenschlichen Geschicklichkeit und Lautlosigkeit, mit der sich die Kämpfer bewegten. Kaum ein Zweig schien sich zu regen, kein Ast knackte, als würde eine Armee von Geistern vorrücken. Ein paar Augenblicke war die ganze Situation in der Schwebe, als die alarmierten Recon Forces zwischen Überraschung und Misstrauen schwankten – aber dann schaltete sich Hands ein: „Alles klar. Wir sind unter Freunden. Weitermachen.“ Im Stillen war er ebenso beeindruckt, wie verärgert. Aber dann erinnerte er sich daran, dass bei den T’rr, und vor allem bei ihren Streitkräften, eine recht arrogante Haltung gang und gäbe war, vermutlich auch, um die als Schmach empfundene Akarii-Herrschaft zu kompensieren. Der Guerilla-Kommandeur hatte sich als gleichwertig präsentieren, die Fähigkeiten seiner Kämpfer demonstrieren wollen. Und das war ihm auch gelungen.

Die Bewaffnung der Guerillas war allerdings weniger beeindruckend. Etwa zwei Drittel trug moderne Lasergewehre. Der Rest war mit völlig veralteten Modellen oder gar recht primitiv wirkenden Waffen auf Luftdruck- oder Schießpulverbasis ausgerüstet, die vermutlich sonst zur Jagd oder dem Sport dienten. Ansonsten hatten sie offensichtlich selbstgebaute Handgranaten, einen älteren Schnellfeuerlaser und einen fast vorsintflutlich wirkenden Flammenwerfer. Wenn diese Truppe schon zum Gutteil aus ehemaligen Kolonialsoldaten bestand, verhieß das nichts Gutes für die Ausrüstung anderer Einheiten. Allerdings hatte jeder Guerilla mindestens eine Klingenwaffe, wobei das Spektrum von Kommandodolchen bis zu regelrechten Kampfschwertern reichte. Major Hands fiel ein, dass in der T’rr-Kultur dem Nahkampf eine besondere Bedeutung zumaß. Gegnerische Kämpfer – Akarii oder loyale T’rr – wurden häufig geköpft.
Die ungefähr dreißig Guerillas machten sich auf ein paar knappe Befehle ihres Kommandeurs sofort daran, den Recon Forces zu helfen. Die Guerillakämpfer und –kämpferinnen, fast die Hälfte des Trupps bestand offenbar aus Frauen, arbeitete ebenso schnell wie konzentriert. Und fast völlig lautlos. Wenn sie darüber überrascht oder erfreut waren, dass die Menschen Drom oder Hara und sogar einige Brocken T’rr beherrschten, dann zeigten sie es nicht.

Kaum eine dreiviertel Stunde später war selbst der letzte Rest an Ausrüstung ausgeladen und auf die Rücken von T’rr oder Menschen verteilt worden. Dabei schulterten die Echsen Lasten, die sogar Hands beeindruckten. Zwar waren diese Kämpfer zweifelsohne zum größten Teil ehemalige Soldaten, aber er begann sich zu fragen, wozu diese Bande kaltblütiger Dschungelkämpfer ihn überhaupt brauchten.
Aber diese Frage konnte er sich selber beantworten. Die erfahrenen Guerillas und meuternden Kolonialtruppen brauchten wahrscheinlich wenig taktische Unterstützung. Aber natürlich würden diese Männer und Frauen nicht ausreichen, wenn der Widerstand in einer Art und Weise expandieren wollte, die ihm es ermöglichen sollte, in absehbarer Zeit auf diesem Planeten eine militärische Wende herbeizuführen. Dazu brauchten sie modernes Gerät: Waffen, Kommunikationstechnik, Gefechtssensorik. Material, das die Guerilla in ausreichender Menge weder stehlen noch selber produzieren konnten. Die Erdrepublik war bereit zu helfen. Hands Abteilung und das Material, das er mitbrachte, sollte nur eine erste Lieferung sein. Es war geplant, dass viele weitere folgen sollten. Die Recon Forces sollten dies vorbereiten, die Chancen und Möglichkeiten ausloten. Außerdem waren die Recon Forces natürlich auch ein Signal. Ein Signal an die Akarii, die begreifen sollten, dass sie es nicht mehr nur mit den T’rr alleine zu tun hatten. Ein Signal an die loyalen T’rr und die indifferent eingestellte Zivilbevölkerung, dass der Widerstand eine neue Qualität erreicht hatte, dass das Kriegsglück sich gegen die Akarii wendete. Ein Signal an die Guerillas, dass sie nicht alleine waren. Dass die Republik sich für sie engagierte. Dass das Versprechen einer neuen, strahlenden Zukunft für T’rr als ebenbürtige Verbündete der Republik und der Konföderation ernst gemeint war. Und die Recon Forces waren natürlich auch ein Signal an all jene anderen unterworfenen Völker, die das Joch der Akarii abschütteln wollten. Die Republik konnte ihnen helfen – sie war sogar bereit, Truppen zu stellen.

Außerdem erhoffte die Führung sich von den Recon Forces, dass sie verlässlichere Informationen über die verschiedenen, teilweise konkurrierenden, Guerillas liefern würden. Wo möglich sollte eine Einheitsfront geschaffen werden. Daneben aber sollte es auch den Planern und Strategen der Erdstreitkräfte leichter fallen, aufs ‚richtige Pferd zu setzen’ – jene Guerillaführer zu identifizieren, die sich als ‚privilegierte Partner’ anboten.
Aber das lag alles noch in ferner Zukunft. Zuerst einmal mussten sie überleben. Sie mussten sich den ziemlich wahrscheinlich einsetzenden Suchmaßnahmen der Akarii entziehen. Kontakt zu den anderen Guerillagruppen knüpfen. Und den T’rr, die Fremden gegenüber mindestens ebenso arrogant aufzutreten pflegten, wie es bei Menschen und Akarii der Fall war, ihren Wert beweisen. Und das bedeutete, sie würden kämpfen müssen. Ihre Chancen standen nicht allzu gut, das wusste Major Hands. Wenn ihn das beunruhigte, dann ließ er sich das nicht anmerken, verbarg es sogar vor sich selbst. Bevor die Kolonne aus T’rr und Recon Forces abrückte, machten die Menschen noch die kleinen Initialsprengladungen an den Treibstofftanks des Shuttles scharf. In vier Stunden würden sie zünden, oder wenn jemand das Shuttle betrat. Es würde nichts übrig bleibenden von der Sturmfähre, als rauchende Trümmer. Den Akarii sollte es so unmöglich gemacht werden, aus einer Untersuchung des Shuttles irgendwelche Rückschlüsse über die Ladung des Shuttles oder seine Insassen zu gewinnen. Aus dem gleichen Grund, um etwaige Verfolger zu irritieren, marschierten die Recon Forces jeweils in den Fußstapfen des Vordermanns. Die Abstände zwischen den Soldaten waren groß, mindestens fünf Meter. Das Tempo war hoch – momentan kam es darauf an, einen gewissen Sicherheitsabstand zu der Absatzstelle zu gewinnen. Jeder weitere Kilometer erschwerte den vielleicht schon jetzt ausschwärmenden Suchkommandos der Akarii ihre Arbeit. Der Kampf der Recon Forces um T’rr hatte begonnen. Und wenn es nach Major Hands ging, dann sollten die Akarii bald erfahren, dass eine neue Karte im Spiel war…
26.12.2015 09:56 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Themenstarter Thema begonnen von Cattaneo
Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Tyr

Kurz fühlte Kano so etwas wie Enttäuschung, aber auch Ärger in sich aufsteigen. Warum erhielt Ace das Kommando – und nicht er? Gewiss, Ace war wesentlich früher in die Streitkräfte eingetreten. Aber nach seiner schweren Verwundung war er für einen langen Zeitraum ausgefallen. Außerdem war sein Verhältnis zu Cunningham nur als problematisch zu bezeichnen. Also warum gab Cunningham ihm jetzt den Vorzug? War er vielleicht der Meinung, dass Ace trotz allem mehr Führungsqualitäten und Kampferfahrung hatte? Oder hatte der Commander Kanos Zweifel betreffs des Sondereinsatzes gegen Prinz Jor durchschaut, oder wusste sogar, dass Kali etwas von der geplanten Ermordung der Schiffbrüchigen ahnte?

Aber dann schalteten sich wieder die inzwischen wohl vertrauten Kampfreflexe ein. Der Angriff auf die Radarstation lief erstaunlich leicht ab. Gegen den Überraschungsangriff aus drei Richtungen hatten die Akarii keine reale Chance. Die eigentlichen Probleme begannen aber bereits, als die Radarstation von den Strahlenkanonen in Schutt und Asche gelegt wurden. Trotz der Warnung von Cunningham wurden sie von den aufsteigenden Deathhawks und dem Flugabwehrfeuer der Akarii überrascht. Die verschiedenen Anflugvektoren der Nighthawks erlaubten es den Akarii, sich auf Goliath zu konzentrieren, und ihn auf den Boden zu schicken. Als die anderen drei Jäger zur Stelle waren, war es bereits zu spät.

Ein paar Sekunden lang geschah überhaupt gar nichts. Die fünf Deathhawk formierten sich, wagten sich aber noch nicht näher. Und auch die drei verbliebenen Nighthawk unternahmen keinen Anflug, ließen ihre Maschinen in einem vagen Parallelkurs zu den Deathhawk aufsteigen. Aber der scheinbare Frieden war nur von kurzer Dauer. Vielleicht hatte der Kommandant der Akariiflieger einen entsprechenden Befehl erhalten. Vielleicht rechnete er sich mit einer fünf-zu-drei Überlegenheit gute Chancen aus. Vielleicht war er auch nur besonders ehrgeizig. Auf jeden Fall entschloss er sich zum Angriff.

Aber es waren nicht die Akariiflieger, die das Gefecht eröffneten.
Es begann mit einer vollen Salve von den Bodenstationen. Die Flugabwehr des Feldflugplatzes feuerte ihre Raketen fast auf maximale Reichweite ab. Die Nighthawk hatten Zeit genug, Täuschkörper abzuwerfen und Ausweichmanöver zu fliegen. Aber ihre Aufmerksamkeit war dennoch abgelenkt, ihre Formation durcheinander gebracht. Die schnellen Deathhawk nutzten diese Chance, beschleunigten auf Angriffsgeschwindigkeit. Zwei der Jäger versuchten, Ace in die Zange zu nehmen, während die verbliebenen drei Akarii sich auf Crusader und Kano stürzten. Die Deathhawk waren wendiger als die Nighthawk, verfügten allerdings über deutlich schwächere Schilde und Panzerungen, und waren nur mit drei Bordkanonen bewaffnet.

Der Angriff traf die TSN-Piloten nicht überraschend, aber dennoch waren die Akarii momentan in einer besseren Position. Während sich Ace nur mit einer Hochgeschwindigkeitswende aus dem Kreuzfeuer seiner beiden Verfolger retten konnte, hatte Kano weniger Glück. Der Angriff erwischte ihn, als er gerade wieder auf Generalkurs gehen wollte. Treffer ließen die Schilde des Nighthawk aufglühen, und rüttelten die Maschine durch. Ruckartig stieß Kano den Steuerknüppel nach vorne, ließ die Maschine wie einen Stein zu Boden sacken. Zwei Deathhawk folgten ihm, aus allen Rohren feuernd, während der dritte Jäger mit Crusader kurbelte. Während Kanos Maschine dem Boden entgegenraste, überschütteten ihn seine Verfolger mit Feuer. Zu seinem Glück zielten sie nicht besonders gut. Die meisten Schüsse verfehlten ihr Ziel, trafen das Blätterdach des Urwalds, setzten es in Brand. Kano biss die Zähne zusammen, drückte den Steuerknüppel noch weiter nach vorne. Das grüne Meer des Urwalds kam immer näher. Buchstäblich im letzten Moment riss Kano den Steuerknüppel zurück, brach den fast selbstmörderischen Sturzflug ab. Kurz wurde ihm schwarz vor Augen, und eine mörderische Kraft schien ihn in den Sitz zu pressen. Aber wenn auch den Deathhawk-Piloten Kanos Flugerfahrung fehlen mochte, das Manövrieren in der Atmosphäre beherrschten sie. Sie ließen sich nicht abhängen, verringerten vielmehr den Abstand. Mehrere Treffer schüttelten die Nighthawk durch, schwächten die Schilde. Langsam wurde Kanos Lage kritisch: „Crusader! X-Manöver!“ Zu mehr als diesen hervorgestoßenen Worten reichte es nicht. Er konnte nur hoffen, dass Crusader sie richtig interpretierte. Sie waren schon früher zusammen geflogen. Aber das war lange her, erst seit der Umbesetzung der Staffel vor etwa einer Woche flogen sie wieder in einem Flight. Nun, wie auch immer, er würde es jetzt herausfinden. Kanos Hand verkrampfte sich um den Steuerknüppel, als er den Knüppel immer weiter zurückzog, der Steigewinkel der Maschine immer steiler wurde. Schon hatte er die Flughöhe überschritten, auf der Crusader mit seinem Gegner kurbelte. Die beiden Deathhawk blieben an seinem Heck hängen wie festgeklebt, auch als sich die Nighthawks förmlich auf den Rücken legte.
Crusader hatte durchaus verstanden, was Ohka vorhatte. Er hatte das gemeinsam durchexerzierte Manöver nicht vergessen. Als er sah, wie die Maschine des Japaners seine Flughöhe passierte, war er bereit. Seine Augen folgten jeder Bewegung der Nighthawk. Kano ging in die Rückenlage…


Die beiden Deathhawk-Piloten waren Veteranen des Kolonialkrieges. Das bedeutete, sie waren mit dem Einsatz in der Atmosphäre vertraut. Aber andererseits hatten sie keine Erfahrung mit Jägergefechten. Die T’rr hatten keine Jäger, nicht einmal Atmosphärenmodelle, abgesehen von einigen Privatmaschinen und leichten Schwebern, die zum Luftkampf nichts taugten, und für Verbindungsflüge, höchstens als improvisierte Schlachtflieger eingesetzt wurden. Und deshalb versäumten sie es, sich ausreichend den Rücken zu decken. So waren sie es, die diesmal überrascht wurden.
Crusader schlug im selben Augenblick zu, als die beiden Deathhawk bei der Verfolgung von Kanos Maschine ebenfalls in der Rückenlage zum Horizontalflug übergingen. Die zwei Plasma- und die zwei Tachyonengeschütze überschütteten die vordere der Verfolgermaschinen mit einem wahren Sturm der Vernichtung, der von zwei Amraam-Sofortfeuerraketen begleitet wurde. Der Akarii reagierte um ein paar entscheidende Sekundenbruchteile zu langsam, auch weil er gerade in der Rückenlage flog. Seine Maschine wurde förmlich in der Luft zerrissen. Die brennenden Wrackteile schlugen auf einer Fläche von mehr als einer Quadratmeile verstreut auf, und entfachten zahlreiche kleine Brände.

Notgedrungen sein Leben auf Crusaders Können setzend, hatte Kano das Manöver angefangen. Und in dem Augenblick, als sich einer seiner Verfolger in einer Wolke expandierender Trümmer auflöste, führte er das Flugmanöver zu Ende. Immer noch in der Rückenlage fliegend, riss er jetzt den Steuerknüppel noch weiter zurück, vollendete den Bogen – und zielte jetzt mit Bug seiner Maschine in den Flugvektor, den Crusaders Maschine gerade passierte – verfolgt von einer Deathhawk. Mit zusammengepressten Lippen drückte Kano auf die Auslöser der Bordkanonen und schickte zwei Sparrows los.
Der Akarii-Pilot hatte nur wenig mehr Glück als sein Kamerad. Zwar warnte ihn der Raketenalarm gerade noch rechtzeitig – aber da wurde seine Maschine bereits von den Treffern aus den Bordgeschützen des TSN-Jägers durchgeschüttelt. Seine Abwehrmaßnahmen kamen zu spät. Zwar trafen die Raketen den Deathhawk nicht direkt, aber eine der Raketen explodierte praktisch direkt neben der Maschine, brachte die ohnehin nicht sehr starken Schutzschilde zum kollabieren. Die nächste Salve aus den Bordgeschützen der Nighthawk schlugen voll in den Rumpf des Abfangjägers, ließen den ‚Todesfalken’ zu Boden trudeln. Der Pilot rettete sich mit dem Fallschirm, kurz bevor die Maschine in dem endlosen grünen Meer aufschlug.
Der Akarii hatte überlebt – vorerst. Jetzt musste er allerdings darum beten, dass die eigenen Leute ihn fanden, und nicht die T’rr-Rebellen. Ohne eine effektive Luftabwehr gegen die Akarii-Flieger, konnten die T’rr sich nur auf Tarnung und Beweglichkeit verlassen. Und verfolgten die Mitglieder der Akarii-Luftstreitkräfte mit einem fast schon pathologisch zu nennenden Hass.

Der verbliebene Akarii-Jäger erkannte, dass das Blatt sich gewendet hatte, und entzog sich mit Hilfe seines Nachbrenners dem Gefecht. Kano sah sich nach Ace um – und sah, wie dessen zwei Gegner sich ebenfalls absetzten. Eine der beiden Maschinen schien beschädigt. Im gleichen Augenblick drang Commander Cunninghams etwas arrogant wirkende Stimme über Funk: „Wir sind da. Zeit, zu verschwinden.“ Dann setzte er mit einer etwas sarkastisch klingenden Stimme hinzu. „Eier im Nest. Die Kücken sind geschlüpft.“ Die beiden heranrasenden Jäger schlossen sich den überlebenden drei Maschinen der Fliegergruppe an, die die Radarstation angegriffen hatte.
Kano zögerte kurz, aber dann fragte er doch: „Was ist mit Kali…?“
„Ebenfalls bereits auf dem Abflug. Und jetzt genug geschwatzt! Oder wollen Sie hier Wurzeln schlagen?“ Diese Worte hatten allerdings einen bitteren Beiklang. Auch wenn keiner der Piloten es aussprach, noch nicht – ihre Gedanken waren bei Goliath. Und manchen Piloten packte das kalte Grauen, wenn er das Schicksal bedachte, das ihren Kameraden erwarten mochte. Aber sie konnten nichts tun. Gar nichts. Während die Maschinen in Richtung Weltraum beschleunigten, waren es nicht nur Kanos Augen, die wieder und wieder zurückkehrten zu dem fernen, immer weiter zurückbleibenden, grünen Baummeer unter ihnen…
26.12.2015 09:57 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Themenstarter Thema begonnen von Cattaneo
Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Tyr

Die Kommandozentrale der Akarii-Marine von T’rr befand sich nicht auf der Oberfläche des Planeten, sondern auf einer der Orbitalstationen. Dieser Standpunkt galt als sicherer – vor allem, da nicht einmal loyale T’rr hier Zugang hatten. Die meisten Marineoffiziere hielten wenig von dem Dienst im T’rr-System. Die Blockadeoperationen und die gelegentlichen Bodenunterstützungseinsätze galten als wenig ruhmreich. Und nicht wenige Marineangehörigen sahen auch einem Landgang mit eher gemischten Gefühlen entgegen. T’rr war nie ein Planet gewesen, der für seine Amüsiermeilen berühmt war. Und seitdem der Aufruhr völlig außer Kontrolle geraten war, trauten sich viele Akariis nur noch in Gruppen in die ‚Vergnügungsviertel’. Horrorgeschichten über Rebellenhinterhalte, Prostituierte, die ihre Akarii-Kunden verrieten oder ermordeten, oder gezielt mit Krankheiten ansteckten, über vergiftetes Essen und Trinken, vergällten sogar vielen Marineinfanteristen den Aufenthalt. Und Soldaten, die verunsichert waren, reagierten oft über. Aber inzwischen schlugen die T’rr regelmäßig zurück. Als Reaktion darauf waren ganze Viertel zu No-Go-Areas für Akarii-Soldaten geworden. Viele Angehörige der Marine waren ohnehin der Meinung, dass der Planet den Ärger nicht wert war, ihn zu halten. Einige befürworteten eine „generelle Lösung“ des Problems durch Orbitalbombardement, aber die Führung der Akarii hielt eine solche Vorgehensweise für momentan politisch unangebracht. Die zivile Verwaltung und die Armee lehnten sowohl Räumung als auch Zerstörung ohnehin definitiv ab, auch wegen der befürchteten Wirkung auf andere Kolonialplaneten – vor allem die Planeten, wo ebenfalls T’rr lebten und wo oftmals ebenfalls Widerstandsgruppen operierten. Deshalb war T’rr einer der Planeten mit der größten Garnisonsflotte in diesem Sektor. Auch wenn es hier keine Golf-Kreuzer oder Flottenträger gab, von kleinen Patrouilleschiffen (de facto bis zur Grenze ihrer Tragkraft mit Raketenwerfern und Strahlenkanonen aufgerüsteten großen Transportfähren) bis hin zu Schweren Kreuzern war so ziemlich jede Einheit vertreten. Und das Kommando über diese Schiffe führte immerhin ein Admiral Zweiten Ranges, auch wenn er dem Gouverneur und dem planetaren Armeegeneralstab untergeordnet war. Admiral Mokas Taran war noch relativ jung, und trotz seiner guten Noten auf der Flottenakademie und seinen Dienst in der Admiralität hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass er seinen Rang nur seiner Herkunft aus der entfernten Verwandtschaft der Herrscherfamilie zuschreiben konnte. Und seine Abkommandierung nach T’rr verdankte er angeblich dem Scheitern gewisser politischer Winkelzüge in Zusammenhang mit der ‚Rebellion der Admiräle’ vor einigen Jahren, die sich gegen die Führungsrolle des Kronprinzen gerichtet hatte. Es war jedenfalls kein Geheimnis, dass er Prinz Jor verabscheute.

Momentan stand der Admiral Zweiten Ranges hoch aufgerichtet vor der riesigen Holoanzeige, die die Bewegungen der Akarii-Schiffe und der im System aufgetauchten Erdflotte zeigte. Allerdings richtete sich Mokas Tarans Aufmerksamkeit nicht auf die Darstellung der feindlichen Flotte. Stattdessen konzentrierte er sich auf den General der Marineinfanterie, Vorok Liat. Liat war im Gegensatz zu Taran mit jeder Faser seines Leibes Berufsoldat, erfahren in zahllosen Gefechten und Veteran mehrerer Kolonialkriege. Er war fast doppelt so alt wie Admiral Taran. Trotz dieser Unterschiede kamen die beiden Offiziere relativ gut miteinander aus. Trotz mancher persönlicher Fehler und Schwächen war der Admiral klug genug, auf die Ratschläge des Generals zu hören.

Im Augenblick allerdings gab der General keine Ratschläge zum Besten, sondern schien selber etwas verwirrt: „Ich verstehe kein Wort. Fliegereinheiten der Menschen sollen angeblich an einem halben Dutzend Punkte Angriffe auf Bodenziele geflogen haben. Irgendjemand sagte sogar etwas von Luftlandetruppen. Und das alles ausgerechnet in General Wanks Sektor.“
„Ich versuche schon andauernd, zu ihm durchzukommen. Aber irgendwie…“
Der General grinste schief: „Vielleicht sind sie ihm in die Suppe gesprungen.“
Kurz erwiderte Admiral Taran das Grinsen: „Das könnte Ihnen so passen!“
„Admiral! Gouverneur Maran auf Leitung Vier!“ Der Admiral hätte am liebsten die Augen verdreht, aber er unterdrückte diese Anwandlung, drehte sich um, und strich automatisch seine Uniform glatt: „Auf den Schirm.“

Der Gouverneur hielt sich nicht mit Smalltalk auf: „SIE HABEN VERSAGT! WIE KONNTE DAS PASSIEREN?!“
Der Kopf des Admirals zuckte hoch. Seine Stimme klang gepresst: „Die Abwehr einer potentiellen Invasion oder eines Großangriff hatte unbedingten Vorrang. Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie einer anderen Meinung waren. Sie haben sogar verlangt, dass die Flotte sich auf die Schwerpunktverteidigung von Industriekomplexen und Militärlagern vorbereitet. Außerdem verstehe ich Ihre Beunruhigung nicht. Es handelt es sich bei den angreifenden Einheiten, die sich offenbar im Schutz des Asteroidengürtels herangeschlichen haben, nur um sehr begrenzte Kräfte. Unsere Sensoren nach keinesfalls mehr als ein bis anderthalb Staffeln, selbst nach großzügigen Schätzungen. Der Umfang und Turnus der von der feindlichen Flotte geflogenen Aufklärungs- und Patrouilleeinsätze beweist die Korrektheit unserer Sensordaten. Mehr als die georteten Einheiten KANN der Feind gar nicht entsandt haben. Und ein, höchstens anderthalb Dutzend Kampfflieger haben nur ein sehr begrenztes Vernichtungspotential, zumal sie am äußersten Rand ihrer Einsatzreichweite operieren. Daher sehe ich nicht…“
„SIE VERSTEHEN GAR NICHTS! Nach den Meldungen der angegriffenen Radarstation waren die Feindjäger offenbar begleitet von ein bis drei größeren Einheiten! TRANSPORTSHUTTLES! VERSTEHEN SIE JETZT?!“
Der Admiral nickte knapp: „Die T’rr.“
„Wissen Sie, was das politisch bedeutet, wenn die verdammten Glatthäute dem Rebellenabschaum direkte Unterstützung gewähren? Jeder verfluchte Verräter im Umkreis von vier Sektoren wird Morgenluft widmen! Und was ist, wenn die Menschen den Rebellen C-Waffen liefern? Oder gar ein paar Nuklearsprengköpfe? Können Sie sich vorstellen, was subtaktische Atomarwaffen aus einem unserer Divisionslager machen könnten? KÖNNEN SIE DAS?!“
Auch wenn die möglichen Auswirkungen eines solchen Schlages den Admiral tatsächlich beunruhigten, anmerken ließ er es sich nicht. Keinesfalls wollte er dem verdammten Zivilisten eine solche Genugtuung gönnen. Seine Stimme blieb gemäßigt: „Was wollen Sie von der Flotte?“
„Ich will, dass Ihre Schiffe jeden Zentimeter in der fraglichen Region scannen. Ich will, dass jede potentielle Bewegung am Boden, die nicht eigenen Streitkräften zuzuordnen ist, aus dem Orbit oder mit Kampffliegern bombardiert wird! Sie werden die Artillerie- und Lufteinheiten der Armee in jeder gewünschten Art und Weise unterstützen. Ich will, dass die Marineinfanterie sofort zwei Regimenter der Einsatzreserve mobilisiert, um sich an den geplanten Suchaktionen zu beteiligen. Und ich will, dass diese verdammten Kampfflieger, die es gewagt haben, MEINEN Planeten anzugreifen, VERNICHTET WERDEN!“ Der Gouverneur wartete erst gar nicht auf die Antwort des Admirals, sondern schaltete einfach ab.
Taran fluchte halblaut, aber nachdrücklich: „Verdammter Narr…“ Momentan war es ihm egal, wer ihn hörte. Dann drehte er sich um: „Was macht die feindliche Einsatzflotte?“
„Unveränderter Passierflug. Keinerlei Anzeichen für einen geplanten Angriff.“
„Das war nur ein Köder. Sie wollten unsere Aufmerksamkeit ablenken, damit ihre Sondereinheit durchkommt. Nun, das ist ihnen auch gelungen. Aber wir können dennoch nicht alles stehen und liegen lassen. Es ist mir egal, was der Gouverneur gesagt hat. Solange die feindliche Flotte keine drei Stunden vom Orbit entfernt operiert, werde ich keinen meiner Zerstörer abziehen, um Ungeziefer zu jagen. Aber ein paar Korvetten, eine Fregatte und die kleinen Patrouillenschiffe können wir problemlos entbehren. Lassen Sie auch ein paar Gruppen Jäger als Aufklärer umrüsten. Das müsste den Bürokraten und unseren Schlammwühlern eigentlich vorerst das Maul stopfen. Und Liat, was die Marineinfanterie betrifft…“
Der General hätte wohl am liebsten ausgespuckt. Seine raue, kratzige Stimme troff vor Ablehnung: „Es hat mich Wochen gekostet, um meine Jungs aus dem Feldeinsatz in die Reservestellungen zu lotsen. Sie sind abgekämpft. Wir hatten noch nicht einmal Zeit, Ausrüstung und Mannschaften wieder auf Sollstärke zu bringen. Wenn jetzt diese Scheißer von der Armee und…“
„Sie wissen sehr genau, dass mir die Hände gebunden sind. Sie haben den Befehl gehört. Was Sie damit machen…“
Der General nickte knapp. Er hatte verstanden. Es gab natürlich Mittel, solche Befehle zu dehnen, aufzuweichen. Indem man zum Beispiel einige Teileinheiten entsandte, aber den Abmarsch weiterer Verbände der Regimenter verzögerte. Wenn der Krankenstand hoch genug, das eigene Material und die Transporter anscheinend zu sehr in Mitleidenschaft gezogen war…

Einer der Stabsoffiziere meldete sich zu Wort: „Und die feindlichen Jäger?“
Admiral Taran zögerte kurz. Er empfand den Befehl des Gouverneurs als idiotisch. Sie führten Krieg, da hatte die gekränkte Eitelkeit eines Beamten nichts zu suchen. Was auch immer die feindlichen Kampfflieger hier gewollt hatten, sie hatten es bereits ausgeführt: „Welche Einheiten könnten sie abfangen?“
Der Stabscaptain schluckte kurz. Seine Antwort behagte ihm selber nicht: „Da wir unsere Einheiten vor allem auf die Abwehr eines Angriffs durch die Hauptflotte des Gegners vorbereitet haben… Nicht viel. Wir haben vier Deathhawks und eine Rotte Bloodhawks, die auf Abfangkurs gehen könnten. Mit Vollschub könnten die Deathhawks den Gegner vielleicht in einer, die Bloodhawks in anderthalb Stunden erreichen. Aber abgesehen davon…“
Admiral Taran schüttelte knapp den Kopf. Zu wenig, zu spät. Diese Floskel hätte man auf viele der Aktionen der Akariiflotte in den letzten Jahren anwenden können. Selbst wenn die eigenen Jäger den Gegner erreichen konnten, das würde einen mehrstündigen Flug und ein Operieren am Rande der eigenen Einsatzreichweite bedeuten. Denn im Gegensatz zu den Feindlichen Jägern hatten die Akarii-Jäger momentan keine Zusatztanks anmontiert, und waren zudem schon seit mindestens einer Stunde in der Luft. Zudem…Sechs eigene Abfangjäger gegen sieben Einheiten eines Elitegeschwaders, das war nicht genug. Zu wenige seiner Piloten hatten ECHTE Raumkampferfahrung, während es auf der Gegenseite Flieger gab, die bereits zwanzig oder mehr Akarii abgeschossen hatten. Und Nachschub an Jägern oder Piloten war für T’rr in nächster Zeit nicht mehr zu erwarten. Und Admiral Taran hatte das dumpfe Gefühl, dass er seine Piloten in Zukunft noch würde brauchen können. Ob gegen die Menschen, oder die verdammten T’rr – es gab sinnvoller Verwendungszwecke, als sie in ein eigentlich sinnloses Gefecht zu hetzen, dessen Chancen zudem nicht die Besten waren.
„Negativ. Sie sollen zu ihren Stützpunkten zurückkehren. Selbst wenn sie es schaffen könnten…Ihr Treibstoff reicht nicht für eine derartige Verfolgung und den anschließenden Raumkampf.“ Das war natürlich nicht ganz richtig, aber damit war gleich auch noch die Argumentationsschiene festgelegt worden, mit den eventuellen Nachfragen begegnet werden würde. Der Captain nickte knapp.

Allerdings war es dem Admiral durchaus klar, dass die Flotte ETWAS auf jeden Fall unternehmen musste. Andernfalls wäre der Gesichtsverlust zu groß gewesen. Er musste etwas tun – aber natürlich durften dadurch weder Material noch Mannschaften unnötig gefährdet werden. Gab es da eine Möglichkeit...?
„Wo steht die nächste Einheit der schweren Raumstreitkräfte?“
„Das wäre die Fregatte Velor. Sie gehört zum äußeren Patrouilleschirm, zurzeit beschäftigt mit Sensoraufnahmen der feindlichen Hauptflotte. Wenn sie mit Vollschub fliegt, kann sie in etwa zwei Stunden…“
„Geben Sie mir den Kapitän. Es gibt neue Befehle für ihn!“ Es war bedauerlich, dass man nicht einen Angriff der eigenen Raumjäger mit dem Einsatz der Fregatte synchronisieren konnte. Aber wenn die Blood- und Deathhawk den Feinden so weit folgen würden, um einen koordinierten Einsatz mit der Velor zu fliegen, dann würden sie es nicht mehr zurückschaffen.
„Lassen Sie sofort zwei Staffeln Abfangjäger mit Zusatztanks ausrüsten, und schicken Sie sie los.“
„Aber sie werden die Feindjäger nicht mehr einholen können!“
„Darum geht es doch gar nicht! Wenigstens kann dann keiner behaupten, wir hätten es nicht versucht. Außerdem will ich, dass sich diese verdammten Glatthäute sich unter Druck fühlen. Und nun führen Sie endlich den Befehl aus, und verbinden mich mit dem Captain der Velor!“

********

Akarii-Fregatte Velor

Die Velor gehörte zu der Schiffsklasse, die bei den Menschen den Codenamen Sierra III trug. Das bedeutete, sie war vor allem für Geleitaufgaben konzipiert. Die Velor verfügte über zehn Geschütztürme, allerdings nur einen einzelnen Zwillings-SSM-Werfer, dafür aber drei sechsrohrige Mittelstreckenraketenwerfer, die ihr gegen Jäger eine beachtliche Feuerkraft gaben. Die Besatzung bestand aus dreihundert Mann.

Die letzten Stunden waren für die Mannschaft der Velor ziemlich aufreibend gewesen. Jeder wusste, sie waren die ‚äußerste Linie’ der Akarii-Raumstreitkräfte in diesem System. Sie flogen auf einem Parallelkurs zur feindlichen Flotte. Eine Staffel Jagdbomber könnte sie in anderthalb, maximal zwei Stunden erreichen. Hätte sich die Feindflotte zum Angriff entschlossen, die Velor wäre wahrscheinlich das erste Ziel gewesen. Aber die Menschen hatten nicht angegriffen. Dennoch hatte es für die Mannschaft der Velor genug zu tun gegeben. Minutiös, pausenlos hatten sie die gegnerische Formation mit Aktivsensoren abgetastet, die feindlichen Schiffe identifiziert und klassifiziert, ihre Bewegungen und Manöver aufgezeichnet. Solche Aufnahmen waren für den militärischen Geheimdienst von immenser Bedeutung. Die Aufzeichnungen würden eine genaue Profilerstellung der feindlichen Einheiten ermöglichen, ihre Bestückung und Ausrüstung verraten. Eventuell waren sogar Rückschlüsse auf den Ausbildungsstand der Mannschaften möglich. Den Gegner, den man kannte, konnte man auch besiegen.
Der neue Befehl allerdings war eine völlig neue Angelegenheit. Nervös fragte sich mancher der Matrosen, ob nicht der Versuch, die feindlichen Jäger abzufangen, die gegnerische Hauptflotte zu einem Gegenschlag veranlassen würde. Aber sie hatten ihre Befehle.

Der Kapitän der Velor, Trian Rondor, beugte sich über den taktischen Bildschirm und verfolgte die Bewegung der feindlichen Jäger, der TSN-Trägerflotte, und der eigenen Jäger und Kriegsschiffe: „Das wird Millimeterarbeit. Verdammt! Es ist ganz einfach zu viel Raum…“
Der Erste Offizier schüttelte wütend den Kopf: „Sie werden uns einfach ausweichen. Wir sind zu langsam.“
Trian Rondor schüttelte langsam den Kopf: „Die Menschen fliegen mit dem letzten Rest Treibstoff. Sie werden sich keine großen Umwege leisten können. Vor allem nicht, da sie verfolgt werden.“
„Uns können sie immer noch ausweichen.“
„Sie haben Recht. UNS können sie ausweichen…“ Mit ein paar kurzen, prägnanten Worten umriss Kapitän Rondor seinen Plan. Der Erste schüttelte zuerst ungläubig seinen Kopf, dann aber grinste er. Es war kein freundliches Grinsen: „Es könnte klappen. Aber wir werden die Dinger einzeln, praktisch im kalten Wurf rausbringen müssen. Und selbst wenn…“
„Wenigstens kann keiner sagen, wir hätten es nicht versucht.“

********

Der Rückflug der TSN-Jäger vollzog sich fast genauso schweigsam, wie der Anflug. Auch wenn die Geheimhaltung jetzt nicht mehr nötig schien, überflüssiger Funkverkehr wurde nicht gerne gesehen. Je mehr die Jäger funkten, desto wahrscheinlicher war es, dass der Gegner in den Funkcode einbrach.
Außerdem war niemandem nach Reden zumute. Die Gedanken der Piloten kreisten immer noch um ihren zurückgelassenen Kameraden. Es war der Albtraum eines jeden Raumpiloten, im Stich gelassen zu werden. Auch wenn es keine Alternative dazu gab, die Gewissensbisse blieben. Dazu kamen natürlich Angst, Anspannung und Müdigkeit. Keiner wollte ausgerechnet jetzt noch draufgehen. Seit mehr als sieben Stunden waren sie jetzt schon im Einsatz, weitaus länger als üblich. Die ständige Anspannung zehrte an den Nerven. Und zu allem Überfluss kamen da noch die Radaranzeigen ihrer Verfolger – fast zwei Dutzend Abfangjäger, die von drei Flugplätzen gestartet waren, und langsam, aber stetig aufholten. Es würde knapp werden. Und wenn der Feind die Nighthawks einholte…
Ob der Treibstoff dann überhaupt noch für einen Raumkampf ausreichte…

Solche Fragen beunruhigten besonders auch First Lieutenant Kano Nakakura. Wie bei den drei anderen Maschinen, die in einen direkten Luftkampf verwickelt worden waren, hatten die Hochgeschwindigkeitsgefechtsmanöver die ohnehin recht knappen Treibstoffreserven weiter zusammenschmelzen lassen. Außerdem hatte Kanos Maschine, wenn man einmal von Goliath absah, die meisten Prügel bezogen. Zwar waren die Schilde inzwischen wieder bei 80 Prozent. Aber ein paar Treffer hatten die Schutzschilde durchschlagen. Zwar gab es noch keine ernsthaften Schadensmeldungen, aber die Maschine beschleunigte nur noch widerwillig. Das konnte in einem Gefecht tödliche Folgen haben. Immer wieder blickte er auf den Radarschirm, auf dem das Vorrücken der Feindjäger abzulesen war. Ja, sie waren wieder näher gekommen. Und das war nicht das einzige Problem…

Commander Cunningham runzelte unwillkürlich die Stirn. ‚Was hat dieser verrückte Akarii bloß vor?’ Seit nunmehr über einer Stunde beobachtete er die feindliche Fregatte, die offenbar versuchte, sich zwischen die Nighthawks und den Columbia-Verband zu schieben. Normalerweise wäre ein solches Vorgehen Cunningham als irrsinnig erschienen – die TSN-Jäger waren etwa zehnmal so schnell wie die Fregatte. Aber diesmal war die Situation eine geringfügig andere. Zum einen mussten die Nighthawks bald landen. Ihre Treibstoff- und Sauerstoffvorräte neigten sich dem Ende zu. Und zum anderen waren da immer noch die etwa zwanzig Feindjäger, die mit Höchstgeschwindigkeit heranrasten. Und die langsam näher kamen. Jeder unnötige Umweg würde den Abstand weiter verringern, es dem Gegner vielleicht sogar ermöglichen, auf Gefechtsdistanz heranzukommen. Und dann…

Wieder und wieder überschlug Cunningham die möglichen Alternativrouten. Zeit und Strecke arbeiteten gegen Nighthawks. Dann hatte er seine Entscheidung getroffen. Mit einem lautlosen Fluch aktivierte er die Kommverbindung: „Verband auflösen. Wir müssen uns einzeln an dem Kriegsschiff vorbei schleichen. Das wird ihn verwirren. Aber denkt daran, wir haben nicht viel Zeit. Und unsere Freunde holen auf.“ Letzteres hätte er sich eigentlich sparen können, aber nach fast acht Stunden Flug zeigte auch Lone Wolf Nerven. Und dann aktivierte er den Langstreckenfunk. Es ging nicht anders: „Lone Wolf an Flottenverband. Wäre gut, wenn ihr uns etwas entgegenkommen würdet…“

*************

Fregatte Velor

„Da kommen sie!“ Die Stimme des Sensoroffiziers überschlug sich fast. Verständlich, er war jung, und hatte noch nie ein ‚echtes’ Raumgefecht erlebt. Das Aufbringen von Schmugglern konnte man jedenfalls meist nicht als echten Kampf bezeichnen.
Captain Velor richtete sich jäh auf: „Maximaler Schub! Kurs Zwei-Vier-Zehn!“ Dann drehte er sich zu seinem Waffenoffizier um. Der altgediente Offizier nickte knapp.

***************

Kano lächelte kurz, aber ein wenig unbehaglich. Zwar mühte sich die Fregatte nach Kräften ab, ihnen den Weg abzuschneiden, aber es war klar, dass dies ein vergebliches Unterfangen war. Er würde seinen Kurs nicht einmal besonders stark korrigieren müssen. Dennoch konnte er sich irgendwie nicht darüber freuen. Es blieb ein Gefühl der Unsicherheit, der nahen, aber unsichtbaren Bedrohung. Und das beunruhigte ihn. Er hatte gelernt, auf solche Gefühle zu achten. Deshalb lebte er immer noch. Die verfolgenden Jäger jedenfalls stellten jedenfalls keine unmittelbare Gefahr dar, auch wenn sie aufholten. Und die Fregatte war zu weit weg, um eine Bedrohung zu sein. Zwischen seinem Jäger und dem Columbia-Verband war nur noch leerer Weltraum. Leerer Weltraum…
Oder? Mit einmal durchfuhr eine Erinnerung, verschwommen nur, aber dennoch beunruhigend, seine Gedanken. Der junge Pilot überflog die Sensoranzeigen seines Raumjägers, und fühlte, wie eine kalte Hand nach seinem Herz griff: „Minen! MINEN! AUSWEICHMANÖVER!“ Er riss den Steuerknüppel zurück, während er gleichzeitig Vollschub gab. Die beschädigte Maschine reagierte um einen Bruchteil zu langsam.

***********

Fregatte Velor

„ZÜNDUNG!“

************

Der Kapitän der Velor hatte sich ausrechnen können, dass sein Schiff nicht über die nötige Geschwindigkeit verfügte, die gegnerischen Jäger abzufangen. Also hatte er das nicht einmal ernsthaft versucht. Stattdessen hatte er mehr als ein Dutzend Raumminen ausgesetzt, konzentriert auf die wahrscheinlichsten Flugrouten zum feindlichen Verband. Es war ein Glücksspiel, aber die Akarii riskierten dabei nicht mehr als ein paar Sprengkörper. Außerdem reichte es schon aus, wenn eine der Nuklearminen auch nur in relativer Nähe eines Feindjägers gezündet wurde. Immerhin waren sie dafür konzipiert, mit einem Nahtreffer ein kapitales Kriegsschiff zu beschädigen.
Allerdings hatten die taktischen Offiziere der Velor den Kurs der Nighthawks nicht völlig präzise berechnet. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass die TSN-Jäger auffächern, und dass die Trägerflotte der Menschen Fahrt wegnehmen würde. So flogen die meisten der Nighthawks außerhalb des Sprengradius der Raumminen, als sie in einer Kette lautloser Explosionen vergingen, im Weltraum gleichzeitig ein volles Dutzend weißgelber Feuerblumen erblühte.

Die Explosion blendete Kano, Sekunden bevor die Schockwelle seinen Jäger erreichte, ihn aus der Bahn schleuderte, wie ein Orkan einen Papierflieger. Die anderen Piloten hatten Glück, kamen mit leichten Schäden und ausgefallenen Schilden davon. Aber Kanos Jäger war ohnehin beschädigt gewesen, und er hatte sich am nächsten an einer der explodierenden Minen befunden. Binnen Sekunden brachen seine Schilde zusammen, fielen die Bordsysteme eines nach dem anderen aus – Steuerung, Funk, Radar, Zielerfassungssysteme, Bordwaffen. Der Pilot verlor die Herrschaft über die Maschine, die sich wieder und wieder überschlug. Es brauchte nicht mehr als ein paar Herzschläge, und einer der modernsten Überlegenheitsjäger der TSN war reduziert auf ein durch das All wirbelnde Konglomerat aus Metall und ausgefallener Elektronik. Die Dunkelheit, die Kano mit einmal umgab, war noch dunkler durch den vorherigen Lichtblitz der fernen und doch allzu nahen Nuklearexplosion. Ein paar schreckliche Augenblicke glaubte Kano, erblindet zu sein. Aber das schwache, ferne Licht der Sonne des T’rr-Systems und der Sterne erlöste ihn von dieser grauenhaften Vorstellung. Die Sicherheitsgurte hatten sich selbst durch den dicken Schutzanzug schmerzhaft in seinen Körper gepresst. Aber er hieß diesen Schmerz fast willkommen. Er half, die Taubheit in seinem Kopf zu vertreiben. Er musste mit dem Helm mit voller Wucht gegen die Rückenlehne geprallt sein. Er erinnerte sich nicht daran…
Aber gleichzeitig begriff er mit grausamer Klarheit, in welcher Lage er sich befand. Er hatte die Kontrolle über seinen Jäger verloren, war blind, wehrlos und unfähig, seinen Jäger zu steuern. Er wusste nicht einmal, in welche genaue Richtung sein Jäger durchs All taumelte, vorangetrieben von der Druckwelle der Explosion und dem früheren Impuls seiner Triebwerke. Es konnte sein, dass er immer noch auf Kurs war. Oder, dass er davon trieb, in die Unendlichkeit des Alls, sich mit jeder Sekunde weiter von dem Columbia-Verband entfernte. Sein einziger Trost war, dass er ohne Triebwerke und aktiven Radar vom Gegner nur schwer erfasst werden konnte. Aber das war ein schwacher Trost, galt doch das gleiche für die eigenen Leute. Während er gegen die in ihm aufsteigende Panik kämpfte, kam ihm mit einmal eine Idee. Sein Funkgerät war ausgefallen, aber immerhin…
Er hatte Glück, der Sender der an dem Pilotensitz installiert war, schien noch intakt zu sein. Normalerweise wurde er automatisch aktiviert, wenn ein Pilot ausstieg. Aber es gab auch die Möglichkeit, ihn manuell zu aktivieren. Kurz zögerte Kano, aber dann schaltete er den Sender ein.

Und das war es. Mehr konnte er nicht tun. Nur noch hoffen, dass es die eigenen Leute waren, die ihn als erste aufspürten. Wenn es hingegen die Akarii waren…
Kano schloss die Augen, kämpfte mit der Übelkeit, die ihn würgen ließ. Anscheinend hatte er sich den Kopf heftiger angeschlagen, als er zuerst gedacht hatte. Aber auch dagegen konnte er nichts tun.

In der Pilotenkanzel war es eiskalt – auch die Bordheizung war ausgefallen. Eingeschnürt durch die Sicherheitsgurte konnte er sich kaum bewegen. Während sich die Kälte langsam an seinen Gliedmaßen empor tastete, Schatten über sein Blickfeld zu huschen schienen und wieder und wieder sein Bewusstsein zu schwinden drohte, schoss ein seltsamer, zusammenhangloser Gedanke durch seinen Kopf: ‚Irgendwann habe ich das doch schon einmal…’
26.12.2015 09:57 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Themenstarter Thema begonnen von Cattaneo
Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Cunningham

Haus der Republik
Berlin, Terra

„Falscher Alarm!“ Patricia Birmingham betrachtete die versammelten Offiziere mit scharfem Blick.
Vor ihr saßen Nathan Frost, General Yuri Rankov, Oberkommandierender der Army, und Lieutenant General Maria Totti, Kommandeuren des Marine Corps, sowie eine beeindruckende Anzahl von Flaggoffizieren aller drei Teilstreitkräfte.
Ihr Blick blieb etwas länger auf Admiral Frost gerichtet: „Es wurden über zweihundertfünfzigtausend Mann mobilisiert, ein Flugverbot wurde verhängt und die Presse läuft Amok. Möchte mir einer der Herrschaften erzählen, warum?“
In ihre Stimme hatte sich ein spöttischer Unterton eingeschlichen.
„Tja, Madame President, wir stehen vor einem großen Problem.“ Frost wirkte in der Tat etwas verlegen. „Die Akarii haben das Manticore-Texas-Wurmloch verschlossen. Genauer gesagt aus der Phase gebracht und es für den Schiffsverkehr unpassierbar gemacht.“
Birmingham blinzelte und blickte kurz zu DeMarko, der rechts von ihr saß: „Wie bitte?“
Der Chief of Naval Operations wandte sich an einen Commodore am unteren Ende des Besprechungstischens: „Xavier.“
Der Commodore, ein älterer Mann mit dem blässlichen Einschlag eines auf Tau Verde aufgewachsenen Terraners, erhob sich: „Xavier Genaro, Forschungsabteilung der Navy.“ Er räusperte sich. „Vor exakt drei Tagen und siebzehn Stunden stieg die Strahlung am Sprungpunkt Bravo des Texassystems. Auf den Sensorschirmen entstand das Bild eines Massentransit. Es sah aus, als ob über dreihundert akariische Schiffe das Wurmloch passierten.
Logischerweise wurde davon ausgegangen, dass wir frontal angegriffen wurden.
Dabei handelte es sich vermutlich um eine Antimateriesprengung beim Raum-/Zeitübergang des Wurmlochs. Dabei breitete sich eine Phasenkonvergenz aus und vernichtete zwei unserer Vorpostenschiffe und beschädigte drei weitere schwer.“
Schweigen breitete sich aus, bis schließlich Kennteh DeMarko das Wort ergriff: „Reden wir hier von einer Vernichtung des Wurmlochs oder einem … vorübergehenden aus der Phase bringen?“
„Unseren Erkenntnissen nach wird das Wurmloch für über ein Jahr aus der Phase sein.“ Genaro hatte zwar eine Menge Papierunterlagen und einen Laptop vor sich stehen, musste diese jedoch nicht konsultieren.
Ein Major General aus dem Stab von General Rankov hob den Arm: „Wie haben die denn genau das Wurmloch gesprengt?“
„Wir gehen davon aus, dass die Akarii einen fünfhundert Kilogramm Sprengkopf Antimaterie in den Terminus gleiten lassen und ihm beim Raum-/Zeitübergang zündeten.“
„Mir scheint eine fünfhundert Kilogramm keine wirklich große Bombe ergeben. Oder irre ich mich da?“ Birmingham runzelte angestrengt die Stirn.
Die Marineoffiziere blickten sich besorgt an und schließlich ergriff Frosts Stellvertreterin Clarissa Steward das Wort: „Ma‘am wir reden hier von einem planetaren Killer.“
Erneutes Schweigen und diesmal hatte es etwas Endgültiges.
Es war diesmal die Präsidentin die das Schweigen brach: „Haben wir etwas vergleichbares im Arsenal?“
Betretenes Kopfschütteln.
„Unsere größten Angriffswaffen sind SM-43er, das sind Raumminen mit einem 15 Kilogramm schweren Antimateriesprengkopf. Davon wurden bisher zehn Stück ausgesetzt. Alle bei Corsfield. Zwei davon explodierten beim Kontakt mit Feindschiffen, die restlichen acht wurden wieder eingesammelt.“ Frost wirkte müde und alt.
„In Anbetracht dieser Tatsachen …“ Begann General Rankov. „ … sollten wir augenblicklich diesem Vorgehen entgegen treten. Ich schlage den sofortigen Vergeltungsschlag mit unserem biologischen und chemischen Arsenal vor.“
„Ist das Ihr Ernst?“ DeMarko schüttelte entsetzt den Kopf.
„Wir müssen vor allem dafür sorgen, dass die Akarii diese Vorgehen nicht als Patentlösung einsetzen.“ Admiral Steward faltete die Hände und beugte sich vor. „Wir müssen den Akarii deutlich machen, dass dieses Verhalten letztendlich nur schlimme Konsequenzen für sie haben wird. Und wenn die Army dafür im Zweifelsfall mit B- und C-Waffen ihre Probleme auf den stark umkämpften Welten löst, haben wir zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.“
Die uniformierten Köpf nickten, teils energisch, teils geistesabwesend. Selbst DeMarko und der Nationale Sicherheitsberater Harold Stein schienen der Argumentation zumindest im Geiste zuzustimmen.
Patricia Birmingham hingegen war fast körperlich übel. Vor allem schockierten sie aber Stewards knallharte Worte. Frosts Stellvertreterin war eigentlich viel distanzierter und viel weniger leidenschaftlich und analytischer. Die Admiralin musste in Panik sein.
„Haben wir eine Alternative zu B- und C-Waffen?“ Wollte Birmingham wissen.
Es war zu aller Überraschung Rankov, der das Wort ergriff: „Wir sollten vielleicht einen Sprengkopf der SM 43 in eine Groundhammer Luft-Boden-Rakete einbauen und damit die Felsenfestung von Wron einäschern. Wir würden nur militärisches Personal und militärische Einrichtungen vernichten. Zudem sollte es eine ausreichende Machtdemonstration und Antwort auf die neue Bedrohung sein. Darüber hinaus wären wir das Wron-Problem los.“
Die Präsidentin blickte kurz zu DeMarko und ihrem Nationalen Sicherheitsberater. Beide nickten bedächtig.
„Ja, ich denke, das sollte unser nächster Schritt sein.“ Frost zeigte seltene Einigkeit mit der Army.
„Sie haben in achtundvierzig Stunden meine Antwort. Die Sitzung ist damit beendet.“ Birmingham erhob sich.



Im Präsidentenbüro saß Birmingham einem alten Freund gegenüber. Richard Blumberg, ein kleiner fast unscheinbarer Mann mit einem politischem Weitblick, den nur wenige Menschen je erreichten, hatte Patricia vom ersten Tag ihrer Kandidatur an unterstützt.
Jetzt hatte er den Posten des Justizministers inne.
„Das ist Wahnsinn, Richard. Wir sehen wie verzweifelt die Akarii sind, und was schlagen mir die Militärs vor? Mehr Tod und Vernichtung.“
Blumberg nahm einen Schluck Kaffee: „Was, wenn es letztlich keine andere Alternative gibt? Was, wenn die Akarii zu stolz sind, eine Niederlage anzuerkennen?
Was ist, wenn es nur die eine Antwort gibt: Sie oder wir?“
„Aber es darf doch nicht darauf hinauslaufen, dass wir uns gegenseitig ausrotten.“
Der Justizminister nickte: „Würden Sie kapitulieren Patricia? Ich meine, wenn die Lage sich wenden würde und man unsere Flotte zurückschlägt? Und wenn die Lage aussichtslos erscheint? Würden Sie kapitulieren?“
„Ich ... ich kann es Ihnen wirklich nicht sagen, Richard.“
„Es wäre nämlich nicht nur der Verlust unserer staatlichen Souveränität. Es wäre auch der Untergang unserer Kultur. Wir wären Untertanen des akariischen Imperators. Lebewesen dritter Klasse. Und nun sehen Sie sich bitte die Kultur unseres Gegners an. Glauben Sie ernsthaft, die Akarii würden jemals kapitulieren? Fünftausend Jahre Kultur. Davon die meisten als raumfahrende Eroberer.“
Die Präsidentin legte die Handflächen zusammen und blickte Blumberg über die Fingerspitzen an: „Was schlagen Sie mir also vor? Soll ich eine Friedensofferte an das akariische Imperium richten?“
„Herrje Patricia, ich weiß es doch auch nicht. Was sind wir bereit zu geben, um unsere Nation und unsere Selbstbestimmung als Rasse, als Lebewesen zu erhalten? Unsere Freiheit, unsere Selbstständigkeit, unser Streben nach Glück?
Was sind wir bereit zu nehmen? Werden wir nach dem Gebot der Selbstverteidigung handeln, die schwarze Flagge hissen und jeden töten, der kommt um uns zu unterjochen?
Sind wir bereit die Menschlichkeit zurückzulassen, um der Menschheit eine eigene Zukunft zu erkämpfen?“ Blumberg breitete die Arme theatralisch aus.
„Krieg ist die Summe allen Übels, Richard.“, die Präsidentin erhob sich, „Dennoch sind wir verpflichtet ihn zu führen. Eine Nation hat einen fundamentalen Anspruch auf die Loyalität seiner Bürger, und wir als die Führer dieser Nation sind verpflichtet, dieser Loyalität ein lohnendes Ziel zu bieten. Wie kann ich einer menschlichen Nation dienen, die selbst keine Menschlichkeit mehr hat? Wie kann man einer Nation mit Selbstbewusstsein dienen, welche ihre bloße Existenz über die existenziellen Grundsätze ihres eigenen Bestehens setzt?“
Birmingham marschierte vor ihrem Schreibtisch auf und ab: „Aber wie soll ein Staat seinen Bürgern den Kriegsdienst abverlangen, wenn er von selbst zu schwach ist, alle Register zur Verteidigung zu ziehen?
Krieg ist die Summe allen Übels. Tod, Verwundung, Verstümmelung, Hunger und Leid sind nur einige seiner Ausläufer. Aber wozu das alles, wenn man letzten Endes nicht bereit ist, alles für die Freiheit zu geben?
Wahrheit und Moral sind die ersten Opfer eines Krieges.
Richard: Hier darf noch nicht Schluss sein, viel zu viel wurde geleistet und erreicht um nach dieser Machtdemonstration einzuknicken. Das wäre das Zeichen für die Akarii, sich zu nehmen was sie wollen. Wir müssen vielleicht nicht die schwarze Flagge hissen, doch eine Linie auf dem Boden muss es schon sein.“
Die Präsidentin griff zum Telefon: „Kyle, geben Sie mir bitte den Verteidigungsminister.“ Kurzes Warten. „Ken, fertigen Sie mir bitte die Befehle für den Einsatz einer Antimateriewaffe gegen ein planetares Ziel aus. Ja, Ken, das ist mein voller Ernst. Ja, ich bin mir sicher.“
26.12.2015 09:58 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Themenstarter Thema begonnen von Cattaneo
Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Cattaneo

Über den roten Fluss

Der Morgen graute schon, als die ersten Soldaten im Tal eintrafen. Ihre flachen Helme wiesen sie als Fallschirmjäger aus. Schwere gummierte Bergstiefel wühlten das Wasser des Gebirgsbaches auf, der sich seinen Weg bahnte. Die dunkelroten Käppis, welche die Ankömmlinge auf der rechten Schulter trugen, die Einheitsabzeichen, eine Eins mit Schwingen, und der Anstecker in Form eines von mit Löwe und Krone geschmückten Sprungschirmes verrieten dem Kundigen, dass es sich um Angehörige der „First Airborne“ handelte, einer der Eliteeinheiten der terranischen Armee. Mehr als ein Prince of Wales und mehr Herzöge als man zählen konnte hatten in ihren Reihen gedient, auch wenn die Bodentruppen heutzutage nicht mehr im Brennpunkt des Interesses standen. Die Männer bewegten sich mit der Routine von Veteranen, ihre kurzen H&K Lasergewehre suchten ständig nach Zielen. Beobachter wiesen die Scharfschützen ein, die den Vormarsch sicherten. Aber einem wahrhaft aufmerksamen Beobachter wäre noch etwas anderes aufgefallen. Die Augen hatten bei so manchem der Soldaten nur noch wenig wirklich Menschliches an sich. Stets waren das Soldaten, denen man den Veteranenstatus ansah. Sie waren nicht unbedingt ALT, auch wenn sie manchmal so wirkten. Aber diese Augen hatten mehr gesehen, als andere in einem ganzen Leben. Es war eine Aura der Niedergeschlagenheit und dumpfer Resignation, jenseits von Schmerz oder Hoffnung. So mochten Tiere auf dem Weg zur Schlachtbank blicken, vorausgesetzt ein Tier hätte Verstand gehabt, sein Schicksal zu begreifen. Ein Tier freilich, das sein Schicksal zwar kannte, doch zugleich bereit war, den einen oder anderen Henker mitzunehmen. Sie waren immer noch gefährlich, absolut tödlich für einen Gegner. Aber mancher von ihnen schien mehr als Automat zu funktionieren, nur noch zur Vernichtung bestimmt, als dass er noch wirklich Hoffnung hatte. Es war, als hätte der Krieg diesen Männern und Frauen einen Teil ihrer Seele genommen, und wer wusste schon, was er ihnen dafür gegeben hatte? Sie vernachlässigten keine der zahlreichen Vorsichtsmaßnahmen, die ihnen dieser Krieg eingehämmert hatte. Doch kein Akarii war zu sehen – oder besser, kein Lebender.

Ein ausgebrannter gepanzerter Sanitätswagen war die erste Spur, auf die sie stießen. Das Fahrzeug war auf den Rücken geworfen worden, der Boden aufgeplatzt wie die Haut einer überreifen Frucht. Die Schnauze wies in die Richtung, aus der die Soldaten kamen, doch der Flucht des Fahrzeugs war offenbar ein jähes Ende gesetzt worden. Verschmorte Trümmerteile lagen umher, aber das Feuer schien nur kurz gewütet zu haben. Nur so lange, bis die Phosphorrakete ihren Brennstoff verzehrt hatte. Aber das hatte gereicht. Die Leichen lagen ringsum. Sie waren nur mit Mühe zu identifizieren, aber vermutlich waren die meisten schon vor dem letzten Gefecht verwundet worden. Ein verkohlter Körper hing aus der Rumpfluke, an der ein nun zertrümmerter Schnellfeuerlaser montiert gewesen war. Ein paar Schritte neben dem Wrack lag ein Sanitäter. Er hatte ein zerbrochenes H&K-Gewehr neben sich. Es war offenbar von demselben Hieb zerschmettert worden, der seine Brust gespalten hatte. Drei tote Akarii lagen vor ihm. Ihre Uniformen waren kaum zu identifizieren, die Waffen fehlten. Die Soldaten überprüften die Leiber, aber es war klar, dass hier keiner mehr lebte.
Je weiter die Soldaten vorrückten, desto mehr Leichen fanden sie. In den Boden waren behelfsmäßige Schützengräben gekratzt worden, die alle mit Wasser gefüllt waren. Und darin und daneben lagen die Leichen. Hunderte von Leichen. In Stücke gesprengt, von Phosphorgranaten verbrannt, von Lasersalven verstümmelt. Einige wirkten, als hätten Tiere an ihnen genagt, ihre Hälse zerrissen, die Gesichter verstümmelt. Klauen und Kiefer der Akarii waren ihnen zum Verhängnis geworden. Man sah Körper, die von Dolchen aufgeschlitzt worden waren, Gesichter, die von Schwertern oder angeschliffenen Spaten verstümmelt, von Kolben oder Steinen zerschmettert worden waren. Es gab Leichen, die lagen im schlammigen Wasser der Gräben, die Hände in den Boden gekrallt, um sich herauszuziehen, doch ihre Kraft hatte dazu nicht mehr gereicht – sie waren ertrunken.
Immer mehr und mehr Körper, Leichen ohne Zahl.
Akariis und Menschen, wild durcheinander – doch auf einen Akarii kamen im Schnitt drei Menschen. Zerstörte Waffen lagen am Boden, die Gerippe ausgebrannter Fahrzeuge wirkten wie klagende Grabmäler. Oft waren sie es auch. Die Sharp-Schützenpanzer waren einer wie der andere offenbar aus nächster Nähe zerstört worden.
Hin und wieder regte sich noch Leben bei einem der Menschen, nie bei einer Echse. Aber es waren nur wenige, sehr wenige, die noch Leben in sich hatten.
Neben einem Schnellfeuerlaser hockte eine Frau. Sie war vermutlich Anfang 20, aber ihr kurzes Haar war schneeweiß. Tiefe Falten waren in ihrem Gesicht, und ihre Augen schienen ins Nichts zu schauen, in eine Hölle, die nur für sie noch immer Wirklichkeit war und vielleicht für immer bleiben würde. Ihre Hände waren um Kolben und Abzug der Waffe gekrampft, obwohl der Lauf gekappt war. Schmutz und Blut bedeckten ihre Uniform, aber sie hatte nicht einmal einen Versuch gemacht sich zu säubern, obwohl sie schon Stunden so sitzen musste. Erst als man sie von der Waffe löste, konnte man sehen, dass ihre Hände sich unkontrolliert zusammenballten, sie die gesplitterten Nägel, die blutigen Fingerkuppen tief in ihre Handflächen bohrte.

Im Zentrum dessen, was wohl einmal eine Behelfsstellung gewesen war, war es am schlimmsten. Man konnte kaum noch laufen, ohne auf Leichen zu treten. Nur wenige der Fallschirmjäger machten sich überhaupt noch die Mühe, den Toten auszuweichen, seien es Akarii oder Menschen. Sie waren seit einem Jahr hier, in der Hölle, die von anderen Wron genannt wurde, für einige nicht der erste Aufenthalt. Und keiner, der sich von so etwas berühren ließ, blieb lange genug gesund. Irgendwann versagten die Nerven, und dann konnte man von Glück sagen, wenn man zurückgeschickt wurde. PTSD und „shellschock“ grassierten bei den Truppen auf Wron wie eine Seuche, aber es gab auch zahlreiche Selbstmorde und Panikhandlungen, die in diesem Krieg leicht das Leben kosten konnten. Wer im entscheidenden Moment nicht aufpasste…
So achteten sie nur darauf, nicht auf einen Blindgänger zu treten, keine Sprengfalle oder Überlebenden zu übersehen. Langsam rückten die Soldaten vor.
Die Toten bedeckten nur so den Boden. Im Zentrum des Feldes voller Leichen stand ein Mercury-Panzerspähwagen, oder besser das, was von ihm übrig geblieben war. Eine Schulterrakete hatte die Flanke des Fahrzeugs aufgerissen. Neben dem Panzerwagen lag die Leiche eines Mannes in den Vierzigern. Er war einer der Ältesten, den sie bisher gefunden hatten. Die meisten Toten mochten etwa 20 oder wenig älter gewesen sein, wenn sich das noch feststellen ließ. Eine Laserpistole lag neben ihm, eine tote Akarii keine zwei Schritt entfernt. Das Gesicht des Mannes war nicht mehr zu erkennen – ein Kolben oder ein Stein hatte es in eine undefinierbare Masse aus Fleisch, Knochen, Zähnen, Blut und Hirnmasse verwandelt. Er trug keine Rangabzeichen, das hatten die Scharfschützen der Akarii den menschlichen Soldaten längst abgewöhnt. Aber sein Namensschild wies ihn als Oberst Dietrich von Schulenberg aus. Und neben ihm, in den Dreck getreten, von Blut und Schlimmeren durchtränkt, lag ein Banner. Der Fallschirmjäger, der die Leiche voll Gleichgültigkeit musterte, warf nur einen Blick darauf:

7. Preußisch-Brandenburgisches Pionierregiment
Plus ultra

Die Fahne eines Regiments, das es nicht mehr gab.

Es war eine Geschichte, wie man sie sich über viele Schlachtfelder erzählte. Sie tauchte in den Berichten so vieler Orte auf, an denen Menschen andere Menschen abgeschlachtet hatten, und mochte es in einer Zeit gewesen sein, die noch vor der menschlichen Geschichtsschreibung lag. Bereits Homer hatte diesen Topoi gebraucht, als er den Krieg auf der trojanischen Ebene beschrieb, und seitdem so viele andere. Und doch schworen jene, die an diesem Tag in dem namenlosen Tal waren, dass es die reinste Wahrheit war, dass sie es alle gesehen hatten.
Gesehen hatten, wie die Toten den Bach – jetzt schon fast ein Flüsschen – stauten, und wie ihr Blut seine Wasser rot färbten.

**********

Eine Woche später, Berlin

Colonel Ernst Wellner war kein unerfahrener Offizier mehr. Um sich einen Posten wie den seinen zu verdienen, musste man entweder ein Held auf dem Schlachtfeld sein, gute Beziehungen haben oder eine geradezu fanatische Ausdauer und Tüchtigkeit beweisen. Er konnte von sich sagen, dass er seine Position einer Kombination dieser Faktoren verdankte. Er war in seinem Jahrgang unter den Besten gewesen, und hatte sich noch als junger Lieutenant in verschiedenen Kolonialkonflikten bewährt. Nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch dabei, Schlachtfelder zu verhindern. Er hatte lange Jahre mit höchstem Diensteifer seine Pflicht getan. Und er kam aus einer Familie, die gute Beziehungen in Politik und Militär hatte – und reich genug war, ihn gezielt auf eine Offizierskarriere vorzubereiten.
Jetzt war er Leiter des militärischen Büros für Berlin, de facto Kommandeur der Garnisonseinheiten und Leiter der Ausbildungskader des gesamten Senatsbezirks. Er war kein General – aber er verwaltete die militärischen Belange einer der wichtigsten Städte der Erde. Ein Wirtschaftszentrum, das dazu für Militär und Politik von beträchtlicher Bedeutung war. Er war in den zehn Jahren, die er diesen Posten ausfüllte, immer gut mit den Anforderungen seiner Aufgabe klargekommen. Ungeachtet der Anti-Kriegsdemonstrationen, der Verzweiflung der ersten Kriegsphase und der Opfer, die dieser Konflikt den Menschen abverlangte und die vor allem zu Anfang nicht eben zur Beliebtheit des Militärs beigetragen hatten. Er hatte das gemeistert, immer genug neue Rekruten stellen können und das Funktionieren des militärisch-wirtschaftlichen Komplexes Berlin-Brandenburg-Mecklenburg sicherstellen können.
Er hatte alle Herausforderungen gemeistert, hatte sich damit beschieden, hier auch angesichts seines Alters – über 60 Jahre – mehr tun zu können, als wenn er sich für ein Feldkommando bewarb. Aber zum ersten Mal in seiner Laufbahn war er ratlos.
Es war seine Dienststelle, die auch eine der schwersten Pflichten zu erfüllen hatte, die es in einem Militär gab. Sie musste die Familien von Soldaten informieren, wenn diese gefallen oder verwundet worden waren, und sich um deren Hinterlassenschaft und Beerdigung kümmern. Aber mit etwas wie diesem hier hatte er nicht gerechnet.

Nur zu gut erinnerte er sich an den Tag vor nicht einmal sechs Monaten, als er die Parade des neu aufgestellten 7. Preußisch-Brandenburgischen Pionierregiments abgenommen hatte. Es war ein Sommertag gewesen, und an ihm vorbei marschierten 1.365 Männer und Frauen, die gepanzerten Fahrzeuge waren vorübergerollt, und die Musikkapelle hatte alte Märsche gespielt. Was Rang und Namen hatte war dabei gewesen, von Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Adel.

Jetzt hatte er eine Liste vor sich. Namen, Namen, endlose Reihen von Namen.
Colonel Dietrich von Schulenberg, Regimentschef – tot
Lieutenant-Colonel Bernhard von Trotha, Bataillonskommandeur – tot
Major Andrea von Ziethen, Bataillonskommandeurin – tot
Major Fritz Keller, Bataillonskommandeur – vermisst, vermutlich tot
Und so ging es weiter. Er hätte... kurz überlegte der Colonel... 982 weitere Namen nennen können, alle mit dem Zusatz „tot“. Der Rest – fast ausnahmslos verwundet. Unverletzt nur etwa 100 Männer und Frauen, die gar nicht erst in direkten Feindkontakt gekommen waren. Das schwere Gerät war nur zum geringen Teil zerstört, aber was bedeuteten die Fahrzeuge, wenn ihre Fahrer und Insassen wie leblose Puppen hingestreut auf den Geröllhängen lagen? Das Regiment hatte auf Wron seinen ersten Einsatz erlebt – und war vernichtet worden. Es gab keinen anderen Ausdruck dafür.
Vernichtung. Vollkommene und endgültige Vernichtung.
Der Bericht des Oberkommandos war knapp und in seiner präzisen Kürze fast brutal. Die Worte schienen vollkommen unzureichend, eine Realität wie diese zu beschreiben, ihr auch nur annähernd gerecht zu werden. Sogar für ihn, der doch Kriegserfahrung hatte. Wellner konnte sich freilich zusammenreimen, was geschehen war. Das Regiment hatte einen Vorstoß – wieder einmal eine „entscheidende Offensive“, inzwischen die zehnte oder zwanzigste – gegen die Bergstellungen der Akarii absichern sollen. Die Soldaten des Regiments waren ja keine Bautruppen, sie waren Sturmpioniere, ausgebildet für solche Aufgaben. Schon auf dem Anmarsch hatten sie über 120 Mann durch Sprengfallen und Scharfschützen verloren, teils verwundet, teils gefallen. Sie hatten ein paar Dutzend Akarii unschädlich gemacht, ein paar Bunker ausgehoben. Seit Jahren kämpften die Bodentruppen der Republik gegen die Bergfestungen – oder besser, gegen die Berge selber, die man inzwischen die „Berge des Todes“, „Berge der Verzweiflung“, „die roten Berge“ oder auch „Bloodmountains“ nannte – in denen sich die Akarii eingeigelt hatten. Man hatte schrittweise ein Tal nach dem anderen gesäubert, allerdings erst einmal lernen müssen, dass es in vielen Tälern Zugänge zu tiefen und weit verzweigten Tunnel- und Höhlensystemen gab, die von den Akarii immer wieder genutzt wurden, um in den Rücken des Feindes zu kommen.
Regiment Nr. 7 hatte nur die Aufgabe gehabt, den Vorstoß einer Brigade der Marineinfanterie abzusichern. Sie hatten den Feind binden sollen, feindliche Entsatztruppen ablenken, ein Seitental absichern.

Die Pioniere hatten ihr Ziel genommen und sich eingraben. Das Tal hatte nicht einmal einen Namen gehabt, auf den Karten lief es unter „Struktur Alpha-3-9“. Dann war der Regen gekommen. Im Bergmassiv von Wron konnte das Wetter schnell und mit brutaler Heftigkeit umschlagen. Überraschend schnell und überraschend heftig für eine unerfahrene Truppe. Eine Truppe, die die Erde kein halbes Jahr zuvor das erste Mal verlassen hatte. Der Platzregen hatte die Gräben gefüllt, die Sprengladungen losgespült, die Männer und Frauen fast blind gemacht. Sie hatten nicht gewusst, dass ihnen Reste dreier Akariiregimenter gegenüberlagen, offenbar das 275., 280. und 312. Armeeregiment, insgesamt noch 400 bis 600 Kämpfer. Die Akarii waren durch den Vorstoß des 7. Regiments von ihren Linien abgeschnitten worden, und sie hatten sich entschieden durchzubrechen. Ohnehin nagten sie schon lange am Hungertuch – es gab abscheuliche Gerüchte bei den menschlichen Truppen, WAS die Akarii alles zu essen bereit waren – und kämpften oft nur noch, um möglichst viele Menschen in den Tod mitzunehmen, bevor sie zum Kämpfen zu schwach wurden. Mitten im dichtesten Regen, als man nicht einmal fünf Schritt weit sehen konnte, hatten sie den Sturmangriff eröffnet. Der Bericht des Militärs ging davon aus, dass nur eine Handvoll Akarii durchgekommen war – aber auf ihrem Weg hatten sie das 7. Pionierregiment buchstäblich in Fetzen gerissen.
Colonel Wellner schauderte. Er hatte nur ein paar Bilder gesehen, aber das hatte ihm gereicht. So musste es in Verdun ausgesehen haben, in Stalingrad, auf Okinawa, an den Orten der großen Vernichtungsschlachten.

Und nun lag es an ihm, die Familien zu informieren. Morgen schon würden die Briefe ausgeliefert werden. Für fast 1.000 Familien würden sich morgen die schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten. Vielleicht würde für sie ihr Leben nie wieder so sein wie vorher. Denn wenn auch die Familien von Soldaten wissen mussten, dass der Tod auch heute noch Teil des Kriegs war – richtig darauf vorbereiten konnte man sich natürlich nicht. Auch dieses Wissen war kein Panzer vor dem Schmerz, wenn ein vertrauter Mensch auf einmal für immer aus dem Leben gerissen wurde, nie mehr wiederkehren würde. Der Colonel fühlte sich auf einmal sehr müde, und sehr alt. Was konnte er den Familien sagen? Es gab keine Worte, die wirklich halfen. All die wohlfeilen Phrasen, die er zur Genüge kannte und auch benutzt hatte, verblassten einfach vor der schieren Sinnlosigkeit dieses Opfers. Einige hundert Menschen und Akarii waren auf einer Welt zusammengetroffen, die den einzelnen Soldaten kaum etwas bedeutete. Es war nicht um eine Entscheidungsschlacht gegangen, nicht um einen Frontdurchbruch, ein Hauptquartier, den Sieg in diesem Krieg. Erbarmungslos hatten sie sich gegenseitig ausgemerzt. Doch wofür – darauf gab es keine Antwort. Und so sehr der Colonel auch suchte, ihm wollte keine einfallen.
26.12.2015 09:58 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Themenstarter Thema begonnen von Cattaneo
Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Ace

„Minen! MINEN! Ausweichmanöver!“, gellte Ohkas Stimme in meinen Ohren.
Die Reaktion erfolgte sofort. In langen Jahren im Raumkampf hatte sich die Routine für diesen Ruf ausgebildet. Ein Blick auf die Massetaster, ein harter Schlag mit der Aktiv-Ortung und danach die Analyse in einem einzigen Sekundenbruchteil, dass ich nicht direkt gefährdet war. Ruckartig ließ ich die Steuerung los, um nicht doch noch eine unbedachte Kursänderung durchzuführen.
Andere waren da nicht so glücklich. Crusader brach leicht aus, und sogar Skunk konnte den Reflex nicht unterdrücken und verlor ein paar Grad Kursabweichung.
Ich lächelte zynisch und griff langsam wieder nach meinem Stick. Das Auffächern hatte sich also wirklich ausgezahlt. Im Stillen beglückwünschte ich Cunningham zu dieser Idee.
Danach überprüfte ich das Log. Ein erhöhter Schauer kurzlebiger Gamma-Strahlung aus mindestens fünf verschiedenen Richtungen war festgestellt worden. Das bedeutete wohl, dass die Minen – oder zumindest ein Teil – hochgegangen waren.
Das erinnerte mich wieder an meine Pflichten. „Ohka, Crusader, Meldungen über Beschädigungen an mich.“
„Crusader hier. Habe mich mächtig erschrocken, aber bis auf ein wenig Heißes hat mich nichts getroffen. Was ist überhaupt passiert?“
„Ich schätze, die Fregatte da drüben hat uns ein paar Minen in den Weg geschossen. Und wir sind mitten rein. Hätte Lone Wolf uns nicht befohlen, auseinander zu fächern, würden wir jetzt alt aussehen. Ohka, Bericht.“
Stille antwortete mir. Sein Icon war noch auf meinem Schirm, aber… Die Telemetrie zu seiner Maschine war abgebrochen. Ich bekam keine Daten mehr über seinen Vogel herein. „Ohka, Bericht!“, blaffte ich.
Ich checkte meine Aufzeichnungen, verglich die Analysen des Bordcomputers mit der Minenexplosion und schluckte hart. Er musste in den Ausläufern der Minen gewesen sein. Verdammt, die Dinger waren dazu gedacht, die Schilde von Schiffen aufzusprengen! Ein Jäger war für die nicht mehr als eine niedliche Vorspeise. Ich atmete tief durch und wechselte den Kanal. „Lone Wolf von Ace. Ohka wurde von den Minen erwischt. Von hier aus kann ich nicht sagen, wie schwer.“
„Lone Wolf, verstanden. Ace, aufschließen und Kurs beibehalten. Ein SAR-Shuttle der COLUMBIA wird ihn aufsammeln.“
Unwillkürlich sah ich auf die nahende Fregatte und die Fernstreckenjäger. Dann verglich ich die Anzeigen der Flotte, sowie die Meldung über die grüne Staffel, die uns zur Hilfe eilte. Bis sie abgebremst hatten, in die richtige Richtung beschleunigt und sich hier an Ohkas Geschwindigkeit angepasst hatten, würden Stunden vergehen. Stunden, in denen die Akarii hier ihren eigenen Hinterhof anlegen konnten.
„Sir. Ich halte das für keine gute Idee. Die Akarii sind zu nahe und die Zeit ist zu knapp. Bitte erlauben Sie mir, eine Rettungsaktion durchzuführen.“
„Was wollen Sie machen? Ihn auf Ihre Außenhülle heften und zur COLUMBIA fliegen?“
„Bei Darkness hat es geklappt“, versetzte ich ernst.
„Ace. Ich habe bei dieser Mission bereits einen Piloten verloren. Jetzt verliere ich vielleicht einen zweiten. Aber ich will verdammt sein, wenn auch noch ein dritter und ein vierter hinzukommt!“
„Das wird nicht passieren, Sir. Das Wrack von Ohkas Jäger, so denn noch etwas von ihm übrig ist, fliegt mit der gleichen Geschwindigkeit und wahrscheinlich dem gleichen Kurs wie wir. Wir haben es wesentlich leichter, uns an ihn anzupassen und ihn zu übernehmen. Ich denke, das ist eine bessere Idee, als ihn der Kriegsgefangenschaft auszusetzen. Verdammt, Lone Wolf! Ich weiß, wovon ich rede!“
„Und ich weiß, wovon ich rede, wenn ich nicht will, dass Sie da noch mal rein müssen!“, blaffte der Commander wütend. „Sie haben Befehle, Ace!“
Ich senkte den Kopf. Verdammt! Ein SAR würde definitiv zu spät kommen, die Fregatte war zu nahe. Und wenn die Langstreckenjäger erstmal hier waren, wurde es richtig lustig! Ich musste irgendwie, irgendwie meinen Willen durchsetzen.
„Sir. Ich habe heute schon einen Piloten unter meinem Kommando verloren. Ich will keinen zweiten verlieren. Zwingen Sie mich nicht, meinen Dickkopf durchzusetzen.“
„Du hast Kredit bei mir, mein Junge, aber der ist gerade beträchtlich geschrumpft. Sei froh, dass es unsere eigene Leitung ist, okay? Sag mir deinen Plan. Aber wenn er nicht gut ist, halte dich an deine Befehle.“
„Der Plan ist wie folgt. Ich lasse mich mit Crusader zurückfallen, weil wir beide dicht beieinander sind. Wir werden der eigentlichen Rettungsmission Deckung geben und nach weiteren Minen Ausschau halten. Währenddessen wird Kali das Wrack von Ohkas Mühle suchen und das, was davon übrig ist, auf ihre Maschine heften. Die magnetischen Trossen schaffen das.“
„Himmel, du willst, das Kali in ein Minenfeld fliegt?“
„Sie ist am nächsten dran! Und Sie haben gesagt, Sie wollen einen Plan!“, erwiderte ich lauter als ich vorgehabt hatte. „Also?“
„Zeitfenster von zwanzig Minuten. Hat Kali dann ihren kleinen Japs nicht an der Leine, fliegt Ihr ab und überlasst das Geschehen der grünen Staffel und den SAR, verstanden?“
„Danke, Commander! Ich werde Sie nicht enttäuschen!“
„Nur um das klarzustellen, Cliff. Ich will auch keinen mehr verlieren. Und jetzt geben Sie Ihr Bestes, Ace!“

Ich wechselte die Frequenz. „Crusader, Antrieb abstellen. Kali, Antrieb aus und einbremsen. Du bist Ohkas Position am nächsten. Wir wollen uns ansehen, ob es noch was zu retten gibt. Crusader und ich halten für dich nach weiteren Minen Ausschau, aber sei trotzdem vorsichtig, ja?“
„Verstanden.“ Irrte ich mich, oder klang Helens Stimme merkwürdig erleichtert?
„So wie ich das sehe, ist das Weltall sauber“, brummte Crusader.
„Bei mir sieht es ähnlich aus. Kali, freier Flug.“
„Verstanden. Nähere mich der letzten Position der Telemetriedaten. Moment, ich kriege hier was rein! Ein Notsignal! Es kommt ungefähr von Ohkas letzter Position! Drei Grad Abweichung, fünfzig Kilometer entfernt!“
Großartig, wenn er ausgestiegen war, nachdem die harte Strahlung abgeebbt war. Dann war er nicht Medium gegrillt worden. Noch besser, wenn er sein Cockpit gar nicht erst verlassen hatte und das Notsignal manuell aktiviert worden war. Fünfzehn Minuten! Mist, Kali, das musste schneller gehen!
Ich konnte ein paar Minuten überziehen, aber für jede einzelne würde Lucas Cunningham meinen Arsch kielholen lassen. Er ging ein wesentlich größeres Risiko ein als ich, als er diese Rettungsaktion genehmigt hatte.
„Ich kriege wieder Telemetriedaten von seinem Jäger. Es hat ihn übel erwischt. Aber das Cockpit der Nighthawk gilt nicht umsonst als sicherster Ort des ganzen Jägers“, murmelte Kali konzentriert. „Sichtkontakt mit den Fernkameras. Himmel, viel ist ja nicht von ihm übrig.“
„Solange die Telemetriedaten sagen, dass das Cockpit noch ganz ist, habe ich da kein Problem mit.“ Zumindest die Tatsache, dass der Notsender offensichtlich manuell eingeschaltet worden war bewies, dass Kano noch lebte. Und ich hoffte, dass das nicht ein letztes Aufbäumen eines völlig verstrahlten Zombies gewesen war. Ich hatte das einmal erlebt. Und ich wollte es nie, nie wieder erleben. Vor allem nicht an mir.
„Ich nähere mich vorsichtig an. Ich funke ihn an. Keine Reaktion!“ Ihre Stimme wurde panisch.
„Mensch, Kali, nun werde nicht schwach! Das ist dein Kerl da draußen, und er braucht deine Hilfe!“, klang Crusaders Stimme auf. „Wir haben nur gerade vertauschte Rollen! Du bist der strahlende Prinz auf dem weißen Ross, und er die Prinzessin im höchsten Turm der Burg. Also los, bewahre die Ruhe und schnapp dir deine Prinzessin! Der Kerl schuldet mir noch Geld vom Pokern, und er wird sich nicht so aus der Affäre ziehen!“
„Du bist unmöglich.“, tadelte ich den anderen Piloten.
„Schuldig im Sinne der Anklage.“, erwiderte Crusader, und ich glaubte das burschikose Grinsen des anderen Piloten sehen zu können. Elf Minuten.
„Könnt Ihr nicht mal still sein? Ich suche gerade eine gute Ecke, um die Trossen zu verankern.“
Ich drückte ihr die Daumen.
„Verankert. Ich ziehe das Cockpit zu mir herüber. Himmel, verdammte Massenträgheit. Das war ein Rumms, davon zittert meine Panzerung nächste Woche noch!“
„Kriegst du Telemetriedaten aus dem Cockpit? Kannst du was zum Piloten sagen?“
„Nein… Ich kriege nichts rein.“
Ich schluckte hart. Neun Minuten. „Dann sollten wir zusehen, dass wir ihn auf die COLUMBIA schaffen. Kali, gib Gas und schließ zu uns auf. Wir sind ab sofort die wackeren Recken, die den strahlenden Prinzen und seine Prinzessin verteidigen werden.“
„Da hast du was angerichtet, Crusader. Wir sprechen uns auf der COLUMBIA! Kali beschleunigt.“
Erleichtert atmete ich auf, als Kalis Anzeige langsam aufschloss. Damit verließ sie das voraussichtliche Aktionsfenster der Fregatte, die immer noch näher kam. Noch zehn Minuten, und wir hatten es geschafft. Bis die auf Höchstfahrt laufende Fregatte abgebremst und ihren Kurs korrigiert hatte, waren wir längst wieder auf dem Träger.
„Lone Wolf von Ace. Haben Ohkas Cockpit geborgen und eskortieren Kalis Maschine zurück zur COLUMBIA. Zustand des Piloten ungewiss. Ich empfehle Nofallprozeduren.“
Cunningham atmete hörbar über die Leitung aus. „Ist das Cockpit unbeschädigt?“
„Ja, Sir.“
„Dann war es nicht umsonst, oder?“
„Ohka hat einen unheilvollen Hang dazu, ständig zu überleben.“, erinnerte ich. Der Junge war schon dreimal ausgestiegen und hatte es immer geschafft. Er war nicht tot zu kriegen. Und das machte mich sogar ein wenig stolz auf ihn. „Heute schafft er Nummer vier.“
„Ihr Wort in Gottes Ohr, Ace“, erwiderte Cunningham. Leiser fügte er hinzu: „Aber ich bezweifle, dass er uns hier draußen zuhört.“
In zwei Pulks flogen wir zur COLUMBIA zurück. Vorneweg Lone Wolf, Monty und Skunk, dahinter und mit einer guten Distanz zu unseren Verfolgern Crusader, ich und Kali mit Ohkas Cockpit auf dem Flieger. Und mit dem, was da drin war.
Wütend ballte ich die Hände zu Fäusten. Verdammt, wenn er tot war, dann würde ich ihn noch mal umbringen!

***

Es war ein schöner sonniger Tag auf der Südhalbkugel der Erde, genauer gesagt auf einem großen Anwesen einhundert Kilometer nördlich von Sydney, auf dem australischen Kontinent.
Aber Sonnentage hatte Australien wahrlich genug. Was zu dem bedauernswerten Umstand führte, dass der riesige Garten, der zu dem Anwesen gehörte, einer intensiven Pflege und Bewässerung bedurfte. Normalerweise hätte es ein Heer von Gärtnern und Hilfskräften gebraucht, um das zu schaffen – seit drei Jahren reichte ein einziger Mensch, genauer gesagt eine einzige Frau.
Sie hatte den größten Teil der durstigen Importpflanzen durch einheimische Gewächse ersetzt, einen Steingarten nach japanischem Vorbild angelegt und einige robuste Hecken gepflanzt, die nun einen kleinen Irrgarten bildeten. Eine kleine erkleckliche Anzahl an durstigen Pflanzen aus den Tropen oder dem hohen Norden waren geblieben, und sie pflegte diese mit unverhohlener Hingabe.
Diese Gedanken gingen dem Besucher durch den Kopf, als er den riesigen gelben Strohhut inmitten der Beete ausmachte. Natürlich wieder die Rosen. „MELISSA!“
Der Hut drehte sich in seine Richtung, fuhr nach oben und entblößte das alte, aber immer noch attraktive Gesicht einer braunhaarigen Frau Ende der Fünfzig. „Gomy!“ Sie lächelte, rückte den Strohhut wieder zurecht und erhob sich. Demonstrativ klopfte sie sich die Erde von den Knien ab, bevor sie langsam auf ihren Gast zuging.
Der alte Mann reichte ihr ein feuchtes Handtuch, mit dem sie sich die mit Erde beschmierten Hände abwischen konnte, bevor sie ihm die Rechte reichte – er kannte die Einstellung der Frau gut genug.
„Schön dich zu sehen, Gomy. Was macht deine Arbeit im Fort?“
Er umarmte die Frau herzlich, aber nicht lang genug, um alte Gefühle aufflammen zu lassen. „Was soll ich sagen? Sie reden und reden und reden, wie sie es immer tun. Hätte Nathan mich nicht getreten, hätte ich einen Teufel getan und wäre zurückgekommen.“
„Getreten“, spottete sie und führte den Gast zur Terrasse, auf dessen Tisch bereits Tee für drei Personen serviert worden war. „Angebettelt hast du ihn, gib es doch zu, Montgomery Davis.“
Der Commodore im Ruhestand, derzeit reaktiviert, lächelte dünn. „Melissa, das ist ein Dienstgeheimnis.“
Ein Schatten flog über ihr Gesicht. Es war vom Standpunkt eines Menschen mit über dreißig Dienstjahren noch nicht besonders lange her, über zwei Jahre im erzwungenen Ruhestand zu sein, und deshalb schmerzte es die unehrenhaft entlassene Admirälin Melissa Alexander immer noch ein wenig, wenn sie mit einem ehemaligen Kameraden redete.
Montgomery Davis hielt Melissa Alexander der Stuhl, damit sie sich setzen konnte. Erst danach nahm er Platz. Wong, der treue Hausgeist, servierte den Tee und schenkte zwei der Tassen voll.
Melissa überging die Navy und deutete auf die dritte Tasse. „Wer?“
„Amber Soleil, Commander. Sie ist die Freundin von Justus.“
„Ah, der Lieblingscousin von Cliff. Das ist nett, dass du sie zum Besuch einer Versagerin wie mir überreden konntest.“
Die Hände von Davis krallten sich in das Tischtuch. „Mel, ich bin immer noch der Meinung, dass du…“
„Fang bitte nicht wieder damit an. Natürlich war ich nicht alleine und persönlich daran schuld, dass Trafalgar und damit das ganze System gefallen ist. Es gab hunderte Versager, unglückliche Umstände und verteufeltes Glück für die verdammten Echsen. Aber einer musste die Verantwortung übernehmen und die Konsequenzen tragen. Einer muss dafür gerade stehen. Wir haben Manticore verloren, ICH habe Manticore verloren.“
„Warum hast du Mannheim nicht den gerechten Anteil daran tragen lassen? Verdammt, Mel, sie hatte das Oberkommando! Du warst für die verdammte Flotte nicht verantwortlich! Nur für Trafalgar!“
„Weil sie sich nicht mehr hätte verteidigen können, darum, verdammt noch mal! Und ich bin nicht feige genug, um alle meine Fehler auf einen Toten zu schieben!“ Die ehemalige Admirälin sah auf ihre Hände, die beträchtlich zitterten. „Die Zweite Flotte wäre beinahe zerschlagen worden. Weiß der Teufel, wie Renault es geschafft hat, sie nicht nur wieder aufzubauen, sondern auch noch zum Schrecksynonym für alle Akarii zu machen, aber ich habe nur einen Anteil an der Niederlage, nicht an den Siegen, Graxon hin, Graxon her.“
„Mel, ich…“
„Es ist in Ordnung.“ Sie sah auf und lächelte. „Ich habe hier ein gutes Leben. Ich bin nicht auf die Pension der Navy angewiesen, weil ich beizeiten genügend beiseite gelegt habe. Aber ehrlich gesagt wollte ich meinen Lebensabend auf Trafalgar verbringen. Kannst du das nicht einrichten, Gomy?“
Der Commodore räusperte sich. „Es tut mir weh, dich so zu sehen, Mel.“
„Aber, aber. Ich sehe doch schon viel besser aus als beim Kriegsgericht. Hätte ich damals Cliff nicht gehabt, hätte ich mir wahrscheinlich meine Dienstwaffe an den Schädel gehalten, bevor sie mir die auch noch weggenommen hätten. Nein, ich habe jetzt eine neue Familie, und um meinen Sohn habe ich lange genug geweint, dass es weh tut. Ich hätte nur zu gerne einen Enkel gehabt, weißt du? Einen, der den Namen Alexander fortsetzt. Aber diese Hoffnung muss ich wohl begraben.“
„Du bist immer noch jung genug, um ein Kind zu haben, Mel.“
Die ehemalige Admirälin lachte gehässig. „Einen Ersatz erschaffen? Für meinen toten Jungen? Ihn in eine Welt setzen, in der ich so sehr gehasst werde wie Jor, weil ich das Synonym für Trafalgar bin? Für den Verlust von vier Trägern und ungezählten Menschenleben? Mit wem überhaupt?“
Montgomery Davis räusperte sich verlegen. „Lassen wir das.“
„Oho. Gomy, machst du dir immer noch Hoffnungen auf mich? Ich dachte, nachdem ich auf Trafalgar geheiratet habe, hättest du diese Marotte aufgegeben.“
„Du weißt doch, Mel, alte Liebe rostet nicht. Und wir wären ja beide wieder frei. Wie wäre es?“ Vertraulich zwinkerte Davis.
„Vergiss es. Selbst wenn ich dich wollte. Nein, das ist falsch formuliert. Selbst wenn ich statt meines besten Freundes einen Geliebten oder gar Partner haben wollte. Ich würde niemanden aus der Flotte nehmen, dem ein Strick daraus gedreht werden kann, weil er mit mir zusammen ist.“ Sie seufzte entsagungsvoll.
In diesem Moment kam Amber Soleil beschwingten Schrittes auf die Terrasse. „Admiral Alexander. Es ist mir eine Ehre, Sie kennen zu lernen. Ich bin Commander Amber Soleil, Kommandeurin des Norfolk-Zerstörers PROMMA.“
Automatisch imitierte Alexander den militärischen Salut des weiblichen Commanders, bevor sie sich peinlich berührt ihres Fehlers bewusst wurde. „Nicht Admiral, Commander Soleil.“
Verwundert sah Soleil Commodore Davis an. „Haben Sie es ihr noch nicht gesagt, Sir?“
„Nein, ich bin nicht dazu gekommen. Aber jetzt ist die beste Gelegenheit, um es auf den Tisch zu bringen.“ Eine große Metallmappe mit der Aufschrift Top Secret schlitterte über den Tisch und stieß dabei fast Melissa Alexanders Tee herab.
„Was denkst du, Mel, hast du nicht Lust, deinen Rang, deine Orden und deinen Stützpunkt zurück zu kriegen?“
„Was?“, hauchte sie entsetzt. Mit zitternden Fingern öffnete sie die Mappe. Ihr fielen zwei dienstliche Befehle in die Hände, dazu mehrere Dossiers. „Gomy, was bedeutet das?“
„Frost bietet dir die Gelegenheit, dich zu rehabilitieren. Allerdings zu einem horrenden Preis“, sagte Davis ernst. „Kennst du das Sprichwort: Nur Nixon konnte nach China gehen?“
„Ein ehemaliger Präsident, der wegen einer Spionageaffäre zurücktreten musste. Er hat den diplomatischen Kontakt mit einer eigentlich verfeindeten Nation eröffnet. Erfolgreich eröffnet. Ich habe meine Geschichtslektionen gelernt, Gomy.“
„Hm. Möchtest du, dass das Sprichwort in Zukunft lautet: Nur Alexander konnte nach Manticore gehen?“
„Dir bekommt wohl die australische Sonne nicht, Gomy. Geh besser in den Schatten.“ Wütend erhob sich Alexander und wollte das Haus betreten, als die ruhige Stimme von Davis sie inne halten ließ.
„Wir haben die von Braun-Linie überschritten, Mel. Wir haben mit den Siegen in Graxon, Corsfield, Velorha und Beta Borealis Manticore fast dicht gemacht. Die Colonials schlagen sich genauso gut wie wir. Außerdem jagen wir in diesem Moment Jor, die verdammte Glattschuppe, die den Angriff auf deine Welt angeführt hat.
Und dann haben die Akarii neulich das Sprungloch nach Texas mit einer Antimaterieladung verschlossen. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn das Oberkommando auf Trafalgar nicht die Hosen voll hat.“
„Und was habe ich damit zu tun?“
„Mel, es ist deine Welt. Patricia hat die Navy beauftragt, herauszufinden, ob Verhandlungen mit ihnen möglich sind. Aber Nathan will keinen seiner hohen Offiziere verlieren. Da kommst du ins Spiel. Du kannst zurück nach Manticore gehen.“
„Ein Selbstmordauftrag?“, schnarrte sie.
„Ein Auftrag, um deine Ehre wiederherzustellen. Wenn du es schaffst, die Echsen zur Kapitulation oder zum Abzug zu überreden, kriegst du dein Kommando wieder.“
„Und wenn ich es nicht schaffe?“
„Deinen Rang kriegst du in jedem Fall wieder. Ebenso deine Pensionsansprüche. Und ich glaube, dass man in Zukunft so über dich spricht, wie du es verdienst, mit Respekt, verdammt.“
„Falls ich es überlebe, oder?“, fragte sie mit vor Sarkasmus triefender Stimme. Ihr Blick ging zu der jungen Offizierin. „Und Sie sind das Schaf, das ich mit zur Schlachtbank führen soll?“
Amber Soleil nickte. „Wenn Sie es so wollen, ja. Die Navy hat Freiwillige gesucht, und das war die schnellste Methode, an ein Kommando zu kommen. Im Übrigen habe ich nicht vor, in Kriegsgefangenschaft zu gehen oder in Manticore zu bleiben, Mrs. Alexander. Ich glaube an Sie und ich setze mein Leben. Entweder gewinnen wir Manticore, oder wir finden zumindest heraus, inwieweit sich die Akarii auf uns einlassen werden. Wenn nicht beim ersten Besuch, dann vielleicht beim zweiten. Oder beim dritten. Selbst wenn wir nur einen Austausch von Gefangenen vereinbaren können, wäre das ein enormer Fortschritt, von dem heutzutage noch niemand zu träumen wagt, Mrs. Alexander.“
„Du wirst nicht alleine gehen. Ich werde dich als Chef deines Stabes begleiten“, fügte Davis ernst hinzu.
Ein dunkles Lächeln spielte um Melissa Alexanders Züge. „Ist Promma nicht der Name eines Akarii-Trägers?“
„Ja. Er wurde vor anderthalb Jahren von Admiral Long zerstört. In Anbetracht der Tapferkeit, mit der sich das Schiff gewehrt hat, wurde beschlossen, einen Zerstörer nach ihr zu benennen, um die tapfere Crew und ihre Zähigkeit zu würdigen. Promma heißt Stolz auf deutsch, Mrs. Alexander.“
„Ein geeigneter Schiffsname, um diesen Akt des Wahnsinns durchzuführen.“ Sie sah zurück. „Es heißt übrigens nicht Mrs. Alexander. Es heißt Admiral, Commander Soleil.“

***

Als Admiral Alexander in voller Ausgehuniform an Bord der an Fort Lexington angedockten PROMMA ging, wurde sie mit allen Ehren eines Vize-Admirals empfangen.
Kapitän Soleil begrüßte sie selbstverständlich persönlich, und mit ihr ein Großteil der Crew des Schiffes.
„Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen.“
„Erlaubnis erteilt, Admiral.“
Die Bootsmannspfeifen schrillten, die Mannschaften salutierten vorschriftsmäßig. Einzig die Hymnen von Flotte und Republik wurden nicht gespielt.
„Schön, dass Sie an Bord sind, Ma´am“, sagte Amber Soleil und reichte der älteren Frau die Hand.
Melissa Alexander griff ohne zu zögern zu. „Schön, endlich da zu sein. Wann können wir aufbrechen?“
„Sofort, Ma´am. Vorräte sind aufgefüllt, Munition bis zum Erbrechen gelagert und die Crew und das diplomatische Corps sind ebenfalls vollzählig angetreten.“
„Diplomatisches Corps?“, fragte sie erstaunt, während sie dem Commodore neben Soleil die Hand drückte. „Schön, dich zu sehen, Gomy.“
„Ich kann dich doch nicht alleine ins Unglück fliegen lassen“, erwiderte der große Mann schmunzelnd. Die beiden tauschten harmlose Küsschen auf die Wangen aus.
„Mit dem diplomatischen Corps meinte sie wohl mich“, meldete sich der Mann in Zivil, der bis dato regungslos neben dem Commodore gestanden hatte. „Senator Joseph Mansfield, Admiral. Ich und ein paar freiwillige Verwaltungsbeamte begleiten Sie als ziviler Stab.“
„Mansfield? Ich hatte gehört, Sie hätten Ihr Amt verloren.“
Der ältere Mann mit dem schütteren weißen Haaren lächelte dünn. „Nun, ich wurde zur nächsten Senatorenwahl von meiner Partei nicht mehr aufgestellt. Das ist ein Unterschied. Aber ein Dekret der Präsidentin hat die Regierung in ihrer jetzigen Aufstellung eingefroren. Da hätte ich höchstens freiwillig zurücktreten können. Und das habe ich meinen politischen Gegnern nicht gegönnt.“
„Ich erinnere mich an den Trubel nicht besonders gut“, erwiderte Alexander und schüttelte dem Mann die Hand. „Als das passierte, war ich Gefangene im Camp Hellmountain.“
„Ich habe damals vorgeschlagen, Verhandlungen mit den Akarii aufzunehmen, Admiral. Das war für die Hardliner in Flotte und Regierung nicht akzeptabel. Im Anschluss musste ich meine Ausschussplätze abgeben und innerhalb der Partei habe ich meine wichtigsten Ämter verloren. Ich hätte zur Friedensbewegung wechseln können. Aber ein alter Hund lernt nun mal keine neuen Tricks.“
„Und jetzt sind Sie auf dem Weg zu den Verhandlungen, die Sie ursprünglich vorgeschlagen haben. Ist das nicht eine Genugtuung für Sie?“
Der Senator verzog die Miene. „Ich bin auf dem Weg zu Sondierungsgesprächen, die noch nicht einmal angekündigt sind. Das ist nicht das gleiche wie Friedensgespräche.“
„Nur Nixon konnte nach China gehen“, erwiderte Alexander grinsend.
„So kann man es auch sehen.“
Admiral Alexander wandte sich dem vierten Mann in der Reihe zu, das heißt sie hoffte, dass es ein Mann war. Bei Akarii war sie sich oft sehr unsicher, was das anging. Jedenfalls deuteten die beiden schwer bewaffneten Marines hinter dem Akarii darauf hin, dass sie es hier nicht mit einem Soldaten aus der Confederation zu tun hatten. „Und mit wem habe ich jetzt die Ehre?“
„Erster Leutnant Ry Hallas, Admiral Alexander. Ich bin der Sprecher der akariischen Kriegsgefangenen, die Sie begleiten“, sagte der Akarii in hervorragendem Deutsch.
Irritiert hob Alexander die Augenbrauen.
„Eine Idee von Präsidentin Birmingham. Wir nehmen fünf ausgesuchte Kriegsgefangene von Texas mit. Leutnant Hallas ist der Ranghöchste. Wir hoffen, damit unseren guten Willen beweisen zu können und eventuell einen Austausch beginnen zu können.“
„So. Dürfen Sie sich frei an Bord bewegen oder ist das heute die Ausnahme, Leutnant?“
„Wir haben einen fest zugewiesenen Bereich, in dem wir uns frei bewegen können. Aber ich versichere Ihnen, dass wir die Mission in keinster Weise behindern werden. Immerhin bedeutet sie für uns nach bis zu fünf terranischen Jahren Gefangenschaft die Chance auf Repatriierung.“
„Nun, ich nehme Sie beim Wort. Kapitän Soleil!“
„Ma´am?“ „Passen Sie mir trotzdem gut auf unsere schuppigen Freunde auf, ja?“
„Natürlich, Ma´am. Darf ich Sie eventuell darüber informieren, dass Erster Leutnant Hallas ein Bekannter von First Lieutenant Clifford Davis ist?“
„Aha. Wahrscheinlich der Grund, warum er ausgesucht wurde. Und wie kam das zustande?“
„Soweit ich weiß wurde der Leutnant zu Beginn des Krieges abgeschossen. Lieutenant Davis hat, da er als einziger an Bord Drom und Hara sprach, das Verhör an Bord der REDEMPTION übernommen, und anschließend eine kleine Abhandlung über die Kriegersprache Sekurr verfasst. Im Gegenzug hat der Erste Leutnant Englisch und Deutsch gelernt. Er ist nun einer der Besten in dieser Sprache, auch ein Grund, warum wir ihn ausgewählt haben.“
„Hast du sonst noch eine Überraschung für mich, mein lieber Gomy?“
Der Commodore salutierte mit steifer Miene. „Nein, Admiral, das war es vorerst. Aber ich sollte noch erwähnen, das wir einen beträchtlichen Umweg fliegen müssen, da die Texas-Route gesperrt wurde.“
„Es scheint, dass Patricia Birmingham doch einige Hoffnungen in diese Mission setzt“, stellte Alexander fest. „Lassen Sie wegtreten und fertig machen zum ablegen, Kapitän Soleil. Anschließend sollten wir unser erstes Gespräch führen, Senator Mansfield, Commodore Davis.“
„Aye, Ma´am.“

***

„Wie ich schon erwähnt habe, wir fliegen in nicht avisierte Sondierungsgespräche. Es kann durchaus sein, dass uns die Akarii aus dem Weltall putzen, sobald wir das Wurmloch verlassen“, mahnte Mansfield.
„Wir nehmen eine Route, von der wir wissen, dass die Akarii sie mit eigenen Schiffen überwachen“, warf Davis ein. „Wir werden uns regulär anmelden können. Wenn die Akarii nicht daran interessiert sind was wir zu sagen haben, dann können sie uns da schon zerstören, und nicht erst in Manticore.“
„Argument!“, sagte Alexander fest. Gedankenverloren rührte sie Zucker in ihren Tee. „Was wissen wir über die Befehlshaber? Haben die Akarii einen zivilen Gouverneur eingesetzt oder steht das ganze System noch immer unter Kriegsrecht?“
„Admiral Davlin führt das Kommando. Zorgeste Davlin. Er hat den Job vor etwa einem Jahr übernommen. Er ist ein alter Veteran, und die Betonung liegt hier wirklich auf alt. Ein gerissener Fuchs, der seit fünfzig Jahren durch dieses Minenfeld findet, das sich Reichsadmiralität nennt, und sicherlich ein ernstzunehmender Gegner, aber mit seinen neunzig Jahren hätte er längst in den Ruhestand wechseln können. Wir nehmen an, dass er nach Trafalgar geschickt wurde, weil sein weitaus jüngerer Vorgänger noch längere Zeit für das Reich nützen soll. Oder anders ausgedrückt: Wenn wir Trafalgar zurückerobern, ist es um einen alten Admiral nicht so schade wie um einen jungen.“
„Hm. Hoffentlich ist er nicht schon zu alt und taub auf den Ohren Frieden und Gefangenenaustausch“, murrte Alexander. „Was wissen wir über die Flotten der Akarii im System?“
„Nicht viel, zugegeben. Die ursprüngliche Angriffsstreitmacht wurde aufgelöst, aber die Garnison entspricht der Stärke einer terranischen Flotte. Immerhin ist Manticore ihre wichtigste Eroberung in diesem Krieg. Und es wäre immer noch ein Messer an der terranischen Kehle, wenn sie das Wurmloch nach Texas nicht geschlossen hätten.“
„Wie stehen unsere Chancen auf einen Abzug der Akarii? Meinetwegen freies Geleit, Versorgungsgüter, Bestechung und dergleichen.“
„Sie wollen einen Akarii-Admiral bestechen?“ Mansfield runzelte die Stirn. „Das klingt nett, Ma´am, aber das hat noch niemand versucht.“
„Dann werden wir wohl die ersten sein. Beginnen wir die Bestechung damit, dass wir die fünf gefangenen Akarii freilassen, ohne eine Gegenleistung zu fordern. Mit etwas Glück fühlt sich Davlin angeregt und lässt seinerseits ein paar Offiziere und Mannschaften frei.
Haben wir Informationen über die Lage auf Trafalgar? Unsere Leute sind seit fünf Jahren interniert. Wie ist ihre Situation? Wie ihr Gesundheitsstand? Trafalgar ist nicht Hellmountain, immerhin.“
„Wir haben natürlich noch Agenten auf der Welt, dazu hier und da ein paar kämpfende Truppen, die sich auf Guerilla-Taktiken verlegt haben. Unterstützt werden sie meist von der ortsansässigen Bevölkerung, aber ihre Aktionen gehen hauptsächlich gegen Nachschublinien und dergleichen, um Repressalien an den Bürgern zu vermeiden. Meistens jedenfalls. Die Gefangenenlager sind eher Arbeitscamps. Die Akarii benutzen unsere Leute dazu, um Kriegsschäden zu beseitigen. Fähige Leute arbeiten als Ingenieure und Techniker in den Fabriken und Werften. Und es heißt, die Akarii haben riesige zusätzliche Felder angelegt, die von Hand eingesät, geeggt und geerntet werden, um die Gefangenen beschäftigt zu halten. Jeder achte Tag ist frei.“
„Dürfen die Gefangenen die Lager verlassen?“
„Es gibt Ausnahmen, aber generell dürfen sie das nicht, oder nur in Begleitung von MP. Aber die Angehörigen haben Besuchsrecht. Sie wissen ja, die meisten sind Trafalgarianer.“
„In der Tat weiß ich das, Senator.“ Mürrisch sah sie zu ihm herüber.
„Das war nicht als Tadel gemeint, Admiral.“
„Ich weiß. Es tut aber trotzdem weh.
Gomy, ich nehme an, du hast dich um Rotkreuz-Päckchen gekümmert?“
„Selbstverständlich.“
„Rotkreuz-Päckchen?“, fragte Mansfield.
„In den prästellaren Kriegen hat das Rote Kreuz teilweise die medizinische Betreuung der Kriegsgefangenen in den Lagern übernommen, oder zumindest zusätzliche Rationen durch so genannte Rotkreuz-Päckchen geliefert. Sie enthielten zusätzliche Nahrungsmittel von daheim. Vielleicht können wir diese Tradition wieder aufleben lassen.“
„Wir könnten im Gegenzug Päckchen der Akarii mitnehmen“, schlug Mansfield vor.
„Das sind doch schon eine Menge guter Ideen, meine Herren.“ Alexander kniff die Augen zusammen. „Nur müssen wir erst einmal ins System kommen. Das ist unsere erste große Hürde, meine Herren.“

***

Gorvan Sattala hatte es nicht gerade leicht. Gewiss, er hatte eine geradezu kometengleiche Karriere hinter sich, er war einer der Top-Protegés des Sattala-Clans und er hatte Förderer direkt in der akariischen Flottenzentrale. All dies hatte dazu geführt, dass er nun über die NABUKO verfügte, einen Leichten Kreuzer der Warlan-Klasse. Und dass er diese überlegene Raumkampfwaffe an einem Ort führen konnte, der bei Kriegsbeginn als DER Ort zukünftiger Kampfhandlungen mit den Terranern gehandelt worden war: Das Manticor-System mit der Sektorenhauptwelt Trafalgar.
Nun, die Terraner hatten ihn bitter enttäuscht. Anstatt die Herausforderung anzunehmen und um die Sektorenwelt zu kämpfen, hatten sie plötzlich taktische Finesse entwickelt und zuerst einen sehr erfolgreichen Kreuzer- und Trägerkrieg hinter den Linien geführt. Gerüchte sprachen sogar von einer schweren Attacke im akariischen Hinterland, der über mehrere Wurmlöcher hinaus geführt worden war. In diesem Zusammenhang wurde auch gemunkelt, dass das Sprungloch nach Texas geschlossen worden war, um auf die unglaubliche Aktion der republikanischen Marine zu antworten, die ihrerseits ein Wurmloch geschlossen hatte, aber wer Spekulationen glaubte, hatte seinen Beruf verfehlt.
Danach waren sie in die Offensive gegangen. Sie stellten bei Jollahran den Verstärkungsgeleitzug mit den beiden Trägern, welche die Verluste der Eroberung ausgleichen sollten; Garnisonstruppen im vierstelligen Bereich waren mitgeführt worden, ebenso wie die letzten beiden Gigantschiffe der akariischen Marine, umgebaut zum Raketenkreuzer. Es war ein schlimmes Blutbad für beide Seiten geworden. Jedoch konnte Gorvan den Terranern nicht verzeihen, dass sie dieses Blutbad OHNE IHN angerichtet hatten.
Die folgenden Schlachten wie Corsfield, Beta Borealis, Velorha, hatten den Gegner immer weiter von Manticor fortgeführt. Fort von ihm. Fort von der Gelegenheit, sich zu bewähren, zu beweisen wie gut seine Mannschaft war. Den Unterschied zwischen den Glatthäuten und einem Mann zu beweisen, der einer achttausend Jahre alten Kriegerfamilie entstammte. Es war zum Verrücktwerden.
Gut, gut, er hatte die NABUKO als Commander übernommen und war mittlerweile zum Captain aufgestiegen. Er hatte schon vermehrt Erkundungsverbände angeführt und an kleineren Geplänkeln teilgenommen. Und Zorgeste Davlin hatte ihm mehr als einmal gesagt, dass er persönlich ein Auge auf den vielversprechenden Zögling der Sattala-Familie hatte. Seiner Beförderung zum Admiral und der Übernahme einer Flotte aus Fregatten, Zerstörern und Korvetten mit seiner NABUKO als Flaggschiff stand nicht mehr viel im Wege. Und seine Zukunft schien in frohen Farben vorgemalt zu sein. Solange es Akarii gab, würde er auch gebraucht werden, dessen war er sich sicher. Aber er hatte sich all das nicht auf dem Schlachtfeld verdient! Was nützte es ihm, wenn ein hoch dekorierter und erfolgreicher Mann wie Davlin ihn bemerkt hatte, wenn er die Ränge erklomm wie ein Kletterbock die Berge, wenn hinter all dem keine Siege steckten?
Dieses viel versprechende Kommando, dieser Garant für nachhaltige Gefechte, dieser Punkt an dem sich akariische und terranische Marine hatten treffen und aneinander beweisen sollen, war von der Republik nie angenommen worden. Im Gegenteil, man hatte die starke Präsenz akariischer Schiffe hier stets so gut es ging ignoriert und war anderen Zielen gefolgt. Eines davon zeigte sich jetzt, in einer Zeit, in der das Heimatimperium aufgesplittert worden und die Moral der kämpfenden Truppe beinahe zerschlagen war.
DORT fanden nun die Kämpfe statt. DORT wurde ein fähiger Mann mit fähiger Mannschaft gebraucht. Hätte Davlin heute noch den Befehl gegeben, Manticor zu räumen und der Heimat zu Hilfe zu eilen, er wäre freudestrahlend ausgestiegen und hätte seinen Kreuzer angeschoben! Was für einen Sinn hatte es denn noch, Manticor zu halten, wenn Graxon und Corsfield in terranischer Hand waren? Zumindest ein Teilausfall der Manticor-Flotte musste doch möglich sein, war seines Erachtens zwingend notwendig, um die Schlagkraft der Schiffe auszunutzen, ja, zu beweisen, um die Moral zu erhöhen. Jedwelcher Angriff auf Manticor konnte fortan nur noch über Umwege erfolgen. Eine Flotte, die nahe operierte, konnte mit genügend Vorwarnzeit schnell genug wieder über Trafalgar stehen, wenn es sein musste.
Nun, Gorvan Sattala war sich sicher, sogar sehr sicher, dass die alte Echse ähnlich dachte. Sonst würde Admiral Davlin nicht die umgebenden Systeme patrouillieren lassen. Eine Aufgabe, mit der auch seine NABUKO gerade betraut war. Die Fragen, die sich ihm aufdrängten, begannen dreimal mit w und einmal mit o. Wann würde Davlin handeln? Wo würde er zuschlagen? Welche Einheiten würden die Ehre haben, die notwendigen Befreiungsschläge gegen die Republik auszuführen? Und: Ob sich der alte Veteran wirklich dazu durchringen konnte? Nicht, dass er an Davlin zweifelte. Aber der alte Mann hatte genügend Schlachten in seinem Leben gesehen, und vielleicht stand ihm einfach nicht der Sinn nach mehr Blut und Tod.
Nun, auch Sattala sah im Sterben nicht seinen Lebenssinn, geschweige denn im Töten. Aber er war Soldat geworden, und damit hatte er seine Aufgabe übernommen. Und die hieß, das Reich und seine Bevölkerung zu schützen, selbst für den Preis seines eigenen Lebens.
Aber es schien nicht gerade so, als würde das Schicksal diesen Preis in nächster Zeit von ihm einfordern.

„Captain! Neutrino-Emissionen von Grado-Wurmloch! Etwas springt ins System!“
„Alarm für das Schiff. Die VRITRA soll auf den Kontakt zuhalten, bis der lichtschnelle Transponder eintrifft. Vermutete Tonnage?“
„Nach Eingang der Neutrino-Emissionen rechnen wir mit einem Transfergewicht von dreiundzwanzigtausend metrischen Tonnen.“
Ein düsteres Lächeln umspielte die Mundwinkel des Akarii. Damit konnte es entweder ein eigener Trägerkreuzer oder ein terranischer Zerstörer sein. „Wir drehen bei. Ich will in Reichweite sein, wenn wir eine genaue Identifikation bekommen.“

Fünf Minuten später traf der erste lichtschnelle Transponder ein.
„Terranisches Schiff, Norfolk-Klasse, Eigenkennung PROMMA, Kurs auf das Manticor-Wurmloch.“
Der Captain runzelte die Stirn. „Weitere Aktivität am Wurmloch? Haben wir nachfolgende Schiffe?“
„Negativ, Captain.“
„Das ergibt keinen Sinn. Mit der VRITRA und der GALVIS habe ich zwei Fregatten der Korban-Klasse auf meiner Seite, von der NABUKO einmal abgesehen. Wenn der Norfolk alleine ist, dann wäre jetzt die Gelegenheit, die eigene Fahrt aufzuzehren, auf Gegenkurs zu gehen und stiften zu gehen.
Andererseits, wenn er das Gefecht sucht... Besser gesagt, den Tod sucht, soll mir das willkommen sein. Klar Schiff zum Gefecht.“
„Jawohl, Captain. Klar Schiff zum Gefecht.“
„Eingehende Funknachricht! Admiralsverbindung!“
„Admiralsverbindung?“ Tausend Gedanken schossen Gorvan durch den Kopf. Ebenso wie die Menschen behielten die Akarii bestimmte Frequenzen für Notfälle frei. Einige davon waren für besondere Kommunikationen reserviert. In diesem Fall wurde eine Frequenz angesprochen, die den Admirälen vorbehalten war, um mit ihren Schiffskapitänen zu sprechen. Bedeutete dies etwa, dass...? Ein terranischer Admiral auf einem Zerstörer? Wo lag da der Sinn? Eine Desertion? Kapitulation? „Durchstellen“, sagte der noch junge Offizier mit einem unguten Gefühl im Magen. Sie waren noch viereinhalb Minuten entfernt, entsprechend alt war die lichtschnelle Kommunikation. Kurz überlegte Gorvan, auf Lichtspruch zu wechseln, verwarf es aber wieder.
Als vor ihm der Hauptmonitor das Bild wechselte, glaubte der Karriereoffizier seinen Augen nicht zu trauen! „Admiral Alexander!“
Natürlich hatte die terranische Frau ihn nicht gehört. Dennoch ertappte er sich dabei, wie er sich aus seinem Sitz erhob. „Erhöhte Aufmerksamkeit. Achtet auf treibende Minen, auf Schiffe im Hinterhalt und weitere Sprünge.“ Mit Alexander im System war alles möglich. Dies konnte durchaus der Auftakt zur Abwehrschlacht um Manticor werden.
„Mein Name ist Vize-Admiral Melissa Alexander. Ich rufe den akariischen Patrouillenverband im System. Hiermit ersuche ich um freies Geleit nach Manticor und um ein Gespräch mit Admiral Zorgeste Davlin.“
„Antwort, Captain?“
„Lichtspruch nach Manticor. Übermitteln Sie den Text von Admiral Alexander. Weiterhin auf Alarm bleiben. Marine-Infanterie in Bereitschaft. Nur für den Fall, dass wir den Befehl kriegen, Admiral Alexander ein zweites Mal gefangen zu nehmen.“
„Jawohl, Captain.“
„Nachricht an die PROMMA. Formeller Begrüßungstext und den Hinweis, keine aggressive Handlung zu begehen, der als militärischer Akt gewertet wird und die Zerstörung des Schiffs nach sich ziehen wird.“
„Sie reden nicht selbst mit ihr?“, fragte der Funker erstaunt.
Der Akarii grinste dünn. „Ihr ist zwar die Flucht aus der Gefangenschaft geglückt, aber sie ist nicht mehr die Hausherrin in Manticor. Das können wir ihr ruhig ein wenig vor Augen führen.“
„Jawohl, Sir.“
„Nun heißt es warten“, schloss Gorvan Sattala. Ein Kampf wäre ihm lieber gewesen, aber vielleicht bot dieses Ereignis doch ein paar Möglichkeiten.
26.12.2015 10:00 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Themenstarter Thema begonnen von Cattaneo
Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Tyr

Auch das Aufwachen war für First Lieutenant Kano ‚Ohka’ Nakakura mit dem seltsamen Gefühl verbunden, dies alles schon einmal erlebt zu haben. Der kleine, schmucklose Raum, der in einem klinisch sauber wirkenden Weiß strahlte, und das leise Piepsen der Überwachungsgeräte, weckte in ihm eine lange Zeit verschüttete Erinnerung. Ein paar Augenblicke glaubte er sich wieder an Bord der Redemption, während der Operation um Troffen. Damals war er zweimal in der Krankenstation gelandet. Das eine Mal nur wegen einer Gehirnerschütterung, einer leichten Unterkühlung und einem angebrochenen Knochen. Der zweite Aufenthalt war ernster und langwieriger gewesen. Damals wäre er beinahe im Raum gestorben, verblutet nach einer Explosion im Cockpit. Aber dann erkannte Kano, dass dieses Krankenzimmer doch größer, und moderner eingerichtet war, als es auf dem alten Flottenträger der Fall gewesen war, den sie vor nunmehr gut drei Jahren nach schweren Gefechtsschäden bei Jollahran hatten aufgeben müssen.

Schrittweise kehrte die Erinnerung zurück. Der Einsatz über T’rr. Der Luftkampf mit den Deathhawk. Der Rückflug. Und dann das feindliche Minenfeld. Offensichtlich hatte er überlebt und war sogar von den eigenen Leuten aufgesammelt worden. Und nach den eher spärlichen Überwachungsgeräten, die an ihn angeschlossen waren, war er sogar ohne größere Blessuren davongekommen. All das konstatierte er mit einem seltsam distanzierten Gefühl, verspürte nicht einmal Erleichterung. Dann runzelte er die Stirn. Er hatte überlebt. Aber galt das auch für die anderen Piloten? Galt das auch für…

Das Öffnen der Tür unterbrach seine Gedanken. Der eintretende Mann war allerdings keiner seiner Kameraden oder ein Vorgesetzter. Es war auch kein Arzt. Stattdessen war es Lieutenant Kennet Ross vom Sicherheitsdienst. Kano hatte diesen Mann bereits auf der Redemption kennen gelernt, als mehrere Unfälle an Bord das Gerücht von einem Saboteur hatten hoch kochen lassen. Damals hatte es kurz so ausgesehen, als hätte der Sicherheitsdienst ausgerechnet Ace im Verdacht. Kanos damaliges Zusammentreffen mit Ross war nicht unbedingt harmonisch verlaufen, und er war froh gewesen, dass ihm weitere direkte Begegnungen erspart geblieben waren. Bis heute. Auch wenn Ross rangmäßig nicht über Kano stand, als Mitglied des Sicherheitsdienstes hatte er dennoch eine stärkere Position inne. Unbehaglich fragte sich Kano, was die Sicherheit von ihm wollte. War am Ende doch herausgekommen, dass er gegenüber Kali zumindest Andeutungen über den geplanten Mord an Akarii-Schiffbrüchigen gemacht hatte? In dem Fall…

Lieutenant Ross kam sofort zur Sache: „Wegen der…speziellen Natur Ihrer Mission wurden Sie unter Quarantäne gestellt. Neben einer erheblichen Unterkühlung und einer Gehirnerschütterung hatten Sie auch eine gehörige Strahlendosis abbekommen. Das erlaubte es uns, Sie zu isolieren.“
„Warum?“
„Das sollte Ihnen klar sein. Wir konnten nicht zulassen, dass Sie eventuell – unwissentlich – von der Operation berichten. Wir mussten Sie…unter Beobachtung halten, bis Sie wieder soweit wiederhergestellt sind, dass diese Gefahr nicht mehr bestand.“
„Sie sagten…Strahlendosis?“
„Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Lieutenant. Sie sprechen gut auf die Medikamente an. Die Dosis war nicht wirklich lebensbedrohlich. In ein paar Tagen sind Sie wieder einsatzfähig. Sie haben Glück gehabt. Erinnern Sie sich an die Mission?“
„Natürlich.“
„Nein, das tun Sie nicht, verstehen Sie? Die Mission, an die Sie sich zu erinnern glauben, hat so NIE stattgefunden. Deshalb können Sie sich auch nicht daran erinnern. Sie und ihre Kameraden sollten eine Nahabtastung des Asteroidengürtels und der Nahverteidigung des Planeten durchführen, um das Defensivpotential zu überprüfen und das von dem Geheimdienst weitergeleitete Gerücht verifizieren, die Akarii würden im Asteroidengürtel zusätzliche Fliegerbasen und automatische Geschützbatterien installieren. Diese Aufklärungsmission diente dem Ziel, die Möglichkeiten einer späteren Invasion des Planeten auszuloten. Können Sie mir folgen?“
„Ja, Sir. Und was ist mit Goliath?“
„Was soll mit ihm sein? Er wird als MIA geführt.“
„Und das ist Alles?!“
„Selbstverständlich. Er ist bei einem Einsatzflug verschollen. Das ist Alles, was Sie oder ihre Kameraden wissen, und was Sie wissen müssen!“ Die Stimme des Geheimdienstmanns ließ keinen Widerspruch zu. Auch wenn Kano diese paranoide Geheimdiensthaltung nicht nachvollziehen konnte, ihm war klar, dass er gehorchen musste: „Jawohl, Sir.“
„Gut.“ Ross lächelte kurz, auch wenn das Lächeln seine Augen nicht erreichte: „Ruhen Sie sich aus. Die Quarantäne ist aufgehoben, also können Sie jetzt wieder Besuch empfangen. Viele Leute wollten wissen, wie es Ihnen geht. Und werden Sie schnell wieder gesund. Sie gehören zu den Besten in diesem Geschwader. Wir werden Sie bald wieder brauchen.“ Und damit ging er. Kano starrte ihm hinterher, verzog kurz den Mund, als hätte er einen unguten Geschmack auf den Lippen. Der letzte Satz…er war sich ziemlich sicher zu wissen, worauf der Geheimdienstmann damit angespielt hatte.
Ross war noch halb in der Tür, als er um ein Haar über den Haufen gerannt worden wäre. Nicht, dass die Pilotin ihn direkt gerammt hätte, aber wäre Ross nicht beiseite getreten, sie wäre wohl einfach durch ihn hindurch marschiert. Als sie ihn passierte, warf sie dem Lieutenant des Sicherheitsdienstes noch einen Blick zu, der weniger abgebrühte Gemüter dazu veranlasst hätte, noch einen Schritt zurückzuweichen.
Lieutenant Ross grinste nur humorlos. Noch jemand, der niemals zu seinem Fanclub zählen würde. Aber das war keine Überraschung. Nur wenige Personen, die dienstlich mit ihm zu tun hatten, behielten ihn in positiver Erinnerung.

Kanos Miene hingegen hellte sich sofort auf, als er sah, wer jetzt das Zimmer betrat. Sein Gesicht verzog sich zu einem seltenen Lächeln. Wäre es nicht etwas schwülstig gewesen, dann hätte er vielleicht gedacht, dass mit Kalis Eintreten das ganze Zimmer heller geworden wäre. Allerdings neigte er nicht dazu, in solchen Metaphern zu denken, oder sie gar auszusprechen.
Kalis Lächeln wirkte ein wenig erschöpft. Die letzten zwei Tage waren für sie hart gewesen, emotional anstrengender als für Kano. Der japanische Pilot hatte im Koma oder zumindest Halbkoma gelegen, die Zeit war für ihn unbemerkt verstrichen.
Aber nachdem Kali Kanos wracken Jäger eingeschleppt hatte, hatte für sie eine quälend lange Zeit des Wartens begonnen. Kano war unter Quarantäne gestellt worden, und die Informationen, die aus dem Krankenrevier kamen, waren alles andere als aussagekräftig gewesen. Sie hatte ihren Dienst weiter versehen, aber rein automatisch. Es war ihr schwer gefallen, sich zu konzentrieren, zu essen und vor allem zu schlafen. Wieder und wieder erlebte sie die schreckliche Ungewissheit, als es unklar gewesen war, ob Kano überhaupt noch am Leben war. Sie wusste, sie hätte ihn beinahe verloren. Schon wieder. Einmal mehr war ihr auf brutale Art und Weise klar gemacht worden, wie gefährdet sie alle hier Draußen waren. Eigentlich war es ein Wunder, dass sie beide immer noch lebten. Und jeder Tag, ja jede Stunde, konnte dieses Wunder zerstören.
Besonders schlimm war, dass sie sich es nicht erlauben konnte, ihr Sorgen allzu sehr anmerken zu lassen. Auch wenn ihre Vorgesetzten natürlich von ihrer Liaison mit Kano wussten und sie schweigend duldeten – rein rechtlich war das verboten. Und es wurde nur deswegen ein Auge zugedrückt, weil sie beide ‚funktionierten’.
Ace war eine Hilfe gewesen – aber gleichzeitig hatte er sie immer daran erinnert, was Kano hätte beinahe passieren können. Ein massiver Strahlenschub, bösartiger Krebs, der den Körper von innen auffraß. Dass Ace es überlebt hatte, war ebenfalls ein Wunder gewesen…

„Hallo, Helen.“
„Was machst du immer nur für Sachen, Kano…“ Etwas von der Angst und der Qual der letzten Tage musste in ihrer Stimme zu hören sein. Eine Wolke schien über Kanos Antlitz zu wandern, er wurde schlagartig ernst: „Es tut mir leid. Ich…“ Seine Worte machten natürlich wenig Sinn. Es gab nichts, was er hätte anders machen können. Er wusste das, und Helen wusste es auch. Aber sie wusste auch, was er ihr sagen wollte.
„Vergiss es.“ Sie zögerte kurz, dann zog sie einen Stuhl heran, und setzte sich neben das Krankenbett, so nahe, dass sie sich praktisch berührten. Automatisch fanden sich ihre Hände. Sie sprachen leise, stockend – stockend immer dann, wenn ihre Worte Dinge zu berühren drohten, die sich beide scheuten offen auszusprechen. Nicht deshalb, weil sie vielleicht abgehört wurden. An diese Möglichkeit hatten sie sich gewöhnt. Aber manches…manche Gefühle erschienen ihnen zu kostbar, zu bedroht, um sie zu erwähnen. Als könnte das sie zerstören – genauso leicht, wie der inzwischen seit fast fünf Jahren tobende Krieg ihre Leben in einem Augenblick auslöschen könnte…


Gleichzeitig
Lieutenant Commander Terrano war immer noch fuchsteufelswild. Und wie üblich, zeigte sich das darin, dass sein Gebaren noch kontrollierter und steifer wirkte, als sonst. In einer solchen Stimmung konnte Monty auch den letzten Rest von Zurückhaltung verlieren, ohne allerdings laut zu werden. Aber auch wenn er nicht herumbrüllte oder fluchte, in einer solchen Stimmung war er schon einmal derart mit einem Vorgesetzten zusammengeraten, dass er sich eine Degradierung zum First Lieutenant eingehandelt hatte.
Seine Untergebenen erkannten die Zeichen an der Wand inzwischen gut genug, um vorsichtig zu sein – in einer solchen Stimmung war Monty gnadenlos und zeigte noch weniger Verständnis für Fehler und Versäumnisse als sonst.
Der Grund für seine anhaltend schlechte Laune war natürlich der Einsatz über T’rr. In Montys Augen stellte die Operation ein Desaster dar. Er hatte einen guten Piloten verloren, und zwei Maschinen. Das war ein schwerer Verlust, vor allem da er zu wissen glaubte, was die Angry Angels auf dieser Feindfahrt noch erwarten würde.
Die Stimmung in der Staffel war gedrückt. Einen Kameraden zu verlieren war nie einfach, vor allem auch, wenn es ein Veteran wie Goliath war. Der Ex-Marines war seit mehreren Jahren Mitglied der Butcher Bears gewesen, er hatte dazu gehört. Die wenigen ‚alten Hasen’ der Staffel mussten einmal mehr realisieren, dass es auch sie jederzeit erwischen konnte. Und für jene von den Neuen, die in Männer wie Goliath eine ‚Lebensversicherung’ gesehen hatten, musste es nun so erscheinen, als ob nicht einmal Männer wie Goliath eine echte Chance hätten. Weniger als die Hälfte der Männer und Frauen in der Staffel waren noch bei der Aufstellung der Butcher Bears dabei gewesen…
Im gewissen Maße erschwerend kam hinzu, dass Goliath vermisst war. Sein Schicksal war ungewiss. Die Frage würde bleiben, ob man ihn nicht im Stich gelassen hätte. Außerdem, egal welche tolle Story der Geheimdienst sich ausgedacht hatte, um die Mission zu verschleiern, den meisten Piloten die nicht dabei gewesen waren, musste klar sein, dass mehr hinter dieser Operation gesteckt hatte, als ein simpler Langstrecken-Aufklärungsflug. Das Wissen darum und die Erkenntnis, offenbar nicht als vertrauenswürdig genug eingestuft worden zu sein, würden an ihnen nagen. Wie auch die Teilnehmer des Einsatzes damit zu kämpfen haben würden, ihre Kameraden belügen zu müssen.
Alleine diese moralischen Probleme reichten, um Monty die Laune zu verderben. Zumal sie seiner Meinung nach vermeidbar gewesen wären. Er glaubte einfach nicht, dass diese ach so geheime Spezialmission das Risiko wert gewesen war. Oder ein derart paranoides Sicherheitsprotokoll bedurfte, dass nicht einmal alle Mitglieder des Geschwaders, das den Einsatz geflogen hatte, die Wahrheit erfuhren.

Und auch wenn man all das außer Acht ließ, es blieben genug Folgeschäden, um die natürlich er sich kümmern musste. Ohka würde bestenfalls in einigen Tagen wieder einsatzfähig sein. Und Goliath natürlich nie mehr. Damit fehlten vorerst zwei gute Piloten, einer davon auf Dauer. Das verringerte die Offensivkraft der Staffel beträchtlich. Dieser Tatsache musste in Zukunft Rechnung getragen werden. Allerdings bezweifelte Monty irgendwie, ob Lone Wolf dazu bereit war. Nun, das würde er schon noch durchboxen, und wenn es ihn wieder eine Rangstufe kosten sollte!
Erschwerend kam hinzu, dass Goliath der Flügelmann von Renegade gewesen war. Dieser Pilot war nach Montys Meinung offenbar nur dazu da, ihm Kopfzerbrechen zu bereiten: ‚Jetzt muss ich diesem dämlichen Pandoraner schon wieder einen neuen Flightleader suchen. Der Typ ist ein verdammter Jonas – er bringt nur Unglück!’ Innerlich bezweifelte Monty, ob der Mann die Mühe wert war. Aber das stand jetzt nicht zur Debatte. Auf keinen Fall konnte er alleine fliegen. Aber wem sollte er den renitenten Neuling zuteilen? Alle Flightführer der Staffel, bis auf Monty, hatten einen Second Lieutenant unter ihrem Kommando. Montys Katschmarek La Reine war die einzige First Lieutenant in dieser Position. Aber er konnte ihr wohl kaum Renegade zuteilen. Der Mann hatte es schließlich geschafft, mit Ohka auseinander zu geraten, und der war im Vergleich zu La Reine duldsam und unkompliziert. Wenn er Renegade der Pilotin zuteilte, würden noch vor dem ersten Übungsflug die Fetzen fliegen. Und das würde Renegade in seiner paranoiden Vorstellung, alle an Bord würden ihn nicht richtig würdigen, nur noch verstärken.
Letzten Endes blieb Monty wohl nichts anderes übrig, als diesen fliegenden Problemfall selber zu übernehmen. La Reine war erfahren genug, sie konnte auch alleine fliegen. Zwar war sie etwas unbeherrscht, aber inzwischen hatte sie gelernt, nur noch zumindest halbwegs überschaubare Risiken einzugehen. Diese Lösung war nicht wirklich ideal, aber die beste, die Monty momentan einfiel.
Was ihn zu einem anderen Problem brachte. Seine Staffel hatte zwei Maschinen verloren. Goliaths Jäger war in tausend Stücke zersprengt worden. Aus den Überresten von Ohkas Maschine würde man höchstens noch ein paar Ersatzteile für spätere Reparaturen gewinnen können, und selbst da hatte Monty so seine Zweifel.
Die Schwarze Staffel hatte aber schon vorher erhebliche Materialschäden erlitten – bei einem Einsatz gegen meuternde Gefangene, bei der Jagd auf den versprengten Akarii-Raider, bei einem schweren Havariefall und bei der Geleitzugsschlacht. All das hatte dazu geführt, dass die Staffel jetzt über keinen einzigen Ersatzjäger mehr verfügte. Schlimmer noch, wenn Ohka wieder einsatzfähig war, dann würde die Staffel zwar wieder aus elf Piloten bestehen, aber nur über zehn Jäger verfügen. Das war inakzeptabel.
Nötigenfalls würde Monty Renegade ohne zu zögern auf die Reservebank schicken, um dafür Ohka rausschicken zu können. Aber trotzdem Montys Meinung über Renegade stetig gesunken war, er würde das nicht gerne tun. Das würde den Mann nur noch in seinen Vorurteilen bestärken. Außerdem, wenn sie am Ende doch auf Prinz Jors Schiff stießen, dann würden sie jeden Piloten brauchen. Sogar Renegade.

Am Schluss fiel Monty nur ein Ausweg ein. Er würde bei der anderen Nighthawk-Staffel ‚borgen’ müssen. Die Roten hatten noch mehrere Ersatzjäger in petto, jedenfalls bis jetzt. Diese Aussicht behagte Monty gar nicht. Er bat ungern um etwas. Aber sogar ihm war klar, dass es psychologisch falsch gewesen wäre, sofort Commander Cunningham einzuschalten und aus der Anfrage einen Befehl zu machen. Monty wurde respektiert, war aber nicht besonders beliebt. Und gleiches galt im noch extremeren Maße für den Geschwaderchef. Nein, zuerst musste er es wohl auf die sanfte Tour versuchen, auch wenn ihm das zuwider war. Zur Hölle mit dem Geheimdienst und seinen idiotischen Spezialmissionen!
27.12.2015 06:39 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Themenstarter Thema begonnen von Cattaneo
Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Cunningham

Lone Wolf saß in seiner Nighthawk und fühlte sich wie betäubt. Eigentlich sollte er den Akarii für den Minengürtel dankbar sein. Der Adrenalinschub hatte ihm ermöglicht, den Flug bis hierher durchzuhalten.
Bei der Columbia angekommen befahl er erst Skunk und Monty zu landen, dann wartete er auf Ohka und dessen Rettungstrupp.
Der riesige Flottenträger verschwamm vor seinen Augen.
Eigentlich wäre es das klügste, die Düsen abzuschalten und sich vom Traktorstrahl an Bord ziehen zu lassen.
„Big Basket für Nighthawk 303, Ace ist mit seinem Paket sicher gelandet. Sie haben Landeerlaubnis über grün eins.“
„Roger Big Basket, ich nähere mich über Grün. Geschwindigkeit einhundert km/s, sinkend, Ball aufgefasst, klar für ATLS.“
„Bestätigt Nighthawk 303. Verlangsamen Sie, bereit machen für Übernahme durch ATLS.“
Lucas betätigte den Schubhebel.
„Verlangsamen, ich sagte verlangsamen! Landung abbrechen! Abbrechen!“
Der Commander der Angry Angel zog den Steuerknüppel zu sich heran und rollte über backbord ab.
Der Landekontrolloffizier klang immer noch ruhig: „Okay Nighthawk 303, erneuter Landeanflug über Grün zwo. Sie sind für die Landung freigegeben.“
Lucas bestätigte und nahm die neu zugewiesene Landeposition ein. „Anflugvektor klar, Geschwindigkeit einhundert km/s. Klar für ATLS“
„Anflugvektor negativ 303, korrigieren Sie um zehn Grad positiv.“
„Roger, korrigiere um zehn positiv.“ Der Träger schien erneut zu verschwimmen. „Scheiße.“
„Sie korrigieren zu stark, 303, drei Grad negativ.“
„Negativ korrigieren? Sind Sie sicher?“
„Abbrechen, Landeanflug abbrechen!“
Cunningham gab Schub und rollte erneut lehrbuchartig über Backbord ab.
„Verdammt Big Basket, was wird das für ne Scheiße?“
„Hier ist Lieutenant Commander Griffin, ich übernehme von Lieutenant Hamm. Ist bei Ihnen alles in Ordnung, CAG?“
Lucas knurrte: „Ja, ja, alles bestens.“
„In Ordnung CAG, Anflug über Rot drei, Geschwindigkeit achtzig km/s. Klar für ATLS bei Punkt vier!“
„Griffin, sprechen Sie nicht wie mit einem Flugschüler mit mir, ist das klar?“ Lucas umrundete den Träger.
„Sir, bestätigen Sie achtzig km/s und ATLS bei Punkt vier.“ In diesem Moment schaltete Griffin sein Mikro ab und gab Notlandealarm. Als erfahrener Landekontrolloffizier wusste er, dass selbst eine weit vom Träger mit dem Traktorstrahl eingefangene Maschine, wie es bei Punkt vier geschehen würde, einen üblen Aufprall auf einem Landedeck verursachen konnte.
„Achtzig km/s, ATLS bei Punkt vier.“ Kam die Antwort des Geschwaderführers über Lautsprecher. Wenn alles in Ordnung wäre, und Lieutenant Hamm Mist gebaut hatte, wusste Griffin, würde er für diese Demütigung büßen.
Langsam schwebte die Nighthawk auf den Träger zu. Der Traktorstrahl erfasste sie exakt bei Punkt vier. Lucas lehnte sich zurück und schloss die Augen. Scheiße, scheiße, scheiße.
Bis der Jäger ausgerollt hatte und zwei Techniker das Kanzeldach öffneten, hatte sich Lucas nicht mehr bewegt. Tatsächlich war er fast eingeschlafen.
Mit aller Kraft, die er noch aufbringen konnte stemmte sich der Geschwaderkommandant aus dem Cockpit. Am Ende der kurzen Leiter warteten schon zwei Sanitäter und Monty.
Der eine Sanitäter leuchtete Cunningham kurz mit der Lampe in die Augen: „Tja, Sie begleiten uns erstmal auf die Krankenstation, Sir.“
Einen Augenblick wollte Lucas widersprechen, doch Sannitäter konnten sowas von rechthaberisch sein, stattdessen wandte er sich an Monty: „Wie steht es um Ohka?“
„Ist schon im Lazarett.“
„Gut, richten Sie den anderen Gute Arbeit aus.“
„Aye ... Sir.“
Der CAG der Angry Angels war sich der Blicke der Piloten nur zu bewusst, als er artig mit den Sanitätern davontrottete.

Auf der Krankenstation wurde Kano Nakakura schon behandelt.
Der jüngere Pilot war immer noch bewusstlos als Cunningham das Lazarett betrat.
„Der wird schon wieder“, meinte ein Sanitätsoffizier zu Cunningham, „wie immer.“
Der Geschwaderkommandant nickte: „Ja, wie immer.“
Er wurde zu einem Untersuchungstisch bugsiert und schon war Peter Langenscheid bei ihm.
„Na, Luke, wo liegen denn unsere Probleme?“
Lone Wolf warf dem Chefarzt der Columbia einen vernichtenden Blick zu: „Solltest Du Dich nicht um Ohka kümmern?“
„Ach der wird schon wieder, wie ...“
„Wie immer, ich hab’s begriffen.“ Das kam jetzt giftiger, als Lucas es geplant hatte, und Langenscheid begann mit der Untersuchung.
„Und, wie steht es um den CAG?“ Fragte James Waco, der während der Untersuchung in die Krankenstation gekommen war und bis eben unbemerkt hinter Cunningham gestanden hatte.
„Akute Erschöpfung, Sir.“
„Danke, dass man über mich redet, als wäre ich nicht da.“
Der Captain der Columbia legte Lone Wolf die Hand auf die Schulter: „Und woher kommt das?“
„Ich gehe von einem hohen Schlafdefizit aus, gepaart mit diesem Langstreckenflug. Wenn ich wüsste, wie lange mein Patient so täglich schläft, würde mich der Zusammenbruch nicht wirklich wundern.“
„Lucas?“ Waco maß ihn mit mahnenden Blick.
„Vier Stunden.“
„Wie bitte?“ Langenscheid wäre beinahe sein Notepad aus der Hand gefallen.
„Vier verdammte Stunden, wenn’s hoch kommt, wenn kein Alarm oder Einsatz dazwischen kommt oder langwierige Besprechungen etc.“
„Commander“, begann Waco, „Sie sind für die nächsten vierundzwanzig Stunden vom Dienst beurlaubt. Ich möchte, dass Sie vor Dienstantritt mindestens acht Stunden geschlafen haben, wenn nicht mehr. Sollten Sie dabei Probleme haben, wird der Doc Ihnen sicherlich was zum Schlafen verabreichen können.“
„Aye ... Sir.“
Waco und Lone Wolf sahen noch einmal kurz nach Kano und hörten sich die genau Erklärung des behandelnden Arzt an, ehe sie die Krankenstation verließen.
„Dann wünsche ich angenehme Stunden, Luke.“ Der Captain der Columbia schlug seinem CAG nochmal aufmunternd auf die Schulter und zog von dannen.
„Und was soll ich jetzt mit der Freizeit anfangen?“ Fragte Cunningham in die Leere des Korridors.
,Klang das jetzt wirklich so jämmerlich?'
Der Commander zuckte wohl wissend, dass jeder Pilot in seinem Geschwader für diese vierundzwanzig Stunden morden würde, die Schultern. Eine guter Drink in gepflegter Atmosphäre wäre jetzt das richtige, leider hatte die Columbia nur ihr Offizierskasino zu bieten.
Unvorschriftsmäßig vergrub er seine Hände tief in die Hosentaschen und begab sich dorthin.
Das mäßig gefüllte Etablissement war für ihn weit weniger anziehend als für die meisten seiner Piloten. Als junger Lieutenant hatte er viele Stunden in einer baugleichen Bar auf der Enterprise verbracht, einem Flottenträger, der die ersten Stunden des Krieges nicht überlebt hatte.
In jenen alten Tagen, es waren gerade mal knapp fünf Jahre her, hatte er mit seinen Pilotenkollegen dagesessen, Geschichten ausgetauscht und mit dem eigenen Können angegeben. Sehr häufig hatte er auch Amazon, Commander Zoé McNelly, seine Geschwaderführerin, dort gesehen und auch gegen sie gepokert.
Sie hatte den Kontakt mit ihren Leuten nie verloren, war nie in der Einsamkeit der Arbeit gefangen. Lucas vermisste Darkness auf einmal schrecklich. Mit wem sollte er jetzt was trinken? Die Hälfte seiner Staffelkommandanten verachtete ihn. Mit Monty konnte man sicherlich keinen Spaß haben, Skunk konnte er nicht leiden und mit Tigre konnte er persönlich nichts anfangen. Irons McGill würde sich am ehesten anbieten, war aber weit und breit nicht zu sehen.
An einen Tisch mit einem Haufen 2nd Lieutenants wollte er sich einfach nicht setzen, die würden dadurch nur verunsichert und die Stimmung wäre dahin.
Der einzige Pilot der ihm einfiel und der sich tatsächlich in eine der hinteren Ecken das Kasinos verkrochen hatte, versprach zwar auch keine nette Gesellschaft, so doch aber Abstand von der militärischen Hierarchie.
Nachdem der CAG zwei große Bier von der Theke geholt hatte, schlenderte er zu Donovan Cartmell hinüber.
„Darf ich mich setzen, Highball?“ Lucas wartete die Antwort nicht ab, sondern setzte sich Cartmell einfach gegen über.
Dieser verzog verärgert das Gesicht: „Aber natürlich, bitte setzt Dich.“ Süßer Sarkasmus.
Als Cunningham ihm ein Bier rüberschob verwandelte sich die Verärgerung erst in Erstaunen und dann in Misstrauen.
„Was willst Du, Lone Wolf?“
„Etwas trinken, ein bisschen reden.“ Lucas hob sein Glass leicht zu zuprosten an. Als von Cartmell keine Erwiderung kam, trank er einfach.
Der andere Pilot lehnte sich in seinem Stuhl zurück und hielt mit der Rechten sein Longdrinkglas umklammert. Eine ganze Weile starrten sich die beiden so an, dann brach Donovan das Schweigen: „Du hast einen Piloten draußen gelassen.“ Selbst jemand der ihre Geschichte nicht kannte, hätte das „wieder mal“ deutlich mitgehört.
„Ja, einer hat es nicht geschafft.“
Cartmell grinste wie ein Hai, der Blut geleckt hat: „Erzähl mir doch mal, wird das mit der Zeit schwieriger oder leichter?“
Lucas zog die Pause durch einen kräftigen Schluck etwas in die Länge, dann fragte er: „Möchtest Du eine ehrliche Antwort?“
Donovans Lächeln wurde irgendwie unsicher, dann überwand er sich: „Ja, gib mir eine ehrliche Antwort.“
Erneut verzögerte Lucas durch einen Schluck Bier: „Es kommt auf den Piloten drauf an.“ Der CAG wurde etwas leiser. „Es ist viel einfacher einen namenlosen, entschuldige das Wortspiel, Neuling zurückzulassen, als jemanden mit dem man schon Jahre lang zusammen gekämpft hat.“
Der Lieutenant antwortete mit einem ungläubigen Schnauber.
„Mit etwas Pech wirst Du das auch noch erfahren Highball, aber lass uns von was anderem reden.“
„Ja, lass uns von etwas anderes reden.“ Cartmell wirkte jetzt etwas erleichtert. „Was wirst Du nach dem Krieg machen, für den unglücklichen Zufall, dass Du überlebst?“
Der Geschwaderkommandant musste zynisch grinsen: „Ich muss zugeben, darüber habe ich noch nicht nachgedacht.“
Cartmell wechselte jetzt doch zum Bier: „Hm, ich auch noch nicht, wobei eins weiß ich, diese Uniform habe ich dann lange genug getragen.“
Lucas nickte: „Verständlich.“
Schweigend tranken die Beiden ihr Bier. ,Was wirst Du nach dem Krieg machen?' Mit Mel Auson ein paar Kinder zeugen kam ihm in den Sinn. Doch das konnte doch nicht sein einziges Kriegsziel sein. Und vor allem, was wenn Mel ihre militärische Karriere fortsetzen wollte, da wären Kinder nicht drin, außer er würde sich um das Aufziehen kümmern.
Keine sehr angenehme Vorstellung. Andererseits, wenn Admiral Wulff wirklich Ernst machte, und er zweifelte keine Sekunde daran, dann würde seine Karriere wohl mit diesem Auftrag enden, wie auch seine Zeit als Geschwaderkommandant. Wobei Admiral Renault da wohl auch noch ein Wort mitzureden hätte. Da wäre tatsächlich noch der eine oder andere Gefallen einzufordern. ,Ich werde nicht kuschen und schon gar nicht kampflos aufgeben. Ich habe mich durch den Perisher durchgebissen, mir steht mein Geschwader zu.'
Aber danach?
Lucas blickte Cartmell an: „Ich werde wohl hier bleiben.“
„Bitte?“
„Ich werde hier bleiben und auf den nächsten Krieg warten.“
Donovan blinzelte überrascht, und dann nochmal: „Bitte?“
„Ich bin Berufssoldat, ich habe Kampferfahrung und mehr als ausreichend Abschüsse, um der dem Krieg folgenden Personalverschlankung zu entgehen. Und ich habe dann nicht vor, anschließend in der Privatwirtschaft um einen Job zu betteln.“ ,Und schon überhaupt nicht vor meinem Vater zu Kreuze zu kriechen.'
„Ace wird vielleicht den Frachter seine Eltern übernehmen, Skunk mögen sie ja im hohen Bogen rauswerfen, aber dieser Krieg wird für mich nicht das Ende sein, genauso wenig wie er der Anfang war.“
„Es sei denn, ein Akarii knallt Dich ab.“ Fügte Cartmell grinsend hinzu.
„Jeder Flug kann mein letzter sein, ich weiß, aber das war auch in Friedenszeiten so, das ist Berufsrisiko. Das gilt für mich wie für jeden meiner Piloten.“
Es war als hätte in Lucas Kopf etwas KLACK gemacht. ,Es wird nie vorbei sein, solange Du die Uniform trägst. Solange Du das Privileg genießt Männer und Frauen ins Gefecht zu führen, so hatte es einer seiner Ausbilder auf der Offiziersschule ausgedrückt. Dieses Privileg ist mit vielen persönlichen Kosten verbunden. Vier Jahre habe ich es falsch angepackt und gegen meine eigenen Piloten gekämpft.' Eine bittere Erkenntnis und zugleich eine helfende Erkenntnis.
Lucas erhob sich: „Danke für das Gespräch Highball, es hat mir sehr geholfen.“
27.12.2015 06:40 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Themenstarter Thema begonnen von Cattaneo
Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Ironheart

An Bord der COLUMBIA
T`rr-System

Als Commander Lucas Cunningham, genannt „Lone Wolf“ gegangen war, starrte ihm Donovan „Noname“ Cartmell mehrere Minuten schweigend hinterher. Erst als ihm das Getuschel einiger anderer 2nd Lieutenants auffiel, die in seine Richtung zeigten, schüttelte er seine dunklen Gedanken ab und nahm noch einen tiefen Schluck Bier. Die verbale Zielscheibe anderer Leute zu sein war nichts Neues für ihn, seine Außenseiterrolle hatte sich durch seine lose Freundschaft mit Kano und Crusader, seine Hassliebe zu Skunk und seine Flirterei mit Fujimori höchstens abgemildert. Und auch die Tatsache, dass dieser neue Pandoraner ihm und Skunk den Orden des unbeliebtesten Piloten streitig machen wollte, half ihm nicht wirklich. Er blieb in den Augen der meisten übrigen Piloten und Besatzungsmitglieder ein Störenfried.
Es waren daher auch nicht die anderen 2nd Lieutenants, die ihn zum Fluchen brachten, sondern er selbst. Er hatte es mal wieder nicht lassen können und hatte Lone Wolf voll auflaufen lassen. Seine Kommentare und Reaktionen hatten nur so vor Sarkasmus und Ironie gestrotzt und er hatte mal wieder eine ihm entgegengestreckte Hand ausgeschlagen.
Es war offensichtlich gewesen, dass Cunningham hatte reden wollen und zwar einmal nicht als CAG, sondern als Mensch.
Es wurde Donovan in diesem Augenblick bewusst, dass Lone Wolf, wie es sein Callsign schon sagte, einsam sein musste. Als kommandierender Offizier hatte man es immer schwer, und vor allem, wenn man ein entsprechend arrogantes Verhalten an den Tag legte.
Doch auf der anderen Seite hielt sich sein Mitleid für seinen ehemaligen Wingleader und seinen jetzigen Geschwaderkommandanten in Grenzen. Lone Wolf war ein karrieregeiler Egoist und hatte sich zielstrebig nach oben gedient. Und Donovan selbst, der kein schlechterer Pilot war, hatte vier Jahre bei den Piraten und weitere zwei Jahre im Gefängnis schmoren müssen. Ihm war eine solche Karriere verwehrt worden und Cunningham trug eine Mitschuld daran, und das konnte Donovan ihm einfach nicht vergessen.
Und er war sich sicher, dass es andersherum genau so war. Auch wenn der CAG vielleicht einen kurzen Sentimentalitätsanflug gehabt haben mochte, er würde in Donovans Augen immer auch die vergangene Schuld sehen.
Er und Cunningham konnten keine Freunde sein oder werden, das war klar. Aber vielleicht würde Donovan beim nächsten Mal über seinen Schatten springen können und ein kleines bisschen weniger feindselig sein.

In diesem Augenblick fiel ihm Ohka ein.
Er hatte gehört, dass dieser bei einem geheimen Einsatz aus seinem Jäger geschossen worden war, bei dem fast alle Top-Piloten der Angels zum Einsatz gekommen waren. Noch eine Sache, die er Cunningham an den Kopf werfen wollte, zeigte es doch mal wieder, wie wenig sie immer noch von seinen Leistungen als Pilot hielten. Aber er hatte es schließlich doch nicht angesprochen, da es vielleicht ganz gut gewesen war, dass er nicht dabei gewesen war. Ohka lag immerhin auf der Krankenstation und Goliath galt als vermisst. Er war wohl über dem nahen Planeten abgeschossen worden und musste sich jetzt durch den feindlichen Dschungel kämpfen.
Bei diesem Gedanken schoss es ihm eiskalt den Rücken hinunter und es stellte sich ein Déjà-vu ein. Die Flotte machte keinerlei Anstalten, den vermissten Piloten zu retten. Wieder einmal ließ die Navy einen der ihren hinter den feindlichen Linien zurück.
Donovan musste stark gegen seine Gefühle ankämpfen, um nicht den alten Hass in ihm aufkommen zu lassen. Und um das zu verhindern, gab es nur einen Weg. Er trank sein Bier aus und machte sich auf den Weg zur Krankenstation um einem der wenigen Piloten, die sich ihm gegenüber menschlich erwiesen hatten, seinen Beistand zu leisten.

*************************************************

Kurze Zeit später war auch ein anderer Offizier an Bord der Columbia auf seinem Wege, einem anderen Offizier einen Besuch abzustatten. Aber der Anlass war in diesem Falle kein freundschaftlicher.
Als man Colonel Sean Hammersmith gesagt hatte, der CAG der Angry Angels befände sich in seinem Quartier, hatte er für einen kurzen Augenblick mit dem Gedanken gespielt, sein geplantes Gespräch mit ihm auf ein anderes Mal zu verschieben.
Doch zum einen gehörte er nicht zu denjenigen, die solche ungeklärten Verhältnisse wie die Einsatzplanung der nächsten Raumschlacht lange ungeklärt ließen und zum anderen musste er langsam wissen, woran er und das 217. waren. Der nächste Sprung würde nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen und bis dahin mussten sie wissen, ob sie den Sturm auf die Korax ma Rah durchführen würden oder ob sie sich womöglich mit kleinerer Beute zufrieden geben mussten.
Dass die Mehrheit der führenden Offiziere gegen seinen Einsatz standen, wusste Hammersmith. Vor allem die Dickschiffkapitäne hatten – mit Ausnahme von Captain Schneider – ihre Ablehnung offen kundgetan. Doch der CAG hatte seine Meinung bislang nicht gezeigt und damit konnte er nun mal das Zünglein an der Waage sein. Wenn er Cunningham auf seiner Seite hätte, würde der Einsatz wieder in greifbare Nähe rücken. Hatte er Cunningham gegen sich, wären seine Chancen auf diesen Einsatz minimal.
In diesem Wissen unterdrückte Hammersmith eine leichte Nervosität, die er schon lange nicht mehr gespürt hatte, und meldete mit einem mehrfachen Betätigen der Klingel seinen Besuch bei Cunningham an. Zunächst war nichts zu hören, so dass Hammersmith erneut klingelte, doch dann war ein deutliches Grollen zu vernehmen, das selbst durch die Stahltür der Kajüte als deftiger Fluch zu identifizieren war.
„Gott verflucht, arggh, ich hoffe es ist Jor persönlich vor der Tür oder…“ grummelte Cunningham laut hörbar hinter der immer noch geschlossenen Kajütentür und hielt inne, als die Tür sich öffnete und er Hammersmith erkannte.
„Commander Cunningham, ich hoffe ich habe Sie nicht etwa geweckt?“ fragte Hammersmith, obwohl er die Antwort in den übermüdeten Augen des CAG bereits lesen konnte.
„Was woll´n Sie denn hier?“ war die leicht gelallte Antwort, die Hammersmith nicht beantwortete sondern nur kurz die Stirn runzeln ließ, da er nicht sofort unterscheiden konnte, ob dieses Lallen einer wie auch immer gearteten Droge oder einer Schlaftrunkenheit zuzuordnen war. Ohne eine Antwort abzuwarten, ging Cunningham in die kleine Nasszelle seiner Kajüte und wusch sich erstmal das Gesicht mit kaltem Wasser.
Als er sich mit einem Handtuch abrubbelnd wieder im Raum erschien, schloss er die Tür hinter dem bereits eingetretenen Marines-Colonel, der sich aufmerksam die Erinnerungsstücke und Fotos anschaute, die an der Pinnwand über Cunninghams Schreibtisch hingen.
„Was kann ich für Sie tun, Colonel?“ fragte Cunningham noch einmal, diesmal allerdings deutlich höflicher.
„Ist das nicht Justin „Darkness“ McQueen?“ Hammersmith zeigte auf ein altmodisches Polaroid-Bild, das den CAG der Angry Angels mit seinem ehemaligen XO zeigte. „Man hört viel über ihn in letzter Zeit, nicht wahr?“
„Hören Sie, Colonel! Ich bin gerade von einer überlangen Patrouillen zurückgekehrt, vom Doc zur Ruhe verdonnert worden, obwohl ich sehr, sehr beschäftigt bin. Ich hoffe also, Sie sind nicht nur hier vorbeigekommen und haben mich aus dem Schlaf gerissen, um Small Talk zu halten?“
Colonel Hammersmith straffte sich förmlich einen Augenblick, doch dann nickte er. „Sie haben Recht, Commander. Wir sind beide viel beschäftigte Männer. Commander, wie Sie ja wissen, habe ich Admiral Wulff einen Einsatzvorschlag für die Korax ma Rah unterbreitet…“
Ob nun Absicht oder nicht, aber Lone Wolf gähnte jetzt mit so weit aufgerissenem Mund, als das er locker einen Apfel ungekaut hätte schlucken können. Hammersmith fuhr leicht irritiert fort „… nun ja, die Meinung der meisten Führungsoffiziere dieser Mission sind mir bekannt, allerdings kennen ich bisher immer noch nicht Ihre Meinung zu dieser Alternative.“
„Schwachsinn“ war die knappe Antwort des CAG, der erneut gähnte, dass seine Kieferknochen knackten.
„Wie bitte?“
„Ich sagte Schwachsinn, Colonel. Ich halte Ihre Pläne für absolute Hirngespinste.“
„Das nenne ich mal eine klare Antwort, Commander! Dürfte ich auch den exakten Grund für Ihre Meinung erfahren?“ Hammersmith war seine Verärgerung nur durch das Verschränken seiner Arme vor seiner Brust anzumerken.
„Es ist die Ausgeburt eines Plans, der in einem Labor entwickelt worden ist. Dieser Plan würde niemals auch nur einen Augenblick der Realität standhalten. Daher sollten wir ihn meiner Meinung nach lieber so schnell wie möglich begraben und uns auf das Wesentliche konzentrieren.“
„Und das wäre?“
„Die Zerstörung der Korax ma Rah und die Liquidierung von Prinz Jor. Und zwar auf dem direktesten aller Wege.“
„Der direkte Weg ist nicht immer der Beste. Und in diesem Falle wären das doch wohl eher unsere Kampfschiffe, die diesen direkten Weg gehen würden, oder? Wollen Sie wirklich Mullins, Mithel und den anderen Dickschiffern den Ruhm überlassen? Lassen Sie uns zusammenarbeiten, dann können wir uns den Erfolg teilen!!!“
„Ha, Colonel, Sie wollen sich mit jemandem den Ruhm teilen? Sie sind doch nur scharf auf den Generalsstern…“ Cunningham schüttelte den Kopf und noch bevor Hammersmith etwas erwidern konnte, fuhr er fort. „Der Prinz wird in einem Jäger sitzen, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Und dann wird es keinen Ruhm geben, den wir beide uns teilen könnten. Abgesehen davon, dass es mir nicht um den Ruhm geht, sondern nur um die Pflichterfüllung.“
Jetzt war es an dem Offizier der Marines laut zu lachen. „Ich glaube Ihnen kein Wort, CAG! Sie sind genauso scharf auf den Kopf dieser königlichen Echse wie ich. Und ich werde diesen Einsatz erhalten, ich habe mehr Unterstützung auf meiner Seite als Sie denken.“ Hammersmiths Stimme klang trotzig und wenig überzeugend.
„Ja, von Ihrer kleinen konspirativen Runde habe ich gehört.“
„Maleetschev? Oder DeLaCruz?“ fragte Hammersmith statt einer Antwort.
“Wenn Sie es genau wissen wollen: Beide!“

Hammersmith spürte, dass Cunningham gegen ihn stand. Und nicht nur das, der CAG der Angry Angels verfolgte seine eigenen Interessen, so wie es der Kommandant des 217. Sturmregiments von Beginn an befürchtet hatte. Er würde diesen Kampf verlieren, das war ihm jetzt klar, die Frage war jetzt nur noch, wie er sich vom Schlachtfeld zurückzog.
„Wir sind uns in vielen Dingen sehr ähnlich, Commander Cunningham, auch wenn Sie das nicht wahrhaben wollen. Aber eines lassen Sie sich gesagt sein: Ich werde bis zuletzt um meine Chance kämpfen, diesen Einsatz zu erhalten und selbst wenn ich ihn nicht erhalten sollte, werde ich meinen Stern bekommen und zwar deutlich früher als Sie. Weil Sie es sich mit ihrer Arroganz und Borniertheit wieder versauen werden! Wissen Sie, warum Darkness ihr Geschwader verlassen hat? Er konnte nicht mehr mit ansehen, wie Sie auf der Stelle treten, wie alle um Sie herum Karriere machen, nur Sie nicht und damit auch Darkness nicht. Er ist gegangen um Sie zu überholen, Lone Wolf…“
Cunninghams Augen funkelten wütend, als er zwei Schritte auf Hammersmith zu machte. Dieser ging instinktiv in Verteidigungsstellung und erntete dafür von Cunningham nur einen verächtlichen Blick. „Raus aus meiner Kajüte!“ war das Einzige, was Cunningham zischend hervorbrachte.
Wutentbrannt wandte sich Hammersmith um und verließ die Kabine des CAG. Wie er gesagt hatte, würde er weiter um diesen Einsatz kämpfen. Doch diesmal ärgerte er sich selbst, über seine Unbeherrschtheit und den Misserfolg.
Doch bereits auf dem Weg zurück zur Relentless begann er im Geiste Alternativen durchzudenken. Wie er Cunningham gesagt hatte: Er würde seinen Stern kriegen und niemand würde sich ihm dabei in den Weg stellen können.
27.12.2015 06:40 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Themenstarter Thema begonnen von Cattaneo
Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Cunningham

Vierundzwanzig Stunden Sonderurlaub waren sehr kurz, wenn man sie auf einem Planeten oder einer Station mit entsprechendem Vergnügungsviertel verbringen konnte. Vor allem wenn man in Gesellschaft war. Vierundzwanzig Stunden Sonderurlaub auf einem Flottenträger ohne Begleitung waren eintönige Monotonie.
Als Cunningham dann eingeschlafen war um Kräfte zu sammeln, hatte Colonel Hammersmith ihn aus den Federn gerissen.
Das Gespräch drehte sich natürlich um das Aufeinandertreffen mit Prinz Jor und seiner Flotte, welches wohl unmittelbar vor ihnen lag.
Eine Sektion von Ravens Jagdbombern hatte eine Akariifregatte, die aus Jors Flotte stammte, abgeschossen und die Nachrichtenabteilung der Columbia hatte es geschafft, eine Nachricht an Jor abzufangen und zu stören.
Man war dem obersten Kommandanten der Akariiflotte dicht auf den Fersen.
Der Marine hatte ihn wegen des Angriffs auf das Flaggschiff des Prinzen bedrängt, bis der Commander ihn schließlich fast rausgeschmissen hatte.
Danach hatte er nur schwer wieder Schlaf gefunden. Dennoch fühlte Lucas sich frisch und ausgeruht, als er wieder offiziell auf dem Flugplan stand.
Den Tag begann er, was für ihn sehr ungewöhnlich war, in der Messe, mit zwei Vanillewaffeln mit Ahornsirup, einem starken Kaffee und dem Einsatzbericht des letzten Tages.
Zum Tagesbeginn hatte er die Meldung erhalten, um sechshundert p.m. zur Stabsbesprechung zu erscheinen. Er hatte davor noch einiges zu klären und hatte gleich nach der Kantinenzeit für das Frühstück eine Geschwaderbesprechung anberaumt.
Es waren wie üblich die Staffelkommandanten, Monty und Lilja als besondere Stabsoffiziere dabei, der Nachrichtendienstler des Geschwaders und der Chefmechaniker Eric Dodson anwesend.
„Guten Morgen, meine Damen und Herren.“ Begann Lucas die Besprechung. „Als erstes möchte ich unserer Thunderboltstaffel gratulieren. Das mit der Akariifregatte war ausgezeichnete Arbeit.“
Raven nickte.
„Monty, die Neubelegung der Schwarzen ist soweit in Ordnung, da ich aber relativ wenig Auslauf habe, werden wir Sugar primär La Reine als Wingman zuteilen. Wenn wir en masse rausgehen, werden beide Damen mir als Wingman zugewiesen.“
„Aye, Sir.“
Der Geschwaderkommandant lehnte sich vor und faltete die Hände: „Kommen wir aber zum Hauptthema: Die Korax ma Rah. Ich hatte heute Nacht einen Plausch mit Colonel Hammersmith. Er möchte diesen Einsatz unbedingt haben und den Akariiträger entern.
Nun stellt sich mir die Frage, wie sehr wollen wir dieses Schiff auf unserer Abschussliste sehen? Irons, Sie haben den Angriff auf Träger immer und immer wieder geübt. Sowohl Raven als auch Razor wurden von Ihnen immer wieder auf den neuesten Stand gebracht und zu den Übungen hinzugezogen.
Also zwei Fragen: Können wir diesen Angriff ausführen? Und wollen wir diesen Angriff durchführen?“
Die drei Bomberpiloten blickten sich gegenseitig an, dann begann Commander McGill: „Sir ich bin mir nicht ganz sicher ...“
„Sehen Sie“, unterbrach Cunningham sie, „wir haben zwei Möglichkeiten, entweder unsere Jäger fliegen Eskorte für Hammersmith Sturmshuttles, oder dieses Geschwader greift an und führt einen chirurgischen Präzisionsschlag gegen die Korax ma Rah durch. Ich möchte wissen, ist dieser Schlag durch uns durchführbar und ist er im Rahmen der akzeptablen Risiken? Würden Sie an meiner Stelle das Geschwader gegen Jors Flaggschiff in Marsch setzen?“
Es war wieder Irons die sprach: „Ja, ich denke ... ich bin mir sicher, dass die Jabos uns den Weg frei schießen können und wir den Quarsar mit einem Anflug knacken können.“
Der Geschwaderkommandant dachte kurz nach: „Und Sie wollen den Einsatz?“
Irons grinste wie ein Hai der Blut geleckt hatte: „Aye, aye, Sir, den Pott wollen wir.“
„Gut, dann will ich Ihnen etwas zeigen.“ Cunningham gab ein paar Befehle in eine Fernbedienung ein. Auf einem der Wandbildschirme wurde eine Schlacht eingespielt.
Ein wildes Gemetzel mit dutzenden von Schiffen und mehreren hundert Jägern. Das Bild fuhr heran und zeigte einen Flottenträger der Akarii. Oben rechts im Bild erschien der Name des Schiffes: NAR HAVAR. Ein gutes Dutzend Antischiffraketen jagte auf den Träger zu. Eine einzelne Bloodhawk startete von dem Träger. Die Raketen schlugen ein, des Schiff verging in einem Feuerball. Die Bloodhawk wurde vom Feuer umschlungen, konnte ihm aber entkommen.
Das Bild gefror, die Bloodhawk, ein bunt verziertes Modell dieser Art, wurde herangezoomt.
„Skunk, Sie wissen sicherlich, von wo die Bilder stammen.“
„Ja, das weiß ich, das war Prinz Jors Flaggschiff beim Angriff auf die Trafalgarstation bei Manticore. Der Träger hat diesen Raketensturm überlebt. Die NAR HAVAR wurde dadurch vernichtet, dass mein damaliger Geschwaderkommandant, Gene Bossman Usher von den Screaming Eagles, mit seiner Mirage das Schiff rammte.“ Er stockte kurz. „Zu diesem Zeitpunkt war Bossmans Jabo schon so gut wie aus dem Spiel. Die protzige Bloodhawk hatte ihn gut gerupft. Es war Prinz Jor, der sein sinkendes Schiff verließ.“
„Ganz genau, das war bei der Schlacht von Manticore. Und so werden wir Jor auch aus dem Träger herausbekommen, und dann knallen wir ihn ab.“ Cunningham blickte seine Staffelkommandanten an. Die meisten nickten.
„Eine hübsche kleine Trophäe für uns, was Commander?“ Razor Durfee kreuzte die Arme vor der Brust. „Das Geschwader bekommt Jors Flaggschiff gut geschrieben und Sie werden sich den Akariiprinzen auf die Seite malen, richtig? Eine hübsche kleine Kopfjagd.“
„Wir alle wüssten, dass ich lügen würde, wenn ich jetzt sage, mir wäre der Abschuss des Akariiprinzen egal, doch haben Sie sich schon mal die anderen Alternativen durchgerechnet, Razor?“ Lucas verzichtete auf die übliche Schärfe, mit der er Razor und die andere Opposition im Geschwader sonst zusammenzustauchen pflegte.
„Also stimmen die Gerüchte mit dem Abschießen von Rettungskapseln doch?“ Razors Haltung schien noch ablehnender zu werden.
„Nun, ich habe es Wulff vorgeschlagen, doch es wurde schon fast über jede Gebühr hinweg abgelehnt.“ Lucas konnte nicht umhin zu lächeln. „Nicht, dass bisher seitens der Admiralin wirklich brauchbare Alternativen gekommen waren. Nun, Sie ist die Admiralin, wandert über Erden einem Gott gleich. Aber wer von Ihnen drei“, er blickte seine drei Bomberkommandanten an, „wird mich um sechshundert zur letzten Besprechung begleiten und den Plan darlegen? Ich fürchte, mir wird Wulff nicht allzu viel Gehör schenken, ich habe den einfachen Weg die Rettungskapseln zu vernichten wohl etwas zu ... enthusiastisch vertreten. Sie kennen mich, ich bin ein Mann praktischer und einfacher Lösungen.“
„Sie, Lone Wolf, sind in erster Linie ein verdammt kaltblütiger Bastard.“ Razors Augen funkelten wütend. Auch sein Geschwaderkommandant versteifte sich etwas, dann rang sich Lucas jedoch ein Lächeln ab: „Ich kann Ihnen versichern, meinen Stammbaum kann man bis ins späte zwanzigste Jahrhundert zurückverfolgten.“
Bisher hatten sich die Lieutenant Commander nur gewundert, über die Art, wie Cunningham mit ihnen heute umging und die Besprechung führte. Jetzt waren sie alle mehr als nur erstaunt. Gerade mit Razor war Lone Wolf des Öfteren aneinander geraten. Eine derartige Beleidigung hatte er zwar nie so geahndet, wie er gekonnt hatte, dennoch hatte er sowas nie so einfach übergangen.
„Ich werde den Angriff vortragen.“ Antwortete McGill. Sie war die älteste der anwesenden Offiziere und ließ sich nicht mehr wirklich von Rangabzeichen einschüchtern.
Cunningham hatte sie immer in 'sein Lager' gezählt, auch wenn sie immer unverblümt ihre Meinung äußerte.
„Also schön, wir werden in dem Fall folgendermaßen vorgehen: Skunk, Tigre, unsere drei Schwadronen gehen als erstes und sehen zu, dass wir die Aufmerksamkeit der Jäger auf uns lenken. Wir gehen direkt in den Infight und vernichten was wir können.
Huntress und Lightning: Sie beide verteilen Ihre Sektionen so, dass jede unserer Bomberschwadronen zwei Sektionen als Deckung hat.
Die Thunderbolts und Mirage werden den Crusadern den Weg bereiten. Fregatten, Zerstörer, Kreuzer, was immer sich zwischen unsere schweren Bomber und den Träger schieben will.
Raven, wenn Sie Ihre Anti-Schiff-Raketen verschossen haben, kommen Sie mit Ihrer Eskorte zu uns rüber. Wir können dann sicherlich jegliche Entlastung gebrauchen.
Die Mirage und Crusader werden zur Columbia zurückkehren. Irons: Sie laden neu und nehmen sich das nächstgrößte Ziel vor. Ihre Eskorte bleibt bei Ihnen.
Razor: Sie und Ihre Eskorte tanken auf und laden Jagdbewaffnung. Sie bilden zwischen der Columbia und den Akarii einen Schirm und kommen langsam auf uns zu. Kesseln uns ein und schießen alles ab, was versucht sich abzusetzen oder die Columbia anzugreifen.“
Cunningham spielte einige Graphiken in den Monitor ein und spielt die Einsatzdaten ab. Seine Offiziere machten sich handschriftliche Notizen.
„Vielleicht bekommen wir die Verteidigung des Trägers auf einer Seite geschwächt, wenn die Kreuzer von einer anderen angreifen.“ Sinnierte Irons fast zu sich selbst.
„Bei Manticore sind die Bomber der Melbourne und der Gettysburg durch die hinteren Linien der Akarii gestoßen, ob Jor sich nochmal so einen Schnitzer leisten wird?“ Skunk sah skeptisch drein.
„Nein, wohl nicht, trotzdem sollten wir auf keinen Fall auf die Feuerunterstützung von Ol' Mithels Kreuzer verzichten.“ Raven wirkte nachdenklich. „Und wenn Jor sich nicht gegen die Kreuzer wendet, könnten diese sogar einen direkten Angriff wagen.“



TRS Unseen,
wenige Flugstunden von Wron entfernt

Die Unseen war ein zwanzig Jahre alter Akariizerstörer, der bei der Schlacht von Corsfield aufgebracht worden war. Fast ein Jahr lang hatte er auf einem Schiffsfriedhof verbracht, ehe sich die Abteilung vor Sonderaufgaben des Naval Intelligence Corps sich für das Schiff interessiert hatte.
Der Zerstörer war sehr stark modifiziert worden:
Sein Shuttlehanger war zu einem Startdeck für Jäger erweitert worden. Dieser beinhaltete neben zwei Sturmshuttles sechzehn Jäger, davon zwei Nighthawks und zwei Falcon, der Rest setzte sich aus unterschiedlichen Akariijägern zusammen. Die Hauptoffensivbewaffnung wich großen Kommunikations- und Abhöranlagen. Die Besatzung war um fünfzig Prozent geschrumpft.
Neben den unumgänglichen Anteil an Schiffsbesatzungen, die für den Betrieb der Unseen gebraucht wurden, waren zehn Jagdpiloten, ein SEAS Team und eine Horde von Nachrichtenspezialisten an Bord.
Abhörspezialisten, Linguisten, Codeknacker, Hacker und Datenauswerter.
Alles in einem eine bunte Mischung, die dafür sorgte, dass die Unseen als einziges Schiff neben der Dolphin mehr Offiziere als Mannschaften an Bord hatte.
Ein gutes, handverlesenes Team, das den kameradschaftlichen Umgang pflegte, der sogar soweit ging, dass sich vereinzelt Mannschaften und Offiziere duzten.
An Bord der Unseen hatte es auch einen unscheinbaren jungen Mann verschlagen.
Julien Pasteur war achtundzwanzig Jahre alt. Einen Meter und vierundsechzig groß, hatte hellbraune Haare und blassblaue Augen. Sein Bild wurde abgerundet durch den unverkennbaren Akzent der Colonial Confederation.
Pasteur hätte es vor dem Krieg nie auf die Fliegerschule der Bundesrepublik Terra geschafft. Einzig allein seine geringe Größe hätte ausgereicht, ihn auszuschließen.
Die Confederation konnte sich derartige Mindestanforderungen nicht leisten, so hatte Pasteur zwei Jahre vor Kriegsausbruch seine Offizierspatent samt Flugschein in der Tasche und schaffte es noch vor dem Krieg fünf Abschüsse einzuheimsen. Allesamt Piraten.
Bei Kriegsausbruch dachten seine Kameraden, dass sich Pasteur zu einem echten High Score Piloten mausern würde. Doch während seine Flugkünste ungeahnte Höhen erreichten, schien seine Trefferquote ständig zu sinken.
Ein Jahr nach Kriegsausbruch wurde er dann Verbindungsoffizier zur vierten terranischen Flotte.
Als die vereinte TSN und CN das Sektorenhauptquartier der Akarii Quan Mach angriffen, meldete sich Pasteur freiwillig als Aufklärer.
Mit einer für Langstrecken ausgerüsteten Typhoon drang er in Quan Mach ein und lieferte exzellentes Aufklärungsmaterial, so dass der Angriff für die TSN und CN ein voller Erfolg wurde.
Anschließend wurde Pasteur mit dem Flying Cross in Gold ausgezeichnet. Der Grund warum er nicht entdeckt worden war, die Hauptsensorphalangen von Quan Mach war defekt und wurde repariert, fand niemand je heraus.
Auch Pasteur nicht. Zusammen mit dem Flying Cross wurde ihm ein Offizierspatent der TSN offeriert, welches er akzeptierte.
Ein Jahr später fand er sich beim Geheimdienst wieder, um dort seinem Haupttalent nachzugehen, in einem Jäger hinter den feindlichen Linien herumzuschnüffeln.
Nach gut fünf Jahren Krieg stand Pasteur im Rang eines Lieutenant Commander und war inoffizieller Staffelkommandant der Unseen, mit der beklemmend niedrigen Zahl von vierzehn Abschüssen und dem wohlverdienten Codenamen Silent.
Pasteur atmete kurz durch, dann drückte er auf den Summer der Kommandantenkajüte.
„Herein“, erklang es von der anderen Seite, und die Tür öffnete sich.
Neben dem Kommandanten der Unseen waren noch drei weitere Piloten und der Operationsoffizier des Schiffes anwesend.
Captain Nagama hatte sich höflich erhoben und begrüßte ihn mit Handschlag: „Bitte, setzen Sie sich Julien, kann ich Ihnen was zu Trinken anbieten?“
„Gern Sir.“ Er setzte sich in einen der bequemen Sessel, die halb um einen Wohnzimmertisch gruppiert waren, so dass jeder der Gäste einen Blick auf den Wandmonitor hatte.
„Also Madame, Gentlemen, was ich Ihnen jetzt mitteile“, Nagama reichte Julien ein Glass Orangensaft. Die anderen Gäste hatten Scotch in ihren Gläsern, „unterliegt noch der höchsten Geheimhaltung. Auf die Schließung des Texas-Manticore-Wurmloches hat die Regierung sich entschlossen drastisch zu reagieren. Es wurde der Befehl zu einem Vergeltungsschlag ausgegeben und man hat der Präsidentin die Genehmigung abgerungen, ein planetares Ziel mit einer Antimateriewaffe anzugreifen.“
„Die Felsenfestung von Wron?“ Erkundigte sich Richard Grant, einer der Piloten, überflüssigerweise.
„Genau.“ Nagama stockte einen Moment. „Da wir zum einen in der Nähe waren und wir über die nötige Ausrüstung verfügen einen derartigen Schlag durchzuführen, hat unser Chef dem CNO angeboten, dass wir diesen Auftrag durchführen. Admiral Frost, der wie es scheint dem NIC mehr zutrauen entgegenbringt als seine Vorgänger, hat bereitwillig zugestimmt.“
Silent setzte sich aufrecht hin.
„Das Vorgehen sieht wie folgt aus: Einer unserer umgebauten Deltavögel wird mit einer Thor MK VI. Luft-Boden-Rakete bestückt, welche den Antimateriesprengkopf trägt.
Zwei unser Nighthawks bilden die Eskorte und begleiten den Delta bis zur Atmosphäre. Zu diesem Zeitpunkt werden sich die Bodentruppen schon weit genug zurückgezogen haben. Der Deltavogel dringt in die Atmosphäre ein und wirft direkt über der Felsenfestung die Thor ab.
Dann heißt es nichts wie weg. Die Thor wird mit Mach-6 aufschlagen und sich tief in den Fels bohren. Der Aufschlagzünder wird mit zehn Sekunden Verzögerung arbeiten.
Der Flight wird sich außerhalb der Atmosphäre wieder formieren und zur Unseen zurückkehren. Die Festung wird dann schon Geschichte sein.“ Nagama unterbrach sich kurz.
„Julien, ich möchte, dass Sie den Deltavogel fliegen.“ Er deutete auf die einzige Frau im Raum. „Tracy wird ihre Bordschützin sein und die Thor abwerfen.“ Nagama brauchte Julien gar nicht erst anzusehen, um zu wissen, was dieser von der Idee hielt. „Hören Sie ich kann Ihre ...“
„Moment, Sir.“ Der Lieutenant Commander kaute kurz auf der Unterlippe. „Haben sich die schlauen Köpfe im HQ die Sache eigentlich genau überlegt? Ich meine ist denen klar, dass ...“ er machte eine unbestimmte Geste mit den Händen, ... dies zu weit reichenden Folgen für Wron führen wird? Der Staub dieser Explosion wird sich in der Atmosphäre sammeln, die Temperatur wird sich um mehrere Grad senken, und das wohl über mehrere Generationen hinweg.“
„Wron ist ein militärisches Ziel.“ Konterte Nagama.
„Der ganze Planet?“
„Ja, der ganze Planet. Die wenigen tausend Akariizivilisten, die auf der anderen Seite des Planeten leben, werden von der Flotte evakuiert ... nachdem die Felsenfestung nur noch Geröll ist.“
Julien dachte einen Moment nach: „Ich möchte die Befehle sehen und prüfen, Sir. Wenn die in Ordnung sind, bin ich Ihr Pilot.“
Der Captain nickte. Andere Offiziere hätten das Verhalten von Pasteur als Aufsässigkeit aufgefasst, und in anderen Einheiten hätten sich die Junioroffiziere wohl nicht getraut, derartige Forderungen zu stellen. Doch an Bord der Unseen und in Anbetracht dessen, dass diese Befehle dazu führen würden auf einer Welt eine Klimakatastrophe herbeizuführen, da war Nagama froh, dass seine Offiziere weit genug dachten, um nicht im blinden Gehorsam 'Yes Sir' zu rufen.
Der Captain deutete auf seinen Schreibtisch: „Bitte Julien, das Terminal ist online und die Befehle sind aufgerufen.“
27.12.2015 06:42 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Cattaneo
Major


Dabei seit: 31.07.2002
Beiträge: 1.511

Themenstarter Thema begonnen von Cattaneo
Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Cattaneo

Befehlsgewalt

Als sie ihre Gäste zum Setzen aufforderte, wirkte Commander Parker so selbstzufrieden wie eine Katze, um deren Maul immer noch die Federn von ihrem letzten Opfer zu sehen waren. Sie hatte ihr Büro als den Ort der entscheidenden Besprechung ausgewählt. Anwesend waren neben ihr noch Lilja, sowie Huntress und Rapier von der Blauen Staffel. Vermutlich fiel allen Anwesenden die geradezu merkwürdig gute Laune der Chefin der Grünen auf. Aber man konnte natürlich nicht einfach so fragen...
Die Britin kam schnell zur Sache: „Also, ich denke, ich kann mir eine lange Vorrede sparen. Schließlich sind wir alle Frauen der Tat.“ Sie legte eine gewisse Betonung auf das Wort Frau, als Anspielung auf gelegentliche Witze über die „Weiberherrschaft“ bei den Abfangjägern der Columbia.
„Wir waren ja alle beim Kriegsrat anwesend, oder wurden später davon in Kenntnis gesetzt.“ Die letzte Anmerkung galt Rapier.
„Die Auseinandersetzung mit Jors Flotte steht unmittelbar bevor, und unsere Aufgabe dabei ist denkbar klar – wenn auch alles andere als einfach. Wir werden die Jagdbombern und Bombern Geleitschutz geben. Unser herrlicher Führer...“ Ihr sarkastischer Ton ließ nicht viel Raum für Vermutungen wie sehr, oder eher wie wenig sie Cunningham bewunderte, auch wenn sie seine Kompetenz nicht oder nicht mehr ernsthaft bezweifelte. Aber sie meinte, er handle zu oft unnötig autoritär, auch für eine Militäreinheit. Außerdem war er zu sehr am eigenen Fortkommen interessiert: „...hatte ja den Plan, dass die Mirage und Nighthawk den Weg freikämpfen sollen. Aber ich vermute, dass die Roten, Schwarzen und Gelben vielleicht die schwereren Akariimaschinen abfangen können, doch ein Teil der Bloodhawk und besonders die Reaper werden durchkommen. Und um die müssen wir uns kümmern, ansonsten wird das ein sehr kurzer Angriff für unsere Mehrsitzer.“
Sie fiel – entgegen ihrer erklärten Absicht – wieder in ihre alte Angewohnheit zurück und fasste das wesentliche noch einmal kurz zusammen. Lightning glaubte, Untergebene sollten verstehen, worum es ging.
„Die Korax ist zwar Überlebender eine Niederlage, aber wir wissen nicht, in wie weit Jor inzwischen neue Maschinen und Piloten requirieren konnte. Es wäre töricht, diese Gefahr auszuschließen. Das Geschwader der Korax war ursprünglich um die Hälfte größer als die Angels, also müssen wir mit mindestens einer ebenbürtigen Anzahl von Gegnern rechnen. Außerdem können wir nicht sicher sein, ob die Akarii in diesem Kampf ihre Jagdbomber nicht eher für den Raumkampf als zur Jagd auf Dickschiffe einsetzen. Entsprechend bestückt können die Raptoren ernstzunehmende Gegner sein.“

Lightning nahm sich die Zeit, ihre Zuhörer kurz zu mustern. Liljas Gesicht zeigte – wie immer – nur unerschütterliche Loyalität, obwohl sie das Gesagte natürlich bereits wusste. Ihre Staffelkommandeurin gehörte zu den Menschen, denen die Russin blind vertraute und wohl durch die Hölle gefolgt wäre. Tatsächlich hatte sie das bereits mehr als einmal getan. Spätestens seitdem die Britin sie zur XO gemacht hatte und sich wesentlich dafür eingesetzt hatte, die Beförderung Liljas zum Lieutenant Commander durchzudrücken. Ironischerweise war Lilja aus ähnlichen Gründen auch dem Geschwaderkommandeur gegenüber absolut loyal. Was die beiden anderen anging...
Nun, Lightning und Huntress waren in gewissem Sinne befreundet, sah man davon ab, dass sie energisch darum konkurrierten, wer die bessere Staffel hatte, und dass Lightning die jüngere Staffelchefin früher etwas „bemuttert“ hatte. Lightning, die selber ziemlich kollegiale Umgangsformen hatte, fand Huntress Verhalten gelegentlich etwas zu locker, von ihrem heimlich-öffentlichen Verhältnis zu Ace mal ganz abgesehen. Das hatte sie bei verschiedenen Gelegenheiten auch durchblicken lassen. Aber das war kein Grund für ernsthafte Animositäten. Nicht, dass die Britin sonderlich prüde war, aber es gab nun einmal Regeln, und wie wollte man den Untergebenen das klarmachen, wenn man eine dauerhafte Sonderstellung für sich geltend machte?
Rapier war eine Veteranin von der Redemption, noch ziemlich von Anfang an, und deshalb hatte sie keine Probleme mit Lightning. Wenn man bedachte, dass die Chefin der Grünen die einzige Staffelchefin war, die von Anfang an ununterbrochen bei der Truppe geblieben war, war dies auch kein Wunder. Alle anderen Offiziere waren später hinzugekommen, hatten das Geschwader auf die eine oder andere Weise verlassen, oft mit Hilfe der Akarii, oder hatten zumindest eine „Auszeit“ genommen.
Aber bei aller Rivalitäten – und die Frage, welche Staffel die bessere war, wurde natürlich noch immer sehr unterschiedlich beurteilt – hatten Lightning, Huntress und Rapier in den letzten Jahren gut zusammengearbeitet. Was Lightning freilich nicht an ihrem augenblicklichen Tun hinderte, denn zur Heiligen taugte sie eben doch nicht, auch wenn man eigentlich hätte denken können, ihr als Britin sei „fairplay“ in die Wiege gelegt worden.

„Wir können also davon ausgehen, dass ein ordentliches Stück Arbeit auf uns zukommt. Vielleicht nicht das ruhmvollste, und wir müssen uns vermutlich auch nicht mit der ganzen Gewalt der feindlichen Flak auseinandersetzen. Aber wenn wir nicht unsere Pflicht tun, und zwar in einem außerordentlichen Maße, dann wird es unser geliebter Chef nie zum Admiral schaffen, und Prinz Jor bleibt vielleicht einer, wenn die Kreuzer ihn nicht vorher erwischen – denn dass die Schlammstapfer den Karren aus dem Dreck ziehen können, bezweifle ich. Immerhin können wir ihnen dann nicht mehr die Hand halten, und ohne uns sind sie bekanntlich nicht die Hälfte wert.“
Das klang härter als es gemeint war, denn Lightning spielte weniger auf etwaige Qualitätsmankos der Marines als vielmehr darauf an, dass die Landungstruppen ohne Jagdschutz und begleitende Jagdbomber in ihren Sturmshuttles oft erhebliche Verluste einstecken mussten.
„Aber kommen wir zum eigentlichen Grund unseres Treffens – ich habe euch nicht hierher zitiert um Offensichtliches festzustellen. Wir wissen ja, dass wir jeder Bomberstaffel zwei Sektionen Geleitschutz geben sollen. Ich würde ja eher für eine etwas lockerere Eskorte plädieren, bei der die Sektionen und Staffeln flexibel agieren können, aber Lone Wolf lässt nicht mit sich reden. Im gewissen Sinne hat er ja Recht, aber wenn wir zu eng an den Bombern kleben, verlieren wir unsere Beweglichkeit. Nun, wir müssen uns mit den Gegebenheiten arrangieren. Bleibt nur eine wesentliche Frage – wie teilen wir die Sektionen auf?“

An Huntress Gesichtsausdruck war zu erkennen, dass ihr bereits schwante, was kam. Dessen ungeachtet fuhr Lightning gelassen fort: „Es ist natürlich nur logisch, dass wir jeden einzelnen Verband als autonome Einheit agieren lassen. Ich würde sagen, dass Huntress und ich je einen Verband übernehmen – den dritten kommandiert Lilja.“ Die Russin nahm reflexartig Haltung an, während Rapier und Huntress gelinde gesagt weniger erfreut reagierten.
„Aber solche Mischverbände agieren oft weniger effektiv.“ wandte Huntress ein, wenn auch etwas lahm. Sie wusste, wenn die Geschwader-XO sich etwas in den Kopf setzte, dann brauchte es weit mehr als eine dienstjüngere Kollegin, um sie von ihrem Tun abzubringen. Die geäußerte Besorgnis war natürlich nur ein Grund für den Protest der Kommandeurin der Blauen. Ebenso gefiel es keinem Staffelchef, wenn Piloten der eigenen Truppe einem anderen Offizier unterstellt wurden.
Lightning zuckte mit den Schultern: „Uns bleibt keine andere Wahl. Ich halte es für wichtiger, dass die zwei Sektionen koordiniert agieren. Schon Napoleon sagte, besser ein schlechter General als zwei gute – Tschuldigung Lilja, das sollte keine Beleidigung sein – und Lilja hat nun einmal die meiste Erfahrung und den höchsten Rang von den Junioroffizieren unserer Staffeln. Gerade jetzt, bei dieser Mission – die wievielte kriegsentscheidende ist das eigentlich, ich habe irgendwann die Übersicht verloren – darf nichts schief gehen.“
Lilja überraschte sich und die anderen, indem sie trocken einwarf: „Die fünfte, Commander – bisher waren es Jollahran, Corsfield, Velorha und Beta Borialis.“ Anschließend lief sie erst rot an und wurde gleich darauf bleich, denn solche Witze in Gegenwart von Staffelchefs waren nicht ihre Gewohnheit. Sie setzte aber sofort darauf eine grimmig-entschlossene Miene auf. Sie ließ sich nun auch nicht durch Lightnings Bemerkung, die Kriegsentwicklung ließe sie wohl übermütig werden, aus Reserve locken.
Die Geschwader-XO kam wieder zum ursprünglichen Thema zurück: „Ich würde sagen, ich unterstelle Lilja die Dritte Sektion der Blauen.“ Sie grinste leicht: „Immerhin war Lilja schon zweimal im Fernsehen, da dürfte sie mit Chip keine Probleme haben...“.
Sie hob die Hände: „Schon klar, Huntress, keiner ist über so etwas glücklich, aber es ist der beste Weg.“ Da sie aber manchmal auch etwas boshaft seien konnte, fügte sie hinzu: „Außerdem kann ich so mal meine Kommandogewalt missbrauchen – wäre ja unfair wenn ich nur Arbeit davon hätte, während der wirre Wolf den ganzen Ruhm einstreicht.“ Das war halb als Scherz gemeint, zugleich aber wollte Lightning klarmachen, dass sie nicht vorhatte, mit sich in diesem Punkt diskutieren zu lassen.

Aber Lightning wäre nicht Lightning gewesen, wenn sie nicht ein kleines Trostpflaster angeboten hätte. Außerdem beugte sie so etwaigen Diskussionen vor und lenkte das Gespräch in ihr genehme Bahnen: „Ich halte es im Übrigen für ratsam, dass wir die Aufgaben folgendermaßen verteilen: Sie, Huntress, übernehmen mit zwei Sektionen ihrer Schwadron die Staffel Bronze. Ich eskortiere mit zwei Sektionen Gold, Lilja Silber.“ Damit offerierte sie gewissermaßen Huntress' Staffel die Ehre – aber auch die Last und Verantwortung – den eigentlich entscheidenden Teil des Geleitschutzes zu übernehmen, nämlich die schweren Bomber bis zur Korax zu bringen. Natürlich würde daraus ohnehin nichts werden, wenn Gold und Silber ihre Arbeit nicht vorher sauber erledigen würden.
„Am besten, wir bereiten uns so gut es geht darauf vor – das heißt, dass Lilja sich sofort mit der Dritten Sektion der Blauen vertraut macht und die eine oder andere Simulatorübung anberaumt, wenn Zeit dafür bleibt.“
Rapier, die von allen Anwesenden vielleicht am ehesten frustriert war, obwohl sie keineswegs zu Bitterkeit neigte, meinte ironisch: „Wie ich Lilja kenne, wird sie diese Zeit finden, und wenn sie die Leute um Mitternacht aus ihren Kojen zerren muss.“
Und die Russin entgegnete mit ruhiger Entschlossenheit: „Stimmt genau. Und wenn Sie nichts dagegen haben, Commander,“ und damit spielte sie möglicherweise darauf an, dass Huntress und sie den gleichen Rang innehatten: „dann würde ich darum bitten, dass ich möglichst bald mit den Piloten sprechen kann.“
27.12.2015 06:43 Cattaneo ist offline E-Mail an Cattaneo senden Beiträge von Cattaneo suchen Nehmen Sie Cattaneo in Ihre Freundesliste auf
Seiten (11): « erste ... « vorherige 2 3 [4] 5 6 nächste » ... letzte » Baumstruktur | Brettstruktur
Gehe zu:
Neues Thema erstellen Antwort erstellen
The World of BattleTech » BattleTech Foren » Kurzgeschichten » Hinter den feindlichen Linien - Season 5

Forensoftware: Burning Board 2.3.6, entwickelt von WoltLab GmbH